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FICHTE-STUDIEN

Fichte-Studien
Beiträge zur Geschichte und Systematik
der Transzendentalphilosophie

Begründet von Klaus Hammacher,


Richard Schottky (†) und Wolfgang Schrader (†)

Band 31

im Auftrage der
Internationalen Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft

herausgegeben von

Marco Ivaldo (Neapel)


Hartmut Traub (Mülheim an der Ruhr)

in Zusammenarbeit mit

Daniel Breazeale (Lexington, Kentucky), Erich Fuchs (München), Helmut


Girndt (Duisburg), Karen Gloy (Luzern), Wolfgang Janke (Wuppertal), Rein-
hard Lauth (München), Oswaldo Market (Madrid/Lissabon), Kunihiko Naga-
sawa (Kyoto), Faustino Oncina Coves (Valencia), Marek J. Siemek (War-
schau), Thérèse Pentzopoulou-Valalas (Thessaloniki) und Xavier Tilliette
(Paris)
Günter Zöller / Hans Georg von Manz (Hrsg.)

Grund- und Methodenfragen in


Fichtes Spätwerk

Beiträge zum Fünften Internationalen Fichte-Kongreß

»Johann Gottlieb Fichte.


Das Spätwerk (1810–1814) und das Lebenswerk«

in München vom 14. bis 21. Oktober 2003

Teil IV

Amsterdam - New York, NY 2007


Die Fichte-Studien erscheinen in unregelmäßiger Folge. Publikationssprachen
sind Deutsch, Englisch und Französisch.

Adressen des Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats und der Herausgeber

Dr. Hartmut Traub


Goethestraße 8
D-45468 Mülheim an der Ruhr

Prof. Dr. Günter Zöller


Philosophie-Department
Ludwig-Maximilians-Universität München
Geschwister-Scholl-Platz 1
D-80539 München

Dr. Dr. Hans Georg von Manz


Bayerische Akademie der Wissenschaften
Marstallplatz 8
D-80539 München

Für den Rezensionsteil der Fichte-Studien zuständig:

PD Dr. Christoph Asmuth


Technische Universität Berlin
Ernst-Reuter-Platz 7
D-10587 Berlin

Manuskripte werden erbeten an die Adresse von Hartmut Traub.

Typographie und Satz: Holger Ostwald (Duisburg)

ISBN: 978-90-420-2293-5
ISSN: 0925-0166
Vol. 1- 5
ISBN: 978-90-420-2045-0

The paper on which this book is printed meets the requirements of »ISO
9706:1994, Information and documentation – Paper for documents – Re-
quirements for permanence«.
©Editions Rodopi B.V., Amsterdam-New York, NY 2007
Printed in the Netherlands
Inhalt

Vorwort ...................................................................................................................... IX

Siglenverzeichnis ....................................................................................................... XI

Daniel Breazeale (Lexington, Kentucky)


»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz«.
A Theme from Fichte’s Berlin Introductions to Philosophy ....................................... 1

Jürgen Stahl (Leipzig)


Von der Form der Anschauung zur Anschauung der Form.
Zu Fichtes Verständnis des Formbegriffs ................................................................... 17

Albert Mues (München)


Die Position der Anschauung im Wissen oder Die Position der
Anschauung in der Welt. Der Unsinn der Subjektphilosophie .............................. 29

Christoph Asmuth (Berlin)


Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik?
Grundsätzliche Fragen an Fichtes Spätphilosophie .................................................... 45

Marek J. Siemek (Warschau)


Unendlichkeit und Schranke.
Zum Fichteschen Entwurf einer transzendentalen Ontologie des Wissens.................. 59

Tom Rockmore (Pittsburgh)


On Fichte and Idealism .............................................................................................. 69

Sabine Ammon (Berlin)


Realismus oder Idealismus? – Irrealismus! ................................................................ 81

Akira Omine (Kyoto)


Der Begriff des Übersinnlichen in der Philosophie Fichtes ........................................ 93

Roderich Barth (Halle)


Wahrheit als Sein von Einheit. Die gewißheitstheoretische Reformulierung
des absoluten Wahrheitsbegriffs in Fichtes Phänomenologie von 1804-II ............... 103
VI Inhalt

Arkadij Lukjanow (Ufa)


Auf der Suche nach einer neuen Theorie des Absoluten.
Die Idee der Synthesis in den späteren Systemen von Fichte und Schelling .......... 117

Lu De Vos (Leuven)
Der Gedanke des Lebens in den späten Schriften Fichtes ........................................ 125

Michael Gerten (Wiesenttal)


Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie.
Das systematische Problem einer Einleitung in Fichtes Wissenschaftslehre ............ 135

Kai Gregor (Berlin)


»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit« – Wesen
und Möglichkeit höherer Lebensformen bei Kant und Fichte .................................. 159

Violetta L. Waibel (Tübingen und Wien)


Die bildende Kraft des Wissens vom Wissen in der Spätphilosophie
Johann Gottlieb Fichtes .............................................................................................. 175

Elvira Gareewa (Ufa)


Wissen als ein freies und selbständiges Leben in den »Thatsachen
des Bewußtseyns« .................................................................................................... 187

Franco Gilli (Turin)


Die Präsenz der ›Populärphilosophie‹ im Spätwerk Fichtes ..................................... 195

Hans Georg von Manz (München)


Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins«
im Blick auf die Wissenschaftslehre ......................................................................... 205

George di Giovanni (Montreal)


Sacramentalizing the World: On Fichte’s Wissenschaftslehre of 1810 .................... 219

Stamatios D. Gerogiorgakis (Athen und Freising)


Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk.
Seine Unterschiede zum Schemabegriff in Fichtes Frühwerk und
seine Einbettung in der philosophischen Tradition vor Kant .................................... 235

Jacinto Rivera de Rosales (Madrid)


Die transzendentale Logik (1812). Ihr systematischer Ort und ihre Bedeutung ....... 245
Inhalt VII

Alessandro Bertinetto (Paris)


Die transzendentale Argumentation in der Transzendentalen Logik Fichtes ............ 255

Marc Maesschalck (Louvain)


Attention et réflexivité dans la Logique de 1812
et la dernière philosophie de Fichte .......................................................................... 267
Vorwort

»Johann Gottlieb Fichte. Das Spätwerk (1810–1814) und das Lebens-


werk« – zu diesem Thema fand vom 14. bis 18. Oktober 2003 im Haupt-
gebäude der Ludwig-Maximilians-Universität München am Geschwister-
Scholl-Platz der Fünfte Internationale Fichte-Kongreß statt. Veranstalter
des Kongresses war die Internationale Johann-Gottlieb-Fichte-Gesell-
schaft in Verbindung mit dem Istituto Italiano per gli Studi Filosofici,
Neapel, und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Weitere
Unterstützung gewährten die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das
Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, das
Außenministerium der Republik Frankreich, das Philosophie-Department
sowie die Universitätsgesellschaft der Ludwig-Maximilians-Universität
München, die Carl Friedrich von Siemens Stiftung, das Kulturreferat der
Landeshauptstadt München und die Bayerischen Staatsgemäldesamm-
lungen.
Die Planung, Vorbereitung und Durchführung des Kongresses
wurde geleitet vom damaligen Präsidenten der Internationalen Johann-
Gottlieb-Fichte-Gesellschaft, Günter Zöller (München), in Zusammen-
arbeit mit Hans Georg von Manz (München) und einem internationalen
Organisationskomitee, dem Daniel Breazeale (Lexington), Jean-Chris-
tophe Goddard (Poitiers), Marco Ivaldo (Neapel), Kunihiko Nagasawa
(Kyoto), Jacinto Rivera de Rosales (Madrid) und Hartmut Traub (Mül-
heim/R.) angehörten.
X Vorwort

Im Mittelpunkt des Kongresses stand das umfangreiche Spätwerk


Fichtes aus seiner Lehrtätigkeit an der neugegründeten Universität Berlin.
Zusätzlich wurde das Gesamtwerk Fichtes, bevorzugt aus der Perspektive
des Spätwerks, in den Blick genommen. Das Programm umfaßte vier Ple-
narvorträge und 120 Sektionsbeiträge von Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern aus 19 Ländern und vier Kontinenten. Die Kongreßsprachen
waren Deutsch, Englisch und Französisch.
Sämtliche Plenarvorträge und der Großteil der Sektionsbeiträge
des Kongresses kommen in fünf konsekutiven Bänden der Fichte-Studien
(Band 28 bis 32) zur Veröffentlichung. Die einzelnen Bände sind thema-
tisch anlegt und wie folgt betitelt: »Fichtes letzte Darstellungen der Wis-
senschaftslehre«, »Praktische Philosophie im Spätwerk Fichtes«, »Fichtes
Spätwerk im Vergleich«, »Grund- und Methodenfragen in Fichtes Spät-
werk« sowie »Grundbegriffe in Fichtes Spätwerk«. Die Dokumentation
der Kongreßeröffnung und die Wiedergabe der Plenarvorträge erfolgt zu
Beginn des ersten Bandes der Beiträge des Münchener Fichte-Kongresses.
Bei der Herausgabe der Beiträge des Münchener Fichte-Kon-
gresses wurden die Herausgeber unterstützt von Bernhard Jakl und Michael
Weiß.

Die Herausgeber
Siglenverzeichnis

GA (z. B. GA I/2, 340) J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen


Akademie der Wissenschaften (Reihe, Band, Sei-
te)
SW (z. B. SW X, 254) J. G. Fichte sämmtliche/nachgelassene Werke
Hrsg. von I. H. Fichte, Bonn/Berlin (I–XI)
StA-1/SWV-1 Fichte, Johann Gottlieb: Die späten wissen-
schaftlichen Vorlesungen I, 1809–1811. Hrsg.
von Hans Georg von Manz, Erich Fuchs,
Reinhard Lauth und Ives Radrizzani. Stuttgart-
Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2000
StA-2/SWV-2 Fichte, Johann Gottlieb: Die späten wissen-
schaftlichen Vorlesungen II. Wissenschafts-
lehre 1811. Über das Wesen der Philosophie
1811. Von den Thatsachen des Bewußtseyns
1811. Hrsg. von Hans Georg von Manz, Erich
Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani.
Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holz-
boog, 2003
AzsL Anweisung zum seeligen Leben 1806
BdG Vorlesungen über die Bestimmung des Ge-
lehrten 1794
XII Siglenverzeichnis

WdG Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erschei-


nungen im Gebiete der Freiheit 1805
BdG-1811 Über die Bestimmung des Gelehrten 1811
BdM Die Bestimmung des Menschen 1800
Beitrag Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Pub-
likums usw.1793/94
BWL Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre
1794
Diarium-I Diarium ab März 1813
Diarium-II Diarium August/September 1813
Diarium-III Diarium Oktober 1813/Januar 1814
GB Über Geist und Buchstab in der Philosophie
GNR Grundlage des Naturrechts 1796
GdgZ Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters
1806
GWL Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre
1794/95
GHS Der geschlossene Handelsstaat 1800
TL I Transzendentale Logik April bis August 1812
TL II Transzendentale Logik Oktober bis Dezember
1812
Principien Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechts-
lehre 1805
RL-1812 Rechtslehre 1812
Reden Reden an die deutsche Nation 1808
SL-1812 Sittenlehre 1812
SL Das System der Sittenlehre 1798
StL Die Staatslehre, oder über das Verhältnis des
Urstaates zum Vernunftreiche 1820
TdB Die Thatsachen des Bewußtseins
UI Ultima Inquirenda. J. G. Fichtes letzte Bear-
beitungen der Wissenschaftslehre Ende 1813 /
Anfang 1814, hrsg. von Reinhard Lauth. Stutt-
gart-Bad Cannstatt, 2001
UM Ueber Macchiavell 1807
VnD Versuch einer neuen Darstellung der Wissen-
schaftslehre (1798)
WL Wissenschaftslehre
WL-1801/02 Wissenschaftslehre 1801/02
WL-1804-I/II/III Wissenschaftslehre von 1804, Erste, zweite,
dritte Vorlesungsreihe
Siglenverzeichnis XIII

WLnm Wissenschaftslehre nova methodo 1796–1799


WLnm-K Wissenschaftslehre nova methodo 1798/1799,
Nachschrift K. C. F. Krause
ZdDf Zurückforderung der Denkfreiheit 1793
ZV Züricher Vorlesungen über den Begriff der
Wissenschaftslehre
ErE Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre
1797
ZwE Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre
1797
FG Fichte im Gespräch. Hrsg. v. E. Fuchs

AA Immanuel Kant’s gesammelte Schriften, her-


ausgegeben von der Königlich Preußischen
Akademie und ihren Nachfolgern, Berlin
1900ff; Nachdruck der Druckschriften (Bde 1–
9), Berlin 1968.
KdU Kant: Kritik der Urteilskraft
KpV Kant: Kritik der praktischen Vernunft
KrV Kant: Kritik der reinen Vernunft

TWA G. W. F. Hegel: Theorie-Werkausgabe. Werke


in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der
Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe.
Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus
Michel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1970
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz«.
A Theme from Fichte’s Berlin Introductions to
Philosophy1

Daniel Breazeale (Lexington, Kentucky)

Between December 1809 and December 1813, Fichte presented no less


than seven sets of »introductory« lectures on philosophy. Of these seven,
we have his own manuscript of only two (October 1812 and November-
December 1813). For two others (December 1809 and April 1812) we
have only his preliminary notes and reflections. For two more (October
1810 and October 1811) we have only student transcripts, plus, in the case
of the October 1811 series, a page of preliminary notes by Fichte. And for
one (April 1811), we have no documentary record whatsoever.
On the basis of the surviving documentary evidence, I propose to
divide these seven introductions into four distinct groups or stages.
First, there are the public introductory lectures offering beginners
»guidance in the art of philosophizing« from December 1809.
Second, there are the general »introductions to the study of
philosophy« from October 1810, April 1811, and October 1811. All three

1 This paper was prepared under the auspices of a Senior Independent Research
Fellowship from the National Endowment for the Humanities. The author would also like to
acknowledge his personal gratitude to Dr. Erich Fuchs, co-editor of the Fichte Gesamtausgabe,
who generously provided copies of still-unpublished manuscript material and transcripts of
Fichte’s lectures.
2 Daniel Breazeale

of these week-long introductions were followed by a much longer course


of preparatory lectures on the »Facts of Consciousness.«
Third, there is the »introduction to the study of philosophy in
general« from April 1812 and the »introduction to the study of philo-
sophy« from October 1812, both of which were immediately followed by
lectures on Transcendental Logic, which, in the case of those from the
Wintersemester 1812/13, were in turn followed by new lectures on the
Facts of Consciousness.
Fourth and finally, there is the lengthy »Introduction to the Wis-
senschaftslehre« from November and December 1813.
Though it would be useful to go through all four of these intro-
ductions, in order to trace the evolution of Fichte’s introductory strategy
during his final years, here I will confine myself primarily to the first two
stages of this development, with only a few anticipatory glances toward
the content of the introductions of 1812 and 1813.

Let us begin with Fichte’s lectures »Guidance in the Art of Philosophi-


zing« from December 1809. The basic idea of these lectures is evident
from their title: a genuine »Einleitung in die gesammte Philosophie« can
only be an »Anleitung zum Philosophieren.«2 Whereas others might
attempt to introduce students to philosophy by trying to acquaint them
with elementary philosophical concepts, Fichte’s goal is not to provide
them with »Kenntniße,« but to direct them instead »zu einem gewissen
Seyn.«3 Learning to philosophize, in other words, means becoming a
philosopher.
At first glance, anyway, the main thing that distinguishes philo-
sophers from everyone else is that the former are particularly skilled at
thinking; that is, they are adept at making connections, until everything is
connected in a single Verstandessystem. Thinking, however, is a skill that
everyone possesses to one degree or another, and in this sense there would
appear to be no sharp boundary between philosophy and everyday life. In
another sense, of course, there is indeed an important distinction here, for
in order to philosophize one must not only be adept at thinking, but must
also acquire the ability to pay attention to one’s thinking: to think not
about external objects, but about one’s consciousness of these objects.
And this is manifestly not a skill that everyone already possesses. The way
to lead students to the philosophical standpoint, therefore, is not by filling

2 GA, II,11,261, emphasis added.


3 GA, II,11,268.
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz« 3

their heads with exotic theories and novel ideas, but rather by doing
whatever one can to animate within them that »Geist der Reflexion« or
»Besonnenheit,« which is »de[r] eigentliche[] Kunstsinn«4 for genuine
philosophizing.
Like Socrates before him,5 Fichte thought that the best way to do
this was to confuse and astound one’s students. The teacher awakens the
spirit of reflection within his students by presenting them with examples
and puzzles from ordinary life, puzzles selected because of their ability to
force these students, first, to think about the issues, and then, to reflect
critically upon their own thinking. Above all, the would-be philosopher
has to become astounded by the »fact of experience« itself; that is, he has
to become aware of the deep contradictions implicit within his ordinary,
pre-philosophical view of the world. The chief obstacle to learning how to
philosophize is therefore not so much any lack of intellectual ability as it
is the simple fact that one already finds oneself in the grip of an »obscure
feeling« concerning the independent reality of so-called external objects
and hence immune to that »sense of wonder« without which philosophy
cannot begin. Since no one still in thrall to this natural feeling can even
start to philosophize, the first challenge to anyone who wishes to guide
others to philosophy is to discover some way to counter and to oppose our
innate realism or »dogmatism.« To put it more dramatically: since this
»obscure feeling« is constitutive of our ordinary way of being human, it
follows that »[d]er Zweck der Philosophie ist einen neuen Menschen zu
gebähren, das alte Wesen ganz umzuschaffen.«6
It must be emphasized that neither the student nor the teacher can
produce the desired »transformation« purely by an act of will. Left to
one’s own devices, one may perhaps lift oneself above the dogmatism of
everyday life and into an unstable condition of doubt and self-
contradiction. Though skeptical doubt is a necessary condition for philo-
sophizing,7 the possibility of ever moving beyond this condition depends
upon something else, something that can only be assumed at this point:
namely, the existence of an actual solution to this problem of self-
contradiction and the real possibility of coming to know this solution. But
what can one who would lead others to this standpoint actually say to

4 GA, II,11,261. »Der Geist der Reflexion u. Besonnenheit ist der der Philosophie:
Diesen nun zu üben. Das Denken reglmäßig zu bilden, ist die Aufgabe« (GA, II,11,262).
5 See Plato, Republic, 523a-524d.
6 GA, II,11,267.
7 For further discussion of this topic, see Daniel Breazeale, »Fichte on Skepticism,«
Journal of the History of Philosophy 29 (1991): 427–453.
4 Daniel Breazeale

elucidate the real possibility of such an »Umschaffung«? Not much, is


Fichte’s answer. In order to recognize that the contradictions between
»Wissen« and »Sein« can actually can be solved, one actually has to solve
them for oneself. In order to recognize that there is indeed a higher ground
of unity between consciousness and its object, one has to see this ground
for oneself. And the only way to »see« this is precisely by philosophizing.
Though the instructor may solemnly declare that »[d]ie
philosophische Kunst ist nun die Lösung dieser Widersprüche,«8 and may
then proceed to describe to his student how his own system resolves every
contradiction, this will hardly convince the student, who has by now
acquired a healthy dose of skepticism concerning mere assertions. No, if
the student is to advance beyond skepticism, then he himself will simply
have to acquire »[d]ie Kunst sich selbst zum Philosophen zu machen.«9
And this means not simply that he must actively think for himself and
question all of his prior certainties, but also that he must possess the
capacity to surrender himself to the truth when it appears to him in the
course of his free reflections.
This is a crucial point, and to express it Fichte uses the same term
he had earlier employed to express how we are originally held captive by
an obscure feeling of the independent existence of the external world and
then, as a result of our first serious reflections on the latter, are seized by a
new feeling of doubt and uncertainty: if we are to move beyond
uncertainty, and if we are not to remain in a state of relativistic despair
concerning truth and necessity, then »[i]rgendwo muß uns das absolute
Gefühl der Gewißheit, u. Notwendigkeit ergreifen.«10 Only such an
immediate feeling has the power to dispel doubt and uncertainty. This then
is the philosophical »transformation« of our nature which was promised
above, something that everyone must experience directly for himself: a
»blitzähnliche[r] Zustand des Seyns; der gar nicht von uns abhängt, ‹der
wie› ein Produkt der geistigen Nothwendigkeit h‹er›eingekommen: um es
nach Belieben wieder herstellen zu können.«11 The task of the teacher is to
do all that he can to produce such a »Blitz« within his students – or rather,
since that is precisely what he cannot do, to lead them toward and to
prepare them to experience something that they alone can experience, a
bolt of lightning that transforms their very being. And this, Fichte

8 GA, II,11,278.
9 GA, II,11,268, emphasis added.
10 GA, II,11,269f.
11 GA, II,11,270, emphasis added.
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz« 5

confesses, somewhat wistfully, is a task better accomplished orally than


through writing and is perhaps actually possible only when one is dealing
with »nicht ganz verwahrlosten Jünglingen.«12
At this point, however, a note of caution is in order: However
essential such a momentary »Blitz« of certainty may be for philosophi-
zing, it is never sufficient on its own. Indeed, as we shall see, it cannot
even occur on its own, without any prior preparation, but instead pre-
supposes a quite specific context of rigorous thinking and imaginative
problem solving. This is dimly alluded to in Fichte’s remark that one must
be able to reproduce the »flash« voluntarily; but for clarification of this
point let us turn to what I have called the »second stage« of Fichte’s
Berlin Einleitungsvorlesungen.

Many of the points sketched in Fichte’s notes for his 1809 lectures are
expanded and developed in those of 1810 and 1811, particularly the claim
that philosophy is something that everyone must produce or discover for
oneself and that a teacher can, at best, guide one toward such a discovery.
This time, however, Fichte adopts a new strategy for guiding his students
toward philosophy. Rather than trying to engender skeptical doubts about
one’s natural belief in external objects, the lectures of 1810 and 1811
begin by posing a question concerning the possibility of communicating
any sort of knowledge from one person to another. The very posing of
such a question requires an analysis of the differences between merely
»historical« knowledge and genuinely »scientific« knowledge, as well as
further discrimination between scientific knowledge as such, and
distinctively philosophical knowledge. Dissatisfied with empirical
knowledge of what is the case, science asks why something is the case;
and, according to Fichte, simply by asking this question already assumes
that there must be some answer to the same. In a striking illustration of
what Nietzsche would later characterize as »scientific optimism,« Fichte
cheerfully maintains that »an dem Antrieb zu solcher Frage [warum]
schon zeigt sich, daß es irgend ein darum geben müsse.«13
Science, as characterized by Fichte, is the project of »explaining«
some sensible appearance – the observed movement of a planet, for
example – by synthetically connecting it to its supersensible ground (the
force of gravity, or better, the law of universal gravitation). Though

12 GA, II,11,270.
13 1811 Krakau Nachschrift, p. 3r. »Er frägt: Warum? und sezt voraus daß es zu allen
seinen Warums eine Welt von Darums gebe« (1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 3r).
6 Daniel Breazeale

Fichte’s language of »ground« and »appearance« occasionally suggests a


relationship between two kinds of »objects« – one supersensible and one
sensible – such an interpretation is incompatible with the very goal of
science: namely, to discover the synthetic unity or »identity«14 of ground
and phenomenon, a goal that is better conveyed by characterizing the
»ground« not as some sort of supersensible thing, but instead as a
necessary rule or law. »Die Sphäre der Wissenschaft ist also die Region
der Gründe«15 – i.e., the space of reasons.. There is, however, an
important difference between philosophy and all of the other sciences, in
that the »phenomenon« or »appearance« to be explained by philosophy is
not any sensible object, but is the fact of »appearance« itself: i.e., our
consciousness or »Wissen« of objects. And this is why philosophy, unlike
the other sciences, requires the kind of preparatory exercises included in
Fichte’s new lectures on »Tatasachen des Bewußtseins,« which were
inaugurated in the Wintersemester of 1810/11.
From this general characterization of scientific and philosophical
knowledge Fichte concludes that it is impossible to communicate such
knowledge directly from one person to another. In order to understand
why this is the case, we must look more closely at his account of how one
obtains knowledge of the necessary connection between some appearance
and its supersensible ground. Neither the mere perception of the
appearance in question, nor the simple thought of its necessary ground,
nor the combination of this perception and this thought, is sufficient to
provide one with scientific knowledge, though all these are certainly
necessary for such knowledge. But something else, something more, is
required of the scientist: namely, a distinctive type of experience, which
Fichte describes as follows: »Wie er nämlich beides dachte, die Erschei-
nung und den Grund derselben, da vereinigten sich in seinem Bewußtseyn
beide wie durch einen Blitzschlag.«16
As this »lightning bolt« imagery dramatically emphasizes, there is
a crucial element of scientific knowledge that is not a product of human
freedom and that cannot be produced by any act of will, but simply has to

14 »Der Bliz der absoluten Evidenz besteht eigentlich darin; daß wir erkennen daß
die Wahrnehmung und der Grund Eins sey, in diesem jene, in jener diesen sehn« (1811 Schopen-
hauer Nachschrift, p. 4r).
15 1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 4r.
16 1810 Twesten Nachschrift, in Fichte, Die späten wissenschatlichen Vorlesungen, I
1808 – 1811, hrsg. von Hans Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani
(Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2000) [henceforth = SWV), I, p. 204, emphasis
added.
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz« 7

happen. It is not the scientist himself who finally »unites« the appearance
and the ground; they »unite themselves« in his consciousness, a union of
which the scientist becomes passively aware in a moment of »insight«
(Einsicht). Moreover, when such a »flash of insight« does occur, it
transforms the person who experiences it, so that »man kann nicht sagen,
daß er die Einsicht machte, vielmehr machte die Einsicht ihn; sie gewann
in ihm Leben, und macht von der Zeit einen unvertilgbaren Theil seiner
Individualität aus.«17 The impossibility of directly communicating
scientific knowledge is thus a simple corollary of the fact that such
knowledge always requires a »flash of insight,« which each person can
experience only for himself.
At this point, however, one must exercise extreme caution in
order not to misunderstand Fichte’s claim. Though the »flash of insight« is
not something that anyone can produce within himself through an act of
will, Fichte nevertheless insists that science is something »daß jeder [...]
selbst in sich erzeugen müsse.«18 What can this mean? How can I
»produce science for myself« if, »[e]s trägt sich hier etwas in uns zu, wir
thun nichts dabei, und zwar muß sich diese Evidenz in jedem selbst
zutragen«?19
Fichte’s answer is that, though I cannot produce the »flash of
insight,« I can and must freely produce that specific intellectual context
within which alone the »feeling of certainty« or »Blitz der Einsicht« can
count as scientific evidence. By »intellectual context« I mean not only that
one must obtain for oneself a clear grasp of the phenomenon to be
explained, but also that one must »think up« (»erdenken«) possible
explanatory hypotheses, i.e., possible »grounds« of the appearance in
question. Despite the element of passivity present in the »happening of
evidence,« one can, according to Fichte’s account, be affected in this
manner only if one has first acted appropriately: that is, only if one has
determinately cognized (»bestimmt erkennen«) and schematically thought
(»schematisch denken«) the phenomenon for which one seeks an
explanation. The path to science starts, not with mere perception, but with
perceptions that have been freely raised to the level of thought, i.e., with
concepts.
But then one must do something else as well. One must employ
also one’s powers of free, creative thinking (»denkt man frei herum«), in

17 1810 Twesten Nachschrift, SWV, I,204.


18 1810 Twesten Nachschrift, SWV, I,206, emphasis added.
19 1811 Cauer Nachschrift, p. 6, emphasis added.
8 Daniel Breazeale

order to imagine possible explanatory grounds for the aforementioned


appearances, i. e., one must create hypotheses. Then, and only then,
something altogether new might occur, something that one could never
have anticipated and cannot produce through determinate cognition,
schematic thinking, creative imagination, critical reflection, nor any
combination of the same: »[I]n der Ueberlegung aber und Betrachtung
kann es jetzt zu einem Wissen kommen, durch plötzliche Evidenz indem
wie durch eine Blitzstrahl sich beides Denken (das schematische [Denken]
des Phänom[ens] und das frei herumdenken) vereinigt..«20 It is only in this
immediate evidence, this »flash of insight,« that the synthetic unity of
ground and phenomenon is actually revealed; and it is precisely this
experience that constitutes scientific »evidence,«21 strictly speaking. This
is why Fichte now begins to use the term »Blitz der Evidenz« as a
synonym for »Blitz der Einsicht,« and indeed, to favor the former term.
Thus there is no real conflict between Fichte’s claim that we must
»produce science for ourselves« and his assertion that scientific evidence
has to »produce itself within us.« As he puts it, »[j]eder der zum Wissen
kommen will muß sie in sich erzeugen durch jene ersten Bedingungen.«22
Only after we have freely produced these conditions within ourselves can
»evidence« or »insight« produce itself. The process of acquiring scientific
knowledge can be summarized in the following four steps:
First, one must acquire, through disciplined observation and care-
ful thinking about what one observes, a determinate intellectual grasp of
the phenomena to be explained..
Second, one must make the transition from the sensible to the
supersensible realm, which one does simply by asking »why« things are as
they appear to be. Without this demand for an explanation and the
resulting state of wonder, one could never advance toward science,
according to Fichte, since »Gewißheit kann nur aus Zweifeln
hervorgehen.«23
Third, one must think »problematically.« That is to say, one must
use one’s creative imagination in order to construct hypothetical
explanations of the phenomena by considering possible supersensible
grounds of – or reasons for – the same. There is no reliable algorithm to
guide one at this stage, nor can one ever be sure that one has considered

20 1811 Cauer Nachschrift, p. 6.


21 »Die Evidenz ist die SYNTHETISCHE Einheit des Phänom[ens] und das
Grundes« (1811 Cauer Nachschrift, p. 6).
22 1811 Cauer Nachschrift, p. 7.
23 1811 Cauer Nachschrift, p. 7.
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz« 9

every possible explanatory hypothesis or that one will, in fact, hit upon the
correct explanation. This is why it requires not only creative imagination,
but also a certain amount of courage to propose hypotheses.
Fourth, »Die EVIDENZ eintreten.«24 With this »happening of
evidence« what was previously a mere hypothesis is transformed into or
recognized as an eternal and necessary – and hence, a »scientific« – truth.
»In dem plötzlichen Uebergange aus dem Zweifel zur Gewißheit besteht
der Akt der Evidenz. Dieser Augenblick ist die Geburtsstätte der Wis-
senschaft.«25
When one applies this general account of the acquisition of
scientific knowledge to the special case of philosophy, matters become a
bit more complex, inasmuch as »inner intuition« and »insight« are now
required simply in order to become aware of that »appearance« (»Wissen
als Wissen« or consciousness itself) for which one seeks an explanatory
ground. In the more important respects, however, philosophical insight
resembles scientific insight in general, inasmuch as it too presupposes, as
the condition for the very possibility of the »happening of evidence,« a
great deal of prior, free intellectual activity on the part of the philosopher-
to-be. It is precisely this insistence upon what one might call the »neces-
sary conditions for the possibility of the flash of insight« that most clearly
distinguishes Fichte’s appeal to this frankly mysterious »happening of
evidence« from superficially similar-sounding appeals by romantically
inclined Schwärmer.

By way of a conclusion, let us look a bit more closely – and critically – at


the final two steps of the process just described and consider more
carefully the character of scientific hypotheses and the indefeasibility of
genuine evidence.

Fichtean experimentalism. As we have now seen, genuine science is never


a matter of passive »Zusehen,« but always presupposes a »künstliche
Vorbereitung im Denken.«26 A person who wants to acquire scientific
knowledge has to be capable not just of keen observation and rigorous
thinking; he must also possess a capacity for »schöpferisches Erdenken,«
the power to imagine for himself and on his own, if only as an
»hypothesis,« the concept of some possible supersensible ground of the

24 1811 Cauer Nachschrift, p. 7.


25 1811 Krakau Nachschrift, p. 3v, emphasis added.
26 1810 Twesten Nachschrift, SWV, I,207.
10 Daniel Breazeale

appearance he wishes to explain. Hence, in Fichte’s words, what is


required of the true scientist – including the philosopher – »wäre nicht
sowohl eine Beobachtung als ein Experiment.«27
Though there are parallels between Fichte’s remarks on the meth-
od of science and familiar descriptions of the »hypothetico-deductive«
method of the experimental sciences, one should not allow these
similarities to blind one to the important differences between these
accounts. Whereas others might understand an »experimental« method to
be one that keeps open the constant possibility of revising one’s results in
the light of newer experiments, the kind of »experiments« envisioned by
Fichte have a strictly heuristic or pedagogic function. They are not
conducted in order to become acquainted with contingent facts or
empirical, law-like regularities, and their purpose is not to confirm or to
falsify the results of previous experiments; instead, they are means to a
very different end: namely, the immediate recognition, in »der Blitz der
Evidenz,« of a synthetic but necessary, and hence a priori, truth. The
student must conduct such experiments on his own simply because this is
the only way he can recognize the same necessary truths recognized by
previous experimenters.28
As Reinhard Lauth has recently reminded us, we must exercise
similar caution in interpreting Fichte’s concept of »hypotheses« in
science. When one hears this word, one must not think primarily of the
kind of hypotheses associated with the modern experimental sciences of
nature – that is, the sort of hypotheses associated with inductive arguments
and a posteriori proofs. The kind of »hypotheses« Fichte appears to have
in mind are not like those of a detective trying out explanations of some
contingent state of affairs; instead, they are like those of a geometer
searching for an a priori proof of some necessary truth.29

27 1810 Twesten Nachschrift, SWV, I,207, emphasis added.


28 »Der Lehrer, sagte ich, trägt dem Zuhörer ein gemachtes Experiment vor, und
fordert von ihm, daß er auch dies Experiment mache, und es eben so finde, wie er« (1810
Twesten Nachschrift, SWV, I,208).
29 According to Lauth, the latter was still the prevailing conception of »hypothesis«
in Fichte’s own day. See Reinhard Lauth, »Fichtes Lehrgebäude in seinen späten Berliner
Vorlesungen,« in SWV, II, xxxvi–vii. It must be noted that there is a passage in Schopenhauer’s
Nachschrift of the 1811 Einleitung that explicitly applies this notion of »der Blitz der Evidenz« to
the problem of induction (p. 4v). This passage does not, however, appear in any of the other
Kollegnachschriften of these same lectures, which certainly casts some doubt upon its authentic-
ity.
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz« 11

The certainty of scientific »evidence«: As we have now seen, the sole


purpose of thinking about appearances, wondering about the reasons for
the same, and then framing explanatory hypotheses is, in Fichte’s view, to
prepare the way for the possibility of experiencing an indefeasible insight
into the synthetic unity of ground and appearance, that is, an »innere
Wahrnehmung« of a universal and necessary law. »Wie er [that is, one
who obtains genuine scientific knowledge] die und die Erscheinungen
aufgefaßt hatte, und den und den möglichen Grund davon erdachte, da
flossen ihm, durch einen Blitzschlag, beide Gedanken zusammen, und ihm
ward es evident, daß es so und nicht anders seyn könne.«30
It is precisely by means of such »insight into necessity« that a
mere hypothesis is transformed into unshakably certain knowledge. From
this Fichte concludes that a person who claims immediate insight into
what is in fact false is not merely wrong, but must be guilty of lying, »weil
der Irrthum ihm nicht kann durch den Bliz der Evidenz als Wahrheit
bekräftigt seyn.«31 And such a conclusion seems inescapable, if, as Fichte
maintains, the sole criterion of whether one really does possess scientific
knowledge »besteht darin daß er mit einer ihm bisdahin ganz unbekannten
Evidenz, die, in einem Augenblick, wie ein Bliz seine Seele erleuchtet,
erkennt daß was er jezt denkt Wahrheit ist und für alle Ewigkeit bleiben
wird. Nochmals erneuert sich dieser Bliz der Evidenz bey jeder neuen
Erkenntniß. [....] Dieser Bliz der Evidenz ist das eigentliche Kriterium der
Wahrheit der Hypothese.«32 This is the very assertion that provoked at
least one auditor of Fichte’s lectures – namely, the young Schopenhauer –
to comment in the margin his own Kollegnachschrift, »er acquirirt also
Infallibilität!«33
Is this a fair comment? No it is not. To begin with, it is not the
person of the scientist that concerns Fichte, but rather the truth of his
claim. Like anyone else, a scientist can make errors, even while doing
science. He can, for example, fail to have observed the phenomena
carefully or to have thought them adequately, in which case he will lack
the requisite »correct understanding« of what he trying to explain. Or he
may make logical errors in his reasoning about the phenomena. Or he may
simply find himself unable to »think up« the correct hypothesis. He may

30 1810 Twesten Nachschrift, SWV, I, 207.


31 1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 5v.
32 1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 4r–4v.
33 Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß, Bd. II, p. 22.
12 Daniel Breazeale

have a weak imagination. Any of these mistakes or omissions will prevent


one from grasping the truth.
What one cannot do, however, – and this goes to the very heart of
Fichte’s account of the irresistible evidentiary force of the »flash of
insight« – is deny a necessary truth if and when it finally does present
itself in a flash of insight and evidence. One cannot deny the force of such
an »act of evidence,« because it will not allow one do so. This, I take it, is
at least part of what it means to claim that one is »seized« or »transfor-
med« by such an experience. For those who have never had such an
experience – a group that may well include the majority of human beings,
as well as the majority of professional philosophers – a claim to have
»immediately experienced« the necessary truth of a particular explanation
may well seem dubious or risible. But for those have been »struck by
lightening« in the manner described by Fichte, the situation is utterly
different, and »[o]b je schon so etwas mit ihm vorgegangen ist, muß Jeder
wissen.«34
Where, one may well ask, does this leave those of us who have
not experienced the indispensable »flash of insight«? Must we, as
Schopenhauer reports Fichte to have asserted, simply stop making new
hypotheses concerning a specific scientific question, »nachdem Einer
gesagt hat, Ich habe die Wahrheit erkannt mit Evidenz, habe ein wissen-
schaftliches Wissen derselben«35? Is it really, as Schopenhauer further
reports Fichte to have claimed, »reprehensible« [verwerflich] of us not to
accept such truth claims?
This cannot be right, even though Fichte might well have said it.
And it cannot be right for reasons articulated best by Fichte himself. For
how can we ever know that a person who solemnly claims to have
experienced the »insight« in question really has experienced this? How
can we be sure that he has avoided all the mistakes and omissions listed
above? How can we be sure that he is not lying, or, more probably, self-
deluded? The only answer that is consistent with Fichte’s own account of
the nature of science is that we cannot be sure of any of these things. The
only way to decide the issue is to see if we can »produce« the knowledge
in question for ourselves. If we try to do this and fail, if no »flash of
evidence« illuminates our minds, then this does not prove that the person
who swears to have discovered a truth that we have not experienced for

34 1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 4r.


35 1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 6r.
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz« 13

ourselves is necessary wrong; but it does show that we cannot determine


whether he is right.
Fichte’s own rejoinder to those who deny the truth of the Wissen-
schaftslehre is not as uniformly dismissive as the sentence quoted by
Schopenhauer might suggest, though neither is it a model of intellectual
modesty and tolerance. In the introductions of 1810 and 1811, as in those
of 1797, he can think of no other way to account for the failure of others to
endorse his philosophy than to attribute this to a certain deficiency on their
part. Thus, in 1797, he attributed the failure of philosophical dogmatists to
recognize the superiority of idealism to a deficiency in both their
intellectual powers and their moral character. And now, in 1811, he lays
the blame on the inability of his critics to »produce for themselves« the
Wissenschaftslehre, that is, on their failure to satisfy the conditions
necessary for the possibility of experiencing that all-important »flash of
evidence,« which, once experienced, permanental removes any further
room for doubt concerning the truth of that science. There is, however,
nothing particularly »reprehensible« about being a poor self-observer or
an unimaginative thinker. What would be truly »reprehensible« would be
to expect someone who is unable to produce scientific knowledge for
himself to accept the truth of the same merely because some other person
alleges that he has been transformed by a »flash of insight.«
Accordingly, Fichte concludes that what is appropriate in this
case is not invective but education, the aim of which is the personal
transformation of those who are not yet »ready for philosophy«: »Denn es
kommt hier darauf an den Wahrnemenden und Hinsehenden umzuschaf-
fen und neu zu gebähren.«36 Particularly in the subsequent versions of
these lectures, in the introductions of 1812 and 1813, this becomes a
central theme: before one can philosophize, one must be »born again« and
acquire a new »inner eye,« a new »spiritual organ,« »ein ganz neuer
Sinn«37 – »damit ihn in diesem neuen schaffenden Leben die Evidenz
erfasse.«38
But this seems to return us to the very problem with which we –
and Fichte – began: If the only genuine »introduction to philosophy« is to
provide guidance for those who want to learn how to philosophize for
themselves, and if one cannot philosophize for oneself until one has first
undergone the requisite »transformation,« through which one acquires

36 1811 Cauer Nachschrift, p. 10.


37 1812 Halle 3 Nachschrift, p. 6.
38 1811 Cauer Nachschrift, p. 11.
14 Daniel Breazeale

intellectual powers that one did not previously possess: if this is the case,
then what can a mere teacher ever do to »introduce« students to
philosophy?
With a certain amount of desperation, perhaps, we find Fichte
suggesting, particularly in his final introductory lectures, that such a
transformation requires – what else? – a »flash of insight.« It is science
itself – and science alone? – that can transform us, »Die Wissenschaft [...]
ist eine Umschaffung des Menschen zu einer ganz neuen Gestalt [...] die
Wissenschaft giebt uns erst den höhern ganz neuen Sinn für die Wahrheit,
die durchaus nur ist in der geistigen Welt, das reine Denken; u[nd] wer
nicht zu dieser neuen Geburt kommt, entbehrt desselben gänzlich, u[nd]
durchaus.«39
All this, however, is highly problematic, even paradoxical. If it is
through science itself that one obtains the ability to grasp the truth, then it
would seem that one must already be transformed by science before one
can acquire scientific knowledge. Or should we instead distinguish two
different »spiritual transformations«: one that has to occur, as it were, on
the threshold of science and philosophy, and another that can only occur
only as a consequence thereof?
In the light of this fundamental problem, it seems no accident that
Fichte’s final introductory lectures of 1812 and 1813 should begin with
precisely this issue: namely, the need to acquire a new, »spiritual eye« for
»das Bildwesen des Wissens«:

»Unsere Lehre [ist] eben so Zusammenstellung und Erfassung in


Einheit eines durch einen Sinn gegebenen; nur nicht durch den ge-
wöhnlichen, sondern durch einen neu zu entwickelnden. Und so ist
es denn ganz klar daß diese Lehre mit dem Menschen so wie er ist
und vorgefunden wird, gar nichts machen könne; [...] daß das erste
Geschäft sey den neuen Sinn im Menschen zu weken, und [daß] sie
drum nicht bloß Lehre, und nicht zu allernächst Lehre sey, sondern
Umbildung des ganzen Menschen an den sie kommt. Umschaffung
und Erneurung; Erweiterung seines ganzen Daseyns, aus einem be-
schränkten zu einem höhern Umfange[;] daß auch eine Einleitung

39 1812, Fichte’s mss, p. 3v. »Die Wissenschaft will keinen Glauben sondern
Einsicht. Die Philosophie giebt daher nicht ein System, was man zu glauben und auswendig zu
lernen hätte; sondern sie will die innere Ansicht, das geistige Auge ändern; sie erzeugt eine neue
Denkweise, die sich dann auf alle Wissenschaften anwenden läßt. Wer diese neue Ansicht des
Lebens nicht selber hat und lebt, der hat die Wissenschaft nicht. Denn diese Wissenschaft giebt
etwas neues; sie ist die höchste Verklärung des geistigen Auges; und nur wer diese Verklärung
hat und in ihr lebt, kann diese Wissenschaft begreifen, und ihre Sätze verstehen.« (1812 Halle 2,
mss p. 20).
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz« 15

in diese Lehre beginnen müsse mit der Entwickelung jenes Sinnes;


und gradezu darauf hinarbeiten müsse.«40

What these final lectures fail to do, however, is to explain how such a new
organ can be inculcated or acquired. Instead, we find Fichte falling back
upon language similar to the language he had used earlier to describe the
involuntary happening of scientific evidence: »Diese Erhebung von
Ansicht der Welt zur Durchsicht, nimmt das Wissen schlechthin mit sich
selbst vor; nicht sowohl der Wissende macht diese Veränderung sondern
das Licht geht ihm auf und ergreift ihn, und der Mensch hat nur das
Bewußtseyn seines veränderten Zustandes.«41 Does this imply the
impossibility of real philosophical education? Must we choose between
the above-mentioned circle – according to which only science itself can
give one the ability to do science – and what now appears to be an endless
regress of »flashes of insight« – each providing us with the conditions
necessary for experiencing the next? These questions cannot be avoided
by anyone who takes seriously what Fichte has to say about »der Akt des
Evidenz« in his Berlin introductions. Certainly Fichte himself took them
seriously – even if he never managed to arrive at a final answer to any of
them.

40 1813 Einleitung Cauer, p. 95r


41 1812 Halle 3 mss, p. 9.
Von der Form der Anschauung zur Anschauung der
Form.
Zu Fichtes Verständnis des Formbegriffs

Jürgen Stahl (Leipzig)

Mit dem durch Fichte erarbeiteten grundlegenden Neuverständnis des


Formbegriffes vollzog der Philosoph einen einschneidenden Paradigma-
wechsel, war es doch dadurch möglich, die Eigengesetzlichkeit des
menschlichen Denkens respektive Handelns mit der diesen zuerkannten
Möglichkeit der Freiheit auf neue Weise zu begründen. In Bezug auf
Fichtes gesellschaftstheoretisches Grundanliegen, die Wandlung der
bestehenden gesellschaftlichen Zustände zu solchen, die der Vernunft
gemäß sein sollten, theoretisch zu fundieren und zu befördern, war damit
ein Ansatz gefunden, der den im menschlichen Streben auszufüllenden
Naturrechtszustand in einer nichtempiristischen Weise auszugestalten
gestattete.
Versuche, die sozialpolitischen Gegebenheiten in der sich ab-
zeichnenden und vollziehenden Phase des gesellschaftlichen Umbruchs im
ausgehenden 18. Jahrhundert theoretisch zu fassen, waren zur Zeit des
Fichteschen Denkeinsatzes außerordentlich vielfältig. Doch sowohl die
spätfeudal-konservativen wie die aufklärerisch-bürgerlichen Ansätze sind
– um in Analogie zu S. Kracauer zu formulieren – »eingebannt in das
raumzeitliche Koordinatensystem«, ohne »sich über die Formen der
18 Jürgen Stahl

Anschauung« hinausspannen zu können zur »Anschauung der Formen«.1


Herders anthropologisch ausgerichtete Überlegungen sind in methodologi-
scher Hinsicht nicht weniger gleichsam ›empiristisch‹ intendiert und damit
angreifbar wie Rehbergs konservative Gesellschaftsauffassung. Ebenso
wenig konnten solche die Natur- und Gesellschaftsentwicklungen analogi-
sierende Versuche – wie etwa bei dem sich an Rousseau orientierenden
Moritz – mit ihrem teleologischen Grundmuster überzeugen.2 Der ent-
scheidende Schwachpunkt war, daß mit der Einbeziehung neuer oder
anderer Fakten der jeweilige Ansatz angreif-, gar aufhebbar war, da die
Tatsachen im Rahmen eines theoretischen Systems nicht erklärt wurden,
sondern die Fakten als unmittelbar gegebene theoretische Basis fungierten.
Hier tritt das neue Verständnis des Formbegriffs, die durch Fichte vollzo-
gene Positionsveränderung in der »Revolution der Denkart« auch gegen-
über Kant hervor: Die analytische Methodik wird nicht in Analogie zu den
in der Mathematik oder Physik gebräuchlichen Verfahren mit der Gefahr
des Eingebundenseins in die Naturkausalität ausgebildet. Fichte erhebt
dagegen die Anschauung der Formen des Denkens überhaupt zum Pro-
gramm: »Die Philosophie wäre sonach eine Erkenntniß der Vernunft
selbst durch sich selbst – aus Anschauung.« (Ankündigung, GA I/7, 157)
Weil Aussagen über das Wesen, das Gesetzmäßige weder direkt aus den
Sinneseindrücken noch aus der bloß quantitativen Analyse von Fakten zu
erlangen sind, »wird aus allem Wissen heraus und über daßelbe hinaus
gegangen, um es im Ganzen, durchaus seiner Form« nach, »als Wissen ...
in seiner blossen Möglichkeit zu erklären.« (WL-1801/02, GA II/6, 265)
Mit der im 1. Grundsatz gefaßten absoluten Setzung erhob er das
Ich in den Rang einer systemkonstituierenden Kategorie, in der sich die
logische Einheit von eingreifendem, durch den Willen bestimmtem Han-
deln und denkend-erkennendem Subjekt ausdrückt. Eine solche Position
stand nicht nur gegen Leibniz’ »Entelechien« als »substantielle(n) Formen
der Körper«3 mit dem ihnen zugrunde liegenden Präformationsprinzip. Sie
ging bekanntermaßen auch über Kant hinaus, bei dem ja die Denkformen
insofern defizitär bestimmt waren, als für Fichte Kategorien gerade »keine

1 Siegfried Kracauer: »Die Reise und der Tanz.« In: ders., Der verbotene Blick,
Leipzig 1992, 126.
2 Vgl.: Ingeborg Schmidt: »Geschichtsdenken und kulturphilosophische Auffas-
sungen im Werk von Karl Philipp Moritz« In: Philosophie und Geschichte im Denken der
deutschen Klassik. Wissenschaftliche Zeitschrift der FSU Jena. Gesellschaftswissenschaftliche
Reihe. 33. Jg. (1989), H. 1, 113f.
3 G.W. Leibniz: »Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand.« Hg. E.
Cassirer, Leipzig 1915, 358.
Von der Form der Anschauung zur Anschauung der Form 19

leeren Formen« sind, »die in der Seele liegen und darauf warten, daß die
Erfahrung etwas in sie hineinlege...« (GNR, GA I/3, 358; analog: VnD,
GA I/4, 220)
Fichte antizipiert, indem er Zeit- und Formbestimmung in der
Tradition des aristotelischen Produktionsparadigmas verbindet, die spezi-
fische Potenz menschlicher Handlungskräfte als formgebendes Moment.
Im Begriff der Kausalität des Ich liegt nach seiner Auffassung der Begriff
des Hervorbringens; nicht des Hervorbringens der Materie, die sei immer
existent, sondern sie wird durch den Handlungszusammenhang im Raum
und in der Zeit bestimmt – also ihrer Form nach (vgl. Eigne Meditationen
über ElementarPhilosophie [EmüEPh], GA II/3, 130). Die Reflexion auf
sich selbst als Handlungsweise des Ich erscheint dabei als Elementarform
des gegen alle Formen des Denkens gemeinsamen Handlungsinhalts für
das Denken.
Im Gegensatz zu den Vertretern des ›Dogmatismus‹ versteht
Fichte Wirklichkeit nicht objektivistisch. Sie ist ihm eine Frage des Tätig-
seins und folglich durch das Handeln in ihrem Wesen aufschließbar. Es ist
ein subjektiver Akt, der sich über die in der Kultur akkumulierten Formen
vernünftigen Handelns in seinen allgemeinen, notwendigen und wesentli-
chen Momenten erschließt.4 Das Innen-Außenwelt-Schema des ›anschau-
enden‹ Materialismus wie des Idealismus wird verworfen. Damit verbun-
den appelliert Fichte an das Individuum, ein Moral- bzw. Rechtsver-
ständnis zu entwickeln, das nicht durch ›fremde, äußere‹ Autoritäten
vorgegeben wird, sondern das es selbst in der eigenen Anschauung ent-
wirft. Er orientiert damit auf eine Gesellschaftsentwicklung, die den
autoritär-etatistisch fixierten Handlungsformen der spätfeudalen Gesell-
schaft in Deutschland konträr gegenübersteht.
Die Wendung Fichtes sowohl gegen den Empirismus wie gegen
die rationalistische Metaphysik drückte sich auch darin aus, daß er die
verfügende Anordnung des Ganzen des Denkens zu fassen suchte. Die von
ihm in der Analyse der Denkformen zum Gegenstand erhobenen disjunk-
tiven Konfigurationen wie theoretisches Wissen – praktisches Handeln,
Subjekt – Objekt, sinnliche Anschauung – theoretische Erkenntnis, Recht
– Moral, Wissen – Glauben wurden nicht nur hinsichtlich der Akte des
Denkens, sondern ebenso in ihrer Verschränkung mit den daraus entsprin-
genden Handlungen und dem leitenden Willen untersucht. Wissen ist
damit nicht etwas kontemplativ zu Erlangendes, sondern der Vernunftbe-

4 Vgl. J. Stahl: »Zur Kultur in der Vermittlungsrolle zwischen empirischem und


absolutem Ich«. In: Fichte-Studien 23. Amsterdam-New York 2003, 138f.
20 Jürgen Stahl

griff umgreift das Selbstbewußtsein der Menschen über deren theoreti-


sches und praktisches Vermögen. Die Formen des Denkens mit ihrem den
Gesetzmäßigkeiten Ausdruck gebendem Charakter sind Momente der
Aktivität der Subjekte. Derart geht es Fichte in der Analyse der Denkfor-
men um den Nachweis ihrer Notwendigkeit und Allgemeinheit als Aus-
drucksweisen des Gesetzmäßigen.5 Die Formen des Denkens sind den
denkenden Subjekten ebenso notwendig eigen, wie sie deren Gedanken
und Tun als Ergebnisse des Denkens als Handlungsform und das In-
Beziehung-Treten der Subjekte prägen. Sie sind deshalb im Fichteschen
Verständnis nicht etwas äußerlich Hinzutretendes, Leeres, ein separates
Wesen oder passiv Prägendes, sondern den Handlungen wesentlich Zuge-
höriges. »Die Form des Gesetzes ist nun da, und das Wissen ist in dieser
Form, u. kann aus ihr nimmer heraus, ohne sich selbst zu vernichten.
Seyn, und Wissen oder Freiheit, sind nun Eins, eben als absolutes Wissen,
...« (WL 1801/02, GA II/6, 168). Fichte will derart weit mehr als eine
Fortführung der traditionellen ›Formenlehre‹ in der ontologisch-meta-
physischen Denktradition mit der Vorstellung von unformierter Materie
und »bloße(n) leere(n) Formen des Denkens« (Zu Bardilis Grundriß ...,
GA II/5, 264). Denn: »Es ist ja ohnedies nöthig in einer genetisch fort-
schreitenden Philosophie« in einem analytisch-synthetischen Verfahren
die notwendigen »Handlungsweisen« des denkenden Subjekts »aufzustel-
len, u. sie werden zu lassen.« (VüPlAph, T. 1, GA II/4, 50). Die durch ein
solches Verfahren erlangte »genetische Evidenz« steht gegen die »fakti-
sche«, die »ganz zuwider dem innern Geiste der W.-L.« wäre (WL 1804
II, GA II/8, 60; analog: Transz. Logik (Hg. Lauth, Hamburg 1982, 84,
165f.).
Im Fichteschen Denken verkörpern die Formen eine aktive, den
Handlungen des Geistes inhärente, notwendige Potenz, in der sich indivi-
duelle, soziale, rechtliche, moralische und ökonomische Bestimmungen
kreuzen. Die Konstruktion eines transzendentalen Ich läßt sich damit auch
als Antwort auf die Disjunktion fassen, wie nämlich verantwortliches
individuelles Handeln und gesellschaftlicher Fortschritt nicht gegen die
Individuen, sondern weil bewußt den Gesetzen des Denkens und des
dadurch bestimmten Handelns folgend, vereint werden können.

5 Fichte steht in die Tradition der Methodik Bacons, der die Form als Gesetz, nach
dem eine bestimmte Anschauung oder ein bestimmter Gedanke als Tatsache des Bewusstseins
auftritt oder zum Auftreten gebracht werden kann, verstand. Vgl. F. Bacon: »Neues Organon«.
Teilband 2. Hamburg 1990, 281–283.
Von der Form der Anschauung zur Anschauung der Form 21

Worin kommt der Paradigmawechsel im Verständnis des Formbegriffs


zum Ausdruck und welches sind die damit neu gewonnenen theoretischen
und methodischen Möglichkeiten?
1. Entscheidend scheint mir weniger die Feststellung, daß Fichte
die traditionelle Form-Inhalt Bestimmung auflöste; das vollzogen bei
unterschiedlicher Akzentsetzung bereits Bacon, Leibniz, Wolff, Lambert
und insbesondere Kant. Wesentlicher scheint mir, daß Fichte das Erkennt-
nisobjekt in seiner Beziehung zum Subjekt als ein vielfältig bestimmtes
Verhältnis vorführt. Es ist somit auch durch eine Vielzahl philosophischer
Begriffe erfaßbar, wobei dem Formbegriff eine neue, zentrale Rolle
zukommt. Gegen den Utilitarismus in der Aufklärungsphilosophie setzt
Fichte: Die Form und damit die Wahrheit ist nicht etwas der Zweckmä-
ßigkeit Verpflichtetes, sondern sie hat den Charakter der Notwendigkeit
an sich. (Vgl.: Versuch eines erklärenden Auszugs ..., GA II/1, 341).
Indem alles Wissen aus der »absoluten Identität« von Subjektivem und
Objektivem (AaR, GA I/7, 304) abgeleitet werde, verbürge die Vernunft-
form aufgrund der ihr immanenten Allgemeinheit und Verbindlichkeit,
also Gesetzmäßigkeit, die Wiederholbarkeit des Wissens als Produkt des
Erkennens. Da das philosophische oder transzendentale Denken »in Ab-
sicht der Form dem gemeinen ganz gleich« ist (ebd., 306), unterliegt
folglich jegliches Denken den Gesetzen der Vernunft, ist die Wiederhol-
barkeit nicht nur ein Moment »in allem, sondern auch für alle...« (ebd.,
303)6.
2. Folgen wir dem Gedanken von Rosenkranz, so hatten bereits
Lambert und Kant mit der Untersuchung der »Begriffe an und für sich«,
»nicht bloß als Prädikate des schon immer vorausgesetzten Begriffs der
Dingheit«,7 die Formanalyse zu einem ausgezeichneten Feld der Unter-
suchung erklärt. Bei Fichte nun sind die Denk- und Handlungsformen
durch deren ausschließliche Zuordnung zum Ich als Moment des prak-
tischen Wirksamwerdens des konstitutiv tätigen Subjekts charakterisiert.
Indem sie darin als vielfältig bestimmte Verhältnisse analysiert werden,
erscheinen sie zugleich als Momente der Transformation einer Form in
andere Formen, in Kategorien mit neuem Inhalt. Fichtes Wechsel im
Verständnis des Formbegriffs markiert damit einen herausragenden Punkt

6 Fichte wandte sich damit gegen die bei Reinhold wiederkehrende Auffassung von
einem philosophischen, »vollkommenen« Denken, das den Gesetzen des Denkens genüge,
getrennt vom »gemeinen (vulgaren)«, (AaR, GA I/7/300), das diesen Gesetzen nicht notwendig
unterliege.
7 Karl Rosenkranz: »Geschichte der Kant’schen Philosophie.« Hg. St. Dietzsch.
Berlin 1987, 50.
22 Jürgen Stahl

im Umbruch vom ›weltordnenden zum weltentwerfenden‹, bewußt än-


dernden, gestaltenden Weltverständnis. Es ist mit der durch Fichte durch-
geführten Unterscheidung der Formseite gegen ihren stofflichen Inhalt ein
außerordentlicher Fortschritt in der sozialwissenschaftlichen Methodik
angezeigt, zu der die etwa zeitgleich agierende klassische bürgerliche
Ökonomie nach dem Urteil von Marx weitaus weniger in der Lage war.8
Gerade dieser Schritt aber war grundlegend, um entgegen empiristischen
Ansätzen das Wesen eines Erkenntnisobjektes, dessen allgemeine Ge-
setzmäßigkeiten, analysieren zu können.
3. Die dafür zu lösende Problematik, wie das Subjekt von der sin-
nlichen Anschauung zu theoretischer Erkenntnis gelangt, wird von Fichte
bekanntermaßen durch Neuinterpretation der ›intellektuellen Anschauung‹
bewältigt. Mit ihr gelingt es ihm, den qualitativen ›Sprung‹ von der An-
schauung zum Denken, vom Einzelnen zum Allgemeinen, zu fassen.
Während die empirische Existenz des Ich über die Empfindung vermittelt
ist, kann das Ich in seiner Möglichkeit und damit Gesetzmäßigkeit bzw.
seinem Wesen nur über die intellektuelle Anschauung, durch die qualitativ
andere Stufe der Erkenntnis, erfaßt werden. Der in der intellektuellen
Anschauung gefaßte Prozeß umgreift modern gesprochen das Problem der
Induktion. Indem die Anschauung nicht auf deren sinnliche Stufe be-
schränkt bleibt, sondern von vornherein als unter der Form der Vernunft
stehend von Fichte begriffen ist, kann der Übergang vom Einzelnen zum
Allgemeinen, zur Erfassung des Gesetzmäßigen aufgezeigt werden, ist die
Einheit des Wissens begründbar.
4. Wesentlich scheint mir in diesem Zusammenhang die von Fich-
te vorgenommene Konkretisierung des damit gefaßten Prozesses: An-
schauung wird zum »wirklichen Wissen« durch »Intelligieren«. (MEr, GA
II/9, 169). Das ›Intelligieren‹ ist aber ein Akt subjektiven »Konstruie-
rens«, d. h. des Abstrahierens und »Formierens« (VüPlAph, T.1, GA II/4,
108) im Akt der Tathandlung. Fichte gab derart dem Konstruktionsbegriff
einen neuen Inhalt, der nun nicht auf die Sinneswahrnehmung äußerlicher
Objekte begrenzt blieb,9 sondern zur universellen Fähigkeit in der Be-
griffsbildung erhoben, als deren notwendiges Moment erkannt wurde.

8 Vgl. K. Marx. »Theorien über den Mehrwert.« In: K. Marx/F. Engels: Werke.
Bd. 26.1. Berlin 1985, 64.
9 Wenn sich Fichte gegen ein ›Konstruieren‹ gleich der Geometrie aussprach, dann
weil er diese in der Tradition Kants für eine aus der sinnlichen Anschauung heraus sich vollzie-
hende Erkenntnis hielt. Er setzt dagegen die philosophische Erkenntnis als auf theoretischen
Begriffen basierend (Seit sechs Jahren, GA I/7, 157). »Die Philosophie wäre sonach eine
Erkenntniß der Vernunft selbst durch sich selbst – aus Anschauung.« (Ebd., 159) Durch deren
Von der Form der Anschauung zur Anschauung der Form 23

5. Bereits die Forderung Wolffs und Lamberts nach der Erkennt-


nis des zureichenden Grundes ging nicht auf irgend eines der Momente im
Beziehungsgefüge des Ganzen aus. Sie richtete sich auf die Aufdeckung
des wesentlichen Bestimmungsverhältnisses, von dem sich der Ausgang
für die Erklärung der Einheit des Ganzen im Aussagengefüge gewinnen
läßt.10 Lambert gab der durch die aufbauend bedingte Schichtung der
›einfachen Begriffe‹ in der »Grundwissenschaft« im Bild der »Architecto-
nic«11 einen sinnfälligen Ausdruck, den Kant zur Bezeichnung des Sy-
stemcharakters der Vernunftbegriffe aufnahm. (Vgl. KrV, A 832f.). Er
konkretisierte darüber hinausgehend mit dem Begriff des ›Naturzwecks‹
das gewonnene methodische Prinzip, indem er dem äußerlichen finalen
Grund in der mechanistischen Kausalitätsauffassung den Selbstzweck des
Ganzen, die Einheit von Ursache und Wirkung, entgegenstellte. (Vgl.
KrV, B 286). Den möglichen Ansatz zur Klärung des Problems der Frei-
heit baute Fichte dadurch aus, daß er das Prinzip der Einheit von Ursache
und Wirkung im Ich-Begriff zu einem grundlegenden Tätigkeitsprinzip
steigerte. Die ›Architektonik‹ des Denkens wird von ihm nun nicht mehr
als eine räumlich-statische Schichtung fester Begriffe vorgestellt. Das
Wissen erscheint in den Begriffsentfaltungen statt dessen zugleich als ein
Werdendes. Die Momente der Erkenntnis sind darin als Stufen eines
einheitlichen, zeitlich ausgelegten Prozesses gefaßt. Über diesen kann
wiederum dem Inhalt, der Form und der Methode nach reflektiert werden.
Der Logik des Werdens entspricht, daß der Sache nach damit für Fichte
die Kenntnis der Genese – im Gegensatz zum »historischen Glauben«
(SB, GA I/7, 261) – einer Erscheinung, für deren logisch-theoretisches

›Intelligieren‹ kann er die Anschauung der als ›nicht leer‹ gefassten Formen des Denkens
(Bardili, GA II/5, 264) zum Ausgangspunkt der Analyse nehmen. Derart manifestiert sich gerade
im Konstruktionsbegriff »der entwerfende, tätige Charakter des Subjekts im Herausarbeiten der
theoretisch-begrifflichen Fassung des Wesens eines Gegenstandes.« (J. Stahl: »System und
Methode – Zur methodologischen Begründung transzendentalen Philosophierens in Fichtes
›Begriffsschrift‹«. In: Fichte-Studien 10. Amsterdam-Atlanta 1997, 112); vgl. J. Manninen:
»Relativität und Totalität des Wissens«. In: Annalen der internationalen Gesellschaft für
dialektische Philosophie Societas Hegeliana. Bd. III, Köln 1986, 220; S. Dietzsch: »Dimensio-
nen der Transzendentalphilosophie«, Berlin 1990, 56.
10 W. Risse bezeichnete den Versuch, das Prinzip vom zureichenden Grund zu
beweisen, als den fruchtbarsten Irrtum der gesamten Aufklärungsphilosophie. (Vgl. W. Risse:
»Die Logik der Neuzeit.« 2. Bd. 1640–1780. Stuttgart-Bad Cannstatt 1970, 610). Dieser Gedanke
erscheint deswegen beachtenswert, weil sich über die immer neue Entfaltung dieses Prinzips auf
der Suche nach der göttlichen Endursache die Wechselwirkung als wahre causa finalis offenbar-
te.
11 Johann Heinrich Lambert: »Anlage zur Architectonic, oder Theorie des Einfachen
und des Ersten in der philosophischen und mathematischen Erkenntniß«. In: J. H. Lambert:
Philosophische Schriften. Hg. v. H.-W. Arndt. Bd. 1, Hildesheim 1965, § 74.
24 Jürgen Stahl

Wesensverständnis als unumgänglich erklärt wird. (Vgl. GWL I/2, 365;


BWL, GA I/2, 147; Reden, Hg. Lauth, Hamburg 1978, 32f.; ÜaMagn. SW
XI, 303). Fichte inauguriert eine qualitativ neue Totalitätsauffassung.
Darin besteht nach meiner Auffassung eine seiner originären Leistungen,
auf denen Schelling wie Hegel in der weiteren Aus- und Umbildung des
transzendentalen Idealismus aufbauen.
6. Fichtes Forderung nach »Vernichten des Begriffs« (WL 1804,
GA II/8, 60) wendet das Wolffsche Vollständigkeitstheorem dahingehend,
daß damit nicht nur die Hierarchie der wesentlichen Beziehungen in der
Architektonik herauszuarbeiten ist. Es geht ihm in der systematischen
Darstellung um die theoretische Entfaltung ihres Bedingungsverhältnisses,
der unterschiedlichen Schichtungen des Wesens. Dem zugrundeliegenden
Gegensatz kommt dabei ein die Totalität formierender, bestimmender
Charakter zu. (Vgl.: Zur Ausarbeitung der WL 1801/02, GA II/6, 82; SB,
GA I/7, 260; Pract. Phil., GA II/3, 214). Die vielfältigen philosophischen
Begriffe werden, vermittelt über die »Form« als den zu den »Thatsachen
des innern Sinnes« gehörenden Gesetzen (SB, GA I/7, 204), in der Erklä-
rung aus einem Grunde zu einem genetisch entwickelten System ausgebil-
det.
Mit dem Bezug auf das reine, absolute Ich als dem die Form ver-
erbenden Vermögen verschärft Fichte die Kantische Bestimmung der
Wahrheit, die nicht die sinnliche Gewißheit, sondern die Übereinstim-
mung der Erkenntnisbedingungen a priori im Subjekt als deren Kriterium
ausmachte: Das theoretische Konstrukt hat die Kriterien dafür zuerst in
sich selbst; denn Wahrheit geht als Moment der Tathandlung über den
Aspekt der sinnlichen Gewißheit hinaus. Fichte folgt damit dem analy-
tischen Wissenschaftskonzept. Die gegensätzliche, gar widersprüchlich
erscheinende Faktizität muß aus dem bedingenden Wesen, den bestim-
menden Verhältnissen der Totalität erklärt werden.
7. Entgegen und über das von Leibniz, Wolff und Lambert ver-
folgte Programm einer ars inveniendi hinaus entwickelt Fichte das Bezie-
hungsgefüge der Begriffe aber nicht allein auf der Basis einer formallogi-
schen Methodik. Den entscheidenden Fortschritt birgt die Entwicklung
einer ›analytisch-synthetischen‹ Methode. Fichte gelingt es darin, die
Formverwandlung innerhalb des Denkens darzustellen, nämlich wie aus
einem Gegensatzverhältnis von Begriffen unter der Bedingung der quanti-
tativen Einschränkung ein neues, konkretes Verhältnis mit daraus resultie-
renden neuen Kategorien entspringt. Es gibt keine darüber hinaus als
Entelechien existierenden Formen, losgelöst von den Gegensatzver-
Von der Form der Anschauung zur Anschauung der Form 25

hältnissen der konkreten Totalität der Vernunft.12 Ihre Wirklichkeit ist die
Wirklichkeit der Totalität der Vorstellung; ihre Form ist bestimmt
schlechthin dadurch, daß sie wechseln, und sie wechseln notwendig und in
dieser bestimmten Art und Weise in der Totalität. Es ist hier kein Raum
für Erklärungen durch ein anderes, darüber hinaus liegendes Prinzip. Die
Totalität hat die Wesens- und damit Formbestimmung an sich selbst. Sie
erfüllt im Fichteschen Verständnis das Programm einer »Mathesis der
Vernunft«, »nicht bloß der äußern Form, sondern auch dem Gehalte
nach.« (Seit sechs Jahren .., GA I/7, 160).
8. Das Verfahren der ›limitativen Dialektik‹ ist zunächst dadurch
charakterisiert, daß die durch einen Begriff abgedeckte Sphäre eine quan-
titative Einschränkung entweder nach der Seite der Form oder nach der
Seite des Inhalts erfährt. Indem die Negation durch Fichte jedoch als
›unbestimmte‹ oder ›intuitionistische‹ Negation13 realisiert wird, führt
diese in der darüber vollzogenen Formverwandlung auf eine andere, neue,
aus dem Ausgangsverhältnis hervorgehende begriffliche Bestimmung. Die
Begriffe werden auseinander entwickelt, sind nicht statisch, lediglich in
ihrer spezifischen Differenz als disjunktive gesetzt. Der neue Begriff ist in
seiner Charakterisierung deshalb nicht dadurch ausgeschöpft, daß er als
Erscheinungsform des zugrunde liegenden Ausgangsverhältnisses ausge-
wiesen wird. Er ist als bewußt gewordene Denkform Ergebnis der aktiven
Gestaltung im Handlungsvorgang des Denkens durch das Subjekt, ist Mo-
difikation eines ursprünglichen Verhältnisses, dem Ansatz nach dessen
Konkretion. Statt eines linearen Auffädelns oder einer innerlich kaum ver-
bundenen Kategorientafel vermochte Fichte dadurch eine vielgliedrige,
komplexe Systemstruktur der philosophischen Begriffe aufzuweisen.14

12 Der von Fichte vollzogene Positionswechsel erscheint in einem deutlicheren


Licht, wenn man ihn in Beziehung setzt zu zeitgenössischen Denkern – etwa Goethe. Dieser
bekannte noch 1829 im Nachdenken über die Unsterblichkeit, daß er »nicht an unserer Fortdauer«
zweifle, »denn die Natur kann die Enetelechie nicht entbehren...« (J. P. Eckermann: »Gespräche
mit Goethe«, Leipzig 1969)
13 Zur Problematik der ›unbestimmten‹ oder ›intuitionistischen‹ Negation vgl. L.
Kreiser/W. Stelzner: »Zur Logik der Begriffe bei Wilhelm Wundt«. In: Zwischen traditioneller
und moderner Logik. Nichtklassische Ansätze. (Reihe: Perspektiven der analytischen Philosophie.
Neue Folge.) Hg. Werner Stelzner u. Manfred Stöckler. Paderborn. 2001, 170ff.
14 Wenn – wie kürzlich durch Karen Gloy (vgl.: K. Gloy: »Fichtes Dialektiktypen.«
In: Fichte-Studien 17. Amsterdam-Atlanta 2000, 116) – einmal mehr die platonische Diaresis als
Quelle der Fichteschen Methode detailliert herausgearbeitet und der Ansatz zur Fassung der Sub-
stanz-Akzidenz-Beziehung als die darin aufscheinende wesentliche Leistung aufgezeigt wird, so
bleibt dennoch zu fragen, ob damit die Möglichkeiten zur Charakterisierung der Leistungs-
fähigkeit Fichtescher Dialektik ausgeschöpft sind. M.E. ging es Fichte eben nicht nur um die
Klärung des hierarchischen Aufbaus der philosophischen Kategorien, wenngleich das von der
Autorin aufgewiesene Ableitungsschema gerade das darzulegen scheint. Hervorhebenswert
26 Jürgen Stahl

9. Das Formvermögen zur »Bildung der Dinge« (Beitrag, GA


I/1/267) ist gebunden an den Kraftbegriff, der sich bei Fichte mit dem
Subjektbegriff zusammenschließt. Es ist sein Anspruch, mit seinem
System das Problem der menschlichen Freiheit dadurch zu lösen, daß »...
die Grundtriebfedern dieser Bewegung auf eignem Boden« aufgesucht
und erzeugt werden. »Schwärmerei« oder »Aberglaube« können damit
keine »Wurzeln fassen.« Fichte ging es mit der Klärung der Form-
bestimmtheit des Denkens um Vernunft- oder Wesenserkenntnis gegen die
sich aus den »Empfindungen über Glück und Unglück, Ehre und Schande
durch den unsichtbaren Einfluß des Weltganzen« bildenden Auffassungen
(SB, GA I/7, 255), man könnte auch sagen: gegen die aus dem empirisch-
sozialen Dasein erwachsenden unterschiedlichen Auffassungen über das
Dasein. Indem die Gesellschaft auf diese Weise eben nicht als natur-,
sondern als vernunftbestimmt postuliert wird, vollzieht Fichte über die
durchgeführten begrifflichen Transformationen eine eigentümliche Natu-
ralisierung wie auch latente Historisierung des Gesellschaftlichen: Eine
Naturalisierung insofern, als der idealisierte, der Vernunft gemäße Zu-
stand eine ›überhistorische‹ Funktion erfüllt. Der Zustand figuriert nicht
nur in einem angenommenen Ausgangspunkt sozialer Entwicklung, von
dem es nur noch einen permanenten Abfall zu konstatieren gibt. Für
Fichte steht das Natürliche als das Vernünftige in Gestalt einer über alle
Zeit gleichermaßen wirkenden und zu erkennenden Vernunftgesetzlich-
keit. Die Menschen sind zu jeder Zeit in ihrem Denken und Handeln durch
diese Vernunftgesetze bestimmt. Dagegen unterscheiden sich die histo-
rischen Epochen dadurch, inwieweit die Vernunftgesetze erkannt werden,
inwieweit die Menschen in ihren Handlungen ihnen mehr oder minder
bewußt Rechnung zu tragen vermögen. Damit kommt der Aspekt der
Historisierung auf neue Weise zum Tragen: »Verschiedene Zeiten sind da
nur für den Verstand, und nur derjenige, der sie mit dem Begriffe durch-
dringt, lebt sie mit und ist da zu dieser seiner Zeit...« (Reden, a.a.O.,
194)15. Die Vernunftform avanciert zu einem Mittel, die Epochen ana-
lytisch zu scheiden; der Grad der Entsprechung gegenüber der Vernunft-

scheint mir der darüber hinausgehende, mit der Genetisierung der Kategorien verbundene
Gedanke Fichtes, statt die geschichtlichen Philosophiegestalten vom einzelnen Individuum ab-
zuziehen, diese vielmehr als historische Ausbildung der Vernunftformen zu begreifen. Gerade in
dieser Idee scheint mir ein die unterschiedlichen Ausarbeitungen der Wissenschaftslehre übergrei-
fender Aspekt seines theoretischen und methodischen Ansatzes zu liegen.
15 Vgl. J. G. Fichte: »Jahrbücher der Kunst und Wissenschaft«, GA I/6, 425; Reden
34–38 ; VüLuMph, GA IV/1, 193; GdgZ, GA I/9, 197.
Von der Form der Anschauung zur Anschauung der Form 27

form bezeichnet die historische Spezifik gegenüber den allgemeinhisto-


rischen Funktionen.
10. So weit ich sehe, gelingt es Fichte vermittels des analytischen
Herangehens unter Verwendung des Formbegriffs auch erstmals in der
Philosophiegeschichte, auf einer bewußtseinstheoretischen Grundlage
ideologische Effekte nicht einfach zu konstatieren und abzuweisen, son-
dern in Gestalt der Erklärung des Realismus und des Idealismus als ge-
schichtliche Ausdrucksformen der Entwicklung der Vernunft, »des zu sich
als System kommenden menschlichen Geistes«,16 darzustellen. Es ist dies
ein neuer Aspekt in der Ideologiekritik, der die unterschiedlichen Posi-
tionen nicht lediglich in den alten Gegensatz von Schein und Wahrheit
einträgt.
Neben dem damals gängigen und bei Fichte vielfach auffindbaren
Aspekt der Ideologiekritik, der die Herrschaftsdienlichkeit von Philo-
sophie und Religion und politischer Theorie in der Tradition der Auf-
klärung kritisiert, rückt Fichte aus der oben bezeichneten Perspektive
partiell vom utilitaristischen Betrugsvorwurf der Aufklärung ab. Indem er
Philosophie als »Erkenntniß der Vernunft selbst durch sich selbst« (Seit
sechs Jahren, GA I/7/159) und damit unter der Form der Vernunft stehend
faßt, die somit in die Einheit des Wissens inbegriffen ist, wendet er sich
gegen Spekulation, Wunder, Glauben, Offenbarung – die Kennzeichen
von Religion in der traditionellen Kritik schlechthin. Er erklärt dagegen
Religion als mit der Vernunft verknüpftes Phänomen: »Immer verhüllt die
Form uns das Wesen.« (AzsL, GA I/9/111). Übergeordnete institutio-
nalisierte Mächte ohne Autorisierung durch die davon beherrschten Indivi-
duen und ohne die Möglichkeit von deren Eingreifen sind ihm obsolet.
Religion erscheint als passives, totes Prinzip; dem steht die Gottheit als
tätiges Prinzip gegenüber, das im Subjekt selbst wieder eintritt »als Le-
ben«. Gotteserkenntnis erscheint als Form der Vernunfterkenntnis, sich
ausdrückend im praktisch-tätigen Verhältnis der Menschen. Mit dem
letztlich unerreichbaren Absoluten, dem sich das strebende Individuum im
Prozeß des Sollens nur zu nähern vermag, ist jedes Nicht-Erreichen dann
kein falsches Tun, sondern ein mehr oder minder vollkommener Schritt
auf dem Weg dorthin, weil selbst immer unter der Form der Vernunft
stehend.

