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P. P. NAWROTH . R. ZIEGLER (HRSG.

)
Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
PETER P. NAWROTH • REINHARD ZIEGLER
(HRSG.)

Klinisc e
E dokrino ogie
und
So wec sei
Mit 523, zum Teil farbigen Abbildungen
und 242 Tabellen

~Springer
Professor Dr. PETER P. NAWROTH
Universitatsklinikum Tiibingen
Medizinische Klinik IV
Otfried-Miiller-StraBe 10
72076 Tiibingen
Deutschland

Professor Dr. REINHARD ZIEGLER


Medizinische Universitatsklinik
und Poliklinik Heidelberg
Abteilung Innere Medizin 1
Bergheimer StraBe 58
69115 Heidelberg
Deutschland

ISBN 978-3-642-62970-9

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme


Nawroth, Peter Paul: Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel 1 P. P. Nawroth ; R. Ziegler. -
Berlin; Heidelberg; New York; Barcelona; Hongkong; London; Mailand; Paris; Singapur; Tokio:
Springer, 2001
ISBN 978-3-642-62970-9 ISBN 978-3-642-56784-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-56784-1
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© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2001


Urspriinglich erschienen bei Springer-Verlag Berlin Heide1berg New York 2001
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Vorwort

Die Endokrinologie hat einen festen Platz in der in- binden und zu vergleichen. Dementsprechend ha-
neren Medizin, mit ihren Sektoren in die Kardiolo- ben sich die Autoren auch bemüht, vor allem im
gie, Gastroendokrinologie, Onkologie, Gynäkologie, Teil Therapie deutlich zu machen, wo der Nachweis
Nuklearmedizin, Radiologie, Chirurgie, Neurochir- der Wirksamkeit gelungen ist und wo - oft auch
urgie und Orthopädie. Die Endokrinologie ist auf durch die geringen Fallzahlen der jeweiligen Erkran-
den ersten Blick sowohl für Studenten wie auch kung bedingt - der Nachweis der therapeutischen
für klinisch tätige Ärzte ein schwer zu lernendes Wirksamkeit zwar plausibel, aber noch nicht allen
Fachgebiet, da es so außerordentlich viele und teil- Regeln der "evidence based medicine" entspricht.
weise heterogene Krankheiten und Organsysteme Hier wird offenbar, dass die Endokrinologie als
betrifft. Dies zeigt sich auch daran, dass im Vergleich Teilgebiet der inneren Medizin beides vertritt: die
zu anderen Fächern der inneren Medizin der Raum, "Volkskrankheit", wie z.B. Struma, Osteoporose,
den deutsche und englischsprachige Lehrbücher der Hyperlipidämie und Diabetes mellitus, aber auch
gesamten inneren Medizin dem Teilgebiet Endokri- viele seltene Erkrankungen und Syndrome. Der Pa-
nologie überlassen, keinesfalls der eines "kleinen Fa- tient hat in beiden Fällen ein Anrecht darauf, opti-
ches" ist. Damit wird deutlich, dass der Lehrauftrag mal behandelt zu werden. Insofern ist dieses Buch
der Endokrinologie ein großer ist. nicht nur als Fortbildung gedacht, sondern auch
Aber die Systematik der Endokrinologie macht als Versuch, die Situation der Versorgung der endo-
das Erlernen dieses Faches einfach und übersicht- krinalogisch Erkrankten zu verbessern. Teil dieser
lich. Allgemein kann zwischen Überfunktion, Or- wünschenswerten Verbesserung der Patientenver-
ganveränderung ohne fassbare Funktionsstörung sorgung ist auch die Pflege der Interaktion zwischen
und Unterfunktion unterschieden werden. An diese dem niedergelassenen Allgemeinarzt, dem Interni-
Einteilung hat sich auch die Gliederung jedes Kapi- sten und Endokrinotogen und der Fachklinik mit
tels dieses Buches gehalten. Damit wird auch ein einer endokrinalogischen Abteilung.
weiteres Merkmal dieses Faches deutlich: Die Endo- Bei den Autoren möchten wir uns besonders für
krinologie ist ein außerordentlich systematisches ihre Bemühungen bedanken. Die Mitherausgeber
Fachgebiet, mit exakt definierbaren Regelkreisen, der einzelnen Bereiche haben eine hervorragende
deren Störung es zu diagnostizieren gilt und deren Arbeit bei der Koordinierung der verschiedenen Ka-
Einstellung im Rahmen der Therapie es zu überwa- pitel geleistet. Aber auch den Lektoren Dres. Cle-
chen gilt. Das Labor und das ärztliche Gespräch sind mens und Joswig gebührt, ebenso wie den Mitarbei-
neben den bildgebenden Verfahren daher die Säulen tern des Springer-Verlages unser Dank.
der Tätigkeit des klinischen Endokrinologen.
Da sich dieses Buch an die klinisch interessierten Heidelberg/Tübingen, im Herbst 2000
Studenten und Ärzte wendet, ist jedem Kapitel ein
Fallbeispiel vorangestellt. Dies soll den Leser in R. ZIEGLER
die Lage versetzen, die Theorie mit der Praxis zu ver- P. P. NAWROTH
Inhaltsverzeichnis

Hypothalamus, Hypophyse 1.4.6 Differentialdiagnose 26


und Zielorgane 1.4.7 Therapie 26
1.4.8 Notfall 27
1 Wachstum 3 Literatur 28
G. BINDER, T. HAAK, M. B. RANKE,
K. H. USADEL 2 Prolaktin und Brustdrüse 29
F. PETERS, K. V. WERDER
1.1 Physiologie des Wachstumshormons
(GH) 3 2.1 Physiologie 29
M. B. RANKE, G. BINDER 2.1.1 Prolaktin 29
K. V. WERDER
1.1.1 Molekularbiologie 3
1.1.2 GH-Sekretion 4 2.1.2 Brustdrüse 31
1.1.3 Regulation der GH-Sekretion 5 F. PETERS
1.1.4 Wirkungsmechanismen von GH 5
1.1.5 Insulin-like-growth-Faktoren 6 Prolaktinmangel,
1.1.6 Metabolische GH-Wirkungen 6 Unterfunktion der Mamma 33
F. PETERS
Mangel 7 2.2 Störung der Stillfunktion 33
M. B. RANKE, G. BINDER 2.2.1 Agalaktie 33
1.2 GH-Mangel 7 2.2.2 Hypolaktie 33
1.2.1 Fallpräsentation 7 2.3 Involution, Puerperale Mastitis 35
1.2.2 Epidemiologie 8
1.2.3 Pathogenese 8 Prolaktinmehrsekretion 35
1.2.4 Klinik des GH-Mangels 10 K. V. WERDER
1.2.5 Diagnostik 11
1.2.6 Therapie 13 2.4 Prolaktinom 36
K. V. WERDER
Überfunktion 15 2.4.1 Fallpräsentation 36
T. HAAK, K. H. USADEL 2.4.2 Epidemiologie 37
1.3 Hochwuchs 15 2.4.3 Pathogenese 37
1.3.1 Fallpräsentation 15 2.4.4 Ultrastruktur 37
1.3.2 Epidemiologie 16 2.4.5 Klinik 38
1.3.3 Pathogenese 17 2.4.6 Diagnostik 40
1.3.4 Klinik 17 2.4.7 Differentialdiagnose 40
1.3.5 Diagnostik 18 2.4.8 Therapie 41
1.3.6 Therapie 19 2.4.9 Prolaktinom und Schwangerschaft 47
1.3.7 Notfall 21 2.5 Prolaktinassoziierte Erkrankungen
1.4 Akromegalie 21 der Brustdrüse 47
1.4.1 Fallpräsentation 21 F. PETERS
1.4.2 Epidemiologie 22 2.5.1 Mastapathischer Formenkreis 47
1.4.3 Pathogenese 22 2.5.2 Non-puerperale Mastitis 47
1.4.4 Klinik 22 2.5.3 Prolaktin und Mammakarzinom 49
1.4.5 Diagnostik 24 Literatur 49
VIII Inhaltsverzeichnis

3 Nebennierenrinde 3.6 Adrenales Cushing-Syndrom 86


und Glucocorticoide 51 3.6.1 Fallpräsentation 86
B. ALLOLIO, w. ARLT, 3.6.2 Pathogenese 86
s. R. BORNSTEIN, M. REINCKE 3.6.3 Klinik 87
3.6.4 Diagnostik 87
3.1 Physiologie und Biochemie
3.6.5 Therapie 88
(ACTH und Glucocorticoide) 51
S. R. BORNSTEIN 3.7 Exogenes Cushing-Syndrom 88
3.1.1 Synthese der Glucocorticoide
Hormoninaktive Nebennieren-
in der Nebenniere 51
tumoren 89
3.1.2 Regulation der Glucocorticoidsynthese 53
B. ALLOLIO
3.1.3 Wirkung von ACTH auf die
Steroidzelle 54 3.8 Benigne, hormoninaktive
3.1.4 Freisetzung der Glucocorticoide Nebennierentumoren 89
aus der Steroidzelle 56 3.8.1 Fallpräsentation 89
3.1.5 Zelluläre Folgen des Hormonexzesses 3.8.2 Epidemiologie 90
und des Hormonmangels 56 3.8.3 Pathogenese 91
3.8.4 Klinik 92
Unterfunktion 3.8.5 Diagnostik 92
(Nebennierenrindeninsuffizienz) 57 3.8.6 Therapie 95
w. ARLT
3.9 Maligne, hormoninaktive
3.2 Primäre Nebennierenrinden- Nebennierenraumforderung 96
insuffizienz (M. Addison) 58 3.9.1 Fallpräsentation 96
3.2.1 Fallpräsentation 58 3.9.2 Epidemiologie 96
3.2.2 Epidemiologie 58 3.9.3 Pathogenese 96
3.2.3 Pathogenese 58 3.9.4 Klinik 97
3.2.4 Klinik 62 3.9.5 Diagnostik 97
3.2.5 Diagnostik 64 3.9.6 Differentialdiagnose 98
3.2.6 Therapie 65 3.9.7 Therapie 98
3.2.7 Verlaufskontrollen 67 Literatur 99
3.2.8 Notfall (Addison-Krise) 68
3.3 Sekundäre NNR-Insuffizienz 69 4 Schilddrüse 103
3.3.1 Fallpräsentation 69 J. FELDKAMP, W. A. SCHERBAUM
3.3.2 Epidemiologie und Pathogenese 69
4.1 Physiologie 104
3.3.3 Klinik 71
4.1.1 Anatomie und Organentwicklung 104
3.3.4 Diagnostik 72
4.1.2 Synthese 105
3.3.5 Therapie 75
4.1.3 Regulation 105
4.1.4 Rezeptor 105
Überfunktion (Cushing-Syndrom) 75
4.1.5 Signaltransduktion 105
M. REINCKE
4.1.6 Transskription und Translation 106
3.4 Zentrales Cushing-Syndrom 75 4.1.7 Abbau und Form
3.4.1 Fallpräsentation 75 des zirkulierenden T4 und T3 106
3.4.2 Epidemiologie 76 4.1.8 Physiologische Wirkung 106
3.4.3 Pathogenese 76
3.4.4 Klinik 77 Unterfunktion 106
3.4.5 Diagnose 78
4.2 "Adulte" Hypothyreose 106
3.4.6 Therapie 81
4.2.1 Fallpräsentation 107
3.5 Ektopes Cushing-Syndrom 83 4.2.2 Epidemiologie 107
3.5.1 Fallpräsentation 83 4.2.3 Pathogenese 107
3.5.2 Pathogenese 83 4.2.4 Klinik 108
3.5.3 Klinik 84 4.2.5 Diagnostik 108
3.5.4 Diagnose 84 4.2.6 Differentialdiagnose 108
3.5.5 Therapie 85 4.2.7 Therapie 109
Inhaltsverzeichnis IX

4.3 Angeborene Hypothyreose 109 4.9.6 Differentialdiagnose 124


4.3.1 Fallpräsentation 109 4.9.7 Therapie 124
4.3.2 Epidemiologie 109
4.10 Autoimmunhyperthyreose
4.3.3 Pathogenese 109
(M. Basedow) 124
4.3.4 Klinik 110
4.10.1 Fallpräsentation 124
4.3.5 Diagnostik 110
4.10.2 Epidemiologie 125
4.3.6 Therapie 110
4.10.3 Pathogenese 125
4.10.4 Klinik 125
Thyreoiditis und Hypothyreose 111
4.10.5 Diagnostik 126
4.4 Akute Thyreoiditis 111 4.10.6 Therapie 127
4.4.1 Epidemiologie 111
4.11 Endokrine Orbitopathie 128
4.4.2 Klinik 111
4.11.1 Pathogenese 128
4.4.3 Diagnostik 111
4.11.2 Klinik 129
4.4.4 Therapie 112
4.11.3 Therapie 130
4.5 Subakute Thyreoiditis
4.12 Autonomie 130
(de Quervain) 112
4.12.1 Fallpräsentation 130
4.5.1 Epidemiologie 112
4.12.2 Epidemiologie 131
4.5.2 Pathogenese 112
4.12.3 Pathogenese 131
4.5.3 Klinik 113
4.12.4 Klinik 133
4.5.4 Diagnostik 113
4.12.5 Diagnostik 133
4.5.5 Therapie 113
4.12.6 Differentialdiagnose 134
4.6 Autoimmunthyreoiditis 114 4.12.7 Therapie 135
4.6.1 Fallpräsentation 114
4.13 Endemische Struma 136
4.6.2 Epidemiologie 115
4.13.1 Fallpräsentation 136
4.6.3 Pathogenese 115
4.13.2 Epidemiologie 137
4.6.4 Klinik 115
4.13.3 Pathogenese 137
4.6.5 Diagnostik 116
4.13.4 Klinik 138
4.6.6 Differentialdiagnose 117
4.13.5 Diagnostik 138
4.6.7 Therapie 117
4.13.6 Differentialdiagnose 141
4.7 Iatrogene Hypothyreose 118 4.13.7 Therapie 141
4.7.1 Fallpräsentation 118
4.14 Schilddrüsenmalignom 143
4.7.2 Epidemiologie 119
4.14.1 Fallpräsentation 143
4.7.3 Pathogenese 119
4.14.2 Epidemiologie 144
4.7.4 Klinik 119
4.14.3 Pathogenese 145
4.7.5 Diagnostik und Therapie 120
4.14.4 Klinik 145
4.8 Schilddrüsenhormonresistenz 120 4.14.5 Diagnostik 145
4.8.1 Fallpräsentation 120 4.14.6 Therapie 147
4.8.2 Epidemiologie 120 4.14.7 Prognose 149
4.8.3 Einteilung 120 Literatur 149
4.8.4 Pathogenese 121
4.8.5 Klinik 121
4.8.6 Diagnostik 121
s Weibliche Gonaden 155
C. V. HAGENS, U. HEINRICH,
4.8.7 Differentialdiagnose 122
F. KIESEWETTER, T. RABE,
4.8.8 Therapie 122
B. RUNNEBAUM, E. SCHULZE,
E. VLADESCU
Überfunktion 122
5.1 Physiologie der Reproduktion 156
TSH-om 122
T. RABE, c. V. HAGENS,
4.9
4.9.1 Fallpräsentation 122
B. RUNNEBAUM
4.9.2 Epidemiologie 123
4.9.3 Pathogenese 123 5.1.1 Hypothalamus 156
4.9.4 Klinik 123 5.1.2 Hypophyse 157
4.9.5 Diagnostik 123 5.1.3 Ovarien 157
X Inhaltsverzeichnis

5.2 Pubertät 159 5.9.5 Diagnostik 180


T. RABE,B. RUNNEBAUM 5.9.6 Differentialdiagnose 181
5.9.7 Therapie 182
5.2.1 Neuroendokrine Veränderungen
5.9.8 Notfall 184
während der Pubertät 160
5.2.2 Sexualreifung und Wachsturn 5.10 Menopause 184
während der Pubertät 161 T. RA BE, E. V L ADESCU,
5.2.3 Psychische Veränderungen B . RUNNEBAUM
während der Pubertät 161
5.10.1 Fallpräsentation 184
5.3 Menstrueller Zyklus 162 5.10.2 Epidemiologie und Definition 185
T. RABE, c. V. HAGENS 5.10.3 Pathophysiologie 185
5.10.4 Klinik 186
5.4 Physiologie der Schwangerschaft 162
5.1 0.5 Diagnostik 187
T. RABE
5.1 0.6 Therapie 188
5.4.1 Entstehung einer Schwangerschaft 162 5.10.7 Ausblick 195
5.4.2 Entwicklung des Fetus 164
5.11 Vorzeitige Pubertätszeichen
5.4.3 Endokrine Funktionen
und Pubertas praecox 195
der fetoplazentaren Einheit 164
U. HEINRICH
5.5 Physiologie der Geburt 166
5.11.1 Fallpräsentation 195
T. RABE
5.11.2 Definition der Pubertas praecox 196
5.6 Physiologie der Menopause 167 5.11.3 Pathogenese der Pubertas praecox
T. RABE vera (zentrale Pubertas praecox) 196
5.11.4 Pathogenese der Pseudopubertas
5.7 Ausfall der gonadotropen Achse 167
praecox 197
c. V. HAGENS, T. RABE, 5.11.5 Klinik der Pubertas praecox vera
B. RUNNEBAUM
und Pseudopubertas praecox 197
5.7.1 Fallpräsentation 167 5.11.6 Therapie der Pubertas praecox vera
5.7.2 Epidemiologie 168 und Pseudopubertas praecox 198
5.7.3 Pathogenese 168 5.11.7 Heterosexuelle Pubertas praecox 200
5.7.4 Klinik 169 5.11.8 Prämature Adrenarche 200
5.7.5 Differentialdiagnose 170 5.11.9 Prämature Thelarche 201
5.7.6 Therapie 170 5.11.10 Prämature Menarche 202
5.8 Konstitutionelle Entwicklungs- 5.12 Hirsutismus 203
verzögerung und Pubertas tarda 172 T. RABE, E. VLADESCU, E. SCHULZE,
U. HEINRICH B. RUNNEBAUM

5.8.1 Fallpräsentation 172 5.12.1 Fallpräsentation 203


5.8.2 Pathogenese 172 5.12.2 Klinik 204
5.8.3 Definition der verzögerten 5.12.3 Ätiologie, Häufigkeit
Pubertätsentwicklung 173 und Pathogenese
5.8.4 Konstitutionelle Verzögerung vermehrter Androgenwirkung 204
von Wachstum und Pubertät 173 5.12.4 Klinik 206
5.8.5 Konstitutionelle Entwicklungs- 5.12.5 Diagnostik 207
verzögerung ohne Kleinwuchs 173 5.12.6 Therapie 207
5.8.6 Pubertas tarda 174
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 211
5.8.7 Hypogonadotroper Hypo-
T. RAB E, E. SCHULZE, E. VLAD ESCU,
gonadismus 174
B. RUNNEBAUM
5.9 Ovarialinsuffizienz und Sterilität 178
5.13.1 Fallpräsentation 211
c. V. HAGENS, T. RAB E,
5.13.2 Epidemiologie und Pathogenese 212
B. RUNNEBAUM
5.13.3 Klinik 212
5.9.1 Fallpräsentation 178 5.13.4 Diagnostik 218
5.9.2 Epidemiologie und Definition 179 5.13.5 Therapie 220
5.9.3 Pathogenese 179 5.13.6 Pränatale Diagnostik und Therapie
5.9.4 Klinik 180 des klassischen AGS 221
Inhaltsverzeichnis XI

5.14 Alopecia diffusa der Frau 222 Hypothalamisehe Störungen 259


T. RABE, E. VLADESCU,
6.4 Idiopathischer hypogonadotroper
F. KIESEWETTER, B. RUNNEB AUM
Hypogonadismus (IHH)
5.14.1 Fallpräsentation 222 und KaUmann-Syndrom 259
5.14.2 Epidemiologie 223 6.4.1 Fallpräsentation 259
5.14.3 Ätiologie und Pathogenese 224 6.4.2 Epidemiologie 260
5.14.4 Differentialdiagnostik 224 6.4.3 Pathogenese 261
5.14.5 Klinik 227 6.4.4 Klinik 261
5.14.6 Diagnostik 227 6.4.5 Diagnostik 262
5.14.7 Therapie 228 6.4.6 Differentialdiagnose 262
6.4.7 Therapie 263
5.15 PCO-Syndrom 231
T. RABE, E. VLADESCU, E. SCHULZE, 6.5 Prader-Labhart-Willi-Syndrom 265
B. RUNNEBAUM 6.5.1 Epidemiologie 265
6.5.2 Pathogenese 266
5.15.1 Fallpräsentation 231
6.5.3 Klinik 266
5.15.2 Definition 231
6.5.4 Diagnostik 266
5.15.3 Epidemiologie 233
6.5.5 Differentialdiagnose 266
5.15.4 Pathogenese 233
6.5.6 Therapie 266
5.15.5 Klinik 233
5.15.6 Diagnostik 233
Hypophysäre Störungen 267
5.15.7 Differentialdiagnose 234
5.15.8 Therapie 234 6.6 Partielle Hypophyseninsuffizienz
(Gonadotropinmangel) 267
5.16 LH/FSH produzierender
6.6.1 Epidemiologie 267
Hypophysentumor 234
6.6.2 Pathogenese 267
c. V. HAGENS, T. RABE,
6.6.3 Klinik 267
B. RUNNEBAUM
6.6.4 Diagnostik 267
5.16.1 Fallpräsentation 234 6.6.5 Therapie 267
5.16.2 Epidemiologie 235
6.7 Hyperprolaktinämie 268
5.16.3 Pathogenese 235
6.7.1 Fallpräsentation 268
5.16.4 Klinik 235
6.7.2 Epidemiologie 268
5.16.5 Diagnostik 235
6.7.3 Pathogenese 268
5.16.6 Therapie 236
6.7.4 Klinik 268
Literatur 236
6.7.5 Diagnostik 268
6.7.6 Differentialdiagnose 269
6 Männliche Gonaden 241
6.7.7 Therapie 269
R. ÜCHSENKÜHN, E. NI ESCHLAG

6.1 Embryonale Entwicklung Testikuläre Störungen 269


und Anatomie des männlichen
6.8 Lageanomalien der Testes 269
Reproduktionssystems 242
6.8.1 Fallpräsentation 269
6.1.1 Embryologie 242
6.8.2 Epidemiologie 270
6.1.2 Anatomie 244
6.8.3 Pathogenese 270
6.2 Physiologie 246
6.8.4 Klinik 270
6.2.1 Hypothalamisch-hypo p h ysär-
6.8.5 Diagnose 271
testikulärer Regelkreis 246
6.8.6 Differentialdiagnose 271
6.3 Andrologische Diagnostik 254 6.8.7 Therapie 271
6.3.1 Anamnese 245
6.9 Varikozele 272
6.3.2 Körperliche Untersuchung 254
6.9.1 Epidemiologie 272
6.3.3 Technische Verfahren 255
6.9.2 Pathogenese 272
6.3.4 Laboruntersuchungen 256
6.9.3 Klinik 272
6.3.5 Ejakulatuntersuchungen 257
6.9.4 Diagnostik 272
6.3.6 Hodenbiopsie 259
6.9.5 Differentialdiagnose 272
6.9.6 Therapie 273
XII Inhaltsverzeichnis

6.10 Entzündliche Veränderungen Störungen im Bereich


der Hoden 273 der ableitenden Samenwege 293
6.10.1 Epidemiologie 273
6.16 Infektbedingte Verschlösse
6.10.2 Pathogenese 273
der ableitenden Samenwege 293
6.10.3 Klinik 273
6.16.1 Epidemiologie 293
6.10.4 Diagnostik 273
6.16.2 Pathogenese 293
6.10.5 Differentialdiagnose 273
6.16.3 Klinik 293
6.10.6 Therapie 273
6.16.4 Diagnostik 293
6.11 Klinefelter-Syndrom 274 6.16.5 Differentialdiagnose 294
6.11.1 Fallpräsentation 274 6.16.6 Therapie 295
6.11.2 Epidemiologie 274
6.17 Erektile Dysfunktion 295
6.11.3 Pathogenese 274
6.17.1 Fallpräsentation 295
6.11.4 Klinik 275
6.17.2 Epidemiologie 296
6.11.5 Diagnostik 275
6.17.3 Pathogenese 296
6.11.6 Differentialdiagnose 275
6.17.4 Klinik 297
6.11.7 Therapie 276
6.17.5 Diagnostik 297
6.12 Störungen der Spermatogenese 6.17.6 Differentialdiagnose 298
und Spermiogenese 276 6.17.7 Therapie 298
6.12.1 Epidemiologie 276
6.12.2 Pathogenese 276 Störung der
6.12.3 Klinik 278 Pubertätsentwicklung 300
6.12.4 Diagnostik 278
6.18 Pubertas praecox 300
6.12.5 Differentialdiagnose 278
6.18.1 Epidemiologie 300
6.12.6 Therapie 278
6.18.2 Pathogenese und Klinik 300
6.13 Idiopathische Infertilität 278 6.18.3 Diagnostik 300
6.13.1 Epidemiologie 278 6.18.4 Differentialdiagnose 301
6.13.2 Pathogenese 278 6.18.5 Therapie 302
6.13.3 Klinik 278
6.13.4 Diagnostik und Differentialdiagnose 278 Tumoren 302
6.13.5 Therapie 280
6.19 Hodentumoren 302
6.19.1 Epidemiologie 302
Störungen im Bereich
6.19.2 Einteilung 303
der Androgenzielorgane 282
6.19.3 Testikuläre intraepitheliale
6.14 Androgenresistenzsyndrom 282 Neoplasie 303
6.14.1 Fallpräsentation 282 6.19.4 Seminomatöse und nicht-
6.14.2 Epidemiologie 282 seminomatöse Keimzelltumoren
6.14.3 Testikuläre Feminisierung 283 des Hodens 304
6.14.4 Reifenstein-Syndrom 286 6.19.5 Gonadale Stromatumoren 305
6.14.5 Präpeniles Seroturn bifidum
mit Hypospadie 287 Weitere Störungen 306
6.14.6 Minimalformen der Androgen-
6.20 Seneszenz 306
resistenz 287
6.20.1 Epidemiologie 306
6.14.7 5a-Reduktase 2-Defizienz
6.20.2 Klinik 308
(Perineoskrotale Hypospadie
6.20.3 Therapie 310
mit Pseudovagina) 288
6.21 Androgenetische Alopezie 310
6.15 Gynäkomastie 289
6.21.1 Epidemiologie 310
6.15.1 Fallpräsentation 289
6.21.2 Pathogenese 310
6.15.2 Epidemiologie 290
6.21.3 Klinik 311
6.15.3 Pathogenese 290
6.21.4 Diagnostik 311
6.15.4 Klinik 291
6.21.5 Differentialdiagnose 312
6.15.5 Diagnostik 292
6.21.6 Therapie 313
6.15.6 Differentialdiagnose 293
6.15.7 Therapie 293
Inhaltsverzeichnis XIII

6.22 Transsexualität 313 8.3.2 Erworbener Diabetes insipidus


6.22.1 Epidemiologie 313 renalis 352
6.22.2 Pathogenese 313 8.3.3 Therapie 352
6.22.3 Klinik 314
6.22.4 Diagnostik 314 Überfunktion 353
6.22.5 Differentialdiagnose 314
8.4 Das Syndrom der inappropriaten
6.22.6 Therapie 315
(inadäquaten) Überproduktion
Literatur 317
von ADH (SIADH) 353
8.4.1 Fallpräsentation 354
7 Komplexe Hypophysen-
8.4.2 Pathogenese 354
erkrankungen 321
8.4.3 Klinik 355
C. KASPERK
8.4.4 Diagnostik 355
7.1 Hormoninaktive Hypophysen- 8.4.5 Differentialdiagnose 356
tumoren 321 8.4.6 Therapie 358
7.1.1 Fallpräsentation 321 8.4.7 Notfall 360
7.1.2 Epidemiologie 322 Literatur 360
7.1.3 Pathogenese 322
7.1.4 Klinik 322
7.1.5 Diagnostik 323 II Endokrine Störungen
7.1.6 Differentialdiagnose 324 mehrerer Organsysteme 363
7.1.7 Therapie 324
7.2 Komplette Hypophysen- 9 Komplexe endokrine Störungen 365
insuffizienz 326 A. GRAUER, w. HöPPNER,

7.2.1 Fallpräsentation 326 A. LORENZ, T. SCHILLING

7.2.2 Pathogenese 326


7.2.3 Klinik 328 Unterfunktion 365
7.2.4 Diagnostik 329 A. LORENZ

7.2.5 Therapie 330 9.1 Polyglanduläre Insuffizienz 365


Literatur 331 9.1.1 Fallpräsentation 365
9.1.2 Krankheitsbilder 366
8 Wasserhaushalt 333 9.1.3 Pathogenese 366
J. HENSEN 9.1.4 Klinik 368
8.1 Physiologie 333 9.1.5 Diagnostik 369
8.1.1 Antidiuretisches Hormon 9.1.6 Therapie 372
(ADH, Vasopressin) 334
8.1.2 Oxytocin 336 Überfunktion 373
8.1.3 Osmoregulation 336 9.2 Multiple endokrine Neoplasie Typ 1
8.1.4 Einfluss auf die Zielzelle 338 (MEN 1) 373
T. SCHILLING, A. GRAUER
Unterfunktion 340
9.2.1 Fallpräsentation 373
8.2 ADH-Mangel 9.2.2 Epidemiologie 374
(Diabetes insipidus) 340 9.2.3 Pathogenese 374
8.2.1 Fallpräsentationen 340 9.2.4 Klinik 375
8.2.2 Epidemiologie 341 9.2.5 Diagnose 377
8.2.3 Pathogenese 341 9.2.6 Differentialdiagnose 378
8.2.4 Klinik 345 9.2.7 Therapie 379
8.2.5 Diagnostik 346 9.2.8 Notfall 381
8.2.6 Differentialdiagnose 348
8.2.7 Therapie 349 9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2
8.2.8 Notfall 351 (MEN 2) 382
A. GRAUER, W. HÖPPNER
8.3 ADH-Resistenz 351
8.3.1 Angeborener Diabetes insipidus 351 9.3.1 Fallpräsentation 382
9.3.2 Epidemiologie 382
XIV Inhaltsverzeichnis

9.3.3 Einteilung 382 10.3.7 Therapie 421


9.3.4 Pathogenese 385 10.3.8 Prognose 422
9.3.5 Klinik 387
10.4 Sekundärer
9.3.6 Diagnostik 388
Hyperparathyreoidismus 424
9.3.7 Therapie 393
M. ]. SEIBEL
9.3.8 Prognose 396
Literatur 396 10.4.1 Definition 424
10.4.2 Sekundärer Hyperparathyreoidismus
bei Niereninsuffizienz 424
111 Kalziumstoffwechsel 10.4.3 Klinik 426
und metabolische 10.4.4 Diagnostik 426
Knochenerkrankungen 401 10.4.5 Therapie 426
10.5 Tumor-assoziierte Hyperkalzämie 432
10 Nebenschilddrüse 403 H. w. WüiTGE, M. ]. SEIBEL
M. ]. SEIBEL, E. BLIND,
T. SCHILLING, H. w. WüiTGE 10.5.1 Fallpräsentation 432
10.5.2 Epidemiologie 432
10.1 Physiologie 403 10.5.3 Pathogenese 433
E. BLIND 10.5.4 Klinik 434
10.1.1 Rolle der Nebenschilddrüse 10.5.5 Diagnostik 434
in der Kalziumhomöostase 403 10.5.6 Therapie 435
10.1.2 Kalziumdetektion 404 10.5.7 Prognose 437
10.1.3 Synthese, Regulation 10.6 Hyperkalzämische Krise 437
und Metabolismus vom PTH 404 M. }. SEIBEL
10.1.4 Wirkung von PTH
an den Zielorganen 405 10.6.1 Fallpräsentation 437
10.1.5 Bestimmung von PTH 406 10.6.2 Epidemiologie und Pathogenese 437
10.1.6 Parathormon-ähnliches Protein 10.6.3 Klinik 438
(PTHrP) 407 10.6.4 Diagnostik und Differentialdiagnose 438
10.1.7 Kalzitonin 407 10.6.5 Therapie und Nachsorge 439
Literatur 440
Unterfunktion 407
11 Osteoporose und metabolische
10.2 Hypoparathyreoidismus I Knochenerkrankungen 443
Pseudohypoparathyreoidismus 407 R. ZIEGLER
T. SCHILLING
11.1 Physiologie 443
10.2.1 Fallpräsentation 407 11.1.1 Die Knochenumbaueinheit 443
10.2.2 Epidemiologie und Pathogenese 408 11.1.2 Hormonabhängigkeit
10.2.3 Klinik 410 des Knochenumbaus 445
10.2.4 Diagnostik 411 11.1.3 Mechanismen für Plus-
10.2.5 Differentialdiagnose 412 und Minusvarianten der
10.2.6 Therapie 412 Knochenumbaueinheit 447
10.2.7 Notfall 414
Verminderte
Überfunktion 414 Knochenbildung/-masse 450
10.3 Primärer 11.2 Osteoporose 450
Hyperparathyreoidismus (pHPT) 414 11.2.1 Fallpräsentation 450
M. ]. SEIBEL 11.2.2 Epidemiologie 451
10.3.1 Fallpräsentation 415 11.2.3 Pathogenese 452
10.3.2 Epidemiologie 415 11.2.4 Klinik 456
10.3.3 Pathogenese 415 11.2.5 Diagnostik 457
10.3.4 Klinik 416 11.2.6 Differentialdiagnose 459
10.3.5 Diagnostik 417 11.2.7 Therapie 460
10.3.6 Differentialdiagnose 420
Inhaltsverzeichnis XV

11.3 Rachitis/Osteomalazie 12.2.5 Diagnostik 497


(kalzipenisch, phosphopenisch) 465 12.2.6 Differentialdiagnostik 498
11.3.1 Fallpräsentation 465 12.2.7 Therapie 499
11.3.2 Epidemiologie 466
11.3.3 Pathogenese 466 Vermehrte Produktion 500
11.3.4 Klinik 469
12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 500
11.3.5 Diagnostik 469
12.3.1 Fallpräsentation 500
11.3.6 Differentialdiagnose 470
12.3.2 Epidemiologie 50 I
11.3.7 Therapie 470
12.3.3 Pathogenese 501
12.3.4 Klinik 503
Vermehrte Knochenbildung 473
12.3.5 Diagnostik 503
11.4 M. Paget des Skeletts 473 12.3.6 Differentialdiagnose 509
11.4.1 Fallpräsentation 473 12.3.7 Therapie 510
11.4.2 Epidemiologie 473 12.3.8 Notfall 514
11.4.3 Pathogenese 474
12.4 Sekundärer
11.4.4 Klinik 474
Hyperaldosteronismus 514
11.4.5 Diagnostik 475
12.4.1 Fallpräsentation 514
11.4.6 Differentialdiagnose 476
12.4.2 Epidemiologie 515
11.4.7 Therapie 476
12.4.3 Pathogenese 515
11.5 Osteopetrose 478 12.4.4 Klinik 516
11.5.1 Epidemiologie 478 12.4.5 Diagnostik 516
11.5.2 Pathogenese 478 12.4.6 Differentialdiagnose 517
11.5.3 Klinik 478 12.4.7 Therapie 518
11.5.4 Diagnostik 478 Literatur 518
11.5.5 Differentialdiagnose 479
11.5.6 Therapie 479 13 Katecholamine 521
D. KOPF, c. SCHULZ, H. LEHNERT
11.6 Ausgewählte seltene metabolische
Osteopathien 479 13.1 Physiologie 521
11.6.1 Osteogenesis imperfecta 479 13.1.1 Synthese 521
11.6.2 McCune-Albright-Syndrom 480 13.1.2 Speicherung 522
11.6.3 Hypophosphatasie 480 13.1.3 Sekretion 522
Literatur 481 13.1.4 Wiederaufnahme 523
13.1.5 Metabolismus 523
13.1.6 Einfluss auf die Zielzelle 525
IV Endokrinologie
und Blutdruckregulation 483 Unterproduktion 526
13.2 Vermindertes Ansprechen
12 Renin-Angiotensin-Aldosteron 485 auf Katecholamine 526
P. HEILMANN 13.2.1 Epidemiologie 526
12.1 Physiologie 485 13.2.2 Pathogenese 527
12.1.1 Synthese 485 13.2.3 Klinik 527
12.1.2 Regulation 487 13.2.4 Diagnostik 528
12.1.3 Ren in-Angiotensin-Aldosteron -System 13.2.5 Differentialdiagnose 529
(RAAS) 488 13.2.6 Therapie 529
12.1.4 Einfluss auf die Zielzelle 491
12.1.5 Pathophysiologie 493 Überproduktion 529
13.3 Phäochromozytom (ohne MEN)
Verminderte Produktion 494 und ParagangHorn 529
12.2 Hypoaldosteronismus 494 13.3.1 Fallpräsentationen 529
12.2.1 Fallpräsentation 494 13.3.2 Epidemiologie 531
12.2.2 Epidemiologie 494 13.3.3 Pathogenese 533
12.2.3 Pathogenese 494 13.3.4 Klinik 534
12.2.4 Klinik 496 13.3.5 Diagnostik 536
XVI Inhaltsverzeichnis

13.3.6 Differentialdiagnose 539 14.6.2 Epidemiologie 568


13.3.7 Therapie 540 14.6.3 Pathogenese 568
13.3.8 Notfall 542 14.6.4 Klinik 568
Literatur 542 14.6.5 Diagnostik 568
14.6.6 Therapie 569
Literatur 569
V Endokrine Tumoren
des Gastrointestinaltraktes
(ohne MEN) 545 VI Störungen des
En erg ieha ushaltes 573
14 Neuroendokrine Tumoren
des Gastrointestinaltraktes 547 15 Körpergewicht 575
M. ENGELBACH, J. BEYER H. HAUNER

14.1 Physiologie 547 15.1 Physiologie 575


14.1.1 Synthese und Regulation 547 15.1.1 Bestimmung des
14.1.2 Einfluss auf die Zielzelle 549 Energieverbrauches 575
15.1.2 Komponenten des
Überproduktion 550 Energieverbrauchs 576
15.1.3 Hypothalamisehe Kontrolle
14.2 Karzinoid 550 des Körpergewichts 576
14.2.1 Fallpräsentation 550
14.2.2 Epidemiologie 551 Untergewicht 579
14.2.3 Pathogenese 551
14.2.4 Klinik 554 15.2 Untergewicht 579
14.2.5 Diagnostik 555 15.2.1 Epidemiologie 579
14.2.6 Therapie 556 15.2.2 Entstehung 579
14.2.7 Prognose 560 15.2.3 Klinik 580
15.2.4 Diagnostik 580
14.3 Gastrinom 561 15.2.5 Differentialdiagnose 582
14.3.1 Fallpräsentation 561 15.2.6 Therapie 582
14.3.2 Epidemiologie 561
14.3.3 Pathogenese 561 15.3 Anorexia nervosa
14.3.4 Klinik 562 und gezügeltes Essverhalten 583
14.3.5 Diagnostik 562 15.3.1 Epidemiologie 583
14.3.6 Therapie 563 15.3.2 Pathogenese 583
14.3.7 Prognose 563 15.3.3 Klinik 583
15.3.4 Diagnostik 583
14.4 Glukagonom 564 15.3.5 Therapie 585
14.4.1 Fallpräsentation 564 15.3.6 Prognose 585
14.4.2 Epidemiologie 564 15.3.7 Notfall 585
14.4.3 Pathogenese 564 15.3.8 Gezügeltes Essverhalten 586
14.4.4 Klinik 565
14.4.5 Diagnostik 565 15.4 Bulimia nervosa 586
14.4.6 Therapie 566 15.4.1 Fallpräsentation 586
14.4.7 Prognose 566 15.4.2 Epidemiologie 587
15.4.3 Pathogenese 587
14.5 Vipom 566 15.4.4 Klinik 587
14.5.1 Fallpräsentation 566 15.4.5 Diagnostik 587
14.5.2 Epidemiologie 566 15.4.6 Differentialdiagnose 587
14.5.3 Pathogenese 567 15.4.7 Therapie 588
14.5.4 Klinik 567 15.4.8 Prognose 588
14.5.5 Diagnostik 567
14.5.6 Therapie 567 15.5 "Binge eating disorder" (BED) 588
14.5.7 Prognose 568 15.5.1 Epidemiologie 588
15.5.2 Pathogenese 588
14.6 Somatostatinom 568 15.5.3 Klinik 588
14.6.1 Fallpräsentation 568 15.5.4 Diagnostik 588
Inhaltsverzeichnis XVII

15.5.5 Differentialdiagnose 589 16.2.3 Aktivierung des


15.5.6 Therapie 589 Polyolstoffwechselweges 622
16.2.4 Aktivierung der Proteinkinase C 623
Übergewicht 589 16.2.5 Tumor-Nekrose-Faktor o. (TNF-o.) 624
15.6 Alimentäre Adipositas 589 Hypoglykämie 624
15.6.1 Fallpräsentation 589
16.3 Insulinom 624
15.6.2 Epidemiologie 589
B. ISERMANN, M. BRADO,
15.6.3 Pathogenese 590
A. VON HERBAY, P. P. NAWROTH
15.6.4 Klinik 591
15.6.5 Komplikationen 591 16.3.1 Fallpräsentation 624
15.6.6 Lebenserwartung 592 16.3.2 Epidemiologie 625
15.6.7 Diagnostik 593 16.3.3 Pathogenese 625
15.6.8 Differentialdiagnose 595 16.3.4 Klinik 632
15.6.9 Therapie 596 16.3.5 Diagnostik 633
15.6.10 Nebenwirkungen 600 16.3.6 Differentialdiagnostik 638
16.3.7 Therapie 639
15.7 Hormonell bedingtes Übergewicht 600
15.7.1 Fallpräsentation 600 16.4 Andere Formen
15.7.2 Epidemiologie 601 der Hypoglykämie 643
15.7.3 Pathogenese 601 B. ISERMAN N, M. BRADO,
15.7.4 Klinik 601 A. VON HERBAY, P. P. NAWROTH
15.7.5 Diagnostik 602
16.4.1 Andere Formen
15.7.6 Differentialdiagnose 602
der Pankreaserkrankungen 644
15.7.7 Therapie 602
16.4.2 Reaktive Späthypoglykämien als Vor-
Literatur 602
stadium des Typ-2-Diabetes mellitus,
"prämetabolisches Syndrom" 645
16 Glukose 605
16.4.3 Hypoglycaemia factitia 645
M. BRADO, A. BIERHAUS,
16.4.4 Autoimmunhypoglykämien 646
A. CLEMENS, K. DuGr, M. HAASS,
16.4.5 Tumorhypoglykämien 646
H.-P. HAMMES, A. V. HERBAY,
16.4.6 Endokrinalogische Erkrankungen 648
M. HoFMANN, B. lsERMANN,
16.4.7 Hypoglykämien bei schweren
T. KASSESSINOFF, M. S. KLEVESATH,
Erkrankungen 648
G. KLÖPPEL, M. MORC OS,
16.4.8 Medikamenten-induzierte
P. P. NAWROTH, R. RIEDASCH,
Hypoglykämien 650
~ RöSEN, s. SCHIEKOFER,
16.4.9 Postprandiale Frühhypoglykämien
P. WAHL, T. WEISS
(Spät-Dumping) und
16.1 Physiologie 606 Früh-Dumping-Syndrom 651
P. RÖSEN 16.4.10 Idiopathisches postprandiales
Syndrom (IPPS) 652
16.1.1 Adaptation des Glukosestoffwechsels
an den Energieverbrauch und die Hyperglykämie 653
Substratbereitstellung 606
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 653
16.1.2 Insulin: Struktur und Synthese 608
A. CLEMENS, P. WAHL, G. KLÖPPEL,
16.1.3 Die ß-Zelle 609
P. P. NAWROTH
16.1.4 Insulinrezeptorsignalkaskade 611
16.1.5 Glukagon als Gegenspieler 16.5.1 Fallpräsentation 653
des Insulin 613 16.5.2 Definition 653
16.5.3 Epidemiologie 653
16.2 Pathophysiologie diabetiseher
16.5.4 Pathogenese 654
Spätschäden 614
16.5.5 Klinik 657
A. BIERHAUS, P. P. NAWROTH
16.5.6 Diagnostik 659
16.2.1 Oxidativer Stress 614 16.5.7 Differentialdiagnose 662
16.2.2 "Advanced glycation endproducts" 16.5.8 Therapie 663
(AGEs) 618 16.5.9 Schulung 669
16.5.10 Therapiekontrollen 670
16.5.11 Notfall 671
XVIII Inhaltsverzeichnis

16.6 Typ-2-Diabetes mellitus Diabetische Spätschäden 716


und genetische Defekte
16.10 Diabetes und koronare
der ß-Zellfunktion 673
Herzkrankheit 716
T.
K. DUGI,
P. P. NAWROTH
KASSESSINOFF,
B. ISERMANN, s. SCHIEKOFER,
M. HAASS, P. P. NAWROTH
16.6.1 Fallpräsentation 673
16.10.1 Fallpräsentation 716
16.6.2 Epidemiologie 674
16.10.2 Epidemiologie 717
16.6.3 Pathogenese 675
16.10.3 Pathogenese 718
16.6.4 Klinik 684
16.10.4 Klinik 719
16.6.5 Diagnostik 684
16.10.5 Diagnostik 721
16.6.6 Differentialdiagnose 688
16.10.6 Differentialdiagnose 722
16.6.7 Therapie 688
16.10.7 Therapie 722
16.6.8 Notfall 696
16.10.8 Therapiekontrollen 726
16.7 Diabetes und Schwangerschaft 698 16.10.9 Notfall 726
M. S. KLEVESATH, S. SCHIEKOFER,
P. P. NAWROTH 16.11 Periphere arterielle
Verschlusskrankheit (pA VK)
16.7.1 Fallpräsentation 698 bei Diabetes mellitus 727
16.7.2 Epidemiologie 699 s. SCHIEKOFER, T. WEISS,
16.7.3 Pathogenese 699 M. s. KLEVESATH, P. P. NAWROTH
16.7.4 Klinik 699
16.7.5 Diagnostik 700 16.11.1 Fallpräsentation 727
16.7.6 Therapie (Studien) 701 16.11.2 Epidemiologie 728
16.7.7 Therapiekontrolle 16.11.3 Pathogenese 728
und -durchführung 702 16.11.4 Klinik 729
16.7.8 Nebenwirkungen 704 16.11.5 Diagnostik 730
16.7.9 Notfall 704 16.11.6 Differentialdiagnose 732
16.11.7 Therapie 732
16.8 Gestationsdiabetes 704
M. S. KLEVESATH, S. SCHIEKOFER, 16.12 Diabetische Retinopathie 738
P. P. NAWROTH H.-P. HAMMES

16.8.1 Fallpräsentation 704 16.12.1 Fallpräsentation 738


16.8.2 Epidemiologie 705 16.12.2 Epidemiologie 738
16.8.3 Pathogenese 705 16.12.3 Pathogenese 739
16.8.4 Klinik 705 16.12.4 Klinik 740
16.8.5 Diagnostik 706 16.12.5 Diagnostik 741
16.8.6 Therapie 706 16.12.6 Differentialdiagnose 743
16.8.7 Therapiekontrollen 706 16.12.7 Therapie 743
16.8.8 Nebenwirkungen 16.12.8 Therapiekontrolle 745
und Komplikationen 707
16.13 Diabetische Nephropathie 745
16.9 Iatrogene Hypoglykämien 707 M. MORCOS, P. P. NAWROTH
B. ISERMANN, M. s. KLEVESATH,
16.13.1 Fallpräsentation 745
P. P. NAWROTH
16.13.2 Definition 746
16.9.1 Fallpräsentation 707 16.13.3 Epidemiologie 746
16.9.2 Epidemiologie 707 16.13.4 Pathogenese 747
16.9.3 Pathogenese 708 16.13.5 Klinik 749
16.9.4 Klinik 712 16.13.6 Diagnostik 751
16.9.5 Diagnostik 712 16.13.7 Differentialdiagnose 753
16.9.6 Differentialdiagnose 713 16.13.8 Therapie 753
16.9.7 Therapie 714 16.13.9 Therapiekontrollen 758
16.9.8 Notfall 715 16.13.10 Notfall 759
Inhaltsverzeichnis XIX

16.14 Diabetische Neuropathie 759 17.1.5 Lipoprotein (a) [Lp(a)] 812


M. HOFMANN, P. P. NAWROTH 17.1.6 Stoffwechsel der Lipoproteine 812
17.1.7 Triglyceridstoffwechselwege 813
16.14.1 Fallpräsentation 759
16.14.2 Epidemiologie 759 17.2 Störungen des Lipoprotein-
16.14.3 Pathogenese 760 stoffwechsels 814
16.14.4 Klinik 762 17.2.1 Fallpräsentationen 814
16.14.5 Diagnostik 764
16.14.6 Differentialdiagnose 766 Unterfunktion 816
16.14.7 Therapie 767
17.2.2 Hypolipidämien und Dyslipidämien,
16.15 Diabetisches Fußsyndrom 768 Pathophysiologie und Klinik 816
M. HOFMANN, P. P. NAWROTH
Überfunktion 818
16.15.1 Fallpräsentation 768
16.15.2 Epidemiologie 769 17.2.3 Hyperlipidämien 818
16.15.3 Pathogenese 770 17.2.4 Diagnostik 831
16.15.4 Klinik 772 17.2.5 Therapie 833
16.15.5 Diagnostik 773 17.2.6 Lipidspeichererkrankungen 838
16.15.6 Differentialdiagnose 775 17.2.7 Störungen des Stoffwechsels
16.15.7 Therapie 776 apolarer Lipide 840
16.15.8 Notfall 778 Literatur 840
16.16 "Hypoglycemia unawareness" 778
M. s. KLEVESATH, B. ISERMANN, 18 Purinstoffwechsel 841
P. P. NAWROTH w. GRÖBNER

16.16.1 Fallpräsentation 778 18.1 Physiologie 841


16.16.2 Epidemiologie 779 18.1.1 Harnsäurebildung 841
16.16.3 Pathogenese 780 18.1.2 Regulation der Purinsynthese 841
16.16.4 Klinik 781 18.1.3 Nahrungspurine 842
16.16.5 Diagnostik 781 18.1.4 Renale und extrarenale Harnsäure-
16.16.6 Therapie 781 ausscheidung 842
16.17 Erektile Dysfunktionen 18.2 Hyperurikämie und Gicht 843
bei Diabetikern 783 18.2.1 Fallpräsentation 843
S. ScHIEKOFER, R. RrEDASCH, 18.2.2 Definition der Hyperurikämie 843
B. ISERMANN, P. P. NAWROTH 18.2.3 Epidemiologie 844
18.2.4 Pathogenese 844
16.17.1 Fallpräsentation 783
18.2.5 Klinik 847
16.17.2 Epidemiologie 783
18.2.6 Diagnostik 848
16.17.3 Pathogenese 784
18.2.7 Differentialdiagnose 850
16.17.4 Klinik 785
18.2.8 Therapie 851
16.17.5 Diagnostik 785
18.2.9 Prognose 855
16.17.6 Differentialdiagnose 786
16.17.7 Therapie 786 18.3 Lesch-Nyhan-Syndrom 856
Literatur 790 18.3.1 Pathogenese 856
18.3.2 Klinik 856
17 Lipide und Lipoproteine 807 18.3.3 Diagnostik 856
J.R. SCHÄFER, A. STEINMETZ 18.3.4 Therapie 856
17.1 Physiologie 807 18.4 Adeninphosphoribosyltransferase-
17.1.1 Lipide 807 Mangel und 2,8-Dihydroxyadenin-
17.1.2 Apolipoproteine und Lipoproteine 808 lithiasis 856
17.1.3 Enzyme des Lipoprotein- 18.4.1 Pathogenese 856
stoffwechsels 809 18.4.2 Klinik 856
17.1.4 Rezeptoren des Lipoprotein- 18.4.3 Diagnostik 856
stoffwechsels 811 18.4.4 Therapie 856
XX Inhaltsverzeichnis

18.5 Xanthinurie 856 18.7 Störungen der Immunantwort 857


18.5.1 Pathogenese und Klinik 856 Literatur 857
18.5.2 Therapie 857
Sachverzeichnis 859
18.6 Myoadenylatdesaminasemangel
(MAD-Mangel) 857
18.6.1 Pathogenese 857
18.6.2 Klinik 857
18.6.3 Diagnostik 857
18.6.4 Therapie 857
Autorenverzeichnis

ALLOLIO, B., Prof. Dr. BRADO, M., Prof. Dr.


Medizinische Universitätsklinik Medizinische Universitätsklinik
Josef-Schneider-St. 2 Abt. Radiologie
97080 Würzburg, Deutschland Im Neuenheimer Feld 110
69120 Heidelberg, Deutschland
ARL T, W., Dr.
Medizinische Universitätsklinik CLEMENS, A., Dr.
Josef-Schneider-Str. 2 Medizinische Universitätsklinik
97080 Würzburg, Deutschland und Poliklinik
Abt. Innere Medizin I
BEYER, J., Prof. Dr. Bergheimerstr. 58
Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Klinikum 69115 Heidelberg, Deutschland
Klinik und Poliklinik Innere Medizin
Schwerpunkt Endokrinologie DUGI, K., Dr.
und Stoffwechselerkrankungen Medizinische Universitätsklinik
Langenbeckstr. 1 und Poliklinik
55131 Mainz, Deutschland Abt. Innere Medizin I
Bergheimerstr. 58
BIERHAUS, A., Dr. 69115 Heidelberg, Deutschland
Medizinische Universitätsklinik
Medizinische Klinik IV ENG ELBACH, M., Dr.
Otfried-Müller-Str. 10 Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Klinikum
72076 Tübingen, Deutschland Klinik und Poliklinik Innere Medizin
Schwerpunkt Endokrinologie
BINDER, G., Dr. und Stoffwechselerkrankungen
Kinderklinik Tübingen Langenbeckstr. 1
Otfried-Müller-Str. 10 55131 Mainz, Deutschland
72076 Tübingen, Deutschland
FELDKAMP, J., Priv.-Doz. Dr.
BLIND, E., Dr. Medizinische Klinik und Poliklinik
Medizinische Universitätsklinik der Heinrich-Beine-Universität
Josef-Schneider-Str. 2 Abt. für Endokrinologie
97080 Würzburg, Deutschland Moorenstr. 5
40225 Düsseldorf, Deutschland
BüRNSTEIN, S. R., Priv.-Doz. Dr.
Nat. Inst. of Child Health GRAUER, A., Priv.-Doz. Dr.
and Human Development Medizinische Universitätsklinik
Building 10, Room 10N262 Abt. Innere Medizin I
USA-Bethesda Bergheimerstr. 58
MD 20814 USA 69115 Heidelberg, Deutschland
XXII Autorenverzeichnis

GRÖBNER, W., Prof. Dr. HöPPNER, W., Priv.-Doz. Dr.rer.nat.


Kreisklinik Balingen Institut für Hormon- und Fortpflanzungsforschung
Tübingerstr. 30 Grandweg 64
72336 Balingen, Deutschland 22529 Hamburg, Deutschland

HAAK, T., Priv.-Doz. Dr. HOFMANN, M., Dr.


Zentrum für Innere Medizin Rover Research Laboratories
Theodor-Stern-Kai 7 Department of Physiology
60590 Frankfurt, Deutschland College of Physicians & Surgeons Columbia
University
HAASS, M., Priv.-Doz. Dr. 630 West, 168th Street
Medizinische Universitätsklinik New York, NY 10032, USA
Abt. Innere Medizin III
Bergheimerstr. 58 ISERMANN, B. H., Dr.
69115 Heidelberg, Deutschland Blood Research Institute
Blood Center of Southeastern Wisconsin I
HAGENS VON, C., Dr. P.O. Box 2178
U niversi tä ts-Frauenklinik Milwaukee, WI 53201-2178, USA
Voßstr. 9
69115 Heidelberg, Deutschland KASPERK, C., Priv.-Doz. Dr. Dr.
Medizinische Universitätsklinik
HAMMES, H.-P., Prof. Dr. und Poliklinik
Klinikum Mannheim Abt. Innere Medizin I
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3 Bergheimerstr. 58
68175 Mannheim, Deutschland 69115 Heidelberg, Deutschland

HAUNER, H., Prof. Dr. KASSESSINOFF, T., Dr.


Diabetes-Forschungsinstitut Medizinische Universitätsklinik
Aufm Hennekamp und Poliklinik
40225 Düsseldorf, Deutschland Abt. Innere Medizin I
Bergheimerstr. 58
HEILMANN, P., Dr. 69115 Heidelberg, Deutschland
Medizinische Universitätsklinik
und Poliklinik KIESEWETTER, F., Dr.
Abt. Innere Medizin I U niversi tä ts-Frauenklinik
Bergheimerstr. 58 Voßstr. 9
69115 Heidelberg, Deutschland 69115 Heidelberg, Deutschland

HEINRICH, U., Prof. Dr. KLEVESA TH, M., S. Dr.


Universitäts-Kinderklinik Medizinische Universitätsklinik
Endokrinologie und Poliklinik
Im Neuenheimer Feld 155 Abt. Innere Medizin I
69120 Heidelberg, Deutschland Bergheimerstr. 58
69115 Heidelberg, Deutschland
HENSEN, J., Prof. Dr.
Klinik Hannover Nordstadt KLÖPPEL, G., Prof. Dr.
Haltenhoffstr. 41 Universitätsklinik Kiel
30167 Hannover, Deutschland Institut für Pathologie
Leipziger Str. 44
HERBAY VON, A., Dr. 24105 Kiel, Deutschland
Medizinische Universitätsklinik
Pathologie KOPF, D., Dr.
Im Neuenheimer Feld 220 Otto-von-Guericke-Universität
69120 Heidelberg, Deutschland Zentrum für Innere Medizin
Leipziger Str. 44
39120 Magdeburg, Deutschland
Autorenverzeichnis XXIII

LEHNERT, H., Prof. Dr. REINCKE, M., Prof. Dr. med.


Otto-von -Guericke-Universität Universitätskliniken Freiburg
Zentrum für Innere Medizin Abt. Innere Medizin/Endokrinologie
Leipziger Str. 44 Hugstetterstr. 55
39120 Magdeburg, Deutschland 79106 Freiburg, Deutschland

LORENZ, A., Dr. RIEDASCH, R., Prof. Dr.


Medizinische Universitätsklinik Medizinische Universitätsklinik
und Poliklinik Urologie
Abt. Innere Medizin I Im Neuenheimer Feld 110
Bergheimerstr. 58 69120 Heidelberg, Deutschland
69115 Heidelberg, Deutschland
RÖSEN, P., Prof. Dr.
MORCOS, M., Dr. Diabetes- Forschungsinstitut
Medizinische Universitätsklinik Aufm Hennekamp
und Poliklinik 40225 Düsseldorf, Deutschland
Abt. Innere Medizin I
Bergheimerstr. 58 RUNNEBAUM, B., Prof. Dr. Dr. h. c.
69115 Heidelberg, Deutschland Universitäts-Frauenklinik
Voßstr. 9
NAWROTH, P. P., Prof. Dr. 69115 Heidelberg, Deutschland
Universitätsklinikum Tübingen
Medizinische Klinik IV SCHÄFER, J. R., Priv.-Doz. Dr.
Otfried-Müller-Str. 10 Klinikum der Philipps-Universität Marburg
72076 Tübingen, Deutschland Klinik für Innere Medizin
Abt. Kardiologie
NIESCHLAG, E., Prof. Dr. Baidingerstraße
Westfälische Wilhelms-Universität 35043 Marburg, Deutschland
Institut für Reproduktionsmedizin
Domagkstr. 11 SCHERBAUM, W. A., Prof. Dr.
48129 Münster, Deutschland Diabetes- Forschungsinstitut
Aufm Hennekamp
ÜCHSENKÜHN, R., Dr. 40225 Düsseldorf, Deutschland
Westfälische Wilhelms-Universität
Institut für Reproduktionsmedizin SCHIEKOFER, S., Dr.
Domagkstr. 11 Medizinische Universitätsklinik
48129 Münster, Deutschland Medizinische Klinik IV
Otfried-Müller-Str. 10
PETERS, F., Prof. Dr. med. 72076 Tübingen, Deutschland
St. Bildegardis Krankenhaus
Abt. Gynäkologie SCHILLING, T., Priv.-Doz. Dr.
Hildegardstr. 2 Medizinische Universitätsklinik
55131 Mainz, Deutschland und Poliklinik
Abt. Innere Medizin I
RABE, T., Prof. Dr. Dr. h. c. Bergheimerstr. 58
Un iversi tä ts-Frauenklinik 69115 Heidelberg, Deutschland
Voßstr. 9
69115 Heidelberg, Deutschland SCHULZ, C., Dr.
Otto-von-Guericke-Universität
RANKE, M., Prof. Dr. med. Zentrum für Innere Medizin
Universitäts- Kinderklinik Leipziger Str. 44
Sektion Pädiatrische Endokrinologie 39120 Magdeburg, Deutschland
Rümelinstr. 23
72070 Tübingen, Deutschland
XXIV Autorenverzeichnis

SCHULZE, E., Dr. WAHL, P., Prof. Dr.


Universitäts-Frauenklinik Medizinische Universitätsklinik
Voßstr. 9 und Poliklinik
69115 Heidelberg, Deutschland Abt. Innere Medizin I
Bergheimerstr. 58
SEIBEL, M. J., Priv.-Doz. Dr. 69115 Heidelberg, Deutschland
Medizinische Universitätsklinik
und Poliklinik WEISS, T., Dr.
Abt. Innere Medizin I Medizinische Universitätsklinik
Bergheimerstr. 58 Innere Medizin II
69115 Heidelberg, Deutschland Bergheimerstr. 58
69115 Heidelberg, Deutschland
STEINMETZ, A., Priv.-Doz. Dr.
St. Nikolaus-Stiftshospital WOITGE, H. W., Dr.
Innere Abteilung Medizinische Universitätsklinik
Bindenburgwall 1 und Poliklinik
56626 Andernach, Deutschland Abt. Innere Medizin I
Bergheimerstr. 58
USADEL, K. H., Prof. Dr. 69115 Heidelberg, Deutschland
Zentrum für Innere Medizin
Theodor-Stern-Kai 7 ZIEGLER, R., Prof. Dr.
60590 Frankfurt, Deutschland Medizinische Universitätsklinik
und Poliklinik
VLADESCU, E., Dr. Abt. Innere Medizin I
Universitäts- Frauenklinik Bergheimerstr. 58
Voßstr. 9 69115 Heidelberg, Deutschland
69115 Heidelberg, Deutschland

WERDER VON, K.-H., Prof. Dr.


Schloßpark- Klinik
Heunerweg 2
14059 Berlin, Deutschland
TEIL I Hypothalamus, Hypophyse
und Zielorgane
KAPITEL 1

Wachstum 1
G. BINDER, T. HAAK,
M. B. RANKE, K. H. USADEL

l.l Physiologie des Wachstumshormons


(GH) 3 1.1
M. B. RANKE, G. BINDER Physiologie des Wachstumshormons (GH)
1.1.1 Molekularbiologie 3
1.1.2 GH-Sekretion 4 M. B. RANKE, G. BINDER
1.1.3 Regulation der GH -Sekretion 5
1.1.4 Wirkungsmechanismen von GH 5 1.1.1
l.l.S Insulin-like-growth-Faktoren 6
1.1.6 Metabolische GH-Wirkungen 6 Molekularbiologie
Mangel 7
M. B. RANKE, G. BINDER Wachstumshormon (Syn. Somatotropin, somato-
tropes Hormon = STH, growth hormone = GH)
1.2 GH-Mangel 7
1.2.1 Fallpräsentation 7 ist ein einkettiges Peptidhormon aufgebaut aus
1.2.2 Epidemiologie 8 191 Aminosäuren (AS) ohne Zuckerreste, welches
1.2.3 Pathogenese 8 über 2 Disulfidbrücken in seine Tertiärstruktur ge-
1.2.4 Klinik des GH-Mangels 10
1.2.5 Diagnostik 11 faltet ist. Diese besteht aus 4 a-Helices, die antipar-
1.2.6 Therapie 13 allel angeordnet sind. Wachstumshormon ist das
Überfunktion 15 Produkt des GH -1 (GH-N)-Gens, welches zusammen
T. HAAK, K. H. USADEL mit Genen für humanes Chorionsomatomammotro-
1.3 Hochwuchs 15 pin (hCS) und dem nur in der Plazenta exprimierten
1.3.1 Fallpräsentation 15 GH-2(GH-V)-Gen auf dem langen Arm des Chro-
1.3.2 Epidemiologie 16 mosoms 17lokalisiert ist. Neben GH mit einem Mo-
1.3.3 Pathogenese 17
1.3.4 Klinik 17 lekulargwicht von 22 kD (ca. 90%) entsteht durch
1.3.5 Diagnostik 18 alternatives Splicing eine Proteinvariante (20 kD,
1.3.6 Therapie 19 ca. 10 %), dem die AS 32-46 der 22-kD-Form fehlen.
1.3.7 Notfall 21
Darüber hinaus existieren im Blut in geringeren
1.4 Akromegalie 21 Konzentrationen, jedoch individuell variierend, wei-
1.4.1 Fallpräsentation 21
1.4.2 Epidemiologie 22 tere GH-Varianten und Oligomere (z. B. "big" GH)
1.4.3 Pathogenese 22 mit unterschiedlicher biologischer Aktivität. Die Ex-
1.4.4 Klinik 22 pression des GH-1-Gens ist fast ausschließlich auf
1.4.5 Diagnostik 24
1.4.6 Differentialdiagnose 26 die somatotropen Zellen der Adenohypophyse be-
1.4.7 Therapie 26 schränkt, welche ca. 90% ihrer Zellmasse ausma-
1.4.8 Notfall 27 chen. Die Bestimmung des Wachstumshormons er-
Literatur 28 folgt für klinische Zwecke mittels Immunoassays
unter Verwendung monoklonaler oder polyklonaler
Antikörper und eines internationalen Standards
(z. B. IRP WHO 88/624 r-hGH, 3,0 lU/ mg r-hGH).
Aufgrund der genannten Variabilität der sezernier-
ten und zirkulierenden Formen, sind die Limitierun-
gen dieser Verfahren evident.
4 KAPITEL 1 Wachstum

rend des Wachseins sezerniert. Die GH-Sekretion


1.1.2
ist im Säuglingsalter und in der Pubertät am höch-
GH-Sekretion
sten. In dieser Zeit sind die Amplituden der Sekreti-
onspulse sowie die Gesamtsekretion erhöht. Im Er-
Die spontane GH-Sekretion ist charakterisiert durch
wachsenenalter sinkt die GH-Sekretion bis ins Seni-
Phasen kurzzeitiger Ausschüttung in die Zirkulation
u~ hin ab (~bb.1-2). In der Adoleszenz beträgt
und längeren Phasen der Sekretionsruhe, in denen die
d1e GH -SekretiOn etwa 60 ~Jg/kg KG/24 h, im jungen
GH-Konzentration unter 1 ~Jg/1 absinkt (Abb.1-1).
Erwachsenenalter etwa 17 1-1g/kg KG/24 h. Die GH-
Die Halbwertszeit des GH in der Zirkulation beträgt
2?
etwa min. Die Sekretionsepisoden erfolgen ca. alle
Sekretion ist bei Frauen geringfügig höher als bei
Männern.
3 h. Die konstanteste Ausschüttung von GH erfolgt
c~. 60-90 min nach Beginn des Schlafs. In der Regel
wird mehr GH (ca. 2/3) in der Schlafphase als wäh-

50.-------------------------

40

=
~ 30
C'l
.s
I
~ 20

10

Jl\.. - ........
0 •
50 . -------------------------

40

=E 30
.....
C'l
.s
I
~ 20

10

0
lA• .
50

40

E
..... 30
Ol
.s
6 20


10

Abb.I-1.
Pulsatilität der GH-Sekre-
12:00 18:00 24:00 6:00 [Uhr] 12:00 18:00 24:00 6:00 [Uhr] tion; unteres Drittel.
7eir Zeit (Aus: Spiliotis et al., 1984)
1.1 Physiologie des Wachstumshormons (GH) 5

100 vollständig verstandenes System von Neutratrans-


mittern im Hypothalamus beinflussen die Sekretion
~ von GHRH und GHRIH. So ist bekannnt, dass Ago-
~ 80
<1\
c nisten des a- und ß-Rezeptors sowie dopaminerge
0
·~ ...--. und serotoninerge Agonisten die GH-Sekretion sti-
(\)~
J;:"<t 60
<lJN
Vl ...._
mulieren, während die entsprechenden Antagoni-
' ::::::
IO'\
sten diese inhibieren. Die pulsatile Natur der GH-
"2 40 Sekretion beruht auf der Interaktion dieses Regula-
(\)
~

~
tionsnetzwerks auf verschiedenen anatomischen
Q)
~
20 und funktionellen Ebenen. Substanzen, die in der
klinischen Situation verwendet werden, um die
0 GH-Sekretion in standardisierter Form zu evo-
21 · 31 29 - 59 61 · 71 zieren, wirken auf unterschiedlichen Ebenen - di-
Alter [Jahre] rekt auf die somatotropen Zellen, oder indirekt
Abb.l-2. Tägliche GH-Sekretion in Abhängigkeit vom Alter via Stimulation von GHRH bzw. Inhibition von
GHRIH.

1.1.3 1.1.4
Regulation der GH-Sekretion Wirkungsmechanismen von GH

Die Synthese und Sekretion von GH wird vordring- Der erste Schritt der GH- Wirkung ist die spezifische
lich durch die Balance zwischen GH-Releasing-Hor- Bindung an einen Membranrezeptor (GH-R),wel-
mon (GHRH) (Syn.: Somatokrinin) und GH-Re- cher zur Superfamilie der Zytokinrezeptoren gehört.
lease-Inhibiting-Hormon (GHRIH) (Syn.: Somato- Das Rezeptorprotein besteht aus einer extrazellulä-
statin) reguliert. ren (247 AS), einer transmembraneo (24 AS) sowie
einer intrazellulären Domäne (397 AS), welche mit
• GHRH. GHRH ist ein Peptidhormon von 44 AS der intrazellulären Signalkaskade gekoppelt ist.
Länge, dessen Produktion vorzugsweise im Nucleus Die Interaktion von GH mit dem Rezeptor erfolgt
arcuatus des Hypothalamus erfolgt. Axone sind von in 2 Schritten. Zunächst bindet GH mit einer hoch-
dort zur Eminentia mediana gerichtet. GHRH wirkt affinen Bindungsstelle an die äußere Domäne eines
nach Bindung an einen spezifischen G-Protein ge- Rezeptormoleküls. Dann assoziiert sich ein zweites
koppelten Zelloberflächenrezeptor über eine cAMP Rezeptormolekül mit einer anderen Bindungsstelle
vermittelte intrazelluläre Signalkaskade. Dies führt des bereits ligierten GH-Moleküls. Wenn diese Di-
zu einer Steigerung der GH ·Produktion und -Sekre- merisierung zwei er GH ·Rezeptoren erfolgt ist,
tion. wird die intrazelluläre Signalkaskade aktiviert. Die
Rezeptor- Dimerisierung aktiviert die assoziierte
Tyrosinkinase JAK2 und führt zur Tyrosin-Phos-
• GHRIH. GHRIH ist ein Peptidhormon von 14 AS
phorylierung des Rezeptors.
Länge, dessen Produktion vorzugsweise von Neu-
Die extrazelluläre Domäne des GH-Rezeptors -
ronen im Bereich der anterioren periventrikulären
ein einsträngiges Glykoprotein (60 kD) - kann im
Region des Hypothalamus erfolgt. Axone von dort
Menschen durch Proteolyse abgespalten werden
sind zur Eminentia mediana regulatorisch gerichtet.
und zirkuliert als hochaffines Bindungsprotein für
Die Bindung von GHRIH an spezifische Rezeptoren
GH (GH-BP) im Serum. Man nimmt an, dass die
bewirkt eine Hemmung der Adenylcyclaseaktivität
Konzentration des GH-BP in der Zirkulation den
und eine Verminderung der intrazellulären Kal-
Rezeptorstatus eines Individuums reflektiert. Im
ziumkonzentration.
Säuglingsalter spiegelt eine verminderte Konzentra-
tion von GH-BP die physiologische Verminderung
Regulationsmechanismen des GH-Rezeptors und somit die entwicklungstypi-
Die Wirkung von GHRH und GHRIH ergibt sich aus sche GH -Resistenz wider. Etwa 15 - 35% des zirku-
der teils pulsatilen, teils tonischen Natur ihrer Se- lierenden GH sind an GH-BP gebunden. Die physio-
kretion. Auf hypothalamisch-hypophysärer Ebene logische Bedeutung der GH -Bindung an GH-BP,
sind Rückkopplungsmechanismen ("short loop") durch welche die Halbwertszeit von GH verlängert
wirksam - die Sekretion von GH steigert z. B. die wird, ist bisher unklar. Da die GH-Bindung an
Freisetzung von GHRIH -,welche die GH-Sekretion GH-BP reversibel ist, mag GH-BP für den Transport
beinflusst. Ein komplexes und bisher nur sehr un- von GH zu Zielgeweben eine Rolle spielen.
6 KAPITEL I Wachstum

gebildet. Der ternäre Komplex kann die Zirkulation


1.1.5
nicht verlassen und stellt die einzige Depotform für
lnsulin-like-growth-Faktoren die IGF dar, für die kein intrazelläres Reservoir exi-
stiert.
Die Wirkungen des Wachstumshormons sind ent-
weder direkt oder werden indirekt durch den lnsu-
lin-like-growth-Faktor-1 (IGF-1) vermittelt. IGF-1 ist
1.1.6
ein einkettiges basisches Peptid (70 AS), welches
Metabolische GH-Wirkungen
ebenso wie das GH-unabhängige IGF-11 dem Proin-
sulin strukturell sehr ähnlich ist. Es wird durch ein
Die metabolischen Effekte des GH können schema-
Gen, welches auf dem langen Arm von Chromosom
tisch in direkte und indirekte sowie sofortige und
12lokaliert ist, kodiert. Während GH eine hohe Spe-
mit Verzögerung auftretende Wirkungen eingeteilt
ziesspezifität aufweist, ist das IGF-1 verschiedener
werden. Die Effekte sind komplex, da sie von der
Spezies sehr homolog. Das GH-abhängige IGF-1
metabolischen Grundsituation und dem hormonel-
der Zirkulation stammt überwiegend aus der Leber.
len Milieu abhängig sind. Sie sind in ihren Details
IGF-Produktion findet aber auch in vielen anderen
noch nicht völlig aufgeklärt (Tabelle 1-1).
Geweben statt. IGF-1 bindet an einen membranstän-
digen Rezeptor (Typ-1 IGF-R), der wie der Insulin-
rezeptor aus einem Heterodimer mit 2 a- und 2 ß- Tabelle 1-1. Metabolische Wirkungen von GW und IGF-I
Ketten besteht. Dieser ist in die intrazelluläre Signal-
GH IGF-1
kaskade mittels einer rezeptoreigenen Tyrosinki-
nase angekoppelt. IGF-1 GH

IGFBP-3 T IGFBP-3 l
Regulation des /GF-Systems
Das IGF-System ist außerordentlich komplex regu- Insulin l In ulin l
liert. Die Konzentration des IGF-1 im Blut hängt un- Insulin-Sensitivität l In ulin-Sen itivität T
ter anderem sowohl von der GH-Sekretion als auch
von nutritiven Faktoren und der Leberfunktion ab. Glukose I Gluko e 1< ? I >
IGF-1-Konzentrationen in der Zirkulation und die Glukose-Toleranz 1
Sekretion des Wachstumshormons stehen in einem
Rückkopplungsverhältnis ("feedback") zueinander, Lipolyse t Lipolyse
wie es für klassische endokrine Regulationssysteme
typisch ist.
Glukosestoffwechsel
Dem insgesamt als insulinantagonistisch anzuse-
• IGF-Bindungsproteine. IGF zirkulieren an Bin-
hende direkte Effekt von GH steht der indirekte in-
dungsproteine (IGFBP) assoziiert. Es sind derzeit
sulinähnliche Effekt des GH-abhängigen IGF-1 ent-
6 (IGFBP-1 bis -6) Bindungsproteine für IGF be-
gegen. Beim GH-Mangel ist die Nüchternglukose
kannt, welche in ihrer chemischen Struktur grund-
vermindert; insbesondere Kinder neigen zur Hypo-
sätzlich ähnlich sind. Unterschiede ergeben sich hin-
glykämie. Gleichzeitig besteht eine verminderte In-
sichtlich ihrer Größe, ihrem präferenziellen Bin-
sulinsekretion, eine erhöhte Insulintoleranz und
dungsverhalten für IGF-1 oder IGF-11, ihrer Fähig-
eine verminderte Glukosetoleranz. Die endogene
keit, proteolytisch gespalten bzw. phosphoryliert
(hepatische) Glukoseproduktion ist vermindert.
werden zu können, ihrer Expression in Geweben, ih-
Diese Veränderungen sind nach Substitution von
rer Konzentration in Körperflüssigkeiten, ihrer Fä-
GH reversibel, wobei sowohl die endogene Glukose-
higkeit an Strukturproteine zu binden, ihrer Regula-
produktion als auch die Glukoseverwertung gestei-
tion durch Hormone u. a. m. Die funktionelle Rolle
gert sind.
der IGFBP ist nicht vollständig geklärt. IGFBP ver-
längern die Halbwertzeit der IGF, die in "freier"
Form nur wenige Minuten beträgt, auf ca. 12 und Fettstoffwechsel
spielen für die Präsentation von IGF an ihre Rezep- Ein direkter Effekt von GH besteht auf den Stoff-
toren in verschiedenen Geweben eine zentrale Rolle. wechsel von Adipozyten, da diese Zellen keine Re-
In der Zirkulation erscheint IGF-1 (und IGF-11) vor- zeptoren für IGF-1 besitzen. GH stimuliert die Pro-
dringlich an IGFBP-3 (53 kD) gebunden (binärer liferation von Vorläuferzellen der Adipozyten. Die
Komplex) und formt mit ALS (acid-labile sububit) Gabe von GH induziert einen durch Lipolyse be-
(85 kD) einen ternären Komplex (150 kD). IGFBP- dingten Anstieg der freien Fettsäuren (FFA) im
3 und ALS werden abhängig von GH in der Leber Blut. Gleichzeitig stimuliert GH die Lipoprotein-
1.2 GH-Mangel 7

lipase (LPL), welche die Aufnahme von FFA im Organsysteme


Gewebe und die Lipidoxidation in Bezug auf die Die morphologischen und funktionellen Wirkungen
Fettmasse des Körpers fördert. In der Situation von GH (IGF) auf einzelne Organsysteme- Skelett-
des Fastens, in der GH erhöht und IGF-1 sowie In- muskulatur, Herzmuskulatur, Knochen, Bindegewe-
sulin vermindert sind, werden dadurch vermehrt be, Darm, Gonaden, Immunzellen - sind, wie expe-
Fettdepots abgebaut und ein Proteinabbau vermin- rimentelle Studien sowie Beobachtungen beim GH-
dert. Die Wirkung von GH auf das Fettgewebe ist Mangel und GH-Exzess belegen, vielfältig und kom-
regional unterschiedlich. In der Situation des plex. Sie sind in der Regel nicht spezifisch, sondern
GH-Mangels kommt es, insbesondere beim Er- Teil argan-/gewebsspezifischer Regulationssysteme
wachsenen, zu einer abdominellen Fettgewebsver- und leiten sich aus metabolischen, zelltrophischen
mehrung, die unter GH-Gabe rasch reversibel ist. und in den Apoptoseprozess eingreifenden Wirkun-
Insbesondere bei Erwachsenen mit GH-Mangel ist gen von GH ab.
das Low-density-Lipoprotein- (LDL-) -Cholesterin
vermehrt.

Salz-Wasser-Haushalt Mangel
Es ist gut dokumentiert, dass GH zu einer Retention
M. B. RANKE, G. BINDER
von Wasser und Natrium führt. Die Mechanismen
dieser Effekte sind nicht völlig geklärt. Bei Patienten
mit GH-Mangel besteht eine Verminderung desto-
1.2
talen Körperwassers und der extrazellulären Flüssig-
GH-Mangel
keitsmenge, die durch GH-Gabe kompensiert wird.
Bei akromegalen Patienten ist die extrazelluläre
1.2.1
Flüssigkeitmenge vermehrt. Das Plasmavolumen
Fallpräsentation
scheint nur nach langzeitiger GH-Gabe anzusteigen.
GH steigert die glomeruläre Filtrationsrate (GFR),
eine Wirkung, die wahrscheinlich durch IGF-1 mo- Ein 4,5 Jahre alter Junge (Abb. 1-3) wmde vor-
duliert wird. Ob die Flüssigkeitsretention Ursache gestellt, weil er in den vergangeneo Jahren kaum
oder Folge der erhöhten GFR ist, bleibt derzeit un- gewachsen war und ihn sein 2 Jahre jüngerer
klar. Ebenso unklar ist die Rolle des Renin-Angio- Bruder in der Größe überholt hatte.
tensin-Aldosteron-Systems (RAAS) während der Der proportioniert kleinwüchsige Junge nor-
GH-Gabe, da klinisch-experimentelle Befunde so- mal großer Eltern hatte einen großen Kopf mit
wohl für als auch gegen eine vom RAAS abhängige prominenter Stirn, kleinem Mittelgesicht (Pup-
Flüssigkeitsretention sprechen. Die Bedeutung von pengesicht) sowie eine stammbetonte Adiposi-
atrialem natriuretischen Peptid (ANP), Prostaglan- tas und ein kleines Genitale. Die Größe
dinen und AVP im Zusammenwirken mit GH in (93,2 cm) lag 9 cm unterhalb der 3. Altersper-
der Regulation der Flüssigkeitshomöostase ist Ob- zentile bei normalem Körpergewicht (16,3 kg).
jekt derzeitiger Forschung. Insgesamt kann davon Die GH-abhängigen Faktoren IGF-1 (21 ng/
ausgegangen werden, dass die Effekte von GH auf ml) und IGFBP-3 (703 nglml) waren vermindert.
den Salz-Wasser- Haushalt multifaktoriell sind. Kli- Im Arginin-Test wurde ein GH-Maximum von
nisch bedeutsame Wirkungen sind zudem häufig 2,2 )lg/1, in der nächtlichen Spontansekretion
transitorisch und beim Erwachsenen stärker ausge- ein GH -Maximum von 7 ~tg/1 gemessen. Weitere
prägt. Ausfälle von Hypophysenhormonen waren
nicht nachweisbar. Im MRT stellte sich eine hy-
poplastische Adenohypophyse mit ektoper Neu-
Proteinstoffwechsel
rohypophyse dar.
Die Wirkungen von GH auf den Proteinstoffwechsel,
Tägliche Dosen von 0,5 IE GH s.c./kg KG
die in ihrer Summation anabol sind, sind nicht völlig
und Woche führten zum Aufholwachstum
geklärt, wobei von einer direkten Förderung der
(Abb. 1-4}. ach 3 Jahren wurde die 50. Alters-
Proteinsynthese auszugehen ist.
perzentile der Größe erreicht. Die Behandlung
wird bis zum Erreichen einer normalen Erwach-
senengröße fortgeführt. Da eine Fehlbildung der
Hypophyse vorliegt, ist mit einer lebenslangen
GH-Substitution zu rechnen.
8 KAPITEL I Wachstum

Abb. l-3. Klinische Entwicklung eines Patienten mit GH-Mangel (links) im Vergleich zum 2 Jahre jüngeren gesunden Bruder
(rechts) vor und während GH-Behandlung

6 7 8 9 10 11 12 13 14
cm r-r---,-,-,-,-,--,~~~~~~~~
1.2.2
190
Epidemiologie

Im Kindesalter stellt der sog. idiopathische GH-


Mangel, der isoliert oder in Kombination mit ande-
160 ren hypophysären Ausfällen auftritt (multiple pi-
150 tuitary hormone deficiency = MPHD), mit einer In-
zidenz von 1 : 4-10.000 die häufigste Form dar. Das
männliche Geschlecht überwiegt im Verhältnis 2 : 1.
130 Bei einer Reihe von angeborenen Malformationen
wie septa-optischer Dysplasie, Empty-Sella-Syn-
120
drom, Syndrom des isolierten mittleren Schneide-
110 zahns und anderen Entwicklungsstörungen der
100
Mittellinie tritt ein GH-Mangel auf.

90

1.2.3
Pathogenese

Der GH-Mangel stellt ein Spektrum von klinisch


kg
ähnlichen, jedoch ätiologisch und pathogenetisch
unterschiedlichen Störungen dar, die teils angebo-
ren, teils erworben sind. Die folgende Übersicht li-
Gewicht stet die Ursachen des GH-Mangels auf.
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Alter in Jahren
1~ 17 18 °
Abb. 1-4. Größen- und Gewichtsentwicklung des präpuber-
tären Jungen vor und während GH-Behandlung
l.2 GH-Mangel 9

Ursachen des GH-Mangels • Idiopathischer GH-Mangel. Die Ätiologie des


idiopathischen GH-Mangels ist bisher unklar. Da
• Angeborener GH-Mangel der Anteil der aus Beckenendlagen (BEL) geborenen
idiopathisch Kinder in dieser Gruppe sehr hoch ist, wurde die An-
Fehlanlage der Hypophyse sicht vertreten, dass die Ursache in einer geburts-
Hypophysenaplasie traumatischen Schädigung der Hypophyse läge.
Hypophysenhypoplasie Moderne bildgebende Verfahren (MRT) zeigen bei
Mittelliniendefekte des Gehirns Kindern mit schwerem isolierten GH-Mangel oder
genetisch bedingt bei MPDH häufig Strukturabweichungen der Hypo-
Typ lA (autosomal-rezessiv, GH-1-Gen-De- physe, in typischer Weise mit Unterbrechung des
fekt) Hypophysenstiels, einer ektopen Neurohypophyse
Typ IB (autosomal-rezessiv) und einer hypoplastischen Adenohypophyse
Typ II (autosomal-dominant) (Abb. 1-5). Da diese Veränderung auch bei Kindern
Typ III (x-chromosomal mit Hypogammaglo- mit GH-Mangel ohne Geburt aus BEL vorkommen,
bulinämie) muss in dieser Situation auch eine primäre, eventu-
GHRH- Rezeptordefekt ell genetisch bedingte Anlagestörung der Hypophyse
Pit -1-Gendefekt angenommen werden. Zerebrale Strukturabwei-
pränatale Infektionen chungen auch ohne erkennbare anatomische hypo-
• Erworbener GH-Mangel physäre Veränderungen sind beim GH-Mangel ge-
Tumoren von Hypothalamus und/oder Hypo- häuft.
physe
Sekundär nach • Genetische Ursachen. In seltenen Fällen liegt dem
Trauma GH-Mangel eine genetische Ursache zugrunde. Tra-
Infektionen ditionell wurden diese Formen nach dem Mendel-
ZNS-Bestrahlung Vererbungsmodus eingeteilt (Tabelle 1-2). Bei der
• Funktioneller GH-Mangel autosomal-rezessiv vererbten Form (Typ lA) liegt
psychosoziale Deprivation meist eine komplette Deletion des GH-1-Gens vor.
bioinaktives GH Diese Patienten haben überhaupt kein GH und ent-
GH- Resistenz wickeln unter der Therapie mit GH rasch hochtitrige
GH-Rezeptordefekt (Laron -Syndrom) Anti-GH-Antikörper. Bei der autosomal-rezessiven
Post -G H-Rezeptordefekt Form (Typ IB), bei der die genetischen Grundlagen
genetisch bedingte IGF-I -Synthesestörung noch weitestgehend unbekannt sind, ist GH vermin-
erworbene GH-Resistenz (Hepatopathie, dert oder in einer veränderten Struktur vorhanden.
Urämie, Katabolismus) Bei der autosomal-dominant vererbten Form (Typ
II) sind die Mechanismen der Mutationen nicht völ-
lig geklärt. Bei der seltenen x-chromosomal vererb-
ten Form, die mit einer Hypogammaglobulinämie
Aus funktioneller Sicht ist zudem zwischen solchen verknüpft (Typ III) ist, ist die genetische Ursache
Störungen zu unterscheiden, bei denen die GH-Se- unbekannt. Neuere molekulargenetische Ursachen
kretion komplett fehlt ("GH deficiency"), und jenen, des GH-Mangels mit unterschiedlichem Verer-
bei denen die GH-Sekretion lediglich vermindert ist bungsmodus entziehen sich dieser genetischen Ein-
("GH insufficiency"). teilung. Beim autosomal-rezessiv vererbten Defekt

Abb. 1-Sa, b.
Ektopie der Neurohypophyse in sagittaler (a)
und koronarer (b) Tl-gewichteter Kernspin -
tomographie
10 KAPITEL I Wachstum

Tabelle 1-2. Mendel-Erbgänge des monogenetisch vererbten gentlieh beobachtet. Angeborene, genetisch be-
isolierten GH-Mangels dingte Formen der GH-Resistenz sind durch eine
Typ Erbgang Serum GH Molekulare
primäre Störung der IGF-I-Synthese bzw -Wirkung
Ursachen bedingt. Beim Laron-Syndrom besteht ein ge-
netischer Defekt des GH-Rezeptors. Bei Hepato-
lA Rezes iv Nicht GH -1 Gen- pathien, schweren mit Katabolie einhergehenden
vorhanden deletion
Erkrankungen und Urämie wird eine GH-Resistenz
IB Reze iv Vermindert beobachtet.
II DomiMnt Vermindert Intron III
GH -1 Gen-
mutation 1.2.4
Klinik des GH-Mangels
111 X-chromoso- Vermindert
mal
Kindesalter
Im Kindesalter variiert das klinische Bild bei GH-
Mangel in seiner Ausprägung in Abhängigkeit
des GHRH-Rezeptors besteht das Vollbild des vom individuellen Ausmaß der GH-Sekretionsstö-
schweren GH-Mangels. Beim für die Hypophysen- rung und in Abhängigkeit vom Alter. Die Symptome
entwicklung bedeutsamen Defekt des hypophysen- des GH-Mangels im Kindesalter sind in der nachfol-
spezifischen Transkriptionsfaktors Pit -1-Gens ist genden Übersicht dargestellt.
der angeborene GH-Mangel mit einem Mangel an
TSH und Prolaktin kombiniert. Symptome des GH-Mangels im Kindesalter

• Erworbene Formen. Ein GH-Mangel kann bei Tu- • Icterus neonatorum


moren in der Region von Hypothalamus und Hypo- • Hypoglykämie
physe erworben werden, wobei die hormonellen • Mikrophallus
Ausfälle der Hypophyse bei Diagnosestellung vor- • Akromikrie
handen sind oder erst durch therapeutische Maß- • Proportionierter Kleinwuchs
nahmen enstehen. • Vermehrtes Körperfett
• Verzögertes Knochenalter

D Im Kindesalter sind Kraniopharyngeome und Dys-


germinome und im Erwachsenenalter hormonell
inaktive Hypophysenadenome die häufigsten Ur- Beim Neugeborenen können Hypoglykämie, chole-
sachen. statischer Ikterus und - bei Knaben - Mikrophallus
Zeichen des GH-Mangels sein. Im Kindesalter ist das
Bei Bestrahlungen des ZNS (ca. > 20 Gy) kann die klinische Bild charakterisiert durch normale Kör-
GH-Sekretion auch ohne anatomisch feststellbare perproportionen, prominente Stirn mit eingesunke-
Veränderungen von Hypothalamus und Hypophyse nem Mittelgesicht, Akromikrie, Stammfettsucht,
vermindert sein und zeigt häufig eine progrediente dünne durchscheinende Haut, helle Stimme und
Abnahme. Traumata, Infektionen und granuloma- verminderte Schweißbildung. Die Dentition ist
täse Veränderungen sind seltene erworbene Ursa- ebenso wie die Ossifikation gegenüber der Norm re-
chen des GH-Mangels. Ob es im Alter eine gegen- tardiert. Beim isolierten GH-Mangel tritt die Puber-
über dem normalen Alterungsprozess (Somata- tät verzögert ein.
pause) hinausgehende Verminderung der GH-Se-
kretion als pathogenetische Entität gibt, ist Objekt
derzeitiger Forschung.
Das Leitsymptom des GH-Mangels im Kindesalter ist
ein progressiver Kleinwuchs. Die Größe der Kinder
D
liegt in der Regel unter der 3. Perzenfile und die
• Funktioneller GH-Mangel. Ein funktioneller GH- Wachstumsrate liegt unter der 25. Perzenfile für
Mangelliegt vor, wenn GH in seiner Wirkung ver- das Alter.
mindert ist. Das immunologisch normale, biologisch

D
jedoch inaktive GH stellt eine seltene Störung dar, Da es einige Zeit (Jahre) dauern kann, bis die Größe
die mit intaktem GH behandelbar ist. Antikörper, unter die Norm abgesunken ist, muss die Wachstums-
welche die Wirkung des GH inhibieren, treten heute geschwindigkeit als das für die Diagnostik relevante
unter GH-Therapie nur beim Typ-IA-GH-Mangel anthropometrische Maß angesehen werden. Unbe-
(s. oben) auf, wurden früher aber bei Verwendung handelt erreichen die Patienten im Erwachsenenalter
unreinem, aus Hypophysen extrahiertem GH gele- eine erheblich verminderte Körperhöhe (< 150 cm).
1.2 GH-Mangel II

Erwachsenenalter Da die spontane GH-Sekretion pulsatil ist, sind


Im Erwachsenenalter ist das Erscheinungsbild der basale GH-Messungen nicht sinnvoll. Vielmehr ist
Patienten mit GH-Mangel komplex und geprägt es erforderlich, GH nach Stimulation zu messen.
durch die ausbleibenden Wirkungen auf Körper-
strukturen und -funktionen. In nachfolgender Über-
sicht sind die entsprechenden Symptome dargestellt. Kindesalter
In der Pädiatrie werden eine große Vielfalt von
Syndrom des GH-Mangels beim Erwachsenen GH-Stimulationstests mit diversen Agenzien (Insu-
lin-induzierte Hypoglykämie, Arginin, Clonidin,
• Vermehrtes Körperfett L-Dopa u. a. m) eingesetzt.
• Veränderte Körperfettverteilung
(Abdomen > Peripherie)
• Verminderte Muskelmasse
• Verminderte Muskelkraft
Die Diagnose des GH-Mangels gilt, sofern andere
Ursachen des Kleinwuchses ausgeschlossen sind,
dann als gesichert, wenn die in diesen Tests beobach-
D
• Verminderte Herzleistung teten GH-Maxima im Serum einen bestimmten
• Verminderte Knochendichte Grenzwert ("cut off') nicht überschreiten. Dieser
• LOL-Choiesterin > HOL-Cholesterin Grenzwert wird heute bei 10 pg/1 angenommen.
• Verminderte Leistungsfähigkeit
• Soziale Isolation Die empirische Basis für diesen Grenzwert ist jedoch
schmal. Hierfür gibt es mehrere Gründe:
• 1. Die Methoden, mit denen GH gemessen wird,
Das klinische Gesamtbild entspricht demjenigen variieren.
eines prämaturen Alterungsprozesses. Muskelmasse • 2. Die Sekretion von GH ist von einer Reihe von
und Exercise-Kapazität sind vermindert, die Fett- Faktoren abhängig, wie Alter, Geschlecht, Puber-
masse ist erhöht. Es stellt sich eine Osteopenie tätsstadium, Ernährungsstatus, Emotionalität,
ein. Die Patienten sind adynam, zeigen eine vermin- und anderen Hormonen (z. B. Schilddrüsen-
derte berufliche Leistungsfähigkeit und tendieren hormone, Sexualsteroide, Glucocorticoide).
zu sozialer Isolierung. Hypercholesterinämie und • 3. Die GH-sezernierende Potenz der verwendeten
Atherosklerose scheinen mit einer erhöhten kardio- Pharmaka variiert.
vaskulären Morbidität verbunden zu sein. Bei Pa- • 4. Normalwerte von Kindern und Jugendlichen
tienten mit GH-Mangel schon seit der Kindheit liegen nur in begren ztem Umfang vor.
und GH-Substitution bis zum Ende des Wachstums • 5. Die Wiederholungsgenauigkeit der Stimulati-
sind die Symptome meist stärker ausgeprägt als bei onstests ist gering. Es scheint allerdings wahr-
Patienten, die den GH-Mangel erst im Erwachsenen- scheinlich, dass die Gefahr, einen diagnostischen
alter erworben haben . Da es sich bei Patienten mit Fehler 1. Ordnung (Verfehlen der Diagnose bei
erworbenem GH-Mangel meist um solche nach einem betroffenen Patienten) zu begehen, bei
Hypophysenoperation handelt, bestehen nicht sel- einem Grenzwert von 10 ~tg/1 gering ist. Um
ten weitere hypophysäre Ausfälle. Fehler 2. Ordnung zu vermeiden, ist allgemein
akzeptiert, dass die Diagnose eines GH-Mangels
stets auf der Basis von 2 Standardstimulations-
1.2.5 tests gestellt werden sollte.
Diagnostik
Der Stimulationstest mit GHRH gilt als wenig geeig-
Bei einem absoluten GH-Mangel auf einer geneti- net, einen GH-Mangel zu verifizieren, wenngleich er
schen oder anatomischen Basis gestaltet sich die in geeigneter Form dazu dienen kann, zwischen
Diagnosestellung meist unproblematisch. Schwierig einem primär hypothalamisehen und einem primär
ist sie bei einer lediglich verminderten Sekretion, die hypophysären GH-Mangel zu unterscheiden. Stan-
unzureichend ist, um ein normales Wachstum oder dardisierte Verfahren, einen hypopthalamischen
normale GH -abhängige Körperfunktionen aufrecht von einem hypophysären GH-Mangel zu differenzie-
zu erhalten. Das diagnostische Vorgehen hat sich ren, bestehen derzeit nicht. Die Bestimmung der
teils aus den historisch gegebenen Möglichkeiten GH-Exkretion im Urin, die im begrenzten Rahmen
der Hormonbestimmungen, teils aus empirisch ge- Aussagen über die GH-Sekretion erlaubt, hat sich für
wonnenen Konventionen entwickelt. die Diagnosestellung im Individualfall nicht zwei-
felsfrei bewährt. Die GH-Bestimmung im Urin
kann ebenso wie die Messung von GH im Serum
nach körperlicher Belastung (sog. Exercise-Test)
12 KAPITEL l Wachstum

als Screening-Verfahren im Vorfeld der Diagnostik Klinischer Verdacht auf GH- Mangel
eingesetzt werden.
I
(basal) IGF·I/IGFBP-3
• Neurosekretorische Dysfunktion. Die Tatsache,
dass es Patienten gibt, die in Stimulationstests
normal subnormal
eine normale (d. h. GH maximal über dem Grenz-
wert) GH-Sekretion zeigen, GH jedoch spontan
GH -Mangel unwah~cheinlich I IL____G_H_-M_a_ng_erlm_og_·-_li<_h_ ___,

nur unzureichend sezernieren können, erschwert


1. Standard-Stimulationstest
die Diagnose zusätzlich. In dieser Situation, die
als neurosekretorische Dysfunktion (NSD) bezeich-
net wird, kann die spontane GH-Sekretion durch
serielle GH-Messungen im Tagesverlauf untersucht
werden. Da zwischen der spontan sezernierten GH-
Menge und dem Wachstum eine recht gute und im
Vergleich zu den Ergebnissen von Stimulationstests GH Spontansekretion 2. Standard-Stimulationstest
bessere Korrelation besteht, kann dieses Verfahren
im Prinzip als die beste Methode zur Bestimmung GH-Moximum > IOpg/1 GH-Maximum < IOpg/1
der individuellen GH-Sekretion angesehen werden. • klassischer • GH ·Mangel • klassischer " GH ·Mangel
Allerdings gelten auch hier die für die GH-Stimula- ausgeschlossen gesichert
tionstests (s oben) aufgeführten prinzipiellen Ein-
schränkungen. Zudem besteht kein Konsens über
normal subnormal
die zu verwendende Methodik der Probengewin-
neurosekretorische Dysfunktion
nung und die statistische Analyse der gewonnen
Werte. Da das Verfahren aufwendig und kostspielig MRI:
ist, muss die Indikation hierfür streng gestellt wer- IGF- Generations Test Ausschluß
einer
den. anatomischen
Läsion

• IGF-1/IGFBP-3. In den letzten Jahren haben Be- ktin Anstitg von IGF-1 / IGFBP-3 Anstitg von IGF-1 / IGFBP-3
stimmungen von IGF-I und IGFBP-3 in der Pädiatrie GH -Resistenz
für die Diagnostik des GH-Mangels an Bedeutung
gewonnen. Der rationale Hintergrund hierfür liegt
GHBP Verdacht auf bioinaktives GH
in der Tatsache, dass IGF-I/IGFBP-3 von der GH-Se- Molekulargenetik des GH-Rezepto~
kretion abhängig sind und die basalen Konzentra-
tionen von IGF-I/IGFBP-3 mit der spontan sezer- Abb.l-6. Algorithmus zur Diagnostik des GH-Mangels im
Kindes- und Jugendalter
nierten Menge von GH gut korrelieren. Somit be-
steht prinzipiell eine ähnliche Situation wie für an-
dere regulierte Hormonsysteme (z. B. TSH und
(z. B. NSD, GH-Resistenz, bioinaktives GH) nicht
Schildrüsenhormone). IGF-I/IGBPB-3 fluktuieren
diagnostizieren.
im Tagesverlauf nur gering und es existieren Nor-
malwerte. Die Veröffentlichungen zur diagnosti-
schen Wertigkeit basaler Werte von IGF-I/IGFBP- Bei der Vielzahl von Kindern, bei denen der GH-
3 für die Diagnostik des GH-Mangels sind allerdings Mangel eine Differentialdiagnose darstellt, hat es
kontrovers. Dies kann physiologische (IGF-1/IGFBP- sich aus Praktikabilitäts- und Kostengründen be-
3 sind nicht nur von GH abhängig) oder aber metho- währt, Bestimmungen von IGF-I/IGFBP-3 an den Be-
dische Gründe haben. ginn eines Algorithmus für die Diagnose des GH-
Mangels und seiner Varianten zu stellen (Abb. 1-6).

D Für das Kindesalter kann gelten, dass völlig normale


IGF-I/IGFBP-3- Werte (ca. > 25. Perzentile der Al-
tersnorm) mit der Diagnose eines GH-Mangels nicht
Die Bestimmung im Serum von IGF-11 und ALS (er-
niedrigt) sowie IGFBP-2 (erhöht) kann beim GH-
Mangel zusätzliche Informationen liefern.
vereinbar sind.

Ohne die Bestimmung dieser Parameter, welche Erwachsenenalter


durch die Messung nach standardisierter exogener Im Erwachsenenalter wird zur Diagnostik des GH-
GH-Gabe (sog. IGF-Generationstest: 0,1 IE/kg KG Mangels ein beschränkteres Testarsenal eingesetzt.
GH s.c. an (3-)7 Tagen) ergänzt werden können, las- Als verlässlichster Test wird der Insulin-Test (Insu-
sen sich komplexe Störungen der GH-IGF-Achse lin-induzierte Hypoglykämie) angesehen, während
1.2 GH-Mangel 13

der Clonidin-Test im Erwachsenenalter offenbar we- schränkungen begrenzt sich die Fragestellung nach
nig aussagekräftig ist. Wegen der Altersabhängigkeit der richtigen Substitutionstherapie auf die injizierte
der GH-Sekretion gelten bei Erwachsenen niedrigere Tagesdosis und deren Zeitpunkt. Die abendliche In-
Grenzwerte als im Kindesalter, für deren exakte jektion scheint nicht nur besonders praktisch zu
Festlegung derzeit noch keine breite empirische Ba- sein, was der Compliance bei Langzeittherapie zu-
sis existiert. Die Bedeutung der Bestimmung von gute kommt, sondern auch den metabolischen Be-
IGF-I bzw. IGFBP-3 für die Diagnostik des GH-Man- dürfnissen des Organismus weitgehend angemes-
gels scheint im Erwachsenenalter geringer zu sein als sen. Theoretisch lässt sich die zu verabreichende Do-
im Kindesalter. sis aus der für den jeweiligen Entwicklungsstand
(Alter, Geschlecht, Pubertätsstadium etc.) typischen
Obwohl im Vergleich mit gleichaltrigen, gesunden Sekretionsrate und dem Ausmaß der biologischen
Personen erniedrigte Konzentrationen die Diagnose Verfügbarkeit nach Injektion berechnen. Die inji-
eines GH-Mangels stützen, schließen normale Werte zierte GH-Dosis muss sich aber darüber hinaus an
die Diagnose bei Erwachsenen nicht aus. den gewünschten Wirkungen sowie Sicherheits-
und Kostenaspekten orientieren.

Ob dies Ausdruck einer gegenüber Kindern un-


Kindesalter
terschiedlichen physiologischen Situation ist, muss
Im Kindesalter ist das Wachsturn der bisher einzige
empirisch evaluiert werden.
Effektivitätsparameter für die GH-Behandlung. Die
Es ist bemerkenswert, dass die im Kindesalter ge-
Ziele der Therapie bezüglich des Wachstums sind
stellte Diagnose eines isolierten GH-Mangels bei
in der folgenden Übersicht zusammengefasst.
Nachuntersuchungen im Erwachsenenalter häufig
(ca. 20 o/o) nicht verifiziert werden kann. Ob es
Therapieziele bei GH-Mangel im Kindesalter
sich in diesen Fällen um Fehldiagnosen im Kindes-
alter oder im Erwachsenenalter oder möglicherweise
• Initial gutes Aufholwachstum
um transitorische Formen des GH-Mangels handelt,
• Erreichen einer normalen Körpergröße im
ist bisher ungeklärt.
Kindesalter
• Normales Pubertätswachstum
• Normale Endgröße
1.2.6
Therapie
Inhaltlich sind diese allgemeinen Ziele bisher nume-
Therapie des GH-Mangels risch wenig konkret definiert. Da auch das Wachs-
Bei der Behandlung des GH-Mangels handelt es sich tum im ersten Behandlungsjahr von der GH-Dosis
nach gängiger Auffassung um eine Substitutions- abhängig ist, ist unklar, was als "physiologisches"
therapie, die heute nur mit rekombinantem Hormon Aufholwachstum anzusehen ist. Ferner ist unklar,
(rhGH) durchgeführt wird. bei welcher Körperhöhe die Therapie beendet wer-
den sollte: die 3., 5. und 10. Perzentile der ge-
Der GH-Mangel hat bei Behandlungsbeginn in der schlechtsspezifischen Erwachsenennorm werden
Regel schon über einen längeren Zeitraum bestan- ebenso diskutiert wie der familientypische Zielbe-
den (oft Jahre). Ob die durch prolongierten GH- reich der Erwachsenenhöhe. Es ist nicht gesichert,
Mangel entstandenen strukturellen und funktionel- ob die Dosis am Körpergewicht oder an der Körper-
len Veränderungen im Organismus durch eine sub- oberfläche oder gar an einem anderen Körpermaß
stitutive GH-Therapie allein voll kompensierbar (z. B. fettfreie Körpermasse) orientiert sein sollte.
sind, ist nicht klar. Im strengen Sinn würde eine
GH-Substitutionstherapie bedeuten, dass die Be- Im Kindesalter wird üblichweise mit einer Dosis von
handlung die normale GH-Sekretion qualitativ 0,5 IE!kg KG und Woche begonnen. Während der
und quantitativ imitiert. Dies ist bei der aus Praktik- Pubertät wird die Dosis um das 1,5- bis 2-fache er-
abiliätsgründen üblichen einmal täglichen subkuta- höht. Die Injektionen erfolgen heute mittels Injekti-
nen Applikationsform sicher nicht der Fall. Diese onshilfen wie beim Insulin, wodurch eine genaue
führt zu einem Anstieg der GH-Konzentration im Dosierbarkeif und schmerzarme Applikation mög-
Blut mit einem Maximum nach ca. 4 h und dem lich ist.
Erreichen des Ausgangsniveaus nach ca. 12 h. An-
derseits ist jedoch unklar, ob das natürliche pulsatile Die Ergebnisse von Langzeitbeobachtungen bei Pa-
Sekretionsmuster für alle GH-Wirkungen gleicher- tienten, die häufig noch hypophysäres GH in 2- bis
maßen von Bedeutung ist. Unter den genannten Ein- 3-maligen Injektionen pro Woche erhielten, zeigen
14 KAPITEL 1 Wachstum

allerdings, dass nur etwa 50% eine im Normbereich Die Dosen für Erwachsene sind um das 3- bis 4-fache
liegende Erwachsenengröße erreichten. Bei Patien- niedriger als im Kindesalter (ca. 0,07-0,14 IE!kg KG
ten mit zusätzlichem Gonadotropinmangel, bei de- und Woche).
nen die Pubertät nicht oder mit Sexualsteroiden in-
duziert wurde, sind die Endergebnisse bezüglich der Wegen der Komplexität der GH-Wirkungen, der
Körpergröße etwas besser. Dies gilt auch für Kinder Dauer der Behandlung, der relativen Seltenheit
mit ausgeprägterem GH-Mangel, die frühzeitig be- des GH-Mangels in allen Altersstufen und der vielen
handelt wurden. Weniger günstig sind die Ergeb- noch offenen Fragen scheint es angemessen, Patien-
nisse bei Patienten, die wegen einer malignen Er- ten nur in Zentren mit Erfahrung und eingebunden
krankung eine Chemotherapie erhielten und/oder in ein übergreifendes Qualitätskontrollprogramm
bestrahlt wurden. zu behandeln.

• Praktische Empfehlungen
GH-Therapie bei normaler GH-Sekretion
• l. Bei Kindern mit ausgeprägtem (Maximum in Seit rekombinantes GH in prinzipiell unbegrenzten
Stimulationstests ca. <5 ).lg/1) GH-Mangel, der Mengen zur Verfügung steht, werden Versuche un-
früh ( < 6. Lebensjahr) entdeckt wurde, lassen ternommen, das therapeutische Potential auch in Si-
sich die genannten Therapieziele mit den oben tuationen auszuschöpfen, in denen die GH-Sekre-
angegebenen GH-Dosen mit großer Wahrschein- tion nicht vermindert ist. Hierbei handelt es sich
lichkeit erreichen. im Kindesalter überwiegend um Wachstumsstörun-
• 2. Bei Kindern, bei denen aufgrund einer zusätz- gen, deren Pathogenese nicht eindeutig geklärt ist.
lichen Störung (z. B. nach malignen Erkrankun-
gen) von einer verminderten Wachstumstendenz • Turner-Syndrom. Die Modellsituation stellt das
ausgeg<' ' 't~ _·n werden muss, sind höhere GH-Do- Turner-Syndrom dar, bei dem ein Kleinwuchs in
sen ang::L; .gt. der Kindheit besteht und eine Erwachsenengröße
• 3. Bei schlechter Endgrößenprognose zum Beginn um 145 cm zu erwarten ist. Langzeitergebnisse mit
der spontanen Pubertät ist neben einer Dosiser- supraphysiologischen GH-Dosen (ca. 1,0 IE/kg KG
höhung eine Therapie zur Verzögerung und/oder pro Woche) zeigen eine Wachstumsbeschleunigung
Prolongierung der Pubertät (z. B. mittels GnRH- und einen Endgrößenzuwachs. Beim Turner-Syn-
Analoga) zu erwägen. drom ist GH zur Wachstumsförderung zugelassen.
• 4. Individualisierung und Optimierung der GH- Endergebnisse aus klinischen Studien bei einer
Therapie sind mit Hilfe von Prädiktionsalgorith- Reihe anderer Wachstumsstörungen (z. B. intraute-
men anzustreben. riner Kleinwuchs, Noonan-Syndrom) stehen noch
• 5. Eine zusätzliche Hypothyreose muss stets be- aus.
handelt werden (ca. 100 )lg L-Thyroxin1m 2 KO F
pro Tag p.o.). Bei einem klinisch relevanten zu- • Chronische Niereninsuffizienz. Bei der chroni-
sätzlichen Hypocortisolismus sollte restriktiv schen Niereninsuffizienz, die mit Minderwuchs
(ca. 10mg Hydrocortison1m 2 KOF pro Tag p.o., einhergeht, besteht eine GH-Resistenz, welche durch
mindestens 50% der Tagesdosis morgens) substi- erhöhte GH-Gaben teilweise überwunden werden
tuiert werden. kann.

• Katabole Erkrankungen. Versuche, die anabole


Erwachsenenalter
Potenz von GH bei katabolen Erkrankungen (Ver-
Beim Erwachsenen führt die Behandlung mit GH zu
brennungen, Multiorganversagen, Aids, Kurzdarm-
einer Abnahme der Fettmasse und zu einer Reihe
syndrom, CF u. a. m.), bei denen in der Regel eine
von anabolen Wirkungen in verschiedenen Orga-
GH-Resistenz besteht, auszuschöpfen, sind in ihren
nen, z. B. Muskeln und Knochen. Zur Verlaufsbeob-
Ergebnissen uneinheitlich, sodass eine abschließen-
achtung der sich ändernden Parameter stehen je-
de Würdigung der positiven Wirkungen und even-
doch keine einfachen und leicht wiederholbaren
tueller Risiken noch nicht möglich ist. Dies gilt auch
Messmethoden, wie die Körperhöhe beim Kind,
für die Therapie bei dilatativer Kardiomyopathie.
als Erfolgsparameter zur Verfügung. Die Therapie-
ziele sind im Individualfall bisher wenig präzise defi-
niert. Aus diesem Grund wird die GH-Dosis derzeit Nebenwirkungen der GH-Therapie
individuell nach dem IGF-1-Spiegel im Blut so ti- Die Substitutionstherapie mit GH wird seit 40 Jahren
triert, dass er im Normbereich für das Alter liegt. praktiziert und hat sich insgesamt als außer-
Ob dies auch in der Zukunft die optimale Vorge- ordentlich nebenwirkungsarm erwiesen. Die derzeit
hensweise bleibt, wird die Empirie zeigen müssen. im Handel befindlichen, gentechnisch hergestellten
1.3 Hochwuchs 15

Präparationen sind von höchster Reinheit. Allti- Überfunktion


körperbildungen gegen GH oder Verunreinigungen
T. HAAK, K. H. USADEL
in Produkten, wie sie in aus menschlichen Hypophy-
sen extrahiertem GH anfänglich beobachtet wurden,
kommen heute praktisch nicht mehr vor.
1.3
Nach Behandlung mit extraktiv gewonnenem GH
sind Fälle von Creutzfeld-]akob-Erkrankung berich- Hochwuchs
tet worden, eine Gefahr, die bei Verwendung von
1.3.1
rekombinantem GH nicht gegeben ist. Lokale Reak-
tionen an den Einstichstellen (Infektionen, Schmer- Fallpräsentation
zen) sind selten und dann meist durch unsachge-
mäße Handhabung oder Konservierungsmittel Der nunmehr 28-jährige Mann wurde in Afgha-
(z. B. m-Cresol) bedingt. Es gibt keine gesicherten ni tan geboren. Seit frühester Kindheit sei er
Hinweise dafür, dass GH maligne Erkrankungen stets bedeutend größer als Gleichaltrige gewe-
verursacht. Das Wiederauftreten (relaps) einer ma- sen. Die Körpergröße betrug aktuell 218 cm.
lignen Erkrankung wird unter GH-Substitution Auffallig waren ein blasses Hautkolorit, fehlen -
nicht häufiger als im Spontanverlauf beobachtet. de laterale Augenbrauen und eine feine Fälte-
Der Glukosestoffwechsel wird durch die GH-Substi- lung der Gesichtshaut (Abb. 1-7).
tution nicht negativ beeinträchtigt. Der Patient klagte über Kopf- und Knochen -
schmerzen, Adynamie und Potenzstörungen. In
• Kindesalter. Im Kindesalter tritt eine Epiphysio- der körperlichen Untersuchung fand sich eine
lysis capitis femoris etwa doppelt so häufig wie in der fehlende sekundäre Geschlechtsbehaarung. Die
Normalbevölkerung auf, was als Ausdruck der me- Hoden waren bei weicher Konsistenz jeweils
chanisch instabilen Epiphysenfuge während be- etwa 15 ml groß. Der Blutdruck betrug 95/
schleunigtem Wachstum anzusehen ist. Die Ursa- 60 mm Hg. Laborchemisch fand sich das Bild
chen der unter Therapie gelegentlich berichteten eines Ausfalls der Adenohypophysenfunktion
sog. "Wachstumsschmerzen" in den Beinen sind mit niedrigen Konzentrationen der glando-
nicht bekannt. Die gravierendsten Nebenwirkungen tropen Hormone TSH, LH, FSH und ACTH
sind durch eine vermehrte Flüssigkeitsretention be- und der glandulären Hormone Testosteron,
dingt. Im Kindesalter sind Fälle von Pseudotumor Cortisol, T3 und T4. Die GH-Konzentration
cerebri berichtet worden, was zu einer - vorüberge- war auf 35 ng!rnl (normal < 5 ng/rnl) erhöht,
henden - Unterbrechung der Therapie zwingt.

• Erwachsenenalter. Bei Erwachsenen wird häufig


- meist in der Anfangsphase der Therapie - über
Ödeme, Gelenkbeschwerden und Karpa/tunnelsyn-
drom berichtet. Die Symptome sind nach einer Do-
sisreduktion und/oder Therpiepause reversibel.
Gleiches gilt für eine Hypertonie. Das Risikopoten-
tial einer GH-Therapie hängt im Einzelfall nicht nur
von der GH-Dosis, sondern auch von der Grunder-
krankung ab.

Abb.l-7. Patient mi t einer Körpergröße von 218 cm durch


einen hypophysären Giganti smus neben einer Vergleichsper-
son mit einer Körpergröße von 165 cm
16 KAPITEL 1 Wachstum

1.3.2
Epidemiologie

Unter Hochwuchs im eigentlichen Sinne versteht


man eine pathophysiologisch begründbare Abwei-
chung der Körperlänge über mehr als die 2-fache
Standardabweichung der Altersnorm. Dies ent-
spricht der 97. Perzentile, welche für erwachsene
Männer bei 198 cm und für erwachsene Frauen
bei 177 cm liegt. Davon abzugrenzen sind Norm-
varianten der Wachstumsgeschwindigkeit und der
Endgröße. Zu diesen Normvarianten zählt der fami-
liäre Hochwuchs, der gehäuft bei Kindern von Eltern
mit hoher Körpergröße auftritt und keinen unmit-
telbaren Krankheitswert besitzt. Dies gilt gleicher-
maßen auch für die konstitutionelle Entwicklungs-
beschleunigung, bei der das Wachstumstempo bezo-
gen auf das chronologische Alter erhöht, jedoch be-
zogen auf das Knochenalter regelrecht ist. In
Verbindung mit einer beschleunigten Pubertätsent-
Abb. 1-8. Kernspintomographie eines ausgedehnten Hypo-
physentumors bei einem Patienten mit Hochwuchs durch wicklung stellt diese Form der Wachstumsbeschleu-
einen Wachstumshormonexzess nigung lediglich eine Tempoabweichung von
Wachstum und Pubertätsverlauf dar, wobei die Grö-
ße nach Abschluss des Wachstums der prospektiven
IGF-1 lag bei 1085 ng/ml (normal 123-463 ngl Endgröße entspricht. Es ist jedoch zu beachten, dass
ml). Eine Suppression von Wachstumshormon die konstitutionelle Entwicklungsbeschleunigung
in der oralen Glukosebelastung war nicht mög- eine Ausschlussdiagnose ist. Patienten mit konstitu-
lich. Im Kernspintomogramm des Schädels tioneller Entwicklungsbeschleunigung werden oft in
zeigte sich ein großer Tumor im Bereich der der endokrinalogischen Sprechstunde vorgestellt,
Hypophy e (Abb. l-8). Gesundes Hypophysen- wobei die Sorge über eine zu hohe Endgröße häufi-
gewebe war nur noch partiell abgrenzbar. ger bei Mädchen als bei Jungen und häufiger auf Sei-
Aufgrund des langen Verlaufs war es zur ten der Eltern als der Kinder auftritt. Im Gegensatz
Kompressionsatrophie der normalen Hypo- dazu sind pathologische Hochwuchsformen, insbe-
physe durch das GH -produzierende Adenom sondere die des hypophysären Gigantismus, relativ
gekommen. Der Patient erhielt zur Suppression selten. Einige Chromosomenaberrationen führen
der exzessiv erhöhten GH -Konzentrationen in
einschleichender Dosierung da Somatostatina-
nalogon Octreotid, zuletzt in einer Dosierung
von täglich 3-mal 100 11g s. c. Die Hypophysen-
vorderlappeninsuffizienz wurde mit Testo te-
ron 250 mg alle 3 Wochen i. m., täglich 175 !lg
Levothyroxin und täglich 30 mg Hydrocortison
substituiert. Nach Stabilisierung des Patienten
erfolgte die operative Re ektion des Hypophy-
entumors. Postoperativ konnte bei niedrigen
GH- und IGF-1 -Konzentrationen auf die Gabe
von Octreotid verzichtet werden. Unter Fort-
etzung der oben genannten Substitutions-
therapie war der Patient im weiteren Verlauf
beschwerdefrei. Abb.l-9.
Patient mit Klinefelter-Syn-
drom und Hochwuchs; typisch
ist der dreiecksförmige
Schamhaaransatz und die
spärliche sekundäre Körper-
behaarung als Zeichen des
Androgenmangels
1.3 Hochwuchs 17

ebenfalls zu einem Hochwuchs. Mit einer Häufigkeit pletten Hypophysenfunktion kommen, sodass dar-
von 1:400 aller männlichen Neugeborenen findet aus ein eunuchoider Habitus resultieren kann. In
sich eine XXY -Chromosomie (Klinefelter-Syndrom; der Regel führt ein seit der Kindheit unbehandelter
Abb.l-9). GH-Exzess im Erwachsenenalter zusätzlich zur Aus-
bildung akromegaler Züge. Ohne Therapie verster-
ben die meisten Patienten in der 2. und 3. Lebens-
1.3.3 dekade.
Pathogenese
• Pubertas praecox vera und Pseudopuberta prae-
Einem pathologischen Hochwuchs können unter- cox. Die Pubertas praecox vera und die Pseudopu-
schiedliche Ursachen zugrunde liegen. Diese lassen bertas praecox führen zu einer akzelerierten Puber-
sich in endokrine Störungen, konnatale Syndrome, tätsentwicklung und einer frühzeitigen Wachstums-
Stoffwechselstörungen, chromosomale Defekte und beschleunigung. Das Knochenalter überschreitet das
sonstige Formen wie beispielsweise dem alimentä- chronologische Alter. Die Patienten erreichen je-
ren Hochwuchs einteilen. In der nachfolgenden doch keine übermäßige Endgröße, da es durch
Übersicht sind Erkrankungen und Störungen, die den Androgenüberschuss zu einem vorzeitigen Epi-
mit Hochwuchs einhergehen, zusammengestellt. physenschluss kommt.

Erkrankungen und funktionelle Störungen, die mit • Hyperthyreose. Eine seltene endokrine Ursache
Hochwuchs einhergehen für einen Hochwuchs ist im Kindesalter die Hyper-
thyreose, die vermutlich über Stoffwechseleffekte zu
• Endokrine Störungen einer vorübergehenden Wachstumsbeschleunigung
hypophysärer Gigantismus führt, ohne dass davon die prospektive Endgröße
Pubertas praecox vera beeinflusst wird.
Pseudopubertas praecox
Hyperthyreose
• Konnatale Syndrome 1.3.4
Sotos-Syndrom (zerebraler Gigantismus) Klinik
Wiedemann-Beckwith-Syndrom
• Stoffwechselstörungen • Hypophysärer Gigantismus. Patienten mit hypo-
Marfan -Syndrom physärem Gigantismus zeigen ein gegenüber Gleich-
Homocysteinurie altrigen stark beschleunigtes Längenwachstum, das
e Chromosomale Defekte in der Regel kurz vor der Pubertät einsetzt, im Ein-
Klinefelter-Syndrom zelfall jedoch auch früher beginnen kann. Durch Tu-
XYY -Syndrom morkompression klagen die Patienten über Kopf-
• Sonstige Formen schmerzen. Da die Hypophysentumoren unbehan-
alimentärer Hochwuchs delt sehr an Größe zunehmen können, resultieren
durch die Kompression des Chiasma opticum Seh-
störungen im Sinne einer bitemporalen Hemian-
• Hypophysärer Gigantismus. Der hypophysäre opsie. Durch Kompression der gesunden Anteile
Gigantismus durch GH-Exzess ist die Folge eines der Hypophyse kann die Hypophysenfunktion par-
benignen, hormonell aktiven, eosinophilen Hypo- tiell oder vollständig gestört werden. Dies macht sich
physentumors. Patienten mit GH-Exzess, der erst durch die Ausbildung von Symptomen einer sekun-
im Erwachsenenalter auftritt, zeigen die typischen dären Hypothyreose oder durch eine sekundäre Ne-
Stigmata einer Akromegalie, jedoch keinen Hoch- benniereninsuffizienz bemerkbar. Die Pubertätsent-
wuchs. Tritt die Erkrankung bereits im Kindesalter wicklung kann fehlen oder es bildet sich nach der
auf, so kommt es aufgrund des fehlenden Epi- Pubertät ein sekundärer Hypogonadismus heraus.
physenfugenschlusses zunächst zu einem proportio-
nierten Hochwuchs, der die prospektive Endgröße • Sotos-Syndrom. Patienten mit Sotos-Syndrom
aufgrund der familiären Anlage deutlich überschrei- sind meist nur bei der Geburt und im Kindesalter
tet. Die Knochenreifung ist nur gering beschleunigt größer als normal. Die Endgröße liegt meist nur ge-
und die Wachstumsperiode ist nicht verkürzt wie ring höher als aufgrund der familiären Anlagen er-
beispielsweise bei der Nebennierenhyperplasie. Die wartet. Es finden sich typische Stigmata mit Hyper-
Pubertätsentwicklung ist zunächst meist nicht ge- telorismus, Prognathie, Makrozephalus und einer
stört, jedoch kann es im weiteren Verlauf durch prominenten Stirn. Die geistige Entwicklung ist ge-
die Tumorkompression zu einem Ausfall der kom- stört.
18 KAPI TE L I Wachstum

• Wiedemann-Beckwith-Syndrom. Beim diesem


1.3.5
Syndrom findet sich ein akzeleriertes Knochenalter,
Diagnostik
welches von der Geburt bis ins Erwachsenenalter zu
einem Hochwuchs führt, sodass auch die Endgröße
Anamnese
der Patienten über der genetisch zu erwartenden
Die Anamnese umfasst die Familienanamnese, Ge-
Zielgröße liegt. Neben der Makroglossie findet
burtsanamnese und Eigenanamnese. Im Rahmen
man bei den Patienten eine Omphalozele oder
der Familienanamnese werden die Wachstums-
eine Nabelhernie. Eine höhere Inzidenz von Tumo-
und Pubertätsentwicklung der Eltern erfragt und
ren (insbesondere Wilms-Tumoren, Nebennieren-
nach hereditären Endokrinopathien geforscht. Aus
tumoren und Hepatoblastomen) kommt vor. Im
der Kenntnis der Größe der Eltern lässt sich die ge-
Säuglingsalter treten gehäuft Hypoglykämien be-
netische Zielgröße nach Tanner näherungsweise be-
dingt durch einen Hyperinsulinismus auf.
stimmen.
• Marfan-Syndrom. Das Marfan-Syndrom, das auf
Schätzung der genetischen Zielgröße von Heran-
einer Störung im Kollagenstoffwechsel beruht, wird
wachsenden anband der Körpergröße der Eltern
autosomal-dominant vererbt, wobei die Expression
variabel ist. Durch ein defektes Fibrillin kommt es
• Männliche Patienten:
bei den Patienten zu einer vermehrten Überstreck-
- (Größe des Vaters + Größe der Mutter):
barkeit der Gelenke, einer extrem dehnbaren Haut
2 + 6,5 = Zielgröße [cm]
sowie einer Neigung zu Aneurysmen der großen
• Weibliche Patienten:
Arterien, insbesondere der Aorta, und Herzklappen-
- (Größe des Vaters+ Größe der Mutter):
fehlern . Die Patienten haben zudem einen Hoch-
2 - 6,5 = Zielgröße [cm]
wuchs mit übermäßiger Spannweite und eine Arach-
nodaktylie. Skoliosen oder ein Pectus excavatus
(Trichterbrust) treten ebenso wie Veränderungen
In der Geburtsanamnese werden Verlauf der Schwan-
am Auge, z. B. Kolobome, gehäuft auf.
gerschaft, Geburtslage, Geburtslänge, Geburtsgewicht
und Kopfumfang bei Geburt erhoben. Die Eigen-
• Homocystinurie. Ebenfalls auf einer Stoffwech-
anamnese umfasst die vegetative Anamnese, den
selstörung beruht der Hochwuchs bei Homocystinu-
bisherigen Entwicklungsverlauf, das Pubertätssta-
rie. Die Störung folgt einem autosomal-rezessiven
dium und soweit vorhanden die aktuelle Medikation.
Erbgang, der zum Verlust der Cystathionin-Synthe-
tase führt. Der Phänotyp der Patienten ähnelt dem
von Patienten mit Marfan-Syndrom. Zusätzlich sind Körperliche Untersuchung
diese Patienten geistig stark retardiert und haben ge- Bei der körperlichen Untersuchung sind die auxo-
häuft ein Anfallsleiden. Eine Osteoporose wird bei logischen Daten (Größe, Gewicht, Armspannweite,
Patienten mit Homocystinurie vermehrt gefunden. Verhältnis Ober- zu Unterlänge usw.) zu erfassen.
Obligat ist bei Knaben die Palpation der Hoden
• Klinefelter-Syndrom. Bei Patienten mit Klinefel- mit Größenbestimmung mittels Orchidometer. Bei
ter-Syndrom führt die hohe Körperlänge und der beiden Geschlechtern ist das Pubertätsstadium zu
primäre Hypogonadismus zum so genannten eunu- erheben.
choiden Hochwuchs. Der Hypogonadismus entsteht
aufgrund der starken Hodenatrophie, die unmittel-
Technische Verfahren

D
bar nach der Pubertät einsetzt und zu einem hyper-
Sobald sich anhand der Funktionstests und der bild-
gonadotropen Hypogonadismus führt. Das vermin-
gebenden Verfahren der Verdacht auf einen hypo-
derte Hodenvolumen imponiert histologisch als tu-
physären Prozess ergibt, sollte eine augenärztliche
buläre Hodenatrophie mit "Sertoli-cell-only-Syn-
Untersuchung mit Gesichtsfelduntersuchung zum
drom" und Leydig-Zellhyperplasie. Daher ist die
Ausschluss einer bitemporalen Hemianopsie durch-
Spermiogenese stark vermindert oder fehlend. Wei-
geführt werden.
tere Dysmorphiezeichen fehlen in der Regel, jedoch
scheinen manche Patienten in ihrer geistigen Ent-
wicklung verzögert. Dies gilt in besonderem Maße Labor und Funktionstests
auch bei Patienten mit einem XYY -Syndrom. • Basalwerte. Bei Verdacht auf hypophysären Gi-
gantismus werden als Screening-Test die basalen
Konzentrationen von GH und IGF-1 sowie dessen
Bindungsprotein IGFBP-3 bestimmt. Ebenfalls als
Screening-Untersuchung sind die basalen Konzen-
1.3 Hochwuchs 19

trationen der Schilddrüsenhormone, der Sexualste-


1.3.6
roide, des Cortisols und der Plasmareninaktivität zu
Therapie
bestimmen.
Hypophysärer Gigantismus

D Da ein GH-Exzess im Rahmen einer multiplen endo-


krinen Adenomatose (MEN Typ I, Wermer-Syndrom)
auftreten kann, sollten auch bei fehlender sonstiger
Der hypophysäre Gigantismus wird bei Nachweis
eines wachstumshormon-produzierenden Tumors
durch selektive neurochirurgische Resektion des
Klinik zumindest Parathormon, Gastrin, Prolaktin Tumors behandelt.
und das adrenokortikotrope Hormon basal gemessen

D
werden.
Sofern die Tumorgröße und die Tumorlokalisation es
erlauben, sollte aufgrunddes geringeren Operations-
Die Stoffwechselstörungen vom Typ der Homo-
risikos der transsphenoidale Zugang einem trans-
cystinurie lassen sich an einer vermehrten Aus-
kraniellen Zugang vorgezogen werden.
scheidung von Homocystin im Urin und einem
vermehrten Anfall von Homocystin und Methionin
Eine Behandlung mit Somatostatinanaloga kann
bei geringen Konzentrationen von Cystin im Plasma
zur präoperativen Senkung der erhöhten Wachs-
diagnostizieren.
tumshormon-Konzentrationen oder bei Versagen
Patienten mit Klinefelter-Syndrom weisen einen
der chirurgischen Therapie in einer Dosierung
hypergonadotropen Hypogonadismus als Zeichen
von 3-mal 50 bis 3-mal 500 11g pro Tag s.c. bzw.
der gestörten Hodenfunktion auf. Im Spermio-
als Depotpräparat 10-30 mg alle 4 Wochen i.m. ge-
gramm findet man eine Azoospermie. Die Testoste-
geben werden. In manchen Fällen führt die Gabe
ronspiegel können in der Jugend noch im unterem
von Dopaminagonisten (Bromocriptin, Pergolid,
Normbereich liegen, fallen im weiteren Verlauf
Quinagolid, Cabergolin) zu einer Senkung erhöhter
jedoch ab, sodass eine Substitution notwendig wird.
Wachstumshormonkonzentrationen. Die Tumor-
größe lässt sich durch eine medikamentöse Therapie
• Funktionstests. Als Funktionstest bei Verdacht
in der Regel nicht reduzieren. Die Strahlentherapie
auf einen GH-Exzess wird die Kohlenhydratbela-
führt nur langfristig (endgültiger Effekt erst nach
stung durchgeführt. Der Patient erhält hierzu
10-15 Jahren) zu einer Senkung der Wachstumshor-
1,75 g/kg Körpergewicht (maximal 75 g) eines Oligo-
monkonzentrationen und ist damit keine Therapie
saccharidgemisches (Dextro OGT). Blutentnahmen
der ersten Wahl.
zur Bestimmung von Glukose, Wachstumshormon
und Insulin erfolgen vor, sowie 30, 60, 90, 120
• Therapiekontrollen. Therapieziel beim hypo-
und 180 min nach der Kohlenhydratgabe. Eine Sup-
physären Gigantismus ist die Senkung der Wachs-
pression von GH unter 1 ng/ml schließt einen hypo-
tumshormonkonzentrationen. Diese sind regelmä-
physären Gigantismus sicher aus. Beim GH-Exzess
ßig zusammen mit den Konzentrationen von
findet sich neben der fehlenden Suppression von
IGF-1 und dessen Bindungsprotein (IGFBP-3) zu
Wachstumshormon meist ein überschießender An-
kontrollieren. Angestrebt werden Konzentrationen
stieg von Insulin.
innerhalb der alterstypischen Norm. Nach hypo-
physären Operationen ist die Funktion der Hypo-
Bildgebende Verfahren physe zu evaluieren.
Zu den bildgebenden Verfahren zählt die Röntgen-
aufnahme der Hand zur Bestimmung des Knochen- • Nebenwirkungen und Komplikationen. Bei der
alters nach Gräulich und Pyle. Bei Verdacht auf Gabe von Somatostatinanaloga stehen bei Therapie-
einen hypophysären Gigantismus ist die Darstellung beginn gastrointestinale Beschwerden (Blähungen,
der Hypophyse und deren umgebende Strukturen Durchfall, Übelkeit) im Vordergrund. Diese können
mittels MRT unerlässlich. durch einschleichende Dosierung und langsame
Bei den konnatalen Syndromen findet sich beim Dosissteigerung weitgehend vermieden werden.
Sotos-Syndrom (zerebraler Gigantismus) im MRT Langfristig sollte die Gallenblase auf Steinbildung
keine Veränderung der Hypophyse, jedoch Abnor- untersucht werden, da es durch die Somatostatina-
malitäten wie die Agenesie des Septum pellucidum, naloga zu einer Gallenblasenentleerungsverzöge-
strukturelle Veränderungen im Corpus callosum rung kommen kann. Aufgrund der klinischen Er-
und eine vergrößerte Cisterna magna. fahrung scheint sich die Gabe von Choleretika
(z. B. Ursodeoxycholsäure) zu bewähren, um einer
Cholezystolithiasis vorzubeugen. Ferner sollten
jährlich die Vitamin-B 1r Konzentrationen unter-
20 KAPITEL 1 Wachstum

sucht werden, da die Resorption dieses Vitamins ge- • Therapiekontrollen. Die Serumspiegel von Testo-
stört sein kann. steron und der Gonadotropine sind regelmäßig zu
Die Gabe von Dopaminagonisten zur Hemmung kontrollieren. Bei Verdacht einer über längere Zeit
der Wachstumshormonkonzentrationen sollte ein- nicht erfolgten Substitution sollte an die Entwick-
schleichend begonnen werden, da sonst mit ortho- lung einer Osteoporose aufgrund des Androgen-
statischer Dysregulation und Übelkeit zu rechnen mangels gedacht und die Knochendichte überprüft
ist. werden.
Diese für die Dopaminagonisten der ersten Gene-
rationen typischen Nebenwirkungen, werden bei
Reduktion der prospektiven Endgröße
den neuen Dopaminagonisten (Quinagolid, Caber-
durch Hormonbehandlung
golin) deutlich seltener beobachtet.
Die Entscheidung, ob und bei welcher prospektiven
Endgröße eine hormonelle Behandlung mit dem Ziel
Konnatale Syndrome einer Reduktion des Längenwachstums erfolgen soll,
Bei den konnatalen Syndromen ist eine Therapie muss individuell getroffen werden. Dabei ist die Per-
außer der Förderung der mentalen Leistung der sönlichkeit des jungen Patienten und dessen Eltern
Patienten mit Sotos-Syndrom nicht möglich, insbe- ebenso wie die ethnische Herkunft zu berücksichti-
sondere bedarf der Hochwuchs keiner regulierenden gen. Da die durchschnittliche Körpergröße in den
Maßnahmen. letzten Jahrzehnten eine stete Zunahme aufweist,
werden heute höhere Körperlängen als früher akzep-
tiert. Internationaler Konsens besteht in der Hin-
Stoffwechselstörungen
sicht, dass bei Jungen eine Endlänge über 200 cm
Unter den Stoffwechselstörungen mit Hochwuchs ist
und bei Mädchen über 185 cm eine Indikation
eine ursächliche Therapie des Marfan-Syndroms
zur hormonellen Wachstumsbremsung darstellen
nicht möglich. Es können lediglich die Folgen, wie
können. Eine hormonelle Therapie gehört in die
beispielsweise das Aortenaneurysma oder Herzklap-
Hand des erfahrenen Endokrinotogen und zielt
penfehler, korrigiert werden.
darauf ab, durch Gabe von Sexualsteraiden einen
vorzeitigen Schluss der Epiphysenfugen herbeizu-
Die Homocystinurie hingegen lässt sich diätetisch führen.
durch Vermeidung von Methionin in der Nahrung
vermeiden. Bei Ansprechen auf diese Therapie • Männliche Patienten. Bei männlichen Patienten
kann statt Methionin Pyridoxin gegeben werden. werden hierzu wöchentlich 250 mg Testosteron
i.m. gegeben. Als Nebenwirkungen finden sich bei
Klinefelter-Syndrom Testosterongabe Akne, Bluthochdruck und selten
Patienten mit Klinefelter-Sydrom benötigen zum Ödembildung. Das Hodenwachstum ist zunächst
Teil bereits in der Pubertät eine Substitution mit Se- verzögert, wird jedoch nach Absetzen der Therapie
xualsteroiden, um eine entsprechende Pubertätsent- wieder aufgeholt. Ein längerfristiger negativer Ein-
wicklung zu gewährleisten. Folgendermaßen sollte fluss auf die Spermiogenese wurde beschrieben.
therapiert werden:
• schonend,d.h.mit 100 mgTestosteronalle4 Wo- • Weibliche Patienten. Weibliche Patienten erhal-
chen i.m. beginnen. ten Östrogene, z. B. 0,2 mg Ethinylöstradiol pro
• Die weitere Dosierung muss dem Verlauf der Pu- Tag und zyklisch in jeder 4. Woche Gestagene,
bertätsentwicklung und der Psychodynamik der z. B. Norethisteron 10 mg pro Tag. Unter der hormo-
Patienten angepasst werden. Die Dauersubstituti- nellen Wachstumsbremsung kann es zur Ödembil-
on beträgt später 250 mg Testosteron alle dung, Gewichtszunahme, Fettstoffwechselstörungen
2-3 Wochen i.m. oder täglich morgens 15 mg und selten zu einer Thombophilie kommen.
Testosteron als Pflaster (Testoderm 15). Bei der
letzteren Therapieform lassen sich der natürli- • Therapiezeitpunkt Die Therapie wird in Abhän-
chen Sekretion angeglichene Testosteronkonzen- gigkeit von der Körpergröße bereits bei einem Kno-
trationen im Serum erzielen. Von manchen Pa- chenalter von 12 Jahren begonnen und bis zu einem
tienten wird jedoch die Anwendung der Pflaster Knochenalter von 17 Jahren bei Jungen und 16 Jah-
am Skrotum als lästig empfunden. Diesen Patien- ren bei Mädchen fortgeführt, da zu diesem Zeit-
ten steht ein weiteres transdermales System (An- punkt die prospektive Endgröße zu 99% erreicht ist.
droderm) zur Verfügung. Androderm kann auf-
grund der höheren Dosierung auch auf andere • Therapiekontrollen. Wird eine Wachstumsbrem-
Körperstellen platziert werden. sung durch Sexualsteroide durchgeführt, sind die
1.4 Akromegalie 21

Wachstumsgeschwindigkeit, Tanner-Stadien, Pu-


bertätsentwicklung und das Knochenalter zu kon- der Hypophyse ohne Kompression umliegender
trollieren. Bei Mädchen ist aufgrund des Nebenwir- Strukturen (Abb.l-12).
kungsprofils der Sexualhormone ein Gerinnungssta- Nach einer Behandlung mit Octreotid (3-mal
tus, eine Leberenzymkontrolle sowie ein Lipidstatus 100 f.lg s.c.) über 6 Wochen wurde der Hypophy-
in regelmäßigen Abständen von mindestens 6 Mo- sentumor elektiv über einen transphenoidalen
naten obligat. Zugang reseziert. Dennoch waren postoperativ
die Konzentrationen von GH und des IGF-1 er-
höht, ohne dass im MRT ein Resttumor nach-
1.3.7 zuweisen war. Daher erhielt die Patientin nach
Notfall

Notfälle im Zusammenhang mit einem Hochwuchs


sind selten.

Beim Wachstumshormonexzess durch einen großen


und verdrängend wachsenden Hypophysentumor
kann es neben einer zunehmenden Einschränkung
des Visus durch Kompression des Chiasma opticum
zum Ausfall der glandotropen Funktionen der Hypo-
physe kommen.

Entwickelt sich durch Wegfall der Sekretion des


adrenokortikotropen Hormons eine sekundäre Ne-
benniereninsuffizienz, kann es durch eine kritische
Krankheitssituation, z. B. Myokardinfarkt oder
einen operativen Eingriff, zu einer Addison-Krise
kommen.

1.4
Akromegalie Abb.i-10. Patientin mit florider Akromegalie in Frontalan-
sieht
1.4.1
Fallpräsentation

Die 63-jährige Patientin wurde vom H 0 -Arzt


überwiesen, dem eine Makroglassie und das
akromegale Äußere aufgefallen war. Die Patien-
tin selbst hatte nur die Anderung der Schuhgrö-
ße bemerkt. Außerdem paßte ihr Ehering nicht
mehr. Bei der körperlichen Untersuchung fan -
den sich die typischen akromegalen Stigmata
im Sinne einer Vergröberung der Gesichtszüge,
dem vorstehenden Kinn und wul tigen Orbita-
rändern (Abb. 1-10 und 1-11) sowie überpropor-
tional großer Hände.
Die ba ale GH-Konzentration war mit 48 ng/
ml (normal < 5 nglml) erhöht. IGF-1 betrug
1746 nglml (normall23- 463 nglml). In der ora-
len Glukosebelastung ließ sich die GH-Konzen -
tration nicht supprimieren. Die Hypophysen -
funktion war an on ten regelrecht. Im MRT
fand sich ein 1,3 cm x 1,9 cm großes Adenom Abb. l-11. Patientin mit florid er Akromegalie in Seitenan-
sieht
22 KAPITEL 1 Wachstum

sezerniert. Bei der Diagnosestellung sind 75-96 o/o


dieser Hypophysentumoren größer als 1 cm und
somit Makroadenome. Histologisch imponieren
die GH-sezernierenden Adenome entweder als dicht
oder als gering granulierte Adenome. Dicht granu-
lierte Adenome sind azidophil, während die gering
granulierten Adenome chromophob sind. Die
chromophoben Adenome sind nur immunhisto-
chemisch gegenüber anderen chromophoben Ade-
nomen als GH-produzierende Adenom zu differen-
zieren. 15% der Adenome sind Mischtumoren, die
neben Wachstumshormon- auch Prolaktin-produ-
zierende Zellen enthalten.
Eine ektope Produktion von GH wurde beschrie-
ben, jedoch stellt diese eine Rarität dar.

• GHRH-Hypersekretion. Eine weitere Ursache für


eine vermehrte Wachstumshormonproduktion ist
die Hypersekretion von GHRH. Diese ist mit 1 o/o
aller Ursachen einer Akromegalie eher selten und
Abb. l-12. Kernspintomographische Darstellung des Hypo- kann etweder in hypothalamisch-hypophysären
physentumors der Patientin im Fallbeispiel
Strukturen (Gangliozytomen) oder in ektopen Ge-
weben (Pankreas, Nebenniere) stattfinden. Paraneo-
plastische Syndrome beim Mamma-, Lungen-, Pan-
Dosistitration eine Dauertherapie mit 20 mg kreas-, Ovarial- und Endometriumkarzinom sowie
Octreotid (Sandostatin LAR) als Depotpräparat Karzinoid können ebenfalls für eine vermehrte
alle 4 Wochen i.m. Hierunter normalisierten GHRH-Bildung verantwortlich sein.
sich die Konzentrationen des GH und die
IGF-1-Spiegel lagen im oberen, altersgemäßen
Normbereich. 1.4.4
Klinik

Im Erwachsenenalter kann es durch den Epiphysen-


1.4.2 schluss nicht mehr zum longitudinalen Knochen-
Epidemiologie wachstum kommen, sodass sich lediglich die akralen
Knochenstrukturen und die inneren Organe unter
Die Akromegalie ist neben der Hyperprolaktinämie dem Wachstumshormonstimulus vergrößern. Dies
die häufigste durch einen hormonaktiven Hypophy- führt zu dem typischen akromegalen Habitus (Ta-
sentumor verursachte Erkrankung. Eine Häufung belle 1-3).
tritt in der 3. und 4. Lebensdekade auf, jedoch
kann die Erkrankung in jedem Lebensalter vorkom-
men.

1.4.3
Pathogenese

Eine Akromegalie ist die Folge eines GH-Exzesses im


Erwachsenenalter. GH führt in der Leber zur ver-
mehrten Bildung der IGF, deren wichtigster Vertre-
ter IGF-1 ist. Über diese werden die meisten Effekte
von GH vermittelt.

• GH-sezernierende Adenome. Der GH-Exzess ist


Abb. 1-13. Hand eines 40-jährigen Mannes mit Akromegalie
in der Mehrzahl der Fälle Folge eines hormonakti- im Vergleich zu der Hand eines altersgleichen Mannes ohne
ven Hypophysentumors, der Wachstumshormon Wachstumshormonexzess
1.4 Akromegalie 23

Tabelle 1-3. Typische somatische Veränderungen im Rahmen


der Akromegalie

Organ Veränderungen unter Wachstumshormon-


überschuss im Envachsenenalter

S hädel Größenzunahme, Änderung der Hutgröße,


Kopfschmerzen
Orbitaränder Wul tige Auftreibung
Kiefer Deviation der Zahnreihen

Hände und Vergröberung, Karpaltunnel yndrom,


Handgelenke Ringe und Handschuhe werden zu eng

Füße Vergröberung, Zunahme der chuhgröße

Wirbel äule Kyphosierung der Brustwirbel äule und


kompen atori eher Lordo ierung der
Lendenwirbelsäule

Zunge Vergrößerung, kloßige prache

Organ- Kardiomegalie, Megakolon, truma


omegalie (nodosa), Hyertrophie der Epithel-
körperchen Abb.1-15. Patientin mit neu entstandener Deviation der
submandibulären Zahnreihe bei Akromegalie

Oftmals ist der klinische Verlauf der Akromegalie zur Ausbildung eines Karpaltunnelsyndroms. Durch
so inapparent, dass zwischen dem Zeitpunkt des Wachstum des Calcaneus und der Weichteile der
Auftretens erster Symptome und der Diagnosestel- Fußsohle nehmen die Konturen des Fußes zu, so-
lung ein Zeitraum von 5-10 Jahren vergeht. Die Kon- dass sich die Schuhgröße ändert (Abb. 1-14).
turen der Hände nehmen an Umfang zu, sodass Rin- Im Gesichtsbereich findet sich eine Verdickung
ge nicht mehr passen und die Hand tatzenförmig der Nase, der Lippen und der Hautstruktur. Auf-
wirkt (Abb. 1-13 ). Bei bis zu 70 % der Patienten grund der Makroglassie und des Knorpelwachstums
kommt es durch die Bindegewebsveränderungen im Kehlkopf ändert sich die Stimmlage oder die
und die Reaktivierung der Knorpelproliferation Sprache wird kloßig. Durch die Veränderungen
der knöchernen Gesichtsstrukturen treten die
Orbitaränder wulstig hervor, das Kinn wird promi-
nenter und durch den Umbau der Kiefer treten
Zahnlücken auf (Abb. 1-15).

• Kompression des Chiasma opticum. Sofern die


Größe des Hypophysenadenoms die umliegenden
Strukturen komprimiert, klagen die Patienten ge-
häuft über Kopfschmerzen. Druck auf das um den
Hypophysenstil verlaufende Chiasma opticum führt
zu Sehstörungen. Bei der ophthalmologischen
Untersuchung findet sich eine bitemporale Hemi-
anopsie, die unbehandelt bis zum Visusverlust füh-
ren kann.

• Veränderungen an inneren Organen. Auch die


inneren Organe nehmen durch den Wachstumshor-
monexzess an Größe zu. Es kommt zur Kardiome-
galie mit arterieller Hypertonie und das Lungenvo-
lumen ist erhöht. Im Bereich des Abdomens findet
,. sich eine Hepatomegalie und eine Verlängerung des
Gastrointestinaltraktes. Im Extremfall bildet sich ein
Abb.1-14. Röntgenseitaufnahme des linken Fußes eines Pa-
tienten mit Akromegalie; auffallend ist der vergrößerte Calca- Megakolon aus. Obgleich die Muskulatur hypertro-
neus und der überproportionierte Weichteilschatten phiert wirkt, leiden die Patienten durch eine Myopa-
24 KAPIT EL 1 Wachstum

doch nur in 10 o/o der Fälle zu einem manifesten


Diabetes mellitus führt.

• Hypophyseninsuffizienz. In Abhängigkeit von


der Tumorgröße kann es durch Kompression des
gesunden Hypophysengewebes zur partiellen oder
kompletten Hypophyseninsuffizienz mit der typi-
schen Klinik kommen. Unter dem GH-Exzess
können andere endokrine Organe wie Epithel-
körperchen, Nebennieren oder die Gonaden hyper-
plastisch werden. Oft findet sich eine Struma diffusa
oder nodosa (Abb. 1-16).

• Langzeitverlauf. Im Langzeitverlauf erhöht die


Akromegalie die Morbidität und Mortalität der
Patienten erheblich. Haupttodesursachen sind kar-
diovaskuläre Erkrankungen und Malignome. Auch
benigne Tumoren, vor allem des Gastrointestinal-
traktes werden bei akromegalen Patienten gehäuft
gefunden.
Abb. 1-16. Patient mit florider Akromegalie und Rezidivstru-
ma nodosa; neben der Narbe nach Strumektomie zeigt sich
eine pflaumengroße Vorwölbung im Bereich des linken
Schilddrüsenlappens 1.4.5
Diagnostik
thie an Kraftlosigkeit, die sich nach erfolgreicher
Therapie wieder zurückbilden kann. Anamnese
Äußerst hilfreich bei der Anamnese ist der Vergleich
• Metabolische Veränderungen. Zu den meta- des aktuellen Habitus des Patienten mit älteren Fo-
bolischen Veränderungen bei Akromegalie zählen tografien. Die Abb. 1-17a und b zeigen einen solchen
Störungen des Kohlenhydrat- und des Lipidstoff- Vergleich einer Patientin mit florider Akromegalie
wechsels. Unter dem Einfluss des Wachstumshor- bei Diagnosestellung. Zu erfragen sind Änderungen
mons als kontrainsulinäres Hormon findet sich der Ringgröße und der Handschuh- bzw. Schuh-
bei 70 o/o aller Patienten eine mehr oder minder aus- größe sowie Veränderungen der Aussprache (kloßi-
geprägte Insulinresistenz, die bei etwa der Hälfte der ge Sprache, Lispeln) und der Zahnstellung. In der
Patienten zu einer gestörten Glukosetoleranz, je- vegetativen Anamnese ist eine Wärmeintoleranz

Abb. 1-17a, b. 65-jährige Patientin


nach Erstdiagnose einer Akromegalie
(a) und im Alter von 28 Jahren (b)
1.4 Akromegalie 25

und vermehrtes Schwitzen ebenso wie vermehrter mus, unter anderem eine fahle, blasse Haut, Fehlen
Durst und ein Abfall der körperlichen Leistungs- der lateralen Augenbrauen und spärliche Sekundär-
fähigkeit zu eruieren. Da durch eine Tumorkom- behaarung (Abb. 1-18).
pression die Hypophysenfunktion zumindest parti- Wegen einer möglichen Kosekretion von Prolak-
ell gestört sein kann, ist nach dem Ausfall peripherer tin ist in der körperlichen Untersuchung auf eine
endokriner Organe zu forschen. Hierzu zählen Fra- Galaktorrhö zu achten bzw. sollte danach gefragt
gen bezüglich Regeltempostörungen, Libido, erekti- werden.
ler Dysfunktion, Hypotonie usw. Schmerzen und
Missempfindungen der Hände als Zeichen eines
Technische Verfahren
Karpaltunnelsyndroms können ebenfalls ein Sym-
Zum Nachweis eines Hypophysentumors ist ein
ptom des GE-Überschusses sein.
MRT mit Gadolinium-DTPA zur Kontrastierung
durchzuführen. Die früher routinemäßig angefer-
Körperliche Untersuchung tigte Sella-Zielaufnahme mittels konventionellem
Bei der körperlichen Untersuchung finden sich die Röntgen ist heute entbehrlich. Findet sich in der
typischen Stigmata der Akromegalie mit Vergröbe- Darstellung der Hypophysenregion, trotz ausrei-
rung der Gesichtszüge, vorspringendem Kinn und chend dünner Schichtung, kein Adenom, so muss
wulstigen Orbitarändern. Die Patienten haben einen an den seltenen Fall einer ektopen Wachstumshor-
fehlenden Kieferschluss. Bei manchen Patienten monproduktion gedacht werden. Eine entsprechen-
schließt durch die Größenzunahme des Unterkiefers de Tumorsuche nach der üblichen Vorgehensweise
die submandibuläre Zahnreihe vor den Schneide- ist anzuschließen. Dennoch schließt der Nachweis
zähnen (Supraklusion). Im Laufe der Erkrankung eines Hypophysentumors eine ektope Wachstums-
findet sich bei manchen Patienten eine starke Ky- hormon- oder GHRH-Produktion nicht aus, da hor-
phosierung der Brustwirbelsäule. moninaktive Hypophysentumoren häufig sind. Aus
Durch die Ablagerung von Glykosaminoglykanen diesem Grund ist die histologische Aufarbeitung des
verdickt sich die Haut. Oft findet sich eine atypische Op.-Präparates im Rahmen der Therapie von Bedeu-
Körperbehaarung. tung.
Eine Sonographie der abdominellen Organe und

D Wegen der möglichen Visuseinschränkung durch eine Röntgenaufnahme des Thorax hilft, das Aus-
Kompression des Chiasma opticum ist eine grob maß einer Organomegalie zu beurteilen. Regel-
orientierende Visus- und Gesichtfeldprüfung (Fin- mäßige sonographische Kontrollen der Schilddrüse
gerperimetrie) vorzunehmen, die jedoch nicht die sind wichtig, da etwa 50 o/o der Patienten mit Akro-
augenärztliche Untersuchung ersetzen kann. megalie eine Struma entwickeln.

Je nach Ausmaß der Hypophysendysfunktion finden Zur Routinediagnostik bei Akromegalie gehört die
sich die typischen Symptome eines Hypopituitaris- augenärztliche Untersuchung mit Sehtest und Ge-
sichtsfeldtestung.

Zum Ausschluss eines erhöhten Blutdrucks ist die


Blutdruckkontrolle durch mehrfache Einzelmessun-
gen oder ein 24-h-Blutdruckprofil wichtig.

Labor und Funktionstests


Die Bestimmung basaler Wachstumshormonspiegel
ist aufgrund der tageszeitliehen Schwankungen zur
Diagnosesicherung unzureichend.

• IGF-1 basal. Besser geeignet als Screeningtest bei


Verdacht auf eine Akromegalie ist die Bestimmung
des IGF-1, da dies bei florider Akromegalieregelhaft
erhöht ist. Falsch-positive erhöhte IGF-1-Konzen-
trationen erhält man bei Niereninsuffizienz,
falsch-niedrige Ergebnisse können bei Mangeler-
Abb.l-18. Ahornegaler Patient mit ausgedehntem Hypo-
physentumor und kompressionsbedingtem Panhypopituita- nährung oder eingeschränkter Syntheseleistung
nsmus der Leber auftreten.
26 KAPITEL I Wachstum

• Oraler Glukosetoleranztest mit GH-Bestimmung. während im GHRH-Test das Wachstumshormon


Zur Diagnosesicherung wird die Suppression der nicht weiter stimulierbar ist.
GH-Konzentrationen nach Kohlenhydratbelastung Für die Differentialdiagnose der Akromegalie
durchgeführt. Der Patient erhält hierzu 75 g eines kommen konstitutionelle Veränderungen, die einem
Oligosaccharidgemisches (Dextro OGT). Blutent- akromegalen Habitus ähneln, in Frage. Der so ge-
nahmen zur Bestimmung von Glukose, GH und In- nannte Akromegaloidismus besteht bei den Patien-
sulin erfolgen vor, sowie 30, 60, 90, 120 und 180 min ten bereits seit der Kindheit und hat sich nicht erst
nach der Kohlenhydratgabe. Eine Suppression von entwickelt. Die hormonelle Laborkonstellation ist
GH unter 1 ng/ml schließt eine Akromegalie sicher bei diesen Patienten völlig unauffällig.
aus. Bei GH-Exzess findet sich neben der fehlenden Patienten mit Sotos-Syndrom (zerebraler Gigan-
Suppression oder einer paradoxen Stimulation von tismus) haben im Erwachsenenalter ebenfall akro-
Wachstumshormon meist ein überschießender An- megale Züge.
stieg von Insulin. Ossäre Veränderungen ähnlich wie bei der Akro-
megalie werden auch beim Morbus Paget gefunden.
• Kombinierter Hypophysenfunktionstest Da
durch die Tumorkompression einzelne oder mehre-
re glandotrope Funktionen ausfallen können, sollte 1.4.7
die Hypophysenfunktion überprüft werden. Hierzu Therapie
bietet sich der kombinierte Test mit LHRH, TRH
und CRH an. Im TRH-Test sollte die Dynamik Es stehen 3 therapeutische Optionen zur Verfügung.
von Prolaktin überprüft werden, da Prolaktin bei Ein Übersicht mit den entsprechenden Indikationen
Mischtumoren neben Wachstumshormon kosezer- und Kontraindikationen gibt Tabelle 1-4.
niert wird oder im Rahmen einer Begleithyperpro-
laktinämie bei Hypophysenadenomen erhöht sein Operative Therapie

D
kann. Im TRH-Test fände sich entweder ein deutlich Beim nachgewiesenen GH-produzierenden Hypo-
erhöhtes basales Prolaktin, das unter TRH dann physenadenom ist die operative Resektion Therapie
überstimuliert werden kann, oder ein mäßig er- der ersten Wahl.
höhtes Prolaktin, das nur wenig Dynamik nach
TRH zeigt. Wegen der Vergrößerung der sphenoidalen Sinus ist
der transsphenoidale Zugang oftmals erleichtert. Bei
großen Tumoren mit suprasellärer Ausdehnung
wird der Tumor in der Regel über einen transkra-
1.4.6 niellen Zugang reseziert.
Differentialdiagnose
Pharmakatherapie
Bei der Differentialdiagnose zwischen GH- und Die Domäne der Pharmakatherapie in der Langzeit-
GHRH-Exzess als Ursache einer Akromegalie helfen anwendung ist die Restaktivität nach erfolgreicher Tu-
der TRH- und der GHRH-Test, da die Bestimmung morentfernung ohne Nachweis eines Tumorrezidivs.
von GHRH selbst nicht zu den Routinemethoden ge-
hört und nur in wenigen Laboren mit einer ausrei- • Somatostatinanaloga. Die Pharmakatherapie mit
chenden Genauigkeit durchgeführt werden kann. Somatostatinanaloga ist präoperativ zur raschen
Nach TRH findet sich bei Akromegalie durch Senkung der Wachstumshormonspiegel indiziert.
GHRH-Exzess ein Anstieg von Wachstumshormon, Ob sich präoperativ darunter eine Tumorverkleine-

Tabelle 1-4. Therapeutische Optionen in der Behandlung der Akromegalie mit Indikationen und Kontraindikationen

Therapie Indikation Kontraindikation

Operative Therapie Therapie der er ten Wahl als Ersteingriff bzw. lnoperabilität des Patienten
bei Rezidiv

Pharmakotherapie Therapie der ersten Wahl bei lnoperabilität Geringe Aktivität der Erkrankung bei langem
und bei postoperativer Restaktivität ohne Verlauf oder geringen akromegalen tigmata
Tumornachwei

Bestrahlungstherapie Therapie der zweiten Wahl bei postoperativer Patienten mit kürzerer prospektiver Leben -
Re taktivität ohne Tumornachweis oder bei erwartung, da vollständiger Wirkungseintritt
ichtan prechen auf die Pharmakatherapie er t nach 5- I5 Jahren
1.4 Akromegalie 27

rung erzielen lässt, ist umstritten, jedoch zeigt die


klinische Erfahrung, dass die Vorbehandlung mit
Somatostatinanaloga in manchen Fällen zu einer
Nach operativen Eingriffen zur Adenomentfernung
ist postoperativ die Funktion der Hypophyse im Hin-
blick auf operationsbedingte Funktionsstörungen zu
D
Tumorverfestigung führt und somit die Enukleation evaluieren.
des Adenoms erleichtert.
Unter den Somatostatinanaloga ist in Deutschland Kernspintomographische Kontrollen sind nur indi-
Octreotid das weitverbreiteste Präparat. Dieses Ana- ziert, wenn sich laborchemisch der Verdacht auf ein
logon besteht aus 8 Aminosäuren gegenüber 14 Rezidiv ergibt.
Aminosäuren des humanen Somatostatins. Es exi-
stieren 5 Subtypen des Somatostatinrezeptors, Oc-
Nebenwirkungen und Komplikationen
treotid bindet dabei an den Rezeptorsubtyp 2 und
• Somatostatinanaloga. Bei Therapiebeginn stehen
inhibiert die Synthese und Freisetzung von Wachs-
gastrointestinale Beschwerden (Blähungen, Durch-
tumshormon. Der Nachteil des Präparates ist die
fall, Übelkeit) im Vordergrund. Diese können durch
täglich mehrfach durchzuführende subkutane
einschleichende Dosierung und langsame Dosisstei-
Gabe. Neuerdings steht auch ein alle 4 Wochen zu
gerung weitgehend vermieden werden. Langfristig
injizierendes Depotpräparat zur Verfügung (Sando-
sollte die Gallenblase auf Steinbildung untersucht
statin LAR).
werden. Es wird daher die Gabe von Choleretika
• Dopaminagonisten. Da Somatostatinanaloga (z. B. Ursodeoxycholsäure) empfohlen, um einer
sehr teuer sind und nur parenteral (subkutan Cholezystolithiasis vorzubeugen. Ferner sollten
oder intramuskulär) angewendet werden können, jährlich die Vitamin-B 1r Konzentrationen unter-
ist der Versuch einer Behandlung mit Dopaminago- sucht werden.
nisten, unter denen es zu einer inversen Hemmung
der Wachstumshormonfreisetzung kommt, zu- • Dopaminagonisten. Bei der Gabe von Dopamina-
nächst der Vorzug zu geben. Neben den etablierten gonisten ist auf die Nebenwirkungen in Form von
Substanzen wie Bromocriptin und Pergolid stehen Übelkeit und Orthostasestörungen zu achten. Eine
Dopaminagonisten der neueren Generation wie Qui- einschleichende Dosierung mit langsamer Dosisstei-
nagolid und Cabergolin zur Verfügung. Diese sind gerung hilft diese zu vermeiden.
nebenwirkungsärmer und können durch eine länge-
re Halbwertszeit seltener eingenommen werden. Die • Bestrahlung. Der Wirkungseintritt der Bestrah-
Dosierung richtet sich nach der Verträglichkeit und lungstherapie tritt mit einer Latenz von mehreren
nach dem Erfolg der gewünschten W achstumshor- Jahren auf. In diesem Zeitraum kann sich parallel
monsuppression. auch eine Hypophyseninsuffizienz entwickeln, so-
Zu beachten ist, dass für die meisten Dopaminago- dass die Hypophysenfunktion im weiteren Verlauf
nisten seitens der Hersteller die Zulassung für die nach einer Bestrahlung durch Messung der glandu-
Behandlung der Akromegalie nicht beantragt wurde. lären Hormone überwacht werden muss.

Bestrahlung
Die Bestrahlung kommt nur beim Rezidivtumor 1.4.8
oder bei nicht vollständig resektablen Tumoren in Notfall
Frage, wenn die Pharmakatherapie nicht anspricht
oder aufgrund ihrer Nebenwirkungen nicht vertra- Eine floride Akromegalie führt selten zu Notfallsi-
gen wird. Neben der Hochvolt-Pendelbestrahlung tuationen.
findet die stereotaktische Bestrahlung mit dem Dennoch können akromegale Patienten in eine
Gamma-Knife zunehmende Bedeutung. Bis zum vital bedrohliche Situation kommen, wenn zusätz-
Wirkeintritt der Bestrahlung muss überbrückend lich eine Hypophyseninsuffizienz vorliegt.
eine Pharmakatherapie durchgeführt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die hypothala-
mo-hypophysär-adrenerge Achse gestört ist. Im
Rahmen einer akuten kritischen Krankheit (bei-
Therapiekontrollen spielsweise schwere Infekte, Myokardinfarkt oder

D Therapieziel bei der Akromegalie ist die Senkung der


GH-Konzentrationen. Diese sind regelmäßig zusam-
men mit den Konzentrationen von IGF-1 und dessen
operative Eingriffe) besteht dann die Gefahr der Ad-
dison-Krise, sofern die Substitution mit Glucocorti-
coiden nicht der Situation angepasst wird. Dies lässt
Bindungsprotein IGFBP-3 zu kontrollieren. Ange- sich dadurch verhindern, dass jeder Patient mit
strebt werden Konzentrationen innerhalb der alters- einem entsprechenden Notfallausweis ausgestattet
typischen Norm. wird und durch Schulung über solche Gefahren
28 KAPITEL 1 Wachstum

und die Notwendigkeit der Glucocorticoidsubstitu- Kaplan SL, Grumbach MM (1990) Pathophysiology and treat-
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D Bei Patienten mit sehr großen GH-produzierenden rapy in acromegaly: use in patients resistant to conventio-
n al therapy and effect on serum Ievels of somatomedin C.
Tumoren kann eine ophthalmologische Notfallsitua- J Clin Endocrinol Metab 53 : 752-757
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KAPITEL 2

Prolaktin und Brustdrüse 2


F. PETERS, K. V. WERDER

2.1 Physiologie 29
2.1
2.1.1 Prolaktin 29
K. V. WERDER
Physiologie
2.1.2 Brustdrüse 31
f. P ETE RS 2.1.1
Prolaktinmangel, Prolaktin
Unterfunktion der Mamma 33
f. PETERS
K. V. WERDER

2.2 Störung der Stillfunktion 33


2.2.1 Agalaktie 33 Struktur
2.2.2 Hypolaktie 33
2.3 Involution, Puerperale Mastitis 35 Das humane Prolaktin (PRL) ist ein einkettiges
Prolaktinmehrsekretion 35 Peptidhormon mit 199 Aminosäuren und 3 Disulfid-
K. V. WERDER brücken (Abb. 2-1). Die Molekülmasse beträgt
2.4 Prolaktinom 36 23.000. Prolaktin und Wachstumshormon ("growth
K. V. WERDER hormone" = GH) haben eine ausgeprägte lnter-
2.4.1 Fallpräsentation 36 spezieshomologie. Es wird angenommen, dass
2.4.2 Epidemiologie 37
2.4.3 Pathogenese 37 PRL, GH und das plazentare Laktogen (hPL) sich
2.4.4 Ultrastruktur 37 aus einem primordialen U rgen entwickelt haben.
2.4.5 Klinik 38 Die Transkription des PRL-Gens, welches auf Chro-
2.4.6 Diagnostik 40
2.4.7 Differentialdiagnose 40 mosom 6 lokalisiert ist, wird durch verschiedene
2.4.8 Therapie 41 Faktoren reguliert. Ein Transkriptionsfaktor ist
2.4.9 Prolaktinom und Schwangerschaft 47 Pit-1, der nicht nur die PRL-, sondern auch die
2.5 Prolaktinassoziierte Erkrankungen GH- und TSH-Genexpression stimuliert.
der Brustdrüse 47 Das PRL-Gen kodiert ein größeres Präkursar-
f. PETERS
peptid mit einem Molekulargewicht von 28.000,
2.5.1 Mastapathischer Formenkreis 47
2.5.2 Non-puerperale Mastitis 47 das Pro-Prolaktin. Die Signalsequenz mit 28 Amino-
2.5.3 Prolaktin und Mammakarzinom 49 säuren wird vom aminoterminalen Ende des PRL-
Literatur 49 Moleküls zu dem Zeitpunkt abgespalten, wenn
PRL in die Golgi-Zisternen transloziert wird.

DNS:
Prolaktin r ='rn-r-L-·.....::,-:-1

.
Gen 'c-----~o-1""-f-~
,!-------',

...'
' I I
'
'' '
'... ''
' '
''
I • I I
' ,' ,'
RNS : '
...(
,,',' ";," Abb. 2-l.

I Transkription und Trans-


I "

Pro~~~s I r lation des Prolaktingens.


Die Exons sind mit Ziffern
S' nicht tran~latierte 3' nicht translatierte
Region Re9ioo
l-5, die Introns mit Buch-
staben A-D bezeichnet. Bei
Peptid: der Translokation des Pro-
Prolaktin ._
l _ _..l_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ __.
Prolaktins in die Zisternen
des Golgi-Apparates wird
-28 14 11 50 1)4 191 199 das Signalpeptid abgespal-
Signal Prolaktin ten
30 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse

Wie beim GH findet sich auch beim Prolaktin zwischen Dopamin und GnRH-Sekretion erklären.
eine immunologische Heterogenität mit monome- Neben dem dopaminergen PIH scheint es noch
rem ("little"), dimerem ("big") und polymerem einen peptidergen Prolaktin-Inhibiting-Faktor (PIF)
("big-big") zirkulierendem Prolaktin. Neben diesen zu geben, der möglicherweise in dem GnRH-asso-
PRL-Aggregaten gibt es ein glykosyliertes Prolaktin ziierten Peptid (GAP) residiert (Abb. 2-2).
im Serum. Ein phosphoryliertes Prolaktin und ein Neben dem überwiegend hemmenden hypothala-
16-K-Fragment sind in der Hypophyse nachgewie- misehen dopaminergen Einfluss auf die PRL-Sekre-
sen. tion stimuliert TRH die Synthese und Freisetzung
von PRL, obwohl dieses Hormon wahrscheinlich
Prolaktinwirkung an der Zelle nicht der physiologische Prolaktin-Releasing-Faktor
Prolaktin wirkt über einen spezifischen PRL- Rezep- (PRF) ist. Die PRF-Aktivität wird wahrscheinlich
tor, der zur Zytokin-PRL-GH-Rezeptor-Familie ge- durch das vasoaktive intestinale Polypeptid (VIP)
hört. Der PRL-Rezeptor dimerisiert nach An docken repräsentiert, dessen Freisetzung aus peptidergen
des Prolaktins an die extrazelluläre Domäne, was zu Neuronen durch den Neurotransmitter Serotonin
einer Phosphorylierung weiterer intrazellulärer Pro- stimuliert wird.
teine führt. Zum Teil werden letztere in den Nukleus Die Zahl der laktotropen Zellen hängt von den
transportiert, binden dort an die DNA und führen physiologischen Bedingungen ab. Während der
zur Genaktivierung. So werden unter anderem die Schwangerschaft kommt es durch erhöhte Östrogen-
Gene für die Milchproteine Kasein und Laktalbumin spiegel zu einer Hypertrophie und Hyperplasie der
aktiviert. laktotropen Zellen, was fast zu einer Verdopplung
Ob Prolaktin über ein "Laktomedin" analog dem des Hypophysenvolumens führt. Entsprechend fin-
GH-induzierten Somatomedin bzw. IGF-1 biolo-
gisch wirksam ist, ist noch offen.

Biologische Aktivität
Hypothalamus
Prolaktin ist ein Vielzweckhormon. Es sind über 100
verschiedene biologische Wirkungen bei verschiede-
nen Spezies bekannt. Bei der Frau ist Prolaktin ein
wichtiges Reproduktionshormon, das die Laktoge-
nese und die Laktation post parturn induziert und Portalsystem
aufrecht erhält. Gleichzeitig führt es zu einer Sup-
pression der Ovarialfunktion. Beim Mann hat Pro-
laktin keine physiologische Bedeutung.
Ob Prolaktin, das auch in Lymphozyten produ-
ziert wird, immunologische Wirkungen analog an-
derer Zytokine besitzt, ist nicht bekannt. Ferner
wird Prolaktin außerhalb der Hypophyse im Endo- HVL
metrium und während der Schwangerschaft in der
Dezidua gebildet, was zu hohen PRL-Konzentratio-
nen in der Amnionflüssigkeit führt. Die Bedeutung
des Amnion-PRL ist nicht bekannt.

Prolaktinsekretion
Prolaktin wird in den laktotropen Zellen des Hypo-
Abb. 2-2. Dopaminerge Kontrolle der PRL-Sekretion. Dopa-
physenvorderlappens (HVL) gebildet. Im Gegensatz min wird von den tuberoinfundibulären Neuronen in das Por-
zu allen anderen HVL-Hormonen ist der über- talblut abgegeben. Auf diesem vaskulären Kurzschluss erreicht
wiegende hypothalamisehe Einfluss auf die PRL-Se- es die laktotrophe Zelle des HVL, wo es die Freisetzung von
PRL hemmt. Neben dem dopaminergen Prolaktin-inhibi-
kretion inhibierend über das Prolaktin-Inhibiting- ting-Hormon (PIH) gibt es auch einen peptidergen Prolak-
Hormon (PIH). Dabei handelt es sich - im Gegen- tin-inhibiting-Faktor (PIF), bei dem es sich möglicherweise
satz zu den bisher bekannten Releasing- und Inhibi- um das C-terminale Ende des GnRH-assoziierten Peptids
(GAP) handelt. Der physiologische Prolaktin-releasing-Faktor
ting-Hormonen- nicht um ein Peptid, sondern um (PRF) ist wahrscheinlich das VIP. Dazu stimuliert TRH eben-
das biogene Amin Dopamin (DA). Die Axone der falls die PRL-Sekretion, was für die Pathophysiologie der Hy-
tuberoinfundibulären dopaminergen (TIDA) Neu- perprolaktinämie eine Rolle spielt. Systemische Ostrogene sti-
mulieren die PRL-Sekretion, Kortikosteroide haben hingegen
rone enden in der gleichen Gegend, wo die einen hemmenden Effekt auf die Freisetzung von Prolaktin.
GnRH-Neurone enden. Dies könnte die Interaktion (Nach von Werder 1996)
2.1 Physiologie 31

Tabelle 2-l. Beeinflussung der PRL-Sekretion (Cooper-Ligamente) und dem intralobulären Binde-
gewebe (Mesenchym), dem sog. Mantelgewebe.
Stimulation Suppression
Etwa 20-40 Azini stehen über ein terminales Gang-
Phy iologie segment mit dem nächstgrößeren Milchgang in Ver-
chwangerschaft bindung. Der Drüsenkörper enthält ca. 15-20 dieser
Stillen funktionellen Untereinheiten. Die größeren Milch-
gänge vereinigen sich zu ca. 8-12 Milchausführungs-
Brustwarzenstimulation
gängen, die auf der Brustwarzenoberfläc he ihre
Körperliche Anstrengung
Mündung haben. Die Azini und Milchgänge sind
ahrungsaufnahme von einer Schicht glatter Muskelfasern (Myoepithe-
Unspezifischer tress lien) eingehüllt, die wie ein Korbgeflecht der Milch-
Pharmakologie ejektion (Oxytocinwirkung) dienen.
Hypoglykämie (In ulin) Hyperglykämie
Amino äuren, Hormone Hormone (Thyroxin,
(Östrogene, TRH) Glucocorticoide Endokrine Steuerung
Formal gesehen lassen sich die einzelnen Phasen der
eurotransmitter eurotran mitter
(DA-Antagoni ten, (Dopamin und endokrinen Einflüsse an der Brustdrüse wie folgt be-
Katecholamindepletoren, DA-Agoni ten, schreiben:
erotoninpräkur oren, erotonin-Antagoni ten)
GA BA-Agonisten,
Histamin-Antagonisten, • Mammogenese: Ovarieller Einfluss auf die Brust-
Opiate) drüsenentwicklung. Der erste Stimulus für das
~achstum der Brustdrüse geht von den ovariellen
Ostrogenen aus (Thelarche). Diese unterhalten
den sich auch bei männlichen Patienten, die wegen hauptsächlich die Proliferation der Milchgänge. Pro-
eines Prostatakarzinoms hochdosiert mit Östro- gesteron fördert die Entwicklung der Azini. Der
genen behandelt wurden, erhöhte periphere PRL- Schwellenwert von Östradiol für die Proliferation
Spiegel sowie eine Volumenzunahme des HVL auf- liegt bei ca. 50 pg/ml. Ob die Thetarehe auch Prolak-
grund der Hyperplasie laktotroper Zellen. tin benötigt, ist nicht bekannt. Unter physiologi-
Die PRL-Spiegel bei erwachsenen, nicht schwan- schen Bedingu~gen folgt der Anstieg der Prolaktin-
geren Frauen liegen zwischen 5 und 20 ~g/1 bzw. sekretion den Ostrogenspiegeln. Prolaktin allein ist
100-400 mE/1. Bei Männern sind die PRL-Spiegel nicht in der Lage, das Brustwachstum zu unterhal-
normalerweise etwas niedriger ( < 15 ~g/1 bzw. ten. Entwickelt ein Mädchen während der Pubertät
300 mE/1). Die Halbwertszeit von Prolaktin in der eine Hyperprolaktinämie, kommt es zum Wachs-
Zirkulation beträgt etwa 50 min, die Sekretionsrate tumsstillstand der Brüste bei absinkenden Östro-
400 ~g/Tag. PRL-Spiegel unterliegen erheblichen Ta- genwerten.
gesschwankungen. Der höchste Spiegel wird am frü-
hen Morgen beobachtet, kurz vor dem Aufwachen. • Laktogenese: Plazentare Phase der Laktations-
Im Verlauf des Tages fallen die PRL-Spiegel wieder vorbereitung. Neben dem schwangerschaftsbed ing-
ab. Der nächtliche PRL-Anstieg ist wie beim GH ten quantitativ höheren Niveau von Östrogenen
schlafgekoppelt und lässt sich deshalb mit dem und Progesteron, die die Brustdrüse um das 3- bis
Schlaf verschieben. Die Faktoren, die die PRL-Sekre- 4-fache ihres Ausgangsvolumens anwachsen lassen,
tion beeinflussen, sind in Tabelle 2-1 aufgezeigt. finden in dieser Phase unter dem Einfluss von Cor-
tisol, Insulin und Thyroxin Differenzierungsvorgän-
ge zu einer sekretorischen Drüse statt.
2.1.2 Physiologisch kommt es während der Schwanger-
Brustdrüse schaft durch die ansteigenden plazentaren Östro-
gene zu einem kontinuierlichen Anstieg der PRL-
F. PETERS Spiegel, die vor dem Geburtstermin im Mittel
10-fach höher liegen als vor der Konzeption
Anatomie (Abb. 2-3). Während der Schwangerschaft blockie-
Die weibliche Brust ist das größte Erfolgsorgan für ren die plazentaren Steroide jedoch die biologische
Prolaktin. Embryologisch gesehen ist die Brust ein PRL-Wirkung an der Brust.
Hautorgan. Die Drüsenarchitektur besteht aus Azini
(während der Laktation spricht man von Alveolen), • Galaktopoese: Hypophysäre Phase der Laktati-
den Milchgängen, den kontraktilen Elementen onsaufnahme. Nach der Geburt (speziell der Geburt
(Myoepithelien), dem Binde- oder Stützgewebe der Plazenta) sinken Östradiol- und Progesteron-
32 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse

S<:hwangerschaft Ei nschie ßen Sti llzeit Absti llen


der Milch

3000 Abb.2-3.
=E PRL-Spiegel während der
.... Schwangerschaft und der
w postpartualen Laktation.
3 2000 Nach der Entbindung und
_,
a: dem Abfall der plazentaren
CL
Steroide kommt der PRL-
Effekt an der Brustdrüse zum
1000
Tragen, die Milch schießt ein.
Durch den regelmäßigen
Saugreiz und der damit ver-
bundenen Stimulation der
11 1 5 Woche n 1 Tag ovu latorisehe PRL-Sekretion werden
Zyklen Laktation und postpartuale
Blockierung der Laktation Laktation, Anovulation Anovulation aufrecht-
durch Östradiol (E2)- Progesteron erhalten

140 . ------------------------------.7 spiegel innerhalb von 2-3 Tagen in einen hypo-


Stillen gonadotropen Bereich ab und geben die Prolaktin-
120 Kind ~int
6 wirkung an der Drüsenzelle frei. Klinisch entsteht
'o

'E 100 + ,o' 5 E = jetzt der sog. Milcheinschuss. Der postpartuale


....Ol ....
::J Saugreiz führt zu intermittierenden PRL-Anstiegen,
E BO 4 3 die - wenn sich das Kind ausschließlich durch
c
·;::;
c
-"' 60 3

B Muttermilch ernährt und 6- bis 8-mal am Tag
"'
~ >-
X angelegt wird - die Laktation und die physiolo-
CL
40 2 0 gische postpartuale Anovulation aufrechterhalten
0

20
(s. Abb. 2-3).

0 +-~--~-r--r--r--r--r~r--r--+0 • Galaktokinese: Neurohypophysäre Aufrechter-


-20 -15 -10 -5 0 +5 +10 +15 +20 +25 +30
haltung der Laktation. Die Oxytocinausschüttung
Zeit [mini
wird durch den Berührungsreiz an der Mamille ver-
Abb. 2-4. Schematische Darstellung der Prolaktin- und Oxy- mittelt (Saugreiz des Kindes). Neben Saug-, Kiefer-
tocinausschüttung beim Stillen. Vor Anlegen des Kindes und Zungenbewegung des Kindes ist dies der endo-
kommt es bereits zur Oxytozinausschüttung, wenn das krine Teil, der die Entleerung der Brustdrüse be-
Kind weint. Nach Beginn des Stillens erfolgt die episodische
Oxytozinausschüttung im 2- bis 3-minütigen Intervall. Prolak- wirkt (Abb. 2-4).
tin erreicht innerhalb von 15-20 minnachAnlegen des Kindes
seine maximale Konzentration • Involution: Katabolismus. Die Involution ist en-
dokrin gekennzeichnet durch sinkende Prolaktin-
konzentrationen (Abstillen) oder abnehmende Ova-
rialaktivität (Menopause).
Eine ganz scharfe Trennung dieser 5 Abschnitte

8
• Wachstum • Funktion I Laktat ion
mit E2 + Progesteron ohne E2 + Progesteron lässt sich nicht immer vornehmen, da Wachstum,

IGF I
/ cx · Lactalbu min
Funktion und Involution in fließenden Übergängen
miteinander stehen (Abb. 2-5).
TGFcx Lactose
EGF Mrlchvolumen
Prolaktinwirkung an der Brustdrüse
/
FGF

abnehmende Aktlvitat
Für die Entwicklung der eigentlichen Laktation
der Wachstumsfaktoren Differenzierung kann man die zahlenmäßige Zunahme der Prolak-
Insulin
Cortisol
tinrezeptoren an den Brustdrüsenzellen verantwort-
Thyroxin lich machen. Die Anzahl der Prolaktinrezeptoren
folgt dem Serumprolaktinspiegel. Dies ist auf einen
Abb. 2-5. Wirkung von Prolaktin an der Brustdrüse kurzen Zeitraum post parturn beschränkt, da durch
2.2 Störung der Stillfunktion 33

Tabelle 2-2. Stellenwert der Prolaktinsekretion

Prolaktinspiegel Mammafunktion Ovarialfunktion

3-15 ng!ml < 2 % Galaktorrhö ormale Ovarialfunktion


(dabei erhöhte PRL- timulierbarkeit)
20-40 ng!ml Bis 30 % Galaktorrhö Corpus-luteum-In uffizienz
> 50 ng!ml Bis 70 % Galaktorrhö Amenorrhö
Anfanglieh > 100 ng!ml Laktation Entsprechend PRL- piegel
unterer Schwellenwert ca. 25 ng!ml (s. oben)

die abnehmenden Östrogenspiegel im Blut die Se- Die Inzidenz des Sheehan-Syndroms hat seit der
rumprolaktinspiegel ebenfalls sinken. Jeder Stillvor- Erstbeschreibung 1938 deutlich abgenommen, da in-
gang lässt die periphere Prolaktinkonzentration für tensivmedizinische Maßnahmen, einschließlich
ca. 40-90 min um ein Vielfaches ihrer Ausgangskon- Transfusionen, die Sicherheit in der Geburtshilfe
zentration ansteigen (s. Abb. 2-1 ). Wiederholte Still- eindeutig verbessert haben. Mit einem Blutverlust
vorgänge während eines 24-h-Abschnittes resultie- unter der Geburt von > 1 I ist bei ca. 0,5% der
ren in entsprechend hohen Prolaktinspiegeln, die ih- Geburten zu rechnen.
rerseits die Zahl der Prolaktinrezeptoren steigern.
Für die Funktion der Brustdrüse, die Laktation/Se-
Isolierter Prolaktinmangel
kretion, lassen sich Prolaktinschwellenwerte be-
Ein isolierter Prolaktinmangel als Ursache der Agal-
schreiben, die in Abhängigkeit vom hemmenden
aktie spielt in der geburtshilfliehen Praxis kaum
Progesteron und Östradiol unterschiedliche Grade
eine Rolle. Mittlerweile sind einige Kasuistiken be-
der Laktation - von Galaktorrhö bis zum normalen
schrieben, bei denen das Fehlen der Milchbildung
Milchfluss - ermöglichen (Tabelle 2-2).
auf extrem niedrige Prolaktinspiegel zurückgeführt
Mit der Involution der sog. Schwangerschaftshy-
werden konnte. Stimulationsversuche der hypophy-
pophyse (Hyperplasie der prolaktinbildenden Zellen
sären Prolaktinreserve fielen in diesen Fällen negativ
aufgrund des schwangerschaftsinduzierten Östro-
aus. Diese Störung scheint genetisch bedingt zu sein.
genanstiegs) sinkt das quantitative Konzentrations-
Eine Therapie ist nicht bekannt.
niveau des Serumprolaktins kontinuierlich. Parallel
hierzu wird aber die Prolaktinrezeptorkapazität ge-
steigert. Auf diesem Wege lassen sich steigende
Milchvolumina bei abfallenden Serumprolaktinspie- 2.2.2
geln erklären. Hypolaktie

Als Hypolaktie bezeichnet man einen Zustand unzu-


Prolaktinmangel, Unterfunktion der Mamma reichender Milchproduktion. Sie liegt vor, wenn die
tägliche Milchmenge von 165 g/kg KG des Kindes
F. PET ERS
nicht erreicht wird, um eine regelmäßige Gewichts-
zunahme des Kindes von etwa 30 g pro Tag zu ge-
währleisten.
2.2
Die Ursachen der Hypolaktie sind vielfältig (Ta-
Störung der Stillfunktion
belle 2-3).
2.2.1
Agalaktie Hypoplasie des Drüsengewebes
Eine Hypoplasie des Drüsengewebes ist nicht an der
Sheehan-Syndrom Brustgröße oder -form erkennbar. Das Brustvolu-
Das völlige Ausbleiben der Milchproduktion post- men dieser Frauen nimmt in der Schwangerschaft
partual ist klassischerweise mit dem Sheehan- nicht entsprechend zu (Abb. 2-6). Es handelt sich
Syndrom verbunden. Durch hämorrhagische oder offenbar um eine genetische Disposition, die vererbt
ischämische Infarkte im Gefolge gravierender werden kann und deren Auswirkungen sich nach
Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen, allen Geburten wiederholt. Bei Frauen mit Asymme-
wie z. B. Eklampsie oder atonische Nachblutung trie der Brüste kann die kleinere Brust funktionell
(> 1 l), kommt es zur traumatischen Zerstörung hypoplastisch sein (Abb. 2-7). Diese gibt weniger
der prolaktinbildenden Zellen der Adenohypophyse. als die Hälfte der Milchmenge der anderen Seite
34 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse

Tabelle 2-3. Ursachen der Hypolaktie

Ursache Therapie

trukturelle Insuffizienz Nicht möglich


hypoplasti ehe Drüse (ca. 3 %)

Isolierter PRL-Mangel ( < I %o ) Nicht bekannt

Sheehan-Syndrom icht bekannt

Relative r PRL-Mangel PRL-stim ulierende


(ca. 5-8 %) ubstanzen z. B. TRH,
Metoclopramid, HGH

Stre s tre sabbau

Stö rung der Oxytocinwirkung Mechani ehe Entleerung


der Bru t, Abb. 2-7. Bild einer Anisomastie. Die kleinere Brust ist hypo-
und -funktion,
Milchstau- Faktor X Oxytocin- a en pray plastisch und funktionell insuffizient (< 50 o/o Milchbildung
der anderen Seite). Die Fehlbildung kann mit anderen Stigma-
ta derselben Körperhälfte vergesellschaftet sein, wie z. B. Apla-
sie/Hypoplasie von Schweißdrüsen, des M. pectoralis major,
der Niere, des Armskeletts. Allerdings wird die größere Brust
ab. Bildgebende Verfahren (Mammographie, Sono- von den Patientinnen bei einer plastischen Korrektur nicht
graphie) können bis heute die funktionell insuffizi- immer als die normale angesehen
ente Drüse nicht identifizieren.
Im Falle einer Ausschüttung von Adrenalin ist der
Gestörte Oxytocinausschüttung und -wirkung vaskuläre Zustrom von Oxytocin reduziert und
Die häufigste Form der Hypolaktie steht im Zusam- die myoepithelialen Zellen sind relaxiert. Das klini-
menhang mit einer gestörten Oxytocinausschüttung sche Resultat ist die gestörte Milchejektion, d. h. die
und -wirkung (Abb. 2-8). produzierte Milch staut sich in den Alveolen an. Die
Brustdrüse produziert selbst einen bisher noch nicht
• Pathophysiologie. Stressfaktoren wie Adrenalin weiter identifizierten Eiweißfaktor, der in die Milch
oder Endorphine bremsen die neurohypophysäre sezerniert wird. Dieser Faktor hemmt lokal die wei-
Ausschüttung von Oxytocin. Die Arteriolen in der tere Milchproduktion im Sinne einer Substrathem-
Brustdrüse sind nur mit a-adrenergen Rezeptoren mung.
besetzt und können lediglich die Kontraktion der
Gefäßmuskularis vermitteln. Die myoepithelialen • Therapie. Therapeutisch steht in erster Linie der
Zellen sind dagegen nur mit ß-adrenergen Rezepto- Stressabbau durch eine gute Stillanleitung im Vor-
ren ausgestattet und bewirken in Anwesenheit eines dergrund. Oxytocin kann zusätzlich auch als Nasen-
adrenergen Stimulus lediglich deren Relaxierung. spray angewendet werden.

---
ml
800 0 •
0>
~
...--------- Schmerz I Angst
d.
c. 600 0
,...; • Adrenalin
Noradrenalin
Endorphine
E •
"'c
Q)
0>
c
400
n· ad!energ ~ P·ad renerg j
j
Q)
E Oxytoc inwirkung Oxytocinausschüttung
J::. 200 • Erstgebärende / reduziert gehemmt
..!::!

/
~ o Mehrgebärende
Vasekonstriktion der
0~--~----~---.----.----,--~,-~ versorgenden Arterien
0 100 200 300 400 500 ml
Volumenzunahme der Brust in der Relaxieru ng der
Schwa ngerschaft Myoepithelze llen

Abb. 2-6. Volumenzunahme der Brust in der Schwanger- gestörte Milchejekt ion
schaft. Beziehung zwischen Milchmengen am 7. Tag post par-
turn und Größenzunahme der Brust während der Schwanger- Abb. 2-8. Mögliche Pathophysiologie einer gestörten Milch-
schaft. (Mod. nach Hytten) ejektion
2.3 Involution, Puerperale Mastitis 35

Relativer Prolaktinmangel dungszellen in die Brustdrüse während der durch


Ein relativer Prolaktinmangel ist ätiologisch für die Dopaminagonisten ausgelösten Involution ist offen-
Hypolaktie in 5-8% der Fälle verantwortlich. sichtlich bei einer bakteriellen Entzündung ausrei-
chend immunkompetent, um die Entzündung
• Therapie. Bei relativem Prolaktinmangel können ohne weitere Maßnahmen zu überwinden. Eine der-
Metoclopramid, Sulpirid oder TRH den Serumpro- artige Therapie sollte jedoch nur dann angewendet
laktinspiegel pharmakologisch erhöhen und somit werden, wenn die Patientin bei der Diagnosestellung
das Milchvolumen um etwa 25% im Mittel anheben. den definitiven Wunsch äußert, nicht weiter stillen
Als Erfahrungsgrundsatz gilt bei dieser Therapie: Je zu wollen, weil Dopaminagonisten die Prolaktinse-
höher das Ausgangsvolumen, desto eher reicht die kretion hemmen und es somit zur Involution der
Milchmenge aus, das Kind ausschließlich mit Mut- Brustdrüse und Abstillen kommt. Die konventio-
termilch zu ernähren. nelle Antibiotikatherapie hat den unbestreitbaren
Vorteil, dass die Patientin die Stillphase entspre-
chend ihren eigenen Vorstellungen und entspre-
2.3 chend den Bedürfnissen des Kindes ausdehnen
Involution, Puerperale Mastitis kann, da Antibiotika keinen Einfluss auf Prolaktin
und die Stillfunktion haben.
Die Involution der Brustdrüse ist endokrinalogisch
durch das Fehlen von Prolaktin, pathomorpholo-
gisch durch das Einwandern von Entzündungszellen
Prolaktinmehrsekretion
gekennzeichnet. Der Katabolismus wird durch eine
deutliche Immunreaktion begleitet. K. V. WERDER

Physiologisch und pathologisch erhöhte PRL-Spie-


Puerperale Mastitis
gel können unterschieden werden. Die physiologi-
Die puerperale Mastitis ist eine akut auftretende Er-
sche Hyperprolaktinämie wird nur bei Frauen wäh-
krankung mit Häufung in der 3. bis 4. Woche post
rend der Schwangerschaft und der Laktation beob-
partum. Sie ist gekennzeichnet durch großflächige
achtet, wogegen die pathologische Hyperprolaktinä-
Rötung der betroffenen Brust (Abb. 2-9) und hohes
mie häufiger bei Frauen, aber auch beim männlichen
Fieber. In über 90% der Fälle ist Staphylococcus
Geschlecht beobachtet wird.
aureus der Erreger.
Die Hyperprolaktinämie ist die am weitesten ver-
breitete hypothalamisch-hypophysäre Störung des
• Therapie. In Kenntnis dieser Zusammenhänge
Menschen. Die Ursachen der pathologischen Hyper-
wurde eine Form der Therapie der puerperalen Ma-
prolaktinämie sind in folgender Übersicht zusam-
stitis entwickelt, bei der unter Verzicht auf Antibio-
mengestellt.
tika Dopaminagonisten angewendet werden. Trotz
hoher Keimzahlen in der Muttermilch heilt die Ent-
Ursachen der pathologischen Hyperprolaktinämie
zündung in gleicher Weise ab, wie bei Frauen, die
mit Antibiotika behandelt werden. Die histomor-
• Autonome hypophysäre Prolaktinsekretion
phologisch bekannte Einwanderung von Entzün-
Mikroprolaktinom
Makroprolaktinom
• Gestörte hypothalamisehe Dopaminfreisetzung
oder Transport zu der Iaktotropben HVL-Zelle
hypothalamisehe Tumoren (Kraniopharyngeom)
Hypophysentumoren ("Pseudoprolaktinom")
granulomatöse Erkrankungen der basalen
Meningen (z. B. Sarkoidose)
Trauma (Hypophysenstielabriss)
• Stimulation der Iaktotropben Zellen, die physio-
logische Inhibition ist überwiegend
Hypothyreose
• Pharmakologische Substanzen
Dopaminrezeptorantagonisten (Phenothiazine,
Butyrophenone)
Abb. 2-9. Typisches Bild einer puerperalen Mastitis mit Rö- Monoamindepletoren (Reserpin)
tung, Schwellung, Schmerz und Fieber Monoaminsynthesehemmer (u-Methyldopa)
36 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse

Monoamin-uptake-Hemmer (trizyklische Anti-


depressiva) sierung der Prolaktinspiegel, nach 6 Wochen
Östrogene (hohe Dosierung) trat die erste Monatsblutung ein, wobei die Ga-
• Andere Ursachen laktorrhö noch weiterhin provozierbar war,
Nierenversagen (Rezeptordefekt an der Iakto- nach 4 Monaten allerdings verschwand.
tropben Zelle) Im MRT konnte eine eindrucksvolle
Leberzirrhose (Neurotransmitterdysfunktion?) Schrumpfung des Tumors nachgewiesen wer-
Erkrankungen der vorderen Thoraxwand den. Die suprasellären Anteile des Adenoms wa-
• Ektope PRL-Sekretion (extrem selten) ren völlig verschwunden, darüber hinaus stellte
• Idiopathische funktionelle Hyperprolaktinämie sich die Sella-Eingangsebene nach intrasellär ge-
wölbt dar. Die stattgehabten Ovulationen wur-
den durch den Eintritt einer Schwangerschaft
bewiesen, die unter einer Fortführung der The-
rapie mit 2,5 mg Bromocriptin unkompliziert
2.4
verlief. Unter dieser Therapie stieg der Prolak-
Prolaktinom tinspiegel bis zum 3. Trimester auf 1.000 mE/1
K. V. WERDER (= 50 )lg/1) an (entspricht einem gering ausge-
prägten schwangerschaftstypischen PRL-An-
2.4.1 stieg). Die Bromocriptin-Behandlung wurde
Fallpräsentation deshalb durchgeführt, um eine erneute Tumo-
rexpansion unter dem Einfluss der Östrogene
29-jährige Patientin - Amenorrhö-/Galaktorrhö- zu verhindern. Alternativ hätte die Patientin
Syndrom - Makroprolaktinom auch vor der Schwangerschaft transsphenoidal
operiert werden können. Da die Patientin nicht
stillen wollte, wurde postpartual die Bromocrip-
Die 29-jährige Patientin, 165 cm groß, 54 kg tindosis auf 5 mg pro Tag erhöht, was zu einem
schwer, normaler femininer Habitus wurde primären Abstillen und zu einer Normalisierung
wegen einer sekundären Amenorrhö in die en- der Prolaktinspiegel führte.
dokrinologische Sprechstunde überwiesen,
nachdem außerhalb ein erhöhter Prolaktin-
spiegel von 5.200 mE/1 ( = 260 !lg/1) festgestellt
21-jähriger Mann mit hyperpro/aktinämischem
worden war. Die Patientin hatte ihre Menarche
Hypogonadismus - Makroprolaktinom
im 12. Lebensjahr mit anschließend regelmäßi-
gen Periodenblutungen. Vom 19.-26. Lebens-
jahr erfolgte die Einnahme von Antikonzeptiva. Ein 21 -jähriger Patient, 180 cm groß, 74 kg
Nach Absetzen der ovulationshemmenden The- schwer, hatte eine normale Pubertät und eine
rapie blieb die Regelblutung aus. Die "Post-pill- reguläre sexuelle Entwicklung bis zum 19. Le-
Amenorrhö" hatte die Patientin erst beunruhigt, bensjahr durchgemacht. Zu diesem Zeitpunkt
als sich Kinderwunsch einstellte. bemerkte er zum ersten Mal ein Nachlassen
Aufgrund der Höhe des Prolaktinspiegels ist der Libido und insbesondere eine Impotentia
von einem Prolaktinom auszugehen, entspre- coeundi. Eine Veränderung des Rasierverhal-
chend war auch der TSH -Spiegel im Normbe- tens oder ein Verlust der primären und sekun-
reich gelegen und die Einnahme von prolaktin- dären Sexualbehaarung bestand nicht.
stimulierenden Medikamenten wurde verneint. Der Patient wurde mit der Frage "Störung der
Im MRT zeigte sich ein intraselläres, zapfenartig Keimdrüsenfunktion" untersucht, ohne dass
nach suprasellär extendierendes Makroadenom. wesentliche pathologische Befunde festgestellt
Klinisch bot die Patientin neben der anamne- werden konnten. Der Hoden war beidseitig de-
stisch imponierenden sekundären Amenorrhö szendiert, hatte etwa ein Volumen von 16 ml,
eine durch Kompression der Brustwarzen pro- die primäre und die sekundäre Sexualbehaa-
vozierbare Galaktorrhö beidseits. Die Patientin rung waren noch normal ausgebildet. Der Pa-
wurde daraufhin mit Bromocriptin in einer tient hatte ein normales Kreislaufverhalten
Dosierung von 3-mal 2,5 mg pro Tag behandelt und machte einen euthyreoten Eindruck. Bei
(die Dosis wurde langsam im Verlauf von 8 der endokrinologischen Untersuchung fand
Tagen, beginnend mit einer halben Tablette sich der Testosteronspiegel im untersten Be-
abends zu den Mahlzeiten, aufgebaut). Inner- reich {3,2 nglml), wobei der FSH- und LH-
halb von 4 Wochen kam es zu einer Normali- Spiegel mit 1,2 bzw. 2,1 mE/ml im ormbereich
2.4 Prolaktinom 37

• Malignes Prolaktinom. Maligne Prolaktinome


lagen. Der Prolaktinspiegel war mit 12.000 mE/1 sind selten. Allerdings zählen die PRL-sezernieren-
deutlich erhöht. Die anschließend durchgeführte den malignen Hypophysentumoren zu den häufig-
Kernspintomographie zeigte einen in tra- und sten Hypophysenkarzinomen.
supra-, allerd ings auch ehr stark parasellär in
den rechten inus cavernosus einwachsenden • Somatomammotrope Tumoren u. a. Koproduk-
Tumor. Der Patient wurde mit Bromocriptin, tionen. Häufig wird Prolaktin mit GH zusammen
Quinagolide und Cabergolin behandelt, ohne produziert und sezerniert. Es handelt sich um soma-
dass es zu einem we entliehen Abfall der Pro- tomammotrope Tumoren, bei denen GH und Pro-
laktinspiegel kam. Mit Hilfe eine transsphenoi- laktin nicht nur in der gleichen Zelle, sondern
dalen Eingriffs, der wegen der Dopaminagoni- auch in den gleichen Granula nachweisbar sind.
tenresistenz d urchgeführt wurde, konnte der Eine Koproduktion von PRL mit TSH und ACTH
intra- und supraselläre Tumoranteil entfern t wird gelegentlich beobachtet.
werden. Wegen des Resttumors erhielt der Pa-
tient erneut Cabergolin bi zu 1 mg pro Tag
und Quinergolid bi 900 !lg/Tag. Allerd ings
führte diese Therapie zu keinem weiteren Abfall 2.4.3
der PRL-Spiegel, die im Gegenteil bis auf Pathogenese
22.000 mE/1 anstiegen. Versuche mit Octreotid
oder Buserelin, die Prolaktinsekretion und da- Prolaktinome sind monoklonal, was auf eine Klo-
mit den Tumor zu beeinflussen, blieben erfolg- nexpansion der mutierten Zellen in der Hypophyse
los. Eine Zweitoperation, die transfrontal hätte hinweist. Eine Gs-Proteinmutation, die in fast der
erfolgen müssen, wäre wegen Einwachsen des Hälfte der somatotropen Tumoren nachweisbar
Adenom in den inus caverno u nicht sinnvoll, ist, ist im Falle der Prolaktinome nicht beschrieben.
eine Gamma-Knife-Therapie wegen der Größe Eine Mutation des Ras-Protoonkogens ist nur in
des Tumors nicht möglich. Aus diesem Grund einem einzigen malignen Prolaktinom nachgewie-
bleibt als Ulti ma ratio eine externe fraktionierte sen worden.
Radiotherapie mit einer Gesamtdosis von 45 Gy.

2.4.4
2.4.2 Ultrastruktur
Epidemiologie
Obwohl sich die Biologie der Mikro- und Makropro-
Bald nach Einführung der radioimmunologischen laktinome, was Proliferationsneigung, invasives
PRL-Bestimmung hat sich gezeigt, dass das PRL- Wachstum, Aktivität der PRL-Synthese und -Sekre-
produzierende Hypophysenadenom (Prolaktinom) tion betrifft, deutlich unterscheidet, gibt es keine we-
der häufigste Hypophysentumor ist. Mehr als die sentlichen Unterschiede bezüglich der Ultrastruktur
Hälfte aller klinisch diagnostizierten Hypophysentu- der laktotropen Adenomzelle beim Makro- und Mi-
moren sind Prolaktinome. Viele der vor der PRL- kroprolaktinom. Auch die laktotropen Zellen der
Ära als endokrin-inaktiv angesehenen Adenome Schwangerenhypophyse unterscheiden sich in ihrer
wurden später als Prolaktinome identifiziert. Die Ultrastruktur nicht signifikant von den Prolakti-
meisten Prolaktinome werden zwischen dem 30. nomzellen (Abb. 2-10). Meist handelt es sich um Zel-
und 50. Lebensjahr diagnostiziert, bei Kindern len mit einem gelappten Zellkern, einem prominen-
sind sie selten. ten Nukleolus mit ausgeprägtem endoplasmatischen
Retikulum und wenigen, vereinzelten polymorphen
• Mikroprolaktinom. Bei 65% der Prolaktinome Sekretionsgranula. Diese "sparsely granulated" lak-
handelt es sich um Mikroprolaktinome mit einem totropen Zellen lassen sich mit konventionellen Fär-
Durchmesser von maximal10 mm, die vornehmlich bemethoden deshalb nicht anfärben und imponie-
bei Frauen gefunden werden. ren als chromophobe Zellen .
Es gibt allerdings auch Prolaktinome, die lakto-
• Makroprolaktinom. PRL-produzierende Ade- trope Zellen mit vielen Granula aufweisen ("densely
nome mit eine Durchmesser von > 10 mm werden granulated"). Beide Zellen kommen sowohl in Mi-
als Makroprolaktinome bezeichnet. Es handelt sich kro- als auch Makroprolaktinomen vor und sind
z. T. um invasiv wachsende Tumoren, die bei beiden darüber hinaus in der Schwangerenhypophyse in
Geschlechtern gleich häufig diagnostiziert werden. großer Zahl nachweisbar.
38 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse

Weibliche Patienten
• Amenorrhö und Zyklusstörungen. Frauen mit
Hyperprolaktinämie haben eine primäre, häufiger
eine sekundäre Amenorrhö oder Zyklusstörungen,
an ovulatorisehe Zyklen oder eine Lutealinsuffizienz.

Die Hyperprolaktinämie ist bei 15-30% der Frauen


Ursache einer sekundären Amenorrhö (Abb. 2-11).
Bei Patientinnen mit Zyklusstörungen sollte die
D
PRL-Bestimmung die erste diagnostische Maßnahme
sezn.

Dieser hyperprolaktinämische Hypogonadismus ist


Abb. 2-IOa, b. Eleltronenmikroskopische Aufnahme lakto-
durch das Sistieren der pulsatilen Freisetzung von
troper Zellen. a Prolaktinom, b Schwangerschaftszellen (9. LH bedingt. Es wird vermutet, dass die erhöhten
Schwangerschaftsmonat). Beide laktotropen Zellen haben PRL-Spiegel zu einer Erhöhung des hypothalami-
einen gelappten Zellkern mit randständigem Chromatin
und einem prominenten Nukleolus, dazu ein deutlich ausge-
sehen Dopamin- und Endorphinumsatzes führen,
prägtes endoplasmatisches Retikulum mit nur vereinzelt poly- der auf parakrinem Weg die Pulsatilität der
morphen Granula ("sparsely granulated") GnRH-Neurone unterdrückt (tertiärer hypothalami-
scher Hypogonadismus). Durch Substitution von
GnRH kann bei hyperprolaktinämischen Patientin-
nen eine normale Ovarialfunktion induziert werden.
2.4.5
Klinik
a Primäre Amenorrhö (n =113)
Hyperprolaktinämie Adrenogenitales Syndrom (5,3%)
Aplasie von Vagin a und Uterus
Die folgende Übersicht zeigt die klinischen Sym- (15%)
Interne Erkrankungen (3,5%)
ptome der Hyperprolaktinämie.
Testikuläre
Feminisierung (x/ y)
Klinische Symptomatik der Hyperprolaktinämie (3,5%)

Turner -Syndrom lx/o) Idiopathisch


• Frauen n = 14 (13 %) hypothalamischer
Hypogonadismus
Amenorrhö n = 25 (22 %)
Reine Gonadendys -
Oligomenorrhö genesie (x/ x) Hypophysentumor (4,6 %)
Corpus-luteum-Insuffizienz n= 17 (15 %)
Anovulation Pubertas tarda 19,5 %) Anore.xia nervosa (2,6 %)
Galaktorrhö
Libidostörungen b Sekundäre Amenorrhö (n = 750)
Hirsutismus
Seborrhö Uterine Ursachen n = S (0,7 %) Interne Erkrankungen n = 12 (1,6 %)

• Männer Klimakterium praecox =


Psychosen n 47 (6,2%)
Libidostörungen n = 39 (5,2%)
Hyperprolaktinämie
Potenzstörungen =
n 141 (18,8 %)
Hypogonadismus mit und ohne Gynäkomastie .post pill" - - - -+
Galaktorrhö n= 114 (15,2 %)
• Zeichen eines Hypophysentumors Fettsucht n = 23 - -_,..~~
HVL-Insuffizienz (3,1%)
Gesichtsfeldeinschränkung Starke Gewichtsabnahme
n = 53 (7,1%)
Augenmuskelparesen Idiopathisch hypothalamischer
Kopfschmerzen Post parturn n = 21 12.8 %) Hypogonadismus
zerebrale Störungen (Foramen-Monroi-
(normoprolaktinämisch) =
n 260 (34,7 %)

Blockade) Abb. 2-lla, b. Ursachen der primären und sekundären


Amenorrhö. a Die primäre Amenorrhö ist relativ selten durch
eine Hyperprolaktinämie bedingt (8 o/o). b Bei der sekundären
Amenorrhö liegt viel häufiger eine Hyperprolaktinämie vor. In
dem untersuchten Krankengut hatten von 750 Patientinnen
141 (18,8 o/o ) eine hyperprolaktinämische Amenorrhö. (Aus
Rjosk et al. 1976)
2.4 Prolaktinom 39

• Galaktorrhö. In 70 o/o der Fälle wird bei Frauen


eine häufig nur auf Provokation nachweisbare Ga-
laktorrhö beobachtet.

• Androgenisierende Wirkung. Darüber hinaus


bestehen Hinweise auf eine vermehrte Androgen-
wirkung, d. h. Akne, Seborrhö und Hirsutismus.
Diese Symptomatik beruht auf den niedrigen Östra-
diolspiegeln bei erhöhten Spiegeln adrenaler Andro-
gene.

• Hyperprolaktinämische Osteopenie. Bei den


meisten Frauen findet sich neben den hyperprolak-
tinämischen Zyklusstörungen auch eine Atrophie
der Vaginalschleimhaut In diesen Fällen liegen
die Östradiolspiegel im gleichen Bereich wie bei Abb. 2-12. Kernspintomograpie (koronare Projektion) eines
Mikroprolaktinoms. Das signalärmere Mikroprolaktinom ist
postmenopausalen Frauen. Es ist deshalb nicht er- intrasellär auf der rechten Seite der Hypophyse gelegen und
staunlich, dass bei hyperprolaktinämischen Frauen verdrängt den Hypophysenstiel zur kontralateralen Seite.
eine Verringerung der Knochendichte festgestellt Die supraselläre Zisterne ist frei, das Chiasma opticum wird
nicht tangiert
wurde. Dabei korreliert der Knochenmasseverlust
mit dem Östrogenmangel, wohingegen keine Korre-
lation zwischen Verminderung der Knochendichte
und Höhe der PRL-Spiegel besteht. stellt die Ausnahme dar. Gelegentlich wird eine
spontane Normalisierung der PRL-Sekretion mit
Verschwinden der klinischen Symptomatik beob-
Männliche Patienten achtet.
Von den klinisch manifesten endokrinen Störungen
stehen bei hyperprolaktinämischen Männern Libi-
do- und Potenzverlust sowie Verlust der primären Makroprolaktinom
und sekundären Sexualbehaarung ganz im Vorder- Große, zur Ballonierung oder Selladestruktion füh-
grund (hyperprolaktinämischer Hypogonadismus). rende Prolaktinome zeigen eine rasche Proliferation
und führen häufig nicht nur zu endokrinen, sondern
Mikroprolaktinom auch neurologischen Ausfällen. Hierzu zählen insbe-
Mikroprolaktinome führen in der Regel zu keiner sondere ein Chiasmasyndrom mit bitemporaler He-
oder allenfalls diskreten Veränderung der knöcher- mianopsie oder anderen Gesichtsfeldausfällen sowie
nen Struktur der Sella turcica (Abb. 2-12). Patienten Augenmuskelparesen. Der Tumor kann in den
mit Hyperprolaktinämie auf dem Boden eines Mi- 3. Ventrikel wachsen, zur Foramen-Monroi-Blocka-
kroprolaktinoms haben in der Regel jahrelang kon- de führen und einen akuten Hydrocephalus internus
stante PRL-Spiegel. Ein Anstieg des PRL-Spiegels verursachen. Tabelle 2-4 fasst die klinischen Aspekte
bzw. eine Größenzunahme des Mikroprolaktinoms der Prolaktinome zusammen.

Tabelle 2-4. Klinische Aspekte der Prolaktinome

Mikroadenome Makroadenome

Geschlechtsverteilung Vornehmlich Frauen Frauen und Männer


Proliferation Langsam Rasch, progredient
PRL- piegel Mäßig erhöht Deutlich, z. T. extrem erhöht
Chiasma-Syndrom 0 Häufig
eurologi ehe Au fälle 0 Gelegentlich nachweisbar
Operative Therapie 60- 90% erfolgreich Prakti eh nie Normalisierung der PRL- piegel
DA-Agoni tentherapie Prakti eh immer erfolgreich In der Regel erfolgreich
Antitumoreffekt der Nicht sichtbar nachweisbar 60- 85%
DA-Agoni tentherapie
40 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse

Bei hypothalamisch bedingter Hyperprolaktin-


2.4.6
ämie liegen die PRL-Spiegel fast immer unter
Diagnostik
250 !Jg/1 bzw. 5.000 mE/1. Auf der anderen Seite

D Klinische Hinweise für Gonadenfunktionsstörung,


Galaktorrhö, Seborrhö und Hirsutismus bei der
schließen PRL-Spiegel unter 250 !Jg/1 ein Prolakti-
nom nicht aus. Deshalb hat nach Ausschluss der an-
deren Ursachen der Hyperprolaktinämie in jedem
Frau sowie Libido- und Potenzverlust beim Mann Fall eine anatomische Abklärung des sellären und
bzw. Hinweise für eine hypothalamische-hypophy- suprasellären Bereichs mit bildgebenden Verfahren
säre Erkrankung stellen eine Indikation für die zu erfolgen. Tabelle 2-5 zeigt das diagnostische Vor-
PRL-Bestimmung dar.
gehen bei Hyperprolaktinämie.
In der Regel wird die Hyperprolaktinämie aus-
schließlich anband erhöhter basaler PRL-Spiegel
diagnostiziert. Suppressionstests sind nicht indi- 2.4.7
ziert, von einigen Autoren wird ein Stimulationstest Differentialdiagnose
mit TRH oder Metoclopramid zur Aufdeckung einer
latenten Hyperprolaktinämie empfohlen. Bevor eine Pseudoprolaktinom, Begleithyperprolaktinämie
weitere Diagnostik durchgeführt wird, ist eine medi- Endokrin inaktive und andere hormonsezernieren-
kamentös induzierte Hyperprolaktinämie auszu- de HVL-Tumoren können über die Kompression
schließen. Mit Hilfe einer basalen TSH-Bestimmung des Hypophysenstiels zu einer Hyperprolaktinämie
wird die primäre Hypothyreose als Ursache der führen (Pseudoprolaktinom, Begleithyperprolakti-
Hyperprolaktinämie ausgeschlossen. nämie). Die Differentialdiagnose zwischen einem
Makroprolaktinom und einem Pseudoprolaktinom
ist von klinischer Bedeutung, denn im letzteren
Fall würde die medikamentöse Therapie im Hinblick
Tabelle 2-5. Diagnostisches Vorgehen bei Hyperprolaktin- auf das Tumorvolumen auf jeden Fall versagen. Bei
ämie
der Begleithyperprolaktinämie sind die PRL-Spiegel
PRL-Sekretion für die Größe des Tumors häufig inadäquat niedrig.
Allerdings führen auch zystische Makroprolakti-
Ba ale Prolaktin Meist diagnostisch nome, bei denen radiologisch ein großes Adenom-
volumen vorgetäuscht werden kann, gelegentlich
Suppre sion test Nicht indiziert
zu niedrigeren PRL-Spiegeln. Sicher ist die Diagnose
timulation te t Möglicherweise zum ach- nur immunhistologisch zu stellen.
wei einer latenten Hyper- Supraselläre Raumforderungen, Kraniopharyn-
prolaktinämie
geome, Dysgerminome oder Dermaidzysten führen
Gel -Chromatographie- Zum achweis einer patho- durch Zerstörung der DA-bildenden Zentren im Hy-
Studien logischen Heterogenität der pothalamus zu einer Enthemmung der laktotropen
PRL-lmmunoreaktivität
Zellen und damit zur Hyperprolaktinämie. Häufig
Differentialdiagnose haben diese Patienten durch das Fehlen anderer sti-
mulierender hypothalamischer Neurohormone auch
Höhe de PRL-Spiegel > 200 j.lg/1 wei 1 auf
eine HVL-Insuffizienz und/oder einen Diabetes in-
Tumor hin
sipidus.
Medikamentenanamnese DA-Antagoni ten Prozesse an der Schädelbasis, z. B. granulomatöse
Erkrankungen wie die Sarkoidose oder maligne
Basales TSH Hypothyreose
Systemerkrankungen wie die Hodgkin-Erkrankung,
Bildgebende Verfahren Tumorgroße und können den DA-Transport zu den laktotropen
-Iokalisation Zellen des HVL stören und damit eine Hyperprolak-
Seitliche Schädelaufnahme ofort erhältlich, tinämie hervorrufen.
präliminare Information

Kern pintomographie Methode der Wahl Medikamenteninduzierte Hyperprolaktinämie


(nuclear magnetic Eine der häufigsten Hyperprolaktinämieursachen ist
resonance/ MR)
die Verabreichung von Arzneimitteln, die in den
Computertomographie Alternative Methode Dopaminstoffwechsel eingreifen. In der Regel han-
delt es sich um DA-antagonistische Substanzen, die
Perimetrie Für Follow-up- mit Dopamin um den Rezeptor an der laktotropen
Unter uchung
Zelle kompetieren. Hier sind besonders Benzamide
2.4 Prolaktinom 41

Tabelle 2-6. Medikamente, die zu einer Hyperprolaktinämie führen

Medikamentenklasse Art der Substanz

euroleptika, Antidepressiva, Tranquilizer Phenothiazine, Thioxanthene, Butyrophenone (Haloperidol, Pimocid),


Benzamide (Sulpirid), Amitriptylin, Imipramin

Antiemetika Benzamide (Metoclopramid, Domperidon), Phenothiazine


(Thiethylperazin)

Antihypertensive Medikation Reserpin , u -Methyl-Dopa

Hormone Östrogene, TRH

Antihi taminika Cimetidin, Medizin, Tripelenamin

wie Metoclopramid und Sulpirid sowie Phenothia- thyreose im Normbereich, bei denen die basalen
zine und Neuroleptika, insbesondere Haloperidol, TSH-Spiegel schon deutlich erhöht sind (Abb. 2-13).
zu nennen (Tabelle 2-6). Auch Substanzen, die zu
einer zentralen Katecholaminverarmung führen,
Ektope Prolaktinproduktion
können eine Hyperprolaktinämie hervorrufen.
Eine ektope Produktion von Prolaktin durch einen
Lungen- oder einen anderen nicht hypophysären
Vermehrte hypothalamisehe Stimulation Tumor ist zwar beschrieben, aber noch nie eindeutig
der PRL-Sekretion anhand der Demonstration von PRL-Messenger-
Selten wird eine Hyperprolaktinämie durch eine die RNA im Tumorgewebe nachgewiesen worden.
inhibitorische Kontrolle überwiegende vermehrte
hypothalamisehe Stimulation hervorgerufen. Dies
ist bei der primären Hypothyreose der Fall, bei 2.4.8
der gelegentlich eine Amenorrhö und Galaktorrhö Therapie
beobachtet werden. Die erniedrigten peripheren
Schilddrüsenhormone führen zu einem vermehrten Die Hyperprolaktinämie lässt sich im Gegensatz zu
Anfall von TRH im zentralen Portalblut Dies kann anderen HVL-Hormonenexzessen durch DA-Agoni-
in Einzelfällen zu einer persistierenden Hyperpro- sten medikamentös äußerst effektiv behandeln.
laktinämie führen, die sich auf Gabe von Schilddrü- Diese Substanzen vermögen nicht nur die PRL-Se-
senhormonen zurückbildet. In der Regel liegen die kretion zu hemmen, sondern führen auch zu einer
PRL-Spiegel auch bei Patienten mit primärer Hypo- Schrumpfung des Hypophysentumors. Die Pharma-

2000 200
200~9 TRH o Hypothyreot (n = 5)
± SE
• Hyperthyreot (n =7)
1 Abb. 2-13.
TRH -induzierte PRL- und
1500 150 200~ TRH
TSH-Sekretion bei hypo- und
hyperthyreoten Patienten.
!::'
..... .....
=' 1 Bei der Hypothyreose ist der
basale PRL-Spiegel im
.s 1000 .s 100
w w
Normbereich gelegen, der
basale TSH-Spiegel schon
...J J:
a: deutlich erhöht; nach Gabe
c.. ~ von TRH kommt bei beiden
zu einem überschießenden
Anstieg. Bei hyperthyreoten
500 50 Pa tien lcn ist der basale PR!.-
Spiegel ebenfalls im Norm -
bereich gelegen, der TRH
induzierte Anstieg ist aller-
dings gering ausgeprägt. Die
0 TSH-Sekretion ist sowohl
0 fff f f ffT basal als auch nach TRH-
·15 0 102030 45 60 75 90 105120 -15 0 102030 45 60 75 90 105120 Gabe völlig supprimiert.
Zei t [min ) Zeit [min i (Aus v. Werder 1974}
42 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse

Tabelle 2-7. Therapie der Prolaktinome

Normale Sclla turcica Radiologisch nachweisbares Makroadenom,


Mikroadenom invasives Adenom

Medikamentöse Therapie Therapie der Wahl Empfohlene Therapie Sollte in jedem Falle
versucht werden, in bi zu
85% Dauertherapie
Transsphenoidale Nicht indiziert Bei DA-Agonisten- Vor einer chwanger chaft;
selektive Adenomektomie Unverträglichkeit• bei Unverträglichkeit der
(immer nach DA-Agonisten- DA-Agonisten bzw.
Vorbehandlung) fehlendem Ansprechen;
rasch verfallendes Gesichts-
feld
Radiotherapie, icht indiziert icht indiziert Bei Versagen der
,.gamma knife" medikamentösen und
operativen Behandlung
Beobachtung Wenn keine klinischen Be chwerden be tehen, Nicht indiziert
(PRL-Spiegelkontrolle) eventuell Östrogensubstitution

• Bei Frauen mit normaler Sella oder Mikroprolaktinom und Kinderwunsch kann die Ovulation auch durch pulsatile Gabe von
GnRH ausgelöst werden

kotherapie ist deshalb die Therapie der Wahl bei Der einzige Non-Ergot-DA-Agonist mit ausgepräg-
Prolaktinomen (Tabelle 2-7). ter Affinität zum D2-Rezeptor ist das Quinagolid.
DA-Agonisten unterscheiden sich in ihrer biologi-
schen Aktivität, ihrer Halbwertszeit sowie ihrer Ver-
Oopaminagonisten (DA-Agonisten)
träglichkeit (Tabelle 2-8).
Die Hemmung der PRL-Sekretion durch die Dopami-
nagonisten beruht auf dem spezifischen dopaminer-
• Nebenwirkungen. Zu den akuten Nebenwirkun-
gen Effekt der Mutterkornalkaloide, die eine hohe Af-
gen der DA-Agonisten zählen orthostatische Hypo-
finität zum D2-Rezeptor aufweisen. Nach ihrer Struk-
tension, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Lang-
tur können 3 Gruppen unterschieden werden:
fristig werden mitunter auch Kopfschmerzen, trok-
• Lysergsäureamid-Derivate (z. B. Bromocriptin),
kene Nasenschleimhaut, psychotische Veränderun-
• Aminoergotin-Derivate (Lisurid, Tergurid,
gen und kälteempfindliche digitale Vasospasmen
Cabergolin) und
beobachtet.
• Clavin-Derivate (z. B. Pergolid).

Tabelle 2-8. Ungefähre Äquivalenzdosen der verschiedenen criptin, Lisurid, Tergurid), wohingegen andere Präparate eine
zur Behandlung der Hyperprolaktinämie eingesetzten DA- längere (Pergolid, Qinagolid) oder eine sehr lange Wirkungs-
Agonisten. Da diese Medikamente z. T. eine kurze Halbwerts- dauer (Cabergolin) aufweisen, kann der biologische Effekt der
zeit haben, was den PRL-suppressiven Effekt betrifft (Bromo- verschiedenen Medikamente nicht exakt verglichen werden

Da-Agonist Äquivalenzdosis in Relation Bemerkungen


zu ßromocriptin

Bromocriptin 1.0 "gold standard", kann auch i.m. verabreicht


werden (De)otform, 50- 100 mg i.m. Monat,
ParlodeLAR
Dihydroergocriptin 2.0
Mesulergin 0.2 Wird nicht mehr eingesetzt
Tergurid 0.15
Cabergolin 0.1 DA-Agonist der 2. Generation,
lange Halbwertszeit
Lisurid 0.08 Alternative Medikamente zu Bromocriptin
Pergolid 0.01
Quinagolid 0.01 Nichtergotpräparat, DA-Agonist der 2. Generation
Metergo !in 2.5 Partieller erotinantagonist
2.4 Prolaktinom 43

Tabelle 2-9. DA-Agonisten zur Beha!ldlung der Hyperprolaktinämie

Arzneistoff Präparat Dosierung (mg) Einnahme intervall Bemerkungen

Bromocriptin Pravidel/Kirim 1.25-20 1- bis 3-mal/Tag "Goldstandard"

Parlodel LAR 50-100 1- bzw. 1- bis 3-malige Besser verträglich als die orale
monatliche i.m.-Gabe Gabe, in Deutschland nicht
zugelassen

Lisurid Dopergin/Cuvalit 0.2- 2.6 2- bis 3-mal/Tag Alternative zu Bromocriptin

Quinagolid Norprolac 0.075- 0.75 1-maUTag DA-Agonist der "2. Generation"

Cabergolin Dostinex 0.5- 2.0 2- bis 4-mal!Woche DA-Agonist der "2. Generation"

Metergo !in Liserdol 4-16 3-mal/Tag DA-Agonist und partieller


erotonina ntagonist; nur bei
mäßi~ au geprägter Hyper-
prola tinämie

Pergolid Parkotil 0.05-0.25 I-mal/Tag Nur für M. Parkinson in


Deutschland zugelassen

Nebenwirkungen der DA-Agonisten erste Gabe erfolgt nach dem Abendessen. Auch
wenn die Bromocriptinbehandlung einschleichend
• orthostatische Hypotension begonnen wird (z. B. 1,25 mg Bromocriptin am
• Schwindel Abend), wird bei etwa 20% der Patienten eine Bro-
• Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen mocriptin- oder auch Lisuridintoleranz beobachtet.
• trockene Nase Gelegentlich können Patienten mit parenteral appli-
• Verstopfung zierbarem Bromocriptin behandelt werden, das im
• digitale Vasospasmen Gegensatz zur oralen Medikation deutlich besser
• Psychosen (Halluzinationen) vertragen wird. Cabergolin und Quinagolid werden
• Sehstörungen besser toleriert als Bromocriptin. In Abb. 2-14 ist
• Herzrhythmusstörungen eine Patientin mit Kinderwunsch zu sehen, bei der
• Gewichtsabnahme die maximale, gerade noch tolerierte Bromocriptin-
dosis zu keiner, die gut tolerierte Cabergolintherapie
hingegen zu einer Normalisierung der PRL-Spiegel
Aus diesem Grunde muss die Therapie mit Dop- mit anschließender Schwangerschaft geführt hatte.
aminagonisten in sehr niedriger Dosis begonnen Neben der Intoleranz gibt es auch echte Resisten-
werden (Tabelle 2-9). Die Medikamente werden zen. Bei Bromocriptinresistenz ist ein zweiter Thera-
direkt nach der Mahlzeit eingenommen und die pieversuch mit Cabergolin oder Quinagolid gerecht-

12l 10 2,5
1' Bromocriptin Cabergolin
60 (mg / Tag) (mg / Woche)
sekundäre Amenorrhö normaler Zyklus
schwanger
so Abb. 2-14.
"'0 <f' N.E., 21 Jahre Cabergolinbehandlung bei
Bromocriptinunverträglich-
4{)
X keit. Maximal tolerierte
..... Dosen von 10-12,5 mg Bro-
L.U
.§. 30 mocriptin pro Tag führten zu
...J
keiner Normalisierung der
c: PRL-Spiegel. Eine hoch -
0..
20 dosierte Cabergolintherapie
mit 2,5 mg pro Woche hatte
normale PRL-Spiegel mit
regelrechten Ovulationen
zur Folge, was zu einer
problemlos verlaufenden
12 3 6 12 6 12 6 12 6 [Monate) Schwangerschaft führte.
1988 1989 1990 1991 1992 [Jahre) (Aus v. Werder et al. 1994)
44 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse

fertigt, da in einigen Fällen diese Präparate zu einer Operation


befriedigenden Senkung der PRL-Spiegel führen. Eine operative Therapie des Prolaktinoms ist indi-
Gelegentlich besteht eine komplette Resistenz ge- ziert, wenn DA-Agonisten zu keiner Absenkung
genüber allen DA-Agonisten. In diesem Fall können der PRL-Spiegel führen und eine symptomatische
die Prolaktinome eine reduzierte Expression der D2- Raumforderung im Seilabereich nicht beeinflussen.
Rezeptoren aufweisen. Allerdings können auch Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass
Postrezeptordefekte zu einer kompletten Dopami- die Ergebnisse der operativen Therapie von invasiv
nagonistenresistenz führen. wachsenden Makroprolaktinomen auch in erfahre-
nen Händen selten zur Normalisierung der PRL-
• TherapiezieL Beim Mikroprolaktinoll und intra- Spiegel bzw. radikalen Tumorentfernung führen.
sellären Makroprolaktinom wird die Hyperprolakti- Auf der anderen Seite sind die Ergebnisse der
nämie durch Bromocriptindosen zwischen 2,5 und
10 mg pro Tag bzw. äquivalenten Dosen anderer
DA-Agonisten praktisch in jedem Fall normalisiert.
Beim Makroadenom sind häufig höhere Dosierun-
gen erforderlich. Nach medikamentöser Normalisie-
rung der PRL-Spiegel kommt es bei der Frau zum
Wiederauftreten normaler ovulatorischer Zyklen,
beim Mann zu einer Restitution von Libido und
sexueller Potenz, was die funktionelle Ursache des
hyperprolaktinämischen Hypogonadismus doku-
mentiert.
Bei invasiven Makroprolaktinomen sind die DA-
Agonisten ebenfalls die Therapie der Wahl, da sie
nicht nur die PRL-Sekretion hemmen, sondern
auch zu einem eindrucksvollen Schrumpfen des
Tumors führen (Abb. 2-15 bis 2-17). Die Tumor-
schrumpfung wird einerseits auch dann beobachtet,
wenn die PRL-Spiegel nicht in den Normalbereich
abfallen. Andererseits kann eine Tumorschrump-
fung ausbleiben, obwohl die PRL-Spiegel normali-
siert worden sind.
Nach einjähriger Behandlung ist in etwa 85%
der Fälle mit einem antiproliferativen Effekt auf
das Prolaktinom zu rechnen. Die beobachtete Tu-
morschrumpfung ist durch eine Volumenverminde-
rung der einzelnen laktotropen Zellen bedingt, die
ihr Zytoplasma verlieren. Im Verlauf einer Langzeit-
therapie kommt es zu fibrotischen Veränderungen
des Tumors, sodass die PRL-Spiegel nach Absetzen
einer Langzeit-DA-Agonistenbehandlung nicht mehr
auf den Ausgangswert ansteigen bzw. der Tumor
nicht wieder voll expandiert. Allerdings findet man
bei der Mehrzahl der Patienten auch nach effektiver
PRL-suppressiver Therapie über 10 Jahre und länger
einen Wiederanstieg der mit einer niedrigen DA-
Agonisten-Dosierung normalisierten PRL-Spiegel.

D Versuchsweises Absetzen der DA-Agonisten-Thera-


pie (Auslassversuch) sollte bei Mikroprolaktinomen
nicht vor 3 Jahren, bei Makroprolaktinomen erst
Abb. 2-15a, b. Suprasellär extendierendes Makroprolakti-
nom. Vor der Therapie mit Bromocriptin (a) sieht man in
der koronaren Projektion des MRT einen bis zum Chiasma
nach 6 Jahren PRL-normalisierender Therapie er- opticum reichenden, z. T. zystischen Tumor (Tl-gewichtetes
folgen. Bild). Nach 3-monatiger Therapie mit 7,5 mg Bromocriptin
pro Tag (b) ist es zu einer deutlichen Regression des Adenoms
gekommen; das Chiasma opticum erscheint wieder völlig frei.
Die supraselläre Zisterne ist jetzt wieder bis in die Sella turcica
hineinreichend nachweisbar
2.4 Prolaktinom 45

Abb. 2-16a, b. Erfolgreiche medikamentöse Behandlung extrem erhöhten PRL-Spiegel von 37.500 ~tg!l sind unter der
eines invasiv in die Schädelbasis und nach kranial wachsenden Therapie auf 21 !!g/1 in den Normbereich abgefallen. Der
Makroprolaktinoms. a vor undbunter einer medikamentösen 32-jährige Patient hatte unter der laufenden Therapie eine völ-
Therapie mit dem DA-Agonisten Tergurid; in einer Dosierung lig normale HVL-Funktion. Das Zeitintervall zwischen den
von 1,0 mg pro Tag kam es zu einer völligen Rückbildung des beiden Cis beträgt 2 Jahre, in denen der Patient mit Tergurid
invasiv wachsenden Tumors, der aufgrundseiner Ausdehnung in unveränderter Dosierung behandelt wurde
einer operativen Therapie nicht zugänglich gewesen wäre. Die

chirurgischen Maßnahmen bei Mikroprolakti- Bestrahlung


nomen erheblich besser. Bei über 70% der intra- Eine Radiotherapie wird nur von wenigen Zentren
sellären Mikroprolaktinom-Patientinnen kann das zur Therapie der Hyperprolaktinämie eingesetzt.
Adenom selektiv erfolgreich entfernt werden. Allerdings scheint eine vorausgegangene Radiothe-
Vor elektiven transsphenoidalen Eingriffen ist, rapie die Effektivität einer Langzeittherapie mit
insbesondere bei Makroprolaktinomen, eine prä- DA-Agonisten zu verbessern. In der Regel sind es
operative Therapie mit DA-Agonisten zur Tumor- nämlich Hypophysen-bestrahlte Patienten, die nach
schrumpfung angezeigt. So können in Einzelfällen langjähriger DA-Agonisten-Behandlung im Auslass-
Adenome, die anderenfalls transfrontal operiert versuch persistierend normale PRL-Spiegel aufwei-
worden wären, innerhalb von wenigen Wochen so sen.
verkleinert werden, dass sie einem transsphenoida- Handelt es sich um Patienten mit DA-Agonisten-
len Eingriff zugänglich sind. Eine weitere Indikation Resistenz und einem nicht operablen Makropro-
zur chirurgischen Therapie der Prolaktinome ist laktinom, ist die externe Bestrahlung die letzte Mög-
eine Progression des Prolaktinoms trotz medika- lichkeit, das Tumorwachstum aufzuhalten. Die fo-
mentöser Therapie oder eine Hypophysenapoplexie, kussierte hochdosierte Strahlentherapie mit dem
die zu starken Kopfschmerzen und Visusausfällen Gamma-Knife ist möglicherweise der konventionel-
führen kann. len Radiotherapie bei nichtoperablen Prolakti-
Größere Makroprolaktinome bei Patientinnen nomen mit einem Durchmesser unter 3 cm über-
mit Kinderwunsch sollten wegen der möglichen legen.
Komplikationen während der Schwangerschaft
transsphenoidal, seltener transfrontal operiert wer-
Beobachtung, Östrogensubstitution
den. Der Operation sollte auch eine medikamentöse
Patienten mit mäßig ausgeprägter Hyperprolaktinä-
Therapie zur Tumorverkleinerung vorausgegangen
mie ohne Östrogenmangelsymptome müssen nicht
sein.
behandelt werden. Kleine Prolaktinome zeigen in
der Regel keine Proliferationsneigung, wobei der
PRL-Spiegel als Tumormarker dienen kann. Hyper-
prolaktinämische Patientinnen mit kleinen Mikro-
46 KAPIT EL 2 Prolaktin und Brustdrüse

Norprolac " Norprolac * Dostinex *

I~ .... _,[~J
2S~o~g

70000 1 _ _ _ _7_s_11_
9___ .__2_
x _o._s_
m_g_/W
- oc_he___.

60000
=
.....
.s 50000
LU

NMR ------------~1
.J
0::
40000
c..
30000 Tumor suprasellär weitere Tumor-
nicnt mehr verkleinerung
20000 nachweisbar

10000
0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 2 3 4 5 6
a Tage Monate

Abb. 2-l7a, b. Männlicher Patient mit Makroprolaktinom, in der sagittalen (links) als auch in der koronaren (rechts) Pro-
43 Jahre. a Verlauf der PRL-Spiegel und Verhalten des Tumor- jektion sieht man, dass der suprasellär extendierende Tumor,
volumens unter einer DA-Agonistentherapie. Die Behandlung der sich konvex bis zum Chiasma o. ausdehnt, nach 5-mona-
mit Quinagolid führte zu einer Normalisierung der PRL- tiger Behandlung deutlich kleiner geworden ist und einen kon-
Spiegel und zu einer erheblichen Volumenreduktion des kaven Aspekt angenommen hat. Wo der suprasellär extendie-
suprasellär extendierenden Makroprolaktinoms. Nach Um- rende Tumorzapfen nachweisbar war, lässt sich jetzt der Hy-
stellung auf Cabergolin blieb der PRL-Spiegel normalisiert, pophysenstiel eindeutig erkennen
die Schrumpfung des Adenoms nahm weiter zu. b Sowohl
2.5 Prolaktinassozierte Krankheiten der Brustdrüse 47

prolaktinomen, die keinen Kinderwunsch haben,


2.5
aber Zyklusstörungen, d. h. einen Östrogenmangel
Prolaktinassozierte Krankheiten der Brustdrüse
aufweisen, können ohne weiteres mit Östrogen/Ge-
stagen-Präparaten behandelt werden, wie es bei F. PETERS
postmenopausalen Frauen geschieht. In diesen
Fällen dient die halbjährliche Bestimmung des 2.5.1
Prolaktins als "Tumormarker"-Kontrolle. Mastopathischer Formenkreis

Unter den verschiedenen Bildern des mastapathi-


2.4.9 schen Formenkreises sind hinsichtlich des endokri-
Prolaktinom und Schwangerschaft nen Milieus die proliferativen Veränderungen (ein-
fache Proliferation, atypische Proliferation), die se-
Durch die Therapie mit DA-Agonisten ist bei Pro- kretorischen Veränderungen wie Milchgangsektasie,
laktinompatientinnen prinzipiell eine Schwanger- Mastitis und Galaktorrhö sowie die funktionellen
schaft möglich. Bei absoluter Unverträglichkeit Störungen, die mit Schmerzen (Mastodynie) einher-
der DA-Agonisten kann die Ovulation durch eine gehen, untersucht.
pulsatile GnRH-Therapie ausgelöst werden.
Genau wie die laktotropen Zellen der normalen • Endokrine Analysen. Unter Berücksichtigung
Hypophyse können auch die laktotropen Adenom- aller endokrinen Analysen kristallisiert sich eine
zellen unter dem Einfluss der Östrogene während hyperöstrogenämische Konstellation heraus (relati-
der Schwangerschaft proliferieren und zu einer Ver- ver Progesteronmangel, erhöhter SHBG-Spiegel).
größerung des Prolaktinoms führen. Postpartual Das relative Östrogenübergewicht ist durch die phy-
kommt es zu einem Rückgang der Prolaktinam- siologische Corpus-luteum-Insuffizienz jenseits des
vergrößerung und der PRL-Spiegel in den Ausgangs- 35. Lebensjahres, dem Lebensabschnitt, ab dem ver-
bereich wie vor Eintritt der Schwangerschaft. mehrt mastapathische Veränderungen zu beobach-
ten sind, zu erklären. Die peripher gemessenen ba-
• Makroprolaktinom. Eine alleinige medikamen- salen Prolaktinspiegel liegen im oberen Normbe-
töse Therapie mit DA-Agonisten ist dann zu ver- reich, eine Stimulation der Prolaktinsekretion durch
antworten, wenn durch MRT bzw. CT gesichert z. B. TRH produziert eine überschießende (gegen-
ist, dass keine wesentliche supraselläre Extension über Kontrollpersonen signifikant erhöhte) Reak-
eines Makroprolaktinoms besteht. Diese könnte tion (Abb. 2-18).
sonst während der durch medikamentöse Therapie
ermöglichten Schwangerschaft aufgrund der Östro- • Therapie. Entsprechend dem essenziellen Sy-
gen-stimulierten Adenomexpansion ernste Kompli- nergismus von Östrogenen und Prolaktin sind Sub-
kationen wie Hypophysenapoplexie oder Gesichts- stanzen in der Therapie einzusetzen, die antiöstro-
feldstörungen bis zur Erblindung verursachen. gen wirken (Gestagene, abgeschwächte Androgene,
Antiöstrogene) oder den Prolaktinspiegel senken

D Patientinnen mit einem Makroprolaktinom, das die


Sellaeingangsebene erreicht oder supra-/parasellär
extendiert, sollten vor einer medikamentösen Sterili-
(Dopaminagonisten, Abb. 2-19 und 2-20).

tätsbehandlung transsphenoidal operiert werden, 2.5.2


um Probleme der Tumorexpansion während der Non-puerperale Mastitis
Schwangerschaft zu verhindern. Ist eine Operation
nicht möglich, müssen solche Patientinnen während Die Mastitis außerhalb des Wochenbettes (non-pu-
der gesamten Schwangerschaft mit DA-Agonisten be- erperale Mastitis, Abb. 2-21) kann durch eine Hy-
handelt werden. perprolaktinämie bedingt sein oder diese begünsti-
gen. Knapp ein Fünftel der von uns untersuchten Pa-
• Mikroprolaktinom. Im Gegensatz zu den Makro- tientinnen hatte eine echte Hyperprolaktinämie,
prolaktinomen ist bei einem Mikroprolaktinom mit einige davon ein hypophysäres Mikroadenom, für
einem klinisch relevanten Tumorwachstum wäh- die die non-puerperale Mastitis das diagnoseweisen -
rend der Schwangerschaft nicht zu rechnen. Auch de Symptom war. Die Hyperprolaktinämie führt zu
liegen die PRL-Spiegel während einer durch DA- einer verstärkten Brustdrüsensekretion, die eine
Agonistentherapie ermöglichten Schwangerschaft Mastitis begünstigt. Ein anderer Teil der Patientin-
bei Mikroprolaktinompatientinnen in der Regel nen reagiert auf die Entzündung mit erhöhten Pro-
im gleichen Bereich wie bei nicht hyperprolaktinä- laktinspiegeln, die sich nach Ende der Behandlung
mischen Schwangeren. normalisieren. Dieser Verlauf ist als neurogene Hy-
48 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse

70
66
-~ 40
52
48 ~30
~
8 20 / :
44 "".. 8750
~ 10 01
40 -~ 0 -hr-r-...,-T"""T"-r-.,.......,....,
36 0 102030405060708090
e-.. 32 A
max. TRH -Antwort
0\
.s 28
--'
a:
0..
24
TRH -Test
20
16
12
8

4
B
0
bas. max . bas. max. 8 10 12 14 16 18 20 22 24 4 6 8 {Uhrl
Stimulation mit 0.2 mg TRH
f
Schlaf Beginn Schlaf Ende

Abb. 2-18. Serumprolaktinspiegel im TRH-Test (200 J..lg i. v.) Stimulationsantworten im TRH-Test korrelieren signifikant
und das korrespondierende 24-h-PRL-Sekretionsprofil bei mit der max. Prolaktinausschüttung während des Schlafens
einer repräsentativen Patientin mit mastopathischen Ver- und der mittleren Prolaktinkonzentration über 24 h. (Aus
änderungen sowie einer gesunden Kontrollperson. Die Peters et al. 1984)

Abb. 2-19. Mammographieaufnahmen einer Patientin mit


Mastopathie. Linke Bildhälfte: ausgeprägte prämenstruelle
Mastodynie mit ödematöser Verschattung. Rechte Bildhälfte:
Nach 8-wöchiger Behandlung mit 5 mg Bromocriptin pro Tag
sind die Mammae deutlich abgeschwollen. Geblieben ist die
fleckförmige Zeichnung der Mastopathie
Abb. 2-20. Sonographische Dokumentation (7,5 MHZ) einer
Milchgangsektasie. Obere Bildhälfte: Die Milchgänge sind
mehr als 3 mm erweitert. Ein solcher Befund ist in > 80 o/o
der Patientinnen symptomatisch im Sinne zyklusunabhängi-
ger Schmerzen. Untere Bildhälfte: Bei derselben Patientin ha-
ben die Milchgangsweiten nach 8-wöchiger Behandlung mit
5 mg Bromocriptin pro Tag deutlich abgenommen
2.5 Prolaktinassozierte Krankheiten der Brustdrüse 49

sene Serumprolaktinspiegel werden nicht einheit-


lich angegeben. Es ist davon auszugehen, dass das
Mammakarzinom keine Krankheit im Gefolge einer
Hyperprolaktinämie ist.

• Prolaktin und Mammakarzinomgewebe. In ca.


50 o/o aller Mammakarzinome lassen sich Prolaktin-
rezeptoren nachweisen. Die physiologische Wirkung
des Rezeptors ist aber nicht immer erhalten, da die
experimentelle Inaktivierung des Rezeptors durch
Antikörper die Proliferation nicht hemmt. Das Pro-
laktingen wird im normalen und malignen neo-
plastischen Mammagewebe exprimiert. Bestimmte
Abb. 2-21. Häufigstes Erscheinungsbild einer non-puerpera- Zellinien synthetisieren autokrin Prolaktin, das
len Mastitis mit einem perimamillären entzündlichen Infiltrat auch zur Proliferation beitragen kann.
und Abszess
• Prolaktin als Tumormarker, Prognosemarker.
Der erhöhte Prolaktinspiegel perioperativ wird di-
perprolaktinämie zu verstehen. Die Nähe der Ent- vergierend beurteilt. Einerseits wird er mit einer
zündung zu den afferenten Nerven der Mamille er- schlechteren, teilweise auch mit einer besseren Pro-
klärt deren Reizung mit der möglichen Folge einer gnose in Verbindung gebracht. Das Serumprolaktin
Hyperprolaktinämie. Etwa die Hälfte der Patientin- scheint andererseits aber ein empfindlicher Marker
nen mit non-pueperaler Mastitis zeigen zu keiner für eine klinisch noch nicht sichtbare Metastasie-
Zeit erhöhte Serumprolaktinspiegel. rung oder Progression zu sein. Andere Tumormar-
ker zeigten im Vergleich hierzu keine entsprechende
• Therapie. Ausgehend von der pathomorphologi- Sensitivität.
schen Basis der non-puerperalen Mastitis, nämlich
einer verstärkten Sekrektion der Brustdrüse mit Ver- • Prolaktinhemmung und Krankheitsverlauf. Eine
halt, kann bei nichtabszedierten Fällen eine Behand- medikamentöse Prolaktinhemmung, vergleichbar
lung mit Dopaminagonisten wie bei der puerperalen der früher beim metastasierten Mammakarzinom
Mastitis zu einer kompletten Abheilung führen. durchgeführten Hypophysektomie, gelingt heute
noch nicht komplett. Die verschiedenen Ansätze
einer prolaktinsenkenden Therapie sind nicht
2.5.3 systematisch weiterverfolgt worden, was einerseits
Prolaktin und Mammakarzinom an der noch relativ schlechten Verträglichkeit do-
paminerger Substanzen und andererseits an der
• Epidemiologie. Epidemiologische Untersuchun- überzeugenden Wirksamkeit antiöstrogener und
gen haben gezeigt, dass Prolaktinspiegel positiv progestativer Pharmaka liegen dürfte. In die Über-
mit der Inzidenz eines Mammakarzinoms korrelie- legung einer antilaktotropen Therapie müsste
ren. Risikogruppen für die Entwicklung eines Mam- sicherlich auch das Wachstumshormon mitein-
makarzinoms haben erhöhte Serumprolaktinspie- bezogen werden. Auch hierzu gibt es aber beim
gel, wobei die Werte im oberen Normbereich, nicht Menschen wenige Daten.
aber im eigentlich hyperprolaktinämischen Bereich
liegen. Dies trifft auf weibliche Mitglieder aus Fami-
lien zu, in denen ein Mammakarzinom bekannt ist, Literatur
sowie Töchter von Müttern mit einem Mammakar- Berg D, Rjosk HK, Jänicke F, Werder K vo n (1983) Behandlung
zinom. Gegenüber Japanerinnen, von denen eine der hyperprolaktinämischen Amenorrhoe durch pulsatile
niedrigere Mammakarzinominzidenz bekannt ist, Gabe von Gonadotropin Releasing-Hormon. Geburtshilfe
Frauenheilkd 43 : 686-688
weisen Europäerinnen höhere Prolaktinspiegel auf. Besser GM, Parke L, Edwards CRW, Forsyth IA, McNeilly AS
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50 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse

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KAPITEL 3

Nebennierenrinde und Glucocorticoide 3


B. ALLOLIO, w. ARLT,
s. R. BORNSTEIN, M. REINCKE

3.1 Physiologie und Biochemie 3.6.4 Diagnostik 87


(ACTH und Glucocorticoide) 51 3.6.5 Therapie 88
S. R. BORNSTEIN
3.l.l Synthese der Glucocorticoide in der Nebenniere 51 3.7 Exogenes Cushing-Syndrom 88
3.1.2 Regulation der Glucocorticoidsynthese 53
3.1.3 Wirkung von ACTH auf die Steroidzelle 54 Hormoninaktive Nebennierentumoren 89
3.1.4 Freisetzung der Glucocorticoide aus der B. ALLOLIO
Steroidzelle 56
3.1.5 Zelluläre Folgen des Hormonexzesses
3.8 Benigne, hormoninaktive
und des Hormonmangels 56
Nebennierentumoren 89
3.8.1 Fallpräsentation 89
Unterfunktion 3.8.2 Epidemiologie 90
(Nebennierenrindeninsuffizienz) 57 3.8.3 Pathogenese 91
W. ARLT 3.8.4 Klinik 92
3.8.5 Diagnostik 92
3.2 Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz 3.8.6 Therapie 95
(M. Addison) 58
3.2.1 Fallpräsentation 58 3.9 Maligne, hormoninaktive
3.2.2 Epidemiologie 58 Nebennierenraumforderung 96
3.2.3 Pathogenese 58 3.9.1 Fallpräsentation 96
3.2.4 Klinik 62 3.9.2 Epidemiologie 96
3.2.5 Diagnostik 64 3.9.3 Pathogenese 96
3.2.6 Therapie 65 3.9.4 Klinik 97
3.2.7 Verlaufskontrollen 67 3.9.5 Diagnostik 97
3.2.8 Notfall (Addison-Krise) 68 3.9.6 Differentialdiagnose 98
3.9.7 Therapie 98
3.3 Sekundäre NNR-lnsuffizienz 69
3.3.1 Fallpräsentation 69 Literatur 99
3.3.2 Epidemiologie und Pathogenese 69
3.3.3 Klinik 71
3.3.4 Diagnostik 72
3.3.5 Therapie 75 3.1
Physiologie und Biochemie
Überfunktion (Cushing-Syndrom) 75 (ACTH und Glucocorticoide)
M. REINCKE
S. R . BORNSTEIN
3.4 Zentrales Cushing-Syndrom 75
3.4.1 Fallpräsentation 75
3.4.2 Epidemiologie 76 3.1.1
3.4.3 Pathogenese 76 Synthese der Glucocorticoide
3.4.4 Klinik 77 in der Nebenniere
3.4.5 Diagnose 78
3.4.6 Therapie 81
Die Nebenniere ist für die Synthese von über 50 ver-
3.5 Ektopes Cushing-Syndrom 83 schiedenen Steroiden verantwortlich. Sie besteht aus
3.5.1 Fallpräsentation 83 3 Schichten, der Zona glomerulosa, der Zona fasci-
3.5.2 Pathogenese 83 culata, und der Zona reticularis, die als Komparti-
3.5.3 Klinik 84
3.5.4 Diagnose 84 mente der Mineralocorticoide, Glucocorticoide
3.5.5 Therapie 85 und Androgene dienen (Abb. 3-1 ).
Die Synthese der Glucocorticoide in der Zona
3.6 Adrenales Cushing-Syndrom 86 fasciculata wird im Wesentlichen durch das Peptid-
3.6.1 Fallpräsentation 86
3.6.2 Pathogenese 86 hormon Kortikotropin (ACTH), welches aus dem
3.6.3 Klinik 87 Hypophysen vorderJappen freigesetzt wird, reguliert.
52 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Abb. 3-1. Histologie Nebenniere

Zona retlrularls
Zona fasclculata
Zona glomerulosa

ACTH bindet an Rezeptoren der Zelloberfläche, der Cholesteroldesmolase und der llß-Hydroxylase
aktiviert die Adenylatcyclase und führt zur Erhö- benötigt werden.
hung der Konzentration von 3'5' -cyclo-Adenosin-
monophosphat (cAMP). Dieses aktiviert Proteinki-
Regulatorproteine der Steroidbiosynthese
nasen, welche eine Reihe von zellulären Prozessen
Eine Reihe kürzlich identifizierter Transkriptions-
regulieren. Im Vordergrund steht die Aktivierung
faktoren interagieren mit spezifischen Sequenzen
der Cholesterolesterhydroxylase durch Phosphory-
an den 5' -Enden verschiedener Gene, die für
lierung, welche verestertes Cholesterol aus den in-
adrenale P450-Enzyme in Säugern kodieren (Ta-
trazellulären Speichern freisetzt. Freies Cholesterol
belle 3-1). Einer dieser Faktoren, ein nebennieren-
wird über das Sterol-Carrier-Protein 2 (SCP 2) in
spezifisches Protein, welches als steroidogener Fak-
die Mitochondrien transportiert.
tor 1 bzw. Ad4 bezeichnet wird, greift offenbar in die
gewebsspezifische Expression ein. Sp1 ist wahr-
Enzyme der Cortisolbiosynthese scheinlich für die ACTH-vermittelte Induktion die-
Die Umwandlung von Cholesterol zu Pregnenolon
erfolgt durch die Cholesteroldesmolase, auch als
"Side-chain-cleavage-Enzym" bezeichnet, und ist Tabelle 3-1. Wichtige neuentdeckte Regulatorproteine der
der geschwindigkeitsbestimmende Schritt in der Ste- Steroidbiosynthese
roidsynthese. Das Enzym wird durch die Verfügbar-
Neue Regulations- Wirkung
keit des Substrats am Enzymsystem an der inneren proteine
Mitochondrienmembran reguliert. Die Cholesterol-
desmolase sowie die weiteren Enzyme der Cortisol- tAR Transport von Cholesterol
biosyn these ( 17a-Hydroxylase, 21-Hydroxylase, in Mitochondrien
llß-Hydroxylase) sind Vertreter der Cytochrom- SCP2 Mitwirkung am Transport von
Cholesteron in Mitochondrien
P450-Superfamilie (Abb. 3-2). Diese Enzyme mit
einer Molekülmasse von etwa 50 kDa hydroxylieren Erhöhung Umsatz von Cholesterol
zu Pregnenolon
das Substrat durch Einführung eines 0-Atoms. Ne-
SAP timulation Umsatz von Cholesterol
ben Kurzzeiteffekten (Minuten bis Stunden) führt zu Pregnenolon
länger anhaltende Stimulation mit ACTH über
Ad4 teigerung Expression der Enzyme
eine Steigerung der Transkription zu einer vermehr- der Steroidbiosynthese
ten Synthese aller 4 P450-Enzyme, Adrenodoxin- Pl Induktion der Genexpression
reduktase sowie Adrenodoxin, die für die Synthese
3.1 Physiologie und Biochemie (ACTH und Glucocorticoide) 53

Cholesterol
Cbo 1.1. De.nol
'
Pregnenolon
17a-lly!tdo~ 17-0H-Pregnenolon 17-Ly
• ~ldroepiandrosteron
l ...... JP .()J(.Stcrold.l Dchydrogcnasc

'
Progesteron 17a lly~oxy~ '
17-0H-Progesteron 17-LylliC h
-
'
Androstendion
, ...... 21 -llydro ln.'IC ~+
Desoxycorticosteron
f.. . . 11~-11 dro ylasc ~ f
Desoxycortisol

Corticosteron Cortisol

~:
18-Deby

Aldosteron

Abb. 3-2. Steroidbiosynthese

ser Gene von Bedeutung. Negative Regulatoren eini-


ger dieser Gene sind ebenfalls entdeckt worden. Die
gerraue Wirkungsweise und Bedeutung dieser Tran-
skriptions- und Regulationsfaktoren ist jedoch noch

l
nicht vollständig geklärt.

Hypophys~
3.1.2
Regulation der Glucocorticoidsynthese

Die Synthese der Glucocorticoide wird im Wesent-


lichen über die Hypothalamus-Hypophysen-Neben-
CljJe
nierenrinden-Achse reguliert. Im Nucleus paraven-
tricularis des Hypothalamus wird ein Peptid mit 41
Aminosäuren, das Kortikotropin-releasing-Hormon
(CRH) produziert. CRH stimuliert die Freisetzung Nebennieren <3)


des adrenokortikotropen Hormons (ACTH) aus
den kortikotropen Zellen des Hypophysenvorder-
lappens. ACTH ist der Hauptregulator der Glucocor- Cort1sol
ticoidsynthese in der Nebenniere. Steigt der Corti-
solspiegel im Blut nach Stimulation mit ACTH, Abb. 3-3. Regulation der Steroidbiosynthese
kommt es durch eine Rückkoppelung zur Hemmung
sowohl auf der Ebene des Hypothalamus als auch
auf der Ebene der Hypophyse (Abb. 3-3).
Neuere Ergebnisse zeigen, dass neben der Regu-
lation der Glucocorticoidsynthese durch die Hypo-
thalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
die Steroidogenese der Nebennierenrinde auch
durch das sympathoadrenale System und das Im-
munsystem beeinflusst wird (Abb. 3-4).
54 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Abb. 3-4. Funktionelle


Interaktionen in der Neben-
niere

• Phosphoinositolphosphatweg. Neben dem cAMP-


3.1.3
System spielen auch andere intrazelluläre Signalwege
Wirkung von ACTH auf die Steroidzelle
eine Rolle. Bei niedrigen Konzentrationen von ACTH
scheint die Aktivierung der Steroidogenese über die
• Adenylatcyclase-cAMP-Proteinkinase-Transduk-
Arachidonsäuremetaboliten und/oder über den
tionsweg. Die Wechselwirkung ACTH mit dem
Phospho inositol-Phosp holipase-C-Signal transdukti-
ACTH-Rezeptor auf der Oberfläche der Nebennie-
onsweg zu erfolgen (Abb. 3-6).
renrindenzelle führt zur Aktivierung des cAMP-Sy-
stems. Calmodulin vermittelt dabei die Übertragung
des Signals vom ACTH-Rezeptor zum G-Protein. Das • Multifaktoriell gesteuerte Stimulation der Hor-
aktivierte G-Protein leitet das Signal weiter über den monsynthese. In Steroidzellen und auch anderen
gut charakterisierten Adenylatcyclase-cAMP-Pro- endokrinen Zellen stellt die Wechselwirkung und
teinkinase-Transduktionsweg (Abb. 3-5). Kreuzung des cAMP-Signalweges mit dem Phos-

ACTH

-
ACTH

ACTH · Rezep.:to~r- ..,--- - - - - - - - - - - - - - - -

cAMP
ATP Phosphorylierung
von Enzymen und
Proteinkinase A Regulatorprotemen
(Z.B StAR;

Cholesterolester-
hydroxylase

Cholesterol

St~igerung der Steroidbiosynthese


Abb. 3-5. cAMP- Kaskade
3.1 Physiologie und Biochemie (ACTH und Glucocorticoide) 55

Angiotensin II. ACTH bei niedrigen Konzentrationen

Proteinkinase C
IP3
t
®·Proteinkinase C Ka lzium-
freisetzung

( ® \
-..@:)
Calmodulin

Phosphorylierung
von Enzymen und Freisetzung
Regulatorproteinen
(z. B. StAR)
Arachidonsäure

Transport von
Cholesterol in
Mitochondrien

Steigerung der Steroidbiosynthese Abb. 3-6. Phosphoinositol-


phosphatweg

phoinositol-Phospholipase-C-System einen wichti- werden, dass intraglanduläre Regulationsmechanis-


gen Faktor bei der komplexen und multifaktoriell men und die Kommunikation mit der Übertragung
gesteuerten Stimulation der Hormonsynthese dar. des Stimulus zwischen den Zellen notwendig ist
In der Steroidzelle spielt die Interaktion der beiden für die komplette Hormonantwort der Drüse
Systeme bei der Phosphorylierung des neu entdeck- (Abb. 3-7). So liegt die basale Produktion von Cor-
ten Steroidogenen akuten regulatorischen Protein tisol in isolierten Nebennierenrindenzellen um den
(StAR) eine wesentliche Rolle. Das Vorhandensein Faktor 8 niedriger als die basale Produktion der glei-
des StAR-Proteins ist eine Vorrausetzung für die chen Anzahl von Nebennierenrindenzellen zusam-
Steroidbiosynthese. Ohne das StAR-Protein kann men mit Nebennierenmarkzellen, was der Situation
Cholesterol nicht in Steroidhormone umgewandelt in vivo entspricht. Die einzelnen Nebennierenrin-
werden. Es zeigte sich, dass bei der kongenitalen denzellen sind darüber hinaus untereinander über
Lipidnebennierenhyperplasie, einer seltenen Er- Zell-Zell-Verbindungen durch Gap junctions zu
krankung bei Neugeborenen, die keine Steroide bil- einer größeren Einheit verbunden. Werden diese
den können, eine Mutation des Gens des StAR-Pro- Gap junctions gehemmt, zeigt sich ein verminderter
teins vorliegt. Effekt von ACTH auf die Cortisolfreisetzung der
Zellen.
• Intraglanduläre Regulationsmechanismen. Die Dieses Prinzip gilt auch für andere endokrine
steroidogene Wirkung des ACTH beeinflusst nicht Drüsen und zeigt die große Bedeutung der Zell-
nur die einzelne Steroidzelle, sondern auch den Zell-Wechselwirkungen für die Regulation der Hor-
Zellverband. In den letzten Jahren konnte gezeigt monsynthese und Hormonfreisetzung.

\( 111 Cort1sol

\{ fl Corti ol tt
Abb.3-7. Verstärkung der ACTH-Antwort durch
intraglanduläre parakrine Beeinflussung der Zellen
56 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

ein Cortisoltransport aus der Zelle, der die Kriterien


3.1.4
eines aktiven Anionenaustauschsystems erfüllt, wie
Freisetzung der Glucocorticoide
wir es z. B. auch in der Niere finden.
aus der Steroidzelle

Die Glucocorticoide werden in der steroidproduzie-


renden Zelle nicht gespeichert. In der steroidprodu- 3.1.5
zierenden Zelle werden keine sekretorischen Granu- Zelluläre Folgen des Hormonexzesses
la wie in anderen endokrinen Zellen gefunden. Cor- und des Hormonmangels
tisol wird nach Stimulation mit ACTH neu synthe-
tisiert und unmittelbar nach seiner Bildung von der Die Nebennieren als Stressorgane des Menschen
Zelle freigesetzt. Daher wurde postuliert, dass der haben eine ausgeprägte Fähigkeit, sich an den Zu-
Sekretionsmechanismus der Glucocorticoide durch stand der Über- oder Unterfunktion anzupassen.
einfache Diffusion erfolgt. Neuere Ergebnisse wider- Sie benötigen mehr als das 10-fache des Herzzeit-
sprechen jedoch dieser Vorstellung. Es zeigte sich, volumens, das ihrem Gewicht entsprechen würde.
dass die Steroidzelle in der Lage ist, einen Teil des An keinem anderen Organ lassen sich daher die Fol-
gebildeten Hormons in der Zelle gegen einen Kon- gen des Hormonexzesses bzw. der Hormonmangel-
zentrationsgradienten zu halten. Es existiert daher situation deutlicher nachweisen.

Abb. 3-Sa-d. a Verbreiterung der


Nebennierenrinde und Hypervaskularisa-
tion, b Vermehrung der Mitochondrien
und Ausbildung von Filopodien (Pfeil)
nach Stimulation mit ACTH; c Atrophie
der Nebennierenrinde und d Verminde-
rung des GER und der Mitochondrien
bei ACTH-Mangel
3.1 Physiologie und Biochemie (ACTH und Glucocorticoide) 57

• Hypertrophie der Nebennierenrinde. Durch zu einer Abnahme der Mitochondrien und des glat-
chronische Stimulation der Nebenniere mit ACTH ten endoplasmatischen Retikulum (GER). Die Mito-
kommt es zur Hypertrophie der Nebennierenrinde. chondrieninnenmembranen nehmen ebenfalls ab
Dabei verbreitert sich insbesondere die Zona fasci- und zeigen eine Transformation vom vesikulären
culata, in der hauptsächlich die Glucocorticoide ge- Typ in eine tubuläre Form (Abb. 3-Sd). Die Steroid-
bildet werden. Es kommt zu einer Hypervaskularisa- zelle zeigt somit auf der Ebene der Organellenstruk-
tion der Nebennierenrinde (Abb. 3-Sa). Auf der Ebe- tur eindrucksvolle morphologische Veränderungen,
ne der Zelle führt die Stimulation mit ACTH zu einer die mit der biochemischen Aktivität korrelieren.
Zunahme der Mitochondrien, der Mitochondrienio- Dies lässt sich entsprechend bei den pathophysiolo-
nenmembranen und des glatten endoplasmatischen gischen Veränderungen des primären und sekundä-
Retikulums - den Zellorganellen, in denen die Ste- ren Hypercortisolismus (Cushing-Syndrom) sowie
roidbiosynthese stattfindet. Die Liposomen, Spei- der primären und sekundären Nebennierenrinden-
cherorte für Cholesterol in den Steroidzellen, neh- insuffizienz nachweisen.
men ab. Als Ausdruck der erhöhten Substrataufnah-
me bilden die Zellen vermehrt Zellmembranausläu-
Unterfunktion
fer (Abb. 3-Sb ).
(Nebennierenrindeninsuffizienz)
• Atrophie der Nebennierenrinde. Nach Hypophy- W. ARLT
sektomie oder hypophysärem ACTH-Mangel
kommt es bereits nach einer Woche zur Atrophie Thomas Addison veröffentlichte 1855 seine klinisch-
der Nebennierenrinde (Abb. 3-Sc). Die Rinde wird autoptische Arbeit "On the constitutional and local
schmal und die Zellen zeigen eine Abnahme des Zy- effects of disease of the suprarenal capsules" und be-
toplasmas. Auf ultrastruktureller Ebene kommt es schrieb damit als erster die Folgen eines vollständi-

Hypotha lamu

0t CRH

Hypothalamu
0
~ ACfH

1 ebennicrcnrindc

a Cor1isol b Cor1isol

0t --·-·-,
I 0
CRH I T CRH

0 r-·-·--i
ACTH I ACTH

( Cortisol d Cor1isol

Abb. 3-9a-d. Physiologie und Pathophysiologie der Regulation der kortikotropen Achse, a physiologische Situation, b primäre
NNR-Insuffizienz, c sekundäre NNR-lnsuffizienz, d tertiäre NNR-Insuffizienz
58 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

gen Funktionsverlustes der Nebennierenrinde. Ende


der 30er-Jahre dieses Jahrhunderts gelang dann die B G 75/100 n. W., Leukozyten 7500/).d, Hb
Isolation und Identifikation eines als Cortison be- 10.0 g/dl, Thrombozyten 248 .000/~1. Serum-
nannten Steroidhormons aus der Nebenniere des kreatinin 2.3 mgldl ( B < 1.3 mg/dl), Harn-
Rindes, dessen synthetische Herstellung 1946 be- stoff 69 mgldl (NB 10- 23 mg/dl), Natrium
gann. Dadurch wurde erstmals eine Behandlung 126 mmol/1 ( B 135-148 mmol/1), Kalium
und damit das dauerhafte Überleben von Patienten 6.5 mmol/1 (NB 3.5-5.0 mmol/1). Die endokrino-
mit Nebennierenrinden- (NNR-) Insuffizienz mög- logi ehe Diagnostik ergab folgende Werte: Se-
lich, einer Krankheit, die zuvor zwangsläufig zum rumcortisol basal 0.5 t-tg/dl ( B 5-25 ~g/dl),
Tode führte. Die Diagnosestellung ist dabei auch 60 min nach ACTH- timulatio n 0.9 ~g/dl (NB
heute noch eine klinische Herausforderung, da > 20 ~tg/dl). Plasma-ACTH basal 2480 pglml
einerseits wegen der relativ unspezifischen Sym- ( B < 50 pg/ml). Aldosteron < 1 ngldl. Unter
ptome eine NNR-Insuffizienz oft zu Unrecht vermu- Infusionstherapie mit Elektrolytlösungen und
Glucocorticoiden stabilisierte sich die Patientin
tet wird, andererseits bei vielen Patienten die Er-
rasch. Unter einer dauerhaften Substitution mit
krankung erst nach jahrelanger Leidensgeschichte
Hydrocortison und Fludrocortison oral kam es
diagnostiziert wird. Der Funktionsverlust der Ne-
zu voll tändiger Beschwerdefreiheit Im Verlauf
bennierenrinde kann dabei sowohl durch eine Schä-
der näch ten 2 Jahre erreichte sie ihr altes Kör-
digung des Organs selbst (= primäre NNR-Insuffi-
pergewicht von 65 kg.
zienz) wie auch durch eine Störung der hypophysä-
ren oder hypothalamisehen Steuerungszentren
(= sekundäre bzw. tertiäre NNR-Insuffizienz) be-
dingt sein (Abb. 3-9a-d).
3.2.2
Epidemiologie

3.2 Die primäre NNR-Insuffizienz ist eine seltene Er-


Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz krankung mit einer Prävalenz von 100 Erkrankten
(M. Addison) pro Million Einwohner und einer Inzidenz von jähr-
lich 5-6 Neuerkrankungen/Mio. Das Alter bei Dia-
3.2.1 gnosestellung liegt in der Regel zwischen 30 und
Fallpräsentation 50 Jahren, im Mittel bei 35 Jahren. Als Folge der mo-
dernen tuberkulostatischen Therapie ist in den In-
Der 37-jährigen Patientin war seit etwa 2 Jahren dustriestaaten heute die Autoimmunadrenalitis
eine fortschreitende Abnahme ihrer Leistungs- mit 80-90% die bei weitem häufigste Krankheitsur-
fahigkeit aufgefallen, seit ca. 1 Jahr zusätzlich sache (Tabelle 3-2). In Studien zur aktuellen Situa-
anhaltende Übelkeit, Appetitlosigkeit und regel- tion in mediterranen Ländern und Entwicklungslän-
mäßiges Erbrechen. In der Folge verlor sie 25 kg dern wird ein Anteil von 20-50 o/o für die tuberkulöse
Körpergewicht, habe sich "nur noch so dahinge- Adrenalitis angegeben. Während bei der Autoim-
schleppt" und sei auch in ihrem Gefühlsleben munadrenalitis das weibliche Geschlecht überwiegt,
"nicht mehr die alte Person" gewesen. Unter ist es bei der tuberkulösen Genese das männliche.
der Verdachtsdiagnose Anorexia nervosa wurde Insgesamt sind Frauen zweimal häufiger als Männer
ie in eine psychosomati ehe Klinik eingewie- von einer primären NNR-Insuffizienz betroffen.
sen, wo sie bald vor Schwäche das Bett nicht
mehr verlas en konnte. Nachdem zu ätzlieh
starke Bauchschmerzen auftraten, wurde sie in 3.2.3
die internistische otaufnahme gebracht. Im Pathogenese
körperl ichen Untersuchugsbefund zeigte sich
eine 37-jährige Patientin in stark reduziertem Autoimmunadrenalitis
AZ und kachektischem EZ (168 cm, 41 kg) mit Die genetische Grundlage der Autoimmunadrenali-
generalisiert braunem Hautkolorit und ver- tis wird im Major-histocompatibility-Komplex ver-
mehrter Pigmentierung der Handlinien. Die mutet. Es finden sich gehäuft Assoziationen mit
Herzfrequenz betrug 120/min, der Blutdruck be- den Phänotypen HLA-DR3, -DR4, -Al, -B8 und -
trug 80/60 mm Hg. Das Abdomen war diffus A28. Im Rahmen der Erkrankung zirkulieren im
druckschmerzhaft, aber weich, Peristaltik spär- Blut Nebennierenautoantikörper, die sich gegen in-
lich. Folgende Laborbefunde wurden erhoben: trazelluläre Antigene wie z. B. die P450-abhängigen
Steroidbiosyntheseenzyme richten, insbesondere
3.2 Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (M. Addison) 59

Tabelle 3-2. Ursachen der primären NNR-Insuffizienz

Ursachen der primären NNR-Insuffizienz

Häufige Ursachen Autoimmunadrenalitis (isoliert oder im Rahmen der polyglandulären In uffizienz


(Autoimmunendokrinopathie) Typ I + Typ II) (Abb. 3-2 und 3-3)
Tuberkulo e
eltene Ursachen Zustand nach bilateraler Adrenalektomie
Blutungen bzw. adrenaler Infarkt mit ekundärer Hämorrhagie: septischer Schock (z. ß. Water-
hou e-Friderich en-Syndrom), hypovolämi ehe Schockzu tände, Antipho pholipid-Syndrom u. a.
Infiltration: Metastasen, leukämische Infiltrate/Lymphome, Sarkoidose, Amyloidose,
Hämochromatose, Mykosen (z. B. Coccidoides immittis)
ystemerkrankungen: Adrenoleukodystrophie (ALD}, Adrenomyeloneuropathie (AM ),
X-chromosomale congenitale adrenale Hypoplasie
AIDS: HIV, CMV, atypische Mykobakteriose (MOTT), Cryptococcu neoformans, Nocardia
asteroides, Histoplasmose, Kaposi-Sarkom u. a.
Medikamente: Adrenolytika (o,p'DDD), Steroidbiosytheseinhibitoren (Ketoconazol, Etomidat,
Aminoglutethimid, Metyrapon), Steroidantagonisten (RU 486)

gegen das P450c21-Enzym, die 21-Hydroxylase. sich neben einer Fibrose und Atrophie eine ver-
Makroskopisch imponiert bei der Autoimmunadre- mehrte lymphozytäre Infiltration der Nebennieren-
nalitis eine deutliche Atrophie der Nebennieren- rinde (Abb. 3-11 ).
rinde bei zumeist morphologisch unauffälligem Die Autoimmunadrenalitis tritt zumeist isoliert
Nebennierenmark (Abb. 3-10). Histologisch findet auf. 40-50 o/o der Patienten erkranken jedoch im
Rahmen einer polyglandulären Insuffizienz Typ I
oder Typ II an weiteren Autoimmunerkrankungen.

Polyglanduläre Insuffizienz Typ I


Der wesentlich seltenere Typ I, auch APS I ("auto-
immune polyglandular syndrome I") oder APECED
("autoimmune-polyendocrinopathy-candidiasis-ec-
todermal-dystrophy") genannt, umfasst mindestens
2 der 3 folgenden Krankheitsentitäten:
• M. Addison,
• Hypoparathyreoidismus und/oder
• chronische mukokutane Kandidiasis (mit Befall
von Nägeln, Haut, seltener auch der oralen, vagi-
a
nalen oder ösophagealen Schleimhaut).

