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Mander 2016
Mander 2016
Psychotherapeut 2016 · 61:384–392 Johannes Mander · Eva Vogel · Valerie Wiesner · Paul Blanck · Hinrich Bents
DOI 10.1007/s00278-016-0119-y Zentrum für Psychologische Psychotherapie, Psychologisches Institut, Universität Heidelberg, Heidelberg,
Online publiziert: 18. August 2016 Deutschland
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
Redaktion
B. Strauß, Jena Yaloms Wirkfaktoren in der
Gruppentherapie
Übersetzung und Validierung eines
Fragebogens
Das externe und valide Monitoring zu wichtigen Therapieereignissen ba- Beziehung (Bormann et al. 2011). Dieser
zentraler Wirkfaktoren von Grup- siert (Berzon et al. 1963). Kivlighan et al. baut auf dem Modell von Johnson et al.
penpsychotherapie im klinischen (1996) überarbeiteten die „Critical-inci- (2005) auf und integriert die 3 Struk-
Alltag stellt eine Herausforderung dent“ Methodik mithilfe externer Rater turebenen der Beziehung Mitglied und
dar. Notwendig hierzu sind kurze, und kamen zu den 4 Facetten emotiona- Leiter, Mitglied und Mitglied sowie Mit-
zeitökonomische Instrumente mit le Bewusstheit-Einsicht, Beziehungsklima, glied und Gruppe sowie die 4 qualitativen
hoher konzeptueller Breite. Eine Fokus auf andere vs. Fokus auf Selbst und Ebenen Kohäsion, Allianz, Empathie und
deutsche Version der international Problemlösen-Verhaltensänderung. Gruppenklima. Allerdings werden im
etablierten Kurzfassung des thera- Um gruppentherapeutische Prozesse GCQ-S und im GQ-D nur interaktio-
peutischen Faktoreninventars (TFI), besser zu verstehen, sind Selbstauskünfte nell-beziehungsbezogene Wirkfaktoren
das auf Yaloms Konzeption grup- von Patienten aus psychometrisch vali- berücksichtigt (Burlingame et al. 2011).
pentherapeutischer Wirkfaktoren dierten Messinstrumenten zentral. Des- Damit werden andere gruppentherapeu-
basiert, könnte ein solches fundier- halb wurden in den letzten Jahrzehnten tische Wirkfaktoren vernachlässigt.
tes Instrument zur ökonomischen in der Gruppenprozessforschung diverse
Erfassung gruppentherapeutischer Fragebogen entwickelt, die diese Aspek- Yaloms Gruppentherapie-
Wirkfaktoren darstellen. te adressieren. Am häufigsten wurden konzept
Instrumente zur Gruppenkohäsion oder
Hintergrund zu verwandten Konstrukten konzeptuali- Yaloms Konzeption gruppentherapeuti-
siert und psychometrisch validiert (Bur- scher Wirkfaktoren (Yalom 1995) ist ein
Die Wirksamkeit von Gruppenpsycho- lingame et al. 2011). Metaanalytisch zeigt Ansatz mit höherer konzeptueller Breite
therapien gilt als bestätigt (Burlingame sich eine Korrelation von r = 0,25 zwi- und leitet aus systematischer Forschung
et al. 2003). Zu verstehen wie Gruppen- schen Gruppenkohäsion und Therapie- 11 gruppentherapeutische Wirkfaktoren
therapien wirken, ist jedoch eine aktu- erfolg (Burlingame et al. 2011). ab: Hoffnungeinflößen, Universalität des
elle Forschungslücke (Burlingame et al. Der Gruppenklimafragebogen Leidens, Mitteilung von Informationen,
2013). Diese zu klären, kann helfen, grup- (GCQ-S; Tschuschke et al. 1991) ist Altruismus, korrigierende Rekapitulation
pentherapeutische Interventionen zu op- eines der am häufigsten verwendeten der primären Familiengruppe, Entwick-
timieren (Johnson 2014). Instrumente in der Gruppenprozess- lung von Techniken des mitmenschlichen
forschung (Burlingame et al. 2013). Umgangs, nachahmendes Verhalten, in-
Gruppentherapeutische Gruppenkohäsion wird hier operatio- terpersonales Lernen, Gruppenkohäsion,
Wirkfaktoren nalisiert als implizite, die Gruppenat- Katharsis und existenzielle Faktoren.