Zusammenfassend läßt sich sagen: Indem den Subjekten die Potenz des
Formierens des Nicht-Ich gemäß den Gesetzen der Vernunft eigen ist,

16 R. Bubner: »Innovationen des Idealismus«, Göttingen 1995, 89.


28 Jürgen Stahl

kommt ihnen – modern ausgedrückt – eine sozial-praktische Formativkraft


zu. Die Charakterisierung des Strebens als »einer Kausalität, die nicht
Kausalität ist« (BWL, GA I/2, 151), bringt das widersprüchliche Problem,
daß im Rahmen der Vernunftgesetze Möglichkeiten zum Bedenken von
Handlungsalternativen gegenüber dem Nicht-Ich bestehen, zum Ausdruck.
Die Formbestimmtheit des Ich ist für das Streben, das Nicht-Ich gemäß
den Gesetzen der Vernunft durchzubilden, wesentlich. Derart wird die Ich-
Problematik in der Ausbildung der Wissenschaftslehre aus dem ontologi-
schen Gegensatz von ›Form und Materie‹ herausgelöst und in das Span-
nungsfeld der Kategorien Freiheit und Natur überführt.17

17 Vgl. A. Pieper: »Individuum«, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe.


Hg. H. M. Baumgartner, Ch. Wild, H. Krings. München 1973, Bd 2, 731.
Die Position der Anschauung im Wissen oder
die Position der Anschauung in der Welt.
Der Unsinn der Subjektphilosophie

Albert Mues (München)

Wir sagen, ein jeder zu sich, »ich« und fassen uns jeweils als ein Indivi-
duum in Gestalt eines Subjekts, dem Objekte gegenüberstehen. Subjektiv
sind wir Wille, der Objekte behandeln und realisieren will. Und subjektiv
sind wir Erkennen, das sich auf Erkanntes oder zu Erkennendes richtet.
Jedoch beziehen wir hier – eben in diesem ›ich‹, wenn wir z. B. schlicht
sagen »ich sehe dieses Blatt Papier« – schlechthin Unvereinbares aufein-
ander: mich als das Subjekt des Sehens und etwa das Papier als dessen
Objekt. Mich als (erkennen) Wollender und das Papier als (zu erkennen)
Gewolltes. Und hier beginnt die Schwierigkeit. ›Subjekt‹ – das heißt
philosophisch: ›nicht Objekt‹, und kein Wort mehr! (Wir meinen hier
nicht einen in der Psychologie verwendeten Begriff von Subjekt.) ›Objekt‹
– das heißt: ›nicht Subjekt‹, und kein Wort mehr! Dieser Gegensatz zeigt
sich auf der Erkenntnisebene so: Das Vorgestellte, der objektive Vorstel-
lungsinhalt (das Papier), ist nicht die subjektive Vorstellung (des Papiers).
Und auf der praktischen Ebene: das Gewollte, das objektiv Intendierte
(dieses zu lesen), ist nicht der Wille, das subjektive Wollen (ich will
lesen).
Es gilt zu verstehen, daß die Gegensatzpaare sich einzig durch
sich selbst bestimmen. Was das Eine nicht ist, ist das Andere, und umge-
30 Albert Mues

kehrt. Es kann für diese Gegensätze kein ihnen gemeinsamer Oberbegriff


ausgemacht werden. Versuchte ich ihn abstrahierend zu schaffen, würde
dieser Oberbegriff mir wieder ein Objekt des Wissens, ein Vorgestelltes,
ein Gewolltes und geriete damit unvermeidlich wieder zu einem Glied
dieser dialektischen Antithetik. Es ist logisch nicht möglich, diese entge-
gengesetzten Pole zu einer Einheit zusammenzufügen. Es gelingt auch
nicht auf die Weise, wie es der Realismus versucht. Ihm sind Subjekt und
Objekt, Vorstellen und Vorgestelltes, Intendieren und Intentiertes dadurch,
daß er sie als seiend behauptet, unter dem Oberbegriff ›Sein‹ universalien-
theoretisch zusammengefaßt. Daß ›Sein‹ wieder der Objektseite zukommt
und daß er ›Sein‹ verstehen muß als ›Vorstellung ist das nicht‹, zwingt ihn
dazu, den Begriff ›Objekt‹ vorauszusetzen. Ein Realist muß wissen, was
›Objekt‹ heißt, dann erst kann er ihm ›Sein‹ ein- und unterordnen. Es kann
ihm nicht gelingen, den Begriff ›Sein‹ zu bilden und inhaltlich anzuwen-
den, wenn er ›Sein‹ nicht zugleich als der Objektseite zugehörig versteht.1
Es ist daher hier auch nicht nötig, alle seine verschiedenen, aber nie
gelingenden Versuche zu referieren, die diese dialektische Situation
begrifflich oder intentional aufheben wollen.2

1 Der Realist muß so argumentieren: Daß ich Objekte (oder mich als Subjekt)
(2)finde, ist mir schon (1)vorgegeben, (1)finde ich schon vor. Er müßte aber auch zu diesem
(1)finden in einem Verhältnis stehen, sonst versteht er gar nicht, daß er überhaupt findet, sei es
nun (2)finden oder (1)finden. Dies glaubt er dadurch leisten zu können, daß er sich wiederholt:
Dieses (1)finden ist mir auch (0)gegeben, (0)finde ich auch vor. Es wird ein regressus in infini-
tum. Und deswegen scheitert er. – Auch diejenigen, die dies umgehen wollen und die Herkunft
aus dem »Vorstellungsvermögen« (mit Carl Leonhard Reinhold beginnend) oder aus der »I-
chform« oder dem »Ausgang aus dem Ich« verstehen wollen, verweisen auf (dann als ›subjektiv‹
ummänteltes) Vorgegebenes und bleiben daher Realisten. Vgl. Dieter Henrich: Grundlegung aus
dem Ich. Untersuchungen zur Vorgeschichte des Idealismus, Tübingen – Jena (1790–1794).
Frankfurt am Main 2004, 21: »Diez’ Theorieversuch von 1791 ist der erste Ansatz zu einer
philosophischen Grundlegung aus dem Ich. Er will zeigen, daß die folgerichtige Entwicklung
aller kantischen Theoreme beim Selbstbewußtsein ihren Einsatz nehmen muß.« S. 1438: »Fichte
[...] der die Philosophie von einer Erklärung der wissenden Selbstbeziehung her aufbauen wollte
[...].« S. 1708: »Der Ausgangspunkt eines absoluten Prinzips, von dem her wir verstehen können,
inwiefern Alles Eines ist, blieb aber in allen diesen Wandlungen gewahrt. Von ihm her mußte
sich auch die durchaus spezifische und rätselkreierende Form eines Ich-Gedankens erschließen
lassen, der nicht mehr selbst absolutes Prinzip war. Dies gilt für Fichte und Hegel nicht anders als
für Schelling und Hölderlin. Die Überzeugung, jener Ausgangsgedanke sei nur in einem mit dem
Begreifen der inneren Form des Ich zu fassen, macht den invarianten Kern der gesamten Bewe-
gung der nachkantischen Philosophie aus. Ihretwegen ist sie insgesamt zu dem geworden, was mit
›spekulativer Idealismus‹ bezeichnet wird.« Wieder wird die Epoche des Deutschen Idealismus so
gedeutet, als wären ihr eine »innere Form des Ich«, eine »wissende Selbstbeziehung«, »Struktu-
ren des Subjektiven« vorgegeben. Sie wird wieder dem Realismus unterworfen, den sie gerade
bekämpft.
2 Nach Friedrich Heinrich Jacobi erkennt die Vernunft (er meint ›Verstand‹; auch in
WW II, 7–9: ›Vernunft‹ ist ihm dort das Vernehmen des Übersinnlichen, und das muß verstanden
sein) sich und die Wahrheit durch den Begriff, ebenso lebt die Philosophie mit dem systematisch
Der Unsinn der Subjektphilosophie 31

Wir wollen uns auch nicht mit den fatalistischen Lösungen unse-
rer Zeit beschäftigen, die diese ungelöste Dialektik als permanenten oder
performativen Selbstwiderspruch oder als absurde Situation kennzeichnen,
mit dem oder mit der zu leben wir uns jedoch abfinden müßten, fatal, aber
unausweichlich.3 Nur ein Wort dazu: Ein jeder von uns kommt sich jetzt
weder widersprüchlich noch absurd vor, wenn er von sich sagt: »Ich sehe
dieses Papier«.
Fassen wir dieses Dilemma zusammen. Subjekt und Objekt sind –
logisch betrachtet – äußerste, unvereinbare Pole, schlechthin auseinander.
Wie in ›krumm‹ nichts von ›gerade‹ enthalten ist und in ›gerade‹ nichts
von ›krumm‹ (solange wir nicht den ihnen gemeinsamen Begriff ›Linie‹
aufstellen), so ist ›Subjekt‹ imprägniert gegen ›Objekt‹ und ›Objekt‹
›Subjekt‹ abweisend. Hier gibt es kein Wenn und Aber. Und eine Anwen-
dung dieser Situation auf sich selbst: ›ich bin vorstellend diese Dialektik‹
oder ›ich will diese Dialektik‹ – hier wäre sie subjektiv –, ›ich existiere
dialektisch‹ oder ›was ich will, ist Dialektik‹ – hier wäre sie objektiv –,
verwiese diese Anwendung selbst in eine dieser Pole. Die Pole selbst aber
verlangen gerade nach der Ausschließung ihrer Selbstanwendung. Diese

ordnenden Begriff. Dies hält Jacobi für einen Mangel der Vernunft und der Philosophie. Denn
beide arbeiten nach ihm mit dem Begriff, welcher seiner Natur nach endlich ist und endlich
bleiben muß. Die Wahrheit sei aber nicht endlich. Darum habe sich die Vernunft durch einen
»salto mortale« aus ihrer begrifflichen Enge und aus der Philosophie zu retten, um einen Stan-
dpunkt zu erringen, der ihr das Vernehmen (statt des unzulänglichen Begreifens) der Realität, das
ist der Wahrheit, garantiert. Diese Realität, diese Wahrheit sei der Vernunft gegeben, sei ihr
letztlich objektiv vorgegeben. – Woher weiß Jacobi von diesem Gegebensein? Wenn der Ver-
stand die Wahrheit nicht faßt, so ist das sein Vorzug, denn der sucht den Begriff und nicht die
Wahrheit. Die Vernunft kann seiner entbehren, und dies ist ihre Stärke. Was Jacobi die gegebene
Wahrheit oder das Reale ist, das es zu vernehmen gilt, wird ihm unter der Hand und gegen seinen
Willen zu einem Gegenüber, zu einem Objekt, das als dieses verstanden sein, also in einen
Begriff eingehen muß. (Auf den Punkt gebracht von Fichte gegen Schelling: »Drum ist ihm auch
die Vft. nicht das reine Vernehmen, sondern das lezte Vernommene.« GA II,5, 484,13f.) Es wäre
jedoch für Jacobi (oder Schelling) auch nichts zu vernehmen, oder – stärker –: es gäbe auch kein
›Vernehmen‹, da es ja eben als Vernehmen verstanden sein muß. Um aber eben diesem Verstehen
zu entkommen, denn die Wahrheit entgeht ihrem Verstehen, kann sie einzig nur unbegrifflich,
unbezogen, außerhalb dieses Verstehens, daß sie gegeben sei, erfaßt werden. Und das bedeutet
allerdings: Ist sie unbezogen, so ist sie autark. Ist sie unbezogen zur Vernunft, so ist sie die
Vernunft selbst, und diese ist unbegreiflich. – Jacobi sucht die Fülle der Wahrheit (bei Jacobi
auch ›Realität‹ genannt) außerhalb der Vernunft (bzw. des Verstandes). Doch der Vernunft ist die
Unbegreiflichkeit der Wahrheit das Siegel dafür, daß sie selbst autonom, unbezogen ist. – Und
umgekehrt gerichtet: Diese Unbezogenheit macht evident, was unbezogen heißt: unbegreiflich
geltend, ohne Bezug geltend. Daraus folgt: Was bezuglos gilt, kann nur gefunden sein. Natürlich
nicht außerhalb der Vernunft – da wäre sie wieder die Gestalt des Beziehens – , sondern in der
Gestalt der Vernunft selbst.
3 Fichte dazu in grimmiger Prophetie: »Es wird alles durch gemacht; u. das ist sehr
gut.« (TL I, 81r; GA II,14, 140,1)
32 Albert Mues

Dialektik kann sich nicht selbst zum Thema machen, da das dann Thema-
tisierte sich in einer der beiden dialektischen Ecken wiederfinden müßte.
Fichte hat in seiner Wissenschaftslehre von 1794 dieses logische
Auseinander in dem einen und höchsten »Wechsel des Ich in und mit sich
selbst, da es sich endlich, und unendlich zugleich sezt« (GA I,2, 359,7;
SW I, 215) festgesetzt als »Schweben der Einbildungskraft zwischen
unvereinbaren.« (Ebd., 360,30; 217) Hier ist die Einbildungskraft das
Vermögen des Vereinens. Die Unvereinbaren (Ich – Nicht-Ich, Subjekt –
Objekt, Vorstellen – Vorgestelltes, Wollen – Gewolltes, in Fichtes späte-
rer Terminologie in umgekehrter Reihenfolge: Seyn – Bild, Absolutes –
Erscheinung) sind vor dem Einsatz der Einbildungskraft nicht einmal
denkbar. »So wie sie durch das Denkvermögen vereinigt werden sollen,
und nicht können, bekommen sie [erst] durch das Schweben des Gemüths,
welches in dieser Funktion Einbildungskraft genennt wird, Realität [d. h.
Geltung], weil sie dadurch anschaubar werden.« (Ebd., 368,15; 226) Und
das heißt dann, sie sind gegeben. Anschauung ist also diejenige Aktion der
Einbildungskraft, die das exponiert, was denkend nicht mehr vereinigt
werden kann. Und dieses im Denken ›nicht (vereinigen) können‹ – seine
Kapitulation – trifft zu, stimmt, ist gültig, ›gibt es‹. Was dem Denken nicht
mehr erreichbar, aber dennoch gültig ist, ist ihm gegeben, als ›da kann
man nichts machen, das ist so‹, läßt sich nur finden. Hier wurzeln die
Axiome.4 ›Es gilt‹, ›es trifft zu‹, ›es ist gültig‹, das findet nicht zufällig
seinen Ausdruck im ›so ist es!‹. Und eine geltende, zutreffende Einbil-
dungskraft erscheint als eine gegebene Einbildungskraft, und die ist
anschaubar. Anschauung ist also nichts anderes als eine unleugbar wal-
tende, eine zutreffende Leistung der Einbildungskraft. Zutreffendes be-
gegnet als ›so ist es‹, begegnet in der Gestalt des Gefundenen, ist gefun-
den. Daher kann mit Recht eine solche Einbildungskraft Anschauung
genannt werden. Es ist also nicht die kantische, sinnliche Anschauung als

4 Daß dieses Gegebensein, dieses Gefundensein als quantitativ eines empfunden


wird, liegt weder im Subjekt noch im Objekt begründet. Daß auch diese – Subjekt und Objekt –
jeweils (numerisch) 1 Subjekt, 1 Objekt sind, bedarf schon dieser ihnen vorausgehenden Quanti-
fizierung. Quantifizieren liegt also höher, ist ursprünglicher als Subjekt und Objekt. Und so
legitimiert sich auch, daß das Quantifizieren nicht als Produkt des Denkens gefaßt werden kann.
Es ist dem Denken vorgegeben. Hier entstehen, auf einzelne Fälle bezogen, die Axiome. –
Abstrahiert von dem, aus wessen Anlaß sie Quantum ist, nämlich dem Gegeben-, Gefundensein,
ist die Zahl ›1‹ der erste Ausdruck für Quantum, und mit Recht im ersten Satz des Peanoschen
Zahlensystems in seiner Axiomatik der natürlichen Zahlen so gefaßt. (Daß ›0‹ eine natürliche
Zahl ist, setzt allerdings diese ›1‹ voraus.) – Daß wir 1 Denken, 1 Verstand haben, müssen
Denken und Verstand als sicher voraussetzen. Die ›1‹ steht im Tageslicht des Wissens, noch ehe
jene zu »zählen« beginnen. Sie ist ihnen verstandeslogisch bzw. analytisch nicht erreichbar.
Der Unsinn der Subjektphilosophie 33

die des Gegenübers zum Begriff gemeint, sondern die, die Fichte als die
Vorgängerin des Begriffs ausweist.
Gehen wir einmal den Weg von den Unvereinbaren, den Subjekt-
Objekt-Gliedern zurück. Im Denken getrennt und als vollkommen sich
Ausschließende gefaßt und verstanden werden sie dem Denken, reflektiert
es über sich, gleichsam ungeheuerlich. Das Denken faßt sie als: ›dieses ist
nicht das‹; und: ›das ist nicht dieses‹. Es vermag also, gleichsam auf dem
einen Pol stehend, den anderen nicht zu sehen, behauptet aber, es gebe
einen anderen Pol und beide Pole schlössen sich gegenseitig aus. Eben
diesen Standpunkt kann es nicht mehr einnehmen, da es nicht über den
Polen verweilen, nicht beide in einem Blick fassen kann. Dazu müßte es
über beiden Polen »schweben«, wie Fichte dies treffend formuliert. Das
Denken kann stets nur einen Pol als ›nicht der andere!‹ besetzen und
besitzen, kann daher den anderen nicht im Blick haben, bedarf seiner
jedoch, um den seinen zu fixieren. Daß das Denken ausschließt, ist dem
Verstand noch zugänglich, doch wie es dies vollziehen kann, ist ihm nicht
mehr verständlich.
Die Sprache bietet sogar ein Wort für diesen schlechthin aus-
schließenden Gegensatz: ›oder‹. ›Oder‹ – und zwar das ausschließende
›oder‹, lateinisch ›aut‹, nicht ›vel‹ – kennzeichnet die Aufforderung,
Gegensätzlichkeit zu fassen, abstrahiert von den dieses ›oder‹ sonst be-
gleitenden Gliedern: krumm oder gerade, gut oder böse. Fassen wir dieses
›oder‹ allein, isoliert, dann fassen wir den Anspruch, einzig das einander
Ausschließen ohne Gegensatzpaar zu vollziehen; es ist ein Anspruch: Aus-
einander!
Sagt sich nun das Denken, der Verstand, daß eine solche gren-
zenlose Ausschließung zutrifft, übernimmt es bzw. er sich. Dennoch sieht
es jeweils einen Pol und darin auch sich als widersprüchlich. Daß das
Denken den Widerspruch gelten läßt, kann ihm nur insofern gelingen, als
es selbst daran scheitert. Es kann den Gegensatz nur feststellen, nicht aber
einholen. Es ist daher ein Ort anzusetzen, von dem aus schlechthin Unver-
einbares als unvereinbar vollzogen wird. Ein Ort, in dem genau dieses
gelingt, in dem gesagt werden könnte: »›auseinander‹, ›gegensätzlich‹,
›oder‹ – richtig, das stimmt!« Womit auch gesagt wird: »So ist es!« Was
aber ›so ist‹, hat Geltung, ist in diesem Sinne dank der Einbildungskraft
überhaupt geltend und, wie gesagt, als Geltung gegeben. So, wie mich
beispielsweise die Geltung der durch einen Beweis gewonnenen Zahl B
veranlaßt zu sagen: »Es gibt B«. Was es aber (geltend) gibt, hat Realität
34 Albert Mues

(nicht Wirklichkeit), ist anschaubar, ist in der Anschauung.5 Daher dieses


Wort.
Wir sind nicht durch einen Schluß, sondern apagogisch zu dieser
Anschauung des Widerstreits Subjekt-Objekt gekommen. Es besteht auch
keine logische Brücke, die von diesem Gegensatz zur Anschauung führt.
Und umgekehrt kann auch nicht die Anschauung sich als logischer Grund
für diesen Gegensatz bereitstellen lassen, durch den dann das Denken als
ihre Folge angemustert werden sollte. Es besteht also schlechthin kein
logischer Übergang, und doch soll die Anschauung das Widerstreiten im
Denken garantieren: keine logische Brücke – und dennoch nicht absurd!
Das Denken ist mittelbar, die es garantierende Anschauung ist unmittel-
bar, mittellos.
Wie haben wir dies zu verstehen, wo es nichts mehr zu verstehen
gibt? Was immer wir jetzt erklärend beibringen wollen, es bediente sich
der Logik und der Begriffe, bediente sich der Zutaten, die wir gerade
hinter uns gelassen haben, die aber Mittel unseres Erklärens sein müssen.
Wir befinden uns – und das ist ja nicht überraschend – in einem argumen-
tativen Patt. Darum bleibt uns hier, um uns verständlich zu machen, dieser
Ausweg: Wir müssen uns der Beispiele bedienen, um uns vorstellig zu
machen, was uns (und damit sind nicht Subjekte gemeint) gestaltet oder
regiert.
Wir suchen Beispiele für einen Übergang, für ein Verhältnis, in
dem die Pole, die Gegensatzpaare, die Relata »verstanden« werden sollen
nur durch das Verhältnis selbst. Also ein Verhältnis, das überhaupt erst die
Relata zu Relata macht, die also vor diesem Verhältnis nicht einmal einen
Eigenstand haben. So, wie ein Nordpol nicht verständlich wäre, wäre er
nicht als ›Pol‹ auf sein Gegenteil bezogen. Ein Verhältnis also, das – außer
als Verhältnis – selbst nicht thematisch wird. Man übersehe nicht, das gilt
gerade für uns, sind wir doch auch ein solches Verhältnis, das als dieses
überhaupt erst die Relata Subjekt – Objekt generiert. Gewußt (oder ge-
wollt) wird die Sache nur vermittelt, das Mittel dazu wird – als Mittel –
aber direkt erlebt oder vollzogen. Vollzogen wird das Verhältnis, gesehen,
verstanden, gewollt werden die Verhältnisglieder.
Hier nun das Beispiel. »Die Sonne lacht vom Himmel.« Das ist
eine metaphorische Personifizierung. Sie drückt sprachlich aus, was aus
Anlaß eines solchen Tages erlebt wird. Jedoch besagt dieser sprachliche
Ausdruck, daß das, was ausgesprochen wird – »Sonne«, »lachen« – , in
ihm gerade nicht ausgesprochen werden soll: nämlich das Erleben dessen,

5 Doch schon Fichte hoffte vergeblich: »Niemand wird diese Realität mit S e i n
(Objektivität) verwechseln [...].« (Fichte, WL-1804-II, GA II,8, 144,10; vgl. 145,11; SW X, 163)
Der Unsinn der Subjektphilosophie 35

was angesichts der Metapher gemeint ist. Man hat, man weiß (und will)
dieses Erleben nur im sprachlichen Ausdruck, in (verobjektivierender)
Aussage, aber gemeint soll sein ein durch ihn evoziertes Erleben oder
Werten. Dieser sprachliche Ausdruck vermittelt selbst, daß er »nur«
metaphorisch ist, und eröffnet dadurch den unmittelbaren Zugang zu dem,
was durch eine Metapher erlebt, vollzogen wird. Wir haben ja nicht mehr
als die sprachlichen Ausdrücke »Sonne«, »lachen«, aber gerade sie ver-
mitteln, daß sie »nur« Bildgestalten sind. Sie vermitteln in den Worten die
unmittelbare Gestalt ›Metapher‹. Sowohl »Sonne« als »lachen« kommen
jeweils zweimal vor: Einmal als sprachlicher Ausdruck (im Begriff für
einen Gegenstand und im Begriff für einen Gemütsvorgang), zum anderen
als metaphorischer Ausdruck. Manifest sind aber nur die in Worte gefaß-
ten Begriffe für jeweils eine – objektive – Gegebenheit. Als diese passen
sie – in unserem Fall – aber nicht zusammen: Die Sonne hat kein Zwerch-
fell, und Lachen glüht nicht. Und nun sollen »Sonne« und »lachen« doch
aufeinander bezogen bleiben und das heißt, sollen etwas bedeuten, obwohl
sie Ausdruck für einen Gegenstand und einen Gemütsvorgang sind.
Mittelbar durch die sprachliche Gestalt soll unmittelbar ihr nichtsprachli-
cher Sinn erfaßt, erlebt werden. Nur an der Sprache – mittelbar – wird
diese Metapher – unmittelbar – präsent, aber sie selbst ist nicht mehr
Sprache.
Dieser Bezug des Mittelbaren auf das Unmittelbare muß auch
umgekehrt gelten. Dazu ein zweites Beispiel: Die Verszeile »Der Wald
steht schwarz und schweiget« ist zweifellos als Metapher – ebenfalls in
Gestalt einer Personifikation – gewollt und wird auch so erkannt und
erlebt. Daß die Unmittelbarkeit der Metapher nicht die Sachlage meint,
zeige diese Wendung. Angenommen, ein Förster, von seinem abendlichen
Kontrollgang zurückgekehrt, berichtet der Forstverwaltung beruhigend:
»Der Wald steht schwarz und schweiget«, man würde seine fachlichen
Fähigkeiten bezweifeln oder mindestens ihm nicht zutrauen, den Ernst der
Lage – etwa bei drohendem Waldbrand – zu erfassen und ihm ent-
sprechend zu berichten. Es bedarf weder beim Förster noch in dessen
Verwaltung einer Kenntnis um die abendländische Kultur der Metaphorik,
um zu wissen, daß hier mit falschem Ausdruck Bericht erstattet wird.
Daß die Metaphorik nicht eine kulturelle Errungenschaft des
Abendlandes, keine gesellschaftliche Spielregel ist, die anzueignen Vor-
aussetzung ist, um Metaphern zu erleben, ist ein Hinweis auf die Unmit-
telbarkeit dieses Zugangs. Das in der Metapher zu Erlebende erlebe ich
direkt, nicht metaphorisch. Es ist ja auch ein Erlebnis und kein Verfahren
zur Anwendung von Begriffen. Ich habe dieses Erlebnis allerdings nur an
der Metapher. Es ist ungegenständlich, es ist gar nicht, außer es ist in der
36 Albert Mues

Metapher. Es ist ein Erlebnis der Art, in der ich es ausspreche; dennoch
erlebe ich das zu Erlebende an der Metapher, aber unmetaphorisch, direkt.
Wenn wir ›Wald‹ und ›schweigen‹ aufeinander bezogen erleben, erleben
wir dies nur durch das Beziehen selbst. Dieses Beziehen, das ist die
»Arbeit« der Einbildungskraft, und zwar der geltenden Einbildungskraft,
eben der Anschauung (im Sinne Fichtes, versteht sich), und nur in ihr ist
Bedeutung (hier in unseren Beispielen die der Metapher innewohnende
Bedeutung) anzutreffen.
Demnach: Die Anschauung repräsentiert eine dem Denken und
dem Wollen unzugängliche »Stelle«, der wir uns nur Zutritt verschaffen
können, wenn wir uns des Denkens und des bestimmten Wollens enthal-
ten.
Gehen wir jetzt wieder unseren Gegensatz Subjekt–Objekt an. So-
fern ich mich als Ich, als Einzel-Ich, als empirisches Ich erlebe im – so
finde ich mich ja täglich – moralischen, ästhetisch suchenden und erken-
nenden Umgang, verstehe ich mich als Subjekt gegenüber der objektiven
Welt. Nun war uns aber Subjekt–Objekt ein logisch unüberbrückbarer
Gegensatz: Das Subjekt lebt davon, ›nicht Objekt‹ zu sein, doch dieses
reklamiert sich als ›nicht Subjekt‹. Durch Denken läßt sich kein Halt
finden. Ich bin also als lebendes Subjekt, als ›ich‹, mir im Denken nicht
einholbar, erfasse denkend nicht, daß ich Subjekt gegenüber Objekt bin.
Immerhin: Was in diesem Verstehenskreisel immer ›ich‹ bin, ist
keine Schlußfolge, ich bin kein Allgemeinbegriff, ich bin mir kein per-
formativer Widerspruch und mir auch nicht absurd. Dennoch habe ich
mich nur in der schillernden Gestalt eines übereinandergelagerten:

Ich bin mir bewußt, und damit ist mir dieses mir Objekt des Wissens. Ich
bin mir bewußt, denn nur einem Subjekt ist etwas bewußt. ›Ich‹ und
›mich‹ sind logisch wechselseitig definiert und auch praktisch wechselsei-
tig aufeinander angewiesen. Nur so sind sie. Dessen sind wir sicher. Das
stimmt! Das gilt! Was immer ich will, ist nicht dieses Willen vollziehende
ich. Aber nur in dem, was ich will, bin ich mir sicher, daß ich will. Ich
habe nur Eigenstand an Erkanntem, an Gewolltem. Jedoch das jeweils
Erkannte (und sei ich es selbst), das Gewollte (und sei ich es – etwa als
»Ichform« – selbst) bin ich nicht. Das ist zutreffend, gilt. Es gibt nichts
objektiv (oder subjektiv) Zutreffendes. Das Schweben über den Gegensät-
zen ist das Zutreffen, das Gelten. Aber: Es selbst ist leer. Doch nur es
garantiert, schafft Geltung. Dies allein ist »meine« Sicherheit, »mein«
Der Unsinn der Subjektphilosophie 37

Eigenstand. Es bleibt nichts Positives! Dies ist das Unbehagen in der


Kultur des Bewußtseins.
»Mich« rettend bleibt einzig die Anschauung. Das ›Ich bin mir
bewußt (dieses Blatt Papier zu sehen)‹ ist unbezweifelbar. Daher und nur
darum gibt es jene, die uneinholbaren Pole Subjekt und Objekt über-
schwebende Anschauung, die diesen Kontrast zwischen ›ich‹ und ›mich‹,
zwischen ›ich‹ und ›draußen‹ oszillierend überspringt. Der Verstand sagt:
Schwankend bin ich. Die Anschauung sagt: Ich – das ist erlebter Gegen-
satz. Dieses ›Schweben‹, das ist die Ich-Anschauung; sie ist jene An-
schauung, die eine Differenz, die Subjekt-Objekt-Differenz ermöglicht.6
Dieses ›Ich‹, als Anschauung präsent, ist von dem Ich des Den-
kens, des Verstandes, in dem ich mich finde als Subjekt gegenüber Ob-
jekt(en), streng unterschieden. Bin ich im Subjekt-Objekt-differenten
alltäglichen ›ich‹ ein Subjekt, letztlich ein subjektives Individuum, ge-
fangen in der Negation, so bin ich hier, in schwebender Anschauung als
erlebter Gegensatz, nicht (mehr) Subjekt. Hier stehe ich in dem Ort, in
dem es kein Subjekt und kein Objekt mehr gibt, und in dem ›ich‹ zu sagen
nicht mehr heißt, ein Subjekt gegenüber einem Objekt zu sein. Wenn wir
dennoch weiterhin jenseits der Subjektivität (obwohl wir bisher des Glau-
bens waren, das ›Ich‹, mein ›ich‹ sei die subjektive Gestalt seiner, meiner
selbst) von ›Ich‹ sprechen, fern aller Individualität – Fichte nennt es
»WeltIch« (TL I, 76r,v, 78r,v, 80r; GA II,14, 130f., 133f., 137) –, dann
deswegen, weil ja immer noch ich derjenige bin, der sich nun als das
(nichtindividuelle) Ich in Anschauung ist. Dieses ist das schlechthin leere
Ich, leer nun auch eines Gegenübers ›Objekt‹ und daher auch dessen ent-
behrend, Subjekt zu sein; demnach auch leer an Subjekt-Zuschreibung.7
Dieses ›Ich‹ muß letztlich auch Descartes im ›cogito‹ gemeint haben, denn

6 »Die Objektivität des Sehens ist nicht etwa von einem für sich bestehenden
Faktum gegeben (der Unsinn ist klar), wo denn das Sehen des Sehens der Reflex wäre, sondern
umgekehrt. [...] Sichspaltung des Sehens selbst in subjektives, u. objektives [...].« (Fichte, WL
1811; GA II,12, 260,7)
7 »[...] nichts ist in dieser Anschauung gegeben, denn das bloße leere Ich [...]. Was
es weiter werden soll, das muß es durch seine Freiheit bedingen [...].« (TL I, 67r; GA II,14,
117,15) »[...] es versteht sich, daß durchaus kein objektivirtes Ich, das reine, u. das absolute Ich
[und das Absolute] seyn kann, daß daher eine Philosophie die nur aus einem fremden, u. objekti-
virten Ich [und Absoluten] das Wissen demonstrieren will, nothwendig ihres Zweks verfehlt. Dies
ist auch einer der Gründe des Misverständnisses der W. L. Das reine Ich ist nicht in einem
Repräsentanten [...].« (WL-1804-IV; GA II,9, 254,9) Licht, Evidenz »ist, indem es wird: hier ist
schon der Urgegensatz: der aus seinem Bilden, formaliter, hervorkommt. Das Bilden ist an sich
ein f a k t i s c h e s hinwerfen. Hier wirft es sich hin (der ganze wahre Grund des ich wird hier
liegen) als selbstschöpferisch (eben in der [logisch späteren] Verdunkelung dieses [ursprüngli-
chen] Ich mag die empirische Fakticität bestehen.).« (Fichte, Nach dem Schluße der Vorlesun-
gen; GA; II,9, 15,12)
38 Albert Mues

erst dieses ›cogito‹ kann mich auch des Verweises und damit der Geltung
versichern, daß ich ein Subjekt bin.
Von dieser Ich-Anschauung her sollte nun auch einsichtig sein,
daß die vielleicht erstmals durch Adam Weishaupt8 und dann durch Carl
Leonhard Reinhold9 in die Welt der Philosophiegeschichte gesetzte und
von Hegel freudig weitergetragene Behauptung, vor Kant (bzw. vor
Descartes) habe man Objektphilosophie getrieben, seit Kant (bzw. seit
Descartes) lehre man – außer Hegel – Subjektphilosophie, systematisch
nicht haltbar ist, obwohl sich diese Behauptung durch die Jahrhunderte bis
heute hält.10
So, wie das Ich als Anschauung strukturlos, gesetzlos, bar eines
Gegensatzes, schlechthin leer ist, so wird auch das »untere« Ich in seiner
Subjekt-Objekt-Trennung leer bleiben. Hinzugewonnen hat es einzig an
Inhalt dies: reiner, leerer Gegensatz zu sein. Entsprechend baut auch der
späte Fichte seine Gegensatzpaare auf. Ich warne also davor, in seine
Gegensätze ›Gott – Erscheinung‹, ›das Absolute – Erscheinung‹, ›Seyn –

8 Ueber die Gründe und Gewisheit der Menschlichen Erkenntniß. Zur Prüfung der
Kantischen Critik der reinen Vernunft. Von Adam Weishaupt Herzoglich Sachsen Gothaischem
Hofrath. Nürnberg 1788, 34: »[...] Daß dieses System [Kants] [...] zu einer totalen Subjectivität
unserer gesammten Erkenntniß führe.« S. 143: »[...] daß dieses System zu einer totalen Subjecti-
vität führe.« S. 204: »[...] daß das Kantische System eine allgemeine Subjectivität lehre [...].«
Kant hat dies vorausgeahnt. Vgl. seine Abwehr des Verdachtes, seine ›Kritik der reinen Vernunft‹
sei Idealismus, in: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird
auftreten können, von Immanuel Kant. Riga 1783. § 13, Anmerkung II.
9 In: Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym
Anfange des 19. Jahrhunderts. Herausgegeben von C. L. Reinhold. Erstes Heft, Hamburg 1801.
S. 23: »[...] so muß das U r w a h r e , oder das A b s o l u t e , das die Philosophie nicht entbehren
kann, [...] mit F i c h t e als a b s o l u t e S u b j e k t i v i t ä t , das r e i n e b l o ß e I c h [...]
vorgestellt werden.« S. 119: »[...] daß der C r i t i c i s m u s nur dadurch und insoferne zur
W i s s e n s c h a f t werden könne, daß und inwieferne die m a t e r i a l e n Bedingungen der
Erfahrung, z u g l e i c h mit den F o r m a l e n aus der S u b j e k t i v i t ä t abgeleitet würden.«
10 Damals: »[Entweder] Ich, oder die Natur, scheinen sie [die Gegner der WL] zu
denken, und da giebts kein drittes; natürlich, weil nur diese beiden Stücke in ihren Gesichtskreis
fallen. Ihr Eifer entbrennt eigentlich nur dagegen, daß, da wir die Natur nicht als Absolutes
wollen gelten lassen, wir drum das Ich zu demselben machten; darin aber irren sie sich; bei uns
folgt das nicht, denn in unsern ausgedehnteren Gesichtskreis fällt außer jenen beiden Stücken
noch einiges andere.« (TdB; GA, II,12, 80f.; SW II, 619) Heute: »An die Stelle des von Kant
metaphysisch unterstellten ›Bewußtseins überhaupt‹, das immer schon die intersubjektive Geltung
der Erkenntnis garantiert, tritt damit zugleich das regulative Prinzip der kritischen Konsensbil-
dung in einer, in der realen Kommunikationsgemeinschaft allererst herzustellenden, idealen
Kommunikationsgemeinschaft.« (Karl-Otto Apel: Transformation der Philosophie, Bd. II, Das
Apriori der Kommunikationsgemeinschaft. Frankfurt am Main 1973, 354f.) Auch diese ideale
Kommunikationsgemeinschaft, die theoretisches Wissen sowie praktisches und selbst ethisches
Handeln als Anerkennungszusammenhänge propagieren will, ist nur in Subjektgestalt möglich.
Dies hier nur »zur nähern Würdigung des Spasses, daß die W. L. [also die Transzendentalphilo-
sophie] in der Subjektivität, u. auf einem ReflektirPunkte stehe.« (WL-1804-IV; GA II,9, 183,1)
Der Unsinn der Subjektphilosophie 39

Bild‹ irgend etwas (und dann stets) Wünschenswertes an philosophischem


Inhalt hineinzuschlichten. Fichte selbst spricht vom ›leeren Seyn‹.11 Im
Beitrag von Herrn Bertinetto ist es treffend gesagt: ›Gott‹, ›das Absolute‹,
›Seyn‹ – da meint Fichte die äußerste, die umfassendste sprachliche
Gestalt für ›an sich‹, ›aus sich‹, ›unabhängig‹. Und ›Erscheinung‹, ›Bild‹
ist dann der Ausdruck für ›abhängig‹, ›bezogen auf‹. Selbst ›Gott‹ und
›Seyn‹ sind entliehene Ausdrücke für das, was gemeint ist oder gemeint
sein sollte: ›n i c h t Bild‹, ›n i c h t Erscheinung‹.12 Über diesem Gegen-
satz schwebe ich in Gestalt des AnschauungsIch. Innerhalb dieses Gegen-
satzes w ä r e ich – so meint man – ›Subjekt‹. Doch in der Tat bin ich in
diesem Gegensatz »nur« Subjekt–Objekt-oszillierend. Ich bin nicht An-
schauung im Kantischen Sinne, nicht Begriff, bin nicht ›Gott‹, nicht ›an
sich‹, bin nicht ›Bild‹, nicht Vorstellung. Ich kann mir erst nach vielen
weiteren durchlaufenen Gegensätzen ›Subjekt‹ zuschreiben.13 (Das hat
schon die GWL sehr schön gezeigt. Dies wird aber gern übersehen, auf
daß auch sie zur Subjektphilosophie abgestellt werden kann.)
Es wird nicht beachtet, daß ›Gott‹, ›Seyn‹, ›an sich‹ »nur« einen
Bezug ausdrücken, dessen Gerichtetheit, nämlich: unabhängig von einem
Abhängigen, von Bild, Erscheinung, in seinem hier behandelten Ursprung
nicht thematisch werden kann, weil dieser Bezug diese Gerichtetheit erst
aus späteren, tiefer stehenden Ableitungen bzw. Erkenntnissen gewinnt.
Beschreiben wir es mit Kant: Das Sollen (des Sittengesetzes) wäre nie zu
finden und es wäre nie gebietend, wäre es nicht an sich, wäre es nicht das
Faktum (des Sittengesetzes) schlechthin. Es kann aber nur an sich, Faktum
sein an einem Nicht-an-sich, an einem Nicht-Faktum, an einem Ab-
hängigen. Ebenso sind Seyn und Bild, Gott und Erscheinung gegenseitig
aufeinander angewiesen.
Es wäre daher auch falsch, dieses Paar ›Gott – Erscheinung‹, ›das
Absolute – Erscheinung‹, ›Seyn – Bild‹ als einen metaphysischen Realis-
mus des späten Fichte zu kennzeichnen, wie man sich derzeit Fichte
bequem zurechtlegt.14 Es würde dann dieses Paar als Paar wieder in die –

11 »Ich, NichtIch; beide aber nichts weiter, als leere Freiheit, Prinzip aller Akte [...] –
leeres, u. unbestimmtes Seyn.« (TL I, 67v; GA II,14, 118,21)
12 »[...] es ist ihm kein Seyn, oder Bild; es ist nur ausgesagt, daß wenn Eins von
beiden sey, das andere gleichfals [damit] gesezt sey. [...] leer alles Bildes, u. Seyns, u. geschildert
nur von der Seite eines Verhältnisses eines solchen [von Bild und Sein].« (TL II; GA II,14, 270,2;
vgl. SW IX, 214)
13 »[...] wo es noch kein Ich giebt, sondern dieses erst werden soll«. (TL I, 83v; GA
II,14, 145,10)
14 Man vgl. nur Karen Gloy: Bewußtseinstheorien. Zur Problematik und Problem-
geschichte des Bewußtseins und Selbstbewußtseins. Freiburg, München 1998, 227: »Das Prob-
lem, den theoretischen Einheits- und Vermittlungsgrund im Selbstbewußtsein zu finden, bildet
40 Albert Mues

sagen wir – linke Seite etabliert und zu einem Gegebenen abgestempelt.


Schon wären wir wieder im Objektbereich, und Fichte wäre zu einem
»höheren« Realismus zurückgekehrt. Wir hätten ihn wieder handsam.
Machen wir uns nichts vor. In keinem der beiden Gegensatzglieder ist
Positives (oder Negatives) zu finden. ›Seyn‹, ›das Absolute‹, ›Gott‹,
›Sittengesetz‹ – es sind schlechthin leere Begriffe oder leere Ideen, gerade
dazu tauglich, diese ihre Leere durch ihren oppositionellen Negationsstand
zu dokumentieren.

›Seyn‹ – das heißt: ›Du bist das nicht‹.


›Sittengesetz‹ – das meint: ›Das sollst Du nicht‹.
›Das Absolute‹ – das bedeutet: ›Von allem Wollen und Wissen nicht
abhängig‹.
Und auch aus ›Gott‹ läßt sich kein positiver Wert schöpfen.

Gott ist, was wir aus ihm machen sollen. Es gibt nicht an sich ein Absolu-
tes, dem wir uns Trost suchend zuwenden können. Wir sind allein. Wir
müssen es uns schon schaffen. Indem wir es aber praktisch schaffen,
entdecken wir seine Geltung, sein ›es gibt‹.15 Daß es gilt, obliegt nicht
unserem Schaffen. Ohne dieses unser Schaffen könnte es jedoch nicht
gelten.16 Was dies individual- und menschheitsgeschichtlich bedeutet,

das Thema von Fichtes Spätphilosophie, das Fichte durch eine Verlagerung der Problematik aus
der Immanenz des Selbstbewußtseins in die Transzendenz zu lösen sucht.« Allein der Titel, der da
meint, Kants und Fichtes Transzendentalphilosophie wäre eine Theorie, also eine Beschäftigung
mit einem letztlich real Gegebenen, entlarvt das ganze Unterfangen. Und eine mögliche Tran-
szendenz wäre ebenfalls immer schon gegeben. So kann auch der Begriff scheitern: nicht an der
Anschauung, sondern am Vermögen zu denken.
15 Evidenz »ist in der That, u. [der] Wahrheit Selbstschöpfer . .« (Fichte, Nach dem
Schluße der Vorlesung; GA II,9, 15,12)
16 »[...] Der Mensch wird[,] durch ein Göttliches Leben, Gottes inne« (Jacobi,
Briefwechsel, hrsg. von Michael Brüggen und Heinz Gockel, Bd. I,4, Stuttgart – Bad Cannstatt
2003, 87; vgl. Jacobi-Werke IV,1, 212), und zwar nach Jacobi durch den »Sinn« der Vernunft für
das Übersinnliche. Aber es gibt kein Objekt-Subjekt-Verhältnis zwischen Gott und mir. Gott ist
nicht ein Glied eines Verhältnisses, denn wir können ihn begrifflich nicht adäquat konzipieren
und sollen ihn als bestimmte Idee nicht wollen. Wir sind uns seiner aber nur so bewußt und
können ihm praktisch auch nur in dieser Weise wollend begegnen. Wir können nur so, was wir so
nicht dürfen. Hier ist der Ursprung der theoretischen und praktischen Metapher: Was geltend
nicht Verhältnis sein soll, das soll im Verhältnis gelten. Das »Verhältnis« zum Absoluten, zu
Gott, zur Freiheit ist insofern legitim ein solches, jedoch der Zutritt zum Absoluten gelingt nur
über die praktische Metapher. Ein die Metaphorik auslösendes Verhältnis, das ja als dieses nicht
gelten soll, dennoch als geltend, als wirklich anzunehmen, das zeichnet – legitim – Religion und
Religionsausübung aus. Eine Intention Gott gegenüber, ein Gebet, soll gelten, soll Absicht
kundtun, soll wirklich sein, dennoch ist sie nicht gemeint, sondern das, was sie metaphorisch
aussagt. Das wird erkennbar, wenn man eine solche Intention als wirkliche nimmt: Versteht man
eine Intention im Gebet als Rechtsforderung gegenüber Gott, wäre sie letztlich einklagbar.
Der Unsinn der Subjektphilosophie 41

muß man sich einmal klar machen. Nur insofern ich das Absolute mora-
lisch-praktisch verwirkliche, oder – religiös gefaßt – insofern ich das
Gesollte selbst will, ist das Absolute und ist es mir. Nur wenn die
Menschheit Gott will und Gott verwirklichen will, ist Gott und ist Gott
ihr.17
Werte – ein gewollter Wert, die Evidenz als Wert, ein ästhetischer
Wert, eine Erkenntnis als Wert – wir haben sie stets »nur« als zu verwirk-
lichende, als erlebte, als wertende Verhältnisvollzüge, jenseits der Unter-
scheidungen, jenseits der Begriffe, erlebt an Verhältnissen, die wir ge-
wollt, gewertet und gestaltet haben, und an Verhältnissen, die wir
erkennend als Wert zu finden glauben.18
Und wieder glaubt sich der Einwand erheben zu dürfen: ›Gefun-
den‹, das setzt doch voraus ein ›(objektiv) gegeben‹. Nein, dieses ›finden‹,
Ausdruck des alle Verhältnisse leitenden Geltens, findet nicht Gegebenes.
Es steht jenseits des Realismus, ist die Bedingung dafür, daß so etwas wie
›gegeben‹ als ursprüngliche Erwartung entstehen kann, für die es dann
auch etwas (objektiv) ›gibt‹.19

Versteht man sie als sittlich berechtigte Forderung, hätte sich letztlich Gott zu rechtfertigen, man
geriete in die Theodizee. Betrachtet man sie als Bitte um Schuldenvergebung, erwartete man
einen persönlichen, individuell ausgesprochenen Gnadenakt Gottes. Jedoch: Ein Gebet, ehrlich,
also mit Anspruch auf Geltung vorgetragen, soll in diesem seinen Anspruch nicht Anspruch sein.
Kein Verzicht, keine bescheidene Rücknahme des Anspruches, sondern geltend machend, sich in
der – betend – ausgesprochenen Intention dieser sich zu enthalten. Etwas meinen zu dürfen, was
als Gemeintes nicht auftritt. Etwas wollen zu sollen, was als Gewolltes nicht sein soll. In dieser –
metaphorischen – Schwebe lebt wahre Religion; in ihrem reflektierten Stand – als Theologie –
sollte sie sich dessen klar sein. (Sie war sich dessen auch einmal bewußt, in der Formel des IV.
Laterankonzils, 1215: »inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter
eos maior sit dissimilitudo notanda«. Aber das scheint vergessen zu sein.) – Und es läßt sich jene
Intention auch seiner rechtlichen und seiner nur moralischen Verpflichtung entziehen: Gott ist
das, was wir liebend aus ihm machen sollen; liebend – da sind wir uns aufgegeben indem wir uns
aufgeben, und da sind wir unter uns und damit in der Christologie. Hier erst ist eine Bitte um
Vergebung der Schuld annehmbar.
17 Was ist aber mit ihr, wenn sich die Menschheit des Willens, Gott zu wollen,
entsagt? Ein Heiliger kann von sich sagen, er habe ihn verwirklicht. Aber darf er dies beruhigt
sagen und darf er sagen w o l l e n , er habe ihn verwirklicht, wenn Gott rechts und links von ihm
und vor ihm und nach ihm nicht verwirklicht wurde und wird? Das geht auch ihn praktisch, und
das heißt hier, eschatologisch an.
18 »Der melodische Einfall, der mich plötzlich, direkt aus dem Äther kommend,
überfällt, der auftaucht, ohne daß eine sinnliche Anregung von außen vorliegt oder eine seelische
Emotion, [...] erscheint in der Phantasie unmittelbar, unbewußt, ohne Einfluß des Verstandes. Es
ist das höchste Geschenk der Gottheit [...].« Richard Strauss: Betrachtungen und Erinnerungen
Herausgegeben von Willi Schuh. Zürich und Freiburg i. Br. 1949, 161.
19 »Die Einsicht vom Absoluten als unmittelbare Einsicht fußt unbeschadet des
Umstandes, daß zu ihr aufgestiegen wird, nicht auf anderen Einsichten, so daß sie eine vermittelte
wäre; denn dann gerade müßten faktische Momente außer dem Absoluten ins Absolute erhoben
werden.« (Reinhard Lauth: Hegel vor der Wissenschaftslehre. Stuttgart 1987, 172) Vgl. dazu
42 Albert Mues

Und es kann und darf auch nicht gelingen, dieses Gegensatzpaar


›Gott – Erscheinung‹, ›das Absolute – Erscheinung‹, ›Seyn – Bild‹ seiner
rechten Seite zu überantworten, ihm Bildeigenschaften, gar Strukturen des
Vorstellens zuzugestehen, um dieses als ›Wissen‹ in die dann strukturell
geprägte – gar »höhere« – subjektive Seite einzuverleiben.
Mag Fichte mit diesem Gegensatzpaar beginnen, mögen seine
Gegensatzglieder auch sprachlich verführen zu ontologischen Interpreta-
tionen, es ist nur der Beginn, ist die nur dem transzendentalen Ansatz sich
eröffnende Frage: Wie ist ein Anschauen von Widerstreiten zu fassen, und
wie könnte es überhaupt »etwas« aus sich entlassen? Damit ist die Logik
verlassen, die Subjekt-Objekt-Differenz verabschiedet, Wissen-Gewußtes
nicht mehr Thema. Deswegen taucht sie hier wieder auf, die Anschauung
von 1794, als das »Mittel« – schon falsch – , als das »Etwas« – ebenso
falsch – ... wir sind im Vakuum, in dem keine Begriffe mehr gelten und
vorkommen dürfen, diese Anschauung, die – darf ich mich so ausdrücken?
– Mutter aller Differenz.
Sie ist nachvollziehbar. Ebenso, wie man eine Metapher nicht er-
klären kann, ohne sie zu zerstören, müssen wir diese Anschauung nach-
vollziehen können, ohne den Verstand einzusetzen. Eben dies verschließt
die Tore zur Schwärmerei. Die Schwärmerei will mittels des Verstandes
unverständig sein. Eine Philosophie, die sich des Ursprungs aller Diffe-
renz widmet, muß sich des Differenzierens, eben der Begriffe, Urteile,
Schlüsse, der Sprache allerdings bedienen, will sie sich äußern. Sie meint
in ihren Äußerungen das, was sie, indem sie es begrifflich, urteilend
ausspricht, schon zerstört, ja zerstören muß. Das macht das Studium und
den Vollzug der Transzendentalphilosophie und insbesondere das Studium
des späten Fichte so schwierig. Aber das gestattet nicht, sie als eine be-
stimmte philosophische Sichtweise – etwa die subjektive – zu behandeln,
die wahlweise durch eine andere – etwa eine diskursive – ersetzt werden
könnte.
Schon bei der Lektüre des Titels dieses Beitrages »Die Position
der Anschauung im Wissen oder Die Position der Anschauung in der
Welt« haben wir einen Gegensatz verstanden und waren eben dadurch,
ohne daß er uns bewußt werden konnte, im Vollzug dieser hier themati-
sierten Anschauung. Diese Anschauung hat ihre Stelle weder im Subjekti-
ven, im Wissen oder im subjektiven Wollen, noch im Objektiven, in der

Fichte: »[...] in einem mittelbaren Einleuchten, das wir nicht erzeugten, weil wir es wollten,
sondern das sich selber erzeugte, nicht aus irgend [... einer] Prämisse, sondern absolute, also in
einer absolut sich selber erschaffenden, und darstellenden Evidenz, oder reinen Lichte.« (WL-
1804-II; GA, II,8, 79,15; vgl. SW X, 129f.)
Der Unsinn der Subjektphilosophie 43

Welt oder in objektiven Werten. Sie ist jenes ›Schweben‹, dem Subjekt
und Objekt, Wissen und Welt, Gott und Erscheinung, Sein und Vorstel-
lung erst entspringen.
Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik?
Grundsätzliche Fragen an Fichtes Spätphilosophie

Christoph Asmuth (Berlin)

Die vorkritische Metaphysik hatte – dies sei in grober Schematisierung


gesagt1 – das Seiende als Seiendes und seinen Grund, nämlich Gott, zu
ihrem Thema.2 Die kritische Philosophie Kants prüfte die Möglichkeit
metaphysischer Sätze mit dem Resultat, daß sich weder über Gott noch
über das Ich noch über das Sein rein rationale Aussagen mit wissenschaft-
lichem Anspruch treffen lassen. Das Verstandes- und Vernunftvermögen
endlicher Wesen gelte nicht für Dinge an sich, sondern einzig für Erschei-
nungen, die selbst ausschließlich in Raum und Zeit angeschaut werden
können. Kants Transzendentalphilosophie entwickelte dazu eine Theorie,
die – in kritischer Absicht – eine explizit nicht-transzendente Begründung
der Erkenntnis versuchte: Der Rückgang auf Möglichkeitsbedingungen,
die per se kein substantielles Substrat zulassen, macht den Verzicht auf
ontologische oder theologische Prinzipien einsichtig. Die Welt als ganze
und die Existenz Gottes scheiden daher als positiver Gegenstand der

1 Die Begriffe Transzendentalphilosophie und Metaphysik sind weder historisch


noch systematisch klar bestimmbar. Unter einer heuristischen Perspektive sei es aber ohne große
Umschweife gestattet, eine schematische Einordnung zu präsentieren.
2 Vgl. zur Komplexität des begrifflichen Terrains: Burkhard Mojsisch/Orrin F.
Summerell, Metaphysik. Namen, Darstellungen, Deutungen, in: Die Philosophie in ihren
Disziplinen. Eine Einführung. Bochumer Ringvorlesung Wintersemester 1999/2000 (Bochumer
Studien zur Philosophie; 35), Amsterdam 2002, 89–118.
46 Christoph Asmuth

Wissenschaft aus. Schließlich verliert auch das Ich, bei Descartes noch
letzte metaphysische Bastion im Gang des methodischen Zweifels, seine
substantielle Bedeutung als Seele. Die transzendentale Apperzeption ist
nur noch die oberste Bedingung allen Verstandesgebrauchs, keineswegs
läßt sich aber aus ihr auf eine immaterielle, immortale, inkorruptible und
personale Seele schließen, an der die Vorstellungen wechselten wie
Akzidentien an einer aristotelischen Substanz.
Der Ansatz Fichtes bildet in vielen Hinsichten eine Verlängerung
der Kantischen Transzendentalphilosophie. Hier wäre im einzelnen viel zu
sagen, nämlich über den historischen Anknüpfungspunkt und die Art, in
der Fichte das Kantische Programm weiterentwickelt.3 Insgesamt ist es
offenkundig, daß Fichtes Jenaer Programm die Transzendentalphilosophie
Kants fortschreiben will, wenn auch unter einer charakteristischen Per-
spektive. Aber Fichtes spätere und späte Philosophie, beginnend etwa mit
dem Jahr 1800, hat manche Zweifel geweckt. Im Kontext der sich überbie-
tenden Systementwürfe des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts könnte
es scheinen, als handle es sich bei Fichtes Wissenschaftslehre um einen
Beitrag zur Entwicklung einer absoluten Metaphysik. Auf diese Weise
ließe sich von den Theorien Fichtes, Schellings und Hegels als von einer
dreifachen Vollendung eines gemeinsamen Projektes der nachkantischen
Philosophie sprechen.4 So hätte jeder Denker für sich in je eigener Aus-
prägung eine Gestalt der Vollendung eines Problembestandes herbeige-
führt, der in der Philosophie Kants, besser: in der neuzeitlichen Aufklä-
rung wurzelte. Vollendung meint hier dreierlei: Vollendung als höchste
Aufgipfelung eines Lösungsansatzes in letztgültiger Präsentation, Vollen-
dung als beendende Beantwortung einer Grundfrage, Vollendung als Ende
einer ganzen Denkbewegung.

3 Wilhelm Metz, Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der


theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. (Spekulation und Erfahrung; II, 21), Stuttgart-Bad
Cannstatt 1991; Armin Wildfeuer, Praktische Vernunft und System. Entwicklungsgeschichtliche
Untersuchungen zur ursprünglichen Kant-Rezeption Johann Gottlieb Fichtes (Spekulation und
Erfahrung; II, 40), Stuttgart-Bad Cannstatt 1999; Christoph Asmuth, »Von der Kritik zur
Metaphysik. Der transzendentalphilosophische Wendepunkt Kants und dessen Wende bei
Fichte«, in: Umbrüche. Historische Wendepunkte der Philosophie von der Antike bis zur Neuzeit.
Festschrift für Kurt Flasch zu seinem 70. Geburtstag, hg. von Klaus Kahnert und Burkhard
Mojsisch, Amsterdam/Philadelphia 2001, 167–187.
4 Vgl. zur Diskussion um die Vollendung: Walter Schulz, Die Vollendung des
Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings. Stuttgart 1955; Pfullingen 21975;
Wolfgang Janke, »Von der dreifachen Vollendung des deutschen Idealismus und der unvollende-
ten metaphysischen Wahrheit«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 39 (1991), 304–320;
ders.: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes. Berlin/New York 1993,
1-26.
Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik? 47

Die Versuchung ist groß, in den jeweiligen Ausprägungen der


Spätphilosophien diese Vollendung zu entdecken, insbesondere jedoch in
den umfangreichen nicht von den Autoren selbst zum Druck autorisierten
Texten. Es liegt dem die Vorstellung zugrunde, als sei die letzte Wort
gewordene Gestalt eines Denkers zugleich auch von letztgültiger philoso-
phischer Relevanz. Für alle drei ›Vollender‹ scheint allerdings Vorsicht
angebracht: Sklerotische Tendenzen lassen sich – bei aller bestehenden
philosophischen Dignität – wohl kaum übersehen, und was Fichte insbe-
sondere betrifft, so läßt der literarische Zustand der Texte seiner Spätphi-
losophie ohnehin nur bedingte Aussagen über die Entwicklung seines
Philosophierens zu: – Anlaß zur Mystifizierung und zugleich Anlaß für
weitreichende interpretatorische Projekte.

Bei Schelling zeigt sich zuerst der Versuch, den transzendentalen Vorbe-
halt Kants in einem Akt unmittelbarer Erhebung zu transzendieren, ohne
jedoch die Resultate der Vernunftkritik rückgängig zu machen. Das
Unbedingte als hypostasiertes Objekt eines totalisierten Vernunftschlusses
wird zu einem nicht-objektivierbaren, gleichzeitig aber grundlegenden
Prinzip einer alle Subjekt-Objektivität umfassenden Philosophie umgedeu-
tet. Damit ist der kritische Vorbehalt in ein Positivum verwandelt, in ein
absolutes Gesetz, das selbst durch nichts gesetzt, durch das vielmehr alles
gesetzt ist, was gesetzt ist: absolute Autonomie. Gefordert ist dazu die
Erhebung zu einem reinen oder absoluten Wissen, das als Akt nichts
anderes sein kann als eine intellektuelle Anschauung, die alle Reflexion
von sich abweist.
Für Hegel schließlich wird der Akt der Erhebung selbst nun nicht
mehr zu einem unmittelbaren Einssein mit dem Absoluten, sondern muß
durch immanente Negativität hervorgebracht werden. Das absolute Wis-
sen ist ihm wie Schelling zwar zunächst das Unmittelbare, aber zugleich
auch Resultat eines vermittelnden Prozesses.5 Damit ist – so könnte man
ungeschützt formulieren – Kants Programm einer Beschränkung der Ver-
nunft, das auf die Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis rekurrierte,
einer Theorie gewichen, in der die Selbstbeschränkung der Vernunft selbst
beschränkt, d. h. nur in ihrer regionalen Gültigkeit ausgewiesen ist. So
wird zwar bei Hegel die Endlichkeit der Vernunft überwunden, in der

5 Vgl. dazu Christoph Asmuth, »Anfang und Form der Philosophie. Überlegungen
zu Fichte, Schelling und Hegel«, in: Schelling: Zwischen Fichte und Hegel, hg. von Christoph
Asmuth, Alfred Denker und Michael Vater, Amsterdam 2000, 403–417.
48 Christoph Asmuth

Überwindung aber festgehalten und erhalten. Die Reflexion bleibt, aber


bloß als ein Moment des Verstandes.
Beide, Schelling und Hegel, entwickeln eine absolute Metaphy-
sik, deren Charakteristikum in der Negation der Endlichkeit besteht. Dazu
wird der transzendentale Vorbehalt Kants zurückgewiesen. Gleichzeitig
behalten beide – und zwar in je unterschiedlicher Weise – die kritische
Tendenz der Kantischen Transzendentalphilosophie bei: Sie wollen nicht
zurück zur alten rationalen Metaphysik, sondern über sie und durch sie
hindurch zu einer neuen, absoluten Metaphysik fortschreiten. Die voraus-
setzungslose Duplizität von Denken und Sein ist für sie apriorisch vermit-
telt in einem Absoluten. Subjekt und Objekt, Immanenz und Emanenz,
Idealismus und Realismus, Rationalismus und Empirismus bleiben in ihrer
Einseitigkeit bloße Momente, bloße Aspekte, bloße Tendenzen des Einen
reichhaltigen Absoluten. Es wird damit zum Erbe sowohl der theologi-
schen wie der philosophischen Rede von Gott und Sein, allerdings säkular
gewendet in die welthaltige und welthaltende Vernunft selbst.

Im folgenden soll die These vorgetragen und erläutert werden, daß Fichte
dem Theorieaufbau Schellings (und Hegels) explizit nicht folgt und daß
seine Philosophie aus diesem Grunde Transzendentalphilosophie bleibt.

1. Fragen an die Spätphilosophie Fichtes

1.1. Der Gottesbegriff

Im sog. Grundsatz der WL 18042 bestimmt Fichte das Absolute oder Gott
in siebenfacher Weise als Sein, Leben, Einheit, Immanenz, Vernunft, Wir,
Ich.6 Damit stellt sich die Frage, was Fichtes Gottesbegriff ausmacht.
Einer der Einleitungssätze zu den Principien der Gottes-, Sitten- und
Rechtslehre (1805) kann erklären, was Fichte mit dem Gottesbegriff
bezweckt: »Gott, Göttliches – sich nicht an die Personifikation gestoßen:
wir hoffen durch unsre Ansicht diese ganz wegzubringen. – . bedeutet bei
uns, was es im ächten Christenthum, und überhaupt bei allen sich selbst
verstehenden Menschen, die diesen Begriff dachten, von jeher bedeutet

6 Vgl. Christoph Asmuth, Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und


Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800–1806. Stuttgart 1999, 244–253.
Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik? 49

hat, das absolute, (...).«7 Das Absolute ist Gott.8 Bedenkenswert ist, daß
man an dieser Textstelle nicht etwa umgekehrt liest: Gott ist das Absolute!
In der Tat scheint es primär eine Frage der Terminologie zu sein,
ob Fichte vom Absoluten und seiner Erscheinung oder von Gott und der
Welt spricht. »Die Hauptschwierigkeit bei der lezten Benennung [Gott;
Ch. A.], die nie entscheidend gelöst worden, wie dieses Wesen durchaus
in sich geschloßen, und vollendet, scheinbar aus sich heraus gehen, u.
Ursache einer Welt seyn könne, und wie diese Welt in gewisser Rüksicht
als ausser Gott, und er ausser ihr erscheine, die denn doch in andrer Rük-
sicht der That, u. Wahrheit nach mit Gott ganz dasselbe seyn muß.«9 Die
Hauptaufgabe der Wissenschaftslehre ist es daher, Identität und Differenz
des Absoluten und seiner Erscheinung aufzuzeigen oder »die Einheit, u.
Verschiedenheit Gottes u. der Welt«.10 Dabei ist für Fichte ›Gott‹ nur in
absoluter Immanenz möglich: »Jene haben nur einen formalen Gott, der
auswendige: der eigentliche reale Gott ist in uns selber.«11 Darin zeigt sich
zugleich die innere Kongruenz von Gottesbegriff und dem Begriff des Ich
aus der frühen Wissenschaftslehre: »(...) alle Realität ist in das Ich gesetzt
(...)«12. Fichte entwickelt also weder einen theologischen noch einen
transzendenten Gottesbegriff. Gott bedeutet für ihn vielmehr den Inbegriff
der Realität, reine immanente Aktualität, die sich wesentlich in der sittli-
chen Durchdringung und Durchdrungenheit der Wissenschaftslehre
ausfaltet und ihren Niederschlag findet im gelebten und lebendigen Leben.

1.2 Der Ichbegriff

Schwierig und seit den Anfängen kontrovers diskutiert ist Fichtes Ich-
Begriff. Bereits mit der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre
beginnt die wechselvolle Karriere dieses Terminus in der Wissenstheorie
Fichtes. Eine Interpretation unter dem Hinblick auf die Ich-Lehre Fichtes
hat ein zentrales Problem zu lösen: Fichtes Rede vom Ich verändert sich
nach 1800 grundlegend. Was vormals als Prinzip der Philosophie zu
gelten hat, wird später zu einem nachgeordneten Terminus, ja, an vielen
Stellen gebraucht ihn Fichte pejorativ. Das Ich gilt ihm dann als das, was

7 Principien, GA II/7, 378.


8 Vgl.: Principien, GA II/7, 380.
9 Principien, GA II/7, 378.
10 Principien, GA II/7, 394.
11 WL 1805, GA II/9, 227; vgl. auch: Principien, GA II/7, 403.
12 GWL, GA I/2, 291.
50 Christoph Asmuth

überwunden werden muß zugunsten des Absoluten oder Gottes. Anderer-


seits – und das macht die Sache entschieden unübersichtlich – betont
Fichte überall, er habe seine Lehre in den Grundzügen nicht verändert; es
handle sich auch in späteren Schriften, so Fichte explizit,13 um denselben
einen Gedanken, den er bereits in der Grundlage der gesammten Wissen-
schaftslehre ausgefaltet habe.
Will man nicht Fichtes dezidierte Selbsteinschätzung relativieren
oder ignorieren, bleibt nur die Annahme, Fichte habe seine Terminologie
stark verändert: Das vormalige Ich als Prinzip der Philosophie sei nun
unter den Begriffen Gott oder Absolutes wiederzufinden, von dem er das
schlechte Ich des Individuums und das für die Prinzipienfunktion untaug-
liche Ich der transzendentalen Apperzeption abhebt.
Das Ich entgeht daher dem häufig vorgetragenen Zirkeleinwand.
Die Reflexion ist bei Fichte keineswegs eine leere Verdopplung. Vielmehr
verändert sich das Ich durch die Reflexion. Es reichert sich im Prozeß der
Reflexion an, gewinnt an Gehalt, ohne dabei sich selbst zu verlassen.
Schließlich ist auf die grundlegende Differenz von Ich und Selbstbewußt-
sein hinzuweisen. Selbstbewußtsein, das zeigt sich in der Spätphilosophie
noch viel deutlicher als in der Grundlage, ist ein nachrangiges Epi-
phänomen, ebenso wie das Bewußtsein. Dies ist gerade dasjenige, was
durch die Theorie des Ich erklärt und in seiner Struktur aufgehellt werden
soll, aber keineswegs der Ausgangspunkt. Bekanntlich betont Fichte selbst
bereits in der Grundlage, daß das Ich als Prinzip in keinem empirischen
Bewußtsein explizit vorkommt, eben weil es in allem Bewußtsein als
dessen Prinzip bereits liegt.

1.3 Der Seinsbegriff

Nicht anders stellt sich Fichtes Position zum Seinsbegriff dar. Es sei zu
»brandmarken mit dem rechten Namen Materialismus, was ein Seyn
zugiebt, u. sezt; ob dies nun auch ein Gott seyn soll. Denn dies ist ohne
dies ein leerer Schattenbegriff,«14 bemerkt Fichte in der Königsberger WL

13 Vgl. AzsL, GA I/9, 47.


14 WL 1807, GA II/10, 113. Diese Textstelle referiert die Kritik Fichtes an Spinoza:
Der Vorwurf Fichtes an Spinoza lautet, Spinoza habe ein totes Sein als Absolutes an die Spitze
seines Systems gesetzt. Es mangele diesem Absoluten an dem mit dem realen Moment versöhnten
Idealen, das aus dem starren, beharrenden und damit toten Sein, ein lebendiges, sich auf sich
selbst beziehendes Absolutes mache. Dies erst könne die Transzendentalphilosophie erreichen.
(Vgl. WL 18042, GA II/8, 116).
Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik? 51

von 1807. Das Sein bildet nicht etwa die Voraussetzung alles Denkens
und Lebens; es ist nicht das unverfügbar Andere, keine geheimnisvolle
ursprüngliche Verborgenheit, in deren Durchsichtigmachung die mensch-
liche Existenz erst ihre unverbrüchliche Authentizität zu finden hoffen
dürfte. Das Sein bildet nicht die Voraussetzung, es sei denn, das Sein sei
bereits voraus gesetzt, d. h. Folge einer Setzung, die selbst wiederum
durchschaut und durchdacht werden muß. Innerhalb der Spätphilosophie
Fichtes rückt der Seinsbegriff in eine doppelte Funktion. Einerseits bildet
er – gemeinsam und in eins mit dem Gottes- und Ichbegriff – eine grund-
sätzliche, jedoch schwebende Kennzeichnung des Absoluten, ganz Fichtes
Einsicht gemäß, nach welcher der Begriff selbst sich an sich selbst für
unvermögend erkennen muß, das An-sich der Sache, hier des Absoluten,
zu repräsentieren. Es kommt nur zu einem ›Schattenbegriff‹. Andererseits
zielt der Seinsbegriff auf das schlechte Sein. Fichte kritisiert damit nicht
die Sinnenwelt, diskreditiert nicht die Empirie, sondern vielmehr den
Blick des Betrachters, in dessen Hinschauen sich die an sich lebendige, d.
h. einzig der Intelligibilität zugängliche Welt des Sittlichen zu einem bloß
vorhandenen Etwas verwandelt. Das Sein disqualifiziert sich dadurch, daß
es ist, für die Stelle des Absoluten. Sein hat einen Gegensatz: – nämlich
das Nicht-Sein, mit dem das Sein behaftet ist, insofern es ist.
Ein weiterer Gegensatz des Seins ist der Begriff. Gegensatz heißt
für Fichte aber substantielles Uneins-Sein: Das unterschiedslose Eine, die
absolute Realität, jenes Singulum lebendigen Seins des Grundsatzes der
Wissenschaftslehre 18042, jenes absolute Ich, wird durch das Mannigfalti-
ge nicht berührt. Das Mannigfaltige ist gegenüber dem einen lebendigen
Sein absolutes Nichtsein.15 Nun ist es für Fichte nicht das Sein, das den
Gegensatz zum Begriff ausmacht, sondern es ist der Begriff selbst, der,
indem er sich als Begriff weiß, sich das Sein entgegensetzt. Beide Seins-
begriffe sind daher miteinander verbunden. Der Begriff verwandelt das
absolute, lebendige und organische Sein in das tote Sein, den toten Absatz,
in eine stehende, substante Welt.

Weder Gott noch Ich noch Sein sind also Begriffe, mit denen Fichte eine
extramentale Realität kennzeichnet. Sie scheiden aus als Begriffe für das
existentiell vorgeordnete Unvordenkliche oder geheimnisvoll Verborgene.
Sie sind für ihn nicht das opake Refugium Gottes, das einzig einer mysti-
schen Versenkung zugänglich wäre, sondern ›sonnenklare‹ Transparenz.

15 Vgl. WL 1804-II, GA II/8, 234.


52 Christoph Asmuth

Grundsätzlich ließe sich das analog auch für den Begriff ›Leben‹ zeigen.16
Fichte kennzeichnet damit nichts, was vor dem Wissen liegt oder etwa
über oder unter ihm, sondern in ihm als lebendige Quelle der Realität. Wie
für Sein und Gott gilt auch für das Leben: Sie sind Begriffe, welche die
ursprüngliche Unmittelbarkeit in ihrer Einheit charakterisieren, daher
prinzipiell dem Denken, d. h. der philosophischen Nachkonstruktion,
zugänglich. Aufgrund ihres Inhalts, ursprüngliche Unmittelbarkeit in
Einheit, lassen sie sich allerdings nicht als solche denken: Der Begriffs-
charakter ist dem Begriffsinhalt prinzipiell unangemessen, eine Überle-
gung, um die Fichtes Spätphilosophie immer wieder kreist. Diesen Ge-
danken überträgt Fichte schließlich auf den des Absoluten selbst: »Absolut
ist selbst ein relativer Begriff, nur denkbar im Gegensatz mit dem relati-
ven; (...). Wem die Absolutheit beigelegt wird, dem wird sie gerade da-
durch genommen«.17

2. Fichtes Weiterentwicklung der Transzendentalphilosophie in den späten


Manuskripten

Das kritische Geschäft der Vernunft beruht auf der revolutionären Einsicht
Kants, daß es zur Sicherung der Allgemeinheit, Valenz und Evidenz des
Wissens nicht notwendig ist, auf eine göttliche, transzendente oder sub-
stante Vernünftigkeit zu rekurrieren, die dem endlichen Bewußtsein von
Außen gegeben oder aus seiner Körperlichkeit, seiner physischen Natur,
geschlossen sein müßte. Seine Überlegungen entwickeln ein Konstrukt aus
Möglichkeitsbedingungen, die in jeder wirklichen Erkenntnis faktisch
sind, selbst aber über kein ontisches Substrat verfügen. Damit ist zugleich
die Reduktion auf die bloße Körperlichkeit des Erkennens weder ausge-
schlossen noch eingeschlossen, denn seine Theorie ist in einer Sphäre
bloßer Möglichkeitsbedingungen angesiedelt, damit gerade nicht belang-
los für körpergebundene Erkenntnisprozesse, sondern im Gegenteil: in

16 Ansätze dazu in: Annette Sell, »Aspekte des Lebens. Fichtes Wissenschaftslehre
von 1804 und Hegels Phänomenologie des Geistes von 1807«, in: Sein – Reflexion – Freiheit.
Aspekte der Philosophie J. G. Fichtes, hg. von Christoph Asmuth, Amsterdam/Philadelphia 1997,
79–94; dies., »Plotin und Fichte – zwei Lebensbegriffe«, in: Platonismus im Idealismus. Die
Platonische Tradition in der klassischen deutschen Philosophie, hg. von Burkhard Mojsisch und
Orrin F. Summerell, München/Leipzig 2003, 77–90.
17 WL 1805, GA II/9, 195. – Vgl. auch WL 1805, GA II/9, 189. – Vgl. dazu:
Wolfgang Janke, Johann Gottlieb Fichtes ›Wissenschaftslehre 1805‹. Methodisch-systematischer
und philosophiegeschichtlicher Kommentar, Darmstadt 1999.
Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik? 53

höherem Maße, weil in höchstem Maße allgemein und objektiv, gültig für
alle möglichen Erkenntnisse.
Fichte entwickelt zwei Modelle transzendentalphilosophischer
Argumentation, die über Kant hinausweisen, und zwar in ihrer genetischen
Potenz, nicht in ihrem inhaltlichen Umfang. Das erste läßt sich als trans-
zendentalphilosophische Reflexion beschreiben, das zweite als transzen-
dentalphilosophische Problematizität.

2.1. Transzendentalphilosophische Reflexion

Fichte beschreibt die transzendentalphilosophische Reflexion ganz dezi-


diert in der Wissenschaftslehre 1805, und zwar als »Kunst des transscen-
dentalen Denkens«.18 Der Gedanke erkennt im Denken einen Inhalt,
vermag aber, wenn auch nicht zugleich, den Gedanken dieses Inhalts zu
denken. Fichte bezeichnet das als Reflex. Im alltäglichen Vernunftge-
brauch ergibt sich daraus eine schlechte Unendlichkeit, die sich durch ihre
Insuffizienz selbst ankündigt: Sie verliert den Inhalt in seiner Unmittel-
barkeit und bleibt statisch bei dem Immer-Selben stehen, das sie in unend-
lichen Schleifen umkreist. Die transzendentalphilosophische Reflexion
unterscheidet sich vom Reflex durch das sich vermittelst seines Denkens
und seines Durchdenkens dieses Denkens selbst bewegende Subjekt. Und
die perennierende Möglichkeit der Reflexion bleibt zurück als Reflexibili-
tät.19
Der Träger der Argumentation ist zunächst das empirische Ich,
mein Ich, dann das Wir der Wissenschaftslehre. Es ist das Subjekt der
Argumentation und damit die Triebkraft der Wissenschaftslehre. Seine
Funktion ist klar: Das Wir ist die sich bewegende Nahtstelle zwischen
Mir, dem jeweiligen Hörer oder Leser der Wissenschaftslehre, und ihren
Inhalten. Das Wir enthält das jeweilige Argument: Wir haben es gedacht
und waren uns unseres Denkens bewußt, also ... Da die Reflexion auf das
Denken des Gedankens reflektiert, muß der Gedanke gedacht sein, wenn
weiter gedacht werden soll. Wird der Gedanke nicht gedacht, ist die
Reflexion auf das Denken des Gedankens leer, das Argument daher
insuffizient oder schlechterdings fehlend. Dazu braucht das Denken, sei
dieses empirisch oder bereits transzendental, den Gedanken des Seins oder

18 Vgl. zum folgenden WL 1805, GA II/9, 230–232.


19 Vgl. dazu die Terminologie der Manuskripte der Jahre 1811/1812, insbesondere
der TL-I.
54 Christoph Asmuth

Absoluten als eines ersten und notwendigen Gedankens. An diesem


absoluten Gehalt und an der Reflexion auf diesen absoluten Gehalt und an
der Reflexion auf das Denken dieses absoluten Gehalts realisiert sich die
Wissenschaftslehre als ein Prozeß der Selbstversicherung des Absoluten
im endlichen Bewußtsein, das sich in diesem Prozeß als unendliches, als
vernünftiges, als transzendentales Bewußtsein begreift, letztlich, d. h. bei
Fichte ›in der Wurzel‹, begreift als identisch mit dem Absoluten. Ein
Exempel der transzendentalen Reflexion findet sich in der Wissenschafts-
lehre 18042, bei der sich das Subjekt der Wissenschaftslehre durch trans-
zendentalphilosophische Reflexion in das unmittelbare, unvermittelte
Absolute vermittelt, allerdings nur, um sich in seiner dadurch erreichten
Selbstgewißheit wieder zu restituieren.
Die transzendentale Reflexion hat die Tendenz, alle einge-
schränkten Bewußtseinsinhalte auf ihre zugrundeliegenden Bedingungen
hin zu prüfen. Durch die permanente Koppelung alles Gewußten an einen
grundlegenden Bewußtseinsakt als Möglichkeitsbedingung entsteht ein
hoher Grad an Gewißheit. Denke ich einen Gehalt, so versichere ich mich
im Denken dieses Gedankens seiner Bedingungen. Letztlich ist dadurch
selbst der absolute Gehalt – vermittelst eines absoluten Denkaktes – mit
dem endlichen Bewußtsein eines empirischen Ich verbunden. Und umge-
kehrt: Es ist sichergestellt, daß selbst das Wissen des Absoluten in einem
absoluten Wissen nicht verschieden sein kann von allen empirischen
Wissensakten, sondern vielmehr in allen Wissensakten als dessen oberste
Möglichkeits- und Realitätsbedingung stets – implizit – enthalten ist.

2.2. Transzendentale Problematizität

Beginnend mit den drei Fassungen der Wissenschaftslehre im Jahr 1804


entwickelt Fichte eine weitere transzendentalphilosophische Argumentati-
onsform. Fichte bezeichnet sie als Problematizität. In der WL 18041 heißt
es formelhaft: »Problematicität = Subjectivität = Standpunct der W.L.«20.
Ziel und innere Tendenz der Wissenschaftslehre sind es, aus dieser Pro-
blematizität hinaus zu gehen zur Notwendigkeit und Objektivität des
wirklichen Wissens. »(...) die WL werde daher durch ihr eignes, in seiner
Möglichkeit begriffenes Seyn, genöthigt seyn, aus sich selber zu einem
Nothwendigen herauszugehen.«21

20 WL 1804-I, GA II/7, 192.


21 WL 1804-I, GA II/7, 192f.
Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik? 55

Als Standpunkt der Wissenschaftslehre bewegt sich die Problema-


tizität in einem Bereich logischer Möglichkeit. Im Unterschied aber von
formallogischer Möglichkeit handelt es sich bei der Wissenschaftslehre
um transzendentallogische Möglichkeit. Ihre Begriffe enthalten nicht nur
keinen inneren Widerspruch, sondern sind darüber hinaus angelegt auf
mögliche Erkenntnis.
Das zeigt sich paradigmatisch an der Wissenschaftslehre 18042.
Durch transzendentale Reflexion hat sich das Subjekt der Wissenschafts-
lehre in seinem Vollzug in das Absolute, jenes grundsätzliche Sein-Leben-
Vernunft-Ich-Singulum, vermittelt, eine absolut realistische Gedankenbe-
wegung. Trotzdem aber bleibt die ganze Untersuchung problematisch. Das
zeigt sich bereits an der Aufforderung zur Konstruktion dieses Absoluten.
Müssen Wir als Subjekt der Wissenschaftslehre erst aufgefordert werden,
so können Wir das Aufgegebene auch unterlassen. Die Notwendigkeit der
Konstruktion des Seins ist selbst problematisch. Die Konstruktion des
Seins steht unter der Bedingung: Soll das Sein konstruiert werden, so muß
... Charakteristisch für die von Fichte vorgetragene Gedankenbewegung
der Problematizität ist, daß einerseits gilt: Soll das Sein konstruiert wer-
den, so ist es ein in sich geschlossenes Singulum lebendigen Seins. Das ist
die in Rede stehende Problematizität. Ist aber das Sein andererseits ein in
sich geschlossenes Singulum lebendigen Seins, so ist die Problematizität
in ihm begründet. »Ist Construction des Seins, so ist sie in ihm selber
absolut begründet; (...).«22
Das Soll ..., so muß ... wird zum prägenden Charakter des zweiten
Teils der Wissenschaftslehre 18042. Es ist das von Fichte sogenannte
problematische Soll. Es ist schon im ersten Teil, allerdings implizit,
anwesend, kongruiert es doch mit der transzendentalen Reflexion: »Soll es
zu dieser eben erlangten Einsicht kommen, so muß ec.«23 Der Gang der
transzendentalen Reflexion erscheint in einer nachträglichen Betrachtung
selbst als ein Grenzfall der Problematizität. Allerdings war es die Tendenz
des ersten Teils, die Aktivität des Subjekts zugunsten des Vollzugsmo-
ments zu eliminieren. Erst der zweite Teil, die Phänomenologie, restituiert
das problematische Soll und macht es zum wesentlichen Movens der
Argumentation: »Jetzt aber im Herabsteigen haben wir uns nun eben an
dieses vernachlässigte Soll zu halten, das ja die fortdauernde innere Seele

22 WL 1804-II, GA II/8, 262/263.


23 WL 1804-II, GA II/8, 264/265.
56 Christoph Asmuth

aller der Idealismen abgab, die während des Aufsteigens fortwährend sich
ausschieden.«24
Die Formel soll..., so muß ... erzeugt die Verbindung des trans-
zendentalen Wissens mit dem wirklichen. Sie garantiert, daß nicht etwa
die Sphäre des transzendentalen Gedankens abgesondert existiert. Viel-
mehr liegt das transzendentale Wissen im wirklichen. Es ist das, was in
jedem Wissen implizit zugrunde liegt. Bereits in der Grundlage von
1794/95 war Fichte der Überzeugung, daß nur das in allem Wissen Lie-
gende durch Reflexion und Abstraktion zum philosophischen Bewußtsein
erhoben werden müsse, und zwar als dessen nicht ontologisches, sondern
transzendentales Prinzipienwissen. In den Principien der Gottes-, Sitten-
und Rechtslehre erklärt Fichte, daß das problematische Soll sich auf das
Dasein oder Erscheinen Gottes bezieht: »Es soll schlechthin zum Daseyn
Gottes kommen, so wie er in sich ist.–. Ich sage nicht, es ist, ist nicht,
sondern soll. Da die Form des Daseyns Wissen: es kann zu diesem Daseyn
nur in seiner Form kommen, (...), also nur im Wissen. – . Drum ist das
Wissen da, und alle seine Beziehungen, u. Bestimmungen sind da ledig-
lich um jenes Willen, u. sind daraus als aus dem UrPrincip vollständig zu
erklären u. abzuleiten.«25 Es könnte sich hier um einen Fall einer dedukti-
ven Metaphysik handeln: Am Anfang steht Gott als absolutes Prinzip.
Daraus folgt das Dasein Gottes oder seine Erscheinung, die sich wiederum
als Prinzip des Wissens erweist, und aller seiner weiteren Bestimmungen.
Was aber aus dieser affirmativen Metaphysik Transzendentalphilosophie
macht, ist das problematische Soll: »Ich sage nicht, es ist, ist nicht, son-
dern soll.« Im problematischen Soll ist eben nicht von einer metaphysisch
vorausgesetzten Existenz die Rede, sondern von den Möglichkeitsbedin-
gungen des Wissens überhaupt, zu denen auch Gott als schlechthinnige
oder absolute Realität, aber auch sein Dasein zu zählen ist.
Ähnlich entwickelt sich der Gedankengang in der Wissenschafts-
lehre 1811. Das Verfahren der Wissenschaftslehre ist auch hier pro-
blematisch: Sie fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit des Wissens;
die Antworten sind deshalb ein theoretisches Konstrukt ohne ontischen
oder substantiellen Status. Gleichwohl müssen die von der Wissenschafts-
lehre abgeleiteten Möglichkeitsbedingungen in allem wirklichen Wissen
gegeben sein. Die Wissenschaftslehre ist daher – so Fichte explizit – keine
Seinslehre, keine Ontologie, keine Kosmologie, keine Metaphysik.

24 WL 1804-II, GA II/8, 264/265.


25 Principien, GA II/7, 437.
Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik? 57

Der problematische Charakter der Wissenschaftslehre spricht sich


grammatisch in der Form aus: Wenn Wissen ist, dann notwendig unter
genau diesen Bestimmungen. Fichte nennt diese Methode auch hier
Problematizität, und es läßt sich das alte Soll ..., so muß ... wiedererken-
nen. Erst in der unmittelbaren Anschauung, d. h. dem wirkliche Wissen in
seinem unmittelbaren Vollzug, verwandelt sich die Problematizität in
Kategorizität.26

3. Schluß

Die Wissenschaftslehre bleibt – so Fichte – nichts anderes als das, was sie
auch schon 1794/95 war: eine Untersuchung über die transzendentale
Apperzeption,27 d. h. eine Lehre vom Wissen und seinen Prinzipien. Die
Spätphilosophie zeichnet sich insbesondere als Transzendentalphilosophie
aus durch:

! die Apriorizität der Grundbegriffe;


! den Primat der transzendentalen Apperzeption und der transzen-
dentalen Einheit;
! die Immanenz des Wissens;
! die transzendentale Freiheit;
! den Rekurs auf die Möglichkeitsbedingungen des Wissens;
! und schließlich durch die beiden transzendentalen Argumentati-
onsweisen: transzendentale Reflexion und transzendentale Pro-
blematizität.

Die transzendentale Reflexion fungiert dabei – achtet man auf den struktu-
rellen Aufbau der Wissenschaftslehre – als ein realistisches Argument:
Die Reflexion auf das subjektive Moment führt zu einer Depotenzierung.
Das Denkende vernichtet sich selbst vor der Absolutheit seines absoluten
Gehalts. Dadurch gewinnt die Wissenschaftslehre allererst ihren eigentli-
chen Ausgangspunkt; transzendentale Reflexion als spezifische Form der
Abstraktion bildet – wie schon 1794/95 so auch in der Spätphilosophie –
die einzige Propädeutik und Erhebung zur Wissenschaftslehre. Die trans-
zendentale Problematizität ist strenggenommen der eigentümliche Modus,
in dem die Wissenschaftslehre prozediert. Sie dient nicht nur dazu, die

26 Vgl. WL 1811, GA II/12, 145.


27 Vgl. WL 1811, GA II/12, 208.
58 Christoph Asmuth

Unabtrennbarkeit des transzendentalen vom wirklichen Wissen argumen-


tativ aufzuweisen, sondern zugleich dazu, die unauflösbare Synthesis des
Praktischen und des Theoretischen zu demonstrieren. Das problematische
Soll ist die Zauberformel, durch die sich im endlichen Wissen das Absolu-
te aufzeigen läßt, nicht als sein Anderes, sondern als sein Eigenes, nicht in
geheimnisvoller Verborgenheit, sondern in vollständiger Transparenz,
nicht als substantes Sein, sondern als lebendiger Gedanke.
Schelling jedenfalls reichte die bloße Evidenz eines in sich gewis-
sen Absoluten und des aus ihm begründbaren eben so evidenten Wissens
nicht aus. Er wollte, wie auch später Hegel, ein System, das die Fülle der
kulturellen Phänomene in ihrem Wesen erfaßt und darstellt. Sie entschie-
den sich dabei gegen den Weg Fichtes und für eine absolute Metaphysik.
Unendlichkeit und Schranke.
Zum Fichteschen Entwurf einer transzendentalen
Ontologie des Wissens

Marek J. Siemek (Warschau)

Im Mittelpunkt der Lehre vom Wissen als dem erscheinenden Bild des
Absoluten, die das theoretische Kernstück der späten Philosophie Fichtes
ausmacht und als Konzept einer neuartigen Ontologie des Sinnes, oder
einer transzendentalen Epistemologie betrachtet werden kann, steht
dieselbe Spannung von Unendlichkeit und Schranke, die dem Grundge-
danken der Fichteschen »Wissenschaftslehre« (WL) immer innewohnte.
Die beiden Momente kommen schon von Anfang an im Begriff der »Ich-
heit« als Grundlage des Systems der Transzendentalphilosophie vor. Es ist
nämlich der Begriff einer unendlichen Einheit, die nur in der beschrän-
kenden Entzweiung mit sich selbst, einer absoluten Identität, die nur durch
Differenzierung lebt und wirkt. Sein Inhalt wird bereits in der Grundlage
der gesammten Wissenschaftslehre 1794/95 (GWL) nicht durch den
»ersten Grundsatz« allein, der vom absoluten Sich-Selbst-Setzen des Ich
spricht, sondern durch die unteilbare Einheit von allen drei »Grundsätzen«
vertreten und ausgedrückt. Der zweite Grundsatz, der des absoluten
Gegensatzes, wonach dem sich-selbst-setzenden Ich ein Nicht-Ich
schlechthin entgegengesetzt werden muß, weist auf den unhintergehbaren
Zwiespalt im Ich selbst hin: das Ich kann nämlich zu seiner Selbstbezie-
60 Marek J. Siemek

hung erst vermittelst seiner Beziehung auf ein Anderes kommen. Die
dynamische Vereinigung beider Glieder, und zwar durch ihre Wechselwir-
kung, kommt erst im dritten Grundsatz zustande, mit der ihm schon
innewohnenden Dualität.
Alle drei Grundsätze des Systems zielen darauf hin aufzuzeigen,
wie das unendliche Ich sein Anderes, das Nicht-Ich, als seine eigene
Schranke schon im voraus in sich selbst hat. Die ursprüngliche Limitation
gehört notwendigerweise zum Wesen des Fichteschen Ich, das ja nicht nur
als absolut spontane unbegrenzte Tätigkeit, sondern auch als Selbst-
bewußtsein gedacht werden muß. Das Selbstbewußtsein ist nämlich kein
Zustand, sondern immer ein Akt, durch den das Ich als Subjekt sich erst
findet, und zwar infolge seiner Rückkehr zu sich selbst aus seinem Ande-
ren, dem Nicht-Ich als Objekt. Das Sich-Selbst-Setzen des Ich besteht also
offenbar nicht in einer undifferenzierten Tätigkeit schlechthin, sondern in
einer solchen, die in sich verdoppelt ist. In der Grundlage von 1794
spricht Fichte oft von zwei entgegengesetzten »Richtungen« der Tätigkeit
des Ich, deren eine »ins Unendliche hinausgeht« und als »zentrifugal«
bezeichnet wird; es ist die absolut spontane Tätigkeit seines ursprüngli-
chen Sich-Setzens, des reinen Tuns und Produzierens. Soll aber das Ich im
Selbstbewußtsein wirklich zum Ich werden, so muß es aus dieser Unend-
lichkeit zu sich selbst zurückkommen, um auch in seinem Sich-Wissen
dasjenige zu erfassen, was es in seinem Sich-Setzen schon getan hat. Dies
geschieht kraft der »entgegengesetzten Richtung« seiner Tätigkeit, die
insofern als »zentripetal« betrachtet werden kann: die ursprüngliche,
»zentrifugale« Tätigkeit wird hier »in sich selbst zurückgetrieben« (GWL,
GA I/2, 405) oder reflektiert. Nur infolge dieser Reflexion kann die Tätig-
keit des Ich »in sich selbst zurückgehen«, was seinerseits unentbehrlich
ist, damit das Ich sich als Ich, d. h. für sich selbst oder im Selbstbewußt-
sein, setzen kann. Schon daraus ergibt sich notwendigerweise eine innere
Entzweiung im Ich selbst, die etwas später, in der Wissenschaftslehre nova
methodo 1798/99, als »ursprüngliche Duplizität« (WLnm-K, GA IV/2,
186f.) des menschlichen Geistes bezeichnet wird. Die Reflexion, in der
sich das Ich als Ich, d. h. für sich selbst, erst setzt, ist durch die Hemmung
und Begrenzung seiner ursprünglichen Tätigkeit wesentlich bedingt. Die
Beschränkung gehört also zum Wesen des Ich; sie bedeutet zugleich sein
»Aus-Sich-Herausgehen«, insofern das Ich sowohl diese Begrenzung
seiner selbst, als auch den Grund derselben, in ein Begrenzendes außer
sich (in ein Nicht-Ich) setzt. Jenes Begrenzende ist demnach ein eigenes
Produkt vom Ich, eben weil es nur infolge seiner eigenen Selbstbegren-
zung entsteht.
Unendlichkeit und Schranke 61

Diese unhintergehbare Mittelbarkeit des Sich-Setzens birgt also in


sich denselben Widerspruch zwischen der Unendlichkeit seiner Freiheit
und der Faktizität des von ihm reflektierten (es beschränkenden) Seins.
Der Widerspruch steckt demnach im Wesen des Ich und ist mit einer
inneren Spaltung im Ich selbst gleichbedeutend: »Das Ich soll etwas
heterogenes, fremdartiges, von ihm selbst zu unterscheidendes in sich
antreffen« (GWL, 405). Denn: »Die Bestimmung des Ich, seine Reflexion
über sich selbst, als ein bestimmtes, ist nur unter der Bedingung möglich,
dass es sich selbst durch ein entgegengesetztes begrenze« (GWL, 361).
Nun wird diese beschränkende Macht der Reflexion in den späte-
ren Fassungen der W.L. auf den vertieften und verallgemeinerten Begriff
des Bildes und Bildens übertragen. Es ist dabei nicht so, daß die neue
Begrifflichkeit bei Fichte die alte des »transzendentalen Ich« und seines
»Selbstbewußtseins« etwa verdrängt hätte, sondern die letztere wird
vielmehr in die erstere aufgenommen und eben dadurch erst recht begrün-
det und erklärt. So heißt es z. B. in der Transzendentalen Logik II (1812):
»Es ist die Hauptsache, ein Ich an sich wegzubringen: und das Ich später-
hin im Bildwesen, und aus der Sichbildung jenes einfachen Princips zu
erklären: es entstehen zu lassen im Wissen selbst, nicht außerhalb dessel-
ben«.1 Und tatsächlich »läßt« hier Fichte die »ichliche« Selbstbeziehung
»im Wissen selbst entstehen«, und zwar als notwendige Form der »sich-
erscheinenden Erscheinung«, oder als immanentes Gesetz des allumfas-
senden »Bildens« (Ebd., 63). Das Bild als Phänomen und Problem kon-
zentriert in sich den ganzen komplexen und vieldimensionellen Zusam-
menhang, den die jedem Wissen zugrundeliegende Struktur des
Verstehens von Bedeutungen ausmacht.
Das Bild als paradoxe Einheit von Unendlichkeit und Schranke
wird von Fichte in drei Schritten und auf drei Ebenen konstruiert. Zuerst
stellt es sich direkt in seinem Sein dar, d. h. in seiner einfachen, unmittel-
bar ontischen Beschaffenheit. Diese zeigt sich aber sogleich als durchaus
nicht ontisch, sondern epistemisch: das Bild ist nämlich kein Sein, sondern
eben nur dessen Bild, d. h., wie Fichte bereits in der Wissenschaftslehre
1804 sagt, »ein Repräsentant und Stellvertreter« des Seins (WL-1804-II,
100). Anders gesagt: auf dieser ersten Ebene ist das Bild einfach ein
Abbild. Es zeigt nicht sich selbst, sondern sein Abgebildetes. Es ist aber
jenes Abgebildete eben nicht, sondern dessen bloßes Bild. In diesem Sinn
weist jedes Bild »auf ein Ursprüngliches ausser ihm« (ebd.) hin; es setzt