Abb. 3-10. a Makroskopie einer stark geschrumpften Neben-


nierenrinde als Endzustand einer Adrenalitis, b Weitere Abb. 3-11. Mikroskopisches Bild einer diffusen Iympho-
Schnittflächen desselben Präparates. Man erkennt im Fettge- zytären Adrenalitis: starker Schwund der Rindenzellen in
webe nur eine sehr schmale dreieckige Nebennierenrinde. Das der tiefen Rinde. Reichlich lymphozytäre Infiltrate, einige
Mark erscheint, soweit erkennbar, normal. (Mit freundlicher Makrophagen. (Mit freundlicher Genehmigung von W. Saeger,
Genehmigung von W. Saeger, Hamburg) Hamburg)
60 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

n
n 0 0 Morbus Addison
Morbus Addison
50
12
0 Hypoparathyreoidismus "' Diabetes mellitus Typ I

D Autoimmunthyreopathie
10
8
• Candidiasis
40

30
6
4

2
0--~--~~----~~~-r--~~
0 3 6 9 12 15 21 27 36 Lebensjahre 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Lebensjahrzehnt

Abb. 3-12. Zeitlicher Verlauf der poyglanduläre Insuffizienz Abb. 3-13. Zeitliche Abfolge des Auftritts von primärer
Typ I (APECED): Auftritt von mucocutaner Candidiasis, Hy- NNR-Insuffizienz und anderer Autoimmunerkrankungen
poparathyreoidismus und primärer NNR-Insuffizienz. (Mod. bei der polyglandulären Insuffizienz Typ II. (Mod. nach Neu-
nach Betterle et al. 1998) feld et al. 1981)

Die Krankheit wird autosomal-rezessiv vererbt und • perniziöse Anämie oder


manifestiert sich zumeist in Kindheit und früher • Zöliakie,
Jugend. Eine epidemiologische Häufung ist für die • chronisch-aktive Hepatitis,
skandinavischen Länder beschrieben. Im zeitlichen • Polymyalgia rheumatica,
Verlauf der Erkrankung geht die oft schon neonatal • Myasthenia gravis sowie
vorhandene mukokutane Kandidiasis dem Hypo- • beim Typ I zelluläre und humorale Immun-
parathyreoidismus voraus, gefolgt von der Manife- defekte.
station der NNR-Insuffizienz im 15.- 25. Lebensjahr
(Abb. 3-12). APECED ist die erste beschriebene
Adrenoleukodystrophie (ALO)
systemische Autoimmunkrankheit mit monogener
und Adrenomyeloneuropathie (AMN)
Vererbung. Das inzwischen klonierte APECED-
Seltene Ursachen der pimären NNR-Inusffizienz
Gen ist auf dem Chromoson 21q22.3 lokalisiert.
(Tabelle 3-2) sind Adrenoleukodystrophie (ALD)
und Adrenomyeloneuropathie (AMN), die X-chro-
Polyglanduläre Insuffizienz Typ II
Beim Typ li der polyglandulären Autoimmunendo-
krinopathie findet man neben dem M. Addison eine
Autoimmunthyreopathie (meist Hashimoto-Thy-
reoiditis, aber auch M. Basedow), seltener auch
einen Diabetes mellitus Typ I und/oder eine primäre
Ovarialinsuffizienz. Nach den Erstbeschreibern wird
die Kombination M. Addison/ Autoimmunthyreopa-
thie auch als Schmidt-Syndrom bezeichnet, die Ko-
inzidenz von M. Addison und Diabetes mellitus
Typ I als Carpenter-Syndrom. Das Manifestations-
atter liegt in der Regel zwischen dem 30. und dem
50. Lebensjahr (Abb. 3-13). Die Krankheit ist mit be-
stimmten Genotypen des Major-histocompatibility-
Komplexes gehäuft assoziiert, dabei bedeutet eine
Assoziation mit HLA-BS ein 4-fach erhöhtes und
mit HLA-DW3 ein 10-fach erhöhtes Erkrankungsri-
siko.
Bei beiden Typen der polyglandulären Insuffi-
zienz können darüber hinaus weitere Autoimmu-
nerkrankungen auftreten:
• Vitiligo (Abb. 3-14; Typ I: 10 %, Typ li: 20- 30 %), Abb. 3-14. Vitiligo: generalisierte Vitiligo im Bereich des Un-
terschenkels mit Hyperpigmentation im Bereich des verbliebe-
• Alopezie (Typ I: 30-40 %), nen pigmentierten Areals bei einer Patientin mit polyglandu-
• chronisch-atrophische Gastritis, lärer Insuffizienz Typ II (Bild: S. Maier, Würzburg)
3.2 Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (M. Addison) 61

mosomal-rezessiv vererbt werden und damit kli- Bilaterale Adrenalektomie


nisch manifest nur Männer betreffen (Inzidenz: 1 Eine andere seltene Ursache der primären Neben-
Erkrankung/100.000 Einwohner). Das klinische niereninsuffizienz ist die bilaterale Adrenalektomie,
Bild umfasst neben der primären NNR-Insuffizienz die z. B. bei transsphenoidal nicht erfolgreich ope-
zerebrale Demyelinisierungen und/oder Störungen riertem M. Cushing oder ektopem Cushing-Syn-
der peripheren Reizleitung, evtl. auch zusätzlich drom ohne lokalisierbare ACTH-Quelle vorgenom-
einen primären Hypogonadismus. Zur Krankheits- men wird, seltener als Folge einer beidseitigen Tu-
manifestation kommt es bei der ALD in der Regel mornephrektomie oder beim Cushing-Syndrom
im 4.-12. Lebensjahr, die AMN tritt fast ausnahms-
los erst im Erwachsenenalter auf.
Alspathogenetische Ursache findet man eine Ak-
kumulation sehr langkettiger gesättigter Fettsäuren,
deren Oxidation aufgrund eines peroxisomalen En-
zymdefektes (Lignoceroyl-CoA-Ligase) gestört ist.
Dieser Defekt beruht auf einer Mutation des X-chro-
mosomallokalisierten ALD-Genes, die zur Expressi-
on eines defekten peroxisomalen Membrantrans-
portproteiDs führt. Bisher konnten innerhalb des
ALD-Gens über 100 verschiedene Mutationen nach-
gewiesen werden, aber keine eindeutige Assoziation
zwischen Genotyp und Phänotyp. Das gleichzeitige
Vorkommen von ALD und AMN in mehreren Fami- I
lie lassen darüber hinaus das Vorhandensein eines
modifizierenden autosomalen Gens vermuten. Die
NNR-Insuffizienz bei ALD bzw. AMN kann im kli-
nischen Verlauf der neurologischen Symptomatik
vorausgehen, deswegen lohnt bei Erstmanifestation
eines M. Addison bei einem jungen Mann die ein-
malige Bestimmung der langkettigen Fettsäuren
im Blut. Darüber hinaus ist bei betroffenen Familien
über die Fettsäurenmessung die Identifikation he-
terozygoter Frauen sowie über die molekulare Dia-
gnostik eine zuverlässige Pränataldiagnostik mög-
lich.

X-chromosomal vererbte kongenitale


adrenale Hypoplasie
Die X-chromosomal vererbte kongenitale adrenale
Hypoplasie ist eine sehr seltene Ursache der NNR-
Insuffizienz, die meist unmittelbar nach der Geburt
manifest wird und unerkannt zum Tod führt. Es gibt
2 verschiedene klinische Verlaufsformen: Bei der
häufigeren Form tritt neben der NNR-Insuffizienz
in ca. 60 % der Fälle ein hypogonadotroper Hypogo-
nadismus auf. Die seltenere Form weist eine Asso-
ziation mit Muskeldystrophie Typ Duchennne und
einem Glycerolkinasemangel auf (Akkumulation
von Glycerollipiden und freien Fettsäuren, variable
Klinik: asymptomatisch bis hin zu Wachstumsstö-
rung und psychomotorischer Retardierung). Geneti- Abb. 3-!Sa-c. a Makroskopie einer fast sackartig aufgetrie-
sche Grundlage der Erkrankung sind Mutationen im benen Nebenniere mit ausgedehnter hämorrhagischer Nekro-
se bei Waterhouse-Friderichsen-Syndrom, b Makroskopie
X-chromosomal lokalisierten DAX-1-Gen, das beim einer etwa normal großen Säuglingsnebenniere mit hämorrha-
Erwachsenen an der Transkriptionskontrolle des gischen Nekrosen in den tiefen Rindenschichten, c Mikrosko-
pie einer Erwachsenennebenniere mit ausgedehnten Einblu-
StAR-Gens beteiligt ist, und offensichtlich eine zen- tungen in der tiefen Rindenschicht, aber auch in der oberen
trale Rolle in der Regulation der embryonalen Ne- Fasciculata sowie Nekrosen in den tieferen Rindenschichten.
bcnnicrcnentwicklung spielt. (Mit freundlicher Genehmigung von W. Saeger, Hamburg)
62 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Bilaterale adrenale Metastasen


Eine NNR-Insuffizienz durch bilaterale Tumorinfil-
tration ist eine ausgesprochene Seltenheit. Nicht
übersehen werden sollte jedoch die Möglichkeit
einer NNR-Insuffizienz bei Patienten mit bilateralen
adrenalen Metastasen (Abb. 3-16), z. B. beim Bron-
chialkarzinom, deren klinische Folgen als durch die
Tumorerkrankung bedingt fehlgedeutet werden
können.

AIDS
Auch im Rahmen von AIDS kann es durch verschie-
dene opportunistische Infektionen (Tabelle 3-2),
aber auch durch eine Tuberkulose oder seltener
durch HIV selbst zu einer NNR-Insuffizienz kom-
men. Auch hier gilt es, an die Möglichkeit einer
Abb. 3-16. Computertomographie des Abdomens mit Dar- Adrenalitis zu denken, da die klinischen Symptome
stellung von bilateralen Nebennierenmetastasen bei einem Pa-
tienten mit Bronchialkarzinom der NNR-Insuffizienz weitgehend denen einer
schweren Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes
bei fortgeschrittener AIDS-Erkrankung gleichen.
als Folge einer bilateralen makronodulären Hyper-
plasie der Nebennierenrinde.
3.2.4
Klinik
Adrenaler Infarkt mit sekundärer Einblutung
Septische oder hypovolämische Schockzustände Glucocorticoidmangel
können zum bilateralen adrenalen Infarkt mit se- Als Folge der Zerstörung bzw. des Funktionsverlu-
kundärer Einblutung und damit zur NNR-Insuffi- stes der Zona fasciculata kommt es zum Gluco-
zienz führen, wie z. B. beim Waterhouse-Friderich- corticoidmangel und damit zu vermehrter Abge-
sen-Syndrom im Rahmen einer Meningokokkensep- schlagenheit, Müdigkeit und einer deutlichen Ein-
sis (Abb. 3-15). Als Ursache einer NNR-Insuffizienz schränkung der Leistungsfähigkeit (Tabelle 3-3).
kasuistisch beschrieben sind auch adrenale Infarkte Viele Patienten beschreiben auch eine vermehrte
nach intra- und perioperativen Blutdruckabfällen Reizbarkeit, Gleichgültigkeit und andere seelische
sowie bilaterale adrenale Hämorrhagien im Rahmen Veränderungen. Im weiteren Verlauf kommt es zu
eines Antiphospholipidsyndroms. einer interindividuell unterschiedlich ausgeprägten
gastrointestinalen Symptomatik mit Übelkeit, diffu-
sen Bauchschmerzen und manchmal auch Erbre-

Tabelle 3-3. Klinische Symptome und Befunde bei primärer NNR-Insuffizienz

Befund Symptome

Glucocorticoidmangcl Müdigkeit, Abge chlagenh~it, Leistunglknick (100 o/o)


Diffuse Bauchschmerzen, Ubelkeit, Erbrechen (60-90 %)
Gewichtsabnahme (90-100 o/o)
Hyperpigmentation von Haut (generalisiert, Handlinien, arben) und chleimhäuten
(fleckige Pigmentierung der Mundschleimhaut) (90 o/o)
Muskel- und Gelenkschmerzen ( 10 %)
ormochrome Anämie, Lymphozytose, Eosinophilie
Mineralocorticoidmangel Arterielle Hypotonie (RR systol < I00 mmHg) (80- 95 o/o), orthostatische Dysregulation (I 5 %)
Elektrolytstörungen (90-95 %) : Serumnatrium ! (90 %), erumkalium I (65 o/o) (Kalium
im Urin , atrium im Urin I
Erhöhte Retention werte
Adrenaler Androgenmangel Verlust der ekundären Ge chlechtsbehaarung (bei Frauen)
Trockene, raue Haut
Seeli ehe Veränderungen (verminderte Bela tbarkeit, vermehrte Reizbarkeit)
Ein chränkung oder Verlu t der Libido
3.2 Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (M. Addison) 63

chen. Aufgrund begleitender Infekte kann Fieber be- neben einem Verlust der Sekundärbehaarung und
stehen, das durch das Cortisoldefizit noch begün- trockener Haut auch Libidoverlust, verminderte see-
stigt wird. Hierauf gründet die gelegentliche Fehldia- lische Belastbarkeit und vermehrte Reizbarkeit zur
gnose eines akuten Abdomens. Die meisten Patien- Folge haben (s. Tabelle 3-3). Pathophysiologische
ten verlieren deutlich an Gewicht bis hin zur Kache-
xie. Als Folge der gegenregulatorisch erhöhten
ACTH-Konzentrationen kommt es durch Stimula-
tion der Melanozyten zu einer vermehrten Melanin-
bildung und damit zu einer variabel ausgeprägten
generalisierten Dunkelpigmentierung der Haut. Prä-
dilektionsstellen sind dabei die sonnenexponierte
Haut sowie Lokalisationen, die einem chronischen
Friktionstrauma ausgesetzt sind (z. B. Handlinien,
Mamillen, Narben, Mundschleimhaut; Abb. 3-17).
Der Glucocorticoidmangel führt zu einer vermehr-
ten peripheren Glukoseutilisation verbunden mit
einer erhöhten Insulinsensitivität und zu einer her-
abgesetzten Glukoneogenese. Manche Patienten
entwickeln daher Hypoglykämiesymptome. Im La-
bor findet sich häufig eine normochrome Anämie,
im Differentialblutbild eine Lymphozytose und
manchmal eine Eosinophilie.

Mineralocorticoidmangel
Der Funktionsverlust der Zona glomerulosa hat
einen Mineralocorticoidmangel zur Folge, der
über eine vermehrte Natriurese und dem damit
verbundenen Flüssigkeitsverlust zu einer relativen
Hypovolämie und damit zum Blutdruckabfall führt
(s. Tabelle 3-3). Darüber hinaus führt das Glucocor-
ticoiddefizit zu einer verminderten adrenergen Sti-
mulierbarkeit der peripheren Gefäße und trägt da-
mit zur Hypotension bei. Diagnostisch hinweisend
sind systolische Blutdruckwerte < 100 mm Hg.
Die Dehydration ist auch die Grundlage der z. T. er-
höht gefundenen Retentionswerte als Ausdruck
eines beginnenden prärenalen Nierenversagens.
Durch vermehrte Natriurese und verminderte Ka-
liumexkretion kommt es zur Hyponatriämie (90%
der Fälle) und Hyperkaliämie (70 %). Manche Pa-
tienten entwickeln einen vermehrten Salzhunger
(15 %). Bei Erstmanifestation einer NNR-Insuffi-
zienz findet man darüber hinaus in 5-10% der Fälle
auch eine Hyperkalzämie, deren Pathogenese noch
unklar ist.

Adrenaler Androgenmangel
Der Funktionsverlust der Zona reticularis führt zum
adrenalen Androgenmangel und damit zu einer
deutlich erniedrigten Serumkonzentration von De- Abb. 3-l7a-c. Hyperpigmentation durch gesteigerte ACTH -
Sekretion: generalisierte Dunkelpigmentierung sowie Hyper-
hydroepiandrosteron-Sulfat (DHEAS). Bei gesun- pigmentation der Handlinien bei einer Patientin mit M.
den Frauen entstehen 60-80% der Androgene durch Addison (a); Hyperpigmentierung im Bereich einer Operati-
periphere Konversion von DHEA bzw. DHEAS, so- onsnarbe (b) und im Bereich der Fingergelenke (c) bei einem
Patienten mit Zustand nach bilateraler Adrenalektomie bei
dass Frauen mit NNR-Insuffizienz ein ausgeprägtes okkulter ektoper ACTH-Sekretion. (Bilder: S. Maier, Würz-
Androgenmangelsyndrom entwickeln. Dieses kann burg)
64 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Grundlage für letztere Symptome ist möglicherweise weischarakter, ein Serumcortisol < 1 J.lg/dl ist um
die neurosteroidale Wirkung von DHEA, das u. a. Mitternacht sogar physiologisch. Sicherer Beweis
anti-GABAerge Eigenschaften besitzt. für eine NNR-Insuffizienz ist der Nachweis der feh-
lenden bzw. eingeschränkten adrenalen Funktions-
reserve durch den sog. ACTH-Kurztest (250 J.lg
3.2.5 ACTH 1-24 i. v., Blutentnahmen bei 0 und
Diagnostik 60 min). Zum Beweis einer intakten NNR-Funktion
sollte das Serumcortisol 60 min nach ACTH-Stimu-
Anamnese und körperliche Untersuchung lation auf > 20 J.lg/dl (> 550 nmol/1) ansteigen. Ist
Entscheidend für die Diagnosestellung bei der chro- das basale Serumcortisol > 20 J.lg/dl, so liegt bereits
nischen NNR-Insuffizienz ist es, auf die Gesamtkon- eine deutliche, z. B. stressbedingte Stimulation der
stellation der Symptome und dabei besonders auf kortikotropen Achse vor und zum Beweis einer aus-
das Vorhandensein spezifischer Symptome und Be- reichenden adrenalen Funktionsreserve wird dann
funde (wie Hyperpigmentation, Hyponatriämie, sy- ein Cortisolanstieg um 5 J.lg/dl akzeptiert. Von
stolischer Blutdruck < 100 mmHg) zu achten. Un- manchen Autoren wird auch der Nachweis einer
spezifische Symptome wie Müdigkeit, nachlassende verminderten Exkretion von freiem Cortisol im
Leistungsfähigkeit und Antriebsmangel können 24-h-Urin als beweisend für eine NNR-Insuffizienz
durch eine Vielzahl anderer Erkrankungen bedingt angesehen, die Sicherheit der Methode ist jedoch
sein, gleiches gilt für diffuse Bauchbeschwerden. Im vor allem durch Sammelfehler beeinträchtigt.
Anamnesegespräch sollte deswegen differentialdia-
gnostisch besonders auf Hinweise für das Vorliegen • ACTH-Bestimmung. Ist bei Nachweis einer pa-
einer Depression (reaktiv, neurotisch oder psycho- thologisch niedrigen Cortisolsekretion die Plasma-
tisch bedingt) oder einer System- bzw. Tumorer- ACTH- Konzentration gleichzeitig deutlich erhöht,
krankung (B-Symptomatik!) geachtet werden. so liegt eine primäre NNR-Insuffizienz vor. Ist das
Plasma-ACTH niedrig normal oder nicht nachweis-
Endokrinalogische Diagnostik bar, so liegt eine hypothalamohypophysärbedingte
• Cortisolbestimmung und ACTH-Kurztest. Ein mor- NNR-Insuffizienz vor, die eine weitere funktionsdia-
gendliches Serumcortisol < 5 J.lg/dl ( < 140 nmol/1) ist gnostische Differenzierung erfordert (Abb. 3-18).
verdächtig auf das Vorliegen einer NNR-lnsuffi-
zienz. Wegen der ausgeprägten zirkadianeo Rhyth- • Aldosteronbestimmung. Bei der primären NNR-
mik der Cortisolsekretion haben niedrige nachmit- Insuffizienz findet sich typischerweise auch eine
tägliche oder abendliche Werte jedoch keinen Hin- erniedrigte (oder niedrig-normale) Konzentration

Klinischer Verdacht auf R-

Abb.3-18. Diagnostischen Vorgehen bei Verdacht auf NNR-Insuffizien z (Flussschema)


3.2 Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (M. Addison) 65

von Aldosteron im Serum bei gleichzeitig deutlich


3.2.6
stimulierter Plasmareninaktivität. Serum-DHEAS
Therapie
ist charakteristischerweise erniedrigt.
Glucocorticoidsubstitution
• TSH-Bestimmung. Bei Patienten mit NNR-Insuf-
Die Cortisolsekretionsrate beim Menschen beträgt
fizienz findet sich häufig eine zum Zeitpunkt der
nach neueren Untersuchungen 9-11 mg/m 2 Körper-
Erstdiagnose leicht erhöhte TSH-Konzentration
oberfläche, das entspricht einem durchschnittlichen
bei normalen peripheren Schilddrüsenwerten, was
Glucocorticoidsubstitutionsbedarf von 15-20 mg
sich unter Glucocorticoidsubstitution normalisiert
Hydrocortison täglich (s. folgende Übersicht). Um
und nicht Ausdruck einer Hypothyreose ist. Patho-
den zirkadianen Rhythmus der Cortisolsekretion
physiologische Grundlage ist die suppressive Wir-
nachzuahmen, empfiehlt sich die Verteilung auf 2
kung der Glucocorticoide auf die Thyrotropinsekre-
Tagesdosen, die erste frühmorgendlich nach dem
tion, die im Cortisoldefizit fehlt. Bei TSH-Werten
Aufstehen, die zweite 6-8 Stunden später, also meist
> 8 mU/1 und/oder erniedrigten peripheren Werten
am frühen Nachmittag. Eine abendliche Dosis er-
muss an eine Hashimoto-Thyreoiditis gedacht wer-
scheint nicht sinnvoll, da auch physiologischerweise
den (im Rahmen der polyglandulären Insuffizienz
abends und nachts niedrige Cortisolserumkonzen-
Typ li; ggf. Klärung durch Sonographie und Schild-
trationen vorliegen. Bei Diagnosestellung sollte initi-
drüsen-Autoantikörper).
al zum Ausgleich des lange bestehenden Glucocor-
ticoiddefizits eine höhere Tagesdosis (z. B. 30-40 mg
Zusätzliche Laborbestimmungen für 7-10 Tage) zum Einsatz kommen. Bei gleichzei-
Der Nachweis von Autoantikörpern gegen Neben- tig diagnostizierter Hypothyreose sollte die Gluco-
nierenzellen (ACA = "adrenocortical auto-antibo- corticoidsubstitution vor der L-Thyroxinsubstituti-
dies") gelingt in 40-80% der Fälle bei der isolierten on und in erhöhter Dosis begonnen werden, da Thy-
Autoimmunadrenalitis, bei Vorliegen eines poly- roxin die Halbwertzeit von Cortisol herabsetzt und
glandulären Insuffizienz-Syndroms noch häufiger. damit das Glucocorticoiddefizit verstärkt.
Gleiches gilt für Autoantikörper gegen steroidpro- Zur Glucocorticoidsubstitution wird in der Regel
duzierende Zellen (StCA = "steroid producing cell Hydrocortison verwendet, seltener auch Cortisonac-
auto-antibodies"). Positive ACA und/oder StCA be- etat, das in der Leber zu Hydrocortison metaboli-
weisen die Autoimmunpathogenese einer primären siert wird und keinen Vorteil besitzt. Die Äquiva-
NNR-Insuffizienz. Ein negativer AK-Status (Häufig- lenzdosis beträgt 20 mg Hydrocortison = 37,5 mg
keit nimmt mit Krankheitsdauer zu) schließt sie Cortisonacetat Unüblicher ist die Glucocorticoid-
nicht aus. subsitution mit Prednison oder Prednisolon. Hier-
bei kommen Tagesdosen zwischen 5 und 7,5 mg
zum Einsatz. Ungünstig erscheint hier neben der
Bildgebung verringerten Dosisvariabilität und der fehlenden Mi-
Bei Nachweis einer primären NNR-Insuffizienz in neralocorticoidaktivität die deutlich längere Halb-
der endokrinalogischen Funktionsdiagnostik ist eine wertszeit.
adrenale Bildgebung nicht zwingend erforderlich, es
sei denn, es liegt der klinische Verdacht auf eine Therapieempfehlung zur Behandlung
tuberkulöse Adrenalitis (Röntgenthorax! Tuber- der primären NNR-Insuffizienz
kulintest!) vor bzw. einer zum Auftritt einer NNR-
Insuffizienz prädisponierenden Grunderkrankung • Glucocorticoidsubstitution:
(z. B. septischer Schock oder AIDS '*Einblutungen Hydrocortison (Hydrocortison Hoechst, Hydro-
oder Infiltrationen). cortison 10 mg Jenapharm) 15-20 mg/Tag
In der Computertomographie findet sich bei der (z. B. 10-5-0 oder 10-10-0 oder 15-5-0 mg)
Nebennierentuberkulose in der Frühphase der Er- • Mineralocorticoidsubstitution:
krankung eine meist bilaterale Vergrößerung der Fludrocortison (Astonin H) 0,05-0,2 mg/Tag
Nebennieren im Sinne einer entzündlichen Schwel- (Tb!. a0,1 mg)
lung. Verlaufsstudien haben gezeigt, dass es nach • Glucocorticoid-Notfallausweis, regelmäßige
ca. 2 Jahren zu einer Atrophie der Nebennieren Schulung (Angehörige!)
kommt, die bis auf in ca. 80% der Fälle nachweis- • Bei erhöhtem Stress (z. B. viraler Infekt):
bare intraadrenale Verkalkungen keinen morpho- Verdoppelung der Tagesdosis bis zur Gesundung
logischen Unterschied zur Autoimmunadrenalitis (bei Gastroenteritis, d. h. Erbrechen und/oder
aufweist. Durchfall ggf. i. v.-Hydrocortisongabe)
66 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

• Bei starkem Stress (schwere Krankheiten, Opera- Wichtig ist, die Patienten darauf hinzuweisen, dass
tionen, Entbindung): bei mangelnder gastrointestinaler Resorption z. B.
100 mg Hydrocortison in Glukose 5 o/o über 24 h durch Erbrechen und/oder Diarrhö bei länger anhal-
kontinuierlich (präoperativ beginnend sowie tender Symptomatik eine i. v.-Glucocorticoidsubsti-
am ersten postop. Tag), Reduktion nach AZ, tution durchgeführt werden muss. Gleiches gilt für
Fludrocortisonpause bis Hydrocortisontages- starken Stress, z. B. bei Operationen und Entbindun-
dosis < 50 mg. gen.

Für Urlaubsreisen in weit entferntes Ausland ist es


ggf. auch sinnvoll Hydrocortisonampullen und
Mineralocorticoidsubstitution Spritzbesteck zu rezeptieren, alternativ Hydrocorti-
Die Mineralocorticoidsubstitution erfolgt durch sonsuppositorien.
Fludrocortison oral, in der Regel in einer Dosis
von 0,05-0,1 mg täglich. Zwar hat auch Hydrocorti-
son eine mineralocorticoide Wirkung, diese reicht Glucocorticoid-Notfallausweis
aber erst ab einer Tagesdosis von 50 mg zur Dek- Jeder Patient mit NNR-Insuffizienz muss einen Glu-
kung des physiologischen Bedarfes aus. Bei Neu- cocorticoid-Notfallausweis besitzen sowie regelmä-
auftritt einer essenziellen arteriellen Hypertonie ßig hinsichtlich der Besonderheiten einer Glucocorti-
im Langzeitverlauf der Erkrankung kann unter coidsubstitutionstherapie geschult werden. Dabei
engmaschiger Elektrolytkontrolle eine Reduktion sollten die Angehörigen miteinbezogen werden.
der Mineralocorticoiddosis versucht werden, um
Antihypertensiva einzusparen bzw. deren Einsatz Behandlung bei tuberkulöser Adrenalitis
herauszuzögern. Bei der Behandlung von Patienten mit tuberkulöser
Adrenalitis ist unbedingt zu beachten, dass Rifampi-
Ausgleich des adrenalen Androgenmangels cin und andere Tuberkulostatika durch hepatische
Der Ausgleich des adrenalen Androgenmangels, der Enzyminduktion die Halbwertszeit von Hydrocorti-
insbesondere bei den weiblichen Patienten mit son um 30-50 o/o herabsetzen. Dies gilt nicht im glei-
NNR-Insuffizienz zu einem generellen Androgen- chen Maße für Aldosteron bzw. Fludrocortison. Zur
mangelsyndrom führen kann, gehört bisher nicht Vermeidung adrenaler Krisen muss daher während
zur Standardtherapie bei NNR-Insuffizienz. Viele der tuberkulostatischen Therapie die reguläre Hy-
Patientinnen unter optimierter Gluko- und Minera- drocortisontagesdosis zumindest verdoppelt wer-
locorticoidsubstitution klagen jedoch über anhal- den. Die Sanierung der adrenalen Tuberkulose führt
tende Einschränkungen ihrer seelischen Belastbar- in der Regel nicht zu einer Wiederherstellung der
keit sowie ihres Gefühlserlebens. Zum Einfluss einer NNR-Funktion.
oralen Substitution mit Dehydroepiandrosteron
(DHEA) auf diese und andere Symptome liegen Behandlung bei Schwangerschaft
erste positive Erfahrungen vor. Für die Schwangerschaft gilt, dass, abgesehen von
der peripartalen Abdeckung nach den Stressricht-
Anpassung der Glucocorticoiddosis bei Stress linien, mit Beginn des 3. Trimenons in der Regel
Als Faustregel zur Anpassung der Glucocorticoid- eine Erhöhung der Gluko- und Mineralocorticoid-
dosis bei Stress, z. B. im Rahmen eines grippalen dosis erfoderlich ist. Während der Schwangerschaft
Infektes oder einer Gastroenteritis, gilt eine Verdop- kommt es physiologischerweise zu einem langsamen
pelung der Tagesdosis bis zur Genesung. Anstieg des cortisolbindenden Globulins (CBG) und
des Gesamtcortisols, im letzten Trimenon jedoch
Einmalige kurzfristige Stressereignisse, wie z. B. auch zu einem Anstieg des freien Cortisols durch
sportliches Training, eine Bergwanderung oder eine bedarfsangepasste Cortisolmehrsekretion. Die-
eine Prüfungssituation, sollten durch eine einmalige sem physiologischen Mehrbedarf sollte bei Patien-
Erhöhung der unmittelbar vor dem Ereignis anste- tinnen mit NNR-Insuffizienz durch eine Dosiserhö-
henden Dosis abgedeckt werden. Ab Tagesdosen hung im letzten Trimenon begegnet werden. Durch
> 50 mg Hydrocortison kann auf eine zusätzliche die antimineralocorticoide Wirkung des Progeste-
Mineralocorticoidgabe verzichtet werden. rons ist gleichzeitig eine Fludrocortison-Dosisan-
passung erforderlich (ggf. engmaschige RR- und
Plasmareninaktivitätskontrollen).
3.2 Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (M. Addison) 67

Chronische Glucocorticoidübersubstitution kann


3.2.7
die Entwicklung einer Osteoporose begünstigen. Bei
Verlaufskontrollen
Hydrocortisontagesdosen < 25 mg/Tag, die prinzi-
piell anzustreben sind, ist ein Osteoporosescreening
Glucocorticoidsubstitution
durch eine Osteodensitometrie nicht erforderlich.
Als Verlaufskontrolle hinsichtlich der Glucocorti-
Diese sollte nur bei klinischem Verdacht auf das
coidsubstitution ist das klinische Bild des Patienten
Vorliegen einer Osteoporose durchgeführt werden.
das entscheidende Kriterium. So sollte nach Sym-
ptomen der Untersubstitution (Müdigkeit, Abge-
schlagenheit, Gewichtsverlust, Hyperpigmentation) Mineralocorticoidsubstitution
wie der Übersubstitution (Gewichtszunahme, Neu- Zur Kontrolle der Mineralocorticoidsubstitution
auftritt einer pathologischen Glukosetoleranz, Osteo- sollte regelmäßig der Blutdruck gemessen sowie Se-
poroseentwicklung) gefahndet werden (Tabelle 3-4). rumkalium und Serumnatrium bestimmt werden.
Bei klinischem Verdacht auf Über- oder Untersub- Weiterhin empfiehlt sich die regelmäßige Messung
stitution bzw. Compliance-Problemen kann die Be- der Plasmareninaktivität (PRA), insbesondere bei
stimmung von Serumcortisol sinnvoll sein, allerdings der initialen Einstellung und bei klinischem Ver-
nur nach Einnahme der morgendlichen Dosis und in dacht auf Über- oder U ntersubstitution. Zielbereich
Kenntnis des Einnahmezeitpunktes, sodass das Er- ist hier der obere Normbereich der PRA, niedrigere
gebnis mit den pharmakakinetischen Vergleichskur-
ven in Beziehung gesetzt werden kann (Abb. 3-19). Serumkortisol (!-lg/dl)
Die Bestimmung von Serumcortisol vor Einnahme 45~---------------------.

der Substitutionsdosis sowie die Messung von Plas- 40 ~ 15 mg Hydrocortison


ma-ACTH ist sinnlos. Plasma-ACTH wird morgens
immer erhöht sein und die Normalisierung des 35
ACTH-Spiegels ist auch kein TherapiezieL Ausnahme 30
ist die ACTH-Bestimmung bei Patienten mit Zustand 25
nach bilateraler Adrenalektomie, wo ein deutlicher
20 Mittelwert
ACTH-Anstieg im Verlauf ebenso wie eine zuneh-
mende Hyperpigmentation ohne sonstige Untersub- 15
± SD
stitutionszeichen Hinweis auf einen Nelson-Tumor
sein kann. Die Messung der Exkretion von freiem
Cortisol im 24-h-Urin ist zur Verlaufskontrolle eben- 5
falls nicht geeignet, da es unmittelbar nach Einnahme
0
jeder Hydrocortisondosis durch Überschreiten der 0 60 120 180 240 300 360 420
Schwellenkonzentration zu einer transienten supra-
a Zeit nach Einnahme (Minuten)
physiologischen Exkretion kommt, dadurch ist ein
Vergleich mit den physiologischen Normwertberei- Serumkortisol (!-lg/dl)
chen nicht aussagekräftig. 45

40 ~ 25 mg Cortisonacetat
Tabelle 3-4. Symptome und Befunde mit Hinweischarakter
auf Unter- bzw. Ubersubstitution von Gluco- (1 .-8.) bzw. Mi- 35
neralocorticoiden (9.-1 0.)
30
Untersubstitution Übersubstitution 25

20 Mittelwert
I. Müdigkeit, chwäche Schlafstörungen
2. Antriebsmangel Rückenschmerzen 15 ± SD
3. Appetitlo igkeit Appetitsteigerung
10
4. Übelkeit Ödeme
5
5. Abdominelle Schmerzen Akne
6. Muskelschmerzen lammbetonte Adipositas 0
0 60 120 180 240 300 360 420
7. Hyperpigmentation Diabelische Entgleisung/pa-
thologische Glucosetoleranz b Zeit nach Einnahme (Minuten)
8. Gewichtsabnahme Gewichtszunahme
Abb. 3-19a, b. Referenzkurve für Serumcortisol nach Ein-
9. Arterielle Hypotonie Arterielle Hypertonie nahme einer Morgendosis von 15 mg Hydrocortison (a)
10. erum-Na J, K I bzw. 25 mg Cortisonacetat (b) bei Patienten mit NNR-Jnsuffi-
zienz. (Mod. nach Allolio et al. 1985)
68 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Werte zeigen eine Über-, deutlich stimulierte Werte einen lebensbedrohlichen Notfall darstellt. Häufig-
eine Untersubstitution an. ste Ursachen einer Krise bei Patienten mit bereits
diagnostizierter NNR-Insuffizienz sind mangelnde
Glucocorticoid-Notfallausweis Dosisanpassung bei Stress und Compliance-Proble-
Bei jeder Vorstellung sollte das Vorhandensein des me. Dies beruht zumeist auf fehlender oder falscher
Glucocorticoid-Notfallausweises überprüft und ggf. Information des Patienten und/oder seiner Angehö-
die Angaben darin aktualisiert werden. Weiterhin rigen. Wichtigste prophylaktische Maßnahme zur
sollte jedes Mal eine erneute Schulung hinsichtlich Vermeidung adrenaler Krisen ist daher die wieder-
der notwendigen Dosisanpassung bei Stress, Infek- holte, gezielte und geduldige Aufklärung und Schu-
tionen und Operationen erfolgen. Es hat sich gezeigt, lung des Patienten und seiner Angehörigen.
dass Patienten, die bereits eine stationär behand- Eine wichtige Ursache von adrenalen Krisen ist
lungsbedürftige Nebennierenkrise erlitten haben, das plötzliche Absetzen einer Glucocorticoidmedi-
eine doppelt- bis dreifach so hohe Wahrscheinlich- kation nach Langzeittherapie bei Patienten mit chro-
keit haben, eine erneute Krise zu erleiden. Daher nisch-obstruktiver Bronchitis, rheumatoider Arthri-
sollte dieses Kollektiv besonders intensiv geschult tis oder anderen steroidpflichtigen Erkrankungen.
werden. Empfehlungen zur Kontrolluntersuchung Hier kann der äußere Aspekt (Zeichen des Korti-
unter chronischer Gluco- und Mineralocorticoid- koidexzesses ::::? Hautatrophie? Facies lunata?) sowie
substitution sind in folgender Übersicht zusammen- die (Fremd-) Anamnese im Notfall richtungswei-
gefasst. send sein.

Empfehlungen zur Verlaufskontrolle unter Gluco- Klinik


corticoid- und Mineralocorticoidsubstitution bei Leitsymptome der Addison-Krise (s. folgende Über-
primärer NNR-Insuffizienz sicht) sind eine arterielle Hypotonie bis hin zur
Schocksymptomatik ohne erkennbare andere Ursa-
• Gezielte Anamnese und körperliche Untersu- che sowie gastrointestinale Beschwerden bis hin zu
chung (Körpergewicht!) einer Pseudoperitonitis, die bei häufig ebenfalls be-
• Blutdruckmessung im Sitzen stehendem Fieber als akutes Abdomen verkannt
• Bestimmung von Natrium und Kalium sowie Glu- werden kann.
kose im Serum
• Messung der Plasmareninaktivität (Ziel: PRA Symptome der Addison-Krise (Häufigkeit)
4,0-7,5 ng/ml!h =oberer Normbereich)
• Überprüfung des Glucocorticoid-Notfallausweises • Arterielle Hypotension oder Schock (> 90 %)
• Nachschulung hinsichtlich Glucocorticoiddosis- • Schmerzen im Bereich von Abdomen und/oder
anpassung bei Stress, Infektionen etc. Flanken, Rücken oder unterem Thorax (80-90 %)
• Ambulante Kontrolltermine alle 6-12 Monate • Übelkeit und/oder Erbrechen (50-60 %)
(initial alle 1-3 Monate) • Diffuse abdominelle Abwehrspannung (20 %)
• Fieber (60-70 %)
• Verwirrtheit, Schläfrigkeit (40%)
Schilddrüsenfunktion
Bei Vorliegen einer isolierten Autoimmunadrena-
litis ist eine regelmäßige Überwachung der Schild- Diagnostik
drüsenfunktion (Bestimmung von TSH basal) sinn- Grundsätzlich gilt, dass die Durchführung der Punk-
voll, da ca. 30-40% der Patienten im Verlauf eine tionsdiagnostik bei starkem klinischen Verdacht auf
Autoimmunthyreopathie entwickeln. Ein Screening das Vorliegen einer akuten NNR-Insuffizienz die
nach anderen Begleiterkrankungen lohnt wegen der Therapie nicht verzögern darf, d. h. bei Verdacht
niedrigen Inzidenz bei fehlenden klinischen Hinwei- auf Addison-Krise sollte eine Glucocorticoidsubsi-
sen nicht. tution unverzüglich eingeleitet werden, ohne vorher
das Ergebnis der Funktionsdiagnostik abzuwarten.
Im Notfall kann daher je nach klinischer Situation
3.2.8 auch initial auf den ACTH-Test verzichtet werden
Notfall (Addison-Krise) und nur eine basale Blutentnahme zur Bestimmung
von Cortisol und Aldosteron sowie Plasma-ACTH
Ursachen erfolgen, was bei typischer Konstellation (Cortisol
Bei der Erstmanifestation der Erkrankung wie auch + Aldosteron lL ACTH II eine ausreichende dia-
in deren Verlauf kann es zur krisenhaften Entglei- gnostische Sicherheit besitzt. Ein Serumcortisol
sung im Sinne einer Addison-Krise, kommen, die > 25 )lg/dl (700 nmol/1) bei einem intensivpflichti-
3.3 Sekundäre NNR-Insuffizienz 69

genPatientenschließt das Vorliegen einer NNR-In-


suffizienz praktisch aus. Eine beweisende oder diffe- (NB < 20 ng/ml). Die Kernspintomographie
renzierende Diagnostik kann dann nach Stabilisie- des Schädels ergab das Bild der Empty sella.
rung des Allgemeinzustandes erfolgen. Die Patientin wurde wegen des reduzierten
Allgemeinzustandes stationär aufgenommen.
Es wurde umgehend eine Substitutionstherapie
Therapie mit Hydrocortison eingeleitet, im Verlauf auch
Die Therapie besteht in hochdosierter parenteraler mit L-Thyroxin und einem Östrogen-Gestagen-
Glucocorticoidgabe (initial 100 mg Hydrocortison Präparat Darunter kam es rasch zu einer ein-
als i. v. Bolus, anschließend 100-150 mg Hydrocor- drucksvoiJen klinischen Besserung. Die Patien-
tison in Glukose 5 o/o/24 h kontinuierlich i. v.) sowie tin konnte nach 7 Tagen mit der Diagnose Shee-
großzügiger Volumengabe (NaCl 0.9%, initial 31/ han-Syndrom mit vollständiger Hypophysen-
6 h) und engmaschiger Kreislaufmonitoring. vorderlappeninsuffizienz entlassen werden.

3.3 3.3.2
Sekundäre NNR-Insuffizienz Epidemiologie und Pathogenese
3.3.1 Häufigste Ursache der sekundären (und tertiären)
Fallpräsentation NNR-lnsuffizienz sind Tumoren der Hypothala-
mus-Hypophysen-Region, die durch verdrängendes
ach komplikationsloser Schwangerschaft ent- Wachstum (Abb. 3-20) bzw. die Folgen ihrer Thera-
band die 37-jährige Patientin ihr 3. Kind. Durch pie (Operation/Bestrahlung) (Abb. 3-21) Hypophyse
die Notwendigkeit einer manuellen Plazenta- und/oder Hypothalamus schädigen (s. folgende
lösung kam es zu einem starken Blutverlust. Übersicht).
In der Folge fühlte sie sich ständig müde und
abgeschlagen, litt unter Appetitlosigkeit und Ursachen der sekundären NNR-Insuffizienz
verlor in den folgenden Monaten 10 kg Körper-
gewicht. Zwei Monate nach der Geburt ver- • Tumoren
siegte der Milchfluss, die Regelblutung blieb an- Hypophysenmakroadenom (endokrin aktiv oder
haltend aus und sie verlor ihre axilläre Behaa- inaktiv)
rung. Sie konnte sich nur stundenweise auf Hypophysenkarzinom (Rarität), intra- und/oder
den Beinen halten, um das Kind zu versorgen. supraselläre Metastasen
6 Monate nach der Geburt stellte sich die Pa- Meningeom
tientin auf Anraten des Frauenarztes in der Kraniopharyngeom
endokrinalogischen Ambulanz vor. Der körper- • Schädigung der kortikotropen Achse durch ver-
liche Untersuchungsbefund ergab eine 37-jähri- drängendes Wachstum und/oder Folgen der
ge Patientin in reduziertem AZ, leicht unter- Operation und/oder Strahlentherapie
gewichtigem EZ (62 kg, 172 cm). Es zeigte sich • Autoimmunerkrankungen
eine generalisierte Haut- und Schleimhaut- • Lymphozytäre Hypophysitis (Autoimmunhypo-
blässe, eine trockene und schuppige Haut sowie physitis)
deutlich reduzierte ax.illäre Behaarung. Der • Isolierter ACTH-Mangel, isolierter CRH-Mangel
Blutdruck betrug 120/75 mm Hg, die Herzfre- • Idiopathische HVL-Insuffizienz (?)
quenz 52/min. Die Elektrolyte lagen im orm- • Blutung bzw. hämorrhagischer Infarkt (Sonder-
bereich (Kalium 3.9 mmol/1, Na 138 mmol!l). form: postpartales Sheehan-Syndrom)
Die endokrinalogische Diagnostik ergab fol- • Infektionen/granulomatöse Entzündungen/Infil-
gende Befunde: Serum-Cortisol basal 0,6 j..tg/dl trationen
( B 5-25 !lg/dl), 60 min nach 250 11g ACTH Tuberkulose
i. v. 0,9 !Jg/dl ( B > 20 !Jg/dl), Plasma-ACTH Aktinomykose, Nokardiose
3,6 pg/ml (NB < 50 pg/ml), DHEAS < 10 ng/ml • Sarkoidose, Histiozytosis X
(NB 800- 4000 ng/ml), im CRH-Test fehlender • Schädel-Hirn-Trauma (u. a. Hypophysenstielabriss)
Anstieg von Cortisol und ACTH. Weiterhin • Zustand nach lange bestehendem Hypercortisolis-
fand sich ein sekundärer Hypogonadismus, mus exogen (Glucocorticoidtherapie) oder endogen
eine sekundäre Hypothyreose sowie ein Wachs- (Cushing-Syndrom) =? führt über NNR-Atrophie
tumshormonmangel. Prolaktin < 0,5 ng/ml langfristig auch zur primären NNR-Insuffizienz!)
70 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Endokrine Funktionsstörungen nach Strahlenthera-


pie sind dabei meist Spätschäden, da es aus strahlen-
biologischen Gründen oft erst Jahre nach Bestrah-
lungsende zur Fibrosierung des Gewebes und damit
zum Funktionsverlust kommt. Auch Patienten, die
eine Strahlentherapie für Tumoren außerhalb der
Hypothalamus-Hypophysen-Region erhalten haben,

Abb. 3-2la, b. MR Hypothalamus-Hypophysen-Region (ko-


ronare Schnittebene): großes intraselläres Hypophysenma-
kroadenom (endokrin inaktiv) präoperativ (a) und postopera-
tiv (Bild der sekundären Empty sella; b ). (Mit freundlicher Ge-
nehmigung von J. Honegger, Freiburg)

können im Langzeitverlauf eine NNR-Insuffizienz


entwickeln, da trotz der Fokussierung der Strahlen
auf andere Hinrnregionen die Herddosen im Hypo-
thalmus-Hypophysen-Bereich einer therapeutischen
Hypophysenbestrahlung entsprechen können.

Lymphozytöre Hypophysitis
Die lymphozytäre Hypophysitis ist eine seltene
Autoimmunerkrankung mit bisher ca. 150 beschrie-
benen Fällen in der Literatur. Histologisch findet
sich ein chronisch-inflammatorischer Prozess mit
polyklonalen Iymphozytären Infiltraten, die zur fo-
kalen oder diffusen Zerstörung und konsekutiv zum
fibrotischen Umbau des Adenohypophysengewebes
führen. Die Krankheit betrifft vorwiegend Frauen
(im Verhältnis 8-10: 1) und tritt typischerweise in
der Spätschwangerschaft oder in der postpartalen
Periode auf. Im akuten Stadium kann die Auto-
immunhypophysitis durch die entzündliche Schwel-
Abb. 3-20a-c. MR Schädel (a sagittale Schnittebene, b koro-
nare Schicht): Kraniopharyngeom mit primär supraselläre Lo- lung als hypophysärer Tumor imponieren
kalisation und Ausbreitung nach intrasellär. c Im Nativ-Rönt- (Abb. 3-22) und dadurch als Hypophysenadenom
gen (Sella-Zielaufnahme) für ein Kraniopharyngeom charak- verkannt werden. Im Langzeitverlauf kommt es
teristische supraselläre Verkalkungsstrukturen sowie Aufwei-
tung der Sella. (Mit freundlicher Genehmigung von G. häufig zur Atrophie der Adenohypophyse, was
Klingelhöffer, Würzburg) sich in der Bildgebung als Empty sella zeigt (sekun-
3.3 Sekundäre NNR-Insuffizienz 71

Entbindung auftritt. Hier findet sich kernspintomo-


graphisch im Verlauf oft ein Bild wie bei Empty sella.
Als pathogenetische Grundlage wird eine temporäre
Minderdurchblutung und somit ein konsekutiver
Hypophyseninfarkt vermutet. Oft werden diese Pa-
tienten erst spät diagnostiziert und die Verschlech-
terung des Allgemeinbefindens wird als Wochen-
bettdepression fehldiagno stiziert

3.3.3
Klinik

Bei der sekundären NNR-lnsuffizienz kommt es


durch den Wegfall der hypophysären ACTH-Stimu-
lation zum Glucocorticoiddefizit und zum Rückgang
der adrenalen Androgenproduktion. Die Neben-
niere ist jedoch morphologisch intakt und kann
auf die Stimulation durch das Renin-Angiotensin-
System unverändert mit einer Aldosteronausschüt-
tung reagieren. Die Klinik der sekundären NNR-In-
suffizienz gleicht daher bis auf das Fehlen der durch
den Mineralocorticoidmangel verursachten Sym-
ptome (arterielle Hypotonie, Elektrolytverschiebun-
gen) weitgehend den Symptomen bei der primären
NNR-Insuffizienz (s. folgende Übersicht). Dennoch
Abb. 3-22a, b. MR Hypothaimus-Hypophysen-Region [koro- zeigen auch Patienten mit sekundärer NNR-Insuffi-
nare (links) und sagittale (rechts) Schnittebene] : Autoimmun- zienz häufig eine leichte Hyponatriämie und eine
hypophysitis, die durch die entzündliche Schwellung präope- grenzwertige arterielle Hypotonie. Diese Symptome
rativ wie ein tumoröser Prozess imponiert (a). Postoperativ
Bild der sekundären Empty sella (b). (Mit freundlicher Geneh- sind Folge des Glucocorticoiddefizites, das zu einer
migung von ). Honegger, Freiburg) verminderten ß-adrenergen Stimulierbarkeit des
vaskulären Tonus führt( =? arterielle Hypotonie) so-
wie zu einer Stimulation der Vasopressin-Sekretion
däres Empty-sella-Syndrom). Daneben ist denkbar,
(=? Hyponatriämie).
dass etliche Erkrankungen, die als idiopathische
HVL-Insuffizienz diagnostiziert werden, eine Auto-
Symptome und Befunde bei hypothalamohypophysär
immunhypophysitis als pathogenetische Grundlage
bedingter NNR-Insuffizienz
haben. In einigen Fällen kann die lymphozytäre Hy-
pophysitis mit anderen Autoimmunerkrankungen
e ACTH-Mangel
assoziiert sein (Autoimmunthyreopathie, Vitiligo ),
Wachsfarbenes, blasses Hautkolorit
sodass diskutiert worden ist, ob die Autoimmunhy-
Glucocorticoidmangel
pophysitis eine Sonderform der polyglandulären
Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Leistungsknick
Autoimmunendokrinopathie darstellt. Möglicher-
Gewichtsabnahme
weise gehört die noch seltenere sekundäre NNR-In-
Diffuse Bauchschmerzen, Übelkeit (seltener als
suffizienz auf dem Boden eines isolierten ACTH-
bei primärer NNR-Insuffizienz)
Mangels (oder als Rarität: isolierter CRH -Mangel)
Muskel- und Gelenkschmerzen
in diesen Formenkreis, da der isolierte ACTH-Man-
Normochrome Anämie, Lymphozytose, Eosino-
gel gehäuft mit einer Hashimoto-Thyreoiditis asso-
philie
ziiert ist.
Hyponatriämie, evtl. arterielle Hypotonie
• Adrenaler Androgenmangel
Sheehan-Syndrom Verlust der sekundären Geschlechtsbehaarung
Differentialdiagnostisch von der postopartalen Au- (bei Frauen)
toimmunhypophysitis abzugrenzen ist das Sheehan- Trockene, raue Haut
Syndrom, das auf einer partiellen bzw. kompletten Seelische Veränderungen (verminderte Belast-
Nekrose des Hypophysenvorderlappens beruht barkeit, vermehrte Reizbarkeit)
und zumeist im Rahmen einer (oft komplizierten) Einschränkung oder Verlust der Libido
72 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

• Ausfall anderer hypophysärer Funktionsachsen 3.3.4


Sekundäre Hypothyreose: Adynamie, trockene Diagnostik
und schuppige Haut, Hypercholesterinämie
Sekundärer Hypogonadismus: Amenorrhö, Libi- Endokrinalogische Diagnostik
do- und Potenzverlust, Osteoporose Auch bei der sekundären NNR-Insuffizienz findet
Wachstumshormonmangel: u. a. Zunahme von sich ein fehlender bzw. unzureichender Anstieg
Fett- u. Abnahme von Muskelmasse des Serumcortisols im ACTH-Kurztest. Plasma-
Diabetes insipidus: Polyurie und Polydipsie ACTH ist jedoch nicht stimuliert, sondern niedrig
• Ausfall hypothalamischer Steuerungszentren normal. Einzige, aber klinisch überaus relevante
Gestörte Appetitregulation: Hyperphagie und Ausnahme, ist eine kürzlich aufgetretene sekundäre
Adipositas NNR-Insuffizienz, die bei einer ACTH-Stimulation,
Entzügelungshyperprolaktinämie (auch bei Schä- z. B. 1 oder 2 Wochen nach einem Hypophysenein-
digung im Bereich des Hypophysenstiels): Gona- griff, einen normalen Cortisolanstieg zeigt, da das
dotropinsuppression, Libidoverlust, evtl. Galak- Nebennierengewebe noch stimulierbar ist. Mit zu-
torrhö nehmender Dauer der sekundären bzw. tertiären
• Kompression des Chiasma opticum NNR-Insuffizienz kommt es durch den Wegfall
Chiasma-Syndrom mit partieller o. kompletter bi- der hypothalamohypophysären Stimulation zu einer
temporaler Hemianopsie verminderten Ansprechbarkeit der Nebennierenrin-
de auf ACTH aufgrund einer relativen NNR-Atro-
phie. Klinisch-praktische Konsequenz ist in solchen
Patienten mit sekundärer NNR-Insuffizienz klagen Fällen sicherheitshalber eine Hydrocortisonsubsti-
bei Erstmanifestation und krisenhafter Entgleisung tution in üblicher Dosierung, gefolgt von einer er-
verhältnismäßig seltener über gastrointestinale neuten Evaluation der NNR-Funktion (und damit
Symptome, sodass eine ätiopathogenetische Rolle definitiven Entscheidung über eine Substitutionsbe-
des Mineralocorticoidmangels für die Entwicklung dürftigkeit) ca. 4-6 Wochen später.
der Pseudoperitonitis bei akuter NNR-Insuffizienz
diskutiert wird.
Differenzierung zwischen sekundärer
Im Gegensatz zur primären NNR-Insuffizienz, wo
{hypophysären) und tertiärer (hypothalamisch
die Hyperpigmentation ein diagnostisch wegweisen-
bedingter) NNR-Insuffizienz
des Kriterium ist, findet man bei Patienten mit se-
Die Differenzierung zwischen einer sekundären
kundärer NNR-Insuffizienz durch den Wegfall der
(hypophysären) und einer tertiären (hypothala-
ACTH-Stimulation der Melanozyten ein generali-
misch bedingten) NNR-Insuffizienz kann durch
siert blasses, z. T. wachsartig erscheinendes Hautko-
den CRH-Test erfolgen (Abb. 3-23). Diese Unter-
lorit
scheidung hat keine unmittelbare Behandlungskon-
Weiterhin zeigen sich im klinischen Beschwerde-
sequenz, gibt aber Auskunft über die genaue Lo-
bild häufig Symptome, die durch den Funktionsaus-
kalisation des Schadens. Bei einer hypophysären
fall anderer hypophysärer Achsen bedingt sind (se-
Schädigung wird auf CRH-Stimulation keine oder
kundäre Hypothyreose, sekundärer Hypogonadis-
nur eine unzureichende ACTH-Ausschüttung erfol-
mus, Wachstumshormonmangel). Zusätzlich kön-
gen, dementsprechend auch nur ein geringer oder
nen bei Kompression des Hypophysenstiels eine
fehlender Cortisolanstieg. Bei einer hypothalami-
Entzügelungshyperprolaktinämie (mit sekundärem
sehen Schädigung wird die CRH-deprivierte, aber
Hypogonadismus) oder bei Affektion des Hypophy-
prinzipiell funktionsfähige Hypophyse auf exogenes
senhinterlappens ein zentraler Diabetes insipidus
CRH mit einer überschießenden und langanhalten-
vorhanden sein. Durch Druck auf das Chiasma op-
den ACTH-Ausschüttung reagieren, bei ebenfalls
ticum bei großen Prozessen mit suprasellärer Aus-
unzureichendem Cortisolanstieg.
dehnung kann es zur bitemporalen Hemianopsie
kommen. Diese kann initial so gering ausgeprägt
sein, dass sie subjektiv nicht wahrgenommen Partiell sekundäre oder tertiäre NNR-Insuffizienz
wird. Eine ophthalmologische Untersuchung mit Pe- Während die Differenzierung zwischen sekundärer
rimetrie (Gesichtsfeldbeurteilung) bringt Klarheit. und tertiärer NNR-Insuffizienz für die Therapie
nur marginale Bedeutung hat, so ist die Diagnose
einer partiellen sekundären oder tertiären NNR-In-
suffizienz klinisch durchaus von Relevanz, denn sie
erfordert zumindest eine Hydrocortisongabe bei
starkem Stress (Operation!), je nach Ausprägung
3.3 Sekundäre NNR-lnsuffizienz 73

Klin ischer Verdac ht a uf sekundä re R-lnsuffizienz und/oder


achweis einer hypotha la mo-hypoph sären Ra umforderun g

Tert iäre R-l n uffizicnz


(hypothalami eher
chaden)

lnsutTi zicnz
I nsufTizienz

Abb. 3-23. Diagnostisches Vorgehen bei sekundärer/tertiärer NNR-Insuffizienz

auch eine niedrig dosierte Dauersubstitution. Zur Absetzen einer langjährigen Steroidtherapie oder
partiellen NNR-Insuffizienz, bei der sich im nach erfolgreicher Sanierung eines M. Cushing).
ACTH-Kurztest eine (noch) normale Cortisolant- Der CRH-Test ist für die Diagnostik einer partiellen
wort findet, kann es durch tumoröse Raumforde- NNR-Insuffizienz nicht sehr gut geeignet, da die
rungen im Hypothalamus-Hypophysen-Bereich Normwertbereiche für einen physiologischen An-
bzw. nach Hypophyseneingriffen kommen sowie stieg von Cortisol (und ACTH) nach CRH nicht
im Rahmen der Erholung der NNR-Funktion nach gut definiert sind und auch bei Gesunden ge-
langanhaltender Suppression durch einen exogenen legentlich relativ geringe Anstiege beobachtet wer-
oder endogenen Hypercortisolismus (z. B. nach den. Der sichere Ausschluss einer partiellen NNR-
Insuffizienz kann nur durch einen auch den Hypo-
thalamus stimulierenden Test erfolgen, weil nur so
die Funktion der gesamten Hypothalamus-Hypo-
physen-Nebennieren-Achse beurteilt werden kann
(Abb. 3-24). Der Goldstandard für die hypothala-
misehe Stimulation ist der Insulin-Hypoglykämie-
Test, beim Vorliegen von Kontraindikationen
kann auch der Metopironkurztest zum Einsatz kom-
CRII-Tr I
0 men (Testprinzipien in folgender Übersicht 3.6).

AC fll
Endokrinologische Funktionsdiagnostik
zur Abklärung einer hypothalamohypophysär
bedingten NNR-Insuffizienz
IACTH-T est I ~nni•r•nrind• • CRH-Test
Cortisol Prinzip: exogenes CRH stimuliert die hypo-
Abb. 3-24. Regulation der kortikotropen Achse und An- physäre ACTH-Ausschüttung und damit die
griffspunkte der endokrinalogischen Funktionsdiagnostik adrenale Cortisolsekretion
74 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Durchführung: im Liegen, Venenverweilkanüle Fehlerquelle: Keine ausreichende Hypoglykämie


(mit Na Cl 0.9 o/o offen halten) (BZ > 40 mg/dl und/oder keine vegetative Sym-
Testbeginn: möglichst früher Nachmittag (niedri- ptomatik)
ger Cortisolausgangswert erlaubt eine bessere Vorteil: Goldstandard der hypothalamisehen
Beurteilung des Anstiegs) Stimulation, Mittestung der HGH-Achse
Dosis: 100 11g CRH i. v (Trockensubstanz + Lö- Nachteil: aufwendige Durchführung, Nebenwir-
sungsmittel!) zum Zeitpunkt 0 min i. v. kungen, Kontraindikationen
Blutentnahmen für Cortisol und ACTH bei 0, 15, Physiologischer Anstieg: Cortisolmax > 20 !lg/dl,
30, 45, 60 und 90 min ACTHmax > 150 pg/ml
Mögliche Nebenwirkungen: kurzfristig Flush, • Metyraponkurztest (Metopiron-Kurztest)
Palpitationen, Übelkeit, RR-Abfall; Patienten Prinzip: Metyrapon hemmt die 11ß-Hydroxylase
auf evtl. Auftritt von kurzfristigen NW hinweisen und damit die Konversion von 11-Desoxycortisol
Fehlerquelle: Injektion des Lösungsmittels ohne zu Cortisol, die Hypocortisolämie stellt einen
Wirkstoff starken Reiz für Hypothalamus und Hypophyse
Vorteil: differenziert sekundäre von tertiärer dar (aber geringer als beim IHT)
NNR-Insuffizienz; einfache Durchführbarkeit, Durchführung: Einnahme von 30 mg/kg Körper-
kaum Nebenwirkungen gewicht Metopiron ( 1 Tb!. = 250 mg) um 24.00
Nachteil: keine gut standardisierten physiologi- Uhr (zusammen mit kleiner Mahlzeit), Blut-
schen Normbereiche für den Anstieg von Cortisol entnahme um 8.00 Uhr auf 11-Desoxycortisol,
und ACTH nach CRH-Stimulation Cortisol und Plasma-ACTH
Nebenwirkungen: evtl. Übelkeit, selten Erbre-
Ausreichender Anstieg des Serumcortisols: chen, bes. bei HVL-Insuffizienz und/oder Ein-
nahme auf nüchternen Magen
Serumcortisol Bei einem Maximalwert
Basalwert von mindestens
Fehlerquelle: Antiepileptika können den Metyra-
(J.lg/dl)
ponmetabolismus durch Enzyminduktion be-
> 6,5 < 10,0 schleunigen, sodass die Hemmwirkung von
6,5-10,0 > 1.5fach basal Metyrapon evtl. deutlich vermindert ist ( =} Ab-
> 10,0 > 20,0
schwächung der hypothalamisehen Stimulation).
Vorteil: hypothalamisehe Stimulation, einfache
• Insulin-Hypoglykämie-Test (IHT) Durchführung
Prinzip: Durch Hypoglykämiestress maximale Nachteil: geringerer Stimulus als IHT, Bestim-
Stimulation des Hypothalamus und damit der mung von 11-Desoxycortisol ist nicht überall
CRH-Ausschüttung, konsekutiv kräftiger Corti- möglich, Metyrapon muss über die internationale
sol- und ACTH-Anstieg Apotheke besorgt werden.
Durchführung: im Liegen; sicherer, großlumiger Physiologischer Anstieg: 11-Desoxycortisol > 7 11g/
i. v.-Zugang (mit NaCI 0,9 o/o offen halten); kon- dl (200 nmol/1), ACTH > 150 pg/ml (Test nur ver-
tinuierliche Überwachung durch ärztliches Per- wertbar, wenn Serumcortisol > 8!-Lg/dl, sonst keine
sonal; Bereitstellen von Glucose 20 o/o, Blutzucker- ausreichende Suppression durch Metopiron (= nicht
messgerät ausreichende hypothalamisehe Stimulation).
Dosis: 0,10 IE Alt-Insulin/kg KG bei V. a. HVL-
Insuffizienz, sonst 0.15 IE/kg KG, bei Adipositas
0.20-0.25 IE/kg KG. (Ziel: Serumglukose > 40 mg/ Aktuell wird der Nutzen eines niedrig dosierten
dl + hypoglykämische Symptomatik =} Schwit- ACTH-Testes (statt 250 11g ACTH 1-24 i. v. nur
zen) Blutentnahmen bei 0, 15, 30, 45, 60 und 111g bzw. 0.5 11g/m 2 Körberoberfläche) in der Dia-
90 min (Cortisol, ACTH, Glukose im Lactat- gnostik partieller hypothalamohypophysärer NNR-
röhrchen), zusätzlich Blutzucker-Stix bei Bedarf, Funktionsstörungen diskutiert. Ausgangspunkt ist
Blutzucker-Nadir bei schlanken u. HVL-insuffizi- dabei die Überlegung, dass 250 11g ACTH eindeutig
enten Patienten bei 20-30 min, bei Adipösen einen supraphysiologischen Stimulus darstellen,
nach 30-45 min eine möglicherweise physiologischere Stimulation
Nebenwirkungen: schwere neuroglukopenische durch eine niedrigere ACTH-Dosis aber latente
Symptomatik mit Koma und/oder Grand-mal- Einschränkungen der Hypothalamus-Hypophysen-
Anfall (ausfühliche Aufklärung und schriftl. Ein- Nebennieren-Achse besser offen legen könnte. Ein
verständniserklärung!) fundierter Vergleich der Sensitivität des "Low-
Kontraindikationen: hirnorganisches Anfallslei- dose-ACTH-Testes" mit dem Goldstandard Insulin-
den, KHK/ Herzinsuffizienz, zerebra-vaskuläre hypoglykämie steht noch aus, sodass die klinische
Erkrankungen Relevanz des Testes noch unklar ist.
3.4 Zentrales Cushing-Syndrom 75

Bildgebung Fall aber bis zur vollständigen Wiederherstellung


Goldstandard der hypothalamohypophysären Bild- der Nebennierenfunktion eine Hydrocortisonab-
gebung ist die Kernspintomographie der Hypothala- deckung bei vermehrtem Stress sowie einen Gluco-
mus-Hypophysenregion mit koronaren und sagitta- corticoid-Notfalla usweis.
len Schichten. Diese hochauflösende Methode sollte
bei jedem Patienten mit nachgewiesener sekundärer
Überfunktion (Cushing-Syndrom)
(oder tertiärer) NNR-lnsuffizienz zum Einsatz kom-
men, um das Vorliegen eines interventionsbedürfti- M. REINCKE
gen Befundes (Tumor!) auszuschließen. Wichtig zu
beachten ist, dass die Autoimmunhypophysitis im Die Folgen einer längerdauernden inadäquaten
frühen Krankheitsstadium durch die entzündungs- Erhöhung der Plasmaglucocorticoide werden als
bedingte Schwellung der Hypophyse wie ein Hypo- Cushing-Syndrom bezeichnet, erstmals durch
physentumor imponieren kann. Im Langzeitverlauf Harvey Cushing im Jahre 1912 beschrieben. Es
der postpartalen Hypophysennekrose (Sheehan- wird grundsätzlich zwischen dem nicht-ACTH-
Syndrom) findet sich in 75% der Fälle ein sekundä- abhängigen, adrenalen Cushing-Syndrom und dem
res Empty-sella-Syndrom (bei der primären Empty ACTH-abhängigen Cushing-Syndrom aufgrund hy-
sella, die z. B. durch langsame intrakranielle Druck- pophysärer oder paraneoplastischer ACTH-Hyper-
steigerung entsteht, ist die Hypophyse meist funkti- sekretion unterschieden. Bei hypophysärer Ursache
onsfähig, aber durch die Kompression nicht mehr wird auch vom M. Cushing gesprochen, bei der
sichtbar). Entscheidend ist immer die Zusammen- paraneoplastischen ACTH -Sekretion vom ektopen
schau von Anamnese, Klinik und MR-Bildern. Cushing-Syndrom (Abb. 3-25).

(
3.3.5

t
Therapie

Die Standardsubstitutionstherapie bei chronischer


sekundärer bzw. tertiärer NNR-Insuffizienz besteht loClM

in einer dauerhaften Glucocorticoidgabe, während


aufgrund des intakten Renin-Angiotensin-Aldoste- ..,... •
ron-Systems keine Mineralocorticoidgabe erforder-
lich ist. Bei klinischen Kontrollen der Substitutions-
rd ...
therapie bei sekundärer NNR-Insuffizienz fällt regel-
mäßig auf, dass die Patienten meist eine um 5 mg
niedrigere Hydrocortisontagesdosis als Addison-Pa-
tienten benötigen, um Wohlbefinden zu erreichen.
Dies könnte auf die mineralocorticoide Wirkkom-
ponente des Hydrocortisons zurückzuführen sein, Abb. 3-25. Ursachen des M. Cushing
die bei der sekundären NNR-Insuffizienz nicht be-
nötigt wird. Ansonsten gelten die gleichen Empfeh-
lungen hinsichtlich Dosisanpassung bei Stress, Ver- 3.4
laufskontrollen, Schulung und Notfallausweis wie Zentrales Cushing-Syndrom
bei der primären NNR-Insuffizienz (s. Abschn. 3.2.7
und Tabelle 3-4). 3.4.1
Während der Erholungsphase nach langanhalten- Fallpräsentation
der Suppression der kortikotropen Zellen durch
einen exogenen (Steroidtherapie!) oder endogenen Eine 30-jährige Patientin stellte sich mit seit
Hypercortisolismus (Cushing-Syndrom) findet 4 Monaten bestehender Oligoamenorrhö, Ge-
sich regelhaft initial eine komplette NNR-Insuffi- wichtszunahme von 14 kg, Ausbildung eines
zienz, die im Verlauf in eine partielle NNR-Insuffi- Vollmondgesichtes, generalisierter Ödemnei-
zienz und allmählich in eine normale NNR-Funk- gung und depressiver Stimmungslage vor. Siebe-
tion mit uneingeschränkter adrenaler Funktions- richtete zudem über seit 2 Monaten rezidivieren -
reserve übergeht (in der Regel nach 6-12 Monaten). den Soor-Befall von Mundhöhle und Ösophagus.
Je nach Ausprägung sollten diese Patienten ggf. eine Bei der körperlichen Untersuchung fanden sich
niedrig dosierte Glucocorticoidsubstitution (z. B. bei der 83 kg schweren, 1,65 m großen Patientin
10 mg Hydrocortison morgens) erhalten, auf jeden
76 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

typische Zeichen eines Cu hing-Syndrom mit


Plethora, Facies lunata (Abb. 3-26a), Stamm-
betonung der Adiposita , breiten, Jividen
triae an Axilla, Abdomen und Oberschenkel
(Abb. 3-26b), diskreten Prätibial- und Hand-
rückenödemen und Zeichen einer Hautatrophie.
Die endokrine Diagnostik zeigte im oberen
ormbereich gelegene Serumcortisolkonzentra-
tionen mit aufgehobener Tagesrhythmik und
feh lender Suppression nach 1 mg Fortecortin.
Die Cortisolausscheidung im 24-h-Urin war
mit 1.600 llg/24 h deutlich erhöht. Im hochdo-
sierten Dexamethasonhemmtest kam es zum
Abfall des Serumcortisols. Die Plasma-ACTH-
Konzentration betrug basal 163 pg/ml und stieg
deutlich auf über 300 pg/ml nach CRH an. Bei
der Kernspintomographie der Hypophysenre-
gion demarkierte sich nach Kontrastmittelgabe
eine kleine hypointense Läsion. Bei der trans-
sphenoidalen Hypophysenoperation wurde ein
kortikotropes Hypophy enadenom selektiv ent-
fernt. Postoperativ bestand eine sekundäre Ne-
bennierenrindeinsuffizienz, die über 9 Monate
mit Hydrocortison substituiert werden musste.

3.4.2
Epidemiologie

Mit ca. 70 o/o aller Fälle ist die häufigste Ursache des
Cushing-Syndroms das zentrale Cushing-Syndrom
Abb. 3-26a, b. Facies lunata (a) und breite livide Striae (b) bei
(Tabelle 3-5). Seine Inzidenz beträgt etwa 1 : 100 einer Patientin mit zentralem Cushing-Syndrom
bis 1 : 500 Einwohner/Jahr. Frauen sind in einem
Verhältnis von 3 : 1 bis 9 : 1 deutlich häufiger be-
troffen als Männer. Der Erkrankungsgipfelliegt zwi- Tabelle 3-5. Relative Häufigkeit der verschiedenen Formen
schen der 3. und 5. Lebensdekade, vereinzelt kommt des Cushing-Syndroms
die Erkrankung aber auch bei Kindern und im
ACTH-abhängige Form 85 %
hohen Alter vor.
ACTH -produzierende 80%
Hypophysenadenom (M. Cu hing)
Ektope ACTH-Produktion 20 o/o
3.4.3 (manife t oder okkult)
Pathogenese Bronchialkarzinoide
Medulläres Schilddrüsenkarzinom
Das zentrale Cushing-Syndrom (M. Cushing) ent- Pankreastumoren u. a. neuroendokrine
steht auf dem Boden einer hypophysären ACTH- Tumoren
Überproduktion mit chronischer Mehrausschüttung Kleinzelliges Bronchialkarzinom
von Glucocorticoiden. Die ACTH-Überproduktion Ektope CRH-Produktion Extrem selten
führt zu einer bilateralen diffusen, seltener knotigen (paraneopla tisch)
Nebennierenhyperplasie. Ursache der hypophysären ACTH-unabhängige Form 15 o/o
Mehrsekretion von ACTH ist meist ein Mikroade- ebennierenrindenadenom 50 %
nom ( < l cm im Durchmesser, Abb. 3-27) und sel- ebennierenrindenkarzinom 50 %
tener auch ein Makroadenom der Hypophyse. Hi- Mikronoduläre Sehr selten
ebennierenrindenhyperplasie
stologisch handelt es sich bei der Mehrzahl der Tu-
moren um chromophobe oder basophile Hypophy- Ma ive makronoduläre ACTH- Sehr selten
unabhängige ebennierenhyperpla ie
senadenome, die immunhistochemisch ACTH-
3.4 Zentrales Cushing-Syndrom 77

~-------------------. <1111 Abb. 3-27.


a kortikotropes Mikroadenom der Hypophyse (Autopsie-
Befund), b dichtgranuliertes, kortikotropes Hypophysen-
adenom, PAS-positive Granulierung im Zytoplasma (PAS-
Färbung), c deutliche ACTH-Immunoreaktivität,
d paraadenomatöser Vorderlappen bei zentralem Cushing-
Syndrom: zahlreiche Crooks-Zellen mit ringförmiger intra-
zytoplasmatischer Hyalinisierung und vorwiegend peripherer
Granulierung, immunpositiv für anti-ACTH.
(Mit freundlicher Genehmigung von W. Saeger, Hamburg)

postttv sind (kortikotrope Hypophysenadenome).


Der chronische Hypercortisolismus supprimiert so-
wohl die hypothalamisehe CRH-Sekretion als auch
die ACTH-Sekretion der außerhalb des Adenoms
gelegenen normalen hypophysären ACTH-produ-
zierenden Zellen. Diese Zellen sind als so genannte
Crooks-Zellen im paraadenomatösen Gewebe nach-
weisbar (Abb. 3-27) .

3.4.4
Klinik

Der entscheidende Schritt in der Diagnose des


Cushing-Syndroms ist die klinisch begründete, früh-
zeitige Verdachtsdiagnose. Die größte klinische
Hilfe ist dabei die sorgfältige Inspektion der Haut
(Tabelle 3-6). Die atrophische Haut weist einen röt-
lichen Farbton auf (Rubeosis, Plethora), der durch
das Vorhandensein von Ekchymosen und lividen
Striae noch betont wird. Der Androgenexzess be-
günstigt die Entwicklung einer Akne. Hautinfektio-
nen, insbesondere Candidainfektionen, sind häufig.
Weitere markante klinische Symptome sind Verän-
derungen der Fettgewebsverteilung mit Mondge-
sicht, Büffelnacken und stammbetonter Adipositas
mit auffallend schlanken Extremitäten (Abb. 3-28).
Beschwerden einer Myopathie werden von den Pa-
tienten mit Cushing-Syndrom nicht immer spontan
angegeben, lassen sich aber bei der klinischen Un-
tersuchung häufig objektivieren und haben einen
hohen diskriminatorischen Wert. Die Myopathie be-
trifft besonders die proximale Muskulatur der unte-
ren Extremität. Die Patienten geben Schwierigkeiten
beim Treppensteigen an und können sich nicht ohne
Hilfe aus der Hocke aufrichten. Die mediale Lebens-
erwartung des unbehandelten Cushing-Syndroms
beträgt etwa 5 Jahre. Es handelt sich somit um
eine Erkrankung mit einem malignen Grundcharak-
ter. Eine Verzögerung der Diagnose führt dement-
78 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Tabelle 3-6. Klinische Symptome beim Cushing-Syndrom

A Symptome, die isoliert noch Hilllfigkeit beim


keinen Cushing-Verdacht zulassen Cushing-Syndrom
(%)

Adipositas 40- 80
Diabetes mellitu 25-50
Hirsutismus 30-50
Hypertonie 50
Osteoporotische Frakturen 40-50

B Symptome, die in Kombination mit A


zum begrundeten Verdacht auf das
Vorliegen eines Cushing-Syndroms führen

Hautveränderungen: 100
Hautatrophie Rubeo i
Piethora
Ekchymo en
Livide Striae
Abb. 3-28. Plethora, Stiernacken, stammbetonte Adipositas Akne
bei einem Patienten mit ektopem Cushing-Syndrom Hautinfektionen 100
Stammbetonte Fettgewebsverteilung 80- 100
sprechend innerhalb kurzer Zeit zu irreversiblen Facies lunata 50-95
Schäden. So liegt zum Zeitpunkt der Diagnosestel- Myopathie 30- 90
lung bei mehr als 30% aller Patienten schon eine Zyklusstörungen/Impotenz 30- 85
manifeste Osteoporose vor. Psychi ehe Auffalligkeiten 50- 80 %

Das unbehandelte Cushing-Syndrom geht mit einer


erheblichen Arterioskleroseneigung einher sowie • Cortisoltagesrhythmik bzw. Mitternachtscortisol
mit einer 5-fach gesteigerten kardiavaskulären beim schlafenden Patienten (pathologisch: aufge-
Morbidität und Mortalität. Andere irreversible hobene Tagesrhythmik bzw. Mitternachtscortisol
Schäden drohen durch Selbstverletzungen im Rah- > 1,8 )lg/dl = 50 nmol/1)
men von Steroidpsychosen und durch einen schlecht
einstellbaren Diabetes mellitus mit der Ausbildung
von Spätschäden. Sind Dexamethasonkurztest und freies Cortisol im
Urin normal, ist ein Cushing-Syndrom ausgeschlos-
sen. Die Analyse der Cortisoltagesrhythmik ist die
3.4.5 fehleranfälligste Methode zum Nachweis eines
Diagnose Cushing-Syndroms. Im Vergleich zu Normalperso-
nen, die die typische Tagesrhyrthmik mit hohen
Diagnosesicherung morgendlichen und tiefen abendlichen Cortisolkon-
Beim begründeten klinischen Verdacht auf das Vor- zentrationen aufweisen, ist die Tagesrhythmik beim
liegen eines endogenen Hypercortisolismus erfolgt Cushing-Syndrom aufgehoben (Abb. 3-29). Wäh-
die biochemische Diagnosesicherung (s. folgende rend in den Morgenstunden eine Überlappung der
Übersicht) mittels 3 Methoden: Dexamethason- Cortisolwerte erkennbar ist, sind in den Abendstun-
Kurztest, Messung des freien Cortisols im 24-h- den Normalpersonen von Patienten mit Cushing-
Urin und Analyse der Cortisoltagesrhythmik. Syndrom vollständig voneinander separiert. Dies
trifft im besonderen Maße für die 24-h-Cortisolkon-
Diagnosesicherung des Cushing-Syndroms zentrationen zu, die beim Cushing-Syndrom immer
über 1,8 )lg/dl (50 nmol/1) liegen. Die Cortisolsekre-
• Niedrigdosierter Dexamethasonhemmtest ( 1 mg tion bei Patienten mit Nebennierentumoren ist
Fortecortin um 23 : 0 Uhr oral) Serumcortisol durch eine gewisse sekretorische Starre gekenn-
um 8 : 0 Uhr: Norm wert: > 3 )lg/dl ( < 90 nmol/l). zeichnet, während Patienten mit ACTH-abhängigem
• Freies Cortisol im 24-h-Urin (Norm: > 110 )lg/ Cushing-Syndrom hochamplitudige Cortisolpeaks
Tag) aufweisen.
3.4 Zentrales Cushing-Syndrom 79

3 Normalpersonen Nebennierenadenom ACTH-abhängiges C.S.

r I • J
cs
'f\ ' ,,:
I • I I
I'
A. t
GN •

~ .l.ll
A, I . I 0
'/ Abb. 3-29. Cortisol-
../
tagesrhythmik bei Nor-
malpersonen, adrenalem
7.00 11 00 15.01) 19.00 23.00 1S 00 19 00 23.00 II 00 1500 1900 2300 Cushing-Syndrom und
Uhrtell ACTH-abhängigem
Cushing-Syndrom.

Differentialdiagnose Funktionsdiagnostik
Die Differentialdiagnose nutzt die endokrine Funk- Der erste differentialdiagnostische Schritt ist die
tionsdiagnostikund die radiologische Lokalisations- Trennung von primärem adrenalen und sekundä-
diagnostik. Das diagnostische Primat kommt dabei rem ACTH-abhängigen Cushing-Syndrom durch
der endokrinen Funktionsdiagnostik zu (biochemi- die Messung des Plasma-ACTHs basal und im Kor-
sche Abklärung immer vor Lokalisationsdiagno- tikotropin-releasing-Hormontest (Abb. 3-30). Beim
stik). Es ist ein Fehler, sich an dieser Stelle frühzeitig adrenalen Cushing-Syndrom sind die basalen und
auf Röntgenbefunde zu verlassen. So kann z. B. bei stimulierten ACTH-Werte durch das negative Feed-
einem Vorliegen eines okkulten ektopen Cushing- back des Cortisols stets supprimiert. Beim ACTH-
Syndroms (s. Abschn. 3.5) der Nachweis einer hypo- abhängigen Cushing-Syndrom dagegen sind die
physären Raumforderung zu einem nicht-indizier- ACTH-Konzentrationen normal bis erhöht. Norm-
ten neurochirurgischen Eingriff führen. wertige ACTH-Werte beim Cushing-Syndrom sind
inappropriat hoch und damit Ausdruck einer
ACTH-Abhängigkeit des Cushing-Syndroms.
Die biochemische Differenzierung von zentralem
und ektopem Cushing-Syndrom ist schwieriger (Ta-
belle 3-7). Die endokrine Funktionsdiagnostik ver-
fügt hier über keinen einzigen Test, der in allen Fäl-
len eine sichere Differenzierung erlaubt. Drei Me-
thoden werden gemeinsam genutzt und ermögli-
chen in der Mehrzahl der Fälle eine diagnostische
Zuordnung. Dieses sind die ACTH-Messung, die Sti-
mulation mit CRH und der Suppressionstest mit
hochdosiertem Dexamethason. Man macht sich da-
bei zunutze, dass Hypophysentumoren im Gegen-
satz zum ektopen ACTH-Syndrom meist die Eigen-
schaften gesunder Hypophysenzellen behalten, d. h.:
die Stimulation des Tumor-ACTH durch CRH und

Tabelle 3-7. Biochemische Differentialdiagnose des ACTH-


abhängigen Cushing-Syndroms

M. Cushing Ektopes Cushing-


(%) Syndrom (%)

An tieg im CRH-Te t 90 <5


Abfall im hochdosierten 80 21
Abb. 3-30. Differentialdiagnose des Cushing-Syndroms: Dexamethaso nh emm test
ACTH-abhängige versus nicht-ACTH-abhängige Form
80 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

. I.
JO ' __.,._. . . . . . "'··~····- "' •••

.:
I -··4·- '•.
•O
,'0 - ".- ............ - - ..
• 0 ....... .. " _. .

.,I I
I '·
·. '
...
.• o Abb. 3-31. CRH-Test
~,.I •• --·-= beim ACTH-abhängigen
Cushing-Syndrom.
:
I o& . •

Patienten mit M. Cushing


weisen im Gegensatz zum
ektopen Cushing-Sydnrom
einen ACTH- und Corti-
solanstieg auf

Suppression des Tumor-ACTH durch höchstdosier- im CRH-Stimulationstest ist sehr spezifisch für das
tes Glucocorticoid. zentrale Cushing-Syndrom. Weniger als5o/oder Pa-
Beim zentralen Cushing-Syndrom ist das Plasma- tienten mit ektopem Cushing-Syndrom weisen solch
ACTH normal oder mäßig erhöht, beim ektopen einen ACTH-Anstieg nach CRH auf. Der Test fällt
Cushing-Syndrom ist es häufig sehr stark erhöht. aber bei ca. 10 o/o der Patienten mit M. Cushing
Extrem hohe ACTH-Konzentrationen sprechen negativ aus (Abb. 3-31). Auch ist die für den
daher eindeutig für das Vorliegen eines ektopen M. Cushing typische Suppression der Cortisolsekre-
Cushing-Syndroms. Ein ACTH-Anstieg (> 35 o/o tion im hochdosierten, über 2 Tage durchgeführten
des Basalwertes zum Zeitpunkt 15 und 30 Minuten) Dexamethasontest weder völlig spezifisch noch sen-
sitiv. Ein 50 o/oiger Abfall des Serumcortisols ist bei
ca. 80 o/o der Patienten mit M. Cushing, aber auch bei
Gesichertes ACTH-abhängiges 20 o/o der Patienten mit ektopem ACTH-Syndrom

'
Cushing-Syndrom nachweisbar. Ist mittels CRH-Test und Dexametha-
sonhemmtest eine eindeutige Zuordnung zum
,/ zentralen bzw. ektopen Cushing-Syndrom nicht

'
CRH-Test positiv CRH-TIIS1 aegltlv

I
möglich, muss die weitere Differenzierung mittels
Sinus-petrosus-Katheter durchgeführt werden
hochdosierter (Abb. 3-32).
Dua.-Test

SlniS·petrosas·lnferlor-
S•ppFeS$IOR lies . . . Kltlletertslerlllglllt Bildgebung
S·Cortlsals

'
CRH-stlmiiatlon • Kernspintomographie. Beim Verdacht auf das
Vorliegen eines zentralen Cushing-Syndroms ist
die Durchführung einer Kernspintomographie der
IIMR ZtlltraVperlplltrer
Hypophysenregion die Methode der Wahl
' ACT1HirMltllt
(Abb. 3-33). Mit diesem Verfahren gelingt bei

, ~~,- /I
45-65 o/o aller Patienten mit kortikotropem Hypo-
physenadenomder Nachweis einer Raumforderung.
Die relativ geringe Sensitivität der Kernspintomo-
Morbus Cushlng
graphie ist nicht überraschend, da der mittlere
Ektopes ACTH-Syndrom
Durchmesser von ACTH-bildenden Hypophysen-
tumoren bei nur 4-5 mm liegt, weshalb kleine
Abb. 3-32. Differentialdiagnostische Abklärung des ACTH- Adenome auch mit hochauflösenden Verfahren
abhängigen Cushing-Syndroms nicht nachgewiesen werden können. Die Spezifität
3.4 Zentrales Cushing-Syndrom 81

Tabelle 3-8. Sensitivität und Spezifität bildgebender Verfah-


ren beim zentralen Cushing-Syndrom

Sensitivität Spczifital
(%) (%)

Computertomographie 20-30 ca.90


der Hypophysenregion
Kernspintomographie 45- 65 85
der Hypophysenregion
Seila-Zielaufnahme 5 < 50

Abb. 3-33. Nachweis eines kortikotropen Mikroadenoms der


Hypophyse mittels NMR. Typisch ist der Befund einer signa- sen. Diese Untersuchung ist in erfahrenen Händen
larmen Raumforderung, die sich vor allem nach Gadolinium-
DTPA-Gabe gut abgrenzen lässt ein komplikationsarmes Verfahren und erlaubt
die sichere Differenzierung zwischen ektoper und
hypophysärer ACTH -Sekretion. Schwerwiegende
der Kernspintomographie wird eingeschränkt durch Nebenwirkungen in Form von intrakraniellen Blu-
die Beobachtung, dass sich bei 15 o/o der Normal- tungen sind als Einzelfallbeschreibungen aber be-
bevölkerung Zufallsbefunde im Bereich der Hypo- richtet worden. Nach CRH-Stimulation werden die
physe (Hypophyseninzidentalome) nachweisen las- ACTH-Spiegel in beiden Sinus gemessen und mit
sen. denen der Peripherie verglichen. Ein ACTH-Gra-
dient von zentral nach peripher > 3,0 ist typisch
• Dünnschichtcomputertomographie. Da mittels für das zentrale Cushing-Syndrom und hat nahezu
Dünnschichtcomputertomographie der Sellaregion eine 100 o/oige Spezifität und Sensitivität (Abb. 3-34
nur maximal 30 o/o aller kortikotropen Hypophyse- und 35).
nadenome nachweisbar sind, sollte dieses Verfahren
im Regelfall nicht eingesetzt werden (Tabelle 3-8).
3.4.6
• Katheterisierung des Sinus petrosus. Die Kathe- Therapie
terisierung des Sinus petrosus inferior ist indiziert,
wenn die Ergebnisse der dynamischen Tests Zweifel Alle Patienten mit den klinischen Zeichen eines
an der Diagnose eines M. Cushing aufkommen las- Cushing-Syndroms und biochemisch nachgewiese-
nem autonomen Hypercortisolismus müssen rasch
behandelt werden. Ziel der Behandlung ist die Be-
Basal Nach CRH seitigung des Glucocorticoidexzesses, die komplette
'l> Entfernung von Tumorgewebe und das Vermeiden
einer hormonellen Insuffizienz. Alle 3 Ziele werden
beim M. Cushing durch die selektive transsphenoi-
dale Entfernung des Hypophysenadenoms erzielt.

Transsphenoidoien Hypophysenoperation
Diese Operation hat in geübten Händen eine Hei-
!:
j:
f. lungsrate von über 90 o/o mit einer geringen Kompli-
't ... kationsrate von unter 5 o/o. Der Erfolg der transsphe-
J.O
noidalen Hypophysenoperation ist abhängig von
1: "'
W' der Exaktheit der Diagnose und der Erfahrenheit
'!'
..
..
des Operateurs. Patienten mit kompletter Remission
haben postoperativ erniedrigte Cortisolkonzentra-
,. tionen und entwickeln eine substitutionspflichtige
O.' AO<OUS C E.klopos pnmasns Nebennierenrindeninsuffizienz, die tertiärer (hypo-
(n•2151 CS es thalamisch-bedingter) Genese ist.
(n· 201 (n• 11

Abb. 3-34. Sinus-petrosus-Katheterisierung zur Differential-


diagnose des ACTH-abhängigen Cushing-Syndroms. Patien -
ten mit M. Cushing weisen einen Gradienten von zentral
nach peripher > 3,0 auf, der bei Patienten mit ektopem
In den ersten Wochen nach der Operation bestehen
bei den Patienten häufig als Folge des "Glucocorti-
coidentzugssyndroms" Arthralgien, Adynamie, De-
D
Cushing-Syndrom und adrenalem Cushing-Syndrom fehlt pressionen bis zur Suizidalität und Inappetenz.
82 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

konfluierende
hypophysäre Sinus Periphere Vene: 35 pg/ml
Sinus Venen petrosus
cavernosus inferior

> 1500 pg/ml 89 pg/ml

Vena
jugularis Abb. 3-35. Sinus-petrosus-
Katheterisierung bei einer
Patientin mit zentralem
Plasma ACTH 3 Min. nach CRH 100uQ i.v. SPI·Gradient zentral/peripher> 40 Cushing-Syndrom

In dieser Phase ist manchmal eine leicht supra- Allerdings tritt der Effekt meist erst nach 2 Jahren
physiologische Glucocorticoidsubstitution erforder- ein. In der Zwischenzeit muss überbrückend mit
lich. Die durchschnittliche Dauer der Nebennieren- Adrenostatika behandelt werden. Die Alternative
rindeninsuffizienz nach erfolgreicher transsphenoi- zur Hypophysenbestrahlung ist die bilaterale Adre-
daler Hypophysen-Operation beträgt 6-12 Monate. nalektomie, die stets zu einer substitutionsbedürfti-
gen Nebennierenrindeninsuffizienz führt. Das Ver-
fahren hat beim Cushing-Syndrom eine operations-
Persistenz oder Rezidiv des M. Cushing
assoziierte Letalität von ca. 1 %.
In ca. 10% der Fälle führt die transsphenoidale
Hypophysenoperation nicht zur Remission. In die-
sem Falle ist eine kurzfristige zweite Operation mit Adrenostatika
ca. 50 o/oiger Erfolgschance indiziert. Ebenso ist bei Als Vorbereitung auf die Operation bzw. zur Über-
Rezidiven des M. Cushing zu verfahren, die in brückung des Zeitraumes bis zum Eintreten des Be-
10-30% aller Fälle auftreten. strahlungseffektes werden Medikamente eingesetzt,
Ist auch durch einen zweiten Hypophyseneingriff die die Cortisolbiosynthese hemmen (Tabelle 3-9
eine Heilung nicht zu erzielen, wird eine Bestrahlung und Abb. 3-36). Eine Alternative besteht in dem
der Hypophysenregion eingeleitet, die in einem DDT -Derivat Mitotane, das dosis-und zeitabhängig
hohen Prozentsatz (> 80 %) zur Remission führt. durch die Zerstörung der Nebennierenrinde zu einer

Tabelle 3-9. Adrenostatische Therapie des Cushing-Syndroms

Substanz Wirkmechanismus Dosis Nebenwirkungen

Ketokonazol (Nizoral) c 17,20-Desmolase 400-1.200 mg!Tag Transaminasenerhöhung,


17a-Hydroxylase Ubelkeit, Gynäkoma tie,
llß-Hydroxylase medikamenteninduzierte
Hepatiti (I: 15)
Metyrapon (Metopiron) Hemmung der 750-2.000 mg Übelkeit, Müdigkeit,
II ß-Hydroxylase Hir utismus
(Desmola e)
Aminoglutethimid (Orime- Hemmung derDesmolase 500- 2.000 mg Müdigkeit, Kopfschmerzen,
ten) Myalgien, Exantheme
Mitotane (Lysodren; muss Zerstörung der Zona 3-mal 0,5g bis 3-mal 4 g Übelkeit, Erbrechen,
über internationale Apotheke reticularis und fasciculata Gewicht verlust, chwindel,
be orgt werden) Somnolenz
Etomidat (Hypnomidate) Hemmung der 50-80 mg!Tag i. v. Sedation, Atemdepression
llß-Hydroxyla e
3.5 Ektopes Cushing-Syndrom 83

80~
70 ' Iichen Verteilungstyp, progressiver Muskel-
60 , schwäche, Akne und depressiven Verstimmun-
- ektopes Cushing·Syndrom
50 .# gen . Im Labor bestand eine Hypokal iämie von
• - - • Morbus Cushlng
~ 40 2,84 mval/1. Bei der endokrinologischen Diagno-
'"'
..:,
ö
stik fa nden sich ein ACTH-abhängiges Cush ing-
Syndrom mit fehlendem Anstieg von ACTH im
~ 30

1.. :-~:·: -- -~·\..,_/;../


'' ·-....."'""'
CRH-Stimulationstest, aber Suppression von
ACTH und Cortisol unter hochdosiertem Dexa-
methason. Die Kernspin tomographie der Hypo-

10
. •' .-~ -. • -
'-
./ ~
•' - . - • - • • - •• - - •
physe zeigte eine kleine Raumfo rderung. Unter
der Vorstellung eines zentralen Cushing-Syn-
.# .. droms wurde eine tra nssphenoidale Hypophy-
0 '1 1 pf ' I /
0 0,5 1 2 6 12 18 24 48 senoperation durchgefüh rt, bei der ein inaktives
Behandlungsdauer (Monate) Hypophysenadenom entfernt wurde. Postope-
rativ bestand das Cushing-Synd rom fort. Nach
Abb. 3-36. Normalisierung des Serumcortisols unter einer Verlegung in ein Zentrum fa nd sich in der Com-
kombinierten Behandlung mit I000 mg Metyrapon und
1000 mg Aminoglutethimid bei Patienten mit ACTH-abhängi- putertomographie des Thorax eine 6 mm große
gem Cushing-Syndrom Raumforderung (Abb. 3-37), d ie in der Kern -
spi ntomographie des Thorax eine hohe Signa-
lintensität aufwies (Abb. 3-38). Bei der atypi-
chemischen Adrenalektomie führt. Muss eine rasche schen Oberlappenresektion zeigte sich ein ek-
Normalisierung der Cortisolsekretion erreicht wer- top-ACTH-prod uzierendes Bronchialkarzinoid
den (z. B. bei Patienten mit Steroidpsychose), hat mit mehreren Lymphknotenmetastasen . Nach
sich die kontinuierliche, intravenöse Infusion des dem Eingriff bestand eine substitu tionsbedürf-
Hypnotikums Etomidate bewährt, welches über tige, tertiäre ebennierenrindeninsuffiz ienz.
eine Hemmung der 11 ß-Hydroxylase innerhalb
von Stunden einen Cortisolabfall herbeiführt. Diese
Therapie muss wegen einer möglichen Atemdepres-
3.5.2
sion unter intensivmedizinischen Überwachungs-
Pathogenese
maßnahmen erfolgen.
Beim ektopen ACTH-Syndrom produziert und se-
zerniert nichthypophysäres Tumorgewebe biolo-
3.5 gisch aktives ACTH, welches die Nebennieren sti-
Ektopes Cushing-Syndrom muliert und zu einer bilateralen, häufig knotigen
Nebennierenhyperplasie führt. Der dadurch be-
Abzugrenzen gegen den M. Cushing ist das ektope
dingte Hypercortisolismus supprimiert die hypotha-
Cushing-Syndrom auf dem Boden einer paraneopla-
lamisehe CRH-Synthese und -Sekretion, blockiert
stischen ACTH-Sekretion. Die Ursache des ektopen
Cushing-Syndroms kann eine bekannte maligne
Erkrankung sein, z. B. ein kleinzelliges Bronchial-
karzinom. Häufiger und differentialdiagnostisch
schwierig gegen das zentrale Cushing-Syndrom
abzugrenzen ist das okkulte ektope Cushing-Syn-
drom, bei dem der Tumor zunächst mittels Primär-
diagnostik nicht nachweisbar ist.

3.5.1
Fallpräsentation

Eine 29-jährige Patientin zeigte seit einem Jahr


die typischen ymptome eines Cush ing-Syn-
droms mit Knöchelödemen, Gewichtszu nahme
von 4 kg, vermehrter Behaarung vom männ- Abb. 3-37. 1 cm großes, ektop ACTH-bildendes Bronchial-
karzinoid rechts hilär: High-Resolu tion-CT
84 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Tabelle 3-ll. Histologische Befunde bei Patienten mit okkul-


tem ektopem Cushing-Syndrom (n = 60).

Tumorart llaufigkeit
Karzinoide: n %

Bronchogen 30 50
Andere (Thymus, Leber) 10 17
Kleinzellige Bronchialkarzinom 5 8
Pankreastumoren:
Inselzelltumoren 3 5
Adenokarzinom 2
Phäochromozytom 2
Medulläres childdrüsen.karzinom 2
Unbekan nt oder unklas ifizierbar 9 15
Abb. 3-38. Ektop ACTH-bildendes ParagangHorn des Tho-
rax: TZ-gewichtetes NMR-Bild (STIR-Sequenz) mit Nachweis
einer Raumforderung mit hoher Signalintensität (Mit freund-
licher Genehmigung von Herrn Prof. D. Hahn, Abt. für Rönt-
gendiagnostik, Würzburg) M. Cushing sind häufig und führen in ca. 1/3 der
Fälle zu ungeeigneten Maßnahmen (Hypophysen-
bestrahlung, Hypophysenoperation). Ca. die Hälfte
die CRH-Wirkung auf die normalen hypophysären aller Fälle von okkultem ektopen Cushing-Syndrom
ACTH-produzierenden Zellen und supprimiert da- wird durch Bronchuskarzinoide hervorgerufen
mit die hypophysäre ACTH-Sekretion. Im Gegensatz (Tabelle 3-11 ). Eine paraneoplastische ACTH -Sekre-
zum sehr viel häufiger bei Frauen auftretenden zen- tion ist aber praktisch bei allen soliden Tumoren
tralen Cushing-Syndrom ist das okkulte ektope schon nachgewiesen worden.
Cushing-Syndrom bei männlichen und weiblichen
Patienten etwa gleich häufig (Tabelle 3-10). Bis
zum Nachweis der Quelle der ACTH-Hypersekreti- 3.5.3
on vergehen beim okkulten ektopen Cushing-Syn- Klinik
drom im Mittel 30 Monate, wobei es in Einzelfällen
jedoch auch 12 Jahre dauern kann, bis der ACTH- Das okkulte ektope ACTH-Syndrom ist dem
bildende Tumor gefunden ist. Fehldiagnosen als klinischen Bild des M. Cushing sehr ähnlich
(Tabelle 3-12). Allerdings weisen die Patienten häu-
figer eine proximale Myopathie sowie eine deutliche
Tabelle 3-10. Epidemiologie des zentralen, ektopen okkulten
Hypokaliämie auf. Die klinische Symptomatik bei
und nicht okkulten Cushing-Syndroms. (Zusammenstellung paraneoplastischer ACTH-Sekretion und bekannten
aus der Literatur nach Reincke et al. 1988) Tumorleiden (z. B. kleinzelliges Bronchialkarzinom)
ist aufgrund der kurzen Anamnesezeit typischerwei-
se oligosymptomatisch. Als Folge der hier exzessiv
erhöhten ACTH- und Cortisolwerte finden sich als
Leitsymptome Hypokaliämie, starke Hautpigmenta-
tion infolge der MSH-ähnlichen Wirkung von
ACTH, ausgeprägte Myopathie sowie eine diabeti-
Geschlecht 17/64 30/30 11/6 sche Stoffwechsellage. Typische Cushing-Stigmata
(männlich/weiblich) haben sich meistens noch nicht ausgebildet.
Durchschnittliches 35 41 51
Alter bei Diagnose (15- 67) (7- 72) (33- 68)
(Jahre) 3.5.4
Hypophysen- 63 % 27 % 0% Diagnose
operation oder
Hypophysen- Biochemische Abklärung
be trahlung
Trotz des Einsatzes moderner diagnostischer Ver-
Bilaterale Adrenal- 37 % 68% 18% fahren ist die Differentialdiagnose zwischen zentra-
ektomie lem Cushing-Syndrom und ektopem Cushing-Syn-
Definitive Heilung > 95 % 56 o/o 0% drom ausgesprochen schwierig. Sie folgt den in
Abschn. 3.4.5 genannten Prinzipien. Fallen CRH-Sti-
3.5 Ektopes Cushing-Syndrom 85

Tabelle 3-12. Klinik des Cushing-Syndroms

"Klassisches" Cushing-Syndrom Ektopes Cushing-Syndrom


(M. Cushing, Ncbennierenadenom )

Okkult: Nicht okkult:


n = 70 % n 22 % n = 17 %

Gewichtszunah me 91 64 29
Gewich tsabnah me 0 18 50
lammbetonte Adipositas 90 77 47
Mondgesicht 88 82 59
Zykl usunregelmäßigkeiten bei Frauen 84 25 25
Hirsutismu bei Fra uen 81 64 18
Arterieller Hypertonus 74 72 53
Psychische Auffalligkeiten 62 60 0
Livide Striae 56 32 24
Diabelische Stoffwechsellage 50 54 64
0 teoporose 50 29 6
Knöchelödeme 50 50 64
Myopathie 29 81 76
Akne 21 45 12
Hautpigmentatio n 12 36 76
Hypokaliä mie 9 73 94

mulationstest und hochdosierte Dexamethason-


3.5.5
hemmtest negativ aus, muss von einem ektopen
Therapie
Cushing-Syndrom ausgegangen werden. Die Dia-
gnosesicherung erfolgt dann durch die Sinus-petro-
Die einzige kurative Therapie ist die chirurgische
sus-inferior- Katheterisierung.
Entfernung des ACTH-bildenden Tumors, evtl.

Bildgebende Diagnostik
Die Lokalisationsdiagnostik beim okkulten, ektopen
Cushing-Syndrom nutzt die in folgender Übersicht
genannten Verfahren.

Lokalisationsdiagnostik beim okkulten ektopen


Cushing-Syndrom

• Hals-CI und Schilddrüsensonographie


• CT + MR des Thorax
• CI-Abdomen
• Octreotidszintigraphie

Da die Quelle der ektopen ACTH-Sekretion auf der


einen Seite nahezu in jedem Organ lokalisiert sein
kann, auf der anderen Seite die Tumoren oft sehr
klein sind, ist die bildgebende Diagnostik zunächst
häufig erfolglos (Abb. 3-39). In der Regel gelingt es
aber, durch regelmäßige Wiederholung dieser Un-
Abb. 3-39. Nachweis eines 10 mm großen Bronchialkarzi-
tersuchungen in 3 bis 6-monatigen Abständen zu noids mittels I 131-0ctreotid-Szintigraphie bei einem Patien-
einem späteren Zeitpunkt den ACTH-bildenden Tu- ten mit ektopem Cushing-Syndrom. Dieser Tumor war in
mor zu lokalisieren. der primären Bildgebung mit CT und NMR nicht nachweisbar
86 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

mit regionaler Lymphadenektomie, Bestrahlung


3.6.2
und Chemotherapie kombiniert. In der Zeit bis
Pathogenese
zum Tumornachweis muss der Hypercortisolismus
durch eine adrenostatische Therapie mit Keto-
Ist ein Cushing-Syndrom mit einer primären Neben-
konazol, Aminoglutethimid, Methyrapon oder Mi-
nierenerkrankung assoziiert, so werden die hypo-
totane kontrolliert werden (s. Tabelle 3-9). Zwingen
thalamisehe CRH-Synthese und -Sekretion ebenso
die z. T. erheblichen Nebenwirkungen zum Abset-
wie die ACTH-Synthese und -Sekretion supprimiert.
zen der medikamentösen Therapie, oder kommt
Als Folge kommt es zu einer Atrophie der kortiko-
es zu einem Escape der Plasmacortisolkonzentratio-
tropen Zellen des Hypophysenvorderlappens und
nen, kommt alternativ eine bilaterale Adrenalekto-
der normalen Nebennierenrinde.
mie in Betracht.
• Nebennierenrindenadenom. Nebennierenrinden-
adenome sind typischerweise einseitig lokalisierte
3.6 Tumoren mit einem Gewicht unter 100 g (Abb. 3-41).
Adrenales Cushing-Syndrom
• Nebennierenrindenkarzinom. Nebennierenrin-
3.6.1 denkarzinome sind hochmaligne Tumoren mit
Fallpräsentation schlechter Prognose. Bei Diagnosestellung weisen
sie ein durchschnittliches Tumorgewicht von 800 g
auf (Abb. 3-42). Die Steroidbiosynthese ist unter
Bei einer 45-jährigen Patientin hatten sich im Berücksichtigung der Tumorgröße häufig ineffektiv.
Verlauf von einem Jahr Plethora, Facies lunata,
stammbetonte Adipositas und eine arterielle
Hypertonie entwickelt. Biochemisch war das
Cushing-Syndrom durch eine mittelgradige Er-
höhung der Cortisolausscheidung im 24-h-Urin
und ein nichtsupprimierbares Plasmacortisol im
niedrig- und hochdosierten Dexamethason-
hemmtest charakterisiert. Die Plasma-ACTB -
Konzentrationen waren nicht messbar ernied-
rigt und ließen sich durch CRH nicht stimulie-
ren. Die Computertomographie zeigte einen
massiven knotigen Umbau beider Nebennieren
(Abb. 3-40). Die bilaterale Adrenalektomie
führte zur Remission des Cushing-Syndroms.
Diagnose: Makronoduläre massive ACTH-un- Abb. 3-41. Cortisolproduzierendes Nebennierenadenom mit
abhängige Nebennierenhyperplasie. Atrophie der normalen Nebennierenrinde. (Mit freundlicher
Genehmigung von Prof. W. Saeger, Hamburg)

Abb. 3-40. Bilaterale massive, ACTH-unabhängige Neben- Abb. 3-42. Makropathologischer Befund eines Neben-
nierenhyperplasie: CT-Befund nierenkarzinoms. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof.
W. Saeger, Hamburg).
3.6 Adrenales Cushing-Syndrom 87

50 o/o aller Patienten mit Nebennierenkarzinom mit Nebenierenrindenkarzinom haben häufig Lo-
weisen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung keine kalbeschwerden in Form von Flanken- und Rücken-
endokrinen Symptome auf. Drei Viertel aller Tumo- schmerzen.
ren sind bereits bei der körperlichen Untersuchung
palpabel.
3.6.4
• Mikronoduläre Dysplasie der Nebenniere. Die Diagnostik
mikronoduläre Dysplasie der Nebenniere ist eine
seltene Form des adrenalen Cushing-Syndroms Die Diagnosesicherung des Cushing-Syndroms er-
und tritt häufig im Kindesalter auf. Die familiäre folgt wie in Abschn. 3.4.5 dargestellt. Der Nachweis
Form wird auch als Carney-Komplex bezeichnet, supprimierter Plasma-ACTH- Konzentrationen im
bei der sich neben der mikronodulären Hyperplasie CRH-Stimulationstest beweist die adrenale Genese
Hauttumoren, Vorhofmyxome, wachstumshormon- des Cushing-Syndroms. Die weitere Abklärung er-
produzierende Hypophysenadenome und andere folgt mit bildgebenden Verfahren, vorzugsweise
Tumoren nachweisen lassen. Das Gen für diese mittels abdomineller Computertomographie, wie
autosomal-dominant ererbte Erkrankung konnte in Abb. 3-43 und 3-44 dargestellt.
kürzlich auf Chromosom 2pl6 lokalisiert werden.
Makroskopisch zeigen die Nebennieren bei der
mikronodulären Hyperplasie eine feinfleckige
braune Pigmentierung. Histologisch ist die zwischen
den Knoten gelegene normale Nebenniere atro-
phisch.

• Bilaterale, ACTH-unabhängige, makronoduläre


Hyperplasie. Die bilaterale, ACTH-unabhän.gige,
makronoduläre Hyperplasie ist eine in ihrer Atio-
pathogenese bisher ungeklärte, seltene Erkrankung
der Nebennierenrinde. Charakteristischerweise fin-
den sich beidseits z. T. massiv-knotig veränderte
Nebennieren, die ein kombiniertes Gewicht von
60-500 g haben. Histologisch liegen nichtpigmen-
tierte Noduli von unterschiedlicher Größe vor, wo-
bei charakteristischerweise die dazwischenliegende Abb. 3-43. CT eines cortisolproduzierenden Adenoms
normale Nebennierenrinde eine diffuse Hyperplasie
aufweist. Das Cushing-Syndrom bei der makro-
nodulären Nebennierenhyperplasie ist häufig milde.
Einige der Patienten weisen eine nahrungsabhängige
Cortisolsekretion auf, die Folge einer aberranten
Expression des GIP-Rezeptors (glukoseabhängiges,
insulinotropes Peptid) ist.

3.6.3
Klinik

Cortisol-produzierende Nebennierenrindenadenome
führen zur typischen Symptomatik des Cushing-
Syndroms. Die gleichzeitige Bildung anderer adre-
naler Steroide ist für Nebennierenadenome unty-
pisch. Beim Nebennierenrindenkarzinom werden
häufig multiple Vorstufen der Steroidbiosynthese
gebildet. Klinisch finden sich deshalb zusätzlich
zu Cushing-Symptomen eine ausgeprägte Viri- Abb. 3-44. CT eines Nebennierenkarzinoms
lisierung oder eine Feminisierung. Die gleichzeitige
Bildung von Mineralocorticoiden kann zu einer
hypokaliämischen Hypertonie führen. Patienten
88 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Unerwünschte Glucocorticoidwirkungen
3.6.5
Therapie
• Katarakt, Glaukom
• Akne, Hirsutismus, Purpura, Hautatrophie
Nebennierenrindenadenome werden einer unilate-
• Hypertonie, Dyslipoproteinämie, Verhaltens-,
ralen Adrenalektomie zugeführt. Als Alternative
Wissensveränderung, Myopathie
zur klassischen lumbalen Adrenalektomie steht in-
• Diabetagene Stoffwechsellage
zwischen die Iaparoskopische Adrenalektomie zur
• Magen-, Darmulzera mit Blutungen
Verfügung. Dieses Verfahren ist mit einer kürzeren
• Erhöhte Infektanfälligkeit
Krankenhausaufenthaltsdauer und einer geringeren
• Osteoporose
Morbidität verbunden.
• Hemmung der körpereigenen Cortisolprodukti-
Beim Nebennierenrindenkarzinom sollte auch
on bis zur Nebennierenrindeninsuffizienz
bei Vorliegen von Fernmetastasen eine Tumorresek-
• Iatrogenes Cushing-Syndrom
tion angestrebt werden. Bei Persistieren des Hyper-
cortisolismus wird das Adrenostatikum Mitotane in
einer Dosis von 2-12 g/Tag eingesetzt (Tabelle 3-9). Die Entwicklug eines iatrogenen Cushing-Syndroms
Bei ausreichender Dosierung lässt sich hiermit der ist eine der gravierendesteil Nebenwirkungen der Glu-
Hypercortisolismus kontrollieren, wobei jedoch cocorticoidtherapie. Vor Einleitung einer längerfristi-
Nebenwirkungen in Form von Übelkeit, Adynamie gen Glucocorticoidtherapie ist deshalb eine besonders
und Erbrechen diese Behandlung limitieren. Poly- sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse notwendig. Die
chemotherapie und Tumorbettbestrahlung sind Glucocorticoidtherapie soll dabei die in der folgenden
weitere Behandlungsprinzipien der Karzinombe- Übersicht dargestellten Richtlinien befolgen:
handlung.
Bei der mikronodulären Nebennierenhyperplasie Richtlinien für die Glucocorticoidtherapie
und der makronodulären, ACTH-unabhängigen
Nebennierenhyperplasie ist die bilaterale Adrenal- e Einsatz der niedrigsten wirksamen Dosis
ektomie die Behandlungsform der Wahl und führt • Einsatz eines Präparates mit kurzer Halbwertszeit
zur Remission des Krankheitsbildes. • Möglichst einmalige morgendliche Applikation
• Topische Gabe vor systemischer Gabe vor intra-
venöser Gabe
3.7 • Kurzfristige hochdosierte Dosis besser als nied-
Exogenes Cushing-Syndrom rigdosierte Langzeittherapie

Glucocorticoide gehören zu den am häufigsten Trotz Beachtung dieser Richtlinien lässt sich die Ent-
eingesetzten Pharmaka. Die Indikationsliste für ih- wiekJung eines iatrogenen Cushing-Syndroms häu-
ren Einsatz ist umfangreicher als bei jeder anderen fig nicht vermeiden. Hierbei ist festzuhalten, dass es
Medikamentengruppe und umfasst Erkrankungen eine allgemein gültige Cushing-Schwellendosis nicht
aus allen Gebieten der Medizin. Die Verordnung gibt. Die Äquivalenzdosen synthetischer Glucocorti-
an Glucocorticoiden hat in den letzten 10 Jahren coide (Tabelle 3-13 und Abb. 3-45) beruhen auf tie-
ständig zugenommen und lag in der Bundesrepublik
1992 bei 6,5 Millionen Packungseinheiten. Inzwi-
schen steht eine Vielzahl von synthetischen Gluco-
corticoidpräparationen zur Verfügung. Durch struk-
turelle Veränderungen am Glucocorticoidmolekül
ist es dabei gelungen, eine Wirkungsverstärkung
zu erzielen. Durch den zusätzlichen Einbau einer
Doppelbindung zwischen Kohlenstoffatom 1 und
2 lässt sich außerdem der therapeutisch uner-
wünschte mineralocorticoide Effekt des Cortisols
deutlich reduzieren. Eine vollständige Abtrennung 0
von erwünschter und unerwünschter Glucocorti-
coidwirkung ließ sich bisher nicht erzielen (s. fol-
gende Übersicht).
Abb. 3-45. Glucocorticoidgrundstruktur. Stellen, in denen
durch zusätzliche Einbringungen von Substituenten (R)
oder durch Strukturveränderungen eine Wirkungsverände-
rung des Glucocorticoids möglich ist, sind farblieh hervor-
gehoben
3.8 Benigne, hormoninaktive Nebennierentumoren 89

Tabelle 3-13. Äquivalenzdosen synthetischer Glucocorticoide (Hydrocortison = I)

Aquivalenzdosis (mg) Plasmahalb-


wertszeit (h)

Prednisolon 4 2-3
6-Methylpredn isolon 5 1,5-3
Fluorokortolon 4 0,8- 1,7
Deflazako rt 3 1,9
Cloprednol 4 2
Triamcinolon 5 3,5-5
Betamethason 30- 40 3,5
Dexamethason 25 5-7

rexperimentellen Befunden oder Dosierungsstudien Hormoninaktive Nebennierentumoren


beim Menschen ohne einheitliche ParameterwahL
Sie können deshalb nur als grobe Richtschnur gel- B. ALLOLIO

ten. Da die individuelle Glucocorticoidempfindlich-


keit abhängig vom Glucocorticoidrezeptorstatus 3.8
sehr unterschiedlich sein kann, entwickeln manche Benigne, hormoninaktive Nebennierentumoren
Patienten auch unter hochdosierter Glucocorticoid-
therapie kein iatrogenes Cushing-Syndrom, wäh- 3.8.1
rend bei glukocorticoidempfindlichen Individuen Fallpräsentation
ein iatrogenes Cushing-Syndrom schon unter sehr
niedrigen Dosierungen auftreten kann. Teilaspekte Bei einer 58-jährigen Patientin mit unklaren
des Cushing-Syndroms wie arterielle Hypertonie, Oberbauchschmerzen wurde auswärts eine
Hirsutismus, Akne, Menstruationsstörungen und Computertomographie zur weiteren Klärung
Impotenz sind unter exogener Glucocorticoidzufuhr durchgeführt. Im Rahmen dieser Untersuchung
deutlich seltener als beim endogenen Cushing-Syn- wurde in der rechten Nebenniere eine Raumfor-
drom. derung mit einem Durchmesser von 2,9 cm fest-
gestellt (Abb. 3-46). Die Einweisung erfolgte
zur weiteren Klärung der Nebennierenraum-
forder ung. Bei der körperlichen Untersuchung
ergaben sich keine Hinweise für eine endokrine
Aktivität der Nebennierenraumforderung, ins-
besondere keine Hinweise auf ein Cushing-Syn-
drom oder einen androgenproduzierenden Tu-

Abb. 3-46. Rechtsseitiges benignes, endokrin inaktives Ne-


bennierenadenom
90 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Tabelle 3-14. Häufigkeit von Nebenierentumoren in großen


mor. Die Patientin hatte allerdings eine seit vie- CT- Untersuchungsserien
len Jahren bestehende Adipositas und eine arte-
rielle Hypertonie, die mit Nifedipin retard gut Erstautor Jahr Studiendesign (n) NN-Tu-
moren
eingestellt war. Bei der Mutter der Patientin be- (%)
stand ein Diabetes mellitus Typ 2 seit 4 Jahren.
In der Computertomographie erschien die Gla zer 1982 Retrospektive 2.200 0,6
CT-Studie
Raumforderung homogen mit scharfen Rän-
Ga rz 1985 Retrospektive 12.000 0,5
dern und niedrigen Houndsfild-Einheiten. So-
Cl -Studie
nographisch gelang keine zuverlässige Darstel-
Kley 1990 Retrospektive 2.568 4,4
lung der Raumforderung. Das Routinelabor CT-Studie
war unauffällig bis auf ein erhöhtes Cholesterin
Hensen 1997 Retro pektive 13.818 0,8
von 286 mgldl. Die Ausscheidung der Katechol- CT- tudie
amine im 24-h-Urin war normwertig. Cortisol Gesamtzahl 30.586 1,0
im Dexamethasonkurztest mit 3 mg Dexa-
methason zeigte mit 0,9 ).lg/dl eine regelrecht
Suppression. Die Plasmareninaktivität in Ruhe
war mit 0,9 ng/ml/h normwertig, ebenso das Männer und Frauen sind insgesamt gleichhäufig
Aldosteron mit II ngldl. Das DHEAS lag mit betroffen. Die Prävalenz von Nebennierenraumfor-
926 ng/ml im unteren Normbereich. Aufgrund derungen steigt mit dem Lebensalter an und erreicht
der körperlichen Befunde, der endokrinalogi- einen Gipfel in der 7. Lebensdekade. Autopsiestu-
schen Diagnostik und der Bildgebung wurde dien und computertomographische Untersuchun-
die Diagnose eines endokrinen inaktiven Ne- gen belegen, dass beide Nebennieren mit gleicher
bennierenadenoms gestellt. Die computer- Häufigkeit betroffen sind. Wird ausschließlich die
tomographische Kontrolluntersuchu~~ nach 6 Sonographie zur Entdeckung von Nebennieren-
Monaten zeigte keine signifikante Anderung raumforderungen herangezogen, so ergibt sich
der Größe der Raurnforderung, ebenso blieb eine größere Häufigkeit von Raumforderungen
die Raumforderung auch bei einer Kontroll- der rechten Nebenniere, da diese über das Leber-
untersuchung im Computertomogramm nach schallfenster wesentlich leichter darstellbar ist.
2 Jahren stabil. Die Überwachung der Patientin
wurde beendet. lnzidentalom
Da die große Mehrzahl der Nebennierenraumforde-
rungen klinisch stumm ist bzw. nur eine subklini-
3.8.2 sche Hormonsekretion aufweist, werden die meisten
Epidemiologie dieser Tumoren zufällig entdeckt (s. Tabelle 3-15).
Daher wurde der Begriff "lnzidentalom" geprägt,
Autopsiestudien fanden Nebennierentumoren in der sich in geringerem Umfang auch für zufällig ent-
1,4-8,7% aller Fälle. Die meisten dieser Tumoren deckte Raumforderungen der Hypophyse eingebür-
sind kleine Adenome. Die Häufigkeit von Tumoren gert hat. Unter einem Inzidentalom versteht man
mit einem Durchmesser > 1,5 cm beträgt in man- eine Nebennierenraumforderung, die vor Durchfüh-
chen Studien immer noch 1,8% und Tumoren mit rung des bildgebenden Verfahrens, das zu ihrer
einem Durchmesser > 6 cm wurden bei 0,025 % Entdeckung geführt hat, nicht vermutet wurde. Pa-
der Autopsien nachgewiesen. Der Einsatz der tienten, bei denen im Rahmen eines Tumors ein Sta-
Computertomographie ergab in unterschiedlichen ging durchgeführt wurde, haben daher per deflnitio-
Studien eine Prävalenz von Nebennierenraumforde- nem niemals ein Inzidentalom, da Nebennierenme-
rungen zwischen 0,6 und 4,4 %. Werden die Zahlen tastasen vor der Durchführung einer solchen Unter-
von mehreren großen Untersuchungen, die über suchung immer als Möglichkeit in Erwägung
30.000 Patienten umfassen, zusammen gefasst, so gezogen werden. Trotzdem werden natürlich einige
beträgt die Prävalenz einer im CT gut darstellbaren Nebennierenadenome auch im Rahmen eines Tu-
Nebennierenraumforderung ca. 1% (Tabelle 3-14). morstaging entdeckt und können zu schwierigen
Dies bedeutet, dass in Deutschland ungefähr differentialdiagnostischen Überlegungen Veranlas-
800.000 Personen einen mit der Computertomogra- sung geben. Bei Patienten mit arterieller Hypertonie
phie darstellbaren Nebennierentumor aufweisen. ist es manchmal schwierig zu klären, ob eine Neben-
Die meisten dieser Tumoren sind allerdings sehr nierenraumforderung im Rahmen einer abdomi-
klein (SOlS> I cm) und ca. 80% der Tumoren haben nellen Ultraschalluntersuchung wirklich zufällig
einen Durchmesser unter 2 cm. entdeckt wurde. Grundsätzlich gilt aber für die Ab-
3.8 Benigne, hormoninaktive Nebennierentumoren 91

Tabelle 3-15. Differentialdiagnose des adrenalen Inzidental- druck einer klonalen Expansion nach somatischen
oms und Häufigkeit der einzelnen Diagnosen in einer Serie onkogenen Mutationen. Allerdings wurden in allen
von 267 Fällen
entsprechenden Untersuchungen immer auch poly-
Diagnose (n) klonaleKnoten gefunden. Tumoren der Nebenniere,
die mit dem CT nachgewiesen werden, stellen somit
ebennierenadenom Inaktiv 206 sowohl echte Neoplasien als auch fokale noduläre
Cortisolsezernierend 23 Hyperplasien dar.
Aldo teronom
Androgenproduzierend
Enzymdefekte
Östrogenproduzierend Ein weiterer Zusammenhang besteht möglicherwei-
Nebennierenrindenkarzinom se zwischen adrenalen Enzymdefekten (z. B. 21-Hy-
noduläre Hyperplasie 3 droxylasemangel) und dem Auftreten von Inziden-
Phäochromozytom 7 talomen. Patienten mit klassischem adrenogenita-
Ganglioneurom 3 lem Syndrom entwickeln häufig makronodulär ver-
Ganglioneuroblastom
änderte Nebennieren. Dies ist insbesondere dann
sehr ausgeprägt, wenn diese Patienten keine adäqua-
Angiomyelolipom
te Steroidtherapie erhalten haben. Das unbehandelte
Lipom adrenogenitale Syndrom wird sogar als Risikoer-
Liposarkom krankung für das Auftreten des Nebennierenrinden-
Myelolipom 9 karzinoms angesehen. Eine makronoduläre Hyper-
Lymphangiom plasie wird beim 21-Hydroxylasemangel dabei nicht
Hämangiom nur bei homozygoten sondern auch bei hertero-
Hämatom/Blutung I zygoten Patienten gefunden. So wurden bei Familien
Abszess- ebennierenzyste 6
mit adrenogenitalem Syndrom bei 45 o/o der hetero-
zygoten Genträger Nebennierenknoten nachgewie-
Metastasen 3
sen. Verschiedene Untersuchungen haben darüber
Hypernephrom hinaus gezeigt, dass Patienten mit einem zufällig
retroperitoneales Sarkom entdeckten Nebennierentumor einen gesteigerten
Leiomyom des Magens Anstieg des 17a-Hydroxyprogesterons nach Stimu-
eurilemom lation mit ACTH aufweisen, wie er für heterozygote
Nebenmilz Träger des 21-Hydroxylasemangels typisch ist. Neue
Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass eher
die llß-Hydroxylaseaktivität im Tumor selbst be-
troffen zu sein scheint, da auch andere Vorstufen
klärung der endokrinen Hypertonie, dass die bio-
nach ACTH-Stimulation ansteigen und nach Entfer-
chemische Diagnostik den Bildgebungsverfahren
nung des Tumors der überschießende Anstieg von
vorangeht.
Steroidvorstufen nicht mehr beobachtet wird.
Auch Genanalysen in zufällig entdeckten Tumoren
haben keine erhöhte Mutationsrate im 21 -Hydroxy-
3.8.3
lasegen nachweisen können.
Pathogenese

Die Knotenbildung im Bereich der Nebenniere steigt Metabolisches Syndrom


mit dem Alter an und eine noduläre Hyperplasie der Die Patienten mit lnzidentalom zeigen häufig eine
Nebennieren wird von manchem als eine Mani- arterielle Hypertonie, Übergewicht, eine pathologi-
festation der alternden Nebenniere angesehen. Diese sche Glukosetoleranz und sogar einen Diabetes mel-
Annahme wird durch die Beobachtung unterstützt, litus Typ 2. Dies sind Charakteristika des metaboli-
dass bei alten Patienten in der Mehrzahl beide Ne- schen Syndroms. Mehrere Untersuchungen haben
bennieren betroffen sind und dass das Auftreten von bei nahezu allen Patienten mit zufällig entdeckten
Nebennierenknoten häufig mit einer Arteriopathie Nebennierentumoren eine Insulinresistenz und
der Kapselgefäße einhergeht. Das Auftreten von Ne- eine Hyperinsulinämie gezeigt. Da ein solcher Zu-
bennierenknoten könnte deswegen als eine fokale sammenhang auch aus den Autopsieserien nahe ge-
Hyperplasie als Antwort auf eine fokale Ischämie er- legt wird, kann er nicht dadurch erklärt werden, dass
klärt werden. Neue Untersuchungen zur Klonalität Patienten mit metabolischen Syndrom verstärkt
größerer Nebennierenknoten haben jedoch gezeigt, einer Bildgebung zugeführt werden. Insulin ist ein
dass die Mehrzahl monoklonal ist und damit Aus- Mitogen, das spezifisch auch auf die Nebennieren-
92 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

rinde wirkt und die Steroidogenese sowie die Zell- Endokrinalogische Diagnostik
proliferation beeinflussen kann. Nebennierenkno- Durch sorgfältige Diagnostik besteht die Möglich-
ten können als eine Manifestation des metaboli- keit gravierende Erkrankungen (z. B. Nebennieren-
schen Syndroms eingeordnet werden. karzinom) frühzeitig zu erkennen und zu behan-
deln. Auf der anderen Seite sind die meisten Neben-
nierenveränderungen gutartig, endokrin inaktiv
3.8.4 und erfordern keine gezielten therapeutischen Maß-
Klinik nahmen. Es ist daher wichtig, die Diagnostik zu be-
grenzen (s. folgende Übersicht).
Patienten mit gutartigen endokrin inaktiven Ne-
bennierenraumforderungen sollten typischerweise Endokrinalogische Diagnostik beim Neben-
keine Symptome oder Beschwerden aufweisen. niereninzidentalom
Der Übergang von endokrin inaktiven zu endokrin
aktiven Tumoren ist jedoch fließend. Häufig lässt • Stufe 1:
sich durch eine subtile Diagnostik eine subklinische a) Katecholaminausscheidung im 24-h-Urin
Hypersekretion von Steraiden oder Katecholaminen b) Messung des Serumcortisols im Dexametha-
nachweisen. Eine sorgfältige Befragung und eine ge- son-Kurztest (3 mg Dexamethason um 23.00
zielte erneute körperliche Untersuchung kann oft Uhr per os)
diskrete Hinweise auf einen Hormonüberschuss auf- c) Bestimmung des spontanen Serumkaliums und
decken (z. B. Gewichtszunahme, Hautatrophie, epi- wiederholte Blutdruckmessungen, im Falle einer
sodische Kopfschmerzen). Darüber hinaus zeigen spontan Hypokaliämie oder einer arteriellen Hy-
viele Patienten die Zeichen des metabolischen Syn- pertonie Bestimmung der Plasmareninaktivität
droms mit arterieller Hypertonie, Adipositas und und des Serumaldosterons in Ruhe, Kaliumaus-
Diabetes mellitus Typ 2. scheidung im 24-h-Urin
d) Messung des Serum-DHEAS
• Stufe 2 (nur wenn die korrespondierenden Test-
3.8.5 ergebnisse in Stufe 1 pathologisch ausgefallen
Diagnostik sind):
a) 131-Jod-MIBG-Szintigraphie oder
Anamnese und körperliche Untersuchung b) CRH-Test, Analyse der Cortisoltagesrhythmik
Endokrin inaktive Tumoren werden typischerweise und hochdosierter (8 mg) Dexamethason-Sup-
als Inzidentalome manifest, sodass zum Zeitpunkt pressionstest oder
der diagnostischen Abklärung bereits Bildgebung c) Orthostasetest mit Messung der PRA und des
vorliegt. Bei Kenntnis der Existenz einer Nebennie- Serumaldosterons, Ausscheidung von Aldosteron
renraumforderung wird man über eine gerichtete 18-Glukoronid im 24-h-Urin, Fludrocortison-
Anamnese und eine gezielte körperliche Untersu- suppressionstest, in ausgewählten Fällen: bilate-
chung nach subtilen Zeichen der endokrinen Über- rale Katheterisierung der Nebennierenvenen mit
funktion fahnden (z. B. Hirsutismus). Bestimmung von Aldosteron und Cortisol
n
endokrin aktiv Ziel der endokrinen Diagnostik ist der Nachweis
14 % - endokrin inaktiv einer subklinischen adrenalen Hypersekretion
durch wenige sehr informative Untersuchungen.
Die endokrine Aktivität steht im Zusammenhang
mit der Tumorgröße (Abb. 3-47). Inzidentalome
mit eine Durchmesser unter 1 cm bedürfen keiner
endokrinen Diagnostik, da eine relevante endokrine
Aktivität außerordentlich selten ist. Alleine durch
diese Maßnahme können die diagnostischen Kosten
deutlich reduziert werden. Allerdings kann ein
<2.0 2.0-2 .9 3.0-3.9 4.0-5.9 ~6 . 0 kleines Aldosteronom eine schwere arterielle Hyper-
Tumorgröße (cm) tonie auslösen, sodass der Verzicht auf endokrine
Diagnostik nur bei Normatonie und Normokaliämie
Abb. 3-47. Tumorgröße und endokrine Aktivität bei adrena-
len Inzidentalomen. Mit zunehmender Tumorgröße steigt die
zulässig ist.
Wahrscheinlichkeit einer detektierbaren endokrinen Aktivi-
tät. (Aus Reincke u. Allolio 1995)
3.8 Benigne, hormoninaktive Nebennierentumoren 93

Differentialdiagnose perioperativen und postoperativen Hormonsubsti-


• Phäochromozytom. Phäochromozytome werden tution.
bei zufällig entdeckten Nebennierentumoren in
einer Frequenz bis 11 % gefunden. Patienten mit • Plasmareninaktivität und Plasmaaldosteron.
Phäochromozytom können lebensbedrohliche hy- Hinter Inzidentalomen verbergen sich nur sehr sel-
pertensive Krisen aus völligem Wohlbefinden her- ten Conn-Andenome. Bei normotensiven Patienten
aus entwickeln und sind gefährdet, wenn ohne mit einem Serumkalium > 3,9 mmol!l ist keine ge-
Therapie ein chirurgischer Eingriff durchgeführt zielte endokrine Diagnostik notwendig. Andernfalls
wird. Es ist daher bei allen Patienten mit einem erfolgt die Bestimmung der Plasmareninaktivität in
Inzidentalom zwingend geboten, ein Phäochro- Verbindung mit dem Plasmaaldosteron. Bei arteri-
mozytom auszuschließen oder zu bestätigen. Dies eller Hypertonie ist die Diagnostik häufig durch
gelingt am besten durch die Bestimmung der die Medikation erschwert. Oft ist es notwendig,
Katechotamine und/oder Metanephrine im 24-h- die Medikamente für 2 Wochen abzusetzen oder
Urin. Die Bestimmung der Plasmakatecholamine auf weniger störende Medikamente umzustellen
ist unterlegen und Suppressionsteste wie der (z. B. Prazosin). Patienten mit supprimierter Plas-
Clonidintest sind nur selten erforderlich. Bei Pa- mareninaktivität erfordern eine weitergehende Dia-
tienten mit einer erhöhten Katecholaminexkretion gnostik. Diese Diagnostik muss u. U. eine bilaterale
wird ergänzend eine 131-Jod-Metabenzylguanidin- adrenale Katheteruntersuchung einschließen, um zu
Szintigraphie durchgeführt zur Metastasensuche. beweisen, dass das Inzidentalom tatsächlich die
Quelle des Mineralocorticoidexzesses darstellt.
• Autonome Cortisolsekretion. Eine autonome
Cortisolsekretion durch klinisch endokrin inaktiv • Dehydroepiandrosteronsulfat. Bei einem hohen
erscheinende Tumoren wird zunehmend häufiger Prozentsatz der Patienten mit endokrin inaktiven
berichtet. In Abhängigkeit davon, wieviel Prozent Nebennierentumoren wird ein niedriges Dehydroe-
des täglichen Glucocorticoidbedarfs durch eine au- piandrosteronsulfat (DHEAS) gefunden und von
tonome Sekretion des Adenoms gedeckt wird, manchen als Hinweis auf den adrenokortikalen Ur-
schwankt die klinische Bedeutung zwischen einer sprung des Tumors gewertet. Umgekehrt sprechen
leicht abgeschwächten Cortisoltagesrhythmik bis sehr hohe Konzentrationen von DHEAS für das Vor-
hin zur vollständigen Atrophie der kontralateralen liegen eines Nebennierenrindenkarzinoms, sodass
und ipislateralen paranodulären Nebenniere. Im die Bestimmung des DHEAS ein fester Bestandteil
letzteren Fall kommt es nach unilateraler Adrena- der Charakterisierung zufällig entdeckter Neben-
lektomie zu einer vollständigen und anhaltenden nierentumoren ist. Der Zusammenhang zwischen
Nebennierenrindeninsuffizienz. Ein subklinisches niedrigem DHEAS und Nebennierenadenomen ist
Cushing-Syndrom muss daher bei jedem Patienten nicht geklärt. Möglicherweise führt eine klinisch
vor einer unilateralen Adrenalektomie bei Inziden- nicht auffällige Cortisolsekretion durch den Tumor
talom ausgeschlossen werden. Die beste Methode zur einer partiellen Suppression des Plasma-ACTH,
um eine autonome Cortisolsekretion aufzudecken die eine Senkung der DHEAS-Sekretion nach sich
ist der Dexamethasonkurztest. Da durch die Bildge- zieht. Der Wert der DHEAS-Messung zur Beurtei-
bung der adrenale Ursprung der pathologischen lung eines Nebennierentumors sollte nicht über-
Cortisolsekretion vorweggenommen ist, sollte eine schätzt werden, da DHEAS einen deutlichen Alters-
hohe Dexamethasondosis (3 mg anstelle von 1 mg) gang zeigt mit einem erheblichen altersassoziierten
bevorzugt werden, um falsch-positive Ergebnisse Abfall und einer weiten Varianz des Normbereiches
zu vermeiden. Ein supprimiertes Serumcortisol in jeder Altersgruppe. Außerdem schließt ein nied-
(< 3 !lg/dl) schließt eine klinisch relevante Corti- riges DHEAS das Vorliegen eines Nebennierenkar-
solsekretion durch den Tumor nahezu voll- zinoms nicht aus.
ständig aus. Ein Serumcortisol über 3 ~Jg/dl erfor-
dert weitere Untersuchungen. Diese bestehen in
einem CRH-Test und in einer Analyse des Tages- Bildgebung
rhythmus. Die Bestimmung des freien Cortisols Die Bildgebung ist oft nicht nur der erste Schritt, der
im 24-h-Urin ist weniger geeignet, da erhöhte zur Entdeckung des Nebennierentumors führt, son-
Werte erst spät auftreten und häufig bereits mit dern auch eine wichtige Hilfe um die Raumforde-
den ersten Zeichen des Cushing-Syndroms einher- rung zu charakterisieren. Ist ein Nebennierentumor
gehen. Patienten, die im CRH-Test keinen Anstieg zuerst im Ultraschall nachgewiesen worden, so wird
von ACTH und Cortisol zeigen, haben ein hohes man in der Regel eine computertomographische
Risiko nach unilateraler Adrenalektomie neben- Diagnostik anschließen, um die Morphologie besser
niereninsuffizient zu werden und bedürfen einer bewerten zu können. Eine Ausnahme ist das Myelo-
94 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Iipom mit seiner charakteristischen hochechogenen gesetzt. Benigne Nebennierenadenome zeigen typi-
Struktur. Im CT erscheinen Nebennierentumoren scherweise ein konkordantes Muster mit einer Auf-
typischerweise homogen mit hohem Fettgehalt nahme des Tracers auf der Seite der nachgewiesenen
und einer Dichte, die niedriger liegt als Wasser Raumforderung, während maligne Tumoren oder
(< 0-15 Houndsfield-Einheiten). Im Gegensatz zu Metastasen eine vermindert oder fehlende Aufnah-
den Adenomen sind Nebennierenrindenkarzinome me des Tracers und damit eine diskordantes Muster
in der Regel größer, inhomogen und zeigen Weich- zeigen. Einzelne endokrin aktive Karzinome können
teildichte. Unregelmäßige Abgrenzungen und zen- allerdings ein Verhalten wie gutartige Adenome mit
trale Nekrosen bzw. Einblutungen erhöhen die konkordanter Traceraufnahme aufweisen. Wegen
Wahrscheinlichkeit, dass ein Malignom vorliegt. Al- der Ser an und eine trahlenbelastung sollte die
lerdings können auch benigne Phäochromozytome Nebennnierenszintigraphie bevorzugt bei größeren
sich als große inhomogene Tumoren mit Einblutun- (> 3 cm) endokrin inaktiven Tumoren durchge-
gen darstellen. In schwierigen Fällen kann die Kern- führt werden, bei denen die Computertomographie
spintomographie (MRT) dazu beitragen, benigne Houndsfield-Einheiten aufweist, die über denen lie-
von malignen Nebennierentumoren abzugrenzen, gen, die für Nebennierenadenome zu erwarten sind.
obwohl eine vollständige Tjeder anderen Medika-
menterennung allein durch die Bildgebung selten
Tumorgröße
erreicht werden kann. Maligne Raumforderungen
Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass die
und Phäochromozytome zeigen typischerweise
Wahrscheinlichkeit, dass ein endokrin inaktiver Ne-
eine hohe Intensität im Trgewichteten MRT im Ver-
bennierentumor maligne ist, von der Tumorgröße
gleich zur Leber. Dynamische Untersuchungen mit
abhängt. Das therapeutische Vorgehen richtet sich
Gadolinium zeigen ein starkes Enhancement und
daher nach der Größe des Tumors in der Bildge-
ein langsames Auswaschen des Kontrastmittels bei
bung. Da natürlich auch maligne Raumforderungen
Malignomen (Abb. 3-48), während bei Adenomen
initial ein geringes Volumen haben, ist es klar, dass
sich das Enhancement rasch verliert. Seit kurzem
unter alleiniger Berücksichtigung der Tumorgröße
wird auch die Chemical-shift-MRT zur Charakteri-
Fehlklassifizierungen nicht vermieden werden kön-
sierung von Nebennierentumoren eingesetzt. Be-
nen. Deshalb ist die Nachuntersuchung von heraus-
nigne Tumoren mit hohem Fettgehalt zeigen typi-
ragender Bedeutung, um die Geschwindigkeit des
scherweise einen Verlust der Signalintensität im
Tumorwachstums beurteilen zu können. Meist
Vergleich zur Leber.
wird die kontrollierende Bildgebung mit der Com-
Auch die Nebennierenszintigraphie mit NP 59
putertomographie 3-6 Monate nach der ersten
wird zur Einordnung von Nebennierentumoren ein-
Bildgebung durchgeführt. Der Abstand zur Erst-
untersuchung hängt davon ab, wie hoch der Ver-
dacht ist, dass ein Malignom vorliegt. Ist ein klares
Tumorwachstum nachweisbar, muss die Raumfor-
derung chirurgisch entfernt werden. Interessanter-
weise zeigt sich in der Mehrzahl der Fälle keinerlei
Tumorwachstum. Dies spricht dafür, dass entweder
eine extrem langsam wachsende Raumforderungen

'E
::!. 4
a;
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Qj 3
E
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~
::> 2
"E
0
E
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1-

0
0 1 2 3 4 5 >5
Jahre nach Diagnosestellung
Abb. 3-48. Dynamisches MRT mit Gadolinium-DTPA bei
rechtsseitiger Nebennierenmetastase. Es zeigt sich ein deutli- Abb. 3-49. Größenänderung von Nebenniereninzidentalo-
ches Enhancement und ein langsames Auswaschen des Kon- men im Verlauf. Eine signifikante Größenzunahme ist selten.
trastmittels. (Aus Krestin et al. 1991) (Aus Reincke u. Allolio 1995)
3.8 Benigne, hormoninaktive Nebennierentumoren 95

vorliegen oder dass das Tumorwachstum beendet


ist. Wahrscheinlich tragen beide Mechanismen
dazu bei, dass in einem hohen Prozentsatz keine
Größenänderung der Nebennierenraumforderun-
gen bei Kontrolluntersuchungen entdeckt wird
(Abb. 3-49).

Feinnadelpunktion
Die histologische Differenzierung zwischen gutarti- endokrin
gen und malignen Nebennierentumoren ist schwie- inaktive
Cushlng·Syndrom
rig. Selbst bei Verfügbarkeit des gesamten Tumors Raumforderung
Conn-Synd rom
ist von pathologischer Seite nicht immer eine ein-
deutige Aussage möglich. Entsprechend ist die Beur-
teilung eines Feinnadelaspirates bzw. eine Feinna-
delbiopsie noch schwieriger. Die Feinnadelbiopsie
hat Nebenwirkungen (retroperitoneale Blutungen,
Pneumothorax). Sie sollte nur bei Patienten einge-
setzt werden, bei denen eine Nebennierenraumfor-
derung als D ist die erste beschherste beschdie erste erneute Bildgebung
nach 3-6 Monaten
bescheinziger Hineschweis auf Metastasen eines be-
kannten Primärtumors gelten können. Die Feinna-
Abb. 3-50. Flussdiagramm für die Betreuung des adrenalen
delpunktion hilft dabei zu klären, ob eine Tumor- In zidentaloms
aussaat stattgefunden hat, oder ein genuiner Neben-
nierentumor vorliegt. Vor jeder Feinnadelpunktion
muss ein Phäochromozytom ausgeschlossen sein, da
durch die Punktion eine hypertensive Krise ausge- gegen dem klinischen Eindruck eine signifikante
löst werden kann und Todesfälle beschrieben sind. Hormonaktivität besitzt, so wird in der Regel eine
unilaterale Adrenalektomie angestrebt. Allerdings
ist für das subklinische Cushing-Syndrom mit einer
3.8.6 geringen autonomen Cortisolsekretion durch den
Therapie Tumor der Nutzen dieses Vorgehens nicht erwiesen.
Nur ein Teil der autonom cortisolsezernierenden
Da die Mehrzahl der endokrin inaktiven Nebennie- Tumoren scheint im Verlauf das Vollbild des adre-
rentumoren gutartig und die Wachstumstendenz nalen Cushing-Syndroms zu entwickeln. In Abhän-
gering ist, besteht die entscheidende therapeutische gigkeit vom Ausmaß der autonomen Cortisolsekre-
Maßnahme darin, den Patienten über die Harmlo- tion und von anderen Faktoren (Alter, Morbidität
sigkeit der Störung zu beruhigen und unnötige chir- des Patienten) ist damit auch ein abwartendes Ver-
urgische Interventionen zu verhindern (Abb. 3-50). halten gerechtfertigt. Inwieweit bei Patienten mit
den Zeichen des metabolischen Syndroms durch
Chirurgische Intervention die Entfernung eines mäßig cortisolsezernierenden
Chirurgische Eingriffe an der Nebenniere haben eine Adenoms eine Besserung von Hypertonie und Über-
signifikante Morbidität (ca. 3%) und Mortalität gewichtigkeit erreicht wird, ist noch unklar.
(0,5 %).
Wegen des hohen Maliginitätsrisikos werden Tumo -
• Endoskopische Adrenalektomie. Die neu ent- ren mit einem Durchmesser > 5 cm grundsätzlich
deckte endoskopische Adrenalektomie hat eine ge- chirurgisch entfernt. Kleinere Tumoren (3-5 cm)
ringere Morbidität und erlaubt daher möglicherwei- sollten ebenfalls chirurgisch entfernt werden, wenn
se eine großzügigere Indikationsstellung zur chirur- die Bildgebung einen hohen Malignitätsverdacht er-
gischen Intervention. Allerdings muss hier bedacht gibt oder das DHEAS deutlich erhöht ist. Alle Tumo-
werden , dass diese Technik nicht geeignet ist, einen ren die bei der Nachsorge ein deutliches Wachstum
malignen Tumor zu entfernen, da die Regeln der zeigen, müssen ebenfalls chirurgisch entfernt werden,
Malignomchirurgie bei diesem Zugang nicht zur An- da dann ein Malignitätsverdacht geäußert werden
wendung kommen können. muss.

• Unilaterale Adrenalektomie. Ergibt die endokri- • Operativer Zugang. Bis zu einem Durchmesser
nalogische Diagnostik, dass die Raumforderung ent- von maximal 6 cm werden Nebennierenturnare
96 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

am besten vom dorsal-paravertebralen Zugang nach


Young angegangen. Dabei ist ein Aufbrechen des DHEAS wurde die Patientin unter der Annahme
Adenoms bzw. der Nebenniere sicher zu vermeiden. eines Nebennierenrindenkarzinoms über einen
Der Eingriff besteht in der Regel in der einseitig transperitonealen Zugang unilateral adrenalek-
kompletten Nebennierenentfernung. Bei sehr gro- tomiert. Intraoperativ ergaben sich keine Hin-
ßen Tumoren und sehr hohem Malignitätsverdacht weise auf eine Metastasierung der Erkrankung.
ist ein Flankenschnitt bzw. ein transperitonealer Zu- Die Entfernung des Tumors gelang unter Erhalt
gang erforderlich. der TumorkapseL Histologisch wurde die Dia-
gnose eines ebennierenrindenkarzinoms be-
stätigt. Im Anschluss an die Operation erfolgte
Subklinisches Cushing-Syndrom eine Bestrahlung des Tumorbettes mit 40 Gy
Beim subklinischen Cushing-Syndrom mit Hinwei- über 4 Wochen. Gleichzeitig wurde eine adreno-
sen auf Suppression der kontralateralen Nebenniere toxische Behandlung mit Mitotan (o,p'-DDD)
in der endokrinen Funktionsdiagnostik ist eine pe- eingeleitet in einer Dosierung von 3 g/Tag. Die
rioperative und postoperative Glucocorticoidsubsti- Bestrahlung wurde gut toleriert, die adjuvante
tution durchzuführen (100 mg Hydrocortison über Behandlung mit Mitotan wurde nach 6 Monaten
24 h in 5 o/oiger Glukose beginnend 2 Stunden vor beendet. Bei der Nachuntersuchung ergab sich
dem Eingriff und am 1. und 2. postoperativen Tag kein Anhalt für ein Tumorrezidiv. Die Patientin
gefolgt von einer bedarfsorientierten weiteren Sub- befand sich in gutem Allgemeinzustand und war
stitution). beschwerdefrei. Wenige Monate nach der adju-
vanten Therapie verunglückt die Patientin töd-
lich beim Skilaufen.
3.9
Maligne, hormoninaktive Nebennieren-
raumforderung 3.9.2
Epidemiologie
3.9.1
Fallpräsentation Die Inzidenz des Nebennierenkarzinoms wird mit
1 : 1,0 bis 1,7 Mio Einwohner angegeben. Für
Eine 24-jährige Patientin stellte sich mit Zyklus- Deutschland liegen bisher noch keine epidemiologi-
störungen in der Universitätsfrauenklinik vor. schen Daten vor. Das Nebennierenrindenkarzinom
Im Rahmen der Sonographischen Diagnostik ist heterogen und umschließt hochdifferenzierte Tu-
fiel eine große rechtsseitige ebennierenraum- moren mit hoher endokriner Aktivität bis hin zu
forderung (9 cm) auf. Die Patientin wurde zur vollständig entdifferenzierten rasch wachsenden
weiteren Diagnostik überwiesen. Bei der körper- Tumoren ohne nachweisbare Hormonproduktion.
lichen Untersuchung wirkte die Patientin bis auf Die Differenzierung zwischen endokrin aktiven
etwas verstärkte akneiforme Effloreszenzen im Karzinomen und endokrin inaktiven Karzinomen
Bereich des Gesichts, der oberen Thoraxapertur ist relativ, da die subtile endokrine Diagnostik in
und des Rückens unauffällig. Schlanker, musku - der großen Mehrzahl der Fälle eine Hormonproduk-
löser Habitus. Auf achfragen berichtete die Pa- tion nachweisen kann. Eine klinisch erkennbare Hy-
tientin über ein gelegentliches Druckgefühl im persekretion von Steroiden ist jedoch nur bei etwa
Bereich des rechten Oberbauches in der Tumor- der Hälfte der Patienten nachweisbar.
region. Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Ge- Die Prognose des Nebennierenrindenkarzinoms
wichtsverlust oder Anorexie wurden nicht be- ist ungünstig. Die Hälfte der Patienten ist 24 Monate
richtet. Die endokrinologische Funktionsdia- nach der Diagnose verstorben. Die endokrin inakti-
gnostik war bis auf ein deutlich erhöhtes DHEAS ven, entdifferenzierten Karzinome haben die ungün-
von 10.700 nglml und eine Erhöhung de stigste Prognose.
Androstendions auf 5,8 ng/ml (Normbereich
0,3-3,1 ng/ml) unauffällig. Die computertomo-
graphisch durchgeführte ergänzende Bildge- 3.9.3
bung zeigte einen großen inhomogenen Tumor Pathogenese
mit zentralen Nekrosen. Hinweise auf eine
Metastasierung ergaben ich im Tumorstaging Die Pathogenese des Nebennierenrig bereitsnden-
nicht. Aufgrund der Tumorgröße, der Morpho- karzinoms ist nicht geklärt. Eine Anzahl von soma-
logie und der Bildgebung sowie des erhöhten tischen Mutationen wurde in Nebennierenrinden-
karzinomen nachgewiesen und mit ihrer Entwick-
3.9 Maligne, hormoninaktive Nebennierenraumforderung 97

Tabelle 3-16. Onkogene Mutationen in Nebennierenrinden-


tumoren 3.9.4
Klinik

Wegen der häufig wenig effektiven Steroidproduk-


tion und der interessanterweise fehlenden klini-
schen Tumorsymptomatik erreichen die Neben-
nierenrindenkarzinome eine erhebliche Größe bis
zur Stellung der Diagnose. Schließlich führen die
Symptome der Raumforderung (Schmerzen, Druck-
konstitutiv-aktivierende ACTH 0/41
Rezeptormutationen gefühl, Völlegefühl) die Patienten zum Arzt. Nur
G-Proteine (Gas) 0/29 ausnahmsweise tritt ein Gewichtsverlust auf. Man-
G-Proteine (Gai 2 )
che Patienten berichten über unklares Fieber. Kno-
3/29
chenmetastasen können zu pathologischen Fraktu-
Calcium-abhängige Proteinkinase C 0/17
ren als Erstmanifestation führen.
Ras-Mutationen 0/17 Bei signifikanter endokriner Aktivität stehen
Wachstumsfaktoren häufig bei Frauen die Zeichen der Virilisierung im
IGF II Überexpres ion Karzinome 8/10 Vordergrund. Daneben können die Symptome des
Adenome 2/32 adrenalen Cushing-Syndroms beobachtet werden
Tumor-Suppres or-Gene (s. Abschn. 3.6). Oft ist der Glucocorticoidexzess
p53 Exon 4 Adenome I J/34 so gering und die Progredienz der Erkrankung so
p 53 Exon 5-8 Adenome 0/5 rasch, dass klinische Hinweise auf einen Glucocor-
ticoidexzess leicht übersehen werden können.
Karzinome 5/13
Die gesteigerte parakrine IGFII-Aktivität kann
bei großen Tumoren über eine massive Glukose-
aufnahme der Tumorzellen zur Nüchternhypo-
glykämie führen.
Jung in Zusammenhang gebracht (Tabelle 3-16).
Die häufigsten Metastasierungsorte sind Leber
Dies betrifft z. B. p53-Mutationen. Entsprechend
und Lunge.
ist bei einer Keimbahnmutation im p53-Gen (Li-
Fraumeini-Syndrom) eine erhöhte Inzidenz von Ne-
bennierenkarzinomen beschrieben worden. Beim
3.9.5
ebenfalls genetisch determinierten Beckwith-Wide-
Diagnostik
rnano-Syndrom spielt eine IGFII-Überexpression
eine Rolle in der Karzinogenese. Auch in sporadi-
Anamnese und körperliche Untersuchung
schen Nebennierenrindenkarzinomen ist eine Über-
Bei endokrin inaktiven Nebennierenrindenkarzi-
expression von IGFII beschrieben worden. Neuere
nom ist die Anamnese wenig ergiebig, da die un-
Untersuchungen sprechen übrigen dafür, dass es
spezifischen Symptome einer Tumorerkrankung re-
in einem hohen Prozentsatz der Nebennierenrin-
gelhaft fehlen. Die körperliche Untersuchung kann
denkarzinome zu einer Deletion des MENl-Lokus
Zeichen des diskreten Hormonexzesses (Cushing-
kommt. Wie bei anderen Karzinomen ist bezüglich
Stigmata, Hirsutismus) aufdecken. Meist wird bei
der somatischen Mutationen von eine Mehrschritt-
uncharakteristischen abdominellen Symptomen
hypothese auszugehen, wobei die initialen Mutatio-
eine Bildgebung (z. B. Ultraschall) durchgeführt,
nen der Tumorentstehung noch nicht identifiziert
die dann zur Entdeckung der großen Raumforde-
sind.
rung führt.
Die Steroidsekretion der Nebennierenrindenkar-
zinome ist in der Regel ineffektiv bis fehlend und
ACTH-unabhängig. Überproportional häufig wer- Technische Verfahren
den verstärkt adrenale Androgene sezerniert, ohne Bei Diagnosestellung wiegt ein Nebennierenrinden-
dass dies immer klinisch erkennbar sein muss. karzinom in der Regel mehr als 600 g und hat
Die Ursache hierfür liegt möglicherweise darin, einen Durchmesser von > 8 cm (Abb. 3-51). Sämt-
dass die Tumorzellen ACTH-entkoppelt sind und liche Bildgebungsverfahren sind daher geeignet,
die 3ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenaseaktivität ver- die Raumforderung darzustellen (s. folgende Über-
ändert ist. sicht).
98 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide

Feinnadelpunktion
Die Tumorgröße führt bei Nebennierenrindenkarzi-
nom bereits zwingend zur Operation, sodass eine
Feinnadelpunktion nicht indiziert ist, zumal es zu
Abtropfmetastasen kommen kann.

3.9.6
Differentialdiagnose

Große benigne Tumoren der Nebennierenrinde


können in der Bildgebung wie ein Nebennieren-
rindenkarzinom imponieren. Dies gilt auch für
das Phäochromozytom. Bei sehr großen Raum-
Abb. 3-51. Nebennierenrindenkarzinom im MRT. Typi- forderungen ohne endokrine Aktivität ist es oft
scherweise imponiert der Tumor als sehr große inhomogene schwierig, die adrenale Genese definitiv anband
Raumforderung der Bildgebung festzulegen. Auch große retroperi-
toneale mesenchymale Tumoren oder von der Niere
ausgehende Karzinome können als Nebennieren-
Darstellung des Nierenrindenkarzinoms
rindenkarzinom fehlgedeutet werden. Insbesondere
Mammakarzinome, Bronchialkarzinom und mali-
• Sonographie: Echomuster heterogen durch Tu-
gne Melanome können zu großen Nebennierenme-
mornekrosen, Einblutungen, Verkalkungen
tastasen führen, die als Nebennierenkarzinome fehl-
• Computertomographie: meist sehr große Raum-
forderung, inhomogen mit unregelmäßiger An- gedeutet werden können. Meist ist aber der Primär-
reicherung des Kontrastmittels, Houndsfield-Ein- tumor dann schon bekannt.
heiten liegen über denen benigner Adenome, Tu-
morränder häufig unregelmäßig, Kalzifizierun-
3.9.7
gen
• Kernspintomographie: hohe Signalintensität in Therapie
den Tz-gewichteten Bildern, DD Phäochromo-
zytom Erfolgreiche prospektive Tumorstudien zur Behand-
lung des Nebenierenrindenkarzinoms gibt es nicht.
Trotzdem ist ein sehr aktives Vorgehen bei dieser
hochmalignen Erkrankung aufgrund nicht kontrol-
Endokrine Diagnostik lierter Beobachtungen gerechtfertigt.
Die Vorgehensweise deckt sich weitgehend mit
der Abklärung benigner, klinisch endokrin inaktiv
Operative Therapie
erscheinender Raumforderungen (s. Abschn. 3.8).
Die komplette chirurgische Tumorentfernung bei
Ein wichtiges Ziel besteht darin, durch den Nachweis
noch nicht metastasiertem Karzinom ist die Behand-
eines Exzesses von Steroiden oder Steroidvorstufen
lung der Wahl mit kurativem Anspruch. Oft muss
die adrenokortikale Genese zu sichern und gleich-
eine große En-bloc-Resektion durchgeführt werden,
zeitig einen Tumormarker in die Hand zu bekom-
da der Tumor mit Nachbarorganen wie Niere und
men, der die Effektivität therapeutischer Maßnah-
Milz verwachsen ist. Der Chirurg sollte darauf ach-
men zu bewerten erlaubt. Gemessen werden daher
ten, die Tumorkapsel nicht zu verletzen. Auch bei
nicht nur DHEAS, sondern auch Vorstufen wie
umforderung als D isbereits metastasierter Erkran-
17-Hydroxyprogesteron im Serum. Sinnvoll ist
kung wird eine Tumormassenreduktion als sinnvoll
auch die Bestimmung der Steroidsekretion im 24-
angesehen für die Lebensqualität und -dauer. In Ab-
h-U rin (17-Ketosteroide, freies Cortisol). Ein subkli-
hängigkeit von der Zahl und Verteilung der Metasta-
nisches Cushing-Syndrom muss präoperativ durch
sen, kann auch eine Metastasenchirurgie durchge-
einen hochdosierten Dexamethasonsuppressions-
führt werden.
test abgeklärt werden. In Abhängigkeit von der kli-
nischen Präsentation ist die Analyse eines Mineralo-
corticoidexzesses (Bestimmung der Plasmareninak- Strahlentherapie
tivität und des Aldosterons) sinnvoll. Unter den Bei großer Raumforderung ( > 8 cm) wird regelhaft
Standardlaborparametern ist die LDH häufig als Tu- eine Nachbestrahlung des Tumorbettes empfohlen,
mormarker geeignet. um die sehr häufigen lokalen Rezidive zu verhin-
3.9 Maligne, hormoninaktive Nebennierenraumforderung 99

dem. Es werden 40-55 Gy über 4-6 Wochen verab- Ehrhart-Bornstein M, Hinson JP, Bornstein SR, Scherbaum
reicht. Häufig ist die Strahlentherapie auch bei Kno- WA, Vinson GP (1998) Intraadrenal interactions in the
regulation of adrenocortical steroidogenesis. Endocr
chenmetastasen indiziert zum Stabilitätserhalt Rev 19(2):101-143
Speiser PW, New MI, White PC {1995) Congenital adrenal hy-
perplasia. In: Weintraub BD (eds) Molecular. Endocrino-
Medikamentöse Therapie logy: Basic concepts and clinical correlations, Raven, New
Die Standardbehandlung besteht in der Verabrei- York
Steffgen J, Ehrhart-Bornstein M, Herkammer B, Güse-Behling
chung von Mitotan (o,p'-DDD, Lysodren). Mitotan H, Pranz HE, Scherbaum WA, Bornstein SR ( 1996) Evi-
wirkt adrenotoxisch und zerstört selektiv Nebennie- dence for a probenecid inhibitable exchange transport sy-
renrindengewebe bei ausreichend hoher Dosierung. stem involved in the release mechanism of cortisol in bo-
vine adrenocortical cells. Cell Phys Biochem6: 82-90
Die Wirksamkeit ist variabel und insgesamt unbe- Strauss JF 3rd, Kallen CB, Christensan LK, Watari H, Devoto L,
friedigend. Insbesondere rasch wachsende, endo- Arakane F, Kiriakidou M, Sugawara T (1999) The stero-
krin inaktive Nebennierenrindenkarzinome spre- idogenic acute regulatory protein (StAR): a window
into the complexities of intracellular cholesterol traffik-
chen nur ausnahmsweise an. Dosissteigerungen king. Recent Prog Horm Res 54: 369-394
bis 12 g/Tag werden empfohlen, von vielen Patien- Thomson M (1998) Molecular and cellular mechanisms used
ten jedoch nur kurzfristig toleriert. Wegen der lan- in the acute phase of stimulated steroidogenesis. Horm
Metab Res 30(1):16-28
gen Halbwertszeit der Substanz (mehrere Wochen) Usadei H, Bornstein SR, Ehrhart-Bornstein M, Kreysch H,
kommt es zur Kumulation mit progressiv ansteigen- Gand Scherbaum WA {1993) Gap junctions in the adrenal
den Wirkspiegeln und zunehmenden Nebenwirkun- cortex. Horm Metab Res 101:371-373
gen. Auch nach Beendigung der Behandlung bleri-
ben über viele Wbochen wirksame pharmakologi- Literatur zu Abschn. 3.2 und 3.3
sche Spiegel bestehen. Bis zu einer Dosierung von
Ahonen P, Myllarniemi S, Sipila I, Perheentupa J (1990)
3-4 g/Tag wird die Substanz meist gut toleriert. Clinical variation of autoimmune polyendocrino-
Die limitierenden Nebenwirkungen sind Übelkeit, pathy-candidiasis-ectodermal dystrophy. N Eng! J Med
Brechreiz, Müdigkeit, Anorexie, Schwäche und 322:1829-1836
Allolio B, Kaulen D, Deuß U, Hipp FX, Winkelmann W (1985)
ZNS-Nebenwirkungen. Die Übelkeit kann durch Vergleich von Hydrocortison und Cortisonacetat in der
die Gabe von modernen Antiemetika oft günstig Substitutionstherapie der Nebennierenrindeninsuffi-
beeinflusst werden. Mitotan beschleunigt den Cor- zienz. Akt Endokr Stoffw 6: 35-39
Allolio B, Rosenthai C, Schulte HM (1990) Überwachung der
tisolabbau, sodass eine ausreichend hohe Gluco- Substitutionstherapie bei Nebennierenrinden (NNR)-In-
corticoidsubstitution angeboten werden muss, um suffizienz. In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Moderne Dia-
eine Nebennierenrindeninsuffizienz zu vermeiden. gnostik und therapeutische Strategien bei Nebennierener-
krankungen. Schattauer, Stuttgart
Bei Versagen von Mitotan kann eine Chemo- Arlt W, Callies F, van Vlijmen JC et al. (1999) Dehydroepian-
therapie eingesetzt werden, wobei sich bisher keine drosterone replacement in women with adrenal insuffici-
definitiven Therapieschemata etabliert haben. ency. N Eng! J Med 14:1013-1020
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KAPITEL 4

Schilddrüse 4
J. FELDKAMP, W. A. SCHERBAUM

4.1 Physiologie 104 4.7.4 Klinik 119


4.1.1 Anatomie und Organentwicklung 104 4.7.5 Diagnostik und Therapie 120
4.1.2 Synthese 105
4.1.3 Regulation 105 4.8 Schilddrüsenhormonresistenz 120
4.1.4 Rezeptor 105 4.8.1 Fallpräsentation 120
4.1.5 Signaltransduktion 105 4.8.2 Epidemiologie 120
4.1.6 Transskription und Translation 106 4.8.3 Einteilung 120
4.1.7 Abbau und Form des zirkulierenden T4 und T3 106 4.8.4 Pathogenese 121
4.1.8 Physiologische Wirkung 106 4.8.5 Klinik 121
4.8.6 Diagnostik 121
Unterfunktion 106 4.8.7 Differentialdiagnose 122
4.8.8 Therapie 122
4.2 "Adulte" Hypothyreose 106
4.2.1 Fallpräsentation 107 Überfunktion 122
4.2.2 Epidemiologie 107 4.9 TSH-om 122
4.2.3 Pathogenese 107 4.9.1 Fallpräsentation 122
4.2.4 Klinik 108 4.9.2 Epidemiologie 123
4.2.5 Diagnostik 108 4.9.3 Pathogenese 123
4.2.6 Differentialdiagnose 108 4.9.4 Klinik 123
4.2.7 Therapie 109 4.9.5 Diagnostik 123
4.9.6 Differentialdiagnose 124
4.3 Angeborene Hypothyreose 109 4.9.7 Therapie 124
4.3.1 Fallpräsentation 109
4.3.2 Epidemiologie 109 4.10 Autoimmunhyperthyreose
4.3.3 Pathogenese 109 (M. Basedow) 124
4.3.4 Klinik 110 4.10.1 Fallpräsentation 124
4.3.5 Diagnostik 110 4.10.2 Epidemiologie 125
4.3.6 Therapie 110 4.10.3 Pathogenese 125
4.10.4 Klinik 125
Thyreoiditis und Hypothyreose 111 4.10.5 Diagnostik 126
4.10.6 Therapie 127
4.4 Akute Thyreoiditis 111
4.4.1 Epidemiologie 111 4.11 Endokrine Orbitapathie 128
4.4.2 Klinik 111 4.11.1 Pathogenese 128
4.4.3 Diagnostik 111 4.11.2 Klinik 129
4.4.4 Therapie 112 4.11.3 Therapie 130

4.5 Subakute Thyreoiditis (de Quervain) 112 4.12 Autonomie 130


4.5.1 Epidemiologie 112 4.12.1 Fallpräsentation 130
4.5.2 Pathogenese 112 4.12.2 Epidemiologie 131
4.5.3 Klinik 113 4.12.3 Pathogenese 131
4.5.4 Diagnostik 113 4.12.4 Klinik 133
4.5.5 Therapie 113 4.12.5 Diagnostik 133
4.12.6 Differentialdiagnose 134
4.12.7 Therapie 135
4.6 Autoimmunthyreoiditis 114
4.6.1 Fallpräsentation 114 4.13 Endemische Struma 136
4.6.2 Epidemiologie 115 4.13.1 Fallpräsentation 136
4.6.3 Pathogenese 115 4.13.2 Epidemiologie 137
4.6.4 Klinik 115 4.13.3 Pathogenese 137
4.6.5 Diagnostik 116 4.13.4 Klinik 138
4.6.6 Differentialdiagnose 117 4.13.5 Diagnostik 138
4.6.7 Therapie 117 4.13.6 Differentialdiagnose 141
4.13.7 Therapie 141
4.7 Iatrogene Hypothyreose 118
4.7.1 Fallpräsentation 118 4.14 Schilddrüsenmalignom 143
4.7.2 Epidemiologie 119 4.14.1 Fallpräsentation 143
4.7.3 Pathogenese 119 4.14.2 Epidemiologie 144
104 KAPITEL 4 Schilddrüse

4.14.3 Pathogenese 145 Anteil des Ductus thyreoglossus den Lobus pyrami-
4.14.4 Klinik 145
4.14.5 Diagnostik 145
dalis. Beide Schilddrüsenlappen bleiben durch den
4.14.6 Therapie 147 prätracheal gelegenen Isthmus verbunden. Die
4.14.7 Prognose 149 Schilddrüse setzt sich aus zahllosen Follikeln zusam-
Literatur 149 men, die aus einzelnen, aneinander gereihten Zellen
bestehen, die einen mit Kolloid gefüllten Hohlraum
umgeben. Im Kolloid werden Schilddrüsenhormone
im Thyreoglobulinmolekül gespeichert und syn-
4.1 thetisiert. Das für die Hormonsynthese benötigte
Physiologie Iod wird als Iodid über die Nahrung aufgenommen
und gelangt über die Blutbahn an die apikale
4.1.1 Zellmembran. Von dort wird es gegen einen Kon-
Anatomie und Organentwicklung zentrationsgradienten über den natriumabhängigen
Iodidsymporter, einem energieabhängigen Mem-
Die Schilddrüse entwickelt sich aus einer Ausstül- branprotein, in die Follikelzelle eingeschleust.
pung des Entoderms in der Mitte der Mundbucht Nach Oxidation steht elementares Iod für die
in der 3. Woche nach der Konzeption. Nach einer Schilddrüsenhormonsynthese zur Verfügung. Nur
zweilappigen Aufteilung wandert die Schilddrüse ein kleiner Teil des Iodids gelangt durch passive
vom Ausgangspunkt, dem Foramen coecum, kau- Diffusion in die Follikelzelle. Biologische Bedeutung
dalwärts. Der Ductus thyreoglossus, die Verbindung haben die Hormone Thyroxin (T4) und Triiodthyro-
zwischen Foramen coecum und endgültiger Lage der nin (T3). Vom T4liegt 10- bis20-malso viel vor wie
Schilddrüse etwa in Höhe des 2.-4. Trachealringes, von T3. Beide Hormone unterscheiden sich che-
obliteriert postpartal. Nicht selten bildet der kaudale misch lediglich durch ein Iodatom (Abb. 4-1 ).

-o-
Tyrosin

~H2
HO CHcTH

I \
COOH

3,5,3'-Triiodthyronin 3,5,3',5'-Tetraiodthyronin (Thyroxin)


(aktives T3 )

Hoj:)-ab-cH,+
I I NH2

I COOH
3,3',5 '-Triiodthy ronin
(reverse T3) Abb.4-l. Schilddrüsenhormone und ihre Vo rstufen
4.1 Physiologie 105

4.1.2
e -------.._
Hypothala mus
Synthese

Aus den Vorstufen Monoiodtyrosin und Diiodtyro-


sin entstehen durch Kopplung T3 und aus 2 Mole-
külen Diiodtyrosin wird T4 gebildet. Reverse-T3,
eine biologisch nicht aktive Komponente, unter-
scheidet sich vom T3 lediglich durch die unter-
schiedliche Stellung des Iodatoms am äußeren phe-
nolischen bzw. inneren Tyrosylring. Die Kopplung
der iodierten Komponenten geschieht dabei im
Thyreoglobulinmolekül. Schlüsselenzym der Schild-
drüsenhormonsynthese ist die thyreoidale Peroxi-
dase (TPO), die die Bindung von Iod an die Amino-
säure Tyrosin bewirkt, aber auch an der Kopplung
von Monoiodtyrosin und Diiodtrosin innerhalb T3, T4 -
des Thyreoglobulinmoleküls beteiligt ist. Neben
Iod als Grundbaustein der Schilddrüsenhormone
ist die Aminosäure Tyrosin essenziell für die Schild-
drüsenhormonsynthese. Iod wird intrazellulär an
j
Tyrosylreste gebunden, die Bestandteil des schild- Zielorgane
drüsenspezifischen Proteins Thyreoglobulin sind.
Abb. 4-2. Hypothalamo-hypophysärer Feedback-Mechanis-
mus der Schilddrüsenhormonsynthese

4.1.3
Regulation
4.1.4
Rezeptor
Thyreoideastimulierendes Hormon (TSH)
Das hypophysäre Hormon TSH reguliert
Die Wirkung von TSH wird über spezielle TSH-Re-
• die Aktivität der Iodpumpe,
zeptoren auf der Oberfläche der Schilddrüsenzellen
• die Organifizierung des reaktiven Iodids,
vermittelt. Der TSH-Rezeptor gehört zu einer gro-
• die Kopplungsreaktion und
ßen Rezeptorfamilie mit einem extrazellulären car-
• die Schilddrüsenhormonsynthese.
boxyterminalen Ende, 7 transmembranären Regio-
nen und einer intrazellulären aminoterminalen
TSH, ein Glykoprotein mit einer relativen Molekül-
Domäne. Der nukleäre Schilddrüsenhormonrezep-
masse von 28.000, besteht aus einer kovalent gebun-
tor (T3-Rezeptor), ein Produkt des c-Erb-A-Gens,
denen a- und ß-Untereinheit. Lediglich die ß-Kette
liegt als a-Form (Chromosom 17) und als ß- Form
vermittelt die spezifische TSH-Wirkung. TSH wird
(Chromosom 3) vor. Beide Rezeptoren existieren
im Sinne eines negativen Feedback-Mechanismus
als alternative Splice-Varianten als a 1-, a 2-, ß 1-
bedarfsabhängig von der Hypophyse sezerniert.
und ßrRezeptor.

Hypothalamohypophysärer Feedback-Mechanismus
Niedrige Schilddrüsenhormonspiegel führen zu ver- 4.1.5
mehrter TSH-Ausschüttung, während erhöhte T3- Signaltransduktion
und T4-Spiegel die TSH-Produktion supprimieren.
Thyreotropin-releasing-Hormon (TRH, Thyreolibe- An der Schilddrüsenzelle wird die TSH-Rezepto-
rin), ein hypothalamisches Peptidhormon aus 3 rantwort über eine intrazelluläre Signalkaskade an
Aminosäuren kann die TSH -Sekretion übergeordnet G-Protein gekoppelt überwiegend über den Weg
mitbeeinflussen (Abb. 4-2). der Adenylcyclase (cAMP Generierung) aktiviert
und resultiert letztendlich in der Produktion von
T3 und T4. Weniger als 10% der Schilddrüsenhor-
monproduktion kann TSH-unabhängig erfolgen.
Dies erklärt den etwas geringeren Hormonbedarf
bei Patienten mit sekundärer Hypothyreose (Hypo-
physenvorderlappeninsuffizienz) gegenüber Patien-
106 KAPITEL 4 Schilddrüse

ten mit primärer Hypothyreose. Die Freisetzung von bahn werden die Schilddrüsenhormone fast voll-
täglich etwa 80-100 !lg T4 und ca. S!lg T3 geschieht ständig (> 99 o/o) an Eiweiße gebunden. Neben der
über die pinozytotische Aufnahme von Thyreoglo- überwiegenden Bindung an thyroxinbindendes Glo-
bulin aus dem Kolloid in die Follikelzellen. Dort bulin (TBG) wird T4 auch an Albumine und an
wird das Thyreoglobulinmolekül über Iysosomale thyroxinbindendes Präalbumin (TBP A = Trans-
Proteasen degradiert und die Triiodthyronine (T3, thyretin) gebunden. T3 bindet nur an TBG und
r-T3) und Tetraiodthyronine (T4) in die Zirkulation Albumin. Die unterschiedliche Proteinbindung re-
abgegeben. sultiert in einer längeren biologischen Halbwertzeit
von T4 (7-9 Tage) gegenüber T3 (1-2 Tage). In den
Zielzellen der peripheren Gewebe wird freies T4
4.1.6 durch Deiodasen in freies T3 konvertiert, das fast
Transskription und Translation alle Hormonwirkungen vermittelt. Die bedarfsge-
rechte Freisetzung von aktiven Schilddrüsenhor-
Iodthyronine können die Plasmamembranen pe- monen dient einem energiesparenden Metabolis-
netrieren und an den nukleären Rezeptor binden. mus.
Freies T3 aktiviert den Rezeptor. Der T3-Rezeptor-
komplex bindet an spezifische Sequenzen der nu-
kleären DNA in dimerer Form. Es erfolgt die Trans- 4.1.8
skription dieser Gene in mRNA und anschließend Physiologische Wirkung
die Translation in Proteine. Eine direkte Aktivierung
von Mitochondrien durch T3 ist ebenfalls möglich Die Hauptwirkungen der Schilddrüsenhormone
(Abb. 4-3). sind in der folgenden Übersicht wiedergegeben.

Hauptwirkungen der Schilddrüsenhormone


4.1.7
Abbau und Form des zirkulierenden T4 und T3 • Wachstum und Entwicklung (bes. ZNS, Skelett)
• Thermogenese
Verbliebenes Mono-und Diiodtyrosin wird durch • Lipolyse
Zytoplasmatische D-Halogenasen deiodiert und • Proteinmetabolismus
die Tyrosylreste und das Iod für eine erneute Thy- • Knochenstoffwechsel
reoglobulinsynthese wieder verwendet. In der Blut- • Myokardfunktion

T3 T4

~~itochondrium
+
Deiodierung
Unterfunktion

QIIIIID~f, 4.2
"Adulte" Hypothyreose
f~


T3 - Rezeptorkomp lex
Die Hypothyreose ist gekennzeichnet durch eine un-
Zellkern zureichende Menge oder Wirkung von Schilddrü-
DNA
Tro nskription senhormonen an der Zielzelle. Die manifeste Hypo-
thyreose mit erniedrigten T3- und T4-Werten wird
unterschieden von der latenten Hypothyreose mit
mRNA Endoplosmatisches Retikulum
noch normalen peripheren Schilddrüsenhormon-
werten, aber schon erhöhtem TSH-Spiegel. Entspre-
Translation
chend den Wirkungen der Schilddrüsenhormone
ist bei deren Ausfall eine Reihe von Organsystemen
Proteine, Enzyme
betroffen. Eine Erniedrigung der Schilddrüsenhor-
mone mit verminderter oder ausgefallener Frei-
setzung von TSH geht auf hypophysäre oder hypo-
I thalamisehe Ursachen zurück. Hierfür wird auch
Zellmembran
der Terminus sekundäre bzw. tertiäre Hypothyreose
Abb.4-3. Nukleäre und zelluläre Wirkungen von T3 benutzt.
4.2 "Adulte" Hypothyreose 107

4.2.1 4.2.2
Fallpräsentation Epidemiologie

Die thyreotrope Insuffizienz ist eine sehr seltene Ur-


Ein 65-jähriger Mann wurde vor einem Jahr we-
sache der Hypothyreose.
gen eines inoperablen Rezidivs eines infiltrativ
gewachsenen Hypophysenadenoms konventio-
nell im Hypophysenbereich bestrahlt. Eine go-
4.2.3
nadotrope und eine somatotrope Insuffizienz
Pathogenese
ind vorbekannt Der Patient war bei der Unter-
suchung blass, die Haut kühl und der Patient
Der Ausfall des hypophysären Hormons TSH führt
wirkte ausgesprochen adynam und depressiv
zu einer fehlenden Stimulation der thyreoidalen
verstimmt (Abb. 4-4). Kernspintomographisch
Hormonsynthese. Eine minimale autonome Schild-
war der Rezidivtumor der Hypophyse mit mäßi-
drüsenhormonproduktion kann von der Schild-
ger Größenregredienz zu ehen. T3 und T4
drüse aufrechterhalten werden, sie ist jedoch für
waren deutlich erniedrigt. TSH war basal nicht
zu messen und ließ sich nach TRH-Gabe nicht den Bedarf bei weitem nicht ausreichend. Der
stimulieren. Weiterhin waren die Cortisolwerte TSH-Ausfall kann durch eine Reihe von Ursachen
erniedrigt, ACTH war basal nicht nachweisbar bedingt sein, die in der folgenden Übersicht darge-
und unter CRH nicht stimuJierbar. Bei omit stellt sind.
nachgewieser globaler Hypophysenvorderlap-
peninsuffizienz mit Beteiligung der thyreo- Ursachen für den Ausfall der thyreotropen Achse
tropen Achse wurde zunächst eine Substitution
mit 30 mg Hydrocortison/Tag eingeleitet. Am • Hypophysenadenome
darauf folgenden Tag wurde auch die Substi- • Kraniopharyngeome
tution mit L-Thyroxin mit 50 Jlg begonnen • Meningeome, Gliome
und alle 10 Tage um 50 Jlg auf die Enddosis • Hypophysitis
von ISO Jlg gesteigert. Der Patient erlangte • Hypophysenapoplexie (Sheehan-Syndrom)
innerhalb weniger Tage sein früheres Wohlbe- • Bestrahlung, Operation
finden zurück. • Metastasen organfremder Tumoren
• Histiozytose
• Sarkoidase
• Hämochromatose
• TSH-Synthesestörung
• Biologisch inaktives TSH
• Angeborene Aplasie, Hypoplasie
• Empty-sella-Syndrom
• A.-carotis-Aneurysma
• Idiopathisch

Die häufigste Ursache für eine thyreotrope Insuffi-


zienz sind Makroadenome der Hypophyse und the-
D
rapieb~dingte Komplikationen nach Hypophysen-
operation und konventioneller Konvergenzbestrah-
lung.

Der angeborene TSH-Mangel ist auf eine Mutation


im Gen der TSH- ß- Untereinheit zurückzuführen.
~as She:han -Syndrom mit Hypophysenapoplexie
mfolge emer postpartalen Nachblutung ist mit zu-
nehmender Geburtsüberwachung eine Rarität ge-
worden.
Abb. 4-4. Patient mit typisch blasser Haut bei globaler Hypo-
phyenvorderlappeninsuffizienz
108 KAPITEL 4 Schilddrüse

Anamneseerhebung
4.2.4
Klinik
• Leitsymptome für weitere hypophysäre Ausfälle
• Gesichtsfeldausfälle
Symptome und Beschwerden
• Hypophysenadenome
Die Hypothyreose aufgrund einer unzureichenden
• Schädelbestrahlung
TSH-Produktion geht prinzipiell mit den gleichen
• Operationen im hypothalamohypophysären Be-
Beschwerden einher wie die primär thyreogenbe-
reich
dingte Hypothyreose, verläuft allerdings meist nicht
• Grunderkrankungen wie z. B. Sarkoidase
so schwer. Die nachfolgende Übersicht fasst die
Symptome beim Erwachsenen mit Hypothyreose zu-
sammen.
Körperliche Untersuchung
Hypothyreosesymptome bei Erwachsenen Neben den klassischen Veränderungen, die die Hy-
pothyreose hervorruft, kann die Haut sehr blass
• Adynamie, Antriebslosigkeit, Depression, sein. Dies ist Zeichen eines ACTH-Mangels oder
erhöhtes Schlafbedürfnis eines Hypogonadismus. Wegen der Möglichkeit
• Haarausfall eines Makroadenoms der Hypophyse gehört eine
• Gewichtszunahme, Gesichtsödeme groborientierende Untersuchung der Gesichtsfelder
• Hyporeflexie zum Untersuchungsprogramm.
• Hypothermie
• Tiefe, heisere Stimme
Labordiagnostik
• Blass-gelbliches Hautkolorit
Niedrige T3- und T4-Konzentrationen mit ebenfalls
• Muskelschwäche
niedrigen TSH-Werten lenken den Verdacht auf
• Obstipation
einen Ausfall der thyreotropen Achse. Liegt eine hy-
• Bradykardie
pophysäre Ursache vor, fehlt der TSH-Anstieg im
• Hypotonie
TRH-Test, während es bei hypothalamisehen Stö-
e Hypercholesterinämie rungen zu einer deutlichen Stimulation kommen
• Zyklusstörungen, Libidoverlust
kann. Der TRH-Test ist jedoch kein eindeutiges Un-
e Hypothyreotes Koma: zusätzlich Bewusstseins-
terscheidungsmerkmal.
eintrübung, Bradypnoe.

Bildgebende Verfahren
Das Spektrum der Beschwerden hängt von der TSH- • Sonographie: Bei länger bestehendem TSH-Aus-
Restsekretion, vom Alter der Patienten und von der fall stellt sich die Schilddrüse sonographisch klein
Ursache der Störung ab. Während der angeborene dar,
TSH-Mangel meist über die Klinik einer begleiten- • Szintigraphie: die nuklearmedizinische Darstel-
den adrenocorticotropen Insuffizienz entdeckt lung der Schilddrüse mit 99 mTechnetium zeigt
wird, kann die Hypothyreose nach Bestrahlung eine homogene Speicherung des Radionuklids,
der Hypophyse sehr langsam über Jahre entstehen. der Technetium-Uptake ist jedoch stark ernied-
Die Übersicht Abschn. 4.3.4 stellt die Symptome rigt,
einer Hypothyreose beim Neugeborenen dar. • Magnetresonanztomographie (MRT) oder Com-
putertomographie (CT): bei Verdacht auf eine
hypothalamisch-hypophysäre Störung ist ein
4.2.5 MRT oder CT zur Darstellung eines organischen
Diagnostik Korrelats für die Veränderung notwendig.

Anamnese
Die folgende Übersicht gibt die zu erfragenden 4.2.6
Punkte bei der Anamnese wieder. Differentialdiagnose

Folgende, in der Übersicht dargestellte Ursachen


können eine Erniedrigung des TSH-Spiegels mit
oder ohne Erniedrigung der Schilddrüsenhormone
hervorrufen.
4.3 Angeborene Hypothyreose 109

Ursachen für eine TSH-Erniedrigung

• Low-T3/Low-T4-Syndrom bei schwerer


Allgemeinerkrankung
• Autonomie
• Medikamente (Glucocorticoide, Heparin,
Katecholamine u. a.)
• Iodkontamination
• Thyreoiditiden mit vorangegangener
Freisetzung von Hormonen
• M. Basedow

4.2.7
Therapie

Sekundäre oder tertiäre Hypophyseninsuffizienz


Die Hypothyreose als Folge eines TSH-Ausfalls wird
durch eine reine Levo-Thyroxin -Substitution be-
handelt, wobei die Dosis so festgelegt wird, dass Abb. 4-5. Typischer Aspekt eines Neugeborenen mit Hypo-
thyreose. (Mit freundlicher Genehmigung von Frau Prof.
die Schilddrüsenhormone im mittleren Normbe- A. Grütes, Berlin)
reich liegen. An diesen peripheren Werten und
der Klinik der Patienten (Pulsfrequenz, innere Un-
ruhe, Schlaflosigkeit) muss sich die Therapie aus-
richten, da TSH als verlässlicher Parameter nicht glassie auf (Abb. 4-5). Sonegraphisch ließ sich
zur Verfügung steht. an Loco typico kein childdrüsengewebe nach-
weisen. Der TSH-Spiegellag bei 80 j..LU/ml, freies
Globale Hypophyseninsuffizienz T3 und freies T4 waren erniedrigt. Die Ver-
dachtsdiagnose Hypothyreose wurde am 10. Le-
Liegt eine globale, bisher unbehandelte Hypophyse-
ninsuffizienz vor, so ist immer zuerst Hydrocortison ben tag gestellt und ofort eine Therapie mit
25 )..lg L-Thyroxin eingeleitet. Die bei allen Neu-
zu substituieren, da eine alleinige Schilddrüsen-
geborenen am 5. Lebenstag durchgeführte TSH-
hormonbehandlung durch den "Hyperme-
tabolismus" zu einer krisenhaften Verschlechterung creening-Unter uchung wurde vom zu tändi-
führen kann. Neben der reinen Hormonsubstitution gen Einsendelabor als pathologisch rückge-
meldet Die Sub titution therapiewurde kon e-
muss die zugrunde liegende Störung behandelt wer-
quent fortgeführt und dem zunehmendem Be-
den.
darf angepasst. Das Kind entwickelte sich im
weiteren unauffällig.
4.3
Angeborene Hypothyreose
4.3.2
Ätiopathologisch unterschiedlich sind Ursachen und Epidemiologie
zum Teil Symptome bei angeborenen (s. Übersicht
Abschn. 4.3.4) und im Erwachsenenalter erworbenen Die angeborene Hypothyreose hat in Europa eine
Hypothyreosen (s. Übersicht Abschn. 4.2.4). Prävalenz von l : 3000 bis 1 : 5000. Regionale Unter-
schiede lassen sich z. T. auf die unterschiedliche Iod-
versorgung, aber auch auf die Art der postnatalen
4.3.1 Screening- Programme zurückführen.
Fallpräsentation

Ein neugeborenes Kind (Apgar- core 5) fiel 4.3.3


kurz nach der Geburt durch Muskelhypotonie Pathogenese
und Trinkschwäche auf. Das Kind hatte eine
ehr kühle, teigige Haut und wie eine Makro- Die Mehrzahl der Fälle mit angeborener Hypothy-
reose ist auf eine Organanlagestörung zurückzufüh-
llO KAPITEL 4 Schilddrüse

ren. Dabei liegt in ca. 40 o/o der Fälle eine Agenesie fekten können die Kinder später durch neurologi-
vor und in ebenfalls ca. 40 o/o ist die Schilddrüse dys- sche und motorische Defizite (Probleme beim Lau-
plastisch oder ektop gelegen. Die übrigen Fälle mit fenlernen) auffallen (s. folgende Übersicht).
angeborener Hypothyreose sind bei orthotoper
Lage des Organs auf verschiedene seltene Defekte Symptome der angeborenen Hypothyreose
in der Schilddrüsenhormonsynthese zurückzu-
führen. Auch TSH-Synthesestörungen (sekundäre • Trinkschwäche
Hypothyreose) und hereditäre TSH-Rezeptor- und • Wachstumsretardierung (retardiertes Skelettal-
Postrezeptordefekte können Ursache für eine an- ter)
geborene Hypothyreose sein. Folgende Übersicht • Neurologische und motorische Defizite
fasst diese Punkte zusammen. • Icterus neonatorum prolongatus
• Makroglassie
Ursachen der angeborenen Hypothyreose • Hypotonie
• Hypothermie
• Agenesie
• Dysgenesie, Ektopie
• TSH-Synthesedefekte
Mutationen im TSH-Gen 4.3.5
Transkriptionsfaktorenmutation Diagnostik
Signaltransduktionsdefekte
TSH-Rezeptor-Mutation Anamnese
• Gs-a-Protein-Mutation Hinweise aufhereditäre Defekte kann bereits die Fa-
e Iodtransportdefekte milienanamnese geben. Eine Autoimmunerkran-
e Mutationen im Natrium-/Iodid-Symportergen kung der Schilddrüse bei der Mutter und der Ein-
e Iodorganifizierungsdefekte fluss strumigener Substanzen während der Schwan-
e Mutationen im Gen für thyreoidale Peroxidase gerschaft sollten eine sorgfältige Beobachtung des
Pendred-Syndrom (assoziiert mit sensonemalern Neugeborenen nach sich ziehen.
Hörverlust)
e Thyreoglobulinsynthesedefekte Labordiagnostik
e Dehalogenasedefekte Die definitive Diagnose wird durch persistierend er-
• Extremer Iodmangel, Einfluss strumigener Sub-
höhte TSH-Werte und erniedrigte freie T3- und freie
stanzen
T4-Werte gestellt. Zu beachten sind die postnatalen
• Transplazentarer Übertritt blockierender mater-
Anpassungsvorgänge mit passager höheren TSH-
naler Antikörper
Werten. Beim Neugeborenenscreening gilt ein
TSH-Wert von > 20 U/ml am 5. Lebenstag als
Cut-off-Grenze für eine Rückmeldung.
Passagere Hypothyreose
Eine passagere Hypothyreose kann durch den trans- Bildgebende Verfahren
planzentaren Übertritt von blockierenden TSH-Re- Ergänzend kann die Halssonographie Hinweise auf
zeptor-Antikörpern bei einer M.-Basedow-Erkran- die Genese der Hypothyreose (Agenesie, Dysplasie,
kung der Mutter auftreten und ist nach Abbau Ektopie) geben. Liegt die Schilddrüse an typischer
der Antikörper rückläufig. Bei einem extrem starken Stelle, kann der Defekt durch eine 123 Iodszintigra-
Iodmangel während der Schwangerschaft oder unter phie evtl. mit Perchlorat-discharge-Test zum Aus-
dem Einfluss strumigener Substanzen kann eben- schluss einer Iodorganifizierungsstörung weiter ein-
falls eine Hypothyreose des Neugeborenen resultie- gegrenzt werden. Zum Ausschluss eines Pendred-
ren. Syndroms ist das Gehör des Kindes zu überprüfen.

4.3.4 4.3.6
Klinik Therapie

Die typischen Symptome der angeborenen Hypothy- Wegen der deletären Folgen eines Schilddrüsenhor-
reose sind Gedeihstörungen, Ikterus neonatorum monmangels für die kognitive Entwicklung ist bei
prolongatus, Makroglassie und Muskelhypotonie. begründetem Verdacht auf eine Hypothyreose
Bei Störungen mit weniger stark ausgeprägten De- eine Substitutionstherapie mit L-Thyroxin unver-
4.4 Akute Thyreoiditis III

Tabelle 4-1. Therapie bei angeborener Hypothyreose tet. Allen Thyreoiditiden gemeinsam ist, dass sie
passagere oder permanente Funktionsstörungen
Alter Dosis (J.!g/kg) Dosis (ltg!Tag)
der Schilddrüse verursachen können. Initial kommt
< 6 Mona te 8- 15 25-50 es gelegentlich zu einer hyperthyreoten Stoffwech-
sellage, die in ihrer Ausprägung abhängig vom Aus-
6- 12 Monate 8-10 37,5-75 maß der inflammatorischen Veränderung und der
1-6Jahre 4-6 50- 100 Aktivität des Autoimmunprozesses ist. Die Hyper-
thyreose ist immer passager und bedingt durch
6-12 Jahre 3-6 50-125 die Freisetzung präformierter Hormone aus den Fol-
12-18 Jah re 2-3 75- 175 likelzellen. Daher ist sie einer Behandlung mit Thy-
reostatika nicht zugänglich.

züglich einzuleiten (Tabelle 4-1 ). Als Therapiekon- 4.4


trollen fungieren in den ersten 6 Monaten die T3- Akute Thyreoiditis
und T4-Werte. Später reichen die basalen TSH-Spie-
gel zur Kontrolle aus. 4.4.1
Epidemiologie
Thyreoiditis und Hypothyreose
Die akute Thyreoiditis kommt extrem selten vor. Sie
Einteilung wird bakteriell oder durch eine Pilzinfektion hervor-
Die Thyreoiditiden umfassen eine Gruppe von Er- gerufen, wobei immunkompromitierte Patienten
krankungen unterschiedlicher Ätiologie, die einerseits stärker gefährdet sind. Eine breite Palette von Kei-
klassische entzündliche Veränderungen einschließt, men konnte als Ursache gefunden werden, wobei
andererseits aber auch Autoimmunerkrankungen Streptococcus pyogenes und Staphylococcus aureus
der Schilddrüse subsummiert Folgende Überrsicht dominieren. Akute Thyreoiditiden werden häufiger
gibt die Einteilung der Thyreoiditiden wieder. in Schilddrüsen mit vorbestehenden Veränderun-
gen gefunden.
Einteilung der Thyreoiditiden

• Akute (putride) Thyreoiditis 4.4.2


• Subakute Thyreoiditis (de Quervain) Klinik
• Autoimmunthyreoiditiden
Chronische lymphozytäre Thyreoiditis Der Erkrankungsbeginn ist akut. Es liegen die Sym-
Hypertrophe Form (Hashimoto) ptome einer floriden Entzündung vor, die in folgen-
Atrophische Form (primäres Myxödem) der Übersicht dargestellt sind.
"Silent thyreoiditis"
Post -partum-Thyreoiditis Symptome einer akuten, floriden Thyreoiditis
Fibrosierende Thyreoiditis (Riedel-Struma)
• Sonderformen • Ein- oder auch beidseitige Halsschmerzen
Medikamentös-induziert (Zytokine, Amiodaron) • Fieber
Traumatische Thyreoiditis • Lokale Schwellung (evtl. fluktuierend)
Strahlenthyreoiditis • Hautrötung
Granulomatöse Thyreoiditis (z. B. Sarkoidose)
Thyreoiditis bei Karzinom
Erhebliche Schluckbeschwerden und Heiserkeit
können das Krankheitsbild begleiten.
Die autoimmunbedingten Thyreoiditiden sind we-
sentlich durch den Nachweis von Antikörpern gegen
Schilddrüsenantigene gekennzeichnet. Eine eigene 4.4.3
Entität stellt der M. Basedow dar, der sich im klini- Diagnostik
schem Verlauf von den übrigen Thyreoiditiden
deutlich unterscheidet und deshalb gesondert be- Anamnese
handelt wird. Seit der Einführung von Zytokinen Hinweise auf eine akute Thyreoiditis sind chroni-
in der Therapie maligner Erkrankungen werden ge- sche Infektionserkrankungen, wie HIV -Infektion
häuft Zytokin-induzierte Thyreoiditiden beobach- oder Tuberkulose.
112 KAPITEL 4 Schilddrüse

Körperliche Untersuchung 4.4.4


Der klinische Befund zeigt die lokale Rötung und
Therapie
Schwellung der Schilddrüse. Die Palpation ist
schmerzhaft und kann einen fluktuierenden Befund
Medikamentöse Therapie
ergeben. Die regionalen Lymphknoten sind ge-
Die Therapie der akuten Thyreoiditis orientiert sich
schwollen.
wesentlich am Ausmaß des entzündlichen Prozes-
ses, der Grunderkrankung und möglichst am Erre-
Labordiagnostik gernachweis. Sofern keine größeren fluktuierend-
Es finden sich die typischen inflammatorischen Ver- pmtriden Anteile vorliegen, kann eine intravenöse
änderungen, die in der folgenden Übersicht wieder- Antibiose erfolgen. Bei unbekanntem Erreger
gegeben sind. muss eine breitwirksame antibiotische Therapie
durchgeführt werden. Lokal kühlende Maßnahmen
Laborkonstellation einer floriden Thyreoiditis sollten neben einer ausreichenden Analgesie ange-
wendet werden.
• Leukozytose mit Linksverschiebung
• Beschleunigung der Blutsenkungsgeschwindig-
Chirurgische Therapie
keit
In fortgeschrittenen Stadien muss zumindest eine
• Erhöhtes C-reaktives Protein
lokale Drainage erfolgen. In ausgedehnten Fällen
• Erhöhung der Akute-Phase-Proteine
und bei weitgehender Destruktion des Organes ist
eine Organresektion nicht zu umgehen.
Eine Erhöhung der peripheren Schilddrüsenhor-
mone ist durch eine Freisetzung präformierten Hor- 4.5
mons aus den entzündungsbedingt zerstörten Subakute Thyreoiditis (de Quervain)
Schilddrüsenfollikeln möglich und selbstlimitierend
durch die Halbwertszeit der im Serum zirkulieren-
Histologisch finden sich bei der subakuten Thyreo-
den Menge an Thyroxin. Je nach Ausmaß der Organ- iditis granulomatöse Veränderungen und der Nach-
beteiligung kann sich später eine hypothyreote weis von mehrkernigen Riesenzellen. Synonyme Be-
Stoffwechsellage entwickeln. griffe sind daher granulomatöse oder subakute gra-
nulomatöse Thyreoiditis.
Bildgebende Verfahren
• Sonographie. Die Sonographische Untersuchung
zeigt ein inhomogenes Bild mit echoarmen Arealen. 4.5.1
Je nach Ausmaß der prutriden Veränderungen kön- Epidemiologie
nen sich auch echoreiche Zonen zeigen.
Die subakute Thyreoiditis macht etwa 5% des Kran-
• Szintigraphie. Die Szintigraphie ist meist durch kengutes einer Schilddrüsensprechstunde aus und
eine verminderte Aufnahme der Tracersubstanz ist neben der akut aufgetretenen Schilddrüsenzyste
gekennzeichnet. Sind nur ein Schilddrüsenlappen die häufigste Ursache für schmerzhafte Schilddrüse-
oder einzelne Bezirke eines Schilddrüsenlappens nerkrankungen. Die Erkrankung betrifft überwie-
betroffen, kann eine völlig fehlende Anreicherung gend Frauen mit deutlicher Bevorzugung der 4.
im Sinne "kalter" Areale bestehen. und 5. Lebensdekade. Es scheint eine gewisse gene-
tische Prädisposition bei Vorhandensein des HLA-
Antigens Bw 35 vorzuliegen.
Histologie/Feinnadelpunktion
mit mikrobiologischer Untersuchung
Die Aspirationsfeinnadelpunktion kann die Dia-
4.5.2
gnose sichern. In jedem Falle sollte das Funktions-
Pathogenese
material neben der zytologischen auch einer mikro-
biologischen Untersuchung unterzogen werden, um
Die zugrunde liegende Störung ist bisher nicht auf-
den Erregernachweis zu führen.
geklärt, jedoch geht der subakuten Thyreoiditis oft
eine wenige Wochen bis mehrere Monate zurücklie-
gende akute Virusinfektion der oberen Atemwege
voraus. Bei vielen Patienten konnten abfallende Im-
munglobulintiter gegen häufig vorkommende Viren
4.5 Subakute Thyreoiditis (de Quervain) 113

(Influenza-, Adeno-, Coxackieviren u. a.) zum Zeit-


punkt der Krankheitsmanifestation nachgewiesen
werden.

4.5.3
Klinik

Symptome und Beschwerden


Die subakute Thyreoiditis beginnt mit akut einset-
zenden Halsschmerzen. Eine Aufstellung typischer
Symptome gibt die Übersicht.

Symptome der subakuten Thyreoiditis Abb. 4-7. Typisches sonographisches Bild mit landkartenar-
tiger Echoarmut bei Thyreoiditis Oe Quervain (Längsschnitt
e Ein- oder beidseitiger Halsehrnerz durch den rechten Schilddrüsenlappen)
• Schmerzausstrahlung (Ohren, Unterkiefer,
Retrosternalraum)
In 40-50 o/o besteht initial eine Hyperthyreose, ge-
• Subfebrile Temperaturen folgt von einer meist passageren Hypothyreose. Sel-
• Schluckstörungen ten ist auch eine leichte Leukozytose vorhanden. Es
• Leichte Heiserkeit kann auch eine entzündungsbedingte leichte nor-
• Virale Prodromi wie Muskelschmerzen, mochrome, normozytäre Anämie vorliegen. Die an-
allgemeines Krankheitsgefühl
fängliche Hyperthyreose durch den Zellzerfall geht
oft passager in eine hypothyreote Stoffwechsellage
über. Nach 4-6 Monaten sind die Schilddrüsenhor-
mone fast immer normalisiert (Abb. 4-6).
4.5.4
Diagnostik
Bildgebende Verfahren
Körperliche Untersuchung • Sonographie. Die subakute Thyreoiditis stellt sich
Die Inspektion zeigt in der Regel keine Auffälligkei- sonographisch mit einem sehr charakteristischen
ten. Palpatorisch ist die Schilddrüse von fester Kon- Bild dar. Landkartenartig grenzen echoarme Bezirke
sistenz und sehr druckschmerzempfindlich. Sehr an echonormale Areale der Schilddrüse, die noch
selten besteht eine begleitende Lymphadenopathie. nicht vom entzündlichen Prozess betroffen sind
(Abb. 4-7).

Labordiagnostik • Szintigraphie. Die Aufnahme der radioaktiven


Typisch und zusammen mit der Anamnese fast pa- Testsubstanz (99 mTechnetium) ist deutlich ernied-
thognomonisch ist die beschleunigte Blutsenkungs- rigt. Bei Befall nur eines Schilddrüsenlappens wird
geschwindigkeit (Sturzsenkung meist über 100 mm). der nicht betroffene Lappen regelhaft abgebildet.

• Zytologie. Die Feinnadelpunktion zeigt zytolo-


gisch die für die subakute Thyreoiditis typischen
granulomatösen Veränderungen mit Riesenzellen.

4.5.5
Therapie

Milde Verlaufsform
Bei milden Verlaufsformen der subakuten Thyreo-
iditis de Quervain ist eine Therapie mit nicht-
steroidalen Antiphlogistika ausreichend. Verschie-
dene Therapiemöglichkeiten bei subakuter Thyreo-
Abb. 4-6. Klassischer Verlauf der Schilddrüsenhormonwerte
iditis (de Quervain) sind in folgender Übersicht
bei Thyreoiditis De Quervain wiedergegeben.
114 KAPIT EL 4 Schilddrüse

Therapie bei subakuter Thyreoiditis


4.6
• Antiphlogistika
Autoimmunthyreoiditis
Acetylsalicylsäure 500-1500 mg/Tag oral
Die Autoimmunthyreoiditis ist neben der iatroge-
Ibuprofen 400-1.200 mg/Tag oral
nen Hypothyreose (Operation, Radioiodtherapie)
Paracetamol 500-1.000 mg/Tag oral
die häufigste Ursache für eine erworbene Hypothy-
(Höchstdosen beachten)
reose im Erwachsenenalter.
Diclofenac 50-150 mg/Tag oral
• Glucocorticoide
Prednisolon beginnend mit 40-60 mg/Tag
4.6.1
Fallpräsentation
Schwere Verlaufsform
Liegen stärkere Beschwerden vor, ist der Einsatz von Eine 50-jährige Frau wurde wegen zunehmender
Glucocorticoiden notwendig. Beginnend mit 60 mg Schwäche, Herzinsuffizienz und ödematösen
Prednisolon wird ausschleichend über 6-8 Wochen Schwellungen ins Krankenhaus eingewiesen
behandelt. Nach Glucocorticoidgabe bessert sich die (Abb. 4-Sa, b). Die Patientin wirkte geistig
Schmerzsymptomatik fast schlagartig innerhalb von deutlich verlangsamt und hatte eine tiefe und
1-2 Tagen. Ist dies nicht der Fall, muss die Diagnose heisere Sprache. Die Haut war kühl und pa~tös.
überprüft werden. Auch bei einem erneuten Schub Die Körpertemperatur lag bei 35,9 C. Ode-
nach anfänglicher Remission kann mit Kortikoste- matöse Schwellungen lagen perioku lär betont
roiden behandelt werden. In den sehr seltenen Fäl- im Gesichtsbereich, aber auch beidseits prätibial
len mit persistierender Steroidpflichtigkeit bei sub- und malleolär vor. Im Haupthaarbereich fiel
akuter Thyreoiditis über mehr als 11/2-2 Jahre kann eine diffuse Alopezie auf. Der Achillessehnen -
die Thyreoidektomie indiziert sein. Die nicht selten reflex war seitengleich träge verlangsamt. Das
anzutreffende initiale Hyperthyreose wird, wie bei Abdomen war meteoristisch gebläht. Im Labor
allen anderen Thyreoiditisformen, symptomatisch zeigte sich eine deutliche Erhöhung der Krea-
mit ß-Blockern behandelt. Resultiert eine (oft nur tininkinase (CK) auf 1.200 U/1. Das Serum-
passagere) Hypothyreose, so ist eine Substitutions- natrium war als Zeichen einer Exsikkose auf
therapie mit L-Thyroxin angezeigt. Die Behand- 151 mmol/1 erhöht. Das freie T3 war ebenso
lungsindikation muss später überprüft werden, da wie freies T4 massiv erniedrigt und TSH war
die Hormonsyntheseleistung der Schilddrüse sich mit 110 U/ml stark erhöht. In der Thorax-
nach einigen Monaten bei subakuter Thyreoiditis aufnahme ergaben sich Hinweise auf einen
wieder normalisiert.

Abb. 4-Sa, b. Patientin mit


Hypothyreose (vor und nach
Therapie)
4.6 Autoimmunthyreoiditis 115

• eine lymphozytäre Infiltration der Schilddrüse,


Perikardergu s, der echokardiographisch bestä- • der Nachweis von Antikörpern gegen thyreoidale
tigt wurde. Sonographisch sah man eine sehr Peroxidase,
kleine atrophische, echoarme Schilddrüse mit
• der Nachweis von Antikörpern gegen Thyreoglo-
einem Ge amtvolumen von 2 ml. Es wurde
bulin.
eine Substitutionstherapie mit L-Thyroxin in
einer Dosis von 50 !lg/Tag aufgenommen. Au- Eine gewisse genetische Prädisposition zur Entwick-
ßerdem wurde eine intravenöse Flüssigkeitssub- lung einer Autoimmunthyreoiditis ergibt sich bei
stitution durchgeführt. ach 10 Tagen wurde der Assoziation mit HLA-DR3, HLA-DR4 und
die Dosis bereits auf 75!lg L-Thyroxin/Tag HLA-DR5. Es besteht dabei jedoch eine erhebliche
gesteigert, da keine kardiavaskulären Risiko- etnische Streuung. Die atrophische Verlaufsform
faktoren vorlagen. Nach sehr guter klinischer der Erkrankung ist häufiger mit dem HLA-DR3-An-
Besserung wurde in Abständen von 4 Wochen tigen verknüpft. Weitere Assoziationen ergeben sich
die weitere Dosisanpassung auf schließlich mit anderen Erkrankungen aus dem Formenkreis
125 11g L-Thyroxin pro Tag durch den Hausarzt der Autoimmunerkrankungen, die in folgender
vorgenommen. Übersicht wiedergegeben sind.

Potenziell assoziierte Erkrankungen


bei Autoimmunthyreoiditis
4.6.2
Epidemiologie • Polyglanduläres Autoimmunsyndrom (PAS)
• M. Addison
Die Autoimmunthyreoiditis ist die häufigste Form • Diabetes mellitus
der Thyreoiditiden. Die Prävalenz einer manifesten • Vitiligo
Erkrankung mit latenter oder manifester Hypothy- • Atrophische Gastritis
reose steigt mit zunehmendem Lebensalter und liegt • Myasthenia gravis
im Alter über 60 Jahren bei ca. 1,5-2 o/o der Bevölke- • Sjögren-Syndrom
rung. Frauen sind 5- bis 10-mal häufiger betroffen
als Männer. Der symptomlose Nachweis von Anti-
körpern gegen Thyreoglobulin und gegen thyreoi-
dale Peroxidase im Serum ist wesentlich häufiger. 4.6.4
Hier liegt die Prävalenz bei 5-12 o/o mit ebenfalls Klinik
ca. 5-fach höherer Prävalenz bei Frauen. Eine Son-
Symptome und Beschwerden
derform stellt die Post-partum-Thyreoiditis dar,
Die Autoimmunthyreoiditis verläuft sehr häufig
die nach 3-9 o/o aller Schwangerschaften eintritt
völlig symptomlos. Trotz zytologisch nachweisbarer
und oft passageren Charakter hat.
starker lymphozytärer Infiltration und hoch-positiv
nachweisbarem Antikörpertiter bleiben die Patien-
ten vielfach beschwerdefrei und euthyreot. In einem
4.6.3 Teil der Fälle, insbesondere bei der hypertrophen
Pathogenese Verlaufsform (Hashimoto-Thyreoiditis) und bei
sehr raschem Verlauf einer atrophischen Thyreoidi-
Die Ätiologie der autoimmunbedingten Thyreoiditi- tis, klagen die Patienten über ein Globusgefühl, das
den ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Es gibt sich bis zu Schmerzen im Bereich der Schilddrüsen-
Hinweise, dass Umweltfaktoren den Autoimmun- loge steigern kann. Die Hashimoto-Thyreoiditis geht
prozess initiieren oder triggern können. Virale mit einer Struma einher, die nur sehr selten zu lo-
oder bakterielle Infekte, die der Erkrankung voraus- kalen Verdrängungssymptomen führt. In der Ini-
gehen oder sie begleiten, werden als Ursache disku- tialphase der Erkrankung kann es bisweilen bei stär-
tiert. Ein eindeutiger Zusammenhang konnte jedoch keren destruktiven Vorgängen an den Follikelzellen
bisher nicht bewiesen werden. Im Tierversuch durch die Freisetzung präformierten Schilddrüsen-
können hochdosierte Iodgaben bei vorbestehender hormons zu einer hyperthyreoten Stoffwechsellage
Prädisposition eine Thyreoiditis auslösen. Auch kommen. Sie hält in der Regel nicht länger als
psychischer Stress kommt als Mitauslöser in Frage, 4-6 Wochen an und kann über eine kurze euthy-
da über neurohumorale Mechanismen Zytokine reote Phase in eine (latente) Hypothyreose überge-
freigesetzt werden können, die wesentlich am Lokai- hen.
krankheitsprozess beteiligt sind. Wesentliche Merk- Überwiegen atrophische Prozesse, so resultiert
male der Autoimmunthyreoiditis sind: eine Hypothyreose. Die Entwicklung der Hypo-
116 KAPITEL 4 Schilddrüse

thyreose verläuft meist sehr schleichend und wird Peroxidase (TPO-AK, identisch mit mikrosomalen
daher besonders im höheren Lebensalter leicht ver- Antikörpern) und gegen Thyreoglobulin (TG-AK).
kannt, wenn psychomotorische Symptome das Die Höhe der Antikörperspiegel ist nicht direkt kor-
Krankheitsbild dominieren. reliert mit der Stoffwechsellage, jedoch finden sich
bei atrophischer Verlaufsform mit Hypothyreose
im floriden Krankheitsstadium oft sehr hohe Werte
4.6.5 für TPO- und TG-Antikörper. Eine enge Korrelation
Diagnostik besteht zwischen dem Vorhandensein der Antikör-
per und zytologisch nachweisbarer lymphozytärer
Anamnese Organinfiltration.
Die folgende Übersicht gibt Hinweise auf eine Auto-
immunthyreoiditis wieder, die in der Anamnese be-
rücksichtigt werden sollten. Bildgebende Verfahren
• Sonographie. Die Autoimmunthyreoiditis stellt
Anamnesekriterien der Autoimmunthyreoiditis sich im Ultraschallbild diffus echoarm dar. Das
Ausmaß der Echominderung kann unterschiedlich
• Positive Familienanamnese stark ausgeprägt sein und reichen von einer im An-
• Vorliegen assoziierter Autoimmunerkrankungen fangsstadium fleckigen Echoarmut bis zur massiven
diffusen Echoarmut (Abb. 4-9).
• Nur passager aufgetretene Hyperthyreose
• Vorangegangene Entbindung
• Therapie mit Zytokinen, Amiodaron • Szintigraphie. Bei der Autoimmunthyreoiditis ist
die Iodaufnahme und äquivalent auch das in
der Routinediagnostik fast ausschließlich verwen-
dete 99 mTechnetium erniedrigt. Die prozentuale
• Post-partum-Thyreoiditis

D
Technetiumaufnahme (Technetium-Uptake) liegt
Die Post-partum- Thyreoiditis ist klinisch schwer zu
meist < 1,0 %.
diagnostizieren. Nicht selten werden Hyperthyreose-
symptome wie Schwitzen, Nervosität und Tachy-
• Zytologie und Histologie. Die Übersicht gibt die
kardie von Müttern und behandelnden Ärzten
zytologischen Veränderungen bei einer Autoim-
dem Stillen oder der veränderten sozialen Situation
munthyreoiditis wieder. Abbildung 4-10 zeigt das
zugeschrieben und so verkannt. Auch die sog.
histologische Bild einer Autoimmunthyreoiditis.
"Wochenbettdepression" kann Hinweis auf eine
postpartale Thyreoiditis sein.

Körperliche Untersuchung
Der Palpationsbefund bei Autoimmunthyreoiditis
ist sehr unterschiedlich. Meist hat die Schilddrüse
eine feste Konsistenz. Abhängig von der Verlaufs-
form der Erkrankung kann sich eine Struma präsen-
tieren, das Organ normal groß sein oder bei der atro-
phischen Form der Palpation entgehen. Gelegentlich
wird ein Druckschmerz beim Abtasten der Schild-
drüse angegeben. Sehr selten sind im Halsbereich
vergrößerte Lymphknoten tastbar. Herzfrequenz,
Blutdruck, Körpergewicht, Beurteilung der Haut-
qualitäten sind Basisuntersuchungen zur klinischen
Einschätzung der Stoffwechsellage.

Labordiagnostik
In über der Hälfte der Fälle von Autoimmunthyreoi-
ditis liegen T3, T4 und TSH im Referenzbereich. Die
atrophische Verlaufsform resultiert in einer (laten-
ten) Hypothyreose mit erniedrigten (normalen)
Werten für T3 und T4 und TSH-Erhöhung. Die Au-
Abb. 4-9. Sonographisch ausgeprägte diffuse Echoarmut bei
toimmunthyreoiditis geht einher mit einer deutli- Autoimmunthyreoiditis (Querschnitt durch den rechten
chen Erhöhung von Antikörpern gegen thyreoidale Schilddrüsen Iappen)
4.6 Autoimmunthyreoiditis 117

Abb. 4-10. Histologisches


Bild mit lymphozytärer In-
filtration bei Autoimmun-
thyreoiditis

Zytologie einer Autoimmunthyreoiditis


4.6.6
Differentialdiagnose
• Deutliche Lymphozyteninfiltration
• Hyperplastische Veränderungen der Follikel- Die Autoimmunthyreoiditis muss besonders bei in-
zellen itialer Hyperthyreose vom M. Basedow abgegrenzt
• Autoimmunbedingte Destruktion von Follikel- werden (Tabelle 4-2). Akute und subakute Thyreo-
zellen iditis unterscheiden sich klinisch durch eine stärkere
• Makrophagen Schmerzhaftigkeit der Schilddrüse, BSG-Beschleuni-
• Fibrotische Veränderungen gung und evtl. Leukozytose.

4.6.7
Therapie
Medikamentöse Therapie
Die Therapie aller Formen der Autoimmunthy-
reoiditis ist immer symptomatisch orientiert (Ta-
belle 4-3). Das lokale Druck- oder Kloßgefühl wird
von den meisten Patienten ohne Analgetikagabe

Tabelle 4-2. Differentialdiagnostische Abgrenzung der Autoimmunthyreoiditis vom M. Basedow

Autoimmunthyreoiditis M. Basedow

Technetium-Uptake ormal bis erniedrigt Erhöht


Sonographie Echoarm Echoarm
Farbdoppler ormaler/verstärkter Blutfluss Verstärkte Vaskularisation
TSH-Rezeptor-Antikörper egativ Positiv
Thyreoglobulin-Antikörper Positiv (Positiv)
Thyreoidale Peroxidase-AK Positiv (Positiv)
Hyperthyreose elten passager Ja
Endokrine Orbitapathie Fast nie Häufig
118 KAPITEL 4 Schilddrüse

Tabelle 4-3. Therapie der Autoimmunthyreoiditis Therapie des hypothyreoten Komas

Beschwerden Therapieform
• Sofort 500 11g L-Thyroxin i. v. oder über
Keine oder geringe Keine Therapie, Kontrolle Magensonde
Lokalbeschwerden, 100 mg Hydrocortison i. v.
Euthyreo e 1.000 ml NaCl 0,9 o/o i. v.
Lokale Druck- AntiphJogistische Therapie • Anschließend 100-150 11g L-Thyroxin/Tag i. v.
beschwerden (z. B. 500- 1.500 mg Azetylsalizyl- Intensivüberwachung, Flüssigkeitsausgleich,
säure, 400- 1.200 mg lbuprofen) ggfs. Beatmung
Hyperthyreose Nichtkardioselektiver ß-Blocker
(z. B. 3- mal 10- 40 mg Propranolol)
Chirurgische Therapie

toleriert, gelegenlieh kann der Einsatz nichtsteroida-


ler Antiphlogistika notwendig sein. Die häufigste
Die fibrosierende Thyreoiditis (Riedel-Struma) be-
darf meist immer der operativen Sanierung durch
weitgehende Resektion, da die infiltrativ-inflamma-
D
Funktionsstörung ist die (latente) Hypothyreose,
torischen Prozesse über die Organgrenzen hinaus
die einer Substitution mit Schilddrüsenhormon be-
sich in die umgebenden Weichteile fortsetzen. Nur
darf. Ein Therapieschema für alle Formen der Hypo-
durch die histologische Untersuchung kann bei der
thyreose gibt Tabelle 4-4 wieder. Bei atrophischer
Riedel-Struma letztlich auch ein Malignom sicher
Thyreoiditis ist immer eine lebenslange Hormon-
ausgeschlossen werden. Gelegentlich kann bei sorg-
substitution notwendig. Sehr häufig nur passager
fältiger kurzfristiger Beobachtung eine Glucocorti-
ist die Funktionsstörung bei postpartaler Thyreoidi-
coidtherapie mit 1 mg Prednisolonäquivalent pro
tis, bei der medikamenteninduzierten Thyreoiditis
kg Körpergewicht eine Rückbildung erzielen.
sowie bei der "silent thyreoiditis". Bei allen Formen
der Thyreoiditiden wird die initiale Hyperthyreose
4.7
lediglich symptomatisch behandelt. Eine thyreosta-
tische Therapie ist nicht sinnvoll, da nicht eine ver-
Iatrogene Hypothyreose
mehrte Hormonproduktion die Ursache ist, sondern
4.7.1
die Freisetzung präformierten Hormons.
Fallpräsentation

D Nicht indiziert ist der Einsatz von Glucocorticoiden,


die weder den Krankheitsverlauf noch die Sympto-
matik beeinflussen.
Eine 72-jährige Frau stellte sich ein Jahr nach
einer Radiodiodtherapie wegen eines autono-
men Adenoms zu einer Kontrolluntersuchung
Tritt eine schwere Hypothyreose ein, die zusätzlich vor. Frühzeitigere Kontrollen habe sie aus fa-
mit einer Bewußseinseintrübung oder Hypothermie miliären Gründen nicht wahrnehmen können.
einhergeht, so liegt ein hypothyreotes Koma vor, das Es fiel eine deutliche psychische und kognitive
mit einer schlechten Prognose verknüpft ist und Verlangsamung auf. Die Mimik war reduziert,
einer sofortigen intensivmedizinischen Behandlung das Hautkolorit blass-gelblich (Abb. 4-11).
bedarf. Folgende Übersicht gibt die Therapie des hy- Eine Medikation bestand nicht. Die Schild-
pothyreoten Komas wieder. drüsenhormonwerte waren deutlich erniedrigt
und TSH war mit 96 ).!U/ml stark erhöht. Es be-
stand eine Hypercholesterinämie (346 mg/dl).

Tabelle 4-4. Therapie der Hypothyreose

Patientengruppe Startdosis Steigerung Dauertherapie

jüngere Patienten 50 ).lg L-Thyroxin 100 ).lg L-T4 nach 2 Wochen 1,5- 2 ).lg L-T4/kg KG

Ältere Patienten 25 ).lg L-Thyroxin 50 ).lg L-T4 nach 2 Wochen 1,5- 2 ).lg L-T4/kg KG
75 ).lg L-T4 nach 4 Wochen
100 ~~ g L-T4 nach 8 Wochen

Hohes Risiko 12,5 ).lg L-Thyroxin Alle 2 Wochen erhöhen 1,5 ).lg L-T4/kg KG
(schwere KHK o. Ä.) um 12,5 ).lg L-Thyroxin
4.7 Iatrogene Hypothyreose 119

4.7.3
Pathogenese

Nach einer Schilddrüsenresektion, die weniger als


8-10 ml Restgewebe des Organs belässt, muss mit
Funktionstörungen der Schilddrüse gerechnet wer-
den. Die regelgerecht durchgeführte Operation bei
Autoimmunthyreopathie (M. Basedow) ist immer
mit einer lebenslangen Substitutionspflicht für
Schilddrüsenhormone verknüpft. Auch nach Radio-
iodtherapie autonomer Funktionsstörungen (oder
M. Basedow) muss mit einer Hypothyreose gerech-
net werden. Die Therapie mit Zytokinen bei Hepati-
tis C, Karzinoiden oder Tumorleiden kann insbe-
sonders bei vorbestehendem Nachweis von Antikör-
pern gegen Schilddrüsenantigenen zu einer hypo-
thyreoten Stoffwechsellage führen. Verschiedenen
Medikamente können über unterschiedliche Mecha-
nismen zu einer Funktionsbeeinträchtigung der
Abb. 4-11. Patientin mit Hypothyreose
Schilddrüse beitragen wie aus der folgenden Über-
sicht hervorgeht.

Die Sonographie der Schilddrüse zeigte einen Ursachen für eine iatrogene Hypothyreose
kleinen Linken Schilddrüsenlappen (2 ml) und
einen fast den gesamten rechten Schilddrüsen- • Radioiodtherapie
lappen einnehmenden echokomplexen Knoten • Operation
mit 17 ml Volumen. Dieser Knoten entsprach • Medikamenteninduziert
dem autonomen Adenom vor der Radioiodthe- Thyreostatika
rapie. Es wurde sofort eine Sub titutionsthera- Interferon
pie mit 25 )..lg L-Thyroxin/Tag eingeleitet. Interleukin- 2
Nach 14 Tagen wurde auf 50 )..lg L-Thyroxin/ Amiodaron
Tag erhöht. Weitere Steigerungen der Schild- Lithium
drüsenhormondo is erfolgten in 4-wöchigen o, p-DDD (Mitotane)
Abständen bis zur Dosis von 125 )..lg L-Thyro- Iod in hohen Dosen (z. B. Plummerung)
xin/Tag. Hierunter lagen T3, T4 und der basale • Diätfehler
TSH-Wert im Normbereich. Die Patientin war
deutlich agiler geworden u nd d ie Cholesterin-
spiegel näherten sich dem Normbereich
(234 mg!dl).
4.7.4
Klinik

4.7.2 Anamnese
Epidemiologie Es muss nach vorbestehenden Schilddrüsenerkran-
kungen gefragt werden. Eine Hypothyreose nach Ra-
Die iatrogen verursachte Schilddrüsenunterfunktion dioiodtherapie kann sich erst mehrere Monate
stellt eine der häufigsten Hypothyreoseursachen im später entwickeln. Mit zunehmendem Einsatz von
Erwachsenenalter dar. Es werden in Deutschland pro Zytokinen in der Therapie werden auch Hypo-
Jahr ca. 90.000 Schilddrüsenoperationen durchge- thyreosen als Folge einer zytokinbedingten Thyreo-
führt, die im Falle einer umfassenden Organresekti- iditis gesehen. Gefährdet sind vor allem Patienten
on häufig eine lebenslange Schilddrüsenhormonsub- mit vorbestehend nachweisbaren Antikörpern gegen
stitutionstherapie notwendig machen. Ein weiterer Thyreoglobulin und thyreoidale Peroxidase. Einige
großer Teil der Hypothyreosen wird nach einer Ra- andere Medikamente können ebenfalls eine Hypo-
dioiodtherapie gesehen. Meist kann die Stoffwech- thyreose verursachen (s. Übersicht). Extrem selten
sellage jedoch frühzeitig korrigiert werden und es sind Diätfehler mit vermehrter oder alleiniger Zu-
kommt selten zu einer ausgeprägten Symptomatik. fuhr strumigener Lebensmittel (Kohl, Soja). Eine
120 KAPITEL 4 Schilddrüse

thyreostatische Therapie muss regelmäßig überprüft


dar. Der TSH-Wert lag bei 5,8 !!U/ml und stieg
werden. Besonders bei älteren Patienten kann eine
beginnende Hypothyreose leicht übersehen werden. im TRH-Test überschießend auf 32 1-1U/ml an.
Freies T3 (5,6 pg/ml, Norm 1,6-4,5) und freies
T4 (2,8 ng/ml, Norm: 0,8-2,0) waren erhöht
ebenso wie der Technetium-Uptake (6,7 %)
4.7.5
Diagnostik und Therapie mit homogener Radionuklidaufnahme in der
Szintigraphie. Bei peripherer Hyperthyreose
mit erhöhtem TSH hatte der Hausarzt bereits
Neben der richtungsweisenden Anamnese entspre-
chen Diagnostik und Therapie im Wesentlichen eine Kernspintomographie zum Ausschluss
eines TSH-produzierenden Hypophysenade-
den bisher geschilderten Verfahren. Bei der Thera-
noms veranlasst. Eine molekularbiologische
pie ist vor allem zu berücksichtigen, ob eine dauer-
Untersuchung bestätigte den Verdacht auf
haft substitutionspflichtige Hypothyreose oder eine
potenziell reversible Ursache vorliegt. eine Schilddrüsenhormonresistenz (Punktmu-
tation im Codon 438 des Schilddrüsenhormon-
rezeptorgens ß). Eine Therapie mit 1 Tb!.
4.8 D-Thyroxin (Dynothel®) täglich senkte den
Schilddrüsenhormonresistenz TSH-Spiegel, T3 und T4 in den ormbereich.
Die Patientin war daraufhin beschwerdefrei.
4.8.1 Bei Mutter und Bruder der Patientin wurde
Fallpräsentation die Mutation ebenfalls nachgewiesen.

Nach einer Strumare ektion im 17. Leben jahr


4.8.2
wurde eine 27-jährige Frau wegen eine nodö en
Epidemiologie
Rezidivs mit der Frage der erneuten Operation
vorge teilt. Auch die Mutter und ein Bruder
Das Syndrom der Schilddrüsenhormonresistenz
litten an einer vergrößerten Schilddrüse. Die
stellt unter den Schilddrüsenkrankheiten eine Rari-
Patientin klagte über Belastungstachykardie
und innere Unruhe, fühlte sich an onsten tät dar. Etwa 1 auf 500.000-1.000.000 Einwohner
aber beschwerdefrei. Eine mitgebrachte Kern- dürften betroffen sein. Genaue epidemiologische
spintomographie der Hypophy e zeigte eine Daten liegen nicht vor.
leichte Vergrößerung des Organs ohne sonstige
Auffalligkeiten (Abb. 4-12). Eine Medikation
be tand nicht. Die childdrü e war mäßig ver-
4.8.3
größert zu ta ten. Sonographi eh teilte sich
Einteilung
da Organ mit einem Gesamtvolumen von
38 mlleicht echoarm mit 2 echogleichen Knoten
Das Syndrom der Schilddrüsenhormonresistenz ist
gekennzeichnet durch eine unzureichende Wirkung
von Schilddrüsenhormonen in den Zielzellen der
Körpergewebe. Diese Resistenz ist immer partiell,
da eine vollständige Schilddrüsenhormonresistenz
nicht mit dem Leben vereinbar wäre. Man unter-
scheidet eine
• thyreotoxische von der
• nichtthyreotoxischen Verlaufsform .

Die früher übliche Einteilung in selektiv hypo-


physäre Hormonresistenz (unzureichende Antwort
der thyreotrophen Zellen der Hypophyse auf T3)
und generalisierte Hormonresistenz wird heute so
nicht mehr aufrecht erhalten, da es viele Über-
Iappungen des klinischen Erscheinungsbildes bei
dieser Erkrankung gibt. Bei beiden Formen können
Abb. 4-12. Kernspintomographie mit leicht vergrößerter Hy- z. T. identische Punktmutationen als Ursache ge-
pophyse funden werden. Tabelle 4-5 gibt mögliche Ursachen
4.8 Schilddrüsenhormonresistenz 121

Tabelle 4-5. Mögliche Ursachen für nachweisbare oder er-


höhte TSH-Spiegel bei erhöhten peripheren Schilddrüsenhor- 4.8.5
monwerten Klinik

Mögli::he Ursachen Symptome und Beschwerden


Physiologisch Schwangerschaft Das klinische Bild ist unterschiedlich. Manche Pa-
tienten sind beschwerdefrei, andere haben typische
Medikamentö Östrogene, Kontrazeptiva, Amio- Symptome der Hyperthyreose oder auch einer Hy-
bedingt daron, D-Thyroxin, Clofibrat u. a.
pothyreose, wie in der folgenden Übersicht darge-
Genetisch bedingt Familiäre dysalbuminämische stellt.
Hyperthyroxinämie
childdrü enhormonre i tenz
TSH -Rezeptordefekt Häufige Symptome bei Schilddrüsenhormon-
resistenz
eoplastisch TSH-produzierende Tumoren

Erhöhung von TBG" Lebererkrankungen (z. B. Leber- • Hyperaktivität bei Kindern


zirrho e) • Tachykardie
• Struma
onstiges Autoantikörper gegen Thyroxin
u. /o. Triiodthyronin • Unruhe, Nervosität
• Profuses Schwitzen
a Thyroxin-bindendes Globulin • Mentale Entwicklungsstörung

für nachweisbare oder erhöhte TSH -Spiegel bei


erhöhten peripheren Schilddrüsenhormonwerten Genetik
wieder. Die Mutationen (s. Pathogenese) sind fast aus-
schließlich heterozygot und werden überwiegend
autosomal-dominant vererbt.
4.8.4
Pathogenese
4.8.6
Für die Genese der Schilddrüsenhormonresistenz Diagnostik
sind Mutationen im T3-Rezeptor-Gen verantwort-
lich. Betroffen ist fast ausschließlich die ß-1-Unter- Anamnese
form des T3-Rezeptors, der vom C-Erb-A-Gen auf Bei den meisten Patienten finden sich in der Vor-
Chromosom 3 kodiert wird. Es sind eine Reihe geschichte Operationen oder Radioiodtherapien
von Punktmutationen beschrieben, von denen eini- der Schilddrüse. Aufgrund des autosomal-dominan-
ge eher mit einer Hyperthyreose einhergehen. Der ten Erbganges lassen sich meist betroffene Familien-
unterschiedliche Phänotyp könnte seine Ursache mitglieder erfragen.
auch in einer unterschiedlichen Verteilung des
T3-Rezeptors in verschiedenen Geweben haben.
Labordiagnostik
Abbildung 4-13 zeigt schematisch den Aufbau des
Typisch sind erhöhte T3- und T4-Werte bei nicht
nukleären T3-Rezeptors.
supprimiertem TSH. TSH kann normal oder deut-
lich erhöht sein. Im TRH-Test kann eine über-
schießende TSH-Antwort vorhanden sein. Als
Surrogatmarker für die Stoffwechsellage wurden
Cholesterin, sexualhormonbindendes Globulin,
Ferritin und Osteocalcin vorgeschlagen. Es gibt je-
doch hier deutliche Überschneidungen, sodass diese
Parameter nicht verlässlich die periphere Wirkung
von Schilddrüsenhormonen wiedergeben. Mittler-
weile ist der molekulargenetische Mutationsnach-
weis möglich und kann bei jedem Patienten durch-
geführt werden.

Abb.4-13. Schematische Darstellung des nukleären T3-Re-


zeptors und häufige Mutationsorte (hot spots)
122 KAPITEL 4 Schilddrüse

Bildgebende Verfahren die in der folgenden Übersicht erwähnten Substan-


• Sonographie. Wegen der starken TSH-Stimula- zen zur Senkung der TSH-Spiegels versuchsweise
tion besteht meistens eine mäßige Echoarmut und eingesetzt werden.
eine deutliche Hypervaskularisation. Knotige Ver-
änderungen sind häufig. Substanzen zur Senkung der TSH-Spiegel
und Therapeutika bei klinischen Beschwerden
• Szintigraphie. Der Technetium-Uptake ist wegen
der TSH-Stimulation erhöht. • D-Thyroxin
• TRIAC (Triiodessigsäure)
• MRT oder CT. Sofern eine CT oder ein MRT • Bromocriptin
durchgeführt wurde, lässt sich bei manchen Patien- • Octreotid
ten eine Vergrößerung der gesamten Hypophyse se- • ß-Blockade bei tachykarden Störungen.
hen (Abb. 4-13). Dies ist Ausdruck der Hyperplasie
der thyreotrophen Zellen.

Überfunktion
4.8.7
Differentialdiagnose
4.9
Bei hyperthyreoter Stoffwechsellage ist differential- TSH-om
diagnostisch ein TSH-produzierender Tumor auszu-
schließen (Tabelle 4-6). Eine Erhöhung der Konzen- 4.9.1
tration der Schilddrüsenhormone im Blut irrfolge Fallpräsentation
einer Erhöhung der Bindungsproteine lässt sich
durch eine Kontrolle der freien Hormonkonzentra- Ein 58-jähriger Patient wurde wegen emer
tionen abklären. schlecht einstellbaren klinisch-symptomati-
schen Hyperthyreose bei knotig vergrößerter
Schilddrüse mit der Frage einer möglichen
4.8.8 Operation vorgestellt. Trotz einer zweijährigen
Therapie Therapie mit Methimazol in einer Dosis von zu-
letzt 20 mg!Tag lagen die FT3- und FT4-Werte
Eine kausale Therapie existiert nicht. Solange die leicht erhöht vor. TSH war mit 4,6 j.IU/ml eben-
Patienten symptomfrei sind oder nur über milde falls leicht erhöht. Aus alten Unterlagen ging
Symptome klagen, kann auf eine Therapie verzichtet hervor, dass vor Einleitung der Therapie bereits
werden. Bei Patienten mit hypothyreoter Stoff- eine Hyperthyreose mit hochnormalem TSH
wechsellage (sehr selten) ist eine Therapie mit besta nd. Im TRH-Test stieg TSH um 1 )lU/ml
Triiodthyronin in individueller Dosis notwendig. an. Die a-Untereinheit von TSH war erhöht. So-
Liegen Hyperthyreosesymptome vor, so können nographisch zeigte sich eine auf 48 ml vergrö-
ßerte Struma mit insgesamt einer leichten
Echoarmut des Parenchyms. Zwei glatt be-
Tabelle 4-6. Differentialdiagnostische Kriterien zur Unter-
scheidung TSH-om und Schilddrüsenhormonresistenz grenzte echogleiche Knoten waren scha rf be-
grenzt. Der Technetium-Uptake war auf 6,4 o/o
Parameter TSH -om Schilddrüsen- erhöht. Das MRT der Hypophyse stellte ein Ma-
hormonresistenz kroadenom dar (Abb. 4-14a). Zur Suppres ion
T3-T4 Erhöht Erhöht
der hypophysären TSH-A usschüttu ng wurde
eine Therapie mit einem lang wirksamen Soma-
T H ba al Norm al/erhöht ormal/erhöht tostati nanalogon eingeleitet (3-mal 50 11g San-
An stieg im ta rke
dastatin s.c./Tag). Hieru nter sa nken die TSH-
Gerin~e
TRH -Te t timu ation timulation Spiegel prompt und die thyreostatische Behand-
lung wurde ausgesetzt. Nach einer 3- monatigen
truma ja ja
Therapie wurde bei dem Patienten eine elektive
Quotient aus Erhöht (> I) Norma l transnasale Adenomektomie d urchgeführt
TSH -a - und (Abb. 4-14b). Postoperativ resultierte eine eu-
-ß-Untereinheit thyreote Stoffwechsellage mit nied rignormalem
Auftreten poradisch Fa mi liär TSH.
4.9 TSH-om 123

4.9.4
Klinik

Symptome und Beschwerden


Die TSH-Überproduktion führt zu einer Stimulation
der Schilddrüsenhormonsynthese und damit zu
einer Hyperthyreose mit klassischer Symptomatik
(s. Übersicht Abschn. 4.6.4). Knotige Schilddrüsen-
veränderungen sind häufig. Vielfach werden die
Patienten unter der Vorstellung einer Autonomie
oder einer immunogenen Hyperthyreose operiert
bzw. radioiodtherapiert Typisch ist dann das Hy-
perthyreoserezidiv auch bei relativ kleinen Schild-
drüsenresten. Bei Makroadenomen können sehr sel-
ten Kopfschmerzen auftreten. Tangiert das Adenom
das Chiasma opticum, muss mit Gesichtsfeldausfäl-
len bis hin zum vollständigen Visusverlust gerechnet
werden.

4.9.5
Diagnostik

Anamnese
Typisch sind mehrjährige Verläufe mit thyreostati-
scher Therapie, Auslassversuchen, Radioiodthera-
pien und Schilddrüsenoperationen in der Vorge-
Abb.4-14a, b. Kernspintomographie eines TSH-produzie- schichte.
renden Hypophysenadenoms a) vor Operation, b) nach elek-
tiver Adenomentfernung
Körperliche Untersuchung
Die körperliche Untersuchung zeigt fast immer die
4.9.2 oft auch knotige Schilddrüsenvergrößerung sowie
Epidemiologie die klassischen Zeichen der Hyperthyreose u. a.
mit Tachykardie, feuchter Haut, hoher Blutdruck-
TSH-produzierende Adenome der Hypophyse sind
amplitude usw. Fingerperimetrisch können sich er-
sehr selten. Bisher sind in der Literatur erst einige
ste Hinweise auf Gesichtsfeldausfälle ergeben.
100 Fälle beschrieben, wobei die Aufdeckungsrate
im Zeitalter von CT und MRT stark zugenommen
hat. Wesentlich häufiger als TSH-sezernierende Labordiagnostik
hormonaktive Hypophysenadenome sind Prolak- Typisch ist eine hyperthyreote Stoffwechsellage mit
tin-, Wachstumshormon- und ACTH-produzieren- erhöhtem oder normalem TSH. Im TRH-Test ist
de Adenome. TSH vielfach nicht weiter stimulierbar. Die a-Unter-
heit des TSH-Moleküls ist erhöht.

4.9.3
Pathogenese Bildgebende Verfahren
• Sonographie. Durch die dauerhafte TSH-Stimu-
Im Bereich der Hypophyse kommt es zu einer lation ist das Schilddrüsenparenchym echoarm.
klonalen Proliferation von thyreotrophen (TSH-pro- Knotige Veränderungen in der vergrößerten Schild-
duzierenden) Zellen, die autonom arbeiten und drüse sind häufig.
nicht mehr dem negativen Feedback von Schild-
drüsenhormonen unterliegen. Für einen Teil der • Szintigraphie. Der Technetium-Uptake in der
hormonproduzierenden Adenome konnten Gs-a- Schilddrüsenszintigraphie ist diffus erhöht. Gele-
aktivierende Mutationen nachgewiesen werden, gentlich gelingt eine Szintigraphische Anreicherung
die zu einer permanenten Stimulation der intrazel- der Hypophysentumoren mit Indium-111-0ctreo-
lulären Signalkaskade führen . tid.
124 KAPITEL 4 Schilddrüse

• Gesichtsfeldmessung. In der statischen Perime-


4.10.1
trie müssen Gesichtsfeldausfälle dokumentiert wer-
Fallpräsentation
den.

• MRT/CT. Der Nachweis des Hypophysenvorder- Eine 28-jährige Frau klagte über periorbitale
lappenadenoms erfolgt mit der er, besser noch mit Schwellungen, Doppelbild ehen, Licht cheu und
der MRT in koronaren und sagittalen Schnitten vor Druckgefühl im Augenbereich (Abb. 4-15). Eine
und nach Gadoliniumgabe. Hyperthyreo e wurde eit 6 Monaten thyreosta-
tisch behandelt. T3 und T4 waren im Normbe-
reich, T H supprimiert. Die Antikörper gegen
4.9.6 Thyreoglobulin und gegen thyreoidale Peroxi-
Differentialdiagnose dase waren erhöht, ebenso wie die TSH-Rezep-
tor-Antikörper (176 U/rnl). Sonographisch zeigte
Die Schilddrüsenhormonresistenz vom thyreotoxi- sich eine vergrößerte echoarme Schilddrüse. Im
schen Typ (früher selektiv hypophysäre Schilddrü- Szintigramm war der Technetium-Uptake auf
senhormonresistenz genannt) kann die gleiche Sym- 11 % erhöht. Die Hertel-Messung be tätigte
ptomatik mit Hyperthyreose bei nichtsupprimier- den Exophthalmus. Computertomographisch
tem TSH hervorrufen. Ein molekularbiologischer zeigte sich eine Augenmuskelverdickung. Die
Nachweis des zugrunde liegenden Gendefektes ist thyreostatische Therapie bei M. Basedow wurde
möglich. über ein Jahr fortgeführt. Es kam zu einer
Spontanremission der Hyperthyreose. Die endo-
krine Orbitapathie wurde über 2 Monate aus-
4.9.7 schleichend mit Glucocorticoiden therapiert.
Therapie Da sich keine deutliche Besserung der endo-
krinen Orbitapathie einstellte, wurde zusätzlich
Die Therapie der Wahl ist die selektive transnasale eine Retroorbitalbestrahlung durchgeführt. Dar-
Adenomenukleation mit dem Ziel der Dauerheilung. aufltin gingen Doppelbilder und Exophthalmus
Wenn ein infiltratives Wachstum vorliegt, kann eine zurück.
vollständige Resektion misslingen und die ver-
bliebenen Reste können eine Persistenz oder ein
Rezidiv der Hyperthyreose verursachen. In einem
solchen Fall kann durch eine Thyreoidektomie
das Erfolgsorgan ausgeschaltet werden. Präoperativ
oder bei inoperablen Rezidiven wird das Somato-
statinanalogon Sandastatin in einer Dosis von
3-mal 50-200 f.lg s.c. eingesetzt. Depotpräparate
zur i. m.-Injektion stehen seit kurzem ebenfalls
zur Verfügung. Auch Dopaminagonisten (klassische
Substanz: Bromocriptin) zeigen gelegentlich eine
Wirkung. Bei Rezidiven ist auch eine Konvergenzbe-
strahlung der Hypophyse mit 45 Gy oder die zielge-
nauere stereotaktische Bestrahlung mit dem "Gam-
maknife" oder dem Linearbeschleuniger möglich.

4.10
Autoimmunhyperthyreose (M. Basedow)

Die Autoimmunhyperthyreose (M. Basedow) weist


neben der Schilddrüsenfunktionsstörung häufig
eine extrathyreoidale Organbeteiligung auf, die en- Abb. 4-15. Typischer Aspekt bei endokriner Oritopathie mit
dokrine Orbitapathie (s. Abschn. 4.11). Exophthalmus und periorbitalen Schwellungen
4.10 Autoimmunhyperthyreose (M. Basedow) 125

lösen, ist derzeit noch offen. Ein Basisfaktor der Pa-


4.10.2
thogenese ist ein Defekt der Suppressor-T -Lympho-
Epidemiologie
zytenfunktion. T-Helferzellen (TH) produzieren
z. B. Interferon-y mit konsekutiver HLA-DR-Anti-
Die immunogene Hyperthyreose (M. Basedow, Au-
g~nexp~ession auf Thyreozyten. TH2-Zellen produ-
toimmunthyreopathie) ist in Ländern mit hoher
Zieren m Anwesenheit von Monozyten Interleu-
Iodversorgung (z. B. USA) bei weitem die häufigste
kine und stimulieren B-Lymphozyten zur spezifi-
Urs~che für eine Hyperthyreose. Im Iodmangel-
schen Antikörperproduktion. TSH-Rezeptoranti-
gehlet Deutschland sind Schilddrüsenautonomien
körper stimulieren wie TSH die Hormonsynthese
wesentlich häufiger Ursache der Hyperthyreose.
und erhöhen dadurch die Antigenpräsentation. Da-
Frauen sind etwa 7- bis 10-mal häufiger betroffen
durch wird der Autoimmunprozess kontinuierlich
als Männer. Bevorzugtes Lebensalter ist die 3.-5.
aufrechterhalten. Als mitauslösende Ursachen wer-
Lebensdekade.
den emotionaler Stress, bakterielle und virale Anti-
gene, Iodaufnahme und andere Faktoren diskutiert,
ohne da.ss ein klares Ursache-Wirkungs-Prinzip
4.10.3
nachgewiesen werden konnte.
Pathogenese

Wie für viele Autoimmunerkrankungen kann für


4.10.4
den M. Basedow eine genetische Prädisposition
Klinik
nachgewiesen werden. In einer Zwillingsstudie in
Dänemark betrug die Konkordanz monozygoter
Symptome und Beschwerden
Zwillinge für die Entstehung eines M. Basedow
In der B.eschwerd~symptomatik ist die Hyperthy-
76%. Für spezielle MHC- (Major-histocompatibili-
reose be1 den me1sten Patienten bei Beginn der
ty-complex-) Antigene wurde ein erhöhtes Auftreten
Erkrankung führend. Gewichtsabnahme, innere
bei Patienten mit M. Basedow gefunden. Vor allem
Unruhe, Tachykardie und vermehrte Schweiß-
HLA-BS, -DR3 und -DQA1 scheinen eine Rolle zu
neigung wird von vielen Patienten angegeben. Die
spielen. Träger des Merkmals HLA-DR3 haben ein
~_ymptome der Hyperthyreose sind in folgender
über 3-fach höheres Risiko, einen M. Basedow zu ent-
Ubersicht dargestellt.
wickeln. Die HLA-Assoziationen sind zwischen un-
terschiedlichen ethnischen Gruppen jedoch deutlich
Hyperthyreosesymptome
anders ausgeprägt. Mit dem M. Basedow treten oft
andere Autoimmunerkrankungen assoziiert auf
• Tachykardie, Palpitationen
(insbesondere Typ-1-Diabetes-mellitus). Die Hyper-
• Wärmeintoleranz
thyreose wird durch TSH -Rezeptor-Antikörper her-
• Schlaflosigkeit
vorgerufen, die die TSH-Rezeptoren auf der Follikel-
• Erhöhte Stuhlfrequenz
zelle besetzen und eine Stimulation der Hormonsyn-
• Unruhe, Reizbarkeit, Nervosität
these hervorrufen (Abb. 4-16). Welche Mechanismen
• Gewichtsabnahme
die Erkrankung bei prädisponierten Menschen aus-
• Arterielle Hypertonie (große RR-Amplitude)
• Muskelschwäche
• Fiebrige Temperaturen
• Appetitlosigkeit bei Älteren
• Zyklusstörungen
• Libidoverlust

... TSH - Rezeptor Subjektiv am stärksten belastend tritt in ca. 60%


Gs-alpha.Protein ~ de.r ~älle eine assoziie~~e endokrine Orbitapathie
m1t m der folgenden Ubersicht wiedergegebenen
Adenylatzyklase Beschwerden auf.
'I
ATP /""lil cAMP
...
Hormonsynthese
Symptome bei endokriner Orbitopathie

• Photophobie
Abb. 4-16. Aktivierung der _intrazellulären Hormonsynthese • Augentränen
durch kompetettv antagoms1 erende TSH-Rezeptorantikörper • Konjunktivitis
126 KAPITEL 4 Schilddrüse

• Fremdkörpergefühl
• Augendruck, -schmerzen
• Doppelbildsehen
• Verschwommensehen
• Visuseinschränkung
• Periorbitale Schwellung
• Exophtalmus
• Schmerzhafte Hornhautulzerationen

Als weitere Manifestation kann das prätibiale Myx-


ödem (Abb. 4-17) auftreten und zu einer Induration
des prätibial gelegenen Bindegewebes führen. Be-
steht Juckreiz, so können Kratzeffekte gesehen wer-
den. Sehr selten ist die Akropachie (Abb. 4-18), die
an Händen und Füßen auftritt und zu erheblichen
Bewegungseinschränkungen führen kann. Eine knö-
cherne Beteiligung ist möglich.

Abb. 4-18. Stark ausgeprägte Akropachie im Bereich der


4.10.5 Füße
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
Anamnese Palpatorisch ist die Schilddrüse von fester Konsi-
Da der M. Basedow familiär gehäuft vorkommt, ist stenz zu tasten. Das Organ kann vergrößert sein.
nach einer entsprechenden Belastung zu fragen. Die Haut ist bei Hyperthyreose weich, feucht, die

D
Herzfrequenz beschleunigt. Selten ist auch der Blut-
Nach einer endokrinen Orbitapathie ist gezielt zu druck erhöht (hohe RR-Amplitude). Ein feinschlägi-
fragen, da von den Patienten oft kein direkter Zu- ger Fingertremor ist möglich.
sammenhang mit Lichtscheue, Fremdkörper- und
Druckgefühl des Auges und vermehrtem Augenträ- Labordiagnostik
nen mit der Schilddrüsenerkrankung gesehen wird. Erhöhte T3- und T4-Werte bei supprimiertem TSH
belegen die hyperthyreote Stoffwechsellage. Auch
nach Einleitung einer thyreostatischen Behandlung
kann bei schon normalisierten peripheren Schild-
drüsenhormonwerten die Erniedrigung der TSH-
Werte noch länger persistieren. Typisch ist der
Nachweis von Antikörpern (AK) gegen TSH-Rezep-
toren. Im floriden Stadium der Erkrankung sind
diese AK in 80-100 o/o nachweisbar. Mit zunehmen-
der Erkrankungsdauer und unter der Therapie sind
sie häufig rückläufig. Die Höhe der TSH-Rezeptor-
antikörper erlaubt jedoch im individuellen Fall
keine Aussage über den weiteren Verlauf wie z. B.
eine Spontanremission. Ebenfalls können die AK
gegen Thyreoglobulin (50-70 o/o) und die AK gegen
thyreoidale Peroxidase (60-80%) erhöht sein.

Bildgebende Verfahren
• Sonographie. Im Ultraschallbild ist das Echo-
muster typisch echoarm (Abb. 4-19). Mit zuneh-
mender Remission wird das Bild vermehrt echonor-
maL Bei intrathyreoidal unterschiedlicher Krank-
heitsaktivität kann sich die Echoarmut auch fleckig
Abb.4-17. Prätibiales Myxödem mit Kratzeffekten darstellen.
4.10 Autoimmunhyperthyreose (M. Basedow) 127

bleibt. Die Erhaltungsdosen betragen bei den mei-


sten Patienten 1/4- 1/2 der Startdosis. Im Falle einer
Spontanremission wird der Thyreostatikabedarf im-
mer geringer, sodass schließlich die Therapie ganz
abgesetzt werden kann.

Für eine Spontanremission sprechen folgende Be-


funde:
D
• ein kontinuierlich abnehmender Thyreostatika-
bedarf,
• eine zunehmende Echogenität in der Sonogra-
phie,
• ein Schilddrüsenvolumen < 40 ml.

Abb. 4-19. Typische Echoarmut im Ultraschallbild beiM. Ba-


sedow (Querschnitt durch den rechten Schilddrüsenlappen)
Die thyreostatische Therapie kann als thyreostatische
Monotherapie ohne Zugabe von L-Thyroxin durch-
D
geführt werden. Vorteil ist der geringere Thyreo-
statikabedarf und damit die Vermeidung dosis-
4.10.6 abhängiger Nebenwirkungen, die in der folgenden
Therapie Übersicht wiedergegeben sind.

Unter konservativer Therapie betragen die Remissi-


Nebenwirkungen von Thyreostatika
onsraten in Deutschland ca. 50-60 o/o. Aus diesem
Grund wird in der Regel eine thyreostatische Be-
• Exanthem
handlung über einen Zeitraum von 12-18 Monaten
• Granulozytopenie (dosisabhängig)
durchgeführt. Persistiert die Hyperthyreose über
• Agranulozytose (allergisch bedingt und dosisab-
diese Zeit hinaus, so ist die Chance für eine Spontan-
hängig)
heilung nur noch gering und ein ablatives Therapie-
• Arthralgien, Myalgien
verfahren sollte angestrebt werden.
• Intrahepatische Cholestase
• Übelkeit
Medikamentöse Therapie • Haarausfall
• Thyreostatische Monotherapie. Die thyreostati- • Geschmacks-, und Geruchsstörungen
sche Therapie richtet sich nach den gleichen Prinzi-
pien wie bei der Behandlung der autonomen Funk-
tionsstörungen mit Hyerthyreose. In Europa wird
vor allem Thiamazol und Carbimazol eingesetzt,
Die Kontrollintervalle müssen jedoch kürzer sein, um
einer Hypothyreose frühzeitig entgegensteuern zu
D
während in den USA Propylthiouracil wegen der zu- können.
sätzlichen Konversionshemmung bevorzugt wird.
Die Dosis für die einzelnen Substanzen ist in Ta- Die dosisabhängige Neutropenie ist abzugrenzen
belle 4-7 wiedergegeben. 2-4 Wochen nach Behand- von der allergisch und dosisabhängigen Agranulozy-
lungsbeginn kann die Dosis reduziert werden. Die tose. Diese ist nicht vorhersehbar und eine Risiko-
Therapie richtet sich dabei nach den T3- und T4- minimierung ist möglich, wenn die Patienten aufge-
Werten, da der TSH-Spiegel oft lange supprimiert klärt werden, sich bei hohem Fieber, Stomatis oder
einer Angina sofort beim Arzt vorzustellen. Die
Agranulozytose spricht auf die Gabe von Granulozy-
Tabelle 4-7. Medikamentendosen zur Behandlung des ten-Kolonien-stimulierendem Faktor (GCSF) an.
M. Basedow

Initialtherapie Substanz Erhaltungstherapie • Kombinierte Therapie (Thyreostatika und


Schilddrüsenhormon). Die Kombination von thy-
15-40 mg Thia mazol 5-15 mg reostatischer Therapie mit L-Thyroxin bietet den
20-50 mg Carbimazol 5- 20 mg Vorteil längerer Kontrollintervalle durch Vermei-
dung einer Hypothyreose und einem damit verbun-
150- 300 mg Propylthio uracil 50- 100 mg denen Strumawachstum. Allerdings geht sie mit der
450- 1.200 mg Natriu mperchlorat 100- 400 mg Notwendigkeit für eine höhere Thyreostatikadosis
einher. Ob die Kombinationtherapie mit einer höhe-
128 KAPITEL 4 Schilddrüse

ren Remissionsrate und eine TSH-Suppression zu • Chirurgische Therapie. Die Operation beim M.
niedrigeren Rezidivraten führt, ist derzeit Gegen- Basedow sollte immer so umfassend sein, dass ein
stand einer multizentrischen Studie. Hyperthyreoserezidiv ausgeschlossen ist. Die Schild-
drüsenreste sollten nicht mehr als 4 g betragen. Die
• Therapiedesign. Beim Rezidiv nach längerer Resektion erfolgt entweder "near total" oder als
Spontanremission kann noch einmal ein konserva- Dunhili-Operation mit einseitiger Hemithyreoidek-
tiver Therapieversuch über ein Jahr gemacht wer- tomie und subtotaler Resektion der Gegenseite.
den, die Heilungsrate ist jedoch geringer als bei
Seltene, aber mögliche Komplikationen sind die Re-
D
der ersten Krankheitsmanifestation.
kurrensparese und der persistierende Hypoparathy-
D Die Entscheidung über eine definitive ablative The-
rapie sollte nach Berücksichtigung folgender Punkte
reoidismus.

Tabelle 4-8 gibt die Differentialtherapie der ablati-


getroffen werden:
• bei persistierend hohem Thyreostatikabedarf ven Möglichkeiten beim M. Basedow wieder.
nach mindestens einjähriger Therapie,
• beim Rezidiv im Auslassversuch,
• spätestens beim 2. Rezidiv nach längerer Remis- 4.11
sion. Endokrine Orbitapathie

In ca. 70% aller Patienten mit M. Basedow können


Ablative Therapie
zumindest milde Symptome einer endokrinen Orbi-
• Radioiodtherapie. Die Radioiodtherapie ist be-
tapathie festgestellt werden.
sonders bei Patienten mit mäßiger Schilddrüsenver-
größerung ohne knotige Veränderungen geeignet.
Sie kann auch bei jüngeren Menschen durchgeführt
4.11.1
werden.
Pathogenese

D Eine Schwangerschaft sollte jedoch während des


1. Jahres nach Therapie nicht eintreten, da die Abort-
Der endokrinen Orbitpathie liegt wahrscheinlich
eine Störung des Immunsystems zugrunde. Das aus-
rate in dieser Zeit etwas höher ist und die Schilddrüse lösende Antigen wurde bisher nicht sicher identifi-
des Fetus geschädigt würde. ziert. Virale und bakterielle Antigene (u. a. Yersinia
enterocolitica) werden im Sinne einer molekularen
Es wird eine Herddosis von 150-200 Gy angestrebt.
Mimikry diskutiert. TSH-Rezeptor-ähnliche Pro-
Bei vorbestehender endokriner Orbitapathie kann
teine innerhalb des Retroorbitalraums scheinen je-
eine Radioiodtherapie auch unter Glucocorticoid-
doch eine wichtige Rolle zu spielen. Eine Hypothese
schutz (40 mg Prednisolonäquivalent über 6 Wo- besagt, dass krankheitsspezifische TSH-Rezeptoran-
chen ausschleichend) durchgeführt werden, da es
tikörper mit Orbitaantigenen kreuzreagieren könn-
Hinweise auf eine möglich Verschlechterung unter ten und den organspezifischen Entzündungsprozess
Radioiodtherapie gibt.
initiieren. Dazu paßt die Beobachtung, dass hohe
TSH-Rezeptorantikörper-Titer bei Patienten mit
Tabelle 4-8. Differentialtherapie der ablativen Möglichkeiten
bei M. Basedow
schwerer endokriner Orbitapathie einhergehen.
Die Antigenpräsentation wird von Makrophagen
FLir eine Operation Für eine Radioiodtherapie und dendritischen Zellen unterstützt. Eine starke
spricht spricht lymphozytäre Infiltration in Bindegewebs-, Fett-
und Muskelstrukuren der Orbita kennzeichnen
Große Struma > 50 ml Kleine Schilddrüse
das histologische Bild. Zytokine und lokale Wachs-
Knotige Veränderungen, Diffuse Strumen tumsfaktoren stimulieren die Proliferation von Fi-
insbes. kalte Knoten broblasten und die Produktion von Glykosamino-
chwere endokrine Voroperationen an der glykanen. Diese hydrophilen Mukopolysaccharide
Orbitapathie childdrüse führen zur ödematösen Anschwellung des perioku-
lären und retroorbitalen Fettgewebes. Die gleichen
Aktueller Kinderwun eh (rel.) Op.-Kontraindikationen
Pathomechanismen liegen dem prätibialen Myx-
chneller Heilung wun eh ödem und der Akropachie zugrunde.
Weichteilkampres ion,
spez. Stridor
4.11 Endokrine Orbitopathie 129

Groborientierend lässt sich bei Fixierung des Kopfes


4.11.2
in Geradeausstellung und durch Nachblicken des
Klinik
Patienten (Finger, Kugelschreiber) die Bulbusmoti-
lität und die subjektive Angabe von Doppelbildern
Anamnese
dokumentieren.

D
Fast immer entsteht die endokrine Orbitapathie
kurz nach Auftreten einer Hyperthyreose bei Auto-
immunthyreopathie. Sehr selten geht sie dieser vor- Die Messung mit dem Hertel-Ophtalmometer erlaubt
aus.
die Beurteilung des Exophtalmus in Bezug zum knö-
chernen Orbitarand und ist als Verlaufskontrolle un-

D Die Erkrankung kann aber auch in größerem zeitli-


chem Abstand (bis zu fahren) noch auftreten oder
erlässlich.

sich verschlechtern. Nach klinischen Zeichen einer Bildgebende Verfahren


endokrinen Orbitapathie sollte immer gefragt wer- • MRT/CT. Die CT (Cave: ohne Kontrastmittel, so-
den, da die Patienten milde Symptome (z. B. Photo- fern keine definitiv ablative Therapie erfolgte) und
phobie) nicht von sich aus berichten. die Kernspintomograpie vermögen sehr gut die in-
traorbitale Augenmuskelverdickung und die Lage-
beziehung zu den Sehnerven (Kompression?) nach-
Symptome und Beschwerden
zuweisen (Abb. 4-20). Das MRT in TrWichtung
Die Symptome einer endokriner Orbitapathie rei-
kann Hinweise auf entzündliche Veränderungen ge-
chen von einer milden Photophobie über eine
ben.
rein kosmetische Störung mit periorbitalen Schwel-
lungen bis hin zum Visusverlust (s. Übersicht).
Untersuchungen durch den Ophthalmologen
Ergänzend sollten in Abhängigkeit von der Erkran-
Körperliche Untersuchung
kungsaktivität die in der folgenden Übersicht wie-
Folgende, in der Übersicht wiedergegebene Zeichen
dergegebenen Untersuchungen durch den Ophthal-
sind für eine endokrine Orbitapathie typisch. Sie
mologen erfolgen.
werden in geringem Ausmaß allerdings auch durch
die sympathoadrenerge Aktivierung bei Hyperthy-
Ophthalmologische Untersuchungen bei
reose mit hervorgerufen.
endokriner Orbitopathie
Klinische Zeichen für eine endokrine Orbitopathie
• Messung der Lidspaltenweite
• Spaltlampenuntersuchung
• Stellwag-Zeichen: seltener Lidschlag
• Exophtalmometrie
• Dalrymple-Zeichen: sichtbarer Sklerastreifen
• Visusbestimmung
beim Blick geradeaus
• Augeninnendruckmessung
• Möbius-Zeichen: Konvergenzschäche
• Gesichtsfeldmessung
• Graefe-Zeichen: Zurückbleiben des Oberlids
• Motilitätsbeurteilung
beim Blick nach unten
• Beurteilung des Augenhintergrunds
• Orbitasonographie
• Visuell evozierte Potentiale (VEP)
Die Inspektion sollte immer die in der
Übersicht dargestellte sy ~-----------1111!!1
metrischen VeränderungE

Symmetrische und asym1


der Augen bei der endok

• Periorbitale Schwell
• Lidretraktion
• Zeichen der Konjunkti
• Chemosis (Bindehautödem)
• Exophtalmus

Abb. 4-20. Verdickung der geraden Augenmuskeln in der


Kernspintomographie
130 KAPITEL 4 Schilddrüse

Patientenzahlen. Eine hochdosierte Immunglobu-


4.11.3
lingabe zeigte insgesamt keine günstigen Ergebnisse.
Therapie
Die Szintigraphie mit Octreotid zur Aktivitätsbeur-
teilung des okulären Entzündungsprozesses wurde
Die Behandlung der endokrinen Orbitapathie ist
häufiger eingesetzt. Sie ist den anderen bildgeben-
schwierig und im Wesentlichen symptomatisch
den Verfahren jedoch nicht überlegen. Ebenso
orientiert. Wegen der erheblichen kosmetischen
konnte eine Therapie mit Octreotid keine wesentli-
und funktionellen Beeinträchtigung kommt der in-
che Besserung bringen.
dividuellen Betreuung ein hohes Maß an Bedeutung
zu. Langfristig sind die Spontanheilungsraten der
endokrinen Orbitapathie nicht viel schlechter als
4.12
bei den therapierten Patienten. Die Patienten sind
Autonomie
ausführlich über die Therapiemöglichkeiten und
die Nebenwirkungen aufzuklären. Eine Übersicht
4.12.1
über die abgestufte Therapie bei endokriner Orbi-
Fallpräsentation
tapathie gibt Tabelle 4-9. Voraussetzung für die
erfolgreiche Behandlung ist eine euthyreote Stoff-
wechsellage. Meist führt die Normalisierung der Eine 68-jährige Frau mit einer seit 15 Jahren be-
Schilddrüsenhormonwerte bereits zu einer Besse- kannten truma nodosa wurde wegen Dyspnoe
rung der endokrinen Orbitopathie. Ein Nikotin- bei Tachykardie mit Frequenzen bi 170/min in
abusus verschlechtert die endokrine Orbitapathie die internistische otaufnahme eingeliefert. Ne-
und hat auch ein schlechteres Ansprechen auf die ben der Dys- be tand eine Ortho- und Tachyp-
Therapie zur Folge. So ist eine Nikotinkarenz unbe- noe. Die Herzfrequen z betrug 160/min mit Pul -
dingt anzuraten. defizit. In den letzten Monaten hatte die Patien-
tin 9 kg an Gewicht abgenommen (Abb. 4-21 ).
Wichtig ist die frühzeitige Therpieentscheidung, Sie klagte über Schlafl o igkeit und Wärmeinto-
da mit zunehmender Krankheitsdauer irreversible leranz. Die Symptomatik war etwa 2 Wochen
fibrotische Veränderungen entstehen können, die nach einer Phlebographie zur Vorbereitung
einer Therapie nicht mehr zugänglich sind. auf eine Varizenoperation aufgetreten. Die Ta-
chykardie und Dyspnoe waren akut neu hinzu-
getreten. Bestehende Medikation: 100 J,lg L-Thy-
Studientherapien roxin täglich. Im EKG konnte eine Tachyar-
In einzelnen Studien wurden ein günstigeres An-
rhythmia absoluta diagnostiziert werden. Die
sprechen unter kombinierter Gabe von Glucocorti- Röntgen aufnahme des Thorax zeigte eine leichte
coiden mit Ciclosporin A gezeigt. Dazu gibt es je- pulmonalvenöse tauung. Im Labor war eine
doch keine gut kontrollierten Studien mit größeren

Tabelle 4-9. Therapie bei endokriner Orbitapathie

Symptom Therapie

Photophobie Abgedunkelte Glä er

Sieca-Symptome "Künstliche Tränen"

Fehlender Lidschluss Uhrglasverba nd

ta rke periorbitale Schwellung Behutsame lokale Lymphdrainage

Infilt rative Orbi tapathie mit Yisuseinschränkung 60 mg Prednisolonäquivalen t über 6-8 Woche n
und Doppelbildern auschieichend
Kei ne Besserung od. Kon traindikation Retrobulärbestrahlu ng mit 15- 20 Gy, fraktio niert
über 14 Tage

Fortbestehende Doppelbilder Zusätzliche Prismen (Gläser od. Folien)

Exopthalmus durch retroorbitales Fettgewebe Operative Fettgeweberesektion

Akute Yis usbedroh ung (Orbitakompression), keine Ses erung Operative Dekompression
de r chweren EO unte r Cortison der Bestrahlung
4.12 Autonomie 131

4.12.3
Pathogenese

Die autonomen Funktionsstörungen der Schild-


drüse können wie folgt eingeteilt werden:
• unifokale Autonomie (Synonym: autonomes
Adenom; bei Hyperthyreose: toxisches Adenom),
• multifokale Autonomie,
• disseminierte Autonomie.

Pathogenetisch können der Erkrankung verschie-


dene Ursachen, wie in der folgenden Übersicht dar-
gestellt, zugrunde liegen.

Ursachen von Schilddrüsenautonomien

• Klonale Proliferation autonomer Follikelzellen


• G-Proteinmutationen
als somatische Mutation
Abb. 4-21. Klinischer Aspekt bei Hyperthyreose als Keimbahnmutation
• Aktivierende TSH-Rezeptormutationen
als somatische Mutation
als Keimbahnmutation

leichte Leukozytose {13.500) feststellbar. Die al-


kalische Phosphatase war auf 368 un
erhöht. Unabhängig von der hypothalamohypophysären
TSH war erniedrigt sowie T3 und T4 auf das Regulation existiert in allen Follikelzellen ein gerin-
doppelte der orm erhöht. Szintigraphisch ger basaler Iodmetabolismus. Das Ausmaß dieser
stellte sich eine multifokale Autonomie dar. Un- physiologischen "Autonomie" ist zwischen den ein-
ter der Gabe von Verapamil sank die Herzfre- zelnen Follikeln sehr unterschiedlich ausgeprägt.
quenz auf 100 Schläge/rnin. ab. Nach antikoagu- Kommt es zu einer Proliferation stark autonom
latarischer Vorbehandlung konnte eine medika- reagierender Follikel, kann sich eine disseminierte
mentöse Kardiakonversion in den Sinusrhyth- Autonomie entwickeln, wenn diese Follikel in klei-
mus erreicht werden. L-Thyroxin wurde nen Nestern über die ganze Schilddrüse verteilt
abgesetzt und eine Thyreostase mit initial sind. Proliferieren autonome Follikel lokalisiert in-
40 mg Thiamazol begonnen. Da bei der Patien- trathyreoidal, so entsteht eine uni- oder multifokale
tin neben der Autonomie ein multinodöser Um- Autonomie (Abb. 4-22 u. 4-23).
bau der Schilddrüse vorlag, wurde der Patientin Einem Teil der Schilddrüsenautonomien liegen
eine Schilddrüsenoperation angeraten. Mutationen in der a-Untereinheit des G-Proteins
der Follikelzelle zugrunde. Diese Punktmutationen

4.12.2
Epidemiologie

Die autonome Funktionsstörung der Schilddrüse ist


in Iodmangelgebieten wie Deutschland die häufigste
Ursache für eine Hyperthyreose (ca. 60 %). In Ge-
bieten mit ausreichender Iodversorgung sind Auto-
nomien sehr selten ( < 5% aller Hyperthyreosen).
Die meisten Patienten mit autonomen Funktions-
störungen sind euthyreot. Die Gefahr einer hyper-
thyreoten Stoffwechselentgleisung ist im Alter
unter 20 Jahren und dann in höherem Lebensalter
(insbesondere ab 60 Jahren) bei allen Formen der Abb. 4-22. Heterogenität der Follikelzellen mit klonaler Pro-
Autonomie erhöht. liferation autonomer Zellen
132 KAPITEL 4 Schilddrüse

PIP2fJ DAG + IP3 -.... ++


! J_,ca
Proteinkinase C I 'I_P
_r_o-te_i_n-ki_n_a-se- A-----,

Abb. 4-23. Zunehmende Hormonproduktion bei multifoka- Abb. 4-25. Konstitutionelle Aktivierung im G-Protein mit
ler Autonomie nachfolgender autonom aktivierter Schilddrüsenhormonsyn-
these

führen zu einer konstitutionellen Aktivierung des familiären nicht immunogenen Hyperthyreose er-
Proteins (d. h. in Abwesenheit von TSH). In der klären, die autosomal-dominant vererbt wird. Ob
Folge kommt es zu einer dauerhaft vermehrten Pro- letztendlich aus der autonomen Funktionsstörung
duktion von cAMP und damit zu einer erhöhten eine hyperthyreote Stoffwechsellage resultiert, hängt
Produktion von Schilddrüsenhormonen (Abb. 4-24 von den in der folgenden Übersicht wiedergegebe-
u. 4-25). Liegen somatische Mutationen mit klonaler nen Faktoren ab.
Proliferation vor, so entstehen fokale Autonomien
(Abb. 4-26a). In 12-38 o/o der autonomen Adenome
wurden solche Mutationen gefunden mit der höch-
sten Frequenz in Iodmangelgebieten. Die cAMP-
Kaskadekann aber auch dauerhaft durch aktivieren- LI I

de Mutationen im TSH-Rezeptorgen stimuliert wer-


den. Eine Reihe solcher Punktmutationen konnte in-
zwischen nachgewiesen werden. TSH-Rezeptormu-
r
tationen wurden in einem kleinen Teil der Fälle
in isolierten autonomen Adenomen gefunden. Liegt
eine Keimbahnmutation vor, so betrifft die Verän-
derung die TSH-Rezeptoren alle Follikelzellen und ~·
es entsteht das Bild einer disseminierten Autonomie
(Abb. 4-26b ). So lassen sich die seltenen Fälle einer

.
I
0
c

PIP2f'JDAG + IP3-.... ++
l ~Ca
Proteinkinase C I 'I_P
_r_o_t_
e-in-k-in_a_s_e_A
- --.
b

Abb.4-26a, b. Szintigraphiebilder: a) unifokale, b) dissemi-


Abb. 4-24. Normaler Signalkaskadeweg der Schilddrüsen- nierte Autonomie. (Mit freundlicher Genehmigung von Herrn
hormonproduktion Prof. H. W. Müller-Gärtner, Düsseldorf)
4.12 Autonomie 133

Faktoren, die die Ausbildung einer hyperthyreoten Die latente Hyperthyreose ist assoziiert mit
Stoffwechsellage bei der autonomen Schilddrüsen- • einer erhöhten Prävalenz von Herzrhythmusstö-
funktionsstörung beeinflussen rungen, besonders absoluter (Tachy-) Arrhyth-
mien,
• Aktivität und Anzahl der autonomen Follikel • einem erhöhten Knochenmasseverlust bei post-
• Iodangebot menopausalen Frauen.
• Adenomvolumen
• Höhe des TSH-Wertes Besonders nach Iodkontamination bei älteren kardi-
al vorgeschädigten Patienten kann sich eine thyreo-
toxische Krise entwickeln, die die Prognose quoad
Es besteht eine eindeutige Korrelation zwischen der vitam deutlich verschlechtert. Die Stadieneinteilung
Knotengröße und dem Auftreten einer Hyper- der thyreotoxischen Krise zeigt folgende Übersicht.
thyreose. Als "kritischer" Adenomdurchmesser gilt
eine Größe von 2,5 cm oder ein Volumen von Stadieneinteilung der thyreotoxischen Krise
6 ml. Mit zunehmender Hormonproduktion sinkt
zunächst der TSH-Spiegel ab. Dieser kann über • Stadium Leitsymptom
längere Zeit leicht erniedrigt oder vollständig • Stadium I Hyperthermie, Tachykardie
supprimiert sein, bevor sich später eine manifeste (> 150/min.), Unruhe, Adynamie
Hyperthyreose einstellen kann. Häufig kommt es • Stadium II Symptome von Stadium I
nach einer vermehrten Iodexposition (besonders + Bewusstseinsstörung
iodhaltige Medikamente wie Röntgenkontrastmittel, • Stadium III Symptome von Stadium I + Koma
Amiodaron u. a.) zu einer Exazerbation.

4.12.4 4.12.5
Klinik Diagnostik

Symptome und Beschwerden Anamnese


• Bei euthyreoter Stoffwechsellage mit noch nor- Die Entwicklung einer Hyperthyreose bei einer
malem TSH-Wert ist das klinische Bild durch schon lange bestehenden nodös veränderten Schild-
die Lokalsymptome einer diffus oder nodös ver- drüse deutet auf eine Autonomie hin. Schilddrüsen-
änderten Schilddrüse geprägt. erkrankungen treten in der Familie gehäuft auf.
• Mit zunehmender autonomer Hormonproduk-
tion können sich Symptome einer Hyperthyreose
Körperliche Untersuchung
entwickeln. Obgleich viele Patienten bei latenter
Die Inspektion kann diffuse oder knotige Verände-
Hyperthyreose (supprimiertes TSH, normale
rungen der Schilddrüse zeigen. Palpatorisch sind die
Schilddrüsenhormonwerte) beschwerdefrei sind,
knotigen Veränderungen immer gut schluckver-
beklagen andere Patienten bereits innere Unruhe,
schieblich. Patienten mit einer Hyperthyreose haben
Schlaflosigkeit, Haarausfall und Wärmeintole-
eine feuchte (besonders in den Handinnenflächen)
ranz.
und weiche Haut. Viele Patienten klagen über ver-
• Bei manifester Hyperthyreose treten Tachykar-
mehrten Haarausfall. Eine Tachykardie ist fast im-
die, Gewichtsverlust, körperliche Schwäche, ver-
mer vorhanden.
mehrte Transpiration, [einschlägiger Fingertre-
mor und andere Symptome in individueller un-
terschiedlicher Ausprägung hinzu (s. Liste der Labordiagnostik
Hyperthyreosesymptome, S. 125). In den meisten Fällen ist eine euthyreote Stoffwech-
sellage mit normalem T3 und T4 bei (noch) nicht

D Im höheren Lebensalter imponiert die Hyperthyreose


oft atypisch und oligosymptomatisch. Insbesondere
erniedrigtem TSH zu finden. Fortschreitend findet
sich zunächst eine TSH-Erniedrigung und später
auch eine Erhöhung von T3 und T4. In der Hyper-
fehlen sympathikotone Zeichen und die kardialen
und psychischen Zeichen dominieren. Antriebslosig- thyreose kann eine Erhöhung der alkalischen Phos-
keit, Appetitlosigkeit und depressive Verstimmungen phatase als Ausdruck des stimulierten Knochen-
können in diesem Lebensabschnitt das klinische Bild stoffwechsels vorhanden sein. Die Cholesterinwerte
prägen. werden durch eine Hyperthyreose gesenkt.
134 KAPITEL 4 Schilddrüse

Abb. 4-29.. Szintigraphische . Darstellung einer dekompen-


Sierten umfokalen Autonomie. (Mit freundlicher Genehmi-
Abb. 4-27. Farbdopplersonographische Darstellung eines gung von Herrn Prof. H. W. Müller-Gärtner, Düsseldorf)
autonomen Adenoms mit verstärkter Randvaskularisation
(Querschnitt durch den rechten Schilddrüsenlappen)
oder multifokale Autonomien. Ist das umgebende
Gewebe noch sichtbar, spricht man von einem kom-
Bildgebende Verfahren
pensierten autonomen Adenom (Abb. 4-28). Ist das
• Sonographie. Die Ultraschalldiagnostik liefert ge-
Sc~ildd~üsen~ewebe zu weniger als 20 o/o suppri-
nau~ Aussagen über Anzahl und Größe knotiger
miert, hegt em dekompensiertes autonomes Ade-
Veranderungen. Autonome Adenome stellen sich
nom vor (Abb. 4-29). Bei Verdacht auf Schilddrü-
meist echoarm dar und sind durch einen echoarmen
senautonomie mit noch normalem (oder leicht er-
Randsaum (Halo) vom umliegenden Schilddrüsen-
niedrigtem) TSH-Wert kann die Szintigraphie
gewebe abgegrenzt. In der farbkodierten Dopplerso-
nach Suppression mit T3 oder T4 das autonome
nographie kann eine vermehrte Randvaskularisati-
Adenom demaskieren. In der folgenden Übersicht
on nachgewiesen werden (Abb. 4-27).
werden die Möglichkeiten der medikamentösen
Suppression vor einer Schilddrüsenszintigraphie
• Szintigraphie. Der Nachweis einer Autonomie ist
aufgezählt.
die Domäne der Szintigraphischen Untersuchung.
Bei ber~its supprimiertem TSH -Spiegel belegen
~edikam~ntöse Supression zur Demaskierung
Technetmm-Uptake-Werte > 1-1,5 o/o (regionale
emer Schilddrüsenautonomie mit euthyreoter
Unterschiede beachten!) eine Autonomie. Ist die
Stoffwechsellage
Technetiumaufnahme über die gesamte Schilddrüse
verteilt, so liegt eine disseminierte Autonomie vor.
• 14 Tage 7511g L-Thyroxin, anschließend
Lokalisierte Mehranreicherungen belegen uni-
14 Tage 150 11g L-Thyroxin
• 200 11g L-Thyroxin über 3 Wochen
Lin s
• 3 mg L-Thyroxin einmalig, Szintigraphie
nach 1 Woche
• 60-80 11g T3 für eine Woche

Um die Compliance zu erhöhen, sollten die Patienten D


,.. darauf aufmerksam gemacht werden, dass vorüber-
gehend leichte Hyperthyreosesymptome auftreten
k~nnen. Idealerweise wird am Tag der Szintigraphie
dze TSH-Suppression im Labor überprüft.