mosphäre prägende Verhaltensregeln Diese wurden zunächst mithilfe des „Q-
Die Ausarbeitung von Corsini und Ro- mit den 3 Facetten Engagement, Konflikt Sort“-Tests validiert (Yalom 1995).
senberg (1955) zu den 3 Dimensionen und Vermeidung. Fragebogenwerte im Der Nachteil des „Q-Sort“-Tests be-
intellektueller, emotionaler und hand- GCQ-S sind bedeutsame Prädiktoren steht darin, dass dieser aufgrund des ho-
lungsbezogener Wirkfaktoren stellt his- des Therapieerfolgs (z. B. Ogrodniczuk hen Zeitaufwands nur zur retrospekti-
torisch ein erstes fundiertes Konzept und Piper 2003). Ein weiteres etabliertes ven Einschätzung bezüglich der Wirk-
gruppentherapeutischer Prozesse dar. Instrument zur Erfassung der Grup- faktorintensität der ganzen Gruppenthe-
Diese 3 Dimensionen wurden weiter- penkohäsion ist der Gruppenfragebogen rapie eingesetzt werden kann (MacNair-
entwickelt über die „Critical-incident“- (GQ-D) mit den Dimensionen Verbun- Semands et al. 2010). Deshalb entwickel-
Methodik, die auf Patientenauskünften denheit, Arbeitsbeziehung und negative ten Lese und MacNair-Semands (2000)
Abb. 1 8 Mess- und Strukturmodell als Grundlage für die konfirmatorische Faktorenanalyse. EBE Erkenntnis von beziehungs-
bezogenem Einfluss, EH Einflößung von Hoffnung, SEA sicherer emotionaler Ausdruck, SL soziales Lernen
tet. Im englischsprachigen Original des lischer Muttersprachler, der die Original- Konstruktvalidität im Sinne von Skala-
TFI-S/TFI-19 wurden faktorenanaly- Items nicht kannte, eine Rücküberset- Outcome- Korrelationen (0,30 ≤ r ≤
tisch Yaloms 11 therapeutische Faktoren zung ins Englische durch. Die rücküber- 0,72).
(1995) zu 4 Dimensionen zusammenge- setzten Items entsprachen sehr gut dem
fasst: Einflößung von Hoffnung, sicherer englischen Original. Folglich wurde die Beck Depression Inventory. Zur Mes-
emotionaler Ausdruck, Erkenntnis von finale Version durch Konsensentschei- sung der depressiven Symptome wurde
beziehungsbezogenem Einfluss und sozia- dung fertiggestellt. Der Anhang zeigt die das BDI-II (Beck et al. 1996; Hautzin-
les Lernen. Die standardisierten Faktor- Items des deutschen TFI-S. ger et al. 2006) verwendet. Das BDI-
ladungen des TFI-19 liegen im Bereich II verfügt über eine exzellente interne
0,41 ≤ λ ≤ 0,95; die internen Konsisten- Brief Symptom Inventory. Zur Erfas- Konsistenz (α = 0,92) und eine exzellente
zen sind akzeptabel (0,70 ≤ α ≤ 0,90). Die sung der allgemeinen Symptombelastung Retest-Reliabilität (r = 0,93). Die kon-
prädiktive Validität wurde nachgewiesen wurde das BSI (Franke 2000) verwendet. vergente Validität liegt im Bereich 0,71 ≤
durch Zusammenhänge des TFI-S/TFI- Die 53 Items können 9 Subskalen zuge- r ≤ 0,89 (Beck et al. 1996; Hautzinger
19 mit diversen Outcomes (Joyce et al. ordnet und zum Global Severity Index et al. 2006).