1 Transscendentale Logik II, ed. R. Lauth, Hamburg 1982 (TL-II), 28.


62 Marek J. Siemek

immer ein Sein voraus, das in diesem Bild lediglich »vertreten«, weil
abgebildet wird.
Die erste Ebene wird also durch das unabtrennliche Zusammen-
gehören von Bild und Abgebildetem konstituiert, das wir als epistemische
Relation bezeichnen wollen. Das Bild weist auf das Sein als Abgebildetes
hin, aber auch umgekehrt: jedes abgebildete Sein setzt das Bild voraus, in
dem es abgebildet wird. Die Relation ist zwar zweistellig, aber zugleich
wesentlich asymmetisch und sozusagen intransitiv. Das eine Glied, das
Sein als Abgebildetes, könnte an sich auch nicht abgebildet werden. Dem-
entgegen ist das Bild schon in sich gedoppelt: es setzt sich immer in einer
Selbstentzweiung, die darin besteht, aus sich selbst heraus und über sich
selbst hinaus zu gehen. »Das Bild aber setzt schlechthin durch sein We-
sen, und so gewiß es Bild ist, (...) ein zweites Glied außer ihn, ein Gebil-
detes. (...) Bild kann nicht allein sein: es, in seiner Einheit gesetzt, setzt
unmittelbar durch sein eignes Wesen eine Zweiheit« (TL II, 37).
Die »Zweiheit« wird unmittelbar gesetzt durch das eigene Wesen
des Bildes in »seiner Einheit«. Das heißt: die epistemische Relation von
Bild und Abgebildetem kann nur dadurch erfaßt werden, daß das Bild
nicht nur sein jeweiliges Abgebildetes, sondern auch sich selbst, und zwar
»in seiner Einheit«, zeigt. Es zeigt sich nämlich als Bild. Um die in die-
sem Als enthaltene eigene Einheit des Bildes verständlicher zu machen,
führt Fichte eine neue, sozusagen höhere Entzweiung ein. Bei jedem Bild
haben wir es nämlich immer mit zweierlei zu tun. Zum einen, und vorerst,
sehen wir ein einfaches Bild von Etwas. Fichte nennt es das Bild A. Dies
ist unsere erste Ebene der unmittelbar epistemischen Beziehung. Das Bild
A verweist immer nur auf etwas außer ihm und bleibt dabei vollständig
durchsichtig: es zeigt nicht sich selbst, sondern seinen Inhalt, das Abge-
bildete. Nun wäre diese epistemische Transparenz des Bildes unmöglich
(d. h. irgendwie auch unsichtbar), wenn sie sich zugleich als Selbsttrans-
parenz in demselben Bilde nicht gezeigt hätte. Darum muß jedes Bild auch
etwas mehr und etwas anderes in sich haben: »von demselben (dem Bilde
A) schlechthin unabtrennlich ist ein anderes Bild B, wodurch A verstan-
den wird, als Bild« (Ebd.).
Das Bild B ist auch eine Abbildung, nämlich des Bildes A. Aber
B verhält sich zu A anders als A zu seinem Abgebildeten. In B wird A
selbst in seinem einfachen Bildsein erfaßt, mithin als Bild dargestellt und
verstanden. Das Bild B »erhebt sich« also zu einer neuen Ebene, auf der
die epistemische Relation selbst, d. h. das unabtrennliche »Paar« von Bild
A und seinem Abgebildeten, als ein Ganzes erscheint. Anders als A, ist
demnach B kein Glied dieser Relation mehr, sondern deren Darstellung
Unendlichkeit und Schranke 63

qua Relation, oder genauer: deren Begriff. Freilich ist es der Begriff in
seiner ursprünglichen Form: er tritt auf als Anschauung, und zwar als »die
absolute Anschauung dieses Unterschiedes (...) zwischen dem Seyn selbst
und seinem bloßen Inhalte, ohne das Seyn« (Ebd.). Diese »absolut erken-
nende (intelektuelle) Anschauung« ist die des Unterschiedes von Sein und
Bild, und zwar durch beiderseitige Negation. Bild ist Nicht-Sein, und Sein
ist Nicht-Bild. Diese Differenz muß in jedem Bild sogleich erkennbar
sein, wenn das Bild als Bild verstanden werden soll. Darum spricht Fichte
von der absoluten Anschauung.
Darin besteht also die eigene Einheit des in A und B entzweiten
Bildes: B ist freilich von A verschieden, aber es stellt sich in A un-
mittelbar dar und kann als solches eben angeschaut werden. Nun ist
dasjenige, was hier dargestellt und angeschaut wird, offensichtlich nichts
anderes als diese Verschiedenheit von A und B selbst, der letzten Endes
die absolute Differenz von Sein und Bild zugrundeliegt. Die Verschieden-
heit, die Differenz, kann aber eigentlich weder dargestellt noch ange-
schaut, sondern nur begriffen werden. Es ist ja die Sache des Begreifens,
d. i. des Denkens und Verstehens, überhaupt zu unterscheiden, Unter-
schiedenes aufeinander zu beziehen und das Eine immer durch das Andere
zu erkennen. Darum bezeichnet Fichte dieselbe Einheit des Bildes, die er
zuvor »absolute« Anschauung genannt hatte, gleich danach als Urbegriff.
Wie verhält sich dieser »Urbegriff« zu jener »absoluten Anschau-
ung«? Offenbar so wie B zu A im Bilde überhaupt und so wie das Bild
überhaupt zu seinem Abgebildeten: als Einheit durch Differenz und
Entzweiung. Gerade darum ist er der Ur-Begriff, die reine und absolute
Form jedes Wissens und Verstehens. Was er bestimmt, ist die »absolute
Denkform«, als ursprüngliches Wissen vom »Unterschied des Seins und
Bildes«. Und damit erreichen wir – im dritten Schritt – die dritte Ebene
der Betrachtung. Das Bild erscheint hier in seinem innersten Wesen,
nämlich als unhintergehbare Bedingung und Form jedes Denkens und
Wissens. Die epistemische Relation Bild-Abgebildetes wird hier nicht nur
als solche erfaßt und verstanden (A und B, Bild als Bild), sondern auch
auf sich selbst bezogen und in dieser Selbstbezüglichkeit unmittelbar
dargestellt. Die Relation verdoppelt sich, sie wird zu einer Relation von
Relationen, oder genauer gesagt, sie wird dreistellig, nach dem grund-
legenden Modus des Darstellungsverhältnisses: Etwas wird durch etwas
Anderes in einem Dritten dargestellt. »Wir haben eigentlich ein Dreifa-
ches: zwei Bilder A und B – und eine höhere Einsicht, absolute Klarheit
und Evidenz des Unterschieds von Sein und Bild« (TL II, 35). Aus der
epistemischen Relation wird eine epistemologische. Das Wissen als Bild
64 Marek J. Siemek

erkennt sich in seiner sinnstiftenden und sinnverstehenden Bildlichkeit,


die sich selbst bildet. Es wird zum Bild des Bildes.
Als Hauptobjekt solcher epistemologischen Selbstbesinnung des
Wissens stellt sich nun der Sinn selbst dar. Und diese Selbstdarstellung
des sich-bildenden Sinnes ist es, was Fichte als Bild des Bildes zu erfassen
versucht.
»Intellektuelle Anschauung«, »Urbegriff«, »absolute Denkform«
– dies sind verschiedene Namen, unter denen diese epistemologische
Einsicht in die Randbedingungen des Sinnes bei Fichte auftritt. Sie bezieht
sich aber immer auf dasselbe: auf jenes Dritte, in dem das Eine durch das
Andere dargestellt – gebildet – wird. Denn jenes Dritte ist das Bilden
selbst: die sinnstiftenden Differenzierung zwischen dem Bild und seinem
Abgebildeten, dem Sein. Darum ist die Fichtesche »Denkform« als »Ein-
sicht des Unterschiedes zwischen dem Sein und dem Bilde« letzten Endes
eine Einsicht jenes reinen Durch. »Diese Einsicht, als weder Bild des
einen, noch des anderen, sondern Bild ihres Unterschiedes sowie ihrer
Gleichheit, ist (...) ein innerlich lebendiges Bilden, ein Durch jedes der
beiden durch das andere« (TL II, 33).
Das eigentliche Vermögen dieser sinnstiftenden und -verstehenden
Einsicht in das absolute »Durch«, das in der Form der Bildlichkeit waltet,
ist nun für Fichte der Verstand. Als lebendiges Bilden bringt der Verstand
alle Bilder hervor, und zwar dadurch, daß er sie als Bilder erst verständ-
lich macht. Anders gesagt: Im Verstand bildet sich das Bild des Bildes.
Das ist aber ein Begriff, und kein Bild mehr. Der Verstand ist das Vermö-
gen der Sinngebung und des Sinnverstehens.
So rekonstruiert Fichte die epistemologische Grundstruktur der
Bildlichkeit. Sie erweist sich als ursprüngliche, dem Wesen des Wissens
schlechthin innewohnende Entzweiung des Sinnbildens, das immer darin
besteht, ein Bild in seinem Sinn zu verstehen. Die beiden Glieder dieser
Zweiheit sind: Bild vom Sein (A) und Bild vom Bild (B). In der traditio-
nellen Terminologie: Anschauung und Begriff. Daß beide sich wechselsei-
tig voraussetzen, leuchtet ohne weiteres ein. Der Begriff, oder das Bild des
Bildes, wodurch ein unmittelbar Angeschautes als Bild verstanden wird,
setzt das einfache Bild des Seins voraus, als dasjenige, was überhaupt zu
verstehen ist. Aber auch umgekehrt: Jedes einfache Bild vom Sein, oder
die unmittelbare Anschauung, setzt das Bild des Bildes, oder den Begriff,
ebenso voraus. A kann als Bild nur insofern erkannt und verstanden
werden, inwiefern es ein Bild (und nicht Sein) schon von Anfang an
tatsächlich ist.
Unendlichkeit und Schranke 65

Mit A stellt sich also die eigentliche »Substanz« des Bildseins


dar: dasjenige nämlich, was Fichte als »Äußerung, absolutes fiens, Gene-
sis« (ebd.) bezeichnet. »Genesis, Bild. Genesis der Genesis, Bild und
Erkenntnis des Bildes« (TL II, 43). Als solche ist aber die Genesis immer-
hin ein »Factum«, kein ewiges und geschlossenes Sein. In A, dem einfa-
chen Bild vom Sein, das sich schon immer auf ein Abgebildetes bezieht,
kommt die »Anschauung, Hinschauung« zustande, die auf »ein Leben«
gerichtet ist (TL II, 46, Anm.). Nur darum hat A einen bestimmten qualita-
tiven Inhalt, es ist ein Bild von Etwas. Aber dieser Inhalt »müßte als
werdend und im Werden erscheinen, und angeschaut werden, in seinem
Bilde« (TL II, 48). Zum Wesen des Bildseins gehört also die Bewegung,
das Werden. Das Bild ist nur dadurch, daß es wird und sich im Werden
präsentiert. Durch das Faktum des Werdens entsteht also das Bild, als
gesetzt in der Äußerung dessen, was Fichte als Urbild bezeichnet. Es ist
das sich im Bilde äußernde Leben, das allein dem Bild seinen Gehalt
geben kann. Dieser unendliche Gehalt – die Qualität, die im Bild hinge-
schaut wird – schöpft sein Sosein aus dem unmittelbaren Erscheinen des
Seins und erscheint insofern als die Wahrheit im Wissen, oder die unmit-
telbare Offenbarung, die das Sein von sich gibt. Zugleich ist aber diese
unendliche Wahrheit nur in der einschränkenden Form der Anschauung,
im bildlichen Medium der Sichtbarkeit überhaupt zugänglich. Denn es ist
die Form und das Medium des Werdens, der unmittelbaren Genesis: ein
Sich-Machen der Einheit vermittelst des lebendigen Durch, das den Fluß
der Mannigfaltigkeit aufhält und in die Einheit des Bildes verwandelt. Der
absolute Gehalt der Erscheinung muß diese Form annehmen, wenn er
anschaubar sein soll; denn sie ist die Grundform der Bildlichkeit, in der
die Erscheinung sich selbst als äußernd anschaut.
Die beiden Dimensionen der Bildlichkeit, A und B oder Bild des
Seins und Bild des Bildes, sind demnach komplementär und ergänzen sich
gegenseitig im Wissen. In A wird ein Bild, sofern es durch die Faktizität
der ursprünglichen Äußerung des lebendigen Seins in seiner Unendlich-
keit gesetzt wird. In B wird es als Bild verstanden, indem es sich selbst
sieht, sich objektiviert, zum Bild seiner selbst wird, im Unterschied zu
dem von ihm gesetzten Sein. Ohne A ist B nur eine gehaltlose Form der
Bildlichkeit: eine leere Stelle, an der nichts geäußert und abgebildet wird.
Ohne B ist A kein sich selbst verstehendes Bild: das Quale der Äußerung,
das von der unmittelbaren Erscheinung des Seins selbst herstammt, wäre
unsichtbar und damit unverständlich, wenn sie nicht in die Form des
Werdens als Grundform des Bildseins überhaupt aufgenommen würde,
oder, was beim späten Fichte dasselbe bedeutet, in die Form der »Ichheit«.
66 Marek J. Siemek

Denn gerade hier liegt der eigentliche Ausgangspunkt für »genetisches


Entstehenlassen« der ichlichen Selbstbeziehung innerhalb des Wissens,
nämlich als absolute Form und notwendige Grundstruktur der »Erschei-
nung« selbst. Das im »Urbild« bestimmte Wesen der Erscheinung besteht
ja darin, daß ihr Quale, der Gehalt, zwar vom absoluten Sein kommt, aber
nicht in der Form des objektiven Seins, sondern in ihrer eigenen Form des
Bildes und des Begriffs seiner selbst auftritt: »in dem absoluten Mittelsein
des Bildens und Gebildeten, Verstehens und Verstandenen, ist seine
absolute Form« (TL II, 64).
Nun ist dieses »absolute Mittelsein« nichts anderes als die Er-
scheinung selbst, nämlich insofern sie zwischen dem Fluß des bildenden
Werdens und der Einheit des geschlossenen Bildes ständig schwebt und
sich selbst als solches erfaßt. Daß aber etwas nicht nur das Bild seiner
selbst ist, sondern auch ein Bild dieser bildlichen Beziehung zu sich selbst
hat, daß nicht nur das Werden der Erscheinung gebildet wird, sondern
auch daß eben sie, die Erscheinung, in diesem Werden das Werdende ist –
all dies kann eigentlich in keinem Bild dargestellt, »gebildet« werden.
Damit kommt Fichte zum Schlüsselpunkt seiner Epistemologie
der Bildlichkeit. »Das Sein der Erscheinung im Bilde reisst hier ab, und es
entsteht ein hiatus unzusammenhängenden Seins des Bildes. (...) Es findet
sich sonach hier ein nicht angeschautes Prinzip als Prinzip und Seinsgrund
einer Anschauung« (TL II, 75). Dieses Prinzip – das »Unbildbare« (ebd.)
als Bedingung der Bildform selbst – kann nur mittelbar, durch einen
Schluß erreicht werden, in dem eine Subsumtion der Anschauung oder des
Bildes unter das eigene Werden der Erscheinung stattfindet. Was auf diese
Weise entsteht, ist das eigenartige Bild der Identität des Anschauenden
und Angeschauten: »ein Bild dieses Verhältnisses der Erscheinung zu sich
selbst, ein eigentliches Ich, ein formales Bild der Erscheinung« (ebd.) Ein
»formales Bild« ist aber kein Bild mehr, sondern ein Bild des Bildes,
mithin ein Begriff, wodurch die im »Urbild« enthaltene Notwendigkeit des
Bildseins, alles, was es ist, im Bilde seiner selbst auszudrücken, als Gesetz
des Bildens erfaßt wird. Die »Ichheit« als selbstbezügliche Form der
Bildlichkeit ist nichts anderes als verdoppeltes Bild der gesetzmäßigen
Notwendigkeit, wonach jedes Gebildete angeschaut, d. i. ins einheitliche
System der »Bildwesen« aufgenommen werden kann.
Was besagt eigentlich dieses »unbildbare« Gesetz des möglichen
Bildens? Nicht mehr, als daß es die unhintergehbare Reflexivität ist, die
das Wesen des bildenden Wissens als solchen ausmacht. Und zwar in
beiden Beziehungen zugleich: zum einen auf das gebildete Sein, oder
jenes Etwas, das in jedem epistemischen Von-Etwas-Wissen unmittelbar
Unendlichkeit und Schranke 67

dargestellt wird, zum anderen aber auf das es immer negierende Nur-im-
Bild-Sein, das auf die epistemologische Relation der sich selbst ver-
stehenden Darstellung unausweichlich verweist. In der ersten Beziehung
muß das Wissen sein Gewußtes immer »an- und hinschauen«, d. h. es als
das »Leben«, das »absolute Sein«, das »Objekt« ausser sich selbst setzen,
ohne dabei sich als das Wissende direkt »hinzubilden« und damit anzu-
schauen. In der zweiten Beziehung stellt sich jedoch sogleich heraus, daß
jenes »Sein ausser dem Bilde« zugleich erscheinen muß, mithin wiederum
nur im Bilde möglich ist, oder: »das ausser muß sein ein innerliches
Ausser« (TL II, 79). Wenn das erscheinende Bild ein bloßer »Reflex« der
selbständigen und insofern nur »reflektierten« Objektivität ist, so ist die
»Erscheinung« oder das Wissen selbst immerhin das Reflektierende in
diesem Verhältnis. So gehört die Subjektivität als »Selbstheit« und »Ich-
heit« unabtrennlich zum »objektiven Sein« der Erscheinung, eben weil es
immer ein Bildsein ist.
Durch die selbstbezügliche »Ichform« wird also die Erscheinung,
die im Bild als »Reflex« des »Seins außer dem Bilde« auftritt, auch zum
»absolut notwendigen Reflex ihrer selbst«. Hier zeigt sich die unü-
berschreitbare Reflexivität des Wissens in ihrer ganzen Kreisstruktur.
Beide Reihen der reflexiven Darstellung, die dargestellte Folge des »Bil-
des aus dem Sein« sowie die darstellende des »Seins aus dem Bild«,
gehören zusammen und verweisen unaufhörlich aufeinander. Kein Wissen
ohne Gewußtes, jenes Etwas »ausser« der bildenden Schöpferkraft des
Denkens; aber auch kein Wissen ohne tätige Selbstbeziehung des Wissen-
den, ohne Setzen und Projizieren des »innerlichen Ausser«, ohne »frei
bildendes Prinzip« des Konstruierens, das selbst eine ursprüngliche »Kon-
struktion der Erscheinung: das Ich« ist (TL II, 102). Allerdings handelt es
sich zugleich immer um eine »Konstruktion des Unkonstruierbaren« (TL
II, 104), um ein Bilden aus dem »Unbildbaren« her, um Verknüpfung und
Vereinigung der notwendigerweise unter dem »Gesetz der Zweiheit« (TL
II, 95) stehenden Elemente des Wissens, kurz: um Überwindung eines
dem Wissen selbst innewohnenden hiatus zwischen dem unendlich leben-
digen »Seyn« als seinem Gewußten und der es immer einschränkenden
Form der »Ichheit« als seiner »bildenden« Erscheinung. So versucht
Fichtes transzendentale Epistemologie der Bildlichkeit das durchaus
paradoxe Phänomen des menschlichen Sinnbildens und Sinnverstehens
auf den Begriff zu bringen.
On Fichte and Idealism

Tom Rockmore (Pittsburgh)

Idealism of all kinds advances different approaches to the problem of


knowledge. Since Fichte claims to be a Kantian, and Kant claims to be an
idealist, my argument falls into three parts. In the first part, I argue that
Kantian idealism combines two very different representationalist and
constructivist lines of argument. In the second part, I argue that Fichtean
idealism is apparently representationalist but in fact constructivist. In the
third part, I examine the challenge to my argument posed by Fichte’s
Deduction of representation in the Grundlage der gesammten Wissen-
schaftslehre. I end by suggesting that nearly two centuries later, after the
defeat of foundationalism, Fichte’s constructivist form of idealism remains
astonishingly fresh.

Kant’s idealist position

After some two centuries of very close examination, one can say that
Kantian idealism remains mysterious. Like most commentators, I think
that theory of knowledge is central to the critical philosophy. Though Kant
is motivated by different concerns, such as the conditions of knowledge,
the objectivity of claims to know, and so on, his basic account of knowl-
edge is finally not coherent.
70 Tom Rockmore

For purposes of this paper, I will be drawing a distinction between


Kant’s initial formulation of the problem of knowledge in the important
Herz letter (1772) toward the beginning of the critical period and his
proposed solution to it in the Critique of Pure Reason. In the Herz letter,
Kant indicates his concern to analyze the relation of representation to
object (Vorstellung zum Gegenstand). In the Critique of Pure Reason,
where he provides a full statement of the critical philosophy, Kant pro-
poses what, though Kant does not use this term, is known as the Coperni-
can revolution in philosophy, or Copernican turn.
In analyzing the relation of a representation to an object, by object
Kant is presumably thinking not of tables and chairs as they are given in
experience, but rather of the mind-independent external world, also known
as metaphysical reality, or the way the world is. This suggests a basic
distinction between empirical objects, objects given in experience and
knowable, and non-empirical objects, such as things in themselves, if this
term takes a plural, or noumena, which can be objects of mind but are not
themselves given in experience. If this is correct, then an analysis of this
relation would tell us how phenomena, or experiential objects, function as
representations, or appearances with respect to such other objects.
This view finds abundant textual support throughout the first Cri-
tique and in the Prolegomena. In saying, for instance, that if we cannot
think things in themselves the result would be appearances without things
that appear,1 Kant is calling our attention to his belief that what he calls
representations in fact relate to mind-independent objects. This basic
dualist approach is very familiar in a wide variety of modern causal
theories of perception. It is the main theme in the new way of ideas in
which, beginning in the seventeenth century, changes in the meaning of
the word »idea« lead to numerous accounts of ways that the world influ-
ences the mind in producing ideas (in the mind) through which it can be
known.
Kant’s critical remarks in the first Critique on such predecessors
as Descartes, Locke, Leibniz and Berkeley should not obscure the deep
continuity, identified by his contemporaries as early as the initial reception
of this treatise, between Kant’s critical philosophy and theories of knowl-
edge based on the relation of ideas in the mind to the mind-independent
external world.2 One should not be misled by Kant’s substitution of

1 See Kant, Kritik der reinen Vernunft, B xxvif.


2 See Frederick Beiser, German Idealism: The Struggle Against Subjectivism, 1781-
1801, Cambridge 2002, chapter 6: »Kant and the Way of Ideas,« 132–147. Beiser fails to
On Fichte and Idealism 71

»representation« (Vorstellung) for »idea«. Kant and the proponents of the


new way of ideas share the concern to solve the problem of knowledge
through a representational theory. Both agree that knowing is basically a
question of providing a correct analysis of the relation of representations
to what they represent. A representationalist approach to knowledge
presupposes metaphysical realism, or the idea that to know is to know the
mind-independent external world as it is. Kant does not invent, but merely
restates this theme. The difference between Kant and, say, Plato is that the
latter claims that under certain circumstances some selected individuals
can directly perceive the real. Since Kant denies the possibility of a direct
grasp of the cognitive object, cognition requires that it in some way be
represented, hence representationalism.
A direct grasp of the cognitive object, which Plato features in the
Republic, is the first theory anyone is likely to think of. Kant famously
denies the very idea of a direct grasp of what is. Representationalism is a
second best theory. If representationalism is the second theory likely to
come to mind, then constructivism, Kant’s alternative to representationa-
lism, is no more than a third best theory, the approach to knowledge one
arrives at in rejecting both direct and indirect forms of metaphysical
realism, hence representationalism, as well as skepticism. Constructivism,
which is a modern doctrine, appears in such earlier modern thinkers as
Hobbes and Vico, at the time of Kant in Herder and W. von Humboldt,
and after him in such thinkers as Hegel, Marx, Cassirer, perhaps W.
Sellars, Fleck, Kuhn and others. Kant’s Copernican turn is intended to
suggest two important points. First, if the object is independent of the
subject, then, since there is no epistemological link to it, we cannot ex-
plain how cognition is possible. This argument counts against any form of
representationalism in suggesting there is no way to know that representa-
tions represent. To put the same point in different language, if access to
objects is only possible through representations there is no way to know
that they correctly do so, however correct representation is interpreted, or
even that they ever do so.
Kant’s Copernican turn, his second approach, arises out of his as-
sessment of the Polish astronomer’s crucial contribution to the rise of
modern science, which then became a fundamental theme in the critical

distinguish between Platonism, or the old way of ideas, and the modern tendency known as the
new way of ideas.
72 Tom Rockmore

philosophy.3 According to Kant, through the switch from a geocentric to a


heliocentric model of the solar system, Copernicus suggested a hypothesis
that Newton later proved. The key insight is Kant’s famous statement
about the possibility of making better progress in metaphysics, understood
as a theory of knowledge, in rejecting the idea that »cognition must con-
form to objects« in favor of the rival view that »objects must conform to
our cognition.«4 If the subject must in some way construct what it knows,
then constructivism points toward philosophical anthropology that devel-
oped in later German idealism. This runs against Kant’s clear commitment
to objective cognition which led him to make a distinction between the
psychological and the logical conditions of knowledge in adopting a
minimal conception of the subject reduced to its epistemological capaci-
ties. Constructivism suggests that the minimal condition for knowing an
object is that the knower construct what he knows. This doctrine is obvi-
ously more appealing than such weak claims as trusting God not to de-
ceive us, occasionalism, pre-established harmony, and other versions of
psychophysical dualism. The advantage of constructivism lies in plausibly
suggesting that objects are in effect transparent to mind, hence cognizable,
for the very reason that we construct them. What that means in Kant
remains mysterious. The closest he apparently comes to an answer is the
well known remark that about the schematism of the understanding as an
uncognizable art deep in the human soul.5 This is unsatisfactory since
Kant seems to be saying that knowledge turns on a cognitive capacity
which cannot be described. A main theme in the constructivist discussion
since that time lies in trying to find a coherent way to make sense of what
it means to construct what one knows.

Fichte in the Aenesidemus-Rezension on Kantian representation

In the wake of the appearance of the Critique of Pure Reasons, different


interpretations of the critical philosophy were proposed. Fichte’s position
grows out of his effort to provide the correct interpretation. His interpreta-
tion was accepted by the young Schelling and the young Hegel. Some of
Kant’s contemporaries, such as Schelling and Reinhold, were aware of

3 For the view that Kant knew little about and was not deeply interested in Coperni-
cus, see Hans Blumenberg, The Genesis of the Copernican World, translated by Robert M.
Wallace, Cambridge 1987.
4 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B xvi.
5 See Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 181.
On Fichte and Idealism 73

and interested in his Copernican turn. Reinhold’s Briefe über die Kan-
tische Philosophie began post-Kantian German idealism. There are several
passages in Reinhold’s writings on Kant that bear on the issue. In the first
installment of the Letters that appeared in August 1786, hence earlier than
the second edition of the Critique of Pure Reason, and could conceivably
even have influenced Kant, Reinhold links Kant with revolution6 and then
with Copernicus.7 This link is further developed by Schelling. He strongly
suggests in a paper written on the occasion of Kant’s death (1804), with-
out using the now canonical term, that Kant was indeed claiming to make
a Copernican turn.8
To the best of my knowledge Fichte never directly refers to
Kant’s Copernicanism. Nonetheless there is some evidence he was at-
tracted to a constructivist reading of the critical philosophy, especially in
the early Jena writings. In writings before Fichte leaves Jena, two passages
are particularly relevant to the argument I am making.
In the Aenesidemus-Rezension, where Fichte provides the initial
statement of his position, he clearly indicates his intention to base his
position on the concept of the subject. In his Elementar-Philosophie, as
Fichte points out, Reinhold argued that in consciousness it must be possi-
ble to distinguish the representation from both subject and object and
relate it to both. Fichte, who further notes that Aenesidemus (pseud.
Schulze) objects that an unambiguous interpretation of Reinhold’s claim is
not possible, goes on to argue, against Reinhold, that the first principle
cannot be a fact but must be an act. He endorses Aenesidemus’ objection
in noting the need to seek a new foundation for Reinhold’s principle. He
claims against Aenesidemus that it makes no sense to base our judgments
on something independent of our thinking, which is only a thought, and
that Kant never makes a claim of this kind. I take it that Fichte is here
rejecting a causal theory of perception as an explanatory basis for knowl-
edge. With this in mind, he writes: »Es ist ja eben das Geschäft der kri-
tischen Philosophie, zu zeigen, dass wir eines Ueberganges nicht bedür-

6 See K. L. Reinhold, »Briefe über die Kantische Philosophie«, in Teutscher


Merkur, August 1786, 124–125.
7 See Reinhold, »Briefe über die Kantische Philosophie«, 126.
8 Ȁhnlich wie seinem Landsmann Copernikus, der die Bewegung aus dem
Centrum in die Peripherie verlegte, kehrte er zuerst von Grund aus die Vorstellung um, nach
welcher das Subjekt unthätig und ruhig empfangend, der Gegenstand aber wirksam ist: eine
Umkehrung, die sich in alle Zweige des Wissens wie durch eine elektrische Wirkung fortleitete.«
»Immanuel Kant« (1804), in: Schellings Werke, edited by Manfred Schröter, Munich 1958, III,
599.
74 Tom Rockmore

fen; dass alles, was in unserm Gemüthe vorkommt, aus ihm selbst voll-
ständig zu erklären und zu begreifen ist.«9
The significance of this passage can be brought out through Fich-
te’s earlier remark that the absolute subject and the absolute object are not
given in empirical intuition, but posited by intellectual intuition. Fichte
holds that the determinations in us cannot be ascribed to the thing in itself
for three reasons. First, this would be to apply the category of causality to
the noumenon. Second, this would be to explain the contents of con-
sciousness other than on the basis of the mind itself. Third, Hume holds
out the possiblity of arguably surpassing the human mind, which the
critical philosophy soundly rejects. Understood in this way, it is difficult
to separate Fichte’s Kant from Berkeley. Now perhaps this is not an
accurate rendering of Kant’s position. There are arguably many passages
where he can be read as claiming that the mind-independent external
world affects us. What is important here is what Fichte attributes to Kant.
Fichte corrects Aenesidemus in contending that »die Vorstellung
[...] auf das Object bezogen [werde], wie die Wirkung auf ihre Ursache,
und auf das Subject, wie Accidens auf Substanz.«10 This line of argument
suggests an apparently causal theory of perception, in which the object can
be said to cause its representation in the subject. Yet this is not quite right,
since Fichte also says that it is impossible to think a thing independent of
intellect. Fichte responds to this difficulty in claiming that the thing is
self-constituted by its own representation, a discovery he explicitly credits
to Kant. Or to put the same apparently paradoxical point in other words,
the thing in itself, or whatever is not the subject, is only what it is in
relation to the subject. It follows that subjectivity does not depend on
objectivity, but rather objectivity depends on subjectivity.

Representation in the Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre

The upshot of this complex discussion of Aenesidemus’ critique of Rein-


hold lies in attributing a firm refusal of a causal theory of representation
on both Kantian and general grounds. Fichte’s reason is obvious. A repre-
sentational theory of knowledge depends on causality, also called the
principle of sufficient reason, to suggest that the object causes its repre-
sentation in the subject. This is a linear analysis of knowledge running

9 Fichtes Werke, edited by I. H. Fichte, Berlin, Walter de Gruyter, 1971, I, 15.


10 Fichtes Werke, I. 18.
On Fichte and Idealism 75

from object to subject and back again. Yet in understanding the object as
ultimately dependent on the subject, Fichte introduces a circular model of
knowledge in claiming that the thing affecting the subject is constituted or
constructed by it. This analysis has two consequences. First, Fichte attrib-
utes to Kant the denial of a representational theory of knowledge in favor
of a constructivist approach. This is problematic only in that it makes the
critical philosophy better than it is. There are many passages where Kant
straightforwardly appears to expound a representational, but not a con-
structivist view of knowledge. Second, it suggests that, if Fichte is a
Kantian, then he also holds a constructivist, but non-representationalist
approach to knowledge.
Fichte is a remarkably consistent thinker. In the Grundlage der
gesammten Wissenschaftslehre, following his breakthrough in the Aene-
sidemus-Rezension, he works out an analysis of knowledge from the
perspective of the subject. In his account of the three basic principles of
knowledge, he suggests objectivity should be understood through subjec-
tivity and not conversely. His account comes to a high point in § 6, where
Fichte argues that the striving after causality is derived from the subject’s
own law, which in turn provides for the influence of the object on the
subject in the absolute being of the subject, or self. This is, Fichte says, the
point of union between the subject as absolute, practical and infinite. With
this in mind, he writes: »Der letzte Grund aller Wirklichkeit für das Ich ist
demnach nach der Wissenschaftslehre eine ursprüngliche Wechselwirkung
zwischen dem Ich, und irgend Etwas ausser demselben, von welchem sich
weiter nichts sagen lässt, als dass es dem Ich völlig entgegengesetzt sein
muss.«11
This passage, which is not easy to interpret, sounds very much li-
ke a version of the critical philosophy without the representationalism
Kant urges in the Herz letter. Fichte is suggesting that we need to under-
stand reality as an original interaction between the subject and something
else, or something outside it, from the angle of vision of the subject. What
differs from the subject can neither be known nor represented as it is. In
understanding reality on the basis of itself, the subject transforms this
independent something precisely into something dependent on it. It fol-
lows, as Fichte notes, that critical idealism is a a real-idealism, or ideal-
realism. The real leads to the ideal, which in turn explains the real in an
unavoidable circle, which is constitutive of any position which thinks
through the problem raised in the critical philosophy. The result is a

11 Fichtes Werke I, 279.


76 Tom Rockmore

circular relation between ideality and reality. »Dies, dass der endliche
Geist notwendig etwas Absolutes ausser sich setzen muss (ein Ding an
sich) und dennoch von der andern Seite anerkennen muss, dass dasselbe
nur für ihn da sei (ein notwendiges Noumen sei), ist derjenige Zirkel, den
er in das Unendliche erweitern, aus welchem er aber nie herausgehen
kann.«12
In pointing to the necessary circle at the basis of critical idealism,
Fichte abandons representationalism. If a critical idealism depends on a
thing in itself it cannot know, which is meaningful for it only as its own
product, then mind-independent reality, the way the world is, simply
cannot be represented. Fichte should not be read as a representationalist,
as basing claims to know on the correct representation of the object, which
Kant recommends in the Herz letter, but as an anti-representationalist, as
giving up any form of the view that to know is correctly to represent what
we know in favor of the theory since everything, literally everything, is
explicable as a product of the subject’s activity.

Fichte’s Deduction of representation in the initial Wissenschaftslehre

One might object Fichte’s Deduction of representation in the Grundlage


der gesammten Wissenschaftslehre. Unquestionably Fichte presents such a
deduction. What we need to determine is how he understands »repre-
sentation« commits him to representationalism. In response, I will now
argue that Fichte uses »representation« in a way totally unlike the meta-
physical usage in the new way of ideas and in Kant’s critical philosophy.
According to Fichte, the possibility of representation depends on
attributing to the subject an absolute productive power. Fichte concludes
that since subject and object are united through the power of the imagina-
tion, the object loses its absolute character. This is the result of the theo-
retical principle that the subject is determined by the object. If representa-
tion is a causal theory of perception, then Fichte is claiming that the
subject is both determined and self-determining. From the point of view of
philosophy, the subject is self-determining; but from the perspective of life
it is determined by its surroundings. Fichte’s view of the subject accounts
for its being determined only by itself. To put the same point differently,
Fichte is dealing with, to use his term, two opposing trains of reflection:
the subject which is determined and the subject which is self-determining,

12 Fichtes Werke, I, 281.


On Fichte and Idealism 77

in which the second series is merely the reverse of the first. The union, or
unity of these two utterly opposed trains of reflection, viz. the objective
and the subjective, the real and the ideal, or again the fact of conscious-
ness and its philosophical explanation, can only be brought about through
the productive imagination. At the close of this difficult line of argument,
Fichte concludes »dass alle Realität — es versteht sich für uns, wie es
denn in einem System der Transzendentalphilosophie nicht anders ver-
standen werden soll — bloss durch die Einbildungskraft hervorgebracht
werde.«13
Fichte’s view on this point is both Kantian and non-Kantian. Kant
holds that what is real for the subject, hence intuitable by it, is constructed
by it as a condition of experience and knowledge of objects. Yet unlike,
say, the partisans of the new way of ideas, unlike Kant in his representa-
tionalist mode, Fichte is not saying that representation represents things in
themselves, or the way the world is. In fact, he clearly breaks on this point
with Kant’s formulation of the problem of knowledge as requiring an
analysis of how representations relate to metaphysical reality. On the
contrary, Fichte is saying that we represent no more than what we our-
selves construct through the productive imagination.
Fichte develops this novel view in his »Deduction of representa-
tion.« It would be tedious and unnecessary to reprise this lengthy passage
in detail. Suffice it to say that once again Fichte depicts the subject’s
activity as checked by something, which is self-produced. Here as before,
the subject is described as passive and active, and the difference between
subjectivity and objectivity is overcome through imagination. The plausi-
bility of this clearly Kantian claim does not lie in suggesting that we intuit
the mind-independent real. It rather lies in the idea that the subject and
object can be brought together in that the subject constructs its object
through the imagination. In pointing out that the subject is the source of
productive imagination and is also an intuitant, Fichte is saying very
clearly that we construct what we know.
This line of argument culminates in Fichte’s conclusion that the
subject is distinguished from, but the origin of, what it intuits and knows,
that understanding constructs our reality since imagination produces
human reality on the basis of something which pre-exists it, and which can
be encountered as an opposed activity, but which cannot be known. This
conclusion enables Fichte to work out a view of interdetermination in
which the subject is both determined by its object, hence passive, but also,

13 Fichtes Werke, I, 227.


78 Tom Rockmore

since it produces that object through the imagination, basically self-


determined. It follows that, as Fichte says, intuition is conditioned by the
intuited, but also that, as Fichte adds, the subject’s activity is an activity of
self-determination.
In introducing the concept of judgment, Fichte goes on to clarify
the activity of self-determination in the form of a determinate object
constructed in the imagination and intuited in cognition. His Kantian point
is that understanding determines judgment. He resolves the thorny prob-
lem of how it is possible for an absolute activity to oppose an objective
activity in postulating the ability to abstract from objects in general, which
he equates with reason itself. What is left when everything is thought
away is only the subject. The answer is, as Fichte points out, that in repre-
sentation there is a reciprocal relation between subject and object. But
since the cognitive object is ultimately due to the subject, the relation of
subject and object, or subjectivity and objectivity, is finally only a recipro-
cal relation of the subject to itself.

Conclusion: Fichte and Idealism

Although everyone knows that Fichte is a German idealist, nearly two


centuries after his death there is no agreement among scholars about the
meaning of »idealism« or even »German idealism.« After sketching the
difference between representationalism and constructivism in Kant, this
paper has examined Fichte’s view on two levels, in the very early »Aene-
sidemus-Rezension,« where he first begins to work out his position, and
later, in the initial version of the Wissenschaftslehre.
I have argued two points. First, Kant defends both representatio-
nalism and constructivism. Second, despite the continuity between Fichte
and Kant, Fichte rejects representationalism, understood as a strategy to
make out metaphysical realism, that is, to know the way the world is, in
favor of constructivism, or the claim that we finally only know what we
construct, that is, the empirically real.
This result is useful for understanding Fichte and post-Kantian
German idealism. As concerns representationalism, Kant is a Cartesian.
But Fichte, who is sometimes regarded as a Cartesian, is in fact an anti-
Cartesian, committed to an anti-Cartesian, constructivist approach to
knowledge. Though we do not know what »idealism« means, and there is
no idealism in general, in the German idealist tradition initiated by Kant
idealism encompasses both representationalism and constructivism. Re-
On Fichte and Idealism 79

presentationalism, which Plato already rejected long ago, is a failed


approach, since there is no way to show that a representation represents. In
abandoning representationalism for constructivism, Fichte chooses the
more interesting approach to knowledge, an approach which remains
important in the contemporary discussion.
Realismus oder Idealismus? – Irrealismus!

Sabine Ammon (Berlin)

Fichte hat in der Ersten Einleitung zum Versuch einer neuen Darstellung
der Wissenschaftslehre von 1797 ein Patt zwischen Idealismus und Rea-
lismus aufgezeigt, wenn es darum geht, die Voraussetzungen unserer
Erkenntnis zu klären – und er hat uns die Sehnsucht mitgegeben, dieses
Problem endlich zu überwinden. Die philosophisch unbefriedigende Situa-
tion wird ungelöst in die Philosophie des 20. Jahrhunderts hineingetragen:
die Debatte dreht sich weiter, nun unter sprachphilosophischen Vorzei-
chen. Von größtem Interesse sind daher Positionen, die eine Polarisierung
zwischen innerer Perspektive und einem Außen hinter sich lassen. Des-
halb soll im Zentrum meines Beitrags die Frage stehen, inwiefern es
möglich ist, die idealistisch-realistische Polarisierung zu überwinden, oder
ob wir uns mit dem von Fichte analysierten Gleichstand abfinden müssen.

1. Fichte: Realismus und Idealismus sind argumentativ nicht entscheidbar

In unserem alltäglichen Erleben stellt sich die Situation ganz unproblema-


tisch dar. Erfahrung, so ist man schnell bereit zuzugestehen, ist von zwei
Komponenten abhängig: zum einen von mir, als wahrnehmendem Subjekt,
und zum anderen von der Welt um mich herum. Das Subjekt nimmt wahr
und die Dinge der Außenwelt sind das, was wahrgenommen wird: zwei
Bereiche, die wechselseitig voneinander abhängig sind. »In der Er-
82 Sabine Ammon

fahrung«, so Fichte, »ist das Ding, dasjenige, welches unabhängig von


unserer Freiheit bestimmt seyn, und wornach unsere Erkenntniß sich
richten soll, und die Intelligenz, welche erkennen soll, unzertrennlich
verbunden.«1
Wird allerdings diese unmittelbare Ebene verlassen und nach der
Bedingung unserer Erkenntnis gefragt, finden sich eine Vielzahl wider-
streitender Theorien. Nur zwei jedoch sind nach Fichte haltbar: Entschei-
dend ist, welches Prinzip als grundlegend für die Erfahrung herangezogen
wird und was die Gültigkeit der Erfahrung garantiert. Im Idealismus wird
das Bewußtsein zur ersten Instanz, im Realismus das Ding an sich zum
Ursprung aller Erfahrung. Vermittelnde Positionen zwischen diesen
Extremen seien nicht möglich; in ihnen müßte eine Vermischung der
beiden Sphären des Bewußtseins und des Dinges an sich, also von Geist
und Materie, vorausgesetzt werden, was gemäß Fichte von vornherein
ausgeschlossen ist.2 So bleibt nur eine Entweder-Oder-Entscheidung.
Welcher Position aber ist der Vorzug zu geben? Dazu Fichte:
»Keines dieser beiden Systeme kann das entgegengesetzte direct widerle-
gen: denn ihr Streit ist ein Streit über das erste nicht weiter abzuleitende
Princip; jedes von beiden widerlegt, wenn ihm nur das seinige zugestan-
den wird, das des anderen; jedes läugnet dem entgegengesetzten alles ab,
und sie haben gar keinen Punkt gemein, von welchem aus sie sich einan-
der gegenseitig verständigen und sich vereinigen könnten. Wenn sie auch
über die Worte eines Satzes einig zu seyn scheinen, so nimmt jedes sie in
einem anderen Sinne.«3 Es ist ein Patt entstanden. Aus der jeweiligen
Position heraus ist die andere unsinnig, doch jedes System für sich ge-
nommen ist nicht widerlegbar: weder durch Überführung eines internen
Widerspruches noch durch den Nachweis eines Versagens des Beweiszie-
les. Aus dem Idealismus heraus scheint der Realismus einem Widerspruch
aufzusitzen: Der Mensch handelt frei, und doch muß der Logik des Rea-
lismus folgend, »alles, was in unserm Bewußtseyn vorkommt, Product
eines Dinges an sich«4 sein, somit determiniert. Der Realismus löst den
Widerspruch, indem er sich von der Freiheit verabschiedet: wir halten uns
zwar für frei, sind es aber nicht. Aus der Sicht des Realismus scheint der
Idealismus unfähig, Erkenntnis zu begründen, da er das Ding an sich

1 GA, I, 4, 188.
2 Obwohl Fichte in seiner Philosophie die durch Kant vollzogene erkenntnistheore-
tische Wende aufarbeitet, bedient er sich hier der älteren ontologischen Argumentation als
Ausgangspunkt.
3 GA, I, 4, 191.
4 GA, I, 4, 192.
Realismus oder Idealismus? – Irrealismus! 83

leugnet und damit sein eigenes Beweisziel nicht erreichen kann. Doch der
Idealismus findet im »Ich« eine neue Begründung von Erkenntnis und
kommt somit ohne das Ding an sich aus.
Das Ergebnis der Untersuchung lautet daher: Idealismus und Rea-
lismus sind jeweils konsistent, aber miteinander unvereinbar, eine Ent-
scheidung für oder gegen eine der beiden Positionen läßt sich auf argu-
mentativem Wege nicht erzwingen. Sie fällt letztlich aufgrund der eigenen
Lebenseinstellung, abhängig davon, welche Prämissen man bereit ist
zuzugestehen und welche Konsequenzen man in Kauf nimmt. Fichte hat
diese Einsicht in berühmte Worte gefaßt: »Was für eine Philosophie man
wähle, hängt ... davon ab, was man für ein Mensch ist: denn ein philoso-
phisches System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder
annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die
Seele des Menschen, der es hat.«5 Fichtes Erörterung bleibt an diesem
Punkt nicht stehen. Er wird im weiteren Verlauf Gründe finden, warum
der Idealismus letztlich aus philosophischen Überlegungen heraus trium-
phieren muß.
Auch wenn damit die Entscheidung zugunsten des Idealismus ge-
fallen ist, bleibt der Gegensatz Realismus-Idealismus Thema der Philoso-
phie Fichtes. Bereits in der ersten Fassung der Wissenschaftslehre wird
deutlich, daß sich in der internen Perspektive des Idealismus die Gegenpo-
sitionen neu arrangieren lassen. In einem übergeordneten Idealismus
bilden Idealismus und Realismus zwei voneinander abhängige Perspekti-
ven, zwei Seiten einer Medaille. Zwar kann Fichte auf diese Weise inner-
halb des übergeordneten Idealismus die Entgegensetzung von Idealismus
und Realismus überwinden, die Entscheidung für den Idealismus aber
muß im Voraus fallen – und damit bleibt die widersprüchliche Ausgangs-
situation bestehen.

2. Carnap: Die Lösung des Problems

1928 ist das Problem gelöst. Der Streit um Realismus und Idealismus wird
von Carnap als Scheinproblem entlarvt. Carnap setzt zu einem großen
Befreiungsschlag an, als er erklärt: »Die Thesen des Realismus und des
Idealismus können in der Wissenschaft weder aufgestellt noch widerlegt
werden; sie haben keinen wissenschaftlichen Sinn. ... Was in den Schein-
thesen des Realismus und des Idealismus zum Ausdruck kommt, ist nicht

5 GA, I, 4, 195.
84 Sabine Ammon

der theoretische Gehalt einer wissenschaftlich möglichen Aussage, son-


dern nur begleitende Gegenstandsvorstellungen; in diesen drückt sich
vielleicht eine lebenspraktische Einstellung aus.«6 Sinnvolle Aussagen
und Thesen über die Welt sind allein solche, die an der Erfahrung über-
prüft werden können. Kriterium hierfür ist die Sachhaltigkeit. Sie ist
erfüllt, wenn die empirischen Bedingungen angegeben werden können,
unter denen die Aussage bestätigt oder widerlegt werden kann. Was
verifizierbar ist, ist sinnvoll, alles andere sinnlos.
Fragen nach der empirischen Realität sind demnach immer sinn-
voll. Zwei Landvermesser, der eine Realist, der andere Idealist, kommen
beide zu dem gleichen wissenschaftlichen Ergebnis, wenn geklärt werden
muß, ob ein sagenumwobener Berg in Afrika wirklich existiert oder nur
der Legende nach.7 Solange sich die Aussagen auf die Erfahrung be-
schränken, stimmen die Befunde überein. Wird allerdings die Ebene der
erfahrbaren Realität verlassen, kommt es zu unüberwindbaren Auseinan-
dersetzungen, die durch kein Kriterium bestätigt oder abgewiesen werden
können. Wollen wir die Voraussetzung der Erkenntnis erhellen, dann
stellen sich schwerwiegende Probleme ein.
Worauf schon Fichte hingewiesen hatte, macht Carnap noch ein-
mal mit allem Nachdruck deutlich: Auf der Ebene der empirischen Wirk-
lichkeit gibt es keinen Widerspruch zwischen Realismus und Idealismus.
»Die sogenannten erkenntnistheoretischen Richtungen ...«, schreibt Car-
nap in Der logische Aufbau der Welt, »stimmen innerhalb des Gebietes
der Erkenntnistheorie überein. ... Sie divergieren erst im metaphysischen
Gebiet, also (wenn sie erkenntnistheoretische Richtungen sein sollen) nur
infolge einer Grenzüberschreitung.«8 Indem wir nach den metaphysischen
Hintergründen fragen, wird die Grenze des sinnvoll Sagbaren überschrit-
ten. Es sind die falschen Fragen, die uns über diese Grenze treiben. Hören
wir auf, die falschen Fragen zu stellen, dann verschwinden auch unsere
Probleme.
Doch Carnaps Lösung bewährt sich nur für kurze Zeit. Die Hoff-
nung, mit der sprachphilosophischen Erneuerung lästige Probleme der
Philosophie aus dem Weg geräumt zu haben, zerschlägt sich bald. Durch
die zunehmende Kritik am empiristischen Sinnkriterium wird deutlich,
daß das Verhältnis von Sprache und Welt alles andere als unproblematisch
ist. Das Verifikationsprinzip beruht auf der Korrelation von Aussagen mit

6 Carnap, R.: Scheinprobleme in der Philosophie, [1928] Frankfurt/M.: 1966, 77f.


7 ebd., 62.
8 Carnap, R.: Der logische Aufbau der Welt, [1928] Hamburg: 1998, 250.
Realismus oder Idealismus? – Irrealismus! 85

der Erfahrung. Es zeigt sich, daß ein Großteil der Sprache überhaupt nicht
direkt an der Welt überprüft werden kann – nicht nur jener Teil, der als
metaphysisch aussortiert werden soll, sondern auch wichtige Bestandteile
der Wissenschaften, die auf den ersten Blick nicht unter dem Verdacht der
Sinnlosigkeit stehen: die Palette reicht von Gesetzen, Materialkonstanten
und Dispositionsprädikaten über theoretische Begriffe bis hin zu einem
einschlägigen Hintergrundwissen, in das jede Aussage eingebettet ist.9

3. Realismus und Idealismus nach der sprachphilosophischen Wende

Der Versuch, wissenschaftliche Aussagen an der Erfahrung zu prüfen, hat


gezeigt, in welch hohem Maße Wissenschaft und sprachliches Wissen
selbst voraussetzungsreich sind. Mit der Suche nach diesen Voraussetzun-
gen sickern in die Philosophie auch wieder metaphysische Fragestellungen
ein. Inwieweit bedingt Welt die Sprache? Welchen Einfluß hat die Spra-
che auf die Welt? Wird die Welt in irgendeiner Form von der Sprache
konstituiert? Die Frage nach der erkenntnistheoretischen Priorität läßt die
alten Fronten aufleben: Realismus und Idealismus erscheinen nun unter
sprachphilosophischen Rahmenbedingungen.
Die Einsicht in den Zusammenhang von Sprache und Erkenntnis
führt zu einer Verlagerung der Betrachtung: die Gegenüberstellung ver-
schiebt sich von Welt und Bewußtsein hin zu Welt und Sprache. Das hat
einen entscheidenden Vorteil: Das Problem des Subjektivismus, das sich
jeder Position stellt, die aus einer inneren Perspektive heraus arbeitet, ist
von vornherein gebannt. Fichte muß mit dem »Ich« als transzendentalem
Subjekt operieren: voraussetzungsreiche Annahmen, die wiederholt
drohen, seinen Ansatz zu sprengen. Sprache aber ist immer schon gelebt
und praktiziert. Durch die notwendige Kommunikation hat sich in der
Sprachgemeinschaft eine gemeinsam geteilte Praxis herausgebildet.
Resultat ist ein Gebilde, dessen Intersubjektivität durch den gemeinsamen
Diskurs bereits legitimiert ist.
Trotz dieser wichtigen Veränderungen hat sich an der grundsätz-
lichen Konfrontation nicht viel geändert. Wieder gibt es ein Patt zwischen
den gegensätzlichen Positionen. Auslöser für die neuerliche Debatte ist
das Problem der Bedeutungsfestlegung. Realistische Positionen gehen von
einer sprachlich unabhängigen Realität aus. Sie hat erkenntnismäßige
Priorität, Sprache bildet lediglich ihre Strukturen ab – überprüft durch

9 Poser, H.: Wissenschaftstheorie, Stuttgart: 2001, 90ff.


86 Sabine Ammon

Korrespondenzprinzipien. Auf welche Weise sich aber der Kontakt zur


Sprache gestaltet, wird zum unlösbaren Problem des Realismus. Um zu
zeigen, wie der »weltliche«, der empirische Gehalt in die Sprache kommt,
wie Bedeutung und Referenz festgelegt werden können, muß auf sprachli-
che Voraussetzungen zurückgegriffen werden. Doch damit ist die konse-
quent realistische Position bereits verlassen. Die idealistische Gegenposi-
tion arbeitet stattdessen von der Situation innerhalb des Sprachsystems
aus. Wer allerdings die Sprache zum erkenntnistheoretischen Ausgangs-
punkt macht, muß klären, wie die Richtigkeit sprachlicher Aussagen und
Bedeutungen gewährleistet wird. Aus Kommunikation und anderen
Prinzipien kann zwar Kohärenz und Konsens entstehen, aber die Wahrheit
der Aussagen ist auf diese Weise nicht garantiert. Der Ausweg aus Belie-
bigkeit und Willkür liegt in dem Zugeständnis eines zugrundeliegenden
»Etwas«, das durch die Sprache strukturiert wird. Aber damit ist auch die
idealistische Position verlassen.
Mit diesen Problemen beladen, formieren sich die Lager neu. Die
Etiketten heißen diesmal Realismus und Anti-Realismus. Doch was der
historische Blick bereits gezeigt hat, bestätigt die neuerliche Debatte.10
Innerhalb der Dichotomie Idealismus – Realismus gibt es kein Fortkom-
men. Interessant werden daher Positionen, die ein Ende der Polarisierung
fordern und für ihre eigene Philosophie eine Überwindung des tiefen
Grabens reklamieren. Nelson Goodman ist hier neben einigen anderen zu
nennen. Deshalb soll im folgenden exemplarisch seine Position untersucht
werden.

4. Goodmans Konstruktivismus

»Der Gebrauch von Symbolen erzeugt Welten«, so könnte man die zentra-
le These aus Nelson Goodmans Spätwerk zusammenfassen, die er in dem
Buch Weisen der Welterzeugung von 1978 ausarbeitet. Welt wird als
Beziehungen zwischen Symbolen gedeutet, welche im Gebrauch etabliert
werden. Die Symbolisierungsleistung wird damit zu einem aktiven Prozeß
und die Welt eine konstruierte. Dem Symbol kommt hierbei eine Schlüs-
selrolle zu. Symbol kann alles sein: weit über die Sprache hinaus konstitu-

10 Abel, G.: Realismus (Analytische Philosophie), in: J. Ritter, K. Gründer (Hrsg.):


Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, Basel: 1992, Sp. 162 – 169; Willaschek, M.:
Einleitung: Die neuere Realismusdebatte in der analytischen Philosophie, in: ders. (Hrsg.):
Realismus, Paderborn: 2000.
Realismus oder Idealismus? – Irrealismus! 87

ieren Symbole die Wissenschaften ebenso wie die Künste, sie sind Wort
ebenso wie Bild, Gegenstand wie Ereignis, ephemerer Klang wie manife-
stes Material. Symbole können in verschiedenen Funktionen auftreten und
unterscheiden sich dadurch in der Art ihrer Bezugnahme, in der Art, wie
sie aufeinander und auf die Welt verweisen. Es entsteht ein Geflecht aus
Bezugnahmen, ein Symbolsystem. Und über dieses System wird Welt
gestaltet, geformt, schematisiert, kategorisiert.
Welten sind also nicht einfach gegeben, sondern sie müssen ge-
macht werden. Welt muß sich angeeignet und erschlossen werden, im
Suchen und Finden vollzieht sich die Welterzeugung. Mit Hilfe von
Symbolprozessen wird getestet und ausprobiert. Zeichen werden zueinan-
der ins Verhältnis gesetzt, in bestehende Systeme eingebunden und auf
bestimmte Bereiche angewendet. Zu den Konstruktionsprozessen zählen
Komposition und Dekomposition, die durch Zerlegung, Analysieren auf
der einen Seite und Zusammensetzen, Verbindung von Eigenschaften,
Herstellen von Verknüpfungen auf der anderen Seite bei der Festlegung
von Entitäten mitwirken. Gewichtung und Ordnen steuern, welche Arten
als die relevanten auftreten. Wenn Dinge übersehen oder hinzugefügt
werden, sind Tilgung und Ergänzung im Spiel. Unter Deformation
schließlich fallen Veränderungen, die etwas Gegebenes stark korrigieren
oder verzerren.
Der konstruktivistische Charakter der Symbolbeziehungen macht
deutlich, daß die Vorstellung von der einen Welt aufzugeben ist. Welt gibt
es nur in einer vermittelten Form über Symbolsysteme. Alles, was ist,
entsteht erst durch Symbolprozesse – die rohe, unbearbeitete Welt ist
unerreichbar. Die vielen korrekten Symbolsysteme, die sich konstruieren
lassen, sind die Weisen der Welt.11 Um aber aus der pluralistischen Welt-
erzeugung nicht eine beliebige werden zu lassen, sind Kriterien der Rich-
tigkeit von entscheidender Bedeutung. Da der Weg zu einer Welt-an-sich
im Konstruktivismus systematisch abgeschnitten ist, entfällt die Möglich-
keit, über Korrespondenz die Richtigkeit von Zeichen oder Zeichenkom-
plexen zu entscheiden. Aus diesem Grund kommt dem Kontext des Sym-
bols, des umgebenden Symbolsystems, eine tragende Rolle zu.
Soll ein Symbol oder ein Symbolkomplex neu eingeführt werden,
ist seine Wirkung am bestehenden System zu testen. Das Symbol wird
probeweise eingefügt mit dem Ziel, es zum Passen zu bringen. Unter
Passen darf man sich allerdings kein passives Einpassen vorstellen; es ist

11 Goodman, N.: Languages of Art – An Approach to a Theory of Symbols, Indiana-


polis: 1968, deutsch: Sprachen der Kunst: Entwurf einer Symboltheorie, Frankfurt/M.: 21998, 18f.
88 Sabine Ammon

ein aktiver, modifizierender Prozeß: Das Passen wird erzeugt.12 Das


bedeutet, daß sowohl Symbol als auch Umfeld Veränderungen durchlau-
fen, bis sie aufeinander abgestimmt sind. Die Veränderungen des beste-
henden Gefüges können dabei so stark sein, daß es einer Revision des
gesamten Symbolsystems gleichkommt. Wurde ein Symbol erfolgreich
eingepaßt, zeigt sich das an der veränderten Wirkung des gesamten Sy-
stems. Lassen sich mit der Übernahme neue Einsichten gewinnen, werden
Probleme plötzlich lösbar oder ergeben sich gewünschte Anwendungen,
hat sich ein tieferes Begreifen und Verstehen eingestellt. Ein neues richti-
ges Symbolsystem ist entstanden – und damit eine neue Welt.

5. Der Irrealismus in der Selbstaussage

Soweit der kurze Blick auf die Welterzeugung Goodmans. Wie ist diese
Position nun einzuordnen? Goodman sagt von sich: »Ich bin ein Anti-
Realist und ein Anti-Idealist – also ein Irrealist.«13 Er beansprucht eine
Position, die weder dem Realismus, noch dem Idealismus zuzuordnen ist.
Irrealismus, das bedeutet einerseits eine Abgrenzung vom Realismus,
andererseits aber keine positive Festlegung auf eine andere Position. Was
also ist darunter zu verstehen? Goodman weist gängige Einordnungsver-
suche in Realismus, Idealismus, Empirismus und Rationalismus zurück
und entwickelt seine Position des Irrealismus, die er allerdings nicht als
eine weitere Doktrin verstanden wissen will. Irrealismus soll vielmehr
eine gewisse Gleichgültigkeit zum Ausdruck bringen, die die zugrundelie-
genden Differenzen dieser Richtungen weniger wichtig nimmt.
Interessant ist für Goodman vielmehr, wie unsere Welten gebaut
sind. »Laßt uns die Weisen betrachten, wie wir arbeiten, die Instrumente,
die wir verwenden und die unterschiedlichen und faszinierenden Ergeb-
nisse.«14 Idealismus und Realismus sieht Goodman nur als zwei Extreme,
als Konvention auf der einen Seite und Inhalt auf der anderen. Wo aber
die Grenze gezogen wird, sei zufällig und variabel. So kann er auf die
Frage nach der Weise des Gegebenen nur antworten: »Die Antwort auf
solche Fragen, die in der philosophischen Literatur ausführlich diskutiert
werden, ist nach meiner Vermutung ein kräftiges Ja und ein kräftiges

12 Goodman, N., Elgin, Catherine Z.: Reconceptions in Philosophy and Other Arts
and Sciences, Indianapolis: 1988, deutsch: Revisionen: Philosophie und andere Künste und
Wissenschaften, Frankfurt/M.: 1993, 208.
13 Goodman, N.: Of Mind and Other Matters, Cambridge, MA: 1984, vii, e.Ü.
14 ebd., 43, e. Ü.
Realismus oder Idealismus? – Irrealismus! 89

Nein. Der Realist wird sich der Folgerung widersetzen, daß es keine Welt
gibt; der Idealist wird sich der Folgerung widersetzen, daß alle konfligie-
renden Versionen verschiedene Welten beschreiben. Was mich betrifft, so
finde ich diese Ansichten gleichermaßen reizvoll und beklagenswert –
denn schließlich ist der Unterschied zwischen ihnen rein konventionell! In
der Praxis freilich ziehen wir die Grenze nach unserem Belieben und
ändern sie ebenso häufig, wie es zu unseren Zwecken paßt.«15
Ist dies endlich die Überwindung der jahrhundertealten erkennt-
nistheoretischen Probleme? Wie konsequent ist die Position Goodmans?
Rekonstruiert man das Argument Goodmans, sieht es folgendermaßen aus:
Zentrale Prämisse ist die »Einsicht«, daß die Welt durch Zeichenprozesse
und Symbolsysteme konstituiert ist. Damit ist die konstruierte Welt alles,
was uns vorliegt und was wir untersuchen können – auf diese Perspektive
sind wir als Sprachteilnehmer, genauer: als Teilnehmer an den Symbolsy-
stemen, beschränkt. Aus dieser Perspektive heraus ist es unmöglich,
sinnvolle Aussagen über das Verhältnis von Konstruktion zu »wirklicher«
Welt, zur Welt-an-sich zu verfassen. Die konstruktiven Voraussetzungen
verhindern, die Gewichtung von Konvention und Inhalt zu klären, die in
ihren äußersten Polen Idealismus und Realismus verkörpern. Also wird
die Grenzziehung abhängig von dem, was wir sagen wollen. Die Grenze
wird unscharf und verwischt.

6. Innere Perspektive und kantische Inspiration

Hat Goodman mit dieser Argumentation tatsächlich die Dichotomie


Idealismus – Realismus überwunden? Hat er mit seinem Ansatz zurück
zur Gleichgültigkeit bezüglich erkenntnistheoretischer Problemstellungen
gefunden, wie sie erstmals Carnap aufgezeigt hat? Goodman verdrängt in
seiner Argumentation, daß auch seine Annahmen auf erkenntnistheoreti-
schen Voraussetzungen beruhen – die keinesfalls ohne Folgen bleiben.
Goodman hat immer wieder seine Nähe zu Kant betont, sei es in
Vergleichen oder Anspielungen. Was ihn mit Kant verbindet, deutet er im
Vorwort zu Weisen der Welterzeugung nicht unbescheiden an: »Gleich-
wohl glaube ich, daß dieses Buch zur Hauptströmung der modernen
Philosophie gehört, die damit begann, daß Kant die Struktur der Welt
durch die Struktur des Geistes ersetzte, in deren Fortführung C.I. Lewis

15 Goodman, N: Ways of Worldmaking, Indianapolis: 1978, deutsch: Weisen der


Welterzeugung, Frankfurt/M: 41998, 145f.
90 Sabine Ammon

die Struktur der Begriffe an die Stelle der Struktur des Geistes treten ließ,
und die nun schließlich dahin gekommen ist, die Struktur der Begriffe
durch die Strukturen der verschiedenen Symbolsysteme der Wissenschaf-
ten, der Philosophie, der Künste, der Wahrnehmung und der alltäglichen
Rede zu setzen.«16 Gemeinsam ist Goodman und Kant die Reflexion über
das, was das Erkennen und Erleben der Welt ermöglicht, der Abschied
vom ungehinderten Zugang zur Welt-an-sich. Ins Blickfeld geraten die
vielfältigen Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, bevor überhaupt
Welt erfahren werden kann.
Betrachtet man den Konstruktionsvorgang genauer, liegen hier
aber auch die Unterschiede zu Kant. Bei Goodman werden die Vor-
aussetzungen der Konstruktionsleistung nicht mehr über ein transzen-
dentales Subjekt gerechtfertigt. Die neuen Erkenntnisse nach der sprach-
philosophischen Wende verlangen eine andere Erklärung. Aus der kanti-
schen Kategorienlehre, aus Raum und Zeit ist die weltbildende Kraft der
Symbolsysteme geworden. Ihre Strukturierungsleistungen bestimmen
unsere gelebte Welt. Von unserer erkenntnistheoretischen Perspektive aus
sind wir immer auf konstruierte, bereits strukturierte Welten beschränkt.
»Die Rede von einem unstrukturierten Inhalt, begriffslos Gegebenen oder
eigenschaftslosen Substrat widerlegt sich selbst; denn Rede gibt Struktu-
ren vor, bildet Begriffe, schreibt Eigenschaften zu.«17 Damit werden
Aussagen sinnlos, die klären wollen, ob oder wie viele Welten-an-sich
zugrunde liegen. »Doch was ist es, das so organisiert wird? Wenn wir alle
Unterschiede zwischen den Weisen, es zu beschreiben, als Schichten der
Konvention abstreifen, was bleibt übrig? Die Zwiebel wird geschält bis
auf den leeren Kern.«18 Im Streit um eine Welt-an-sich gibt sich Goodman
daher leidenschaftslos: »Wenn man auch die zugrunde liegende Welt
jenseits dieser Versionen gegenüber denen, die daran hängen, nicht abzu-
streiten braucht, ist diese Welt vielleicht doch eine ganz und gar verlore-
ne.«19
Damit ist deutlich geworden, daß Goodman konsequent aus einer
innersystemischen Perspektive heraus argumentiert. Statt erkenntnistheo-
retische Fragestellungen hinter sich zu lassen, sind diese Annahmen
Voraussetzung für seine Argumentationsführung. Ist also der Irrealist
nichts anderes als ein Idealist im sprachphilosophischen Gewandt? In ihrer

16 Goodman, Weisen der Welterzeugung, 10.


17 ebd., 19.
18 ebd., 144.
19 ebd., 16.
Realismus oder Idealismus? – Irrealismus! 91

innersystemischen Perspektive gleichen sich Fichte und Goodman. Beide


können aus dieser Position heraus bequem mit Idealismus und Realismus
umgehen. Fichte baut in seinem System auf die Entgegensetzung von
Idealismus und Realismus, die dann in einem höheren Idealismus über-
wunden wird. Bei Goodman kommt es zur scheinbaren Überwindung des
Gegensatzes von Idealismus und Realismus. »Die Grenze verwischt«; –
auch wenn er sich nicht vollständig von einer Grenze löst, kann Goodman
auf dieser Ebene die Aufhebung der Polarisierung feststellen.
Doch auf der zugrundeliegenden erkenntnistheoretischen Per-
spektive bleibt der Gegensatz »intern« versus »extern« erhalten. Die
interne erkenntnistheoretische Perspektive bleibt immer extern bezogen –
und sei es nur, um etwas als unmöglich zu erklären und eine Grenzziehung
vornehmen zu können. So kann auch Goodman letztlich nicht die lang
ersehnte Überwindung von Idealismus und Realismus erreichen. Denn
diesem Disput liegt das wesentlich fundamentalere Bild der Zweiteilung
der Erkenntnisvoraussetzung zugrunde. Dieser Gegensatz aber ist der
eigentliche Nährboden des Konflikts – der Idealismus macht das »Interne«
zum ersten Erkenntnisprinzip, der Realismus das »Externe«.

7. Das unüberwundene Bild von Intern und Extern

So stellt sich am Ende das Ergebnis der Analyse dar. Auch unter sprach-
philosophisch veränderten Bedingungen, befreit von Dualismus und
Bewußtsein, gelingt es Goodman nicht, die Konfrontation von Idealismus
und Realismus zu überwinden. Müssen wir uns also auf eine ewige Wie-
derkehr dieser Problematik gefaßt machen? Um die immer wiederkehren-
den Fragen nach den erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, verkörpert
als Idealismus und Realismus, zum Verstummen zu bringen, reicht es
nicht – wie Carnap es getan hat – die Fragen als unzulässig zu erklären.
Nicht erst das Bedürfnis nach diesen Fragen aufkommen lassen, hieße,
sich von einem erfolgreichen Paradigma der Philosophie verabschieden:
der Aufteilung der Voraussetzungen der Erkenntnis in interne und externe.
Doch diese Voraussetzungen, die in die Zweiteilung einer Innen-
welt und einer Außenwelt münden, sind tief in der Philosophie verwurzelt.
»Merke auf dich selbst:« rät Fichte, »kehre deinen Blick von allem, was
dich umgibt, ab, und in dein Inneres; ist die erste Forderung, welche die
Philosophie an ihren Lehrling thut. Es ist von nichts, was außer dir ist, die
92 Sabine Ammon

Rede, sondern lediglich von dir selbst.«20 Solange der in sich gekehrte
Denker, selbstversunken, ganz bei sich, das Ausgangsbild jedes Philoso-
phierens bleibt, werden wir die Kluft der neuzeitlichen Philosophie nicht
überwinden können, die Kluft zwischen dem philosophierenden Bewußt-
sein oder dem Sprachteilnehmer und der Außenwelt.

20 GA, I, 4, 186.
Der Begriff des Übersinnlichen in der Philosophie
Fichtes

Akira Omine (Kyoto)

1.

Das vorliegende Referat unternimmt den Versuch, die Entwicklung von


Fichtes Begriff des Übersinnlichen anhand seiner Spätschriften zu verfol-
gen.
In Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806) sagt Fichte:

»Die religiöse Ansicht kann sich daher nie aus der blossen Beob-
achtung der Welt erzeugen, indem sie ja vielmehr in der sich uns
aufdringenden Maxime besteht: die gesammte Welt und alles Le-
ben in der Zeit gar nicht für das wahre und eigentliche Daseyn gel-
ten zu lassen, sondern noch ein anderes, höheres Daseyn jenseits
der Welt anzunehmen. […] Kurz, nicht das blosse Wahrnehmen,
sondern das Denken aus sich selber heraus ist das erste Element der
Religion. Mit dem bekannten Ausdruck der Schule: Metaphysik, zu
Deutsch: Uebersinnliches, ist das Element der Religion. Vom An-
beginn der Welt an bis auf diesen Tag war die Religion, in welcher
Gestalt sie auch erscheinen mochte, Metaphysik; und wer die Me-
taphysik, lateinisch: alles Apriori, – verachtet und verspottet, der
weiss entweder gar nicht, was er will, oder er verachtet und ver-
spottet die Religion.« (SW/VII, 241)
94 Akira Omine

Was Fichte hier »Metaphysik« nennt, ist nicht die in der westlichen
Philosophiegeschichte mit Aristoteles begonnene wissenschaftliche Erör-
terung des Seins des Seienden. Fichte meint nicht die Meisterschaft im
systematisch theoretischen Denken und Wissen. Fichte meint mit »Meta-
physik« vielmehr das grundlegende geistige Erwachen des Menschen zu
dem Leben als solchem, das wir hier und jetzt immer schon leben. In der
Zeit und sinnlichen Welt nicht über alltägliche oder philosophische Dinge
zu diskutieren und sich stattdessen dem die Zeit transzendierenden Ȇber-
sinnlichen« auszuliefern, nur das ist »Metaphysik«. Zu beachten ist, daß in
dem angeführten Zitat die Worte »Metaphysik« und »das Übersinnliche«
in der gleichen Bedeutung gebraucht werden. Für Fichte ist »Metaphysik«
nicht, wie mit diesem Wort gewöhnlich angenommen wird, menschliches
Denken über das »Übersinnliche«. »Metaphysik« heißt für ihn vielmehr,
daß wir dem »Übersinnlichen« wirklich begegnen, daß wir es besitzen und
es real leben. Metaphysik in diesem Sinne als transzendenter Vollzug des
Lebens ist nach Fichte das wesentliche Element des Religiösen.
Der einzige Philosoph, der nach Fichte den Terminus »Metaphy-
sik« in ähnlicher Bedeutung wie Fichte gebraucht hat, dürfte Heidegger
gewesen sein. Nach Heidegger ist Metaphysik weder ein akademisches
Lehrfach, das sich vom Katheder aus unterrichten läßt, noch ein wissen-
schaftliches Forschungsgebiet, das der einzelne beliebig wählen kann.
Metaphysik ist also kein der unabänderlichen Grundtatsache der mensch-
lichen Existenz von außen her sekundär hinzugefügtes zufälliges Unter-
nehmen. Metaphysik ist vielmehr die Frage im Grund unseres Daseins, die
unserer Angst vor dem Nichts entspringt. Unser Leben verläuft von sei-
nem Anfang her auf den Tod hin. Deshalb zwingt uns das im Grund
unserer Existenz immer gegenwärtige Nichts zur metaphysischen Frage
und läßt nicht zu, daß wir dieser Frage ausweichen. In Was ist Metaphy-
sik? schreibt Heidegger:

»Das menschliche Dasein kann sich nur zu Seiendem verhalten,


wenn es sich in das Nichts hineinhält. Das Hinausgehen über das
Seiende geschieht im Wesen des Daseins. Dieses Hinausgehen aber
ist die Metaphysik selbst. Darin liegt: Die Metaphysik gehört zur
›Natur des Menschen‹. Sie ist weder ein Fach der Schulphilosophie
noch ein Feld willkürlicher Einfälle. Die Metaphysik ist das
Grundgeschehen im Dasein. Sie ist das Dasein selbst.« 1

1 Martin Heidegger, Was ist Metaphysik?, 15. Aufl., Frankfurt a. M., 1998, 44.
Der Begriff des Übersinnlichen in der Philosophie Fichtes 95

Natürlich hat die Metaphysik, von der Heidegger spricht, nichts mit dem
»Übersinnlichen« bei Fichte zu tun. Für Heidegger ist Metaphysik nicht
das Transzendieren von der sinnlichen zur übersinnlichen Welt, sondern
ein Transzendieren als Infragestellung des Existierenden als Ganzem.
Anders als Fichte kommt Heidegger von der Erfahrung des Verlustes der
von Nietzsche »Hinterwelten« genannten übersinnlichen Welt her. Dasein
und Welt werden für ihn nicht mehr von der übersinnlichen Welt getragen,
sondern schweben über dem Abgrund des Nichts. Weil sich zu unseren
Füßen das Nichts auftut, fürchten wir uns vor unserer Existenz. Und mit
dieser Erfahrung beginnt die Metaphysik. Verkürzt kann man sagen, daß
Metaphysik für Fichte die Erfahrung des Übersinnlichen, für Heidegger
dagegen die Erfahrung des Nichts ist.
Zwischen beiden Philosophen gibt es deutliche große Unter-
schiede. Dennoch läßt sich nicht leugnen, daß beide in einem gemeinsa-
men Horizont denken. Gemeinsam ist beiden, daß sie mit dem Wort
»Metaphysik« ein Bemühen bezeichnen, das nicht in das Belieben des
Menschen gestellt, sondern für die menschliche Existenz unerläßlich und
unverzichtbar ist. Ohne das Metaphysik genannte Unternehmen verliert
der Mensch sich selbst. Heidegger versteht in Sein und Zeit bekanntlich
die Philosophie als das Erwachen des an die Alltäglichkeit des Man
verlorenen Menschen zu seinem wahren Selbst. Fichte entfaltet in den
Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters seine Religionstheorie so, daß
er als allgemeines Merkmal seiner Zeit den Verlust der wahren Religion
aufzeigt. Damit meint er Religion nicht als äußeres Phänomen, sondern
die innere Religion des Menschen und dessen Leben.

2.

Wenn Fichte vom »Übersinnlichen« oder vom »ewigen Leben« spricht,


denkt er nicht an eine Welt, die unabhängig von unserer in der Zeit exi-
stierenden realen Sinnenwelt besteht. Das ist schon aus dem angeführten
Zitat Fichtes deutlich. Sicherlich spricht Fichte davon, daß die Religion
das Annehmen eines anderen, höheren Daseins jenseits der Welt oder die
Transzendierung der Zeitlichkeit und die Erlangung des ewigen Lebens
sei. Es wäre aber ein grobes Mißverständnis, wollte man das so verstehen,
daß Fichte vom Glauben an oder von der Erwartung einer überzeitlichen
Welt spricht, die es unabhängig von unserer zeitlichen Welt gibt. Daß die
96 Akira Omine

Transzendierung der zeitlichen Welt und die Erlangung des ewigen Le-
bens sich nicht nach dem Ende unseres zeitlichen Lebens, sondern in
diesem selbst ereignet, darin liegt die Besonderheit von Fichtes Religions-
verständnis. Für Fichte ist Religion nichts anderes als die grundlegende
Erfahrung des Menschen, gerade mitten in der Zeit die Zeit zu transzen-
dieren. Eine Ewigkeit, die nur im Jenseits der zeitlichen Welt verbleibt, ist
keine wahre Ewigkeit. Fichte meint, daß nur eine Ewigkeit, der man
mitten in der Zeit begegnen kann, wirklich den Namen Ewigkeit verdient.
Deshalb ist bei Fichte das Gefühl der Ferne, das Begriffen wie übersinnli-
che Welt oder Reich Gottes traditionell anhaftet, getilgt. Eines der wich-
tigsten Merkmale von Fichtes Religionsverständnis ist gerade das Emp-
finden der Nähe der Ewigkeit und des Übersinnlichen. Fichte hat dieses
Merkmal von Beginn seiner philosophischen Tätigkeit an entwickelt und
in allen Phasen der systematischen Entfaltung seiner Philosophie beibehal-
ten und in seiner späten Philosophie am klarsten formuliert.
In Anweisung zum seligen Leben (1806), sechste Vorlesung, fin-
det Fichte im Johannes-Evangelium die reinste und echteste Form der
christlichen Lehre und schreibt, daß nur diese mit seinem Religionsver-
ständnis und seiner Wissenschaftslehre übereinstimmt. Nach Fichte sind
im Johannes-Evangelium immer und überall gültiges Wahres, der »meta-
physische Satz«, und das nur für die Zeit Jesu und die Stiftung des Chri-
stentums, für den notwendigen Standpunkt Jesu und seiner Apostel Gülti-
ge, der »historische Satz«, zu unterscheiden. Das »Metaphysische« im
Johannes-Evangelium ist Jesu Erkenntnis der »absoluten Einheit des
menschlichen Daseyns mit dem göttlichen«. Daß der Mensch diese Er-
kenntnis erringen kann, ist fast vergessen. Vor Jesus war sie nicht vorhan-
den. Daß sie nach Fichte bis heute nicht nur einem Einzelnen möglich,
sondern, wie Jesus selbst gelehrt hat, eine allen Menschen mögliche
Erfahrung ist, das ist der von Fichte stark vertretene Standpunkt. »Nur das
Metaphysische, keineswegs aber das Historische, macht selig« (SW/V,
485) schreibt Fichte. Nur das »Metaphysische« in diesem Sinne macht
nach Fichte die dem Menschen eigentümliche Religion aus.

3.

In den in Berlin gehaltenen Fünf Vorlesungen über die Bestimmung des


Gelehrten (1811) schreibt Fichte, daß die Sinnenwelt und die übersinnli-
Der Begriff des Übersinnlichen in der Philosophie Fichtes 97

che Welt »unabtrennbar« und »vereinigt« sind. Das schon in seinen


bisherigen Schriften sichtbare und für Fichte charakteristische Empfinden
der Nähe der übersinnlichen Welt tritt in diesen Vorlesungen noch eindeu-
tiger und radikaler hervor. Fichtes Gedanke hier ist, daß das übersinnliche
Wissen, das den Grund jeglichen Wissens bildet, mitten in der sinnlichen
Welt verwirklicht wird und das »Bild« ist, nach dem die Welt als solche
schöpferisch umgestaltet werden soll. Dabei versucht Fichte, eine Zwei-
weltenlehre zu überwinden, die sich mit einer statischen Aneinanderrei-
hung von sinnlicher und übersinnlicher Welt zufrieden gibt, und eine
tätige und lebendige Beziehung beider Welten aufzuzeigen.
Daß ein Wissen, das nicht vom Übersinnlichen herkommt, nicht
den Namen Wissen verdient, ist eine Grundthese Fichtes.

»Allem Wissen liegt das Wissen vom Übersinnlichen zum Grunde.


Ohne dieses Letztere ist überhaupt kein Wissen; und auch das
wirkliche Wissen, das nicht bis zu jener Quelle seines Wissens zu-
rückgeht, ist kein wahrhaftes Wissen, sondern der bloße leere
Schatten und Schein eines Wissens. Auch kann niemals ein solcher
Weltzustand eintreten, in welchem gar kein Mensch wirklich wisse
vom Übersinnlichen; indem sodann der Zweck der Welt wegfallen
würde und diese versinken müßte in das Nichts.« (SW/XI, 170)

Das Wissen des Übersinnlichen, das die Welt daran hindert, ins Nichts zu
versinken, ist kein Abbild oder Nachbild des Daseins, das außerhalb des
Wissens gefunden wird. Es ist also kein Wissen, das auf das Dasein folgt,
sondern ein Wissen, das der realen Existenz vorausgeht und gleichsam das
Urbild der Existenz ist. Mit einem bekannten Wort gesagt, ist es praktisch
und tätig und die Grundlage der Existenz.
Daß Wissen praktisch ist, bedeutet, daß vom Wissen ein Handeln
gefordert wird. Dieses Handeln ist ausschließlich eine Forderung, es
existiert nicht real. Es existieren auch keine Sachverhalte, die durch dieses
Handeln herbeigeführt worden sein könnten. Daß Wissen praktisch ist,
meint, daß Wissen auf ein solches Handeln hin ausgerichtet ist. Was aber
nun handeln will oder Handeln fordert, ist nicht etwas, was in Beziehung
zu bereits Existierendem steht. Nimmt man das bereits Existierende, wie
es ist, dann kann es Handeln kaum geben. Es ist das Besondere des Han-
delns, daß es das herbeiführen will, was nicht existiert. Ein solches Han-
deln aber erfolgt nicht blind, sondern bewußt. Es folgt einem Begriff, den
das Selbst von dem hat, was es machen will. Es erfolgt nach dem Vorbild
einer Existenz.
98 Akira Omine

»Ein praktisches Wissen ist [...] ein solches, dem, indem es selbst
ist, sein Gegenstand nicht entspricht, und dem überhaupt kein Ge-
genstand entspricht, das darum auch durch keinen Gegenstand be-
stimmt, noch ein Abbild irgend eines solchen ist, und so ein reines,
durch sich selbst also gestaltetes Wissen, Abdruck lediglich seiner
selbst, nicht eines andern, ein apriorisches Wissen, wie man unter
andern diesen Begriff ausgedrückt hat.« (SW XI/149)

Fichte hat dieses praktische Wissen mit dem griechischen Ausdruck


»Idee« und dem deutschen Wort »Gesicht« auf eine Formel gebracht.
Dieses Wissen aber hat in keiner Weise eine Beziehung zu Gegenständen.
Es stimmt mit nichts außer dem eigenen Selbst überein. Es ist ein Wissen,
das als Übereinstimmung mit sich selbst nur innerliche Existenz hat. Und
als solches Wissen geht es auf die übersinnliche Welt zurück. In Fichtes
Worten: »Es ist in dieser seiner Absolutheit das Bild des innerlichen Seins
und Wesens der Gottheit.« (SW/XI, 151) Nun darf man dieses übersinnli-
che Wissen aber nicht so denken, als würde damit eine der Realität der
sinnlichen Welt gegenüber desinteressierte statische Transzendenz be-
zeichnet. Auch wenn das »Gesicht« die sinnliche Welt transzendiert,
impliziert es die Forderung, es durch unser Handeln in der sinnlichen Welt
real zu verwirklichen. Mitten in der sinnlichen Welt das Selbst real zu
bilden und dadurch die unsichtbare übersinnliche Welt sichtbar zu ma-
chen, darin liegt das eigentlich Besondere des praktischen Wissens. An-
ders gesagt ist es unmöglich, daß die sinnliche Welt den Forderungen der
übersinnlichen Welt gegenüber in Desinteresse verharrt. Wäre das der
Fall, dann könnte die sinnliche Welt nicht dem Schicksal entrinnen, dem
Nichts zu verfallen. Deshalb sagt Fichte:

»Und so behält denn die Sinnenwelt und trägt ewig fort den Cha-
rakter, den wir ihr oben beigelegt haben, daß sie sei lediglich die
Bedingung der Sichtbarkeit der übersinnlichen Welt.« (SW/XI, 154)

Diese Bestimmung der Beziehung von sinnlicher und übersinnlicher Welt


scheint auf den ersten Blick Fichtes früher Bestimmung zu gleichen, geht
aber in Wirklichkeit weit über diese hinaus. Denn anders als bisher wird
der Sinn der Existenz der sinnlichen Welt positiv verstanden. Fichte
erklärt jetzt das Wissen, das nur Abbild der äußeren Existenz ist, und den
in diesem Wissen zum Ausdruck kommenden Existenzgrund der ganzen
sinnlichen Welt wie folgt. Das wahre Wissen, das sich auf die übersinnli-
che Welt gründet, reines apriorisches Wissen und Gestalt des Göttlichen
Der Begriff des Übersinnlichen in der Philosophie Fichtes 99

ist, verharrt nicht in unbestimmter, unklarer Form, sondern kommt als


solches Wissen zur Erscheinung und muß eindeutig erkannt werden. Das
Wissen bringt sich selbst immer schon als Wissen zum Ausdruck. Das ist
aber nur mittels des Konflikts mit dem durch seine äußere Existenz be-
grenzten Wissen der sinnlichen Welt möglich. Es gibt also kein Mittel
außer der sinnlichen Welt, um die Welt des übersinnlichen Wissens als
wahre Welt zu erkennen. Die sinnliche Welt hat keinerlei Sinn, solange sie
nicht das übersinnliche Wissen erreicht. Das aber ist noch kein zureichen-
der Existenzgrund der sinnlichen Welt. Wäre die sinnliche Welt nämlich
nur ein Mittel zur Erkenntnismöglichkeit der übersinnlichen Welt, dann
müßte sie für den Menschen entschwinden, der bereits zur Anschauung
der übersinnlichen Welt aufgestiegen ist. Sicherlich war die sinnliche Welt
für diesen Menschen ein Mittel zur Anschauung der übersinnlichen Welt,
aber damit, daß er dieses Ziel erreicht hat, müßte die sinnliche Welt, deren
einziger Sinn die Vermittlung der Anschauung der übersinnlichen Welt
war, ihren Existenzgrund verlieren.
Fichte löst das hier angedeutete Problem wie folgt. Das Erschei-
nen der Göttlichkeit im Gesicht ist »ein unendliches Erscheinen«. Das
Unendliche ist wiederum in der Art seiner Erscheinung unendlich. Des-
halb erscheint die direkte Gestalt Gottes niemals mitten in der Zeit. Es
erscheint immer nur die Gestalt seiner zukünftigen Gestalt. Aber auch
diese zukünftige Gestalt ist wiederum jeweils nur die Gestalt der jeweils
zukünftigen Gestalt. Und diese Art der Erscheinungen setzen sich ins
Unendliche fort. Das eigentliche Urbild Gottes wird niemals real, trans-
zendiert alle Zeit und ist der ewige nicht sichtbare Urgrund des unendli-
chen Fortbildens in der Zeit. Mit einem Wort Fichtes gesagt: »Das Er-
scheinen Gottes im Wissen ist nicht irgend ein stehendes und festes Bild,
sondern ein unendliches Bilden.« (SW/XI, 153)
Man kann hier die Absicht Fichtes sehen, die Göttlichkeit des Ü-
bersinnlichen und die zeitliche Sinnenwelt durch die Dynamik des Bildens
aktiv miteinander zu verbinden. Auf der einen Seite ermöglicht die absolu-
te Transzendenz der Urgestalt Gottes das unendliche Bilden in der sinnli-
chen Welt. Auf der anderen Seite kann nur der Standpunkt des ununter-
brochenen Bildens das wahre Ewige berühren. Ohne die übersinnliche
Welt könnte keine sinnliche Welt existieren. Umgekehrt könnte es aber
auch ohne Sinnenwelt keine übersinnliche Welt geben.

»So sind Sinnenwelt, und übersinnliche durchaus vereinigt, und


unabtrennbar, und bilden nur in dieser nie zu trennenden Vereini-
100 Akira Omine

gung ein einiges, ganzes und wahres Wissen. Die übersinnliche


Welt macht in’s Unendliche fort sich sichtbar in neuen und immer
neuen Gestalten; und es muß darum in’s Unendliche fort eine Sin-
nenwelt ihr gegenüber stehen, und dauern, um jene zu deuten.«
(SW/XI, 153)

Gibt es nun aber einen Ort außer unserer Sinnenwelt, an dem das Über-
sinnliche verwirklicht und sichtbar werden könnte? Fichte meint, daß das
Übersinnliche einzig in der Sinnenwelt zur Erscheinung kommt und es für
sie keinen Ersatz gibt.
Wo aber ist nun der Punkt, an dem diese beiden Welten zur Ver-
einigung gelangen? Nach Fichte ist dieser Vereinigungspunkt der wahre
Gelehrte, der das übersinnliche Wissen erworben hat und dem Bildungs-
prozeß der Sinnenwelt dient.

»Er darum ist die Triebfeder der Fortschöpfung der Welt nach dem
göttlichen Bilde. Durch ihn allein rückt die Welt weiter, und be-
kommt die jedesmalige Bestimmung, die sie in der nun eingetrete-
nen Zeit haben kann und soll; ohne ihn würde dieselbe stille ste-
hen, und nichts wahrhaft Neues unter der Sonne geschehen. Er ist
der eigentliche Vereinigungspunkt zwischen der übersinnlichen
und der sinnlichen Welt; und dasjenige Glied und Werkzeug, ver-
mittelst welcher die erste eingreift in die letzte.« (SW/XI, 160)

Gemeinsam ist der Religion und dem philosophischen Wissen die Teilha-
be an der übersinnlichen Welt. Die der Mehrzahl der Menschen offen
stehende Religion und die nur wenigen Menschen mögliche Bildung des
Gelehrten haben in gleicher Weise das Übersinnliche zur Quelle. Auch
die, die keine Gelehrten sind, können religiös sein. Das gleiche gilt vom
Gelehrten. Mehr noch, der Gelehrte, soweit er wirklicher Gelehrter ist,
wird notwendig religiös. »Religiös« heißt hier ein Leben, das ganz in der
Hingabe an Gott geführt wird, oder mit Fichtes Worten: »Sie wollen nicht
mehr, sondern in ihnen will das Göttliche«. (SW/XI, 164)
Aber auch wenn nun deutlich ist, daß die übersinnliche Welt all-
gemein in jedem religiösen Menschen anwesend ist, ist noch nicht klar,
wie das geschieht. Die übersinnliche Welt bleibt gestaltlos. Deshalb kann
ein Mensch, nur weil er religiös ist, nicht Interesse an einer schöpferischen
Gestaltung der Welt haben, solange er die Welt so akzeptiert, wie sie ist.
Für einen solchen Menschen soll die sinnliche Welt so sein, wie sie ist,
und immer so bleiben. Ein solcher religiöser Mensch tröstet sich mit dem
Der Begriff des Übersinnlichen in der Philosophie Fichtes 101

Blick auf das zukünftige Leben und betrachtet nicht das gegenwärtige,
sondern das zukünftige Leben als das einzig wahre. Der Grund dafür ist,
daß er, obwohl er der übersinnlichen Welt eine Gestalt zuschreiben kann,
die sinnliche Welt nicht in die ihm vorschwebende Gestalt der übersinnli-
chen Welt umzugestalten vermag. Deshalb wird ihm

»die gegenwärtige Welt lediglich eine Vorbereitungs– und Prü-


fungswelt für die Ewigkeit, und Nichts mehr; weil für ihn beide
Welten durchaus sich trennen, und zwischen ihnen eine Kluft befe-
stigt ist. Er findet sich hienieden noch nicht in der Ewigkeit, son-
dern nur an der Pforte derselben, und ihn treibts und ängstigts, die-
se Pforte zu durchbrechen, um herausgelassen werden aus einem
Leben, das er nur aus Gehorsam trägt.« (SW/XI, 162)

Völlig anders dagegen ist das Wissen von der übersinnlichen Welt, das
heißt das »Gesicht«, das der wahre Gelehrte haben sollte.

»In diesem liegt nicht, wie in jenem (allgemein Religiösen, Verf.),


das Übersinnliche bloß überhaupt, sondern es gestaltet sich auch zu
einem gediegenen Bilde, das sich anschließt an die gegebene Ge-
stalt der Sinnenwelt, und dessen Gepräge dieser aufgedrückt wer-
den kann.« (SW/XI, 163)

Der Gelehrte kann das gegenwärtige Leben nicht, wie der allgemein
Religiöse, um Gottes willen so lassen, wie es ist. Er erträgt die Welt nicht
um Gottes willen, sondern »er soll sie anders machen um Gottes willen«
und »sie bilden nach Gottes Bilde«. Gemeinsam ist beiden, daß das, was
in ihnen will, nicht sie selbst sind, sondern der Wille Gottes. Im Gelehrten
aber will der Wille Gottes die Welt nicht einfach erhalten, sondern sie
»weiter schaffen«.
Folglich ist nach Auffassung Fichtes die Religion eines solchen
Gelehrten tiefer als die eines Ungelehrten in das Wesen der Religion
eingedrungen. Das Wesen der Religion besteht, mit einem Wort aus der
Anweisung zum seligen Leben gesagt, »in dem innigen Bewusstseyn, daß
Gott in uns wirklich lebe und thätig sey, und sein Werk vollziehe.« (SW/
V, 473) Anders gesagt ist es das Bewußtsein der Wirklichkeit, daß das
Ewige gegenwärtig ist. Daß eine solche Religion erst in der die Welt
umgestaltenden schaffenden Tätigkeit des Gelehrten verwirklicht wird, ist
die Überzeugung Fichtes im Jahr 1811. Darüber hinaus ist für Fichte die
zukünftige Welt nicht, wie die christliche Kirche traditionell gedacht hat,
102 Akira Omine

eine einzige, sondern bildet eine Reihe unendlicher Entwicklungen.