4.12.6
Differentialdiagnose
Abb. 4-28. Szintigraphis~he D~rstellung. einer kompensier-
ten um fokalen Autonomi:. (Mit. freundlicher Genehmigung ~ie zweithäufigste Ursache für die Hyperthyreose
von Herrn Prof. H. W. Muller-Gartner, Düsseldorf) ISt der M. Basedow. Dieser lässt sich durch den
4.12 Autonomie 135

Nachweis von Antikörpern gegen TSH-Rezeptoren, Tabelle 4-10. Medikamentöse Therapie (Dosierungsrichtli-
nien)
eine evtl. begleitende endokrine Orbitopathie, die
diffuse Echoarmut und die diffuse, meist stark er- Medikament Startdosis
höhte Technetiumaufnahme im Szintigramm ab-
grenzen. Eine alleinige TSH-Erniedrigung kann Thiamazol 15- 40 mg
durch eine Reihe anderer Ursachen hervorgerufen
Carbimazol 20- 40 mg
werden. Sie sind in der folgenden Übersicht wieder-
gegeben. Propylthiouracil 200-300 mg

Perchlorat 1.200- 2.000 mg


Ursachen für ein erniedrigtes TSH

• Medikamente:
Glucocorticoide zol, Carbimazol oder Propylthioracil eingeleitet
Katecholamingabe i. v. (Dopamin, Noradrenalin) (Tabelle 4-10). Ist mit einer fortdauernden oder er-
Nifedipin i. v. neuten Iodkontamination zu rechnen (z. B. Koro-
Schilddrüsenhormontherapie narangiographie bei KHK), wird Perchlorat ein-
Hyperthyreosis factitia gesetzt, um die Iodaufnahme zu hemmen. Diese
• (Latente Hyperthyreose) Hemmung ist jedoch nicht komplett, sondern kom-
petitiv.

Radioiodtherapie
4.12.7 Die definitive Behandlung einer unifokalen, multi-
Therapie fokalen oder disseminierten Autonomie ist fast
nebenwirkungsfrei mit einer einmaligen oralen
Der alleinige Nachweis einer Autonomie stellt noch Gabe von 131Iod möglich. Aus strahlenschutzrecht-
keine Therapieindikation dar, solange die Schild- lichen Bestimmungen ist diese Therapie in Deutsch-
drüsenhormone und der TSH-Spiegel im Normbe- land nur unter stationären Bedingungen möglich.
reich liegen. Bei TSH-Suppression und noch euthy- Nach einer kürzlich erlassenen Anhebung der er-
reoten Schilddrüsenhormonwerten kann eine ab- laubten Strahlenbelastung bei Entlassung der Pa-
wartende Haltung eingenommen werden, solange tienten sind in Zukunft deutlich kürzere stationäre
keine subjektive Beschwerdesymptomatik vorhan- Aufenthaltszeiten zu erwarten. Vor Therapiebeginn
den ist. Gleichzeitig bestehende knotige Verände- wird durch einen Radioiodtest die individuelle The-
rungen (z. B. kalte Knoten) legen eine frühzeitige rapiedosis ermittelt. Die angestrebte Herddosis liegt
Operation nahe. Im höheren Lebensalter steigt die bei autonomen Funktionsstörungen zwischen 150
Gefahr von Herzrhythmusstörungen (absolute Ar- und 400 Gy.
rhythmie) bei endogener TSH-Suppression an und
es ist mit einem höheren Knochenmasseverlust
bei postmenopausalen Frauen zu rechnen. Diese
Zum ~h~rapie~eitpunkt soll der basa.le TSH-Spiegel
supprzmzert sezn, um das gesunde Schzlddrüsengewe-
D
möglichen Folgen sind mit dem Patienten im Sinne be zu schonen. Eine Therapie mit Perchlorat muss
einer möglichen präventiven Therapie zu bespre- wenigstens 2-3 Monate vor der Radioiodtherapie
chen. ausgesetzt oder auf ein anderes Thyreostatikum um-
gesetzt werden, da auch die Aufnahme des therapeu-
D Ist wegen Begfeiterkrankungen in Zukunft eine
Kontrastmittelexposition zu erwarten, sollte eine
tisch genutzten 13 1Iod blockiert wird.

D
frühzeitige Therapie angestrebt werden. Chirurgische Therapie
Eine Operation ist immer dann indiziert, wenn
Medikamentöse Therapie gleichzeitig andere Veränderungen vorliegen (z. B.
Sobald eine hyperthyreote Stoffwechsellage besteht, kalte Knoten), die primär suspekt auf das Vorliegen
ist eine definitive Therapie anzustreben, da eine malig11er Veränderungen sind oder bei denen nicht
spontane Besserung oder Ausheilung des autono- auszuschließen ist, dass sie später einer operativen
men Prozesses nicht möglich ist. Nur im Falle einer Sanierung bedürfen.
Iodkontamination wird manchmal eine spontane
Besserung nach Normalisierung des intrathyreoida- Bei sehr großen Strumen mit Lokalsymptomen (Tra-
len Iodgehaltes gesehen. Zunächst wird eine kon- chealkompression) sollte die Operation bevorzugt
servative thyreostatische Behandlung mit Thiama- werden.
136 KAPITEL 4 Schilddrüse

Äthanolinstillation
Die Sklerosierung autonomer Knoten durch
96 o/oigen Äthanol ist vielfach erprobt, kann jedoch
noch nicht als Standard bezeichnet werden. In
mehreren Sitzungen werden kleine Mengen
(1-3 ml) Äthanol 96 o/o unter sonographischer Sicht
in die Knoten appliziert. Ein völliges Ausschalten
aller autonomen Areale gelingt hierdurch meist
nicht, jedoch kann eine klinisch ausreichende Besse-
rung erzielt werden. Besonders eignet sich dieses
Verfahren bei multimorbiden Patienten, bei denen
eine relative Kontraindikation für die Radioiod-
therapie und die Operation besteht und für die
ein langer stationärer Aufenthalt eine erhebliche Be-
lastung bedeuten würde. Diese Methode kann der-
zeit nur in Zentren mit ausgewiesener Erfahrung
durchgeführt werden.

4.13
Endemische Struma Abb. 4-30. Patientin mit endemischer Struma mit klinischem
Schweregrad III.

Die endemische Struma geht meist mit einer


euthyreoten Stoffwechsellage einher und hat ihre
Hauptursache in einem alimentären IodmangeL
dert und zeigte neben vorwiegend zy tischen
Die "Struma" ist als Bezeichnung für eine Schild-
degenerierten auch echoarme und echogleiche
drüsenvergrößerung jedoch nur ein Symptom.
Knoten sowie regressive Veränderungen (Ver-
Eine Reihe von anderen Erkrankungen der Schild-
kalkungen) (Abb. 4-31). Die Laborwerte erga-
drüse weisen ebenfalls Schilddrüsenvergrößerungen
ben Normalbefunde für freies T4 (1 ,7 ngldl),
auf (s. Abschn. 4.13.6 "Differentialdiagnose") und
freies T3 (3,9 pg/ml) und TSH (0,8 ~tU/ml).
werden unter dem entsprechenden Stichwort abge-
Eine Tracheazielaufnahme zeigte eine Verlage-
handelt.
rung der Trachea ohne wesentliche Einengung.
Szintigraphisch fiel eine sehr inhomogene Ra-
4.13.1 dionuklidbelegung mit kalten Arealen auf. Die
Fallpräsentation Zytologie einer Feinnadelpunktion eines zinti-
graphisch kalten Areals ergab den Befund einer

Eine 73 -jährige Frau wurde in der childdrüsen-


ambulanz erstmals zur Festlegung der therapeu-
tischen Vorgehensweise bei deutlicher Schild-
drüsenvergrößerung vorgestellt (Abb. 4-30).
Die Patientin hatte seit vielen Jahren eine
Schwellung im Halsbereich bemerkt, die ihr kei-
nerlei Beschwerden bereitete. Die Mutter der Pa-
tientin erhielt vor vielen Jahren eine Radioiod-
therapie, eine Schwester wurde an der Schild-
drü e operiert. In beiden childdrüsenlappen
waren große glatt begrenzte, gut schluckver-
chiebliche Knoten zu tasten. Es bestand eine
deutlich vermehrte Venenzeichnung bei lokaler
Abflussstörung. Die Atmung war frei. Eine
Schilddrüsenmedikation bestand nicht. Das So-
nagramm zeigte eine beidseits erheblich vergrö-
ßerte Schilddrüse mit einem Gesamtvolumen
von 160 ml. Das Organ war multinodös verän- Abb. 4-31. Sonographisch echokomplexer Knoten bei ende-
mischer Struma
4.13 Endemische Struma 137

Tabelle 4-12. Empfehlungen zur Iodzufuhr (Deutsche Gesell-


Struma colloides nodosa. Wegen der ausgespro- schaft für Ernährung)
chen starken Vergrößerung der Schilddrüse mit
multiplen knotigen Veränderungen und bereits Alter pg/Tag
bestehenden lokalen Kompressionszeichen äuglinge 0-4 Mo nate so
wurde die Patientin einer beidseitigen subtota-
len Schilddrü enresektion unterzogen. Bei nur äuglinge 4- 12 Mo nate 80
noch minimalen childdrüsenre ten wurde
Kinder 1- 4 Jah re 100
eine Substitutionsmedikation mit L-Thyroxin
eingeleitet. Kinder 4-7 Jahre 120

Kinder 7- 10 Jahre 140

Kind er 10- 13 Jahre 180


4.13.2
Epidemiologie Jugendliche und Erwachsene 200

chwa ngere 230


Weltweit ist das endemische Auftreten von euthy-
reoten Strumen eng verbunden mit einer vermin- tillende 260
derten Iodaufnahme mit der Nahrung. Die durch
Iodmangel verursachte endemische Struma gehört
zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland.
Untersuchungen an Neugeborenen zeigen, dass 4.13.3
die Schilddrüsen von Kindern aus Regionen mit Pathogenese
Iodmangel schon bei der Geburt deutlich größer
sind als in ausreichend mit Iod versorgten Re- Die endemische Struma ist polyätiologischer Natur.
gionen. Eine über viele Jahre unzureichende Iod- Ihre Hauptursache liegt jedoch im alimentären Iod-
versorgung führt zu einer Zunahme der Struma- mangel. Die Schilddrüse ist fähig, Iodionen gegen
prävalenz, die in Deutschland 15-20% der 20- bis einen Gradienten energieabhängig zu konzentrieren
30-jährigen und 40-50% der über 60-jährigen be- und zu speichern. Hierdurch wird eine Unabhängig-
trifft (Tabelle 4-11 ). Da Iod als Spurenelement bei keit von der täglich wechselnden Iodaufnahme er-
einer Gesamtspeichermenge im Körper von zielt. Wesentliche Bedeutung hat dabei der natrium-
ca. 15-20 mg nur in minimalen Mengen umgesetzt abhängige Iodidsymporter. Beim Iodmangel kommt
wird, gilt die Uriniodausscheidung in diesem stabi- es zu einer Verarmung des Iodpools und konsekutiv
len System als aussagefähiges richtiges Maß für die zu organisch-strukturellen Veränderungen
tägliche Iodaufnahme. Als optimale Iodversorgung
wird von der Weltgesundheitsorganisation für Er-
wachsene eine tägliche Zufuhr von 200-300 ~g Iodid Förderung des Strumawachstums
angesehen. Entsprechend der Werte der Iodaus- Mehrere Mechanismen sind bekannt, die das Stru-
scheidung lässt sich das Ausmaß des Iodmangels mawachstum fördern:
in Schweregrade einteilen. Die durchschnittliche • Eine relativ verminderte Schilddrüsenhormonpro-
Iodausscheidung in Deutschland liegt trotz ver- duktion führt zu einer erhöhten Sensitivität der
besserter freiwilliger Prophylaxemaßnahmen bei Schilddrüsenzellen auf den TSH -Stimulus, wobei
ca. 70-90 ~g Iod/g Kreatinin entsprechend einem die TSH-Werte im milden Iodmangel immer
Iodmangel Grad I mit der dazugehörigen hohen normwertig bleiben. Es kommt in der Folge zu
Strumaprävalenz (Tabelle 4-12). einer Zellhypertrophie. Der Natriumiodidsym-
porter wird TSH-abhängig stimuliert, sodass die
Aufnahme von Iod in die Schilddrüse unter Iod-
Tabelle 4-11. Strumaprävalenz in Abhängigkeit vom Iodman-
mangelbedingungen erleichtert wird (Abb. 4-32).
gel • Neben der Hypertrophie der Schilddrüsenzellen
kommt es durch lokale Wachstumsfaktoren
Schweregrad Jodurie Strumapravalenz auch zu einer Hyperplasie und damit zu einer
(pg/g Kreatinin)
Volumenzunahme der Schilddrüse. Ein niedriger
> 50 5-25% intrazellulärer Iodgehalt regt zur vermehrten
Produktion von Insulin-like-growth-Faktor I
II 25- 50 ca. 30% (IGF-1), Epidermal-growth-Faktor (EGF) und
111 < 25 40-50 % Fibroblast-growth-Faktor (FGF) an. Es setzt
eine Zellvermehrung und Follikelneubildung
138 KAPITEL 4 Schilddrüse

Iodmangel 4.13.4

II
pidermaler Wachstumsfaktor I Klinik
TSH ·Sensitivität nsulin -Like Growth Faktor I I
e1h0ht \
ransfor ming Growth Faktor 3 j
Symptome und Beschwerden
Die euthyreote Struma geht in den Anfangsstadien
selten mit Beschwerden einher. Im Adoleszenten-
alter fällt häufiger eine sichtbare Schilddrüsenver-
größerung bei schlankem Habitus und relativer Be-
Zellhypertrophie Zellhyperplasie
tonung des Isthmusbereiches der Schilddrüse auf.
Im Erwachsenenalter wird die diffuse Schilddrüsen-
Abb. 4-32. Einfluss von TSH und lokalen Wachstumsfakto- vergrößerung oft lange übersehen. Bei euthyreoter
ren auf die Strumagenese Stoffwechsellage kommt es in der Regel erst bei lokal
verdrängenden Schilddrüsenvergrößerungen zu Be-
schwerden, wie in der folgenden Übersicht darge-
ein, die mit einer Stimulation der Gefäßprolifera- stellt ist.
tion und Vermehrung der Bindegewebsprodukti-
on einhergeht. Beschwerden bei der endemischen Struma
• Der proliferationshemmende Einfluss von Trans-
forming-growth-Faktor ß (TGF-ß) wird ebenso • Globusgefühl
wie der inhibierende Einfluss von iodhaltigen • Engegefühl im Halsbereich
Lipiden, den so genannten Iodlactonen unter • Schluckstörungen
den Bedingungen des Iodmangels geringer. Die • Dyspnoe, inspiratorischer Stridor bei Tracheal-
Anpassungsmechanismen in der iodverarmten kompression
Schilddrüse führen zu einem erhöhten "lodtrap- • Hustenreiz
ping", also der Fähigkeit, vermehrt Iod aufzu- • Räusperzwang
nehmen und umzusetzen. Insgesamt resultiert
ein Iodeinspareffekt, da der "ruhende" Iodpool

D
verringert ist.
Heiserkeit ist ein extrem seltenes Symptom der euthy-
reoten Struma und lenkt den Verdacht auf maligne
Pathologische Veränderungen Veränderungen.
Typisch für die Iodmangelstruma ist die funktio-
nelle, morphologische und proliferative Heterogeni-
tät einzelner Follikel und Follikelverbände, aber 4.13.5
auch einzelner Follikelzellen. So existieren innerhalb Diagnostik
einzelner Follikel Zellen, die unterschiedlichen Zell-
zykluszeiten aufweisen und sehr heterogen wachsen. Anamnese
Auch der Iodstoffwechsel kann von Zelle zu Zelle Die Anamnese kann bereits zahlreiche Informatio-
sehr unterschiedlich sein. Auf diesem von Studer nen für das weitere diagnostische und therapeuti-
u. Gerber entwickelten Konzept beruht die Annah- sche Vorgehen liefern. Die Übersicht gibt die zu er-
me, dass funktionell weniger aktive Zellen zu klona- fragenden Punkte an:
lem Wachstum und so zu kalten Knoten führen kön-
nen. Proliferieren autonom aktive Zellen, so können Anamnese bei der endemischen Struma
autonome Adenome entstehen, wobei hier somati-
sche Mutationen in den schnell proliferierenden Ge- • Positive Familienanamnese
weben vorliegen können. Aufgrund regressiver Ver- • Vorbehandlung
änderungen kommt es in Iodmangelschilddrüsen • Schnell wachsende Knoten (Cave: Malignomver-
durch Follikelrupturen häufig zu Zystenbildungen, dacht)
in die es gelegentlich auch einmal einbluten kann • Schwangerschaft
(sog. Schokoladenzyste). • Iodbelastung
• Strumigene Substanzen (Lithium, Thiozyanate)
• Schmerzen (eingeblutete Zysten)
• Hyperthyreosesymptome (als Hinweis auf Auto-
nomie)
4.1 3 Endemische Struma 139

Körperliche Untersuchung
Die Inspektion des Halses kann bereits folgende, in
der Übersicht wiedergegebene Veränderungen, zei-
gen.

Klinischer Aspekt einer endemischen Struma

• Vergrößerung der Schilddrüse


• Prominente Knoten
• Lokale Einflussstauung (Venenzeichnung)
• Zyanose bei starker Trachealkompression

Auskultatorisch imponiert bei stark vergrößerter


Schilddrüse manchmal ein inspiratorischer Stridor.
Abb. 4-33. Zystische Veränderung des rechten Schilddrüsen-
Beim Tastbefund ist auf die in der Übersicht wieder- lappens bei endemischer Struma (Ultraschallbefund, Quer-
gegebeneneil Punkte zu achten. schnitt)

Erfassung des palpatorischen Befundes


der endemischen Struma Auflösungsvermögen beginnt bei guten Geräten
bei 2-3 mm. Die Sonographie vermag Strukturauf-
• Größe des Organs fälligkeiten, die das gesamte Organ betreffen (Echo-
• Konsistenz genität), von isolierten nodulären Veränderungen
zu unterscheiden (Abb. 4-33). Reine Zysten sind
• Knoten
• Schluckverschieblichkeit in der Sonographie als echofreie Strukturen zu er-
• Retrosternales Eintauchen kennen. Echoarme Knoten können von echoglei-
• Lagebeziehung zu Nachbarorganen chen und echoreichen Knoten abgegrenzt werden.
• Halslymphknoten Häufig ist ein Halo (echoarmer Randsaum) zu er-
• Hautqualitäten kennen. Verkalkungen in der Schilddrüse fallen
durch eine dorsale Schallauslöschung auf. Die Sono-
graphie eignet sich wegen der fehlenden Strahlenbe-
lastung und der Möglichkeit einer exakten Volume-
Zystische Knoten sind prallelastisch zu palpieren.
trie insbesondere gut zur Verlaufsbeobachtung. Fol-
Die Stadieneinteilung der endemischen Struma ist
gende Übersicht gibt Normwerte für Schilddrüsen-
in folgender Übersicht wiedergegeben.
volumina wieder.
Klinische Stadieneinteilung der Struma
nach WHO-Kriterien Normwerte für das sonographisch ermittelte
Schilddrüsenvolumen in Deutschland
• 0 Keine Struma
• I Tastbare Struma • Frauen 18 ml
• Ia Nicht sichtbar bei zurückgeneigtem Kopf • Männer 25 ml


Ib
II
Sichtbar nur bei zurückgeneigtem Kopf
Bei normaler Kopfhaltung sichtbare Struma
• Neugeborene
• 1- bis 4-jährige
< 1,5 ml
2-3 ml
• III Sehr große Struma mit lokalen Stauungs- und • 4- bis 5-jährige 4ml
Kompressionszeichen • 6- bis 10-jährige < 8ml
• 11 - bis 14-jährige < 10 ml
• 15- bis 18-jährige < 15 ml
Bildgebende Verfahren
• Sonographie. Die klinische Stadieneinteilung der Die Sonographie bietet ebenfalls die Möglichkeit, su-
Schilddrüsengröße nach WHO-Kriterien lässt eine spekte Befunde ultraschallgesteuert zu punktieren.
grobe Einschätzung der Schilddrüsengröße zu. Die Die Nachbarorgane und ihre Lagebeziehung zur
Sonographie mit einem hochauflösenden Schallkopf Schilddrüse sind immer mit zu erfassen. So sind Tra-
(Schallfrequenz 7,5 oder 10 Mhz) für den Nah- chea, die großen zuführenden und abführenden Ge-
bereich erlaubt eine genaue Volumetrie. Knoten fäße, die Halsmuskulatur und der Ösophagus gut zu
und Zysten können exakt vermessen werden. Das erkennen.
140 KAPITEL 4 Schilddrüse

D Bei Malignomverdacht muss immer nach ver-


größerten Halslymphknoten auch sonographisch
rung und der richtigen Punktionstechnik abhängig.
Unter sonographischer Sicht wird eine 15-G-Nadel
in den suspekten Bereich vorgeschoben und durch
gefahndet werden.
kurzes Vor- und Zurückschieben der Nadel unter
Das Schilddrüsenvolumen berechnet sich aus der gleichzeitigem Sog z. B. mit einer 10-ml-Spritze
Addition der beider Schilddrüsenlappen, wobei etwas Material gewonnen (Abb. 4-34a u. 4-34b). So-
das Volumen des Einzellappens nach der Formel bald der Nadelkonus sich mit Aspirationsmaterial
von Brunn berechnet wird: füllt, ist der Sog nachzulassen. In der Nadel findet
sich ausreichendes Material, das wie ein Blutaus-
Volumen in ml = Breite x Tiefe · Länge x 0,479 strich auf auf einen Objektträger aufgetragen wird.
Halbautomatische Systeme erlauben eine einhän-
Einige Gerätehersteller multiplizieren ausreichend dige Spritzenhandhabung. Die zytologische Dia-
genau mit 0,5. Die Farbdopplersonographie hat gnose erlaubt in der Regel eine Artdiagnose. Die
ihren Stellenwert vor allem in der sicheren Gefäß- Abgrenzung follikulärer Adenome von follikulären
abgrenzung von anderen echofreien Strukturen. Karzinomen kann Schwierigkeiten bereiten. In sol-
Typische Muster ergeben sehr gut vaskularisierte chen Fällen wird die Diagnose einer follikulären
Knoten. Neoplasie gestellt und eine bioptische Abklärung
ist zwingend notwendig. Kontraindikationen für
• Punktionszytologie. Die Punktionszytologie wird eine Feinnadelpunktion der Schilddrüse sind in
zur Abklärung suspekter Knoten in der Diagnostik der folgenden Übersicht dargestellt.
der euthyreoten Struma eingesetzt. Die Treffsicher-
heit der Methode ist ganz wesentlich von der Erfah- Kontraindikationen für eine Feinnadelpunktion
eines Schilddrüsenknotens

• Gerinnungsstörungen
• Marcumartherapie
• Effektive Heparinisierung
• Fehlende Einwilligung
• Eine relative Kontraindikation besteht bei Medi-
kation mit Azetylsalizylsäure

• Szintigraphie. Die Szintigraphische Untersu-


chung zeichnet durch die Verteilung des Radionu-
klids (in der Regel 99 mTechnetium) in der Schild-
drüse und die Stärke der Substanzaufnahme ein
Bild vom Funktionszustand der Schilddrüse. Eine
Größenbestimmung der Schilddrüse ist möglich, je-
doch ungenauer als die Sonographie. Eine diffus ver-
größerte Schilddrüse stellt sich mit einem homo-
genen Speichermuster dar, wobei die relative Auf-
nahme der applizierten Radionuklidmenge nor-
malerweise bei 1-3% (Technetium-Uptake) liegt
(Abb. 4-35). Eine niedrigere Aufnahme kann für
eine Thyreoiditis oder eine Iodkontamination (iod-
haltige Röntgenkontrastmittel, Amiodaron u. a.)
sprechen. Bei einem höheren Technetium-Uptake
(etwa bis 4,5 %) kann man von einer erhöhten Ioda-
vidität ausgehen. Autonome Areale und nicht spei-
chernde Knoten können szintigraphisch identifiziert
werden und bedürfen des Abgleichs mit der Sono-
graphie. Isolierte Zysten stellen sich bei ausreichen-
der Größe (> 1 cm) immer kalt dar. Besteht Ver-
Abb. 4-34. a Technik der Feinnadelpunktion eines Schild-
drüsenknotens, b Ausstrichtechnik nach Feinnadelpunktion dacht auf Malignität, sollte immer eine Nativszinti-
eines Schilddrüsenknotens graphie erfolgen, d. h. Iod- und Schilddrüsenhor-
4.13 Endemische Struma 141

4.13.6
Differentialdiagnose

Die differentialdiagnostischen Überlegungen müs-


sen insbesonders bei nodöser Struma zunächst
den Ausschluss von Autonomien und malignen Ver-
änderungen einbeziehen. Eine Reihe weiterer Er-
krankungen kann mit einer euthyreoten Struma ein-
hergehen und ist in der folgenden Übersicht wieder-
gegeben.

Differentialdiagnose der euthyreoten Struma

Abb. 4-35. Szintigraphische Darstellung einer Struma diffu- • Endemische (Iodmangel-) Struma
sa. (Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. H. W.
Müller-Gärtner, Düsseldorf)
• Zysten, Einblutungen
• M. Basedow
• Chronisch-lymphozytäre Thyreoiditis
monprä parate sind 4-6 Wochen zuvor abzusetzen. (v. a. Hashimoto-Thyreoiditis)
Nur so können kalte Knoten sicher demaskiert wer- • Schilddrüsenmalignome
den. Besteht der Verdacht auf eine Autonomie, so ist • Schilddrüsenentzündungen
eine Suppressionsszintigraphie notwendig. • Kongenitale Hormonsynthesestörungen
• Kongenitale Iodtransportstörung
• Tracheazielaufnahme/CT. Bei sehr großen Stru- • Schilddrüsenhormonresistenz
men, insbesondere vor einer geplanten operativen • TSH-produzierende Hypophysentumoren
Intervention, ist die Indikation zur Tracheazielauf- • hCG-assoziierte Tumoren (TSH-ähnliche
nahme gegeben. Hier zeigen sich Impression und Wirkung, z. B. Blasenmole)
Verlagerung der Trachea (Abb. 4-36). In Funktions- • Strumigene Substanzen (Lithium u. a.)
versuchen (Valsalva-Manöver, Husten) kann ein • Thyreostatische Therapie
tracheomalaziebedingtes Kollabieren der Luftröhre • Akromegalie
gesehen werden. Zur genaueren präoperativen Ein- • Systemische Erkrankungen (z. B. Lymphome)
griffsplanung bei intrathorakaler Strumaausdeh-
nung wird gelegentlich ein CT notwendig.

4.13.7
Therapie

Medikamentöse Therapie
Da Iodmangel die Hauptursache für die endemische
Struma ist, bietet sich die Behandlung mit Iodid als
Basistherapie an (Tabelle 4-13). Insbesondere bei
Kindern, Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen
führt eine ausreichend hohe Iodidbehandlung
zum Rückgang und evtl. zur Normalisierung der
Schilddrüsengröße.

Tabelle 4-13. Therapie der euthyreoten Struma mit Iod

Alter pg/Tag

Kinder bis 10 Jahre 100

Jugendliche 200- 400


En.vachsene 300- 400

El"\.'/achsene Zuvor Suppressionsszintigraphie


Abb. 4-36. Verdrängung der Trachea nach rechts bei retro- > 40 Jahre empfohlen
s ternaler Struma
142 KAPITEL 4 Schilddrüse

Eine Behandlung mit Iodid verbietet sich bei latenter Indikationen zur operativen Therapie
oder manifester Hyperthyreose sowie bei szintigra- der endemischen Struma
phisch nachgewiesener Autonomie (Technetium-Up-
take > 1-1,5% unter Suppressionsbedingungen). Bei • Sehr große Strumen (Grad III)
älteren Patienten sollte vor einer höherdosierten • Lokale Verdrängungszeichen (Tracheal-
Iodtherapie ein Suppressionsszintigramm zum siche- kompression, Einflussstauung)
ren Ausschluss einer Autonomie durchgeführt wer- • Versagen der medikamentösen Therapie
den. Liegen deutlich erhöhte Werte für Antikörper • Malignitätsverdacht
gegen Thyreoglobulin oder gegen thyreoidale Peroxi- • Autonome Funktionsstörungen
dase vor, sollte Iod in höheren Dosen (> 150 j.1g/Tag)
ebenfalls nicht eingesetzt werden, da sich hierunter
der Autoimmunprozess evtl. verschlechtert.
Radioiodtherapie
Da L-Thyroxin die Zellhypertrophie der Thyreozy- Eine Radioiodbehandlung kann als volumenredu-
ten günstig beeinflusst, kann eine Kombination zierende Therapie eingesetzt werden. Die Übersicht
aus L-Thyroxin und Iodid immer dann günstig zeigt Indikationen zu dieser Therapieform.
sein, wenn schnell ein volumenreduzierender Effekt
erreicht werden soll. Folgende Übersicht gibt die Indikation zur Radioiodtherapie
Therapie der euthyreoten Struma mit L-Thyroxin der endemischen Struma
wieder.
• Multimorbide Patienten
Therapie der euthyreoten Struma mit L-Thyroxin • Kontraindikationen gegen eine Operation
• Fehlende Operationseinwilligung
• 1,5!-lg L-Thyroxin pro kg KG • Autonome Funktionsstörungen
(Richtdosis 75-125 !lg)
• Kombination mit 100-200 11g Iodid als fixe
Kombination (Jodthyrox@, Thyronajod@, oder in
Nebenwirkungen
getrennten Gaben)
• Die Therapie mit Iod kann in extrem seltenen Fäl-
• Angestrebtes TSH 0,3-0,9 )lU/ml
len zu allergischen Erscheinungen führen, die sich
in der Regel als sog. Iodakne im Gesichtsbereich
manifestieren.
Die TSH-Werte sollen im niedrignormalen Bereich
(0,3-0,9) liegen. Eine vollständige Suppression ist Allergische Reaktionen auf iodhaltige Röntgenkon-
nicht erwünscht. Eine reine Therapie mit L-Thyroxin trastmittel sind keine Iodallergien, sodass man Pa-
sollte immer dann durchgeführt werden, wenn eine tienten mit einem solchen Ereignis in der Vorge-
autonome Funktionsstörung nicht sicher ausge- schichte auch mit Iod behandeln kann.
schlossen wurde. Grundsätzlich ist der Einsatz von
Iod in der Therapie der endemischen Struma immer • Eine vollständig TSH-suppressive Therapie kann
wünschenswert, da es ein ursächliches Therapieprin- besonders bei älteren Menschen Herzrhythmus-
zip darstellt. So konnte gezeigt werden, dass nach störungen begünstigen und bei postmeno-
Absetzen reiner Schilddrüsenhormonpräparate die pausalen Frauen zu einem beschleunigten Kno-
volumenreduzierende Wirkung schnell nachlässt, chenmasseverlust führen.
während dies bei kombinierten Iod-/L-Thyroxinprä- • Komplikationen der Operation sind die Rekur-
paraten bzw. einer Monotherapie nicht so ist. Je aus- rensparese (ca. 1 %) und der persistierende Hypo-
geprägter knotige oder regressive Veränderungen parathyreoidismus (0,5 %).
vorhanden sind, umso geringer fällt die mögliche • Selten kann es nach einer Radioiodtherapie zu
Volumenreduktion einer konservativen Therapie einer passageren Thyreoiditis kommen.
aus. Isolierte zystische Veränderungen können gele-
gentlich durch ein Abpunktieren von Zysteninhalt
Prophylaktische Therapie
oder ggf. anschließender Sklerosierung (Äthanol
Solange in Deutschland obligate legislative Maßnah-
96%, Tetrazyklin, Fibrin) geheilt werden.
men zur Verbesserung der Iodversorgung nicht in
Kraft treten, ist der Gesundheitsaufklärung und
Chirurgische Therapie der Unterstützung der individuellen Prophylaxe
Die Indikation zur Operation gibt folgende Über- ein besonderes Augenmerk zu schenken. Die Ver-
sicht wieder. wendung iodierten Speisesalzes im Haushalt mildert
4.14 Schilddrüsenmalignom 143

Operation

ausreichend Restgewebe Restgewebe minimales Restgewebe


(>8 lüml) (ca. 3-10ml) (< 3 ml)

200 iJg Iodid L-Thyroxin L-Thyroxin- Substitution


als Monotherapie + 100-200 iJg Iodid
(angestrebtes TSH 0,3 -0,8 iJU I ml)

~ /
+
nach 6 Wo. Hormonkontrolle
+
3 Monate nach Operation
Sonographie, Hormonkontrolle

/ ~
+
(latente) Hypothyreose
+
Euthyreose (latente) Hyperthyreose

+
L-Thyroxin zugeben bzw.
+
Therapie fortsetzen
+
L- Thyroxin reduzieren
erhöhen

Abb. 4-37. Postoperative Therapie und Rezidivprophylaxe bei endemischer Struma

den Iodmangel etwas, kann jedoch das Ioddefizit


4.14
nicht ausgleichen. Entsprechend den Empfehlungen
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sollte ins-
Schilddrüsenmalignom
besonders in Zeiten erhöhten Ioddbedarfs eine Iod-
4.14.1
supplementation erfolgen. Die folgende Übersicht
gibt Indikationen zur Prophylaxe der endemischen
Fallpräsentation
Struma wieder.
Eine 28-jährige Frau bemerkte einen schmerz-
Indikationen zur vorbeugenden Therapie gegen lo en ch ilddrü enknoten, der sich im Laufe
die Ausbildung einer endemischen Struma von 3 Mo naten vergrößerte. Bisher wa r keine
Schilddrüsenerkrankung bekannt (Abb. 4-38).
• Adoleszenz Im rechten childdrüsen lappen war ein sicht-
• Familiäre Belastung barer haseln ussgroßer Knoten von fester, derber
• Schwangerschaft
• Stillzeit

Rezidivprophylaxe
Da Rezidive bei Patienten ohne Prophylaxe nach
Strumaresektion wesentlich häufiger sind als mit
prophylaktischer Medikation, sollten alle Patienten
hierüber aufgeklärt werden.

Ein Schema für die Art und Höhe der prophylakti-


schen Therapie, die sich wesentlich an der Größe
der Restschilddrüse orientiert, ist in Abb. 4-37 wie-
dergegeben. Eine Sonographie zur Beurteilung der
Restschilddrüse sollte immer durchgeführt werden
(sinnvoll ca. 3 Monate nach Op.), um persistierende
Strukturveränderungen von später neu aufgetrete-
nen Störungen abgrenzen zu können.

Abb. 4-38. Struma uninodosa bei Schilddrüsenkarzinom


144 KAPITEL 4 Schilddrüse

Einteilung der Schilddrüsenmalignome


Kon istenz zu tasten. Die Schilddrü e elb t
war nicht vergrößert. Pathologisch vergrößerte
• Karzinome mit Follikeldifferenzierung
Lymphknoten waren nicht palpabel. Klinisch papilläres Karzinom
und laborchemisch bestand eine euthyreote minimal-invasiv
Stoffwechsellage. Im Ultraschallbild wurde ein grob-invasiv
2,2 cm durchmessender echoarmer Knoten follikuläres Karzinom
mit in gesamt inhomogener Binnen truktur ge- minimal-invasiv
sehen. zintigraphisch war in diesem Bereich grob-invasiv
keine Aktivitätsanreicherung sichtbar (kalter • Gering differenzierte Karzinome
Knoten). Die Zytologie einer Feinnadelaspirati- • Entdifferenzierte (anaplastische) Karzinome
onspunktion ergab den dringenden Verdacht • Medulläre Karzinome
auf ein papilläres Schilddrüsenkarzinom. Die familiär
Patientin wurde sofort in die chirurgi ehe Klinik sporadisch
aufgenommen und thyreoidektomiert. Wegen • Seltene primäre Karzinome
der geplanten Radioiodtherapie wurde keine Plattenepithelkarzinom
Substitutionstherapie eingeleitet. Thyreoglobu- Mukoepidermoidkarzinom
lin im Serum war postoperativ nicht nachweis- Ductus-thyreoglossus-Karzinom
bar. Nach einer einmaligen ablativen Radioiod- • Karzinome mit thymusähnlicher Differenzierung
therapie wurde eine TSH-suppressive Behand- • Organfremde Malignome
lung mit ISO ).lg L-Thyroxin eingeleitet und Lymphome
bei allgemeinem Wohlbefinden eine regelmäßi-
ge Kontrolle vereinbart.
TNM-Klassifikation von Schilddrüsentumoren

4.14.2 • T Primärtumor
Epidemiologie • Tx Primärtumor kann nicht beurteilt werden
• To Kein Anhalt für Primärtumor
Die Schilddrüsenmalignome sind selten und ma- e T 1 Tumor 1 cm oder weniger in größter Ausdeh-
chen mit 0,5-l o/o nur einen kleinen Anteil an allen nung begrenzt auf die Schilddrüse
Krebserkrankungen aus. Es ist von einer jährlichen • T2 Tumor mehr als 1 cm, aber nicht mehr als
Inzidenz von 2-3/100.000 Einwohner auszugehen. 4 cm in größter Ausdehnung, begrenzt auf
Frauen sind ca. 2-mal so häufig betroffen wie die Schilddrüse
Männer. Okkulte papilläre Karzinome wurden in • T3 Tumor mehr als 4 cm in größter Ausdeh-
Autopsiestudien in Finnland in bis zu 1/3 der Fälle nung, begrenzt auf die Schilddrüse
gefunden. In Deutschland liegt der Anteil der okkul- • T4 Tumor jeder Größe mit Ausbreitung jenseits
ten papillären Karzinome bei ca. 7 o/o. Die klinisch der Schilddrüse
manifesten Schilddrüsenkarzinome setzen sich zu- • Alle T -Stadien können unterteilt werden in:
sammen aus a) solitärer Tumor
• papillären Tumoren (ca. 50-80 o/o) b) multifokaler Tumor (der größte Tumor
• follikulären Karzinomen (ca. 40 o/o) bestimmt die Klassifikation)
• medullären Karzinomen (ca. 8-10 o/o) • N Regionäre Lymphknoten
• anaplastischen Karzinomen (sehr selten mit • Nx Regionäre Lymphknoten können nicht
ca. 4 o/o). Sie treten fast ausschließlich im mittle- beurteilt werden
rem und höherem Lebensalter (> 50 Jahre) auf. • No Kein Anhalt für regionäre Lymphknoten-
metastasen
Die 2 folgenden Übersichten geben die Einteilung • N 1 Regionäre Lymphknotenmetastasen nach-
und Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome wie- weisbar
der. Das papilläre Karzinom wird histologisch noch N Ia Metastasen in ipsilateralen Halslymphknoten
weiter unterschieden, wobei die großzellige Variante N Ib Metastasen in bilateralen, in der Mittellinie
mit einer schlechteren Prognose verbunden ist. Die gelegenen oder kontralateralen Halslymph-
oxyphile Variante des follikulären Karzinoms knoten oder in mediastinalen Lymphknoten
(H ürthlezell-Tumor) verläuft wegen der schlechte- • M Fernmetastasen
ren Radioiodspeicherung ebenfalls ungünstiger. • Mo Kein Anhalt für Fernmetastasen
• M 1 Fernmetastasen nachweisbar
4.14 Schilddrüsenmalignom 145

4.14.3 4.14.4
Pathogenese Klinik

• Gut bekannt ist, dass ionisierende Strahlen Symptome und Beschwerden


Schilddrüsenmalignome auslösen können. Bei Folgende Übersicht gibt die möglichen Symptome
Kindern mit externer Bestrahlung im Kopf- des Karzinoms der Schilddrüse wieder.
Hals-Bereich wurde in 2-3% der Fälle ein papil-
läres Schilddrüsenkarzinom gefunden. Nach der Mögliche Symptome und Beschwerden
Reaktorkatastrophe in Tschernobyl ist es in bei Schilddrüsenkarzinom
Weißrussland, der Ukraine und anderen Regio-
nen, die dem radioaktiven Fallout ausgesetzt wa- • Schnelles Knotenwachstum
ren, zu einer starken Zunahme der Inzidenz von • Auftreten von Halslymphknoten
Schilddrüsenkarzinomen insbesonders bei Kin- • Globusgefühl
dern gekommen (Abb. 4-39). • Heiserkeit
• In vielen Studien wurde eine etwas erhöhte Auf- • Knochenschmerzen bei Skelettmetastasen
tretenswahrscheinlichkeit für Schilddrüsenmalig- • Selten Gewichtsabnahme
nome bei präexistierenden Schilddüsenerkran- • Schluckstörung und Aspiration
kungen (M. Basedow, Struma nodosa) gefunden. (ösophagotracheale Fistel)
Die Resultate bleiben jedoch widersprüchlich, da
die erhöhte Untersuchungsfrequenz auch klinisch
inapparente Karzinome aufdeckte und gleich in- Vielfach machen die Tumoren dem Patienten keine
tensiv untersuchte Kontrollgruppen fehlen. Beschwerden und werden im Rahmen einer Stru-
• Bei der Tumorgenese ist ein Einfluss der Sexual- maabklärung entdeckt. Funktionsstörungen der
hormone anzunehmen, da Frauen häufiger be- Schilddrüse sind selten. Im Erwachsenenalter sind
troffen sind und sich dieser geschlechtliche Un- autonome Areale der Schilddrüse mit (latenter)
terschied erst nach der Pubertät manifestiert. Hyperthyreose als Sitz eines Malignoms der Schild-
• Mutationen in Proloonkogenen bzw. Tumorsup- drüse extrem selten; bei Kindern findet sich darin
pressorgenen konnten bei Schilddrüsentumoren häufiger ein Karzinom.
eindeutig nachgewiesen werden. Veränderungen
wurden u. a. im ras-, ret-, trk- und p53-Gen ge-
funden. Ob diese Mutationen primäre Ursache 4.14.5
sind oder sekundär auftreten, ist noch unklar. Diagnostik
Beim medullären Schilddrüsenkarzinom können
in ca. 25% der Fälle Mutationen im Ret-Protoon- Anamnese
kogen auf Chromosom 10 als auslösende Ursache Nach Schilddrüsenmalignomen in der Familie
gefunden werden. (familiäres C-Zell-Karzinom, Multiple Endokrine
Neoplasie TYP II) ist zu fragen. Bei einer Struma no-
dosa sprechen die in der Übersicht angegebenen
Faktoren für ein Malignom.
absolute Hluflgkalt
79 Anamnesepunkte, die die Wahrscheinlichkeit
für ein Schilddrüsenmalignom erhöhen

• Jüngere Patienten
• Männliches Geschlecht
• Solitärknoten
e Szintigraphisch kalter Knoten
• Sonographisch echoarmer Knoten
• Schnelles Knotenwachstum
• Positive Familienanamnese (medulläres Karzinom)

Abb. 4-39. Zunahme der lnzidenz von Schilddrüsenkarzino-


men in Weißrussland nach der Reaktorkatastrophe in Tscher-
nobyl 1986
146 KAPITEL 4 Schilddrüse

Folgende Punkte lassen ein Malignom als eher un-


."".
Ltnk

wahrscheinlich erscheinen.
I
Befunde, die ein Schilddrüsenmalignom t
I

eher unwahrscheinlich erscheinen lassen l


I
I

'I •
,.


Höheres Lebensalter
Multinodöser Organumbau
,.
I.
I
I
...
v


Szintigraphisch speichernde Knoten
Sonographisch echogleiche bis echoreiche
~

I .••.
,,

Knoten

Körperliche Untersuchung Abb. 4-41. Szintigraphisch nicht speicherndes Schilddrüsen-


malignom. (Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof.
Im Rahmen der körperlichen Untersuchung muss H. W. Müller-Gärtner, Düsseldorf)
auf vergrößerte Lymphknoten im Halsbereich ge-
achtet werden. Maligne transformierte Lymph-
knoten sind fest, derb und schlecht auf der Unter- • Feinnadelpunktion. Alle Knoten, die suspekt auf
lage verschieblich. ein Malignom sind, sollten feinnadelpunktiert
werden. Die folgende Übersicht gibt Gründe für
die Erfassung einer Zytologie wieder.
Bildgebende Verfahren
• Sonographie. Im Ultraschallbild präsentieren
sich die meisten Schilddrüsenmalignome echoarm Gründe für die obligate zytologische Begutachtung
bis echokomplex (Abb. 4-40). Bei infiltrativem verdächtiger Schilddrüsenareale
Wachstum kann keine klare Abgrenzung gegenüber
dem gesunden Gewebe gesehen werden. • Planung der Operationsstrategie (erhöhtes Risiko
für Recurrensparese beim Zweiteingriff)
• Szintigraphie. Da Malignome keinen normalen • Vermeidung unnötiger Operationen
Iodmetabolismus aufweisen, wird auch Technetium (z. B. Lymphom)
nicht gespeichert und die Knoten imponieren kühl • Differentialdiagnose: Thyreoiditis
bis kalt (Abb. 4-41). Knoten mit einem Durchmesser • Erhöhung der Compliance bei suspektem Befund
< 1 cm können der Szintigraphischen Aufdeckung
entgehen, da das umgebende normale Schilddrüsen-
gewebe den Knoten "überstrahlt" und so einen Nor- Die Sensitivität der Feinnadelpunktion liegt bei ge-
malbefund vortäuscht. übten Untersuchern bei 90 o/o, die Spezifität bei 95 o/o.
Das follikuläre Adenom kann vom follikulären Kar-
zinom zytologisch nicht sicher unterschieden wer-
den. Hier hat sich der Begriff der "follikulären Neo-
plasie" durchgesetzt, ein Befund, der der histologi-
schen Abklärung (d. h. Operation) bedarf.

• Szintigraphie. Die 99 mTechnetium-Szintigraphie


ist bei allen Arten von Schilddrüsenmalignomen
zur Darstellung minder- oder nichtspeichernder
Areale geeignet. Die Metastasensuche nach erfolgter
Operation wird mit in den folgenden Übersichten
aufgezählten Substanzen durchgeführt.

Metastasensuche mit radiaktiv markierten Substanzen

13llod bei follikulären Bei fehlender Iodspeicherung


und papillären Karzi- 201 Thallium

nomen 99 mTc-MIBI(2-Methoxyisobutyl-
isonitril
Abb. 4-40. Sonographisch echoarme Knoten bei Schilddrü- 18-FDG-(Fluordesoxyglukose-)
senkarzinom (Längsschnitt durch den rechten Schilddrüsen- Positronenemissionstomographie
lappen)
4.14 Schilddrüsenmalignom 147

iodtherapie mit 1,5-3 GBq 131Iod ca. 6 Wochen


4.14.6
nach der Operation an. Sie dient der Elimination
Therapie
von Restgewebe, insbesondere im Bereich der
hinteren Organkapsel sowie von Fernmetastasen
Chirurgische Therapie
(Abb. 4-42). Die Voraussetzungen für eine Radio-
Grundsätzlich wird bei allen Karzinomen eine chir-
iodtherapie sind in der folgenden Übersicht wieder-
urgische Therapie angestrebt. Die Ziele der operati-
gegeben.
ven Therapie sind in der folgenden Übersicht wie-
dergegeben.
Voraussetzungen zur postoperativen Radioiod-
therapie
Ziele einer operativen Therapie des Schilddrüsen-
karzinoms
• Differenziertes Schilddrüsenkarzinom
• Erreichen einer vollständigen Heilung
• Hypothyreote Stoffwechsellage (TSH > 30 ~-tU/
ml)
• Optimierung der Voraussetzung zur Radioiod-
• Keine Iodkontamination
therapie
• Palliative Maßnahme bei Fernmetastasen und
anaplastischem Karzinom
Vom Zeitpunkt der Operation bis zur Radioiod-
th~rapie sollten die Patienten mit einem T3-Präparat
D
Bei allen Tumorstadien wird eine totale Thyreoidek- mzt kurzer Halbwertszeit (z. B. 3- bis 4-mal 20 !lg
tomie mit Lymphknotendissektion des zentralen Thybon®) substituiert werden. 14 Tage vor der Ope-
Kompartiments (paralaryngeale, parathyreoidale ration ist auch dies abzusetzen, um in hypothyreoter
und paratracheale Lymphknoten) durchgeführt. Le- Stoffwechsellage und bei hohem endogenem TSH
diglich beim papillären Mikrokarzinom ( < 1 cm) ist eine maximale Radioiodaufnahme zu erzielen.
eine Hemithyreoidektomie ausreichend. Das medul-
läre Schilddrüsenkarzinom bedarf neben der Thy- Perkutane Strahlentherapie
reoidektomie obligat der Neck-dissection. Wegen der günstigen Prognose ist beim differenzier-
ten Schilddrüsenkarzinom eine perkutane Strahlen-
Postoperative Radioiodtherapie therapie in den meisten Fällen nicht indiziert. Indi-
katio.~en zu dieser Therapieform sind in der folgen-
Außer beim papillären Mikrokarzinom schließt sich
bei den differenzierten Karzinomen eine Radio- den Ubersicht wiedergegeben.

Indikationen zur perkutanen Strahlentherapie

• Skelettmetastasen zur Schmerztherapie


• Drohende Frakturen
• Bei Tumoren im Stadium T4
• Bei nicht vollständig resezierbaren Tumoren
• Bei anaplastischen Karzinomen

Nachsorge
Thyreoglobulin wird nur in Schilddrüsenzellen
produziert und ist daher bei thyreoidektomierten Pa-
tienten ein idealer Tumormarker bei differenzierten
Schilddrüsenkarzinomen. Ein Anstieg deutet auf ein
Rezidiv oder eine Progredienz des Tumors hin. Die
Ganzkörperszintigraphie kann 131Iod speichernde
Metastasen aufdecken. Ein Nachsorgeschema des
papillären (Abb. 4-43), des differenzierten (Abb.
4-44) und des medullären Schilddrüsenkarzinoms
(Abb. 4-45) ist in den Abbildungen dargestellt.
Abb. 4-42. Darstellung von Fernmetastasen im 13 1Iodscan.
(Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. H. W. Mül- • Thyreosuppressive Therapie. Um ein Tumorzell-
ler-Gärtner, Düsseldorf) wachstum durch eine TSH-Stimulation zu verhin-
148 KAPITEL 4 Schilddrüse

dern, wird eine suppressive Therapie mit L-Thyro-


Papilläres Mikrokarzinom (< 1 cm) xin (initiale Riebtdosis 2,5-3 J.lg/kg KG) gegeben.
Der basale TSH-Wert sollte < O,lJ.lU/ml sein.
Beim papillären Mikrokarzinom scheinen auch
eingeschränkt radikale Operation TSH-Spiegel im Bereich O,l-0,2J.lU/ml ausreichend
zu sein. Allerdings fehlen hierzu noch prospektive
Studien.
3 Monate postop. Sonographie
(Beurteilung der Restschilddrüse)
• Medulläres Schilddrüsenkarzinom. Beim medul-
Messung von Thyreoglobulin i.S., TSH - Suppression ?) lären Schilddrüsenkarzinom ist postoperativ die
Bestimmung der spezifischen Tumormarker Calci-
tonin basal und nach Stimulation mit Pentagastrin
notwendig. Auch CEA ist ein postoperativer Tumor-
alle 6 Monate Sonographie
Thyreoglobulin, TSH -Suppression marker.

Es sollte immer eine Gendiagnostik zum Ausschluss


einer familiären Variante erfolgen. Besteht eine
nach 5 Jahren jährliche Kontrollen typische Mutation bei MEN-2-Erkrankung, so ist
ein regelmäßiges Screening auf einen Hyperparathy-
Abb. 4-43. Nachsorgeschema beim papillären Mikrokarzinom reoidismus und ein Phäochromozytom indiziert.

Thyreoidektomie und Radioiodtherapie


(ggfs. mehrfach)

Tumorfreiheit
Sicherung durch 131 1 Ganzkörperszintigraphie

alle 6 Monate Sonographie, Thyreoglobulin, V. a. Rezidiv


TSH -Suppression

jährlich Röntgen - Thorax


1
131 1Ganzkörperszintigraphie

ggfs. Computertomographie
Kernspintomographie
nach 10 Jahren größere Abstände Skelettszintigraphie

Abb. 4-44. Nachsorgeschema beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom

Thyreoidektomie und Neck - dissektion

~
Genetisches Screening - positiv Familienscreening

3 Monate postop. jährl. Katecholamine präventive Operation


Sonographie, basales und i. Urin spätestens ab dem
stim. Calcitonin, CEA Calcium i.S. 6. Lebensjahr

dann alle 6 Monate


Calcitonin basal und stimuliert
Sonographie, CEA

nach 5 Jahren jährliche Kontrollen

Abb. 4-45. Nachsorgeschema bei medullärem Schilddrüsenkarzinom


4.14 Schilddrüsenmalignom 149

Tabelle 4-14. Tennvali-Protokoll beimanaplastischen Schilddrüsenkarzinom

Zeit in Wochen 0 I 2 3 4 5 6 7 8

trahlentherapie 30 Gy 16 Gy

Hyperfraktioniert 23 Fraktionen 12 Fraktionen

Adriamyzin 20 mg i. v. X X X X X

Operation X

Chemotherapie Eine besonders schlechte Prognose haben anaplasti-


Differenzierte Schilddrüsenkarzinome sprechen auf sche Karzinome, die oft erst im fortgeschrittenen
eine Chemotherapie kaum an. Beim anaplastischen Tumorstadium entdeckt werden. Hier sind z. T.
Karzinom mit insgesamt ungünstiger Prognose nur palliative Therapiestrategien (z. B. Debulking-
kann eine kombinierte neoadjuvante und adjuvante operation) möglich.
Strahlen- und Chemotherapie erfolgen (Tabelle 4-14).

• Studien. Um eine Redifferenzierung von Mali- Literatur


gnomen zu erreichen, die keine gute Radioiodspei-
cherung aufweisen, wird in ersten Studien eine The- Literatur zu Abschn. 4. 7
rapie mit Retinsäure eingesetzt. In Zukunft wird re- Beato M (1989) Gene regulation by steroid hormones. Cell
kombinantes TSH zur Verfügung stehen, das die Er- 56: 335
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• Follikuläres Karzinom
Papilläres Karzinom, alle Stadien 80- 90% tians of thyroxine a nd 3,5,3'. triiodothyronine in thyroid

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• Medulläres Karzinom 70-80%


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KAPITEL 5

Weibliche Gonaden 5
C. V. HAGENS, U. HEINRICH,
F. KIESEWETTER, T. RABE,
B. RuNNEBAUM, E. ScHULZE,
E. VLADESCU

5.1 Physiologie der Reproduktion 156 5.9 Ovarialinsuffizienz und Sterilität 178
L RABE,C.~ HAGENS,B. RUNNEBAUM C. V. HAGENS, T. RABE, ß. RUNNEBAUM
5.1.1 Hypothalamus 156 5.9.1 Fallpräsentation 178
5.1.2 Hypophyse 157 5.9.2 Epidemiologie und Definition 179
5.1.3 Ovarien 157 5.9.3 Pathogenese 179
5.9.4 Klinik 180
5.2 Pubertät 159 5.9.5 Diagnostik 180
LRABE,B. RUNNEBAUM 5.9.6 Differentialdiagnose 181
5.2.1 Neuroendokrine Veränderungen 5.9.7 Therapie 182
während der Pubertät 160 5.9.8 Notfall 184
5.2.2 Sexualreifung und Wachsturn
während der Pubertät 161 5.10 Menopause 184
5.2.3 Psychische Veränderungen L RABE,E. VLADESCU,B. RUNNEBAUM
während der Pubertät 161 5.10.1 Fallpräsentation 184
5.10.2 Epidemiologie und Definition 185
5.3 Menstrueller Zyklus 162 5.10.3 Pathophysiologie 185
T. RABE, C. V. HAGENS 5.10.4 Klinik 186
Physiologie der Schwangerschaft 162 5.10.5 Diagnostik 187
5.4
T. RABE 5.10.6 Therapie 188
5.10.7 Ausblick 195
5.4.1 Entstehung einer Schwangerschaft 162
5.4.2 Entwicklung des Fetus 164 5.11 Vorzeitige Pubertätszeichen
5.4.3 Endokrine Funktionen und Pubertas praecox 195
der fetoplazentaren Einheit 164 U. HEINRICH

5.5 Physiologie der Geburt 166 5.11.1 Fallpräsentation 195


T. RABE 5.11.2 Definition der Pubertas praecox 196
5.11.3 Pathogenese der Pubertas praecox vera
5.6 Physiologie der Menopause 167 (zentrale Pubertas praecox) 196
T. RABE 5.11.4 Pathogenese der Pseudopubertas praecox 197
5.11.5 Klinik der Pubertas praecox vera
5.7 Ausfall der gonadotropen Achse 167 und Pseudopubertas praecox 197
C. ~HAGENS,LRABE,B.RUNNEBAUM 5.11.6 Therapie der Pubertas praecox vera
5.7.1 Fallpräsentation 167 und Pseudopubertas praecox 198
5.7.2 Epidemiologie 168 5.11.7 Heterosexuelle Pubertas praecox 200
5.7.3 Pathogenese 168 5.11.8 Prämature Adrenarche 200
5.7.4 Klinik 169 5.11.9 Prämature Thelarche 201
5.7.5 Differentialdiagnose 170 5.11.10 Prämature Menarche 202
5.7.6 Therapie 170
5.12 Hirsutismus 203
5.8 Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung T.RABE,E. VLADESCU,E.SCHULZE,ß.RUNNEBAUM
und Pubertas tarda 172 5.12.1 Fallpräsentation 203
U. HEINRICH 5.12.2 Klinik 204
5.8.1 Fallpräsentation 172 5.12.3 Ätiologie, Häufigkeit und Pathogenese
5.8.2 Pathogenese 172 vermehrter Androgenwirkung 204
5.8.3 Definition der verzögerten 5.12.4 Klinik 206
Pubertätsentwicklung 173 5.12.5 Diagnostik 207
5.8.4 Konstitutionelle Verzögerung von Wachstum 5.12.6 Therapie 207
und Pubertät 173
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung 5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 211
5.8.5
ohne Kleinwuchs 173 T.RABE,E.SCHULZE,E. VLADESCU,ß.RUNNEBAUM
5.8.6 Pubertas tarda 174 5.13.1 Fallpräsentation 211
5.8.7 Hypogonadotroper Hypogonadismus 174 5.13.2 Epidemiologie und Pathogenese 212
5.13.3 Klinik 212
5.13.4 Diagnostik 218
5.13.5 Therapie 220
5.13.6 Pränatale Diagnostik und Therapie
des klassischen AGS 221
156 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

5.14 Alopecia diffusa der Frau 222


T. RABE, E. VLADESCU, F. KIESEWETTER, 5.1.1
B. RUNNEBAUM Hypothalamus
5.14.1 Fallpräsentation 222
5.14.2 .gpidemiologie 223 Der Hypothalamus spielt als Relaisstation (Umset-
5.14.3 Atiologie und Pathogenese 224
5.14.4 Differentialdiagnostik 224 zer) eine wichtige Rolle zur Transformation elektri-
5.14.5 Klinik 227 scher Impulse des ZNS in biochemische Signale (sog.
5.14.6 Diagnostik 227 Releasing-Hormone: GnRH, CRF, GHRF, TRH und
5.14.7 Therapie 228
Somatostatin), die durch Neurosekretion über den
5.15 PCO-Syndrom 231
T. RABE, E. VLADESCU, E. SCHULZE,
Hypophysenstiel zur Hypophyse transportiert wer-
B. RUNNEBAUM den.
5.15.1 Fallpräsentation 231
5.1 5.2 Definition 231
5.15.3 Epidemiologie 233 Anatomie
5.15.4 Pathogenese 233 GnRH-Neuronen finden sich im Hypothalamus im
5.15.5 Klinik 233 präoptischen Bereich (anteriorer Bereich des Hypo-
5.15.6 Diagnostik 233
5.15.7 Differentialdiagnose 234 thalamus) sowie im Bereich des Nucleus arcuatus
5.15.8 Therapie 234 (mediobasaler Hypothalamus) und im tuberalen
5.16 LH/FSH produzierender Hypophysentumor 234 Hypothalmus. Die Axone der GnRH-Neuronen
C. ~HAGENS, ~ RABE,B.RUNNEBAUM enden in der Eminentia mediana, die in Verbindung
5.16.1 Fallpräsentation 234 steht mit der portalen Blutversorgung des Hypo-
5.16.2 Epidemiologie 235 physenvorderlappens.
5.16.3 Pathogenese 235
5.16.4 Klinik 235
5.16.5 Diagnostik 235
5.16.6 Therapie 236 Funktion
Literatur 236
Das Dekapeptid GnRH wird in den o. g. Neuronen
gebildet und per Neurosekretion über den Portal-
kreislauf zur Hypophyse transportiert. GnRH wird
pulsatil alle 60-90 min in der Follikelphase und
alle 2-3 h in der Lutealphase sezerniert und indu-
ziert die Freisetzung von LH und FSH aus dem
5.1
Hypophysenvorderlappen, die ebenfalls pulsatil er-
Physiologie der Reproduktion
folgt. Die Halbwertszeit von GnRH beträgt 4-6 min;
~RABE,C.~HAGENS,B.RUNNEBAUM Amplitude und Frequenz sind abhängig vom Le-
bensabschnitt der Frau. Die pulsatile GnRH -Sekre-
Bei Frauen hängt der normale Ablauf der Fortpflan- tion wird durch folgende zentrale und periphere
zung vom ungestörten Zusammenspiel von Hypo- Rückkopplungsmechanismen kontrolliert.
thalamus, Hypophyse und Ovar ab. Hierdurch • Auf zentraler Ebene wird die Sekretion durch
wird in der Pubertät die Geschlechtsreife und im re- Noradrenalin stimuliert und durch Dopamin
produktionsfähigen Alter die Follikelreifung mit Be- und ß-Endorphin blockiert.
reitstellung einer befruchtungsfähigen Eizelle (Ei- • FSH und LH kontrollieren den Hypothalamus
sprung) sowie die Schaffung eines geeigneten Mi- durch einen kurzen Feedback-Mechanismus.
lieus zur Einnistung der evtl. befruchteten Eizelle • Die Steriodhormone Östradiol und Progesteron
im Endometrium des Uterus gesteuert. Daher wie- steuern die Hormonbildung im Hypothalamus
derholen sich im Körper der Frau während der ge- und in der Hypophyse durch Rückkopplungsme-
nerativen Phase zwischen Pubertät und Menopause chanismen.
jeden Monat die Vorgänge, deren Ziel die Befruch- • Die pulsatile GnRH-Freisetzung führt zu einer In-
tung der Eizelle und das Austragen der Schwanger- duktion von GnRH-Rezeptoren der Hypophyse;
schaft ist. Sichtbares Zeichen ist die monatliche dagegen führt eine erhöhte oder tonische
Blutung. Zusätzlich spielen die ovariellen Steroid- GnRH-Freisetzung zu einer Down-Regulation
hormone eine wichtige Rolle bei der Ausprägung der GnRH-Rezeptoren und somit zu einer Hem-
der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale. mung der Gonadotropinwirkung.
5.1 Physiologie der Reproduktion 157

Stillen aktiviert (Mechanismus noch unklar), ebenso


5.1.2
durch ß-Endorphin, Vasopressin, TRH, Substanz P
Hypophyse
und Angiotensin 2.
Hypophysenvorderlappen (HVL)
Im Hypophysenvorderlappen erfolgt die Synthese
5.1.3
der für die Reproduktion wichtigen Hormone, d. h.
Ovarien
die des follikelstimulierenden Hormons (FSH) sowie
des luteinisierenden Hormons (LH) und des Pro-
Die beiden wichtigsten Funktionen des Ovars in der
laktins (PRL). Die Gonadotropine gelangen auf
Geschlechtsreife bestehen in der monatlichen Be-
dem Blutweg zum Ovar und steuern dort die
reitstellung einer befruchtungsfähigen Eizelle (ge-
Follikelreifung, die Ovulation und die Gelbkörper-
nerative Funktion) und in der Bildung der Steroid-
funktion.
hormone Östrogene (17ß-Östradiol) und Gestagene
(Progesteron) (endokrine Funktion). Sie sind im
LH und FSH Rahmen der Reproduktion für die Entwicklung
LH und FSH sind Glykoproteine, bestehend aus des Endometriums verantwortlich (Östrogene: Pro-
einer hormonspezifischen ß-Untereinheit und einer liferation; Gestagene: sekretorische Umwandlung).
unspezifischen a-Untereinheit, die identisch ist Zusätzlich spielen die ovariellen Steroidhormone
mit der bei den anderen Glykoproteinen TSH und eine wichtige Rolle bei der Ausprägung der weibli-
HCG. chen sekundären Geschlechtsmerkmale und haben
Die Gonadotropinfreisetzung aus Granula der allgemeine Stoffwechselwirkungen.
Hypophyse, die LH enthalten, ist kalziumabhängig
und wird durch Steroide und Inhibin beeinflusst. Anatomie
Östradiol hat eine doppelte Feedback-Wirkung. In Die Ovarien sind paarig angelegte Organe von der
der ersten Zyklusphase wird die Gonadotropinsyn- Größe einer Pflaume, die seitlich im kleinen Becken
these durch steigende Östrogenkonzentration ge- liegen. Im Rahmen der Embryonalentwicklung wird
bremst (negativer Feedback), zur Zyklusmitte aber in der 5.-6. SSW im Entoderm des Dottersacks die
stimuliert (positiver Feedback) (LH-Peak). Keimleiste angelegt, in die die Oogonien einwan-
Die FSH-Sekretion unterliegt ebenfalls der Kon- dern. Sie teilen sich bis zur 18.-22. SSW mitotisch,
trolle von anderen ovariellen Faktoren wie Inhibin so dass es zur Bildung von ca. 7 Mio. Keimzellen
(Hemmung) und Aktivin (Stimulation). kommt. Ihre Zahl reduziert sich bis zur Zeit der
FSH kontrolliert die Follikelreifung und ist für die Geburt auf 2 Mio. Keimzellen und nimmt bis zum
Aromatisierung von Androgenen zu Östradiol in Ende der Pubertät auf 300.239-400.000 weiter ab.
den Granulosazellen verantwortlich.
LH ist an der Follikelreifung beteiligt, induziert
den Eisprung und ist für die Luteinisierung der Steroidsynthese
Granulosazellen einschließlich der Produktion von In den Ovarien werden aus Androgenen (C 19 -Ste-
Progesteron durch das Corpus luteum verantwort- roide) durch Aromatisierung die Steroidhormone
lich. gebildet: Östrogene (C 18 -Steriode), Gestagene (C 21 -
Steroide) und in geringerer Menge auch Testo-
steron. Im Gegensatz zum Ovar kann die Neben-
Prolaktin nierenrinde die Steroidhormone aus Cholesterin
Prolaktin, ein Polypeptid, wird von den laktotro- de novo synthetisieren und zusätzlich zum Ovar
phen Zellen des Hypophysenvorderlappens gebildet. noch Glucocorticoide und Mineralocorticoide bil-
Von seiner Struktur ist es dem Wachstumshormon den. Die wichtigsten ovariellen Hormone sind die
und dem "human placentallactogen" ähnlich. Pro- Östrogene, die aus Androgenvorstufen der Neben-
laktin ist an der Entwicklung der Brustdrüse betei- niere gebildet werden. Das Leitöstrogen in der ge-
ligt sowie für den Beginn und Erhalt der Milchpro- schlechtsreifen Phase ist das von den Ovarien gebil-
duktion verantwortlich. Über eine Modulation der dete 17ß-Östradiol, das biologisch aktivste natürli-
pulsatilen GnRH- und der Gonadotropinsekretion che Östrogen; das Leithormon der Spätschwanger-
kann Prolaktin während der Stillperiode die Folli- schaft ist das Östriol, und das Leithormon in der
kelreifung unterdrücken (physiologische Hyper- Postmenopause ist das vorwiegend vom Unterhaut-
prolaktinämie). Eine Hyperprolaktinämie kann zu fettgewebe gebildete Östron. Östriol und Östron
Zyklusstörungen bis hin zur sekundären Amenor- binden nur schwach am Östradiolrezeptor und be-
rhö und zur Galaktorrhö führen. Die Prolaktinpro- sitzen insofern nur eine schwache Östrogene Aktivi-
duktion wird durch Dopamin gehemmt und durch tät. Das Östradiol bewirkt am Endometrium eine
158 KAPIT EL 5 Weibliche Gonaden

Proliferation. Das von den Granulosa- und Theka- Follikelphase (Tabelle 5-l)
luteinzellen des Corpus luteum gebildete Pro- Sie erfolgt in 3 Phasen:
gesteron ist für die sekretorische Transformation • Rekrutierungs-,
des Endometriums verantwortlich. • Selektions- und
• Dominanzphase.
Steuerung der Ovarfunktion
An der Follikelreifung, Ovulation und Corpus-lu-
Die Steuerung der Ovarfunktion unterliegt viel-
teum-Bildung sind neben Peptiden und anderen
fältigen positiven und negativen Rückkopplungen.
Hormonen 2 Hormongruppen wesentlich beteiligt.
die Steroidhormone (17ß-Östradiol und Progeste-
Vorzyklen ron) und die Gonadotropine (LH und FSH), die
Ca. 90 Tage vor dem aktuellen Zyklus erfolgt die vom Ovar bzw. der Hypophyse gebildet werden.
Umwandlung von Primordialfollikeln in Sekundär-
follikel. Die Primordialfollikel werden wahrschein- • Rekrutierungsphase. Vom 1.-4. Tag eines Zyklus
lich durch intraovarielle Wachtsumsfaktoren stimu- werden unter dem Einfluss des hypophysären FSH
liert; dieser Vorgang ist unabhängig von FSH. Erst mehrere Präantralfollikel rekrutiert, um die weitere
nach der Umwandlung in den Sekundärfollikel Entwicklung zum Tertiärfollikel zu vollziehen.
kommt es zur Expression der FSH-Rezeptoren.
Aus der monatlich heranreifenden Follikelkohor- • Selektionsphase. In dieser Phase findet die Aus-
te kommt es durch Selektion zur Ausbildung eines wahl zum dominanten Follikel (5.-7. Zyklustag)
dominanten Follikels ( = Leitfollikels ), der das statt. Das Wachstum der rekrutierten Follikel erfolgt
Wachsturn der anderen Follikel unterdrückt, so unter dem Einfluss von Östradiol, dessen Bildung
dass diese atretisch werden. Zur Zyklusmitte er- durch FSH stimuliert wird. Die steigenden FSH-
reicht die bisher kontinuierlich angestiegene Östra- Spiegel stimulieren zunächst die Granulosazellproli-
diolsekretion des dominanten Follikels ein Plateau feration und vermehren mit der Zellzahl auch die
und löst den LH-Peak und dadurch 24-36 h später Anzahl der aufFSH reagierenden Rezeptoren. Östra-
die Ovulation aus. diol induziert die Ausprägung seiner eigenen Rezep-

Tabelle 5-l. Menstrueller Zyklus

Zyklustag 1.- 5. 5.- 7. 8.- 12. 13./14. 15.- 28.

Ovar Follikelphase Ovulation Corpus-luteum-


Pha e
Follikel- Selektion des Dominanter Ruptur des Granulosazellen
rekrutierung dominanten Follikels Follikel wächst Tertiärfollikels bilden Gelbkörper
Hypothalamus GnRH-Pulse alle 60- 90 min/s GnRH alle 2- 3 h
Hypophyse F H fallt LH -Pul e alle LH-Peak 36- 42 h LH-Pul e alle 3 h
60-90 min vor Ovulation
F H erhöht
(= FHS-Fenster)
vom 5.-9. ZT
Endometrium Desquamation - Prolifera tionsphase Sekretions-/Trans-
phase = Men- formatio nspha e
truation Implantation
20.-23. Tag
Muttermund Geschlossen Öffnet sich Offen Ge chlos en
Zervixmukus wenig, viskös Abnehmende Reichlich, flü ig,
Viskosität klar, Farnkrau t-
bhänomen, pinn-
arkeit ++
Vaginalepithel Östrogene Phase Östrogene Phase Östrogene Phase Gestagene Phase
Aufwachtem- Hypotherme Phase Hypotherme Pha e Hypotherme Phase Hyperthe rme
peraturkurve Pha e
5.2 Pubertät 159

toren an den Granulosazellen und regt die mitoti- niedrige Frequenz (alle 3-4 h) mit einer erhöhten
sche Aktivität des Granulosaepithels an, so dass Amplitude. Die Funktion des Corpus luteum ist
die FSH-Wirkung potenziert wird. Dadurch wird vom LH abhängig. Die Injektion von HCG oder
ein rasches Follikelwachstum induziert, die Östra- die endogene HCG-Bildung bei einer Frühschwan-
diolproduktion wird gesteigert und bleibt später gerschaft führen zu einer verbesserten und verlän-
im dominanten Follikel auch bei abfallenden FSH- gerten Corpus-luteum-Funktion.
Spiegeln erhalten.

• Dominanzphase. Die steigenden Östradiolspiegel Ausbleibende Konzeption


unterstützen einerseits das Follikelwachstum, ande- Bleibt die Befruchtung der Eizelle aus, erfolgt
rerseits wirken die Östrogene über den Blutkreislauf 10-12 Tage nach der Ovulation die Luteolyse
auf die an der Fortpflanzung beteiligten Organe so- des Gelbkörpers, und durch den Östrogen- und
wie auf das hypothalamisch-hypophysäre System Progesteronentzug tritt eine Abbruchblutung
und bewirken dort gemeinsam mit dem ebenfalls ( = Menstruation) ein. Der Vorgang der Luteolyse
im Ovar gebildeten Inhibin eine Hemmung der ist noch nicht vollständig untersucht, aber es
FSH-Sekretion. Dadurch kommt es zu einer Hem- scheint, dass lokal gebildete Prostaglandine, Zyto-
mung der Ausreifung weiterer Follikel. Nach der Se- kine und Oxytozin eine wichtige Rolle spielen. Schon
lektionsphase (ca. ab dem 8. Zyklustag) verfügt nur während der Regression des Corpus luteum mit
noch der dominante Follikel über die Vorausset- sinkenden Konzentrationen von Östradiol und
zung, sich trotz nachlassender FSH-Sekretion wei- Progesteron am Ende der Lutealphase bewirkt die
terzuentwickeln, während andere Follikel durch in- ansteigende FSH-Konzentration die Rekrutierung
traovarielle Mechanismen und hypophysäre Rück- neuer Präantratfollikel für den Folgezyklus.
kopplung im weiteren Wachstum gehemmt werden
und in Atresie übergehen. Der dominante Tertiärfol-
Konzeption
likel ist in der späten Follikelphase (12.-14. Zyklus-
Bei Eintritt einer Schwangerschaft führt das vom
tag) für nahezu die gesamte Östradiolsekretion ver-
Trophoblasten gebildete HCG zur Umwandlung
antwortlich. Er steuert über hypothalamisch-hypo-
des Gelbkörpers in das Corpus luteum graviditate,
physäre positive Feedback-Mechanismen die gipfel-
das steigende Mengen an Progesteron und Östradiol
artige LH-Ausschüttung und leitet die letzten
produziert, so dass die Menstruationsblutung aus-
Stadien der Reifung und die Ovulation ein.
bleibt. Nach der 7.-9. SSW wird die zur Aufrecht-
erhaltung der Schwangerschaft notwendige Proge-
Ovulation steron- und Östrogenproduktion von der Plazenta
Die präovulatorische Ausschüttung des zuvor ge- übernommen.
speicherten LH (LH-Peak) wird durch das positive
Feedback des vom dominanten Follikel gebildeten
Östradiols auf die Hypophyse verursacht. Der LH- 5.2
Anstieg findet 24-36 h vor der Ovulation statt und Pubertät
bezeichnet das Ende der Follikelphase. Bei der Ovu-
lation wird der Oozyten-Cumulus-Komplex aus dem
T. RABE,B. RUNNEBAUM

Follikel expulsiert. Hierbei wirken proteolytische


Als Pubertät bezeichnet man den Zeitraum vom
Enzyme wie Plasminogen, Kollagenasen und Rela-
Auftreten der ersten sekundären Geschlechtsmerk-
xin mit.
male bis zur vollen Fortpflanzungsfähigkeit; die Pu-
bertätsperiode umfasst ca. 4 Jahre und tritt bei Mäd-
Gelbkörperphase chen im Durchschnitt 2 Jahre eher ein als bei Jungen.
Nach erfolgter Ovulation bildet sich aus den Granu- Die Pubertät steht unter neuroendokriner Kontrolle
losazellen der Follikelwand der sog. Gelbkörper, der und ist abhängig von der Frequenz und Amplitude
durch die Synthese von Progesteron die sekretori- der pulsatilen GnRH-Produktion. Der Zeitpunkt des
sche Umwandlung des Endometriums als Voraus- Eintritts der Pubertät und der weitere Ablaufhängen
setzung für eine Implantation bewirkt. Das Corpus außer von den endokrinen Vorgängen auch von der
luteum besteht aus luteinisierten Theka-, Granulo- Rasse, der Ernährung, der Lebensweise (z. B. Lei-
sa- und Gefäßzellen. Die Neovaskularisation bringt stungsport), dem Klima und von anderen Umwelt-
den luteinisierten Granulosazellen LDL-Cholesterin faktoren ab. In den letzten Jahrzehnten wurde ein
als wichtige Substanz für die Progesteronsynthese. früheres Eintreten der Pubertät festgestellt. Die
Unter der erhöhten Progesteronkonzentration in Streubreite der weiblichen Pubertätsentwicklung
der Lutealphase zeigen die GnRH-Impulse eine ist groß und reicht z. B. von 8,5 bis zu 13,3 Jahren
160 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Stadium 1: infantile Bru$t mit leicht prominenter