2011). (GSI), einem Globalmaß der grundsätzli-
Für die aktuelle Studie wurde der chen psychischen Belastung, verrechnet Inventar zur Erfassung interpersona-
TFI-S nach der Vorwärts-rückwärts- werden. Das BSI verfügt über akzep- ler Probleme. Zwischenmenschliche
Methode übersetzt. Dazu wurden die table interne Konsistenzen (0,71 ≤ α ≤ Schwierigkeiten wurden mithilfe der
englischsprachigen Original-Items zu- 0,85), gute Retest-Reliabilität (0,68 ≤ r ≤ auf 32 Items reduzierten Kurzversion
nächst von einem bilingualen deutschen 0,91), hohe Korrelationen zum Origi- des IIP (Thomas et al. 2011) erfasst. Die
Muttersprachler ins Deutsche übersetzt. nalinstrument Symptom-Checklist-90 ® Items können 8 Dimensionen und einem
Anschließend führte ein bilingualer eng- (SCL-90 ; 0,92 ≤ r ≤ 0,99) und gute
® Globalwert zugeordnet werden. In der
Tab. 2 Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) und Interkorrelationen der 4 Faktoren des Platzgründen werden deshalb bei den
TFI-19 (n = 303) weiteren Analysen nur die Befunde für
Faktoren M (±SD) Einflößung Sicherer Erkenntnis Soziales den TFI-19 präsentiert. Die konzeptuell
von Hoff- emo- von bezie- Lernen ähnlichen Befunde für TFI-S und der
nung tionaler hungsbezoge- fertige Fragebogen können beim korre-
Ausdruck nem Einfluss
spondierenden Autor angefragt werden.
Einflößung von Hoff- 1,57 (±1,05) – 0,68* 0,74* 0,73* Die Items von TFI-S/TFI-19 befinden
nung
sich im Anhang.
Sicherer emotionaler 1,71 (±0,89) – – 0,64* 0,66*
Ausdruck
Erkenntnis von be- 1,40 (±1,00) – – – 0,71*
Ergebnisse
ziehungsbezogenem
Einfluss Der Mardia-Test zeigte Verletzungen der
Soziales Lernen 1,52 (±0,99) – – – –
multivariaten Normalverteilung an (Kur-
tosis z = 12,61; χ2 = 2204,68; p < 0,001).
TFI-19 Therapeutisches Faktoreninventar; Range der TFI-19-Skalen: 5 Stufen, 0–4
*p ≤ 0,001
Wie bei einer relativ großen Stichprobe zu
erwarten (Hu und Bentler 1999), wurde
der χ2-Wert für die Modellpassungsgü-
Normstichprobe weisen die Subskalen Stichprobe über 100 Probanden robust te signifikant (TFI-S: χ2[253] = 699,54;
mit 0,60 ≤ α ≤ 0,85 angemessene inter- gegenüber Verletzungen der multiva- p < 0,001; TFI-19: χ2[146] = 438,45; p <
ne Konsistenzen auf. Die konvergente riaten Normalverteilung sind (Lei und 0,001). Die Fit-Indizes der KFA impli-
Validität ist durch Korrelationen von Lomax 2005). Kriterien für die adäquate zierten nur partiell eine adäquate Mo-
0,79 ≤ r ≤ 0,98 mit den Skalen des IIP- Modellpassung wurden operationalisiert dellpassung des deutschen TFI-S: CFI =
C gesichert. über die Richtlinien für Fit-Indizes von 0,860; RMSEA = 0,090 (Konfidenzinter-
Hu und Bentler (1999): „comparative fit vall [KI]: 0,082–0,097), SRMR = 0,059.