Solche Welten sind von der gegenwärtigen Welt, in der wir leben, »nicht
der Art nach, sondern nur der Stufenfolge nach unterschieden«. Aus der
Sicht der schaffenden Tätigkeit gesagt, wird die die übersinnliche und die
sinnliche Welt trennende undurchsichtige Mauer vom Licht des Göttlichen
durchstoßen und transparent. Für den Gelehrten »ist die Ewigkeit nicht
erst zukünftig, sondern sie ist ihm schon angegangen, und er befindet sich
mitten in derselben, indem schon hier allgegenwärtig das Uebersinnliche
ihn umgiebt.« (SW/XI, 163)
Wahrheit als Sein von Einheit.
Die gewißheitstheoretische Reformulierung des
absoluten Wahrheitsbegriffs in Fichtes
Phänomenologie von 1804-II

Roderich Barth (Halle)

Mit der forschungsgeschichtlichen Erschließung des mittleren und späten


Fichte hat eine Korrektur des nicht zuletzt auf Hegel selbst zurückgehen-
den Bildes von Fichte als dem Ich- oder Reflexionsphilosophen und
seinem bloß ›gesollten Absoluten‹ stattgefunden.1 Seit der Bestimmungs-
schrift greifbar, systematisch durchgeführt erstmals in der WL 1801/02,
wird eine Explikation des Absoluten im Innersten der Begründungslogik
seiner Wissenstheorie vollzogen. Das ›absolute Seyn‹ tritt als notwendi-
ges Moment der intellektuellen Anschauung in die Selbstkonstruktion des
absoluten Wissens ein.2 Trotz dieser durch den Atheismusstreit mitbe-

1 Zum Verhältnis Fichte-Hegel vgl. Ludwig Siep: Hegels Fichte-Kritik und die
Wissenschaftslehre von 1804, Freiburg/München 1970. Reinhard Lauth: Hegel vor der Wissen-
schaftslehre, Mainz 1987 und Wolfgang Janke: Das bloß gesollte Absolute, in: Transzendental-
philosophie und Spekulation, hg. v. W. Jaeschke, Hamburg 1993, 177–191.
2 Vgl. die klassische Darstellung von Emanuel Hirsch: Fichtes Religionsphiloso-
phie im Rahmen der philosophischen Gesamtentwicklung Fichtes, Göttingen, 1914. Zur WL
1801/02 Jürgen Stolzenberg: Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in
den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02, Stuttgart 1986 [Anschauung], 249–382.
Ulrich Barth: Die Christologie Emanuel Hirschs. Eine systematische und problemgeschichtliche
104 Roderich Barth

dingten werkgeschichtlichen Entwicklung bleibt gleichwohl der pro-


grammatische Anschluß an Kants Transzendentalphilosophie eine Konti-
nuität in Fichtes Denken. Etwa die 1812 in Berlin gehaltene Vorlesung
über ›Transscendentale Logik‹ legt dafür ein beredtes Zeugnis ab. Gerade
diese Eigentümlichkeit der Gründergestalt des Deutschen Idealismus, d. h.
also die innere Verschränkung von transzendentaler Wissenstheorie und
Absolutheitstheorie – wie auch immer die Gewichtung dann im einzelnen
beurteilt werden mag – und nicht etwa eine Preisgabe ersterer zugunsten
eines theologisch oder philosophisch vermeinten Standpunktes im Abso-
luten, begründet das bleibende Interesse am mittleren und späten Fichte –
insbesondere von seiten der Religionsphilosophie.
Im folgenden möchte ich diese allgemeine Einschätzung am Bei-
spiel eines Theologoumenons konkretisieren. Dabei handelt es sich um
die philosophiegeschichtlich auf Augustin zurückgehende Identifikation
von Gott und Wahrheit – also den Gedanken einer ewigen, absoluten
Wahrheit Gottes.3 Mit der problemgeschichtlichen Orientierung am
theologischen Wahrheitsbegriff soll aber zugleich gezeigt werden, daß es
gerade die Wahrheitsthematik in ihrer absolutheitstheoretischen Zu-
spitzung ist, die einen Schlüssel zum inneren Aufbau der WL 1804-II,
insbesondere ihrer Phänomenologie, an die Hand zu geben vermag. Dazu
werde ich zunächst (I) einige kategoriale Bestimmungen, aber auch
Probleme des Gedankens der absoluten Wahrheit entwickeln, wie sie dem
ersten Teil der WL 1804-II zu entnehmen sind, um anschließend (II)
einige Grundlinien von Fichtes Reformulierung desselben innerhalb des
zweiten Teils – der Phänomenologie – zu entfalten.

I.

Unabhängig davon, ob man dem Urteil Wolfgang Jankes folgen mag, in


der WL 1804-II sei der Schlüsseltext für die gesamte Spätphilosophie zu
erblicken,4 oder ob die mit der GA voranschreitende Erforschung des

Darstellung ihrer geschichtsmethodologischen, erkenntniskritischen und subjektivitätstheoreti-


schen Grundlagen, Berlin/New York 1992, 311-354.
3 Vgl. Werner Beierwaltes: Deus est veritas, in: Pietas. Festschrift für B. Kötting,
hg. v. E. Dassmann u. K. S. Frank, Münster 1980, 15–29.
4 W. Janke: Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft,
Berlin 1970 [Fichte], 304f: »Fichtes Denken hat den Aufstieg zur Wahrheit auch nur einmal
zurückgelegt. [...] Der Boden dieser Grundlegung ist nicht mehr verlassen worden [...] auch die
späteren Ausarbeitungen und Fortführungen des Systems selber verlassen sich auf die Ergebnisse
dieser Wahrheitslehre«.
Wahrheit als Sein von Einheit 105

Spätwerks dieses grundsätzliche Urteil zu relativieren hat, läßt sich zu-


mindest hinsichtlich einer absolutheitstheoretischen Explikation der
Wahrheitsidee die herausragende Bedeutung dieser Fassung der WL kaum
bestreiten.5 Die zentrale Stellung der Wahrheitsthematik wird nicht nur
äußerlich daran ersichtlich, daß Fichte den ersten Teil dieser WL als
»Wahrheitslehre« bezeichnen konnte,6 sondern läßt sich auch bereits den
einleitenden Ausführungen zum Begriff der WL entnehmen. Zu ihrer
generischen Bestimmung heißt es dort, sie solle »die Wahrheit darstellen«
(8), und nach einer kurzen kategorialen Präzisierung des Wahrheitsbe-
griffs resümiert Fichte, »die Aufgabe der Philosophie läßt sich auch
ausdrücken: Darstellung des Absoluten« (10). Auch das zeitdiagnostisch
motivierte Präliminarium über die zur WL befähigende Bewußtseinsein-
stellung verdeutlicht die absolutheitstheoretische Fassung des Wahrheits-
begriffs, zeigt aber zugleich dessen epistemologischen Status. Fichte
erklärt »kurz und gut«, »daß hier in allem Ernste vorausgesetzt wird: es
gebe Wahrheit, die allein wahr sei, und alles ausser ihr unbedingt falsch«
(4 Hvh. R. B.). Der Absolutheitscharakter der in dieser unbedingten
Hypothesis gesetzten Wahrheit wird ferner daran ersichtlich, daß sie als
»schlechthin wahr« einleuchten solle, und, obgleich diese Einsicht den
spontanen Denkvollzug notwendig voraussetze, sie doch »ohne alles [...]
weiteres Zuthun sich schon von selbst ergebe[]« (ebd. Hvh. R.B.).
Vergleicht man diese programmatischen Ausführungen mit der
Leitbegrifflichkeit der WL 1801/02, so zeigt sich eine markante Verschie-
bung. Zwar führte auch diese Fassung – wie eingangs bemerkt – in ihrem
Kern zu einer Explikation des Absolutheitsbegriffs, doch wurde sie nicht
als Theorie des Absoluten, sondern als Theorie des absoluten Wissens
bestimmt, dessen Begriff Fichte ausdrücklich vom Begriff des Absoluten
unterschieden wissen wollte.7 Die WL 1804-II zielt demgegenüber zu-
nächst auf »das Absolute« (10) oder »das Wahre« (8) selbst. Mit dieser
veränderten Theorieausrichtung hängt es offenbar zusammen, daß in

5 Zum Wahrheitsbegriff beim frühen Fichte vgl. Reinhard Hiltscher: Wahrheit und
Reflexion. Eine transzendentalphilosophische Studie zum Wahrheitsbegriff bei Kant, dem frühen
Fichte und Hegel, Bonn 1998. Zur wahrheitstheoretischen Rekonstruktion der Erlanger WL vgl.
Hans-Peter Falk: Existenz und Licht. Zur Entwicklung des Wissensbegriffs in Fichtes Grundle-
gung der Wissenschaftslehre von 1805, in: Subjektivität, hg. v. K. Hammacher / R. Schottky / W.
H. Schrader (Fichte-Studien 7), Amsterdam / Atlanta GA 1995, 49–57.
6 WL 1804-II in: GA II/8, 228; 206; 242. Im folgenden werde ich Zitate aus dieser
WL nur durch Seitenzahlen im Haupttext angeben. Auf der jeweils gegenüberliegenden Seite
befindet sich die synoptisch abgedruckte Fassung der sog. Hallenser Copia, die ich nur dann
ausdrücklich zitiere, wenn ich ihrer Lesart folge.
7 GA II/6, 144.
106 Roderich Barth

dieser WL anstelle des Begriffs des absoluten Wissens der Vernunftbe-


griff in eine zentrale Position rückt.8 Darstellung der Wahrheit bzw. des
Absoluten im Sinne der WL 1804-II ist also in einer ersten Annäherung
als Theorie der Vernunft zu verstehen. So verwundert es nicht, daß
Grundmotive eines neuzeitlichen Verständnisses vom lumen naturale in
der den Explikationsgang über weite Strecken bestimmenden Lichtmeta-
phorik nachklingen. Auch die kritisch-konstruktive Verhältnisbestimmung
zur Kantschen Vernunfttheorie ist durch dieses Interesse gesteuert. Trotz
des programmatischen Anschlusses an den »Stifter der Transscendental-
Philosophie« (14) muß die Selbstaufklärung der Vernunft im Sinne eines
konsequent durchgeführten Letztbegründungsdenkens auf die Freilegung
des zwischen den Vernunftfunktionen vorliegenden und von Kant als
»unerforschlich« (32) zurück gelassenen Wechselbestimmungszusam-
menhanges zielen.9
Doch wäre dieses vernunfttheoretische Programm – und damit
der Anschluß an Kant – mißverstanden, wollte man es gegen das Anliegen
einer Wissenstheorie ausspielen. Es steht vielmehr selbst ganz im Dienste
einer systematischen Letztbegründung von Wissen. Aus der für die WL
1804-II bezeichnenden Verschränkung einer Prinzipientheorie des Wis-
sens mit der absolutheitstheoretischen Fragestellung resultieren nun aber
genau diejenigen systematischen Schwierigkeiten, die für das in der
Forschungsliteratur immer wieder geäußerte Urteil eines Scheiterns der
Fichteschen Durchführung verantwortlich zeichnen.10 Die Problematik
läßt sich noch einmal zuspitzen, wenn man sie mit der Frage verbindet, in
welchem Verhältnis zum Wahrheitsbegriff zwei weitere zentrale Explika-
tionstermini für das höchste Wissensprinzip stehen – der Begriff absoluter
Einheit und der des absoluten Seins. Ich wende mich zunächst – dem

8 Dies kann mit Bezug auf die Dominanz des Wissensbegriffs in den sogenannten
›Prolegomena‹ leicht übersehen werden. Diese erklärt sich aber zum Großteil aus deren vorver-
weisenden Charakter. Der Begriff des absoluten Wissens selbst begegnet erst in der Phänomeno-
logie, vgl. dazu unten. Mit Bezug auf den Vernunftbegriff ist vor allem hinzuweisen auf das
»Leben der Vernunft« (164f., u.ö.). Die Wahrheitslehre kann daher auch als »Vernunftlehre«
(206; 228; 242) bezeichnet werden.
9 Vgl. dazu Roderich Barth: Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußt-
sein. Das Verhältnis von logischen und theologischen Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin,
Kant, Fichte und Frege, Tübingen 2004 [Wahrheit], Kap. 5.1.
10 Mit einem rekonstruktiven Interesse verwoben etwa bei Hans Radermacher:
Fichtes Begriff des Absoluten, Frankfurt a. M. 1970 [Begriff]. Vgl. auch Peter Baumanns: J. G.
Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg / München 1990, z. B. 269;
Wilhelm Lütterfelds: Fichtes Konzept absoluter Einheit (1804) – ein performativer Selbstwider-
spruch? [Einheit], in: Realität und Gewißheit, hg. v. H. N. Girndt / W. H. Schrader (Fichte-
Studien Bd.6), Amsterdam / Atlanta GA 1994, 401-422.
Wahrheit als Sein von Einheit 107

Duktus der Argumentation Fichtes folgend – dem Verhältnis von Ein-


heits- und Wahrheitsbegriff zu.
Das Programm einer systematischen Letztbegründung des Wis-
sens läßt sich kategorial auch einheitstheoretisch explizieren. Der letzte
Grund kann als eine höchste Einheit gedacht werden, welche die Konse-
quenzenmenge dieses letzten Grundes umfaßt. Philosophische Letztbe-
gründung bedeutet somit nach Fichte: »Alles Mannigfaltige [...] zurückzu-
führen auf absolute Einheit« (8). Erst in einer absoluten, und d. h.
zunächst soviel wie alle prinzipientheoretischen Gegensätze in sich
vereinigenden und zugleich aus sich freisetzenden Einheit kommt Letzt-
begründungsdenken zu einem Abschluß. Aus dieser einheitstheoretischen
Explikation seines Theorieprogramms folgt nun nicht nur ein genuiner
Einheits-, sondern auch ein spezifischer Wahrheitssinn. Was zunächst den
letzteren betrifft, so kann man sich dessen Profil am Vergleich mit Wahr-
heit im Sinne der Korrespondenztheorie verdeutlichen, von der ja noch
Kants transzendentaler Wahrheitsbegriff hatte ausgehen können. Ist für
Wahrheit im Sinne des Korrespondenzmodells ine prinzipielle Zweiwer-
tigkeit konstitutiv, so meint »das Eine, wahre, in sich geschlossene An-
sich« (10) dagegen eine Wahrheit, die nicht nur den Gegensatz der Wahr-
heitswerte übersteigt,11 sondern nicht einmal auf Erkenntnis im engeren
Sinne beschränkt ist. Wie ein Vorblick auf die in § 28 deduzierten ›Stand-
punkte‹ deutlich machen kann, soll diese ›unwandelbare‹ Wahrheit nicht
nur den praktischen und theoretischen Bewußtseinseinstellungen zugrun-
de liegen, sondern auch den ästhetischen und religiösen. Unter Wahrheit
als »absolute[r] Einheit und Unveränderlichkeit der Ansicht« (8) hat man
sich also vielmehr ein »übergegensätzliches Gelten« im Sinne Emil Lasks
vorzustellen, das all seinen werthaften Konkretionen innerhalb der kogni-
tiven, volitiven oder emotiven Funktionen als logische Bedingung voraus
liegt.12
Was den Einheitssinn betrifft, so kann aufgrund der prinzipien-
theoretischen Introduktion des Gedankens einer absoluten Einheit deren
Absolutheit zwar als Relationslosigkeit im Sinne des Ausschlusses ande-
rer gleichursprünglicher Prinzipien verstanden werden. Der wesentliche
Bezug auf die Gesamtheit des von ihr Prinzipiierten impliziert jedoch eine
Relationalität in anderer Hinsicht. Wird also der letzte Grund von Fichte

11 Das gesuchte Einheitsprinzip stellt – in diesem Sinne analog zu Kants transzen-


dentaler Wahrheit – in der Konstitution des Gegensatzes von ›Denken‹ und ›Sein‹ (10) allererst
die Möglichkeitsbedingung der Zweiwertigkeit der Wahrheit bereit.
12 Emil Lask: Die Lehre vom Urteil, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 2, hg. v.
E. Herrigel, Tübingen 1923, 386ff; vgl. auch 408: »gegensatzlose Wahrheit«.
108 Roderich Barth

als absolute Einheit bestimmt, so geht damit zwangsläufig die Gesamtheit


aller Elemente der Konsequenzenmenge zumindest in Gestalt ihrer Dis-
junktionsprinzipien in diese Einheit ein. Absolute Einheit wäre folglich
nicht als differenzlose Einheit, sondern als in sich differenzierte Struktur-
ganzheit zu denken. Genau dieser prinzipientheoretische Einheitssinn
scheint aber nun der Einheit des Absoluten13 nicht zu entsprechen, da
diese als eine gegensatzlose Einheit – zumindest im Sinne einer qualitativ
identifizierbaren Andersheit – verstanden werden muß, wenn die Abso-
lutheit des Absoluten nicht durch eine Bestimmungsoperation verspielt
werden soll.14 Nachdem Fichte in den ersten noch vorwiegend methodisch
orientierten §§ der Wahrheitslehre zunächst unterschiedliche Momente
des Wissens als Kandidaten für die Position des epistemischen Korrelates
der absoluten Einheit in Erwägung zieht,15 folgt daher auch ein transzen-
dentaler Reduktionsgang, an dessen Ende selbst dem Absoluten eines
›höheren Realismus‹ noch eine unbemerkte Reflexionsbestimmung
nachgewiesen werden kann. Aus der dann vollständig vollzogenen trans-
zendentalen Abstraktion von allen Bestimmungsoperationen des Bewußt-
seins resultiert die Einsicht in die absolute Einheit als »in sich geschlosse-
nes Singulum des unmittelbaren lebendigen Seyns« (243 / Copia). Fichtes
Erläuterung bestätigt den absolutheitstheoretischen Einheitssinn: »Es ist
durchaus von sich, in sich, durch sich; dieses sich gar nicht genommen als
Gegensatz« (228; Hvh. R. B.).
Gegenläufig zu Interpretationen, die in diesem Aufstieg zur ab-
soluten Wahrheit und ihrem Abschluß den systematisch grundlegenden
Ertrag der WL 1804-II verorten,16 müssen nun aber mit Bezug auf dieses

13 Die »Einheit, das Eine, wahre in sich geschlossene Ansich« (10); »von sich, aus
sich, durch sich, ohne alle Spaltung, in reiner Einheit« (120); und ex negativo vgl. 240 (Copia):
daß die »VerstandesEinheit gar nicht blose reine, durch sich selber bestimmte Einheit, sondern
eine RelationsEinheit sey«.
14 Zu dieser in der Überbietung des Indifferenzgedankens Schellings entstandenen
Konzeption absoluter Einheit vgl. etwa Fichtes Brief an Schelling vom 15. Januar 1802, GA/III,
5, 112f: »Aber es scheint mir an sich klar, daß das Absolute nur eine absolute, d. h. in Beziehung
auf Mannigfaltigkeit, durchaus nur Eine, einfache sich ewig gleiche, Aeusserung haben kann; und
diese ist eben das absolute Wissen. Das absolute selbst aber ist kein Seyn, noch ist es Wissen,
noch ist es Identität, oder Indifferenz beider: sondern es ist eben – das absolute – und jedes
zweite Wort ist von Uebel.« Zum Verhältnis Schelling / Fichte vgl. Christoph Asmuth: Begreifen
des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800–1806, Stuttgart-
Bad Cannstatt 1999 [Begreifen], 317–370; zur Problematik einer Theorie absoluter Einheit vgl.
auch W. Lütterfelds: Einheit, 421.
15 Zunächst die Evidenz (§§ 4ff.), dann aber auch ein in der Begriffsfunktionalität
liegendes mentales Einheitsvorkommnis (§ 7).
16 So etwa die Interpretation von W. Janke: Fichte, 301-417. Janke hat zwar in
seiner großen Studie zur Phänomenologie Fichtes (Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der
Wahrheit als Sein von Einheit 109

Ergebnis zwei Einschränkungen vorgenommen werden. Fichte selbst


weist zunächst indirekt auf den ersten Aspekt hin, wenn er mit Bezug auf
die gewonnene Einsicht von einem »Grundsatz« (242) spricht. Denn das
noch in der GWL im Anschluß an Reinhold favorisierte Grundsatzverfah-
ren wurde nicht nur in der Folge gänzlich verworfen, sondern bereits dort
hatte es Fichte aus deduktionslogischen Gründen in ein Grundsatzsystem
überführt.17 Für die »einzige[] Einsicht« (228), die der Grundsatz des § 15
ausdrückt, ist jedoch gerade der Ausschluß einer Deduktionsmöglichkeit
charakteristisch.18 Mit Bezug auf die oben vorgenommene Differenzie-
rung eines prinzipientheoretischen und eines absolutheitstheoretischen
Einheitssinns läßt sich sagen, daß die Wahrheitslehre zunächst allein an
der Explikation des letzteren orientiert ist. Durch den damit verbundenen
Verlust einer qualitativ identifizierbaren Einheit wird die Möglichkeit
einer Ableitung von Differenz versperrt. Die zweite Einschränkung ergibt
sich, wenn man fragt, welchen epistemologischen Status die »Einsicht«
(228) in das lebendige Sein – oder gar welchen ontologischen Status
dieses Sein selbst hat. Wenn Fichte hier von einem »nachconstruiren«
(228) und zugleich von einem »begreifen lediglich durch unsere eigene
kräftige Vernichtung des Begreifens« (230) spricht, so handelt es sich
offenbar zunächst um einen spekulativen Grenzbegriff bzw. die Idee des
Absoluten. Darüber hinaus enthält die Wahrheitslehre weder eine episte-
mologische Rechtfertigung dieses Abschlußgedankens und seines Gehal-
tes, noch erklärt sie die Möglichkeit seiner prinzipientheoretischen Funk-
tion. Sie verweist somit systematisch auf den argumentativen Neueinsatz
der Phänomenologie.19

Phänomenologie Fichtes, Berlin / New York 1993 [Vom Bilde]) deren Gewicht gebührend zur
Geltung gebracht. Zu einer Rekonstruktion der Phänomenologie von 1804-II ist es aber auch dort
nicht gekommen.
17 Zum Grundsatzverfahren vgl. J. Stolzenberg: Anschauung, 60–117. Die Differenz
zur GWL übersieht Chr. Asmuth: Begreifen, 250ff.
18 »Dieses einige Sein und Leben kann nun nicht ausser ihm selber sein [...]. Kurz,
und mit Einem Worte: es findet durchaus und schlechthin nicht Zweiheit, oder Vielheit Statt,
sondern nur Einheit« (230). In Gestalt eines neuen Reflexionspostulates kann es daher in der
Phänomenologie heißen: »Das Sein ist eine schlechthin in sich geschlossene lebendige Einheit.
Sein und Licht Eins. Da in dem [...] gewöhnlichen Bewußtsein, ein Mannigfaltiges angetroffen
wird [...] – so muß in dem Lichte selber, als absoluter Einheit, und seiner Erscheinung ein Grund
dieser Mannigfaltigkeit sich aufzeigen lassen« (300).
19 Vgl. Chr. Asmuth: Begreifen, 253ff; Ulrich Schlösser: Das Erfassen des Einleuch-
tens. Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 als Kritik an der Annahme entzogener Voraussetzun-
gen unseres Wissens und als Philosophie des Gewißseins, Berlin 2001 [Erfassen] 103.
110 Roderich Barth

II.

Mit der Wahrheitslehre ist der Aufstieg zum absoluten Einheitsprinzip der
Wissenschaftslehre somit keineswegs abgeschlossen. Vielmehr stellt sich
im Horizont der dort ausgewiesenen Idee eines einigen Vernunftlebens
erneut die Frage nach einer absoluten Einheit, die nun jedoch nach ihrer
spezifischen Funktion als Uniformitätsbedingung des Wissens und zu-
gleich als dessen Differenzierungsprinzip durchsichtig werden muß. In
einer ersten Annäherung läßt sich die methodische Aufgabe der Phäno-
menologie folglich als Rekonstruktion des epistemischen Ortes absoluter
Einheit beschreiben.

»Ein neues, bisjetzt unbekanntes Princip muß aufgestellt werden,


habe ich gesagt: und mache dabei zugleich die Nebenbemerkung,
daß wir [...] hier es nicht bloß mit der Aufstellung des zweiten,
sondern zugleich mit der Vereinigung desselben mit dem ersten, zu
thun haben« (256).

Die im Zitat angesprochene ›Vereinigung‹ beider Einheitsprinzipien läßt


sich als ein Realisierungsverhältnis näherbestimmen. Dasjenige Wissen,
welches die Phänomenologie als Repräsentation absoluter Einheit auswei-
sen kann, stellt die Verwirklichungsform der am Ende der Wahrheitslehre
eingesehenen Absolutheitsidee dar. Umgekehrt ist mit absoluter Einheit
der Wirklichkeitsmodus des absoluten Wissens bezeichnet. Insofern liegt
auch allererst in der Phänomenologie in genau diesem Sinne eine Theorie
des absoluten Wissens vor. Fichtes Phänomenologie ist also weder nur
Überwindung noch Ableitung einseitiger Bewußtseinsformen, sondern sie
ist in ihrem Zentrum eine Explikation des absoluten Wissens als Erschei-
nung absoluter Einheit.20 Im Lichte der hier vorgenommenen einheits-
theoretischen Rekonstruktionsperspektive muß jedoch ein prinzipieller
Vorbehalt gegenüber ontologischen Aufladungen der Erscheinungsrelati-
on geltend gemacht werden. Der Erscheinungsbegriff ist nicht im Sinne
eines ontologischen Zwei-Welten-Schnitts zu verstehen, sondern besagt
soviel wie Vorkommen absoluter Einheit am Orte des Wissens. Insofern
dies mit einem In-Differenz-Treten von absoluter Einheit verbunden ist,
wird die Erscheinungsrelation durch einen einheitstheoretischen Unter-
schied begründet.

20 Zur Profilierung der Fichteschen Phänomenologie gegenüber der Hegels vgl. W.


Janke: Vom Bilde, 1-26.
Wahrheit als Sein von Einheit 111

Aus den komplexen und zum Teil enigmatischen Argumentati-


onsgängen der Durchführung dieser wissenstheoretischen Rekonstruktion
absoluter Einheit möchte ich im folgenden zwei Aspekte herausgreifen.
Dabei wird auch die vorübergehend in den Hintergrund getretene Wahr-
heitsthematik wieder aufgegriffen. Zunächst ist zumindest in einem
allgemeinen Sinne zu präzisieren, was die Argumentationsgänge der
Phänomenologie letztendlich als Vorkommen absoluter Einheit am Orte
des Wissens identifizieren können. Bereits Hans Radermacher hat in
seiner Studie zu Fichtes Begriff des Absoluten deutlich gemacht, daß die
in § 16 erneut anhebende, einige Themen der Wahrheitslehre variierende
Argumentation ihren Zielpunkt in der mit § 23 einsetzenden Theorie der
Gewißheit findet.21 Reine Gewißheit – so läßt sich die Grundthese der
Phänomenologie von 1804-II zusammenfassen – ist der einschlägige
Kandidat für die Position des Vorkommens absoluter Einheit am Orte des
Wissens. Reine Gewißheit, d. h. nicht materiale Gewißheit, sondern
Gewißheit, die als Operator mit Bezug auf wechselnde intensionale
Gehalte fungieren kann:

»Jetzt erst sind wir auf einen Charakter des Lichtes gekommen,
durch welchen es sich unmittelbar zeigt, als Eins mit dem oben
eingesehenen Sein: die Gewißheit, rein und für sich, und als sol-
che« (346).

Insofern läßt sich auch eine Antwort auf die anfangs aufgeworfene Frage
nach dem inneren Zusammenhang der absolutheitstheoretischen Leitbe-
griffe der WL 1804-II geben: In der reinen Gewißheit ist nach Fichtes
Phänomenologie die absolute, übergegensätzliche Wahrheit zu erblicken,
weil sie als Sein absoluter Einheit die Uniformitätsbedingung des Wissens
darzustellen vermag.
Ich komme zum zweiten, den Ausdruck ›Sein‹ von absoluter Ein-
heit präzisierenden Gesichtspunkt. Die mit einer evidenten Beschreibung
der Evidenz als »unerschütterliches Verbleiben und Beruhen in demselben
unwandelbaren Eins« (346) anhebende Gewißheitsanalyse wird auf ihre

21 H. Radermacher: Begriff, 140. Vgl. auch U. Schlösser: Erfassen, 19; 93; 114f;
120-153. Die Rekonstruktion des § 23 bietet das Herzstück seiner Studie und dient somit dem
Nachweis der Grundthese, »daß auch Fichte [sc. zum Zwecke der Grundlegung des Wissens bzw.
der Kenntnis vom Unbedingten] von Grenzen des objektivierend-begrifflichen Erfassens ausgeht,
aber über diese Grenzen hinaus zu einem in jedem Einzelnen zu realisierenden ursprünglich-
intuitiven Wissen aufsteigen will, um von dort aus die relative Berechtigung des begrifflichen
Zugangs und die Möglichkeit der Rekonstruktion post factum des Weges zu ihr ausweisen zu
können« (152).
112 Roderich Barth

Erzeugungsbedingungen hin vertieft. In einer subjektivitätstheoretischen


Rekonstruktion der reinen Gewißheit und der sich aus ihr generierenden
Einsicht tritt Fichte in das Innerste seiner Theorie des absoluten Wissens
ein, wenngleich auch hier wiederum ein hypothetisches Moment den
Explikationsgang weitertreibt. Die Selbstkonstruktion der reinen Gewiß-
heit muß sich demzufolge auch nach ihrer inneren Notwendigkeit erfassen
können. Diese Position des absoluten Wissens ist dann zwar ihrer forma-
len Struktur nach ein Sich-setzen-als, ihrem Gehalt nach (unbedingte
Notwendigkeit) kann es sich aber nicht als ein solches Sich-setzen-als
erfassen. Es setzt sich somit nicht als Wissen, sondern ist das »Setzen
eines Gesetzes«.22 Mit dem in dieser Struktur begründeten Ausschluß
einer Differenz zwischen wissendem und gewußtem Wissen entfällt auch
die Möglichkeit einer qualitativen Bestimmtheit – in Fichtes Terminolo-
gie: Das absolute Wissen »ist wesentliche Einheit« (374).23 Reine Gewiß-
heit als Innerlichkeit unbedingter Notwendigkeit ist also streng genom-
men weder als ein Sich-Wissen noch als ein Wissen vom Absoluten zu
beschreiben. Hierin hat man auch vermutlich den innersten Grund für
Fichtes absolutheitstheoretische Verwendung des Seinsbegriffs zu erblik-
ken. Das Repräsentationsverhältnis zwischen absoluter Einheit und reiner
Gewißheit ist daher ebenfalls nicht als eine mentale, sondern als eine
ontische Repräsentation zu beschreiben. Mit dem Ausschluß qualitativer
Bestimmtheit wiederholt sich aber auch diejenige Aporie, die sich bereits
am Ende der Wahrheitslehre mit Bezug auf die Prinzipienfunktion absolu-
ter Einheit gezeigt hatte.24
Der in dieser Situation weiterführende Argumentationsgang Fich-
tes nimmt daher eine erstaunliche Wendung, die hier noch hinsichtlich
ihrer Konsequenz für die Gewißheitskonzeption in den Blick genommen
werden soll. Fichte unterscheidet nicht nur zwischen dem Absoluten und
dem absoluten Wissen als der Erscheinung absoluter Einheit, sondern

22 »[D]urchaus in einem Standpunkte zwischen beiden steht das Wissen: es steht im


Bilde der Nachconstruktion, als Bilde, in welchem Bilde ihm schlechthin durch ein inneres
Gesetz, das Setzen eines Gesetzes entsteht« (373 / Copia).
23 »Hierin, in dieser gänzlichen Entfernung der materialen, qualitativen Einheit, die
uns bis jetzt nicht verließ, liegt ein neues Unterpfand, daß wir höhergestiegen sind« (375 /
Copia).
24 »Zuvörderst leuchtet wohl ohne weiteres ein, daß, falls wir in dem jetzt Vorgetra-
genen uns nur recht befestigen, keine Möglichkeit abzusehen ist, wie wir je heraus, und zu einem
Weitern kommen sollten« (374). Mit meiner Interpretation der reinen Gewißheit als ontischer
Repräsentation absoluter Einheit (vgl. dazu R. Barth: Wahrheit, Kap. 5.4.) weiche ich von der
durch U. Schlösser: Erfassen, 146ff., vorgelegten Rekonstruktion ab, insofern dieser auch den
unmittelbaren Vollzug als einen »in sich selbst transparenten Akt« (148) interpretiert und ihn
somit als spezifischen Wissenssinn identifiziert.
Wahrheit als Sein von Einheit 113

wiederum zwischen dem absoluten Wissen und dem Dasein des absoluten
Wissens. Erstaunlich ist nun aber nicht die innere Stufigkeit der Erschei-
nungslehre, sondern der Sachverhalt, daß Fichte für das Dasein des abso-
luten Wissens, welches er sodann auch als transzendentales, die Ableitung
begründendes Wissen oder als den besonderen Standpunkt der Wissen-
schaftslehre bezeichnen kann – daß er also für das Dasein des absoluten
Wissens das gewöhnliche Wissen in eine Begründungsposition rückt:

»Nun dürfte es sich finden, daß die Urbedingung der genetischen


Möglichkeit des Daseins des absoluten Wissens, oder der W.-L.,
sei das gewöhnliche Wissen« (376).

Mit dieser Bedingung – nicht etwa für das absolute Wissen selbst, wohl
aber für dessen Dasein – wird nun aber die Struktur mentaler Repräsenta-
tion einschlägig. Soll sich die reine Gewißheit in ihrer als ontische Reprä-
sentation absoluter Einheit rekonstruierten Funktionalität unter den Be-
dingungen des intentionalen Bewußtseins selbst erfassen, so muß sie sich
in die Position eines gewußten Wissens auslegen.25 Das Sein reiner Ge-
wißheit projiziert und intuiert sich als Gewißheit eines Seins.26 Fichte
exemplifiziert diese Struktur nun zunächst am Beispiel des »ursprüngli-
chen Begriff[s]« (384) der Gewißheit selbst. In dieser »Urbeschreibung«
(ebd.) kann sich die Gewißheit ihrer eigenen Absolutheit aufgrund der
genannten Strukturgesetzlichkeit nur in Form einer faktischen Evidenz,
nämlich der eines in sich geschlossenen Seins ansichtig werden. In dieser
Rekonstruktion eines mentalen Selbstverhältnisses der reinen Gewißheit
sieht Fichte daher die ›Genesis‹, d. h. die epistemologische Begründung
der die Wahrheitslehre abschließenden Einsicht erreicht.27 Insofern zu
dieser Genesis jedoch die freie Reflexion in Anspruch genommen wird –
das Evidentwerden des Seins sich aber gleichwohl nicht als ihr »Effekt[]«
(263) darstellt –, besteht die Pointe der Phänomenologie im Lichte des
von Fichte in den Prolegomena aufgestellten Postulats einer vollständigen
Überführung von faktischer in genetische Evidenz (vgl. 46ff.) darin, daß
die Faktizitätsform auf der Ebene des intentionalen Bewußtseins als

25 »Ich sage: Beschreibung, als solche, ist innerlich immanente Projektion des
Beschriebenen« (384).
26 »Was es in dieser Vernichtung seiner selber, in der es doch ist, intuirend projicirt,
ist Sein« (386).
27 »Die Einsicht, welche am Schlusse unseres ersten Theiles so merkwürdig wurde,
[...]war nichts Anderes, als die bloß faktisch vollzogene absolute Einsicht, deren Genesis wir hier
eingesehen haben« (386f).
114 Roderich Barth

notwendig zur mentalen Selbstauslegung der reinen Gewißheit gehörig


eingesehen wird:

»Es [sc. das absolute Faktum] hat uns fortdauernd [...] begleitet; es
ist durch die Formel: die Vernunft ist absoluter Grund ihres eige-
nen Daseins, ausgesprochen worden; und wer es noch nicht sähe,
bei dem käme es bloß daher, daß es ihm allzu nahe liegt. Wir
selbst haben ja immerfort die Vernunft objektiviert, ihr Dasein da-
her, als Dasein in der äusseren Existentialform gesetzt [...] ein Fak-
tum, aus welchem es uns nie gelungen ist, herauszukommen, und
das durchaus nicht weiter aus irgend einer genetischen Prämisse zu
erklären oder zu verstehen ist, wie es eben also sich verhalten muß,
wenn es Ausdruck der absoluten Vernunft sein soll« (402f).

Die Vernunftkritik Kants hatte dem Gedanken einer absoluten Wahrheit


Gottes in seiner traditionellen onto-theologischen Fassung den Boden
entzogen. In Fichtes WL 1804-II – so läßt sich abschließend sagen –
erhält dieser Gedanke eine vernunfttheoretische Reformulierung. Ihr
organisierendes Zentrum hat diese Umformungsgestalt in der reinen
Gewißheit. In ihr ist nach Fichte die Uniformitätsbedingung all unseres
intentionalen Bewußtseinslebens zu erblicken. Sie vermag diese Funktion
zu erfüllen, weil sie das epistemische Vorkommen absoluter Einheit
darstellt. Unmittelbare Erscheinung des einigen Vernunftlebens ist Ge-
wißheit allerdings nur im Sinne dieser rein ontischen Repräsentation. Ihr
reales Vorkommen als Wissen steht dagegen unter den Strukturbedin-
gungen mentaler Repräsentation. Die reine Gewißheit manifestiert sich
immer als Gewißheit eines Seienden, das vermöge der Reflexionstätigkeit
des Bewußtseins in einen unendlichen Bestimmungsprozeß eintritt. In den
sich hierbei einstellenden materialen Evidenzen – von empirischen All-
tagsevidenzen, über die Gewißheit sozialer Verbindlichkeit bis hin zu den
faktizitären Momenten innerhalb des Selbstverhältnisses – tritt die Eine
Wahrheit des Vernunftlebens somit immer nur in einer Brechungsgestalt
zutage. Darin ist gleichsam die kritizistische Dimension in dieser Um-
formung gewahrt. Daher läßt sich die absolute Einheit der Wahrheit nach
Fichte wiederum nur in einer Pluralität von ›Weltdeutungen‹ auslegen.28

28 Von »Weltansichten« oder Arten, die »Welt zu deuten« spricht Fichte in AzsL,
GA I/9, 104. Zur deutungstheoretischen Rekonstruktion der Standpunktlehre vgl. Ulrich Barth:
Von der Ethikotheologie zum System religiöser Deutungswelten. Pantheismusstreit, Atheismus-
streit und Fichtes Konsequenzen, in: Ders.: Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 285–311;
Björn Pecina: Liebe des Seins. Wandlungen in Fichtes Religionsphilosophie bis zur ›Anweisung
zum seligen Leben‹, Diss. Theol., Halle 2003, 283–300.
Wahrheit als Sein von Einheit 115

Hier erhält dann auch der »Glaube an einen in allem Zeitleben allein
wahrhaft, und innerlich lebenden Gott« (418) seinen systematischen Ort.29

29 Zur Einordnung und religionsphilosophischen Bedeutung idealistischer Spielarten


eines vernunfttheoretischen Pantheismus vgl. Jörg Dierken: Protestantisch-pantheistischer Geist.
Individuelles religiöses Selbstbewußtsein als göttliches Freiheitsleben im Diesseits der Welt, in:
Das protestantische Prinzip, hg. v. A. v. Scheliha / M. Schröder, Stuttgart / Berlin / Köln 1998,
219–248.
Auf der Suche nach einer neuen Theorie des Absoluten.
Die Idee der Synthesis in den späteren Systemen
von Fichte und Schelling

Arkadij Lukjanow (Ufa)

Das Problem des Absoluten ist aktuell. Es ist aktuell dank seiner Ge-
richtetheit auf die letzten Gründe des Seins und des Wissens.
Die Aufstellung dieses Problems, wie es in den Systemen der Phi-
losophie von Fichte und Schelling vorliegt, beruht auf der These, daß es
vermutlich etwas gibt, das als Quelle des Seins im Sein, als innere Kraft,
erscheint und kraft dieses Erscheinens unterschiedliche Formen weltan-
schaulicher und kultureller Gestalten hervorbringt. Durch ihr Hervorge-
brachtsein aus der Quelle des Seins sind die verschiedenen Gestalten
kulturellen und geistigen Lebens einer synthetischen Betrachtung glei-
chermaßen bedürftig wie fähig.
Wie ich zeigen werde, können sich gerade mit dem Begriff des
Absoluten, wie er beim späteren Fichte entwickelt worden ist, jene großen
Erwartungen und Hoffnungen als verknüpft erweisen, die heute in der
drängenden Frage nach der Erhaltung der inneren geistigen und energeti-
schen Ressourcen des Menschen beschlossen sind.
118 Arkadij Lukjanow

1. Die synthetische Idee des Absoluten beim späten Fichte

Unabhängig vom idealistischen Entwurf zur Theorie des Absoluten haben


Religion und Philosophie weit verbreitete Vorstellungen über das Absolu-
te hervorgebracht. Etwa: die Idee eines persönlichen Gottes, die Vorstel-
lung eines unpersönlichen Seins, das als Quelle der Existenz verstanden
wird, die Idee eines gewissen ewigen Gesetzes, das innere Wesen eines
jeden Menschen, das absolute Ziel und Telos des Lebens oder die Vielzahl
von Göttergestalten, die die unterschiedlichen Vorstellungen vom Paradies
bevölkern. Mit Blick auf Fichte läßt sich zu dieser weiter fortsetzbaren
Reihe kritisch feststellen: Es ist gerade das heuchlerische und zugleich am
weitesten verbreitete Wesen des Bösen, daß es ständig seine Masken
wechselt. Und deshalb ist es nicht zufällig, daß Fichte in seiner Auseinan-
dersetzung mit Schelling um den Begriff des Absoluten eindringlich
konstatiert:

»[es] scheint mir an sich klar, daß das Absolute nur eine absolute,
d. h. in Beziehung auf die Mannigfaltigkeit, durchaus Eine, einfa-
che, sich ewig gleiche, Aeusserung haben kann; und diese ist eben
das absolute Wissen. Das Absolute selbst aber ist kein Seyn, noch
ist es ein Wissen, noch ist es Idendität, oder Indifferenz beider:
sondern es ist eben – das absolute – und jedes zweite Wort ist vom
Uebel.« (GA III/5, 112 f.)

Die theoretische Position, von der aus diese Feststellung möglich ist, ist
die Position des Transzendentalen Idealismus. In seiner Rekonstruktion
des Begriffs des Absoluten weist H. Girndt darauf hin, daß es das Eigen-
tümliche der Wissenschaftslehre – qua transzendentalem Idealismus – sei,
daß sie weder in der Realität des Absoluten noch – im Unterschied zum
reinen Idealismus – im Konstruktionsprinzip der phänomenalen Existenz,
sondern im Einheitspunkt beider stehe.1
Der in der Auseinandersetzung zwischen Schelling und Fichte um
die Idee des Absoluten verhandelte Streitpunkt war zu dieser Zeit Fichtes
Unterstellung, daß Schelling das Absolute in und durch eine Synthesis
setze, also durch eine konstruierte, d. h. rein idealistische Identität, der das
Wesen ihres konstruierten Seins deutlich anzusehen sei. Es mag sein, daß
diese Auseinandersetzung, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann,
eine Rolle für Schellings Abkehr von der Konzeption des Absoluten als

1 H. Girndt, Das Ich des ersten Grundsatzes der GWL in der Sicht der Wissen-
schaftslehre von 1804. Fichte Studien 10, 325.
Auf der Suche nach einer neuen Theorie des Absoluten 119

Indifferenz und Identität von Idealem und Realem, von Denken und
Anschauung gespielt hat. Gleichwohl hat er Fichtes kritische Lehre vom
Absoluten, trotz ihres fruchtbaren und konstruktiven Anstoßes, weder in
ihrer Bedeutung zutreffend einzuschätzen noch in die Entwicklung seines
eigenen Systems – von der Philosophie der Identität zur Philosophie der
Offenbarung – einzubeziehen vermocht. Der Grund dafür liegt darin, daß
Fichte seine Philosophie des Absoluten erst nach der Auseinandersetzung
mit Schelling neu durchdacht und entfaltet hat.
In der 1810/11 in Berlin gehaltenen Vorlesung über die Thatsa-
chen des Bewußtseyns entwickelt Fichte den synthetischen Gedanken, der
die formale Selbstbestimmung des Lebens und deren moralischen End-
zweck im Zusammenhang mit dem Absoluten thematisiert. Die An-
schauung Gottes ist hier als der Endzweck der Selbstbestimmung des
menschlichen Lebens aufgestellt. Dem Endzweck des Lebens und seiner
Selbstbestimmung liegt jedoch die Möglichkeit der Anschaubarkeit zu
Grunde. Als Anschaubarkeit seines Endzweckes kommt das Leben, wie
Fichte schreibt:

»in zweien zugleich seyenden und gegenseitig durcheinander be-


dingten Formen vor, in der allgemeinen als durch den Endzweck
bestimmte Natur, die als ewige Natur zufolge derselben Bestim-
mung eine unendliche Reihe von Welten schafft, und in der indivi-
duellen, als durch denselben Endzweck bestimmbare absolute
Freiheit; wodurch sonach in jedem Individuum gesetzt ist Natur-
trieb, sittliche Bestimmung, und die zwischen beiden schwebende
absolute Freiheit, die durch sich selbst in eigener faktischer Ver-
nichtung zum Willen zu steigern ist; durch welche die individuelle
Form in ihrer Bestimmtheit, d. h. die Summe der Individuen den
Untergang aller möglichen Welten überlebt.« (GA II/12, 128)
(Hervorhebung A. L.)

Nun ist aber der Endzweck der sittlichen Bestimmung keineswegs das
Absolute selbst, sondern »nur« das »Seyn des bloß formalen Lebens«,
d. h. des Lebens, dem »die innere Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit«
eigen sind (GA II/12, 127 f.). Eine nähere Bestimmung des Absoluten
gewinnt Fichte aus der Analyse der Begriffe Sein, Werden (Leben) und
Einheit, sowie aus der Bestimmung ihres synthetischen Zusammenhangs.
Zum Sein heißt es:

»Seyend nenne ich dasjenige, was durchaus nicht wird, und nie
geworden ist, und von dem man eben schlechtweg nichts anderes
sagen kann, denn es ist.« (GA II/12, 128)
120 Arkadij Lukjanow

Dagegen ist das Leben, seinem formalen Wesen nach, nur Werden. Aus
der Verbindung von Sein und Leben gewinnt das unendliche Werden in
seiner unendlichen Verschiedenheit den »Augenblick« als Bestand, der
notwendig ist, um das sonst »ins Nichts zerfließende« Leben als solches
auffassen zu können. Es ist somit im Leben das »Seyn selbst in allem
diesen unendlichen Werden [anwesend], es ist, und wird nicht, wird nicht
geändert, nimmt an dem Wandel durchaus nicht Antheil.« (GA II/12, 129)
Die Vermittlung der hier im Spiel befindlichen Elemente bestimmt Fichte
in einer Synthesis, die besagt, daß die Einheit des Lebens nicht aus diesem
selbst, sondern aus dem Sein folgt, d. h. aus seiner absoluten, göttlichen
Quelle, die nach Fichte keine Bestimmung zuläßt (GA II/12, 131 ff.).

»Nicht das Seyn folgt aus der Einheit, sondern die Einheit [des Le-
bens] folgt, und zwar erst im Gegensatze mit dem Werden als ei-
nem Wandel, aus dem Seyn.« ( II, 12, 129)

Der hier skizzierte Zusammenhang verdeutlicht, daß der späte Fichte


offenbar darum bemüht war, seinen Begriff vom Absoluten unauflöslich
mit dem Leben der Erscheinung zu verknüpfen und somit das Absolute in
das Sinnfeld der Existenz einzuholen. Diese Beobachtung wird etwa durch
die Studien von H. P. Falk gestützt, der schon für die Wissenschaftslehre
von 1805 feststellt, daß Fichte dort das Wissen als die »absolute Existenz«
bzw. als »die Existenz des Absoluten« verstanden wissen wollte.2
Man könnte allerdings versucht sein, den späten Fichte mit dem
Neuplatonismus zu vergleichen. Diese Charakterisierung ist aber für
Fichte nicht zutreffend. Denn im Unterschied zu einer neuplatonischen
Sichtweise verläßt Fichte in seiner Bestimmung des Absoluten die Positi-
on der Transzendentalphilosophie nicht. Das heißt, die Wissenschaftslehre
besteht und beruht auf der Forderung, nur von dem auszugehen, was dem
Bewußtsein unmittelbar gegeben ist. Im Hinblick auf die Erklärung der
phänomenalen Mannigfaltigkeit ist für ihn das absolute Wissen die einzige
Erscheinungsform des Absoluten. Das absolute Wissen ist demnach Gott
außer Gott. Weil aber außer Gott nichts ist, außer seiner Gestalt, so ist das
Wissen nichts, als die Gestalt Gottes. Dabei, und das ist für Fichtes Ver-
ständnis des Verhältnisses zwischen dem Absoluten und seiner Erschei-
nung wesentlich, ist das absolute Wissen nicht als ein Resultat des Aus-
flusses Gottes, auch nicht als eine Wirkung der Ursache Gottes zu denken.

2 Hans Peter Falk, Existenz und Licht. Zur Entwicklung des Wissensbegriff in
Fichtes Wissenschaftslehre von 1805, FS 7, 49–57.
Auf der Suche nach einer neuen Theorie des Absoluten 121

Eine solcher Gedanke des substantiellen Folgens oder Fließens des Wis-
sens aus Gott wäre dann tatsächlich ein Hinweis auf eine Anleihe Fichtes
aus der neuplatonischen Emanationslehre, derzufolge wir dann von zwei
verschiedenen Niveaus des Seins sprechen müßten. Das aber ist bei Fichte
nicht der Fall. Fichte bestimmt das Verhältnis zwischen Gott und Wissen
vielmehr so, daß sich das Wissen transzendental als die sich selbst gleich-
bleibende Bedingung der Möglichkeit der Anschauung bzw. Offenbarung
Gottes verstehen kann und soll. Gleichwohl aber bleibt das Problem, daß
im Absoluten die Grundlage seines Seins von seinem wirklichen Existie-
ren unterschieden werden muß.

2. Die synthetische Idee des Absoluten beim späten Schelling

Der spätere Schelling antwortet auf diese Frage bekanntlich mit der
Theorie vom Urgrund, vom Ungrund oder Abgrund. Der Abgrund ist
einfaches Existieren, unvordenkliches Sein, ursprünglicher Zufall, der
einfach ist. Aber im Urgrund ist als Trieb und unbewußtes Streben die
Potenz des Vollkommeneren angelegt. Dieses Streben kann auf nichts
anderes gerichtet sein, als auf das Absolute selbst und das Ziel, sich selbst
den Urgrund zu entdecken. Wir finden hier bei Schelling das Streben nach
Selbstobjektivierung des Triebes, dessen Resultat das in Gott erzeugte
Bild seiner selbst ist. Jacob Böhme nannte die bewußte Natur oder dieses
Bild Gottes in Gott »Sophia«.
Trotz aller Originalität dieser Idee ist der Fichtesche Ursprung in
Schellings neuer Theorie des Absoluten, die er in seiner Berliner Vorle-
sung über die Philosophie der Offenbarung entwickelt hat, nicht zu über-
sehen. Denn »in der Unbegreiflichkeit seines Seins ist [Gott] nicht wahrer
Gott. Das wahre Wesen Gottes ist sein Begreifliches.« Gott als das »rein
Seiende« ist »das Seiende im verbalen Sinne, als das Existierende in actu
puro existentae.«3 Hier liegt offensichtlich eine interessante Parallele zu
Fichtes später Philosophie des Absoluten, in der das reine Sein ebenfalls
als »verbales, tätiges und lebendiges«, als ein »esse in mero aktu« ver-
standen wird (GA II/8, 229). Gleichfalls liegt hier aber auch eine wichtige
Differenz. Zwar geht auch Fichtes Berliner Lehre vom Absoluten davon
aus, daß es außer Gott, als absolutem Sein, nichts gibt. Schelling aber
glaubt, im Gegensatz zu Fichte, daß das Wesen des Absoluten begreifbar

3 F. W. J. Schelling, Philosophie der Offenbarung. 1841/42, hg. von M. Frank,


Frankfurt a. M. 1992, 161.
122 Arkadij Lukjanow

sei, und daß Fichte es daher mit jenem Antlitz oder jener Gestalt versehen
oder umkleiden müsse, die er das »absolute Wissen« genannt hatte. Hier-
bei ist aber der wesentliche Unterschied zu beachten, der bei Fichte zwi-
schen Wissen und Leben als Erscheinung Gottes und dem formalen Wis-
sen und Leben besteht. Letzteres läßt sich niemals als unmittelbare
Erscheinung Gottes, sondern nur als unendliches Streben, Erscheinung
Gottes zu werden, verstehen und begreifen (GA II/12, 131 f.). In diesem
Abstand, wenn man so sagen darf, zwischen dem Bewußtsein in seiner
reinen Wesentlichkeit, d. h. als natürlicher Trieb, sich zur Erscheinung
Gottes zu machen, und der Verwirklichung dieses Strebens, entfaltet sich
bei Fichte diejenige Potenz, die er die zwischen zwei Leben schwebende
Freiheit nennt.
Blickt man von hier aus auf Schelling, so läßt sich auch hier eine
Parallele feststellen, nämlich, daß auch bei ihm die Freiheit diejenige
»Potenz« darstellt, die zwischen dem Sein und dem Nicht-Sein schwebt.
Jedoch setzt diese Potenz, schwebend zwischen Sein und Nicht-Sein, jenes
»unvordenkliche Sein« Schellings voraus, in welchem sie selbst als Mög-
lichkeit begründet ist.4
Schellings Absicht, das prius esse zu enthüllen, bedeutet des wei-
teren, auch das ihm entsprechende Erkennen mit zu entdecken. Dieser
Versuch läuft auf den Unterschied zwischen dem »unvordenklichen Sein«
und dem »Sein als Möglichkeit« hinaus, wobei die Seins-Möglichkeit sich
selbst als Potenz des unvordenklichen Ur-Seins begreift. Aus dieser
Gründung der Möglichkeit entspringt das Offene für den Entwurf eines
Seins, das vordem nicht existierte, sondern das sich durch schöpferische
Freiheit als etwas gänzlich Neues und Unerwartetes zeigen kann. Seine
Aktualität gewinnt das unerwartete Sein aus jenem »Abgrund«, der für das
erklärende Wissen verschlossen und in seiner Offenbarung ewig »unvor-
denklich« bleibt. Nun ist Schellings »unvordenkliches Sein« ohne Zweifel
auch ein Gedanke. Ein Gedanke allerdings, der als »Bewußtsein auf den
Rand der Natur« auf die höchste »Spitze« der Natur abstellt, und was nach
der Philosophie der Mythologie als ta eschata tes physeos zu verstehen
ist.5 Diese Vermittlung bewirkt, daß auch die materielle Welt, selbst in
ihrer »untersten Schicht«, dem Totenreich, bei Schelling nicht ohne
geistige Beseelung gedacht werden kann.

4 Daselbst, 162.
5 F. W. J. Schelling, Historisch-kritische Einführung in die Philosophie der
Mythologie, 2 Bd., Moskau 1989, Bd. 1, 335.
Auf der Suche nach einer neuen Theorie des Absoluten 123

Schellings Idee des Absoluten als das die schöpferische Freiheit


begründende, gleichwohl für das Denken unvordenklich abgründige Sein,
erinnert, um noch einmal auf Fichte zurück zu kommen, an ein Wort von
Jens I. Baggesen, der gegenüber Reinhold davon gesprochen hatte, daß er
sich »im Kopf« des Fichteschen Systems eine völlig »reine Seele« denke,
aus der – als reiner und unbestimmter Leere – das Ich seinen Anfang
setzt.6 Das mag zutreffend von Baggesen bemerkt sein, nur ist diesem
Bonmot hinzuzufügen, daß Fichte aus dieser »reinen Seele«, dem Quell-
punkt seines Systems, nicht allein die Freiheit, sondern auch den ganzen
Reichtum seines Denkens schöpft.

3. Resümee

Zu Beginn eines neuen Jahrhunderts stehen wir heute vor der Aufgabe, die
Fülle des unvordenklichen Abgrundes, den positiven Sinn und die Ergie-
bigkeit des Bildes von der reinen Leere offenzulegen. Unsere Begriffe
vom Absoluten, so wir über sie verfügen, tun gut daran, die Produktivität
der hier angestellten Überlegungen zu berücksichtigen. Denn die hier
abgründig und unvordenklich aufscheinende Offenheit greift nicht in die
nichtige Leere eines unvorhersehbaren, geschichtlich-geschicklichen
Fatums, sondern in die Fülle eines durch Freiheit hervorzubringenden
Seins. Fichtes Theorie des Absoluten enthält ein Streben nach etwas, das
sich nicht aus dem erschließt, was dem primitiven menschlichen Verstand
dient oder was dieser verehrt, sondern das sich aus der Erwartung von
etwas Anderem, noch nicht Gegebenem, nährt, von etwas, das unsere
Vorstellungskraft an Vollkommenheit und Schönheit unendlich übersteigt.
Auf dem Weg zur Wahrheit häuft die Menschheit eine Fülle von
Vorstellungen über das Absolute an. Diese Tatsache kann als ein Beleg
dafür gelten, daß wir beständig in der Gefahr stehen, nicht das Unmögli-
che und schlechthin Neue zu versuchen, sondern uns bei einem Starren
und Unveränderlichen als der vermeintlichen Wirklichkeit des Vollkom-
menen zu beruhigen. Aber die Vase unseres Lebens ist zu zerbrechlich, als
daß sie im Stande wäre, die Vollkommenheit in sich aufzunehmen. Des-
halb ist uns das Streben nach dem Absoluten als eine unendliche Aufgabe
gestellt, eine Aufgabe, die uns jener philosophische Eros erleichtert, der
uns unser Selbstbewußtsein als potentia potentiae, als »ein Sein in Frei-

6 E. Fuchs, Fichte im Gespräch, Bd. 4, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, 260.


124 Arkadij Lukjanow

heit« erahnen läßt. Wenn auch undeutlich, so spüren wir doch lange bevor
wir bestimmt erkennen, was wir lieben und nötig haben.
Ich bestreite damit weder die Existenz noch die Nützlichkeit unse-
rer dinglichen Welt. Ich glaube nur, daß die innere Kraft des Selbstbe-
wußtseins fähig ist, Bedeutsames hervorzubringen und uns in den Hori-
zont dessen zu stellen vermag, was wir ehedem nicht bemerkt haben. Das
Selbstbewußtsein schildert und erklärt somit nicht nur die Phänomene des
menschlichen Geistes, sondern es entdeckt und befördert wesentlich
dessen neue Möglichkeiten.
Der Gedanke des Lebens in den späten Schriften
Fichtes

Lu De Vos (Leuven)

Die spezifische Bestimmung der WL in den Schriften Fichtes ist ab 1804


das Leben: die Wissenslehre sei Lebenslehre1. Diese These wird nicht
deutlich aus den früheren Texten, die einen Standpunkt des Wissens von
einem des Lebens absetzen; ebensowenig wird die Zusammenfügung von
Sein und Leben im Prinzip der WL 1804 II geklärt. Diese Unklarheit
ändert sich, wenn Fichte nachher die Bestimmtheit des Lebens darzulegen
versucht2. Die thematische Betrachtung vom Leben ergibt Grundbestim-
mungen, welche die früheren vereinzelten Bestimmungen systematisieren.
Diese sind das Leben des Absoluten oder Gottes, das göttliche Leben oder
die Erscheinung, die lebendige Klarheit desselben Lebens oder das zum
reinen Wissen gebrachte Wissen und das Leben dieses zur Weisheit ge-
wordenen Wissens.
Aus dieser Übersicht tritt meine Hauptthese hervor: Leben ist die
einzige durchgängige Bestimmtheit der WL in Fichtes Spätphase. Ob die
Bestimmungsversuche – unbeschadet des Abweisens der Thematisierung
der Bedeutung – das Leben und die Formen desselben Lebens faßbar
machen, ist zu klären. Grundlegend fragt sich, wie das Leben der leben-
digen WL, das göttliche Leben und das absolute Leben sich zueinander

1 Vgl. W. Janke, Vom Bilde des Absoluten. Berlin 1993, 66ff.


2 Vgl. die Diskussion in ›Zu den Gedanken‹, GA II/11, 46ff.
126 Lu De Vos

verhalten. Zur Beantwortung versuche ich, die Grundlehre des Lebens in


ihren Momenten so zu artikulieren, daß die Bedeutung des Lebens in
Fichtes Philosophie klar wird. Ich unterscheide zwischen den Vorträgen
der WL bis 1812 und den spätesten Vorträgen, wobei die WL 1813 einen
Angelpunkt bildet. Im Resultat wird die Hauptthese dahingehend kritisch
befragt, ob und wie sie über die Bedeutung des Lebens als Bestimmung
des Absoluten entscheiden kann.

1. Formen der WL bis 1812

Auch in der Berliner Zeit ist die Problematik der WL das Wissen des
Wissens: Wie erhält das Wissen Einsicht in sein eigenes Leben und er-
wirbt es selbst Leben? Zur gezielten Lebendigkeit vereinigt sie die Ele-
mente des Wissens in eine organische Vereinigung, wodurch vermieden
wird, daß das Wissen ein Totes wäre (vgl. WL 1811, GA II/12, 155–158).
Der Ausgangspunkt ist das Leben der Erscheinung. Dieses Leben
ist das bewegliche und agile Schweben zwischen Wesen und Erscheinung
(WL 1810, GA II, 11: 307). Solches Leben ist schematisierendes Leben,
denn es ist Wissen, kein unmittelbar lebendes Leben. Dieses Urschema ist
Schema Gottes und besitzt zudem ein eigenes Leben. Es einigt eine Zwei-
heit, die durch dasselbe aus dem Einen hergestellt wird.

»In der Erscheinung, die da ist das absolute Erscheinen des Seyns,
schlechtweg dadurch, daß es selbst ist, und wie es selbst ist in sich
selbst, ist noch über dies ein eigenthümliches absolutes Leben, zu-
folge des sie sich selbst erscheint.« (WL 1811, GA II/12, 179)

Was wird hiermit gesagt? Das Leben ist das, wodurch die Erscheinung
sich selbst erscheint. Die Erscheinung wird von diesem eigentümlichen
und absoluten Leben ermöglicht und begrenzt. Das Leben ist also Träger-
bestimmung des Erscheinens, sodaß dies nicht als totes Sein verstanden
wird, denn es ist ein eigentümliches, eigenes Leben. – Bei dieser Aus-
gangslage wird, wie selbstverständlich, eingeführt, daß das Schema der
Tod des Lebens ist: Die Realität, immer noch als die des Lebens der
Erscheinung verstanden, ist nur zu leben und erleben, weil das Leben
selbst zu leben ist, denn die Realität ist die Sache und kein totes Schema.
Der zweite Gedanke ist die Gegenüberstellung von diesem Leben
der Erscheinung und Gott. Gott ist in sich selbst lauter Leben (WLiaU
1810, §1, SW II, 696). Er kann sich weder verändern, noch bestimmen.
Der Gedanke des Lebens in den späten Schriften Fichtes 127

Sofern Begriffsbestimmungen das Leben im Urschema schon getötet


haben, greifen sie nicht. Mithin denkt das Denken das Absolute als eitel,
reines Leben. Damit entsteht die Frage, wieso Gott Leben heißt oder, was
es bedeutet, ihm Leben beizulegen3. Evidenterweise ist dieser Gedanke ein
Akt des Begründens und insofern nicht der Sache nach Gott bestimmend.
Problematisch bleibt jedoch, wieso Gott als Leben betrachtet wird und
eben nicht als Wissen.
Eigentlich fungiert diese Grenzziehung als Restriktion, die die
Erscheinung und das Absolute voneinander unterscheidet. Von diesem
Gedanken ab wird die Ausgangslage ausgearbeitet. Das absolute Leben
erscheint als Leben: es macht sich sichtbar. Das Schema der Erscheinung
ist Leben in der Tat des Lebens, in der die Lebendigkeit als ein freies
selbständiges Leben in Schematen erscheint. Wie? Das Leben vermag in
dieser wesentlichen Form der Erscheinung zu leben; das Wissen oder Bild
ist die Sichtbarkeit des göttlich genannten Lebens. Dieses als lebendig
gefaßte Leben ist damit zugleich zu einem lebendigen Bild Gottes gewor-
den, denn das Leben des Bildes ist Leben des göttlichen Erscheinens. Mit
dieser Bewegung, wobei das Leben sich zum Sehen bringt, ist die schroffe
Gegenüberstellung von Wissen und Leben, die vorher herrschte, abge-
lehnt. In dieser Darlegung Fichtes können beide, Wissen und Leben,
sowohl lebendig als unlebendig sein. Das Leben des Bildes ist zugleich
seinem Wesen nach selbst Bild, oder die Erscheinung ist ein Vermögen,
das nicht dem Absoluten als lauterem Leben zugeschrieben werden kann,
wodurch die Unterscheidung von Leben und Bild freilich noch erhalten
bleibt. Das Bild ist in sich weder lebendig noch selbständig, sondern es ist
als Erscheinung kein reales, sondern ein Vermögen oder schematisieren-
des Leben durch Gott.
Leben macht sich wesentlich an einem andern, entgegengesetzten
Leben sichtbar. Diese Entfaltung des Lebens bildet die Wurzel des Wis-
sens und zeigt, wie Leben in Gegensatz und Wandel besteht. Diese Ver-
doppelung des Lebens hat sich allerdings schon in der Duplizität der
Bildhaftigkeit des Lebens gezeigt, das heißt, Leben wiederholt sich in der
Bildung des Bildes. Das Bild hat oder ist das Vermögen, entweder sich auf
das eigene Leben der Erscheinung zu beschränken oder sich in das Leben
selbst zu werfen. Genau durch diese Entfaltung an der Sichtbarkeit des
Lebens ist die Mannigfaltigkeit möglich, wodurch der Vollzug des Lebens

3 Ob die Einleitung die Identifikation sichert, bleibt dahingestellt. Vgl. W. G.


Jacobs, Der Gottesbegriff in den „Thatsachen des Bewußtseyns“ von 1810/11 als Übergang zur
Wissenschaftslehre in specie (vgl. Fichte-Studien 29 (2006), 211–224).
128 Lu De Vos

selbst als Schema im wirklichen Leben und im Begreifen des wirklichen


Lebens und Erlebens entsteht. Das Vermögen soll sich als das Schema des
göttlichen Lebens sehen, durch das es nämlich ursprünglich ist und durch
welches es Dasein hat. Dazu benötigt das Leben etwas anderes.
Zu dieser möglichen Schau des göttlichen Lebens gehört das Ver-
stehen des eigenen, entgegengesetzten Lebens als Vermögen aufzusteigen.
Aus diesem Grunde erscheint das Ich als Prinzip der Sichtbarmachung des
göttlichen Lebens. Das Ich ist eine lebendige Kraft in der Sinnenwelt,
denn dieses Leben der Sinnenwelt, das ein dem Leben als Schema entge-
gengesetztes Scheinleben ist, stellt keineswegs das Ich her. Vielmehr ist
sich das Ich durch die Sichtbarkeit des göttlichen Lebens gegeben. Das
Sehen der Möglichkeiten als Schemata ist ein eigenes Leben des reinen
Sehens. Als etwas, was eigenes, inneres Leben hat, ist das Leben in der zu
bewirkenden Sittlichkeit, das dem gegebenen Leben gegenüber absolut
schaffend ist. Das materialiter geschehende Aufgeben der freien Reflexion
und das Sich-Hingeben an das Leben der Wahrheit bilden den Weg zur
Wahrheit.
Die Wahrheit ist im wirklichen Wissen das Leben des Sehens von
Gott. Die eigentliche wahre Welt, in Bezug auf welche allein eine Kör-
perwelt ist, ist die geistige Welt, als eine geistige Gemeinde, in der die
Einzelnen sind. Die gesamte Geisterwelt ist als Einheit frei; darin besteht
ihr eigenes vom Leben Gottes unterschiedenes Leben. Dieses Leben ist
von Gott, ja vom göttlichen Leben geschieden, aber nicht umgekehrt. Gott
bleibt der immer Schaffende, da ja der unmittelbare Gegenstand seiner
Schöpfung nicht eine seiende Körperwelt, sondern das freie, ewig aus sich
selbst lebende Leben ist. Das Eine geistige Leben ist also Schöpfer aller
Erscheinungen. So ist der Standpunkt der Wahrheit erreicht: Der Begriff
lebt in sich durchsichtig und vom geistigen Leben ergriffen.
Mit dem wahren Wissen ist die Erscheinung des göttlichen Le-
bens in Bezug auf ihre faktische Möglichkeit erklärt. Der Begriff kann das
wirkliche Leben nicht binden, denn der Grund des Lebens ist das Leben
selbst. Gott ist keineswegs abgesondert und rein – wie wir uns im Intelli-
gieren, das einen Grund denkt, ausgedrückt haben –, indem diese Reinheit
bereits den Tod involviert. Das Wissen muß also gewußt werden, sodaß es
abgezogen werde, damit göttliches Leben rein erscheine. Ist das Wissen
schon Ausdruck des Lebens, wenn das Vermögen, das Wissen zu sehen,
sich vollzogen hat? Mit dieser Frage erscheint erst der Wille, der das
vorweggenommene Leben ist. Das Wissen soll sich zwar als Ausdruck des
göttlichen Lebens sehen; dann jedoch ist der Wille das Schema, das sich
als Leben betätigt.
Der Gedanke des Lebens in den späten Schriften Fichtes 129

Diese lebendige Erscheinung bildet sich zum eigenen Leben der


Erscheinung, weil sie nicht Leben schlechthin ist, sondern solches Leben,
das überhaupt erst irgendetwas produziert. Mit dem Wissen ist kein wirk-
liches Erblicken vollzogen, sondern nur Wissen um das mögliche Erblik-
ken. Gott als lauteres Leben kann in einer gleichfalls lebendigen Erschei-
nung durch die Erscheinung erscheinen, wenn sie sich als Erscheinung des
Lebens willentlich betätigt. Diese letzte Einheit, wohin fortgetrieben wird,
ist absolute Lebendigkeit der Weisheit. Die Erscheinung gibt sich dem
wirklichen Leben hin, nicht dem in seiner Nichtigkeit dargestellten Leben
der Sinnlichkeit, sondern dem göttlichen Leben, wie es in der WL lebt.
Alle Formen des Lebens sind in der WL, die das Leben als Akti-
vität mit einem sich vom Leben herstellenden lebendigen Bild versteht,
organisch entfaltet. Die hergestellte, sich lebendig erhebende Einheit weist
auf ihren Träger hin, auf das göttliche Leben, das sich in Beziehung auf
ein Leben Gottes hin restringiert. Bei diesem Resultat bleiben aber zwei
wichtige Fragen, worüber im obigen Überblick nichts entschieden ist.
Wieso reicht der Gegensatz von Tod und Leben aus, um Wissen und das
im Wissen unableitbar Gewußte zu kennzeichnen? Wird damit nicht von
einem im Wissen erschlossenen Etwas auf das Wissen selbst hinüberge-
gangen und noch mehr auf das, was aus demselben Wissen unableitbar
ist? Die zweite Frage ist, wie oder wieso Gott »leben« soll? Ist dies nicht
eine mit der vorgeführten Weisheit unerreichbare Behauptung, sofern das
Leben nicht in religiöser Weise als Gott, sondern Gott vielmehr umgekehrt
als Leben gedacht wird? Beide werden in der Frage zusammengefaßt, ob
Fichte eine Lehre vom Leben aufstellt, oder ob er »Leben« als distinktives
Merkmal einer auf Tätigkeit angelegten Ontologie einführt4.

2. WL 18135

Ein Drehpunkt für all diese Fragen scheint die WL 1813 zu sein. Nicht nur
lehnt diese WL die Kennzeichnung ›Ontologie‹ ab; schwieriger zu deuten
scheint ihr Versuch zu sein, die WL insgesamt‚ ohne ›Leben‹ darzustellen.
Der erste Eindruck ist insofern täuschend, als an bestimmten Momenten –
und das nicht an den unwichtigsten – auch diese WL nicht ohne die Betä-

4 Damit frage ich dem Ansatz Brachtendorfs, der Leben auf Sein zurückführt,
zuwiderlaufend. Vgl. J. Brachtendorf, Fichtes Lehre vom Sein. Paderborn 1995, 251–252.
5 Dazu I. Thomas-Fogiel, Science de la science et réflexivité en 1813, Vortrag an
der Université Catholique de Louvain am 17.5.2002.
130 Lu De Vos

tigung des sich aufzeigenden Lebens fortschreitet. Die Aufgabe der WL ist
und bleibt nicht so sehr ein Bild zu entwerfen, sondern vielmehr, sie selbst
zu leben (SW X, 5). Auch die Einheit des Wissens besteht in einer ›orga-
nischen‹ Verschmolzenheit des Wissens mit dem Sein (die vormalige
Ausgangslage). Solches wissende Bild ist aus, von und durch sich leben-
dig, wodurch das Sehen lebendig wird, was die Leistung des Verstandes
ist, der zu lebendigem Wissen im Theoretischen kommt. Dann bricht die
Ausführung ab.
Deshalb fragt sich: Kann diese wichtige Änderung der Darstel-
lung von 1813 aus ihrem Status als abgebrochener Darstellung erklärt
werden, weil sie nicht bis zur Frage der (realen) Differenz fortgeschritten
ist? Das wäre gut möglich. Ist die Zurücksetzung des Lebensbegriffs
wirklich oder scheinbar, und was leistet das Leben für diese WL? Weil
diese WL nur den Verstand oder die Reflexivität selbst aufzuklären ver-
sucht, restringiert sie sich kritisch auf das Verstehbare. Dabei bleibt ihr
allerdings die wichtigste Aufgabe zuerkannt, ins von ihr betätigte Leben
überzugehen. Dabei wird die Problematik der Hinnahme des Gegensatzes
von Tod und Leben im vorliegenden Text ausgeschaltet und verzichtet die
WL ganz auf die Differenzierung des Lebens in Bezug auf Gott. Diese
Differenzierung wird nicht mehr berührt, weil das vom Verstand erreichte
Wissen zwar die Verstandesgesetze bestätigt und erfüllt, jedoch nicht
mehr jenseits derselben zu fragen versucht. Ist dies Fichtes endgültige
Lösung oder bloß ein abgebrochener Lösungsversuch?

3. Die letzte Phase6

a. In der Einleitung 18137 wird das Leben wieder Thema der Betrachtung.
Vom einfachen Verstehen des Lebens, das jenseits der Natur ist, führt der
Weg zum Leben. Hierdurch ist es nicht auf ein totes Sein zurückzuführen,
sondern auf eins, das lebendig ist und Leben hat. Das Töten des Lebens ist
das Geschäft des natürlichen Sinnes. Dagegen ist philosophisch das Leben
als Leben und nicht als etwas anderes zu betrachten. Die Philosophie hat
als Aufgabe die strenge Nachweisung des absoluten Nichts außer dem

6 Die Paginierung im Text entstammt R. Lauth (Hrsg.), ›Ultima Inquirenda‹.


J.G. Fichtes letzte Bearbeitung der Wissenschaftslehre Ende 1813/ Anfang 1814. Stuttgart-Bad
Cannstatt 2001.
7 Vgl. A. Bertinetto, »Sehen ist Reflex des Lebens«. Bild, Leben und Sehen als
Grundbegriffe der transzendentalen Logik Fichtes, in: E. Fuchs u. a. (Hrsg.), Der transzendental-
philosophische Zugang zur Wirklichkeit. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2001, 269–306, hier 288–293.
Der Gedanke des Lebens in den späten Schriften Fichtes 131

einen unsichtbaren Leben, das auch Gott genannt wird (50). Bis zu dieser
Aussage wird dem Leben bloß ein Name gegeben. Es scheint nicht mehr
dargelegt zu werden als dasjenige, das mit dem Leben ausgewiesen wird.
Gott ist gewöhnlich durch sich, von sich, aus sich im Verstand; in der
Nachkonstruktion verschwindet das absolute Leben Gottes, zu einem
erstorbenen; aber innerlich ist er ein ewig reges, nie stillstehendes Leben
(53). Was heißt hier Leben? Eine Einheit oder eine Konkreszens von
zweien und die innige Durchdringung des Seins und des Fassens in einem
(58). – Mit dieser Aussage entsteht das Problem, ob und wieso man die
Einheit von zweien dem Leben Gottes zusprechen kann.
Wenn Leben als Leben in solcher Form bestimmt wird, erscheint
Wissen. Dieses ist lebendiges Wissen, wenn ewig reges Leben durch
lebendiges Bewußtsein für das Bewußtsein als solches erzeugt wird.
Wahrhaft ist nur ein Leben in ihm selbst, und ein anderes ist nicht. Dies
reine Leben stellt sich nun in einem Wissen oder Bilde seiner selbst dar.
Das Wissen stellt das Leben anhaltend und befestigend vor sich hin. Das
Befestigen als Grundgesetz vom Wissen erwirkt einen Gegensatz zum
Nichtleben. Auf der Verkettung dieses Gegensatzes mit der Form des
Lebens beruhen alle Gestaltungen des Wissens. Das seiende, absolute
Nichtleben ist allenthalben als Gegenstand des Wissens mit dem Leben
verschmolzen (90).
b. Auf das Problem von Leben und Absolutem geht das Diari-
um III ein. Die Erscheinung wird falscherweise zu einem besonderen
göttlichen Leben gemacht. Selbst eine Zweiheit zwischen absolutem Leben
und seinem Bilde gilt nicht (187). Das Leben oder das Absolute ist Eins
(145). Gefragt wird dennoch nach dem besonderen Leben des Bildes für
die Form des Begriffs. Dies Bild ist das göttliche Leben selbst in der Form
des Begriffs. Ist das absolute Leben darin als von sich, durch sich, so lebt
und bildet sich das göttliche Leben an sich. So wird das Absolute an sich
nicht tot dargestellt, sondern lebend8. Das Leben ist dann durch ein ande-
res Leben, der Unterschied besteht in dem Leben durch sich selbst und in
dem Leben durch das Leben. Das Leben durch das Leben ist im Bild und
außer dem Leben, das durch ein bloß erscheinendes, begreifliches Leben
sich darstellt. Das Leben an sich aber ist nie Bild. Das absolute Noumen
ist zwar das absolute Leben Gottes, es wird allerdings nur ein solches sein,
das als Produkt nicht reflektiert werden soll. Damit ergibt sich eine durch-
aus konsistente Perspektive, da ja das ›an sich‹ oder die Position Gottes

8 Vgl. G. Zöller, Leben und Wissen, in E. Fuchs u. a. (Hrsg.), op.cit. (Anmerkung


7), 318f.
132 Lu De Vos

bloß vom Bild aus zum Ansatz kommt. Unterschieden wird innerhalb der
Form zwischen dem Leben an sich und der Form des Begriffs. Von uns
aus gesehen ist das Leben rein, denn sein eigenes ›aus sich‹ sperrt sich für
uns: Da ja das Leben selbst nicht im Bilde sein kann, ist es dem Bilde
unzugänglich.
Die Einführung der Gedankenspaltung von ›Tod und Leben‹
bringt, wenn der Tod des Lebens sich im Verstand als Strukturierungs-
prinzip ergibt, ein doppeltes Bild des Lebens hervor, eines, das an der
Freiheit »da seyn« soll und eins, das »da gewesen« ist. Durch das Bild
wird der Träger des Lebens als Hilfspunkt hingestellt, das Leben selbst
anzuschauen. Das sich verstehende Leben ist das eine absolut göttliche
Prinzip im Verstand. Dies höhere Leben bleibt notwendig außer dem
Bilde. Dem verstehenden Sehen liegt ein reales Leben zu Grunde. Nur
durch die Vernichtung des Verstehens wird Leben; im Nicht-Sein des
Verstehens, welches Nichtsein begründet, liegt das Leben. Damit ist eine
negative Bestimmtheit des Lebens erreicht, nämlich das sich nicht verste-
hen, wie in früheren Bestimmungen von Leben; der Hiatus ist für den
Verstand, nicht für das Leben; die positive Bestimmtheit gehört dazu:
Leben lebt, es ist nicht nicht, Aussichquellen und Tätigkeit.
Das selbständige Leben des Wissens ist als werdend durch abso-
lutes Verstehen erkennbar. Wenn es zum Verstehen des Verstehens
kommt, verschwindet dieses und tritt das Leben Gottes oder das Eine
wieder ein. Dieses Bild des Lebens muß ein Wiedererwecken des Toten
sein. Dieses Leben ist somit die Erscheinung des Absoluten oder des
Lebens und geht nicht weiter als diese Erscheinung. Die Absolutheit der
Erscheinung bleibt so erhalten, ohne mit der wahren Absolutheit ver-
mischt zu werden. Jenseits des Begriffs ist das reine einfache göttliche
Leben. Leben ist in seinem Innern unverständlich und nur im Äußeren
verständlich. Jenseits ist das Eine Leben Gottes, das wahre, qualitativ bild-
lose, reine Leben; und ein wahres Leben der Erscheinung jenseits aller Be-
stimmungen gibt es nicht. Das einzige wahrhaft Lebendige ist Gott, und er
erhält innerhalb der Erscheinung die Form der Einheit durch den Gegen-
satz des Werdens.
c. Aufgrund dieser privaten Überlegungen gestaltet Fichte die le-
tzte WL 1814. Diese WL wird erneut programmatisch als die organische
Einheit des Blicks eines Lebens bestimmt. Das angestrebte Verständnis ist
lebendiges Bild. Leben ist hier nicht Teil des Wissens, denn es bleibt
jenseits allen Wissens und außer dem Wissen, wie ja schon das Verständ-
nis außer ihm ist. WL ist das Werden – d. h. inneres lebendes Bild – und
das, was gebildet oder lebendig konstruiert wird, ist Darstellung, denn
Der Gedanke des Lebens in den späten Schriften Fichtes 133

leben muß es, um nicht im Tod zu verharren. Dasjenige, was die WL


selbst lebt, wird nicht selbst wieder ein Bewußtes. Denn das Leben, das
durch denkende Einheit das Ganze faßt, ist nur im Bilde. Wahrhaft ist es,
lebt und wirkt im Zerfließen und Sich-Bestimmen. Die WL mündet des-
halb auch in das Nichtverstehen, sie bleibt bloße Lehre. Ist nun das Abso-
lute, Gott als Leben zu bilden, dann bleibt Gott, so behauptet Fichte,
dennoch immanent in ihm selbst und kann nicht in eine Welt heraustreten.
Gott kann nicht aus sich herausgehen, denn dann fände eine Unterbre-
chung des Lebens statt.
Die Differenzierung des Lebens gestaltet sich selbst: Leben wird
nicht durch unseren Verstand unmittelbar verstanden, deshalb ist hier auch
keine Anschauung des Lebens. Wäre die Bestimmung des Lebens sein
Heraustreten aus seiner ursprünglichen Einheit, dann wäre es Verstehen
seiner selbst. Das Leben in seiner Bestimmung wird von der Verstandes-
form ergriffen. Es macht sich nach dem Gesetz des Verstandes zum
Produkt des Verstehens. Damit wird das Verstehen selbst umrissen; es ist
absolutes Bild; ob das Bild leben könne, läßt sich lediglich durch den
Versuch betätigen. Der Verstand ist im Realismus durch die Selbstbestim-
mung des Lebens zum Dasein begründet. Er ist ein faktisches Prinzip:
absolute Freiheit und inneres Leben, d. h. ein sich Erschaffen des Lebens
aus Nichtleben. Dies Leben war nicht da, das absolute sich Schaffen zum
Leben macht das Verstehen zum Leben. Zu diesem Hervorgehen des
Lebensakts wird das Vermögen, absolut zu leben oder ein Nichtleben zum
Leben zu machen, vorausgesetzt.
Das Lebensprinzip dagegen, das sich zum Leben schafft, ist nicht
das absolute, sondern nur Wissen des Prinzips. Das Leben muß in die
Verstandesform eintreten als ein absolutes Werden aus einem Nichtleben,
da es Leben als ein Machen durch sich sein soll. Im eigenen Willen, in der
absoluten Selbstbestimmung zum Leben, kann man erst Gott haben; wie
man aber zu sittlichem, geistigem, göttlichem Leben kommt, ist die wich-
tigere Frage, womit Fichte seine Darlegungen beschließt.

4. Resultat

Was zeigen diese letzten Darstellungen als Leben und als Probleme des
Lebens? Insgesamt erscheint in der analysierten Phase das Leben stets als
grundlegend und auch als die WL strukturierend und sie umfassend.
Leben ist nicht zu definieren, sondern zu leben. Dennoch gibt es ›definiti-
onsartige‹ Bestimmungen: Das Leben ist nicht-mechanisch, es ist und hat
134 Lu De Vos

kein Bewußtsein, es ist nicht Wissen, nicht Bild, nicht philosophisches


Wissen. Es ist im Verstande nicht beherrschbar, sondern gerade sittlich zu
leben. Deshalb wird es auch göttlich genannt. Mit dieser Unreflektiertheit
ist auch die anfängliche Dimension des unmittelbaren und unkonstruierba-
ren Lebens wieder eingeholt, aber jetzt nicht mehr als tatsächliches Leben,
sondern als das einzige Leben, das es wert ist zu leben, nämlich das
›göttliche‹ Leben. Auch gibt es eine ›neuere‹ Bestimmung: es kann als
Einheit von zweien und als sich selbst bewegende Einheit benannt werden.
Doch gilt überhaupt, Leben gestaltet sich; die Lebendigkeit ist Tätigkeit,
und das Leben ist das Reale, vielleicht das Reale Gottes. Beide Bedeutun-
gen zusammen ergeben, daß das Leben ein Dasein bei sich führt, das als
Erscheinung das erscheinende Leben ist.
Doch ergeben sich vielleicht Schwierigkeiten: Mit den Ausfüh-
rungen der WL 1813 gab Fichte den Eindruck, die Grenze des Lebens
bloß als Grenze vorzutragen, ohne eine darüber hinausgehende Differen-
zierung zwischen Leben und Gott erneut vorzunehmen. Diese Auffassung,
daß das unhintergehbare Leben bloß Gott genannt wird, hat auf diese
Weise keine Parallele in anderen Texten Fichtes, weil in diesen die Unhin-
tergehbarkeit des Lebens mit dem Namen Gott garantiert wird, der als
unmöglich zu unterbrechendes Leben gekennzeichnet wird.
Ist dem tatsächlich so, stellen sich die Fragen, ob das Leben zu
unserer Charakterisierung für das Absolute überhaupt ausreicht? Denn
wieso kann das Wissen zurecht das Leben Gottes vom göttlichen Leben
unterscheiden? Und weshalb bedürfte es überhaupt einer solchen Unter-
scheidung? Mit diesen Fragen ist nur die hintergründige metaphysische
Problematik der späten WL angedeutet. Von den unterschiedenen Posi-
tionen kann die WL 1813 dieser metaphysischen Frage entkommen, und,
wenn ich sie richtig verstanden und dargelegt habe, entzieht sie sich auch
der Voraussetzung des Gegensatzes von Leben und Tod. Denn weshalb
heißt Leben Nicht-Tod? Diese Selbstverständlichkeit ist gar nicht evident,
stammt sie doch aus der Wahrnehmung und noch dazu aus der Fremd-
wahrnehmung; außerdem, wie ist diese Bedeutung nicht-zirkulär dem
Leben selbst zuzuschreiben, ohne Leerheit zu erwirken?
Wenn es so ist, ist noch zu fragen, weshalb Fichte die Lösung von
1813 nicht beibehalten hat? Daß er sie mit einem religiös-metaphysischen
Namen versieht, ist eine Nebensache. Daß er sie argumentativ aufgelöst
hat, ist je nach Einschätzung unannehmbar oder befremdend, auf jeden
Fall aber zu bedauern.
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie.
Das systematische Problem einer Einleitung in Fichtes
Wissenschaftslehre

Michael Gerten (Wiesenttal)

I. Vorbemerkungen über die allgemeine Bedeutung der Thematik

Bis heute wäre eine Geschichte der »bisherigen Schicksale«1 von Fichtes
Wissenschaftslehre weitgehend die ihres Nicht- oder Mißverstehens.
Getrieben durch die zeitgenössische Rezeption und eigene Lehrerfahrun-
gen, reflektierte ihr Urheber in zunehmendem Maße auf die Schwierig-
keiten des Verstehens seines philosophischen Grundansatzes und ver-
suchte, die Bedingungen und Gründe des Verstehens, dann auch explizit
die des Nichtverstehens, systematisch zu erfassen. Den Kernpunkt dieses
Problems hatte Fichte schon sehr früh geahnt, er ist ihm jedoch erst im
Verlauf seiner Lehrerfahrung in seiner ganzen Radikalität und in allen
seinen Konsequenzen aufgegangen. Der Philosoph, einst berüchtigt durch
seinen ›Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen‹, versteigt sich
schließlich – so scheint es jedenfalls auf den ersten Blickt – zu der denk-
bar härtesten Zumutung an sein Publikum: Man kann meine Philosophie,
die Wissenschaftslehre, nur verstehen, oder nicht verstehen, ihren genui-

1 Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre und die bisherigen Schicksale
derselben, 1806/07 (= BBWL), GA II/10.
136 Michael Gerten

nen Grundcharakter sehen oder nicht sehen, ein Auge für sie haben oder
blind sein. Als erste Bedingung, sie zu verstehen, braucht man deshalb
einen genuin philosophischen Sinn, und wer diesen nicht hat, der wird sie
nie verstehen – ja sogar: Für den ist sie überhaupt nicht vorhanden! Folg-
lich: Wer meine Philosophie nicht versteht, beweist dadurch, daß ihm der
philosophische Sinn, das Organ für die Wissenschaftslehre abgeht!
Für Fichte, aber auch für seine Leser, hängt also nicht nur viel,
sondern alles davon ab, wie diese – zunächst doch sehr esoterisch anmu-
tende – These von einem vorauszusetzenden philosophischen Sinn zu
verstehen ist. Allerdings hat auch die Fichte-Forschung die historische wie
systematische Bedeutung dieser These bisher weitgehend verkannt. Nicht
erst in den jüngst zum ersten mal publizierten Texten zu den Einleitungs-
vorlesungen aus der Erlanger und der zweiten Berliner Periode Fichtes,2
sondern schon in längst veröffentlichten Schriften3 hätten sich wichtige
Elemente und das Ausmaß der Bedeutung von Fichtes Rede vom philoso-
phischen Sinn finden lassen können – wenn man nur eben den Sinn für
diesen Sinn gehabt hätte!
Die These vom philosophischen Sinn ist ein – auch für die Propä-
deutik – außerordentlich wichtiger Teil der Fichteschen Lehre, weshalb
ich sie im folgenden auch als ›Lehrstück‹ bezeichne. Ich bin während
meiner Beschäftigung damit zu der Ansicht gelangt, daß mit diesem
Lehrstück vom philosophischen Sinn der bisher so vielen Lesern und
Interpreten fehlende Schlüssel zum Verständnis der Wissenschaftslehre in
die Hand gegeben werden kann!
Für eine richtige historische und systematische Einordnung von
Fichtes Rede von einem philosophischen Sinn sind der eigentlichen
Begriffsbestimmung dieses Sinnes (Punkt III.) zunächst Ausführungen
über die spezielle philosophische Einleitungsproblematik voranzustellen,
wie sie sich für Fichtes Wissenschaftslehre im besonderen wie für den

2 Dies sind bisher die Erlanger Einleitungsvorlesungen Institutiones omnis philo-


sophiae von 1805 (= Iop), sowie das Textmaterial zu den Berliner Einleitungen von 1809–1812,
veröffentlicht innerhalb GA II/9 – II/13, und in: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen,
bisher 2 Bde., Stuttgart 2000 ff. (= SWV I u. II).
3 Ich meine v.a. die vollständigste Darstellung von Fichtes These vom philosophi-
schen Sinn in seinen Vorlesungen zur Einleitung in die Wissenschaftslehre vom 4. November bis
ca. 23. Dezember 1813, erstmals veröffentlicht in SW IX, im folgenden zitiert als EWL-1813 nach
der neuen, kritischen Fassung in: R. Lauth (Hg.): Ultima Inquirenda. J.G. Fichtes letzte Bearbei-
tungen der Wissenschaftslehre Ende 1813/Anfang 1814, Stuttgart 2001, 1–129. Einschlägige
Ausführungen finden sich aber auch in anderen, vor oder in den SW publizierten Texten, z. B.
Die Bestimmung des Gelehrten 1811, Sittenlehre 1812, Transscendentale Logik vom Herbst 1812
(= Transzendentale Logik II, zitiert nach der kritischen Ausgabe von R. Lauth u. a., Hamburg
1982), sog. Staatslehre 1813.
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 137

transzendental-idealistischen Grundansatz der Philosophie im allgemeinen


ergibt.