a

~~~~
Brunwarze.
Stadium II: tastbarer 8rustdrüsenkörper. erhab1.>ne
Bnustwarze. Vergroßerung des Warzenhofes.
81 Stadium 111: Zunahme des Brustdrüsenkorpers
und des Warzenhofes.
Stadium IV: Zunahme der Pigmentierung

<~ {10
des Warzenhofes.
Stadium V: reife weibliche BnusL

Für die Schambehaarung ist e1ne ähnliChe Stadieneintei-


82 lung be"hrieben (Abb. 5.1).

83

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B4

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85

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Abb. 5-la, b. Tanner-Stadien der Pubertätsentwicklung: a Entwicklung der Brustdrüsen, b Entwicklung der Pubesbehaarung.
(Aus Keck et al. 1997)

für das Tanner-Stadium B2 (Abb. 5-1) der Brustent- Auslöser für den Eintritt des Kindes in die Puber-
wicklung. Auch das Menarchealter von im Mittel tätsperiode sind. Wahrscheinlich ist es das hypotha-
13,0 Jahren in Deutschland kann zwischen 11,2 lamisch-hypophysäre System. Frühe Veränderun-
und 15,6 Jahren variieren. gen betreffen auch die Nebennierenrinde.

D Die vorzeitige Pubertät ist durch die zu frühe Ent-


wicklung der Brust und der Schambehaarung vor
dem 7,6. Lebensjahr gekennzeichnet.
Adrenarche
Beim Mädchen kommt es zwischen dem 6. und 8. Le-
Die verspätete Pubertät ist durch fehlende Ent- bensjahr zu einer kontinuierlichen Zunahme der
wicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale bis adrenalen Androgensynthese, die von der CRF-
zu einem Alter von 14 Jahren definiert. und ACTH-Bildung infolge der Reifung des Hypo-
thalamus und der Hypophyse abhängt. Während
dieser Zeit beginnt die Ausreifung der Zona
5.2.1 reticularis der Nebennierenrinde, die im 13.-15. Le-
Neuroendokrine Veränderungen bensjahr abgeschlossen ist. Es werden zunächst ver-
während der Pubertät mehrt DHEA und DHEAS, später auch Androsten-
dion gebildet, wobei die Serumkonzentration von
Die neuroendokrinen Veränderungen beinhalten DHEA der empfindlichste Parameter für die begin-
die pulsatile GnRH-Sekretion mit Erhöhung der Go- nende Pubertät ist. DHEA-Serumkonzentrationen
nadotropinfreisetzung, die Reifung der hypothala- von 1,5 ng/ml und höher zeigen, dass die Pubertät
misch-hypophysären-ovariellen Achse und Verän- bereits begonnen hat. Die adrenalen Androgene
derungen in der adrenalen und ovariellen Steroidse- verstärken im Hypothalamus die pulsatile GnRH-
kretion. Man weiß bis heute nicht, welche Organe Freisetzung.
5.2 Pubertät 161

Gonadarche Sekundäre Geschlechtsmerkmale


Man geht davon aus, dass vor Beginn der Pubertät Die zunehmende ovarielle Östrogen- und adrenale
im hypothalamisch-hypophysären System eine hohe Androgensekretion bewirken charakteristische or-
Sensibilität des negativen Rückkopplungssystems ganische Veränderungen, die sich in der beginnen-
besteht, das durch sehr geringe Steroidkonzentra- den Brustentwicklung, der Entwicklung der Scham-
tionen supprimiert wird. behaarung, im pubertären Wachstumsschub mit
Umformung von Skelett, Muskeln und Fettvertei-
• Präpubertät Bereits in der Präpubertät ist nachts lung und dem Auftreten der 1. Menstruation, der
eine gering erhöhte Gonadotropinsekretion, FSH Menarche, zeigen.
betont, nachweisbar. Im Rahmen der Reifungspro-
zesse des ZNS kommt es zu einer zunehmenden • Thelarche. Die Entwicklung der Brustdrüsen ist
hypothalamisehen GnRH-Aktivität, die sich experi- die erste äußere Manifestation der Pubertät. Die
mentell an einer zunächst sporadischen, später Entwicklung der Mamma wird nach Tanner in 5
schlafgebundenen neuronalen Aktivität des Nucleus Stadien eingeteilt (s. Abb. 5-1a). Der Zeitraum der
arcuatus in Form von LH-RH-Pulsen mit steigender Entwicklung und die Stadien werden insbesondere
Amplitude und Frequenz nachweisen lässt. Zwi- durch Genetik und Ernährung beeinflusst.
schen dem 9. und 11. Lebensjahr steigen dann die
Serumkonzentrationen von FSH und LH an; es • Pubarche. Zunächst Auftreten der Schambe-
kommt zum Übergang von der schlafinduzierten haarung, 1 Jahr später auch der Axillarbehaarung
GnRH-Sekretion zur erhöhten tonischen und puls- unter dem Einfluss der Androgene. Sie beginnt
atilen LH-Freisetzung mit höherer Amplitude. Im etwa 2-3 Jahre nach der Adrenarche. Die Entwick-
Ovar kommt es zu den folgenden Vorgängen. lung der Schambehaarung wird nach Tanner in 5
e Einsetzen der ovariellen Östrogensekretion, Stadien eingeteilt (s. Abb. 5-1b).
• Bildung von FSH-Rezeptoren in den Granulosa-
zellen, • Wachstumsschub. Erstes hormonell ausgelöstes
e Bildung von LH-Rezeptoren in den Theca-inter- Symptom, betrifft vor allem die Extremitäten. Der
na-Zellen und im Ovarialstroma, Wachstumsschub wird durch GH und Steroidhor-
e Synthese von Testosteron und Androstendion in mone kontrolliert.
den Zellen der Theca interna unter Einfluss von
LH, • Menarche. Erste uterine Blutung, die zwischen
e Umwandlung der Androgene in Östrogene durch dem 10. und 16. Lebensjahr und ca. 1-2 Jahre
vermehrte Aktivität der Aromatase (Testosteron- nach der Thelarche auftritt. Der Zeitpunkt des Auf-
A-Ring-Reduktase) tretens der Menarche hängt auch von einem Min-
• Zunahme der Häufigkeit biphasischer Menstrua- destgewicht von 45-48 kg bzw. von einer kritischen
tionszyklen. Fettmasse von 22% des Körpergewichts ab. Zu dia-
gnostischen Zwecken kann die Knochenentwicklung
Mit zunehmender Bildung der gonadalen Östrogene mit der Pubertätsentwicklung verglichen werden,
wird auch die bis zur Pubertät relativ hohe und kon- indem man die Knochenkerne der Handwurzel-
stante Sekretion von Wachstumshormon auf das knochen radiologisch beurteilt. Die ersten Zyklen
niedrigere Niveau von Erwachsenen gesenkt. nach der Menarche sind noch unregelmäßig und
häufig anovulatorisch. Dies trifft für 20-55% der
Zyklen in den ersten 2-5 Jahren nach der Menarche
5.2.2 zu.
Sexualreifung und Wachstum
während der Pubertät
5.2.3
Primäre Geschlechtsmerkmale Psychische Veränderungen
Mit fortschreitender äußerer Pubertätsentwicklung während der Pubertät
und vermehrter Gonadotropinsekretion nehmen
Uterus (Östrogeneffekt) und Ovarien (Gonadotropin- Kinder und Jugendliche machen in der Pubertätspe-
effekt) an Größe zu. Die Entwicklung beider Organe riode tiefgreifende seelische und psychosoziale Ver-
ist alters- und pubertätsabhängig. Uterus und Ova- änderungen durch, die durch eine veränderte Le-
rien können mit Hilfe des Ultraschalls (nichtinvasiv) benseinstellung und die Auseinandersetzung mit
untersucht werden. Die Ovarien zeigen häufig ein der Umwelt gekennzeichnet sind. Auf körperlicher
dem PCO-Syndrom ähnliches Bild, dies ist aber in Ebene werden die pubertätsspezifischen Verände-
der Regel ohne pathologische Bedeutung. rungen (Gewicht, Behaarung, Stimme, Aussehen)
162 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

häufig als störend empfunden und können Ängste sehe Vorgänge im Tertiärfollikel des Ovars angeregt
bezüglich fehlender sozialer Kontakte hervorrufen. und so die Ovulation und anschließend die Corpus-
Die Entdeckung und Erkundung der eigenen Sexua- luteum-Bildung induziert. Tritt keine Schwanger-
lität sowie die Identifikation des Mädchens mit der schaft ein, kommt es nach 10-12 Tagen zur Luteo-
zukünftigen Situation des Frauseins und die häufig lyse und zum Abfall der Östrogen- und Progesteron-
ausgeprägte Diskrepanz zwischen körperlicher und spiegel, wodurch die Entzugsblutung ausgelöst wird.
seelischer Reife führt in vielen Fällen zu Konflikten Bei Eintritt einer Schwangerschaft stimuliert das
mit den Eltern, den Lehrern, Freunden und mit sich vom Schwangerschaftsprodukt gebildete HCG, das
selbst. Aus diesen Problemen können schwere Ver- in Struktur und Wirkung dem LH ähnlich ist, die
haltensänderungen aggressiver oder regressiver Art Progesteronsekretion des Corpus luteum, bis diese
entstehen, die, wie im Falle der Anorexia nervosa, dann ab der 9. SSW von der Plazenta übernommen
erhebliche gesundheitliche Nachteile haben. wird.

5.3 5.4
Menstrueller Zyklus Physiologie der Schwangerschaft
T. RABE, c. V. HAGENS T. RABE

Die reproduktive Phase der Frau umfasst von der


Definition
ersten Periodenblutung (Menarche) bis zur letzten
Unter einem menstruellen Zyklus versteht man die
(Menopause) etwa 35-40 Jahre, ihre Dauer unter-
Zeitspanne vom Beginn der Menses (1. Blutungstag)
liegt allerdings erheblichen individuellen Schwan-
bis zum Tag vor dem Einsetzen der nächsten Regel-
kungen. Während der Geschlechtsreife ist die
blutung.
gesunde Frau fruchtbar. Nach dem 40. Lebensjahr
nimmt die Fertilität in zunehmendem Maße ab
Charakteristika und erlischt mit dem Eintreten der Menopause. Aus-
Im Idealfall28 Tage, jedoch sind Schwankungen von druck einer normalen Fortpflanzungsfunktion ist
2 Tagen als normal anzusehen. Nur ein Drittel aller der regelmäßige Zyklus. Vor und während der Ge-
geschlechtsreifen Frauen geben eine konstante schlechtsreife wird der Großteil des angelegten
Zykluslänge von genau 4 Wochen an. Blutungsdauer Keimparenchyms des Ovars verbraucht. Die Atresie
ca. 4-6 Tage; Blutverlust ca. 25-60 ml. Eine Über- von Primordialfollikeln findet bereits in der Fetal-
sicht über die verschiedenen Vorgänge während zeit sowie in der Kindheit und Präpubertät statt.
des menstruellen Zyklus geben Abb. 5-2 und Eine Neubildung von Eizellen (postnatale Oogenese)
Tabelle 5-1. erfolgt nicht.

Zyklusregulation
5.4.1
Da die Arterhaltung für jede Spezies von essenzieller
Entstehung einer Schwangerschaft
Bedeutung ist, werden die entsprechenden endokri-
nen Vorgänge durch zahlreiche positive und negati-
Befruchtung
ve Rückkopplungsmechanismen (Feedback-Mecha-
Bei der Ovulation wird die Oozyte mit den Granu-
nismen) gesteuert. Der menstruelle Zyklus lässt sich
losazellen und der Follikelflüssigkeit in den Dou-
einteilen in eine Follikelreifungsphase, die Ovulati-
glas-Raum freigesetzt. Hier wird sie durch den Fim-
on und die Gelbkörperphase.
brientrichter in die Tube aufgenommen. Im am-
Ausgehend von einem zentralen Pulsgeber
pullären Teil der Tube findet die Vereinigung der
("elektrische Potentiale") im ZNS steuert der Hypo-
Gameten (Oozyte und Spermatozoon) statt. Die
thalamus über das Neuropeptid GnRH die Freiset-
Spermien müssen hierzu von der Scheide durch
zung der Gonadotropine LH und FSH in der Hypo-
den Zervikalkanal in die Tube hochwandern.
physe; diese wiederum sind verantwortlich für die
Follikelreifung, den Eisprung und die Gelbkörper-
phase. Der Anstieg der vom Eierstock gebildeten Embryonalentwicklung
Östrogene "informiert" die Hypophyse über den Das befruchtete Ei (Zygote) wandert, unterstützt
Reifegrad des Follikels. Bei ausreichender Eizell- durch den Flimmerschlag der Zilien des Tuben-
reifung wird durch ein Östradiolplateau im periphe- epithels, in Richtung Uterus. Während dieser Zeit
ren Blut von mehr als 150 pg/ml für ca. 36-50 h der entwickelt sich die Zygote weiter, um sich etwa
LH-Peak ausgelöst. Hierdurch werden proteolyti- am 6. Tag post ovulationem im Blastozystenstadium
5.3 Menstrueller Zyklus 163

Hypothalamu

t lleasif 0

"'V~
Gonadotrgpine

FSH
miE / ml
Östradiol
0 0 Progesteron
LH
miE / ml

pg / ml ng / ml
30 300 15 45
p

20 200 10 30

10 100 5 15

Zyklustag 2 4 6 8 10 18 20 22 24 26 28
Muttermundsweite

Zerviuchle im
Spinnbarkeil
·~
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Farnkrauttest

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Endometrium
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7 14 21 28
Menstruat•on

Abb. 5·2. Menstrueller Zyklus: Veränderungen der Sexualhormone im Blut und deren biologische Wirkung. (Nach Schmidt-
Matthiesen u. Hepp 1998)
164 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

meistens an der Hinterwand des Uterus einzunisten. hen sich alle wichtigen Differenzierungs- und Ent-
Die Entwicklung des Embryos bis zum 4- oder wicklungsschritte für die Organbildung. Während
8-Zellstadium ist durch mütterliche RNA vorbe- der Organogenese entstehen Fehlbildungen an den
stimmt, die Zellen sind totipotent. Erst danach sich gerade in Entwicklung befindenden Organsy-
kommt es zur Entfaltung der genetischen Eigen- stemen weitgehend unabhängig vom auslösenden
schaften des Embryos. Bereits vor der Implantation Agens.
setzt der embryomatemale Dialog ein, der zur Syn-
chronisation von Endometrium- und Embryonal- Am stärksten gefährdet ist der Embryo vom 15.-60.
entwicklung und zur Immuntoleranz gegenüber Tag post conceptionem hinsichtlich Fehlbildungen.
dem "fremden Embryo" führt. Beteiligt hieran
sind außer HCG der "early pregnancy factor"
Fetalperiode
(EPF) und der "platelet activating factor" (PAF).
Die Fetalperiode reicht von der 15. SSW bis zur Ge-
Die äußere Zellage der Blastozyste formiert sich
burt. Diese Zeitspanne ist gekennzeichnet durch das
zum Trophoblasten (Anschluss ans mütterliche
Wachstum und die Ausdifferenzierung der Organ-
Blutsystem), aus dem die Plazenta hervorgeht; die
anlagen. Exogene Noxen können den Fetus jetzt we-
innere Zellage formiert sich zum Embryoblasten
niger schädigen als in der Embryonalperiode.
(Abb. 5-3). Nach abgeschlossener Implantation der
Blastozyste sind 3 Zelltypen (Keimblätter) zu diffe-
renzieren.
• Ektoderm: Entwicklung von ZNS, Haut und Haut- 5.4.3
anhangsgebilden, Augen, Ohr, Endokrine Funktionen
• Entoderm: Entwicklung von Gastrointestinal- der fetoplazentaren Einheit
trakt, Atemwegen, Schilddrüse, Leber, Galle, Pan-
kreas, Plazenta
• Mesoderm: Entwicklung von Knochen, Muskeln, Die menschliche Plazenta ist nicht nur zur Ernäh-
Bindegewebe, Gefäße, Urogenitaltrakt rung und zur Entfernung von Stoffwechselproduk-
ten des Kindes notwendig, sondern spielt auch
eine wichtige endokrine Funktion. Die wichtigsten
Corpus luteum
von der Plazenta gebildeten Hormone sind das
Durch die HCG-Bildung der Blastozyste wird die
HCG, die Östrogene, das Progesteron und das
Umwandlung des Corpus luteum in das Corpus
HPL ("human placental lactogen") (Abb. 5-4).
luteum graviditate bewirkt, das das für den Erhalt
der Gravidität notwendige Progesteron synthetisiert.
In der 7.-9. SSW übernimmt die Plazenta die not-
Fetus
wendige Progesteronproduktion. Weitere Substan-
In der Frühschwangerschaft stellt der sog. fetopla-
zen der Plazenta sind das "human placental lacto-
zentare Kreislauf des Progesterons eine wichtige
gen" (HPL) und Östrogene.
Rolle für die Aufrechterhaltung der zur Schwanger-
schaft notwendigen Progesteronspiegel dar. Die
Noxen fetale Nebennierenrinde liefert weiterhin Androgen-
Äußere Noxen (z. B. Medikamente) führen nach vorstufen (hauptsächlich das 16a-DHEAS), aus
dem Alles-oder-Nichts-Gesetz bis zum 29. Tag denen die Plazenta Östriol synthetisiert. Vor der
post menstruationem zu Aborten. Fehlbildungen Geburt werden die Wehen wahrscheinlich durch
nach Exposition in diesem Schwangerschaftsab- einen Anstieg der adrenalen Androgensynthese
schnitt wurden nicht beobachtet. Danach erfolgt der fetalen NNR (s. unten) ausgelöst.
die Organogenese mit folgenden Phasen:
• Skelettsystem (4.-1 0. SSW),
• kardiavaskuläres System (4.-9. SSW), Uterus
• Geschlechtsorgane (5.-14. SSW). Durch steigende Östrogenkonzentrationen wird vor
der Geburt die Expression von Oxytozinrezeptoren
induziert. Eine erhöhte Oxytozinsensibilität zusam-
5.4.2 men mit Relaxin, Prostaglandinen, Vasopressin und
Entwicklung des Fetus dem relativen Abfall der Progesteronkonzentration
im Myometrium ist erforderlich für den Geburts-
Embryonalperiode beginn und die Geburt. Der auslösende Mechanis-
Während der Embryonalperiode, die vom 15. Tag mus für den spontanen Geburtsbeginn ist noch
p. c. bis zum Abschluss der 14. SSW dauert, vollzie- nicht geklärt.
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166 KAPIT E L 5 Weibliche Gonaden

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0 0
ssw
Abb. 5-4. Endokrinologie der Schwangerschaft - Hormonverlauf von ßHCG, hPL, Progesteron und Östradiol während der
Schwangerschaft. (Nach Gerhard et al. 1994)

Amnion ist auch die fetale Nebennierenrinde beteiligt. Je


Das Fruchtwasser, das das Kind umgibt, übernimmt nach Reife der Nebennierenrinde kommt es zu einer
eine wichtige Schutz- und Stoffwechselfunktion. Un- vermehrten Produktion von Androgenvorstufen für
ter anderem können durch Zytokine und Prosta- die Östrogensynthese der Plazenta. Unter dem
glandine, die im Rahmen von Entzündungsreak- Östrogeneinfluss kommt es zu einer vermehrten
tionen freigesetzt werden, Wehen induziert werden. Prostaglandinbildung, die die Geburt induziert.
Oxytozin scheint in der Austreibungsphase wichtig.
Nach der Plazentalösung fallen die Oxytozinase-
werte und die Oxytozinkonzentration nimmt zu;
5.5
es kommt zur Uteruskontraktion und zum Beginn
Physiologie der Geburt
der Laktation. Weiterhin spielt Oxytozin eine wich-
T. RABE tige Rolle bei der postpartalen Hämostasis und bei
der Auslösung der Milchproduktion. Das Stillen
Die Faktoren, die die Geburt auslösen sind noch (gleich nach der Geburt) regt durch den Saugreiz
weitgehend ungeklärt. Höchstwahrscheinlich spie- die Prolaktinsynthese und -freisetzung an und
len hierbei ein mechanischer Faktor (Uterusdisten- kontrolliert die Laktation. Bei stillenden Müttern,
sion), ein Abfall der Progesteronkonzentration in tritt aufgrund einer veränderten GnRH-Pulsatilität
den letzten SSW und ein Anstieg der Oxytozin- und Hyperprolaktinämie eine Amenorrhö und inso-
konzentration eine Rolle. An der Geburtsauslösung fern ein Schutz vor ungewollten Schwangerschaften
5.6 Physiologie der Menopause 167

ein. Innerhalb von 6 Wochen nach der Geburt


5.7.1
(= normale Wochenbettzeit) kommt es zur Nor-
Fallpräsentation
malisierung von allen endokrinen Veränderungen,
die durch die SSW stattgefunden haben.
Eine 26-jährige Patientirr stellte sich wegen
Kinderwun eh vor. Die Patientirr war chlank.
5.6 Kinderwunsch bestand seit 2 Jahren. Seit dem
Physiologie der Menopause 15. Leben jahr hatte sie eine sekundäre Amen -
orrhö, daher erfolgte vom 18.-24. Lebensjahr
T. RABE eine Substitution/Kontrazeption mit Cyclosa.
achdem Absetzen fand sich erneut eine sekun-
Mit zunehmenden Alter werden die Ovarien durch däre Amenorrhö/Oligomenorrhö mit Blutung -
Follikelatresie immer weniger empfindlich auf intervallen von 4- 6 Monaten. Die Patientirr
Gonadotropine. Etwa 2-3 Jahre vor der Meno- hatte einen unauffälligen weiblichen Habitus.
pause steigen die FSH-Werte im Serum an, und Sie wog 58 kg bei einer Körpergröße von
die Östrogen- und Progesteronwerte fallen ab. 172 cm. In der Pubertät bestand pha enwei e
eine Anorexia nervosa mit Gewichtabnahme
Prämenopause bis auf 48 kg. Seit ihrem 23. Lebensjahr klagte
In der Prämenopause lässt die Ovarialfunktion all- die Patientirr über eine diffuse Alopezie. Vor
mählich nach; es kommt zu einem Abfall der Proge- einem Jahr wurde wegen aktosalpinx eine Ad-
steronsekretion und zum individuell sehr unter- häsiolyse und Fimbrioplastik beidseitig durch-
schiedlichen Abfall der Östrogenspiegel sowie zum geführt, hierbei fand sich ein kleiner hypopla ti-
Gonadotropinanstieg; gleichzeitig erfolgt meistens scher sinistroponierter Uterus mit sehr kleinen
eine Verkürzung der Follikelreifungsphase und Ovarien. Der genitale Palpationsbefund war bei
eine Zunahme von anovulatorischen Zyklen mit ge- sinistroponiertem Uterus und freien Adnexen
häuftem Auftreten von Lutealinsuffizienz. Es unauffällig. Labor (bei Erstvorstellung nach
kommt vermehrt zu dysfunktionellen Blutungen. Amenorrhö von 10 Wochen): FSH 0,2 mE/ml
( ormalwert: 1- 10 mE/ml), LH 0,2 mE/ml
( ormalwert: 1- 10 mE/ml), Östradiol 17 pglm]
Postmenopause ( ormalwert: 40- 250 pglml), Prolaktin 24 mE/1
In der Postmenopause tritt parallel zur Atresie der ( ormalwert: 70- 410 mE/1). 3. Zyklustag (nach
ovariellen Follikel ein starker Abfall der Östradiol- einer nach 4- monatigem Intervall aufgetretenen
spiegel im Serum auf ( < 30 pg/ml). Gleichzeitig Blutung): FSH: 0,4 mE/ml (Normalwert:
kommt es zu einem starken FSH-Anstieg; im Ver- 1- 10 mE/ml), LH < 0,2 mE/ml ( ormalwert:
gleich zur fertilen Phase liegen die FSH-Spiegel 1- 10 mE/ml), Östradiol 19 pglml (Normalwert:
10- bis 20-fach höher. Der Anstieg der Serumspiegel 40- 250 pglml); GnRH-Test: nach Injektion
für LH ist weniger ausgeprägt (im Vergleich zur fer- von 100 pg LHRH stieg LH nach 30 min auf
tilen Phase: 3- bis 5-facher Anstieg). 0,6 mE/ml und nach 60 min auf 0,4 mE/ml.
Der TRH-Test war unauffällig, der ACTH-Test
zeigte einen Hypercorti olismus sowie ein er-
5.7 höhtes DHEA nach Stimulation. Seit dem
Ausfall der gonadotropen Achse 23. Lebensjahr war ein M. Werthof mit Throm-
bozytenwerten zwischen 40.000 und 90.000 be-
c. V. HAGENS, T. RABE, kannt ohne klinisch verstärkte Blutungsnei-
B. RUNNEBAUM gung. Beim Ehemann be tand eine Normozoo-
spermie. Auf Grund der Thrombopenie und bei
Beim Ausfall der hypophysären Gonadotropirrsekre- Zustand nach Mikrochirurgie wurde zunäch t
tion kommt es zu einer hypogonadotropen Ovaria- keine Gonadotropinstimulation, sondern eine
linsuffizienz. Sie kann angeboren oder erworben Stimulationsbehandlung mittels GnRH -Pumpe
sein und ist häut1g reversibel. Ursachen hi erfür kön- (Zyklomat R) durchgeführt. Hierunter kam es
nen im Stammhirn oder in der Hypophyse liegen, bei einer Dosierung von 15 pg/Puls und einer
z. B. Tumoren, Traumen, Endokrinopathien oder Frequenz von 90 min in 3 von 5 Zyklen zu Ovu-
entzündliche Prozesse. Fehlt die pulsatile hypo- lationen, eine Schwangerschaft trat nicht ein.
thalamisehe Stimulation der Hypophyse durch Daher wurden nach Abklärung der Thrombozy-
GnRH, so kommt es trotz intakter Hypophyse zur tenfunktion bei eingeschränktem Tubenfaktor
hypogonadotropen Ovarialinsuffizienz.
168 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

dingt sind (Tabelle 5-2). Der Erbgang dieser Krank-


und Zustand nach Mikrochirurgie an chließend heiten ist noch nicht in allen Fällen aufgeklärt.
in ge amt 7 IVF-Behandlungen mit HMG-Sti-
mulationen durchgeführt. Unter einer Do ie-
rung von 3-6 Ampullen HMG (225-450 IE 5.7.3
FSH und LH) täglich kam e jeweils zu einer Pathogenese
multifollikulären Entwicklung, die die Gewin-
nung von jeweils 3-9 Eizellen möglich machte, Der Ausfall der Gonadotropirrsekretion kann durch
es kam 7-mal zum Transfer von je 3 Embryo- Ausfall oder Insuffizienz der hypothalamisehen Go-
nen. Leider trat keine Schwanger chaft ein, o nadotropin-releasing-Hormone oder durch eine
dass die Sterilitätstherapie danach beendet wur- Störung der Hypophyse selbst verursacht werden.
de. either erhält die Patientirr eine Substituti-
Tritt die Erkrankung bereits im Kindesalter auf,
onstherapie mit Cycloprogynova, einem Kombi- so kann es sich um angeborene genetische Störun-
nation präparat mit Ostradiolvalerat und or- gen, um perinatal erworbene Schäden (Geburtstrau-
gestrel.
ma), Tumoren oder Bestrahlungsfolgen, z. B. nach
ZNS-Bestrahlung bei einigen Leukämieformen, han-
deln.
5.7.2
Epidemiologie Erworbene nicht reversible Hypophyseninsuffizienz
Mögliche Ursachen für eine erworbene partielle oder
Neben den verschiedenen Krankheitsbildern, die auch totale Hypophyseninsuffizienz sind Tumor,
durch primären oder sekundären Ausfall der Hypo- Trauma oder Entzündung. Die Hypophyseninsuffi-
physe zu einer irreversiblen oder auch reversiblen, zienz ist dann als Endzustand eines abgelaufenen
hypogonadotropen Ovarialinsuffizienz führen, gibt Krankheitsprozesses zu verstehen und wie bei den
es einige seltene Krankheitsbilder, die genetisch be- angeborenen Störungen nicht reversibel. Der Ausfall

Tabelle 5-2. Genetisch bedingte hypogonadotrope Ovarialinsuffizienz

Erkrankung Ort der Störung Häufigkeit Lokalisation Therapie


Kongenitale Mangelsyndrome - irreversibel

GnRH-Mangel
1: idiopathischer hypogonado- Hypothalamisch Sporadisch/familiär Substitution mit
troper Hypogonadismus (IHH) gehäuft, Östrogen-Gestagen-
mit verminderter oder Männer > Frauen Gemischen, bei
fehlender Ausbildung GnRH- I : 6- 8.000 Kinderwunsch Gona-
produzierender eurone dotropinstimulation
oder GnRH-Pumpe
2. Kallmann- yndrom Hypothalami eh Männer: I : 10.000, Autosomal- ub titution mit
= olfaktogenitales Syndrom Frauen I : 50- 70.000 dominant, auto- Östrogen -Gestagen-
(Hypogonadismus mit somal-rezessiv oder Gemischen, bei
An-/Hyposmie) X-chromosomal Kinderwunsch Gona-
assoziiert; Mutation dotropinstimulation
de KALIG-Gens de oder GnRH -Pumpe
-Chromosoms
Prader-Labhart-Willi- Hypothalami eh I : 10.000-25.000 Veränderungen iehe oben
yndrom (Hypogonadismus Männer: Frauen an Chromo om 15
mit Kleinwuch , Oligophrenie, 1,5- 2 : 1
Muskelhypotonie,
Hyperphagie, Adipo ita )
Familiäre Kleinhirnataxie Hypothalami eh
(Hypogonadismus,
neurologische Ausfälle)
Laurence-Moon-Biedl- Auto omal-reze siv Siehe oben
Bartlett-Syndrom (Retinitis
pigmento a, Minderbegabung,
Adiposita , Hypogonadismus,
häufig mit Diabete in ipidu ,
Vitium und Analatre ie)
5.7 Ausfall der gonadotropen Achse 169

der Gonadotropinsekretion tritt oft zusammen mit im MRT darstellen. Häufiger als die genetisch
einer Sekretionsstörung anderer Hypophysenhor- bedingten Erkrankungen sind die erworbenen (Ta-
mone wie TSH, ACTH, STH und Prolaktin auf. belle S-3).
Man unterscheidet daher zwischen partieller oder
totaler Hypophyseninsuffizienz (s. Kap. 6).
5.7.4
• Kallmann-Syndrom. Patientinnen mit Kalimann- Klinik
Syndrom fallen durch die fehlende Entwicklung der
sekundären Geschlechtsmerkmale und die primäre Symptome und Beschwerden
Amenorrhö auf. Neben den Gonadotropinen sind Die sekundäre Ovarialinsuffizienz durch den Aus-
17ß-Östradiol und Testosteron niedrig. Der fall der Gonadotropine führt zu Östrogenmangel-
GnRH-Test ist positiv. Ein Sella-MRT schließt einen symptomen. Bei Jugendlichen bleibt die Pubertäts-
Hypophysentumor aus. Der Ausfall der Gonadotro- entwicklung aus bzw. sie ist stark verzögert (Puber-
pine beruht beim Kalimann-Syndrom auf einer tas tarda), und es besteht eine primäre Amenorrhö.
verminderten oder fehlenden Sekretion des hypo- Frauen in der reproduktiven Phase klagen über
thalamisehen GnRH, ist also hypothalamisehen Ur- eine sekundäre Amenorrhö, evtl. auch über Kinder-
sprungs. Kombiniert ist die hypogonadotrope losigkeit sowie über vegetative Symptome der vor-
Ovarialinsuffizienz häufig mit einer Anosmie oder zeitigen Erschöpfung der Ovarialfunktion wie Hitze-
Hyposmie, die durch Aplasie oder Hypoplasie des wallungen, Schlaflosigkeit, Depressionen, trockene
Bulbus olfactorius verursacht wird. Dies lässt sich Scheide, Libidoverlust Allerdings ist diese Sympto-

Tabelle S-3. Ursachen hypogonadotroper Ovarialinsuffizienz

Erkrankung Ort der Störung Himfigkeit Therapie


Anatomische Vcninderungen - irreversibel

Hypopituitarismu Hypophysär Substitution der


Partialfunktionen
Kongenitale Z S-Defekte, Hypophysär Dopaminagonisten,
Prolaktinom Operation
Hypophy enadenom Hypophy är Operation
Kraniopharyngeom: hormonell Hypophysär 2- 4 % der Operation
inaktiver, gutartiger zystischer Tumor Hypophysentumoren
aus Resten des embryonalen bei Frauen mit primärer
Hypophysenganges (Rathke-Tasche), Amenorrhö
der meist im Kindesalter auftritt
(teils supra-/teils intrasellär)
Hypophysenmalignom Hypophy är Operation, Radiatio

Iatrogen
Sheehan-Syndrom = ischämische Hypophysär Sehr elten
postpartale ekrose des HVL
Po !operative Defektzustände Hypophysär Häufig
Zustand nach Schädelradiatio Hypophysär > 60 % partielle oder
oder Chemotherapie totale Hypophyseninsuffizienz

Reversibel (spontan oder nach Therapie der Störung)

Puberlas tarda Hypothalamisch


Primäre Hypothyreose Hypophysär
Kongenitale N R-Hyperplasie
M. Cushing
M. Addi on
Anorexia nervosa Hypothalamisch Psychotherapie, eiweiß-
reiche Kost, Substitution
mit Östrogen-Gestagen-
Gemischen oder orale
Kontrazeptiva
170 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

matik nicht so stark ausgeprägt wie bei den Frauen Bildgebende Verfahren
im Klimakterium. Neben der endokrinalogischen Prüfung der Hypo-
physenfunktionsind bildgebende Verfahren (MRT,
evtl. CT) diagnostisch wegweisend.
Anamnese
Durch die Anamnese lassen sich iatrogene Ursachen
bei Zustand nach Operation oder Radiatio eines
Hypophysentumors oder durch Chemotherapie 5.7.5
leicht klären. Wichtig sind auch Fragen nach Sym- Differentialdiagnose
ptomen des Ausfalls anderer Hypophysenachsen
wie Schilddrüsen- oder Nebennierenunterfunktion Das Leitsymptom bei Frauen mit Ausfall der gona-
(M. Addison), Minderwuchs, Diabetes insipidus. dotropen Achse ist je nach Alter eine primäre oder
sekundäre Amenorrhö sowie die Pubertas tarda; alle
anderen Erkrankungen oder Zustände, die mit einer
Körperliche Untersuchung
Amenorrhö einhergehen, müssen ausgeschlossen
Bei d~r k~rperlichen.. Untersuchung ist es wichtig, werden. In der Menopause wird keine besondere
auf dte Zetehen der Ostrogenwirkung (Tanner-Sta-
Symptomatik auf diese Störung hinweisen. Seltene
dien der Pubertätsentwicklung bei Jugendlichen,
Ursachen ~iner hypophysären Insuffizienz sind in
Zervixfaktor, Vaginalzytologie) zu achten. Von Be-
folgender Ubersicht wiedergegeben.
deutung ist auch eine Größen- und Gewichtsmes-
sung sowie die Bestimmung des Body-Mass-Index
Seltene Ursachen einer hypophysären Insuffizienz
und die Registrierung von Symptomen des M. Ad-
dison (s. Kap. 3), Diabetes mellitus (s. Kap. 16),
• Apoplex
Osteoporose (s. Kap. 11) oder von Zeichen des Min-
• Tumoren im Hypophysenbereich inklusive
derwuchses (s. Kap. 1). Ein Hypophysentumor, wie
ZNS-Metastasen
z. B. ein Prolaktinom, kann zur Kompression des
• Infektionen
Chiasma opticum mit Gesichtsfeldausf<:illen und
• Abszesse
Sehstörungen führen und fällt häufig durch eine Ga-
• Sarkoidase
laktorrhö auf.
• Hämochromatose
• Histiozytose
Labor • Zystenbildungen nach traumatischen
• Hormonbestimmung. Es ist notwendig, eine Einblutungen
Schwangerschaft auszuschließen, und es sind die • Immunhypophysitis
Gonadotropine FSH, LH, das Prolaktin sowie das
17ß-Östradiol zu bestimmen. Sind die Gonadotro-
p_in- u?d ~stradiolspiegel mehrfach erniedrigt, stellt
steh dte Dtagnose einer hypogonadotropen Ovaria-
5.7.6
linsuffizienz. Zum Ausschluss des Ausfalls weiterer
Therapie
Hypophysenpartialfunktionen bestimmt man auch
TSH, ACTH und STH.
Bei Ausfall der Gonadotropine muss eine Substitu-
tionstherapie mit peripheren Sexualsteraiden zur
• GnRH-Test. Die Durchführung des GnRH-Tests
T~erapie und Prophylaxe von Östrogenmangelzu-
hilft, z~ischen hypothalamischer und hypophysärer
standen durchgeführt werden. Eine große Auswahl
Insuffizienz zu unterscheiden. Hierbei werden nach
an Präparaten zur Hormonsubstitution steht zur
basaler Bestimmung von FSH und LH 25 11g oder
V~rfügung (Tabe~le S-4). Zur Erzielung einer langfri-
100 11g GnRH als Bolus injiziert und 30 und
s~tg guten Comphance der Patientin ist eine sorgfäl-
60 min später die Gonadotropine LH und FSH be-
tige ~ufkläru~_g über die kurz- und langfristigen
stimmt. Fehlt die hypophysäre Antwort auf den
Vorteile der Ostrogen-Gestagen-Substitution not-
Stimulus, so liegt die Störung auf hypophysärer
wendig. Hierfür sind am einfachsten Kombinations-
Ebene. In solchen Fällen sind die basophilen Zellen
präparate mit Östradiolestern, meistens Östradiol-
des Hypophysenvorderlappens entweder zerstört
valerat mit Gestagenzusatz in der zweiten Einnah-
oder inaktiv. Unter Umständen besitzen sie keine
mephase. zu verwe~den. Ist die Normalisierung
Rezeptoren für GnRH, z. B. auf Grund einer Muta-
der ovanellen Funktton möglich und eine Kontra-
tion des FSH-Rezeptor-Gens.
zeption notwendig, können auch orale hormonale
Kontrazeptiv<~:. zur Therapie und Prophylaxe von
Folgen des Ostrogenmangels eingesetzt werden.
5.7 Ausfall der gonadotropen Achse 171

Tabelle 5-4. Substitution bei kompletter Ovarialinsuffizienz

llandclsnamc Östrogen Dosis (mg) Gcstagcn Dosis (mg)

I. ohne kontrazeptiven Schutz


I-Phasen-Präparate
Klioge t 17ß-Ö tradiol 2 Norethisteronacetat
Activelle 17ß-Östradiol Norethisteronacetat 0,5
2-Phasen-Präparate
Climen 17ß-Östradiol 2 Cyproteronacetat
Cyclo-Östrogynal 17ß-Ö tradioi+Ö triol I 2 Levonorgestrel 0,25
Cydo-Menorette 17ß-Östradioi+Östriol 1+2 Levonorgestrel 0,25
Cyclo-Progynova 17ß-Östradiol 2 Norgestrel 0,5
Klimanorm I 7ß-Östradiol 2 Levonorgestrel 0,15
Östronara 17ß-Östradiol (28 Tage) 2 Levonorge trel 0,075
Osmil Östradiol 2 Medroxyproge teronacetat 5
Procyclo, i are 17ß-Östradiol 2 Medroxyproge teronacetat 10
Estracomb TTS + 17ß-Ö tradiol 0,025-0,05 mg/24 h Norethisteronacetat 0,125- 0,25 mg/24 h
Estragest TT 25
(Membranpflaster)
3-Phasen-Präparate
Trisequenz 17ß-Östradiol 2, 2, I Norethisteronacetat
Trisequenz 17ß-Östradiol 4, 4, I Norethisteronacetat

2. mit kontrazeptiver Wirkung: alle oralen Ovulationshemmer möglich


> 36 verschiedene Ethinylöstradiol 0,02-0,05 Norethisteron 0,5- 1
Präparate mit unter- Norethisteronacetat I
chie;~licher Dosierung
de Ostrogen und Levonorgestrel 0,05-0,1 25
unterschiedlichen
Cyproteronacetat 2
Partialwirkungen des (antiandrogen)
Gestagens
Chlormadinonacetat 1- 2
(antiandrogen)
Gestoden 0,075
Desogestrel 0,125-0,15
Dienagest 2
(antiandrogen)
Mestranol 0,05 Norethisteron

Dies ist auch dann sinnvoll, wenn zusätzlich Sym- ne mit Gestagenzusatz) ist auch möglich und findet
ptome einer Hyperandrogenämie bestehen, so eine größere Akzeptanz. Diese Therapieformen ge-
dass die antiandrogene Partialwirkung einiger Kon- hören in die Hand eines erfahrenen pädiatrischen
trazeptiva therapeutisch erwünscht ist. Endokrinologen.

Primäre Hypophyseninsuffizienz Kinderwunsch


Bei Jugendlichen mit primärer Hypophyseninsuffi- Bei Kinderwunsch kann die Stimulation mit Gona-
zienz muss die Pubertätsentwicklung hormonell dotropirren zur Induktion der Follikelreifung einge-
induziert werden. Diese lässt sich bei rein hypotha- setzt werden. Hierbei müssen HMG oder die gen-
lamisch bedingten Ausfällen mittels einer Mikro- technisch hergestellten Gonadotropirre FSH und
pumpe pulsatil s. c. oder i. v. mit GnRH erzielen. LH zusammen verwendet werden, da die alleinige
Die Akzeptanz dieser physiologischen Behandlung Verwendung von FSH nach den bisherigen Erfah-
ist bei Jugendlichen nicht sehr groß und wird rungen nicht zur Entwicklung fertilisierbarer Oozy-
eher bei unerfülltem Kinderwunsch akzeptiert. Die ten führt. Falls eine sekundäre Hypophyseninsuffi-
orale Gabe von Sexualsteroiden (natürliche Östroge- zienz vorliegt, kann auch die pulsatile GnRH-Thera-
172 KAPI TEL 5 Weibliche Gonaden

pie mittels Pumpe eingesetzt werden (z. B. beim


Kallmann-Syndrom), da hierbei die Gefahr von
Überstimulation und Mehrlingsschwangerschaften
geringer ist.

Therapiekontrollen
Die Substitutionstherapie mit Sexualsteraiden kann
bei den meisten Patientinnen mittels Kombinations-
präparaten erfolgen, so dass nach Indikations-
stellung und sorgfältiger (Familien-) Anamnese
(Thromboseneigung) nur die routinemäßigen gy-
näkologischen Kontrollen erforderlich sind. Eine
Stimulationstherapie zur Ovulationsinduktion muss
dagegen engmaschig kontrolliert werden, damit
Überstimulationen und Mehrlingsschwangerschaf-
ten vermieden werden. Handelt es sich um den Aus-
fall mehrerer Partialfunktionen des Hypophysen-
vorderlappens, so ist die Einstellung sukzessiv (Rei-
henfolge: Cortisol, Thyroxin, Sexualsteroide, evtl.
Wachstumshormon) durch erfahrene Endokrinolo- Abb. 5-5. Patientin mit einem Turner-Syndrom
gen vorzunehmen.

Nebenwirkungen Pterygium colli, breiter Thorax mit weitem


Bei hypogonadotroper Ovarialinsuffizienz muss Mamillenabstand, tiefer ackenhaaransatz.
eine Substitutionsbehandlung mindestens bis zum Brustentwicklung Stadium I nach Tanner,
50. Lebensjahr durchgeführt werden. Handelt es Schambehaarung Stadium II. RR 110/60. Ske-
sich um eine potentiell reversible Störung, kann lettalter: 11 Jahre. Labor: FSH 143 mU/ml, LH
auch zur Überprüfung der Situation eine Unter- 135 mU/ml. Chromosomen-Analyse: Karyotyp
brechung für einige Monate unternommen werden. 45, X. Diagnose: Ullrich -Turner-Syndrom. The-
Ein hypoöstrogener Zustand sollte aber nie länger rapie und Verlauf: Einleiten einer wachstums-
als 6 Monate bestehen bleiben, da es sonst zu ver- fördernden Therapie mit rekombinantem
stärktem Knochenabbau kommt. Wachstumshormon 24 E/qm/Woche. Deutli-
ches Aufholwachstum. Nach 12 Monaten zusätz-
lich 0,2 mg Östradiolvalerat täglich. Beginnende
5.8 Brustentwicklung. Weiteres Aufholwachstum
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung mit einer Wachstumsrate von 8,5 cm/12 Mo-
und Pubertas tarda nate.

U. HEINRICH

5.8.1 5.8.2
Fallpräsentation Pathogenese

Folgende Übersicht gibt die Ursachen der verzöger-


Ein 12-jähriges Mädchen wurde wegen fehlen - ten Pubertätsentwicklung wieder.
der Entwicklung vorgestellt. Sie war schon im-
mer die Kleinste ihrer Schulklasse, war aber
stetig gewachsen und hatte außer rezidivieren - Ursachen der verzögerten Pubertätsentwicklung
den Otitiden im Kleinkindesalter keine ernst-
haften Krankheiten durchgemacht. Beide Eltern • Internistisch (chronische Erkrankungen)
waren durchschnittlich groß (Vater 180 cm, M. Crohn, chronische Malabsorption (Zöliakie)
Mutter 172 cm). Äußerer Habitus der Patientin Chronische Nieren- und Herzerkrankungen
(Abb. 5-5): Kleinwuchs: Körpergröße 123 cm Zystische Fibrose
(unter P 3), Gewicht 22,5 kg (unter P 3), Unterernährung, Anorexia nervosa
gedrungener Habitus, kurzer Hals, angedeutetes Psychosoziale Vernachlässigung
Leistungssport
5.8 Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung und Pubertas tarda 173

• Hormonell Pathogenese
Störungen der Gonadotropinsekretion Die Pathogenese der konstitutionellen Verzögerung
(hypogonadotroper Hypogonadismus) von Wachstum und Pubertät ist nicht geklärt. Bier-
Störungen der Ovarialfunktion ich et al. haben eine niedrige Wachstumshormon-
(hypergonadotroper Hypogonadismus) Spontansekretion nachgewiesen, andere Untersu-
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung cher haben jedoch gezeigt, dass die Wachstums-
hormon-Spontansekretion zwar bezogen auf das
chronologische Alter, nicht jedoch auf das Skelett-
alter erniedrigt ist und sich unter Sexualhormon-
5.8.3
substitution normalisiert. Mädchen mit konstitu-
Definition der verzögerten Pubertätsentwicklung
tioneller Verzögerung von Wachsturn und Pubertät
erreichen gewöhnlich nicht die genetische Zielgröße,
Man spricht von einer Verzögerung, wenn im
enden jedoch im unteren Erwachsenennormbereich.
entsprechenden Alter mehr als 2 Standardab-
weichungen über dem mittleren Pubertätsbeginn
keine Pubertätszeichen aufgetreten sind. Dies be- Therapie
deutet heute bei Mädchen ein Alter von 13 Jahren. Siehe unten.

Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung
5.8.5
Die verzögerte Pubertät kann in 2 Formen auftreten:
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung
• konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und
ohne Kleinwuchs
Entwicklung,
• konstitutionelle Verzögerung der Entwicklung
Epidemiologie
ohne Verzögerung des Wachstums.
Diese Variante der Pubertätsverzögerung ist weniger
häufig als die konstitutionelle Entwicklungsverzöge-
Bei der ersten Form liegt häufig eine Kombination
rung mit Kleinwuchs. Differentialdiagnostisch muss
mit familiärem Kleinwuchs vor. In beiden Formen
hier vor allem geklärt werden, ob eine primäre Stö-
sind die basalen LH- und FSH-Spiegel präpubertär
rung der Gonaden oder der Hypothalamus-Hypo-
oder allenfalls frühpubertär und zeigen in den
physen-Achse vorliegt (Tabelle 5-5).
meisten Fällen eine präpubertäre Reaktion auf
GnRH. Hingegen zeigen Patienten mit GnRH-
und/oder Gonadotropinmangel gewöhnlich präpu- Diagnostik
bertäre und oft sehr niedrige basale Gonadotropin- • Bestimmung von LH und FSH. Präpubertäre Se-
spiegel und eine sehr geringe Antwort von LH auf rum-LH- und -FSH-Konzentrationen bei einem
GnRH. Die neuen, sehr sensitiven Gonadotropinas- Mädchen mit einem chronologischen Alter von 12
says erlauben die Abgrenzung von präpubertären, Jahren und fehlenden Pubertätszeichen schließen
pubertären und normalen Gonadotropinspiegeln einen primären, hypergonadotropen Hypogonadis-
gegenüber denjenigen bei LH/FSH-Mangel, wie mus aus. Differentialdiagnostisch muss eine kon-
z. B. Kallmann-Syndrom. stitutionelle Entwicklungsverzögerung oder ein
isolierter Gonadotropinmangel erwogen werden.
In den Alterstufen 13-17 Jahre ist die Differenzie-
5.8.4
Konstitutionelle Verzögerung
von Wachstum und Pubertät Tabelle 5-5. Differentialdiagnose bei Mädchen mit später Pu-
bertät ohne Kleinwuchs

Epidemiologie Serum-l.H- Scrumöstradiol-


Während dies der häufigste Vorstellungsgrund und FSH - konzentration
kleinwüchsiger Jungen ist, erscheinen Mädchen Konzentration
wesentlicher seltener betroffen (Ratio 1 : 5-10). Konstitutionelle Niedrig iedrig
Durch unterschiedliche Überweisungspraxis von Entwicklungs-
Jungen und Mädchen ist diese Ratio sicher ver- verzögerung
fälscht. Die Kinder werden gelegentlich mit der Hypogonadotroper iedrig iedrig
Verdachtsdiagnose Pubertas tarda oder hypogona- Hypogonadismus
dotroper Hypogonadismus vorgestellt. Eine positive
Hypergonadotroper Hoch iedrig
Familienanamnese kann diagnostisch sehr hilfreich Hypogonadismu
sein, fehlt jedoch häufig.
174 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

rung dieser beiden Entitäten sehr schwierig. Die GnRH- und GHRH-Mangel:
Differentialdiagnose wird eingehend unter "Pu- genetischer Hypopituitarismus
bertas tarda" abgehandelt. septooptikale Dysplasie

D
Tumoren, Zysten, Granulomata
I?_s muss außerdem berücksichtigt werden, dass die Traumen
Ostradialkonzentrationen bei Mädchen zum Zeit- Assoziation mit:
punkt des Pubertätsbeginns im unteren Sensitivitäts- Prader-Willi-Labhardt -Syndrom
bereich der meisten Assays liegen und die Bestim- Laurence-Moon-Biedl-Syndrom u. a.
mungen damit häufig ungenau sind, wenn sie nicht • Hypophysäre Störungen
mit entsprechend sensitiven Bestimmungsmethoden Kongenital:
in einem speziell eingerichteten endokrinalogischen Aplasie der Hypophyse, des Hypophysenstiels
Labor durchgeführt werden. genetischer Hypopituitarismus (?)
Tumoren, Zysten:
• Weitere Laboruntersuchungen. Unbedingt sollte Prolaktinome
Prolaktin zum Ausschluss eines Prolaktinoms be- destruktive Läsion
stimmt werden. Bei jedem kleinwüchsigen Mädchen Trauma, Radiatio
mit oder ohne verzögerter Pubertätsentwicklung ist Autoimmunhypophysitis
die Chromosomenanalyse unverzichtbar, um ein
• Gonadale Störungen
Ullrich-Turner-Syndrom auszuschließen. Die Ultra-
Kongenital:
schalluntersuchung des inneren Genitales kann hier
reine Gonadendysgenesie 46, XX, 46, XY
zusätzlich Hilfe bieten.
(Swyer-Syndrom)
gemischte Gonadendysgenesie 45, X/46, XY
Therapie Ullrich-Turner-Syndrom
Niedrig dosierte, konjugierte Östrogene (z. B. Preso- 17a-Hydroxylase-Mangel
men 0,3 mg täglich über 3-6 Monate) beschleunigen Aromatase-Mangel
das Körperwachstum, ohne dass eine Akzeleration Trauma, Radiatio, Chemotherapie
der Skelettentwicklung zu befürchten wäre. Sie soll- Chirurgie
ten jedoch nicht vor einem Knochenalter von 12 Jah- Mumps-Oophoritis
ren eingesetzt werden. Schreitet die Pubertät nach Infiltrative Prozesse der Ovarien
einem solchen Behandlungszyklus nicht fort, muss (Tbc, Mucopolysaccharide)
die zugrunde liegende Ursache geklärt werden. Autoimmun
Atrophie der Ovarien

5.8.6
Pubertas tarda
5.8.7
Definition Hypogonadotroper Hypogonadismus
Wenn bei einem Mädchen im Alter von mehr als
13 Jahren keine Pubertätszeichen vorhanden sind, Pathogenese und Differentialdiagnose
handelt es sich um eine konstitutionelle Entwick- Eine ungenügende Sekretion von GnRH und/oder
lungsverzögerung oder eine Störung von Hypotha- LH und FSH führen je nach Ausprägung der Störung
lamus, Hypophyse oder Gonaden. Bei langfristigem zu einer verzögerten oder gänzlich ausbleibenden
Ausbleiben der Pubertätsentwicklung spricht man Pubertätsentwicklung. Diese Störung kann durch
von Pubertas tarda (Differentialdiagnose s. folgende Tumoren, Traumen und entzündliche Prozesse her-
Übersicht). vorgerufen werden oder angeboren sein. Allen die-
sen Störungen gemeinsam ist ein fehlender Anstieg
der Gonadotropine nach GnRH. Die Differential-
Ursachen der Pubertas tarda bei Mädchen
diagnose des hypogonadotropen und hypergonado-
tropen Hypogonadismus ist in der Übersicht "Ur-
• Normvariante:
sachen der Pubertas tarda bei Mädchen" zusam-
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung
mengefasst.
• Hypothalamisehe Störungen
Kongenital:
isolierter GnRH Mangel • Kallmann-Syndrom. Das Kalimann-Syndrom ist
ohne Anosomie durch die Kombination von hypogonadotropem
mit Anosomie (Kallmann-Symptom) Hypogonadismus und einem gestörten Riechvermö-
5.8 Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung und Puberlas tarda 175

gen gekennzeichnet. Es ist eine autosomal-rezessive, Karyotypen zu einer erhöhten Spontanabortrate


autosomal-dominante und eine x-chromosomale prädisponieren. Ein Mosaik wird in verschiedenen
Vererbung bekannt. Ursächlich scheint dem Syn- Untersuchungsserien bei 31-82 o/o gefunden. Im
drom eine Migrationsstörung der GnRH-sezernie- Einzelnen ist es extrem schwierig, einen Mosaik
renden Zellen zugrunde zu liegen. auszuschließen, ohne eine sehr große Anzahl von
Mitosen in verschiedenen Geweben zu untersuchen.
• Tumoren. Tumoren, Zysten und Granulomata Klinik. In nahezu 100 o/o der Mädchen mit Ullrich-
im Bereich der Hypophyse und des Hypothalamus Turner-Syndrom findet sich ein Kleinwuchs, häufige
können zu Funktionsstörungen unterschiedlichen weitere Symptome betreffen Skelettsystem, Lymph-
Ausmaßes führen. Hierzu gehören Kraniopharyn- gefäßsystem, kardiavaskulären Bereich, das Ga-
geome, Germinome und selten Prolaktinome. strointestinum sowie endokrinalogische Probleme.
Die psychointellektuelle Entwicklung der Patientin-
• Fehlbildungen des Hypothalamus und der Hypo- nen ist normal. Allerdings finden sich in bestimmten
physe. Fehlbildungen im Bereich von Hypothalamus Intelligenzbereichen (Perzeption, visamotorische
und Hypophyse wie septaoptische Dysplasie, Hypo- Koordination, motorisches Lernen) AuffäHigkeiten
physenagenesie, Hypophysenstielagenesie können in unterschiedlicher Häufigkeit (Tabelle 5-6) .
mit partiellem oder komplettem Ausfall eines, meh- Diagnostik: Grundsätzlich sollte bei allen klein-
rerer oder aller Hypophysenfunktionen einherge- wüchsigen Mädchen eine Chromosomenanalyse
hen. Die Pubertätsentwicklung kann in diesen Fällen zum Ausschluss eines Ullrich-Turner-Syndroms er-
verzögert sein oder gänzlich ausbleiben. folgen. Die Diagnostikschritte, welche bei Nachweis
einer X-chromosomalen Monosomie, einer Mosaik-
• Hypergonadotroper Hypogonadismus. Erhöhte konstellation oder von strukturellen Anomalien des
basale Konzentrationen von LH und FSH sind cha- X-Chromosoms erfolgen sollten, sind in folgender
rakteristisch für diese Entität. Allerdings sind bei Übersicht zusammengestellt.
primärer Gonadeninsuffizienz die Spiegel von LH
und FSH während der Kindheit noch niedrig und Diagnostik bei Ullrich-Turner-Syndrom
steigen bei Mädchen erst ab dem 10. Lebensjahr
an. GnRH-stimulierte LH- und FSH-Werte können • LH, FSH (17ß-Östradiol)
jedoch bereits präpubertär Hinweis auf eine primäre • T4, TSH, Schilddrüsenantikörper
Gonadeninsuffizienz geben. • Sonographie der Nieren
• Sonographie der Beckenorgane (insbes. bei
• Gonadendysgenesien. Inkomplette, gemischte Go- Nachweis eines Y-Chromosoms oder bei
nadendysgenesie (Karyotyp 46, XY/45, X): Hier fin- ovarieller Restaktivität)
det sich eine individuell sehr unterschiedliche Diffe- • EKG, Echokardiographie, ggf. Angiokardio-
renzierungsstörung der Gonaden, welche aufbeiden graphie
Seiten gleich oder häufiger seitendifferent und asym- • Röntgenuntersuchung des Handskeletts
metrisch sein kann. Das Spektrum reicht von einsei- • Audiometrie
tig normal differenzierten und kontralateral dysge-
netischen Hoden bis zur kompletten Gonadendysge-
nesie mit beidseits bindegewebigen Strängen (sog. Tabelle 5-6. Klinische Symptome bei Ullrich-Turner-Syn-
Streak-Gonaden). Klinisch findet sich in mehr als drom
50 o/o ein weiblicher Phänotyp mit mehr oder weniger
ausgeprägten Zeichen der Virilisierung. Eine Puber- Symptom (Relative
tätsentwicklung tritt bei Patientinnen mit weibli- Haufigkeit in % )
chem Phänotyp und beidseits Streak-Gonaden nicht Minderwuchs Annähernd 100
ein. Bei Patienten, welche als Mädchen aufwachsen,
Schildthorax 80
ist eine Gonadektomie wegen des Entartungsrisikos
Hypoplastische Finger- und Fußnägel 77
und der Gefahr der Entwicklung einer heterosexuel-
len Pubertät frühzeitig erforderlich. Cubitu valgu 65
Flügelfell 55
• Ullrich-Turner-Syndrom. Die Häufigkeit eines Multiple Pigmentnävi 52
partiellen oder totalen Verlustes eines X-Chromo- Kardiavaskuläre Anomalien 30
soms wird mit 1 : 2500 bis 1 : 3000 für lebendgebo- Aortenisthmusstenose 20
rene Mädchen angegeben. Bei spontan abortierten ierenfehlbildungen 35
Feten findet sich ein partieller oder totaler X-Verlust Lymphödeme Hand- und Fußrücken 39
jedoch in 4 o/o, so dass anzunehmen ist, dass diese
176 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

• Komplette, sog. "reine Gonadendysgenesie", Tabelle 5-7. Substitution bei weiblichem Hypogonadismus
mit Sexualsteroiden. Beginn bei einem Skelettalter von
Karyotyp 46, XX oder 46, XY (Swyer-Syndrom). 11-12 Jahre
Klinik: Mädchen mit reiner Gonadendysgenesie
sind von normaler Körpergröße oder hochwüchsig. Zeitraum Präparat Dosierung
Die pubertäre Brustentwicklung ist nur gering oder
fehlend. Da die Streak-Gonaden weder Testosteron 0- 6 Monate Östradiolvalerat 0,2 mg!Tag
noch Anti-Müller-Hormon bilden, sind äußere und 6-12 Monate Östradiolvalerat 0,5 mg!Tag
innere Genitalien normal weiblich ausgebildet. Mäd- oder
chen mit einem Karyotyp 46, XY tragen ein erhöhtes 0- 6 Monate ~onjugierte 0,3 mg!Tag.
Risiko, gonadale Tumoren zu entwickeln. Die Ostrogene
Streak-Gonaden müssen deshalb unbedingt entfernt 6- Monate ~onjugierte 0,6 mg!Tag
werden. Ostrogene
Labor: Erhöhung von LH und FSH, niedrige puber- 2. Therapiejahr Östradiolvalerat 1,0 mg/Tag 1-25
täre Östradiolspiegel. +Chlor- 2,0 mg/Tag 14- 25
madinonacetat
• 17a-Hydroxylase-Mangel. Bei diesem seltenen oder
Enzymdefekt, welcher zu Nebenniereninsuffizienz, 2. Therapiejahr ~onjugierte 0,9 mg/Tag 1- 25
arterieller Hypertonie und einer gestörten Bildung Ostrogene
von gonadalen Steraiden (Östrogenen und Andro- +Chlor- 2,0 mg/Tag 14 - 25
madinonacetat
genen) führt, handelt es sich eigentlich nicht um
eine Erkrankung der Ovarien. Bei Mädchen mit 3. Therapiejahr Ö tradiolvalerat 1,5 mg!Tag 1- 25
46, :XX-Karyotyp findet sich ein weiblicher Phäno- +Chlor- 2,0 mg/Tag 14- 25
madinonacetat
typ, sekundäre Geschlechtsmerkmale (Brustent-
wicklung, Scham- und Axillarbehaarung) bilden oder
sich jedoch nicht aus. Mädchen mit einem Karyotyp 3. Therapiejahr ~onjugierte 1,25 mg/Tag 1- 25
46, XY zeigen ebenfalls einen weiblichen Phänotyp Ostrogene
mit Vaginalagenesie und fehlenden Müller-Struktu- +Chlor- 2,0 mg!Tag 14-25
madinonacetat
ren. Im Gegensatz zu Mädchen mit einer Androgen-
danach
insensitivität (testikulären Feminisierung) bleibt
auch hier die Brustentwicklung aus. ab 4. Therapiejahr Übergang auf 1,25 comp
Substitution mit
Cycloprogynova
oder Presomen
Diagnostik Äquivalenzdo en Östradiolvalerat 2 mg
Die erforderlichen Diagnostikschritte bei Mädchen ~onjugierte 0,6-1 ,25 mg
mit Pubertas tarda sind in Abb. 5-6 zusammenge- 0 trogene
stellt. Ethinyl-Östradiol 0,020 mg
• Bei hohen bzw. pubertären Gonadotropinspie-
geln besteht der erste Diagnostikschritt in einer
Chromosomenanalyse, um Gonadendysgenesien
auszuschließen.
• In jedem Fall ist eine Ultraschalluntersuchung mit einem arteriellen Hypertonus bestätigen die
des inneren Genitales anzuschließen. Bei Ull- Diagnose eines 17a-Hydroxylase-Mangels.
rich-Turner-Syndrom wird es gewöhnlich nicht • Bei Erniedrigung der basalen und stimulierten
gelingen, die Streak-Gonaden sonographisch Gonadotropinspiegel kommt neben chronischen
nachzuweisen, der Uterus ist von präpubertärer Erkrankungen und einer Anorexia nervosa am
Größe. Bei der gemischten Gonadendysgenesie ehesten ein Kalimann-Syndrom oder ein isolier-
(Karyotyp 45, X/46, XY) lässt sich häufig abdomi- ter/generalisierter Hypopituitarismus in Frage.
nell bzw. inguinal eine Gonade nachweisen, bei Die spezielle weitere Diagnostik besteht hier in
der es sich gewöhnlich um einen Testis handelt. einer Bestimmung der LH- und FSH-Spontanse-
Auf der Gegenseite bleibt die Streak-Gonade in kretion über Nacht zum Nachweis/ Ausschluss
der Regel unentdeckt. Auch hier ist ein präpuber- einer Pulsatilität. Ferner sind bildgebenden Ver-
tärer Uterus nachweisbar. fahren zum Ausschluss eines intrakraniellen
• Normale DHEA-S- und ACTH-Spiegel sprechen Turmors, insbesondere eines Kraniopharyn-
für eine intakte Nebennierenrindenfunktion. geoms oder einer Fehlbildung im Bereich des
• Eine Erhöhung von Pregnenolon, Progesteron Hypothalamus und der Hypophyse (Arachnoi-
und Desoxycorticosteron im Zusammenhang dalzysten, "empty sella") sowie einer ophthalrno-
5.8 Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung und Pubertas tarda 177

Chronische Erkrankungen? z.B.


Leistungssport? Prader·Witli·Syndrom
Laurence·Moon·Biedl·
Syndrom

Fehlbildungen:
z.B.Hymenalatresie

Hypopitu~arismus:isolierVgeneralisiert
Chronische Erkrankungen
Anorexia nervosa
Kalimann Syndrom (Geruchsinn ?)
Adipositas

Gonadendysgenesie: Ullrich·Turner·Syndrom
Gonadeninsuflizienz: nach
lnfektion,Trauma,Bestrahfung,Chemotherapie

Spezierle Piagnos!ik· Spezielle Diagnostik·


DHENDHEA· S Prolaktin,DHENDHEA·S
LHIFSH Nachtsekretion LHIFSH achtsekretion
GnAH·,HCG·Test GnAH Test
MAT, Augenarzt

Abb. 5·6. Diagnostische Abklärung der Puberlas tarda

logischen Untersuchung mit Fundoskopie und sache in einer Substitution mit natürlichen oder
Perimetrie notwendig. konjugierten Östrogenen in ansteigender Dosis, be-
• Finden sich klinische Hinweise auf weitere hypo- ginnend bei einem Skelettalter von 11-12 Jahren
thalamisch-hypophysäre Ausfälle wie eine Er- (Tabelle 5-7). Nach 2-3 Jahren kann auf eine
niedrigung der Schilddrüsenhormone oder des zyklische Therapie mit einer Östrogen-Gestagen -
IGF-1, ist ein generalisierter Hypopituitarismus Kombination übergegangen werden.
anzunehmen. Bei hypogonadotropem Hypogonadismus kann
bei Kinderwunsch der Patientin eine pulsatile The-
Therapie rapie mit GnRH oder eine HMG/HCG-Therapie
Die Behandlung einer Pubertas tarda bei Mädchen durchgeführt werden. Eine primäre Einleitung der
besteht nach Abklärung der zugrunde liegenden Ur- Pubertät mit Gonadotropinen hat sich in der Pä-
178 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

diatrie nicht durchgesetzt und ist wegen ihrer Auf-


5.9.1
wendigkeit nicht zu empfehlen.
Fallpräsentation
Bei Patientinnen mit Ullrich- Turner-Syndrom
kann das Körperwachstum und die Erwachsenen-
größe durch eine Therapie mit rekombinantem Eine 25-jährige Frau stellte sich wegen Zyklus-
Wachstumshormon in pharmakologischen Dosen störungen mit Menstruationsabständen von
(unter Umständen in Kombination mit Oxandrolon 35-60 Tagen vor. Seit ihrer Heirat vor 2,5 Jahren
in niedriger Dosis) in vielen Fällen verbessert wer- hatte sie keine Kontrazeptiva angewandt, eine
den. Hier gilt der Grundsatz, dass Oxandrolon nicht Schwangerschaft trat noch nicht ein. Der Haus-
vor einem Skelettalter von 8-9 Jahren eingesetzt arzt hatte ihr das Führen der Basaltemperatur-
werden sollte, da es zu einer inadäquaten Akzelera- kurve empfohlen, sie brachte Kurven von den
tion der Skelettentwicklung führt. Eine zusätzliche letzten 6 Monaten, in denen sie 4 Blutungen
Substitution mit Östrogenen sollte auch hier bei hatte, rnit. Die Patientin wog 65 kg bei einer
einem Skelettalter von 11-12 Jahren beginnen. Größe von 160 cm, die letzte Periode war vor
30 Tagen, die Basaltemperatur (Abb. 5-7) am
Vorstellungstag war 36,6 C, das Behaarungs-
muster war weiblich, der gynäkologische Tast-
5.9 befund unauffällig. Bei der Spekulumeinstellung
Ovarialinsuffizienz und Sterilität zeigte sich im 1- 2 mm geöffneten Muttermund
wenig Schleim, der nur 2-3 cm spinnbar war,
c. V. HAGENS, T. RABE,
das Farnkrautphänomen war negativ (Insler-
B. RuNNEBAUM
score: 3); der Uterus war anteflektiert, klein,
derb und mobil, die Adnexe waren frei. Im
In diesem Abschnitt werden Diagnostik und Be- mikroskopischen Präparat fanden sich Döder-
handlungsmöglichkeiten bei Ausfall der generativen lein-Stäbchen sowie große Intermediär- und
Ovarialfunktion, also bei Anovulation und Corpus- Superfizialzellen mit kleinen dichten Kernen,
luteum-Insuffizienz, dargestellt. Eine aktuelle Be- die vorwiegend einzeln liegen. Ultraschall: In
handlungsnotwendigkeit ergibt sich nur bei Kinder- beiden normalgroßen Ovarien fand sich je ein
wunsch oder Blutungsstörungen. Handelt es sich um Follikel von 8 mm Durchmesser, das Endo-
den Ausfall auch der endokrinen Funktionen, so metrium war 6 mm hoch aufgebaut. Labor:
entspricht der Zustand der Menopause.

Monat
'Tag
rt.opiound
Beoc>ldeo-1

Mol yeniBI••I* atur 37,5'

37,0'

38,5'

36,0'
Blulung
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Morgontomporau S7,5

S7,0' '

36,5' I
'
I

38,0' I
' + I
Abb.S-7.
BMung I '..1 Basaltemperaturkurve
Zyt<Juslos 1 2 3 4 ~ • 7 •• 11~ 2)lfl ' 'li' ' r· ~·IIQI21 ~
~· vor und nach Therapie
5.9 Ovarialinsuffizienz und Sterilität 179

zu verzichten, wenn kein Kinderwunsch besteht.


Progesteron (30. Zyklustag) < 0,2 ng!ml (Nor- Schwangerschaften sind nämlich auch kurz vor
malwert luteal > 10 nglrnl), Östradiol 115 pgl der Menarche, in der Prämenopause und bei hyper-
ml (Normalwert 40-250 pg!rnl), Prolaktin gonadotropen Frauen vor dem entsprechenden
358 mE/l (Normalwert 70- 410 mE/1). Basale Menopausenalter möglich.
Hormone am 2. Tag der nächsten Regelblutung,
die am 39. Tag eintrat: Prolaktin, FSH, LH, • Sterilität. Man spricht von Sterilität, wenn nach
Östradiol, TSH, Testosteron, DHEAS im or- 2 Jahren bei regelmäßigem ungeschützten Ge-
malbereich. Nachdem die andrologische Unter- schlechtsverkehr keine Konzeption eingetreten ist.
suchung ein normales Spermiogramm ergeben Bei der Suche nach Ursachen ist es wichtig, ob
hatte, wurde ein Kontrastsonogramm der Tuben eine primäre (die Frau war noch nie schwanger)
durchgeführt; die Tubenpassage war beidseits oder sekundäre Sterilität (die Frau war schon einmal
frei. Daraufhin wurde eine Stimulationsbehand- schwanger) vorliegt und ob der Partner schon Kin-
lung mit Clomiphen 50 mg vom 5.- 9. Zyklu tag der gezeugt hat. Es müssen aber immer beide Part-
begonnen. Sonographisch zeigte sich am 10. Zy- ner in die Untersuchungen einbezogen werden.
klustag ein Follikel im rechten Ovar von 14 mm, Kommt es wiederholt zu Aborten, so spricht man
die Endometriurndicke betrug 7 mm. Am 13. von Infertilität oder habituellen Aborten. Je nach Ur-
Tag dieses Zyklus zeigte der Postkoitaltest sache und Lokalisation der Störung unterscheidet
nach Sims-Huhner in 400- facher Vergrößerung man zwischen endokriner, zervikaler, uteriner, tuba-
einen normalen Befund {12 mobile Spermien/ rer und andrologischer Sterilität.
Blickfeld 12 h nach Verkehr) bei einem Zervix-
faktor von 8 nach dem Insler- core. Die Ovula-
tion trat nach spontanem LH-Peak am 16. Zy- 5.9.3
klustag ein. Sonographisch hatte der Follikel Pathogenese
am 16. Zyklustag einen Durchmesser von
21 mm, das Endometrium war ll,7 mm dick Störungen der generativen ovariellen Funktionen
und zeigte die typische 3-lagige chichtung. In wie Follikelreifung, Ovulation oder Corpus-lu-
der Lotealpha e erhielt die Patientin 3-mal teom-Phase können primär vom Ovar ausgehen
100 mg Progesteron vaginal. Eine Schwanger- oder sekundär Ausdruck einer Insuffizienz der hy-
schaft trat im 3. sonographisch und hormonell pothalamisch/hypophysären Zentren oder anderer
überwachten Behandlungszyklus mit Clomi- endokriner Störungen sein. Es gibt multiple positive
phen ein. und negative Rückkopplungssysteme zwischen den
Ovarien, den hypothalamisch/hypophysären sowie
weiteren Gehirnzentren, so dass Einflüsse durch Sin-
nesorgane, Nervenreize und Botenstoffe des gesam-
5.9.2 ten Endokriniums auf den Zyklus ungünstig einwir-
Epidemiologie und Definition ken können. Viele Störungen treten nur vorüberge-
hend auf und können teleologisch als Reaktion auf
• !\novulatorische Zyklen oder Zyklen mit Corpus- ungünstige Bedingungen für eine Schwangerschaft
luteum-lnsuffizienz. Es gibt auch bei Frauen im für gedeutet werden, z. B. Notstandsamenorrhö, stress-
die Fortpflanzung günstigsten Alter von 20-28 Jah- bedingte Hyperprolaktinämie.
ren manchmal anovulatorische Zyklen oder Zyklen Die Ursachen einer Ovarialinsuffizienz sind in
mit Corpus-luteom-Insuffizienz, so dass nicht jeder folgender Übersicht zusammengefasst.
Zyklus günstig im Sinne der Vorbereitung einer
Schwangerschaft abläuft. Eine Notwendigkeit für Ursachen einer Ovarialinsuffizienz können sein
eine Therapie besteht bei aktuellem Kinderwunsch
von mindestens I-jähriger Dauer. Diagnostische • Operation, hierdurch Reduktion oder Verlust der
Maßnahmen sind aber auch dann indiziert, wenn Ovarialsubstanz
Symptome bestehen, die aktuell eine gesundheitli- • Zustand nach Strahlen- oder Chemotherapie
che Beeinträchtigung darstellen oder präventiv im • Hypothalamisch/hypophysäre Insuffizienz, diese
Sinne der Erhaltung der Fertilität behandelt werden kann auch vorübergehend bei Infektionen, Stress,
sollten. Zu Beginn und gegen Ende der reprodukti- Klimawechsel auftreten und reversibel sein
ven Phase treten vermehrt Anovulation und Corpus- • Hyperprolaktinämie
luteum-Insuffizienz auf, so dass die Wahrschein- • Hyperandrogenämie, PCO-Syndrom
lichkeit einer Konzeption geringer ist. Dies darf • Hypo-/Hyperthyreose
aber nie dazu führen, aufkontrazeptive Maßnahmen • (Vorzeitige) Menopause
180 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

• Autoimmunerkrankungen Eine Galaktorrhö kann Hinweis auf eine Hyperpro-


• Syndrom der gonadotropinresistenten Ovarien laktinämie sein, dies ist die häufigste endokrine Stö-
• Konsumierende Allgemeinerkrankungen rung, die zu Zyklusstörungen jeden Schweregrades
• Idiopathisch führen kann. Besteht eine einseitige Sekretion
oder ist das Sekret blutig, so muss in diesem Fall
ein organischer pathologischer Prozess, insbesonde-
• Primäre Ovarialinsuffizienz. Eine primäre Ova- re ein Mammakarzinom, ausgeschlossen werden.
rialinsuffizienz bei intaktem Rückkopplungssystem Symptome einer Hyperandrogenämie wie Hirsu-
ist durch stark erhöhte FSH- und auch LH-Spiegel tismus, Akne, Seborrhö können ebenfalls zu Funk-
gekennzeichnet, man bezeichnet dies als hyper- tionsstörungen des Ovars verschiedener Schwere-
gonadotrope Ovarialinsuffizienz. Sind keine Stimu- grade führen.
lierbaren Follikel vorhanden, so sind auch die Das prämenstruelle Syndrom ist ein häufiges Sym-
Konzeption und das Austragen der Schwangerschaft ptom bei Corpus-luteum-Insuffizienz. Hierzu gehö-
eines genetisch eigenen Kindes nicht möglich. Die ren
modernen Möglichkeiten der assistierten Repro- • Mastodynie,
duktion erlauben jedoch mit Hilfe der Eizell- • Reiz- und Spannungsgefühle,
spende bei vorhandenem Uterus auch Frauen • Ödeme und Gewichtszunahme,
ohne Ovarien oder in der Menopause das Austragen • psychische Labilität.
eines Kindes.
Unabhängig von der Ursache reicht der Schweregrad

D Die Eizellspende ist aber in Deutschland nach dem


Embryonenschutzgesetz verboten.
der ovariellen Störungen von der Corpus-luteum-
Insuffizienz, Follikelreifungsstörungen, anovulato-
rischen Zyklen bis zur Oligomenorrhö und Amenor-
• Sekundäre Ovarialinsuffizienz. Ist die Ovarialin- rhö.
suffizienz durch eine sonstige endokrine Störung
oder durch Ausfall der hypothalamisch/hypophysä-
ren Funktion( = hypogonadotrope Ovarialinsuffizi- 5.9.5
enz) bedingt, so spricht man von einer sekundären Diagnostik
Ovarialinsuffizienz. Hierbei sind in der Regel Stimu-
lierbare Follikel in den Ovarien vorhanden, so dass Der Nachweis von Corpus-luteum-Insuffizienz, Fol-
eine Therapie zum Wiederauftreten ovulatorischer likelreifungsstörungen oder Anovulationen in min-
Zyklen führen kann. Wenn die Ovarialinsuffizienz destens 3 Zyklen erlaubt die Diagnose einer ovarbe-
Ausdruck einer sonstigen endokrinen Störung dingten Sterilität.
oder einer Allgemeinerkrankung ist, kann die The-
rapie dieser Störung zum (Wieder-) Auftreten von
ovulatorisehen Zyklen führen, so dass eine direkte
Anamnese
Wichtige Hinweise auf eine ovarielle Störung bietet
Stimulation der ovariellen Funktion nicht mehr not-
die Zyklusanamnese.
wendig ist.

Körperliche Untersuchung
5.9.4 Bei der allgemeinen Untersuchung achtet man auf
Klinik Körperbau, Gewicht, Muskel- und Fettverteilung,
Behaarungsmuster, Größe der Schilddrüse sowie
Symptome und Beschwerden auf das Bestehen einer Galaktorrhö.
Häufige Symptome einer Ovarialinsuffizienz sind
Zyklus- und Blutungsstörungen wie • Gynäkologische Untersuchung. Bei der gynäko-
• Oligo-/ Amenorrhö, logischen Untersuchung lassen sich neben dem Aus-
• Polymenorrhö, schluss von Fehlbildungen von Vagina, Zervix und
• Hyper-/Hypomenorrhö, Uterus auch Muttermundsweite, Zervixschleim und
• prämenstruelles Spotting, anschließend mikroskopisch die Vaginalzytologie
• irreguläre Blutungen (vor Therapie Ausschluss ohne großen apparativen Aufwand im Sinne eines
organischer Ursachen wie Polypen, Myome, Zyklusscreenings beurteilen. Daher können bereits
Karzinome). einfache Untersuchungen Hinweise auf den norma-
len oder gestörten Ablauf des Zyklus geben. Die Ver-
Ein regelmäßiger Zyklus schließt aber Anovulation änderungen des Zervixschleimes sind im typischen
und Corpus-luteum-Insuffizienz nicht aus. Fall so charakteristisch, dass sie auch zur Zyklusbe-
5.9 Ovarialinsuffizienz und Sterilität 181

urteilung im Rahmen der natürlichen Familienpla- gnostikzwischen dem 20. und 24. Zyklustag. Stimu-
nung durch die Frau selbst herangezogen werden lationstests wie TRH-Test, GnRH-Test sowie ein
können. Die Basaltemperaturkurve (Abb. 5-7) er- ACTH-Test werden bei pathologischen Basalwerten
laubt Rückschlüsse auf die Vorgänge im Zyklus, im nächsten Zyklus (möglichst 2.-5. Zyklustag)
der biphasische Verlauf ist Ausdruck der Progeste- durchgeführt (Tabelle 5-8).
ronwirkung auf das Temperaturzentrum. Hinweise
auf Funktionsstörungen können sein
Vaginalsonographie
• prämenstruelles Spotting,
Die Vaginalsonographie ermöglicht neben der Dar-
• monophasischer Verlauf,
stellung des inneren Genitale und damit dem Aus-
• verkürzte Lutealphase von weniger als 10 Tagen,
schluss von größeren anatomischen AuffäHigkeiten
• treppenförmiger Anstieg der Temperaturkurve.
die indirekte endokrinalogische Zyklusüberwa-
chung durch Messung des Follikelwachstums und
Bei 10-15 o/o der Frauen fehlt die Wirkung des Pro-
der Endometriumproliferation (Zyklusmonitoring).
gesterons auf die Temperaturregulation des Kör-
pers, außerdem gibt es zahlreiche Störmöglichkei-
ten, z. B. durch körperliche Aktivität oder Infekte. Endometriumbiopsie
Eine Endometriumbiopsie in der Mitte der Luteal-
phase kann über die zyklusgerechte Transformation
Labor
des Endometriums Aussagen machen. Sie wird
Nach Anamnese und allgemeiner sowie gynäkologi-
heute meistens durch Progesteronbestimmungen
scher Untersuchung stehen an nichtinvasiven Un-
ersetzt.
tersuchungsmethoden zunächst Hormonbestim-
mungen sowie Ultraschalluntersuchungen zum Zy-
klusmonitoring im Vordergrund. Die Hormonbe-
stimmungen müssen zyklusgerecht durchgeführt 5.9.6
und oft wiederholt werden, um eine verlässliche Differentialdiagnose
Aussage über den Zyklusablauf zu erlauben. Man
unterscheidet basale Hormonbestimmungen zwi- Aufgrund der vielfältigen Regulationsvorgänge, die
schen dem 2. und 5. Zyklustag sowie die Lutealdia- die Funktion des Ovars beeinträchtigen können,

Tabelle S-8. Endokrinalogische Diagnostik und Therapieansätze bei Ovarialinsuffizienz und Kinderwunsch

Basisdiagnostik Indikation Zusatzdiagnostik Therapieansatz

HCG SS-Ausschluss bei Amenorrhö

Prolaktin Hyperprolaktinämie: Sella-MRT, ITähthalmo- Therapie mit Dopaminagonisten


(2.- 5. Zyklustag) häufigste Ursache von logische Ab ärung bei bei Mikroprolaktinom oder
Zyklusstörungen, besonders Prolaktinom Hyperprolaktinämie; bei Chiasma-
bei zusätzlicher Galaktorrhö TSH kompression nach Vorbehandlung
auch Operation

Medikamentenanamnese Indikation prüfen, wenn möglich


absetzen, sonst zusätzlich Dopami-
nagonisten

TSH Hypothyreose: führt häufig T3, T4, evtl. TRH-Test, jodidzufuhr, Therapie von Hypo-,
zu Hyperprolaktinämie Schilddrüsensonogramm H~erthyreose durch T~oxin
nac internistischer Ab ärung

FSH, LH FSH/LH-Quotient (PCO), GnRH-Test bei hypo- Bei ~ergonadotroper Ovarial-


(2.- 5. Zyklustag) Aus chlus : hyperJ%onado- gonadotroper Ovarial- insu 1zienz evtl. Therapieversuch
trope Ovarialin u 1zienz insuffizienz mit hochdosierten Gonado~ropinen
Sonographie der Ovarien nach Vorbehandlunfr mit Ostrogen/
Progesteron, meist rustran

Testosteron, DHEAS Ausschluss PCO-Syndrom, ACTH-Test, molekurlar- Suppression der adrenalen


(2.-5. Zyklustag) besonders bei Zeichen von genetische Diagnostik bei Androgene mit Dexamethason
Hyperandrogenämie Verdacht auf Enzymdefekt
("late-onset-AGS")

Progesteron BTK: Verdacht auf Lutealsupport, bevorzugt mit


{20.-25. Zyklustag) Lutealinsuffizienz Progesteron vaginal
182 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

werden die Möglichkeiten einer sekundären ovariel- zienz, da die verbesserte Follikelreifung auch eine
len Störung durch eine ausführliche Anamnese so- günstige Voraussetzung für ein funktionierendes
wie durch hormonelle Screeninguntersuchungen Corpus luteum schafft (Tabelle 5-10).
anderer endokriner Systeme (Schilddrüse, Neben-
niere, Diabetes mellitus) von Anfang an in die diffe- • Clomiphen. Clomiphen hat einen antiöstrogenen
rentialdiagnostischen Überlegungen miteinbezogen Effekt und bewirkt daher eine Steigerung der endo-
und bei Verdacht individuell abgeklärt. genen hypophysären Gonadotropinsekretion. Es
kann in einer Dosis von 50-100 (-150) mg täglich
vom 3.-5. Zyklustag an für 5 Tage oral gegeben wer-
5.9.7 den, z. B. 5.-9. Zyklustag. Häufig beobachtet man
Therapie einen negativen Effekt auf den Zervixfaktor und
auf das Endometrium. In diesen Fällen können
Da eine Konzeption nur nach einer Ovulation statt- zusätzlich Gonadotropine gegeben werden. Die
finden kann und zur Nidation ein ausreichend se- meisten Schwangerschaften werden innerhalb der
kretorisch umgewandeltes Endometrium vorliegen ersten 3-4 Zyklen beobachtet. Eine mögliche Risiko-
muss, gibt es verschiedene Therapieansätze. erhöhung für das spätere Auftreten von Ovarialkar-
zinomen ist weitgehend ausgeschlossen.
Allgemeine Maßnahmen
• FSH/LH. Gonadotropinpräparate enthalten FSH
Zur Erzielung eines ovulatorisehen Zyklus mit suffi-
(die urinären Präparate auch LH) und müssen inji-
zienter Lutealphase genügt es in vielen Fällen, ande-
ziert werden. Sie werden seit 1960 zur Ovulationsin-
re Endokrinopathien wie Hypothyreose, Hyperan-
duktion eingesetzt. Urinäre Gonadotropine werden
drogenämie oder Hyperprolaktinämie entsprechend
aus dem Urin menopausaler Frauen gewonnen. In-
zu behandeln, so dass sich eine Therapie zur Luteal-
zwischen gibt es gentechnisch hergestellte Präparate,
substitution oder Ovulationsinduktion erübrigt. Je-
die nur FSH enthalten. Die Gonadotropine stellen
doch sollten frühzeitig auch der Mann sowie andere
eine Substitutionstherapie bei hypophysärer Insuffi-
Sterilitätsursachen (Zervixfunktion, Tubenfunkti-
zienz dar. Ihre therapeutische Breite ist sehr gering.
on) untersucht werden, da als Ursache der Sterilität
Die Schwellendosis muss für jede Frau individuell
viele Faktoren einzeln oder kombiniert eine Rolle
gefunden werden, bei Anovulation liegt sie zwischen
spielen können. Finden sich keine allgemeinen
1/2-4 Ampullen mit 75 IE FSH/Tag. Die wichtigsten
oder endokrinen Störungen oder sind diese ausrei-
Risiken und Nebenwirkungen sind Überstimulatio-
chend therapiert, ohne dass eine Schwangerschaft
neil und Mehrlingsschwangerschaften. Die Gonado-
eintritt, so kann bei Lutealinsuffizienz diese zu-
tropine können auch zur Optimierung des Zyklus
nächst durch Progesteronsubstitution oder durch
sowie zur kontrollierten Überstimulation bei
Stimulation des Corpus luteum behandelt werden
Frauen, bei denen die Verfahren der assistierten Re-
(Tabelle S-9).
produktion eingesetzt werden, angewendet werden.
Auch bei Frauen in der Prämenopause und bei mil-
Stimulationsverfahren den Formen der hypergonadotropen Ovarialinsuffi-
Bei Anovulation werden primär verschiedene Stimu- zienz lassen sich mit ihrer Hilfe in ca. 20% der Fälle
lationsverfahren eingesetzt. Diese sind auch der Ovulationen erzeugen. Die Dosis kann in solchen
zweite Therapieschritt bei Corpus-luteum-Insuffi- Fällen bis auf 8 Ampullen pro Tag (= 600 IE/Tag)

Tabelle 5-9. Therapie der Lutealinsuffizienz. Ziel: Verbesserung der Nidationschancen

I. Ansa tz Stimulation des Corpus-luteum Durchführung: A. Ovulationsauslösung mit 5.000-10.000 JE HCG


durch HCG
B. 1.000-5.000 IE HCG alle 2-3 Tage bis 8 Tage
nach der Ovulation
Risiko: Überstimulation
2. Ansatz Progesteronsubstitutjon Durchführung: Progesteron (oral 3-mal 200 mg), vaginal 3-mal 100 mg
15.- 28. Zyklustag, Dydrogesteron 2-mal 10 mg oral
16.- 28. Zyklustag, Progesterongel (Crinonegel 8 %)
vaginal I-mal 45-90 mg
15.-28. Zyklustag, Progesteron i. m.: 2-mal 25 m~Tag
für 14 Tage, Hydroxyprogesteroncyproat 250 mg 1. m.
16. + 21. Zyklustag ..
Vorteil: Risiko der Uberstimulation nicht erhöht
5.9 Ovarialinsuffizienz und Sterilität 183

Tabelle 5-10. Stimulationstherapien bei Anovulation, unzureichender Eireifung oder für Verfahren der assistierten Reproduk-
tion

Ziel Optimale monofollikul:ire Entwid,lung mit suffizienter l.utc.1lphasc

I. Ansatz Antiöstrogene heben negatives Feed-back der Östrogene auf Hypophyse/Hypothalamus auf,
bewirken verstärkte Sekretion von Gonadotropinen
Durchführung 5 Tage 50-100 mg Clomiphencitrat, Beginn 3.- 5. Zyklustag
meistens Ovulationsinduktion mit HCG und Lutealsupport
Risiko Überstimulation {10- 15 %), Mehrlingsschwangerschaften (2- 10 %)
Unerwünschte negativer Einfluß auf Cervixfaktor und Endometrium
Nebenwirkungen

2. Ansatz Gonadotropine stimulieren direkt da Follikelwachstum


Durchführung Beginn 2./3. Zyklustag mit lf2-l Ampulle HMG oder FSH (75 JE), Dosissteigerung alle 5- 7 Tage bei
Nichtansprechen
meistens Ovulationsinduktion mit HCG und Lutealsupport
Risiko Überstimulation (5- 20 %), Mehrlingsschwangerschaften (5- 20 %}

3. Ansatz pulsatiles GnRH substituiert die fehlenden hypothalamisehen Impulse bei hypogonadotropen Frauen
mit positivem GnRH-Test
Durchführung Beginn nach Blutungsauslösung (Östrogen/Gestagenkombination) mit 2,5- 10 J.lg/Puls, Frequenz alle
90 Minuten s.c., Steigerung von Dosis + Frequenz sowie i.v. Applikation möglich
Nachteile hoher Aufwand, Kosten
Vorteil meistens monofollikuläres Wachstum
Überwachung I. Sonographische Follikelmessung (Zahl, Größe)
2. ~H - Peak ca. 24 h vor Ovulation, Eigenmonitaring (Urin) möglich
3. Ostradiol-17ß (Sekretionsleistung des reifenden Follikels)

Methode Kontrollierte Uberstimul.llion fur die assistierte Reproduktion

Ziel multifollikulares Wachstum, Transfer von 2- 3 Lmbryoncn nach lVI'


evtl. mit ICSJ (intrazytoplasmatischc Spermieninjektion)

Durchführung I. Suppression der Hypophyse durch Gabe von GnRH-Analoga


ab 20.-24. Zyklustag ("long protocol")
2. Stimulation mit 2-8 Ampullen/die je nach individueller Reaktion bi zur Follikelgröße von
17-18 mm
3. Ovulation induktion mit 5- 10000 JE HCG
4. Immer Lutealphasenunter tützung
Risiken Überstimulation (5-20 %) mit der Gefahr von Thromboembolien
Mehrlings chwangerschaften (20-30 %)
Baby-take-horne-rate: 12-15% (bei Frauen > 40 Jahren < 5% SS-Rate/ET)
Verletzungs- und Infektionsrisiko bei Follikelpunktion < I %

gesteigert werden. Die Prognose für eine erfolgrei- Dreimonatsdepot, täglich s. c., mehrmals täglich
che Schwangerschaft ist allerdings in diesen Fällen nasal) kommt es nach einer initialen Stimulation
ungünstig. (Flare-up-Effekt) zu einer partiellen oder komplet-
ten Blockade der Gonadotropinsekretion durch
• Gonadotropin-releasing-Hormon. Bei intakter Down-Regulation der Rezeptoren und damit zu
Hypophysen-Ovar-Achse und hypothalamischer In- einer reversiblen künstlichen Menopause. Diese
suffizienz lässt sich durch die Substitution von Medikamente werden daher in Kombination mit
GnRH eine Follikelreifung erzielen. Diese Methode Gonadotropinen zur Verhinderung der vorzeitigen
ist sehr aufwendig, da das GnRH pulsatil mittels Luteinisierung bei kontrollierter Überstimulation
einer am Körper tragbaren Pumpe subkutan oder für die assistierte Reproduktion eingesetzt.
i. v. etwa alle 90 min verabreicht werden muss.
Der Vorteil dieser Methode liegt in der meist mo-
noovulatorischen Reaktion und damit in der gerin- Hypergonadotrope Ovarialinsuffizienz
geren Gefahr von Überstimulation und Mehrlings- Bei vorzeitiger ovarieller Erschöpfung und dringen-
schwangerschaften. Bei der Gabe von GnRH-Ana- dem Kinderwunsch sind die Therapiemöglichkeiten
loga in anderen Applikationsformen (Monatsdepot, zur Erzielung einer Schwangerschaft in Deutschland
184 KAPIT EL 5 Weibliche Gonaden

auf Grund des Embryonenschutzgesetzes sehr be- • Klinik. Hierbei kommt es zur Bildung großer Fol-
grenzt, da eine Eizellspende verboten ist. Durch likel- oder Corpus-luteum-Zysten mit der Bildung
eine Substitutionstherapie mit Östrogen/Gestagen- von Aszites und Pleuraergüssen. Durch die meistens
Kombinationspräparaten (s. Tabelle 5-4) lässt sich vorhandene Hämokonzentration entsteht ein Risiko
in einigen Fällen ein normogonadotroper Zustand für Thrombosen und Embolien, die zu einzelnen
erreichen. Dieser vermehrt aber nicht den Restvorrat Todesfällen geführt haben. Es kann auch zur Stiel-
an Stimulierbaren Follikeln. Ein Stimulationsver- drehung der Ovarien oder zur Ruptur von Zysten
such mit hoher Dosis an Gonadotropinen (bis 8 Am- kommen. Die Patientinnen müssen daher sorgfältig
a
pullen 75 IE FSH/Tag) zur Erzielung einer Follikel- über diese Komplikationsmöglichkeit aufgeklärt
reifung lässt sich im Einzelfall vertreten, da die Ei- und während der Therapie engmaschig überwacht
zellqualität bei Frauen unter 35 Jahrentrotz vermin- werden.
derter Reserve noch ausreichend sein kann zur
Erzielung einer Schwangerschaft. Die Schwanger- • Therapie. Bei einem schweren OHSS ist eine In-
schaftsraten sind sehr niedrig (2-10 %), wobei in tensivtherapie mit Infusionen, Thromboseprophy-
der Hälfte der Fälle mit einer Fehlgeburt gerechnet laxe, Bilanzierung des Flüssigkeitshaushaltes, Re-
werden muss. hydratation mit Albuminen und evtl. Punktion
von Ergüssen notwendig. Das Krankheitsbild kann
Studien sich durch den Eintritt der gewünschten Schwanger-
Der Einsatz von Wachstumshormon vor und wäh- schaft noch verschlechtern. Tritt keine Schwanger-
rend eines Stimulationsversuches bei hypergonado- schaft ein, so kommt es meistens zu einer raschen
tropen Frauen führt nicht zu einer signifikanten Besserung.
Verbesserung der Follikelreifung, daher kann dieser
Therapieansatz nicht empfohlen werden.

5.10
Therapiekontrollen
Menopause
Jede Stimulationstherapie sollte sonographisch
überwacht werden, damit das Risiko von Mehr- T RABE,E. VLADESCU,B. RUNNEBAUM
lingsschwangerschaften begrenzt werden kann. In
Deutschland darf eine Stimulationstherapie, bei der 5.10.1
mehr als 2 Follikel entstehen können, nur durch Fallpräsentation
Frauenärzte mit Zulassung durch die zuständige
Ärztekammer durchgeführt werden.
53-jährige Patientin mit Hitzewallungen, Schlaf-
störungen und depre siver Verstimmung seit
Nebenwirkungen
2 Jahren. Zustand nach Hysterektomie ohne
Da die therapeutische Breite insbesondere der Gona-
Adnexektomie. Nie ernsthaft krank gewesen;
dotropine gering ist, besteht bei jeder Stimulation
nach der Geburt des 2. Kindes vor 15 Jahren Ent-
das Risiko einer Überstimulation und von Mehr-
wicklung eines Uteru myomatosu . Mit 46 Jah-
lingsschwangerschaften.
ren wegen dysfunktioneUer Blutungen und De-
scensus uteri und vorderer Zystozele vaginale
Hysterektomie ohne Adnexektomie mit vorde-
5.9.8 rer Kolporhaphie. Zur Zeit sehr nervös; Partner-
Notfall probleme. Starke Zigarettenraucherin (> 20/
Tag). Wenig Bewegung. Arbeit in einem
Ovarielles Überstimulationssyndrom (OHSS) Schreibbüro als Übersetzerin. Bisher noch nie
Während oder nach Stimulationsbehandlung kann Hormone eingenommen. Keine familiäre Bela-
sich - besonders nach Gabe von HCG - ein be- stung hinsichtlich Krebs, kardiovaskulären Er-
drohliches Krankheitsbild, das ovarielle Überstimu- krankungen, Osteoporose, Diabetes mellitus
lationssyndrom (OHSS), entwickeln. Die Häufigkeit und M. Alzheimer. Untersuchungsbefund:
eines schweren OHSS beträgt ca. 2 o/o der ovariellen Patientin mit typisch weiblichem Habitus.
Stimulationen. Patientinnen mit PCO-Syndrom sind 163 cm groß und 58 kg schwer. Normale seiten-
häufiger betroffen. Ein OHSS tritt bei den sog. gleiche, palpatorisch unauffällige Brust, keine
"Step-up-Protokollen" zur ovariellen Stimulation Lymphknoten. Äußeres Genitale leicht gerötet,
(= stufenweise Erhöhung der Gonadotropingabe trocken; weißliche Belege sowie auch Rötung
pro Tag) häufiger auf als bei den sog. "Step- im Bereich der Scheide, z. T. oberflächliche Ero-
down- Protokollen".
5.10 Menopause 185

sionen im Sinne einer atrophischen Kolpitis; an- 5.10.2


sonsten unauffälliger Vaginalabschluss bei Sta- Epidemiologie und Definition
tus nach Hysterektomie. Mikroskopisch: Misch-
flora, Vaginalepithelien mit den Zeichen eines Die Lebenserwartung der Frau hat in den westlichen
Östrogenmangels. Labor: FSH 24 mE/ml (nor- Industrieländern innerhalb der letzten 50 Jahre auf
mal < 10 mE/ml), LH 18 mE/ml (normal über 80 Jahre zugenommen. Insofern wird der Arzt
< 10 mE/ml), Östradiol 16 pglml (normal immer mehr mit den Problemen der Altersgynä-
40- 250 pg!ml), Cholesterin 255 mg!dl (normal kologie, insbesondere aber der Prävention von
180 anni), Trigylzeride 180 mgldl (normal kardiavaskulären Erkrankungen, Osteoporose und
< 150 mgldl), LOL-Choiesterin 120 mg/dl M. Alzheimer, aber auch mit der Frage Hormoner-
(< 150 g!dl), HOL-Cholesterin 45 mgldl (nor- satztherapie und Krebs konfrontiert. Als Klimakte-
mal: 50-60 mg/dl). Knochendichte: im unteren rium wird bei der Frau die Übergangsphase vom
Normbereich. Mammographie: keine Besonder- Ende der Geschlechtsreife bis zum Senium bezeich-
heiten. Bei der Patientin handelt es sich um net. In diese Lebensphase fallen die Prä- und Peri-
typische klimakterische Ausfallserscheinungen menopause, die Menopause sowie die Postmeno-
aufgrund des Östrogenmangels. Den Eintritt pause.
der Menopause hat die Patientin - bei Zustand
nach Hysterektomie - nicht anhand des Sistie- • Prämenopause. Als Prämenopause bezeichnet
rens der vaginalen Blutungen bemerken kön- man den Zeitraum von etwa 5 Jahren vor dem Ein-
nen. Das Beschwerdebild ist typisch. Auch im tritt der Menopause, in dem bereits Blutungs-
Bereich der Vagina und des äußeren Genitale störungen und vegetative Beschwerden auftreten
typische Zeichen des Ö trogenmangels (atro- können.
phische Kolpitis) . Da die Knochendichte noch
im unteren Normbereich Liegt und keine fami -
liäre Belastung hinsichtlich Krebs, kardiavasku- • Perimenopause. Die Perimenopause ist die Über-
gangsphasezwischen der Prä- und Postmenopause.
lärer Erkrankungen und Osteoporose besteht,
wird folgende Therapie empfohlen: Einstellen Dieser Zeitraum beginnt 2 Jahre vor der Menopause
des Rauchens, cholesterinarme Ernährung, und dauert noch ein Jahr nach dieser an.
mehr Bewegung. Zusätzlich Kalzium (1 g!Tag)
und Vitamin D (800 IE/Tag). Nach entsprechen- • Menopause. Die Menopause stellt den Zeitpunkt
der Aufklärung über Vor-/Nachteile einer Hor- der letzten vom Ovar abhängigen uterinen Blutung
monersatztherapie Beginn einer Östrogen- dar; dieser Zeitpunkt kann erst nach einer Blutun-
monotherapie (z. B. Ö tradiolpflaster = 50 ).lg gsfreiheit von einem Jahr festgelegt werden. Das
Östradiol pro Tag oder die Gabe von 2 mg mittlere Menopausealter in Mitteleuropa beträgt
Östradiolvalerat); bei der hysterektomierten Pa- 51 Jahre.
tientin ist eine Gestagen-Zusatztherapie nicht
erforderlich. Zusätzlich 2- mal täglich 1 Östri- • Postmenopause. Die Postmenopause beginnt ein
ol -Vaginalovulum (z. B. OeKolp) zur Behand- Jahr nach der Menopause und erstreckt sich über
lung der Urogenitalbeschwerden. Nach 3 Wo- einen Zeitraum von 10-15 Jahren, gefolgt vom Seni-
chen Therapie bereits deutliche Besserung der um.
Vaginalbeschwerden; bei der Wiedervorstellung • Frühe Postmenopause: Menopause bis 4 Jahre
nach 3 Monaten nur noch vereinzelt Hitzewal- danach.
lungen; sie konnte besser schlafen. Krebsvorsor- • Späte Postmenopause: Menopause > 4 Jahre da-
geuntersuchungen erfolgten alle 6- 12 Monate. nach bis ca. 70. Lebensjahr.
Mammographie alle 1,5-2 Jahre. Hätte die Pa- • Senium: ab ca. 70. Lebensjahr.
tientin eine Hormontherapie mit Östrogenen
abgelehnt, wäre alternativ zur Behandlung der
Hitzewallungen, Schlafstörungen und depressi-
5.1 0.3
ven Verstimmungen eine Behandlung mit Jo-
hanniskraut-Präparaten in Frage gekommen.
Pathophysiologie
Als Zusatzbehandlung bei erniedrigter Kno-
chendichte kommen SERM, d. h. Raloxifen (Evi- Der Verlust hormonaktiver Follikel in den Ovarien
durch Atresie und der hierdurch bedingte Östrogen-
sta), in Betracht, da hierdurch das Mammakar-
mangel sind die Ursache für das Auftreten von kli-
zinomrisiko reduziert wird.
makterischen Beschwerden.
186 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

• Prämenopause. In der Prämenopause kommt es liegen die FSH-Spiegel um 10- bis 20-fach höher. Der
zu einer nachlassenden Ovarialfunktion mit Östra- Anstieg der Serumspiegel für LH ist weniger ausge-
diolabfall und Gonadotropinanstieg (insbesondere prägt (im Vergleich zur fertilen Phase: 3- bis 5-facher
FSH) sowie zu einem relativen oder absoluten Pro- Anstieg).
gesteronmangel; gleichzeitig Verkürzung der Folli-
kelreifungsphase, Zunahme von anovulatorischen
Zyklen, gehäuftes Auftreten von Zyklen mit einer 5.10.4
Lutealinsuffizienz und vermehrt dysfunktioneile Klinik
Blutungen (Abb. 5-8 und Tabelle 5-11).
Während in der Prä- und Perimenopause neben
• Postmenopause. In der Postmenopause tritt Blutungsstörungen neurovegetative und psychische
parallel zur Atresie der ovariellen Follikel ein drasti- Störungen im Vordergrund stehen, kommt es mit
scher Abfall der Östradiolspiegel im Serum auf zunehmender Dauer des Östrogenmangels in der
(< 30 pg/ml). Gleichzeitig kommt es zu einem Postmenopause zur Manifestation von Organstö-
starken FSH-Anstieg; im Vergleich zur fertilen Phase rungen (Abb. S-9).

Öst radiol FSH


im Serum im Serum
(pg / ml) Östradiol (ng/ml)
FSH
120
110 22
100
90
80
f" 20
18

70 Östradiol
(pg / ml)
so
FSH (ng/ml) 40
30

:1
20
10

42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 Abb. 5-8. Endokrinalogische Verände-


rungen in der Prä- und Postmenopause.
Alter !Jahre) (Nach von Holst 1982)

[:::::J Sto rungen ohne typ1sche Merkmale Storungen m1t typiSChen Merkmalen

Blutungssto
fur191J1r
c:
0
Kllmakteusc ~~ hwe1den
~
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""C S<hlalst oru~(lpn.~ rederQeSChlaQenhen I
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I I Blutho<:h{huck

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A rter~verkalkung
Abb. 5-9. Klinische Beschwerden in Ab-
hängigkeit vom Zeitpunkt des Eintritts
40 45 so 55 60 65 70 der Menopause bezogen auf das Lebens-
Altt>r alter
5.10 Menopause 187

Tabelle 5-11. Weibliche Sexualhormone in der Peri- und Postmenopause

Hormone Normalwerte (Serum)


Follikelphase Lutcalphasc Menopause Einheiten

Prolaktin 70- 410 70- 410 mE/1


FSH < 10 > 40 mE/ml
LH < 10 > 20 mE/mJ
DHEA-S 350-4300 350- 4300 ngtml
DHEA 0,7- 7 0,7-7 nglml
Testo teron (gesamt) 180- 580 180- 580 pglml
Androstendion 0,45-3,45 0,45- 3,45 nglml
Östradiol > 40 < 30 pglml
Östron 44-125 14-103 pglml
Progesteron 0,2-2 > 10 < I nglml

Neurovegetative Störungen
5.10.5
Durch den Östrogenmangel in der Perimenopause
Diagnostik
treten psychovegetative Symptome (u. a. Hitzewal-
lungen, depressive Verstimmungen, Schweißaus-
Ziel
brüche, Schlaflosigkeit, Nervosität, Reizbarkeit,
• Erkennung von Grunderkrankungen in der Fami-
Ängste, Spannungsgefühl, Schwindel, Kopfschmer-
lie oder bei der Patientin selbst.
zen, Durchblutungsstörungen) auf. Etwa zwei
• Erkennung von Risikogruppen, bei denen eine
Drittel aller Frauen im Klimakterium weisen diese
bestimmte Erkrankung (z. B. Osteoporose) prä-
Symptome auf; im Vordergrund stehen dabei die
ventiv behandelt werden muss, oder Risiko-
Hitzewallungen.
gruppen, die bestimmte Behandlungsmethoden
nicht bekommen dürfen (z. B. familiäres Risiko
Psychische Störungen (psychonervöse Störungen) für Mammakarzinom und HRT-Beratung).
Reizbarkeit, Lustlosigkeit, Gedächtnisschwäche, • Weitere Informationen: Was will die Patientin
Leistungsabfall, Schlafstörungen, hypomanische selbst - was will sie nicht?
Zustände, depressiv-dysphorische Verstimmungs-
zustände sowie hysterische ReaktionsmusteL Familienanamnese
Familiäres Risiko für Osteoporose, kardiavaskuläre
Erkrankungen, Mamma- und Ovarialkarzinom, Alz-
Organische Veränderungen
heimer-Risiko, Diabetes mellitus, Alter der Eltern,
In Abhängigkeit von der Dauer des Östrogenman-
evtl. Todesursache.
gels sind an allen östrogenabhängigen Zielorganen
Veränderungen zu erwarten. Die Manifestation die-
ser Störungen ist zeitlich unterschiedlich. Zunächst Anamnese
kommt es zu Voroperationen, kardiavaskuläre Erkrankungen
• urogenitalen Veränderungen (Atrophie der Geni- (insbesondere Thrombosen); klären, inwieweit
talschleimhäute mit Entzündungen, Urethralsyn- kontrazeptive Maßnahmen noch erforderlich sind;
drom, Reizblase, Stress- und Urgeinkontinenz), ob regelmäßige Blutungen noch zu erwarten oder
• Haut- und Schleimhautveränderungen (Atro- erwünscht sind; Kenntnisse über Wirkungen und
phien, Vitiligo, androgenetische Alopezie), Nebenwirkungen der Sexualisteroide; Lebensum-
• Arthralgie, stände, Rauchgewohnheiten, Ernährung, Sport
• Keratoconjunctivitis sicca. und Bewegung. Status nach onkologischen Erkran-
kungen. Beschwerdebild: neurovegetative Beschwer-
Mit längerer Dauer des Östrogenmangels (5-10 Jah- den ( u. a. Hitzewallungen, Schlafstörungen, depres-
re) kommt es auch zu Erkrankungen des kardio- sive Verstimmungen, Schweißausbrüche), Urogeni-
vaskulären Systems sowie zu osteoporotischen Ver- talbeschwerden, Schmerzen im Bereich der Wirbel-
änderungen. säule.
188 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Körperliche Untersuchung Präparate


Gewicht, Fettverteilung, RR, Puls, Varikosis.
Östrogene
• Östradiol und -ester: Östradiol (mikronisiert),
Gynäkologische Untersuchung
Östradiolvalerat,
Krebsvorsorge, Vaginalzytologie zur ersten Beurtei-
• Östriol und -ester (Östriolsuccinat etc.),
lung des Östrogenstatus.
• Östron und -ester (Östronsulfat),
• konjugierte equine Östrogene,
Labor • synthetische Östrogene (Äthinylöstradiol)
Diabetes-mellitus-Screening (Nüchternblutzucker, (Übersicht Tabelle 5-12).
evtl. HbA1c); evtl. Lipide. Hormonbestimmungen:
FSH, Östradiol; Östron (nur bei Frauen mit an- • Wirkung. Besserung systemischer klimakteri-
droidem Fettverteilungsmuster; bei Östrogenneben- scher Ausfallserscheinungen bzw. Prävention von
wirkungen). Östrogenmangelerkrankungen. Die Wirkung am
Östradiolrezeptor des Endometriums (Konsequenz:
Blutungen bzw. Blutungsstörungen) hängt von der
Technische Verfahren
Bindung und Aktivierung des Östradiolrezeptors
Ultraschall (Beurteilung der Endometriumdicke),
ab. Bei oraler und transdermaler Applikation von
Osteoporosediagnostik (s. Kap. 11) Knochendichte,
Östradiol erreicht man die Aktivierung des Östradiol-
evtl. Röntgen der Wirbelsäule.
rezeptors. Die lokale Östrogenwirkung im Bereich
der Scheide ohne Bindung am Östradiolrezeptor
wird durch Östriol bei vaginaler Applikation erzielt.
5.10.6
Therapie
• Dosierung. So hoch wie nötig zur Therapie der
Östrogenmangelerscheinungen (z. B. Schlafstörun-
Hormonersatztherapie - Allgemeines
gen, Hitzewallungen) (Tabelle 5-12) und zur Erzie-
Hormonersatztherapie in der Postmenopause be-
lung eines ausreichenden Schutzeffektes am Kno-
deutet die Gabe von Östrogenen zum Ausgleich
chen und am Gefäßsystem.
der durch den Ausfall der Ovarialfunktion fehlen-
den Östrogene und bei Frauen mit noch vor-
• Nebenwirkungen von natürlichen Östrogenen.
handenem Uterus die gleichzeitige oder sequenziell
Schwere Beine, Wadenkrämpfe, Kopfschmerzen,
erfolgende Gestagengabe zur Verhinderung eines
Schlaflosigkeit, Wasserretention, Brustspannen, zer-
Endometriumkarzinoms. Weiterhin werden - re-
vikaler Fluor, Pigmentierung, Cholestease.
gional unterschiedlich - bei bestimmten Sympto-
men (z. B. Libidomangel, Antriebsarmut) Androge-
ne zur Substitution (mit-)verordnet. Eine hormo- Gestagene
nelle Substitution in der Peri- und Postmenopause Die Gestagene lassen sich aufgrund ihrer Herkunft
ist aus therapeutischen oder präventiven Gründen als Abkömmlinge vom Progesteron oder vom
indiziert. 19-Nortestosteron einteilen.

Tabelle 5-12. "Natürliche" und synthetische Östrogene: Tägliche Substitutions- und Endometriumsproliferationsdosen

Substanz Applikationsmöglichkeiten Tägliche Volle Prolifcrationsdosis


Substitutionsdosis am Endometrium
(mg) (mg/14 Tage)

("Natürliche") Östrogene
Östradiol Oral vaginal, (nasal) 0,025- 0,1 60
transdermal
l7ß-Östradiol, mikronisiert Oral, vaginal 2 60
Östradiolvalerat Oral, intramu kulär 1,0- 2,0 60
Konjugierte equine Östrogene Oral 0,6-1 ,25 60
Ö triol( -succinat) Oral, vaginal 1- 2
Östronsulfat Oral
"Synthetische" Östrogene
Äthinylöstradiol Oral 0,02 0,3
5.10 Menopause 189

Tabelle 5-13. Progestagene zur HRT: Äquivalenzdosen am Endometrium

Substanz Applikationsmoglichkcit Empfohlene Dosierung Tranformationsdosis


(mg/Tag) (mg/Zyklus)

17a- Hydroxyprogesteronderivate
Progesteron, mikronisiert Oral, vaginal 200-300 4.200
Chlormadinonacetar• Oral 2 25-30
Medroxyprogesteronacetat Oral, intramuskulär 5- 10 30- 50
Medrogeston Oral 5 70
Cyproteronacetat• Oral I 20
Dydrogesteron Oral 10 140
19- ortestosteronderivate
orge trel 0,15 8-12
Levonorgesrrel Oral, intrauterin 0,075 4- 12
Lynestrenol Oral 70- 150
orethisteron Oral 0,7 so
orethisteronacetat Oral, transdermal 100-120
Varia
Tibolon Oral 2,5
Prasteronenanthat (DHEA-enanthat) Intramuskulär

• antiandrogene Wirkung

• Wirkung. Prophylaxe einer Endometriumhyper- • In der Prämenopause bei Blutungsstörungen ist


plasie. eine zyklische Gestagentherapie möglich; ebenso
• Induktion von Entzugsblutungen bei zyklischer eine Progesterontherapie bei Wassereinlagerung
Therapie, und Venenbeschwerden.
• Induktion einer Endometriumatrophie bei konti-
nuierlicher, kombinierter Östrogen/Gestagen- • Nebenwirkungen
Therapie. • Progesteronderivate: Neigung zu Mykosen, trok-
kene Scheide, Förderung der Diurese,
• Dosierung. Keine Überdosierung der Gestagene, • Nortestosteronderivate: Müdigkeit, Depressionen,
da sonst partielle Aufhebung der positiven Östro- Libidominderung, Gewichtszunahme, Akne, Hir-
genwirkungen (Tabelle 5-13). sutismus, Hypo-/Amenorrhö, Ödeme.

Behandlungsdauer. 10-14 Tage zur Prophylaxe Überdosierung: Gestagene heben die positiven Wir-
der Endometriumhyperplasie. kungen der Östrogene am kardiavaskulären System
je nach Art und Dosierung z. T. auf. Daher sollte die
Gestagendosis so gering wie nötig gewählt werden,
Auswahl der Gestagene. Beispielsweise bei Nei-
so dass gerade noch eine ausreichende Endometri-
gung zur Androgenisierung: Cyproteronacetat. Da-
umprotektion erzielt wird (Tabelle 5-14).
gegen Progesteron in der Perimenopause bei Ödem-
neigung.
Androgene
• Indikationen Präparate mit Methyltestosteron nicht in Deutsch-
• Bei nichthysterektomierter Patientin werden die land verfügbar; in den USA werden solche Präparate
Gestagene als Schutz vor einem Endometrium- zunehmend beliebter.
karzinom als Nebenwirkung der Östrogensubsti-
tution durch regelmäßige Abbruchblutungen • Wirkung. Substitution des Androgendefizits in
(sequentielle Therapie) gegeben oder durch In- der Postmenopause.
duktion einer Endometriumatrophie mit konse-
kutiver Amenorrhö (kontinuierlich-kombinierte • Vor-/Nachteile. Günstiger Einfluss auf Eiweiß-
Therapie). stoffwechsel, Vitalität, Stimmung und Libido.
190 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Tabelle 5-14. Nebenwirkungen der Östrogen- bzw. (;estage- Bevölkerung; im Vergleich zum Placebo RR
nersatztherapie in der Postmenopause (bei relativer Uberdo- 2,49 (1,23-5,02).
sierung)
• Oberflächliche Thrombophlebitiden bei < 1 o/o
Östrogene Gestagene der Fälle (kein Unterschied zur HRT).
• Vermehrt Wadenkrämpfe (5,5 o/o vs. 1,9 o/o beim
ZNS Übelkeit Abgeschlagenheil Placebo).
Migräne Appetitanstieg
Dysphorie
Gewicht Gewichtszunahme Gewichtszunahme
• Indikation
Wasserretention • Primärprävention der Osteoporose (Prävention
Androgenisierung - Akne, Hirsutis- atraumatischer Wirbelbrüche bei Patientinnen
mus, Seborrhö mit erhöhtem Osteoporoserisiko = zugelassene
Brust Brustspannen Brustspannen Indikation): Reduktion der Osteoporose um
Genitalorgane Zervikaler Fluor Trockene Vagina 42 o/o bei Frauen mit Osteoporose (n = 5064;
und Atrophie des BMD > 2,5 SD).
Vaginalepithels • Sekundärprävention und Therapie der Osteo-
Libido Libidoabnahme porose: Reduktion der fortgeschrittenen Osteo-
Stoffwechsel Cholestase, porose um 34% (n = 2641 mit Wirbelfrakturen).
Cholelithiasis Die MORE-Studie läuft z. Z. im 4. Jahr (geplant
Varia Blähgefühl sind 6 Jahre).
Schwere Beine,
Wadenkrämpfe
• Kontraindikationen
• Venöse thromboembolische Erkrankungen in
der Anamnese oder aktuelle Thrombose.
SERM ("selective estrogen receptor modulators") • Schwere Leber- und Nierenschäden.
Raloxifen ist ein nichtsteroidales Benzothiophende- • Keine Einnahme ohne sicheren Kontrazeptions-
rivat. Weitere Substanzen (u. a. Torimifen) sind in schutz im gebärfähigen Alter.
Entwicklung.
• Anmerkung. Wirkung von Raloxifen auf koro-
• Indikationen. Raloxifen ist in Deutschland zur naren Herztod und nichtletalen Myokardinfarkt
Primärprävention der Osteoporose zugelassen. wird in der RUTH-Studie untersucht (Multizenter-
studie, n = 10.000 Fälle mit erhöhtem kardiovasku-
• Wirkung. Gewebespezifische Bindung am Östra- lärem Risiko). Ergebnisse sind erst in einigen Jahren
diolrezeptor und Veränderung der Rezeptorkon- zu erwarten.
figuration, so dass eine Dimerisierung und somit
Aktivierung nicht möglich ist.
Ziele einer Hormonersatztherapie im Klimakterium
• Dosierung. Raloxifen: 60 mg als Einzelgabe oral/ • Unterdrückung der vegetativen und psychischen
Tag, keine Beeinflussung durch Nahrungsaufnahme; Beschwerden, Schutz vor Urogenitalatrophie,
Einnahmezeitpunkt (Tageszeit) spielt keine Rolle. günstige Wirkungen auf Haut und Schleimhäute,
Verbesserung des psychosozialen Umfeldes, Ver-
• Vor-/Nachteile. Gewebespezifische Östrogenago- besserung der Hirnfunktion (Merkfähigkeit, Kon-
nistische (z. B. Knochen, Stoffwechsel) bzw. -antago- zentration).
nistische Wirkung (z. B. Brust, Endometrium), • Günstige Beeinflussung des kardiovaskulären Sy-
• Vorteil: keine proliferative Wirkung auf das En- stems, d. h. Verbesserung der Durchblutung, Sen-
dometrium (keine Hyperplasie), Abnahme des kung des Blutdruckes, günstige Einflüsse auf den
Mammakarzinomrisikos um 54 o/o (1 0.000 Fälle Fettstoffwechsel.
über 3 Jahre) (Langzeitstudien mit 22.000 Fällen • Prävention bzw. Minderung von Knochenmasse-
laufen zur Zeit, STAR-Studie) (Vergleich Tamoxi- verlust
phen 20 mg vs. 60 mg Raloxifen über 5 Jahre). • Erhaltung der Gesundheit, der Arbeitsfähigkeit
• Nachteil: keine Beeinflussung der psychovege- und einer besseren Lebensqualität
tativen und vasomotorischen klimakterischen
Beschwerden. Indikation
• Behandlung von Blutungsstörungen,
• Nebenwirkungen • Behandlung klimakterischer Beschwerden,
• Venöse thromboembolische Erkrankungen in der • Behandlung chronischer Östrogenmangelerschei-
Postmenopause in 0,8 o/o der durchschnittlichen nungen bzw. Prävention derselben (Genitale, Ske-
5.10 Menopause 191

lettsystem, Herz-Kreislauf-System, Haut und Vorteile der parenteralen Anwendung (z. B. trans-
Schleimhäute, ZNS). dermal): geringere Belastung von Magen, Darm,
Leber und Galle, geringere oder fehlende meta-
Kontraindikation bolische Effekte.
• Floride Thrombose oder Thromboembolie.
• Akuter Herzinfarkt.
• Zustand nach rezeptorpositivem Mammakarzi- Therapieschemata
nom. Die Therapiemöglichkeiten richten sich nach dem
• Akute oder chronische Lebererkrankungen, so- Lebensabschnitt der Frau und den zugrunde liegen-
lange die Leberfunktionsparameter nicht im den funktionellen Störungen bzw. Beschwerden
Normalbereich liegen. (Abb. 5-10).
• Unklare uterine Blutungen. • In der Prämenopause wird eine Zyklusnormali-
• Relative Kontraindikationen, s. jeweilige Beipack- sierung und Kompensation des relativen Östro-
zettel. genübergewichts angestrebt.
• In der frühen Menopause ist eine zyklische Östro-
Anwendungswege gen-Gestagen-Therapie sinnvoll mit regelmäßi-
• Oral: Östradiolester, konjugierte Östrogene, Öst- gen Abbruchblutungen.
riol, Östriolester, • Im höheren Lebensalter kann eine kontinuierliche
• transdermal: Östradiol (Pflaster, Gel), kombinierte Östrogen-Gestagen-Therapie zur
• transvaginal: Östradiol (Vaginalring), Atrophisierung des Endometriums (Ziel: Amen-
• vaginal: Östriol, niedrig dosiert Östradiol (Ovula, orrhö) eingesetzt werden.
Creme), • Bei Zustand nach Hysterektomie ist auch eine
• sublingual: z. Z. in klinischer Prüfung. reine Östrogentherapie möglich.

Monotherapie
Östrogene zyklisch

Östrogene kontinuierlich

Gestagene (kontinuierlich)

Kombinationstherapie
Sequenztherapie: 2-Stufen

Sequenzthet"aple: 2·Stufen

3--Stufen-Therapie

Estrogen-mono mit Gastagen Intervalltherapie

Östrogen/Gestagen kontinuierlich

Zyklus 1 Zyklus 2 Zyklus 3

Abb. 5-10. Hormonersatztherapie in der Postmenopause: Therapieschemata: Östrogen- oder Gestagenmonotherapie und
Kombinationstherapieschemata. (Nach Hollihn 1997)
192 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Monotherapie Hormonersatztherapie in den


• Östrogene verschiedenen Lebensphasen der Frau
• Bei hysterektomierten Patientinnen.
• Bei vorhandenem Uterus und Gestagenunver- Prämenopause
träglichkeit (Ausnahmefall). • Pathophysiologie. Es treten Blutungsstörungen
• Nur unter enger Beobachtung der Proliferation und Zyklusunregelmäßigkeiten infolge einer nach-
des Endometriums (Sonographie). lassenden Ovarialfunktion (Follikelreifungsstörun-
gen) mit Anovulation oder verspäteter Ovulation
• Gestagene mit Gelbkörperinsuffizienz ( = relative Östrogendo-
• Zyklisch: in der Prämenopause zur Vermeidung minanz) auf. Andere Symptome wie Müdigkeit,
östrogenbedingter Zustände (Corpus-luteum-In- Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Schwindel und De-
suffizienz, anovulatorische Zyklen). pressionen nehmen zu. Immer häufiger treten Hit-
• Kontinuierlich: in der Prä- und Perimenopause um zewallungen, Schweißausbrüche, Herzjagen, Nervo-
einen sicheren kontrazeptiven Effekt zu erzielen. sität und Schwindel auf, die auch zu Schlafstörungen
führen können.
Nachteil: Blutungsstörungen
• Therapie. Orale hormonale Kontrazeptiva: Ein-
nahme von oralen hormonalen Kontrazeptiva
Östrogen-Gestagen-Kombination (OC) zur Kontrazeption und zur Therapie (d. h. Hy-
• Sequenziell. In der Prä- und Perimenopause, permenorrhö bei Uterus myomatosus, Zyklusunre-
• Östrogentherapie (Tag 1-21; z. B. Östradiol trans- gelmäßigkeiten und Dysmenorrhö}. Falls bei diesen
dermal) mit zyklischer Gestagengabe (Tag 11-21). Frauen keine Risikofaktoren wie Hypertonie, Fett-
• Sequenzielle Gestagengabe: jeden Monat (Stan- stoffwechselstörungen, positive Eigen- und/oder
dard!); alle 2-3 Monate (wird z. Z. klinisch ge- Familienanamnese im Hinblick auf Thrombosen
prüft!}; alle 6-12 Monate (je nach Endometrium- und kardiavaskuläre Erkrankungen sowie Rauchen
dicke im Ultraschall) (wird z. Z. klinisch ge- vorliegen, ist die Anwendung niedrigdosierter oraler
prüft!}. Kontrazeptiva (20 !lg Ethinylöstradiol) vertretbar
und oft von Nutzen. Vorteile dabei sind Abnahme
• Kontinuierlich. In der Postmenopause Östrogen der Hyper- und Dysmenorrhö, Erhalt der Knochen-
und ein Gestagen kontinuierlich (ohne Pause!) masse und das weitgehende Vermeiden klimakteri-
scher Symptome. Ebenfalls ergibt sich, je nach Dauer
der Einnahme, ein deutlicher Schutz vor Ovarial-
Therapieempfehlungen für die Praxis und Endometriumkarzinom.
• Patientenauswahl Zyklische Gestagentherapie: Falls für niedrigdosierte
• Behandlung klimakterischer Beschwerden. hormonale Kontrazeptiva eine relative Kontraindi-
• Osteoporoseprophylaxe-z. B. familiäres Risiko. kation besteht, so sind Gestagene (16.-25. Zyklustag;
• Kardiavaskuläres Risiko (familiär, Stoffwechsel). u. a. auch reines Progesteron; oral oder vaginal) oder
• Angst vor Hormonbehandlung wegen Mamma- natürliche Östrogene in Kombination mit Gesta-
karzinomrisiko. genen einzusetzen. Die jeweilige Therapie in der
Prä- und Perimenopause ist im Einzelfall nach ent-
• Voruntersuchungen sprechender Nutzen-Risiko-Analyse festzulegen.
• Beurteilung des Osteoporoserisikos durch Kno- Niedrigdosierte "hormone replacement therapy"
chendichtemessung bei Risikoanamnese (familiä- (HRT)-Präparate: trizyklische HRT -Präparate oder
re Osteoporose, Frakturneigung, Untergewicht, niedrigdosierte sequenzielle Kombinationspräpate
Stress, Rauchen, Rasse). (z. B. Cyclo-Menorette, Mericomb)
• Ausschluss gynäkologischer Krebserkrankungen
(Mammakarzinom, Zervix-, Endometrium- und • Zusatzdiagnostik Kommt es zu nicht erklärbaren
Ovarialkarzinom). Durchbruchsblutungen, so sind diagnostische Maß-
• Ausschluss von Kontraindikationen (Status nach nahmen wie die vaginale Sonographie des Endome-
rezeptorpositivem Mammakarzinom umstritten), triums, eine Hysteroskopie bzw. eine Abrasio erfor-
akute Thrombose oder Thromboembolie, akute derlich.
Hepatitis

• Therapiebeginn
• Jederzeit, je nach Beschwerdesymptomatik,
• vgl. nächsten Abschnitt (s. unten).
5.10 Menopause 193

Postmenopause (frühe Postmenopause Postmenopause (späte Postmenopause


bis 4 Jahre nach Menopause) ab 4 Jahre nach Menopause bis zum 70. Lebensjahr)
• Pathophysiologie. Eine Ovarialinsuffizienz führt • Pathophysiologie
meistens zu Hitzewallungen, Schweißausbrüchen, • Das Endometrium ist weniger hormonsensitiv; es
innerer Unruhe, Schlafstörungen usw. Die klimakte- neigt zur Amenorrhö unter Hormontherapie.
rischen Symptome dauern sehr unterschiedlich lan- • Langsames Nachlassen der psychovegetativen Be-
ge von 1 Jahr bis zu 15 Jahren. 2/3 der Frauen haben schwerden.
stärkere klimakterische Beschwerden, und 1/3 dieser
Patientinnen hat keine nennenswerten Störungen. • Therapie. Die Therapie erfolgt je nach Be-
Im Gegensatz zu der Häufigkeit der genannten Sym- schwerdebild und Risikofaktoren. Bei Patientinnen
ptomatik nehmen in der Bundesrepublik Deutsch- mit Uterus: Östrogen-Gestagen-Therapie: vorwie-
land nur etwa 1/4 aller Frauen zumindest kurzfristig gend kontinuierlich nur, wenn Blutungen von der
eine Hormonsubstitution in Anspruch, nur wenige Patientin akzeptiert werden, dann auch sequenziell;
Frauen länger als 5 Jahre. nach Möglichkeit niedrig dosierte Kombinations-
therapie (oral, aber auch transdermal als Pflaster)
• Therapie. Die Indikation wird aufgrund der (z. Z. Membranpflaster mit 0,025 mg Östradiol!
klinischen Symptomatik oder aus prophylaktischen 0,125 mg Norethisteronacetat); auch hierbei in
Gründen (kardiovaskuläres System, Knochen) ge- 85 o/o Endometriumatrophie und Sistieren der Blu-
stellt. Die notwendige Dosis für die Beschwerde- tung. Bei Patientinnen ohne Uterus: reine Östrogen-
freiheit muss individuell abgestimmt werden, aller- monotherapie möglich.
dings in einem Dosisbereich, der auch eine Osteo-
poroseprophylaxe darstellt (täglich 1-2 mg 17ß-
Senium (ab 70. Lebensjahr)
Östradiol, 0,625-1,25 mg konjugierte Östrogene,
• Pathophysiologie
bzw. 1-2 mg Östradiolvalerat); bei transdermaler
• Endometrium ist wenig hormonsensitiv,
Applikation ist wöchentlich 2-mal 4-8 mg 17ß-
• Nachlassen der psychovegetativen Beschwerden.
Östradiol oder mittels Matrixpflaster 1-mal wö-
chentlich notwendig in Kombination mit entspre-
• Therapie. Je nach Beschwerdebild und Risiko-
chenden Gestagenen. Die Behandlung kann zyklisch
faktoren. Bei Patientinnen mit Uterus: Östrogen-Ge-
erfolgen, d. h. 3 Wochen Behandlung, 1 Woche
stagen-Therapie: möglichst kontinuierlich, aber
Pause, oder als 3-Phasentherapie oder kontinuier-
auch eine niedrigdosierte Östrogentherapie nach
lich mit konstantem Östrogen-Gestagen-Gemisch
Aufklärung der Patientin und unter Ultraschallkon-
(ohne Pause). Ebenfalls ist eine Östrogendauer-
trolle des Endometriums möglich, evtl. zyklische
behandlung möglich, wenn Entzugsblutungen mit
Gestagengabe. Bei reiner Osteoporoseprävention:
Gestagenen alle 1-3 Monate herbeigeführt werden.
SERM. Bei manifester Osteoporose: z. B. Diphos-
Die Hormone können auch in Form von Gel
phonate, Calcitonin. Bei Patientinnen ohne Uterus:
0,5-1 mg täglich oder Pflaster transdermal appliziert
reine Östrogenmonotherapie möglich.
werden, was in manchen Fällen Vorteile bringt
(Vermeidung der ersten Leberpassage, weniger
gastrointestinale Nebenwirkungen, geringere Kontrolluntersuchungen
Östronspiegel}. Bei Zustand nach Hysterektomie • Abstände nach Erstverordnung. 3, 6 und 12 Mo-
kann nur mit Östrogenen behandelt werden. Die nate, danach in 1/2-jährlichen Abständen.
postmenopausale Östrogentherapie sollte bei nicht-
hysterektomierten Patientinnen als Standard in Basisdiagnostik. RR/Puls, Gewicht, Ödeme, Vari-
Kombination mit Gestagenen erfolgen. Die Erfolge kosis, Ausschluss einer Thrombophlebitis bzw.
mit der Hormonsubstitution zur Beseitigung der Thrombosen.
ovariaHen Ausfallserscheinungen sind gut. Etwa
90 o/o der behandelten Frauen werden beschwerde- • Brustvorsorgeuntersuchungen. Inspektion und
frei. Eine Langzeittherapie mit Östrogen-Gestagen- Palpation in halbjährlichen Abständen; Aufklärung
Gemischen verbessert die Lebensqualität der Frau der Patientin über Selbstuntersuchungen. Je nach
erheblich, d. h. die psychosoziale Situation der Anamnese und Befunden Sonographie und Mam-
Frau wird deutlich gesteigert schon durch die mographie: gewöhnlich alle 2 Jahre; bei Risikopa-
Beseitigung der lästigen Symptomatik. Eine lang- tientinnen je nach Situation.
fristige Östrogen-Gestagen-Behandlung (10-15 Jah-
re) dient als Prävention vor kardiavaskulären • Endometrium. Ultraschall bei Blutungsstörungen
Erkrankungen sowie vor Osteopenie bzw. Osteo- oder jährlich; bei Endometriumdicke ohne HRT
porose. über 4 mm und unter HRT über 8 mm (doppelte
194 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Dicke) und/oder weiteren Ultrasonographischen Osteopenie und Osteoporose


Zusatzkriterien: diagnostische Abklärung durch • Die Hormonsubstitution bzw. der Einsatz von
Hysteroskopie, Endometrium-PE oder Abrasio. SERM sind ebenfalls bei erhöhtem Risiko einer
Osteoporose als präventive Maßnahmen ange-
• Knochendichtemessung. Wenn Osteoporosepro- zeigt und bei bestehender Osteopenie oder Os-
blematik im Vordergrund steht; Basismessung mit teoporose eine wichtige zusätzliche therapeuti-
DPX an Wirbelsäule und Oberschenkelhals und in sche Maßnahme.
2- bis 5-jährlichen Abständen unter Therapie; in Ab- e Osteoporoseprävention: Kalzium (1,0-1,5 g/Tag)
hängigkeit von den Befunden. und Vitamin D (800-1.000 IE/Tag); gesunde Le-
bensgewohnheiten: Rauchen einstellen, Sport etc.
• Bei starker Osteoporose und Knochenschmerzen
Nebenwirkungen als mögliche Grundlage
Kalzitonin bzw./und Diphosphonate.
einer Therapiekorrektur
• Klimakterische Beschwerden. Häufigkeit von
Hitzewallungen und Schweißausbrüchen, Herzja- Kardiavaskuläres Risiko
gen, Schlafstörungen gebessert ja/nein; wenn nein • Bei einem erhöhten Risiko einer venösen throm-
= Östrogendosis zu niedrig?, Östradiolkontrolle boembolischen Erkrankung sollte eine Hormon-
im Serum; unregelmäßige Tabletteneinnahme; star- substitution bzw. Gabe von SERM nur aus thera-
ke Zigarettenraucherin? Therapie: Östrogendosis er- peutischen Gründen eingesetzt werden.
höhen; Rauchen aufgeben? • Bei einem erhöhten Risiko arterieller Erkrankun-
gen ist eine längerfristige Hormonsubstitution als
• Brustspannen, Gewichtszunahme, schwere Beine. präventive Maßnahme indiziert; die Vorteile der
Östrogendosis reduzieren, Frage: Alkohol?, evtl. HRT sind umso größer, je schwerer die Grunder-
Östrogene transdermal statt oral. krankung ist (z. B. Diabetes mellitus, Status nach
Koronarchirurgie ).
• Völlegefühl. Gestagendosis senken?, evtl. Gesta-
gene transdermal statt oral.
Brustkrebs
• Zwischenblutungen. Therapieschema ändern, • Bei familiärem Risiko für Brustkrebs ist die Hor-
d. h. zyklische auf kontinuierlich-kombinierte Gabe monsubstitution länger als 5 Jahre im Einzelfall
von Östrogen zu Gestagen, evtl. Einsatz von Tibo- nach Nutzen-Risiko-Analyse zu entscheiden.
Ion = kein Effekt auf Endometrium oder SERM • Mammakarzinomrisiko beachten: Risikoanstieg
(z. B. Raloxifen). nach 5 Jahren HRT (RR 1,27); günstigere Pro-
Die oben genannten Leitlinien für die Hormonsub- gnose der Tumoren unter HRT
stitutionstherapie dienen zur Orientierung. Auch
unter der Behandlung sollte öfters ein individuelles
Abwägen der Vorteile und möglichen Risiken bei Endometriumkarzinom
Fortsetzung der Hormontherapie erfolgen. Ent- • Bei reiner Östrogentherapie ist das Rezidivrisiko
scheidend für die Akzeptanz der Hormonbehand- erhöht; daher bei allen nichthysterektomierten
lung ist die Einstellung der Patientin zu dieser Be- Frauen: wenn eine HRT, dann ist eine Östro-
handlung und das Vertrauen zu ihrem behandeln- gen-Gestagen-Therapie erforderlich.
den Arzt. • Keine Endometriumwirkung durch neue SERM
Anmerkung: Unter Tamoxifen (z. B. im Rahmen
einer adjuvanten Therapie beim Mammakarzi-
Zusammenfassung nom) Risiko 4- bis 8-fach erhöht.

Klimakterische Beschwerden
• Die Hormonersatztherapie mit Östrogen-Gesta- Urogenitale Beschwerden
gen-Gemischen ist sehr effektiv zur Beseitigung Östriol als Ovulum oder Creme oder Östradiollokal
klimakterischer Symptome. als Ring oder Tablette. Vorteil der Lokaltherapie:
• SERM nicht wirksam bei psychovegetativen und keine systemischen Nebenwirkungen. Nachteil:
vasomotorischen Beschwerden. kein Osteoporoseschutz bzw. Schutz vor kardio-
• Psychovegetative Beschwerden lassen sich häufig vaskulären Erkrankungen etc. Bei isolierten Hitze-
mit Phytopharmaka, z. B. Johanniskraut, zufrie- wallungen evtl. Clonidintherapie oder Gestagenmo-
den stellend behandeln. notherapie.
5.11 Vorzeitige Pubertätszeichen und Puberlas praecox 195

Weitere Schutzwirkungen durch HRT


5.11
• M. Alzheimer
• Schutz vor Darmkrebs zu etwa 30%
Vorzeitige Pubertätszeichen
und Pubertas praecox
U. HEINRICH
5.10.7
Ausblick 5.11 .1
Fallpräsentation
Patientenselektion
• Bessere Definition von Risikogruppen, die HRT
benötigen, d. h. Patienten mit Risiko für z. B. Ein 8-jähriges Mädchen wurde vorgestellt, da
sich seit 6-12 Monaten Pubertätszeichen (Brust-
Osteoporose, arterielle kardiovaskuläre Erkran-
entwicklung, Schambehaarung) entwickelten.
kungen oder Diabetes mellitus. Bei Frauen mit
z. B. venösen kardiovaskulären Erkrankungen Bisher keine Menstruation. Die Schulleistungen
hatten nach Aussage der Eltern deutlich abge-
(Thrombose und Thromboembolien) ist eine
nommen, das Kind war sehr affektlabil und
transdermale HRT nach Risikoaufklärung mög-
unkonzentriert (Abb. 5-11). Befund: Für das Al-
lich. Bei einem erhöhten Risiko für Mamma-
ter sehr großes 8-jähriges Mädchen mit deutli-
karzinom ist eine Bewertung des familiären gene-
tischen Risikos hilfreich. chen Zeichen der Pubertät: Brustentwicklung
• Verbesserung paraklinischer Untersuchungsme- Stadium III nach Tanner, Pubes Stadium II
thoden zur Erkennung der Risikogruppen (z. B. nach Tanner, Körpergröße 138 cm (P 90),
Ultraschall-Knochendichte-Messung; biochemi- Wachstumsgeschwindigkeit über die letzten
sche Parameter zum Screening des Endometri- 12 Monate 9,5 cm (P 97). Labor: LH mit
umkarzinoms etc.). 6,7 mU/ml und FSH mit 4,2 mU/ml pubertär,
ß-Östradiol 23 pg!ml, DHEA-S 140 flg/dl. Im
LH-RH-Test deutlicher Anstieg von LH > FSH.
Innovationen LH/FSH-Nachtprofll: eindeutige Pulsatilität
• Zur Zeit 70 neue Innovationen im Bereich der von LH, weniger FSH. MRT des Schädels mit
HRT angemeldet: 35 Neuanmeldungen betreffen Kontrastmittel: kein Hinweis auf Fehlbildung
die Hormonpjlastertechnologie. oder Tumor im Bereich des Hypothalamus
• Dosisreduktion von Östrogenen (z. B. 0,5 mg und der Hypophyse. Ophthalmologischer Be-
Östradiolvalerat/0,5 mg NETA) und Gestagenen fund : keine Stauungspapille, Gesichtsfelder
(z. B. 0,5 mg NETA bzw. 2,5 mg Medroxyproge- nicht eingeschränkt. Diagnose: Pubertas praecox
steronacetat) vera. Therapie und Verlauf: Behandlung mit
• Entwicklung neuer Therapieschemata: z. B. 28-
Tages-Schema; zyklische Gestagengabe alle
3-6 Monate
• Untersuchung neuer Anwendungswege: Pflaster:
Reservoirpflaster Estraderm TTS seit 10 Jahren
immer noch Marktführer; in Deutschland z. Z.
10 Matrix-Pflaster im Handel, von denen sich
nur 3 durchsetzen werden; Beweis, dass ein Ma-
trixpflaster über 7 Tage besser ist als ein Reser-
voirpflaster steht noch aus; Kombipflaster mit
Östrogenen/Gestagenen; Reduktion der Pflaster-
fläche (z. B. 3 cm 2) .

Abb. 5-11. Puberlas praecox


196 KAPIT EL 5 We ibliche Gonaden

reversible Formen (druckassoziiert bei Hydro-


Enantone-Monatsdepot, einem subkutan inji- zephalus und Abszessen)
zierbaren GnRH-Agonisten. Die Injektionen • Peripher (GnRH-unabhängig}:
wurden regelmäßig in 4-wöchentlichen Abstän- Genetische Erkrankungen (Mutationen) :
den durchgeführt. Unter der Therapie deutliche adrenogeni tales Syndrom (heterosexuell)
Verlangsamung des Wachstums und der McCune-Albright-Syndrom
Skelettreifung. Die ursprünglich auf 156 cm Tumoren:
errechnete prospektive Endgröße besserte sich ebennierenrindentumoren (Adenome, Kar-
auf 168 cm. Im Alter vo n 11,6 Jahren (Knochen- zinome) isosexuell, heterosexuell
alter 12,6 Jahre) wurde die Therapie beendet. HCG- und östrogenproduzierende Tumoren
Nach 6 Monaten Einsetzen regelmäßiger Men- (Chorionkarzinom, Teratome)
struationen. östrogenproduzierende Tumoren (Granulosa-
zelltumor, Granulosa-Thekazell-Tumor)
Hormonal overlap (primäre Hypothyreose,
adrenogenitales Syndrom)
5.11.2
Iatrogen (Sexualsteroidsalben, Medikamente)
Definition der Pubertas praecox

Von einer Pubertas praecox spricht man, wenn erste


Pubertätszeichen in einem Alter von mehr als 2 SD 5.11.3
(Standardabweichungen) unter dem durchschnittli- Pathogenese der Pubertas praecox vera
chen Pubertätsbeginn auftreten. Dies bedeutet bei (zentrale Pubertas praecox)
Mädchen ein Auftreten vor dem 8. Lebensjahr. Es
können 2 Formen der vorzeitigen Pubertät unter- Die echte Pubertas praecox ist bei Mädchen mit
schieden werden: einer Ratio von 7 : 1 sehr viel häufiger als bei Kna-
• eine echte zentrale Pubertas praecox hypothala- ben. Die große Mehrheit der Mädchen (ca. 80 %) ha-
misch-hypophysären Ursprungs, ben eine sog. idiopathische Pubertas praecox, welche
• eine Pseudopubertas praecox, welche GnRH-un- bei Knaben extrem selten ist. Durch verbesserte bild-
abhängig ist. gebende Untersuchungsverfahren (CT/MRT) des
Z S lassen sich jedoch in vielen früher als idiopa -
Beide Formen gehen mit einer Akzeleration von thisch eingestuften Fällen kleinere Z S-Verände-
Wachstum und Skelettentwicklung einher. Dies be- rungen, wie zum Beispiel hypothalamisehe Hamar-
deutet, dass die Mädchen im Vergleich zu Gleich- tome nachweisen, insbesondere bei Kindern mit
altrigen anfangs sehr groß sind, durch den früh- einer sehr früh einsetzenden Pubertät. Diese Harnar-
zeitigen Epiphysenschluss jedoch eine verminderte terne können selbst als ektoper GnRH-Pulsgenera-
Endgröße aufweisen können . tor wirken. Andere Tumoren, wie zum Beispiel
Astrozytome, Gliome und Ependymome, können
durch Reizwirkung auf den hypothalamisehen
Differentialdiagnose der vorzeitigen Pubert~t GnRH-Pulsgenerator eine frühzeitige Pubertätsent-
Die Differentialdiagnose ist in folgender Ubersicht wicklung auslösen (s. folgende Übersicht) .
zusammengestellt.
Tumoren des ZNS als Ursache der Pubertas praecox
Differentialdiagnose der vorzeitigen Pubertät bei Mädch en

• Zentral (GnRH-abhängig): • Hormonproduzierende Tumoren:


Idiopathisch (sporadisch oder familiär) GnRH -produzierender Tumor (z. B. Hamartom)
Erkrankungen des ZNS Pinealom
erworben (Abszess, Chemotherapie, Granu- Chorionkarzinom
lome, Entzündungen, Bestrahlungsfolge, chi- • Raumfordernde Tumoren:
rurgisch, posttraumatisch) Neurogliom
kongen itale Anomalien (Hydrozephal us, Pinealom
Arachnoidalzysten, hypothalamisehe Hamar- Histiozytose X und andere Granulome
tome, septaoptische Dysplasie, supraselläre Astrozytom
Zysten) Ependymom
Tumoren des ZNS (Kraniopharyngeome, Infundibulom
Ependymome, Astrozytome, Gliome(+/- eu- Kraniopharyngeom (selten)
rofibromatose)
5.11 Vorzeitige Pubertätszeichen und Puberlas praecox 197

Obwohl die Ätiologie der meisten Fälle von vorzei- Erkrankung der Nebennierenrinde
tiger Pubertät bei Mädchen idiopathisch ist, schließt Adenome können selten vorwiegend Östrogene pro-
die Differentialdiagnose viele organische Erkran- duzieren und damit eine vorzeitige Pubertätsent-
kungen ein, die in der Abklärung von Mädchen wicklung verursachen . Adrenale Karzinome bilden
mit früher isosexueller Pubertätsentwicklung be- neben geringen Östrogenmengen zu meist Androge-
rücksichtigt werden müssen. ne und Cortisol und führen damit zu einer hetero-
sexuellen Pubertät. Bei einem unbehandelten AGS
(s. auch prämature Adrenarche) kann neben der Vi-
5.11.4 rilisierung auch eine beginnende Brustentwicklung
Pathogenese der Pseudopubertas praecox beobachtet werden.

Ovarialtumore Iatrogen
Bei etwa 60% der Ovarialtumoren, welche mit einer Durch protrahierte topische Anwendung von Östro-
vorzeitigen Pubertät einhergehen, liegen Granulosa- genhaitigen Cremes, z. B. zur Behandlung einer Syn-
zelltumoren vor. Ovarialtumore können Östrogene echie der kleinen Labien, kann es zur Brustdrüsen-
und Androgene sezernieren und damit sowohl schwellung kommen. Orale Kontrazeptiva si nd eine
Brustentwicklung als auch Schambehaarung indu- eher seltene Ursache einer vorzeitigen Pseudopuber-
zieren. rumore, welche HCG und Östrogene produ- tät. Ob Östrogene im Fleisch und östrogenhaltige
zieren (Chorionkarzinom des Ovars), können eine Substanzen in Pflanzen für die z. r. in Clustern auf-
vorzeitige Pubertätsentwicklung hervorrufen, wäh- tretende vorzeitige Brustdrüsenschwellung in Frage
rend LH- und ß-HCG-produzierende r umore bei kommen, ist nicht geklärt.
Mädchen nicht zu einer vorzeitigen Pubertät führen.

Primäre Hypothyreose
Gonadotropinunabhängige, vorzeitige Pubertät Bei schwerer, über längere Zeit bestehender primä-
Rezidivierende autonome Follikelzysten können als rer Hypothyreose, gewöhnlich im Rahmen einer
isoliertes Ereignis oder im Rahmen eines McCune- Hashimoto-rhyreoiditis, kann es in seltenen Fällen
Albright-Syndroms (MAS) auftreten . Der Mechanis- zu einer Pubertas praecox kommen . Wenngleich der
mus der gonadotropinunabhängigen Aktivierung Mechanism us nicht geklärt ist, sprechen neuere Be-
der Ovarien und der rezidivierenden Follikelzysten funde dafür, dass extrem erhöhte rSH-Spiegel mit
und der anderen Krankheitsmanifestationen beruht den ovariellen FSH-Rezeptoren reagieren können.
auf einer dominanten somatischen Mutation des sti- Es finden sich häufig Ovarialzysten. Unter ausrei-
mulierenden G-Proteins (Gs-a) in verschiedenen chender Schilddrüsenhormonsubstitution bildet
Zellreihen, welche zu einer autonomen Aktivierung sich die Symptomatik zurück.
des cAMP-Zellstoffwechselweges führt.

• Klinik. Mädchen mit MAS sind charakterisiert 5.11.5


durch rezidivierende Follikelzysten, durch eine po- Klinik der Pubertas praecox vera
lyostotische fibröse Dysplasie (Jaffe-Lichtenstein) und Pseudopubertas praecox
und große, unregelmäßig begrenzte Cafe-au-lait-
Flecken ("Coas t of Maine") . Ganz selten finden Anamnese
sich im Kindesalter weitere Zeichen einer autono- Es muss geklärt werden, wann erste Pubertätszei-
men Hormonproduktion (Hyperthyreose, Akrome- chen und vor allem welche Pubertätszeichen aufge-
galie, Hyperparathyreoidismus u. a.), doch diese treten sind. Handelt es sich um eine fortschreitende
können erst im Verlauf des weiteren Lebens auftre- Entwicklung? Ist das Mädchen vermehrt gewachsen?
ten. Die Größe der Ovarien ist bei diesen Mädchen Bestehen Verhaltensauffalligkeiten, welche früher
oft asymmetrisch und kann im Verlauf der Erkran- nicht beobachtet wurden? Sind mögliche Begleiter-
kung fluktuieren. scheinungen einer vorzeitigen Pubertät (Körperge-
Die fluktuierenden Östrogenspiegel führen zu einer ruch, Akne) zu beobachten? Können exogene Fakto-
therapeutisch schwer zu beherrschenden Pubertas ren (hormonhaltige Kosmetika, Salben, Medika-
praecox mit anovulatorischen Zyklen. Ein Übergang mente) eine kausale Rolle spielen? Wann war der
in eine normale Ovarialfunktion unter hypothala- Menarchetermin der Mutter, der Geschwister, ist
misch-hypophysärer Kontrolle finde t gewöhnlich der Vater des Kindes früh in die Pubertät gekom-
zum Zeitpunkt der normalen Pubertät statt. men?
198 KAPI TE L 5 Weibliche Gonaden

Körperfiche Untersuchung FSH-Sekretion (Pulsatilität) kann die Diagnose ge-


• Die Messwerte für Körpergröße und Gewicht sichert werden.
müssen in populationsspezifische Perzentilen-
kurven eingetragen werden. Unbedingt sind Vor- • Ophthalmologie und MRT. Zum Ausschluss
werte zu erfragen, um die Wachstumsgeschwin- einer intrakraniellen Raumforderung schließen
d igkeit besti m men zu können. sich eine ophthalmologische Untersuchung (Fun -
• Die Beurteilung der Pubertätsentwicklung erfolgt dus, Gesichtsfeld) und ein MRT des Schädels mit
gemäß der Einteilung in Pubertätsstadien nach Kontrastmittelgabe an .
Tanner. Eine harmonische Pubertätsentwicklung
spricht für eine Pubertas praecox vera, eine d is- • Hormonbestimmung bei Pseudopubertät. Fin-
harmonische Entwicklung mit Reihenfolgestö- den sich präpubertäre Gonadotropinspiegel, handelt
rung im Auftreten einzelner Pubertätszeichen es sich um eine Pseudopubertät. In diesem Falle
und Maskulinisierung spricht eher für eine Pseu - muss die Ätiologie durch weitere spezielle Diagno-
dopubertas praecox. Brustentwicklung, Scham- stik geklärt werden: Bestimmung von 17-0H-Proge-
und Axillarbehaarung werden getrennt voneinan- steron, 17-0H-Pregnenolon, 11 -Desoxycortisol, An-
der beurteilt (Stadien nach Tanner) . drostendion, u. U. nach ACTH- (AGS-Ausschluss)
• Eine vorsichtige Inspektion der Vaginalschleim- sowie GnRH-Test und LH/FSH- achtprofil (MAS) .
haut (blass? rosig?) kann Aufschluss über den Ist die Wachstumsgeschwindigkeit normal und
Östrogenspiegel geben. das Skelettalter nicht oder nur gering akzeleriert,
• Im Rahmen der internistischen Untersuchung handelt es sich um Normvarianten der Pubertät:
muss auf Körpergeruch und Hautveränderungen prämature Adrenarche, prämature Thelarche oder
(Akne, Komedonen, Behaarung) geachtet wer- um eine frühnormale Pubertät.
den .
• Durch Palpation des Abdomens und durch eine
rektale Untersuchung muss nach einer intraabdo- 5.11 .6
minellen Raumforderung gefahndet werden. Therapie der Pubertas praecox vera
und Pseudopubertas praecox
Weiterführende Diagnostik Ovarialtumoren
Ein Algorithm us der weiterführenden Diagnostik ist Die Behandlung richtet sich nach der Diagnose.
in Abb. 5- 12 wiedergegeben. Ovarialtumoren müssen operativ entfernt werden.
Durch die Entfernung einer Ovarialzyste bei Puber-
• Bestimmung des Skelettalters. Erster Schritt der tas praecox vera und MAS wird der Krankheitsver-
weiterführenden Diagnostik ist die Bestimmung des lauf nicht beeinflusst. Ovarialzysten im Rahmen
Skelettalters durch Röntgenuntersuchung der linken einer Pubertas praecox vera sollten langfristig unter
Hand. Sie sollte auch durchgeführt werden, wenn Therapie verfolgt werden , da sie sich gewöhnlich zu-
kein beschleunigtes Körperwachstum dokumentiert rückbilden .
ist.
Ist die Skelettreifung akzeleriert, sind weitergehende
Untersuchungen (Ultraschall von Nebennieren und Zentrale Pubertas praecox
innerem Genitale, Vaginalabstrich sowie Bestim- Für die zentrale Pubertas praecox stellt die Behand-
mung der basalen Steroidhormonkonzentrationen: lung mit GnRH-Agonisten die Therapie der Wahl
Östradiol, DHEA, DHEA-S) notwendig. dar. Diese Therapie wurde erstmals von Crowley
et al. 1981 beschrieben.
• Hormonbestimmung. Finden sich pubertäre
Steroidhormonkonzentrationen, schließt sich eine • Medikamentenwirkung. Die kontinuierliche Be-
basale LH - und FSH-Bestimmung an. Bei Verwen - handlung mit GnRH-Analoga führt zu einer Desen-
dung neuer, sensitiver immunometrischer Assays sibilisierung der hypophysären gonadotropinprodu-
(LIA, IFA) können bereits basale LH-Spiegel für zierenden Zellen. Damit gelingt eine selektive und
die Bestätigung einer aktiven, zentralen Pubertas reversible Suppression der LH/FSH-Produktion
praecox herangezogen werden. Die basalen FSH- und damit eine Ruhigstellung der Gonaden . In
Spiegel sind weniger aussagekräftig und unter- Deutschland sind mehrere GnRH-Agonisten im
scheiden nicht zwischen vorzeitiger Pubertät und Handel verfügbar. In der Pädiatrie finden vor allem
prämaturer Thelarche. Durch einen GnRH-Test Leuprorelin und Tryptorelin Anwendung, da sie
mit Bestimmung von LH und FSH (LH > FSH) subkutan in nur 4-wöchigen Intervallen verabreicht
und eine Bestimmung der nächtlichen LH- und werden können (Tabelle 5-15).
5.11 Vorzeitige Pubertätszeichen und Pubertas praecox 199

UntersliChungsbefund

I I
Pubertätsstadium?
Isosexuelle I heterosexuelle Entwicklung ?

I
I Eub~!l~l~~~is;b~o ·
< 8. Lebensjahr
I
t

--------
I Wach stumsg eschwindigke ~
I
~
~ SO.Perzentile
I s SO.Perzentile

Knochenalter I Knochenalter

I
Akzeleriert (> 1 Jahr) A~ersentsprechend (± 1 Jahr)
KA ~ LA> CA KA·LA

I I
Sonographie , Vaginalsmear (-abstrich)
Steroidhormone: ~.TIDHT, DHENDHEA·S

I
-----------
pubertär

I
J I präpubertär I früh pubertär I

Gonadotropino: LH I FSH
I Normvarianten:

~ ~ ....
Prämature Thetarehe
Prämature Pubarche/Adrenarche

I I I
pubertär präpubertär I Frühe normale Pubertät

Puberlas praecox vo ra
I
Pseudopubertas praecox
McCune Albright Syndrom,Ovarialzysten ..
AGS,HCG·,Androgen·produzierendeTumoren
Hormon -produzierende Tumoren der Ovarien

Spezielle Diagnostik:
I
Spezielle Diagnostik:
GnRH Test
17-OHP,17-OH Prag,Androstendio n
LHI FSH Nachtsekretion
LH/FSH Nachtsekretion
MRT, Augenarzt
GnRH-, AC TH- Test
MRT

Abb. 5-12. Diagnostische Abklärung der Pubertas praecox

• Therapieerfolge. Therapieziele sind es, eine Nor- Studien konnte auch eine mäßige bis deutliche Ver-
malisierung der Östrogenspiegel in den präpubertä- besserung der tatsächlich erreichten Endgröße er-
ren Bereich, eine Regression bzw. und ein Verhin- zielt werden. Entscheidend für einen Erfolg sind
dern des Fortschreirens der Brustentwicklung und engmaschige Kontrollen und eine vollständige
ein Ausbleiben der Menses zu erreichen. Wachs- Suppression der Hypophysen-Gonaden-Achse.
tumsgeschwindigkeit und Skelettreifung verlangsa- Nach Absetzen des Medikaments tritt die Menarche
men sich deutlich unter der Behandlung. In vielen innerhalb von 1-2 Jahren ein, und die Menstruati-
Fällen mit einer eingeschränkten Endgrößenpro - onszyklen sind vergleichbar zu Kindern mit norma-
gnose gelingt es damit, eine Verbesserung der End- ler Pubertätsentwicklung. Eine Behandlung mit
größenvoraussage zu erreichen. In einer Reihe von GnRH-Agonisten ist auch wirksam bei Kindern
200 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Tabelle 5-15. GnRH-Agonisten in der Behandlung der zentra- rungen, Klitorishypertrophie) führt. Differentialdia-
len Puberlas praecox
gnostisch kommen ein adrenogenitales Syndrom,
Präparat Relative Potenz
adrenale Tumoren und androgenbildende Tumoren
der Ovarien (Lipoidzelltumor, Arenoblastom) in
GnR H Frage.
Leuprorelin 15
Enantone Monatsdepot 1.0
Tryptorelin 15
Diagnostik
Decapeptyl reta rd • Körperliche Untersuchung. Im Rahmen der kör-
Buserelin 20 perlichen Untersuchung ist besonders auf Zeichen
uprefact nasal/pro inj der Virilisierung wie Hirsutismus, Akne, Klitorome-
galie zu achten. Bereits eine gründliche Palpation
des Abdomens und eine bimanuelle rektale Unter-
suchung können Hinweise auf einen adrenalen
mit vorzeitiger Pubertät infolge von Harnartomen
oder ovariellen Tumor geben.
und anderen intrakraniellen Tumoren.
• Labor
• Indikationen. Die Behandlung mit GnRH-Ana-
e LH, FSH
loga ist eine sehr kostspielige Therapie und bedarf
• Östradiol
einer strengen Indikationsstellung. In folgender
e Testosteron, DHEA-S, DHEA
Übersicht wird der Versuch unternommen, die In-
• 17-Hydroxyprogesteron, 11-Desoxycortisol, All-
dikationen einzugrenzen.
drostendion (Blutuntersuchungen für Neben-
nierensteroide sollten möglichst morgens zwi-
Indikationen zur GnRH-Agonisten-Therapie schen 7 und 8 Uhr abgenommen werden- Tages-
der Pubertas praecox rhythmus).
• Bei Verdacht auf nichtklassisches adrenogenitales
• Komplette Pubertas praecox Syndrom ACTH-Test mit Bestimmung von
• Pubertäre Geschlechtshormonspiegel plus 17-Hydroxyprogesteron, 21-Desoxycortisol und
a) herabgesetztes Größenpotential 11-Desoxycortisol zum Zeitpunkt 0 und 60 min.
(prospektive Endgröße deutlich <P 5) oder
b) psychosoziale Erwägungen (individualisiert) Eine Erhöhung von DHEA-S und DHEA, welche
1) Mensis bei geistig behinderten oder nicht durch Dexamethason supprimierbar ist, kann
psychisch unreifen Mädchen erste Hinweise auf das Vorliegen eines adrenalen
2) Andere Erwägungen Tumors geben. Eine bildgebende Diagnostik mittels
(Verhalten, emotionale Probleme) Ultraschall, ggf. MRT, muss sich anschließen.
Gewichtszunahme und verlangsamtes Körper-
wachstum sprechen im Zusammenhang mit Virili-
McCune-Aibright-Syndrom sierungszeichen für ein tumorbedingtes Cushing-
Mädchen mit McCune-Albright-Syndrom profitie- Syndrom.
ren nicht von einer Therapie mit GnRH-Agonisten.
Eine Behandlung mit Testolacton, einem Aromata-
sehemmer, welcher die Östradiolsynthese blockiert, 5.11.8
kann hier erwogen werden. Unter dieser Behand- Prämature Adrenarche
lung ist häufig ein Rückgang der Pubertätszeichen
und ein Sistieren der unregelmäßigen, durch die re- Definition
zidivierenden Ovarialzysten hervorgerufenen Geni- Isoliertes Auftreten von Scham- und gelegentlich
talblutungen zu erzielen. Axillabehaarung vor dem Alter von 8 Jahren ohne
Zeichen einer Östrogenwirkung oder Virilisierung
(abnorme Behaarung, Klitorishypertrophie, Stimm-
5.11.7 veränderungen, Akne). Häufig ist auch ein adulter
Heterosexuelle Pubertas praecox Schweißgeruch nachweisbar. In der Literatur finden
sich verwirrenderweise die Begriffe "prämature Pu-
Definition barche" (frühes Auftreten von Scham- und/oder
Vermehrte Androgenproduktion adrenalen oder Axillarbehaarung) und "prämature Adrenarche"
ovariellen Ursprungs, welche zu Akne, Hirsutismus (frühe Reifung der adrenalen Androgenbildung),
und weiteren Virilisierungszeichen (Stimmverände- zum Teil synonym verwendet.
5.11 Vorzeitige Pubertätszeichen und Pubertas praecox 201

Klinik und Pathogenese klassischem adrenogenitalen Syndrom können Viri-


Leicht erhöhte Serumspiegel von DHEA, DHEA-S, lisierungszeichen (Klitorishypertrophie, abnorme
Androstendion und Testosteron deuten auf die Behaarung) aufweisen.
frühe Reifung der Nebennierenrinde hin. Obwohl
die erhöhten Androgenspiegel sich mit Dexametha-
Diagnostik
son supprimieren lassen•und damit ACTH-abhängig
• Größe und Wachstumsverlauf,
sind, ist der eigentliche Auslöser dieses frühen Rei-
• Skelettalterbestimmung,
fungsprozesses der adrenalen Androgenproduktion
• basales Serum-DHEA-S und 17-Hydroxyproge-
bisher nicht bekannt. Die DHEA-S-Spiegel sind ver-
steron (Abnahme zwischen 7 und 9 Uhr mor-
gleichbar zu denen bei Mädchen im Pubertätssta-
gens).
dium II.
Betroffen sind meist Mädchen im Alter von 6-8
Über die Durchführung eines ACTH-Tests sollte
Jahren. Sie sind häufig adipös. Es ist unklar, warum
nach Klinik und Ergebnis der basalen Hormon-
Kinder mit Hydrozephalus und zerebraler Schädi-
untersuchungen entschieden werden. Klinische Ver-
gung häufiger als gesunde Kinder betroffen sind.
laufskontrollen, insbesondere von Pubertätsverlauf
Akne und Seborrhö können vorkommen. Wachs-
und Wachstum.
turn und Skelettreifung sind normal oder nur ge-
ringfügig akzeleriert.
Unter den Kindern mit prämaturer Adrenarche Therapie und Langzeitbetreuung
finden sich nicht selten Mädchen mit nichtklassi- In erster Linie besteht die Behandlung der prä-
schem adrenogenitalem Syndrom (21-Hydroxylase- maturen Adrenarche in einer Beruhigung der Fa-
mangel, 3ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Man- milie, da es sich gewöhnlich um eine Normvariante
gel), bei denen jedoch bereits die basalen 17-Hydro- der Entwicklung handelt, und in Verlaufskontrollen
xyprogesteronspiegel (morgendliche Blutabnahme) in 3- bis 6-monatigen Abständen. Virilisierung oder
in der Regel erhöht sind. In Populationen, in denen frühe Östrogeneffekte müssen differentialdiagnosti-
eine hohe Inzidenz des nichtklassischen 21-Hy- sche Überlegungen zur Folge haben. Ergeben sich
droxylasemangels bekannt ist (Ashkenasi-Juden, klare Hinweise auf einen adrenalen Enzymdefekt
Spanier, Italiener) fanden Temek et al. 1987 bei (21-Hydroxylasemangel, 3ß-Hydroxysteroid-Dehy-
Mädchen mit prämaturer Adrenarche zwischen drogenase-Mangel), sollte diese Diagnose moleku-
dem 2. und 7. Lebensjahr bei 5 von 19 (26 %) einen largenetisch gesichert werden. Allerdings hat man
nichtklassischen 21-Hydroxylasemangel. In einer bisher in keinem Fall von nichtklassischem 3ß-Hy-
Studie an italienischen Kindern mit prämaturer droxysteroid-Dehydrogenase-Mangel Mutationen
Pubarche fanden sich in 12% der Kinder milde Stö- nachweisen können. Durch eine Glucocorticoste-
rungen der Steroidsynthese. Der exakte Prozentsatz roidbehandlung des nichtklassischen 21-Hydroxyla-
von Kindern mit adrenalen Enzymdefekten, der semangels kann möglicherweise die Entwicklung
Langzeitverlauf und der Nutzen einer medikamen- polyzystischer Ovarien während der Adoleszenz ver-
tösen Behandlung kann jedoch gegenwärtig noch hindert werden. Im Großen und Ganzen kann man
nicht abgeschätzt werden. erwarten, dass Pubertät und Adoleszenz normal ver-
laufen. Einige Patientinnen werden im weiteren Ver-
lauf durch Hirsutismus und Regelstörungen auffal-
Differentialdiagnose len.
• Pubertas praecox,
• nichtklassiches AGS (21-Hydroxylasemangel,
• möglicherweise 3ß-Hydroxysteroid-Dehydro- 5.11.9
genasemangel), Prämature Thelarche
• adrenaler oder ovarieller Tumor.
Definition
Häufig lässt sich die Diagnose einer prämaturen Die prämature Thelarche ist definiert als das Auf-
Adrenarche erst retrospektiv sicher stellen, wenn treten von Brustentwicklung ohne andere Zeichen
im weiteren Verlauf eine vorzeitige Pubertät nicht der Pubertät und wird meist bei jungen Mädchen
auftritt. Bei echter Pubertas praecox, bei der eine vor dem 2. Lebensjahr beobachtet. Als prämature
Schambehaarung auch bereits vor der Brustentwick- Thelarche bezeichnet man auch eine persistierende
lung auftreten kann, finden sich stets ein akzelerier- Brustdrüsenschwellung, welche bereits beim neuge-
tes Skelettalter, ein Wachstumsspurt und Zeichen borenen Mädchen besteht und welche sich nicht in
einer Östrogenisierung im Vaginalabstrich. Mäd- den ersten 12 Lebensmonaten zurückbildet. Die prä-
chen mit Tumoren und einige Mädchen mit nicht- mature Thelarche wird häufig bei Kindern, welche
202 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Tabelle 5-16. Differentialdiagnose Pubertas praecox-präma- vieles für die Bedeutung der transient vermehrten
ture Thelarche Östrogene unter hypothalamisch-hypophysärer
Prämalure Puberlas
Kontrolle.
Thelarche praecox

Wachstum rate Nicht akzeleriert Akzeleriert Diagnostik


Skelettreifung Nicht akzeleriert Akzeleriert Eine Labordiagnostik ist gewöhnlich nicht erforder-
lich. Verlaufskontrollen in 3- bis 6-monatigen Ab-
Öslrogenisierung Gering Deutlich
der Vaginal- ständen. Hormonbestimmungen sind nur bei Auf-
mukosa treten weiterer Pubertätszeichen erforderlich.
Größe des Uteru Präpubertär Pubertär
(Ultraschall;
rektal) Verlauf
Brustentwicklung Mamillen und Mamillen, Areolae Langsame Regression oder selten Persistenz bis zum
Areolae oft und Brustgewebe normalen Pubertätszeitpunkt Sehr selten Übergang
präpubertär pubertär in eine echte vorzeitige Pubertät.
GnRH-Test Prä pubertär, Bei zentraler
FSH > LH Pubertät pubertär,
LH > FSH
5.11.10
Adrenarche Fehlend +I-
Prämature Menarche
Östrogenspiegel icht erhöht +I-
Definition
Die prämature Menarche stellt wahrscheinlich eine
Antwort auf eine transient erhöhte Östrogenpro-
als sehr kleine Frühgeborene zur Welt kamen, beob- duktion der Ovarien (Follikelzysten) dar. Es handelt
achtet (Tabelle 5-16). sich um präpubertäre Mädchen, welche uterine
Blutungen von 1-5 Tagen Dauer haben, als einziges
Ereignis oder zyklisch sich über mehrere Monate
Klinik wiederholend, ohne dass andere Östrogeneffekte
Mädchen mit einer prämaturen Thetarehe zeigen ty- nachweisbar wären. Blanco-Garcia et al. (1985) fan-
pischerweise beidseits eine Brustknospe von 2-4 cm den Östradiolspiegel signifikant über dem normalen
Durchmesser mit fehlenden oder wenig ausgepräg- präpubertären Niveau und eine saisonale Häufung
ten Brustwarzen- und Areolarveränderungen. Das zwischen September und Januar, welche ungeklärt
Brustgewebe fühlt sich häufig granulär und etwas ist. Die prämature Menarche stellt jedoch eine Aus-
derb an. In einigen Fällen kann die Ausbildung schlussdiagnose dar. Andere Ursachen einer vagi-
der Brustdrüsenschwellung asymmetrisch sein nalen Blutung (Infektionen, Verletzungen, Fremd-
und sequenziell in beiden Brüsten auftreten. Eine körper, Tumore) müssen ausgeschlossen werden.
Akzeleration des Wachstums wird nicht beobachtet.
Das Skelettalter entspricht dem chronologischen Al-
ter. Weitere Pubertätszeichen finden sich nicht, die Diagnostik
Labien bleiben präpubertär und weisen keine Östro- Eingehende Untersuchungen sind erforderlich, um
geneffekte auf. Im Vaginalabstrich findet sich das die Blutungsquelle zu eruieren: Ultraschall von
Bild einer Atrophie oder ein leichter Östrogeneffekt Uterus und Ovarien, ggf. Vaginoskopie.
(Superfizialzellen). Basale und GnRH-stimulierte
LH- und FSH -Serumspiegel liegen gewöhnlich im Therapie
präpubertären Bereich. Iliki et al. (1984) fanden Regelmäßige Kontrollen von Wachstum und Ent-
jedoch in ihrem Kollektiv leicht erhöhte basale wicklung. Eine medikamentöse Therapie erübrigt
und GnRH -stimulierte FSH -Spiegel im Vergleich sich bei der prämaturen Menarche ohne krankhaf-
zu gesunden präpubertären Kontrollen. Sie postulie- tem Lokalbefund.
ren, dass die prämature Thelarche auf einer Störung
in der Reifung der hypothalamisch-hypophysär-go-
nadalen Achse beruht mit einer erhöhten FSH-Se-
kretion und einer erhöhten peripheren Sensitivität
der Brustdrüsen für Östradiol. Dies könnte das be-
vorzugte Auftreten zwischen dem 1. und 4. Lebens-
jahr erklären. Obwohl eine periphere Hypersensiti-
vität eine gewisse Rolle spielen mag, spricht doch
5.12 Hirsutismus 203

5.12 TSH (ba al) 1,2 mE/ml (normal 0,2-4 mE/ml),


Hirsutismus TSH (nach TRH) 22 mE/ml. Nach 3 mg Dexa-
methason abends (22.00): Testosteron 355 pgl
T. RABE, E. VLADESCU, E. SCHULZE,
ml (normal 180-580 pglml), DHEAS: 2210 ngl
B. RUNNEBAUM
ml (normal 350-4300 nglml) am nächsten Mor-
gen um 8.00. Der durchgeführte ACTH-Test s.
5.12.1 Tabelle 5- 17. Gluko ebelastungstest ( 100 g Glu -
Fallpräsentation kose oral) (oGGT) normal. Diagnose: adrenal
bedingter Hirsutismus; funktionelle Hyperpro-
Anamnese: 23-jährige Patientin, bisher noch laktinämie. Therapie und Verlauf: Behandlung
keine Schwangerschaften, klagte über Zunahme mit Diane 35 (Tag 1-21 des Zyklus tgl. 1-mal
der Körperbehaarung seit dem 16. Lebensjahr. 1 Tbl.; zusätzlich abends 100 mg Androcur
Menarche mit 14 Jahren, regelmäßiger Primär- vom 1.- 10. Zyklustag). Nach 6 Monaten Kon-
zyklus; seit 2 Jahren zum Teil verlängerter Zy- trolle der Androgene: Testosteron 415 pglml;
klus mit Intervallen von 28-42 Tagen. Nach DHEA-S 2725 nglml, Prolaktin 380 mE/rnl, be-
Messung der Aufwachtemperatur anovulato- ginnende Besserung der Behaarung im Gesichts-
risch. Bisher keine systemische Therapie; auch bereich und im Bereich der Haarstraße vom Ge-
keine oralen Kontrazeptiva (OC). Symptome nitalbereich zum Nabel; nach 12 Monaten deut-
und Beschwerden: die Patientirr klagte über zu- liche Besserung der gesamten zuvor vermehrten
nehmende Körperbehaarung, leichte Akne und Körperbehaarung. Dosisreduktion auf 50 mg
Seborrhö sowie über einen unregelmäßigen Zy- Androcur für 6 Monate; danach Erhaltungsthe-
klus alle 28-42 Tage. Eigenanamnese: nie ernst- rapie mit Diane 35; additiv Bleichen und Epilie-
haft krank gewesen. Familienanamnese: ver- ren der Haare im Gesichtbereich.
mehrte Behaarung mit Glatzenbildung beim
Großvater und Vater der Patientin; Schwester
klagt ebenfalls über vermehrten Haarwuchs. Be-
funde: 168 cm große und 53 kg schwere Patien-
tin mit typisch weiblichem Körperbau. Deutlich
vermehrter Haarwuchs mit pigmentierten Ter-
minalhaaren im Bereich der Ober- und Unter-
lippe, der Wange; hier auch vermehrt Seborrhö
und Akne. Angedeutete Geheimratseckenbil-
dung, dünne leicht fettende Haare. Abdomen
mit Haarstraße vom Genitale zum Nabel
(Abb. 5-13a und b), vermehrt Haare perimamil-
lär, vermehrter Haarwuchs im Bereich der,
gberschenkel. Gynäkologische Untersuchung:
Außeres Genitale mit vermehrter Behaarung,
keine Klitorishypertrophie. Unauffällige Portio,
normalgroßer Uterus, Adnexregionen unauf-
fällig; normalgroße seitengleiche Mammae.
Ultraschall: normalgroßer anteflektierter Uterus
mit einer Länge von 7,5 cm; Endometriumdicke
am 12. Zyklustag 6 mm; beide Ovarien bei Vagi-
nalsonographie normal groß, eine Ovarialzyste/
ein Follikel von 10 mm im rechten Ovar. Labor-
diagnostik (3.-5. Zyklustag): Prolaktin 460 mE/
ml (normal 70-410 mE/ml), Östradiol 75 pglml
(normal 40-250 pg!ml), LH 5,6 mE/ml (normal
1-10 mE/ml), FSH 7,2 mE/ml (normal1 - 10 mE/
ml), LH/FSH-Ratio < 1, Testosteron 655 pglml
(normal 180-580 pglml), DHEA-S 3850 nglml
(normal 350-4300 nglml), DHT 19 pglml
(normal 3-23 pg/ml}, T3 1,5 nglml (normal
0,7-2,0), T4 lOS nglml (normal 51-135 nglml),
204 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Tabelle 5-17. ACTH-Test (1 h nach Gabe von 25 IU ACTH i. v.)

Normal Basalwert 60 min

Corti ol 5,6- 20,0 J.Jg/100 ml 13 ~tg/100 ml 28 J.Jg/100 ml

DHEA 200- 750 ng/100 ml 415 ng/100 ml 941 ng/100 ml

Androstendion 30-80 ng/100 ml 45 ng/100 ml 379 ng/100 ml

17-0H-P 5-50 ng/100 ml 38 ng/100 ml 197 ng/100 ml

21 -DF 2- 15 ng/100 ml 2,6 ng/100 ml 19,2 ng/100 ml

17-0H-Preg 30- 350 ng/100 ml 184 ng/100 ml 1190 ng/100 ml

5.12.2 5.12.3
Klinik Ätiologie, Häufigkeit und Pathogenese
vermehrter Androgenwirkung
Symptome
Während beim Mann die Androgene die Vorgänge Wirkung der Androgene bei der Frau
der Fortpflanzung (d. h. Reifung der Spermatozoen) Die Androgene sind C19 -Steroidhormone, die für
und die Ausprägung der sekundären männlichen die Ausprägung der sekundären männlichen Ge-
Geschlechtsmerkmale steuern, ist die Bedeutung schlechtsmerkmale verantwortlich sind. Zu dieser
der Androgene für die Frau weitgehend ungeklärt. Gruppe von Hormonen gehören Testosteron, Sa-Di-
Eine vermehrte Bildung von Androgenen führt bei hydrotestosteron, Androstendion, Dehydroepian-
der Frau zu zahlreichen unerwünschten Wirkungen drosteron (DHEA) und dessen Sulfat (DHEAS),
hinsichtlich wobei das Testosteron zur Hälfte an der Gesamt-
• des menstruellen Zyklus, androgenwirkung beteiligt ist. Die Androgene zei-
• des Stoffwechsels sowie gen unterschiedliche genitale sowie extragenitale
• der Haut und deren Anhangsgebilde mit der Ent- Wirkungen wie in folgender Übersicht zusammen-
stehung von Hirsutismus, Akne, Seborrhö und fasst ist.
Alopezie.
Genitale und extragenitale Wirkungen
Bei tumorbedingten stark erhöhten Serumandroge- der Androgene
nen kann es zu einer Defeminisierung bzw. Virilisie-
rung kommen, die sich als • Genitale Wirkungen der Androgene auf die ge-
• Klitorishypertrophie, schlechtliche Ausprägung:
• Hypoplasie der Mammae, Primäre Geschlechtsmerkmale
• Vermännlichung der Muskulatur, (Genitalentwicklung)
• tiefe Stimme usw. äußert. Sekundäre Geschlechtsmerkmale:
Mammaentwicklung
Im Gegensatz zum Hirsutismus tritt bei der Hyper- Sekundärbehaarung
trichose androgenunabhängig ein vermehrtes Zentralnervensystem:
Wachstum von feinem Terminalhaar am ganzen geschlechtsspezifische Differenzierung des
Körper, aber auch isoliert im Bereich der Unterarme, Zentralnervensystems
Unterschenkel und der Lumbosakralregion auf. Die Pubertätsentwicklung, Adrenarche, Thelarche,
Hypertrichose findet sich als Begleiterscheinung Menarche, Zyklusfunktion, Sexualverhalten,
einer Vielzahl von Krankheitsbildern, wie zum Bei- Libido
spiel der Lungentuberkulose, Poliomyelitis, Spina • Extragenitale Wirkungen der Androgene:
bifida, Epilepsie, der Anorexia nervosa oder nach Talgdrüsenaktivität
Lokalbehandlung (Tabelle 5-18). Knochenreifung und Knochenstruktur.
Proteinanabole Wirkung
Beteiligung an der extraglandulären Östrogen-
synthese in den verschiedenen Lebensphasen
der Frau
5.12 Hirsutismus 205

Tabelle 5-18. Androgenisierungserscheinungen bei der Frau. Vergleich: Hirsutismus, Hypertrichose und Virilisierung

Hirsutismus Virilisierung Hypertrichose

Definition
Vermehrte Körperbehaarung an Primäre und ekundäre Allgemeine oder lokale Vermehrung
Prädilektionsorten. Umwandlung des Differenzierung des äußeren der Körperbehaarung, bei der
Flaumhaares in dickes, krauses und weiblichen Genitales und des Gesichts- und Genitalbehaarung
stärker pigmentiertes Terminalhaar Körperbaus in männliche Richtung nicht bevorzugt werden. Zunahme des
hellen, weicheren Sekundärhaares
Symptome
I. Prädilektionsorte: I. Leitsymptome
Oberlippe Klitori hypertrophie
Kinn, Wangen tiefe Stimme
Linea alba
Genitalbereich
Oberschenkel
2. Alopecia androgenetica 2. Begleitsymptome Die Symptomatik ergibt sich aus der
mit Bildung von Geheimrat ecken Hir utismus Definition
eborrhö
Alopecia androgenetica
Amenorrhö
3. Seborrhö, Akne
Ätiologie
Androgen bedingt: Androgen bedingt: ~icht androgenbedingt:
vermehrte Androgenbildung vermehrte Androgenbildung Ubermäßige Reaktion des
erhöhte Endorganempfindlichkeit (obligat!) Haarfollikels bei verschiedenen
Erkrankungen, u. a. Therapie mit
Antiepileptika, Antituberkulostatika

Androgenproduktion sierungssymptomatik können verschiedene Patho-


Das schwache Androgen DHEA wird im Ovar in das mechanismen zugrunde liegen:
Testosteron mit stärkerer Androgenwirkung meta- • Erhöhte Produktion androgen wirksamer Ste-
bolisiert, das, an sein Bindungsprotein gebunden roide.
(SHBG), auf dem Blutweg die Zielorgane erreicht • Konversion schwach wirksamer in stärker wir-
und seine spezifische Androgenwirkung entfaltet. kende Androgene in Geweben (Haut, Fettgewe-
Das ungebundene freie Testosteron wird an seinen be).
Zielorganen durch ein spezifisches Rezeptorprotein • Verminderte Bindung an Proteine bzw. vermin-
gebunden. Nachdem Testosteron durch die Ein- derte Serumspiegel der Bindungsproteine
wirkung der Sa-Reduktase in seine biologisch aktive (SHBG) oder
Form, das Sa-Dihydrotestosteron überführt wurde, • Veränderungen im Androgenmetabolismus bzw.
gelangt es als Steroidhormonrezeptorkomplex in der Androgenwirkung im Zielorgan (s. Über-
den Zellkern, wo der Androgenrezeptor als Tran- sicht).
skriptionsfaktor über die DNA die Bildung be-
stimmter Proteine induziert. Das Sa-Dihydrotesto-
steron (DHT) spielt als stärkstes Androgen die zen- Krankheitsbilder bei Androgenisierungs-
trale Rolle bei der intrazellulären Androgenwirkung. erscheinungen

• Tumorbedingte Hyperandrogenämie:
Ursachen der Androgenisierung Hypophysenadenome
Grundsätzlich gibt es 2 Möglichkeiten der ver- basophiles Adenom (M. Cushing)
mehrten Androgenwirkung: Hyperandrogenämie eosinophiles Adenom (Akromegalie)
aufgrund tumoröser Androgenproduktion (Ovarial- chromophobes Adenom (Prolaktinom)
tumoren, Nebennierentumoren) bzw. tumoröser Nebennierenrindentumoren
Produktion von Substanzen, die eine Hormonpro- NNR-Adenome
duktion stimulieren (z. B. ACTH-produzierendes NNR-Karzinome
Hypophysenadenom, ektope ACTH-Bildung durch Ovarialtumoren:
kleinzeiliges Bronchialkarzinom) und funktionelle Arrhenoblastom
Störungen. Funktionellen Störungen mit Androgeni- Hiluszelltumor
206 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Paraneoplastische Syndrome Fälle eine ovarielle und bei 5,4 o/o eine adrenale Ge-
ektope HCG-Sekretion nese der Behaarungsstörung gefunden wurde. Insge-
ektope ACTH-Sekretion samt konnte in diesem Kollektiv bei 3 Patientinnen
• Nichttumorbedingte Hyperandrogenämie ein androgenproduzierender Tumor festgestellt
Adrenale Androgenhypersekretion werden. Bei 3 Fällen (0,6 o/o) war der Hirsutismus ia-
kongenitales adrenogenitales Syndrom trogen bedingt.
postpuberale NNR-Hyperplasie
Cushing-Syndrom
chronischer Stress 5.12.4
• Gemischt ovariell-adrenale Androgenhypersekre- Klinik
tion
Ovarielle Androgenhypersekretion Allgemeinbefinden
polyzystische Ovarien (PCO-Syndrom) Die Symptome der Androgenisierung wirken
Hyperthekose sich - wenn auch nur in geringerer Ausprägung
Hiluszell- und Stromahyperplasie vorliegend - negativ auf das Äußere der Frau aus.
• Peripher erhöhte Androgenaktivität Selbst wenn keine schwerwiegenden Ursachen die-
Erhöhte extraglanduläre Konversion von Andro- sen Veränderungen zugrunde liegen, dürfen die
genvorstufen kosmetischen Probleme, die sich insbesondere aus
SHBG-Mangel (z. B. bei Hypothyreose, Adiposi- den Behaarungsstörungen ergeben, von dem behan-
tas) delnden Arzt nicht unterbewertet werden. Die be-
Reduzierter Androgenabbau (z. B. Niereninsuffi- troffenen Frauen fühlen sich oft in ihrer Weiblich-
zienz) keit sehr beeinträchtigt, woraus verschiedene psy-
Erhöhte Endorganempfindlichkeit chosomatische Störungen resultieren können.
• Intersexualität
XY -Gonadendysgenesie
Begfeiterkrankungen
Männlicher Pseudohermaphroditismus
• Eine Hyperandrogenämie kann durch die fehlen-
• Iatrogene Androgenisierung
de Gestagenbildung am Endometrium bei anovu-
Hormonpharmaka
latorischen Zyklen ("unopposed estrogens") zu
Androgene
einem erhöhten Risiko für das Korpus- und
Anabolika
Mammakarzinom führen.
Gestagene ( 19-Nortestosteronderivate)
Danazol
ACTH Tabelle 5-19. Androgenisierungserscheinungen: Ätiologie und
Glucocorticoide Häufigkeit bei Patientinnen der Hormon- und Sterilitäts-
Nichthormonale Pharmaka sprechstunde der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg
(1971-1981)
Diuretika (Azetazolamid)
Antirheumatika (Penicillamin) Ursachen der llaufigkcitcn
Metopiron Androgenisicrung (n) (%)
Antihypertensiva (Diazoxid, Proglicem)
Hydantoine Idiopathisch {ungeklärt) 404 84,2
Ovariell
Gesam t 44 9,2
PCO/Stein-Leventhal- yndrom 42 8,8
Häufigkeit der Ursachen von Unklare Diagno e 2 0,4
Androgenisierungserscheinungen Ad renal
Die Häufigkeit der Diagnose eines konstitutionellen
Gesa mt 26 5,4
(sog. idiopathischen) Hirsutismus hat durch die
Kongeni tales AGS 4 0,8
Verfeinerung der Labordiagnostik in den letzten
20 Jahren stark abgenommen. Bei einer retrospekti- unklare Genese 22 4,2
ven Auswertung (1971-1981) von 404 Patientinnen Tumore n
der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg, die an Gesamt 3 0,6
Hirsutismus litten, waren bei 84 o/o die Androgene Ovarialtumor 2 0,4
(Testosteron) im Serum und die 17-Ketosteroide Nebennie renri ndentumor I 0,2
im Urin nicht erhöht (Tabelle 5-19). Bei den meisten Iatroge n 3 0,6
dieser Patientinnen wurde von konstitutionellem
Hirsutismus gesprochen, da nur bei ca. 9,2 o/o der
5.12 Hirsutismus 207

• Bei Frauen mit PCO-Syndrom in Kombination • Hormondiagnostik: Bedeutung im Rahmen der


mit Adipositas und einer Hypercholesterinämie diagnostischen Abklärung von Androgenisie-
besteht ein erhöhtes kardivaskuläres Risiko. rungserscheinungen (Anmerkung: Normalbe-
• Bei Patientinnen mit PCO-Syndrom führt eine reich abhängig von Labormethode).
ovarielle Stimulation bei Sterilitätstherapie ver- • Basale Hormonwerte: Am wichtigsten ist die
mehrt zu einem Überstimulationssyndrom. Bestimmung von Testosteron und DHEAS in
• Bei Sterilitätspatientinnen mit Hyperandrogenä- Serum; bei Testosteronwerten > 1,5 ng/ml und/
mie treten vermehrt habituelle Aborte auf. oder DHEAS > 7 )lg/ml muss ein androgen-
bildender Ovarial- und Nebennierenrindentumor
ausgeschlossen werden. Bei nicht tumorbedingter
5.12.5 Hyperandrogenämie besteht ein Zusammenhang
Diagnostik zwischen dem Schweregrad der klinischen Sym-
ptomatik (z. B. Hirsutismus) und den Serumspie-
Anamnese geln von Testosteron und freiem Testosteron. Be-
• Familienanamnese mit Androgenisierung (wenn stimmte Markerhormone liefern zusätzliche In-
ja, Hinweis auf genetische Prädisposition?); kar- formationen wie die erhöhte LH/FSH-Ratio für
diovaskuläres Risiko in der Familie (hinsichtlich das PCO-Syndrom, das Cortisoltagesprofil für
OC-Verordnung; wenn ja, Gerinnungs-Screening; den M. Cushing.
sorgfältige Risiko-Nutzen-Analyse), familiäres
Brustkrebsrisiko (bei OC-Verordnung Aufklä- • Funktionstest
rung; regelmäßige Kontrollen). e Der Dexamethason-Kurzzeittest (2 mg) ist wichtig
e Eigenanamnese: Beginn der Androgenisierung, zur Beurteilung der adrenalen Komponente der
Schweregrad, bisherige Diagnostik und Therapie, Androgenisierung und im Hinblick auf eine addi-
Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls, Zyklus- tive Suppresionstherapie bei möglichem Kinder-
störungen, Stimmveränderungen, Medikamen- wunsch. Eine Dexamethasontherapie spielt beim
teneinnahme (anabole Steroide stimulieren das Hirsutismus keine Rolle, ist aber evtl. günstig bei
Haarwachstum in den androgenabhängigen Aknepatientinnen (jedoch noch keine Standard-
Haarfollikeln, Diazoxid, Minoxidil, Phenytoin empfehlung).
und Ciclosporin aktivieren Haarwuchs mehr in • Der ACTH-Test ist wichtig zur Erkennung des
den nicht androgenabhängigen Haarfollikeln); 21-Hydroxylasemangels; insbesondere bei Pa-
Kontraindikationen für orale hormonale Kontra- tientinnen mit Kinderwunsch indiziert zur Ver-
zeptiva (vgl. auch Familienanamnese). meidung eines kongenitalen AGS (Tabelle 5-21).

Körperliche Untersuchung
• Klinik: Art der Androgenisierung (z. B. Hirsutis- 5.12.6
mus, Akne, Alopezie) und deren Schweregrad. Therapie
• Gynäkologische Untersuchung: Klitorishypertro-
phie, vergrößerte Ovarien; Hinweise auf andro- Allgemeine Therapieempfehlungen
genproduzierenden Tumor. Als allgemeine Richtlinien zur Therapie von An-
• Ultraschall: Ovarien: PCO-Syndrom. drogenisierungserscheinungen mit Antiandrogenen
unabhängig von der augewandten Substanz gelten:
e Vor Therapiebeginn Ausschluss einer Schwanger-
Labor schaft. Die Einnahme von Diane 35 bei einer un-
• Hormondiagnostik. Endokrinalogische Parame- bemerkten Frühschwangerschaft ist jedoch keine
ter können nur bedingt Hinweise für die Indikation Indikation zum Schwangerschaftsabbruch. Selbst
und Auswahl einer Hormontherapie liefern, da die bei Einnahme von Cyproteronacetat (CPA)
Wirkungen der Androgene individuell zu Sympto- 50-100 mg/Tag in der Frühschwangerschaft ist
men unterschiedlichen Schweregrades führen. Ob das Feminisierungsrisiko von männlichen Föten
die Androgenisierung durch eine adrenale oder gering.
ovariell vermehrte Androgenbildung bedingt ist, • Beachtung der Kontraindikationen: bei CPA-Me-
spielt für die medikamentöse Therapie der Androge- dikation gelten beispielsweise alle Gegenanzeigen
nisierungssymptomatik eine untergeordnete Rolle. gegen orale Kontrazeptiva. Daher ist nach Errei-
Die diagnostische Bedeutung von Laborbestimmun- chen des endgültigen Therapieresultats eine Do-
gen bei Patientinnen mit Androgenisierungserschei- sisreduzierung anzustreben.
nungen ist in Tabelle 5-20 zusammengestellt. • Ausführliche Aufklärung der Patientinnen
208 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Tabelle 5-20. Hormondiagnostik: Bedeutung im Rahmen der diagnostischen Abklärung von Androgenisierungserscheinungen
(Anmerkung: Normalbereich abhängig von Labormethode)

Hormon (Abkürzung) Normalbereich Herkunft Schwankung Bedeutung

Testosteron (T) 90-775 pglml 25 % Ovar, Kurzzeit (> 1 h), Tumorerkennung


25 % N R, Ta~sschwankungen, (> 1,5 nglml),
50 o/o peripher Zy usschwankungen übelWiegend Ovar
Freie Te tosteron (fT) 1- 2 %, 1- 8 pglml Keine Angaben Unklar (?)
Sa-Dihydrotestosteron 10-250 pglml Überwiegend Keine Angaben Keine Bedeutung für
(DHT) peripher Differentialdiagnostik
(evtl. Sn-Reduktase-
mangell
Androstendion (A} 75- 205 pglml Ovar, Nebenniere Kurzzeit (> 1 h), Bei Androgenisierung
Tageszeit, Zyklus nie allein erhöht
Dehydroepian - 2- 7 j.lg/ml 95 % NNR Geringe Schwankungen Adrenaler Tumor
dro teronsulfat (> 7 J.lg/ml)
(DHEAS)
Dehydroepian - 1,1- 11,3 nglml Ca. 75 % NR Kurzzeit (Stress), 3 ß-Hydroxysteroidde-
drosteron (DHEA) Zyklus hydrogenasedefekt,
verstärkte Adrenarche
17a-Hydroxypro- 0,3- 1,9 nglml Ovar Kurzzeit (Stress), 21-Hydroxylasedefekt
gesteron (17-0H -Prog) Abhängig von Zyklus
Zyklusphase
17a-Hydroxypregne- 1,1-10,9 nglml ÜbelWiegend NR Kurzzeit (Stress), 3ß-Hydroxysteroid-
nolon (17-0H-Preg) Zyklus dehydrogenasedefekt,
verstärkte Adrenarche
11-Desoxycorti ol (S) 1- 3 nglml NR Kurzzeit (Stress) 11-Hydroxylasedefekt
21-Desoxycortisol 12-130 pglml NR Kurzzeit (Stress) 21 -Hydroxylasedefekt
(DesF)
Desoxycorticosteron 2-15 pglml NNR Kurzzeit (Stre s) 11-Hydroxylasedefekt
(DOC)
Corticosteron (B) 4- 20 pglml R Kurzzeit (Stress) 11-Hydroxylasedefekt
Cortisol (F) 75- 185 pglml R Kurzzeit (Sires ) Cushing-Syndrom,
Nebennieren-
insuffizienz
Östradiol (E2) 40- 260 pglml Ovar Pulsatile Sekretion, Ovarialinsuffizienz,
Zyklus östrogenproduzierende
Tumoren
LH 1- 10 mi.E./ml Hypophyse Pulsatile Sekretion, PCO-Syndrom
Zyklus
LH/FSH <2 Hypophyse Siehe LH und FSH PCO-Syndrom
Prolaktin (Prl) < 20 pglml Hypophyse Pulsatile Sekretion, Prolaktinom, Medika-
Tageszeit, Zyklus menteninteraktion
Sexualhormon- Leber Keine "Idiopathischer
bindendes Globulin Hirsutismus"
(SHBG) Unklar

Tabelle 5-21. Zusamrnenha~g ~wischen 17-0H-Progesteron nach ACTH-Stimulation und Mutation der 21-Hydroxylase. (Nach
Grunwald 1998, personl. Mlltedungen, Schulze 1998)

17-011 -Progesteron Fallzahl (n) (%) 21 -011-Vcrdacht l\lutationcn der 21 -Hydroxylase


nach ACTH (ng/ml) nach ACTH

Keine Heterozygot Compound Homozygot


heterozygot
> 10 12 5 Ja 20 % 30 % 50 o/o
6- 10 27 10 Ja 100 %
4,4-6 37 14 ja 40 % 60 o/o
3-4,4 44 17 ( ein)
<3 142 54 Nein
5.12 Hirsutismus 209

• Der Beginn der wahrnehmbaren Rückbildung der Chlormadinonacetat und die neueren Substanz-
Androgenisierungszeichen nimmt längere Zeit in gruppen der 5a-Reduktaseblocker.
Anspruch: beim Hirsutismus 3-9 Monate, bei der • Klassische Antiandrogene: Die Wirkung der 17a-
androgenetischen Alopezie sogar 6-9 Monate. Hydroxyprogesteronderivate Cyproteronacetat
Eine Akne kann schon nach 1-2 Monaten abzu- und Chlormadinonacetat beruhen auf einer
klingen beginnen. kompetitiven Verdrängung von 5a-Dihydro-
• Das endgültige Therapieresultat wird erst nach testosterons vom Androgenrezeptor. Die ver-
9-12 Monaten erreicht, bei der Akne bereits schiedenen Therapieschemata mit Cyproteron-
nach 3-6 Monaten. acetat und deren Therapieerfolg bei Androgeni-
• Nach dem Absetzen der Therapie muss mit einer sierungserscheinungen sind aus Abb. 5-14 und
allmählichen Rückkehr der Androgenisierungzei- Tabelle 5-22 zu entnehmen.
chen gerechnet werden, da es sich um keine kau- • 5a-Reduktaseblocker: Die neue Substanzgruppe
sale, sondern nur um eine symptomatische Be- der 5a-Reduktaseblocker ist derzeit nur zur The-
handlungsform handelt. rapie der benignen Prostatahypertrophie, beim
Prostatakarzinom und zur Therapie beim Haar-
ausfall des Mannes zugelassen (z. B. Finasteride;
Präparat: Propecia). Erste Therapieversuche mit
Therapieoptionen Flutamid bei hirsuten Patientinnen sind ebenfalls
Die verschiedenen Therapieansätze bei Hirsutismus sehr Erfolg versprechend.
zeigt Tabelle 5-22.

• Antiandrogene. Antiandrogene sind Substanzen, Therapieempfehlungen in Abhängigkeit


die die Wirkung der Androgene an den entsprechen- vom Lebensalter
den Zielorganen aufheben. Hierzu zählen die sog. • Vor der Menarche bis 1 Jahr danach. Nach Mög-
klassischen Antiandrogene Cyproteronacetat und lichkeit Lokaltherapie. Patientinnen mit Akne soll-

Tabelle 5-22. Therapiemöglichkeiten des Hirsutismus

Therapieform Handelsname Dosierung Indikation

Orale Kontrazeptiva Diane 35, Neo-Eunomin, I Tbl./Tag für 21 Tage Ovarieller Hirsuti mus,
Valerte, Belara ~emischter Hirsutismus
Gestramestrol ei gleichzeitigem Wunsch
Ovosiston nach Kontrazeption,
Zyklusstörungen
Corticoide Dexamethason Berco SCM 0,25- 2,5 mg!Tag Adrenaler oder gemischter
Hirsutismus bei gleichzeiti-
gern Kinderwun eh oder
Zyklu törun~en, adreno-
genitales Syn rom
Decortin/Tagecaprednil Prednisolon 5-20 mg!Tag
Hydrocortison Hoechst Cortisol 20- 30 mglm 2 KOF
Cyproteronacetat Androcur SO CPA 10, 50- 100 mg!Tag
( !.- 10. Zyklustag)
plus
Diane 35 CPA 2 mg!Tag + 1.- 21. Zyklustag,
EE 351-ig/Tag Hirsutismus bei jungen
Mädchen
Spironolacton Airlactone SO 100 mg!Tag für 21 Tage, Gemischter und
dann 7 Tage Pause idiopathi eher Hirsuti mus
bei Kontraindikation für
orale Kontrazeptiva
Flutamid Fugerel 250 mg!Tag Schwerer Hirsutismus
(keine Zulassung! )
Cave: Kontraindikationen,
Kontrazeption erforderlich
Epilation ln Kombination mit Lange bestehender
adrenalen undloder Hirsutismus
ovarieller Suppres ion
210 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

- -
100mg CPA 7Tage
lttttllltlltlt
Hochdosierte (50-200mgl 1. Einnahme 10. 21. Pause
I Standard- oooooooooooooooooooooooooooo 40·50 ~g Ethinyl·

....
therapie estradiol ••••••••••
• •• •••••••

--~ -
Niedrigdosierte
Standard·
........................... 2mg CPA e 8 • •••••••• 8 •••• I 8. 8.

II therapie 000000000000000000000000000 35 ~g Ethyl· Blutung Blutung


estradiol
(Diane 35)

-
I. Zyklustag
000000000000000
Hochdosiert IOOmg CPA : 2 Tabletten Androcur

~
111 bei Östrogen· 10 ng Estradiol. ..... • 1 Dragee Diane 35
intoleranz

Hochdosiert oooooooooooooooooooooooooooooooooooo 50-100 mg CPA


postmenopausal, (non stop) Cyproteronacetat
IV (ng/ml Plasma)
nach Hysterektomie
oder Oophorektomie
400

'-
Mittelhoch- 300mg CPA
V dosiert 40· SO ~g Ethinyl· 300
(parenterales estradiol
Depot) - 00000000000000000000000000000 -
200

Zyklustag 100
0 5 10 15 20 25 30 35 Tage
Menses

5 10 15 20 25 28
a b Tage

100 Akne (n " 175)

80
Hirsutismus
(n" 390)
"'c
~
0 60
E
"'Ol
c Androgenetische
:J
'5 Alopezie
c (n = 99)
40
"'
.c
"'
CO

20 Abb. 5-1 4a- c.


Antiandrogentherapie mit Cyproteronaceatat (CPA}:
a Therapieschemata, b antizyklische Therapie nach
Hammerstein bei hochdosierter CPA-Therapie,
0 c Therapieerfolg bei CPA-Therapie untersch iedlicher
2 3 4 6 7 8 9 >9 Formen der And rogenisierung.
c Behandlunasmonate ( ach Schmidt-Mathiesen 1997)

ten vom Dermatologen behandelt werden. Bei stär- lieh der besonderen Umstände. Sollte eine Kontra-
ker ausgeprägtem Hirsutismus ist ein Pädiater mit zeption erforderlich sein, können in dieser Alters-
endokrinalogischer Erfahrung zu konsultieren. klasse Cyproteronacetat in niedriger Dosierung
(5-10 mg/Tag) vom 1.-10. Zyklustag und gleich-
• Menarche plus 1 Jahr bis 16. Lebensjahr. Die ent- zeitig Diane 35 gegeben werden.
sprechende Medikation richtet sich danach, ob eine
Kontrazeption erforderlich ist. Bei OC-Verordnung • 16. Lebensjahr bis zur Perimenopause. Einen
an Minderjährige: strenge lndikationsstellung; Überblick über die unterschiedlichen Therapiemög-
Empfehlung, möglichst einen Elternteil zu infor- lichkeiten bei Hirsutismus geben die Abb. 5-15
mieren und Eintrag in die Patientenakte einschließ- und Tabelle 5-22. Bei Kontraindikation gegen Ethi-
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 211

HVL HVL Exogenes HVL


Cortisol

Normale Rückkopp lung Adrenogenitoles Syndrom Cortisol-substituiertes AGS


Hypophysenvorderlappen AGH ve rmehrt Normalisierung von AGH
Nebennierenrinde Kein Cortisol und Gonadotropinen
und Ovar Adrogene vermeh rt
Gonodotropine vermindert

Abb.S-15a-c. Endokrine Regulation der Nebennierenrinde bei Gesunden (a), Patientinnen mit AGS (b) und AGS-Patientin-
nen unter Cortisol-substitution (c)

~ylöstradiol kommt ein Therapieversuch mit 2 mg


hinsichtlich kardiovaskulärer Komplikationen
Ostradiolvalerat (oral) anstelle von Ethinylöstradiol
sowie Ovarial- und Brustkrebs. Befunde: Junge
sowie eine kosmetische Behandlung in Frage.
Frau mit typischem weiblichem Habitus; Brüste
beidseits hypoplastisch und seitengleich; ver-
• Menopause plus 4 Jahre danach. Kombination-
mehrte Körperbehaarung im Gesichtsbereich
therapie von Östradiolvalerat (2 mg) und 5-10 mg
und perimamillär. Vermehrte Genitalbehaarung
Cyproteronacetat) bei leichten bzw. 50-100 mg Cy-
mit Haarstraße vom Genitalbereich zum Nabel
proteronacetat bei stärker ausgeprägtem Hirsutis-
sowie vermehrter Haarwuchs im Bereich der
mus. Alternativ kommt die Behandlung mit
Ober- und Unterschenkel. Vulva und Vagina
Spironolacton (2-mal 50 mg/Tag, kontinuierlich) in
o.B. Keine Klitorishypertrophie. Normal großer
Frage.
anteflektierter Uterus. Beide Ovarien palpato-
risch sowie ultrasonographisch normal. Diagno-
stik: FSH 6,3 mE/ml (normal 1-10 mE/ml) ,
5.13 LH 5,2 mE/ml (normal 1-10 mE/ml), Testoste-
Adrenogenitales Syndrom (AGS) ron 762 pglml (normal180-580 pglml), DHEAS
3620 ng!ml (normal 350-4300 ng!ml), Östradiol
T. RABE,E. ScHULZE, E. VLADEscu, 67 pg/ml (normal 40-250 pg!ml), Androsten-
B. RUNNEBAUM dion 2,8 ng/ml (normal 0,45- 3,45 ng!ml), 17-
Hydroxyprogesteron 1,8 ng!rnl (normal 0,4-
5.13.1 2,7 nglml). Im ACTH-Test überschießender
Fallpräsentation Anstieg (l h nach Gabe von 25 IU ACTH i. v.)
von 17-Hydroxyprogesteron und Anstieg des
22-jährige, 58 kg schwere und 163 cm große 21 -Desoxycortisol; Verdacht auf 21-Hydroxyla-
Patientin mit mittelschwerem Hirsutismus, semangel; Gensequenzierung bestätigt heterozy-
Akne und beginnender androgenetischer Alo- goten 21 -H ydroxylasedefekt. Partneruntersu-
pezie. Patientin stellte sich mit Kinderwunsch chung ergibt ebenfalls einen heterozygoten 21 -
seit 2 Jahren in der Hormonsprechstunde vor. Hydroxylasedefekt. Therapie und Verlauf: Un-
Anamnese: Beginn der Androgenisierung mit ter Low-dose-Dexamethasontherapie (0,5 mgl
Akne und mittelschwerem Hirsutismus seit abends) und Clomiphen (50 mg pro Tag) vom
dem 16. Lebensjahr. Zwischenzeitlich Besserung 5.- 9. Zyklustag ovulatorischer Zyklus mit
unter Therapie mit antiandrogenhaltigen oralen Spätovulation am 16. Zyklustag; Eintritt einer
hormonalen Kontrazeptiva (z. B. Diane 35), die Schwangerschaft. Dexamethasontherapie (3-mal
insgesamt 4 Jahre lang eingenommen wurden. 0,5 mg!Tag, Riebtdosis 20 ~glkg!Tag) vor-
Nach Absetzen unregelmäßiger Zyklus. Menar- gesehen bis zur Chorionzottenbiopsie, um
che mit 12 Jahren. Keine familiäre Belastung Geschlechtsdiagnostik vorzunehmen; in der
212 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

• Häufigkeit:
11. SSW Abort; Zytogenetische Untersuchung klassisch: 1 : 7000-1 : 15 000
ergab einen männlichen Chromosomenansatz. nicht klassisch: 1 : 25-1 : 200
Bei weiterer Schwangerschaft analoges Vorge- Heterozygotenfrequenz für alle Formen in
hen geplant. Mitteleuropa: ca. 1 : 55

Mit einer Heterozygotenfrequenz von ca. 1 : 55 in


5.13.2
Mitteleuropa gehört das AGS durch 21-Hydroxyla-
Epidemiologie und Pathogenese
sedefekt zu den häufigsten bisher bekannten mono-
genetisch vererbten Erkrankungen überhaupt. Beim
Das adrenogenitale Syndrom (AGS) ist die häufigste
kongenitalen 11 ß-Hydroxylasedefekt schätzt man
Form des Pseudohermaphroditismus femininus.
eine Inzidenz von etwa 1 : 100 (18), für den 3ß-Hy-
Das adrenogenitale Syndrom fasst eine Gruppe
droxysteroiddehydrogenasemangel sind bisher nur
von autosomal-rezessiv vererbten Störungen der
wenige Fälle beschrieben worden. Die Lokalisation
Cortison- und Aldosteronsynthese der Nebennie-
der einzelnen Enzymdefekte in der Steroidbiosyn-
renrinde zusammen. Bei allen Enzymdefekten
these ist in Abb. 5-16 dargestellt.
kommt es über eine vermehrte hypothalamohypo-
physäre Stimulation zu einer gesteigerten Produk-
tion von Steroiden vor dem jeweiligen Enzymdefekt
5.13.3
und zu einer Hyperplasie der Nebennierenrinde
Klinik
(Abb. 5-15). In Relation zur Androgenproduktion
können die AGS-Formen, wie in folgender Übersicht
Die Klinik der verschiedenen AGS-Formen wird
dargestellt, eingeteilt werden.
durch die veränderten Syntheseraten von Glucocor-
ticoiden, Mineralocorticoiden und androgenen Hor-
Adrenogenitales Syndrom (AGS): Klassifikation monen bestimmt. In der Fetalentwicklung beginnt
die Differenzierung des Urogenitalsystems etwa in
• AGS mit Androgenüberproduktion: der 6. SSW. Zu diesem Zeitpunkt entstehen Ent-
21-Hydroxylasedefekt wicklungsstörungen besonders durch erhöhte oder
11 ß-Hydroxylasedefekt verminderte AndrogenspiegeL Die Normalisierung
• AGS mit veminderter Androgenproduktion: der veränderten Androgenproduktion in der frühen
StAR-Protein Fetalentwicklung ist deshalb auch Grundlage der
17-Hydroxylase/17, 20-Lyase Pränataltherapie des AGS.
3 ß-Hydroxysteroiddehydrogenase
In der Postnatalperiode ist die Glucocorticoidpro- .....
duktion bei allen klassischen AGS-Formen ernied- ~
In über 90 o/o der Fälle liegt ein Defekt der 21-Hy- rigt, was zu einer akuten Lebensbedrohung durch V
droxylase, die durch das CYP21B-Gen kodiert wird, Addison-ähnliche Krisen und die Entwicklung einer
zugrunde. Alle anderen Enzymdefekte sind ausge- Hypoglykämie führen kann (Tabelle 5-23 und fol-
sprochen selten und erfordern eine spezialisierte gende Übersicht).
endokrinologische und genetische Diagnostik. Die
klinischen Formen des AGS sind am Beispiel des Mit Ausnahme der llß-Hydroxylase- und der 17a-
21-Hydroxylasedefektes in folgender Übersicht zu- Hydroxylasedefekte kann sich durch den Mangel an
sammengefasst. Mineralocorticoiden in Abhängigkeit von der
Schwere des Enzymdefektes ein Salzverlustsyndrom
entwickeln.
Klinische Formen und Häufigkeit des AGS
am Beispiel des 21-Hydroxylasedefektes
Klinik der klassischen AGS-Formen
• Klassischer 21-Hydroxylasedefekt
mit Salzverlust (kompliziertes AGS, • Glucocorticoidmangel (alle Enzymdefekte)
salt wasting = SW) Addison-ähnliche Krisen
ohne Salzverlust (unkompliziertes AGS, Müdigkeit, Apathie, Stressintoleranz
einfach virilisierendes AGS = SV) Hypoglykämie
• Nichtklassischer 21-Hydroxylasedefekt Erhöhte Infektneigung
(NC, late onset AGS) NNR-Hyperplasie
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 213

Nebennierenrinde und Ovar

....
HO HO
20n , 22R-OihyCiroqoeho..,"-t1n 20a-HyCiroxyc.hoiMtlrln

Cf"•
_H.cm~
0~
Prooeateron 170 -Hy<lroxy~ron

·~­
.JSß
OH


,.~

_,
vorwiegend

- 1 •


Ovar
Mlneralokortlkol
Glukokortlkolde
Androgene
Nur
Nebennierenrinde tllt;& J•rtll I I Wi "., = Enzyme

Abb. 5-16. Biosynthese von Steroidhormonen, die wichtigsten Stoffwechselwege und ihre Enzymsysteme

• Mineralocorticoidmangel • Mineralocorticoid-Überproduktion
(21-Hydrox:ylase, 3ß-HSD, StAR-Protein) ( 11 ß-H ydroxylase, 17 a- H ydrox:ylase)
Hyponatriämie Hypernatriämie
H yperkaliämie Hypokaliämie
Metabolische Azidose Hypokaliämische Alkalose
RR-Abfall Hypertonie
214 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Tabelle 5-23. Klinische und laborchemische Befunde bei adrenalen Enzymdefekten

Enzymdefekt Klinik Labor Genlocus


Chromosom

Inter exuelle Salzvertu t Postnatale Plasmasteroide Urinsteroide


Genitale Virilisierung
Erhöht Erniedrigt Erhöht
StAR Protein jungen Ja Nein ein Alle Nein 8p
3ß-HSD Jungen (Ja) ja DHEA Aldo, T Pregnentriol, 1q
Pregnenolon 17-0HP, F DHEA
17-0H-Preg
21-Hydro-
xylase
Mit Salz- Mädchen Ja Ja 17-0HP, Aldo, F Pregnantriol 6p
ver Iust 4-A, T
Ohne Salz- Mädchen Nein Ja 17-0HP, F Pregnantriol 6p
vertust 4-A, T
17ß-Hydro- Mädchen Nein Ja DOC, S Aldo, F TH-DOC, 8q
xylase TH-S
17a-Hydro- Knaben Nein ein DOC, B F, T TH-DOC, 10
x Iase TH -B

Aldo Aldosteron, B Corticosteron, DHEA Dehydroepiandro- T Testosterone, TH-DOC Tetrahydro-DOC, TH-B Tetrahydro-
steron, DOC 11-Deoxycorticosteron, F Cortisol, StAR-Protein B, TH-S Tetrahydro-S, 3ß-HSD 3ß-Hydroxysteroiddehydro-
Steriodogenic Acute Regulatory Protein, S 11-Deoxycortisol, genase, 4-A Androstendion, 17-0HP 17-Hydroxyprogesteron

• Androgenüberproduktion Das AGS mit Salzverlust ist 3-mal häufiger. Obwohl


(21-Hydroxylase, 11 ß-Hydroxylase) es sich um eine autosomal vererbte Erkrankung han-
Pränatal: Virilisierung des äußeren weiblichen delt, ist das Verhältnis Mädchen zu Knaben nicht
Genitales ausgeglichen, sondern liegt für die unkomplizierte
Postnatal: Pseudopubertas praecox Form bei ca. 3 : 1. Somit werden Knaben häufig
• Androgenmangel nicht oder erst verspätet durch eine Pseudopubertas
(StAR-Protein, 3ß-HSD, 17a-Hydroxylase) praecox bzw. ein beschleunigtes Wachstum vor der
Intersexuelles Genitale (Hypospadie) bzw. Pubertät diagnostiziert.
phänotypisch weibliches Genitale bei
männlichem Karyotyp
Krankheitsverlauf
Entscheidend für das Schicksal der neugeborenen
Kinder ist die rechtzeitige Diagnosestellung; dies
Klassisches AGS durch trifft insbesondere bei Knaben zu. Von verschiede-
21-Hydroxylasedefekt nen Autoren wird auch über Knaben berichtet, bei
denen die Diagnose eines klassischen AGS mit Salz-
Klassifikation verlustsyndrom nicht rechtzeitig gestellt wurde.
Der klassische Defekt der 21-Hydroxylase kann als Diese Kinder sind besonders in akuten Stresssitua-
AGS mit Salzverlustsyndrom (kompliziertes AGS, tionen wie Infektionen der Atemwege und gastroin-
"salt wasting" = SW) oder als unkompliziertes testinalen Erkrankungen mit Flüssigkeitsverlust ge-
bzw. einfach virlisierendes AGS ohne Störung der fährdet.
Mineralocorticoidsynthese (unkompliziertes AGS,
einfach virilisierendes AGS SV) auftreten.
AGS mit Salzverlustsyndrom
• Symptome des Salzverlustsyndroms. Trink-
Häufigkeit schwäche; zunehmende Apathie; fehlende Gewichts-
• Klassisch 1 : 7000-1 : 15 000, zunahme; Erbrechen; Exsikkose; Elektrolytverände-
• nichtklassisch 1 : 25-1 : 200, rungen (Hyponatriämie, Hyperkaliämie); Zunahme
• Heterozygotenfrequenz für alle Formen in Mittel- der Plasmareninaktivität (PRA) bzw. der Renin-
europa ca. 1 : 55. konzentration; metabolische Azidose. Die Salzver-
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 215

Iustkrise setzt in der Regel zwischen der 2. und 3. Le- skrotalfalten mit einer penisartig vergrößerten Kli-
benswoche ein (s. folgende Übersicht), es sind aber toris und Extension der Urethra auf die Glanspenis
auch spätere Manifestationen beschrieben worden. (Abb. 5-17). Weibliche Neugeborene können bei
Geburt als Knaben verkannt werden. Deshalb sollte
bei intersexuellem Genitale eine frühzeitige Ge-
Diagnostik des klassischen AGS schlechtszuweisung nach Karyotypisierung und dif-
durch 21- Hydroxylasedefekt ferentialdiagnostischer Abklärung erfolgen. Bei
frühgeborenen Mädchen wird die durch die noch
• Klinik vollständig entwickelten großen Labien vergrößert
Mädchen: Pseudohermaphroditismus femininus erscheinende Klitoris häufig als leichte Virilisierung
Knaben und Mädchen: Salzverlustsyndrom fehlgedeutet Bei männlichen AGS-Neugeborenen
(5.-14. Lebenstag, aber auch später) mit 21-Hydroxylasedefekt ist das Genitale in der Re-
• Ultraschall: Gonaden, Uterus gel unauffällig. Eine verstärkte Pigmentierung des
• Labor: Karyotyp Skrotums bzw. eine Vergrößerung des Penis werden
Plasmauntersuchungen: ACTH, Plasmarenin- von weniger erfahrenen Untersuchern häufig über-
aktivität (PRA) bzw. Reninkonzentration, 17- sehen.
0H-Progesteron, 21-Desoxycortisol, Natrium,
Kalium, Säure-Basen-Status
Differentialdiagnostisch (andere Enzymdefekte): • Diagnostik
17-0H-Pregnenolon, DHEA, Testosteron DOC, (s. auch Abschn. "Diagnostik des AGS")
Aldosteron, Cortisol • Karyotypisierung: bei Kindern mit intersexuellen
• Molekulargenetik: direkter Nachweis des Gen- Genitale zur richtigen Geschlechtszuweisung er-
defektes auf der Grundlage der klinischen und forderlich.
laborchemischen Verdachtsdiagnose • Genlokalisation: Der Genort für die 21-Hydroxy-
lase wurde auf dem kurzen Arm des Chromosoms
6 in der MHC- (Major-histocompatibility-com-
plex-) Klasse-III-Region lokalisiert. In unmittel-
Außerdem muss bei unzureichender Substitutions-
barer Nachbarschaft zum aktiven Gen (CYP21B)
therapie und in akuten Belastungssituationen
befindet sich ein inaktives Pseudogen (CYP21 A),
(schwere Erkrankungen, Traumata, Operationen)
das aber Bedeutung für die Regulation der Tran-
an eine Dekompensation des Flüssigkeits- und
skription besitzt.
Elektrolythaushaltes gedacht werden.

AGS ohne Salzverlustsyndrom


• Symptome.
Pseudopubertas praecox:
• frühes Auftreten von Pubesbehaarung
(Pubarche),
• Peniswachstum bzw. Klitorishypertrophie,
• beschleunigtes Längenwachstum,
• Akzeleration des Knochenalters;,
• vorzeitiger Epiphysenschluss (Kleinwuchs).

Bei vielen Symptomen gibt es eine Überschneidung


zum nichtklassischen ("late-onset") AGS. Die Aus-
prägung der Symptomatik ist von der verbliebenen
Enzymaktivität der 21-Hydro:xylase in der Neben-
nierenrinde abhängig. Im Einzelfall gibt es aber im-
mer wieder größere Abweichungen von den durch
ln-vitro-Untersuchungen einzelner Mutanten des
Enzyms gewonnenen Ergebnissen.

• Klinik. Schweregrad der Virilisierung. Einteilung


nach Prader in verschiedene Stadien. Die Verände-
Abb. 5-17. Klitorisvergrößung bei einem Kind mit kon-
rungen reichen von einer einfachen Klitorishyper- genitalen adrenogenital em Syndrom (AGS nach Schmidt-
trophie bis hin zur kompletten Fusion der Labio- Matthiesen)
216 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

• Mutationen: Die häufigsten Mutationen sind AGS sind durch die vermehrte Androgensekretion
Deletionen des gesamten Genlokus (ca. 30 kb ), um die Pubertät bzw. bei erwachsenen Patienten
die auch die benachbarten Komplementfaktor- gekennzeichnet.
gene C4 A und C4 B betreffen können sowie
eine Punktmutation im Intron 2, die zu einer • Symptome. Klinische Symptome bei erwachse-
Veränderung bei der Reifung der MRNA ("spli- nen Frauen:
cing") führt. Fast alle Punktmutationen im e primäre oder sekundäre Amenorrhöe bzw.
CYP21B-Gen sind durch "crossing over", d. h. Oligomenorrhö,
durch den Austausch von Gensequenzen mit • Infertilität,
dem inaktiven Pseudogen CYP21 A entstanden. • Klitorishypertrophie,
Deletionen, die eine Mutation im Intron 2, und • Hirsutismus,
Mutationen, die zu einem vorzeitigen Stopkodon e Akne,
führen, bewirken einen vollständigen Verlust der e Seborrhö,
Enzymaktivität Mutationen, deren Folge der • temporärer Haarausfall,
Austausch von Aminosäuren ist, verringern die • Stirnglatze,
Enzymaktivität in unterschiedlichem Ausmaß • tiefe Stimme,
und sind für die phänotypische Variabilität des • Kleinwuchs.
AGS verantwortlich. Wegen der relativ großen
Zahl verschiedener Mutationen sind nur wenige Erwachsene Frauen werden meist durch Gynäko-
Patienten homozygot für eine einzelne Mutation. logen diagnostiziert und wegen Infertilität, Zyklus-
Meist lassen sich 2 oder mehrere Mutationen auf störungen, Hirsutismus bzw. seborrhoischer Akne
den beiden Allelen im Sinne einer "compound behandelt. Bei gründlicher Anamnese lassen sich
Heterozygotie" nachweisen. Für die meisten Mu- aber häufig Symptome nachweisen, die vor oder
tationen des CYP21B-Gens wurde in vitro der während der Pubertät aufgetreten sind (prämature
Einfluss auf die Enzymaktivität der 21-Hydroxy- Pubarche, Großwuchs, leichte Klitorishypertrophie).
lase untersucht. Es zeigte sich, dass ca. 2-4%
Restaktivität für eine basale Mineralocorticoid-
Diagnostik
synthese ausreichend sind. Belastungssituationen
(s. auch Abschn. "Diagnostik des AGS")
führen ohne ausreichende Substitutionstherapie
aber auch bei diesen Patienten zur Dekompensa-
• Labor. Molekulargenetisch lassen sich milde De-
tion mit Salzverlustkrise.
fekte im CYP21B-Gen mit Restaktivitäten des En-
zyms zwischen 20 % und 60 % nachweisen. In einer
• Therapie. Die Therapie muss individuell an den
eigenen Studie mit Patientinnen mit Fertilitäts-
klinischen Verlauf und die Laborparameter bei je-
störungen bzw. Hirsutismus und pathologischem
dem Patienten angepasst werden.
ACTH-Test im Sinne eines milden 21-Hydroxylase-
defektes ließen sich in 8% homozygote bzw. com-
Nichtklassisches AGS pound-heterozygote Mutationen des CYP21B-Gens
durch 21-Hydroxylasedefekt ("Late-onset-AGS") nachweisen. 29% der Patientin-
nen waren heterozygot für einen 21-Hydroxylase-
Klassifikation gendefekt. Neben Konsequenzen für die Therapie
Das nichtklassische AGS durch 21-Hydroxylasede- sollte bei Kinderwunsch auf jeden Fall eine moleku-
fekt kann in 2 verschiedenen Formen auftreten. largenetische Untersuchung des Partners (Heterozy-
gotenfrequenz 1 :50) und eine humangenetische Be-
ratung erfolgen, um das Risiko für Kinder mit AGS
Häufigkeit zu verringern. Ein positiver Mutationsbefund bei
• Klassisch 1 : 7000-1 : 15 000, beiden Partnern eröffnet die Möglichkeit zur Präna-
• nichtklassisch 1 : 25-1 : 200, taltherapie des AGS, die aber nur in erfahrenen Zen-
• Heterozygotenfrequenz für alle Formen in Mittel- tren durchgeführt werden sollte.
europa ca. 1 : 55.
Differentialdiagnose
Klinik Differentialdiagnostisch müssen von den Late-on-
Patienten mit der asymptomatischen Form zeigen set-AGS-Formen Tumoren der NNR und androgen-
keine klinischen Symptome, sondern lediglich milde bildende Gonadentumoren sowie bei erwachsenen
hormonelle Veränderungen. Die klinischen Zeichen Frauen das Syndrom der polyzystischen Ovarien
des symptomatischen, so genannten Late-onset- (PCO-S) abgegrenzt werden.
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 217

11 ~-Hydroxylasedefekt (DOC) zu Corticosteron (B) und von 11-Desoxy-


cortisol (S) zu Cortisol.
Pathogenese • Isoenzym 2 (CYP11B2-Gen): Das 2. Isoenzym,
Defekt der 11ß-Hydroxylase und hierdurch ge- welches durch das CYP11B2-Gen kodiert wird,
hemmte Umwandlung von 11-Desoxycorticosteron wird in der Zona glomerulosa der NNR expri-
(DOC) zu Corticosteron (B) und von 11-Desoxycor- miert und besitzt llß-Hydroxylase-, 18-Hydro-
tisol (S) zu Cortisol (Abb. 5-17). xylase- und 18-Methyloxidaseaktivität. Zusam-
mengefasst wird dieses Enzym auch als Aldoste-
Klassifikation ronsynthase bezeichnet. Defekte des CYP11B2-
Molekulargenetische Differenzierung je nachdem, Gens führen zum Aldosteronsynthasemangel
welches Isoenzym betroffen ist; keine klinische Dif- Typ I bzw. Typ II und somit zum Salzverlust,
ferenzierung; es kommt bis auf wenige Ausnahmen aber nicht zu einem intersexuellen Genitale
nicht zur Entwicklung eines Salzverlustsyndroms. bzw. einer postnatalen Virilisierung.

Eine definitive Diagnose kann aber durch den Muta-


Häufigkeit
tionsnachweis im CYP 11 B1-Gen gestellt werden.
5-8 o/o der AGS-Fälle

3~-Hydroxysteroiddehydrogenase-(3~-HSD-)Defekt
Klinik
Die klinische Symptomatik (Virilisierung, Hyperto-
Pathogenese
nie) und Laborparameter (Anstieg von DOC oder
Der Defekt der 3ß-Hydroxysteroiddehydrogenase
11-Desoxycortisol) weist ein relativ breites Spek-
(3ß-HSD) betrifft die Umwandlung der A-5-Steroide
trum auf. Im Mittelpunkt der Symptomatik steht
Pregnenolon, 17-0H-Pregnenolon und DHEA in die
die erhöhte Androgenproduktion. Es kommt bis
entsprechenden A-4-Steroide Progesteron, 17-OH-
auf wenige Ausnahmen nicht zur Entwicklung eines
Progesteron und Androstendion in den Nebennie-
Salzverlustsyndroms, da das angestaute DOC selbst
ren und den Gonaden.
mineralocorticoide Wirkung besitzt. Durch das er-
höhte DOC entwickelt sich bei den meisten Patien-
ten bereits in den ersten Lebensjahren eine arterielle Klinik
Hypertonie. Die klinische Symptomatik des klassischen AGS
durch 3ß-HSD-Defekt wird durch das Salzverlust-
Diagnostik syndrom bestimmt, obwohl auch Einzelfälle ohne
Salzverlust beschrieben wurden. Bei Knaben kommt
(s. auch Abschn. "Diagnostik des AGS")
es zu einer Hypospadie, die durch die gestörte Te-
stosteronsynthese in den Gonaden bedingt ist. Bei
Labor Mädchen ist das äußere Genitale meist unauffällig,
• Molekulargenetik. Genlokalisation: Für die 11 ß- gelegentlich können leichte Virilisierungserschei-
Hydroxylase gibt es 2 Isoenzyme, die durch das nungen (Klitorishypertrophie) auftreten.
CYP11B1-Gen bzw. das CYP11B2-Gen kodiert wer-
den. Beide Gene wurden auf dem Chromosom 8 lo-
kalisiert. Eine Besonderheit der beiden llß-Hydro- Labor
xylase-Isoenzyme stellt der durch Dexamethason • Molekulargenetik. Genlokalisation: Die beiden
supprimierbare Hyperaldosteronismus dar, der Gene für die menschliche 3ß-HSD sind auf dem
durch einen Austausch von Gensequenzen zwischen Chromosom 1 lokalisiert. Das Typ-I-Gen wird fast
den beiden CYP11B-Genen hervorgerufen wird. Da- ausschließlich in der Plazenta, der Brustdrüse und
bei gelangt das CYP11B2-Gen (Aldosteronsynthase) der Haut exprimiert, die 3ß-HSD Typ II findet
unter die Kontrolle des ACTH-abhängigen Promo- man in der Nebennierenrinde und den Gonaden.
ters des CYP11B1-Gens und wird unabhängig vom Gendefekte konnten bisher nur im Typ-li-Gen loka-
Aldosteronspiegel verstärkt exprimiert. Der entste- lisiert werden.
hende Hyperaldosteronismus kann durch eine
Hemmung der ACTH-Sekretion mittels Dexametha- 17a-Hydroxylase-/17,20-Lyase-Defekt
son therapiert werden.
Pathogenese
• Mutationen Das Enzym P450c17 katalysiert sowohl die 17a-Hy-
• Isoenzym 1 (CYPllBl-Gen): Mutationen betref- droxylierung von Vorstufen der Mineralocorticoid-
fen die Umwandlung von 11-Desoxycorticosteron synthese (Pregnenolon, Progesteron) als auch die
218 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

17, 20-Lyase-Reaktion, die Grundlage der Andro- nestern in den Zellen der Nebennierenrinde und in

r
gen- und Östrogensynthese ist. Der Enzymdefekt den Leydig-Zellen der Hoden kommt es schließlich
ist durch einen Mangel an Androgenen und Östro- zur Lipidhyperplasie dieser Gewebe und zum voll-
genen bei gleichzeitig verstärkter Mineralocorticoid- ständigen Erliegen der Steroidsynthese.
wirkung charakterisiert.
Klinisch entwickelt sich bereits kurz nach der Geburt
Klinik
eine akute NNR-Insuffizienz mit Salzverlustsyn- 1:
drom, die eine sofortige Substitutionstherapie not- u
Durch die vermehrte Produktion von DOC und Cor-
wendig macht. Knaben zeigen aufgrund des Andro-
ticosteron kommt es im Gegensatz zum AGS durch
genmangels ein typisch weibliches oder intersexuel-
den 21-Hydroxylasedefekt zu Hypertonie, Hyperna-
les Genitale.
triämie und Hypokaliämie mit Entwicklung einer
Alkalose. Der Mangel an Östrogenen und Androge-
Das äußere Genitale von weiblichen Neugeborenen
nen führt zu einer gestörten Entwicklung der sekun-
ist nicht verändert.
dären Geschlechtsmerkmale (hypergonadotroper
Hypogonadismus). Bei Mädchen wird das Krank-
heitsbild bei unauffälligem äußeren Genitale oft Diagnostik
erst auf Grund der ausbleibenden Pubertät diagno- Siehe auch Abschnitt "Diagnostik des AGS". Die
stiziert. Männliche Neugeborene werden bei Geburt Diagnose kann durch den Nachweis der fehlenden
oft nicht diagnostiziert (phänotypisch weiblich). Bei Steroidsynthese auf allen Stufen und die Mutations-
intersexuellem Genitale, männlichem Karyotyp und analyse des StAR-Gens gestellt werden.
Nachweis von Hoden (abdominal, inguinal oder la-
bial) erfolgt die Differentialdiagnose durch den
Nachweis der erhöhten DOC- und Corticosteron-
5.13.4
spiegel bei verminderten Androgenen. Außerdem
Diagnostik
können die Gendefekte im CYP17-(P450c17-)Gen,
das auf dem Chromosom 10 lokalisiert ist, nachge-
Klassisches AGS
wiesen werden. In Einzelfällen wurden auch isolierte
Defekte der 17, 20-Lyase-Aktivität dieses Enzyms
AGS mit Salzverlust
beschrieben.
• Weibliche Neugeborene. Die Verdachtsdiagnose
kann bereits durch die Veränderungen des äußeren
Genitales gestellt werden (besonders häufig ist eine
Lipidhyperplasie der Nebennierendefekte
Klitorishypertrophie, aber auch alle anderen For-
des StAR-Proteins
men der Virilisierung bis hin zur vollständigen Ver-
männlichung)
Pathogenese
Das StAR-Protein ("steroidogenic acute regulatory
• Männliche Neugeborene. Zu achten ist auf ein
protein") ist für den Transport von Cholesterin
hyperpigmentiertes Skrotum sowie auf Gedeih-
zur inneren Mitochondrienmembran verantwort-
störungen in den ersten Lebenswochen (Salzver-
lich. Die angeborene Lipidhyperplasie der Neben-
lust). Bei unklaren Todesfällen eines männlichen
nierenrindewird durch Defekte des StAR-Gens her-
Neugeborenen in der Familienanamnese sollte im-
vorgerufen. Bis zur Entdeckung des StAR-Proteins
mer an ein Salzverlustsyndrom bei AGS gedacht
wurden Defekte des P450scc-Proteins (sec= "side-
werden. Neben der Sonographie des inneren Geni-
chain-cleavage-Enzym"), welches den ersten Schritt
tales und dem Karyotyp (Notwendigkeit der frühzei-
der Steroidsynthese katalysiert, als ursächlich für die
tigen Geschlechtszuweisung) liefern Bestimmungen
Lipidhyperplasie der NNR angesehen.
der basalen Hormonwerte im Serum bzw. der Meta-
boliten im Sammelurin differentialdiagnostische
Klinik Hinweise.
Hinweisend auf dieses Krankheitsbild ist die voll-
ständig fehlende Steroidsynthese, wobei auch die • Labor (Basisdiagnostik, Screening). Bei der Be-
Synthese der Sexualhormone in den Gonaden be- stimmung der basalen 17-0H-Progesteronspiegel
troffen ist. In den ersten Lebenstagen bis -wochen bei Neugeborenen sind altersabhängige Normwerte
ist häufig eine geringe Steroidsynthese nachweisbar, (besonders bei Frühgeborenen) sowie größere Ab-
die durch einen StAR-unabhängigen Cholesterin- weichungen, die durch die Verwendung verschie-
transport ermöglicht wird. Durch die Einlagerung dener kommerzieller Assays entstehen können, zu
von großen Mengen an Cholesterin bzw. Cholesteri- beachten.
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 219

• Labor (Funktionsdiagnostik). Weitere Hormon- Fälle beweisend für ein nichtklassisches AGS durch
bestimmungen (basal und nach ACTH-Stimulation) einen 21-Hydroxylasedefekt. Molekulargenetische
erlauben die Differentialdiagnostik der verschie- Untersuchungen haben aber bei ca. 20% der Pa-
denen Enzymdefekte. Dabei sind wiederum die tienten eine Überlappung mit heterozygoten Muta-
laborspezifischen und altersabhängigen Normal- tionen aufgezeigt. Beim heterozygoten 21-Hydroxy-
werte zu beachten. Das gilt auch für Quotienten ein- lasedefekt sollte 17-0H-Progesteron auf> 2,6 ng/dl
zelner Steroidhormone, die spezifisch für einzelne (> 7,8 nmol/1) ansteigen. Bessere Ergebnisse kön-
Enzymdefekte sein sollen, aber eine starke Abhän- nen durch die Kombination mit anderen Hormonen
gigkeit von den verwendeten Analysemethoden zei- (z. B. 21-Desoxycortisol, Quotient aus 17-0H-Proge-
gen. steron und DOC) erzielt werden.

• Molekulargenetik. Der diagnostische Beweis ist • Molekulargenetik. In allen unklaren Fällen, bei
in über 98% der Fälle durch eine genetische Unter- der Untersuchung von Familienangehörigen von
suchung möglich. Die molekulargenetische Diagno- AGS-Patienten sowie bei der Indikationsstellung
stik sollte aber gezielt auf der Basis der Hormonbe- für eine Pränataltherapie sollte die Diagnose deshalb
stimmungen erfolgen. durch die molekulargenetische Diagnostik über-
prüft werden. Die Sensitivität der genetischen Me-
thoden liegt heute bei > 98 %.
AGS ohne Salzverlust
Beim unkomplizierten AGS ohne Salzverlust ist die
• ACTH-Test. Bei Verdacht auf andere Enzymde-
Virilisierung der weiblichen Neugeborenen meist
fekte können weitere Steroide (z. B. DHEA, 17-
schwächer ausgeprägt als beim Salzverlust-AGS (Kli-
0H-Pregnenolon, 11-Desoxycortisol, DOC) basal
torishypertrophie, häufig auch völlig unauffällige
und nach ACTH-Stimulation bestimmt werden.
Befunde zur Geburt). Knaben können in den ersten
Ein nichtklassischer Defekt der 3ß-HSD wurde auf
Lebensjahren einen asymptomatischen Verlauf zei-
der Grundlage erhöhter Serumkonzentrationen
gen. Im späteren Lebensalter fallen diese Kinder
von Pregnenolon, 17-0H-Pregnenolon und DHEA
durch Abweichen der Wachstumskurve nach oben
nach ACTH-Stimulation bei 10-40% der Patientin-
bei gleichzeitig akzeleriertem Knochenalter und/
nen mit Hyperandrogenämie und bei 5-8% der
oder Pseudopubertas praecox auf. Trotzdem sind
Mädchen mit Pseudopubertas praecox postuliert.
diese Kinder im Rahmen von Belastungssituationen
Gendefekte im 3ß-HSD-Typ-II-Gen wurden aber
akut gefährdet, da die Restaktivität der Steroidsyn-
nur bei extrem hohem Anstieg von 17-0H-Preg-
these der Nebennierenrinde nur eine ausreichende
nenolon und DHEA (> 7 SD) beobachtet. Bei diesen
Produktion basaler Hormonspiegel ermöglicht.
Patientinnen wird deshalb eine funktionelle Hem-
mung der 3ß-HSD, möglicherweise hervorgerufen
• Labor. Selbst laborchemische Veränderungen der
durch Umweltbelastungen, diskutiert.
basalen Hormonwerte (in Einzelfallen sogar nach
I. v. ACTH-Kurztest: ACTH (Synacthen) 250 j..Lg/m2
ACTH-Stimulation) lassen sich in den ersten Le-
KOF, maximal 250 j..lg, frühe Follikularphase (3.-8.
bensjahren nicht immer nachweisen. Bisher unge-
Zyklustag): Durchführung zwischen 8.00 und 10.00
klärt ist auch, ob diese Kinder durch ein AGS-Neu-
Uhr; Bestimmung der Steroidhormone basal und
geborenenscreening entdeckt werden können. Des-
nach 60 min. Bei der Differentialdiagnostik der
halb sollten auch klinisch asymptomatische Ge-
adrenalen bzw. ovariellen Hyperandrogenämie
schwister von AGS-Patienten nach der Geburt
kann durch den ACTH-Test die adrenale Kompo-
molekulargenetisch untersucht werden, um frühzei-
nente der Androgensynthese beurteilt werden.
tig eine sichere Diagnose stellen zu können.

Nichtklassisches AGS Neugeborenscreening des AGS

Labor Hormonbestimmung
• Hormonbestimmung. Bei den nichtklassischen •17-0H-Progesteron. Das Neugeborenenscreen-
AGS-Formen sowie bei heterozygoten Mutationen ing durch Bestimmung von 17-0H-Progesteron er-
sind die basalen Hormonspiegel (z. B. 17-0HP bei möglicht die Erfassung aller Kinder mit klassischem
21-Hydroxylasedefekt) normal bis leicht erhöht. AGS. Dadurch werden besonders Knaben, die vor
Durch ACTH -Stimulation kommt es zu einem der Entwicklung eines Salzverlustsyndroms asym-
verstärkten Anstieg der Steroidhormone vor dem ptomatisch sind, frühzeitig erfasst und einer lebens-
Enzymdefekt Ein Anstieg von 17-0HP auf rettenden Substitutionstherapie zugeführt. Es wird
> 1.000 ng/dl (> 30,6 nmol/1) ist in über 80% der aber auch immer wieder über Mädchen mit schwerer
220 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Virilisierung und 21-Hydroxylasedefekt berichtet, AGS mit Salzverlust


deren Geschlecht zunächst als männlich fehlge- • Mineralocorticoidtherapie. Das Salzverlustsyn-
deutet wurde und die durch das Screening frühzeitig drom wird durch Mineralocorticoidsubstitution
erfasst werden konnten. Reifgeborene Neugeborene mit 9a-Fluorcortison als freier Alkohol (Astonin
mit Verdacht auf ein klassisches AGS haben bereits H) oder als Acetat (Fludrocortison, Florinef) in einer
wenige Tage nach der Geburt erhöhte 17-0HP-Kon- altersabhängigen Dosis von 20-100 ~g/Tag behan-
zentrationen im Bereich von 5.000-70.000 ng/dl delt. Im 1. Lebenshalbjahr sollten 0,5-1 g NaCl per
(Bestimmung im getrockneten Vollblut auf Filterpa- os der Nahrung zugesetzt werden. Die Mineralocor-
pier; Normbereich am 3.-7. Lebenstag: 24-514 ng/dl ticoidsubstitution ermöglicht oft eine Reduzierung
bzw. 0,73-15,6 nmol/1). der Glucocorticoiddosis und verringert damit die
Nebenwirkungen.
• Fetale Steroide. Zur Diagnosesicherung sind As-
says mit geringer Kreuzreaktion gegen fetale Ste- Ärztliche Betreuung
roide, die Harnsteroidanalyse sowie die molekular- Beim Übergang vom Kindes- zum Erwachsenenalter
genetische Untersuchung geeignet, die jeweils in entstehen oftmals Probleme durch den notwendigen
spezialisierten Zentren angewandt werden sollten. Arztwechsel vom Pädiater zum Erwachsenenendo-
krinologen oder Gynäkologen (Kontinuität der Be-
treuung) sowie psychologische Probleme in der Aus-
Molekulargenetik einandersetzung mit der eigenen Sexualentwick-
Bisher (noch) asymptomatische Geschwister sowie lung. In dieser Zeit verschlechtert sich auch die
bei weiterem Kinderwunsch auch die Eltern sollten Compliance bei der Medikamenteneinnahme, was
in die molekulargenetische Untersuchung einbe- bei Frauen zu verstärkter Virilisierung, bei Männern
zogen werden. zu eingeschränkter Fertilität und zur Entwicklung
von Hodentumoren führen kann. Bei bis zu 70%
der im Erwachsenenalter schlecht eingestellten
AGS-Patienten wird die Ausbildung von NNR-Ade-
5.13.5 nomen beschrieben.
Therapie

Klassisches AGS Neue Therapieformen


Neue Therapieformen versuchen besonders die Wir-
AGS ohne Salzverlust kung der androgenen Hormone bei gleichzeitiger
• Glucocorticoidtherapie. Grundlage der Therapie Verringerung der Glucocorticoiddosis zurückzu-
beim klassischen AGS durch 21-Hydroxylase-, llß- drängen. Entsprechende Ansatzpunkte ergeben
Hydroxylase-, 3ß-HSD- bzw. StAR-Protein-Defekt sich durch Antiandrogene (z. B. Flutamide) oder
ist die lebenslange Substitution mit einem Glucocor- Hemmstoffe der Sa-Reduktase (z. B. Finasteride).
ticoid. Das physiologische Hydrocortison (Cortisol) Ein experimentelles Therapieschema mit Flutamide
ermöglicht bis zum Abschluss des Wachstums eine und Testolacton wurde von der Arbeitsgruppe um
individuelle Einstellung der Dosierung. Als Riebtdo- Cutler (Laue et al. 1996) veröffentlicht.
sis kann eine Menge von 15-20 mg/m 2 KOF und Tag
gelten. Um die natürliche Tagesrhythmik und den- Nichtklassisches AGS
bedarf möglichst gut einzuhalten, wird die Tagesdo-
sis auf 3 Einzeldosen verteilt. Die morgendliche Do- 2 7-Hydroxylasedefekt
sis (zwischen 6.00 und 8.00 Uhr-Hemmung des phy- • Glucocorticoidtherapie. Das nichtklassische AGS
siologischen ACTH-Anstiegs) sollte 50% der Ge- beschränkt sich im Wesentlichen auf Defekte der
samtdosis beinhalten. Im Erwachsenenalter kann 21-Hydroxylase (Late-onset-AGS, Frauen mit Hy-
die Therapie auf ein anderes Glucocorticoid (z. B. perandrogenämie). Die Therapie der Wahl besteht
Dexamethason) umgestellt werden. in niedrigdosierten Glucocorticoiden (Kinder im
Wachstum Hydrocortison 5-10 mg/m 2/Tag; nach

D Eine besondere Bedeutung besitzt die Anpassung


der Glucocorticoiddosis bei Stresssituationen (hoch-
fieberhafte Infekte, Flüssigkeitsverlust, Operationen).
Abschluss des Längenwachstums Dexamethason
0,25 mg/Tag).

Die Hydrocortisondosierung muss kurzzeitig auf das Heterozygote Mutation der 27-Hydroxylase
2- bis 5-fache gesteigert werden und evtl. auch paren- • Glucocorticoidtherapie. Ob bei Frauen mit Hy-
teral erfolgen. perandrogenämie und heterozygoter Mutation der
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 221

21-Hydroxylase eine Therapie mit Glucocorticoiden • Die Mineralocorticoidsynthese lässt sich durch
gerechtfertigt ist, muss noch in klinischen Studien die Bestimmung der Plasmareninaktivität
belegt werden. Bei kombinierter adrenaler und ova- (PRA) oder der Reninkonzentration überwachen.
rieller Hyperandrogenämie mit polyfollikulärem
Ovar scheint eine Behandlung mit niedrig dosiertem Für alle zur Therapieüberwachung verwendeten Ste-
Dexamethason (0,25 mg/Tag) oder mit Prednisolon roidparameter werden Werte im mittleren bis obe-
(5 mg/Tag) aber zu einer Verringerung der extrao- ren Normbereich angestrebt. Eine Suppression bis in
variellen Androgenbildung und zu einer verbesser- den unteren Normbereich, die zur Unterdrückung
ten Therapie der Fertilitätsstörungen zu führen. Im der ACTH-Ausschüttung und damit sekundär zur
Gegensatz dazu wird die periphere Symptomatik Verminderung von androgenen Hormonwirkungen
eines Hirsutismus durch Glucocorticoide selbst versucht wird, führt bereits zu einer Glucocorticoid-
bei einjähriger Therapie kaum beeinflusst. überdosierung mit Wachstumsretardierung und
Cushing-Symptomatik.
Andere Therapieformen
Bessere Ergebnisse in der Therapie des Hirsutismus
werden durch Antiandrogene (z. B. Cyproteron-
acetat 25-50 mglm 2 KOF) oder Hemmer der 5a-Re- 5.13.6
duktase erreicht. Pränatale Diagnostik und Therapie
des klassischen AGS

Therapiekontrolle Adrenale Enzymdefekte, die in der frühen Fetalpe-


riode durch Androgenüberschuss zu einem interse-
Klinik xuellen Genitale führen, können bereits pränatal
Patienten mit einem AGS sollten im Kindes- und Ju- therapiert werden. Bedeutung hat diese Therapie,
gendalter in einem Zentrum durch einen pädiatri- die sich noch im experimentellen Stadium befindet,
schen Endokrinologen betreut werden. Die Substitu- bisher nur für den 21-Hydroxylasedefekt gefunden.
tion mit Glucocorticoiden und Mineralocorticoiden Bei entsprechender Indikation ist aber auch die Be-
muss individuell anband klinischer Parameter und handlung der anderen Enzymdefekte möglich. Die
qualitativ zuverlässiger Hormonbestimmungen er- pränatale Therapie inhibiert durch Dexamethason-
folgen. gabe die ACTH-abhängige Stimulation der adrena-
e Die klinische Untersuchung muss besonders len Androgenbildung und verhindert bzw. vermin-
Wachstum und Pubertätsentwicklung (Körper- dert die intrauterine Virilisierung. Auf Grund des
größe und Gewicht, Knochenalter, Entwicklung experimentellen Charakters der Pränataltherapie
des äußeren Genitales, Zyklusanamnese) einbe- des AGS sollte diese Behandlung nur in einem erfah-
ziehen. renen endokrinalogischen Zentrum durchgeführt
• Außerdem sollte auf Zeichen einer überhöhten werden. In Deutschland hat die Arbeitsgemeinschaft
Dosierung von Glucocorticoiden (Gewichtszu- für Pädiatrische Endokrinologie (APE) bereits 1990
nahme, Cushing-Symptomatik, Hypertonie) ge- die zentrale Erfassung und Dokumentation der prä-
achtet werden. natalen AGS-Therapie durch Prof. H.G. Dörr in der
• Einmal jährlich sollte eine Sonographie der Ne- Universitätskinderklinik in Erlangen beschlossen.
bennieren und der Gonaden (besonders Aus- Die Pränataltherapie des AGS setzt eine enge Koope-
schluss von Hodentumoren) erfolgen. ration zwischen pädiatrischen Endokrinologen, Gy-
näkologen und Humangenetikern bzw. Molekular-
Labor biologen voraus.
Bei den Laborparametern sind besonders solche
Hormone sowie Untersuchungsmethoden wichtig,
die eine integrative Erfassung unabhängig von der Voraussetzungen für die Pränataltherapie
Tagesrhythmik der Steroidhormonsynthese und un- und Pränataldiagnostik des AGS
abhängig von äußeren Einflüssen, wie z. B. Stress bei • Nachweis des Gendefektes beim Indexfall (Unter-
der Blutentnahme, ermöglichen. suchung beider Eltern ist anzustreben) oder hete-
• Beim 21-Hydroxylasedefekt erfüllt die Bestim- rozygoter (klassischer) Gendefekt bei beiden
mung von Pregnantriol im 24-h-Urin diese An- Partnern (Nachweis z. B. im Rahmen einer Ferti-
forderungen. litätsbehandlung); humangenetische Beratung;
• 17-0H-Progesteron kann gut aus Speichelproben endokrinalogische Therapieführung und Kon-
bestimmt werden, die auch eine einfache Erfas- trolle sowie Beratung; Therapiebeginn vor der
sung von Tagesprofilen ermöglichen. 6. SSW.
222 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

• Die Therapie muss vor der 6. SSW (Beginn der


Differenzierung des Urogenitalsystems) einsetzen die Haarmasse vermindert sich, das Ei nzelhaar
und bis zur Sicherung der Diagnose (männlicher wird dünner. Die Patientin hat eine Langhaarfri-
Fetus oder Ausschluss einer homozygoten Muta- sur; früher dicker Zopf. Außer Waschen (3 -mal
tion im CYP21B-Gen) bzw. bis zum Ende der pro Woche) keine haarkosmetischen Behand-
Schwangerschaft (weiblicher Fetus mit Mutation, lungen (z. B. Tö nen, Färben, Dauerwelle). Me-
die zu einem klassischen AGS führt) fortgesetzt narche mit 13 Jahren; regelmäßiger Zykl u , in
werden. Die Pränataltherapie erfolgt mit Dexa- den letzten Jahren mit starker und verlä ngerter
methason (3-mal 0,5 mg/Tag, Riebtdosis 20 !lgl Menstruationsblutung. Bisher keine Schwanger-
kg/Tag). Neben dem Nachweis der Hemmung schaften. Normale Ernährung. Kein Anhalt für
der fetalen NNR (Suppression von Serumöstriol) Exposition hinsichtlich erfragbarer Umweltgifte;
sollte besonders auf Nebenwirkungen der Dexa- l Amalgamfüllung. Beruf: EDV -Assistentin. Fa-
methasontherapie (übermäßige Gewichtszunah- milienanamnese: Die Mutter hatte seit Eintritt
me, Striae, Hypertonie) geachtet werden. Die prä- der Menopause mit 46 Jahren dünnes Kopfhaar
natale Diagnostik kann nach Chorionzotten- mit einer diffusen Lichtung im zentralen Kopf-
biopsie (CVS, 9.-10. SSW) oder Amniozentese bereich. Beim Vater keine Anzeichen von Haar-
(14.-16. SSW) durch molekulargenetische Cha- ausfall. Eine Schwester der Patientin hatte nor-
rakterisierung des CYP21B-Gens erfolgen. mal dickes Haar. Klinik: Gesichtshaut unauffäl-
• Zur Vorbereitung dieser Diagnostik sollten bei lig; unverändet erhaltene Stirn-Haar-Grenze,
bekanntem Indexfall auch beide Eltern unter- keine Geheimratseckenbildung; deutliche dif-
sucht werden (Ausschluss von Spontanmutatio- fuse Ausdünnung der Haare im zentroparieta-
nen, Vaterschaft). Eine humangenetische Bera- len Bereich. Das Einzelhaar i t dünn, die Haar-
tung muss Bestandteil der Indikationsstellung masse vermindert, der Zupftest unauffällig. Bei
für eine Pränataltherapie sein. Die CVS ermög- trockener Kopfhaut regelhafte Körperbehaa-
licht bei männlichem Fetus bzw. Ausschluss einer rung. Genitalbefund: Uterus myomatosus (obe-
Mutation einen früheren Abbruch der Dexame- re Normgröße); ultrasonographisch normalgro-
thasontherapie. Die in der Amniozentese gewon- ße, unauffällige Ovarien. Mammae normal ent-
nenen Zellen müssen häufig noch kultiviert wickelt. Trichogramm: Frontal: grenzwertige
werden, gleichzeitig kann die Diagnostik aber prozentuale Rate an Telogenhaaren. Okzipital:
durch Hormonbestimmungen aus dem Frucht- unauffalliges anagenes Wurzelmuster. Beurtei-
wasser ( 17-0 H-Progesteron und Androstendion Lung: kein gesicherter Hinweis auf akutes Efflu-
bei 21-Hydroxylasedefekt) unterstützt werden. vium, jedoch weist die hohe Telogenhaarrate
frontal auf eine androgenetische Alopezie hin.

5.14
Alopecia diffusa der Frau
T. RABE, E. VLADESCU, F. KIESEWETTER,
B. RUNNEBAUM

5.14.1
Fallpräsentation

Eine 43-jährige Patientin stellte sich wegen


verstärktem Haarausfall vor. Bei der Patientin
fand sich eine deutliche Verminderung der
Behaarung im zentroparietalen Bereich. Die
Pigmentierung der vorhandenen Haare war in
diesem Bereich ebenfalls verringert, die Patien-
tin klagte über ein Gefühl mangelnder Attrakti-
vität durch die Ausdünnung der Kopfhaare
(Abb. 5-18). Durch Bemerkungen ihrer Arbeits-
kollegen fühlte sie sich belastet. Eigenanamnese:
Seit 4 Jahren vermehrter Haarausfall; Haaraus- Abb. 5~ 18. Alopezi~ vom weibli_chen Typ: Lichtung der Kopf-
fallsrate beim Haarewaschen bis ca. 400 Haare; ~aan: Im zentropanetalen Bereich bei einer 43-jährigen Pa-
!Ientm
5.14 Alopecia diffusa der Frau 223

Unter Berücksichtigung der Klinik BiJd einer Eisen, Ferritin und Zink im Serum, d ie jetzt alle
androgeneti chen Alopezie vom weiblichen im Normbereich liegen. Subjektiv: Verminde-
Typ. Labor: Prolaktin, LH, F H und Östradiol rung der Haarausfall rate innerhalb von 3- 6
normal, Testosteron 158 pglml (normal Monaten. Objektiv: bei der Haarwäsche, da
180-580 pglml) erniedrigt, DHEAS 1850 nglml nur noch ca. 150-200 Haare ausgehen.
(normal 350- 4300 nglml) normal, TSH (basal)
2,2 J.!IE/ml (normal 0-4 j..IIE/mJ) normal, TSH
(nach TRH) 18 ~LIE/ml (normal 3-25j.IIE/ml)
normal, T4/T8-Quotient im Normbereich, kein 5.14.2
Hinweis auflmmundefekt, Eisen 8j..lmol/1 (nor- Epidemiologie
mal 12- 27 j.lmol/1) erniedrigt, Zink 10 j..lmol/1 lnzidenz
(normal 13- 18j..lmol/l) erniedrigt, Ferritin Es bestehen geschlechtsspezifische und altersabhän-
18 11g/ I (normal 20- 120 ~tg/1) erniedrigt, Hb gige Unterschiede in der Inzidenz des Haarausfalls:
12,3 g/100 rnl (normal 12, 3-15,3 g/100 ml), vor dem 30. Lebensjahr wurden bei 47% der Männer
keine Autoantikörper (extrahierbare nukleäre und bei 13% der Frauen eine Alopezie gefunden; ab
Antikörper, Kernantigene (ANF), Anti-DS- dem 50. Lebensjahr sind mindestens 70% der Män-
DNA-AK (ELISA u. IIFT) negativ, keine child- nerund ca. 30% der Frauen betroffen. Wurde früher
drüsen-AK, Anti-TPO < 10 IE/ml ( ormalwerte beobachtet, dass sich die androgenetische Alopezie
< 100 IE/ml), Anti-TG 16 IE/ml ( ormalwerte bei der Frau erst vermehrt postmenopausal entwik-
< 100 IE/ml). Therapie und Verlauf Lokale Be- kelt, so kann sie heute bereits vermehrt bei jüngeren
handlung mit mildem, alkalifreiem HaarSham -
Frauen diagnostiziert werden.
poo (Sebopona) und Haarwasser mit Norethi -
steronacetat; Verhaltensmaßregeln für Haarwä -
sche und -pflege. Eisensubstitutiontherapie Definition
(Ferrosanol duodenal 2-maJ 1 Tbl./Tag; Zink- Bei der androgenetischen Alopezie handelt es sich
substitutiontherapie (Zinkorotrat 20/3-maJ um einen genetisch determinierten, androgenbe-
1 Tbl./Tag), Vitaminkombinationspräparat dingten nichtnarbigen Haarverlust des Kopfes in ty-
(Haar- und Nagel-Vit. 3-mal 1 Kps./Tag), pischer Lokalisation. Beim männlichen Typ entwik-
Zyklusnormalisierung mit Diane 35 (35 !lg Ethi- kelt sich über die hippokratische Kahlheit (Ausdün-
nylöstradiol, 2 mg Cyproteronacetat); Entzugs- nung frontotemporal) eine Glatze, während es beim
blutungen normal stark. Absetzen der Eisen - weiblichen Typ hinter einem intakten Haarsaum zu
und Zinksubstitution nach Laborkontrolle von einer diffusen Lichtung im zentroparietalem Bereich
des Kopfes kommt (Tabelle 5-24).

Tabelle 5.24. a Alopecia diffusa. Klassifikation (nach WHO), Diagnostik, b Trichogramm

Klassifikation Diagnostik

a) chweregrad WHO 0 Keine Alopezie


WHO I Min imaler Haarverl ust
WHO 2 Modera ter Haarvertu t
WHO 3 Kompletter, reversibler Haarverlust
Lokalisation Male pattern = Alopezie Ausbildung von Geheimratsecken; e ve rbleibt lediglich ein
(Aiopecia androgenetica) vom männlichen Typ Haarkranz temporal und okzipital (bei Frauen eltener)
Fernale pattern = Alopezie Aus chließlich im zentroparietalen Bereich, wobei der
vom weiblichen Typ frontale Haa ransatz erhal ten bleibt
Zusatzsymptome Akne, eborrhö, Hir uti mus
b) Trichogra mm Anagenphase Wachstumsphase des Haa re ; Dauer bei Kopfhaa ren
ca. 6- 10 Jahre; mittlere Wachstumsgeschwindigkeit
ca. 0,4 mm/Tag
Katagenphase Relativ ku rzer Zeitra um nach der Wac hstumsphase;
degenerative Vorgä nge nach Ende der mitotischen
Aktivi tät der Anagenpha e betrachtet. Dauer der Katagen·
phase beträgt ca. 21 Tage
Telage nphase Ruhephase; Dauer ca. 90 Tage, mit Ausfallen des nicht
mehr stoffwech elaktiven Haares
224 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Androgene zu Testosteron und erhöhen das intra-


5.14.3
zelluläre Androgenangebot, während die Aromatase
Ätiologie und Pathogenese
Testosteron zu 17ß-Östradiol metabolisiert. Die
Konzentration vom Hauptmetaboliten Dihydrote-
Die individuell unterschiedliche, lokalisationsab-
stosteron kann demnach im Einzelfollikel in Abhän-
hängige Progression führt zu einer Verkleinerung
gigkeit von der Aktivität dieser Enzyme variieren.
der TerminalhaarfollikeL Diese werden in Vellushaar
ähnliche Miniaturfollikel umgewandelt (so genannte
• Geschlechtsspezifische Lokalisationsunterschie-
regressive Metamorphose der Terminalhaare).
de. Neuere Untersuchnungen an aus der Kopfhaut
isolierten Anagenfollikeln belegen deutliche Lokali-
Verlauf der Miniaturisierung sationsunterschiede an der Kopfhaut. Bei der an-
Der Verlauf dieser Miniaturisierung weist eine drogenetischen Alopezie überwiegen bei beiden Ge-
schubweise Progredienz auf, jedoch sind Verläufe schlechtern der Androgenrezeptor und die Sa-Re-
mit einem schleichenden Verlust der Haare nicht duktasen Typ 1/2 in den frontalen Anagenhaarfolli-
ungewöhnlich. Voraussagen über die Progressions- keln, während die Aromatase vorwiegend okzipital
geschwindigkeit und über den Endzustand sind nachgewiesen werden konnte. Bezogen auf die Ge-
nicht möglich. Im Allgemeinen verliert der Haar- schlechter konnten deutliche Unterschiede aufge-
verlust mit zunehmendem Alter an Intensität. Ist zeigt werden. Bei Männern ist der Androgenrezeptor
die Glatze beim männlichen Muster der Endzustand, und die Sa-Reduktase frontal im Follikel dominie-
wird bei der Frau dieses Stadium nicht erreicht, rend, während bei der Frau die Aromataseaktivität
selbst in den Spätstadien bleiben einzelne Terminal- frontal deutlich erhöht ist. Diese Daten liefern erst-
haare in den gelichteten Partien erhalten. Der wäh- mals Ansatzpunkte zu einer Erklärung der klinisch
rend stärkerer Regressionsschübe gesteigerte Ver- unterschiedlichen Typen der androgenetischen Alo-
lust von Telagenhaaren kann durch die Verkürzung pezie vom männlichen und weiblichen Typ.
der Haarzyklen, insbesondere der Anagenphase,
erklärt werden. Dies bedingt eine beschleunigte Ab-
Genetik
folge der einzelnen Haarzyklen und führt zu einer
Eine familiäre Belastung findet sich in mindestens
Verminderung des Haardurchmessers.
30-50 o/o aller Frauen mit androgenetischer Alopezie.
Der Vererbungsgang ist autosomal-dominant mit
Pathomechanismus variabler Penetranz. Die bekannte Prävalenz liegt
Der Pathomechanismus dürfte die erhöhte proli- zwischen 23 und 87 o/o. Ein multifaktorieller Erbgang
ferative Aktivität der Haarmatrixzellen, bedingt mit einem unterschiedlich stark exprimierten auto-
durch eine androgeninduzierte Hemmung der somal-dominanten Gen wird für den Haarausfall
Adenylcyclase, mit Abnahme der intrazellulären veranwortlich gemacht. Nur selten ist der Ver-
Konzentration vom CAMP sein. Langfristig führt erbungsmodus streng geschlechtsgebunden, darum
dies zu einer Erschöpfung des Pools an prolifera- ist die Häufigkeit der androgenetischen Alopezie bei
tiven Matrixzellen und aufgrund der Abnahme den Vätern betroffener Frauen deutlich höher.
der Bulbusdicke zu einer weiteren Verkürzung der
Anagenphase.
5.14.4
Differentialdiagnostik
Ätiopathogenese
Für die Entwicklung der androgenetischen Alopezie
Das klinische Bild der androgenetischen Alopezie
sind 2 Faktoren ursächlich.
vom männlichen Typ ist eindeutig. Beim weiblichen
• das Androgenangebot am Haarfollikel,
Typ hingegen, sind die Alopezia areata vom diffusen
• die polygen autosomal-dominant vererbte er-
Typ und die diffuse Alopezie abzugrenzen. Zahl-
höhte Androgensensibilität des Follikels.
reiche endogene und exogene Störungen können
bei der Frau zu Haarbruch oder zu einer diffusen
• Androgensensibilität und -angebot. Da in der
Alopezie führen:
Regel von normalen Androgenspiegeln im Serum
ausgegangen werden kann, ist die Androgensensibi-
lität des Follikels abhängig von der Expression der Exogene Störungen
Rezeptorproteine, der Aktivität und dem Verhältnis • Haarpflege. Zu den exogenen Einflüssen zählen
der Sa-Reduktase vom Typ 1 und 2 zueinander, so- • mechanische Ursachen wie bestimmte Frisuren
wie der Aktivität der Aromatase. Die Hydroxyste- (z. B. Pferdeschwanz: kann eine umschriebene
roiddehydrogenasen reduzieren schwach wirkende Traktionsalopezie induzieren).
5.14 Alopecia diffusa der Frau 225

• Chemisch-toxische Irritationen des Haares (Dau- Proteinstoffwechsels (z. B. Unterernährung: nutriti-


erwellenflüssigkeiten, Farbstoffe, Sonne, Wind, ve Störungen, chronisch konsumierende Erkran-
Salzwasser etc.) führen zu einem vorzeitigen kungen) und Änderungen im Hormonhaushalt
Haarbruch. Chronische Exposition mit bestimm- (Schilddrüse, Diabetes mellitus, Hyperandrogenä-
ten Substanzen kann gelegentlich zu einer diffu- mie) hinzuzählen (Tabelle 5-25).
sen Alopezie führen.
• Nebennierenrinde. Die Bedeutung von adre-
• Umwelt. Umweltbelastungen, z. B. durch Schwer- nalen Androgenen und Corticoiden für die Aus-
metalle, Holzschutzmittel, Pestizide und andere bildung und das Wachstum des weiblichen Haar-
Substanzen, können durch toxische Störungen im kleides ist noch weitgehend unklar, jedoch sind
Haarzyklus ein Effluvium induzieren. die schwachen Androgene für die Ausprägung der
Schwermetalle. Um eine Intoxikation auszuschlie- sexuellen und ambisexuellen Behaarung mitverant-
ßen, wird die Durchführung des "Dimavaltestes" wortlich. Androgenmangel führt bei beiden Ge-
empfohlen, der dem Nachweis mobilisierbarer schlechtern zu schütterem oder komplettem Fehlen
Kupfer- und Quecksilberspeicherungen im Organis- der Schambehaarung. Deswegen ist die Sexualbe-
mus dient. Im Rahmen des Dimavaltests werden die haarung bei Männern mit M. Addison, wo der Aus-
folgenden (Schwer-) Metalle im Urin bestimmt: fall der adrenalen Androgene durch die testikuläre
• Kupfer, Androgensekretion kompensiert wird, vermindert.
e Quecksilber, Im Rahmen des adrenogenitalen Syndroms kommt
• Blei, es zu einem vorzeitigem Wachstum der Schambe-
e Arsen (Vergiftung), haarung und zum Hirsutismus. Weiche Bedeutung
• Thallium (Vergiftung) und leichte ("late-onset") Enzymdefekte der Nebennie-
• Cadmium, renrinde (21-Hydroxylase) mit Hyperandrogenämie
da diese Substanzen konzentrationsabhängig durch für die Entwicklung einer androgenetischen Alope-
Störungen im Haarzyklus Ursache eines Haarausfall zie der Frauen haben, ist nicht restlos geklärt. Ver-
(selten) sein können. änderungen des Haarwachstums nur der Wirkung
Holzschutzmittel: Bei Verdacht auf eine Intoxi- von Cortisol zuzuordnen fällt schwer, da es intrazel-
kation wird das Blut auf Lindan (Hexachlorcyclo- lulär zu anderen Steraiden reduziert werden kann.
hexan; 3 Isomere), PCP (Pentachlorphenol) und Im Allgemeinen hat Cortisol eine permissive Funk-
der Urin auf Ameisensäure (Oxidationsprodukt tion für die Wirkung der Androgene am Haarfolli-
des Formalins) untersucht. Die Bedeutung solcher keL Bekannt ist die Entwicklung einer Hypertrichose
Schadstoffe (Beispiele: Quecksilber, Lindan etc.) im Stirn-, Schläfen-, Wangen- und Rumpfbereich.
einzuschätzen ist Gegenstand laufender Untersu- Bei der systemischen Einnahme von Glucocor.~icoi­
chungen, so dass eine endgültige Wertung im Hin- den und beim M. Cushing kommt es durch Uber-
blick auf die Entstehung von einer diffusen Alopezie funktion der Nebennierenrinde zu einer vermehrten
nur in Einzelfällen möglich ist. Sekretion von Cortisol und Androgenen. Je nach
Disposition entwickeln die Patienten ein diffuses Ef-
• Kopthauterkrankungen. Zahlreiche entzündliche fluvium und andere Androgenisierungserscheinun-
Erkrankungen der Kopfhaut können zu meist vor- gen.
übergehenden Alopezien führen. Hierzu zählen z. B.
e ein ausgeprägtes Ekzem (atopisch, toxisch),
e die Psoriasis vulgaris und • Ovarien. Die ovarielle Übersekretion von Andro-
• mykotische oder bakterielle Infektionen. genen kann eine androgenetische Alopezie induzie-
ren. Besonderen Stellenwert hat das SAHA-Syndrom
Die Entwicklung von in der Regel umschriebenen (Seborrhö, Akne, Hirsutismus, Alopezie) und das
narbigen Alopezien kann bei einer weiteren Gruppe der polyzstischen Ovarien, bei dem vermehrt ova-
von Erkrankungen wie den Autoimmunerkrankun- rielle Androgene sezerniert werden. Weiterhin kön-
gen (z. B. Lupus erythematodes) oder den kutanen nen androgenproduzierende Ovarialtumoren in ver-
Metastasen eines Mammakarzinoms beobachtet hältnismäßig kurzer Zeit zu einer Auslösung einer
werden. manifesten Alopecia androgenica führen. Die Se-
rumkonzentrationen von Testosteron liegen in die-
sen Fällen meist über 1,5 ng/ml Serum. Neben der
Endogene Störungen androgenetischen Alopezie lassen sich weitere Viri-
Hierunter wird, im engeren Sinn bezogen auf den lisierungserscheinungen, Klitorishypertrophie, tiefe
Haarfollikel, die genetische Disposition verstanden, Stimme) als Folge des anabolen Effektes der Andro-
während im weiteren Sinne auch Änderungen des gene sehen.
226 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Tabelle 5-25. Alopecia diffusa: Diagnostik und Therapie

Anamnese Krankheitsbild/Symptomatik

I. Familienanamne e, geneti ehe Beratung


Eltern
Geschwi ter Auch Diabetes mellitus
2. Alter
Beginn und Dauer des Haarau fall Akut/chronisch
3. Zyklusanamnese
Menstrueller Zyklus Hyperprolaktinämische Amenorrhö
Hypermenorrhö Eisenmangelanämie
chwanger chaften und Stillen ~.ynchroni ierung de Haarwachstums
Menopau e (Alter) Ostrogenmangel
4. Krankheitsanamnese
Endokrine Erkrankungen childdrüse, Nebennieren
Infektionen Z. B. Tbc, Syphilis, hochfiebrige Infekte
Krebserkrankungen
Operative Eingriffe Blutverlust, Heparin
arkosen
Psychischer Stress Hyperandrogenämie
Allergien, Autoimmunerkrankungen
Internistische Erkrankungen Diabetes mellitus, ieren und Leber
5. Medikamentenanamnese
Ovulationshemmer, Sexualhormone, HRT Hemmung der Zellteilung
Zytostatika
Antikoagulantien Heparin
Schilddrüsenhormone, Thyreostatika Hyperthyreose, Hypothyreose
Substanzen mit Wirkung auf Lipidstoffwechsel
6. Haarbehandlu ng
Tönung, Dauerwelle
Haarwäsche wie oft, hampoo?, Haarwasser
7. Varia
Zigarettenrauchen ur wichtig für Therapie mit oralen hormonalen Kontrazeptiva
Umwelt (Wohnung, Beruf etc.)
Klinik
I. Muster des Haarausfalls
Diffus (Typ: männliche oder weiblich) Androgenetisch? toxisch
Herdförmig Autoimmunerkrankungen
Total Autoimmunerkrankungen, toxisch
2. Quantitative Beurteilung des Haarausfall
ormal (100 Haare pro Tag)
Bei Haarwä ehe (z. B. 2-3 pro Woche, bis 200 Haare)
3. Haut tatus
Androgenetische Symptome Hyperandrogenämie u. a. Autoimmunerkrankungen
Spezielle dermatologische Krankheitsbilder
4. Fingernägel brüchig? Vitaminmangelzustände
5. Histologie
Kopfhaut Entzündliche Hauterkrankungen
6. Weitere Diagnostik
Endokrinalogisch
lnternistisch
Dermatologisch U. a. Triehegramm
Immunologisch

• Schilddrüse. Schilddrüsenhormone steuern den • Hypothyreose: Die Hypothyreose führt zu mat-


zellulären Metabolismus und haben große Bedeu- tem, stumpfem und brüchigem Kopfhaar. Der
tung bei der Ausbildung von Haarwachstumsstö- Anteil von Telagenhaaren im Trichogramm ist er-
rungen. 3'5 3'-Trijodthyronin fungiert nach Bin- höht, okzipital finden sich häufig dystrophe Wur-
dung an die nuklären Rezeptoren als Effektorhor- zelmuster. Dies kann über die verkürzte Anagen-
mon. Schilddrüsenfunktionsstörungen induzieren phasendauer und eine Hemmung der Anagen-
häufig eine diffuse Alopezie, die nicht in allen Fällen phaseninduktion erklärt werden. Schurz et al. be-
nach normalisierter Stoffwechsellage reversibel ist. obachteten selten bei Frauen mit manifester
5.14 Alopecia diffusa der Frau 227

Hypothyreose einen der androgenetischen Alope-


5.14.6
zie ähnlichen Haarverlust
Diagnostik
• Hyperthyreose: Hierbei entwickelt sich häufig eine
diffuse Alopezie bei feinem brüchigem Kopfhaar.
Anamnese
Im Trichogramm ist der Anteil an dystrophen
Die Familienanamnese gibt Aufschluss über die
Haaren deutlich erhöht. Ob und welche Rolle
mögliche genetische Disposition einer androgeneti-
der Kofaktor einer thyreostatischen Therapie da-
schen Alopezie. Bei der Eigenanamnese gilt es, Hin-
bei spielt, ist noch nicht vollständig geklärt.
weise auf Schädigung der Haarstruktur durch di-
rekte mechanische oder chemische Noxen (z. B.
• Diabetes mellitus. Sehr wenig ist bis heute über Art der Haarpflege oder Frisur) sowie durch be-
den Einfluss von Insulin oder dem Diabetes mellitus kannte endokrine Störungen (z. B. Schilddrüsendys-
auf das Haarwachstum bekannt. Anhand eigener Be- funktion) oder Medikamente (z. B. Malariaprophy-
obachtungen konnten wir die Kasuistiken bestäti- laxe) zu erfragen.
gen, dass im Zustand der manifesten Hyperglykämie Beginn, Dauer, Schweregrad sowie Lokalisation
ein Effluvium gehäuft vorkommt, selten entwickelt des Haarausfalls in Zusammenhang mit möglichen
sich eine diffuse Alopezie. Die Gabe von Insulin Schwangerschaften, Einnahme von Sexualhormo-
soll in diesen Fällen zu einer Beschleunigung des nen (z. B. OC) ist wichtig. Weiterhin sollten Beruf
Haarwachstums führen. und Arbeitsbedingungen sowie Besonderheiten
der häuslichen Umgebung als mögliche Quelle
• Weitere Stoffwechselstörungen. Über den Ein- von Umweltschadstoffen (z. B. Amalgamfüllungen,
fluss einer Hepatopathie oder Nephropathie bei Holzschutzmittel etc.) erkannt werden. Das Führen
der Ausbildung einer diffusen Alopezie liegen keine eines Haarkalenders ermöglicht die Erfassung des
gesicherten Daten vor. täglichen Haarverlustes (Tabelle 5-25).

• Eisenmangelanämie. Niedriges Serumeisen, Körperliche Untersuchung


niedriges Ferritin, niedrig normaler Hb-Wert kön- Bei der Beurteilung des Haarausfalls sollten Verän-
nen zu einem progredientem Effluvium führen (te- derungen der Haarmasse, der Dichte, der Verteilung
logenes Wurzelmuster). des Haarverlustes (frontal, parietal, male/female
pattern) und die Struktur der Haare festgestellt wer-
den.
• Spurenelemente. Die Spurenelemente Zink und
Selen (Nachweis im Serum) sind für enzymatische
• Haarzupftest. Durch leichtes Ziehen an wenigen
und immunologische Prozesse wichtig und zudem
Haaren lässt sich leicht die geschilderte Problematik
an der Elimination von Schwermetallen beteiligt.
eines akuten Effluvium objekivieren.
Zinkmangel: Neben den entzündlichen Hautverän-
derungen und Wundheilungsstörungen bei der
• Trichogramm. Das Trichogramm stellt das für
Acrodermatitis enterohepatica wird selten ein aku-
die praktische Trichologie wichtigste Verfahren
tes reversibles Effluvium beobachtet.
dar. Unter standardisierten Bedingungen werden
frontal wie okzipital ca. 60-100 Haare mit einer
• Vitamin A. Bei der Therapie mit Vitamin-A- Klemme unter kräftigem Zug epiliert und nach Ein-
Säurederivaten entwickelt sich ein dystrophisches bettung lichtmikroskopisch betrachtet. Nach Aus-
Effluvium, das das einer diffusen Alopezie nach- zählung der verschiedenen Haarwurzelformen
ahmen kann. (z. B. Anagen-, Telogen-, Katagenhaar) erlaubt die-
ses Untersuchungsverfahren Rückschlüsse auf die
prozentuale Verteilung der Haare in den einzelnen
Stadien des Wachstumszyklus. Zusätzlich werden
5.14.5 pathologische Wurzelformen (z. B. dystrophe Haa-
Klinik re) und die Bestimmung der Haarschaftdicke er-
möglicht. Androgenetische Alopezie: Bei akuter Pro-
Auch bei der Frau kommen die 2 möglichen klini- gredienz zeigt das Trichogramm ein telogenes Wur-
schen Formen der androgenetischen Alopezie vor. zelmuster, d. h. im frontalen Trichogramm ist die
Es überwiegt deutlich das weibliche Muster, nur Anzahl der Telagenhaare auf über 15% erhöht, wäh-
als Rarität kommt es zur Ausbildung einer andro- rend sie okzipital im Normbereich liegt. Findet sich
genetischen Alopezie vom männlichen Typ mit Aus- im Trichogramm ein normales Wurzelmuster, heißt
bildung einer hippokratischen Kahlheit. dies nicht, dass keine androgenetische Alopezie vor-
228 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

liegt, da die Entwicklung häufig langsam progre- Pille) und keiner Therapie bedarf. Ebenso kann
dient ohne akutes Effluvium ist. ein Effluvium nach febrilen Infektionskrankheiten
auftreten. Begleitsymptome wie Seborrhö, Hirsutis-
• Kopthautbiopsie. Dieser kommt nur in den sel- mus, Akne stützen die Diagnose Alopecia andro-
tensten Fällen eine Bedeutung zu, insbesondere genetica. Der Typ des Haarausfall ist wichtig für
bei Haarmangelzuständen, bei denen die Diagnostik die Prognose; während die Alopecia androgenetica
in Verbindung mit der Klinik keine sichere Zuord- eher therapieresistent ist und schleichend pro-
nung zu einem Krankheitsbild erlaubt. Neben Kali- gredient verläuft, kann es bei der diffusen Form
berschwankungen der Haarfollikel sind so genannte der Alopecia areata zu Spontanremissionen kom-
hochgerückte angiofibrotische Bindegewebeverän- men. Bei der diffusen Alopezie ist es wichtig, die
derungen festzustellen. mögliche auslösende Ursache zu finden und zu be-
seitigen. Liegen narbige Veränderungen vor, können
keine miniaturisierten Haare in dickere umgewan-
Labor (s. Tabelle 5-25)
delt werden, da die Haarpapillen irreversibel zer-
• Klinische Chemie. Je nach Anamnese und klini-
stört sind.
schem Bild sind bei der Frau folgende Laborunter-
suchungen indiziert.
• Blut-, Differentialblutbild, Gesamteiweiß, Eisen,
Ferritin, Transaminasen, alkalische Phosphatase, 5.14.7
Kreatinin Therapie
• Vitamine (z. B. Vitamin A)
• Zink und umwelttoxikologische Untersuchungen Verhaltensmaßnahmen
(je nach Krankheitsbild und Expositionsana- Die Ausschaltung exogener Noxen schließt die Ver-
mnese; bei Vergiftungsverdacht: Arsen, Thalli- meidung von mechanischen und chemischen, d. h.
um) haarkosmetischen Schäden (z. B. Färben, Tönen,
• Nüchternblutzucker; bei Verdacht auf Diabetes Heißluftföhn, Dauerwelle, straffe Frisuren, Haarfe-
mellitus: oraler Glukosebelastungstest und stiger) ein. Dies bedeutet im Einzelnen:
HbAlc. • Das Haar sollte nur so oft wie nötig mit einem
milden, alkalifreien Shampoo (z. B. Sebopona)
• Hormone. Die Hormonanalytik sollte zwischen gewaschen werden.
dem 3. und 5. Zyklustag erfolgen: Prolaktin, Testoste- • Das Haar an der Luft trocknen lassen; keinen
ron, SHBG, Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS), Föhn oder Trockenhaube benutzen, da hierdurch
DHEA und Androstendion werden bestimmt; bei ein vorzeitiger Haarbruch induziert wird (Aus-
Patientinnen mit Amenorrhö zusätzlich FSH/LH trocknung).
und Östradiol. Prolaktin, dessen Freisetzung durch • Keine Dauerwellen, Färbemittel, Spülungen, Glät-
TRH (z. B. bei Hypothyreose) gefördert wird, kann tungsmittel, Haarfestiger oder Sprays anwenden.
die adrenale DHEA-Bildung stimulieren. Zum Aus- • Weiterhin sollten berufsbedingte Umweltnoxen
schluss einer latenten Hypothyreose bzw. einer Hy- (z. B. Holzschutzmittel in der Holz verarbeiten-
perprolaktinämie sollte das basale Prolaktin und das den Industrie) vermieden werden (vgl. Lokalthe-
TSH bestimmt werden. rapie; s. unten).

• Immunologie. Die Bestimmung von immuno-


Lokale Therapie
logischen Laborparametern sind bei einer androge-
Die lokale Therapie ist bei Alopecia androgenetica
netischen Alopezie nicht sinnvoll. Nur bei unge-
als Unterstützung der Antiandrogentherapie zu ver-
klärten Formen einer diffusen Alopezie können
stehen.
die folgenden Untersuchungen hilfreich sein:
• Schilddrüsenantikörper Anti-TPO; Anti-TG;
• Hemmung der Androgenwirkung. Hemmung
antinukleäre Faktoren,
der Sa-Reduktase durch 17a-Östradiol-haltige
• Kernantigene (ANF),
Haarwasser, Kombinationspräparate mit Steraiden
e Anti-DS-DNA-AK.
wie Ell-Cranell (Dexamethason und 17a-Östradiol)
sollten gemieden werden und durch ein reines
Prognose und Ätiologie 17a-Östradiol-haltiges Haarwasser ersetzt werden
Nach der Anamnese ist auszuschließen, dass es sich (Pantostin, Ell Cranell alpha), Dosierung 2 ml/Tag.
um eine passagere Zunahme des Haarausfalls
handelt, die auf eine endokrine Umstellung zurück- • Minoxidil. Dieses Pharmakon ist ein potenter
zuführen ist (z. B. Schwangerschaft, Wochenbett, Vasodilatator, der über einen unbekannten Effekt
5.14 Alopecia diffusa der Frau 229

seine trichotrophe Wirkung entfaltet. Nachneueren Systemische Therapie


Untersuchungen kann dies nicht durch eine ge- Folgende Therapiestrategien können systemisch zur
steigerte Vasodilatation und eine Veränderung Therapie eines diffusen Effluviums der Frau einge-
des Androgenmetabolismus erklärt werden. setzt werden.
• Hormonpräparate.
• Vitaminpräparate (z. B. Nagel-Vit).
Die topische Therapie der androgenefischen Alopezie
• Substitution von Spurenelement-Mangelzustän-
bei der Frau mit Minoxidil ist in der Bundesrepublik den (Eisenmangel, Zinkmangel).
nicht zugelassen.
• Ausleitungstherapie bei nachgewiesener Schwer-
metallbelastung (Dimaval).
Daher sollte sich der Arzt der Nebenwirkungen wie • Haarstrukturverbesserungen durch Cystein und
der H ypertrichose, des toxischen und allergischen Biotin (z. B. Rombellin).
Kontaktekzems und einer möglichen Hepatotoxizi- • Endokrine Störungen (z. B. Schilddrüse) sind ab-
tät sicher bewusst sein. Kontraindikationen sind zuklären und entsprechend zu behandeln.
Herz- und Kreislauferkrankungen, sowie eine
Schwangerschaft. Minoxidil initiiert eine Verlänge- • Hormonpräparate. Orale hormonale Kontrazep-
rung der Anagenphase und eine Zunahme der Ana- tiva (OC) bei erhöhten Androgenkonzentrationen,
genhaarrate im Trichogramm. Es empfiehlt sich eine Zeichen einer Seborrhö oder Akne, leichter Hirsutis-
Therapie mit einem Fertigpräparat (z. B. Regaine to- mus mit fettiger Kopfhaut; Geheimratseckenbildung
pical solution), Dosierung 2 ml/Tag. Bei den gängi- ("Alopecia androgenetica"; Tabelle 5-26).
gen Rezepturen ist es schwierig, Minoxidil in adä- Nebenwirkungen: OC-bedingte Nebenwirkungen
quater Menge zu lösen. Folgend sind 2 Rezepturen beachten; z. B. kardiavaskuläre Erkrankungen etc.
in der Übersicht wiedergegeben. (vgl. Beipackzettel) (Familienanamnese: kardiavas-
kuläre Erkrankungen der Eltern unter 45 Jahren);
Aldactone: Serumkalium kontrollieren; Corticoide:
Zwei Rezepturbeispiele nach Prof. Luderschmidt
lokale Nebenwirkungen mit Dünnerwerden der
(München)
Haut möglich.
Therapiekontrollen: Haarkalender durch die
Rezepturbeispiele
Patientin führen lassen; Photodokumentation,
Trichogramm, subjektiver Zufriedenheitsgrad der
Beispiel 1
Patientin.
Noretisteronacetat 0,05
Minoxidil 2,0
Äthanol 30,0 Umweltnoxenvermeidung
Isopropylalkohol 70 % 30,0 Bei der Therapie umweltbedingter Schäden kommt
Aqua dest. ad. 100,0 nach Gerhard (1992) Folgendes in Betracht:
Dosierung: 2-mal 1 ml tgl. • Expositionsquelle eliminieren.
• Gift mit homöopathischen oder allopathischen
Beispiel 2 Substanzen ausschwemmen.
l?a-Östradiol 0,015 (0,03-0,06) • Störfelder sanieren (Tonsillen, Gebiss etc.).
Minoxidil 2,0 • Darm sanieren.
Äthanol 30,0 • Mangelzustände substituieren.
Isopropylalkohol 70 % 30,0 • Immunsystem stimulieren.
Aqua dest. ad. 100,0 • Psyche stabilisieren.
Dosierung: 2-mal 1 ml tgl.
Zur Substitutionstherapie und zur Entgiftung bei
chronischer Schwermetall- und Pestizidbelastung
hat sich als unterstützende Behandlung an der Uni-
• Behandlung des Haarbodens
versitäts-Frauenklinik folgende Therapie bewährt:
• Bei schuppigem Haarboden: bei schwerer Sebor-
Selen (200 J..Lg/Tag), Zinkaratat (80 mg/Tag), Kal-
rhö: z. B. Loscon-Tinktur
zium (500-1.000 mg jeden 2. Tag), Ascorbinsäure
• Bei entzündlich verändertem Haarboden mit
(2 g/Tag), Tocopherol (300 mg/Tag) und Pyridoxin
Kopfjucken: bei fettiger Kopfhaut: z. B. Liquor
(200 mg/Tag). Die entsprechende Behandlung sollte
carbonis detergens 5,0; Menthol 0,5; Thesit 2,0;
über 3- 6 Monate durchgeführt werden.
Isopropanel 70 % ad 100
• Bei trockener Kopfhaut: Resorcin 2,5; Menthol
0,5; Thesit 2,0; Solutio cordes ad 100
230 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Tabelle 5-26. Therapie der andregenetischen Alopezie

Wirkprinzip Wirkstoff Anwen - Dosierung (pro Tag) l'ritparat


dung

Antia ndrogene Cyproteronacetat Oral I-mal 50 mg CPA (= 1 Tbl. vom 1.- 10. ZT Androcur OC
+ 2-mal 20 J.18 EE (2 Tb!.) vom 1.-10. ZT (Progynon C)
Cyproteronacetat Oral 1 Tb!. vom 1.- 21. ZT: 2 mg CPA/35 J.18 EE Diane 35 OC
Cyproteronacetat Oral 2 mg Estradioval. vom 1.- 11. ZT, Climen HRT
2 mg Estradioval./1 mg CPA 12.- 21. ZT
Chlormadinonacetat Oral I Tb!. vom 1.- 21. ZT: 2 mg CMA/50 J.18 EE Eunomin OC
Chlormadinonacetat Oral I mg CMA/50 ~tg EE vom l.-11. ZT, eo-Eunomin OC
2 mg CMA/50 J.18 EE vom 12.- 23. ZT
Chlormadinonacetat 2 Tb!. vom 1.- 21. ZT: je 2 mg CMA/20 ).lg EE Menova OC
Chlormadinonacetat I Tb!. Vom 1.-21. ZT: 3 mg CMA/100 ).lg MES Gestamestrol OC
Chlormadinonacetat I Tb!. vom 1.-21. ZT: 2 mg CMA/30 ).lg EE Belara OC
Dienegest Oral 1 Tb!. vom 1.-21. ZT: 2 mg Dienogest/30 ).lg EE Valette OC
Spironolacton 25- 200 mg/D vom l.- 21. ZT Aldactone
Östrogene Prednisolon Lokal 0,2 g/100 ml Alpicort
Östradiolbenzoat + Lokal 5 mg/100 ml + 0,2 g/100 ml Alpicort F
Prednisolon Lokal
17ß-Östradiol Lokal EU-Cranell alpha
17ß-Östradiol Lokal Panto tin
Gewebe- Testesextrakt (Rind) Lokal 2 Einreibungen Dermatilin
ex:trakte
Plazentaextrakt
Alburnen ovi
Proteine, Multivitaminpräparate Oral 1-2 Dragees Eunova
Vitamine
Vitamine Oral 3-mal I Kap el Pantovigar
Aminosäuren
Multivitaminpräparate, 3-mal I Kapsel Haar- und
ahrung ergänzung agel Vit
Metall alze Zink Oral 400- 600 mg (2- 3 Brausetabletten) Solvezink
Oral 3-mal I Tb!. Zinkorotat 20
Oral 3-mal I Tb!. Zinkorotat-POS
(40 mg)
Ei en Oral ferro- anol
duodenal
Selen Oral 1- 2 Trinkampulle Trinkampulle
a2 ml
CMA Chlormadi nonacetat, CPA Cyproteronacetat, EE Ethi nylÖstradiol, ZT Zyklustag

Studien sind von zweifelhafter Wirksamkeit. Da diese Pro-


Kosmetische Produkte: Haarshampoo und Haarwäs- dukte zu den Kosmetika zählen, fehlen größere kli-
ser, die zum Teil Östrogene als Zusätze enthalten, nische Studien mit Wirkungsnachweis.
5.15 PCO-Syndrom 231

5.15 beidseits. RR 130/65 mmHg, Puls 76, regelrecht.


PCO-Syndrom Laborbefunde: FSH 5,3 mE/ml (normal 1-10),
T. RABE, E. VLADESCU, E. SCHULZE,
LH 9,7 mE/ml (normal 1- 10), Testosteron
B. RUNNEBAUM
656 pglml (normal 180- 580, DHEAS 4836 ngl
ml (normal 350- 4300), Östradiol56 pglml (nor-
5.1 5.1 mal 40-250), Androstendion 3,6 nglml (normal
Fallpräsentation 0,4-3,4 nglrnl), Glukosebelastungstest (100 g
Glukose oral) Glukose (basal, nüchtern)
90 mg!dl (normal 70- 100), 1 h nach oGGT
Eine 24-jährige Studentin stellte sich wegen 180 mgldl (normal 70-160), 2 h nach oGGT
Akne, Hirsutismus und Kontrazeptionswunsch 160 mg/dl (normal < 140), Insulin (basal, nüch-
vor. Die Patientin wog 64 kg bei einer Größe tern) 20 ~ IE/ml (normal), 1 h nach oGGT
von 155 cm, sie klagte über verlängerte Zyklen 180 ~ IE/ml (normal), 2 h nach oGGT 150 ~IE/
von 35- 90 Tagen sowie unreine Haut, außerdem ml (normal), Cholesterin 215 mglrnl (normal
musste sie sich häufig die Kinnhaare entfernen 180 + anni), Triglyzeride 130 mg!dl (normal
lassen. Da aufgrund der unregelmäßigen Zyklen < 150), LDL 210 mg!dl (normal < 150), HDL
natürliche Verhütung methoden nicht durch- 55 mg/dl (normal: 50-60). Aufwachtemperatur-
führbar waren und sie vor Abschluss ihres Stu- kurve hypotherm, monophasisch (anovulato-
diums nicht schwanger werden wollte, bat sie risch). Therapie und Verlauf Aufklärung der
um eine sichere Verhütung, in ca. 2-3 Jahren Patientin über das Krankheitsbild (PCO-Syn-
wäre dann die erste Schwangerschaft geplant. drom); Empfehlung einer Gewichtsreduktion
Anamnese: ie ernsthaft krank gewesen. Fami- im Hinblick auf die gewünschte Zyklusnormali-
lienanamnese unauffällig (kein familiäres kar- sierung und günstige Wirkung hinsichtlich der
diovaskuläres Risiko; keine familiäre Brust- Progression des Krankheitsbildes sowie auch
bzw. Ovarialkrebsbelastung). Die Menarche im Hinblick auf die in absehbarer Zeit geplante
trat mit 16 Jahren ein; Zyklus unregelmäßig: Schwangerschaft. Da keine weiteren Risikofak-
35- 90/4- 5 Tage. Bisher keine Schwangerschaf- toren für die Verordnung oraler hormonaler
ten. Bei der dunkelhaarigen, übergewichtigen Kontrazeptiva bestehen, Verordnung von Diane
Patientin fand sich eine vermehrte Behaarung 35 (35 11g Ethinylöstradiol/2 mg Cyproteronac-
im Bereich der Kinnpartie, der Mamillen sowie etat). Hierunter traten regelmäßige Entzugs-
eine Haarstraße bis zum Nabel. Die Ovarien blutungen auf, die Hautprobleme besserten
waren beidseits tastbar, der Uterus war klein, sich nach ungefähr 3 Monaten, bei der Kontroll-
mobil und anteflektiert. Der zytologische Ab- untersuchung nach 6 Monaten konnte noch
strich war unauffällig (Pap 1/II). Die Laparo ko- keine Verminderung des Haarwachstums fest-
pie zeigte polyzystische Ovarien (Abb. 5-19) gestellt werden. ach weiteren 6 Monaten be-
richtete die Patientin, dass die Kinnbehaarung
deutlich abgenommen habe, so dass sie nur
noch vereinzelt Haare auszupfen müsse. Sie
wurde nochmals darüber beruhigt, dass die
Einnahme der "Pille" ihre Chancen auf eine
spätere Schwangerschaft nicht vermindert
bzw. dass in ihrem Fall ogar die weitere Pro-
gression des PCO-Syndrom verhindert würde.

5.15.2
Definition

Das Syndrom der polyzystischen Ovarien umfasst


eine Vielzahl von Symptomen und Befunden, so
dass die genaue Definition der Erkrankung Schwie-
rigkeiten bereitet.
Abb. 5-19. Laparoskopiebefund: bilateral vergrößerte poly-
zystische Ovarien mit verdickter, weißlicher Kapsel
232 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Tabelle 5-27. Syndrom der polyzystischen Ovarien: Häufig-


keilen von Symptomen bei dem Syndrom der polyzystischen
Ovarien. Befunde aus 1079 veröffentlichten Fällen (187 Refe-
renzen) (Goldzieher und Green 1962)

Symptom Fallzahl Mittelwert Spann -


(n) (% ) weite (% )

Adipositas 600 41 16-49


Hirsutismus 819 69 17- 83
Virili ierung 431 21 0- 28
Zyklische Blutungen 395 12 7- 28
Funktionelle Blutun- 547 29 6- 25
gen
Amenorrhö 640 SI 15-77
Dysmenorrhö 75 23
Abb. 5-20. PCO: Schnitt durch ein PCO-Ovar Biphasi ehe 238 15 12- 40
Körpertemperatur
Corpus luteum bei OP 391 22 0-71
Krankheitsbild Infertilität 596 74 35- 94
Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCO-Syndrom)
ist ein in der medizinischen Literatur sehr heterogen
definiertes Krankheitsbild, das sich durch poly- Tabelle 5-28. Häufigkeit von adrenalen Enzymdefekten, ultra-
sonographisch polyzystischen Ovarien und Regelstörungen in
zystische Ovarien (Abb. 5-20) und eine Hyperandro- einem Kollektiv von 83 Frauen mit Adrogenisierungserschei-
genämie auszeichnet. nungen. (Grundwald et al. 1998, pers. Mitteilung)

• Stein-Leventhal-Syndrom. Dieses Krankheitsbild (o/o) Fallzahl


(n)
mit Zyklusstörungen, Hirsutismus, Sterilität, Adi-
positas sowie vergrößerten zystischen Ovarien wur- Häufigkei t von adrenalen Enzymdefekten (n = 83)
de 1935 von Stein u. Leventhal beschrieben. Das Ke in Enzymdefekt 42 35
klassische morphologische Substrat dieses Krank- 3ß-Hydroxy teroiddehydrogenase 26 22
heitsbildes sind auf das 2- bis 5-fache vergrößerte
21-Hydroxylase 31 26
Ovarien mit einem weißen, zuckergussartigen Über-
Adrenale Enzymdefekte (gesamt) 57 48
zug. Unter der verdickten, fibrotischen Kapsel fin-
den sich zahlreiche Follikelzysten. Diese sind oft Häufigkeit polyzyst ischer Ovarien (Ultraschall) (n = 83)
umgeben von luteinisierten, übermäßig entwickel- Polyzy ti ehe Ovarien 37 31
ten Zellen der Theca interna. Heute spricht man all- ormale Ovarien 63 52
gemein vom Syndrom der polyzystischen Ovarien, Häufigkeit vo n Zykl u Störungen (n = 83)
da häufig nicht alle ursprünglich beschriebenen Eumenorrhö 52 43
Symptome gleichzeitig vorkommen (Tabelle 5-27, Amenorrhö II 9
5-28). Die Problematik des Syndroms der polyzysti-
Oligomenorrhö 25 21
schen Ovarien ergibt sich bereits bei dem Versuch
Polymeno rrhö 12 10
einer Definition dieser Erkrankung. Goldzieher u.
Green berichten 1962 in einer Übersichtsarbeit, Zykl usstörungen (gesam t) 48 30
dass Frauen mit chirurgisch nachgewiesenem
PCO-Syndrom zu 20 Ofo keine Menstruationsstörun-
gen aufwiesen, zu 59 Ofo nicht adipös waren und zu • LH-FSH-Ratio. Die LH/FSH-Ratio wurde von
31 Ofo keinen Hirsutismus aufwiesen. Daraus ergibt einigen Untersuchern als Kriterium zur Definition
sich eindeutig, dass die klinische Trias Menstruati- des Syndroms der polyzystischen Ovarien vorge-
onsstörungen, Adipositas und Hirsutismus nur eine schlagen. Es gibt jedoch eine Reihe von Einwänden
Gruppe der Patientinnen mit dem Syndrom der po- gegen diese Definition.
lyzystischen Ovarien beschreibt. Da demgemäß Pa- • Die pulsatile Ausschüttung von LH macht es
tientinnen mit PCO-Syndrom eine Vielzahl von schwierig, einen gültigen Wert für die LH/FSH-
Symptomen aufweisen, erscheint es nicht möglich, Ratio zu erhalten. Eine kontinuierliche Messung
eine Kombination von Symptomen als Basis für von LH über mehrere Stunden ist unter den
eine eindeutige klinische Definition des PCO-Syn- meisten klinischen Umständen nicht durchführ-
droms zu erheben. bar.
5.15 PCO-Syndrom 233

• Es gibt Frauen mit Adipositas, Amenorrhö, Hir- wichtige Rolle bei der Entwicklung einer ovariellen
sutismus und polyzystischen Ovarien, die eine Hyperandrogenämie spielen. Burghen et al. (1980)
LH/FSH-Ratio < 2 aufweisen. zeigten als erste eine positive Korrelation zwischen
den Nüchterninsulinspiegeln im Serum und Testo-
Letztlich gibt es daher bis heute noch keine ein- steron- bzw. Androstendionspiegeln im Serum.
deutige Definition dieses Krankheitsbildes bzw. Diese Ergebnisse konnten von mehreren Untersu-
Symptomkomplexes. chern bestätigt werden. Diese eindeutige Korrelation
könnte durch 3 Hypothesen erklärt werden.
• Hyperinsulinämie verursacht eine ovarielle Hy-
perandrogenämie.
5.15.3
• Hyperandrogenämie verursacht eine Insulinresi-
Epidemiologie
stenz und infolgedessen eine kompensatorische
Hyperinsulinämie.
lnzidenz
• Ein bisher unbekannter Faktor verursacht sowohl
Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCO-Syndrom)
die Hyperinsulinämie als auch die Hyperandroge-
ist die häufigste mit ovarieller Hyperandrogenämie
nämie.
einhergehende Störung. Die Inzidenz ist regional
unterschiedlich und genetisch bestimmt - in den
Mittelmeerländern kommt es häufiger vor als in
Skandinavien. Weltweit wird die Inzidenz mit Wer-
ten zwischen 30 und 50% aller Frauen im reproduk- 5.15.5
tiven Alter mit den klinischen Zeichen einer Hy- Klinik
perandrogenämie angegeben; in der durchschnitt-
liehen Bevölkerung dürfte es bei 2-5% aller Frauen Symptome und Beschwerden
in der Geschlechtsreife vorkommen. Menstruationsstörungen (Oligomenorrhö, anovula-
torische Zyklen), Hirsutismus, Akne und Seborrhö,
Adipositas und Sterilität; evtl. Übergewicht.

5.15.4
Pathogenese Klinische Befunde
• Androgenisierung. Hierbei muss auf Zeichen
Die Pathogenese des Syndroms der polyzystischen von Hirsutismus, Alopezie, Akne und Seborrhö
Ovarien ist seit mehreren Jahrzehnten Thema kon- geachtet werden. Sollten auch Zeichen einer Viri-
troverser Diskussionen. In der Mehrzahl der Fälle lisierung (zusätzlich Klitorishypertrophie, Tiefer-
von funktioneller ovarieller Hyperandrogenämie werden der Stimme sowie männlicher Habitus)
findet man eine multifaktorielle Ätiologie. Darauf bestehen, so ist ein androgenproduzierender
weist auch die Assoziation mit verschiedenen ande- Tumor in die Differentialdiagnose einzubeziehen.
ren spezifischen Erkrankungen hin: • Haut (Varia): Akanthosis nigricans (bei jungen
e kongenitales adrenogenitales Syndrom, Frauen auch mit Insulinresistenz eher selten!).
e Cushing-Syndrom, • Übergewicht.
e Hyperprolaktinämie, • Genitalbefund: Klitorishypertrophie; palpatorisch
e Zustände von lnsulinresistenz. vergrößerte Ovarien bei bimanueller vaginaler
Untersuchung (besonders bei adipöser Patientin
Insgesamt scheint es, dass eine Vielzahl von Mecha- ist eine Vaginalsonographie notwendig).
nismen zu Störungen der Gonadotropinsekretion
führt, in deren Folge sich die typischen morpho-
logischen und biochemischen Veränderungen ent-
wickeln können. Die Folgen erhöhter ovarieller 5.15.6
Androgensekretion und abnormaler Granulosa- Diagnostik
zell-Zytodifferenzierung sind die
• gestörte Follikulogenese, Diagnostische Kriterien
• Oozytendegeneration und • Subkortikal lokalisierte Ovarialzysten (> 6 mm;
e die Unfähigkeit, einen großen, gesunden Antral- mehr als 7 pro Ovar),
follikel (> 10 mm) zu entwickeln. e Vergrößerung des Ovarialvolumen,
• Testosteronerhöhung,
Die Konsequenz daraus ist die Anovulation. Zuneh- e Erhöhte LH/FSH-Ratio (> 2,5) in 30% aller PCO-
mend zeigt sich, dass metabolische Störungen eine Fälle.
234 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Anamnese • Medikamentöse Prophylaxe: Ovulationshemmer


• Menstrueller Zyklus. Da Zyklusstörungen bei mit Antiandrogenen (z. B. Cyproteronacetat).
15-77 o/o der Patientinnen mit PCO-Syndrom auftre- • Teilresektion des Ovars; früher häufiger durchge-
ten, kann bereits die Zyklusanamnese erste Hin- führt; in einer Zeit der endoskopischen Operatio-
weise auf diese Störung geben. Die Menarche ist nen weitgehend verlassen (da Risiko der Adhäsi-
häufig verzögert. onsbildung; bei potentiellem Kinderwunsch un-
erwünscht!).
• Androgenisierung. Falls die Patientin auch über • Thermokoagulation der subkortikalen Ovari-
Androgenisierungszeichen wie Hirsutismus, Alo- alzysten: ca. 15-20 Elektrokoagulationsstellen,
pezie oder Akne klagt, ist das zeitliche Auftreten die- ca. 3-5 mm Durchmesser pro Ovar; wichtig ist
ser Symptome genau zu erfragen. Da diese Sympto- hierbei ein Substanzverlust des Ovarialkortex
matik häufig familiär vermehrt auftritt, ist auch eine durch Elektrokoagulation. Eine LasersticheJung
sorgfältige Familienanamnese zu erheben. Aufgrund der Zysten ist prinzipiell möglich; wichtig ist
des 6-fach erhöhten Risikos für das Auftreten eines aber auch hierbei eine ausreichende Thermo-
Typ-2-Diabetes-mellitus sowie des 3-fach erhöhten nekrose des Ovarialkortex.
Risikos für das Auftreten einer Hypertonie und
von koronaren Herzerkrankungen sollte auch hier-
Therapiekontrollen
nach gefragt werden.
• Ultraschall. Vaginaler Ultraschall beider Ovarien
zur Größenbestimmung und zum Zystennachweis.
Paraklinische Diagnostik
• Labor. LH, FSH, Östradiol, Testosteron, DHEA-S, • Labor. Ohne Hormontherapie je nach Zusatzindi-
Androstendion, evtl. Glukosebelastungstest mit Glu- kationen: LH/FSH, Testosteron, Androstendion und
kose und lnsulinbestimmungen; zur Bewertung des DHEA; unter Hormontherapie: weniger sinnvoll.
kardiavaskulären Risikos: Lipiddiagnostik.
• Klinik. Körpergewicht, Androgenisierungsstatus,
• Technische Verfahren. Ultraschall: Heute er- Zyklusfunktion (auch unter Hormontherapie).
möglicht die Vaginalsonographie als nichtinvasives
Verfahren eher die Diagnose von polyzystischen
Nebenwirkungen
Ovarien. Mehr als 10 subkortikal gelegene Ovarial-
• Unter Hormontherapie. OC: Risiko kardiavasku-
zysten sind beweisend sowie die Zunahme des Ova-
lärer Komplikationen beachten (selten, ernsthafte
rialvolumens um das 2-fache.
Komplikationen in 1/100.000 Fällen pro Jahr). Aus-
Anmerkung: Bei einer Laparoskopie findet man ver-
schluss eines malignen Ovarialtumors bzw. eines be-
größerte mikrozystische Ovarien (Zysten z. T. trans-
nignen Ovarialtumors mit Zystenbildung anderer
parent) mit dicker weißlicher Kapsel. In gleicher Sit-
Genese (DD: Endometriosezyste, Dermoid); ggf.
zung kann eine Thermokoagulation der Zysten vor-
ovarielle Tumormarker, CEA, CA 125 (familäres Ri-
genommen werden.
siko für Ovarial- und Mammakarzinom beachten).

5.15.7
Differentialdiagnose
5.16
LH/FSH produzierender Hypophysentumor
• Ovarialtumoren: Dermoide, Ovarialendome-
triose, Ovarialmalignome, ovarielles Überstimu- C. ~ HAGENS, T RABE,B. RuNNEBAUM
lationssyndrom,
• Adnextumoren: entzündliche Konglomerattumo- 5.16.1
ren. Fallpräsentation (nach Abs et al. 1991)

Ein 68-jähriger Mann stellte ich 1983 wegen


5.15.8 Sehstörungen beim Augenarzt vor. Der Patient
Therapie klagte über eine bitemporale Hemianopsie. Zu-
ätzlich be tand seit einigen Jahren eine Impo-
• Gewichtsreduktion (Besserung der Glukoseinto- tenz. Die Perimetrie ergab eine beidseitige Ein-
leranz, meist Zyklusnormalisierung); zusätzlich schränkung des Gesichtsfeldes, so dass eine neu-
günstig hinsichtlich kardiavaskulärer Erkrankun- rologische Unter uchung angeordnet wurde. Im
gen.
5.16 LH/FSH produzierender Hypophysentumor 235

Computertomogramm des chädels zeigte sich 5.16.3


ein ausgedehnter Hypophy entumor mit supra- Pathogenese
ellären Anteilen und Vergrößerung der ella.
Endokrinologie: FSH 42 IU/1, LH 9,6 IU/1, Testo- Eine Ursache für das Entstehen eines gonadotropin-
teron, Prolaktin und TSH waren normal, der sezernierenden Hypophysentumors kann meist
TRH-Test ergab eine verlängerte TSH-Sekretion nicht gefunden werden.
bei nur minimaler Reaktion des Prolaktins.
ACTH, Cortisol und GH zeigten unter insulinin-
duzierter Hypoglykämie fa t keine Stimulation. 5.16.4
ach transsphenoidaler Hypophysenresektion Klinik
entwickelte sich ein Panhypopituitarismus.
Der Patient erhielt zur Substitution Hydrocorti- Symptome und Beschwerden
son, L-Thyroxin und Testo teron. Nach 5 Jahren Gonadotropinproduzierende Hypophysentumoren
trat erneut eine bitemporale Hemianop ie auf. werden entweder zufällig oder durch das Auftreten
Das CT zeigte einen Tumor von maximal von Druck- oder Verdrängungssymptomen ent-
27 mm Größe, der bis in die supraselläre Zy- deckt, da eine spezifische klinische Symptomatik
terne und in beide Sinus cavernosi reichte. fehlt. Bei jungen Frauen kann es durch die erhöhten
Das Chiasma opticum war nach vorn verdrängt. Gonadotropine zu Zyklusstörungen kommen. Die
Unter Therapie mit Bromocriptin in seiner Erstsymptome sind aber meist durch die Tumor-
Depotform (50 mg i. m. alle 4 Wochen) zeigte größe bedingt.
da CT zwar keine Veränderung der Tumorgrö- • Chiasmakompressionssymptome wie Gesichts-
ße, aber die Ge icht feldausfälle bildeten sich feldeinschränkung, Sehverlust sowie
bereits 3 Tage nach der er ten Injektion be- • Kopfschmerzen oder
trächtlich zurück, nach 28 Tagen erfolgten wei- • Hirndruckzeichen können zur Diagnose führen.
tere Verbe erungen. Die orale Langzeitgabe
von Bromocriptin in einer Dosis von 10 mgl Die Gesichtsfeldeinschränkung wird, besonders
Tag führte schließlich nach 18 Monaten zu einer wenn sie langsam auftritt, von den Betroffenen oft
Verkleinerung des Adenoms auf 23 mm Größe nicht wahrgenommen, daher gehört die Perimetrie
sowie zu einer dauerhaften Suppression der zur Diagnostik bei Nachweis eines Hypophysen-
FSH-Werte von anfangs 9,5 auf unter 1,5 IU/1. tumors.
Die Gesichtsfeldausfälle blieben nach der an-
fänglichen Be erung o be tehen, die Tumor-
größe nahm deutlich ab. 5.16.5
Diagnostik

Anamnese
Die Diagnose wird meist gestellt durch
5.16.2
• Sehstörungen (43 o/o ),
Epidemiologie
• Ausfälle der Hypophysenfunktionen (22 o/o),
Kopfschmerzen (8 o/o) oder
Es ist bekannt, dass LH- und FSH-produzierende
• eine Kombination der genannten Symptome (10 o/o).
Hypophysentumoren äußerst selten sind, sie stellen
5 o/o aller Hypophysentumoren dar. Bei endokrin
17 o/o der Patienten aus der Mayoklinik waren asympto-
aktiven Tumoren findet man häufig eine Hyperse-
matisch.
kretion von mehreren Hypophysenvorderlappen-
hormonen. In einer retrospektiven Auswertung
von Young et al. (1996) aus der Mayoklinik fanden Körperliche Untersuchung
sich bei 100 Patienten (79 Männer und 21 Frauen) Bei der körperlichen Untersuchung achtet man auf
mit Hypophysenmakroadenomen nur 11 Patienten Zeichen der Über- oder Unterfunktion von Schild-
mit einer FSH-Hypersekretion sowie 5 mit einer drüse, Nebenniere und Gonaden sowie auf Sym-
LH-Erhöhung. Eine isolierte LH-Hypersekretion ptome einer Akromegalie oder eines Gigantismus
ist sehr selten. bei Pubertas tarda.
236 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

Technische Verfahren
Literatur
Zum Nachweis eines Hypophysentumors ist die ra-
diologische Diagnostik unumgänglich. Heute ist das
Literatur zu Abschn. 5.1 bis 5.6
MRT das Verfahren der Wahl. Bei Nachweis eines
Hypophysentumors mit Raumforderung muss Adashi E (1997) Menstrual cycle: Follicular maturation. In:
Rabe T, Runnebaum B (eds) Manual on assisted repro-
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nach erfolgter partieller oder totaler Hypophysekto- In Runnebaum B, Rabe T (Hrsg) Gynäkologische Endo-
krinologie und Fortpflanzungsmedizin. Bd 1, Springer,
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dingte Zirkulationsstörungen endokrine Funktions- Gerhard I, Runnebaum B (1994) Endokrinologie der Früh-
störungen oder Chiasmakompressionen verursacht schwangerschaft. In: Runnebaum B, Rabe T (Hrsg) Gynä-
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mittels ophtalmologischer Untersuchungen, MRT
und hormoneller Parameter erfolgen, da Rezidive
bis 5 Jahre nach Primärtherapie beschrieben wur- Literatur zu Absch. 5.7
den. Im Kollektiv der Mayaklinik war bei 8 von
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siduen oder Rezidive mit klinischen Symptomen. ment with growth hormone and gonadotropin for induc-
Bei Rezidiven wird häufig eine medikamentöse The- tion of ovulation in hypogonadotropic patients: a pro-
rapie eingeleitet. Es ist möglich, durch Langzeitgabe spective, randomized, placebo-controlled dose respond
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von Bromocriptin oder anderen Dopaminagonisten Gromoll J, Simoni M, Nordhoff V, Behre HM, de Geyter C, Nie-
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240 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden

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KAPITEL 6

Männliche Gonaden 6
R. ÜCHSENKÜHN, E. NIESCHLAG

6.1 Embryonale Entwicklung und Anatomie 6.8.4 Klinik 270


des männlichen Reproduktionssystems 242 6.8.5 Diagnose 271
6.1.1 Embryologie 242 6.8.6 Differentialdiagnose 271
6.1.2 Anatomie 244 6.8.7 Therapie 271
6.2 Physiologie 246 6.9 Varikozele 272
6.2.1 Hypothalamisch-hypophysär-testikulärer 6.9.1 Epidemiologie 272
Regelkreis 246 6.9.2 Pathogenese 272
6.9.3 Klinik 272
6.3 Andrologische Diagnostik 254 6.9.4 Diagnostik 272
6.3.1 Anamnese 245 6.9.5 Differentialdiagnose 272
6.3.2 Körperliche Untersuchung 254 6.9.6 Therapie 273
6.3.3 Technische Verfahren 255
6.3.4 Laboruntersuchungen 256 6.10 Entzündliche Veränderungen
6.3.5 Ejakulatuntersuchungen 257 der Hoden 273
6.3.6 Hodenbiopsie 259 6.10.1 Epidemiologie 273
6.10.2 Pathogenese 273
Hypothalamisehe Störungen 259 6.10.3 Klinik 273
6.4 Idiopathischer hypogonadotroper 6.10.4 Diagnostik 273
Hypogonadismus (IHH) 6.10.5 Differentialdiagnose 273
und Kalimann-Syndrom 259 6.10.6 Therapie 273
6.4.1 Fallpräsentation 259 6.11 Klinefelter-Syndrom 274
6.4.2 Epidemiologie 260 6.11.1 Fallpräsentation 274
6.4.3 Pathogenese 261 6.11.2 Epidemiologie 274
6.4.4 Klinik 261
6.11.3 Pathogenese 274
6.4.5 Diagnostik 262
6.11.4 Klinik 275
6.4.6 Differentialdiagnose 262
6.11.5 Diagnostik 275
6.4.7 Therapie 263
6.11.6 Differentialdiagnose 275
6.5 Prader-Labhart-Willi-Syndrom 265 6.11.7 Therapie 276
6.5.1 Epidemiologie 265 6.12 Störungen der Spermatogenese
6.5.2 Pathogenese 266 und Spermiogenese 276
6.5.3 Klinik 266 6.12.1 Epidemiologie 276
6.5.4 Diagnostik 266 6.12.2 Pathogenese 276
6.5.5 Differentialdiagnose 266 6.12.3 Klinik 278
6.5.6 Therapie 266 6.12.4 Diagnostik 278
Hypophysäre Störungen 267 6.12.5 Differentialdiagnose 278
6.12.6 Therapie 278
6.6 Partielle Hypophyseninsuffizienz
(Gonadotropinmangel) 267 6.13 Idiopathische Infertilität 278
6.6.1 Epidemiologie 267 6.13.1 Epidemiologie 278
6.6.2 Pathogenese 267 6.13.2 Pathogenese 278
6.6.3 Klinik 267 6.13.3 Klinik 278
6.6.4 Diagnostik 267 6.13.4 Diagnostik und Differentialdiagnose 278
6.6.5 Therapie 267 6.13.5 Therapie 280
6.7 Hyperprolaktinämie 268 Störungen im Bereich
6.7.1 Fallpräsentation 268 der Androgenzielorgane 282
6.7.2 Epidemiologie 268 6.14 Androgenresistenzsyndrom 282
6.7.3 Pathogenese 268 6.14.1 Fallpräsentation 282
6.7.4 Klinik 268 6.14.2 Epidemiologie 282
6.7.5 Diagnostik 268 6.14.3 Testikuläre Feminisierung 283
6.7.6 Differentialdiagnose 269 6.14.4 Reifenstein-Syndrom 286
6.7.7 Therapie 269 6.14.5 Präpeniles Seroturn bifidum mit Hypospadie 287
Testikuläre Störungen 269 6.14.6 Minimalformen der Androgenresistenz 287
6.14.7 5u-Reduktase 2-Defizienz (Perineoskrotale
6.8 Lageanomalien der Testes 269 Hypospadie mit Pseudovagina) 288
6.8.1 Fallpräsentation 269
6.8.2 Epidemiologie 270 6.15 Gynäkomastie 289
6.8.3 Pathogenese 270 6.15.1 Fallpräsentation 289
242 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

6.15.2 Epidemiologie 290 Infertilität und Hypogonadismus stellen Symptome


6.15.3 Pathogenese 290 unterschiedlicher Erkrankungen mit zahlreichen
6.15.4 Klinik 291
6.15.5 Diagnostik 292 möglichen Ursachen dar. Beide Symptome sind
6.15.6 Differentialdiagnose 293 das Erscheinungsbild einer Unterfunktion der Go-
6.15.7 Therapie 293 naden. Hypogonadismus geht regelmäßig mit einer
Störungen im Bereich Infertilität einher, wohingegen eine Infertilität iso-
der ableitenden Samenwege 293 liert vorkommen kann. Die Gründe der männlichen
6.16 Infektbedingte Verschlüsse Infertilität und des Hypogonadismus liegen auf un-
der ableitenden Samenwege 293
6.16.1 Epidemiologie 293 terschiedlichen Niveaus des Organismus. Ursächlich
6.16.2 Pathogenese 293 kommen Störungen des Hodens, der Hypophyse
6.16.3 Klinik 293 oder des Hypothalamus in Betracht, der z. B. durch
6.16.4 Diagnostik 293
6.16.5 Differentialdiagnose 294 genetische, endokrine, entzündliche, altersassozi-
6.16.6 Therapie 295 ierte oder umweltbedingte Vorgänge zugrunde lie-
6.17 Erektile Dysfunktion 295 gen können.
6.17.1 Fallpräsentation 295
6.17.2 Epidemiologie 296
6.17.3 Pathogenese 296
6.17.4 Klinik 297 6.1
6.17.5 Diagnostik 297 Embryonale Entwicklung und Anatomie
6.17.6 Differentialdiagnose 298 des männlichen Reproduktionssystems
6.17.7 Therapie 298
Störung der Pubertätsentwicklung 300
6.1.1
6.18 Puberlas praecox 300 Embryologie
6.18.1 Epidemiologie 300
6.18.2 Pathogenese und Klinik 300
6.18.3 Diagnostik 300 Zur Entwicklung eines eindeutig weiblichen oder
6.18.4 Differentialdiagnose 301 männlichen Phänotyps des Neugeborenen bzw.
6.18.5 Therapie 302
Fetus müssen spezifische molekulare und morpho-
Tumoren 302 logische Vorgänge während der Ontogenese zeitlich
6.19 Hodentumoren 302
6.19.1 Epidemiologie 302
6.19.2 Einteilung 303
6.19.3 Testikuläre intraepitheliale Neoplasie 303
6.19.4 Seminomatöse und nichtseminomatöse
Keimzelltumoren des Hodens 304
6.19.5 Gonadale Stromatumoren 305
Weitere Störungen 306
6.20 Seneszenz 306
6.20.1 Epidemiologie 306
6.20.2 Klinik 308
6.20.3 Therapie 310
6.21 Androgenetische Alopezie 310
6.21.1 Epidemiologie 310
6.21.2 Pathogenese 310 Muller -Gang
6.21.3 Klinik 311
6.21.4 Diagnostik 311
6.21.5 Differentialdiagnose 312
6.21.6 Therapie 313 a
6.22 T ranssexuali tä t 313
6.22.1 Epidemiologie 313
6.22.2 Pathogenese 313
6.22.3 Klinik 314
6.22.4 Diagnostik 314
6.22.5 Differentialdiagnose 314
6.22.6 Therapie 315
Literatur 317

b Entwicklung zum Hoden c