Gruppenklimafragebogen. Als etablier- index“ (CFI) ≈ 0,95, „root mean square Der TFI-19 zeigte eine signifikant bes-
tes Prozessmaß bearbeiteten Patienten error of approximation“ (RMSEA) ≤ 0,06 sere Modellpassung (Δ χ2 = 261,09; p <
den GCQ-S (Tschuschke et al. 1991). und „standardized root mean square re- 0,001), jedoch waren die Fit-Indizes auch
Dieser misst mittels 12 Items mit den 3 sidual“ (SRMR) ≤ 0,08. Zur Bestimmung für diesen nur partiell im akzeptablen
Dimensionen Engagement, Konflikt und der Übereinstimmungsvalidität wurden Range: CFI = 0,893; RMSEA = 0,087
Vermeidung auf einer 7-stufigen Skala Korrelationen des TFI-19 mit dem GCQ- (KI: 0,078–0,096), SRMR = 0,054. Nach
prozessrelevante Aspekte der Gruppen- S berechnet. Für die Überprüfung der den Empfehlungen von Byrne (2010) und
therapie. Das Instrument hat zufrieden- prädiktiven Validität wurden Pearson- analog zur Validierung des amerikani-
stellende psychometrische Kennwerte Korrelationen zwischen den TFI-19-Dif- schen Originals TFI-19 (Joyce et al. 2011)
(0,88 ≤ α ≤ 0,94) und ist Outcome- ferenzwerten der beiden Messzeitpunkte wurden folglich die Fehlervarianzen für
prädiktiv (0,17 ≤ r ≤ 0,34; Ogrodniczuk und den Differenzwerten der globalen inhaltlich stark überlappende Item-Paare
und Piper 2003). Kennwerte des BSI, des IIP-32 und des korreliert, die in der Modellspezifikati-
BDI-II berechnet. Zusätzlich wurden on einem gemeinsamen latenten Faktor
Statistische Methoden Korrelationen zwischen den Ausprä- zugeordnet waren (Item-Paare 4 und 8
gungen der 4 Wirkfaktoren zum ersten sowie 21 und 23), um potenzielle Ver-
Die Überprüfung, ob sich die Vierfak- Messzeitpunkt und den Differenzwerten besserungen der Modellpassung zu über-
torlösung des amerikanischen Originals der Outcome-Maße berechnet. Gemäß prüfen. Das modifizierte Modell führ-
des TFI-S/TFI-19 (Joyce et al. 2011; der Hypothese, dass ein Anstieg in den te zu einer signifikanten Verbesserung
MacNair-Semands et al. 2010) in der Ausprägungen der Wirkfaktoren mit (χ2[2] = 187,92; p < 0,001) und implizier-
deutschen Stichprobe replizieren lässt, einer Verringerung der Symptombelas- te eine akzeptable Modellpassung: CFI =
erfolgte in Anlehnung an die Arbei- tung einhergeht, wurden signifikante 0,937; RMSEA = 0,067 (KI: 0,057–0,077),
ten zum Originalinstrument KFA mit- positive Korrelationen zwischen den je- SRMR = 0,046. Die standardisierten Fak-
hilfe der „Maximum-likelihood“(ML)- weiligen Werten der Wirkfaktoren und torladungen des TFI-19 betrugen 0,40 ≤
Schätzmethode über die t1-Daten. Für den Differenzwerten der Outcome-Maße λ ≤ 0,88 und sind in . Abb. 1 veranschau-
die Überprüfung multivariater Normal- erwartet. Alle Analysen wurden mithilfe licht. Die 4 Faktoren wiesen zufrieden-
verteilung der Daten wurde der Mardia- des Softwareprogramm R (R Develop- stellende interne Konsistenzen auf: α =
Koeffizient zu multivariater Kurtosis be- mental Core Team 2015) mit den Paketen 0,90 für Einflößung von Hoffnung, α =
rechnet (Hu und Bentler 1999). Wird Lavaan (Rosseel und Team 2015) und 0,81 für sicherer emotionaler Ausdruck,
dieser signifikant, sollte bei der Inter- Psych (Revelle und Team 2015) durchge- α = 0,82 für Erkenntnis von beziehungs-
pretation der Modellpassung besonderer führt. Wie im Ergebnisteil beschrieben, bezogenem Einfluss und α = 0,73 für so-
Fokus auf Fit-Indizes gelegt werden, zeigt sich eine bessere Modellpassung ziales Lernen. Mittelwerte, Standardab-
da diese bei ML-Schätzung und einer für den TFI-19 als für den TFI-S. Aus