II. Das spezielle Einleitungsproblem bezüglich des transzendental-


idealistischen Grundcharakters der Wissenschaftslehre

1. Lehre als System und Vermittlung

Fichte arbeitete an der Wissenschaftslehre als philosophischer Forscher


und als Lehrer. Forschung ist die Arbeit an der ursprünglich erfindenden
oder mit Hilfe der Überlieferung nacherfindenden Systemkonstruktion.
Die Urerfindung hat ihre eigenen Bedingungen und Gesetze. Ihr Ergebnis
ist eine Wissens- oder Vernunftlehre (Logologie), eine systematische
Erkenntnis der geistigen Gesetze des Wissens, der Vernunft. Dieses
System bildet den Lehrgehalt. Davon zu unterscheiden ist die Lehre im
Sinne der Lehrtätigkeit, also die Arbeit an der äußeren Vermittlung des
Systems. Die Lehrtätigkeit ist das interpersonale Geschehen der Tra-
dierung des Lehrgehaltes durch den vorkonstruierenden Lehrer an den
nachkonstruierenden, nacherfindenden Schüler. Erfindende Systemkon-
struktion und lehrende Vermittlung erscheinen so als die beiden Grund-
arten aller philosophischen Tätigkeit. Allerdings herrscht zwischen diesen
beiden Tätigkeitsarten ein Prinzipiengefälle. Die wirkliche Vermittlung in
der Lehrpraxis setzt erstens die Erfindung der Lehre qua System voraus,
und kann zweitens nur gemäß theoretischen Prinzipien geschehen, die
unter den Prinzipien des Wissens selbst stehen und in oder aus der Wis-
senschaftslehre abzuleiten sind. Daß die Systemvermittlung unter Bedin-
gungen steht, die es nicht erlauben, unvermittelt mit dem Vortrag der
Wissenschaftslehre selbst anzuheben, sondern vielmehr einer geistigen
Vorbereitung bedürfen, war Fichte von Beginn an klar. Entsprechend sind
in der Interpretation seiner Texte Arbeiten zu der Wissenschaftslehre
selbst von solchen einer propädeutischen Vorbereitung auf sie sorgfältig
zu unterscheiden. Letztere ist gedacht als Hilfestellung des Autors und
Lehrers für sein lesendes und hörendes Publikum in dessen Bemühen um
ein grundsätzliches Verständnis oder anders gesagt: für ein Verständnis
des Grundsätzlichen, des typischen Charakters und Grundansatzes der
Wissenschaftslehre.
138 Michael Gerten

2. Der Standpunkt des Lebens und der Standpunkt der Philosophie

Das genannte Grundproblem von System und Vermittlung der Philosophie


spezifiziert sich also zum Problem einer propädeutischen Einleitung in die
Wissenschaftslehre, welcher die Erklärung des Grundansatzes als Bedin-
gung ihrer Vermittlung dient. Zu einem eigentümlichen, ganz und gar
nicht trivialen Problem wird diese Einleitungsaufgabe nun durch den
transzendental-idealistischen Grundcharakter, den die Wissenschaftslehre
mit der Philosophie Kants teilt. Durch diesen unterscheidet sich das
philosophische Denken nämlich nicht etwa nur graduell von dem gewöhn-
lichen, alltäglichen Denken (etwa bloß durch seine größere Komplexität
und Schwierigkeit), sondern stellt eine ganz eigene Denkart dar. Eine
positive inhaltliche Bestimmung dieses Standpunktes setzt zunächst seine
negative Bestimmung als Gegensatz zum Standpunkt oder Gesichtspunkt
des gewöhnlichen Denkens voraus. Stärker noch als Kant betont Fichte
von Anfang an, daß die wahre Philosophie nur erreicht werden kann durch
eine grundsätzliche Überschreitung der gemeinen, empirisch-realistischen
Denkart, durch den der Standpunkt des gewöhnlichen Lebens einschließ-
lich der nichtphilosophischen Wissenschaften charakterisiert ist. Dieser
Überschritt vom Boden des gewöhnlichen Lebens und seiner realistischen
Denkart hin auf den Boden der philosophischen Spekulation und seiner
transzendental-idealistischen Denkart ist für den Jenaer Fichte aber nur
innerhalb der Spekulation und ihres rein theoretischen Interesses angesie-
delt. Die philosophische Spekulation ist eben nur bezüglich der Denkart,
also theoretisch, völlig neu, dagegen in praktischer Hinsicht auf das
gewöhnliche, wirkliche Leben bezogen bleibend, dessen Standpunkt
durchaus teilend. Daß diese Sicht des Verhältnisses zwischen spekulati-
vem und lebenspraktischem Standpunkt später in einem wichtigen Punkt
korrigiert wird (vgl. unten die Bemerkungen zur Wissenschaftslehre
1804), ändert nichts an den Konsequenzen, die sich schon aus der rein
formalen Konstellation der Unterscheidung eines natürlichen, vorphiloso-
phischen Standpunktes von einem durch Freiheit gebildeten philosophi-
schen Standpunkt ergeben. Da der vorphilosophische Standpunkt des
Lebens ohne Voraussetzung des philosophischen unmittelbar gelebt, der
philosophische Standpunkt aber nur durch Überwindung des vorphiloso-
phischen reflexiv erreicht, beide schließlich nur durcheinander bestimmt
und begriffen werden können, kann folgerichtig der vorphilosophische
›niedere‹ Standpunkt sich selbst bezüglich seiner grundlegenden Denkart
nicht begreifen, denn er sieht eben seinen Gegensatz, den philosophischen
Standpunkt, gar nicht, und wenn, dann in einem völlig falschen Licht. Der
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 139

sich selbst als höher einstufende, beide Standpunkte und Denkarten zu-
gleich überblickende philosophische Standpunkt dagegen behauptet
entsprechend, nicht nur sich selbst als eigentlich philosophischen, sondern
auch den ihm entgegengesetzten natürlichen und gewöhnlichen Stand-
punkt als den nicht-philosophischen begreifen zu können.
›Natürlich‹ und ›gemein‹ ist der vorphilosophische Standpunkt in-
sofern, als wir alle in ihm geboren werden. Zum ›künstlichen‹ Standpunkt
der Philosophie und ihrer Denkart kann es folgerichtig nur unter Voraus-
setzung und durch Überschreitung des Standpunkts des Lebens und von
dessen Denkart kommen. Das Problem der Einleitung in die Philosophie
spezifiziert sich damit zu dem einer Anleitung zum Übergang von der
gewöhnlichen, vorphilosophischen und natürlichen zur spekulativen,
philosophischen und ›künstlichen‹, d. h. nur durch Freiheit und Bildung
zu erreichenden Denkart.

3. Das Lehrstück vom philosophischen Sinn innerhalb des Gesamtwerkes

In der erwähnten Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1813 finden


sich Fichtes letzte zusammenhängende Überlegungen zu diesem propä-
deutischen Grundproblem. Das Lehrstück selbst hat bei Fichte eine lange
und komplexe Entwicklungsgeschichte. Eine detailliertere Rekonstruktion
derselben wird überhaupt erst möglich durch die Publikation bisher unver-
öffentlichter Texte (u. a. die genannten Einleitungsvorlesungen der Erlan-
ger und der zweiten Berliner Phase). In der Jenaer Phase finden sich nur
erste Ahnungen. So können in den frühen Erwähnungen eines dem philo-
sophischen Geist in seinem transzendentalen Grundcharakter verwandten
»Aesthetischen Geistes«, der – eben wegen dieser Verwandtschaft –
zwischen gemeinem, empirisch-realistischem und philosophischem,
transzendental-idealistischem Standpunkt vermitteln soll,4 ebenso wie in
der Rede von einem »transscendentalen Sinn«5 zwar durchaus Vorberei-
tungen einer Lehre vom philosophischen Sinn erkannt werden; aber diese
Begriffe sind dort eher nebenher eingeführt, ohne Entfaltung ihrer späte-
ren fundamentalen Bedeutung für das Verständnis der Wissenschaftslehre
schlechthin. Erkennbar ist allerdings die Verbindung des Begriffs von

4 Vgl. den Brief Fichtes an J. E. von Berger vom 11. Oktober 1796, den § 31 der
Sittenlehre von 1798 und kurz danach und mit Referenz darauf die Wissenschaftslehre nova
methodo, hg. von E. Fuchs, Hamburg 1982, 244.
5 Vgl. die Rezension Bardili vom Herbst 1800 (GA I/6, 438 und 446 f.).
140 Michael Gerten

einem »habituell«-Werden des transzendentalen Sinnes mit dem der


»Besinnung«, womit der spätere Begriff der ›Besonnenheit‹ vorbereitet
ist; mit ihm wird gegenüber einem nur blitzhaften Aufleuchten und Wie-
derverlöschen einer bloßen Ahnung des transzendentalen Gesichtspunktes
die Notwendigkeit des klaren und besonnenen Sich-Haltens und Festste-
hens in ihm gefordert.
Wörtlich findet sich der Begriff eines ›transzendentalen Sinnes‹
oder ›Organs‹ erst wieder in der Wissenschaftslehre 1804-II (GA II/8,
300) und in den dem Brief an Appia vom 23. Juni 1804 beigefügten
Aphorismen über das Wesen der Philosophie als Wißenschaft (vgl. GA
III/5, 245). Im Sonnenklaren Bericht dagegen wird seine systematische
Stelle durch einen differenzierten Begriff der ›Anschauung‹ eingenom-
men, jetzt in der klaren Funktion als conditio sine qua non für das Erfas-
sen des philosophischen Standpunktes und Grundansatzes. Allerdings
erschien in dieser Funktion der Begriff der Anschauung damals wohl nur
Fichte selbst als ›sonnenklar‹. Es ließe sich durch direkte Textvergleiche
jedoch zeigen, wie sehr einzelne Gesichtspunkte bis hin zu Formulierun-
gen dieses Werkes in die späteren Ausführungen über den philosophischen
Sinn eingegangen sind. In der ersten Berliner Phase bis 1805 bleibt es
noch bei verstreuten Bemerkungen darüber. Spätestens nachdem auch der
Sonnenklare Bericht Fichtes Leser (einschließlich Reinhold, Jacobi und
Schelling) nicht ›zum Verstehen zwingen‹ konnte, mußte Fichte aufge-
gangen sein, daß er auf die Mißverständnisse seiner Lehre nicht einfach
nur mit Polemiken oder immer neuen Einleitungen und Berichten über
Begriff und Grundansatz dieser Lehre reagieren konnte, sondern sich an
die Untersuchung der negativen Hinderungsgründe für ein Verständnis,
oder – was dasselbe ist – an die Untersuchung des letzten Grundes für das
fast ausschließliche Mißverstehen derselben machen mußte.
Den ersten Versuch einer systematischeren Behandlung des The-
mas liefern dann die Erlanger Einleitungsvorlesungen, die Institutiones
omnis philosophiae von 1805. Sie betonen gleich zu Anfang schon, daß
die Philosophie die ganze durch die äußeren Sinne gegebene Objektwelt
übersteigt, indem sie von einem »Objekt, nicht des äussern, sondern des
innern Sinnes« redet, ohne den sie »nur ein leeres Wort, wie das von
Farbe Reden des Blinden« ist. Erstmals wird hier auch unmißverständlich
die propädeutische Konsequenz daraus gezogen: »Der erste absolut
nothwendige Erfolg eines Philosophischen Vortrages ist daher dieser, daß
auf seine Veranlassung der neue, von allen andern Sinnen u. Fähigkeiten
specifisch, u. toto genere verschiedene Sinn für die Philosophie eröfnet,
entwikelt, u. gebildet werde« (GA II/9, 36).
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 141

Die Gründe für diese vertiefte, nun auch stärker systematische


Beschäftigung mit dem philosophischen Sinn sind nicht nur in äußeren
Anlässen zu sehen (in den Erlanger Einleitungsvorlesungen ist unmittelbar
erkennbar, daß der massive Hörerschwund Fichte zu einem tieferen
Nachdenken über die Gründe der Verständnisschwierigkeiten bewegt hat).
Vielmehr dürften sich im Verlauf der ungeheuer dichten und tiefgreifen-
den Arbeiten an der Wissenschaftslehre im Jahre 1804 auch innersyste-
matische Gründe dafür ergeben haben. So erscheint spätestens jetzt der
Standpunkt des gewöhnlichen Bewußtsein nicht nur hinsichtlich des
theoretisch-spekulativen Gesichtspunktes, sondern als im Ganzen zu
überwindender Standpunkt: »die W.-L. läugnet die Gültigkeit der Aussa-
gen des unmittelbaren Bewußtseins, schlechthin als solche, und grade
darum weil sie das [sind]« (WL-1804-II, GA II/8, 204).
Auch die Königsberger Wissenschaftslehre von 1807 beginnt mit
dem Lehrstück vom vorauszusetzenden Sinn, das dann in allen Ein-
leitungsvorlesungen der zweiten Berliner Phase eine zentrale Rolle spielt.
Daß Fichte bis in seine letzten Aufzeichnungen auch noch nach den
letzten Einleitungsvorlesungen 1813 (nämlich im Neuen Diarium 1813
samt den Nebenblättern und der Wissenschaftslehre 1814) mit dem Thema
beschäftigt war, mag ein Zeichen dafür sein, daß er selbst noch nicht zu
einem Abschluß gekommen war. Seit Erlangen werden immer wieder
neue, zum Teil auch scheinbar widersprüchliche Gesichtspunkte des
Problems einführt. Die Aufgabe einer Synthese all dieser Aspekte bleibt
einer umfassenden historisch-systematischen Rekonstruktion dieses Lehr-
stückes sowohl als Teil der Wissenschaftslehre selbst wie als Teil der
angewandten Philosophie vorbehalten.
Die meisten dieser zentralen Elemente und Einsichten des Lehr-
stückes vom philosophischen Sinn sind in Fichtes ausgereiftester Dar-
stellung, den genannten Einleitungsvorlesungen von 1813, enthalten. So
deutlich wie nie zuvor untersucht und erläutert Fichte mit der ersten
Bedingung für das Verständnis seiner Philosophie zugleich auch den
Grund, warum man diese nicht bloß faktisch, sondern notwendig nicht
verstehen konnte und mißverstehen mußte.
Die Vorlesungen selbst beginnen mit einem vernichtenden Urteil
über das jetzt drei Jahrzehnte dauernde Schicksal der von Kants Kritiken
begründeten und von Fichtes Wissenschaftslehre fortgesetzten Philosophie
des transzendentalen Idealismus: So könne von »Verständniß, Besitz,
Handhabung des GrundPrincips gar nicht« die Rede sein (EWL-1813, 3).
Dabei ist das bloße Nichtverstehen »ein kleineres Uebel« gegenüber dem
Mißverstehen, denn im Nichtverstehen ist das richtige Verstehen nur
142 Michael Gerten

aufgeschoben, im Mißverstehen dagegen aufgehoben. Soll es daher zum


Verstehen dieser Philosophie kommen, muß als erstes der Weg zum
Mißverstehen versperrt werden mit dem Ziel, jedem zumindest die Klar-
heit darüber zu ermöglichen, »ob er sie habe, besitze, oder nicht, so daß
darüber kein Irrtum statt finde, weder für jeden selbst, noch für andere in
Absicht auf ihn« (EWL-1813, 4). In den folgenden, für unser Thema
entscheidenden Sätzen schildert Fichte die prinzipielle Realisierungsbe-
dingung dieses Zieles:

»Ich halte dafür daß dieß erreicht werden werde, wenn unverhoh-
len, und gleich im Beginne der Lehre ausgesprochen und als
Hauptpunkt hingesetzt wird, was Kant ohne Zweifel nicht ganz
klar gewesen, und was mir erst im Vortrage dieser Lehre, und nach
näherer Bekanntschaft mit der entgegengesetzten Denkart klar ge-
worden. So wie es hier ausgesprochen [wird]: Diese Lehre setzt vo-
raus ein ganz neues inneres Sinnenwerkzeug, durch welches eine
ganz neue Welt geboren wird, die für den gewöhnlichen Menschen
gar nicht vorhanden ist« (EWL-1813, 4).

Die Möglichkeit nun, diese Rede von einem für die wahre Philosophie
vorausgesetzten philosophischen Sinn, einem spezifischen Organ für die
Wissenschaftslehre also, nicht ganz ernst, sondern für eine rhetorische
Redewendung zu nehmen, weist Fichte selbst kategorisch zurück:

»Nicht zu verstehen als etwa eine Uebertreibung, rednerische Phra-


se – das nur gesagt wird, um viel zu fodern, mit dem stillen Be-
scheiden daß weniger gewährt werden möge. – sondern wirkl[ich]
wie es heißt. – Nochmals: Für die Menschen, wie sie sind, durch
ihre Geburt und die gewöhnliche Bildung werden, ist diese Lehre
durchaus unverständlich, denn die Gegenstände von denen sie re-
det, sind für dieselbe[n] gar nicht da, weil sie den Sinn nicht haben,
durch und für welchen diese behandelten Gegenstände da sind. Es
wird ihnen drum durchaus die Rede von Nichts, von dem das nicht
ist – für sie. Diese Lehre kann drum an die Menschen wie sie sind
gar nicht gebracht werden. Sie können sie nicht verstehen, sie müs-
sen sie misverstehen. Die erste Bedingung ist, daß der Sinn in ih-
nen gebildet werde, für den diese Gegenstände sind« (EWL-1813, 5).

Diese Sätze lassen schon in ihrer Formulierung keinen Zweifel zu über


den Stellenwert, den Fichte selbst ihnen zumißt. Der Besitz des erforderli-
chen neuen inneren Sinnes ist unverzichtbar für das Verständnis der
Wissenschaftslehre, ihn zu bilden erste Aufgabe einer Einleitung in die-
selbe. Die Radikalität der These macht Fichte durch den Vergleich mit den
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 143

äußeren Sinnesorganen deutlich: So wenig wie Blinde Licht und Farben


sehen können, so wenig können die, denen das innere Auge dafür fehlt,
die Wissenschaftslehre verstehen. Alle Rede darüber muß den Blinden
vollkommen unverständlich bleiben; wollen sie dann »aus irgendeinem
Grunde eurer Lehre doch einen Verstand geben, – so können sie dieselbe
nur verstehen von dem was ihnen durch Betastung bekannt ist« (EWL-
1813, 5). So wie sich in der äußeren Sinnlichkeit Tasten und Sehen verhal-
ten, so verhalten sich im inneren Sinn der gewöhnliche, natürliche und der
neue, philosophische Sinn zueinander. Das Schicksal, mißverstanden zu
werden, ist von der Wissenschaftslehre unabwendbar, wenn und solange
sie mangels des neuen mit dem alten, gewöhnlichen Sinn aufgefaßt wird.
Dagegen glaubt Fichte, »daß es durch Voraussendung eines Unterrichts
über geistige Blindheit und ‹red›liche Vermeidung derselben sich von ihr
abwenden lasse« (EWL-1813, 6).

III. Begriffliche Bestimmung des neuen, philosophischen Sinnes

Mit dem expliziten Unterricht über den neuen inneren Sinn selbst und sein
Gegenteil, den gewöhnlichen inneren Sinn und seine Blindheit, ist für den
Versuch der Lösung des Einleitungsproblems eine neue Qualität erreicht.
Dies genauer zu verdeutlichen, heißt eine begriffliche Bestimmung des
neuen Sinnes selbst zu geben. Im folgenden beschränke ich mich auf einen
Vorbegriff, eine Charakteristik der Grundbestimmungen. Dabei gehe ich
in drei Schritten vor, in denen jeweils einer von drei miteinander zusam-
menhängenden Aspekte untersucht werden soll; die ersten beiden (1. die
Bestimmung des Charakters des neuen Sinnes als Sinn; 2. die Bestimmung
des Charakters der Neuheit des neuen Sinnes durch seine Differenzierung)
geben eine eher formale Charakterisierung wieder, erst der dritte Aspekt
(3. die Bestimmung der spezifischen Differenz des neuen vom alten,
gewöhnlichen Sinn) liefert die eigentliche inhaltliche Charakteristik,
worin denn der philosophische Sinn besteht und was das durch ihn Gege-
bene ist.

1. Die Bestimmung des Charakters des neuen Sinnes als Sinn

›Sinn‹ (sensus) heißt ein Erkenntnisorgan, durch das etwas Unmittelbares,


d. h. eine Anschauung, wahrgenommen, dem Bewußtsein gegeben wird.
Als Gegensatz dazu versteht man gewöhnlich den Verstand, der Unmittel-
144 Michael Gerten

bares oder schon Verknüpftes verknüpft und wieder zergliedert und damit
immer ein Vermitteltes zum Resultat hat. Dieses Grundsätzliche am
Begriff des Sinnes, seine Verbindung mit einem Unmittelbaren, nur
Anzuschauenden als der Basis aller weiteren Vermittlung, behält Fichte
bei: »Unmittelbare Anschauung [ist] Grundlage alles anderen Wissens, bei
ihnen wie bei uns; darüber sind wir uns einig« (EWL-1813, 20). Das
Erkenntnisorgan dieses Unmittelbaren wird ›Sinn‹ genannt: »Alle Lehre,
Theorie ist Zusammenstellung eines schon als bekannt vorausgesetzten;
anerkannt, einig. Unmittelbar aber bekannt vor aller Lehre voraus ist es
durch den Sinn unmittelbarer Wahrnehmung. Wovon redest du: von dem
unmittelbar gegebenen« (EWL-1813, 6). Doch während das, was die
gewöhnliche Ansicht ›Sinn‹ nennt, eine Qualität, eine Beschaffenheit von
Objekten gibt, wird durch das, was Fichte zur Unterscheidung von den
äußeren Sinnen ›innerer Sinn‹ nennt, »nicht gegeben irgend eine Beschaf-
fenheit, sondern das durchaus andere: der Sinn u. die Bedeutung, in der
man die Beschaffenheit nehmen soll, ob [als Seyn] oder [als Bild]« (Tran-
szendentale Logik II, 31). Es ist hier unschwer zu erkennen, daß damit
dasselbe gemeint ist wie in der beschriebenen Rede von den möglichen
Gesichtspunkten oder Standpunkten. In den Erlanger Einleitungsvorlesun-
gen nennt Fichte dies auch ›Vernunftansicht‹, und zwar »Ansicht: wegen
Duplicität desselben angesehenen Objekts« (Iop, GA II/9, 91): Nicht das
Objekt und dessen Beschaffenheit ist Gegenstand des inneren Sinnes,
sondern das, als was es unmittelbar genommen, gesehen wird, also die
Beschaffenheit von »Wissen, u. Bewußtseyn, Einsicht u. Ansicht« von
Objekten (GA II/9, 93). Weil diese Ansicht durch den inneren Sinn und
damit unmittelbar gegeben ist und in ihr als Denkform alles andere gese-
hen wird, nennt Fichte sie auch »Grundansicht« (Staatslehre, SW IV, 373
ff.). Die ›Duplicität‹ derselben weist darauf hin, daß sie sich aufspaltet in
genau zwei entgegengesetzte Grundansichten, in zwei Grundformen des
inneren Sinnes: eben den alten, gewöhnlichen und niederen Sinn, von
Fichte nach der beschriebenen Analogie mit den äußeren Sinnen »Sinn der
innern Betastung« genannt (EWL-1813, 6), und den neuen, höheren Sinn
des ›inneren Sehens‹. Dies führt auf den zweiten Aspekt der Bestimmung
des Begriffs des neuen, philosophischen Sinnes.
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 145

2. Die Bestimmung des Charakters der Neuheit des neuen Sinnes durch
seine Differenzierung

Die Beantwortung der Frage nach der Charakterisierung des neuen Sinnes
als ›neu‹ geschieht durch einige wichtige Differenzierungen innerhalb des
Begriffs des neuen Sinnes. Ist der neue Sinn für den, der ihn zuerst nicht
hat und blind ist, ihn dann hat und sieht, schlechthin neu? Würde diese
Frage mit ›Ja‹ beantwortet, so wäre jeder Vermittlung der Boden entzo-
gen, der neue Sinn wäre einer, »der erst aus nichts zu erschaffen wäre«,
absolut, ohne jede Vermittlung, durch einen unerklärlichen Sprung (hiatus
irrationalis). Fichte ist sich der Gefahr des Vorwurfs einer esoterischen
Selbstimmunisierung gegen Kritik von außen bewußt, sieht aber seine
Konzeption nicht davon betroffen. Denn er beantwortet die Frage der
Neuheit schlechthin des neuen Sinnes mit einer ersten Differenzierung,
innerhalb derer zwei weitere folgen (im folgenden unter (a), (b) und (c)
abgehandelt).
(a) Mit der ersten Unterscheidung von zwei grundsätzlichen Hin-
sichten, unter denen der neue Sinn und die Frage nach seiner Neuheit
betrachtet werden muß, weist Fichte zugleich unmißverständlich den
Irrationalismusvorwurf zurück:

»[Er ist] nicht etwa ein partikulärer Sinn, der nur wenigen geweih-
ten und absonderlich begeistigten zu Theil geworden; Eine solche
Behauptung wäre anmaßend, sie widerstreitet auch [...] unserer
ganzen Ansicht; sondern [er ist] einer dessen Anlage schlechter-
dings in allem ist, was Mensch ist, und vom Wesen desselben un-
abtrennbar; freilich ist er bei dem einen leichter zu entwikeln als
bei dem andern, wovon denn im allgemeinen die Gründe sich auch
recht wohl nachweisen lassen. Insofern also nur [ist er] neu und in
die Zeit einzuführen, als entwikeltes und geübtes Vermögen, kei-
neswegs als Anlage; als solche [ist er] ewig und schlechthin.«
(EWL-1813, 7)

In der ersten Hinsicht, als Anlage und Potenz betrachtet, ist der neue Sinn
allen gemein, ›ewig‹ und schlechthin mit dem Wesen des Menschen als
endlicher Vernunft verbunden. Die Begriffe ›Anlage‹, ›Vermögen‹ fordern
schon von sich aus den Aspekt der Entwicklung oder Nichtentwicklung,
Realisierung oder Nichtrealisierung derselben.
(b) Die Betrachtung des zweiten Aspektes, der der Entwicklung,
führt auf die zweite Differenzierung in der Frage nach der Neuheit des
neuen Sinnes. Diese zweite Unterscheidung geschieht innerhalb der
146 Michael Gerten

Bildung und Entwicklung dieser Anlage, und zwar durch Betrachtung der
Extension derselben: »Wie weit erstreckt sich denn nun unsere Forderung
der Neuheit dieser Entwikelung? Etwa nur auf einzelne Personen, die
zuerst in diese Lehre eingeweiht werden[,] oder etwa auf das ganze Men-
schengeschl[echt]? Ist unsere Meinung etwa die, daß diese Entwikelung
für das ganze Geschlecht eine neue, und vorher niemals da gewesene
Begebenheit sey?« (EWL-1813, 7 f.) Fichte bejaht diese Frage, allerdings
mit einer entscheidenden Einschränkung, die zugleich die Schwierigkeit
der Lehre vom philosophischen Sinn noch wesentlich steigert: »es ist mit
jenem Sinn gesehen worden, seitdem Menschen da sind, und alles grosse
und treffliche, was in der Menschheit ist und welches allein die Mensch-
heit bestehen macht, stammt aus den Gesichten dieses Sinnes: daß aber
dieser Sinn sich selbst gesehen habe, in seinem Unterschiede und seinem
Gegensatze mit dem andern gewöhnlichen Sinne, war nicht der Fall.«
(EWL-1813, 8). Nach der ersten Unterscheidung zwischen Anlage und
Entwicklung des neuen Sinnes führt die zweite Unterscheidung zu zwei
Grundstufen innerhalb dieser Entwicklung selbst.
Bezüglich der ersten Stufe ist die Entwicklung des neuen Sinnes
nicht schlechthin neu in der Geschichte der Menschheit, sofern es immer
Menschen gab, die zumindest mit diesem Sinn gesehen haben, was eine
partielle Entwicklung voraussetzt. Andererseits scheint daraus zu folgen,
daß es eben auch Menschen geben könnte, die diesen Sinn nicht einmal
partiell entwickelt haben. Letzteres kann nun aber nicht auf die mangelnde
Anlage zurückzuführen sein, denn diese hat jeder. Insofern kann man – so
Fichte in den Erlanger Einleitungsvorlesungen – die Blindheit des inneren
Gesichtssinnes auch nicht als absolute, schlechthin angeborene und un-
heilbare ansehen: »[...] es giebt – der Satz ist streng zu erweisen – keinen
innerlich blind gebohrenen. Wohl aber kann das innere Auge durch
NichtGebrauch, u. durch den alleinigen einseitigen Gebrauch des ‹niedern
innern› Sinns, das innere Auge im Leben u. für das Leben gelähmt wer-
den« (Iop, GA II/9, 91). Da nur das Geborenwerden, nicht aber auch das
Verbleiben in dieser Blindheit allein der geistigen Natur zuzuschreiben ist,
redet Fichte entsprechend nicht nur von einer geistigen Blindheit, sondern
von einer »geistigen Verblendung« und immer wieder von ›Verstocktheit‹
(GA II/9, 100 f.). Diese Unterscheidung der beiden Möglichkeiten hin-
sichtlich der ersten Entwicklungsstufe des neuen Sinnes überhaupt, näm-
lich zwischen einer allen allgegenwärtigen Chance, den nie ganz fehlen-
den Sinn zu entwickeln, und der »durch eigne Trägheit« verursachten
»totale[n] Erlähmung« (GA II/9, 92) des inneren Gesichtssinnes, führt auf
eine weitere Komplizierung der Thematik. Entsprechend muß sich näm-
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 147

lich wie für die Blindheit so auch für die Entwicklung dieses Sinnes und
des Sehens mit ihm die Frage stellen, inwieweit hier Schicksal und/oder
Freiheit wirken. In Erlangen betont Fichte »daß die Frage über die Ver-
schuldung der Blindheit pp. sowie die über die Freiheit, die allerschwerste
an der ganzen Theorie der geistigen Welt ist, u. die vollendetste Bekannt-
schaft mit der geistigen Welt voraussetzt: drum hier [...] [ihre Beantwor-
tung] nicht gegeben werden kann« (GAII/9, 101). Fichte ist uns wohl die
Antwort schuldig geblieben, das Problem wird jedenfalls in den weiteren
Thematisierungen des neuen Sinnes nicht mehr aufgegriffen. Es betrifft
jedoch beide Stufen der Entwicklung des neuen Sinnes: die der partiellen
Entwicklung, und die im folgenden darzustellende zweite und höchste
Stufe der Entwicklung.
Erst mit Blick auf diese zweite Stufe der Entwicklung der Anlage
des neuen Sinnes ist nun dieser Sinn wirklich schlechthin neu: daß näm-
lich nicht nur mit ihm gesehen, sondern daß darüber hinaus er selbst
zugleich mit seinem Gegensatz gesehen werde: »Diese letzte Anforde-
rung, der Sinn des Sinnes selbst, der beide vereinigende Sinn, ist in der
That neu[,] eine neue, dem Menschengeschl[echt] erst in unserer Zeit
gestellte Aufgabe« (EWL-1813, 8). Die beiden Grundstufen der Entwick-
lung des neuen Sinnes sind also zum einen: bloßes Dasein dieses Sinnes,
und zum andern: sich sehendes Dasein dieses Sinnes (= Dasein des Sinnes
des Sinnes). Auf der ersten Stufe, wo zwar mit dem höheren Sinn gesehen,
aber dieses Sehen selbst ebensowenig wie der gewöhnliche innere alte
Sinn gesehen und begriffen wird, weil sie nur durcheinander begriffen
werden können, wirkt er neben dem gewöhnlichen, niederen Sinn: »Die
Eindrücke der beiden Sinne verschmolzen, das Leben[,] ohne Einigungs-
band, zerfiel in diese zwei Hälften« (EWL-1813, 8). Die Grundansicht, die
der innere Sinn gibt, kann als Grundansicht nur eine sein. Eine einheitli-
che Grundansicht setzt entweder das alleinige Dasein und Wirken des
niederen Sinnes, oder die alleinige (und das heißt: nicht partielle, sondern
totale) Realisierung des höheren Sinnes voraus. Die nur partielle Realisie-
rung jedenfalls führt zu einem Nebeneinander der beiden sich widerspre-
chenden Grundformen des inneren Sinnes und damit zu einer Zerrissenheit
des Bewußtseins, da in demselben zwei – zwangsläufig unreine, einander
infizierende – Weltansichten (empiristisch-materialistische und spirituali-
stisch-idealistische) miteinander um den Rang der Grundansicht kämpfen,
und dadurch eben das ›Leben ohne Einigungsband in diese zwei Hälften‹
zerfällt: in die durch die Grundform des inneren Sinnes als existierend
behauptete sinnlich-materielle ›Welt‹ und die als neben oder ›über‹ ihr,
148 Michael Gerten

jedenfalls mit ihr als wirklich oder ›überwirklich‹ behauptete ›übersinn-


lich‹-geistige ›Welt‹.
Um – wie Fichte selbst, der nach meiner historischen Kenntnis
der erste war – den höheren Sinn in seinem Unterschied zum gewöhnli-
chen, niederen explizit beschreiben zu können, muß man diesen Sinn
schon rein als bestimmten und von seiner Vermischung mit dem niederen
Sinn befreiten besitzen. Ihn für andere zu beschreiben und zu lehren,
ergibt nur Sinn gegenüber Lernenden, von denen man annimmt, daß sie
ihn nicht in seiner reinen Form entwickelt haben, es aber mit Hilfe der
lehrenden Vermittlung prinzipiell können. Ihn in seiner reinen Form zu
haben und mit ihm zu sehen, heißt Philosophieren. Der höhere Sinn, auf
der ersten Stufe seiner Entwicklung noch vermischt mit den Schlacken des
niederen, stellt erst nach seiner Entmischung mit dem niederen die reine
Vernunftansicht dar, die den Stand- oder Gesichtspunkt der Philosophie
ausmacht. Gesichtspunkt ist der treffendere Ausdruck, denn er betrifft das
Sehen; Gesichtspunkt wiederum heißt es richtigerweise, weil mit ihm erst
die Aufklärung der philosophischen Vernunftansicht über sich selbst in
ihrer grundsätzlichen Beschaffenheit erreicht ist, aber noch nicht das
systematische Ganze der Philosophie selbst. Mit dem Sinn für den höheren
Sinn, mit der philosophischen Vernunftansicht, geht dem Vernunftwesen
ein Licht über sich selbst als Vernunftwesen auf; diesen Lichtpunkt gilt es
nun, um in der Raummetaphorik zu bleiben, extensiv über die ganze
›Fläche‹ und intensiv in den ganzen ›Raum‹, auszubreiten; ohne Metapho-
rik: mit dem richtigen Blick ist die ganze Vernunft zu durchdringen und
zu erhellen.
Damit ist das grundsätzliche Verfahren der philosophischen Pro-
pädeutik beschrieben: Sie setzt voraus eine gewisse Bildung des höheren
Sinnes schon im vorphilosophischen Leben. Erst wenn hier, noch in der
Vermischung von niederem und höherem Sinn, durch Befreiung von
jeweils niederen Entwicklungsstufen des geistigen Sehens eine gewisse
Stufe der geistigen Bildung erreicht ist, die zugleich auch eine ihr entspre-
chende sprachlich-begriffliche Bildung einschließt (hier wären wichtige
Berührungspunkte mit der Sprachphilosophie des späten C. L. Reinhold
zu untersuchen), kann auch die höchste Stufe, die Befreiung von der
Mischung mit dem niederen Sinn überhaupt, historisch eintreten. Die Ur-
Verwirklichung dieses Sinnes beim Entdecker verläuft dabei notwendig
anders als jede weitere Anleitung dazu in einem Lehrer-Schüler-
Verhältnis. Auch dieser Unterschied wird durch Fichte explizit untersucht.
Die Reflexion und Selbstbeobachtung beim Entdecken und beim Lehren
hilft, die Bedingungen und Gesetze der Bildung des höheren Sinnes
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 149

überhaupt zu begreifen und sie dann zu spezifizieren zu Gesetzen der


interpersonalen Bildung und Vermittlung dieses Sinnes bei anderen, d. h.
zu den Gesetzen einer philosophischen Propädeutik. Die Propädeutik als
Vorbereitung für das eigentliche System der Philosophie hat als erstes die
Grundbedingung, den richtigen Blick, die richtige ›Sehe‹, wie Fichte sich
ausdrückt, auszubilden, um mit dieser dann alles weitere zu sehen und zur
Wissenschaftslehre selbst überzugehen, den Blickpunkt gleichsam zum
Einen Blick über das ›System der Vernunft‹ auszudehnen.
(c) Hier zeigt sich also eine letzte Differenzierung bezüglich der
Entwicklung des inneren Sinnes, die auch für die Frage nach der Neuheit
Relevanz hat: innerhalb der zweiten und höchsten der grundsätzlich
möglichen Entwicklungsstufen des höheren Sinnes, seinem bewußten und
unvermischten Dasein nämlich, sind selbst noch einmal zwei Ent-
wicklungsschritte zu unterscheiden. Die erste ist die Bildung der Sehe, des
Bewußtseins und Sehens des höheren Sinnes überhaupt in seiner Rein-
form: Sinn des höheren Sinnes, Erheben zur philosophischen Vernunftan-
sicht überhaupt. Die zweite ist dann das Sehen mit diesem Sinn, jetzt aber
nicht, wie auf der unteren Stufe des bloßen Daseins dieses Sinnes in seiner
Vermischung mit dem niedern Sinn, sondern als durchgehende Verbrei-
tung dieses Blickes, dieser grundsätzlichen Vernunftansicht zum Überse-
hen (›Fläche‹) und Durchdringen (›Raum‹) der Struktur der Vernunft im
Ganzen. Die Unterscheidung dieser beiden letzten Entwicklungsstufen:
der Bildung der Sehe überhaupt und ihre Anwendung und Verbreitung im
Sehen und Verstehen des Vernunftganzen, ist der Grund für die Unter-
scheidung von Propädeutik und eigentlicher Philosophie, von Einleitung
und Durchführung der Wissenschaftslehre. Tatsächlich können sie im
Vergleich zu den vorherigen Entwicklungsstufen nur im uneigentlichen
Sinne ›Stufen‹ heißen. Dieser letzte Entwicklungsschritt vom Sehen des
Sinnes zur durchgehenden Anwendung des Sinnes vollzieht sich auf
derselben Prinzipienstufe; er ist nur eine Anwendung desselben Prinzips
auf derselben Ebene. Damit ist auch die Frage bezüglich der Neuheit zu
beantworten: So wie der Sinn in seiner Reinform neu ist in der Zeit, in der
er entdeckt wird, so ist auch das Ergebnis seiner durchgehenden Anwen-
dung, die Wissenschaftslehre neu. Allerdings ergibt dieses letzte und
höchstmögliche Ergebnis nichts prinzipiell Neues in Bezug auf den grund-
sätzlichen philosophischen Gesichtspunkt, indem, einmal entdeckt, jede
weitere extensive Anwendung wie jede weitere interpersonale Mitteilung
und Aneignung »allemal nur wiederholend ist, nach einem schon eingetre-
150 Michael Gerten

tenen Schema, nicht eigentlich neu bildend und schaffend« (Tagebuch


über den animalischen Magnetismus 1813, SW XI, 303).6
Was nun, nach der eher formalen Charakterisierung des neuen
und höheren inneren Sinnes, noch fehlt, ist seine eigentliche inhaltliche
Bestimmung durch die Betrachtung seiner spezifischen Differenz von dem
niederen, gewöhnlichen.

3. Die Bestimmung der spezifischen Differenz des neuen vom alten, ge-
wöhnlichen Sinn

Diese eigentliche inhaltliche Begriffsbestimmung des neuen Sinnes kann


nur zusammen mit seinem Gegenteil, dem niederen, gewöhnlichen Sinn,
d. h. durch Aufweis der spezifischen Differenz beider Sinne vorgenom-
men werden. Der Begriff des inneren Sinnes überhaupt wurde oben als
Vernunftansicht bestimmt, ein geistiges Sehen mit dem Charakter der
Unmittelbarkeit, ein Anschauen und ›Nehmen‹ eines gegebenen Etwas in
bestimmter Weise, ein Sehen des Etwas als etwas. Genau diese bestimmte
Weise, als was das gegebene Etwas genommen wird, macht eben den
bestimmten Sinn und die bestimmte Vernunftansicht aus. In diesem allge-
meinen Charakter als innerer Sinn und Vernunftansicht sind beide Aus-
formungen des inneren Sinnes, der niedere wie der höhere innere Sinn,
gleich; sie unterscheiden sich genau in der je spezifischen Form, in der sie
Gegebenes sehen und nehmen.

6 Eine weiterführende Interpretation hätte vor allem zu achten auf die bei Fichte
nicht immer deutlich genug gekennzeichnete Unterscheidung zwischen der ersten Entwick-
lungsstufe des höheren Sinnes in seiner Vermischung mit dem niederen Sinn im vor-
philosophischen Leben und der zweiten Entwicklungsstufe als Sinn des Sinnes, als sich seiner
Form des Sehens bewußter und damit genuin philosophischer Sinn. In Verbindung mit der
Unterscheidung von höherem geistigen Sehen mit dem Sinn und höchstem geistigen Sehens des
Sinnes selbst in der Philosophie wäre auch das Verhältnis dieser Problematik mit der Standpunkt-
lehre Fichtes zu untersuchen, besonders im Blick auf die dort sich ergebenden Frage, ob und
inwiefern der Standpunkt der Moralität, wie Fichte behauptet (Iop, GA II/9, 97), die »allertiefste«
Stufe des Sehens mit dem höheren Sinn ist, und ob der Standpunkt der Philosophie noch den der
Religion übersteigt (vgl. dazu – allerdings noch ohne Bezug auf den höheren Sinn – Michael
Gerten: Das Verhältnis von Wissen, Moralität und Liebe. Zum Philosophiebegriff des späten
Fichte. In: Wolfgang H. Schrader (Hg.): Die Spätphilosophie J.G. Fichtes (= Fichte-Studien 17)
Amsterdam/Atlanta 2000, 299–318). Von fundamentaler Bedeutung sind auch die Fragen, ob
Fichte – zumindest in seinen vorliegenden Texten – das Problem des Übergehens vom niedern
zum höheren und von der gemischten zur reinen Daseinsform des höheren Sinnes nicht zu
einseitig theoretizistisch faßt und wie man seine zitierte Rede von ›Verschuldung‹ und ›Freiheit‹
bezüglich dieser Übergänge zu verstehen hat.
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 151

Die begriffliche Bestimmung der jeweiligen Form kann nicht


vorgenommen werden, ohne zugleich auch den Ursprung ihres Daseins zu
betrachten. Schon die Bezeichnung des niederen Sinnes als ›natürlich‹ und
›gewöhnlich‹ stammt von der Betrachtung seines Ursprungs her. Dieser
Sinn, diese Vernunftansicht und Form des Sehens ist diejenige, in die wir
alle geboren und hineingewöhnt sind durch unsere Bildung, wie sie sich
gestaltet, wenn sie allein der bildenden Kraft der Natur überlassen wird.
Alle diese Bildung bleibt grundsätzlich derselben, sein-setzenden Grund-
form verhaftet und beschränkt sich auf die mit dieser Grundform hinge-
dachte und abgesetzte Welt. Der natürliche Sinn ist die Form des Sehens,
durch die alles Gegebene als ein Sein erscheint, als – vor allem Wissen
und unabhängig von ihm – absolut ›an sich‹ Bestehendes. Diese Vernunft-
ansicht gibt eine, wie sich noch zeigen wird, unvermeidliche, allerdings
nicht unüberwindliche bloße Scheinwelt. Diese Form des niederen Sinnes,
die ja nur da ist und bleiben kann, weil und solange der höhere Sinn und
sein ungehemmtes Sehen in Reinform es nicht verdrängt, muß nun von
diesem höheren Sinn des Sehens aus, der all das sieht, was sie ist, aber
nicht sieht, und darüber hinaus all das sieht, was sie weder sein noch sehen
wird, als ›geistige Blindheit‹ erscheinen. Die niedere Vernunftansicht ist
selbst die natürliche Blindheit und alles durch sie Gegebene ist »das
Produkt der natürlichen Blindheit, u. das, was das Auge verschlossen hält,
ist das natürliche, u. angebohrene Daseyn des Menschen« (EWL-1813,
15).
Diese Form, diese Ansicht, durch die zugleich die ganze Welt des
natürlichen Sinnes bestimmt ist, ist ohne Entschluß, ohne willentliche
Tätigkeit des natürlichen Menschen da, Ergebnis seiner Natur (nicht der
physischen, sondern der des endlichen Geistes). Deshalb wird es auch bei
dieser Natur und ihrer Form des Bewußtseins als niederem Sinn bleiben,
wenn und solange kein Entschluß und Wille sich dagegen stemmt. Nur
durch Tätigkeit und Freiheit kann es zu einer Änderung dieser Form des
Bewußtseins kommen. Und so ist das erste, was die philosophische Pro-
pädeutik zur Ausbildung des höheren Sinnes »schlechthin jedem an-
muthet: er muß zuallererst schlechthin durch sich selbst etwas thun, und
zwar keineswegs ein positives, dergleichen ihm gar nicht zu beschreiben
seyn würde, da es in einer Welt liegt, die er noch gar nicht kennt, sondern
nur ein negatives; er muß nur nicht gefangen seyn, u. gefesselt durch eine
Fessel, in der er ganz sicher gebohren ist« (EWL-1813, 17). Diese Mög-
lichkeit des Sich-Losreißens ist nun nichts anderes als die mit dieser Natur
der Vernunft zugleich allgemein gegebene, aber ohne Freiheit eben nicht
verwirklichte Anlage des höheren Sinnes. Ihre Verwirklichung durch
152 Michael Gerten

Freiheit führt zu einer völligen Verwandlung und Umschaffung des Men-


schen: »Setze man darum den [...] Fall: der Mensch könne durch sich
selbst sich losreissen, (weil er nemlich kein blosses natürliches, sondern
ein übernatürliches ist) so entstände ihm durch die Realisation dieses
freilich durch sein ursprüngliches Seyn ihm mitgegebnen Vermögens ein
ganz neues wirkliches Seyn, sein Seyn als frei, durch Freiheit« (EWL-
1813, 16).
Die Vernunft ist kein Ding, sondern ein Sehen. Der Mensch in
seinem Wesen ist Vernunftwesen: »das Seyn des Menschen ist ein sehen-
des, ein bewußtes« (EWL-1813, 16). Wirklich ist dieses Sein und Sehen
nur immer in einer je bestimmten Form. Die erste ist die Grundform der
(geistigen) Natur, gebildet ohne Zutun unseres Willens. Soll es nun eine
zweite, prinzipiell andere Ansicht geben, so kann diese nur eine Ansicht
durch Freiheit sein. So ist der Übergang in eine andere Grundansicht
überhaupt nur durch Freiheit oder gar nicht möglich; und die Möglichkeit
einer Grundansicht der Vernunft, eines inneren Sinnes und damit des
Seins eines Menschen kann nur entweder die Grundansicht aus Natur oder
die aus Freiheit sein. Dementsprechend wäre »dieses leztere Daseyn [...]
nur für den da, der frei sich losgerissen hätte [...]; u. so könnte, obwohl in
Absicht der Anlage die Menschen alle gleich wären, dennoch in Absicht
der Wirklichkeit dazu es zwei durchaus entgegengesezte Klassen unter
ihnen gebe[n], deren eine ein Seyn hätte, welches der andern schlechthin
abzusprechen wäre.« (EWL-1813, 16)
Ist das Sein des Menschen ein sehendes, ein Wissen, so gibt es
keine Veränderung des Seins, des Zustandes des Menschen, die nicht eine
Veränderung seines Sehens wäre, und umgekehrt. Alle Veränderung des
Menschen könnte folglich immer nur entweder eine innerhalb einer
Grundform des Sehens sein, wäre dann aber keine grundsätzliche und
gründliche Veränderung; oder sie geschieht als Veränderung der Grundan-
sicht selbst, also als Übergang von der einen zur anderen. Die denkbar
grundsätzlichste Veränderung des Menschen wäre also immer eine der
Grundform seines Sehens. Ihren Ursprung hätte sie aber nicht in diesem
Sehen selbst, sondern in der Freiheit des Sich-Losreißens. Es ist also nur
folgerichtig, wenn Fichte betont, daß der durch Freiheit realisierte Über-
gang von einer niederen Vernunftansicht zu einer höheren, einem gänzlich
neuen Sinn, »nicht zu allernächst Lehre sey, sondern Umbildung des
ganzen Menschen an den sie kommt. Umschaffung und Erneuerung;
Erweiterung seines ganzen Daseyns, aus einem beschränkten zu einem
höhern Umfange« (EWL-1813, 7).
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 153

Wer nun die von anderen geäußerte Möglichkeit einer von der
seinigen verschiedenen und höheren Ansicht nicht einmal hypothetisch
zuläßt, ist nicht bloß blind, sondern mehr als das: verstockt. Wer auf dem
alleinigen Dasein der ihm selbst eigenen Grundansicht beharrt, kann dafür
keinen vernünftigen Grund angeben. Die übliche Haltung, es könne des-
halb keine höhere Ansicht geben, weil man selbst eine solche nicht habe,
entspringt tatsächlich einer logischen Fehlleistung des Verstandes, die
man nur durch das dahinterstehende praktische Interesse erklären kann:
»ungemeßne Selbstliebe und Selbstachtung« (EWL-1813, 9). Dem korre-
spondiert der Neid, diesen Sinn und das durch ihn Gegebene nicht schon
ganz durch sich selbst zu besitzen, sondern einem anderen zu verdanken.
Wäre die These vom vorauszusetzenden neuen Sinn tatsächlich richtig, so
»folgt denn freilich, daß es etwas geben könne, das sie nicht gesehen
hätten, und worauf sie erst durch andere aufmerksam gemacht werden
müßten. So finden sie in jener Äußerung nur eine ihnen zugefügte Belei-
digung, die ihren vollen Grimm und Haß erregt« (EWL-1813, 9). Wenn
das Sein des Menschen ein Sehen ist, dann ist der Mensch, was er sieht,
und er sieht, was er ist: »Seid das Rechte, so werdet ihr auch das Rechte
denken; lebet geistig das Eine, so werdet ihr dasselbe auch erschauen«
(BBWL, GA II/10, 27).
In welcher bestimmten Form, als was nun sieht und nimmt der
niedere Sinn ein gegebenes Etwas in seinem Wissen und Sehen? Er sieht
und nimmt ein gegebenes Etwas als unmittelbar gegeben durch die Wahr-
nehmung der äußeren Sinne, ohne zu sehen und zu wissen, daß er dies in
einem Wissen, in einem Sehen des Bewußtseins tut. Er sieht nur auf das
gegebene Etwas der Wahrnehmung, nicht auf sein Sehen und Nehmen
selbst des Etwas. Daß er das Wissen und Sehen des Bewußtseins nicht
sieht, sondern nur auf das Etwas sieht, hat zwei bedeutende Folgen:
Erstens: Weil er das Wissen und Sehen nicht sieht, kann er auch
nicht sehen und sagen: ›das Etwas ist ein durch das Wissen und Sehen des
Bewußtseins Gesehenes und Gegebenes‹; vielmehr kann er nur sehen das
Etwas als bloßes unmittelbar Gegebenes (Faktum) und muß deshalb sagen:
›das Etwas ist‹, ohne über dieses Sagen und dieses ›ist‹ weiter Rechen-
schaft abgeben zu können. Sein Sehen, Nehmen und Sagen ist selbst bloß
faktisch, ohne Einsicht in seinen Grund (vgl. EWL-1813, 13 f.).
Zweitens: Daß der natürliche Mensch das Wissen und Sehen des
Bewußtseins gar nicht sieht, heißt zugleich, daß er nicht nur nicht sieht
und sagen kann, in welcher Form und als was er das gegebene Etwas
sieht, sondern mehr noch, daß er nicht einmal sieht und sagen kann, daß er
überhaupt das gegebene Etwas in einer bestimmten Form, als etwas sieht,
154 Michael Gerten

obwohl er es unmittelbar tut. Er ist bloß das Sehen und geht in seiner
natürlichen Grundform auf, ohne das Sehen selbst zu sehen, noch seine
Grundform, noch den Grund selbst des Sehens und dieser Grundform.
Fichte nennt die Grundtätigkeit dieser Grundform des inneren Sinnes, in
der statt des Sehens selbst vermeintlich unmittelbare Objekte als Sein an
sich gesetzt werden, auch »Hindenken« und »Absetzen des Seyns« (EWL-
1813, 15), weil in ihm nicht auf die Gebundenheit und Begründetheit
dieses Seins im Wissen geachtet wird.
Das Neue des neuen Sinnes gegenüber dem gewöhnlichen, die
neue Welt, die durch ihn dem Sehen sich darbietet, ist nicht die Welt des
Faktischen, sondern die Welt der Gründe. Zwar kennt auch der niedere
Sinn die Frage nach dem Grund, aber nur hinsichtlich einzelner Seiender
und einzelner Beschaffenheiten. Doch nicht darauf beruht seine Be-
schränktheit, »sondern darauf, daß er überhaupt ein Seyn schlechthin setzt:
sagt, es ist etwas und damit gut« (EWL-1813, 14). Ein etwaiger Grund des
Gegebenen wird nur wieder auf derselben Ebene des Gegebenen gesucht.
Der neue Sinn dagegen sucht den Grund eben nicht auf derselben Ebene
wie das Gegebene, Faktische, sondern auf der Ebene von Prinzipien,
Gesetzen für das Faktische. Nicht die Anschauung, daß etwas faktisch,
sondern die Anschauung des Gesetzes, warum etwas notwendig so oder so
erscheint, ist Gegenstand und Ziel des neuen Sinnes.
Daraus ergibt sich nun auch, warum der neue Sinn der höhere ist:
In seiner Vernunftansicht wird das, was der niedere Sinn faktisch nimmt,
ohne es zu merken, als faktisch, und zwar als bloß faktisch und deswegen
begründungsbedürftig erkannt. Im Blick des neuen Sinnes erscheint das
Gegebene des gewöhnlichen Sinnes nicht als unmittelbar gegeben, son-
dern als ›gemacht‹. Dieses ›gemacht‹ darf nun nicht wieder, wie im niede-
ren Sinn, sofort objektivistisch im Sinne physischer Kausalität als ›herge-
stellt‹ verstanden werden (reale, zeitliche Genesis), sondern als durch
geistige Prinzipien, Gesetze für die Erkenntnis konstituiert, eben: begrün-
det (ideale, logische Genesis). Das Gegebene des niederen Sinnes ist für
diesen durch die äußeren Sinne unmittelbar gegeben, und die äußeren
Sinne heißen eben deswegen ›Sinne‹, weil sie für den niederen Sinn
unmittelbares Sein in der Anschauung geben. Der natürliche, niedere Sinn
sagt: Ich sehe Dinge, ich nehme sie unmittelbar wahr. Der neue Sinn sagt:
›Es sind Dinge‹ ist keine Wahrnehmung, sondern ein Schluß aus Prämis-
sen, die eben nur der höhere Sinn sieht: »So sagen sie: wir sehen, hören,
fühlen, und werden durch dieses Sehen pp uns der Dinge bewußt [...].
Nach uns: wir sehen hören, durchaus nicht, sondern wir urtheilen daß wir
sehen und dadurch uns der Dinge bewußt werden.« (EWL-1813, 20 f.).
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 155

Dreierlei folgt also daraus, daß der höhere Sinn erkennt, daß dem niederen
Sinn nur scheinbar Unmittelbares gegeben ist:
Erstens: Das, wodurch das dem niederen Sinne gegebene Sein nur
scheinbar unmittelbar gegeben wird, die äußere Sinnlichkeit, hat gar nicht
die Bezeichnung eines ›Sinnes‹ verdient: »der äußere Sinn, als Sinn, und
in der Form des Sinnes [wird] abgeläugnet, und zurückgeführt auf ein
Höheres, das allein unmittelbarer Sinn ist« (EWL-1813, 21).
Zweitens: Genau darin ist der niedere Sinn blind und also der nie-
dere, daß er fälschlich etwas als unmittelbar Gegebenes nimmt und blind
für die Prämissen ist, aus denen dieses Gegebene abgeleitet wird und
wodurch es seinen Charakter als unmittelbar Gegebenes verliert.
Drittens: Das Sein, als für den niederen Sinn unmittelbar Gegebe-
nes und durch ihn für unhintergehbar Gehaltenes, verliert für den höheren
Sinn, der es als Abgeleitetes erkennt, seinen Charakter als stehendes Sein
an sich und wird zu einem Werden, vermittelt und genetisiert aus höheren
Prinzipien: »das Seyn, in seiner absoluten Form, und mit völliger Ab-
straktion von irgend einem Gegenstande, dem [es] zugeschrieben wird,
[wird] geläugnet: und über dasselbe hinaus gesehen. Es drum verbleibt,
nicht in seinem Seyn, sondern in seinem Werden, und Entstehen, aus
einem andern, welches in ihm gebunden und gefesselt ist, in welcher
Gebundenheit, die hier offenbar wird, eben das Seyn besteht. Also in
dieser Entstehung des Seyns wird gesehen, nicht das Seyn, sondern das im
Seyn Gebundene; ohne Zweifel Freiheit, Leben, Geist«; deshalb ist der
neue Sinn der »Sinn für den Geist für den nur Geist ist, und durchaus
nichts anderes, dem auch dies andere, das gegebene Seyn[,] annimmt die
Form des Geistes und sich darein verwandelt« (EWL-1813, 21 f.).
Die Form des Geistes aber ist kein Dingliches, keine vorauszu-
setzende geistige Substanz, die etwa die Eigenschaften hat, wissend,
erkennend, sehend zu sein, sondern sie ist lebendiges Wissen, Erkennen,
Sehen selbst. Fichte kritisiert zwei verwandte Grundansichten, die nur die
beiden Seiten derselben falschen Münze sind: die objektivistisch-
realistische Ansicht, der das erkannte, gewußte, gesehene Objekt (Ding,
Sein, Substanz) als letztes Faktum gilt; und die nach 1800 durch Reinhold,
Fries u. a. verbreitete (bis heute selbst in der Fichte-Forschung noch
immer virulente) subjektiv-idealistische Ansicht, der das erkennende,
wissende, sehende Subjekt (Psyche, Seele, empirisches Ich, Selbstbewußt-
sein) als letztes Faktum gilt. Beides sind gleichermaßen Fehlinter-
pretationen des eigentlich transzendental-idealistischen Ansatzes von
Kants Kritiken und Fichtes Wissenschaftslehre. Ihr gemeinsamer Fehler
liegt eben darin, daß sie Fakten als unmittelbar Gegebenes (der empiri-
156 Michael Gerten

schen inneren oder äußeren Sinnlichkeit) ansehen und hinnehmen, ohne


die Genese dieser Fakten aus Gesetzen des Wissens selbst auch nur als
Problem zu empfinden, geschweige denn diese Genese selbst, das logisch-
ideale Werden dieser ›Fakten‹ im Wissen, durch das Wissen für das
Wissen, dies alles nach Gesetzen dieses Wissens zu wissen und zu sehen.
Beide falschen Grundansichten sind die eine Ansicht des niederen
Sinnes, der Fakten verabsolutiert und blind ist für die Genesis. Der höhere
Sinn dagegen sieht das Faktische (sei es nun ›Substanz‹ oder ›Subjekt‹) in
seinem Werden aus Prinzipien des Sehens, d. h. er sieht es in seiner
Genesis, sieht letztlich das Prinzip der Genesis schlechthin, zu dem jede
einzelne Genetisierung sich verhält wie der Fall zu seinem Gesetz. So
wird der höhere Sinn der Sinn für die Genesis schlechthin. Diesem Sinn
für die Genesis wird, da es für ihn nur Wissen, Sehen, geistiges Leben
gibt, alles Sein des niederen Sinnes zum »gebundenen Sehen«, zum
›Hingesehenen‹, gebunden durch die Gesetze des Sehens, wie es dem
niederen Sinn in seinem Naturzustand eigen ist: Dieses sieht gemäß den
Gesetzen, nicht aber die Gesetze selbst. Zur Natur des geistigen Daseins
als Wissen/Sehen gehört nur die Möglichkeit des Übergangs zur höheren,
freien und wahrhaft sehenden Daseinsform; wer sich nun dieser Natur
überläßt, wird in ihr festgehalten und bleibt in der Gebundenheit und
Nichtfreiheit. Nur wer sich von ihr löst durch freie Bildung der höheren
Ansicht als des höheren Daseins, ist wirklich frei und sieht die Freiheit
und durch diese Freiheit das Sehen und Wissen selbst in seinem Wesen,
d. h. in seiner notwendigen gesetzlichen Struktur.
In der Welt der feststehenden Ansicht und der feststehenden Ob-
jekte des niederen Sinnes hat die Freiheit eigentlich nichts zu tun, ist ihr,
konsequent gedacht, kein Raum, keine Sphäre der Bewegung und Betäti-
gung gelassen. Auch die Wissenschaftslehre kann in diese Sphäre der
gegebenen Dinge nicht das ursprüngliche Betätigungsfeld der Freiheit
setzen:

»[Wir setzen] die Freiheit gleich vom Beginn in das Bilden nicht
der Dinge, sondern der Ansicht. Nach jenen: die Ansicht wie sie
gegeben ist durch das natürliche Daseyn, ist richtig[,] drükt aus das
Seyn an sich, ist nothwendig und unveränderlich. Giebt es Freiheit,
so muß diese liegen jenseit dieser Ansicht, und in einer andern. Wir
dagegen [sagen]: grade die Ansicht ist das allererste, welches durch
die Freiheit gebildet und erschaffen werden muß. Wie könnte es
denn anders sein; der Freie ist in der Wurzel seines Seyns, Sehen,
Wissen: ist es nun in der That freier Grund seiner selbst, so ist pp –
so auch des weiteren] Sehens, Wissens, weil es ja dies ist. Die vor-
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie 157

ausgegebene Ansicht kann drum gar keine Wahrheit und Bedeu-


tung haben, als daß man von ihr mit Freiheit sich erhebe zur wah-
ren Sphäre, [sie ist] Gegenstand und Terminus a quo dieser wah-
ren, mithin gewiß nicht ausdrükend das Ansich, ewig bleibend,
sondern das nicht an sich, zufällige, was vernichtet und aufgehoben
werden soll.« (EWL-1813, 47 f.)

Vernichtet wird das Sein als Hingesehenes der natürlichen Ansicht und
damit die natürliche Ansicht selbst nicht schlechthin, sondern nur als ein
Erstes, Unhintergehbares: Das Sein, »welches durch das natürliche Sehen
[gegeben ist], – das der vorausgegebenen äußern Sinnenwelt [...] wird
durch die neue Ansicht, wiefern es Grund hat, nicht vernichtet, sondern
nur verstanden. – als gebundenes Sehen; als eben die Ansicht, welche der
Mensch nothwendig mitbringt« (EWL-1813, 48 f.) Im Gegensatz zu dem
durch das Gesetz gebundenen Blick des niederen Sinnes (unser aller Blick
im geistigen Naturzustand) ist der Blick des höheren Sinnes, indem er sich
losreißt von dieser Gebundenheit, »frei: anschauend die Freiheit, sonst
nichts. (nicht wie erst etwas, welches eben durch das Gesetz etwas wird)
Da nun das Gesetz nicht verschwinden kann, so zeigt sich dies, als bin-
dend die Freiheit eben selbst: die schon das stehende Objekt dieses Bliks
ist« (EWL-1813, 39).
Jedes wahre Wissen ist letztlich unmittelbare Anschauung eines
Gesetzes als bindend die ursprüngliche Freiheit, die ebensowenig er-
scheint ohne gebunden zu sein durch das Gesetz, wie das Gesetz erschei-
nen kann, ohne die Freiheit zu binden. Das Verhältnis von Freiheit und
Gesetz im Wissen erläutert Fichte dann weiter durch das schon in anderen
Schriften entwickelte Schema der Erzeugung einer Anschauung in der
Einheit von freier Konstruktion und – als Kriterium richtiger Konstruktion
– notwendig sich einstellender Evidenz. Dieses Grundschema der wissen-
schaftlichen, d. h. apodiktisch notwendigen Erkenntnis überhaupt, wird für
den höheren Sinn in seiner Reinform, den philosophischen Sinn, zur
eigentlich wissenschaftlichen Erkenntnisform, die in ihrer durchgehenden
Anwendung, Wissenschaftslehre genannt, zur genetischen Erkenntnis
schlechthin sich entwickelt, zur Genese der Vernunft selbst aus ihrem
Grund.
Die Einleitung in die Philosophie kann diese Erkenntnisform als
Fundament des philosophisch-systematischen Erkenntnisganzen nicht in
einem anderen erzeugen, sondern nur zu dieser Erzeugung anleiten. Dies
tut sie durch die Bemühung, »von dem hierzu erforderlichen Verfahren ein
vorläufiges Bild zu geben, ein Bild des Weges der aus der natürlichen und
158 Michael Gerten

angebornen Ansicht führt zu der jenseit aller Natur. [...] es würde dadurch
erhellen[,] was von der Arbeit auf jeden Theil komme, was auf den Lehrer
und was auf den Lehrling allein [...] Die Unwissenheit über diesen Punkt
ist ein Hauptgrund des gänzlichen Mißverstehens unserer Lehre« (EWL-
1813, 32). Die Befreiung und der Übergang vom niederen Sinn und seiner
Blindheit zum höheren, philosophischen Sinn und seiner Sehe als inter-
personales Freiheitsgeschehen zwischen Lehrer und Schüler – das ist der
höchste Punkt in Fichtes Reflexionen zur philosophischen Propädeutik. In
ihm geht es darum, was in diesem Übergang vermittelt werden kann und
was ewig unvermittelt bleiben muß, was der Lehrer tun kann, und was der
Schüler tun muß, wie die Freiheit und Vernunfttätigkeit des einen auf die
Freiheit und Vernunfttätigkeit des anderen einwirken kann, ohne sie als
freie Vernunfttätigkeit aufzuheben.
Sofern die Prinzipien des Wissens überhaupt allgemeiner sind als
die Prinzipien der Vermittlung des Wissens, liegt es in der Natur der
Sache, daß auch Fichte selbst erst mit dem Fortschreiten der Wissen-
schaftslehre die tiefere Einsicht in die Grundvoraussetzung der Einleitung
und Vermittlung derselben gelungen ist: die Anleitung zur Ausbildung des
neuen, höheren Sinnes, dem allein die geistige Welt der Philosophie sich
erschließen kann. Theoretische Grundlage einer solchen praktischen
Anleitung ist das Lehrstück vom neuen, geistigen Sinn überhaupt und
seiner höchsten und reinen Form, dem genuin philosophischen Sinn. Mit
einer Erarbeitung dieses Lehrstücks wird die grundlegendste Vorausset-
zung überhaupt geschaffen für eine adäquate Philosophie in ihren beiden
Tätigkeitsarten: der philosophischen Forschung am System der Philo-
sophie überhaupt (Wissenschaftslehre) und der philosophischen Lehre als
interpersonaler Vermittlung derselben.
»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der
Freiheit« – Wesen und Möglichkeit höherer
Lebensformen bei Kant und Fichte

Kai Gregor (Berlin)

1. Hinleitung

Es ist philosophische Grundannahme der transzendentalen Philosophie


Kants und Fichtes, daß »der Zeit nach […] keine Erkenntnis in uns der
Erfahrung vorher[geht], und mit dieser fängt alle an.«1 Die Erfahrung wird
als ein »Zusammengesetztes« aufgefaßt, das die Philosophie in seiner
komplexen Gesamtstruktur analysiert und auf apriorische Konstitutions-
leistungen der reinen Vernunft zurückführt. Die transzendentale Erklärung
intendiert aber neben einer sachlichen Analyse vor allem die Rechtferti-
gung (de iure) des systematischen Zusammenhangs der Erfahrungsele-
mente (de facto). Diese Legitimation läuft in letzter Konsequenz auf das
Unbedingte, auf eine Legitimation der Legitimation hinaus. Denn jede
begründende Gesetzmäßigkeit ist ihrerseits auf höherer Ebene wiederum
faktisch, d. h. bloß behauptet, und bedarf einer tieferen Legitimation. Am
Ende muß sich das Wissen (unabhängig vom behauptenden Subjekt) als
durch sich selbst gerechtfertigt ausweisen, weil sonst die Möglichkeit
absoluter Gewißheit im infiniten Regreß verlorenginge. Soll überhaupt

1 KrV B 1; bei Fichte SB SW, II, 333 f.


160 Kai Gregor

wahres, gewisses Wissen (auf theoretischer Seite) und gutes, sinnhaftes


Leben (auf praktischer Seite) möglich sein, so muß sich das Wissen
absolut durch sich selbst legitimieren. Es geht der Transzendentalphiloso-
phie also nicht bloß um die vollständige und systematische Aufstellung
faktischer Gesetzmäßigkeiten des Bewußtseins (wie es die phänomenolo-
gische Wesensschau intendiert), sondern um die Einsicht in das absolute
Prinzip des Rechtfertigens selbst. In der Aufweisung dieses absoluten
Prinzips der Vernunft besteht sowohl Aufgabe als auch wiederum die
Rechtfertigung des transzendentalen Projektes: Sein praktischer Anspruch,
das tun zu können, ist das treibende Moment seiner Analyse, er hebt es
von Beginn an über alle Faktizität, alle Ontologie hinweg.
Vergleicht man Kant und Fichte nun hinsichtlich ihres Begrün-
dungsanspruchs miteinander, so findet man, daß Kant zwar zur Grundle-
gung des Erfahrungswissen ansetzte, aber letztlich nicht das begriffliche
Instrumentarium entwickelt hat, um diese Grundlegung abzuschließen.
Kants Argumentation bleibt bei einer behaupteten Apodiktizität stehen,
die immer eine höhere Faktizität ist.2 Seine höchsten Prinzipien sind die
transzendentale Apperzeption und das Faktum der Vernunft. Kant formu-
liert letztlich nur eine Theorie des objektiven Wissens, in der die vorgetra-
genen Elemente zwar, wie Kant sagt, »unleugbar« sein sollen, die aber
insgesamt durch ihre theoretische Erscheinungsweise noch als bezweifel-
bar gesetzt sind. Der Anspruch Fichtes einer vollständigen Legitimation
des Wissens geht darüber hinaus. Die Bedingungen der philosophischen
Genese der apodiktischen Resultate Kants werden dadurch zu einem
Grundproblem Fichtes. Die Problematizität derselben wird vor der Folie
der Legitimationsfrage nicht als Grenze der Vernunft, sondern als spezifi-
sche epistemische Qualität verstanden, die ihren Grund in einer noch nicht
vollkommen zu sich selbst gekommenen Freiheit hat. Darum kann sie
noch aufgehoben werden, ohne einen dogmatischen Abbruch zu begehen.
Fichte vermag dadurch den Unterschied zwischen de iure und de facto
abzuleiten, das dabei entdeckte reine Prinzip des Rechtfertigens ermög-
licht die Erfüllung der transzendentalen Intention einer vollständigen
Legitimation des Erfahrungssystems. Fichte bezeichnet es als das selb-
ständige Bild des Absoluten, der Kantischen Theorie hingegen würde
Fichte bloß den Status eines objektiven Bild des Bildes, eines formalen
Schemas des absoluten Bildes einräumen: nach Kant hat man eine Theorie

2 Für Kant ist »alle menschliche Einsicht zu Ende, sobald wir zu Grundkräften oder
Grundvermögen gelangt sind, denn deren Möglichkeit kann durch nichts begriffen werden, darf
aber ebenso wenige erdichtet oder angenommen werden «(KpV, AA V, 46 f.).
»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit« 161

des Wissens, nach Fichte sind wir diese Theorie, welche Fichte Wissen-
schaftslehre nennt. Am Vergleich der »Revolution der Gesinnung« und
der »Vollendung der Freiheit« möchte ich erstens einen Beitrag zum
Verständnis der praktischen Philosophie Kants und Fichtes leisten, zwei-
tens aber zeigen, wie eng das Design einer Theorie mit dem bezogenen
praktischen Standpunkt, wie unmittelbar Philosophie und Leben zusam-
menhängen.

2. Revolution der Gesinnung

Das empirische Handlungsbewußtsein ist in der praktischen Philosophie


als Explanandum gewählt. Es ist der Legitimationsanspruch, welcher die
Frage nach einem guten, durch sich selbst gerechtfertigten Handlungsvoll-
zug aufwirft. Seine Möglichkeitsbedingungen wollen wir zuerst bei Kant
verfolgen.
Kant nennt nur zwei mögliche Motivquellen unserer Handlungen:
Einerseits Lust/Unlust, andererseits reine praktische Vernunft. Erstere
führt er von außen »als in der Psychologie billig gegeben«3 in die Philoso-
phie ein, die letztere weist er als notwendige Bedingung eines freien
Willens nach. Den Begriff eines freien Willens gewinnt Kant anhand des
empirischen Phänomens des Sollens. Wir finden uns mit dem Vermögen
vor, Zwecke allein aufgrund des Sollens, obwohl keine Lust als Motiv
wirkt, zu realisieren. Wir sind also nicht Spielball unserer Natur, sondern
die Vernunft ist im Menschen durch sich selbst praktisch. Dieses Sollens
können wir uns bewußt werden, »indem wir auf die Notwendigkeit, womit
[…][es] uns Vernunft vorschreibt, und auf die Absonderung aller empiri-
schen Bedingungen achthaben.«4
Kant leitet beide Motivquellen nicht ab, sondern weist sie zu-
nächst als assertorische Vermögen unseres Handlungsbewußtseins auf.
Seine Bemühung geht aber darauf, das bestimmte Bewußtsein des Sollens
in seiner unbedingten Verbindlichkeit eines moralischen Gesetzes nach-
zuweisen. Seine Argumentation bezieht ihre Kraft aus der »Not-
wendigkeit«, mit der sich uns das Faktum der Vernunft aufnötigt; diese
impliziert die Allgemeingültigkeit »für jedermann […], der Vernunft und
Willen hat«.5 D. h. wir können uns dem kategorischen Imperativ nicht

3 KpV, AA V, 9.
4 KpV, AA V, 36.
5 KpV, AA V, 36.
162 Kai Gregor

entziehen, wohl aber können wir von unserer Lust/Unlust abstrahieren.


Lust/Unlust sind nur materiale Triebfedern (Akzidenzien) unseres Wil-
lens, das Sollen der reinen praktischen Vernunft ist dagegen rein formal,
es ist unser freier Wille selbst. Indem das Individuum einsieht, daß das
Sollen »für jedermann« gilt, begreift es, daß es Ausdruck der »gemeinen
Menschenvernunft«6 an seiner individuellen Stelle im Leben ist.
Das freie Wollen ist nach Kant ein Sollen, weil es nur an und im
Gegensatz zur Lust/Unlust bewußt wird.7 Der Mensch steht demnach im
Zeitverlauf »mitten inne zwischen seinem Prinzip a priori, welches for-
mell ist, und zwischen seiner Triebfeder a posteriori, welche materiell ist,
gleichsam auf einem Scheideweg.«8 In diesem Kräfteverhältnis müssen
wir grundsätzlich durch eine zusätzliche willkürliche Entscheidung für die
eine oder andere Seite den Ausschlag geben. Unser faktischer Wille ist
also nach Kant immer gemischt und gebrochen. Gemischt, weil wir ihn
nur an einer sinnlichen Affizierung wahrnehmen, gebrochen, weil wir uns
zu unserem eigenen Willen noch durch einen Willensentschluß verhalten
müssen. Dieses Verhältnis verwandelt die unbedingte Notwendigkeit der
praktischen Vernunft in eine dynamisch-relative gegenüber den Neigun-
gen und der Willkür: Wir können faktisch auch anders als wir sollen, im
Zeitverlauf bestimmt Vernunft unseren Willen nicht »unausbleiblich«.
Kant erklärt dieses faktische Verhältnis unseres empirischen Wil-
lens in seiner Religionsschrift von 1793 tiefer, indem er es auf ein Gesetz,
die transzendentale Gesinnung, zurückführt. Der transzendentalen Analyse
entdeckt sich nämlich die gesetzliche Struktur auch unseres praktischen
Handlungsbewußtseins. Unsere Entscheidungen im Zeitverlauf stellen sich
insgesamt bloß als Erscheinung einer zeitlich konstanten Selbstgesetzge-
bung (durch Maximen) heraus, die man nach Kant »auf die Zukunft mit
Gewißheit« ebenso vorausberechnen könnte, »wie eine Mond- oder
Sonnenfinsternis […], und dennoch dabei behaupte[n kann], daß der
Mensch frei sei.«9 Die Gesinnung bildet also sowohl die funktionale
Einheit unseres Handlungsbewußtseins (als theoretische Rechtfertigung
der Einheit des individuellen Charakters), als auch seine moralische
Qualität (als praktische Legitimation des Sollseins unseres Lebens). Nach
Kant liegt es also a priori in der Gesinnung bestimmt, ob der Mensch auf
dem Scheideweg eher seinen Neigungen oder seiner Vernunft folgt, d. h.

6 GMS, AA IV, 402.


7 GMS, AA IV, 449.
8 GMS, AA IV, 400.
9 KpV, AA V, 99.
»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit« 163

alle Taten, Gedanken und Entscheidungen im Zeitverlauf sind bloß Aus-


druck unserer grundsätzlichen Werthaltung. Diese bestimmt sich dadurch,
daß in der Gesinnung das moralische Gesetz und die sinnlichen Triebfe-
dern (unter dem Namen der Glückseligkeit) als höchste praktische Prinzi-
pien in ein hierarchisches Verhältnis gesetzt sind.
Wird das moralische Gesetz zuoberst gesetzt, ist Glückseligkeit
nur noch von relativem Interesse, insofern auch der tugendhafte Mensch
die allgemeine Wohlfahrt der Menschheit intendiert.
Wird hingegen das Prinzip der Glückseligkeit zuoberst gesetzt,
gebraucht das unmoralische Wesen Vernunft (als Klugheit und Geschick-
lichkeit) nur zur Erreichung seiner Privatinteressen bzw. eben, um in seine
sinnlichen Triebfedern »Einheit der Maximen, die ihnen sonst nicht
zukommen kann, hinein zu bringen.«10 Damit ist die innere Unauthen-
tizität eines unmoralischen Charakters angesprochen, der ein rechtschaffe-
nes Leben bloß äußerlich und aus niederen Motiven führt. In der Gesin-
nung bestimmt der Mensch seine Wertordnung selbst, sie »muß […] durch
freie Willkür angenommen worden sein, denn sonst könnte sie nicht
zugerechnet werden.«11 Daher ist auch eine Revolution der Gesinnung
möglich.
Unter »Revolution der Gesinnung« versteht Kant nun genau den
Fall, daß sich das bestimmte Verhältnis der Triebfedern in der Gesinnung
(ihrer Materie) umkehrt. Weil Kant aber voraussetzt, daß der Mensch von
Geburt an eine verkehrte, unmoralische Gesinnung besitzt, so beschreibt
eine Revolution der Gesinnung immer eine Umkehr zum Guten. Die
höhere Lebensqualität der Tugend zeichnet sich nach Kant dadurch aus,
daß sie unabhängig von lästigen Neigungen vom Gefühl der »Selbstzu-
friedenheit« erfüllt ist. Diese Revolution ist nach Kant notwendigerweise
»vollkommen unerklärlich«, da sie in einem absolut freien Akt der Um-
wertung besteht.
Die Gesinnung und ihre Revolution ist also formal durch freie
transzendentale Willkür bedingt, beide sind nach Kant dem forschenden
Verstand letztlich »unerforschlich«12, denn die transzendentale Tat der
Annehmung der obersten Maxime kann auf kein Motiv zurückgeführt
werden. Es ist tatsächlich unklar, wie die Gesinnung und ihre Revolution
zustandekommen, denn unter den Kantischen Prämissen scheitert ihre
Rekonstruktion: Einerseits müßte die transzendentale Willkür sich hin-

10 AA V, 137.
11 AA V, 125.
12 Rel., AA VI, 29.
164 Kai Gregor

sichtlich der Bildung der obersten Maxime entweder von Lust/Unlust oder
vom moralischen Gesetz bestimmen lassen (denn es sind die einzigen
Motivquellen), andererseits aber müßte sie der selbständige Grund für die
Bildung der obersten Maxime sein, in welche sie eine der beiden Triebfe-
dern als höchste aufnimmt, denn sonst könnte die Gesinnung nicht zu-
rechnet werden. Die Willkür kann nämlich nur von einer Triebfeder
affiziert werden, die sie schon in ihre Maximen aufgenommen hat.13 Für
alle subalternen Maximen ist zwar klar, daß die Qualität der obersten
Maxime ihre Bildung bestimmt, aber für die oberste Maxime ist das
Prinzip der Selbstgesetzgebung unerforschlich«. Da die Gesinnung aber
der Grund für einen gemischten und gebrochenen Willen im Zeitverlauf
sein soll, scheint zumindest soviel klar zu sein, daß durch transzendentale
Willkür das Prinzip subjektiver Gesetzgebung inauguriert wird (ohne
Klarheit über das Wie), in ihr muß daher der Grund liegen, warum die
Form die Willens nicht allein durch reine praktische Vernunft bestimmt
wird, sondern notwendig aus einem Ineinandergreifen von objektiver und
subjektiver Gesetzgebung hervorgeht, wobei die subjektive Gesetzgebung
die objektive bedingt. Das moralische Gesetz wäre ja eigentlich

»in uns [die notwendige und hinreichende] Triebfeder = a; folglich


ist der Mangel der Übereinstimmung der Willkür mit demselben (=
0) nur als Folge von einer realiter entgegengesetzten Bestimmung
der Willkür, d. i. einer Widerstrebung derselben = – a, d. i. nur
durch eine böse Willkür, möglich;«14

Woher hat die transzendentale Willkür aber diese Beharrungskraft, mit der
sie dem moralischen Gesetz widersteht? Fichte wird der Auffassung sein,
daß sie sie als selbständige Kraft durch sich selbst hat, Kant ist dagegen
der Auffassung, daß die Beharrungskraft nur durch unsere praktische
Bedingtheit, d. h. unsere Bedürfnisse und Neigungen, erklärt werden
kann.15 Bedürfnisse werden nach Kant wirklich in die Gesinnung aufge-
nommen und schränken dadurch das moralische Gesetz als hinreichende
faktische Triebfeder ein. Kurz, weil wir praktisch-bedingte Wesen sind,
können wir uns nicht allein durch Vernunft bestimmen, sondern sind
gezwungen, durch subjektive Gesetzgebung das Verhältnis zur objektiven
Gesetzgebung auszumitteln. Hier liegt der Grund, warum wir nach Kant
höchstens der Tugend fähig sind, denn selbst die beste Gesinnung ist

13 Rel., AA IV, 23
14 Rel. , AA VI, 23. Anmerk.
15 vgl. Rel., AA IV, 41.
»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit« 165

mindestens durch Neigungen affizierbar (und damit fähig, sich Ausnah-


men vom Gesetz zu gönnen), die unmoralische Gesinnung ist nicht nur
durch Neigungen affizierbar, sondern läßt sich durch diese bestimmen.
Alle Menschen haben also nach Kant mindestens einen zurechen-
baren, konstitutiven aber unvorsätzlichen »Hang zum Bösen«. Nach Kant
muß selbst der »Apostel« mit der »Gebrechlichkeit des Herzens« kämp-
fen, alle anderen Formen tugendhafter Gesinnung sind aber durch »Unlau-
terkeit« gekennzeichnet, d. h. sie müssen die Triebfedern der Lust in ihre
Maximen aufnehmen, um der Pflicht gerecht werden zu können.16 Der
»Hang zum Bösen« bezieht sich auf den Menschen als Menschen, nicht
bloß auf die unmoralische Gesinnung. Er kann auch nicht durch Revoluti-
on der Gesinnung beseitigt werden, dazu müßten die Naturanlagen insge-
samt beseitigt werden, was unmöglich ist.
Soweit geht die praktische Rechtfertigung der moralischen Wirk-
lichkeit des Menschen bei Kant, besser kann der Mensch qua Mensch
nicht sein. Sie geht genau genommen sogar noch einen Schritt weiter:
Nämlich der Mensch soll sich nach Kant durchaus um seine Heiligung
bemühen (er besitzt die Idee vollkommener Güte), ist aber ob der anthro-
pologischen Konstante seiner Bedürftigkeit dazu verdammt, Heiligkeit
sich zwar als in einer nicht abzuschließenden Bewegung erreichbar zu
denken, sie aber niemals de facto erreichen zu können. Diese Idee kann
nun dem Leben des Menschen höchstens einen idealen Sinn vermitteln
(eine gedachte vollständige Rechtfertigung), realiter aber bleibt die Exi-
stenz des Menschen unerfüllt und ist de facto niemals durch sich selbst
legitimiert. So bleibt das Ergebnis Kants unbefriedigend. Die unbedingte
Legitimationsforderung geht weiter als das Kantische Resultat und weckt
Zweifel einerseits an der von Kant behaupteten faktischen Realität des
Praktischen-Bedingten im Willen, andererseits am Prinzip der Selbstge-
setzgebung. Die Frage ist, sind Bedürfnisse notwendig eine Realität in
unserem Willen, oder bekommen sie diese erst dadurch, daß wir sie frei in
unsere Gesinnung aufnehmen. Es müßte das Prinzip der transzendentalen
Willkür genauer bestimmt werden.

3. Überleitung zur Vollendung der Freiheit

Die transzendentale Willkür ist Ort eines »Hanges zum Bösen«, der aus
einer natürlichen Beharrungskraft des Menschen gegen seinen vernünfti-

16 vgl. Rel., AA VI, 29 f.