Abb. 6-Ia- c. Differenzierung der Gonaden, a indifferente
Gonadenanlage, b Differenzierung der Hoden, c Differenzie-
rung de var . (Au Drew 1995)
6.1 Embryonale Entwicklung und Anatomie des männlichen Reproduktionssystems 243

XY XX

Sry Ureter
t
IAMH I Hoden Ovar
Müller -Gang
cJ Q
Uterus

Wolfi -Gang
Ovar

Ureterknospe

a b

Abb. 6-2a-c.
Entwicklung der Genitalgänge. a indifferentes Stadium,
b Entstehung von Nebenhodengang und Samenleiter bzw.
Tube. (Aus Drews 1995). c Graphische Darstellung eines
Hodenquerschnitts durch den menschlichen Hoden nach der
Vorlage eines histologischen Präparats. LT Lobuli testis,
TA Tunica albuginea, TV Tunica vasculosa, ST testikuläres
Bindegewebsseptum, RT Rete testis. (Aus Ergün et al. 1994)

geregelt und in richtiger Reihenfolge ablaufen. Die Samenbläschen aus dem Wolff-Gang. Ebenfalls un-
Urkeimzellen entstehen nicht in den Gonaden, son- ter dem Einfluss von Testosteron entwickeln sich
dern im embryonalen Dottersack und wandern in Prostata, Urethra und Bulbourethraldrüsen aus
der 5. Woche post ovulationem (p. o.) mit amöboi- dem Sinus urogenitalis. Die männlichen Gonaden
den Bewegungen über das dorsale Mesenterium in produzieren außer Testosteron auch das Anti-Mül-
die beiden Gonadenleisten ein, die sich im Bereich ler-Hormon (MIS = "Mullerian inhibiting sub-
der dorsalen Wand der embryonalen Leibeshöhle stance"), das die Entwicklung eines weiblichen inne-
aus einer Proliferation des Zölumepithels und des ren Genitaltraktes aus den Müller-Gängen suppri-
Mesenchyms bilden (Abb. 6-1). Das embryonale miert. Wenn es innerhalb dieser Kaskade zu einer
Geschlecht des männlichen Embryos ist chromoso- Störung kommt, resultiert daraus die Entwicklung
mal festgelegt, wobei das testisdeterminierende Gen eines Neugeborenen mit intersexuellem Genitale
("SRY") auf dem Y-Chromosom das entscheidende oder einer Diskrepanz zwischen genetischem und
Gen bei der Entwicklung des männlichen Genitales phänotypischem Geschlecht (Abb. 6-2a). Bis zum
darstellt. Ab der 7. Woche p. o. erfolgt die Differen- Ende des 2. Trimenons kommt es normalerweise
zierung der Gonadenanlage zum Hoden. Ab der zu Deszensus der Hoden aus dem Abdominalbereich
8. Woche p. o. bewirkt das in den anfänglich noch in die Inguinalregion. Bis zum Ende der Schwanger-
immaturen Leydig-Zellen gebildete Testosteron schaft sollten die Tests bis ins Skrotum deszendiert
eine Maskulinisierung des Genitaltraktes und damit sein. Der vollendete Deszensus wird post parturn als
die Ausbildung von Nebenhoden, Samenleitern und Reifezeichen des Neugeborenen gewertet.
244 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

6.1.2
Anatomie

Hoden
Der paarig angelegten Hoden ist ein ellipsoides
Organ von fester Konsistenz mit einem durch-
schnittlichen Volumen von 15-20 ml. Am hinteren
Rand des Hodens, im Bereich des Mediastinum
testis, verlaufen im Samenstrang Gefäße, Nerven
sowie Samenleiter. Der Hoden wird von einer
Bindegewebskapsel (Tunica albuginea) umschlos-
sen. Von dieser ziehen Bindegewebssepten radiär
auf das Mediastinum testis zu und unterteilen den
Hoden in 200-250 pyramidenförmige Läppchen, Abb. 6-4. Nebenhoden
die Lobuli testis (Abb. 6-3). Die Hodenläppch en ent-
halten mehrere, vielfach gewundene Hodenkanäl-
chen (Tubuli contorti seminiferi), die wiederum aus zylindrischen Zellen, den Sertoli-Zellen, die ne-
in ein Gerüstwerk aus feinfaserigem Bindegewebe ben der Stützfunktion zahlreiche hormonelle Funk-
(Stroma) eingebettet sind. Im gestreckten Zustand tionen besitzen. Zwischen den Hodenkanälc hen und
ist jedes dieser Kanälchen etwa 30-70 cm lang. den Blutgefäßen liegen die androgenpro duzieren-
Die Gesamtlänge der rund 500-700 Tubuli eines ge- den Leydig-Zellen (Abb. 6-3).
schlechtsreifen Hodens wird auf 250-300 m ge-
schätzt. Gegen das Mediastinum testis fließen die Samenwege
häufig anastomosie renden Hodenkanälc hen zusam- Nebenhoden, Ductus deferentes und Ductus ejacu-
men, werden schmaler und strecken sich. Im Me- latorius bilden die Samenwege. Der 4-5 cm lange
diastinum münden sie in das Hodennetz (Rete tes- Nebenhoden (Epididymis) sitzt dem Hoden schweif-
tis), ein Hohlraumsy stem mit weiten, miteinander artig auf. Makroskopisch unterscheidet man einen
verbundenen Kanälchen, von denen die Ductuli ef- Kopf (Caput), Körper (Corpus) und Schwanz (Cau-
ferentes und damit die ableitenden Samenwege aus- da). Aus dem Rete testis gelangen die Spermien über
gehen. Die Hodenkanälc hen werden vom umgeben- 10-20 Ductuli efferentes in den stark gewundenen
den Bindegewebe durch eine Basalmembran ge- Nebenhoden gang (Ductus epididymis), der u. a.
trennt (Blut-Hoden-Schranke). Ihre Wand besteht als Samenspeicher dient. Im gestreckten Zustand
misst er etwa 4-5 m. Er reicht vom Nebenhoden -
kopf bis zu Nebenhodenschwanz (Abb. 6-4). Am
Ureteren Ende des Nebenhodenschwanzes geht der Neben-
hodengang ohne scharfe Grenze in den Ductus

Ductus
deferens Harnblase Ampulla ductus deferentis

Vesicula
seminalis Ureter

Ductus deferens

Ductus
ejacu latorius

Abb. 6-5. Situs der männlichen Samenwege und der akzesso-


Abb. 6-3. Übersicht über die männlichen Geschlechtsorgane rischen Geschlechtsdrüsen (Vesicula seminalis und Prostata)
und ihre Lage zum Becken. (Aus Schiebler et al. 1995) von dorsal. (Aus Schiebler et al. 1995)
6.1 Embryonale Entwicklung und Anatomie des männlichen Reproduktionssystems 245

Ostoum urethrae int.

Außenzone
(Hauptdri.Jsen) Innenzone
der Prostata der Prostata

Ostia ductuli prostatici

Periurethrale Mantelzone
b
Pars
doaphragmauca
urethrae
Fossabulb i Abb. 6-6a, b. Prostata a Frontal chn itt, b Transver al chnitt.
a (Aus Schiebler et al. 1995)

deferens (Samenleiter) über. Er ist 30-40 cm lang


und verläuft gemeinsam mit Gefäßen und Nerven
im Samenstrang (Funiculus spermaticus) durch
den Leistenkanal in den Bauchraum. Er zieht imaginative
dann an der Wand des kleinen Beckens entlang, visuelle
auditive
erreicht die seitliche Wand der Harnblase und legt olfaktorische
sich danach dem Blasengrund an. Am Ende erwei- Reize

tert er sich (Ampulla) und nimmt die Mündung der


Samenblase auf. Das ca. 2 cm lange, verengte End- s 1
''
stück von der Einmündung des Ausführungsganges
der Samenblase bis zur Mündung in die an dieser
Stelle vom Prostatagewebe umgebene Harnröhre
wird Ductus ejaculatorius genannt. Die Samenblase
ist eine etwa 10 cm lange, gefaltete Drüse. Das paarig
angelegte Organ liegt an der Hinterwand der Blase
seitlich von der Erweiterung (Ampulla) des Samen-
leiters. Ihr Ausführungsgang mündet innerhalb der
Prostata in den Samenleiter. Die beiden Samen-
blasen bilden ein hochvisköses, fruktosehaltiges,
schwach alkalisches Sekret (pH = 7,3), das die
Hauptmasse der Samenflüssigkeit bildet (Abb. 6-5).

Prostata
Die unpaare Prostata (Vorsteherdrüse) ist kasta-
niengroß und liegt zwischen Harnblasengrund ...
4
und Beckenbodenmuskulatur. Die Prostata besteht N. cavernosus
N. splanchnocus
aus 30-50 verzweigten tubuloalveolären Drüsen, N. pudendus pelvinus
die mit 15-20 Ausführungsgängen im Bereich des
Samenhügels (Colliculus seminalis) in die Urethra Abb. 6-7. Innervation und spinale Reflexbögen zur Regula-
tion männlicher Geschlechtsorgane. 1 parasympathische Neu-
einmünden und ein dünnflüssiges Sekret produzie- rone zu erektilem Gewebe, 2 sympathische Neurone zu erek-
ren. Es reagiert schwach alkalisch und enthält saure tilem Gewebe, 3 sympathische Neurone zum Ductus deferens,
Phosphatase und Zink. Im höheren Alter kommt es Prostata, Samenbläschen und Blasenhals, 4 Motoaxone, 5
aszendierende und deszendierende Bahnen. Interneurone
in einem hohen Prozentsatz zu einer gutartigen, im Rückenmark sind z. T. weggelassen worden. NH N. hypo-
knotigen Vergrößerung der Prostata infolge Hyper- )!;astricus. (Aus Jänig 1995)
246 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

plasie des Epithels sowie des fibromuskulären Gewe- hormone Inhibin, Follistatin und Aktivin beeinflus-
bes im inneren Drüsenbereich (Abb. 6-6). Die paa- sen die Spermatogenese durch eine Inhibierung
rigen, etwa erbsengroßen Glandulae bulbourethrales bzw. Aktivierung der FSH-Synthese in der Hypo-
oder Cowper-Drüsen liegen im Bindegewebe oder in physe.
der Muskulatur des Beckenbodens und münden mit
je einem Ausführungsgang in die Harnröhre. Die
Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH)
verzweigten, tubuloalveolären Drüsen liefern ein
Das Gonadotropin-releasing-Hormon (GnRH) spielt
schleimhaltiges, schwach alkalisches Sekret, das be-
eine entscheidende Rolle für die männliche und
reits vor der eigentlichen Ejakulation in die Harn-
weibliche Reproduktion. Das Dekapeptid GnRH
röhre abgegeben wird.
wird in den Zellkörpern der Neurone des Hypotha-
lamus synthetisiert und über die Zellfortsätze im
Nervale Steuerung von Erektion und Ejakulation Hypophysenstil an das hypophysäre Pfortadersy-
Die nervale Steuerung der genitalen Reflexe ist stem abgegeben. Dort stimuliert GnRH selektiv
äußerst komplex. Beteiligt sind parasympathische, die gonadotropen Zellen zur Freisetzung der hetero-
sympathische, motorische, viszerale und soma- dimeren Gonadotropine LH und FSH. Die beiden
tisch efferente Nervenbahnen. Zum Ablauf der Gonadotropine ihrerseits stimulieren die Produk-
Erektion siehe Abschn. 6.17. Das Zentrum für den tion von Testosteron bzw. die Keimzellreifung. Be-
Ejakulationsreflex liegt im unteren Thorakal- und reits in der Kindheit wird etwa alle 2 Std. ein GnRH-
im Lumbalmark Afferente Impulse aus den Geni- Puls sezerniert. Die Messung des GnRH erfolgt in-
talorganen gelangen vor allem über den N. pu- direkt über die Bestimmung des LH im Serum.
dendus und aufsteigende Zwischenneurone zu Beim Übergang zum jungen Erwachsenen steigert
diesem Zentrum. Dabei ist eine bestimmte zentrale sich die Amplitude und damit die pro Puls ausge-
Erregungssummation (Bahnung) erforderlich, um schüttete LH-Menge. Für eine regelrechte LH- und
die Reflexe auszulösen. Die efferenten Impulse für FSH -Sekretion und somit Hodenfunktion ist eine
die glatte Muskulatur laufen über die sympathischen physiologische Pulsatilität erforderlich. Exogene
Fasern des N. hypogastricus, während die beteiligte Störungen durch hohe Pulsfrequenzen oder eine
quer gestreifte Muskulatur über die motorischen kontinuierliche GnRH-Applikation führen zu einer
Anteile des N. pudendus innerviert werden Hemmung der Gonadotropinfreisetzung (Abb. 6-
(Abb. 6-7). 9). Die GnRH-sezernierenden Neuronestammen ur-
sprünglich nicht aus dem zentralen Nervensystem
(ZNS), sondern wandern während der frühen Fetal-
entwicklung aus dem nasalen Riechepithel entlang
6.2
dem Tractus olfactorius in den Nucleus arcuatus
Physiologie
des Hypothalamus ein (s. Abb. 6-20). Bei Patienten
mit Kalimann-Syndrom unterbleibt diese neuronale
6.2.1
Migration, die Vorläufer der GnRH-produzierenden
Hypothalamisch-hypophysär-testikulärer
Zellen verharren im Riechepithel und können die
Regelkreis
Hypophyse nicht wirksam stimulieren.
Spermatogenese und Hormonbildung im Hoden
unterliegen der endokrinen Regulation durch die Gonadotropine
Gonadotropine follikelstimulierendes Hormon Die Gonadotropine LH und FSH gehören zu der
(FSH) und luteinisierendes Hormon (LH). Synthese Gruppe der Glykoproteine. Wie andere Vertreter
und Ausschüttung der Gonadotropine im Hypo- dieser Gruppe, zu der auch das schilddrüsenstimu-
physenvorderlappen wird durch die pulsatile lierende Hormon (TSH) und das humane Chorion-
GnRH -Sekretion auf hypothalamischer Ebene ge- gonadotropin (hCG) gehören, besitzen die Gonado-
steuert (Abb. 6-8). Unter dem Einfluss des pulsatil tropine als Heterodimere eine gemeinsame a-Unter-
freigesetzten LH sezernieren die interstitiellliegen- einheit und 2 unterschiedliche spezifische ß-Unter-
den Leydig-Zellen im Hoden das Steroidhormon einheiten. Nur als Dimer können die nichtkovalent
Testosteron, das für Knochen- und Muskelaufbau, gebundenen a- und ß-Untereinheiten am Rezeptor
Haarwuchs, die Funktion der männlichen Repro- die physiologische Reaktion der Steroidsynthese
duktionsorgane und für eine normale Sexualität un- bzw. Keimzellreifung hervorrufen. Dabei können
entbehrlich ist. Testosteron hemmt die pulsatile physiologisch oder pharmakologisch induzierte
GnRH- und LH-Sekretion im Hypothalamus bzw. Veränderungen in der Glykosylierung des Protein-
im Hypophysenvorderlappen. FSH stimuliert über anteils unterschiedliche Bindungsaffinitäten bewir-
die Sertoli-Zellen die Spermatogenese. Die Proteo- ken und somit die biologische Wirksamkeit beein-
6.2 Physiologie 247

IHypoph~el
~ + l:;:l

~ ± Aktrvin
I
+

Spermatiden

Abb. 6-8. Darstellung der hormonellen Steuerung der Ho- gen von Testosteron/FSH auf die Gametogenese über die
denfunktion und der Wirkung der Androgene. Schlüssel- somatischen Sertoli-Zellen vermittelt wird. Die Hoden und
hormone sind das luteinisierende Hormon (LH) und das das hypothalamisch-hypophysäre System kommunizieren
folikelstimulierende Hormon (FSH), deren Synthese und über Steroid- und Proteohormone. Testosteron wirkt hem-
Sekretion durch das hypothalamisehe gonadotropinfreiset- mend auf die Ausschüttung von GnRH und Gonadotropinen.
zende Hormon (GnRH) gesteuert wird. Zwischen den Samen- Inhibin und Follistatin unterdrücken selektiv die hypophysäre
kanälchen (Tubuli seminiferi) liegen die Leydig-Zellen, die un- FSH-Freisetzung, während Aktivin diesen Prozeß stimuliert.
ter dem Einfluß von LH das Testosteron synthetisieren und Neben der Wirkung auf die Gametogenese spielt das Testoste-
sezernieren. Testosteron wirkt stimulierend auf die Keimzell- ron eine bedeutende Rolle beim Haarwuchs, Knochenstoff-
reifung in den Samenkanälchen. FSH wirkt direkt auf die Sa- wechsel, Muskelaufbau, der Ausbildung der sekundären Ge-
menkanälchen. Innerhalb des Keimepithels sind nur die Ser- schlechtsmerkmale und der Funktion der männlichen Repro-
toli-Zellen mit Rezeptoren für Testosteron und FSH ausgestat- duktionsorgane. (Aus Weinbauer et al. 1996)
tet. Deshalb wird angenommen, daß die trophischen Wirkun-
248 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

Physiologisches Muster Unphysiologisches Muster

kont1nuierl1ch
~
c:
f-- - - - - - - -
"' ~--------

GnRH Analoga
(Rezeptorl -Blockade)

Gonadotropin-
sekretion

TESTIS

Abb. 6-9. Bedeutung des pulsatilen Musters der GnRH-Se- schüttung und damit die Hodenfunktion. Eine Blockade der
kretion für die Gonadotropinfreisetzung und die Hodenfunk- Rezeptoren für endogene GnRH durch GnRH-Analoga führt
tion. Unphysiologisch hohe GnRH-Frequenzen oder die kon- ebenfalls zur Suppression der Hodenfunktion. (Aus Wein-
tinuierliche Gabe von GnRH hemmen die Gonadotropinaus- bauer et al. 1996)

flussen. Im Hoden wird FSH zur Entwicklung der setzung von Zytochrom P450 SSC führt. Das Zwi-
Samenkanälchen und Initiierung der Spermatoge- schenprodukt Pregnenolon gelangt ins endoplasma-
nese während der Pubertät benötigt. Auf den die tische Retikulum, wo die restlichen Syntheseschritte
Keimzellen umgebenden Sertoli-Zellen befinden überwiegend auf dem 115-Weg und weniger auf dem
sich entsprechend Rezeptoren für FSH. Die AuE- 114-Weg ablaufen. Pregnenolon wird anschließend
rechterhaltung der Spermatogenese verlangt hohe zu Progesteron dehydriert. Der 114-Syntheseweg
intratestikuläre Androgenspiegel, die durch die führt über die Zwischenstufe 17a-Hydroxyprogeste-
LH -Sekretion gewährleistet werden. ron. Wird die Seitenkette abgespalten, so entsteht
Androsten-3,17-dion und durch weitere Reduktion
am C-17-Atom das Testosteron. Im 115-Syntheseweg
Androgene
erfolgt die Synthese von Testosteron über die
Mehr als 95 o/o der im Blut vorkommenden Andro-
Zwischenstufen 17-Hydroxypregnenolon und Dehy-
gene stammen aus dem Hoden, der 6-7 mg Testo-
droepiandrosteron. Die normale Konzentration des
steron pro Tag synthetisiert. Die restlichen Andro-
Testosterons im peripheren Blutserum des erwach-
gene werden in der Nebenniere gebildet. Neben
senen Mannes beträgt 12-30 nmol/1. Testosteron
Testosteron als wichtigstem Androgen werden
wird in zirkadianer Rhythmik ins Blut abgegeben.
im Hoden auch die weniger potenten Sexualstero-
Die höchsten Werte werden in den Morgenstunden
ide Androstendion und Dehydroepiandrosteron
gemessen und fallen im Laufe des Tages um bis zu
(DHEA) gebildet. Die Synthese der Androgene be-
35 o/o ab, um gegen Mitternacht erneut anzusteigen
ginnt mit der Freisetzung von Cholesterin aus Lipid-
(Abb. 6-10).
tröpfchen innerhalb des Zytoplasmas. Cholesterin
gelangt von dort zur inneren Mitochondrienmem-
bran, wo es durch das Enzym Zytochrom P450 SSC Hormontransport
("side chain cleavage") zu Pregnenolon metaboli- Im Plasma wird Testosteron überwiegend in pro-
siert wird. Die Expression dieses Enzyms aus der teingebundener Form transportiert. Im Blut norma-
Gruppe der Monooxygenasen wird durch LH regu- ler Männer liegen nur 2 o/o des Testosterons unge-
liert und stellt die zentrale Substanz bei der Steroid- bunden vor. 44 o/o sind an das sexualhormonbinden-
ogenese dar. LH bindet an einen spezifischen Ober- de Globulin (SHBG) und 54 o/o an Albumin gebun-
flächenrezeptor der Leydig-Zelle und aktiviert über den. Die Dissoziation des Testosterons vom
ein GTP-bindendes Protein (G-Protein) die benach- Bindungsprotein erfolgt in den Kapillaren. Das
barte Adenylzyklase, was zu einer vermehrten Frei- SHBG ist ein hepatisches Protein, das neben Testo-
6.2 Physiologie 249

LH · Rezeptor

Adenylzyklase

3f3-Hydroxysteroid- (H 3

&l
dehydrogenase I

Endoplasmatisches 0 Progesteron CH 3
I
Retikulum
1H, 170!-Hydroxylase CO
CO
~-00
~I
~-OH
0

l 17 -0H -
HO
! 17 -0H ·

H0~ ~ 0
Progesteron

, ~ 17,20-D.,molo"

0
Androstendion ! Dehydro-
epiandrosteron
OH

"'~
1 7f3-Hydroxysteroid-
dehydrogenase

And rostend iol

3f3-Hydroxysteroid·
OH dehydrogenase

0
~ Testosteron

.:l 4 - Syntheseweg .:l5 - Syntheseweg

Abb. 6-10. Stereoidbiosynthese in der Leydig-Zelle des sehen Modifikationen und deren Lokalisation einfacher
Hodens. Durch eine Aktivierung der Adenylzyklase durch nachvollzogen werden können, sind die C-Atome im
LH wird die Biosynthese induziert. Ausgangssubstanz ist Cholesterin exemplarisch nummeriert. (Aus Weinbauer et
Cholesterin oder Azetat. Damit die verschiedenen enzymati- al. 1996)
250 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

steron auch andere 17ß-hydroxylierte Steroide, in- stata. Veränderungen in den Eigenschaften der
klusive Östradiol, bindet. Die Konzentration von Typ-2,5a-Reduktase durch Mutationen können
SHBG im Serum unterliegt der hormonellen Regu- beim Mann zu Formen des Pseudohermaphroditis-
lation. Die Sekretion wird durch Östrogene gestei- mus masculinus führen (Abb. 6-11).
gert und durch Androgene supprimiert.
Wirkungsmechanismus der Androgene
Androgenmetabolismus SHBG und Albumin geben das locker gebundene Te-
Sezerniertes Testosteron wird in der Leber durch stosteron in den Kapillaren der androgenabhängi-
Oxidation zu ,14-Androstendion und durch Reduk- gen Organen an die Zielzellen ab. Das aktive intra-
tion zu einer Reihe von Sa- oder Sß-reduzierten Ste- zelluläre Hormon hängt dabei vom Zelltyp ab. Die
roiden metabolisiert. Die reduzierten Metabolite Zellen der Reproduktionsorgane wandeln Testoste-
werden mit Glukuroniden oder Sulfaten konjugiert ron zu Sa-Dihydrotestosteron (DHT) um, Muskelge-
und mit dem Urin als unwirksame Substanzen aus- webe verbraucht Testosteron direkt. Fettgewebe,
geschieden. Die wichtigsten aus Testosteron meta- Knochen, bestimmte Hirnareale und andere Gewebe
bolisierten Hormone sind das biologisch hochaktive aromatisieren Testosteron zu Östradiol. Die Wir-
Sa-Dihydrotestosteron (DHT) und das durch Aro- kungen von Testosteron, DHT und Östradiol bedarf
matisierung entstehende Östradiol. Die Reduktion einer regelrechten Expression entsprechender Stero-
von Testosteron zu DHT erfolgt durch das Enzym idhormonrezeptoren. Das Gen für den Androgenre-
Sa-Reduktase, das in 2 Isoformen vorliegt. DHT zeptor ist auf dem X-Chromosom lokalisiert und er-
ist das eigentlich aktive Androgen in vielen Zielge- streckt sich über einen Bereich von 90 Kilobasen.
weben und fördert dort Wachstum und Differenzie- Der Androgenrezeptor gehört zu einer einheitlichen
rung als Voraussetzung für eine ungestörte Ge- Rezeptorgruppe, der auch die Rezeptoren für Östro-
schlechtsentwicklung und Virlisierung. Typ-1 ,Sa- gene, Schilddrüsenhormone, Vitamin D und Vit-
Reduktase wird in Haut, Leber und Gehirn gefun- amin A angehören. Wie bei allen Steroidrezeptoren
den, Typ-2,5a-Reduktase in Nebenhoden und Pro- besteht die DNS-bindende Domäne des Androgen-
rezeptors aus 2 Zinkfingern (s. Abb. 6-12). Dieser
Rezeptortyp ist im Zellkern lokalisiert und wirkt
als ein durch Liganden aktivierbarer Transkriptions-
faktor. Der lipophile Charakter der Androgene er-
möglicht die Diffusion in den Zellkern, wo diese
an ihren spezifischen Rezeptor binden können.
Der dimerisierte Hormonrezeptorkomplex bindet
17ß-Östradiol So:- Dihydrotestosteron
an spezifische DNA-Sequenzen ("hormone response

Y.
element") in der Promoterregion der durch Andro-
Aktive gene regulierten Gene. Der Androgenrezeptorkom-
Metaboliten plex bewirkt im gebundenen Zustand strukturelle
Veränderungen der DNA und interagiert mit den
die Genexpression beeinflussenden Proteinen. Die

0~
Funktion des Androgenrezeptors kann durch Dele-
tionen oder Mutationen erheblich gestört werden.
Das Fehlen des Androgenrezeptorgens bei männli-
- - - - - - - - - - - - - - - -Testosteron - - - - - - chem Genotyp führt zur Ausbildung eines weibli-
chen Phänotyps.

1 CH OH
y- Koojog,.ioo Biologische Wirkungen der Androgene
Das männliche Erscheinungsbild hängt im Wesent-
Inaktive
Metaboliten - - Hydroxylation
lichen von der Wirkung der Androgene ab. Durch
die Gabe von Androgenen kann eine äußere Virili-
sierung bei Frauen erzeugt werden, wie sich bei der

Y
Konjugation --+ 0 Androgentherapie transsexueller weiblicher Patien-
ten eindrucksvoll zeigen lässt (Frau-zu-Mann-
!ydroxylation Transsexualität, s. Abschn. 6.22). Androgene sind
Reduktion für Entwicklung und Aufrechterhaltung der sekun-
Abb. 6-ll. Verschiedene Möglichkeiten des Testosteronme- dären Geschlechtsmerkmale, die männliche Libido,
tabolismus. (Aus Rommerts 1998) die ungestörte Funktion der Spermatogenese und für
6.2 Physiologie 251

X-Chromosom q

lntron 1 3'
Gen
~20 >15 26
Exon lntrongroße (kbp)

mRNA
Exongroße (bp) 1613 152 117 288 145 131 158 155

N-terminale DNA-bindende Hormon-bindende


Domäne

Protein NH 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . .~ COOH

Abb. 6-12. Die chromosomale Lokalisation des Androgen- gestellt, die jeweiligen lntrongrößen sind darunter ange-
rezeptors, der Aufbau des Gens und des Proteins des An- geben. Exon I kodiert die N-terminale Region, Exon 2-3 die
drogenrezeptors. Oben: Das Gen für den Androgenrezeptor DNA-bindende Domäne und Exon 4-8 die steroidbindende
befindet sich in der perizentrischen Region des Chromosoms Domäne. Unten: Schematische Darstellung des Androgen-
Y auf Xqll-12. Mitte: Das ganze Gen umfaßt eine Region von rezeptorproteins mit den verschiedenen funktionellen Do-
etwa 90 Kilobasenpaaren (kbp) auf der genorniseben DANN. mänen. (Aus Weinbauer et al. 1996)
Die verschiedenen Exons sind durch die Kästen 1-8 dar-

die Rückkopplung auf die Hypothalamus-Hypophy- Bei Männern mit 5a-Reduktasemangel findet kein
sen-Achse verantwortlich. Neben der Wirkung auf Wachstum der Prostatatrotz hoher Testosteronspie-
die Sexualfunktionen besitzen die Androgene ent- gel statt.
scheidende Einflüsse auf die Formung des Muskel-
Skelett-Apparates, den Lipidstoffwechsel, die Ery- Die benigne Prostatahyperplasie (BPH) geht jedoch
thropoese und viele andere Organe wie Haut und auch mit erhöhten Östradiolwerten im Stroma ein-
Nieren. Die Symptomatik des Androgenmangels her.
hängt vom Zeitpunkt des Eintretens bzw. vom
Manifestationsalter ab (Tabelle 6-1).

Tabelle 6-1. Symptomatik des Hypogonadismus in Abhängigkeit vom Manifestationsalter. (Aus: Behre et al. 2000)

Betroffenes Vor Nach


Organ/funktion abgeschlossener Puhertat ahgcschlosscncr Pubertät

Kehlkopf Au bleibende Stimulation Keine Änderung der Stimme


Behaarung Horizontale Pubeshaargrenze, gerade achlassende sekündäre
Stirnhaargrenze, mangelnder Bartwuchs Geschlechtsbehaarung
Haut Fehlende ebumproduktion. ausbleibende Fehlende ebumproduktion, Atrphie,
Akne, Blä se, HautfalteJung Blä se, HautfalteJung
Knochen Eunuchoider Hochwuchs, Osteoporose Osteoporose
Knochenmark Leichte Anämie Leichte Anämie
Mu kulatur Unterentwickelt Atrophie
Prostata Unterentwickelt Atrophie
Peni Infantil Keine Größenänderung
Hoden Evtl. Hodenhochstand, kleines Volumen Hodenvolumenabnahme
Spermatogenese Nicht initiiert Si tiert
Libido und Potenz Nicht entwickelt Verlust
252 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

Wirkung auf die Geschlechtsorgane dichte unabhängig vom Alter erhöht (Abb. 6-13).
In den Nebenhoden, Samenblasen und den Samen- Das Längenwachstum der Knochen während der Pu-
leitern führt Mangel an Testosteron zu einer Atro- bertät wird durch Steroidhormone gesteuert, mit
phie des sekretorischen Epithels, was letztlich eine einem Verschluss der Wachstumsfugen bei anstei-
Aspermie (fehlendes Ejakulat) bewirkt. genden Werten. Ein männlicher Patient mit einer
Für ein normales Peniswachstum sind Testoste- den Östrogenrezeptor inaktivierenden Mutation
ron und DHT notwendig. Das Peniswachstum kor- zeigt einen stark verzögerten Verschluss der Epiphy-
reliert mit den ansteigenden Testosteronkonzentra- senfuge mit entsprechendem Hochwuchs. Mögli-
tionen während der Pubertät. Die einmal erreichte cherweise beruht die Androgenwirkung beim Kno-
Endgröße des Penis bleibt auch durch therapeuti- chenstoffwechsel zum größten Teil auf der Aroma-
sche evtl. weitere Testosteronsubstitution unbeein- tisierung zu Östradiol. Unterstützt wird diese Ver-
flusst. Zur Unterhaltung der regelrechten männli- mutung durch die Veröffentlichung über einen
chen Sexualfunktionen sind jedoch dauerhafte phy- Patienten mit Aromatasemangel, bei dem ein über-
siologischen Testosteronspiegel unabdingbar. steigertes Körperwachstum aufgrundeines verspäte-
ten Epiphysenverschlusses nicht durch eine Andro-
• Wirkung auf die Muskulatur. Im Unterschied zu gentherapie, sondern erst durch eine Östrogenthera-
den akzessorischen Geschlechtsdrüsen liegt in der pie zum Stillstand gebracht werden konnte.
Muskulatur eine weit niedrigere Sa-Reduktaseakti-
vität vor. In der glatten und quer gestreiften Musku- • Wirkung auf die Sebumproduktion. Die Sebum-
latur vermittelt Testosteron über eine direkte Rezep- produktion durch die Talgddrüsen der Haut ist
torwirkung eine Hypertrophie der Muskelfibrillen, hauptsächlich durch DHT vermittelt. Entsprechend
ohne deren Zahl zu erhöhen. Testosteron stimuliert der lokalen Aktivität der Sa-Reduktase kommt es zu
die Zellen der glatten, quer gestreiften aber auch der einer starken Sebumproduktion vor allem im Be-
kardialen Muskulatur zur vermehrten Glykogen- reich des Gesichtes, der Kopfhaut, des Rückens
synthese mit entsprechend gesteigerter mRNS-Syn- und der Brust. Die Entwicklung einer Akne wird
these. durch hohe Testosteronspiegel gefördert. Im Gegen-
satz dazu gilt eine Kombination aus einem Gestagen
• Wirkung auf das Skelett. Endogene und substitu- und Ethinylöstradiol, wie sie in oralen Kontrazepti-
ierte Östrogene schützen vor der Entwicklung einer va vorliegt, als eine effektive Medikation zur Be-
Osteoporose bei der Frau. Ebenso sind physiologi- handlung der Akne vulgaris bei der Frau.
sche Androgenspiegel für die Aufrechterhaltung
einer normalen Knochendichte verantwortlich, was • Wirkung auf die Haarentwicklung. Die Auswir-
daran erkennbar ist, dass in hypogonadalen kungen von DHT und Testosteron auf die Haarent-
Männern eine Testosterontherapie die Knochen- wicklung sind von der Androgensensitivität der

240
200
160
120
M

E
u
..... 100
.s
0\
gennges
41
Frakturns1ko
80
~
-o
c
41
L 60
~ FrakturriSikO
c
:.:: stark erhöht
40

20
vor 2 4 6 8 10 12 14 16
Therapie
Dauer der Testosterontherapie (Jahre)

Abb. 6-13. Zunahme der Knochendichte während der Lang- Testosterontherapie erhalten zum Zeitpunkt der ersten
zeittestosteronsubstitutionstherapie bis zu 16 Jahren bei 72 qCT-Messung. Die dunkle schattierte Fläche zeigt den Bereich
hypogonadalen Patienten. Kreise bedeuten hypogonadale mit hohem Knochenbruchrisiko an, die helle schattierte
Patienten mit erster quantitativer Computertomographie Fläche zeigt den Übergangsbertich an, in dem Knochenbrüche
(qCT)-Messung vor Beginn der Testosteronsubstitutions- auftreten können. (Aus Behre et al. 1997)
therapie, Quadrate zeigen die Patienten, die inzwischen die
6.2 Physiologie 253

Haarfollikel abhängig. Während die Achsel- und • Wirkung auf die Erythropoese. Testosteron för-
untere Schambehaarung schon auf geringe Andro- dert die Erythropoese über eine rezeptorgesteuerte
genkonzentrationen mit Wachsturn reagieren Erythropoetinsynthese. Androgene wirken auch di-
kann, sind für das Wachstum des Bartes, der oberen rekt auf die bärnatopoetischen Stammzellen ein und
Schambehaarung und der Brustbehaarung höhere führen zu einer gesteigerten Synthese von Häm und
Androgenkonzentrationen verantwortlich. Globin. Testosteronmangel bewirkt eine Reduktion
der Hämatopoese mit einem Rückgang der Parame-
• Wirkung auf das Kehlkopfwachstum. Testoste- ter Hämoglobin und Hämatokrit, sodass Hypogona-
ron induziert während der Pubertät das Wachstum dismus mit einer leichten Anämie einhergeht.
des Kehlkopfes, das mit einer Größen- und Längen-
zunahme der Stimmbänder einhergeht. Im 16. bis • Wirkung auf das Gefäßsystem. Auswirkungen
19. Jahrhundert wurden Kastrationen bei präpuber- von Testosteron auf das Gefäßsystem sind Gegen-
tären Sängerknaben durchgeführt, um eine hohe stand intensiver Forschung. Die Inzidenz der koro-
und voluminöse Sopranstimme zu erhalten. Bei naren Herzerkrankung (KHK) ist bei Männern si-
Frauen kann auch noch später durch Androgene gnifikant höher als bei prämenopausalen Frauen.
eine tiefere Stimme hervorgerufen werden. Auch Diese Geschlechtsunterschiede wurden der Steroid-
im Rahmen einer Pubertätsinduktion bei einer hormonwirkung auf das Lipidprofil zugeschrieben.
Pubertätsverzögerung oder einem idiopathischen In einer Testosteronsubstitutionsstudie mit gesun-
hypogonadotropen Hypogonadismus führt Testo- den, normogonadalen Männern konnte kein stimu-
steron nachträgliche zur Vertiefung der Stimmlage. lierender Effekt auf Triglyzeride, Gesamtcholesterin
und "Low-density-Lipoproteine" (LDL) festgestellt
• Wirkung auf das ZNS. Im zentralen Nervensy- werden. Möglicherweise wird die relative Häufung
stem (ZNS) bindet Testosteron an spezifische Rezep- der kardiavaskulären Erkrankungen auch durch an-
toren. Ähnlich wie in anderen Organen kann es auch dere Mediatoren, wie z. B. eine Verminderung des
im ZNS zu Sa-Dihydrotestosteron (DHT) reduziert Tissue-Plasminogen-Aktivators oder des Lipopro-
und zu Östrogenen aromatisiert werden. Die enzy- tein A bewirkt.
matische Aktivität variiert in den verschiedenen An-
teilen des zentralen Nervensystems. Die Aktivität der
Lokale testikuläre Regulationsvorgänge
Sa-Reduktase ist während der perinatalen Phase be-
Neben der Steuerung der Hodenfunktion durch
sonders hoch, was auf eine mögliche Rolle des DHT
übergeordnete Zentren erfolgt auch eine parakrine
bei der neuronalen Verknüpfung hinweist. Testoste-
testikuläre Regulation der Steroid- und Gametoge-
ron hat ausgeprägte psychotrope Effekte. Eine nor-
nese. Die Bedeutung der lokal produzierten Fakto-
male körperliche und geistige Leistungsfähigkeit
ren liegt in der Modulation der Wirkung von Gona-
und Aktivität stehen ebenso wie eine gute Stim-
dotropinen und des Testosterons. Die Zahl der in
mungslage und Selbstwertgefühl in enger Beziehung
den letzten Jahren beschriebenen lokalen Faktoren
zu normalen Androgenspiegeln. Die Häufigkeit
hat enorm zugenommen und umfasst so unter-
bzw. das Vorhandensein sexueller Phantasien, mor-
schiedliche Substanzen wie Wachstumsfaktoren,
gendlicher Erektionen, die Masturbations- und Ko-
immunologischen Faktoren, Opioide, Oxytozin, Re-
itusfrequenz und die sexuelle Aktivität korrelieren
nin, Angiotensin, GnRH, CRH und ACTH. Die aus
eng mit dem Testosteronspiegel im normalen bis
In -vitro-Versuchen stammenden Ergebnisse lassen
subnormalen Bereich. Androgene spielen auch
meist keinen Rückschluss auf ihre physiologische
eine kritischen Rolle für die kognitiven Funktionen
Bedeutung zu. Testosteron ist bislang die einzige
des Mannes (z. B. mathematische und verbale Fähig-
Substanz, für die der Nachweis einer physiologi-
keiten). Ein Androgenmangel hingegen ist häufig
schen Relevanz als lokaler Faktor für die Gametoge-
vergesellschaftet mit Antriebsschwäche, Lethargie,
nese beim Mann sicher geführt werden konnte.
depressiven Verstimmungen, Libidoverlust und se-
xueller Inaktivität.
Spermatogenese
• Wirkung auf den Stoffwechsel der Leber. Der Der Prozess der Spermatogenese beinhaltet die Bil-
Stoffwechsel der Leber wird durch Steroidhormone dung von Spermien aus teilungsfähigen Stammzel-
beeinflusst. Die geschlechtsspezifischen quantitati- len (Spermatogonien). Es können 3 nacheinander
ven Unterschiede für die hepatischen Enzymsysteme ablaufende Abschnitte unterschieden werden:
werden teilweise durch die antagonistische Wirkung e Die mitotische Proliferation und Differenzierung
der beiden Steroide erklärt. Testosteron und Östro- der diploiden Keimzellen (Spermatogonien).
gene können aber auch synergistische Effekte auf- e Die meiotische Reifeteilung der tetraploiden
weisen, wie z. B. beim a 1-Antitrypsin. Keimzellen (Spermatozyten)
254 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

@ ( Urkeimzelle notwendigen Informationen und konnten erfolg-


reich zur Induktion von Schwangerschaften mit
wandert in d1e Gonade der Technik der intrazytoplasmatischen Injektion
(ICSI) verwendet werden.
( Spermatogonie

m1tousche Teilungen von


d 1plo1den Spermatogon1en
6.3
Andrologische Diagnostik

6.3.1
( Pnmäre Spermatozyte Anamnese

Neben einer allgemeinen Anamnese ist insbeson-


dere bei bestehender Infertilität eine Partneranam-
@ @( Sekundäre Spermatozyte
nese unabdingbar, wobei auf eventuelle Zyklus-
anomalien, vorausgegangene Schwangerschaften,
allgemeine und gynäkologische Erkrankungen und

00@) (@) @ @ ( Runde Spermatiden


die Durchgängigkeit der Eileiter eingegangen wer-
den muss. Die stets durchzuführende Familien-
anamnese mit dem Anlegen eines Stammbaums
beider Partner gibt wichtige Hinweise auf mögliche
vererbbare Erkrankungen und familiäre Dispositio-
Elongat ion
nen, wie z. B. die zu erwartende Körperendgröße.
9 Eleng ierte Spermatiden
Folgende Übersicht gibt die spezifische Anamnese
bei andrologischen Patienten wieder.
(Spermatozoen)

Spezifische Anamnese
Abb.6-14. Schematische Darstellung der Gametogenese bei andrologischen Patienten
beim Mann. Aus Gründen der Ubersichtlichkeit ist der Ent-
wicklungsgang nur für eine Spermatogonie dargestellt. Der
Entwicklungsprozeß von der Spermatogonie bis zum Sper- • Störungen im Wachstums- und Pubertätsverlauf
mium nimmt etwa 74 Tage in Anspruch. Der menschliche Ho- • Testikuläre Lageanomalien
den produziert täglich 200-300 Mi!!. Spermien. Beim Mann • Entzündliche Erkrankungen im Bereich Hodens
entstehen aus einer pachytänen Spermatozyte im Schnitt
zwei runde Spermatiden. Die Spermatiden teilen sich nicht und Nebenhodens
mehr, sondern differenzieren in elangierte Spermatiden. • Geschlechtskrankheiten
(Aus Weinbauer et al. 1996) • Traumata im Bereich des Genitale oder des Schä-
dels (Hypophyse, Hypothalamus)
• Dauer des Kinderwunsches bzw. Zeit bis zum Ein-
• Die Transformation der haploiden Keimzellen treten einer früheren Schwangerschaft
(Spermatiden) in Spermien (Abb. 6-14). • Vita sexualis (Libido, Erektionsstörungen, Ma-
sturbations- bzw. Koitusfrequenz)
Die Spermatogonien liegen basal im Keimepithel • Fragen nach weiteren Zeichen des Androgenman-
und werden als Typ A und Typ B klassifiziert. Die gels (s. Abschn. 6.2. und 6.3, z. B. auch depressive
Typ-A-Spermatogonien zeigen unter normalen Um- Verstimmung)
ständen keine Proliferationsaktivität. Aus den Typ-
B-Spermatogonien entstehen die tetraploiden Sper-
matozyten. Aus den beiden Phasen der Reifeteilung
gehen haploide Keimzellen hervor, die Spermatiden.
Die Prophase der Meiose I dauert 1-3 Wochen, wäh- 6.3.2
rend die restlichen Phasen der Meiose I und die ge- Körperliche Untersuchung
samte Meiose II innerhalb von 1-2 Tagen ablaufen.
Die Spermatiden sind runde und teilungsaktive Zel- Die sich an die Erhebung der Anamnese anschlie-
len und durchlaufen in der Spermiogenese eine ßende körperliche Untersuchung berücksichtigt
komplizierte Transformation zu ausdifferenzierten, den gesamten Organismus, insbesondere jedoch
elangierten Spermatiden (Spermien). Runde Sper- die Genitalorgane und sekundären Geschlechts-
matiden enthalten bereits alle für die Befruchtung merkmale (s. Ubersicht).
6.3 Andrologische Diagnostik 255

Körperliche Untersuchung

e Geschlechtsorgane:
Testes und Nebenhoden (Konsistenz, Lage,
Größe, Anwendung des Orchidometers)
Ductus deferentes (evtl. Aplasie)
Plexus pampiniformis (evtl. Varikozele)
Penis (Deformationen, Urethramündung,
Phimose)
Prostata (Größe, Konsistenz)
• Körperproportionen:
Verhältnis Unter- zu Oberlänge und Spannweite
zu Körperlänge (Norm 1: 1)
Fettverteilung und Muskulatur
Brustdrüse (Gynäkomastie/Liparnastie) Abb. 6-16. Varikozele 111. Grades
• Behaarung:
Bartwuchs (Ausdehnung, Dichte, Rasurhäufig-
keit) Beurteilung der Binnenstruktur der Hoden kommt
Stirnhaargrenze (Geheimratsecken) vor allem eine besondere Bedeutung hinsichtlich
Achsel-, Thorax-, Extremitäten- und der Tumordiagnostik zu. Mit Hilfe der Sonographie
Pubesbehaarung gelingt es auch intratestikuläre, noch nichtpalpable
• Larynx und Stimmlage: Tumoren zu erfassen (Abb. 6-15). Ebenso können
Adamsapfel, Stimmbruch ultrasonographische Veränderungen der Neben-
• Riechvermögen hoden Hinweise auf akute und entzündliche Vor-
gänge geben. Die Vergrößerung des Gefäßdurch-
schnitts der V. testicularis beim Valsalvaversuch,
wie man es typischerweise bei der Varikozele be-
obachtet, kann sonographisch erfasst werden
6.3.3
(Abb. 6-16).
Technische Verfahren
• Transrektale Sonographie. Die transrektale So-
Sonographie
nographie der Prostata ist Bestandteil der Diagno-
• Die Sonographie des Skrotalinhaltes. Die Sono-
stik der Prostatitis, der benignen Prostatahyper-
graphie des Skrotalinhaltes ist aufgrund ihrer hohen
plasie und des Prostatakarzinoms und wird zur
Sensitivität, Spezifität und nebenwirkungsfreien
Therapieüberwachung der Testosteronsubstituti-
Anwendung integraler Bestandteil jeder andrologi-
onstherapie eingesetzt. Durch die transrektale Sa-
schen Untersuchung. Sie ermöglicht eine exakte Be-
menblasensonographie können neben Samen-
stimmung des Hodenvolumens und die Erfassung
blasenagenesie oder -aplasie auch andere Samen-
palpatorisch nicht beurteilbarer Hydrozelen. Der
blasendysfunktionen erfasst werden, evtl. durch
die vergleichende Untersuchung vor und nach Eja-
kulation.

• Farbkodierte Duplexsonographie. Anhand der


farbkodierten Duplexsonographie lässt sich der pa-
thologische Rückfluss des Blutstroms im Plexus
pampiniformis bei Vorliegen einer Varikozele sieht-
bar machen.

• Weitere bildgebende Verfahren. Beim Verdacht


auf pathologische Prozesse im Hypophysen- oder
Hypothalamusgebiet ist die Magnetresonanztomo-
graphie (MRT) Methode der Wahl und der Compu-
tertomographie (CT) überlegen. Bei Verdacht auf
Kryptorchismus oder ein- oder beidseitige Anarchie
und fehlendem Sonographischen Nachweis testiku-
Abb. 6-15. Kleines Seminom in der Sonographischen Dar-
stellung lären Gewebes im Skrotum und Inguinalkanal muss
256 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

die Magnetresonanztomographie des Abdomens spezifisch an das sexualhormonbindende Globulin


eingesetzt werden. Bei jüngeren Patienten mit Hypo- (SHBG). Nur etwa 2% des freien Testosterons ste-
gonadismus und Jungen mit Pubertas tarda wird aus hen unmittelbar für die biologische Wirkung zur
der Knochenkonstellation und den Epiphysenfugen Verfügung (s. Abschn. 6.2.). Die Testosteronwerte
der linken Hand das Knochenalter röntgenologisch im Speichel (Normalwert 200-500 pmol/1) korrelie-
bestimmt. Folgende Übersicht gibt verschiedene ren mit dem freien Testosteron im Serum. In einigen
Knochendichtemessverfahren wieder. Situationen, z. B. bei der Hyperthyreose oder unter
Einnahme von Antiepileptika, zeigt sich kein An-
Knochendichtemessverfahren stieg des freien, biologisch wirksamen Testosterons
• DPA ("dual photon absorptiometry") bei gleichzeitiger Erhöhung des Gesamttestosterons.
• DXA ("dual energy X-ray absorptiometry") Bei extremer Adipositas sinkt die Gesamttestoste-
• QCT (quantitative Computertomographie) ronkonzentration mit der des SHBG, sodass die freie
z. B. der LWK Fraktion im Normalbereich bleibt.
• pQCT (periphere QCT z. B. am Radius)
• hCG-Test. Durch die Stimulation mit humanem
Choriongonadotropin (hCG) kann die endokrine
Kapazität der Testes überprüft werden. Die Domäne
6.3.4 des hCG-Tests ist die Differentialdiagnose zwischen
Laboruntersuchungen Anorchie (fehlender Testosteronanstieg) und Kryp-
torchismus (vorhandener doch oft eingeschränkter
Endokrinalogische Diagnostik Anstieg; Tabelle 6-2).
• Testosteron. Bei der Beurteilung der ermittelten
Testosteronwerte müssen Tagesschwankungen - • LH und FSH. Zusammen mit niedrigen basalen
morgendliche Werte liegen im Schnitt 20 % höher Testosteronwerten kann die Bestimmung von LH
als abendliche - und kurzfristige Oszillationen be- und FSH im Serum Aufschluss über den Ursprung
rücksichtigt werden. Kurze intensive körperliche eines eventuellen Hypogonadismus geben. Hohe
Anstrengung kann zu einer Erhöhung, längerfristi- Werte weisen auf eine testikuläre (primärer Hypo-
ge, erschöpfende körperliche Arbeit zu einem Ab- gonadismus), niedrige auf eine zentrale Ursache
fall der Serumkonzentration führen. Normalerweise hin (sekundärer Hypogonadismus) hin. Die Be-
genügt die orientierende Bestimmung in der ersten stimmung von FSH ist ferner bei subnormalen Eja-
Tageshälfte (s. Übersicht). kulatbefunden indiziert, um Aufschluss über die
Störung der Spermatogenese zu erhalten. Zur Diffe-
Referenzbereiche für Testosteron renzierung von niedrig normalen und pathologisch
erniedrigten LH und FSH empfiehlt sich der Einsatz
• Morgendliche basale Konzentration erwachsener von hochsensiblen Immunofluoroassays. Hohe IR-
Männer Konzentrationen in Verbindung mit einem hohen
Serum: 12-30 nmol/1 (3,5-8,6 ng/ml) Testosteronwert können einen Hinweis auf einen
• Kastraten und Jungen vor der Pubertät Androgenrezeptordefekt geben (s. Abschn. 6.14
Serum: 1-4 nmol/1 (0,3-1,2 nglml) und 6.15). Erhöhte FSH- Werte geben einen Hinweis
Umrechnungsfaktor: ng/ml x 3,467 = nmol/1) auf eine Störung der Spermatogenese. Hohe FSH-
Werte in Gegenwart kleiner ( < 6 ml) und fester Te-

Praktisch jede schwere Erkrankung, insbesondere


der Leber, der Niere und des Kreislaufsystems sowie Tabelle 6-2. Durchführung des hCG-Tests. Kontraindikatio-
nen und Nebenwirkungen des hCG-Tests sind nicht bekannt.
Stress, Narkose, Drogen und Medikamente können Beurteilung des hCG-Tests: Bei einer Anarchie fehlt im Gegen-
zu einem Abfall des Testosterons führen. Nikotin satz zum Kryptorchismus der Anstieg des im Kastratenbereich
beeinflusst Testosteron nicht. Bei älteren Männern liegenden Testosterons
werden gehäuft niedrigere Werte gefunden. Dabei
Frequenz
handelt es sich nur zum Teil um einen physiologisch
bedingten Abfall. Niedrige Testosteronwerte im 0h Abnahme einer Basalblutprobe für Testo teron
höheren Alter werden eher durch die Häufung zwischen 8.00 und 10.00 Uhr morgens mit
anschließender Gabe von 5.000 I. E. hCG intra-
von verschiedenen Krankheiten (Multimorbidität) muskulär (Choragon, Pregnesin, Primogonyl)
bedingt, die die Hodenfunktion beeinträchtigen.
48 h Blutentnahme zur Testo teronbe timmung
• Freies Testosteron, SHBG, Testosteron im Spei- 72h Blutentnahme zur Testosteronbestimmung
chel. Testosteron ist im Blut an Proteine gebunden,
6.3 Andrologische Diagnostik 257

Tabelle 6-3. GnRH-Test. Kontraindikationen und Nebenwirkungen bestehen keine

Prinzip Testung der Reaktion von LH und FSH auf das hypothalamisehe Releasing-Hormon

Indikationen I. Differenzierungen zwischen niedrig-normalen und pathologisch erniedrigten LH - und FSH-Werten


2. Differenzierung der konstitutionellen Entwicklungsverzögerung vom hypogonadotropen
Hypogonadi mu
3. Differenzierung zwi chen hypothalami chen und hypophy ärem Hyponadi mu
Durchführung I. Basale Blutentnahme für LH, F H und Testo teron
2. lntravenö e Injektion von 60 J.lg GnRH/m 2 Körperoberfläche morgen nüchtern (min. 25 ~tg,
max. 100 ).lg GnRH gesamt)
3. Blutentnahme für LH und FSH 30 min und 45 min nach timulation
Beurteilung Die LH- und FSH-Werte sind stark alter- und pubertät abhängig und müssen individuell beurteilt
werden
I. Basi werte beim Erwach enen LH: 2- 10 U/1, FSH: 1- 7 U/1. Der An tieg sollte minde ten
das 3-fache für LH und da 1,5-fache für F H betragen
2. Beim hypogonadotropen Hypogonadi mu erfolgt ein LH-An lieg mei t unter 2,5 U/1, bei
konstitutioneller Entwicklungsverzögerung meist über 4,0 U/1
3. Wenn bei begründetem Verdacht auf eine hypothalamisehe Störung bei einem ersten GnRH-Test
kein Anstieg der Gonadotropine zu beobachten ist, Wiederholung des Test nach 36-stündiger
pulsatiler GnRH -Behandlung (5..J.lg alle 90 min) und evtl. 168 td (7 Tage). Ein positiver Testau fall
und Ansteigen der LH-, F H-, 0 trogen- bzw. Testo teron-Ba alwerte ind hinweisend auf eine
hypothalamisehe törung

stes und eine Azoospermie lassen ein Klinefelter- kann eine Kerngeschlechtsbestimmung aus Mund-
Syndrom vermuten. Liegt bei Azoospermie oder epithelzellen durchgeführt werden, wobei mögli-
sehr schlechten Ejakulatparametern das Hodenvolu- cherweise die beim Mann pathologischen Barr-Kör-
men über 6 ml und ist das FSH erhöht, so handelt es perchen nachgewiesen werden können. Aufgrund
sich um eine primäre Störung der Spermatogenese. der hohen Fehlerquote ist jedoch die zusätzliche,
Bei Azoospermie in Verbindung mit normalen FSH- aber zeit-und kostenaufwendige Chromosomendar-
W erten besteht der Verdacht auf Verschluss der ab- stellung aus Lymphozytenkulturen unerlässlich.
leitenden Samenwege. Der Verdacht wird durch Weitere molekularbiologische Untersuchungen be-
gleichzeitige Erniedrigung des im Seminalplasma se- treffen den Nachweis möglicher Mutationen von
zernierten Nebenhodenmarkers, z. B. a-Giukosidase Androgen- und Gonadotropinrezeptoren und der
erhärtet. Nachweis von Mikrodeletionen auf dem langen
Arm des Y -Chromosoms im Bereich des sog.
• GnRH-Test. Tabelle 6-3 gibt Prinzip, Indikation, DAZ- ("Deleted in azoospermia") Gens bei Infertili-
Durchführung sowie Beurteilung des GnRH-Tests tätspatienten. 3% aller Patienten mit Azoospermie
wieder. oder schwerer Oligozoospermie weisen eine Mikro-
deletion im DAZ-Gen auf.
Serumchemie und hörnatologische Diagnostik
Besteht der Verdacht auf einen Androgenmangel
sollte auch eine Blutbildkontrolle und Bestimmung 6.3.5
der klinsich-chemischen Parameter erfolgen. Beim Ejakulatuntersuchungen
Hypogonadismus liegen aufgrund der fehlenden
Testosteron- und Erythropoetinwirkung meist ein Eine zuverlässige Ejakulatanalyse kann nur nach
Hämoglobinmangel sowie eine erniedrigte Erythro- den Richtlinien der WHO erfolgen. Zudem muss
zytenzahl vor. Erkrankungen z. B. von Leber und zur Gewährleistung einer guten Reproduzierbarkeit
Nieren können anband der klinisch-chemischen der erzielten Ergebnisse eine laborinterne und -ex-
Parameter erfasst werden. terne Qualitätskontrolle (nationale und internatio-
nale Ringversuche) durchgeführt werden. Das nor-
Zyto- und molekulargenetische Untersuchungen male Ejakulat besteht aus einer Suspension von
Bei vielen andrologischen Krankheitsbildern ergibt Spermien und Sekreten von Hoden und Nebenho-
sich die Notwendigkeit einer Karyotypisierung, so den, die zum Zeitpunkt der Ejakulation mit Sekreten
z. B. bei Verdacht auf ein Klinefelter-Syndrom der Prostata, der Samenbläschen und der bulbou-
(46,XXY) oder bei Vorliegen einer klinischen Inter- rethralen Drüsen gemischt werden. Die Gewinnung
sexualität (46,XX vs. 46,XY). Als Screeningverfahren des Ejakulates erfolgt durch Masturbation möglichst
258 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

am Ort der Untersuchung. Dabei sollte eine Karenz-


zeit zwischen 48 h und 7 Tagen eingehalten werden.
Aufgrund der physiologischen Schwankungsbreite
der Ejakulatwerte sollten mindestens 2 Ejakulatun-
tersuchungen im Abstand von mehr als einer Woche
durchgeführt werden.

Makroskopische Untersuchung
Alle durchzuführenden Analysen des Ejakulates
werden nach der Liquifizierung des Ejakulates
durchgeführt (ca. 30-60 min). Das Ejakulatvolumen
wird an der Graduierung des Glasgefäßes abgelesen
und sollte über 2 ml betragen. Ein normales Ejakulat
hat eine homogenes, grau-opaleszentes Aussehen,
eine geringe Viskösität (max. 2 cm Fadenbildung)
und einen pH-Wert von 7,2-8,0. Abb. 6-17. Abbildung eines normalgeformten Spermiums im
Phasenkontrastmikroskop. Färbung nach Papanicolaou
Mikroskopische Untersuchungen
• Spermienkonzentration. Die normale Spermien- • Spermienmorphologie. Hierbei wird der relative
konzentration beträgt über 20 Mio. Spermien pro ml Anteil abnorm geformter Spermien (Kopf-, Hals-,
bzw. über 40 Mio. pro Ejakulat. Mittelstück- und Schwanzdefekt) bestimmt (Nor-
malwerte s. Tabelle 6-4).
• Spermienmotilität. Die Spermienmotilität wird
mikroskopisch an 2 unabhängig voneinander auf-
• Zusätzliche mikroskopische Beurteilungen. Im
bereiteten Samentropfen an jeweils mindestens
Zusammenhang mit einer Infertilität liegen isolierte
100 Spermien bestimmt. Zudem besteht vor allem
oder kombinierte Störungen bezüglich Konzen-
für Forschungsszwecke die Möglichkeit der Anwen-
tration, Motilität und Morphologie der Spermien
dung einer computerassistierten Spermienanalyse
vor (Abb. 6-17). Zusätzliche mikroskopische Beur-
(CASA). (Zur Einteilung der Spermienmotilität
teilungen des Ejakulats gibt folgende Übersicht
nach WHO-Kriterien: Tabelle 6-4).
wieder.

Tabelle 6-4. Normalwerte des Ejakulates bei Untersuchung Zusätzliche mikroskopische Beurteilung
entsprechend den WHO-Richtlinien (1999)
des Ejakulats
Ejakulatparameter Normalwerte
• Leukozyten sind ein mögliches Zeichen einer
Ejakulatvolumen :?> 2,0ml Infektion der ableitenden Samenwege, müssen
pH 7,2-8,0 jedoch bei fehlender weiterer Symptomatik
Spermienkonzentration ~ 20 Mio./ml permien (z. B. Schmerzen oder Bakteriennachweis) nicht
Motilität 50o/o mit Vorwärtsbeweglichkeit behandelt werden
(d. h. Kategorie "a" und "b"); • Vorläuferzellen der Spermien als Hinweis auf
oder 25% mit chneller pro- eine mögliche Spermatogenesestörung
gre iver Beweglichkeit (d. h.
Kategorie "a") innerhalb von • Agglutinationen der Spermien bei möglicher
60 Minuten nach Probengewin· immunologischer Infertilität
nung
Morphologie ~ 15% normal geformte
Spermien
• "Mixed antiglobulin reaction test" (MAR-Test).
Vitalität ~ 75% nicht abgestorbene
permien Im MAR-Test werden frische Spermienproben mit
MAR-Test < 50% permien mit IgG- bzw. !gA-beschichteten Latexpartikeln oder
anhaftenden Partikeln oder Schaferythrozyten und IgG- bzw. IgA-Antiserum
Erythrozyten gemischt. Unter der Anwesenheit von Antikörpern
Leukozyten < I Mio./ml auf den Spermien werden sie an die Zellen bzw.
u-Gluko idase ~ 20 mU/Ejakulat Partikel gebunden. Der Verdacht auf eine immuno-
Frukto e ~ 13 j.lmoi/Ejakulat logischen Infertilität besteht bei einer Antikörper-
Zink ~ 2,4 j.lmol/Ejakulat
konzentration über 10%. Bei einer Antikörperkon-
zentrationen über 50 o/o kann mit hoher Wahrschein-
6.4 Idiopathischer hypogonadotroper Hypogonadismus (IHH) und Kalimann-Syndrom 259

Tabelle 6-5. Beschreibende Terminologie der Ejakulatbefun-


de. (WHO 1993)

Terminologie Beschreibung

Normezoo permie normale Ejakulat


Oligozoospermie zu wenige permien
Asthenozoospermie zu wenige normal bewegliche
permien
Teratozoospermie zu wenige normal geformte
Spermien
Oligoasthenozoo permie Kombination der genannten
Störungen
Azoospermie keine Spermien im Ejakulat

Abb. 6-18. Globozoospermie A permie kein Ejakulat

lichkeit eine immunologische Infertilität angenom-


men werden. Die Terminologie der Ejakulatbefunde
sind in Tabelle 6-5 wiedergegeben.
Zu achten ist auf eine spezielle Fixierung des Prä-
parates (5,5% Glutaraldehyd in 0,05 mmol!l Phos-
phat-/Cacodylat-Puffer und anschließender Fixierung
D
in Epon 812). Eine gewöhnliche Fixierung in einer
Biochemische Untersuchung des Semina/plasmas
Formalinlösung ist wegen des schlechten Strukturer-
Im Seminalplasma können verschiedene Marker-
haltes des testikulären Gewebes unzureichend.
substanzen bestimmt werden, die im Falle einer Er-
niedrigung Hinweise auf einen möglichen Ver-
Bei männlicher Infertilität kann eine Hodenbiopsie
schluss in einem spezifischen Teil der ableitenden
Auskunft über den Grad der Störung der Spermato-
Samenwege geben (s. folgende Übersicht).
bzw. Spermiogenese geben. Als therapeutische Maß-
nahme können zudem einzelne befruchtungsfähige
Markersubstanzen zur Differentialdiagnose des
Spermien nach sofortiger Aufarbeitung des Biop-
Verschlusses verschiedener Teile der ableitenden
siepräparates umgehend oder nach Kryokonservie-
Samenwege
rung für eine intrazytoplasmatischen Spermien-
injektion (ICSI) im Rahmen assistierter Reproduk-
e Zink als Funktionsmarker für die Prostata tionsverfahren verwendet werden ("testicular sperm
• Fruktose als Funktionsmarker der
extraction = TESE). Ebenso können Spermien di-
Samenbläschen
rekt aus dem Nebenhoden ("microsurgical epididy-
• a-Glukosidase als Funktionsmarker der Neben-
mal sperm aspiration" = MESA) gewonnen werden.
hoden

Hypothalamisehe Störungen
Mikrobiologische Untersuchung
Die mikrobiologische Untersuchung des Ejakulates
sollte bei klinischem Verdacht auf eine Infektion im 6.4
Genitaltrakt oder bei einer Leukozytenzahl im Eja- Idiopathischer hypogonadotroper
kulat von mehr als l Mio./ml durchgeführt werden Hypogonadismus (IHH) und Kalimann-Syndrom
(s. Abschn. 6.16) .
6.4.1
Fallpräsentation
6.3.6
Hodenbiopsie Ein 21-jähriger männlicher Patient mit infanti-
lem Genitalstatus und eunuchoiden Körperpro-
Eine Hodenbiopsie kann aus diagnostischen und/ portionen (Körpergröße: 180 cm, Armspann-
oder therapeutischen Gründen durchgeführt wer- weite: 186 cm) stellte sich wegen fehlender Pu-
den. Besteht eine sonographische Konstellation, bertätsentwicklung und Abklärung des Fertili-
die den Verdacht auf das Vorliegen eines Carcinoma tätsstatus vor. Bei dem kindlich wirkende
in situ (CIS) des Hodens nahe legt, so stellt die Patienten mit fehlendem timmbruch fiel eine
Hodenbiopsie ein Verfahren mit hoher Sensitivität mangelnde Körper- und Genitalbehaarung auf
und Spezifität dar.
260 KAPI TE L 6 Männliche Gonaden

Orchidopexie wegen Leistenhoden durchge-


führt. Eine Masturbationsfähigkeit war nicht ge-
geben. Zur raschen Induktion der Pubertät und
der damit verbundene Virilisierung erfolgte zu-
nächst eine Substitutionstherapie mit Te toste-
ronönanthat 250 mg alle 3 Wochen i.m. für ins-
ge amt 14 Monate. Die Testosteronspie~el im
Serum normalisierten ich und e entwickelte
sich ein regulärer Bartwuchs, die Achsel- und
Schambehaarung nahm deutlich zu mit aufstei-
gender Pube haargrenze. Die ~timme Wl_lrde t.~e­
fer , zudem verbesserte sich dte aUgememe kor-.
perliehe Leistungsfahigkeit und das Allgemem-
befinden bei einer Zunahme der Mu kelmasse.
Der Penis ereichte die adulte Größe, es entwik-
kelte sich eine normale Potenz mit der Möglich-
keit zur Masturbation und zum Geschlechtsver-
kehr. Eine Ejakulatanalyse 10 Monate nach Be-
ginn der Testosterontherapie zeigte erwartung~­
Abb. 6-19. Blickdiagnose idiopathischer hypogonadotroper gemäß keine Spermien, da Testostero~ dte
Hypogonadismus Spermatogenese nicht induzie~t: Als ~etchen
der Androgenwirkung normahsterte steh das
rote Blutbild. Das Knochenalter war nach 10-
monatiger Testosterontherapie um 2 Jahre fort-
(Abb. 6-19). Die Hormonbestimmung ergab geschritten. Nach 14 Monaten lag eine Körper-
sehr niedrige Werte für die Gonadotropine größe von 175 cm und eine Spannweite ~on
F H (0,16 U/1) und LH (0,26 U!l) und für das Te- 180 cm vor. Der Patient erhielt zur InduktiOn
stosteron (0,8 nmol/1). Im GnRH-Te t konnte 30 der Spermatogenese eine Therapie mit pulsati-
bzw. 45 Minuten nach Stimulation eine Erhö- lem GnRH, nachdem das Testosteron abgesetzt
hung von FSH auf 0,97 U/1 bzw. 1,4 U/1 und wurde. Darunter stellte sich eine Zunahme des
von LH auf 0,83 U/1 bzw. 0,56 U/1 erreicht wer- testikulären Volumens ein und es konnten Sper-
den. Im Anschlu an eine 7-tägige Pumpenbe- mien im Ejakulat nachgewiesen werden. ach 6
handlung mit GnRH-Pulsen waren die basalen Monaten wurde erneut auf Te to teron umge-
Werte für FSH 0,93 U/1 und für LH 2,0 U/1.
stellt, da kein aktueller Kinderwunsch vorlag.
Der anschließende GnRH-Te t zeigte eine Stei-
4 Jahre später, im Alter von 25 Jahren, wurde e~­
gerung von FSH auf 2,15 U/1 und von LH auf neut eine Induktion der Spermatogenese mtt
2,96 U/1, womit eine Störung der Hypophyse
pulsatilem GnRH durchgefü.hrt,. wodurch d~r
ausgeschlossen und die Diagnose eines i~iopa ­
Patient nach 6 Monaten bet semer Partnenn
thischen hypogonadotropen Hypogonadtsmus
eine Schwangerschaft induzieren konnte. 6 Mo-
(IHH) gestellt werden konnte. Das kleine Blut-
nate vor Geburt einer gesunden Tochter wurde
bild zeigte ein Hb von 12,1 gldl und HKT v~n
auf eine Substitutionstherapie mit 250 mg Te-
37% als Zeichen des Androgen mangels. Em
stosteronönanthat alle 3 Wochen i. m. umge-
orientierender Riechtest mit Kaffeepulver und
stellt. Die lebenslange Substitution ist notwen-
Vanille ergab ein normale Riechvermögen
dig, wobei vierteljährliche Kontrolluntersu-
des Patienten. Die Röntgenuntersuchung der
chungen u. a. der Hormon piegel durchgeführt
rechten Hand zeigte eine deutliche Retardierung
werden müssen. Knochendichte und Prostata
de Knochenalters (Vergleichswert: 15 Jahre).
sollten einmal pro Jahr untersucht werden.
Eine MRT-Untersuchung der Sella-Region
brachte einen unauffälligen Hypophysenbefund
ohne achweis von Mikro-oder Makroadeno-
men zur Darstellung. Die Sonographie des Skro- 6.4.2
talinhalte wies ein reduziertes Hodenvolumen Epidemiologie
(beidseitig 1,0 ml) mit echoarmer Struktur als
Hinweis auf eine fehlende Spermatogenese Der idiopathische hypogonadotrope Hypogonadis-
nach. Im 12. Lebensjahr wurde eine beidseitige mus (IHH) und das Kalimann-Syndrom sind zwei
eng verwandte Krankheitsbilder, bei denen die
6.4 Idiopathischer hypogonadotroper Hypogonadismus (IHH) und Kalimann-Syndrom 261

GnRH-Sekretion im Hypothalamus gestört ist. Der chromosomal-reszessiv oder X-chromosomal-do-


Hypogonadismus ist beim IHH die einzige klinische minant mit geringer Penetranz beim weiblichen
Manifestation, wohingegen beim Kalimann-Syn- Geschlecht. Das verantwortliche Gen liegt auf dem
drom eine Anosmie oder Hyposmie hinzukommt. kurzen Arm des X-Chromosoms und wird als
Für das Kalimann-Syndrom besteht eine Prävalenz KAL-X bezeichnet.
von 1 : 7500. Männer sind 6-mal häufiger betroffen
als Frauen.
6.4.4
Klinik
6.4.3
Pathogenese Symptome und Beschwerden
Das Leitsymptom des IHH und Kalimann-Syndroms
Der Mangel an Gonadotropin-releasing-Hormon ist eine ausbleibende oder inkomplette Pubertäts-
(GnRH) ist die zugrunde liegende endokrine Ursa- entwicklung mit einem ausgeprägten Eunuchoidis-
che sowohl für den IHH als auch für das Kallmann- mus. Beim Kalimann-Syndrom kommt eine kom-
Syndrom. Abhängig davon ist die Sekretion der Go- plette Anosmie hinzu. Das mittlere Hodenvolumen
nadotropine aus der Hypophyse gestört. Bei Mit- beträgt nur 3 ml (Norm: 2: 12 ml) und die Patienten
gliedern einer vor kurzem beschriebenen Familie präsentieren sich häufig mit ein- oder beidseitiger
mit einem als IHH klassifizierten Krankheitsbild testikulärer Lageanomalie oder im Zustand nach Or-
konnten zusammengesetzte heterozygote Mutatio- chidopexie (weiteres s. folgende Übersicht)
nen im G-Protein-gekoppelten GnRH-Rezeptor ge-
funden werden. Ob diese Mutation nur für eine Gemeinsame weitere klinische Zeichen des IHH
kleine Gruppe oder eine große Zahl an Patienten und KaUmann-Syndroms
mit IHH zutrifft, werden noch ausstehende Untersu-
chungen zeigen. Durch den Mangel an LH und FSH • Kleines und wenig pigmentiertes Skrotum
kann im Hoden keine ausreichende Testosteronpro- • Kleine, weiche Testes
duktion bzw. Spermatogenese stattfinden. Die zu • Infantiler Penis, kleine Prostata
GnRH-Mangel führenden Mechanismen sind für • Mangelnde Pubes-, Achsel- und
das Kalimann-Syndrom bekannt, denn die norma- Körperbehaarung
lerweise während der embryonalen Entwicklung ab- • Fehlender Bartwuchs
laufende Migration der Vorläuferzellen der GnRH- • Eunuchaide Körperproportionen
Neurone vom nasalen Riechepithel zur endgültigen (Armspannweite > Körpergröße)
Lokalisation im basalen Hypothalamus ist beim • Feminine Fettverteilung
Kalimann-Syndrom gestört (Abb. 6-20). Die Ver- • Periorale Hautfältelung
erbungsweise für das Kalimann-Syndrom ist X- • Gerade Stirnhaargrenze
(keine "Geheimratsecken") (Abb. 6-21)
• Infertilität (Aspermie, Azoospermie)

Abb. 6-20. Schematische Darstellung der Wanderung der


GnRH-Neurone in der Embryonalentwicklung. HT Hypotha- Abb. 6-21. Gerade Stirnhaargrenze bei idiopathischem hypo-
lamus, OLF embryonales RiechepitheL (Aus Behre et al. 1996) gonadotropem Hypogonadismus
262 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

Bei länger bestehendem Hypogonadismus kann als • MRT. Die Durchführung einer Kernspintomogra-
klinisches Zeichen eine Osteoporose hinzukommen phie des Schädels dient der Abklärung möglicher tu-
mit eventuellen pathologischen Frakturen oder moröser oder entzündlicher Ursachen des Hypogo-
Wirbelsäulendeformierungen, beginnend mit einem nadismus.
Rundrücken. Zusätzlich zum Hypogonadismus wur-
den für das Kalimann-Syndrom Synkinesien der Ex- • Osteodensitometrie. Eine Knochendichteunter-
tremitäten in bis zu 60% der Patienten festgestellt suchung kann ein mögliches Frakturrisiko abschät-
sowie gehäuft vorkommende Störungen der Blick- zen und Ausgangswerte für eine die Knochendichte
motorik und der Kleinhirnfunktion. Diese neurolo- verbessernde Androgensubstitutionstherapie lie-
gischen Befunde sind jedoch nur diskret ausgeprägt fern.
und stören im tägliche Leben kaum.

6.4.6
6.4.5 Differentialdiagnose
Diagnostik
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung (KEV)
Anamnese Die größten differentialdiagnostischen Probleme
Im Rahmen der allgemeinen Anamnese sollte auf bereitet die Abgrenzung des IHH von einer KEV.
bisherige Operationen (Orchidopexie) und mögliche Beim IHH und der KEV sind die basalen Gonado-
Schädel-Hirn-Traumata und zerebrale Tumoren tropinspiegel und das Testosteron im Serum niedrig
oder Entzündungen eingegangen werden. Der und die Patienten präsentieren sich mit einem zu
vom Patienten geschilderte fehlende Pubertätsver- diesem Zeitpunkt identischen klinischen Bild. Die
lauf sollte genau dokumentiert werden, ebenso KEV ist bei weitem die häufigste Ursache einer
wie mögliche vorausgehende Hormonbehandlun- Pubertas tarda. Man kann beim Jungen mit einer
gen. Nach dem Riechvermögen und nach dem Auf- Prävalenz von bis zu 1 : 40 rechnen. Die Abgrenzung
treten ähnlicher Krankheitsverläufe in der Familie zwischen IHH und KEV ist wichtig aufgrund der
sollte gefragt werden. Fragen zu sexuellen Aktivität unterschiedlichen Prognose und Behandlungs-
führen zu einer qualitativen Einschätzung des vor- strategie. Bei der KEV ist die Therapie der Wahl
liegenden Hypogonadismus. die intramuskuläre Injektion von 250 mg Testoste-
ronönanthat in 4-wöchigen Abständen über 3 Mo-
nate. Diese Behandlung führt zur Entwicklung se-
Körperliche Untersuchung
kundärer Geschlechtsmerkmale und zu einem
Bei der körperlichen Untersuchung werden die un-
Wachstumsschub. Danach ist häufig keine weiter
ter dem Abschn. 6.3 erwähnten Untersuchungstech-
Therapie mehr nötig.
niken angewandt. Zum Nachweis einer Anosmie
reicht in der Praxis meist eine orientierende Unter-
suchung aus, etwa indem man den Patienten bei Differenzierung des IHH und der KEV
geschlossenen Augen einige Gerüche (z. B. Kaffee Zur Differenzierung des IHH und der KEV hilft die
oder Vanille) identifizieren lässt. alleinige Durchführung eines GnRH-Tests meist
nicht weiter, denn in beiden Fällen kann sich ein
Die Wahrnehmungsfähigkeit für Schleimhautreiz- niedriger Anstieg von LH und FSH ergeben. Erst
stoffe (z. B. Ammoniak) und für die 4 Geschmacks- nach Anwendung eines pulsatilen GnRH-Pumpen-
qualitäten ist beim Kalimann-Syndrom nicht gestört. tests über 36 Stunden (alle 90 min 5 11g GnRH
s. c. durch eine tragbare Minipumpe) und erneuter
GnRH-Bolusgabe (100 11g) kann eine Differenzie-
Technische Verfahren
rung erfolgen. Im Falle einer KEV ist der LH-Anstieg
• Endokrinologische Diagnostik. Bei Verdacht auf
ausgeprägter als beim IHH. Als diagnostisches
einen IHH oder ein KaUmann-Syndrom werden zu-
Kriterium für eine KEV gilt ein Anstieg des LH
nächst die basalen Serumwerte für LH, FSH, Testo-
auf über 3 IU/l. Für den IHH werden längere Stimu-
steron und Östradiol bestimmt. Typischerweise zeigt
lationszeiten als bei der KEV benötigt, um die
sich dabei eine deutliche Reduktion der basalen
Sekretion von LH und FSH zu induzieren. Die Dif-
Werte für LH, FSH und Testosteron. Im GnRH-
ferentialdiagnose zum IHH kann trotz zahlreicher
Test liegt eine nur geringe Stimulierbarkeit vor
diagnostischer Funktionstests in schwierigen Einzel-
(s. Abschn. 6.3). Die Bestimmung der Werte für
fällen nur aus dem Verlauf gestellt werden.
Prolaktin, TSH, Schilddrüsenhormone, ACTH, GH
und IGF-1 dient der Beurteilung der anderen hypo-
thalamisch-hypophysären Hormonachsen.
6.4 Idiopathischer hypogonadotroper Hypogonadismus (IHH) und Kalimann-Syndrom 263

Abgrenzung des IHH von einer hypophysären Störung stosteron gewährleistet am besten die verschiedenen
Zur Abgrenzung des IHH von einer hypophysären physiologischen Wirkungen des Hormons.
Störung sollte ein GnRH-Test nach 7-tägiger pulsati-
ler GnRH-Stimulation (alle 90 min 5 !lg GnRH s.c.) • Auswahl des Präparates zur Testosterontherapie.
durchgeführt werden (s. Abschn. 6.3). Die Normali- Für die Therapie mit Testosteron stehen mehrere
sierung der Gonadotropine nach einem erneutem Präparate zur Verfügung. Bei der Auswahl des ge-
GnRH-Bolus (100 !lg) spricht für einen IHH und ge- eigneten Präparates sind insbesondere die unter-
gen eine hypophysäre Ursache. schiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften
zu bedenken. In Deutschland sind derzeit Testoste-
ronönanthat zur intramuskulären Injektion und Te-
6.4.7 stosteronundecanoat als orale Präparation erhält-
Therapie lich. Ebenso stehen Testosteronpflaster für die Ap-
plikation auf die Skrotalhaut und die nichtskrotale
Die Therapie neudiagnostizierter Patienten mit Haut zur Verfügung. Die Palette der Testosteronprä-
IHH oder Kalimann-Syndrom beginnt mit der intra- parationen wird durch einige nur im Ausland erhält-
muskulären Injektion von Testosteron für einige liche Präparate erweitert (subkutane Testosteronim-
Monate (z. B. Testosteronönanthat 250 mg i. m. plantate, Dihydrotestosteroncreme; Tabelle 6-6).
alle 2-3 Wochen). Falls eine KEV bei einem jungen • Testosteronönanthat: Die intramuskuläre Appli-
Patienten nicht primär auszuschließen war, kann kation von Testosteronönanthat in öliger Lösung
nach 3 Testosteroninjektionen ein Auslassversuch wird derzeit am häufigsten durchgeführt. Die
unternommen werden. Standarddosierung von 250 mg führt jedoch in
den ersten 48 h nach Applikation zu supraphysio-
logischen Serumkonzentrationen. Innerhalb von
Testosterontherapie
2 Wochen fallen die Serumkonzentrationen in
Die Testosterontherapie führt zu einer Induktion
den hypogonadalen Bereich ab, sodass zur Dau-
der Pubertät mit einer raschen Virilisierung, einer
ersubstitution Injektionsintervalle von 2-3 Wo-
Zunahme der allgemeinen physischen Leistungs-
chen sinnvoll sind. Zur Festlegung des Intervalles
fähigkeit, des psychischen Wohlbefindens und einer
empfiehlt sich die Serumtestosteronbestimmung
Zunahme der sexuellen Aktivität des Patienten.
kurz vor der erneuten Injektion in Kombination
Wenn eine ausreichende Virilisierung erreicht ist,
mit den individuellen Angaben des Patienten zu
kann zum Herbeiführen einer Fertilität mit der
seinem Befinden. Gleichmäßige pharmakokineti-
Induktion der Spermatogenese begonnen werden,
sche Profile bei längeren Halbwertszeiten haben
wozu das Testosteron abgesetzt wird.
neuere i. m. injizierbare Substanzen, die sich der-
zeit in der Entwicklung befinden (Testosteronun-
Substitutionstherapie mit Testosteron decanoat, Testosteronbuciclat).
Die Substitution von Testosteron ist essenzieller Be- • Testosteronundecanoat kann oral verabreicht
standteil der Therapie des primären und sekundä- werden, wobei die Standardosierung 2-4 Kapseln
ren Hypogonadismus. Sie kann nebenwirkungsarm, a 40 mg pro Tag beträgt. Da sich Testosteronun-
problemlos und langfrist~~ angewendet werden, decanoat sehr lipophil verhält, wird es primär
wenn eine entsprechende Uberwachung, insbeson- über die Lymphe aufgenommen, weshalb die Re-
dere der Prostata, gewährleistet ist. Durch die Sub- sorption interindividuell sehr unterschiedlich ist.
stitution von Testosteron sollen möglichst physiolo- Die orale Medikation führt zu Gipfeln nach den
gische Serumspiegel erzielt werden. Die Therapie Einnahmen und in den Schlafphasen zu ernied-
mit natürlichem, chemisch nicht modifiziertem Te- rigten Konzentrationen. Die orale Therapie ist

Tabelle 6-6. Präparate zur Testosterontherapie des Hypogonadismus

Substanz (Präparat) Applikationsweg Dosierung

Testosteron-Önanthat, (Testoviron Depot 250, Intramuskulär 250 mg alle 2-3 Wochen


Testosteron-depot jenapharm)
Testosteron-Undecanoat (Andriol) Oral 2-4 Kapseln a40 mg pro Tag
Testosteronpflaster (Testoderm) Skrotalhaut 1 Membran pro Tag (10 oder 15 mg)
Testosteronpflaster (Androderm) Nichtskrotale Haut 1 oder 2 Systeme pro Tag
(Bauch, Rücken, Oberarm)
264 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

deshalb als Dauertherapie eher in Ausnahmefäl- Tabelle 6-7. Überwachung der Testosterontherapie
len zu empfehlen, insbesondere aber dann, wenn
Klinische Psychische und körperliche
noch eine gewisse Eigenproduktion gegeben ist Parameter Leistungsfähigkeit
und eher eine Testosteronsupplementation als
Substitution erfolgen soll. exualität (Libido, Erektion frequenz,
• Testosteronpjlastersysteme: Eine gute Alternative sexuelle Aktivität)
für Patienten, bei denen die Testosteronspiegel- timmung, allgemeines Wohlbefinden
schwankungen unter Testosteronönanthat i. m. Somatische Pa- Körpergewicht und -proportionen
oder -undecanoat p. o. zu Beeintächtigungen rameter (BM I, Waist-Hip-Ratio)
des subjektiven Wohlbefindens führen, stellen Behaarung (Bartwuchs, tirnhaargrenze,
Testosteronpflaster dar, die täglich auf die Skro- Pubes)
talhaut appliziert werden und natürliches Testo- Haut (Sebumproduktion)
Präpubertär: timmmutation
stern enthalten. Über einen Zeitraum von 10 Jah-
ren sind gute Erfahrungen mit der lokalen und Laborparameter Testo teron im erum
systemischen Verträglichkeit und der Aufrechter- Gonadotropine (LH)
haltung der Testosteronspiegel und -wirkung ge- Knochen Blutbild (Hb, Hk, Erythrocyten)
macht worden. Ein weiterer Vorteil des Pflasters Ejakulatvolumen
Knochendichte (am besten LWK)
ist die schnelle Elimination von Testosteron nach
Prostata Palpation und Sonographie (Volumen,
Absetzen des Präparates. Testosteronpflastersy- Binnenstruktur), Uroflowmetrie,
steme, die über die nichtskrotale Haut angewen- PSA im erum
det werden, sind ebenfalls geeignet, physiologi-
sche Testosteronkonzentrationen zu erzielen,
können jedoch zu Hautirritationen führen.
• Subkutane Testosteronimplantate sind bereits seit allerdings nicht größer wird als in einer altersglei-
50 Jahren verfügbar, haben sich aber nur in Groß- chen Normalpopulation. Ob eine langfristige Thera-
britannien, Südafrika und Australien gehalten, da pie mit Testosteron zur Entwicklung einer benignen
ein kleiner operativer Eingriff zum Einsetzen er- Prostatahyperplasie oder einer malignen Entartung
forderlich ist, Entzündungen auftreten können beiträgt, ist derzeit weder belegt noch widerlegt. Aus
und einige Implantate extrudiert werden. großen Autopsiestudien ist seit langem bekannt,
• Dihydrotestosterongel: Das in Frankreich erhältli- dass die Prostatagröße direkt mit dem ansteigenden
che Dihydrotestosterongel hat den Nachteil, nicht Lebensalter korreliert, sodass die Sonographische
alle physiologischen Testosteronwirkungen zu Kontrolle von Prostatastruktur und -tumormarker

r
gewährleisten, da DHT nicht wie Testosteron (PSA) während einer Substitutionstherapie beim äl-
zu Östrogen aromatisiert wird. Außerdem müs- teren Mann (> 45 Jahre) in mindestens jährlichen
sen große Körperpartien eingerieben werden, Intervallen notwendig ist.
was relativ unpraktisch ist. Es eignet sich daher
nicht zur Langzeitanwendung. Eine manifeste benigne Prostatahyperplasie oder
auffällige PSA-Werte stellen eine relative Kontra- ~
• Überwachung der Testosterontherapie. Bestand- indikation, das manifeste Prostatakarzinom eine v
teil der Therapieüberwachung ist die Kontrolle von absolute Kontraindikation für die Therapie dar.
Hämoglobin, Erythrozytenzahl und Hämatokrit, da
die Normalisierung dieser Parameter einerseits den
Therapieerfolg belegt, andererseits aber auch lang- Induktion der Spermatogenese
fristige Überdosierungen durch Auftreten einer Die Standardtherapie zur Induktion der Spermato-
Polyglobulie erkannt werden. Letztere tritt insbe- genese besteht in der pulsatilen GnRH-Gabe über
sondere bei älteren Patienten auf. Zudem sollte eine Minipumpe. Diese führt dem Patienten in defi-
eine regelmäßige Kontrolle der Blutfettwerte erfol- nierten Zeitintervallen (alle 120 min) einen kleinen
gen (Tabelle 6-7). Eine gut geführte Substitutions- Bolus GnRH (meist 5-20 f.lg/Puls) zu. Die Applika-
therapie hat ein positiven Einfluss auf die Stim- tion erfolgt mit Hilfe einer regelmäßig zu wechseln-
mungslage und das Aktivitätsniveau, führt neben den Nadel. Die GnRH-Pulse stimulieren die hypo-
einer Verbesserung der sexuellen Funktion zur physäre Gonadotropinsekretion und damit sekun-
Korrektur der Anämie und beugt einen weiteren där die Gonadenfunktion einschließlich der Game-
Verlust an Knochenmasse auch dann vor, wenn tenreifung. Alternativ kommt eine Behandlung mit
die Therapie erst im höherem Lebensalter einsetzt. humanem Choriongonadotropin (hCG; entspricht
Die Therapie des Hypogonadismus mit Testosteron LH) und humanem Menopausengonadotropin
bewirkt eine Zunahme des Prostatavolumens, das (hMG; entspricht FSH) in Frage. HCG und hMG
6.5 Prader-Labhart-Willi-Syndrom 265

Tabelle 6-8. Therapieoptionen bei IHH und Kalimann-Syndrom zur Stimulation der Spermatogenese

Präparat Handelsname Applikationsform Dosierung

GnRH pul atil Lutrelef Subkutan, externe Mini- 5-20 11g pro Puls alle
pumpe (Zyklomat pulse) 120 min
Alternativ zu GnRH pulsatil: Predalon, Pregnesin, Intramuskulär oder 1.000-2500 JE 2-mal
Humanes Choriongonadotropin Primogonyl, Choragon ubkutan pro Woche (Montag und
Freitag)
In Kombination mit Humanem Humegon Menogon lntramu kulär oder ISO JE 3-mal pro Woche
Menopausengonadotropin (hMG) Pergonal subkutan (Montag, Mittwoch, Freitag)

müssen beim Mann 2- bzw. 3-mal pro Woche intra- verbunden und nur dann zu rechtfertigen, wenn
muskulär oder subkutan injiziert werden. In Zu- Kinderwunsch besteht oder zu Beginn einer Lang-
kunft werden rekombinante LH- und FSH-Präparate zeittherapie die Gonadenfunktion einmalig bis zur
zur Verfügung stehen (Tabelle 6-8). Die Behandlung vollen Ausreifung der Spermatogenese stimuliert
wird bis zum Erscheinen von Spermien im Ejakulat werden soll. Danach wird wieder auf eine reine Te-
bzw. bis zum Eintritt einer Schwangerschaft durch- stosterontherapie umgestellt, da diese wesentlich
geführt. Die durchschnittliche Therapiedauer bis kostengünstiger und zum Ausgleich des Androgen-
zum Auftreten von Spermien im Ejakulat ist 4 defizits vollkommen ausreichend ist. Zur Erhaltung
(GnRH) bzw. 6 Monate (Gonadotropine). Im eige- der sekundären Geschlechtsmerkmale und der an-
nen Patientengut konnten bei 11 Patienten mit drogenabhängigen Funktionen inklusive der Ver-
IHH und 10 Patienten mit Kallmann-Syndrom, hinderung der Osteoporose ist die Substitution
die vor Therapiebeginn alle eine Azoospermie auf- mit Testosteronpräparaten lebenslang notwendig.
wiesen, nach Gonadotropintherapie in 90% oder
nach GnRH-Therapie in 86% eine Zunahme des Ho-
denvolumens und Spermien im Ejakulat beobachtet
werden. Die Schwangerschaftsraten bei Patienten 6.5
mit Kinderwunsch lagen bei 80% bzw. 50%. Die Prader-Labhart-Willi-Syndrom
meisten Schwangerschaften traten bei reduzierten
Spermienkonzentrationen von durchschnittlich 1,7 6.5.1
bzw. 1,2 Mio./ml auf. In manchen Fällen ist eine Epidemiologie
GnRH- bzw. Gonadotropintherapie von 2 und
mehr Jahren erforderlich, bis eine Schwangerschaft Das Prader-Labhart-Willi-Syndrom (PLWS) weist
eintritt (Abb. 6-22). Ein Hodenhochstand oder ein eine Prävalenz von 1 : 10.000 auf. Neben einer ver-
geringes Hodenvolumen schließen eine Behandlung zögerten Pubertät ist es durch die Kombination
nicht aus. Sowohl die GnRH- als auch die hCG/hMG- von Adipositas und/oder geistiger Minderbegabung
Behandlung sind mit vergleichsweise hohen Kosten gekennzeichnet.

Entwi cklung der Spermienkonzentrationen bei Patienten


mit sekundärem Hypogonadismus bis zur Schwangerschaft

--Q-- IHH/Kal : GnRH(n: 4)


'E1oo,o --f::r- HYP: hCG/hMG(n: J6)
-0-
~
IHH/ Ka iS: bCG/hMG(n=S)
~ =--~-rl~~--~----~~---~----­
c 10,0 Normgrenze
0
...
~
c<1>
N
c 1,0
0
-"'
c
.E
<1>

Qj 0,1
a.
(/)

0 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 42 45 48
Abb. 6-22. Schwangerschaftsrate
Dauer der Behandlung (Monate) nach GnRH - bzw. hCG/hMG -Th erapie
266 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

vor. Eine reguläre Pubesbehaarung kann sich ent-


6.5.2
wickeln, die allgemeine Pubertätsentwicklung läuft
Pathogenese
jedoch verzögert oder unvollständig ab.
Die meisten Fälle des PL WS treten sporadisch auf.
Die genetischen Hintergründe sind komplex und Technische Verfahren
bis heute nur teilweise verstanden. Das PL WS und Die Serumwerte für Testosteron, LH und FSH sind
das Angelman-Syndrom (AS) sind 2 unterschiedli- stets verringert. Im GnRH-Test kommt es erst nach
che Syndrome, diebeidedurch den Mangel an Ex- längerer GnRH-Stimulation zu einer ausreichenden
pression von elterlich geprägten Genen ("imprinted Gonadotropinsekretion (s. Abschn. 6.3.), was auf
genes") im Chromosomenbereich 15qll-q13 resul- eine hypothalamisehe Ursache des Hypogonadis-
tieren. Das Angelman-Syndrom ist eine schwere mus hinweist. Spezifischen DNA-Analysen der be-
neurologische Erkrankung, die durch Oligophrenie, schriebenen "kritischen" Genregionen ermöglichen
Ataxie, Epilepsie und eine fehlende Sprachfähigkeit eine zuverlässige Diagnostik, die besonders im Hin-
charakterisiert ist. In beiden Syndromen liegt eine blick auf die Prognose wichtig sind.
Deletion im Bereich 15q11-q 13 bei gleichzeitiger
chromosomaler uniparenteraler Disomie vor. Die
unterschiedlichen Phänotypen des PL WS und des 6.5.5
AS kommen durch einen väterlichen (PLWS) oder Differentialdiagnose
mütterlichen (AS) genetischen Mangel zustande.
Bardet-Biedl- und Laurence-Moon-Syndrom
Differentialdiagnostisch müssen das Bardet-Biedl-
6.5.3 und das Laurence-Moon-Syndrom ausgeschlossen
Klinik werden. Patienten mit diesen beiden Syndromen ha-
ben folgende in der Übersicht wiedergegebene ge-
Symptome und Beschwerden meinsame Symptome.
Säuglinge mit PLWS fallen durch eine generalisierte
muskuläre Hypotonie und eine verzögerte motori- Gemeinsame Symptome des Bardet-Biedl-
sche Entwicklung auf. Die Gedeihstörungen im und Laurence-Moon-Syndroms
Säuglingssalter kontrastieren mit der sich im Klein-
kindesalter entwickelnden Adipositas. Es besteht • Adipositas
eine Hyperphagie und in ca. 10 o/o eine Diabetes mel- • Progrediente Retinadystrophie
litus (weitere Symptome s. folgende Übersicht). • Mentale Retardierung

Zeichen des PLWS


Zusätzlich können beim Bardet-Biedl-Syndrom eine
• Durchschnittliche Endgröße 155 cm Hexadaktylie und beim Laurence-Moon-Syndrom
• Kleine Hände und Füße eine spastische Paraplegie und Ataxie vorliegen.
• Mangelnde Pigmentierung (blaue Augen, blonde Bei beiden Syndromen besteht lediglich fakultativ
Haare, blasses Hautkolorit) ein Hypogonadismus und Hypogenitalismus.
• Mentale Retardierung (IQ: ca. 60-70)
• Nichttherapierbare Infertilität
6.5.6
Therapie

Eine kausale Therapiemöglichkeit des PLWS besteht


6.5.4 nicht. Abhängig von der psychosozialen Verfassung
Diagnostik des Patienten kann zur Kompensation der hypo-
gonadalen Symptome eine Testosterontherapie
Anamnese durchgeführt werden. Unter Studienbedingungen
Es sollte auf den bisherigen Wachstumsverlauf und konnten durch die Anwendung eines Wachstums-
die geistige Leistungsfähigkeit eingegangen werden. hormons bereits gute Erfolge hinsichtlich des
Größenwachstums bei Kinder mit PLWS erreicht
Körperliche Untersuchung werden.
Die Genitalien der betroffenen Jungen sind hypo-
plastisch und es liegen maldeszendierte Hoden
6.6 Partielle Hypophyseninsuffizienz (Gonadotropinmangel) 267

Hypophysäre Störungen gelsymptomatik treten thyroidale und adrenale


Ausfallserscheinungen auf, gelegentlich auch ein
Diabetes insipidus. Eine postpubertäre Hypophysen-
6.6 insuffizienz führt zu den typischen Andregen-
Partielle Hypophyseninsuffizienz mangelsymptomen (s. Abschn. 6.3) mit zusätzlicher
(Gonadotropinmangel) thyroidaler und adrenaler Symptomatik.

6.6.1
Epidemiologie 6.6.4
Diagnostik
Exakte epidemiologische Daten sind wegen der Fülle
an Ursachen nicht verfügbar. Anamnese und körperliche Untersuchung
Hierbei finden die für die sonst isoliert auftretenden
hypophysären Ausfallserscheinungen relevanten Vor-
6.6.2 gehensweisen ihre Anwendung.
Pathogenese
Technische Verfahren
Folgende Übersicht gibt die Ursachen für eine Hypo-
• MRT. Bei Hypophyseninsuffizienz kann eine
physeninsuffizienz wieder.
Kernspinuntersuchung (MRT) der Sella-Region
die Klärung der Ursache bringen (Tumor, Entzün-
Ursachen für eine Hypophyseninsuffizienz
dung etc.).
• Hormonproduzierende Tumoren
• Labor. Der Bestimmung der basalen Serum-
(Gonadotropine, Prolaktin, GH, TSH, ACTH)
werte für LH, FSH, TSH, ACTH und GH folgt bei
e Endokrin-inaktive Tumoren fehlender Nachweisbarkeit ein globaler Hypophy-
• Metastasen anderer Tumoren im Bereich der
senstimulationstest Im Falle eines großen Tumors
Hypophyse besteht aufgrund einer drohenden Tumornekrose
e Idiopathisch: postoperativ, nach Radiatio eine relative Kontraindikation für die Durchführung
e Schädel-Hirn-Trauma des Tests.
(z. B. Hypophysenstilabriss)
• Infektionen
• Hämochromatose 6.6.5
• Kongenitaler Hypopituitarismus (selten) Therapie

Die Therapie erfolgt zunächst in der akuten Behand-


Ein Hypogonadismus tritt erst dann auf, we~n me~r
lung der auslösenden Faktoren (z. B. Operation bei
als 75 o/o des Hypophysengewebes zerstört smd. Die
Tumor). Ein Testosteronmangel muss altersentspre-
Störung der testikulären Funktion wird durch den
chend substituiert werden. Bei Kinderwunsch wird
Mangel an LH und FSH verursacht und ist oft das
die Testosteronmedikation vorübergehend abge-
erste Zeichen einer beginnenden globalen Hypophy-
setzt und es erfolgt eine hCG/hMG-Therapie bis
seninsuffizienz.
zum Eintreten einer Schwangerschaft. Im Institut

D Ein Hypogonadismus kann ohne andere endokrine


Unterfunktionen auftreten.
für Reproduktionsmedizin der Universität Mün.ster
konnten 17 von 21 mit hCG/hMG behandelte Patien-
ten, bei denen eine Hypophyseninsuffizienz ver-
schiedener Ursache vorlag, eine Schwangerschaft in-
duzieren (s. Abschn. 6.4).
6.6.3
Klinik

Symptome und Beschwerden


Die klinischen Symptome sind vom Zeitpunkt der
Manifestation der Insuffizienz abhängig. Eine prä-
pubertäre Hypophyseninsuffizienz führt zu eun~­
choiden Körperproportionen ohne den sonst typi-
schen Hochwuchs, aufgrund des gleichzeitig vorlie-
genden GH-Mangels. Zusätzlich zur Androgenman-
268 KAPI T EL 6 Männliche Gonaden

6.7 6.7.2
Hyperprolaktinämie Epidemiologie

6.7.1 Angaben über die Inzidenz einer Hyperprolak-


Fallpräsentation tinämie können für spezifische Patientengruppen
gemacht werden. Im Institut für Reproduktions-
medizin der Universität Münster sind 2 % aller
Ein 35-jähriger Patient stellte sich mit seiner 30- Patienten von einer Hvoerorolaktinämie betroffen.
jährigen Ehefrau wegen seit 4 Jahren bestehen-
den unerfüllten Kinderwunsches vor. Bei dem
Patienten bestand zudem ein seit 2 Jahren zu- 6.7.3
nehmender Verlust der Libido und Potenz. Ge- Pathogenese
schlechtsverkehr war zum damaligen Zeitpunkt
nicht mehr möglich. Die Hormonu ntersuchung Die Gründe für das Entstehen einer Hyperprolakti-
im Serum zeigte einen stark reduzierten Wert nämie des Mannes, bei dem das Prolaktin keine be-
für LH (0,45 U/1), eine Erhöhung des Prolaktins kannte physiologische Funktion besitzt, können
auf über 2.000 miU/1 (Normal: < 500 miU/1) sehr vielfältig sein. Prolaktinproduzierende Hypo-
und eine Reduktion des Testosterons auf physenadenome (Prolaktinome) sind die häufigste
6,0 nmol/1 (Normal: > 12 nmol/1) . Die Ejakulat- Ursache. Körperlicher und psychischer Stress
untersuchung erbrachte eine Oligoasthenotera- kann zu einem leichten Anstieg des Prolaktins
tozoospermie. Gynäkologische Untersuchungen (< 1.000 miU/1) führen. Zahlreiche Med~.kamente
bei der Ehefrau, einschließlich Hormonbestim- bewirken eine Anstieg von Prolaktin (s. Ubersicht
mungen, erbrachten keine pathologischen Be- "Differentialdiagnose der Hyperprolaktinämie").
funde. Die Eileiter wurden in einer 6 Monate Die Prolaktinome werden in Mikroprolaktinome
vorher durchgeführten Pelviskopie als beidseits (:S: 10 mm Durchmesser) und Makroprolaktinome
durchgängig geschildert. Ein beim Patienten so- eingeteilt. Bei den letzteren handelt es sich um
fort veranlasstes MRT des Schädels erbrachte schnell wachsende Tumoren, die aus den Grenzen
eine normal konfigurierte Sellaregion ohne der Sella herauswachsen und zur Zerstörung der
Nachweis eines Makroprolaktinoms. Es wurde umgebenden Strukturen, u. a. der Sehnerven, führen
eine orale Therapie mit Bromocriptin (Pravidel) können. Eine Hyperprolaktinämie führt über eine
in einschleichender Dosierung begonnen. Nach Beeinträchtigung der GnRH-Sekretion zu einer Stö-
2 Wochen lag die tägliche orale Dosis b~i je rung der LH- und FSH-Sekretion. Als Folge davon
2,5 mg Pravidel morgens und abends. Uber kann es zu einem Androgenmangel und einer Sper-
eine Zeitraum von 3 Monaten stellte sich eine matogenesestörung kommen. Dies trifft jedoch nicht
Wiederherstellung einer normalen Libido und in allen Fällen einer Hyperprolaktinämie zu. Makro-
Potenz ein und die Testosteronserumspiegel prolaktinome führen zu einer ausgeprägten Suppres-
normalisierten sich. Die zum Anfang der Thera- sion der Gonadotropine aufgrund der direkten Zer-
pie vom Patienten geschilderten Nebenwirkun- störung der gonadotropinbildenden Zellen.
gen wie Müdigkeit und Kopfschmerzen gingen
zurück. Unter der Pravidel-Medikation kam es
zu einer Verbesserung der Spermienmotilität, 6.7.4
ohne Beeinflussung der Spermienkonzentration Klinik
und -morphologie. Nach 5 Monaten konnte die
Pravidel-Tagesdosierung auf 2,5 mg abends re- Symptome und Beschwerden
duziert werden. 8 Monate nach Beginn der Bro- Ein Androgenmangel mit eventueller Potenzstörung
mocriptinbehandlung konnte der Patient eine und eine Infertilität sind mögliche Symptome bei
Schwangerschaft bei seiner Ehefrau erzeugen Vorliegen einer Hyperprolaktinämie. Gynäkomastie
und es wurde ein gesunder Sohn geboren. Die und Galaktorrhö stellen eher seltene Symptome dar.
Bromocriptintherapie wurde bis zuletzt in der-
selben Dosierung fortgesetzt, worunter regel-
rechte Prolaktinspiegel gemessen wurden. 6.7.5
Diagnostik
Anamnese
Eine vom Patienten geschilderte Verschlechterung
von Libido und Potenz und ein länger bestehender
6.8 Lageanomalien der Testes 269

unerfüllter Kinderwunsch sollten an eine mögliche (s. Übersicht) mit einer einschleichenden Dosierung
Hyperprolaktinämie denken lassen. am Abend begonnen werden. Nach ca. 2 Wochen
kann in Abhängigkeit vom aktuellen Prolaktinwert
mit einer über den Tag verteilten Dosierung fortge-
Körperliche Untersuchung
setzt werden.
Die Fingerperimetrie gilt als orientierende Unter-
suchung für mögliche Gesichtsfeldeinschränkungen
Mögliche Nebenwirkungen von Bromocriptin
bei suprasellärer Ausdehnung eines Prolaktinoms.
Eine exakte augenärztliche Untersuchung sollte
• Akute Nebenwirkungen
sich bei unklarem oder positiven Befund anschlie-
Hypotension
ßen.
Müdigkeit
Kopfschmerzen
Technische Verfahren Gastrointestinale Störungen
• Labor. Die Diagnose basiert auf erhöhten Prolak- • Langzeitnebenwirkungen
tinserumspiegeln (> 500 miU/1). Sehr hohe Werte Kopfschmerzen
(> 5.000 miU/l) sprechen für das Vorliegen eines Trockene Nasenschleimhaut
Makroprolaktinoms. Vasospasmen bei Kälte

• MRT. In einer MRT-Untersuchung des Schädels


kann die Hypothalamus-Hypophysen-Region beur- Im Falle einer Unverträglichkeit können Metergolin
teilt werden. (Liserdol) oder Quinagolid (Norprolac) verordnet
werden. Eine bessere Wirksamkeit bei gleichzeitiger
Reduktion der Nebenwirkungen gegenüber Bromo-
6.7.6 criptin wurde für den Dopaminagonisten der
Differentialdiagnose 2. Generation Cabergolin (Dostinex) nachgewiesen,
wenngleich die Erfahrungen mit einer größeren Zahl
von Patienten noch ausstehen. Patienten, die Bro-
Differentialdiagnose der Hyperprolaktinämie
mocriptin gut vertragen, müssen deshalb nicht un-
bedingt auf neue Präparate umgestellt werden. Ein
• Stressinduzierte Hyperprolaktinämie
gleichzeitig vorhandener Androgenmangel erholt
(Werte bis maximal 1.000 miU/1).
sich unter einer medikamentösen Prolaktinsenkung.
• Läsionen des Hypothalamus und des Hypo-
Da der Anstieg des Serumtestosteronwertes ein Zei-
physenstils (beeinträchtige Dopaminwirkung!)
chen für die Effektivität der Therapie ist, sollte auf
• Kraniopharyngeome
eine Testosteronsubstitution verzichtet werden.
• Medikamente mit antidopaminerger Wirkung
Butyrophenone
Phenothiazine Chirurgisch
a-Methyldopa etc. Die operative transsphenoidale Entfernung eines
• Prolaktinsynthesefördernde Medikamente Prolaktinoms wird aufgrund des Vorhandenseins
Hz-Blocker einer effektiven medikamentösen Therapie nur
Östrogene etc. sehr selten nötig.
• Chronisches Nierenvesagen
• Schilddrüsenunterfunktion
Testikuläre Störungen

6.8
6.7.7 Lageanomalien der Testes
Therapie
6.8.1
Medikamentös Fallpräsentation
Die stressinduzierte Hyperprolaktinämie muss nicht
therapiert werden. Bei Vorliegen eines Prolaktinoms Ein 32-jähriger Mann in gutem Allgemeinzu-
besteht die Therapie in der oralen Einnahme von stand stellte sich wegen unerfüllten Kinder-
Dopaminagonisten. Mit dem Präparat Bromocriptin wunsches seit 3 Jahren vor. Der Patient be-
(Pravidel) liegen die meisten Erfahrungen vor. Dabei richtete bei Nachfrage von beidseitigen Leisten-
sollte zur Vermeidung eines hypotensiven Effekts
270 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

60 o/o der Fälle tritt jedoch eine spontaner Deszensus


hoden, die im 7. Lebensjahr nach hCG-Therapie bis zum 3. Lebensmonat auf. Eine Einteilung der
in das Skrotum deszendierten. Bei einen unauf- Lageanomalien gibt folgende Übersicht wieder.
fälligen somatischen Befund finden sich beid-
seits feste Hoden in skrotaler Lage. Der rechte Einteilung der Lageanomalien der Testes
Hoden ist leicht druckschmerzhaft. Die Sono-
graphische Untersuchung zeigt einen echoar- • Kryptorchismus: Der Hoden liegt oberhalb der
men Rundherd von 6 mm Durchmesser zentral Inguinalkanals intraabdominal oder retroperito-
im rechten Hoden. Die Tumormarker AFP und neal und ist weder tast- noch sichtbar
ß-hCG liegen im Normbereich. In der Ejakulat- • Leistenhoden: der Hoden liegt fixiert im Inguinal-
untersuchung lässt sich eine mittelgradige Oli- kanal
goasthenoteratozoopermie nachweisen . (Spe~­ • Gleithoden: Der Hoden liegt mobil am Ausgang
mienkonzentration: 12 Mio./ml; Progessivmoti- des Inguinalkanals und kann temporär in das
lität: 36 %; Morphologie: 15 o/o normal geformte Skrotum herabgedrückt werden, rutscht jedoch
Spermien). FSH ist auf 16 IU/1 und LH auf beim Loslassen wieder in die ursprüngliche
12 IU/1 erhöht. Te tosteron befindet sich mit Lage zurück
13,6 nmol/1 noch im Normbereich. Eine sofort • Pendelhoden: Der Hoden pendelt zwischen Skro-
veranlasste Hodenbiopsie ergab im Sehneli- tum und Leistenkanal spontan hin und her, z. B.
schnittbefund ein Seminom pTl, was die ingui- durch den Kremasterreflex bei Kältereiz oder
nale Ablatio testis recht in gleicher Sitzung zur Koitus
Folge hatte. Es wurde ein Biopsie des linken Ho-
• Hodenektopie: Der Hoden liegt außerhalb des
den durchgeführt. Die Diagnose eines Semi-
normalen Deszensusweges, z. B. femo ral oder in-
noms bestätigte sich bei der ausführlichen histo-
guinal.
pathologsichen Diagnostik. Der linke Hoden
war nicht betroffen. Im Anbetracht der kleinen
Ausdehnung des Befundes und der im Gesun -
den erfolgten operativen Sanierung wurde bei
6.8.3
fehlenden Hinweisen auf eine lymphogene
Pathogenese
oder Fernmetastasierung auf eine Bestrahlungs-
behandlung verzichtet. Die engmaschige durch-
Die Ätiologie der testikulären Lageanomalien ist
geführten Tumornachsorgeuntersuchungen e~­
nicht geklärt. Vermutlich handelt es sich um ein
brachten über einen Zeitraum von 5 Jahren kei-
multifaktorielles Geschehen. Die abdominale Phase
nen achweis eines Rezidivs oder einer Meta-
des testikulären Deszensus ist nur selten betroffen,
stasierung. Eine 7 Monate nach der Ablatio
da in den meisten Fällen die Hoden den Leisten-
durchgeführte Ejakulatuntersuchung zeigte
kanal erreicht haben. Eine mögliche Ursache liegt
eine gegenüber dem Ausgangsbefund verbes-
in einer gestörten pränatalen Androgensekretion
serte Spermienkonzentration von 16 Mio./ml
aufgrundeiner mangelnden hypophysären oder pla-
und Spermienprogessivmotilität von 48 o/o bei
zentaren Gonadotropinproduktion.
gleich bleibend eingeschränkter Morphologie.
Die Gonadotropirre waren weiterhin erhöht.
13 Monate nach der Tumoroperation trat eine
6.8.4
spontane Schwangerschaft ein, die zur Geburt Klinik
eines gesunden Mädchens führte. Der Patient
wurde auf die Notwendigkeit einer lebenslangen
Symptome und Beschwerden
Tumornachsorge aufmerksam gemacht.
Im Zusammenhang mit einer testikulären Lagean-
omalie treten gehäuft männliche Fertilitätsprobleme
auf. Fast 9 o/o der wegen Infertilität behandelten
Männer aus unserer Ambulanz haben eine bereits
6.8.2 therapierte oder noch bestehende Lageanomalie
Epidemiologie der Testes. Infertilität liegt nach bilateralem Maldes-
zensus 6-mal häufiger vor als in der allgemeinen Be-
Ein Pendelhoden ist relativ häufig und wahr- völkerung. Als Ursache für sekundäre Degenerati-
scheinlich ohne pathologische Bedeutung. Die übri- onserscheinungen von Hoden mit Lageanomalie
gen Lageanomalien der Testes kommen in 0,5 o/o der wird die höhere Temperatur in Abdomen und Lei-
erwachsenen Männer vor. Männliche Neugeboren stenkanal im Vergleich zum Skrotum vermutet. An-
weisen in 2-3 o/o einen Maldescensus testis auf. In hand von Hodenbiopsien konnte eine Degeneration
6.8 Lageanomalien der Testes 271

Abb. 6-23. Lageanomalien des Hodens. 1 orthotop, 2 präin-


guinal, 3 präinguinal nach kranial umgeschlagen, 4 im Ingui-
nalkanal, 5 retroperitoneal evtl. abdominal, A und B ektop fe- Abb. 6-24. Gesamtkörperaufnahme bei einem Patienten mit
moral. (Aus Klippe u. Altwein 1993) Anarchie

von Keimzellen in maldeszentierten Hoden bereits einzelner intakter Hoden funktionell ausreichend
bei Patienten im Alter von 6-12 Monaten nachge- ist, bleiben bei der kongenitalen einseitigen An-
wiesen werden (Abb. 6-23). Der testikuläre Maldes- archie Störungen der Geschlechtsdifferenzierung
zensus ist mit einem höheren Risiko der malignen und Pubertätsentwicklung aus (Abb. 6-24).
Entartung im Erwachsenalter assoziiert. Neuere Er-
hebungen gehen von einem 5- bis 10-fachen Risiko
aus. Bei Patienten mit Hodentumoren ist ein uni- 6.8.7
lateraler testikulärer Maldeszensus anamnestisch Therapie
15-fach häufiger, ein bilateraler Maldeszensus 33-
fach häufiger als bei einem Normalkollektiv. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie emp-
fiehlt die Durchführung einer Therapie bis späte-
stens zum Ende des 1. Lebensjahres, da bereits im
6.8.5 2. Lebensjahr beim nichttherapierten Kryptorchis-
Diagnose mus eine progessive Degeneration der Keimzellen
stattfindet (s. folgende Übersicht).
Die Diagnose erfolgt durch Palpation bzw. Sonogra-
phie. Kann der Hoden mit diesen Methoden nicht Therapie bei Maldeszensus gemäß den Kriterien
lokalisiert werden, muss eine MRT -Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
des Abdomens und der Inguinalregion durchgeführt (DGE)
und/oder ein hCG-Test angewendet werden.
• Bis 2. Lebensjahr: 500 I. E. hCG i. m.
(Choragon, Pergonal, Primogonyl)
6.8.6 • 2.-3. Lebensjahr: 1.000 I. E. hCG i. m.
Differentialdiagnose • Ab dem 3. Lebensjahr: 2.000 I. E. hCG i. m.
jeweils pro Woche über 5 Wochen,
Angeborene Anorchie
Differentialdiagnostisch muss an das Vorliegen
einer angeborenen Anarchie gedacht werden, die Alternativ GnRH-Nasenspray (Kryptocur 3-mal täg-
doppelseitig mit einer Häufigkeit von 1 : 20.000 vor- lich ein Sprühstoß von 200 11g in jedes Nasenloch,
kommt. Unbehandelt bleibt bei Patienten mit ange- insgesamt 1,2 mg pro Tag über 4 Wochen)
borener Anarchie die Pubertät aus und es entwickelt Die Erfolgsraten nach Hormonbehandlung mit
sich das typische Bild eines Eunuchoidismus. Da ein hCG oder GnRH liegen allerdings unabhängig von
272 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

der Ursache eines Maldeszensus lediglich bei menhang gesichert wäre. Gelegentlich führen große
10-20 o/o. In speziellen Patientengruppen, z. B. bei Varikozelen (III 0 ) zu mechanischen Problemen
bilateralen skrotalnahen Leistenhoden oder bei z. B. beim Sitzen und es treten Schmerzen oder
Pendelhoden werden bessere Erfolge erzielt. Falls Druckgefühl auf.
die endokrine Therapie versagt, muss eine Orchido-
pexie durchgeführt werden. Der optimale Zeitpunkt
für einen chirurgische Eingriff einer testikulären 6.9.4
Lageanomalie bleibt unklar, obwohl zahlreiche Stu- Diagnostik
dien eine frühzeitigen Operation befürworten. Für
die Behandlung einer Infertilität nach Maldeszensus Anamnese
gelten dieselben Behandlungskriterien wie bei idio- Der zeitliche Verlauf der Entwicklung der Vari-
pathischer Infertilität. kozele sollten ebenso erfragt werden wie evtl. vor-
liegende Beschwerden.

6.9
Körperliche Untersuchung
Varikozele
Das wichtigste Instrument zur Diagnose ist weiter-
hin die sorgfältige Palpation des Plexus pampini-
6.9.1
formis am stehenden Patienten. Unter dem Valsalva-
Epidemiologie
manöver kommt es bei Vorliegen einer Varikozele
zu einer Füllung und Ausdehnung des Venenplexus
Bei der Varikozele handelt es sich um eine Erweite-
aufgrund des Blutrückflusses. Langbestehende Va-
rung, Verlängerung und varizenähnliche Schlänge-
rikozelen führen zu einer Hodenverkleinerung auf
lung der den Plexus pampiniformis bildenden Vv.
der betroffenen Seite.
spermaticae internae im Skrotum. Die Varikozele
Die Varikozele wird in 3 Schweregrade eingeteilt,
stellt den häufigsten Befund beim infertilen Mann
die in der folgenden Übersicht dargestellt sind.
dar. Knapp 17 o/o von 8.000 konsekutiven Patienten
des Institutes für Reproduktionsmedizin der Uni-
Einteilung der Varikozele
versität Münster wiesen eine Varikozele auf.
e Varikozele I. Grades:
nur bei Valsalvamanöver tastbare Erweiterung
6.9.2
des Plexus pampiniformis
Pathogenese
• Varikozele II. Grades:
deutlich palpable Erweiterung des Plexus pampi-
Die Entstehung einer Varikozele wird durch den
niformis
freien Verlauf der testikulären Venen im Retro-
• Varikozele III. Grades:
peritoneum und durch das Fehlen einer Muskel-
sichtbare Erweiterung des Plexus pampiniformis
pumpe begünstigt. Wahrscheinlich aufgrund der
hämodynamisch ungünstigen Einmündung der
linken V. spermatica in die V. renalis - die rechte
Vene mündet direkt in die V. cava-liegen 95 o/o aller Technische Verfahren
Varikozelen linksseitig. Ob Varikozelen zu einer Die dopplersonographisch und die bildgebende So-
Einschränkung der Fertilität führen wird kontro- nographie stellen wertvolle, die Diagnose sichernde
vers diskutiert ohne klares pathophysiologisches Untersuchungmethoden dar.
Konzept. Mögliche Mechanismen einer Beein-
flussung der Fertilität sind eine Überwärmung der
Testes und der Rückfluss toxischer Stoffe von der 6.9.5
Niere. Differentialdiagnose

Bei plötzlichem Auftreten einer Varikozele inner-


6.9.3 halb weniger Wochen oder Tage oder bei atypischer
Klinik rechter Seitenlokalisation muss an das Vorliegen
einer Kompression durch retroperitoneale Raum-
Symptome und Beschwerden forderungen oder Nierentumoren gedacht werden.
Das Vorliegen einer Varikozele ist häufig mit Ein-
schränkungen der Spermienparameter und einer
Infertilität assoziiert, ohne dass ein kausaler Zusam-
6.10 Entzündliche Veränderungen der Hoden 273

6.9.6 6.10.3
Therapie Klinik

Auf dem spekulativen Konzept beruhend, dass Va- Symptome und Beschwerden
rikozelen durch Erhöhung der Skrotaltemperatur zu Die akute Symptomatik der Mumpsorchitis besteht
testikulären und epididymalen Schäden führen, in einer Anschwellung der Hoden mit starker
wurde lange Zeit der Verschluss der V. spermatica Schmerzhaftigkeit. Meist hinterlässt eine Mumpsor-
durch chirurgische Ligatur oder angiographische chitis eine ausgeprägte Oligozoospermie oder Azoo-
Okklusion (z. B. Embolisation) als Therapie der spermie mit irreversibler Infertilität. Die Symptoma-
Wahl angesehen. Einige Studien zeigten Verbesse- tik der durch andere Viren oder Bakterien hervor-
rungen der Fertilität nach operativer Varikozelenbe- gerufene Orchitiden kann wesentlich diskreter sein.
hebung im Vergleich zu unoperierten Kontrollen. In
diesen Studien blieben die Kontrollgruppen jedoch
weitgehend unbehandelt und unberaten, wodurch 6.10.4
die Existenz unspezifischer Effekte im Sinne eines Diagnostik
Plazeboeffekts keine Berücksichtigung fand. Im Un-
terschied zu diesen Studien fand eine randomisierte, Anamnese
kontrollierte, prospektive Studie keine signifikanten Die Schilderung der Mumpsorchitis durch den Pa-
Unterschiede in der kumulativen Schwangerschafts- tienten ist durch die massive Angabe der Schmerz-
rate über einen Zeitraum von 12 Monaten, wenn die symptomatik bestimmt.
Kontrollgruppe regelmäßig gesehen, untersucht und
beraten wurde. Solange keine aussagekräftigen Stu-
dien vorliegen, sollte die Operationsindikation aus Körperliche Untersuchung
Fertilitätgründen zurückhaltend und am ehesten Bei Vorliegen einer Hodenentzündung wird eine
dann gestellt werden, wenn die Varikozele mit vorsichtige, weil schmerzhafte Palpation durchge-
Schmerzen oder Druckgefühl einhergeht bzw. zum führt. Nach abgelaufener Orchitis kann der Hoden
mechanischen Hindernis wird. eine verhärtete Konsistenz annehmen und/oder
atrophieren.

6.10 Technische Verfahren


Entzündliche Veränderungen • Labor. Die spezifische Erregerdiagnostik kann
der Hoden nur durch gezielte mikrobiologische Untersuchun-
gen gestellt werden. Nach Ablauf der Orchitis kön-
6.10.1 nen Einschränkungen der Ejakulatparameter bis hin
Epidemiologie zur Azoospermie vorliegen.

Etwa 25 % aller Adoleszenten und Erwachsenen mit • Sonographie. Bei der akuten Orchitis erscheint
Mumpsparotitis erleiden auch eine Orchitis, präpu- das Hodenparenchym im Ultraschallbild inhomo-
bertäre Patienten sind kaum betroffen. Genaue epi- gen mit teils vermehrter und teils verminderter
demiologische Daten zur Häufigkeit einer Orchitis Echogenität.
durch andere Viren sind nicht verfügbar.

6.10.5
6.10.2 Differentialdiagnose
Pathogenese
Eine Hodentorsion oder eine Epididymitis müssen
Mumpsviren, aber auch ECHO-Viren, Arboviren, differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden.
das Marburg-Virus und das lymphozytäre Chorio-
meningitisvirus können den Hoden hämatogen be-
fallen. Bei Urethritis, Prostatitis, Vesikulitis oder
6.10.6
Epididymitis durch Gonokokken kann es zu einem
Therapie
Übergreifen des Entzündungsprozesses auf die Ho-
den kommen.
Eine Schutzimpfung gegen Mumps kann das Auftre-
ten einer Mumpsorchitis und einer späteren Inferti-
lität verhindern helfen. Tm Falle einer viralen Orchi-
274 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

tis ist nur eine symptomatische Behandlung mög-


lich, die in einer Hochlagerung und Kühlung der (199 cm). Die genitale Untersuchung ergab eine
Hoden besteht. Zusätzlich können Glucocorticoide normale Penislänge und beidseit ehr kleine
(60 mg tägl. für insgesamt 10 Tage mit ausschlei- feste Hoden (je 3 ml). Die Hormonuntersuchun-
chender Dosierung) und Antiphlogistika verabreicht gen zeigten stark erhöhte Gonadotropirre (LH
werden. Ob dadurch eine spätere Infertilität verhin- 28 IU/1, F H 43 IU/1) und ein erniedrigtes Testo-
dert werden kann, ist nicht sicher. Die Behandlung steron von 5,2 nmol/1. Hämatokrit (37 o/o) und
der bakteriellen Orchitis besteht in der Antibiotika- Hämoglobin {11,9 g!dl) waren erniedrigt. Im
gabe entsprechend dem Antibiogramm. Ejakulat fanden sich keine permien (Azoosper-
mie). Der Mundepithelausstrich erbrachte den
Nachweis von Barr-Körperchen. Zur Be täti-
gung der Diagnose wurde eine Karyotypisierung
6.11
durchgeführt, die einen 47,XXY -Karyotyp ergab.
Klinefelter-Syndrom
Die Knochendichteunter uchung ergab eine Re-
duktion auf 78 o/o der Altersnorm. Es wurde mit
6.11.1
einer Te tosteronsub titution begonnen (Te to-
Fallpräsentation
steronönanthat 250 mg alle 2 Wochen i. m.).
Darunter kam es zu einer Wiederher tellung
Ein 27-jähriger Mann kam zusammen mit seiner von Potenz und Libido und der allgemeinen Lei-
Ehefrau wegen unerfülltem Kinderwunsch seit stungsfahigkeit ("Paketetragen jetzt kein Pro-
4 Jahren und seit 3 Jahren zunehmenden Erek- blem mehr"). Das Blutbild normalisierte sich.
tionsstörungen bei reduzierter Libido in die Das Intervall der Testosterongabe wurde nach
ambulante Sprechstunde. Er klagte zudem 4 Injektionen auf3 Wochen verlängert. Die Wie-
über eine allgemeine Leistungsschwäche, die derholung der Knochendichteuntersuchung
ihm auch in seinem Beruf als Postbote zu nach ei njähriger Therapie erbrachte eine or-
schaffen mache ("Pakete werden immer malisierung (96 o/o der Altersmorm) . Der Patient
schwerer"). Auffallend war zunächst die hohe wurde darauf hingewiesen, dass Fertilität beim
Körpergröße von 198 cm und ein reduzierter Klinefelter-Syndrom nur in wenigen Ausnah-
Bartwuch (Abb. 6-25). Die klinische Unter- men möglich ist und die Testosteronsubstituti-
suchung ergab eine die Rumpflänge (92 cm) on lebenslang durchgeführt werden sollte unter
übertreffende Beinlänge ( 106 cm) bei einer der regelmäßigen Kontrolluntersuchungen, u. a. der
Körpergröße entsprechende Armspannweite Pro tata.

6.11.2
Epidemiologie

Mit einer Prävalenz von 0,2 o/o ( 1 Fall unter 500


Männern!) bildet das Klinefelter-Syndrom die häu-
figste Form des Hypogonadismus.

6.11.3
Pathogenese

Bei ca. 80 o/o der Patienten mit Klinefelter-Syndrom


liegt eine kongenitale Geschlechtschromosomena-
berration 47 ,XXY vor. Bei den restlichen 20% be-
stehen ein 46,XYI 47 ,XXY-Mosaik oder höhergradige
Geschlechtschromosomenaneuploidien (48,XXXY,
49,XXXXY, 48,XXYY). Die numerischen Aberratio-
nen entstehen durch Nondisjunction entweder wäh-
rend der Mitose in der frühen embryonalen Ent-
wicklung oder während der Meiose in der Keimzell-
Abb. 6-25. Patient mit Klinefelter-Syndrom reifung.
6.11 Klinefelter-Syndrom 275

Technische Verfahren
6.11.4
• Labor. Der klinische Verdacht auf ein Klinefelter-
Klinik
Syndrom verstärkt sich durch den Nachweis von
Ban-Köperehen im Mundschleimhautabstrich. Die
Symptome und Beschwerden
sichere Diagnose kann jedoch erst nach der Chro-
Ein Klinefelter-Syndrom wird für gewöhnlich erst
mosomenanalyse aus Lymphozytenkulturen gestellt
nach der Pubertät erkannt. Vor der Pubertät be-
werden. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sind die
stehen meist nur diskrete Symptome wie in ihrer
Testosteronspiegel im Serum in 80% der Patienten
Größe reduzierte Testes, eine Langbeinigkeit und
mit 47,XXY Karyotyp erniedrigt und im weiteren
evtl. Störungen der Lernfähigkeit und der verbalen
Verlauf tritt bei allen nichtsubstituierten Patienten
Ausdrucksfähigkeit Nach der Pubertät ist das Kline-
eine Androgenmangel ein. Die durchschnittlichen
felter-Syndrom durch das Vorliegen kleiner, fester
Östradiolspiegel sind erhöht. Da die Spiegel für
Hoden mit einem Volumen von 1-3 ml (Norm:
SHBG ebenfalls erhöht sind, resultiert ein weiterer
> 12 ml) und ein Androgenmangelsyndrom charak-
Abfall des biologisch aktiven freien Testosterons.
terisiert (s. Abschn. 6.2). Bei etwa der Hälfte der Pa-
Die Gonadotropine LH und insbesondere FSH
tienten liegt eine Gynäkomastie vor. Patienten mit
sind stark erhöht.
Klinefelter-Syndrom sind stets infertil. Spermien
im Ejakulat oder im Hodengewebe werden nur in
• Ejakulatuntersuchung. In der Ejakulatuntersu-
seltenen Ausnahmen gefunden. Der Grad der Viri-
chung zeigt sich in 99% der Fälle eine Azoospermie.
lisierung kann erheblich variieren. Da initial nor-
In Hodenbiopsien werden mit großer Regelmäßig-
male Androgenspiegel vorliegen, entwickelt sich
keit hyalinisierende Fibrosierung, fehlende Sperma-
bei 60% der Patienten eine normale Penisgröße.
togenese und relative Leydig-Zellhyperplasie beob-
Die Armspannweite überschreitet nicht die Körper-
achtet. Nur ganz selten kann fokal Spermatogenese
länge, jedoch sind die Beine länger als der Rumpf.
vorkommen. In seltenen Einzelfällen konnten Sper-
Als eine Folge eines länger bestehenden Androgen-
mien aus dem Hodengewebe isoliert und zur ICSI
mangels entsteht in vielen Fällen eine Osteoporose.
verwandt werden.
Ein Drittel der Patienten weisen eine Varikosis mit
eventuellen Ulcera cruris auf.
6.11.6

D Das Risiko der Entwicklung eines Mammakarzinoms


ist gegenüber gesunden Männern um den Faktor 20
erhöht, aber um ein Fünftel geringer gegenüber nor-
Differentialdiagnose

Differentialdiagnostisch kommen Erkankungen mit


malen Frauen. In Zusammenhang mit dem Kline-
einem Hypogonadismus anderer Ursache in Betracht
felter-Syndrom wurden mehrfach Fälle extragonada- (s. auch Abschn. 6.3).
ler Keimzelltumoren beschrieben, ohne dass genaue
Zahlen zur relativen Häufigkeit bekannt wären.
XX-Mann- und XYY-Syndrom
Vom Klinefelter-Syndrom abzugrenzen ist das XX-
6.11.5 Mann-Syndrom. Bei diesem seltenen Syndrom liegt
Diagnostik bei einem weiblichen Karyotyp (46,XX) ein männli-
cher Phänotyp ohne die Entwicklung innerer oder
Anamnese äußerer weiblicher Geschlechtsorgane vor. Pathoge-
Erwachsene Patienten kommen häufig wegen einer netisch ist diese Störung durch eine Translokation
Infertilität zum Arzt. Es sollte nach den Symptomen des testisdeterminierenden Gens "SRY" ("sex deter-
des Androgenmangels gefragt werden. Wenn Hitze- mining region Y") auf das X-Chromosom während
wallungen, Libidoverlust, erektile Dysfunktion, An- der väterlichen Meiose zu erklären. Es besteht eine
triebsschwäche und Abnahme der morgendlichen nichttherapierbare Infertilität.
Erektionen nicht spontan berichtet werden, muss Männer mit dem XYY-Syndrom sind im Unter-
danach gezielt gefragt werden. Das intellektuelle schied zu Patienten mit Klinefelter-Syndrom kli-
Niveau im Verhältnis zur Familie ist zu eruieren. nisch meist unauffällig und fertil. Sie können jedoch
durch übermäßiges Längenwachstum auffallen.
Körperliche Untersuchung
Bei der körperlichen Untersuchung fallen die lange
Körperstatur und die kleinen, festen Testes auf. Auf
Gynäkomastie ist zu achten. Symptome des Andro-
genmangels sind zu dokumentieren.
276 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

6.11.7
Therapie

Im Falle erniedrigter Testosteronspiegel muss beim


Klinefelter-Syndrom eine Testosteronsubstitution
begonnen werden. Dabei gelten die im Abschn. 6.4
beschriebenen Kriterien. Es konnte gezeigt werden,
dass eine frühzeitige Testosterontherapie nicht nur
die körperlichen Symptome wie Anämie, Osteopo-
rose, Muskelschwäche und Impotenz beseitigen
kann, sondern auch zu einer besseren sozialen Inte-
gration der Patienten im Alltag führt. Patienten mit
Klinefelter-Syndrom erhalten eine lebenslang
durchzuführende Therapie zum Erhalt der Lebens- Abb. 6-26. Sertoli-cell-only-Syndrom. (Die Abbildung wurde
freundlicherweise von Universitätsprofessor Dr. rer. medic.
qualität und bedürfen deshalb einer regelmäßigen Martin Bergmann, Institut für Anatomie und Zellbiologie
Kontrolle. Die im Abschn. 6.4 erwähnten Monito- der Universität Halle-Wittenberg zur Verfügung gestellt)
ringverfahren müssen eingehalten werden (Kontrol-
le der Knochendichte, Sonographie der Prostata,
Blutbildkontrolle etc.).

Gynäkomastie
Die Gynäkomastie wird durch die Hormontherapie
nicht beeinflusst. Bei subjektiven Beschwerden kann
eine Mastektomie durch einen in kosmetischer Chi-
rurgie erfahrenen Operateur vorgenommen werden.

Kinderwunsch
Der Kinderwunsch von Klinefelter-Patienten konnte
bisher nur in Einzelfällen unter Anwendung assi-
stierter Reproduktionsverahren erfüllt werden.
Abb. 6-27. Spermatogenesearrest (Die Abbildung wurde
freundlicherweise von Universitätsprofessor Dr. rer. medic.
6.12 Martin Bergmann, Institut für Anatomie und Zellbiologie
Störungen der Spermatogenese der Universität Halle-Wittenberg zur Verfügung gestellt)
und Spermiogenese

6.12.1 6.12.2
Epidemiologie Pathogenese

Bei den 350 im Institut für Reproduktionsmedizin SCO-Syndrom


der Universität Münster untersuchten Patienten, Bei der angeborenen Germinalzellaplasie wandern
bei denen aufgrund einer Azoospermie, eines schwe- die Germinalzellen aus ungeklärten Gründen nicht
ren OA T-Syndroms oder eines Tumorverdachts eine in das Tubulusepithel ein. Das Syndrom der Germi-
Hodenbiopsie veranlasst wurde, wiesen 30 % ein nalzellaplasie kann jedoch auch durch endogene
"Sertoli-cell-only-Syndrom" (SCO-Syndrom) und oder exogene Schädigungen, wie Lageanomalie
23% einen Spermatogenesearrest auf (Abb. 6-26 der Testes, ionisierende Strahlen, Zytostatika und
und 6-27). Spezifische Störungen der Spermiogenese Virusinfektionen, hervorgerufen werden. Beim
(Globozoospermie, Axonematadefekte) werden nur vollständigen SCO-Syndrom (Germinalzellaplasie)
selten beobachtet. weisen die in ihrem Durchmesser verminderten
Hodentubuli außer Sertoli-Zellen keine Zellen der
Spermatogenese auf; die Patienten sind azoosperm.
Beim fokalen SCO-Syndrom finden sich in einem
variablen Prozentsatz der Tubuli noch Keimzellen.
6.12 Störungen der Spermatogenese und Spermiogenese 277

Spermatogenesearrest 9 + 0-Syndrom, Syndrom der immotilen Zilien,


Beim Spermatogenesearrest handelt es sich um eine G/obozoospermie
Unterbrechung der Ausreifung der Spermatogooien Beim 9+0-Syndrom liegt ein Bauplanfehler des Sper-
zu reifen Spermien auf der Stufe der Spermatogo- mienschwanzes vor (Abb. 6-28). Das zentral ange-
nien, der primären oder sekundären Spermatozyten legte Mikrotubulipaar fehlt, was zur Immotilität
oder der runden Spermatiden. Die Ursachen des führt. Beim Syndrom der immotilen Zilien führt
Spermatogenesearrests können primär genetisch be- ein anlagemäßiger Defekt der Spermiogenese zu
dingt sein (z. B. Trisomien) oder auf sekundäre Ein- einem Konstruktionsfehler des Spermienschwanzes.
flüsse zurückgehen (Radio- und Chemotherapie, Le- Es fehlen die Dyneinearme, die die Mikrotubuli mit-
ber- und Niereninsuffizienz). In vielen Fällen blei- einander verbinden, und es resultiert eine Immotili-
ben die Ursache des SCO-Sydroms und des Sperma- tät der Spermien. Bei der Globozoospermie liegen
togenesearrestes unklar. akrosomenlose Spermien mit kugelrunden Köpfen
vor (Abb. 6-18).

Abb. 6-28a-g. Elektronenmikroskopische Aufnahmen von ren Doppeltubuli. c Querschnitt eines Spermiums mit "9 + 0"-
Spermien (PD Dr. D. Neugebauer): a Längsschnitt eines nor- Syndrom ohne die zentralen Tubuli. d Spermium mit "5 + 2"-
malen menschlichen Spermiums mit Nukleus (N), Akrosom Defekt. e "8 + 2"- und "6 + 2"-Defekt innerhalb einer Zelle.
(A), Mitochondrien (M), und Cytoplasma (C). b Im Quer- f externe Mikrotubuli. g "3 + 2 + I" -Defekt. Spermien mit de-
schnitt ist das Axonern mit zwei zentralen und neun periphe- fekter Anordnung der Mikrotubuli sind immotil
278 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

6.12.3 6.13
Klinik Idiopathische Infertilität

Symptome und Beschwerden 6.13.1


Allen Störungen der Spermatogenese gemeinsam ist Epidemiologie
das Problem der Infertilität. Patienten mit dem Syn-
drom der immotilen Spermien können auch von Die idiopathische Infertilität stellt eine Ausschluss-
Atemwegsstörungen betroffen sein, da die Zilien diagnose dar und darf erst nach Ausschluss anderer
der Atemwege nach demselben Bauprinzip wie Sper- fertilitätsstörender Ursachen gestellt werden. Die Se-
mien aufgebaut sind und gestört sein können. Wenn minalparameter können subnormal sein, und eine
gleichzeitig ein Situs inversus und Bronchiektasen Erhöhung des FSH kann einen Hinweis auf eine
vorliegen, handelt es sich um ein Kartagener-Syn- Spermatogenesestörung geben. Rund 30 o/o aller
drom. eine Fertilitätssprechstunde aufsuchenden Männer
leiden an einer idiopathischen Infertilität mit re-
duzierten Spermienparametern oder pathologischen
6.12.4 Hormonkonzentrationen unbekannter Ursache.
Diagnostik

Anamnese 6.13.2
Die Infertilität ist oft das einzige Symptom, das erst Pathogenese
durch unerfüllten Kinderwunsch evident wird.
In den Fällen, in denen aus diagnostischen und/oder
Körperliche Untersuchung therapeutischen Gründen eine Hodenbiopsie durch-
Es gilt dieselbe Vorgehensweise wie bei allen Infer- geführt wird, können teilweise Störungen der Sper-
tilitätpatienten (s. Abschn. 6.3). matogenese beobachtet werden. In vielen Fällen
bleibt dabei die Pathogenese jedoch unklar und
eine Einteilung erfolgt lediglich deskriptiv.
Technische Verfahren
Die Globozoospermie kann auch mit der gewöhn-
lichen Lichtmikroskopie beurteilt werden. Zur Dia-
6.13.3
gnose des 9 + 0-Syndroms und des Syndroms der
Klinik
immotilen Zilien werden elektronenmikroskopische
Verfahren benötigt. Störungen der Spermatogenese
Symptome und Beschwerden
werden in durch eine Hodenbiopsie gewonnenen
Unerfüllter Kinderwunschtrotz regelmäßigen unge-
testikulären Präparaten beurteilt (s. auch Abschn.
schützten Verkehrs.
6.3).

6.12.5 6.13.4
Differentialdiagnose Diagnostik und Differentialdiagnose

Differentialdiagnostisch kommen alle anderen Ur- Die Diagnose der idiopathischen Infertilität kann
sachen der Infertilität in Frage (s. Tabelle 6-4}. nur dann gestellt werden, wenn andere Ursachen
ausgeschlossen wurden.

6.12.6 Immunologisch bedingte Infertilität


Therapie Das Konzept der immunologischen Infertilität be-
ruht auf dem Nachweis von Spermienantikörpern
Eine kausale Therapie des Spermatogenesearrest im Ejakulat infertiler Männer z. B. mit dem MAR-
und des "Sertoli-cell-only-Syndroms" existiert Test (s. Abschn. 6.3). Eine Therapie mit immuno-
nicht. Bei den beschriebenen Spermiendefekten suppressiven Glucocorticoiden kann aufgrund der
konnten jedoch Schwangerschaften nach testikulä- mangelnden Effektivität und der corticosteroidbe-
rer Spermienextraktion (TESE) oder direkter Ge- dingten Nebenwirkungen (Osteoporose, Hüftkopf-
winnung aus dem Ejakulat mit anschließender nekrose) nicht empfohlen werden. Die Therapie
Mikroinjektion (ICSI) erzielt werden. der Wahl bei mehr als 50 o/o antikörpergebundenen
6.13 Idiopathische Infertilität 279

Spermien besteht gegenwärtig in der Anwendung • Malignome. Malignome sind häufig per se mit
einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion einer Beeinträchtigung der Spermatogenese korre-
(ICSI). liert. Informationen dazu liegen hauptsächlich
über Patienten mit Lymphomen, Leukämien oder
Hodentumoren vor. Ungefähr die Hälfte aller Pa-
Fertilitätsstörungen als Folge tienten mit testikulären Keimzelltumoren zeigen
von extratestikulären Erkrankungen und Noxen eine Beeinträchtigung der Spermatogenese vor jeg-
Zahlreicheinternistische und neurologische Erkran- licher Behandlung oder nach Orchiektomie vor einer
kungen können zu einer Einschränkung der männ- zytotoxischen Chemotherapie. Bei Patienten mit
lichen Fertilität führen. eingeschränkter Fertilität erfolgt deshalb eine routi-
nenmäßige Sonographische Untersuchung der Ho-
• Leberzirrhose. Fertilität und Libido von Patien- den als hochsensitives diagnostisches Verfahren.
ten mit Leberzirrhose sind deutlich eingeschränkt. Bei einer allgemeinen Inzidenz für Hodentumoren
Falls überhaupt ein Ejakulat gewonnen werden von 1 : 30.000 pro Jahr finden wir bei ca. jedem
kann, besteht meist eine therapieresistente Oligoas- 200. Patienten mit Infertilität einen Hodentumor,
thenoteratozoospermie. meist mit Hilfe der routinemäßig eingesetzten Sono-
graphie.
• Entzündliche Darmerkrankungen. Entzündliche
Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und M. • Chemotherapeutika. Die Malignomtherapie mit
Crohn können zu einer Verminderung der Fertilität zytotoxischen Chemotherapeutika ermöglicht im-
führen. Dabei ist es schwierig zwischen krankheits- mer häufiger Langzeitremissionen oder Heilungen.
spezifischen und medikamentös-toxischen Effekten • Die alkylierenden Substanzen Cyclophosphamid,
zu differenzieren. Chlorambuzil und Cisplatin führen bei Dosen
über 7.500 mg/m 2, 400 mg/m 2 bzw. 600 mg/m 2
• Chronische Niereninsuffizienz. Eine chronische zu einer irreversiblen Schädigung der Spermato-
Niereninsuffizienz führt bei 60% der betroffenen genese.
Männer zu einer Störung der Hodenfunktion mit • Die Behandlung mit Stickstofflost, Procarbazin,
Libidoverlust, erektiler Dysfunktion und ausgepräg- Prednison und Vincristin (MOPP oder MVPP)
ter Oligoasthenoteratozoospermie. Eine Therapie führt schon nach 2 Behandlungszyklen bei allen
durch Hämodialyse verhindert eine weitere Ver- Patienten zur meist irreversiblen Azoospermie.
schlechterung der Ejakulatbefunde und den stetigen • Die Antimetaboliten Methotrexat, 5-Fluorouracil
Anstieg des FSH als Ausdruck der progressiven sowie die Topoisomeraseinhibitoren sind in kon-
Schädigung des Keimepithels nicht. Dagegen tritt ventioneller Dosierung mit keiner dauerhaften
nach Nierentransplantation mit der Verbesserung Reduktion der Spermatogenese assoziiert.
der Nierenfunktion auch eine Wiederherstellung • Teilweise reversibel sind die nach einer Kombina-
der Fertilität ein. tion von Cisplatin, Vinblastin, Bleomycin und
Doxorubicin auftretenden Spermatogeneseschä-
• Diabetes mellitus. Die Prävalenz der erektilen den.
Dysfunktion beträgt bei jungen Patienten
(20-24 Jahre) mit Diabetes mellitus etwa 6% und Über die Möglichkeit der Kryokonservierung von
nimmt mit dem Alter zu (50% aller 55-bis 59-jäh- Spermien vor einer möglicherweise irreversibel fer-
rigen). Das Auftreten der erektilen Dysfunktion tilitätschädigenden Zytostatikatherapie, Radiatio
korreliert mit dem Vorkommen der diabetischen oder Orchiektomie muss daher jeder Patient ohne
Komplikationen Nephropathie, Neuropathie und abgeschlossene Familienplanung ausführlich bera-
Angiopathie. Besteht ein Testosteronmangel, sollte ten werden. Denn trotz aller Versuche gibt es bisher
eine Substitution erfolgen, da bei einem Teil der keine effektive Gonadenprotektion für Patienten,
Patienten die erektile Dysfunktion gebessert werden die sich einer keimzellzerstörenden Therapie unter-
kann. Besteht eine Aspermie, erfolgt zum Aus- ziehen müssen.
schluss einer retrograden Ejakulation eine Unter-
suchung des Urins nach Masturbation. Finden • Medikamente. Zahlreiche Medikamente, neben
sich dabei Spermien, können diese einerseits für den Zytostatika besonders die mit sympathischer
assistierte Reproduktionsverfahren gewonnen wer- oder parasympathischer Aktivität, können eine Re-
den. Andererseits können in einigen Fällen präkoital duktion von Libido, Erektionsfähigkeit oder Ejaku-
eingenommene sympathomimetisch wirkende Sub- lationsvermögen bewirken. Genannt seien die häufig
stanzen (z. B. das Antidepressivum Imipramin) eine verordneten ß- Blocker sowie Psychopharmaka und
antegrade Ejakulation herbeiführen. Antikonvulsiva. Falls möglich kann bei bestehen-
280 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

dem Kinderwunsch vorübergehend eine Alternativ-


6.13.5
medikation verschrieben werden.
Therapie
• Umweltgifte. Die Frage nach dem Einfluss von
Trotz des FehJens klarer pathophysiologischer Kon-
Umweltgiften auf die männliche Fertilität ist noch
zepte wurden zahlreiche Behandlungen bei idiopa-
nicht hinreichend beantwortet. Zahlreiche Pestizide,
thischer Infertilität empfohlen, die teils mit nicht-
Fungizide und Herbizide reichem sich aufgrund ih-
hormonellen, teils mit hormonellen Substanzen
rer Stabilität und ihres lipophilen Charakters in der
durchgeführt wurden.
Nahrungskette an, bewirken jedoch nur in Fällen
einer direkten Exposition mit hohen Schadstoffkon-
zentrationen eine nachweisbare Fertilitätsstörung, Nichthormonelle Substanzen
z. B. bei Arbeitern in den Produktionsstätten. Perso- Als nichthormonelle Substanz wurde Kallikrein an-
nen, die als Landarbeiter Kontakt mit dem Pestizid gewendet. Kallikrein ist ein Glykoprotein, das an der
Dibromochlorpropan hatten, wiesen eine erhöhte enzymatischen Aktivierung der für den Spermien-
Infertilitätsrate bei reduzierter Spermienkonzentra- metabolismus relevanten Kininogene beteiligt ist.
tion auf. Einen gesicherten negativen Effekt auf die Zahlreiche nichtkontrollierte Studien zeigten einen
Hodenfunktion haben im Tierversuch Schwefelkoh- positiven Effekt auf Schwangerschaftsraten. Kalli-
lenstoff und Blei. Bei einer großen Anzahl weiterer krein wurde daraufhin lange Zeit bei idiopathischer
Substanzen, z. B. Cadmium, Quecksilber oder Lö- Infertilität eingesetzt.
sungsmittel, können negative Effekte lediglich ver-

D
mutet werden. Trotz verschiedener Publikationen Kontrollierte Studien konnten jedoch keine positiven
über eine mögliche allgemeine Reduzierung der Auswirkungen auf Spermienparameter oder Schwan-
Spermienqualität in den letzten Jahrzehnten ist gerschaftsraten zeigen, wodurch die Therapie mit
ein solcher Trend nicht sicher zu belegen. Vielmehr Kallikrein obsolet wurde.
führen methodische und/oder analytische Probleme
zu Fehlinterpretationen.
Die Wirksamkeit von Pentoxiphyllin oder der als
Antioxidanzien wirkenden Substanzen Vitamin E
• Chronischer Alkoholkonsum. Moderater Alko-
und Vitamin C im Hinblick auf erhöhte Schwanger-
holkonsum birgt keine Gefahr für die Fertilität.
schaftsraten wurde bisher nicht schlüssig bewiesen.
Chronischer Alkoholkonsum mit Suchtcharakter
kann als eine Auswirkung des generellen metaboli-
schen Schadens zu einer Fertilitätsabnahme führen. Hormone
Da GnRH, Gonadotropine und Testosteron für eine
• Nikotin. Die allgemeine Empfehlung gerade an normale testikuläre Funktion benötigt werden und
Infertilitätspatienten, das Rauchen aufzugeben, be- beim Hypogonadismus wirksam sind, fanden sie
ruht auf epidemiologischen Untersuchungen, die auch bei der hormonellen Behandlung der idiopa-
eine leichte Reduktion für die Spermienparameter thischen männlichen Infertilität ihre Anwendung,
Konzentration, Motilität und Morphologie bei auch wenn keine endokrinen Defekte gefunden wer-
Rauchern zeigen. Die negative Korrelation zwischen den konnten. Für die pulsatile GnRH-Gabe konnte
Rauchen und Spermienkonzentration und -motilität keine Wirksamkeit nachgewiesen werden. Die Not-
ist allerdings bei fertilen Probanden stärker aus- wendigkeit von Testosteron für eine reguläre Sper-
geprägt als bei infertilen Patienten. Ferner bestehen matogenese führte zu einem breiten Gebrauch von
Hinweise auf ein erhöhtes relatives Risiko für Mesterolon (Proviron), dessen Wirksamkeitsnach-
kongenitale Anomalien und die Entwicklung von weis für die idiopathische Infertilität in randomisier-
Malignomen bei den Nachkommen von rauchenden ten, kontrollierten Studien nicht erbracht werden
Vätern. konnte. Dasselbe gilt für Antiöstrogene, Clomiphen
und Tamoxifen. Die Gonadotropine hCG/hMG wur-
• Stress. Extremer Stress, wie er z. B. nach einem den zur Behandlung der idiopathischen Infertilität
verheerendem Erdbeben in Japan festgestellt wurde, eingesetzt, auf der Hypothese beruhend, dass die Er-
wird in Einzelfällen als Ursache verminderter Sper- höhung der Gonadotropinwerte möglicherweise zu
mienmotilität vermutet. Ob allerdings gewöhnliche einer Stimulation der Spermatogenese führt. In
Stresssituationen, wie sie z. B. am Arbeitsplatz oder einer randomisierten, doppelblinden, plazebokon-
in der Familie auftreten, einen wesentlichen Effekt trollierten Studie für normogonadotrope Patienten
auf die männliche Fertilität ausüben, blieb bisher mit Oligoasthenoteratozoospermie zeigte die hCG/
unbewiesen. hMG-Behandlung keinen positiven Effekte im Hin-
blick auf Spermienparameter oder Schwanger-
6.13 Idiopathische Infertilität 281

schaftsrate. In einer kürzlich abgeschlossenen, dop-


pelblinden, kontrollierten Studie zur Anwendung
eines rekombinanten humanen FSH-Präparates
bei idiopathischer Infertilität konnten wir keine Ver-
besserungen der konventionellen biochemischen
Parameter oder elektronenmikroskopischer Sper-
mienparameter nachgeweisen. Allerdings zeigte
sich ein größeres Hodenvolumen und eine höhere
Spermien-DNA-Kondensationsrate in der Verum-
Gruppe. Zur Evaluierung der Wirksamkeit der The-
rapie mit rekombinantem FSH bei idiopathischer
Infertilität müssen daher weitere Studien durchge-
führt werden.

Assistierte Reproduktionsverfahren
Führt die Diagnostik der Infertilität zu keiner Auf-
klärung der Ursachen mit der Möglichkeit einer
wirksamen kausalen Therapie, können assistierte
Reproduktionsverfahren für die Überwindung der
ungewollten Kinderlosigkeit zur Anwendung kom-
men.

b
• Intrauterine Insemination. Bei der homologen
intrauterinen Insemination werden durch spezielle
Verfahren ("Swim-up-" oder "Percoll-Präparation")
konzentrierte und selektionierte motile Spermien in
das Cavum uteri der Partnerin übertragen. Die
Wirksamkeit der Insemination hinsichtlich Schwan-
gerschaftsraten wurde bei geringgradigen Formen
der männlichen Subfertilität und bei gestörter Sper-
mien-Zervikalmukus-Interaktion in kontrollierten
Untersuchungen gesichert. Unter einer ovariellen
Stimulationsbehandlung der Partnerin mit bis zu
4 aufeinander folgenden Behandlungen ist die ku-
mulative Schwangerschaftsrate bei vergleichbaren
Ausgangswerten mit der aufwendigeren In-vitro-
Fertilisation (IVF) ähnlich hoch. Zu bedenken ist je-
doch das erhöhte Risiko von Mehrlingsgraviditäten
unter ovarieller Stimulationsbehandlung.

• In-vitro-Fertilisation. Als In-vitro-Fertilisation


(IVF) wird das erstmals 1978 erfolgreich angewandte
Verfahren der extrakorporalen Eizellbefruchtung
bezeichnet. Die IVF ermöglicht nicht nur die gezielte
Zugabe einer bestimmten Anzahl motiler Spermien,
sondern auch die gezielte Auswahl reifer Eizellen
unter hormoneller Stimulation, die genaue Beobach-
tung des Ergebnisses der Befruchtung und die Über- Abb. 6-29a-d. Vorgang der intrazytoplasmatischen Injek-
tragung von Embryonen in die Gebärmutter. Von tion einer beweglichen Samenzelle in eine Oozyte im Meta-
den 86, im Deutschen IVF-Register vertretenen Be- phase-li-Stadium. Das Polkörperehen ist bei 6.00 Uhr sichtbar.
a Die immobilisierte Samen zelle ist in der Mikropipette sicht-
handlungszentren wurden 1987 fast 17.000 IVF-Be- bar (Pfeil) . b Penetration der Mikropipette durch die elastische
handlungen durchgeführt, bei einer mittleren klini- Zona pellucida. c Einführen der Mikropipette in die Vitellin-
schen Schwangerschaftsrate von 22,6% pro Em- membran der Oozyte. d Aspiration der Vitellinmembran und
einer kl einen Menge der Zytoplasma in die Mikropipette vor
bryotransfer. Die häufigste Indikation für eine IVF der eigentlichen Ubertragung der Samenzelle in die Oozyte
stellte der Tubenverschluss mit 52,5% dar. hinein
282 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

• Intrazytoplasmatische Spermieninjektion. Bei


einer niedrigen Spermienkonzentration kommt
das Verfahren der intrazytoplasmatischen Spermie-
ninjektion (ICSI) zur Anwendung. Hierbei wird ein
vitales Spermium direkt in die Eizelle injiziert. Mit
dieser 1992 etablierten Methode der assistierten Fer-
tilisation können nicht nur Störungen der Sper-
mienmotilität und -kapazitation, sondern auch
funktionelle und anatomische Anomalien des Ho-
dens, des Nebenhodens und der ableitenden Samen-
wege überwunden werden. Spermien können dazu
direkt aus dem Nebenhoden ("microsurgical epidi-
dymal sperm aspiration" = MESA) oder dem Ho-
den ("testicular sperm extraction" = TESE) durch
Abb. 6-30. Testikuläre Feminisierung
ein Biopsie gewonnen werden. Kann auf eine histo-
logischen Untersuchung verzichtet werden, z. B. bei
obstruktiver Azoospermie, ist eine perkutane epidi-
dymale Spermienaspiration (PESA) oder eine testi- eine testikuläre Feminisierung diagnostiziert.
kuläre Spermienaspiration (TESA) möglich. In Der Patientin und deren Schwester wurde mit-
Deutschland wurde im Jahr 1998 ca. 24.000-mal geteilt, dass keine Regelblutung eintreten wird
die ICSI -Methode eingesetzt (Abb. 6-29). und mit einer Schwangerschaft nicht zu rechnen
ist, allerd ings ohne die exakte Diagnose zu
nennen. Bei beiden Schwestern wurden die je-
Störungen im Bereich weils abdominal liegenden Hoden (gegenüber
der Androgenzielorgane
der Patientin: "Keimdrüsen") operativ entfernt
und eine Substitutionstherapie mit Östrogenen
eingeleitet. Die Patientin heiratete im Alter
6.14
von 24 Jahren und das Ehepaar adoptierte später
Androgenresistenzsyndrom
2 Kinder.
6.14.1
Fallpräsentation
6.14.2
Epidemiologie
Eine 21-jährige Patientin mit 172 cm Körper-
größe teilte ich wegen primärer Amenorrhö Bei Androgenresistenz sind zwar die Androgene in
in der gynäkologischen Ambulanz vor. Bei der adäquater Menge vorhanden, können aber nicht die
18-jährigen Schwester sei bisher auch keine Re- erwarteten Effekte in den Zielgeweben hervorrufen.
gelblutung eingetreten. Auffällig i t die fehlende Das Androgenresistenzsyndrom (ARS) ist die häu-
Achsel- und Genitalbehaarung ("hairless wo- figste identifizierbare Ursache des männlichen Pseu-
man"). In der gynäkologi chen Unter uchung dohermaphroditismus. Die betroffenen Patienten
konnte eine normale weibliche Bru tentwick- besitzen klassischerweise einen normalen männli-
lung und eine blind endende cheide festgestel_lt chen Karyotyp 46,XY, regelrecht entwickelte jedoch
werden (Abb. 6-30). Die vaginale Sonographie unvollständig deszendierte Hoden und feminine
ergab einen fehlenden achweis von Uterus oder teilmaskulinisierte äußere Geschlechtsmerk-
und Ovarien. Die endokrine Diagnostik zeigte male. Folgende Erkrankungen mit Androgenresi-
einen für Frauen während der frühen Follikel- stenz sind bekannt (Abb. 6-31):
pha e typischen Östradiolspiegel (SO pg/ml). • testikuläre Feminisierung (komplett und unkom-
Testosteron erreichte mit 14 nmol/1 eine für plett),
Männer normale Konzentration. LH war mit • Reifenstein-Syndrom,
15 IE/1 erhöht, FSH mit 7 IU/1 im Normbereich. • präpeniles Skrotum und Hypospadie,
Die klinisch gestellte Diagno e einer testiku- • Minimalformen der Androgenresistenz ("infertile
lären Femini ierung wurde durch eine Karyo- male syndrome" und "undervirilized fertile male
typisierung (46,XY) und eine direkte Mutations- syndrome").
analyse des Androgenrezeptorgens be tätigt. Bei
der chwester der Patientin wurde ebenso
6.14 Androgenresistenzsyndrom 283

1 2 3 4 5 6/7
Abb. 6-31. Klinische Einteilung des Ausprägungsgrades oder Kryptorchismus. Grad 4 intersexuelles Genitale: kli-
beim Androgenresistenzsyndrom. Mit zunehmendem Grad torisartiger Phallus, labioskrotale Falten, perineale Öffnung.
(1-7) liegt eine weniger ausgeprägte Maskulinisierung vor. Grad 5 weiblicher Phänotyp mit hinterer Labienfusion und
Grad I normale Maskulinisierung. Grad 2 männlicher Phäno- Klitorisvergrößerung. Grad 6 weiblicher Phänotyp mit Scham-
typ mit leicht ausgeprägtem Defekt der Maskulinisierung, behaarung im Erwachsenenalter. Grad 7 weiblicher Phänotyp
z. B. mit isolierter Hypospadie. Grad 3 männlicher Phänotyp ohne Schambehaarung im Erwachsenenalter. (Aus Quigley et
mit stark ausgeprägtem Defekt der Maskulinisierung: kleiner aL 1995)
Penis, perineoskrotale Hypospadie, Seroturn bifidum und/

Pathogenese
6.14.3
Unterschiedliche Mutationen im X-chromosomalen
Testikuläre Feminisierung
AR-Gen verursachen funktionelle Defekte im AR-
Protein und führen zu verschiedenen Manifestati-
Die Prävalenz der kompletten testikulären Femini-
onsbildern der testikulären Feminisierung. Bei Pa-
sierung wird mit 1 : 20.000 angegeben und dürfte
tienten mit kompletter und inkompletter testikulä-
für die inkomplette Form der Androgenresistenz,
rer Feminisierung liegen normale männliche Testo-
die ein breites Spektrum an klinischen Manifestatio-
steronspiegel vor. Trotzdem bleiben die Wolff-Gän-
nen beinhaltet, ähnlich hoch liegen.
ge hypoplastisch. Die Müller-Gänge, aus denen sich

DNA-bi nde nde

Protein

Normale AR cDN A

.j 2 I 3 I 5 I6 I 7 I 8 ~

Deleti onen

.j I 7 I 3 I s Io I 7 I 8 ~

2 -+{ I 2 3 I s Io I 7 I 8 ~

3 -1 2 I 3 I s Io I 7 I 8 ~
Abb.6-32. Zusammenfassende
Darstellung bekannter Deletionen im
4 -1 I 2 l I s I6 I 7 I 8 ~ Androgenrezeptor (AR)-Gen.
Tm oberen Teil der Abbildung erfolgt
die schematische Darstellung des
5 -+! I 2 l I 5 I6 I 7 I 8 ~ AR-Proteins und einer normalen
AR-DNA. Deletionen, erkennbar an
den dunklen Schattierungen, wurden
6 -1 2 I 3 I 5 I6 I 7 I 8 ~ in verschiedenen Exons der DNA
beschrieben. Infertilität kann vorlie-
gen bei kompletter (1), inkompletter
7 -+! I 2 l I I 5 I6 I 7 I 8 ~ (2, 3) Deletion des gesamten AR-Gens
(I) oder auch bei Deletion nur ein-
zelner Exons (4-8). (Mod. nach
8 -+! I 2 l I 5 I ~~ I 7 I 8 ~ Quigley et aL 1995)
284 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

Uterus und Tuben entwickeln, bilden sich aufgrund gend weiblich. Beim Kind zeigt die Genitaluntersu-
der Sekretion des Anti-Müller-Hormons (MIS = chung eine leicht ausgeprägte Klitorishypertrophie
"Muellerian inhibiting substance") durch die Ser- und partielle Synechie der Labien. Die Virilisierung
toli-Zellen zurück. Die Hoden liegen abdominal des äußeren Genitales kann sich in der Pubertät ver-
oder inguinal und weisen postpubertär hyperplasti- stärken oder stationär bleiben. Die Sexualbehaarung
sche Leydig-Zellen und eine unreife Spermatogenese ist im Gegensatz zur kompletten Form der testiku-
auf. Auf der funktionellen Ebene wurden für die te- lären Feminisierung normal entwickelt. Bei chirur-
stikuläre Feminisierung 2 grundsätzliche Typen des gischer Exploration sind unterentwickelte Nebenho-
AR-Defekts beschrieben: entweder eine Störung der den, Ductus deferens und Samenblasen als Ab-
Androgenbindung oder der DNA-Bindung. Die kömmlinge der Wolff-Gänge nachweisbar.
komplette Deletion des AR-Gens oder eine vollstän-
dig Unfähigkeit zur Androgenbindung führen zur
Diagnostik
Ausbildung einer kompletten testikulären Femini-
• Anamnese. Die Diagnose einer testikulären Femi-
sierung. Im Gegensatz dazu kann die Mutation einer
nisierung kann aufgrundder anamnestischen Anga-
einzelnen Base, die eine Substitution einer Amino-
ben der Patientin (Infertilität, primäre Amenorrhö)
säure bewirkt, mit einer großen klinischen Variabi-
und des Untersuchungsbefundes ("hairless wo-
lität des Androgenresistenzsyndroms einhergehen.
man") leicht klinisch gestellt werden. Bei sorgfältiger
Von den bisher über 200 beschriebenen Mutationen
Anamneseerhebung stößt man in etwa 2 Drittel der
bei den Syndromen mit Androgenresistenz (Testi-
Fälle auf eine positive Familienvorgeschichte. Be-
kuläre Feminsierung, Reifenstein-Syndrom etc.)
troffene weitere Verwandte (Frauen mit ungewollter
wurden die meisten in der steroidbindenden Do-
Kinderlosigkeit, die keine Menstruationsblutung
mäne des AR-Gens identifiziert (Abb. 6-32).
hatten) sind in der matemalen Abstammungslinie
zu suchen. Die Diagnose sollte gegenüber der Pa-
Klinik tientin nicht genannt werden, denn durch unvor-
• Symptome und Beschwerden sichtige Äußerungen von Ärzten oder sorglosen
Umgang mit Arztbriefen können die Patientinnen
akzidentell von der tatsächlichen Diagnose Kenntnis
Symptome der kompletten testikulären •
erhalten, was gravierende psychischen Folgen haben
Feminisierung
kann.
• Normal weibliches äußeres Genitale
• Körperliche Untersuchung. Neben der Festle-
• Blind endende und verkürzte Vagina
gung des Status der Körper- und Geschlechtsbehaa-
• Uterus und Tuben sind nicht angelegt
rung sowie weiterer sekundärer Geschlechtsmerk-
• Abdominal oder inguinalliegende Gonaden (Ho-
male (Brustentwicklung, Fettverteilungstyp) erfolgt
den)
eine genaue Untersuchung des genitalen Status.
• Normaler weiblicher Phänotyp (Fettverteilung,
Mammae)
• Technische Verfahren. Bei Vorliegen von Störun-
• Fehlende Scham- und Achselbehaarung ("hairless
gen im Bereich der Androgenzielorgane muss stets
women")
eine Karyotypisierung und eine direkte Mutations-
• Primäre Amenorrhö und Infertilität
analyse des Androgenrezeptorgens durchgeführt
werden. Unentbehrlich ist die Analyse des Andro-
genrezeptors auf Protein- bzw. Zellebene. Hierbei
Die für die Ausbildung der Mammae notwendigen
wird die Androgenrezeptorbindung in durch Biop-
Östrogene entstammen der peripheren Konversion
sie gewonnenen Fibroblasten der Genitalhaut be-
aus Androgenen. Die Entwicklung der Schambe-
stimmt. Folgende Übersicht gibt den endokrinen Be-
haarung bleibt aus, da diese von Androgenen ab-
fund wieder.
hängig ist. Die Körpergröße ebenso wie die Größe
der Zähne entspricht der von Männern, was mit
der Wirkung Y-chromosomaler Gene in Verbindung Endokriner Befund bei testikulärer Feminisierung
gebracht wird. Das Ausbleiben der Regelblutung ist
häufig das Symptom, welches die Patientinnen zum • LH postpubertär erhöht
Arzt führt. • FSH normal oder leicht erhöht
Die inkomplette Form der testikulären Feminisie- • Erhöhte (männliche) Testosteronwerte
rung nimmt im klinischen Spektrum der Androgen- • Erhöhte Östradiolwerte (bezogen auf männliche
resistenz den Platz zwischen kompletter Form und Vergleichspersonen)
Reifenstein-Syndrom ein. Der Phänotyp ist überwie-
6.14 Androgenresistenzsyndrom 285

Differentialdiagnose in der Durchführung von angleichenden plastischen


• Vaginalaplasie. Die testikuläre Feminisierung Operationen und einer lebenslangen Östrogen- bzw.
muss differentialdiagnostisch von der Vaginalapla- Testosteronsubstitution und Mineral- und Gluco-
sie (Mayer-v. Rokitansky-Küster-Syndrom) mit re- corticoidsubstitution (Abb. 6-33).
gelrechter Ausbildung der Scham- und Achselbe-
haarung abgegrenzt werden. Außer der testikulären • Sweyer-Syndrom. Beim Sweyer-Syndrom handelt
Feminisierung und den anderen Formen der Andro- es sich um eine Störung der gonadalen Differenzie-
genresistenz gibt es weitere Ursachen des Pseudo- rung mit einer so genannten "reinen Gonadendys-
hermaphroditismus masculinus. genesie", d. h. es liegt ein reiner männlicher Karyo-
typ 46,XY und gleichzeitig ein weiblicher Phänotyp
• 17,20- Desmolasedefekt, 17ß- Hydroxysteroid-De- mit einer Hypoplasie der inneren und äußeren Ge-
hydrogenasedefekt. Der 17,20- Desmolasedefekt und nitalien vor. Das klinische Bild ist durch mangelnde
der 17ß- Hydroxysteroid-Dehydrogenasedefekt füh- Maskulinisierung und das Nichteintreten der Puber-
ren selektiv zu einer Störung der Testosteronbiosyn- tät gekennzeichnet. Es besteht die Gefahr des Entar-
these der Leydig-Zellen. Neben einem Hypogonadis- tung der dysgenetischen Gonade zum Gonadobla-
mus können zusätzlich Symptome eines Mineral- stom. Daher wird bei diesen Patienten generell die
und Glucocorticoidmangels auftreten. Die phänoty- Gonadektomie empfohlen.
pische Variationsbreite ist groß und reicht von
einem fast normalen männlichen Genitale mit leich- • Leydig-Zellhypoplasie bei LH-Rezeptordefekt.
ter Hypospadie bis zur Ausbildung eines weiblichen Die Leydig-Zellhypoplasie aufgrund homozygoter
äußeren Genitales mit ausdifferenzierter unterer Mutationen in der transmembranären oder extrazel-
Vagina, Labien und Klitoris. Die Therapie besteht lulären Domäne des LH-Rezeptors konnte als selte-

Abb. 6-33. Patient( in) mit Pseudohermaphroditismus mas- minalen Hoden bei einer Herniotomie zur Diagnose. Nach Go-
culinus, verursacht durch eine 17ß-Hydroxysteroid-Dehydro- nadenentfernung wurde eine Ostrogensubstitutionstherapie
genasedefekt in der Testosteronsynthese. Die Patientin wurde eingeleitet. a Ganzkörperaufnahme mit männlichem Phäno-
als Mädchen aufgezogen und suchte wegen primärer Amenor- typ. b Genitale Klitorishyperthrophie und Introitus vaginae.
rhö ärztlichen Rat, ohne daß die Diagnose gestellt wurde. Erst
im Alter von 29 Jahren führte das Auffinden von intraabdo-
286 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

ne Ursache des männlichen Pseudohermaphroditis-


mus identifiziert werden. Die Therapie besteht in
einer lebenslangen Testosteronsubstitution.

Therapie
Bei testikulärer Feminisierung besteht ein hohes Ri-
siko der malignen Entartung des Hodengewebes mit
einer kumulativen Inzidenz von 30 o/o für Gonaden-
malignome bis zum Erreichen des 50. Lebe!.lsjahres.
Die Hoden müssen daher entfernt werden. Uber den
optimalen Zeitpunkt des Eingriffs existieren unter-
schiedliche Meinungen. Erfolgt die Entfernung der
Hoden erst nach durchlaufener Pubertät, bis zu de-
ren Beendigung man keine maligne Ent~~tung er-
wartet, können die erhöhten endogenen Ostradial-
werte bis dahin die Ausbildung eines normalen
weiblichen Habitus hervorrufen. Wenn die Hoden
schon vor Eintritt der Pubertät entfernt werden,
muss eine entsprechende Östrogensubstitution zur
Pubertätsinduktion erfolgen. Für die Entfernung
Abb. 6-34. Gesamtkörperbild eines Patienten mit Reifen-
vor der Pubertät spricht möglicherweise, dass der stein -Syndrom
Eingriff von einem Kind auf Dauer weniger psy-
chisch traumatisierend als von einem Adoleszenten
erlebt wird.

6.14.4
Reifenstein-Syndrom

Epidemiologie
Über die relative Häufigkeit des Reifenstein-Syn-
droms in der Allgemeinbevölkerung sind keine ge-
nauen Zahlen bekannt.

Pathogenese
Wie bei der testikulären Feminisierung sind Muta-
Abb. 6-35. Genitalbefund desselben Patienten mit Reifen-
tionen im X-chromosomalen AR-Gen für die Mani- stein-Syndrom
festation des Reifenstein-Syndroms verantwortlich.

Klinik Symptome beim Reifenstein-Syndrom


• Symptome und Beschwerden. Der Habitus von
Patienten mit Reifenstein-Syndrom ist männlicher • Perineoskrotale Hypospadie oder Hypospadie
als bei der testikulären Feminisierung aber weibli- mit Seroturn bifidum
cher als bei den Minimalformen der Androgen- e Kleiner Phallus und kleine inguinale Hoden
resistenz. Das äußere Genitale kann in der männli- • Normale Genital- und Axillarbehaarung
chen und weiblichen Richtung differenziert sein, • Spärliche sekundäre Sekundärbehaarung
weist aber stets Intersexcharakter auf (Abb. 6-34 • Gynäkomastie
und 6-35). Symptome des Reifenstein-Syndroms • Azoospermie mit therapieresistenter Infertilität
sind in folgender Übersicht wiedergegeben.
6.14 Androgenresistenzsyndrom 287

Diagnostik
• Anamnese. Die Anamnese der männlich wirken-
den Patienten mit dem Reifenstein-Syndrom sollte
das Vorliegen einer Infertilität und die mögliche
Entwicklung einer Pubertätsgynäkomastie abklären.

• Körperliche Untersuchung. Wie bei der testiku-


lären Feminisierung erfolgt neben der exakten geni-
talen Untersuchung eine Überprüfung des Behaa-
rungsstatus sowie weiterer sekundärer Geschlechts-
merkmale (Brustentwicklung, Fettverteilungstyp ).

• Technische Verfahren. Stets sollte eine Karyoty-


pisierung und eine Mutationsanalyse des Androgen-
rezeptorgens durchgeführt werden. Die Bestim-
mung des endokrinen Befundes ergibt die gleichen
Werte wie bei der testikulärer Feminisierung.

Differentialdiagnose
Im Unterschied zur testikulären Feminisierung liegt
eine nur mittelgradige Virilisierungsstörung vor, in al-
ler Regel mit männlicher psychosexueller Orientierung.

Therapie
Abb. 6-36. Präpeniles Seroturn bifidum. Der hinter dem
Die beim Reifenstein-Syndrom vorliegende Infertili- Skrotum liegende Penis weist eine (auf diesem Bild nicht sicht-
tät kann nicht behoben werden. Wegen der klini- bare) Hypospadie auf. (Aus Meschede et al. 1996)
schen Variabilität des Krankheitsbildes ist die The-
rapie mehr als bei der testikulären Feminisierung in-
dividuell auf den einzelnen Patienten abzustimmen. Symptome bei präpenilem Seroturn bifidum
Die Therapie zielt darauf, den Phänotyp in männli- mit Hypospadie
cher Richtung zu beeinflussen. Chirurgische Maß-
nahmen werden daher auf Korrektur von Hypospa- • Stark beeinträchtigte Spermatogenese
die, Kryptorchismus und Gynäkomastie zielen. • Maldeszendierte Testes
• Verminderte sekundäre Geschlechtsbehaarung
• Fehlender Stimmbruch
6.14.5 • Erektile Dysfunktion
Präpeniles Seroturn bifidum
mit Hypospadie
Bei diesen Patienten kann eine deutlich einge-
Bei dieser Form der Androgenresistenz findet sich schränkte Bindungskapazität des Androgenrezep-
ein vor dem Penis liegendes zweigeteiltes Skrotum, tors gefunden werden. Durch eine Testosteronthera-
und der Penis weist eine ausgeprägte Hypospadie pie können die Symptome des Androgenmangels
auf (Abb. 6-36). nicht überwunden werden.
Zusätzliche Symptome bei präpenilem Seroturn
bifidum mit Hypospadie sind in folgender Übersicht
wiedergegeben. 6.14.6
Minimalformen der Androgenresistenz

Die Mininalformen der Androgenresistenz ("infer-


tile male syndrome" und "undervirilized fertile
male syndrome") sind klinisch wenig markant
und siedeln sich in einem unscharf begrenzten
Übergangsfeld zu Infertilitätsfällen ohne Störung
der Androgenwirkung bzw. Varianten des Nor-
malen an. Beide Syndrome sind jedoch durch nach-
288 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

weisbare Mutationen im Androgenrezeptor charak- von 32 Kindern mit Hypospadie konnte in einem
terisiert. Fall ein partieller Defekt der Sa-Reduktase 2 gefun-
den werden. Allgemeine epidemiologische Daten für
die insgesamt seltene Störung liegen nicht vor.
Infertile Male Syndrome
Die Diagnose "infertile male syndrome" (IMS) stützt
sich im Wesentlichen auf 3 zu erfüllende Kriterien: Pathogenese
• 1. pathologisches Spermiogramm und Infertilität, Eine Reihe verschiedener Mutationen für das auf
e 2. männlicher Habitus mit anatomisch normalem dem Chromosom 2 liegende Gen der Sa-Reduk-
Genitaltrakt, tase 2 werden für das klinische Bild der perineoskro-
e 3. Anomalie des Androgenrezeptors (Mutation). tale Hypospadie mit Pseudovagina (PHP) verant-
wortlich gemacht.
"Undervirilized Fertile Male Syndrome"
Als mildester Ausbildungsgrad der Androgenresi- Klinik
stenz wird das "undervirilized fertile male syn- • Symptome und Beschwerden. Die Erkrankung
drome" (UFMS) angesehen. Unter dieser diagnosti- sollte bei jedem Neugeborenen mit Intersexgenitale
schen Kategorie werden Patienten zusammenge- in die differentialdiagnostische Erwägungen einbe-
fasst, die eine gewisse Einschränkung des Virilisie- zogen werden. Patienten mit PHP werden meist
rungsgrades aufweisen mit folgenden Symptomen als Mädchen aufgezogen, sind aber genetisch männ-
bzw. Störungen. lich (s. Übersicht).
e Geringer Bartwuchs
• Spärliche Körperbehaarung
Typisches klinisches Bild der perineoskrotale
• Gynäkomastie
Hypospadie mit Pseudovagina
e Kleiner Penis
e Anomalie des Androgenrezeptors (Mutation)
• Weiblich differenziertes äußeres Genitale mit
Klitorishypertrophie
Klinik • Obligate skrotale oder perineale Hypospadie
• Anamnese und Diagnostik. Bei den Minimalfor- e Stets extraabdominal gelegene Gonaden
men der Androgenresistenz werden in der Anamne- (Leiste, große Labien)
se insbesondere Fragen zum unerfülltem Kinder- e Angelegte Nebenhoden, Samenleiter und Samen-
wunsch gestellt. Die Diagnostik entspricht der bei blasen (Wolff-Gänge)
der idiopathischen Infertilität. e Blind endende Pseudovagina
• Oberes Vaginaldrittel, Zervix, Uterus und Tuben
fehlen (Müller-Gänge)
Therapie
Ob sich beim "infertile male syndrome", das u. a.
durch ein pathologisches Spermiogramm charakte- Diagnostik
risiert ist, und beim "undervirilized fertile male syn- • Anamnese. Bei Verdacht auf das Vorliegen einer
drome" mit einer zusätzlichen Androgenzufuhr ein perineoskrotalen Hypospadie mit Pseudovagina
positiver Effekt erzielen lässt, ist ungeklärt. sollte die Frage nach dem Ausbleiben der Regelblu-
tung erfolgen. Eine positive Familienanamnese kann
bei der Diagnosestellung hilfreich sein. Die Erkran-
6.14.7 kung wird autosomal dominant vererbt; demnach
Sa-Reduktase-2-Defizienz sind weitere Erkrankungsfälle am ehesten bei Ge-
(Perineoskrotale Hypospadie mit Pseudovagina) schwistern zu erwarten. Die Krankheit kommt ge-
häuft bei Kindern aus konsanguinen Partnerschaf-
Epidemiologie ten vor.
Bei der Sa-Reduktase-2-Defizienz handelt es sich
um eine Störung der Androgenwirkung, allerdings • Körperliche Untersuchung. Bei Vorliegen einer
nicht auf Rezeptor-, sondern auf metabolischer Androgenresistenz werden die möglicherweise ex-
Ebene. Die Sa-Reduktase-2-Defizienz wird auch traabdominal liegenden Gondaden in der Leiste
als perineoskrotale Hypospadie mit Pseudovagina oder den großen Labien aufgesucht. Die Durchfüh-
(PHP) bezeichnet. Der grundlegende Defekt liegt rung einer vaginalen Untersuchung ist notwendig.
in einer gestörten Konversion von Testosteron zu
Dihydrotestosteron (DHT) durch das Enzym Sa- Re- • Technische Verfahren. Bei Verdacht auf eine Sa-
duktase 2. In einem selektierten Patientenkollektiv Reduktase-2-Defizienz sollte eine direkte Mutati-
6.15 Gynäkomastie 289

onsanalyse des entsprechenden Gens auf Chromo- lung sollte durch eine nichtzyklische Östrogensub-
som 2 durchgeführt werden. Die Aktivitätsmessung stitution unterstützt werden. Wird der Patient als
der Sa-Reduktase 2 in kultivierten Genitalhautfibro- Junge erzogen, so müssen Begleitfehlbildungen
blasten ist zur Diagnosesicherung von hohem Wert, wie beispielsweise eine Hypospadie entsprechend
kann jedoch nur in Speziallabors durchgeführt wer- korrigiert werden. In der Pubertät gelingt es - vor
den. Der endokrine Befund (bei Kinder zustätzlich allem bei partiellem Enzymdefekt - durch hochdo-
Stimulation durch hCG-Test) ergibt: sierte Testosteronapplikation, die allgemeine Virili-
• erhöhter Testosteron/DHT -Quotient, sierung zu begünstigen.
• Serumtestosteron normal oder leicht erhöht,
• normale Serumöstrogenspiegel,
• LH und FSH normal oder erhöht. 6.15
Gynäkomastie
Differentialdiagnose
6.15.1
Im Gegensatz zur testikulären Feminisierung ist die
Fallpräsentation
Lage der Gonaden stets extraabdominal, entweder
im Bereich der Leisten oder der Labien bzw. des
Skrotums. Ein weiterer wichtiger Unterschied be- Ein 53-jähriger Mann in gutem AZ und mit
steht darin, dass bei der Sa-Reduktase-2-Defizienz gesundem Aussehen stellte sich wegen einer
die Derivate des Wolff-Gangsystems (Nebenhoden, seit 4 Monaten bestehenden und langsam zu-
Ductus deferens, Glandulae seminales) angelegt nehm enden beidseitigen Gynäkomastie im In-
sind. Die pränatale Erhaltung bzw. Differenzierung stitut für Reproduktionsmedizin der Universität
dieser Strukturen ist von Testosteron, nicht aber von Münster vor (Abb. 6-37). Bei der Inspektion der
DHT abhängig. Mammae fällt eine deutliche Brustentwicklung
mit beidseits palpablen, leicht druckdolenten
• Hermaphroditismus verus. Ein intersexuelles Drüsenkörpern (Durchmesser 35 mm) auf.
Genitale liegt auch beim seltenen Hermaphroditis- Auf Befragen teilt der Patient mit, dass seit
mus verus vor (weltweit ca. 400 beschriebene Fälle). ca. einem halben Jahr die Libido erloschen sei
Hierbei kann sowohl testikuläres, als auch ovarielles und eine erektile Dysfunktion bestehe. Bei der
Gewebe bei einem Patienten nachgewiesen werden.
Ungefähr 2/3 aller Patienten haben eine 46,XX-Ka-
ryotyp, 10 % einen 46,XY-Karyotyp, bei den Übrigen
liegt ein chromosomales Mosaik mit mindestens
einer Y-Zellinie vor. Bei phänotypisch männlichen
Patienten mit Hermaphroditismus verus ist es not-
wendig, alles ovarielle Gewebe komplett zu entfer-
nen. Bei phänotypisch weiblichen Patienten mit
Hermaphroditismus verus muss alles testikuläre Ge-
webe zur Vermeidung einer fortschreitenden Virili-
sierung und aufgrund des erhöhten Tumorrisikos
entfernt werden.

Therapie
In Abhängigkeit von der Ausprägung der äußeren
Genitalorgane beim Neugeborenen muss entschie-
den werden, ob eine Erziehung als Junge oder Mäd-
chen sinnvoll erscheint. Die meisten Patienten mit
Sa-Reduktase-Mangel werden als Mädchen erzogen.
In diesen Fällen sollten frühzeitig plastische Korrek-
turen der äußeren Geschlechtsorgane vorgenom-
men werden, um im Falle einer stärkeren Virilisie-
rung während der Pubertät die geschlechtliche Ent-
stellung zu vermeiden. Hierzu muss in vielen Fällen
eine Teilresektion der Klitoris vorgenommen wer-
den, um die weitere Ausprägung des Organs zum
Mikrophallus zu verhindern. Die Pubertätsentwick- Abb.6-37. Älterer Mann mit Gynäkomastie
290 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

Physiologische Gynäkomastie
körperlichen Untersuchung fallt eine für das Das histologisch und funktionell identisch aufge-
Alter kleine Pro tata auf und die Sonographie baute männliche und weibliche Brustdrüsengewebe
ergibt einen kreisrunden hypodensen Bezirk des Neugeborenen reagiert fast regelmäßig auf die
im linken Hoden. Die Hormonuntersuchung zirkulierenden Östrogene der fetoplazentaren Ein-
im Serum zeigt einen reduzierten Wert für heit mit der Entwicklung einer Gynäkomastie. Die
das Testosteron (6,3 nmol/1) und einen hohen Ursachen der physiologischen Pubertätsgynäkoma-
Östradiolwert (230 pmol/1). Die Tumormarker stie sind weitgehend unbekannt. Bei Jugendlichen
AFP und ß-hCG sind nicht erhöht. Aufgrund mit Pubertätsgynäkomastie liegen die Serumspiegel
des Verdacht auf einen Hodentumor wurde für Testosteron, Östradiol, LH, FSH und Prolaktin
eine sofortige Operation veranlasst. Der Schnell- meist im altersentsprechenden Normbereich. Eine
schnitt zeigt einen Leyd ig-Zelltumor, der im Expression von Östrogenrezeptoren als mögliche
Gesunden unter Erhalt des Restgewebes enu- Ursache der Pubertätsgynäkomasie konnte nicht
kleiert werden konnte. 4 Monate nach der nachgewiesen werden. Die physiologische Gynäko-
Operation bildete sich die Gynäkomastie mastie in der Seneszenz ist häufig mit einem primä-
spontan zurück und es stellten sich wieder ren Hypogonadismus assoziiert. Regelmäßige Medi-
eine normale Libido und Erektionsfähigkeit kamenteneinnahme und allgemeine Erkrankungen
ein. Die regelmäßige Tumornachsorge erbrachte betreffen überwiegend ältere Menschen. Damit er-
keinerlei Rezidiv oder Metastasierung. höht sich auch das Risiko für die Entwicklung einer
pathologischen Gynäkomastie.

6.15.2
Die pathologische Gynäkomastie
Epidemiologie
Verschiedene Mechanismen können zu der Ausbil -
dung einer Gynäkomastie führen:
Die Gynäkomastie stellt einen vieldeutigen klini-
• eine exogene Zufuhr oder vermehrte endogene
schen Befund dar und ist durch eine primär gutartige
Produktion von Östrogenen und deren Verfüg-
Proliferation des männlichen Brustdrüsengewebes
barkeil im Brustdrüsengewebe,
definiert. Eine physiologische Gynäkomastie kommt
• eine erhöhte Sensitivität gegenüber Östrogene in
in 3 Lebensabschnitten besonders häufig vor:
der Zielzelle,
• Neugeborene weisen in ca. 75% eine Gynäko-
• ein Androgenmangel oder
mastie auf.
• eine Kombination aus diesen Faktoren.
• Während der Pubertät, meist um das 14. Lebens-
jahr, besteht häufig eine physiologische Gynäko-
mastie. • Erhöhte ÖstrogenspiegeL Testikuläre Leydig-
• Im höheren und höchsten Alter wiederum sind Zelltumoren und andere Hodentumoren sowie
bis zu 30% aller Männer von einer Gynäkomastie feminisierende adrenokortikale Tumoren produzie-
betroffen. ren erhöhte Mengen an Östradiol durch Aromati-
sierung von Testosteron bzw. Androstendion. Eine
Auch zahlreiche pathologische Zustände und All- vermehrte Umsetzung von Androgenen zu Östrog-
gemeinerkrankungen sind mit dem Auftreten einer enen ist möglicherweise auch bei Adipositas, Leber-
Gynäkomastie assoziiert. Eine große Anzahl an erkrankungen, Hyperthyreose und beim Klinefelter-
Medikamente kann für die Entwicklung einer Gynä- Syndrom für die Entwicklung einer Gynäkomastie
komastie verantwortlich gemacht werden. verantwortlich (Abb. 6-38). Das Auftreten einer
Gynäkomastie im Zusammenhang mit einer Leber-
zirrhose korreliert mit erhöhten Östrogenspiegeln.
6.15 .3 Dafür sind möglicherweise ein reduzierter Östro-
Pathogenese genmetabolismus und eine vermehrte periphere
Aromatisierung verantwortlich. Die ektope Aus-
Für sich gesehen stellt die Gynäkomastie keine Er- schüttung von (LH) oder Choriongonadotropin
krankung dar, sondern das Symptom eines hormo- und strukturell verwandter Stoffe aus testikulären
nellen Ungleichgewichtes, zugunsten einer Östro- Chorionkarzinomen, Tumoren der Lunge, Leber
gen- gegenüber der Testosteronwirkung im hor- und Niere kann über eine vermehrte Freisetzung
monregulierten Brustdrüsengewebe. Dieses Un- von Androgenen und deren Aromatisierung zu
gleichgewicht kann Ergebnis eines physiologischen Östradiol ebenfalls zu einer Gynäkomastie führen.
zeitlich begrenzten Vorganges oder eines pathologi- Östrogene steigern ihre Wirksamkeit durch Sup-
schen Zustandes sein. pression der Testosteronproduktion aufgrund einer
6.15 Gynäkomastie 291

• Beim chronischen Nierenversagen liegt der


Grund für das Auftreten einer Gynäkomastie ver-
mutlich in einer veränderten LH- Pulsatilität und
LH-Verfügbarkeit. Zudem liegen erhöhte Prolak-
tinspiegel bei verzögerter Clearance vor.
• Patienten mit HIV entwickeln eine Gynäkomastie
aufgrundeines primären oder sekundären Hypo-
gonadismus. Ursächlich könnten eine Mangeler-
nährung oder hohe Cortisolspiegel hinzukom-
men.

Medikamente
Die Gabe einer ganzen Reihe von Medikamenten
Abb. 6-38. Klinefelter-Patient mit Gynäkomastie kann mit der Entwicklung einer Gynäkomastie ein-
hergehen. Nur für wenige Medikamenten sind die
genauen Pathomechanismen bekannt.
Hemmung der hypophysären LH-Sekretion und
• Spironolacton, Ketokonazol. Die beiden Medika-
einer direkten Unterdrückung der testikulären
mente Spironolacton und Ketokonazol bewirken bei
P4so-cl7- Enzymaktivität
längerer Anwendung eine Gynäkomastie durch eine
Verdrängung der Östrogene vom sexualhormonbin-
• Erniedrigte Androgenspiegel mit relativem
denden Globulin (SHBG). Da SHBG eine höhere
Überwiegen der Östrogene oder verminderte All-
Bindungsaffinität für Androgene als für Östrogene
drogensensitivität
besitzt, steigt der Serumspiegel für ungebundenes
• Im Falle eines starken Prolaktinanstieges wie
Östradiol. Spironolacton stört zudem die Testoste-
beim Prolaktinom kann es über eine Hemmung
ronsynthese und die Bindung von Testosteron
der Testosteronsynthese oder -Wirksamkeit auf
und Dihydrotestosteron an den Androgenrezeptor.
zellulärer Ebene zur Ausbildung einer Gynäko-
mastie kommen.
• Alkohol. Exzessiver Alkoholkonsum hat vermut-
• Männer mit kongenitaler Anorchie und einem
lich direkte toxische Effekte auf den Hoden. Zudem
normalem Chromosomensatz (46,XY) weisen Te-
erhöht es den Abbau von Testosteron in der Leber
stosteronwerte unterhalb der Nachweisgrenze auf
und verstärkt die Aromatisierung von Testosteron
und entwickeln in der Hälfte der Fälle eine Gynä-
zu Östradiol.
komastie.
• Beim männlichen Pseudohermaphroditismus
führt ein Defekt in der Testosteronbiosynthese
zu erniedrigten oder fehlenden Testosteronspie- 6.15.4
geln mit der Ausprägung eines teilweisen oder Klinik
kompletten weiblichen Phänotyps.
• Patienten mit kompletter Androgenresistenz wie Symptome und Beschwerden
bei der testikulären Feminisierung zeigen einen Die physiologische Gynäkomastie des männlichen
weiblichen Phänotyp mit Gynäkomastie bzw. und weiblichen Neugeborenen, die mit einer Sekre-
einer regelrechten weiblichen Brustbildung. tion aus der Brustwarze verbunden sein kann (sog.
Aber auch bei einer inkompletten testikulären Fe- Hexenmilch), führt gelegentlich zur elterlichen Be-
minisierung und dem Reifenstein-Syndrom liegt unruhigung, die durch einen Hinweis auf den phy-
regelmäßig eine Gynäkomastie vor. siologischen Vorgang aufgelöst werden kann. Die
• Erworbene testikuläre Schäden nach Mumpsor- physiologische Pubertätsgynäkomastie kann mit
chitis und Infektionen mit Coxsackie- und Echo- Schmerzen im Bereich der Brust einhergehen. Her-
viren ebenso wie lepröse, tuberkulose oder ande- absetzende Äußerungen und Missverhalten aus der
re granulomatöse Erkrankung der Hoden können Umgebung können ein psychologisches Problem des
zur Ausbildung einer Gynäkomastie führen . betroffenen Jugendlichen verstärken, was auch für
• Viele neurologische Erkrankungen haben eine Patienten anderer Altersgruppen und mit unter-
testikuläre Atrophie zur Folge. Bei der bulbospina- schiedlicher Genese der Gynäkomastie Gültigkeit
len Muskelatrophie Typ Kennedy ist ein Andro- hat. Im Falle einer pathologischen Gynäkomastie
genrezeptordefekt für die Ausbildung der regelmä- kommen zur Brustschwellung weitere krankheits-
ßig vorhandenen Gynäkomastie verantwortlich. spezifische Symptome hinzu. Die sich rasch entwik-
292 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

kelnde Gynäkomastie kann wie im Falle eines Ho- im Bereich des Brustdrüsenkörpers, asymmetrische
dentumors Hinweise auf das Vorliegen einer spezi- Veränderungen und Ausfluss bedürfen als mögliche
fischen Erkrankung geben. Beim Klinefelter-Syn- Hinweise auf ein Mammakarzinom einer weiteren
drom und beim Kennedy-Syndrom gilt die Gynäko- Abklärung. Besonderer Wert muss auf die Unter-
mastie als pathognomonisch. suchung der Hoden gelegt werden sowie die Erhe-
bung eines Status der sekundären Geschlechtsmerk-
male. Tumoröse und entzündliche Veränderungen
6.15.5 im Bereich der Leber und Nieren können teilweise
Diagnostik palpatorische erfasst werden.

Anamnese
Technische Verfahren
Bei der altersspezifischen Erhebung der Anamnese
Die Ausdehnung der Brustdrüsenkörper kann sono-
sollte neben Informationen über Beginn, Dauer
graphisch bestimmt werden. Falls der Verdacht auf
und Ausprägung der Gynäkomastie besonderer
ein Mammakarzinom besteht, sollte eine Mammo-
Wert auf Angaben über den potenziellen Gebrauch
graphie und evtl. eine Biopsie durchgeführt werden.
bzw. Missbrauch von Medikamenten, Drogen und
Ein Hodentumor kann per Sonographie ausge-
Alkohol gelegt werden. Zusätzlich muss nach den
schlossen werden. Bei Vedacht auf ein Klinefelter-
Zeichen einer Hyperthyreose sowie eines Androgen-
Syndrom erfolgt eine Karyotypisierung. Bestehen
mangels (Impotenz, Infertilität, allgemeiner Lei-
Hinweise auf Erkrankungen der Leber und Nieren
stungsabfall, verminderter Bartwuchs etc.) gefragt
können Sonographische und gegebenfalls CT-
werden. Das eventuelle Vorliegen eines testikulären
oder NMR-Untersuchungen Klarheit schaffen.
Tumors muss per Palpation und Sonographie ausge-
schlossen werden.
• Labor. Neben einer Bestimmung der allgemei-
nem Laborparametern kommt der Messung der
Körperliche Untersuchung Werte für LH, FSH, Testosteron, Östradiol, Pro-
Die körperliche Untersuchung umfasst eine genaue laktin und SHBG besondere Bedeutung zu, um en-
Inspektion und Palpation der beiden Brüste und dokrinologische Ursachen zu erfassen. Die Bestim-
Brustdrüsenkörper. Zur orientierenden Beschrei- mung der Tumormarker humanes Choriongonado-
bung des Ausprägungsgrades kann man auf die Sta- tropin (hCG) und a-Fetoprotein (AFP) sollte nur
dieneinteilung der Brustentwicklung nach Tanner bei Tumorverdacht durchgeführt werden.
zurückgreifen (Abb. 6-39). Wichtig ist die Abgren-
Erst wenn alle diagnostischen Untersuchungen ein
D
zung von der einfachen Lipomastie, da vor allem
adipöse Männer erhebliche Fettablagerungen im normales Ergebnis zeigten, darf die Diagnose der
Brustbereich aufweisen. Fixierte und harte Knoten idiopathischen Gynäkomastie gestellt werden.

Bl 62 B3 B4 BS

Abb. 6-39. Stadien der Brustentwicklung nach Tann er. B 1 B4 Areola und Warze bilden eine zweite Erhebung, die sich
präpuberal: einzig die Brustwarze tritt hervor, B 2 Brustknos- gegenüber derjenigen der Brust abhebt, B 5 voll entwickelte
pe: leichte Erhebung der Brust und der Brustwarze als kleine Brust: Zurückweichen der Areola in die allgemeine Kontur
halbkugelige Erhebung, Areola gegenüber B 1 im Durchmesser der Brust, sodass sich nur noch die Brustwarze abhebt.
erweitert, B 3 Brust und Areola beide vergrößert und gegen- (Mod. nach Joss 1980)
über B 2 weiter angehoben, jedoch mit fließenden Konturen,
6.16 Infektbedingte Verschlüsse der ableitenden Samenwege 293

Störungen im Bereich
6.15.6
der ableitenden Samenwege
Differentialdiagnose

Brustvergrößerungen des Mannes stellen sich bei 6.16


genauerer Untersuchung häufig als eine gewöhn- Infektbedingte Verschlüsse
liche Lipomastie heraus. Das Vorliegen eines Mam- der ableitenden Samenwege
makarzinoms muss ausgeschlossen werden, da es
akuter Intervention bedarf. 6.16.1
Epidemiologie

6.15.7 Gonorrhö und andere venerische Erkrankungen


Therapie können ohne antibiotische Behandlung zu einer Ob-
struktion der ableitenden Samenwege führen. Sub-
Konservativ klinische Infektionen der ableitenden Samenwege
Die Mehrheit der Patienten benötigt keine Therapie. werden häufig bei Patienten mit Infertilität beobach-
• Im Falle einer medikamenteninduzierten Gynä- tet. Im Institut für Reproduktionsmedizin der Uni-
komastie bewirkt meist allein das Absetzen der versität Münster bei etwa 9% der Fälle.
spezifischen Substanz eine Wiederherstellung
des Ausgangsbefundes.
• Bei Vorliegen einer Pubertätsgynäkomastie ge- 6.16.2
nügt eine abwartende Haltung. Stark ausgeprägte, Pathogenese
schmerzhafte und nach Beendigung der Pubertät
persistierende Befunde sollten operativ angegan- Infektionen nehmen ihren Ausgang häufig von der
gen werden (Vorgehen für kosmetische Operatio- Urethra, der Prostata und der Harnblase. Sie können
nen s. unten). sich kanalikulär aszendierend bis in die Nebenho-
• Hepatische oder nephrologische Erkrankungen den fortsetzen. Haupterreger sind
sowie das Vorliegen einer Hyperthyreose oder • Fäkalbakterien,
eines Hypogonadismus können bei entsprechen- • Urea- und Mykoplasmen sowie
der Behandlung zu einem Rückgang der Gynäko- e Chlamydien.
mastie führen.

Bei Patienten ohne fassbare hormonelle Abwei- 6.16.3


chung sind Behandlungsversuche mit verschiedenen Klinik
endokrin aktiven Pharmaka unternommen worden.
In den meist unkontrollierten Studien konnte keine Symptome und Beschwerden
eindeutige Wirksamkeit für Substanzen wie Dihy- In vielen Fällen verläuft die Infektion für die Patien-
drotestosteron, Danazol, Testolacton, Clomiphen ten symptomlos. Jedoch können gelegentlich
oder Tamoxifen gefunden werden. Da bei der The- Schmerzen der Urethra, Nebenhoden oder Prostata
rapie mit Tamoxifen bei kürzerer Anwendung eine spontan oder bei Miktion, Defäkation oder Ejakula-
geringe Nebenwirkungsrate besteht, wird oft ein tion auftreten.
Therapieversuch mit 2-mal 10 mg/Tag unternom-
men.
6.16.4
Chirurgisch Diagnostik
Bleibt die Tamoxifentherapie auch nach 3 Monaten
ohne Erfolg, kommt bei starkem Leidensdruck des Anamnese
Patienten eine operatives Vorgehen in Betracht. Die Anamnese beinhaltet Fragen über mögliche
Der Patient sollte an einen Chirurgen überwiesen schmerzhafte Episoden im Genitalbereich und
werden, der über spezielle Erfahrung auf diesem eine Partneranamnese (Beschwerden und Befunde
Gebiet verfügt. Andernfalls kann das Resultat der bei der Partnerin bzw. häufiger Partnerwechsel).
Operation kosmetisch ungünstiger sein als der zuvor
bestehende Zustand. Die komplette Entfernung des Körperliche Untersuchung
Brustdrüsenkörpers ggf. in Kombination mit einer Die körperliche Untersuchung umfasst eine genitale
Fettabsaugung stellt die derzeit effektivste Therapie Untersuchung sowie eine digitale Palpation der Pro-
dar. stata.
294 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

Technische Verfahren
6.16.5
• Sonographie. Besondere Bedeutung kommt der
Differentialdiagnose
Sonographischen Untersuchung des Skrotalinhaltes
und der Sonographischen transrektalen Prostata- Differentialdiagnostisch müssen die klassischen ve-
untersuchung zu. Die Nebenhoden können sich nerischen Infektionen wie Lues oder Gonorrhö aus-
verdickt und in ihrer Echogenität inhomogen dar- geschlossen werden, aber auch eine genitale Tuber-
stellen (Abb. 6.40-41). Im Falle einer asymptomati- kulose, die zu einer teilweisen oder kompletten Ob-
schen Prostatitis werden häufig Kalzifikationen, struktion der ableitenden Samenwege führen kön-
Ödeme und Asymmetrien nachgewiesen. nen. Weitere Ursachen für Obstruktionen sind
iatrogene Schädigungen durch Hernitomien, Orchi-
• Ejakulatuntersuchung. In der Ejakulatuntersu- dopexien und Varikozelenoperationen.
chung weisen eine Leukozytenkonzentration von
über 1 Mio./ml, erniedrigte Funktionsmarker der • Zystische Fibrose und kongenitale bilaterale Sa-
akzessorischen Geschlechtsdrüsen (s. Abschn. 6.3) menleiteraplasie. Von einer infektiös oder iatrogen
und eine verminderte Spermienqualität bis zur ob- bedingten Obstruktion der ableitenden Samenwege
struktiven Azoospermie auf das Vorliegen einer ge- muss die Obstruktion bei der autosomal rezessiv
nitalen Infektion hin. In diesen Fällen sollte der Ver- vererbten zystische Fibrose (CF) abgegrenzt werden.
such eines direkten Nachweises der Erreger im Eja- Die kongenitale bilaterale Samenleiteraplasie
kulat erfolgen. (CBA VD: "congenital bilateral absence of the vas de-

a 8 b
Abb. 6-40a, b. Querschnitt des Penis. a Arterielle Gefäßver- 8 Corpus spongiosum. b Venöse Gefäßversorung. 1 V. dorsalis
sorgung. 1 A. dorsalis penis; 2 A. profunda penis; 3 Helixarte- superficialis; 2 V. dorsalis profunda; 3 V. circumflexa; 4 V.
rien; 4 A. urethralis; 5 Anastomosen zwischen A. dorsalis und emissaria. (Aus van Ahlen u. Hertle 1996)
A. profunda penis; 6 Corpora cavernosa; 7 Tunica albuginea;

Abb.6-4l.
Der Nebenhoden stellt sich in der Sonographie verdickt und
von inhomogener Echogenität dar
6.17 Erektile Dysfunktion 295

ferens") kann als isolierte Minimalvariante dieser


genetischen Störung bei ansonsten gesunden Män- auffälliger Konsistenz (beidseits 15 ml). In der
nern vorkommen. Die betroffenen Männer sind als Ejakulatuntersuchung fand sich eine deutliche
Folge einer Hypo- oder Aplasie der Ductus deferen- Verminderung der Spermienkonzentration
tes infertil. Aus Nebenhoden oder Hoden können je- (3,0 Mio./ml) bei regelrechter Progessivmotilität
doch heute einzelne Spermien für eine intrazyto- (SI%) und eingeschränkter Morphologie (82%
plasmatischen Spermieninjektion (ICSI) verwendet pathologische Formen). Die Hormonuntersu-
werden. chung im Serum zeigte einen reduzierter Wert
für LH {0,6 IU/1). FSH lag im niedrig-normalen
• Young-Syndrom. Beim von der CF abzugrenzen- Bereich (1,6 IU/1), Testosteron mit 0,7 nmol/1 im
den Young-Syndrom besteht eine Kombination von Kastratenbereich. Die Werte für Prolaktin
obstruktiver Azoopermie und chronischer sinubron- (5.250 mU!l) und hGH (23,5 nglml) waren stark
chialer Symptomatik. Das Lumen der Samenleiter ist erhöht. Im oralen Glukosetoleranztest ergab
durch eine amorphe exprimierbare Masse verschlos- sich der Hinweis auf eine floride Akromegalie,
sen ohne Vorliegen einer Duktusaplasie. Bei Kinder- da das Wachstumshormon nicht auf den gefor-
wunsch kann wie bei der CF vorgegangen werden. derten Wert von < 1 nglrnl nach 60 min zu sen-
ken war, sondern mit 20,5 ng/ml stark erhöht
blieb. Im Hypophysenvorderlappenstimulati-
6.16.6 onstest zeigte sich die kortikotrope Achse basal
Therapie normal, jedoch nicht adäquat stimulierbar, die
thyreotrope Achse war basal normal und adä-
Da genitale Infektionen mit Chlamydien, Ureaplas- quat stimulierbar. Als Zeichen eines Androgen-
men oder Mykoplasmen mit einer Reduktion der mangels lagen ein niederiger Hämatokrit (35 %)
Fertilität einhergehen, erfolgt die Behandlung unter und ein reduziertes Hämoglobin (11,8 gldl) vor.
Einbeziehung der Partnerin, um "Ping-pong-Infek- Die Bestimmung der Knochendichte mit einer
tionen" zu vermeiden, mit Tetrazyklinen oder Ery- quantitativen CT-Untersuchung zeigte einen al-
thromycin. Ob der alleinige Nachweis von Leukozy- tersentsprechenden Wert, als Hinweis auf einen
ten im Ejakulat eine antibiotische Behandlung recht- noch nicht langfristig bestehenden Androgen-
fertigt und Spermienqualität oder Schwanger- mangel. Ein sofort veranlasste Kernspinuntersu -
schaftsrate verbessert, müssen noch fehlende chung der Sellaregion erbrachte den Nachweis
randomisierte Studien zeigen. Falls das Auftreten einer Raumforderung mit Inftltration des rech-
einer Verschlussazoospermie durch verspätete anti- ten Sinus cavernosus. Zur möglichen Reduzie-
biotische Intervention nicht verhindert werden rung der Tumormasse wurde zunächst eine The-
konnte, kommen assistierte Reproduktionsverfah- rapie mit dem Dopaminagonisten Bromocriptin
ren nach mikrochirurgischer epidydimaler Sper- (Pravidel) begonnen (über mehrere Wochen
mienaspiration (MESA) oder testikulärer Spermien- einschleichend mit einer Maximaldosis von
extraktion (TESE) in Betracht. 30 mg/Tag). Gleichzeitig erhielt der Patient
eine Substitutionstherapie mit 250 mg Testoste-
ronönanthat i. m. alle 2 Woche. Darunter kam
6.17 es innerhalb weniger Tage zu einer Verbesse-
Erektile Dysfunktion rung des subjektiven Wohlbefindens und zu
einer Wiederherstellung von Libido und Erekti-
6.17.1 onsfähigkeit. Trotz hoher Pravideldosierung
Fallpräsentation konnten die mehrfach gemessenen Prolaktin-
spiegel nicht wesentlich reduziert werden.
Eine Kontrollkernspinuntersuchung zeigte
Ein 23-jähriger Patient stellte sich wegen redu- keine wesentliche Tumorreduktion 3 Monate
zierter Libido, erektiler Dysfunktion und einem nach Beginn der Therapie. Deshalb wurde
allgemeinen Leistungsabfall seit 4 Monaten im eine transsphenoidale Adenomektomie durch-
Institut für Reproduktionsmedizin der Univer- geführt, die komplikationslos verlief. Postopera-
sität Münster vor. Auffällig war das akromegale tiv konnte eine Reduktion des hGH unter den
Aussehen des 184 cm großen Patienten (vergrö- Normbereich erzielt werden. Die Prolaktinkon-
berte Gesichtsformen, große Hände und Füße). zentrationen fielen unter einer niedrigdosierten
Die genitale Untersuchung ergibt einen unauf- Pravideltherapie in den Normbereich. FSH, LH
fälligen Befund mit orthotopen Hoden mit un- und das endogene Te tosteron lagen ebenfalls
296 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

unter visueller Stimulation Erektionen auftreten.


im ormbereich. Eine erneut durchgeführte Eine für den Geschlechtsverkehr ausreichende Erek-
Kernspinuntersuchung zeigte eine deutliche tion ist jedoch nur bei normalen Testosteronspie-
Tumorverkleinerung mit einem die A. carotis geln gewährleistet. Eine im Zusammenhang mit Hy-
interna ummauernden Resttumor im Sinus ca- perprolaktinämie auftretende erektilen Dysfunktion
verno us. Der Patient fühlte ich 3 Monate nach kann mit niedrigen Testosteronwerten vergesell-
der Operation in gutem Allgemeinzustand bei schaftet sein. Ein Hyper- oder Hypothyreose ist gele-
zufrieden stellender Libido. Die Ejakulatpara- gentlich mit einer erektilen Dysfunktion assoziiert.
meter erreichten normale Werte. Regelmäßige
Kontrolluntersuchungen und eine Fortsetzung
der Pravidelmedikation wurden empfohlen. Vaskulär-bedingte Erektionsstörungen
Zur Induktion einer Erektion ist neben einer ausrei-
chenden Durchblutungsreserve der arteriellen
Strombahn ein suffizienter kavernöser Verschluss-
6.17.2 mechanismus erforderlich. Daher lassen sich grund-
Epidemiologie sätzlich Veränderungen des arteriellen Einstroms
und des venösen Abstroms differenzieren.
Genaue Zahlen zur Prävalenz der erektilen Dysfunk-
tion liegen nicht vor. Man geht jedoch von etwa Risikofaktoren für arterielle Insuffizienz sind:
3-7 Mio. betroffenen Männern in Deutschland • ein hoher Blutdruck,
aus, die an einer behandlungsbedürftigen erektilen • eine Hyperlipidämie, Rauchen,
Dysfunktion (ED) leiden. Die Inzidenz nimmt mit • Diabetes mellitus,
höherem Lebensalter zu aufgrund des vermehrten • perineale und pelvine Traumata oder
Auftretens organischer Störungen, z. B. Gefäßer- • Bestrahlungen.
krankungen, Diabetes mellitus oder neurodegenera-
tive Erkrankungen. Venöse Abflussstörungen können unterschiedliche
Ursachen haben. Eine kongenitale Abflussstörung
über ektope Venen stellt ebenso wie pathologische
6.17.3 Shuntverbindungen zwischen Corpora cavernosa
Pathogenese und Glans bzw. Corpus spongiosum eine seltene Ur-
sache dar. Häufig sind degenerative Veränderungen
Endokrine, vaskuläre, neurogene, psychogene Stö- der glatten Schwellkörpermuskulatur mit bindege-
rungen und verschiedene Medikamente können Ur- webigen Ersatz der Muskelzellen durch Fibroblasten
sache einer ED sein. Bei konsequenter Anwendung und konsekutivem Elastizitätsverlust für die Inkom-
neuer standardisierter Untersuchungsmethoden petenz des kavernösen Verschlussmechanismus ver-
können bei bis zu 70% der Patienten mit erektiler antwortlich. Ausgedehnte Fibrosierungen werden
Dysfunktion relevante organische Störungen nach- auch nach Priapismen und Traumata beobachtet.
gewiesen werden (s. folgende Übersicht).

Ursachen erektiler Dysfunktion Neurogen bedingte Erektionsstörungen


Beim Diabetes mellitus und anderen Stoffwechseler-
• Organische Störungen (70 %; häufig in Kombina- krankungen ist die periphere Neuropathie Ursache
tion mit psychogenen Faktoren): für die teilweise als Erstmanifestation auftretende
Endokrine Störungen Erektionsstörung. Traumatische, neurodegenerative
Vaskuläre Veränderungen oder tumoröse Veränderungen des Rückenmarks
• Neurogene Störungen stören den Erektionsahlauf in Abhängigkeit von
Medikamentöse Ursachen Höhe und Ausdehnung der Läsion. Läsionen auf Ni-
• Psychogene Störungen (30 %) veau des sakralen Rückenmarks und der Cauda
equina verhindern eine durch genitale Stimulation
hervorgerufene Erektion. Befindet sich die Läsion
rostral von S2 bleibt die taktile Stimulationsfähigkeit
Endokrin bedingte Erektionsstörungen erhalten. Die Auslösbarkeit einer Erektion durch
Der Effekt der Androgene auf den erektilen Mecha- psychogene Stimulation bleibt einerseits bei Läsio-
nismus ist nicht genau bekannt. Patienten mit Hypo- nen im Sakralbereich in den meisten Fallen be-
gonadismus weisen eine reduzierte Rate an sponta- stehen. Andererseits werden psychogen ausgelöste
nen nächtlichen Erektionen auf. Jedoch können bei Erektionen durch Läsionen auf thorakolumbalen
Patienten mit stark reduzierten Testosteronspiegeln Niveau eliminiert.
6.17 Erektile Dysfunktion 297

Psychogene Erektionsstörungen Die eventuelle persönliche Befragung der Partnerin


Eine scharfe Grenze zwischen Psychogenese und Or- kann wichtige Hinweise auf Genese und mögliche
ganogenese besteht nicht. Eine begleitende psycho- Therapieansätze geben.
gene Komponente fehlt bei kaum einem Patienten.
Durch Auftreten von Versagerängsten verstärkt sich
Körperliche Untersuchung
die ED meist noch. Eine primär bestehende ED kann
Die klinische Untersuchung beinhaltet Inspektion
Folge eines sexuellen Missbrauchs sein. Die sekun-
und Palpation des äußeren Genitales und der sekun-
där, situations- und partnerabhängig auftretende
dären Geschlechtsmerkmale. Hierbei können sich
ED spricht für das Vorliegen einer psychogenen Ur-
Hinweise auf das Vorliegen eines Hypogonadismus
sache. Das Auftreten einer ED kann auch ein mög-
ergeben. Die Palpation des Penis deckt eine Indura-
liches Symptom einer generellen Partnerschaftskrise
tio penis plastica auf, die nicht nur zu einer Penis-
darstellen.
deviation, sondern auch zu einer ED führen kann.

Medikamentös bedingte Erektionsstörungen Technische Verfahren


Verschiedene Medikamentengruppen können an
• Labor. Neben einer Bestimmung allgemeiner
der Entstehung von Erektionsstörungen beteiligt
Blutparameter, einschließlich Glukose, Leberwerte
sein. Besonders bekannt für die mögliche Auslösung
und Lipide, sollten die Serumwerte für Testosteron,
einer Erektionsstörung sind die a- und ß-Sympatho-
Prolaktin, Östradiol, FSH, LH und SHBG bestimmt
lytika, die in unterschiedlichem Umfang zu Erekti-
werden.
ons-, Ejakulations- und Libidostörungen führen
können. Bei den psychotropen Medikamenten, ins-
• Rigiscan. Das Rigiscan ist ein ambulant anwend-
besondere den Tranquilizern und Antidepressiva,
bares Gerät, das mit Druckfühlern die Tumeszenz
stehen sedative Effekte im Vordergrund. Cimetidin
des Penis misst und aufzeichnet. Es kann nach ent-
führt möglicherweise aufgrund einer antiandroge-
sprechender Anweisung vom Patienten zu Hause
nen Wirkung zu einer Erektionsstörung. Der Lipid-
angelegt werden und zur Aufzeichnung nächtlicher
senker Clofibrat, verschiedene Diuretika und Hallu-
Erektionen dienen und spielt u. a. in der Differen-
zinogene können ebenfalls eine Erektionsstörung
tialdiagnose von psychogenen und organischen
bewirken.
Erektionsstörungen eine Rolle.

• Schwellkörperpharmakontest (SKAT). In der dia-


6.17.4 gnostischen Abklärung von Erektionsstörungen
Klinik nimmt der Schwellkörperpharmakontest (SKAT)
heute eine zentrale Rolle ein. Hierbei können durch
Symptome und Beschwerden die Injektion verschiedener vasoaktiver Substanzen
Je nach Ausprägung der erektilen Dysfunktion kann in die Corpora cavernosa mit schrittweiser Dosisstei-
die Tumeszenz und Rigidität des Penis oder die Fä- gerung eine weitgehend physiologische Erektion in-
higkeit zur dauerhaften Erektion gestört sein oder duziert und vaskuläre Störungen abgeklärt werden.
vollständig ausbleiben.
Substanzen zur SKAT-Testung
mit Dosierungsstufen
6.17.5
Diagnostik e PGE 1_10; 20; 40 )lg
• Papaverin-12,5; 25; 50 mg
Anamnese • Papaverin/Phentolamin (30 mg + 1 mg/ml)-0,25;
Die allgemeine Anamnese umfasst Fragen nach prä- 0,5; 1,2 ml
disponierenden Bedingungen, die zu einer Arterio-
sklerose führen können (Diabetes mellitus, arterielle
Hypertonie, Hypercholesterinämie, Rauchen). Ope-
rationen und Bestrahlungen im Beckenbereich sind In die Beurteilung der SKAT-Testung gehen neben
ebenso zu erfragen wie rekonstruktive Gefäßeingrif- der durch die penile Tumeszenz und Rigidität defi-
fe an Aorta und Iliakalgefäßen. Eine Medikament- nierten Erektionsqualität auch Zeitpunkt des Erek-
anamnese ist unabdingbar. Zur Einschätzung einer tionseintritts und Erektionsdauer ein. Ein positives
möglichen psychogenen Genese müssen die familiä- Testergebnis schließt eine relevante venöse bzw. ka-
ren und sozialen Umstände erfragt werden sowie vernöse Insuffizienz weitgehend aus. Zur Unter-
eine ausführliche Sexualanamnese erhoben werden. scheidung zwischen psychogener und neurogener
298 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

Genese ist eine weitere neurologische Diagnostik Neurophysiologische Abklärung


(BCR/SSEP) erforderlich. Entwickelt sich eine aus- Klinisch und elektophysiologisch messbar ist der
reichende Erektion erst nach 15-30 min, so liegt Bulbus-cavernosus-Reflex (BCR), der die Leitungs-
in der Regel eine hämodynamisch relevante ar- bahnen zwischen Penis und sakralem Erektionszen-
terielle Perfusionsstörung vor. Dies kann durch trum erfasst. Über Ringelektroden wird am Penis-
Dopplersonographie der penilen Gefäße objektiviert schaft ein definierter elektrischer Impuls appliziert
werden. Kontraindikationen zur SKAT-Testung und die Reflexantwort seitengetrennt über 2 Nadel-
sind in folgender Übersicht wiedergegeben. elektroden in den Mm. bulbocavernosi abgeleitet.
Die simultane Registrierung der kortikalen evozier-
Kontraindikationen zur SKAT-Testung ten Potentiale erfolgt über an entsprechenden Refe-
renzpunkten am Skalp angebrachte Nadelelektro-
e Dekompensierte Herz-Kreislauf-Insuffizienz den (somatosensorisch evozierte Potentiale; SSEP).
• Instabile Angina pectoris Die absoluten Latenzzeiten des BCR sowie seine Un-
• Ausgeprägte Leberfunktionsstörungen (Papave- terschiede im Seitenvergleich bei wiederholter Reiz-
rin) applikation geben Aufschluss über die Integrität der
e Glaukom (Papaverin) kurzen Leitungsbahnen zwischen Penis und sakra-
• Prostatahyperplasie mit hohen Restharnmengen lem Erektionszentrum. Die evozierten Potentiale
(Papaverin) lassen bei Verlängerung über 50 ms Rückschlüsse
auf die Funktion der langen zerebrospinalen Bahnen
zu.
Als Komplikation werden nicht selten kleinere Hä-
matome gefunden. Septische Schwellkörperinfektio-
nen sind selten. Wesentliche Komplikation der 6.17.6
SKAT ist eine prolongierte Erektion über mehrere Differentialdiagnose
Stunden.
Abzugrenzen von der erektilen Dysfunktion sind
• Dopplersonographie. Die Dopplersonographie Störungen, die Libido, Ejakulation und Orgasmus
des Penis ist fester Bestandteil bei der Diagnostik isoliert betreffen. Der vorzeitige Samenerguss (Eja-
der ED. Als nichtinvasive und kostengünstige Me- culatio praecox) tritt meist unabhängig von einer
thode kann sie Störungen der ätiologisch wichtigen ED auf.
arteriellen penilen Zirkulation abklären. Die Dopp-
lersonographie kann in Kombination mit einer
SKAT-Testung erfolgen. Hierbei wird eine korrekte
6.17.7
Einschätzung der Durchblutungsreserve und Dilata-
Therapie
tionskapazität der A. profunda penis anhand einer
Registrierung mit dem "Continuous-wave-Doppler"
Psychologische Therapie
vorgenommen (cw-Doppler).
Verhaltenstherapeutische Ansätze bei der Therapie
der ED haben weitgehend die klassischen psychody-
• Duplexsonographie. Bei der mit einer SKAT-Te-
namischen Therapieverfahren ersetzt. Ein wichtiges
stung zu kombinierenden Duplexsonograhie wird
Ziel ist die Überwindung von Versagerängsten
das penile arterielle Gefäßsystem mit einer Kombi-
durch eine Vergrößerung des Repertoirs an sexuel-
nation aus Ultraschallbild (B-Bild) und Doppler un-
len Praktiken, die nicht allein auf die Erhaltung der
tersucht. Eine pharmakoninduzierte Dilatation der
Erektion abzielen. Die Arbeiten auf diesem Gebiet
A. profunda penis um mehr als 75% gegenüber
gehen im Wesentlichen auf Masters und Johnson zu-
dem Ausgangsbefund sowie maximale Flussge-
rück, wobei Erfolgsquoten von 70% für die Behand-
schwindigkeiten von über 25 cm/s werden als nor-
lung der psychogenen ED berichtet werden. Insbe-
mal eingestuft. Die farbkodierte Duplexsonographie
sondere die Einbeziehung der Partnerin in den the-
kann Strömungsrichtung und -geschwindigkeit im
rapeutischen Prozess gewährleistet in vielen Fällen
Ultraschallbild farblieh anzeigen.
ein gutes Ergebnis. Prognostisch ungünstig sind
langandauernde Störungen, begleitende Partner-
• Penisangiographie. Die Penisangiographie ist als
schaftsprobleme und ein Libidoverlust
aufwendiges und invasives Verfahren und mit der
Weiterentwicklung der Duplexsonsographie heute
nur noch bei forensischer und gutachtedieher Pro- Hormontherapie
blemstellung oder bei Verdacht auf kongenitale Ge- Bei hypogonadalen Patienten erfolgt eine Testoste-
fäßdysplasien indiziert. ronsubstitution mit dem Ziel einer Normalisierung
6.17 Erektile Dysfunktion 299

der Serumtestosteronwerte und einer Wiederher- Ein erheblicher Teil der Patienten mit Erektionsstö-
stellung von Potenz und Libido. Patienten mit nor- rungen weisen eine Multimorbidität auf. So besteht
malen Testosteronspiegeln (> 12 nmol!l) sollten bei ca. 60 o/o der Patienten mit organisch bedingter
keine Testosterontherapie erhalten, da sich die Sym- Erektionsstörung eine koronare Herzerkrankung.
ptomatik darunter nicht verbessert. Testosteron In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt wer-
über dem Normwert führt zu keiner Steigerung den, dass eine vermehrte sexuelle Aktivität bei Pa-
der Erektionsfähigkeit. Eine Hyperprolaktinämie tienten mit schwerer Arteriosklerose das Risiko
muss entsprechend ihrer Ursache behandelt werden. z. B. für einen Herzinfarkt erhöhen kann. Die Kom-
Bei Vorliegen eines Mikroprolaktinoms ohne wei- bination von Nitraten und Sildenafil ist wegen des
tergehende Symptomatik wird mit oralen Dopami- gleichartigen Wirkungsmechanismus und dem
nagonisten therapiert. Für eine euthyreote Stoff- möglichen Auftreten hypotoner Krisen kontraindi-
wechsellage ist durch eine entsprechende medika- ziert
mentöse Therapie zu sorgen.
Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT)
Perkutane Therapie Die intrakavernöse Applikation vasoaktiver Sub-
Verschiedene potenziell erektionsfördernde Sub- stanzen hat sich nicht nur diagnostisch, sondern
stanzen zum Auftragen auf die Penishaut sind be- auch in der Therapie durchsetzen können und findet
reits getestet worden. Die topische Anwendung eines heute bei allen Patienten Anwendung, die auf die In-
Gels mit Nitroverbindungen, Papaverin und PGE 1 jektion vasoaktiver Substanzen mit kohabitationsfä-
zeigt keine verbesserte therapeutische Wirkung ge- higen Erektionen ansprechen. Angestrebt wird eine
genüber einem Plazebo. Erektionsdauer von 30-60 min. Grundsätzlich wird
analog zur diagnostischen Anwendung mit niedri-
gen Dosen langsam gesteigert, um so mit minima-
Orale medikamenöse Therapie lem Priapismusrisiko die korrekte therapeutische
• Yohimbin. Für die unspezifische orale Therapie Dosierung zu ermitteln. Es bestehen dieselben Kon-
von Erektionsstörungen ist Yohimbin die am besten
traindikationen und mögliche Nebenwirkungen wie
untersuchte Substanz. Eine aktuelle doppelblind
bei der SKAT-Testung. Mögliche Spätfolge der
und plazebokontrolliert durchgeführte Studie zur
SKAT-Therapie ist die lokalisierte oder generali-
Wirksamkeit von Yohimbin bei nichtorganischer
sierte Schwellkörperfibrose. Zur Vermeidung der Fi-
erektiler Dysfunktion zeigte eine Erfolgsrate von
brosierung sollte sich die Zahl der Injektionen, un-
71 o/o gegenüber 45 o/o für das Plazebo. Yohimbin ver-
abhängig von der verwendeten vasoaktiven Sub-
fügt über eine a 2-adrenolytische Wirkung, die auf-
stanz, auf 1-2 Injektionen pro Woche beschränken.
grundder peripheren Sympathikolyse Hauptwirkur-
sache sein dürfte. Die volle Wirksamkeit tritt erst
nach mehrwöchiger Therapiedauer ein bei nur ge- Transurethrale Therapie
ringem Nebenwirkungsspektrum. In einer doppelblinden plazebokontrollierten Studie
konnte die Wirksamkeit der transurethralen Appli-
• Sildenafil. Die Substanz Sildenafil (Viagra) wird kation von Alprostadil (Prostaglandin E1) bei Pa-
u. a in den USA mit großen Erfolgen und geringer tienten mit chronischer erektiler Dysfunktion nach-
Nebenwirkungsrate bei ED verschiedener Ursachen gewiesen werden. Ob sich diese Therapieform als
eingesetzt. Nach Einführung in Deutschland liegen eine Alternative zu anderen organischen Verfahren
auch hier begrenzte Erfahrungen vor. Es handelt durchsetzen wird, ist aufgrundder exzessiven Dosis-
sich beim Sildenafil um einen oral wirksamen Gua- erfordernis und den damit verbundenen Kosten
nosin-Monophosphat-spezifischen Phosphodieste- eher fraglich.
rase-5-Inhibitor, mit selektiver Wirkung im Corpus
cavernosum des Penis. Bei Probanden, die Viagra Externe Erektionshilfen
einnahmen, waren 69 o/o aller Geschlechtsverkehr- Externe Erektionshilfen haben sich vor allem in
versuche erfolgreich, verglichen mit 22 o/o in der Pla- Form von Vakuumpumpen in Kombination mit
zebogruppe. Kopfschmerzen, Hautrötung und Dys- einem Kompressionsring an der Penisbasis etabliert.
pepsie waren die häufigsten Nebenwirkungen und Zur Behandlung der erektilen Dysfunktion mit einer
traten bei 6-18 o/o der Männer auf. Vakuumpumpe bedarf es keiner umfangreichen
prätherapeutischen Testungen wie bei der SKAT-
Die Libido bleibt durch Viagra unbeeinflusst, zudem Therapie. Die klinische Erfolgsrate wird mit bis zu
kann die Therapie mit Sildenafil im Falle eines Te- 90 o/o angegeben bei nur geringer Nebenwirkungsra-
stosteronmangels eine Androgensubstitutionsthera- te und einer meist guten Akzeptanz durch die Pa-
pie nicht ersetzen. tienten.
300 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

Operative Behandlung verursachen Virilisation, Wachstumsbeschleunigung


Indikation und Erfolg der selten durchzuführenden und vorzeitige Knochenreifung. Selbst unter einer
operativen Behandlungsmöglichkeiten bei erektiler sekundären zentralen Aktivierung weisen die betrof-
Dysfunktion einschließlich Venen-, Revaskularisati- fenen Jungen kein verfrühtes Hodenwachstum auf.
ons- und Prothesenchirurgie sollte der urologischen Adoleszenten und junge Erwachsene mit einer sog.
Fachliteratur entnommen werden. nichtklassische Form des AGS fallen durch eine iso-
lierte verfrühte Pubesbehaarung, Hirsutismus oder
ggf. durch eine Infertilität auf.
Störung der Pubertätsentwicklung
• Nebennierenrindentumoren. Tumoren der Neben-
6.18 nierenrinde oder des Hodens können eine steroid-
Pubertas praecox bedingte Virilisierung oder auch Feminisierung be-
wirken. Ebenso können hCG-produzierende Tumoren
6.18.1 durch Stimulation der Leydig-Zellen zu einer Pseudo-
Epidemiologie pubertas praecox führen.

Eine vor dem 9. Lebensjahr beginnende Pubertät • Testotoxikose. Die familiäre Pseudopubertas
bei Jungen wird als Pubertas praecox bezeichnet. praecox oder Testotoxikose ist eine nur in Jungen
Die geschätzte Inzidenz der Pubertas praecox für auftretende autosomal dominant vererbte Erkran-
Jungen und Mädchen zusammen beträgt 1: 5000 kung, bei der Zeichen der Pubertät unter hohen Te-
bis 1 : 10.000. stosteronkonzentrationen und erniedrigten Gona-
dotropinen bereits im 2. Lebensjahr auftreten kön-
nen, verursacht durch eine aktivierende Mutation
6.18.2 des LH-Rezeptors. In dem Fall eines 5-jährigen Jun-
Pathogenese und Klinik gen mit einer Mutation in der ersten transmembra-
nen Domäne des LH-Rezeptors konnte durch Be-
Einer vorzeitigen Pubertät können die verschieden- handlung mit einem GnRH-Agonisten eine kom-
sten Ursachen zu Grunde liegen. Prinzipiell werden plette Suppression der Testosteronsekretion erreicht
die GnRH -abhängige Pubertas praecox vera und die werden.
GnRH-unabhängige Pseudopubertas praecox unter-
schieden. • Hypothyreose. Eine massive Hypothyreose kann
• Bei Jungen macht die GoRH-abhängige Pubertas gelegentlich zu einer Pseudopubertas praecox füh-
praecox vera nur 10 o/o der Fälle aus und muss als ren, die dann mit einer Wachstumsverzögerung as-
Ausschlussdiagnose gestellt werden. Der dazuge- soziiert ist, möglicherweise aufgrund einer intrinsi-
hörige Mechanismus unterscheidet sich außer im schen FSH-Aktivität der sehr hohen TSH-Spiegel.
zeitlichen Verlauf nicht von der normalen Puber- Tabelle 6-9 gibt Ursachen einer verfrühten Pubertät
tät. Auch ZNS-Tumoren können eine GoRH-ab- wieder.
hängige Pubertas praecox verursachen. Gelegent-
lich tritt eine verfrühte Pubertät auch nach einem
Schädel-Hirn-Trauma auf.
6.18.3
• 90 o/o der vorzeitigen Pubertätsfälle bei Jungen
Diagnostik
entwickeln sich unter erhöhten Sexualsteroid-
konzentrationen zunächst GnRH-unabhängig
Anamnese
(Pseudopubertas praecox). Dabei werden niedri-
Die Anamnese sollte Fragen nach dem Verlauf von
ge LH- und FSH-Konzentrationen gemessen bei
Wachstum und Pubertät, dem Auftreten von Akne
reduzierter Stimulierbarkeit im LHRH-Test. Se-
und Seborrhö, Körpergeruch sowie Erektionen und
kundär können die erhöhten Sexualsteroidkon-
nächtlichen Ejakulationen umfassen. Ebenso muss
zentrationen jedoch über eine ZNS-Reifung zu
eine Familienanamnese erhoben werden. Unerklärte
einer GnRH-Erhöhung führen, wodurch eine Pu-
frühe Todesfälle bei männlichen Geschwistern des
bertas praecox vera vorgetäuscht werden kann.
betroffenen Patienten könnten sich nachträglich
als ein AGS herausstellen.
• Adrenogenitales Syndrom. Die kongenitale adre-
nale Hyperplasie (Adrenogenitales Syndrom = AGS)
stellt die häufigse Ursache der LHRH-unabhängigen Körperliche Untersuchung
Pseudopubertas praecox dar. Die klassische Formen Neben einer allgemeinen körperlichen Untersu-
des 21-Hydroxylase- und 11-Hydroxylasedefektes chung sollte besonderer Wert auf die genitale Unter-
6.18 Puberlas praecox 30 I

suchung und die Feststellung des Ausprägungsgra- sehen Abklärung. Im Falle eines isolierten und ver-
des der sekundären Geschlechtsmerkmale gelegt frühten Pubeshaarwachstums kann der Verdacht
werden. Bei Verdacht auf zentrale Ursachen solle auf ein nichtklassisches AGS (später Verlauf) an-
eine genaue neurologische Untersuchung durchge- hand eines ACTH-Test überprüft werden. Erhöhte
führt werden. Werte für Testosteron und Dihydroepiandrosteron
können auf einen Nebennierentumor hinweisen.
Technische Verfahren Erhöhte hCG-Serumspiegel liegen bei hCG-produ-
Eine Röntgenaufnahme der rechten Hand gibt Aus- zierenden Tumoren vor. a-Fetoprotein (AFP) und
kunft über das möglicherweise erhöhte Knochen- karzinoembryonales Antigen (CEA) sind potenziell
alter. Ein GnRH-Test dient der Überprüfung der nützliche Marker von Keimzelltumoren.
Hypothalamus-Hypophysen-Achse und ermöglicht
die Differenzierung zwischen GnRH -abhängiger
oder -unabhäniger verfrühter Pubertät. Eine hohe 6.18.4
LH-Sekretion spricht für eine GnRH-abhängige Pu- Differentialdiagnose
bertät. Im Falle einer GnRH-Abhängigkeit ist eine
Kernspinuntersuchung oder Computertomographie Zu berücksichtigende Differentialdiagnosen sind in
der Sella unerlässlicher Bestandteil der diagnosti- Tabelle 6-9 wiedergegeben.

Tabelle 6-9. Ursachen einer Puberlas praecox bei Jungen

Ursache Spezifizierung

GoRH-abhängige Idiopathisch
Pubertas praecox
Z S-Läsionen Hypothalamisches Hamartom (relativ häufig)
Kongenitale Anomalien Hydrozephalu
Arachniodalzyste
Neoplasmen Astrozytom
Ependymom
Gliom (oft mit eurofibromatose)
Andere Z -Läsionen Schädel-Hirn-Trauma
Infektionen (Meningitis, Enzephalitis, Abszess)
Bestrahlung
Ventrikuläre Zysten
Granulome
Andere seltene Ursachen Russell- ilver yndrom
Palli ter-Hall Syndrom
GnRH-unabhängige Adrenal 21 - Hydroxylase-Mangel (AGS)
Pseudopubertas praecox 11-Hydroxylase-Mangel (AGS)
3ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Mangel (AGS)
Tumor (Adenom, Karzinom)
Testikulär Testotoxikose
Stromazelltumoren
Ektoper hCG-sezernierender Tumor
Gonadal (z. B. Chorionkarzinom)
Extragonadal (z. B. Hepatoblastom, Keimzelltumor im Z S
oder Mediastinum)
LH- ezernierender Tumor
(Hypophy enadenom)
Exogene Steroide
Ma ive Hypothyreose

LHRH = luteinisierendes Hormon releasing Hormon. hCG = humanes Choriongonadotropin; ZNS = zentrales Nervensystem.
(Nach Rosen u. Kelch 1995)
302 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

werden. Anhaltspunkte für eingeschränkte Fertilität


6.18.5
ergaben sich nach Therapieende bisher nicht.
Therapie

Pubertas praecox vera Pseudopubertas praecox


Die Entscheidung zur Durchführung einer Therapie Die Behandlung der Pseudopubertas praecox orien-
bei verfrühter Pubertät gründet sich auf verschiede- tiert sich am jeweiligen Grundleiden. Eine operative
nen Faktoren einschließlich Patientenalter, der psy- Extirpation erfolgt beim Hoden- bzw. NNR-Tumor,
chische Situation des Kindes und der geschätzten mit zusätzlicher Radio- und oder Chemotherapie bei
Endgröße des Patienten (drohender Kleinwuchs Vorliegen von Malignität. Bei der familiären Leydig-
im Erwachsenenalter, meist unter der 3. Perzentile). Zellhyperplasie (Testotoxikose) kann die autonom
Obwohl in Deutschland für die Indikation Pubertas gesteigerte testikuläre Androgenproduktion durch
praecox vera noch nicht offiziell zugelassen, sind den Aromataseinhibitor Testolacton normalisiert
GnRH-Agonisten Mittel der Wahl. Folgende Über- werden. Die häufigste Ursache der Pseudopubertas
sicht zeigt die Wirkung dieser GnRH-Agonisten. praecox beim Jungen, ein adrenogenitales Syndrom
(AGS) ohne neonatalen Salzverlust, wird durch
Wirkung der GnRH-Agonisten lebenslange Substitution mit Hydrocortison be-
bei Pubertas praecox vera handelt. Auf die Supression bzw. Elimination der
vorzeitig vorhandenen Androgenquelle kann der
• Vollständige und selektive Supprimierung der hypothalamisehe GnRH-Pulsgenerator nach einigen
pubertär gesteigerten Aktivität der Hypophy- Monaten mit einer zentralen Pubertas praecox vera
sen-Gonaden-Achse antworten. Dann ist die zusätzliche Behandlung mit
• Verlangsamung der Knochenreifung einem GnRH-Agonisten erforderlich.
• Normalisierung der erhöhten Wachstumsrate
• Erreichen der Endgröße im genetischen Zielbe-
reich Tumoren
• Normalisierung der psychischen Probelmatik der
Kinder
6.19
Hodentumoren

Bei Jungen mit Pubertas praecox vera wurden in 6.19.1


Deutschland bisher nur 2 GnRH-Agonisten klinisch Epidemiologie
geprüft. Buserelin (Suprefact) intranasal (2- bis
6-mal täglich ISO jlg), sowie seit mehr als 10 Jahren Hodentumoren sind mit einer durchschnittlichen
Triptolerin (Decapeptyl-Retard) als i. m.-Depot Inzidenz von 5 Fällen pro 100.000 für ca. 1% aller
(75 J..Lg/kg alle 4 Wochen). Die Effektivität der Thera- männlichen Neoplasien verantwortlich. Die Wahr-
pie sollte alle 3-6 Monate kontrolliert werden scheinlichkeit für jeden Mann während eines Lebens
(Reifestatus nach Tanner, Testesvolumina, Wachs- an einem Hodentumor zu erkranken beträgt 0,2 bis
tumsgeschwindigkeit, Tempo der Knochenreifung, 0,4 %. Im Hoden können eine Reihe verschiedener
Serumtestosteron sowie LH und FSH im GnRH- Neoplasien auftreten.
Test). Der Zeitpunkt des Therapieendes richtet
sich nach der erreichten Wachstumsprognose sowie • Keimzelltumoren. Die sich rasch teilenden Zellen
der psychosozialen Situation des Jungen. der Spermatogenese sind die Vorläuferzellen für die
große Mehrheit der testikulären Tumoren. Die
• Operative Maßnahmen. Operative Maßnahmen Keimzelltumoren stellen ca. 95% aller testikulären
sind bei der zentralen Pubertas praecox vera in Neoplasien und gehören zu den häufigsten malignen
der Regel nicht indiziert. Die Hamartome im Bereich Tumoren in der Altersgruppe der 15- bis 34-jähri-
des posterioren Hypothalamus (Tuber cinerium) gen. Trotz hoher Malignität sind die Keimzelltumo-
sind operativ nur schwer zugänglich, darüber hinaus ren einer erfolgreichen Therapie zugänglich.
nicht strahlensensibel, wachsen aber nur selten ex-
pansiv. • Stromazelltumoren. Die Sertoli-Zellen und die
interstitiell liegenden Leydig-Zellen können zu
• Nebenwirkungen. Auch nach prolongierter The- den seltenen und meist benignen Stromazelltumo-
rapie ist die hypophysär-gonadale Suppression voll ren entarten, die nur 3-4% aller Hodentumoren
reversibel. Eine Antikörperbildung konnte bisher ausmachen. Die klinische Relevanz dieser Tumoren
auch nach 10-jähriger Therapie nicht nachgewiesen liegt in der Präsenz endokriner Symptome wie Pu-
6.19 Hodentumoren 303

bertätsstörungen, Fertilitätsprobleme oder der Ent- Klinik


wicklung einer Gynäkomastie. Es bestehen zudem • Symptome und Beschwerden. Das klinische Bild
wichtige Zusammenhänge zu klinischen Syndro- der TIN ist meist stumm. Leitsymptom kann eine
men, die häufig erst aufgrund des Auftretens eines Einschränkung der Ejakulatparameter bzw. eine In-
Stromazelltumors diagnostiziert werden. fertilität sein.

Diagnostik
6.19.2
• Anamnese. Im Zusammenhang mit einer Inferti-
Einteilung
litätdiagnostik oder einer allgemeinen urologischen
Anamneseerhebung werden die bekannten Risiko-
Modifizierte Einteilung der Hodentumoren faktoren Lageanomalie der Hoden, vorhergehende
nach Mostofi Hodentumoren und familiäre Häufung abgeklärt.

• Keimzelltumoren • Körperliche Untersuchung. Die TIN verhält sich


Carcinoma in situ klinisch stumm und ist einer normalen körperlichen
Seminome Untersuchung nicht zugänglich.
Embryonales Karzinom
Dottersacktumor • Technische Verfahren. Bei der Infertilitätsdia-
Teratome gnostik oder im Rahmen einer allgemeinen andro-
• Stromazelltumoren logischen Diagnostik kann ein sonographisch festge-
Gemischte Tumoren stelltes inhomogenes Binnenmuster im betroffenen
Leydig-Zelltumor Hoden Hinweise auf das Vorliegen einer TIN geben
Sertoli-Zelltumor (Abb. 6-42). Die zuverlässsige Diagnose einer TIN ist
Granulosazelltumor jedoch nur durch eine Hodenbiopsie mit nachfolgen-
• Gemischte Tumoren der histologischer und immunologischer Untersu-
chung möglich. Es sollte in jedem Fall eine Biopsie
des kontralateralen Hodens durchgeführt werden.
Carcinoma-in-situ-Zellen können im Ejakulat ange-
6.19.3 reichert und nachgewiesen werden, jedoch hat diese
Testikuläre intraepitheliale Neoplasie Methode aufgrund mangelnder Sensitivität bisher
noch keinen Eingang in die Routinediagnostik ge-
Epidemiologie funden.
Die testikuläre intraepitheliale Neoplasie (TIN),
auch Carcinoma in situ des Hodens genannt, ist
Differentialdiagnose
die Präkanzerose der testikulären Keimzelltumoren.
Die Diagnose einer TIN wird meist problemlos
Bei Patienten mit unilateralem Hodentumor besteht
durch den fachkundigen Histologen gestellt. Die
eine Inzidenz von 5-6 o/o für eine kontralaterale TIN.
TIN besteht weitgehend diffus über den Hoden ver-
Das Vorliegen einer Lageanomalie der Hoden er-
höht die Inzidenz um etwa 3 %. Die männliche In-
fertilität stellt ebenfalls eine Risikofaktor für die Ent-
wicklung einer TIN dar mit einer Inzidenz von 0,7 o/o
in Deutschland (und 1,1 o/o in Dänemark). Im Insti-
tut für Reproduktionsmedizin der Universität Mün-
ster fand sich bei 0,5 o/o (1 von 200) aller Patienten
mit Infertilität ein Hodentumor.

Pathogenese
Die TIN-Zellen stammen nach heutiger Vorstellung
direkt von den embryonalen Keimzellen ab. Mögli-
cherweise liegen die TIN-Zellen bereits bei der Ge-
burt späterer Hodentumorpatienten im Hoden vor.
Die Ursachen, die zur späteren Entwicklung eines
manifesten Hodentumors führen, sind weitgehend
unbekannt, wobei hormonelle und genetische Fak- Abb. 6-42. Ultraschalldarstellung eines Hodens mit Carci-
toren eine Rolle spielen könnten. noma in situ
304 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

teilt, wodurch bei der Biopsie eine hohe Trefferquote zelltumoren können zu Rückenschmerzen oder zur
gewährleistet ist. Ausbildung einer Varikozele führen. Gastrointesti-
nale Blutungen, Knochenschmerzen, zentral nervöse
Symptome, Dyspnö und Husten als Zeichen einer
Therapie
hämatogenen Metastasierung sind bei Diagnose-
Besteht ein einseitiger Befall bei Vorhandensein
stellung extrem selten.
eines 2. gesunden Hodens, stellt die operative Ent-
fernung des betroffenen Hodens die Methode der
Wahl dar. Ist gleichzeitig eine kontralaterale TIN Diagnostik
vorhanden, was nur durch eine Hodenbiopsie • Anamnese. Die Angaben des Patienten bzgl. te-
oder durch den zeitlichen Verlauf festgestellt wer- stikulärer Schwellung oder Schmerzhaftigkeit gibt
den kann, gilt die Strahlentherapie als das beste The- meist sehr konkrete Hinweise auf das mögliche Vor-
rapiekonzept Die Bestrahlung kann im Unterschied liegen eines Tumors. Besonderer Wert sollte auf die
zur Chemotherapie eine vollkommene Vernichtung familiäre und patienteneigene Tumoranamnese ge-
der TIN bewirken. Der Wert der Radiatio wird da- legt werden. Ferner muss der bekannte Risikofaktor
durch erhöht, dass die Testosteronwerte im Serum Lageanomalie der Hoden abgeklärt werden.
in der Mehrzahl der Patienten in Normbereich blei-
ben. Dadurch wird die lebenslange Hormonsubsti- • Körperliche Untersuchung. Die Palpation des
tution vermieden. Skrotalinhaltes gibt erste Informationen über Aus-
dehnung, Schmerzhaftigkeit und erhöhte Konsi-
stenz des betroffenen Hodens. Ebenso ist der ingui-
nale Lymphknotenstatus zu erheben, da eine
6.19.4
Schwellung der nicht primär im Metastasierungsweg
Seminomatöse und nichtseminomatöse
der Hodentumoren liegenden inguinalen Lymph-
Keimzelltumoren des Hodens
knoten differentialdiagnostisch an einen entzündli-
chen Vorgang denken lassen muss. Die Inspektion
Epidemiologie
der Brust mit Palpation des Brustdrüsenkörpers
Seminome stellen rund die Hälfte aller testikulären
überprüft das Vorliegen einer möglichen Gynäko-
Keimzelltumoren und treten in Patienten mit einem
mastie.
Durchschnittsalter von 40 Jahren auf. Seminome vor
der Pubertät sind äußerst selten. Tumoren aus der
• Technische Verfahren. Bildgebung: Neben der
Gruppe der Nichtseminome treten durchschnittlich
palpatorischen Untersuchung gibt der Ultraschall
10 Jahre früher auf.
des Skrotalinhaltes weitere Auskünfte über die intra-
skrotale Tumorausdehung. Die Hodentumoren er-
Pathogenese scheinen hierbei als echoarme oder -reiche Areale
Die Ursache für die Entstehung der Keimzelltumo- mit inhomogenen Binnenmuster (Abb. 6-43). Eine
ren ist unbekannt. Familiäre Häufungen wurden be- computertomographische Untersuchung (CT) des
obachtet. Lageanomalien der Hoden und das Kline- Abdomens und des Beckens und Röntgenaufnah-
felter-Syndrom stellen prädisponierende Faktoren men der Lunge können retroperitoneale und die
für die Entwicklung eines Keimzelltumors der Ho- sehr seltenen hämatogenen Metastasierungen zei-
den dar. gen. Eine CT -Untersuchung des Gehirns sollte nur
bei neurologischen Symptomen durchgeführt wer-
den.
Klinik
Labor: Alphafetoprotein (AFP) wird nur von nicht-
• Symptome und Beschwerden. Die meisten Pa-
seminomatösen Keimzelltumoren, speziell den em-
tienten mit Keimzelltumoren weisen eine testikuläre
bryonalen und Dottersacktumoren, produziert. Er-
Schwellung auf, aber auch Schmerzen des Hodens
höhte Serumkonzentrationen für humanes Chorion-
können zusätzlich bestehen. Durch das Tumor-
gonadotropin (hCG) treten in etwa der Hälfte aller
wachstum kann ein rascher Abfall der Ejakulat-
Patienten mit metastasierenden nichtseminoma-
parameter verbunden mit einer veränderten Kon-
tösen Keimzelltumoren auf und bei 15-20 o/o der
sistenz der Hoden eintreten. Gelegentlich entwickelt
Patienten mit metastasierenden Seminomen. Die
sich eine beidseitige Gynäkomastie aufgrund einer
Laktatdehydogenase (LDH) gilt als wenig spezifi-
Erhöhung des humanen Choriongonadotropins
scher aber wichtiger Verlaufsparameter bei Patien-
(hCG) im Serum. Nur 2-3 o/o aller Patienten mit
ten mit fortgeschrittenen Keimzelltumoren.
einem Seminom präsentieren sich bei Diagnose-
stellung mit den Zeichen einer retroperitonealen
Lymphknotenmetastasierung. Metastasierte Keim-
6.19 Hodentumoren 305

6.19.5
Gonadale Stromatumoren

Epidemiologie
Die gonadalen Stromatumoren mit den Leydig-
Zell-, Sertoli-Zell- und Granulosazelltumoren tra-
gen lediglich 3-4% zum Spektrum aller Hoden-
tumoren bei und treten zum Teil in Kombination
mit komplexen Erkrankungen auf. Dazu gehören
das Peutz-Jeghers-Syndrom, das Carney-Syndrom,
die Gonadendysgenesie ferner Androgenrezeptor-
defekte. Leydig-Zelltumoren treten zu 20% in der
Kindheit auf, meist zwischen dem 5. und 10. Lebens-
jahr. 80% aller Leydig-Zelltumoren betreffen Pa-
Abb. 6-43. Großes Seminom in der Ultraschalldarstellung tienten im Erwachsenenalter. Die seltenen Sertoli-
Zelltumoren nehmen weniger als 1% aller Hoden-
tumoren ein und können in jedem Lebensalter fest-
gestellt werden. Die im Hoden sehr selten vorkom-
Differentialdiagnose menden Granulosazelltumoren treten entweder im
Abzugrenzen von den Keimzelltumoren sind alle Erwachsenealter oder bei Säuglingen vor dem 5. Le-
übrigen Tumoren und entzündliche Vorgänge der bensmonat auf. Das seltene Gonadoblastom besteht
Hoden und Nebenhoden sowie traumatische Ho- aus gemischten Anteilen von tumorös veränderten
denveränderungen einschließlich der akut auftre- Keimzellen und Stromazellen. Es betrifft gewöhnlich
tenden Hodentorsion. Patienten mit dysgenetischen Gonaden.

Therapie Pathogenese
Therapie und Prognose hängen von Typ und Aus- Die Pathogenese der Stromazelltumore ist weitge-
dehnung (staging) des Tumors ab. Die Therapie hend unbekannt. Es bestehen jedoch Hinweise auf
nach Entfernung des Primärtumors besteht bei die Beteiligung endokrinalogischer Faktoren:
den nichtseminomatösen Hodentumoren im We- • Bei dem außerordentlich seltenen Carney-Syn-
sentlichen in der Anwendung spezifischer Chemo- drom werden regelmäßig vorkommende, kalzifi-
therapeutika wie Bleomycin, Etoposide, Carboplatin zierende Sertoli-Zelltumoren neben endokrinen
oder Cisplatin. Darunter konnten in Patientengrup- Symptomen wie Adipositas, Hyperlipidämie, Glu-
pen mit niedrigem Risiko komplette Remissionen in koseintoleranz und Cortisolüberschuss in Kom-
bis zu 94% der Fälle erzielt werden. Seminome wer- bination mit myxomatösen Tumoren u. a. im
den nach Entfernung des Primärtumors primär Herzmuskel beschrieben. Östradiolproduzieren-
strahlentherapeutisch behandelt. Bezüglich der de- de Sertoli-Zelltumoren mit der Ausbildung einer
taillierten Therapie der Keimzelltumoren sei auf ein- Gynäkomastie und einem verfrühten Knochen-
schlägige Fachliteratur sowie onkologische und mo- wachstum kommen gelegentlich bei Kindern
logische Lehrbücher verwiesen. mit Peutz-Jeghers-Syndrom vor.
• Juvenile Granulosazelltumoren sind häufig mit
Vor beidseitiger Orchiektomie, Chemotherapie, testi- einer gonadalen Dysgenesie oder Anomalien
kulärer Radiatio oder retroperitonealer Lymphade- der Geschlechtschromosomen assoziiert, ein-
nomektomie muss den Patienten die Möglichkeit schließlich eines 45,XO/XY -Mosaiks.
zur Kryokonservierung ihrer Spermien, zur Erhal- • Patienten mit einem Gonadoblastom weisen un-
tung ihrer Fertilität, angeboten werden. Ein Testoste- abhängig vom Phänotyp ein Y-Chromosom auf
ronmangel nach beidseitiger Orchiektomie muss mit bei einem 46,XY oder 45,XO/XY- Karyotyp.
Androgenen substituiert werden.

Klinik
• Symptome und Beschwerden
e Leydig-Zelltumoren präsentieren sich im Erwach-
senenalter mit testikulärem Tastbefund und in
etwa 30% mit einer Gynäkomastie aufgrund er-
höhter Östradiolserumkonzentrationen. Hinzu
306 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

kommen eine Infertilität sowie ein Abfall von ein Befall der relevanten Lymphknotenstationen,
Libido und Erektionsfähigkeit. 10% aller Ley- wie beschrieben, ausgeschlossen werden. Die Sono-
dig-Zelltumoren im Erwachsenenalter zeigen graphische Untersuchung der Brustdrüsen erlaubt
die Kriterien der Malignität. Bei Kindern steht eine Abgrenzung der Gynäkomastie von der häufi-
die Entwicklung einer gleichgeschlechtlichen te- gen Lipomastie.
stosteronbedingten Pseudopubertät in fast allen Labor: Die Bestimmung der Tumormarker a-Feto-
Fällen im Vordergrund, noch bevor es zu einem protein (AFP) und humanes Choriongonadotropin
testikulärem Tastbefund kommt. Maligne Leydig- (hCG), die Untersuchung des Ejakulates und die Be-
Zelltumoren im Kindesalter wurden bisher nicht stimmung der Hormonparameter einschließlich
beschrieben. Östradiolliefern wichtige Hinweise bei der Diagnose
• Bei den Sertoli-Zelltumoren kann es ebenso zu der endokrin aktiven Hodentumoren.
überhöhten Östradiolserumspiegeln kommen
mit Entwicklung einer Gynäkomastie, Infertilität
Differentialdiagnose
und Impotenz. Eine isolierte Gynäkomastie im
Ursachen für Störungen der sexuellen Funktionen
Kindesalter kann das mögliche Erstsymptom
mit Impotenz und Infertilität sowie das Auftreten
eines Sertoli-Zelltumors sein, wohingegen Kinder
einer Gynäkomastie oder einer verfrühten Pubertät
mit einem Leydig-Zelltumor keine Gynäkomastie
wird differentialdiagnostisch in den entsprechenden
ohne Virilisierung entwickeln. Im Unterschied zu
Kapiteln dieses Buches erörtert.
Leydig-Zelltumoren können Sertoli-Zelltumoren
auch bei Kindern metastasieren.
• Die meist gutartigen testikulären Granulosazell- Therapie
tumoren vom adulten Typ präsentieren sich Bei einseitigem Hodentumor ist die operative Ent-
häufig mit einer Gynäkomastie. Granulosa-Zell- fernung des befallenen Hodens die Therapie der
tumoren vom juvenilen Typ treten gehäuft bei Wahl. Maligne Leydig-Zelltumoren sind gegenüber
Säuglingen mit gelegentlichem testikulärem Tast- Bestrahlung und Chemotherapie resistent. Bei meta-
befund auf. stasierenden Sertoli-Zelltumoren kann eine adju-
• Die Gonadoblastome liegen häufig bei testikulärer vante Radiatio und Chemotherapie in Einzelfällen
Lageanomalie, peniler Hypospadie und Anoma- die Prognose verbessern. Die retroperitoneale Lym-
lien der äußeren Genitalien vor. Eine Gynäkoma- phadenektomie ist deshalb Haupbestandteil der
stie ist dabei nicht selten. Therapie maligner Leydig- und Sertoli-Zelltumoren.
Für eine Hormonsubstitution nach bilateraler Or-
chiektomie muss gesorgt werden.
Diagnostik

D
• Anamnese. Neben der bereits genannten allge- In jedem Fall sollte den Patienten vor Durchführung
meinen Anamnese im Zusammenhang mit testi- einer potenziell fertilitätsmindernden Therapie die
kulären Keimzelltumoren kommt bei den Sertoli-, Durchführung der Kryokonservierung des Ejakulates
Leydig- und Granulosazelltumoren sowie den Go- als Zeugungsreserve ermöglicht werden.
nadoblastomen dem Abfragen nach möglichen en-
dokrin bedingten Symptomen wie verfrühter Puber-
tät, Gynäkomastie, Potenzstörungen und Infertilität Weitere Störungen
besondere Bedeutung zu, da diese Zeichen noch vor
dem Entstehen eines palpablen Tumors auftreten
können. 6.20
Seneszenz
• Körperliche Untersuchung. Bei der körperlichen
Untersuchung sollten Schwellungen der Brustdrü- 6.20.1
senkörper ebenso festgehalten werden wie Zeichen Epidemiologie
einer verfrühten Pubertät im Kindesalter. Die geni-
tale Untersuchung gibt Auskunft über Virilierungs- Ein Climacterium virile, eine der Menopause
grad und mögliche Intersexualität. vergleichbare abrupte altersbedingte Änderung der
Gonadenfunktion, existiert beim männlichen Ge-
• Technische Verfahren. Wie bei den Keimzell- schlecht nicht. Es kommt daher nicht zum plötz-
tumoren kommt der Ultraschalluntersuchung eine lichen Verlust der Fertilität. Ältere Männer ohne
entscheidende Bedeutung bei der Diagnostik deren- begleitende Erkrankungen können gegenüber
dokrin aktiven Hodentumoren zu. Zeigt die Hoden- jüngeren vergleichbare Testosteronwerte und Ho-
histologie nach Orchiektomie eine Malignität, muss denvolumina aufweisen. Eine verminderte endo-
6.20 Seneszenz 307

krine Reservekapazität sowohl der Leydig-Zellen der 40


Testes als auch der gonadotropen Zellen der Hypo- 35
physe ist jedoch unabhängig von dem Gesundheits- 35
zustand der älteren Männer zu beobachten.
30

Hormonstatus im Alter 25
21
Ein signifikanter Abfall der Serumspiegel des biolo-
20
gisch wirksamen Testosterons im Alter, wenn auch
mit erheblicher Streubreite, ist mehrfach nachgewie- 15
sen worden und begründet sich durch die Zunahme
des Gehaltes an sexualbindendem Globulin (SHBG) 10
7
im Serum (Abb. 6-44). Auch nimmt die Amplitude
5
der zirkardianen Rhythmik der Testosteronserum-
0
konzentrationen mit höchsten Werten am frühen o~--------~~--~~--~~~-
Morgen ab. Der Anteil der Männer mit Testosteron- 20-40 ·60 -80 >80
konzentrationen im Serum im hypogonadalen Be-
reich (d. h. < 12 nmol!l) nimmt mit dem Alter zu Abb. 6-45. Anteil gesunder Männer mit hypogonadalen Te-
und beträgt bei 60- bis SO-jährigen 20% und bei stosteronkonzentrationen im Serum bei 300 Männern ver-
über SO-jährigen 33% (Abb. 6-45). Die basalen Kon- schiedener Altersgruppen. (Nach Vermeuten u. Kaufmann
1995)
zentrationen von LH und FSH im Serum steigen zwi-
schen dem 40. und 70. Lebensjahr leicht und danach
deutlich an. Auch die pulsatile Frequenz der LH-Se-
bleiben im Alter konstant. Bei sinkenden Testoste-
kretion nimmt ab. Eine leichte Abnahme des Prolak-
ronspiegeln und abnehmenden SHBG kann der ver-
tinspiegels ist im Alter zu beobachten. Die Serum-
stärkte Einfluss der Östrogene auf den Organismus
spiegel für Östradiol und Östron sowie Östronsulfat
z. B. bei der Entwicklung einer Gynäkomastie rele-
vant sein. Die Serumspiegel des Testosteronmetabo-
liten Dihydrotestosteron (DHT) nehmen mit dem
Alter nicht ab, jedoch sind bei chronisch erkrankten
.. . Patienten niedrigere Spiegel festzustellen. Bei Pa-
tienten mit einer benignen Prostatahyperplasie
:::::-
...... konnten erhöhte DHT-Serumspiegel nachgewiesen
0
E werden.
s
1- 0,1

Hodenmorphologie im Alter
. ·. ·:: . . Eine generelle Abnahme des Hodenvolumens bei äl-
teren Männern kann nicht beobachtet werden. Bei
einigen älteren Männern finden sich jedoch Verän-
0.01 derungen, die von diskreten Anomalien bis zur völ-
40 50 60 70
ligen Atrophie reichen. Wenn Zeichen der Atrophie
und Hyalinisierung vorhanden waren, konnten
100
meist auch arteriosklerotische Veränderungen der
Gefäße festgestellt werden, und das Ausmaß der
...... degenerativen Veränderungen korrelierte mit den
0
E Zeichen einer allgemeinen Arteriosklerose des be-
s treffenden Individuums. Histomorphologische Un-
~

I
CO tersuchungen der Hoden von Unfallopfern zeigen,
Vl
dass die einzelne Leydig-Zelle auch im höheren Alter
10
keine Volumenveränderung aufweist. Wohl aber
geht die Gesamtzahl der Leydig-Zellen zurück.

40 so 60 70
Alte r (Jahre) Ejakulatparameter im Alter
Repräsentative Daten aus Longitudinalstudien zu
Abb. 6-44. Altersabhängige Änderung der Testosteron- und
SHBG-Spiegel. Ergebnisse der Massachusetts Male Aging
Ejakulatveränderungen sind nicht vorhanden. In
Study. (Nach Gray et al. 1991) eigenen Untersuchungen waren die Seminalpara-
308 KA P ITEL 6 Männliche Gonaden

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Alter in Jahren Alter in Jahren
Abb.6-46. Vergleich der Ejakulatparameter und zwischen Großvätern und jungen fertilen Männern. (Nach Nieschlag et al.
1982)

meter sowohl von gesunden Großvätern, d. h. von konzentration sogar zu. Diese Änderungen können
Männern über 60 Jahren, die im früheren Leben möglicherweise durch die längere Karenzzeit erklärt
ihre Zeugungsfähigkeit unter Beweis gestellt hatten, werden. In Spermienfunktionstests (Hamster-
als auch von Männern über 50 Jahre, die unsere Kli- ovum-Penetrationstest) konnten keine Unterschie-
nik wegen unerfüllten Kinderwunsches aufsuchten, de festgestellt werden (Abb. 6-46 und 6-48).
nicht wesentlich verschieden von den jeweiligen
Kontrollgruppen jüngererMännerund Väter. Ledig-
lich eine signifikante Abnahme des Anteils der pro-
gressiv beweglichen Spermien war festzustellen. In 6.20.2
der Gruppe der Großväter nahm die Spermien- Klinik

Symptome
D Spermienkonzentration (Mio./ml) • Fertilität des alternden Mannes. Männer können
70 • Spermienmotilität (%) auch noch in einem relativ fortgeschrittenen Le-
60 normale Spermienmorphologie (%) bensalter Kinder mit jüngeren Partnerin erzeugen.
55
Die erhaltene Zeugungsfähigkeit spiegelt sich auch
50
in der Statistik der Gesamtbevölkerung wieder, in
40 der sich eine stattliche Zahl von Vätern von Neuge-
30 borenen im Alter über 50 Jahre, aber kaum Mütter in
dieser Altersgruppe finden (Abb. 6-47). Die Zeu-
20 gungsfähigkeit bleibt demnach auch beim älteren
10 Mann grundsätzlich erhalten. Die Tatsache einer re-
lativ seltenen Vaterschaft bei Männern über 60 Jah-
0
Patient (Alter) 53 ± 3 28 ± 2 27 ± 2 ren findet ihre Begründung eher in der reduzierten
Partnerin (Alter) 36 ± 5 34 ± 2 27 ± 3 oder erloschenen Konzeptionsfähigkeit der Partne-
Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 rin bzw. dem bewussten Verzicht auf Kinder.
Abb. 6-47. Vergleich der Ejakulatparameter jüngerer und äl-
terer Patienten mit unerfülltem Kinderwunsch. (Nach Rolf • Chromosomenanomalien und höheres väterli-
et al. 1996) ches Risiko. Eine erhöhte Inzidenz von Chromoso-
6.20 Seneszenz 309

100000

0 Väter

10000 • Mütter

1000
56- 60

~
61 -65
100
66 - 70

> 50
10 > 70

20 30 40 50 60 70
Alter der Eitern

Abb. 6-48. Altersverteilung der Väter und Mütter in Deutschland im Jahre 1991 (Analyse der Daten des Statistischen Bundes-
amtes 1994}

menanomalien bei einem höheren mütterlichen widersprüchliche Ergebnisse vorliegen. Für die rela-
Alter ist gesichert. Die möglichen Auswirkungen tiv häufigen und somit klinisch relevanten Chromo-
eines höheren väterlichen Alters wurde bisher in somenanomalien der Trisomie 13, Trisomie 18, dem
nur wenigen epidemiologischen Studien mit meist Turner-Syndrom (45,XO) und dem Klinefelter-Syn-
kleinen Fallzahlen untersucht. In einer retrospekti- drom (47,XXY) konnte keine Beziehung zwischen
ven kanadischen Studie mit relativ großer Fallzahl dem väterlichen Alter und der Krankheitshäufigkeit
wurde die Auswirkung des väterlichen Alters auf gefunden werden.
die Rate der Anomalien der Neugeborenen unter-
sucht. Dazu wurden die Daten von 9.660 Fällen • Sexualität im Alter. Trotz eines möglichen Testo-
aus British Columbia mit angeborenen Anomalien steronabfalls in der Seneszenz bleibt die sexuelle Ak-
herangezogen. Bei den über 50-jährigen Vätern tivität häufig bis ins hohe Alter erhalten. Etwa 60%
zeigte sich gegenüber jüngeren Vätern ein erhöhtes der über 60-jährigen Männer berichten, noch sexuell
relatives Risiko (berichtigt für das mütterliche Alter aktiv zu sein. In einer Gruppe von gesunden Män-
und andere Faktoren) für die diversen Anomalien nern im Alter zwischen 80 und 102 Jahren geben
(Tabelle 6-10). Die genannten Zahlen sind jedoch über 60% an, noch Geschlechtsverkehr zu haben.
sehr kritisch zu betrachten, da aus anderen Studien Beim alternden Mann sind jedoch Veränderungen
der Phasen des sexuellen Reaktionszyklus zu beob-
achten. Die Erregungsphase und das Erreichen der
Erektionsphase sind verzögert, die Erektionsphase
Tabelle 6-10. Relatives Risiko von Anomalien bei Kindern
von Vätern über 50 Jahre unter Berücksichtigung des mütter- bis zur Ejakulation ist meist verlängert. Nach der
lichen Alters (Mcintosh et al. 1995} Ejakulation tritt ein rascher Erektionsverlust ein.
Die Refraktärzeit bis zur erneuten Erregungsphase
Anomalie Angepasste Odds Ratio ist verlängert. Nächtliche Erektionen sind bei älteren
(Bcnicksichtigung des
mütterlichen Alters; normal Männern deutlich seltener als bei jüngeren Män-
ist I ,0 für 25 - 29jährige Väter) nern, und die Rigidität des Penis nimmt ebenfalls
ab. Die Inzidenz der erektilen Dysfunktion nimmt
euralrohrdefekte 2,3 mit dem Alter zu. Ebenso wie die erektile Dysfunk-
Anenzephalie 2,6 tion ist die benigne Prostatahyperplasie (BPH) eine
Spi na bifida 2,2 häufige im Alter auftretende Erkrankung. In den
Ko ngenitaler Katarakt 2,5 USA wird die Inzidenz für eine behandlungsbedürf-
Tracheoösophageale Fistel 3, 1 tige Prostatahyperplasie mit 27% für Männer zwi-
Darmatresie 5,0 schen 60 und 69 Jahren und mit 35% für Männer
Red uktionsdefekte der oberen Extremitäten 3,1 zwischen 70 und 79 Jahren angegeben. Die Ursachen
sind weiterhin unklar. Hormonelle Verschiebungen
Down-Syndrom 2,0
im Alter werden als Ursache angegeben. In einer
310 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

kontrollierten Studie mit 52 Patienten konnte ein si-


6.21
gnifikanter Zusammenhang zwischen den Serum-
spiegeln für Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS)
Androgenetische Alopezie
und der Inzidenz einer BPH gezeigt werden. Unklar 6.21.1
bleibt jedoch, ob die erhöhten Spiegel Ursache oder
Epidemiologie
Folge der vergrößerten Prostata sind. Für die Testo-
steron- und Östradiolserumwerte bestand keine si- Die androgenetische Alopezie (AGA, "Glatze") ist
gnifikante Korrelation für die BPH. Zum Auftreten die häufigste Alopezieform mit geschlechtsspezifi-
der Altersgynäkomastie siehe bitte Abschn. 6.15. schen Unterschieden bei Mann und Frau. Die Prä-
valenz der androgenetischen Alopezie beträgt in
kaukasischen Bevölkerungsgruppen unter 40 Jahren
6.20.3
etwa 50 %. Prävalenz und Ausprägungsgrad sind
Therapie bei Asiaten, Afrikanern und Indianern geringer.
Bisher kann für den alternden Mann eine Hormon-
substitution analog zur Östrogensubstitution bei der 6.21.2
postmenopausalen Frau nicht empfohlen werden. Pathogenese
Wenn klinisch Hinweise auf einen latenten oder
manifesten Testosteronmangel vorliegen und der Dieandrogenetische Alopezie wird autosomal domi-
morgendliche Serumtestosteronspiegel unter den nant vererbt. Die phänotypische Expression unter-
für jüngere Männer geltenden Normwert von liegt einer großen Variabilität, sodass eine exakte
12,0 nmol/1 gefallen ist, kann eine Testosteronsub- Voraussage über Zeitpunkt des Eintretens einer
stitution in Betracht gezogen werden. Hierbei gelten Alopezie und deren Ausprägungsgrad für den ein-
dieselben Behandlungskriterien wie bei jüngeren zelnen Patienten unmöglich wird. Wie die meisten
hypogonadalen Patienten. Gewebe unterliegt das Haar einem kontinuierlichen
Wachstum während des gesamten Lebens. Haarfol-
likel befinden sich in einem periodischen Haar-
Nebenwirkungen
wachstumszyklusmit lokalisationsabhängigem zeit-
In einer kontrollierten retrospektiven Studie wurden
lichen Verlauf. Normalerweise folgt der aktiven
mögliche Nebenwirkungen und die Compliance in
Wachstumsphase oder anagenen Phase eine kurze
45 hypogonadalen älteren Männern, die eine 2-jäh-
Phase der Rückbildung, die katagene Phase, gefolgt
rige Androgensubstitution mit 200 mg Testostero-
von einer Ruhephase oder telogenen Phase. Danach
nönanthat bzw. -cypionat alle 2 Wochen erhielten,
fällt das Haar aus. Die anagene Phase dauert ca.
untersucht. Etwa 1/3 der Patienten brachen die The-
3 Jahre und die telogene Phase nur 100 Tage. Das
rapie vorzeitig ab, meist wegen ausbleibender Wir-
führt zu einem Verhältnis anagene zu telogene
kung. Die übrigen 2/3 berichteten über eine Verbes-
Haare von 9: 1. Unter Normalbedingungen fallen
serung der Parameter Libido, allgemeine Bela-
täglich etwa 100 Haare aus mit einer leichten Zu-
stungsfähigkeit, Stimmung und Schlaf. An Testoste-
nahme im Frühherbst Patienten mit androgeneti-
ron bedingten Nebenwirkungen trat bei 25% der
scher Alopezie besitzen eine reduzierte anagene
Patienten ein erhöhter Hämatokrit auf, worauf die
Phase mit entsprechender Verschiebung der Ratio
Therapie abgesetzt wurde. Signifikante Unterschie-
anagen zu telogen. Zudem kann man eine progessive
de bezüglich kardiavaskulärer und prostatischer
Miniaturisierung der Haarfollikel und Terminalhaa-
oder anderer Erkrankungen waren nicht zu beob-
re beobachten (Abb. 6-49). Seit langem ist die Be-
achten.
deutung der Androgene für die Entwicklung der ge-
wöhnlichen Alopezie bekannt. In einer amerikani-
Kontraindikationen der Androgentherapie im Alter schen Studie aus den 40er-Jahren konnte gezeigt
Es besteht bis heute kein Anhaltspunkt dafür, dass werden, dass nach präpubertärer Kastration die ju-
eine Testosteronsubstitution ein Prostatakarzinom venile Stirn-Haar-Grenze und Haardichte erhalten
induziert. Ein manifestes Prostatakarzinom wird je- bleiben. Kastraten zeigen nur nach Beginn einer Te-
doch durch Testosteron im Wachstum gefördert stosteronsubstitution eine progessive Alopeziebil-
und stellt eine Kontraindikation für eine Andro- dung. Die Funktion der Haarfollikel hängt von
gensubstitution dar. der Androgenkonzentration, der peripheren Andro-
genmetabolisierung und der Anzahl der Androgen-
rezeptoren ab. Bei Männern stellt Testosteron die
Vorläufersubstanz von Dihydrotestosteron (DHT)
dar, bei Frauen hauptsächlich Dehydroepiandroste-
6.21 Androgenetische Alopezie 311

Vorhergehende Involutions- Ruhe- Neue Wachtums·


Wachsrumsphase phase phase phase
(anagen) (katagen) (telogen) (anagen)

Abb. 6-49. Wachstumszyklus der HaarfollikeL (Aus Bergfeld 1995)

rone (DHEA). Die enzymatische Konversion dieser individuellem zeitlichen Verlauf oft schubweise ver-
Vorläufersubstanzen zu DHT führt zu Seborrhö, schiedene klassifizierbare Stadien (Abb. 6-49). Die
Hirsutismus, Akne und Alopezie in unterschiedli- androgenetische Alopezie bei der Frau ist eher diffus
chem Ausmaß. Testosteron entsteht aus DHEA und weniger auf einzelne Areale begrenzt und be-
und Androstendion durch die Aktivität der Enzyme ginnt meist erst in der 3. oder 4. Lebensdekade.
3ß-Hydroxysteroiddehydrogenase (3ß-HSH) und Ein weiteres Fortschreiten der Alopezie nach der
17ß-Hydroxysteroiddehydrogenase. Durch das En- Menopause kann häufig beobachtet werden. Sowohl
zym Sa-Reduktase wird Testosteron zum in der bei Frauen als auch Männern führt der bemerkte
Haut wirksamen DHT konvertiert. In den Haarfolli- Haarverlust häufig zu einer Beeinträchtigung des
keln der Kopfhaut von Frauen mit androgenetischer psychosexuellen Wohlbefindens und zur Angst
Alopezie kann die Aktivität der Cytochrom- vor einem weiteren Fortschreiten oder dem kom-
P450-Aromatase, die Testosteron zu Östradiol um- pletten Haarverlust
wandelt, gegenüber der Kopfhaut betroffener Män-
ner um den Faktor 6 erhöht gemessen werden. Die
Aktivität der Sa-Reduktase (Typ I und II) zeigt sich
6.21.4
bei denselben Frauen um den Faktor 3 reduziert und
Diagnostik
die Zahl der Androgenrezeptoren um 40% geringer.
Die geschlechtsspezifischen Unterschiede für die
Aktivität der steroidkonvertierenden Enzyme, und
Anamnese
die Verteilung der Androgenrezeptoren sind mögli- Neben einer Erhebung des allgemeinen Gesund-
cherweise für den unterschiedlichen Ausbildungs- heitsstatus umfasst die Anamnese ein Erfragen
nach Beginn und Verlauf des Haarverlustes sowie
grad der androgenetischen Alopezie bei Frau und
Mann verantwortlich. Die beiden Androgene DHT eine ausführliche Familienanamnese im Zusammen-
hang mit vorzeitiger Alopeziebildung. Aktuelle und
und DHEA verkürzen den anagenen Wachstumszy-
alte Photographien des Patienten bzw. betroffener
klus der Haarfollikel und bewirken die bei der an-
Familienmitglieder können für die Erhebung der
drogenetischen Alopzie typische Verkleinerung
Anamnese und der Beurteilung der späteren Thera-
der Follikel.
pie hilfreich sein. Die aktuelle Medikation sowie die
Einnahme von Vitaminpräparaten sollten ebenso
erfragt werden wie mögliche Schilddrüsenerkran-
6.21.3
kungen, Neoplasien oder systemische Erkrankun-
Klinik gen.
Symptome und Beschwerden
Die androgenetische Alopezie beginnt beim Mann Körperliche Untersuchung
typischerweise mit einem bitemporalen Haarverlust Die Klassifikation der androgenetsichen Alopezie
("Geheimratsecken") in der späten Adoleszenz oder des Mannes kann anhand der modifizierten Rarnil-
im frühen Erwachsenenalter und durchläuft mit tonskala erfolgen (s. Abb. 6-50).
312 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

II IIa 111

lila 111-vertex IV IVa

Abb.6-50. "Hamilton scale ofbaldness". (Modifiziert nach Norwood 1975)

Technische Verfahren • Histologische Untersuchung. Histologische Un-


• Labor. Im Unterschied zur androgenetischen tersuchungen der Haarwurzeln und die Bestimmung
Alopezie beim Mann sollten bei der Frau obligato- des Verhältnis von anagenen zu telogenen Haarwur-
risch Laboruntersuchungen durchgeführt werden. zeln können prognostische Aussagekraft besitzen.
Dazu gehört die Bestimmung eines Diffenentialblut-
bildes, die Messung der Schilddrüsenparameter, der
Semmeisenspiegel und der eisenbindenden Kapa- 6.21.5
zität sowie bei Auftreten von Virilisierungserschei- Differentialdiagnose
nungen oder einer Galaktorrhö die Bestimmung
von Testosteron, Dehydroepiandrosteronsulfat und Differentialdiagnostisch muss die androgenetische
Prolaktin sowie gegenbenfalls der Gonadotropine. Alopezie von anderen Formen des Haarausfalls ab-
gegrenzt werden, wie z. B. der Alopecia areata, die
6.22 Transsexualität 313

durch kreisförmige, kahle Stellen am behaarten


6.22
Kopf und in der Bartgegend gekennzeichnet ist. Ent-
Transsexualität
zündliche und infektiöse Dermatosen der Kopfhaut
müssen ausgeschlossen werden.
Zahlreiche Medikamente wie 6.22.1
• Zytostatika, Epidemiologie
• Antikoagulanzien,
• Thyreostatika, Transsexualität wurde Anfang der SOer-Jahre zum
• Vitamin A in supraphysiologischen Dosen ersten mal wissenschaftlich beschrieben. Transse-
(50.000 IE und mehr) und xualität ist als ein Zustand definiert, bei dem sich
• Cholesterinsenker anatomisch, endokrinalogisch und genetisch nor-
führen zu meist diffusem, unterschiedlich stark aus- male Individuen der entgegengesetzten Geschlech-
geprägtem Haarausfall, der nicht auf die Kopfhaut terrolle, oft schon in der Kindheit, zugehörig fühlen.
begrenzen bleiben muss. Eine diffuse Alopezie In den Niederlanden geht man von einer Prävalenz
kann nach schweren fieberhaften Erkrankungen der Transsexualität von etwa 1 : 12.000 für Mann zu
(z. B. Typhus) sowie im Zusammenhang mit zahlrei- Frau und etwa 1 : 30.000 für Frau zu Mann aus. Die
chen chronischen Erkrankungen (Neoplasien, He- Zahl der in den Niederlanden in epidemiologischen
patopathien, Eisenmangelanämie, Diabetes melli- Studien erfassten und von 1975 an behandelten
tus) auftreten. Ferner können Bestrahlungen und Transsexuellen beträgt etwa 1.300. In Deutschland
Intoxikationen (Thallium, Quecksilber) zu einer ra- wird die Zahl der Transsexuellen auf 3.000 bis
pide verlaufenden Alopezie führen. 6.000 geschätzt.

6.21.6 6.22.2
Therapie Pathogenese

Eine zufrieden stellende Therapieform für die an- Die Ätiologie der Transsexualität ist unklar. Ein
drogenetischen Alopezie gibt es noch nicht. Für möglicher psychogener oder biologischer Auslöser
die topische Anwendung einer 2 o/oigen Lösung der Transsexualität wird seit vielen Jahren disku-
von Minoxidil, eigentlich ein Antihypertensivum, tiert. In einerneueren Studie konnte gezeigt werden,
wurde in großen kontrollierten Studien ein Wirk- dass eine bestimmte Kernregion der zum Hypotha-
samkeitsnachweis erbracht. Die Therapie wird aller- lamus gehörenden Stria terminalis, die bei Nagern
dings erst nach 4-6 Monaten wirksam und bei Ab- für das sexuelle Verhalten von Bedeutung ist, bei
setzen fallen die neu gewachsenen Haare wieder aus. Männern ein größeres Volumen als bei Frauen ein-
Das Medikament ist in der BRD nicht zugelassen, nimmt. In Mann-zu-Frau-Transsexuellen wurden
auch wenn ernsthafte Nebenwirkungen bisher nicht diese Kernregionen als klein, sprich weiblich, iden-
bekannt sind. Neue Hoffnung wird in die Anwen- tifiziert. Die Größe dieser Region war unabhängig
dung von Hemmstoffen der Sa-Reduktase gelegt. Fi- von Sexualhormonkonzentrationen im Erwachse-
nastaride inhibiert spezifisch die Typ-II-Sa-Reduk- nenalter und von der sexuellen Orientierung. In die-
tase und verhindert somit zum Teil die Metabolisie- ser Studie wurden zum 1. Mal weibliche Gehirn-
rung von Testosteron in das am Haarfollikel wirksa- strukturen in männlichen Transsexuellen festge-
me Dihydrotestosteron (DHT). Das Präparat ist seit stellt, woraus die Autoren eine Abhängigkeit der Ge-
Dezember 1997 in den USA unter dem Handelsna- schlechtsidentität von Sexualhormonen während
men Propecia erhältlich. In einer plazebokontrol- der embryonalen Gehirnentwicklung unabhängig
lierten Studie mit 326 Männer mit unterschiedlich vom genetischen Geschlecht folgern. Untersuchun-
stark ausgeprägter Alopezie konnte dessen Wirk- gen der Chromosomen, Gonaden, Genitalien sowie
samkeit nachgewiesen werden (52 o/o der Probanden Hormonbestimmungen haben bisher keine Erklä-
mit Verum gegenüber 31 o/o mit Plazebo wiesen nach rungen für das Auftreten der Transsexualität liefern
Behandlung eine höhere Haardichte auf). Da die können.
Kopfhaut hauptsächlich Typ-I-Sa-Reduktase expri-
miert, wird derzeit an der Entwicklung und Erpro-
bung spezifischer Typ-I-Sa-Reduktasehemmstoffe
gearbeitet. Ob diese Substanzen zu einem wesentli-
chen Therapievorteil führen, werden bereits begon-
nene kontrollierte Studien zeigen.
314 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

Körperliche Untersuchung
6.22.3
Neben der Durchführung einer allgemeinen Unter-
Klinik
suchung sollten der genitale Status und die sekun-
dären Geschlechtsmerkmale untersucht werden.
Symptome und Beschwerden
Transsexuelle leiden ausgesprochen stark unter ih-
rem anatomischen Geschlecht, unter der Inkongru- Technische Verfahren
enz von körperlicher Sexualkonstitution und erleb- Außerhalb klinischer Studien kann auf die Anwen-
ter Psychosexualität oft schon von Kindheit an. Sie dung besonderer technischer Verfahren verzichtet
erwarten vom Arzt die hormonelle bzw. operative werden. Die Bestimmung eines Hormonstatus sowie
Umwandlung in das andere Geschlecht. Sexualbe- eines Karyotyps sollte jedoch durchgeführt werden.
dürfnis und Sexualbefriedigung der Transsexuellen
sind unterschiedlich. Manche verkehren heterosexu-
ell, d. h. ihrem somatischen, nicht ihrem gewünsch-
6.22.5
ten Geschlecht entsprechend; diese Partnerbezie-
Differentialdiagnose
hungen sind unbefriedigend. Auch Homosexualität
kommt vor, wobei jedoch die erwünschte Anerken-
nung der gegengeschlechtlichen Rolle meist nicht er- Diffentialdiagnosen bei Transsexualität
reicht wird. Häufig erscheint jedoch die sexuelle
Identität wichtiger als die sexuelle Befriedigung. • Temporäre oder partielle Störungen der
Die soziale und psychosoziale Situation Transsexu- Geschlechtsidentität
eller hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten • Transvestismus
verändert. Die Einführung des Transsexuellengeset- • Homosexuelle Orientierung in der Entwicklung
zes und die vermehrt öffentlich geführte Diskussion • Psychosen
über die Problematik führte teilweise zu einer ver-
besserten Akzeptanz und gesellschaftlichen Stellung
Transsexueller. Trotzdem werden die zwischenmen- Vom genuinen Transsexualismus sind temporäre
schlichen Beziehungen Transsexueller als stark ge- Störungen der Geschlechtidentität abzugrenzen,
stört beschrieben, u. a. weil ihnen Bindungsfähigkeit wie z. B. in der Adoleszenz als diffuses Unbehagen
und Einfühlungsvermögen fehlten. Häufig sind die im eigenen Körper. Ebenso abzugrenzen ist der
Patienten innerlich zerrissen und affektlabil, subde- Transvestismus, der mit einer sexuellen Erregung
pressiv und suizidgefährdet Selbstverstümmelun- durch das Tragen von gegengeschlechtlicher Klei-
gen (z. B. Abschnürungen der Brust oder des Penis) dung einhergeht. Im Gegensatz dazu dient dies
und Selbstkastrationen sind mehrfach beschrieben bei den Transsexuellen typischerweise der Beruhi-
worden. gung. Wesentliches Abgrenzungskriterium zur
psychotischen Ich-Verkennung ist die beim trans-
sexuellen Patienten prinzipiell vorhandene Einsicht
in die biologische Realität, die im Widerspruch zur
6.22.4
eigenen subjektiven Identität steht. Wer die diffe-
Diagnostik
rentialdiagnostischen und versicherungsrechtlichen
Gegebenheiten beim Umgang mit Geschlechts-
Anamnese
identitätsstörungen nicht beachtet, muss mit arzt-
Die Diagnose wird im Wesentlichen durch eine um-
rechtlichen Konsequenzen und eventuellen Regress-
fassende Anamnese gestellt. Neben Fragen nach
forderungen rechnen.
dem Erleben der gegengeschlechtlichen psychischen
Identität und dessen zeitlichen Verlauf stehen auch
Fragen nach sexuellen Gewohnheiten und Wün- Juristische Aspekte bei Transexualität
schen im Vordergrund. Der Familienstand und In Deutschland wird der rechtliche Rahmen für eine
die mögliche Existenz eigener Kindern müssen er- Änderung der geschlechtlichen Identität durch das
fragt werden. Die Reaktionen im sozialen Umfeld Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 geregelt. Das
sollten eruiert werden. TSG unterscheidet eine "kleine" und eine "große"
Lösung. Nach der kleinen Lösung (§ 1 TSG) sind

D Die Familienanamnese spielt eine wichtige Rolle im


Zusammenhang mit dem möglichen Auftreten von
vererbbaren psychischen Erkrankungen, die von
vom Gericht auf Antrag die Vornamen einer Person
zu ändern, die sich infolge ihrer transsexuellen Prä-
gung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag ange-
der Transsexualität eindeutig abgegrenzt werden gebenen, sondern dem anderen Geschlecht als zuge-
müssen. hörig empfindet und seit mindestens 3 Jahren unter
6.22 Transsexualität 315

dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend siken. Folgende Übersicht zeigt die Hormontherapie
zu leben. Die ursprünglich im Gesetz enthaltene für Mann-zu-Frau-Transsexuelle.
Vorgabe eines Mindestalter von 25 Jahren ist 1993
vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswid- Hormontherapie für Mann-zu-Frau-Transsexuelle
rig erklärt worden (BVerfG, NJW 1993, S. 1517). Die
große Lösung führt nicht nur zu einer Vornamens- • Östrogen i. m. alle 2 Wochen für 6-12 Monate
änderung, sondern zu einer gerichtlichen Feststel- (z. B. Estradurin 80 mg i.m.oder Progynon Depot
lung der anderweitigen Geschlechtszugehörigkeit 100 mg i. m.) in Kombination mit oralen Antian-
(§§ 8 ffTSG). Neben den Voraussetzungen der klei- drogene (z. B. Androcur 100 mg täglich)
nen Lösung ist notwendig, dass die betroffene Per- • Danach lebenslange Substitution mit oralen
son nicht verheiratet ist, dauernd fortpflanzungsun- Östrogenen (2-4 mg Östradiol täglich) bzw. bei
fähig ist und sich einem, ihre äußeren Geschlechts- Patienten im Zustand nach Embolie und bei
merkmale verändernden operativen Eingriff unter- über 40-jährigen individuelle transdermale
zogen hat. Bei der großen und kleinen Lösung Östrogensubstitution
sind 2 unabhängige Gutachten erforderlich. Minde-
stens eines der Gutachten sollte sich durch psychia-
trischen Sachverstand auszeichnen, während das an- Als einer der ersten Effekte wird eine Vergrößerung
dere im Hinblick auf die Fortpflanzungsunfähigkeit der beiden Areolae und der Brustwarzen beobachtet
und die notwendige Anpassungsoperationen sexual- in Kombination mit einer vermehrten Pigmentie-
medizinisch-gynäkologisches bzw. -urologisches Ex- rung und Berührungsempfindlichkeit Das Volumen
pertenwissen haben sollte. des Brustdrüsengewebes nimmt zu und es entwik-
kelt sich eine Gynäkomastie. Der maximale Effekt
auf das Brustwachstum ist nach etwa 2 Jahren er-
6.22.6 reicht. Die Hautstruktur verändert sich und er-
Therapie scheint zarter und weicher. Die Muskelkraft nimmt
ab. Es entwickelt sich ein weiblicher Fettverteilung-
Da die Durchführung einer psychoanalytischen und styp mit einer entsprechenden vom Genotyp unab-
verhaltenstherapeutischen Therapie bei Transsexu- hängigen Leptinkonzentration. Bartwuchs und Kör-
ellen mit dem Ziel einer Umkehrung der gestörten perbehaarung nehmen ab, die Notwendigkeit zur
Geschlechtsidentiät nicht erfolgreich ist, bleibt nur Rasur oder anderer Enthaarungsmethoden entfällt
die pragmatische Lösung einer schrittweisen Annä- jedoch nicht vollkommen. Eine Abnahme von Pro-
herung der körperlichen Merkmale an das psychi- stata- und Hodenvolumen kann beobachtet werden.
sche Geschlecht. Dieses Konzept basiert auf einer in- Eine Steigerung der Östrogendosis über das ge-
terdisziplinären Zusammenarbeit von Psychologen, nannte Maß hinaus bringt keine zusätzlichen Effekt
Psychiatern, Endokrinotogen und operativ tätigen auf die Zielorgane, kann jedoch zu einer erheblichen
Ärzten. Die ersten 2 Jahre der Behandlung dienen Libidoreduktion führen. Während dieser Zeit erfol-
lediglich der Beobachtung des Patienten und der gen in Abstand von 2-3 Monaten körperliche Unter-
Verfestigung der Diagnose. Noch vor dem Beginn suchungen und eine Bestimmung der Leberfunkti-
einer Hormontherapie sollte der Patient mit dem onsparameter, der Hormonspiegel und der Serum-
Tragen der gegengeschlechtlichen Kleidung begin- lipide. Mit abnehmenden Testosteronspiegeln kön-
nen, um die psychosozialen Probleme und dadurch nen die Antiandrogene schrittweise reduziert und
entstehenden Konfliktsituationen kennen und mei- abgesetzt werden. Nach etwa einem Jahr kann
stern zu lernen. Erst nachdem eine Umwandlung der man auf eine orale Östrogengabe umsteigen mit
sekundären Geschlechtsmerkmale durch eine ge- z. B. 2-4 mg oralem Östradiol täglich.
gengeschlechtliche Hormontherapie erfolgt ist,
sollte mit der Anwendung operativer Maßnahmen
begonnen werden.
Bei Patienten über 40 fahre und im Zustand nach
einer Thromboembolie kann das Thromboserisiko
durch die Anwendung transdermaler Applikations-
D
weisen reduziert werden.
Gegengeschlechtliche Hormonbehandlung
Die gegengeschlechtliche Hormonbehandlung dient
der Unterdrückung der ursprünglichen sekundären
Geschlechtsmerkmale und der Entwicklung der ge-
wünschten gegengeschlechtlichen Merkmale. Diese
Hormonsubstitutionstherapie muss lebenslang
durchgeführt werden und beinhaltet potenzielle Ri-
316 KAPITEL 6 Männliche Gonaden

Folgende Übersicht gibt die Hormontherapie für Jen retrospektiven Studie derselben Arbeitsgruppe
Frau-zu-Mann-Transsexuelle wieder. geht man von einem weit geringeren thrombembo-
lischen Risiko seit der Einführung der transderma-
Hormontherapie für Frau-zu Mann-Transsexuelle len Östrogenapplikation aus. Bei den retrospektiv
untersuchten 816 Mann-zu-Frau-Transsexuellen
• Testosteronönanthat 250 mg i.m.alle 2 Wochen und 293 Frau-zu-Mann-Transsexuellen zeigte sich
• Nach ca. einem Jahr individuelle Dosierung keine Zunahme der Mortalität in Mann-zu-Frau-
und Frau-zu-Mann-Transsexuellen unter gegen-
geschlechtlicher Hormontherapie. Das Risiko der
Eine höhere Testosterondosis führt aufgrund der Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit wird
limitierten Androgenrezeptoren zu keiner schnelle- kontrovers und widersprüchlich diskutiert. Ein
ren Antwort der Zielorgane. Einer der ersten Effekte protektiver Effekt durch Östrogene wäre denkbar.
bei Frau-zu Mann-Transsexuellen ist das Ausbleiben
der Regelblutung. Sistiert die Regelblutung nicht, • Androgene. Die Behandlung mit Androgenen bei
sollte man zwischen den Testosteroninjektionen Frau-zu-Mann-Transsexuellen führt bei 12 o/o der
ein Gestagen intramuskulär verabreichen (z. B. Cli- Patienten als häufigste Nebenwirkung zu einer
novir 500 mg i. m. 2-mal im Abstand von 2-3 Ta- Akne, die mit topischen Antibiotika behandelt wer-
gen). Mit einem individuellen Zeitverlauf beobach- den kann. In 17 o/o der Fälle kommt es zu einer Ge-
tet man ein Tieferwerden der Stimme und die Ent- wichtszunahme über 10 o/o. Als mögliche Auswirkun-
wicklung eines Hirsutismus. Das subkutane Fett- gen auf den Leberstoffwechsel kann es zu einer Er-
masse nimmt ab. Muskelmasse und Libido höhung der Leberenzyme bei hormontherapierten
nehmen zu. Transsexuellen kommen. Eine dauerhafte Erhöhung
Während dieser Behandlungsphase sollten regel- geht jedoch meist auf eine Hepatitis oder Alkohol-
mäßig körperliche Untersuchungen durchgeführt abusus zurück.
werden, sowie Laboruntersuchungen einschließlich

D
einer Bestimmung des Hormon-, Leber- und Lipid- Angesichts der tiefen psychologischen Bedürfnisse
status. Meist wird nach 9-12 Monaten eine zufrieden Transsexueller kann die gegenschlechtliehe Hormon-
stellende Androgenisierung erreicht. Danach kann therapie nicht verweigert und als relativ sicher ange-
das Injektionsintervall gemäß der kontrollierten sehen werden, zu mal man seit Anwendung der trans-
Hormonwerte individuell variiert werden. dermalen Östrogensubstitution von einer rückläufi-
gen Inzidenz thrombembolischer Komplikationen
Nebenwirkungen der ausgehen kann.
gegenschlechtliehen Hormontherapie
• Östrogene. In Mann-zu-Frau-Transsexuellen Operative Therapie
kann gelegentlich am Ende eines Östrogeninjekti- Erst nach Entwicklung der sekundären Geschlechts-
onsintervalles eine Galaktorrhö auftreten. Eine Hy- merkmale unter einer gegengeschlechtlichen Hor-
perprolaktinämie, die durch Antiandrogene ver- montherapie sollten operative Maßnahmen ergrif-
stärkt wird, zeigt sich um den Faktor 400 gegenüber fen werden. Besonderer Wert muss dabei auf die Pa-
der Normalbevölkerung gehäuft. Die Entwicklung tientenaufklärung gelegt werden. Der Zeitpunkt der
eines Prolaktinoms wurde in Einzelfällen beschrie- Aufklärung ist früh anzusetzen. Nach der Rechtspre-
ben, muss jedoch als Ausnahme angesehen werden. chung des BGH (BGH. NJW 1992, S. 2351) muss in
Die Inzidenzrate depressiver Verstimmungen unter den Fällen einer geplanten operativen Geschlechts-
Hormontherapie bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen umwandlung die Aufklärung spätestens zum Zeit-
zeigt sich um den Faktor 15 erhöht. punkt der Vereinbarung des Operationstermins
durch den zuständigen Arzt erfolgen. Die Aufklä-
Ein Hauptproblem der Östrogengabe bei Mann-zu-
~ Frau-Transsexuellen ist die Steigerung des Embo-
~
rung muss sich nicht nur auf die Risiken des Ein-
griffs selbst beziehen, vielmehr muss dem Patienten
u lierisikos. bzw. der Patientin das ganze Ausmaß der von ihm/
ihr zu treffenden Entscheidung auch in seiner Irre-
In einer retrospektiven Studie war die kombi- versiblität und der Notwendigkeit lebenslanger hor-
nierte Behandlung mit Östrogenen und Cyprotero- moneller Substitution deutlich vor Augen geführt
nacetat von 303 Mann-zu-Frau-Transsexuellen mit werden.
einer um den Faktor 45 erhöhten Inzidenzrate
von Thromboembolien im Vergleich zur gleichaltri- • Mann zu Frau. Standard für die chirurgische Um-
gen Normalbevölkerung assoziiert. In einer aktuel- wandlung von Mann zu Frau ist die Kastration
6.22 Transsexualität 317

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KAPITEL 7

Komplexe Hypophysenerkrankungen 7
C. KASPERK

7.1 Hormoninaktive Hypophysentumoren 321


7.1.1 Fallpräsentation 321 4,8 flg/100 ml insuffizient an Tag 2 ansteigend
7.1.2 Epidemiologie 322 bei Norm 5-15 flg/100 ml an Tag 2; erhaltene
7.1.3 Pathogenese 322
7.1.4 Klinik 322 Tagesrhythmik der Cortisolsekretion), einen
7.1.5 Diagnostik 323 Ausfall der somatotropen HVL-Funktion
7.1.6 Differentialdiagnose 324 (IGF1 58 ng/ml bei Norm 144-360, STH basal
7.1.7 Therapie 324
< 0,5 ng/ml ohne Stimulierbarkeit im Arginin-
7.2 Komplette Hypophyseninsuffizienz 326 test), bei erhaltener thyreotroper HVL-Funktion
7.2.1 Fallpräsentation 326
7.2.2 Pathogenese 326 (T3 1,2 nglml bei Norm 0,6-1,8, T4 68 nglml bei
7.2.3 Klinik 328 Norm45-126 und TSH basal 0,5 mU/1 bei Norm
7.2.4 Diagnostik 329 0,3-4 und nach TRH suffizienter Anstieg des
7.2.5 Therapie 330
TSH auf 1~ ~U:/1) mit einer Enthemmungshy-
Literatur 331 perprolaktmamie (48 nglml bei Norm bis 29).
Die kernsrinto~ographische Untersuchung
der Sellareg10n zeigte den Befund eines intrasel-
lären Hypophysen-Mikroadenoms (Abb. 7-1a).
7.1 Die augenärztliche Untersuchung ergab einen
Hormoninaktive Hypophysentumoren Normalbefund. Das HVL-Adenom wurde
neurochirurgisch transsphenoidal entfernt
7.1.1 (Abb. 7-lb). Postoperativ wurde die Patientin
Fallpräsentation zunächst mit 100 flg Schilddrüsenhormon,
30 mg Hydrocortison und einem Östrogen-Ge-
stagen-Sequenzpräparat behandelt. 12 Monate
Eine 32-jährige Patientin mit Kinderwunsch
nach der Operation konnte die Schilddrüsen-
wurde zur Abklärung von Unregelmäßigkeiten
hormonsubstitution und das Östrogen-Gesta-
der Periodenblutungen vorgestellt, die vor 18
gen-Sequenzpräparat abgesetzt werden und
Monaten erstmals aufgetreten waren. Seit 3 Mo-
eine regelmäßige Periodenblutung stellte sich
n~ten w~r die Patientin amenorrhoisch. Eine gy-
wieder ein. Die laktotrope Achse war funktions-
näkologische Untersuchung ergab keine Auffäl-
fähig erhalt.en bei insuffizienter somatotroper
ligkeiten. Die Patientin hatte keine vorbestehen-
HVL-Funkt10n. Wegen einer persistierenden In-
den Erkrankungen oder weitere Beschwerden
suffizienz der adrenokortikotropen HVL-Funk-
und nahm keinerlei Medikamente ein. Der kli-
t~on erhielt die .Patientin weiterhin niedrig do-
nische Untersuchungsbefund und die laborche-
siert Hydrocortison (10 mg-5 mg-0) und einen
mischen Befunde einschließlich der basalen Se-
Notfallausweis mit dem Hinweis, dass die Pa-
rumspiegel für TSH und Schilddrüsenhormone
waren unauffällig. Die Austestung der Hypo- tientin in .stre~ssituati~nen zusätzlich 100 mg
Hydrocortison Je nach Situation ein- oder mehr-
physenfunktionell zeigte eine insuffiziente go-
malig pro Tag erhalten muss.
nadotrope Hypophysenvorderlappen- (HVL-)
Funktion (LH 1 U/1 bei Norm 0,5-12 nach
LHRH insuffizienter Anstieg auf 1,9 U/1, FSH
1 U/1 bei Norm 1-12; 17ß-Östradiolspiegel
22 pglml bei Norm 40-250 pg/ml), eine insuffi-
ziente adrenokortikotrope HVL-Achse (Cortisol
im 24-h-Urin 6 flg/24 h bei Norm 10-16·
Metopirontest: 11-Desoxycortisol von 0,12 auf
322 KAPITEL 7 Komplexe Hypophysenerkrankungen

Tabelle 7-l. Häufigkeit der Diagnosen bei HVL-Adenomen

Diagnose Hiwfigkeit (% )

Hormoninaktive HVL-Adenome 40

Prolaktinome 40

5TH-produzierende HVL-Adenome 10

ACTH -produzierende HVL-Tumore 10

HVL-Karzinome und Metastasen <1

7.1.4
Klinik

HVL-Adenome werden nicht selten erst recht spät


anhand der sich einstellenden typischen klinischen
Symptomatik bzw. anhand des Beschwerdebildes
(Akromegalie, Cushing-Syndrom, Prolaktinspiegel,
Libido- Potenz-Verlust) erkannt. Die folgende Über-
sicht gibt die Störungen und deren klinischen Sym-
ptome eines hormoninaktiven HVL-Adenoms wie-
der.

Störungen und klinische Symptome infolge eines


hormoninaktiven HVL-Adenoms
Abb. 7-l. a Sagittale MRT der Sellaregion mit intrasellär ge-
legenem Mikroadenom (Pfeil), b Postoperative MRT der Sel-
laregion mit deutlich reduzierter Hypophysengewebsmasse • Ausfall eines oder mehrerer HVL Hormone
(Pfeil) Gonadotrope Achse
Somatatrope Achse
Adrenokortikotrope Achse
Thyreotrope Achse (je in abfallender Häufigkeit)
7.1 .2
• Enthemmungs- (= Begleit-) Hyperprolaktinämie
Epidemiologie mit entsprechenden Symptomen
Zyklusstörungen
Autoptische Untersuchungen belegen, dass 10-20 o/o Libido-Potenzverlust
aller Individuen Mikroadenome ( < 1 cm) des Hypo- Verminderte Leistungsfähigkeit
physenvorderlappens (HVL) aufweisen, während Müdigkeit
Makroadenome (> 1 cm) eine ausgesprochene Rari- • Kompression des Chiasma opticum bei suprasel-
tät im Sektionsgut sind. Der Übergang eines Mikro- lärer Ausbreitung
in ein Makroadenom ist offenbar ein recht seltenes Visusbeeinträchtigung
Ereignis, welches in den allermeisten Fällen mit Sehfeldeinschränkung
einer klinischen Symptomatik einhergeht. Diffuse Zephalgien
Sinus-cavernosus-Kompression bei parasellärer
Ausbreitung (Thrombose, Invasion)
7.1 .3
Pathogenese

HVL-Adenome sind fast immer gutartige Tumoren; Wegen der empfindlichen Steuerung der Ovarial-
HVL-Karzinome sind sehr seltene Raritäten (Ta- und Uterusfunktion durch die Gonadotropinsekre-
belle 7-1). tion und weil die gonadotrope HVL-Funktion häufig
früh durch ein HVL-Adenom gestört wird, werden
HVL-Adenome bei Frauen sehr viel eher symptoma-
tisch (Zyklusstörungen) und somit meistens bereits
im Stadium eines Mikroadenoms entdeckt. Bei Män-
7.1 Hormoninaktive Hypophysentumoren 323

nern, die einen Libido/Potenzverlust und eine Ein- Labordiagnostik


buße der Leistunsgfähigkeit häufig nicht bemerken • Hormoninaktives HVL-Makroadenom. Das dia-
oder übersehen, erfolgt die Diagnosestellung oft viel gnostische Vorgehen unterscheidet sich bei hor-
später. Zudem weisen Prolaktinome bei Männern moninaktiven HVL-Adenomen, die auf Grund eines
eine aggressivere Wachstumscharakteristik auf als klinischen Verdachtes diagnostiziert bzw. die als Zu-
bei Frauen, sodass bei Männern häufiger Makropro- fallsbefund gefunden wurden, dadurch, dass bei
laktinome mit Kompressionserscheinungen (z. B. einem klinischen Verdacht auf eine gestörte HVL-
Sehfeldeinschränkungen) oder invasivem Wachs- Funktion oder bei einem hormoninaktiven HVL-
tum beobachtet werden. Makroadenom die Funktionsreserve des HVL stets
auch mit Hilfe von Stimulationstests beurteilt wer-
den sollte (Tabelle 7-2). Bei einem hormoninaktiven
7.1.5 HVL Mikro-oder Makroadenom mit klinischer Sym-
Diagnostik ptomatik ist es durch dieses Vorgehen möglich,
einen validen Ausgangsbefund zu dokumentieren
Bildgebende Verfahren und eine zuverlässige Verlaufsbeurteilung zu ge-
• MRT. Bei klinischem Verdacht auf ein hormoni- währleisten und möglicherweise auftretende Partial-
naktives HVL-Adenom sollte zunächst ein MRT der insuffizienzen der HVL-Achsen oder Sehfeldein-
Sellaregion erfolgen, da die MRT eine bessere Beur- schränkungen frühzeitig zu erkennen. Größere hor-
teilung von Weichgewebe selbst innerhalb des nor- moninaktive HVL-Makroadenome können durch
malen Hypophysengewebes zulässt. Dadurch kön- Kompression des Hypothalamus, des Hypophysen-
nen ggf. selbst innerhalb der Hypophyse gelegene stils oder des HVL selbst die endokrinen HVL-Funk-
Mikroadenome ab einer Größe von mindestens tionen mit entsprechenden klinischen Konsequen-
2 mm Durchmesser erkannt werden, die bei einer zen beeinträchtigen. Von 11 Patienten mit einem zu-
CT-Diagnostik eher übersehen werden. Zudem fällig entdeckten, hormoninaktiven Makroadenom
wird eine Strahlenexposition der Augenlinsen durch hatten 5 bereits eine partielle HVL-Insuffizienz.
eine CT vermieden. Gelegentlich ist die Diagnose
HVL-Adenom auch eine Zufallsdiagnose, wenn im • Hormoninaktives HVL-Mikroadenom. Bei einem
Rahmen der Abklärung anderer Beschwerden ein zufällig entdeckten hormoninaktiven HVL-Mikro-
CT oder MRT des Neurokraniums unter Einschluss adenom ohne klinische Symptomatik kann man
der Sellaregion durchgeführt wurde. Bestätigt sich sich auf die Basisdiagnostik (Tabelle 7-2) beschrän-
der Verdacht auf ein HVL Adenom, sollte bei Ma- ken, da wahrscheinlich noch keine Störung der
kroadenomen eine exakte augenärztliche insbeson- HVL-Funktionen vorliegt. Von 7 zufällig entdeckten
dere eine perimetrische Untersuchung des Gesichts- Mikroadenomen hatten alle eine normale HVL-
feldes, bei Mikro- und Makroadenomen stets eine Funktion.
vollständige Diagnostik der HVL-Funktionen
durchgeführt werden (Tabelle 7-2).

Tabelle 7-2. Endokrinalogische Diagnostik bei Vorliegen eines HVL-Adenoms

HVL-I'unktion Basisdiagnostik Stimulationstests zum


Ausschluss einer lnsuftlzicnz

Thyreotrope HVL-Funktion T3, T4, T H TRH -Test

Laktotrope HVL-Funktion Prolaktin basal TRH -Test mit Prolaktinbestimmung

Gonadotrope HVL-Funktion LH und FSH basal, LHRH - tirnulation mit Bestimmung


17ß-Östradiol bzw Testosteron von LH und FSH

Adrenokortikotrope HVL-Funktion Corti oltagesprofil und Metopirontest mit Be timmung


-au scheidung im 24-h-Urin von ACTH und 11-Desoxycortisol
vor und na~~ Metopirongabe
(stationäre Uberwachung erforderlich)

Somatotrope HVL-Funktion: Wachstumshormon STH nach körperlicher Anstrengung


(= TH) und IGF1 oder l.v.-Arginin-Stimulation, wenn
pathologisch, Stimulation mit GRH
324 KAPITEL 7 Komplexe Hypophysenerkrankungen

denken gegen eine Bestrahlungsbehandlung be-


7.1.6
stehen.
Differentialdiagnose

In seltenen Fällen sind HVL-Adenome differential-


diagnostisch von anderen proliferativen oder ent-
zündlichen Veränderungen abzugrenzen (Ta-
Unter einer Octreotidtherapie kann es jedoch auch
zum Wachstum eines hormoninaktiven HVL-Ade-
noms kommen, sodass eine engmaschige klinische
D
belle 7-3), was dann meistens erst pathohistologisch
Verlaufskontrolle erforderlich ist und in den ersten
6 Monaten auch eine MRT-Kontrolle der Adenom-
gelingt.
größe in 2 Monatsabständen erfolgen sollte.

7.1.7 Chirurgische Therapie


Therapie Beim Auftreten von Kompressionserscheinungen
sollte eine neurochirurgische Sanierung des HVL-
Ein hormoninaktives HVL Mikro- und Makroade- Adenoms erfolgen. Folgende Übersicht gibt die In-
nom ohne klinische Symtomatik oder Anhalt für dikation zur chirurgischen Intervention wieder.
funktionelle Insuffizienzen des HVL wird jährlich
(bei Makroadenomen halbjährlich in den ersten Indikationen zur neurochirurgischen Operation
2 Jahren) magnetresonanztomographisch und endo- eines HVL-Adenoms
krinologisch kontrolliert. Sollte sich weder klinisch,
radiologisch noch endokrinologisch eine Verände- • Kompressionserscheinungen
rung in den nächsten 5-10 Jahren ergeben, erscheint Chiasma opticum Syndrom
eine weitere Verlaufskontrolle nicht mehr sinnvoll, Sinus cavernosus Kompression
denn bei 16 Patienten mit hormoninaktiven HVL- • Radiologischer Nachweis einer Wachstumsten-
Mikroadenomen wurde radiologisch nach 54 Mona- denz
ten kein Tumorwachstum beobachtet. • Endokrinologischer Nachweis einer HVL Insuffi-
zienz
Medikamentöser Therapieversuch
Da sich etwa 10 o/o aller hormoninaktiven HVL-Ade-
nome durch eine dopaminagonistische Therapie mit
Strahlentherapie
Bromocriptin und durch eine Octreotidtherapie
Bei Inoperabilität des Patienten kann ein medika-
etwa 10-20 o/o aller hormoninaktiven HVL-Adenome
mentöser Therapieversuch mit Dopaminagonisten
verkleinern lassen, erscheint ein medikamentöser
oder Octreotid erwogen werden. Die Aussicht auf
Therapieversuch mit Dopaminagonisten bzw. Oc-
eine medikamentöse Verkleinerung eines hormoni-
treotidinjektionen bei einem hormoninaktiven
naktiven HVL-Adenoms ist jedoch mit 10-20 o/o ge-
HVL-Makroadenom dann indiziert, wenn eine neu-
ring, weshalb eine strahlentherapeutische Behand-
rochirurgische Therapie nicht möglich ist und Be-
lung bei Inoperabilität des Patienten in der Regel
nicht verzichtbar sein wird. 6 Monate nach der neu-
rochirurgischen Entfernung eines hormoninaktiven
Tabelle 7-3. Seltene Differentialdiagnosen eines hormoninak- HVL-Adenoms wird erneut eine MRT-Diagnostik
tiven HVL-Adenoms durchgeführt. War die Operation nicht erfolgreich,
ist die Indikation und Möglichkeit für eine neuerli-
Neoplastische Raumforderungen Chronisch che neurochirurgische Intervention zu prüfen oder
Veränderungen entzundliche
Entitatcn eine strahlentherapeutische Behandlung des Patien-
ten zu diskutieren.
Kraniopharyngiome Zy ten Eosinophilen
Granulomen
Verlaufskontrollen
Meningiome Aneury men Sarkoido e
Etwa 6 Wochen postoperativ sollte eine erneute voll-
Gliome Mukozelen Histiozytosis X ständige Austestung aller HVL-Funktionen durch-
geführt werden, um die Dauersubstitutionsbehand-
Dysgerminome Lymphozytäre
Hypophy itis
lung (z. B. mit Östrogenen bzw. Testosteron, Corti-
son oder Schilddrüsenhormon) festlegen zu können.
Hamartome Bei jüngeren Patienten ( < 50 Jahre) wird nach einer
Meta tasen
neurochirurgischen Behandlung häufiger eine In-
suffizienz der HVL-Funktionen beobachtet als bei
7.1 Hormoninaktive Hypophysentumoren 325

Tabelle 7-4. Funktionsausfälle nach transsphenoidalen HVL- Häufigkeiten der beobachteten Ausfälle einzelner
Operationen bei M. Cushing Hypophysenfunktionen, die in Tabelle 7-4 wieder-
gegeben sind.
Diagnose Häufigkeit (%)
Bei einem postoperativ beschwerdefreien, asym-
Gonadotrope HVL-lnsuffizienz 48 ptomatischen Patienten ist eine endokrinalogische
HVL-Funktionsdiagnostik mit den entsprechenden
Thyreotrope HVL-Insuffizienz 28
Stimulationstests sowie eine MRT Diagnostik der
25 Sellaregion und eine augenärztliche Untersuchung
zunächst in jährlichen Abständen sinnvoll. Bei Be-
fundkonstanz sollten diese Kontrollen nach 10 Jah-
älteren Patienten. In einer Nachuntersuchung von ren nicht weitergeführt werden. Eine Übersicht des
Patienten, die wegen eines M. Cushing transsphe- diagnostisch/therapeutischen Vorgehens beim hor-
noidal operiert waren, zeigten sich unterschiedliche moninaktiven HVL-Adenoms gibt Abb. 7-2 wieder.

IHormoninaktives HVL-Adenom I
~ ~
- c_m_)' l
r--M-ik-r-oa_d_e_n_o_m_ (<-'-1 I
.-~-M-a-kr=o-ad_e_n_o_m-(>-1c-m--,)

+ +
HVL Funktionen ? HVL Funktionen?

\
Klinische Symptomatik?
Perimetrie?

/~
Normal 11 nsuffizienz I Insuffizienz
rl_N_o_r_m_a_l-,
symptomatisch
Kompressionszeichen

MRT und HVL MRT und HVL Funktion


Funktion jährlich, halbjährlich,
überprüfen nach 2 Jahren jährlich

Normal Wachstum
/ \Normal

j
Insuffizienz

~j-~I /
Kompressionszeichen

Nach 5 Jahren
keine weitere
Operation I Nach 10Jahren
keine weitere
Verlaufsbeobachtung Verlaufsbeobachtung

,------:--,1 r-----'-\---,
I Erfolglos I IKontraindikationen I
IRe-op:.::, J :::iat;o j
.-------------------------,
(Therapieversuch zur Verkleinerung
mit Dopaminagonisten oder Octreot id
erwägen bei OP-Kontra indikationen Abb. 7-2.
oder Beden ken gegen Radiatio) Diagnostisch-therapeutisches Schema
bei hormoninaktiven HVL-Adenomen
326 KAPITEL 7 Komplexe Hypophysenerkrankungen

7.2 0,8 nglml bei Norm 0,6- 1,8, T4 37 nglml bei


Komplette Hypophyseninsuffizienz Norm 45- 126 und TSH basal 0,07 mU/1 bei
Norm 0,3-4 und nach TRH insuffizienter An -
7.2.1 stieg des TSH auf 0,5 mU/1) mit einer minimalen
Fallpräsentation Enthemmungshyperprolaktinämie (29 nglml
bei Norm bi 17). Nach neurochirurgischer
transsphenoidaler Entfernung des Hypophy en-
Ein 72-jähriger Mann hatte seit 25 Jahren rezi-
makroadenoms und postoperativer Substituti-
divierend Kopfschmerzen, die in den letzten 6
onsbehandlung mit 125 11g Schilddrüsenhor-
Monaten häufiger zusammen mit einer deutli-
mon, 30 mg Hydrocortison und 3- wöchentlich
chen Leistungseinbuße und zunehmenden Mat-
250 mg Testosteroni.m.besserte sich das Befin-
tigkeit auftraten. Wegen einer Visusver chlech-
den und die Kopfschmerzen vollständig. Auch
terung suchte der Patient einen Augenarzt auf,
in der 3 Monate postoperativ durchgeführten
der den beeinträchtigten Visus sowie eine vom
Austestung aller HVL-Funktionen zeigte sich
Patienten erst kürzlich bemerkte Gesichtsfeld-
eine fortbestehende Insuffizienz der gonadotro-
einschränkung objektivierte und nach einer ma-
pen, adrenokortikotropen, thyreotropen und
gnetresonanztomographischen Untersuchung
laktotropen sowie ein fortbestehender Ausfall
der Sellaregion die Diagnose eines Makroade-
der omatotropen HVL-Funktion, sodass der
nom des HVL stellte und den Patienten in
Patient weiterhin substitutionspflichtig blieb
die endokrinalogische Ambulanz überwies.
und einen Notfallausweis erhielt.
Der Patient hatte keine Vorerkrankungen und
wurde wegen einer Hyperlipoproteinämie mit
einem Coenzym-A-Reduktase-Hemmer behan -
delt. Seit etwa 10 Jahren bestand bereits ein Li-
bido- und Potenzverlust Die Rasurfrequenz war
auf 2- bis 3-tägliche Rasuren reduziert. Der kli- 7.2.2
nische Untersuchungsbefund zeigte eine gering Pathogenese
reduzierte Körperbehaarung, eine normale Pig-
mentierung des Integumentes, ein normales Ge- Neoplastische, akut und chronisch entzündliche,
nitale mit palpatorisch weichen Hoden. Anson- embolische, metabolische und traumatische Pro-
sten war er unauffällig. Der Blutdruck lag bei zesse im Hypothalamus oder in der Hypophyse kön-
140/85 mmHg, die regelmäßige Herzfrequenz nen eine komplette HVL-lnsuffizienz verursachen.
bei 60/min. Der MRT-Befund zeigte ein 2,5- Tabelle 7-5 gibt erworbene, nichtneoplastische Ur-
mall,5 cm großes HVL-Makroadenom mit Ab- sachen für eine komplette HVL-Insuffizienz wieder.
drängung des Chiasma opticum nach kranial Die mit einer typischen Klinik einhergehenden gene-
(Abb. 7-3a) und in der Perimetrie den charakte- tischen Defekte mit Ausfall einzelner HVL-Funktio-
ristischen Befund einer bitemporalen Hemian- nen verursachen keine komplette HVL-Insuffizienz
opsie (Abb. 7-3b, c). Die Austestung der HVL- und werden nicht selten erst im Erwachsenenalter
Funktionen zeigte eine komplette HVL-lnsuffi- diagnostiziert (Tabelle 7-6).
zienz: eine insuffiziente gonadotrope HVL-
Funktion (LH 1 U/1 bei Norm 1,5- 9,3 nach
LHRH insuffizienter Anstieg auf 1,6 U/1, FSH
2 U/1 bei Norm 0,9-15; Testosteronspiegel Tabelle 7-5. Erworbene, nicht-neoplastische Ursachen für
eine komplette HVL Insuffizienz
78 ng/100 rn1 bei Norm 250-1000 pglml), eine
insuffiziente adrenokortikotrope HVL-Funk- Entzundliche Akute und chronische
tion (Cortisol im 24-h-Urin 4 ).tg/24 h bei Ursachen Erkrankungen
Norm 10-16; Metopirontest: 11 -Desoxycortisol
Tuberkulose Empty-Sella- yndrom
von 0,12 auf 3,2 !!g/100 ml insuffizient am Tag
2 ansteigend bei Norm 5-15 ).tg/100 ml an Tag Lues Traumatische Einblutung
2; niedrig normale Tagesrhythmik der Cortisol-
Meningitis Infa rkt der Hypo physe
sekretion, 53- 41 - 35-19 nglml), einen Ausfall
der somatotropen HVL-Funktion (IGF1 36 ngl Enzephal itis Postpartales Sheehan-Syndrom
ml bei Norm 144- 360, STH basal < 0,5 nglml
Abszesse Speicherkrankheiten
ohne Stimulierbarkeit im Arginintest), eine
insuffiziente thyreotrope HVL-Funktion (T3 Bestrahlungsfolge Hämochro matose, Gangliosidose
7.2 Komplette Hypophyseninsuffizienz 327

- -----

--
-
IW 1 . ...

I I

-
- -----

--
-
.....

00. ..... _ ... 0 _ _ ... _ _ , . _ _


c I I

Abb. 7-3a-c. Koronales MRT der Sellaregion mit supresellär ristische Perimetrien des rechten (b) und linken (c) Auges bei
raumforderndem (großer Pfeil) und das Chiasma nach kranial bitemporaler Hemianopsie
(kleiner Pfeil) abdrängendem HVL-Adenom (a). Charakte-
328 KAPITEL 7 Komplexe Hypophysenerkrankungen

Tabelle 7-6. Genetische Defekte mit Ausfall einzelner HVL- siegenden Sekretionsleistung der endokrinen Zielor-
Funktionen gane führt. Demgemäß leiden die Patienten mit
Syndrom Symptomatik einer kompletten HVL-Insuffizienz unter den klini-
schen Folgen der Kombination eines sekundären
Kalimann-Syndrom Riechstörung und Hypogonadismus, einer sekundären Nebennieren-
Hypogonadismu insuffizienz und einer sekundären Hypothyreose
Prader-Willi-Syndrom Hyperphagie, Hypo~ona ­ (Tabelle 7-7). Bei der sekundären Nebennierenin-
dismus, Oligophreme suffizienz kommt es wegen der erhaltenen Aldoste-
ronproduktion und erniedrigter ACTH -Spiegel
Familiäre Kleinhirnataxie eurologische Symptome,
Hypogonadismus nicht zu einer Hypotonie bzw. vermehrten Pigmen-
tierung des Patienten (weißer Addison), die typi-
Minderwuchs Physiognomie, STH Mangel scherweise eine primäre Nebenniereninsuffizienz
(Laron-Syndrom) (STH- Rezeptor- Defekt)
begleiten. Die Existenz und klinische Relevanz eines
Wachstumshormonmangelsyndroms im Erwachse-
nenalter ist unklar. In Abhängigkeit von der Ätiolo-
gie einer kompletten HVL-Insuffizienz (hypothala-
7.2.3 misch-hypophysäre Raumforderungen, Einblutun-
Klinik gen oder entzündliche Prozesse) können auch neu-
rologische Symptome und ophthalmologische
Die klinische Symptomatik bei Patienten mit einer Ausfälle die klinisch-endokrinologische Symptoma-
im Erwachsenenalter auftretenden kompletten tik begleiten bzw. ihr vorausgehen. Hypothalami-
HVL-Insuffizienz entwickelt sich durch den Ausfall sehe Prozesse können mit Persönlichkeitsverände-
der die endokrinen Zieldrüsen stimulierenden Pep- rungen und Störungen der Durst- und Hungeremp-
tidhormone der Adenohypophyse, was zu einer ver- findung einhergehen.

Tabelle 7-7. Klinische Symptomatik bei kompletter HVL-lnsuffizienz

Achse llormonausfall Endokrine l'olgc Klinische Symptomatik

Gonadotrop LH-Mangel Reduktion der Ö trogen-/ Pubertät ausfall, Zyklusstörungen, sekundäre


Testosteronsekretion Amenorrhö, Libido/Potenzabnahme, Erekti-
onsabnahme, Infertilität, Müdigkeit, Lei-
tungsschwäche, Reduktion der Muskelkraft,
Blä e, trockenes und faltiges Integument,
Behaarung rückgang, Atrophie von Mammae
und Hoden, Bartwuch ab nahme, Knochen-
dichteabnahme

F H-Mangel Follikelreifungsstörung Infertilität durch gestörte Ovulation bzw.


bzw. Spermatogenese törung Oligo permie

Somatotrap TH-Mangel Reduktion der IGF-1- Kindesalter: Wach turn törung


und IGFBP-3- ekretion in Envachsene: leistungsschwäche, reduzierte
mesenchymalen Geweben Muskelkraft, Adiposita , Hypoglykämie
insbesondere der Leber

Adrenokortikotrop ACTH-Mangel Reduktion von Cortisol Gedeihstörungen im Kleinkindesalter, lei-


und DHEA s.tungsschwäche, Müdigkeit, Unwohl ein,
Ubelkeit, Gewichtsverlust, Hypoglykämie,
Blässe

Thyreotrop TSH -Mangel Reduktion von T3/T4- Kretinismus bei frühkindlichem T3/T4-
Produktion bei niedrigem Mangel, leistungsschwäche, Müdigkeit,
TSH Kälteempfindlichkeit, Obstipation, Brady-
kardie, Odeme, Gewichtszunahme, trockene
Haut, pröde Haare, distanzierte Psyche
und reduzierte Vigilanz, Adynamie

laktotrop Prolaktinmangel Ver iegen der Milchproduktion bei


po tpartal laktierenden Frauen, bei
Männern keine bekannte klinis he
Symptomatik
7.2 Komplette Hypophyseninsuffizienz 329

HVL-Adenom, Einblutung, Empty-Sella-Syndrom)


7.2.4
oder erst histologisch nach einer neurochirurgi-
Diagnostik
schen Intervention geklärt.
Die komplette HVL-Insuffizienz ist eine klinisch-la-
borchemische Diagnose und somit unabhängig von Labordiagnostik
der ihr zugrunde liegenden Ätiopathologie. Erste Die Bestimmung der Zielhormonkonzentrationen
Hinweise zur Klärung der Ursache für die zunächst und eine exakte Austestung aller HVL-Funktionen
vermutete HVL-Insuffizienz ergeben sich aus dem durch Stimulationstests (Tabelle 7-9) können die
Beschwerdebild und den anamnestischen Angaben, zunächst gesteH te klinische Verdachtsdiagnose
die in Tabelle 7-8 wiedergegeben sind. Häufig wird komplette HVL-Insuffizienz bestätigen oder aus-
die Ursache einer kompletten HVL-Insuffizienz schließen. Auch Partialinsuffizienzen einzelner
durch die bildgebende Diagnostik (CT oder MRT: HVL-Funktionen (selektiver Ausfall z. B. nur der go-
nadotropen HVL-Funktion bei erhaltener adreno-
kortikotroper und thyreotroper HVL-Funktion)
werden so erkannt und können im Verlaufbeurteilt
Tabelle 7-8. Anamnestische Hinweise auf mögliche Ursachen werden.
einer HVL-Insuffizienz

Anamnese Ursache Bei unklarer Genese


Sofern die Genese einer kompletten HVL-Insuffi-
Langjährige Kopfschmerzen, HVL-Adenom
Sehstörungen zienz nicht bekannt ist (z. B. in Folge einer transspe-
noidalen Extirpation eines Hypophysentumors),
Zurückliegende Geburt Sheehan -Syndrom sollte eine Magnetresonanztomographie der Sellare-
Atembeschwerden, neuropathische arkoidose gion, eine ophthalmologische und je nach Klinik
Beschwerden auch eine neurologische Untersuchung des Patien-
ten veranlasst werden. Die Ursache einer komplet-
Bekannte Verkalkungen von TBC-Infektion
Lungenherden ten HVL-Insuffizienz wird durch die endokrinologi-
sche Labordiagnostik, pathohistologisch und ana-
Traumata ( chädelbasisfrakturen) Einblutungen mnestisch (s. Abschn. 7.1) geklärt.
Bestrahlungsbehandlungen im Bestrahlungsfolge
Kopfbereich

Gelenkbeschwerden (Hautkolorit) Hämochromatose

Tabelle 7-9. Diagnostik bei Verdacht auf komplette HVL-lnsuffizienz

H\'L-Funktion Zielhormone HVL-Hormon Stimulationstest

Gonadotrope I7ß-Ö tradiol LH LHRH-Test


Testosteron
Inhibin B" FSH LHRH -Test
(Sekretion durch ertoli-/
Leydig-Zellen und Ovarien)
omatotrope IGF-1/IGFBP-3 TH Körperliche Belastung
(Treppen teigen)
Arginin-Te t
GHRH-Test
Hypoglykämiete rb
Adrenokortikotrope Cortisol, DHEAS ACTH CRH -Test
Cortisol im 24-h-Urin Metopirontest
Hypoglykämietestb
Thyreotrope Trijod!Tetrajodthyronin TSH TRH-Test
Laktotrope Prolaktin TRH Test
Hypoglykämiete rb

a Zur Beurteilung der Sertoli-Zellfunktion und der Spermatogenese bei der männlichen Infertilität und als Tumormarker für
Ovarialtumoren in der Diskussion.
b Wegen der erforderlichen Beobachtung des Patienten und vorhandener Kontraindikationen (Krampfleiden, zerebrale
Durchblutungsstörungen) selten in der klinischen Routine angewandter Test.
330 KAPITEL 7 Komplexe Hypophysenerkrankungen

7.2 .5
Wichtig ist die Aufklärung des Patienten und der
Therapie
nächsten Angehörigen über das Verhalten in Stress-
situationen (Unfall, Operationen, seelische Krisen)
Bei der Therapie der kompletten HVL-Insuffizienz
und die Ausstellung eines Notfallausweises, indem
werden die ausgefallenen Zielhormone substituiert
auf die lebenslängliche Substitutionspflichtigkeit
(Tabelle 7-10). Eine solche Substitutionsbehandlung
des Patienten mit den entsprechenden Medikamen-
ten und insbesondere auf die erforderliche Dosisstei-
ersetzt die endokrine Funktion der Schilddrüse, der
gerung der Cortisonmedikation in Stresssituationen
Nebenniere und der Gonaden, wobei die Mineralo-
hingewiesen wird.
kortikoide in der Regel nicht substituiert werden, da
die Regulation der Aldosteronsekretion über das Re-
Werden vom Patienten fortbestehende oder neue
nin-Angiotensin-System nicht gestört ist. Die phy-
Beschwerden angegeben, kann anhand von Labor-
siologische Tagesrhythmik der Cortisol- und Sexual-
parametern nur in erster Näherung eine Unter-
steroidsekretion kann im Rahmen der Substitu-
oder Überdosierung der Substitutionstherapie bei
tionsbehandlung aufgrund der starren aber prak-
kompletter HVL-Insuffizienz überprüft werden.
tikablen Applikationsschemata nur in erster
Die erfolgreiche Steuerung der Substitutionsthera-
Näherung (bei der Cortisol-, sequenziellen Östro-
pie ist wesentlich abhängig von der klinischen Erfah-
gen/Gestagenbehandlung und Testosteronpflaster-
rung des Therapeuten mit HVL-insuffizienten Pa-
therapie) bzw. nur unbefriedigend (bei der i.m. Te-
tienten.
stosteronenanthatgabe) nachvollzogen werden. Be-
steht bei Männern mit einer Insuffizienz der gona-
dotropen HVL-Funktion eine Kontraindikation
gegen die regelmäßigen intramuskulären Testoste- Tabelle 7-11. Laborparameter und anamnestische Angaben
roninjektionen (z. B. Markumarisierung) oder sub- zur Uberwachung der HVL-Substitutionstherapie
jektive Vorbehalte, kann die Substitution auch oral
(Testosteronundecanoat 1-3-mal 40 mg tgl.) oder Adrenokortikotrope Elektrolyte normal; (Renin al
Ach e Marker ungeeignet, da Renin-
mit Hilfe von skrotal bzw. kutan täglich zu applizie- Angiotensin-Aldosteronsystem
renden Pflasterpräparaten erfolgen (1-2 Pflaster ungestört)
tgl.), die physiologischere Testosteronserumspiegel- Leistungsfähigkeit? Blutdruck
eher niedrig
verläufe gewährleisten als mehrwöchentlich verab-
reichte Testosteroninjektionen. Die Therapie wird Thyreotrope Achse T3, T4 und TBG (zur Beurteilung
ganz wesentlich anhand der individuellen Befind- der gemessenen T3/T4-Spiegel),
Leistungsfähigkeit?
lichkeit des jeweiligen Patienten gesteuert und ggf.
individuell modifiziert. Gonadotrope Achse Männer: HK, Erythrozytenzahl,
Hb, Leberenzyme, PSA, Te to-
steron piegel am Ende der
Applikationsintervalle (LH/F H
Tabelle 7-10. Substitutionsbehandlung der kompletten HVL- weniger aus agekräftig, da häufig
Insuffizienz keine gute Korrelation mit
erumtestosteronspiegeln bei
I T'<ll/ dl·r H\ I I unk Mcd1kanu•nt Klinefelter-Patienten und oraler
tion und transdermaler Testosteron-
substitution wenig Einfluss auf
Adrenokortikotropen 30 mg Hydrocortison in 2 Gonadotropinspiegel haben);
HVL-Funktion oder 3 Tagesdosen Libido, Potenz, morgendliche
(20 mg- 10 mg-0 mg oder Erektionen~
15 mg- 10 mg- 5 mg) alternativ Prämenopausale Frauen: Labor-
37,5 mg Cortisonacetat parameter nicht sinnvoll, regel-
(25 mg-12,5 mg-0 mg) mäßige Menses
Postmenopausale Frauen: Labor-
Thyreotropen 100-150 11g Thyroxin/Tag parameter nicht sinnvoll, Befind-
HVL-Funktion morgens nüchtern lichkeit
Osteodensitometrie: Kontrollen
Gonadotropen Mä11ner: 250 mg Testosteron- ind bei Diagno estellung einer
HVL-Funktion enantat i.m. alle 2- 4 Wochen, Insuffizienz der gonadotropen
alternativ tägliche, skrotale Ach e bei beiden Ge chlechtern
oder kutane Testosteron- innvoll; bei erniedrigter
pflasterapplikation. Knochenma se sollten jährliche
Frauen: Ostrogen -/Gestagen - Kontrollen sonst 2-jährliche
Sequenzpräparate Kontrollen erfolgen
7.2 Komplette Hypophyseninsuffizienz 331

Verlaufskontrollen Hall WA, Luciano MG, Doppman JL, Patronas NJ, Oldfield EH
(1994) Pituitary magnetic resonance imaging in normal
In den ersten 3 Jahren nach Diagnosestellung einer human volunteers: occult adenomas in the general popu-
kompletten HVL-Insuffizienz sollte zunächst jähr- lation. Ann Intern Med 120: 817-820
lich und danach bis zum 10. Jahr alle 2 Jahre eine Kovacs K, Horvath E 1987 Pathology of pituitary tumors. En-
docrinol Metab Clin North Am 16:609-645
komplette Austestung der HVL-Funktionen durch- Liuzzi A, Dallabonzana D, Oppizzi G: Is there a real medical
geführt werden, um eine mögliche Restitution der treatment for the nonsecreting pituitary adenomas? In:
Funktionsfähigkeit einer HVL-Achse nicht zu über- Faglia G, Beck-Peccoz P, Ambrosi B (eds): Pituitary ade-
sehen (Tabelle 7-11). Nach 10 Jahren ist eine Erho- nomas: new trends in basic and clinical research. Amster-
dam, Niederlande, Elsevier 1991, S. 383-390
lung der HVL-Funktionen sehr unwahrscheinlich. Molitch ME, Russell EJ 1990 The pituitary incidentaloma. Ann
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Reincke M, Allolio B, Saeger W, Menzel J, Winkelmann W 1990
Wachstumshormonsubstitution The incidentaloma of the pituitary gland. Is neurosurgery
Ob es eine Indikation für eine Wachstumshormon- required? JAMA 263 : 2772-2776
Werder K von, Faglia G 1992 Potential indications for octreo-
substitution im Erwachsenenalter gibt, ist fraglich. tide in endocrinology. Metabolism 41(Suppl 2):91-98
Für eine klinisch relevante osteoanabole Wirkung
einer Wachstumshormontherapie bei Erwachsenen
gibt es keinen gesicherten Hinweis. Zudem steht Literatur zu Abschn. 7.2
einem möglichen Gewinn infolge Wachstumshor- Burger HG (1993) Clinical utility of inhibin measurements. J
monsubstitution durch Verbesserung der Lebens- Clin Endocrinol Metab 76: 1391-1396
Burman P, Broman JE, Hetta J, Wiklund I, Erfurth EM, Hagg E,
qualität und Senkung der Mortalität infolge kardio- Karlsson FA (1995) Quality of life in adults with growth
vaskulärer Erkrankungen bei gestörtem Fettstoff- hormone deficiency: response to treatment with recombi-
wechsel eine mögliche Stimulation des Wachstums nant human GH in a placebo-controlled 21-month trial. J
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neoplastischer Prozesse (Prostata- und Mammakar- Chan JM, Stampfer MJ, Giovanucci E et al. (1998) Plasma in-
zinom) und einer retinalen Neovaskularisation mit sulin-like growth factor 1 and prostate cancer risk: a pro-
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KAPITEL 8

Wasserhaushalt 8
J. HENSEN

8.1 Physiologie 333


8.l.l Antidiuretisches Hormon (ADH, Vasopressin) 334
8.1.2 Oxytocin 336
8.1.3 Osmoregulation 336
8.1.4 Einfluss auf die Zielzelle 338 +
iere Osmorezeptor
Unterfunktion 340 Trinken
Antidiure e
8.2 ADH-Mangel (Diabetes insipidus) 340
8.2.1 Fallpräsentationen 340 ·. I Pla mao molalität I
8.2.2
8.2.3
Epidemiologie 341
Pathogenese 341
··......................., - "'"· ....... ~ .. -········
8.2.4 Klinik 345
8.2.5 Diagnostik 346 Abb. 8-l. "Doppelt negative" Rückkopplung in der Regula-
8.2.6 Differentialdiagnose 348 tiOn der Plasmaosmolalität
8.2.7 Therapie 349
8.2.8 Notfall 351
8.3 ADH-Resistenz 351 • Erhöhte Plasmaosmolalität. Bei einem Anstieg
8.3.1 Angeborener Diabetes insipidus 351
8.3.2 Erworbener Diabetes insipidus renalis 352
der Plasmaosmolalität lösen die osmosensitiven Zel-
8.3.3 Therapie 352 len 2 sich sinnvoll ergänzende Aktionen aus:
Überfunktion 353 • Durst sowie
8.4 J;)as Syndrom der inappropriaten (inadäquaten) • Ausschüttung des antidiuretischen Hormons
Uberproduktion von ADH (SIADH) 353 (ADH) aus dem Hypophysenhinterlappen.
8.4.1 Fallpräsentation 354
8.4.2 Pathogenese 354
8.4.3 Klinik 355
Dieses Hormon wirkt an den Prinzipalzellen der
8.4.4 Diagnostik 355 Sammelrohre der Nieren, in die täglich bis zu 20 1
8.4.5 Differentialdiagnose 356 Primärharn einströmen. Unter dem Einfluss von
8.4.6 Therapie 358
8.4.7 Notfall 360
ADH werden die Sammelrohrzellen wasserdurchläs-
sig, sodass das Wasser dann passiv durch die Zellen
Literatur 360
entlang des osmotischen Gradientens in das hyper-
tone Nierenmark zurückfließen kann. Dort wird es
resorbiert und erneut dem Blutkreislauf zugeführt.
8.1 Zahlreiche Faktoren wie
Physiologie • arterieller Blutdruck,
• glomeruläre Filtrationsrate,
Der menschliche Körper verliert ständig Wasser • Funktionieren des Gegenstromprinzips der
über Urin (U), Stuhl, Haut und Lunge. Ohne regel- Henle-Schleife,
mäßige Wasserzufuhr würde die Salzkonzentration • Hypertonizität des Nierenmarks,
in Blut und Gewebe schnell ansteigen. Um die Os- • die Anzahl der Wasserkänale sowie
molalität im Plasma (P) optimal zu regulieren • weitere Hormone
und so die Körperfunktionen aufrecht zu erhalten, modulieren und regulieren die Sekretion und re-
hat sich ein System entwickelt, welches die Wasser- nale Wirkung des antidiuretischen Hormons.
aufnahme sowie die Wasserausscheidung über die
Niere entsprechend dem Bedarf steuert (Abb. 8-1).
Im Gehirn lokalisierte osmosensitive Zellen messen
die Tonizität bzw. den effektiven osmotischen Druck
des Plasmas.
334 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

Anatomie des Bildungsortes


8.1.1
Zum magnozellulären ADH-sezernierenden System
Antidiuretisches Hormon
gehören die paarigen Nn. supraoptici und paraven-
(ADH, Vasopressin)
triculares (Abb. 8-3). Der Tractus supraoptico-neu-
rohypophyseus führt etwa 70.000 zumeist unmyeli-
Hauptwirkung von ADH ist die antidiuretische Wir- nisierte Axone dieser magnozellulären Ganglien
kung an der Niere. Der heute international mehr ge- durch die trichterförmig Verjüngung des Hypotha-
bräuchliche Name Vasopressin geht auf die gefäß- lamus zum Hypophysenstiel (Infundibulum) in
verengenden und damit blutdrucksteigemden Wir- Richtung des Hypophysenhinterlappens, wo etwa
kungen des Hormons zurück, die zuerst im Jahre 90 o/o der magnozellulären Neurone enden. Am Bo-
1895 von Olliver und Schäfer in einem Hypophysen- den des 3. Ventrikels, im proximalen Bereich des In-
extrakt nachgewiesen werden konnten (Tabelle 8-1). fundibulums, befindet sich die Eminentia mediana,
Darüber hinaus verfügt Vasopressin über weitere ex- eine kleine, medial gelegene Verdickung. Axone der
trarenale Wirkungen (s. Tabelle 8-2), auf die in die- magnozellulären Neurone aus den Nuclei supraop-
sem Kapitel nicht eingegangen werden kann. Das tici und Nuclei paraventriculares projizieren zu-
menschliche antidiuretische Hormon ist das Nona- meist direkt in Richtung Hypophysenhinterlappen
peptid Arginin 8- Vasopressin (A VP internationale über die interne Zone der Eminentia mediana. An-
Abkürzumg, im Deutschen ADH) (Abb. 8-2). Das dere Axone aus den Nuclei paraventriculares (vor-
Molekulargewicht von AVP beträgt 1084 glmol. wiegend parvizellulär) projizieren durch die externe
Die Konzentration von ADH im Plasma hängt we- Zone der Eminentia mediana zum Portalgefäßsy-
sentlich von der Plasmaosmolalität ab, die wieder- stem der Hypophyse, wo ADH an der ACTH-Regu-
um in erster Linie durch das Serumnatrium be- lation beteiligt ist. Die arterielle Gefäßversorgung
stimmt wird. Darüber hinaus weist (P) ADH eine der Hypophyse und des Infundibulums erfolgt
Tagesrhythmik auf: Um Mitternacht und am Mor- durch Äste der Aa. carotides internae. Der Hypophy-
gen sind die Werteam höchsten, am frühen Nach- senhinterlappen wird weitgehend durch die A. hypo-
mittag am niedrigsten. Bei einer normalen Plas- physea inferior versorgt, der venöse Abfluss erfolgt
maosmolalität bzw. einem normalen Serumnatrium über Kapselvenen durch die Sinus cavernosi. Die er-
liegen die Plasmakonzentrationen von ADH je nach wachsene Neurohypophyse wiegt im Mittel 120 mg,
Bestimmungsmethode zwischen 0,3 und 3 ng/1. das Gewicht nimmt mit dem Alter leicht zu.

Tabelle 8-l. Geschichtliche Übersicht zum antidiuretischen Hormon

Jahr forschungs~rgebni.'

1895 Olliver und Schäfer steUen die blutdrucksteigernde Wirkung eines Hypophysenextraktes fest

1910 Frank stellt den Zusammenhang zwischen Hypophysenhinterlappeninsuffizienz und Diabetes insipidus dar
1913 Camus und Roussy weisen bei Hunden nach, da eine hypothalamisehe Läsion zum Diabetes insipidu
führt

1930 Farmi und von den Felden wei en den therapeutischen Effekt von Extrakten des Hypophysenhinterlappens
bei Patienten mit Diabetes insipidu nach
1948 Verney et al. führen Studien zur Regulation des Vasopressins durch den osmotischen Druck des
hypothalamisehen Blutes durch.
1953-55 du Vigneaud et al. isolieren und synthetisieren Vasopres in und Oxytozin
1957 Schwartz, Bennett, Cuelop und Bartter beschreiben da Syndrom der inapproriaten ADH-Sekretion
1968 Vavra et al. synthetisieren Desmopres in
1984 chmale und Richter klären die Ursache des kongenitalen Diabetes insipidus centralis bei der
Brattleboro-Ratte auf
1992 Birnbaumer et al. klonieren den renalen antidiuretischen Vasopressinrezeptor
1992 Yamamura et al. beschreiben den er tenoral wirk amen AVP-V2 -Rezeptorantagonisten
1993 Sa aki und Agre et al. entdecken die va opressinabhängigen Wa erkanäle (Aquaporin-2)
8.1 Physiologie 335

NH 2
I
C=NH

9Y
OH
I
NH 2 NH
I I
C=O NH 2 CH 2
I I H2 I
CH , C=O C CH 2
I ' I H2; \H 2 I
NH 2 0 CH 2 0 CH 2 0 CH 2 0 0 CH 2 0 0 C C 0 CH 2 0
I II I II I II IH II II I II II I I II I II
HC-C-N-C-C-N-C-C-N-C-C-N-C-C-N-CH-C-N- C-C-N-C-C-N-C-C-NH 2
I HH HH HH HH H l H HH HH
CH 2 CH 2
I I
s s

Phenyl- Aspar- Glycin-


Cystein Tyrosin Glutamin Cystein Prolin Arginin
alanin agin amid

2 3 4 5 6 7 8 9
Abb. 8-2. Strukturformel des Nonapeptids Arginin 8 - Vasopressin (A VP)

Produkte des AVP-NP-11-Gens

• la) Signalpeptid mit 19 Aminosäuren (AS)


• lb) Vasopressin Nonapeptid
• lc) Tripeptid und die 9 N-terminalen AS für
Neurophysin li
• 2a) 67 AS des hochkonservierten zentralen Teils
von Neurophysin li
• 3a) 17 C-terminale AS des Neurophysin li
- Nucleus supraopticus (Argininlinker)
(SON}
• 3b) 39 AS des langen glykosilierten Peptids
(Copeptin)

[nfundibulum
ADH wird in den magnozellulären Neuronen des
Abb. 8-3. Frontalschnitt durch den Hypothalamus in Höhe
des Nucleus supraopticus (schematisch, da auch das Infundi- vorderen Hypothalamus als Präprohormon synthe-
bulum dargestellt ist, welches dorsal des N ucleus supraopticus tisiert (s. Abb. 8-4). Im Golgi-Apparat wird es in ein
liegt). Zum magnozellulären ADH-sezernierenden System ge- Prohormon umgewandelt und dann in neurosekre-
hören die paarigen Nn. supraoptici und paraventriculares
torischen Vesikeln in den Hypophysenhinterlappen
transportiert. Währen des axonalen Transportes
wird das Prohormon in Vasopressin sowie in Neu-
Synthese rophysin li (Vasopressin-spezifisches Neurophysin,
Das Gen für AVP-NP-II ist auf Chromosom 20 loka- AVP-NP II) und das Glykopeptid gespalten. Das Va-
lisiert und etwa 2,6 Kilobasenlang (Abb. 8-4). Es ent- sopressin liegt an Neurophysin li gebunden vor. Alle
hält 3 Exone, die in der folgenden Übersicht darge- 3 Produkte werden als Antwort auf die natürlichen
stellt sind und für folgende Peptide kodieren: Stimuli in die Blutbahn sezerniert.
336 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

Prohormon
VP GP Verpackung
Signalpeptidase Transport
Disulfidformation Weiterverarbeitung
Kernglykolisierung Glykolisierung
Proteolyse
Amidation
Hormon

~Freigabe

Abb.S-4.
Gen für den Polypeptidpräkursor für AVP-
europhysin-11 und die Kaskade der Biosyn-
these von AVP. (Modifiziert nach Richter und
Schmale)

(Lamina terminalis). Da die Zellmembran der osmo-


8.1.2
sensitiven Neurone gegenüber den meisten gelösten
Oxytocin
Stoffen impermeabel ist, nimmt bei Zunahme der
Plasmaosmolalität das Volumen der Osmorezeptor-
Ein zweites Hormon, Oxytocin, wird ebenfalls im
zellen ab. Dadurch verändert sich die elektrische Ak-
Hypothalamus gebildet und im Hypophysenhinter-
tivität der Neurone, wodurch wiederum die Synthese
tappen gespeichert. Das Molekulargewicht beträgt
und Freisetzung von Vasopressin beeinflusst wird.
1007 g/mol. Oxytocin und Vasopressin werden in
unterschiedlichen Neuronen gebildet und unter-
schiedlichen Axonen transportiert. Hauptwirkun- Osmolalität und Tonizität
gen des Oxytocins sind die Milchejektion und die Die mittels Gefrierpunktserniedrigung in vitro ge-
Uteruskontraktion. Die antidiuretischen und pres- messene Osmolalität korreliert meist sehr gut mit
sarischen Wirkungen von Oxytocin und von ADH der Tonizität, d. h. mit dem effektiven osmotischen
stehen etwa im Verhältnis 5 zu 400 IU/mg. Diese Druck, den die gelösten Teilchen tatsächlich auf
Überlappung hat möglicherweise eine physiologi- die Plasmazellmembran der osmosensitiven Zellen
sche Bedeutung z. B. in der Antidiurese während ausüben. Während Tonizität und Osmolalität von
der Laktation. Psychische Effekte wurden für Natrium identisch sind, zeigen Harnstoff und Glu-
ADH (Gedächtnissteigerung) ebenso wie für Oxyto- kose große Unterschiede zwischen dem mittels Ge-
cin beschrieben (Oxytocin als "Liebeshormon"). frierpunktserniedrigung gemessenen osmotischen
Druck und ihrer tatsächlichen Tonizität in vivo.
Harnstoff geht in die Bestimmung und Berechnung
8.1.3 des osmotischen Drucks mit ein:
Osmoregulation
Plasmaosmolalität = 2 x Serum-Na+
Osmorezeptoren + Serumglukose + Serumharnstoff (+ n) [ mmol!l]
In vivo erfolgt die Messung der Tonizität des Plasmas
(effektiver osmotischer Druck, s. u.) durch Osmore-
Normal = 2 x 140 + 5 + 5( +0) [mosmol!kg]
zeptoren bzw. osmosensitive Neurone. Diese liegen (n steht für andere gelöste Teilchen mit einem Mo-
außerhalb der Blut-Hirn-Schranke im Bereich derzir- lekulargewicht von< 100 g/mol. Bei Angabe des Se-
kumventrikulären Organe, der Area postrema und rumglukose in mg/dl durch 18 dividieren, bei Anga-
insbesondere im Organum vasculosum laminae ter- be von Harnstoff-N in mg/dl durch 2,8; bei Angabe
minalis (OVLT) in der Vorderwand des 3. Ventrikels von Harnstoff in mg/dl durch 6 dividieren.)
8.1 Physiologie 337

Harnstoff entfaltet aber in vivo nur einen geringen fühl befreit, wenn eine initial alleinige Antidiurese
"effektiven" osmotischen Druck, da es die Zellmem- zunächst noch zur Kompensation ausreicht.
bran weitgehend frei permeiert. Auch die Tonizität
von Glukose ändert sich und zwar in Abhängigkeit • Nichtosmotische Reize. Das Durstgefühl kann,
von der Insulinkonzentration. Bei Insulinmangel wie die ADH-Sekretion auch, durch nichtosmotische
entfaltet Glukose einen effektiven osmotischen Reize stimuliert werden. Wichtige nichtosmotische
Druck ähnlich dem von Natrium, da Glukose Stimuli für das Durstgefühl sind lokale oropharyn-
ohne Insulin die Zellmembran nicht passieren geale Reize ("trockene Kehle") und Volumenmangel,
kann. Eine Hyperglykämie in Abwesenheit von In- z. B. nach Salzverlust oder nach Blutungen. Im Tier-
sulin führt deshalb zu einer ADH-Freisetzung. versuch haben sich zudem Hinweise für eine dipso-
Dies ist einer der Gründe, warum ADH beim gene Wirkung blutdrucksteigeroder Dosen von An-
Coma diabeticum stark erhöht ist und eine Hypo- giotensin II ergeben.
natriämie besteht.
• Durststillung. Das Durstgefühl sistiert, wenn die
Gesamtmenge der Flüssigkeit ausreicht, um die To-
Durst
nizität des Plasmas zu normalisieren, aber noch be-
• Osmotische Reize. Die Erhöhung der Plasmatoni-
vor sich die Plasmaosmolalität tatsächlich normali-
zität aktiviert die osmosensitiven Neurone und löst
siert hat. Dies weist ebenfalls auf eine Beteilung ora-
Durst und Trinken aus. Durst ist ein stark subjektiv
ler, pharyngealer und intestinaler komplexer Fakto-
gefärbtes Gefühl. Es kann annäherungsweise visuell
ren an der Durststillung hin. Diese Mechanismen
auf einer linearen analogen Skala quantifiziert wer-
sind sinnvoll, um eine übermäßige Wasseraufnahme
den kann. Baylis und andere konnten zeigen, dass
zu verhindern, bevor die Flüssigkeit aus dem Darm
Durst bei niedrigen Plasmaosmolalitäten nicht ge-
resorbiert ist. Die Durststillung wird zudem durch
spürt wird, dann aber ab einer Schwellenplasmaos-
thermale und chemikalische Faktoren ("eisgekühlte
molalität von etwa 285 mosmol!kg linear an Stärke
saure oder bittere Getränke") und soziale Aspekte
zunimmt (Abb. 8-5). Die Schwellenplasmaosmolali-
reguliert.
tät für die Auslösung von Durstlag nur knapp über
der Schwellenplasmaosmolalität, ab der eine ADH-
Sekretion auftrat. Allerdings schwankte die Schwel- Osmotisch induzierte AOH-Freisetzung
lenplasmaosmolalität für das Durstgefühl individu- Bei erniedrigter Plasmaosmolalitätliegt (P) ADH mit
ell erheblich. Im Gegensatz dazu war nach Robert- den heute üblichen Radioimmunoassays unterhalb
son Durst erst ab Plasmaosmolalitäten von 295 mos- der Nachweisgrenze ( < 0.2 ng/1), sofern ADH nicht
mol/kg und mehr nachweisbar. Bei diesen Plas- durch nichtosmotische Reize stimuliert worden ist.
maosmolalitäten war (P) ADH schon deutlich Wird, ausgehend von einer niedrigen Plasmaosmo-
erhöht und der Urin bereits maximal konzentriert. lalität und inadäquat niedrigem (P) AVP, hypertone
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte: Kochsalzlösung infundiert, steigt ab einer mittleren
Eine höher gesetzte Schwellenosmolalität für Durst osmotischen Schwellenkonzentration von 284 mos-
erscheint sinnvoll, da sie von unnötigem Durstge- mol/kg die ADH-Sekretion linear an. Die Empfind-
lichkeit dieses Systems ist sehr hoch: eine Steigerung
der Plasmaosmolalität um 1 o/o führt zu einem wei-
/---\ teren ADH-Anstieg. Analog dazu führt Dursten über
10 . l Wasserverluste ebenfalls zu einer osmotischen
9 ADH I Durst
8
onnalbereicb
ADH-Stimulation, nach langem Dursten addiert
I / sich eine Hypovolämie-induzierte ADH-Stimulation
ADH [ngfl] ~ HirADH
Durst [cm] 5 1 / durch den Flüssigkeitsverlust Nach 24-stündigem
I ,
4
I I Dursten steigt bei Gesunden die Plasmaosmolalität
3
2 I / selten über 300 mosmol!kg. Die Plasmakonzentrati-
1 1 ,/ on von ADH steigt deutlich auf etwa 5 ng/1, der Plas-
0
maosmolalität entsprechend.
260 270 260 290 300 310 (P) Osm [mosmollkg)
126 131 136 141 146 151 (S) Na· {mmolll]
Nichtosmotisch bedingte AOH-Freisetzung
Abb. 8-5. Abhängigkeit von Durstgefühl und ADH-Sekretion
von der Plasmaosmolalität. Ab einer "Schwellenosmolalität" ADH wird auch über baro- und volumenrezeptor-
von etwa 285 mmol/kg kommt es zu einem linearen Anstieg vermittelte Reize (Hypovolämie, Blutdruckabfall)
von ADH. Das Durstgefühl wird ab einer etwas höheren sowie über pharmakologische, neurale und andere
Schwellenosmolalität ausgelöst, tritt aber erst bei Plasmaos-
molalitäten von mehr als 295 mosmol/kg deutlich in Erschei- Reize freigesetzt. Die baro- und volumenrezeptor-
nung vermittelte ADH-Freisetzung reagiert bei weitem
338 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

nicht so empfindlich wie die osmolalitätvermittelte renden Faktoren können nach Robertson in erster
ADH-Freisetzung. So muss der Blutdruckabfall10% Linie die Empfindlichkeit des Systems ("Anstiegs-
des Ausgangswerts betragen, damit die ADH-Sekre- steilheit") oder die Schwellenosmolalität beeinflus-
tion stimuliert wird, dafür ist aber die sezernierte sen.
Menge an ADH wesentlich größer.
• Natriuretische Hormone. Die natriuretischen
• Druck- und Volumenregulation. Hypotension Hormone sind eine Familie von strukturell ver-
führt über Aktivierung von Barorezeptoren in der wandten Peptiden, die einen aus 17 Aminosäuren
Aorta und den Aa. carotides internae zu einem An- bestehenden, durch eine Disulfidbrücke geschlosse-
stieg von (P) ADH. Der Vasopressinanstieg auf- nen Ring gemeinsam haben. Der Prototyp der na-
grund Blutverlust setzt erst spät ein, ist aber der po- triuretischen Hormone ist das atriale natriuretische
tenteste Stimulus, der zu extrem hohen Vasopressin- Hormon (a-ANH 99 - 126 ; a-ANH), das ein (schwacher)
spiegeln (> 100 ng/1} führen kann. Bei diesen Kon- Inhibitor der ADH-Freisetzung und auch der ADH-
zentrationen von Vasopressin erfolgt auch eine Wirkung am Sammelrohr ist.
Vasokonstriktion.
Eine Abnahme des Plasmavolumens, insbesonde- • Angiotensin II. Hohe blutdrucksteigernde Dosen
re des arteriellen Volumens, führt über Dehnungsre- von Angiotensin II haben - zumindestens bei der
zeptoren im linken Vorhof und Abnahme der toni- Ratte- neben dem oben bereits erwähnten dipsoge-
schen inhibitorischen Impulse in den Hypothalamus nen Effekt, der über zentrale gelegene Rezeptoren
zu einer Freisetzung von Vasopressin. Dies spielt vermittelt wird, bei intravenöser Gabe in hoher Do-
eine Rolle bei Orthostase, Vasodilatation und Beat- sis auch eine ADH-stimulierende Wirkung. Der Ef-
mung mit positivem Druck. Flaches liegen, Baden, fekt wird durch die Plasmaosmolalität moduliert.
Schwerelosigkeit, Beatmung mit negativen Drucken
sowie Kälte können dagegen über den Anstieg des • Glucocorticoide. Glucocorticoide üben einen to-
zentralen arteriellen Volumen die Vasopressinfrei- nisch inhibitorischen Effekt auf die Vasopressinse-
setzung hemmen und so eine Aquarese (Ausschei- kretion im Rahmen der negativen Rückkopplung
dung von freiem Wasser) und eine Korrektur der aus.
Hypervolämie bewirken.
Alter

D
Neurale und pharmakologische Einflüsse
Im Alter nimmt die Fähigkeit der Nieren, den Urin zu
Auch eine Vielzahl von hypothalamisehen Neuro-
konzentrieren, zunehmend ab, mit der Folge, das
Wasserverluste ansteigen. Vermutlich als Reaktion
transmittern und Neuropeptiden beeinflusst die
Freisetzung von ADH (s. Übersicht "Ursachen des
auf die vermehrte Wasserausscheidung nimmt die
SIADH"). Potente Stimuli für eine ADH-Sekretion
Konzentration von Vasopressin im Alter zu, ebenso
stellen dar:
die Reaktion auf einen Anstieg der Plasmaosmolali-
• Starker Stress und Schmerz, möglicherweise indi-
tät. Der altersbedingte Anstieg von ADH ist bei Pa-
rekt über vasovagale Reaktionen in Verbindung
tienten mit M. Alzheimer nicht vorhanden (relativer
mit Hypotension und Übelkeit.
ADH-Mangel). Von großer Bedeutung ist, das im Al-
• Schwere Hypoxie und Hyperkap nie. Sie werden in
ter das Durstempfinden abnimmt, was das Risiko für
Verbindung mit einer nicht-osmotischen ADH-
eine hypertone Dehydratation erhöht.
Stimulation gebracht, möglicherweise ebenfalls
indirekt über Auslösung von Übelkeit.
• Alkoholentzug bei Alkoholikern und ein "Kater". 8.1.4
Einfluss auf die Zielzelle
Zu den Stimulatorischen Substanzen gehören
• Nikotin, Morphin, Vincristin, Cyclophosphamid, ADH-Rezeptoren (Vasopressinrezeptoren)
Clofibrat, Chlorpropamid, Narkotika, Carbama- Die wesentlichen Wirkungen von Vasopressin
zepin, Neuroleptika sowie Antidepressiva. Li- werden über 3 Rezeptorsubtypen vermittelt (Ta-
thium scheint ebenfalls zu einer leicht erhöhten belle 8-2). Weitere Rezeptoren für ADH scheinen
Freisetzung von Vasopressin zu führen, evtl. re- vorzuliegen und werden zur Zeit erforscht.
aktiv aufgrund einer durch Lithium induzierten
renalen ADH-Resistenz (Abnahme von AQP-2). • V1-A VP-Rezeptoren. Sie lassen sich aufgrund ih-
rer Affinität und Struktur in V1a- und V 1b-Rezepto-
Phenytoin und Chlorpromazin können wie Alkohol ren unterscheiden, Letztere finden sich überwiegend
die Vasopressinfreisetzung inhibieren Die modulie- aufkortikotropen Zellen des Hypophysenvorderlap-
8.1 Physiologie 339

Tabelle 8-2. Arginin-Vasopressin, das humane antdiuretische Hormon: Rezeptoren, Expression im Gewebe und Wirkungen

Rezeptortyp Gekoppelt .1n Wirkung ubcr Wirkorte Hauptwirkung

Vla·AVP Phospholipase C Ca, IP 3, Proteinkinase C Gefäßmuskeln, Leber, Vasekonstriktion (beson-


Thrombozyten, Z S, der Hautgefäße, Arteriolen
Expressionen auch in des Splanchnicusgebietes),
ebenniere, Hoden, hekati ehe Glykogenolyse
Ovar etc. (A tivierung des Glykogen-
phosphorylase A), verhal-
rensbiologische Effekte
(Aggressionsminderung,
sexualitätssteigernd, auf-
merksamkeitssteigernd),
Plättchena'ä:regation,
Inhibition er Liquorpro-
duktion durch den Plexus
choroideus, Inhibition
von extrarenalen Wasserver-
Iu ten über Haut,
Lunge u. a.

V1b-AVP Phospholipase C Ca, IP 3, Proteinkinase C Hypophyse ACTH-Freisetzung


(kortikotrope Zellen)

Vr AVP Adenylatzyklase cAMP, Proteinkinase A ammelrohrzellen, dicker Antidiureti ehe Wirkung,


medullärer Teil der Henle- atriumtranspoft ins
Schleife, andere extrarenale renale Interstitium
Orte vermutet (Erhaltung der medullären
Hypertonizität), Vasodila-
tation im Bereich der
Armgefäße, Förderung
der Synthese

pens. Gemeinsam ist den V1-A VP-Rezeptoren die sertion von Wasserkanälen in die luminale (apikale)
Kopplung an die Phospholipase C und die Wirkung Zellmembran führen . Diese Wasserkanäle wurden
über Erhöhung des Kalziumeinstroms und des kürzlich als Aquaporin 2 (AQP-2) identifiziert.
Phosphatidylinositolumsatzes. AQP-2 wird nur in Prinzipalzellen von Sammelrohr-
zellen der inneren Medulla exprimiert. Bei niedri-
• V2-AVP-Rezeptoren. Im Unterschied dazu akti- gem (P) ADH ist AQP-2 diffus im Zytoplasma ver-
vieren die renalen (antidiuretischen) V2-A VP-Re- teilt. Nach exogener Gabe von ADH reichem sich
zeptoren die Adenylatzyklase. Das Gen für den AQP-2 Moleküle in der IuminaJen (apikalen) Zell-
menschlichen Vz-AVP-Rezeptor liegt auf dem Chro- wand an, und es kommt zu einem passiven transzel-
mosom 28 (Xq28). Es besteht aus 3 Exonen und 2 lulären Fluss von Wasser durch die Sammelrohrzelle
kleinen Intronen. Der Rezeptor besteht aus 371 Ami- entlang des osmotischen Gradienten. Die ADH-ab-
nosäuren. Die räumliche Struktur ist für Guanin- hängige exozytotische Insertion von Wasserkanälen
Nukleotid(G)-Protein gekoppelte Rezeptoren mit 7 aus intrazellulären Vesikeln in die apikale Plasma-
transmembranäsen Domänen typisch. 4 Schleifen membran und wieder zurück bezeichnet man als
liegen extrazellulär, 4 Schleifen im Zytoplasma. "Shuttle-Hypothese". An der basolateralen Mem-
bran der Sammelrohrzelle sind ADH-unabhängige
Wasserkanäle (Aquaporin 3 und Aquaporin 4) für
VrAVP-Rezeptor-Aktivierung ("Shuttle-Hypothese") den Wasserfluss verantwortlich. Das Gen, welches
Der erste Schritt der antidiuretischen Wirkung von für den ADH-abhängigen Wasserkanal der apikalen
ADH ist die Bindung an die renalen Vasopressinre- Zellmembran kodiert, wurde auf Chromosom 12ql3
zeptoren (Vz-AVP-Rezeptor) derbasolateralen Zell- lokalisiert. Es besteht aus 4 Exonen und 3 Intronen.
membran der Prinzipalzelle der renalen Sammel- AQP-2 ist ein Polypeptid mit 271 Aminosäuren und
rohre (Abb. 8-6). Über Aktivierung des V2-A VP-Re- 6 transmembranäsen Domänen, d. h. beide Peptid-
zeptors und das stimulierende G-Protein wird die termini, sowohl der N- als auch der C-Terminus lie-
Adenylzyklase aktiviert und der "second messen- gen intrazellulär.
ger" cAMP gebildet. Die Proteinkinase A bewirkt
die Phosphorylierung von im Detail noch nicht iden-
tifizierten Proteinen, welche zur Exozytose und In-
340 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

Recycling
Vesi kel
Endozytose
Vesikel

\ AQP2

AQP2
Abb. S-6.
Wassertransport durch eine renale
AQP2 Sammelrohrzelle. Der erste Schritt ist

/
die Bindung von AQH an den renalen
V2-A VP-Rezeptor. Uber eine Aktivie-
rung der Adenylatzyklase kommt es
zur Insertion von AQP-2-Wasserka-
Exozytose nälen in die luminale Zellmembran.
Insertion Der Wassertransport durch die baso-
Recycling laterale Zellmembran erfolgt durch
Vesikel Iumina/ ADH-unabhängige Wasserkanäle. Ein
Diabetes insipidus renalis kann durch
Mutationen im Gen für AQP-2 und für
den V2-Vasopressinrezeptor entste-
hen. (Modifiziert nach Bichet)

Unterfunktion Fallpräsentation 2

Eine 40-jährige Patientin bemerkte Kopfschmer-


8.2 zen und eine plötzliche Polyurie von 8 I sowie
ADH-Mangel (Diabetes insipidus) eine Polydipsie. Die Magnetresonanztomogra-
phie zeigte eine etwa 2 cm große überwiegend
8.2.1 intraselläre Raumforderung im Bereich der Hy-
Fallpräsentationen pophyse, die sich hantelförmig bis in den Hypo-
thalamus erstreckt (Abb. 8-8). Sehnerven- und
Fallpräsentation 1 Augenmuskelnervenläsionenließen sich nicht
nachweisen. Wegen des Verdachts auf eine Hy-
Bei einem 50-jährigen Patienten traten plötzlich pophysitis wurde eine Steroidtherapie durchge-
eine Polyurie und Polydipsie auf. Die Urinaus- fü hrt, unter der sich die Raumforderung partiell
scheidung betrug 61/Tag. Im Durstversuch wur- zurückbildete, der Diabetes insipidus jedoch
den innerhalb von 10 h 3,5 I ausgeschieden, die nicht besserte. Es entwickelte sich eine Steroid-
Urinosmolalität in der letzten Stunde betrug psychose. Nach Absetzen der Medikation nahm
300 mosmol/kg. Nach Injektion von 4 j..lg Mini- der Befund im Laufe eines Vierteljahres wieder
rin i. v. stieg die Urinosmolalität auf 800 mos- an Größe zu. Es entwickelte sich eine partielle
mol!kg. Eine Magnetresonanztomographie der Hypophysenvorderlappeninsuffizienz. Bei der
Sellaregion zeigte einen verdickten Hypophy- transnasal/transsphenoidalen Exploration ent-
senstiel (Abb. 8-7a, b). Anhaltspunkte für eine leerte sich rahmiges, weißlich-gelbliches Mate-
granulomatöse oder entzündliche Erkrankung rial Histologisch handelte es sich um eine ein-
oder für eine Histiozytose fanden sich nicht. schmelzende lymphozytäre Hypophysitis. Nach
Der Patient wurde mit Desmopressin, zunächst der Operation kam die Entzündung zum Still-
10 !lg intranasal zur Nacht behandelt, darunter stand.
reduzierte sich die Trinkmenge auf 2,5 I/Tag bei
Wohlbefinden. Bei einer Kontrolluntersuchung
nach einem Jahr fiel eine erhöhte Blutsenkung
von 40/60 mm auf. Die weitere Diagnostik ergab
den Verdacht auf eine CLL. Die Liquorpunktion
war unauffallig. Eine spezifi ehe Behandlung er-
folgte zunächst nicht.
8.2 ADH-Mangel (Diabetes insipidus) 341

Abb. 8-8. NMR (Tl-gewichtet, sagittal) einer Patientirr mit


lymphozytärer Hypophysitis. Man beachte die Verdickung
des Hypophysenstiels und die sanduhrförmige Ausdehnung
in den Hypothalamus. (Aus Honegger 1997)

8.2.3
Pathogenese

Diabetes insipidus centralis


(absoluter ADH-Mangel)
Wenn mehr als 80% der ADH-sezernierenden hypo-
thalamisehen Neurone ausgefallen sind, kommt es
zum Krankheitsbild des Diabetes insipidus centralis.
Bei diesen Patienten liegt ein absoluter ADH-Mangel
Abb. 8-?a, b. NMR (Tl-gewichtet) eines Patienten mit Diabe-
tes insipidus zentralis (Fall I), a koronaren Schnitt, b sagittale vor. Auch bei sehr hohen Plasmaosmolalitäten stei-
Schnittführung. Beachte den verdickten Hypophysenstiel und gen die ADH-Spiegel oder die Urinosmolalität nicht
die fehlende Hyperintensität des Hypophysenhinterlappens in an. Der Diabetes insipidus centralis ist der häufigste
der sagittalen Ansicht
Typ und in 2/3 der Fälle erworben und Folge einer
Störung im Bereich der Sellaregion oder des Hypo-
thalamus (sekundärer Diabetes insipidus). Die Ursa-
8.2.2 chen lassen sich einteilen in
Epidemiologie • posttraumatische oder postoperative Störungen,
• benigne oder maligne Raumforderungen (z. B.
Die auch als neurogener oder hypothalamischer Germinome, Pinealome) einschließlich Metasta-
Diabetes insipidus bezeichnete Erkrankung ist mit sen und Leukämien,
einer Prävalenz von etwa 1 : 25 selten und betrifft • entzündliche oder granulomatöse Erkrankungen
beide Geschlechter gleich häufig. Der Vasopressin- (Hypophysitis, Enzephalitis, Sarkoidose, Langer-
mangel kann absolut oder relativ sein. Abb. 8-9 zeigt hans-Zellgranulomatose (Histiozytosis X), op-
3 charakteristische Formen des Diabetes insipidus portunistische Infektionen im Rahmen von
centralis die mittels Untersuchung der Urinosmola- AIDS) oder
lität während Durstens oder durch Messen von • Gefäßerkrankungen (Aneurysma, Infarkte).
(P) ADH während Infusion hypertoner Kochsalzlö-
sung (nicht Typ 2) unterschieden werden können. Je nach Destruktionsausmaß der ADH-produzieren-
den Zellen bei den angesprochenen Kankheitsbil-
dern bzw. Störungen zeigt sich die Klinik stärker
oder weniger stark ausgeprägt.
342 KAPITEL 8 Wasserbaushalt

(p) ADH 6
9
8
7
10

Normalbereich
for ADH
-) (c)
1000

800
Uo m
[ng/IJ 5 I
I (b) 600 [ mosmol!kg)

//
4
3 400
2
1
__/
/'· /'' .. (a 200
0
260 270 280 290 300 3 10 320 330 340 (P) Osm [mosmoVkg)
126 131 136 141 146 151 156 161 166 (S) Na•[mmol/1)

Abb. 8-9a-c. Formen des Diabetes insipidus zentralis, die einen plötzlichen Anstieg der Urinosmolalität. Dies weist auf
mittels Untersuchung der Urinosmolalität während Durstens einen defekten Osmorezeptor (Diabetes insipidus hypersalae-
unterschieden werden können. Bei Patienten mit komplettem micus) hin, da die Freisetzung von Vasopressin durch Hypo-
Diabetes insipidus centralis liegt ein absoluter ADH-Mangel volämie noch funktioniert. Wiederum andere Patienten (b)
vor (a). Auch bei sehr hohen Plasmaosmolalitäten steigen zeigen einen geringen Anstieg der Urinosmolalität mit steigen-
die ADH-Spiegel oder die Urinosmolalität nicht an. Dieser der Plasmaosmolalität. In diesen Fällen ist die Schwellenplas-
Typ ist der häufigste. Andere Patienten (c) zeigen zunächst maosmolalität deutlich angehoben. Als Ursache werden eine
ebenfalls keinen Anstieg der Urinosmolalität, reagieren jedoch herabgesetzte Vasopressin- Freisetzung oder ein "High-set -Os-
nach längerem Dursten auf die hypertone Dehydratation mit morezeptor" ("upward setting") angenommen

Kraniopharyngeom tätserhaltung des Hypophysenstiels postoperativ auf


Insbesondere bei Kraniopharyngeomen ist der Dia- knapp 70 o/o der Patienten.
betes insipidus häufig ein Frühsymptom. In der Er-
langer Neurochirugischen Klinik findet sich bei etwa Adenome prä- und postoperativ
1/4 der Patienten mit Kraniopharyngeomen präope- Hypophysenadenome, auch mit extrasellärer Aus-
rativ ein Diabetes insipidus. Wenn eine komplette dehnung, bewirken selten einen Diabetes insipidus,
Exstirpation des hypothalamisehen Tumors ange- da ausreichend ADH-sezernierende Zellen fast im-
strebt wird, steigt die Prävalenz eines permanenten mer verbleiben. Hingegen entwickeln nach trans-
Diabetes insipidus selbst bei Versuch der Kontinui- sphenoidaler Operation eines intrasellären oder ex-

Re 1 ekrelion
von ADH

ADH -Sekretion Diabete Re titutio ad


Hyponatriämie
normal insipidu integrum ?

Vor Operation Tagl Tag 7 Tag 14


po toperativer Verlauf
Abb. 8-10. Postulierter Einfluss einer Operation im Bereich degenerierenden Neuronen bedingt ist. Während dieser unre-
der Sella turcica auf die ADH-Sekretion. Eine Schädigung gulierten ADH-Freisetzung sind die Patienten gefährdet, eine
des Tractus supraopticus kann bereits unmittelbar postopera- Hyponatriämie zu erleiden. Die "lnterphase" dauert meist nur
tiv zu einem Diabetes insipidus centralis (Sekretionsarrest) einige Tage. Danach tritt wieder ein Diabetes insipidus auf, der
führen. Zumeist nach etwa 1 Woche kommt es dann zu der in Abhängigkeit vom Ausmaß der Schädigung zumeist tran-
"Interphase", die vermutlich durch eine unregulierte Freiset- sient ist
zung von ADH aus dem Hypophysenhinterlappen und aus
8.2 ADH-Mangel (Diabetes insipidus) 343

retrograde Degeneration von Vasopressin sezernie-


ca. 30%
renden Neuronen zustande, deren Axone bei der
Operation beschädigt worden waren. Die Hypo-
!':=:rolongierte Polyurie natriämie entspricht einem typischen SIADH. Sie
L__ ~- ca.10% kann postoperativ auch isoliert, d. h. ohne voran-
gehende Hyponatriämie, auftreten, mit einem Ma-
ximum am 7. Tag postoperativ. Die Prävalenz einer
3-4% postoperativen Hyponatriämie (:=::: 132 mmol/1) nach
transsphenoidaler Operation eines Hypophysenade-
noms liegt im Erlanger Kollektiv bei 8,4% (5% am
7. postoperativen Tag und 1,7% am 1. postoperati-
ven Tag; Abb. 8-11).
Frühe Hyponatriämie 2-3%
Diabetes insipidus hypersalaemicus
Der Diabetes insipidus hypersalaemicus, auch Hy-
Isolierte verzögerte Hyponatriämie
podipsie-Hypernatriämiesyndrom genannt, wird
'C_/
~:::::....--~=...::::::....~---r=----=2. 3% durch eineLäsion im Bereich des Osmorezeptors
bzw. der osmosensitiven Neurone verursacht. In
Abb. 8-11. Unterschiedliche Verläufe von Polyurie (A usrich-
diesem Fall versiegen sowohl die osmotisch stimu-
tung der Kurve nach oben) und Hyponatriämie (Ausrichtung lierte ADH-Sekretion als auch das schützende
der Kurve nach unten) nach transsphenoidalen Operation im DurstgefühL Ursächlich können z. B. Aneurysma-
Bereich der Sella turcica mit relativen Häufigkeiten. Ein per- blutungen im Bereich der A. cerebri communicans
manenter Diabetes insipidus nach transsphenoidaler Opera-
tion ist selten (< 0,25% aller Operationen). Die meisten Fälle anterior oder neurochirurgische Eingriffe im Hypo-
von unmittelbar postoperativ auftretender hypotoner Polyurie thalamushereich sein. Die resultierenden Hyperna-
sind nicht durch einen Diabetes insipidus bedingt sondern
Folge vermehrter Infusion von Flüssigkeit perioperativ bzw.
triämien bei diesem Krankheitsbild sind oft be-
Folge des Nachlassens einer postoperativen Oligurie durch trächtlich (bis 190 mmol/1). Unbehandelt scheiden
sympathoadrenale Aktivierung die Patienten zunächst weiter einen hypotonen
Urin aus, und es kommt zur Hypernatriämie. Bei ho-
hem Serumnatrium und Dehydratation kann der
Urin wieder konzentriert sein, zum einen durch
trasellären Hypophysenadenoms unmittelbar post-
nichtosmotisch bedingten ADH-Anstieg, zum ande-
operativ etwa 1/3 der Patienten eine passagere hypo-
ren durch Sensitivierung gegenüber geringen noch
tone Polyurie(> 2500 ml, spez. Gewicht <1005 g/1).
vorhandenen ADH-Mengen oder gegenüber Oxyto-
Als Ursache wird ein operativ bedingter Sekretions-
cin. Dies ist häufig verwirrend und erschwert die
arrest von ADH angenommen (Abb. 8-10). Etwa 2/3
Diagnostik.
dieser Patienten benötigen zumeist nur vorüberge-
hend (für 1-3 Tage) eine Therapie mit DDA VP
(2 J..lg Desmopressin i.m. pro Tag), davon etwa die AIDS-Patienten
Hälfte nur einmal. Die polyurische Phase verschwin- Bei Patienten mit AIDS wurden Infektionen des zen-
det meist sehr schnell wieder. Am 3. Tag sind noch tralen Nervensystems mit Toxoplasma gondii, Zyto-
17% der Patienten polyurisch, am 7. postoperativen megalie oder Herpessimplex oder lymphozytäre In-
Tag noch 6 %. Im Erlanger Patientenkollektiv sind filtrationen des ZNS beschrieben, die einen Diabetes
nach 3 Monaten 0,9 % der operierten Patienten be- insipidus zur Folge haben können.
handlungsbedürftig, nach 1 Jahr sinkt die Prävalenz
des permanenten DI auf 0,25% (Abb. 8-11}. Nach
Wolfram-Syndrom
transkraniellen Eingriffen ist die Prävalenz des per-
Ein Diabetes insipidus centralis tritt bei 1/3 der Pa-
manenten Diabetes insipidus 1 Jahr postoperativ et-
tienten mit Wolfram-Syndrom auf. Hierbei handelt
was höher (2% im Erlanger Kollektiv). Die polyuri-
es sich um eine seltene autosomal rezessiv vererbba-
sche Phase nach Operation im Bereich der Sellare-
re Erkrankung, die mit Diabetes insipidus (DI), Dia-
gion ist häufig durch eine Interphase eine Woche
betes mellitus (DM), Nervus-opticus-Atrophie (OA)
nach Operation unterbrochen, in der eine Oligurie
und Taubheit einhergehen kann (D; DIDMOAD-
besteht und sich vielfach auch eine Hyponatriämie
Syndrom).
entwickelt (s. Abb. 8-10). Die Interphase kommt ver-
mutlich durch eine ungeregelte verzögerte Freiset-
zung von ADH aus dem teilweise zerstörten Hypo-
physenhinterlappen sowie durch eine aufsteigende,
344 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

Hirntod Aggregate akkumulieren und vermutlich den Zell-


Der komplette Hirntod, z. B. bei Patienten, die zur untergang auslösen.
Organspende anstehen, führt auch zu einem Unter-
gang der Vasopressin produzierenden Neurone, ein Bei einem Großteil der Patienten mit Diabetes insi-
substitutionsbedürftiger Diabetes insipidus ist bei pidus bleibt die zugrunde liegende Ursache zunächst
diesen Patienten die Regel. unklar. Bei einem Teil kann durch magnetresonanz-
tomopgraphische Kontrolle nach 12 Monaten eine
Verdickung des Hypophysenstiels nachgewiesen
Familiärer Diabetes insipidus werden, wobei die pathogenetische Zuordnung
Der familiäre Diabetes insipidus centralis ist eine auch dadurch häufig nicht gelingt. Insgesamt ist
sehr seltene autosomal dominant vererbte Erkran- die Ursacl}e heute in etwa 1/4 der Patienten nicht
kung mit 100 o/oiger Penetranz. Das besondere Merk- zu eruieren (idiopathischer Diabetes insipidus). Ur-
mal der Erkrankung ist der verzögerte Beginn im sache ist möglicherweise eine Abnahme ADH-sezer-
Kleinkindesalter bzw. in der frühen Kindheit. Der nierenden Neurone, wobei auch zirkulierende Anti-
Mangel an ADH ist nie ganz komplett und kann in- körper gegen ADH-sezernierende Hypothalamus-
terindividuell erheblich variieren. Das Vollbild der kerne nachgewiesen wurden.
Erkrankung ist klinisch vom erworbenen Diabetes
insipidus nicht zu unterscheiden. Autopsien von
5 Patienten aus verschiedenen Familien zeigten re- Relativer ADH- Mangel
lativ kleine Hypophysenhinterlappen mit Gliose und Hier werden prinzipiell3 Formenaufgrund des Pa-
eine Degeneration der magnozellulären Neurone im thomechanismus unterschieden:
Nucleus supraopticus sowie, weniger ausgeprägt, im e Im Rahmen eines defekten Osmorezeptors zeigen
Bereich des Nucleus paraventricularis. In Überein- Patienten zunächst ebenfalls keinen Anstieg von
stimmung damit zeigt sich im Tl-gewichteten Ma- (P) ADH während Kochsalzinfusion, reagieren je-
gnetresonanztomographiebild der Hypophyse ein doch auf die hypertone Dehydratation nach län-
Verlust der typischen Hyperintensität des Hypophy- gerem Dursten mit einen plötzlichen Anstieg der
senhinterlappens ("hot spot"). Urinosmolalität. Es liegt ein Diabetes insipidus
hypersalaemicus vor, da die Freisetzung von Va-
• Pathogenetische Aspekte. In den letzten Jahren sopressin durch Hypovolämie noch funktioniert.
wurden mehr als 2 Dutzend verschiedene heterozy- Bei deutlich angehobener Schwellenplasmaosmo-
gote Mutationen im Polypeptidpräkursorgen für lalität zeigen Patienten einen geringen Anstieg
AVP-Neurophysin II (AVP-NP II) nachgewiesen. der Urinosmolalität mit steigender Plasmaosmo-
Sie führen zum Austausch oder zur Deletion einer lalität. Als Ursache werden eine herabgesetzte Va-
oder mehrerer Aminosäuren im Präprohormon. sopressinfreisetzung oder ein "High-set-Osmore-
Die Mutationen liegen in Exon 1 im Bereich des Si- zeptor" ("upward setting") angenommen.
gnalpeptids, in Exon 2 im Bereich von Neuro- e Bei herabgesetzter ADH-Reserve liegt eine Sub-
physin II oder in Exon 3 im Bereich des variablen normale Freisetzung von Vasopressin in Relation
C-Terminus von Neurophysin II. Erst kürzlich wur- zur Plasmaosmolalität bei einer normalen osmo-
de die erste Familie mit einer Mutation in der für tischen Schwellenkonzentration vor.
ADH selbst kodierenden Region identifiziert. Die
Mutationen verteilen sich nicht zufällig auf dem
Schwangerschah
AVP-NP-II-Gen, sondern treten vor allem in Seg-
Ein partieller (kompensierter) Diabetes insipidus
menten auf, die für hydrophile Regionen im Signal-
centralis kann in der Schwangerschaft dekompen-
peptid oder im Neurophysin II kodieren. Diese Mu-
sieren, vermutlich aufgrund eines Anstiegs der (P)
tationen scheinen einheitlich den Transportprozess
bzw. die Faltung und Selbstassoziation des Prohor-
Vasopressinase aus der Plazenta (Abb. 8-12). Vaso-
pressinase (Oxytocinase) kann Oxytocin und Vaso-
mons zu stören: Wie andere synthetisierte Vorläu-
pressin im Plasma schnell abbauen. Diese Patientin-
ferhormone, muss auch AVP-NP-II vom Signalpep-
nen können deshalb auch nicht mit AVP behandelt
tid getrennt werden, bevor es im endoplasmatischen
werden, sprechen jedoch gut auf Desmopressin an.
Retikulum korrekt gefaltet wird und selbstassoziie-
ren kann. Nur in dieser Form kann das Peptid in den
Golgi-Apparat und in die sekretorischen Vesikel ge- Simmonds-Sheehan-Syndrom
langen, um dort weiter prozessiert und gespeichert Ein milder Diabetes insipidus bei Simmonds-Shee-
zu werden. Unkorrekt gefaltete Proteine können han-Syndrom kann sich nach Substitution des Cor-
nicht weitertransportiert werden. Sie verbleiben tisoldefizits aufgrundder ADH-inhibitorischen Wir-
im endoplasmatischen Retikulum, wo sie als große kung von Cortisol und aufgrund der cortisolindu-
8.2 ADH-Mangel (Diabetes insipidus) 345

10

-.......
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8

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J/ ----r-
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0.... Abb. S-12.
~ 4 I Plasma-AD H- Konzentratio-
I
I nen während intravenöser
I Infusion von 10 ng ADH/min
I
I bei einer Patientin mit Dia-
2

..
I betes insipidus gravidarum
I
kurz nach der Entbindung
g--"§ (untere Kurve) und bei Nor-
0 ··--------~·~--------~·~----- malpersonen. Die deutlich
erhöhte metabolische Clea-
0 20 40 60 rance weist auf eine erhöhte
Aktivität der Vasopressinase
Zeit (mi n) (Oxytocinase) hin. (Aus
Hensen et al. 1991)

zierten Verbesserung der Hämodynamik und der Symptome


Nierenfunktion demaskieren. Die Symptome des Diabetes insipidus sind in der
folgenden Übersicht dargestellt.

8.2 .4 Symptome des Diabetes insipidus


Klinik
• Persistierende Polyurie
Verlauf • Imperativer Durst
Der idiopathische Diabetes insipidus centralis bildet • Vermehrtes Trinken
sich nur selten zurück. Dagegen ist ein posttrauma- • Nykturie
tischer Diabetes insipidus häufig transient, vermut- • Trockene Haut und Schleimhäute
lich aufgrund einer Regeneration von zerstörten • Obstipation
Axonen im Bereich des Hypophysenstiels. Die • Durstbedingte Schlafstörungen
Wahrscheinlichkeit für einen permanenten Diabetes • Gereiztheit
insipidus nimmt mit zunehmender Schwere des • Morgendliches Durstfieber bei Kindern
Schädel-Hirn-Traumas oder der Schädelbasisfraktu- • Enuresis nocturna
ren zu. • Zerebrale Störungen nach unbemerkter hyperto-
ner Dehydratation bei Kindern
Auch gilt: je länger der Diabetes insipidus besteht, • Hydronephrose
desto weniger wahrscheinlich ist eine Remission.

• Hypophysenvorderlappenfunktion. Bei Patien-


ten mit idiopathischem Diabetes insipidus mit nor- Die erheblichen Wasserverluste (oft 10-20 1/Tag)
maler magnetresonanztomographischer Morpholo- insbesondere bei Diabetes insipidus centralis stimu-
gie der Sellaregion ist die Hypophysenvorderlappen- lieren das Durstgefühl (Polydipsie) und die kompen-
funktion in der Regel normal. Bei sekundärem Dia- satorische Flüssigkeitsaufnahme. Leitsymptome des
betes insipidus treten Visusverminderungen, ADH-Mangels bzw. der ADH-Resistenz sind somit
Gesichtsfeldausfälle, Augenmuskellähmungen oder die persistierende Polyurie und ihre konstanten Be-
eine begleitende Hypophysenvorderlappeninsuffi- gleiter, Durst und vermehrtes Trinken. Der Durst bei
zienz in Abhängigkeit von der morphologischen Flüssigkeitsentzug hat Zwangscharakter (imperati-
Ausdehnung der Läsion auf. Eine milde Hyperpro- ver Durst). Polyurie und nachfolgende Polydipsie
laktinämie kann erste Hinweise auf einen suprasel- können sich langsam entwickeln, aber auch schlag-
lären Prozess geben. artig auftreten. Nahezu immer ist die Nachtruhe
durch eine Nykturie gestört. Bei Kindern kann
eine neu aufgetretene Enuresis ein Hinweis auf die
346 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

Erkrankung sein. Polyurie und Wasserverluste, wel- lieber Wasserestriktion kleiner als 1008 g/1. Serum-
che nicht immer durch Trinken voll kompensiert natrium und Plasmaosmolalität sind bei Diabetes
werden können, können einige indirekte Symptome insipidus morgens meist zu hochnormalen Konzen-
mitbedingen, wie trockene Haut und Schleimhäute, trationen verschoben. Eine Hypernatriämie weist
Obstipation, durstbedingte Schlafstörungen und Ge- auf einen Diabetes insipidus hypersalaemicus hin.
reiztheit. Nicht ausgeglichene Wasserdefizite kön- Besteht eine hypotone Polyurie (Harnvolumen
nen bei Kindern zum "Durstfieber" führen, welches > 30 ml!kg/24 h) und liegen keine anderen offen-
typischerweise morgens am höchsten ist. Im Rah- sichtlichen Ursachen für die Polyurie vor, wie Hy-
men von schweren hypertonen Dehydratationen perglykämie bzw. Glukosurie, Hypokaliämie, Hy-
kann es zu zerebralen Leistungsschwächen kom- perkalzämie, chronisch polyurische Nierenerkran-
men, insbesondere bei Patienten mit kongenitalem kung oder die polyurische Phase eines akuten Nie-
nephrogenem Diabetes insipidus. Langjährige Poly- renversagens etc., sollte eine weiterführende,
urie kann zur Erweiterung des Nierenbeckenkelch- vorzugsweise stationäre Diagnostik erfolgen.
systems mit Hydronephrose führen.
• Durstversuch mit anschließender DDA VP-Gabe
(Miller-Test). Im Durstversuch werden Freisetzung
8.2.5 und Wirkung indirekt überprüft. Der Durstversuch
Diagnostik ist einfach und hat den Vorteil, dass er in jedem
Krankenhaus preiswert durchgeführt werden
Anamnese und körperliche Untersuchung kann. Durchführung:
Anamnestisch und bei der körperlichen Untersu- • Üblicherweise beginnt man den Durstversuch un-
chung ist stets nach möglichen Ursachen des Diabe- ter stationären Bedingungen morgens um 6 Uhr.
tes insipidus zu fahnden: Der Patient muss zu Testbeginn die Harnblase
• Traumata, Tumoren (Kopfschmerzen), vollständig entleeren.
• Blutungen, • Während des Tests müssen in 1- bis 2-stündigem
• Metastasen, Abstand Harnmenge, Urinosmolalität, Körperge-
• vorangegangene neurochirurgische Eingriffe, wicht, Blutdruck und Puls gemessen werden so-
• entzündliche oder infiltrative Erkrankungen des wie zu Beginn und gegen Ende des Tests die Plas-
Hypothalamus oder maosmolalität, Serumnatrium und wenn möglich
• Hautläsionen bei Histiozytose. (P) ADH (nicht obligat).

Labordiagnostik
• Suchtest. Als Such- bzw. Ausschlussdiagnostik
wird die Messung des Harnvolumens und der Trink-
Eine ständige Überwachung des Patienten während
des Durstversuchs ist erforderlich, da Patienten mit
einem Diabetes insipidus sehr schnell ein bedrohli-
D
menge über eine oder zwei 24-h-Perioden nach ches Flüssigkeitsdefizit entwickeln können und um
Absetzen diuretischer oder antidiuretischer Medi- zu verhindern, dass die Patienten während des Ver-
kation für mindestens 2 Tage sowie die 1- oder suchs etwas trinken.
2-malige Bestimmung von Plasmaosmolalität und
Serumnatrium empfohlen (s. auch nachfolgende Der Test muss abgebrochen werden, wenn Patienten
Übersicht). mehr als 3-4 o/o ihres Körpergewichts verloren ha-
ben, hypotensiv werden oder wenn der Durst uner-
träglich wird.
Diagnostische Verfahren
für den Diabetes insipidus Nach der Methode von Miller et al. wird Flüssig-
keitsrestriktion empfohlen, bis die stündlich gemes-
• 24-h-Sammelurin (Bestätigungstest) sene Urinosmolalität ein Plateau erreicht (die Urin-
• Durstversuch mit Gabe von DDA VP (Miller-Test) osmolalität sollte während 3 h um nicht mehr als
• ADH-Bestimmung am Ende des Durstversuchs 30 mosmol/kg ansteigen).
• Therapieversuch mit Desmopressin Bei Abbruch sollte dann die Injektion von Des-
• Magnetresonanztomographie mopressin (4!-lg DDAVP i. v.), und Messung der
• Kochsalzinfusionstest mit ADH-Bestimmung Urinosmolalität 30 und 60 min später erfolgen.
• (ADH im Urin, Aquaporin im Urin) Die letzte Urinosmolalität und die höchste
Urinosmolalität nach Desmopressin werden vergli-
chen (Tabelle 8-3). Normalpersonen konzentrieren
Das spezifische Gewicht des Urins ist bei Diabetes nach etwa 12-16 h Flüssigkeitsentzug den Urin
insipidus kleiner als 1005 g/1, morgens nach nächt- auf ca. 900-1200 mosmol!kg, wohingegen Patienten
8.2 ADH-Mangel (Diabetes insipidus) 347

mit komplettem Diabetes insipidus centralis ihren sierung der Blase, damit die Ergebnisse auch bei
Urin meist nur auf weniger als 250 mosmol!kg kon- kleinen Urinmengen ausreichend genau sind. Der
zentrieren können. Bei Patienten mit primärer Poly- Test wurde früher nach dem Durstversuch als 2. dia-
dipsie ist das maximale Urinkonzentrationsvermö- gnostisches Standbein empfohlen. Seine Stellung hat
gen ebenfalls deutlich auf etwa 450-700 mosmol! heute der Kochsalzinfusionstest mit direkter ADH-
kg eingeschränkt. Eine Abnahme der Hypertonizität Bestimmung eingenommen.
des Nierenmarks, wahrscheinlich als Folge eines An-
stiegs des medullären Blutflusses, wird für diesen • Kochsalzinfusionstest mit ADH-Bestimmung.
Verlust an Urinkonzentrationskapazität verantwort- Wenn die Differenzierung, z. B. zwischen primärer
lieh gemacht. Nur bei Patienten mit einem Diabetes Polydipsie und partiellem zentralem Diabetes insipi-
insipidus steigt nach Gabe von exogenem Desmo- dus oder partiellem nephrogenem Diabetes insipi-
pressin (4!lg DDA VP i. v.) die Urinosmolalität wei- dus nicht eindeutig möglich ist, hilft der Kochsalzin-
ter an. Dies zeigt indirekt an, dass der Patient mit fusionstest weiter. Er ist als "Goldstandard" der Dif-
Diabetes insipidus noch nicht maximale Mengen ferentialdiagnostik der Polyurie/Polydipsie anzuse-
von endogenem ADH sezerniert hat. Ein Defekt hen.
der ADH-Sekretion kann angenommen werden,
wenn exogenes DDA VP die Urinosmolalität um Durchführung:
mehr als 10 o/o nach Dursten stimuliert. Der Durst- • 5 o/oige Kochsalzlösung (855 mmol/1) wird über
versuch ist bei kompletten Störungen valide, hat eine großvolumige Vene, am besten über einen
aber als indirekter Test insbesondere bei partiellen zentralvenösen Zugang mit einer Geschwindig-
Störungen erhebliche Schwächen (sowohl falsch ne- keit von 0,06 ml!kg/min über 2 h infundiert.
gative wie falsch positive Ergebnisse), wie Zerbe und Wenn eine ausreichend kräftige Vene nicht punk-
Robertson zeigen konnten, indem sie die Ergebnisse tiert werden kann, sollte alternativ zur Vene-
des Durstversuchs mit dem direkten Test der ADH- nschonung 3 o/oige Kochsalzlösung über 3 h mit
Sekretion (Kochsalzinfusionstest) verglichen. Ursa- 0,06 ml!kg/min infundiert werden.
chen für die Diskrepanzen sind die Auswaschung • Während des Tests kann das Durstgefühl zu den
der Hypertonizität des Nierenmarks und die Dilata- Blutentnahmezeiten nach einer linearen Durst-
tion der ableitenden Harnwege sowie die erhöhte skala registriert werden. Es wird Plasmaosmolali-
Blasenkapazität bei Patienten mit Polyurie, die bei tät, Serumnatrium und (P)-ADH bei Testbeginn
den Urinsammlungen insbesondere nach Desmo- und Testende bestimmt.
pressin falsche Ergebnisse ergeben können.

• Hickey-Hare-Test. Eine weitere Form des indi-


rekten Tests stellt die Bestimmungen der osmoti-
Durch hypertone Kochsalzlösung steigt die Plasmaos-
molalität theoretisch um etwa 20 mosmol!kg und Se-
rumnatrium um etwa 10 mmol!l an. Als Nebenwir-
D
schen und "Freiwasserclearance" nach Hydrierung kungen treten gelegentlich Schwindelgefühl, Benom-
und unter Infusion 2,5 o/oiger Kochsalzlösung dar menheit und Kopfschmerzen auf, wenn das Serum-
(Hickey-Hare-Test bzw. Carter-Robbins-Test). Die- natrium zu sehr angehoben wird.
ser aufwendige Test erfordert meist eine Katheteri-

Tabelle 8-3. Grenzwerte zur Beurteilung des Durstversuchs. (Nach Miller et al. 1970)

N Mdximale Urinosmolalitat Grenzwerte de~ Urin -


Urinosmolalitat nalh Gabe von ADW osmolaritiltsansticg

mosmollkg

ormal 9 1068 979 (-9%) < 9%

Diabetes insipidus centralis totalis 8 168 445 (183%) > 50%

Diabetes insipidus centralis partialis II 438 549 (28%) > 9 bis < 50%

Diabetes insipidus renalis 2 123 174 (-) < 50%

Psychogene Polydipsie 7 733 780 (5%) < 9%


348 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

Serumnatrium sollte nicht über 155 mmol/1 anstei- • Diagnostischer Therapieversuch mit DDA VP
gen, deshalb ist bei Ausgangswerten über Ein Therapieversuch mit Desmopressin zur Nacht,
145 mmol/1 eine Dosisreduktion der infundierten später auch morgens, zeigt bei Patienten mit Diabe-
Natriummenge angebracht, z. B. um 10 o/o pro tes insipidus centralis eine sofortige Wirkung. Patien-
1 mmol/1 Serumnatriumüber 145 mmol/1. ten mit Diabetes insipidus centralis verspüren sofort
Erleichterung und sind glücklich, weil Polyurie,
(P) ADH steigt der erreichten Natriumkonzentrati- Nykturie, Durst und Polydipsie vergehen, und weil
on entsprechend bei Gesunden auf etwa 3-8 ng/1 sie wieder durchschlafen können.
an. Bei Diabetes insipidus centralis findet sich
kein, beim partiellen Diabetes insipidus ein subnor- Patienten mit primärer Polydipsie verspüren jedoch
maleroder verzögerter Anstieg (Abb. 8-13). Bei pri- keine oder nur wenig Linderung, sie werden u. U.
märer Polydipsie liegt die basale Plasmaosmolalität durch die Wasserretention hyponatriämisch und
oft im unteren Normbereich. ADH steigt auch hier entwickeln ein Hirnödem mit hyponatriämischer
deutlich an, wenn die Plasmaosmolalität auf Enzepahlopathie. Deshalb muss ein Therapiever-
> 300 mosmol!kg stimuliert wird. Patienten mit such gut überwacht werden, am besten stationär
Diabetes insipidus renalis haben basal meist schon mit täglicher Messung von Trinkmenge, Gewicht,
eine hochnormale Plasmaosmolalität mit erhöhtem Urinausscheidung und Serumnatrium.
ADH und weiterem starken Anstieg von (P)-ADH.
Magnetresonanztomographie
• ADH-Bestimmung. ADH kann im Plasma unter
Eine Magnetresonanztomographie sollte immer bei
Einhaltung bestimmter Regeln (eisgekühlte Abnah-
Diabetes insipidus durchgeführt werden. Das MRT
me, schnelle Separation) bestimmt werden. Die In-
ist wesentlich besser als das CT zur Darstellung
terpretation muss jedoch immer in Bezug auf Plas-
der Hypophysen- und Hypothalamusregion geeig-
maosmolalität bzw. Serumnatrium erfolgen. Niedri-
net. Der intakte Hypophysenhinterlappen stellt
ge ADH-Konzentrationen sind nur dann beweisend
sich in der Tl-gewichteten Spin-Echo-Sequenz stets
für einen zentralen Diabetes insipidus, wenn sie am
hyperintens als "hot spot" dar. Regenerate des Hin-
Ende eines Durstversuchs bei einer Plasmaosmolali-
terlappens bzw. ADH-sezernierender Neurone nach
tät von 300 mosmol!kg oder mehr nachgewiesen
Hypophysektomie oder Hypophysenstielabriss las-
wurden.
sen sich gelegentlich im Bereich der Eminentia me-
diana aufgrund ihrer Hyperintensität im Tl-gewich-
teten Bild nachweisen.

16
14 8.2.6
12 Differentialdiagnose
~
.s 10
:I: • Psychogene Polydipsie. Die neurotisch bedingte
0 8
c( Polydipsie (Dipsomanie, Potomanie, psychogene
e
(II
6 Polydipsie) ist gelegentlich mit anderen neuroti-
"'
(II
0:: 4
schen Störungen, z. B. Essstörungen verbunden.
Frauen sind häufiger betroffen. Patienten geben ge-
2 legentlich auf Nachfrage an, dass sie aus einem be-
0 stimmten Grund trinken, z. B. um den Körper zu rei-
240 260 280 300 320 nigen oder "durchzuspülen". Patienten mit Diabetes
Plasmaosmolalität [mosmollkg] insipidus haben immer eine Nykturie, Patienten mit
neurotischer Polydipsie oft nicht. Während Patien-
Abb. 8-13. Ergebnisse zwei er Kochsalzinfusionstests mit
ADH-Bestimmung bei einer Patientin mit Diabetes insipidus ten mit Diabetes insipidus morgens meistens etwas
centralis partialis. Die gefüllten Kreise stellen den Normalbe- unterhydriert sind und ihre Plasmaosmolalität um
reich des Labors dar. Der Kochsalzinfusionstest wurde 2-mal 300 mosmol/kg liegt, ist sie bei Patienten mit Poly-
im Abstand von 8 Monaten durchgeführt. Es zeigt sich, dass
die Schwellenosmolalität für die ADH-Freisetzung bei beiden dipsie meist leicht erniedrigt. Bei psychogener (neu-
Tests deutlich zu höheren Werten verschoben ist, bei normaler rotischer) Polydipsie wird eine psychotherapeuti-
ADH-Reserve. Die Schwellenosmolalität für die Auslösung des sche Behandlung empfohlen. Die Prognose ist gün-
Durstgefühlslag bei etwa 290 mmol!kg, d. h. die Patientin hatte
zumeist Durst und regulierte die Plasmaosmolalität, die im stig.
oberen Normbereich lag, in erster Linie über Durst und Trin-
ken und nur bei höheren Plasmaosmolalitäten über eine ADH-
Sekretion und renale Wasserkonservierung
8.2 ADH-Mangel (Diabetes insipidus) 349

• Primäre Polydipsie (Hyperdipsie) Die primäre das Durstgefühl beeinträchtigt ist oder eine ausrei-
Polydipsie (Hyperdipsie) bei organisch~n Läsi~nen chende Flüssigkeitszufuhr nicht möglich ist.
im Bereich des Durstzentrums, z. B. bei Sarkmdose
oder Encephalitis, ist eine Rarität.
Medikamente und verschiedene Applikationsmodi
• Desmopressin, enterale und nasale Applikation.
• Hypernatriämie. Bei Hypernatriämie muss diffe-
Bei Patienten mit Diabetes insipidus centralis ist in-
rentialdiagnostisch ein Diabetes insipidus hypersa-
tranasales Desmopressin Medikament der Wahl
laemicus ausgeschlossen werden. Wesentlich häufi-
(DDA VP: 1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin,
ger sind allerdings allein nichtausgeglichene inse~­
Minirin). DDAVP bindet nur an den antidiureti-
sible Wasserverluste über Lunge und Haut soWie
schen V2-AVP-Vasopressinrezeptor und hat deshalb
über Nieren und Darm (normal > 1 1/Tag) Ursache
keine pressorischen Nebenwirkungen. Bedingt
einer Hypernatriämie können sein:
durch die fehlende a-Aminogruppe weist DDA VP
• Fieber, auch im Vergleich zu AVP (s. unten) eine deutlich
• Hyperventilation,
verlängerte Halbwertszeit (ca. 2-3 h) auf. ~DAVP
• Schwitzen, ist in Deutschland in mehreren Zubereitungen
• Verbrennungsverletzungen und
(100 J..Lg/ml) erhältlich (s. nachfolgende Übersicht).
• osmotische Diurese (z. B. bei Glykosurie).
Die Bioverfügbarkeit nach intranasaler Gabe beträgt
etwa 10 o/o und nach oraler Gabe 1 o/o. 20 J..Lg DDA VP
Insbesondere Säuglinge oder ältere und kranke bett-
intranasal, 1 J..Lg DDA VP i. v. und 400-600 J..Lg oral
lägerige Patienten sind bei Flüssigkeitsverlusten h~­
verhalten sich klinisch etwa gleichwertig, allerdings
pernatriämiegefährdet, denn sie können of~ aus .ei-
mit großen individuellen Schwankungen. Die anti-
gener Kraft nicht mehr ausreichend Flüs~igkelt zu SI~h
diuretische Wirkung einer intranasalen Gabe von
nehmen. Außerdem ist bei älteren Patienten oft die
10-20 J..Lg hält ungefähr 10 h an, bei manchen Patien-
renale Konzentrationskapazität eingeschränkt. Die
ten aber auch deutlich länger (bis 24 h). Die Dosie-
Hypernatriämie in obigen Fällen ist meist mit einem
rung kann deshalb im Einzelfall nicht vorausgesagt
Volumenmangel im Sinne einer hypertonen Dehy-
werden. Die Wirkdauer beim jeweiligen Patienten
dratation (Leitsymptom: orthostatische Hypotensi-
kann leicht anhand des Wiederauftretens von hypo-
on) verbunden. Die seltene iatrogen induzierte Hy-
toner Polyurie und Polydipsie festgestellt werden.
pernatriämie wird z. B. durch Infusion hypertoner
Bei einer Dosierung von 2-mal1 Hub reicht ein Do-
Kochsalzlösung verursacht. Die Niere besitzt zwar
sierspray maximal 25 Tage. Die Rhinyle, ein
eine große Kapazität zur Ausscheidungvon Na+ (ma-
Schläuchchen, mit dem eine kleine Menge der Sub-
ximales Konzentrationsvermögen bis 300 mmol/1),
stanz aufgezogen und dann in ein Nasenloch gebla-
die komplette Natriumausscheidung wird jedoch
sen werden kann, hat den Vorteil, dass damit genau-
erst nach einer Verzögerung von mehreren Stunden
er und geringer dosiert werden kann (0,025 bzw.
erreicht. Auch hyperosmolare Lösungen oder Pro-
0,05 ml entsprechen 2,5 bzw. 5 J..Lg). Für den Geb.rau~h
teinkonzentratekönnen über die osmotische (Harn-
bei Kindern und Säuglingen kann DDA VP weiter m
stoff-)Diurese zu einer Hypernatriämie führen.
physiologischer Kochsalzlösung verdünnt werden.
Ein Diabetes insipidus bei parenteral ernährten Pa-
tienten oder postoperativ kann intramuskulär mit
8.2.7
2 J..Lg Desmopressin (lh Ampulle Minirin) 1- bis 2-
Therapie mal pro Tag behandelt werden. Schwangerschaft
und Laktation sind keine Kontraindikation für the-
Medikamentöse Therapie
rapeutische "Substitutionsdosen" von DDA VP.
Allgemeine Richtlinien .
Die Behandlung des Diabetes insipidus muss Sich an In Deutschland erhältliche Desmopressin-
dessen Ursache und Ausprägung orientieren. Pa- zubereitungen (pernasal 100 J..Lg/ml)
tienten mit langjährigem mildem (partiellen) Diabe-
tes insipidus centralis benötigen nicht immer eine • Minirio mit Rhinyle (250 J..Lg in 2,5 ml, Nasen-
medikamentöse Therapie. Viele Patienten, insbe- schlauch, Feindosierung möglich)
sondere mit familiärem zentralen Diabetes insipi- • Minirio-Dosierspray (500 J..Lg in 5 ml)
dus haben sich an die gesteigerte Trinkmenge ge- • Minirio Rhinetten (a 0,2 ml)
wöhnt. Manche Patienten tolerieren auch, dass sie • Minirio parenteral (i. m., i. v., s. c., 4 J..Lg/ml)
u. U. 1-2mal pro Nacht aufstehen müssen. Eine Be- • Minirin-Tabletten (0,2 mg)
handlung mit DDA VP ist absolut indiziert, wenn e DDAVP-Tabletten (0,1 mg)
eine hypertone Dehydratation droht, z. B. wenn
350 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

• Genuines AVP, parenterale Substitution. Genui- vor angesprochene Kontrollen zur frühzeitigen Er-
nes AVP ist in einer parenteralen Form erhältlich: fassung einer Überwässerung oder Hypernatriämie.
• als Präparat mit kurzer Wirkungsdauer (Pitres- Regelmäßige (wöchentliche) Kontrollen von Serum-
sin, 1 ml enthält 20 I.E. Argenin-Vasopressin). Da- natrium sind bei diesen Patienten unerlässlich.
bei werden 5 bis maximal10 I.E. AVP bei Erwach-
senen i.m. oder s.c. gegeben.
Nebenwirkungen
Sehr selten kommt es unter DDA VP zu Bauch-
• Nicht-AVP-Derivate. Die früher gelegentlich in
krämpfen und lokalen Reaktionen an der Nasen-
der Behandlung des Diabetes insipidus aufgrund
schleimhaut (Perfusionssteigerung). Gewichtszu-
von Antikörperbildung und allergischen Reaktionen
nahme, Übelkeit, Schwindel, Müdigkeit, Kopf-
gegen Hypophysenhinterlappenextrakt durchge-
schmerzen und Krämpfe sind Hinweise auf eine Hy-
führte (gering wirksame) Therapie mit Carbamaze-
ponatriämie, die auftreten kann, wenn ein Patient
pin (400-600 mg/Tag), Clofibrat (4-mal 500 mg/
mit einer primären psychogenen oder organischen
Tag) oder Chlorpropamid (200-500 mg!Tag) ist
Hyperdipsie mit DDA VP behandelt wird, mit
seit der Einführung von DDA VP obsolet. Chlorpro-
DDAVP überdosiert wird oder nach Gabe von
pamid ist ein Sulfonylharnstoffderivat und orales
DDAVP zu viel trinkt.
Antidiabetikum mit geringgradiger ADH-antagoni-
stischer Wirkung. Die Substanz führt interessanter-
weise bei Langzeitapplikation zu einer geringgradi- Patientenschulung
gen Hochregulation der Vasopressinrezeptoren und Die überwiegende Mehrzahl der Patienten mit Dia-
damit zu einer vermehrten Aktivierung der ADH-in- betes insipidus lässt sich problemlos behandeln.
duzierbaren Adenylatzyklase. Eine "Schulung" ist bei permanentem Diabetes insi-
pidus allerdings zu empfehlen, insbesondere weil es
sich um eine Erkrankung handelt, die den Patienten
Einstellung und Therapiekontrolle lebenslang begleitet. Viele Patienten haben einen
Im Allgemeinen beginnt man bei Erwachsenen mit enormen "Wissensdurst" und fühlen sich erst sicher,
DDAVP-Dosierspray in einer niedrigen Dosis, z. B. wenn sie die zugrunde liegende Krankheit und die
1 Hub oder 0,1 ml zur Nacht (ca. 10 ).lg), da es für Regulationsmechanismen "verstanden" haben.
die meisten Patienten am wichtigsten ist, nachts wie- Aber es gibt auch medizinische Gründe für eine
der durchschlafen zu können. Der Patient sollte Schulung, denn passagere Elektrolytentgleisungen
auch daraufhin gewiesen werden, in den ersten treten häufiger als angenommen auf und lassen
3 h nach DDAVP-Einnahme keine großen Mengen sich durch richtige Reaktion verhindern. Schulungs-
zu trinken (z. B. Bier). Je nach Wirkung kann mor- inhalte sind in der folgenden Übersicht wiedergege-
gens oder mittags eine 2. Dosis DDA VP zugegeben ben.
werden. Normalerweise gibt es bei erhaltenem
Durstgefühl keinen Grund, die Flüssigkeitsaufnah- Schulungsinhalte bei an Diabetes insipidus
me zu kontrollieren, außer zu Beginn der Therapie, Erkrankten
um eine Überwässerung zu vermeiden. In den ersten
Wochen sollte das Körpergewicht täglich kontrol- • Prinzip der Regelung der Natriumkonzentration
liert werden, auch für die Langzeittherapie ist das durch Wasserzufuhr und -ausscheidung
regelmäßige Wiegen eine gute Kontrollmöglichkeit • Symptome einer Hypo- und Hypernatriämie
bei unsicheren Patienten. Serumnatrium sollte im • Wertigkeit der Kontrollparameter wie
ersten Therapiemonat wöchentlich überwacht wer- Gewicht
den, später in größeren Abständen, z. B. alle Serum-Na+
3-6 Monate. Gelegentlich sind sich die Patienten un- Urinkonzentration (Farbe, spez. Gewicht)
sicher, ob sie noch wirklich ein Durstgefühl haben. Durstgefühl
In diesen Fällen sollte die Desmopressindosis zu- • Verhalten in besonderen Fällen.
nächst reduziert werden.

• Diabetes insipidus hypersalaemicus. Patienten Ein Verweis auf Selbsthilfegruppen hilft vielen Pa-
mit Diabetes insipidus hypersalaemicus müssen zu- tienten weiter. Im deutschsprachigen Raum bietet
sätzlich zur DDA VP-Therapie zu einer regelmäßigen das Netzwerk Hypophysen- und Nebennierener-
Wasseraufnahme, evtl. mit Dokumentation von Ein- krankungen, 91054 Erlangen, Waldstraße 34, mit
fuhr, Ausfuhr und Gewicht angehalten werden. Wir seinen regionalen Gesprächsgruppen, diagnosespe-
verordnen meist bei konstanter DDAVP-Dosierung zifischen Gesprächskreisen (auch Diabetes insipi-
eine konstante Trinkmenge von 1,5-21/Tag und zu- dus) und Abhaltung von Hypophysen-Nebennie-
8.3 ADH-Resistenz 351

§
ren-Tagen eine Anlaufstelle. Das Netzwerk ist auch Bei zu schneller Korrektur der extrazellulären Hy-
unter http://www. uni-erlangen. de/glandula er- pertonizität kommt es zu einem Einstrom von Was-
reichbar. ser nach intrazellulär und als Folge zu einem Hirn-
ödem mit Krampfanfall, insbesondere, wenn mit
DDAVP eine Antidiurese bewirkt worden ist. Um
Grad der Behinderung (GdB) und Minderung
dies zu vermeiden, wird nur eine vorsichtige Korrek-
der Erwerbsfähigkeit (MdE)
tur bis in den oberen Normalbereich von Serumna-
Auch in den neuesten "Anhaltspunkten für die ärzt-
trium mit einer Geschwindigkeit von 0,5-1 mmol!h
liche Gutachtertätigkeit", herausgegeben vom Bun-
empfohlen.
desarbeitsministerium, sind Vorschläge für die Ein-
stufung des Grades der Behinderung (GdB) bzw. für
Die Menge an freiem Wasser, die näherungsweise
die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für
zur Korrektur erforderlich ist, kann unter der An-
"Diabetes insipidus centralis" nicht enthalten. In
nahme eines konstanten Gesamtkörperwassers
Analogie zur Bewertung des Diabetes mellitus, der
(TBW) von 60% nach der folgenden Formel abge-
mit Sulfonylharnstoffen und Diät ausreichend be-
schätzt werden.
handelt ist, wird als "Anhaltspunkt" 10-20%
MdE/GdB vorgeschlagen. Bei dem sehr belastenden
Wasserkorrekturbedarf = (TBW · aktuelles Serum-
Diabetes insipidus hypersalaemicus, der täglicher
natrium I gewünschtes Serumnatrium) - TBW
und regelmäßiger Kontrolle bedarf, wird als "An-
haltspunkt" 30-50% vorgeschlagen. Bei einem 70 kg schweren Patienten mit einem Se-
rumnatrium von 165 mmol/1 müssen danach zur
Korrektur auf 150 mmol/1 etwa 3,8 1 freies Wasser
8.2.8 (5 o/oige Glukose) infundiert werden. Bei einer ange-
Notfall strebten Korrekturrate von 0,75 mmol!h sind dies
etwa 4 l/24 h.
Bei unbehandeltem Diabetes insipidus, insbesonde-
re beim potenzielllebensbedrohlichen Diabetes in-
sipidus hypersalaemicus kann sich eine hypertone
8.3
Dehydratation entwickeln. Die Hypernatriämie be-
ADH-Resistenz
wirkt ein Schrumpfen der Gehirnzellen mit in der
folgenden Übersicht wiedergegebener neurologi-
Man kann zwischen angeborener und erworbener
scher Symptomatik.
Endorganresistenz gegenüber ADH unterscheiden.
Zwei verschiedene angeborene Ursachen sind heute
Neurologische Symptomatik bei hypotoner
bekannt.
Dehydratation

• Somnolenz
8.3.1
• Verwirrtheit
Angeborener Diabetes insipidus
• Muskelkrämpfe
• Kollaps X-chromosomaler Diabetes insipidus
• Durstfieber bei Säuglingen
Zahlreiche Mutationen im Vz-AVP-Rezeptorgen be-
wirken den X-chromosomal rezessiv vererbten Dia-
betes insipidus renalis (nephrogener Diabetes insipi-
Therapie dus, NDI). Die Erkrankung betrifft nur Knaben und
Die Behandlung der hypertonen Dehydratation be- Männer. Konduktorinnen können gelegentlich in
steht in der vorsichtigen Zufuhr freien Wassers, z. B. geringerem Ausmaß polyurisch und polydiptisch
durch Infusion 5 o/oiger Glukoselösung. Bei Volu- sein, was auf eine vermehrte (einseitige) X-chromo-
mendepletion (orthostatische Hypotension) wird somale Inaktivation des gesunden Allels zurückge-
zusätzlich zu 5 o/oiger Glukose 1 : 1 mit physiologi- führt wird.
scher Kochsalzlösung behandelt, bis sich die hämo-
dynamische Situation stabilisiert hat. Bei Verdacht • Klinik. Klinisch bedingt die unbehandelte Er-
auf einen zentralen Diabetes insipidus wird auch krankung bei Kindern eine Hypernatriämie und Hy-
DDAVP eingesetzt. Die Korrektur der Hypernatri- perthermie. Die fast immer nachweisbare mentale
ämie muss jedoch langsam geschehen. Retardierung ist vermutlich durch mehrmalige Epi-
soden von unbemerkter Dehydratation vor Diagno-
sestellung in frühester Kindheit bedingt. Typisch für
352 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

das "Durstfieber" ist, dass es im Gegensatz zum Fie- • Verschiedene Erkrankungen


ber bei Entzündungen meist am Morgen am höch- Amyloidase
sten ist. Sarkoidase
Multiples Myelom
• Verlauf. Wenn die Erkrankung frühzeitig ent- Sjögren-Syndrom
deckt und behandelt wird, ist die mentale Entwick- Schwangerschaft
lung normal. Ob dies auch für die Dilatation der ab- • Medikamente
leitenden Harnwege gilt, ist fraglich. Lithium
Phenytoin
• Diagnostik. Auch die extrarenalen V2-AVP-Re- Alkohol
zeptoren sind von der Mutation betroffen. Dies lässt Demeclocyclin
sich in einer abgeschwächten oder fehlenden Reak- Kolchizin
tion auf i. v.-injiziertes Desmopressin nachweisen: Gentamycin
Normalerweise kommt es nach Injektion von 4!lg Amphoterkin
Vasopressin zu einer Vasodilatation im Bereich Noradrenalin
der Gefäße der Arme und zu einem Anstieg von Ge- Röntgenkontrastmittel
rinnungsfaktoren, wie dem "von Willebrandt-Jür- osmotische Diuretika
gens-Faktor". Diese Effekte bleiben bei Mutationen Furosemid
im Vz-AVP-Rezeptor aus oder sind stark abge-
schwächt.
Lithium bewirkt beispielsweise eine Polyurie, indem
Autosomal-rezessiver Diabetes insipidus es zu einer Abnahme der ADH-abhängigen Insertion
Es wurden wenige Familien mit renalem Diabetes in- von Wasserkanälen (Aquaporin 2) in die luminale
sipidus beschrieben, die auf DDA VP mit einer nor- Zellmembran der Prinzipalzellen führt. Dadurch
malen fibrinolytischen und Vasodilatatorischen Ant- wird weniger Wasser aus dem Sammelrohr reabsor-
wort reagierten. Dies ließ an eine auf Sammelrohr- biert.
zellen beschränkte Postrezeptorstörung denken. Auch eine Hypokaliämie- oder Hyperkalzämie-
Kürzliche Untersuchungen des AQP-2 Gens konn- induzierte Einschränkung der renalen Konzentrati-
ten Mutationen bei diesen Familien nachweisen. Kli- onskapazität scheint über eine Abnahme von AQP-2
nisch lassen sich die beiden Patientengruppen nicht verursacht zu sein.
voneinander unterscheiden, bis auf die Tatsache, Der Vasopressin-"Escape", d. h. die Abnahme der
dass Frauen wie Männer betroffen sind. Wirkung von ADH bei kontinuierlicher ADH-Erhö-
hung oder Langzeitgabe von ADH geht ebenfalls mit
einer Abnahme von AQP-2 einher.
8.3.2 Demeclocyclin bewirkt einen Diabetes insipidus
Erworbener Diabetes insipidus renalis renalis über Inhibition der ADH-induzierbaren Ade-
nylatzyklase.
Weitaus häufiger als der kongenitale Diabetes insi- Der ADH-Effekt an der Niere ist ebenfalls dann
pidus renalis ist die erworbene Form. Der erworbene abgeschwächt, wenn das hypertone Nierenmark
Diabetes insipidus kann, wie aus der Übersicht her- durch übermäßiges Trinken (z. B. bei psychogener
vorgeht, eine Vielzahl von Ursachen haben. Polydipsie) ausgewaschen ist.
Auch in der polyurischen Phase der akuten tubu-
Ursachen, des erworbenen Diabetes insipidus lären Nekrose ist die medulläre Hypertonizität her-
renalis abgesetzt und damit die ADH-induzierte Rückdiffu-
sion von Wasser vermindert.
• Chronische Nierenerkrankungen
Pyelonephritis
Fortgeschrittene Niereninsuffizienz 8.3.3
Zystennieren Therapie
• Elektrolytstörungen
Hypokaliämie • Diuretika vom Thiazidtyp oder Amilorid. Thera-
Hyperkalzämie peutisch wirksam sind Diuretika vom Thiazidtyp
• Diätstörungen oder Amilorid bzw. eine Kombination beider Sub-
Exzessive Wasseraufnahme stanzen. Durch die initial vermehrte Natriumaus-
Niedrige Kochsalzaufnahme scheidung wird das Extrazellulärvolumen vermin-
Niedrige Proteinaufnahme dert. Dies bedingt einen Abnahme der GFR und
8.4 Das Syndrom der inappropriaten (inadäquaten) Überproduktion von ADH (SIADH) 353

eine erhöhte proximale Resorption von Salz und Eutope ADH-Sekretion


Wasser, sodass der distale Wasserzufluss schließlich Wenn das SIADH durch eine vermehrte eutope
abnimmt. Somit gelangt weniger Wasser in die unter ADH-Sekretion aus dem Hypothalamus bedingt
Kontrolle von ADH stehenden Sammelrohre und es ist, liegt dies vermutlich an einer Stimulation bzw.
wird weniger Urin ausgeschieden. Dysinhibition von magnozellulären Neuronen
durch verschiedene neurale Reize bzw. Neurotrans-
• Indometacin. Als therapeutisch effektiv hat sich mitter. Hieran ist vermutlich die Inhibition der ma-
auch der Prostaglandinsynthesehemmer Indometa- gnozellulären Neurone durch Baro- und Volumen-
cin in einer Dosis von 50 mg alle 8 h erwiesen. Die rezeptoren wesentlich beteiligt. Barorezeptoren und
renale Prostaglandin-EiPGE2)-Synthese wird bei Volumenrezeptoren liegen im Thorax im Bereich
nephrogenem Diabetes insipidus vermehrt stimu- von Aorta, großen Gefäßen und Vorhof. Ihre Signale
liert, bedingt durch Aktivierung von V1-AVP-Rezep- werden über den 9. und 10. Hirnnerv über den Hirn-
toren an Nierengefäßen über erhöhte ADH-Spiegel. stamm an den Hypothalamus weitergeleitet. Diese
PGE 2 vermindert die antidiuretische Wirkung von im Vergeich zur Osmoregulation anatomisch diffus
ADH indem es die basale und ADH-induzierte verteilte Volumen- und Barorezeptorregulation von
cAMP-Synthese inhibiert. Es drosselt die Resorption ADH macht letzere vermutlich anfälliger für Störun-
im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife und gen. Jede Unterbrechung der Volumenrezeptoraffe-
führt als Vasodilatator zu einem gesteigerten medul- renzen in Thorax oder ZNS bedingt eine Abnahme
lären Blutfluss. Indometacin vermindert die Kon- der tonischen ADH-Inhibition und damit eine ver-
zentration von PGE 2• Azetylsalizylsäure ist bei mehrte Sekretion von ADH. Zahlreiche zentralner-
NDI allerdings wirkungslos. vös wirkende Medikamente sowie Tumoren, Infek-
Keine der obigen therapeutischen Methoden tionen, Trauma und Krankenheiten im Bereich von
führt zu einer Urinosmolalität, die die Plasmaosmo- Thorax und ZNS können so ein SIADH auslösen.
lalität übersteigt. Der therapeutisch induzierbare Eine primäre orthotope Überproduktion z. B. als
Anstieg der Urinosmolalität von z. B. 50 auf Folge eines genetischen Defekts ist nicht bekannt.
200 mosmol!kg kann aber u. U. die zur Exkretion
der harnpflichtigen Substanzen benötigte obligatori- Ektope ADH-Sekretion
sche Urinmenge von z. B. 10-121 auftolerable 3-41 Ein typisches SIADH liegt bei paraneoplastischer ek-
pro Tag reduzieren und damit helfen, die Dilatation toper ADH-Sekretion aus einem kleinzelligen Bron-
der ableitenden Harnwege zu vermeiden. chialkarzinom vor (s. Übersicht). Die vermehrte Se-
kretion von ADH führt zur Antidiurese und zur Hy-
ponatriämie, wenn dieWasserzufuhr die Wasseraus-
Überfunktion scheidung über einen längeren Zeitraum übersteigt.

Ursachen des SIADH


8.4
Das Syndrom der inappropriaten (inadäquaten) • Ektope ADH-Synthese
Überproduktion von ADH (SIADH) Maligne Erkrankungen z. B. kleinzelliges Bron-
chialkarzinom, Pankreaskarzinom, Lymphosar-
Das klassische "Syndrom der inappropriaten ADH- kom, M. Hodgkin, Thymom, Duodenalkarzinom.
Sekretion" (SIADH) wurde als Ausschlussdiagnose e Orthotope ADH-Synthese
von Bartter und Schwartz (1967) definiert. Ein Zerebrale Ursachen, wie Schädelfraktur, Sub-
SIADH im ursprünglichen Sinn liegt vor, wenn an- arachnoidalblutung, Hydrozephalus, Zentralve-
dere Ursachen der Hyponatriämie ausgeschlossen nenthrombose, Hirnatrophie, Enzephalitis, Me-
werden können, d. h. wenn ningitis
• keine Hypovolämie, Medikamentös bedingt bei Carbamazepin, Neu-
• keine mit Ödemen einhergehende Erkrankung, roleptika, Antidepressiva, Vincristin
• keine endokrine Dysfunktion, einschließlich Sonstige Ursachen z. B. Stress, Schmerzen, Übel-
einer primären oder sekundären Nebennierenin- keit, Alkoholentzug, Kater, akute Psychosen, se-
suffizienz und Hypothyreose und kundäre Nebenniereninsuffizienz, Hypothyreose,
• kein Nierenversagen besteht sowie PEEP-Beatmung
• keine Medikamente, die die Wasserausscheidung • Ektope und orthotope ADH-Synthese
beeinflussen können, eingenommen wurden. Nichtmaligne Lungenerkrankung z. B. TBC, Sar-
koidose, Abszess, Kavernenbildung, Staphylo-
Die Quelle des ADH-Exzesses kann sowohl ektop als kokkenpneumonie
auch eutop (hypothalamisch) sein.
354 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

Erweiterte Definition des S/AOH


8.4.2
Die inadäquate {"inappropriate") ADH-Sekre~ion
Pathogenese
im erweiterten Sinne kann als erhöhtes bzw. mcht
entsprechend (adäquat) supprimiertes ADH trotz
Die vermehrte Freisetzung von ADH führt zur Anti-
Hyponatriämie und milder (arterieller)_ Hyper_volä-
diurese und Ausscheidung eines konzentrierten
mie oder Euvolämie definiert werden. Dte erwetterte
Urins. Wird mehr Wasser getrunken als ausgeschie-
Definition stellt die klinischen und laborchemischen
den, so kommt es zu einer Gewichtszunahme und
Charakteristika des SIADH in den Vordergrund.
Verdünnungshyponatriämie. Nach einigen Tagen
Diese gleichen sich bei der Hyponatriämie bei se-
erreichen Körpergewicht und Serumnatrium ein
kundärer Nebenniereninsuffizienz (ADH-Entzüge-
neues Gleichgewicht. Als Folge der Volumenexpan-
lung aufgrunddes Wegfalls der Cortisol-inhib~eren­
sion tritt eine Natriurese auf. Die Hyponatriämie
den Wirkungen), bei der medikamentös-induzterten
wird durch Aktivierung natriuretischer Mechanis-
Hyponatriämie (Psychopharmaka) und bei der Hy-
men weiter verstärkt. Dazu gehören eine Suppressi-
ponatriämie aufgrund einer ektopen ADH-Sekre-

1
on von Renin und Aldosteron und eine Abnahme
tion aus einem Bronchialkarzinom.
der proximalen tubulären Natriumreabsorption.
Auch das atriale natriuretische Peptid (ANP) ist
Diese erweiterte Definition darf aber nicht dazu ver-
durch die Hypervolämie erhöht. Die Patienten
~ leiten, eine Wasserrestriktion therapeutisc~ d_ort
sind leicht hypervolämisch, haben jedoch bedingt
v einzusetzen, wo primär eine Hormonsubstltutwn
durch die Natriurese einen potenziellen Volumen-
oder ein Weglassen von Medikamenten sinnvoller
mangel, d. h. der Gesamtbestand an Natrium ist ver-
wäre.
mindert, was sich nach Therapie durch Wasserre-
striktion bemerkbar machen kann. In Abb. 8-14
Das SIADH wird in größeren Kliniken etwa 1-mal
sind 3 typische Beziehungen zwischen ADH und
täglich bis 1-mal wöchentlich gesehen. Die Prävalenz
Plasmaosmolalität nach einem osmotischen Stimu-
ist vermutlich höher, aber die zur Erkennung not-
lus bei SIADH zusammengefasst. Etwa 40 o/o der Pa-
wendige Hyponatriämie benötigt zur Entstehung
tienten zeigen eine unregulierte Fluktuation erhöh-
auch eine relativ zur Urinausscheidung vermehrte
ter ADH-Spiegel unabhängig von osmotischen (und
Trinkmenge.
nichtosmotischen Stimuli). Etwa 1/3 der Patienten
zeigt eine erniedrigte osmotische Schwelle f~r.. die
ADH-Freisetzung. Bei höheren Plasmaosmolahtaten
8.4.1
zeigt sich jedoch eine normale Korrelation von AJ?H
Fallpräsentation
und Plasmaosmolalität. Diese Patienten können th-
ren Urin maximal verdünnen, wenn sie ausreichend
Ein 60-jähriger Patient wurde wegen Appetit- hyponatriämisch sind. Eine dritte Gruppe von Pa-
losigkeit und Abgeschlagenheit vorgestellt. Am-
bulant war eine Hyponatriämie von 120 mmol/1
aufgefallen. Der Patient hatte im vorherigen Mo- 8
nat 3 kg an Gewicht verloren. Die Anamnese er- 7
gab einen Nikotinabusu , die körperliche Un_te_r-
suchung war völlig unauffällig. Serumkreatmm
und Serumharnsäure waren niedrig normal. Ein ADH 4
6
5 ....
Röntgen des Thorax in 2 Ebe~e~ war ~auffäl ­ ng/1)
3
lig. Nach Wasserrestriktion m1t emer Tnnkmen-
2
ge von zunächst 800 ml, dann 1 I/Tag gelang _es,
das Serumnatrium in den unteren Normberetch o +-~~-L~~~~~;--------.---
anzuheben. Der Patient fühlte sich wesentlich
240 260 280 300
besser. Ein CT der Lunge zeigte eine etwa Osmolali tät [mosmol/kQ]
2,5 cm große hilusnahe Struktur. Die Bronc~o­
Abb. 8-14. Typen des SIADH im Kochsalzinfusionst~st. Bei
skopie bestätigte den Befund. Es handelte s1ch der unregulierten ADH-Freisetzung (Typ_ a) besteht_ keme Be-
histologisch um ein kleinzelliges Bronchialkar- ziehung zur Plasma-Osmolalität. Typ b 1st durch _eme he~ab­
zinom. gesetzte Schwellenosmolalität geken~ze1chnet. Be1 Typ ~ ~asst
sich die ADH-Sekretion durch niednge Plasmaosmolahtaten
nicht supprimieren, währen.d A~H durch h?here Natrium-
konzentrationen normal stJmuherbar 1st. Eme Zuordnung
der Typen zu bestimmten Krankheitsbildern lässt sich nicht
herstellen
8.4 Das Syndrom der inappropriaten (inadäquaten) Überproduktion von ADH (SIADH) 355

tienten (etwa 20 %) zeigt trotz niedriger Plasmaos- • Reizbarkeit, später Unkooperativität und Ver-
molalität stets eine geringe ADH-Sekretion, ähnlich wirrtheit bis hin zur Lethargie
einem "ADH-Leck" aus dem Hypothalamus. Die • Muskelkrämpfe
verschiedenen Typen des SIADH lassen sich den • Extrapyramidale Störungen
verschiedenen Ursachen des SIADH nicht eindeutig • Krampfanfälle bis hin zum Koma und Atemstill-
zuordnen. stand.

ADH bei Nebenniereninsuffizienz (NNI)


Die Nebenniereninsuffizienz zeigt große Unterschie- Frühe Symptome der Hyponatriämie bessern sich
de im Volumenstatus, je nachdem, ob sie primär unmittelbar nach Korrektur. Bei der chronischen
oder sekundär ist. Hyponatriämie (> 48 h)normalisiert sich das Hirn-
volumen, sodass sich die klinischen Symptome zu-
• Primäre NNI. Patienten mit primärer Nebennie- rückbilden. Deshalb können Patienten mit erhebli-
reninsuffizienz weisen einen Mangel an Cortisol und cher, aber chronischer Hyponatriämie oft erstaun-
Aldosteron auf und sind deshalb stets hypovolä- lich symptomarm sein.
misch. Die resultierende hypovolämische Hypo-
natriämie bei primärer Nebenniereninsuffizienz ist
keine Form des SIADH. 8.4.4
Diagnostik
• Sekundäre NNI. Patienten mit sekundärer Ne-
benniereninsuffizienz weisen in erster Linie nur Anamnese und körperliche Untersuchung
zu wenig Cortisol auf. Aufgrund der fehlenden ne- Die Anamnese ist insbesondere zur differential-
gativen Rückkopplung von Cortisol auf die ADH- diagnostischen Einordnung der Hyponatriämie von
Freisetzung kann so unter bestimmten Umständen Bedeutung. Als Ursache des SIADH lassen sich häu-
eine hypervolämische Hyponatriämie wie beim fig Medikamente (Psychopharmaka) identifizieren,
SIADH-Syndrom entstehen. Eine gewisse hämody- und nach anamnestischen Hinweisen auf eine Lun-
namische und renale Komponente (Einschränkung gen- oder ZNS-Erkrankung oder eine Hypophysen-
der GFR und renalen Konzentrationskapazität ohne insuffizienz (Regelanamnese) ist stets zu fahnden.
Cortisol) ist vermutlich auch an der Hyponatriämie Bei SIADH ist die Anamnese häufig auch leer,
bei sekundärer Nebenniereninsuffizienz mitbetei- und mehr durch die jüngsten Beschwerden der Hy-
ligt ponatriämie bestimmt. Im Gegensatz zu fast allen
anderen Formen der Hyponatriämie fehlen beim
SIADH jegliche klinischen Zeichen der Dehydratati-
on. Patienten mit SIADH sind im arteriellen Strom-
8.4.3
gebiet euvolämisch oder leicht hypervolämisch.
Klinik
Periphere Ödeme treten bei Normovolämie auf
der venösen Seite des Gefäßbaums praktisch nie
Symptome und Beschwerden
auf. Patienten mit SIADH haben stets einen norma-
Das SIADH wird klinisch allein durch Symptome der
len (nicht erniedrigten) Blutdruck und Puls, der sich
Hyponatriämie auffällig. Sie hängen von der Schwe-
in Orthostase nicht im Sinne einer Hypovolämie
re der Hyponatriämie und der Geschwindigkeit, mit
verändert. Die Haut und Schleimhäute sind feucht,
der sie sich entwickelt, ab. Die Symptome der akuten
der Hautturgor ist normal, ebenso die Jugularvenen-
Hyponatriämie sind im Wesentlichen durch das
füllung. Der ZVD, falls vorhanden, liegt im Norm-
Hirnödem mit hyponatriämischer Enzephalopathie
bereich. Auch auf endokrine Stigmata, wie Haut-
bedingt und in der folgenden Übersicht wiedergege-
bräunung oder das Fehlen von Axillar- und Scham-
ben.
behaarung, ist zu achten.
Symptome einer akuten Hyponatriämie im
Rahmen einer Enzephalopathie beim SIADH Laborparameter
• Serumwerte. Gute Anhaltspunkte für den Volu-
• Appetitlosigkeit menstatus geben Plasmakreatinin, Plasmaharnsäu-
• Übelkeit, manchmal Erbrechen re und Plasmaharnstoff, die beim SIADH niedrig-
• Kopfschmerz normal oder erniedrigt sind.
• Schwindel
• Gewichtszunahme durch Wasserretention ohne • Urinwerte. Die Urinnatriumexkretion ist trotz
periphere Ödeme Hyponatriämie meist erhöht (> 20 mmol/1).
356 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

Wenn Patienten mit SIADH jedoch natriumarm er- oben schon ausgeführt, systematisch mittels Ana-
nährt wurden oder gleichzeitig aus anderen Grün- mnese, körperlicher Untersuchung und einfachen
den hypovolämisch sind, kann die Urinnatriumex- Laborparametern geklärt werden, ob das (effektive)
kretion auch niedriger als 20 mmol/1 sein. Der arterielle Blutvolumen und/oder das venöse Blutvo-
Urin ist nie maximal verdünnt, d. h. die Urinosmo- lumen erniedrigt bzw. erhöht sind. Auf die Konstel-
lalität ist immer > 100 mosmol!kg). Vielfach ist die lation des SIADH (arterielle Eu- oder Hypervolämie/
Urinosmolalität größer als die Plasmaosmolalität, venöse Euvolämie) wurde oben bereits eingegangen.
dies ist jedoch keine conditio sine qua non für die Viel häufiger ist die Konstellation arterielle Hypo-
Diagnose des SIADH. Die Messung der Urinosmo- volämie/venöse Hypovolämie bei Volumenkontrak-
lalität wird oft als wesentlich für die Diagnose des tion (z. B. Diuretika) oder die Konstellation (effek-
SIADH beschrieben, tatsächlich ist die Urinosmola- tive) arterielle Hypovolämie/venöse Hypervolämie
lität ohne Bedeutung, da bei nahezu allen Fällen von bei dekompensierter Herzinsuffizienz oder Leberzir-
Hyponatriämie ein nicht verdünnter Urin ausge- rhose.
schieden wird. Wichtige Anhaltspunkte für ein erniedrigtes ef-
fektives arterielles Blutvolumen (EABV) sind anam-
Wasserbelastungstest nestische Salz- oder Volumenverluste, z. B. durch
Der Wasserbelastungstest ist nur selten zur Dia- Erbrechen oder Diuretika (das Serumkalium ist
gnose des SIADH notwendig. Er ist unspezifisch dann oft begleitend erniedrigt). Weiterhin liegen
und hat den Nachteil, eine Hyponatriämie bei bei EABV die in der folgenden Übersicht wiederge-
SIADH zu verschlimmern. Der Test beruht auf gebenen Symptome und Laborwerte vor.
der Messung der Ausscheidung von Wasser nach
oraler Wasserbelastung (20 ml Wasser pro kg Kör- Symptome und Laborwerte bei erniedrigtem
pergewicht in 15-20 min per os). Normalerweise "effektivem arteriellem Blutvolumen"
werden im Liegen innerhalb von 5 h 80% der Trink-
menge ausgeschieden. Die Urinosmolalität wenig- • Durst
stens einer Probe, meist der in der zweiten Stunde, • Trockene Schleimhäute
fällt unter 100 mosmol!kg (spez. Gewicht 1005 g!ml). • Blutdruckabfall und Pulsanstieg im Stehen (Or-
Patienten mit SIADH scheiden oft nur 40% der zu- thostasetest)
geführten Menge aus. Vor dem Test muss das Se- • Plasmakreatinin, Plasmaharnstoff sowie Plasma-
rumnatrium durch Wasserrestriktion oder durch harnsäure im oberen Normbereich oder leicht er-
eine andere adäquate Therapie (falls nötig Natrium- höht
gabe) auf 125 mmol/1 angehoben werden. Patienten • Urinnatriumkonzentration niedrig
mit SIADH benötigen nach dem Test eine einge- (meist < 10 mmol/1)
schränkte Trinkmenge, bis das Serumnatrium wie- Klinik bei venöser Hypervolämie
der auf Konzentrationen wie vor dem Test angestie- • Periphere Ödeme
gen ist (> 125 mmol/1). Nachteil des Wasserbela- • Ascites
stungstest ist auch seine geringe Spezifität. Patienten • Gefüllte Jugularvenen
mit einer Hyponatriämie anderer Genese (Leberzir-
rhose, Herzinsuffizienz) zeigen ebenfalls eine gestör-
te Wasserausscheidung. Patienten, die einen niedrig • Diagnostischer Wert der Urinosmolalität. Die
gesetzten Osmorezeptor bzw. ein "downward rese- Messung der Urinosmolalität ist für die Differential-
ting" des Osmostaten haben (SIADH Typ b nach Ro- diagnostik der Hyponatriämie ohne große Bedeu-
bertson), können den Urin bei niedrigem Serumna- tung. Genau wie bei fast allen Fällen von Hyponatri-
trium wieder adäquat verdünnen. Diese Störung, die ämie das antidiuretische Hormon (ADH) mehr oder
bei SIADH häufig gesehen wird, lässt sich durch den weniger stark erhöht ist, so ist auch bei fast allen
Kochsalzinfusionstest mit gleichzeitiger Messung Formen der Hyponatriämie die Urinosmolalität er-
der ADH-Konzentration erfassen. höht (bzw. der Urin nicht maximal verdünnt) und
der Vergleich der Urinosmolalität mit der Plasmaos-
molalität diagnostisch ohne großen Wert.
8.4.5
Differentialdiagnose • Diagnostischer Wert der Aquaporin-2-Konzen-
tration im Urin. Auch die Aquaporin-2-Konzentra-
Differentialdiagnose der Hyponatriämie tion im Urin ergibt keine zusätzlichen Hinweise, da
Die Differentialdiagnose des SIADH ist die Differen- sie ebenfalls bei verschiedenen Formen der Hypo-
tialdiagnose der Hyponatriämie (Abb. 8-15). Nach natriämie parallel zum ADH erhöht ist, z. B. bei
Ausschluss einer Pseudohyponatriämie muss, wie SIADH oder bei Leberzirrhose.
r
8.4 Das Syndrom der inappropriaten (inadäquaten) Überproduktion von ADH (SIADH) 357

~
Hyponatriämie

EABV erniedrigt: EABV erhöht:


RR onho 'f RR onho ±
Krea + Harnsäure i.S.4 Krea + Harnsäure i. 5. +
I I I

EZV erniedrigt
+
ezv erhöht
(Ödeme)
1
ezv normal
oder leicht erhöh t
(keine Ödeme)

I

renale Verluste
I

extrarenale Verluste
t
Leberzirrhose,
1
SIADH, SIADH im weiteren Sinn:
(Diuretika, Aldosteronmangel, (Erbrechen, Durchfälle, Herzinsuffizienz, Kortisolmangel, Medikamente,
Salzverlustniere, zerebra les Verbrennungen, nephrotisches Schmerzen, Emotion,
Sa lzverlustsynd rom) Pankreatitis etc.) Syndrom Hypothyreose

! I
t t
I
1
Urinnatrium
I
Urinnatrium Urinnatrium
< 10 mmol / 1 >20 mmol/1
I > 20 mmol/1

Abb. 8-15. Differentialdiagnose der Hyponatriämie. Die Be- die Unterteilung und damit die Differentialtherapie. EABV Ef-
stimmung des arteriellen und venösen Volumenstatus sowie fektives arterielles Blutvolumen, EZV Extrazellulärvolumen,
die Urin-Natrium-Konzentration im Spontanurin erlaubt RRortho Blutdruck in Orthostase

Vorgehen in Zweifelsfällen • Hyponatriämie,


Nicht immer gelingt die Zuordnung der Hyponatri- • Natriurese und
ämie zweifelsfrei, was insbesondere bei älteren Pa- • Hypovolämie
tienten der Fall sein kann. Zum Beispiel kann eine bei Patienten mit akuten Hirnerkrankungen. Es
Natriumausscheidung von 50 mmol/1 durch eine wird u. a. bei Patienten mit Subarachnoidalblu-
kürzliche Gabe von Diuretika bedingt oder Folge tungen beobachtet. Die Kenntnis dieses pathoge-
einer zugrunde liegenden renalen Störung sein. netisch noch unklaren Syndroms ist für die Dif-
Im Zweifel sollte der Patient als hypovolämisch an- ferentialtherapie der Hyponatriämie auf der neu-
gesehen werden: rochirugischen Intensivstation erforderlich. Mög-
licherweise liegen Mischbilder von SIADH,
• Probatorische Kochsalzinfusion. Ein diagnosti- gefolgt von Hypovolämie oder auch begleitende
scher Versuch mit physiologischer Kochsalzlösung renal-tubuläre Läsionen vor, die zu einem Salz-
kann weiterhelfen. Kommt es nach Infusion von verlust führen . Trotz Hypovolämie ist a-ANH
physiologischer Kochsalzlösung innerhalb von eini- oft (inadäquat) erhöht. Dies ist möglicherweise
gen Stunden zur Ausscheidung eines verdünnten für die unphysiologische Natriurese mitverant-
Urins und zu einem Anstieg des Serumnatriums, wortlich. Kürzlich wurde auch über erhöhte Kon-
dann bestätigt dies, dass der Patient dehydriert zentrationen von "brain natriuretic hormone"
war und dass physiologische Kochsalzlösung die berichtet. Die bei CSWS erniedrigten Konzentra-
richtige Therapieentscheidung war. tionen von PRA und Plasmaaldosteron wurden
ebenfalls auf ein erhöhtes Plasma-a-ANH zurück-

D Wenn aber nach Kochsalz die Natriumexkretion an-


steigt und das Serumnatrium gleich bleibt oder sogar
geführt.

abnimmt, dann ist die Diagnose eines SIADH anzu-


nehmen.
Entscheidend für die Differentialdiagnose CSWS/
SIADH ist, dass im Gegensalz zum SIADH Patienten
mit CSWS stets hypovolämisch sind (zentraler Ve-
D
nendruck < 5 cm Hß). Eine Wasserrestriktion
Zerebrales Salzverlustsyndrom wäre in diesem Fall nicht die korrekte Therapieent-
Beim zerebralen Salzverlustsyndrom ("cerebral sah scheidung. Patienten benötigen eine Therapie mit
wasting syndrom", CSWS) handelt es sich um das physiologischer oder hypertoner Kochsalzlösung,
gemeinsame Vorkommen von am besten ZVD-gesteuert.
358 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

• Lithiumcarbonat und Demeclocyclin. Eingesetzt


8.4.6
werden Lithiumcarbonat in "antidepressiven" Do-
Therapie
sen (3- bis 4-mal 300 mg/Tag) und Demeclocyclin
(2- bis 4-mal 300 mg/Tag). Die Lithiumwirkung ist
Konservative Therapie
unsicher und mit einer relativ hohen Toxizität be-
• Trinkmengenbegrenzung. Die Basistherapie der
haftet. Bessere Ergebnisse sind mit Demeclocyclin
Hyponatriämie bei SIADH ist die Trinkmengenbe-
erzielt worden (Ledermycin, über die internationale
grenzung auf 0,5-1 1/Tag in Verbindung mit einer
Apotheke zu beziehen). Die Substanz interferiert mit
kochsalzreichen Ernährung. Darunter wird bei vie-
dem antidiuretischen Effekt von ADH.
len Patienten eine negative Wasserbilanz mit einem
Anstieg von Serumnatrium um etwa 1-2 o/o pro Tag
• Harnstoff. Harnstoff (30-60 g in 100 ml Orangen-
erreicht. Aufgrund der Natriurese bei SIADH kann
saft 1-mal/Tag) erhöht ebenfalls die Freiwasserclea-
physiologische Kochsalzlösung die Hyponatriämie
rance.
nur korrigieren, wenn das Plasmavolumen gleichzei-
tig durch Flüssigkeitsrestriktion normalisiert wird.
Ansonsten führt physiologische Kochsalzlösung Therapie der Hyponatriämie
durch Zunahme der arteriellen Hypervolämie sogar Bei der Therapie der Hyponatriämie muss zwischen
zu einer Verstärkung von Natriurese und Hypo- symptomatischer und nichtsymptomatischer Hypo-
natriämie. Die Therapie muss sich orientieren an natriämie bzw. zwischen akuter und chronischer un-
der dem SIADH zugrunde liegenden Erkrankung, terschieden werden. Die Symptomatik bei akuter
an der Symptomatik, an der Geschwindigkeit mit Hyponatriämie ist durch das Hirnödem bedingt.
der sich die Hyponatriämie entwickelt hat sowie
an der Dauer der Hyponatriämie. Nur die symptomatische Hyponatriämie bedarf einer
schnellen Intervention, wobei gilt, dass die Interven-
• Absetzten auslösender Medikamente oder nega- tion umso konsequenter sein sollte, desto schwerer
tiver Einflüsse. Das Absetzen von auslösenden Me- die Symptomatik ist.
dikamenten oder der Austausch von Medikamen-
ten, z. B. Ersatz von Carbamazepin durch Phenytoin Bei SIADH handelt es sich aber meist um eine chro-
(Phenytoin hemmt die ADH-Freisetzung) oder das nische asymptomatische oder nur mild symptoma-
Weglassen einer Beatmung mit positivem endexpira- tische Hyponatriämie, die langsam über mehrere
torischen Druck (PEEP) beseitigt die Störung u. U. Tage entstanden ist. Der Grund für die fehlende
sehr schnell. bzw. milde Symptomatik trotz ausgeprägter Hypo-
natriämie liegt darin begründet, dass sich im Verlauf
• Ausreichende Substitutionstherapie bei anderen der Entwicklung der Hyponatriämie das Hirnödem
endokrinologischen Erkrankungen. Bei klinischem wieder zurückbildet bzw. bei langsamer Entwick-
Verdacht auf eine Hypothyreose oder auf eine se- lung der Hyponatriämie ein Hirnödem erst gar nicht
kundäre oder primäre Nebenniereninsuffizienz ist entsteht. Die Normalisierung des Hirnzellvolumens
eine entsprechende Substitutionstherapie einzulei- geschieht durch Ausschleusung von intrazellulärem
ten (erst Cortisol, dann Thyroxin). Die Diagnostik Kalium und von anderen osmotisch wirksamen Sub-
kann nach Beherrschen der Akutsituation komplet- stanzen (Osmolyten). Es bedarf etwa 48 h einer er-
tiert werden. heblichen Hyponaträmie bis die Zellvolumenregula-
tion das Hirnvolumen wieder normalisiert hat. Ohne
• Kausale Therapie. In seltenen Fällen ist eine kau- die intrazellulären Osmolyte sind die Hirnzellen nun
sale Therapie (z. B. Chemotherapie bei kleinzelligen aber weniger gut in der Lage, plötzliche Anstiege der
Bronchialkarzinomen oder bei entzündlichen Er- Osmolalität des Extrazellulärraums abzupuffern.
krankungen des zentralen Nervensystems) möglich. Dieses hat wichtige therapeutische Implikationen
für die Behandlung mit hypertoner Kochsalzlösung:
Es besteht die Gefahr, dass bei der schnellen und
Medikamentöse Langzeittherapie einer
persistierenden Hyponatriämie bei SIADH überschießenden Korrektur einer chronischen Hy-
ponatriämie, die bereits länger als 48 h besteht,
Einige Patienten lassen sich allein mit Trinkmengen-
begrenzung nicht zufrieden stellend behandeln, sei eine zentrale pontine Myelinolyse entsteht (s. Über-
sicht und unten).
es, dass diese nicht toleriert wird, sei es, das rezidi-
vierend symptomatische Hyponatriämien auftreten.
In diesen Fällen kann neben der Begrenzung der
Trinkmenge eine zusätzliche medikamentöse Thera-
pie sinnvoll sein.
8.4 Das Syndrom der inappropriaten (inadäquaten) Überproduktion von ADH (SIADH) 359

Leitlinien zur Behandlung der Hyponatriämie. und Ausfuhr und initial 2- bis 4-stündlicher Mes-
(Nach Berl 1990) sung von Serumnatrium.

Neurologische Störungen können sowohl Folge • Chronische Hyponatriämie. Die chronische Hy-
einer zu langsamen als auch einer zu schnellen ponatriämie (> 48 h Dauer) ist meist nur mild sym-
Korrektur der Hyponatriämie sein ptomatisch oder asymptomatisch. Es besteht des-
Die Behandlung der Hyponatriämie muss sich halb kein Notwendigkeit für eine schnelle therapeu-
stets an der Schwere der neurologischen Sym- tische Intervention und eine intensive Therapie mit
ptome ausrichten hypertoner Kochsalzlösung bringt oft mehr Schaden
Die Dauer des Bestehens der Hyponatriämie be- als Nutzen:
stimmt die Geschwindigkeit der Korrektur
• Akute symptomatische Hyponatriämie (<48 h be- Bei der überschnellen bzw. überschießenden Kor- ...,
stehend) rektur einer Hyponatriämie mit hypertoner Koch- ~
Das Komplikationsrisiko des Hirnödems ist höher salzlösung, insbesondere bei einer mehr als 48 h be- '-'
als das Komplikationsrisiko einer Behandlung stehenden (und damit "chronischen") Hyponatri-
Gabe von hypertoner Kochsalzlösung (s. Text) bis ämie, bei der das Hirnvolumen bereits wieder nor-
die Krampfanfälle sistieren malisiert ist, kann es zur zentralen pontinen
• Asymptomatische Hyponatriämie Myelinolyse (CPM) mit Entwicklung einer schlaffen
Fast immer chronisch Para- oder Tetraplegie, Dysphagie, Dysarthrie und
Wasserrestriktion (bei SIADH) und salzreiche Koma kommen.
Diät unhhängig vom Ausmaß der Hyponatriämie
• Symptomatische Hyponatriämie (chronisch oder Diese schwerwiegende Störung ist nur partiell rever-
Dauer unbekannt) sibel und führt häufig zum Tod. Ausgelöst wird die
Anheben des Serumnatriums um 10%, das ent- CPM durch ein Schrumpfen sensibilisierter Hirnzel-
spricht etwa 10 mmol/1, danach Wasserrestrikti- len durch schnellen Anstieg der Osmolalität. Dies
on (bei SIADH), dabei bewirkt eine Ruptur der Myelinscheiden und setzt
- die Korrekturrate von 2 mmol!l!h nicht damit die Demyelinisirerung über einen noch nicht
überschreiten geklärten Mechanismus in Gang. Die Demyelinisie-
- Serumnatrium nicht über 120 mmol!l anhe- rung lässt sich in der Kernspintomographie nach-
ben weisen. Als besonders gefährdet gelten unterer-
- Serumnatrium nicht um mehr als 20 mmol/ nährte hypovolämische Alkoholiker mit kombinier-
Tag anheben ten Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hyponatri-
- Kochsalzinfusion beenden, wenn Symptome ämie). Der Schweregrad der Hyponatriämie, die
gebessert Schnelligkeit der Entwicklung, die Dauer des Be-
stehens der Hyponatriämie sowie insbesondere
die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Korrektur
• Akute symptomatische Hyponatriämie. Bei einer der Hyponatriämie sind wesentliche Risikofaktoren
akuten Hyponatriämie mit Hirnödem und schwer- bei der Entwicklung der CPM. Bei Alkoholikern und
wiegenden Symptomen wie Bewusstseinsstörungen unterernährten Patienten ist das Risiko für eine
und Krampfanfällen besteht die Gefahr einer Ein- CPM erhöht, ebenfalls bei einer kombinierten Stö-
klemmung, da sich das Gehirn nur um etwa 8% rung (Hypokaliämie und Hyponatriämie). Bei letze-
in der harten Schädelkalotte ausdehnen kann. Es rer Störung wird empfohlen, primär nur Kalium-
ist deshalb notwendig, das erniedrigte Serumna- chlorid oral zu substituieren, auch wenn diese Pa-
trium durch i. v.-Infusion 3 %iger Kochsalzlösung tienten initialoft Zeichen des Volumenmangels auf-
schnell anzuheben, um das Hirnödem effektiv zu be- weisen. Der Grund ist, dass manche Patienten nach
handeln. Zur wirksamen Behandlung des Hirn- Infusion von 1-2 l physiologischer Kochsalzlösung
ödems ist initial eine schnelle Korrektur um bereits eine positive Freiwasserclearance zeigen.
5-10% des Ausgangsnatriumwertes notwendig. Die vermehrte Wasserausscheidung bewirkt, dass
Serumnatrium viel schneller als erwartet ansteigt.
Sobald sich die Symptomatik bessert oder spätestens
wenn die Natriumkonzentration 120 mmol/1 erreicht
hat, muss die Infusion gestoppt werden.
Zur Vermeidung der Komplikation wird generell
empfohlen: Behandeln nur bis die Symptomatik si-
stiert. Bei milder Symptomatik und chronischer Hy-
D
Die Behandlung solcher symptomatischer Hypona- ponatriämie Begrenzung der Korrekturrate auf
triämien erfolgt optimal auf der Intensivstation un- 0,5 mmol/1/h und maximal auf 120 mmol/1 korrigie-
ter regelmäßiger und genauer Kontrolle von Ein- ren ("begrenzt und kontrolliert" behandeln).
360 KAPITEL 8 Wasserhaushalt

• Zusammenfassende Darstellung der Differential- Angestrebte Korrekturgeschwindigkeit


therapie der Hyponatriämie. Aus den obigen Aus- der Natriumkonzentration [mmol/1/h] ·
führungen geht hervor, dass die Behandlung der Hy- Körpergewicht [kg] = Infusionsrate [ml!h]
ponatriämie stets eine Differentialtherapie unter Be-
Bei einer gewünschten Anhebung der Natriumkon-
rücksichtigung mehrerer Faktoren erfordert. Einige
zentration von 1 mmol/1 innerhalb von 1 h kann so-
Punkte sind noch einmal zusammengefasst:
mit bei einem 70 kg schweren Patienten initial
• Ein hypovolämischer Patient benötigt eine Sub-
3 %ige Kochsalzlösung etwa 70 ml!h gegeben wer-
stitution von NaCl und Wasser (physiologische
den.
Kochsalzlösung), ggf. das Weglassen von Diureti-
Mit einer anderen Formel kann die Natriummen-
ka.
ge abgeschätzt werden, die zur Korrektur eines er-
• Ein eu- bzw. hypervolämischer Patient mit Hypo-
niedrigten Serumnatrium bei einem symptomati-
natriämie (z. B. bei SIADH) benötigt eine Wasser-
schen Patienten auf etwa 120 mmol/1 insgesamt er-
restriktion.
forderlich ist:
e Bei einem Patienten, der im Rahmen einer Hy-
ponatriämie schwere Symptome zeigt (Krampf-
Natriumkorrekturbedarf = (120 - aktuelles Serum-
anfall, Stupor), muss das Serumnatrium durch
natrium) · Gesamtkörperwasser
Kochsalzinfusion schnell angehoben werden, um
weitere Komplikationen des Hirnödems zu ver- Ein 70 kg schwerer Patient mit ca. 42 I Gesamtkör-
hindern. Empfohlen wird 3 %ige Kochsalzlösung perwasser und einem Serumnatrium von 110 mmol/1
mit einer Korrekturrate von 1-2 mmol/1/h, maxi- hat somit ein Defizit von etwa 420 mmol Na+, ent-
male Korrektur bis auf 120 mmol/1/h. Die Be- sprechend etwa 800 ml 3 %ige Kochsalzlösung
handlung muss beendet werden, wenn die Symp- (52 mmol Na+/100 ml). Bei einer angestrebten Kor-
tomatik sich bessert. rekturrate von 1 mmol/1/h kann also bei einem sym-
e Besteht die Hyponatriämie bereits länger als 48 h, ptomatischen Patienten mit einer Initialgeschwin-
ist Vorsicht bei der Korrektur angebracht mit der digkeit von etwa 80 ml!h therapiert werden. Dieser
Frage ob die Symptomatik der Hyponatriämie Wert stimmt mit der nach der oben kalkulierten In-
wirklich eine schnelle Korrektur mit hypertoner fusionsrate annäherungsweise überein. Wichtig ist,
Kochsalzlösung rechtfertigt. das die kalkulierte Gesamtmenge (800 ml 3 %ige
Kochsalzlösung in 10 h) häufig gar nicht benötigt
wird, um die Symptomatik zu bessern. Es sei erneut
Ausblick auf künftige Möglichkeiten -
betont: Dies sind nur Anhaltspunkte für Infusions-
ADH-Antagonisten
geschwindigkeit und Natriumbedarf. Die tatsächli-
Klinisch erprobt in der Behandlung der Hyponatri-
che Infusionsrate muss individuell angepasst wer-
ämie werden z. Z. nicht-peptiderge VrADH-Rezep-
den
torantagonisten (so genannte Aquaretika). Es hat
• 1. an die Entwicklung der Symptomatik und
sich gezeigt, dass sich dosisabhängig ein Diabetes in-
• 2. an den Verlauf der Natriumkonzentration.
sipidus unterschiedlicher Ausprägung einstellen
lässt. Da ADH nahezu bei allen Formen der Hypo-
Letzerer ist nicht immer voraussehbar. Veränderun-
natriämie erhöht ist, könnten die Aquaretika thera-
gen können z. B. durch das spontane Einsetzen einer
peutisch nicht nur bei SIADH, sondern auch bei Hy-
Polyurie eintreten. Deshalb ist bei symptomatischen
ponatriämie aufgrund einer Herzinsuffizienz, einer
Patienten während der Therapie immer eine engma-
Leberzirrhose und eines nephrotischen Syndroms
schige Überwachung erforderlich, vorzugsweise auf
hilfreich sein (Mayinger u. Hensen 1999).
der Intensivstation.

8.4.7 Literatur
Notfall
Arieff AI, Kucharczyk J(1993) Myelinolysis is due to rapid cor-
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Literatur 361

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TEIL n Endokrine Störungen
mehrerer Organsysteme
KAPITEL 9

Komplexe endokrine Störungen 9


A. GRAUER, w. HöPPNER, A. LüRENZ, T. SCHILLING

Unterfunktion 365
9.1 Polyglanduläre Insuffizienz 365 wurde, stellte sich mit entgleister Stoffwechsel-
A. LORE NZ lage erstmalig in der Klinik vor. Die Entgleisung
9.1.1 Fallpräsentation 365 wurde zunächst auf Diätfehler im Rahmen der
9.1.2 Krankheitsbilder 366 seit kurzem bestehenden Anorexia nervosa zu-
9.1.3 Pathogenese 366
9.1.4 Klinik 368 rückgeführt. Die Patientin konnte nach adäqua-
9.1.5 Diagnostik 369 ter Therapie in stabilem Zustand nach Hause
9.1.6 Therapie 372 entlassen werden. In den folgenden Wochen
Überfunktion 373 kam es jedoch wiederholt zu stationären Auf-
9.2 Multiple endokrine Neoplasie Typ I nahmen wegen Elektrolyt- und Blutzuckerent-
(MEN 1) 373 gleisungen. Die Patientin klagte im Wesentli-
T. SCHILLING, A. GR AUE R
chen über Müdigkei t und Abgeschlagenheil so-
9.2.1 Fallpräsentation 373
9.2.2 Epidemiologie 374 wie trockene Haut. Bei der klinischen Un ter u-
9.2.3 Pathogenese 374 chung fiel eine bräunliche Verfärbung der
9.2.4 Klinik 375 Handlinien auf. Laborchemi eh zeigte sich
9.2.5 Diagnose 377
9.2.6 Differentialdiagnose 378 eine latente Hypothyreose mit peripher noch
9.2.7 Therapie 379 euthyreoten Werten, aber überschießend re-
9.2.8 Notfall 381 agierendem TRH -Test und erhöhten Schilddrü-
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 senantikörpern bei sonographisch normaler
(MEN 2) 382 Schilddrüse (Tabelle 9-1). Weiterhin fiel ein
A. GRAUER, w. HÖPPNER
Cortisoltagesprofil m it erniedrigten Werten
9.3.1 Fallpräsentation 382
9.3.2 Epidemiologie 382 und aufgehobener Tagesrhythmik auf sowie
9.3.3 Einteilung 382 eine erniedrigte Cortisolausscheidung im 24-
9.3.4 Pathogenese 385 h-Urin. Der ba ale ACTH-Spiegel war erhöht.
9.3.5 Klinik 387
9.3.6 Diagnostik 388 Aldosteron und 18-0H -Corticosteron waren er-
9.3.7 Therapie 393 niedrigt (Tabelle 9-1). Nach ACTH - timulation
9.3.8 Prognose 396 fand sich kei n adäquater Anstieg der Cortisol-
Literatur 396 spiegel (Tabelle 9-2) . Ein Anhalt für eine ova-
rielle Dysfunktion fand sich klinisch und labor-
chem isch nicht. Aufgrund der genannten Befun-
Unterfunktion
de wurde bei der Patientin die Diagnose einer
polyglandulären Insuffizienz (PGI) Typ 2 ge-
9.1 stellt. Diese bestand aus einem M. Addison,
Polyglanduläre Insuffizienz einer Hypothyreose bei Hashimoto-Thyreoiditis
und einem Typ-1-Diabetes-mellitus. Die Patien-
A. LüRENZ tin wurde mit 100 )lg L-Thyroxin, 30 mg Hydro-
cortison, 0,1 mg Aston in H und einer inten ivi-
9.1.1
erten Insulinth erapie substituiert, worunter eine
Fallpräsentation deutliche Besseru ng des Gesamtbefindens er-
reich t wurde. Die Patientin konnte mit otfall-
Eine 23-jährige Patientin mit Typ-1-Diabetes- ausweis in stabilem Zustand nach Hause entl as-
mellitus, der seit dem dritten Lebensjahr be- sen werden. Elektrolyten tgleisungen sind nicht
kannt und bisher zufrieden stellend therapiert wieder aufgetreten.
366 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

Tabelle 9-l. Laborwerte der Patientin. Normale Schrift niedrig- destens 2 endokrinen Insuffizienzen spricht man
normale Werte, halbfette Schrift erhöhte Werte von einer PGI oder auch vom polyglandulären
Laborparameter Werte der Normwerte
autoimmun Syndrom (PAS, bedingt durch eine un-
Paticntin einheitliche Nomenklatur im Schrifttum; s. auch
Abschn. Typ-1-Diabetes-mellitus)
TSH basal 4,9 0,3-4,0 mU/1 • PGI l(entspricht PAS Typ I): Sie wurde 1956 erst-
TSH nach TRH (na al) 32,5 mals beschrieben und ist durch die Trias chroni-
sche mukokutane Candidiasis, Hypoparathyroid-
T3 1,0 0,8-1,8 nglml ismus und M. Addison charakterisiert. Assozi-
T4 53 53-126 nglml ierte Erkrankungen wie primäre Gonadeninsuf-
fizienz, Alopezie, Malabsorption, Vitiligo,
TBG 15,5 11-29 j.lg/ml
chronisch-aktive Hepatitis finden sich in wech-
Anti-TPO 442 < 100 U/ml selnder Häufigkeit.
Anti-TG 1310
• PGI 2 (entspricht PAS Typ II): Sie ist durch die
< 100 U/ml
Trias M. Addison, Autoimmunthyreoiditis und
Cortisol basal 8 h 67 50-250 ng!ml Typ-1-Diabetes-mellitus ausgezeichnet. Ein Bei-
12 h 63 50-250 nglml spiel für eine PGI 2 ist das erstmals 1926 beschrie-
bene Schmidt-Syndrom, nämlich die Kombina-
16 h 63 20-90 nglml tion eines M. Addison mit einer Schilddrüsener-
20 h 76 20-90 nglml krankung. Auch bei der PGI 2 finden sich andere
assoziierte Krankheiten wie perniziöse Anämie/
ACTH basal 1461,5 9-52 pglml atrophische Gastritis, primäre Gonadeninsuffizi-
Aldo teron 1,0 enz, chronisch-aktive Hepatitis oder Vitiligo
(s. Abschn. Typ-1-Diabetes-mellitus).
17 -OH -Corticosteron 5,4
• PGI 3 (entspricht PAS Typ III): Sie wird zusätzlich
LH 4,1 1-11 U/1 noch von manchen Autoren unterschieden. Diese
FSH 7,0 1- 11 U/1
besteht führend aus einer Autoimmunthyreopa-
thie, die mit einer anderen endokrinen Insuffi-
Östradiol 100 zienz kombiniert ist. Ein M. Addison tritt bei
Cortisol im 24-h-Urin 10-60 j.!g/24 h der PGI 3 typischerweise nicht auf.

Die Unterscheidung zwischen PGI 1 und PGI 2 ist


Tabelle 9-2. ACTH-Stimulation der Patientin relativ leicht, während das Krankheitsbild der
PGI 3 fließende Übergänge zu den beiden anderen
Verabceichung Menge (ng/ml)
Formen zeigt. Oftmals wird erst während des Krank-
Cortisol basal 42 heitsverlaufs eine Zuordnung zu den einzelnen Ty-
pen der PGI möglich.
ach ACTH 30 min 54
60min 46
9.1 .3
120 min 40
Pathogenese

Immunologische Aspekte
9.1.2 Die Pathogenese der PGI ist noch unklar. Es handelt
Krankheitsbilder sich bei allen Formen um Autoimmunerkrankun-
gen, bei denen Autoantikörper gegen die betroffe-
Die Assoziation verschiedener endokriner Insuffi- nen Organe gebildet werden (Tabelle 9-3). So kön-
zienzen wurde zuerst 1908 von Claude und Gougerot nen bei Patienten mit PGI Antikörper gegen ver-
beschrieben. Polyglanduläre Insuffizienzen manife- schiedene, in der Steroidbiosynthese vorkommende
stieren sich in 2 verschiedenen Krankheitsbildern, Enzyme gefunden werden. Patienten mit einem
die als polyglanduläre Insuffizienz Typ 1 (PGI 1) M. Addison weisen zu einem hohen Prozentsatz
und Typ 2 (PGI 2) benannt sind. Grundlage dieser Antikörper gegen die 21-0H-Dehydroxylase (21-
Erkrankungen ist eine Autoimmunreaktion gegen 0HD-AK) auf. 17-a-OH-Dehydroxylase-Antikörper
mehrere endokrine Organe, die infolge dieser (17a-OHD-AK) und Antikörper gegen P450 scc
Autoimmunreaktion in zeitlich unabhängigen Rah- (P 450 scc-AK) werden dagegen vermehrt bei Patien-
men insuffizient werden. Beim Auftreten von min- ten mit gonadaler Insuffizienz gefunden. Patienten
9.1 Polyglanduläre Insuffizienz 367

Tabelle 9-3. Häufigkeit einzelner Autoantikörper bei ver- 17-a-OH-Dehydroxylase (17-u-OHD ), P450scc, Inselzellen
schiedenen Endokrinopathien im Rahmen der PAS. Darge- (I CA), Glutamatdehydrogenase (GAD ), Thyreoid-Peroxidase
stellt sind die Häufigkeilen einzelner Autoantikörper bei ver- (TPO), Thyreoglobulin (Tg), TSH-Rezeptor (TRAK), Cal-
schiedenen Endokrinopathien im Rahmen des PAS in Prozent cium-sensing-Rezeptor (CASR), Parietalzellen
gegen folgende Antigene: 21-0H-Dehydroxylase (21-0HD),

Antikorper gegen 21 -0HD 17u-OHD P450scc !CA GAD TPO Tg TRAK CaSR Parietal-
zellen

M. Addison 80 40 43

Diabetes mell itus Typ I 70-90 80

Primä rer 38 46 70
Hypogonadism u

Threoiditis Hashimoro 7 95 70

M. Basedow 7 70 80

Hypoparathyreo idism us - 56

Perniziö e Anä mie 90

mit einer Autoimmunthyreoiditits weisen häufig die Autoimmunthyreopathie vom Typ Basedow,
Antikörper gegen die Schilddrüsenperoxidase bei der es durch stimulierende TSH-Rezeptoranti-
(anti-TPO ), Thyreoglobulinantikörper (T AK) und/ körper zu einer Stimulation und damit zur Über-
oder TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) auf. Anti- funktion der Schilddrüse kommt und erst im Spät-
körper gegen Nebenschilddrüsengewebe sind schon stadium der Erkrankung über einen fibrotischen
I966 bei Patienten mit idiopatischem Hypopara- Umbau der Drüse die sekretorische Insuffizienz ein-
thyroidismus nachgewiesen worden, und neuere treten kann.
Studien zeigten, dass diese Antikörper gegen die
extrazelluläre Domäne des auf den Nebenschild-
drüsenzellen gelegenen "Calcium-sensing-Rezep- Genetische Aspekte
tor" (CaSR-AK) gerichtet sind. Bei Patienten mit Verschiedene Studien ergaben Hinweise auf einen
einem Typ-1-Diabetes treten neben Inselzellanti- gemeinsamen immunogenetischen Hintergrund
körpern (ICA) Antikörper gegen das Enzym Gluta- der PGI-Syndrome.
matdecarboxylase (GAD) auf (Tabelle 9-3). Patien-
ten mit einer PGI ohne Typ-I-Diabetes zeigen eben- • Polyglanduläre Insuffizienz Typ 1 (PAS Typ I).
falls eine erhöhte Prävalenz für GAD-Antikörper, Die PGI I wird autosomal-rezessiv vererbt und fin-
wobei kürzlich gezeigt wurde, dass bei PGI-Patien- det sich interessanterweise gehäuft in der finnischen
ten das Vorkommen von Antikörpern gegen das Population und bei irakischen Juden. Linkage-Ana-
37k-Antigen mit einer raschen Progression zum lysen in Finnland lokalisierten den Typ I der PGI auf
Typ- I-Diabetes vergesellschaftet ist. Welche Rolle das Chromosom 21q22.3. Erst kürzlich wurde ein
diese verschiedenen Antikörper ätiologisch spielen, neues Gen, KNP-I, isoliert, welches ebenfalls in die-
ist unklar. Gemeinsame Antigendeterminanten, die ser Region lokalisiert ist. Weitere Studien werden
die Autoimmunprozesse an verschiedenen Organen zeigen, ob dieses Gen möglicherweise dem PGI-
bei der PGI erklären könnten, sind bisher nicht ge- Gen entspricht. Eine Assoziation zu HLA-Antigenen
funden worden. konnte für die PGI 1 nicht gefunden werden.

• Immunhistochemie. Immunhistochemisch findet • Polyglanduläre Insuffizienz Typ 2 (PAS Typ II)


sich eine lymphozytäre Infiltration der befallenen Die PGI 2 zeigt einen autosomal-dominanten Erb-
Organe, ein Prozess, der unter anderem über den gang mit unterschiedlicher Expressivität (Butler
Kontakt von autoreaktiven Lymphozyten mit Adhä- I984). Bei der PGI 2 wurden Assoziationen mit
sionsmolekülen gesteuert wird. Es scheint, dass es den HLA-Haplotypen DR3-DQBI *20I und DR4-
unter dem Einfluss verschiedener Zytokine über DQBI *302 nachgewiesen. Eine HLA-Abhängigkeit
CD8+-zytotoxische T -Lymphozyten zur Zelldestruk- tritt jedoch auch beim Typ-1-Diabetes allein auf.
tion und schließlich zur sekretorischen Insuffizienz Untersucht man PGI-2-Patienten unter Ausschluss
des befallenen Organs kommt. Eine Ausnahme ist der Patienten mit Typ-I-Diabetes, so findet sich
368 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

eine Häufung von HLA DR3 und DR3-DQB1 *201. Es Weitere lnsuffizienzen. Ist bei einem Kind die
liegt also der Schluss nahe, dass die Assoziation von Diagnose PGI 1 gestellt worden, sollte im weiteren
PGI2 mit dem DR4-DQB1 *302 Haplotyp von dem Verlauf auf zusätzliche endokrine Insuffizienzen
Vorhandensein eines Typ-1-Diabetes abhängt. vor allem gonadaler Art in der Pubertät geachtet
werden. Auch bei normaler Pubertät ist die Entwick-
lung einer gonadalen Insuffizienz beim Mann oder
9.1.4 eine frühe Menopause bei Frauen häufig. In etwa
9% der Fälle ist bei PGI -I-Syndromen eine intesti-
Klinik
nale Malabsorption beschrieben worden, andere as-
Polyendokrine lnsuffizienzen sind seltene Erkran- soziierte Erkrankungen wie chronisch-aktive Hepa-
kungen. Genaue Zahlen bezüglich der Häufigkeit titis oder perniziöse Anämie kommen seltener vor
der einzelnen PGI-Typen liegen nicht vor. Insgesamt (s. Abschn. "Typ-1-Diabetes-mellitus").
gesehen kommen polyendokrine Insuffizienzen mit
einer Häufigkeit von 5 Neuerkrankungen pro
Polyglanduläre Insuffizienz Typ 2 (PAS Typ II)
100.000 Einwohner pro Jahr vor. Von den 3 PGI-Ty-
Die PGI 2 ist die häufigste Form der PGI.
pen ist die PGI 2 die häufigste Form.
• Die PGI 1 ist eine Erkrankung des Kindesalters,
• Typ-1-Diabetes-mellitus. In der Regel wird zuerst
welche in der Regel innerhalb der ersten Lebens-
ein Typ-I-Diabetes diagnostiziert, ohne dass dabei
dekade auftritt. Die Erstmanifestation zeigt sich
an eine PGI gedacht wird. Die klinischen Leitsym-
meist in Form einer mukokutanen Candidiasis,
ptome - Polyurie, Polydipsie, Inappetenz und Ge-
seltener in Form eines Hypoparathyreoidismus.
wichtsverlust - unterscheiden sich bei der PGI 2
• Die PGI 2 manifestiert sich charakteristischerwei-
nicht von denen beim isolierten Typ-1-Diabetes-
se erst im Erwachsenenalter. Frauen sind etwa
3-mal so häufig betroffen wie Männer. Einen ein- mellitus.
deutigen Altersgipfel gibt es dabei nicht, die Va-
riabilität des Krankheitsbildes ist bei der PGI 2
größer als bei der PGI 1.
Ungefähr 10% aller Typ-i-Diabetiker entwickeln
weitere endokrine Autoimmunerkrankungen. D
Eine positive Familienanamnese, die Zunahme der
Polyglanduläre Insuffizienz Typ 1 (PAS Typ I) Häufigkeit hypoglykämischer Schocks oder die Ab-
• Mulmkutane Candidiasis. Häufigste Erstmanife- nahme des Insulinbedarfs sollte bei Typ-1-Diabeti-
station der PGI 1 ist die mukokutane Candidiasis kern an die Entwicklung einer Nebenniereninsuffi-
im Säuglings- oder Kleinkindalter. Sie ist charakte- zienz denken lassen.
ristischerweise ausgeprägt, befällt oft Nägel und
Schleimhäute und zeigt eine gewisse Therapieresi- • M. Addison. Weitere Leitsymptome der PGI 2
stenz. In einer Studie zeigten 22 von 43 Kindern sind die des M. Addison:
mit chronischer Candidiasis im späteren Verlauf • Müdigkeit,
eine polyglanduläre Insuffizienz Typ 1, sodass bei • Appetitlosigkeit,
jeder länger verlaufenden Candidiasis im Säuglings- • Übelkeit,
und Kleinkindalter an die Möglichkeit einer PGI ge- • abdominelle Beschwerden,
dacht werden sollte. • Hypotonie und
• zunehmende Hautpigmentierungen.
• Hypoparathyreoidismus. Ein Hypoparathyreoi- Interessanterweise ist das Vorkommen eines M. Ad-
dismus als Erstmanifestation ist seltener. Im weite- dison bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 oder
ren Verlauf jedoch ist er die häufigste Endokrinapa- Autoimmunthyreoiditis nicht wesentlich häufiger
thie und betrifft 80-100% der Patienten. Klinisch als bei Normalpersonen. Patienten mit einem M. Ad-
kann er sich durch Tetanie, Anfallsleiden und Hypo- dison als Erstmanifestation entwickeln dagegen in
kalzämie zeigen. mehr als 50% der Fälle Schilddrüsenantikörper
und/oder Inselzellantikörper, was in 40-45% der
• Nebenniereninsuffizienz. Eine Nebennierenin- Fälle zur klinischen Manifestation der Erkrankung
suffizienz tritt in der Regel erst nach dem 6. Lebens- führt.
jahr auf und manifestiert sich oft im Pubertäts- oder
frühen Erwachsenenalter. Müdigkeit und Gedeih- • Autoimmunthyreoiditis. Die dritthäufigste Ma-
störungen sind neben Hyponatriämie und Hyper- nifestationsform im Rahmen der PGI 2 sind Autoim-
kaliämie erste Anzeichen eines M. Addison. munerkrankungen der Schilddrüse. Bei der Auto im-
9.1 Polyglanduläre Insuffizienz 369

munthyreoiditis Hashimoto kommt es im Verlauf • Das Auftreten von Tetanien, Krämpfen oder un-
zur Entwicklung einer Hypothyreose mit Sympto- klaren epileptischen Anfällen kann erster Hinweis
men wie Schwäche, Kälteintoleranz, Müdigkeit, auf die Entwicklung eines Hypoparathyreoidis-
Haarausfall, Hauttrockenheit, Myxödem. Vorausge- mus sein. Ein erniedrigtes Serumkalzium zusam-
hen kann eine kurze Phase der Überfunktion. Bei men mit erniedrigtem intaktem Parathormon
der Autoimmunthyreopathie vom Typ Basedow im- und erhöhtem Serumphosphat sichern die Dia-
poniert die Überfunktion der Schilddrüse mit Sym- gnose.
ptomen wie Gewichtsverlust, Schwitzen, Nervosität, • Müdigkeit, Gedeihstörungen und Hypotonie er-
Herzrhythmusstörungen und Exophthalmus. geben zusammen mit einer Hyperkaliämie und
Hyponatriämie erste Hinweise auf eine Neben-
nierenrindeninsuffizienz. Im Labor findet sich
Polyglanduläre Insuffizienz Typ 3 (PAS Typ 111)
typischerweise ein erhöhter ACTH-Spiegel, ein
Nach der ursprünglichen Klassifikation ist für die Dia-
basaler Cortisolspiegel im niedrig normalen
gnose einer PGI 2 das Vorhandensein eines M. Ad-
oder erniedrigten Bereich und ein unzureichen-
dison zwingend erforderlich. Inwieweit etwa die
der Anstieg des Cortisols auf eine ACTH-Stimu-
Kombination einer Autoimmunthyreopathie mit
lation. Dieser ACTH -Stimulationstest erfolgt
einem Typ-1-Diabetes odereiner atrophischen Gastri-
mittels der Gabe von 0,25 mg synthetischem
tis als PGI 2 eingestuft werden sollte, ist umstritten.
ACTH i. v. und einer Messung des Cortisols
Wie schon zuvor erwähnt, benutzen mehrere Au-
zum Zeitpunkt 0, 30 und 60 min. Einem normaler
toren in der neueren Zeit als weitere Klassifikation
Anstieg des Cortisols liegt bei 150-180 ng/ml
den Begriff der PGI 3. Dieses Syndrom beschreibt die
(0,4-0,5 mmol/1) nach 60 min vor. Noch als aus-
Kombination einer Autoimmunthyreopathie mit
reichend ist ein Mindestanstieg auf 50 ng/ml
einer beliebigen anderen Autoimmunendokrinopa-
(0,137 mmol!l) zu werten.
thie, ohne das gleichzeitig ein M. Addison vorliegt.
Ein isolierter Hypoparathyreoidismus oder M. Ad-
Weitere Manifestationsformen dison im Kindesalter sind extrem selten. In einer re-
Auch bei der PGI 2 werden assoziierte Kranheitsbil- trospektiven Studie über 10 Jahre an einer Kinder-
der wie Vitiligo oder perniziöse Anämie in einer ge- universitätsklinik wurde insgesamt nur 7-mal die
ringeren Häufigkeit gefunden. Die chronisch-aktive Diagnose einer primären Nebenierenrindeninsuffi-
Hepatits und die primär biliäre Zirrhose sind selte- zienz gestellt, wobei in 3 Fällen eine Autoimmuna-
ner als bei der PGI 1, während Vitiligo oder Alopezie drenalitis Ursache der Insuffizienz war.
häufiger vorkommen. Unklar ist die Bedeutung der
perniziösen Anämie aufgrund einer atrophischen
Gastritis. In einer Studie wurde bei 95 o/o aller Patien-
Ähnlich selten ist der isolierte Hypoparathyreoidis-
mus im Kindesalter, sodass bei dem Auftreten beider
D
ten mit Vitiligo eine perniziöse Anämie und/oder Krankheitsbilder an die Erstmanifestation einer PGI
eine atrophische Gastritis bioptisch gesichert, sodass gedacht werden sollte.
die Inzidenz einer pernizösen Anämie und/oder
atrophischen Gastritis möglicherweise bei der Tritt der M. Addison als Zweit- oder Dritterkran-
PGI 2 unterschätzt wird. kung im Rahmen einer diagnostizierten PGI auf,
kann man von einer Autoimmunadrenalitis als Ur-
sache der Nebenniereninsuffizienz ausgehen. Ist der
9.1.5 M. Addison die Erstmanifestation, kann der eta-
Diagnostik blierte Nachweis von Nebennierenrindenantikör-
pern helfen, eine infektiöse Genese der NNR-Insuf-
Polyglanduläre Insuffizienz Typ 1 fizienz abzugrenzen. Die Differenzierung der Anti-
Ein generelles Screening der Gesamtbevölkerung auf körper in entsprechende Autoantikörper gegen ver-
PGI ist wegen der Seltenheit der Erkrankung nicht schiedene Enzyme der Steroidbiosynthese ist
sinnvoll. Bestimmte Konstellationen sollten jedoch aufwendiger und wird im klinischen Alltag sicher-
an die PGI denken lassen und eine entsprechende lich nicht benötigt.
Diagnostik nach sich ziehen (Abb. 9-1 ):
• Es sollte bei Kindern mit hartnäckiger oder beson- • Screeninguntersuchungen. Sobald 2 endokrine
ders ausgeprägter Candidiasis an eine mögliche Organe insuffizient sind, ist es gerechtfertigt, die
PGI gedacht werden. Eine gerraue Familienana- Funktion der anderen endokrinen Organe im Rah-
mnese unter besonderer Berücksichtigung endo- men von Screeninguntersuchungen regelmäßig z. B.
kriner Erkrankungen kann hier bereits richtungs- 1- bis 2-mal/Jahr zu testen. Besonders die gonadale
weisend sein. Funktion sollte während der Pubertät durch Iabor-
370 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

Familienanamnese
Assoziation von zwei typischen Endokrinopaihlen
chron. Candidiasis. Hypoparathyreoidismus oder M. Addison im Kindesalter
M.Add ison im Erwachsenenalter (hohes Risiko einer Zwe~·Endokrinopathie)

""'"'"'" /
Anamnese klinischer Befund
Müdigkeit, Gedeihstörungen, Blutdruck, Pulsfrequenz und •
Leistungsschwäche, Rhythmus, Tremor
Gewichtsänderungen. Hautbeschaffenheit,
alle 12 Monate
Hautveränderungen, Nervosität, Pigmentierung,
Unruhe Schwitzen, Tremor, Schilddrüsengröße,
Augenprobleme, Krämpfe, Exophtalmus, Trousseau 'sches
Tetanien, Zeichen, Chvosteksches
Zyktusunregelmäßigkeiten, Zeichen, Vitiligo,
Libido, Potenz, Sekundärbehaarung, Alopezie,
Sekundärbehaarung , Polyurie, Anämiezeichen,
Polydypsie Leberhautzeichen

bei klinischem Verdacht


bei spezifischem auch eher
klinischem Verdacht

Labor-screeningparameter
Serumcalcium. Intakt PTH. ACTH basal, Elektrolyte.
Renin basal, TSH basal, HbAlc, Nüchternblutzucker

/ bei laborchemischen Verdacht

M. Addison ACTH-Te~t ,
Autoimmunthyreopathie Schilddrüsenantikörper,
GonadeninsuHizienz FSH, LH, Östrogen, ggf. Testosteron,
Autoimmunhepatitis Transaminasen

!
perniziöse Anämie Blutbild

weitere Untersuchungen

Nebenierenrindenantikörper: falls infektiöse Genese der Nebennereninsuffizier'!Z


nicht auszuschließen ist
lnselzellantikörper, GAD: zur Identifikation von Risikopatienten bezüglich der
Entwick lung eines Diabetes mellitus Typ 1:
Patienten mit hohen Titern 3·6 monatlich kontrollieren Abb. 9-I.
und frühzeitig substituieren. Indikationen zum regelmäßigen
Parietalzellantikörper: v.a. perniziöse Anämie Screening bei PGI

chemische Kontrollen der Gonadotropine über- Polyglanduläre Insuffizienz Typ 2


wacht werden, um einen möglichen Ausfall schnell Bei der PGI 2 ist die klinische Variabilität höher.
erkennen und kompensieren zu können. Die häufigste Erstmanifestation ist der Typ-1-Dia-
betes-mellitus.
• Assoziierte Krankheitsbilder. Solche Krankheits-
bilder wie chronisch-aktive Hepatitis, perniziöse An- • Screening der Schilddrüsenfunktion. Patienten
ämie, Malabsorption oder Zöliakie fallen in der Re- mit Typ- 1-Diabetes-mellitus haben per se eine höhe-
gel durch klinische Beschwerden auf; eine genaue re Wahrscheinlichkeit, an einer Autoimmunthyreoi-
Anamnese sollte deshalb regelmäßig stattfinden. Be- ditis zu erkranken, daher ist ein regelmäßiges
züglich weiterführender Diagnostik bei V. a. assozi- Screening der Schilddrüsenfunktion jährlich durch
ierte Erkrankungen wird auf die Kapitel in den ein- Bestimmung des basalen TSH-Wertes und durch
schlägigen Lehrbüchern verwiesen. Schilddrüsensonsographie empfehlenswert. Sono-
graphisch zeichnet sich die Autoimmunthyreoiditis
durch ein eher echoarmes Binnenmuster aus.
9.1 Polyglanduläre Insuffizienz 371

• Bestimmung der Schilddrüsenantikörper. Geben nierenrindeninsuffizienz. Eine Hyperkaliämie und


Klinik, Sonographie und Labor Hinweise auf eine Hyponatriämie sowie ACTH-Spiegel oberhalb des
Schilddrüsenfunktionsstörung, sollte eine Bestim- Normbereichs ermöglichen eine frühe Diagnosestel-
mung der Schilddrüsenantikörper erfolgen. Erhöhte lung. Im Zweifelsfall führt ein ACTH-Stimulation-
Anti-IPO/IAK-Antikörper weisen auf eine Thyreo- test über den unzureichenden Anstieg von Cortisol
iditis Hashimoto, erhöhte IRAK-Antikörper auf eine zur Diagnose.
Autoimmunthyreopathie vom Typ Basedow hin. Die
IRAK sind hochspezifisch für einen M. Basedow. • Gonadale Insuffizienz. Bei Patienten mit PGI 2
sollte eine genaue Anamnese bezüglich der gonada-
• Schilddrüsenszintigraphie. Sollte dennoch Zwei- len Funktion erfolgen. Ein unregelmäßiger Men-
fel an der Diagnose bestehen, kann die Schilddrüsen- struationszyklus bei Frauen, Abnahme von Libido,
szintigraphie weiterhelfen. Der Ic-Uptake ist beim Potenz und sekundärer Geschlechtsmerkmale
M. Basedow massiv gesteigert, während bei der Ihy- beim Mann sind Anzeichen für ein gonadale Insuf-
reoiditis Hashimoto ein verminderter Uptake vor- fizienz und sollte über die Bestimmmung der Gona-
liegt. dotropine weiter abgeklärt werden.

• M. Addison und Typ-1-Diabetes-mellitus. Bei Pa- • Assoziierte Krankheitsbilder. Auch bei der PGI 2
tienten mit einem M. Addison als Erstmanifestation finden sich in geringerer Häufigkeit assoziierte
sollte einmal jährlich neben dem klinisch-anamne- Krankheitsbilder wie Vitiligo, perniziöse Anämie
stischen Screening ein Screening auf Inselzellanti- oder chronisch-aktive Hepatitis .
körper erfolgen, um Risikopatienten bezüglich der
Entwicklung eines Typ-1-Diabetes-mellitus zu er- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Dia-
kennen und frühzeitig therapieren zu können. gnostik der Endokrinopathien bei beiden PGI-For-
men nicht von der Diagnostik isolierter Endokrino-
Wie bei der PGI 1 geben klinische Sypmtome wie pathien unterscheidet. Wichtig ist, an die mögliche
Müdigkeit, Hypotonie, verstärkte Hautpigmentie- Manifestation weiterer Endokrinopathien zu denken
rung oder eine Änderung des Insulinbedarfs bei und diese durch ein regelmäßiges Screening frühzei-
Typ-I-Diabetikern erste Hinweise auf eine Neben- tig zu erkennen (Tabelle 9-4).

Tabelle 9-4. Therapieschemata einzelner Endokrinopathien

Endokrinopathie Therapieschema

Candidiasi Ketoconazol

M. Addison Cortisonacetat 37,5 mg/Tag p. o. z. B. 25 mg morgen • 12,5 mg nachmittag oder


Hydrocorti on, 30 mg!Tag p. o. , 15 mg morgens, 10 mg mittag, 5 mg nachmittags
Bei Hypotonie zusätzlich Fludrocorti on 0,05- 0,2 mg/Tag

Hypoparathyreoidismus Vitamin 0 3 200.000 !Eil- bis 2-mal/Woche p. o. oder

Bei schwe rer Einsteilba rkeit


1,25(0Hh D3 0,5- 1,5 J.tg/Tag p. o.
Kalzi um 500-1.000 mg/Tag p. o.
Zielwert: Kalzium im untersten ormbereich

Typ-1-Diabete -mellitus Intensivierte Insulintherapie

Thyreoiditi Ha himoto 75-150 J.tg L-Thyrox.in/Tag p. o.

M. Basedow Carbimalzol, in itial 10- 30 mg/Tag p. o., Erhaltung dosi 5- 10 mg/Tag p. o. oder

Thiamazol, 20 mg!Tag p. o. initial, Erhaltungsdosi 5- 10 mg!Tag p. o.

Nach Erreichen der Euthyreose entweder Monotherapie mit Thyreostatika mit häufigeren
Laborkontrollen oder Kombinationstherapie mit L-Thyrox.in 50- 100 J.tg/Tag p. o.

Primärer Hypogonadismus Beim Mann


Testosteronsubstitution initial 100 mg i. m. über 3 Monate,
Dann steigern auf 250 mg i. m. alle 3- 4 Wochen oder
Testosteronpflaster
Bei der Frau
Östrogen-Gestagen-Kombin ationspräparat
372 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

Durchführung der medikamentösen Therapie


9.1.6
Substituiert werden die Hormone der betroffenen
Therapie
Organe:
• L-Tyroxin bei der Thyreoiditis Hashimoto,
Die Therapie der polyglandulären Insuffizienzsyn-
• Insulin beim Typ-1-Diabetes-mellitus in Form
drome besteht in der Substitution der unzureichend
einer intensivierten Insulintherapie,
produzierten Hormone der betroffenen Organe, so
• Cortison und evtl. Fludrocortison beim M. Addis-
wie sie auch bei monoglandulären Insuffizienzen er-
on (Dosierungen s. nachfolgende Übersicht).
folgt.
• Beim M. Basedow kommt es aufgrund der stimu-
Eine kausale Therapie des Autoimmungesche-
lierenden TRAK zu einer Schilddrüsenüberfunk-
hens ist bislang nicht etabliert. In einzelnen Fällen
tion. Hier ist eine Thyreostatikatherapie über
ist über einen dauerhaften Erfolg bei PGI-Patienten
1 Jahr als Standard akzeptiert. In 50 o/o der Fälle
durch Behandlung mit Ciclosporin A berichtet wor-
kommt es jedoch im weiteren Verlauf zum Rezi-
den. Der Einsatz solch unspezifischer Immunsup-
div. In diesem Fall sollte der Patient einer defini-
pressiva muss jedoch wegen der erheblichen uner-
tiven Therapie (Thyreoidektomie/Radioiodthera-
wünschten Nebenwirkungen bei nach dem bisheri-
pie) zugeführt werden.
gen Wissenstand oft nur passageren Wirkungserfolg
sorgfältig abgewogen werden.
M. Addison-Anpassung der Cortisoldosis
unter Stress
Frühzeitige Substitutionstherapie
Es gibt Hinweise darauf, dass eine frühzeitige Sub-
• Fieberhafte Infekte, zahnärztliche Eingriffe, be-
stitutionstherapie die Manifestation der Erkrankung
sondere Stresssituationen
bei autoimmunbedingten endokrinen Insuffizien-
50-60 mg Hydrocortison oder 62,5-75 mg Corti-
zen verzögert.
sonacetetat über 1-2 Tage
• Typ-1-Diabetes-mellitus: Bei frühzeitiger Substi-
• Operationen
tution kann eine Remission (sog. "Honey-
100-200 mg Hydrocortison i. v. am Operations-
moon-Phase") erreicht werden. Nach etwa
tag unter ausreichender Volumenzufuhr
1 Jahr ist jedoch die andauernde Insulinsubstitu-
Tag 2: 100-150 mg Hydrocortison i. v.
tionstherapie obligat.
Tag 3: 100 mg Hydrocortison i. v.
• Nebenniereninsuffizienz: De Bellis et al. (1993)
Danach schrittweise Reduktion und Übergang auf
untersuchten den Verlauf des Serumspiegels
orale Medikation
von Nebennierenrindenantikörpern und die Ne-
In der Regel Erreichen der Erhaltungsdosis nach
bennierenfunktion bei Patienten mit PGI. Eine
5- 10 Tagen (30 mg Hydrocortison oder 37,5 mg
frühzeitige Substitution führte in dieser Studie
Cortisonacetat)
zu einem signifikanten Abfall der Antikörperkon-
zentration und teilweise zur Restitution der Ne-
bennierenrindenfunktion. Diese Effekte hielten
auch nach Absetzen der Substitutionstherapie an. Bezüglich der Therapie assoziierter Krankheitsbilder
• M. Basedow: Bei dieser Erkrankung scheint eine wie der chronisch-aktiven Hepatitis oder der perni-
frühzeitige Substitutionstherapie mit L-Thyroxin ziösen Anämie wird auf die entsprechenden Kapitel
zusätzlich zur thyreostatischen Therapie die Rezi- in den einschlägigen Lehrbüchern verwiesen.
divhäufigkeit zu senken.
• Hashimoto-Thyreoiditis: Ob eine frühzeitige Sub-
stitutionstherapie hier den Antikörpertiter oder
den klinischen Verlauf ändert, ist nicht hinrei-
Wichtig bei der Substitutionstherapie des M. Addison
mit Cortison und Mineralokortikoiden ist die Schu-
lung der Patienten sowie die Ausstellung eines Not-
D
chend untersucht. fallausweises. Darin muss vermerkt werden, dass die
Cortisonsubstitutionsdosis bei besonderen Anlässen
Insgesamt sind sicher weitere Studien nötig, um dem wie Operationen, Stress, Fieber u. Ä. erhöht werden
Wert einer frühzeitigen Substitutionstherapie bei muss (s. oben).
Autoimmunadrenalitis und -thyreoiditis zu erken-
nen.
9.2 Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN I) 373

Therapiekontrolle Überfunktion
Die Kontrolle der Therapie erfolgt im Wesentlichen
über die Klinik:
• Eine gute Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit, 9.2
normaler Blutdruck, ausgeglichene Elektrolyte Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1)
und normaler oder nur leicht erhöhter Reninspie-
T. SCHILLING, A. GRAUER
gel signalisieren eine ausreichende Substitutions-
therapie beim M. Addison. Eine Überdosierung
9.2.1
kann über die Cortisolausscheidung im 24-h-
Fallpräsentation
Urin nachgewiesen werden.
• Freies T3 und T4 geben zusammen mit dem ba-
salen TSH Aufschluss über die Suffizienz der Bei einer 40-jährigen Patientin traten epigastri-
Schilddrüsenhormonsubstitution. sche Schmerzen auf, die im Verlaufvon wenigen
• Die Therapie des Hypoparathyreoidismus sollte Wochen zu einem akuten Abdomen führten. Bei
durch regelmäßige Bestimmung des Serumkal- der Laparotomie wurde ein perforiertes Ulcus
zium- und -phosphatspiegels kontrolliert werden. ventriculi festgestellt, welches übernäht wurde.
• Ein regelmäßiger Menstruationszyklus bei der Ein Jahr später traten erneut epigastrische
Frau und normale Libido, Potenz und Sekundär- Schmerzen mit Entwicklung eines akuten Abdo-
behaarung beim Mann sind gute klinische Hin- mens auf. Bei einer Laparotomie fand man er-
weise für eine ausreichende Funktion der Gona- neut ein perforiertes Ulcus ventriculi. Anamne-
den. Unter Substitutionstherapie ist eine Bestim- stisch ließ sich erfahren, dass die Mutter der Pa-
mung des Östrogens nur sinnvoll, wenn tatsäch- tientin mit 55 Jahren an einem metastasierenden
lich 17ß-Östradiol verabreicht wird. Dies erfolgt Inselzellkarzinom des Pankreas verstorben war.
z. B. in den meisten transdermalen Östrogenprä- Bei der Patientin bestand klinisch der V. a. ein
paraten. Andere Östrogenpräparate lassen sich Gastrinom. Bei familiär auftretenden Pankreas-
durch die Östrogenbestimmung meist nicht nach- tumoren ist das Vorliegen einer MEN 1 sehr
weisen. Klinische Zeichen wie Hitzewallungen wahrscheinlich. Im Rahmen der Befunderhe-
sind Hinweise für eine unzureichende Substituti- bung ergab sich ein erhöhtes Gastrin und ein
on. Unter Testosteronsubstitution ist der klini- positiver Sekretinstimulationstest. Dies erhärtet
sche Eindruck und das Vorhandensein einer zu- die Diagnose eines Gastrinoms. Als Lokalisation
frieden stellenden Libido und Potenz ein wichti- fand sich ein 2 cm großer Herd im Caput
ges Kriterium. Eine einmal angefangene Substitu- des Pankreas. Weiterhin litt die Patientin an
tionstherapie muss ein Leben lang durchgeführt einem primären Hyperparathyreoidismus (Ta-
werden und darf nicht abgesetzt werden. belle 9-5). Bei der durchgeführten familiären
Screeninguntersuchung wurde eine weitere
Schwester mit MEN 1 (Prolaktinom und pri-
Nebenwirkungen
märer Hyperparathyreoidismus) identifiziert
Nebenwirkungen sind bei korrekt dosierter Substi-
(Abb. 9-2). Therapeutisch wurde zunächst eine
tutionstherapie nicht zu erwarten. Die möglichen
erfolgreiche Operation des primären Hyper-
Komplikationen bei der Substitutionstherapie un-
parathyreoidismus durchgeführt. Daraufhin
terscheiden sich nicht von denen bei monoglandu-
wurde das Gastrinom im Pankreaskopf
lären Hormonmangelzuständen (s. entsprechende
enukleiert. Histologisch zeigte sich ein nied-
Kapitel). Wichtig ist, bei Patienten oder Verwandten
rig-malignes Gastrinom bei tumorfreien
mit PGI an die mögliche Entstehung weiterer endo-
Lymphknoten. Das postoperative Gastrin war
kriner Insuffizienzen zu denken und durch regelmä-
ßige klinische und laborchemische Kontrollen sol- mit 121 ng/ml (Norm < 90 ng!ml) fast normali -
che frühzeitig zu entdecken und entsprechend zu siert. Bei der Verlaufsbeobachtung kam es zu
einem Wiederanstieg des Serumgastrins auf
therapieren.
770 ng/1. Im CT ergab sich der V. a. ein Rezidiv
des Gastrinoms mit einer Raumforderung von
1- 2 cm Durchmesser. Die Patientin wurde mit
Omeprazol (Antra) 3-mal 20 mg!Tag behandelt.
374 KA PITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

Tabelle 9-5. Erhobene Befunde bei der Indexpatientin


9.2.3
L' ntersuchung Ergehnis Pathogenese

Serumgastrin 1.045 pg/ml DieMEN 1 ist eine autosomal-dominante Erbkrank-


( orm < 100 pglml)
heit mit variabler Expression, aber hoher Penetranz.
SekTetintest Anstieg des Ga trin Sie ist durch das Auftreten von malignen und/oder
auf 4.103 pg!ml benignen Neoplasien an 2 oder mehr endokrinen
CT und MRT des Pankrea P eudozy te Organen gekennzeichnet. Die betroffenen endokri-
nen Organe sind
Angiographie 2 cm großes,
hyperva kularisiertes
• die Nebenschilddrüsen,
Areal im Pankreaskopf • die Hypophyse,
• und der Gastrointestinaltrakt (Pankreas und
Endo onographie Raumforderung im
Pankreaskopf Duodenum) mit neuroendokrinen Tumoren (Ta-
belle 9-6).
omatostatinrezeptor- Rezeptorpo itiver Herd
zintigraphie im Caput
Daneben kommen mit geringerer Häufigkeit Karzi-
Serumkalzium 2,96 mmoUI (2,2-2,6 mmol/1) noide, Nebennierentumoren, Schilddrüsentumoren
und Lipome vor (Tabelle 9-7).
Intaktes Parathormon 91,3 pg/ml
(Norm: 10-65 pg/ml} Charakteristisch für die MEN 1 ist das multizen-
trische Auftreten der neoplastischen Veränderun-
Halssonographie V. a. 2 vergrößerte
Epithelkörperchen
gen. Das Spektrum der Neoplasien reicht morpholo-
gisch von der Hyperplasie über Adenome bis zu Kar-
MRT des chädels Hypophyse ohne zinomen. Die verschiedenen Veränderungen kön-
pathologischen Befund

Tabelle 9-6. Endokrine Organe, die typischerweise bei der


MEN 1 neoplastisch verändert sind

Organ Häufigkeit (% )

ebenschilddrüse 95

Pankreas/Duodenum 40

Hypophyse 30

Tabelle 9-7. Neben den klassischen Tumoren weitere assozi-


ierte Tumoren bei MEN 1

Tumor Haufig- Bemerkung


kcit (% )
Abb. 9-2. Stammbaum des Fallbeispiels. pHPT primärer Hy-
perparathyreoidismus Karzinoide 5- 20 % in der Regel "foregut" -
Lokalisation in Thymus,
Lunge, Magen oder
Duodenum
9.2.2 ebennieren- 4- 17 In der Regel gutartig
Epidemiologie tumoren

Lipome 1-14 Multiples Vorkommen


Die MEN 1 ist ein sehr seltenes, genetisch determi-
niertes Syndrom. Erstbeschreibungen des Syndroms Schilddrüsenneo- 17 Adenome und Karzinome
existieren von Underdahl et al. (1953) und Wermer plasmen (mit Au nahme von
medullärem child-
(1954). Die Prävalenz der Erkrankung beträgt drü enkarzinom}
ca. 1/100.000, wobei von einer großen Dunkelziffer
Phäochromozytom 0,5
ausgegangen werden muss. Die Penetranz der
MEN-1-Erkrankung nimmt mit zunehmendem Malignes Melanom 0,5
Alter zu, mit 20 Jahren sind 43 o/o der Genträger sym-
Testikuläres 0,5
ptomatisch, mit 35 Jahren bereits 85 o/o und mit Teratom
50 Jahren 94 o/o.
9.2 Multiple endokrine Neoplasie Typ I (MEN I) 375

exon 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

P12L
L22R S308X R415X
L83,S84del A309P D416del
S84del Y312X W436R
S84,185del Y323X W436X
R98X W341del 0442X
R108X 1132del F447S
0102del T344R Abb. 9-3.
K119del Schemati ehe Darstellung des Menin-
A160P L286P Y353X R460X
gen s mit den bisher gefundenen
K120X
A176P 1202del 1484del
F134del
W183S E363del 1509ins
Keimbahnmutationen bei ME I. Die
T275G,276insG
W183X 1280del 1650del kodierenden Regionen de Meningen
313del
W198X 1650ins sind schwarz darge teilt, die nichtko-
357del
0209, T21 Odel R527X dierenden Regionen sind grau. Die
416del
713del Mutationen ind ehr variabel und be-
483del
512deiC
T21 O,V211 del inhalten Punktmutationen, Insertionen
H139Y
735del und Deletionen. Da am häufig ten
H1390 betroffenen Exon ist der kodierende
F144V Anteil von Exon 2

nen gleichzeitig nebeneinander bestehen und sind • Hypophysentumoren in 30 o/o vor,


weder kausal noch zeitlich voneinander abhängig. • die weiterhin auftretenden assoziierten Tumoren
Bei dem MEN-1-Gen handelt es sich um ein Tu- bei der MEN 1 sind nicht so häufig. Im Falle der
morsuppressorgen, das auf Chromosom 1lql3 liegt Karzinoide, der Nebennierentumoren und der Li-
und Menin genannt wird. Die bisher gefundenen ur- pome kommen sie je nach Literaturangabe zwi-
sächlichen Mutationen im Meningen sind sehr va- schen 1 und 20 o/o der Fälle vor (s. Tabelle 9-7).
riabel und betreffen nicht nur einen so genannten
"hot spot" (Abb. 9-3). Bei Vorliegen einer MEN-1-
Nebenschilddrüsenadenome
Keimbahnmutation kommt es zu dem Verlust eines
Die klinischen Symptome von Nebenschilddrüsena-
Menintumorsuppressorgens. Dies selbst führt noch
denomen bei der MEN 1 unterscheiden sich nicht
nicht zu einer Neoplasie. Erst wenn eine zweite, so-
von denen eines sporadischen primären Hyperpara-
matische Mutation den Verlust des verbliebenen
thyreoidismus. Im Vordergrund stehen Symptome
normalen Meninallels und damit den Verlust der
wie
Tumorsuppressorfunktion im endokrinen Organ
• Muskelschwäche,
verursacht, kommt es zur Neoplasie.
• Knochenschmerzen,
Die MEN 1 wird autosomal-dominant vererbt,
• Nephrolithiasis,
obwohl die zugrunde liegende Mutation im Menin-
• abdominelle Schmerzen, Obstipation,
gen rezessiv ist und allein noch keine Pathologie ver-
• Anorexie,
ursacht. Dieser Widerspruch wird dadurch erklärt,
• Polyurie, Polydipsie,
dass bei der Vielzahl der Zellteilungen in den endo-
• psychische Veränderungen.
krinen Geweben das Auftreten der zweiten Mutati-
on, die zum Verlust der Menintumorsuppressor-
Der Hyperparathyreoidismus im Rahmen einer
funktion führt, sehr wahrscheinlich ist.
MEN 1 zeigt einen schleichenden Beginn. Im Gegen-
satz zum sporadischen primären Hyperparathyreoi-
dismus ist zum einen die PTH-Sekretion nicht stabil,
9.2.4
sondern stetig ansteigend und zum anderen nicht
Klinik
nur eine Erkrankung einer Nebenschilddrüse, son-
dern immer mehrerer Nebenschilddrüsen.
Die MEN 1 zeigt ganz unterschiedliche Symptome
und Beschwerden.
Als Erstmanifestation einer MEN 1 tritt in 87 o/o Pankreas-/Duodenumtumoren
der Fälle ein Nebenschilddrüsenadenom auf und Die am häufigsten vorkommenden endokrinen Tu-
verursacht einen Hyperparathyreoidismus. moren des Pankreas und des Duodenums im Rah-
• Im Laufe der Erkrankung kommen Nebenschild- men der MEN 1 sind Gastrinome, gefolgt von Insu-
drüsenadenome in 95 o/o der Fälle vor, linomen, Vipomen, Glukagonomen und Tumoren
• Pankreas-/Duodenumtumoren liegen in 40 o/o vor, ohne Hormonsekretion (Tabelle 9-8).
376 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

Tabelle 9-8. Pankreas- und Duodenumtumoren bei MEN 1 gekennzeichnet ist. Der Tumor ist in der Regel im
und deren Häufigkeit
Pankreas lokalisiert und ist in 1/3 der Fälle maligne.
Hormon - Häufigkeit Klinik
produktion (%)
Hypophysenadenome
Gastrin 63 ZoUinger-EUison-Syndrom Die Hypophysenvorderlappenadenome bei der
MEN I sind im überwiegenden Teil der Fälle hor-
Insulin 27 lnsulinom monaktiv und nur selten hormoninaktiv. Die kli-
Glukagon 2 Glukagonom nische Symptomatik richtet sich nach dem sezer-
nierten Hormon und unterscheidet sich nicht von
VIP ,..., ) Verner-Morrison -Syndrom der von sporadischen Adenomen. Am häufigsten
Inaktiv "' 1 kommt bei der MEN I ein Prolaktinom, gefolgt
von einer Akromegalie und einem M. Cushing,
vor (Tabelle 9-9).

Die klinisch gebotene Symptomatik wird dabei Tabelle 9-9. Hypophysenvorderlappenadenome bei MEN 1 und
durch das sezernierte Hormon bedingt. Die endokri- deren Häufigkeit
nen Tumoren sind in der Regel sehr klein und mul-
Hormon - Haufigkeit Klinik
tifokal, sodass die Symptomatik einer mechanischen produktion (%)
Raumforderung erst sehr spät oder gar nicht in Er-
scheinung tritt. Prolaktin 63 Prolaktinom

Wachstums- 22 Akromegalie
• Gastrinom. Das Leitsymptom dieses endokrinen hormon
Tumors ist das Zollinger-Ellison-Syndrom mit rezi-
divierenden Ulzera des Gastrointestinaltraktes zu- ACTH 6 Zentraler Morbus Cushing

sammen mit Ösophagitis und Diarrhö. Klinisch un- Inaktiv 8


terscheiden sich die MEN -I-assoziierten Gastrinome
von den sporadischen Gastrinomen durch das selte-
nere Auftreten von Diarrhöen sowie durch das jün-
gere Manifestationsalter. Die Gastrin-produzieren-
Karzinoide
Die häufigste Lokalisation der Karzinoide bei der
den Tumoren der Patienten mit einer MEN I sind
MEN 1 ist die "Foregut-Region", die den Thymus,
in 50-90 o/o im Duodenum lokalisiert. Im Gegensatz
das Bronchialsystem, den Magen und das Duode-
zu sporadischen Tumoren des Duodenums treten
num umfasst. Die Symptome sind zum einen abhän-
die MEN -I-assoziierten Gastrinome in der Regel
gig von der Tumorlokalisation und zum anderen
multizentrisch auf, mit einem Durchmesser zwi-
von den produzierten Peptidhormonen, z. B. Kalzi-
schen 0,1 und 2,0 cm.
tonin, ACTH oder PTH. Im Rahmen einer MEN I
bisher jedoch nicht beschrieben ist ein klassisches
• Insulinom. Die Klinik des MEN -I-assoziierten
Karzinoidsyndrom mit Flush, Diarrhö, Broncho-
Insulinoms unterscheidet sich nicht von der beim
konstriktion und Endokardfibrose mit Trikuspidal-
sporadischen Insulinom. Durch die übermäßige In-
insuffizienz, welches bei hereditären Karzinoiden
sulinproduktion kommt es zu symptomatischen Hy-
vorkommt. Die Karzinoide bei der MEN I werden
poglykämien mit den entsprechenden vegetativen
in der Regel durch das Tumorwachstum mit Sym-
und neurologischen Symptomen, die auf eine Glu-
ptomen wie Thoraxschmerzen oder Dyspnoe auf-
kosegabe rasch verschwinden.
fällig.
• Glukagonom. Das Leitsymptom ist ein migrato-
risch nekrolytisches Erythem in Verbindung mit Nebennierentumoren
einem Diabetes mellitus und einer Stomatitis (Syno- Die im Rahmen einer MEN I vorkommenden Tu-
nym: Diabetes-Dermatose-Syndrom). Der Großteil moren der Nebennierenrinde umfassen diffuse
der Glukagonome ist maligne und es liegen bereits oder noduläre Hyperplasien, differenzierte oder aty-
bei Diagnosestellung Metastasen vor. pische Adenome und Karzinome, wobei die meisten
Tumoren keine klinischen Symptome bewirken. Nur
• Vipom. Dieser Vasoaktive-Jntestinal-Polypeptide gelegentlich ist eine Hormonproduktion nachweis-
(VIP)-produzierende Tumor führt zum Verner-Mor- bar. Sehr selten kommt auch ein Phäochromozytom
rison-Syndrom, das durch wässrige Diarrhöen, Hy- mit der entsprechenden klinischen Symptomatik
pokaliämie und Achlorhydrie (WDHA-Syndrom) vor.
9.2 Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1) 377

keit der Somatostatinrezeptorszintigraphie hier ein-


9.2.5
geschränkt ist. Zur präoperativen Lokalisation eines
Diagnose
Insulinoms wird in einigen Zentren eine Stimulation
der Insulinsekretion durch eine intraarterielle Kalzi-
Anamnese
uminjektion in das Pankreas, mit einer Sensitivität
Die Anamnese muss bei V. a. MEN l die entspre-
von bis zu 90 o/o, durchgeführt.
chenden Vorerkrankungen der Hypophyse, des Pan-
kreas/Duodenums und der Nebenschilddrüsen er-
fragen . Bei der Familienanamnese müssen die ent- Labordiagnostik
sprechenden endokrinen Erkrankungen ebenfalls Vor allem zur Diagnose des im Laufe der MEN-1-Er-
detailliert erfasst werden. Es müssen Symptome krankung in 97 o/o der Fälle vorkommenden Hyper-
eines Hyperparathyreoidismus, einer Hypophysen- parathyreoidismus ist eine regelmäßige Kontrolle des
vorderlappenadenoms und eines endokrinen Pan- Serumkalziums und des intakten Parathormons un-
kreas-/Duadenomtumors beachtet werden. abdingbar. Bei V. a. Hypophysenadenom müssen die
Hypophysenachsen untersucht werden. Bei V. a. en-
dokrine Pankreas-/Duodenumtumoren müssen die
Körperliche Untersuchung
entsprechenden Hormone im Serum bestimmt wer-
Die körperliche Untersuchung hilft im Wesentlichen
den [Gastrin, Insulin, Glukagon, VIP, Somatostatin
bei der Beurteilung, ob ein Hypophysenvorderlap-
oder pankreatisches Polypeptid (PP)]. Bei der Karzi-
penadenom vorliegt. Beachtet werden sollten:
noiddiagnostik im Rahmen einer MEN 1 muss bei der
• Zeichen einer Akromegalie,
Bestimmung von 5-Hydroxyindolessigsäure im Urin
• Zeichen eines M. Cushing,
bedacht werden, dass dieses im Gegensatz zum spo-
• Störung der Sexualbehaarung,
radischen Karzinoid nur leicht erhöht ist. Dies liegt
• Vorliegen eines Chiasmasyndrom mit Gesichts-
daran, dass "Foregut-Karzinoide" anstatt Serotonin
feldausfällen.
häufig dessen Vorstufe 5-Hydroxy-L-Tryptophan se-
zernieren. Dieses wird nur in geringem Maße in den
Bildgebende Verfahren Nieren zu Serotonin decarboxyliert.
Beim klinischen V. a. ein Hypophysenadenom ist Zum Nachweis eines Gastrinoms ist der Sekretin-
eine Gesichtsfeldbestimmung und ein CT oder test als sehr spezifischer Test empfehlenswert.
MRT der Sellaregion indiziert.
Bei endokrinen Pankreas-/Duodenumtumoren
Biochemisches Screening
kommen eine Reihe von Untersuchungstechniken
bei asymptomatischen Familienangehörigen
mit unterschiedlicher Sensitivität in Frage. Tabelle
Falls der Genstatus bezüglich des Vorliegens einer
9-10 gibt einen Überblick über die möglichen bild-
Meninmutation nicht bestimmbar ist, müssen asym-
gebenden Verfahren. Zu beachten ist, dass die
ptomatische Familienangehörige einem regelmäßi-
Somatostatinrezeptorszintigraphie vor allem beim
gen biochemischen Screening unterzogen werden.
Gastrinom eine hohe Sensitivität zwischen 60
Abbildung 9-4 gibt einen Überblick über das Vorge-
und 100 o/o hat und somit Gastrinome ab 1 cm
hen.

D
Größe bei entsprechender Somatostatinrezeptor-
dichte nachgewiesen werden können. Beim Insuli-
nom sind dagegen mindestens 40 o/o der lnsulinome Da bei der MEN I Insulinome signifikant häufiger in
Somatostatinrezeptor-negativ, wodurch die Wertig- jungen Jahren und Gastrinome signifikant häufiger
jenseits von 40 Jahren auftreten, müssen bei jüngeren
Familienangehörigen eher Insulinome und bei älte-
Tabelle 9-10. Bildgebende Verfahren bei Pankreas-/Duode- ren Familienangehörigen eher Gastrinome gesucht
numtumoren
werden.
Methode Erfolgsrate (%)
Diese Kontrollen sind alle 6-12 Monate lebenslang
Oberbauchsonographie < 50 oder bis zum eindeutigen molekulargenetischen
CT < 50 Ausschluss einer Genträgerschaft durchzuführen.
Als standardisierter Screeningtest für die Detektion
MRT 30 von endokrinen Pankreastumoren wird von Skog-
Somatostatinrezeptor-Szintigraphie 58- 100 seid et al. ein standardisierter Nahrungstest zur Sti-
mulation des endokrinen Pankreas durchgeführt.
Endosonographie 80 Dabei wird vor und während der Mahlzeit das pan-
ArterieUe Angiographie 50 kreatische Polypeptid (PP), Gastrin, Insulin, Gluka-
gon und Somatostatin im Serum bestimmt.
378 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

asymptomatischer
schließen. Selbst wenn in einer MEN-1-Familie die
MEN 1 zugrunde liegende Meninmutation nicht bekannt
Familienangehöriger
ohne bekannte
ist, so kann doch mittels "Linkage-Analysen" bei
Keimbahnmutation großen Familien eine präsymptomatische Aussage
über eine MEN-1-Erkrankung mit großer Treffsi-
cherheit gemacht werden.

9.2.6
Differentialdiagnose

Serumkalzium Serumkalzium Differentialdiagnostisch muss die multiple endo-


Prolaklin Prolaktin
Untersuchung auf Untersuchu ng krine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) abgegrenzt werden.
lnsulinom auf Gastrinom Hier kann ebenfalls ein primärer Hyperparathyreoi-
und Akromegalie
dismus auftreten. Im Vordergrund bei der MEN 2
steht jedoch in 100% das medulläre Schilddrüsen-
karzinom (Tabelle 9-11), welches bei der MEN 1
nicht vorkommt.

Tabelle 9-11. Unterschiede der Tumoren bei MEN 1 und


MEN 2
wellerführende weiterführende
Kontrolle in 6 Kon trolle in 6
entsprechende enlsprechende
bis 12 bis 12
Oiag noS1ik und
Tumoren bei MEN I Tumoren bei MEN 2
OiagnoS11k und Monaten
Monaten Therapie
Therapie
eben childdrü enadenom ebenschilddrüsenadenom

Abb. 9-4. Diagnostisches Vorgehen bei asymptomatischen Pankreas-/Duodenumtumor Medulläres Schilddrüsen-


Familienangehörigen bei MEN 1, falls molekulargenetisch karzinom (100 %)
der sichere Ausschluss einer MEN-1-Mutation nicht gelingt
Hypophysenadenom Phäochromozytom

MEN-1-Gendiagnostik
Das MEN-1-Gen "Menin" liegt auf Chromosom Wichtig ist die Abgrenzung von endokrinen Tu-
11ql3. Es besteht aus 10 Exons und kodiert ein Pro- moren der MEN 1 von sporadischen endokrinen Tu-
tein von ca. 610 Aminosäuren Länge. Eine Ähnlich- moren ohne Keimbahnmutation. Beim Auftreten
keit mit bisher bekannten Proteinen besteht nicht. eines "sporadischen" endokrinen Tumors sollte im-
Die der MEN 1 zugrunde liegenden Mutationen mer an die Möglichkeit einer Erstmanifestation
im Meningen umfassen eine Reihe von verschiede- einer MEN 1 gedacht werden. Dies trifft vor allem
nen Mutationen, die zu Rasterverschiebungen, Dele- bei Pankreastumoren zu: diese sind in ca. 32%
tionen, Nonsense- und Misseusernutationen führen der Fälle Erstmanifestation einer MEN I und keine
können (s. Abb. 9-3). Die Vielfalt der vorliegenden eigenständige sporadische Erkrankung (Abb. 9-5).
Mutationen macht eine routinemäßige Gendiagno-
stik auf eine MEN-1-Mutation schwierig. Derzeit
ist die Suche nach weiteren MEN-1-Mutationen
im Meningen Gegenstand der Forschung. In der Re- Pankreastumor
gel findet sich bei den beschriebenen Mutationen
(s. Abb. 9-3) eine sichere Genotyp-Phänotyp-Korre- Karzinoid
lation in den entsprechenden Familien. Ein Problem pHPT
bei der Gendiagnostik von Individuen ohne großen
familiären Kontext bereiten jedoch Genpolymor- HVL-Adenom
phismen im Meningen, die von einer "krankma-
chenden" MEN-1-Mutation nicht sicher abzugren-
zen sind.
Ist in einer MEN -1-Familie die Meninmutation • sporadisch D MEN 1
bekannt, so lässt sich durch eine entsprechenden
Abb. 9-5. Häufigkeit einer MEN-1-Zugehörigkeit beim Auf-
Gendiagnostik bei den Familienangehörigen eine treten von augenscheinlich "sporadischen" endokrinen Tu-
MEN-1-Erkrankung sicher nachweisen oder aus- moren
9.2 Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1) 379

Dagegen handelt es sich beim Auftreten von Karzi- • Aggressives Therapiekonzept bei MEN. Bei der
noiden, Nebenschilddrüsenadenomen oder Hypo- MEN 1 besteht bezüglich des Zeitpunkts und des
physenadenomennur in 7, in 5 und in 2% der Fälle Ausmaßes einer operativen Therapie des Gastri-
um eine Erstmanifestation einer MEN 1. noms keine Einigkeit. Ein aggressives Therapiekon-
Kommt es im Rahmen einer MEN 1 zu einer zept verfolgt das Ziel, einer malignen Entartung mit
Akromegalie oder zu einem Cushing-Syndrom, so diffuser Metastasierung vorzubeugen und das funk-
muss differentialdiagnostisch neben einem Hypo- tionelle Syndrom der Hypergastrinämie chirurgisch
physenvorderlappenadenom an eine ektope Pro- zu sanieren. Bei MEN-1-Patienten mit Gastrinom
duktion hypothalamischer oder hypophysärer Hor- und ohne Lebermetastasen wird deshalb eine Lapa-
mone gedacht werden. In Frage kommt hier z. B. rotomie mit distaler Pankreatektomie, Enukleation
eine ACTH-Sekretion durch ein Karzinoid oder aller Tumoren des Pankreaskopfes, eine obligate
aber Bronchialkarzinomen und Pankreastumoren, Duodenatornie mit Exzision aller suspekten Befun-
die entsprechende Hormone sezernieren. de des Duodenums und die Resektion aller peripan-
kreatisch, entlang des Ductus hepaticus communis
und an der Leberpforte lokalisierten Lymphknoten
9.2.7 empfohlen. Die exzessive Lymphadenektomie ist
Therapie wegen der Gefahr einer Persistenz der Hypergastrin-
ämie aufgrund von Mikroadenomen von 1 mm
Nebenschilddrüsenadenome Durchmesser in den Lymphknoten indiziert. Die Er-
Therapie der Wahl ist eine operative Resektion der folgsrate dieser ausgedehnten operativen Therapie
Nebenschilddrüsenadenome. Da die Nebenschild- scheint bei erfahrenen Chirurgen bei ca. 65% zu lie-
drüsenadenome bei der MEN 1 in der Regel immer gen.
polyglandulär sind, sollten nur erfahrene Chirurgen
diese Operation durchführen. Die Dissektion der • Zollinger-Ellison-Syndrom. Da es sich beim Zoll-
Nebenschilddrüsen muss deshalb immer bilateral inger-Ellison-Syndrom im Rahmen einer MEN 1 in
unter Darstellung aller Nebenschilddrüsen sein. der Regel um eine multiple Mikroadenomatose des
Als Operation kommt entweder eine subtotale Pa- Gastrinoms mit generell sehr hoher Rezidivrate han-
rathyreoidektomie oder eine totale Parathyreoidek- delt, wird bei einem konservativen Therapiekonzept
tomie mit autogener muskulärer Nebenschilddrü- eine abwartende Haltung mit 6-monatigen Nachun-
sentransplantation in Frage. tersuchungen empfohlen. Eine Laparotomie wird
erst bei einem nachgewiesenen Gastrinom von
mehr als 3 cm Durchmesser empfohlen. Beim Auf-
Pankreas-/Duodenumtumoren treten von Lebermetastasen eines Gastrinoms bei
Therapie der Wahl bei allen endokrinen Pankreas- MEN 1 sollte eine Primärtumorentfernung mit Le-
und Duodenumtumoren ist eine operative Resek- berteilresektion oder Chemoembolisation der Le-
tion. bermetastasen erwogen werden.

• Postoperative Behandlung. Nach vollständiger


Gastrinom Resektion des Gastrin produzierenden Tumors ist
Ist ein Gastrinom ohne Fernmetastasen gesichert, so eine Therapie mit antisekretorischen Medikamenten
ist dessen frühzeitige Resektion unter kurativer Ziel- für 3-6 Monate wichtig, da die Normalisierung der
setzung anzustreben, da ein Zusammenhang zwi- basalen Säuresekretion und des Gastrinspiegels ver-
schen der Größe der Tumoren und ihrer Dignität be- zögert eintreten kann. Ist eine operative Entfernung
steht. Die chirurgische Therapie des sporadischen des Gastrinoms nicht möglich, so muss ebenfalls
Gastrinoms unterscheidet sich jedoch von der des eine medikamentöse Therapie zur Vermeidung
MEN -I-assoziierten Tumors. der Komplikationen der Hypergastrinämie erfolgen.
Therapie der Wahl sind Protonenpumpenhemmer
• Sporadisches Gastrinom. Beim sporadischen Ga- (Tabelle 9-12). Wichtig hierbei ist eine kontinuierli-
strinom ist bei einer proximalen Lokalisation im che Gabe, unter der Patienten mit Hypergastrinämie
Pankreas eine Enukleation ausreichend. Bei einer über Jahre beschwerdefrei gehalten werden können.
Lokalisation im distalen Pankreas wird eine distale
Pankreatektomie durchgeführt. Neben einer
Lymphknotenresektion wird eine Duodenatornie lnsulinom
nur durchgeführt, wenn intraoperativ ein Tumor Im Gegensatz zu sporadischen Insulinomen, die in
im Duodenum palpabel ist oder wenn intraoperativ 90% solitär sind und durch Enukleation oder Pan-
kein Pankreastumor lokalisierbar ist. kreasschwanzresektion geheilt werden können, ist
380 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

Tabelle 9-12. Medikamentöse, symptomatische und palliative Therapie bei endokrinen Tumoren des GI-Traktes

Tumor Empfehlung Gruppe Freiname Handelsname Dosierung Besonderheit Therapie-


(Beispiele) kontrollc

Gastrinom I. Wahl Protonenpu - Omeprazol Antra 40- 100 mg Kontinuier- Basal-


mpenhemmer Tag liehe Gabe ekretion
notwendig (Magensaft)

2. Wahl H2-Rezeptor- Ranitidin Zantie 1,2-1,9 g/Tag


antagonisten Famotidin Pepdul 120- 140 mg/
Tag

lnsulinom I. Wahl Vasodilatator Diazoxid Proglieem 150- 300 mg/ Kombination Blutzucker
Tag ein- mit Diureti-
schleichend kum erforder-
Lieh (kein
Thiazid)

2. Wahl Somatostatin- Somatostatin Sandastatin z. B. 3-mal bei malignen Blutzucker


analoga Sandastatin !50 ~g!Taf Insulinomen Tumorgröße
LAR z. B. 1-ma
30 mg!
4 Wochen

3. Wahl Polychemo- Strepto- Zanosar mit 500 mg!m 2 Gabe über Blutzucker
therapie zoteein + Fluorouracil 100 mgtm 2 5 aufeinander Tumorgröße
5-Fiuorouracil "Rache" folgende Tage

Glukagonom omatosta- Somatostat in Sande tatin Z. B. 3-mal Klinik


tinanaloga ando tatin ISO f.lg/Taf
LAR z. B. 1-ma
30 mg!
4 Wochen

Polychemo- Strepto- Zanosar mit 500 mg!m 2 Gabe über Tumorgröße


therapie zotocin + Fluorouracil 100 mg/m 2 5 aufeinander
5-Fiuorouracil "Rache" folgende Tage

Vipom 1. Wahl Somatosta- Somatostatin Sandastatin Z. B. 3-mal Klinik


tinanaloga Sandastatin ISO ~1g!Taf Tumorgröße
LAR z. B. 1-ma
30 mg/
4 Wochen

bei MEN -I-assoziierten Insulinomen in 75 o/o ein • Medikamentöse Therapie. Die medikamentöse,
multifokales Auftreten im Pankreas zu verzeichnen. symptomatische Therapie des Hyperinsulinismus
Ein extrapankreatisches Auftreten von Insulinomen ist schwierig (s. Tabelle 9-12). Als erste Wahl bietet
bei MEN 1 ist selten und die Malignitätsrate der In- sich die Hemmung der Insulinsekretion mit Dia-
sulinome bei MEN 1 beträgt ungefähr 14 o/o. zoxid an. Eine Wirkung liegt jedoch nur bei Insuli-
nomen vor, deren Tumorzellen speichernde Sekret-
• Subtotale Pankreatektomie. Als kurativer Ansatz granula aufweisen. Als weitere Option besteht die
empfiehlt sich deshalb eine subtotale Pankreatekto- Möglichkeit einer Gabe von Somatostatinanaloga,
mie in Kombination mit der Enukleation aller im deren Wirksamkeit jedoch auch von speichernden
Pankreaskopf nachweisbaren Tumoren. Die Erfolgs- Sekretgranula abhängt. Falls sich die Hypoglyk-
rate dieser Operationstechnik erreicht bis zu 95 o/o ämien durch diese Maßnahmen nicht beherrschen
und ist damit der minimalen distalen Pankreasre- lassen, ist eine palliative Chemotherapie mit Strep-
sektion oder der einfachen Enukleation der Ade- tozotocin, einem Zytostatikum mit hoher ß-zytoto-
nome, wie sie beim sporadischen Insulinom durch- xischer Wirkung, in Kombination mit 5-Fluoroura-
geführt wird, deutlich überlegen. Eine totale Pan- cil indiziert.
kreatektomie ist wegen der endokrinen und exokri-
nen Pankreasinsuffizienz mit hoher perioperativer
Morbidität und Mortalität nur bei therapierefraktä-
ren Insulinomen empfehlenswert.
9.2 Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1) 381

Glukagonom oder um eine sekundäre Proliferation aufgrund


Eine Pankreaslinksresektion führt leider nur in einer hypophysären oder ektopen ACTH-Sekretion
ca. 40 % der Fälle zu einer Heilung des Glukago- handelt. Eine hormoninaktive Vergrößerung der
noms, da 60-70 % der Glukagonome maligne sind Nebenniere stellt zunächst einmal keine Operations-
und bei der Diagnosestellung bereits metastasiert indikation dar. Es ist jedoch eine regelmäßige radio-
haben. Zur medikamentösen, symptomatischen logische und biochemische Kontrolle indiziert, um
Therapie bieten sich hier Somatostatinanaloga an, die Entwicklung einer Karzinoms nicht zu überse-
die zu einer Hemmung der Glukagonsekretion füh- hen. Als Hinweis einer malignen Entartung kann
ren. Als systemische Chemotherapie findet Strepto- ein rasches Wachstum oder eine ausgeprägte Erhö-
zotocin in Kombination mit 5-Fluorouracil Anwen- hung des Serumcortisols gelten.
dung (s. Tabelle 9-12).
Therapiekontrollen
Vipom • Nebenschilddrüsenadenom. Eine Persistenz oder
Die chirurgische Exstirpation des Primärtumors mit ein Rezidiv des primären Hyperparathyreoidismus
einer möglichst weitgehenden Metastasenresektion bei MEN 1 ist häufig, weswegen eine Langzeitkon-
ist die Therapie der 1. Wahl bei einem Vipom im trolle der Nebenschilddrüsenfunktion erforderlich
Rahmen einer MEN 1. Bei einer Malignitätsrate ist. Es sollte deshalb in halbjährlichem Abstand
von 35-50% ist oft eine symptomatische oder pal- das Serumkalzium und das intakte Parathormon ge-
liative Therapie notwendig. Mittel der 1. Wahl ist messen werden.
ein Somatostatinanalogon, das sowohl antisekreto-
rische als auch antiproliferative Eigenschaften bei • Gastrinom. Bei einem Gastrinom sollten regel-
Vipomtumorzellen hat (s. Tabelle 9-12). mäßige endoskopische Kontrollen des Magens erfol-
gen, da eine Assoziation von Gastrin-produzieren-
den Tumoren im Rahmen der MEN 1 und einer Kar-
Hypophysenadenome
zinoidose des Magens besteht.
Die Therapie der Hypophysenadenome im Rahmen
einer MEN 1 unterscheidet sich nicht von der The-
• Hypophysenadenom. Das häufige Auftreten von
rapie sporadischer Hypophysenadenome. Mit Aus-
Resttumoren bzw. von Rezidiven von Hypophysena-
nahme von Prolaktinomen, die primär medikamen-
denomen macht eine regelmäßige Kontrolluntersu-
tös mit Dopaminagonisten, z. B. Bromocriptin, be-
chung notwendig. Es sollte jährlich eine Gesichts-
handelt werden, steht bei hormonaktiven Adeno-
feldkontrolle, eine Überprüfung der Hypophysen-
men in erster Linie die operative Resektion im
hormone und bei Bedarf ein CT mit Kontrastmittel
Vordergrund. Auch hormoninaktive Tumoren, die
oder ein MRT durchgeführt werden.
von ophthalmologischen Symptomen mit einer me-
chanischen Beeinträchtigung des Chiasma opticum
begleitet werden, sollten neurochirurgisch thera-
9.2.8
piert werden.
Notfall

Karzinoide Die MEN 1 manifestiert sich selten als Notfall.


Die Therapie der Karzinoide im Rahmen einer MEN • Bei einem Gastrinom kann es bei Ulkusperforati-
1 unterscheidet sich nicht von der von einem spora- on zu einem akuten Abdomen kommen, welches
dischen Karzinoid. Ziel ist, wenn möglich, eine voll- dann notfallmäßig operiert werden muss.
ständige chirurgische Resektion des Karzinoids. Da- • Bei einem persistierenden Hyperparathyreoidis-
bei kann eine neoadjuvante präoperative Chemothe- mus bei MEN 1 kann es zu einer hyperkalzämi-
rapie zur Verkleinerung des Tumors führen. Bei schen Krise kommen, welche einer notfallmäßi-
nicht kurativ behandelbarem Karzinoid ist es das gen Intensivtherapie und Parathyreoidektomie
Therapieziel, durch eine entsprechende Ernährung, bedarf.
Pharmakotherapie mit Sandostatin und chirurgi- • Ein hypoglykämisches Koma bei einem Insuli-
sche Behandlung die Symptome des Patienten zu nom bedarf einer sofortigen Glukoseinfusion.
lindern.

Nebennierentumoren
Wird eine Nebennierenrindenproliferation festge-
stellt, so muss zunächst differentialdiagnostisch ge-
klärt werden, ob es sich um eine primäre Neoplasie
382 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

9.3 gesamt 120 mg!Tag Phenoxybenzamin (Dibezy-


Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) ran) vorgenommen. Daraufhin erfolgte die to-
tale Thyreoidektomie mit systematischer zervi-
A. GRAUER, w. HÖPPNER
kaler Mikrodissektion des zentralen und beider
9.3.1 lateraler Kompartimente. Postoperativ lagen so-
Fallpräsentation wohl die Katecholaminausscheidung als auch
die Kalzitoninspiegel basal und nach Pentaga-
strinstimulation im Normbereich. Für die eben-
Ein 32-jähriger Mann stellte sich zur Abklärung falls genetisch betroffene Tochter wurde die
rezidivierender Anfalle mit Herzrasen, Kopf- Empfehlung zur prophylaktischen Thyreoidek-
schmerzen und Schwitzen beim Hausarzt vor. tomie vor dem 6. Lebensjahr ausgesprochen.
Diese Anfälle seien im Verlauf der letzten 2 Mo-
nate immer wieder aufgetreten, der Blutdruck
sei dabei auf maximal 200/160 mmHg angestie-
gen. Sonegraphisch ist in der rechten Nebennie- I.
renregion eine Raumforderungvon 4 x 3 x 3 cm 3
Größe erfasst worden. Der Patient stellt sich so-
mit unter dem Verdacht eines Phäochromozy-
toms zur weiteren Abklärung vor. Die Mutter
des Patienten war an einem Schilddrüsenknoten 11.
operiert worden, der histologisch als medulläres
Schilddrüsenkarzinom klassifiziert worden war.
Der 35-jähriger Bruder sowie eine 41-jährige
Schwester des Patienten sind gesund. Der Pa- 111.
tient ist verheiratet und hat eine 3-jährige Toch- Abb. 9-6. Stammbaum der Familie. Der Indexpatient ist mit
ter (Abb. 9-6). Die körperliche Untersuchung einem Pfeil gekennzeichnet gekennzeichnet. Die Mutter und
zeigte als einzige Auffälligkeit bei normal großer die Tochter des Patienten weisen ebenfalls die Mutation an
Codon 634 des RET-Protoonkogens auf. Alle Genträger sind
Schilddrüse einen tastbare, ca. 1,5 cm großen, schraffiert gekennzeichnet
Knoten im rechten Schilddrüsenlappen. An-
hand der vorliegenden Befunde wurde die Ver-
dachtsdiagnose einer multiplen endokrinen 9.3.2
Neoplasie Typ 2A (MEN 2A) gestellt. Eine er- Epidemiologie
höhte Ausscheidung von Katechotaminen und
Metanephrinen im 24-h-Urin waren richtung - Leiterkrankung der MEN 2 ist das medulläre Schild-
weisend für die Diagnose eines Phäochromo- drüsenkarzinom. Unter allen Schilddrüsentumoren
zytoms. Die pathologische Mehrspeicherung kommt das medulläre Schilddrüsenkarzinom in
im 123 1-Metaiodbenzylguandin (MIBG)-Szinti- etwa 10 o/o vor. 75 o/o sind sporadisch, in 25 o/o der
gramm erhärtete diese (Abb. 9-7). Das erhöhte Fälle findet man ein medulläres Schilddrüsenkarzi-
Kalzitonin mit pathologischer Stimulierbarkeit nom im Rahmen einer MEN 2. Unter den familiären
im Pentagastrintest sicherte zusätzlich die Dia- Formen dominiert die MEN 2A vor dem familiären
gnose eines medullären Schilddrüsenkarzinoms medullären Schilddrüsenkarzinom. Die MEN 2B ist
(MTC). Für einen primären Hyperparathyreoi- die seltenste Verlaufsform (Abb. 9-8). Das Alter bei
dismus fand sich kein Anhalt (Tabelle 9-13). Diagnose hat bei den farnHären Formen einen Gipfel
Wegen des Verdachts auf eine MEN 2A wur- in der 3. Lebensdekade, bei den sporadischen Fällen
de eine molukulargenetische Analyse des RET- liegt dieser zwischen der 4. und 6. Lebensdekade.
Protoonkogens durchgeführt. Diese ergab eine
Mutation im Codon 634. Die Mutation ent-
spricht der Veränderung, die bereits bei der 9.3.3
Mutter des Patienten nachgewiesen worden Einteilung
war. Die beiden Geschwister des Patienten wa-
ren genetisch nicht betroffen, die 3-jährige DieMEN 2 wird je nach Autoren in 3 verschiedene
Tochter wies ebenfalls die Mutation im Codon Typen eingeteilt (Tabelle 9-14):
634 des RET -Protoonkogens auf (Abb. 9-7) . Zu- • Beim MEN 2A liegt ein medulläres Schilddrüsen-
nächst wurde eine Adrenalektomie rechts nach karzinom, einprimärer Hyperparathyreoidismus
vorheriger einschleichender a -Blockade mit ins- (Tabelle 9-16) und ein Phäochromozytom (Ta-
belle 9-15) vor.
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 383

Abb. 9-7.
MIBG-Szintigramm. Mehr-
anreicherung in der rechten
Nebennierenloge (Pfeil)

Tabelle 9-13. Untersuchungsergebnisse bei dem Indexpatienten

Untersuchung Parameter Ergebnis Normwerte

Phäochromozytomabklärzmg
24-h-Urin Adrenalin 647 nmol/Tag Bis 109 nmoi!Tag
ormetanephrin 7,90 J.lmoi/Tag Bis 1,9 J.imoi/Tag
Metanephrin 11,9 J.imol/Tag Bis 1,5 J.lmoi/Tag
MRT der ebenniere 3 · 4 · 5 cm große Raumfor-
derung im TZ-gewichteten
Bild
MIBG-Szintigramm Mehr peicherung rechte
R-Loge (s. Abb. 9-8)
Abklärung medulläres childdrüsenkarzinom
Kalzitonin basal 35,3 pglml Männer bis 6,6 pglml
2 min nach Pentagastrin 983 pglml Bis 43 pglml
5 min nach Pentagastrin 824 pglml Bis 43 pglml
childdrüsensonographie rechts zentrokranial 1,6 mJ
großes echoarmes Areal
Abklärung primärer Hyperparathyreoidismus
Serumkalzium 2,32 mmol/1 2,1-2,65 mmol/1
PTH intakt 39,7 pglml 10-65 pglml
Genetische Testtmg
Nachweis einer Mutation in
Exon II, Codon 634 des RET-
Protoonkogens (TGC zu TAC)
mit Aminosäureaustausch
von Cystein nach Tyrosin.
384 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

7,8%

I EI sporadisch

e MEN 2A
• MEN 28
[I] fMTC
Abb.9-8.
Häufigkeitsverteilung der medullären
Schilddrüsenkarzinome in Deutschland,
Auswertung von 1.004 Patienten des
deutschen C-Zell-Karzinomregisters

Tabelle 9-14. Komponenten der Erkrankung. jMTC familiäres Tabelle 9-15. Phäochromozytom bei MEN 2. MTC medulläres
medulläres Schilddrüsenkarzinom Schilddrüsenkarzinom. (Nach Modigliani et al. 1995; Frank-
Raue et al. 1996)
Krankheitsentitat MEN 2A ß1TC l\IEN 28
(%) (%) (%) Untersuchungspunkte Vorkommen (%)

Medulläres Schild- !00 100 100 Befallsmuster


drüsenkarzinom
Bei Diagno e tellung bilateral 50
Phäochromozytom 50 50
Bilateraler Befall (in gesamt) 70
Primärer Hyper- 10-20
parathyreoidismus Zeitpunkt der Diagnose

Intestinale Ganglio- 75-90 Vor dem MTC 25


neuromate e
Gleichzeitig mit dem MTC 35
achdem MTC 40
• Das MEN 2B, der seltenere Typ, besteht aus me- Grund der Entdeckung Symptome
dullärem Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozy-
tom und einer intestinalen Ganglioneuromatose 40- 50 Screening
(Schleimhautneurinome). Klinisch haben die Pa-
50-60 Mortalität
tienten einen marfanoiden Habitus mit Skelett-
veränderungen. ME 2 Patienten 39
mit Phäochromozytom
• Eine dritte Form, das familiäre medulläres Schild-
drüsenkarzinom (fMTC), welches von einigen Davon wegen Phäochromozytom 64
Autoren unterschieden wird, zeichnet sich durch
das alleinige Vorhandensein eines medullären Wegen MTC 13
Schilddrüsenkarzinoms aus. Die Diagnose eines Malignität 4
fMTC setzt voraus, dass in einer Familie minde-
stens 4 Mitglieder mit MTC ohne begleitende En-
dokrinopathien aus dem Formenkreis der MEN 2
vorhanden sind. Diese Definition ist umstritten.
Andere Gruppen postulieren, dass das fMTC
eine milde Variante der MEN 2A ist, bei der an-
dere Endokrinopathien sehr selten sind.
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 385

Tabelle 9-16. Hyperparathyreoidismus bei MEN 2A. (Nach Protoonkogens vorkommen und führen zur Hirsch-
Raue et al. 1995) sprung-Krankheit (Megacolon congenitum, Agang-
lionose). Aktivierende Mutationen lösen die heredi-
Untersuchungspunkt Vorkomm en (o/o)
tären Tumoren der MEN-2-Erkrankung aus. Auch
Zeitpunkt der Diagnose bei einigen MEN 2 auslösenden Mutationen tritt
ein M. Hirschsprung als Begleiterkrankung auf.
Zusammen mit dem MTC 75
Das über das RET-Protoonkogen kodierte RET-
Schweregrad Protein gehört zu der Familie der membranständi-
gen Tyrosinkinaserezeptoren. Der Aufbau ent-
Asymptomatisch 80
spricht dem verwandter Rezeptoren, wie etwa dem
Vorkommen von ierensteinen 15 Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor
(EGF-Rezeptor). Es besteht aus einem extrazellulä-
Pathologie
ren Teil mit Ligandenbindungsdomäne, cysteinrei-
Singuläres Adenom ca.SO cher Domäne sowie transmembranöser Domäne.
Der intrazelluläre Teil baut sich aus einer Tyrosin-
4-Drüsen-Hyperplasie 40
kinasedomäne mit Tyrosinkinaseaktivität und Au-
tophosphorylierungsstellen auf (Abb. 9-10).

• Tyrosinrezeptorkinase. Das Genprodukt des


9.3.4 RET -Protoonkogens, die Tyrosinrezeptorkinase, ist
Pathogenese für die Proliferation, Migration, Differenzierung
und das Überleben von Zellen der Neuralleiste wich-
Genetik tig. Dies zeigten immunhistochemischen Untersu-
chungen und mRNA-Bestimmungen während der
RET-Protoonkogen Embryogenese bei Ratten. Als physiologischer Li-
Die MEN 2 und die fMTC stellen die bisher einzigen gand des Rezeptors wurde das neurotrophe Peptid
erblichen Erkrankungen dar, die durch aktivierende GDNF ("glial-cell derived nerve growth factor")
Mutationen in einem Protoonkogen ausgelöst wer- identifiziert. Das RET-Protein bildet in Gegenwart
den. 1993 berichteten verschiedene Autoren, dass des Liganden GDNF einen Komplex mit einem wei-
heterozygote Keimbahnmutationen im RET-Pro- teren Protein, dem GDNFa-Rezeptor. In diesem
taonkogen für die MEN-2-Erkrankung verantwort- Komplex liegen sowohl das RET- Protein als als
lich sind. Das Gen ist auf dem Chromosom 10 loka- auch der GDNFa-Rezeptor 2-fach vor (Abb. 9-11).
lisiert. Es besteht aus 21 Exons, aus denen eine Diese Dimerisierung ist typisch für Tyrosinkinasere-
mRNA von 4 kb und ein Protein von ca. 120 kDa ge- zeptoren und u. a. Voraussetzung für die Übertra-
bildet wird (Abb. 9-9). Durch alternatives Spleißen gung des intrazellulären Signals. Bei diesem Aktivie-
werden 2 unterschiedliche Isoformen gebildet, die rungsmechanismus sind Cysteinreste der extrazellu-
sich in der Größe unterscheiden. Inaktivierende Mu- lären cysteinreichen Domäne des RET-Proteins be-
tationen können praktisch in allen Exons des RET- teiligt.

Gen 5' 3'

Exons 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15161718192021
mRNA 5' 3'

Protein COOH

Abb. 9-9. Schematischer Aufbau des Ret-Protoonkogens, der mRNA und des ret Proteins. Cys Cystein-reiche Domäne, LBD
Ligandenbindungsdomäne, TM Transmembrandomäne, TK Tyrosinkinasedomäne)
386 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

I Liganden-Bindungs-Domäne

I
Cadherin

Cysteinreiche Domäne

.-------~~~~~--~-------------. Membran


Cysteln Reste
mutierte Cystelne
I Tyroslnkinase Domäne

0 Exon 13/14, FMTC


:;;') Men 28 Mutation Abb.9-10.
I Kohlenhydrate Vermutete Struktur des REI-
Froteins

• Pathomechanismus der MEN 2A. Er beruht in der intrazellulären Tyrosinkinase-2-Domäne des


85 o/o der MEN-2-Familien darauf, dass durch eine RET -Proteins, die für die Erkennung der Substrate
Punktmutation einer von 5 Cysteinresten in eine an- verantwortlich ist, auf die das Signal übertragen
dere Aminosäure umgewandelt wird. Dieses mu- wird. Die Aminosäure Methionin in Position 918
tierte Protein dimerisiert auch in Abwesenheit des wird in Threonin (Met918Thr) umgewandelt
Liganden zu dem dimeren Komplex und ist dadurch (Abb. 9-12). Der Pathomechanismus beruht auf
ständig aktiviert. Die Mutation bewirkt also (im Un- einer Phosphorylierung falscher intrazellullärer
terschied zu Mutationen in Tumorsuppressorgenen) Substrate nach Aktivierung des Rezeptors und damit
eine dauernde Aktivierung ("gain of function") des auf der Erzeugung eines falschen Signals in der Zelle.
RET-Proteins. In knapp 10% der MEN-2A- oder Kürzlich wurde eine weitere Mutation beschrieben,
fMTC-Familien kommen Mutationen in Nichtcy- die wahrscheinlich bei den restlichen5o/oder MEN-
steinresten vor, die ebenfalls zu einer Aktivierung 2B-Patienten vorkommt (Ala883Phe). Der genaue
führen. Die Mutationen befinden sich in der intra- Pathomechanismus für diese Mutation ist ebenfalls
zellulären Tyrosinkinase-1-Domäne (s. Abb. 9-10). noch nicht aufgeklärt.
Der genaue Mechanismus ist für diese Mutationen Die Mutationenen im RET-Protoonkogen liegen
weniger gut verstanden als bei den Cysteinmutatio- stets heterozygot vor. Die Erkrankung wird domi-
nen. nant vererbt. Somit reicht zur Manifestation der Er-
krankung eine defekte Genkopie aus. Die Häufig-
• Pathomechanismus der MEN 2B. Die MEN 2B keitsverteilungder wichtigsten Mutationen ist in Ta-
beruht in 95 o/o der Fälle auf einer Mutation in belle 9-17 dargestellt.

Abb. 9-11.
Dim erisierung des RET-
Proteins mit dem GDNF-
Rezeptor nach Ligandenbin-
intrazelluläre dung und Aktivierung der
Signalkette (-n) intrazellulären Signalkette
nach Autophosphorylierung
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 387

Cys 609 Cys 618 Cys 620 Cys 634 Glu 768 Val804 Ala 883
lff. Tyr lff. Tyr lff. Tyr lff. Tyr lff. Asp lff. Leu lff. Phe
Cys 611 ~ Ser lff. Arg lff. Trp Leu 790 lff.Met Met 918
lff. Tyr /ff.Giy ~ Ser lff. Phe Arg 844 lff. Thr Abb. 9-12.
lff. Trp /ff.Arg /ff.Giy Tyr 791 lff. Leu Lokalisation der wichtigsten
/ff.Arg ~Phe aktivierenden Mutationen im
lff. Phe RET-Protoonkogen

Tabelle 9-17. Verteilung der häufigsten Mutationen im RET-Protoonkogen und korrelierter Phänotyp bei deutschen MEN-2-
Familien

Exon Codon Aminosäurenaustausch Phänotyp Häufigkeit

10 609 Cys-t x ME 2A, FMTC 609-620

610 Cy -t X ME 2A, FMTC zusammen 23%

618 Cys-> x ME 2A, FMTC

620 Cys-+ x ME 2A, FMTC

11 634 Cys-+ x ME 2A 66%

13 768 Gin- Asp FMTC < 1%

790 Leu -. Phe ME 2A, FMTC 790 und 791

791 Tyr-. Phe ME 2A, FMTC zusammen 8 o/o

804 Val-. Leu/Met FMTC < I%

14 844 Arg- Leu FMTC < 1%

15 883 Ala---> Phe ME 2B 5%

16 918 Met-. Tyr ME 2B 95 o/o

Genotyp-Phänotyp-Korrelation renAminosäurenals dem Cystein 634 gibt, die den-


Bei einem Vergleich der Mutationen untereinander noch assoziierte Erkrankungen oder schwere Ver-
konnte durch In-vitra-Experimente gezeigt werden, läufe zeigen.
dass das Ausmaß der Aktivierung am stärksten ist,
wenn ein bestimmter Cysteinrest (Cystein 634) mu-
tiert ist. Dies könnte erklären, warum die Mutatio-
9.3.5
nen des Cystein 634 signifikant häufiger mit den as-
Klinik
soziierten Erkrankungen (Hyperparathyreoidismus
und Phäochromozytom) vorkommen, während Fa-
Symptome und Beschwerden der verschiedenen
milien mit Mutationen in den übrigen Cysteinresten
MEN-2-Typen begründen sich auf den jeweilig be-
häufig nur von einem medullären Schilddrüsenkar-
fallenen Organen. Aus diesem Grund gehen wir
zinom betroffen sind (fMTC-Familien). Es wäre
nachfolgend auf diese einzelnen Organsysteme
demnach plausibel, dass das klinische Bild, mögli-
ein. Das klinische Bild ergibt sich aus dem Mischbild
cherweise auch der klinische Verlauf, vom Ausmaß
der befallenen Organsysteme.
der Aktivierung des RET-Proteins und damit von
der Art der Mutation abhängig sind. Diese Erkennt-
nisse zur Genotyp-Phänotyp-Korrelation haben Medulläres Schilddrüsenkarzinom (MTC)
aber bisher nur geringe klinische Bedeutung, da Klinisch lässt sich das MTC bei der der MEN 2 nicht
es immer wieder Familien mit Mutationen in ande- von der sporadischen Form unterscheiden. Es findet
388 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

sich eine Struma nodosa mit sonographisch meist pen, Mundschleimhaut, Zunge und Augenlidern. In
echoarmem, szintigraphisch kaltem Knoten. In der Spaltlampenuntersuchung findet man verdickte
50 o/o sind bereits zervikale Lymphknotenmetastasen Kornealnerven. Sie finden sich bereits im frühen
nachweisbar. Eine sekretorische Diarrhö kann in Kindesalter, oft vor der Manifestation des medullä-
etwa 30 %, vor allem bei fortgeschrittenen Fällen, ren Schilddrüsenkarzinoms. Die intestinale Ganglio-
auftreten. Der dafür ursächliche Faktor konnte bis- neuromatose, die üblicherweise den gesamten
lang noch nicht sicher identifiziert werden. Einzel- Gastrointestinaltrakt betrifft, findet sich bei ca.
fälle sind beschrieben, in denen das medulläre 75-90 o/o der Patienten. Diese Erscheinung führt zu
Schilddrüsenkarzinom durch zusätzliche ACTH- Störungen der Kolonfunktion im Sinne einer chro-
Produktion ein ektopes Cushing-Syndrom ausgelöst nischen Obstipation, die von Geburt an besteht. Häu-
hat. In einem Alter von 35 Jahren ist die Wahr- fig liegt ein Megakolon vor, welches in etwa 50 o/o der
scheinlichkeit, dass sich ein MTC klinisch bemerk- Fälle chirurgisch therapiert werden muss. Typische
bar gemacht hat, nur etwa 20 o/o und steigt auf Veränderungen des klassischen Marfan -Syndroms,
60 o/o in einem Alter von 70 Jahren an. Biochemisch wie Linsenanomalien oder ein Aortenaneurysma,
nachweisbar ist die Erkrankung jedoch bereits mit werden nicht beobachtet. Die folgende Übersicht
20 Jahren bei 65 o/o und mit 35 Jahren bei nahezu gibt einen Überblick über die klinischen Zeichen
100 o/o der Gen träger. der MEN 2B.

Klinische Zeichen der MEN 2B


Phäochromozytom
Das Phäochromozytom der MEN 2 unterscheidet • Intestinale Ganglioneuromatose
sich vom klinischen Beschwerdebild nicht von der • Aufgetriebene Lippen
sporadischen Form. Bemerkenswert ist jedoch, • Marfanoider Habitus
dass die Phäochromozytome bei der MEN 2 bereits Hochbogigen Gaumen
primär in 50 o/o, im weiteren Verlauf insgesamt bei Lange Extremitäten
ca. 70 o/o bilateral auftreten. Der Anteil der bilateral Arachnodaktylie
betroffenen Patienten liegt bei den MEN-2B-Patien- Hypermobile Gelenke
ten höher als bei den MEN-2A-Patienten. Muskelschwache Extremitäten

D
Kyphoskoliose
Bei primär unilateralem Befall wird sich in ca. 35 % Epiphysiolysis capitis femoris
der Patienten mit MEN 2 auf der primär nicht betrof- • Verdickung der Kornealuerven
fenen Seite im Laufe der nächsten fahre ebenfalls ein • Zahnanomalien mit ausgedehntem Kariesbefall
Phäochromozytom entwickeln.

Bei der MEN 2A wird das Phäochromozytom mei-


stens gleichzeitig oder nach dem medullären Schild- Seltene assoziierte Erkrankungen
drüsenkarzinom diagnostiziert, da nur etwa die • Vor einigen Jahren wurde erstmals eine Assozia-
Hälfte der Patienten durch klinische Symptome auf- tion zwischen MEN 2A und einer Hauterkran-
fällt. Die Mortalität, die durch das Phäochromozy- kung, dem Lichen amyloidosus, beschrieben.
tom bedingt ist, ist substanziell, die Malignitätsrate Hier handelt es sich um multiple infiltrierte Pa-
ist mit ca. 4 o/o gering (s. Tabelle 9-15). peln, die sich bei den MEN-2A-Patienten in einem
scharf demarkierten Areal im Schulterbereich zei-
gen. Die Patienten weisen typische MEN-2A-Mu-
Primärer Hyperparathyreoidismus
Der Schweregrad eines primären Hyperparathyreoi- tationen auf, sodass es hier keine genetische Un-
dismus (bei MEN 2A) ist häufig milde. Komplikatio- terscheidungsmöglichkeit gibt.
nen wie Nierensteine sind selten. Ein singuläres • In seltenen Fällen ist die MEN 2A auch mit einer
Adenom ist in etwas mehr als der Hälfte der Fälle Agangliomatose des Kolons im Sinne eines M.
nachweisbar, in etwa 40 o/o findet sich eine multiple Hirschsprung assoziiert.
Epithelkörperchenhyperplasie (s. Tabelle 9-16).
9.3.6
Besonderheiten der MEN 28 Diagnostik
Die MEN 2B ist eine Blickdiagnose auf dem Boden
der Kombination aus Schleimhautneuromen und Im Gegensatz zur Situation bei den jeweiligen Ein-
marfanoidem Habitus. Die multiplen Schleimhaut- zelerkrankungen medulläres Schilddrüsenkarzinom,
neurome entwickeln sich zentrofazial betont an Lip- Phäochromozytom und pHPT führt bei der MEN 2
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 389

nur etwa in der Hälfte der Fälle eine klinische Auffäl- Tabelle 9-18. Labordiagnostik bei der MEN 2. MTC medullä-
ligkeit zur Indikation der Diagnostik. In diesem res Schilddrüsenkarzinom, pHPT primärer Hyperparathyreoi-
dismus
Falle unterscheidet sich der diagnostische Weg nicht
von dem der Einzelerkrankungen. In der anderen Erkrankung Nachweis Screening
Hälfte der Fälle wird die Diagnostik im Rahmen
des Familienscreenings bei genetischer Belastung MTC Kalzitonin, CEA Kalzitonin nach
Pentagastrin
durchgeführt. Dabei wird der Nachweis nicht
mehr durch ein biochemisches Screening geführt, Phäochromo- Urinkatecholamine U rinkatecholamine
sondern durch den Nachweis von Mutationen im zytom
RET-Protoonkogen, die in nahezu allen genetisch pHPT Serumkalzium, erumkalzium
bedingten Fällen vorliegen. PTH
Wenn bei einem Indexfall in der Familie eine
MEN 2 diagnostiziert wurde, sollte zunächst dessen
Genotyp ermittelt werden. Im Anschluss sollten zu-
für jeden Assay neu ermittelt werden. Die Kalzito-
nächst alle Verwandten 1. Grades genetisch auf das
ninspiegel liegen bei Frauen physiologischerweise
Vorliegen der bei dem Indexfall gefundenen Muta-
niedriger als bei Männern, auch dies muss bei der
tion getestet werden. Unabhängig vom Ergebnis
Normwertermittlung berücksichtigt werden. Neben
sollte diese Testung aus einer 2. unabhängigen Blut-
dem Kalzitonin findet sich beim manifesten C-Zell-
probe wiederholt werden (Bestätigungsanalyse).
karzinom auch ein erhöhtes CEA.
Wenn keine einschlägige Mutation vorliegt, kann
die weitere Überwachung eingestellt werden. Findet
• Kalzitoninstimulations-Test mit Pentagastrin.
sich eine MEN-2-Mutation, muss der Patient jetzt
Ein kleines C-Zellkarzinom oder eine C-Zellhyper-
auf das Vorliegen der Organmanifestationen hin un-
plasie sind durch einen normalen basalen Kalzito-
tersucht werden.
ninspiegel nicht auszuschließen. Bei entsprechender
Fragestellung erhöht der Pentagastrintest die dia-
Anamnese gnostische Sicherheit. Die folgende Übersicht zeigt
Charakteristisches Symptom bei etwa 30% der Pa- das Vorgehen beim Pentagastrintest Die Normwer-
tienten mit medullären Schilddrüsenkarzinom te für die pentagastrinstimulierte Kalzitoninsekreti-
sind sekretorische Diarrhöen. Für das Phäochromo- on unterscheiden sich zwischen verschiedenen
zytom ist eine, häufig anfallsartige arterielle Hyper- Nachweissystemen und müssen jeweils neu definiert
tonie mit Schweißausbrüchen, Kopfschmerzen und werden.
Zittern typisch. Bei V. a. MEN 2 ist die Familienvor-
geschichte von zentraler Bedeutung.
Pentagastrintest

Körperliche Untersuchung • Indikationen


Zusätzlich zu krankheitstypischen Veränderungen Evaluation klinisch bislang nicht manifester Pa-
wie einem palpablen Knoten beim medullären tienten mitpostitivem MEN -2-Mutationsnachweis
Schilddrüsenkarzinom ist vor allem der charakte- Nach C-Zellkarzinom-Op. und normalem basalen
ristsehe Habitus bei der MEN 2B nahezu pathogno- Kalzitonin
monisch (s. vorangehende Übersicht). Bei grenzwertig erhöhtem basalen Kalzitonin im
Rahmen der Struma-nodosa-Abklärung
Labor
Nicht mehr primär indiziert bei: Familienscree-
Die Labordiagnostik bezieht sich auf das jeweilig be- ning
• Vorbereitung
teiligte Organsystem der MEN (Tabelle 9-18) .
1 Ampulle Pentagastrin (Peptavlon, Internatio-
nale Apotheke) enthält üblicherweise 500 11g in
Medulläres Schilddrüsenkarzinom 2 ml. Diese Menge wird in einer 10-ml-Spritze
Das klinisch manifeste C-Zellkarzinom ist durch aufgenommen und mit NaCl 0,9 %auf 10 ml ver-
einen erhöhten Kalzitoninspiegel gekennzeichnet. dünnt und vermischt. Aus dieser Lösung wird die
Die Kalzitoninbestimmung erfolgt mit Hilfe eines für den Patienten errechnete Menge (0,5 11g/kg
Immunoassays. Moderne Kalzitoninassays verwen- Körpergewicht) entnommen, bei 100 kg also
den eine Doppelantikörpertechnik ("Two-site- 1 ml, bei 50 kg 0,5 ml
Assay"). Da der Normbereich wegen der unter- Der Patient sollte in dieser Zeit ruhig und ent-
schiedlichen Spezifität der Nachweissysteme von spannt sitzen oder liegen
Assay zu Assay unterschiedlich ist, muss dieser Anlage einer venösen Verweilkanüle
390 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

• Instruktion des Patienten Bildgebende Verfahren


Der Patient sollte darauf vorbereitet werden, dass
ihm etwa 20 s nach Applikation des Pentagastrins Medulläres Schilddrüsenkarzinom
übel und heiß werden kann und dass die Glieder Die Wahl der bildgebenden Diagnostik ist vom Zeit-
schwer und unangenehm warm werden. Diese Er- punkt der Erkrankung abhängig.
scheinungen halten etwa 1-3 min an und ver-
schwinden folgenlos • Vor der Erstoperation. Zu diesem Zeitpunkt
• Durchführung sollte man schrittweise vorgehen:
Blutentnahme nach 0 min • Die erste bildgebende Untersuchung ist die UZtra-
Injektion des Pentagastrin i. v. in 2-5 s als Bolus schalluntersuchung der Schilddrüse und der um-
Blutentnahme nach 2 min gebenden Strukturen, wobei nach zervikalen
Blutentnahme nach 5 min Lymphknotenmetastasen gesucht wird.
• Bei suspektem Areal in der Schilddrüse wird eine
Schilddrüsenszintigraphie angeschlossen, die
Phäochromozytom Aussage über das Speicherverhalten des Areals
Zur Nachweisdiagnostik eines Phäochromozytoms erbringt. Liegt eine Minderspeicherung vor, so
sollten folgende Untersuchungen gemacht werden: besteht der hochgradige V. a. eine Neoplasie. In
Verbindung mit positivem Labor (Kalzitonin er-
• Katecholamine im angesäuerten 24-h-Urin. Zu- höht, CEA erhöht) besteht der hochgradige V. a.
nächst wird eine 2-malige Bestimmung der Kate- ein medulläres Schilddrüsenkarzinom und die In-
cholamine im angesäuerten 24-h-Urin durchgeführt. dikation zur Operation ist zu stellen.
Interferierende Medikamente, insbesondere ß-Re- • Sollten noch immer Zweifel bestehen, so ist eine
zeptorenblocker müssen mindestens 48 h, Clonidin Punktionszytologie aus dem suspekten Areal zur
mindestens 24 h vor der Testung abgesetzt werden. Diagnosesicherung sinnvoll. Weiterhin muss eine
Die Ausscheidung von Adrenalin im 24-h-Urin war Staginguntersuchung durchgeführt werden. Sie
bei asymptomatischen Patienten im Durchschnitt besteht aus einer Röntgenuntersuchung des Tho-
auf das 5-fache der Norm, bei symptomatischen Pa- rax, Oberbauchsonographie und einer computer-
tienten auf das 16-fache erhöht und ist in den mei- tomographischen Untersuchung vom Hals mit
sten Studien der aussagekräftigste Parameter. Ande- Mediastinum.
re Studien berichten über eine hohe Sensititvität und
Spezifität bei der Bestimmung der Metanephrine im • Lokalisationsdiagnostik bei Tumorpersistenz
Urin. oder -rezidiv. Bei persistierend erhöhten Kalzitonin-
spiegeln postoperativ oder Wiederanstieg des Kalzi-
• Katecholamine im Serum. Die Bestimmung der tonins nach vorheriger Normalisierung ist eine in-
Katecholamine im Serum ist vor allem während tensive Lokalisationsdiagnostik indiziert. Zum Lo-
eines Hochdruckanfalls sinnvoll. Wenn als einzige kalisationsnachweis einer lokoregionären Metasta-
biochemische Auffälligkeit erhöhte Serumwerte sierung wird neben der Ultraschalluntersuchung
nachweisbar sind, kann zum Ausschluss stressbe- der Halsorgane und CT-Untersuchung des Halses
dingter Katecholaminerhöhungen der Clonidintest mit Mediastinum eine selektive Halsvenenkatheteri-
durchgeführt werden. Während es bei unspezifi- sierung mit Kalzitoninbestimmung durchgeführt
scher Katecholaminerhöhung zu einer Suppression (Abb. 9-13). Die diagnostische Sensitivität dieses
3 h nach Gabe von 300 mg Clonidin per os kommt, Verfahrens beträgt nahezu 90 o/o. Insbesondere bei
ist dies bei Phäochromozytompatienten nicht der minimalen Tumorresiduen übertrifft dieses Verfah-
Fall. Bei vornehmlich adrenalinproduzierenden Tu- ren in erfahrenen Händen die Sensitivität des Ultra-
moren ist die Aussagekraft des Testes jedoch einge- schalls (28%) und der CT-Untersuchung (38%) bei
schränkt. weitem (Abb. 9-14). Diese Untersuchungsverfahren
ermöglichen dem Chirurgen eine genaue Operati-
onsplanung der Rezidivoperation und tragen somit
Primärer Hyperparathyroidismus zu einer erheblichen Verkürzung der Operationszeit
An erster Stelle steht die Bestimmung des Serumkal- mit Narkoserisikoverminderung bei.
ziums. Bei positiver Familienanamnese für eine Eine Reihe von Szintigraphischen Verfahren (s. fol-
MEN 2A sichert ein erhöhtes Serumkalzium in Ver- gende Übersicht) ist als ergänzende Diagnostik ein-
bindung mit einem erhöht gemessenen intakten Pa- zustufen, aktuelle Untersuchungen mit radioaktiv
rathormon die Diagnose. markierten Anti-CEA-Antikörpern sind viel ver-
sprechend, da hier eine höhere Trefferquote als
mit CT oder Ultraschall erzielt werden konnte
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 391

und auch zuvor unendeckte Fernmetastasen in Kno-


60 chen und Leber visualisiert werden konnten.
90

Lokalisationsverfahren beim
90
medullären Schilddrüsenkarzinom
230

40 • Lokalisation von residualem Tumorgewebe bei


90 okkultem medullärem Schilddrüsenkarzinom
Ultraschall
60 120 110 60 CT
Selektiver Halsvenenkatheter
I CT pg/ml I 80
• Ergänzende Verfahren
DMSA-Szintigraphie
MIBI -Szintigraphie
Octreotidszintigraphie
60
• In Erprobung
Anti-CEA-Antikörper-Szintigraphie

80 Phäochromozytom
Für die bildgebende Diagnostik stehen an rein mor-
50 50 phologischen Verfahren die Sonographie, die Com-
putertomographie und die Kernspintomographie
zur Verfügung. Die Kombination aus Bildgebung
und funktioneller Aussage ist mit Hilfe der Szinti-
graphie mit 123 1-Metaiodbenzylguandin (MIBG)
möglich. Bei Patienten mit biochemischen AuffäHig-
keiten lässt sich im Dünnschicht-CI oder MRT fast
Abb. 9-13. Kalzitoninbestimmung nach selektiver Halsve- immer ein Tumor nachweisen, was umgekehrt nicht
nenkatheterisierung. Ein Katheter wird über die V. femoralis immer der Fall ist. Die MIBG-Szintigraphie ist das
eingeführt, 15- 25 Blutproben werden selektiv nach einem
standardisierten Schema entnommen. Aus den Proben wird spezifischste Verfahren und kann bereits im Sta-
Kalzitonin bestimmt und ein Gradient aus dem höchsten Kal- dium der Nebennierenmarkhyperplasie positiv
zitoninwert und einem Mittelwert der Kalzitoninbestimmun- sein. Wichtig ist daran zu denken, dass das Phäo-
gen aus den peripheren Abnahmestellen unterhalb der V. he-
patica ermittelt. Gradienten über 1,2 deuten auf res iduales Tu- chromozytom bei der MEN 2 in 50% der Fälle bei
morgewebe im Abflussgebiet dieser Venen hin Diagnosestellung bilateral vorkommt (Tabelle 9-19).

100
89%

80

l 60
~
~
·;;; 40 38%
I:
Cl)
(/)

20

Abb.9-14.
0
Sensitivität von Lokalisationsverfahren zur Identifi-
sHVK Ultraschall CT kation von Tumorresiduen eines MTC nach totaler
Lokalisationsverfahren Thyreoidektomie. (Nach Frank-Raue et al. 1992)
392 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

Tabelle 9-19. Lokalisationsverfahren beim Phäochromozy- aus Tumor- oder Normalgewebe müssen Familien-
tom (prospektive Untersuchung an 109 Fällen. (Nach Bravo
1994)
mitglieder dann nur noch auf diese Mutation unter-
sucht werden. Ist es nicht möglich, von einem Index-
Untersuchung Sensitivität Spezifitat patienten über die molekulare Diagnostik die Muta-
(%) (%) tion zu identifizieren, muss bei allen Familienmit-
gliedern, an die nach den Erbregeln eine evtl.
CT 98 70
vorhandene Mutation vererbt worden sein könnte,
M RT 100 67 eine komplette Analyse der Exons 10, 11 und 13
durchgeführt werden.
MIBG-Szin ti- 78 100
gramm
• Sporadisches medulläres Schilddrüsenkarzinom.
Auch für Patienten mit sporadischem medullärem
Schilddrüsenkarzinom ist eine molekularbiologi-
sche Diagnostik des RET-Protoonkogen sinnvoll.
Primärer Hyperparathyreoidismus
In 11,6% der anscheinend sporadischen Fälle findet
Eine präoperative Lokalisationsdiagnostik über eine
man eine Mutation im RET-Protoonkogen.
Ultraschalluntersuchung hinaus ist vor einem Er-
steingriff nicht erforderlich. Da in 3/4 der Fälle die
• Möglichkeit prognostischer Aussagen. Die Un-
Diagnose des pHPT zusammen mit der des MTC er-
tersuchung des Tumorgewebes auf eine somatische
folgt, wird die operative Sanierung auch im Rahmen
Mutation im RET-Protoonkogens stellt einen Pro-
dieses Eingriffs erfolgen. Hier ist sehr wichtig, dass
gnoseparameter für den Krankheitsverlauf dar. So
eine chirurgische Exploration aller 4 Drüsen erfol-
liegt in etwa der Hälfte der C-Zellkarzinome die Mu-
gen muss, weil im Rahmen einer MEN 2 prizipiell
tation in Exon 16, Codon 918 als somatische Muta-
alle 4 Nebenschilddrüsen befallen sein können.
tion vor, welches bezüglich der Metastasierung in
Sollte ein Rezidiv des operierten pHPT vorliegen,
Studien einen aggressiveren Krankheitsverlauf
kann zur Planung des operativen Vorgehens, wie
zeigte. Diese Mutation ist eine Keimbahnmutation,
beim MCT, eine selektive Halsvenenkatherterunter-
die die MEN-2B-Erkrankung auslöst. Andere soma-
suchung mit der Bestimmung von Parathormon
tische Mutationen im RET -Protoonkogen (Exon 11,
hilfreich sein.
Codon 630; Exon 13, Codon 768} sowie kleinere De-
letionen oder Duplikationen in den Exon 10, 11 oder
Molekulare Diagnostik 15 als somatische Mutationen lassen aufgrundihrer
Die Konsequenzen aus dem Ergebnis der molekular- Seltenheit keine prognostischen Aussagen zur Er-
genetischen Analyse sind schwer wiegend. Im Posi- krankung zu.
tivfall erfolgt eine prophylaktische Thyreoidektomie
mit lebenslanger Thyroxinsubstitution, bei Nicht- • Laborchemischer Nachweis der Mutationen im
nachweis keine weitere Überwachung mit dem Risi- RET-Protoonkogen. Er wird aus genorniseher
ko der Entwicklung eines MTC. Um eine hohe Si- DNA durchgeführt, die aus Leukozyten, also kern-
cherheit in der Aussage bezüglich einer Mutation haltigen Blutzellen gewonnen wird. In mehr als
zu gewinnen, hat die deutsche MEN-Studiengruppe 99% aller Fälle von MEN 2A/FMTC befindet sich
eine Doppeluntersuchung mittels 2 verschiedener die Mutation in Exon 10, 11 oder 13. Bei der
Blutproben empfohlen. Dies ist sowohl bei präsym- MEN 2B ist Codon 918 in Exon 16 die häufigste be-
ptomatischen Genträgern als auch bei Mitgliedern kannte Mutation, die in mehr als 95% der Fälle vor-
einer MEN-2-Familie durchzuführen. Gelegentlich liegt. Die übrigen Fälle sind wahrscheinlich auf die
kommt es vor, dass ein Indexpatient bereits verstor- Mutation in Exon 15, Codon 883 zurückzuführen.
ben ist. Grundsätzlich ist es vorzuziehen, die mole- Das Schema der Laboranalytik zum Nachweis al-
kulargenetische Familienuntersuchung mit einem ler relevanten Mutationen im RET -Protoonkogen
klinisch sicher betroffenen Mitglied zu beginnen, für MEN-2A/FMTC-Patienten ist beispielhaft in
da dort eine Mutation im RET-Protoonkogen vorlie- Abb. 9-15 dargestellt.
gen muss. Bei nicht mehr lebenden Tumorpatienten Aus der genorniseben DNA wird zunächst durch
besteht jedoch die Möglichkeit, im archivierten Tu- die Polymerasekettenreaktion das zu untersuchende
morgewebe oder auch Normalgewebe (Paraffin- Exon vervielfältigt (amplifiziert) und dann durch ein
block oder Schnittpräparat) eine Mutationsanalyse Mutationsscreeningverfahren (SSCP: "single stran-
durchzuführen. Allerdings muss bei der Verwen- ded conformational polymorphism analysis") das
dung von DNA aus Tumormaterial berücksichtigt Vorliegen einer Mutation überprüft. Zeigt das ver-
werden, dass es sich um eine somatische Mutation änderte Bandenmuster in der SSCP eine Mutation
handeln könnte. Beim Nachweis einer Mutation an, wird durch einen sequenzspezifischen Enzym-
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 393

.----------1 genornisehe DNA f - - - - - - - ,


.---------1. . 2. PCR, Exon 10

I PCR-Fragment I
SSCP-Analyse

negativ Banden- negativ m it 99 % Wahr·


scheinlichkeit
muster sporadisch

Abb. 9-15.
Analyseschema zum Nachweis
vo n Mu tationen im RET-Pro -
toonkogen bei V. a. ME 2A
oder FMTC

verdau (Restriktionsendonuklease) oder eine di- lieh mehr), sind die Mutationen, die zur MEN 2B
rekte DNA-Sequenzierung der Basenaustausch iden- führen, Neumutationen. Sie sind also erst während
tifiziert. Da die Mutationen in Exon 11, Codon 364 der Reifung der Keimzellen eines Elternteils (meist
am häufigsten sind, wird zunächst dieser Abschnitt des Vaters) entstanden und so auf die Keimbahn des
des Gens untersucht. Findet man hier keine Muta- Kindes übertragen worden. Da die Patienten häufig
tion, dehnt man die Mutationssuche auf Exon 10 versterben, oder zumindest bereits schwer erkran-
und anschließend auf Exon 13 aus. Ist bei diesem ken, bevor sie das reproduktionsfähige Alter errei-
Vorgehen keine Mutation nachweisbar gewesen, chen, findet eine Vererbung selten statt.
kann mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 99% da-
von ausgegangen werden, dass ein medulläres
Schilddrüsenkarzinom oder ein Phäochromozytom
9.3.7
sporadisch bedingt ist (beim Vorliegen eines Phäo-
Therapie
chromozytoms muss allerdings eine Hippel-Lindau-
Erkrankung oder eine Neurofibromatose ausge-
Zu unterscheiden ist hier wieder einerseits die The-
schlossen werden). Diese Sicherheit reicht in der
rapie nach Manifestation der Erkrankung und ande-
Routinediagnostik aus. Liegt allerdings aufgrund
rerseits eine prophylaktische Therapie nach Ermitt-
der Familienanamnese oder eines multiplen Tumor-
lung einer Genträgerschaft Prinzip der Therapie
befalls dennoch der V. a. eine erbliche Ursache vor,
nach Manifestation ist die chirurgische Entfernung
ist die Mutationssuche auf die Exons 14 und 15 aus-
der erkrankten Organe.
zudehnen, die in einzelnen Familienmutationen ge-
funden wurden (Anteil insgesamt < 1 %). An ande-
ren Stellen des RET-Protoonkogens sind bisher Medulläres Schilddrüsenkarzinom
keine Mutationen gefunden worden, die medulläre • Primäreingriff. Die Therapie der Wahl des me-
Schilddrüsenkarzinome oder die MEN-2-Erkran- dullären Schilddrüsenkarzinoms ist die totale Thy-
kung hervorrufen. reoidektomie mit systematischer Lymphknotenaus-
Ist in einer Familie bei einem oder mehreren Mit- räumungdes zentralen Kompartiments. Die Schild-
gliedern bereits die Mutation im RET -Protoonkogen drüse ist immer komplett zu entfernen, da die C-Zel-
bekannt, reicht es aus, nur das Vorliegen dieser Mu- len diffus in der Schilddrüse verteilt sind. Da die
tation zu überprüfen. Vollständigkeit dieses Eingriffs großen Einfluss
Wenn die Indikation für die molekulargenetische auf den weiteren Verlauf der Krankheit hat, sollte
Untersuchung im V. a. MEN 2B besteht, werden nur diese Operation möglichst in einem der darauf spe-
die Exons 15 und 16 auf die Mutation in Codon 883 zialisierten Zentren durchgeführt werden. Präopera-
und 918 routinemäßig untersucht. In ca. 50-60% tiv sollte immer ein Phäochromozytom ausgeschlos-
der Fälle (nach eigenen Beobachtungen sogar erheb- sen werden.
394 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

• Sekundäreingriff bei postoperativ weiter erhöh- • Palliative Therapie. Im Stadium der lokoregiona-
tem Kalzitonin. Nach dem Ersteingriff sollte ein len Metastasierung ist die chirurgische Behandlung
Pentagastrinstimulationstest durchgeführt werden. die Therapie der Wahl. Eine Radioiodtherapie, wie
Zeigt sich hierbei ein pathologischer Anstieg des beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom, ist we-
Kalzitonins, sollte nach vorheriger ausgiebiger Loka- gen der fehlenden Iodaufnahme der C-Zellen nicht
lisationsdiagnostik eine systematische Mikrodissek- sinnvoll. Eine externe Strahlentherapie hat sich nicht
tion der 4 Halskompartiments erfolgen. Dieser Ein- bewährt und erschwert eine mögliche Nachoperati-
griff setzt eine sehr große Erfahrung voraus und on. Im Stadium der Fernmetastasierung kann die
wird nur an wenigen Zentren in Deutschland durch- chirurgische Therapie nur im Rahmen einer Tumor-
geführt. Die systematische Mikrodissektion hat sich massenreduktion ("debulking") eingesetzt werden.
der Entfernung lediglich erkennbar vergrößerter Eine kurative Zielsetzung ist hier nicht mehr reali-
Lymphknoten ("berry-picking") als deutlich überle- stisch. Andere, systemische Therapieformen wurden
gen gezeigt. Bei 20-35% der Patienten lässt sich mit leider bislang nur mäßigem Erfolg erprobt:
durch die systematische Mikrodissektion im Sta- • Die konventionelle Chemotherapie hat beim me-
dium der lokalen Metastasierung noch eine bioche- dullären Schilddrüsenkarzinom bislang keine
mische Normalisierung erzielen. überzeugenden Resultate erbracht; eine Kombi-
nationen von 5-Fluorouracil mit Streptozotozin
• Prophylaktische Therapie. Alle möglicherweise und alternierend, 5-Fluorouracil und Dacarbazin,
betroffenen Familienmitglieder eines MEN-2-Pa- konnte zumindest bei einer Reihe von Patienten
tienten sollten auf das Vorliegen der krankheitsspe- mit fortschreitender Erkrankung eine Hemmung
zifischen Mutation hin untersucht werden. Die Un- der Progression für einige Monate bedingen.
tersuchung kann bereits direkt nach der Geburt er- • Auch der Einsatz des Somatostatinanalogon
folgen, sollte aber spätestens bis zum 6. Lebensjahr (Octreotid) in Dosierungen von 3-mal 50 !lg bis
durchgeführt werden. Beim Vorliegen einer Mutati- zu 3-mal 500 !lg s. c./Tag erbrachte keinen deut-
on besteht in der prophylaktischen Thyreoidekto- lichen und reporduzierbaren Rückgang der Meta-
mie die einzige Möglichkeit der sicheren Heilung, stasengröße. Bei einzelnen Patienten wurde eine
da sich das medulläre Schilddrüsenkarzinom in Besserung der Diarrhö erreicht. In einer Kombi-
praktisch 100% der MEN-2-Fälle im Laufe des Le- nation von 300 !lg Octreotid mit 5-mal106 IE In-
bens manifestiert. Der optimale Zeitpunkt für die terferon-a-lb, 3-mal pro Woche, kam es allenfalls
prophylaktische Thyreoidektomie ist nach dem zu einem leichten und meist passageren Rück-
Konsensus der internationalen MEN-2-Studien- gang von Kalzitonin und einer Reduktion der
gruppe für die MEN 2A vor dem 6. Lebensjahr CEA-Spiegel.
(s. folgende Übersicht). Bei den Patienten der deut-
schen MEN-2-Studiengruppe fand sich unter 75
Die palliativen Therapieoptionen sind demnach alle
MEN-2A-Genträgern, die vor dem Alter von 20 Jah-
bislang unbefriedigend und sollten nur bei Patienten
ren total thyreoidektomiert wurden, bei 46 Patienten
mit klinischen Symptomen (Diarrhö), unter der sie
(61 %) bereits ein Mikrokarzinom. Der jüngste Pa-
stark leiden, oder bei Vorliegen einer rasanten Tu-
tient war 4 Jahre alt. Bei 3 Patienten lag bereits
morprogression, eingesetzt werden. Experimentelle
eine lokoregionale Metastasierung, der jüngste Pa-
Ansätze wie Tumortargeting mit radioaktiv mar-
tient war hier 14,6 Jahre alt. Alle übrigen Patienten
kierten Anti-CEA-Antikörpern sind in der Erpro-
wiesen eine C-Zellhyperplasie auf.
bung.
Der natürliche Verlauf der MEN 2B ist aggressi-
ver, eine lokoregionale Metastasierung wurde hier
bereits im Alter von 2 Jahren beobachtet, sodass
Phäochromozytom
eine möglichst frühzeitige totale Thyreoidektomie
Die Therapie des Phäochromozytoms ist die Adre-
angestrebt wird.
nalektomie, bei nachgewiesenem einseitigem Befall
Prophylaktische Thyreoidektomie zunächst unilateral. Bei etwa 35 % dieser Patienten
wird im Laufe des Lebens die Entfernung der zwei-
• Gründe für die Durchführung der prophylakti- ten Nebenniere nötig. Die Zeit bis zu diesem Zwei-
schen Thyreoidektomie bei MEN-2A-Genträgern teingriff schankt zwischen 1 und 15 Jahren. Die Pa-
vor dem 6. Lebensjahr tienten gewinnen also Zeit, in der sie keiner Substi-
Manifestation des MTC bei der MEN 2A in fast tution mit Cortison bedürfen. Bei nachgewiesenem
100 % im Laufe des Lebens beidseitigen Befall ist eine bilaterale Adrenalektomie
Jüngste Patientin mit metastasiertem MTC bei indiziert, einige Zentren führen dann auch eine Re-
MEN 2A: 5 Jahre, 11 Monate sektion unter Schonung eines Teils der Nebennie-
renrinde durch, wodurch etwa 60% der Patienten
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 395

die postoperative Cortisonsubstitution erspart wer- dektomie mit Autotransplantation erfolgen sollte.
den kann. Vor der Adrenalektomie muss eine aus- Im Gegensatz zur MEN 1 ist der Hyperparathyreoi-
reichende a-Blockade mit 120-200 mg Dibenzyran dismus bei der MEN 2A häufig milde. Wenn die Kri-
(einschleichend dosiert) erfolgen. Bei einseitig Adre- terieren der NIH -Consensus-Konferenz von 1990 er-
nalektomierten ist eine jährliche Kontrolle der Ka- füllt sind (Tabelle 9-20), ist auch ein zunächst ab-
techolamine im 24-h-Urin angebracht, um einen Be- wartendes Verhalten gerechtfertigt.
fall der Gegenseite frühzeitig festzustellen.
Therapiekontrolle
Primärer Hyperparathyreoidismus
Werden bei der Operation des medullären Schild- Medulläres Schilddrüsenkarzinom
drüsenkarzinoms vergrößerte Epithelkörperchen Die Verlaufskontrollen nach Therapie hängen vom
entdeckt, sollten diese entfernt werden. Wird ein erzielten Operationsergebnis ab. Wenn der Patient
primärer Hyperparathreoidismus im Verlauf der Er- mit dem Ziel der Kuration operiert worden ist,
krankung entdeckt, liegt in 40% eine Vierdrüsenhy- muss zunächst der Erfolg durch einen Pentagastrin-
perplasie vor, sodass eine subtotale Parathyreoidek- stimulationstest überprüft werden. Dieser kann be-
tomie (7/8-Resektion) oder eine totale Parathyreoi- reits einige Tage postoperativ durchgeführt werden,
wohingegen die Bestimmung des CEA wegen seiner
langen Halbwertszeit erst nach Wochen aussagekräf-
Tabelle 9-20. Primärer Hyperparathyreoidismus, Vorausset- tig ist. Wenn das Ergebnis des Pentagastrintests nor-
zungen für ein abwartendes Verhalten. (NIH-Konsensus-Kon- mal ist, kann auf eine weitere Bildgebung verzichtet
ferenz, 1990) werden und die nächste Kontrolle in einem halben
Jahr erfolgen. Bei pathologischem Pentagastrintest
Untersuchung Voraussetzung für Abwarten
muss eine Tumorlokalisation versucht werden. Vor-
erumkalzium < 3 mmol/1 aussetzung für einen erneuten kurativen operativen
Ansatzt ist, dass die Metastasierung auf die Jakore-
Urinkalzium < 10 mmol/1/24 h gionären Lymphknoten beschränkt ist. Aus diesem
iere Keine teine, keine ephrokalzinose, Grund müssen unbedingt Fernmetastasen mittels
keine Einschränkung der Nierenfunk- Thoraxröntgen, Oberbauchsonographie und Kno-
tion um mehr als 30 %
chenszintigraphie ausgeschlossen werden. Diese Un-
Knochen Knochendichte nicht mehr als 2 Stan- tersuchungen sind auch Bestandteil der routinemä-
dardabweichungen unter dem alters- ßigen Nachkontrolle (Abb. 9-16). Im Rahmen der
entsprechenden Mittelwert, keine ra-
diologischen Zeichen de pHPT
Kontrolluntersuchungen müssen weiterhin andere
mögliche Manifestationen der MEN 2 überprüft wer-

Totale Thyreoidektomie und


zentrale .,neck dissection"

Kein pathologischer Anstieg Pathologischer Anstieg

!
Kontrolle in 6 Monaten Metastasensuche
Pentagastrin-Test Röntgenthorax
CEA Oberbauchsonographie
Katecholamine im 24-h-Urin Knochenszintigraphie
Serumkalzium Ultraschall Hals
TSH Cl Hals/Mediastinum
sei. Halsvenekatheter
ggf. Octreotid-Szintigraphie Abb.9-16.
DMSA-Szintigraphie Postoperatives Nachsorgeprogramm bei
MIBI-Szintigraphie Patienten mit medullärem Schilddrüsen-
karzinom
396 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen

den. Bezüglich der Substitutionstherapie mit Schild- mit familiärem medullärem Schilddrüsenkarzinom
drüsenhormon nach totaler Thyreoidektomie ist oder MEN 2A unterscheidet sich für die klinisch ma-
eine euthyreote Stoffwechsellage anzustreben. Eine nifest gewordenen Indexfälle nicht von der sporadi-
suppressive Behandlung (TSH stark supprimiert) scher MTC. Werden Patienten mit familiärer Er-
wie bei den differenzierten Schilddrüsenkarzinomen krankung durch Screening entdeckt, ist die Pro-
ist nicht notwendig, da TSH kein Wachstumsfaktor gnose signifikant besser.
für das medulläre Schilddrüsenkarzinom ist.

Phäochromozytom
Die Situation unterscheidet sich hier von der beim Literatur
sporadischen Phäochromozytom, da sich in 35%
der MEN-2-Patienten im Verlauf von 6 und mehr Literatur zu Abschn. 9.1
Jahren auch auf der kontralateralen Seite ein Phäo- Ahonen P, Miettinen A, Perheentupa J (1987) Adrenal and ste-
chromozytom manifestiert. Alle 6 Monate und bei roidal cell antiborlies in patients with autoimmune poly-
glandular disease type I and risk of adrenocortical and
entsprechender klinischer Symptomatik auch früher ovarian failure. J Clin Endocrinol Metab 64 : 494-500
müssen hier die Urinkatecholamine als Screening- Ahonen P, Myllarniemi S, Sipila I, et al. (1990) Clinical varia-
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Der Verlauf der Erkrankung ist sehr variabel. Inner- gnificance of organ-specific autoimmune disorders (clini-
halb einer Familie, also bei Patienten mit dem glei- cal, latent or only autoantibodies) in patients with vitiligo.
Dermatologica 171 : 419-423
chen Genotyp, findet man sowohl einen sehr aggres- Björses P, Aaltonen J, Vikman A et al. (1996) Genetic homo-
siven als auch einen sehr blanden Verlauf. Insgesamt geneity of autoimmune polyglandular disease type I. Am J
liegt die Fünfjahresüberlebensrate bei etwa 80 %, die Hum Gen 59 : 879-886
Butler MG, Hodes ME, Conneally PM, Biege! AA, Wright JC
Zehnjahresüberlebensrate bei etwa 65 %. Wesentli- (1984) Linkage analysisinan !arge kindred with autoso-
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selbst begrenzt ist, liegt die Fünfjahresüberle- lure. J Clin Endocrinol Metab 81 : 1871-1876
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bensrate bei 100 %. J Physiol Pathol Gen 10: 469-480
• Im Stadium III (Tl-4 Nl MO), bei dem die Meta- Csaszar T, Patakfalvi A (1992) Treatment of polyglandular au-
stasierung auf die Lymphknoten beschränkt ist, toimmune syndrome with cyclosporin A. Acta Med Hung
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sinkt die Fünfjahresüberlebensrate auf ca 70 %. De Bellis A, Bizzarro A, Rossi R, Paglionico VA, Criscuolo T,
• Beim Vorliegen von Fernmetastasen fällt diese Lombardi G, Bellastella A (1993) Remission of subclinical
auf 50%. adrenocortical failure in subjects with adrenal autoanti-
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TEIL m Kalziumstoffwechsel
und metabolische
Knochenerkrankungen
KAPITEL 10

Nebenschilddrüse 10
M. J. SEIBEL, E. BLIND, T. ScHILLING, H. W. WoiTGE

10.1 Physiologie 403 10.5.6 Therapie 435


E. BLIND 10.5.7 Prognose 437
10.1.1 Rolle der Nebenschilddrüse in der Kalzium- 10.6 Hyperkalzämische Krise 437
homöostase 403 M. J. SEIBEL
10.1.2 Kalziumdetektion 404
10.1.3 Synthese, Regulation und Metabolismus 10.6.1 Fallpräsentation 437
vom PTH 404 10.6.2 Epidemiologie und Pathogenese 437
10.1.4 Wirkung von PTH an den Zielorganen 405 10.6.3 Klinik 438
10.1.5 Bestimmung von PTH 406 10.6.4 Diagnostik und Differentialdiagnose 438
10.1.6 Paratharrnon-ähnliches Protein (PTHrP) 407 10.6.5 Therapie und Nachsorge 439
10.1.7 Kalzitonin 407
Literatur 440
Unterfunktion 407
10.2 Hypoparathyreoidismus I Pseudohypo-
parathyreoidismus 407
T. ScHILLING
10.1
10.2.1 Fallpräsentation 407 Physiologie
10.2.2 Epidemiologie und Pathogenese 408
10.2.3 Klinik 410 E. BLIND
10.2.4 Diagnostik 411
10.2.5 Differentialdiagnose 412
10.2.6 Therapie 412 10.1.1
10.2.7 Notfall 414 Rolle der Nebenschilddrüse
Überfunktion 414 in der Kalziumhomöostase
10.3 Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) 414
M. J. SEIBEL Der Serumkalziumspiegel wird normalerweise in
10.3.1 Fallpräsentation 415 engen Grenzen gehalten, um die ungestörte Gewebe-
10.3.2 Epidemiologie 415 funktion zu gewährleisten. Regelgröße ist hierbei
10.3.3 Pathogenese 415
10.3.4 Klinik 416 der Spiegel des freien Kalziums (N ormalwert:
10.3.5 Diagnostik 417 1,1-1,3 mmol/1), das etwa 50 o/o des Gesamtserum-
10.3.6 Differentialdiagnose 420 kalziums (Normalwert: 2,2-2,65 mmol/1) ausmacht.
10.3.7 Therapie 421
10.3.8 Prognose 422 Etwa 40 o/o des Gesamtserumkalziums sind an Albu-
min gebunden, während etwa 10 o/o als Phosphat-
10.4 Sekundärer Hyperparathyreoidismus 424 oder Zitratsalzkomplexe vorliegen. Nur der freie,
M. J. SEIBEL
d. h. ionisierte Kalziumanteil ist biologisch aktiv
10.4.1 Definition 424
10.4.2 Sekundärer Hyperparathyreoidismus und wird von den kalziotropen Hormonen Parat-
bei Niereninsuffizienz 424 hormon (PTH) und Vitamin D reguliert:
10.4.3 Klinik 426 • Die kurzfristige Regulation des Serumkalzium-
10.4.4 Diagnostik 426
10.4.5 Therapie 426 spiegels ist vor allem durch die hyperkalzämische
Wirkung von PTH gewährleistet.
10.5 Tumor-assoziierte Hyperkalzämie 432
H. w. WOITGE, M. J. SEIBEL
e Die längerfristige Regulation geschieht überwie-
gend durch biologisch aktive Metaboliten von
10.5.1 Fallpräsentation 432
10.5.2 Epidemiologie 432 Vitamin D.
10.5.3 Pathogenese 433
10.5.4 Klinik 434
10.5.5 Diagnostik 434
404 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

des neonatalen schweren Hyperparathyreoidismus.


10.1.2
Punktmutationen des Rezeptors, die zu einer ver-
Kalziumdetektion
besserten Signalübertragung führen, wurden inzwi-
schen als Ursache eines ebenfalls erblichen Hypokal-
Die Konzentration des freien Plasmakalziums wird
zämiesyndroms beschrieben.
in vivo durch einen spezifischen Rezeptor an der
Oberfläche der Nebenschilddrüsenzellen gemessen.
Dieser so genannte "Kalziumsensor" wurde 1993
kloniert und fand sich interessanterweise auch in 10.1.3
anderen Organen, so z. B. in der Niere. Hierbei han- Synthese, Regulation und Metabolismus
delt es sich um ein Protein, das zur Gruppe der G- vom PTH
Protein-gekoppelten, 7-mal die Zellmembran durch-
spannenden, Rezeptoren gehört. Ein großer extra- Synthese
zellulärer Anteil bindet Kalzium, während intrazel- Parathormon (PTH) ist ein 84 Aminosäuren großes
luläre Rezeptoranteile des aktivierten Rezeptors an Peptidhormon mit einem Molekulargewicht von
ein G-Protein, wahrscheinlich Gq, binden und die 9.300 Da (Abb. 10-1). Die Nebenschilddrüse synthe-
Aktivierung einer Signalkaskade auslösen, die letzt- tisiert zunächst Präpro-PTH, welches am aminoter-
lieh zu einer Hemmung der PTH-Sekretion und minalen Ende 31 Aminosäuren mehr als das eigent-
-Synthese führt. Gq aktiviert das Enzym Phospholi- liche, biologisch aktive PTH aufweist. Diese Signal-
pase C, das zur Bildung von 1,4,5-lnositoltriphos- sequenz ist für den Transport ins endoplasmatische
phat (IP 3) und Diacylglycerol und schließlich zu Retikulum notwendig. Dort werden 26 der 31 Ami-
einem Anstieg des intrazellulären Kalziums führt. nosäuren der Signalsequenz abgespalten, wodurch
Während in den meisten sekretorischen endokrinen Pro-PTH entsteht, das wiederum zum Golgi-Appa-
Zellen ein Anstieg von intrazellulärem Kalzium zu rat transportiert wird. Pro-PTH hat eine relativ kur-
einer Exozytose von synthetisiertem Hormon führt, ze Halbwertszeit von ca. 15 min und wird im Gegen-
wird dieser Vorgang in den Nebenschilddrüsenzel- satz zu vielen anderen Prohormonen (z. B. Proinsu-
len gehemmt. Ein genetischer Defekt des Kalzium- lin) nicht sezerniert. Erst nach Abspaltung der
sensors ist die Ursache der familiären hypokalziuri- "Pro"-Sequenz wird das mit 84 Aminosäuren intakte
schen Hyperkalzämie (FHH). Bei der homozygoten PTH als Endprodukt in der Nebenschilddrüse ge-
Form resultiert das sehr seltene Krankheitsbild speichert und schließlich bei Bedarf sezerniert.

PTHrP ___ ....,.

Abb.l0-1. Primärstruktur von Parathormon (PTH) und Parathormon-related Protein (PTHrP); nur die ersten 13 aminoter-
minalen Aminosäuren sind dargestellt, Aminosäureindentität in diesem Abschnitt ist durch einen Kreis in fett hervorgehoben
10.1 Physiologie 405

Regulation einer Einschränkung der Nierenfunktion steigen


Ein Anstieg des freien Serumkalziums führt zu einer diese Werte weiter an. Eine biologische Funktion
drastischen Reduktion, ein Abfall zu einer Mehrse- für die Fragmente des intakten PTH ist bisher nicht
kretion von PTH durch die Nebenschilddrüsen. Die bekannt, Hinweise aus jüngster Zeit deuten jedoch
Wirkungsbeziehung lässt sich dabei in Form einer auf das Vorhandensein eines Rezeptors für das C-
umgekehrten sigmoidalen Kurve mit größter Steil- terminale Fragment hin.
heit im Bereich des normalen Serumkalziums be-
schreiben. Der Serumkalziumspiegel reguliert nicht
nur die Ausschüttung des Hormons, sondern auch
10.1 .4
seine Transkription und damit die Synthese. Neben
Wirkung von PTH an den Zielorganen
dem Serumkalziumspiegel wird die PTH-Sekretion
durch weitere Faktoren reguliert (Tabelle 10-1).
PTH reguliert den Serumkalziumspiegel durch seine
Auf der Ebene der Transkription wird die Synthese
Wirkung an
von PTH durch 1,25-Dihydroxyvitamin D gehemmt.
• Niere,
Hierdurch ergibt sich eine physiologische Gegen-
• indirekt am Darm und wiederum
koppelung der Kalziumhomöostase. Pharmakolo-
• direkt am Knochen.
gisch wird 1,25-Dihydroxyvitamin D (Rocaltrol)
zur Hemmung der überschießenden PTH-Sekretion
bei chronisch niereninsuffizienten Patienten mit Niere und Darm
Hyperparathyreoidismus zur Behandlung der rena- An der Niere steigert PTH die 1a-Hydoxylaseaktivi-
len Osteodystrophie eingesetzt. Eine milde Hypo- tät, stimuliert also die Bildung von 1,25-Dihydroxy-
magnesiämie kann kurzfristig die PTH-Sekretion vitamin-D und führt damit zu einer Mehrabsorption
stimulieren, führt jedoch längerfristig zu einer Ne- von Kalzium in der Darmschleimhaut PTH wirkt
benschilddrüsenunterfunktion. Katechotamine sti- darüber hinaus direkt auf den Kalzium- und Phos-
mulieren über ß-adrenerge Rezeptoren die Aus- phattransport an der Niere ein. Es verstärkt die
schüttung von PTH, die klinische Bedeutung dieses Reabsorption von Kalzium aus distalen Abschnitten
Mechanismus scheint jedoch gering zu sein. der Tubuli und hemmt die Reabsorption von Phos-
phat in proximalen Tubulusabschnitten. Letzteres
führt bei PTH-Exzess (z. B. beim primären Hyper-
Metabolismus
parathyreoidismus) häufig zu einer Hypophosphat-
Intaktes PTH hat in der Zirkulation eine Halbwerts-
ämie. Während über den Mechanismus des Kalzi-
zeit von weniger als 5 min. Es wird überwiegend in
umtransportes wenig bekannt ist, wurde kürzlich
der Leber (und in geringem Maße auch in der Niere)
ein Transportprotein für Phosphat kloniert, dessen
metabolisiert. In der Leber erfolgt eine Spaltung im
Aktivität PTH-abhängig ist.
Bereich der Aminosäuren 36/37. Das hieraus resul-
tierende aminoterminale PTH-Fragment gelangt
nur in geringem Maße in die Zirkulation, wohinge- Knochen
gen das C-terminale PTH-Fragment im Blut nach- Am Knochen führt PTH durch die Stimulation der
weisbar ist und durch die Niere ausgeschieden Osteoklastenaktivität vor allem zur Kalziummobili-
wird. Die Plasmaspiegel des C-terminalen PTH- sation. In hohen Konzentrationen hemmt PTH die
Fragments sind physiologischerweise höher als die Matrixsynthese und Differenzierung von Osteobla-
des intakten PTH, weil das C-terminale Fragment sten, induziert gleichzeitig jedoch die Zyto~inpro­
eine längere biologische Halbwertszeit besitzt. Bei duktion. Indirekt wird hierdurch ebenfalls die Re-
sorptionsaktivität der Osteoklasten stimuliert. In
niedrigen Dosen und intermittierend gegeben
kann PTH allerdings auch anabole Effekte am Kno-
Tabelle 10-l. Regulation der Sekretion von PTH
chen entfalten.
Effekt auf Relevanz
PTH -Sekre-
tion Molekularer Mechanismus
PTH bindet an den Zielzellen an ein Rezeptorpro-
Kalzi um 1 +++ tein, das aus 593 Aminosäuren besteht und die Zell-
membran 7-mal durchspannt Das Protein wurde
1,25-Dihydroxyvi tam in D l ++
1991 kloniert und ist in Knochen- und Nierenzellen
Magnesi um 1l + in identischer Form nachweisbar. Es wird einer klei-
nen Gruppe von Proteinen zugerechnet, der unter
Katecholamine t
anderem auch die Rezeptoren für Kalzitonin, Sekre-
406 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

tin, Glukagon und der Releasinghormone für besteht dagegen beim Pseudohyperparathyreoidis-
Wachtumshormon und Kortikotropin angehören. mus, bei dem durch eine Mutation im Gen der a-Un-
In der Zelle wird durch die Stimulation des PTH-Re- tereinheit von Gs der cAMP-Signalweg nur noch teil-
zeptors eine Signalkaskade aktiviert, die zyklisches weise funktioniert. Neben anderen Symptomen re-
Adenosinmonophosphat als klassischen "second sultieren Hypokalzämie und reaktiv erhöhte PTH-
messenger" utilisiert (Abb. 10-2). Viele biologische Spiegel.
Wirkungen von PTH können der Aktivierung dieses
Signalweges zugeordnet werden. Darüber hinaus
existiert allerdings ein zweiter PTH-vermittelter Si- 10.1.5
gnalweg, in dem intrazelluläres Inositoltrisphosphat Bestimmung von PTH
und Kalzium als Botenstoffe fungieren. Die Bedeu-
tung dieses Signalweges ist noch unklar, jedoch Die Methode der Wahl ist die Bestimmung von
scheint er zumindest an der Niere eine Rolle zu spie- intaktem PTH mittels immunoradiometrischer
len. Das intakte PTH-Molekül kann ebenso wie das oder immunoluminometrischer "Two-site-Assays".
aminoterminale Fragment mit 34-37 Aminosäuren Diese Verfahren ermöglichen die spezifische Mes-
den PTH-Rezeptor vollständig aktivieren. Amino- sung des biologisch aktiven, intakten PTH-Peptids,
terminal verkürzte PTH-Fragmente sind hierzu ohne dass es zur Interferenz durch die in ca. 10-fach
nicht in der Lage. Auch das verwandte PTH-related höherer Konzentration zirkulierenden C-terminalen
Protein (PTHrP) aktiviert den Rezeptor, der deshalb Fragmente kommt. In allen Assays findet ein Anti-
auch als PTH/PTHrP-Rezeptor bezeichnet wird. körperpaar Verwendung, welches zum einen den
Eine konstitutive Aktivierung des PTH/PTHrP-Re- aminoterminalen und zum anderen den carboxyl-
zeptors aufgrund einer Punktmutation besteht bei terminalen PTH-Abschnitt erkennt. Ein Antikörper
der seltenen Chondrodysplasie vom Typ Jansen. ist hierbei an eine feste Phase gebunden, der andere
Es kommt unter anderem zu Zwergwuchs und Hy- mit einem Detektionsmolekül markiert (Abb. 10-3).
perkalzämie. Eine Hemmung der Signalübertragung Der Normalbereich für intaktes PTH liegt in diesen
Assays bei 1-6 pmol/1 ( = 10-65 ng/1), sowohl er-
höhte (z. B. primärer Hyperparathyreoidismus) als
auch erniedrigte PTH-Spiegel (z. B. Tumorhyper-
kalzämie, Hypoparathyreoidismus) werden zuver-
läßig erfasst. Spezifische "Two-site-Assays" eignen
sich deshalb besonders gut zur weiteren Differential-
diagnose bei erhöhtem Serumkalziumspiegel

I cAMP I I OAGIIPl I
I \ I \
PK·C I (Ca++J i I
+ + +
Abb. 10-2. Schema der intrazellulären Signalübertragung des
- a:o1
84
PTH/PTHrP-Rezeptors: Die Aktivierung des stimulierenden
G-Proteins G, bewirkt die Aktivierung der Adenylatzyk!ase
(AC), welche wiederum das intrazelluläre zyklische Adenosin-
monophosphat (cAMP) ansteigen lässt. Ein zweiter durch PTH
aktivierter Signalweg führt über das G-Protein Gq zur Aktivie- 125J-Anti-amino-PTH
rung der Phospholipase C (PL-C), welche wiederum intrazel-
luläres Diacylglycerol (DAG), Inositoltris.phosphat (IP 3 ) und
Kalzium als Botenstoffe ansteigen lässt. Uber die weitere Ak-
tivierung u. a. von Proteinkinasen (PK-A, PK-C) werden zell- Abb.I0-3. Prinzip der "Two-site-Assays" zur Bestimmung
spezifische biologische Antworten ausgelöst des intakten PTH
10.2 Hypoparathyreoidismus I Pseudohypoparathyreoidismus 407

Schilddrüse sezerniert, wo seine Ausschüttung


und Synthese unter der regulatorischen Kontrolle
des Kalziumrezeptors steht. Entsprechend seiner
biologischen Wirkung wird Kalzitonin beim Anstieg
des Serumkalziums vermehrt ausgeschüttet. In der
physiologischen Regulation des Serumkalziumspie-
pHPT gels ist Kalzitonin offenbar verzichtbar, da es weder
2.9
bei einem Kalzitoninexzess (z. B. beim medullären
Schilddrüsenkarzinom) noch bei einem Kalzitonin-
2.6 mangel (nach Entfernung ~.ller C-Zellen bei totaler
Thyreoidektomie) zu einer Anderung des Serumkal-
ziumspiegels kommt. Die Bestimmung von Kalzito-
10 40 60 nin hat große Bedeutung als Tumormarker beim
Intaktes PTH (ng/ 1) log
medullären Schilddrüsenkarzinom, einem Mali-
Abb.l0-4. Zu erwartende Ergebnisse bei Verwendung von gnom der C-Zellen, welche Kalzitonin in großen
Assays für intaktes PTH bei der Differentialdiagnose der Hy- Mengen sezernieren. Unter pharmakologischen Ge-
perkalzämie
sichtspunkten kann Kalzitonin zur akuten Senkung
des Serumkalziums bei Hyperkalzämie verwendet
(Abb. 10-4). Die früher weit verbreiteten Assays für werden.
carboxylterminales PTH sind obsolet, da sie Zustän-
de mit erniedrigtem PTH (Supression der PTH-Se-
Unterfunktion
kretion bei nichtparathyreogener Hyperkalzämieur-
sache) nicht mit der gleichen Zuverlässigkeit erfas-
sen konnten und die Spiegel bei Niereninsuffizienz 10.2
stark anstiegen. Hypoparathyreoidismus I Pseudo-
hypoparathyreoidismus
10.1.6 T. SCHILLING

Parathormon-ähnliches Protein (PTHrP)


10.2.1
Der Rezeptor für PTH hat die ungewöhnliche Eigen- Fallpräsentation
schaft, auf einen zweiten Liganden anzusprechen.
Hierbei handelt es sich um das 1987 entdeckte, ma- Bei einer 21-jährigen Patientin wurde im
ximal 173 Aminosäuren große Parathormon-ähnli- 15. Lebensjahr bei med ullärem Schilddrüsen-
che Protein ("parathormon related protein", PTHrP; karzinom eine totale Thyreoidektomie und
Abb. 10-1). Interessanterweise beschränkt sich die eine Neck dissection durchgeführt. Postoperativ
Homologie mit dem intaktem PTH auf nur 8 der erlitt die Patientin Tetanien und Parästhesien.
13 aminoterminalen Aminosäuren. PTHrP bindet Trotz einer oralen Behandlung mit 500 mg Kal-
an den gemeinsamen PTH/PTHrP-Rezeptor mit zium/Tag und 200.000 I. E. Vitamin D alle
gleicher Affinität wie PTH und löst an den Zielzellen 3 Tage kam es zu rezidivierenden Tetanien,
die gleichen intrazellulären Antworten aus. Folge- die zum Teil mit Kalziuminfusionen behandelt
richtig wurde das Protein als wichtiger Faktor bei wurden. Das Serumkalzium der Patientin war
der humoralen Tumorhyperkalzämie entdeckt. rillt 2,45 mmol/1 im mittleren Normbereich
PTHrP besitzt wahrscheinlich keine physiologische (2,1-2,65 mmol/1). Auffällig war eine Kreatinin -
Rolle als systemisch wirksames Hormon, sondern erhöhungauf 2,11 mgldl ( orm bis 1,2 mg!dl).
muss als lokaler Regulator z. B. bei der Knochen- Alle übrigen Befunde inkl. der körperlichen Un-
und Knorpelentwicklung aufgefasst werden. tersuch ung waren unauffällig. Die Patienten
wurde zur weiteren Abklärung und Therapie-
einstell ung stationär aufgenommen. Hier erlitt
10.1.7 die Patientin einen tetanischen Anfall bei einem
Kalzitonin Serumkalzium von 2,3 mmol/1. Eine Blutgasa na-
lyse ergab den Befund einer Hyperventilation.
Kalzitonin ist ein weiteres Peptidhormon mit Ein- Die Patientin wurde einer psychosomatischen
fluss auf den KalziumspiegeL Es besteht aus 32 Ami- Therapie zugeführt und die Vitamin -D-Dosie-
nosäuren und hemmt vor allem die osteoklastäre rung wurde reduziert. Die Patientin konnte
Knochenresorption. Es wird von den C-Zellen der
408 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

Bestrahlung
mit einem Serumkalzium von 2,2 mmol/1 be- Trauma
schwerdefrei entlassen werden. Die durch die Hämosiderose
Überdosierung des Vitamin D entstandene ie- M. Wilson
reninsuffizienz hatte sich auf ein Kreatinin von Amyloidase
1,45 mg/dl gebes ert.
Neoplastische Tumorinfiltration
Sarkoidase
• Suppression der Nebenschilddrüse
Hypomagnesiämie
10.2.2 Alkoholexzess
Epidemiologie und Pathogenese Aluminiumintoxikation (Endstadium der Nieren-
insuffizienz)
Hypoparathyreodismus WR 2721 (radioprotektives Medikament)
Am häufigsten wird die Unterfunktion der Neben- • PTH-Unwirksamkeit
schilddrüsen durch eine operative Schädigung bei Pseudohypoparathyreoidismus
Halsoperationen hervorgerufen. Im Allgemeinen (Endorganresistenz)
handelt es sich hierbei um eine sofort nach der Ope-
ration auftretende, transiente Hypokalzämie, die
sich nach Restitution des geschädigten Nebenschild-
Bei den angeborenen Nebenschilddrüsenerkran-
drüsengewebes innerhalb von Tagen wieder norma-
kungen muss die Störung des Kalziumstoffwechsels
lisiert. Gelegentlich entwickelt sich jedoch auch ein
nicht von Geburt an bestehen. Man geht daher da-
permanter Hypoparathyreoidismus, dies insbeson-
von aus, dass es auch partielle Fehlbildungen der
dere dann, wenn alle 4 Epithelkörperchen reseziert
Nebenschilddrüsen gibt, bei denen eine noch vor-
oder irreversibel geschädigt wurden (sog. parathy-
handene Teilsekretion von PTH zu symptomfreien
reopriver Hypoparathyreoidismus). Bei machen Pa-
Intervallen führen kann. Neben einer seltenen, allei-
tienten kann eine längere Latenzperiode vergehen,
nigen Aplasie der Nebenschilddrüsen, die spora-
bis die Hypokalzämie symptomatisch wird. Oftmals
disch und familiär auftreten kann, kommt es oft
haben sich dann bereits unbemerkt irreversible Or-
zu einer Kombination mit anderen Fehlbildungen.
ganschädigungen entwickelt. Die folgende Übersicht
gibt einen Überblick über weitere Ursachen des Hy-
poparathyreoidismus. Di-George-Syndrom
Dieses seltene Krankheitsbild ist durch Missbildun-
Verschiedene Formen des Hypoparathyreoidismus gen der Organe gekennzeichnet, die sich in der 4.-7.
Embryonalwoche aus der 3. und 4. Schlundtasche
• Angeborene Fehlentwicklungen entwickeln. Diese sind:
Aplasie der Nebenschilddrüsen • Nebenschilddrüsenhypo- oder -aplasie
- sporadisch • Thymushypo- oder -aplasie und
- familiär • Missbildungen des Herzens und der großen Ge-
Di-George-Syndrom (Fehlentwicklung der 3. und fäße sowie Gesichtsmissbildungen.
4. Schlundtasche)
In Assoziation mit Kearns-Sayre-Syndrom
Kearns-Sayre-Syndrom
Andere Syndrome (in Kombination mit Taubheit
Dieses Syndrom umfasst folgende Symptome:
und Nierendysplasie)
• externe Ophthalmoplegie,
Partieller kongenitaler Hypoparathyreoidismus
• Pigmentstörungen der Netzhaut,
(transient, "late onset")
• Reizleitungsstörungen des Herzens und Herzin-
• Unreife der Nebenschilddrüsen bzw. neonatale
suffizienz.
Suppression
Transitorische Neugeborenen-Hypokalzämie
(Frühform/Spätform) Idiopathischer Hypoparathyreoidismus
• Autoimmunpathogenese = idiopathisch Diese Form der Nebenschilddrüsenunterfunktion
Isolierter sporadischer Hypoparathyreoidismus enwickelt sich in der Regel auf dem Boden eines Au-
In Kombination mit anderen Autoimmunendo- toimmungeschehens. Oft kommt es zu einem Poly-
krinopathien (z. B. M. Addison) glandulären Autoimmunsyndrom (PAS), oder zur
• Andere Schädigungen Assoziation mit anderen Erkrankungen aus dem im-
Operationen der Schilddrüse, der Nebenschild- munologischen Formenkreis, z. B. einer Zöliakie.
drüse, des Kehlkopfes Auch die gleichzeitige Entwicklung einer Autoim-
10.2 Hypoparathyreoidismus I Pseudohypoparathyreoidismus 409

munthyreoiditis, eines M. Addison, einer chronisch- Adenylcyclase (AC). Es werden hier weitere Unter-
atrophischen Gastritis mit Vitamin-B 1rMangel oder formen beschrieben:
eines Diabetes mellitus ist möglich. • PHP Typ Ja: Ursache ist eine verminderte Aktivi-
tät der a-Untereinheit des nukleotidbindenden
G-Proteins (G 5 a). Da das G-Protein nicht nur
Pseudohypoparathyreoidismus
beim PTH-Rezeptor eine wichtige Rolle spielt,
Neben einer verminderten PTH -Sekretion kann auch
ist es verständlich, dass beim PHP Typ Ia weitere
eine Endorganresistenz Ursache einer Hypokalzämie
Hormonresistenzen beobachtet werden, z. B. ge-
sein. Die Endorganresistenz gegenüber PTH wird als
genüber TSH, Gonadotropinen und Glukagon.
Pseudohypoparathyreoidismus (PHP) bezeichnet.
Der G5a-Defekt hat darüber hinaus weitere soma-
Der PHP unterscheidet sich pathophysiologisch
tische Auswirkungen, die man als hereditäre
also grundlegend vom oben beschriebenen Hypo-
Osteodystrophie nach Albright zusammenfasst.
parathyreoidismus. Bei einer primär ungestörten
Folgende Übersicht gibt diese somatischen Ver-
PTH-Sekretion findet sich aufgrund der Hypokalz-
änderungen und Funktionsstörungen wieder.
ämie bei diesen Patienten ein erhöhter PTH-Spiegel,
d. h. ein sekundärer Hyperparathyreoidismus. Die
Interaktion von PTH mit dem PTH-Rezeptor Somatische Veränderungen und
aktiviert über die Stimulation intrazellulärer G-Pro- Funktionsstörungen bei der hereditären
teine verschiedene Second Messenger (cAMP, lnosi- Osteodystrophie nach Albright
tol 1,4,5-Trisphosphat-Diacylglycerol, zytosolisches (Pseudohypoparathyreoidismus/PHP Typ I
Kalzium), welche die multiplen biologischen Effekte und Pseudo-Pseudohypoparathyreoidismus)
von PTH vermitteln. Da verschiedene Ebenen dieser
komplexen Reaktionskaskade betroffen sein können, • Brachymetakarpalia
ergeben sich unterschiedliche Varianten der PTH- • Brachymetatarsalia
Endorganresistenz (Abb. 10-5). • Rundgesicht
• Kleinwuchs
• PHP Typ I. Hier liegt eine ossäre und renale • Oligophrenie
Endorganresistenz gegenüber PTH vor: nach PTH- • Hypothyreose (primär und sekundär)
Injektion kommt es weder zu einem Anstieg der • nephrogener Diabetes insipidus
cAMP- noch der Phosphatausscheidung. Die Stö-
rung liegt im Ablauf der PTH-Stimulation vor der
• Pseudo-Pseudohypoparathyreoidismus. Der Pseu-
do-PHP ist eine Unterform des PHP Typ Ia, wobei
die somatischen Veränderungen des Albright-
Symptomenkomplexes ohne Hypoparathyreoi-
dismus auftreten. Beiden Krankheitsbildern,

'~
PTH-Infuslon
dem PHP und dem Pseudo-PHP, liegen verschie-
)PHPI dene Mutation im G5 a-Gen zugrunde; dabei kann
es in ein und derselben Familie, mit ein und der-
selben Mutation (welche autosomal-dominant
ATP" ' \ vererbt wird), sowohl zum Auftreten eines PHP
cAMP
als auch eines Pseudo-PHP kommen. Es scheint
• }PHP II daher gerechtfertigt, zur Vereinfachung den
PHP Typ I PHP Typ II
PHP und Pseudo-PHP unter dem Begriff heredi-
täre Osteodystrophie nach Albright zusammen-
zufassen.
Abb. 10-5. Pseudohypoparathyreoidismus (PHP) Typ I und • PHP Typ Jb: Einige Patienten mit PHP Typ I zei-
II. Entscheidend für die Diagnostik ist die Reaktion auf gen eine alleinige PTH-Hormonresistenz ohne