166 Kai Gregor

gen Willen entspringt. Willkür in transzendentaler Funktion hat aber bei


Kant eine unklare Doppelbedeutung, die Bildung der obersten Maxime
setzt sich selbst immer voraus: ein Zirkel. Da aber eine oberste Maxime
notwendig ist, schließt Kant aus diesem Problem, daß der Grund der
Annehmung der obersten Maxime »unerforschlich« ist.17 Die moralische
Wirklichkeit in diesem blinden Fleck der Menschheit kann er nur durch
die Erfahrung ausfüllen, daß Vernunft offensichtlich nicht »unaus-
bleiblich« die Willkür bestimmt.18 D.h. Kant kann die Wirklichkeit des
allgemeinen »Hanges zum Bösen« in der Menschheit nur a posteriori
rechtfertigen.
Fichte löst das Problem rein a priori, indem er darauf verweist,
daß die Freiheit der selbständige und allein hinreichende Grund der An-
nehmung der obersten Maximen ist, ihr inhäriert allein schon durch ihre
Selbständigkeit die innere Beharrungskraft gegen das moralische Gesetz.
Kurz, es gibt nach Fichte gar keinen Zweifel über den höchsten Bestim-
mungsgrund der Gesinnung: Es ist die formale Freiheit selbst, erst logisch
danach stellt sich die materiale Frage, in welcher Hierarchie Naturtrieb
und moralisches Gesetz konfiguriert werden. Kants Fehler ist also nach
Fichte, daß er die »Unbegreiflichkeit« nicht als positiven und allgemein-
gültigen Wissensgehalt erkannte (dazu hätte er eine Theorie intellektuell
anschaubarer Freiheit gebraucht). Man kann sagen, daß Kant der »Uner-
forschlichkeit« auf den Leim ging, indem an ihr das Verstandesprinzip als
absolute Grenze des Begreiflichen scheiterte. In Ermangelung eines
höheren epistemischen Vermögens hält Kant an der trügerischen Unter-
scheidung zwischen negativ-bestimmbarer Willkür und praktischen
Bestimmungsgründen fest, anstatt die Unerforschlichkeit selbst schon als
Anschauung des reellen Widerstandes formaler Freiheit gegen das eviden-
te Gesetz aufzufassen. Nach Fichte muß also die Unerforschlichkeit (als
Anschauung) der Freiheit ins Bewußtsein aufgenommen werden. Das
Dasein der Freiheit ist der alleinige Grund für das Sollen, d. h. dafür, daß
das moralische Gesetz seine Kausalität nicht durch sich selbst hat, sondern
nur noch mittelbar, durch subjektive Gesetzgebung der Freiheit den
Willen bestimmen kann.19 Dadurch wird der Zirkel der Selbstgesetzge-
bung aufgehoben. Es geht damit auch einher, daß eine »Vollendung der

17 Rel., AA VI, 29, vgl. auch 53 f.


18 »Daß ein solcher verderbter Hang im Menschen gewurzelt sein müsse, darüber
können wir uns bei der Menge schreiende Beispiele, welche die Erfahrung an den Thaten der
Menschen vor Augen stellt, den förmlichen Beweis ersparen.« (Rel., AA VI, 32 f.)
19 Vgl. zu diesem Verhältnis von transzendentaler Freiheit und subjektiver Gesetz-
gebung SW, IV, 57. (SL)
»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit« 167

Freiheit« praktisch möglich wird, denn die Unerfülltheit und Unheiligkeit


(und auch Ungewißheit über sich selbst) basiert nicht mehr auf einer
anthropologischen Konstante, sondern auf einem apriorischen praktischen
Prinzip, welches sich unmittelbar formal mit Allgemeingültigkeit einsehen
läßt (was, nebenbei gesagt, nie aus empirischen Triebfedern folgen könn-
te). Es wäre daher möglich, daß Widerstand gegen das Gesetz formal
aufgehoben werden könnte, da er (der absoluten Forderung nach vollstän-
diger Legitimation der Vernunft durch sich selbst zufolge) eben aufgeho-
ben werden will. Das treibende Moment, der Rechtfertigungsanspruch der
Vernunft, hat nach Fichte höhere Realität als jede bloß faktische Realität.
In diesen Anspruch soll sich der Philosoph nach Fichte hineinstellen: Der
philosophische Imperativ fordert (als formale Sehnsucht der Vernunft),
solange weiter zu fragen, bis die Vernunft sich selbst transparent wird und
das Sollen in Wollen aufgehoben ist.
Fichte leitet in der Anweisung zum seligen Leben das angegebene
Bewußtsein von moralischem Gesetz und subjektiver Freiheit faktisch aus
einer freien Reflexion des natürlichen Menschen auf sich selbst her. Auch
nach Fichte beginnt alle Erkenntnis, der Zeit nach, mit der Erfahrung20:
Der Mensch findet sich als zwecksetzendes Wesen vor, d. h. er begreift
sich ursprünglich als bewußtes Naturwesen, frei zwischen unmittelbar
gefühlten Zwecken (Lust/Unlust) zu wählen. Sobald der Mensch sich aber
durchgreifend dieser materialen Freiheit besinnt (sich reflektiert), setzt er
sich als endliches Vernunftwesen. D. h. er begreift sich als ein unbestimm-
tes, formaliter freies und selbstständiges Prinzip. In der Sittenlehre von
1798 beschreibt Fichte dieses Prinzip wie folgt:

»[Es] ist ein Trieb zur Tätigkeit, um der Tätigkeit willen, der da-
durch entsteht, daß das Ich sein absolutes Vermögen innerlich an-
schaut. Es findet sonach hier gar nicht ein bloßes Gefühl des Trie-
bes statt, […] sondern eine Anschauung. Der reine Trieb kommt
nicht vor als Affektion; das Ich wird nicht getrieben, sondern es
treibt sich selbst, und schaut sich an in diesem Treiben seiner
Selbst.«21

D. h. das endliche Vernunftwesen wird bei der Reflexion von der Evidenz
ergriffen, sich prinzipiell – wenn es will – autonom bestimmen zu können.
Die Naturtriebe verlieren durch die Anschauung der Unbestimmtheit
durch irgendetwas Äußeres gänzlich ihre bestimmende Kraft für das

20 SW, II, 333 f. (SB)


21 SW, IV, 144. (SL)
168 Kai Gregor

wollende Ich. Freiheit ist nicht nur ein blindes, reelles Prinzip, sondern
wird unmittelbar durch »das absolute Vermögen der [intellektuellen]
Anschauung«22 bewußt. D. h. ein Freiheitsakt ist stets eine epistemische,
selbstbewußte Leistung, Reflexion und Freiheitsakt gehen notwendig
Hand in Hand.
Dadurch begreift sich der Mensch erstens »in der tiefsten Wurzel
seines Seins«23 als praktisches Gesetz, »seine Freiheit, beraubt der Nei-
gung, ist nun leer, und ohne alle Richtung. Er muß sie wieder binden; und,
Band für die Freiheit, oder Gesetz, ist ja ganz daßelbe.«24 Zweitens aber
faßt er sich diesem Gesetz gegenüber notwendig als frei, d. h. mit dem
Vermögen, ihm auch nicht gehorchen zu können, »er sondert sonach sich
ab, und stellt sich, als auch eine für sich bestehende Macht, dem Gesetze,
oder was das nun eigentlich sein mag, das ihm als Gesetz erscheint,
gegenüber.«25
Der Gedanke des Gesetzes – das ist nun ein entscheidender Ver-
gleichspunkt mit Kant – kommt aus einer freien Reflexion zustande, und
dementsprechend steht das objektive praktische Gesetz wie bei Kant unter
der Bedingung subjektiver Freiheit. Wo Kant aber den Phänomenbestand
des Sollens als dynamische Einschränkung des guten Willens durch
Bedürfnisse in der Willkür interpretiert26, zeigt Fichte, daß die intellektu-
elle Anschauung der Freiheit selbst schon rechtfertigt, daß uns unsere
Vernunft als Sollen (nicht als Wille) erscheint. Der gute Wille muß uns als
Pflicht erscheinen, weil beide Momente, Anschauung der Unerforschlich-
keit und des kategorischen Solls sich wechselseitig bedingen und nur
aneinander vorkommen. Einerseits kann in einem unbestimmten Vermö-
gen der Selbstbestimmung das moralische Gesetz (als Wesen des freien
Ichs) nur als kalter, kategorischer Imperativ bewußt werden, nicht aber das
Subjekt »unausbleiblich« bestimmen. Die Unbestimmbarkeit also bedeu-
tet, daß wir dem Soll stets auch zuwider handeln können. Andererseits
fordert das moralische Gesetz, daß wir frei, d. h. uns selbst »unerforsch-
lich« sein sollen; wir sollen uns durch nichts Äußeres, sondern nur durch
uns selbst bestimmen. Kurz, wir sollen uns demnach keine bestimmte
Natur, Wesen, Anlage etc. andichten. Beide zusammen bilden also die

22 SW, IV, 32. (SL)


23 Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, hrsg. v. Hansjürgen
Verweyen, Hamburg 41994, 113, im Folgenden AzsL 113.
24 AzsL 128.
25 Ebda.
26 Vgl. GMS I, 397 und noch ausführlicher, GMS III, 449: Wir sind nach Kant teils
Glied einer intelligiblen, teils Glied der Sinnenwelt.
»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit« 169

absolut synthetische Einheit des Selbstbewußtsein einer reinen praktischen


Vernunft.
Zusammenfassend kann man also sagen, daß die transzendentale
Reflexion (erster Ordnung) des natürlichen Standpunkts das Pendant zur
»Revolution der Gesinnung« bei Kant darstellt, da sie wie jene das Prinzip
der intellektuellen Selbstbestimmung über die Naturtriebe hebt. Gleich-
wohl stellt sie bei Fichte keine Umkehr zum Guten dar, da der Mensch
durch den postulierten Akt überhaupt erst in die Sphäre der Verantwort-
lichkeit eintritt, es also noch unbestimmt ist, ob er – nun frei – sich für
oder gegen eine tugendhafte Gesinnung entscheidet. Identisch wiederum
ist, daß beiden Denkern zufolge der Mensch im Stand der Mündigkeit das
prinzipielle Vermögen besitzen, dem moralischen Gesetz zuwider zu
handeln.

4. Vollendung der Freiheit

Fichte will nun zeigen, daß über der Revolution der Gesinnung noch eine
»Vollendung der Freiheit« möglich ist. Nach ihm ist subjektive Freiheit
gegenüber dem moralischen Gesetz eine in sich und durch sich selbst noch
unerfüllte Lebensform, insofern eine solche erstens bloß relativ frei ist,
zweitens aber diese Freiheit dadurch erkauft ist, daß sie mit sich selbst
entzweit ist. Der freie Wille ist zwar kein gemischter, aber doch ein in sich
gebrochener Wille. Diese Lebensform bezeichnet Fichte daher als niedere,
formale Moralität, d. h. als nicht vollständig durch sich selbst legitimierte
Haltung. Die treibende Frage, in welcher die Untersuchung die ganze Zeit
über gestanden hat, nämlich die nach der Legitimation de iure menschli-
chen Lebens, ist nach Fichte die unaustilgbare formale »Sehnsucht« des
Menschen nach einem vollkommen erfüllten Lebenssinn.27 Diese Sehn-
sucht ist als das bloß Bestimmbare die Folie, auf der die »Unerforschlich-
keit« des subjektiv freien Ich als bestimmte epistemische Qualität, nä-
herhin als defiziente Qualität bewußt wird: Das Ich kennt sich nur formal,
dasjenige, um was es geht (der Sinn, der individuelle wie auch der ganze,
letzte) kommt dem Ich als Material der Pflicht von Außen, aus einer
fremden Natur vor. Man kann vielleicht von blinder Pflicht sprechen, die
nicht das Ganze übersieht, sondern nur die konkrete empirische Aufgabe.
Das zeitlich invariante Ich ist letztlich von sich selbst entfremdet, hat sich
nur äußerlich. Die innere »Unerforschlichkeit« kann vor der Sehnsucht

27 AzsL 17.
170 Kai Gregor

nach einem allgemeinen Lebenssinn (einer zumindest individuellen Recht-


fertigung) nie selbstverständlich werden. Kant hat aufgrund dieser Sym-
ptomlage die Postulatenlehre entwickelt, um dieser tugendhaften Lebens-
haltung zwar keinen unmittelbar anschaulichen, aber doch wenigstens
einen idealen, denkmöglichen Sinn (die praktische Möglichkeit des kate-
gorischen Imperativs) zu sichern, ohne aber die reelle Spaltung der endli-
chen Vernunft dadurch überwinden zu können: Es bleibt das Problem des
perennierenden Sollens.
Die »Vollendung der Freiheit« ist eine transzendentale Reflexion
des freien Ich auf sein inneres Wesen, auf den inneren Sinn seiner konkre-
ten Pflicht. Reflexion aber ist nach Fichte (das hat die Analyse des absolu-
ten Reflexionsgesetzes in der Anweisung zum seligen Leben ergeben)28
notwendig synthetisch-analytisch, sie zergliedert, relativiert und objekti-
viert den Gegenstand der Reflexion, d. h. sie begreift ihn. Sie kann dies
aber nur, indem sie die unterschiedenen Momente in einer neuen syntheti-
schen Einheit faßt, in deren Evidenz sie wiederum unmittelbar aufgeht.
Dieses Aufgehen der Reflexion bedeutet, daß jede – wohlgemerkt –
evidente Reflexion (bloßes Meinen ist nach Fichte völlig gesetzlos und
willkürlich) den reflektierten Inhalt als seiend bzw. real behauptet, kurz,
sie setzt ihn notwendig in die Form des »X ist an sich« und begreift sich
unmittelbar als die Vorstellung dieses X. Erscheinendes Sein und Dasein
desselben sind die notwendigen Implikate alles faktischen Selbstbewußt-
sein. Diese faktische Form des Bewußtseins wird aber begründet durch die
unbegreifliche genetische Evidenz, sodaß die faktische Evidenz (die durch
Anwendung des bestimmenden Begriffs »Als« zustande kommt) die
notwendige Bedingung der Sichtbarkeit der genetischen Evidenz, letztere
aber der absolute, unbegreifliche Realgrund des endlichen Bewußtseins
ist; beides bedingt sich wechselseitig, in nur »einem Schlag«. Damit ist
das Verhältnis zwischen de iure und de facto bestimmt: Die innere geneti-
sche Evidenz ist das absolute Prinzip des Rechtfertigens selbst; wird
dieses durch die »Vollendung der Freiheit« ins Bewußtsein gehoben
(reflektiert), begreift sich die Vernunft als durch sich selbst legitimiert. In
der »Vollendung der Freiheit« wird nun nicht irgendein bestimmter Inhalt
des Selbstbewußtseins reflektiert (z. B. der Satz des Pythagoras), sondern
das ganze, in sich selbst geschlossene, durch sich selbst bestimmte Selbst-
bewußtsein der niederen Moralität: Die transzendentale Reflexion erwei-
tert und legitimiert insofern die absolute Qualität der Form dieses Selbst-
bewußtseins.

28 AzsL 49–57, 63–69.


»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit« 171

Durch eine solche transzendentale Reflexion auf den Standpunkt


der niederen Moralität kann die Freiheit sich vollenden, das heißt absolut
werden: Das Individuum holt die innere Struktur seines gebrochenen
Selbstbewußtseins bewußt ein. Das »Band für die Freiheit« wird als eine
begriffliche Leistung der Vernunft (als unbewußtes Sediment des charak-
terisierenden »Als« bei der Reflexion erster Ordnung) erkannt. Zugleich
wird es (wie die Natur zuvor) relativiert und objektiviert, kurz, es kann
sich beim »Faktum der Vernunft« nicht um das reale Wesen der Vernunft
handeln, sondern nur um die notwendige faktische Erscheinungsweise des
praktischen Selbstbewußtseins. Das synthetische Verhältnis von Gesetz
und Freiheit wird eingesehen als Verhältnis zweier, sich gegenseitig
einschränkender Partialkräfte, welche innerlich aber ein und demselben
absoluten Grundwillen entspringen. Was vorher real, absolut und unhin-
tergehbar erschien, wird durch den Vollzug der Reflexion zweiter Ord-
nung begriffen als notwendige, aber bloß faktisches Bild des absoluten
Prinzip des Rechtfertigens.
Durch die Reflexion zweiter Ordnung begreift endliche Vernunft
aber nicht nur den Standpunkt niederer Moralität, sondern überwindet ihn
zugleich auch performativ, indem sie in der Anschauung des höheren,
ermöglichenden Grundes des Selbstbewußtseins aufgeht. Kurz, sie geht
auf in dem absoluten genetischen Grundwillen (welcher zuvor der unbe-
kannte Grund = X der unbegreiflichen Sehnsucht war)29. Dieser wird
unmittelbar angeschaut und im Gegensatz zur faktischen und objektivier-
ten Form des Selbstbewußtseins begriffen: Der absolute Grundwille ist
absolute Subjekt-Objekt-Identität, d. h. sich theoretisch-praktisch selbst
begründende, genetische Evidenz. Diese (vorher = X) kommt dadurch
überhaupt in den Horizont des endlichen Bewußtsein, und wird als der
absolute Realgrund der faktischen Form des Ich begriffen und synthetisch
mit demselben als bloßem Idealgrund desselben vereinigt. Der absolute
Grundwille offenbart sich in dieser synthetischen Einheit unmittelbar als
das absolute, transrelationale, transreflexive und transfaktische, unbegreif-
liche, unerschöpfliche und evidente innere Leben der Vernunft. Eine
Bemerkung zum Unterschied von höherer Moralität (wie sie nach Fichte
hier vorliegt) und Religion: Er besteht darin, daß in der ersteren das
Bewußtsein sich mit dem absoluten Grundwillen der Vernunft unmittelbar

29 Ich möchte darauf hinweisen, daß Fichte schon in der Sittenlehre 1798 das
Verhältnis von Freiheit und Gesetz aus einem unbegreiflichen Urtrieb = X (z. B. SW, IV, 41 ff.)
abgeleitet hat. Nicht die Sittenlehre, wohl aber die Anweisung zum seligen Leben (vgl. auch späte
Sittenlehre) scheint mir der Ort zu sein, an welchem Fichte die Bedingungen der Sichtbarkeit
dieses Urtriebs ableitet.
172 Kai Gregor

anschaulich identifiziert, in der letzteren aber durch eine weitere Reflexion


diese unmittelbare Anschauung noch einmal unter dem Namen »Gott« auf
den Begriff bringt, d. h. als solche versteht (was aber nicht hierher gehört).
Solange die Reflexion in der niederen Moralität aufgeht, kann das
Ich praktisch nicht darüber hinaus; das bedeutet eben, daß sie ihr Material
der Pflicht nur aus der Natur ziehen kann, um »der sinnlichen Natur«, wie
Kant sagt, »die Form einer Verstandeswelt, d. i. einer übersinnlichen
Natur«30 zu geben. Jetzt aber geht das endliche Bewußtsein im un-
endlichen Grundwillen auf, wodurch die lebendige, schöpferische An-
schauung in den Horizont des Bewußtseins aufgenommen wird: Das Ich,
seine Lebensform, ist also nach Fichte auf diesem Standpunkt eine mate-
riale Idee seines Lebens selber. Es steht nicht mehr unerforschlich und
verschlossen vor sich selbst, sondern geht in seiner individuellen Bestim-
mung auf (ein individueller Lebenssinn, der Sinn des Ganzen wird aller-
dings erst in der Religion verstanden), d. h. es ist nicht an die durch indi-
viduelle Reflexion nur konkret und momentan sich einstellende faktische
Evidenz der (blinden) Pflicht im Zeitverlauf gebunden, sondern hat eine
alle Zeitmomente begleitende und tragende genetische Evidenz dessen,
was es im Zeitverlauf will. Die Darstellung aber eines transfaktischen
Prinzips in der faktischen Natur erscheint in der letzteren nach Fichte
notwendig als das qualitativ Neue. Des Weiteren fallen die Beträge an
Willensenergie, die sich zuvor dynamisch einschränkten, zusammen, was
die Konzentration, den Erfolg und die Erfüllung des vollendeten Indivi-
duums nach Fichte nicht nur erhöht, sondern vervollständigt. Es lebt in
allem, was es tut, mit ganzer Kraft, »braucht sich nicht zu reizen und zu
treiben« und »sein Geschäft [geht] immer gut vonstatten«.31 Erstens, weil
er eine leitende Idee hat, zweitens, weil keine inneren Widerstände sein
Tun verunsichern. Dadurch kann man sagen, daß – was Kant durch das
Postulat Gottes versuchte, dessen Wirklichkeit das Freiheits- und das
Naturgesetz verbinden sollte – mit Erreichung der schöpferischen Morali-
tät die endliche Vernunft nicht nur mit sich, sondern auch mit der Natur
ausgesöhnt ist, insofern die Naturgesetze (sie stammen aus demselben
Prinzip) dem schöpferischen Menschen prinzipiell keinen Widerstand
mehr entgegensetzen können (bloße Bedingung der Sichtbarkeit). Die
Natur ist daher auf diesem Standpunkt das gefügige Instrument der Ver-
nunft, aller Mißerfolg und alles Scheitern folgt nach Fichte aus einem
inneren Widerspruch der endlichen Vernunft mit sich selbst. Zur Versöh-

30 KpV 43.
31 AzsL 140.
»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit« 173

nung mit der freien und unfreien Menschheit (im Ganzen) kommt es
allerdings erst im Stand der Religion.32
Das evidente Leben der Vernunft wird durch den besagten Akt in
den Horizont des Bewußtseins aufgenommen, d. h. aber, daß die formale
Sehnsucht, nach praktischer sowohl als theoretischer Legitimation des
Selbstbewußtseins der niederen Moralität performativ aufgehoben und als
erfüllt empfunden wird; begriffen aber wird diese theoretisch-praktische
Erfüllung als solche erst auf dem Standpunkt der Religion und letztlich
dem der Wissenschaftslehre (durch welche das Bewußtsein einer erfüllten
Existenz noch das qualitative Plus tieferer Erfüllung und Gewißheit
bekommt). Erst durch diese Reflexion wird – zumindest performativ –
klar, warum die Vernunft überhaupt die Rechtfertigung der Erfahrung
fordert. Das transzendentale Projekt erhält dadurch nach Fichte eine all-
gemeine Rechtfertigung: Der Mensch soll nach Fichte sich als Erschei-
nung des Absoluten einsehen.

32 AzsL 153 ff.


Die bildende Kraft des Wissens vom Wissen in der Spät-
philosophie Johann Gottlieb Fichtes

Violetta L. Waibel (Tübingen und Wien)

Das Wissen vom Wissen ist allererst eine Frage der theoretischen Philoso-
phie, dessen bildende Kraft jedoch immer schon dem eigentlichen Ziel der
Fichteschen Philosophie, dem der praktischen Vernunft, unterstellt ist. Die
Wörter »bildende Kraft« und »Wissen vom Wissen« zeigen eine Spannung
an, die das gesamte Unternehmen der Wissenschaftslehre begleitet. Die
Bezeichnung »bildende Kraft« deutet auf den Kontext, den Fichte auch
Leben, Lebendiges, Licht nennt. »Wissen vom Wissen« ruft das genaue
Gegenteil von Leben ins Gedächtnis, dies nämlich, was Kant und andere
nach ihm, etwa Schelling und Hegel, an der Wissenschaftslehre als bloße
Logik und Formularphilosophie bezeichneten.
So erklärte Kant 1799, die Wissenschaftslehre Fichtes sei ein gänz-
lich unhaltbares System: »Denn reine Wissenschaftslehre ist nichts mehr
oder weniger als bloße Logik, welche mit ihren Principien sich nicht zum
Materialen des Erkenntnisses versteigt, sondern vom Inhalt derselben als
reine Logik abstrahirt, aus welcher ein reales Object herauszuklauben ver-
gebliche und daher auch nie versuchte Arbeit ist, sondern wo, wenn es die
Transscendental-Philosophie gilt, allererst zur Metaphysik übergeschritten
werden muß.«1

1 Die Erklärung Kants ist am 28. August 1799 im Intelligenzblatt der Allgemeinen
Literaturzeitung erschienen. Zitiert nach Schelling – Fichte. Briefwechsel. Kommentiert und
176 Violetta L. Waibel

Schelling, der zuerst Kants Kritik der Wissenschaftslehre aufs heftigste


gerügt hat, schwenkt bald, wie auch Hegel, auf den Tenor Kants ein. Nach
Schelling verfährt die Wissenschaftslehre »ganz bloß logisch« und habe »mit
Realität gar nichts zu thun. Sie ist, so viel ich einsehe, der formelle Beweis
des Idealismus, darum die Wissenschaft !"#‘ $%&'(). Was ich indeß Philo-
sophie nennen will, ist der materielle Beweis des Idealismus.«2 Ganz ähnli-
che Formulierungen finden sich in Hegels Auseinandersetzungen mit der
Wissenschaftslehre in der Differenzschrift und in Glauben und Wissen.3
Ist nun die Wissenschaftslehre »ganz bloß logisch«, oder gilt dies
nur für die frühe, nicht aber für die spätere Wissenschaftslehre? Immerhin
räumt Fichte im Hinblick auf Kants Vorwurf ein, sein System möge durch-
aus als Logik angesehen werden, da in der Wissenschaftslehre auch wirklich
von aller bestimmten Erkenntnis abstrahiert werde, betont aber eine ent-
scheidende Differenz im Sprachgebrauch: »nur bezeichnet, meinem Sprach-
gebrauch nach, das Wort Wissenschaftslehre gar nicht die Logik, sondern
die Transscendentalphilosophie oder Metaphysik selbst. Unser Streit wäre
sonach ein bloßer Wortstreit.«4
Wenn schon nicht tote Formularphilosophie oder Logik, sondern
Transzendentalphilosophie oder Metaphysik, was ist die lebendige und
bildende Kraft, die Fichte für die Wissenschaftslehre reklamiert? Ist sie
Mimesis oder Poiesis? Bildet sie ab, oder bildet sie neu? – Oft genug spricht
Fichte von der Nachkonstruktion, muß also Mimesis meinen –, oft aber auch
spricht er vom schöpferischen Potential der Wissenschaftslehre? Tatsächlich
verbindet sie beides. Das Wissen vom Wissen ist allerst eine Nach-
konstruktion, die Zug um Zug eine poietische, also bildende Kraft entfaltet,
die herauszuarbeiten nun mein Anliegen ist. Zuerst will ich mich den Thatsa-
chen des Bewußtseyns von 1810/11, sodann der Wissenschaftslehre von 1812
zuwenden. Die erste Schrift kann als ein Pendant zur frühen Grundlage der

herausgegeben von Hartmut Traub, Neuried (ars una) 2001, 231.


2 Schelling an Fichte, 19. November 1800, zitiert nach Traub [wie Anm. 1] 179. Es
ist offenkundig, daß Schelling, der den öffentlichen Vorwurf Kants im Brief an Fichte vom 12.
September 1799 (vgl. Traub 125–128) noch auf heftigste gerügt hat, diesen nun selbst bis in die
Formulierungen hinein aufgreift.
3 So schreibt Hegel in Glauben und Wissen: »Dieser kritische Idealismus, den
Fichte in schärferem Umriß heraushob, ist, wie von selbst erhellt, etwas formales; [...] so bleibt
von der objectiven Welt die interessanteste Seite, die Seite ihrer Realität unerklärt.« (Hegel,
Gesammelte Werke (GW) hg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, 4,
388) Wenig später stellt Hegel dann fest: »Auf diese Weise ist im Fichteschen Idealismus das
System des Wissens ein Wissen von einem ganz leeren Wissen, welchem eine empirische Realität
[...] absolut entgegengesetzt ist, und von einer relativen Identität beyder.« (GW 4, 396)
4 Fichte an Schelling, September 1799, zitiert nach Traub [wie Anm. 1] 129; ähn-
lich im Entwurf dieses Briefes, Traub 131.
Die bildende Kraft des Wissens vom Wissen 177

gesamten Wissenschaftslehre angesehen werden, in der vom empirischen


Wissen zum Wissen der Vernunft aufgestiegen wird, während die zweite
Schrift eine Fassung dessen darstellt, was Fichte als die eigentliche Wissen-
schaftslehre begreift und als eine Reflexion auf das Absolute und seine
Erscheinung zum Austrag bringt.
Bereits in der Programmschrift Über den Begriff der Wissenschafts-
lehre von 1794 sieht Fichte die Wissenschaftslehre in einem Abbildverhält-
nis zu einem Urbild. Das Urbild bezeichnet Fichte als das »System des
menschlichen Geistes«, dessen Abbild oder Darstellung die Wissenschafts-
lehre sein soll. Fichte fährt dann fort: »Sie hat nur unter der Bedingung, und
nur in so fern Wahrheit, als sie getroffen ist. Wir sind nicht Gesetzgeber des
menschlichen Geistes, sondern seine Historiographen; freilich nicht Zei-
tungsschreiber, sondern pragmatische Geschichtsschreiber.«5 Der prag-
matische Geschichtsschreiber zeichnet mimetisch eine Sache nach, stellt sie
jedoch in den Dienst einer zweckgerichteten Absicht. Diese Absicht ist das
sich selbst Durchsichtigwerdenwollen des erkennenden Geistes, das es in den
Dienst der Bestimmung des Menschen zu stellen gilt. Mit zunehmender
Radikalität durchleuchtet Fichte das absolute Prinzip der Wissenschaftslehre,
um es durch die philosophische Darstellung zur Erscheinung zu bringen, es
mimetisch nachzukonstruieren. Die mimetische Nachkonstruktion des
Absoluten setzt, so meine These, zunehmend poietische Kräfte frei, denen
ich im folgenden meine Aufmerksamkeit zuwenden möchte. In der frühen
Wissenschaftslehre von 1794/95 ist der poietische Gewinn des mimetisch
nachkonstruierenden Wissens vom Wissen, der Konstruktion der Ein-
bildungskraft durch Einbildungksraft, des Strebens nach wirklicher oder
idealer Realität in hohem Maße der selbstexplikativen Kraft der Wissen-
schaftslehre und ihrer Wirksamkeit beim Leser oder Zuhörer überlassen. Die
poietische Kraft leitet zwar den Erfinder der Wissenschaftslehre bei seiner
geistigen Entdeckungsreise, bleibt aber selbst wenigstens zum Teil verdeckt,
bis Fichte dieser Kraft in den späteren Wissenschaftslehren zunehmend mehr
Aufmerksamkeit und Reflexionsarbeit zuwendet.
Das Unternehmen der Wissenschaftslehre unter dem Generaltitel der
Darstellung des ursprünglichen Systems des Geistes verfolgt nicht nur mehr
oder weniger dialektische Methoden in den einzelnen, einander ablösenden
Darstellungen, es ist als Ganzes als eine Dialektik zu lesen, in der gewiß hier
und dort gedankliche Brüche, Inkompatibilitäten und Ungereimtheiten
entdeckt werden mögen, die aber doch insgesamt einer zentralen Idee unter-
stellt sind und diese Idee in einem fortschreitenden Prozeß durchdringen und

5 BdWL GA I 2, 147; SW I, 77.


178 Violetta L. Waibel

sich teilweise auch überbieten. Die zweistellige Relation des Wissens vom
Wissen bezeichnet mit dem ersten Relat das Wissen des Philosophen, der das
Bild vom Wissen aktual erzeugt, mit dem zweiten Relat steht das Wissen des
konkreten Weltbezugs und Daseinsvollzugs im Blick, jedoch nicht in seinem
aktualen Vollzogensein, sondern als Untersuchungsgegenstand, der der
Betrachtung unterzogen wird. Das aktuale Vollziehen des Betrachtens,
Fichte spricht vom Anschauen der Bewußtseinsmomente, ist zwar gebunden
durch die Bestimmtheit des Gegenstandes, doch aber auch frei, sowohl im
Entschluß, sich auf den philosophischen Denkprozeß einzulassen, als auch
frei, oder besser offen, die Freiheit in ihrem Möglichkeitsräumen allererst zu
entdecken. So besteht und erzeugt sich auch das Wissen des Philosophen
sowohl aus der mimentisch orientierten reproduktiven Urteilskraft als auch
aus der poietisch orientierten produktiven Urteilskraft.

I. Thatsachen des Bewußtseyns von 1810/11

In den Thatsachen des Bewußtseyns von 1810/11 führt Fichte eine phänome-
nologische Beschreibung vor, die bei der Beziehung des Bewußtseins auf
äußere Gegenstände des Wissens durch Wahrnehmung einsetzt und bei der
Idee des Absoluten endet. Was gemeinhin als Wahrnehmung von äußeren
Gegenständen gelten mag, umfaßt in Wahrheit den qualitativen Unterschied
derjenigen Momente, die auf tatsächlicher sinnlicher Empfindung durch die
fünf Sinnesorgane beruhen und der Momente, die darin nicht aufgehen. Die
Ausdehnung von Flächen und Körpern kann nämlich nicht an sich wahrge-
nommen werden, sondern nur vermittest der Farbigkeit und ihren Grenzen,
der Oberflächentextur und ihren Grenzen.
Wie kaum anders zu erwarten, begreift Fichte den Raum mit Kant
als ontologisch ideal. Die Ausdehnung wird nicht wahrgenommen, sie wird
allein vom Subjekt erzeugt. Er demonstriert dies mit einem Gedankenexpe-
riment. Es ist ein ideales Moment der Vorstellung, nicht aber der empiri-
schen Erfahrung, wenn behauptet wird, daß jede beliebige Erstreckung von
Gegenständen, repräsentiert durch eine bestimmte Linie, ins Unendliche
geteilt werden könne. Bezogen auf den realen Körper eröffnet sich mit
diesem Gedankenexperiment eine Potentialität und Freiheit des anschauen-
den Subjekts, die Fichtes Augenmerk auch im Fortgang der Untersuchung
leiten wird. Die Reflexion auf den Wissensvollzug richtet sich auf die Aus-
differenzierung der durch das angeschaute Objekt gebundenen und durch es
dem Subjekt sich eröffnenden Freiräume des Wissens.
Die bildende Kraft des Wissens vom Wissen 179

Als Resultat hält Fichte vorläufig fest, daß das Objekt weder bloß
real empfunden, noch bloß ideal angeschaut wird, sondern aus einer Synthe-
sis dieser Momente durch das denkende Subjekt hervorgeht. Die Synthesis
oder Verschmelzung der Momente des geistigen Vollzugs, von denen keines
für sich bestehen kann, nennt Fichte das Leben des Geistes, von dem er
festhält: »Dieses also in sich aufgehende, und einen geschlossenen geistigen
Lebensmoment bildende Bewußtseyn ist aber nicht einfach, sondern besteht
aus den erwähnten zwei Haupttheilen, dem Denken, und der Selbstanschau-
ung«6.
Fichte sucht mit diesem Beispiel zu demonstrieren, daß selbst
Wissen von äußeren Gegenständen nur zu einem geringen Teil aus Gegebe-
nem besteht und wesentlich Äußerung der sich selbst bestimmenden Freiheit
ist. In Fichtes Worten: »Wissen schlechtweg in seiner innern Form und
Wesen ist das Seyn der Freiheit«7. Wenn schon die einfache, auf Wahrneh-
mung beruhende Anschauung von Gegenständen das Bild vom Gegenstand
nicht bloß als Eindruck empfängt, sondern die freie Selbsttätigkeit des
Geistes wesentliche Momente beisteuert, so lassen sich in der Reflexion auf
die Wissensvollzüge mit fortschreitender Komplexion der kognitiven Lei-
stungen auch zunehmend mehr logische Freiräume des Geistes entdecken.
Durch die Aufdeckung der Freiräume im Vollzug der wahrnehmungsgebun-
denen Erkenntnis bestimmt sich das Subjekt in seiner Freiheit und umreißt
den metaphysischen Handlungsraum seiner produktiven Urteilskraft. Das
Subjekt erfährt sich in der genauen reflektierenden Durchleuchtung der
geistigen Mechanismen seiner objektbezogenen Denkhandlungen zuneh-
mend als ein Wesen, das nicht nur in Kausalreihen eingebunden ist, sei es im
Affektionsmechanismus der Wahrnehmung selbst, sei es in der Kausalkette
der Dinge untereinander, sondern als ein Wesen, das Kausalreihen selbst in
Gang zu setzen vermag. Die reproduktive Einbildungskraft legt zunächst aus
Eindrücken und Beobachtungen einen Bilderschatz an, um mit diesem
Bildervorrat durch freie Bildungskraft, wie Fichte nun auch die produktive
Einbildungskraft bezeichnet, etwas zu schaffen, das durch die konstruktive
Kraft des freien Denkens als neue Möglichkeit entstehen kann. Fichte vergißt
nicht zu erwähnen, daß die sukzessive Lösung vom unmittelbaren und
unreflektierten Bezug des Bewußtseins auf die Welt freilich auch außer
Kontrolle geraten kann, wenn, besonders unter dem Eindruck heftiger Lei-
denschaften, die freie Einbildungskraft einer nicht mehr lenkbaren Assoziati-
onskette folgt, die sich bis hin zum Wahn steigern kann. Wichtig ist ihm

6 TdB-1810/11, GA II 12, 26.


7 TdB-1810/11, GA II 12, 27.
180 Violetta L. Waibel

dieser Hinweis deshalb, weil mit der Aufhebung der ursprünglichen Bindung
des Geistes auch eine ursprüngliche Ordnung aufgehoben wird, die durch
eine freie Ordnung ersetzt werden muß, die Fichte Attention nennt, Attention
nämlich auf den frei gewählten Zweck, dem es zu folgen gilt, um ihn mit
bestmöglicher Aufmerksamkeit zu realisieren.
Das Subjekt, das die Denkräume der Freiheit im Ausgang von der
Objektbindung erkundet hat, vermag nun auch, das Bewußtsein insgesamt
mittels der Reflexion zu durchleuchten. Das bedeutet, es erwirbt nicht nur
eine innere Anschauung seiner Bewußtseinszustände, sondern auch seiner
Vermögen. Wie schon in früheren Fassungen der Wissenschaftslehre ist der
Begriff der Anschauung nicht auf sinnliche Gegenstände einer möglichen
äußeren Erfahrung eingegrenzt, sondern gilt auch für die Selbstrepräsentation
des Subjekts. Werden Bewußtseinszustände, die auf äußere Gegenstände
bezogen sind, angeschaut, so handelt es sich um ein objektgebundenes
Wissen vom Wissen, werden die Bewußtseinsvermögen angeschaut, die
diese Zustände erzeugen, so handelt es sich um Wissen vom Prinzip des
Wissens, das als Prinzip absolute Freiheit ist.
Das Prinzip des Wissen kann jedoch nur insofern angeschaut wer-
den, insofern es als dasjenige angesehen wird, dem die Bewußtseinszustände
zugehören. In dieser Hinsicht ist es nur Form der ihm zugeschriebenen
Bewußtseinszustände. An sich betrachtet läßt es sich nicht anschauen, son-
dern es wird gedacht. Sofern das Subjekt sich als Instanz seiner Be-
wußtseinszustände anschaut, ist es, wie die Phänomenalität seiner Zustände,
fließend. Begreift sich das Subjekt jedoch als ein ruhendes, in sich be-
stehendes Sein, das Instanz aller fließenden Bewußtseinszustände ist, so
schaut es sich nicht bloß an, sondern es denkt sich über alle kommenden und
gehenden, zuweilen auch nicht vorhandenen Zustände als fortbestehendes
Sein, als eine Substanz. Über den Charakter der Substanzialität hinaus ist das
Subjekt auch kausales Prinzip seiner Freiheit. Um das Prinzip zu denken,
werde, so Fichte, aus der Substanzialität des Ich, also »aus den Accidenzen
durchaus herausgegangen, und dieselben gar nicht beibehalten; dann entsteht
das Denken eines Princips, oder Grundes.«8 Nach Fichte sind zwei Substan-
zen zu unterscheiden, das Objekt der äußeren Wahrnehmung, und das Sub-
jekt als Instanz der auf das äußere Objekt bezogenen akzidentellen Subjekt-
zustände. Fichte betont die strenge Unterscheidung des Subjekts als Substanz
in der eben genannten Rolle und des Subjekts als Prinzip, das erst durch eine
absolute Synthesis des Denkens gedacht werden könne.

8 TdB-1810/11, GA II 12, 38.


Die bildende Kraft des Wissens vom Wissen 181

Da sich Fichte in der phänomenologischen Propädeutik zur Wissen-


schaftslehre auf die Erkundung der Möglichkeitsräume der Freiheit konzen-
triert, muß es nicht verwundern, daß er die reproduktive Kraft des Erinne-
rungsvermögens sehr entschieden als Gegenstand der Philosophie und nicht,
wie traditionell üblich, der Psychologie ansieht. Dies führt überdies zur
Betrachtung der leeren, dann der erfüllten Zeit, die, wie anfangs der Raum,
als hervorgebracht durch das Subjekt gedacht wird, aber nicht hervorgebracht
in willkürlicher Konstruktion, sondern gebunden an die Bedingungen ihrer
Idealität.
Schon in der frühen Wissenschaftslehre von 1794/95 zeichnete sich
hie und da, wenn auch nicht in wünschenswerter Klarheit, ab, daß das in der
Wissenschaftslehre dargestellt System des Geistes gar nicht anders, denn
nach einem organologischen Modell expliziert werden kann. Die Kreislinie,
im Ausgang vom Prinzip und im Aufstieg zum theoretischen Resultat der
konstruierten Einbildungskraft und des Vorstellungsvermögens, sowie der
Abstieg zum Prinzip, das nun als Ausdruck des Sittengesetzes anzusehen ist,
ließ zwar durch die wachsende Komplexion des Wissens vom Wissens
hindurch den organologischen Ansatz erahnen, doch erst in späteren Fassun-
gen reflektiert Fichte ausdrücklich auf die methodologischen Bedingungen
einer linearen Darstellung in der Sprache eines an sich hochkomplexen
organischen Systems, wie es der Geist ist.
Um dem organischen Ganzen des Bewußtseins gerecht zu werden,
gebraucht Fichte zunehmend das Instrument der »Analogie« und des »Bil-
des« als Darstellungsmöglichkeit. So dient auch die Reflexion auf die That-
sachen des Bewußtseyns als analogisches Muster zur Untersuchung des sich
ins Werk setzenden Prinzips alles Wissens und seiner Selbstdarstellung in
der Prinzipienwissenschaft, nämlich der eigentlichen Wissenschaftslehre.
Bereits das programmatische Wort des sich Durchsichtigwerdens des Be-
wußtseins durch die Wissenschaftslehre ist ein Bild, das die Absicht deutlich
machen soll, sichtbar zu machen, was im gewöhnlichen Bewußtsein unsicht-
bar ist. Unsichtbar ist in ihm vor allem die hinter dem Bewußten, also dem
Anschauen oder Denken, versteckte Präsenz der Freiheit und Spontaneität,
die erst in der Reflexion auf die Tatsachen des Bewußtseins freigesetzt
werden und allererst einen freien und schöpferischen Umgang mit den
bindenden und freien Elementen des Wissens erlauben.
Die Reflexion auf die Thatsachen des Bewußtseyns und ihre Wis-
sensbedingungen ist ein mimetisches Nachkonstruieren, das Möglichkeits-
räume der Freiheit faktisch, also ihr daß oder quid facti, eröffnet, deren wie
oder quid juris dem schöpferischen Leben zur Disposition steht. Mit der
182 Violetta L. Waibel

Reflexion auf logische Möglichkeitsräume wird bildende und bildbare Kraft


freigesetzt.
Zudem weist das Wort »Durchsichtigkeit« auf ein Sehen, um das es
Fichte auch in der Prinzipienlehre vornehmlich geht. Mit Kant ist auch für
ihn die Anschauung ohne Begriff blind und der Gedanke ohne Inhalt leer9.
Doch anders als Fichte zentriert Kant die Vorstellung organologischer Zu-
sammenhänge in einem Begriff, nämlich einer Idee als focus imaginarius
eines organologischen Systems, die das Ganze repräsentiert und auf die hin
alle Teile sich organisieren und von der her die Teile sich bestimmen,10
während Fichte mit dem epistemologischen Primat des Bildes und dem
weiteren Begriff der Anschauung das Zusammenschauen in vertikaler (zeitli-
cher) und horizontaler (räumlicher) Form im Blick hat.

II. Wissenschaftslehre von 1812

Während Kant dem Begriff in Gestalt einer Idee, der eine Anschauung
niemals angemessen gegeben werden kann, die wesentliche Explikations-
kraft systemischer, also auch philosophischer Zusammenhänge zumutet,
stützt sich Fichte mehr und mehr auf die Explikationskraft des Bildes, der
Anschauung. Fichte bringt dies in der Wissenschaftslehre von 1812 mit
emphatischen Worten zum Ausdruck, wenn er betont, es sei alles gewonnen,
wenn die absolute Schöpferkraft des Bildes und des ganzen Bildersystems
überhaupt begriffen sei.11 Es geht nun nicht mehr nur darum, die möglichen
logischen Freiräume des faktischen Wissens zu erkunden, sondern das
Bildeprinzip wahren Wissens in seiner positiven Freiheit reflexiv und gene-
tisch einzusehen.
Die begriffliche Reflexion genügt deshalb nicht, weil sie immer nur
nachträglich bewußt macht, was zuvor seiendes und werdendes Leben war.
Sein, Werden und ihr Erfaßtsein müssen der Wissenschaftslehre zufolge
nicht bloß in ihrer Aufeinanderfolge hingestellt, sondern in ihrer inneren
Identität begriffen werden. Eine solche Identität läßt sich der späten Wissen-

9 Vgl. KrV A 51, B 75 und Immanuel Kant, AA IV, 48 und AA III, 75.
10 »Zu einem Dinge als Naturzwecke wird nun erstlich erfordert, daß die Theile
(ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind. Denn
das Ding selbst ist ein Zweck, folglich unter einem Begriffe oder einer Idee befaßt, die alles, was
in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß.« (Kant, KU § 65, AA V, 373) Das Prinzip der
inneren Zweckmäßigkeit in organisierten Wesen bestimmt Kant in folgender Weise: »Ein
organisirtes Product der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel
ist.« (Kant, KU § 66, AA V, 81/82)
11 Vgl. WL-1812, GA II 13, 81/82; SW X, 363.
Die bildende Kraft des Wissens vom Wissen 183

schaftslehre zufolge nur durch das Analogieprinzip eines Bildersystems be-


greifen.
Anders als in den Thatsachen des Bewußtseyns steht in der Wissen-
schaftslehre von 1812 das dem menschlichen Geist nie unmittelbar zugängli-
che Absolute und seine Erscheinung in Mittelpunkt des Interesses. Das
Absolute erscheint dem menschlichen Geist theoretisch als Wahrheit, prak-
tisch als Sittengesetz. Empirisch gestützter Verifikationismus der Wahrheit
überläßt Fichte den Wissenschaften und fragt statt dessen nach dem meta-
physischen und intrinsischen Bildeprinzip von apriorischen Wahrheitsbe-
hauptungen.
Daß Fichte in der Wissenschaftslehre von 1812 das System der
Bilder begriffen wissen will, spiegelt seine organologische Vorstellung vom
Mentalen ebenso wieder, wie in ihr der genetisch phänomenologische Primat
der konkreten Anschauung als Grundform der Erscheinung präsent ist.
Mit der Formel, »die Erscheinung erscheint sich« ist die Relation
von Festem und Flüssigem, von totem, formalem Begriff und lebendiger
Anschauung zum Ausdruck gebracht. Das erste Relat, die Erscheinung, hält
das Sein der Wahrheit und Freiheit als Wesen fest. Sie ist Bild des Ab-
soluten, als dieses Bild aber das Unwandelbare des Seins, das Sein, das sich
zum formalen Begriff verfestigt. Das zweite Relat, das Sicherscheinen,
bezeichnet als Verb Vollzug, Lebendiges, Flüssiges, Wandelbares und daher
eine Anschauung, die sich nicht zum Begriff verfestigt, sondern das sich
bildende Prinzip in seinem Aktcharakter im Blick hält. Die unwandelbare
Begriffsseite des Prinzips und die wandelbare Anschauungsseite des Prinzips
stellen zwar verschiedene Hinsichten, aber doch derselben Sache dar, von der
keine als selbstständig und ohne die andere gedacht werden kann. Das leitet
Fichte nun dazu, ihre Identität im Subjekt vollziehen zu lassen, das nicht nur,
faktisch, diese Differenz reflektiert, sondern selbst dasjenige ist, das das
Prinzip zur Erscheinung bringt. Fichte führt daher eine weitere Formel ein,
die lautet: »die Erscheinung erscheint sich, als sicherscheinend«.12 Diese
erweiterte Formel drückt zugleich die berühmte Fünffachheit der Prinzipien-
lehre der späten Wissenschaftslehre aus, die in zahlreichen anderen Kon-
texten wiederkehrt. Die beiden Satzteile vor und nach dem Als bilden jeweils
eine Relation. Beide Relationen aus jeweils zwei Relaten werden ihrerseits
durch das Als zu einer neuen Relation verknüpft. Das Als ist das fünfte
Moment und wird von Fichte als schwebende Mitte bezeichnet. Offenkundig
ist mit dieser Metapher eine Anbindung an das Schweben in der Grundlage

12 WL-1812, GA II 13, 75; SW X, 355.


184 Violetta L. Waibel

von 1794/95 intendiert, wenngleich 1812 nicht ausdrücklich vom Vermögen


der Einbildungskraft die Rede ist.
Fichte nennt diese fünffache Struktur einen »analytische[n] Aus-
druck der SichErscheinung« des Prinzips13. Analytisch kann hier nicht im
Sinne der Kantischen Unterscheidung von analytischen und synthetischen
Urteilen verstanden werden. Mit analytisch bezeichnet Fichte den mimeti-
schen Charakter der Darstellung der Struktur des Prinzips, das der Philosoph
zufolge der Begriffsschrift von 1794 als Geschichtsschreiber nachzeichnen
kann, aber nicht zu erfinden vermag, und was 1812 zum Bereich der Refle-
xibilität zählt. Überdies ist es in der Schrift von 1794 der pragmatische
Geschichtsschreiber, der einerseits mimetisch nachzeichnet, der andererseits
aber doch auch seinem Zweck gemäß der Erfinder der Methode der Wissen-
schaftslehre ist.
Während die Reflexion analytisch jeweils im Nachhinein ihren
Gegenstand zur Einsicht bringt, wird die philosophische Synthese gerade
nicht innerhalb des additiven Systems der Reflexibilität, sondern in der
Zusammenschau, also im Bild an sich vollzogen. Bilder, Anschauungen
zeigen sich in einander überbietender Potenz und Erkenntnisdichte zunächst
bloß als Erscheinende, sie werden in höherer Potenz subjektiv erfaßt im
Sehen, die Mannigfaltigkeit des Erscheinens und des Gesehenen wird
schließlich im Blick zur Ganzheit gefaßt, geordnet nach den Zwecken des
Subjekts. Die genetische Erfassung des im Blick Gesehenen und Gedachten
potenziert sich zum Ersehen, als dem in seinem regelfolgenden Konstruieren
und freien Bilden sich selbst durchsichtig Gewordenen.
Von der philosophischen Methode gilt, daß sie immer nur beispiel-
haft die Darstellung des intendierten Sachverhalts, wesentlich also das sich
zur Erscheinung bringende Prinzip des Wissens, schöpferisch zu bilden
vermag. Das Gesetz des Absoluten, der Wahrheit, gebietet nicht nur unmit-
telbar die mimetische Struktur ihrer Darstellung, sondern auch mittelbar die
der poietischen Methode des Erfinders der Wissenschaftslehre, die nun
ihrerseits in ihrem beispielgebenden Charakter reflektiert und in das sich zur
Erscheinungbringen des Prinzips einbezogen ist.
Wie aber das Schöpferische der Erfindung, und sei es die Erfindung
der Methode, gedacht werden muß und wie es zum Leben gelangt, darüber
ist letztlich keine Auskunft zu erhalten. Dies ist es eben, daß das Leben im
emphatischen Sinne nicht mehr Leben, sondern Bild vom Leben ist, das sich
verfestigt, wenn es faßbar ist und aufbewahrt wird, wenn die singuläre, an
ihrem lebendigen Bedürfnis orientierte Erfindung als Beispiel entdeckt und

13 WL-1812, GA II 13, 75; SW X, 355.


Die bildende Kraft des Wissens vom Wissen 185

ihre intrinsische Regel reflektiert und formalisiert wird. Mit der Aufstufung
der Selbstreflexion hat Fichte eine maximale Annäherung an das eigentliche
des Lebens und seiner bildnerischen Kraft denkbar gemacht, die zuletzt nicht
mehr in Bild und Begriff eingeholt werden kann, weil sie eben nichts mehr
sein kann und will als bildende Kraft, der ein geistiges Wesen seine ganze
ungeteilte Aufmerksamkeit zuwendet.
So mag Kants Wort von der bloßen Logik noch für die späte Wis-
senschaftslehre gelten. Sie ist eine Logik, ein Logos oder der Kalkül des
Bildnerischen, Schöpferischen, ein Kalkül der kreativen Überraschung,
dessen unsichtbare Regeln zur Sichtbarmachung reizen, jedoch auch zu
Fixierungen, die nach neuer Verflüssigung rufen – eine Logik also, aus der
sehr wohl kein Objekt herauszuklauben ist, die aber alles Objekt möglich
macht.
Wissen als ein freies und selbständiges Leben in den
»Thatsachen des Bewußtseyns«

Elvira Gareewa (Ufa)

In den »Thatsachen des Bewußtseins« berührt J. G. Fichte ein Thema, das


auch heute von großer Bedeutung ist. Das Thema lautet: das Wissen als
ein freies und selbständiges Leben. Was allen Wissenschaften erst ihren
wahren Wert verleiht, ist ihr Zusammenhang mit dem Leben, aber nur
unter der Bedingung, daß wir unser Leben nicht nur mit weltlichen Pro-
blemen, etwa des gesellschaftlichen Daseins, verbinden, und uns nicht nur
auf vergängliche und gewöhnliche Dinge beschränken. Wir sollen uns an
die höheren und nicht sinnlichen Sphären des Geistes wenden, die unseren
nebensächlichen Zielen, allen unseren Taten und Gedanken ihre wahre
Bedeutsamkeit für ein ganz anderes, höheres und erhöhtes Leben verlei-
hen.
Diesen Hauptgedanken, von dem J. G. Fichte während seiner Ar-
beit an der Wissenschaftslehre ausging, kleidete Marheinecke in Worte,
als er in seiner Grabrede auf den Philosophen sagte:

»Was von Anbeginn an den menschlichen Geist reizte, sich mit


seinen Gedanken über sich selbst und die sichtbare Welt zu erhe-
ben, was ihn unablässig treibt, bis zu der äußersten und letzten
Quelle alles Wissens hinaufzusteigen, ... es ist das Gefühl eines
höheren und erhöhten Lebens, es ist das geheime Vergnügen und je
unaussprechliche Süßigkeit, mit dem Anblick jener ewigen Bilder
188 Elvira Gareewa

verbunden ist, wovon uns die Wirklichkeit überall nur verzerrte


und verschrobene Nachbilder erblicken läßt... «1

Was versteht man darunter – »ein höheres und erhöhtes Leben?« Marhei-
necke versteht das im rein religiösen, christlichen Sinn. Er bestimmt es als
ein Wissen, das mit seinem ewigen Grund verbunden ist.

»Nur nach dem Maaße als alles Wissen mit diesem seinen ewigen
Grunde zusammenhängt und aus diesem hervorgeht, nur in dem
Verhältniss, als das Bewußtseyn Gottes in allem Wissen lebendig
ist, strömt seliges Leben aus ihm hervor ... «2

Ferner drückt er einen in methodologischer Hinsicht fruchtbringenden


Gedanken aus, daß nämlich alle an Fichte zurückdenken werden, »in
denen er das göttliche Leben entzündet hat, immerdar in Segen genannt
und wenn auch sie nicht mehr sind, noch auf der Welt wirksam und thätig
bleiben.«3
Entscheidend ist hier, daß Fichtes Wirken gewürdigt wird als Be-
ginn einer neuen Zeit, als Beginn eines neuen leuchtenden und erleuchten-
den Denkens. Ähnlich vergleicht Schelling, der in der Zeit nach 1800
heftig mit Fichte aneinandergeraten war, Fichte in seinen Vorlesungen
»System der Weltalter« mit einem Blitz, von dem ein Feuer aufloderte,
das für die Zukunft brenne.4
Bevor wir das Wissen als freies Leben erklären, wollen wir
darüber nachdenken, was Fichte selbst unter dem Verhältnis Wissen –
Mensch versteht.
Das Wissen, meint er, gehört nicht zum festen Besitz dessen, der
weiß. Der Mensch hat keineswegs das Wissen, sondern das Wissen soll
den Menschen haben.5 So ist das Wissen eine selbständige Grundlage. In
dieser Hinsicht sagt Fichte folgendes: »... das Wissen ist schlechtweg, es

1 Marheinecke (Grabrede) Berlin, 31. Januar 1814, in: Erich Fuchs et al. (Hgg.),
Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen, Bd. 5, Stuttgart – Bad Cannstatt 1991, 87f..
2 Ibid., 88.
3 Ibid., 88.
4 Vgl. F. W. J. Schelling, System der Weltalter. Münchener Vorlesung 1827/1828 in
einer Nachschrift von Ernst von Lasaulx, hg. und eingeleitet von Siegbert Peetz, Frankfurt a. M.,
Vorlesung 12.
5 Vgl. J.G. Fichte, Die Thatsachen des Bewußtseyns 1810/11. Die späten wissen-
schaftlichen Vorlesungen 1809–1811, hg. von Hans Georg von Manz et al., Stuttgart-Bad
Cannstatt 2000, 393.
Wissen als ein freies und selbständiges Leben 189

hat ein selbstständiges Daseyn, und das einzige selbstständige Daseyn,


welches wir hier kennen.«6
Wir glauben, es ist nicht nur das, daß das Wissen eine gewisse
persönlich-überpersönliche Realität ist. Noch in der Wissenschaftslehre
von 1794 sagt er, daß ohne Akt des Bewußtseins – »Ich bin ich«, d. h.
ohne Tätigkeit der Positionierung,* kein Wissen möglich ist. Wenn »Ich«
das realisiert, so sieht das denkende Ich seine Grundlagen ein und bringt
sie zugleich hervor. Das denkende Ich benötigt verschiedene objektive
Inhalte. Gerade dadurch bringt es sich als Position hervor, als Position, die
sich entgegensetzen und anderen Subjekten des Denkens entgegengesetzt
sein kann, nämlich denkenden und handelnden Subjekten, d. h. Personen,
die es anerkennt und von denen es anerkannt wird. Dies alles unterliegt
zudem den kategorialen und weltanschaulichen Grundlagen, die Fichte
apriorisch aus der Wissenschaftslehre abzuleiten versucht. So ist das
Wissen nicht nur positional, sondern zugleich interpersonal.7 Dabei er-
zeugt die Position, d. h. das sich selbst als Ich hervorbringende Ich, als
Resultat die interpersonalen Beziehungen. Das Wissen kann leben, d. h.
entstehen, tradiert, gebraucht, fertiggestellt, weiter entwickelt werden,
aber nur in interpersonalen Beziehungen. Deswegen ist das Wissen einer-
seits das Resultat des persönlichen Bemühens, andererseits hat es eine
allgemeinkulturelle, objektive Bedeutsamkeit und ist mithin überpersön-
lich, überpositional. Daher stimmen wir folgender Auffassung Fichtes zu,
daß der Mensch nicht in der Lage ist, aus sich selbst, d. h. aus seiner
Person, aus seinem Besitz, aus seinem positiven Wissen heraus glücklich
zu werden, wenn er nicht die Menschheit in sich entdeckt und anstrebt.
Vermittelst seines Seins als Ich, vermittelst seiner Position, ist der Mensch
verwiesen und angewiesen auf Kultur und Gesellschaft.
Das Wissen läßt sich nicht auf bloße Informationen reduzieren,
die man verbrauchen kann, auf Informationen, die stets einem Nützlich-
keitsdenken unterliegen. Das Wissen als ein freies und selbständiges
Leben ist das Sein, das bis zu Ende nicht verbraucht, sondern sich ewig
angeeignet wird. Die grundlegende Charakteristik des Seins ist die Aktivi-
tät, aber nicht im Sinne äußerlicher Unruhe, sondern im Sinne der inneren
Produktivität. Sein heißt, sich immer geistig wiederherzustellen, immer
gleich in seiner Liebe zu bleiben, d. h. den Grundbestand seines Geistes

6 Ibid., 394.
* Wenn das Subjekt sich selbst als denkendes Wesen hervorbringt (personifiziert)
und das zugleich einsieht, schafft es eine objektivierte Form seiner eigenen Hervorbringung als
Person: Wissen von sich als denkendem Wesen. Dies kann man als »Position« bezeichnen.
7 Vgl. Gromyko N.W. Metapredmet »Snanije«, Moskau, 2001. 86f..
190 Elvira Gareewa

erhalten. Das kann man aber nicht erreichen, wenn diese Liebe nicht mit
der Ewigkeit verbunden ist, wenn wir nicht nach der Ewigkeit streben,
wenn wir in der Zeit der tiefsten Erniedrigung alles Fortschrittlichen und
Schönen, was es in dieser oder jener Nation gibt, in der Zeit der größten
Gefahr, den schöpferischen und freien Geist zu verlieren, Unschlüssigkeit
und Apathie an den Tag legen, die wichtigsten Fehler und Mängel der
Epoche nicht offenbaren und daran nicht arbeiten, damit die Freiheit
weiter leben könnte. So denkt Fichte.
Die Fähigkeit zum Denken macht das Bewußtsein des Menschen
lebendig. Außerdem ist gerade das Leben des Bewußtseins – ein wahres
Leben. Das Sein dieses Bewußtseins ist die Freiheit. Aber die Freiheit des
Menschen ist nicht grenzenlos. Was beschränkt diese Freiheit? Das ist
eine komplizierte und sogar eine heikle Frage. Warum? Fichte sagt, daß
das Denken, das eine Bildungskraft besitzt, nicht nur transzendent, son-
dern mehr immanent ist. »Diese Bildungskraft ist hier immanent-
transcendent, in sich bleibend-aus sich herausgehend.«8 Diese Be-
schränktheit zu zeigen bedeutet die Immanenz des Denkens aufzuweisen.
Das veranschaulicht das folgende Zitat:

»Das Beschränkende des Lebens würde seyn eine Kraft, und zwar
eine stärkere, denn dieses Leben, welche, da sie dem Leben sich
entgegensetzt, außer ihm gestellt werden könnte, und zwar als ein
auf sich selbst beruhendes Seyn, da sie ja dem Leben als einem
solchen und einer Kausalität desselben in der Sphäre dieses Seyns
an sich sich entgegengesetzt: welche erstere Annahme einen ob-
jektiven Dogmatismus, eine Transcendenz über das freie Leben
begründen würde. – Es könnte aber auch so seyn, daß diese Be-
gränzung gleichfalls in dem einen geistigen Leben läge, nur nicht
inwiefern dasselbe frei ist, sondern in seinem Seyn selbst, nur in
einem höheren, welchem gegenüber dasjenige Seyn, von dem wir
bisher gesprochen haben, nur ein anderes und untergeordnetes seyn
würde; welche Annahme, falls sie sich bestätigen sollte, den erst
erwähnten Dogmatismus aufhöbe, und einen immanenten Idealis-
mus begründen würde.« (TdB, 276)

Fichte spricht über das Eine geistige Leben; diesem Leben ist das sich
transzendierende Denken immanent. Er legt das Eine geistige Leben als
die Tatsache des Bewußtseins aus und schlägt vor, das transzendentale
Subjekt von Kant durch das Eine geistige Leben zu ersetzen. So schreibt
er:

8 TdB, 287.
Wissen als ein freies und selbständiges Leben 191

»Also er (Kant – E.G.) hat jenes Bewußtseyn der Einheit des Le-
bens in den Vielen weder abgeleitet, wie wir es bisher auch noch
nicht gethan haben, noch hat er es ausdrücklich aufgestellt als Fak-
tum des Bewußtseyns, wie wir es im vorhergehenden gethan ha-
ben; sondern er hat es nur, getrieben durch den gemeinen Men-
schenverstand, stillschweigend vorausgesetzt.« (TdB, 326)

Fichte glaubt, daß diese Einheit des geistigen Lebens es erlaubt, »...auch
allein die Gültigkeit des apriorischen für alle vernünftige Subjekte sowohl
selbst, als der Anspruch eines jeden auf diese Gültigkeit zu erklären.«
(TdB, 326) Wenn der Mensch, der immer individuell etwas erkennt, nicht
in das Eine geistige Leben des Bewußtseins eingeschlossen würde, so
hätte das, was er erkennt, nicht dieselbe Bedeutung für die anderen wie für
ihn. Obwohl die Erkenntnis individuell ist, ist ihr Prinzip nicht-individuell.

»Ist aber jenes Prinzip schlechthin das Eine und allgemeine Ver-
nunftleben, und wird gleich als solches deutlich gesetzt, so ist klar,
daß die Allgemeingültigkeit für dieses, und für jeden, in dem die-
ses sich äußert, gelten müsse, und von jedem, der dies nur einsieht,
allen angemuthet werden könne.« (TdB, 326f.)

Der Mensch kann aber auf die bloß faktische Erkenntnis reduziert bleiben.
Das bedeutet, daß er nicht fähig ist, das Leben in seiner Einheit zu denken,
das zugleich Grundlage ist und Quelle allen individuellen Erkennens. Die
Fakten sind nur Phänomene »des Einen geistigen Lebens«. Bloß Phäno-
mene erkennend, ist es unmöglich, ihre Einheit zu begreifen.

»... ist alles faktisch: der natürliche Mensch aber ist eine bloß histo-
rische Intelligenz, die wohl Fakta fassen, dieselben in der repro-
duktiven Einbildungskraft nachbilden, eines statt des anderen set-
zen, und sie mit einander vertauschen kann; an dieser aber auch die
absolute Grundlage und Gränze seines Gesichtskreises hat. Wo es
aber darauf ankommt, nicht mehr nur Fakta für Fakta zu tauschen,
sondern schlechthin über alle Fakticität ihrer absoluten Form nach
zum absoluten Grunde derselben durch reines Denken sich zu er-
heben; da ist es mit des natürlichen Menschen Vermögen zu Ende,
da muß dieser sterben, und der neue gebohren werden. Diese Grän-
ze ist nun hier, wo es gilt, über die Individualität, als den absoluten
Sitz der Fakticität hinweg zu kommen, und das Eine geistige Leben
zu fassen, als in der selben nur erscheinend.« (TdB, 349)

Anders gesagt, dem natürlichen Menschen reichen die Fähigkeiten schon


nicht aus; er muß deswegen sterben und neu geboren werden. Fichte
192 Elvira Gareewa

möchte damit sagen, daß man das Eine geistige Leben nur in der Erfah-
rung der unmittelbaren Anschauung begreifen kann. Ist aber diese An-
schauung möglich? Mehr noch: Nur solche Anschauung ist das wahre
Leben, das dem Einen geistigen Leben immanent ist. So bei Fichte:

»1) Das Individuum wirkt in der That nicht als Individuum, son-
dern als das Eine Leben; seine Selbstbestimmung zur Wirksamkeit
ist ja, wie wir schon oben gesehen haben, ein Aufgeben der Indivi-
dualität, die auf dem bloßen freien Begriffe beruht, und ein sich
Werfen in die objektive äußere Kraft, die da ist Kraft des Einen.
Also nicht das Individuum wirkt, sondern das Eine. 2) Soll diese
Wirksamkeit, oder ein Produkt derselben wahrgenommen werden,
so bedarf es dazu beim wahrnehmenden Individuum der Attention.
Aber die Attention ist gleichfalls ein Aufgeben des Individuum als
solchen, und ein sich Hineinwerfen in das objektive Denken als das
Eine. Und so ist es denn auch nicht das Individuum, das da wahr-
nimmt, sondern das Eine. Also in dem oben aufgestellten Faktum
wirkt das Eine Leben auf das Eine, es wirkt auf sich selbst; und so
scheint es denn durchaus erklärt und begreiflich, wie es, da es Le-
ben des Bewußtseyns ist, in diesem seinen Wirken sich seiner be-
wußt seyn nicht nur könne, sondern auch müsse; grade so wie das
individuelle Leben seiner individuellen Freiheit sich bewußt wird.«
(TdB, 328)

»Die Thatsachen des Bewußtseyns« ist nicht nur ein rein theoretisches
Werk, an dessen Lektüre man in rein spekulativem Denken Vergnügen
finden kann. Dieses Werk repräsentiert ein lebendiges Denken, das auf die
Veränderung des Lebens durch lebendiges Handeln zielt. Philosophie als
Tätigkeit des Denkens ist vor allem lebendige Weisheit, d. h. kein welt-
fremdes spekulatives Schema, sondern sie ist wie eine geistige Persön-
lichkeit, mit deren Hilfe die Idee der Freiheit ihr Sein erreichen kann.
Wenn das persönliche Leben dem Leben der Menschheit nicht
gewidmet ist, wenn dieses Leben nicht danach strebt, das Menschentum
auf eine neue geistige Stufe zu stellen, so können wir über die Idee nicht
sprechen, weil sie, wie Fichte in der vierten Vorlesung seiner »Grundzüge
des gegenwärtigen Zeitalters« behauptet, »ein selbstständiges, in sich
lebendes und Materie belebendes Denken [ist]«. Deshalb ist es nicht
zufällig, daß Fichte sein Hauptaugenmerk auf die Vorlesungstätigkeit
richtete. Er träumte nicht nur davon, gute Menschen zu bilden, sondern die
Menschen frei zu machen im Sinne der geistigen Selbständigkeit, sie zu
befähigen, in gutem Einvernehmen mit sich selbst zu leben. Der Mensch,
der für sich selbst und für seine Familie sorgt, ist kein Sklave, auch wenn
Wissen als ein freies und selbständiges Leben 193

er sehr arm ist. Im Gegenteil sorgt der Sklave nie für seine Ernährung, er
wird von anderen unterhalten. Seine Kräfte sind deswegen der Willkür
unterworfen. Er kann die Familie nicht führen; er ist bloß Mitglied einer
fremden Familie (»Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters«, Vorlesung
10). Dasselbe kann mit einem Gelehrten passieren, wenn er nicht dafür
sorgt, nach Möglichkeit seinen eigenen Gesichtspunkt, der zugleich das
Sein des Menschseins enthält, auszudrücken. Er ist dann nur Bürger der
für ihn fremden »Republik der Gelehrten« und ist gezwungen, dort bis zu
seinem Tode zu bleiben.
»Die Thatsachen des Bewußtseyns« ist ein Text, der einerseits
allgemeinverständlich ist und andererseits tiefe theoretische Gedanken
enthält. Dieser Text gibt uns die Möglichkeit, immer wieder die Fichte-
sche Denkart zu aktualisieren, obwohl uns das bestimmte Schwierigkeiten
bereitet, denn es handelt sich um das Werk einer bestimmten historischen
Epoche. Dieses Werk ist aber darüber hinaus organisch in die Kultur der
Menschheit eingeschlossen und nicht nur in die bestimmten sozial-
politischen Verhältnisse seiner Zeit.
Das empirische Leben Fichtes ist erloschen, aber die geistige
Flamme, die er anzündete, wird auch weiter den Weg für jene Menschen
erhellen, die ihr Leben der geistigen Entwicklung, dem Suchen nach
Wissen als einem freien Leben widmen, das letzten Endes Grundlage für
alles bildet.
Die Präsenz der ›Populärphilosophie‹ im Spätwerk
Fichtes

Franco Gilli (Turin)

1. Einleitung. Die ›Populärphilosophie‹ aus den Jahren 1804–1806

Der Zweck und die Interpretationsrichtung des vorliegenden Beitrags


bestehen darin, den Zusammenhang zwischen den sogenannten Populär-
werken aus den Jahren 1804–061 und der Spätphase des Fichteschen
Philosophierens zu untersuchen. Aus dieser Auslegung wird sich ergeben,
daß und wie einige Hauptthemen der sog. Mittelphase der Philosophie
Fichtes in der Spätphase – insbesondere in den Vorlesungen über die
Bestimmung des Gelehrten (1811) und in der Staatslehre (1813)2 – wie-
deraufgenommen, vertieft und weiter entwickelt werden.
Ich ziele darauf ab, die die Entfaltung der Fichteschen Wissen-
schaftslehre kennzeichnende Kontinuität hervorzuheben. Die Verwand-

1 Ich verweise auf die drei Vorlesungen, die Fichte zwischen November 1804 und
März 1806 gehalten und im 1806 veröffentlicht hat: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters,
Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit und Die
Anweisung zum seligen Leben.
2 Die fünf Vorlesungen Über die Bestimmung des Gelehrten wurden von Fichte im
Mai–Juni 1811 an der Universität Berlin gehalten (in GA/II, 12 [Abk. BdG-1811]); die später als
Staatslehre veröffentlichen Vorlesungen wurden im Sommer 1813 gehalten (in: J. G. Fichte,
Sämmtliche Werke, Bd IV – Zur Rechts- und Sittenlehre II, hrsg. von I. H. Fichte, Berlin 1845
[Abk. StL-1813]).
196 Franco Gilli

lungen bzw. die Änderungen in den Begriffs-Formen, die weitgehend seit


den Jahren 1801–1802 zum Vorschein kommen, stellen den inneren
Zusammenhalt der Gesamtidee der Philosophie Fichtes überhaupt nicht in
Frage. Gewiß könnte man von einer »unsichtigen Wende« seines kritisch
orientierten Denkens in die ›metaphysische‹ Lehre vom Absoluten, und
demzufolge von einer wirklichen »Umwendung des Seinsverständnisses«3
reden. Eine solche Wende stellt jedoch ebenso wenig einen Bruch wie
eine ›Aufhebung‹ der frühen Lehre dar. Sie ist vielmehr als Entwicklung
und Erneuerung der Sprach- und Begriffs-Formen in der einheitlichen
Entfaltung der Wissenschaftslehre anzusehen.
Bereits in der mittleren Phase (vornehmlich in den oben erwähn-
ten Populärwerken) wird der Begriff vom Sein nicht mehr als der dem Ich
entgegengesetzte Gegenstand des Gedankens verstanden, sondern als
Leben, Licht, Absolutes, Gott. Das absolute Sein ist das Gottesleben, das
Leben des Absoluten selbst. Solche Verwandlung führt ihrerseits zum
Begriff des Wissens als »Bild des Seins«. Das absolute Wissen ist weder
das absolute Sein, noch bloßes Nicht-Sein, sondern das Sein in der Form
der Sichtbarkeit. Demzufolge ist das Sein, oder Gott, kein objektives und
ontologisch fixiertes ›An-sich‹, sondern das Nicht-Sichtbare4.
In der mittleren Phase seines Denkens betrachtet Fichte die
Wahrheit als das Allerklarste und gleichzeitig als das Verborgenste,
nämlich als Licht, das das Sehen selbst durchleuchtet, jedoch ihm unsicht-
bar bleibt5. Unsere Auslegung hebt somit den engen Zusammenhang und
zugleich die Spaltung zwischen dem Begriff vom Sein und demjenigen
vom Bewußtsein hervor, d. h. zwischen dem Absoluten als unbegreifli-
chem Ursprung und Grund, und dem Bewußtsein, welches das »Unbe-
greifliche« als solches zu begreifen versucht. Diese Auffassung kulminiert
in dem Konzept des Phänomens, das nicht mehr als bloßer Schein, sondern
als die eigentliche und notwendige Erscheinung der transzendentalen
Struktur des Absoluten6 gefaßt wird. Das absolute Wissen fällt nämlich

3 Vgl. Wolfgang Janke, Fichte. Sein und Reflexion. Grundlagen der kritischen
Vernunft, Berlin 1970.
4 Zum Thema der Idee der Philosophie in dieser Phase, verweise ich auf meinen
Beitrag Populärphilosophie und Religionslehre, in: Der transzendental-philosophische Zugang
zur Wirklichkeit. Beiträge aus der aktuellen Fichte-Forschung, hrsg. von E. Fuchs, M. Ivaldo und
G. Moretto, Stuttgart-Bad Cannstat 2001, 471–505.
5 Vgl. Wolfgang Janke, Fichte. Sein und Reflexion, XV und ff.
6 Die theoretische Struktur, die in den Vorlesungen über die Wissenschaftslehre aus
diesen Jahren entfaltet wird, bildet das Substrat der Überlegungen Fichtes über das Wesen und die
Bestimmung des Gelehrten, über die Philosophie der Geschichte und, insbesondere, über
Religions- und Seligkeitslehre.
Die Präsenz der ›Populärphilosophie‹ im Spätwerk Fichtes 197

nie mit dem Absoluten zusammen, sondern ein Abstand bleibt als unaus-
weichliches Residuum zwischen dem absoluten Sein und dessen Erschei-
nung, zwischen Gott und Bild7. Sinn und Hauptaufgabe der Wissen-
schaftslehre gehen zudem mit der systematischen Erhellung des Wesens
und der Bestimmung des Menschen und des Gelehrten einher. Sie fallen
mit dem unerschöpflichen Erforschen eines ersten und unbedingten
Grundes der transzendentalen Philosophie zusammen.
Das Thema des »Abstandes«, der unüberbrückbaren Kluft zwi-
schen Sein und Erscheinung, stellt ein die Fichtesche Gesamtidee der
Philosophie charakterisierendes Leitmotiv dar. Die höchste Einheit des
Prinzips ist die Voraussetzung der genetischen Ableitung der Erscheinung;
und die Erscheinung wird ihrerseits von dieser Voraussetzung transzen-
dental gerechtfertigt. Schon aus der Wissenschaftslehre 1804-II ergibt sich
die problematische Struktur der Wissenschaftslehre als »Transzendental-
philosophie«: Das Soll, das nicht so sehr als das sittliche, das endliche Ich
zum Handeln veranlassende »Sollen«, sondern als der erscheinungskonsti-
tutive Begriff (auch Idee genannt) zu verstehen ist, erweist sich als die
Grundlage der genetischen Struktur der Wissenschaftslehre als philoso-
phisch-transzendentalen Wissens8.

2. Das Wesen und die Bestimmung des Gelehrten im Jahre 1811

Wie schon in den Jahren 1794 und 1806 greift Fichte in den Vorlesungen
Über die Bestimmung des Gelehrten aus dem Jahre 1811 die Frage nach
dem Wesen und der Bestimmung des Gelehrten wieder auf. Das Wesen
des Gelehrten entsteht aus dem Begriff des Wissens selbst, das nicht als
ein vom Wissen unabhängiges Abbild oder Nachbild des Daseins, sondern
als »Vorbild des Seins« gefaßt wird. Das philosophische Wissen enthält in
sich den Grund des Seins; »ein solches Wissen müsste praktisch und tätig
sein, und ein Sein begründend« (BdG-1811, 314).
Das Wesen des Gelehrten schließt ein Handeln in sich ein, das
Bild seines eigenen Selbst und keines äußeren Gegenstandes ist. Als
»praktisches Wissen« trägt es in sich ein Gesicht, das ein inneres Dasein
hat, und »mit keinem außer sich, sondern nur mit sich selbst überein-

7 Zum Thema der ›Lehre vom Bild‹, vgl. J. Drechsler, Fichtes Lehre vom Bild,
Stuttgart 1955, 11 und ff.
8 Vgl. die Auslegung des Begriff des Sollens durch G. Rametta, Libertà, scienza e
saggezza nel »secondo« Fichte, in La libertà nella filosofia classica tedesca, hrsg. von G. Duso
und G. Rametta, Milano 2000, 87–115.
198 Franco Gilli

stimme. (...) Ein Gesicht aus der Welt, »die durchaus nicht da ist«, der
übersinnlichen und geistigen Welt, die aber durch unser Handeln wirklich
werden, und in den Umkreis der Sinnenwelt eingeführt werden soll«
(BdG-1811, 316)9. Der echte Gelehrte soll keine bloßen Abbilder des
gegebenen Seins herbeiführen. Sein Wissen stellt eher ein tatbegründendes
Wissen dar. Das Gesicht ist kein Nachbild einer äußeren Welt, sondern
das wahre Bild Gottes.
Genau hier stellt sich die Forderung nach einer Darstellung der
Fülle des Gesichts in der Sinnenwelt. Die Erscheinung Gottes im Wissen,
die Erscheinung des eigentlichen Urbilds, wird nie in der Zeit vollendet,
sondern »liegt über alle Zeit, als ewig unsichtbarer Grund und Gesetz, und
Musterbild des unendlichen Fortbildens in der Zeit« (BdG-1811, 318). Die
Erscheinung bildet kein stehendes und festes Bild, sondern ist »unend-
liches Bilden«. Als solche ist die absolute Erscheinung ein ewiger Strom,
der seine bildliche Gestaltung aus der Sinnenwelt übernimmt. Die sinnli-
che und die übersinnliche Welt werden daher vereinigt und sind untrenn-
bar10, und die übersinnliche Welt kommt von ihrer ewigen Unsichtbarkeit
durch immer neue sichtbare Gestalten zum Vorschein.
Der Begriff des Sollens bewährt das Verhältnis zwischen dem
göttlichen Bild und der Sinnenwelt, und fördert die ständige Fortentwick-
lung des göttlichen Bildes. Der Gelehrte soll sich durch Selbstbesinnung
zum Wissen des Bildes (als das Letzte und Höchste in aller Ewigkeit)
erheben. Durch sein tätiges – und nicht bloß theoretisch-betrachtendes –
Wissen wird er zur Lebenskraft der Welt, zur Triebfeder, zur Fortsetzung
der Schöpfung. Darin bestehen sein Wesen, seine echte und wahre Be-
stimmung: Wollen sein Wissen und sein ganzes Leben Wert haben, so soll
er sein11!
Der Begriff des Sollens hat eine höchst relevante Bedeutung in
transzendentaler Sicht. Das Sollen bestimmt nicht nur formell – selbst mit
der kategorischen Unbedingtheit seiner Freiheit – einen von außen vor-
gegebenen Inhalt, sondern es läßt seinen Inhalt von sich selbst spontan
entstehen. Im Begriff des Sollens liegt demnach das Moment einer absolu-
ten Selbstgenesis, sowohl im Inhalt als in der Form, die sich vom Denkakt

9 Fichte verknüpft diesen Begriff mit dem griechischen Wort $+,&- (Idee, Gestalt
und Muster, im platonischen Sinne), das vom Partizip Perfekt des Verbs !"#$ stammt: !%&'–
»gesehen zu haben« und demzufolge »zu wissen«.
10 Vgl. BdG-1811, 318f.
11 Das ›Anforderungs-Prinzip‹ übt eine wesentliche Rolle aus, um Fichtes ›Begriff
des Sollens‹ aufzuklären. Zu diesem Thema vgl. den Essay von G. Rametta, Libertà, scienza e
saggezza nel »secondo« Fichte, 94 und ff.
Die Präsenz der ›Populärphilosophie‹ im Spätwerk Fichtes 199

her erzeugt. Es handelt sich um die unbedingt genetische Produktivität des


tätigen Wissens, die ohne äußere Bedingungen wirkt. Hiermit wird das
Wissen zum »absoluten Wissen« als höchster Identität zwischen Sein und
Denken. Eine solche Struktur des Wissens ist vom Sollen bzw. vom
absoluten Wissen bestimmt. Dank der Ableitung des selbstgenetischen
Wissens aus dem Begriff des Sollens wird offensichtlich, wie sich das
Wissen durch das Ich der philosophischen Besinnung ersehen läßt: Der
echte Gelehrte ist derjenige, der vom Wissen völlig durchdrungen ist und
die transzendentale Wissenschaft vollzieht. Der Gelehrte hat nicht einfach,
sondern ist das Wissen in dessen konkreter und aktualer Verkörperung; er
ist »der eigentliche Vereinigungspunkt zwischen der übersinnlichen und
der sinnlichen Welt« (BdG-1811, 324). Der Gelehrte ist kein passives
Werkzeug in Gottes Händen, sondern schafft die Sinnenwelt nach Gottes
Bild12. In ihm offenbart sich das Gesicht als wahrer Grund seines Lebens,
d. h. als jene Anschauung der übersinnlichen Welt, die die Sinnenwelt
formiert.
Das absolute Sollen bildet insofern die innere Struktur des abso-
luten Seins, als es das Medium des Erscheinens des Absoluten in Bildern
und Gesichtern ist. Im Sollen als aufforderndem Prinzip bzw. im ersten
Schema des Absoluten befindet sich, der späten Wissenschaftslehre
zufolge, was Fichte »das Vermögen« nennt, das Ausdruck der Freiheit ist,
und die Freiheit ist ihrerseits als einzige transzendentale Bedingung des
Seins und als jenes Prinzip, das alle deterministische Notwendigkeit
zunichte macht, zu verstehen. Das bedeutet: Das Absolute schließt in sich
ein ›Moment‹ ein, in dem es noch nicht offenbar wird. Das Absolute
erweist sich in seiner Innerlichkeit als das Noch-nicht-Offenbare, denn
sein allererstes Schema ist das Vermögen, eine Möglichkeit, die noch nicht
zur Wirklichkeit geworden ist. Zwischen Möglichkeit und Verwirklichung
(Offenbarung) öffnet sich somit ein Sprung; und eben in diesen unüber-
brückbaren Raum setzt sich die Freiheit als Tat bzw. als ein reines Fak-
tum, welches über alle vernünftig-genetische Ableitung hinausgeht. Die
konkrete Tat der Seinserscheinung kann nicht deduziert werden. Das

12 Fichte unterscheidet zwischen reinem Gelehrten und religiösem Gemüt: Der


Religiöse sieht die übersinnliche Welt ein, ohne Begründer einer sinnlichen Welt durch prakti-
sches Wissen zu sein. Zu diesem Thema vgl. BdG-1811, 325 und ff. Hier kann auch ein Unter-
schied zwischen der Auffassung des religiösen Menschen, die in diesen Vorlesungen dargelegt
wird, und derjenigen, die in der Anweisung zum seeligen Leben entwickelt ist, festgestellt werden.
Der Grund eines solchen scheinbaren Widerspruchs wird aber in der Staatslehre-1813 beseitigt,
vornehmlich im letzten Abschnitt – Neue Welt, wo Fichte seine Philosophie im engen Zusam-
menhang mit der christlichen Lehre wieder entfaltet. Vgl. StL-1813, 521–600.
200 Franco Gilli

Seinsgesetz als Gesetz des Übersinnlichen verweist demnach mittels des


Begriffs des Sollens und des Vermögens als Grundstruktur des Seins auf
die Freiheit. Das Sichtbarwerden der inneren Struktur der Seinserschei-
nung ist eine nie vollendete Aufgabe für die Freiheit des Gelehrten und
entspricht der Sollens-Aufforderung.
Fichte macht uns auf die unüberwindbare Kluft zwischen der bil-
denden Tätigkeit des Gelehrten und der übersinnlichen Welt aufmerksam:
Das Übersinnliche kann erst dank Gleichnissen, durch sinnliche Anschau-
ung vermittelt, dargestellt werden. Die Trennung zwischen Sinnlichkeit
und Übersinnlichkeit, Bild und Absolutem, Mensch (selbst wenn dieser
ein Gelehrter ist) und Gott ist nicht zu überbrücken. Die gelehrte Bildung
kann den Menschen nur »in sein Inneres führen, auf der Grundlage des
innern Seins« (BdG-1811, 341), also dorthin, wo er lernen kann, Wissen,
Verstehen und Denken als »freie Kunst« auszuüben.
Die Freiheit des »Handelns des Bewusstseins« entsteht nicht vom
Bewußtsein selbst aus, sondern sie bildet die transzendentale Bedingung
der Erscheinung: Wenn das Absolute erscheinen soll, wenn Gott sichtbar
werden soll, dann kann das Gesetz der Freiheit (die der Grund des Über-
gehens von der Möglichkeit zur Wirklichkeit ist) durchaus nicht »nicht da
sein«; positiv ausgedrückt: Es muß dasein. Das Handeln des Bewußtseins
kommt von der absoluten Freiheit heraus (vom Sollen), und letztere stellt
sich im notwendigen Bestimmen (Müssen) des Handelns des konkreten
Bewußtseins auf.
Im Moment der Verwirklichung des absoluten Sollens im fakti-
schen Sollen taucht der wesentliche Abstand zwischen Sein und Bild
wieder auf. Das Handeln des Bewußtseins des Gelehrten erreicht die klare
transzendentale Einsicht der einschlägigen Implikation zwischen Ab-
solutem und Erscheinen; der Gelehrte ist somit zum eigentlichen Künstler
geworden.
In den bestimmten Punkten der Geisteswelt, zu denen sich die
geistige Fortentwicklung der Schöpfung erhebt, ist der Mensch nur durch
Gott und durch das unmittelbar göttliche Wirken; die Freiheit und die
Selbständigkeit des Menschen bilden das Mittel dieses Wirkens. Das
eigentliche Leben der Einen und freien Geisteswelt besteht darin, daß es in
ein zweifaches Sein zerfällt: Im ersten wirkt unmittelbar Gott, im zweiten
wird es von der Geisteswelt selber als Nachbild des ersten Seins hervorge-
bracht.
Die Präsenz der ›Populärphilosophie‹ im Spätwerk Fichtes 201

3. Die Staatslehre 1813 – Erster Abschnitt

In der sog. Staatslehre aus dem Jahre 1813 behauptet Fichte, daß die Welt
der philosophischen Erkenntnis ein bestimmtes System des Seins und
deshalb eine absolute neue Welt der Gesichter, im Gegensatz zur gewöhn-
lichen sinnlichen Welt, ist. Es gibt einen qualitativen Sprung zwischen der
gegebenen Erfahrungswelt der Dinge und dem inneren Gefühl der Er-
kenntnis der geistigen Welt, das uns zur »Erkenntnis unseres Erkennens
und Bewusstseins« erhebt. Ein solcher Sprung trennt die Erfahrungswelt
von der Ansicht der Dinge, die an sich sind. Diese Erkenntnis ist nicht das
Ergebnis des bloßen Räsonierens, sondern Resultat eines unmittelbaren
Bewußtseins und einer vorgängigen geistigen Erhebung. Dank dieser
echten philosophischen Erkenntnis »an der zweiten Potenz« überspringt
die Wahrheit jede andere Mitteilungsform und wird als das Höchste
erkannt. Fichte spricht nämlich von echter Vernunftkunst und nicht mehr
von gemeinem Wissen.
Das philosophische System bildet daher kein System von stehen-
den Dingen, sondern ein System von Bildern. Das Grundgesetz der philo-
sophischen Leistung im Selbstbewußtsein entsteht aus der Freiheit: Von
der sinnlichen Blindheit wird der Mensch durch die Befreiung seines
geistigen Auges zum Sehen erhoben. Dies ist das Wesen der Philosophie.
Die Verständlichkeit des Systems von Bildern beruht auf dem »Prinzip
der allgemeinen Verständlichkeit« und ermöglicht uns, die Grundsätze der
Einsicht der geistigen Welt zu eigen zu machen. Ein solches Gesetz
verweist auf das transzendentale Schema des »Sollens« als Freiheits-
Urprinzip und als Prinzip der Struktur des Seins.
Dieser Auffassung zufolge sind die Bilder »Bestimmungen des
Bewusstseins«, die sich auf zwei verschiedene Weise evidieren: Bilder, die
unmittelbar durch das natürliche Dasein gegeben sind (sie sind ›Dinge‹ für
die Unphilosophie, aber ›Bilder‹ für die Philosophie); und Bilder, die sich
unmittelbar nicht offenbaren, sondern aus denen der Grund der Bestimmt-
heit der ersten Bilder erkannt werden kann (Bilder auf die zweite Potenz).
Die Bilder der Gesetze für andere Bilder setzen sich unmittelbar als die
das reine und das bestehende Sein bestimmenden Gesetze; daraus ergibt
sich, daß das absolute Sein höher liegt als sie und daß die Bilder unmittel-
bare Erscheinungen eines ersten Bildes, d. h. des absoluten Gesetzes, sind.
Die Philosophie hat somit ein neues Lebensverständnis vermittelt:
Die gegebene Welt ist nicht da, ist Nichts; die Verstandeserkenntnis
entsteht ihrerseits nicht aus sich allein heraus, sondern ist Darstellung
eines wahren Seins und verweist auf jene (Ur-)Gesetze, die erst Gesetze
202 Franco Gilli

im eigentlichen Sinn sind. Fichte macht sich wieder auf den Weg, den er
seit den Jahren 1804–1806 eingeschlagen hat: Er hebt nochmals die
Spaltung und den Abstand zwischen Sein und Wissen hervor; wahr ist,
daß die Bilder auf das Absolute durch ihre Gesetze verweisen, aber das
Absolute bleibt in sich selbst verborgen und wird erst durch die Bilder und
ihre Gesetze (und in ihnen) sichtbar.
Für die genetisch-philosophische Erkenntnis »ist allerdings ein
Absolutes, durch, von, aus sich Stammendes, – Gott: dessen Offenbarung
ist die Erkenntnis (…)« (StL-1813, 378). Nur das Absolute (als Gott bzw.
als das Eine-Leben erfaßt) ist und lebt im eigentlichen Sinn; außer ihm ist
nur die Erscheinung als Erscheinung, deren Sein mit ihrem »Auf Gott-
Bezogen-Sein« zusammenfällt und deren Wesen Bild-Sein, Erscheinung
des Absoluten ist. Es gibt keine Welt außer der Erkenntniswelt, weil diese
Bild Gottes ist. Gott selbst ist durch das Verstehen der Erkenntnis sicht-
bar, »(…) eben als das, als was wir sie hier verstanden haben. Gott ist
nicht unmittelbar in der Erkenntnis (…), sondern nur im Verstande dieser
Erkenntnis selbst, als seine Offenbarung« (StL-1813, 382). Die Wissen-
schaftslehre ist daher vollkommenes Verstehen, durchgeführtes Sehen und
dadurch vollkommene Freiheit. Das erkennende Ich ist nicht nur ›erken-
nendes‹, sondern auch ›handelndes‹ und ›wirkendes‹, d. h. selbständiger
Grund der Seinsbestimmungen. Der Mensch – als konkretes Bewußtsein
und demzufolge als Bild – kann nur eine vor-begriffliche Wahrnehmung
des sittlichen Ziels erreichen. Der in ihm wirkende sittliche Trieb kommt
in ›schöpferischer Weise‹ (d. h. durch die Freiheit und nicht als notwendi-
ge Folge) von göttlicher Ordnung hervor. Gewiß trifft man hier einen der
höchsten Gipfel des Fichteschen Philosophierens: die wissenschaftlich-
genetische Erkenntnis hebt mit »einem verborgenen Prinzip« an, das in
sich das konstitutive Schema des Sollens bzw. der Freiheit beinhaltet. Die
Vorstellung eines unüberwindlichen Abstandes zwischen Sein und Bild,
den Fichte in seiner mittleren Phase in der Religions- und Seligkeitslehre
dargelegt hat, rückt in der Spätphase in den Mittelpunkt seiner Philoso-
phie13.
Der genetische Grundansatz der Sichtbarkeit des höheren Geset-
zes bringt die Frage nach der Wahrhaftigkeit der menschlichen Erkenntnis
mit sich. Die Erkenntnis ist Bild des Seins, Bild Gottes, aber als ein Wer-
den, d. h. als Bild der ewig schaffenden Freiheit. Die eigentliche Erschei-

13 Vgl. Die Anweisung, wo Fichte ausdrücklich die Auffassung des ›Unbegreif-


lichen‹ entfaltet hat. Vgl. C. Asmuth, Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Re-
ligion bei J. G. Fichte 1800–1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999.
Die Präsenz der ›Populärphilosophie‹ im Spätwerk Fichtes 203

nung des absoluten Seins ist daher nicht die Welt an sich, sondern das Bild
der Welt. Die wahre und vollkommene Weltansicht der Wissenschaftslehre
kann nur durch die Bildung des inneren Auges erreicht werden: Sie kommt
nicht von außen zustande, sondern jeder Mensch muß sie in sich selbst
haben und entwickeln.
Der echte Philosoph ist deshalb derjenige, dessen Erkenntnis frei
und vollendet ist. Seinen Augen erschließt sich die Erkenntnis des wahren
Seins; in ihm lebt und wirkt die philosophische Erkenntnis, und er selbst
er-lebt und wirkt solche Erkenntnis. Fichte bezeichnet diese Anwendung
der Philosophie »sittliches Leben«, das die sittliche Welt zustandebringt.
Der echte Gelehrte ist der, der eine vollständige Einsicht der Seins- und
Bildlehre besitzt und sich bewußt ist, daß er in der sinnlichen Welt leben
und handeln muß. Die Aufgabe des sittlichen Lebens besteht in der Stif-
tung des Vernunftreichs, des Himmelreiches (auch: »Theokratie« genannt)
im konkreten alltäglichen Leben14, d. h. in der Bildung einer sittlichen
Ordnung des Wirklichen, die die Inkarnation Gottes sein soll. Gott kann
nicht in der Zeit begriffen werden, und der Mensch ist zu einem qualitativ
absoluten und überzeitlichen Sein aufgefordert.

4. Schlußbetrachtung

In seiner Spätphase kehrt Fichte zur religiösen Sprache zurück. Die


Grundauffassung der Anweisung zum seeligen Leben wiederaufnehmend,
versteht der letzte Teil der Staatslehre-1813 die christliche Weltanschau-
ung als das geeignete Mittel, um sich den Hauptthemen der Seinslehre
annähern zu können. Die Lehre des Abstandes bzw. des hiatus irrationa-
lis, die am Ursprung des Seins selbst liegen, bringt das »verborgene und
unbegreifliche Prinzip« des Seins selbst zum Ausdruck; allerdings kann
die wissenschaftliche Überlegung diese Struktur nie völlig begreifen, weil
der Mensch in der Zeitlichkeit und im Bildsein lebt. Aus diesem Grund ist
für ihn unausweichlich, sich der metaphorischen Sprache der Religion,
insbesondere des Christentums, zu bedienen15.

14 Vgl. den letzten Abschnitt der StL – 1813, Neue Welt, 521 und ff.
15 Wir berufen uns nicht nur auf die Vorlesungen über die Anweisung, wo Fichtesche
Spekulation sich auf die Religions- und Seligkeitslehre öffnet; sondern auch auf den letzten
Abschnitt der Staatslehre – Neue Welt, in dem Fichte eine Vertiefung der Terminologie des
Christentums in engem Zusammenhang mit den genetisch abgeleiteten Begriffen der Wissen-
schaftslehre bietet.
204 Franco Gilli

Am Schluß dieses Beitrags soll demnach hervorgehoben werden,


daß die Religionslehre und die damit verbundene Philosophie der Ge-
schichte eine wesentliche Rolle spielen, um den Versuch vorzunehmen,
den »Abstands-Begriff« bei Fichte zu durchdringen. Wir dürfen demnach
nicht behaupten, die Religion sei nur eine vorübergehende Stufe zur
Erreichung der vollendeten Wissenschaftslehre. Im Gegenteil spielt sie
eine grundlegend philosophische Rolle, um uns dem Verborgenen und
Unbegreiflichen legitim zuwenden zu können. Genau am lebendigen
Punkt, von dem die genetisch philosophische Ableitung ausgeht, kann die
Religionslehre (im Sinne von Lehre, Einsicht und nicht von mystischer
Unio) unser Auge ›erhellen‹. Ansonsten würden wir in stummer Dunkel-
heit verbleiben.
Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins«
im Blick auf die Wissenschaftslehre

Hans Georg von Manz (München)

1. Einleitung – Fichtes eigene Charakterisierung der »Tatsachen des


Bewußtseins«

Eine Vorlesung mit dem Titel »Die Tatsachen des Bewußtseins« hielt
Fichte erst während seiner späten Berliner Lehrtätigkeit. Von 1810 bis zu
seinem Tod 1814 las Fichte über die »Tatsachen des Bewußtseins« insge-
samt viermal.1
Der systematische Ort der Vorlesung über die Tatsachen des Be-
wußtseins läßt sich nur erfassen, wenn man Fichtes didaktisches Gesamt-
konzept berücksichtigt.
Fichte hatte für seine Vorlesungstätigkeit in Berlin – wie zuvor
schon in Jena und Erlangen – ein umfassendes Konzept für die Darstel-
lung seiner Philosophie entwickelt, das seine Vorstellung vom Verhältnis
der Philosophie zum Leben widerspiegelt.2 Demnach soll der angehende
Gelehrte sich bewußt werden über die Stellung und Verantwortung des

1 Vgl. dazu R. Lauth: Einleitung. In: Fichte, Johann Gottlieb: Die späten wissen-
schaftlichen Vorlesungen II. Hrsg. von H. G. von Manz, E. Fuchs, R. Lauth und I. Radrizzani.
Stuttgart-Bad Cannstatt, 2003 (StA-2).
2 Vgl. dazu R. Lauth: Einleitung. In: StA-2.
206 Hans Georg von Manz

Gelehrten im Leben und in der Gesellschaft,3 was auf dem Hintergrund


der Bestimmung des Menschen überhaupt herausgearbeitet werden konn-
te. Daran schließt sich eine Hinführung zum wissenschaftlichen Stand-
punkt an mit der Beantwortung der Frage nach dem Wesen von Wissen-
schaft und Philosophie (»Einleitung in die Philosophie« bzw. »Vom
Wesen der Philosophie«). Der darin beschriebene Begriff der Philosophie
bzw. der Wissenschaftslehre als Wissen vom Wissen ist zwar eine not-
wendige Bedingung, als methodischer Beginn für den Nachvollzug der
Wissenschaftslehre ist er jedoch noch nicht ausreichend. Um die Entfal-
tung der Prinzipien des Wissens als solchen nachvollziehen zu können, ist
es nach Fichte zuvor notwendig, die Konstitutionselemente des Wissens
im Bewußtsein zu erfassen. Diesem Zweck dient die Vorlesung über die
Tatsachen des Bewußtseins (sowie im Jahre 1812 die Vorlesung über das
»Verhältnis der Logik zur wirklichen Philosophie«, allgemein bekannt als
»Transzendentale Logik«4).
Die Wissenschaftslehre selbst behandelt die Genese der Prinzi-
pien des Wissens vom Wissen, und deren Ausfaltung führt zu den Wis-
sensgrundlagen der materialen philosophischen Disziplinen (Natur-,
Rechts-, Sitten- und Religionslehre). Die Geschichtsphilosophie, die ein
Schema der möglichen Vernunftentwicklung liefert, erlaubt die konkrete
Geschichtssituation in ein Entfaltungsstadium der Vernunft einzuordnen.
Mit dieser Erkenntnis und den aus den philosophischen Disziplinen ge-
wonnenen Anwendungswissenschaften (Technik, Politik, Pädagogik etc.)
wendet sich die Philosophie als Vernunftkunst gestaltend auf das Leben
und die Wirklichkeit zurück.
Fichte selbst charakterisiert die Vorlesung über die Tatsachen des
Bewußtseins nur als Vorbereitung zur Wissenschaftslehre: »Alle Betrach-
tungen, welche hier angestellt werden, sind nur als Vorbereitung zu der
Wissenschaftslehre zu betrachten.«5
Die Gründe, warum Fichte eine solche die Wissenschaftslehre
vorbereitende Vorlesung für nötig erachtet, scheinen auf den ersten Blick
weniger systematischer Art als anthropologischer und didaktischer Natur
zu sein.
In den Einleitungsvorlesungen, die den »Tatsachen des Bewußt-
seins« vorausgehen, entwickelt Fichte zunächst den Begriff von Wissen-
schaft und von Philosophie, um anschließend auf die nähere Bestimmung

3 »Sittenlehre für Gelehrte« SS 1811.


4 TL I SS 1812, TL II WS 1812/13.
5 TdB 1811/12, Cauer, 1.
Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« 207

des Gegenstandes der Philosophie einzugehen und zu erklären, worin sich


ihr Gegenstand von dem anderer Wissenschaften unterscheidet.

»Philosophie ist also eine Wissenschaft. – Die Wissenschaften aber


sind verschieden nach den Phänomenen die sie begründen, es muß
also auch vor allen das Phänom[en]. angegeben werden, das grade
durch die Phil[osophie]. begründet wird – Dieses ist das Wissen
selbst. – Um also zur Philosophie zu gelangen, muß zuerst das
Wissen als Phän[omen]. genau bestimmt und aufgefaßt werden.«6

Aufgabe der TdB ist daher die Darstellung aller Momente, die das Wissen
als solches ausmachen. Methodisch gesehen stellen die TdB den Gegen-
stand der Philosophie – nach Fichte – in der Art dar, wie sich andere
Wissenschaften ihrem Gegenstand nähern:

»Das Wesen aller Wissenschaft besteht darin, daß von irgend ei-
nem sinnlich wahrgenommenen, durch Denken, zum übersinnli-
chen Grunde desselben aufgestiegen werde. Ebenso also verhält es
sich mit der Philosophie. Sie geht aus von der Wahrnehmung des
Wissens durch den innern Sinn, und steigt auf zu dem Grunde des-
selben. In diesen Vorlesungen [d. h. den TdB] haben wir es mit
dem ersten Stücke dieser Wissenschaft, mit dem Phänomene zu
thun: dieses wollen wir systematisch beobachten...«7

Die systematische Beobachtung liefert als Abschluß eine »Naturge-


schichte« aller Wissensmomente in ihrem lebendigen Zusammenhang.8
Die Darstellung der TdB erfüllt neben der inhaltlichen Bestimmung auch
den methodisch-pädagogischen Zweck, in ihrem Mitvollzug sich vom
Standpunkt des gemeinen Menschenverstandes zu lösen und den des
transzendentalen Denkens einzunehmen. »Meine Vorlesungen Ueber die
Thatsachen des Bewußtseyns sollen den Zuhörer auf den Standpunkt der
absoluten Besonnenheit leiten, ihn das Phänomen sehn lassen welches
[dann] die Wissenschaftslehre begründet«9. Fichte geht deshalb so vor,
daß er bestimmte Wissensmomente nicht einfach beschreibt, sondern daß
er von den Zuhörern einen aktiven Mitvollzug verlangt, damit sie sich das
betreffende Wissensphänomen selbständig in ihrem eigenen Bewußtsein
vergegenwärtigen. Er stellt sich gleichsam als Führer durch das Gebiet der

6 Einleitung 1811, Cauer, 8; StA-2, 261.


7 TdB 1810/11, 6, StA-1, 229.
8 TdB 1810/11, 213, StA-1, 394.
9 Einleitung 1811, Schopenhauer, Bl. 8r, StA-2, 280.
208 Hans Georg von Manz

Wissensmomente dar: »In der Entwerfung dieses Bildes [vom Seyn des
Wissens] eben habe ich Sie zu leiten, habe mit Ihnen das Zweckmäßige zu
sondern, und auf das Merkwürdige Ihnen hinzudeuten«.10
Neben der Anleitung zur Beobachtung, zur Selbstbeobachtung
von Bewußtseinsvorgängen bzw. -aktivitäten, die Wissensmomente
formen, gibt Fichte für die TdB noch zwei weitere Methoden an, die über
die reine Beobachtung hinausgehen: eine fortgeführte Form der Beobach-
tung, nämlich die Beobachtung, die durch »ein künstlich anzustellendes
Experiment«11 im Bewußtsein ermöglicht wird. Wo beide Arten der
Beobachtung nicht mehr zureichen, nämlich dann, wenn es um Begrün-
dungen von Wissenselementen geht, muß eine Hypothese gebildet wer-
den. »Hypothese ist« – so Fichte – »ein frei Gedachtes oder Ersonnenes
als möglicher Grund irgend eines Phänom[ens].«12 Wenn nun das Phäno-
men klar erfaßt wird und der (zunächst nur problematisch-hypothetisch
angesetzte) Grund klar gedacht wird, und er das Phänomen vollständig
erklären kann, dann kann es zu »dem plötzlichen Uebergange aus dem
Zweifel zur Gewißheit« kommen, dem »Akt der Evidenz«13. »Die Evidenz
ist die synthetische Einheit des Phänom[ens]. und des Grundes.«14 Sie
verbürgt die wissenschaftliche Erkenntnis.

2. Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins«

Nach dieser anfänglichen Charakterisierung der TdB durch Fichte selbst


soll im folgenden gezeigt werden, daß die TdB mehr darstellen als eine
bloße Einführung zur Wissenschaftslehre und weit mehr als eine Beobach-
tung der Wissensmomente und deren Zusammenstellung.
Dies soll in folgenden Schritten geschehen: 1. durch Betrachtung
der in den TdB angewandten Methodik, 2. an Hand der Struktur und des
Gesamtduktus. Daraus läßt sich 3. ein differenzierteres Bild geben, in
welchem Verhältnis die TdB zur Wissenschaftslehre stehen.

10 TdB 1810/11, 6; StA-1, 229.


11 TdB 1810/11, 6; StA-1, 229.
12 Einl. 1811, Cauer, 7, StA-2, 260.
13 Einl. 1811, Krakau, Bl. 3v, StA-2, 246.
14 Einl. 1811, Cauer, 6, StA-2, 259.
Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« 209

2.1 Die Deduktionen in den »Tatsachen des Bewußtseins« und die sich
daraus ergebende Gesamtsystematik

Betrachtet man die TdB im Ganzen, so stellt man fest, daß die Methode
der Beobachtung bzw. der Selbstbeobachtung nur in ganz geringen Teilen
zur Anwendung kommt. Sie ist von Bedeutung für den Ausgangspunkt der
TdB, der Erfassung des ersten Teilmomentes der äußeren Wahrnehmung,
der Sinnesaffektion. Bereits hier am Anfang wendet Fichte auch die
Anleitung zur erweiterten Selbstbeobachtung mittels eines geistigen
Experiments an, wenn es um die Frage geht, mit welcher Bewußtseinslei-
stung die Vorstellung einer räumlichen Ausdehnung zustande kommen
kann. Die überwiegende Form der Darstellung vollzieht sich in Begrün-
dungszusammenhängen; die TdB bestehen aus einer Abfolge von Deduk-
tionen. Die einzelnen Abschnitte der TdB stehen nicht nebeneinander,
sondern im jeweils folgenden wird die Funktion dessen bestimmt, was im
vorigen Abschnitt dargelegt worden ist.
Für den kurzen Überblick auf diese Deduktionsstruktur in den
TdB soll die Fassung aus dem WS 1811/12, d. h. die zweite erhaltene
Fassung, verwendet werden, speziell die Kollegnachschrift von Cauer, die
den Argumentationsgang am prägnantesten zusammenfaßt.15
Ausgangspunkt ist die Analyse der äußeren Wahrnehmung mittels
Beobachtung der Sinnesaffektion und mittels eines geistigen, Experi-
ments, das das Vermögen der Vorstellung von räumlicher Ausdehnung
zeigt. Von der Rekonstruktion der äußeren Wahrnehmung geht Fichte
über zur inneren Wahrnehmung, die er als notwendige Bedingung für die
Erkenntnisleistung der äußeren Wahrnehmung ausweist. Das theoretische
Vermögen steht insgesamt in einem spezifischen Verhältnis zum prakti-
schen.
So beginnt der Teil, in dem die praktischen Wissensmomente ab-
gehandelt werden, mit dem Nachweis, daß das Gesamt der theoretischen
Bewußtseinsmomente unter der Zweckbestimmung des Praktischen
stehen. Daran schließt sich an der Nachweis der realen Handlungsmög-
lichkeiten (d. h. es »müßte das Ich gesetzt werden können als reales
Princip.«16) Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der praktischen Be-

15 Auch wenn die Fassungen der TdB der Grundstruktur nach gleich sind, gibt es
doch beachtliche Unterschiede. So wird in den TdB 1810/11 das Problem der Individualität bzw.
der Individuation sehr eingehend behandelt. Die TdB 1813 setzen nicht voraussetzungslos an,
sondern knüpfen unmittelbar an die vorausgegangenen Vorlesungen der TL II an und richten sich
an Hörer, denen der transzendentale Standpunkt bereits vertraut ist.
16 TdB 1811, Cauer, 44.
210 Hans Georg von Manz

stimmung der Natur bzw. der Materie einschließlich der Ableitung von
apriorischen Anschauungsformen der Materie. Die Reflexion auf das
Verhältnis vom Ich als praktischem Vermögen und der Materie führt zur
Deduktion der Materialität und Leiblichkeit (in seiner spezifischen Struk-
tur als organisierter, artikulierter Leib) des Ich. Über die Darlegung der
Selbstbestimmung in ihrer formalen Struktur als Anschauung eines Über-
gangs des einen Zustandes des Ich zum entgegengesetzten und den impli-
zierten Zweckbegriff findet sich ein Verweis auf ein (nicht faktisches)
Gesetz, »das formaler und materialer Grund des Wirkens«17 ist, auf das
Praktische schlechthin. Bevor auf dieses höhere Gesetz eingegangen
werden kann, wird die Frage, wie das Ich faktisches Prinzip sein kann,
beantwortet mit einer Deduktion des Handelns als Übergang des Begriffs
zur Anschauung in der Zeit.
Der Übergang zum »höheren Bewußtsein«18 geschieht durch den
Nachweis, daß alle bisher aufgewiesenen Strukturen des Wissens sich als
Bedingtes darstellen, als Möglichkeitsbedingung für eine »höhere An-
schauung«, die »das ursprüngliche Bild des wahren Seins ohne alle Ge-
stalt« ist, oder wie Fichte es mit dem von ihm geprägten speziellen Termi-
nus bezeichnet: »Das reine, allein Realität ausdrückende, Gesicht.«19 Die
Schnittstelle, an der das faktische Wissen und das höhere Wissen (vom
wahren Sein) zur Anschauung kommen, ist das Ich.20 Gerade im Übergang
von der niederen Anschauung, im Sich-Losreißen von ihr, und dem Sich-
Richten auf die höhere Anschaung besteht das Wesen des Ich, da es sich
in diesem Akt des Übergangs seiner selbst bewußt wird.21 Für das Ich
erscheint das wahre Sein als Soll, als unbedingte Forderung.22 Und so »ist
die Frage beantwortet, wie das Absolute sichtbar werden könne – nämlich
im Handeln nach dem absoluten Gesetze.«23 Auf diese Weise ist das Ich
der Form nach eingesehen. Für die Wirklichkeit muß es als faktisches, als
mannigfaltiges erscheinen, es muß sich also in eine Vielzahl von Individu-

17 TdB 1811, Cauer, 50.


18 TdB 1811, Cauer, 59/60 (37).
19 TdB 1811, Cauer, 62 (38).
20 »Der Vereinigungspunkt zwischen beiden [der niederen und der höheren An-
schauung] ist das Ich.« (TdB 1811, Cauer, 61).
21 »Das Ich ist factisches Princip der neuen Anschauung im Losreißen, und wird sich
als solches bewußt« (TdB 1811, Cauer, 62).
22 »Jene höhere Anschauung ist im Zusammenhange ein Soll für das Ich. = prakti-
sches Gesetz« (TdB, Cauer, 63).
23 TdB 1811, Cauer, 64 (40).
Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« 211

en verzweigen, »welche mit Freiheit und unendlichen Vermögen auf die


Anschauungswelt einzuwirken begabt sind.«24
Mit der Erkenntnis, wie sich das »Wesen« des absoluten Seins
oder »Gottes« ausdrückt,25 nämlich im Handeln nach dem (unbedingten)
Gesetz, ist die größtmögliche Annäherung in diesem Gedankengang der
TdB an das Absolute, das reine Sein erreicht.
Anhand dieses kurzen Abrisses über die TdB von 1811 dürfte das
deduktive Verfahren als das bestimmende Moment des Gesamtduktus
deutlich geworden sein. Fichte selbst verwendet, darf man den Kolleg-
nachschriften trauen, an mehreren Stellen selbst das Wort »Deduktion«26
oder Ableitung. Entscheidend ist die durchgängige Argumen-
tationsstruktur, in der Fichte entweder die Möglichkeitsbedingungen eines
Wissensmomentes aufsucht27 oder von Wissensmomenten nachweist, daß
sie nur als Möglichkeitsbedingung von einem »höheren« Wissensmoment
zu verstehen sind.
Die Staffelung der Bedingungsmomente bezieht sich nicht nur auf
Einzelanalysen, etwa der Deduktion der apriorischen Bestimmungen der
Materie, der Bestimmung des Leibes oder der Individuen und ihrer Mehr-
zahl; sie ist vielmehr das systembildende und einheitsstiftende Moment des
Wissens überhaupt; und nach ihr ist auch die Vorlesung gegliedert. Im
Verlauf der Vorlesung, als Fichte die Funktion der »Intelligibilität des
Ich« aufgezeigt hat, gibt er einen prägnanten Überblick, wie ein Moment
mit dem anderen zusammenhängt:

»Somit ist ein neuer Zusammenhang des Wissens.[:]


Die Welt ist nichts denn die Anschaubarkeit des Ich. Die Anschau-
ung des Ich ist wiederum nichts als die Intelligibilität des Ich und
das ganze System ist gefordert dadurch, daß das Seyn sich an-
schauet, von welchem wir dermalen als dem höchsten ausgehen.
Das ganze System des Wissens von dem Satz an: Ich bin[,] ist her-
abgesetzt zur Bedingung des höhern Wissens bloß als Bild des Ich.
Diese ganze Region des Wissens nennen wir niederes Wissen und
die andere höheres als Bedingendes.«28

24 TdB 1811, Cauer, 68.


25 TdB 1811, Cauer, 69.
26 Z. B. TdB 1811, Halle, 72; StA-2, 345, TdB 1811, Halle, 94; StA-2, 367.
27 TdB 1810, 53; StA-1, 267.
28 TdB 1811 Halle, 108, StA-2, 379, Hervorhebung v. M.; vgl. auch die Ausführung
zum »Verhältnis der höhern Anschauung zur niedern«, TdB 1811, Cauer, 63 (RZ 39) oder die
»Uebersicht über das Wissen« TdB 1811, Cauer, 66f. (RZ 42).
212 Hans Georg von Manz

Indem Fichte konsequent versucht, alle Wissenselemente in Bedingungs-


bzw. Implikationsverhältnisse einzubetten, ist die Darstellung der TdB ein
Lehrbeispiel der durchgängigen Anwendung des transzendentalen Ansat-
zes.29 Eine entscheidende Folge davon ist (u. a.), daß die theoretischen und
praktischen Momente der Wissens- bzw. Bewußtseinsstruktur nicht
unverbunden nebeneinander stehen, sondern in ihrem Wechsel- bzw.
Bedingungsverhältnis aus einer Einheit begriffen sind.

2.2 Das Verhältnis der »Tatsachen des Bewußtseins« zur Wissenschafts-


lehre

In welchem Verhältnis steht nun der Gang der TdB zu dem der Wissen-
schaftslehre? Fichte endet die Darstellung der TdB mit einer dafür erhel-
lenden Bemerkung; sie lautet in Schopenhauers Nachschrift:

»Das Wißen ist die Erscheinung des Seyns[,] die sich selbst er-
scheint. Mit diesem Saz endigt der Vortrag der Thatsachen des
Bewußtseyns, und mit demselben hebt die Wißenschaftslehre an,
welche den selben Weg rückwärts zurücklegt.«30

In der Halleschen Nachschrift heißt es:

»So wie die Darstellung der Thatsachen anhob von der Beobach-
tung und sich von dieser zu dem Gesetz erhob und so fort bis zu
dem höchsten Grundgesetz des Wissens; so verfährt in umgekehr-
ter Rücksicht die Wissenschaftslehre, die da schließt in dem ge-
sammten Kreise der nothwendigen Phänomene.«31

Die TdB und Wissenschaftslehre gehen also denselben Weg, die TdB in
der einen Richtung, die Wissenschaftslehre in der anderen. Man kann auch
von einem Aufstieg von unten zum höchsten Prinzip und von einem
Abstieg von dort aus sprechen. In den TdB von 1810 verwendet Fichte
selbst den Ausdruck »aufsteigende Reihe«: »Das Leben muß angeschaut
werden, damit das Sittengesetz angeschaut werden könne, und das Sitten-
gesetz muß angeschaut werden, damit das absolute angeschaut werden

29 Diese Erkenntnis ist von Bedeutung für die spätere Frage nach der WL, ob diese
in der späten Zeit noch durchgängig transzendental sei.
30 TdB 1811, Schopenhauer, Bl. 41r, Hervorhebung v. M..
31 TdB 1811 Halle, 122f.; StA-2, 391, Hervorhebung v. M..
Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« 213

könne: dies wäre die aufsteigende Reihe unserer Betrachtung.«32 Auch in


der Wissenschaftslehre von 1812 findet sich anläßlich der Frage, wie das
Wesen des Blicks und der Reflexibilität bestimmt werden könnte, eine
methodische Bemerkung, die den Gang der TdB als Aufsteigen bezeichnet
und deren Methodik als Gang von niedereren Gesetzlichkeiten zu höheren
näher charakterisiert:

»Ich könnte auf diese [die ganz gewöhnliche Wahrnehmung] ... die
freie Reflexion schildern; und es würde ein aufsteigen des Bewußt-
seyns sich darlegen, so ohngefähr, wie wir dasselbe in den Thatsa-
chen des Bewußtseyns auch gehabt haben (freilich immer mit einer
andern GrundAnsicht). Auf diese Weise würde ich die untergeord-
neten Gesetze erst hinstellen, u. durch sie mich zu den höhern er-
heben.«33

Der Gang der Wissenschaftslehre hingegen ist ein Herabsteigen vom


höchsten Prinzip bzw. Gesetz aus. So heißt es in der WL 1810: »[Wir
haben ein] Aufsteigen zur W.L.[; ein] Herabsteigen in ihr«34. Die Entfal-
tung der Prinzipien wird vollzogen »in ihrer herabgehenden Reihe...:
Seyn, Soll, Als.«35.
Nun ist die Methode des Aufstiegs zum höchsten Prinzip und des Abstiegs
von diesem aus hinlänglich bekannt als leitendes Verfahren in früheren
Darstellungen der Wissenschaftslehre. So heißt es in der Wissenschafts-
lehre nova methodo im § 14 – und dies klingt wie die letzten Sätze aus den
TdB von 1811: »Bis in den vor[igen] § stiegen wir von unten herauf zum
intelligiblen, jetzt ist der Weg umgekehrt[.]«36
In der WL-NM benennt Fichte auch die zwei Teile des Systems
der Wissenschaftslehre; der eine Teil geht »bis dahin wo gezeigt wurde[,]
reiner Wille ist das wahre Object des Bewustseins ... Von da gieng der
andere Theil an[;] wir construiren nun würklich.« Ebenso wie in den TdB
wurde auch dort als Ausgangspunkt die Wahrnehmung gekennzeichnet,
von der dann nachgewiesen wird, daß sie in Abhängigkeit steht von einem
praktischen Vermögen: »Anfangs hatten wir bloße Erkenntnis als Aus-

32 TdB 1810, 169; StA-1, 35., Hervorhebung v. M..


33 WL 1812, GA II/13, 110; SW X, 401, Hervorhebung v. M..
34 WL 1810, Bl. 52v, StA-1, 147, Hervorhebung v. M..
35 WL 1811, Bl. 33v; StA-2, 152. – Vgl. a. Fichte bei der Betrachtung des Gesetzes
der Reflexibilität: »Durch dieses Gesez der Reflexibilität ist aber die Projektion bestimmt; sie
muß darum in absteigender Reihe ein solches Bildersystem ... projiciren.« (WL 1812, Kap. III,
GA II/13, 98; SW X, 386f., Hervorhebung v. M.).
36 WL-NM (Krause), 161 (GA IV/2, 157).
214 Hans Georg von Manz

gangspunct des Bewustseins, dann sezten wir hinzu daß diese nicht ohne
ein Wollen möglich sei«37. Eine analoge Aufteilung in Aufstieg »von
faktischen Gliedern«38 bis hin zum höchsten Prinzip (14.–15. Vortrag),
von wo aus absteigend eine genetische Entfaltung möglich ist, bildet die
Grundstruktur des 2. Vortrags der Wissenschaftslehre von 1804.
Aus all dem dürfte ersichtlich sein, daß die TdB für die jeweils
daran anschließende Durchführung der Wissenschaftslehre die gleiche
Funktion erfüllen wie die reduktiv-aufsteigenden Teile früherer Wissen-
schaftslehren. Aufstieg und Abstieg bilden eine Einheit und beide müssen
zusammen gesehen werden.
Tatsächlich hat Fichte jedoch beide Teile in getrennten Darstel-
lungen behandelt und nicht innerhalb einer durchgängigen wie früher.
Was ist der Grund dafür?
Es ist sicherlich kein äußerlicher Grund, etwa, daß Fichte die
Wissenschaftslehre unter einer Ankündigung nicht über mehrere Semester
hinweg lesen wollte; vielmehr scheinen es sachliche Überlegungen zu
sein, die eine getrennte Darstellung sinnvoll machten. Man kann hier zwei
Aspekte anführen, einen inhaltlichen, und einen, der die Art der Darstel-
lung betrifft.
Der Gang der Wissenschaftslehre hat entscheidendes mehr zu lei-
sten als einfach denselben Weg der TdB rückwärts zu gehen. Es geht nicht
nur um die Deduktion aller notwendigen (apriorischen) Wissensmomente
aus dem höchsten Prinzip, sondern es geht – und dies ist ausschlaggebend
– um die Rechtfertigung des Prinzips der Entfaltung.
Die Hallesche Nachschrift der TdB von 1811 endete, wie bereits
zitiert: Die Wissenschaftslehre »gehet aus von einem [/] eigentlich a
priorischen Begriff des Wissens, aus von einem Begriff der da eben ist,
und welchen die Wissenschaftslehre auch zu rechtfertigen hat«.39 Auch
die ausführlicheren TdB von 1810 enden mit einem Ausblick, was die
Wissenschaftslehre zu leisten habe. Am Ende der TdB und am Anfang der
Wissenschaftslehre steht die Einsicht, daß das Wissen als Erscheinung des
reinen Seins aufzufassen ist und sein Gegenstand nur die Erscheinung des
reinen Seins sein kann.

»Nur kommt dieser einzig mögliche Gegenstand des Wissens [das


Eine Seyn, das da wahrhaft ist, Gott] im wirklichen Wissen nie-
mals rein vor, sondern immer gebrochen an insgesammt nothwen-

37 WL-NM (Krause), 179 (GA IV/2, 178).


38 WL 1804-II, SW X, 128.
39 TdB 1811 Halle, 122f.; StA-2, 391, Hervorhebung v. M.
Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« 215

digen, und in ihrer Nothwendigkeit nachzuweisenden Formen des


Wissens. Die Nachweisung der Nothwendigkeit dieser Formen ist
eben die Philosophie, oder die Wissenschaftslehre.« 40

Die entscheidende Aufgabe für die Wissenschaftslehre ist nun (d. h. ab


1805) Phänomenologie, d. h. die Ausfaltung der Prinzipien und Formen
der Erscheinung in ihrer sich selbst rechtfertigenden Genesis zu begreifen.
Mit dieser Verschiebung der Aufgabe der Wissenschaftslehre,
sich nun gänzlich der genetischen Durchdringung zu widmen, hängt auch
der Unterschied in der Art der Darstellung zusammen.
Die Fassungen der TdB folgen mehr oder weniger dem gleichen,
relativ leicht nachvollziehbaren Aufbau (Ausnahme sind nur die TdB von
1813, denen die Vorlesungen der »Transzendentalen Logik« vorangehen,
und die daran anschließen). Auch ihre Diktion ist so gewählt, daß ein
Anknüpfen an Sprachformen anderer Philosophen, etwa der Kants, ohne
größere Schwierigkeiten möglich ist.
Anders hingegen die Darstellung der Wissenschaftslehre. In dem
Bemühen um die Einsicht in das höchste Prinzip, die Rechtfertigung
seiner Entfaltung und die daraus sich ergebenden geistigen Strukturen geht
es um die Erzeugung einer Evidenz, die sich einer eindeutigen sprach-
lichen Erfassung prinzipiell entzieht. Daher spielt die Art der sprachlichen
Annäherungsweise eine wesentlich größere Rolle. Zwar fordert Fichte
auch in den Vorlesungen der TdB den Hörer zum aktiven geistigen Mit-
vollzug auf; doch in der Wissenschaftslehre ist dieser geistige Mitvollzug
geradezu unerläßlich. Fichtes Ziel ist es, daß der Hörer die Einsichten
völlig selbständig, ganz in seinen je eigenen Denk- und Sprachvollzügen
für sich rekonstruieren kann, unabhängig von seinen, Fichtes, sprachlichen
Vorgaben. Die unterschiedlichen Neuansätze der Darstellungsweise der
Wissenschaftslehre sind auch vor diesem Hintergrund des Ringens um die
Befreiung von der Sprache, von einer festen Terminologie, zu verstehen.
(Dies gilt zunächst und in erster Linie für Fichte selbst als dann auch für
seine Hörer.)41

40 TdB 1810, 209; StA-1, 390.


41 Vgl. zur Problematik der sprachlichen Darstellung der Wissenschaftslehre
M. Siegels Beitrag: »Die Einforderung eines lebendigen Sprachvollzugs als Kennzeichen der
späten Texte Fichtes«.
216 Hans Georg von Manz

3. Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« in ihrem Ungleichge-


wicht zur Wissenschaftslehre

Auch ohne die Kenntnis der Struktur des Wissens, wie sie die TdB liefern,
wäre die entscheidende Nachkonstruktion des Wissens möglich:

»Gesetzt es träte Jemand ohne diese faktische Kenntniß [durch die


TdB] in die W.-L. ein, und sähe das Wissen hervorgehen aus sei-
nem Grunde; so bekäme er dennoch das gesammte Wissen, und das
Wissen von dem gesammten Wissen, als ein aus dem Princip her-
vorgehendes: denn in der genetischen Einsicht liegt Alles«.42

Wie ist nun – angesichts dieser gewichtigeren Rolle der Wissenschafts-


lehre – das Verhältnis von den TdB zur Wissenschaftslehre zu bewerten?
Die TdB erheben von ihrem Gehalt und ihrem deduktiven Vorge-
hen aus den Anspruch, die Struktur des Wissens in seiner systematischen
Gesamtheit darzustellen. (Man muß hier auch noch die beiden Vorlesun-
gen der »Transzendentalen Logik« im Durchgang von 1812/13 dazurech-
nen). Da in der absteigenden Entfaltung aus der genetischen Einsicht in
das erste Prinzip alle Wissensmomente wieder erreicht werden müssen, ist
der Wissenschaftslehre mit dem Schema, das die TdB liefern, ein Zielho-
rizont abgesteckt. Für die rechtfertigende und konstruierende Tätigkeit des
Vollzugs der Wissenschaftslehre ist die (wenn auch provisorische) Kennt-
nis der wesentlichen Wissensmomente und deren Ort im System des
Wissens die entscheidende Orientierungshilfe.
Die TdB (und die »Transzendentale Logik«) liefern – zumindest
faktisch, d. h. noch nicht genetisch gerechtfertigt – Bereiche von Wis-
sensmomenten, deren Deduktion in der anschließenden Wissen-
schaftslehre (noch) nicht dargestellt ist. Der zum selbständigen, freien und
schöpferischen Denken43 avancierte Mitvollzieher der Wissenschaftslehre
wird jedoch in der Lage sein, auch für diese Wissensmomente die fehlen-
den genetischen Konstruktionen zu bilden.
Die parallele Lektüre von Wissenschaftslehre und TdB erlaubt
den Vergleich der analogen Punkte des Aufstiegs und des Abstiegs und
der Methode, wie diese Punkte erreicht werden, einmal als Erschließung
des höheren Gesetzes vom niederen aus – in den TdB – , das andere Mal
als Deduktion vom höchsten Prinzip zu niedereren Gesetzen – in der
Wissenschaftslehre. Dieser Vergleich liefert damit für das jeweilige

42 TdB 1813, SW IX, 404.


43 WL 1810 i. U., VI, StA-1, 180.
Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« 217

Verfahren die entsprechende Gegenprobe. Auf diese Weise stellt die


einheitliche Lesart von TdB und Wissenschaftslehre ein nicht zu unter-
schätzendes Instrument dar für die Einlösung der Problematizität44 der
Anfangsvoraussetzung der Wissenschaftslehre und deren Überführung in
kategorische Geltung (– letztlich durch die sich einstellende Evidenz).

44 Zur Frage der hypothetisch gesetzten Anfangsvoraussetzung in den späten


Darstellungen der Wissenschaftslehre vgl. etwa Ciria, A.: Die Problematizität des Wissens in J.G.
Fichtes Wissenschaftslehre 1811. Fichte-Studien 15, 1999, 105–118.
Sacramentalizing the World: On Fichte’s
Wissenschaftslehre of 1810

George di Giovanni (Montreal)

0. Fichte is a unique philosopher in many ways, not in the least because of


his dedication to a new philosophical rhetoric.1 His efforts in this field
during the Jena period have been abundantly documented by his most
recent biographer, mostly with reference to Fichte’s early attempts at
popularizing the Wissenschaftslehre and in the context of his controversies
with Goethe and Schiller.2 Such efforts were motivated throughout by the
desire to establish an educated public ethically inclined to accept Fichte’s
philosophical message. And they did not in any way abate during Fichte’s
subsequent professional life in Berlin. The group of writings on which this
paper is based, all produced in Berlin around 1810, are interspersed with
repeated mentions of die Kunst der Philosophie (›the art of philosophi-

1 This essay is a much revised version of a paper originally delivered at the


Kongreß der Internationalen J.-G.-Fichte-Gesellschaft vom 14. – 18. Oktober 2003 in München.
The revisions were made in response to the interventions from the audience (for which the author
is grateful) and also in view of much that the author learned from other contributions. In this
respect, since the revisions are themselves a product of the Congress activities, the paper still
represents one of its ›Minutes‹.
2 Anthony J. La Vopa, Fichte: The Self and the Calling of Philosophy, 1762–1799
(Cambridge 2001). The theme is stated on 9–11, and then developed throughout. See especially
the very interesting section on 284–294.
220 George di Giovanni

zing‹) and self-conscious references to Fichte’s own skills at the art.3 I am


referring to the WL of 1810, the WL im Umriß (1810), and Die That-
sachen des Bewußtseyns (1810–1811).4 I shall argue in this paper that
Fichte’s preoccupation with rhetoric was not accidental to his philosophy.
The success of the WL depends at the end on precisely the persuasive
force of its rhetoric.
This is a very broad thesis, but I shall approach it along a very
narrow line of argumentation. The WL is a detailed reproduction in the
medium of reflective concepts of phenomenologically ascertainable facts
of consciousness. It explains these facts, not causally, but in the classical
sense of defining them, i.e. of clarifying them by way of conceptual
exposition.5 Yet, despite Fichte’s tightly knit chains of deductions, which
really amount to analyses of all that is entailed in making such or such a
claim about the composition of a supposed fact of consciousness, the
whole course of the WL depends on two metaphors that resist conceptual
reduction. These are the metaphor of ›God as life‹ and of ›the life of God
within us‹. Though Fichte might think otherwise, these are metaphors.
And, although metaphors are no doubt acceptable and even necessary in
any discourse, if a philosophical system must ultimately rely on them for
closure, this alone ensures that it will have to rely on the force of rhetoric
to command conviction. This, I want to claim, is the case with Fichte’s
WL. At the root of the problem is a concept of ›appearance‹ (Erscheinung)
that entails an irreducibly ineffable factor for its determination.6 The result
is that the universe of appearances which Fichte painstakingly reconstructs
in the medium of reflective conceptualization, though intended as self-
contained, still takes on the character of being a token or deputy (Ver-

3 Cf. Unterscheidung des Gefühls von der Erkenntnis, GA II/11, 268f; WL-1810,
GA II/11, 309.5, 311.13f.
4 The text of the WL-1810 and of the Tatsachen are to be found in GA II/11; that of
the Wissenschaftslehre im Umriß in SW II. There is an English translation of this last text as well
as of the Tatsachen. ›The Science of Knowledge in its General Outline‹, tr. E. Walter. Idealistic
Studies, 1976, 106–117; ›The Facts of Consciousness‹, tr. A. E. Kröger, The Journal of Specula-
tive Philosophy, 5 (1871), 53–60, 130–143, 226–231, 338–349; 6 (1872), 42–52, 120–125, 332–
340; 7 (1873), 36–42; 17 (1883), 130–141; 263–283; 18 (1884), 47–71, 152–161. For the origin
and the transmission of the texts, see the editorial notes in GA. Unless otherwise specified, any
English translation in this essay is my own.
5 Cf. WL-1810, GA II/11, 360.29–361.16. The category of causality is itself
introduced within this process of exposition, ibid. 361.35–362.5.
6 Of course, psychologically speaking Fichte’s concept of ›appearance‹ may well
have been conditioned by some personal, highly subjective sense of the ›ineffable‹.
Sacramentalizing the World: On Fichte’s WL of 1810 221

treter) of a supposed transcendent divine life.7 Fichte, who in crucial


respects was a post-modern ahead of the times, thus ends up reattaching
his WL to the theme of reality as sacrament that motivated much of classi-
cal Christian metaphysics. Fichte himself was not sympathetic to historical
learning, which he found even morally suspect.8 Spinoza and Kant were
his only mentors,9 and they too were found wanting. Yet his idealism
remained infected with the dogmatism of a Spinoza.10 This is the point
that I now want to develop.

1. First, we must be clear about the fundamental premise that drives


Fichte’s idealism. It is really a logical extension of Kant’s crititical prem-
ise. To put it in words more amenable to modern discourse, it amounts to a
claim that the world of meaning, the same which classical metaphysic
projected into the mind of God and found reflected in the physical cosmos,
is in fact a product of the mind. It is constituted. Moreover, as so consti-
tuted, it stands on its own as a self-contained intentional life, independent
of any antecedent it might have had in natural being, as if a leap had
occurred creating an irreducible hiatus between it and the supposed ante-
cedent. Phenomena refer, first and foremost, only to themselves. This does
not mean that the supposed antecedent is not in some sense real, or that the
relation that the world of intentional phenomena might still bear to it is not
problematic. The point is rather that, whatever this reality might be in
itself (assuming that it has an ›in itself‹), it has standing within the uni-
verse of meaning only to the extent that it has already been informed as an
element internal to the structure of this universe. Its relation to the latter
has therefore become itself a problem internal to it. The main tenet of
idealism, as Fichte insists, is that the relating of phenomenal world and

7 The main difference between this version of the present paper and the one
originally presented at the Fichte-Kongress is that in the latter I was more inclined to give the WL
the benefit of the doubt. I left it open whether the success of the WL necessarily hangs on
metaphor.
8 Cf. WL-1810, GA II/11, 306.9–17.
9 WL-1810, GA II/11, 305.21. ›waren Ausnahmen‹ is added editorially in the
Studientexte edition of the work. Die Späten wissenschaftlichen Vorlesungen I: 1809–1811 (Hrsg.
von Hans Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani. Stuttgart-Bad
Cannstatt, 2000), SWV-1, 49.
10 Fichte reproached Kant himself of dogmatism. He does so in several contexts, but
most incisively because Kant made of God an idea dependent on the need for happiness. Accord-
ing to Fichte, Kant thus reattached himself to the dogmatic tradition of eudemonism. Cf. WL-
1800, GA II/11, 333.25–335.5.
222 George di Giovanni

external being has to be done phenomenally, from within the context of


meaningful intentions.11 It is the task, precisely, of the Wissenschaftslehre.

1.1. To repeat the point in perhaps a too brief but by no means inaccurate
form, this is to say that for Fichte experience is throughout conceptual.
There is no experience without conceptualization being already at work.
Three consequences follow, all duly noted by Fichte. The first has to do
with method. If it is the case that the human universe of being is not
ready-made but construed through conceptual acts, it follows that the task
of philosophy cannot be to explain given objects on the basis of their
content as beings but to investigate, rather, how they have come to assume
the meaning they carry simply as given. Philosophy is thus the re-
constitution in the medium of reflective thought of an original process of
objective constitution which it assumes has already taken place at a more
immediate level of experience. And it will succeed in validating its own
reflective work only to the extent that it demonstrates that this work is a
late development of the presupposed prior process of constitution – one
that brings it to conclusion. In other words, philosophy attains its end
when it succeeds in regaining in the medium of its own reflection the
immediacy of lived experience, though with a clarity that was not there
before. To bring experience to such a reflective closure by way of reflec-
tion on its own reflectivity is precisely the task of the Wissen-
schaftslehre.12

1.2. I have just spoken of an original, pre-reflective level of experience.


›Pre-reflective‹ must be understood here in a relative sense, since on
Fichte’s pre-mise experience is essentially reflective throughout. Now, as
they first appear in experience, objects all exhibit the character of mere
›facts‹. They are just there, contingent in the sense that they might well
have been otherwise, yet by the same token equally necessary, for their
actual presence is ineluctable. They have nothing to vouch for it except
their just being irreducibly there. ›Facticity‹ (›Faktizität‹) thus appears as
itself the first and most immediate fact of experience. On reflection,

11 An early statement of this thesis, but still the clearest, is to be found in the so
called Second Introduction to the WL of 1797. Zweite Einleitung in der Wissenschaftslehre
(1797). GA I/4, 499. English tr. Breazeale, Daniel, J.G. Fichte, Introduction to the Wissenschaft-
slehre and Other Writings (Indianapolis 1994), 84–5.
12 A key passage in this context is WL-1810, GA II/11, 345.32–346.3. Cf.: ›I say:
the W.L. is as thinking the reflection on reflectivity itself: their unity‹. The whole indicated text,
and the context, are important.
Sacramentalizing the World: On Fichte’s WL of 1810 223

however, it turns out otherwise. For ›facticity‹ is hardly a characteristic


that attaches to objects naturally. Their simply being there, presumably
carrying an explanation for their presence which remains however hidden
to a viewer, presupposes that they have already been introduced into a
mental space of conceptual possibilities, in the context of which their not
being there, or their being there otherwise, is itself a possibility. In other
words, though it appears as an irreducible starting point of experience,
›facticity‹ is in fact already constituted. It is a ›fact‹ in the sense of ›fac-
tum‹. And this follows as a second consequence of Fichte’s original thesis.
For if experience is throughout conceptual, and even apparently immedi-
ate objects are constituted, then every experience is an achievement. It
carries with it a past performance that needs recovery.13 Experience
necessarily starts in medias res, and the task it thereby poses for anyone
engaged in it is always one of orientation and recovery. The orientation is
in the ›things‹ within which one thus happens to find oneself, and the
recovery is of the already produced but still unspoken performance that
holds these things together and thereby invests them with meaning.

1.3. I am saying, in other words, that for Fichte the underlying and, before
the culture of the WL sets in, the still unspoken interest motivating objec-
tive reflection is the reflection on a prior object-constituting reflection. All
knowledge is self-knowledge.14 There is however no ›subjectivism‹
implied here, for any presupposed ›subject‹ must itself fall within the
universe of meaning and therefore be just as constituted as the objects that
also fall within it. It stands there as the phenomenally determined counter-
part of precisely these objects. Object-constitution proceeds pari-passu
with self-constitution. This is the third consequence that follows from
Fichte’s premise. It applies to any ›subject‹ whatsoever, whether under-
stood in some more or less qualified empirical sense or in Kant’s sense of
a transcendental ›I‹. There is no such thing according to Fichte as a ready-
made subject that presides over experience, shaping it deliberately accord-
ing to pre-determined ends.15 Freedom (for it is also as ›freedom‹ that
Fichte characterizes the event that sets intentional life in motion and
causes its breach from being) – freedom is originally a kind of anonymous
behaviour. ›The subject‹ or ›subjectivity in general‹ are derived phenom-

13 I am interpreting WL-1800, GA II/11, 366.9–16; 367.23–368.23. Fichte is


especially concerned here with the facticity of sense-intuition.
14 WL-1800, GA II/11: 313.15–26.
15 Cf. WL-1800, GA II/11, 313.28–314.15. Fichte denies the reality of any soul
distinct from the body; the ›I‹ is an abstraction, a product of reason. Tatsachen, GA II/12, 75.
224 George di Giovanni

ena16 reflectively constituted through a process which, though reflective in


principle, is originally impersonal. It is a kind of spontaneous doing in
general with no particular end in view. It is a consciousness without ›self‹
à la Sartre, one is tempted to say. This is the feature of the idealism of the
WL for which Fichte especially deserves the title of proto post-modern
man. It is a feature that was already present in the earliest versions of the
Wissenschaftslehre, but the language of the ›I‹ and ›not-I‹ used there
tended to obscure it. In the language of 1810, it comes through with
unimpeachable clarity. The imagery of ›life‹ and ›life force‹ to which
Fichte now appeals is meant to remedy precisely that earlier rhetorical
flaw. The question is how, or whether, Fichte controls it conceptually.

2. The WL – 1800 starts with a concept of ›appearance‹ (Erscheinung)


which Fichte then takes as the basis for his construction of the most
general conceptual schemata defining the universe of appearances.17 The
construction is by means of postulates. Why this is the case, and why it
has to be the construction of ›schemata‹, will emerge in due time. In
Tatsachen, the strategy is different. There Fichte begins with what is
normally assumed to be the simplest form of conscious life, namely ›sense
intuition‹;18 but then, in an attempt to explicate all that goes into this
presumed immediate form, he proceeds to introduce other apparently more
complex facts of consciousness, methodically demonstrating at each step
that these other facts, normally assumed to be simply there, are in truth
variations on one generalized attempt at objective reflection, each varia-
tion systematically implicating all the rest. The originally presumed
simple ›sense intituition‹ is itself a product – the immediate precipitate,19

16 A key text in this regard is in WL-1800: ›A system would have to proceed from
the »I« as factum, through an absolute postulate: as absolute fact. Mind you, in the course of the
reflection on this factual »I« it would result now [that this »I« is itself a derivative]. It must result;
it’s in the fact. [This absolute fact is] the highest fact of consciousness‹. GA II/11, 360.29–32.
The glosses in square brackets are added in SWV-1, 130.
17 This is the opening note: ›[...] It is posited: there is an appearance of what is
simply there, how would this have to be[?] NB[:] of itself, through itself, from itself. = A.
Appearance. GA II/11, 293.2–4. SWV-1, 29.
18 ›The task is to analyse in its constituent parts the fact, well known to us all, of this
perception in general. [...] I claim that the following is to be found in consciousness: 1) An
affection of the outer sense...‹ Tatsachen, GA II/12, 21.29–32. The other facts are introduced
systematically until a full picture of the life of the mind is developed.
19 Fichte’s word is ›Concretion‹. Cf. WL-1800, GA II/11, 368.24–369.2. Fichte
applies the term to the objectifying intuition that constitutes knowledge in any of its forms. Ibid.,
311.15–28.
Sacramentalizing the World: On Fichte’s WL of 1810 225

so to speak, of a whole system of attempts at reflection.20 In WL – 1800,


›sensibility‹ is introduced instead only at the end, by way of conclusion.21
In both texts, however, whether Fichte begins with the concept of ›appear-
ance‹ or with the fact of sensibility, the WL comes to a resolution only
when the ›facticity‹ that qualifies experience throughout is shown to be a
derived product. As Fichte puts it, ›Wenn wir bis zur Erklärung dieser
Fakticität selbst uns emporschwingen werden, dann werden wir vollendet
haben‹.22 The illusion of solidity that the world of being as delivered by
the senses conveys,23 the fascination that such a world thus holds for the
unwary observer,24 is thereby dispelled.
I now turn to Fichte’s analysis of the concept of ›appearance‹.
Since in experience things appear to consciousness, and the WL is a
science of experience, the concept is a natural starting point. But it is in
the way Fichte analyses it, as we must now see, that he injects in an
otherwise general idealistic thesis the extra element that makes such a
thesis typically Fichtean and characteristically controversial.

3. Spinoza stands behind the analysis.25 Fichte accepts his definition of


God (the Absolute) as Being in itself and by itself (von sich).26 It follows
from the definition that appearance, whatever it might be the ›appearance
of‹, cannot be the appearance of this Being. For if the Absolute truly
appeared in it, then, as Absolute, it would be doubling itself – and this is
impossible. Or again, if it truly appeared in appearance, then the latter, as
the appearing of it, would itself have a claim to being and would therefore
share in a dominion which, by definition, is already exhausted by the
Absolute. In either case, God ceases to be by itself but would instead only

20 Cf. Fichte’s summing up of Tatsachen, one of his clearest statements. GA II/12,


132.20–133.30.
21 The final statement on the subject in WL-1810, so far as I can understand Fichte’s
notes, is in GA II/11, 389.27–390.8. Space is introduced here.
22 ›If we shall bring ourselves to the explanation of this facticity, we shall then have
reached completion.‹ GA II/11, 309.19f. In this particular text, Fichte is referring to the ›facticity‹
of the forms of consciousness he must assume at each stage of his scientific reflection. But that
›facticity‹ is not explained in full until the facticity of sense experience, and of intuition in
general, is explained.
23 Cf. WL-1810, GA II/11, 378.30–31.
24 WL-1810, GA II/11, 354.9–15.
25 And Schelling as well, though for reason of space he will have to be passed over.
Fichte’s criticism of Schelling is especially interesting because it naturally leads to a comparison
between the radically different ways in which Fichte and Hegel respectively distanced themselves
from him. For Fichte’s criticism of Schelling, see GA II/11, 303–305.
26 I am commenting on WL-1810, GA II/11, 293f.. The glosses in SWV-1, (29–31)
are very helpful. Cf. also §§ 1–5 of WL im Umriß.
226 George di Giovanni

have being; that is, ›being‹ would accrue to it only as attribute or mode,
always only in some respect or other, and the condition set by the original
definition would thereby be transgressed. Spinoza was guilty of precisely
this transgression. This is Fichte’s first objection against his mentor.27
According to his analysis of appearance, what appears in appearance is
instead just the ›appearing‹ of appearance – that is, its being whatever it is
only with reference to something else; in effect, its being nothing in itself
except ›only appearance‹,28 i.e. a seeming. On this position alone, accord-
ing to Fichte, can one avoid the paradox of presupposing the Absolute, yet
at the same time reserving ontological space for some other presumably
derived yet still truly being. Appearance is non-being essentially.29 This is
not to say that it does not carry a significant relation to God or the Abso-
lute.30 The point is rather that the latter must remain hidden in it (ver-
borgen).31 It is, if I may gloss, as if appearances carried a secret that
urgently needs revealing but remains veiled precisely in being announced.
Appearances are haunted by being, to borrow again a Sartrian image. And
this, I want to say, is the extra element that defines the idealism typical of
the WL. What specifies the latter is not the claim that objects are present
in consciousness only by way of appearing to it. This is by itself a claim
well in keeping with the general thesis of idealism – namely that objects
exist as such only in relation, in the first instance as ›beings for conscious-
ness‹. If they were present in consciousness in any other way, conscious-
ness itself would lose its intentional form and would thereby lapse into
purely natural existence. All this, I repeat, is in keeping with the funda-
mental thesis of all idealism. The specifically Fichtean extra claim is that
in appearing objects at the same time hide their true being. Appearances
are essentially non-revelatory; they offer a visibility (Anschaulichkeit) that
hides. How this characteristically Fichtean extra element brings us back to

27 According to Fichte, Spinoza’s conception amounts to atheism. Cf. WL-1810, GA


II/11, 294.3f.
28 ›Appearance is, in a special sense, absolutely for itself, namely as appearance and
inasmuch as appearance can be absolute. [...] Its being = only appearance, not the essence itself; is
only insofar and because the essence appears in it. Therefore its proper being is only in opposi-
tion, and with reference to the absolute being. It is itself only this opposition, and this reference...‹
WL-1800, GA II/11, 306.18–25.
29 ›[Being is to be attributed] to no other [God excepted], neither immediately nor
mediately. [...] This is the opposite of dogmatism. This [is also] in the first place its [i.e. the
WL’s] idealism‹. WL-1810, GA II/11, 295.21–24. Glosses in SWV-1, 33; [God excepted] is my
gloss, justified by the context.
30 See the text in the immediately preceding note.
31 Fichte says that God is ›hidden‹ in himself. WL-1800, GA II/11, 294.1810–11.
The supra-sensible world also remains ›hidden‹, 350.14f.
Sacramentalizing the World: On Fichte’s WL of 1810 227

my original thesis will emerge in a moment. But first let me show how it
explains tropes in the WL that would otherwise remain obscure.

4.1. In ›appearance‹, according to Fichte, the Absolute is schematized.


Appearance is the first schema, ›schema primum‹, of God.32 Why this
choice of term, ›schema‹, instead of Spinoza’s ›attribute‹ or ›mode‹? The
obvious first answer is that a ›schema‹ is a product of the mind, an inten-
tional category rather than an ontological one as ›attribute‹ and ›mode‹
would be. And the WL is essentially a science of ›science‹ rather than of
›being‹.33 Even more to the point, however, is that a ›schema‹, just as
›appearance‹ in general as defined by Fichte, is nothing at all in itself
except as the deputy (Vertreter) of something else, in this case the Abso-
lute. Yet, while existing only by way of reference to a transcendent ›be-
yond‹, all that it says about this ›beyond‹ is said in terms and according to
a logic typically its own. A ›schema‹ must abide by its internal rules of
schematization. In ordinary cases, of course, the coordination of ›schema‹
and ›schematized‹ is done by a subject external to both. In Fichte’s ex-
traordinary case, it has to be done however from within the schema itself,
since there is no tertium quid to Absolute and schema. In effect, this
means demonstrating how the hiding of the Absolute in appearance works
itself out in terms of the structure of appearance itself. In appearing,
appearance demonstrates its own nothingness.

4.2. The imagery of ›life‹ becomes important for Fichte for this reason.34
›Life‹ denotes a force in general capable of assuming a number of differ-
ent forms while not identifying necessarily with any. Fichte capitalizes on
precisely the flexibility of this concept to convey the idea of a spontaneous
though originally anonymous activity which at first manifests itself in
such primitive, even natural, phenomena as a ›drive‹ (Trieb) but can then
assume ever more reflective forms until it develops into a fully blown life
of freedom.35 In developing the idea of ›life‹, Fichte is actually fleshing
out the meaning of ›appearance‹. Just as life is constantly transcending

32 WL-1800, GA II/11, 308.6–7.


33 Cf. WL-1810, GA II/11, 307.26–29.
34 It is also important in the context of the tacit dialogue that Fichte is carrying on
with Jacobi on the one hand, and Schelling on the other. The critical editors document this aspect
of Fichte’s WL-1810 in their extensive footnoting to the text.
35 The development of the concept of Trieb is always a turning point in Fichte’s WL.
For the 1810 version, see GA II/11, 359.20–24. ›Drive‹ is the first de facto expression of the force
[Kraft] of life. Inasmuch as there is awareness of it, it is ›feeling‹. ›Feeling‹ is the first, factual
and unexplainable, conscious manifestation of life (its first ›visibility‹).
228 George di Giovanni

itself, being at once not quite all that it can be yet more of what it already
is, so ›appearance‹ is a reflective event that constantly distances itself
from whichever determination it might take on at the moment, infinitely
mirroring itself and therefore infinitely reducing any of its would-be
determinations to just a ›seeming‹. In this sense, inasmuch as its self-
mirroring is infinite, it is a revelatory activity (i.e. a ›mirroring‹) that
however hides (i.e. the mirroring is ultimately of nothing definite). Ap-
pearance is a negative event which however stands by its very negativity.
And in this it imitates God’s freedom. It is just because it is, always
intimating at an explanation which however escapes grasp.36 It therefore
takes a specialized reflection, one that pre-figures the deliberate choice
exercised in fully blown reflective consciousness, in order for the appear-
ing of appearance to assume stable, determinate shapes.37 The perform-
ance of this reflection is itself an appearing; its event, therefore, just as
unpredictable (free) as the fact of appearance. Its product is however
knowledge, and the immediate objects of this knowledge are the schemata
that define the typically human universe of meaning within which we,
human beings, live and operate.38 Such schemata are essential to con-
sciousness. They introduce in the otherwise fluid process of mere appear-
ing the distance between subject and object, and between object and
object, without which well articulated experience would not be possible.
Yet it is important to keep in mind that for Fichte these well defined
entities are but a ›seeming‹. Reflective conceptualization and the schemata
it produces are in fact the death (Tod) of life, its ›Erstorbenheit‹;39 they
are, to use another of Fichte’s metaphors, ›a pause of inner life‹ (Absatz
des innern Lebens).40 The purpose of the WL is precisely to quicken again
the otherwise sclerotized world of common experience by bringing to
explicit consciousness through a schema of its own the reflective process
of schematization that made experience possible in the first place.

36 This is how I can make sense of WL-1810, GA II/11, 364.3–29.


37 Cf. WL-1810, GA II/11, 312.10–15, 20–30.
38 These schemata organize themselves in groups of three that however expand into
groups of five (Fünfachheit). Cf. WL-1810, GA II/11, 314.20–28. In this context, the five
schemata seem to be Appearance, Life, Knowledge, Reflection, Intuition. In the summing up of
Tatsachen, the five schema are God, Appearance (Knowledge), Life, Image of God (Moral
World, Nature), The self-conscious ›I‹ (Finality). GA, II/12, 132–133.
39 This theme is repeated throughout the WL-1810. But note, by way of example,
GA II/11, 308.5; 309.21–25.
40 WL-1810, GA II/11, 308.5–6.
Sacramentalizing the World: On Fichte’s WL of 1810 229

4.3. Here we have in principle the warrant for Fichte’s principal meta-
phors. Appearance in general is a schema of the life of God,41 in the sense
that an appearance’s constant distancing of itself from its appearing, i.e. its
escape from self-revelation, can be taken as an image of the self-
containedness of God’s being which, as self-contained, shuns all light. The
›I‹, for its part, is the proto-image (Urbild) of God himself.42 The self-
initiated reflection by which the ›I‹ sorts out appearances can be taken as
an image of the act of sheer freedom by which the otherwise self-
contained God, in an effort to become conscious, lets itself go as it were,
thereby giving rise to appearances. And the ›I‹ attains its fullness precisely
as an individual ›self‹ only when it recognizes that its inner life is but an
image, a token, of God’s own life. The nurturing of this image within
himself and his society thus becomes the end motivating all his actions.
Finality is thereby introduced in the universe of appearances.43 But again,
the point must be stressed that in all of this the attribution to God of ›life‹
or ›freedom‹ or ›self-revelation‹ is necessarily equivocal. God simply is,
by himself, totally ineffable. To speak of him is in fact to speak of the
structure of appearances; to speak of his ineffability is to speak of their
ineffability. Images of God are in fact schemata of appearances, all de-
vised for the sake of making sense of their appearing. Another objection
that Fichte levels against Spinoza is precisely that he mistook the sche-
mata of the life of God for God himself. He ended up falsifying both God
and life.44

5. There is yet another point to be made. It explains why the WL must


proceed through postulation and will take us back, this time directly, to
my original thesis. Although Fichte shifts quite easily from ›appearance‹
to ›life‹, often using the two almost interchangeably, the fact remains that
›appearance‹ is the more general concept. As Fichte says, ›appearance is
suspended [schwebt] between essence and life‹, i.e. it mediates God and
life.45 Life denotes purpose. It presupposes some goal which, however
unspecified, none the less requires at least a first sketch of determination.
But determination depends on schematization, and the latter rests for its
possibility on appearance. Unlike life, appearance eschews purpose. It is,
on the contrary, an occurrence driven from behind, so to speak. It abol-

41 WL-1810, GA II/11, 320–321.


42 WL-1810, GA II/11, 341.15–23; 349.8.
43 This point is developed most clearly in Tatsachen, GA II/12, Chapter 3 of Part III.
44 WL-1810, GA II/11, 323.1–5.
45 WL-1810, GA II/11, 307.16–17.
230 George di Giovanni

ishes any would be determination even as it is being adumbrated. It is just


a ›seeming‹, as we have said; essentially a ›no-thingness‹. The only
schema of reality that it could therefore sanction by itself would have to be
mechanistic – one in which events have no independent standing just
because their content dissolves upon reflection into an infinite multitude
of external references.46
This is the case for both Fichte and Spinoza. Both rely on the no-
thingness of appearances in order to safeguard the absoluteness of God
and, consequently, both have a mechanistic idea of nature. Yet their
commonality ends there, and what strikes most is the difference that
separates the two. Starting from equal assumptions, the two travel directly
opposite routes. Spinoza deconstructs any idea of ›finality‹ by treating it
as a function of ignorance and by interpreting such individualizing phe-
nomena as ›guilt‹ as a sign of a bad conscience, a sickness of the mind.
The whole effort of the Ethica is to naturalize moral phenomena by dem-
onstrating their arbitrariness and therefore their nothingness with respect
to God. Fichte, for his part, relies on precisely the arbitrariness of mental
acts in order to redeem them from the mechanism of nature and at the
same time prevent them from collapsing into their pre-history as ›being‹.
Their ›arbitrariness‹ is the special form that their nothingness assumes.
According to the WL, therefore, the whole effort of mental life should be
directed at standing by this nothingness, i.e. by consciousness’s internally
transcendent structure that sets it in opposition to nature in particular, and
to being in general. And this structure is subjectively canonized only when
the individual self recognizes his own life to be a mirror of God’s life. He
therefore assumes as his purpose and that of his society the promotion of
precisely this life. The question for Fichte is not whether, de facto, there is
teleology in the universe of being, but, on the contrary, whether one
should commit oneself to there being one – even if, and perhaps even
more commitedly so, it were objectively demonstrated that there is none.
The three texts on which this paper is based all culminate with a
disquisition on the imitation of God’s life that should animate moral
existence. The point to be stressed now is that although this move to the
›God within us‹ might appear as the remembering of a truth forgotten – as
it would be indeed in an Augustinian or any neo-Platonic context – in the
context of the WL, despite all rhetoric to the contrary, it must consist in a
positing rather than a discovery. For, on Fichte’s schema of reality, the

46 It is in this sense, I take it, that Fichte argues against Schelling that Nature has no
a priori science; it is the object of pure ›Empirie‹. WL-1810, GA II/11, 390.28–391.2.
Sacramentalizing the World: On Fichte’s WL of 1810 231

presumed event that gives rise to appearance and eventually sets deliberate
reflection in motion escapes conceptualization per se; it is essentially
ineffable. Consequently, the recovery of it in consciousness can only be by
means of enactment (as if a new creation) rather than remembering. Here
we have again, in different words, the extra element that defines typically
Fichtean idealism. According to Fichte’s program, one should commit
oneself upon demand to the constitution of a universe of meaningful
intentions which, a nothingness in itself, is none the less prevented from
sliding into mere illusion precisely by the commitment to holding it as the
mirror of a transcendent life. It is all a matter of warding off a threatening
illusion by deliberately investing it with the meaning of transcendent truth
and by holding to this investiture. The supposed recovery of the immedi-
acy of life which is the purpose of deliberate reflection is in fact the
constitution through social moral habituation of a new kind of immediacy.
Fichte’s puzzling claim, often repeated in the WL, that if one can,
then one should; and if one should, then one must, can be understood in
this way.47 Commitment has no justification at first except in the sponta-
neity of the resolve motivating it. It is made because it is made. But it can
find validation ex post facto, in the success it might have in establishing
the conditions that would make abstention from it no longer a realistic
option in retrospect. The WL proceeds according to this model, by way of
postulates. Its goal according to Fichte is ›die Erscheinung der Erschein-
ung‹,48 i.e. the appearing of appearance, or the reflective schema of the
schema of God’s life. In its reflective medium, ›life makes itself visible as
making itself visible‹.49 In other words, it is a deliberate re-enactment of
the original event that presumably sets the process of appearing in motion
and thereby establishes the basis for the subsequent universe of meaning.
But, just as that original event has no explanation except its actual occur-
ring, so the WL can only be at first the arbitrary response to an equally
arbitrary demand to undertake a thought experiment. And it proceeds
indeed by a series of thought experiments, each based on the assumption
of some distinction or other, and all made for the sake of explaining an
otherwise mere fact of experience. The original demand and the perform-
ances that it progressively elicits might well all be driven at first by noth-

47 In WL-1810, GA II/11, 388.24 ff., the claim is applied to the genesis of knowl-
edge.
48 WL-1810, GA II/11, 299.13–25.
49 WL-1810, GA II/11, 348.1; also, 332.3–10; 350.19 ff.
232 George di Giovanni

ing more than just intellectual curiosity.50 But as the construction proceeds
and the outline of the mental universe it creates develops, in the context of
this universe the original demand acquires a new self-justificatory force. It
develops into a moral ›should‹; the universe itself into a program of social
action which, if successful as it should be, would produce the kind of
moral culture within which the event of the WL acquires itself the charac-
ter of ineluctable fact. That it would not have occurred is no longer a
credible possibility.

6. The WL is from beginning to end a conceptual construct, itself a blue-


print for social praxis – one which is however in principle unable to
recover its own origin in being conceptually. It must rely on irreducibly
mytho-poetic images to express this presumed origin, and therefore ulti-
mately on the force of its rhetoric to command conviction. This was my
original point and now the upshot of my argument. I also said at the
beginning that Fichte was reattaching himself to the traditional theme of
reality as sacrament – as the deputy, that is, of a ›beyond‹ which none the
less remains in itself unspoken. The whole economy of ›appearance‹
according to Fichte depends indeed, as we have seen, on its being the
schema of a presumed divine life. Yet Fichte’s path in this direction is
typically his own. In the tradition, appearance acquired true being by
assuming sacramental value. For Fichte, on the contrary, the sacramenta-
lity of appearance is what empties it of being and thus ensures that it
would not lapse into mere natural existence. Fichte’s universe of meaning
is self-confessedly an idea that has reality only to the extent that one
commits oneself to it. His God has nothing to do with Spinoza’s, just
because God too is for Fichte an idea. Or again, his ›intellectual intui-
tion‹51 has nothing to do with Spinoza’s, for, rather than a vision of the
true, it is a commitment in faith to what ought to be the true. From begin-

50 Cf.: ›The first person who asked a question about the existence of God broke
through the boundaries; he shook mankind to its deepest foundations and brought man into
conflict with himself which has not yet been resolved and which can only be resolved by proceed-
ing boldly to that supreme point from which the practical and the speculative appear as one.
Presumption led us to philosophize, and this cost us our innocence. We caught sight of our
nakedness, and since then we have had to philosophize for out salvation‹. Letter to Jacobi of 30
August 1795, tr. Daniel Breazeale, Fichte: Early Philosophical Writings, Cornell 1988, 412.
51 As far as I understand Fichte, ›intellectual intuition‹ is the awareness [Ersehen] of
the point of identity between subject and object attained in reflection (itself a form of ›appearing‹)
– which identity, however, is constantly presupposed in actual consciousness but is never, and
cannot ever be, expressed as such. Just like appearing, it has disappeared in appearing. Life
becomes conscious precisely in the schematization of this effort at expression. Cf. WL-1810, GA
II/11, 341.25 ff.
Sacramentalizing the World: On Fichte’s WL of 1810 233

ning to end, Fichte is post-modern Mensch – a peculiar exemplar of it, to


be sure, since he is totally commitment to the absoluteness of subjectivity.
But the point is that this commitment is based on the explicit recognition
that subjectivity is ultimately achieved only negatively, in its being
missed.
I have more than once adverted to Fichte’s criticism of Spinoza,
and have just alerted again to the difference that separates the two. In one
crucial respect the two however share common ground. And that is in the
metaphysical assumption they both uncritically accept that ›being‹ does
not admit ›becoming‹. They both assume that ›being‹ is in itself like a
well-rounded sphere outside which one can only thread the way of the
›seeming‹. Fichte is an anti-metaphysician inasmuch as he deliberately
walks precisely the pathway of the ›seeming‹; he even makes it a duty to
abide by this course. Yet he is still bound to classical metaphysics at least
in the sense that, according to the WL, in practising ›the life of God
within‹ one would be giving oneself (but now as one’s own creation)
precisely the kind of all transcending Being which, if per impossible
attained would abolish the very nothingness on which the whole moral
effort depends. But happily one cannot ever succeed in the effort. Fichte’s
idealism is the negative counterpart of Spinoza’s dogmatism. It is con-
stantly running the risk of lapsing into the latter by default. In this sense I
said at the beginning that it is still infected by it. Now, at the end, I want to
suggest that one need not accept the assumption common to the two.
However much the product of a proto post-modern Mensch, the WL is still
one chapter in the history of classical metaphysics
Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk.
Seine Unterschiede zum Schemabegriff in Fichtes
Frühwerk und seine Einbettung in der philosophischen
Tradition vor Kant

Stamatios D. Gerogiorgakis (Athen und Freising)

Es ist geradezu frappierend, wie spärlich die Begriffe Schema und Sche-
matismus in Fichtes Texten einerseits vor 1810 vorkommen, und wie
enorm sich andererseits die Bezugnahme auf dieselben Begriffe in und
nach diesem Jahr häuft, das gleichzeitig den Beginn des Wirkens Fichtes
an der Berliner Universität markiert. Warum Fichte nach 1810 gerade das
Schema und den Schematismus für das Verständnis Gottes herangeführt
hat, ist nicht leicht einzusehen. Denn nach Kant, dem ersten und promi-
nentesten Theoretiker des Schema-Begriffs, wird doch durch das einem
Begriff zugehörige Schema die mögliche objektive Realität dieses Begrif-
fes konkretisiert.1 Insofern kommt die Einführung eines Schemas Gottes
durch Fichte der Auffassung gleich, daß Gott in dieser Bedingung mögli-
cher objektiver Realität anzusehen ist.

Oft stellen die wenigen Fichte-Stellen aus der Frühzeit, die sich auf den
Schematismus beziehen, bloße Kommentare oder Anreicherungen der

1 Vgl. die Analyse der Problematik bei Kant in meiner Dissertation: Die Rolle des
Schematismuskapitels in Kants Kritik der reinen Vernunft, Krumbach/Schwaben 1998, 72 ff.
236 Stamatios D. Gerogiorgakis

bekannten Kantischen Theorie dar (KrV, A 137 ff./B 176 ff.), und stim-
men mit letzterer darin überein, daß das Schematisierte unter der Bedin-
gung einer zeitlichen Beschränkung stehen muß. Dies gilt für die Grund-
lage der gesammten Wissenschaftslehre aus den Jahren 1794/952 sowie für
die Darstellung der Wissenschaftslehre aus dem Jahr 18013 und § 42
(=SW II, 132–136). Einerseits deutet das »höchste Schematisieren der
Form des Seins selbst« (DWL, § 48 = SW II, 158) bereits eine etwas
gewagte Revision der Kantischen Lehre an, zumal die Äußerung im
gleichen Paragraphen, »[die Wissenschaftslehre] soll[e] [...] das leere[...],
bloß schematisierte[...] Wissen [...] verschmähen«, wohl einen kritischen
Ton bezüglich des Schematismus Kants laut werden läßt. Andererseits
hatte Fichte in DWL, 2. Teil, § 42 (= SW II, 134) darauf aufmerksam
gemacht, daß das Denken eines »totalisierenden Schematisierens der
Unendlichkeit« »ruhen [ge]lassen« werden müsse.
Manchmal versteht der frühe Fichte unter Schematismus die Ge-
stalt, die Form eines Gegenstandes – was Kant als Schematismus empiri-
scher Begriffe bezeichnen würde. Dies gilt z. B. für die Stellen aus dem
Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre 1797/18024.
Ein paar Mal wird das Wort »Schema« beim frühen Fichte wie-
derum im Sinne: Grundriß eines Wissensgebietes, Beweisgang, Ordnung
benutzt (vgl. GWL, 171 und 327; GEWL, 381f.; 391 – wobei Fichte oft
vom »Schema der Untersuchung« spricht; vgl. auch AzsL: SW V, 514).
Erstaunlicherweise ist es diese zuletzt genannte Bedeutung, die eine sehr
große Rolle für die veränderte Bedeutung des Schematismusbegriffs in
Fichtes Spätwerk spielen sollte.

1. Zur neuzeitlichen Überlieferung des Schematismusbegriffs

Bereits vor Kant hatten die Begriffe Schema und Schematismus die
Ordnung bzw. das Ordnen eines Fachgebiets zu bedeuten. Johannes
Heinrich Lambert5 sah z. B. folgenden Schematismus bzw. Grundriß der

2 Im Folgenden: GWL, SW I, 136.


3 Im Folgenden: DWL, 2. Teil, § 39 (= SW II, 117–124).
4 Im Folgenden: GEWL, SW I, 374) sowie aus DWL, 2. Teil, § 41 (SW II, 131).
5 Lambert, J. H., Monatsbuch, hrsg. v. Karl Bopp, Abhandlungen der Königlich
Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-physische Klasse, XXVII. Bd., 6.
Abhandlung, München 1915, Eintragung Januar 1763, 25, außerdem: Anlage zur Architektonik, I.
Bd., in: Lambert, J. H., Philosophische Schriften, hrsg. v. H.-W. Arndt, Bd. III, Hildesheim 1965
(reprographischer Nachdruck d. Ausgabe Riga 1771), 65.
Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk 237

Disziplin Zeitmessung (chronologia) vor: A. Lehre über die Zeit-Dauer;


B. Lehre über die Unbestimmtheit der Zeitmomente; C. Lehre über die
Zeit-Grenzen; D. Lehre über die Eindimensionalität der Zeit. Diesen vier
Teilfächern der Zeitmessung entsprechen nach Lambert vier Grund-
annahmen über die Zeit-Modi. Diese sind aber noch keine Axiome oder
Postulate. Es sind nur Arbeitshypothesen (Lambert nennt sie »Grund-
sätze«), die es ermöglichen, Grundintuitionen zu ordnen, noch bevor die
endgültige Theorie gebildet wird. Lambert hat wissenschaftliche Diszipli-
nen von der Ontologie und der Zeitmessung bis hin zur Schifffahrts-
Erdkunde (geographia nautica) auf diese Art in Teilfächer zerlegt, oder,
wie er sagte: »schematisiert«. Das heißt, er hat diese Disziplinen in ihre
Teilfächer zerlegt, diese aber noch nicht als Lehrstücke entfaltet.
Dieses Verfahren entspricht dem Schematismus-Begriff, den Kant
von Lambert und seinen Zeitgenossen aufnahm. Kant selbst bezog den
Schematismus jedoch nicht auf wissenschaftliche Disziplinen, sondern auf
Begriffe. Begriffe, das ist die Hauptannahme hinter der Schematismus-
lehre der KrV, haben auch ihre natürlichen Teile, die in ihren Teil-
merkmalen auszumachen sind. Es sei hier bruchstückhaft an einige Facet-
ten der allgemein bekannten Kantischen Theorie erinnert: Es gibt sinnliche
Begriffe und nicht sinnliche Begriffe. Den sinnlichen Begriffen (Teller,
Hund) entsprechen genaue, individuelle Bilder von Gegenständen, die
unter den jeweiligen Begriff fallen; den nicht sinnlichen Begriffen (Drei-
eck, Kausalität, Einheit) entsprechen wiederum Bilder nicht ohne Weite-
res. Es ist bekannt (und war auch Kant geläufig), daß Berkeley in seinem
Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge aus dem Jahr
1710 (im Folgenden: PHK) die verschiedenen Dreiecks-Formen für eine
Theorie gegen den Dreiecks-Begriff zum Anlaß genommen hatte, indem
er darauf hingewiesen hatte, daß zwei verschiedenartige Dreiecke, etwa
ein gleichschenkliges und ein schiefes, sich auf kein gemeinsames Drei-
ecks-Bild reduzieren lassen (PHK, Einleitung, 150). Kant war bekanntlich
der Meinung, daß sich unter jeden nicht sinnlichen, durch und durch
abstrakten Begriff jeweils eine Methode, ein Konstruktionsverfahren
subsumieren läßt (KrV, A 140/B 179). Nach der Regel, welche im Begriff
zum Ausdruck kommt, nennt Kant hergestellte Konstruktionsverfahren
bzw. Methoden zur Bildung von Modellen nicht-sinnlicher Begriffe,
»Schemata«. Die Zuweisung von Konstruktionsverfahren an unsinnliche
Begriffe, etwa die Unterordnung der geometrischen Konstruktion irgend-
eines Dreiecks unter den Begriff Dreieck, nennt er »Schematismus«. Dies
hat schon mit Zergliederung zu tun (wie übrigens der vorhin erwähnte
Schematismus Lamberts), denn bei der Konstruktion irgendeines Dreiecks
238 Stamatios D. Gerogiorgakis

geht es doch darum, ein zu konstruierendes Dreiecke in seinen Hauptbe-


standteilen (d. h. in drei Geraden) auszumachen.
Es liegt die Vermutung nahe, daß die ursprüngliche, vorkantische
Bedeutung des Wortes »Schematismus« von Kants Konzeption über-
schattet und ergo nach Kant untergegangen wäre. Diese Vermutung läßt
sich aber nicht bestätigen! In seinen Vorlesungen über die Tatsachen des
Bewußtseins zwischen Oktober 1810 und Januar 18116 bezieht sich Fichte
auf dieses begriffliche Relikt (TdB 1810-11, 212). Dabei geht es Fichte
um den »Schematismus« der Wissenschaftslehre; d. h. um die Gliederung
der Lehrveranstaltung bzw. des Faches mit dem Titel »Wissenschafts-
lehre«, worüber Fichte im Anschluß an die Vorlesungen über die Tatsa-
chen des Bewußtseins lesen sollte.

2. Beziehungen zwischen den Vorlesungen über die Tatsachen des Be-


wußtseins und den Vorlesungen über die Wissenschaftslehre

An der neugegründeten Berliner Universität hat Fichte seine Vorlesungen


über die Wissenschaftslehre oft seinen Vorlesungen über die Tatsachen
des Bewußtseins folgen lassen.7 Es scheint, daß er die Tatsachen des
Bewußtseins als eine intuitiv einleuchtende Einführung in den Stoff der
WL betrachtete. Über das Winterhalbjahr 1809/10 ist allerdings nur so viel
bekannt: Im Herbst las Fichte eine sehr knappe Einleitung in die gesammte
Philosophie, die da ist Anleitung zum philosophiren (SwV, Bd. I, 1–5), die
aber mit ihren zwei handschriftlichen Originalseiten bestimmt nicht mehr
als eine Vorlesung ergeben haben wird. Selbst wenn man annimmt, daß
die sechs Manuskript-Blätter des Versuchs, ob sich für die Vorbereitung
aus der Unterscheidung des dunklen Gefühls und der klaren Erkenntniß
etwas machen lasse (SwV, Bd. I, 7 ff.) in einer (sich am Ende von Fichtes
Notizen doch abzeichnenden) ausführlicheren Form vorgelesen wurden,
so überbrückt dies schwerlich die Zeit bis zu den WL-Vorlesungen vom
Februar 18108, als das anfangslose WL 1810-Manuskript fortfährt. In der
dunklen Zwischenzeit von wenigen Monaten wird wohl Fichte keine

6 Fichte, J. G., Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen (SwV), hrsg. v. Hans


Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani, Stuttgart/Bad Cannstatt,
Bd. I: 2000; Bd. II: 2003, im Folgenden: TdB 1810–11: SwV, Bd. I, 225 ff.
7 Zu diesem Kontext und zu den damit zusammenhängenden vorlesungs-
historischen Daten vgl. SwV, Bd. I, X–XI, aber insbesondere die sehr informative Tabelle von
Fichtes Lehrveranstaltungen, die Reinhard Lauth in SwV, Bd. II, XX zusammenstellte.
8 Im Folgenden WL 1810: SwV, Bd. I, 27 ff.
Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk 239

Tatsachen-des-Bewußtseins-Vorlesung gehalten haben. Dann wird Fichte


die WL 1810 vorgelesen haben, ohne seine Hörer vorher in die Klärung
ihrer Begriffe eingeführt zu haben, wie er es in der Folgezeit mit seinen
Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins vorzunehmen pflegte.
Dies läßt den in der WL 1810 eingeleiteten Schema-Begriff um so unver-
mittelter erscheinen – eben weil Fichte diesen nicht erläuterte (etwa in
einer vorausgehenden Tatsachen-des-Bewußtseins-Vorlesung). Kompli-
ziert wird das Problem des Fichteschen Schema-Begriffs dadurch, daß
dieser sich in unkantischer Weise auf das Absolute bezieht (vgl. WL 1810,
52; 157 f.; 160). Ein paar Monate später benutzte Fichte (TdB 1810/11)
einen Schematismus-Begriff, welcher der ursprünglichen Konzeption der
Zergliederung eines Faches in Teilfächer entspricht. In den darauf folgen-
den Wissenschaftslehre-Vorlesungen jedoch, die er vom Januar bis zum
April 1811 hielt (im Folgenden: WL 1811), stellte Fichte das Schema des
Absoluten erneut dar.
Es gibt viele Gründe zur Annahme der Vermutung, daß diese bei-
den Schema-Konzeptionen, die des Schemas des Absoluten sowie die der
Zergliederung, etwas gemeinsam haben.

3. Freiheit, Sein und Wissen als Tatsachen des Bewußtseins und ihre
Beziehung zum Schematismus

Fichte hat in TdB 1810-11, 212, vom Schematismus des Faches Wissen-
schaftslehre gesprochen und somit den Schematismusbegriff in die Nähe
der Lambertschen, traditionellen Konzeption gebracht. In denselben
Vorlesungen erprobte er die These, das Sein der Freiheit sei das Wissen
(TdB 1810-11, 17). Vorher, im Frühjahr 1810, hatte er nämlich gelehrt,
daß das Bestehende und sein Schema absolut vereinigt sind (WL 1810,
157). An gleicher Stelle hatte Fichte bemerkt, daß das Wissen auch Sche-
ma ist. Beide Gleichungen, sowohl »Bestehendes = Schema« als auch
»Wissen = Schema«, sind nur mit Hilfe der Grundauffassung in TdB
1810-11 zu verstehen, daß das Wissen das Sein der Freiheit ist. Den
Zuhörern von beiden Vorlesungen leuchtete es wohl ein, daß das Schema
sowohl für das Sein (das Bestehende) als auch für das Wissen als stellver-
tretend betrachtet werden kann. Man kann das Wissen nämlich soweit
veranschaulichen, daß unter allen Wissensinhalten die Anschauung von
Bestehendem subsumiert ist. Und alles, was besteht, kann wiederum so
verallgemeinert betrachtet werden, daß nicht die Empfindung, sondern das
ihr übergeordnete Schema als das Elementare gilt. Dies ist auch im Sinne
240 Stamatios D. Gerogiorgakis

Kants, denn auch nach diesem gibt es viele Konkretions- und Abstrakti-
onsgrade (AA 24.2, 910). Genauso verhält es sich hier mit Fichtes Sche-
ma, das eine Konkretisierung des Wissens genauso wie eine Verallgemei-
nerung des Seins darstellt. Es geht doch in den Tatsachen des Bewußtseins
darum (und hier ist der Ausdruck »Tatsachen des Bewußtseins« als ein
Appelativum zu verstehen), daß die Denk- und somit die Bewußtseinspro-
zesse stets Abstraktionsprozesse sind. Als solche basieren sie auf schema-
tischem Konstruieren; die Empfindungen sind nur Einzelfälle hiervon.
Freisein heißt dann zu wissen, wie mein Ich in seiner Wechselbeziehung
zur Welt beschaffen ist. Für Fichte erschöpft sich das Freisein in diesem
Wissen. Das führt uns zum nächsten Punkt: Freisein bedeutet, sich einen
Begriff (aber das heißt schon: ein Schema) des eigenen Ichs, nämlich des
Bewußtseins, gebildet zu haben. Dies ist kein weltfremdes Wissen, wie
diese Äußerung mißverstanden werden könnte. Denn in ihrer Freiheit, sich
alles mögliche vorzustellen, verdichtet sich bei Fichte die produktive
Einbildungskraft zur Welt (vgl. die Beschreibung der Welt als »absoluter
Beschränkung der (freien) produktiven Einbildungskraft« in TdB 1810,
104-8). Das Sein der Freiheit ist das Wissen, und zwar das Wissen (der
Grenzen) ebendieser Freiheit.
Dies ist ein unkantischer Schluß. Das Schema ist nach Kant
gleichartig mit dem (empfundenen) Gegenstand und hat gleichzeitig den
Vorteil, auch mit dem Begriff gewissermaßen gleichartig zu sein (KrV, A
138/B 177). Die Gleichartigkeitsforderung bestimmt außerdem die Lei-
stung der Einbildungskraft beim Schematismus – es tritt mit anderen
Worten keine freie Einbildungskraft hier zu Tage. Das Schema des Tellers
muß wirklichen Tellern gleichartig sein, das des Hundes wirklichen
Hunden (KrV, A 137/B 176 sowie A 141/B 180). Aber bereits in der
Mathematik findet Kant Fälle (so z. B. die schematische Konstruktion
eines Dreiecks in KrV, A 141/B 180), wonach die Gleichartigkeitsforde-
rung nicht ohne Weiteres zu erfüllen ist. Um so mehr sollte eine Schemati-
sierung meines Wissens als eines Ganzen problematisch sein. Oder doch
nicht?
Prozesse, die durch und durch abstrakt sind, zeichnen sich da-
durch aus, daß sie mit ihrer Konstruktion zusammenfallen. Die Freiheit ist
z. B. durch und durch abstrakt9: Ich habe keinen Begriff der Freiheit,
bevor ich ihn nicht konstruiert habe (etwa bevor ich asoziales Verhalten,

9 Ich nehme hier als evident an, daß der Begriff Dreieck etwa weniger abstrakt als
der Begriff Freiheit ist. So verstehe ich z. B. Kants Äußerungen über die Typik der praktischen
Vernunft in KpV, A 6.
Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk 241

Einsiedlertum, Frechheit usw. nicht aus seinem Inhalt ausgeschlossen


habe). Es gibt Regeln, die zu dem Zweck zu befolgen sind, Vorstellungen
und Begriffe zu konstruieren. Diese Regeln werden im Begriff mitgelie-
fert, der konstruiert werden soll.

»...[D]ie Reproduktion ist eine Sichbeschränkung der Einbildungs-


kraft innerhalb ihres ganzen Gebiets nach der Vorschrift einer Be-
schränkung des äußern Sinnes. Die Regel dieser Beschränkung ist
der Begriff – des Objekts der äußern Wahrnehmung nämlich, wel-
ches reproduziert wird. (Gib mir einen Begriff von der (mir unbe-
kannten) Sache, heißt, gib mir die Regel, nach der ich mir die Sa-
che im freien Denken konstruieren kann.) (TdB 1810, 43)«.