eine PTH-Infusion. Beim PHP Typ I bleibt ein physiologischer andere Ausfälle oder Symptome, mit einer nor-
Anstieg der Urin-cAMP-Ausscheidung nach i. v. PTH-Gabe
aus. Die Ursache liegt in einem defekten G-Protein (Gsu) = malen G5a-Aktivität. Man nimmt an, dass bei die-
Typ Ia, in einer anderen Störung der Adenylcyclase = sem Krankheitsbild ein primärer PTH-Rezeptor-
Typ Ic oder in einem defekten PTH-Rezeptor (Rs) = Typ Ib. defekt vorliegt. Auch diese Patienten zeigen keine
Beim PHP Typ !I kommt es dagegen zu einem physiologischen
cAMP-Anstieg im Urin nach PTH-Stimulation. Der physiolo- cAMP-Antwortauf eine PTH-lnjektion.
gische phosphaturische Effekt von PTH bleibt jedoch aus. Es • PHP Typ Je. Hier kommt es wie beim Typ Ia zum
werden also die weiteren physiologischen Effekte von cAMP Ausfall mehrerer Rezeptorsysteme. Im Gegensatz
nicht vermittelt. AC Adenylcyclase, Gs Guanosin-bindendes
Protein, Rs stimulierender PTH-Rezeptor, I Zunahme, l keine zum Typ Ia besteht jedoch kein nachweisbarer
Zunahme Defekt im G-Protein.
410 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

• PHP Typ II. Hier liegt ein heterogenes Krank- len und generalisierten Anfällen, selten zu einem
heitsbild zugrunde. Bisher konnte kein genetischer Pseudotumor cerebri führen.
Defekt nachgewiesen werden. Der PHP Typ II unter-
scheidet sich vom PHP Typ I durch einen physiolo- Wird ein Patient bei einem tetanischen Anfall be-
gischen Anstieg der cAMP-Ausscheidung nach PTH- wusstlos, so muss differentialdiagnostisch an einen
Injektion, aber fehlender phosphatmiseher Antwort. epileptischen Anfall gedacht werden. Umgekehrt
sollte bei unklaren epileptischen Anfällen immer
auch eine Hypokalzämie bei Hypoparathyreoidis-
10.2.3 mus ausgeschlossen werden.
Klinik
• Organische Veränderungen. Wird ein Hypopara-
Symptome und Beschwerden thyreoidismus nicht erkannt und behandelt, so kann
Die Klinik des Hypoparathyreoidismus wird durch die chronische Hypokalzämie zu z. T. irreversiblen
die chronische Hypokalzämie, weniger durch die Organschädigungen führen. Folgende Übersicht
Hyperphosphatämie geprägt. Die Hypokalzämie gibt diese Organschädigungen wieder.
führt zu typischen neuromuskulären und zerebralen
Funktionsstörungen.
Organische Veränderungen des Hypopara-
thyreoidismus/Pseudohypoparathyreoidismus
• Neuromuskuläre Symptome. Das Leitsymptom
der Hypokalzämie ist die Tetanie, wobei es durch
• Hypoparathyreoidismus
Übererregbarkeit zu tonischen, schmerzhaften Mus-
Haarausfall, Nagelwuchsstörungen mit gehäuften
kelkrämpfen kommt (Tabelle 10-2). Durch die Dra-
Pilzinfektionen
matik des Anfalls kommt es meistens zusätzlich zu
tetanischer Katarakt
einer Hyperventilation, was die Erregbarkeit weiter
Basalganglienverkalkungen des Gehirns
steigert und den Zustand verschlechtert. Zwischen
Zahnanomalien und Skelettdeformierungen
dem Vollbild des tetanischen Anfalls und Beschwer-
bei Manifestation in der Kindheit
defreiheil sind Symptome aller Abstufungsgrade
• Pseudohypoparathyreoidismus
möglich, die als "tetanoide" Äquivalente, vegetative
Hereditäre Osteodystrophie nach Albright
Dysfunktionen und funktionelle Anomalien in Er-
(s. vorherige Übersicht)
scheinung treten. Die Übergänge zum Beschwerde-
komplex des Hyperventilationssyndroms sind flie-
ßend und klinisch nicht sicher differenzierbar.
Obwohl der Serumkalziumspiegel erniedrigt ist,
• Zerebrale Symptome. Eine chronische Hypokalz- kann es beim Hypoparathyreoidismus durch die
ämie kann zu psychischen Veränderungen, zu foka- gleichzeitige Hyperphosphatämie zu Organverkal-

Tabelle 10-2. Funktionelle Symptome des Hypoparathyreoidismus

Symptome idiopathischer Postoperativer


Hypoparathyreoidismus Hypoparathyreoidismus

(%) (%)

Ka rpopedalspasmen 75 37

Konvuls io nen 75 14

Crampi, Spa men 50

Parästhesien 25 40
" Fischmaulstell ung" (im akuten Anfa ll ) elten selten

Laryngospasm us (bes. beim Kin d) selten selten

Bauchschmerze n, Durchfall oder Verstopfung 25 32


Chvostek-Zeichen positiv 62,5 55
Trousseau-Zeichen positiv 62,5 62
10.2 Hypoparathyreoidismus I Pseudohypoparathyreoidismus 411

kungen kommen (niedrige Löslichkeit bei hohem Labordiagnostik


Ca-x-Phosphat-Produkt). Die Ätiologie einer Hypokalzämie kann in der Regel
durch die Bestimmung von 3 weiteren Parametern
geklärt werden (Abb. 10-6). Wichtigster Test ist
10.2.4 das intakte Parathormon. Bei erniedrigtem Serum-
Diagnostik PTH ist die Diagnose eines Hypoparathyreoidismus
gesichert. Finden sich erhöhte PTH-Konzentratio-

D jede Hypokalzämie muss abgeklärt und ein Hypo-


parathyreoidismus ausgeschlossen oder nachgewie-
nen, so interessiert als Nächstes der Phosphatspiegel.
Bei erniedrigtem Serumphosphat ist von einer intak-
ten PTH-Wirkung an der Niere auszugehen. Als
sen werden.
wahrscheinlichste Diagnose kommt ein sekundärer
Hyperparathyreoidismus bei Rachitis oder Osteo-
Anamnese malazie in Frage. Bei erhöhtem Serumphosphat blei-
Die Anamnese sollte neben der Symptomerfassung ben die Differentialdiagnosen eines Pseudohypo-
insbesondere auf die mögliche Ätiologie eines Hypo-
parathyreoidismus bzw. eines nephrogenen sekun-
parathyreoidismus (Tabelle 10-1) und seine Diffe-
dären Hyperparathyreoidismus. Letztere Diagnose
rentialdiagnose (s. Übersicht unter 10.2.5) eingehen.
ist bei erhöhtem Serumkreatinin wahrscheinlich.
Beim Verdacht auf Pseudohypoparathyreoidismus
ist eine Familienanamnese wichtig.
• PTH-Infusionstest. Dieser Test dient der Unter-
scheidung zwischen einem Pseudohypoparathyreoi-
Körperliche Untersuchung dismus Typ I und Typ II. In der Praxis ist das Ver-
Hier sollte auf organische Veränderungen (s. Über- fahren allerdings ohne Bedeutung, da sich aus dem
sicht) und insbesondere auf Symptome der heredi- Testergebnis keine therapeutischen Konsequenzen
tären Osteodystrophie nach Albright (s. Übersicht) ergeben. Zur Durchführung des Tests werden
geachtet werden. Die gesteigerte neuromuskuläre 0,5 )..lg/kg Körpergewicht hPTH(l-38) i. v. injiziert.
Erregbarkeit kann durch manuelle Tests nachgewie- Vor und 30 min nach PTH-Injektion wird Spontan-
sen werden: urin gesammelt und hierin cAMP bestimmt. Ein 10-
• Chvostek-Zeichen. Hier kommt es nach Beklopfen bis 20-facher Anstieg der Urin-cAMP-Ausscheidung
des N. facialis vor dem äußeren Gehörgang zu nach PTH spricht für einen PHP Typ II. Bei Fehlen
synchronen Zuckungen der ipsilateralen Ge- des Anstieges ist von einem PHP Typ I auszugehen
sichtsmuskulatur. (s. Abb. 10-5).
• Trousseau-Zeichen. Hierbei wird eine Blutdruck-
manschette am Oberarm auf leichte supra-systo-
lische Werte aufgeblasen. Der Test wird als posi- CT des Schädels
tiv gewertet, wenn es innerhalb von 3-5 min zum Das kraniale CT eigent sich zum Nachweis einer Ba-
Karpalspasmus (Geburtshelferhand) kommt. salganglienverkalkung.

Hypokalzämie
~

Abb.l0-6.
Flussdiagramm der diagnostischen Abklärung
einer Hypokalzämie. Aufgrund der Bestim-
mung von Phosphat (P), intaktem Parathormon
und Kreatinin lässt sich eine Hypokalzämie
ätiologisch einordnen. HP Hypoparathyreoi-
Nephrogener- dismus, HPT Hyperparathyreoidismus, iPTH
Pseudo -HP
HPT intaktes Parathormon, __, normal, I erhöht,
1 erniedrigt
412 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

Augenärztliche Untersuchung
10.2.6
Die ophtalmologische Untersuchung gibt Hinweise
Therapie
auf das Vorliegen einer tetanischen Katarakt.
Prinzip der Therapie ist eine Steigerung der Kalzi-
umabsorption aus dem Darm und eine Normalisie-
10.2.5 rung der Serumkalziumspiegel im unteren Norm-
Differentialdiagnose bereich durch kombinierte Gabe von Kalzium und
Vitamin D.
Als Differentialdiagnose zur Hypokalzämie bei Hy-
poparathyreoidismus kommen vor allem Erkran-
Hypoparathyreoidismus
kungen mit verminderter intestinaler Kalziumauf-
Therapieziel ist die Anhebung des Serumkalziums in
nahme in Frage, wie in der folgenden Übersicht wie-
den unteren Normbereich, nicht darüber. Um ein
dergegeben ist.
ausreichendes Kalziumangebot zu gewährleisten,
sollten 500-1500 mg elementares Kalzium/Tag ver-
Differentialdiagnose der Hypokalzämie
abreicht werden.
• Hypoparathyreoidismus (s. Tabelle 10-2)
Übermäßige Zufuhr von Milch- oder Milchproduk-
• Pseudohypoparathyreoidismus (s. Tabelle 10-2)
ten sollte vermieden werden, da hierdurch das Phos-
• Kalziummangel
phatangebot und die Gefahr einer Verschlechterung
Mangelernährung
der Hyperphosphatämie mit extraossären Verkal-
Malabsorption/Maldigestion
kungen erhöht wird.
• Vitamin D-Mangel (Rachitis/Osteomalazie)
Mangelernährung
Zusätzlich sollte Vitamin D gegeben werden, um die
Mangelnde Sonnenlichtexposition
Kalziumutilisation zu optimieren (Tabelle 10-3). Ist
Malabsorption
der Hypoparathyreoidismus mit oralem Kalzium
Vitamin D-Katabolismus durch Antiepileptika
und Vitamin-D nur ungenügend einstellbar, sind
Vitamin D-abhängige Rachitis Typ I (25-0H-D 1a
weitere adjuvante Maßnahmen zu ergreifen (Ta-
Hydroxylasemangel)
belle 10-4).
Vitamin D-Resistenz
Vitamin D-abhängige Rachitis Typ II (Vitamin D-
Endorganresistenz) Pseudohypoparathyreoidismus
• Medikamente Es gelten die gleichen Therapieprinzipien wie beim
Antiepileptika Hypoparathyreoidismus. Der therapeutische Serum-
Disphosphonate, Kalzitonin, Phosphat kalziumspiegel sollte beim PHP allerdings eher im
Colchicinüberdosierung mittleren Normbereich liegen, um einen sekundären
Zitratblut Hyperparathyreoidismus und eine Stimulation der
• Chronische Niereninsuffizienz Knochenresorption zu vermeiden.
• Hypoproteinämie
• Hypomagnesiämie
• Akute Pankreatitis
Die Gefahr einer therapiebedingten Hyperkalzurie
ist beim PHP geringer als beim Hypoparathyreoidis-
mus, sie muss jedoch ebenfalls bedacht und über-
D
wacht werden.
Typischerweise ist der Serumphosphatspiegel bei
Das Ausmaß des PTH-Rezeptordefektes kann sich in
diesen Erkrankungen erniedrigt, da zum einen die
Abhängigkeit vom Serumkalziumspiegel mit der
intestinale Phosphatabsorption vermindert ist,
Zeit ändern. Daher sollte in diesen Fällen das besser
zum anderen ein sekundärer Hyperparathyreoidis-
steuerbare 1,25-Dihydroxyvitamin D3 verwendet
mus besteht.
werden (Tabelle 10-4). Nach Erreichen der Normo-
Ein Sonderfall ist die Hypoproteinämie, bei der
kalzämie ist ein Auslassversuch indiziert, da der
trotz Verminderung des Serumgesamtkalziums aus-
PHP phasenweise in einen Pseudo-PHP übergehen
reichende Spiegel an ionisiertem (d. h. biologisch
kann.
wirksamem) Kalzium vorliegen. Die Patienten
sind bezüglich des Kalziumstoffwechsels asympto-
matisch (keine tetanische Symptomatik), es besteht
keine Therapieindikation für eine Kalzium- oder
Vitamin-D-Substitution.
I 0.2 Hypoparathyreoidismus I Pseudohypoparathyreoidismus 413

Tabelle 10-3. Adjuvante Maßnahmen bei ungenügend einstellbarem Hypoparathyreoidismus

Maßnahme Mechanismus

Phosphatarme Diät Senkung des Serumphosphatspiegels

Aluminiumhydroxidgabe Senkung des Serumphosphatspiegels, cave: Hyperalbuminämie

Hydrochlorothiazidgabe und natriumarme Kost Verminderung der Kalziurie

Magne iumgabe Ausgleich einer Hypomagne iämie

Vermeidung einer Hyperventilation Vermeidung einer re piratorischen Alkalose als Tetaniebeitrag

Ammoniumchloridgabe Erzeugung einer milden Azidose

Tabelle 10-4. Vergleich der Dosis und Wirksamkeit von Vitamin D und seinen Metaboliten

Vitamin 0 1 Dihydrotachystcrol 1,25-Dihydroxy- Alfacalcidol


vitamin D 1 (lu-llydroxy-
vitamin D 1)

Erhaltungsdosis 500- 2500 250- 1500 0,5- 2,0 I-5"


(J.ig/Tag) (0,5- 2,5 mg
= 20.000- 100.000 I.E.

Potenz
(bezogen auf
2-3 1000- 1500 -·
Vitamin 0 3)

Dauer bis zum


Erreichen der
4-8 2-4 1/2-l

Normokalzämie
(Wochen)

Dauer des Abklingens


einer Hyperkalzämie
6- 18 3-12 112-1

(Wochen)

a Geschätzt, es liegen keine Daten vor

Vitamin V-Metaboliten • Nebenwirkungen der Vitamin D-Therapie. Die


Um die intestinale Kalziumabsorption zu optimie- therapeutische Breite insbesondere der aktiven Vit-
ren, sollte beim Hypoparathyreoidismus und beim amin D-Metaboliten ist gering. Die Gefahr reicht von
PHP stets Vitamin D zusätzlich gegeben werden. einer stummen Hyperkalzurie und Nephrokalzinose
Zur Vorgehensweise und Dosierung der unter- (s. Fallbeispiel) bis hin zu Intoxikationen mit Todes-
schiedlichen Präparate s. Tabelle 10-4. Das genuine folge. Es ist deshalb auf eine strikte Compliance sei-
Vitamin D3 (Cholecalciferol) ist hierbei am preis- tens des Patienten zu achten (Aufklärung!). Die Do-
wertesten und zeigt bis auf seine sehr lange Halb- sierung sollte sich an den Laborparametern, weniger
wertszeit (Cave: Intoxikation!) keine wesentlichen an den subjektiven Beschwerden des Patienten
Nachteile gegenüber anderen Vitamin D-Metaboli- orientieren.
ten. Cholecalciferol ist daher die Medikation der er-
sten Wahl beim unkomplizierten PHP. Das Präparat
kann in einer wöchentlichen Dosis verabreicht wer- Therapiekontrollen

D
den, da Cholecalciferol vom Organismus kontinu- Da sich sämtliche Formen des Hypoparathyreoidis-
ierlich in den aktiven Metaboliten 1,25-Dihydroxy- mus im Laufe des Lebens in ihrer Ausprägung ändern
vitamin D umgewandelt wird. können, sind Kontrollen des Serumkalzium und
-phosphats lebenslang in 3- bis 6-monatigen Abstän-
Bei schlechter Compliance und bei Kindern sollte den indiziert.
allerdings 1,25-Dihydroxyvitamin D3 verwandt
werden. Aufgrund seiner sehr kurzen Halbwertszeit Weiterhin sollte mindestens einmal jährlich eine
lässt sich diese Substanz einfacher und zuverlässiger therapiebedingte Hyperkalzurie und Nephrokalzi-
steuern, Unter- und Übertherapien sind seltener. nose ausgeschlossen werden (Kalzium im 24-h-
414 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

Urin, Serumkreatinin, Sonographie der Nieren). Da Überfunktion


ein PTH-Defizit an der Niere zu einer negativen Ma-
gnesiumbilanz führen kann, sollten die Serumma-
gnesiumspiegel einmal im Jahr kontrolliert und Ma- 10.3
gnesium ggf. substituiert werden. Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT)
M. J. SEIBEL
10.2.7
10.3.1
Notfall
Fallpräsentation
Therapie der tetanischen Krise
Folgendes Vorgehen ist indiziert: Bei einer 55-jährigen Frau wurde im Rahmen
• Langsame ( < 2 ml/min) Injektion von 10 ml einer Routineuntersuchung ein mit 2,92 mmol/1
einer 10- bis 20 o/oigen Kalziumglukonatlösung erhöhter Serumkalziumwert gefunden. Die Pa-
i. v. (entspricht 2,25-4,5 mmol = 90-180 mg Kal- tientin war subjektiv beschwerdefrei, in letzter
zium). Zeit litt sie jedoch vermehrt an Konzentrations-
• Die Kalziumglukonatinjektion kann 1-mal wie- störungen. Vor 3 Jahren wurde ein Nieren -
derholt werden. steinleiden diagnostiziert. Sie nahm keine aktu -
• Bei ungenügendem Therapieerfolg ist Kalzium elle Medikation ein. Der Blutdruck lag bei
per Dauerinfusion zu geben: zunächst 0,5 mg/ 160/100 mmHg. Die Untersuchung ergab eine
kg/h, je nach Symptomatik Steigerung auf maxi- Struma I mit gut schluckverschiebliehen Knoten
mal 1,5 mg/kg/h. von ca. 1 cm Durchmesser links-kranial. Der
• Bei der seltenen hypomagnesiämischen Hypo- übrige Untersuchungsbefund, auch der neuro-
kalzämie wird eine zusätzliche Magnesiumsubsti- logische Status waren ohne pathologischen
tution notwendig. Magnesiumsulfat kann i. v. Befund. Die Nierenlager waren frei. Die aktu-
oder i.m. gegeben werden. Das Serummagnesium ellen Laborparameter waren: Serumkalzium
spiegelt den Inhalt der Magnesiumspeicher nicht 2,96 mmol/1 (Norm 2,1 - 2,65 mmol/1) , Serum-
korrekt wider. Magnesium sollte deshalb bis zum phosphat 0,74 mmol/1 (Norm 0,8- 1,5 mmol/1),
Erreichen einer Normokalzämie für einige Tage übrige Elektrolyte im ormbereich. Intaktes
bis zu einer Woche weiter gegeben werden. Bei Parathormon 245 ng/ml (Norm 10- 65 ng/ml).
eingeschränkter Nierenfunktion muss die Dosis
reduziert werden.
• Regelmäßige Kontrollen des Serumkalziumspie-
gels sind initial alle 2-4 h zur Dosisanpassung
notwendig.

Bei digitalisierten Patienten muss eine mögliche


Arrhythmie durch eine iatrogene Hyperkalzämie
beachtet werden, die i. v.-Kalziumgabe muss hier
besonders langsam durchgeführt werden.
Bei Vorliegen einer starken Hyperphosphatämie
ist vor Kalziumgabe eine Dialyse zur Phosphatsen-
kung notwendig, um extraossäre Verkalkungen zu
verhindern.

Abb. 10-7. Sonographie des Halses mit Nachweis einer ova-


lären, echoarmen Struktur retrothyreoidal. Dieser Befund
kann, insbesondere bei biochemisch gesichertem pHPT, einem
Epithelkörperchen-Adenom entsprechen
!Oo3 Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) 415

Osteolyse (z. B. lytische Knochenmetastasen,


Kalziumausscheidung im 24-h-Sammelurin Plasmozytom)
9,6 mmol/ 24 h (Norm 2,5- 5 mmol/ 24 h). T3 • Granulomatöse Erkrankungen
und T4 im mittleren Normbereich, TSH Sarkoidose
0,34 mU/1 (Norm 0,3- 4,0 mU/1). Das Schilddrü- Tuberkulose
senvolumen war sonographisch rechts 12,5 ml, Histoplasmose
links 14,7 ml. Es lag ein echogleiches, homoge- Kokzidioidomykose
nes Binnenmuster vor. Links-kranial kam ein Lepra
echoreiches Areal (Volumen 2,3 ml), rechts
• Medikamentös-toxisch
eine dorsobasal ovaläre, scharf abgegrenzbare, Vitamin D
echoarme Raumforderung (Volumen 1,8 ml)
Thiaziddiuretika
zur Darstellung (Abb. 10-7). Im Abdomensona-
Lithium
gramm zeigte sich eine Nephrolithiasis rechts,
Sexualsteroide und Antagonisten
ansonsten ein unauffälliger Befund. Zusammen-
(z. B. Östrogene, Antiöstrogene)
fassend ergab sich die Diagnose: Primärer Hy-
Aminophylline
perparathyreoidismus bei V. a. Epithelkörper-
Vitamin A
chenadenom rechts basal. Struma nodosa bei
Aluminium (bei chronischer Niereninsuffizienz)
euthyreoter Stoffwechsellage. Nephrolithiasis
• Andere endokrine Ursachen
rechts. Die Therapie bestand in einer Parathy-
Thyreotoxikose
reoidektomie rechts-basal (1 ,4 ° 1,8 ° 1,6 cm)
Phäochromozytom
und subtotale Strumaresektion in gleicher Sit-
Familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie
zung. Histologisch ergab sich kein Anhalt für
• Sonstige Ursachen
Malignität. Es lag ein komplikationsloser Hei-
Immobilisation
lungsverlauf vor. Zwei Wochen post Op. lag
der Blutdruck bei 140/90 mmHg. Es trat keine Chronische Niereninsuffizienz
Akutes Nierenversagen
hypokalzämische Symptomatik auf. Das Serum-
Parenterale Ernährung
kalzium hatte sich mit 2,35 mmol/1 und da in-
taktes Parathormon mit 34 nglml normalisiert. Milch-Alkali -Syndrom

Die Erstmanifestation eines pHPT ist in jedem Alter


10.3.2 möglich, wobei der Erkrankungsgipfel jenseits des
Epidemiologie 50. Lebensjahres liegt. Selten sind Kinder und Ju-
gendliche betroffen, hier sollte stets an eine multiple
Mit einer Inzidenz von 1: 500-1000 ist der primäre endokrine Neoplasie (MEN) gedacht werden. In we-
Hyperparathyreoidismus (pHPT) nach der Struma
niger als 1 o/o der Fälle mit gesichertem pHPT findet
und dem Diabetes mellitus die dritthäufigste endo- sich ein Nebenschilddrüsenkarzinom (Manifestati-
krinalogische Erkrankung. Frauen sind etwa 2- bis
onsgipfel: 40.-50. Lebensjahr, keine Geschlechtsprä-
3-mal so häufig betroffen wie Männer. Neben der valenz).
Tumorosteapathie ist der pHPT die häufigste Ursa-
che einer Hyperkalzämie; zusammengenommen
sind beide Erkrankungen für etwa 90 o/o aller Hyper-
kalzämien verantwortlich. In der folgenden Über-
sicht ist die Differentialdiagnose der Hyperkalzämie 10.3.3
wiedergegeben. Pathogenese

Differentialdiagnose der Hyperkalzämie Unter physiologischen Bedingungen ist eine Erhö-


hung des extrazellulären Kalziumspiegels mit einer
• Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) Reduktion bzw. Suppression der Parathormonaus-
• Malignome schüttung durch die Nebenschilddrüse verbunden.
Humoral vermittelte Hyperkalzämie ("humoral Beim pHPT ist diese negative Rückkopplung gestört.
hypercalcemia of malignancy", HHM) Im Wesentlichen sind 2 pathogenetische Mechanis-
- PTHrP (überwiegend solide Tumoren, z. B. men wirksam:
Bronchialkarzinom, Hypernephrom) • Verstellung des "set-points", d. h. eine Reduktion
- ektope Produktion von 1,25-Dihydroxyvita- bzw. Suppression der Parathormonsekretion er-
min D (überwiegend Lymphome) folgt erst bei höheren extrazellulären Kalzium-
- andere humorale Faktoren konzentrationen.
416 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

• Vergrößerung der absoluten Nebenschilddrüsen- re Mitbestimmung von Kalzium im Serum) und


masse mit vermehrter Produktion und Ausschüt- der breiten Anwendung bildgebender Verfahren
tung von Parathormon (PTH) bei eingeschränk- (Abdomensonographie!) stark verändert. So
ter regulativer Ansprechbarkeit. wird heute die Diagnose eines pHPT in der Mehr-
zahl der Fälle als Zufallsbefund beim oligo- oder
Der dem pHPT zugrunde liegende molekulare De- asymptomatischen Patienten und etwa 10 Jahre
fekt ist unbekannt. Derklonale Ursprung der mei- früher festgestellt. Die Symptompalette des
sten Epithelkörperchenadenome lässt jedoch einen pHPT ist vielfältig (Tabelle 10-5). Manche Befun-
Defekt auf Genom-Ebene, z. B. den Verlust von Tu- de, wie z. B. peptische Ulzera, Cholezystolithiasis
morsuppressorgenen, vermuten. Diesbezüglich gesi- oder arterielle Hypertonie, werden allerdings mit
cherte Erkenntnisse liegen derzeit jedoch nur für dem pHPT in Verbindung gebracht, ohne dass ein
den pHPT im Rahmen der MEN vor. Morphologisch kausaler Zusammenhang bewiesen oder nur
liegt einem pHPT in 80% aller Fälle ein solitäres Epi- wahrscheinlich ist. Oft handelt es sich lediglich
thelkörperchenadenom zugrunde. Seltener findet um das zufällige Zusammentreffen ohnehin häu-
sich eine Hyperplasie mehrerer oder sogar aller Epi- figer Erkrankungen. Hierfür spricht unter ande-
thelkörperchen. Der pHPT tritt in der Regel spora- rem, dass eine vorbestehende arterielle Hyperto-
disch auf, familiäre Häufungen sind jedoch bekannt. nie nach erfolgreicher Parathyreoidektomie ohne
spezifische Therapie meist nicht gebessert wird.
Das Gleiche gilt für das peptische Ulkus. Umge-
10.3.4 kehrt werden diskrete Symptome, wie z. B. eine
Klinik Depression (endokrines Psychosyndrom) oder
Konzentrationsstörungen oft nicht als Symptom
Symptome und Beschwerden eines pHPT bzw. einer Hyperkalzämie erkannt.
Bis Ende der 70er Jahre stand klinisch der sog. sym- "Zufallsbefund" und "Symptomfreiheit" sind in
ptomatische pHPT mit der klassischen Trias diesem Fall nicht identisch: obwohl der Anteil
• Nephrolithiasis, asymptomatischer Patienten mit bis zu 40% an-
• Osteopathie und gegeben wird, dürfte bei ausreichend genauer Un-
• Pankreatitis tersuchung der tatsächlich asymptomatische
ganz im Vordergrund ("Stein-, Bein- und Magen- pHPT auch bei milden Verlaufsformen (Serum-
pein"). Hierbei handelte es sich in der Regel um kalzium < 3 mmol/1) eher selten sein. Die Defini-
komplizierte Spätstadien eines jahrelang uner- tionskriterien des streng asymptomatischen
kannten pHPT. Dieses Bild hat sich mit der Ein- pHPT zeigt folgende Übersicht.
führung der Mehrkanallaborautomaten (häufige-

Tabelle 10-5. Symptome bei primärem Hyperparathyreoidismus und Hyperkalzämie (Modifiziert nach Ziegler 1996)

Betroffenes Organ Funktionelle Storung Dekompensation bei Organmanifestation


( reversibel); parathrrcotoxischer Krise
(Hypcrkalz.lmic·Syndrom)

Niere Hyposthenurie, Polyurie, Oligurie _, Anurie ephrolithiasis (20 %),


Polydypsie, Elektrolytverlust --+ iereninsuffizienz ephrokalzinose
Hypokaliämie

Skelett Knochenschmerzen, Kortikale Osteopenie,


Frakturen Subperiostale Resorptions-
zonen, Knochenzyten,
Chondrokalzinose

Intestinum Übelkeit, Erbrechen, Erbrechen, Obstipation Peptisches Ulku (bei MEN),


Obstipation, vermehrte rezid. Pankreatiti
Säure- (Magen) und Enzym-
produktion (Pankreas)

euromu kuläres System Adynamie, Schwächegefühl, Adynamie, Myopathie, Meist keine morpholo-
Myopathie, Reflexab- Reflexverlust, Paresen, gischen Veränderungen
schwächung, Müdigkeit, Somnolenz, Koma
Kopf chmerzen,
P ychosyndrom

Kreislaufsystem Arterielle Hypertonie


I0.3 Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) 417

Kriterien des asymptomatischen primären Ein Schema zum diagnostischen Vorgehen bei Hy-
Hyperparathyreoidismus perkalzämie zeigt Abb. 10-8. Neben der zufällig ent-
deckten Hyperkalzämie (s. Fallbeispiel) sind die in
• Gesamtkalzium bei mindestens 2 Messungen er- der Übersicht (s. oben) aufgeführten Organmani-
höht, jedoch < 3,0 mmol/1 festationen (z. B. Nephrolithiasis) und Funktions-
• Intaktes (1-84) Parathormon bei mindestens 2 störungen (z. B. Polyurie, Psychosyndrom) Indika-
Messungen erhöht tionen zur Diagnostik. Auch bei Erkrankungen,
• Kalzurie < 10 mmol!Tag die bekanntermaßen mit einer Begleithyperkalzämie
• Kein Anhalt für Niereninsuffizienz einhergehen können (s. Übersicht oben), sollte das
• Keine Nephrolithiasis Serumkalzium kontrolliert werden. Dies gilt auch
• Keine radiologisch sichtbare Knochenbeteiligung für den Patienten mit bekannter oder vermuteter
• Knochenmineralsalzgehalt am distalen Radius MEN (inkl. Familienscreening).
nicht mehr als 2 SD unterhalb der geschlechtsent-
sprechenden Norm Primärdiagnostik
Obwohl Anamnese und Untersuchung Hinweise auf
das Vorliegen einer Hyperkalzämie liefern können,
wird die Diagnose eines pHPT im Wesentlichen bio-
Die häufigste Komplikation des pHPT ist nach wie chemisch gestellt. Die hierfür obligaten Untersu-
vor die Nephro- oder Urolithiasis. Sie wird heute bei chungen zeigt folgende Übersicht.
20-25 o/o aller Patienten mit pHPT und nicht selten
als Erstmanifestation gesehen. Nephrokalzinose, Obligate Untersuchungen zur Diagnosesicherung
Pankreatitis, diffuse Knochenschmerzen oder die eines pHPT
Osteitis fibrosa cystica sind dagegen selten gewor-
den ( < 5 %). Das früher häufige neuromuskuläre • Gesamtkalzium und anorganisches Phosphat im
Syndrom bei pHPT (Myopathie) ist durch ein un- Serum (mehrfache Bestimmung)
scharf definiertes Bild verdrängt worden, das durch • Intaktes (1-84) Parathormon (mehrfache Bestim-
leichte Ermüdbarkeit, Schwächegefühl, Konzentrati- mung)
onsstörungen und Gewichtsabnahme gekennzeich- • Gesamteiweiß im Serum (einmalige Bestimmung)
net ist. Psychosyndrome mit depressiver Verstim- • Kreatinin im Serum (einmalige Bestimmung)
mung werden beobachtet. Höhere Serumkalzium- • Kalium im Serum (einmalige Bestimmung)
werte (> 3 mmol/1) manifestieren sich oft im Rah- • Kalziumausscheidung im 24-h-Urin (einmalige
men eines "Hyperkalzämiesyndroms", das durch Bestimmung)
Polyurie bei Hyposthenurie, Polydipsie, Übelkeit,
Erbrechen, Obstipation, Gewichtsverlust und Ady-
namie gekennzeichnet ist. Unbehandelt kann sich Die Kombination aus Hyperkalzämie und erhöhtem
hieraus, insbesondere bei hohen Außentemperatu- PTH liegt bei über 90 o/o der Fälle mit pHPT vor und
ren (Exsikkose), eine hyperkalzämische Krise ent- sichert die Diagnose. Allerdings können bei milden
wickeln. Diese bedarf als endokrinologischer Notfall Verlaufsformen vereinzelt auch hochnormale Kalzi-
der sofortigen und konsequenten Intervention. umwerte gemessen werden. Zu beachten ist ferner,
dass bei Hyper- oder Hypoproteinämie das Gesamt-
• Nebenschilddrüsenkarzinom. Die Symptomatik kalzium im Serum gleichsinnig abweichen kann. In
des seltenen Nebenschilddrüsenkarzinoms ist aus- diesen Fällen sollte das korrigierte Kalzium errech-
geprägter, der Verlaufbis zur Diagnose im Allgemei- net werden. Die Bestimmung des ionisierten Serum-
nen kürzer als beim benignen pHPT. Lokale, lym- kalziums ist meistens überflüssig. 30% der Patienten
phogene (Hals- und parabronchiale Lymphknoten) zeigen eine manifeste Hypophosphatämie, in den
sowie hämatogene Metastasen (Leber) entstehen re- übrigen Fällen ist das Phosphat (niedrig-) normal.
lativ spät. Die Bestimmung des Parathormons im Serum ist
die zweite entscheidende Größe bei der Diagnose
des pHPT. Für die klinische Situation ist ausschließ-
lich das intakte Parathormon (1-84 PTH; IRMA)
10.3.5 von diagnostischem Wert, da nur hiermit eine zu-
Diagnostik verlässige Differenzierung zwischen parathyreoida-
ler und nichtparathyreoidaler Hyperkalzämie mög-
Eine erhöhter Serumkalziumwert gilt bis zum Beweis lich ist. Fragmentassays (z. B. mittmolekulares oder
des Gegenteils als malignitätsverdächtig und muss carboxylterminales PTH) sind für die klinische An-
abgeklärt werden. wendung ungeeignet.
418 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

Screening- bzw. Organ- Funktions-


Zufallsbefund manifestation störung

Serumkalzium bestimmen
(mehrfach)

Hyperka lzämie
Normalkalzämie
(auch hochnormal)

Intaktes Parath ormon


bestimmen (mehrfach)

PTH erhöht
bzw. inadäquat

pHPT ausgeschlossen
pHPT bewiesen
00: s. Seite 415 u. 420

Am Hals nicht Am Hals Weitere Diagnostik


voroperierter Patient voroperierter Patient dringend indiziert !
Sonographie Hals: Sonographie Hals
Nebenschilddrüse CT/MRT Hals und
und Schilddrüse Mediastinum Spezifische Therapie
(zusätzl. Struma ' l MIBI·Szintigraphie
ggf. selektiver Symptomatische Kalziumsenkung
Halsvenenkatheter

+ +
I
Parathyreoidekto mie
I
+
Persistierende Hyperkalzämie
- Abb. 10-8. Flussschema zur Diagnostik bei Hyperkalzämie.
( ach Ziegler 1996)

Für die Frage, ob eine dem aktuellen Serumkalzium-


spiegel adäquate PTH-Sekretion vorliegt, ist von Be-
deutung, dass beide Parameter in simultan gewonne-
Die Bestimmung von Vitamin V-Metaboliten, alka-
lischer Phosphatase, Osteokalzin, Pyridinium-Cross-
links, Hydroxyprolin oder cAMP im Urin ist zur Dia-
D
nen Proben bestimmt werden. gnose des typischen pHPT nicht notwendig.

Hin und wieder findet sich bei mildem pHPT ein Lokalisationsdiagnostik
hochnormales oder nur leicht erhöhtes Serumkal- • Vor Erstoperation. Epithelkörperchenadenome
zium bei normalem, in diesem Fall jedoch offen- über 1 cm Durchmesser sind bei Lokalisation im
sichtlich inadäquat hohem PTH. Hier lässt sich Halsbereich und bei entsprechender Erfahrung sei-
der Verdacht eines pHPT in der Regel durch die wie- tens des Untersuchers sonographisch meist gut dar-
derholte Simultanbestimmung von Serumkalzium stellbar. Sie imponieren als ovaläre, echoarme,
und -PTH erhärten. Provokationstests wie der Thia- scharf abgrenzbare und meist im Bereich der dorsa-
zidtest sind nur in seltenen Fällen notwendig. Etwa len Schilddrüsenkapsel, d. h. extrathyreoidal gelege-
30 o/o aller Patienten mit pHPT zeigen eine Hyper- ne Areale (Abb. 10-7). Die routinemäßige Sonogra-
kalzurie, deren Fehlen somit einen pHPT nicht aus- phie beim unkomplizierten pHPT, d. h. beim Patien-
schließt. Die Kalzurie kann jedoch für die Differen- ten vor Ersteingriff, ist umstritten. Für eine präope-
tialdiagnose des pHPT von Bedeutung sein (DD: rative Lokalisationsdiagnostik sprechen einerseits
familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie). eine möglicherweise verkürzte Operations- und
10.3 Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) 419

Tabelle 10-6. Lokalisationsdiagnostik bei primärem Hyperparathyreoidismus. Die Daten wurden, wo möglich, aus mehreren
Studien zusammengestellt (Doppman 1996; Mirehell 1995; Roe 1994). (Spannbreite, Mittelwerte in Klammern)

Methode Sensitivitat Spczifitat


(%) (%)

onographie 50-86 (66) 75-96 (87,5)

Technetium- 99 m-Sestamibi-Szintigraphie 50 97

Thallium-Technetium- zintigraphie 42- 74 (55) 71 - 93 (86,5}

Computertomograhie 53-86 (63) 62- 94 (81)

Magnetre onanztomographie 57- 90 (74} 75- 71 (82)

Chirurgi ehe Exploration 92- 98 . (95)

a unabhängig von vorheriger Lokalisationsdiagnostik; - = keine Angaben

Hospitalisationsdauer sowie die geringere Anzahl den, da es hierdurch zu Einblutungen in das Adenom
erfolgloser Operationen. Allerdings liegt die intra- und zur unnötigen Erschwerung der Operation kom-
operative Finderate beim erfahrenen Halschirurgen men kann. Hiervon nicht berührt sind selbstver-
mit ca. 95% über der Sensitivität sämtlicher nichtin- ständlich suspekte Herdbefunde bei unklarer Dia-
vasiver Lokalisationsverfahren (Tabelle 10-6), so- gnoselage.
dass manche Autoren die Lokalisationsdiagnostik
vor (unkompliziertem) Ersteingriff ablehnen. Ande-
rerseits wird bei der präoperativen Halssonographie Knochendichtebestimmung
die Schilddrüse stets mituntersucht, sodass suspekte Radiologisch sichtbare Knochenläsionen, wie z. B.
Befunde diagnostiziert und in gleicher Sitzung mit subperiostale Resorptionszonen (Abb. 10-9) oder
der Parathyreoidektomie saniert werden können. gar eine Osteitis fibrosa cystica, sind zwar pathogno-
Bei einem Teil der Patienten werden so komplizier- monisch für den pHPT, heute jedoch nur noch in
tere und risikoreichere Zweiteingriffe am Hals ver- fortgeschrittenen Fällen zu sehen. Häufiger finden
mieden. Vor allem aus diesem Grunde empfehlen sich diskrete Zeichen einer kortikal betonten Osteo-
penie.

D
wir die Halssonographie als nichtinvasive Technik
vor geplanter Parathyreoidektomie. Selbstverständ-
lich ist der fehlende Sonographische Adenomnach- Mit der Knochendichtemessung lässt sich diese Art
weis kein Grund, eine erforderliche Operation bei der Skelettbeteiligung frühzeitiger und präziser er-
(biochemisch) nachgewiesenem pHPT zurückzu- fassen als mit der konventionellen Röntgenauf-
stellen. nahme.

• Vor Zweitoperation im Halsbereich. Unumstrit- Deshalb ist die Osteodensitometrie heute integraler
ten ist die Situation bei voroperiertem Hals, d. h. bei Bestandteil der Evaluation beim pHPT. Typischer-
Zustand nach Strumaresektion, "Neckdissection", weise ist die Knochendichte am (kortikalisreichen)
vorausgegangenem erfolglosem Versuch der Para- distalen Unterarm stärker erniedrigt als an der
thyreoidektomie, Rezidiv eines pHPT. Hier ist auf- (spongiosareichen) LWS.
grundder schwierigen, durch Verwachsungen ver-
änderten anatomischen Situation die genaue prä- Oberbauchsonographie
operative Lokalisation des fraglichen Epithelkörper- Eine Oberbauchsonographie (Nephro- bzw. Uroli-
chens von großer Bedeutung für den Operations- thiasis?) sollte bei jedem Patienten mit neu diagno-
erfolg. Neben den nichtinvasiven Verfahren (Ta-
stiziertem pHPT durchgeführt werden.
belle 10-6) ist bei diesen Patienten die Durchführung
eines selektiven Halsvenenkatheters zu fordern.
Knochenbiopsie I Knochenszintigraphie

D Bei gesicherter Diagnose eines primären Hyperpara-


thyreoidismus sollte auf den Versuch einer Feinna-
delpunktion des Epithelkörperchens verzichtet wer-
Eine Knochenbiopsie ist im Allgemeinen ebenso we-
nig wie eine Knochenszintigraphie indiziert, es sei
denn, es besteht Tumorverdacht
420 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

Familiäre benigne hypokalzurische Hyperkalzämie


(FHH)
Die FHH ist eine asymptomatische, autosomal-do-
minante Regulationsstörung der Kalziumhomöo-
stase, die auf einer Punktmutation des zellulären
Kalziumrezeptors und einer Verstellung des "Set-
Points" und der Serumkalziumspiegel auf einen hö-
heren Kalziumwert beruht. Sie zeigt folgende labor-
chemischen Charakteristika:
• leichte Hyperkalzämie,
• relative Hypokalzurie,
• verstärkte tubuläre Kalziumreabsorption, und in
manchen Fällen
• leicht erhöhte PTH- und 1,2S(OH)z-Vitamin D-
Spiegel.

Die Kalzurie im 24-h-Urin, noch besser aber die


GFR-korrigierte Kalziumclearance ist der differen-
Abb.I0-9. Radiologische Veränderungen bei primärem Hy- tialdiagnostisch wesentliche Schritt. Letztere wird
perparathyreoidismus. Auf der vorliegenden Handaufnahme nach folgender Formel berechnet:
erkennt man die typischen subperiostalen Resorptionszonen
Clca/ClKr = (Cau · V/Ca 5 )/(Kru · V/Kr5 )
= (Cau · Kr5 )/(Kru · Ca5 )
10.3.6 (Cl = renale Clearance, Ca = Gesamtkalzium,
Differentialdiagnose Kr = Kreatinin, V = Volumen, u = Urin,
s = Serum)
Zur Differentialdiagnose der Hyperkalzämie (s.
Übersicht zuvor): Wesentlich ist die Unterscheidung Bei Nachweis eines Indexfalls sollte ein konsequentes
zwischen parathyreoidaler und nichtparathyreoida- Familienscreening erfolgen, da eine Behandlung die-
ler Hyperkalzämie, die durch die Messung des intak- ser Regulationsstörung in der Regel nicht notwendig
ten Parathormons erfolgt (Abb. 10-8). Das weitere ist und diese Patienten nicht selten unter der Fehldia-
Vorgehen wird durch das klinische Bild bestimmt. gnose eines pHPT erfolglos operiert werden.
Für die Konstellation einer Hyperkalzämie mit er-
höhtem PTH ergeben sich nebem dem pHPT Die Patienten bleiben lebenslang asymptomatisch,
(inkl. MEN I und II a) mehrere Differentialdiagno- die Inzidenz renaler skelettaler oder intestinaler
sen, die in der folgenden Übersicht wiedergegeben Komplikationen ist, im Gegensatz zum pHPT, nicht
sind. höher als bei der Normalbevölkerung.

Differentialdiagnose bei Hyperkalzämie Tertiärer Hyperparathyreoidismus (tHPT)


und erhöhtem Parathormon Der tHPT entwickelt sich in der Regel aus einem län-
ger bestehenden sekundären Hyperparathyreoidis-
• pHPT mus, wobei die hyperplastisch vergrößerten Neben-
• MEN I schilddrüsen autonom agieren. Die Differentialdia-
• Men II a gnose ergibt sich aus der Anamnese.
• Familiärer Hyperparathyreoidismus
• Familiäre benigne hypokalzurische Hyperkalz-
ämie Ektope PTH-Produktion
• Tertiärer Hyperparathyreoidismus Die ektope Bildung von PTH durch maligne Tumo-
• Ektope PTH-Produktion (Neoplasma) ren ist eine Rarität und kommt v. a. beim kleinzel-
• Thiazide ligen Bronchialkarzinom vor. Das "ektope" PTH ent-
• Lithium spricht in seiner Struktur dem "eutopen" Protein
und wird im IRMA mitgemessen.
10.3 Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) 421

Maskierter pHPT • Knochenmineralsalzgehalt mehr als 2 SD unter-


Ein klinischer Sonderfall ist der maskierte pHPT, der halb der geschlechtsentsprechenden Norm
im Rahmen eines in unseren Breiten nicht seltenen • Alter < 50 Jahre
latenten Vitamin D- und Kalziummangels diagno-
stische und therapeutische Schwierigkeiten bereiten
kann. Bei diesen Patienten finden sich oft normale Operationsindikation. Prinzipiell sollten solche
Serumkalziumspiegel bei deutlich erhöhtem intak- Patienten operiert werden, deren Serumkalzium-
tem PTH. Die Hyperkalzurie fehlt in diesen Fällen spiegel auch nach ausreichender Hydratation wie-
fast immer, sodass oft ein sekundärer HPT diagno- derholt über 3 mmol!lliegen. Organmanifestationen
stiziert wird. (inkl. Osteopenie!) sowie Funktionsstörungen ein-
schließlich einer vorausgegangenen hyperkalzämi-
Die Therapie mit Vitamin D und Kalzium führt schen Krise (Tabelle 10-5) gelten ebenfalls als Ope-
meist zur Demaskierung des pHPT, wobei schwere rationsindikationen. Jüngere Patienten besitzen auf-
Hyperkalzämien auftreten können. jede Therapie grund ihrer Lebenserwartung bereits statistisch ein
mit Kalzium und Vitamin D sollte daher initial regel- höheres Risiko im weiteren Verlauf der Erkrankung
mäßig, z. B. in zweiwöchigen Abständen, kontrolliert Komplikationen seitens eines pHPT zu entwickeln
werden. und sollten daher ebenfalls möglichst kausal thera-
piert werden. Die Bedeutung eines chronischen
pHPT für die Entstehung eines Epithelkörperchen-
karzinoms ist noch unklar.
10.3.7
Therapie

Prinzipiell stehen 3 therapeutische Optionen zur


Diskussion:
Die erfolgreiche Parathyreoidektomie heilt den
pHPT. Allerdings sollte die Operation nur von einem
in der Epithelkörperchenchirurgie erfahrenen Chir-
D
• kausale Therapie (d. h. Parathyreoidektomie), urgen durchgeführt werden.
• symptomatische Senkung des Serumkalziumspie-
gels und • Postoperative Therapie. Postoperativ können
• Beobachtung des Patienten ohne direkte thera- aufgrund der langjährigen Suppression der gesun-
peutische Intervention. den Epithelkörperchen transiente Hypokalzämien
auftreten, die im Allgemeinen keiner Therapie be-
Die Entscheidung zum differentialtherapeutischen dürfen. Bei ausgeprägter Skelettbeteiligung (hohe al-
Prozedere beeinflussen folgende Faktoren: kalische Phosphatase!) werden zuweilen prolon-
• Höhe des Kalziumspiegels, gierte und symptomatische Hypokalzämien beob-
• Symptomatologie und Komplikationen, achtet ("hungry bone syndrome"), die mit 1-1,5 g
• Alter und Operationsrisiko des Patienten. Kalzium/Tag, seltener zusätzlich mit Vitamin D
(0,25-0,5 Jlg Calcitriol/Tag) zu substituieren sind.
Bei Patienten nach subtotaler Parathyreoidektomie
Kausale Therapie und nach Zweitoperation ist die postoperative Nach-
Da keine zuverlässigen Prädiktoren zum Verlauf sorge bis zur kompletten Normalisierung der Kalzi-
eines pHPT und zur Wahrscheinlichkeit des Auftre- umhomöostase indiziert, um einen parathyreopri-
tens von Komplikationen existieren, muss sich das ven Hypoparathyreoidismus auszuschließen.
praktische Vorgehen an empirischen Richtlinien
orientieren. Diese sind in der folgenden Übersicht
wiedergegeben. Konservative Therapie
Die konservative Therapie umfasst
Indikationen zur operativen Halsrevision • die symptomatische Senkung des Serumkalzium-
bei gesichertem pHPT spiegels und
• die Verlaufsbeobachtung unter ständiger Kon-
• Serumkalzium > 3 mmol/1 trolle.
• Organmanifestionen (s. Tabelle 10-5)
Z. B. Nephrolithiasis, Niereninsuffizienz, Fraktu- • Symptomatische Senkung des Serumkalzium-
ren, rezidivierende Pankreatitiden spiegels. Die symptomatische Senkung des Serum-
• Funktionsstörungen (s. Tabelle 10-5) kalziumspiegels ist indiziert:
Z. B. Hyperkalzämiesyndrom, Elektrolytentglei- als Akutmaßnahme bei höhergradiger Hyperkalz-
sung, Depression, Myopathie ämie im Rahmen der Operationsvorbereitung
• Durchgemachte hyperkalzämische Krise und
422 KAPITEL I0 Nebenschilddrüse

• bei symptomatischen Patienten, die einen opera- • Laboruntersuchungen:


tiven Eingriff ablehnen oder bei denen eine Kon- - Verlauf der Hyperkalzämie/Hyperkalzurie/
traindikation zum operativen Vorgehenaufgrund Nierenfunktion gemessen an
anderweitiger Erkrankungen besteht. - Serumkalzium
- Serumkreatinirr
- Kalzium im 24-h-Sammelurin
Zur symptomatischen Senkung des Serumkalzium-
- Urinkreatinirr (endogene Kreatinin-
spiegels stehen verschiedene Möglichkeiten zur Ver-
clearance)
fügung (Tabelle 10-7). Bei milden Verlaufsformen
• Bildgebende Verfahren
(Serumkalzium < 3 mmol/1) genügt häufig die aus-
- Auftreten und Verlauf von Organmanifestatio-
reichende Hydratation (Trinkmenge > 2 I kalzium-
nen wie
armes Wasser/Tag, Cave: Herz- und Niereninsuffi-
- Nierensteine/Nephrokalzinose (Ultraschall
zienz; keine Milch; kein kalziumreiches Wasser!)
Abdomen, 1-mal/Jahr)
und die Vermeidung thiazidhaltiger Diuretika. Bei
- Osteopenie (Knochendichtemessung alle
stärker ausgeprägter Hyperkalzämie sind weiterge-
1-2 Jahre)
hende Maßnahmen erforderlich, wobei je nach Si-
tuation Indikationen und Kontraindikationen der
verschiedenen Wirkgruppen zu berücksichtigen Diese Patienten müssen darüber aufgeklärt werden,
sind (Tabelle 10-7). Bei forcierter Diurese ist die dass es keine Prädiktaren zum Krankheitsverlauf
Verstärkung einer bereits vorbestehenden Hypo- gibt, die Entscheidung zur Nichtintervention daher
kaliämie (Erbrechen!) mit auszugleichen. Die Gabe nur vorläufig und von der weiteren Entwicklung des
von Phosphat (Kalziumbinder, Inhibition der pHPT abhängig ist. Hieraus ergeben sich als Konse-
1,25(0Hh-Vitamin D-Synthese) ist bei unkompli- quenzen:
zierten Fällen wegen der Gefahr ektoper Kalzifika- • regelmäßige Kontrollen des Patienten (s. Über-
tionen obsolet. Bei postmenopausalen Frauen kön- sicht), zunächst in 6-monatigen Abständen, bei
nen Östrogene gegeben werden, da sie die knochen- stabilem Verlauf einmal pro Jahr;
resorptive Wirkung des PTH antagonisieren. Neuere • Überprüfen der Therapieentscheidung in Abhän-
Untersuchungen zur Wirkung von Kalziumrezepto- gigkeit vom jeweils aktuellen Befund.
rantagonisten sind viel versprechend, z. Zt. jedoch
noch im Entwicklungsstadium.
Bei Auftreten der in Tabelle 10-5 und Übersicht "In-
dikation zur operativen Halsrevision bei gesichertem
• Verlaufsbeobachtung. Eine reine Verlaufsbeob- pHPT" gelisteten Symptome bzw. Komplikationen ist
achtung ohne operative oder konservative Interven- eine Änderung der Strategie zu erwägen und mit dem
tion ist nur beim streng asymptomatischen pHPT Patienten zu besprechen. Dies gilt auch für den Fall,
indiziert (s. folgende Übersicht) und bei Patienten, dass eine weitere regelmäßige Kontrolle des Patien-
die eine wie auch immer geartete Intervention ableh- ten nicht mehr gewährleistet ist, oder eine hinzutre-
nen oder bei denen eine Kontraindikation zur Inter- tende Erkrankung ein konservatives Vorgehen er-
vention besteht. schwert.

• Allgemeinmaßnahmen. Als Allgemeinmaßnah-


Verlaufsbeobachtung des nichtoperierten Patien- men sollte diesen Patienten (s. vorheriger Abschnitt)
ten mit gesichertem primären Hyperparathyreoi- empfohlen werden:
dismus • ausreichende Hydratation,
• körperliche Bewegung,
• Anamnese und körperliche Untersuchung: • mäßige Kalziumaufnahme (100-300 mg/Tag; Kal-
- Hinweise auf Nieren-, Pankreas-, Knochen- ziummangel ist zu vermeiden!),
oder neurologische Beteiligung wie • Thiaziddiuretika und Digitalis vermeiden.
- Flankenschmerz, Steinabgang, Polydipsie,
Polyurie
- Oberbauchbeschwerden, Verdauungsinsuf- 10.3.8
fizienz Prognose
- Knochenschmerz, Frakturen
- Depression, Konzentrationsstörungen, pHPT
Müdigkeit Die Prognose des pHPT ist gut. Nach erfolgreicher
- Muskelschwäche, Reflexabschwächung Parathyreoidektomie bilden sich die meisten Organ-
• Blutdruck symptome zurück, insbesondere kommt es als Aus-
10.3 Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) 423

Tabelle 10-7. Konservative Therapie der Hyperkalzämie beim primären Hyperparathyreoidismus. (Mod. nach Ziegler 1997)

Maßnahme Dosis Indikation Wirkmechanismus Nebenwirkungen Kontraindikationen

Vermehrtes 2- 31/Tag Univer al, v. a. Vermehrte Kalziurie, Volumenbelastung Schwere Herz-


Trinken, bei milder• Rehydratation, in uffizienz, schwere
(kalziumarmes Hyperkalzämie Verdünnunt Niereninsuffizienz
Wasser) rascher Wir ungs-
eintritt

Rehydratation 4- 6 (10) I/Tag Universal, bei Vermehrte Kalziurie, Volumen- Herzin uffizienz,
0.9 % aCl i. v. höherfadiger" Rehydratation, belastung, ierenin uffizienz
Hyper alzämie Verdünnung, rascher Hypokaliämie
Wirkungseintritt
Forcierte Variabel, Universal bei Steigerung der Diurese Hypokaliämie, icht korrigierte
Diurese, Furo- 20- 500 mg/Tag höherfadiger• und Kalziurese, (Cave bei Erbre- Hypokaliämie,
semid, (Lasix) Hyper alzämie rascher chen!), Hypo- Hypotonie,
und/oder Wirkungseintritt magnesiämie, Hypovolämie
Retention Hypovolämie

Clodronat, i. v. 300 mg /Tag, Bei Malignomen Hemmun~ Gastrointestinale ierenin uffizienz


(Ostac, über > 4 h, (tumoras oziierte der Osteo asten, Beschwerden;
Bonefos) p.o. 400-3200 mg/ Hyperkalzämie, Verminderte bei zu schneller
Tag . Ab chnitt 10.4) Kalziummobilisation; Infusion: ieren-
bei jeder rascher insuffizienz
Wirkungseintritt

Pamidronat 30-90 mg/Tag Bei höhergradiger"


(Aredia) i. v. über > 4/hO Hyperkalzämie

lbandronat 2-4 mg/Tag


(Bondronat) i. v. über 1-2 h

Kalzitonin 200- 500 I.E./Tag Als Adjuvans Hemmun~ Flush, Übelkeit, Hypotonie
s.c. bei höhergradiger" der Osteo asten, Erbrechen,
Hyperkalzämie verminderte Hypotonie,
Kalziummobili ation; Tachykardie
ra eher
Wirkungseintritt

Hämedialyse Hyperkalzämische Elimination von H;J:otonie und


Krise mit Kalzium durch Dialyse an ere typische
ierenversagen gegen kalziumfreies ebenwirkungen
Dialhsat; der Hämedialyse
rase er Wirkungs-
eintritt

Kalzium- und Universal Verminderung des Bei zu starker


Vitamin D- Kalziumangebots Restriktion Gefahr
arme Diät und der Kalzium- der weiteren
absorption; Stimulation von
lang amer PTH- daher nur
Wirkungseintritt mäßige Kalzium-
reduktion
anstreben

Prednison 40- 100 mg/Tag Vitamin-0 -Intox., Hemmung der Kalzi- Bei längerfri tiger Übliche Kontraindi-
arkoido e, hyper- umabsorption im Anwendung iatro- kationen gegen
kalzämi ehe Krise Darm, vermehrte genes Cu hin~- Glucocorticoide,
tubuläre Kalziurie; yndrom, in e- in be ondere Diabe-
langsamer sondere gestörte tes mellitus, florides
Wirkungseintritt Glukosetoleranz, Ulkusleiden, Psy-
Hypokaliämie chose, Osteoporose

Pho phat 0,5-1,5 g/Tag p.o. Hypophosphat- Hemmung der Kalzi- Ektope Verkal- Pho phatgaben ind
ämie, Au nahme- umabsorption im kun~en durch für den Regelfall
fälle!! Darm, Hemmung der Aus ällun~ von obsolet!
1,25-(OHh-Vitamin Kalziump osphat
D-Synthese, (Ca · P-Produkt
langsamer > 5,5!)
Wirkungseintritt
a Kriterien sind die kritische Hyperkalzämie (3 mmol/1) sowie die klinische Symptomatik
424 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

druck einer Auffüllung der Kalziumspeicher zu des Kalzium-, Phosphat- oder Vitamin D-Haushal-
einem deutlichen Wiederanstieg der Knochendiebe tes reaktiv gesteigert ist (Tabelle 10-8). Im Gegensatz
am distalen Radius. Bei vorbestehender arterieller zum autonomen pHPT handelt es sich also beim
Hypertonie sind Besserungen beschrieben, jedoch sHPT um einen regulativen Kompensationsmecha-
nicht die Regel. Bei Beachtung der geltenden Richt- nismus, wobei definitionsgemäß sämtliche Epithel-
linien (s. Übersicht: "Verlaufsbeobachtung...") ist körperchen betroffen sind (und hyperplastisch sein
auch bei konservativer Therapie meist mit einem können). Hierbei wird die PTH-Sekretion durch
günstigen Verlauf zu rechnen. Interessanterweise einen oder mehrere der folgenden Stimuli getriggert:
bleibt der klinische und laborchemische Befund • Hypokalzämie,
bei diesen Patienten im Allgemeinen stabil, auch • Hyperphosphatämie,
eine Osteopenie verschlechtert sich nur selten. • erniedrigte 1,25(0Hh-Vitamin DrSpiegel (Calci-
triol).
Nebenschilddrüsenkarzinom
• Ätiologie. Ätiologisch können diesen Störungen
Beim seltenen Nebenschilddrüsenkarzinom
unterschiedlichste Erkrankungen zugrunde liegen
schwankt die 5-Jahres-Überlebenszeit nach Opera-
(Tabelle 10-8). Die kalzipenischen Formen des
tion zwischen 40 und 70 %, abhängig vom Stadium
sHPT entwickeln sich stets auf dem Boden eines Kal-
der Erkrankung. Rezidive treten durchschnittlich
zium- oder eines Kalzium- und Vitamin D-Mangels.
nach 3 Jahren auf, Intervalle bis zu 20 Jahren sind
Sie treten klinisch unter dem Bild der Rachitis bzw.
allerdings beschrieben.
der Osteomalazie (s. dort) auf. In den folgenden Ab-
schnitten wird deshalb nur der sHPT im Rahmen der
chronischen Niereninsuffizienz dargestellt.
10.4
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
M. J. SEIBEL 10.4.2
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
10.4.1 bei Niereninsuffizienz
Definition
Pathophysiologie und histologisches Korrelat
Ein sekundärer Hyperparathyreoidismus (sHPT) Die Kalzium-, Phosphat- und Magnesiumhomöo-
besteht immer dann, wenn die Sekretion von Parat- stase wird über die Modulation der renal-tubulären
hormon (PTH) aufgrund einer primären Störung Clearance aufrecht erhalten, wobei sowohl Parathor-

Tabelle 10-8. Ursachen des sekundären Hyperparathyreoidismus

Ursach~/ Krankheitsbild Störung

UV -Mangel 250H-Vitamin D-Mangel (konsekutiv Kalziummangel)

utritiver Mangel Vor.viegend Kalziummangel

Malabsorption/Maldigestion Vor.viegend Kalziummangel


(Gastrektomie, glutensensitive Enteropathie, chronisch-ent-
zündliche Darmerkrankungen, Laktoseintoleranz, Pankreas·
insuffizienz)

Hepatopathien 250H-Vitamin D-Mangel (kon ektutiv Kalziummangell


(alkoholi ehe Leberzirrho e, primär biliäre Zirrho e,
chronisch-aktive Hepatitis)
iereninsuffizienz 1,25(0H) 2-Vitamin D-Mangel, Hyperphosphatämie

Anorexia nervosa Vorwiegend Kalziummangel

Therapie mit Antiepileptika Vitamin D-Mangel

Totale parenterale Ernährung Vitamin D-Mangel


Renaler Kalziumverlu t Kalziummoagel

la-Hydroxyla edefekt (Vitamin D-abhängige Rachitis) 1,25(0Hh-Vitamin D-Mangel


I0.4 Sekundärer Hyperparathyreoidismus 425

I K noc hen
• kontrolliert als ubiquitäres Steroidhormon die
Proliferation und Differenzierung zahlreicher
Zellsysteme.
G
' , _- .-1 I'TH i
Bereits aus dieser kurzen Skizzierung der Mineral-
.'
:
1,25 (0~1h 0 -
(J
a++ •
1,25 (0 H)1 D
PTH •
homöostase wird offensichtlich, dass chronische
Nierenfunktionsstörungen zu gravierenden Rück-
G ~ ---- •• •. p wirkungen auf den Knochenstoffwechsel führen
müssen. So ist bereits bei einen Abfall der glomeru-
PTH I t PT H
(I') . (Ca) lären Filtrationsrate (GFR) auf 60-90 ml!min in
manchen Fällen aufgrund der verminderten Calci-
triolsyntheseleistung des Nierenparenchyms ein An-
Abb.l0-10. Regulation der Kalzium-, Phosphat- und Magne- stieg des Serum-PTH zu beobachten, ohne dass si-
siumhomöostase durch Parathormon und Vitamin D gnifikante Veränderungen der Serumphosphat-
oder Serumkalziumkonzentrationen zu verzeichnen
wären. Bei einer Reduktion der GFR aufWerte unter
30% des Normwertes ( < 30-40 ml!min) kommt es
mon als auch Calcitrial durch ihre Wirkung am zur Hyperphosphatämie. Hierdurch, aber auch auf-
Nephron direkt in dieses Geschehen eingreifen grund des progredienten Calcitriolmangels und
(Abb. 10-10). der verminderten intestinalen Kalziumabsorption,
steigt das Serum-PTH weiter an. Unbehandelt ent-
• Parathormon (PTH). PTH stimuliert: wickelt sich das Vollbild eines sekundären Hyper-
• die tubuläre Rückresorption von Kalzium, parathyreoidismus (Tabelle 10-9). PTH stimuliert
• die Ausscheidung von Phophat, sowohl die Aktivität von Osteoblasten als auch
• die Mobilisation von Kalzium aus der skelettalen von Osteoklasten. Der chronische PTH-Überschuss
Matrix und bei sHPT ist daher in der Regel mit einem beschleu-
• die Umwandlung von 25-0H-Vitamin D3 in nigten Knochenumsatz assoziiert. Diese "High-turn-
1,25(0Hh-Vitamin D3• over Osteopathie" wird auch als sog. "hyperdyname
Läsion" bezeichnet und ist, zusammen mit der "ady-
• Calcitriol (1,25(0Hh-Vitamin D3). Calcitriol wird namen Läsion", eine der typischen Verlaufsformen
in den Zellen des proximalen Tubulus unter dem der renalen Osteodystrophie. Im fortgeschrittenen
Einfluss von PTH synthetisiert und Stadium präsentiert sich der sHPT bei chronischer
• stimuliert die intestinale Kalziumabsorption, Niereninsuffizienz unter dem Bild der Osteitis fibro-
• hemmt in einer negativen Rückkopplung die sa, die durch überstürzte Knochenneubildung und
PTH-Synthese und -resorption charakterisiert ist (Abb. 10-11 ).

Tabelle 10-9. Pathogenese des sekundären Hyperparathyreoidismus bei chronischer Niereninsuffizienz

Auslöser Pathome•hansimus
(Ursa•hc)

Hyperphosphatämie loni iertes erumkalzium 1 PTH T


(J renale Ausscheidung) Hemmung der Ja-Hydroxylase _. Calcitriol 1 -Ca 1 PTH 1
direkte Stimulation von PTH (?)

Hypokalzämie Direkte timulation von PTH


(1 intestinale Ab orption)

Verminderte Calcitriolsynthese Intestinale Ab orption ! ionisiertes Serumkalzium l PTH T


(renaler Parenchymverlust)

Verminderte Expres ion des Viiamin-D-Rezeptors Inhibition der PTH-Gentransscription durch Calcitriol 1
auf Epithelkörperchen PTH-Synthese I
(l zirkulierende Calcitriol u. a.)

PTH-Resi tenz am Knochen Ionisierte erumkalzium 1 PTH 1


PTH, Parathormon; S-Ca, Serumkalzium
426 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

Abb.IO-ll.
Knochenhistologie bei sHPT und chroni-
scher Niereninsuffizienz. Man erkennt das
Bild einer überstürzten Knochenneubil-
dung und -resorption

chenstoffwechselstörung bei der hyperdynamen


10.4.3
Form der renalen Osteodystrophie näher zu charak-
Klinik
terisieren und den Effekt einer Vitamin D-Therapie
bei Osteitis fibrosa zu kontrollieren. Im Allgemeinen
Symptome und Beschwerden
ist ein Abfall der S-TAP mit einer Besserung des hi-
Die Klinik des sHPT bei renaler Osteodystrophie ist
stologischen Bildes verbunden. Für die Unterschei-
unspezifisch und durch
dung zwischen adynamen und hyperdynamen For-
• Knochenschmerzen,
men der renalen Osteodystrophie ist die Bestim-
• Muskelschwäche,
mung des intakten PTH im Serum besser geignet.
• Deformierungen besonders der langen Röhren-
PTH-Fragmentassays sind obsolet.
knochen sowie
• extraossäre Verkalkungen charakterisiert.
Bildgebende Verfahren
Diese klinischen Zeichen korrelieren allerdings nur Ein zweites wichtiges Standbein bei der Diagnose der
bedingt mit dem Ausmaß der laborchemischen und renalen Osteapathie sind die bildgebenden Verfah-
radiologischen Veränderungen und sind in ihrer ren. Die typischen radiologischen Veränderungen
Ausprägung v. a. vom Alter des Patienten bei Erst- sind in Tabelle 10-12 zusammengefasst, wobei das
manifestation der Niereninsuffizienz abhängig. Wei- Ausmaß und die Art des Befundes vom Alter des Pa-
tere Spezifikationen der klinischen Symptomatik tienten bei Manifestation der Niereninsuffizienz bzw.
fasst Tabelle 10-10 zusammen. der Dialsysepflichtigkeit abhängen. Bei Patienten mit
fortgeschrittener renaler Osteodystrophie sind in der
Regel Mischbilder verschiedener Osteopathien zu be-
10.4.4 obachten (sHPT /Osteitis fibrosa, Osteopenie, Osteo-
Diagnostik malazie). Sog. "braune Tumoren" finden sich oft als
solitäre Knochenzysten im Rahmen eines ausgepräg-
Labordiagnostik ten sHPT, während multiple zystische Läsionen eher
Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz und re- an eine Amyloidase denken lassen.
naler Osteodystrophie zeigen eine Reihe typischer
Laborbefunde, die eine nähere Beurteilung der Kno-
chenstoffwechselstörung erlauben (Tabelle 10-ll ). 10.4.5
Eine unter terminaler Niereninsuffizienz auftreten- Therapie
de Hyperkalzämie bedarf immer der genauen Abklä-
rung, da von der Nierenerkrankung unabhängige Die Therapie der renalen Osteodystrophie bzw. des
Zweiterkrankungen ausgeschlossen werden müssen sHPT im Rahmen der terminalen Niereninsuffizienz
(zur Differentialdiagnose der Hyperkalzämie s. hat folgende Ziele:
Übersicht). Die alkalische Serumgesamtphosphatase • Normalisierung von Serumphosphat- und Se-
(S-TAP) eignet sich gut, um das Ausmaß der Kno- rumkalziumspiegel,
10.4 Sekundärer Hyperparathyreoidismus 427

Tabelle 10-10. Symptome und Beschwerden bei renaler Osteodystrophie/sekundärem Hyperparathyreoidismus

Symptom Weitere Charakteristika

Knochenschmerzen Häufigstes Symptom:

chieichender Beginn der Beschwerden über Monate

Diffuse chmerzlokalisation wie bei Osteomalazie unter Bevorzugung


der unteren Extremität, Becken, LWS

Aggraviert bei Bela tung

Muskelschwäche Proximale Muskulatur betont


Schleichender Beginn der Beschwerden über Monate

Häufig kombiniert mit Knochen- und Muskelschmerzen

Knochendeformitäten Achsenskelett und lange Röhrenknochen betroffen

Sehr häufig bei Kindern mit langbestehender iereninsuffizienz

Manifestationsari abhängig vom Alter des Patienten bei Auftreten der Nierenin uffizienz

Bis 4. Lebensjahr: rachiti ähnliche Veränderungen ( . dort)

5.- 10. Lebensjahr: Genu valgus, Pes varus, Epiphysiolyse, Zahnreifungsstörungen


und Enameldefekte

Erwachsene: Rippendeformitäten, Knochenzy ten mit lokali ierten Auftreibungen

Extrao äre Verkalkungen Serumphosphat > 2 mmol!l; Kalziumphosphatprodukt > 5,5

Periartikulär (z. T. arthriti ähnliches Bild)

Mönckeberg-Mediasklerose (kleine und mittlere Arterien)

I chämi ehe Haut- und Muskelnekrosen

Viszerale Kalzifikationen: Lunge, Herz, ieren, Muskeln, Magen

Wachstumsretardierung Stet bei Auftreten der Niereninsuffizienz im Kindesalter

Pathogenese/Ätiologie: metabolische Azidose, Fehl-/Mangelernährung, renale 0 teo-


dystrophie, Störung der STH-IGF-Achse
IGF "Insulin-like-growth-Faktor" (Somatomedin), STH Wachstumshormon

• Ausgleich eines Vitamin D-Defizits, • Phosphatbindende Antazida. In der Regel müssen


• Prävention extraossärer Verkalkungen, phosphatbindende Antazida hinzugegeben werden,
• Prävention einer Aluminium- oder Eisenüberla- wobei aluminiumhaltige Präparate zu vermeiden
dung. sind. Neben Kalziumkarbonat werden Kalziumcitrat
und Kalziumazetatverbindungen eingesetzt. Zur Ver-
Die wesentlichen Therapieprinzipien zeigt Ta- meidung von Hyperkalzämien sollte ein kalziumär-
belle 10-13, die laborchemischen Zielwerte für Dia- meres Dialysat verwandt werden (Tabelle 10-13).
lysepatienten sind in Tabelle 10-14 zusammenge-
fasst. Eine phosphatarme Kost ist zwar fester Be- • Natives Vitamin D. Bleiben die vorgenannten
standteil jeder Therapie, die Langzeitcompliance Maßnahmen ohne ausreichenden Effekt bzw. ent-
des Patienten ist jedoch schlecht und eine Absen- wickelt sich hierunter ein signifikanter sHPT (Se-
kung des Serumphosphats in den Normbereich lässt rum-PTH auf mehr als das 3-fache der oberen
sich bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz auch Norm erhöht), kann bei Calcidiolserumspiegeln
unter strikter Einhaltung nur selten erreichen. < 100 nmol/1 zunächst mit niedrigen Dosen von na-
tivem Vitamin D (Cholecalciferol, z. B. Vigantolet-
ten) behandelt werden.
428 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

Tabelle 10-11. Laborbefunde bei renaler Osteodystrophie/sekundärem Hyperparathyreoidismus

Befund Weitere Charakteristika

erumphosphat T GFR < 30- 40 ml!min


Zunehmende Retention bei progredienter iereninsuffizienz

Meist keine Normalisierung durch HD/CAPD allein

erumkalzium l Meist leicht subnormale oder niedrig-normale Werte

ormalisierung durch HD/CAPD oft zu erreichen

erumkalzium T Schwerer sHPT/au geprägte Epithelkörperchenhyperplasie

"Low-turnover"/adynamische Osteapathie

Aluminiumexze s

Therapie mit CalcitrioUaktiven Vitamin D-Metaboliten


Therapie mit kalziumhaltigen Präparaten (z. B. Kalziumkarbonat)

lmmobili ation, eoplasma (Tumorhyperkalzämie, s. Ab chn. 10.4)

Sarkoide e/Tuberkulo e

erummagnesium T GFR < 30- 40 ml/min


Zunehmende Retention bei progredienter iereninsuffizienz

Magnesiumhaltige Antazida/Laxanzien
erum-iPTH T Differenzierung zwi chen 0 teopathien mit verlang amtem ("adynamen"; iPTH
< 150- 200 pg/ml) und be chleunigtem ("hyperdynamen"; iPTH > 250- 300 pg!ml)
Knochen toffwech el

Pla ma-Aiuminium f Aluminiumhaltige Dialy at

Therapie mit aluminiumhaltigen Antazida

250H -Vitamin D j Verminderte UV-Exposition/Melanosis cutis


Renaler Verlust von Vitamin D-Metaboliten bei nephrotischem Syndrom

Verlust von Vitamin D-Metaboliten und Vitamin-D-bindenden Proteinen ins Dialysat


(HD und CAPD)

piegel unter 100 nmol/1 a oziiert mit HPT, 0 teodystrophie, Myopathie,


Wa :hstumsstörungen
Vitamin D-Mangel im Winter und Frühjahr stärker ausgeprägt

1,25(0H h- Vitamin D ! Verlust von funktionsfähigem ierenparenchym

Effekt der Hyperphosphatämie

tarker PTH-Stimulu

Alkalische Ge amt- Marker der Knochenneubildung; bei gleichzeitiger Hepatopathie Messung


phosphata e im erum T des knochen pezifischen Isoenzyms norwendig

korrelien mit dem chweregrad des sHPT ("high-turnover")


Verlaufsmarker unter Therapie mit Vitamin D

CAPD kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse, GFR Glomeruläre Filtrationsrate, HD Hämodialyse, iPTH intaktes Parat-
hormon, sHPT sekundärer Hyperparathyreoidismus
10.4 Sekundärer Hyperparathyreoidismus 429

Tabelle 10-12. Radiologische Befunde bei renaler Osteodystrophie/sekundärem Hyperparathyreoidismus

Befund Weitere Charakteristika

Osteitis fibrosa/sHPT ubperiostale Re orptionszonen


Phalangen
Distales Ende der Claviculae
0 ischii, Os pubis
akroiliakalgelenke
Übergang Metaphy e/Diaphyse der langen Röhrenknochen

"Spongioi ierung" der Kompakta


Streifenförmige Grund- und Deckplatten-nahe Osteosklerose der Wirbelkörper
(.,rugger jer ey")

Fleckförmige Osteosklerose am Schädel ("Pfeffer und alz")

Knochenzy te n ("braune Tumoren") (Rippen, Kiefer)

0 teopenie
Kinder/ Adoleszenten:
Rachitisähnliche Veränderungen der Wachstumszone
Epiphy ioly e

Osteomalazie Pseudofrakturen (Loser Umbauzonen)


Lange Röhrenknochen
0 i chii, 0 pubi

Rippenfrakturen

Kartenherz-Deformität de Becken

Gleichmäßige Höhenminderung der Wirbelkörper

Osteopenie
Verwa chene pongio a truktur

Verwaschene Spongio a-Kompakta-Grenze

Amyloidose Gelenknahe zy ti ehe Knochenlä ionen (oft multiple)


Hüftgelenk (Femur)
Handgelenk (Radiu )
Schultergelenk (Humerus)
Kniegelenk (Tibia)
430 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

Tabelle 10-13. Therapieprinzipien bei renaler Osteodystrophie/sekundärem Hyperparathyreoidismus

Therapieprinzip Dosis Wirkung/Bemerkungen

Diätetische Maximale Zufuhr: lnd: Hyperphosphatämie, HPT, Prävenlion


Pho phatre triktion 400-800 mg Phosphat/Tag von Weichteilverkalkungen
NW: Auf Dauer schlechte Compliance

Phosphatbindende Kalziumkarbonat 4-15 g!Tag p.o. Ind: Hyperphosphatämie, HPT, Prävention von
Antazida Weichteilverkalkungen, mit den Mahlzeiten einnehmen
NW: Hyperkalzämie (kalziumarmes Dialy at venvenden,
z. B. 2.5 mEq/1)
Kombination mit anderen Antazida in manchen Fällen
notwendig
Cholecalciferol 1000-1500 IE/Tag p.o. kontinuierlich Ind: Kompensierte Retention+ sHPT + erum-250H-
("natives" Vitamin D) Vitamin D < 100 pmol/1
NW: Hyperkalzämie (regelmäßige Kontrollen indizierl,
s. Text!)
la-OH-Vitamin D3 0,25-0,5 mg!Tag p.o. kontinuierlich lnd: Cholecalciferol ohne Effekt (PTH!), primär
dialysepflichtige Patienten
Cave bei Pho phat > 2 mmol/1
NW: Hyperkalzämie (regelmäßige Kontrollen indiziert,
s. Text!)
I,25-(0Hh-Vitamin 0,25-1,5 mg!Tag p.o. kontinuierlich Ind: Primär dialysepflichtige Patienten
D3 (Calcitriol) mit niedriger Do i (0,25 mg!Tag) beginnen, Do i nach
erumkalzium anpa en
NW: Hyperkalzämie (regelmäßige Kontrollen indiziert,
. Text!)
kurze Halbwertszeit: bei Hyperkalzämie kurzfristig
aussetzen und in niedrigerer Dosis fortfahren

lntermitterend 0,5- 4,0 mg 3-mai/Woche oder lnd: Primär dialy epAichtige Patienten unter regel-
CalcitrioI 2,0- 5,0 mg 2-mai/Woche p.o. oder i. v. mäßiger Hämodialy e (nicht bei CAPD!), schwerer sHPT
mit niedriger Dosis (0,25 mg!Tag) beginnen und Dosis
nach Serumkalzium anpassen
nicht empfohlen für Kinder
NW: Hyperkalzämie (regelmäßige Kontrollen indiziert,
s. Text!)

Desferrioxamin 0,5- 1,0 g!W oche lnd: Symptomatischer Aluminium- und/oder Eisenexzess

NW: Leichter Anstieg von PTH, bakterielle


uperinfektionen
Plasmaaluminium kontrollieren

Parathyreoidektomie lnd: Per itierende und therapierefraktäre Hyperkalzämie


oder Hyperphosphatämie, therapierefraktärer Pruritus,
pogressive extraossäre Kalziftkationen, schwerstgradige
0 teody trophie mit progres ivem Schmerz yndrom
bei geplanter icrentran plantation ggf. ubtotale
Parathyreoidektomie
10.4 Sekundärer Hyperparathyreoidismus 431

Tabelle 10-14. Laborchemische Grenzwerte und Zielkriterien bei Dialysepatienten mit renaler Osteodystrophie/sekundärem
Hyperparathyreoidismus

Parameter Grenzen Bewertung


(Normbereich)"

Kalzium 2,25-2,5 mmol/1 Optimaler Bereich


2,25- 2,6 mmol/1

< 2,25 mmo1/l sHPT

> 2,5 mmol/1 Vitamin-D- Intoxikation, DD: tertiärer HPT, Aluminium-Intoxikation

Phosphat 0,8-1,9 mmol/1 Optimaler Bereich


0,8- 1,5 mmol/1

> 2,0 mmol/1 Induktion: HPT, extrao äre Verka!kungen, Therapie mit aktiven
Vitamin D-Metaboliten relativ kontraindiziert

PTH (intakt) < 1,5 pmol/1 V. a. adyname Osteopathie


1,5- 6 pmol/1

1,5-15 pmol/1 Optimaler Bereich

15-50 pmol/1 Signiftkanter sHPT; Indikation für Therapie mit Vitamin D

> 50 pmol/1 Schwerer HPT; Indikation für Therapie mit aktiven Vitamin
D-Metaboliten oder PTX

Aluminium < 20 mgll Adäquat bei Urämie


< 10 mgll

> 60 mg/1 DFO-Te t indiziert; bei niedrigem Serum-PTH AI -Überladung


wahr cheinlich

> 100 mgll Hohes Risiko der AI -Überladung

250H-Vitamin D 100-300 mmol/1 Optimaler Bereich für Dialysepatienten


50-300 mmol/1

< 100 mmol/1 Calcidlolmangel; ggf. Indikation zur Therapie

1,25(0H )zVitamin D 30-65 ng/1 Optimaler Bereich


30-65 ngll

< 30 ngll Gefahr des sHPT; Wachstumsstörungen bei Kindern

• Normbereiche können zwischen unterschiedlichen Laboratorien differieren. Die hier angegebenen Werte sind Richtwerte und
müssen ggf. an die lokalen Verhältnisse adaptiert werden. Al Aluminium, DFO Desferrioxamin, sHPT sekundärer Hyper-
parathyreoidismus

• Vitamin D-Metaboliten. Bei dialysepflichtigen Pa- der Hyperkalzämie bzw. der Entwicklung einer ady-
tienten ist aufgrund derweitgehenden Zerstörung des namen Osteopathie. Aufgrund der kurzen Halbwerts-
Nierenparenchyms diese Therapie oft unwirksam, zeit von Calcitriollassen sich hyperkalzämische Epi-
sodass hier primär mit aktiven Vitamin D-Metabo- soden im Allgemeinen durch Absetzen des Medika-
liten, d. h. mit la-OH-Vitamin D3 (z. B. Doss) oder ments für einige Tage leicht korrigieren.
mit 1,25(0Hh-Vitamin D3 (Calcitriol; z. B. Rocaltrol)
behandelt werden muss (Tabelle 10-13). Beide Sub-
stanzen sind zur Behandlung des sHPT bei chroni- Therapiekontrollen
scher Niereninsuffizienz geignet und in Deutschland In jedem Fall ist eine engmaschige Therapiekontrol-
zugelassen. Voraussetzung zur Therapie mit ak- le unerlässlich: Serumelektrolyte, intaktes PTH,
tiven Vitamin D-Metaboliten ist ein Serumphosphat T AP, Kreatinin, endogene Kreatininclearance und
< 2 mmol!l (bzw. ein Kalzium-Phosphat-Produkt die Ausscheidung von Kalzium und Phosphat im
< 5,5). Man beginnt mit einer niedrigen Dosis 24-h-Urin sollten mindestens einmal alle 3 Monate
(z. B. 0,25 mg/Tag) und paßt diese im Laufe der kontrolliert werden. Bei Verordnung magnesium-
Zeit dem Serumkalziumspiegel an (Tabelle 10-13). haltiger Präparate sind die Serummagnesiumspiegel
Zu vermeiden ist eine Übertherapie mit der Gefahr mitzukontrollieren.
432 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

10.5 i. v. gegeben. Zusätzlich erfolgte eine Rehydrata-


Tumor-assoziierte Hyperkalzämie tion mit 4 1 0.9 o/o aCI i. v./Tag. Hierunter
H. w. WüiTGE, M. J. SEIBEL
konnte der erumkalzium piegel vorüberge-
hend auf2,43 mmol/1 gesenkt werden. ach chir-
10.5.1 urgischer Entfernung des PTHrP-produzieren-
den Primärtumors fiel das erumkalzium dauer-
Fallpräsentation
haft in den ormbereich ab. Aufgrund der mul-
tiplen Knochenmetastasen wurde eine pa!Jiative
Ein 48-jähriger Patient wurde zur weiteren Ab- Strahlentherapie eingeleitet. Desweiteren wurde
klärung einer Hyperkalzämie stationär aufge- eine chmerzmedikation mit Morphinpflastern
nommen. Der Patient berichtete über seit 112 und die Anpassung einer Halskrause verordnet.
Jahr zunehmende Schmerzen im Bereich des Aufgrund der Tumorhistologie wurde auf eine
Thorax, der Hüfte, beider Oberschenkel und Polychemotherapie verzichtet.
der Wirbel äule. Seit einigen Wochen ver pürte
er ein pelziges Gefühl im Bereich der Vorfüße
sowie starken Durst und Polyurie. Er nahm
keine Medikation ein. Die Untersuchung ergab 10.5.2
einen Blutdruck von 110/60 mmHg, trockene Epidemiologie
Haut und Schleimhäute. Es lag eine schmerz-
hafte Bewegungseinschränkung beider Hüftge- Zahlreiche maligne Systemerkrankungen sind durch
lenke und der HWS sowie ein Druckschmerz die Entwicklung einer Tumorosteapathie und durch
mit Punctum maximum bei HWK 4 und über das Auftreten schwerer, z. T. krisenhaftverlaufender
der mittleren BWS vor. Links thorakodorsal ta- Hyperkalzämien charakterisiert (Abb. 10-13). Zu-
stete sich eine nicht druckschmerzhafte Schwel- sammen mit dem primären Hyperparathyreoidis-
lung von ca. 5 cm Durchmesser. Im übrigen lag mus ist die tumorassoziierte Hyperkalzämie die
ein unauffälliger Untersuchungsbefund, inbe- häufigste Ursache einer Hyperkalzämie.
griffen die neurologi ehe Untersuchung, vor.
Laborchemisch ergab sich eine Hyperkalzämie Einteilung
mit 3,75 mmol/1 (Norm 2,1-2,65 mmol/1), die Unter pathogenetischen Gesichtspunkten werden
übrigen Elektrolyte und das Albumin lagen im 2 Formen der tumorassoziierten Hyperkalzämie un-
ormbereich. Das Parathormon war mit terschieden:
< 0,1 nglml vollständig supprimiert ( orm
10-65 nglml), die alkalische Gesamtphospha-
tase im Sinne war mit 239 U/1 erhöht ( orm
bis 170 U!l). Das PTHrP war mit 45 pmol/1 deut-
lich erhöht (Norm bis 2lpmol/l). Im 24-h-Sam-
melurin zeigte ich eine ausgeprägte Hyperkal-
zurie mit 17,4 mmol/Tag ( orm 2,5- 5 mmoll
Tag). Weiterhin lag eine eingeschränkte Kreati-
ninclearence mit 64 ml/min sowie eine Mikro-
hämaturie vor. Radiologisch ergab sich der
Nachweis multipler Osteoly en im Bereich der
Wirbelsäule und des Beckens (Abb. 10-12).
Die Weichteilschwellung im Bereich der linken
Thoraxwand wurde bioptisch als Metastase
eines gering differenzierten malignen Tumors
identifiziert (Immunhi tochemie: Nierenzell-
karzinom). Als Primärtumor fand sich ein
11 · 7 · 9 cm großes Hypernephrom der rechten
Niere. So konnte die Diagno e einer Tumorhy-
perkalzämie bei diffus metastasiertem ieren-
zellkarzinom ge tellt werden. Zur Akuttherapie Abb.I0-12. Computertomographische Darstellung von
der Hyperkalzämie wurden an 4 aufeinander HWK4. Es zeigt sich eine ausgedehnte Osteolyse, die die linken
2/3 des Wirbelkörpers betrifft und Vorder- und Hinterwand
folgenden Tagen jeweils 60 mg Pamidronat
befällt. Der Wirbelkörper ist instabil
10.5 Tumor-assoziierte Hyperkalzämie 433

Primärtumor
z.B. Mamma, Prostata, Bronchial
iere, Schilddrüse

Knochenmarksmetastase humorale Faktoren


PTHrP
IL- 1
Tumorinduzierter TNF
Knochenumbau 1,25(0H)2Dl
Prostaglandine

1 1 1 1
Blastisch lytisch

l l
Osteoklasten iere

KnocheiUleubildung Kn<Xhenresorption
l
Hyperkalzämie
l Abb.10-l3.
Pathomechanismen der Tumorosteo-
(ohne Hyperkalzämie) pathie. (Nach Zipf u. Seibel 1992)

• humorale Tumorhyperkalzämie (HH), Tabelle 10-15. Häufigkeilen von Knochenmetastasen bei


Tumoren nachfolgender Organe in Autopsiestudien
• osteolytisch-metastatische Tumorhyperkalzämie
(MH). Betroffenes Organ Knochenmetastasen (% )

• Humorale Tumorhyperkalzämie (HH). Der Be- Mamma 73


griff der HH beschreibt ein im Wesentlichen para- Prostata 68
neoplastisches Syndrom, bei dem die Hyperkalz-
ämie durch systemisch wirksame, prokalzämische Zervix 50
Faktoren induziert wird. Diese Faktoren werden Sch ilddrüse 42
durch den malignen Tumor gebildet und sezerniert,
während der Tumor selbst nur eine begrenzte oder Harnblase 40
keine Skelettbeteiligung zeigt. Mit Abstand am häu- Bronchus 36
figsten ist bei soliden Tumoren der Nachweis von
parathormonähnlichem Protein (PTHrP), während Niere 35
ektopes Parathormon (PTH) oder 1,25(0Hh-Vit- Ovar 9
amin D von nachgeordneter Bedeutung sind. 80%
der Patienten mit tumorassoziierter Hyperkalzämie Gastrointestinaltrakt 6
weisen Kriterien der HH auf. Lymphom (v. a. on- <5
Hodgkin-Lymphom)
• Osteolytisch-metastatische Tumorhyperkalz-
eminom
ämie (MH). Die seltenere MH wird durch Metasta-
sierung solider Tumoren oder durch Ausbreitung Andere Lymphome < I
maligner bärnatologischer Systemerkrankungen in
das Skelettsystem verursacht. Kennzeichnend ist
also der Nachweis ausgedehnter osteolytischer Kno-
chenläsionen. Ungefähr 30-50% aller soliden Tu-
10.5.3
moren metastasieren in die Knochen, die nach Leber Pathogenese
und Lunge die dritthäufigste Metastasenlokalisation
darstellen. Tabelle 10-15 gibt Häufigkeiten von Kno-
Eine Hyperkalzämie wird manifest, wenn einem ge-
chenmetastasierungen verschiedener Tumoren wie-
steigerten Kalziuminflux (Mobilisierung aus dem
der. Knochen, intestinale Absorption) eine inadäquate
Kalziumausscheidung durch die Niere gegenüber-
steht. Im Rahmen der tumorassoziierten Hyperkalz-
ämien ist die Kalziummobilisation aus dem Kno-
chen fast immer gesteigert, während die intestinale
434 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

Absorption von Kalzium und die renale Kalziumex- osteopathie auftreten und das klinische Bild we-
kretion in variablem Ausmaß betroffen sind. sentlich mitbestimmen können.

• Humorale Tumorhyperkalzämie (HH). Die Ent-


wicklung der Hyperkalzämie bei der HH hängt so- Tabelle 10-16. Verteilungsmuster von Knochenmetastasen im
Skelett
wohl von renalen als auch von skelettalen Kompo-
nenten ab (Abb. 10-13). Auf renaler Ebene führen Lokalisation der Knochen- Prozentuale Verteilung (%)
humorale Mediatoren (z. B. PTHrP) zur vermehrten metastasen
Kalziumrückresorption in den distalen Nierentubu-
Brustwirbelsäule 70
li. Außerdem zeigen Patienten mit HH eine oft aus-
geprägte Exsikkose, die ihrerseits zur Reduktion der Lendenwirbelsäule 70
fraktionierten Kalziumausscheidung im Urin führt.
Becken 70
Unabhängig hiervon kann die Nierenfunktion und
damit die Kalziumausscheidung durch andere Fak- Rippen 60
toren beeinträchtigt sein, so z. B. beim multiplen
Oberschenkel 45
Myelom durch die Ablagerung von Paraproteinen
in den Nierentubuli. Auf skelettaler Ebene ist v. a. Schädel 40
die Osteoklastentätigkeit gesteigert. Zahlreiche Tu-
Hai wirbelsäule 25
morzellen produzieren Zytokine (z. B. Lymphoto-
xin, Interleukin 1, Interleukin 6), die eine Aktivie- Oberarm 15
rung endosteal gelegener Osteoklasten und damit
10
eine gesteigerte Osteolyse und Kalziumfreisetzung
induzieren. Das Gleichgewicht zwischen Osteobla-
sten- und Osteoklastenaktivität wird also zugunsten
der Knochenresorption verschoben ("uncoupling"),
die maligne Zelle selbst ist nur mittelbar an der 10.5.5
osteolytischen Destruktion des Knochens beteiligt. Diagnostik

• Osteolytisch-metastatische Tumorhyperkalzämie Die Diagnostik der Tumorhyperkalzämie folgt dem


(MH). Im Gegensatz hierzu liegt der MH eine direkte in Abb. 10-11 definierten Algorithmus, wobei der
Destruktion des Knochens durch osteolytische, sel- Nachweis eines supprimierten Serum-PTH rich-
tener auch durch Osteoblastische Metastasen solider tungsweisend ist. Das weitere Prozedere konzentriert
Tumoren zugrunde. Osteolytische Metastasen sind sich auf die Differentialdiagnose benigner Hyper-
häufiger mit einer Hyperkalzämie und mit patholo- kalzämieformen (s. Übersicht) sowie ggf. auf die Su-
gischen Frakturen assoziiert. Betroffen ist hier vor che nach dem Primärtumor.
allem das axiale Skelettsystem, eine Region mit ho-
hem Anteil Blut bildenden Knochenmarks. Ta- Anamnese, körperliche Untersuchung,
belle 10-16 gibt das Verteilungsmuster von Kno- Elektrokardiogramm (EKG)
chenmetastasen im Skelettsystem wieder. Im Gegensatz zu den benignen Hyperkalzämiefor-
men ist der symptomatische Krankheitsverlauf kür-
zer und die Beschwerden zeigen schnellere Progre-
10.5.4 dienz. Folgende Übersicht gibt die einzelnen An-
Klinik amnesepunkte wieder.

Symptome und Beschwerden Anamnesepunkte bei V. a. tumorassoziierte


Die Symptomatik bei tumorassoziierter Hyperkalz- Hyperkalzämie
ämie entspricht der anderer Hyperkalzämien bei be-
nignen Grunderkrankungen. Häufig treten jedoch • Schmerzen (Dauer, Lokalisation)
Symptome des fortgeschrittenen Tumorleidens hin- • Konzentrations- und/oder Muskelschwäche
zu: • Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen
• 80 o/o der Patienten mit Plasmozytom oder fortge- • Gewichtsverlust
schrittenen Knochenmetastasen solider Tumoren • Trinkmenge, Polyurie
klagen über Knochenschmerzen. • Akute Schmerzereignisse
• Pathologische Frakturen und e Neu aufgetretene Lähmungen, Sensibilitätsstö-
• Nervenkompressionserscheinungen sind weitere rungen
Komplikationen, die im Rahmen einer Tumor-
I0.5 Tumor-assoziierte Hyperkalzämie 435

Die Anamneseerhebung umfasst weiterhin eine aus- erniedrigt) und Albumin im Serum gemessen
führliche Evaluation der Vorerkrankungen, vegeta- werden. Zur Abgrenzung gegenüber der häufigsten
tive und Familienanamnese mit dem Ziel, Hinweise benignen Hyperkalzämieform, dem pnmaren
auf den Primärtumor zu erhalten. Hyperparathyreoidismus, ist die Bestimmung von
Bei der körperlichen Untersuchung sollen klini- PTH im Serum essentiell
sche Zeichen der Hyperkalzämie erkannt sowie
ggf. die Fahndung nach dem Primärtumor eingelei- Bei der tumorassoziierten Hyperkalzämie ist das
tet werden. Folgende Übersicht fasst die körperliche PTH im Serum immer supprimiert, mit der einzigen
Untersuchung zusammen. und sehr seltenen Ausnahme einer ektopen PTH-Se-
kretion. Damit entspricht die Diagnostik weitgehend
Körperliche Untersuchung bei V. a. tumor- dem Vorgehen beim pHPT (s. Abb. 10-11 und Über-
assoziierte Hyperkalzämie sicht "Obligate Untersuchung zur Diagnosesiche-
rung eines pHPT") bzw. bei hyperkalzämischer
• Allgemeinzustand Krise (s. Übersicht "Apparative Diagnostik bei
Exsikkose, Dehydratation V. a. hyperkalzämische Krise").
Lymphknotenstatus
Tumorzeichen Bildgebende Verfahren
• Neurologischer Status Die bildgebende Diagnostik dient der Abschätzung
Reflexabschwächung, Paresen der Tumorausdehnung im Skelettsystem. Folgende
Muskelschwäche, Myopathie Übersicht gibt die geeigneten bzw. obligaten Unter-
Adynamie, Konzentrationsstörungen, Verwirrt- suchungen wieder.
heit, Somnolenz
• Abdomineller Status Bildgebende Verfahren zur Erfassung
Druckschmerz (Pankreatitis, peritoneale Rei- der Tumorausdehnung im Skelettsystem
zung)
Nierenlager (N ephrolithiasis, U rolithiasis) • Skelettszintigraphie (Merke: meist negativ und
• Kardialer Status daher nicht indiziert bei V. a. Plasmozytom)
Bradykardie • Nativröntgen; klinisch (Schmerz!) und szintigra-
Rhythmusstörungen phisch suspekter Skelettabschnitte
Insuffizienzzeichen • CT und MRT bei V. a. Instabilität von Wirbelsäu-
Hypertonie lenläsionen oder zum Nachweis einer Knochen-
Einflussstauung markinfiltration
• Skelettstatus • Biopsie: direkte Knochenbiopsie oder evtl. vor-
Umschriebener Druck-, Klopf-, Stauchungs- handener W eichteilmetastasen.
schmerz
Beweglichkeit
Schonhaltung
Pathologische Frakturen 10.5.6
• Gynäkologischer Status (Tumorsuche) Therapie
• Urologischer Status (Tumorsuche)
• HNO-ärztlicher Status (Tumorsuche) Die tumorassoziierte Hyperkalzämie ist in praktisch
allen Fällen als Zeichen eines weit fortgeschrittenen
Tumorstadiums zu werten. Ihre Therapie ist daher
palliativ und umfasst die
• EKG. Nicht selten finden sich im EKG bei Hyper- • symptomatische Senkung des Serumkalziumspie-
kalzämie typische, allerdings nicht pathognomoni- gels durch
sche Veränderungen. Hierzu zählen unterschiedli- - Hemmung der gesteigerten osteoklastären
che Herzrhythmusstörungen (insbesondere bei digi- Knochenresorption und
talisierten Patienten) und ein AV-Block I. Eine aus- - Optimierung der renalen Kalziumclearance,
geprägte Hyperkalzämie verkürzt außerdem das sowie die
QT- Intervall. • Reduktion der Tumormasse.

Labordiagnostik Senkung des Kalziumspiegels im Serum

D Die Diagnose der Hyperkalzämie wird durch die


Bestimmung der Kalziumkonzentration im Serum
gesichert. Parallel hierzu sollten Phosphat (häufig
Die Therapie der Tumorhyperkalzämie orientiert
sich an der Höhe des Serumkalziumspiegels und
an der Symptomatik des Patienten. Serumkalzium-
436 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

konzentrationen unter 3,0 mmol/1 werden meistens men die Osteoklastenfunktion spezifisch, wobei so-
gut toleriert und sind nur dann behandlungspflich- wohl direkte Effekte am Osteoklasten selbst, als auch
tig, wenn der Patient Symptome der Hyperkalzämie indirekte Wirkungen über Osteoblasten und lokale
aufweist (s. Tabelle 10-5). Bei Kalziumwerten über Mediatoren beschrieben sind. Tabelle 10-17 zeigt die
3,0 mmol/1 muss unabhängig von der klinischen für die Behandlung der tumorassoziierten Hyper-
Symptomatik interveniert werden. kalzämie in Deutschland zugelassenen Bisphospho-
nate. Bei akuter Hyperkalzämie und schwerer Beein-
trächtigung des Allgemeinzustandes kann 30-90 mg
Allgemeine Maßnahmen
Pamidronat (Aredia) als i. v.-Infusion in 500 ml
Eine Dehydratation bzw. Exsikkose ist bei hyper-
0,9 o/o NaCl über einen Zeitraum von 4-6 h gegeben
kalzämischen Patienten sehr häufig (ausgelöst durch
werden. Als mögliche Nebenwirkungen sind vor-
Anorexie, Erbrechen, Polyurie) und verstärkt die
übergehender Temperaturanstieg und Muskel-
Hyperkalziämie. Ausreichende Hydration durch
schmerzen nach der Infusion, eine leichte Leukope-
orale Flüssigkeitszufuhr (> 3 I/Tag kalziumarmes
nie sowie Nephrotoxizität beschrieben. Im Allgemei-
Wasser) oder durch i. v.-Verabreichung normotoner
nen sind diese Nebenwirkungen bei langsamer Infu-
Kochsalzlösung ist daher Grundlage jeder Therapie.
sion milde und reversibel. Der Einsatz von
Der vorsichtige Einsatz von Schleifendiuretika kann
Pamidronat hat sich vor allem bei Patienten mit
von Vorteil sein, da die Kalziumausscheidung im
Plasmozytom und eingeschränkter glomerulärer Fil-
Urin über eine Hemmung der Kalziumrückresorp-
trationsleistung wegen seiner geringen Nephrotoxi-
tion in der Henle-Schleife erhöht wird (s.
zität bewährt. Neuere, noch potentere Bisphospho-
Tabelle 10-7).
nate (z. B. Zoledronat) sind derzeit in klinischer Er-
probung und werden in nächster Zukunft für die Be-
Die Verabreichung von Thiaziddiuretika ist kontra-
handlung der Tumor-assoziierten Hyperkalzämie
indiziert, da die renale Kalziumausscheidung ver-
zur Verfügung stehen.
mindert und hierdurch die Hyperkalzämie verstärkt
wird.
• Kalzitonin. Zur kurzfristigen Senkung der Se-
rumkalziumspiegel kommt weiterhin Kalzitonin in
Rehydratation und forcierte Diurese führen aller-
Betracht (z. B. 4-6 U/kg KG i.m. oder s.c. alle
dings nur in leichteren Fällen (Serumkalzium
6-8 h). Kalzitonin ist eine relativ nebenwirkungs-
< 3,0 mmol/1) zur Normokalzämie. In allen anderen arme Substanz (Flush, Übelkeit, Durchfall) mit mä-
Fällen sind weitere Maßnahmen notwendig.
ßiger, oft nur transienter hypokalzämischer Wir-
kung. Auf der anderen Seite hat Kalzitonin einen in-
Spezifische Maßnahmen trinsischen analgetischen Effekt, der bei Tumorpa-
Hierzu zählen die spezifische Inhibition der Osteo- tienten (und nach akuten Frakturen) mit gutem
klastenfunktion (Hemmung der Kalziummobilisa- Erfolg genutzt werden kann. Nach wiederholter An-
tion) sowie die Gabe von Glucocorticoiden. wendung kann es zur Entwicklung einer Kalzitonin-
resistenz und zur Bildung von Kalzitoninantikör-
• Bisphosphonate. Bei der Behandlung der tumor- pern kommen.
assoziierten Hyperkalzämie gehören Bisphospho- In Verbindung mit einem Bisphosphonat ist Kal-
nate zur Therapie der 1. Wahl. Bisphosphonate hem- zitonin zur schnellen Absenkung krisenhaft erhöh-

Tabelle 10-17. In Deutschland zur Behandlung der tumorassoziierten Hyperkalzämie zugelassene Disphosphonate

Substanz Handelsnahme llerstcller Applikation Dosierung

Clodronat Bonefos Astra/Medac i. v., p.o. i. v. : 300 mg/Tag über >4h für 5 Tage
p.o. : 400- 3200 mg/Tag

Clodronat Ostac Roche i. v., p.o. i. v. : 300 mg/Tag über >4h für 5 Tage
p.o. : 400- 3200 mg/Tag

Etidronat Etidronat i. v. Proeier & Gamble i. V. 7,5 mg/kg KG über 2- 4 h für 3 Tage

lbandronat Bondronat Roche i. V. 2- 4 mg/Tag über 1- 2 h

Pamidronat Aredia i. V. 30- 90 mg/Tag über >4h


10.6 Hyperkalzämische Krise 437

ter Kalziumspiegel im Serum sehr wirkungsvoll (s.


1 Jahr 0,5 mg 1,25(0Hh -Vitamin D3 und 500 mg
Übersicht "Therapie der hyperkalzämischen Krise").
Kalzium zur Osteoporoseprophylaxe. Der Un-
tersuchung befund ergab eine präkomatöse,
• Glucocorticoide. Bei Patienten mit hämatologi-
massiv exsikkierte Patientirr in reduziertem
schen malignen Systemerkrankungen hat sich die
AZ und EZ. Der Blutdruck lag bei 80/
Anwendung von Glucocorticoiden bewährt, dage-
50 mmHg, die regelmäßige Herzfrequenz bei
gen weniger bei Patienten mit metastasierten Organ-
162/min. Laborchemisch hatte die Patientirr
tumoren. Die gewöhnliche Dosis beträgt
ein Kalzium im Sinne von 5,6 mmol/1 ( orm
200- 300 mg Hydrocortison als Kurzinfusion, täglich
bis 2,65 mmol/1), ein Kalium im Sinne von
für 3-5 Tage.
2,7 mmol/1 (Norm 3,5- 5,0 mmol/1). atrium,
Chlor und Phosphat lagen im Normbereich.
Reduzierung der Tumormasse Das Kreatinirr im Sinne war mit 5,9 mmol/1 er-
In Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Er- höht, das Gesamtprotein, die alkalische Phos-
krankung (metastasierter Organtumor, Plasmozy- phatase, die Transaminasen, die y-GT, die
tom, Lymphom etc.), vom Stadium der Tumoraus- PTT, der Quick-Wert und das Blutbild (mit Aus-
dehnung sowie der körperlichen und psychischen nahme eines erhöhten Hämatokrit) lagen im
Verfassung des Patienten kommen hier alle zur Ver- Normbereich. Aufgrund der typischen Befund-
fügung stehenden chirurgischen, strahlen- und che- und Laborkonstellation wurde die Diagnose
motherapeutischen Verfahren in Frage. Da der An- einer hyperkalzämischen Krise gestellt und die
satz in der Mehrzahl der Fälle palliativ ist, sollten Patienten umgehend auf die Intensivstation ver-
invasive und potenziell verstümmelnde Maßnah- legt. Hier wurden eine bilanzierte Rehydratation
men nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden. unter Elektrolytausgleich eingeleitet und 4 mg
Die Verbesserung der Lebensqualität und die Ver- Ibandronat sowie ISO mg Prednisolon i. v. ver-
hinderung von Komplikationen sind oberstes The- abreicht. Nach Stabilisierung der Kreislaufver-
rapieprinzip. hältnisse und Blutdruckanstieg wurde eine for-
cierte Diurese mit Furo emid unter Weiterfüh-
rung der positiven Flüssigkeitsbilanz begonnen.
10.5.7 Hierunter kam es zum Wiedereinsetzen der Di-
Prognose urese und nach 18 h zu einem Abfall des Serum-
kalzium auf 4,5 mmol/1. Die Patientirr klarte zu-
Patienten mit tumorassoziierter Hyperkalzämie ha- nehmend auf. Ibandronat und Prednisolon wur-
ben fast immer eine sehr schlechte Prognose. DieLe- den am 2. und 3. Behandlungstag in halber Do-
benserwartung beträgt nach dem Auftreten einer sierung wiederholt, die forcierte Diurese wurde
Hyperkalzämie normalerweise nur noch Wochen nach Volumenausgleich mit neutraler Bilanz
bis Monate. Die Invasivität der angewendeten thera- fortgeführt. Am 4. Behandlung tag waren Kal-
peutischen Maßnahmen sollte sich hieran orientie- zium im Sinne mit 2,93 mmol/1 und Kreatinirr
ren. im Sinne mit 1,7 mgo/o knapp normalisiert.
Die weitere Diagno tik ergab ein komplett sup-
primiertes intaktes Parathormon bei supranor-
10.6 malen 1,25(0H h- Vitamin D3 und normalen
Hyperkalzämische Krise 25-0H-Vitamin-D3-Spiegeln. Es wurde die Dia-
M. J. SEIBEL gnose einer iatrogenen Vitamin D-Intoxikation
mit nachfolgender hyperkalzämischer Krise und
10.6.1 akutem Nierenversagen gestellt.
Fallpräsentation

Eine 67-jährige Frau wurde wegen unklarer


omnolenz bei progredienter Oligurie notfall- 10.6.2
mäßig hospitalisiert. Die Tochter berichtete, Epidemiologie und Pathogenese
dass ihre Mutter seit Wochen über Müdigkeit
und ständige Übelkeit geklagt hatte. In den letz- Die hyperkalzämische Krise entwickelt sich in der
ten Tagen hatte sie mehrfach erbrochen und war Regel auf dem Boden einer vorbestehenden, oft un-
zunehmend verwirrt gewesen. Dauermedikati- bekannten oder übersehenen "asymptomatischen"
on: Diuretikum von Thiazidtyp; zusätzlich seit Hyperkalzämie (Tabelle 10-5). Als Grunderkran-
kungen kommen prinzipiell alle in der Übersicht
438 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

"Differentialdiagnose der Hyperkalzämie" genann- Apparative Diagnostik bei V. a. hyperkalzämische


ten Entitäten in Betracht. Bei 80% aller Fälle findet Krise
sich ein metastasiertes Malignom, bei 10-15% der
Fälle liegt ein pHPT zugrunde. Etwa 5-10% der • Notfalllabor
Patienten mit pHPT entwickeln unbehandelt eine Kalzium, Phosphat, Natrium, Kalium, Chlorid
hyperkalzämische Krise. Pathogenetisch spielt die Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure
Hyperkalzämie-induzierte Dehydratation des Gesamtprotein
Patienten eine wichtige Rolle. Sie wird zum einen Alkalische Phosphatase, Transaminasen, y-GT
durch mangelnde Nahrungs- und Flüssigkeitsauf- PTT und Quick-Wert
nahme bei Übelkeit und rezidivierendem Erbrechen, Blutbild inkl. Differenzierung
zum anderen durch Störungen der renalen Konzen- BSG
trationsmechanismen (Polyurie) verursacht. Insbe- • Labor zur späteren Diagnosesicherung
sondere bei älteren Menschen (latente Dehydratati- PTH
on) sowie bei hohen Außentemperaturen (Schwit- Ggf. PTHrP
zen) kann sich aus einer oligosymptomatischen 25(0H)- und 1,25(0Hh-Vitamin D
Hyperkalzämie rasch das Vollbild einer hyperkalz- Serum- und Urinelektrophorese und ImmunfiXa-
ämischen Krise entwickeln. Andere Auslöser sind tion
Vitamin D- und Lithiumintoxikationen, akuter Kalzium, Kreatinin und Eiweiß im Urin
Stress (Pneumonie, Myokardinfarkt), Niereninsuffi- • EKG
zienz und starke Insolation. Es besteht keine Ge- Rhythmusstörungen, QT-Zeitverkürzung
schiech tspräferenz. • Röntgen
Thorax in 2 Ebenen
Hände bds. D. v.
10.6.3 Schädel in 2 Ebenen
Klinik Becken a. p.
• Halssonographie
Symptome und Beschwerden Echoarme Raumforderung dorsal der Schild-
Die Übergänge zwischen "Hyperkalzämiesyndrom" drüse, Lymphome
und hyperkalzämischer Krise sind fließend (Ta- • Knochenmarkpunktion
belle 10-5). Initial können progrediente Polyurie Plasmazellnester, Tumorinvasion
und Polydypsie, Übelkeit, Obstipation, Gewichtsver-
lust und Adynamie im Vordergrund stehen. Unbe-
handelt treten Exsikkosen, Oligurie, unstillbares Er- Bei Somnolenz oder Koma sind differentialdiagno-
brechen, Verwirrtheit, Halluzinationen und Somno- stisch zunächst andere, häufigere Formen der aku-
lenz hinzu. Das Vollbild der Erkrankung ist schließ- ten Bewusstseinsstörung auszuschließen (Diabetes
lich durch progredientes Kreislaufversagen (RR- mellitus, zentralnervös, renal, hepatisch). Ist die
Abfall, Tachykardie), akutes Nierenversagen, Elek- Diagnose einer hyperkalzämischen Entgleisung ge-
trolytentgleisung und Koma charakterisiert. Auch stellt, so kann die Differenzierung in eine parathy-
bei korrekter Therapie verlaufen etwa 50% der hy- reogene, d. h. kausal therapierbare, und eine nicht-
perkalzämischen Krisen letal. parathyreogene Hyperkalzämie schwierig sein. Die
Entscheidung für oder gegen eine Operation muss
jedoch innerhalb von 24 h getroffen werden. Typi-
10.6.4 sche anamnestische Angaben (z. B. frühere Halsope-
Diagnostik und Differentialdiagnose ration, maligner Tumor, Medikation) helfen oft wei-
ter. Gleiches gilt für den Röntgenbefund: Thorax
Das Vollbild der hyperkalzämischen Krise (s. Fall- (Tumor, Lymphome, Sarkoidose), Hände (subperio-
beispiel) ist bei entsprechender Anamnese und Be- stale Resorptionszonen, Akroosteolysen), Schädel,
fundkonstellation kaum zu verkennen und kann Becken und Femora (Osteolysen) sollten geröngt
mittels notfallmäßiger Routineparameter diagnosti- werden. Eine Halssonographie muss in jedem Fall
ziert werden, die u. a. in der folgenden Übersicht durchgeführt werden. Besteht auch nur der Ver-
wiedergegeben sind. dacht auf einen pHPT, so ist die Operationsvorberei-
tung unverzüglich einzuleiten, die Operation muss
innerhalb von 24 h nach Diagnosestellung erfolgen.
Auch wenn keine eindeutige Zuordnung der Hyper-
kalzämie gelingt, ist unverzüglich mit der Therapie
zu beginnen. Die Ergebnisse komplexer Hormon-
I 0.6 Hyperkalzämische Krise 439

analysen (PTH, Vitamin D) können nicht abgewar- Therapieziele sind


tet werden. Die weitere Differentialdiagnose orien- • Kreislaufstabilisierung, Elektrolytausgleich, Be-
tiert sich an klinischen und laborchemischen Befun- handlung der Niereninsuffizienz;
den (Tabelle 10-5). • symptomatische, rasche Kalziumsenkung und,
soweit möglich, kausale Therapie der Hyperkalz-
ämie.

10.6.5 Die Beseitigung der Hypovolämie erfolgt mit physio-


Therapie und Nachsorge logischer Kochsalzlösung unter gleichzeitigem Elek-
trolytersatz (Kalium!).
Die hyperkalzämische Krise ist ein endokrinalogi-
scher Notfall und bedarf der unverzüglichen inten- Dies muss bei Patienten mit Herzinsuffizienz und ~
sivmedizinischen Behandlung. Die entsprechenden fortgeschrittener Niereninsuffizienz vermieden wer- ~
w?!,'

Maßnahmen sind in folgender Übersicht aufgeführt. den.

Therapie der hyperkalzämischen Krise Die Indikation zur Hämedialyse ist weit zu stellen.

• Diagnostik und Monitaring Digitalis ist bei ~yperkalzämie kontraindiziert und ~


Zentralvenösen Zugang legen, ZVD messen kann zu therapierefraktären Rhythmusstörungen ;(
Blasenkatheter legen, 2-stündliche Bilanzierung führen. '-'
Monitorüberwachung (EKG, RR, Puls, 0 2-Sätti-
gung, AF) Bei Herzinsuffizienz Dopamin/Dobutrex einsetzen.
Magensonde Allein die Rehydrierung mit NaCl-Lösung führt
Blutgasanalyse, BB, Elektrolyte, Kalzium, Kreati- durch Steigerung der glomerulären Filtration und
nin, Harnstoff alle 1-2 h Senkung der tubulären Reabsorption von Kalzium
• Kreislaufstabilisierung und Elektrolytausgleich bereits zu einem Abfall der Serumkalziumkonzen-
Rehydrierung: 6-81 0.9% NaCl i. v. über 24 h tration (ca. 0,5-1 mmol/1 pro 4 1 in fundierte 0,9%
Kaliumersatz: 100-200 mmol/1/24 h (nach aktuel- NaCl). Die Restitution einer Normovolämie reicht
lem Defizit) jedoch in der Regel nicht aus, um eine Normalisie-
• Nach Kreislaufstabilisierung rung der Serumkalziumspiegel zu erreichen. Weitere
Forcierte Diurese mit Furosemid (Lasix): spezifische Maßnahmen (forcierte Diurese, Bisphos-
- beginnen mit Bolus von 10-20 mg i. v., phonate, Kalzitonin, Glucocorticoide) sind in der
- je nach Effekt bis 50 mg/h i. v. unter Fortfüh- Regel indiziert (Dosis, Wirkung, Nebenwirkungen
rung der Bilanzierung. (Cave: RR-Abfall, Hy- und Kontraindikationen: s. Tabelle 10-7 und Über-
pokaliämie, Verstärkung der Hyperkalzämie sicht zuvor). Glucocorticoide sind bei parathyreoto-
durch zu frühe Volumendepletion.) xischer Krise nicht oder nur ungenügend wirksam,
Bei fortbestehender Oligurie/ Anurie Versuch mit dagegen immer indiziert bei tumorassoziierter Hy-
Furosemid in Einzeldosen bis zu 500 mg i. v. perkalzärnie, Sarkoidase oder Vitamin D-Intoxika-
Bei Erfolglosigkeit: frühzeitig Hämedialyse gegen tion. Mitramycin (Plicamycin) und orale Phosphat-
kalziumfreies Dialysat erwägen gaben sind obsolet.
• Symptomatische (medikamentöse) Kalziumsen-
kung
Bisphosphorrate i. v. Cave: zu rasche Infusion ver-
Besteht auch nur der Verdacht auf einen pHPT als
Ursache der hyperkalzämischen Krise, so ist die Ope-
D
stärkt/führt zu Niereninsuffizienz, kontraindi- rationsvorbereitung unverzüglich einzuleiten. Die
ziert bei Nierenversagen Operation muss innerhalb 24 h nach Diagnosestel-
Kalzitonin 4-mal 100 IE s.c./Tag (nur adjuvant) lung erfolgen, komplexe Hormonanalysen (PTH, Vit-
Prednisolon 100- 200 mg/Tag (nicht bei pHPT!) amin D) bzw. die komplette Normalisierung des Se-
• Bei V. a. parathyreotoxische Krise rumkalziumspiegels dürfen nicht abgewartet wer-
Operationsvorbereitung, Op. innerhalb 24 h den.
Allgemeinmaßnahmen
• Ulkusprophylaxe, parenterale, kalziumfreie Er- Die Nachsorge des Patienten nach parathyreotoxi-
nährung, Antibiotikaschutz scher Krise folgt dem Vorgehen bei pHPT. Bei allen
Frühzeitige Mobilisation anderen Formen ist eine Diagnose zu erzwingen
und, falls möglich, eine kausale Therapie einzulei-
ten.
440 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse

Bilezikian JP, Silverberg SJ, Gartenberg F, Kim TS, Jacobs TP,


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KAPITEL 11

Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen 11


R. ZIEGLER

11.1 Physiologie 443


11.1.1 Die Knochenumbaueinheit 443 11.1
11.1.2 Hormonabhängigkeit des Knochenumbaus 445 Physiologie
11.1.3 Mechanismen für Plus- und Minusvarianten
der Knochenumbaueinheit 447
11.1.1
Verminderte Knochenbildung/-masse 450
Die Knochenumbaueinheit
11.2 Osteoporose 450
11.2.1 Fallpräsentation 450
11.2.2 Epidemiologie 451 Das fertige Knochengewebe besteht aus der Kno-
11.2.3 Pathogenese 452 chengrundsubstanz, die vor allem aus Kollagen
11.2.4 Klinik 456 Typ I besteht, zusätzlich aus unterschiedlichen Ei-
11.2.5 Diagnostik 457
11.2.6 Differentialdiagnose 459 weißen wie Sialoprotein, Osteopontin, Osteonektin
11.2.7 Therapie 460 o. a. Eingelagert sind auch Wachstumsfaktoren
11.3 Rachitis/Osteomalazie und Zytokine wie IGF-1, IGF-2 und TGF-ß. Stabili-
(kalzipenisch, phosphopenisch) 465 siert wird die biegsame, aber zugkräftige Grundsub-
11.3.1 Fallpräsentation 465
11.3.2 Epidemiologie 466
stanz durch die Einlagerung des Hydroxylapatits.
11.3.3 Pathogenese 466 Griffig ist der technische Vergleich mit Eisenbeton:
11.3.4 Klinik 469 Das Kollagen entspricht der Eisenarmierung, das
11.3.5 Diagnostik 469
11.3.6 Differentialdiagnose 470
Hydroxylapatit dem Zement. Je nach mechanischer
11.3.7 Therapie 470 Aufgabe werden für die einzelnen Knochen kom-
Vermehrte Knochenbildung 473
pakte Strukturen verwendet (z. B. Röhrenknochen),
11.4 M. Paget des Skeletts 473
oder es liegt der verzweigte spongiöse, trabekuläre
11.4.1 Fallpräsentation 473 Knochen als Netzwerk von Streben, Stäben und Plat-
11.4.2 Epidemiologie 473 ten vor (z. B. Wirbelkörper). Genetische Programme
11.4.3 Pathogenese 474
11.4.4 Klinik 474
sorgen für die Ausgestaltung im Einzelknochen: Bei-
11.4.5 Diagnostik 475 spielsweise beim Femur sind Gelenkenden vorwie-
11.4.6 Differentialdiagnose 476 gend trabekulär aufgebaut und von einer eher dün-
11.4.7 Therapie 476
nen Kompaktaschicht eingehüllt (Epiphysenbe-
11.5 Osteopetrose 478 reich), um in einer Übergangszone des Diaphysen-
11.5.1 Epidemiologie 478
11.5.2 Pathogenese 478
bereichs in den röhrigen Anteil des Knochens
11.5.3 Klinik 478 überzugehen. In den Übergangszonen von der Kom-
11.5.4 Diagnostik 478 pakta in die Spongiosa hinein finden sich häufig fä-
11.5.5 Differentialdiagnose 479
11.5.6 Therapie 479
cherförmige Aufspreizungen der Trajektorien.
11.6 Ausgewählte seltene metabolische
Osteopathien 479 Dynamik der Knochenumbaueinheit
11.6.1 Osteogenesis imperfecta 479
11.6.2 McCune-Albright-Syndrom 480
Das gesamte Knochengewebe befindet sich im steti-
11.6.3 Hypophosphatasie 480 gen Umbau, wobei das Tempo des Ersatzes bei den
Literatur 481
beiden Konstruktionstypen unterschiedlich ist.
• Kompakter Knochen benötigt etwa 8 Jahre, bis er
völlig umgebaut ist.
• Spongiöser Knochen benötigt etwa 4 Jahre.

Dies hat zur Folge, dass beispielsweise schädigende


Einflüsse, die zur Verminderung der Knochenmasse
führen (Osteoporosenoxen) am trabekulären Kno-
444 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

chen in kürzeren Zeiträumen zur erkennbaren Ver- Osteoklasten und Osteoblasten/Osteozyten stellen
minderung der Knochendichte führen als dies beim eine Arbeitseinheit dar, die in lokaler Autarkie, ge-
kompakten Knochen der Fall ist. Dies gilt umgekehrt steuert von physikalischen und biochemischen Kräf-
auch für den Knochenaufbau, sodass knochenan- ten, für den kontinuierlichen Knochenumbau ver-
baustimulierende Medikamente an der Spongiosa antwortlich ist. Die Umbaueinheiten bewirken den
rascher wirksam sind, als an der Kompakta. kontinuierlichen Knochenersatz und seine Repara-
tur im Falle der Verletzung (Fraktur). Sie bedürfen
• Umbau des Knochens. Den Knochenumbau be- für ihre grundsätzliche Tätigkeit keiner übergeord-
werkstelligen die Knochenzellpopulationen mit 2 neten hormonellen Einflüsse, sind jedoch unter dem
Zelltypen. Aspekt übergeordneter Aufgaben durch Hormone
• Der Osteoklast bewerkstelligt den Abbau, er steuerbar und in ihrem Leistungsniveau optimier-
stammt aus der bärnatologischen Reihe der Mo- bar.
nozyten/Makrophagen. Abbildung 11-1 stellt die Kommunikationswege
• Der Osteoblast als aufbauender Zelltyp, der in sei- zwischen den Elementen der Arbeitseinheit dar. Jeg-
ner Erhaltungsfunktion des Knochens zum Teil licher Umbau beginnt mit dem Abbau vorhandenen
zum Osteozyten wird, ist mesenchymaler Her- Knochengewebes durch den Osteoklasten. Dieser
kunft. wird durch stimulierende Signale des Osteoblasten

Calciurie
e Stimulation
Calcium· Absorption
e Hemmung

"alter" Knochen

Abb.ll-1. Osteoblast und Osteoklast sind eine Arbeitsein- terleukin 1, MFF "macrophage/monocyte fusion factor", Ma-
heit Der Knochenabbau wird vor allem durch stimulierende krophagen-/Monozytenfusionsfaktor, OBDRF "osteoblast de-
Signale angeregt, die der Osteoblast aussendet. Umgekehrt ak- rived resorption factor", von Osteoblasten abgeleiteter Re-
tiviert der Osteoklast während seiner Arbeit über den Kopp- sorptionsfaktor, PA! Plasminogenaktivatorinhibitor, TGFß
lungsfaktor den Osteoblasten, sich zur Reparatur bereit zu ma- "transforming growth factor ß", transformierender Wachs-
chen. BMP "bone morphogenetic proteins", morphogeneti- tumsfaktor ß. [Aus Ziegler R. (1995) Der Knochen und seine
sche Knochenproteine, CSF "colony stimulating factor", Kolo- Erkrankungen, Abbildung 1 aus Teil II: Der Dialog zwischen
nie-stimulierender Faktor, DIF "differentiation inducing Osteoblasten und Osteoklasten. Dtsch Med Wochensehr
factor", differenzierungsinduzierender Faktor, IGF "insulin- 120: 572, Georg-Thieme-Verlag, Stuttgart]
like growth factor", Insulin-ählicher Wachstumsfaktor, ILl In-
11.1 Physiologie 445

bzw. des Osteozyten aktiviert. Der Osteozyt ist für zen sind die morphogenetischen Proteine des Kno-
den Unterhaltungsstoffwechsel des Knochengewe- chens ("bone morphogenetic protein" = BMP), die
bes verantwortlich. Gleichzeitig hat er über das ver- als Signale der Osteolyse den Osteoblasten mitteilen,
zweigte Netzwerk seiner Zellfortsätze die Aufgaben dass Defekte (Howship-Lakunen) entstehen und
eines Mechanosensors. Mechanischer Druck auf das wieder aufgefüllt werden müssen. Am trabekulären
Knochengewebe sowie Scher- und Zugkräfte aktivie- Knochen entstehen innerhalb weniger Tage Laku-
ren über vermutete Mechanostaten zunächst das nen von einer Tiefe von etwa 70 11, die in etwa
osteozytäre/osteoblastäre System, welches den 90-150 Tagen wieder aufgefüllt werden. Bis zum
Osteoklasten durch resorptionsstimulierende Fakto- 30. Lebensjahr ist unter normalen Bedingungen
ren zum Umbau anregt. Der Osteoblast sezerniert die Umbaubilanz einer Einheit ausgeglichen. Durch
Kollagenase, die die Oberfläche des Knochenmine- verstärkte mechanische Belastung resultiert ein
rals von einer schützenden Proteinschicht befreit, Mehr an Knochen, das die Stabilität erhöht. Bei ge-
diese kann der Osteoklast selbst nicht angreifen. Ne- ringerer Beanspruchung verschlechtert sich die Sta-
ben diesen lokalen Signalen, ausgelöst von der Me- bilität.
chanik, sind übergeordnete Hormone umbaustimu-
lierend wirksam. Eine 3. Quelle von Signalen ist ver-
mutlich das Knochengewebe selbst. Möglicherweise 11.1.2
vermitteln herausdiffundierende Zytokine im Rah- Hormonabhängigkeit des Knochenumbaus
men des Alterungsprozesses der Zellpopulation
die Botschaft, dass das entsprechende Areal ein Alter Die Umbaueinheit, die zur selbständigen Arbeit in
erreicht hat, das den Ersatz erforderlich macht. Wei- der Lage ist, kann man auch als "Osteostaten" be-
terhin werden z. B. vom Osteoklasten beim Kno- zeichnen - ihre Einflüsse kommen aus dem Mikro-
chenabbau Signalproteine wie der transformierende milieu. Erfasst der mechanische Reiz ein größeres
Wachstumsfaktor ß (TGF-ß) herausgelöst, welcher Knochenareal, sind entsprechend viele Einheiten in-
den Knochenanbau stimuliert. Verwandte Substan- volviert. Übergeordnete Reize beispielsweise humo-

Spitzenknochenmasse
("peak bone mass-)

1,2

~ ~~=u~es beschleunigten
N- 1.1 ' \igh turnover")

1
*
Cl)
Beginn des

..:
1.0 _ -langsamen Umbaus
E ("low turnover' )
c::
Cl>
Erholung??

.
J:.
g !
~ 0.9 :
ungenügender
Aufbau durch
Hormonmangel
0,8

, t:
0
LIPub~rtät I
0 10 20 30 40 50 60 70 80
Jahre

Abb.ll-2. Abhängigkeit von Knochenautbau und -erhalt schlecht gehen die Östrogene mit der Menopause verloren -
von den Sexualhormonen: Ab der Zeit der Pubertät wird das Abbautempo beschleunigt sich für etwa ein Jahrzehnt,
der Knochen sexualhormonabhägnig, d. h. nur mit Hilfe der l)m dann neuerlich in das langsame Verlusttempo, das vom
Sexualhormone entwickelt er das mögliche Optimum Alterwerden abhängt, einzuschwenken. [Aus Ziegler R.
("peak bone mass") im Alter zwischen 20 und 40. Dann (1995) Der Knochen und seine Erkrankungen, Abbildung 1
schließt sich auch beim Gesunden ein langsamer Verlust an aus Teil III: Der Einfluß der Sexualhormone. Dtsch Med Wo-
(Jahresrate 1/ 4 bis 112 bis maximal 1 %). Beim weiblichen Ge- chenschr 120 : 1092, Georg-T hieme-Verlag, Stuttgart]
446 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

raler Art über das Gefaßsystem erreichen letzlieh alle stes nach Ausfall der Sexualhormone sind gut be-
Knochen, und sie modulieren die Arbeit der Um- kannt. Die Sexualhormone entfalten im Knochen-
baueinheiten unter dem Aspekt eines übergeordne- umbau eine antiresorptive Wirkung. Der Östrogen-
ten Programms: Wachstumsphasen, ein Mehr an ausfall wird von einem Anstieg osteolytischer Zyto-
Knochen für die Fortpflanzung, Angreifen des Kno- kine wie Interleukin-1 und Interleukin-6 gefolgt,
chenkalziums als Depot in Notzeiten. hierdurch wird der Umbau akzeleriert.

• Pubertät und Knochenautbau. Weniger klar ist,


Sexualhormone wie z. Z. der Pubertät die Sexualhormone das
Der Knochen des Kindes entwickelt sich auch ohne Mehr an Knochen bewirken. Vermutlich ändern
Sexualhormone "gesund", d. h. ohne erkennbare Be- sie die Sensibilität des postulierten Mechanostaten.
einträchtigung hinsichtlich seiner Leistung für diese Dies würde bedeuten, dass mechanische Reize in
Altersphase. Ab der Zeit der Pubertät wird der Kno- einen stärkeren Anreiz zur Knochenneubildung um-
chen jedoch zum sexualhormonabhängigen Organ. gesetzt werden als es ohne Sexualhormone der Fall
Ohne Geschlechtshormone baut der Mensch nicht ist. Aus der Sportmedizin werden hierzu passende
das funktionelle Optimum auf, das als Spitzenkno- Beobachtungen mitgeteilt. Frauen, die so exzessiv
chenmasse ("peak hone mass") bezeichnet wird trainieren, dass es bei ihnen zu Periodenstörungen
(Abb. 11-2). Es ist zu konstatieren, dass die Sexual- (mit Östrogenmangel) kommt, weisen trotz des
hormone bei beiden Geschlechtern dem Knochen Mehrs an Training weniger Knochen auf als weniger
ein zusätzliches Kompartiment bescheren, das na- stark trainierende Frauen, die eine ungestörte Peri-
turgemäß für die Fortpflanzung vorgesehen ist. ode behalten.
• Beim weiblichen Geschlecht dient die zusätzliche
Knochenmenge der Garantie, den wachsenden
Embryo notfalls auch aus den Knochen der Mut- Parathormon (PTH)
ter zu versorgen, wenn die Zufuhr von Kalzium PTH gehört zur Trias der kalziumkonservierenden
mit der Nahrung unzureichend ist. Hormone:
e Beim Mann ist das Mehr an Knochen (in Verbin- e PTH,
dung mit dem Mehr an Muskeln) Ausdruck der • 1,25-Dihydroxycholecalciferol (Kalzitriol),
körperlichen Stärke, die in animalischen Zeiten • Kalzitonin.
die Freiheit der Partnerinnenwahl im Vergleich
zu schwächeren Konkurrenten erhöhte. Da Kalzium mit derNahrungeher stoßweise und zu-
fällig zugeführt wird, hat die Natur mit diesen Hor-
• Osteoporose und Menopause. In Übereinstim- monen ein System entwickelt, Kalziumangebote
mung mit dieser Vermutung ist das Vorhandensein möglichst vollständig zu utilisieren. Zustände des la-
des Zusatzknochens an die Anwesenheit der Sexual- tenten Mangels herrschen vor. Bei Kalziumüberan-
hormone geknüpft. Bei der Frau erlischt mit der Me- gebot wird das System ruhig gestellt, da vorüberge-
nopause die Möglichkeit zur Fortpflanzung. Der hend nicht erforderlich.
Ausfall der Östrogene zu diesem Zeitpunkt bedeutet
den Verlust des Zusatzknochens, wodurch das weib- • PTH-Überschuss. Knochenschädlich wird PTH
liche Geschlecht mit der Alterserkrankung der erst in der Erkrankung des primären oder sekundä-
Osteoporose stärker belastet ist als das männliche. ren Hyperparathyreoidismus (pHPT, sHPT), also bei
Männer behalten ihr Testosteron (mit einem gewis- relevantem PTH-Exzess. Normale Parathormon-
sen Altersverlust) bis ans Lebensende und damit spiegel sind dagegen in das normale Knochenum-
auch den z. Z. der Pubertät eingeworbenen Zusatz- bautempo eingeschlossen. Beim sHPT durch Kalzi-
knochen. Hieraus ergibt sich, dass auch die gesunde ummangel geht allmählich Knochen verloren. Der
Frau nach der Menopause für etwa 10 Jahre Kno- Kalziummangel in der Blutbahn bei verminderter
chen beschleunigt verliert. Nach dieser Zeit ist der Zufuhr aktiviert die Nebenschilddrüsen, die einer-
Knochen östrogenentwöhnt, und seine Verlustrate seits in der Niere die Bildung von Kalzitrial verstär-
ist langsamer. Sie entspricht der des Mannes in die- ken, damit mehr Kalzium aus dem Darm absorbiert
sem Alter. Entscheidend für ein Osteoporoserisiko wird. Andererseits vermindert PTH die Kalziumaus-
bei der Frau ist der "Startpunkt" z. Z. des Östrogen- scheidung durch die Nieren durch Verstärkung der
ausfalls, das Verlusttempo während der Jahre des Kalziumrückresorption. Am Knochen bewirkt PTH
beschleunigten Abbaus und die Dauer der Zeit der dieser Größenordnung eine gewisse Beschleunigung
Beschleunigung. Entsprechende Befunde und Beob- des Umbaus, die erst dann zum Knochenverlust
achtungen haben für die Osteoporoseprophylaxe führt, wenn der kompensatorische Knochenanbau
Bedeutung. Die Vorgänge des beschleunigten Verlu- nicht ausreichend mineralisiert werden kann. In die-
11.1 Physiologie 447

ser Situation ist der Kalziumausstrom aus dem Kno- Glucocorticoide


chen stärker als der Einstrom in ihn hinein. Das bio- • Glucocorticoidmangel. Ein relevanter chroni-
logische Ziel ist die Aufrechterhaltung der Normo- scher Glucocorticoidmangel ist beim Menschen
kalziämie für die darauf angewiesenen biochemi- nicht mit längerem Leben vereinbar. Dementspre-
schen Prozesse. Zur Krankheit wird diese Situation, chend liegen keine Daten vor, ob Cortisolmangel
wenn sie zu lange anhält und die Verkleinerung der mit darauf zu beziehendem Knochenmangel einher-
Kalziumdepots im Skelett allmählich zur Instabili- geht.
tät, d. h. Frakturanfälligkeit führt.
• Glucocorticoidexzess. Eindeutig ist der Negativ-
• PTH-Mangel. Beim Fehlen des PTH, also beim effekt eines Hypercortisolismus auf den Knochen.
Hypoparathyreoidismus, hat der betreffende Die glucocorticoidinduzierte Osteoporose ist ein
Mensch eher eine höhere Knochendichte als der ge- häufiges klinisches Problem und wird daher im spe-
sunde. Beim beschleunigten Knochenstoffwechsel zifischen Kapitel abgehandelt.
nach Wegfall der Östrogene ist PTH eher erniedrigt.
In dieser Situation ist also die gesteigerte Osteolyse
PTH-unabhängig. Therapeutische Versuche bei
11.1.3
postmenopausaler Osteoporose setzen sogar Parat-
Mechanismen für Plus- und Minusvarianten
hormongaben (auch substitutiv?) ein, ohne dass
der Knochenumbaueinheit
aber solche Therapien außerhalb von Studien emp-
fohlen werden könnten.
Tabelle 11-1 gibt eine Übersicht über Formen von
Osteopathien, die Abweichungen vom normalen
Knochen beinhalten. Grundsätzliche Kategorien
Schilddrüsenhormon
sind einerseits die generalisierten Osteopathien,
• Schilddrüsenhormonmangel. Der Minderwuchs
bei denen alle Knochen des gesamten Skeletts invol-
beim Kretinismus zeigt, dass das Schilddrüsenhor-
viert sind, und andererseits lokalisierte Osteopa-
mon für eine normale Knochenentwicklung im
thien, bei denen erkrankte Areale in ein ansonsten
Wachstumsalter erforderlich ist. Ist ein Mensch er-
normales Restskelett eingelagert sind. Zahlenmäßig
wachsen, so bewirkt ein Schilddrüsenhormonman-
überwiegen die Minusvarianten (Osteopenie, Osteo-
gel keine erkennbare Osteopathie.
porose, Osteomalazie, Osteodystrophie) gegenüber
den Plusvarianten (Hyperostose, Osteosklerose).
• Schilddrüsenhormonexzess. Die Hyperthyreose
bedingt eine Beschleunigung des Knochenanbaus.
In der zweiten Lebenshälfte, in der ein "high turn- Minusvarianten
over" mit Knochenverlust einhergeht, kann dies all-
mählich zum relevanten Knochenverlust führen. Ge- Osteopenie/Osteoporose (010)
fährdet sind vor allem postmenopausale Frauen, die Hier liegt zu wenig Knochen von an sich normaler
nicht mit Östrogenen substituiert werden. Zusammensetzung vor. Diese "Normalität" gilt aber
nur im Vergleich beispielsweise zur Osteomalazie,
bei der das Verhältnis von unmineralisiertem Kno-
Wachstumshormon (STH) chen (Osteoid) zum verkalkten Knochen zugunsten
Ein Mangel am STH führt zum Minderwuchs. Das des Osteoids verschoben ist. Jedoch kann bei der
Knochenwachstum, d. h. die Proportionen sind 0/0 die Zellularität gegenüber dem normalen Kno-
bei den betroffenen Patienten symmetrisch. Wachs- chen und seinem Stoffwechsel durchaus verschoben
tumshormon generiert im Knochengewebe selbst sein.
die Produktion seines Mediators, Insulinähnlicher • Beim beschleunigten Knochenstoffwechsel ("high
Wachstumsfaktor I (IGF-1, nach alter Nomenklatur turnover') sind Osteoklasten überaktiv und rela-
Somatomedin C). IGF-1 und IGF-2 werden vermut- tiv stärker aktiv als die Osteoblasten.
lich im Knochen auch wachstumshormonunabhän- • Beim langsamen Knochenumsatz ("low turn-
gig als Lokalhormone gebildet. Sie finden sich in das over") sind beide Zellpopulationen in ihrer Akti-
Knochengewebe eingemauert und könnten durch vität reduziert.
ihre neuerliche Freisetzung bei der Resorption im
Knochenumbau die Signalbedeutung erlangen. In Sofern bei 0/0 keine eindeutige Ursache eruiert
Diskussion ist z. Z., ob erwachsene Menschen mit werden kann, spricht man von der primären oder
Wachstumshormonmangel ein Defizit an Knochen idiopathischen 0/0. Ist eine Leitstörung klar erkenn-
haben. Substitutionsversuche in Studien sind im bar, die zur 0/0-Entwicklung beigetragen hat, ist
Gange. der Begriff der sekundären 0/0 üblich. Wie alle De-
448 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Tabelle 11-l. Minusvarianten (Osteopenie, Osteoporose) und Plusvarianten (Osteosklerose, Osteopetrose) metabolischer
Osteopathien

Storung Krankheitsbild
Zur Verminderung der Knochenmasse bzw. -Stabilität führend (osteopenisch, -porotisch, -dystrophisch)

Beschleunigte, verfrühte Abnahme der Knochenmasse Osteoporo e

Vermehrter Abbau 0 teoporo e mit beschleunigtem Umsatz


z. B. Hyperparathyreoidismu (Minusvariante)

Verminderter Anbau Osteoporose mit lang amem Umsatz

Ungenügende Mineralisation des Osteoids durch


Ca-Mangel
P-Mangel
D-Hypovitaminose
} Rachitis, Osteomalazie

Genetischer Defekt der Kollagensynthese 0 teogenesi imperfecta

Osteoblastendefekt (Mangel der alkalischen Pho phatase) Hypophospatasie

Lokalisierte Beeinträchtigung und Fragilität

Tumor mit osteolytischer Wirksamkeit Osteolyse

Lokale Entzündung durch Bakterien Osteomyelitis (Minu variante)

Lokale Entzündung durch "slow virus" M. Paget (Minusvariante)

Kryptogener lokaler Abbau nach Trauma Sudeck-Syndrom

Defektäser Aufbau Juvenile Knochenzyste


Fibröse Dysplasie )affe-Lichten tein

Übergreifen einer Gelenkentzündung auf den Knochen Arthritis

Übergreifen einer Gelenkdegeneration auf den Knochen Arthrose

Zur Vermehrung der Knochenmasse führend (osteosk/erotisch)

Defekt der Osteoklasten, genetisch Osteoperrose

Defekt der Osteoklasten durch Sy Iernerkrankungen Osteomyelo klerose

Wach turn hormonexzess Akromegalie

Beschleunigter Umbau mit Zugewinn Hyperparathyreoidi mu (Plu variante)

Osteoblastenaktivierung durch Fluoridexze Fluorido e

Lokalisierte Auswirkung

Lokalisierte Entzündung durch Bakterien Osteomyelitis (Plusvariante)

Lokale Entzündung durch " low virus" M. Paget (Plusvariante)

Tumor mit osteoblastischer Aktivität Osteoblastische Metastasen; Osteo arkom

Lokaler Knochenbildungsexzess Exo to en


11.1 Physiologie 449

finitionen, ist auch diese willkürlich. Da die postme- Gens. Genvarianten können auch bei folgenden
nopausale Osteoporose der Frau das Erlöschen der Faktoren des Knochenstoffwechsels eine Rolle
Eierstocksfunktion voraussetzt, könnte sie als "se- spielen: Unterschiedliche Allele des Vitamin-D-
kundär" eingestuft werden (vergleichbar der Osteo- Rezeptorgens können die Kalziumaufnahme vari-
porose einer Frau im Alter von 45 Jahren, die die ieren, Varianten des Östrogenrezeptors könnten
Eierstocksfunktion durch Kastration verloren hat). für die biologische Aktivität dieses Sexualhor-
Demgegenüber kann auch anders argumentiert wer- mons verantwortlich sein, Genvariaten des Zyto-
den: Alle Frauen erfahren die Menopause, nur ein kins Interleukin-6 könnten über das Ausmaß der
Teil von ihnen entwickelt die Osteoporose. Bei wei- Resorption von Knochengewebe nachWegfall der
terhin nicht klar erkennbarer Disposition ist es ge- Östrogene entscheidend sein. Die Genetik ent-
rechtfertigt, diese postmenopausale 0/0 als idiopa- scheidet vermutlich auch über unterschiedliche
thisch einzustufen. Es ist ersichtlich, dass Übergänge Qualitäten der Verdauung, bezogen auf die Kal-
fließend sind. ziumaufnahme und -utilisierung, über die Ausge-
staltung von Knochengerüst und Muskulatur
Vermutlich ist die idiopathische 0/0 ein Sammeltopf (Körperbau: Athletiker vs. Astheniker), ja ver-
eines multifaktoriellen Geschehens: mutlich auch über die Motivation zur körperli-
• Faktoren der Lebensweise (Kalziumarmut durch chen Mobilität.
die Ernährung, geringe Besonnung; körperliche
Inaktivität).
• Faktoren der hormonellen Exposition des Skeletts M. Sudeck
(späte Menarche, frühe Menopause, Jahre der Bei den lokalisierten Zuständen des verminderten
Amenorrhö). Knochens stößt man auf kryptogene Krankheitsbil-
• Zunehmend ist die Gewichtigkeit hereditärer der wie den M. Sudeck, bei dem posttraumatisch be-
Faktoren (Tabelle 11-2). Für Erkrankungen wie vorzugt an typischer Stelle (Handwurzelgelenk)
die Osteogenesis imperfecta sind zahlreiche Kol- "neurodystrophisch" bei prädisponierten Menschen
lagendefekte als eindeutige Ursache beschrieben. Umbau- und Abbauprozesse in Gang kommen, die
Bei der 0/0 beginnt die Diskussion über die Be- von erregerunabhängigen Entzündungszeichen und
deutung ungünstiger Varianten des Kollagen-1- Schmerzen begleitet werden.

Tabelle ll-2. Genetische Einflüsse auf die Ausgestaltung der Knochenmasse, die für die Entstehung einer Osteoporose relevant
sein können

Kompartiment Genetische Variation

Knochengrundsub tanz, Kollagene Kollagen-Typ mp- 1-Gen-Allele (COLIAI/A2)


TFG-ß-Polymorphismus
(Mutationen/Deletionen bei Osteogenesis imperfecta)

Körperbau Athletiker versu Astheniker

Ernährung Kalzium

Lakta emangel (Ernährungsgewohnheiten)

Vitamin D Vitamin-D-Rezeptor-Gen-Ailele (B/b)

exualhormone Späte Pubertät (Mädchen und jungen)


Frühe Menopause (Frauen)
Östrogendefizit bei Männern?
Androgendefizit bei Frauen?
Ö trogen-Rezeptor-Gen-Allele (VNTR-Polymorphismus)

po tmenopau al lnterleukin-6-Allele

Physikalische Belastung Bewegungsprogramm?


edentarität?
Einstellung des Mechanostaten?
450 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Tur,norosteolysen Verminderte Knochenbildung/-masse


Hier ergeben sich die klaren Ursachen aus der
Grunderkrankung der Patienten.
11.2
Osteoporose
Plusvarianten
11.2.1
Osteopetrose Fallpräsentation
Bei der generalisierten Osteopetrose, ist der Kno-
chenabbau, d. h. die Osteoklastenaktivität beein-
trächtigt. Eine 66 Jahre alte, asthenische Frau übersah mit
2 mittelschweren Einkaufstaschen in den Hän-
den eine hohe Bürgersteigkante und trat hart
Osteoblastöre Metastasen auf die Straße auf. Es fuhr ihr in das Kreuz hin-
Diese verursachen örtlich ein Mehr an Knochen. ein, sie ging jedoch noch allein vorsichtig nach
Hause und "schonte sich". Leichtere Rücken-
Mischvarianten schmerzen hatte sie schon länger hin und wieder
gehabt. Als die Schmerzen am näch ten Tag
M. Poget beim Aufwachen stärker waren, suchte sie den
Durch eine lokalisierte langsame Viruserkrankung Arzt auf. Er stellte einen Rundrücken fest
mit Befall der Osteoklasten liegen sowohl osteolyti- (Abb. 11-3), im unteren Brustwirbelsäulenbe-
sche als auch osteosklerotische Veränderungen in reich waren die Dornfortsätze prominent, die
den befallenen Knocheneinheiten vor. Weil die Kno- Region zeigte beim Palpieren Druckempfind-
chenkontur dabei ebenfalls zunimmt, wird diese lichkeit Anamnestisch ergab sich, dass die Pa-
Knochenerkrankung in einem eigenen Abschnitt tientin seit dem 49. Lebensjahr menopausal
der "vermehrten Knochenbildung" abgehandelt. war und sich eher kalziumarm ernährte. Des
Weiteren schilderte die Patientin bis auf Alltags-
belastungen und mäßiges Spazierengehen keine
Hyperparathyreoidisr,nus stärkere körperliche Aktivität. Eine familiäre
Im Rahmen dieser Erkrankung ergibt sich je nach Anlage im Sinne einer Osteoporosebelastung
der Gesamtbilanz (Verhältnis von osteoblastärer ge- war nicht sicher eruierbar. Eine auf dem Boden
genüber osteoklastärer Aktivität) bei insgesamt ver- dieser Vorgeschichte indizierte Röntgenaufnah-
mehrter Umbauaktivität eine Variante mit Kno- me der Wirbelsäule ergab eine typische Keilwir-
chensubstanzzugewinn oder -verlust. belbildung im Zusammenhang mit dem Ein-
druck einer Demineralisierung (Abb. 11 -4).
Osteor,nyelitis Mit Hilfe des Röntgenbildes war die Diagnose
Lokalisierte bakterielle Entzündungen können einer manifest gewordenen Osteoporose (an-
durch Beeinflussung der Knochenumbaueinheit de- band der Wirbelfraktur) in ihrer ersten Stufe ge-
struieren oder auch eine Nettopositivbilanz (Kno- stellt. Auszuschließen waren nun sekundäre
chenmassenaufbau) bedingen. Osteoporoseformen. Klinischerseits ergaben
ich keine Anhaltspunkte bei Anamneseerhe-
bung und Untersuchung. Beim Laborprogramm
für den Ausschluss relevanter Kalziumstoff-
wechselstörungen fand sich eine normale alka-
lische Phosphatase. Die zur Sicherheit bestimm-
ten Spiegel des 25-0H-Vitamin D und des intak-
ten PTHs erbrachten Werte im mittleren Norm-
bereich. Um die Therapieentscheidung für die
Wahl des richtigen Medikamentes abzusichern,
wurde eine Knochenhistologie aus dem Becken-
kamm gewonnen. Sie ergab den typischen Be-
fund einer Osteoporose mit langsamem Kno-
chenumsatz (Abb. 11-5). Da bei der knochenhi-
stologisch bestätigten Diagnose des langsamen
Umsatzes mit einem resorptionshemmenden
Medikament (beispielsweise Bisphosphonat)
11.2 Osteoporose 45 I

Abb. ll-4.
Röntgenbild einer Wirbel-
Abb. 11-3. Patientin mit manifester Osteoporose der unteren säule mit Keilwirbelbildung
Brustwirbelsäule: Die Dornfortsätze drücken sich nach dorsal
durch die Haut, der Oberkörper ist gestaucht und damit ver-
kürzt. Hautfalten schwingen nach links und rechts (Tannen-
baumphänomen)

kein besonders eindrucksvoller Effekt einer Zu-


nahme der Knochenmasse zu erwarten war,
wurde eine knochenanbaustimulierende Thera-
pie mit Fluorid ange etzt. Die Patientin erhielt
täglich abends 75 mg Natriumfluorid. Adjuvant
wurden ihr morgens 1000 mg Kalzium und
1000 E Vitamin D3 verordnet. Ihre erniedrigte
Knochendichte stieg im Laufe von 4 Jahren,
während derer sie halbjährlich kontrolliert wur-
de, in den Bereich der mittleren Altersnorm an.
Die Stabilität der Wirbelsäule unter dieser The- Abb.ll-5. Knochenhistologie bei Osteoporose mit langsa-
rapie wurde jährlich röntgenologisch kontrol- mem Knochenumsatz: Die Trabekel sind verdünnt und zum
liert. eue Frakturen hatten sich in der 4-jähri- Teil unterbrochen, Osteoklasten und Osteoblasten sind im Ge-
sichtsfeld praktisch nicht zu sehen. Keine Osteoidvermehrung
gen Beobachtungszeit erfreulicherwei e nicht (Goldner-Färbung: Verkalkter Knochen ist grün, Osteoid rot,
abgezeichnet. Bei als ausreichend eingeschätzter Knochenzellen rot) . (Herrn Prof. Delling, Hamburg, sei für das
Stabilität wurde die atriumfluoridgabe nach Präparat gedankt)
4 Jahren beendet (Abb. 11-6). Die Gaben des
Kalziums und des Vitamin D wurden noch
über ein weiteres Jahr beibehalten. Mittellinie des gesunden Normkollektivs im Alter
von 30 Jahren ("peak bone mass") definiert, haben
beispielsweise im Alter von 80 Jahren rund zwei
Drittel der Bevölkerung diese Erkrankung. Geht
11.2.2 man von der Zahl der Frakturen im Alter aus, so
Epidemiologie zeigt sich eine enorme Heterogenität der Bruchhäu-
figkeiteil beispielsweise in Europa. Unterschiede lie-
Epidemiologische Angaben zur Häufigkeit der gen teils in einem Bereich von 1 : 13. Eindeutig ist,
Osteoporose sind aus den folgenden Gründen un- dass osteoporotische Frakturen durch das Älterwer-
scharf und mehrdeutig. Übernimmt man die arbiträ- den der Bevölkerung insgesamt zunehmen. Darüber
re so genannte WHO-Definition, die Osteoporose hinaus beschreibt der so genannte säkulare Trend,
ohne Frakturen sei durch eine Knochendichte von dass beispielsweise Menschen, die heutzutage
unter als 2,5 Standardabweichungen unterhalb der 80 Jahre alt werden, deutlich häufiger Schenkelhals-
452 KAPITEL II Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

LWS Gefährdet ist zeitlich als erstes vor allem die Wirbel-
Referenz· Datenbank • säule. Die Manifestation der Wirbelsäulenosteopo-

r-------------J}
rose wird als Typ I bezeichnet.
1,4
1,3
• Pathophysiologie. Der Entstehungsweg dieser
N' 1,2 Osteoporose Typ I.Jst in Abbildung 11-7 dargestellt.
E 1,1 1
u
~ 1.0
f--
t- =+T - - --J
-- - - --:--rl-
1__1_:
M
± 250
Nach Wegfall der Ostrogene, die im Knochenumbau
Q' o.9
1 j
1..:::tlT T
~ 0,8 r-- -1,--+-...L_L__ _ _ _ __j
antiresorptiv wirken, führt die Zunahme der osteo-
lytischen Zytokine Interleukin-1 und Interleukin-6
~ 0,7
zu einer Aktivierung der Knochenresorption. Diese
0,6
0,5
Aktivierung findet statt, obwohl das ansonsten den
0.4 L..-_ _...J...__ _---L._ ____J_ ____J Umbau aktivierende PTH niedriger ist. Durch die
68 70 72 74 76 Abbauaktivierung werden die Abstände der Umbau-
Alter zyklen verkürzt. Infolge dieser Verkürzung erfolgt
Abb. 11-6. Darstellung der Knochendichte an der Lenden- die Restitution der Lakunen nicht vollständig. Die
wirbelsäule (LWK 2-4), gemessen mit DXA unter 4-jähriger Osteoblasten steigern in der zweiten Lebenshälfte
Fluoridtherapie ihre Aktivität nicht mehr in Entsprechung zur Über-
aktivität der Osteoklasten. Beschleunigter Umbau
frakturen durch Osteoporose erleiden als vor eini- bedeutet in der zweiten Lebenshälfte immer Kno-
gen Jahrzehnten. Diese Zunahme ist sicherlich nicht chenmassenverlust
auf eine durchaus denkbare gewisse Abnahme der
Knochendichte zurückzuführen. Vielmehr werden Die gesteigerte Resorption bewirkt eine Kalziumfrei-
Menschen mit anderen Erkrankungen heutzutage setzung in die Blutbahn, die einen leichten Kalzium-
älter, die dann durch Fallneigung, Medikamenten- spiegelanstieg zur Folge hat. Dieser Anstieg senkt
einnahme etc. frakturgefährdet sind. Bei Schenkel- den Spiegel des PTHs. Ein niedrigeres PTH beein-
halsfrakturen ist die Bruchdefinition einfach und trächtigt die Kalziumhomöostase über zwei Mecha-
sicher. Schwierig einzuschätzen ist die Abhängigkeit nismen. Zum einen entfällt die PTH-induzierte ge-
des Bruchrisikos von der Knochendichte, deren kau- steigerte Rückresorption für Kalzium in den Nieren.
sale Bedeutung im Alter abnimmt und aus obigen Frauen ohne Östrogene scheiden nach der Meno-
Gründen fragwürdig wird. Wertet man Deformie- pause täglich etwa 30 mg Kalzium zusätzlich aus.
rungen der Wirbelsäule aus, so ergeben sorgfältige Umgerechnet auf ein Jahr bedeutet dies etwa 10 g,
Analysen, dass nur gut die Hälfte der Deformierun- also 1 o/o des gesamten Skelettkalziums. Bei einigen
gen gesicherten osteoporotischen Frakturen ent- Frauen kann es durchaus das Doppelte hiervon sein.
sprechen. Beachtet man das Erfordernis derart sorg- Zum anderen fehlt die Parathormonwirkung in der
fältiger Analysen, so finden sich bei Frauen jenseits Niere als Stimulator für die Bildung von Kalzitrial
des 50. Lebensjahres in rund 20 o/o der Fälle, bei Män- aus Kalzidiol: Die Frau ohne Östrogene absorbiert
nern in rund 10 o/o der Fälle osteoporotische Wirbel- bei gleichem Kalziumangebot weniger Mineral aus
frakturen. Es steht somit außer Frage, dass die dem Darm. Vermehrte Kalziurie und verminderte
Osteoporose mit Frakturen eine mit dem Alter zu- Kalziumabsorption addieren sich zu einer Negati-
nehmende Erkrankung ist, die Menschen mit zu- vierung der Kalziumbilanz. Während eine prämeno-
sätzlichen gesundheitlichen Problemen häufiger pausale Frau mit noch normaler endogener Östro-
trifft als im Alter noch gesunde Menschen. In den genproduktion mit dem Optimum einer täglichen
Familien Erkrankter ist auf die erbliche Kompo- Kalziumzufuhr von 1000 mg bestens versorgt ist, be-
nente der Osteoporose und die mögliche Gefähr- nötigt sie postmenopausal (ohne Östrogensubstitu-
dung von Blutsverwandten aufmerksam zu machen. tion) nunmehr 1500 mg als Optimum. Dies ist bei
B.erat!;Ing auch der Gesunden zu beachten. Erfolgt
eme Ostrogensubstitution, kann die Kalziumzufuhr
zunächst auf 1000 mg/Tag beschränkt bleiben. Aus
11.2.3 den geschilderten Mechanismen ergibt sich ein be-
Pathogenese schleunigter Verlust über etwa 10 Jahre. Der Verlust
i.~ beschleunigten Umbau infolge eines relativen
Osteoporose Typ I (sog. Wirbelsäulenosteoporose) Uberwiegens der Resorption gegenüber dem Anbau,
Wenn eine zu Osteoporose führende Noxe wie z. B. der verstärkte Kalziumverlust über die Nieren und
der Östrogenausfall nach der Menopause wirksam die verminderte Absorption aus dem Darm führen
wird, so betrifft sie infolge des dort schneller ablau- vor allem dann zur Osteopenie, wenn der Startpunkt
fenden Umbaus zunächst den spongiösen Knochen. des Verlustes z. Z. der Menopause eher niedrig liegt
11.2 Osteoporose 453

Knoc:hcnzelloo
produzll!fon mollr
001801y11$CIIe Zy1olone

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• • zelten sezernlof'en
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eufblutllmul. n..teple: Abb. ll-7.
Fluorid Der Weg vom Östrogenmangel zum
Anebollke (?) Knochenmassenverlust bei der postme-
Wechelumlfelllllfetl
ADFR nopausalen Osteoporose Typ I. Die Pfeile
zeigen an, an welcher Stelle therapeutisch
interveniert werden kann. [Aus Ziegler R.
(1995) Der Knochen und seine Erkran-
kungen, Abbildung 1 aus Teil IV: Die
Entstehung der Osteoporose Typ I. Dtsch
Med Wochensehr 120 : 1252, Georg-
Thieme-Verlag, Stuttgart]

und die Verlustrate beschleunigt ist (Abb. 11-2). Für im Alter ab 75 Jahren zur Schenkelhalsfraktur führt.
die Rate des Abbaus während der kritischen 10 Jahre Betroffen ist zunehmend auch das männliche Ge-
nach der Menopause können erbliche Faktoren ver- schlecht.
antwortlich sein. Zur Abbaurate tragen eine ungenü-
gende Kalziumversorgung mit der Nahrung und ge-
ringe körperliche Belastung bei. • Pathophysiologie. Der Entstehungsmechanismus
ist häufig folgender (s. auch Abb. 11-8): Der älter
werdende Mensch kommt im Mittel mit weniger Ka-
Osteoporose Typ II (sog. senile Osteoporose) lorien aus (sofern er nicht überkalorisch lebt und da-
Als Osteoporose Typ II wird der zunehmende Ver- mit an Gewicht zunimmt. Übergewicht ist ein gewis-
lust auch des kompakten Knochens bezeichnet, der ser Schutz vor Osteoporose). Die Ernährung älterer
454 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Mangel in vermindene

3l
der Nahrung Sonneneinstrahlung • 8---Abnahme
,,,' ~ @ Zunahme
IVItamin 03 ~Therapie

Vitamin D3
I
I
25-0H·D3
I
I
I
I
''"'-8 -----·
Abnahmeder
1a·Hydroxylase·
Aktivitäl

I
Abnahme
der
$ Osteoblasten·
aktivitat
Oefekldes
Vitamln·D3· -
+
Rezeptors?

--e-..
'
I
I

Ca..

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,.,''A
.,.; y
, , ' Nebenschilddrils&n·
,' ~· Zellen produzieren
,' mehr PTH: sekundarar
,/ Pb-1•
• Hyperparalhyreoldismus

I PTH
I Abb.ll-8.
I
I Die Entstehung der Typ-li-Osteoporose:
I Der Mangel an Kalzium und Vitamin D
I führt zum sekundären Hyperparathyreoi-
I
I dismus, die Alterung der Systeme der 1a-
Hydroxylase in der Niere und der Osteo-
~ $ blasten im Knochen selbst vermindert die
Möglichkeit der Kompensation. Wesent-


lich für das Frakturereignis ist nicht nur
die reduzierte Knochenmasse, sondern
auch die Zunahme der äußeren Bedin-
gungen, die eine Fraktur begünstigen. [Aus
Ziegler R. (1995) Der Knochen und seine
Erkrankungen, Abbildung 1 aus Teil V:
Calciumbilanz Die Entstehung der Osteoporose Typ II.
wird negativ Dtsch Med Wochensehr 120 : 1368, Georg-
Thieme-Verlag, Stuttgart]

Menschen vor allem in Gemeinschaftsküchen ist weniger Vitamin D in der Zirkulation anflutet
nicht selten bezüglich der Kalziumzufuhr unterhalb und auch weniger Kalzidiol (25-0H-Vitamin D) in
des Optimums, das für Menschen beider Geschlech- der Leber entsteht. Ein allmählicher latenter Kalzi-
ter jenseits des 65. Lebensjahrs bei 1500 mg Kal- ummangel in der Nahrung, verstärkt durch eine la-
zium/Tag angelegt ist. Wahrscheinlich nimmt die tente D-Hypovitaminose bei immobiler Lebenswei-
Aktivität der la-Hydroxylase in der Niere, die die se, induziert einen zunehmenden sekundären Hy-
Umwandlung von Kalzidiol in Kalzitrial stimuliert, perparathyreoidismus. Der sHPT induziert seiner-
mit dem Älterwerden ab. Darüber hinaus gehen äl- seits einen beschleunigten Knochenumbau, der
tere Menschen seltener an die Sonne, sodass auch wie im Falle des beschleunigten Umbaus der Osteo-
11.2 Osteoporose 455

porose Typ I (mit niedrigem PTH) zum Knochen- • Sekundärer Hyperparathyreodismus. Vermin-
verlust führt. derte intestinale Kalziumabsorption und vermehrter
renaler Kalziumverlust führen zum Negativwerden
der Kalziumbilanz mit Absinken des Kalziums in
Glucocorticoidinduzierte Osteoporose der Zirkulation. Dies ist ein Anreiz zur Entwicklung
Das häufigste Beispiel einer sekundäre Osteoporose eines sHPT. Dieser verstärkt am Knochen die Re-
ist die infolge eines endogenen, exogenen oder se- sorption, um auf diesem Wege Kalzium in die Blut-
kundären Hypercortisolismus (Cushing-Syndrom). bahn freizusetzen. Der Knochenstoffwechsel wird
beschleunigt ("high turnover"). Dabei ist der durch
• Pathophysiologie. Wenn das Knochengerüst die Osteoblasten stimulierte Knochenanbau vermin-
chronisch erhöhten Glucocorticoidspiegeln ausge- dert, da die Glucocorticoide die Aktivität der Osteo-
setzt wird, kommt es in der Kalziumhomöostase blasten (als einer mesenchymalen Zellart) hemmen.
und im Knochenstoffwechsel sowie der Funktion Die übliche Kopplung der Knochenzellpopulatio-
der beteiligten Organe zu folgenden Veränderungen nen, nämlich dass Osteoklasten die Osteoblasten
(Abb. 11-9). zur Füllung der entstehenden Defekte stimulieren,
• Verschlechterung der Kalziumabsorption im ist gestört.
Darm. Umstritten ist, ob darin eine Störung
des Vitamin-D-Metaholismus eingeschlossen ist. • Hemmung des Sexualhormone. Des Weiteren
• Erhöhung der Kalziumausscheidung im Urin bei hemmen die erhöhten Glucocorticoide die Hormon-
gleichzeitiger Erhöhung der glomerulären Filtra- achse der Sexualhormone: Es kommt bei beiden Ge-
tionsrate. schlechtern zu deren Verminderung. Mit dem Ab-
• Hemmung der Osteoblastenaktivität sinken der Sexualhormone entfällt der Schutzme-
• Hemmung der Hormonachse der Sexualhor- chanismus für den Erhalt von Knochen. Resorptive
mone. Zytokine nehmen zu. Der "anabole" Effekt der Se-
• Abnahme der Muskelmasse und Muskelkraft. xualhormone auf die Osteoblasten (vermutlich

Hyperkortisolismus

(Beeinträchtigung
des Viiamin - D-
Stoffwechsels ?)

Abnahme der Zunahme der Sexualhormonspiegel , Atrophie 1


ca 2+ - Absorption Ca 2+·Exkretion I Kraft ,

~..,__1------L...jll PTH ~ Osteo- Osteo-


klasten- blasten-
__j I
Aktivitätt Aktivität , ••- - - - - - ---'

Beschleunigter
!
Verlangsamter
Knochen stoffwechsel Knochenstoffwechsel
(.high turnover") (.low turnover")

Knochenmassen-
verlust
Osteoporose

Abb.ll-9. Entstehung der glucocorticoidinduzierten Osteo- mone wird vermindert, sodass ihr protektiver Effekt im Kno-
porose. Ein Glucocorticoidexzess führt zur Verminderung der chenstoffwechsel entfällt. Die Muskulatur wird adynam und
Kalziumabsorption, zur Vermehrung der Kalziumexkretion atrophisch - der muskuläre Bewegungsanreiz auf den Kno-
über die Niere. Die negative Kalziumbilanz führt zum sekun- chen entfällt. Hypercortisolismus hemmt direkt die Aktivität
dären Hyperparathyreoidismus, der einen beschleunigten der Osteoblasten
Knochenumsatz induziert. Die Sekretion der Gonadenhor-
456 KAPITEL ll Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

über eine Sensibilisierung des Mechanostaten wirk- halsfraktur, distale Radiusfraktur). Auch der durch
sam) entfällt. Des Weiteren bewirkt ein Hypercorti- nichtadäquates Trauma eingetretene akute Wirbel-
solismus eine Abnahme der Muskelmasse und Mus- bruch verursacht im Zusammenhang damit Schmer-
kelkraft. Besonders beim Mann prägt sich hier auch zen. Selten liegt die Spielform des schmerzarmen oder
das Absinkendes Testosterons aus. Die verminderte schmerzlosen langsamen Zusammensinterns eines
Muskelkraft lässt einen wichtigen Stimulus für die Wirbels vor. Schreitet die Verformung mehrerer Wir-
Knochenbildung schwächer werden. Besteht der Hy- bel allerdings voran, gibt es den Zustand fehlender
percortisolismus länger und wird nicht behandelt, Symptome eigentlich nicht mehr.
so zeigt der Knochen im Laufe der Zeit eine Abnah-
me der Beschleunigung des Knochenstoffwechsels.
• Schmerzen. Das Schmerzsyndrom des Rückens
Das Endresultat ist ein atrophischer Knochen mit
bei Osteoporose ist in keiner Weise pathognomo-
Zellarmut ("low turnover").
nisch. Es kommen alle Schmerzqualitäten vor,
auch die Dauer reicht von Tagen über Wochen
bis zum Dauerschmerz. Da chronische Rücken-
schmerzen durch degenerative Veränderungen häu-
11.2.4
figer sind als die durch Osteoporose, treffen wir
Klinik
zahlreiche Menschen mit vorbestehenden Rücken-
schmerzen, bei denen sich irgendwann die Wirbels-
Symptome und Beschwerden
äulenosteoporose manifestiert.
Ob eine Osteopenie im Sinne der präklinischen
Osteoporose, die bei unadäquatem Trauma zu Frak-
turen führen kann, wirklich Beschwerden bedingt, • Kriterien zum Nachweis der Osteoporose. Abbil-
ist umstritten. dung 11-10 fasst die Symptome und Beschwerden
zusammen, die Anlass zum Ausschluss oder Nach-
• Frakturen. Es ist eine Versuchung, die z. Z. der vor weis einer Osteoporose geben.
der ersten Fraktur geschilderten Beschwerden nach • Frakturen an typischer Stelle nach inadäquatem
dem Bruchereignis auf die davor bereits bestehende Trauma (betreffend Wirbelsäule, distalen Radius,
Verminderung der Knochenmasse zu beziehen. Zur Femurhals und -trochanter),
Zeit muss die Frage offen bleiben. Ist die Fraktur ein- • chronische Rückenschmerzen beim Älteren,
getreten, bereitet sie bei Diskontinuität selbstver- • ein Krummerwerden des Rückens mit und ohne
ständlich entsprechend starke Schmerzen (Schenkel- Beschwerden,

Klinische Symptome Erkrankung Stichworte zur Diagnosestellung

Rückenschmerzen Röntgen, Ausschluß anderer Erkrankung

M. Scheuermann Röntgen, Anamnese

Bandscheibenschaden, Röntgen
Spondylarthrose,
Spondylose

Rheumatische Röntgen, Rheumaserologie


Erkrankungen,
z.B. M. Bechterew

-Osteomalazie Röntgen, Klinische Chemie (AP +)

Anamnese
• pathologisch
",. Knochentumor I Röntgen, Szintigraphie, Marker
· metastasen des Knochenstoffwechsels,
Knochen- Biopsie

M. Paget Röntgen, Klinische Chemie (AP+).


Szintigraphie, evtl. Knochenbiops ie

Hyperpara- siehe sekundäre Osteoporosen


= - - - -- - - - -- thyreoidismus

Abb.ll-10. Differentialdiagnose des klinischen Bildes der Osteoporose


11.2 Osteoporose 457

• eine Abnahme der Körperlänge mit und ohne • Nikotin u. a. Genussmittel? Kaffee ohne oder mit
Rückenbeschwerden. Milch? Alkohol?

11.2.5
Bei der körperlichen Untersuchung ist nach Stigma-
Diagnostik ta zu suchen, die auf eine sekundäre Genese der
Osteoporose hindeuten könnten. Diese sind in der
In der Hauptsache kommen 2 diagnostische Situa-
folgenden Übersicht wiedergegeben.
tionen vor. Im häufigeren Falle liegen Symptome
vor, die auf eine Osteoporose hindeuten können.
Körperlichen Untersuchung bei Osteoporose
Durch das Röntgenbild ergibt sich dann der Befund
(Verdacht):
einer manifesten Osteoporose (eingetretene Fraktur
in Verbindung mit Demineralisierung).
• Hinweise auf Hypogonadismus (z. B. kleine Ho-
In selteneren Fällen deutet eine Konstellation bei
den bei Klinefelter-Syndrom)?
einem ansonsten gesund erscheinenden Menschen
darauf hin, dass er eine präklinische Osteoporose
e Hinweise auf Unterernährung, Malabsorption,
Maldigestion? Operationsnarben am Bauch?
aufweisen könnte. Die Hinweise können sein:
e Hinweise auf Niereninsuffizienz?
• Osteoporose bei einem Elternteil,
e Hinweise auf maligne Erkrankung?
• Körperbau (Astheniker),
• Hinweise auf Endokrinopathie:
• Lebensweise (kalziumarme Ernährung, wenig Be-
Hypercortisolism us (Cushing -Stigma ta)?
wegung).
Hyperparathyreoidismus?
Die Leitdiagnostik ist die Osteodensitometrie, die Hyperthyreose?
aber nur einen Teil der Risikofälle mit dem so ge- e Hinweise auf Muskelhypotrophie?
nannten WHO-Standard erfassen wird. Knochen-
dichte <-2,5 Standardabweichungen unter dem
Sonderformen wie eine Osteogenesis imperfecta
Mittelwert der gesunden 30-jährigen. Benötigt wer-
können sich durch blaue Skleren verraten.
den in beiden Fällen exakte Anamneseerhebung und
körperliche Untersuchung, Röntgen, Osteodensito-
metrie, Laboruntersuchungen und ggf. eine Kno- Bildgebende Verfahren
chenhistologie. • Röntgen. Für die Frage des Vorliegens einer
Osteoporose bedürfen die Röntgenbilder einer be-
Anamnese und körperliche Untersuchung sonderen Qualität, bzw. der Röntgenologe einer be-
Die Anamneseerhebung muss sachkundig und voll- sonderen Qualifikation. Häufig zeigen über- oder
ständig sein. Insbesondere müssen die in der folgen- unterbelichtete Bilder lediglich das Frakturereignis.
den Übersicht wiedergegebenen Fragen beantwortet Die Beurteilung einer Demineralisierung, die im
werden. Röntgenbild erst nach einem Verlust von etwa
30 % einigermaßen sicher möglich ist, wird durch
Anamneseerhebung bei Osteoporose ungünstige Belichtungsbedingungen noch weiter
bzw. -verdacht verschleiert. Bei Überbelichtung kann durch das
Auslöschen von Knochenstrukturen eine Osteopo-
e Familiäre Belastung? (Diagnose bei Angehörigen rose vorgetäuscht werden. An der Wirbelsäule zeigt
überprüfen!) das Röntgenbild der Osteoporose häufig eine Verti-
e Unterversorgung mit Kalzium/Vitamin D? Ernäh- kalisierung der TrabekeL Dies ist ein Überlagerungs-
rungsgewohnheiten? effekt der zahlenmäßig reduzierten Bälkchen. Nach
e Eingriffe oder chronische Erkrankungen des Ma- beispielsweise einer Fluoridtherapie zeichnet sich
gen-Darm-Traktes? (z. B. 2/3 Magenresektion, Re- die Vertikalisierung verstärkt ab. Am Schenkelhals
sektion von Darmabschnitten, M. Crohn, Colitis wurden unterschiedliche Grade des Verschwindens
ulcerosa, Zustand nach Pankreatitis) der Trajektorien als Stadien des so genannten Singh-
e Stuhlbeschaffenheit (Durchfälle)? Index beschrieben. Exakter ist eine Messung des lo-
e Hinweise auf vorübergehenden/persistierenden kalen Kalziumgehaltes mittels Osteodensitometrie.
Hypogonadismus? (primäre/sekundäre Amenor- Wichtig ist die röntgenologische Aussage, ob eine
rhö, Dauer?) Wirbelfraktur jüngeren oder älteren Datums ist.
e Körperliche Trägheit, Immobilität? (Wurde je- Hier kann die ergänzende Skelettszintigraphie Aus-
mals Sport getrieben? In der Schule; später?) kunft geben, ob der lokale Knochenstoffwechsel
• Einnahme knochenschädlicher Medikamente noch beschleunigt ist (frisch nach der Fraktur)
(z. B. Glucocorticoide, Antiepileptika); Heparin- oder neuerlich normalisiert nach Ausheilung.
therapie?
458 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

• Osteodensitometrie. Empfehlenswert als Technik Labordiagnostik


der Wahl ist die Dualröntgenabsorptiometrie • Grunddiagnostik Bei jeder manifesten Osteopo-
(DXA): Sie erlaubt die Messung an den im Wesent- rose ist das Laborprogramm der Tabelle 11-3 erfor-
lichen interessierenden Arealen der Wirbelsäule derlich. Es dient dem Ausschluss wichtiger sekundä-
(L WK 2-4) und des Schenkelhalses. Sie weist eine rer Osteoporoseformen und Osteopathien, die bei
niedrige Strahlenbelastung auf, die für die in der Re- Anamneseerhebung und körperlicher Untersu-
gel erforderliche Verlaufskontrolle die Vorausset- chung nicht zu vermuten waren. Es sind dies hyper-
zung ist. Bei der Osteoporose mit Fraktur dient und hypokalzämische Knochenerkrankungen, Er-
die begleitende Osteodensitometrie vor allem der krankungen wie die Osteomalazie (mit erhöhter al-
Kontrolle des Ansprechens auf die eingeschlagene kalischer Phosphatase), Niereninsuffizienz, das Plas-
Therapie. Nach 1-2 Jahren zeigt sich, ob das ange- mozytom. Bei der primären, idiopathischen Osteo-
strebte Ziel der Zunahme der Knochendichte er- porose sind sämtliche Parameter dieser Tabelle nor-
reicht wird. Für die Diagnosestellung einer Osteopo- mal. Ist ein Parameter pathologisch, muss er in
rose ist die Osteodensitometrie nur bei dem Teil der einem zusätzlichen Laborprogramm abgeklärt wer-
Fälle geeignet, die tatsächlich unter dem Wert von den. Gleiches gilt für klinische Verdachtsmomente
-2,5 Standardabweichungen liegen. Im darüber lie- bei Anamneseerhebung oder körperlicher Untersu-
genden Bereich bis zur Mittellinie der Gesunden im chung: Macht eine Tachykardie oder eine Gewicht-
Alter von 60 Jahren können aber ebenfalls Osteapo- sabnahme eine Hyperthyreose wahrscheinlich, muss
rotische Frakturen auftreten, die mittels Osteoden- TSH und ggf. T3 und T4 bestimmt werden. Bei klini-
sitometrie nicht vorhersagbar sind. In die Risikobe- schen Zeichen eines M. Cushing ist die Cortisolbe-
urteilung müssen also auch die zuvor angesproche- stimmung vor und nach Dexamethason erforderlich
nen anamnestischen Angaben eingehen: etc.

D Die anamnestische Angabe einer Osteoporose bei • Spezielle Diagnostik. Bei nachgewiesener Osteo-
einem Elternteil verdoppelt beispielsweise das eigene porose ist zur Charakterisierung des Knochenstoff-
wechsels je ein Anbau- und ein Abbaumarker zu
Frakturrisiko bei gleichem Knochendichtewert.
empfehlen. Als Anbaumarker dient die alkalische
• Knochenhistologie. Wenn sich die Umbausitua- Phosphatase (nach Ausschluss einer Lebererkran-
tion des Knochenstoffwechsels nicht aus der Ana- kung) bzw. die knochenspezifische alkalische Phos-
mnese ausreichend sicher vermuten lässt, ist die Ge- phatase (Osteokalzin bietet demgegenüber keine
winnung einer Knochenhistologie aus einer Becken- Vorteile), als Orientierung für den Abbau dient
kammbiopsie sinnvoll. Die Probe sollte mit einem die Kalziurie im 24-h-Urin bzw. (genauer) die Aus-
Instrument ausreichenden Durchmessers gewonnen scheidung der Pyridinium-Crosslinks. Über je einen
werden (Zylinder 2: 5 mm im Durchmesser). Der Marker hinaus liefern zusätzliche Marker keine dia-
Biopsiezylinder sollte für eine Kunststoffeinbettung gnostischen Informationen. Leider sind auch die
für die Gewinnung unentkalkter Hartschnitte kon- Umbaumarker (vergleichbar der Osteodensitome-
serviert werden. Die Aufarbeitung des unentkalkten trie) vor allem Parameter der Therapiekontrolle.
Schnitts erlaubt die genaue Unterscheidung zwi- Für die Diagnosestellung haben sie begrenzten
schen verkalktem Knochen und unverkalktem Wert in wenigen Fällen, da die Mehrzahl der Patien-
Osteoid. Für besondere Fragestellungen kann eine ten mit Osteoporose Werte in breiter Überschnei-
Tetrazyklinmarkierung vor der Biposieentnahme dung mit dem Normalbereich liefert.
dazu dienen, Aussagen zur Umbaugeschwindigkeit
noch exakter zu treffen. Wesentlich ist aus der Hi-
stologie die Aussage, in welchem Umfang die Trabe-
kel reduziert sind, wie häufig Perforationen und un-
Hinzu tritt die Zufälligkeit der Situation der Proben-
entnahme: Nach frischer Fraktur erhöht gefundene
Marker signalisieren vermutlich eher das Reparatur-
D
terbrochene Bälkchen zu sehen sind. Hinsichtlich geschehen als den Umbauzustand des Restskeletts.
der Zellularität ist das Verhältnis von Ostecklasten
zu Osteoblasten in Verbindung mit der Häufigkeit
dieser Populationen eine wichtige Aussage. Die Kno-
chenhistologie ist der Goldstandard für die wichtige
Aussage, ob ein beschleunigter oder ein verlangsam-
ter Knochenstoffwechsel vorliegt.
11.2 Osteoporose 459

Tabelle ll-3a, b. Laborprogramm bei manifester Osteoporose. a Differentialdiagnostisches Ausschlussprogramm, b Abschät-


zung der Knochenstoffwechselsituation

a Differentialdiagnostisches Ausschlussprogramm

Parameter Zum Ausschluss von

Kalzium im erum erhöht H yperkalzämische Knochenerkrankungen: primärer


H yperparath yreoidismus, Knochenmetastasen

erniedrigt

Phosphat im erum

Hypokalziämie bei sekundärem Hyperparathyreoidismus,


z. B. durch iereninsuffizienz

Osteomalazie

Alkali ehe Pho phatase (AP) erhöht

Harnpflichtige ub tanzen erhöht iereninsuffizienz

Hämatologi ehe Sy Iernerkrankungen


{ Multiples Myelom
BSG, Blutbild }
In das kelett metasta ierendes Karzinom
Eiweiß im Urin (Bence-jones), Immunelektrophorese

b Abschatzung der Knochcnstoffwechselsituation

"Knochenmarker" für Knochenanbau Knochenspezi ehe alkalische Phosphatase


(wenn AP nicht ausreichend ist)

"Knochenmarker" für Knochenabbau Pyridinium-Crosslinks im Urin


(zur Orientierung: Kalziurie im 24-h-Urin)

Im Rahmen komplexer Osteopathien


11.2.6
- gastroenterologische Ursache (Malnutrition,
Differentialdiagnose
Malabsorption, Malassimilation)
- besondere Formen der renalen Osteopathie
Folgende Übersicht zählt die wesentlichen Formen
Im Rahmen neoplastischer Erkrankungen
einer Osteoporose auf.
- z. B. multiples Myelom, Mastozytose, myelo-
proliferat. Erkrankungen
Differentialdiagnosen der Osteoporose - Entzündungen
- z. B. Rheumatoide Arthritis (RA), entzündliche
• Idiopathische Osteoporose Darmerkrankungen
Juvenile (beide Geschlechter) Im Rahmen hereditärer Erkrankungen
Prämenopausal - z. B. Osteogenesis imperfecta und Kollageno-
Postmenopausal Typ I (trabekulärer Knochen sen
[Wirbelsäule]) Reduktion der statischen Kräfte am Knochen
Postmenopausal Typ II (senile Osteoporose - z. B. Immobilisation, Schwerelosigkeit
[Schenkelhals])
Beim erwachsenen Mann
• Sekundäre Osteoporose
Endokrinologisch verursacht Die Differentialdiagnose hat abzuklären, ob es sich
- Sexualhormonmangel um eine idiopathische, primäre Osteoporose han-
- Glucocorticoidexzess (endogen, exogen) delt, oder ob eine sekundäre Osteoporose vorliegt.
- Hyperthyreose Dies ist Grundlage zu Entscheidung über die weitere
- Hyperparathyreoidismus Therapie. Ergibt die Differentialdiagnostik beispiels-
460 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

weise, dass eine verminderte Knochendichte keine würde der geringe Effekt eines Antiresorptivums
Osteoporose, sondern eine Osteomalazie ist, so nicht ausreichen, den Knochen zu stabilisieren.
hat die Therapie für diese definierte andere Entität Eine knochenaufbaustimulierende Therapie ist vor-
den Regeln der Enddiagnose zu folgen. zuziehen. In erster Linie sollten hier Fluoride, evtl.
Anabolika eingesetzt werden. Ereignet sich die erste
Fraktur am Schenkelhals jenseits des 75. Lebensjahrs
11.2.7 (Osteoporose Typ II), so ist der Knochenstoffwechsel
Therapie in den meisten Fällen durch sHPT beschleunigt. Pa-
thophysiologisch begründet wird mit Kalzium und
Grundprinzipipien Vitamin D therapiert. Antiresorptiva dürften eben-
Die Wirksamkeit osteotroper Medikamente hängt falls wirksam sein, jedoch nicht die Ursache des se-
davon ab, in welchem Umbautempo der Knochen- kundären Hyperparathyreoidismus beseitigen. In
stoffwechsel abläuft. Für die Osteoporose der Frau seltenen Fällen liegt in diesen Fällen ein langsamer
stellt sich dies folgendermaßen dar (Abb. 11-11 ). Er- Knochenstoffwechsel vor (beispielsweise bei opti-
leidet eine Frau ihre erste Wirbelfraktur im Alter maler Versorgung mit Kalzium und Vitamin D
von 55 Jahren, d. h. 5 Jahre nach der Menopause, und ausreichender Mobilität). Dann ist auch hier
so befindet sich ihr Knochenstoffwechsel im "high eine knochenaufbaustimulierende Therapie sinn-
turnover". Antiresorptive Medikamente (Östrogene, voll.
Bisphosphonate, ggf. Kalzitonine) haben eine gute
Erfolgsaussicht Tritt die erste Wirbelfraktur etwa
im Alter von 65 Jahren, also 15 Jahre nach der Me- Antiresorptive Therapie
nopause auf, so hat sich der Knochenstoffwechsel Sie ist die Behandlung der Wahl beim postmenopau-
nach der Phase des "high turnover" (etwa ein Jahr- sal beschleunigten KnochenstoffwechseL
zehnt) inzwischen verlangsamt, eine ausreichende
Zufuhr von Kalzium und Vitamin D vorausgesetzt. • Östrogentherapie. Bei einer solchen Therapie
Der Einsatz der Antiresorptiva bei langsamem Kno- (bei vorhandener Gebärmutter mit Gestagenen zu
chenstoffwechsel ist deutlich geringer wirksam als kombinieren) ist in erster Linie unter der Fragestel-
im Zustand des "high turnover". In vielen Fällen lung zu überlegen, ob bei der behandlungsbedürfti-

--=.Ba=s;.;.:ist=..:h.:..:e.:..:ra:!:p.:..:ie.:..:
/A .:..:d:!;ju.:..:v.::.an.:..:z=..:ie=..:nc..:
: C.:.;a:_i+_:.•c..:V.:..:ita.:.:m.:..:i.:..:n--=D_ _""-
_____"_ [ca2+, Vitamin D )

Ant iresorptive Therapie- - ~ :-:. ~----


L---- - - - - - - -
Knochenstoff-
wechsel - .='::: ~ ~ _:>steoanabole Therapie ) ~ ~

.,
-------------------- - - -~
Gesteigert
/
/

1
/
/
/
/

Normal ------------- - ---7---------- /


/

j
/
/
/
/

_________ -- ....
/
/

Verlangsamt --..::::--,;,__

Prä- 70 Jahre
menopause Ca. 10 Jahre
Menopause
Osteopo rose Typ I Osteoporose Typ 11
___ früh ... ... ~oiit ...

Abb.ll-11. Prinzipien der Osteoporosetherapie in Abhän- stimulierende Medikamente sind indiziert: Fluoride, evtl. Ana-
gigkeit vom Knochenstoffwec~sel: Postmenopausal beschleu- bolika. Bei der senilen Osteoporose (Typ !I) mit Schenkelhals-
nigt sich bei der Frau durch Ostrogenmangel der Knochen- fraktur ab dem 75. Lebensjahr herrscht ein beschleunigter
stoffwechsel für etwa ein Jahrzehnt - in dieser Zeit sind vor Knochenstoffwechsel durch sekundären Hyperparathyreoidis-
allem antiresorptiv wirksame Medikamente sinnvoll: Östro- mus vor- Therapie der Wahl ist Kalzium plus Vitamin D (bei
gene, Bisphosphonate (Kalzitonine). Danach folgt eine Phase dem in diesem Alter selteneren langsamen Knochenstoffwech-
des eher reduzierten Knochenstoffwechsels - Knochenanbau- sel: Fluoride, Anabolika)
11.2 Osteoporose 461

gen Osteoporotikerin noch weitere Symptome drucksvoll und führt in dieser Zeit zu einem
von einer Östrogentherapie profitieren könnten. Zugewinn an Knochen von mehreren Prozent. In
Beispielsweise ob anhaltende Hitzewallungen, eine den nachfolgenden Behandlungsjahren ergibt sich
Infektanfälligkeit des Harntraktes infolge des zum Teil ein Plateau, zum Teil immer noch ein leich-
Östrogenmangels oder eine Hypercholesterinämie ter Zugewinn. Direkt den Knochenanbau stimulie-
vorliegt. Die Wirksamkeit der Östrogentherapie hin- rende Effekte der Bisphosphonate sind erhofft,
sichtlich der Veränderung weiterer osteoporotischer aber bisher nicht eindeutig nachgewiesen. Bisphos-
Frakturen ist vor allem aus zahlenmäßig großen re- phonate sind gut verträglich, schwerwiegende Ne-
trospektiven Studien belegt. Erste prospektive Stu- benwirkungen wichtiger Organsysteme wie Blutbil-
dien bestätigen diese Erwartung. Für die Osteoporo- dung, Leberfunktion, Nierenfunktion sind bei Be-
setherapie mit Östrogenen werden die Dosen emp- achtung der Dosierungsempfehlungen nicht be-
fohlen, die sich bei der Osteoporoseprophylaxe zum kannt geworden.
Erhalt der Knochenmasse bewährt haben: Konju- • Alendronat: Verabreicht werden 10 mg oral mor-
gierte equine Östrogene (0,6 mg/Tag), 17ß-Östradiol gens nüchtern, ein Glas Wasser soll nachgetrun-
als Valerat oder in mikronisierter Form (1-2 mg/Tag). ken werden. Danach aufrechte Haltung für 30 Mi-
Bei Verwendung der perkutanen Östrogenpflaster nuten (nicht hinlegen), um eine in Einzelfällen
müssen adäquate Blutspiegel, vergleichbar der en- beobachtete Ösophagitis zu vermeiden. Auf
dogenen Produktion vor der Menopause, erreicht eine ausreichende Kalziumzufuhr mit der Nah-
werden. Ist mit Ernährung und Lebensweise ein op- rung (1000 mg täglich) ist zu achten, ggf. muss
timales Angebot von Kalzium (1000 mg täglich) und Kalzium (und auch Vitamin D) substituiert wer-
Vitamin D (400-1000 E täglich) nicht garantiert, den. Die Bisphosphonateinnahme und die Kalzi-
sind die Adjuvanzien parallel zu substituieren. umzufuhr sind unbedingt zu trennen, um vor al-
lem eine Absorptionsverminderung des Bisphos-
.., Regelmäßige gynäkologische Kontrollen dieser The- phonats durch Kalzium zu vermeiden. Die Alen-
~ rapie sind unbedingt zu fordern. Bei Therapiezeiten dronatstudien haben eine Zunahme der
u bis 5 Jahre ist ein zusätzliches Brustkrebsrisiko nicht Knochendichte (im Vergleich zu einer reinen Kal-
ersichtlich. Ab Zeiten von 7 bis 10 Jahren scheint ziumsubstitution) und eine Abnahme sowohl ver-
eine leichte Zunahme des Brustkrebsrisikos möglich tebraler als auch nichtvertebraler Frakturen er-
zu sein. Durch die geforderten gynäkologischen bracht. Empfohlene Therapiezeiten sind minde-
Kontrollen scheint aber eine Früherkennung und stens 2-3 Jahre, individuell auch länger.
-behandlung die Prognose im Vergleich zu unzurei- • Etidronat: Dieses Bisphosphonat wird zyklisch
chenden Kontrollen zu verbessern. verabreicht. 400 mg Etidronat täglich über
14 Tage, anschließend während der restlichen
Ein erhöhtes Letalitätsrisiko zeichnet sich daher Tage eines Quartals 500-1000 mg Kalzium (ggf.
selbst bei Frauen mit familiärer Brustkrebsbelastung sollte auch Vitamin D substituiert werden).
nicht ab. Möchte man dennoch lieber auf eine Östro- Eine Wiederholung dieses Zyklus sollte über 2,
gentherapie verzichten, stehen neuerdings selektive 3 oder mehr Jahre in Abhängigkeit von der Klinik
Estrogen-Rezeptor-Modulatoren (SERM) wie Ralo- erfolgen. Auch Etidronat sollte getrennt von den
xifen zur Verfügung, die am Brustgewebe östro- Mahlzeiten eingenommen werden. Studien haben
gen-antagonistisch wirken, am Knochen jedoch den- eine Zunahme der Knochendichte (im Vergleich
noch osteoprotektiv. Der beste Effekt einer Östro- zu reiner Kalziumtherapie) und eine Abnahme
gentherapie ist während des 1. Jahrzehnts nach der Wirbelfrakturen erbracht.
der Menopause (etwa 50. bis 60. Lebensjahr) zu er- • Pamidronat: Alendronat und Etidronat sind die
warten, danach nimmt die Effizienz mit der zuneh- z. Z. in Deutschland für die Osteoporosetherapie
menden "Östrogenentwöhnung" des Knochens ab. zugelassenen Bisphosphonate. Interessante Er-
gebnisse aus Studien mit intravenöser Verabrei-
• Bisphosphonate. Eine Alternative zur Östrogen- chung von Pamidronat sind veröffentlicht,
therapie (beispielsweise bei Frauen, die eine Östro- ohne dass aber bereits eine Zulassung vorliegt.
gensubstitution ablehnen oder bei denen bei mögli- Die zyklische i. v.-Bisphosphonatgabe alle 3 Mo-
chem Brustkrebsrisiko von einer solchen Therapie nate ist eine interessante Alternative vor allem
abzuraten ist) ist die Therapie mit Bisphosphonaten. für Patienten mit Ulkusanamnese und Magen-
Sie hemmen die Aktivität der Osteoklasten und er- Darm-Empfindlichkeit.
lauben so in der Situation des beschleunigten Kno- • Ibandronat: In einer Ibandronatstudie wurde
chenstoffwechsels eine Auffüllung entstandener De- nachgewiesen, dass dieses Bisphosphonat bei
fekte durch die Osteoblasten ohne Zeitdruck. Der Ef- beschleunigtem Knochenstoffwechsel deutlich
fekt ist im ersten Behandlungsjahr besonders ein- wirksamer ist als bei verlangsamtem Knochen-
462 KAPITEL II Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Stoffwechsel. Bei den anderen Bisphosphonaten kalzitonins die Ausbildung neutralisierender Anti-
fehlen bedauerlicherweise Angaben der Wirk- körper möglich ist und im Einzelfall das biologische
samkeit, bezogen auf den KnochenstoffwechseL Phänomen des Nicht-mehr-Ansprechens vorkom-
men kann (so genanntes Escape-Phänomen im
Die hier angesprochenen Ibandronatbefunde und Sinne einer biologischen Resistenz), kann die Dauer-
die pathophysiologischen Erkenntnisse zur Abhän- therapie mit Kalzitonin bei der Osteoporose nicht
gigkeit einer abbauhemmenden Therapie vom Kno- empfohlen werden. Darüber hinaus sind die Dosis-
chenstoffwechsel begründen jedoch die Empfeh- empfehlungen in einem sehr breiten Bereich un-
lung, Bisphosphonate vor allem bei beschleunigtem scharf (zwischen 3 · SO E s. c. wöchentlich und
Knochenstoffwechsel anzuwenden, um Enttäu- 100 Es. c. täglich bzw. zwischen 100 E und 200 E täg-
schungen bei "Low-turnover-Osteoporose" zu ver- lich als Nasenspray). Kalzitonin entfaltet eine ge-
meiden. wisse analgetische Wirkung auf zentralnervösem
Wege unabhängig von örtlichen Prozessen. Manche
• Kalzitonine. Sie hemmen den Knochenabbau bei Therapeuten empfehlen daher seine Verabreichung
beschleunigtem "turnover". Ihre Wirkung ist bei über einige Wochen beispielsweise nach einem aku-
normalem (oder langsamem) Knochenstoffwechsel ten Einbruch eines osteoporotischen Wirbels.
nicht nachgewiesen. Der Nachweis der Abnahme
von Frakturen ist in Präventionsstudien bescheiden. Knochenaufbaustimulierende Therapie
In einer aktuellen Studie mit Kalzitoninnasenspray • Fluoride. Die Aktivität der Osteoblasten in der Si-
war der Nachweis der Abnahme von Wirbelfraktu- tuation des verlangsamten Umbaus ("low turn-
ren nur in einer Studiengruppe mit mittlerer Dosie- over") lässt sich durch Fluoride steigern. Ihr Wir-
rung statistisch signifikant. Da für die Bisphospho- kungsmechanismusbesteht darin, dass sie die Wirk-
nate als Antiresorptivum eine wesentlich bessere samkeit der durch endogene Wachstumsfaktoren
Datenlage vorhanden ist, die Kalzitonine ökono- (beispielsweise IGF-1) angeregten Tyrosinkinase
misch ungünstiger sind, bei Verwendung des Lachs- verstärken. Fluoride bewirken damit eine Zunahme

Tabelle ll-4. Dosierung einer Fluoridtherapie bei Osteoporose

Medikamenten- Dosierung Dauer Besonderheiten


gruppe

"Volldosis" r "Halbierte" Adj uvanzien


Dosis F- (bzw.
reduzierte Dosi )

Flouride ca++ Vitamin D

Jährliche Rönt-
genkontrolle:
Beendigung bei
beginnende r
Fluoridose

Natriumfluorid
Ospur F 25 NaF 25 3 Tbl. = 33,9 mg
Baer Ossiplex ret.
2 Tb!.
(selten
= 22,6 mg }
(25 mg) I = 11,3 mg) 1000 mg 1000 IE 3-4 Jahre

Os in (40 mg) 2 Tbl. = 36,2 mg I Tbl. = 18,1 mg


Monofluoro-
phosphat, MFP
Tridin (a 5 mg) 4 Tbl. - 20 mg 2 Tbl. = 10 mg (Enthält ISO mg 1000 JE
Jährliche Osteo-
pro Tbl.)
densitometrie:
Bei zu .,~utem"
Ansprec en
(Zunahme über
8-10% pro Jahr)
Dosis reduzie ren

Monotridin 2 Tbl. = 20 mg 1 Tbl. = 10 mg 1000 mg 1000 JE


(ä 10 mg p-)
11.2 Osteoporose 463

der Knochenneubildung unabhängig vom Knochen- und 1000 E Vitamin D. Wird als Fluorid ein Natri-
abbau, d. h. der resorptiven Osteoklastentätigkeit. umfluorid gewählt, sollte die Fluoridgabe mit dem
Unter mehrjähriger Fluoridtherapie kann somit Abendessen erfolgen, die Kalziumgabe getrennt da-
kontinuierlich die Knochendichte vermehrt werden, von morgens bzw. mittags. Wird mit Monofluoro-
wobei jedoch das mechanische Optimum über- phosphat therapiert, interferiert das gleichzeitige
schritten werden kann: Zu hohe Fluoriddosen indu- Kalziumangebot nicht mit der Fluoridabsorption.
zieren offenbar eine Osteosklerose mit dann redu- Die Fluoridtherapie sollte jährlich osteodensitome-
zierter Stabilität. Die Wirksamkeit einer Fluoridthe- trisch kontrolliert werden, um das Tempo der Zu-
rapie setzt daher voraus, dass ein optimales "thera- nahme der Knochendichte zu beurteilen und zur
peutisches Fenster" erreicht wird. Zu niedrige Dosen Dosiskorrektur zu verwenden. Jährliche Röntgen-
sind bei einem Teil der Patienten unwirksam und kontrollen der Wirbelsäule dienen der Beurteilung
haben ein scheinbares Nichtansprechen zur Folge, ihrer Stabilität. Im Durchschnitt erstreckt sich die
zu hohe Dosen produzieren zwar mehr Knochen, je- Fluoridtherapie über 4 Jahre, gelegentlich auch län-
doch von minderwertiger mechanischer Qualität. ger. Gründe für die Beendigung sind eine ausrei-
Bei adäquater Dosierung reduzieren Fluoride ver- chende Zunahme der Knochendichte (etwa 20 o/o
tebrale und nichtvertebrale Frakturen. Dem thera- in 4 Jahren) bzw. das Auftreten erster röntgenologi-
peutischen Fenster entsprechen 20 mg biologisch scher Zeichen einer Fluoridose (Stadium I nach
verfügbare Fluoridionen pro Tag. Ihre Zufuhr Roholm) im Röntgenbild.
kann mit verschiedenen Präparationen erreicht wer-
den. Bei der Therapie mit Monofluorophosphat mit • Anabolika. Infolge ihres Missbrauchs im Sport
einer hohen Fluoridabsorptionsrate von über 90 o/o wird z. Z. die medizinische Verwendung der Anabo-
entspricht die Fluoriddosierung den genannten lika mit Skepsis betrachtet. Studien bei postmeno-
20 mg (entsprechend beispielsweise 4 Tbl. Tridin pausalen Frauen mit Osteoporose haben aufgezeigt,
mit 5 mg Fluoridionen oder 2 Tbl. Monotridin dass sie zur Zunahme der Knochendichte führen
mit 10 mg Fluoridionen). Bei den magengeschützten und dass die zusätzliche Verabreichung eines Ana-
Natriumfluoridpräparaten wie Ospur F 25 oder Os- bolikums zu einer Östrogen-/Gestagen-Substitution
sin werden nur rund 60 o/o adsorbiert. Das NaF-An- die Knochendichte über den Östrogeneffekt hinaus
gebot liegt bei 33-36 mg Fluridionen pro Tag, von erhöht. Vermutlich kommt hier der muskulotrope
denen rund 20 mg absorbiert werden (Tabelle 11-4). Effekt zum Tragen. Studiendaten zur Frakturver-
minderung bei Osteoporose fehlen. Damit ist der
Manche Patienten reagieren auf diese "Volldosis" Einsatz eines Anabolikums bei Osteoporose eine In-
von 20 mg Fluoridionen pro Tag noch überschie- dividualentscheidung. Bei einer Osteoporotikerin
ßend: Ihre Knochendichte steigt innerhalb eines Jah- mit ausgeprägter Muskelschwäche, Ablehnung einer
res um 8-10% und höher an. In diesen Fällen sollte Östrogensubstitution und Neigung zu Depressivität
die Fluoriddosis dann halbiert werden. Ein weiterer ohne endogene Komponente ist der Versuch einer
Grund zur Reduktion ist die Entwicklung eines Anabolikatherapie gerechtfertigt (beispielsweise
Schmerzsyndroms an der unteren Extremität: 25 mg Dekadurabolin i.m. alle 3 Wochen, bei guter
Schmerzen im Bereich des Fußgelenks und der Ferse Verträglichkeit Steigerung auf 50 mg alle 3 Wochen
gehen mit Schwellungen, ähnlich einem rheumati- über l-2 Jahre). Auch bei Zustand nach Implantati-
schen Schub einher. Im Knochenszintigramm zeigen on einer Hüftendoprothese und problematischer
sich Mehranreicherungen im Bereich des Calcaneus Remobilisierung infolge Muskelschwäche kann ein
oder des distalen Tibiaendes, etwas später zeigen Anabolikaversuch angezeigt sein.
Röntgenbilder bandartige Verdichtungen. Dem
Schmerzsyndrom liegen Mikrokallusbildungen zu-
grunde, wie sie sich (seltener) bei der Osteoporose Therapie mit Kalzium und Vitamin 0
auch ohne Fluoridtherapie zeigen können. Die Um- bei Osteoporose Typ II
bauzonen sind offenbar Fluorideffekte im Sinne einer Bei der Mehrzahl der Patienten mit Osteoporose
überschießenden Reaktion, die keine mechanische Typ II liegt ein sekundärer Hyperparathyreoidismus
Gefährdung signalisieren. Zu empfehlen ist bei ihrem infolge eines Kalzium- und Vitamin-D-Mangels vor.
Auftreten eine Therapiepause von 4 Wochen und Pathophysiologisch begründet können diese Sub-
dann die Fortsetzung der Behandlung mit halbierter stanzen zur substitutiven Therapie herangezogen
Dosis. werden. Eine Supplementierung mit 1200 mg Kal-
zium und 800 E Vitamin D hat bei SO-jährigen in
Damit der unter Fluroid bereits neu gebildete Kno- Frankreich zu einer deutlichen Reduktion der
chen ausreichend mineralisieren kann, empfehlen Schenkelhalsfrakturen geführt. Entsprechende Er-
wir die Einnahme von täglich 1000 mg Kalzium fahrungen wurden aus den USA mitgeteilt. In einer
464 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Therapiestudie der Osteoporose bei postmenopau- Osteoporose beim Mann


salen Frauen wurde für eine Therapie mit Kalzium Insgesamt kommt die Osteoporose beim männli-
plus Kalzitrial gegenüber einer reinen Kalziumthe- chen Geschlecht seltener vor als beim weiblichen.
rapie eine größere Wirksamkeit der Verhinderung Anders als beim weiblichen Geschlecht liegt die re-
weiterer Wirbelbrüche belegt. Seit dieser Studie lative Häufigkeit der sekundären Formen einer
wird mit ihr die Behauptung verbunden, der (im Osteoporose beim Mann bei etwa 50 o/o. Unerlässlich
Vergleich zum genuinen Vitamin D wesentlich teu- ist daher, wie bei der Osteoporosediagnostik der
rere) Metabolit sei dem Vitamin D überlegen. Trotz Frau eine umfangreiche Diagnostik, um keine se-
der Forderungen der Wissenschaftler des Gebiets ist kundäre Osteoporose, die einer anderen Therapie
eine entsprechende vergleichende Studie bisher unterliegen würde, zu übersehen. Die Knochenhisto-
nicht vorgelegt worden. Auf der Basis der französi- logie ist dabei umso wichtiger, je jünger ein Mann
schen Daten empfehlen wir daher guten Gewissens z. Z. der Diagnosestellung seiner Osteoporose ist.
für die Typ-li-Osteoporose mit sekundärem Hyper-
parathyreoidismus täglich 1000 mg Kalzium und • Sekundäre Osteoporose beim Mann. Häufige
1000-3000 E Vitamin D. Form der sekundären Osteoporose des Mannes ist
der Hypogonadismus. In diesen Fällen wird Testo-
steron substitutiert. Eine weitere Form entsteht auf
Besonderheiten bei Patienten
dem Boden eines Alkoholismus, der mittels Absti-
mit anamnestischem Nierensteinleiden
nenz und einer Ernährungsumstellung (genügende
Liegt bei einem Menschen, bei dem eine Osteoporo-
Kalzium- und Vitamin D-Aufnahme) therapiert
setherapie mit Kalzium und Vitamin D zu diskutie-
wird.
ren ist, gleichzeitig ein rezidivierendes Nierenstein-
leiden vor, so kann stattdessen (sowohl bei der Pri-
• Primäre Osteoporose beim Mann. Hier entschei-
märtherapie einer Osteoporose Typ II als auch bei
det die Knochenstoffwechselsituation über den Ein-
einer adjuvanten Therapie zusätzlich zur Östro-
satz der Medikamente. Die "Low-turnover-Osteopo-
gen-, Bisphosphonat- oder Fluoridgabe bei Osteopo-
rose" des Mannes wird mit Fluoriden therapiert, die
rose Typ I) ein Hydrochlorothiazidpräparat verab-
"High-turnover-Osteoporose" mit Bisphosphona-
reicht werden: Diese Substanz vermindert einerseits
ten.
die Kalziurie und bedeutet so eine Nierensteinpro-
phylaxe, zum anderen retiniert sie Kalzium, was
dem Knochen zugute kommt. Mit Thiaziden behan- Ergänzende Therapien
delte Hochdruckpatienten entwickeln weniger Frak- • Frakturbehandlung. Eine akute osteoporotische
turen als Patienten, die mit anderen Antihyperten- Fraktur bedarf der orthopädisch-chirurgischen Be-
siva therapiert wurden. treuung. Bei Wirbelbrüchen muss die Beurteilung
der Stabilität Auskunft geben, ob, wie erwünscht,
frühzeitig mobilisiert werden darf, ob ein überbrük-
Prophylaxe einer
kendes Stützkorsett erforderlich ist oder eine opera-
glucocorticoidinduzierten Osteoporose
tive Maßnahme zur Wirbelsäulenstabilisierung. Bei
Zur Durchführung einer Prophylaxetherapie bei Pa-
der Schenkelhalsfraktur ist häufig ein Hüftgelenker-
tienten, die einer Langzeitglucocorticoidtherapie
satz erforderlich.
(Tagesdosis über 7,5-10 mg Prednison/Prednisolo-
näquivalente, Therapiezeit über 6 Monate) wegen
• Schmerztherapie. Die Schmerzbehandlung ist
einer anderen Erkrankung bedürfen, empfehlen
wichtiges Therapieprinzip, um schmerzbedingte Im-
wir die Einnahme von 1000 mg Kalzium und
mobilisierung zu verhindern und zu vermindern.
1000 E Vitamin D, um die Entwicklung eines sekun-
Bei akuten Frakturen sind stark wirksame Analgeti-
dären Hyperparathyreoidismus zu verhindern. Die
ka erforderlich. Als milderes, adjuvantes Analgeti-
Wirksamkeit dieser Maßnahme kann osteodensito-
kum kann auch Kalzitonin versucht werden. Bei
metrisch überprüft werden. Bewirkt diese Prophyla-
chronischen Schmerzen (häufig infolge des chroni-
xe keine ausreichende Effizienz, therapieren wir
schen Drucks auf die Nervenwurzeln durch das En-
dann die "Low-turnover-Situation" mit Fluoriden.
gerwerden der Austrittskanäle in Verbindung mit
Manch andere Therapeuten bevorzugen als antire-
zusammengesinterten Wirbeln) sind nichtsteroidale
sorptives Prinzip die Kalzitonine oder Bisphospho-
Antirheumatika bewährt. Eine wichtige Rolle spielen
nate. Für beide wurden Studien mit dem Ergebnis
auch physikalische Maßnahmen.
des Knochendichteerhaltes publiziert. In Kenntnis
der Überlegenheit der Bisphosphonate als antire-
sorptives Element sind diese vorzuziehen.
11.3 Rachitis/Osteomalazie (kalzipenisch, phosphopenisch) 465

• Physikalische Therapie. Sie dient zum einen der


wichtigen Aufgabe der Remobilisierung und des
Auftrainierens wenig geübter Muskeln, zum ande-
ren liefert sie einen Beitrag zur Schmerzlinderung.
Aufenthalte in entsprechenden Rehabilitationsklini-
ken mit Erfahrung sind nützlich. Selbsthilfegruppen
machen sich um die Gründung von krankengymna-
stischen Zirkeln und Warmbadetage für Osteoporo-
tiker verdient.

11.3
Rachitis/Osteomalazie
(kalzipenisch, phosphopenisch)

11.3.1
Fallpräsentation

Ein 35 Jahre alter Mann erschien in der Sprech-


stunde, überwiesen vom Orthopäden unter dem Abb.ll-12. Röntgenbild eines Femurs bei X-Chromosom-
Verdacht auf Knochenstoffwechselstörung. Der gebundener hypophosphatämischer Osteomalazie. Der Femur
ist leicht varisiert - lateral findet sich eine Fissur mit umge-
Patient hatte den Orthopäden wegen langsam bender Sklerose
zunehmender ziehender Beschwerden im rech-
ten Oberschenkel aufgesucht. Das Röntgenbild
zeigte an der Außenkontur des leicht außenkur-
vierten Femurs eine Fissur, begrenzt von sklero-
tischen Säumen (Abb. 11-12). Der Femurhals
war angedeutet varisiert. Bereits beim Eintreten
des Patienten in das Sprechzimmer fiel auf, dass
er kleinwüchsig war (153 cm). Nachfragen ergab
ein zögerliches Wachstum bereits von Kindheit
an. Beim Sprechen fiel ein schlechter Zahnstatus
auf (Abb. 11-13). Anamnestisch gab der Patient
an, dass seine Mutter etwa gleichgroß war und
unter Knochen- oder Rheumaschmerzen litt.
Ein älterer Bruder war kaum größer als er.
Die Allgemeinuntersuchung zeigte einen unter-
setzten Körperbau mit symmetrischer mäßiger
Varisierung beider Beine, stärkere Beeinträchti-
gungen von eiten des Bewegungsapparates wur-
den nicht angegeben, wobei in folge der geringen Abb. 11-13. Gebiss eines 35-jährigen Mannes mit X-Chromo-
Körpergröße Sport keinen Spaß gemacht habe som-gebundener hypophosphatämischer Osteomalazie
und kaum betrieben wurde. Der untersuchende
Arzt gewann den Eindruck, dass der Patient si-
cherlich nicht wehleidig war und nicht wegen 25-0H -Vitamin D im Serum lag der Serumphos-
Kleinigkeiten zum Arzt laufe. Das diagnostische phatspiegel bei 0,57 mmol/1 (Norm 0,8-1 ,5). Die
Programm bestand in Blut- und Urinuntersu- quantitative Phosphatausscheidung im Sam-
chungen des Kalzium- und Knochenstoffwech- melurin war normal, bezogen auf das ernied-
sels sowie ergänzenden Röntgenaufnahmen rigte Serumphosphat war die Phosphatclearance
von Becken und linkem Femur, ohne dass wei- erhöht. Die alkalische Serumphosphatase lag
tere Fissuren oder Umbauherde entdeckt wur- zwischen 330 und 360 U/1 (bei normalen Leber-
den (auch nicht in einem zusätzlich veranlassten werten). Sonstige Routineparameter waren un-
Skelettszintigramm). Entscheidende Hinweise auffällig. Aufgrund des klinischen Bildes, des
lieferte das Labor: Bei Normalwerten für Kal- Röntgenbefundes und der Laborparameter so-
zium im Serum und im Urin, PTH und wie der Familiarität wurde die Diagnose einer
466 KAPITEL II Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

zie". In Deutschland zeigten sich entsprechende,


X-Chromosom -gebundenen hypophosphatämi- aber nicht so ausgeprägte Bilder bei türkischen Gast-
sehen Rachitis bzw. Osteomalazie gestellt mit arbeitern mit dunklerer Pigmentierung, die sich in
Betroffensein zweier Generationen (weiter zu- Berlin angesiedelt hatten. Die Ärzte sind sensibili-
rück waren keine klaren Informationen zu er- siert, bei diesem Teil der Bevölkerung auf eine aus-
halten). Der Grad der Erkrankung wurde als reichenden Vitamin D-Prophylaxe und Gesund-
mittelschwer eingestuft, eine sensiblere psychi- heitsberatung zu achten. Risiken sind z. B. unnötiges
sche Struktur hätte, bezogen auf die Zahnpro- Einwickeln der Kleinkinder und ihr Schutz vor einer
bleme und die Skelettbeschwerden, auch eine nicht so aggressiven Sonne, wie im Heimatland Tür-
frühere Diagnosestellung denkbar erscheinen kei sowie das Tragen verhüllender Gewänder bei den
lassen. Eine orthopädische Therapie war nicht Frauen. In der deutschen Bevölkerung sind Formen
erforderlich, da die Fissur keine Instabilität be- der kalzipenischen Osteomalazie/Rachitis Raritäten.
wirkte. Für Achsenkorrekturen hatten die Vari- Ursachen können ungünstige soziale Bedingungen,
sierungen nicht bereits das Ausmaß, das eine nicht erkannte Störungen der Verdauung und des
Gefahr von Arthrosen angezeigt hätte. Der Pa- Stoffwechsels für Kalzium und Vitamin D, oder
tient erhielt eine orale Therapie mit anorgani - auch extrem selten, genetische Defekte sein. Bei
schen Phosphaten: von 1 g Phosphat pro Tag den phosphopenischen Formen der Rachitis/Osteo-
wurde auf 3 g täglich gesteigert. Das Auftreten malazie führt zahlenmäßig die X-Chromosom-ge-
dünner Stühle zwang dann zum Einpendeln bundene hypophosphatämische, Vitamin D-resi-
auf 2 g täglich. Zusätzlich wurden täglich stente Form, gefolgt von noch selteneren Patienten
0,25 J,lg Rocaltrol eingenommen. Unter dieser mit Fanconi-Syndrom. Eine Rarität ist die onkogene
Therapie stieg der Serumphosphatspiegel auf Rachitis/Osteomalazie.
0,75 mmolll. Die Phosphaturie war nun um
10- 20 o/o erhöht. Die alkalische Serumphospha-
tase sank innerhalb eines Jahres von 350 U/1
auf 160 U/1 (obere orm) ab. Die übrigen Labor- 11.3.3
parameter änderten sich nicht relevant. Klinisch Pathogenese
zeigte die Fissur ein Schmalerwerden des Spal-
tes. Röntgenkontrollen nach 3 und 5 Jahren lie- Eine Untermineralisierung des Knochens (Osteo-
ßen ihn jedoch noch erkennen. Die Beschwer- idose) entsteht, wenn die für die Apatitbildung er-
den hatten sich innerhalb eines halben Jahres forderlichen Kalzium- und/oder Phosphationen
auf ein erträgliches Restausmaß reduziert. nicht in ausreichender Weise zur Verfügung stehen.
Je nach Vorherrschen des Defektes unterscheidet
man kalzipenische Formen, vor allem wenn eine
D-Hypovitaminose im Vordergrund steht. Betrifft
der führende Mangel die Phosphationen, liegt ein
11.3.2
phosphopenisches Krankheitsbild vor. In jedem
Epidemiologie
Falle hat die Untermineralisierung im Kindesalter
Wachstumsstörungen mit typischen Verbreiterun-
Im vorigen Jahrhundert war die "englische Krank-
gen der Wachstumszonen als frustranen Versuch,
heit" (im Kindesalter Rachitis genannt, im Erwach-
durch Bildung von mehr Osteoid mechanische Sta-
senenalter: Osteomalazie) in den sonnenarmen
bilität zu gewinnen, zur Folge. Die im Erwachsenen-
Großstädten der frühindustriellen Zeit (England)
alter auftretende Störung führt zur allmählichen
eine Volkskrankheit der Armen. Kinderarbeit im
Verformung des zunächst noch normal ausgebilde-
Dunkeln, fehlende Besonnung in der Freizeit und
ten Skeletts infolge der zunehmenden Nachgiebig-
Unterernährung waren die Vorbedingung für diese
keit der Knochen durch zu hohen OsteoidanteiL
Form der D-Hypovitaminose, die entsprechende
Lehrbücher der damaligen Zeit breit füllt. Mit
dem Abschaffen der ungünstigen Vorbedingungen Kalzipenische Rachitis/Osteomalazie
im Laufe etwa eines Jahrhunderts sind Rachitis Abbildung 11-14 stellt den Weg des Vitamin D über
und Osteomalazie eher zur Seltenheit geworden. Be- seine Metabolisierungsschritte und deren Möglich-
völkerungswanderungen in diesem Jahrhundert in- keiten einer Störung von der Aktivierung bis zur
duzieren jedoch gewisse Rückfälle. Nach der Ein- Bindung des Kalzitrialsam Endorgan dar. Ein nutri-
wanderung dunkelhäutiger Commonwealth-Mit- tiver VitaminD-Mangel findet sich bei der Unterer-
glieder nach dem 2. Weltkrieg nach England (z. B: nährung, vor allem in Verbindung mit ungenügen-
Pakistani) beschrieben dortige Ärzte etwa 10 Jahre der Besonnung. Das solare UV-Licht bewirkt in der
später das Auftauchen der "Immigrantenosteomala- Haut die Umwandlung von 7-Dehydrocholesterol in
11.3 Rachitis/Osteomalazie (kalzipenisch, phosphopenisch) 467

Störungen
Vitamin D:
D 3 =tierischer Herkunft Vorstufen Mangel in der Nahrung

-
D 2 =pflanzlicher Herkunft (7- Dehyd rocholesterol)

Sonne Mangel an Sonnenlicht


Darm
Maldigestion, Malabsorption
Haut durch intestinale Erkrankung

Blutbahn

Sehr selten:
hepatische Insuffizienz der
Leber 25- Hyd roxylase,
z.B. Leberzirrhose
selten:
Antiepileptikainduzierte
Beschleunigung des
Vitamin D-Metabolismus

Insuffizienz der
Niere 1a- Hydroxy- 1a- Hydroxylase:
ylierung • Niereninsuffizienz (häufig)
• Pseudo-VitaminD-Mangel-
rachitis Typ I (sehr selten)

Endorgan- Endorganresistenz: Abb.ll-14.


ze llen • Pseudo-VitaminD-Mangel- Ursachen einer kalzipenischen
rachitis Typ II (sehr selten) Rachitis/Osteomalazie

Vitamin D. Der nächste Schritt einer Störungsmög- setzung des gebundenen Kalzitriols in eine genorni-
lichkeit ist die zu geringe Aufnahme des fettlöslichen sehe Wirkung gestört. Infolge der D-Hypovit-
Vitamin D bei Erkrankungen mit Maldigestion und aminose wird nicht genügend Kalzium aus dem
Malabsorption. In der Leber wird Vitamin D am C- Darm absorbiert und in die Zirkulation transpor-
Atom 25 hydroxyliert. Dieser Metabolismus ist nur tiert. Kalziummangelzustände verstärken die Aus-
selten gestört (z. B. bei extremer hepatischer Insuf- wirkungen der D-Hypovitaminose.
fizienz durch Leberzirrhose im Finalstadium oder
auch bei einer antiepileptikainduzierten Beschleuni-
gung des Vitamin D-Metabolismus mit Entstehung Phosphopenische Rachitis/Osteomalazie
einer Osteomalazie bei etwa 10 o/o der therapierten Abbildung 11-15 stellt den Weg des Phosphates von
Epileptiker, die etwas häufiger ist). Anfälliger als der Absorption bis zur Ausscheidung sowie Mög-
die Metabolisierung in der Leber ist die am CI- lichkeiten störender Einflüsse dar. Phosphatarme
Atom in der Niere. Die Ia- Hydroxylase ist frühzeitig Ernährung ist beim Erwachsenen eine Seltenheit,
bei der Niereninsuffizienz gestört. Selten ist sie bei bei Frühgeborenen wurde sie infolge der Nichtbe-
der Pseudo-Vitamin-D-Mangelrachitis Typ I insuffi- achtung von deren erhöhtem Bedarf in der Vergan-
zient. Der letzte Schritt der Vitamin D-Wirkung er- genheit gesehen (jetzt korrigiert). Aufgenommenes
folgt am Endorgan. Bei der Pseudo-Vitamin D-Man- Phosphat kann im Magen durch Phosphatbinder
gelrachitis Typ II ist die Rezeptorbindung des an der Absorption gehindert werden. Auch Syn-
Kalzitriols in verschiedenen Varianten bzw. die Um- drome der Maldigestion und Malabsorption können
468 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Störungen

Anorganisches Phosphat Mangel


in der Nahrung (Frühgeborenenernährung !)

Darm Absorption durch


Phosphatbinder

Maldigestion, Malabsorption

Blutbahn
Parenterale Ernährung
(phosphatarm)

Knochen

Niere Pathologische Steigerung


der Phosphaturie durch:
• Parathormon (sekundärer
Hyperparathyreoidismus)
• PTHrP
• "Phosphaturin" (onkogene
Phosphaturie Rachitis/ Osteomalazie)
• X-Chromosomalen Defekt
• Tubulusschaden (Fanconi) Abb.ll-15.
• Tubulusschaden (erworben Ursachen einer phosphopenischen
durch Nephropathie) Rachitis/Osteomalazie

die Phosphataufnahme reduzieren. Bei parentera- Phosphatausscheidung führen. In Abhängigkeit


lernährten Menschen auf Intensivstationen wurde von der Stärke und der Dauer der Störung entwik-
ebenfalls anfangs der Phosphatbedarf nicht immer keln sich Untermineralisierungen des Skeletts be-
beachtet, und Phosphatmangelzustände konnten reits im Kindesalter bzw. allmählich im Laufe des Le-
hieraus resultieren. Wesentlich häufiger als die ge- bens oder erst im Erwachsenenalter. Das für die X-
nannten Störungen sind die Situationen einer ver- Chromosom-gebundene Rachitis/Osteomalazie ver-
stärkten Phosphaturie. Hormonal-humoral findet antwortliche so genannte HYP-Gen findet sich in der
sich eine verstärkte Phosphaturie beim sHPT, bei Region Xp22.1-22.2 zwischen den Markern DXS41
Tumorhyperkalziämien durch PTHrP; selten ist und DXS43. Ein Kandidatengen könnte das PEX-
die onkogene Osteomalazie, bei der unterschiedliche Gen sein, das für eine membrangebundene Endo-
Tumoren einen noch nicht identifizierten phospha- peptidase kodiert. Es könnte für die verstärkte Phos-
turischen Faktor (Phosphaturin) produzieren. Tu- phatausscheidung durch den Tubulusapparat ver-
buläre Defekte mit der Folge der vermehrten Phos- antwortlich sein. Daneben findet sich ein nicht ge-
phatausscheidung finden sich bei der X-Chromo- nau definierter Defekt des Vitamin-D-Stoffwechsels,
som-gebundenen hypophosphatämischen Vit- ohne dass aber eine einfache Kalzitriolmangelsitua-
amin-D-resistenten Rachitis/Osteomalazie, beim tion gegeben wäre. Gedacht wird an eine ungenü-
seltenen Fanconi-Syndrom zusammen mit Glukosu- gende Beeinflussung der Kalzitrialsynthese durch
rie und Aminoazidurie. Schließlich können erwor- den sonst sehr wirksamen Anreiz einer Hypophos-
bene Tubulopathien (Nephritis) zur verstärkten phatämie.
11.3 Rachitis/Osteomalazie (kalzipenisch, phosphopenisch) 469

• Mit dem Gehen (es setzt verspätet ein) kommt es


11.3.4
zu Varusbildung und Kartenherzbeckendefor-
Klinik
mierung.
• Funktionsstörungen sind Muskelschwäche, feh-
Die prinzipielle Störung bei Rachitis/Osteomalazie
lendes Gedeihen, Minderwuchs.
ist die Knochenweichheit In den meisten Aspekten
ähneln sich kalzipenische und phosphopenische
Das Übersehen der Symptome und eine nicht recht-
Formen. Die Tendenz zur Verbreiterung der Kno-
zeitige Therapie sind durchaus unter dem Aspekt
chen besonders im Kindesalter ist bei den kalzipeni-
eines ärztlichen Kunstfehlers zu sehen, sofern nicht
schen Formen etwas ausgeprägter. Fissuren an den
die Elternteile für eine fehlende medizinische Ver-
Außenseiten der Röhrenknochen sind eher auf eine
sorgung verantwortlich sind. Zahnentwicklungsstö-
phosphopenische Ursache hinweisend. Tabelle 11-5
rungen können hinzutreten. Bei milden Formen
zählt typische Veränderungen und Beschwerden bei
kann auch die angeborene Störung erst im Erwach-
den Erkrankungen auf.
senenalter erkannt werden.
• Symptome im Kindesalter. Beim Kind ist
Symptome im Erwachsenenalter. Beginnt die
• die Kraniotabes mit weicher Fontanelle typisch.
Störung jedoch erst im Erwachsenenalter, so hatte
• Am Brustkorb zeigt sich der rachitische Rosen-
sich zunächst ein gesundes Skelett entwickelt, das
kranz.
nun im Laufe von Jahren von der Störung betroffen
• Der Brustkorb deformiert sich zum Glockentho-
wird.
rax.
• Skelettbeschwerden sind eher diffus und uncha-
rakteristisch.
Tabelle 11-5. Symptome und Beschwerden bei Rachitis/ • Bei früher Untersuchung zeigt das Skelett ledig-
Osteomalazie lich eine Osteopenie.
• Laborveränderungen können sich auf diskrete
Kind
Tendenzen beschränken.
Beschwerden Gedeihstörung • Allmählich deformieren sich die tragenden Bein-
Muskel chwäche knochen zur 0-Beinbildung.
chmerzen beim Gehen • Im Laufe von Jahren können auch Glockenthorax
bzw. verspätetes Laufenlernen und Kartenherzbecken auftreten.
gelegentlich bei Therapiebeginn: Tetanie • Der typische Watschelgang beruht auf den
Schmerzen des durch Umbauzonen labil gewor-
Befunde Kraniotabes denen Beckens.
Rachitischer Rosenkranz • Hypophosphatämie trägt zur Muskelschwäche
Minderwuchs bei.
Deformierungen:
Glockenthorax
Kartenherzbecken 11.3.5
Va ri ierung der Beine
Diagnostik

Lrwachscncr Anamnese und körperliche Untersuchung


Der Patient ist sorgfältig nach Beschwerden (s. Ta-
Beschwerden Diffuse, ,.rheumatische" Beschwerden belle 11-.5) zu befragen, gleiches gilt für Lebensge-
des Bewegungsapparatses
wohnheiten und Körperfunktion (Durchfallsnei-
Waisehelgang
gung?). Bei der Familienanamnese ist nach Körper-
Gehunfahigkeit, Bettlägerigkeil größe, Skelettveränderungen o. a. vor allem in den
Gelegentlich bei Therapiebeginn: Tetanie vorausgehenden Generationen zu fragen. Bei der
Befunde Deformierungen, die sich langsam körperlichen Untersuchung sind die Prädilektions-
entwickelt haben stellen rachitischer und osteomalazischer Verände-
Varisierung der Beine rungen klinisch zu prüfen (s. Tabelle 11-5). Der
Glockenthorax Zahnstatus ist unbedingt mit einzubeziehen.
Kartenherzbecken
470 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Labordiagnostik • Osteodensitometrie. Eine Osteodensitometrie


Die alkalische Phosphatase (AP) (bzw. die knochen- würde lediglich einen erniedrigten Wert ergeben,
spezifische AP) ist erhöht. Kalzium und Phosphat im ohne dass eine Diagnose möglich wäre. Die Osteo-
Serum und im Urin liefern die Hinweise, ob es sich densitometrie eines Osteomalazikers ohne beglei-
um die kalzipenische oder phosphopenische Form tende ausführliche Untersuchung ist ein nicht selte-
der Erkrankung handelt. Intaktes PTH und 25- nes Beispiel einer Fehldiagnose einer Osteoporose
0H-Vitamin D ergänzen die Labordiagnostik Die mit nachfolgender Fehlbehandlung.
Bestimmung von 1,25-Dihydroxy-vitamin D (Kalzi-
triol) ist nur sinnvoll bei Verdacht auf Insuffizienz
Knochenhistologie
der la-Hydroxylase bzw. Verdacht aufPseudo-Vit-
In Zweifelsfällen und zur Bestimmung des Ausma-
amin-D-resistente Rachitis Typ I und II (s. unten,
ßes der Osteomalazie kann die Entnahme einer Bek-
Differentialdiagnose).
kenkammbiopsie zur Gewinnung einer unentkalk-
ten Knochenhistologie sinnvoll sein. Eine Artdia-
Bildgebende Verfahren gnose der Osteomalazieform ist kaum möglich, le-
• Röntgen. Zu röntgen sind symptomatische Ske- diglich evtl. der morphologische Nachweis eines
lettanteile. Sind diese uncharakteristisch oder fehl- sHPT, der aber auch zumeist aus dem PTH-Spiegel
end und besteht dennoch aufgrund bereits vorlie- abgelesen werden kann.
gender Laborwerte der Verdacht auf Osteomalazie
und Rachitis, so zeigt eine Röntgenaufnahme des
Beckens häufig am ehesten eine Tendenz zu Umbau- 11.3.6
zonen. Looser-Umbauzonen sind verdächtig auf Differentialdiagnose
Osteomalazie im Erwachsenenalter, aufgetriebene
Epiphysenfugen verdächtig auf Rachitis im Kindes- In ihrer ausgeprägten Form ist weder die Rachitis
alter (Abb. 11-16). noch die Osteomalazie mit einer anderen Skeletter-
krankung verwechselbar. Atypische oder Frühfor-
• Skelettszintigramm. Bei diffusen Beschwerden men mögen gelegentlich von folgenden Entitäten
kann ein Skelettszintigramm nützlich sein, das die abzugrenzen sein.
Umbauzonen als Herde verstärkten Knochenum- • Osteogenesis imperfecta, Achondroplasie oder
baus aufzeigt. andere Minderwuchsformen (jeweils im Kindes-
alter),
• polyostotischer M. Paget, multiple Knochenmeta-
stasierung oder Osteoporose (im Erwachsenenal-
ter).

Die wichtigste Aufgabe ist die klare Definition der


individuellen Rachitis/Osteomalazie-Form. Tabelle
11-6 gibt eine Synopsis über die besprochenen For-
men und Typen wieder.

11.3.7
Therapie

Kalzipenische Rachitis/Osteomalazie
Tabelle 11-7 gibt Medikamenten- und Dosierungs-
hinweise für die wesentlichen Formen der kalzipeni-
schen Erkrankung.

Unbedingt ist zu empfehlen, die Therapie mit einem


Zentrum mit Erfahrung abzusprechen bzw. die Pa-
tienten dort vorzustellen.
Unterdosierung verzögert unnötigerweise die
Abb.ll-16. Epiphysenfugen eines Kindes mit Vitamin-D- Heilung, Überdosierung beinhaltet das Risiko von
Mangel-Rachitis: Die Epiphysenfugen sind verbreitert und un-
scharf, der Mineralisationsgrad ist reduziert (oben), günstige Organschäden beispielsweise der Niere (Vitamin
Heilungstendenz nach adäquater Therapie (unten) D-Intoxikation).
11.3 Rachitis/Osteomalazie (kalzipenisch, phosphopenisch) 471

Tabelle ll-6a, b. Differentialdiagnose der Formen der Rachitis/Osteomalazie. a Kalzipenische Formen, b Phosphopenische
Formen

a Kalzipenische Formen

Form Verhalten der D-Metaboliten


25-0H -D 1,25-011 2-D•'

Rachitis durch Vitamin D-Mangel


Ma ngelhafte UV -Bestrahlung 1 oder N
Mangelhafte Zufuh r oder Malabsorption von Vitami n D ! 1 oder N
Rachitis durch Vitamin D-Stoffwechselstörungen
Vermehrter Katabolismus
- d urch An tikon vulsiva J (T)
- durch Lebererkra nkungen 1( ) 1( )
Verminderte Ja-Hydroxylierung
- bei chronischer Niereninsuffizienz
- bei Vita mi n D-abhängiger Rachi tis Typ Jh N

Endorganresistenz gegenüber 1,25- (0H h- D l(N)


= Vitamin D-abhängige Rach itis Typ Il b
• Bestimmung nur in begründeten Fällen erforderlich, b Synonym: hereditäre Pseudo-Vitamin D-Mangelrachitis, N normal,
1 erniedrigt, Terhöht

b Phosphopenische Formen

Form Stichwort zur Diagnostik

Störungen der renal-tubulären Phosphatresorption (Formen des Phosphatdiabetes)


- Fanco ni - yndrom Phosphaturie, Aminoazidur ie, Glukosurie
- X-chromosomale hypophosphatäm ische Rachitis Phosphaturie, Familienanamnese
- renale tubuläre Azidose (distaler Typ) H4Cl-Belastung
- Phospha tdiabetes bei Tumoren (mit phosphaturi eher Aktivität) Tu mor uche

Rachitis durch mangelhafte Phosphataufnahme


- parenterale Hyperalimentation Anamnese/Nährstoffanalyse
- phosphatarme Ernährung von Frühgeborenen Anamnese/Nährstoffanalyse

Das Therapieziel ist die Ausheilung des Defektes. Bei Phosphopenische Rachitis/Osteomalazie
vorübergehenden Störungen kann die Therapie Tabelle 11-8 zählt Medikamente und Dosierungen
nach verschwinden dieser beendet werden. Bei an- auf. Hinsichtlich der Absicherung der Richtigkeit
haltenden Insuffizienzen, beispielsweise der Hypo- der Therapie durch ein Zentrum gilt das oben Ge-
vitaminose ist eine Erhaltungstherapie mit Vitamin sagte. Bei den bleibenden Defekten der X-Chromo-
D in niedrigen Dosen erforderlich. som-gebundenen hypophosphatämischen Rachitis/
Osteomalazie ist in der Regel eine lebenslange The-
rapie erforderlich, gleiches gilt für das Fanconi-Syn-
drom. Bei der onkogenen Osteomalazie ist zu versu-
chen, den verantwortlichen Tumor aufzuspüren und
zu entfernen. Im Falle der In-toto-Entfernung des
Tumors heilt die Knochenerkrankung rasch aus.
472 KAPITEL ll Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Tabelle 11-7. Therapie der kalzipenischen Rachitis/Osteomalazie

Form Tha.tpic beim Kind Therapie beim Erwachsenen


(Raduti~) (Osteomalazie)

Mangelhafte Besonnung in 3000-5000 E/Tag Vitamin D3 über 5.000- 10.000 E/Tag Vitamin D3 über
Kombination mit mangelnder 3 Wochen, anschließend Prophylaxe 3 Wochen, anschließend Prophylaxe
oraler Vitamin D-Zufuhr

Antikonvulsivaosreopathie Mit 500 E tägl. Mit 1000-3000 E tägl.

Malabsorption, Maldigestion Behandlung der Grundkrankheit Behandlung der Grundkrankheit


(chronische Durchfalle) zur Ausheilung der Rachiti zur Ausheilung der Osteomalazie
1000-5000 E D3 5000- 20.000 E D1

Leberzirrhose 25-50 ~g 25-0H-D 50-100 ~g 25-0H-D


(Kalzidiol) (Kalzidiol)

Vitamin D-abhängige Rachitis Typ I 0,5-1,0 ~g I ,25-(0H)2-D (Kalzitriol) Identisch

Vitamin D-abhängige Rachitis Typ li Hohe Dosen l,25-(0H)2-D Identisch


(bis 50 11g; Kalzitriol)
hohe Dosen Kalzium i. v. oder p.o.

Tabelle 11-8. Therapie der phosphopenischen Rachitis/Osteomalazie

Form Therapie beim Kind Therapie beim Erwachsenen


(Ra<hitis) (Osteomalazie)

X-chromosomale 50- 70 mg P (z. B. Reducto Spezial) l-3 g P als Phospat (z. B. Reducto
hypophosphatämische R/OM in 5-6 Einzeldosen und 20-40 nglkg Spezial) und 0,25-0,5 ~g Kalzitriol
Kalzitriol täglich p.o. täglich p.o.

Fanconi-Syndrom 50- 70 mg P als Phospat (z. B. Reducto 1-3 g P als Phosphat (z. B. Reducto
Spezial) in 5-6 Einzeldosen und Spezial) und 0,25- 0,5 11g Kalzitrial
20-40 nglkg Kalzitriol täglich p.o. täglich p.o.

Onkogene R/OM:

- Symptomatisch 50- 70 mg P als Phosphat l-3 g P al Phosphat (z. B. Reducto


(z. B. Reducto Spezial) in S-6 Einzel- Spezial) und 0,25-0,5 ~g Kalzitriol
dosen und 20- 40 nglkg Kalzitrial täglich p.o.
täglich p.o.

- Kausal Tumorsuche und Exstirpation Tumorsuche und Exstirpation

Parenterale Hyperalimentation Phosphatsalze per infusionem Phosphatsalze per infusionem

Phosphatarme Ernährung Pho phatzusatz


von Frühgeborenen
11.4 M. Paget des Skeletts 473

Vermehrte Knochenbildung

11.4
M. Paget des Skeletts
11.4.1
Fallpräsentation

Eine Frau hatte seit etwa ihrem 60. Lebensjahr


ziehende Beschwerden im rechten Unterschen-
kel. Man konstatierte eine Varikosis und führte
darauf die leichte Verdickung des Beins im
Sinne eines vermuteten postthrombotischen
Syndroms mit Lyrnphstauung zurück
(Abb. 11-17). Das Tragen von Stützstrümpfen
wurde empfohlen. Bei einer Blutuntersuchung
fiel eine alkalische Serumphosphatase (AP)
von 385 U/1 auf. Die Angabe von einem Glas
Wein wurde als unvollständig eingeschätzt,
hausärztlicherseits riet man zu Enthaltsamkeit Abb. ll-17. M. Paget der Tibia bei einer 65 Jahre alten Frau:
und einer Kur in einem Leberheilbad. Diese Durch Auftreibung des Knochens ist der Unterschenkel ver-
Kur änderte nichts an der Höhe der alkalischen dickt
Phosphatase, und da die Angaben der Patientin
der Alkoholenthaltsamkeit geglaubt wurden,
veranlasste man eine Bestimmung des ossären
Isoenzyms der AP. Es war erhöht bei normaler
Fraktion des Leberenzyrns. Bei diesem Hinweis
auf eine ossäre Genese der AP erfolgte eine ge-
nauere Untersuchung des rechten Unterschen-
kels. Das Röntgenbild lieferte den typischen Be-
fund eines M. Paget (Abb. 11-18). Die Außen-
kontur der Tibia war verbreitert, die Kompakta
war aufgelockert und verdickt, die spongiösen
Anteile unscharf und irregulär, zum Teil osteo-
lytisch, zum Teil osteosklerotisch. Ein Skeletts-
zintigramm ergab lediglich eine Mehranreiche-
rung im Bereich der rechten Tibia, sodass von
einem monostotischen M. Paget ausgegangen
werden konnte. Die Indikation zu einer Thera-
pie leitete sich aus der Verformung und eben be-
ginnenden Achsenkrümmung her, die zur Früh-
arthrose benachbarter Gelenke führen kann. Für
die Therapieentscheidung war die Höhe der AP
Abb.ll-18. Befall der Tibia durch M. Paget: Die Kompakta
grenzwertig. Die Patientin erhielt im Rahmen ist verbreitert und aufgelockert, die Spongiosa ist unscharf
einer Studie an 3 aufeinander folgenden Tagen und irregulär. Neben osteolytischen Bereichen finden sich
je 30 mg Pamidronat i. v. über jeweils 4 h infun- Osteosklerosezonen
diert. Nach einem Monat lag die AP bei 257,
nach 3 Monaten bei 195, nach 6 Monaten bei
157 U/1. 12 Monate nach der Bisphosphonatthe- 11.4.2
rapie lag die AP immer noch bei 160 U/1. Bei nur Epidemiologie
geringem Beschwerdeausmaß gab die Patientin
keine eindeutige Änderung ihres Befindens an. In der älteren Literatur wurde von einer überra-
Sie registrierte allerdings rückblickend, dass ein schenden Häufigkeit des M. Paget bei 3 o/o der Men-
gewisses wärmeres Gefühl im Bereich des rech- schen jenseits des 40. Lebensjahrs ausgegangen. Un-
ten Unterschenkels nachgelassen hatte. tersuchungen an Röntgenbildern in England vermu-
teten eine ähnliche Häufigkeit. Aufgrund einer Be-
474 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

n = 250
Pat.
94

200

180

140

100

60

20
10

Abb.ll-19. Verteilung der Paget-Herde bei 250 Patienten

fragung von Ärzten in 2 Bundesländern konnten wir et al. 1975 in den Kernen von Paget-Osteoklasten nu-
für Deutschland eine so hohe Häufigkeit nicht bestä- kleäre Einschlüsse, die an Virusrasen erinnerten.
tigen, selbst wenn mit einer Dunkelziffer zu rechnen Nach 20 Jahren weiterer Forschung wird der M. Pa-
ist. Die Zahl therapiebedürftiger Menschen dürfte in get heute als langsame Viruserkrankung ("slow vi-
Deutschland im Bereich einiger Tausend liegen. Ab- rus") angesehen, wobei eine Virusidentifizierung
bildung 11-19 zeigt die Verteilung von Paget-Her- bisher nicht gelang. Gedacht wird an Virusmutatio-
den im Skelett bei 250 Patienten. Bei der Manifesta- nen des Masernvirus, aber auch der Hundestaupe.
tion führen die Femora, gefolgt von den Beckenhälf- Das Virus scheint sich nach frühem Kontakt in
ten und den Tibiae. Ähnliche Größenordnungen lie- einem oder mehreren Knochenarealen festzusetzen.
gen dann für das Schädeldach und die Lendenwir- Die befallenen Osteoklasten zeigen eine Überzahl an
belkörper vor. Die übrigen Knochen zeigen abneh- Kernen, eine Übergröße und Überaktivität Sie re-
mende Zahlen. Ein Drittel dieses Kollektivs zeigt den sorbieren ungezügelt Knochen; die irrfolge der
Befall eines einzigen Knochens (monostotische Kopplung von Osteoklasten und Osteoblasten se-
Form). Es folgen alle Übergänge zwischen 2, 3 kundär aktivierten Anbauzellen versuchen, den De-
und letztendlich 56 Knochen bei einem Patienten. fekt zu reparieren. Umbautempo und-richtungsind
Die Manifestation der Erkrankung erfolgt in der Re- so ungezügelt, dass das resultierende Knochengewe-
gel in der 2. Lebenshälfte, selten vor dem 50. Lebens- be geflechtartig ungeordnet ist. Die Kontur des Kno-
jahr. Pro Dekade liegen die Männer um etwa ein chens wird sogar verlassen. Die Knochenverdickung
Jahrzehnt bei der Diagnosestellung früher als die (bei allerdings mechanisch geringerer Stabilität) ist
Frauen; offen ist, ob aus anderen Gründen häufiger ein Kompensationsversuch des Organismus, die Sta-
geröntgt wird oder ob die Toleranz bei Männern ge- biliät zu erhalten. Histologisch imponiert das wirre
ringer ist. Hinweise für einen schwereren Verlauf Knochengewebe als "Mosaikknochen".
beim Mann haben wir nicht.

11.4.4
11.4.3 Klinik
Pathogenese
Für das Auftreten von Beschwerden ist die Lokalisie-
Paget beschrieb die später nach ihm benannte Er- rung der Herde, die Richtung der Knochenverdik-
krankung als Ostitis deformans (1877). Nach Ver- kung, das Ausmaß der Schwächung der Stabilität
mutungen einer Krankheitsentstehung durch Tu- und metabolische Folgen der lokalen Erkrankung
berkulose, Syphilis und Tumoren entdeckten Rebel verantwortlich (Tabelle 11-9).
11.4 M. Paget des Skeletts 475

Tabelle 11-9. Symptome und Beschwerden bei M. Paget des Skeletts

Knochenveränderungen u. a. Symptome

Schädelbefall Kopfschmerzen

Schädelba isbefall Hirn nervenausfalle (Schwerhörigkeit)

Wirbelsäule Radikuläre Symptome (Schmerzen, Ausfalle), selten Querschnittsymptomatik


Deformierung, kolio ebildung

Becken Schmerzen, Coxarthro e


Röhrenknochen (vor allem Beine) Verbiegung, Frakturanfalligkeit, Schmerzen, Sekundärarthrosen

Gefaßsystem Lästige Wärmegefühle


Verstärkung einer Herzinsuffizienz
Verstärkung einer Varikosis (Tibiabefall)

Kalziumstoffwechsel Hyperkalziurie
Nephrolithiasis

Symptome am Skelettsystem Metabolische Symptome


• Bei Schädelkalottenbefall kann der Kopf größer Diese können sich als Nierensteinbildung bei ver-
werden (Hüte passen nicht mehr). Kopfschmer- mehrter Kalziumausscheidung äußern und/oder
zen kommen vor. sekundär über eine Niereninsuffizienz zu einer
• Eine häufige Komplikation des Schädelbasisbe- Verstärkung einer Herzinsuffizienz wegen Flüssig-
falls (Felsenbein) ist Schwerhörigkeit und Ertau- keitsretention in Erscheinung treten.
bung. Unterkieferbefall kann eine Prognathie er-
zeugen. Vaskuläre Symptome
• Der Befall von Wirbeln bedingt radikuläre Diese imponieren vor allem als Hitzegefühle in be-
Schmerzen, selten sensorische oder gar motori- fallenen Arealen.
sche Ausfälle. Bei weniger als 1 o/o der Patienten kann ein beson-
• Eine Vorwölbung eines Paget-Wirbels in den ders aktiver M. Paget in eine Sarkombildung um-
Wirbelkanal kann zu Querschnittssymptomen schlagen. Sie äußert sich durch örtliche Beschwer-
führen. den und eine rasche Volumenzunahme, nicht selten
• Durch die Körperlast können Paget-Wirbel auch im Epiphysenbereich (Humerus).
allmählich zusammensintern.
• Rückenschmerzen sind häufig bei Befall der Len-
denwirbelsäule, aber auch des Kreuzbeins oder 11.4.5
des Beckens. Diagnostik
• Bei einseitigem Beckenbefall kann es zur Schief-
stellung kommen, häufig sieht man dann eine Co- Anamnese
xarthrose. Zur Zeit der Diagnosestellung reichen retrospektiv
• Sekundärarthrosen begleiten auch den Befall der beginnende Beschwerden oft Jahre zurück. Eine Pa-
tragenden Röhrenknochen, Femur und Tibia. Die thognomonik der Beschwerden gibt es nicht.
Beschwerden können auch vom Kniescheiben- Verdächtig sind
oder Fersenbeinbefall herrühren. Der Befall der • ein asymmetrischer Skelettbefall,
Armknochen zeigt dagegen weniger Symptome. • monossäre Beschwerden,
• Zu den Beschwerden durch Deformierung, Se- • Dickerwerden des Knochens und Verformungen.
kundärarthrose oder Druck auf Nerven kommt
eine Frakturgefährdung hinzu, denn Paget-Kno- Wichtig ist die Familienanamnese. In bis zu 10 o/o der
chen sind in ihrer Stabilität vermindert. Fälle findet sich eine familiäre Belastung.
476 KAPITEL II Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Körperliche Untersuchung Das typische histologische Bild ist das der vielkerni-
Zu beurteilen sind Konturen und Dicke der schmer- gen Riesenosteoklasten mit Überaktivität in Verbin-
zenden oder verformten Knochen, oft ist die Region dung mit Osteoblastensäumen auf Osteoid, die Irre-
überwärmt Ein sorgfältiger Funktionsstatus des gularität macht die Mosaikstruktur des Paget-Kno-
Nervensystems, insbesondere lokalisationsbezogen, chens aus. In Zweifelsfällen kann die Elektronenmi-
hat zu erfolgen. Ggf. ist eine konsiliarische neurolo- kroskopie die nukleären Einschlüsse zeigen.
gische Untersuchung erforderlich, gleiches gilt für
die HNO-Untersuchung bei Fersenbeinbefall (Au-
diogramm). Die augenärztliche Untersuchung zeigt 11 .4.6
in einigen Fällen so genannte "angeoid streaks", de- Differentialdiagnose
ren Bedeutung nicht eindeutig ist.
Die Mehrzahl der Paget-Patienten zeigt pathogno-
monische Röntgenbilder, im Zweifelsfalle ist ein Ra-
Labordiagnostik diologe mit osteologischer Erfahrung beizuziehen.
Der beste biochemische Marker für das Krankheits- Mehrdeutige Bilder können die Frage folgender an-
geschehen ist die AP (nach Ausschluss einer Leber- derer Erkrankungen aufwerfen:
erkrankung) bzw. die knochenspezifische AP. Ab- • Knochenmetastase,
baumarker wie die Pyridinium-Crosslinks im Urin • Osteomyelitis,
oder die tartratresistente saure Phosphatase sind • Looser-Umbauzone,
ebenfalls erhöht, sie sind jedoch in der Regel für Dia- • primärer Knochentumor,
gnosestellung und Verlaufskontrolle entbehrlich. • HämangiomwirbeL
Kalzium und Phosphat im Serum sind normal, die
Kalziurie kann gesteigert sein. Ein erhöhtes Kalzium
11.4.7
deutet auf die Möglichkeit eines koexistenten HPT
Therapie
hin, der dann ausgeschlossen werden sollte. Diesel-
tene Hyperkalziämie eines Paget-Patienten bei Im- Indikationen zur medikamentösen Therapie
mobilisierung geht mit erniedrigtem PTH einher. des M. Paget des Skeletts

Bildgebende Verfahren
• Absolute Indikation
Knochenschmerzen
• Röntgen. Zu röntgen sind symptomatische Ske-
Fortschreitende Verbiegung und Deformierung
lettanteile. Häufig ist das Bild pathognomonisch
mit Arthrosefolge
mit den bereits oben geschilderten Besonderheiten.
Frakturanfälligkeit
Nervenausfälle
• Skelettszintigraphie. Bei jedem neu diagnosti- Schädelbasisbefall
zierten Paget- Fall sollte einmal eine Skelettszin tigra- Starke Umbauaktivität (alkalische Serumphos-
phie durchgeführt werden, um eine Übersicht über phatase um 600-800 E/1 und darüber)
evtl. mehrere vorhandene Herde zu gewinnen, die (Hyperkalzämie, nach Ausschluss eines pHPT)
für eine Therapieentscheidung wichtig sein könnten. • Relative Indikation
Im Szintigramm verdächtige Herde der Mehrspei- Jugendliches Alter mit mittlerer Krankheitsaktivi-
cherung sind dann nachzuröntgen. Für den Verlauf tät
spielt dann die Skelettszintigraphie in der Regel Schädelkalottenbefall
keine Rolle mehr. Lästiges Wärmegefühl
Radiologische Progression
Vorbereitung auf operative Korrekturen (Gelenk-
Knochenhistologie
ersatz)
In Zweifelsfällen der Mehrdeutigkeit eines Röntgen-
Herzinsuffizienz (mit Volumenbelastung durch
befundes ist die örtliche Probenentnahme für die
M. Paget)
Gewinnung einer Histologie erforderlich.
• Keine automatische Indikation
Zufallsentdeckter M. Paget ohne Symptome
Bei der Seltenheit der Erkrankung ist es aber unbe- - mit geringer Umbauaktivität (alkalische Se-
dingt zu empfehlen, dass ein Radiologe mit weniger rumphosphatase 200-300 E/1)
Erfahrung vor der Empfehlung einer Biopsieentnah- - beim Älteren
me die Bilder einem Experten vorlegt. Dieser kann - Befall weniger gefährdeter Knochen (Arm,
dank seiner Erfahrung dem Patienten zum Teil un- Rippen)
nötige Biopsien ersparen.
11.4 M. Paget des Skeletts 477

Die obige Übersicht zählt die Indikationen für eine Demgegenüber ist Tiludronat potenter. Seine Dosie-
medikamentöse Paget-Therapie auf. Zu therapieren rung beträgt 400 mg täglich über 3-6 Monate. Hier-
ist bei vorhandenen Schmerzen, Nervenausfällen, durch wird ein Abfall der alkalischen Phosphatase
bestehenden oder drohenden Deformierungen. auf rund 1/3- 1/4 des Ausgangsniveaus erreicht. Die
Auch bereits eingetretene Frakturen sind Grund Überlegenheit des Tiludronats gegenüber dem Eti-
für eine Therapie. Relative Indikationen ergeben dronat ist in Studien belegt.
sich aus einem jüngeren Alter der Betroffenen
und noch langer Lebenserwartung nach Diagnose- Schwerere Paget-Fälle, bei denen vor allem stärkere
stellung. Lästige Wärmegefühle oder eine Herzinsuf- Deformierungen und auch Bedrohungen von Hirn-
fizienz können ebenfalls relative Therapieindikatio- nerven (Felsenbeinbefall) ein möglichst hochpotentes
nen sein. Nicht automatisch zu therapieren sind zu- Medikament erfordern, sollten einem Zentrum zuge-
fallsentdeckte Herde von geringer Aktivität ohne Be- wiesen werden, das mit den nur zum Teil für die
schwerden beim Älteren. Paget- Therapie eingeführten hochpotenten Bisphos-
phonaten behandelt.
Symptomatische Therapie
Für die symptomatische Paget-Therapie stehen Kal- Sowohl Pamidronat als auch Ibandronat weisen bei
zitonine und Bisphosphonate zur Verfügung. Mit ih- i. v.-Verabreichung folgende Vorteile auf.
nen kann die Erkrankung zum Stillstand gebracht Nach Verabreichung von 60-180 mg Pamidronat
werden. Eine Restitutio ad integrum ist nicht mög- i. v. (beispielsweise 2-mal 30 oder 3-mal 60 mg an 2
lich. Bei langen Therapiezeiträumen zeigt der Kno- bzw. 3 aufeinander folgenden Tagen i. v. über je 4 h
chen jedoch auch gewisse Rückbildungstendenzen. infundiert) sinkt die AP in 3-6 Monaten auf20-30 o/o
Teilweise ist die Paget-Therapie durch Schmerzmit- des Ausgangsniveaus. Der Effekt hält über ein Jahr
tel, orthopädische bzw. knochenchirurgische Maß- und länger an. Ein ähnlicher Effekt wird durch
nahmen zu ergänzen (Behandlung von Frakturen, 2-6 mg Ibandronat erzielt, aufgeteilt auf 1-2 Tages-
Hüftgelenksersatz, Achsenkorrekturen). Die medi- dosen mit Infusionszeiten von 2 h. Mit der intrave-
kamentöse Therapie "beruhigt" den Knochenstoff- nösen Zufuhr wird der Gastrointestinaltrakt völlig
wechsel durch Hemmung der überaktiven Osteokla- entlastet. Die Bisphosphonate zeigen beim M. Paget
sten auf Zeit. Zugelassen für die medikamentöse Pa- bei dieser Form der Verabreichung einen gewissen
get-Therapie in Deutschland sind (Tabelle 11-10) Depoteffekt Je nach klinischem Verlauf können
• Kalzitonine, die Infusionen in Abständen von 6 Monaten (selten
• die Bisphosphonate Etidronat und Tiludronat. sind kürzere Abstände erforderlich) wiederholt wer-
den. Man strebt eine AP im oberen Normbereich an
Heutzutage sind die Kalzitonine für den M. Paget und erhofft sich mit dieser Strategie noch günstigere
nur noch in leichteren Ausnahmefällen zu empfeh- Langzeiterfolge als es die bisherige Therapie gezei-
len: Im Vergleich zu den Bisphosphonaten sind sie tigt hat. Wie immer bei noch nicht zugelassenen
weniger potent, reicher an Nebenwirkungen und Therapien, ist der durchführende Arzt für die Be-
teurer. Von den zugelassenen Bisphosphonaten ist handlungsrisiken verantwortlich, und Patientenauf-
Etidronat für den M. Paget nicht mehr zu empfehlen, klärung und Einholung seines Einverständnisses
da es in der zugelassenen Dosierung (5 mg pro kg sind korrekt einzuhalten. Ob die symptomatische
KG und Tag) die alkalische Phosphatase nur auf Paget-Therapie zu einer Reduktion des Sarkomrisi-
durchschnittlich 50 o/o des Ausgangsniveaus senkt. kos führt, ist z. Z. noch nicht zu beantworten.

Tabelle 11-10. Medikamente für die Therapie des M. Paget des Skeletts

Medikament Anwendung, Dauer

ln Deutschland zugelassen Kalzitoni ne 100 I. E./Tag s.c. über 3-6 (selten 12) Monate evtl. Do is-
(Cibacalci n, Karil, Cal yna r) reduzierung nach 3 Mona ten auf 3-mal 100 I. E. pro Woche

Etidronat (D iphos) 5 mglkg Körpergewicht täglich p.o. über 6- 12 Monate

Tiludronat (Skelid) 400 mg tgl. p.o. über 3 Mo nate

Pamidronat (Ared ia) 30-60 mg an 1-3 Tagen über 4-6 Stunden i. v.

och nicht zugelassen Clodronat (Ostac) 800- 1600 mg/Tag p.o. über 6 Mona te
478 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Die Knochen sind verdichtet, aber dennoch fragil. Es


11.5
besteht eine verstärkte Infektions- und Blutungsnei-
Osteopetrose gung. Das Knochenmark ist mit Osteoidasten über-
füllt, und die Knochenmarksfunktion ist beeinträch-
11.5.1
tigt. Myelophthise, Hypersplenismus und Hämolyse
Epidemiologie sind die Folge. Ein Hydrozephalus kann sich entwik-
keln. Im ersten Lebensjahrzehnt sind typische To-
Die Marmorknochenkrankheit oder Osteopetrose desursachen:
ist eine seltene Osteopathie. Seit der Erstbeschrei-
• Hämorrhagie,
bung durch Albers-Schönberg {1904) übersteigt
• Anämie,
die Zahl der Fallbeschreibungen gerade 300. Die
• Pneumonie und
hauptsächlichen Varianten sind e Sepsis.
e die maligne infantile Form mit autosomal-rezes-
sivem Erbgang,
• Erwachsenenform. Die Symptome und Beschwer-
• und die benigne Erwachsenenform mit autoso- den der Erwachsenenform sind wesentlich milder
mal-dominantem Erbgang. ausgeprägt als die der malignen kindlichen Form.
• Daneben wurde eine autosomal-rezessive inter- Häufig ist die Diagnosestellung eine zufällige, bei-
mediäre Form beschrieben. spielsweise im Zusammenhang mit einem Skelett-
röntgen bei Traumen. Neben völlig asymptomati-
Neben diese Osteopetrose im engeren Sinne, treten schen Fällen finden sich solche mit milder Ausprä-
seltene Varianten einer generalisierten Osteoiderose
gung der Symptome wie
(s. Differentialdiagnose), die nicht immer scharf ab-
• Nervenstörungen des Facialis, Statoacusticus,
zugrenzen sind. Opticus,
• Karpaltunnelsyndrom und
e Osteomyelitis der Mandibula.
11.5.2
Pathogenese Selten sind Folgen einer Markverdrängung.

Der Osteopetrose liegt ein Osteoidastendefekt zu- • Intermediäre Form. Diese zeigt das Bild der ma-
grunde. Er scheint in der Stammzelle selbst angelegt lignen kindlichen Form ebenso wie der Erwachse-
zu sein. Daneben werden aber auch Defekte der nenform in abgeschwächter Ausprägung. Klein-
Knochenmatrix bzw. des periosteoklastären Milieus wuchs und Frakturen (trotz Osteosklerose) sind
diskutiert. Eine Genidentifizierung im Autosomen- häufig.
satz ist noch nicht gelungen. Weitere Diskussionen
betreffen ein abnormales PTH oder andere osteoly-
tische Faktoren. Lediglich bei der Osteopetroseva- 11.5.4
riante, die mit renaltubulärer Azidose und zerebra- Diagnostik
len Verkalkungen einhergeht, wurde als Defekt eine
Insuffizienz der Carboanhydrase II identifiziert. • Infantile Form. Die Diagnosestellung der kindli-
chen Form ergibt sich aus den klinischen Befunden
und den Röntgenbildern der allgemeinen Osteoskle-
rose. Eine charakteristisches Laborspektrum gibt es
11.5.3 nicht. Die Knochenhistologie ergibt einen Über-
Klinik schuss an Osteoidasten ohne ihre typischen Aktivi-
tätszeichen wie Bürstensaum und Lakunenbildung.
Symptome und Befunde
• Infantile Form. Bei der malignen kindlichen • Erwachsenenform. Bei der Erwachsenenform
Form zeigen sich bereits im Kleinkindesalter Störun- kann die Osteoidastenzahl auch normal oder sogar
gen: reduziert sein, charakteristisch ist das Fehlen des
• der Hirnnerven (Opticus, Oculomotorius, Facia- Bürstensaums. Das Osteoid ist vermehrt. Beim
lis), Erwachsenen fällt nicht selten eine erhöhte Kno-
• der Atmung und chendichte auf, als deren Ursache sich dann beim
• des Schluckens Nachröntgen die Diagnose ergibt. In dem in der
infolge von Entwicklungsstörungen der Schädel- Abb. ll-20 wiedergegebenen milden Fall zeigt sich
knochen bedingt durch eine insuffiziente Osteo- z. B. eine Doppelkontur der Grund- und Deckplat-
Idastenfunktion der Knochenresorption. ten in Verbindung mit einem höheren Mineralisati-
11.6 Ausgewählte seltene metabolische Osteopathien 479

11.5.6
Therapie

• Infantile Form. Bei der infantilen Form ist ver-


schiedentlich eine Knochenmarkstransplantation
versucht worden. Transplantierte Osteoblasten des
Spenders konnten beim empfangenden Kind nach-
gewiesen werden. Von einer Standardtherapie kann
jedoch nicht gesprochen werden. Letztlich unbefrie-
digende Therapieversuche erfolgten mit Langzeiti-
nfusionen von PTH und hohen Dosen von Kalzitriol.
Palliative Effekte bei Panzytopenie entfaltet eine
hochdosierte Glucocorticoidtherapie.

• Erwachsenenform. Bei der milden Erwachsenen-


form besteht in der Regel kein Grund, eine eingrei-
fende Therapie wie die Knochenmarkstransplantati-
on durchzuführen. Eine kalziumarme Diät wurde
mit dem Ziel einer Verminderung der Osteosklerose
Abb.ll-20. Wirbelsäulenröntgenbild bei Osteopetrose mit versucht. Berichtet wurde über den empirischen
Manifestation im Erwachsenenalter. Der Knochen imponiert Einsatz von rekombinantem humanem Interferon y.
stärker mineralisiert-Verdichtungszonen finden sich parallel
zu den Grund- und Deckplatten

onsgrad. Auch beim Erwachsenen gibt es keine ab- 11.6


weichenden Laborparameter des Kalzium- und Ausgewählte seltene
Knochenstoffwechsels. metabolische Osteopathien

11.6.1
11.5.5 Osteogenesis imperfecta
Differentialdiagnose
Pathogenese
Tabelle 11-11 zählt generalisierte Osteosklerosen Das Syndrom der Osteogenesis imperfecta zerfällt in
auf, die eine erhöhte Knochendichte aufweisen 4 klinische Typen, bei denen in teils autosomal-do-
und mit einer Osteopetrose verwechselt werden minantem, teils autosomal-rezessivem Erbgang un-
können. Bei der Seltenheit der Krankheitsbilder terschiedliche Defekte im Typ-I-Kollagen nachge-
empfiehlt sich die Konsultation einer Spezialabtei- wiesen sind. Neben der verminderten Produktion
lung. von Typ-I-Prokollagen finden sich unterschiedliche
Punktmutationen und Substitutionen, die die Fibril-
lenverflechtung in unterschiedlicher Weise er-
Tabelle 11-11. Relevante Formen generalisierter Osteosklero- schweren. Das Resultat ist eine minderwertige Kno-
sen chengrundsubstanz unterschiedlicher Schweregrade
mit klinischen Folgen. Zum Teil ist auch die Zahn-
Kategorie Formen
bildung betroffen (Dentinogenesis imperfecta).
Hereditär Osteopetrose (Marmorknochen-
krankheit) Albers- chönberg
Einteilung und Klinik
Metabolisch Carboandrasemangel Typ II Klinisch bedeutsam sind die folgenden Osteogene-
sis-imperfecta- (OI-) Typen:
(Para)- eoplastisch Myelofibrose
• OI-Typ-I ist auffällig durch die blauen Skleren,
Ma tozyto e (Piu -Variante) Schwerhörigkeit bei etwa 50 %. Deformitäten fin-
den sich nicht, die Körpergröße ist normal. Die
Iatrogen bzw. geo- Fluorose (Fiuorido e)
graphi ch-endemi eh Brüchigkeit der Knochen bei geringen Traumen
ist mit günstigem Resultat behandelbar.
Endokrin Hyperparathyreoidismus
(Plus-Variante) • Patienten mit OI-Typ-li versterben zumeist schon
wenige Tage postnatal. Frakturen entstehen be-
480 KAPITEL II Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen

Knochendichte durchgeführt, ohne dass aus den we-


nigen Fällen verlässliche Aussagen hinsichtlich der
Stabilität möglich wären (Durchführung und Dosie-
rung siehe Abschnitt Osteoporose, S. 462).

11.6.2
McCune-Aibright-Syndrom

Pathogenese und Klinik


Beim McCune-Albright-Syndrom liegen Hormon-
störungen (Pubertas praecox und andere) in Verb in-
dung mit einer fibrösen Dysplasie vor. Die übergeord-
nete Störung ist eine aktivierende Mutation im Gsa-
Protein der betroffenen Organe. Im Endokrinium
Abb.ll-21. Röntgenbild bei Osteogenesis imperfecta Typ III:
Bei dem 14 Jahre alten Jungen sind die Beinknochen extrem kann der Defekt das Ovar betreffen, sodass eine au-
verformt und nicht tragfähig tonome infantile Östrogenproduktion zur Pubertas
praecox führt. Autonome Überfunktionszuständen
können auch von der Hypophyse ausgehen (Hyper-
prolaktinämie, Hypersomatotropismus). "Cafe-au-
reits intrauterin. Die Todesursache ist zumeist die
lait-Flecken" können eine kutane Manifestation
respiratorische Insuffizienz.
sein. Im Knochen hat die Gsa-Protein-Mutation in
• Bei 01-Typ-III entwickeln sich bereits in den kind-
den betroffenen Arealen zur Folge, dass sich die
lichen Wachstumsjahren schwere Verformungen
Osteoblasten nicht voll differenzieren. Hieraus resul-
mit zahlreichen Frakturen. Minderwuchs und
tieren zystisch fibrotische Umbauten von Schädel-
Gehunfähigkeit sind die Regel (Abb. 11-21). Den-
knochen, Schulter- und Armknochen, auch Becken-
tinogenesis imperfecta und Schwerhörigkeit fin-
knochen und Femur. Eine Einseitigkeit ist häufig.
den sich häufig, blaue Skleren gelegentlich.
• Bei OI-Typ-IV sind die Skleren normal, die Kno-
chenveränderungen milde, verminderte Körper- Diagnostik
größe kommt vor. Häufig wird eine Dentinogene- Die Diagnose wird zum Teil über die Endokrinopa-
sis imperfecta gesehen, gelegentlich Schwerhörig- thie, zum Teil über die Knochenmanifestation ge-
keit. stellt. Die Kombination ist pathognomonisch. Das
Labor zeigt eine Umbaubeschleunigung anband
der erhöhten Marker.
Diagnostik
Die Diagnosestellung ergibt sich aus Klinik und
Röntgenbild. Das Laborspektrum ist unauffällig. Er- Therapie
höhte Knochenumbauparameter sind in der Regel Neben die orthopädische Therapie ist ein Versuch
frakturbezogen. Auch die Knochenhistologie ist mit Bisphosphonaten begründet, bevorzugt Pami-
nicht unbedingt pathognomonisch: Im polarisierten dronat.
Licht sind die Kollagenfasern desorganisiert und ab-
norm dünn. Zeichen eines erhöhten Umbaus kön-
nen vorhanden sein. Eine molekulargenetische Ana-
11.6.3
lyse des jeweiligen Defektes ist von akademischem
Hypophosphatasie
Interesse und ohne Konsequenz für Therapieversu-
che.
Pathogenese
Bei dieser autosomal-rezessiv vererbten Störung
Therapie liegt ein Mangel der Aktivität der alkalischen Phos-
Behandlungsmaßnahmen sind pnmar orthopä- phatase in Leber, Knochen und Niere, nicht jedoch
disch-rehabilitativ. An Medikamenten wurden Ka- im Intestinum oder in der Plazenta vor. Missense
techine und Kalzitonine versucht, ohne dass der Mutationen des TNS-Isoenzyms der alkalischen
Wirksamkeitsbeweis eindeutig war. Bisphosphonate Phosphatase sind beschrieben. Infolge einer Abbau-
können versucht werden. Bei Patienten mit OI-Typ- störung sammelt sich anorganisches Pyrophosphat
III und -I haben wir im Erwachsenenalter in Einzel- vor allem im Knochen an, wodurch es zur Minera-
fällen eine Fluoridtherapie mit Vermehrung der lisationshemmung kommt.
11.6 Ausgewählte seltene metabolische Osteopathien 481

Klinik Ziegler R (1995) Der Knochen und seine Erkrankungen, Teil I-


VI. Dtsch Med Wochensehr 120: 531-532, 571-572,
Bei der Hypophosphatasie kommen unterschiedli- 1091-1092, 1251-1252, 1367-1368, 1445-1446
che Schweregrade vor. Ausgeprägte Defekte führen Ziegler R, Scheidt-Nave C, ScharlaS (1995) Pathophysiology of
zum kindlichen Bild einer Rachitis, mildere Formen osteoporosis: unresolved problems and new insights. J
manifestieren sich im Erwachsenenalter als Osteo- Nutr 125 : 2033S-2037S
malazie.

Diagnostik Literatur zu Abschn. 77.2


Bei der klinischen Untersuchung und im Röntgen
sind zunächst keine Verdachtsmomente zu erheben, Adachi JD (1997) Corticosteroid-induced osteoporosis. Am J
Med Sei 313: 41-49
dass es sich nicht um eine "banale" Rachitis bzw. Black DM, Cummings SR, KarpfDB et al. (1996) Randomised
Osteomalazie handelt. Ausschlaggebend ist bei La- trial of effect of alendronate on risk of fracture in women
bordiagnostik der Befund der erniedrigten alkali- with existing vertebral fractures. Lancet 348: 1535-1541
Chapuy MC, Arlot ME, Delmas PD, Meunier PJ (1994) Effect of
schen Phosphatase. Kalzium und Phosphat sind calcium and cholecalciferol treatment for three years on
im Serum normal. Im Urin kann einer Hyperkalziu- hip fractures in elderly women. BMJ 308: 1081-1082
rie vorliegen. Hyperphosphatämie kommt vor. Der Civitelli R, Connelli S, Zacchei Fetal. (1988) Bone turnover in
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Phosphoethanolamin im Urin unterstützt die Dia- Cummings SR, Black DM, Nevitt MC, et al. ( 1993) Bone density
gnose, ist jedoch nicht spezifisch. Ein sensitiver Mar- at various sites for prediction of hip fractures. Lancet
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ker der Erkrankung ist ein erhöhter Blutspiegel des Dawson-Hughes B, Harris SS, Krall EA, Dallal GE (1997) Effect
Pyridoxal-5'-Phosphats (PLP) im Blut. Bei dieser of calcium and vitamin D supplementation on bone den-
Untersuchung sollte keine Vitamin-B 6 -Supplemen- sity in men and women 65 years of age or older. N Eng! J
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tierung vorausgegangen sein. Erdtsieck RJ, Pols HAP, Kuijk CV et al. (1994) Course ofbone
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Therapie J Bone Miner Res 9: 277-283
Eine Standardtherapie steht nicht zur Verfügung. Ei- Ettinger B, Genant HK, Cann CE (1985) Long-term estrogen
replacement therapy prevents hone loss and fractures.
gene Versuche einer Fluoridtherapie waren nicht Ann Intern Med 102: 319-324
überzeugend. Versuche mit Bisphosphonaten sind Farley JR, Tarbaux NM, HallSLet al.(1988) Evidence that fluo-
im Gange. Die Therapieoptionen üblicher Medika- ride-stimulated 3 [H] thymidine incorporation in embryo-
nie chick calvarial cell cultures is dependent on the pre-
mente für kalzipenische und phosphopenische Ra- sence of a hone cell mitogen, sensitive to changes in the
chitis/Osteomalazie (Kalzium, Phosphat, Kalzidiol, phosphate concentration, and modulated by systemic
Kalzitriol) sind wirkungslos oder sogar ungünstig: skeletal effectors. Metabolism 37 : 988-995
Farrerons J, Rodriguez de Ia Serna A, Gua[ntilde]abens N et al.
Vitamin-D-Substanzen können die Tendenzen zur (1997) Sodium fluoride treatment is a major protector
Hyperkalziurie und Hyperkalziämie verstärken, against vertebral and nonvertebral fractures when compa-
ohne den Knochen qualitativ zu bessern. red with other common treatments of osteoporosis: a lon-
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TEIL IV Endokrinologie
und Blutdruckregulation
KAPITEL 12

Renin-Angiotensin-Aidosteron 12
P. HEILMANN

12. 1 Physiologie 485 in der Zelle de novo hergestellt oder über LDL-Re-
12.1.1 Synthese 485
12.1.2 Regulation 487
zeptoren aus Lipoproteinen (LDL-Cholesterin) in
12.1.3 Ren in-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) 488 die Zelle aufgenommen wird. Der Syntheseweg ist
12.1.4 Einfluss auf die Zielzelle 491 in Abb. 12-1 dargestellt. Limitierender Schritt ist
12.1.5 Pathophysiologie 493
die Abspaltung der Seitenkette an C-Atom 20 durch
Verminderte Produktion 494 ein Cytochrom-P450-Enzym (P450scc; "cholesterol
12.2 Hypoaldosteronismus 494 side chain cleavage enzyme). Das entstehende Preg-
12.2.1 Fallpräsentation 494
12.2.2 Epidemiologie 494
nenolon ist Ausgangsstereid für die weitere Syn-
12.2.3 Pathogenese 494 these der Gluco- und Mineralocorticoide. Beteiligt
12.2.4 Klinik 496 sind dabei insgesamt 4 Cytochrom-P450-Enzyme
12.2.5 Diagnostik 497
12.2.6 Differentialdiagnostik 498
und die 3 ß-Hydroxysteroiddehydrogenase (3ß-
12.2.7 Therapie 499 HSD).
Vermehrte Produktion 500
Syntheseort des Aldosterons ist die Zona glome-
12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 500
rulosa der ebenniere, Syntheseort des Cortisols die
12.3.1 Fallpräsentation 500 Zona fascic ulata. Die Synthese von Aldosteron wird
12.3.2 Ep idemiologie 501 auch für andere Organe, z. B. das Gehirn, angenom-
12.3.3 Pathogenese 501 men. Die Bedeutung dieser extraadrenalen Minera-
12.3.4 Klinik 503
12.3.5 Diagnostik 503 locorticoidsynthese ist aber noch nicht abschließend
12.3.6 Diffe rentialdiagnose 509 geklärt. Der erste Schritt der Stereidsynthese läuft in
12.3.7 Therapie 510
12.3.8 otfall 514
den Mitochondrien ab, an deren innerer Membran
P450scc lokalisiert ist. Der Transport des Choleste-
12.4 Sekundärer Hyperaldosteroni smus 514
12.4.1 Fallpräsentation 514
rols in die Mitochondrien wird durch ein erst in den
12.4.2 Epidemiologie 515 letzten Jahren charakterisiertes Protein (StAR-Pro-
12.4.3 Pathogenese 515 tein, "Steroidogenic Acute Regulatory Protein") ver-
12.4.4 Klinik 516
12.4.5 Diagnostik 516
mittelt, das für die Regulation der Steroidsynthese
12.4.6 Differentialdiagnose 517 ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist. Das ge-
12.4.7 Therapie 518 bildete Pregnenolon wandert in das endoplasmati-
Literatur 518 sche Retikulum, wo die weiteren Hydroxylierungs-
schritte ablaufen . DOC bzw. 11 -Desoxycortisol wer-
den wieder in den Mitochondrien, wo die 11 ß-Hy-
droxylase und die Aldosteronsynthetase lokalisiert
12.1 sind, weiter metabolisiert.
Physiologie Drei Enzymsysteme sollen hier hervorgehoben
werden, da sie die wesentlichen Unterschiede zwi-
12.1 .1 schen Zona fascicu lata und Zona glomerulosa aus-
Synthese machen.

Die Synthese der Stereidhormone erfolgt in den e-


bennieren, den Ovarien, den Hoden und der Plazen- 17a-Hydroxylase-Syntheseweg
ta. Sie ist in diesen Organen prinzipiell gleich, Unter- Der 17-Hydroxy-Syntheseweg (Abb. 12-1) über 17-
schiede in den Enzymexpressionen begründen je- 0H-Pregnenolon und 17-0H-Progesteron ist auf
doch die Unterschiede in der Stereidproduktion die Zona fasciculata beschränkt, weil das Schlüssel-
der einzelnen Organe und Organbereiche. Steroide enzym, die 17a-Hydroxylase (P450c17) nur dort vor-
werden aus Cholesterin synthetisiert, das entweder kommt.
486 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

P450scc: . Side chain cleavage enzyme·


P450c11ß: 11 ß-Hydrocylase
P450c1 lAS: Aldosteronsynthetase
P450c17: 17 o:- Hydroxylase
P450c21: 21-Hydroxylase
3ß -HSD: 3ß -Hydroxysteroiddehydrogenase/
HO Cholesterol 4,5- Isomerase

P450scc!

P450c17

17-0H-Preg-
HO Pregnenolon HO ne nolon

3ß -HSD! 3ß-HSD
! CH 3
I
C=O
P450c17 CH3 OH

17-0H-Pro-
0 Progesteron 0 gesteron

P450c2 1! ! P450c21
HCOH
I
C=O
CH 3 OH
P450c11ß

11-Deoxy- 11-Deoxy-
0 corticosteron 0 cortisol

P450c11AS!

Abb.l2-L Syntheseweg der Glucocorticoide und Mineralocorticoide. 17-Hydroxy-Syntheseweg, 17-Deoxy-Syntheseweg

17-Desoxy-Syntheseweg lata vor. Eine geringe Expression der llß-Hydroxy-


In der Zona glomerulosa wird ausschließlich der lase auch in der Zona glomerulosa wird wider-
17-Deoxy-Syntheseweg (Abb. 12-1) über Pregneno- sprüchlich diskutiert. Sie katalysiert die Hydroxylie-
lon und Progesteron mit anschließender Hydroxy- rung an C11 (DOC ~ Corticosteron) oder an C18
lierung an C21 zu 11-Desoxycorticosteron (DOC) (DOC ~ 18-0H-DOC).
beschritten. DOC, das auch in der Zona fasciculata
gebildet wird, ist bereits mineralocorticoid wirksam.
• Aldosteron-Synthetase. Die Aldosteron-Synthe-
tase (CYP11B2, P450cllAS) liegt in der Zona glome-
11 P-Hydroxylase/Aidosteronsynthetase-Syntheseweg rulosa vor. Sie besitzt zusätzlich zur llß-Hydroxy-
• 11~-Hydroxylase.Die llß-Hydroxylase(CYP11Bl, lase- und 18-Hydroxylaseaktivität eine 18-0H-Ste-
P450cllß) kommt vorwiegend in der Zona fascicu- roid-Dehydrogenase-Aktivität. Dies ermöglicht die
12.1 Physiologie 487

Tabelle 12-1. Charakteristika der wesentlichen an der Steroidsynthese beteiligten Enzyme

Enzym Name Gen/-lokus auf Expression Lokalisation


Chromosom Nr.

P450scc Side-Chain-Cleavage- 15 Z. fa ciculata Innere Membran der Mitochondrien


Enzyme Z. glomerulo a

P450cl7 17a-Hydroxylase CYP17/15 Z. fasciculata Endopla matisches Retikulum

P450c2 1 21 -Hydroxylase CYP21/6p Z. fasciculata Endoplasmatisches Retikulum


Z. glomeruJosa

P450cllß llß-Hydroxylase CYPllBI/Sq Z. fasciculata Mitochondrien

P450ci!AS Aldosteronsynthetase CYP11B2/8q Z. glomerulosa Mitochondrien

3ß-HSD 3ß-Hydroxysteroid- lq Z. fascicu lata Endopla mati ches Retikulum


Dehydrogena e/ Z. glomerulosa
..:\.4,5-lsomerase

Katalysierung der Hydroxylierungsschritte an C11


12.1.2
und C18 zu Corticosteron, 18-0H-Corticosteron
Regulation
und schließlich zu Aldosteron. Somit ist die Syn-
these von Aldosteron nur in der Zona glomerulosa
Synthese
möglich.
Die Synthese von Aldosteron unterliegt der Regula-
tion durch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-
Die wesentlichen Unterschiede der beiden oben ge-
System, durch die Serumnatrium- sowie durch die
nannten Enzyme sind in Abb. 12-2 bzw. Tabelle 12-2
Kaliumkonzentration (Abb. 12-3). Kortikotropin
dargestellt.
(ACTH) stimuliert kurzfristig ebenfalls die Aldoste-
Ein weiterer wichtiger Unterschied ist die Regu-
ronsynthese, dieser Effekt scheint aber von unterge-
lation dieser Enzyme: Die llß-Hydroxylase wird
ordneter Bedeutung zu sein.
durch ACTH, die Aldosteronsynthetase durch Renin
Ein Verlust an Natrium führt zur Stimulation von
reguliert.
Renin und über die Angiotensinogen --* Angio-
tensin I --* Angiotensin-11-Kaskade zur Stimulation
der Aldosteronsynthese. Dieser Effekt wird über
einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor der Zellen
der Zona glomerulosa vermittelt. Dabei wird die
Phospholipase C aktiviert, welche Phosphatidylino-

Zona fasciculata Zona glomerulosa

'
t t

118-0H-DOC I .....
'
t
-. CYPllBl: llß-Hydroxylase
•••• • CYPl l 82: Aldosteronsyn thetase

Abb.l2-2. Vereinfachte Darstellung der Metabolisierungsschritte in der Zona fasciculata und Zona glomerulosa der Neben-
niere durch die CYPll-Bl - und -B2-Enzymvarianten
488 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

Tabelle 12-2. Charakteristika der beiden Varianten der 11-Hydroxylase

El11ym Expression in Steuerung durch Funktion

CYP II BI Zona fascicu lata ACTH iiß-Hydroxylierung


P450cllß und oder
I lß-Hydroxylase Zona glomerulosa 18-Hydroxylierung

CYPI1B2 Zona glomerulosa Ren in I I ß-Hydroxylierung


P450c l lAS und
Aldostero nynthetase 18-Hydroxylierung
und
18-Hydroxysteroiddehydro-
genierung

ACTI-1 Plasmabindung

J
(chronisch ) [Na+]. Plasma-
-', ( volumen - - , Orthostase
Aldosteron wird, ganz im Gegensatz zu Cortisol, nur

~ ,--,, ~ ~ ~
[K+)Aldosteron - [Na+ )-
.i
R .
schwach an das Kortikosteroid bindende Globulin
(CBG) gebunden. Der größere Teil wird an Albumin
gebunden im Serum transportiert. Das freie Aldoste-
~ Synthese Mangel ---+ enln

ACTH ) (~~g~::__AogO- j
ron macht ca. 30-50 o/o aus. Das Cortisolliegt zu etwa
5-10 o/o frei im Serum vor. Dies erklärt auch die kür-
(akut) tensin II tensin I
zere Halbwertszeit von Aldosteron von ca. 15-20
min. Die tägliche Aldosteronsekretion liegt zwischen
- - . St imulation, Steigerung 50 und 250 mg bei normaler Kochsalzaufnahme
- - .,.. Hemmung, Senkung
(8-12 g/Tag). DOC wird in vergleichbarer Menge se-
Abb. 12-3. Regulation der Aldosteronproduktion zerniert, wird aber ähnlich wie Cortisol zu 90-95 o/o
an CBG gebunden. Seine Affinität zum Mineralocor-
ticoidrezeptor (MR) ist gleich hoch. Da Aldosteron
zu einem höheren Anteil ungebunden vorliegt, hat
sitoldiphosphat spaltet. Das gebildete Inositoltri- es die größere Bedeutung bezüglich der mineralo-
phosphat und Diacylglycerat führen über eine Stei- corticoiden Wirksamkeit.
gerung des intrazellulären Kalziums zu einer Stimu-
lation der Aldosteronsynthese.
Pressorezeptoren im Karotissinus vermitteln Abbau
durch Umstellung des Sympathikus eine Steigerung Der Abbau von Aldosteron zu Tetrahydroaldosteron
des renalen Sympathikotonus. Auf diesem Wege erfolgt sehr rasch in der Leber. Ein weiterer Anteil
führt bereits Orthostase zu einer mehrfachen Steige- (5-10 %) wird in der Niere zu Aldosteron-18-Glucu-
rung der Reninproduktion, ein Umstand, der beim ronid abgebaut und über den Harn ausgeschieden.
Orthostasetest genutzt wird. Die Ausscheidung freien Aldosterons im Urin ist nur
Auf welchem Wege Kalium zu einer Steigerung sehr gering. DOC wird über die gleichen Wege ab-
der Aldosteronsekretion führt, ist nicht vollständig gebaut (Tetrahydro-DOC, DOC-Glucuronid); freies
geklärt. Wahrscheinlich sind hierbei Membraodepo- DOC im Urin ist praktisch nicht nachweisbar.
larisierungen mit anschließendem Influx von Kal-
zium durch polarisationsgesteuerte Kanäle von Be-
deutung. 12.1.3
Die Stimulation von Aldosteron durch ACTH Renin-Angiotensin-Aidosteron-System (RAAS)
spielt eine untergeordnete Rolle, wurde aber zur Un-
terscheidung einer primären und sekundären NN- Bereits 1898 isolierten Tigerstedt u. Bergmann eine
Insuffizienz herangezogen. Während bei der primä- Substanz aus Kaninchennieren, die zu einer Steige-
ren Insuffizienz weder Cortisol noch Aldosteron auf rung des Blutdrucks führte und von ihnen als Renin
ACTH reagieren, ist bei der sekundären NN-Insuf- bezeichnet wurde. 1934 beschrieb Goldblatt, dass
fizienz die Aldosteronproduktion erhalten und rea- eine Reduktion des Blutflusses in der Niere zu einem
giert auf eine ACTH-Stimulation. Anstieg des Blutdrucks führt und wies damit auf die
Bedeutung der Niere für die Entwicklung eines ar-
teriellen Hypertonus hin. Heute weiß man, dass
hierbei das RAAS die zentrale Rolle spielt.
12.1 Physiologie 489

Ren in tensin II durch das Angiotensin Converting Enzy-


Renin ist ein Glykoprotein mit proteolytischer Akti- me (ACE; Abb. 12-5). Weitere Derivate mit unter-
vität und einem Molekulargewicht von ca. 40.000. Es schiedlichen Teilsequenzen wurden beschrieben
wird in der Niere aus seiner Vorstufe, dem Prorenin, (Abb. 12-6), deren Bedeutung ist aber noch nicht ab-
gebildet. Die Niere sezerniert sowohl Prorenin als schließend geklärt.
auch Renin, es ist aber bislang noch unklar, inwie-
weit eine extrarenale Umwandlung von Prorenin in • Angiotensin II. Die Wirkungen von Angioten-
Renin für die Regulation des RAAS relevant ist. Syn- sin II sind vielfältig (Tabelle 12-3). Durch die Stimu-
theseort sind die juxtaglomerulären Zellen des Vas lation der Aldosteronsynthese in der Nebenniere
afferens des Glomerulums (Abb. 12-4). Die juxta- wird die Natrium- und Volumenretention gesteigert.
glomerulären Zellen wirken als Druckrezeptoren. Gleichsinnige Effekte werden auf die Niere ausgeübt.
Bei einem Nierenperfusionsdruck unterhalb von Durch Konstriktion der Vasa efferentes wird eine
85 mmHg steigt die Reninproduktion steil an. Ge- ausreichende glomeruläre Filtration aufrecht erhal-
drosselt wird die Reninsekretion durch die Wirkung ten, während der Abfall des perikapillären hydrosta-
des Angiotensin II sowie durch die über das RAAS tischen Drucks ebenfalls eine Verbesserung der
vermittelte Steigerung der Na+-Rückresorption und Reabsorption von Natrium und Wasser bewirkt. Da-
des Blutdrucks. neben hat es über die zentralnervösen Effekte und
über die Wirkung auf Herz, Gefäße und vegetatives
Nervensystem blutdrucksteigernde Effekte. Zusätz-
lich ist es ein wichtiger Modulator des Durstempfin-
dens.

Angiotensinrezeptoren
Mehrere Angiotensinrezeptorsubtypen sind be-
schrieben worden. Die Rezeptorsubtypen AT 1 und
AT 2 sind Polypeptide mit einer Aminosäurense-
quenz von 360 Aminosäuren, die die Zellmembran
7-mal durchtreten. Trotz ihrer vergleichbaren Affi-
nität zu Angiotensin haben sie eine Homologie
von nur ca. 30%. Das Gen für den AT 1-Rezeptor
liegt auf Chromosom 3, das für den AirRezeptor
Proximaler Tubulus auf dem x-Chromosom. Die größte Bedeutung hat
Abb. 12-4. Der juxtaglomeruläre Apparat der AT 1-Rezeptor, der in den meisten Geweben vor-
kommt. Die Signaltransduktion an diesem Rezeptor
läuft über die Dissoziation einer Untereinheit eines
Angiotensinogen Guanidinnukleotid-bindenden Proteins (Gq/11), was
Angiotensinogen ist ein arGlobulin, das in der Le- über eine Phospholipase C vermittelte Bildung von
ber gebildet wird. Es hat ein Molekulargewicht von Diacylglycerol und Inositoltriphosphat zu einer Stei-
ca 60.000. Im Serum liegt es in weitgehend konstan- gerung der Freisetzung von intrazellulärem Kalzium
ter Konzentration (ca. 1 ~-tmol/1) vor. Dabei ist die wie auch des Kalziuminflux führt. Über die anderen
Konzentration niedriger, als es der maximalen Ka- Rezeptorsubtypen ist nur wenig bekannt. Angioten-
pazität der Reaktion zur Umwandlung durch Renin sin II wird am AT 1- und AT r Rezeptor wirksam, aber
entspricht. Dies bedeutet, dass eine gesteigerte Pro- auch hier spielt der AT 1-Subtyp die größere Rolle.
duktion, z. B. durch Glucocorticoide oder Östroge- Angiotensin II führt zu einer Down-Regulation
ne, zu einer Steigerung der Konzentration der An- des AT 1- und AT r Rezeptors. Diese erfolgt für den
giotensinderivate führt. Dieser Effekt könnte zu AT 1- Rezeptor vorwiegend durch Internalisierung
der Ödemneigung unter Östrogeneinnahme beitra- des Rezeptors in die Zelle, die durch die Okkupation
gen. des Rezeptors eingeleitet wird. Die Down-Regula-
tion des AT 2- Rezeptors folgt einer langsameren Ki-
Angiotensinderivate netik und basiert auf einer Änderung der Stabilität
Angiotensinderivate sind Peptidhormone, die aus der mRNA. Die Wirkungen von Angiotensin II sind
Angiotensinogen gebildet werden. Der klassische in Tabelle 12-3 zusammengefasst.
Aktivierungsweg beinhaltet die Aktivierung von An-
giotensinogen zu Angiotensin I durch Renin sowie
die Umwandlung von Angiotensin I zu Angio-
490 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

Angiotensinogen

Angiotensin I

AT 2 - Rezeptorantagonisten
z.B. Saralasin

- ATrRezeptor

Angiotensinasen

Peptidfragmente
Abb.l2-5. Renin-Angiotensin-Aidosteron- ystem

Ang iotensin I

-
Angiotensin II

~
-
Angiotensin 111

~
- ~
-
Angiotensin IV

~
Ang iotensinogenderivat Wirksam an

Abb. 12-6. Derivate des Angiotensin I und ihre Rezeptoren


12.1 Physiologie 491

Tabelle 12-3. Wirkungen von Angiotensin II

Organ Wirkung

ebenniere Stimulation der Aldo teron ekretion

Zona glomerulosa Down-Regulation der AT 1- und Air Rezeptoren

iere Hemmung der Frei etzung von Renin

teigerung der tubulären atriumabsorption

Va okonstriktion, Vas efferens > Va afferen

teigerung der Freisetzung von Pro tagtandinen

Herz teigerung der Kontraktilität

teigerung der Ventrikelhypertrophie und Myokardfibrose

Gehirn Beeinflu sung des Durstempfindens

Steigerung des Salzhungers

teigerung der Freisetzung von Vasopressin

teigerung der ACTH - ekretion

teigerung des Blutdrucks

Vegetatives Nervensystem teigerung der Adrenalinfrei etzung

Steigerung de zentralen Sympathiku

teigerung der peripheren Signaltransduktion

Arterien teigerung der Kontraktilität

teigerung der Proliferation

Angiotensin Converting Enzyme (ACE) eine Steigerung der Zahl der Kanäle und durch
ACE ist eine Carboxypeptidase, ein Glykoprotein eine Verlängerung der Kanalöffnungszeit erreicht.
mit einem Molekulargewicht von 130.000-160.000, Andererseits steigert Aldosteron die Synthese der
das ubiquitär und vor allem in der Plasmamembran in derbasolateralen Membran der Zellen lokalisier-
vaskulärer Endothelzellen lokalisiert ist. Seine Akti- ten Na/K-ATPase. Diese erhält durch aktiven Trans-
vität ist in der Lunge besonders hoch. Es spaltet eine port von Natriumionen im Austausch gegen Kali-
Reihe von Substraten, u. a. Bradykinin, Enkephaline um- oder Wasserstoffionen einen elektromechani-
und Substanz P. Die Bildung von Angiotensin li ist schen Gradienten aufrecht, der für die passiven
offenbar auch über andere Wege möglich, die kein Diffusionsströme erforderlich ist (Abb. 12-7). Unbe-
ACE benötigen. dingte Voraussetzung für den Aldosteroneffekt ist
daher ein ausreichendes Natriumangebot

12.1.4 • Mineralocorticoidrezeptor. Aldosteron bindet an


Einfluss auf die Zielzelle einen intrazellulär gelegenen Rezeptor (Mineralo-
corticoidrezeptor-MR). Es handelt sich um ein Pro-
Die Mineralocorticoide regulieren den Austausch tein, das neben seiner Bindungsstelle für Aldosteron
von Kalium- und Wasserstoffionen gegen Natrium- eine Region mit hoher Affinität zu Nukleinsäuren
ionen im distalen Tubulus und den Sammetrohren besitzt (DNA binding domain). In hormonfreiem
der Niere. Sie bewirken eine gesteigerte Resorption Zustand ist der Rezeptor an Proteine assoziiert
von Natrium aus dem Urin bei gleichzeitig gesteiger- ("heat shock protein", hsp90). Durch Bindung des
ter Sekretion von Kalium- und Wasserstoffionen. Aldosterons erfolgt eine Konformitätsänderung,
Einerseits wird die passive Diffusion von Natrium- die zu einer Dissoziation des hsp90 führt und eine
ionen durch Natriumkanäle in der apikalen Mem- Steigerung der Affinität zur DNS bewirkt. Es bilden
bran der Tubuluszelle gesteigert. Dies wird durch sich Rezeptordimere und der Aldosteron-MR-Kom-
492 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

Na + plex wandert in den Zellkern. Dort bindet er an Nu-


kleinsäuresequenzen, so genannten hormonregula-

~
torischen Einheiten (HRE), wodurch die vermehrte
Transkription mineralocorticoidabhängiger Gene
bewirkt wird. Auch Cortisol kann mit vergleichbarer
Affinität an den MR binden, wird aber in den Ziel-
zellen der Niere durch die llß-Hydroxysteroid-De-
hydrogenase ( 11 ß-HSD) sehr schnell und effektiv zu
Cortison metabolisiert, das keine Bindungsaffinität
mehr zum MR hat. Durch diesen Mechanismus wird
eine mineralocorticoide Wirksamkeit von Cortisol
bei physiologischer Konzentration unterbunden
(Abb. 12-8). Eine Störung dieses Mechanismus führt
durch eine mineralocorticoide Wirkung von Corti-
sol zu einem scheinbaren Hyperaldosteronismus
Na/ K-A TPase
(Stimulation durch
(AME-Syndrom = "apparent mineralocorticoid ex-
Aldosteron) cess syndrome"). Angeborene Störungen wurden
Na -Kanäle beschrieben, als erworbene Form kann der Pseudo-
(Aktivierung durch
Aldosteron)
hyperaldosteronismus nach Lakritzabusus gelten.
Abb. 12-7. Natriumabsorption an der Nierentubuluszelle.
Die durch Aldosteron aktivierte Na/K-ATPase erhält den
• Weiterer membranständiger Rezeptor. Über die
für die passive Diffusion durch die aldosteronabhängigen Bindung an den MR wird der größte Teil der mine-
Na-Kanäle an der IuminaJen Membran erforderlichen Gra- ralocorticoiden Wirkungen erklärt. Daneben wer-
dienten aufrecht den ein zweiter membranständiger Rezeptor und
nichtgenomische Effekte des Aldosterons postuliert.

- -- llß-HSD

8==7\
MR Mineralocorticoidrezeptor
-
Cortisol
-
Cortison

Aldosteron

Abb.l2-8. Abschirmung des Mineralocorticoidrezeptors durch die llß-HSD


12.1 Physiologie 493

Hierfür spricht, dass einige Effekte der Mineralocor- • Aldosteron-escape-Phänomen. Nach ca. einer
ticoide schneller auftreten, als sie über eine Steige- Woche kommt es zum so genannten "aldoste-
rung der Gentranskription vermittelt werden könn- rone-escape", d. h. einer Aufhebung der Na+-retinie-
ten. Daneben sind viele dieser Effekte nicht durch renden Wirkung von Aldosteron. Hierbei spielt zum
Substanzen hemmbar, die mit dem MR interferieren einen eine Hemmung der Na/K-ATPase durch eine
oder eine Änderung der Transkription von Genen gesteigerte Ausschüttung von atrialem natriureti-
bewirken. Außerdem zeigen isolierte Präparationen schem Peptid (ANP) eine Rolle, zum anderen dessen
von Plasmamembranen mononukleärer Leukozyten direkte inhibierende Wirkung auf die Aldosteron-
eine spezifische Bindung von Aldosteron, nicht aber sekretion.
von Cortisol.
• Peripherer Gefäßwiderstand. Gleichzeitig bleibt
der Blutdruck durch den erhöhten peripheren Ge-
12.1.5 fäßwiderstand aber erhöht, der u. a. aus einem er-
Pathophysiologie höhten Tonus der glatten Gefäßmuskulatur resul-
tiert. Dies ist als Folge der veränderten Elektrolyt-
Für die Entstehung des Hypertonus bei einem Hy- gleichgewichte anzusehen (Abb. 12-9).
peraldosteronismus sind verschiedene Mechanis-
men verantwortlich (Abb. 12-9). • Zentralnervöse Aldosteronwirkung. Einen weite-
ren Faktor für die Genese des Hypertonus beim Hy-
• Periphere Aldosteronwirkung. Zunächst kommt peraldosteronismus stellen zentralnervöse Wirkun-
es durch die Wirkungen des Aldosterons zu einer gen des Aldosterons dar. Intrazerebroventrikuläre
Retention von Natrium und in dessen Gefolge Infusionen von Aldosteron führen bei Ratten zu
auch von H20. Die Volumenretention und der damit einem Hypertonus, wobei dieser Effekt nicht durch
verbundene Anstieg des Extrazellulärvolumens und Aldosteronantagonisten aufhebbar ist und bereits
des Plasmavolumens führen zu einem gesteigerten bei Konzentrationen auftritt, die peripher appliziert
Herzminutenvolumen. Ein zusätzlicher positiv-in- keinen Hypertonus induzieren.
otroper Effekt wurde beschrieben.

Aldosteron

Natrium- Volumen- Kal ium-


retention retention verlust

Positiv inotroper
Effekt

Steigerung des
Herzzeitvolumens

Zelluläre Na/ K- lmbalance Erhöhter Tonu s der


"Sodium -escape"
reduzierter Ca · Ausstrom glatten Gefäßmuskulatur

Abb. 12-9. Pathophysiologie der arteriellen Hypertonie beim Hyperaldosteronismus


494 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

Verminderte Produktion 12.2.2


Epidemiologie
12.2 • Primäre Nebenniereninsuffizienz. Sie tritt mit
Hypoaldosteronismus einer Inzidenz von ca. 5/100.000 sehr selten auf.
Häufigste Ursache war früher die Tuberkulose der
12.2.1 Nebenniere. Mit Abnahme der Tuberkulose in den
Fallpräsentation letzten Jahrzehnten ist auch ihre Bedeutung für
die Nebenniereninsuffizienz zurückgegangen und
Eine 27-jährige Patientin wurde vom Notarzt liegt nur noch bei ca. 20%. Häufigste Ursache ist
eingewiesen. Die Patientin war verwirrt, es be- heute die Autoimmunadrenalitis mit ca. 80 %. Die
stand eine deutliche Ex ikko e, der Hautturgor übrigen Ursachen sind selten und machen zusam-
war stark reduziert, sie war zu Zeit und Ort nicht men weniger als 1% aus (nicht berücksichtigt sei da-
orientiert. Im Übrigen lag ein altersentsprechen- bei die bilaterale Adrenalektomie).
der Status vor. Aus einem Notfallausweis ging
hervor, dass bei der Patientin ein bekanntes • Synthesestörungen. Auch diese sind sehr selten.
adrenogenitales Syndrom besteht. Nach Anga- Am häufigsten ist der 21-Hydroxylasedefekt bei
ben des Partners hätte sie aber seit 5 Tagen we- ca. 1/10.000-15.000 Geburten. Zwei Drittel dieser
gen starker Schluckbeschwerden ihre Medika- Fälle gehen mit einem Salzverlustsyndrom einher.
mente nicht mehr eingenommen. Das Aufnah- Die anderen Enzymdefekte (die 3ß-Hydroxysteroid-
me-EKG zeigte eine Sinustachykardie mit Fre- dehydrogenase, Cholesterindesmolase, 11 ß-Hydro-
quenzen bis 140/min bei on t unauffälligem xylase und Aldosteronsynthetase betreffend) sind
tromlinienverlauf. Im Labor lag eine Hypo- Raritäten.
natriämie von 122 mmol/1, Hyperkaliämie von
6,5 mmol/1 und eine azidotische Stoffwechsella-
ge mit einem pH von 7,25 bei einem BE von - 17 12.2.3
vor. Nach sofortiger hochdosierter Hydrocorti- Pathogenese
sonsubstitution und Flüssigkeitsgabe kam es zu
einer raschen Erholung und Normali ierung der Die folgende Übersicht fasst die Pathogenese ver-
Elektrolyte (Abb. 12-10). Die Patientin war wach schiedener Formen eines Hypoaldosteronismus
und ansprechbar. Die Substitution konnte in und Pseudohypoaldosteronismus zusammen.
den folgenden 3 Tagen auf die Erhaltungsdosi
Pathogenese verschiedener Formen eines Hypoal-
reduziert und oralisiert werden. Zusätzlich wur-
dosteronismus und Pseudohypoaldosteronismus
de die Substitution mit A tonin H wieder aufge-
nommen.
• Primäre Nebenniereninsuffizienz
Autoimmunadrenalitis
- isoliert
- im Rahmen einer polyglandulären Insuffizienz
7
(Typ I, Typ II)
150
Infektiös
• Natrium 6,5
- Tuberkulose
'
=
Kalium
.....
0 140 '' 6
.....
0
Sepsis
- Pilzinfektion
E '' 5,5
E
l ' 0. 5 E Aids
E E - Cytomegalievirusinfektion, andere
''
Ero
130 n -
~ --
4,5 :J
iij Hämorrhagie/Nebenniereninfarkt
:z 4 :><:
Nebennierenmetastasierung
3.5 Adrenoleukodystrophie
120 bilaterale Adrenalektomie
2 4 5 6 8 9 • Störungen der Aldosteronsynthese in der Neben-
Beha ndlungstag
niere, AGS
~bb.l2~IO_. Verlauf ~er s.erumelektrolyte nach Therapiebe- 21-Hydroxylasedefekt
gmn bei emer Pat1entm mit Hypoaldosteronismus - ohne Salzverlustsyndrom (kein Hypoaldoste-
ronismus)
- mit Salzverlustsyndrom
12.2 Hypoaldosteronismus 495

Cholesterindesmolasemangel ist (vgl. Abb. 12-1). Beim 3ß-HSD-Defekt sind eben-


3 ß-Hydroxysteroiddehydrogenasemangel falls alle 3 Reihen der Steroidsynthese gestört. Die
Aldosteronsynthetasemangel (sog. Corticoste- Genloci liegen auf Chromosom 15 bzw. 1. In den
ronmethyloxidase( CMO )defekt) letzten Jahren wurde gezeigt, dass zumindest bei
- Typ I: llß-Hydroxylase-, 18-Hydroxylase- und einem Teil der Patienten mit angenommenem Cho-
18-0H -Steroiddehydrogenaseaktivität betrof- lesterindesmolasedefekt der Defekt gar nicht das En-
fen zym selbst, sondern das StAR-Protein betrifft. Bei
- Typ II: 18-Hydroxylase- und 18-0H-Steroid- diesen Patienten ist der Transport des Cholesterols
dehydrogenaseaktivität betroffen in die Mitochondrien gestört.
11 ß-Hydroxylasemangel (meist mit Pseudohyper-
aldosteronismus, nur selten mit Salzverlustsyn- • llP-Hydroxylase. Beim llß-Hydroxylasemangel
drom, da der Aldosteronmangel meist durch entwickelt sich nur sehr selten ein Salzverlust Meist
vermehrte DOC-Produktion (über)kompensiert kommt es durch die vermehrte Bildung von DOC,
wird. das selbst mineralocorticoid wirksam ist, zu einer
• hyporeninämischer Hypoaldosteronismus Überkompensation des Aldosteronmangels mit Ent-
(Schambelan-Syndrom) wicklung eines Pseudohyperaldosteronismus. Be-
• passagerer Hypoaldosteronismus nach Entfernung troffen ist das CYP11B1-Gen auf Chromosom 8.
eines Conn-Adenoms
(vgl. Abschn. 12.3)
Aldosteronsynthetasedefekt
• Medikamentös Dieser Defekt soll hier hervorgehoben werden, da
Adrenostatika (Metopiron, Aminogluthetimid,
primär die Aldosteronsynthese betroffen ist. Es
Mitotane)
sind 2 Formen des Aldosteronsynthetasedefektes
Heparinaide
beschrieben worden.
• Pseudohypoaldosteronismus (Mineralocorticoid-
Die erste Hypothese war, dass beim Typ I der
resistenz)
vorletzte Schritt der Aldosteronsynthese betroffen
Sporadisch
ist (Corticosteron ___, 18-0H-Corticosteron), beim
Familiär dominant erblich
Typ II nur der letzte Schritt (18~0H-Corticosteron
Familiär rezessiv erblich
___, Aldosteron). Diese Annahme resultierte aus
• Laborchemischer Hypoaldosteronismus bei Pseu-
dem Befund, dass beim Typ I 18-0H-Corticosteron
dohyperaldosteronismus
erniedrigt, beim Typ II erhöht ist. Nachneueren Stu-
(Suppression des RAAS bei einigen Formen des
dien liegen bei beiden Typen Mutationen des
Psudohyperaldosteronismus, vgl. Abschn. 12.3)
CYP11B2-Gens vor, die offenbar zu Funktionsein-
schränkungen der Aldosteronsynthetase führen,
die die unterschiedlichen Funktionen des Enzyms
Nebenniereninsuffizienz ungleich betreffen. Das CYP11B1 ist, wie zuvor an-
Die Genese, Klinik und Therapie der primären Ne- genommen, bei beiden Formen nicht mutiert.
benniereninsuffizienz wird in Abschn. 3.2 behan- e Beim Typ I sind offenbar alle 3 Aktivitäten der
delt. Aldosteronsynthetase gestört. Das erhöhte Corti-
costeron entstammt der Aktivität der 11 ß-Hydro-
xylase.
Steroidsynthesestörungen, adrenogenitales Syndrom
• Beim Typ II dagegen scheint sich der Defekt auf
Die unterschiedlichen Formen des AGS werden in
die 18-Hydroxylase- und 18-0xidase-Aktivität zu
Abschn. 5.13 ausführlich behandelt. Betrifft derEn-
beschränken. Es wird postuliert, dass das ver-
zymdefekt auch die Synthese von Aldosteron, liegt
mehrt anfallende 18-0H-Corticosteron der Hy-
ein Hypoaldosteronismus vor.
droxylierung von 18-0H-DOC durch die intakte
11 ß- Hydroxylaseaktivität der Aldosteronsynthe-
• 21-Hydroxylase. Beim 21-Hydroxylasedefekt ist
tase entstammt.
die Aldosteronsynthese in ca. 50-65 % der Fälle be-
troffen. Betroffen ist das CYP21-Gen auf Chromo-
Tabelle 12-4 fasst nochmal die Charakteristika des
som 6p (Tabelle 12-1, s. Abschn. 5.13).
Aldosteronsynthetasedefektes Typ I und II und
des 11 ß-Hydroxylasedefektes zusammen.
• Cholesterindesmolase I 3P-Hydroxysteroiddehy-
drogenase (3P-HSD). Defekte dieser Enzyme führen
zu einem Salzverlust Beim Cholesterindesmolase-
defekt ist die gesamte Steroidsynthese betroffen,
da bereits die Synthese des Pregnenolons gestört
496 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

Tabelle 12-4. Charakteristika der Formen des Aldosteronsynthetase- und llß-Hydroxylasedefektes

Aldosteronsynthctasedcfckt

Typ I Typ II I JI! -Hydroxylasedefekt

Klinik:

Salzverlust Ja Ja Sehr selten

Hyperkaliämie ja Ja Sehr selten

Hypertonie ein ein Meist

Virilisierung ein Nein Ja

Steroidspiegel:

Corticosteron (B) i T !
18-0H-B l Tfl !
Aldosteron (Aldo) U! lb !
B/18-0H-B TT H Wechselnd

18-0H-B/Aldo TTTTTT- • Tl1 Wechselnd

Plasmaren in T TTT !
Betroffenes Gen CYPIIB2 CYPIIB2 CYPIIBI

Betroffenes Enzym P450cl1AS' P450ciiASd P450cll ß

a Aldosteron ist oft unter die Nachweisgrenze erniedrigt, die OH-Steroid-Dehydrogenase-Aktivität betroffen, d 18-Hydro-
18-0H-B/Aldo-ratio damit rechnerisch oo, b Bei stark erhöh- xylase- und 18-0H-Steroid-Dehydrogenase-Aktivität betrof-
ten 18-0H-B-Werten ist ein geringer Umsatz zu Aldosteron fen
noch möglich, 'llß-Hydroxylase-, 18-Hydroxylase- und 18-

Hyporeninämischer Hypoaldosteronismus Pseudohypoaldosteronismus


Hier besteht eine verminderte Reninsekretion, Patienten mit einem Pseudohypoaldosteronismus
durch die es zu einer unzureichenden Aldosteron- bieten laborchemische Veränderungen eines Hypo-
produktion kommt. Meist sind ältere Patienten aldosteronismus bei normalen oder hohen Aldoste-
mit Diabetes mellitus betroffen. Für die Entstehung ronkonzentrationen. Ursächlich wird eine Störung
des hyporeninämischem Hypoaldosteronismus wer- des MR angenommen. Bindungsstudien zeigen
den folgende Ursachen diskutiert: eine gestörte Rezeptorbindung für Aldosteron, ein
• Eine Schädigung des juxtaglomerulären Appara- Rezeptordefekt konnte aber auf molekularbiologi-
tes im Rahmen einer zugrunde liegenden Nieren- scher Ebene bislang nicht nachgewiesen werden. Al-
erkrankung, z. B. einer diabetischen Nephropa- ternativ wird eine Störung der Funktion der aldoste-
thie, ronsensitiven Na-Kanäle postuliert, vergleichbar der
• eine gestörte Reninsekretion im Rahmen einer Situation beim Liddle-Syndrom, allerdings mit um-
diabetischen Neuropathie des sympathischen gekehrten Vorzeichen, (vgl. Abschn. 12.3), oder eine
Nervensystems, Störung der Chloridrückresorption im distalen Tu-
• eine gestörte Reninproduktion mit Bildung unzu- bulus. Beides würde aber nicht die Veränderungen
reichend aktiver Vorstufen, in den Rezeptorbindungsstudien erklären.
• Salz- und Wasserretention mit Suppression der
Reninsekretion.
12.2.4
Hypoaldosteronismus nach Conn-Adenomentfernung Klinik
Ohne ausreichende Vorbehandlung mit Spironolak-
ton kann es hier durch die langdauernde Suppressi- Die typischen Symptome und Laborkonstellation
on des RAAS zu einem passageren behandlungsbe- des Hypoaldosteronismus und Pseudohypoaldoste-
dürftigen Hypoaldosteronismus kommen (weiteres ronismus sind in der folgenden Übersicht zusam-
s. Abschn. 12.3). mengefasst.
12.2 Hypoaldosteronismus 497

Symptome des Hypoaldosteronismus nifestationmit einem Zurückbleiben in der Entwick-


und Pseudohypoaldosteronismus lung, Dehydratation und Erbrechen, oft im Rahmen
einer krisenhaften Verschlechterung z. B. wegen
• Elektrolytentgleisungen eines hochfieberhaften Infektes.
Hyperkaliämie
Hyperchlorämische metabolische Alkalose • Milde Verlaufsform. Bei milder Verlaufsform
Hyponatriämie fällt erst im Alter von 4-12 Jahren ein geringes
• Hypovolämie, Flüssigkeitsverlust mit Exsikkose Wachstum auf, gelegentlich kommt es im Falle einer
und ggf. Sinustachykardie der familliären Formen erst retrospektiv zur Dia-
• Hypotonie gnose, wenn bei einem der jüngeren Geschwister
• Reduzierter Allgemeinzustand die Diagnose gestellt wird.

• Asymptomatische Verlaufsform. Eine hohe Dun-


Kombination mit AGS kelziffer asymptomatischer Verlaufsformen wird
Tritt ein Salzverlustsyndrom im Zusammenhang mit angenommen, da gelegentlich ein Verdacht erst
einem AGS auf, kommt es meist bereits in den ersten im Erwachsenenalter geäußert wird, wenn zufällig
Tagen, spätestens bis zur 3. Lebenswoche zur Mani- entsprechende biochemische Veränderungen ent-
festation mit Trinkschwäche, Erbrechen, Elektrolyt- deckt werden. Retrospektiv lassen sich anamne-
veränderungen (Hyperkaliämie, Hyponatriämie), stisch Episoden mit Schwäche, Hypotonie und Er-
metabolischer Azidose und zunehmender Apathie. brechen erheben, deren Genese nie weiter geklärt
Hinzu kommen je nach Form des AGS die Sym- wurde. Daneben wurde beschrieben, dass es im Ver-
ptome des Cortisolmangels und der Hyperandro- lauf zu einer Besserung der Symptomatik kommen
genämie (ausführliches s. Abschn. 5.13). Insgesamt kann aufgrund von bislang noch ungeklärten Adap-
kann sich ein lebensbedrohlicher Zustand entwik- tationsmechanismen der Niere, die zu einer ausrei-
keln, der eine sofortige intensivmedizinische Inter- chenden aldosteronunabhängigen Natriumrückre-
vention erforderlich macht. sorption führen.

Aldosteronsynthetasedefekt
Zu einem isolierten Aldosteronmangel kommt es
beim Aldosteronsynthetasedefekt Typ I oder II. Kli-
12.2.5
nisch lassen sich die beiden Formen nicht unter-
Diagnostik
scheiden. Je nach Ausprägung des Enzymdefekts,
kann es zu einem ausgeprägten Salzverlustsyndrom
Die Diagnostik der Nebenniereninsuffizienz und der
bereits im Neugeborenenalter kommen oder aber zu
Steroidsynthesestörungen wird ausführlich in Kap. 3
einem blanderen Verlauf, der sich erst im Kleinkin-
behandelt. Im Folgenden soll nur auf den singulären
desalter durch Gedeihstörungen oder durch eine
Hypoaldosteronismus bei Aldosteronsynthetasede-
krisenhafte Verschlechterung manifestiert. Wie
fekten und den Pseudohypoaldosteronismus aus-
auch für den 21-Hydroxylasedefekt beschrieben
führlicher eingegangen werden. Abbildung 12-11
scheint die Niere sich im Verlauf durch aldosteron-
gibt ein Flussschema zur Vorgehensweise bei der
unabängige Mechanismen zur Na-Rückresorption
Diagnose eines Hypoaldosteronismus wieder.
an den Enzymdefekt zu adaptieren, sodass es zu
einer Verbesserung der Elektrolytsituation kommt.
Die Schwere des klinischen Bildes bei einem Al- Technische Verfahren
dosteronsynthetasedefektes ist heterogen und meist • Laborparameter. Beim Hypoaldosteronismus
negativ korreliert zum Lebensalter bei Diagnosestel- findet sich folgende Laborkonstellation:
lung. e Hyperkaliämie,
• Hyponatriämie,
• Schwere Verlaufsform. Bei schweren Verlaufsfor- • metabolische Azidose.
men kommt es bereits in den ersten Lebenswochen
zur Manifestation mit Trinkschwäche, Exsikkose, Die Diagnose wird anhand des ernierdrigten Aldo-
Erbrechen und Gedeihstörungen. Bei schwerer De- sterons in Plasma und Urin und der erhöhten Plas-
hydratation kann ein lebensbedrohlicher Zustand mareninaktivität gestellt.
bis hin zum Tode entstehen.
• Orthostasetest. Hier findet sich bei niedrigem
• Moderate Verlaufsform. Bei moderaterem Ver- Ausgangsniveau kein oder nur ein geringer Anstieg
laufkommt es erst im Alter von 1/4-3 Jahren zur Ma- von Renin und Aldosteron.
498 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aidosteron

Mittlerer bis unterer Hypoaldosteroni5mu5


Normbereich unwahrscheinlich

Weitere Abklärung der Gene5e Differenzierung zwischen


(Diabetes mellitus. Typ I und Typ II
Polyneuropath ie, Nephropathie) (vgl. Tabelle 12.4) Abb.l2-ll.
Flussschema zur Abklärung
eines Hypoaldosteronismus

• Genanalyse. Durch DNA-Analysen können heute schlossen sein. Die Medikamentenanamnese ist
in Speziallabors die entsprechenden Defekte des wichtig zum Ausschluss iatrogener Ursachen. Eine
mutierten CYP11B2-Gens nachgewiesen werden. Niereninsuffizienz ist ebenfalls leicht anband der
Anamnese und des Routinelabors zu erkennen.
• Bildgebende Verfahren. Sie spielen eine unterge-