Weiter unten lesen wir, daß das Denken für die Logik nichts als »das freie
Konstruieren zufolge einer solchen Regel« sei (a.a.O. – Hervorhebung von
mir – S. G.). Jedem, der mit der Kantischen Lehre der (schematischen)
Konstruktion und der Definition vertraut ist, sollte der hier hergestellte
Zusammenhang zwischen Fichtes Konstruieren und Kants Schematismus
ins Auge springen. Konstruieren heißt hier schematisches Konstruieren,
genauso also, wie es bei Kant immer dort der Fall ist, wo nicht gerade
mechanisches Konstruieren gemeint ist. Bereits in der WL des Jahres 1795
hatte Fichte auf Kants Schematismuslehre hingewiesen und sie mit der
Bemerkung angereichert:

»In der Wissenschaftslehre entstehen sie [d. h. die Schemata –


S. G.] mit den Objekten zugleich und um dieselben erst möglich zu
machen, auf dem Boden der Einbildungskraft selbst. (WL 1795,
189 – Fichtes Hervorhebung)«

Die Einbildungskraft, auf welcher der Schematismus basiert, ist laut WL


1795 eine freie, wie Fichte dem Leser kurz vorher versichert hat. In den
Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins 15 Jahre später ist
jedoch das Konstruieren viel umfangreicher als Kants und Fichtes eigener
früher Schematismusbegriff. Der frühe Fichte hatte mit seiner Doktrin
über das freie Konstruieren nur die Grundlage für seine spätere Konstruk-
tionslehre geschaffen –wohlgemerkt eine, die eher derjenigen der KU als
derjenigen der KrV entspricht. Dafür eignet sie sich aber nicht nur für die
Konstruktion des Schönen als eines Symbols des Guten, wie es sich bei
Kant mit dem freien Schematismus der reflektierenden Urteilskraft be-
wandt hat. Fichte bestimmt sein freies Konstruieren im Gegenteil für jede
Modellierung eines jeden Begriffs, den sich ein freies Subjekt (ein-)bildet.
242 Stamatios D. Gerogiorgakis

Denn wie am Ende dieses Aufsatzes klar wird, fällt bei Fichte die Struktur
des Subjekts mit der Struktur des gedanklichen Systems zusammen,
welches dem Subjekt vorschwebt. Wo Subjekt und System, Denkendes
und Gedachtes zusammenfallen, da ist eo ipso zwischen Kantischem
Begriffs-Schematismus und vorkantischem Fächer-«Schematismus« nicht
zu unterscheiden. So läßt sich einsehen, warum Fichte in den Vorlesungen
über die Tatsachen des Bewußtseins auf die traditionelle, Lambertsche
Schematismuskonzeption als Unterteilung eines Faches in Teilfächer
zurückgreift: Der Schematismus (das Unterteilen also) einer Wissenschaft
in ihre Teildisziplinen ist stets das Unterteilen der Wahrheit in dieser
Wissenschaft in die nunmehr schemenhaften Teilvorstellungen, aus denen
sich diese Wahrheit zusammensetzt. Aber ein durch und durch von ab-
stracta durchzogenes System ausbauen zu können, heißt, wie wir gesehen
haben, sich gleichzeitig die diesem System entsprechenden Vorstellungen
in der freien Einbildungskraft zu konstruieren. Das systema abstractorum
als Objekt entsteht gleichzeitig mit seiner schematischen Bewußtmachung
durch das Subjekt. Ich fahre jetzt fort, indem ich diese Behauptungen im
Fichteschen Text belege.
Der Begriff Absolutes ist auch ein durch und durch abstrakter.
Das heißt: Das System des Absoluten fällt mit der schematischen Be-
wußtmachung des Begriffes Absolutes im Subjekt zusammen. Daß dies
der Fall ist, sollte Fichte später in seinen Vorlesungen über die Wissen-
schaftslehre zeigen. Wieso dies der Fall ist, begründete er in der Vermö-
genslehre der Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins. Dort
wurde klar, daß es dem Prinzip, alles (auch das Unbedingte) als Bedingtes
zu betrachten, zu Grunde liegt, daß das Subjekt sich selbst und seine
Vermögen unmittelbar anschauen kann (TdB 1810, 54 f.). Letzteres
geschieht dadurch, »den Zeitinhalt schlechthin a priori vorwärts und
rückwärts zu erzeugen (TdB 1810, 56 – meine Hervorhebung)« (aber man
merke: der Zeitinhalt ist nach Kant (KrV) das Schema der Qualitätskate-
gorien), wobei »[das] Hineintragen der Bedingtheit [...] die Zeitreihe einen
neuen und näher bestimmten Charakter [bekommen läßt] (TdB 1810, 52f.
– meine Hervorhebung)«, (und man merke wieder: die Zeitreihe ist nach
Kant (KrV) das Schema der Quantitätskategorien). Fichte meint damit
wohl, daß jede Schematisierung eines Faches bzw. Erkenntnisinhaltes als
Bedingtes (d. h. auch die des Unbedingten) auf der Selbstschematisierung
unserer selbst und unserer Vermögen fußt. Dem Schematismus des Abso-
luten aus Fichtes späten Vorlesungen zur Wissenschaftslehre ist also keine
exotische Anschauung der Welt als einer Alleinheit zu unterlegen, denn
für jenen genügt es schon, wie Fichte seine Studenten kurz vorher, in den
Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk 243

Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins, wissen ließ, sich selbst
als Bewegung des Zeitinhalts in der Zeitreihe darzustellen. Also: sich
selbst zu schematisieren. Was Fichte also: Schema des Absoluten nennt,
ist das Produkt einer Selbstschematisierung.10
Eine Schwierigkeit besteht wohl immer noch darin, das Schemati-
sieren des Absoluten in ein Erinnerungsvermögen zu fassen. Dies ist,
Fichte hat es ja im relevanten Anhang in TdB 1810, 55–8 zugegeben,
etwas völlig anderes. Der Zeitinhalt, gleichgültig ob er wirklich erlebt
wurde oder nicht (ebenda, 56), ist ein notwendiger Bestandteil der Ver-
mögenstheorie. Es drängt sich hierbei die Frage auf, was das für eine
Begründung des Selbstschematismus in den Tatsachen meines Bewußt-
seins ist, die darauf abhebt, ob ich das Schema (den Zeitinhalt) wirklich
erlebte oder nicht! Fichte antwortete hier folgendermaßen (TdB 1810, 54):
»Wir denken das Ich hier nicht bloß als Wissendes, sondern als Prinzip.«
Mit dieser Facette seiner Schematismus-Begründung in den TdB 1810
schwächt Fichte die subjektivistische Lesart seiner WL ab und läßt in
einem fort die Selbstanschauung als Selbstbezüglichkeit eines kohärenten
Systems, d. h. im Endeffekt: das Subjekt als System erscheinen!

10 Richtig bemerkt demnach Christoph Asmuth (in: Das Begreifen des Unbegreif-
lichen: Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800–1806, Stuttgart-Bad Cannstatt
1999, 208f.), daß Gott nach Fichte »nicht das eigentlich Absolute« ist. Es ist außerdem auch
richtig und angemessen, daß Melanie Obraz (in: Der Begriff Gottes und das gefühlsmäßige
Erfassen des Göttlichen bei Fichte und Schleiermacher, Münster 2001) keinen Rückgriff auf das
Schema des Absoluten vornimmt, um Fichtes Erfassen des Göttlichen zu erläutern.
Die transzendentale Logik (1812).
Ihr systematischer Ort und ihre Bedeutung

Jacinto Rivera de Rosales (Madrid)

1. Die Vorlesungen

1812 hat Fichte zweimal über Transzendentale Logik gelesen, vom April
bis August und vom Oktober bis Dezember1. Sie dienten als Einleitung
zur WL neben seinen Vorlesungen Über das Wesen der Philosophie und
über Die Tatsachen des Bewußtseins. Aber mehr als eine Einleitung sind
diese Vorlesungen über Transzendentale Logik als eine Vorübung, oder
sogar als ein Teil der WL zu betrachten, der sogenannte niedrigere Teil2,
der in der früheren Terminologie »theoretische Philosophie« genannt
wurde. Es werden die empirische Erfahrung und die Natur als ihr Objekt,

1 Die ersten Vorlesungen werden bald in der GA II/14 unter dem Titel Vom
Verhältniss der Logik zur wirklichen Philosophie, als ein Grundriss der Logik, und eine Einlei-
tung in die Philosophie (= TL I) veröffentlicht werden, und die zweiten sind schon in der
Ausgabe von Fichtes Sohn und später neu revidiert durch Reinhard Lauth und Peter K. Schneider
unter dem Titel Ueber das Verhältniß der Logik zur Philosophie oder Transscendentale Logik (=
TL II) (Hamburg 1982) erschienen. Vorher hatte Fichte in seinen Vorlesungen über Institutiones
omnis philosophiae von Erlangen im Sommersemester 1805 über höhere und niedrige Logik als
Einleitung und Propädeutik zur Philosophie gelesen (GA II/9, 25–171), so wie er in Jena Vorle-
sungen über Logik und Metaphysik nach Platners Philosophischen Aphorismen gehalten hatte
(GA II/4).
2 »[… Etwas] gehört in höhere Theile der Ph., mit denen wir es hier nicht zu thun
haben (in WL oder SL)« (TL I, 76v; vgl. auch TL II, 77v).
246 Jacinto Rivera de Rosales

das heißt, das Wesen der Empirie aus dem Wissen überhaupt und durch
das transzendentale Ich hindurch als sein Reflex oder Bewußtsein gene-
tisch erklärt. Die transzendentale Logik geht bis zur objektiven Erschei-
nung des Ich als dem eigentlich realen Inhalt der Empirie und ihrer Bild-
lichkeit: »ein System von seyenden Ichen«3, von körperlich getrennten
Ichen, »die Zersetzung der Welt der Iche in die einzelnen«4, die bis zum
Wollen sich erheben5. »Das reale der Welt sind hier Iche: die aus dem
obigen bekannte Form der Sichtbarkeit ist die Materialität. Die Iche sind
drum schlechthin materiell: oder alle Materie ist die Sichtbarkeit von
Ichen«6. Das bildet das Ende der Vorlesungen. Wir treten nicht in die
höheren Regionen des Wissens ein, die Sittlichkeit, die Religion und die
WL als Wissen des Absoluten selbst (Alfa und Omega des ganzen Sy-
stems), da in diesen ein wirklicheres und wahreres Leben der Empirie
gegenüber erscheint.
Es handelt sich um ein erneutes Schreiben (und Erweiterung nach
den Prinzipien der WL) der Kantischen Kritik der reinen Vernunft, vor
allem ihrer transzendentalen Ästhetik und Analytik, mit Themen aus der
Kritik der Urteilskraft, und zwar aus der »Kritik der teleologischen Ur-
teilskraft«, wie z. B. die empirischen Begriffe und Gesetze, d. h., die
Spezifizierung oder die »viele[n] Modificationen [weitere Bestimmungen,
würde Fichte sagen] der allgemeinen transscendentalen Naturbegriffe«7,
was auch für Kant »zum theoretischen Theile der Philosophie gehört«8. Es
war also ein für die Studenten sicherlich schon bekannter Gegenstand, der
als Brücke und Übergang von der Kantischen Philosophie zur WL dienen
sollte, denn »alles erhält dadurch [durch die neue Denkungsart der WL]
eine durchaus neue Ansicht […]. Das alte bleibt; es nimmt nur eine neue
Klarheit an, durch eine neue Bildung«9. Schon der Begriff von »transzen-
dentaler Logik« war eine Erfindung von Kant, und dieser Bezug kommt
natürlich im Text selbst zur Sprache, nur daß Kant auf der Suche nach
dem apriorischen Anteil des Wissens auf dem halben Wege stehen geblie-
ben wäre10. Die Topologie und die alte »bildliche Darstellung«11 von der

3 TL I, 73r.
4 TL I, 74v.
5 TL II, 99v.
6 TL I, 73r. Vgl. auch TL II, 76v.
7 Kant, KdU, Einleitung IV, B XXVI; AA V, 179.
8 Kant, KdU, Einleitung VIII, B LII; AA V, 194.
9 TL I, 61r.
10 Vgl. z. B. TL II, 9v. Der Titel »Transzendentale Logik« stammt nicht selbst von
Fichte, aber das Thema ist darin enthalten.
11 TL I, 70v.
Die transzendentale Logik 247

Kritik, die über Anschauung und Begriff, über Apperzeption und Bewußt-
sein spricht, konnte helfen, die neue Sprache und Methode der WL zu
verstehen, in der von Sehen und Sehen des Sehens, von Reflex und Refle-
xibilität gesprochen wird. Das Anliegen von Fichte besteht gerade darin,
dieses transzendentale Unternehmen bis zum Ende oder zu Vollkommen-
heit zu bringen.

2. Die transzendentale Philosophie

Die Frage ist aber, ob Fichte hier immer noch im Rahmen der transzen-
dentalen Philosophie geblieben ist, oder ob er sie von Anfang an über-
sprungen hat. Erkennbar sind viele Elemente, die bei Kant und mehr noch
bei dem früheren Fichte hervortreten, aber sie stehen in einem Zusam-
menhang und in einer Bedeutung, die vielleicht mehr als spekulativ zu
bezeichnen wären. Um das zu zeigen, müssen wir auf das Prinzip zurück-
greifen, und so auf den systematischen Ort und die gesamte Bedeutung
seiner transzendentalen Logik verweisen.
Transzendental ist eine Philosophie, die nach den apriorischen
Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung fragt. Aber so allgemein
ausgedrückt könnten verschiedene Philosophien transzendental genannt
werden, zum Beispiel der Rationalismus, oder diejenigen Plotins und
Hegels. Die Kantische Philosophie wollte aber einen bestimmten mittleren
oder höheren Weg dem Rationalismus und Empirismus gegenüber ein-
schlagen, um die objektive Erkenntnis der Welt, die Moral und die Ästhe-
tik zu begründen. Dafür appelliert sie an eine besondere subjektive Instanz
oder Tätigkeit, die spontan und selbständig wirkt, also frei und nicht
empirisch ist, die aber nichts desto weniger ihre eigene Endlichkeit er-
fährt, sowohl in der Kantischen Affektion als auch im Fichteschen Gefühl,
so daß ihre eigentliche Seinsart sich im Grunde genommen als moralische
Aufgabe ausdrückt. Dieses letzte Element unserer gegensätzlichen Natur,
die Endlichkeit, fand aber vielleicht nicht ihre beste Darstellung – weder
im Kantischen Ding an sich noch im Fichteschen Anstoß12. Andere An-
weisungen in dieser Richtung waren die Unbedingtheit, seiner Form nach,
des zweiten Grundsatzes oder des Nicht-Ich13, und die Lehre, daß das erste
Prinzip selbst (das ist wichtig) sich als Streben und Trieb und nicht als

12 Ausführlicher über dieses Thema habe ich im Aufsatz »Die Begrenzung. Vom
Anstoß zur Aufforderung« (Fichte-Studien 16, 1999, 167–190) geschrieben.
13 GWL § 2.
248 Jacinto Rivera de Rosales

unendliche Kausalität manifestiert14. Diese Fragestellung wurde aber nach


1800 als unvollendete Philosophie und unvollkommene Vernunft gefühlt
und gedacht, so daß die drei großen Denker, Hegel, Schelling und Fichte,
und vielleicht auch in dieser Reihenfolge15 und jeder in seiner Art (als
»die drei Vollendungen des deutschen Idealismus«), eine neue Philosophie
des Absoluten entwickelten.
So ist das Wissen hier, in der Transzendentalen Logik von 1812,
absolut und absolute Kausalität oder Grund alles, was uns in unserer
Erfahrung a priori und a posteriori je begegnen kann. Auch die Erklärun-
gen der eigentlichen WL in Jena (nicht so in der Rechtslehre und Sitten-
lehre16) hatten freilich das Wissen oder die ideelle Tätigkeit als letzten
Grund, denn nur diese immanenten und rein idealistischen Beweisführun-
gen können die Erkenntnis, die Spontaneität und die Selbstbezüglichkeit
des Ich angemessen behandeln, und so erklären, wie etwas für das Ich ist.
Aber sie leisten das nicht, um alles in der Idealität aufzulösen und in sie zu
verwandeln, d. h., um das Ich in sich selbst einzuschließen, sondern um es
für das andere zu öffnen: »Alles ist seiner Idealität nach abhängig vom
Ich, in Ansehung der Realität aber ist das Ich selbst abhängig; aber es ist
nichts real für das Ich ohne auch ideal zu seyn [ohne dasselbe für sich
durch die Idealität zu verarbeiten]; mithin ist in ihm Ideal- und Realgrund
[synthetisch!] Eins und ebendasselbe, und jene Wechselwirkung zwischen
dem Ich und Nicht-Ich ist zugleich [also synthetisch] eine Wechselwir-
kung des Ich mit sich selbst«17. Und so verfährt auch die WL nova metho-
do: sie geht von dieser Tätigkeit des Ich aus, aber um zum Nicht-Ich zu
gelangen, denn »das Ich sieht alles in sich; sieht es etwas als auser sich, so
muß der [ideale] Grund dazu doch in ihm liegen«18. Wir müssen beides in
dieser synthetischen Methode beibehalten: das Anderssein des anderen
und den ichlichen ideellen Grund dieses anderen. Aber in der Transzen-
dentalen Logik ist alles, das Ich und das Nicht-Ich, die Welt der seienden

14 GWL § 5.
15 Obwohl Hegel seine Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der
Philosophie erst im Juli 1801 beendet, und im Oktober vollständig im Druck vorlag, dürfte seine
»Konzeption allerdings in die letzten Frankfurter Monate zurückreichen« (Hegel, Werke,
»Anmerkung der Redaktion«, II, 586), und dürfte durch die Zusammenarbeit mit Schelling in
Jena seit Januar 1801 beeinflußt sein. Schelling schickte Fichte seine Darstellung meines Systems
der Philosophie in einem Brief vom 15. Mai 1801. Und Fichte begann seine WL 1801/2 im
Herbst. Wir könnten aber auch sagen, daß der spinozistische Duktus Schellings schon in Vom Ich
(1795) unverkennbar war.
16 Vgl. z. B. SL SW IV, 97 = GA I/5, 97.
17 GWL § 4, SW I, 280–281 = GA I/2, 412.
18 WLnm § 6, 73 = GA IV/3, 381.
Die transzendentale Logik 249

und die reine Tätigkeit des transzendentalen oder moralischen Ich, Er-
scheinung des einzigen absoluten Wissens. Alle Begrenzungen sind nur
weitere Bestimmungen desselben, und insofern verhält es sich so wie bei
Schelling und Hegel. Transzendental bleibt seine Logik für Fichte nur
deswegen, weil sie die genetische Erklärung der Vorstellung leistet19.

3. Realismus und Idealismus

Nur eine ontologische Begrenzung hat dieses Wissen als Ganzes: Das
Wissen versteht sich als das absolute Wissen, aber nicht als das absolute
Sein selbst. Im Gegensatz zu Hegel und in Kontinuität mit Kant unter-
scheidet Fichte zwischen Sein und Begriff (oder Wissen)20, und so ver-
sucht er, transzendental zu bleiben. Das Wissen bei Fichte ist Erscheinung
oder Bild des absoluten Seins, nicht das Absolute selbst.
Die WL 18042 versucht in ihrem ersten Teil, der Wahrheits- bzw.
Vernunftslehre, durch verschiedene Auseinandersetzungen zwischen
Idealismus und Realismus, zum reinen, in sich geschlossenen lebendigen
Sein des Einen Absoluten als der verlangten reellen Einheit von Allem
aufzusteigen. Diese Untersuchung wird aber durch den Begriff des Abso-
luten selbst als Kriterium der Realität und der gesuchten Einheit und als
spekulative Aufforderung für das philosophische Denken (oder als Auf-
forderung der spekulativen Vernunft) geführt21. Der Realismus behauptet,
es gebe ein an sich und durch sich absolutes Sein oder Leben, woraus das
Durch, der Begriff und alles Bewußtsein, herkomme, ein Sein, das auch
jenseits aller Beziehung, also jenseits alles Begreifens liege. Diese realisti-
sche Behauptung sollte Fichte dazu dienen, den Jacobischen Vorwurf des
Nihilismus von Grund auf zu überwinden; und so gilt für das gesamte
System der »Grundsatz: das [absolute] Sein ist durchaus ein in sich ge-
schlossenes Singulum [Einheit] des Lebens und Seins, das nie aus sich
heraus kann«22. Aber die WL will auch eine kritische Philosophie bleiben,
deswegen reflektiert sie im Gegenteil zu Spinoza über ihre eigene Refle-

19 TL II, 10r.
20 Z. B. WL-1804-II, SW X, 271 = GA II/8, 344–346. Seit D[er] Bestimmung des
Menschen denkt Fichte, daß das bloße Wissen zum Nihilismus führt, und schon in der GWL § 6
behauptet er, die Realität sei eine praktische Angelegenheit.
21 »Die Aufgabe der Philosophie läßt sich auch ausdrücken: Darstellung des
Absoluten« (WL-1804-II, SW X, 94 = GA II/8, 10).
22 WL-1804-II, SW X, 212 = GA II/8, 242.
250 Jacinto Rivera de Rosales

xion23, und läßt die idealistische Anforderung auch gelten: Die Behaup-
tung des absoluten Seins ist nur für und durch das Wissen, und nicht
außerhalb desselben möglich, nicht z. B. durch eine Offenbarung (wie für
Jacobi). Wir müssen also beide, Realismus und Idealismus, beibehalten,
um ihre Einseitigkeit zu überwinden. Aber im Aufsteigen zum Ur-Inhalt
der Wahrheit hat die WL eine Vorliebe für den Realismus, für die unab-
hängige Realität dieses absoluten Seins, während im Hinabsteigen oder in
der Erscheinungslehre, in der die transzendentale Logik auch zu verorten
ist, sie eine Vorliebe für den Idealismus hat24, da die WL unsere ganze
Welt als bloßes Wissen und Erscheinung versteht; darin besteht nach
Fichte ihr transzendentaler Idealismus25. Nun aber wird dieses Aufsteigen
durch den Begriff, durch seine Vernichtung, also durch seine kritische
Selbstdeutung, durchgeführt, und im Hinabsteigen wird immer daran
erinnert, daß die Erscheinung nicht in sich selbst, sondern im absoluten
Sein ihren realen Grund findet.
Das Wissen ist also, was bis zum Absoluten und Unbegreiflichen
aufsteigt. Um das zu leisten, verfügt es über zwei gegensätzliche Bilder,
über ein Bild des Bildes und ein Bild des Absoluten. Dank derer und ihres
Vergleichs, der von der WL durchgeführt wird, versteht das Wissen sich
selbst als bloßes Bild und das Absolute als das andere26. Das nennt Fichte
die Vernichtung des Begriffs, den höchsten Akt des Realismus, in dem das
Wissen seine ontologische Grenze anerkennt, und sich für das Absolute
öffnet27. Aber es ist zu beachten, daß die Behauptung dieses Seins im

23 »[…] in welchem Reflektiren auf das Princip des eignen Reflektirens eben die
transscendentale Kunst bestehet« (WL-1807, GA II/10, 185). Vgl. auch WL-1812, SW X, 327
und 345f. = GA II/13, 52 und 68, und WL-1813, SW X, 3f.
24 WL-1804-II, SW X, 177 und 226 = GA II/8, 172 und 264.
25 »Es ist ganz klar, daß vor Durchführung des tr. Idealismus d. i. daß das Wissen
allein die Realität sey, und in allen seinen Bestimmungen durch sein eignes Leben sich setze«
(Logik Erlangen, GA II/9, 118). Vgl. auch. WL-1811, GA II/12, 173.
26 TL II, 25r-v.
27 Faktisch und innerlich kommen wir nie aus dem Prinzip der Sonderung heraus,
aber wohl intelligibile. Wir stehen zwischen den zwei Prinzipien, dem der Sonderung und dem
der Einheit, beide vernichtend und beide setzend zugleich. Der Begriff und das Unbegreifliche
sind unzertrennlich, denn nur in der Vernichtung des Begriffes leuchtet das Unbegreifliche, das
Sein an sich, ein, da das Wissen der Unterscheidung bedarf (WL-1804-II, SW X, 116f. = GA II/8,
56). Dieser Schritt hat seine Ähnlichkeit mit dem der transzendentalen Dialektik der KrV und der
Grenze, die die theoretische Vernunft für sie selbst dort zieht. So versucht Fichte, transzendental
zu bleiben. Diese kritische Grenze bei Kant öffnet uns aber zur moralischen Erfahrung, während
sie uns bei Fichte an die Grenze aller Begreiflichkeit und Erfahrung stellt, in eine mittlere
Position zwischen Aufklärung (Ideal der totalen Transparenz der Welt) und Romantik (die
Unbegreiflichkeit des Abgründigen). Diese Unbegreiflichkeit des An-sich wird sich bald bei
Schopenhauer, einem Studenten von Fichte, in einen irrationalen und bösen Willen verwandeln,
da die grausame Welt, sein Spiegel, es auch so belegt.
Die transzendentale Logik 251

Wissen selbst stattfindet, was der höchste Akt des Idealismus wäre; das
bedeutet, wir bleiben immer im Begriff, und wir können weder mit dem
Begriff noch mit irgendeiner mystischen Einung in das absolute Sein
selbst hineintreten28. Weil die WL im Wissen bleibt und nicht Seinslehre
wird, ist sie für Fichte transzendentaler Idealismus29.
Beide müssen gleichzeitig beibehalten werden, da die WL ein Re-
al-Idealismus oder Ideal-Realismus sein will. Wir können also nicht
hinterher, wie manche Fichtespezialisten es tun, den Idealismus als das
letzte Wort gelten lassen, und das Absolute nur als bloßes Bild des Wis-
sens betrachten, weil sonst die Behauptung dessen Dogmatismus wäre;
denn in diesem Fall würde der Realismus abgeschafft, und das Wissen als
das Absolute selbst und nicht als seine bloße Erscheinung genommen
werden, was für Fichte Nihilismus (seit dem 2. Buch von der Bestimmung
des Menschen) bedeuten würde, oder für andere Pantheismus. Das absolu-
te Ansich besteht nicht bloß durch den Begriff und unsere Behauptung,
sondern durch sich selbst, und das Gegenteil anzunehmen ist für Fichte
der Grundfehler des Idealismus30. Indem das Wissen sich als bloßes Bild
von Grund auf in der WL anerkennt, öffnet es sich für das absolut Ande-
re31, für das »Nichtbild«32, für die Transzendenz. Der Begriff ist seine
ratio cognoscendi, nicht aber seine ratio essendi. Das absolute Sein »wird
in seinem Begriff ausgesprochen, als nicht nicht sein könnend, als
nothwendig seiend, wenn auch der Begriff [= die Erscheinung] desselben
gar nicht wäre: also nicht auf den Credit des Begriffs, und darum, weil ein
Begriff desselben ist, sondern schlechthin, weil es selbst ist […] und keine
Genesis [= kein Wissen] damit vereinigt werden« kann33. Hier geht Fichte
deutlich über die kritische oder transzendentale Philosophie hinaus34.

28 Wir bleiben an der Schwelle des Cannaan, damit Cannaan in unserem Bewußtsein
erscheint.
29 WL-1813 SW X, 4.
30 WL-1804-II, SW X, 184–6 = GA II/8, 184–188. »Auf diese […] Unterscheidung
des Seyns, u. der Existenz [=das Wissen] […] kommt nun der TransscendentalPh. alles an sie zu
machen ist die Bedingung, ohne welche nicht. […] In der gewöhnlichen, nicht transscendentalen,
d. h. sichten, u. oberflächlichen Ansicht, wird die Existenz zum Seyn selbst gemacht, – der
Charakter des Seyns, von sich pp. wird an die Existenz weggeworfen; u. dies ist der Grun-
dIrrthum« (WL-1805, GA II/9, 187).
31 »Das Bild aber sezt schlechthin durch sein Wesen, u. so gewi" es Bild ist, u. man
sich dies nur scharf denke, ein zweistes Glied ausser ihm, ein gebildetes [das Sein]. Es geht
unaufhaltsam aus sich selbst heraus, durch sein blosses Wesen gedrungen zu diesem herausgehen,
u. sich nicht genügend […] Bild kann nicht allein seyn: es, in seiner Einheit gesezt, sezt unmittel-
bar durch sein eignes Wesen eine Zweiheit« (TL II, 14r).
32 WL-1805, GA II/9, 186.
33 WL-1812, SW X, 329 = GA II/13, 53; cfr. auch 333 = 57f.: Die Erscheinung
»wird als nothwendig erkannt, zufolge ihrer Wirklichkeit [also gefunden und angeschaut].
252 Jacinto Rivera de Rosales

In der Tat geht Fichte den umgekehrten Weg: vom Begriff des ei-
nen absoluten Seins zum Wissen, das deswegen als bloßes Bild und als
außer Gott einzig mögliche Realität ausgelegt wird. Da das Aufsteigen
selbst durch den Begriff des Absoluten als Eins, als durch sich von sich
aus sich selbst Sein, als das »nicht nicht sein könnend«, geführt wird, ist
diese absolute Realität eigentlich nicht einfach das Ergebnis dieses Auf-
steigens, sondern vor allem die Voraussetzung des gesamten Systems, und
durch dasselbe bestätigt und dargestellt; so bildet sich der Kreislauf des
Ganzen. Wie könnte man sonst das erste Prinzip beweisen? Durch das
Aufsteigen wurde dieser Begriff nur freigelegt; denn »wo es [das Denken]
sich zu Ende denkt, entsteht dieser Begriff des Seyns; der sich unmittelbar
mit absoluter Evidenz ankündigt, u. so für seine Wahrheit zeugt«35, als
unumgängliche Anforderung der spekulativen Vernunft. Dieser Sachver-
halt kommt in der WL-1807 zum klaren Ausdruck: »Gott [also das absolu-
te Sein und seine Realität] ist absolutes Postulat an Sie [an die Studenten]:
von welchem einen Beweiß zu fordern der absolute Widerspruch ist«36.
Das absolute Sein sei eine vernünftige Selbstverständlichkeit, wenn wir
nach der reellen Einheit von Allem fragen. Es bildet den absoluten Anfang
der philosophischen Untersuchung. »Giebt Seyn. […] Die WL weiß das
schlechthin, u. nimmt es vor allem voraus an: u. ist so recht eigentlich in
ihrer Wurzel Realismus – Kein einziges philosophisches System […]
nimmt dies so im ganzen Ernste an […] Sie [die anderen Systeme] wollen
das Seyn durch das Denken, vermittelst eines Schlußes, zufolge irgend
einer Prämisse, herausbringen […]. Sie sind alle idealistisch [… Aber
unsere WL behauptet] es ist von sich aus sich durch sich, was es ist, u.
seyn kann: u. dieses von sich seyn ist sein Seyn: also inneres lebendiges
Seyn, alles Seyn, u. außer ihm kann es kein Seyn geben. Gott: u. außer
ihm nichts. Jene wollen eben das Daseyn Gottes beweisen«37. Gott ist aber

Dagegen wird das Absolute als wirklich seiend erkannt, zufolge seiner Nothwendigkeit«. »Seyn:
Geschlossenheit In sich selbst: absolute Immanenz u. Ihre Bildlosigkeit. Bild dagegen: dasselbe
Seyn, sich äussernd, u. erscheinend. – . Also absolutes sich äussern, als sich äussern; Fakticität,
als solche, Genesis, ist der Charakter des Bildes« (TL II, 18r).
34 Damit möchte ich nicht sagen, daß es grundsätzlich schlecht wäre, nicht transzen-
dental zu bleiben. Die transzendentale Philosophie ist nur eine Methode, eine Art zu Denken in
der Philosophiegeschichte, aber überhaupt nicht die einzige, die uns wichtige Ideen und Denkmit-
tel angeboten hat.
35 WL-1811, GA II/12, 164
36 GA II/10, 175. »Als Hypothese«, sagt die WL-1813 (SW X, 13).
37 GA II/10, 165f. – Das Problem ist folgendes. Nach dem Jenenser Fichte waren wir
gleichzeitig reines und empirisches Ich, und so konnten wir das ursprüngliche mit der Erschei-
nung vergleichen, z. B. bei dem Gefühl des Sehens, und so beide in seiner Seinsart verstehen.
Aber nach der Berliner WL sind wir nur Erscheinung; wie könnten wir denn die totale Alterität
Die transzendentale Logik 253

für die WL die absolute Voraussetzung ihres ganzen Systems, von wel-
chem aus das Wissen mit all unserer Erfahrung und Tätigkeit als bloßes
Bild auszulegen ist.
Es könnte nicht anders sein, weil Fichte von einem solchen fast
Parmenidischen Begriff von Sein ausgeht38. Diesem Seinsbegriff nach
kann es nur ein Sein geben, also »das Wissen [als das andere dem Sein
gegenüber] ist eßentialiter in Grund u. Boden, Erscheinung, Bild, Schema:
das Seyn komt in demselben nicht vor, sondern dies bleibt rein, u. lauter in
Gott«39. Spinoza hat recht mit einer göttlichen unveränderlichen Substanz,
aber außer diesem kann es kein Sein mehr geben, nur Wissen, lauteres
Bild; das ist »ein Accidens Gottes allerdings, wie Spinoza, aber nur
Eins«40, nur cogitatio und nicht extensio. Die Behauptung dieses Seins ist
ein Akt des Wissens, aber dieses absolute Sein selbst ist nicht nur Bild
oder bloßes Element des Wissens, sondern ontologischer Grund desselben,
ein Postulat, von dem das Wissen für sein Sich-selbst-Verstehen ausgehen
soll. Die ganze WL wird später die genetische Erklärung dieses Begriffs
sein, weil sie auch die genetische Erklärung unserer ganzen Realität
darstellt, die nur Wissen und Bild des Absoluten, bloß ein schematisieren-
des Leben ist, und deren erster Teil in der transzendentalen Logik zu

des absoluten Seins verstehen, da das Bild nur Bild bleibt? Nur durch den Begriff desselben und
das Postulat seiner Realität, und wenn wir das andere nach dieser Idee interpretieren. Und was
versichert mich über die Richtigkeit beides? Die bloße Forderung der Vernunft nach einem
solchen Sein. Die nächste Frage wäre: Ist die Vernunft und ihre Forderung nur so, spekulativ,
auszulegen? Die Denkform, d. h. der Grund alles andern Verstehens und die intellektuelle
Anschauung, ist gerade diese Unterscheidung zwischen Sein und Bild (TL II, 12r); sie ist »der
absolute Verstand, der nicht wird, sondern ist«, und in allem Begreifen vorausgesetzt wird (TL II,
14v; auch 16r), das wäre die letzte rein spekulative Antwort Fichtes.
38 Dieses Sein ist so »eifersüchtig«, so viel Licht, daß es uns im Schatten und ohne
eigenes Sein lässt. Nietzsches dionysisches Verständnis von Sein als Werden, Pluralität und
Maske wäre sein Gegenteil.
39 Fichte, WL-1811, GA II/12, 157. »Bescheiden! Das ewige u. absolute ist nicht
bescheiden, sondern absolut kategorisch, vor ihm aber soll sich bescheiden, u. verstummen alle
Individualität« (TL II, 46r).
40 WL-1807, GA I/10, 169. »Es giebt kein besseres als das System des Spinoza:
damit ein gemeinschaftl. Standpunkt; sodann ein wesentlicher Gegenstand. Satz: in welchem wir
übereinstimmen. Das Seyn ist schlechthin Eins, von sich, durch sich, aus sich selbst […]. Alle
Wandelbarkeit u. Veränderung ist von ihm ausgeschlossen. […] In ihm ist das Seyn alles, u.
ausser ihm ist kein Seyn« (WL-1811, GA II/12, 163–164). Aber die WL geht hinaus »über dieses
Faktum zur Genesis derselben […] Das absolute Seyn selbst ist es, das durch sich selbst sich
ausspricht in diesem Denken. So werden wir dieses denken selbst in seiner Reihe [die die WL
selbst ist] ableiten als das lezte (dies gehört zum Zurückkehren der WL in sich selbst [wo das Ich
den Standpunkt des Philosophen erreicht]) u. so denn das gesagte finden. – So zu Ende: am
Anfange, wie Sp. jedem anmuthen die unmittelbare Evidenz« (WL-1811, GA II/12, 164–165; vgl.
auch WL-1813 SW X, 3–4). Das ganze System ist ein Beleg des ersten Prinzips; der Zirkel des
Wissens. Vgl. auch WL-1812, SW X, 326ff. = GA II/13, 51ff.
254 Jacinto Rivera de Rosales

finden ist. Angemessener als das frühere, 1804, den Leser vorbereitende
Aufsteigen durch Realismus und Idealismus vor dem System selbst, ist
eben deswegen das Aufsteigen des Ich selbst zum Absoluten, d. h. das
Aufsteigen des Wissens in dieser seiner weiteren Bestimmung im Inneren
des Systems, und zwar in der zweiten Hälfte desselben, was zum Schlie-
ßen des Zirkels führen, und die Richtigkeit des Systems und seines An-
fangs beweisen würde41.

41 Wir können auch denken, daß dieser Begriff vom Absoluten eine Evidenz für
diese Epoche wurde, so daß es unnötig war, ihn zu beweisen; es schien genug, ihn systematisch
zu erklären. Auch der philosophische Geist dieser Zeit war gegen alle Dualität prinzipiell
gerichtet: »Wer in oder an dem, was ein philosophisches System als sein Höchstes setzt, irgend
eine Distinktion als möglich nachweisen kann, der hat dieses System widerlegt« (WL-1804-II,
SW X, 93 = GA II/8, 8). – Im Text selbst der Transzendentalen Logik darzustellen, daß Fichte
hier außerhalb des Rahmens der transzendentalen Philosophie philosophiert, soll aber Thema für
andere Aufsätze bleiben.
Die transzendentale Argumentation in der
transzendentalen Logik Fichtes

Alessandro Bertinetto (Paris)

In der Debatte über das transzendentale Argument (TA) gibt es zwei


Hauptorientierungen1. Die erste ist die Ansicht, die in der angloamerikani-
schen Philosophie vorherrscht: das TA sei eine deduktive Widerlegung
einer skeptischen Thesis, die vermeidet, die naturalistischen Voraussetz-
ungen des Skeptikers in Frage zu stellen, der z. B. die Möglichkeit des Be-
weises der Existenz der äußeren Welt verneint. Für die Anhänger dieser
Konzeption ist das TA ein Schluss mit der Form: »A; aber B ist not-
wendige Möglichkeitsbedingung von A; also B«2. A besteht z. B. in der
Erfahrung, in einem weitverbreiteten Glauben, in der Sprache, etc.; B
bezeichnet eine metaphysische und apriorische Möglichkeitsbedingung,
die in jeder möglichen Welt gültig ist. Die Argumentstrategie richtet sich
darauf, den skeptischen Zweifel abzulehnen, indem man zeigt, daß das,

1 David Bell, Transcendental Arguments and Non-Naturalistic Anti-realism, 189–


210.
2 Vgl. R. Stern (Hrsg.), Transcendental Arguments, a.O.; s. insbesondere die
Introduction von R. Stern, 3.
256 Alessandro Bertinetto

was der Skeptiker negiert, Möglichkeitsbedingung seines eigenen Ein-


wandes ist3.
Jedoch ist es erstens schwierig, diese Art TA vom klassischen
modus ponens zu unterscheiden. Zweitens braucht diese Art TA die
Mitwirkung eines zusätzlichen Verifikationismus, um gegen den Skepti-
zismus erfolgreich zu sein: Denn der Skeptiker könnte sagen, daß es ge-
nügt daran zu glauben, daß B wahr sei, um die Erfahrung bzw. die Spra-
che zu ermöglichen. Dies impliziert, daß es nötig ist, die Wahrheit oder
die Falschheit von A mit Hilfe von anderen, empirischen und nicht-tran-
szendentalen Mitteln festzustellen, um die Kluft zwischen dem, was uns
erscheint und was wir glauben und dem, was tatsächlich ist, zu füllen;
folglich wäre diese Argumentation unnütz oder überflüssig. Dem TA
bliebe also eine beschränkte Funktion übrig: die Milderung einiger For-
men dogmatischen Skeptizismus’4.
Nach der anderen Hauptorientierung darf das TA nicht auf dem
gleichen naiv-realistischen epistemischen Niveau des Skeptikers bleiben,
sondern ihn als unphilosophischen verwerfen. »Transzendental« bedeute
demnach gerade den Gegensatz zu »empirisch«, »faktisch«, »naturali-
stisch«, »psychologisch«, »formal«. Transzendentalphilosophie sei also
nicht nur eine bestimmte Art und Weise zu argumentieren, sondern eine
globale Welt- und Denkanschauung. Als solche ziele sie darauf, nicht
spezielle Probleme zu lösen, sondern systematische Denkgebäude zu
errichten; ihre Methode sei reflexiv (selbsterklärend, selbstversichernd und
selbstkritisch); und sie sei antidogmatisch, anti-realistisch, anti-natura-
listisch5.
Fichtes Philosophie kann als Modell für diese reflexive Auffas-
sung des TA angenommen werden. In den späten Darstellungen der WL
kritisiert Fichte mit Argumenten dieser Art den Ansatz der Philosophie
Spinozas oder den Begriff des Dinges-an-sich, den Fichte für eine prote-

3 Vgl. Isabelle Thomas-Fogiel, Fichte et l’actuelle querelle des arguments trans-


cendantaux, in »Revue de métaphysique et de morale«, Décembre 2003, n°4.
4 Vgl. R. Stern, Transcendental Arguments and Scepticism. Answering the Question
of Justification, Clarendon Press, Oxford, 2000.
5 In diesem Sinne transzendentale bzw. »reflexive Argumente zielen ganz wesent-
lich […] auf die Aufdeckung von (zu vermeidenden) Widersprüchen ab. Jedoch nicht auf
logische, d. h. solche der Form, oder auf semantische, d. h. solche der Bedeutung bzw. des Sinns,
sondern auf pragmatische Widersprüche (Selbstwidersprüche), d. h. solche zwischen dem
propositionalen Inhalt (von Redehandlungen) und ihren nicht-kontingenten, performativen
Voraussetzungen« (W. Köhler, Zur Debatte um reflexive Argumente in der neueren deutschen
Philosophie, in Philosophie und Begründung (hrsg. vom Forum Philosophie Bad Homburg),
Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1987, 303–333, hier 305).
Die transzendentale Argumentation in der transzendentalen Logik Fichtes 257

statio facto contraria, d. h. für einen performativen Widerspruch hält. In


Beziehung auf das Thema »TA« vollzieht Fichte jedoch in der TL II6
etwas gründlicheres: Denn die TL II bietet eine transzendentale Begrün-
dung der philosophischen Argumentation, die die logische und epistemo-
logische Form des Wissens in actu exercitu darstellt, indem sie gerade die
performativen Widersprüche der formalen Logik (= FL) und der naturali-
stischen bzw. faktischen Konzeption des TA zeigt und sie als falsche
Positionen abweist. Hauptmangel der FL sowie der faktischen Konzeption
des TA sei die faktische Voraussetzung, auf dem Niveau des empirischen
Bewußtseins von einer Kluft zwischen der Erscheinung, dem Glauben,
dem Bild auf der einen Seite, und der Realität, dem Faktum, dem Sein auf
der anderen Seite auszugehen. Diese Faktizität spiegelt sich nun auf dem
Niveau der philosophischen Reflexion in der Trennung zwischen der
Reflexion und dem Reflexionsobjekt wider. Da die FL und die faktische
Konzeption des TA diese Kluft und diese Trennung nicht genetisch aufhe-
ben, bleiben sie faktische und psychologische Welt- und Denkauffassun-
gen, über die der Skeptiker leicht siegt. Aber er siegt auf einer Art und
Weise, gegen die Fichte polemisiert, weil der Skeptiker ebenso faktisch
und psychologisch argumentiere.

II

Die TL ist nach Fichte ein Teil der WL, der vom Inhalt des Wissens
abstrahiert und auf die Wissensform, auf das Denken bzw. auf die Ar-
gumentation reflektiert. Als Untersuchung über die Form des Wissens ist
ihre Aufgabe, auf folgende Frage zu antworten: Wie ist das Verstehen, wie
ist der Sinn möglich? Die TL II hat eben »das ursprüngl. Wissen [...]
genetisch zu machen, zu verstehen«7.
Anders als bei Kant gibt es bei Fichte nicht zwei Logiken neben-
einander: eine formale und eine transzendentale TL ist eben die Transzen-
dentalisierung der Logik8, die die Möglichkeitsbedingung der »gemeinen«
Logik erklärt und genetisiert, indem sie diese »vernichtet«.
Anders als die FL, die die Naivität des empirischen Bewußtseins
dogmatisch wiederholt und das Wissen als ein Faktum, als »Ding an

6 J. G. Fichte, Ueber das Verhältnis der Logik zur Philosophie oder Transscenden-
tale Logik (Oktober–Dezember 1812), hrsg. v. R. Lauth (et alii), Hamburg, 1982 (= TL II).
7 TL II, 175.
8 J. G. Fichte, Wissenschaftslehre 1801–02; GA II, 6, 323; SW II, 161.
258 Alessandro Bertinetto

sich«, denkt (und somit bleibt sie faktisch, abstrakt und psychologisch), ist
die TL wissenschaftlich, d. h. philosophisch (vgl. TL II, 22 und 186f.),
weil sie weiß, ein Bild des Wissens zu sein. Deshalb leitet sie das Faktum
des Denkens aus seinem Gesetz ab und stellt seine transzendentalen
Möglichkeitsbedingungen dar (TL II, 191). Nach der TL geht alles darum,
Begriff, Urteil und Schluß nicht als abgesonderte Stücke anzunehmen, wie
die FL es macht, sondern sie für Teile eines organischen Prozesses zu
halten, in denen alle Momente und der ganze Prozeß schon enthalten sind
(vgl. TL II, 195–196). Das Wissen hat also eine zirkuläre bzw. selbstrefle-
xive Form, die auf dem Niveau des empirischen Bewußtseins implizit
bleibt, weil sie a priori ist. Diese selbstreflexive Form kommt immer ins
Spiel, falls ein Wissen vorliegt. Dies beweist Fichte mit einem Syllogis-
mus, der selbstreflexiv die »organische Einheit« von Begriff, Urteil und
Schluß in actu zeigt. Dieser Syllogismus, der die transzendentale Apper-
zeption logisch entwickelt, wird folgendermaßen ausgedrückt (TL II,
156):

»m a i o r: Alles Verstehen versteht sich, die Erscheinung versteht


sich.
minor: Nun ist hier ein Verstehen eines Bildes als Bild.
c o n c l u s i o: Also ist das Verstehen ein Sichverstehen des Bildes
als Bild = Ich.«

Die Transzendentalisierung der logischen Argumentation besteht eben


darin, daß die Glieder bzw. die Begriffe jedes Satzes (bzw. jedes Urteils)
und die Urteile dieses Schlusses schon den ganzen Schluß voraussetzen.
Umgekehrt aber ist der Schluß nur dann verständlich, wenn seine Teile
verstanden sind. Außerdem wird mit diesem Syllogismus die Selbstre-
flexion sowohl als Objekt als auch als Subjekt der Untersuchung der TL
verstanden. Damit wird das Faktum der Reflexion der TL – das Sagen der
TL – durch das Objekt ihrer Reflexion – die transzendentale Apperzep-
tion: bzw. das, was die TL sagt, – genetisiert. Und die Apperzeption wird
nicht, wie bei Kant, als ein Faktum etabliert, sondern aus dem gleichen
Gesetz, das sie eigentlich ist, genetisch abgeleitet. Indem die TL die Mög-
lichkeitsbedingung des Wissens darstellt, stellt sie ihre eigene Möglich-
keitsbedingung auf. Mit anderen Worten: Die von der TL II dargestellte
Genetisierung der Argumentation läuft genauso zirkulär wie die Wissens-
form bzw. die Argumentation, die das Objekt des Diskurses der TL II ist.
Die Bedeutung der Begriffe, mit denen die TL ihre Argumentation bear-
Die transzendentale Argumentation in der transzendentalen Logik Fichtes 259

beitet, hängt selbstreflexiv von der ganzen Entwicklung der Argumentati-


on derselben TL ab.

III

Die »Genetisierung« ist die Rückführung eines Faktums auf sein Gesetz
bzw. seine Möglichkeitsbedingung. In der Logik ist aber dieses Faktum
das Wissen bzw. das Denken (die formale Seite des Wissens). Die Logik
ist ein Wissen über die Form des Wissens. Um die faktische Objektivie-
rung der Logik zu vermeiden, muß also die TL wissen, daß sie selbst die
Regel des Denkens schon befolgen muß, indem sie über das Denken
reflektiert, um seine Regel zu etablieren. Um die Regel des Denkens
richtig darzustellen, muß sie darauf hinweisen, daß ihre Argumentation in
actu gerade ihr eigenes Objekt ist9. Da die TL das Wissen über die Form
des Wissens ist, ist sie die Selbstreflexion des Wissens über seine Form,
die eben die Selbstreflexion ist, und die somit den Inhalt der TL ausmacht.
Deswegen ist der Gang der TL zirkulär bzw. selbstbezüglich.
Also: Die Form der Untersuchung über die Form des Wissens
(bzw. über die Argumentation) ist genau dieselbe Form des Wissens (vgl.
TL II, 135, 186, 231). Die Faktizität der FL wird also nur dann vermieden,
wenn man berücksichtigt, daß man nicht aus dem Wissen herausgehen
kann, um das Wissen zu verstehen. Sonst hätte man nicht mehr das Wis-
sen als Wissen, sondern als Faktum angesehen: Man würde sich mit dem
gleichen Hauptmangel der FL finden – Bild des Wissens zu sein, ohne es
zu wissen –; und man würde auch den Mangel, den Fichte Kant zu-
schreibt, wiederholen: Die Kategorien und die Apperzeption nur als
Faktum zu etablieren, ohne sie zu genetisieren, um damit die Bedingungen
seiner eigenen Rede zu rechtfertigen.
Wird man nicht die Selbstanwendung der von derselben transzen-
dentalen Reflexion aufgestellten Gesetze durchführen, wird man also das
Gesetz des Denkens, die Selbstreflexion, im Bereich der Logik, die das
Gesetz des Denkens verstehen sollte, nicht berücksichtigen: Dann würde
man sich in denjenigen Schwierigkeiten befinden, die die Kritiker der
naturalistischen Auffassung des TA gegen diese Position erheben: die

9 In der WL-1804-II drückt Fichte diesen Sachverhalt folgendermaßen aus: Das


Faktum ist Genesis und die Genesis ist Faktum. J.G. Fichte, Die Wissenschaftslehre – Zweiter
Vortrag im Jahre 1804 vom 16. April bis 8. Juni, hrsg. von R. Lauth (et alii), 2. Aufl., Hamburg,
1986, 273.
260 Alessandro Bertinetto

Kluft zwischen Erscheinung und Sein nicht füllen zu können (und damit
dem Skeptiker den Sieg zu lassen). Diese Kluft zu füllen heißt aber nicht,
von einer Erscheinung zum Faktum zu schließen, das angeblich erscheint;
sondern im Gegenteil darauf hinzuweisen, daß das Verstehen nie aus der
Erscheinungssphäre, die die Sphäre des Sinnes ist, heraustritt: Es ist
performativ unmöglich, aus dieser Sphäre herauszugehen. Die TL erkennt
also die Möglichkeitsbedingung des Sinnes mit einer selbstreflexiven Ar-
gumentation. Indem sie die Selbstbezüglichkeit für das Wesensmerkmal
des aufgeklärten Wissens hält und indem sie berücksichtigt, daß sie selbst
ein Wissen (über die Form des Wissens) ist, befolgt sie das gleiche Gesetz
des Denkens, das sie erklärt (vgl. TL II, 60).

IV

Die Reflexivität der Argumentation des Diskurses der TL über die Argu-
mentation wird durch die Unterscheidung von zwei Reihen der Reflexion
dargestellt: Einer synthetischen und einer analytischen.
Die erste Reihe fängt mit dem Begriff von Wissen als »Bild von
etwas« an (d. h. mit der faktischen Auffassung der Form des Wissens),
und kommt zum Begriff der transzendentalen Apperzeption; die zweite
Reihe stellt die transzendentale Apperzeption durch die syllogistische
Form dar, die das Denken als Akt der Selbstreflexion klar machen soll.
Der Begriff Bild wird am Anfang der TL II dazu benutzt, die
Form des Wissens zu verstehen. Das Bild sei der »Grundcharakter« des
Wissens (TL II, 20). Das Wesen des Bildes bzw. des Wissens wird aber
erstens nur negativ bestimmt. Umgangssprachlich bezeichnet der Begriff
Bild nur das, was dem Begriff Sein entgegengesetzt ist. Falls es Wissen
gibt, ist es Wissen von etwas: Etwas, das vom Wissen sich unterscheidet.
Dieses »Etwas«, das nicht Wissen ist, wird umgangssprachlich Sein
genannt. »Der Begriff des Seyns« ist aber »leer« (TL II, 42): Er bezeich-
net das, was Nicht-Wissen ist, so wie Wissen das ist, was Nicht-Sein ist.
Wenn man etwas weiß, hat man ein Bild und das Sein, wovon das
Bild eben Bild ist. Dies ist aber eine naive Auffassung des Bild-Sein-
Verhältnisses: Wenn man darüber reflektiert, wird man es als eine organi-
sche Synthesis bzw. als »DurchEinheit« (Diarium-III, 257) fassen. Das
heißt, das Sein ist nur durch und im Bilde: Denn es ist das Gebildete, das
nur durch das Bild und im Bilde als außer dem Bilde »interpretiert«
werden kann.
Die transzendentale Argumentation in der transzendentalen Logik Fichtes 261

Auf dem transzendentalen Standpunkt reflektiert man also, daß


man das Bild als Bild reflektieren muß, damit man versteht, daß das Bild
Bild (des Seins) und nicht Sein ist und daß das im Bilde abgebildete Sein
eben Sein und nicht Bild ist. Es handelt sich nicht um eine Reflexion, die
aus dem Bild von außen kommt. Demselben Bilde ist die Darstellung
seiner Differenz vom Sein wesentlich. Ohne diese Selbstdarstellung gebe
es kein Bild, kein Wissen. Das Wesen des Bildes bestehe gerade in seiner
Selbstdarstellung als Bild, die die Darstellung von einem »zweit[en]
Glied«, vom Sein als Gebildeten ist (vgl. TL II, 37 und 166). Dies sei die
»absolute Grundlage alles Verstehens, u. alles Wissens« (TL II, 33; vgl.
29f.). Die im Bilde dargestellte Differenz von Bild und Sein macht also
das Wesen des Bildes und des Wissens aus (vgl. TL II, 28f.; 38f.). Die
Differenz von Bild und Sein, die zugleich eine Einheit ist, da beide Glie-
der, Bild und Sein, nur durch einander (verstanden) werden können, nennt
Fichte Denkform (TL II, 31). Und das Bild bzw. die Einsicht der Denk-
form ist der Verstand bzw. der Sinn. Der Verstand ist die Einsicht des
Verhältnisses und des Unterschiedes von Sein und Bild, der das Wesen
des Bildes ausmacht (vgl. TL II, 33).
Die Möglichkeitsbedingung des Verständnisses des Seins als Ge-
gensatz des Bildes ist also der Besitz eines Bildes vom Bild und eines
Bildes vom Sein. Damit versteht man, daß die Entgegensetzung von Sein
und Bild eigentlich die Vergleichung zweier Bilder miteinander ist: Von
der einen Seite, ein Bild einer »Geschlossenheit in sich selbst«, »absolu-
te[n] Immanenz« und »Bildlosigkeit« (ein Bild des »absoluten bildlosen«,
d. h. dessen, was als solches nicht zum Bilde kommen kann: das Sein);
von der anderen Seite, ein Bild der Erscheinung des Seins (TL II, 41, 48).
Kurz: Ist der Grundcharakter des Seins die Faktizität, dann ist der Grund-
charakter des Bildes das Erscheinen, die Äußerung, die Genesis: Die
Reflexion auf den Unterschied von Sein und Bild, bzw. auf die Denkform,
ist also Bild des Bildes, bzw. »Genesis der Genesis«, d. h. Konstruktion
der Evidenz (TL II, 42). Diese Reflexion wird nicht außerhalb des Reflek-
tierten vollzogen werden, sonst würde die Genesis zum Faktum, das Bild
zum Sein objektiviert werden. Diese Objektivierung ist nur ein erstes
Niveau der Reflexion. Denn auf einem höheren Niveau versteht man, daß
das Faktum Genesis ist, da die von der TL vollzogene Reflexion dieselbe
Reflexion ist, die das Bild als solches ausmacht und durch die das Bild als
Bild sich setzt. Als Reflexion über die Wissensform ist die TL also die
genetische »Selbstconstruktion« des Bildes. Ist das Wissen, als selbstre-
flektiertes Bild, »Genesis der Welt«, da die Welt durch das Wissen er-
262 Alessandro Bertinetto

schlossen wird, dann ist das Wissen des Wissens, die TL, »Genesis dieser
Genesis« (TL, 45).
Wenn man die reflexiv-transzendentale Argumentation unter-
nimmt, begeht man also nicht den Fehler der naturalistischen Auffassung
des TA und der FL: die faktische Entgegensetzung Sein/Bild (bzw. Reali-
tät/Erscheinung). Denn man sich wird bewußt, daß das Sein nur durch das
Bild (Erscheinung, Genesis) als Sein, bzw. als Bild einer »Geschlossenheit
in sich selber«, erscheinen kann. Die Kluft Sein/Bild wird überwunden,
indem man versteht, daß der Mangel des empirischen Bewußtseins in der
faktischen Annahme dieser Kluft besteht. Auf dem empirischen Niveau
des Bewußtseins fixiert der Verstand das Erscheinen der Erscheinung in
einem Bild, das als Sein erscheint und das für das Ding an sich gehalten
wird. Wenn man aber den Verstand versteht, sieht man, daß »die wahre
Erkenntniß« im »Mittelpunkt« zwischen Sein und Bild hingestellt ist, da
Bild (Wissen) und Sein nur durcheinander sind und denkbar sind (TL II,
52f). Dies Durcheinander von Sein und Bild ist eben das Erscheinen als
Genesis. Durch die Reflexion des Verstandes wird die ursprünglich vom
Verstand am empirischen Niveau des Bewußtseins fixierte Vorstellung
zum Bilde, und damit kommt das Durch von Sein und Bild im Bilde vor.
Die Erscheinung, die jetzt als das Wesen des Bildes verstanden wird, hat
also ein Sein nur durch ihre Selbstreflexion, bzw. durch den Verstand, der
die Differenz Sein/Bild einsieht; umgekehrt ist der Verstand nur die
Selbstreflexion der Erscheinung. Verstand und Erscheinung sind (bzw.
sind denkbar) nur durcheinander. Die Erscheinung erscheint der transzen-
dentalen Reflexion also in einer doppelten Weise: Als Erscheinen (als
Genesis) und als Sein (als Faktum, so wie das empirische Bewußtsein es
wahrnimmt). Es handelt sich um »eine Synthesis des Werdens, u. Seyns
[...]« (TL II, 66), die selbst im Bilde ist und das Bild als solches ausmacht.
Man hat es aber mit einem Widerspruch zu tun, dessen entgegen-
gesetzte Glieder synthetisiert werden müssen: Um Bild zu sein, muß das
Bild von der einen Seite geschlossen, bzw. muß ein Sein sein, und von der
anderen Seite muß es Erscheinen, Genesis, Werden bleiben. Um die
Wissensform zu verstehen, muß man daher das Denken sowohl als Prozeß
als auch als Vorstellung im Bilde haben. Es handelt sich laut Fichte um
das Muster der Untersuchungen der Transzendentalphilosophie, und zwar
um eine »Vereinigung absoluter Gegensätze« (TL 66).
Die transzendentale Argumentation in der transzendentalen Logik Fichtes 263

Die Untersuchung, die diesen Widerspruch lösen soll, ist diejenige über
die transzendentale Apperzeption. Mit diesem Begriff muß verstanden
werden, daß Erscheinung und Verstand, das Gedachte und der Prozeß des
Denkens, ursprünglich eins sind. Deswegen muß die Argumentation
beweisen, daß die Einsicht der Differenz von Bild und Sein, die das
Wesen des Bildes als Erscheinung ausmacht, mit der Einsicht der Selbst-
reflexivität der Erscheinung zusammenfällt. Transzendentale Apperzep-
tion sei dann die Bedingung der Möglichkeit sowohl des Bildes als Syn-
thesis von Anschauung (Bild) und Begriff (Bild als Bild), als auch der
philosophischen Reflexion über das Bild als Bild und als Äußerung des
Seins. Sie ist nicht eine faktische, sondern eine genetische Möglichkeits-
bedingung des Denkens.
Anders als Kant betrachtet Fichte die analytische Einheit der Ap-
perzeption als Bedingung der Möglichkeit der synthetischen Einheit der
Apperzeption. Nach Fichte wird die analytische Einheit, die ist, und nicht
wird, nicht durch das wandelbare Mannigfaltige gesehen (vgl. TL II, 68) –
im Gegensatz zu Kant, für den das »Ich denke« diejenige Funktion ist,
welche die schon fertigen Vorstellungen zu einer synthetischen Einheit
bringen kann, damit sie alle als meine Vorstellungen verstanden werden
können10. Indem Fichte »die synthetische Einheit der Apperception« als
»Nachbild der analytischen« versteht (TL II, 69; vgl. 74), meint er, daß,
transzendental angesehen, jede Vorstellung analytisch selbstreflexiv ist.
Mit anderen Worten: Die transzendentale Möglichkeitsbedingung des
objektiven Wissens von etwas (bzw. des Vorstellens) ist das Denken als
selbstreflexiver Prozess, während das Vorstellen die faktische Möglich-
keitsbedingung des Denkens als Prozess ist.
Die Erscheinung hat also ursprünglich die Ich-Form und die Ich-
Form, bzw. die Apperzeption ist das, was im Bilde sozusagen stabil bleibt.
Es handelt sich aber um die Stabilität der selbstreflexiven Bewegung
durch den Wechsel der verschiedenen Inhalte. Gibt es ein Bild, dann gibt
es Ich-Form: Selbstreflexion des Bildes als Bild, das das Bild als solches
ausmacht. Fichte bezeichnet deswegen das Ich als die ursprüngliche
Vorstellung: Es handelt sich um die Vorstellung der Form der Vorstellung
überhaupt, die das Denken wie jede Vorstellung als das Ergebnis eines
Urteils versteht. »Ich« ist das Bild des Bildes, welches das Bild als solches
bestimmt. Es ist die apriorische Form des Denkens als Selbstreflexion,

10 Vgl. I. Kant, KrV, B 131.


264 Alessandro Bertinetto

d. h. der Verstand in dessen Beziehung zur Erscheinung. Ich ist die als
Erscheinung reflektierte Erscheinung, d. h. die Form der Erscheinung: Das
Ich ist Erkenntnisbedingung der Erscheinung und die Erscheinung ist
Möglichkeitsbedingung des Ichs (TL II, 111). Die Ich-Form ist also das
Gesetz des Denkens. Da aber die Gesetze nicht in die Anschauung eintre-
ten, sondern sie nur bestimmen, bleibt die Ich-Form dem natürlichen
Bewußtsein verborgen: Ihm erscheinen nur die objektiven Bedeutungen;
im Gegenteil, auf der Ebene der genetischen-transzendentalen Reflexion,
erscheint das Ich als Sinn, bzw. als transzendentale Möglichkeitsbedin-
gung der Vorstellung und der Bedeutung überhaupt.
Das heißt aber nicht, daß das Ich die Bedeutungen, die Vorstel-
lungen faktisch produziert: Dies wäre ein psychologisches Mißverständnis
des transzendentalen Standpunktes. Vielmehr ist das Ich, als transzenden-
tales Gesetz der Selbstreflexion, seinerseits Bild einer Konstruktion (einer
Setzung): Das Ich ist Bild der Konstruktion eines unkonstruierbaren
Inhaltes (TL II, 103–104). Es ist ein Bild, das sich als sich setzendes setzt,
nur darum, weil es das Gesetz der Selbstreflexion nicht sieht, nach wel-
chem es ist (vgl. TL II, 123). So hebt Fichte den Schein von subjektivem
Idealismus auf, den seine Jenenser Definition des Ichs noch erregen
könnte. Als apriorische Form des Wissens hängt das Ich davon ab, daß es
eine Erscheinung gibt, und es erscheint als solches, wenn man über die
Erscheinungsform als Wissensform überhaupt reflektiert, indem man also
von jedem aposteriorischen Inhalt abstrahiert.
Diese Abstraktion des Wissensinhaltes von der Wissensform wird
von der Logik gemacht, um die Form des Wissens zu verstehen. Wenn
aber die Form des Wissen vom Wissen abgerechnet wird, bleibt nur das
»Bildlose«: nämlich das Absolute. Mit dem Begriff »Absolutes« meint
Fichte den unkonstruierbaren Inhalt des Wissens, dessen Erscheinung das
Wissen ist und das als Unkonstruierbares nur in der Selbstreflexion des
philosophischen Wissens ist bzw. erscheint. »Absolutes«, »Sein«, »Gott«,
»Leben« sind also alle Bilder: Bilder, die das ausdrücken, was sich wegen
seiner Unmittelbarkeit der Bildform bzw. der Begrifflichkeit oder der
Denkform entgegensetzt. Aber diese Entgegensetzung ist nicht nur die
Möglichkeitsbedingung der Denkform – falls nichts erscheinen würde,
gäbe es kein Bild. Sie ist die Denkform selbst. Die Denkform, die die
Differenz von Bild und Sein ist, wird also von ihrem begrifflichen Gegen-
satz (dem Nicht-Bild, dem Nicht-Wissen) mitkonstituiert: Dies hiatum
irrationalis ist nicht nur Grenze, sondern eben Möglichkeitsbedingung des
Denkens.
Die transzendentale Argumentation in der transzendentalen Logik Fichtes 265

Schluß

Die systematische Entwicklung des Problems der Erscheinung des Ab-


soluten ist die Hauptaufgabe der späten Darstellungen der WL. Es ist aber
ein Problem, das die TL II, die nur auf die Wissensform reflektiert, nur en
passant berührt, um jeden Anschein von Psychologismus zu vermeiden
und um die Denkform als Selbstreflexion zu verstehen. Diese Aufgabe
wird erledigt, wenn man die Vorstellung genetisch aus der begrifflichen
Entwicklung der transzendentalen Apperzeption durch den schon erwähn-
ten Syllogismus hervorgehen läßt. Indem man diesen Syllogismus auf-
stellt, wird die Erscheinung als Bildsein und als Bild dieses Bildseins
verstanden. So bekommt man Evidenz über das Faktum, das am Anfang
der Untersuchung vorausgesetzt war: das Verständnis des Wissens als Bild
von etwas. Die erzielte Evidenz ist der Sinn als das durch das Verstehen
der Selbstreflexivität als Form der Vorstellung dargestellte Verhältnis
zwischen der objektiven Bedeutung und der Möglichkeitsbedingung der
Bedeutung, Faktum und Genesis. In demselben Bild ist nämlich die
Hinschauung eines faktischen Seins mit der Bildung des Wesens vereinigt.
Der Sinn ist also die Synthesis zwischen dem Faktum, das die Anschauung
unmittelbar nachbildet, und dem Wesen, das den Begriff als solchen
ausmacht (TL II, 145). Das Denken ist Synthesis von faktischer und
intellektueller Anschauung, von Bild und Bild des Bildes, und als solche
müssen Ich bzw. transzendentale Apperzeption verstanden werden (TL II,
151–152).
Attention et réflexivité dans la Logique de 1812
et la dernière philosophie de Fichte

Marc Maesschalck (Louvain)

Dans la Logique de 1812, l’attention est mobilisée à la douzième leçon, là


où la liberté est conçue comme »image de la construction d’un inconstruc-
tible«1. Comment peut-on se faire sans perdre tout simplement sa liberté ?
Il faut pouvoir se donner librement à ce processus, se représenter comme
ce Moi pouvant se déterminer librement au non-être libre comme ce point
de passage du se faire soi-même. L’attention est précisément »l’image de
cet abandon libre de soi à la non liberté«2, le moment de l’expérience
intellectuelle où nous devenons par nous-mêmes l’image en train de se
réaliser.
L’attention joue ainsi un rôle déterminant qui mérite à mon sens
clarification, d’autant plus que cet usage de l’attention est pour le moins
novateur par rapport aux usages antérieurs que lui avait accordé Fichte.
Pour clarifier l’enjeu spéculatif de l’attention, il faut passer d’un usage
psychologique de l’attention à un usage épistémologique, avant de
s’essayer à en cerner la signification générique pour l’exercice de la liberté
transcendantale.

1 SW IX, 218.
2 SW IX, 220.
268 Marc Maesschalck

1. L’intérêt transcendantal de l’attention

Pour comprendre l’intérêt transcendantal du concept d’attention, il faut


remonter à la Psychologia empirica de Wolff qui manifestement marque
l’usage du concept d’attention chez le dernier Fichte.
Si l’on en reste à la lettre de Kant, le concept d’attention n’a guère
d’intérêt. Il accompagne le processus de l’abstraction et est circonscrit à
une fonction de type psychologique: il faut pour réussir une abstraction se
concentrer sur certaines propriétés d’une représentation et dès lors réduire
en intensité d’autres aspects également contenus par cette représentation.
Cette mise en latence libérant d’une possible dispersio est l’attention qui
ouvre la voie d’une intentio capable de fixer, de sélectionner et à terme de
catégorialiser. Puisqu’elle est subordonnée à l’opération d’abstraction au
plan volontaire, Kant en conclut que la faculté d’attention est inférieure à
celle d’abstraction. En effet, au-delà d’être une »attention négative«,
l’abstraction exige un processus d’acquisition pour devenir une disposition
de l’intelligence, tandis que l’attention correspond à une tendance sponta-
née de l’intelligence à se fixer sur des détails, sur des déterminations
spécifiques, plutôt que de s’orienter vers une représentation moins sou-
mise aux impressions immédiates.
Kant en a fini ainsi avec l’attention, mais son maître Wolff ne
l’entendait pas de cette façon. Si Wolff traite aussi de l’attention dans le
domaine de la Psychologie empirique, c’est avec minutie pour distinguer
plusieurs degrés d’attention et en dégager une dimension épistémologique
toute particulière en lien avec la réflexion. Wolff ne consacre pas moins
d’une trentaine de paragraphes à l’attentio dans sa Psychologia empirica.
L’objectif de ces analyses est d’établir le lien entre l’attention et sa con-
servation par le libre-arbitre. Conserver l’attention face aux sollicitations
tant des sensations extérieures que des images de l’imagination exige un
entraînement graduel de l’esprit dépendant à la fois de l’âge et du degré
d’éducation. – C’est cet aspect d’apprentissage qui retiendra d’emblée
Fichte dans l’usage pédagogique de l’attention présent dès la première
philosophie – . Toujours selon Wolff, l’effort demandé à la volonté pour
conserver l’attention est inversement proportionnel au degré d’habitude
atteint dans l’exercice de l’attention. Pour atteindre la liberté d’indiffé-
rence face aux sollicitations, il faut procéder graduellement en s’exerçant
d’abord sur un objet unique pour en arriver à diriger son attention face à
une pluralité d’objets et saisir, enfin, le principe dont dépend cette direc-
tion de l’attention, à savoir la réflexion de notre libre-arbitre. On lit ainsi
au § 257 de la Psychologia empirica : »Attentionis successiva directio ad
Attention et réflexivité dans la Logique de 1812 269

ea, quae in re percepta insunt, dicitur reflexio. Unde simul liquet, quid
facultas reflectendi, scilicet quod fit falcultas attentionem suam succesive
ad ea, quae in re percepta insunt, pro arbitrio dirigendi«. – Cette fois,
l’attention n’est plus uniquement un exercice auxiliaire formant la concen-
tration mentale et l’aptitude à l’abstraction. Il s’agit aussi de l’accès à une
sphère d’activité de l’esprit reposant sur une habitualité et, plus encore, de
la saisie du principe directeur de cette sphère d’activité, la faculté de
réflexion du libre-arbitre. C’est un tel pas qui nous paraît déterminer le
retour du concept d’Attention dans la dernière philosophie de Fichte – .
Pour Wolff, ce qui entrave l’attention entrave aussi la réflexion et, en
conséquence, l’aptitude même de l’agent à l’action (§ 264). – Ce dernier
pas ouvre une considération pratique sur l’attention qui est aussi l’objet
ultime de notre préoccupation pour le rôle de ce concept dans la dernière
philosophie – . Comme le précise la Philosophia Practica universalis,
l’attention peut être dirigée volontairement et constituer la base d’une
imputabilité morale : »Si ex decreto animae attentionem dirigis in objec-
tum, a quo eandem avertere poteras, directio attentionis est actio libera«
(§ 18). Il n’est donc pas juste de prétendre que l’on était incapable de
détourner son attention d’une situation alors qu’il nous était réellement
possible de diriger notre faculté dans une autre direction et dès lors de
rendre possible un autre comportement. David, attiré par Bethsabée qui se
baignait3, pouvait détourner son attention et rendre possible un comporte-
ment différent que celui qu’a nourri sa concupiscence (§ 544).
Avec Wolff, il est donc possible de distinguer trois pas dans la
formation du concept d’attention : le pas pédagogique (appuyé sur une
psychologie empirique de l’activité de connaissance et une forme
d’entraînement mental), le pas épistémologique (qui pose la question
d’une sphère d’activité spécifique de la raison dotée de ses propres condi-
tions de développement, un domaine), le pas théorétique ou spéculatif (qui
renvoie au principe directeur du domaine ainsi distingué et rapporte
directement ce principe à la signification pratique de la raison pour le
libre-arbitre).
Quand Fichte reprend à son compte le travail d’une psychologie
de la connaissance dans les Thatsachen des Bewusstsein en 1810 et en
1813, il renoue avec ce traitement minutieux et particulier de l’attention
qui rappelle celui proposé par Wolff. Fichte mobilise alors clairement le
terme d’Attention qui renvoie directement au concept latin d’attentio traité
par Wolff.

3 2 Sa 11, 2ss.
270 Marc Maesschalck

Selon les Thatsachen de 1810, si l’on nomme x une perception


externe, »dans l’état d’attention, ce x est pénétré de part en part avec
liberté, son être-là est un produit de la liberté«4. Ainsi, en s’abandonnant à
la configuration d’un objet perçu (une fleur, un poêle), le Moi peut en
même temps se concentrer, sélectionner des traits en diminuant l’intensité
d’autres traits, reproduire cette expérience à souhait, si bien que dans l’état
d’attention, l’être-là d’une perception externe est pénétré de part en part
avec liberté, son être-là devient un produit de la liberté : »son demeurer,
tout autant qu’il demeure est un produit de la liberté«5. Dès que la cons-
cience naît à son libre principe, elle n’est plus immédiatement causalité
par le seul fait d’exister avec son environnement, mais elle dispose de la
capacité de se remettre dans cette position grâce à l’attention6.
Quand le Moi s’intuitionne comme principe d’une image7, il se si-
tue comme percevant face à un monde d’objets présents (vorhanden),
donnés, comme créateur d’images. Ce qui s’accomplit alors par l’attention
à cet état de percevant par rapport auquel le Moi est libre tout autant de
s’engager que de s’abstraire, c’est la scission ou la division (Spaltung) du
Moi jugeant et du Moi percevant, du Moi correspondant à la conscience
universelle d’un monde commun et du Moi individuel correspondant à
l’acte de s’auto-déterminer à percevoir.
Dans la scission de l’attention se détermine le sens premier de la
liberté : celui de pouvoir s’engager dans une individuation de la manifes-
tation en se maintenant dans l’horizon externe de référence à un Moi
transcendantal impersonnel et supra-individuel, indivisible, intuitionnant
le monde comme l’image de la manifestation de son être. C’est dire plus
précisément que l’attention rend possible la corrélation entre un monde
prédonné que nous considérons tous comme unique et identique pour tous
les sujets percevant en tant qu’image imagée et le principe imageant
conduisant le développement interne du système des états de fait en tant
qu’acte libre d’un sujet percevant.

4 GA II,12, 35.
5 Ibid..
6 GA II,12, 33.
7 SW IX, 519.
Attention et réflexivité dans la Logique de 1812 271

2. Portée épistémologique du concept d’attention

Mais au-delà de l’apprentissage d’une certaine familiarité à l’exercice


transcendantal de la raison, il y va aussi, dans l’attention, d’un enjeu plus
radical qui est celui de l’introduction au domaine spécifique de la raison
transcendantale. L’attention permet à l’auditeur de prendre conscience de
son propre déplacement intellectuel quand il en vient à se mouvoir dans le
domaine transcendantal.
Dans la Logique de 1812, il y a deux aspects de l’auto-manifesta-
tion du Moi en tant qu’être libre. Il est à la fois, d’un point de vue formel
pur8, un être produit par soi-même, une pure image de soi et, d’un point de
vue formel qualitatif, une image produite par la manifestation de son être,
un produit fondé sur un être. Ces deux aspects sont corrélatifs dans
l’intelligibilité du Moi. Fichte parle de Zweiheit9 ou de Duplicität10. Le
contenu (Inhalt11) du Moi comme vie est corrélatif de son contenant
(Gehalt) comme effectivité ou comme substance. Le Moi se comprend
donc selon un double schéma : comme image manifestée par l’être (sché-
ma I) et comme image de cette image (schéma II) manifestant la loi
d’indissociabilité de l’être et de l’image12, comme »frei Bilder-Princip«13.
C’est dire que le Moi combine, dans sa manifestation, la capacité de se
faire soi-même (conformément à sa forme d’être) et la capacité de se
laisser affecter en sa forme d’être par cette transformation de soi par soi.
Le point médiant entre ces deux capacités est l’attention14. L’attention du
point de vue de la Logique transcendantale rend possible une forme
d’abandon de soi (hingeben), de »passibilité«, en corrélation avec un
devenir par soi-même. Elle permet donc d’expliquer l’image du Moi en
tant que »construction d’un inconstructible«15 ! La liberté n’est en aucun
cas un constructible. Elle se donne à elle-même grâce à la schématisation
de la loi formelle contenue par le concept du Moi. De cette schématisation
découle la double image contenue dans le principe de »se faire soi-
même«, à savoir l’image d’un construire et l’image d’un construit, dans
l’activité transcendantale.

8 Cf. SW IX, 209–210.


9 SW IX, 209.
10 SW IX, 220.
11 SW IX, 218.
12 SW IX, 211.
13 SW IX, 212.
14 SW IX, 220.
15 SW IX, 218.
272 Marc Maesschalck

C’est sur ce plan que l’on peut comprendre un intérêt spécifique-


ment phénoménologique pour le concept d’attention qui est, me semble-t-
il, porteur de certaines clarifications épistémologiques fondamentales.
C’est, en effet, par l’attention que la liberté comme activité propre de la
raison peut devenir le thème d’une réflexion transcendantale. Dans les
termes de Husserl, on pourrait dire que l’attention permet une »prise de
conscience par soi-même de la subjectivité transcendantale«16 et fournit la
clé d’une philosophie de la philosophie transcendantale ou d’une »phéno-
ménologie de la réduction phénoménologique«17.

3. Vers la dimension spéculative de l’attention

Dans sa radicalité transcendantale, l’attention ne se restreint pas, dans la


dernière philosophie, au domaine de la psychologie transcendantale, ni à
la prise de conscience de l’activité transcendantale comme responsabilité
radicale du sujet transcendantal à l’égard du destin de la raison, mais
permet aussi de relier la Logique transcendantale de 1812 avec la WL de
la même année.
Selon la Logique de 1812, l’enjeu de l’attention n’est pas seule-
ment de donner à concevoir la duplicité du construire grâce à la duplicité
des images du construire et du construit. L’attention consiste surtout à
saisir, selon une loi formelle structurant les schèmes, l’indépendance du
construit, c’est-à-dire à saisir, dans l’acte du construire, une image du
construit qui est indépendante de l’acte de construire18 ; l’image du »cons-
tructum de la manifestation«19, indépendante des images de premier ordre
dérivées de la Grundbild du principe construisant librement. Comment
comprendre cette duplicité faite d’images de premier et de deuxième ordre
du »se faire soi-même du Moi« ? Un lien est posé entre l’image fonda-
mentale de la forme du Moi et la duplication de cette image dans la mani-
festation. Dans l’ordre de la manifestation se séparent en effet l’image
Moi se faisant (schéma I) et l’image du Moi fait par le Moi (schéma II), le
produit (constructum) de ce construire. Cette séparation permet d’éviter la
réduction formelle de la manifestation à l’identité absolue du Moi = Moi
(l’Hinschauung) et de saisir la non-contradiction du pouvoir d’auto-

16 Husserl, E., Formale u. Transzendentale Logik, Hua XVII, 280.


17 Husserl, E., Erste Philosophie. II. Teil, Hua VIII, 314.
18 SW IX, 217.
19 SW IX, 216.
Attention et réflexivité dans la Logique de 1812 273

construction du Moi. La manifestation rend possible l’idée d’une prise de


conscience de soi comme liberté pure par le pouvoir d’attention au Cons-
tructum, en tant qu’»être-construit-par-soi-même« du Moi se faisant. Dans
cette image, l’être-construit du Moi apparaît comme indépendant du »se
faire« et se caractérise comme »libre de ne pas faire«, comme »disposition
pure«, comme la déterminabilité séparée de la détermination, comme
»passibilité«.
Si l’on peut considérer le Moi non seulement comme un pur prin-
cipe créateur, mais aussi comme un »reçu« ou un don qu’on se donne à
soi-même, ce n’est donc pas au sens où il serait donné au Moi d’être
possible (donation), ni au sens où le Moi serait constitutivement selon la
modalité du »je peux«. C’est plus exactement parce qu’il peut se donner à
soi-même sous la forme d’un »je peux«. Sa modalité réflexive consiste
précisément à relier la spontanéité de sa forme pure avec la réceptivité de
son être propre. Il en résulte, pour toute manifestation de la liberté, la
nécessité de surmonter, par l’attention proprement spéculative, l’antinomie
de la liberté purement en acte et du devenir libre ou du passage par as-
somption vers l’actualisation de la forme pure. Ce dépassement révèle un
degré supérieur d’attention, celui de la WL, qui rend possible l’auto-
intuition aperceptive de soi-même comme subject-objectivité, comme trait
d’union (vermittelnde Glied20) du multiple et du simple voir, comme le
flux ou écoulement de l’unité sur le multiple. (Fluss, fliessen). Il s’agit
d’un troisième ordre de schème constituant une image de soi-même dans
l’attention21 à l’acte de réflexion, un schème III qui concerne la réalisation
de l’unité transcendantale comme communauté de destin. Ce schéma III
renvoie au concept pur de la WL en tant que connaissance (erkennen22) de
la forme pure posée selon la réflexibilité de la manifestation, c’est-à-dire
selon la liberté de la manifestation. La réflexibilité de la manifestation en
sa forme peut ainsi être pensée selon un concept pur, indépendant de son
mélange avec le réel. A mon sens, la réflexibilité est la conception ache-
vée de l’image de la passibilité du Moi comme »image de la construction
d’un inconstructible«.

20 GA II,13, 101.
21 GA II,13, 100: Attention auf den Reflexionsakt.
22 Ibid.
274 Marc Maesschalck

4. Interprétation pratique de l’attention

Dans l’usage qu’en propose Fichte s’affirme encore une dimension pres-
criptive de l’attention. Elle devient une exigence de la raison. Avant les
textes de 1810 à 1814, Fichte n’utilise pour ainsi dire jamais le concept
d’Attention. Par contre, celui d’Aufmerksamkeit est déjà bien présent.
Spontanément, ce concept suggère les recommandations pédagogiques de
Fichte à ses auditeurs. Il est d’abord lié comme chez Wolff à la con-
sidération de l’effort intellectuel à fournir par l’auditeur non accoutumé à
évoluer dans la sphère transcendantale. Mais il s’agit plus encore de
déterminer l’attitude mentale qui correspond à la reproduction authentique
de la WL comme activité transcendantale.
La Cinquième conférence de la WL de 1804 donne un condensé
de cet usage de l’attention. On y retrouve l’articulation entre la dimension
psychologique de l’attention et sa dimension épistémologique. D’un côté,
l’attention est un préalable consistant à se concentrer sur l’objet visé ; d’un
autre côté, cette disposition acquise devient un moyen (Mittel) qui accom-
pagne la reproduction vivante de la WL et l’enracinement en elle (einwur-
zeln). Dans la cinquième conférence de 1804, il est question d’acquérir
une Stimmung à l’égard des exposés de Fichte. Cette Stimmung doit
permettre de parvernir à reproduire de manière personnelle et vivante,
comme disait la deuxième conférence, l’exposé de la WL23. Fichte insiste
sur le fait qu’il doit s’agir d’une attention pleine et entière (ganze und
volle), c’est-à-dire qui se projette elle-même dans l’objet exposé avec
toutes ses capacités intellectuelles, s’y ajuste (ansetzen) et s’en laisse
pénétrer (aufgehen) de telle sorte d’abord qu’aucune autre pensée ne
puisse entrer et que tout l’espace intérieur de l’esprit soit occupé24, mais
aussi de telle sorte, ensuite, que l’esprit puisse 1/ construire intérieurement
un concept précis ; 2/ tenir ensemble le Construit et, enfin, 3/ laisser se
produire une intellection (Einsicht)25. Il y a ainsi une finalité immédiate et
une finalité médiate de l’attention.
Le concept de Stimmung est aussi présent en lien avec celui
d’attention dans l’Ethique de 1798. En 1798, l’Aufmerksamkeit est mobili-
sée dans une situation bien précise comme exigence pratique. Elle apparaît
à la rubrique des devoirs inconditionnés particuliers, quand Fichte parle
des devoirs du peuple à l’égard des classes dirigeantes. Ces devoirs ne

23 GA II,8, 22.
24 GA II,8, 66.
25 GA II,8, 69.
Attention et réflexivité dans la Logique de 1812 275

peuvent s’entendre, selon lui, comme une forme de soumission aveugle au


pouvoir des classes dirigeantes ni comme une reconnaissance rationnelle
des obligations de la raison à l’égard des représentants de la loi ou des
éducateurs. Il s’agit dans ce cas d’une »simple attention« consistant à
admettre l’intérêt d’un examen approfondi des recommandations formu-
lées par les savants pour améliorer la productivité sociale26. Fichte parle
de cette attention comme d’une Stimmung conduisant l’esprit à demeurer
ouvert à l’examen autonome des propositions. Une telle disposition »dé-
pend d’une délibération (Überlegung) et d’une réflexion (Reflexion)«27 et
l’on peut faire indirectement un devoir, non de la disposition comme telle,
mais bien de cet examen réflexif (Nachdenken) par lequel elle se réalise.
En imaginant cette forme ouverte de coopération sociale, Fichte
assigne à l’attention ce rôle particulier de rendre possible une articulation
entre l’expérience immédiate d’un rôle social avec ses finalités propres
dans l’ensemble du corps social et les finalités générales de ce corps social
qui sont de rendre possible le progrès de l’humanité dans son ensemble
vers sa finalité ultime. Si une telle articulation est pratiquée grâce à
l’attention recommandée, une réelle coopération pourrait s’établir dans la
vie sociale et rendrait »l’homme ordinaire toujours plus capable de pro-
gresser avec la culture de son époque«28.
Il ne s’agit donc pas ici de convenance ni d’ailleurs de subsomp-
tion, mais d’une opération qui partant d’un contenu déterminé s’élève
pratiquement à la forme d’une finalité absolue, sans en appeler pour autant
au »saut« d’une création morale. Au contraire, l’attention qui relie les
ordres de finalité est le maillon épistémologique qui manque à une Glau-
bensphilosophie du saut.
Le problème crucial pour le moi individuel de l’éthique appliquée
est de se réaliser hors de soi en devenant effectivement le moyen de sa
propre fin, c’est-à-dire en devenant, à travers son concept de moyen, un
produit de la volonté pour un concept de fin désormais posé hors de soi
par ce moyen29. Mais comment est-il possible pratiquement d’inférer
l’existence d’une fin morale hors de soi à partir du concept d’individualité
comme produit de la liberté, c’est-à-dire comme un moyen pour la réalisa-
tion du moi pur ? L’action sur le moyen nécessite, en effet, de poser une
fin hors de soi, c’est-à-dire d’inférer du concept de fin immédiate un

26 GA I,5, 315.
27 GA I,5, 316.
28 GA I,5, 317.
29 Cf. GA I,5, 203.
276 Marc Maesschalck

concept de fin médiate, toujours à l’horizon de la totalité du processus


temporel de nos actions30. Il faut être en mesure dès lors d’unir des finali-
tés différentes dans une seule et même loi formelle de la liberté, c’est-à-
dire d’unir une finalité prochaine et une finalité ultime de telle sorte que ce
soit la finalité prochaine qui conduise à la finalité ultime et non cette
dernière qui soit conçue comme subsumant la première. C’est ainsi la
réflexibilité du moyen qui rend médiatement possible la réflexivité sur la
fin de ce moyen.
La réflexibilité au plan transcendantal des conditions nécessaires
à la réalisation de la liberté rend donc possible la réflexion sur la nécessité
de ces conditions eu égard à l’objet ultime de la poursuite de l’action. La
distinction entre la fin prochaine et la fin dernière des actions du moi
individuel31 repose sur la mise en œuvre d’une faculté transcendantale
d’attention à l’acte de réflexion32 susceptible de réunir ces ordres de
finalité dans la réalisation de la liberté.
L’attention comprise comme cette condition épistémologique pour une
corrélation des fins est la base d’une philosophie de la Doctrine de la
science ou de la doctrine nécessaire au sein de la doctrine pour accompa-
gner l’auto-genèse de son point de vue.

30 Cf. GA I,5, 234.


31 Cf. GA I,5, 234.
32 GA II,13, 100.
Perspektiven der Philosophie
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Band 32 – 2006. Begründet von


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Edited by Herausgegeben von Wiebke Schrader,
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Inhalt
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Nichts. Blinde Flecken der Systemtheorie
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und Heidegger
Vítezslav HORÁK: Das Bild als Werkzeug
II. Fluchtpunkte der Freiheit
Dagmar FENNER : Ist die “negative Freiheit”
ein Irrtum? Berlins Konzept “negativer
Freiheit” im Kontrast zu Taylors Gegenentwurf
“positiver Freiheit”
Reinhard PLATZEK: Moderne Hirnforschung oder
das vermeintliche Ende des freien Willens
Kurt MAGER: Wissen als Verrat an der Freiheit
der Existenz? Zum Problem der Subjektivität
bei Karl Jaspers
Georges GOEDERT: Dankbarkeit als Dialogizität
Andreas LISCHEWSKI: Über die Erziehung zum Patriotismus. Geschichtlicher Streifzug zu
einem aktuellen Thema III. Perspektiven des Sinngrundes
Edgar FRÜCHTEL: Inneres Auge und göttliche Schau. Reflexionen zum antiken Horizont des
Begriffs “Vision”
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Contemporary Pragmatism
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