ordnete Rolle, können aber zur Darstellung einer Differentialdiagnose der Hyperkaliämie
NN-Hyperplasie hilfreich sein.
e Hypoaldosteronismus
• Pseudohypoaldosteronismus
12.2.6 • Niereninsuffizienz mit Oligo- oder Anurie
Differentialdiagnose • Stoffwechselentgleisung
Ketoazidotisches diabetisches Koma
Differentialdiagnostisch müssen andere Ursachen Urämische Azidose
einer Hyperkaliämie ausgeschlossen werden (s. fol- • Medikamenteninduzierte Hyperkaliämie
gende Übersicht). Abnahmefehler müssen ausge- Kaliumsparende Diuretika
12.2 Hypoaldosteronismus 499

ACE-Hemmer locorticoiden. Sind auch die Sexualsteroide betrof-


Zu rasche Kaliumsubstitution fen, werden diese entsprechend der Pubertätsent-
Digitalisintoxikation wicklung substituiert (näheres auch zu pränataler
• Pseudohyperkaliämie (Hämolyse bei oder nach und operativer Therapie s. Abschn. 5.13).
Blutentnahme)
• Gewebe- und Zellzerfall (Zytostase, Myolyse, in- • Hypoaldosteronismus. Die Therapie des singulä-
travasale Hämolyse ren Hypoaldosteronismus erfolgt mittels Substituti-
on mit Mineralocorticoiden (Fludrocortison, Asto-
nirr H). Die Dosis liegt zwischen 0,05-0,2 mg/Tag
• Adrenogenitales Syndrom mit Salzverlust. Zur und kann einmal morgens gegeben werden. Zusätz-
Abrenzung eines AGS mit Salzverlust ist oft schon lich kann eine Hyponatriämie durch Kochsalzgaben
das Manifestationsalter sowie die zusätzliche Sym- ausgeglichen werden (2 g NaCl!Tag).
ptomatik durch den Cortisolmangel und den Andro-
genexzess oder -mange! hilfreich. Zur besseren Dar- • Hyporeninämischer Hypoaldosteronismus
stellung des Enzymdefektes wird der ACTH-Test, Diese Patienten reagieren meist gut auf geringe Ga-
u. U. als kombinierter Dexamethason/ACTH-Test, ben von Fludrecortison (0,05 mg/Tag). Zusätzlich
durchgeführt (vgl. Abschn. 5.13). kann unter Bilanz- und Elektrolytkontrolle mit Fu-
rosemid behandelt werden. Wichtig ist die Behand-
• Primäre Nebenniereninsuffizienz. Auch die pri- lung möglicherweise zugrunde liegender Erkran-
märe Nebenniereninsuffizienz ist durch den gleich- kungen (Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz).
zeitigen Cortisolmangel gut abzugrenzen (vgl.
Abschn. 3.2). • Pseudohypoaldosteronismus. Die Therapie des
Pseudohypoaldosteronismus mittels Mineralocorti-
• Aldosteronsynthetasemangel Typ I vs. Typ II. coiden ist nicht möglich, da der Defekt auf Rezeptor-
Die Unterscheidung der beiden Formen des Aldoste- ebene liegt. Therapiert wird rein symptomatisch
ronsynthetasemangels ist klinisch nicht möglich durch Kochsalzsubstitution.
und für die Therapie auch nicht entscheidend. La-
borchemisch können die beiden Formen anhand
der Mineralocorticoidspiegel und -profile unter- Salzverlustkrise
schieden werden. Beim Typ I ist 18-0H-B erniedrigt Die Salzverlustkrise stellt eine lebensbedrohliche Si-
und Aldosteron stark erniedrigt bzw. nicht messbar. tuation dar. Sie kann durch rechtzeitige Dosissteige-
Beim Typ II ist 18-0H-B erhöht und Aldosteron er- rung und zusätzliche Kochsalzgaben häufig vermie-
niedrigt, jedoch meist noch messbar. Corticosteron den werden (z. B. Glukose-Salz-Tee ohne Kalium:
ist bei beiden Formen leicht erhöht. Dies führt dazu, 1-2 Teelöffel Kochsalz in 11 Tee mit einem Teelöffel
dass beim Typ I das Verhältnis von Corticosteron zu Traubenzucker je 100 ml). Vergehensweisen und
18-0H-Corticosteron erhöht, beim Typ II dagegen Akutmaßnahmen sind in Abschn. 5.13 ausführlicher
erniedrigt ist. Das Verhältnis von 18-0H-Corticoste- besprochen.
ron zu Aldosteron ist entsprechend beim Typ I deut-
licher erhöht als beim Typ II (vgl. Tabelle 12-4). Therapiekontrolle
Die Therapiekontrolle erfolgt klinisch sowie durch
• Shambelan-Syndrom. Dieses Syndrom zeichnet regelmäßige Kontrolle der Elektrolyte und der Plas-
sich durch einen hyporeninämischen Hypoaldoste- mareninaktivität Die Plasmareninaktivität sollte im
ronismus aus und ist entsprechend seiner Genese oberen Normbereich liegen. Die Kontrollintervalle
leicht abzugrenzen. Richtungsweisend ist die Mes- hängen davon ab, wie stabil die Situation unter Sub-
sung der Plasmareninaktivität, die erniedrigt ist. stitution ist. Wichtig ist die eingehende Instruktion
Die Hyponatriämie kann fehlen, der Blutdruck nor- der Patienten und der Eltern über die Notwendigkeit
mal oder sogar erhöht sein. der lebenslangen Substitution und der in Stress-
situationen notwendigen Dosissteigerung.

D
12.2.7 Ein Notfallausweis muss den Patienten ausgestellt
Therapie und entsprechend des Verlaufs aktualisiert werden.
Basistherapie
• Adrenogenitales Syndrom. Mittel der Wahl beim Nebenwirkungen
AGS ist die lebenslange Substitution mit Gluco- und Nebenwirkungen können bei Überdosierung mit
bei zusätzlichem Salzverlustsyndrom auch Minera- Astonin H auftreten und entsprechen dann der Sym-
500 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

ptomatik beim Hyperaldosteronismus. Nebenwir-


kungen einer Kochsalzsubstitution könnte ein arte- Der übrige internistische Status war unauffällig.
rieller Hypertonus sein. Bei normaler Nierenfunk- Im Labor zeigte sich eine deutliche Hypokali-
tion ist dies jedoch nicht zu erwarten. ämie von 2,6 mmol/1. Die übrigen Elektrolyte,
die Retentionswerte, die Leberenzyme sowie
das Blutbild waren normwertig. Die Patientin
Ausblick, zukünftige Möglichkeiten wurde zur weiteren Abklärung stationär aufge-
Eine kausale Therapie ist derzeit nicht möglich und nommen. Kalium lag trotz Substitution nur im
wäre allenfalls mittels gentechnologischer Methoden untersten Normbereich, bei Absetzen der Ka-
denkbar. liumsubstitution traten Hypokaliämien bis
2.2 mmol/1 auf. Die Elektrolytexkretion im
Urin war für Natrium leicht erniedrigt, für Ka-
Vermehrte Produktion lium erhöht (Na 118 mmol/Tag (Norm
120- 260), K 174 mmol/Tag (Norm 35-125),
übrige Elektrolyte im ormbereich). Ein Phäo-
12.3
chromozytom oder ein Cushing-Syndrom
Primärer Hyperaldosteronismus
konnten ausgeschlossen werden. Die Plasmare-
ninaktivität war mit Werten um 4 mU/1 ernied-
12.3.1
rigt bis niedrig-normal (Norm 5-47). Die Mine-
Fallpräsentation
ralocorticoide (und Metaboliten) sowie 18-Hy-
droxycortisol zeigten deutlich erhöhte Werte
Eine 46-jährige Patientin stellte sich mit erst- in Serum und Urin (Tabelle 12-5). Der Lasixtest
mals aufgetretenem Schwindel und für Stunden zeigte keinen Anstieg der Mineralocorticoide,
bestehenden Zephalgien in der Klinik vor. Mi- 18-Hydroxycorticosteron fiel sogar ab. Ein CT
gräneattacken bestanden bei der Patientin der Nebennieren ergab eine 1.5 x 1.4 x 1.2 cm
schon seit mehreren Jahren. Die bei der Aufnah- durchmessende Raumforderung im Bereich der
me geklagten Kopfschmerzen glichen diesen At- linken Nebenniere (Abb. 12-12). Die selektive
tacken aber nicht. Auf genaues Befragen gab die Venenblutentnahme mittels Nebennierenve-
Patientin darüber hinaus an, gelegentlich Herz- nenkatheterisierung bestätigte die Lateralisation
rasen gehabt zu haben, außerdem habe sie sich nach links. Aldosteron war bei Entnahme aus
seit einiger Zeit zunehmend abgeschlagen und der V. suprarenalis links erhöht, bei Entnahme
müde gefühlt. Aktuelle Medikation: Kalinor aus der V. suprarenalis rechts erniedrigt, Corti-
Brause 1-0-0 (bei Bedarf höher), Xanef 10 sol wurde seitengleich gemessen. Der Quotient
1-0-1, Lopresor 1-0-1, Cardular 2 mg 1-0-0. Aldosteron/Cortisol war links deutlich höher
46-jährige Patientin in gutem Allgemein- und als rechts (9,2 gegen 1,3; s. Abb. 12-13). Es wurde
Ernährungszustand. Leichte Gesichtsrötung, eine linksseitige Adrenalektomie durchgeführt.
trockene und warme Haut, sonst keine äußerli- Postoperativ war Kalium auch ohne Substituti-
chen Auffalligkeiten, keine Ödeme. Der Blut- on anhaltend im Normbereich. Eine milde anti-
druck bei Aufnahme war mit 160/110 mmHg er- hypertensive Medikation mit einem Kalziuman-
höht, die Frequenz mit 64 Schlägenimin normal tagonisten war zunächst noch erforderlich,
und regelmäßig. Auskultatorisch 2/6-Systoli- konnte im Verlauf aber bei fortbestehender
kum über Erb mit Fortleitung in die Herzspitze. ormotonie abgesetzt werden.

Tabelle 12-5. Serumspiegel und Exkretionsraten der Mineralocorticoide bei der Patientin mit primären Hyperaldosteronismus

Exkretionsrate

Serumspiegel Norm im 24-h-Urin Norm

[ng/dl] [ng/dll [J.lg/24 hl [)lg/24 hl

Aldosteron 40,3 2.0-10 1,76 0,1-0,4

I 8-0H-Corticosteron 129,3 12-55 14,7 1,5-6,5

18-0H-Corti ol 229 30-130 596 40-145


12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 501

12.3.2
Epidemiologie

Die Prävalenz des primären Hyperaldosteronismus


liegt bei Patienten mit arteriellem Hypertonus bei
ca. 0.3-1%. Die Prävalenz eines Conn-Adenoms
bei Patienten mit Inzidentalom der Nebenniere
wird mit ca. 2-4% angegeben. Eine Bevorzugung
des weiblichen Geschlechts wird in einigen, aber
nicht allen Arbeiten beschrieben. Am häufigsten be-
troffen sind Menschen in der 3.-5. Lebensdekade.
Eine Seitenpräferenz mit Bevorzugung der linken
Seite ist beschrieben worden, ließ sich aber nicht si-
gnifikant bestätigen.

12.3.3
Pathogenese

Abb.l2-12. Computertomographischer Befund des linkssei- Häufigste Ursache des primären Hyperaldosteronis-
tigen NN-Adenoms bei der Patientin mit Conn-Adenom mus ist ein aldosteronproduzierendes NN-Adenom
(Pfeil) (Conn-Adenom, s. Tabelle 12-6). Wichtig ist die Ab-
grenzung gegen den idiopathischen Hyperaldostero-
nismus mit bilateraler homogener oder mikronodu-
lärer NN-Hyperplasie, da hierbei ein anderer thera-
peutischer Ansatz besteht. Die übrigen Formen sind
seltener und machen zusammen nur ca. 5-8% der
Fälle aus.

V. suprarenalis re.

/ Aldosteron 5.4 ng / dl\ \


Cortisol 3,91Jg / dl
Aldosteron / Cortisoi- Aldosteron 38,7 ng / dl
Quotient 1.3 Cortisol 4,2 IJ9 I dl
/
Aldosteron / Cortisoi-
Quotient 9,2

L-----....J t::=~"'"' " II.


V. rena lis re. V. renalis Ii.

V. cava
inferior

/
Aldosteron 17,8 ng / dl
Cortisol 3.4 1-1 9 / dl
Aldosteron / Cortisol· Abb. 12-13.
Quotient 5,2 Ergebnisse des selektiven Venenkatheters
bei der Patientin mit primärem Hypera ldosteronismus
502 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

Tabelle 12-6. Formen des primären Hyperaldosteronismus und des Pseudohyperaldosteronismus

Form Häufigkeit (%)

aldosteronproduzierendes Nebennierenadenom 70-80

Autonom
Reninsensitiv (sehr selten)
Familiär (sehr elten)
Idiopathischer Hyperaldosteronismus 20-30

Einseitige oder doppelseitige primär makronoduläre ebennierenhyperplasie 1-5

Dexamethasonsupprimierbarer Hyperaldosteroni mus Um I

Aldosteronproduzierendes ebennierenkarzinom < I

Pseudohyperaldo teroni mus Selten


Oe oxycorticosteron als Mineralocorticoid
0 11 ß-Hydrox:yla edefekt
0 17-Hydroxyla edefekt
0 DOC-produzierender N -Tumor
0 Cushing-Syndrom
Cortisol als Mineralocorticoid
0 "apparent mineralocorticoid exces " (AME)- yndrom
(familiär; erworben z. B. durch Lak.ritzabusu )
0 Cu hing-Syndrom
Liddle- yndrom

• Conn-Adenom. Die Aldosteronproduktion in • Glucocorticoid-supprimierbarer Hyperaldoste-


einem Conn-Adenom verläuft autonom, d. h. unab- ronismus. Der Glucocorticoid-supprimierbare Hy-
hängig von der Stimulation durch das RAAS. Selte- peraldosteronismus wird als familiärer Hyperaldo-
ner sind Angiotensin-li-sensitive aldosteronprodu- steronismus Typ I bezeichnet. Die zugrunde liegen-
zierende NN-Adenome. Meist werden Größen von de Störung konnte kürzlich beschrieben werden. Es
0,5-2 cm erreicht. Linksseitig werden Conn-Ade- liegt ein durch Crossover entstandenes chimäres
nome häufiger gefunden. Als familiärer Hyperaldo- Gen vor, bei dem die Promotoreinheit des
steronismus Typ li wird eine familiäre Form des al- CYPllBl-Gens (P450cllß, llß-Hydroxylase) mit
dosteronproduzierenden NN-Adenoms bezeichnet, dem für das Enzym kodierenden Teil des
die in den letzten Jahren beschrieben wurde. CYP11B2-Gens (P450cllAS, Aldosteronsynthetase)
gekoppelt wurde. Damit liegt eine Aldosteronsyn-
• Idiopathischer Hyperaldosteronismus. Trotz thetase vor, die unter ACTH-Kontrolle steht, wo-
Suppression der Plasmareninaktivität spielt bei die- durch es bei normalem ACTH-Spiegel zu einer ex-
ser Form die Stimulation der NN durch Angioten- zessiven Aldosteronproduktion kommt.
sin li eine Rolle. Offenbar besteht eine erhöhte Sen-
sitivität der NN gegen Angiotensin li. Es kommt zu • NN-Karzinom. Ein Karzinom der NN tritt mit
einer homogenen oder mikronodulären NN-Hyper- einer Inzidenz von ca. I : 1,7 Mio. nur sehr selten
plasie. Oft ist die Abgrenzung gegen einen Niedrig- auf. 50 o/o dieser Karzinome sind hormonaktiv, wo-
Renin-Rochdruck ("low renin hypertension") bei meist Cortisol und/oder Androgene gebildet
schwierig oder gar unmöglich. werden. Ein durch ein NN-Karzinom verursachter
Hyperaldosteronismus ist eine extreme Rarität.
• Primär makronoduläre Nebennierenhyperpla-
sie. Bei dieser seltenen Form des Hyperaldosteronis- • Pseudohyperaldosteronismus. Von einem Pseu-
mus kommt es zu einer uni- oder bilateralen makro- dohyperaldosteronismus spricht man, wenn bei
nodulären Hyperplasie der NN mit autonomer Pro- einem klinischen Befund wie bei einem Hyperaldo-
duktion von Aldosteron. steronismus Aldosteron selbst supprimiert ist und
12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 503

der mineralocorticoide Exzess durch eine andere


12.3.5
mineralocorticoid wirkende Substanz verursacht
Diagnostik
wird. Dies ist beispielsweise in folgenden Situatio-
nen der Fall:
Die Indikation zur Diagnostik stellt sich aus der Kli-
• Enzymdefekte des Cortisolmetabolismus (llß-,
nik der hypokaliämischen Hypertonie. Da vor allem
17 a- Hydroxylasemangel). Durch Enzymdefekte
beim idiopathischen Hyperaldosteronismus auch
kommt es zu einem vermehrten Anfall mineralo-
Kaliumspiegel im unteren Normbereich möglich
corticoid wirksamer Metaboliten, meist DOC (s.
sind, sollte bei einer schwer einstellbaren Hyperto-
Abschn. 5.13).
nie bei Kaliumspiegeln < 3,8 mmol/1 immer ein Hy-
• DOC-produzierende NN- Tumoren.
peraldosteronismus ausgeschlossen werden, um
• "Apparent mineralocorticoid excess (AME) syn-
nicht eine kausal behandelbare Ursache der Hyper-
drome". Durch einen Defekt oder Inhibierung
tonie zu übersehen.
der llß-HSD kommt es zu einer mineralocorti-
coiden Wirksamkeit von Cortisol
• Pseudohyperaldosteronismus im Rahmen eines Anamnese
Cushing-Syndroms. Beim Cushing-Syndrom Die Anamnese ist auf die relativ unspezifische Sym-
kann es durch Bildung mineralocorticoid wirksa- ptomatik und den meist führenden Hypertonus aus-
mer Metaboliten (z. B. DOC, insbesander bei NN- zurichten:
Karzinom oder ektopen ACTH-Syndrom) oder • Seit wann besteht der Hypertonus?
durch Überlastung der llß-HSD durch große • Werden RR-Selbstkontrollen durchgeführt?
Mengen Cortisols zu einer verstärkten mineralo- • In welchen Bereichen bewegt sich der Blutdruck?
corticoiden Wirkung kommen. • Ist es zu krisenhaften Entgleisungen gekommen?
• Liddle-Syndrom. Diese 1963 von Liddie beschrie- • Besteht vermehrter Harndrang/Nykturie?
bene familiäre Erkrankung basiert auf einem De- • Liegt eine Polydipsie vor?
fekt des normalerweise aldosteronabhängigen • Liegen häufig Kopfschmerzen vor und welche
amiloridsensitiven Natriumkanals in der basalen Qualität haben sie?
Membran der Epithelzellen der Sammelrohre der • Sind andere neurologische AuffäHigkeiten wie
Niere. Es besteht eine Dauerstimulation dieser Missempfindungen, Lähmungen oder Krämpfe
Kanäle, sodass es zu einer aldosteronunabhängi- aufgetreten?
gen Retention von Natrium und Wasser kommt. • Liegt Müdigkeit und Abgeschlagenheit vor?
• Mineralocorticoidüberdosierung. Überdosierung • Liegen Herzrhythmusstörungen vor?
mit Astonin H im Rahmen der Mineralocorti-
coidsubstitution z. B. nach bilateraler Adrenalek-
Körperliche Untersuchung
tomie.
Auch der körperliche Untersuchungsbefund ist we-
nig charakteristisch und in den zu erhebenden Be-
funden im Wesentlichen vom Ausmaß der Hyperto-
nie abhängig. Der Blutdruck ist erhöht, krisenhafte
12.3.4 Entgleisungen sind aber die Ausnahme. Eine Retino-
Klinik pathie kann bei länger bestehender Hypertonie vor-
liegen, ist aber meist mild ausgeprägt, Hämorrha-

D
Leitsymptom des Hyperaldosteronismus ist der hypo- gien sind selten. Ähnliches gilt für eine im Rahmen
kaliämische Hypertonus. Der Blutdruck ist meist der Hypertonie aufgetretene Herzvergrößerung
leicht bis stark erhöht. oder kardiale Geräusche auf dem Boden einer kar-
dialen Hypertrophie. EKG-Veränderungen im Sinne

D Ein maligner Hypertonus mit ausgeprägten hyper-


tensiven Krisen ist selten, kann aber durchaus vor-
kommen. Die übrige Symptomatik ist unspezifisch
einer kardialen Hypertrophie sind ebenfalls nur mil-
de ausgeprägt. Ödeme treten gelegentlich auf. Insbe-
sondere bei deutlicher Hypokaliämie mit alkaloti-
(Tabelle 12-7), ca. 5-10% der Patienten sind be- scher Stoffwechsellage kann es zu einem positiven
schwerdefrei. Trousseau- oder Chvostek-Zeichen kommen.
504 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

Tabelle 12-7. Beschwerden und klinische Befunde bei 145 Fällen von primärem Hyperaldosteronismus. (Nach Conn et al. 1964)

Geklagte Beschwerden Prozentangaben (%)

Polyurie, ykturie 72

Muskelschwäche 73
Kopfschmerzen 51

Polydypsie 46
Intermittierende Paralyse 21

Intermittierende Tetanien 21

Sehstörungen 21

Müdigkeit 19

Muskelschmerz 16

Asymptomatisch 6

Ausgeprägte Ödeme 3

Klinische Befunde
Arterieller Hypertonus 100

Hypokaliämie 100

Aldosteronhypersekretion 100

Proteinurie 85

Hyposthenurie 80
EKG-Veränderungen 80
Hypernatriämie 65

Hypertensive Retinopathie bis Grad III 50

Kardiomegalie 41

Technische Verfahren Bei einem milden Hyperaldosteronismus kann das


Abbildung 12-14 zeigt ein Flussschema zur Abklä- Serumkalium im unteren Normbereich liegen, bei
rung eines Verdachts auf einen Hyperaldosteronis- klinischem Verdacht und Kaliumwerten unter
mus. 3.7 mmol/1 sollte immer eine weiterführende Dia-
gnostik eingeleitet werden. Die Abgrenzung gegen
eine "low-renin-hypertension" ist schwierig und
Laborbefunde u. U., insbesondere beim idiopathischen Hyperaldo-
Laborchemischer Leitbefund des Hyperaldostero- steronismus, nicht primär möglich. Das Serumna-
nismus ist die Hypokaliämie. Die Einnahme von Di- trium muss nicht pathologisch sein, liegt aber meist
uretika muss ausgeschlossen sein. Bei Patienten mit im mittleren bis oberen Normbereich, erhöhte Wer-
arterieller Hypertonie sollte zum Ausschluss falsch- te treten nur selten auf. Richtungsweisend ist die
negativer Befunde mehrfach Kalium gemessen wer- Konstellation eines Natriumspiegels im oberen
den. Falsch-negative Befunde können u. a. bedingt Normbereich bei niedriger Serumosmolarität bzw.
sein durch: niedrigem Hämatokrit. Die Elektrolytausscheidung
• Einnahme von Kalium oder kaliumsparender im Urin zeigt eine entsprechend dem niedrigen Se-
Diuretika, rumkalium inadäquat hohe Exkretion von Kalium.
• kochsalzarme Diät, Die Bestätigung des primären Hyperaldosteronis-
• zu lange Stauung oder Hämolyse bei der Blut- mus erfolgt über die Messung der Plasmareninakti-
abnahme. vität (PRA) und des Aldosterons im Serum.
12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 505

Mittlerer b1s oberer Kein primärer


Normbereich Hyperaldosteronismus

Hohes Aldo teron basal.


Aldosteron basal (leicht) erhoht,
keine Suppression unter Salzbelastung/
Suppress1on unter Salzbelastung I
Captopril,
Captopril,
kein Anst ieg (evtl Abfall ) nach Lasix/
Anst ieg nach Lasix / Orthostase
Orthast e

APA ~A/Hyperplasie j

Abb.l2-14. Flussschema zur Abklärung eines Hyperaldosteronismus

D
Lässt sich mehrfach eine Hypokaliämie erfassen, die stik abgesetzt sein, der Aldosteronantagonist Spiro-
nicht anders erklärbar ist (Diuretika, Laxanzienabu- nolakton sogar mindestens 4 Wochen. Auch andere
sus etc.), und zeigt die Basisdiagnostik eine suppri- Antihypertensiva beeinflussen mehr oder weniger zu-
mierte PRA sowie erhöhte Werte für Aldosteron, mindest reflektorisch das RAASund sollten möglichst
ist der primäre Hyperaldosteronismus gesichert. 2 Wochen abgesetzt sein.

Renin-Angiotensin-Aidosteron-System (RAAS) Sollte dies aus klinischen Gründen nicht vertretbar


Bestätigt sich das Vorliegen eines hypokaliämischen sein, ist die Gabe eines Kalziumantagonisten am
Hypertonus, müssen zur Bestätigung des primären ehesten tolerabel. Oft ist bei ausgeprägtem Hyper-
Hyperaldosteronismus direkt die Parameter des tonus ein Absetzen der antihypertensiven Medika-
RAAS gemessen werden. tion nicht möglich. Dies erschwert die Interpretation
der Befunde, ein ausgeprägter Hyperaldosteronis-
Da diese Parameter auch durch Medikamente beein- mus wird aber nur selten übersehen werden. Eine
flusst werden, müssen diese möglichst weitgehend ab- kochsalzarme Diät sollte vermieden werden. Dies
gesetzt werden. Diuretika und ACE-Hemmer sollten kann durch Kontrolle der Natriumausscheidung
in jedem Fall mindestens 2- Wochen vor der Diagno- im Urin kontrolliert werden. Sie sollte über
506 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aidosteron

200 mmol/24 h liegen. Zu beachten ist, dass unter • 24-h-Urinparameter. Aldosteron, 18-0H-Corti-
kochsalzreicher Diät die Kaliurese zunimmt und da- costeron, Tetrahydroaldosteron und Aldosteron-
mit eine Hypokaliämie verstärkt werden kann. Fol- 18-Glucuronid können im 24-h-Urin gemessen wer-
gende Parameter können je nach Laborausstattung den. Die Sensitivität der Urinexkretionsraten ist hö-
bestimmt werden (die Normbereiche sind stark me- her als die der Serumparameter, insbesondere, da
thodenabhängig, sodass hier die lokalen Angaben hierbei tageszeitliche Schwankungen subsumiert
berücksichtigt werden müssen): werden.

• Plasmareninaktivität Die Plasmareninaktivität • 18-0H-Cortisol. 18-0H-Cortisol, ein Metabolit


ist bei allen Formen des primären Hyperaldostero- des Cortisols, entsteht durch Hydroxylierung von
nismus und Pseudohyperaldosteronismus ernied- Cortisol an C-Atom 18 durch die 18-Hydroxylase.
rigt. Beim idiopathischen Hyperaldosteronismus Im normalen Kortikoidstoffwechsel kommt er nicht
kommen Werte im unteren bis mittleren Normbe- vor. Im Aldosteron produzierenden Adenom (AP A)
reich vor, erhöhte oder hochnormale Werte schlie- kommt es aber zu einer verstärkten Umsetzung von
ßen aber einen primären Hyperaldosteronismus Cortisol zu 18-0H-Cortisol, sodass dieser Metabolit
weitgehend aus (Tabelle 12-8). Die Blutabnahme vor allem beim APA erhöht gemessen wird. Beim
muss wegen der starken Beeinflussung durch Ortho- idiopathischen Hyperaldosteronismus (IHA) ist
stase und andere Umgebungsbedingungen standar- 18-0H-Cortisol ebenfalls erhöht, aber nicht so deut-
disiert werden. Sie sollte morgens nach mindestens lich. Auch beim Glucocorticoid-supprimierbaren
4-stündiger Ruhephase am liegenden Patienten er- Hyperaldosteronismus finden sich deutlich erhöhte
folgen. Werte für 18-0H-Cortisol und 18-0xocortisol. Die
beschriebene Laborkonstellation im 24-h-Urin ist
• Aldosteron, DOC, Corticosteron und 18-0H-Cor- bei den Serumspiegeln entsprechend.
ticosteron im Serum. Entsprechend der erhöhten
Aldosteronsekretion sind die Serumspiegel von Al- • Befundinterpretation. Wichtig bei der Interpre-
dosteron und seinen Vorstufen erhöht oder hoch- tation der Befunde ist die Relation zwischen Aldo-
normal. Insbesondere beim idiopathischen Hyperal- steron und Plasmareninaktivität (PRA). Im Gegen-
dosteronismus kommen in bis zu 30 o/o der Fälle satz zu primären Störungen ist bei sekundären Stö-
hochnormale Werte vor. Aldosteronspiegel über rungen der Aldosteronsekretion der Quotient aus
25 ng/ml sprechen für ein APA, Werte darunter Plasmaaldosteron und Plasmareninaktivität nur we-
eher für ein IHA (Tabelle 12-8). nig oder gar nicht verändert (Abb. 12-15).

Tabelle 12-8. Laborbefunde bei Patienten mit primärem Hyperaldosteronismus

Alter K+ PRA Urin-Aldosteron

I (n) [mmol/1[ [nglml/hj (nmol/24 h)

ebennierentumoren mit Hyperaldosteroni mus

APA 94 42,1 2,8 0,2 125


(19-64) (1,5-3,8) (0, 1-0,6) (45-6 12,7)

APA (Renin- 5 44,0 3,0 0,2 87,8


sensitiv) (30- 57) (2,6-3,4) (0, 1-0,5) (49,1 - 124,2)

N -Karzinom 3 45,0 1,8 0,2 265


(32-56 (1,4-2,0) (0,1-0,4) (136,3-40 I ,3)

Hyperaldos teronismus bei ebennierenhyperplasie

IHA 40 47,1 3,2 1,0 74,8


(32-68) (2,5-4,2) {0,1-2,1) (36,2-143,2)

oduläre 8 41,6 3,0 0,2 99,7


Hyperplasie (12-60) (2,4- 3,4) (0,1- 0,4) (34,3- 143,2)

Kontrollen 55 28,0 4,1 1,4 28,5


(21-52) (3,8- 4,5) (0,5- 2,5) ( 13,9-55,5)

APA Aldosteron-produzierendes Adenom, IHA Idiopathischer Hyperaldosteronismus, PRA Plasmareninaktivität


12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 507

nismus nur selten ein Abfall des Aldosterons auf


Werte unter 15 ng/dl erreicht wurde und vor allem
Primärer Hyperaldostero nismus
die Unterschiede in der Aldosteron-FRA-Ratio nach
Captopril ausgeprägter waren. Beim Pseudohyper-
aldosteronismus besteht, wie der Name schon
sagt, eine erhöhte mineralocorticoide Aktivität, die
aber durch eine andere mineralocorticoid wirksame
Substanz verursacht ist. Entsprechend findet sich
eine Suppression der Plasmareninaktivität bei er-
niedrigtem Aldosteron. Je nach Genese des Pseudo-
hyperaldosteronismus sind die Aldosteronvorstufen
erhöht (z. B. DOC beim 17-Hydroxylasedefekt) oder
ebenfalls supprimiert (z. B. beim AME).

Spezielle Testverfahren
Primärer
Hypoaldosteronismus
• Lasixtest, Orthostasetest. Der Lasixtest und der
Orthostasetest machen sich die Stimulierbarkeit
Plasmaaldosteron des RAAS zunutze (Tabelle 12-9). Diese ist beim
IHA (und dem seltenen reninresponsiven NN-Ade-
Abb.I2-15. Relation zwischen Plasmaaldosteron und Quo- nom) erhalten, beim AP A dagegen nicht. Während
tienten aus Plasmaaldosteron und Plasmareninaktivität bei
den unterschiedlichen Formen des Hyper- und Hypoaldoste- es beim IHA von bereits basal erhöhten Werten für
ronismus Aldosteron und 18-0H-Corticosteron zu einem
deutlichen Anstieg kommt, steigen beide beim
APA in 75-90% der Fälle nicht an oder fallen sogar
Hiramatsu et al. fanden bei Patienten mit AP A Wer- ab. Dies ist erklärt durch die vollständige Suppres-
te über 750 und schlugen einem Aldosteron/FRA- sion des RAAS beim AP A, durch das fehlende An-
Quotienten > 400 als Hinweis auf ein APA vor. Wer- sprechen des APA auf Angiotensin li sowie auf
te < 200 wiesen dagegen eher auf eine essentielle die im Verlauf des Testsaufgrund der zirkadianen
Hypertonie hin. In einigen Arbeiten wurde ein Rhythmik abfallenden Konzentration von ACTH
Test mittels Gabe von 25-50 mg Captopril vorge- (Abb. 12-16). In einer Studie von Opocher et al. wur-
schlagen, wobei bei Patienten mit Hyperaldostero- de für den Nachweis eines Ansprechens auf Ortho-

Tabelle 12-9. Funktionstests zur Differenzierung eines Hyperaldosteronismus

Lasixtest Orthostasetest Kochsalzbelastungstest

Testprinzip Stimulation der Reninaktivität Stimulation der Reninaktivität Suppre ion des RAAS
durch Volumenverlust und durch Volumenverschiebung durch Kochsalzbelastung
Natriurese nach Gabe von Lasix nach Orthostase

Testvoraussetzungen Absetzen von Diuretika, ACE-Hemmern und möglichst auch anderer Antihypertensiva,
keine kochsalzarme Diät, minde tens 4 h Bettruhe vor dem Test

Testdurchführung Abnahme von Renin, Abnahme von Renin, Infusion von 3 I isotonischer
Aldosteron und 18-0H-B Aldosteron und Kochsalzlö ung über 6 h. BE
morgens nach strenger Bettruhe 18-0H-B morgens nach zur Bestimmung von Renin
(!!!). Anschließend Gabe von strenger Bettruhe (!!!}. und Aldo teron vor und nach
40 mg Lasix. Nach 2 h Anschließend Aufforderung Kochsalzinfusion
erneute BE zum Herumlaufen für die
nächsten 2 h. Nach 2 h
erneute BE

Testbeurteilung ormal: Stimulation von Renin, Aldosteron und Normal: Suppression von
18-0H-Cortico teron Renin, Aldosteron und
APA: Ba al erhöhte Werte von Renin, Aldo teron und 18-0H-Corticosteron
18-0H-Corticosteron APA: Keine Suppression
Keine Stimulation oder sogar paradoxer Abfall im Testverlauf !HA: Unvollständige
!HA: Basal erhöhte Werte von Ren in, Aldosteron und Suppression
18-0H -Corticosteron.
Deutliche Stimulation im Testverlauf

BE Blutentnahme
508 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

Aldosteron • Selektiver Nebennierenvenenkatheter. Mittels se-


18-0H-B lektiver Blutentnahme aus den Nebennierenvenen
kann die uni- oder bilaterale Aldosteronproduktion
• Normal • APA .t. IHA
belegt werden. Durch einen erfahrenen Untersucher
wird nach Punktion der V. femoralis ein Katheter
eingeführt und die Nebennierenvenen selektiv son-
diert. Blutentnahmen erfolgen aus der unteren
Hohlvene, den Nebennierenvenen und den Nieren-
venen. Dabei sind die absoluten Aldosteronspiegel
weniger aussagekräftig, da sie stark von Gefäßva-
rianten und der Qualität der Sondierung der einzel-
nen Gefäße abhängen. In allen Proben muss daher
Vor Lasix/ 2 h nach Lasix I zusätzlich auch eortisol bestimmt werden. Unter der
Orthostase Orthostase
Annahme, dass die eortisolproduktion bilateral er-
folgt, kann dann durch Bildung des Quotienten aus
Aldosteron und eortisol die einseitige Aldosteron-
produktion belegt werden. Auf der betroffenen Seite
finden sich erhöhte, auf der kontralateralen Seite er-
stase ein Anstieg des Aldosterons > 70 o/o zugrunde
niedrigte Werte. Abbildung 12-12 stellt dies exem-
gelegt. Dabei zeigten 70 o/o der Patienten mit IHA
plarisch an der oben dargestellten Kasuistik dar.
eine positive Reaktion, 75 o/o der Patienten mit
APA nicht. Die Sensitivität des Tests für ein APA
wurde mit 75 o/o, die Spezifität mit 70 o/o angegeben. Bildgebende Verfahren
• CT oder MRT der Nebennieren. Wichtiges diffe-
• Captopriltest. Weniger etabliert ist der Captopril- rentialdiagnostisches Kriterium ist die bildgebende
test. Opocher et al. beschrieben in ihrer Studie für Diagnostik der Nebennieren. er und MRT sind da-
die Beurteilung des Aldosteronspiegels 90 min bei prinzipiell äquivalent. Kleine Raumforderungen
nach Gabe von 50 mg Captopril eine höhere Sensi- (< 0,5 cm) können der Bildgebung entgehen, aber
tivität (88 o/o) als für den Orthostasetest, wenn ein 90-95 o/o der Adenome können zu dem Zeitpunkt,
Abfall des Aldosteronspiegels < 20 o/o als Hinweis da sie klinisch auffällig werden, mit der heutigen
auf ein APA gewertet wurde. Allerdings war wegen Bildgebung dargestellt werden. Lässt sich eine ein-
der hohen Rate falsch-positiver Ergebnisse die Spe- seitige Raumforderung der Nebenniere eindeutig
zifität gering (53 o/o). darstellen und ist das Serumkalium deutlich ernied-
rigt ( < 2,7 mmol!l) sowie die Plasmareninaktivität
• Kochsalzbelastungstest. Auch dieser Test basiert supprimiert, ist das AP A gesichert, eine weitere Dia-
auf der erhaltenen Reagibilität auf Änderungen im gnostik ist selten erforderlich. Bei weniger deutlicher
RAAS beim IHA im Gegensatz zum APA. Auf Bela- Hypokaliämie und nur fraglichem Befund im er
stung mit größeren Mengen Kochsalzes (Infusion oder MRT muss die Frage der Lateralisation mittels
von 3 l isotonischer Kochsalzlösung über 6 h) folgt selektivem Venenkatheter eindeutig geklärt werden.
beim IHA ein Abfall von Aldosteron, während dieser
beim AP A ausbleibt. • Nebennierenszintigraphie. Die Szintigraphische
Darstellung der Nebennieren ist mittels 131 1-19-Iod-
• Dexamethasongabe. Die Gabe von Dexametha- cholesterin oder neuerdings auch !31I-6ß-Iod-me-
son kann bei Verdacht auf einen Glucocorticoid- thyl-19-norcholesterin möglich. Da die Strahlenbe-
supprimierbaren Hyperaldosteronismus diagno- lastung bei dieser Untersuchung sehr hoch ist, sollte
stisch hilfreich sein, da es unter Dexamethason in- sie nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden, wenn
nerhalb von 3 Wochen zu einem Abfall des Aldoste- trotzhochgradigen Verdachts auf ein APA ein Nach-
rons sowie des 18-Hydroxy- und 18-0xocortisols weis der Lateralisation nicht anders möglich ist. Ein
kommt. Eine Verbeserung der klinischen Situation NN-Karzinom stellt sich im Szintigramm meist nicht
sieht man unter Dexamethason auch beim AME- dar, sodass der Befund einer szintigraphisch nicht
Syndrom, bei dem Cortisol das wirksame "Minera- darstellbaren Raumforderung für ein NN-Karzinom
locorticoid" darstellt. sprechen kann.
12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 509

Keine der Untersuchungen lässt für sich die eindeu-


12.3.6
tige Diagnose zu, es gilt immer, aus dem Gesamtbild
Differentialdiagnose
die Differentialdiagnose zu stellen.
Die Differentialdiagnose verfolgt 2 grundlegende
Fragen: Aldosteron produzierendes Adenom/Idiopathischer
• die ätiologische Differenzierung bzw. Klärung der Hyperaldosteronismus
Genese des primären Hyperaldosteronismus, Die ätiologische Differenzierung zwischen AP A und
• die Abgrenzung gegen einen sekundären Hyper- IHA ist besonders wichtig, da sich unterschiedliche
aldosteronismusoder einen Pseudohyperaldoste- therapeutische Ansätze aus diesen Diagnosen erge-
ronismus. ben. Bezüglich der ätiologischen Differenzierung
gibt die Basisdiagnostik erste Hinweise. Ein deutlich
Eine Zusammenfassung der Befunde ist in Abb. 12-17 erniedrigtes Kalium ( < 2,7 mmol/1) spricht für ein
dargestellt. AndereUrsachen einer H ypokaliämie müs- APA, während die Hypokaliämie beim IHA geringer
sen wie zuvor beschrieben ausgeschlossen werden. ausfällt. Lässt sich im CT zusätzlich eine einseitige
Differentialdiagnose der Hypokaliämie Raumforderung darstellen, ist das AP A nahezu ge-
sichert. Bei widersprüchlichen Befunden helfen die
• Primärer Hyperaldosteronismus Ergebnisse der Bestimmung von 18-0H-Cortisol,
• Sekundärer Hyperaldosteronismus des Lasixtests sowie des selektiven NN-Venenkathe-
• Pseudohyperaldosteronismus ters weiter. Beim APA ist 18-0H-Cortisol deutlicher
• Akute respiratorische und metabolische Alkalose erhöht, ohne dass eindeutige Cut-off-Grenzen bis-
• Hypokaliämische periodische Paralyse lang beschrieben sind. Im Lasixtest kommt es
• Medikamenteninduzierte Hypokaliämie beim APA bei basal deutlich erhöhten Werten für
• Gastrointestinale Kaliumverluste Aldosteron zu keinem weiteren Anstieg. Im Gegen-
Diarrhö teil kann ein paradoxer Abfall durch die zirkadiane
Erbrechen Rhythmik des ACTH auftreten. Beim IHA steigt Al-
• Kaliummangel dosteron von bereits basal erhöhten Werten im La-
sixtest weiter an. Entscheidend ist dann die selektive

Andere
Plasma Plasma Aldo· Szinti· Orthosu~ /
Ren in CT / MRT
I I
Mineralo·
Na ~ steron gmphi<' Lasixtest
conicoide

t t t
'
Aldosteron·ptoduzierendes Raumlorderur19 Keine
Adenom (APA)
N
J n.J~hwebbar
Lateralis.! tion
Stimulation

t t t
'
Aldosteron· produzierendes Raumlorderu"9 Gerif19e l<eine
Card nom J n.JChweisbar Speicheru"9 Stimulation

I I
' t IJ
Idiopathischer Beiderseitige Keine
N N Stimulation
Hyperaldosteronismus (IHA) N N Hyperplasi<' l..ttera lisation

''
Gelegentlich

t t
Makronodu lare Hyperplasi<' l..tteralis.!tion Keine
(MN H)
N
J N Raumforderu"9
nachweisbar
wenn unil tera l S1imulation

Glucocorticoid ·suppt imierbarer


Hyperaldosteronismus (GSHA)
N
I J t D t Beiderseitige
HyperplasHo
Keine
l..t teralis.!tion
Keine
Stimulation

t
•J
Apparent Mineralocortico.d Keine
Excess (AME J
N
J 7 J Stimulation

t
•I
Keine
lakriuabusus N ? J Stimulation

l l ß· Hydroxylase·
mange!
N
I N J J t c:J ' Keine
Stimulation

t
' t
'
17a • Hydroxylase· Keine
mangel
N
J Stimu lation

c:J Normal
J Erniedrigt
t Erhoht

Abb.12-17. Befundkonstellationen bei den unterschiedlichen Formen des Hyperaldosteronismus und Pseudohyperaldostero-
nismus
510 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

Venenblutentnahme, bei der der Nachweis einer für einen DOC-produzierenden NN-Tumor. Mittels
Lateralisation das AP A belegt. Verwechslungen ACTH-Test und bildgebender Diagnostik kann dies
sind vor allem beim Vorliegen eines reninsensitiven weiter abgeklärt werden. Cortisol kann beim
Adenoms denkbar, das sich in den Funktionstests Cushing-Syndrom oder beim AME-Syndrom ver-
wie ein idiopathischer Hyperaldosteronismus dar- antwortlich sein. Das Cushing-Syndrom lässt sich
stellt. Auch hier ist die Darstellung der Lateralisation klinisch leicht erkennen. Beim AME-Syndrom
der Aldosteronproduktion mittels selektiver Ve- kann die Cortisol/Cortison-Ratio im Urin weiterhel-
nenblutentnahme die richtungsweisende Untersu- fen.
chung.

Glucocorticoid-supprimierbarer 12.3.7
Hyperaldosteronismus Therapie
Charakteristisch für den Glucocorticoid-suppri-
mierbaren Hyperaldosteronismus sind die deutlich Abbildung 12-18 fasst die Therapie des primären
erhöhten Werte für die 18-hydroxylierten Metaboli- Hyperaldosteronismus zusammen.
ten des Cortisols (18-0H-Cortisol, 18-0xocortisol).
Daneben ist die positive Familienanamnese rich-
Aldosteronproduzierendes Adenom
tungsweisend. Im Orthostasetest kommt es durch
• Unilaterale Adrenalektomie. Therapie der ersten
die zirkadiane Rhythmik der ACTH-Sekretion ähn-
Wahl beim APA ist die unilaterale Adrenalektomie.
lich dem AP A zu einem Abfall des Aldosterons. Ge-
Durch die lang bestehende Suppression des RAAS ist
stellt werden kann die Diagnose mittels Genanalyse.
das restliche NN-Gewebe funktionell atrophiert.
Sollte diese nicht möglich sein, kann die Diagnose
Dies kann postoperativ zu einem passageren Hypo-
u. U. ex juvantibus mittels mehrwöchiger Behand-
aldosteronismus mit Hypotonie und Hyperkaliämie
lung mit Dexamethason (2-mal 0,5 bis 2-mal
führen. Um dies zu vermeiden, sollte mit einem Al-
1 mg/Tag) etabliert werden.
dosteronantagonisten vorbehandelt werden. Emp-
fohlen wird eine Therapie mit 200-400 mg/Tag Spi-
Noduläre Hyperplasie ronolacton in den 6-8 Wochen vor Operation. Blut-
Die noduläre Hyperplasie ist schwer nachzuweisen. druck und Kaliumspiegel sollten zur Operation nor-
Bezüglich der Abhängigkeit von Angiotensin II und malisiert sein. Da die Größe der Adenome im
ACTH verhält sie sich meist wie das Aldosteron pro- Allgemeinen nicht zu groß ist, kann für die Opera-
duzierende Adenom. Wichtig ist die Klärung der tion der dorsale paravertebrale Zugang nach Young
Frage, ob der Prozess ein- oder doppelseitig ist, gewählt werden. In neuererZeitwerden auch zuneh-
da nur bei eindeutiger Einseitigkeit ein operativer mend endoskopische Verfahren zur Operation ge-
therapeutischer Ansatz sinnvoll ist. Neben der selek- nutzt.
tiven NN-Venenblutentnahme ist hier in seltenen
Fällen die Durchführung einer NN-Szintigraphie
B
Die Enukleation des Adenoms unter Erhalt der rest- w
vertretbar, insbesondere, da die bildgebende Dia- liehen NN hat den Nachteil einer erhöhten Rezidiv-
gnostik häufig eine falsch-positive Lateralisation er- und Nachblutungsrate. Der beabsichtigte Vorteil des
gibt. Erhalts von NN-Gewebe rechtfertigt diese Vorge-
hensweise nicht, da dies bei Erhalt der kontralatera-
len NN überflüssig ist.
Sekundärer Hyperaldosteronismus
Ein sekundärer Hyperaldosteronismus liegt vor,
Durch die Operation lässt sich bei ca. 60-70 o/o der
wenn die Aldosteronsekretion durch übermäßige
Patienten eine Normalisierung des RAAS, des Se-
Stimulation über das RAAS zustande kommt. Diffe-
rumkaliums und des Blutdrucks erreichen. Weitere
rentialdiagnostisch ist entsprechend die Messung
20 o/o erfahren eine deutliche Besserung der Blut-
der erhöhten Plasmareninaktivität entscheidend.
drucksituation und sind im Verlauf besser einstell-
bar. Bei den übrigen Patienten ist der Blutdruck,
Pseudohyperaldosteronismus meist durch renale Veränderungen, fixiert. Mantero
Für einen Pseudohyperaldosteronismus spricht das et al. beschreiben 2 getrennt ausgewertete Gruppen
Vorliegen der klinischen Befunde eines Hyperaldo- von Patienten, die operiert wurden. Gruppe 1 betraf
steronismus bei gleichzeitig supprimierter Plasma- 23 Patienten mit unilateralem Adenom, Gruppe 2
reninaktivität und erniedrigtem AldosteronspiegeL 12 Patienten mit unilateralem Adenom und einen
Ein deutlich erhöhter DOC-Spiegel spricht für einen Patienten mit unilateraler nodulärer Hyperplasie.
llß-Hydroxylase- oder 17-Hydroxylasedefekt oder Abbildung 12-19 zeigt den Blutdruckverlaufbei die-
12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 511

Hyperaldosteronismus

I
Nodullre
APA IHA DSHA
Hyperplasie

I I
Unilateral Bilateral

I I

Typische Befunde

Hypokaliämie < 2.7


Hypokaliämie weniger
Keine Stimulation im ausgepräg t
Orthostase /Lasixtest
Deutliche Stimulation
Raumforderung im Mäßige Hypokaliämie
im
Hypokallämie < 2.7
G / MRT Orthostase /Lasi xtest
Keine Stimulation im Orthostase / Lasixtest
Einseitige Massive Erhöhung der
Keine Raumforderung
Uni- oder bilaterale Hyperplasie Im CRT /MRT 18-0H-Metabolite
Mehrspeicherung im Im CT / MRT
Szintigramm von Cortisol
Bilaterale Mehrspeicherung im Szintigramm
Bilaterale
Keine Stimulation im
Lateralisation im Mehrspeicherung im
Bei unilateraler nodulärer Hyperplasie Orthostase/ Lasixtest
selektiven Szintigramm
Venenkatheter Laterallsation Im selektiven Venenkatheter
Keine Lateralisation
Deutlichere Erhöhung im selektiven
der 18-0H-Metabollte Venenkatheter
von Cortisol

I l
Therapie der 1. Wahl

~ ~ ~ ~ ~
Uni laterale Behandlung mit Unilaterale Behandlung mit
Adrenalektomie einem Aldosteron- Adrena lektom ie einem Aldosteron-
antagonisten antagonisten
Präopera tiv Suppression mit
Präopera tiv
Dexamethason
Vorbehandlung mit Ggf. zusätzliche Vorbehand lung mit Ggf. zusätzliche
einem Aldosteron - antihypertensive einem Aldosteron- antihypertensive
antagonisten Therapie antagonisten Therapie

Abb.l2-18. Therapieoptionen beim primären Hyperaldosteronismus


512 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aidosteron

225 ~----------------------------------.5

• RR systolische Gruppe A

1
200 o RR diastolische Gruppe A
• RR systolische Gruppe B 4,5
c;; /
/
o RR diastollsehe Gruppe B
I 175 .1. Kaliumkonzentration
E
.s
-"" 150
Gruppe A

V Abb.12-19.
2 Blutdruckverlaufbei Patienten mit Conn-Adenom

~
'B::> 125 vor und nach Operation. Zwei Studiengruppen mit
m 23 (• ) bzw. 12 ( • ) Patienten wurden beschrieben,
3 ausgefüllte Symbole zeigen die systolischen,
100 .....",__ _ _ _ _-<i offene Symbole die diastolischen Blutdruckwerte.
Die offenen Rauten und die gestrichelte Linie zeigt
75 +------------------------------------'- 2,5 den Verlauf des Serumkaliums in der Gruppe mit
Vo r Operation Nach Operation 2-Jahre-Fallow-Up 12 Patienten. (Nach Mantero et al. 1995)

sen Patienten. In Gruppe 1 zeigten 56,5 o/o eine Nor- werden insgesamt 3 Patienten beschrieben, die bei
malisierung und 26,1 o/o eine deutliche Senkung des IHA operativ behandelt wurden. Keiner dieser Pa-
Blutdrucks, bei 17,4 o/o änderte sich der Blutdruck tienten erfuhr durch die Operation eine Normalisie-
nur unwesentlich. In Gruppe 2 wurde bei 75 o/o rung des Blutdrucks.
eine Normalisierung, bei 25 o/o eine Besserung des Therapie der Wahl ist die Gabe des Aldosteronan-
Blutdrucks erreicht. tagonisten Spironolacton. Dabei empfehlen sich zu-
nächst Dosen von 200-300 mg/Tag, meist werden
• Therapiekontrolle. Postoperativ muss der Patient aber langfristig wegen auftretender Nebenwirkun-
engmaschig überwacht werden. Den Blutdruck sollte gen nur Dosen zwischen 100 und 200 mg/Tag tole-
der Patient möglichst selbst täglich kontrollieren, riert. Bei Persistenz der Hypokaliämie muss zusätz-
die Elektrolytspiegel müssen regelmäßig, anfangs lich mit einem kaliumsparenden Diuretikum (z. B.
1- bis 2-mal wöchentlich kontrolliert werden. 1-2 Trimateren 50-100 mg/Tag) behandelt werden. Ist
Wochen nach Ende der akuten postoperativen Phase damit keine Normatonie zu erreichen, müssen zu-
sollte eine Kontrolle der Plasmareninaktivität sowie sätzlich weitere Antihypertensiva (z. B. ß-Blocker,
des Aldosteronspiegels in Serum und Urin erfolgen. Kalziumantagonisten) gegeben werden. Mantero
Meist spiegelt sich dann ein milder Hypoaldostero- et al. beschreiben bei 43 Patienten mit primärem Hy-
nismus wieder, dessen Ausprägung ganz wesentlich peraldosteronismus (41 mit IHA, 2 mit APA) eine
von der präoperativen Behandlung mit Spironolac- initiale Blutdrucksenkung von 193± 26/119±11 auf
ton abhängt. Bei klinisch relevantem Befund (Hy- 147± 17/97±12 mmHg unter Behandlung mit Spiro-
perkaliämie, Hypotension) muss eine Therapie nolacton. Bei 58% wurde eine Normalisierung des
mit dem synthetischen Mineralocorticoid 9a-Fluor- diastolischen Blutdrucks erreicht. Nach 5 Jahren
hydrocortison (Fludrocortison, Astonin H) eingelei- wurden nur 14 von 29 Patienten weiter mit einer Spi-
tet werden. Begonnen werden kann mit einer Dosis ronolactonmonotherapie behandelt. Die übrigen Pa-
von 50-100 !lg/Tag. Die Dosisanpassung erfolgt tienten erhielten zusätzlich Thiazide (7 Patienten)
nach den klinischen Befunden (RR, Kalium, PRA) oder ß-Blocker (6 Patienten). Bei 13 Patienten muss-
wobei die PRA im oberen Normbereich bis leicht er- te Spironolacton wegen Nebenwirkungen abgesetzt
höht sein sollte. werden.

• Nebenwirkungen. Entsprechend des operativen


• Therapiekontrolle. Die Kontrolle der Therapie
Ansatzes können natürlich Komplikationen im Rah-
erfordert die engmaschige Kontrolle der Blutdruck-
men der Operation auftreten. Daneben ist wie oben
werte (Selbstkontrollen) sowie die Kontrolle der Se-
erwähnt auf einen Hypoaldosteronismus zu achten.
rumelektrolyte. Daneben sollten, insbesondere bei
widersprüchlichen Befunden bei Diagnosestellung,
Idiopathischer Hyperaldosteronismus in jährlichen Abständen eine Kontrolle der Diagno-
Beim IHA ist eine Operation nicht indiziert. Studien stik durchgeführt werden. Sollte wegen Persistenz
zeigen, dass die Patienten bezüglich des Hypertonus der Befunde eine bilaterale Adrenalektomie notwen-
nicht von einer Operation profitieren. Die bilaterale dig sein, muss postoperativ Cortisol und Fludro-
Adrenalektomie würde zusätzlich eine lebenslange cortison substituiert werden (Hydrocortison
Substitution mit Cortisol und Fludrocortison not- 15-10-5 mg oder Cortison Ciba 25-12,5-0 mg, Asto-
wendig machen. In der Studie von Mantero et al. nin H 50-100 11g/Tag). Die ausreichende Substituti-
12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 513

on sollte regelmäßig wie beim M. Addison kontrol- meist ein iatrogenes Cushing-Syndrom, sodass die
liert werden. Dosis auf 0,5-1 mg/Tag reduziert werden muss.
Bei den meisten Patienten ist mit Dexamethason al-
• Nebenwirkungen. Dosen über 200 mg Spirono- lein keine dauerhaft ausreichende Blutdruckkon-
lacton/Tag werden wegen auftretender Nebenwir- trolle zu erreichen, sodass zusätzlich andere Antihy-
kungen oft nicht toleriert. Bei Männern kommt es pertensiva erforderlich sind. Größere kontrollierte
zu schmerzhaften Gynäkomastien und zur Abnah- Therapiestudien fehlen wegen der Seltenheit der Er-
me von Libido und Potenz, bei Frauen kann es zu krankung.
Mastodynie und Zyklusstörungen kommen. Dane-
ben treten gastrointestinale Beschwerden und • Therapiekontrolle. Die Therapiekontrolle erfolgt
Stimmveränderungen auf. Diese Nebenwirkungen wie bei den anderen Formen des Hyperaldosteronis-
machen Dosisanpassungen notwendig. Mit den Pa- mus klinisch durch engmaschige Kontrolle der Blut-
tienten muss die Notwendigkeit der Therapie einge- druck- und Elektrolytwerte. Der volle Effekt der
hend besprochen werden. Eine Bestrahlung der Therapie ist allerdings erst nach 2-3 Wochen zu er-
Brust bei Gynäkomastie kann zu einer Besserung warten. Oft reichen die tolerablen Dosen des Dexa-
der Symptomatik führen. Sollte mit Spironolacton methasons nicht aus, um die Aldosteronproduktion
allein keine ausreichende Besserung des Hypertonus ausreichend zu unterdrücken. Bei Persistenz des Hy-
und der Hypokaliämie erreichbar sein, kann zusätz- pertonus und der Hypokaliämie muss ergänzend
lich mit anderen kaliumsparenden Diuretika (Ami- mit Spironolacton und anderen kaliumsparenden
lorid 5-20 mg/Tag, Triamteren 50-100 mg/Tag) oder Diuretika (z. B. Triamteren) behandelt werden.
mit ACE-Hemmern und anderen Antihypertensiva Die Dosis orientiert sich am Therapieerfolg.
in den üblichen Dosierungen behandelt werden.
Eine bilaterale Adrenalektomie sollte nur als Ultima • Nebenwirkungen. Durch die Gabe von Dexame-
ratio in Erwägung gezogen werden. thason kann es zu der Entwicklung eines iatrogenen
Cushing-Syndroms kommen. Bei hierauf basieren-
den klinischen Problemen (corticoidinduzierte
Noduläre Hyperplasie
Osteoporose) muss die Dosis angepasst oder auf
Bei der nodulären Hyperplasie stellt sich zunächst
eine symptomatische Therapie umgestellt werden.
die Frage, ob ein uni- oder bilateraler Prozess vor-
liegt. Nur wenn ein unilaterales Geschehen gesichert
ist, ist die Operation Therapie der Wahl. Andernfalls
NN-Karzinom
sollte wie beim idiopathischen Hyperaldosteronis-
Mittel der ersten Wahl ist die Adrenalektomie, oft ist
mus zunächst mit Spironolacton behandelt werden
eine kurative Operation aber nicht möglich. Der Zu-
und nur bei Persistenz der Befunde unter der The-
gang erfolgt vorzugsweise transperitoneal, um eine
rapie eine bilaterale Adrenalektomie erwogen wer-
komplette Resektion ohne Kapseleröffnung zu er-
den.
möglichen. Benachbarte Organe müssen bei ausge-
dehntem Befund u. U. "en-bloc" mitresiziert wer-
• Therapiekontrolle. Die Therapiekontrolle orien-
den. Bei Persistenz oder bei Vorliegen von Metasta-
tiert sich an der Therapie, die durchgeführt wurde,
sen sollte nach möglichst weitgehender operativer
und verläuft prinzipiell entsprechend den unter den
Reduktion der Tumormasse eine Therapie mit
Abschnitten AP A und IHA aufgeführten Überlegun-
o,p-DDD (Mitotane, Lysodren) eingeleitet werden.
gen. Sollte ein bilaterale Adrenalektomie erforder-
Da es mit einer solchen Behandlung bisher relativ
lich sein, besteht postoperativ natürlich eine voll-
wenig Erfahrung gibt, sollte sie möglichst erfahrenen
ständige Nebenniereninsuffizienz, die entsprechend
Zentren vorbehalten bleiben. Die Dosierung wird in
zu kontrollieren ist.
den verschiedenen Zentren sehr unterschiedlich ge-
wählt, die Angaben in der Literatur liegen bei Ziel-
Glucocorticoid-supprimierbarer dosen zwischen 3 und 12 g/Tag. Mehrheitlich wird
Hyperaldosteronismus eine langsame Dosissteigerung auf 10 g/Tag emp-
Entsprechend der Genese erfolgt die Behandlung fohlen. Alternative Chemotherapieschemata, z. B.
mittels niedriger Dosen Dexamethason. Begonnen mit Carboplatin, Etoposid, Doxorubicin, BCNU
werden sollte mit einer Dosis von 2-mal1 mg Dexa- oder 5-Fluoruracil, wurden ebenso versucht wie
methason. Hierunter normalisieren sich die Aldo- eine Behandlung mittels einer Bestrahlung des
steronwerte, die Aldosteronsynthese kommt wieder Tumorbettes. Insgesamt sind die Ansprechraten
unter die Kontrolle des RAASund des ebenfalls vor- für Lysodren am besten, aber auch hier liegen sie
handenen normalen CYP11B2-Gens. Unter der Do- nur zwischen 30 und 60 o/o. Ist die endokrine Aktivi-
sis von 2 mg Dexamethason/Tag entwickelt sich tät nicht ausreichend beherrschbar, ist der Einsatz
514 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

weitere Adrenostatika zu erwägen. In Frage kom- intensivmedizinische Behandlung erforderlich


men Ketokonazol (bis 1200 mg/Tag), Metyrapon macht. Die folgende Übersicht zeigt die Behandlung
(3-mal 2 Kapseln/Tag) oder Aminoglutethimid auf.
(2- bis 4-mal 250 mg/Tag). Experimentelle Thera-
pien mit Suramin u. Ä. sollten speziellen Zentren Akute Behandlung einer massiven Hypokaliämie
vorbehalten bleiben.
• Zentralvenöser Zugang
• Therapiekontrolle. Die Kontrolle des Hyperaldo- • Kaliumgaben i. v. (max. 20 mmol!h; max.
steronismus erfolgt im Wesentlichen wie beim APA. 2 mmol!kg KG/Tag)
Ein Restaging sollte anfangs alle 3 Monate erfolgen, - Geschätzter Kaliumbedarf: 1 mmol!l
sofern nicht klinisch häufigere Kontrollen empfeh- Kaliumerniedrigung ~ 100 mmol K+-Defizit
lenswert erscheinen. Hierzu gehört die bildgebende - Herstellung entsprechender Lösungen durch
Diagnostik zum Ausschluss eines Rezidivs oder Zusatz molarer KCl-Konzentrate zu einer Voll-
einer Metastasierung bzw. die Verlaufskontrolle be- elektrolytlösung. Dabei sollte eine Konzentra-
kannter Befunde. Entsprechend der häufigsten Me- tion von 40 mmol!l Kalium nicht überschritten
tastasierung in Lymphknoten, Leber, Lungen und werden
seltener in das Skelett ist die radiologische Diagno- • Überwachung des Säure-Basen-Haushaltes
stik auszurichten. Das Wiederauftreten eines Hyper- • Intensivmedizinische Überwachung. Gefahr durch
aldosteronismus wird mit den gleichen diagnosti- höhergradige Herzrhythmusstörungen, sowohl
schen Mitteln diagnostiziert wie bei der Primärdia- durch die Hypokaliämie wir auch durch zu
gnostik Bei Einleitung einer Therapie mit o,p-DDD schnelle Kaliumsubstitution (cave: Interferenzen
ist zusätzlich auf die Entwicklung einer NN-Insuffi- mit anderen Medikamenten, z. B. Digitalis, weite-
zienz zu achten und eine entsprechende Substitution rer Kaliumabfall bei Glukose- und Insulingabe)
einzuleiten. Dabei ist zu beachten, dass unter o,p-
DDD auch der Cortisolmetabolismus gesteigert ist.
Dadurch sind oft höhere Substitutionsdosen erfor-
derlich, die entsprechend der Klinik anzupassen 12.4
sind. Ein mildes Cushing-Syndrom ist tolerabel, Sekundärer Hyperaldosteronismus
da es die Verträglichkeit der Lysodrentherapie ver-
bessert. Eine Substitution mit L-Thyroxin ist oft er- 12.4.1
forderlich, da häufig eine primäre oder sekundäre Fallpräsentation
Hypothyreose auftritt. Da die Genese u. U. unklar
ist, kann es schwierig sein, die Dosierung zu steuern, Ein 61-jähriger Patient stellte sich erstmals we-
da man sich nicht auf den TSH-Wert verlassen kann. gen des Verdachte auf einen Diabetes insipidus
in der endokrinologischen Ambulanz vor. Er
• Nebenwirkungen. Neben den möglichen Op.-Fol- klagte über seit einigen Monaten zunehmenden
gen ist vor allem an Komplikationen im Rahmen Harndrang sowie vermehrtes DurstgefühL Der
einer o,p-DDD-Therapie zu denken. Es wurden zen- Harndrang bestünde vor allem nachts und sei
tralnervöse Störungen (Apathie, Ataxien, Sprachstö- gelegentlich auch mit tachykarden Phasen sowie
rungen) beschrieben, wie auch gastrointestinale Pro- mit Kopfschmerzen verbunden. Parallel habe
bleme (Übelkeit, Erbrechen). Oft kommt es zu Erhö- sich ein deutliches chwächegefühl entwickelt,
hungen der Transaminasen, schwere Verläufe mit subjektiv bemerkte der Patient einen Muskel-
medikamentös-toxischer Cholangitis sind möglich. schwund. Ambulant sei mehrmals ein niedriger
Bei schweren Verläufen muss ggf. die Dosis redu- Kaliumspiegel festgestellt und mit Kaliumbrau-
ziert oder abgesetzt werden. Bereits oben erwähnt etableuen behandelt worden, in den letzten
wurde das Auftreten einer Hypothyreose und einer 5 Tagen war aber keine Kaliumsubstitution er-
NN-Insuffizienz, die eine entsprechende Substituti- folgt. Daneben nahm der Patient Euphyllin-
on erfordern. tabletten und verschiedene inhalative Therapeu-
tika wegen eines bekannten Asthma bronchiale
sowie Diltiazemtabletten wegen einer arteriellen
12.3.8 Hypertonie ein. Früher waren auch Diuretika
Notfall sowie ein ACE-Hemmer eingenommen worden,
diese waren aber seit mehr als 5 Wochen abge-
Im Rahmen eines Hyperaldosteronismus kann setzt. Auch eine Kortikoidmedikation wegen des
durch eine massive Hypokaliämie eine akut lebens- Asthmas war seit mehr als 2 Monaten nicht
bedrohliche Situation entstehen, die eine sofortige
12.4 Sekundärer Hyperaldosteronismus 515

mus stellt eine Rarität dar, betroffen sind hiervon


mehr erforderlich gewesen. Der Patient war in oft Kinder und junge Erwachsene unter 30 Jahre.
gutem AZ bei adipösem EZ. Der Blutdruck lag Das weibliche Geschlecht überwiegt.
bei 130/90 mmHg, die Herzfrequenz bei
80/min und war regelmäßig. Es lagen keine
Ödeme vor. Im Übrigen unauffälliger Untersu-
chungsbefund. Im Routinelabor fiel eine Hypo- 12.4.3
kaliämie von 2,8 mmol/1 auf. Unter der darauf- Pathogenese
hin begonnenen Substitution mit 2-3 Kalium-
brausetabletten lagen die Werte im unteren Die folgende Übersicht fasst die möglichen Ursa-
Normbereich. Das Serumnatrium war ebenso chen eines sekundären Hyperaldosteronismus zu-
wie die Plasmaosmolarität erniedrigt. Die übri- sammen. Im Gegensatz zum primären Hyperaldo-
gen Routinelaborparameter lagen im Normbe- steronismus gehört die arterielle Hypertonie nicht
reich. Die Plasmareninaktivität wie auch das Se- zwangsläufig zu den Symptomen.
rumaldosteron waren ca. 1,5-fach erhöht. Der
Patient wurde zur weiteren Abklärung des se- Formen des sekundären Hyperaldosteronismus
kundären Hyperaldosteronismus stationär auf-
genommen. Im Lasixtest zeigte sich eine nur ge- • Mit einer arteriellen Hypertonie einhergehend
ring ausgeprägte Stimulation von ba al erhöh- Renovaskuläre Hypertonie
ten Werten. In der selektiven Venenblutentnah- - Nierenarterienstenose
me zeigte sich eine deutliche Seitendifferenz mit - maligne Nephrosklerose
erhöhten Werten rechts bei supprimierten Wer- Primärer Reninismus
ten links. Sonographisch lag eine ca. 7 cm durch - - reninproduzierender Nierentumor,
messende Nierenzyste re kaudal vor. In der Nie- Robertson-Kihara-Syndrom (so genanntes
rensequenzszintigraphie stellte sich bei beidseits Reninom)
unauffälligen Abflussverhältnissen eine deutli- - ektope Reninproduktion (Rarität)
che Funktionseinschränkung der kleineren Phäochromozytom
rechten Niere dar. Es wurde eine digitale Sub- - Stimulation der Reninproduktion durch Kate-
traktionsangiographie durchgeführt, die eine chotamine
ca. 80 %ige Nierenarterienstenose rechts ergab. - Druck eines Tumors auf die Nierenarterie
Nach Durchführung einer perkutanen translu- • Nicht mit einer arteriellen Hypertonie einherge-
minalen Angioplastie (PTA) der Nierenarterie hend
kam es zu einer schnellen Rückbildung des Hy- Renaler Natriumverlust, Bartter-Syndrom
peraldosteronismus, eine Hypokaliämie trat im So genanntes Pseudo-Bartter-Syndrom bei
Verlauf nicht mehr auf. Die Blutdruckwerte nor- - Diuretikaabusus
malisierten ich, eine milde antihyperten ive - Laxanzienabusus
Therapie war aber weiterhin erforderlich. - heimlichem Erbrechen
Leberzirrhose, Pfortaderstau
Herzinsuffizienz
Diabetes insipidus
N atriummangel, Volumenmangel
12.4.2
Schwangerschaft
Epidemiologie

Ein sekundärer Hyperaldosteronismus entsteht auf


dem Boden einer Stimulation durch das Renin-An- Primärer Reninismus
giotensin-Aldosteron-Systems (RAAS). Dies tritt bei Conn prägte 1972 den Begriff des primären Reninis-
jeder Situation mit Verminderung des effektiven ar- mus mit sekundärem Hyperaldosteronismus. Diese
teriellen Blutvolumens bzw. einem verminderten re- sehr seltene Erkrankung basiert auf2 möglichen Ur-
nalen Blutfluss oder bei autonomer Sekretion von sachen:
Renin durch einen Tumor auf. Die häufigste Ursache • Erstmals beschrieben Robertson et al. einem Re-
eines sekundären Hyperaldosteronismus wie auch nin-produzierenden Tumor juxtaglomerulärer
der sekundären Hypertonie überhaupt ist die reno- Zellen der Niere. Mittlerweile sind ca. 50 weitere
vaskuläre Hypertonie. In unterschiedlichen Studien Fälle beschrieben worden. Die so genannten
wird er mit einer Häufigkeit von 0,2-5% angegeben. Hämangioperizytome sind meist nur wenige Zen-
Die anderen Ursachen sind seltener. Das Reninom timeter groß und treten bevorzugt in der 2. und
als Ursache eines sekundären Hyperaldosteronis- 3. Lebensdekade auf (mittleres Alter 24 Jahre).
516 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

Das weibliche Geschlecht ist häufiger betroffen Von einem Pseudo-Bartter-Syndrom wird gespro-
(weiblich: männlich = 2: 1). chen, wenn es durch übermäßige Einnahme von Di-
• Eine 2. Möglichkeit stellt die ektope Reninsekreti- uretika oder Laxanzien oder durch herbeigeführtes
on dar, dies ist jedoch eine extreme Rarität. Erbrechen zu einem Verlust an Flüssigkeit und Elek-
trolyten kommt.
Sehr komplex ist die Situation während der
Renale Hypertonie
Schwangerschaft. Es kommt zu einem sekundären
Hierzu gehört die häufigste Form des sekundären
Hyperaldosteronismus, wobei die Genese auf einen
Hyperaldosteronismus, die renovaskuläre Hyperto-
vermehrten Elektrolytverlust zurückzuführen ist,
nie. Sie entsteht durch eine Verminderung des Blut-
für den vor allem auch die natriuretische Wirkung
flusses in der Niere durch unterschiedliche Schädi-
des in der Schwangerschaft erhöhten Progesterons
gungen einer oder beider Nierenarterien oder ihrer
entscheidend ist.
Segmentarterien. Häufigste Ursache ist die Nieren-
Ebenfalls komplex ist die Situation bei einer Herz-
arterienstenose durch atherosklerotische Plaques
insuffizienz. Die verminderte Auswurfleistung und
oder eine muskuläre Hyperplasie der Arterienwand.
die Entwicklung kardialer Ödeme spielt für die Ent-
Entsprechend der Experimente von Goldblatt lassen
wicklung eines Hyperaldosteronismus ebenso eine
sich 3 Phasen unterscheiden:
Rolle wie der verminderte Abbau des Aldosterons
e In einer ersten, Tage bis Wochen dauernden in der Leber und die Steigerung der Ausschüttung
Phase kommt es durch Stenose der Nierenarterie
von ANP. Ähnliches gilt für die Situation bei einer
zu einer gesteigerten Renin- und Aldosteronaus-
Leberzirrhose.
schüttung und in deren Gefolge zur arteriellen
Hypertonie. Beides ist nach Aufhebung der Ste-
nose schnell reversibel. 12.4.4
e Die 2. Phase ist charakterisiert durch die Persi- Klinik
stenz der Hypertonietrotz Abnahme der Konzen-
tration an Angiotensin II. Ursächlich werden Die Symptomatik, die die Patienten bieten, ist un-
Veränderungen der Gefäßwände, Wirkungen spezifisch.
des Angiotensin II auf das sympathische Nerven-
system und ein verändertes Ansprechen der Ba- • Primärer Reninismus
rorezeptoren angenommen. Auch in dieser Phase • Schwere Hypertonie mit deutlicher Erhöhung der
ist der Blutdruck durch Beeinflussung des RAAS diastolischen Werte,
regulierbar. • Kopfschmerzen,
e Die 3. Phase ist durch Persistenz der Hypertonie • Polyurie,
auch nach Aufhebung der Stenose gekennzeich- • Ödemneigung.
net, da andere Faktoren an der Aufrechterhaltung
der Hypertonie beteiligt sind. • Renovaskuläre Hypertonie
e Schwere arterielle Hypertonie, insbesondere bei
Auftreten vor dem 20. oder nach dem 50. Lebens-
Phäochromozytom jahr, relativ kurzer Anamnese, negativer Fami-
Der sekundäre Hyperaldosteronismus bei einem lienanamnese,
Phäochromozytom kann zum einen durch die Sti- • Kopfschmerzen,
mulation der Reninproduktion in den juxtaglome- • Polyurie,
rulären Zellen durch Katecholamine, zum anderen • Ödemneigung.
durch Druck des Tumors auf die Nierenarterie ent-
stehen.
12.4.5
Diagnostik
Sekundärer Hyperaldosteronismus
ohne arterielle Hypertonie Anamnese
Kommt es durch eine Reduktion des effektiven arte- Die Anamnese ist auf die zugrunde liegende Erkran-
riellen Blutvolumens zu einer Stimulation des RAAS kung auszurichten und beinhaltet entsprechend der
und zu einem sekundären Hyperaldosteronismus, oft unspezifischen Symptomatik viele der im Rah-
ist dieser primär nicht unbedingt mit einer arteriel- men jeder Anamnese wesentlichen Fragen. Ein mög-
len Hypertonie verbunden. licher Diuretika- oder Laxanzienabusus muss im Ge-
Beim Bartter-Syndrom liegt eine gestörte Natri- spräch herausgearbeitet werden:
umchloridrückresorption im aufsteigenden Ast • Haben Sie und seit wann besteht dieser Bluthoch-
der Henle-Schleife zugrunde. druck?
12.4 Sekundärer Hyperaldosteronismus 517

• Haben Sie Ödeme und wo sind diese lokalisiert? wird angenommen, dass sie daher zu einem erheb-
• Haben Sie oder hatten Sie in Ruhe oder nur unter lichen Teil über subkapsuläre Venen drainiert sind
Belastung Atemnot? und sich deshalb oft keine Seitendifferenz bei Blut-
e Schlafen Sie mit erhöhtem Oberkörper? entnahme aus den Nierenvenen ergibt.
• Besteht vermehrter Harndrang und wie häufig
müssen Sie nachts zur Toilette?
Bildgebende Verfahren
e Werden Diuretika/Laxanzien eingenommen? • Sonographie. Mittels der Sonographischen Un-
tersuchung der Nieren können nichtinvasiv die Grö-
Körperliche Untersuchung ße und Form der Nieren beurteilt werden. Außer-
Die Befunde der körperliche Untersuchung sind von dem können Veränderungen wie Nierentumoren
der zugrunde liegenden Erkrankung und dem Vor- oder -zysten als mögliche Ursachen für eine reno-
liegen einer Hypertonie geprägt und entsprechend vaskuläre Hypertonie erkannt werden. Gleichzeitig
meist unspezifisch. Nach Zeichen einer zugrunde kann mittels farbkodierter Duplexsonographie der
liegenden Herzinsuffizienz (z. B. Lungenstauung, Nierengefäße grob orientierend eine Nierenarterien-
Ödeme, Atemnot) oder einer Leberzirrhose (Spider- stenose ausgeschlossen werden.
naevi, Caput medusae, Palmarerythem, Gynäkoma-
stie, Braunverfärbung der Haut) ist gezielt zu su- • Nierensequenzszintigraphie. Die Nierensequenz-
chen. Einige Befunde können Hinweise auf die Ge- szintigraphie erlaubt die Erkennung regionaler
nese geben: Durchblutungsstörungen und Seitendifferenzen be-
e Ein abdominelles Strömungsgeräusch spricht für züglich der Nierendurchblutung. Bei ca. 90 o/o der
das Vorliegen einer Nierenarterienstenose, Patienten mit Nierenarterienstenose lassen sich Sei-
e Eine höhergradige Retinopathie spricht für einen tendifferenzen nachweisen, die Rate falsch-positiver
über längere Zeit stark erhöhten Blutdruck, Befunde liegt bei ca. 5 o/o.
e Zeichen der Linksherzhypertrophie sprechen
ebenfalls für ein längeres Bestehen der Hypertonie. • Angiographie. Liegen sonographisch und szinti-
graphisch fragliche Befunde vor oder stehen negati-
ve Befunde im krassen Widerspruch zur Klinik (z. B.
Technische Verfahren paraumbilikales Strömungsgeräusch, diastolische
Werte konstant über 100 mmHg), kann eine Nieren-
Laborparameter arterienstenose angiographisch mittels digitaler
• Eine ausgeprägte Hypokaliämie weist auf einen Subtraktionsangiographie nachgewiesen werden.
primären Reninismus oder eine Niernarterienste- Bei Patienten mit multiplen Gefäßproblemen emp-
nose hin. fehlen manche Autoren im Falle einer angiographi-
• Eine Hyponatriämie liegt bei Bartter- oder Pseu- schen Untersuchung immer auch die Nierenarterien
do-Bartter-Syndrom vor. orientierend mit darzustellen.
• Eine erhöhte Plasmareninaktivität und erhöhte
Mineralocorticoide (Aldosteron, 18-0H-Cortico- Reninome stellen sich u. U. als gering vaskularisierte
steron) weisen auf ein Reninom hin und können Areale in der Niere dar. Dies wird möglicherweise
dabei exzessiv hoch ausfallen. Eine Korrelation auf Vasokonstriktorische Effekte des freigesetzten
zwischen der Größe des Reninoms und der Renins zurückgeführt. Falsch-negative Ergebnisse
Höhe der Plasmareninaktivität besteht aber nicht. sind relativ häufig (bis 45 o/o).
Bei der Nierenarterienstenose sind die Werte mo-
derater, Befunde im oberen Normbereich sind • (Spinal-)Computertomographie (CT, Spinal-CT)/
möglich (ca. 30-35 o/o der Fälle). Magnetresonanztomographie (MRT). Bildgebende
Verfahren sind wichtig für den Nachweis einer
Raumforderung im Bereich der Nieren und Neben-
• Selektiver Venenkatheter. Mittels selektivem Ve- nieren. Für das Reninom ist die Bildgebung mittels
nenkatheter kann die Reninaktivität seitengetrennt CT die Untersuchung mit den besten Erfolgsaussich-
gemessen werden, was als prognostischer Faktor ten.
für die Beurteilung einer Nierenarterienstenose ge-
nutzt wurde.
12.4.6
Beim Reninom gelingt die Lokalisation mittels se- Differentialdiagnose
lektivem Venenkatheter nur selten. Dies wird vor al-
lem darauf zurückgeführt, dass die Tumoren häufig Die Differentialdiagnose ergibt sich aus dem klini-
auf der Oberfläche der Nieren lokalisiert sind. Es schen Bild und umfasst die Differentialdiagnose
518 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron

der vorliegenden Elektrolytstörung. Die Abgren- drucks gelingt initial mit ACE-Hemmern gut, es
zung eines primären Hyperaldosteronismus ergibt ist aber beschrieben, dass es im Verlauf zu einem
sich aus der dann supprimierten Plasmareninaktivi- Wiederansteigen des Blutdrucks kommt. Alternativ
tät Die wesentlichen Hinweise ergeben sich aus der können Kalziumantagonisten eingesetzt werden.
Anamnese (Leber-/Herzerkrankungen, Medikamen-
teneinnahme).
Bartter-Syndrom
Eine kausale Therapie des Bartter-Syndroms ist bis-
lang nicht möglich. Im Vordergrund stehen die me-
12.4.7 dikamentöse Beeinflussung der Natriumausschei-
Therapie dung sowie der Ausgleich der Natriumverluste.

Nierenarterienstenose
Pseudo-Bartter-Syndrom
Als Therapie der ersten Wahl gilt die gefäßchirurgi-
Beim Pseudo-Bartter-Syndrom steht primär die Be-
sche Intervention oder die Aufdehnung der Stenose
endigung des zugrunde liegenden Abusus im Mittel-
mittels perkutaner transluminaler Angioplastie
punkt. Dies erfordert eine eingehende psychosoma-
(PTA). Nach erfolgreicher Beseitigung der Stenose
tische Betreuung und Aufarbeitung der zugrunde
kommt es in den meisten Fällen zu einer Normali-
liegenden meist psychosomatischen Grundproble-
sierung der erhöhtenRenin-und AldosteronspiegeL
matik
Eine Persistenz des Hypertonus ist aber insbesonde-
re bei bereits längerem Bestehen häufig, da in der
Spätphase eines renovaskulären Hypertonus andere Therapiekontrollen
Mechanismen für die Unterhaltung der Hypertonie Die Therapiekontrolle erfolgt mittels Kontrolle der
mit verantwortlich sind. Die seitengetrennte Renin- Elektrolyte und des Blutdrucks. Eine ausreichende
bestimmung wurde als prognostischer Faktor ge- Blutdruckeinstellung sollte gewährleistet sein.
nutzt. Bei einem Quotient zwischen betroffener Nach PTA einer Nierenarterienstenose ist vor allem
und gesunder Seite über 1,5 wurde ein Operations- an die Möglichkeit einer Restenase zu denken, die
erfolg > 80 o/o angenommen. Heute weiß man, dass u. U. eine neuerliche Intervention notwendig macht.
andere Faktoren wie Dauer der Hypertonie, Steno- Patienten mit einer Form des Pseudo-Bartter-Syn-
sen anderer Gefäße und die Höhe des Blutdrucks droms bedürfen häufig einer längerfristigen psycho-
aussagekräftiger sind. Als Index für die Suppression somatischen Nachbetreuung.
der kontralateralen Reninproduktion wurde der
Quotient aus der Reninaktivität der kontralateralen
Nebenwirkungen
Seite und der unteren Hohlvene beschrieben. Ein
Mögliche Nebenwirkungen ergeben sich im Wesent-
Quotient > 1,3 zeigt eine pathologische Reninpro-
lichen aus der gewählten Therapie und entsprechen
duktion der kontralateralen Seite an. Reststenosen
den üblichen perioperativen Problemen sowie den
nach PT A sind möglich und müssen ggf. sekundär
Nebenwirkungen und Problemen einer arteriellen
operiert oder erneut dilatiert werden. Die medika-
Hypertonie. AufFolgeerkrankungen eines länger be-
mentöse Therapie ist zwar durch ACE-Hemmer
stehenden Hypertonus ist natürlich ein besonderes
und andere Antihypertensiva möglich, beinhaltet
Augenmerk zu legen.
aber die Gefahr, dass es durch Absenken des Blut-
drucks, bei ACE-Hemmern insbesondere auch
durch die Blockade des RAAS mit entsprechenden
Verschlechterung des Perfusionsdrucks, zu einer zu-
sätzlichen Verschlechterung der Nierendurchblu- Literatur
tung und -funktion kommt. Der Einsatz von Diure-
tika kann, insbesondere bei einseitigen oder lokalen Literatur zu Abschn. 12.1
Befunden, zu zusätzlichen Natriumverlusten und Biglieri EG, Kater CE, Ramsay DJ (1994) Endocrine hyperten-
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Literatur 519

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KAPITEL 13

Katecholamine 13
D. KOPF, c. SCHULZ, H. LEHNERT

13.1 Physiologie 521


13.1.1 Synthese 521 13.1.1
13.1.2 Speicherung 522 Synthese
13.1.3 Sekretion 522
13.1.4 Wiederaufnahme 523
13.1.5 Metabolismus 523 Alle Katecholamine werden von einer Reihe von En-
13.1.6 Einfluss auf die Zielzelle 525 zymen konsekutiv synthetisiert; hieran sind sowohl
Unterproduktion 526 Zytoplasmatische als auch vesikulär lokalisierte En-
13.2 Vermindertes Ansprechen zyme beteiligt. Der Syntheseweg der Katecholamine
auf Katechotamine 526 endet in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit der
13.2.1 Epidemiologie 526 Dopamin-ß-Hydroxylase (DBH) und Phenyletha-
13.2.2 Pathogenese 527
13.2.3 Klinik 527 nolamin-N-Methyltransferase (PNMT; s. Abb. 13-l).
13.2.4 Diagnostik 528
13.2.5 Differentialdiagnose 529
13.2.6 Therapie 529 • 3,4-Hydroxyphenylalaninsynthese und Regula-
Überproduktion 529 tion. Präkursor dieses Syntheseweges ist die Amino-
13.3 Phäochromozytom (ohne MEN) säure L-Tyrosin, die mit der Nahrung aufgenommen
und ParagangHorn 529 oder in der Leber aus Phenylalanin gebildet wird.
13.3.1 Fallpräsentationen 529 Die Aufnahme aus dem Blut in das ZNS erfolgt
13.3.2 Epidemiologie 531
13.3.3 Pathogenese 533 mit Hilfe des Transporters für neutrale Aminosäu-
13.3.4 Klinik 534 ren. L-Tyrosin wird durch eine Oxidase, die Tyrosin-
13.3.5 Diagnostik 536 hydroxylase {TH, EC 1.14.16.2, Km 2 x 10-5 M im
13.3.6 Differentialdiagnose 539
13.3.7 Therapie 540 NNM, 0,4 x w-s Mim Gehirn), zu L-Dopa hydro-
13.3.8 Notfall 542 xyliert. Diese Hydroxylierung des Phenolringes, an
Literatur 542 der molekularer Sauerstoff, sowie Fe2+ und reduzier-
tes Pteridin (Tetrahydrobiopterin, TH 4 ) als Kofakto-
ren beteiligt sind, ist der geschwindigkeitsbestim-
mende Schritt bei der Katecholaminbiosynthese.
TH 4 dient dabei als Donor von HrAtomen, mit de-
13.1 ren Hilfe die TH in einem reduzierten, aktiven Zu-
Physiologie stand gehalten wird. TH 4 wird seinerseits nach der
Übertragung von Hz auf die TH durch die Chi-
Noradrenalin, Adrenalin und Dopaminderivate des noid-Dihydropteridin-Reduktase mit Nicotinamid-
Katechols (1,2-Dihydroxybenzol) werden im zentra- Adenin-Dinucleotid (NADH) oder Nicotinamid-
len Nervensystem (ZNS), sympathischen Nerven Adenin-Dinucleotid-Phosphat (NADPH) als Koen-
und Ganglien sowie in den chromaffinen Zellen zym reduziert. Katecholamine hemmen die TH un-
des Nebennierenmarks (NNM) gebildet. Im ZNS ter Vermittlung von Pteridin. Die Katecholamine
sind Dopamin und Noradrenalin weit verbreitet, oxidieren TH 4 zu Pteridin und verhindern so die
während Adrenalin im Gehirn der Säugetiere in re- Übertragung von Hz und damit die Aktivierung
lativ niedrigen Konzentrationen gefunden wird. In der TH. Darüber hinaus können sie als kompetitive
der Peripherie ist Noradrenalin der Transmitter Inhibitoren von TH 4 an der katalytischen Bindungs-
des postganglionären sympathischen Nervensy- stelle der TH wirken. Unter erhöhter neuronaler Ak-
stems und Dopamin ist als relevanter Regulator tivität kann die TH über die Phosphorylierung ver-
an der renalen Durchblutung beteiligt. Adrenalin schiedener Serinreste des Enzyms aktiviert werden.
wird in der Peripherie vor allem in den chromaffi- Hieran sind unterschiedliche Proteinkinasen betei-
nen Zellen des NNM gebildet und freigesetzt. ligt, die zum Teil CaZ+Jcalmodulin-abhängig sind.
522 KAPITEL 13 Katecholamine

- - -
OH OH CH 3

~OH HO:cr{,O
""'I OH
HO~ HO~ - HO~NH
HOAJ ~H, TH HO '»- NH, AAO HON NH, DBH HON ~H, PNMT HOAJ

L-Tyrosin L-Dopa Dopamin Noradrenalin Adrenalin

In Abhängigkeit von der Lokalisation der Phospho- nalen Medulla wird die Expression dieses Enzyms
rylierung können Vmax oder die Affinität zum TH 4- durch Glucocorticoide stimuliert.
Kofaktor, der unter physiologischen Bedingungen in
suboptimaler Konzentration vorliegt, erhöht wer-
den. Über Vermittlung von aradrenergen oder 13.1.2
D2-Rezeptoren können cAMP oder Ca 2+/Calmodu- Speicherung
lin-abhängige Proteinphosphatasen aktiviert wer-
den, die die TH dephosphorylieren. Längerfristige Die Aufnahme in die Granula der chromaffinen Zel-
Veränderungen der Katecholaminbiosynthese, z. B. len wird über vesikuläre Monoamintransporter
durch Hormone oder die Stimulation muscarinerger (VMA T) vermittelt. Die dazu benötigte Energie
Acetylcholinrezeptoren, beinhalten die Regulation stammt aus einem Wasserstoffionengradienten,
der Synthese der TH, aber auch der DBH und der der durch eine H+-ATPase aufrecht erhalten wird.
PNMT. Die Granula der NNM-Zellen enthalten Katechol-
amine und ATP im Verhältnis 4 : 1; in den Vesikeln
• Dopaminsynthese. Der nächste Schritt in der noradrenerger Neurene beträgt das Verhältnis
Synthese, die Umwandlung von L-Dopa in Dopa- 6-8: 1 (im N. splenicus). Man nimmt an, dass die
min, wird durch die zytosolische Aromatische-L- anionischen Phosphatgruppen des ATP ionische
Aminosäuren-Decarboxylase (AAD, Dopa-Decarbo- Wechselwirkungen mit den unter physiologischen
xylase, EC 4.1.1.28, Km 4 x 10- 4 M) katalysiert. Py- Bedingungen als Kation vorliegenden Katechotami-
ridoxalphosphat (Vitamin B6 ) ist hieran als Kofaktor nen besitzen und so die Katechotamine in den Ve-
beteiligt. In dopaminergen Neuronen endet hier der sikeln binden. Zum Teil gehen diese zusammen mit
Syntheseweg der Katecholamine. Ca 2+ Komplexe mit dem Protein Chromogranin A
ein. Durch solche Mechanismen können hohe osmo-
• Noradrenalinsynthese. In noradrenergen und tische Drücke in den Granula vermieden werden.
adrenergen Neuronen sowie den chromaffinen Zel- Die physiologische Bedeutung dieser Zellkomparti-
len des NNM wird mit Hilfe der dort vorkommen- mente {in denen auch die Oxidation von Dopamin
den DBH (EC 1.14.17.1) die Reaktion von Dopamin zu Noradrenalin stattfindet) besteht in einer Spei-
zu Noradrenalin katalysiert. Außer Dopamin kön- cherung von Katechotaminen bis zur Freisetzung
nen durch das Cu 2+-enthaltende Enzym eine Reihe durch einen physiologischen Stimulus sowie in
weiterer Phenylethylamine ß-hydroxyliert werden. dem Schutz vor metabolischen Enzymen. Weiterhin
Die DBH ist eine gemischtfunktionelle Oxidase, wird durch die Aufnahme der Katechotamine in
die molekularen Sauerstoff benötigt und Aseerbat Speiebergranula die Zytoplasmatische Konzentra-
als HrDonor nutzt. Das Enzym kommt in den sekre- tion verringert und so der Konzentrationsgradient
torischen Vesikeln katecholaminerger Neurene bzw. zum Extrazellulärraum erhöht, wodurch die Auf-
den Granula der chromaffinen Zellen vor und ist nahme von Katechotaminen begünstigt wird.
dort in der Innenseite der Vesikelmembran oder ge-
löst lokalisiert. Die Aufnahme von Dopamin in diese
Vesikel erfolgt mit Hilfe eines energieabhängigen 13.1.3
Monoamintransporters (VMAT). In den chromaffi- Sekretion
nen Zellen der adrenalen Medulla sowie in den im
ZNS in geringer Zahl vorhandenen adrenergen Neu- • Chromaffine Zellen des NNM. Am besten unter-
ronen katalysiert die PNMT (EC 2.1.1.28) die N-Me- sucht ist der Mechanismus der Freisetzung von Ka-
thylierung von Noradrenalin zu Adrenalin. Sie ist im techolaminen an den chromaffinen Zellen des NNM.
Zytosollokalisiert und benötigt S-Adenosylmethio- Unter Vermittlung präganglionärer Neurene wird
nin als Methyldonor. Das Enzym ist nicht substrat- Acetylcholin freigesetzt und führt über nicotinerge
spezifisch und katalysiert die Methylierung einer Rezeptoren an den chromaffinen Zellen zu einer
Reihe von Phenylethanolaminderivaten. In der adre- Veränderung der Membranpermeabilität für Ca 2+
13.1 Physiologie 523

und andere Ionen. Man nimmt an, dass der Ein- Enzymatische Inaktivierung
strom von Ca 2+ der relevante Stimulus für die Frei- Eine zentrale Stellung beim Metabolismus der Kate-
setzung von Adrenalin ist, der exozytotisch erfolgt. cholamine nehmen 2 Enzyme ein:
Ebenfalls über einen Ca2+-Einstrom vermittelt kann • zum einen die sowohl intra- wie auch extrazellu-
die Freisetzung von Adrenalin über histaminerge lär gefundene Monoaminooxidase (MAO, EC
Rezeptoren sowie durch K+-Ionen, Bradykinin 1.3.2.4) und
und andere Stoffe stimuliert werden. • zum anderen die Catecholamin-0-Methyltransfe-
rase (COMT, EC 2.1.1.6; Trendelenburg 1990), die
• Periphere sympathische Neurone. Die Freiset- zum größten Teil zytosolisch, aber auch extraneu-
zung von Katecholaminen aus peripheren sympathi- ronal vorkommt.
schen Neuronen ist weniger gut untersucht. Nach
gegenwärtigem Kenntnisstand liegen ähnliche Me- Auf verschiedenen Abbauwegen entstehen instabile,
chanismen wie an den chromaffinen Zellen zu Grun- intermediäre Aldehyde und Alkohole, die von Alde-
de. Die elektrische Erregung in der Anstiegsphase hyd- oder Alkoholdehydrogenasen weiter metaboli-
des Aktionspotentiales eines Axons führt über po- siert werden (Abb. 13-2 und 13-3).
tentialgesteuerte Na+-Ionenkanäle zu einem Ein-
strom von Ca2+ in die Präsynapse und zur exozyto- • Monoaminooxidase/MAO. Die MAO ist partikel-
tischen Freisetzung der Speichervesikel in die Syn- gebunden und wird hauptsächlich in der äußeren
apse. Membran von Mitochondrien gefunden, kommt
aber auch in größerer Menge extraneuronal vor, wo-
bei das intraneuronale Enzym von größerer Bedeu-
tung beim Abbau der Katecholamine zu sein scheint.
13.1.4
Im menschlichen Gehirn tritt die MAO in minde-
Wiederaufnahme
stens 2 unterschiedlichen Formen (MAO A und
MAO B) auf, die durch unterschiedliche Spezifität
Der bevorzugte Weg der Inaktivierung von Kate-
für Substrate und Antagonisten charakterisiert
cholaminen neuronalen Ursprungs ist die erleich-
sind. Die MAO A besitzt eine höhere Affinität für
terte Aufnahme in umgebende Neurone und Gliazel-
Noradrenalin als die MAO B, beide Subtypen sind
len aus dem synaptischen Spalt. Darüber hinaus dif-
jedoch relativ unspezifische Enzyme, die unter Be-
fundieren Katecholamine in Kapillaren und gelan-
teiligung von Flavinadenindinucleotid (FAD) eine
gen über den Blutkreislauf in Organe wie Leber,
Vielzahl von Aminen zu oxidieren vermögen. So be-
Nieren, Milz und Herz, in denen sie metabolisiert
sitzen sie eine Bedeutung nicht nur beim Metabolis-
werden. Im Besonderen gilt das für Adrenalin aus
mus der Katecholamine, sondern oxidieren auch an-
dem NNM. Der Aufnahmeprozess ist sättigbar
dere, z. B. mit der Nahrung aufgenommene, Amine.
und energetisch an eine Na+ /K+-ATPase gekoppelt,
bevorzugtes Substrat ist L-Noradrenalin. Für den
• Catecholamin-0-Methyltransferase/COMT. Das
Noradrenalintransporter sowie für die spezifischen
zweite Enzym, die sowohl frei als auch membrange-
Transportproteine der anderen Katecholamine ist
bunden vorkommende, Mg2+-abhängige COMT
gezeigt worden, dass sie integrale Membranproteine
wird in hohen Konzentrationen in Leber und Niere
mit 12 Transmembransegmenten sind und durch
gefunden und ist im ZNS ebenfalls in größerer
nahe verwandte Gene kodiert werden. Zur gleichen
Menge vorhanden. Sie katalysiert die 0-Methylie-
Genfamilie gehören auch die Transporter für GABA,
rung von Noradrenalin und Adrenalin sowie deren
Glycin und Cholin. Für den Noradrenalintranspor-
deaminierte Metaboliten. Für die Funktion dieses
ter ist gezeigt worden, dass er durch die sympathi-
Enzyms ist S-Adenosylmethionin als Methylgrup-
sche Nervenaktivität reguliert wird. Hierbei wird
pendonor erforderlich.
eine Phosphorylierung von Serin- und Threonin-
resten als Mechanismus diskutiert.
Inaktivierung durch Konjugation
Ein weiterer sehr effektiver Weg der physiologischen
13.1.5 Inaktivierung ist die Konjugation von Katecholami-
Metabolismus nen zu Sulfaten und Glukuronaten. Die für die Sul-
fatierung verantwortliche Phenolsulfotransferase
Am Metabolismus der Katecholamine sind zum (PST, EC 2.8.2.1) wird in 2 Subtypen vor allem in Le-
einen Nerven- und Gliazellen beteiligt und zum an- ber, Gastrointestinaltrakt, Gehirn und Thrombozy-
deren Thrombozyten und Organe wie Leber und ten gefunden. An der Glukuronierungvon Katechol-
Nieren. aminen und deren Metaboliten sind mehrere ver-
524 KAPITEL 13 Katecholamine

CH 3 OH CH3 OH
O~OH 6~o
Konj ugat ion
HON HOJJ ÖH

3- Methoxy-4-Hydroxy- 3- Methoxy- 4- Hydroxy-


phenylglycol (MHPG) mandelsäure
(Vanil linmandelsäure, VMA)

COMT
OH OH
i Ald.-Red.

HO~OH HO~O 6~
Konjugation HON ÖH HOJ J 8H
HON

3, 4-Dihydroxyphenyl- 3, 4- Dihydroxy- 3-Methoxy-4-Hydroxy· "\_ MAO

i i
glycol (DOPEG) mandelsäure (DOMA) phenylg lycola ldehyd ""'

Ald.-Red.
~.-Dehydro. MAO
OH CH3 OH
HO~ O~NH2
Konjugation
HOAJ 8H HON

3, 4 · Dihydroxy-
phenylg lycolald ehyd
"\AO /roMT
!
Normetanephrin (NM)

Konjugation
Metanephrin (NM)

i COMT

OH OH CH 3
HO~ HO~NH
HON ~H2 Konjugation HON Konj ugation

Noradrenalin Adrenalin

Abb.B-2. Metabolismus von Noradrenalin und Adrenalin. COMT Catecholamin-0-Methyltransferase, MAO Monoamino-
oxidase

l Konjugation

Konjugat ion
HO"Y"';('?O

HON OH

3, 4- Dihydroxyphenyl-
--
COMT

Homovanillinsäure
-
Ald.·Red.

3- Methoxy-4- Hydroxy-
essigsäure (DOPAC) (HVA) phenylacetaldehyd

Ald. -Oe hydro. I MAO

HO~
HON

3, 4-Dihydroxyphenyl-
ÖH
MAO

- - HON
HOY'Y'"'l

Dopamin
NH2 -
COMT

3- Methoxytyramin
acetaldehyd (MTA)

Abb. 13-3. Metabolismus von Dopamin. COMT Catecholamin-0-Methyltransferase, MAO Monoaminooxidase


13.1 Physiologie 525

schiedene Glukuronyltransferasen der Leber betei- C. Darüber hinaus wird die Phospholipase Al akti-
ligt. Die Ausscheidung der Katecholamine und Me- viert.
taboliten erfolgt in freier oder konjugierter Form
zum größten Teil über die Niere, ein geringer Teil Der a 1a- Typ ist unabhängig vom Phosphoinositol-
wird über die Leber in die Galle abgegeben. system in der Lage, Dihydropyridin-sensitive
Ca 2 +-Kanäle zu öffnen ( Minneman 1988).

13.1.6 • arRezeptoren. Die a 2-Rezeptoren sind an ein in-


Einfluss auf die Zielzelle hibitorisches G-Protein (GJ gekoppelt, das bei Ak-
tivierung zu einer Reduktion der Synthese von
Rezeptorwirkmechanismus cAMP führt. Die physiologische Bedeutung dieser
Die Rezeptoren für Noradrenalin und Adrenalin im peripheren sympathischen Nervensystem haupt-
sind membranständige Proteine mit einem extrazel- sächlich in der präsynaptischen Membran lokalisier-
lulären Aminoterminus und einem intrazellulären ten Rezeptoren liegt in der Modulation der Nor-
Carboxylterminus. Sie bestehen aus 7 Transmem- adrenalinfreisetzung. Außer der genannten Gi-Pro-
bransegmenten, die jeweils durch eine extra- und teinkopplung ist an derVermittlungder Uz-Wirkung
intrazelluläre Schleife verbunden sind. Innerhalb ein weiterer, bisher unbekannter Mechanismus be-
der Rezeptorfamilie können verschiedenen Typen teiligt, der durch Pertussistoxin nicht hemmbar ist
(a- und ß-Rezeptoren) mit zum Teil sehr unter- und daher G-Protein-unabhängig sein muss.
schiedlichen physiologischen Funktionen unter-
schieden werden. Diesen a- und ß-Rezeptoren kön- • ~-Rezeptoren. An der Signaltransduktion der
nen verschiedene Subtypen zugeordnet werden, die ß-Rezeptoren ist ein die Adenylatcyclase stimulie-
ursprünglich durch die Wirkung verschiedener Re- rendes G-Protein (G 5 ) beteiligt. Das dadurch ver-
zeptoragonisten und -antagonisten charakterisiert mehrt gebildete cAMP beeinflusst über cAMP-ab-
wurden und die sich z. T. in ihren Signaltransduk- hängige Proteinkinasen die Aktivität zellulärer Pro-
tionswegen unterscheiden (Tabelle 13-1 ). teine. Anders als bei den a-Rezeptoren unterschei-
Zwischenzeitlich wurde auch die Existenz von den sich die verschiedenen ß-Rezeptoren (ß 1_ 3)
ß4-Rezeptoren im Fettgewebe und im Myokard nicht in der Signaltransduktion. Bei erhöhter Ver-
von Nagern postuliert, die jedoch noch nicht klar fügbarkeit des Liganden kann eine Desensibilisie-
charakterisiert sind (Preitner et al. 1998). rung von ß 1- und ßz-Rezeptoren erfolgen. Daran
sind Rezeptorphosphorylierungen, die die Tren-
nung der Rezeptorkopplung an Adenylatcyclase
Signaltransduktionsmechanismus
bewirken, sowie die lnternalisation von Rezeptoren
• a 1-Rezeptoren. Der Signaltransduktionsmecha-
und die Reduktion der Synthese beteiligt. Der
nismus für a 1-Rezeptoren beeinhaltet beim aw
ßr Typ ist im Gegensatz dazu nicht kurzzeitig zu
Typ die Aktivierung eines noch wenig charakteri-
desensitieren und zeigt auch keine längerfristige
sierten G-Proteins, das über die Phospholipase C
Rezeptor- Downregulation.
zu vermehrten Hydrolyse von Phosphatidylinosit-
ol-4,5-Diphoshat (PIP 2) führt. Die daraus resultie-
renden Produkte Inositol-1,4,5-Triphosphat (IP 3) Rezeptorlokalisation
und 1,2-Diacylglycerol (DAG) mobilisieren Ca 2+ Die Lokalisation der adrenergen Rezeptoren ist di-
aus dem endoplasmatischen und sarkoplasmati- stinkt und spiegelt deren physiologische Funktionen
schen Retikulum und stimulieren die Proteinkinase wieder. Prinzipiell sind a 1- und ß 1-adrenerge Rezep-

Tabelle 13-l. Pharmakologische Klassifikation adrenerger Rezeptoren

Rezeptorsubtyp Agonistische Potenz Selektiver Agonist Selektiver Antagonist

a.. A = A > ISO Methoxamin, Phenylephrin Prazosin, Doxazosin

O.z A= A> I 0 Clonidin, Guanabenz Yohimbin

ßi ISO > A > A Dobutamin Metoprolol, Atenolol

ßz ISO > A > A Salbutamol, Terbutali n Butoxamin

ß) NA > ISO > A Trecadrine SR59230A, BRL37344

A Adrenalin, ISO lsoproterenol, NA Noradrenalin


526 KAPITEL 13 Katecholamme

toren primär in Geweben mit dichter sympathischer fekt und erhöht die AV-Überleitungsgeschwin-
Innervation (z. B. Herz, Darm) lokalisiert, während digkeit. An der juxtaglomerulären Zelle der Niere
postsynaptische ar und ßrRezeptoren bevorzugt in wird die Reninsekretion stimuliert und aus Adi-
Geweben geringer sympathischer Innervation (z. B. pozyten vermehrt Fettsäuren freigesetzt.
Skelettmuskulatur, Uterus) gefunden werden und • Über ßradrenerge Rezeptoren wird eine Relaxa-
dort hauptsächlich durch das Adrenalin des Neben- tion der glatten Muskulatur im Bereich der Gefä-
nierenmarkes stimuliert werden: ße, der Bronchien und auch des Gastrointestinal-
• aradrenerge Rezeptoren sind vor allem an der traktes vermittelt Im endokrinen Pankreas be-
glatten Gefäßmuskulatur, der Leber, der Muscu- wirken Katecholamine über ß2-Rezeptoren so-
laris des Gastrointestinaltraktes und im Myokard wohl eine Erhöhung der Glukagon- wie auch
lokalisiert. der Insulinsekretion, wobei Letztere durch die
• Postsynaptische arRezeptoren vor allem in den an den Inselzellen vorhandenen a 2-Rezeptoren
ß-Zellen des Pankreas, in Gehirn und Leber antagonisiert wird. In der Skelettmuskulatur
und an einigen glatten Muskeln. Darüber hinaus ebenso wie auch in der Leber wird die Glykogen-
besitzen präsynaptisch lokalisierte a 2-Rezepto- olyse stimuliert.
ren, die die Freisetzung von Noradrenalin hem-
men, eine große Bedeutung bei der Modulation In Bezug auf den Intermediärstoffwechsel kann zu-
der neuronalen Aktivität. sammenfassend gesagt werden, dass die Effekte des
• ßradrenerge Rezeptoren sind vor allem auf Myo- sympathoadrenomedullären Systems generell die
kardzellen und den juxtaglomerulären Zellen lo- Mobilisierung von Substraten des Energiestoffwech-
kalisiert. sels bewirken. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die
• Die adrenergen Rezeptoren der glatten Muskula- Homöostase des Energiestoffwechsels als auch unter
tur (Gefäße, Bronchien, GI-Trakt), der Skelett- stressreichen Bedingungen im Sinne einer "Notfall-
muskulatur und der Leber sind vorzugsweise reaktion".
vom ßrTyp, der auch an den ß-Zellen des Pan-
kreas gefunden wird.
Unterproduktion
Biologische Wirkungen
Bei den metabolischen und kardiavaskulären Wir- 13.2
kungen der Katecholamine muss zwischen neurona- Vermindertes Ansprechen
len Effekten, die über eine vermehrte Freisetzung auf Katecholamine
von Nordrenalin vermittelt werden, und der humo-
ralen Wirkung von Adrenalin aus dem Nebennie- 13.2.1
renmark unterschieden werden. Beide Anteile des Epidemiologie
sympathoadrenomedullären Systems können selek-
tiv aktiviert werden und so distinkte Wirkungen Bei den Erkrankungen, die auf einer Unterfunktion
ausüben. Entscheidend für die Wirkung der Kate- des katecholaminergen Systems beruhen, handelt es
cholamine in verschiedenen Geweben ist das Vor- sich definitionsgemäß um Störungen, die entweder
handensein unterschiedlicher Rezeptortypen mit ih- auf einer verminderten Produktion der Katechol-
ren Signaltransduktionsmechanismen, über die die amine oder einem verminderten Ansprechen auf
unterschiedlichen physiologischen Wirkungen ver- ihre Wirkung beruhen. Hierbei können diese Stö-
mittelt werden: rungen entweder allein auf der Ebene des sympathi-
• So bewirkt z. B. die Stimulation des arRezeptors schen Nervensystems oder in Verbindungen mit
an der glatten Gefäßmuskulatur eine ausgeprägte Störungen weiterer Systeme auftreten. Zudem
Kontraktion, am Myokard eine erhöhte kontrak- kann die Unterfunktion Ausdruck einer Dysfunkti-
tile Wirkung und führt in der Leber zu einer ge- on des zentralen wie auch des peripheren Nervensy-
steigerten Glykogenolyse. stems sein. Valide Angaben zur Epidemiologie kön-
• Auch arStimulation bewirkt an der glatten Ge- nen kaum gemacht werden, da die Erkrankungen
fäßmuskulatur eine Kontraktion, dient jedoch (mit Ausnahme der Dysfunktion im Rahmen eines
an der präsynaptischen Membran als negativer Diabetes mellitus und eines M. Parkinson) außeror-
Regulator für die Freisetzung von Noradrenalin dentlich selten sind und mit einer geschätzten Inzi-
und reduziert in Gegenwart von Glukagon an denz von l auf 100.000-200.000 auftreten. In diesem
den Inselzellen des Pankreas die Insulinsekretion. Zusammenhang sollen nur die Erkrankungen be-
• Die Stimulation ß radrenerger Rezeptoren be- sprochen werden, die als Leitsymptom eine (ortho-
wirkt am Herzmuskel einen positiv-inotropen Ef- statische) Hypotonie aufweisen.
13.2 Vermindertes Ansprechen auf Katecholamine 527

Diabetische autonome Neuropathie


13.2.2
Akute Pandysautonomie (z. B. bei Guillain-Barn~­
Pathogenese
Syndrom)
Lambert-Eaton -Syndrom
Zur Entstehung wie auch zur Einteilung ist bedeut-
Holmes-Adie Syndrom
sam, dass von primären und sekundären autono-
Neuropathie bei Amyloidose
men Dysfunktionen gesprochen werden kann. Die
sekundären autonomen Dysfunktionen sind dabei
Konsequenz definierter Grunderkrankungen, wie
beispielsweise ein Diabetes mellitus, eine multiple
Sklerose, ein M. Parkinson oder eine Amyloidose.
13.2.3
Grundsätzlich ist unter pathogenetischen Aspekten
eine Einteilung sinnvoll, die
Klinik
e 1. Entwicklungsdefekte,
Klinisch stehen bei den genannten Störungen sehr
e 2. degenerative und unterschiedliche Phänomene neben der zum Teil
• 3. erworbene Erkrankungen
sehr ausgeprägten Hypotonie im Vordergrund:
- voneinander trennt. So beruht die Pathogenese
der klinisch häufigsten Form, der autonomen
e So findet sich bei der kongenitalen Schmerzun-
empfindlichkeit neben einer ausgeprägten ver-
Dysfunktion bei multipler Systematrophie
minderten Schmerzwahrnehmung eine verlang-
(hierunter fällt auch das Shy-Drager-Syn-
samte Reflexvasodilatation und fehlende Reflex-
drom), auf einer Degeneration der sympathi-
bradykardie. Die Hypotonie ist eher mäßig aus-
schen Neuronen. Dies betrifft auch die Ent-
geprägt. Zusätzlich besteht eine Form mit
wicklungsdefekte des autonomen Nervensy-
Anhidrosis (aufgehobene Schweißbildung).
stems. Die exakten molekularen Ursachen die-
ser Degeneration sind bislang nicht bekannt.
e Bei der familiären autonomen Dysfunktion findet
sich häufig eine paradoxe Blutdruckreaktion mit
Hingegen muss das Entstehen der erworbenen
orthostatischer Hypotonie und belastungsindu-
Störungen wie auch das der autonomen Dys-
zierter Hypertonie. Eine Abnahme der Nieren-
funktion beiM. Parkinson im Rahmen der spe-
funktion tritt mit fortgeschrittenem Lebensalter
zifischen Grunderkrankung gesehen werden;
auf. Diese Patienten sind außerordentlich gefähr-
hier wird aber zu den detaillierten Vorstellun-
det durch eine gestörte Schlafarchitektur und
gen beispielsweise auf das Kapitel "Diabetische
Schlafapnoe. Plötzlicher Herztod wird hier beob-
Neuropathie" verwiesen. Die folgende Über-
achtet.
sicht zeigt eine Einteilung der "Unterfunktion"
• Beim Dopamin-ß-Hydroxylasemangel findet sich
des sympathischen Nervensystems.
klinisch eine zum Teil schwerste orthostatische
Hypotonie, während die sympathischen choliner-
Einteilung der Unterfunktion des sympathischen gen Funktionen (z. B. Schwitzen) erhalten sind.
Nervensystems • Die multiplen mukosalen Neurome stellen eine
sehr seltene Sonderform der multiplen endokri-
e Entwicklungsdefekte des autonomen Nervensy- nen Neoplasie Typ 2b dar. Es liegen eine ausge-
stems prägte Hautpigmentierung, multiple Neurome,
Kongenitale Schmerzunempfindlichkeit ein medulläres Schilddrüsenkarzinom und ein
Kongenitale Schmerzunempfindlichkeit mit An- Phäochromozytom vor. Symptomatisch sind
hidrosis diese Patienten hinsichtlich ihrer autonomen
Familiäre autonome Dysfunktion (Rily-Day-Syn- Dysfunktion durch eine verminderte Tränenpro-
drom) duktion und eine ausgeprägte orthostatische Hy-
Dopamin-ß-Hydroxylase-Mangel potonie.
Multiple mukosale Neurome • Unter den degenerativen Erkrankungen des auto-
e Degenerative Erkrankungen des autonomen Ner- nomen Nervensystems ist die häufigste die auto-
vensystems nome Dysfunktion im Rahmen eines M. Parkin-
Autonome Dysfunktion bei multipler System- son, wenngleich diese Problematik nur bei einer
atrophie (inkl. Shy-Drager-Syndrom) kleineren Zahl der Patienten mit dieser Grunder-
Degeneration des peripheren sympathischen Ner- krankung auftritt. Klinisch führen eine orthosta-
vensystems ("pure autonomic failure") tische Hypotonie, Impotenz, Hitzeintoleranz, ex-
Orthostatische Hypotonie mit Endorganresistenz zessives Schwitzen und Sphinkterstörungen.
• Erworbene Störungen des autonomen Nervensy- Ebenso besteht bei diesen Patienten eine erhöhte
stems (Auswahl) Inzidenz des Schlaf-Apnoe-Syndroms.
528 KAPITEL 13 Katecholamine

• Die multiple Systematrophie weist klinisch zahl- Laborparameter


reiche Beschwerden und Unterfunktionsstörun- • Dopamin-~-Hydroxylasemangel. Bei Patienten
gen des autonomen Nervensystems auf. Auch mit einem Dopamin-ß-Hydroxylasemangel finden
hier steht eine schwere orthostatische Hypotonie sich deutlich erniedrigte basale Noradrenalinwerte
und ein gestörter Muskeltonus im Vordergrund. im Plasma sowie entsprechend hohe Dopaminwerte
Zusätzlich wurden Impotenz, Inkontinenz, Ani- und nicht messbare Konzentrationen der Dopamin-
sokorie, Muskelatrophie, Reflexverlust und Ta- ß-Hydroxylase.
chykardien beschrieben. Unter diesen Formen-
kreis fällt auch das früher so genannte Shy-Dra- • Multiple Systematrophie. Bei der multiplen Sy-
ger-Syndrom. stematrophie sind die Basalwerte für Noradrenalin
• Bei der Degeneration des peripheren sympathi- im Plasma erhöht und die Sensitivität der glatten Ge-
schen Nervensystems steht die Hypotonie und faßmuskulatur gegenüber exogen appliziertem Nor-
weiterhin ein ähnlicher Symptomkomplex wie adrenalin normal. Eine normale Reaktion ist hierbei
bei der multiplen Systematrophie im Vorder- definiert als Anstieg des systolischen Blutdrucks um
grund. Bei diesen Patienten fehlen allerdings in etwa 20 mmHg nach Infusion einer Dosis von
aller Regel Hinweise für Störungen der zentral- 25-50 ng/kg KG/min Noradrenalin. Als Ausdruck
nervösen Neurotransmission. einer zentralnervösen Beteiligung ist der Anstieg
• Bei der orthostatischen Hypotonie mit Endorgan- des Wachstumshormons nach Gabe von Clonidin
resistenz handelt es sich um eine seltene Erkran- (1,5 11g/kg KG) aufgehoben. Der Clonidintest mit
kung, derer Symptomatik im Wesentlichen der der Bestimmung von Wachstumshormon ist ein re-
der Degeneration des peripheren sympathischen levanter Test für die Integrität des zentralen a-adre-
Nervensystems entspricht. nergen Systems. Schließlich werden bei den Patien-
ten mit einer multiplen Systematrophie auch ACTH
Die klinischen Symptome der erworbenen Störun- und ß-Endorphin nach einer Insulinhypoglykämie
gen des autonomen Nervensystems sind Ausdruck vermindert sezerniert.
der jeweiligen Grunderkrankung (Diabetes mellitus,
Guillain-Barre-Syndrom, Bronchialkarzinom mit • Degeneration des peripheren sympathischen
Lambert-Eaton-Syndrom, Amyloidose) und sollen Nervensystems. Im Rahmen einer Degeneration
daher hier im Detail nicht besprochen werden. des peripheren sympathischen Nervensystems
("pure autonomic failure") finden sich erniedrigte
Werte für Noradrenalin im Plasma, die Tests für
13.2.4
die zentralnervöse a-adrenerge Funktion (Clonidin-
Diagnostik
test) sind intakt. Von wissenschaftlichem Interesse
ist der Nachweis einer erhöhten Dichte von a-Rezep-
Anamnese und körperliche Untersuchung
toren auf Thrombozyten und ß-Rezeptoren auf
Der V erdacht auf eine autonome Dysfunktion liegt
Lymphozyten bei dieser Erkrankung.
dann nahe, wenn ein Abfall des systolischen Blut-
drucks in Orthostase über 20 mmHg bei einem sym-
• Orthostatische Hypotonie mit Endorganresi-
ptomatischen Patienten besteht. Insbesondere die
stenz. Bei einer orthostatischen Hypotonie mit En-
entwicklungsbedingten und die erworbenen Erkran-
dorganresistenz finden sich normale Werte für Nor-
kungen lassen sich aufgrund der häufig sehr typi-
adrenalin im Plasma, nach Infusion von Noradrena-
schen o. g. neurologischen Symptome abgrenzen.
lin bleibt der Blutdruckanstieg aus.
Die körperliche Untersuchung umfasst daher eine
sehr ausführliches Fahnden insbesondere nach:
Technische Verfahren
• einer Störung der Schweißsekretion,
In einigen Fällen sind ergänzend Untersuchungen
• Sphinkterstörungen,
mit Hilfe bildgebender Verfahren sinnvoll.
• Muskelatrophien,
• Anisokorie und auch
• Szintigraphie. Dies gilt insbesondere für die
• Erfassung einer möglicherweise gestörten Schlaf-
Durchführung einer Szintigraphie mit 1231-Methyl-
architektur.
iodbenzylguanidin (MIBG) zum Nachweis einer In-
Insbesondere die degenerativen Erkrankungen des taktheit der adrenergen Neurotransmission. So wur-
autonomen Nervensystems (autonome Dysfunktion de für Patienten mit einer autonomen Dysfunktion
des M. Parkinson, multiple Systematrophie, "pure ein verminderter MIBG-Uptake beschrieben; aller-
autonomic failure" und Endorganresistenz) lassen dings kann mit Hilfe dieser Methode nicht zwischen
sich durch laborchemischen Verfahren voneinander den einzelnen Formen beispielsweise einer degene-
abgrenzen. rativen Erkrankung unterschieden werden.
13.3 Phäochromozytom (ohne MEN) und ParagangHorn 529

• CT/MRT. Ein zerebrales CT oder besser noch ein L-DOPS) werden bei Patienten mit einem DBH-
MRT ist hilfreich für die Diagnose einer multiplen Mangel eingesetzt. Hier handelt es sich um die
Systematrophie. So können mit dieser Untersu- Präkursorsubstanzen, die über eine DOPA-De-
chung hiermit assoziierte Veränderungen im Stria- carboxylase zu Noradrenalin metabolisiert wer-
tum nachgewiesen werden. den und damit den enzymatischen Block über-
brücken.
• Weiterhin ist Fludrocortison in einer Dosis von
1- bis 2-mal 0,1 mg zu nennen, das einen Mine-
13.2.5 ralocorticoideffekt auf das Plasmavolumen aus-
Differentialdiagnose übt und a-Adrenorezeptoren gegenüber endoge-
nem Noradrenalin sensitivieren kann.
Die Differentialdiagnostik ist grundsätzlich bei der • Substanzen wie Metoclopramid (blockiert Dopa-
Einteilung der unterschiedlichen Störungen genannt minrezeptoren) in einer Dosis von etwa 3-mal
worden. Wesentlich ist, dass insbesondere an die ge- 10 mg,
nannten zugrunde liegenden Erkrankungen im Rah- • Indomethacin als Hemmer der Prostaglandinsyn-
men einer erworbenen Störung des autonomen Ner- these in einer Dosis von 2- bis 3-mal 50 mg und
vensystems gedacht wird. Hier stehen ganz im Vor- • Yohimbin als präsynaptischer arAdrenorezepto-
dergrund: rantagonist.
• Diabetes mellitus,
• die akut auftretende Störung im Rahmen eines Grundsätzlich soll aber bei diesen seltenen Erkran-
Guillain-Barre-Syndroms, kungen Kontakt zu einem erfahrenen endokrinolo-
• eine Paraneoplasie, beispielsweise bei Bronchial- gischen Zentrum aufgenommen werden.
karzinom im Rahmen eines Lambert-Eaton-Syn-
droms,
• der M. Parkinsan und
• die Amyloidose. Überproduktion
Die oben getroffene Definition des Blutdruckabfalls
in Orthostase über 20 mmHg in Verbindung mit 13.3
einer klinischen Symptomatik ist hilfreich, um die Phäochromozytom (ohne MEN)
Patienten mit diesen spezifischen Dysfunktionen und Paragangliom
von der großen Gruppe der Patienten mit nicht-pa-
thologischer Hypotonie abzugrenzen. 13.3.1
Fallpräsentationen

Fallpräsentation 1
13.2.6
Therapie
Eine 41 -jährige Patientin stellte sich mit star-
Prinzipiell stehen nichtmedikamentöse und medika- ken Kopfschmerzen in der Notaufnahme vor.
mentöse Verfahren zur Behandlung dieser Probleme Bei Aufnahme wurde ein Blutdruck von
zur Verfügung. 185/95 mmHg gemessen. Ähnliche Beschwerden
An nichtmedikamentösen Maßnahmen sind diä- habe sie seit 3 Jahren immer wieder gehabt, oft
tetische Intervention (eher salzreiche Kost) und begleitet von Herzstolpern und Blässe. Bei vor-
ein Schlafen in soweit vertretbar aufrechter Körper- ausgegangenen Vorstellungen wegen dieser Be-
haltung zu nennen. schwerden sei der Blutdruck jedoch immer nor-
mal gewesen. Es bestanden keine relevanten
Vorerkrankungen. Vom klinischen Aspekt her
Medikamentöse Therapie fielen eine Blässe vor allem im Gesicht, vermehr-
Der Einsatz von Medikamenten ist im Wesentlichen tes Schwitzen und eine mittelschwere Adipositas
empirisch und aufgrund der geringen Fallzahl von (90,2 kg bei 167 cm Körpergröße) auf. Die kör-
Patienten nicht studienbegründet So gibt es eine perliche Untersuchung ergab keine neuen
Reihe von Vasokonstriktorischen Substanzen, die Aspekte. Im Routinelabor war die Glukose
zur Blutdruckerhöhung eingesetzt werden können: (nüchtern) mit 10,92 mmol/1 (196 mg!dl) er-
• Pharmaka, die Ephedrin und Phenyledrin enthal- höht. Weiterhin fanden sich im Urin 10- 12 Ery-
ten. Die Substanzen DL-Dehydroxyphenylserin throzyten/Gesichtsfeld und eine minimal er-
und L-Dehydroxyphenylserin (DL-DOPS bzw.
530 KAPITEL 13 Katecholamine

Tag 1 12 . 08 . 1997
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F 1 50J Abb. 13-4.
s 24-h-Bi ut druckprofi l der

"'i
c Pat ientin in Fall prä enta-
z
i
tio n I: Bei der ta ti ti chen
Auswertung zeigte sich ein
n norm aler 24-h-Mittelwert
so (120/71 mm Hg), jedoch eine
achtab enku ng um nur
I
5 o/o. Ei nzelne mäßige
0 u 12 1 3 1 4 15 16 11 l& 19 20 2 1 22 z30i 2 3 4 5 6 1 s 9 10 11 Bl ut d ru ckspi c~:en bis
UHRZEIT (in Stunden )
168/94 mm Hg

Tabelle 13-2. Ergebni e des Clonidi ntes ts ( Fallvorstellu ng I)


höhte Albuminausscheidung von 31 mg/Tag.
Die 24-h-Biutdruckmessung zeigte normale Normbereich Basalwert Nach Clonidin
Mittelwerte mit jedoch einzelnen Blutdruckspit-
Adrenalin 30- 85 ng/1 223 175
zen und einer unzureichenden Nachtsenke
(Abb. 13-4). Sonographisch stellte sich eine oradrenalin 185- 275 ng/1 446 324
echoarme, teils zystische Raumforderung in
der rechten Nebennierenloge mit etwa 3 cm
Durchmesser dar. Im endokrinalogischen Labor
Fallpräsentation l
war Cortisol im Serum normal und regelrecht
supprimierbar, die Katecholamine im 24-h-
Urin deutlich erhöht (Adrenalin 113, Nor- Eine 69-jährige Patientin wurde aus einem
adrenalin 199 )lg/Tag, orm 4-20 bzw. Kreiskrankenhaus zur Abklärung rezidivieren-
23-105 ~tg!Tag), im Pla ma ebenfalls erhöht der Blutdruckkrisen überwiesen. Dort war die
und unter Clonidin nicht ausreichend suppri- Einweisung wegen einer Synkope erfolgt. Im
mierbar (Tabelle 13-2). Damit war die Diagnose Verlauf des stationären Aufenthalts war es zu
eines Phäochromozytoms gesichert. Chromo- einer septischen Mitralklappenendokarditis
granin A war mit 410 )lg/1 (Norm < 100) eben- mit akutem embolischem Verschluss der Aor-
falls deutlich erhöht. Im CT der Nebennieren tenbifurkation und zu bedrohlichen hypertensi-
bestätigte sich der Sonographische Befund. ven Krisen (Biutdruckwerte bis 240 mmHg sy-
Szintigraphisch zeigte sich eine pathologische stolisch) und Sinustachykardien (bis 180/min)
Mehranreicherung von 123-I-MIBG in der rech- gekommen. Die Patientirr wirkte erheblich
ten Nebenniere (Abb. 13-5) ohne weitere patho- beeinträchtigt, etwas vorgealtert und blass.
logischen Anreicherungen. Nach Vorbehand- Eine ausgeprägte Hyperhidrosis fiel auf. Bei
lung mit Phenoxybenzamin (140 mg/Tag) er- der Übernahme lag der Blutdruck unter Thera-
folgte komplikationslos die Iaparoskopische pie mit Captopril 2 x 25 mg und Furosemid
Adrenalektomie. Der histologische Befund be- I-mal 40 mg bei 190/80 mmHg. Weiterhin fie l
stätigte die klinische Diagnose. Blutdruck und ein 4/6 Systolikum über der MitralkJappe auf.
Blutzucker normalisierten sich. Die zur Aufnah- Das EKG zeigte im Anfall eine Sinustachykardie
me führende Symptomatik war postoperativ und Hypertonie-typische Endstreckenverände-
völlig verschwunden, und die Patientirr konnte rungen (Abb. 13-6). Der Blutzucker war bei
ohne med ikamentöse Therapie entlassen wer- Übernahme bei 19,8 mmol/1 (356 mgldl). Im
den. Urin lag Adrenalin bei 172 und Noradrenalin
13.3 Phäochromozytom (ohne MEN) und ParagangHorn 531

MIBG logische Mehrspeicherungen (Abb. 13-8). Nach


transversal anterior konservativer Ausheilung der Endokarditis
und entsprechender a -antagonistischer Vorme-
r dikation erfolgte die operative Tumorex tirpa-
e tion. Postoperativ besserte sich nicht nur der
c n Blutdruck, sondern auch der Allgemeinzustand
h k erheblich. Unter einer Monotherapie mit einem
s Kalziumantagoni ten normalisierte sich der
s Blutdruck vollständig. Die Patientin, die vorher
34 I. E. Insulin benötigt hatte, ließ sich jetzt diä-
tetisch füh ren. Katechotamine und Chromogra-
nin A normalisierten sich gänzlich.
posterior
sagittal cranial
p Tabelle 13-3. Ergebisse des Clonidintests (Fallpräsentation 2)
0 a
s n Normbereich Basalwert Nach Clonidin
t t
Adrenalin 30- 85 ngll 7 19 678
e e
r r ora<lrenalin 185-275 ngll 772 522
I
0 0
r

caudal 13.3.2
Epidemiologie
coronar cranial
Unter einem Phäochromozytom versteht man einen
r von den neuroendokrinen Zellen des Nebennieren-
e marks ausgehenden Tumor. Als Krankheitsbild zu-
c n erst 1886 von dem Pathologen Franke! beschrieben,
h k erhielt es den heute gebräuchlichen Namen 10 Jahre
s später aufgrundder Beobachtung, dass sich die Zel-
s len durch Chromsalze spezifisch braun-grau anfär-
ben lassen.
Man unterscheidet benigne von malignen Phäo-
chromozytomen (Letztere auch bisweilen als Phäo-
caudal chromoblastom bezeichnet), wobei sich die Eintei-
Abb.13-5. MIBG-Szintigraphie, SPECT-Aufnahmen der Ne- lung in erster Linie nach dem Vorhandensein von
bennierenregion nach 2 h. Starke pathologische Anreicherung Metastasen in Organen, die normalerweise kein
in der rechten Nebenniere, physiologische Anreicherung in chromaffines Gewebe enthalten, richtet. Ähnliche
der Gallenblase (transversaler Schnitt, rechts oben). (Mit
freundlicher Genehmigung von Dr. R. Steinke und Prof. Dr. Tumoren, die aus den Ganglien des sympathischen
H.-J. Otto, Klinik für Nuklearmedizin, Universität Magdeburg) Grenzstrangs hervorgehen, werden von manchen
Autoren als Paraganghorne abgegrenzt.
Tumoren, die primär an atypischen Lokalisatio-
bei 118 ).lg/Tag. Die Katechotamine im Plasma nen, wie z. B. an der Blase oder am Herzen entste-
sind in Tabelle 13-3 wiedergegeben. Das Chro- hen, werden als extraadrenale Phäochromozytome
mogranin A lag bei 12800 ).lg/1. Im Nativ-CT bezeichnet.
zeigte sich keine Raumforderung im Bereich
der Nebennieren, jedoch eine interaortokaval • Prävalenz und Inzidenz. Exakte, repräsentative
gelegene, weichteildichte Raumforderung etwas Daten zu Prävalenz und Inzidenz an unselektierten
oberhalb der Nierenarterien, die mit einem Bevölkerungsgruppen liegen nicht vor. Ältere Schät-
ParagangHorn vereinbar war (Abb. 13-7). Auch zungen gehen von 3- 4 Neuerkrankungen pro 1 Mio
die 1231-MIBG- und 111 In-Octreotidszintigraphie Einwohner und Jahr aus. Durch sensitivere diagno-
zeigten ausschließlich in diesem Bereich patho- stische Verfahren werden heute mehr Raumforde-
rungen der Nebennieren diagnostiziert, sodass diese
532 KAPITEL 13 Katecholamine

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cVL

Abb.l3-6.
EKG während einer hyper-
tensiven Krise mit Sinus-
tachykardie (164/min) und
Hypertrophiezeichen

Tabelle 13-4. Häufigkeit verschiedener Formen des Phäo-


chromozytoms

Form des Phäochrornoz}1oms llaufigkeit (%)

poradisch 75%

Davon maügne ca. 10- 25

Extraadrenal ca. 10

Familiär (autosomal-dominant, Meist 25


bilateral, benigne)

ME lla und ME Ilb, (Selten)


Hippel-Lindau- yndrom,
eurofibro matose I,
weitere Phakomatosen
Abb. l3-7. Computertomographie des Abdomens mit Dar-
stellung einer Raumforderung (Pfeil) zwischen Aorta und
V. cava inferior. Auf die Gabe von intravenösem Kontrastmit-
tel wurde wegen einer bestehenden Hyperthyreose verzichtet.
(Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. W. Döhring, Lebensalter betroffen. Etwa 10 % der Phäochromo-
Zentrum für Radiologie, Universität Magdeburg) zytome treten primär extraadrenal auf; bei Kindern
jedoch bis zu 35 o/o (Tabelle 13-4). Unter den extra-
adrenalen Lokalisationen überwiegt das Zuckerkan-
Schätzungen nach oben korrigiert werden müssen. del-Organ.
Geht man von dem klassischen Leitsymptom Hyper-
tonie aus, so findet man in dieser Patientengruppe • Familiäres Auftreten
etwa bei 0,1-0,5% ein Phäochromozytom. Aller-
dings habenunselektierte autoptische Untersuchun-
gen ergeben, dass in bis zu 40% der Patienten zu
Klinisch bedeutsam ist neben den sporadischen For-
men (etwa 75 %) das familiäre Auftreten im Rahmen
von anderen autosomal-dominanten Erkrankungen.
D
Lebzeiten keine arterielle Hypertonie bekannt war. Bei der MEN 2 tritt das Phäochromzytom mit einer
Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betrof- Penetranz von etwa 50% auf Etwa 1/4 der Patien ten
fen. Die Erkrankung tritt in allen Altersgruppen auf, mit Hippel-Lindau-Syndrom entwickeln ein Phäo-
am häufigsten sind jedoch Patienten im mittleren chromozytom. Deutlich seltener ist es mit einer Reck-
13.3 Phäochromozytom (ohne MEN) und ParagangHorn 533

MIBG Octreotide
transversal anterior transversal anterior

r
e
c n
h k
t s
s

posterior posterior
sagittal cranial sagittal cranial
p
0 a
s n
t
e e
r r

0 0
r r

caudal caudal
coronar cranial coronar cranial

r
e i
c n
h k Abb.l3-8.
t s MIBG- und Octreotidszintigraphie mit patholo-
s gischen Mehrspeicherungen prävertebral
(jeweils Bildmitte). Physiologische Anreicherun-
gen von Octreotid in Leber und Milz.
(Mit freundlicher Genehmigung von
Dr. R. Steinke und Prof. Dr. H.-J. Otto, Klinik
caudal caudal für Nuklearmedizin, Universität Magdeburg)

linghausen-Krankheit (Neurofibromatose Typ 1), etwa mit den 20 o/o aus Beobachtungen der eigenen
einem Bourneville-Pringle-Syndrom oder der Stur- Arbeitsgruppe deckt. Aktuelle Hochrechnungen
ge- Weber-Krabbe-Krankheit assoziiert. Diese fami- schätzen die Inzidenz des malignen Phäochromozy-
liären Leiden haben aber eine besondere Bedeutung toms in der Bevölkerung auf 3-4 Fälle pro Mio Ein-
für die Diagnostik dadurch, dass meist ein bilaterales wohner und Jahr (Mundschenk u. Lehnert 1998).
Phäochromozytom vorliegt und danach gesucht wer-
den muss. Umgekehrt muss bei jedem Patienten mit
bilateralem Phäochromozytom an eine familiäre Ge- 13.3.3
nese gedacht werden. Pathogenese

• Malignes Phäochromozytom. Auch die Schät- Das Auftreten des sporadischen Phäochromozytoms
zungen zur Häufigkeit des malignen Phäochromo- ist pathophysiologisch noch sehr unzureichend ver-
zytoms schwanken sehr stark mit tendenziell höhe- standen. Eine klonale Entstehung dieser Tumoren
ren Werten in neueren Arbeiten. Eine französische gilt als sicher. Dabei wird bei den sporadischen Fäl-
Arbeitsgruppe fand bei Langzeitbeobachtung 19 ma- len von einer Sequenz verschiedener Mutationen in
ligne Verläufe bei 129 Patienten, ein Anteil, der sich einer einzelnen Zellreihe ausgegangen, die zu einem
534 KAPITEL 13 Katecholamine

unkontrollierten Wachstum und schließlich malig- auf denen für den Zellzyklus wichtige Gene kodiert
ner Entartung führen. Diese Sequenz ist nicht aufge- sind.
klärt.
~achstu~sfaktoren
Genetische Befunde
Auf Phäochromozytomen wurden Rezeptoren für
Eine Hilfe bei der Erforschung der Pathophysiologie
verschiedene Wachstumsfaktoren nachgewiesen,
war das Bekanntwerden von Gendefekten, die für
unter anderem für IGF 1 und IGF 2, aber auch für
die familiären Formen bedeutsam sind.
das eher wachstumshemmende Somatostatin. Wei-
So ist beim Hippel-Lindau-Syndrom inzwischen
terhin wird Somatostatin selbst von Phäochromozy-
der zugrunde liegende genetische Defekt bekannt.
tomen in unterschiedlichem Ausmaß exprimiert.
Es handelt sich um verschiedene Mutationen des
Die Bedeutung einzelner Befunde im gesamten Kon-
Hippel-Lindau-Gens, eines auf Chromosom 3,
text der Tumorentstehung ist noch nicht letztlich ge-
p25-26 lokalisierten Tumorsuppressorgens. Wenn
klärt.
im Nebennierenmark ein mutiertes Allel, das zu
einem Funktionsverlust des Hippel-Lindau-Gens
führt, vorliegt, kommt es zum Tumorwachstum. E~bryologie
Verschiedene Untersuchungen konnten eine Asso- Die Vielgestaltigkeit des Phäochromozytoms, vor al-
ziation des Mutationstyps mit dem Phänotyp nach- lem die unterschiedlichen Lokalisationen, erklären
weisen und damit das Hippel-Lindau-Syndrom un- sich aus der Embryologie. Chromaffine Zellen kom-
terteilen in men beim Feten in vielen Organen vor. Nach der Ge-
• einen Typ mit Nierenzellkarzinom, aber ohne burt degenerieren die meisten dieser Zellen und
Phäochromozytom, bleiben lediglich noch als Organe im Nebennieren-
• einen Typ mit beiden Tumoren und mark und in den sympathischen Ganglien erhalten.
e einen Typ ausschließlich mit Phäochromozytom. Phäochromozytome und ParagangHorne können da-
her an den verschiedensten Stellen des Körpers auf-
Sowohl das vhl-Gen als auch das cul2-Gen, ein an- treten:
deres Tumorsuppressorgen, dessen Produkt physio- e am Herzen,
lgischerweise mit dem vhl-Gen interagiert, scheint e im Mediastinum,
eine gewisse Rolle bei einigen Fällen von sporadi- e am Beckenboden oder
schen Phäochromozytomen zu spielen (Vargas et • in der Blase und
al. 1997, Duerr et al. 1999). • an anderen Orten.
Auch eine somatische Mutationen des ret-Pro-
toonkogens konnte in sporadischen Phäochromo- Die embryologische Verwandtschaft der Zellen zu
zytomen nachgeweisen werden (Beldjord et al. anderen neuroendokrinen Geweben kann sich in
1995). Keimbahnmutationen dieses Gens sind für der Bildung einer Vielzahl von Peptidhormonen äu-
die Entstehung der MEN 2 verantwortlich. Das ßern. Im Sinne eines paraneoplastischen Syndroms
ret-Protoonkogen kodiert für eine Tyrosinphospha- können diese die Symptomatik mitbestimmen.
tase, die möglicherweise an der Regulation der Pro-
liferation beteiligt ist. Physiologischerweise bildet
das ret-Protoonkogen einen Komplex mit einem 13.3.4
Rezeptor für GDNF ("glial cellline derived neuro- Klinik
trophic factor"). Ein Teil der nachgewiesenen Mu-
tationen verursachen eine Ligand-unabhängige Die Kardinalsymptome des Phäochromozytoms
konstitutionelle Aktivierung der Tyrosinphosphata- werden im Englischen einprägsam und zugleich
seaktivität, was möglicherweise beim Zusammen- sehr zutreffend als "5 H" und "5 P" zusammenge-
treffen mit einer weiteren Mutation zum Tumor- fasst. Sie sind in der nachfolgenden Übersicht dar-
wachstum führt. Dass eine weitere Mutation hinzu- gestellt.
kommen muss, wird aus der variablen Penetranz
der Erkrankung bei familiären Formen des Phäo- Symptome des Phäochromozytoms (,,5 H, 5 P")
chromozytoms geschlossen. Diese Hypothese ist
als "Zwei-Treffer-Mutationsmodell" von Knudson • "5 H"
bekannt geworden. Weitere genetische Befunde Hypertension (Bluthochdruck)
bei sporadischen Phäochromozytomen sind Muta- Headache (Kopfschmerzen)
tionen oder Sequenzvarianten in Introns des p53- Hyperhidrosis (verstärkte Schweißproduktion)
Gens und "loss of heterozygosity" auf verschiede- Hyperglycemia (Hyperglykämie)
nen Chromosomenabschnitten (lp, 3p, 17p, 22q), Hypermetabolism (verstärkter Stoffwechsel)
13.3 Phäochromozytom (ohne MEN) und ParagangHorn 535

e "5 P" selten und spricht differentialdiagnostisch eher ge-


Pressure (Hypertension/Hypotension- Bluthoch- gen ein Phäochromozytom. Die meisten Patienten
druck/niedriger Blutdruck) sind im Anfall aufgrund der peripheren Vasokon-
Perspiration (Schwitzen) striktion blass. Obwohl die Konstellation der Be-
Palpitation (Herzklopfen) schwerden oft charakteristisch ist und die Diagnose
Pallor (Blässe) schon aus der Anamnese vermutet werden kann,
Pain ("ehest pain", "abdominal pain", macht die Variabilität der Symptomatik die klini-
"Headache-Schmerzen") sche Abgrenzung zu einer Panikstörung nicht im-
mer einfach, insbesondere weil die Hypertonie
auch fehlen kann und kaum mit dem Ausmaß der
Katecholaminsekretion korreliert. Zur Zeit ist
• Hypertonie. Das klinisch wichtigste Leitsymptom noch unklar, warum manche Patienten mit extre-
ist nach wie vor die Hypertonie. men Katecholaminspiegeln eher niedrige Blutdruck-
Diese kann sowohl anfallsweise als auch dauerhaft werte haben.
auftreten und ist oft mit vermehrtem Schwitzen Einen Überblick über objektive und subjektive
und Palpitationen verbunden. Das dauerhafte Auf- Beschwerden gibt Tabelle 13-5. Klinisch kann in ein-
treten ist nach verschiedenen Statistiken etwas häu- zelnen Fällen die paraneoplastische Produktion von
figer. Hier kann das Phäochromozytom einer essen- Peptidhormonen für eine zusätzliche Symptomatik
ziellen Hypertonie nach klinischen Kriterien kom- sorgen. Gefunden wurde unter anderem die Produk-
plett gleichen. tion von ACTH, "Parathormone-related" Peptide,

D
Interleukin 6 und VIP.
Aus diesem Grund und wegen der weitreichenden
Konsequenzen der Diagnose eines Phäochromozy- • Phäochromozytom in der Schwangerschaft. Ein
toms sollte jeder Patient mit arterieller Hypertonie besonderes Problem stellt das Phäochromozytom
mindestens einmal in einem Screeningprogramm un- in der Schwangerschaft dar. Aus unbekannten Grün-
tersucht werden. den gibt es eine Fülle von publizierten Fällen, bei de-
nen ein Phäochromozytom in der Schwangerschaft
• Weitere Symptome. Vor allem beim paroxysma- neu diagnostiziert wurde. Für die werdende Mutter
len Auftreten wird das Phäochromozytom oft nicht ist die Gefahr einer letalen Blutdruckkrise z. B. unter
erkannt, da der Patient bereits wieder normotensiv der Geburt beträchtlich erhöht.
ist, wenn ärztliche Hilfe zugegen ist. Für die Patien-
ten stehen oft paroxysmal subjektive, vieldeutige • Familienanamnese. Neben den oben beschriebe-
Symptome wie Kopfschmerz, Palpitationen, Tre- nen eigenanamnestischen Hinweisen hat auch die
mor, Nervosität oder abdominelle Schmerzen im Familienanamnese eine besondere Bedeutung. Hier-
Vordergrund. Die Anfälle können Minuten bis Stun- bei wird insbesondere nach Indizien für ein familiä-
den dauern und variieren stark in ihrer Häufigkeit. res Syndrom, das mit einem Phäochromozytom ein-
Flush (plötzliches Erröten von Gesicht und Hals) ist hergeht, gefahndet. Gezielt gefragt wird nach

Tabelle 13-5. Häufigkeit verschiedener Symptome des Phäochromozytoms

Subjektive Symptome Haufigkcit (%) Objektivierbare Symptome Häufigkeit (%)

Kopfschmerzen 70- 90 Hyperto nie

Da uerhypertonie 50- 60
Paroxysmale Hypertonie 40- 50
Pektanginöse Beschwerden 20-50 Schwitzen, Fieber 60- 70
ervosität 35-40 Tachykardien, 50- 70
Herzrhythmusstörungen

Übelkeit 15- 40 Bläs e 30- 60


Schwäche 5-20 Gewicht vertu t 30-60
Obstipation 5-15 Tremor 40- 50
536 KAPITEL 13 Katecholamine

• Tumoren der Schilddrüse, • Bestätigungstests


• apoplektischen Insulten (als Folge der Hyper- Clonidintest
tonie oder eines Tumors), Glukagontest (in Ausnahmefällen)
• Krampfanfällen (bei Phakomatosen), • Verlaufsparameter
• Augenproblemen (Angiomatosis retinae) und Chromogranin A
• Nierenzellkarzinomen Neuroneuspezifische Enolase
bei Angehörigen des Patienten und auch beim Evtl. Neuropeptid Y
Patienten selbst.

Ferner ist die Frage nach den Auslösemechanismen Grundsätzlich müssen vor der Diagnostik verschie-
für eine Krise interessant. Während bei Panikattak- dene Medikamente, die die Katecho/aminsekretion
ken sich oft klassische Auslösesituationen erfragen beeinflussen, abgesetzt werden. Dies betrifft insbe-
lassen, kommt die hypertensive Krise meist aus hei- sondere ß- und a-Blocker, aber auch a-Methyl-
terem Himmel. Dopa, L-Dopa, Theophyllin. Auch Vasodilatatoren
wie Hydralazin oder Kalziumantagonisten, die
Körperliche Untersuchung
eine Reflextachykardie hervorrufen können, können
die Katecho/aminausscheidung steigern und da-
Die körperliche Untersuchung ist, vom akuten An-
fall und von der Feststellung der Hypertonie abge-
durch falsch-positive Befunde verursachen. Clonidin
sehen, beim sporadischen Phäochromozytom nicht
muss langsam ausgeschlichen werden.
sehr ergiebig. Obwohl Phäochromzytome eher groß
• Screeningverfahren. Als Screeningverfahren eig-
sind, sind tastbare Nebennierentumoren eine ex-
net sich am besten die Bestimmung von Adrenalin
treme Rarität. Sehr hilfreich für die Diagnostik ist
es, wenn bei Phäochromozytomen mit paroxysmaler
und Noradrenalin im 24-h-Urin. Bei der empfohle-
nen zweimaligen Durchführung liegt die Sensitivität
Symptomatik ein Anfall beobachtet werden kann.
etwa bei 90-95 o/o. Die oft noch durchgeführte Be-
Dabei lassen sich die entscheidenden, sonst oft im
stimmung von Vanillinmandelsäure im 24-h-Urin
Subjektiven bleibenden, zuvor geschilderten Sym-
hat zwar den theoretischen Vorteil, auch im Tumor
tome direkt beurteilen. Weiterhin sollte auch hier
selbst entstehende Abbauprodukte zu erfassen, im
nach Begleiterkrankungen gefahndet werden. Eine
Gegensatz zu der Bestimmung von Adrenalin und
gezielte Untersuchung der Schilddrüse, der Haut,
Noradrenalin, das nur die in die Zirkulation abgege-
eine gründliche neurologische Untersuchung und
benen Katecholamine berücksichtigt.
die Fundoskopie können die klassischen Hinweise
Allerdings ist sie in der Praxis sehr störungsanfäl-
auf eine MEN 2 oder auf eine der Phakomatosen ge-
lig. Beispielsweise stören die Bestimmung der Ge-
ben.
nuss von Schokolade oder Bananen sowie die Ein-
nahme einer Vielzahl von Medikamenten (z. B. An-
tibiotika wie Tetrazykline, Sulfonamide und Ery-
13.3.5 thromycin sowie ASS und Phenothiazine).
Diagnostik
Weiterhin ist die Vanillinmandelsäure auch in der
Technische Verfahren Sensitivität der Bestimmung von Adrenalin und
Noradrenalin unterlegen. Aus diesen Gründen
Laborparameter kann die Bestimmung von Vanillinmandelsäure
Die Verdachtsdiagnose wird im Allgemeinen auf- routinemäßig nicht mehr empfohlen werden.
grund der Anamnese gestellt. Die Bestimmung Eine sinnvolle neuere Methode, die ebenfalls eine
von Katecholaminen im Urin dient der Erhärtung hohe Sensitivität und Spezifität hat und damit prin-
oder Widerlegung des Verdachts, aber auch dem zipiell zum Screening geeignet ist, ist die Bestim-
Screening. Mit der Bestimmung von Plasmaka- mung der Abbauprodukte Metanephrin und Norme-
techolaminen unter Testbedingungen wird die Dia- tanephrin im 24-h-Urin. Allerdings bestehen hier
gnose gesichert. noch zu wenig Erfahrungen, sodass eine abschlie-
ßende Bewertung noch nicht gegeben werden kann.
Labortests in der Phäochromozytomdiagnostik

• Screeningtests Weiterführende Labordiagnostik


Katecholamine im 24-h-Urin • Clonidintest. Wenn die Katecholamine im Urin
Evtl. Metanephrine im 24-h-Urin pathologisch sind, folgt als Nächstes die Bestätigung
Plasmakatecholamine im Anfall (unsicher) der Verdachtsdiagnose im Clonidintest. Das Prinzip
13.3 Phäochromozytom (ohne MEN) und ParagangHorn 537

des Tests beruht auf der Senkung des Sympathiko- • Akute Bestimmung der Katecholamine. Lediglich
tonus durch Clonidin, wenn dieser durch physiolo- der Orientierung dient die Abnahme von Adrenalin
gische Stimuli (Stress etc.) erhöht ist. Beim Phäo- und Noradrenalin akut in der Krise. Da hierbei die
chromozytom dagegen besteht eine autonome üblichen Abnahmebedingungen nicht eingehalten
Mehrsekretion, die nicht auf eine Senkung des Sym- werden können, kann erst ab einer Noradrenalin-
pathikoton us anspricht. Verfahrensweise: konzentration von 2000 !lg/1 von einem pathologi-
• Zum Test wird zunächst eine halbe Stunde nach schen Befund ausgegangen werden.
Legen des Zugangs beim liegenden Patienten
Plasma zur Bestimmung von Adrenalin und Nor- • Seitengetrennte Blutentnahme. Die seitenge-
adrenalin entnommen. trennte Blutentnahme aus den Nebennierenvenen
• Anschließend erhält der Patient 0,3 mg Clonidin hat durch die Möglichkeiten der MIBG-Szintigra-
oral. phie erheblich an Bedeutung verloren. Sie ist noch
• Nach weiteren 3 h werden erneut die Katechol- erforderlich bei schwer abzuklärenden Diskrepan-
amine abgenommen. Diese müssen bei physiolo- zen zwischen verschiedenen bildgebenden Verfah-
gischer Mehrsekretion auf die Hälfte des Basal- ren und Hormonbefunden oder in dem seltenen
wertes oder bei nur leicht erhöhten Basalwerten Fall eines Phäochromozytoms mit kontralateralem
in den Normbereich supprimiert werden. Inzidentalom. Das Verfahren bleibt in der Technik
sehr erfahrenen Untersuchern vorbehalten.
Sind diese Kriterien nicht erfüllt, gilt der Clonidin-
test als pathologisch. Bei normalen Basalwerten ist
• Chromogranin A. Da viele Phäochromozytome
die Aussagekraft eingeschränkt. Bei erhöhten Basal-
zusätzlich Chromogranin A exprimieren (Abb.13-9),
werten ist vor allem die Sensitivität sehr hoch (Ta-
belle 13-6).

Tabelle 13-6. Treffsicherheit der Laboruntersuchungen beim


Phäochromozytom

Sensitivitat Spezifit<it

(%) (%)

Plasmakatechola mine 20-80 60-90


Urinka techolamine 90- 95 60-80
Clonidintest 70- 95 85- 100

Glukago ntest 50-80 90-100

• Glukagontest. Nach der Treffsicherheit wäre der


Glukagontest der beste Bestätigungstest. Wegen der
Gefahr der bedrohlichen hypertensiven Krise soll er
jedoch nur noch in schwierigen Zweifelsfällen und
dann unter sorgfältiger Überwachung und Bereithal-
tung von Phentolamin (Regitin) vom Erfahrenen
durchgeführt werden:
• Dabei wird 1 mg Glukagon beim liegenden Pa-
tienten i. v. injiziert.
• Davor sowie 2, 5 und 10 min danach wird Plasma
zur Bestimmung von Adrenalin und Noradrena-
lin abgenommen. Als pathologisch gilt ein An-
stieg von Noradrenalin auf über 2000 11g/l oder
ein Anstieg auf das 3fache des Ausgangswertes Abb. 13-9. a Histologischer Schnitt durch ein Phäochromo-
nach 2 min. zytom mit den typischerweise in Ballen angeordneten Tumor-
zellen (HE-Färbung) und b immunhistochemischer Nachweis
von Chromogranin A. (Mit freundlicher Genehmigung von
Herrn C. Häckel und Prof. Dr. A. Roessner, Zentrum für Pa-
thologie und Rechtsmedizin, Universität Magdeburg)
538 KAPITEL 13 Katecholamine

kann dieser Parameter insbesondere bei malignen


Verlaufsformen als Tumormarker herangezogen
werden. Die Sensitivität wird mit 90 o/o angegeben.
Als normal gilt ein Wert bis 100 )..lg/l. Dieser Para-
meter ist relativ spezifisch für neuroendokrine Tu-
moren. Als weitere Tumormarker kommen Neuro-
peptid Y und die neuronspezifische Enolase (NSE)
in Betracht.

Bildgebende Verfahren .
Die bildgebende Diagnostik dient in der Regel mcht
so sehr zur Sicherung der Diagnose, sondern der
präoperativen Lokalisationsdiagnostik . Weiterhin
müssen die bildgebenden Verfahren zwischen den
Abb. 13-11. Darstellung beidseitiger Phäochromozytome
verschiedenen Erscheinungsformen (adrenal! ex- (Pfeile) bei einer 20-jä~rigen Patienti~ mittels Computertomo-
traadrenal; unilateral/bilateral; metastasierend) dif- graphie. (Mit freundlicher_ Gen_ehm1g_ung .v?n Prof. Dr. W.
ferenzieren. Döhring, Zentrum für Radwlog1e, Umvers1tat Magdeburg)

• Sonographie. Die bildgebende Diagnostik be-


ginnt in der Regel mit der Sonographie. Im Gegen-
• CT. Eine zuverlässige Beurteilung der Nebennie-
satz zu Adenomen der Nebennierenrinde, insbeson-
ren bietet die Computertomographie (Abb. 13-11).
dere zu den Conn-Adenomen, sind die Phäochro-
Zur optimalen Beurteilung sollte die Computerto-
mozytome meist über 2 cm groß und damit bei gu-
mographie als Dünnschicht-eT oder als Spiral-CT
ten Schallbedingungen oft sonographisch darstell-
mit entsprechend kleinen Rekonstruktionsinterval-
bar. Rechts gelingt der Nachweis besser als links,
len durchgeführt werden. Im Vergleich zu Tumoren
da man die Nebennierenloge anband der Leitstruk-
der Nebennierenrinde, die reichlich Fett enthalten,
turen (zwischen oberem Nierenpol, Leber und
haben Phäochromozytome oft eine etwas höhere
V. cava) von der Flanke aus oder transhepatisch
Strahlendichte und erscheinen nicht selten zystisch.
gut aufsuchen kann (Abb. 13-10). Li~ks ~ind ~ie
Schallbedingungen oft schlechter, da hier emerselts
• MRT. In der Differentialdiagnose scheint das
die V. cavaals Leitstruktur fehlt und andererseits die
MRT bei Anwendung spezieller Protokolle dem
Nebennierenloge öfter durch das Kolon überlagert
CT noch etwas überlegen zu sein; eine sichere Diffe-
ist. Bei der Sonographischen Untersuchung ist die
rentialdiagnose ist jedoch nicht allein durch bildge-
Beurteilung atypischer Lokalisationen, insbesondere
bende Verfahren möglich. Nach sorgfältiger Charak-
die Region um die großen Gefäße direkt subphre-
terisierung der Adenome durch endokrine Tests er-
nisch, wichtig.
geben sich in der Regel keine wesentlichen Vorteile
des MRT gegenüber dem CT.

Sowohl bei der Sonographie als auch im CT und MRT


sollte ferner nach Tumoren anderer Organe, die im
Rahmen familiärer Syndrome mit dem Phäochromo-
zytom assoziiert sein können, gefahndet werden
(Abb. 13-12).

• MIBG-Szintigramm. In der Lokalisationsdiagno-


stik extraadrenaler Phäochromozytome sowie bei
der Suche nach Metastasen maligner Phäochromo-
zytome bringen szintigraphische Verfahren _en~­
scheidende Vorteile. Insbesondere das MIBG-Szmtl-
gramm hat bei benignen Tumoren _eine sehr ~o~_e
Sensitivität und eine sonst unerreichte Spezifitat
von 100 o/o. Das Prinzip dieser Szintigraphie beruht
Abb. 13-10. Sonographischer Befund eines ~häochromo­
zytoms rechts mit den Leitstrukturen oberer Nierenpol und auf dem hochaffinen, hochspezifischen aktiven
Leber Transport von Meta-Iodo-Benzyl-Guanidin in die
Nervenendigungen adrenerger Nerven und die
13.3 Phäochromozytom (ohne MEN) und ParagangHorn 539

Szintigraphie, jedoch können einzelne MIBG-nega-


tive Metastasen Octreotid-positiv sein. Bei malignen
Phäochromozytomen sollten zum Staging daher bei-
de Verfahren routinemäßig eingesetzt werden.

Ein weiteres Verfahren, das in den letzten Jahren


gute Ergebnisse, z. T. auch bei MIBG-negativen und
malignen Phäochromozytomen, erbracht hat, ist die
Positronemissionstomographie (PET) mit FDG
[2-(fluorine-lS)fluoro-2-deoxy-D-Glukose; Shulkin
et al. 1999]. Aufgrund der Literaturdaten dürfte
sich das Verfahren daher insbesondere zur Diagno-
stik maligner Tumoren und Metastasen anbieten.
Abb.B-12. Computertomographie einer Patientin mit neu-
roendokrinem Pankreastumor (Pfeil) und beidseitigem Phäo- • Knochenszintigraphie. Wie bei anderen mali-
chromozytom (nicht dargestellt) im Rahmen eines Hippel- gnen Erkrankungen eignet sich zum Nachweis von
Lindau-Syndroms. (Mit freundlicher Genehmigung von Knochenmetastasen bevorzugt die Knochenszinti-
Prof. Dr. W. Döhring, Zentrum für Radiologie, Universität
Magdeburg) graphie.

Genanalyse
chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks. Auch
Neben der MEN 2 stehen inzwischen auch geneti-
bei malignen Phäochromozytomen, die teilweise
sche Methoden zur Diagnostik von Neurofibroma-
diese spezifische Transportfunktion verlieren, wird
tose und Hippel-Lindau-Syndrom zur Verfügung.
noch der überwiegende Teil der Metastasen darge-
Bei entsprechendem Verdacht ermöglichen diese
stellt. Ein unspezifischer Aufnahmemechanismus
Verfahren auch in den meisten Fällen eine Identifi-
sorgt für die Hintergrundaktivität, die jedoch in
kation noch asymptomatischer, aber betroffener
Spätaufnahmen weitgehend verschwindet.
Angehöriger, die dann einer intensivierten Verlaufs-
kontrolle bedürfen.
Da MIBG zu diagnostischen Zwecken mit 123 Iod mar-
kiert wird, muss die Schilddrüse zuvor blockiert wer-
den. Hierfür werden 2 Tage vor und weiter bis 7 Tage
nach Applikation der Testsubstanz jeweils 1200 mg 13.3.6
Natriumperchlorat, verteilt in 3-4 Einzeldosen, Differentialdiagnose
oral verabreicht (z. B. Irenat 3 x 20 Trpf).
Je nach Leitsymptom können sehr unterschiedliche
Physiologische Anreicherungen findet man auf- Differentialdiagnosen zu berücksichtigen sein. Sie
grund der reichen sympathischen Innervierung die- sind in der folgenden Übersicht aufgelistet.
ser Organe in den Speicheldrüsen, Myokard, Leber
und Harnblase. Wegen der hohen Spezifität der Me- Differentialdiagnose der verschiedenen
thode kann das Verfahren auch in schwierigen Zwei- Leitsymptome
felsfällen der Labordiagnostik Klärung bringen. We-
gen dieser Eigenschaften muss die Methodetrotz der • Hypertonie
hohen Kosten heute routinemäßig im Rahmen der Essentielle arterielle Hypertonie
präoperativen Diagnostik eingesetzt werden. Damit Renoparenchymatöse Hypertonieformen
können bereits metastasierte oder bilaterale Phäo- Nierenarterienstenose
chromozytome präoperativ indentifiziert werden. Mineralocorticoidhochdruck
Hyperkortisolismus
• Octreotidszintigraphie. Bei malignem Phäochro- Aortenisthmusstenose
mozytomen können einzelne Metastasen, die dem Diätfehler bei Einnahme von MAO-Hemmern
Nachweis durch die MIBG-Szintigraphie entgehen, • Kopfschmerz
durch die Octreotidszintigraphie als komplementä- Migräne
res Verfahren erkannt werden. Diese Technik visua- Clusterkopfschmerz
lisiert durch ein (meist mit 111 Indium) markiertes • Nebennierentumor
Somatostatinanalogon verschiedene Subtypen der Inzidentalom
Somatostatinrezeptoren. Sensitivität und Spezifität Cushing-Syndrom
liegen zwar deutlich niedriger als bei der MIBG- M. Conn
540 KAPITEL 13 Katecholamine

• Herzrasen Präoperative Maßnahmen und operative Therapie


Panikstörung Wichtig für das Ergebnis der Operation ist die prä-
Intermittierendes Vorhofflimmern operative medikamentöse Therapie. Da aufgrunddes
Reentrytachykardien ständig erhöhten Katecholaminangebots eine per-
• Flush (beim Phäochromozytom sehr selten) manente Vasokonstriktion besteht, sind die Patien-
Karzinoid ten postoperativ nach Wegfall der Katechotamine
Mastozytose funktionell hypovolämisch. Ein weiteres Problem
sind intraoperativ durch Mobilisation des Tumors
ausgelöste Blutdruckkrisen. Dieser Wechsel höch-
• Essenzielle Hypertonie. Sehr häufig muss die es- ster mit niedrigsten Blutdrücken hat vor der Ära
senzielle Hypertonie differentialdiagnostisch abge- der medikamentösen Vorbehandlung die Letalität
grenzt werden. Besonders bei jungen Männer der Operation auf bis zu 50% ansteigen lassen.
kommt gelegentlich auch im Rahmen der essenziel- Die Vorbehandlung muss, unabhängig von der
len Hypertonie eine vermehrte Katecholaminaus- Schwere der Hypertonie und des Katecholaminex-
scheidung im 24-h-Urin vor. Hier hilft in den mei- zesses, langsam begonnen werden.
sten Fällen der Clonidintest zur Differenzierung.
Dies gilt auch für andere Hochdruckformen. Die Ab-
• Phenoxybenzamin/Phentolamin. Üblicherweise
grenzung anderer endokriner Hypertonieformen
wird der kovalent und damit praktisch irreversibel
wird in den entsprechenden Kapiteln besprochen.
an die a-Rezeptoren koppelnde Antagonist Pheno-
xybenzamin (Dibenzyran) verwendet. Die Dosie-
• Panikstörung. Vor allem bei jüngeren Frauen
rung muss langsam aufsteigend erfolgen, beginnend
muss häufig zwischen einem Phäochromozytom
mit 5 mg zur Nacht. Im Allgemeinen liegt die Ziel-
und einer Panikstörung differenziert werden. Wie
dosis bei etwa 120 mg, kann aber im Einzelfall deut-
beim Clusterkopfschmerz und der Migräne handelt
lich höher liegen. Bei Bedarf kann nach Beginn der
es sich dabei teilweise um Diagnosen, die nur nach
a-Blockade vorsichtig mit einem ß-Blocker begon-
Ausschluss anderer Ursachen gestellt werden kön-
nen werden. Anschwellen der Nasenschleimhaut
nen. Hierbei hilft neben den für die Panikstörung
und orthostatische Dysregulationen sind unter der
genannten anamnestischen Kriterien die Katechol-
Zieldosis unvermeidbar, weswegen der Patient vor-
aminausscheidung.
wiegend liegen sollte. Vor der Operation dürfen in
der 24-h-Blutdruckmessung keine erhöhten Blut-
druckwerte mehr auftreten. Die letzte Dosis wird
13.3.7 am Morgen der Operation gegeben. Damit erhält
Therapie der Patient erstens einen weitgehenden Schutz vor
intraoperativen Blutdruckkrisen. Zweitens wird
Die Therapie der Wahl ist die operative Entfernung durch die resultierende Vasodilatation das intrava-
der Tumoren, die in den meisten Fällen eine erheb- sale Volumen schon präoperativ wieder allmählich
liche Besserung der mit dem Katecholaminexzess as- aufgefüllt und die postoperative Schocksituation
soziierten Störungen zur Folge hat. Eine symptoma- vermieden. Für intraoperative Blutdruckkrisen
tische medikamentöse Therapie kommt nur bei wird Phentolamin (Regitin) empfohlen. Dieses Me-
einem sehr kleinen Teil der Patienten in Betracht, dikament ist leider z. Z. in Deutschland nicht im
die aus zwingenden Gründen nicht operiert werden Handel und muss rechtzeitig vor einer Operation
können, oder bei Patienten mit malignem Phäochro- über eine Auslandsapotheke (z. B. aus Frankreich)
mozytom, die operativ nicht kurativ behandelt wer- beschafft werden.
den konnten. Dank minimal-invasiver chirurgischer
Die perioperative Letalität liegt damit in erfahrener
D
Techniken und adäquater internistischer Vorberei-
tung konnte das Risiko der Operation so weit redu- Hand unter einem Prozent. Dabei spielt der gewählte
ziert werden, dass die Frage der Operationsfähigkeit operative Zugang (retroperitoneal oder transperito-
kaum noch eine Rolle spielt. Für Patienten mit ma- neal) eine untergeordnete Rolle.
lignem Phäochromozytom steht vor allem die
MIBG-Szintigraphie zur Verfügung. Nur in ander- In letzter Zeit wird zunehmend als minimal-invasi-
weitig therapierefraktären Fällen sollte bei Tumor- ves Verfahren die Adrenalektomie laparoskopisch
progression auf die Möglichkeit der Chemotherapie durchgeführt (Abb. 13-13). Dieses Verfahren, das
zurückgegriffen werden. Da es sich um eine seltene auch bei bilateralem Phäochromozytom bereits er-
Erkrankung handelt, gibt es keine kontrollierten ln- folgreich durchgeführt wurde, verkürzt zwar nicht
terventionsstudien. Im Folgenden werden die The- die Operationszeit, reduziert aber möglicherweise
rapieverfahren einzeln besprochen. die Liegedauer und Komplikationsrate. Insbesonde-
13.3 Phäochromozytom (ohne MEN) und ParagangHorn 541

Chemotherapie
Bei ungenügendem Ansprechen auf die oben ge-
nannten Verfahren steht als letzte Behandlungsmög-
lichkeit des malignen Phäochromozytoms die Che-
motherapie zur Verfügung. Auch hier ist eine The-
rapie unter kurativer Zielstellung nicht möglich. Die
größte Serie wurde von Averbuch et al. 1988 mit
einem Schema bestehend aus Cyclophosphamid,
Vincristin und Dacarbazin publiziert. Cyclophos-
phamid wurde in einer Dosis von 750 mglm 2 KO
am Tag 1, Vincristin am 1. Tag 1,4 mg/m 2 KO
und Dacarbazin in einer Dosis von 600 mg/m 2 KO
an Tag 1 und 2 gegeben. Das Schema wurde bei feh-
lender Myelotoxizität in 21-tägigem Rhythmus wie-
derholt, wobei die Dosis wenn möglich jeweils um
Abb.B-13. Operationssitus bei laparoskopischer Entfer- 10% erhöht wurde. Komplettes oder partielles bio-
nung der linken Nebenniere. Das Bild zeigt die V. suprarenalis chemisches Ansprechen wurde immerhin bei 79 %
inf. (Bildmitte) an der Stelle ihrer Mündung in die V. renalis
(unten) und die rechte Nebenniere (im Bild rechts der V. su- der Patienten gesehen. Der Therapieeffekt hielt im
prarenalis inf.) (Mit freundlicher Geehmigung von Dr. T. Man- Median 21 Monate an. Dennoch sollte die Therapie
ger und Prof. Dr. H. Lippert, Zentrum für Chirurgie, Univer- aufgrundder Nebenwirkungen für sonst therapiere-
sität Magdeburg)
fraktäre Fälle mit deutlicher Progredienz oder
schwerer Symptomatik beschränkt bleiben. Weiter-
hin sollte die Therapie nur bei ausreichender Kno-
re bei beidseitigen Phäochromozytomen, wie sie vor
chenmarks-, Leber- und Nierenfunktion und einem
allem im Rahmen familiärer Syndrome vorkommen,
Karnofsky-Index über 30% erwogen werden.
wurde die Enukleation des Tumors anstelle einer
beidseitigen Adrenalektomie durchgeführt (Neu-
mann et al. 1999). Mit dieser Technik verknüpft Palliative medikamentöse Maßnahmen
sich die Hoffnung, den Patienten das Problem der Bei nicht operationsfähigen Patienten oder Patien-
postoperativen Insuffizienz der Nebennierenrinde ten mit malignem Phäochromozytom wird die Blut-
zu ersparen. drucknormalisierung mit Phenoxybenzamin, aller-
dings in etwas niedrigerer Dosis als zur Operations-
vorbereitung, gegeben. Alternativ oder zusätzlich
Radiotherapeutische Verfahren
kann der Inhibitor der Tyrosinhydroxylase, a-Me-
• MIBG-Therapie. Bei nicht kurativ resezierbarem
thylparatyrosin, in einer Dosis von 500-1000 mg,
malignem Phäochromozytom steht als nächste Op-
aufgeteilt auf 4 Dosen, gegeben werden. Leider ist
tion die MIBG- Therapie zur Verfügung. Das Prinzip
auch dieses Medikament z. Z. in Deutschland nicht
ist ähnlich wie bei der MIBG-Szintigraphie. Hier
erhältlich und muss aus dem Ausland bestellt wer-
wird allerdings eine höhere Dosis 131 Iod (statt
123 Iod) verwandt. Im Allgemeinen ist die Therapie,
den.
ähnlich wie die Radioiodtherapie der Schilddrüse,
sehr gut verträglich. Sie ist jedoch nur bei nachge- Prognose und Ausblick
wiesener MIBG-Speicherung sinnvoll und verfolgt Die Patienten mit malignem Phäochromozytom
eine palliative Zielsetzung. Eine Perspektive für scheinen in 2 Gruppen eingeteilt werden zu können:
die Zukunft dürfte im höherdosierten Einsatz dieser • Solche mit einem relativ langsamem, sich über
Therapie liegen, wobei wegen des Risikos der persi- viele Jahre hinziehenden Verlauf und
stierenden Knochmarkschädigung vor der Therapie • solche mit sehr rascher Progredienz, bei denen
Blutstammzellen entnommen werden, um eventuell der Tod schon wenige Monate nach der Diagnose
eine autologe Knochenmarktransplantation zu er- eintreten kann.
möglichen. Dieses Vorgehen bedarf weiterer Evalua-
tion. Die Metastasierung betrifft am häufigsten das Ske-
lett (45% der Patienten), dann in absteigender Rei-
• Externe Bestrahlung. Ebenfalls unter palliativer henfolge Leber, Lymphknoten, Zentralnervensy-
Zielsetzung wird die externe Bestrahlung durchge- stem, Pleura und Nieren. Es existieren keine siche-
führt. Diese eignet sich speziell für lokale Komplika- ren Daten über prognostische Faktoren, aber disse-
tionen wie z. B. Schmerzen oder Rückenmarkkom- minierter Metastasenbefall bei Diagnosestellung gilt
pression bei Knochenmetastasen. als äußerst ungünstig.
542 KAPITEL 13 Katecholamine

In Studien wird z. Z. eine Kombination von So- rungen gemacht. Urapidil wird zunächst als Bolus
matostatinanaloga und Interferon untersucht. Für langsam i. v. appliziert, beginnend mit einer Dosis
Octreotid allein liegen bis jetzt nur Einzelfallbeob- von 25 mg, ebenfalls unter sorgfältiger Blutdruck-
achtungen vor, die weiterer systematischer Untersu- kontrolle. Die Dosis kann auf 50 mg gesteigert wer-
chungen bedürfen. Insgesamt bleibt die Therapie den und in schweren Fällen nach 15-30 min wieder-
des malignen Phäochromozytoms noch unbefriedi- holt werden. Urapidil kann im Anschluss an die aku-
gend. te Situation auch kontinuierlich über eine Spritzen-
Bei benignen Tumoren dagegen können die pumpe appliziert werden (ausgehend von einer
Symptome großenteils durch die Operation dauer- Dosis von etwa 5-10 mglh). Diese Therapie setzt je-
haft beseitigt werden. Bei Patienten ohne Rezidiv doch selbstverständlich eine intensive Überwachung
wurde ein hypertoniefreies Überleben von 74% voraus, insbesondere, da beim Phäochromozytom
nach 5 Jahren und von 45% nach 10 Jahren beob- die Hypertonie manchmal nur kurz anhält.
achtet. Die weitere Entwicklung der minimal-invasi- Auch andere periphere a-Antagonisten können
ven Chirurgie wird Iaparoskopische Verfahren in selbstverständlich zum Einsatz kommen. Als Ergän-
Zukunft einer größeren Anzahl von Patienten zu- zung bieten sich Vasodilatatoren wie z. B. Kalzium-
gänglich machen. antagonisten, Nitroprussid-Natrium oder auch Ni-
trate an.
Keinesfalls darf vor suffizienter a-Blockade ein
13.3.8 ß-Blocker eingesetzt werden, da dies die Blutdruck-
Notfall krisen verschlimmern kann.

• Periphere a-Antagonisten bei bekanntem Phäo-


chromozytom. Ist ein Phäochromozytom bereits be-
Literatur
kannt, so werden als Therapie der Wahl in der Krise
injizierbare periphere a-Antagonisten eingesetzt. Averbuch SD, Steakley C, Young RC, Gelmann EP, Goldstein
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Diese Situation kann den entscheidenden diagnosti- Eisenhofer G, Lenders JW, Linehan WM, Walther MM, Gold-
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engmaschiger Kontrolle des Blutdrucks appliziert. droxylase activation in depolarized dopaminergic termi-
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Bei Bedarfkann diese Injektion nach 15-30 min wie- Nature 302: 830-832
derholt werden. Es empfiehlt sich, trotz der schwe- Kopf D, Bockisch A, Steinert H, Hahn K, Beyer J, Neumann
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TEIL v Endokrine Tumoren
des Gastrointestinaltraktes
(ohne MEN)
KAPITEL 14

Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes 14


M. ENGELBACH, J. BEYER

14.1 Physiologie 547


14.1.1 Synthese und Regulation 547 14.1
14.1.2 Einfluss auf die Zielzelle 549 Physiologie
Überproduktion 550
14.2 Karzinoid 550 Bereits im Jahre 1967 fasste Pearse Zellen unter dem
14.2.1 Fallpräsentation 550 Begriff APUD Zellsysteme zusammen ("amine and
14.2.2 Epidemiologie 551
14.2.3 Pathogenese 551 precursor uptake and decarboxylation"), die die Fä-
14.2.4 Klinik 554 higkeit besitzen, aromatische Amine zu synthetisie-
14.2.5 Diagnostik 555 ren, Vorstufen der Amine aufzunehmen und Ami-
14.2.6 Therapie 556
14.2.7 Prognose 560 nosäuren mittels eines Enzyms zu den entsprechen-
den Aminen zu decarboxylieren. Aufgrund der Be-
14.3 Gastrinom 561
14.3.1 Fallpräsentation 561 obachtung, dass die in diesen Zellen synthetisierten
14.3.2 Epidemiologie 561 Peptidhormone auch im Zentralnervensystem von
14.3.3 Pathogenese 561 funktioneller Bedeutung sind und immunhistoche-
14.3.4 Klinik 562
14.3.5 Diagnostik 562 mische Markerenzyme ebenfalls in beiden Zellsyste-
14.3.6 Therapie 563 men nachweisbar sind, wurde der erweiterte Termi-
14.3.7 Prognose 563 nus des neuroendokrinen Systems eingeführt. Das
14.4 Glukagonom 564 diffuse neuroendokrine System umschließt hierbei
14.4.1 Fallpräsentation 564 die neuroendokrinen Zellen, die nicht in makrosko-
14.4.2 Epidemiologie 564
14.4.3 Pathogenese 564 pisch kompakten Organen zusammengelagert sind.
14.4.4 Klinik 565 Im Bereich des Gastrointestinaltraktes konnten
14.4.5 Diagnostik 565 mittlerweile 15 verschiedene Zelltypen des diffusen
14.4.6 Therapie 566
14.4.7 Prognose 566 neuroendokrinen Systems sowie eine Reihe der von
ihnen produzierten Hormone identifiziert werden.
14.5 Vipom 566
14.5.1 Fallpräsentation 566 Die Tabelle 14-1 zeigt die Zellen und ihre häufigsten
14.5.2 Epidemiologie 566 Hormonprodukte.
14.5.3 Pathogenese 567
14.5.4 Klinik 567
14.5.5 Diagnostik 567
14.5.6 Therapie 567 14.1.1
14.5.7 Prognose 568
Synthese und Regulation
14.6 Somatostatinom 568
14.6.1 Fallpräsentation 568
14.6.2 Epidemiologie 568 Der Genort für die meisten Hormone und der für die
14.6.3 Pathogenese 568 Induktion der Synthese erforderlichen Stimuli
14.6.4 Klinik 568 konnte mittlerweile identifiziert werden (Ta-
14.6.5 Diagnostik 568
14.6.6 Therapie 569 belle 14-2). Am Beispiel des Glukagons wird nach-
folgend die Synthese und am Beispiel des Gastrins
Literatur 569
die Regulation von Peptidhormonen dargestellt
(Abb. 14-1 u. 14-2). Durch den Abfall der Glukose-
konzentration im Blut kommt es zu einer Erhöhung
der freien Kalziumkonzentration im Zytosol und da-
mit zu einer gesteigerten Glukagonfreisetzung. Wie
auch bei den meisten anderen Peptidhormonen ko-
diert die cDNA des Glukagons eine höhermolekula-
re Vorstufe (Präkursor oder Prohormon, Abb. 14-1).
548 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

Tabelle 14-1. Verteilung der endokrinen Zellen des Gastrointestinaltraktes und ihrer Hormonprodukte. (Mod. nach Solcia et al.
1993)

Darm

Dunndarm Dickdarm

Zelle Hauptprodukt Pankreas Magen Duodenum Jejunum Ileum Appendix Colon Hektum

p Unbekannt (+) + + (+) (+) (+) (+)

EC 5-Hydroxytrypta- (+) + + + + + + +
min, Substanz P,
Opiate

D Somatostatin + + + + + + (+) +

L GLI, PYY (+) + + + + +

A Glukagon +

PP Pankreatisches +
Polypeptid

B Insulin +

X "endothelin- +
like peptides"?

ECL Histamine +

G Gastrin + +

CCK Cholecystokinin + + (+)

s Sekretin + +

GIP "gastric inhibitory + + (+)


polypeptide"

Mo Motilin + + (+)

Neuroteosin (+) + +

GLI "glucagon-like immunoreactants: glicentin", Glucagon-37, Glucagon 29, GLP "glucagon-like peptides"

Präpro-Glukagon

Glicentin

Abb.l4-I.
Präproglukagon. Das Präproglukagon wird in den Langer-
hans-Inseln (A-Zellen) und in der Darmmukosa synthetisiert
und durch proteolytische Spaltung in Glicentin und Proglu-
kagonfragment gespalten. In den Langerhans-Inseln ist der
weitere Abbau von Glicentin in Glukagon von funktioneller
Bedeutung, während in der Darmmukosa vorwiegend GLP1
Glukagon GLPI GLP2 und GLP2 ("glucagon like peptide") sezerniert werden
14.1 Physiologie 549

Tabelle 14-2. Die wichtigsten Peptide des Darms und deren physiologische Wirkungen. (Mod nach Green et al. 1989)

Peptid Stimulus Wirkung

Cholezystokinin ahrungsaufnahme mit Stimulation der Gallenblasenkontraktion und


Dehnung des Magenlumens, des exokrinen Pankreas (Inhibition der
N. vagus Magenentleerung, Stimulation des Pankreas-
wach stums)
.,Ga tric inhibitory polypeptide" Nahrungsaufnahme, N. vagus Hemmung der Magensekretion und -motilität,
Stimulation der Insulinsekretion (Stimulation
der Chiaridsekretion und Reduktion der
Natriumabsorption)
Gastrin ahrungsaufnahme durch Stimulation der Parietalzellen mit gesteigerter
nervale, chemische und Sekretion von HCl (vermehrte Ausschüttung
mechanische Stimulation von Pepsin und "lntrinsic-Faktor", Stimulation
(vgl. Abb. 14-2) der Zellproliferation der Magenmukosa
im Fundusbereich)
Glukagon Blutzuckerabfall, ahrungs- Stimulation der Glykogenolyse, Glukoneo-
aufnahme, Stimulation genese und der Insulinsekretion
des Sympathicus (Inhibition der Magensekretion und -motilität)
Motilin . vagus Stimulation der Motilität von Magen und
Duodenum (Kontraktion der Gallenblase
und unterer Ösophagussphinkter)
Pankreatisches Polypeptid Nahrungsaufnahme Inhibition der Pankreassekretion und
(proteinreiche Kost), N. vagus Gallenblasenkontraktion
Sekretin eH-Abfall im Duodenum Stimulation der H20 - und HC0 3-Sekretion
(Nahrungsaufnahme) von Pankreas und Brunner-Drüsen
(Inhibition der Magenentleerung)
Somatostatin Nahrungsaufnahme Inhibition der Sekretion von zahlreichen
(protein-, fettreiche Kost) Polypeptiden•, der intestinalen Sekretion
(Magen, Pankreas und Darm), der Magen-
entleerung, der Gallenblasenentleerung und
des intestinalen Blutflusses
Vasoaktives intestinales Polypeptid Nahrungsaufnahme Stimulation der intestinalen H 20 - und
(salz-, fettreiche Kost, Ionen ekretion, Inhibition der atriumab-
Alkohol, pH-AbfaU) orption, Muskelrelaxation des Ösophagus-
sphinkters und Vasedilatation der
Splanchnikusgefaße

• Gastrin, Sekretin, Cholezystokinin, "Gastric-inhibitory-Polypeptide", Motilin, Glukagon, vasoaktives intestinales Polypeptid,


Insulin, pankreatisches Polypeptid, STH, TSH

Der Präkursor oder die nach einer proteolytischen


14.1.2
Spaltung aus ihm entstehenden Peptide können in Einfluss auf die Zielzelle
intrazellulären Sekretvesikeln gespeichert und
über die Plasmamembran freigesetzt werden. Bei
Voraussetzung einer spezifischen Hormonwirkung
einer parakrinen Sekretion des Hormons kommt
ist die Existenz entsprechender Hormonrezeptoren.
es zu einer Signalübertragung auf die benachbarten
Die Bindung des Agonisten an den Membranrezep-
Zellen, während bei der endokrinen Sekretion durch tor führt zum Öffnen bzw. Schließen von Ionenka-
den Hormontransport über die Blutbahn auch ein
nälen mit konsekutiver Veränderung der intrazellu-
Effekt auf weiter entfernte Zellverbände ausgeübt
lären Ionenkonzentration oder zur Aktivierung von
werden kann. Die Rückwirkung des Hormons auf
Enzymen durch die Signaltransduktion über
die ausschüttende Zelle wird als autokrine Sekretion
"second messenger" (z. B. cAMP). Durch die Bin-
bezeichnet.
dung des Hormons an intrazellulär gelegene Rezep-
toren ist eine direkte Beeinflussung der Genexpres-
sion möglich (z. B. Cortisolbiosynthese). Wesentli-
che physiologische Funktion der neuroendokrinen
Zellen des Gastrointestinaltraktes ist die Regulation
der Sekretion, der Absorption und der Motilität des
Darmes (Tabelle 14-2).
550 KAPIT EL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

• alka l. pH
• HCI- ekretion
· Magen-
dehnung ~

• ahrung '+) "


{Proteine)\2..1
· Ga trin
releasing
peptid
• . vagus

Abb.l4-2.
Regulation der Gastrin- bzw. Ma-
gensäuresekretion. (SS Somatostatin)

Überproduktion

14.2
Karzinoid

14.2.1
Fallpräsentation

Ein 58-jähriger Patient wurde von seinem Haus-


arzt in einer Klinik wegen rezidivierender, nah-
rungsabhängiger Bauchschmerzen und Diarrhö
vorgestellt. Bei dem konkreten achfragen be-
richtete der Patient weiterhin über ein, insbe-
sondere nach dem abendlichem Glas Wein auf-
tretendes, anfallsartiges Hitzgefühl im Bereich
vom Gesicht und Hals. Der anwe enden Ehefrau
fiel zu diesem Zeitpunkt eine deutliche Rötung
der beschriebenen Areale auf (Abb. 14-3). Das
Routinelabor zeigte bi auf eine leichte Erhö-
hung des Hämatokrits (52,3 %) und eine mit
59 U/l erhöhte yGT keine Auffalligkeiten. Im en -
dokrinologischen Labor war die 5-Hydroxyin-
dolessigsäure im Urin mit 52,8 mg/24 h und
die erotoninkonzentration im Serum mit
950 nglml deutlich erhöht. In der Octreotidszin-
tigraphie und in der Computertomographie
wurde der Verdacht auf einen zirka 3,5 cm gro-
ßen Dünndarmtumor und eine diffuse Leber-
metastasierung geäußert (Abb. 14-4 u. 14-5).
In der Magen-Darm-Pa sage war eine filigrane
Steno ierung im Ileocoecalbereich nachweisbar.
Bei dem Patienten wurde aufgrundder Stenosie- Abb.I4-3. 58-jähriger Patient mit einem postprandialen
rung eine palliative Hemikolektomie rechts Flush
14.2 Karzinoid 551

der Begriff Karzinoid im Sinne des klassischen Kar-


zinoids verwendet, die weiteren gastrointestinalen,
neuroendokrinen Tumoren werden nachfolgend be-
handelt. Während die Inzidenz für Karzinoidtumo-
ren bei ca. 0,3-0,8/100.000 Einwohner liegt (Frauen
und Männer sind in etwa gleich häufig betroffen),
wird in Obduktionsserien von einer Häufigkeit
von 2,1/100.000 Autopsien berichtet. In 0,17 o/o der
Fälle konnte bei einer Zusammenstellung von
200.000 Appendektomiepräparaten ein Appendix-
karzinoid nachgewiesen werden. Insbesondere bei
jungen Patienten ist der Appendix die häufigste Tu-
morlokalisation. Die Erstdiagnose wird bei Karzi-
noiden des Ileums und des Jejunums am häufigsten
bei 50- bis 60-jährigen Patienten gestellt.
Abb.I4-4. Computertomographie bei dem Patienten mit
Ileozäkalkarzinoid und Lebermetastasen. (Die Abbildung
wurde freundlicherweise von der Klinik und Poliklinik für Ra-
diologie und Nuklearmedizin zur Verfügung gestellt, Leiter:
Prof. Dr. Thelen) 14.2.3
Pathogenese

Das "klassische" Karzinoid leitet sich von den


enterochromaffinen Zellen ab und kann neben
durchgeführt. Die Aufarbeitung des Operations- dem Serotonirr z. B. auch Bradykinin oder Tachyki-
präparates durch den Pathologen ergab die Dia- nine (Substanz P, Neuropeptid K) sezernieren. Sero-
gnose eines gut differenzierten Ileozökalkarzi- tonin wird im Tumorgewebe über 2 enzymatische
noids (5 · 2 · 3 cm). Durch die Gabe von 3-mal Reaktionen synthetisiert (Abb. 14-7). Die hormo-
200 11g Octreotid trat die Flushsymptomatik we- nelle Überproduktion der oben aufgeführten Pepti-
sentlich seltener und mit einer gerin geren Aus- de führt zum klinisch charakteristischen Karzinoid-
prägung auf. Bei den weiteren Nachuntersu- syndrom (Flush, Diarrhö, asthmaartige Anfälle und
chungen über 2 Jah re zeigten die Lebermetasta- kardiale Manifestationen).
sen keine Progression.

Flush
Der Flush beim Karzinoid ist auf eine multifak-
14.2.2 torielle Genese zurückzuführen, wobei dem Brady-
Epidemiologie kinin mit seiner bekannten kapillarerweitemden
Wirkung eine besondere pathophysiologische Be-
Als das Karzinoid im eigentlichen Sinne (,,klassi- deutung zukommt. Zwar sind die Serumkonzen-
sches Karzinoid") bezeichnet man einen neuroendo- trationen für Substanz P, NeuropeptidKund Neuro-
krinen Tumor, der von argentaffinen, vorwiegend kinin A während eines Flushs erhöht, es konnte aber
Serotonin-produzierenden Zellen ausgeht. Nach keine Korrelation zwischen Flush und Serotonin-
WHO-Klassifikation wird die Definition weiter ge- sekretion bzw. 5-Hydroxyindolessigsäureausschei-
fasst und schließt alle Tumoren des diffus neuroen- dung im Urin nachgewiesen werden. Daraus ist zu
dokrinen Systems mit ein. Ausgenommen hiervon schließen, dass die anfänglich vermutete, pathophy-
sind jedoch Neoplasien, die den C-Zellen der Schild- siologische Bedeutung des Serotonins unwesentlich
drüse, dem Nebennierenmark, den extraadrenalen für die Entstehung des Flush sein muss.
Paraganglien, dem peripheren Nervensystem oder
dem endokrinen Pankreas entstammen.
Die Einteilung erfolgt nach histogenetischen Ge- Diarrhö
sichtspunkten in Karzinoide des Vorder-, Mittel- Die Beobachtung, dass die Diarrhö auch ohne einen
und Enddarms (Tabelle 14-3) und nach der Lokali- Flush auftreten kann spricht für eine über unter-
sation des Primärtumors (Abb. 14-6). In der Litera- schiedliche Mediatoren vermittelte Genese. Seroto-
tur sind auch weitere, seltene Organmanifestationen nirr ist aufgrund seiner stimulierenden Wirkung
bekannt: Ovar, Hoden, Thymus, Speicheldrüse, Nie- auf die Peristaltik und den Tonus des Darms von
re, Gallenblase und Gallenwege. Im weiteren wird zentraler Bedeutung.
552 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

1771< 2091(
12 16

R
1
n g
t h
t
1491! 1861(
13 17

Abb. 14-5. Octreotidszintigraphie bei dem Patienten mit (Die Abbildung wurde freundlicherweise von der Klinik und
Ileozäkalkarzinoid und Lebermetastasen. Konventionelle Poliklinik für Radiologie und Nuklearmedizin zur Verfügung
Szintigraphie (oben) und dreidimensional Darstellung (unten). gestellt, Leiter: Prof. Dr. Thelen)
14.2 Karzinoid 553

Tabelle 14-3. Histogenetische Einteilung der Karzinoide (WHO-Definition)

Ursprung Organ Mogliche Hormonproduktion Klinik

Vorderdarm Lunge CRH,ACTH,GHRH Cushing-Syndrom, Akromegalie

Lunge erotonin, Histamine Karzinoidsyndrom

ThynlUS CRH, ACTH, GHRH, (Serotonin) Cushing Syndrom, Akromegalie

Magen Histamine, Gastrin, Somatostatin Flush, Zollinger· Ellison· Syndrom,


Somatostatinom

Magen CRH,ACTH,GHRH Cushing-Syndrom, Akromegalie

Duodenum Gastrin, Somatostatin ZoUinger· Ellison· Syndrom,


Somatostatinom

Duodenum Serotonin, Neurotensin Karzinoidsyndrom

Mitteldarm Jejunum Kalzitonin, CGRP

Ileum Bradykinin, Tachykinin Karzinoidsyndrom

Proximales Kolon Serotonin Karzinoidsyndrom

Appendix Serotonin, Tachykinine Karzinoidsyndrom

Enddarm Distales Kolon PP, hCG, Peptid YY Keine hormonspezifischen


Symptome

Rektum Somatostatin Somatostatinom

ACTH adrenokortikotropes Hormon, CGRP "calcitonin-gene-related" Peptide, CRH Kortikotropin-releasing-Hormon, GHRH


Wachstumshormon-releasing-Hormon, HCG humanes Choriongonadotropin, PP pankreatisches Polypeptid

Rektum 15 % Karzinoid

Ileum 11%

Dünndarm 6%
(nicht spezifiziert)

5-Hydroxy·
lryptamin
= Serotonin
Abb.l4-6. Prozentuale Verteilung der häufigsten Organma-
nifestation bei 1867 Karzinoiden. (Mod. nach Godwin 1975) Aminoxidase

Abb. 14-7. Metabolisierung von Tryptophan in normalem


und in Tumorgewebe
554 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

tisch. Das Auftreten von Beschwerden ist entschei-


Asthmaartige Anfälle dend von der hormonellen Aktivität, dem Sitz des
Die kurzdauernde Dyspnoe bei Patienten mit einem Primärtumors und dem Grad einer möglichen Me-
Karzinoid ist auf die bronchokonstriktorische und tastasierung abhängig. Während bei den endokrin-
die Hyperventilation auf die direkte stimulierende inaktiven Karzinoiden die Symptome auf das lokale
Wirkung des Serotonins auf das Atemzentrum zu- Tumorwachstum (z. B. abdominelle Schmerzen bei
rückzuführen. Wahrscheinlich wird die obstruktive intestinaler Obstruktion) zurückzuführen sind, kön-
Ventilationsstörung auch durch die vermehrte Aus- nen in Abhängigkeit zur Hormonsekretion des Tu-
schüttung von Bradykinin und Tachykininen indu- mors auch z. T. charakteristische Beschwerden re-
ziert. sultieren (Tabelle 14-4). Voraussetzung hierfür ist
jedoch, dass der venöse Abfluss des Tumors bzw.
Kardiale Manifestationen der Metastasen nicht direkt in die Leber führt (Le-
Bei länger bestehenden Karzinoiden entwickeln die bermetastasen bei z. B. Ileumkarzinoid oder Karzi-
Patienten häufig diagnostisch nachweisbare und noide des Bronchialbaums, Retroperitoneums,
funktionell wirksame Läsionen im Bereich des rech- Ovars, Hodens), da durch die physiologische Meta-
ten Herzens (bei Bronchuskarzinoid auch im linken bolisierung der Leber ein Abbau der endokrin-akti-
Herzen). Hierbei kommt es zu einer Fibrosierung im ven Tumorpeptide vor dem Erreichen des posthepa-
Bereich des Endokards, der Herzklappen oder auch tischen Blutkreislaufs erfolgt. Die häufigsten Sym-
der Pulmonalarterie. Die genaue Ursache dieses ptome Flush, Diarrhö, asthmaartige Anfälle und En-
Phänomens ist bisher unbekannt, jedoch sind bei dokardfibrose des rechten Herzen werden mit dem
der Entstehung und Entwicklung der Endokard- Begriff Karzinoidsyndrom zusammengefasst (Ta-
fibrose vermutlich auch die Mediatoren Serotonin, belle 14-5).
Bradykinin und Tachykinine beteiligt.

Flush
14.2.4 Bei einem Flush kommt es anfallsweise zu einem
Klinik ca. 5 min bestehenden diffusen Erythem insbeson-
dere im Bereich des Gesichts und des oberen Thorax
Es ist davon auszugehen, dass zwischen dem Auftre- (s. Abb. 14-3). Der Patient selbst empfindet ein
ten erster Symptome und der Tumorentstehung der plötzlich aufsteigendes HitzegefühL Über Jahre be-
meisten Karzinoide Jahre vergehen können. Häufig stehende, häufig auftretende Flushs können zu einer
werden Karzinoidtumoren zufällig im Rahmen dia- Gewöhnung an die Beschwerdesymptomatik mit Re-
gnostischer Verfahren (Rektumkarzinoid bei Kolo- duktion des Leidensdrucks führen. Meist tritt der
skopie) oder bei Operationen entdeckt (Appendix- Flush bei den Patienten nach dem Aufstehen, z. B.
karzinoid bei Appendektomie). Zum Teil bleiben beim Waschen auf, bekannt ist aber auch die Induk-
diese Tumoren zu Lebzeiten klinisch asymptoma- tion durch Alkohol, heiße Getränke, scharf gewürzte

Tabelle 14-4. Klinische Beschwerden bei Patienten mit einem neuroendokrinen Tumor des Gastrointestinaltraktes

Hauptprodukt Klinik

"Klassisches" Karzinoid Serotonin, Histamine Flush, Diarrhö, Hypotonie, AsthmaanfaJJe

Gastrinom Gastrin Diarrhö, Ulzerationen

Vipom Vasoaktives inte tinales Polypeptid Diarrhö, Hypokaliämie, Achlorhydrie

Glucagenom Glukagon Diabetes mellitus, Erythema negrolytica


migrans

Somatostatinom Somatostatin Diabetes mellitus, Diarrhö, Gallensteine,


Steatorrhö

GRFom Growth-hormone-releasing-factor-Hormon Akromegalie

CRFom Kortikotropin-releasing-Hormon Cushing-Syndrom

PPom Pankreatisches Polypeptid (nekrotisierendes Erythem)

Andere PTH, eurotensin, Vasopressin


14.2 Karzinoid 555

Tabelle 14-5. Klinische Beschwerden bei Patienten mit einem Karzinoidtumor. (Mod. nach Norheim et al. 1987)

Symptom Erste Symptome Zum Zeitpunkt der Überweisung


(%)

Diarrhö 32 84

Flush 23 75

Ileus/Subileus 44 k. A.

Asthmaartige Anfalle 4 15

Kardiale Manifestation k. A. 33

Anzahl der Patienten: 91, Lokalisation: Vorderdarm: 9, Mitteldarm: 87, Hinterdarm: I, unbekannt: 1
k. A. keine Angabe

Speisen oder psychische Belastungssitutationen. Der • Molekularbiologische Untersuchungen des MEN-


Nachweis von Teleangiektasien und zyanotischer 1-Gens (bei V. a. MEN Typ I; s. Kap. 9)
Hautverfärbung spricht für eine seit längerer Zeit, • Bildgebende Diagnostik
rezidivierend bestehende Flushsymptomatik • Obligat: Abdomensonographie, Röntgen-Thorax,
Abdomen-CI- oder -MRT, Echokardiographie,
Octreotidszintigraphie
Diarrhö • Fakultativ: Chromogranin A, intestinale Endo-
Die Diarrhö tritt meist in Kombination mit einen skopie, Endosonographie, Bronchoskopie, Angio-
Flush auf. Meist imponiert ein wässriger Stuhl mit graphie, MIBG-Szintigraphie, Positronenemis-
einer Stuhlfrequenz bis zu 10-mal pro Tag, während sionstomographie, Knochenszintigraphie, selek-
das Auftreten von Fettstühlen seltener ist. tive Blutentnahme mittels Venenkatheter zur
Hormondiagnostik, intraoperative Sonographie
Kardiale Manifestationen
Bei ca. jedem 3. Patienten mit Karzinoid kommt es
bei längerem Verlauf zu Endokardfibrose des rech-
ten Herzen, die zu einer Insuffizienz oder Stenosie-
rung der Trikuspidalklappe führen kann. Manifesta-
Bei Patienten mit zufällig entdecktem Appendixkar-
zinoid mit einer Größe < 1 cm ist eine weiterführen-
de Diagnostik nicht erforderlich.
D
tionen im Bereich des linken Herzen werden als Fol-
ge eines Bronchuskarzinoids beobachtet.
Anamnese und körperliche Untersuchung
Bei der Anamneseerhebung und der körperlichen
Asthmaartige Anfälle und seltene Symptome Untersuchung ist aufhormonabhängige Symptome,
In Koinzidenz mit einem Flush kann es zu einer als Indiz für ein fortgeschrittenes Stadium des Tu-
meist reversiblen, obstruktiven Ventilationsstörung mors und körperliche Stigmata (Teleangiektasien
kommen. Deutlich seltener kommt es zum Auftreten und livide Verfärbung des Gesichtes) zu achten.
pellagroider Hautveränderungen oder einer Arthral- Die Familienanamnese muss auf mögliche Tumor-
gie. manifestationen in der Familie im Rahmen einer
MEN Typ I fokussiert werden.

Labordiagnostik
14.2.5
Bewährt hat sich bei konkretem klinischem Ver-
Diagnostik dacht auf ein Karzinoid und bei der Nachsorge
die Bestimmung von 5-Hydroxyindolessigsäure
Diagnostik beim Karzinoid (5-HIES) im 24-h-Sammelurin (Normbereich:
< 12 mg/24 h). Während der Sammelphase ist auf
• Anamnese und körperliche Untersuchung den Verzehr von Ananas, Avocados, Bananen, Kaf-
• Biochemische Untersuchungen fee, Pflaumen und Walnüssen zu verzichten, da die
• 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) im 24-h-Urin Nahrungsbestandteile zu falsch positiven Ergebnis-
(2-mal) sen führen können. Auch eine Reihe von Medika-
• (Bei V. a. Vorderdarmkarzinoiden auch Seroto- menten können zu artifiziellen Ergebnissen führen
nin) (z. B. falsch-positiv: Fluorouracil, Reserpin, Phen-
556 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

acetin; falsch-negativ: Heparin, Isoniazin, Imipra- einen lobulär-soliden, trabekulär-rippenartigen, tu-


min, MAO-Hemmer, L-Dopa). Bei den Vorder- bulären und einen wenig-differenzierten Typ erfol-
darmkarzinoiden muss auch Serotonin (5-Hydroxy- gen. Durch die Verwendung monoklonaler Antikör-
tryptamin) gemessen werden, da das Enzym Amino- per können in der Immunelektronenmikroskopie
säuredecarboxylase fehlt und Serotonin durch verschiedene neuroendokrine Tumormarker selek-
die Tumorzelle nicht in 5-HIES metabolisiert wer- tiv dargestellt werden.
den kann. Prinzipiell möglich ist die Untersuchung
einer Reihe von Tumorsekretionsprodukten (Ta- Auswahl häufig verwendeter neuroendokriner
belle 14-3). Aufgrund der meist klinisch geringen Tumormarker
Relevanz und der mit der Bestimmung verbundenen
hohen Kosten sollte nur bei klinischem Verdacht e Neuronenspezifische Enolase (NSE)
eine gezielte Hormonanalyse erfolgen. Provokati- e Chromogranin A
onstests mit Adrenalin oder Pentagastrin zeichnen • Chromogranin B (Sekretgranin I)
sich durch schlecht untersuchte Normalbereiche e Chromogranin C (Sekretgranin II)
und fehlende klinische Bedeutung aus und sollten e Synaptophysin
deshalb in der Routinediagnostik nicht verwendet e Neuropeptid Y
werden.

Molekularbiologische Untersuchungen
Genetische Untersuchungen zum Nachweis von Mu- 14.2.6
tationen im MEN-1-Gen (Chromosom llql3) als Therapie
Zeichen einer genetischen Disposition für MEN
Typ I sollten bei einer Koinzidenz verschiedener en- Chirurgische kurative Therapie
dokriner Tumoren (Karzinoid, Hypophysentumor Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose eines Karzinoids ist
oder primärer Hyperparathyreoidismus) bei einem nach Abschluss der Diagnostik zu prüfen, inwieweit
Patienten oder bei einer Häufung dieser Tumoren durch eine chirurgische Intervention eine kurative
in der Familie des Patienten durchgeführt werden Therapie möglich ist. Da dieses Vorgehen nur bei
(s. Kap. 9). einem isolierten Primärtumor und allenfalls lokaler
Metastasierung sinnvoll ist, ist in der Regel nur bei
einem Bronchial-, Hoden- oder Ovarialkarzinoid die
Bildgebende Diagnostik komplette Tumorexstirpation zu realisieren. Wenig
Zur Erfassung der Tumorausdehnung und einer Me- ermutigend sind die ersten Ergebnisse bzgl. der
tastasierung bedarf es der Durchführung und des 5-Jahres-Überlebensrate von Patienten mit Leber-
Vergleichs mehrerer bildgebender Verfahren. Bei metastasen, bei denen neben der Tumorexstirpation
bereits gesicherter Metastasierung ist die Primärtu- eine Lebertransplantation durchgeführt wurde. Da
morsuche allenfalls von wissenschaftlichem Inter- bei den meisten Karzinoiden bereits bei ihrer Ent-
esse. Bei unklarer Diagnose dient die endoskopische deckung eine inoperable, diffuse Metastasierung
Diagnostik auch zur Gewinnung von Tumormaterial vorliegt, ist die Wahl eines geeigneten palliativen
zur weiteren Differenzierung durch den Pathologen. Therapiekonzeptes von entscheidender Bedeutung.
Die in der oben aufgeführten Übersicht genannten
fakultativen, bildgebenden Verfahren sollten indivi-
duell auf die Krankengeschichte des Patienten abge- Palliativer Ansatz
stimmt werden und hinsichtlich der ggf. fehlenden Die palliative Therapie zielt auf die Linderung tu-
therapeutischen Konsequenzen kritisch durchdacht morbedingter Beschwerden und die Vermeidung
werden. einer Tumorprogression, im Idealfall Erreichen
einer Tumorregression, ab. Prinzipiell muss zuvor
das biologische Wachsturnsverhalten des Tumors
Histologie und immunhistochemische Untersuchungen erfasst werden, da bei klinisch asymptomatischen
Histologisch kennzeichnend sind die im Lichtmi- Karzinoiden keine spezifische Behandlung erforder-
kroskop und Elektronenmikroskop durch Silberfär- lich ist. Als Indikator für eine Therapieentscheidung
bung erkennbaren, Zytoplasmatischen Sekretgranu- gilt der nachgewiesene Progress (neu aufgetretene
la, die den Speicherort der endokrin aktiven Peptide Metastasen oder Anwachsen einer großen Metastase
oder deren Vorstufen darstellen. Die argentaffine um mehr als 25 o/o) in einer standardisierten bildge-
Reaktion bei den Mitteldarmkarzinoiden korreliert benden Diagnostik, z. B. CT -Abdomen bei Leberme-
mit dem Serotoningehalt der Zelle. Nach histologi- tastasierung. Bei kritischer Durchsicht der Literatur
schen Kriterien kann eine weitere Einteilung in zur palliativen Therapie beim Karzinoid zeigen sich
14.2 Karzinoid 557

insbesondere bei älteren Studien die folgenden der Fälle erreicht werden. Nach der derzeitigen Da-
grundsätzlichen Probleme: Zu kleine Fallzahl, biolo- tenlage ist das Erreichen einer Tumorregression we-
gisches Tumorwachstum wurde nicht berücksich- nig wahrscheinlich (0-3% d. F.), jedoch scheint eine
tigt, unterschiedliche Erfolgsparameter (klinische Tumorstabilisierung im Sinne derVermeidungeiner
Beschwerden, biochemische Tumormarker oder Tu- Tumorprogression möglich (36% d. F. bei progres-
morgröße). Auch aufgrund der unterschiedlich ge- siven Karzinoiden). Inwieweit aus dieser Tumorsta-
wählten Dosierungen in den Medikamentenstudien bilisierung auch eine Verbesserung der Überlebens-
ist der direkte Vergleich der publizierten Daten teil- zeit resultiert, ist offen. Die postulierte Apoptosis
weise nur bedingt möglich. unter Hochdosistherapie (12.000 )lg pro Tag) konnte
nicht in prospektiven Studien bewiesen werden. Die
Palliative medikamentöse Therapie wesentliche Nebenwirkung ist die Steatorrhö als Fol-
• Somatostatinanaloga. In der Vergangenheit be- ge der inhibitorischen Wirkung der Somatostatin-
wies die Substanz Somatostatin in Studien bei neu- analoga auf die exokrine Pankreasfunktion. Durch
roendokrinen Tumoren mit Somatostatinrezepto- die Substitution von Pankreasfermenten kann in-
ren ihre Wirksamkeit, jedoch war der Einsatz auf- dessen häufig wieder eine Normalisierung des Stuhl-
grund der notwendigen intravenösen Applikation gangs erreicht werden. Bei einer Langzeittherapie
und der kurzen Verweildauer im Blut limitiert. kann es zur Cholezystolithiasis und Cholestase
Mit den Somatostatinanaloga (z. B. Octreotid, San- kommen. In der Erprobung sind derzeit Somato-
dostatin) stehen heute Präparate mit einer längeren statinanaloga, die durch die Kopplung mit einem
Halbwertszeit zur Verfügung, sodass eine subkutane therapeutischen Radioisotop (Betastrahler) die Mög-
Therapie mit 3 Injektionen pro Tag möglich ist lichkeit eröffnen, den Somatostatinrezeptor-tragen-
(empfohlene Dosis: 3-mal 200 )lg Octreotid). Rubin den Tumor selektiv zu bestrahlen.
et al. (1999) konnte zeigen, dass auch mit dem neu-
eren Depotpräparat (Sandostatin LAR) eine ver- • Cl-Interferon. In mehreren Studien über neuroen-
gleichbare Wirkung bei den neuroendokrinen Tu- dokrine Tumoren zeigte sich ein antiturnoraler Ef-
moren des Gastrointestinaltraktes erreicht werden fekt, wobei insbesondere ein Ansprechen des bio-
kann. Da bei der Depotform von Octreotid nur chemischen Tumormarkers (45% d. F.) und eine
eine intramuskulöse Applikation alle 4 Wochen er- Symptomreduktion (70% d. F.) nachgewiesen wur-
forderlich ist, liegt die Akzeptanz dieser Therapie ge- de, während der antiproliferative Effekt nicht befrie-
genüber der subkutanen Verabreichung deutlich hö- digen konnte (10-20% d. F.). Anstatt die Therapie
her. Zur Erfassung einer Unverträglichkeit gegen- wegen der in Tabelle 14-6 (wiedergegebenen Neben-
über Octreotid sollte jedoch immer zunächst mit wirkungen abzubrechen, sollte zunächst der Ver-
einer subkutanen Therapieform begonnen und such einer Dosisreduktion durchgeführt werden.
über ca. 14 Tage überlappend auf das i.m.-Präparat
umgestellt werden (Dosisäquivalent zu 3 · 200 )lg • Chemotherapie. In der Vergangenheit kamen
Octreotid: 20 mg Sandastatin LAR alle 4 Wochen). verschiedene Kombinationen von Chemotherapeu-
Durch die Octreotidtherapie kann die Reduktion tu- tika bei der Behandlung von neuroendokrinen Tu-
morabhängiger Symptome in ca. 80% und der Ab- moren zur Anwendung, jedoch lagen die Tumorans-
fall des biochemischen Tumormarkers in ca. 70% prechraten enttäuschend niedrig (0-30% d. F., Ta-
belle 14-7). Moertel et al. fanden für die Kombina-
tionstherapie mit Streptozotocin und Doxorubicin
eine höhere Tumoransprechrate (70 %) als die in Ta-
Tabelle 14-6. Die häufigsten Nebenwirkungen bei Therapie belle 14-7 aufgeführten Arbeitsgruppen. Problema-
mit a-Interferon bei 111 Patienten mit neuroendokrinem tisch bei dieser Therapiestudie ist, dass das biologi-
Tumor
sche Wachsturnverhalten nicht vor Therapiebeginn
Nebenwirkung (% )
ermittelt wurde. Eine von uns empfohlene Therapie
nach Zusammenschau der einzelnen angegebenen
Grippeähnliche Symptome 89 Studien ist in Tabelle 14-8 wiedergegeben.
Gewichtsverl ust 59
• Leberembolisation. Nachgewiesen wurde die Re-
Müdigkeit SI duktion von Lebermetastasen durch die Embolisati-
Anämie
on über die Leberarterie. In ca. 50% der Fälle wurde
31
dabei eine Reduktion des Tumormarkers beobach-
Thrombozytopenie 18 tet. Zwar scheint der therapeutische Effekt auf etwa
Leukopenie 7
1 Jahr zeitlich limitiert zu sein, doch kann die Em-
bolisation wiederholt werden. Ähnliche Effekte kön-
558 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

Tabelle 14-7. Polychemotherapie beim Karzinoid. (Mod. nach Öberg 1994)

Substanzen Tumoransprechrate Literatur

Anzahl der Patienten Anzahl der Patienten


(in Klammern in % )

STZ + 5 FU 43 14 (33) Moertel 1980

80 18 (23) Moertel 1979

10 4 (40) Kelsen 1982

TZ+ CTX 47 12 (26) Bukowksi 1987

STX + DOX 10 4 (40) Kelsen 1982

STX + DOX + CTX 20 7 (35) Bukowski 1983

STX + DOX + DPP + 5FU 15 2 (14) Bukowski 1983

STX + DOX + IFN II 0 (O) janson 1992

ETP + DPP 13 0 (O) Moertel 1991

Carboplatin 20 0 (0) Saltz 1993

SFU + IFN 14 1 (7) Saltz 1994

DTIC 56 9 (16) Bukowski 1994

Mi toxa ntron 21 X (18) Neijt 1995

CTX Cyclophosphamid, DOX Doxorubicin, DPP Cisplatin um, DTIC Dimethyltriazenoimidazol Carboxamid, ETP Etoposid, 5-FU
Fluorouracil, IFN a-Interferon, Oe Octreotid, STZ Streptozotocin

Tabelle 14-8. Polychemotherapie bei gastrointestinalen neu- Sonstige medikamentöse Therapie


roendokrinen Tumoren
Nach Einführung der Somatostatinanaloga ist der
Einsatz anderer Präparate zur symptomatischen
Praparat Dosis Tag
[mg/m 2 [ Therapie deutlich seltener geworden. Sofern zu er-
fassen, sollten Noxen oder Situationen, die beispiels-
I. Streptozotocin 500 I. bis 5. weise einen Flush induzieren, vermieden werden.
2. Doxorubicin 50 I. und 22. Bei refraktären Diarrhöen kann versuchsweise Lope-
ramid und bei sonst therapieresistentem Flush die
Wiederholung nach 6 Wochen Kombination eines H 1- und Hz- Rezeptorantagoni-
sten angewendet werden, ggfs. ist die Therapie einer
dekompensierten Rechtsherzinsuffizienz bei Endo-
kardfibrose erforderlich.
nen möglicherweise auch durch die transkutane
Äthanolapplikation erreicht werden, es liegen je-
doch hierzu noch nicht genügend Daten vor.
Zusammenfassung
In der Abb. 14-8 ist ein Algorithmus zur palliativen
Chirurgische palliative Therapie Therapie eines metastasierenden Karzinoids darge-
Die Indikation zur chirurgischen Intervention ist bei stellt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die
Folgeerkrankungen des lokalen Tumorwachstums Somatostatinanaloga wegen ihrer guten Wirkung
(z. B. intestinale Obstruktion) oder bei einem medi- bzgl. hormonabhängiger Symptome und geringer
kamentös nicht mehr beherrschbaren Karzinoidsyn- Nebenwirkungen die zentrale Rolle in der palliativen
droms gegeben. Eine Verbesserung der Überlebens- Therapie des metastasierenden Karzinoids einneh-
zeit infolge eines "Tumor-debulkings" konnte bisher men. Da der Effekt der Tumorstabilisierung durch
jedoch nicht nachgewiesen werden. eine Somatostatinanalogatherapie erst nach einer
mittleren Behandlungszeit von 14 Monaten auftritt,
sollte auch bei nachgewiesener Tumorprogression
die Therapie fortgeführt werden. In der Literatur fin-
14.2 Karzinoid 559

Er tdiagnose:
Karzinood

Therapie unter
Therapie unter palliativen pckten
kurati' en spckten

I
möglich oder

L
palliath es erfahren
sinmoll

I
eine klinischen
Flush· ymptomatik
Be chwerdcn

I
Operall n

(
Restaging nach 3·6
Monaten
.-------+-.
J
kdo T"' ~rogreo_J ~ Toroo~roll"ß

kein Tumorprogrcß Monaten

Tumorprogrcß

Abb. 14-8.
Diagnostisches und thera-
peutisches Vorgehen beim
inoperablem Karzinoid

den sich Hinweise, dass durch die Kombination von Appendixkarzinoid


Octreotid und a-lnterferon ein über die Monothera- Die häufigste Tumorlokalisation des Karzinoids ist
pie mit Octreotid hinausgehender Effekt auf den Tu- der Appendix, wobei diese Tumoren meist zufällig
mor erreicht werden kann. Bei progredienten Leber- bei einer abdominalchirurgischen, gynäkologischen
metastasen kann eine Therapieergänzung mit der oder mologiseben Operation gefunden werden und
Leberembolisation erfolgen. Beim Versagen dieser eine Größe < 1 cm aufweisen. Im Unterschied zu
Therapieschemata kann bei rasch wachsenden Kar- den übrigen Karzinoidkranken sind die Patienten
zinoiden der Versuch einer Polychemotherapie mit bei der Entdeckung durchschnittlich jünger (ca. 3.
Doxorubicin und Streptozotocin unternommen bis 4. Lebensdekade) und der weitere Verlauf zeigt
werden. In Einzelfällen kann ein Therapieversuch eine deutlich bessere Prognose. Inwieweit dies auf
mit 90Y -Octreotid als selektives Radiopharmakon die zufällige Entdeckung und die damit frühzeitige
unternommen werden. Tumorexstirpation oder aber auf eine andere Her-
kunft der Tumorzellen (subcpitheliale neuroendo-
560 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

krine Zellen) mit differentem Wachstumsverhalten


14.2.7
zurückzuführen ist, lässt sich derzeit nicht abschlie-
Prognose
ßend beantworten. Aufgrund der Korrelation zwi-
schen Tumorgröße und Metastasierung, hat sich
Die Prognose des charakteristisch langsam wachsen-
für den klinischen Alltag ein therapeutisches Vorge-
den Karzinoids ist von verschiedenen Faktoren ab-
hen in Abhängigkeit von der Tumorgröße bewährt.
hängig, die in der Übersicht wiedergegeben sind. Ta-
belle 14-l 0 gibt einen Überblick der 5-Jahresüberle-

D Bei Appendixtumoren mit einem maximalen Durch-


messer von 1 cm ist bisher noch kein Fall einer Me-
tastasierung beschrieben worden, und damit ist eine
bensraten.

Prädiktive Parameter beim Karzinoid


weitere Diagnostik bei Erstdiagnose nicht erforder-
lich.
• Tumorgröße
• Lokalisation des Primärtumors
Die Appendektomie stellt somit eine ausreichende
• Histologische Wachstumsmuster
Therapie dar. Konsens in der Literatur besteht wei-
• Hormonabhängigkeit
terhin darin, bei einer Größe > 2 cm ein komplettes
• Zytologische Kriterien
Staging und eine Hemikolektomie rechts durchzu-
• Entwicklung eines inappropriaten endokrinen
führen . Bei nicht ganz einheitlichen, bisher publi-
Syndroms
zierten Ergebnissen zu Tumoren mit einem Durch-
messer von l-2 cm sollte nur der Appendix ekto-
miert und die Patienten zu regelmäßigen Nachun-
tersuchungen einbestellt werden (Tabelle 14-9).
14.3
Gastrinom

Tabelle 14-9. Therapeutisches Vorgehen beim Appendixkar- 14.3.1


zinoid
Fallpräsentation
I umorgrnße [cm] Therapie

Appendektomie
Ein 53-jähriger Mann wurde aufgrun d von rezi-
< I
divierenden Ulzeratio nen im oberen Gastroi nte-
1-2 Appendektomie und achunter u- stinaltrakt zur weiteren diagnostischen Abklä-
chungen
ru ng stationär aufgenommen. Der Patient be-
>2 Hemikolektomie recht richtete, dass in den letzten 4 Jahren bei wieder-
holten Gastroskopien aufgrund epigastrischer
Schmerzen mehrere Ulzera im Bereich des ge-

Tabelle 14-10. 5-Jahresüberlebensrate bei Patienten mit Karzinoid in Abhängigkeit zur Tumorlokalisation und Tumorstadiums.
(n = 1867; nach Godwin 1975)

Lokalbefund Alle Tumorstadien

(Angaben in %)

Appendix 99 99

Lunge und Bronchien 96 87


Magen 93 52

Rektum und rektosigmoidaler Abschnitt 92 83

Kolon 77 52

Dünndarm und Ileozäkum 75 54

Alle Karzinoide 94 82
14.3 Gastrinom 561

Tabelle 14-11. Lokalisation des Primärtumors bei Gastrinomen (n = 29; mod. nach Kaplan et al. 1990)

Lokalisation Absolut Relativ ~Angabe in % )

Duodenum II 38

Pankreas 10 34
Außerhalb des Duodenums bzw. Pankreas 3 10

Unbekannt 5 17

tel des Duodenums und nach medial vom Übergang


samten Magens und des distalen Ösophagus Corpus-Caput des Pankreas begrenzt wird (Ta-
nachgewiesen wurden. Der basale Gastrinwert belle 14-11).
betrug nach einer ahrungskarenz von 12 h
710 pglml (Normbereich < 200 pglml) bei einer
BAO von 18,2 mmol/h und zeigte nach Stimu-
lation mit Sekretin einen Anstieg bis auf 14.3.3
1153 pg/ml. In der Computertomographie Pathogenese
konnte im Bereich des Pankreaskopfes ein
ca. 2,5 cm messender Tumor abgegrenzt wer- Prinzipiell sind bei der laborchemisch gesicherten
den, und in der Leber fand sich eine diffuse Me- Hypergastrinämie beim nüchternen Patienten ver-
tastasierung. Durch eine medikamentöse Thera- schiedene Ursachen in Betracht zu ziehen. Hierbei
pie mit Omeprazol 80 mg/Tag traten bei dem ist die Differenzierung in Abhängigkeit von der ba-
Patienten in den folgenden 20 Monaten keine salen Säuresekretion des Magens hilfreich (Ta-
weiteren Ulzerationen auf und der Pankreas- belle 14-12). Ausgehend von den enterochromaffi-
tumor und die Lebermetastasen zeigten keine nen Zellen des Magens kann eine chronische Hyper-
Größenveränderung. gastrinämie beim Gastrinom im Rahmen eines
MEN-1-Syndroms zur Entstehung eines Magenkar-
zinoids führen. Auch die reaktive Hypergastrinämie
bei der perniziösen Anämie scheint mit einer erhöh-
ten Inzidenz für Magentumoren einherzugehen.
14.3.2
Eher unwahrscheinlich erscheint derzeit die Entste-
Epidemiologie
hung eines Magenkarzinoids durch die medikamen-
tös-induzierten erhöhten Gastrinkonzentrationen
Charakteristisch für das Zollinger-Ellison-Syndrom
(Dauertherapie mit HrRezeptorenblockern oder
sind entsprechend der Erstbeschreibung aus dem
Hemmern der Protonenpumpe, z. B. Omeprazol).
Jahre 1955 peptische Geschwüre im Gastrointesti-
Bei Patienten mit Gastrinom kommt es zum ge-
naltrakt mit z. T. untypischer Lokalisation, erhöhte
häuftem Auftreten von Ulzerationen und Diarrhö-
Magensäuresekretion und ein Inselzelltumor des
beschwerden.
Pankreas (Gastrinom). Der Begriff Zollinger-Elli-
son-Syndrom umfasst somit neben dem Gastrinom
als Primärtumor auch dessen klinische Charakteri- Ulzerationen im oberen Gastrointestinaltrakt
stika. In der Literatur werden die beiden Begriffe je- Die vermehrte Magensäuresekretion beim Gastri-
doch mittlerweile synonym verwendet. Die Inzidenz nom ist auf den direkten bzw. indirekten (stimu-
für das Gastrinom wird auf ca. 0,2- 0,5 Fälle pro lierte Histaminsekretion) Effekt des Gastrins zu-
1 Mio Einwohner pro Jahr geschätzt, davon sind rückzuführen (Abb. 14-2). Damit ist das Gleichge-
zum Zeitpunkt der Erstdiagnose bereits 36-60% wicht zwischen den protektiven und den ulkusindu-
maligne. Ätiologisch bedeutsam ist, dass bei ca. je- zierenden Faktoren gestört und es kommt konseku-
dem 4. Patienten mit Gastrinom ein MEN-1-Syn- tiv zum gehäuftem Auftreten von Ulzerationen im
drom vorliegt und dass das Gastrinom nach dem Bereich des Magens, des Dünndarms oder der Spei-
primären Hyperparathyreoidismus die häufigste seröhre. Bei einer Koinzidenz eines Gastrinoms und
Tumormanifestation des MEN-I-Syndroms ist. eines primären Hyperparathyreoidismus im Rah-
Am häufigsten ist ein Gastrinom im Bereich des men eines MEN -I -Syndroms ist die durch das
"Gastrinomdreiecks" lokalisiert, das nach kranial PTH verursachte Hyperkalzämie von pathophysio-
von der Leberpforte, nach kaudal vom unteren Drit- logischer Bedeutung, da eine erhöhte Kalziumkon-
562 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

Tabelle 14-12. Ursachen der Hypergastrinämie in Abhängigkeit von der Magensäureproduktion

Magensäureproduktion

Erniedrigt Nurmallleicht erhöht Erhöht

Vagotomie ierenin uffizienz G-Zellhyperplasie

Medikamentö e Therapie mit Antazida Hyperkalzämie Gastrinom

Achlorhydrie (z. B. bei pernizöser Anämie, atrophische Gastritis)

Kurzdarmsyndrom

Verbliebener Antrumrest mit G-Zellen bei Billroth-11 -


Magenresektion

zentration im Serum die Parietalzellen zusätzlich sti-


14.3.5
muliert.
Diagnostik

Diarrhö Anamnese und körperliche Untersuchung


Aus der gesteigerten Gastrinsekretion resultiert eine
Inaktivierung der intestinalen Enzyme, die wieder-
Die Anamneseerhebung zielt auf die Erfassung
um zu einer Diarrhö führen kann. Möglicherweise
indirekter Hinweise für ein Gastrinom
wirkt die Motilitätssteigerung der Magen- und
Darmmuskulatur bei supraphysiologischen Gastrin-
• Multiple Ulzerationen im oberen Gastrointesti-
konzentrationen als zusätzlicher Faktor.
naltrakt
• Ulkus mit untypischer Lokalisation (Ösophagus,
Jejunum oder hinter dem Bulbus)
• Therapieresistente Ulzerationen
14.3.4
• Schnelles und gehäuftes Wiederauftreten von Ul-
Klinik
zerationen nach Absetzen einer primär erfolgrei-
chen Therapie mit Antazida
Aufgrund der suffizienten Therapie mit Antazida
• Nachweis einer Hyperchlorhydrie
dauert es vom Auftreten erster Symptome bis zur
• Chronische und ungeklärte Diarrhö bzw. Steator-
Entdeckung eines Gastrinoms meist Jahre. Häufig-
rhö
stes Symptom ist hierbei der abdominelle Schmerz
• Auffällige Familienanamnese für MEN 1
(79% ), seltener Meläna (42% ), Hämatemesis
(33 %) oder Diarrhö (35 %). Ulzerationen finden
sich bei Gastrinompatienten im Bereich des Duode-
nums (96 %), des Magens (24 %), des Jejunums Labordiagnostik
(29 %) und des Ösophagus (6 %). Durch die konse- • Immunoassays. Mittels moderner Immunoassays
quente medikamentöse Therapie der Geschwüre ist die direkte Bestimmung von Gastrin im Serum
sind Folgeerkrankungen wie Stenosierung oder Per- möglich. Hierbei sollte zur Vermeidung falsch-posi-
foration selten geworden. tiver Ergebnisse die Blutentnahme nur bei nüchter-
nen Patienten erfolgen und H2-Rezeptorenblocker
oder Protonenpumpenhemmer 3 bzw. 14 Tage zu-
vor abgesetzt werden.

• Bestimmung des "Basal-acid-Outputs." Zum


Ausschluss einer reaktiven Hypergastrinämie bei
Hypochlorhydrie (Tabelle 14-12) ist die Bestim-
mung der Säuremenge unter Basalbedingungen er-
forderlich (BAO: "basal acid output", Normbereich:
< 3 mmol!h).
14.3 Gastrinom 563

• Sekretintest. Bei erhöhtem BAO (> 15 mmol!h) Tabelle 14-13. Überblick der bildgebenden Diagnostik beim
Gastrinom, Glukagonom, Vipom und Somatostatinom (De-
kann die G-Zellhyperplasie von dem Gastrinom tails s. entsprechende Kapitel)
durch den Sekretintest differenziert werden. Durch
die intravenöse Gabe von Sekretin (1 U/kg Körper- Obligat Fakultativ
gewicht) kommt es bei einem Gastrinompatienten
zu einem starken Anstieg der Gastrinwerte im Se- Sonographie Abdomen Angiographie
rum, während bei der G-Zellhyperplasie es meist Röntgen Thorax Intestinale Endoskopie
zu einem Abfall wie bei Normalpersonen oder nur
leichtem Anstieg des Gastrins kommt. Ein Stimula- Computertomographie Endesonographie
des Abdomens
tionstest mit Pentagastrin oder Kalzium ist zur Dia-
gnosefindung nicht erforderlich. Bei der postopera- Octreotid-Szintigraphie MRT des Abdomens
tiven Nachsorge sollte sowohl der Gastrinwert beim
Computertomographie
nüchternen Patienten bestimmt als auch ein Sekre- anderer Organe
tintest durchgeführt werden.
Bronchoskopie

Bildgebende Diagnostik Selektiver Venenkatheter


zur Hormonanalyse
Ziel der bildgebenden Diagnostik ist das Auffinden
des Primärtumors, dem Ausschluss von multiplen Positronen-Emissions-
Gastrinomen und die Erfassung einer Metastasie- Tomographie
rung. Gastrinome mit einem Durchmesser > 1 cm Intraoperative Sonographie
können mit den in Tabelle 14-13 aufgeführten Ver-
fahren meist entdeckt werden. Dahingegen entzie-
hen sich insbesondere die meist < 0,5 cm großen ses eines antiproliferativen Effektes auf das Gastri-
Duodenaltumoren dem diagnostischen Nachweis. nom und der preiswerteren, ebenfalls therapeutisch
Durch die Kombination der Computertomographie wirksamen Alternative mit Antazida, ist die Octreo-
mit der selektiven Arteriographie kann die Sensiti- tidtherapie als Behandlung der zweiten Wahl anzu-
vität auf 80-90 o/o gesteigert werden. sehen. Bei einer gesicherten Tumorprogression
(dokumentiertes Wachstum im Zeitraum von 3 Mo-
naten) kann eine Polychemotherapie mit Streptozo-
14.3.6 tocin, 5-Fluorouracil und Doxorubicin oder Strepto-
Therapie zotocin und Doxorubicin durchgeführt werden (Ta-
belle 14-8). Aufgrund der ungenügenden Wirksam-
Chirurgische Therapie keit gibt es keine Indikation zur Durchführung einer
Bei Nachweis des Primärtumors in der bildgebenden a-Interferontherapie beim Gastrinom.
Diagnostik und fehlenden Zeichen einer bereits er-
folgten Metastasierung ist die Tumorexstirpation
unter kurativen Aspekten anzustreben. Im direkten Leberembolisation
Vergleich zu der medikamentösen Therapie scheint Bei unzureichender Wirkung der medikamentösen
ein "Tumor-debulking" bei metastasierenden Ga- Therapie kann durch die Chemoembolisation von
strinomen zu keiner Verbesserung der Morbidität Lebermetastasen in einigen Fällen eine Linderung
und Mortalität zu führen. klinischer Beschwerden erreicht werden.

Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie dient der Vermeidung 14.3.7
von Zweiterkrankungen, die aus der Hypergastrin- Prognose
ämie resultieren können. Bei der Therapie zur Sup-
pression der Magensäuresekretion steht die Thera- Nach den vorliegenden Daten ist eine Heilung durch
pie mit den Protonenpumpenhemmern (z. B. Ome- chirurgische Intervention nur in 5-20 o/o aller erst-
prazol, Tagesdosis: 80-120 mg) und den HrRezep- diagnostizierten Fälle möglich. Bei einem Kollektiv
torenblockern im Vordergrund. Als Kriterium für von 81 Patienten, bei denen eine Tumorexstirpation
eine ausreichende Dosierung der Antazida kann unter kurativen Aspekten durchgeführt wurde, be-
die Senkung der BAO unter 10 mmol/h verwendet trug die 5-Jahresüberlebensrate 35 o/o. Durch die
werden. Durch eine Therapie mit Octreotid ist Therapie mit Antazida können die früher z. T. töd-
auch eine suffiziente Senkung des Gastrinserum- lichen Komplikationen der Ulzerationen vermieden
spiegel möglich. Aufgrund des fehlenden Nachwei- werden. Da die Proliferation des Gastrinoms durch
564 KAPITE L 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

diese Therapie aber nicht beeinflusst wird, sterben


die Patienten heute häufiger in Folge des malignen (LKW2) auf. Nachdem auch die anschließend
Tumorleidens. Im Gegensatz zu den sporadischen durchgeführte a -Interferontherapie ohne Erfolg
Formen weisen die hereditären Gastrinome eine blieb, wird die Chemotherapie 5-Fiuorouracil
günstigere Prognose auf. und Streptozotocin wiederholt. Aufgrund der
tumorbedingten reduzierten Lebensqualität

D
und einer erheblichen familiären Konfliktsituta-
Gastrinome, Glukagonome, Vipome und Somatosta-
tion setzte der Patient, 2 Jahre nach Erstdia-
tinome können im Rahmen einer multiplen endokri-
gnose, seinem Leben selbst ein Ende.
nen Neoplasie Typ I auftreten. Aus diesem Grund
muss bei Patienten mit diesen Tumoren die Anam-
neseerhebung und die Diagnostik möglicher anderer
Tumormanifestationen fokussiert werden. In den
nachfolgenden Kapiteln wird daraufjedoch nicht nä- 14.4.2
her eingegangen (s. Abschn. 9.2-9.3). Epidemiologie

Das Glukagonom ist ein neuroendokriner Tumor, der


durch seine Sekretion von Glukagon und/oder ande-
14.4
rer Peptide des Präproglukagons (s. Abb. 14-1) zu
Glukagonom
einem charakteristischen klinischen Erscheinungs-
bild führt. Die Inzidenz liegt mit ca. 1/20 Mio pro
14.4.1
Jahr sehr niedrig, am häufigsten sind Patienten zwi-
Fallpräsentation
schen dem 45. und 65. Lebensjahr betroffen (Bereich:
19-72 Jahre). Glukagonome sind in ca. 70 o/o der Fälle
Ein 49-jähriger Mann wurde aufgrund von seit maligne und zum Zeitpunkt der Erstdiagnose liegt
1 1/ 2 Jahren bestehender rezidivierender Übelkeit meist bereits eine Metastasierung vor.
mit Erbrechen zur diagnostischen Abklärung
stationär aufgenommen. Der Allgemeinzustand
14.4.3
des Patienten war leicht und der Ernährungszu-
Pathogenese
stand deutlich reduziert (170 cm, 59,5 kg). Im
Routinelabor fand sich eine leichte Erhöhung
Charakteristische Symptome des Glukagonoms sind
der Leber- und Pankreasparameter (GPT
u. a. das Erythema necrolyticans migrans, die Glu-
52 U/1, yGT: 138 U/1, Lipase 280 U/1). Im oralen
koseintoleranz und der Diabetes mellitus, auf deren
Glukosebelastungstest zeigte sich eine patholo-
Pathogenese hier eingegangen wird.
gische Glukosetoleranz. Der basale Glukagonse-
rumspiegel lag bei 1695 U/1 (Normbereich bis
250 U!l). Sowohl in der Oberbauchsonographie Erythema necrolyticans migrans
als auch in der Computertomographie war eine Der stimulierende Effekt des Glukagons auf die Glu-
große, z. T. zystisch eingeschmolzene Raumfor- koneogenese führt zu einer vermehrten Verstoff-
derung im Bereich des Pankreasschwanzes wechselung der glykogenen Aminosäuren (Alanin,
nachweisbar (maximaler Durchmesser 4,5 cm). Serin und Glycin). Es wird vermutet, dass der da-
Weiterhin zeigte sich ein trunkaler Lymphkno- durch bedingte vermehrte Proteinabbau (betrifft
tenbefall und eine diffuse Lebermetastasierung. auch die epidermalen Proteine) ein wesentlicher
Im weiteren Verlauf ergab die bildgebende Kon - Faktor in der Pathogenese für die Entstehung der
trolle der Metastasen einen deutlichen Tumor- Hautnekrosen ist. Darüber hinaus scheint das Hor-
progress. Daraufhin wurde in den nächsten mon, möglicherweise durch eine Erhöhung des Ara-
12 Monaten eine Polychemotherapie mit insge- chidonsäurespiegels im Serum, auch einen direkten
samt 10 Zyklen 5-Fiuorouracil und Streptozoto- destruierenden Effekt auf die Haut auszuüben.
cin durchgeführt, wobei es zunächst zur Rück- Durch orale und lokale Zinkanwendungen kann
bildung der Filiae und des Primärtumors ein partielles Abheilen der Hautläsionen erreicht
kam. Da nach 12 Monaten neue Lebermetasta- werden. Aus diesem Grund wird vermutet, dass
sen auftraten, wurde die Chemotherapie abge- einem partiellen Zinkmangel eine pathophysiologi-
setzt. Auch unter der anschließend eingeleiteten sche Bedeutung zukommt.
Therapie mit Octreotid (3-mal200 f.lg/Tag) blieb
die Progredienz bestehen. Zusätzlich traten
noch Knochenmetastasen in der Wirbelsäule
14.4 Glukagonom 565

Glukoseintoleranz und Diabetes mellitus lieh auftretender Juckreiz kann infolge Kratzen zu
Die Störungen im Glukosestoffwechsel sind im bakteriellen Superinfektionen führen. Nach dem
Wesentlichen auf die physiologische, antagonisti- Abheilen der Hautläsionen bleiben meist perma-
sche Wirkung des Glukagons gegenüber dem Insulin nente Indurationen und Hyperpigmentierungen
zurückzuführen. Eine Schädigung der ß-Zelle durch der Haut.
ein lokales Tumorwachstum scheint jedoch nur
selten von pathophysiologischer Bedeutung. Bei
Glukagonompatienten findet sich häufig ein z. T. 14.4.5
erheblicher Gewichtsverlust trotz eines normalen Diagnostik
Appetits. Dieses Phänomen wird evtl. durch die ka-
tabole Wirkung des Hormons auf den Proteinstoff- Labordiagnostik
wechsel verursacht. Es wird weiterhin vermutet, dass Mit Hilfe eines Immunoassays ist der direkte Nach-
die normochrome, normozytäre Anämie die Folge weis eines erhöhten Glukagonspiegels im Serum
eines direkten Effekts des Glukagons auf das Kno- möglich. Bei einigen Patienten können auch andere
chenmark ist. Sekretionsprodukte des Glukagonoms nachgewie-
sen werden (z. B. Chromogranin, pankreatisches Po-
lypeptid). Als Sekundärphänomene finden sich bei
14.4.4 den Patienten weiterhin eine normochrome und
Klinik normozytäre Anämie, eine Glukoseintoleranz bzw.
ein Diabetes mellitus und eine Hypoaminoazidämie.
Mit dem Begriff "Glukagonomsyndrom" werden die
häufigsten Symptome zusammengefasst: Erythema
Bildgebende Diagnostik
necrolyticans migrans, Diabetes mellitus, Stomatitis,
Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose liegt bei etwa je-
schmerzhafte Glossitis, Gewichtsverlust, normo-
dem zweiten Glukagonomträger bereits eine Meta-
chrome normozytäre Anämie, erhöhtes Risiko einer
stasierung vor. Da der maximale Durchmesser des
Thrombose und psychiatrischer Erkrankungen (Ta-
Primärtumors bei seiner Entdeckung meist
belle 14-14).
> 3 cm ist und die Lokalisation des Glukagonoms
in ca. 97 o/o der Fälle im Pankreas liegt, ist gewöhn-
• Erythema necrolyticans migrans. Das Erythema
lich die Durchführung einer Sonographie und einer
necrolyticans migrans beginnt mit gut markierten
Computertomographie ausreichend. Besonders
Erythemen im Bereich der Leisten, die sich von
kleine Tumoren können durch eine selektive Arte-
dort auf die Extremitäten, das Gesäß und das Peri-
riographie entdeckt werden. Zur Erfassung von
neum ausdehnen können. Aus dem Erythem gehen
Fernmetastasen ist die Octreotidszintigraphie nütz-
Papeln hervor, die ein ekzematöses oder auch Pso-
lich (s. Tabelle 14-13).
riasis-ähnliches Erscheinungsbild aufweisen. Die
aus diesen Hautläsionen hervorgehenden Bläschen
können später aufplatzen und verkrusten. Gelegent-

Tabelle 14-14. Klinische Beschwerden und Laborbefunde beim Glukagonom. (Nach Stacpoole 1981)

Symptom Anzahl der Fälle (n = 84) (%)

Diabetes mellitus 76 90
Hautläsionen 54 64
Gewichtsverlust 47 56

Anämie 38 44

Hypoaminoazidämie 22 26

abdominelle Schmerzen 12 14

Venenthrombose 11 13

Übelkeit, Erbrechen 7 8,3


566 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

14.4.6 14.5
Therapie Vipom

Chirurgische Therapie 14.5.1


Eine vollständige Tumorexstirpation mit kurativem Fallpräsentation
Effekt ist aufgrund der meist bereits zum Zeitpunkt
der Erstdiagnose vorliegenden Metastasierung nur
in ca. 5 o/o der Fälle möglich. Aus diesem Grund Die stationäre Aufnahme einer 48-jährigen Pa-
ist die Suche nach einem geeigneten palliativen The- tientin erfolgte aufgrund einer seit 2 Jahren be-
rapieschema von besonderer Bedeutung. stehenden Diarrhö und rezidivierender Übel-
keit. Die körperliche Untersuchung war bis
auf die deutlichen Zeichen einer Exsikkose
Medikamentöse Therapie ohne richtungsweisenden pathologischen Be-
Mittel der Wahl ist in erster Linie Octreotid, da meist fund . Im Routinelabor fanden sich für die fol-
eine Besserung der Hautläsionen mit einer Dosie- genden Parameter pathologische Konzentratio-
rung von 3-mal 100-200 !Jg/Tag erreicht werden nen: Kalium 2,4 mmol/1, Chlorid 89 mmol/1 und
kann. Bei Nichtansprechen dieser Therapie ist Kalzium 2,68 mmol/1. Die Messung mit dem RIA
eine Steigerung der Tagesdosis bis auf ca. 1500 !lg ergab einen ca. SOfach erhöhten Wert für VIP
möglich. Zur Behandlung des Erythema necrolyti- (180 pmol/1). In der Computertomographie
cans migrans ist weiterhin die lokale und orale Ap- des Abdomens waren im Bereich des rechten
plikation von Zink und die intravenöse Gabe von Leberlappens 3 inhomogene Raumforderungen
Aminosäuren sinnvoll. Eine Chemotherapie mit nachweisbar. Der größte dieser 3 Lebertumoren
Streptozotocin und 5-Fluorouracil führt zu einer (maximaler Durchmesser ca. 8 cm) wurde com-
Ansprechrate von 63 o/o, aber nicht zu einer Verbes- putertomographisch gesteuert punktiert. Im er-
serung der Überlebensrate. Die von Moertel et al. haltenen Tumormaterial waren die immunhi-
vorgestellte Polychemotherapie mit Streptozotocin stochemischen Färbungen aufNSE, Chromogra-
und Doxorubicin scheint der oben genannten je- nin A und VIP positiv. Der Primärtumor war
doch überlegen zu sein (s. Tabelle 14-8). Weitere mit der bildgebenden Diagnostik nicht auffind-
prospektive Studien sind indessen erforderlich um bar. Bei Eintreffen in der Klinik erfolgte bei der
die mutmaßliche Verlängerung der Überlebenszeit Patientin zunächst der Ausgleich des Flüssig-
zu überprüfen. keits- und Elektrolythaushalts. Nach Erhalt
des immunhistologischen Untersuchungsergeb-
nisses wurde eine Therapie mit Octreotid 3-mal
Leberembo/isation
200 !lg eingeleitet. Wenige Wochen nach Beginn
Auch beim Glukagonom kann durch die Leberem- dieser Therapie sistierte die Diarrhö. Bei den
bolisation eine Nekrotisierung der Metastasen er- achuntersuchungen der nächsten 3 Jahre stell-
reicht werden. Während durch die Maßnahme ten sich die Lebermetastasen bezüglich Größe
eine Linderung der klinischen Beschwerden erreicht
und Morphologie unverändert dar.
werden kann, ist auch hier keine Verbesserung der
Überlebensrate zu erwarten. Prinzipiell ist die Wie-
derholung der Chemoembolisation nach ca. 9-12
Monaten möglich.
14.5.2
Epidemiologie
14.4.7
Ein Vipom ist definiert als ein insbesondere VIP-
Prognose
("vasoactive intestinal peptide") produzierender en-
dokriner Tumor. Das klinische Erscheinungsbild
Die mittlere Überlebenszeit zum Zeitpunkt der Erst-
mit wässriger Diarrhö, Hypokaliämie und Dehydra-
diagnose liegt bei etwa 3 Jahren, jedoch finden sich
tion bei einem Inselzelltumor des Pankreas wurde
z. T. enorme individuelle Schwankungen (2 Monate
im Jahre 1958 von Verner u. Morrison beschrieben
bis 20 Jahre). In der Literatur liegen keine Berichte
(Verner-Morrison-Syndrom; Verner u. Morrison
über eine erhöhte Morbidität bzw. Mortalität durch
diabetische Folgeerkrankungen bei Glukagonom- 1974). Mittlerweile werden die Begriffe Vipom, Ver-
ner-Morrison-Syndrom, WDHA-Syndrom (wässrige
patienten vor.
Diarrhö, Hypokaliämie, Achlorhydrie), WDHHA
(wässrige Diarrhö, Hypokaliämie, Hypochlorhydrie,
Azidose) und pankreatische Cholera synonym ver-
14.5 Vipom 567

wendet. Die Inzidenz dieses Tumors wird auf ca. 1 tersuchten Patienten mit einer Diarrhö fanden sich
pro 10 Mio pro Jahr geschätzt. Bei einem Kollektiv bei 23 erhöhte VIP-Werte. Bei 10 dieser 23 Patienten
von 62 Patienten fanden sich bei 84 o/o ein Pankreas- war die Erhöhung auf ein bereits metastasiertes Vi-
tumor und bei 16 o/o ein Glioneuroblastom als Ursa- pom zurückzuführen (vgl. DD der erhöhten VIP-Se-
che der erhöhten VIP-PlasmaspiegeL Es wurde aber rumwerte in der Übersicht). Unspezifische Marker
auch von einer vermehrten VIP-Sekretion bei Plas- für das Vorliegen eines Vipoms sind die Hypokali-
mozytomen, Neurofibromen und kleinzelligen ämie, die Hyperkalzämie, die Hyperglykämie und
Bronchialkarzinomen berichtet. die Hypochlorhydrie.

Ursachen erhöhter Serumspiegel für VIP


14.5.3
Pathogenese • VIP-sezernierende Tumoren
• Entzündliche Darmerkrankungen
Die für Patienten mit Vipom typischen wässrigen • Chronische Niereninsuffizienz
Durchfälle werden durch die physiologischen Effek- • Längeres Fasten
te des vasoaktiven intestinalen Polypeptids (VIP) • Resektion des Dünndarms
verursacht. VIP stimuliert die Pankreas-, die Gal-
len-, die intestinale Chlorid- und die Wassersekreti-
on. Als spezifischer Hormoneffekt gilt auch die Er-
höhung der intestinalen Motilität. Die Hypokaliämie Bildgebende Diagnostik
ist durch den passiven Kaliumverlust in das Darm- Bei klinischem und laborchemischem Verdacht auf
lumen (als Folge der gesteigerten intestinalen Was- Vorliegen eines Vipoms sollte mittels der bildgeben-
sersekretion) und durch den direkt stimulierenden den Diagnostik bei Kindern insbesondere nach
Effekt des VIP auf die über cAMP vermittelte einem Glioneuroblastom und bei Erwachsenen
Kaliumausschüttung im Bereich des Dickdarmlu- nach einem Pankreastumor gesucht werden (Über-
mens bedingt. Die Achlorhydrie ist auf den direkten sicht der bildgebenden Diagnostik: s. Tabelle 14-13).
inhibitorischen Effekt des VIP auf die Magensäure-
sekretion zurückzuführen. Aus dem Vasodilatatori-
schen Stimulus des VIP kann eine Flushsymptoma- 14.5.6
tik resultieren. Therapie

Bei einigen Vipompatienten wird die Diagnose zu


14.5.4 einem zu späten Zeitpunkt gestellt, sodass eine star-
Klinik ke Dehydration und eine Elektrolytentgleisung mit
der Gefahr eines Nieren- und auch Herz-Kreis-
Es können Monate bis zu 4 Jahren vom Zeitpunkt lauf-Versagens eine Akuttherapie erforderlich ma-
des Auftretens erster Symptome bis zur Diagnose- chen. Hierbei ist auf die kontrollierte Volumensub-
stellung vergehen. Klinisch im Vordergrund stehen stitution, den Elektrolytausgleich und die Korrektur
die intermittierenden, wässrigen Durchfälle mit der Azidose zu achten.
in ca. 70-80 o/o der Fälle einem Volumen von
> 3 1/Tag, die auch während einer Nahrungskarenz
Chirurgische Therapie
nicht persistieren. Konsekutiv kann die Diarrhö zu
Eine Heilung ist auch bei diesem Krankheitsbild nur
den Zeichen einer Dehydration oder einer Nierenin-
durch die vollständige Tumorexstirpation zu errei-
suffizienz führen. In ca. 8-20 o/o der Fälle wird bei
chen. Da die Vipome aufgrund des relativ späten
den betroffenen Patienten ein Flush beobachtet.
Zeitpunktes der Diagnosestellung meist ein großes
Tumorvolumen aufweisen, ist insbesondere bei Ver-
sagen der medikamentösen Therapie eine chirurgi-
14.5.5
sche Tumormassenreduktion indiziert.
Diagnostik

Labordiagnostik Medikamentöse Therapie


Wichtiger Hinweis für das Vorliegen eines Vipoms Die medikamentöse Therapie zielt auf Verstärkung
ist ein erhöhter VIP-Serumspiegel. Die Bestimmung der gastrointestinalen Absorption (Kortikosteroide,
dieses Parameters ist methodisch jedoch problema- Angiotensin II, a2-adrenerge Agonisten) bzw. Hem-
tisch und sollte deshalb nur in einem entsprechen- mung der gastrointestinalen Sekretion (Octreotid,
den Speziallabor durchgeführt werden. Bei 588 un- Lithiumcarbonat, Opiate). Aufgrund der guten
568 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes

Wirksamkeit sollte primär eine Octreotidtherapie


14.6.2
versucht werden. Eine Linderung der klinischen Be-
Epidemiologie
schwerden kann auch durch eine Chemotherapie
mit Streptozotocin und 5-Fluorouracil erreicht wer-
Somatostatinome sind seltene endokrine Tumoren
den (Tabelle 14-7).
(geschätzte Inzidenz 1 pro 40 Mio pro Jahr), die
in Abhängigkeit zum primären Tumorsitz in einen
pankreatischen und einen intestinalen Typ unter-
14.5.7
schieden werden. Das durchschnittliche Alter zum
Prognose
Zeitpunkt der Erstdiagnose liegt zwischen 49 und
53 Jahren (Bereich 26-84 Jahre).
Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose bestehen bei
ca. 50% der Vipompatienten bereits Leber- bzw.
Lymphknotenmetastasen. Die meisten Patienten
14.6.3
versterben bereits ein Jahr nach Stellung der Dia-
Pathogenese
gnose.
Die beim Somatostatinom klinisch im Vordergrund
stehenden Symptome sind Diabetes mellitus, Gal-
lensteine und Diarrhö.
14.6
Somatostatinom
Diabetes mellitus
14.6.1 Der überwiegend nur leicht ausgeprägte Diabetes
Fallpräsentation mellitus ist auf die inhibitorische Wirkung des So-
matostatins auf die Insulinausschüttung zurückzu-
führen .
Eine 38-jährige Patientin wurde aufgrund einer
klinisch manifesten Cholestase zur weiteren
Diagnostik stationär aufgenommen. 3 Jahre zu- Gallensteine
vor wurde bei der Patientin wegen einer Chole- Somatostatin bewirkt eine verminderte Gallenbla-
zystolithiasis eine Cholezystektomie und eine senkontraktion und begünstigt damit die Entste-
Papillotomie durchgeführt. Weiterhin bestand hung von Gallensteinen.
ein bereits bekannter insulinpflichtiger Diabetes
mellitus. In der Sonographie erschienen die in-
trahepatischen Gallengänge dilatiert und in der
Diarrhö
Durch die vermehrte Sekretion von Somatostatin
ERCP fand sich weiterhin eine Obstruktion des
beim Somatostatinom kommt es zu einer Hemmung
Ductus choledochus und pancreaticus kurz vor
der exokrinen Pankreasfunktion (proteolytische En-
der Papilla Vateri. Bei der explorativen Laparo-
zyme, Wasser, Bikarbonat) und konsekutiv zur Mal-
tomie zeigte sich ein maximal 2 cm messender
digestion mit Diarrhö und Steatorrhö.
Tumor im Bereich der Papilla Vateri. Aufgrund
der histologischen Untersuchungen der ent-
nommenen Probeexzisionen wurde zunächst
14.6.4
der Verdacht auf ein gut differenziertes Adeno-
Klinik
karzinom ausgehend von der Ampulla Vateri
geäußert. Bei der Patientin wurde eine Whip-
Somatostatinome vom pankreatischen Typ zeigen
pie-Operation durchgeführt. Die immunhisto-
im Gegensatz zum intestinalen Typ häufiger so-
chemischen Untersuchungen des Tumormate-
matostatinbedingte klinische Beschwerden (Ta-
rials zeigten eine positive Färbereaktion für
belle 14-15).
den Marker Somatostatin. In der Elektronenmi-
kroskopie waren O-Zellen des endokrinen Pan-
kreas zu erkennen. In den nächsten 20 Monaten
14.6.5
der Nachsorge war die Patientin ohne Nachweis
eines Rezidives. Zur Einstellung ihres Blutzuk-
Diagnostik
kers benötigte die Patientin weiterhin Insulin.
Labordiagnostik
Der Nachweis erhöhter Somatostatinserumspiegel
ist in einigen Speziallabors möglich. Somatostati-
nome können auch eine Reihe anderer Peptidhor-
14.6 Somatostatinom 569

Tabelle 14-15. Klinische Beschwerden beim Somatostatinom.


(Nach Vinik et al. 1987) Literatur

Angaben in % Pankreatischer Intestinaler Typ Literatur zu Abschn. 14.1


Typ (n 27) (n 21)
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Hypochlorhydrie 86 17
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Gewichtsverlust 90 44
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TEIL VI Störungen
des Energiehaushaltes
KAPITEL 15

Körpergewicht 15
H. HAUNER

15.1 Physiologie 575 15.7.4 Klinik 601


15.1.1 Bestimmung des Energieverbrauches 575 15.7.5 Diagnostik 602
15.1.2 Komponenten des Energieverbrauchs 576 15.7.6 Differentialdiagnose 602
15.1.3 Hypothalamisehe Kontrolle des Körpergewichts 576 15.7.7 Therapie 602
Untergewicht 579 Literatur 602
15.2 Untergewicht 579
15.2.1 Epidemiologie 579
15.2.2 Entstehung 579
15.2.3 Klinik 580 15.1
15.2.4 Diagnostik 580 Physiologie
15.2.5 Differentialdiagnose 582
15.2.6 Therapie 582
Das Körpergewicht des Menschen ist das Ergebnis
15.3 Anorexia nervosa und gezügeltes Essverhalten 583 einer langfristigen Energiebilanz. Unabhängig von
15.3.1 Epidemiologie 583
15.3.2 Pathogenese 583 seiner aktuellen Höhe wird das Körpergewicht in
15.3.3 Klinik 583 engen Grenzen reguliert. Nach kurzfristiger Über-
15.3.4 Diagnostik 583 oder Unterernährung kommt es über potente Adap-
15.3.5 Therapie 585
15.3.6 Prognose 585 tationsmechanismen spontan zur raschen Wieder-
15.3.7 Notfall 585 herstellung des Ausgangsgewichts. Stabile Verände-
15.3.8 Gezügeltes Essverhalten 586 rungen des Körpergewichts können nur bei langfri-
15.4 Bulimia nervosa 586 stigem Ungleichgewicht zwischen Energieaufnahme
15.4.1 Fallpräsentation 586 und Energieverbrauch entstehen.
15.4.2 Epidemiologie 587
15.4.3 Pathogenese 587
15.4.4 Klinik 587
15.4.5 Diagnostik 587 15.1.1
15.4.6 Differentialdiagnose 587
15.4.7 Therapie 588 Bestimmung des Energieverbrauchs
15.4.8 Prognose 588
15.5 "Binge eating disorder" (BED) 588
Die Bestimmung des Energieverbrauchs ist mit Hilfe
15.5.1 Epidemiologie 588 der indirekten Kalorimetrie ("resting metabolic
15.5.2 Pathogenese 588 rate" oder Grundumsatz) bzw. der "Doubly-labe-
15.5.3 Klinik 588
15.5.4 Diagnostik 588 led-water-Technik" (Gesamtenergieverbrauch unter
15.5.5 Differentialdiagnose 589 Alltagsbedingungen) möglich. Diese Methoden sind
15.5.6 Therapie 589 wesentlich genauer, aber auch aufwendiger als die
Übergewicht 589 Bestimmung der Energieaufnahme. Letztere beruht
15.6 Alimentäre Adipositas 589 meist alleine auf den Selbstangaben der Patienten,
15.6.1 Fallpräsentation 589 z. B. in Form von Ernährungsprotokollen. Es ist be-
15.6.2 Epidemiologie 589
15.6.3 Pathogenese 590
kannt, dass adipöse Menschen im Gegensatz zu Un-
15.6.4 Klinik 591 ter- oder Normalgewichtigen ihre tatsächliche Kalo-
15.6.5 Komplikationen 591 rienaufnahme in der Regel deutlich unterschätzen
15.6.6 Lebenserwartung 592
15.6.7 Diagnostik 593 ("underreporting", im Mittel um 30-50 o/o), gleich-
15.6.8 Differentialdiagnose 595 zeitig aber ihre Bewegungsaktivität überschätzen.
15.6.9 Therapie 596
15.6.10 Nebenwirkungen 600
15.7 Hormonell bedingtes Übergewicht 600
15.7.1 Fallpräsentation 600
15.7.2 Epidemiologie 601
15.7.3 Pathogenese 601
576 KAPITEL 15 Körpergewicht

Nahrungsabhängige Thermogenese
15.1.2
Die nahrungsabhängige Thermogenese beschreibt
Komponenten des Energieverbrauchs
den Energieaufwand für die Nahrungsaufnahme
Ruheenergiebedarf bzw. Grundumsatz und -verwertung. Diese Komponente macht
Der Energieverbrauch des Menschen wird üblicher- 6-10 o/o des Gesamtenergieverbrauchs aus. Die nah-
weise in drei Hauptkomponenten unterteilt rungsabhängige Thermogenese hängt nicht nur von
(Abb. 15-1). Etwa 50-70 o/o des Kalorienverbrauchs der Kalorienmenge, sondern auch von der Nähr-
sind für den Ruheenergiebedarf oder Grundumsatz stoffzusammensetzung ab. Die Aufnahme und Me-
zu veranschlagen. Die wichtigste Determinante des tabolisierung von Kohlenhydraten und Proteinen ist
Grundumsatzes ist die fettfreie Körpermasse, die ein energieaufwendigerer Prozess als die von Nah-
im Wesentlichen der stoffwechselaktiven Muskel- rungsfetten. Hinzu kommt, dass Kohlenhydrate
masse entspricht. Zwischen 60 und 90 o/o der Varianz über eine Steigerung der Insulinsekretion und nach-
im Grundumsatz werden durch die fettfreie Körper- folgende Sympathikusaktivierung eine deutlich hö-
masse erklärt. Da die Körperzusammensetzung von here Thermogeneseantwort hervorrufen als Fette
Mensch zu Mensch erheblich variieren kann, ist es (8-12 o/o gegenüber 3 o/o der aufgenommenen Ener-
erforderlich, den Ruheenergieverbrauch auf die fett- giemenge; Tabelle 15-1). Inwieweit sich dieser Un-
freie Körpermasse zu beziehen. Da mit dem Körper- terschied tatsächlich auf das langfristige Gewichts-
gewicht auch die Muskelmasse zunimmt (pro 10 kg verhalten auswirkt, ist bislang ungeklärt.
Gewichtszunahme wächst die fettfreie Körpermasse
um etwa 2,5-3 kg), haben adipöse Menschen einen Bewegungsabhängige Thermogenese
höheren Grundumsatz als Normalgewichtige. Män- Die bewegungsabhängige Thermogenese ist für etwa
ner weisen im Durchschnitt 10-20 o/o mehr fettfreie 20-40 o/o des Gesamtenergieverbrauchs verantwort-
Körpermasse auf als Frauen und haben dementspre- lich. Unter diesem Begriff wird der Energiever-
chend einen höheren Grundumsatz. Mit dem Älter- brauch für Alltagsaktivitäten und zusätzliche kör-
werden nimmt die Muskelmasse des Menschen ab, perliche Betätigung wie z. B. Sport zusammenge-
sodass der Grundumsatz zwischen dem 20.-50. Le- fasst. Infolge der zunehmenden Technisierung
bensjahr um etwa 1 o/o jährlich zurückgeht. Dieses und des damit verbundenen Bewegungsmangels
Phänomen dürfte erheblich für die altersabhängige ist der Anteil der bewegungsabhängigen Thermoge-
Zunahme des Körpergewichts verantwortlich sein. nese am Gesamtenergieverbrauch in den letzten
Weitere Determinanten des Grundumsatzes sind Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Neben der
die Aktivität des sympathischen Nervensystems akuten Steigerung des Energiebedarfs hat regelmä-
und die Schilddrüsenfunktion. ßige körperliche Aktivität noch den Vorteil, dass
sie zum Erhalt oder sogar zur Zunahme der Muskel-
100 Determinanten
masse beiträgt und damit indirekt den Grundumsatz
• Intensität
erhöht. Der bewegungsabhängige Energieverbrauch
• Dauer ist umso höher, je intensiver und länger die Aktivi-
• Körpergewicht tätsphase dauert und je mehr Muskelgruppen bean-
~ 75 • Genetik / Sympath. Nerven- sprucht werden.
't: system?
"'
-o • Menge / Zusammensetzung
1l<l> der Nahrung
·rn
Qj 50
c 15.1.3
w
Qj
• fettfreie Körpermasse Hypothalamisehe Kontrolle des Körpergewichts
s::. • Körperfett
-~ • Alter
Cl 25 • Geschlecht Bereits ältere Studien lieferten Hinweise, dass die
'"'
1-
• Genetik hypothalamisehen Kerne bei der Regulation des
• Hormone / Sympath. Nerven-
system
Energiehaushalts und damit des Körpergewichts
eine zentrale Rolle spielen. So löst die stereotakti-
0
sche Zerstörung des ventromedialen Hypothalamus
Abb.15-l. Komponenten des täglichen Energiebedarfs beim bei Versuchstieren eine Hyperphagie aus, die rasch
Menschen. Der tägliche Energiebedarf kann in 3 Hauptkom- zu einer extremen Adipositas führt. Eine Ausschal-
ponenten geteilt werden. Grundumsatz, bestehend aus Ener-
giebedarf im Ruhezustand plus den Energiebedarf für den tung des lateralen Hypothalamus verursacht dage-
Wachzustand, welcher insgesamt 50-70 o/o des täglichen Ener- gen eine Abnahme der Nahrungsaufnahme und
giebedarfs ausmacht. Die nahrungsabhängige Thermogenese einen Gewichtsverlust. Daraus wurde geschlossen,
macht etwa 10 o/o des täglichen Energiebedarfs aus und die be-
wegungsabhängigeThermogenese 20-40 o/o. (Nach Ravussin dass das Sättigungszentrum im ventromedialen Hy-
und Swinburn 1992) pothalamus liegt, während das Appetitzentrum im
15.1 Physiologie 577

Tabelle 15-1. Unterschiede in der Metabolisierung von Kohlenhydraten und Fetten. (Nach Lissner u. Heilmann 1995)

Kohlenhydrate Fette

iedrige Energiedichte (4 kcal/g) Hohe Energiedichte (9 kcal/g)

Langsamer Verzehr chneller Verzehr

Viel Kauarbeit Wenig Kauarbeit

Gute Sättigung chwache Sättigung

Hohe Speicherkosten (z. B. Glykogensynthe e 12 Ofo•) iedrige Speicherkosten (z. B. Lipidsynthese 4 %•)

Hohe Thermogenese (6-8 o/o•) iedrige Thermogenese (3 o/o•)

Ra ehe Oxidation, ka u m Lipogenese Speicherung bevorzugt

a in o/o der aufgenommenen Energie

lateralen Kerngebiet lokalisiert ist. In den letzten coide stimuliert, durch Katecholamine und Andro-
20 Jahren wurde dann schrittweise erkannt, dass gene supprimiert. Da die Leptinsekretion mit zuneh-
die Neurotransmitter Noradrenalin, Dopamin und mender Fettzellgröße und Körperfettmasse ansteigt,
Serotonin und Neuropeptide wie Neuropeptid Y haben adipöse Menschen deutlich höhere Serum-
und Corticotropin-releasing-Hormone (CRH) an konzentrationen als schlanke. Da adipöse Menschen
der komplexen Regulation von Appetit und Sätti- dennoch meist mehr Kalorien als schlanke verzeh-
gung beteiligt sind. In den letzten Jahren hat das ren, wird eine "Leptinresistenz" postuliert.
Wissen über die Regulation von Appetit und Sätti-
gung dank moderner molekularbiologischer For- • Leptinrezeptor. Der inzwischen klonierte Leptin-
schung explosionsartig zugenommen. Ausgangs- rezeptor gehört zur Familie der Zytokinrezeptoren
punkt war die Identifizierung des genetischen De- und wird bei Nagetieren in einer Langform mit lan-
fekts, der für die monogenetische Adipositas der ger intrazellulärer Domäne, einer Kurzform mit
ob/ob-Maus verantwortlich ist. noch erhaltener JAK-Domäne und in mehreren Spli-
cing-Varianten exprimiert. Defekte im Leptinrezep-
torgen wurden als Ursache der Adipositas bei der
Regulation der Nahrungsaufnahme
db/db-Maus, der Zuckerratte und anderen Tiermo-
dellen erkannt. Leptinrezeptoren wurden außer in
Leptin
1994 entdeckten Friedman et al. durch "positional
cloning" ein bis dahin unbekanntes Gen, dessen andere Neuropeptide
Produkt bei der ob/ob-Maus infolge einer "Non-
sense mutation" (vorzeitiges Stoppkodon) verkürzt
t
a -MSH , , CRH '
und biologisch nicht aktiv ist. Das homologe Gen
beim Menschen kodiert ein 167-Aminosäurenpro- t
tein, das fast ausschließlich im Fettgewebe expri- Hypothalamus Sympathikusaktivität 1
miert wird. Dieses Leptin genannte Genprodukt
wird in die Blutbahn sezerniert und gelangt über ~ ~
einen erschöpfbaren Transportmechanismus durch Neuropeptid Y, Energieverbrauch 1

die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn. Im Hypothala-


mus löst Leptin wahrscheinlich über eine Hemmung Nahrungsaufnahme , - Gewichtsabnahme
+
der Neuropeptid-Y-Synthese eine Verminderung Verlust an Fettmasse

der Nahrungsaufnahme aus (Abb. 15-2). Als Folge


der verminderten Nahrungsaufnahme kommt es periphere Leptinwirkung
zum selektiven Verlust von Fettgewebe, nicht dage- • Reproduktion 1
• Insu linsekretion ,
gen von fettfreier Körpermasse. In Tierexperimen-
• Hämatopoese •
ten wurde nach Leptingabe außerdem eine Steige-
rung der Bewegungsaktivität und damit des Energie- I ~ Fasten • metabolische Effekte?
Katecholamine
Insulin
verbrauchs beobachtet, die wahrscheinlich über eine Glukokortikoide Androgene
zentrale Sympathikusaktivierung vermittelt ist. Die
Leptinsynthese wird durch Insulin und Glucocorti- Abb. 15-2. Leptinregelkreis
578 KAPITEL 15 Körpergewicht

verschiedenen Hirnregionen auch in zahlreichen angenommen, dass es daneben weitere potente


peripheren Organen (meist als Kurzform) gefunden. Systeme zur Regulation des Körpergewichts gibt.
Inzwischen wurden verschiedene extrahypothalami-
sche Wirkungen von Leptin wie beispielsweise me-
tabolische Effekte an Leber- und Fettzellen, Induk- Melanokortin-4-Rezeptor (MC-4-R) und a-MSH
tion der Reproduktionsfunktion, Hemmung der Tierexperimentell konnte kürzlich gezeigt werden,
pankreatischen Insulinsekretion beschrieben (s. dass eine Blockade des MC-4-R, der in verschiede-
Abb. 15-2}. nen Hirnarealen, hauptsächlich aber in lateralen Hy-
pothalamus vorkommt, eine Hyperphagie auslöst,
Genetische Untersuchungen des Leptin- und Leptin- während Rezeptoragonisten wie a-MSH zu einer
rezeptorgens beim Menschen haben ergeben, dass verminderten Nahrungsaufnahme führen. a-MSH
Gendefekte extrem selten sind und die epidemische ist ein Spaltprodukt des Proopiomelanokortins
Verbreitung der Adipositas nicht erklären können. (POMC) und wahrscheinlich ein physiologischer Li-
Bisher wurde bei 2 extrem adipösen pakistanischen gand des MC-4-R. Da es Hinweise gibt, dass Leptin
Kindern eine Mutation im Kodon 133 des Leptin- die POMC-Expression im N. arcuatus steigert,
gens entdeckt. Die Behandlung eines der Kinder könnte eine Erhöhung der a-MSH-Bildung ebenfalls
mit rekombinantem Leptin führte zur raschen Ab- den Sättigungseffekt von Leptin vermitteln. Wahr-
nahme der Nahrungszufuhr und der Körperfett- scheinlich gibt es auch physiologische Antagonisten
masse und außerdem zur Besserung der begleiten- (Agouti-Protein) des MC-4-Rezeptors, so dass das
den metabolischen und hormonellen Störungen. Gleichgewicht zwischen Agonisten und Antagoni-
Damit ist der Beweis erbracht, dass Leptin auch sten über das Ernährungsverhalten entscheidet.
beim Menschen als Sättigungsfaktor wirkt.

• Leptinwirkung. Niedrige Leptinserumspiegel si- Appetitsteigernde Peptide im lateralen Hypothalamus


gnalisieren dem Gehirn einen potenziell gefährlichen Die Bedeutung des lateralen Hypothalamus für die
EnergiemangeL Fallen die Leptinspiegel z. B. im Hun- Regulation von Hunger und Sättigung wurde durch
gerzustand ab, so wird eine Kaskade von neuroendo- die kürzliche Entdeckung mehrerer Neuropeptide
krinen Anpassungsreaktionen ausgelöst, um das unterstrichen.
Überleben des Organismus zu sichern. Es kommt • "Melanin-concentrating Hormone" (MCH) wird
u. a. zu Veränderungen der Reproduktionsfunktion im lateralen Hypothalamus produziert, seine Ap-
mit Ausbleiben der Menstruation und zum Abfall der plikation erhöht bei Ratten die Kalorienaufnah-
Schilddrüsenhormonspiegel, um die Energiereserven me und verursacht eine Adipositas.
zu schonen. In der Evolutionsgeschichte des Men- • Orexin A und B sind 2 Neuropeptide, die aus
schen dürfte dieser Mechanismus weitaus bedeutsa- einem gemeinsamen Vorläuferprotein gebildet
mer gewesen sein als die Vermeidung von Überge- werden und nahezu ausschließlich im lateralen
wicht. Hohe Leptinspiegellösen bei Kindern wahr- Hypothalamus vorkommen. Die Expression der
scheinlich den Beginn der Pubertät aus, während ein Orexine steigt im Fastenzustand, eine exogene
Abfall der Leptinspiegel bei Frauen, z. B. bei Anorexia Gabe induziert eine Hyperphagie.
nervosa, zu einer Amenorrhö führt.
Folgende Übersicht fasst wichtige, teilweise neuent-
deckte Regulatoren der Energieaufnahme und des
Neuropeptid Y Energieverbrauchs zusammen.
Das im N. arcuatus produzierte Neuropeptid Y stei-
gert bei Versuchstieren die Nahrungsaufnahme. Moleküle mit Wirkung auf den Energiehaushalt
Nach zentraler Injektion von Neuropeptid Y kommt
es neben einer Hyperphagie zu einer Abnahme der • Leptin
Thermogenese im braunen Fettgewebe und einer • GLP-1 ("Glukagon-like peptide 1")
Hyperinsulinämie mit Insulinresistenz. Diese Ver- • MCH ("Melanin-concentrating hormone")
änderungen entsprechen denen, die bei Leptindefi- • MC-4-R (Melanokortin-4-Rezeptor)
zienz beobachtet werden. Leptingabe supprimiert • a-MSH (Melanozyten-stimulierendes Hormon),
die Expression von Neuropeptid Y. Im Hunger- Agouti-Protein
zustand wird dagegen vermehrt Neuropeptid Y ge- • CRF ("Corticotropin-releasing factor"), Urokor-
bildet, vermutlich um einem drohenden Energie- tin
mangel möglichst rasch entgegenzuwirken. Da Neu- • UCP 1-3 ("Uncoupling protein 1-3"}
ropeptid-Y-knock-out-Mäuse überraschenderweise • Orexin A,B
eine milde Form der Adipositas entwickeln, wird
15.2 Untergewicht 579

Weiche physiologische Bedeutung die einzelnen zulande eher selten. Sie werden bei Anorexie, aber
Neuropeptide für die Regulation des Körperge- auch gelegentlich bei älteren Menschen und Perso-
wichts beim Menschen haben, ist derzeit noch völlig nen mit Alkohol- oder Drogenabhängigkeit unter
unklar. Weder im Zusammenhang mit Adipositas den Bedingungen einer chronischen Unter- bzw.
noch mit Untergewicht/Anorexie konnten bisher Fehlernährung beobachtet. Mit fallendem BMI
spezifische Auffälligkeiten entdeckt werden. Auch nimmt die Lebenserwartung ab, BMI-Werte unter
die bisherigen molekulargenetischen Studien beim 13 kg/m 2 beim Mann und unter 11 kg/m2 bei der
Menschen lieferten bisher keinen Anhalt, dass mo- Frau sind nicht mehr mit dem Leben vereinbar.
nogenetische Defekte häufig vorkommen und die
weite Verbreitung der Adipositas erklären.
15.2.2
Steuerung des Energieverbrauchs Entstehung

"Uncoupling-Proteine" Untergewicht kann konstitutionell bedingt, aber


Neben der zentralen Regulation der Nahrungsauf- auch Ergebnis sehr unterschiedlicher Prozesse und
nahme stellt sich auch die Steuerung des Energiever- Krankheiten sein, wie folgend aufgezählt:
brauchs zunehmend komplexer dar. Bisher sind • inadäquate Energiezufuhr (z. B. bei der Anorexie,
3 Proteine bekannt, die eine thermogenetische Wir- bei Malassimilationssyndromen),
kung besitzen und damit möglicherweise den Ener- • erhöhter Energieverbrauch (z. B. bei der Hyper-
gieverbrauch beeinflussen. thyreose, schwere körperliche Arbeit),

• "Uncoupling-Protein-1" (UPC-1). Das bereits vor Geht dem Untergewicht eine längere Phase einer un-
längerer Zeit charakterisierte UCP-1 spielt im Ener- terkalorischen Ernährung voraus, ist eine Unterver-
giehaushalt des Menschen kaum eine Rolle, weil sich sorgung mit essenziellen Makro- und Mikronähr-
das braune Fettgewebe, der alleinige Ort der UCP- stoffen wahrscheinlich.
1-Synthese, in den ersten Wochen nach Geburt
fast vollständig zurückbildet. Nur beim Phäochro-
Ursachen
mozytom kann es unter der exzessiven Katechol-
Die rein anthropometrische Definition des Unterge-
aminproduktion zu einer Reaktivierung von
wichts umfasst eine heterogene Gruppe, der sehr un-
UCP-1 in ehemals braunen Fettzellen der viszeralen
terschiedliche Ursachen zugrunde liegen können,
Fettdepots kommen.
die in der folgenden Übersicht wiedergegeben sind.
• "Uncoupling-Protein-2" und 3 (UCP-2 und 3). Im
Ursachen für Untergewicht
Gegensatz dazu finden sich die kürzlich entdeckten
UCP-2 und UCP-3 in verschiedenen Organen des
• Konstitutionell
Körpers, darunter auch in der Muskulatur, und wer-
• Fehlendes Hungergefühl, geringe Nahrungsauf-
den durch metabolische und hormonelle Faktoren
nahme ohne erkennbaren Grund
reguliert. Weiche genaue Rolle beide Proteine im
Energiehaushalt der Menschen spielen, ist noch un-
e Essstörungen (gezügeltes Essen, Anorexia nervo-
sa)
bekannt.
e Appetitlosigkeit aufgrund hoher Stressbelastung,
chronischer Schmerzen etc.
Untergewicht e Exzessive körperliche Bewegung (z. B. Tänzer
oder Leistungssportler)
e Obstruktion im Gastrointestinaltrakt (Ösopha-
15.2 gus-, Pylorus- oder Duodenalstenose)
Untergewicht e Maldigestion und Malabsorption (Zustand nach
Gastrektomie, Kurzdarmsyndrom, M. Crohn, Pa-
15.2.1 rasitosen, exokrine Pankreasinsuffizienz, Zu-
Epidemiologie stand nach Strahlentherapie etc.)
e Konsumierende Erkrankungen (z. B. Karzinome,
Untergewicht wird am besten als ein "Body-mass- chronische Infektionen, schwere Herzinsuffi-
Index" (BMI) unter 18,5 kg/m 2 definiert. In den zienz, Niereninsuffizienz)
westlichen Überflussgesellschaften sind 5-10 o/o der e Endokrine Erkrankungen: Hyperthyreose, schlecht
Bevölkerung in diese Kategorie einzuordnen. eingestellter Diabetes mellitus, M. Addison
Schwere Formen des Untergewichts finden sich hier- e Chronischer Alkoholismus, Leberzirrhose
580 KAPITEL 15 Körpergewicht

• altersbedingte Anorexie ein leicht sichtbarer Schwund des subkutanen Fett-


• Exzessives Rauchen gewebes und der Muskulatur (Marasmus), aber auch
• Psychiatrische Erkrankungen (z. B. Depression) Ödeme, wenn ein Proteinmangel im Vordergrund
• Bestimmte Medikamente (z. B. Amphetaminderi- steht. Herzfrequenz, Blutdruck und Körpertempera-
vate, Zytostatika) tur sind vermindert. Schwindel und ständiges Frie-
• Nahrungsmangel in Entwicklungsländern ren können die Folge sein. Die körperliche und men-
tale Leistungsfähigkeit ist reduziert. Bei Kindern fal-
len deutliche Entwicklungsstörungen auf. Bei unter-
gewichtigen Schwangeren drohen ein erniedrigtes

D Immer ist daran zu denken, dass Untergewicht Aus-


druck einer unerkannten organischen Erkrankung
sein kann. Dies gilt besonders dann, wenn anamne-
Geburtsgewicht und eine erhöhte Säuglingssterb-
lichkeit.

stisch eine unbeabsichtigte Gewichtsabnahme inner-


Totales Fasten
halb kurzer Zeit vorliegt.
Beim totalen Fasten, der extremsten Form der Un-
terernährung, kommt es zu tiefgreifenden Stoff-
Neben dem Konstitutionstyp ist bei jüngeren Patien-
wechselveränderungen, die vor allem von Cahill
ten am häufigsten eine Essstörung für Untergewicht
(1970) erforscht und beschrieben wurden (Abb. 15-3).
verantwortlich. Die Zahl junger Menschen - Frauen
Im Vordergrund stehen dabei eine Drosselung des
wie Männer- wächst bedenklich, die ihre Nahrungs-
Energieverbrauchs und eine Steigerung der Lipolyse
aufnahme zwanghaft kontrollieren, um einem medi-
sowie der Proteolyse. Die Normoglykämie wird
zinisch fragwürdigem Schlankheitsideal gerecht zu
durch eine gesteigerte Glukoneogenese aus gluko-
werden. Menschen mit gezügeltem Essverhalten
plastischen Aminosäuren und anderen Präkursoren
("restrained eater") bewegen sich nicht selten an
(Laktat, Glyzerin) aufrechterhalten.
der unteren Grenze einer ausreichenden Nährstoff-
Die damit verbundenen hormonellen Verände-
versorgung, ohne dass sie bereits erkennbare patho-
rungen sind in Tabelle 15-2 zusammengefasst. Die
logische Befunde aufweisen. Bei Erwachsenen im
Veränderungen sind umso ausgeprägter, je stärker
mittleren oder höheren Lebensalter liegen einem
die Kalorienbegrenzung ist und je länger sie anhält.
Untergewicht nicht selten organische Ursachen zu-
Nach Normalisierung der Kalorienaufnahme sind
grunde. Dabei kann es sich insbesondere um konsu-
die metabolischen und hormonellen Veränderun-
mierende Erkrankungen handeln, die mit Appetit-
gen mehr oder weniger rasch reversibel.
verlust einhergehen oder einem erhöhten Energiebe-
darf verbunden sind. Dies gilt besonders für die sog.
Tumorkachexie, die wahrscheinlich durch eine er-
höhte Zytokinproduktion (z. B. Tumor-Nekrose- 15.2.4
Faktor-a, Interleukin-6) vermittelt ist. Untergewicht Diagnostik
bei älteren oder hochbetagten Menschen ist häufig
das Ergebnis einer altersbedingten Anorexie, deren Anamnese
Grundlage weitgehend unbekannt ist. Zunächst ist der Beginn des Untergewichts zu erfra-
gen. Die Antwort liefert einen Hinweis, ob es sich
möglicherweise um ein konstitutionelles Unterge-
15.2.3 wicht oder um Untergewicht als Folge anderer Er-
Klinik krankungen handelt. In diesem Zusammenhang
ist auch die Familienanamnese unverzichtbar.
Untergewicht, per se, kann zu einer Dysfunktion Die detaillierte Ernährungsanamnese dient dazu,
verschiedener Organe führen. So ist bekannt, dass eine inadäquate Ernährung und mögliche Versor-
vor allem die Funktion von gungsdefizite zu erkennen. Bei jungen Frauen, zu-
• Hypophyse, nehmend aber auch Männern, muss gezielt nach
• Schilddrüse, Essstörungen gefahndet werden. Dafür stehen stan-
• Gonaden und dardisierte Fragebögen zur Verfügung. Da die Anga-
• Nebennierenrinde ben oft unzuverlässig sind, ist eine zusätzliche
gestört sein kann. Typisch ist die Amenorrhö bei un- Fremdanamnese wünschenswert. Die genaue Erfas-
tergewichtigen Mädchen oder Frauen. Auch immu- sung der Vorgeschichte des Patienten ist wichtig, um
nologische Phänomene wie eine Verminderung der bestehende organische Erkrankungen als Ursache
Immunabwehr mit erhöhter Infektanfälligkeit wur- auszuschließen (s. Übersicht). Auch die Alkohol-
den bei Untergewichtigen beschrieben. Bei schweren und Medikamentenanamnese kann wertvolle An-
Formen der Unter- und Fehlernährung finden sich haltspunkte geben. Bei untergewichtigen Frauen
15.2 Untergewicht 581

Im Hunger. Adaption (5·6 Wochen)


(24 Stunden basal: 1SOO Kalorien)
Nieren:
47g
------- ) ---
-P + C02 + HP
44g '
'
----- -,
Muskel Nieren, Leber Glucose Erythrozyten '
SOg
''
Protein Aminosäuren Glykogen Leukozyten '

L
20g usw.
-----, -P :' 14g
369
Glycerin
1Sg
Glykoneo-
genese
1-
SOg

'
Lactat t Pyruvat .I
'
'
I

?2
Fettgewebe 02 H20 '
Herz, I
Triglyceride Fettsäuren ', - P ~ ~ Keton- Nieren, :
- -- ~ --~-- ....
140g !SOg körper Muskel :I
138 g
(Fettsäuren)
usw. :-P
------- .t_--
112 9
Urin
10 g Keton·
'-----+ körper=
- 100mmol

Abb. 15-3. Quantitative Rolle verschiedener Formen chemi- satz ist leicht auf 1500 kcal!Tag geschrumpft. Herausragende
scher Energie nach 40-tägigem Fasten (Cahill1970). Die Skizze Merkmale sind der signifikante Verbrauch von Ketonkörpern
stellt Substratbereitstellung und -verbrauch verschiedener Ge- im ZNS und die herabgesetzte Oxidation von Glukose
webe während einer 24-h-Periode dar. Der Gesamtenergieum-

Tabelle 15-2. Endokrine und metabolische Veränderungen beim Fasten bzw. bei schwerer Malnutrition

Hormon Konsequenzen

Veränderung Anabole Prozesse Katabole Prozesse

Insulin ! Proteinsynthese l Proteolyse l


Lipogenese ! Lipolyse l
Katecholamine T Glykogenolyse l
Lipolyse T
Glucocorticoide Glukoneogenese T Proteolyse T
Lipoly e T
Wachstumshormon T Gluko everwertung 1 Lipoly e T
IGF-1 Proteinsynthese
Wachstum

Glukagon T Glukoneogenese Lipoly e T


Schilddrü enhormone l Energieverbrauch !
Gluko everwertung

Gonadotropine Reproduktion l
Ren in-Aldosteron-System atriumretention 1
Leptin ! Reproduktion l
582 KAPITEL 15 Körpergewicht

ist besonders auf Zyklus- bzw. Menstruationsstö-


15.2.5
rungen zu achten. Bei älteren bzw. hochbetagten
Differentialdiagnose
Menschen können sich hinter Untergewicht eine se-
nile Demenz, psychiatrische Störungen oder soziale
Die differentialdiagnostische Abklärung von Unter-
Versorgungsprobleme verbergen. Auch chronische
gewicht muss vor allem die in der Übersicht "Ursa-
Erkrankungen wie Herz- oder Niereninsuffizienz
chen für Untergewicht" aufgeführten Ursachen be-
können zum Appetitverlust führen.
rücksichtigen.

Körperliche Untersuchung
Untergewicht lässt sich bereits vom Aspekt erken- 15.2.6
nen, muss aber durch Bestimmung von Größe, Ge- Therapie
wicht und BMI objektiviert werden. Der Blutdruck
ist meist niedrig (< 110/70 mmHg). Die Haut ist fal- Ernährung
tig und dünn, beim lipatrophischen Diabetes melli- Ist die Ursache des Untergewichts erkannt, besteht
tus kann die subkutane Fettschicht völlig fehlen. Bei die erste und wichtigste Maßnahme in der Behand-
Mangelernährung sind schlecht heilende Hautinfek- lung der Grundkrankheit Handelt es sich um eine
tionen häufig. Daneben ist besonders auf Zeichen inadäquat niedrige Energiezufuhr, dann sollte die
der Osteoporose, der Malassimilation und des Ma- tägliche Kalorienmenge so bemessen werden, dass
rasmus zu achten. eine Gewichtszunahme möglich ist. Schrittweise
sollte folgende Ernährungsgrundsätze umgesetzt
werden, wie folgend aufgezählt:
Labordiagnostik
• Die tägliche Kalorienmenge sollte den Bedarf um
Elektrolyte, Gesamteiweiß, Kreatinin, Harnstoff, Li-
maximal 500-1000 kcal überschreiten.
pide, Blutzucker und Blutbild sollten bestimmt wer-
• Die Kost sollte energiedicht sein, voluminöse und
den. Um die Frage einer möglichen Mangelernäh-
blähende Speisen sollten gemieden werden.
rung abzuklären, sollten die Serumkonzentration
• Die Kost sollte in kleinen Mahlzeiten verabreicht
von Albumin bzw. Transferrio gemessen werden.
werden und den Nährstoffbedarf decken.
Sie können Aufschluss über den Proteinstatus des
• Mit kleinen Zwischenmahlzeiten und kalorienrei-
Organismus geben (Werte von > 3 g/dl bzw.
chen Getränken lässt sich die Compliance verbes-
> 170 mgldl gelten als akzeptabel). Eine detaillierte sern.
endokrinalogische Diagnostik ist nur in Ausnahme-
fällen bzw. bei differentialdiagnostischen Überle-
Untergewichtige Menschen haben oft wenig Appetit
gungen indiziert. Die beiden wichtigsten endokrinen
und müssen daher angehalten werden, auch bei feh-
Erkrankungen, die innerhalb weniger Wochen bis
lendem Hungergefühl regelmäßig Mahlzeiten einzu-
Monate zu einer deutlichen Gewichtsabnahme füh-
nehmen. Wichtig für den Behandlungserfolg ist
ren können, sind ein neu aufgetretener oder entglei-
auch, die Ernährungsempfehlungen den individuel-
ster Diabetes mellitus und die Hyperthyreose.
len Bedürfnissen und Wünschen anzupassen. Han-
delt es sich um eine Störung, die sich primär nicht
Technische Verfahren mehr beheben lässt, aber mit bestimmten Mangelzu-
Geht dem Untergewicht eine Phase der unabsichtli- ständen einhergeht wie z. B. ein Kurzdarmsyndrom,
chen Gewichtsabnahme voraus, so muss ein höherer dann muss eine gezielte bedarfsorientierte Ernäh-
diagnostischer Aufwand betrieben werden, um kon- rungstherapie erfolgen. Bei Obstruktionen des obe-
sumierende Prozesse, z. B. chronisch-entzündliche ren Verdauungstraktes als Ursache des Unterge-
Erkrankungen im Magen-Darm-Trakt oder Mali- wichts ist eine bilanzierte Ernährung über die perku-
gnome, auszuschließen. Zu den obligaten Untersu- tane endoskopische Gastrostomie (PEG) die Metho-
chungen gehören ein Elektrokardiogramm und ein de der Wahl.
Oberbauchsonogramm.
Medikamente
Die Möglichkeiten für eine medikamentöse Thera-
pie zur Appetitsteigerung sind sehr begrenzt. Die
Gabe des Serotoninantagonisten Cyproheptadien
ist nur selten hilfreich. Früher versuchte Hormon-
therapien wie die Gabe von ACTH, Cortison, Schild-
drüsenhormonen oder Insulin haben sich nicht be-
währt. Neuroleptika wie z. B. Clozapin können in
15.3 Anorexia nervosa und gezügeltes Essverhalten 583

Einzelfallen hilfreich sein. Gestagene wie Megestrol-


15.3.3
acetat und Medroxyprogesteron führten in placebo-
Klinik
kontrollierten Studien bei Patienten mit fortge-
schrittenen Tumoren oder in späten Aids-Stadien
Symptome und Beschwerden .
zu einer Steigerung der Nahrungsaufnahme und
Patienten mit Anorexie fallen zunächst durch 1hr
einer begrenzten Gewichtszunahme, ohne die Pro-
Widersträuben gegen Nahrungsaufnahme, aber
gnose verbessern zu können.
auch durch ihre teilweise bizarren Essgewohnheiten
auf. Anorektiker haben einerseits kein Interesse am
Essen, obwohl sie dies nach außen durchaus vorge-
15.3
ben. Sie stochern oft endlos in ihrem Essen, weil sie
Anorexia nervosa und gezügeltes Essverhalten
sich vor jedem Bissen ekeln. Andererseits bereiten
sie aufwendige Speisen für Familienmitglieder
15.3.1
oder Freunde zu, ohne selbst davon zu kosten. Da-
Epidemiologie
hinter steht eine abnorme Angst, zu dick zu werden,
und eine ausgeprägte Störung in der Wahrnehmung
Die Anorexia nervosa (Magersucht) ist eine Essstö-
des eigenen Körperbildes. Viele Anorexiepatienten
rung, deren Inzidenz in den letzten 2-3 ~ahrzehnten
treiben bis zur völligen Erschöpfung Sport, um Ge-
kontinuierlich angestiegen ist. Obwohl d1ese Erkran-
wicht zu verlieren. In der gleichen Absicht nehmen
kung in erster Linie bei Mädchen u~d adoles.zen~en
sie Laxanzien oder Diuretika ein. Selbstinduziertes
Frauen auftritt, nimmt ihre Verbreitung be1 Man-
Erbrechen findet sich ebenfalls gehäuft. Erfolgt
nern aber auch bei Frauen höherer Altersgruppen
keine rechtzeitige Diagnosestellung und Interventi-
zu (Anteil des weiblichen Geschlechts: 90-95 o/o).
on, kann die Störung bis zur schweren Unterern~h­
0 5-1 o/o aller adoleszenten Frauen haben eine Ano-
rung fortschreiten. In diesem Zustand finden s1ch
r~xie, subklinische Symptome kommen deutlich dann Symptome wie
häufiger vor. Die Anorexia nerv~sa wir~ in allen ~o­
zialschichten beobachtet, selbst m EntwiCklungslan-
e starkes Untergewicht mit massivem Verlust von
Fettgewebe und Muskulatur,
dern tritt sie mit steigender Inzidenz auf.
e Exsikkose,
e brüchige Fingernägel,
e Hypotension,
15.3.2
e Bradykardie,
Pathogenese
e Hypothermie,
e Obstipation,
Man kann heute davon ausgehen, dass psychologi-
e Schlafstörungen,
sche, familiäre, kulturelle und biologische Faktoren
in variabler und komplexer Weise zur Entstehung
e Apathie.
der Anorexie beitragen. Das Krankheitsbild äußert
Anorektikerinnen haben in der Regel zumindest
sich zudem in sehr heterogenen Formen. Das Auf-
passager eine Amenorrhö und andere Zeichen neu-
treten dieser Essstörung wird durch das vorherr-
roendokriner Funktionsstörungen.
schende Schlankheitsideal in der Gesellschaft bzw.
Diese Veränderungen sind meist Konsequenzen
den Medien gefördert. Heranwachsende Mädchen
der Unterernährung. Ähnliche organische Störun-
sind besonders gefahrdet, diesen äußeren Anf~rde­
gen finden sich auch nach längerem .Hungern und
rungen subjektiv nicht gerecht zu werden. In d~e.s~r
sind nach Nahrungsaufnahme reversibel.
Entwicklungsphase besteht eine hohe yul~era~Iht~t
gegenüber psychischen Belastungen, d1e leicht m d1e
Entwicklung anorektischer Symptome umschlagen
15.3.4
kann. Bestimmte Berufe fördern ein anorektisches
Diagnostik
Verhalten haben aber auch für Risikopersonen
einen bes~nderen Reiz. Dazu gehören Schauspieler,
Da die genannten Symptome auch isoliert vorkom-
Mannequins, Tänzerinnen und die Ausübu~g ~e­
men können bzw. unscharf sind, ist die Diagnose der
stimmter Sportarten. Die Psychopathologie 1st
Anorexie nicht immer einfach zu stellen. Heute wer-
aber sehr breit gefächert, gemeinsam ist nur, dass
den dafür die Kriterien der American Psychiatrie As-
sich Denken und Wertesystem der Betroffenen
sociation (DSM-IV) angewandt. Diese sind in der
sehr stark um Körpergewicht und Schlanksein dre-
folgenden Übersicht dargestellt.
hen. Zwillingsstudien sprechen außerdem für gene-
tische Komponenten bei der Anorexie.
584 KAPITEL 15 Körpergewicht

Diagnostische Kriterien für Anorexia nervosa, 2. Während des Essanfalls wird der Verlust der
Bulimia nervosa und "Binge eating Syndrome" Kontrolle über das Essen empfunden (z. B.
als Gefühl, nicht mit dem Essen aufhören zu
• Anorexia nervosa können oder nicht im Griff zu haben, wie
Weigerung, das Körpergewicht über einem mini- viel gegessen wird).
malen Normalgewicht zu halten, das Alter und Die Essanfälle sind mit 3 oder mehr der folgenden
Größe entspricht Merkmale verbunden:
Intensive Furcht vor einer Gewichtszunahme 1. Es wird wesentlich schneller gegessen als nor-
oder davor, fett zu werden, obwohl Untergewicht mal
besteht 2. Es wird gegessen, bis man sich unangenehm
Störung in der Art und Weise, in der das eigene voll fühlt
Körpergewicht oder die eigene Figur erlebt wird, 3. Es werden große Mengen gegessen, obwohl
übermäßiger Einfluss von Körpergewicht oder Fi- man sich nicht körperlich hungrig fühlt
gur auf die Bewertung der eigenen Person oder 4. Es wird allein gegessen, weil es einem peinlich
Leugnung des Ernstes des gegenwärtigen niedri- ist, wie viel man isst
gen Körpergewichts 5. Man fühlt sich von sich selbst angeekelt, de-
Amenorrhö bei Frauen und Mädchen nach der pressiv oder sehr schuldig nach dem Überes-
Menarche, d. h. Ausbleiben von mindestens 3 sen
aufeinander folgenden Menstruationszyklen Es besteht wegen der Essanfälle ein Gefühl der
• Bulimia nervosa Verzweiflung
Regelmäßige Essanfälle: Ein Essanfall ist durch Die Essanfälle treten im Durchschnitt an minde-
folgende 2 Merkmale gekennzeichnet: stens 2 Tagen pro Woche über sechs Monate auf
1. In einem abgrenzbaren Zeitraum wird eine Die Essanfälle sind nicht mit der regelmäßigen
Nahrungsmenge gegessen, die deutlich größer Anwendung von Kompensationsverhalten (ab-
ist als die Menge, die die meisten anderen führende Maßnahmen, Fasten oder exzessiver
Menschen im selben Zeitraum und unter glei- Sport) verbunden und treten nicht im Verlauf
chen Umständen essen würden einer Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa auf
2. Während des Essanfalls wird der Verlust der
Kontrolle über das Essen empfunden (z. B.
als Gefühl, nicht mit dem Essen aufhören zu Leitsymptome sind dabei kritisches Untergewicht,
können oder nicht im Griff zu haben, wie Störung der Körperwahrnehmung und sekundäre
viel gegessen wird) Amenorrhö.
Regelmäßiges unangemessenes Kompensations-
verhalten, um einen Gewichtsanstieg zu vermei-
den, wie selbst herbeigeführtes Erbrechen, Miss- Anamnese
brauch von Abführmitteln, Diuretika, Einläufen Bei der Anamnese sind die Essgewohnheiten, das
oder anderen Medikamenten, Fasten oder exzes- Körperbild bzw. die Zufriedenheit mit dem eigenen
siver Sport Körper und die Menses genau zu erfragen. Wichtig
Die Essanfälle und das unangemessene Kompen- ist außerdem, die familiäre und soziale Situation der
sationsverhalten treten beide im Durchschnitt Patientin zu kennen. Häufig werden vegetative Stö-
mindestens zweimal pro Woche für mindestens rungen wie z. B. Schlafstörungen und Obstipation
3 Monate auf. angegeben.
Die Bewertung der eigenen Person wird durch Fi-
gur und Gewicht übermäßig beeinflusst. Körperliche Untersuchung
Diese Störung tritt nicht ausschließlich während Die Patientinnen erscheinen abgemagert, obwohl sie
einer Phase von Anorexie auf. ihr Untergewicht durch Kleidung oft geschickt ver-
• Binge eating disorder (BED) bergen. Häufig finden sich eine Parotisschwellung,
Regelmäßige Essanfälle: Ein Essanfall ist durch ein niedriger Blutdruck sowie eine Bradykardie.
folgende 2 Merkmale gekennzeichnet: Nicht selten liegen periphere Ödeme, deren Genese
1. In einem abgrenzbaren Zeitraum wird eine unklar ist, vor. Die Haut ist meist trocken und sprö-
Nahrungsmenge gegessen, die deutlich größer de. Herzgeräusche aufgrund veränderter Herzklap-
ist als die Menge, die die meisten anderen penmorphologie bei verminderter linksventrikulä-
Menschen im selben Zeitraum und unter glei- rer Muskelmasse kommen bei bis zu 30% der Pa-
chen Umständen essen würden tienten vor.
15.3 Anorexia nervosa und gezügeltes Essverhalten 585

Labordiagnostik Studien als wirksam in der Rückfallprophylaxe er-


Um organische Komplikationen der Anorexie früh- wiesen.
zeitig zu erkennen oder im Verlauf zu verfolgen,
sollten Elektrolyte (Kalium mitunter deutlich er-
niedrigt), Albumin, Kreatinin, Harnstoff und ggf. 15.3.6
weitere Stoffwechselparameter wie Blutglukose be- Prognose
stimmt werden. Im Blutbild finden sich oft Anämie,
Leukopenie infolge einer Neutropenie und Throm- Auch bei erfolgreicher Behandlung liegt die Rück-
bozytopenie. Häufige Befunde sind außerdem nied- fallrate nach 1 Jahr bei etwa 50 o/o, sodass ein lang-
riges Fibrinogen, erhöhte Serumspiegel für ß- Karo- fristiger Kontakt zum Therapeuten sinnvoll ist. Es
tin und Vitamin A sowie leicht erhöhtes LDL-Cho- gibt keine prognostischen Marker, die den Krank-
lesterin. An endokrinen AuffäHigkeiten sind oft er- heitsverlauf vorhersagen können. Die Langzeitpro-
niedrigte Konzentrationen von LH, FSH, Östradiol, gnose der Anorexia nervosa hat sich aber in den letz-
Progesteron, Testosteron, DHEA sowie der Schild- ten Jahren verbessert. So soll die ursprünglich mit
drüsenhormone zu beobachten. 10-20 o/o angegebene Mortalität nach neueren Stati-
stiken auf unter 2 o/o zurückgegangen sein. In einer
neueren Langzeitstudie wurde allerdings erneut eine
Mortalität von 15 o/o berichtet, bei 50 o/o lag nach
15.3.5 21 Jahren Follow-up eine Vollremission vor (Zipfel
Therapie et al. 2000). Haupttodesursachen sind Suizid und
Herzrhythmusstörungen infolge schwerer Störun-
Die Behandlung einer Anorexie wird dadurch er- gen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts. Bei
schwert, dass auf Seiten der Patientin aber auch den meisten Betroffenen kommt es mit dem Älter-
der Familie meist jegliche Krankheitseinsicht fehlt werden zu einer Abschwächung der Symptome und
und eine ehrliche Kooperation kaum erreichbar durchaus auch zu deren Verschwinden. Nach Lang-
ist. Das Behandlungskonzept beinhaltet psycho- zeitbeobachtungen behalten aber mindestens
bzw. verhaltenstherapeutische, nutritive und medi- 20-30 o/o der Patientinnen lebenslang Probleme
zinische Elemente, die je nach individueller Pro- mit einer geregelten Ernährung und ihre Angst
blemkonstellation einzusetzen sind. Im Vorder- vor Gewichtszunahme. In einer Studie fanden sich
grund steht nach initialer Behandlung der internisti- bei ca. 40 o/o der untersuchten Anorektikerinnen
schen Probleme zumeist die kognitive Verhaltens- nach 10 Jahren buHmische Episoden. Inwieweit
therapie, die bei jüngeren Patientinnen um eine eine jahrelange Mangelernährung der Patientinnen
Familientherapie ergänzt werden sollte. Je früher da- auch gesundheitliche Spätfolgen wie z. B. Osteopo-
mit begonnen wird, desto größer ist die Chance, dass rose haben kann, ist aufgrund fehlender Langzeit-
schwere organische Störungen vermieden werden studien nur unzureichend bekannt.
können. In der Regel reicht es aus, die Nährstoffver-
sorgung schrittweise zu verbessern. Von entschei-
dender Bedeutung ist selbstverständlich, dass die 15.3.7
angebotene Kost für die Patientin akzeptabel ist. Notfall
Die psychotherapeutischen Verfahren sind meist
langwierig, sodass sie möglichst von Beginn an Bei krisenhafter Entwicklung muss eine rasche sta-
mit dem Versuch kombiniert werden sollten, die Pa- tionäre Therapie erfolgen. Zeichen einer lebensbe-
tientin an eine geregelte Ernährung heranzuführen. drohlichen Situation sind vor allem Störungen des
Dies erfordert erfahrungsgemäß viel Geduld und Elektrolythaushalts mit teilweise extremer Hypo-
Einfühlungsvermögen. Häufig wird die Behandlung kaliämie, schwere Störungen der Herzfunktion, Di-
stationär in einer Fachklinik begonnen, muss da- arrhö, Hypotonie und extreme körperliche Schwä-
nach aber ambulant fortgeführt werden. Meist er- che. Da die Patientinnen in diesem Stadium zumeist
streckt sich die Psychotherapie über Monate oder apathisch sind, erübrigen sich psychotherapeutische
sogar Jahre. Maßnahmen zunächst. Wegen der akuten Unter-
ernährung muss eine bilanzierte Ernährung auf pa-
• Medikamente. In der Vergangenheil wurden renteralem oder gastralem Weg bei engmaschiger
zahlreiche pharmakologische Therapieansätze ver- Kontrolle der kritischen Parameter (Herz-Kreis-
sucht. Dabei zeigte sich, dass Neuroleptika in Einzel- lauf-Funktion, Elektrolyte, Kreatinin, Protein, Blut-
fällen mit Erfolg eingesetzt werden können, aber sel- bild) sichergestellt werden. Nach Bewältigung der
ten von dauerhafter Wirkung sind. Der Serotonin- internistischen Probleme sollte umgehend eine psy-
Reuptake-Inhibitor Fluoxetin hat sich in klinischen chotherapeutische Behandlung eingeleitet werden.
586 KAPITEL 15 Körpergewicht

15.3.8 tischen Klinik chloss sich an. Der Schock der


Gezügeltes Essverhalten Krankenhausbehandlung, die in der Therapie
vermittelte positivere Lebenssicht und eine erste
Unter dem Begriff des gezügelten Essverhaltens Liebesbeziehung halfen ihr damals bei der
("restrained eating behavior") wird eine willentliche, Krankheitsbewältigung. In den folgenden 6 Jah-
kognitive Kontrolle der Nahrungsaufnahme mit ren war sie nie angstfrei beim Essen. Sie hatte
dem Ziel der Gewichtskonstanz oder Gewichtsab- weiterhin eine pani ehe Angst vor Gewichtszu-
nahme verstanden. Häufig handelt es sich um nahme, tudierte aber erfolgreich und fand Ge-
Frauen und Männer aus höheren Sozialschichten. borgenheit in einer Partnerschaft. Dann erlitt sie
Innere Signale von Hunger und Sättigung werden eine Vergewaltigung, fühlte sich furchtbar be-
unterdrückt bzw. nicht mehr erlebt. Diese "rigide" schmutzt und erniedrigt und hatte panische
Kontrolle der Kalorienaufnahme beinhaltet die Ge- Angst vor Aids und Schwangerschaft. Sie ertrug
fahr des Zusammenbruchs ("disinhibition") mit keine Berührungen ihres Partners mehr, bis die
dann zügelloser Nahrungszufuhr. Gezügeltes Ess- Beziehung auseinander ging. Sie nahm erneut
verhalten kann daher möglicherweise die Entste- auf 45 kg ab. Danach hielten sich immer exzes-
hung von Bulimie und BED begünstigen. Bislang siveres Essen und Erbrechen die Waage, das Ge-
fehlen fundierte Untersuchungen zu den langfristi- wicht pendelte sich bei 52 kg ein. Sie nahm ge-
gen Folgen eines solchen Essverhaltens. legentlich Abführmittel und experimentierte
eine Zeit lang mit Diuretika und Schildrüsen-
hormonen. Abends trank sie regelmäßig eine
halbe Flasche Rotwein. ur mit Hilfe eines Hor-
15.4
monpräparats hatte sie regelmäßige Blutungen.
Bulimia nervosa
Bei der Vorstellung berichtete sie über allge-
meine Schwäche und schilderte Symptome einer
15.4.1
Refluxösophagitis. Die Parotiden waren ge-
Fallpräsentation
schwollen und die submandibulären peichel-
drüsen deutlich vergrößert. Die Patientin war
Die 24-jährige, blass aussehende Medizinstu- mit 52 kg (BMI 18.4 kglm 2) an der Grenze
dentin gab bei der Er tvor tellung an, dass sie zum Untergewicht. Bei der klinischen Untersu-
sich den Alltagsanforderungen immer weniger chung fielen kalte und bläuliche Akren sowie
gewachsen fühle und nur noch mit Gedanken Schmelzdefekte an den Zähnen auf. Der Blut-
an ahrung mittel, mit der Planung ungestörter druck lag bei 105/60 mmHg. Laborchemisch wa-
Zeiten für E senund Brechen owie der Geheim - ren Kalium (3,3 mmol/1} und Gesamteiweiß
haltung dieser Praktiken beschäftigt sei. Ihr (5,8 g) erniedrigt. Es lag eine relative Lymphozy-
Selbstbewusstsein sank mit jedem Tag. Jeden tose bei Neutropenie vor. y-GT (28 Ull) und
Tag nahm sie sich erneut vor, sich unter Kon- Amylase (122 U/1, Parotisamylase) waren grenz-
trolle zu halten. Von den Nachmittagsstunden wertig erhöht. Unter tationärer Behandlung
an bis zum Abend aß und erbrach sie unkontrol- (Psychotherapie) mit Restriktionen (Ausgangs-
liert, bis sie spät in der acht erschöpft ein - sperre, geregelte Mahlzeiten) normalisierte
schlief. Die Essstörung begann, als sie als Aus- sich da E verhalten, das selbstinduzierte Er-
tauschschülerin in den USA war. Aufgrund brechen hörte auf. Hunger- und Sättigungsge-
von Heimweh nahm sie dort 10 kg zu, steuerte fühl waren aber noch nicht identifizierbar.
dann dagegen und aß immer weniger, sodass sie ach Verschwinden der bulimischen Sympto-
mit einem Gewicht von 43 kg bei einer Größe matik und einer verstärkten Selbstkontrolle
von 168 cm nach Deutschland zurückkehrte. mit Gewichtsabnahme auf 50 kg besserte sich
In dieser Zeit setzte die Periode aus. ie war da- die subdepressive Stimmungslage. Es trat eine
mal tolz auf ihre Willensstärke, wurde aber Normalisierung der Laborparameter ein. Im
bald danach mit einem Gewicht von 35 kg in weiteren Verlauf wurde die körperbezogene
eine Klinik aufgenommen und dort mit Infusio- Psychotherapie mit dem Ziel, den entfremdeten
nen und einer Magensonde künstlich ernährt. Körper wieder akzeptieren zu lernen, ambulant
Ein 6-wöchiger Aufenthalt in einer psycho oma- fortgeführt.
15.4 Bulimia nervosa 587

mit Hilfe von Laxanzien oder anderen Mitteln wie-


15.4.2
der loszuwerden. Im Gegensatz zu Anorektikerin-
Epidemiologie
nen haben Bulimikerinnen eine schwächere Impuls-
kontrolle. Der ständigeWechselvon Essanfällen und
Obwohl die Bulimie viele Gemeinsamkeiten mit der
Erbrechen, der der Außenwelt verschwiegen wird
Anorexie aufweist, handelt es sich dennoch um eine
und oft lange verborgen bleibt, geht mit schweren
eigenständige Essstörung. Die Bulimia nervosa ist
Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen einher.
weiter verbreitet als die Anorexie: 1-3 o/o der jünge-
ren Frauen leiden an dieser Erkrankung. Unter adi-
pösen Frauen, die an Gewichtsreduktionsprogram-
men teilnehmen, ist die Prävalenz deutlich höher. 15.4.5
Diese Form der Essstörung betrifft etwas ältere Diagnostik
Frauen, die häufiger auch aus niedrigeren Sozial-
schichten stammen. Nicht selten entwickelt sich Die Bulimie wird heute nach den Kriterien der Ame-
eine Bulimie aus einem gezügelten Essverhalten rican Psychiatrie Association (DSM-IV) diagnosti-
oder aus einer Anorexie heraus. Die Geschlechtsver- ziert (s. Übersicht "Diagnostische Kriterien für An-
teilung entspricht derjenigen bei der Anorexie orexia nervosa, Bulimia nervosa und "Binge eating
(Frauen: Männer = 10-20: 1). Syndrom").

Anamnese
15.4.3 Ein hoher Anteil der Bulimikerinnen leidet an einer
Pathogenese Amenorrhö, sodass eine gezielte Anamnese und
ggfs. endokrinologische Diagnostik angezeigt ist.
Die Ätiologie der Bulimie ist ungeklärt. Es fällt auf,
dass viele Patientinnen aus Familien kommen, in de-
nen Alkoholprobleme oder psychiatrische Erkran- Körperliche Untersuchung
kungen bekannt sind. Etwa 50 o/o der Frauen mit Die teilweise massiven Manipulationen der Patien-
Anorexie konvertieren zu Bulimikerinnen. Auf- tinnen können zu sichtbaren Komplikationen wie
grund von Familienstudien werden genetische Ein- Zahnschäden, Parotisschwellungen, Rachen- und
flüsse angenommen. Ösophagusentzündungen, eingerissenen Lippen so-
wie Finger- und Handrückenverletzungen führen,
sodass auf diese Zeichen sehr genau zu achten ist.
15.4.4 Der Missbrauch von Laxanzien kann rektale Blutun-
Klinik gen und schwere Hypokaliämien und -kalzämien
zur Folge haben, die durch rektale Untersuchung
Symptome und Beschwerden und Laborkontrollen zu sichern sind.
Personen mit Bulimie weisen manchmal extreme Ge-
wichtsschwankungen auf, die von dramatischem Un- Labordiagnostik
tergewicht bis zu exzessiver Adipositas reichen kön- Die metabolischen und endokrinen Veränderungen
nen, sodass das aktuelle Körpergewicht keinen Auf- sind bei der Bulimie meist nicht so ausgeprägt wie
schluss über das Vorliegen einer Bulimie geben kann. bei der Anorexie. Elektrolyte, Gesamteiweiß, Blut-
Die meisten Bulimikerinnen sind aber normalge- bild, Blutglukose und ggf. weitere Routineparameter
wichtig. sollten in jedem Fall bestimmt werden. Bei Patien-
tinnen mit häufigem Erbrechen wird nicht selten
Ähnlich wie Personen mit Anorexie versuchen auch eine Hypokaliämie und Hypokalzämie gefunden.
Bulimikerinnen die Nahrungsaufnahme zu begren-
zen oder ganz zu verhindern, weil sie sich zu dick
fühlen und eine Störung des eigenen Körperbilds ha-
ben. Sie sind ebenfalls auf ein möglichst niedriges 15.4.6
Körpergewicht fixiert. Gleichzeitig neigen sie dazu, Differentialdiagnose
belastenden Problemen durch Essen zu entkommen.
Sie erliegen immer wieder Essanfällen, in denen sie Die Abgrenzung von Anorexie und "Binge eating
bei völligem Kontrollverlust wahllos große Nah- Disorder" ist mit Hilfe der Kriterien der American
rungsmengen (bis zu 10.000 kcal und mehr) ver- Psychiatrie Association möglich (s. Übersicht "Dia-
schlingen. Anschließend versuchen sie sofort, die gnostische Kriterien für Anorexia nervosa, Bulimia
Kalorien durch selbstinduziertes Erbrechen oder nervosa und "Binge eating Syndrom").
588 KAPITEL 15 Körpergewicht

tität anerkannte Essstörung, die durch häufige Epi-


15.4.7
soden von unkontrollierbaren Essattacken ohne
Therapie
Kompensationsverhalten (wie z. B. Erbrechen) cha-
rakterisiert ist. In der Allgemeinbevölkerung leiden
Psycho- und Verhaltenstherapie
zwischen 2-3% unter solchen Essanfällen, BED ist
Im Gegensatz zur Anorexie haben Bulimikerinnen
damit die häufigste Essstörung. Mit steigendem Kör-
einen hohen Leidensdruck und durchaus Krank-
pergewicht nimmt die Prävalenz zu. Bei 10-15% der
heitseinsicht. Ziel der Behandlung ist, die Körper-
Teilnehmer an kommerziellen Gewichtsreduktions-
schemastörung zu beseitigen und zu erreichen,
programmen und bei bis zu 30% der Teilnehmer an
dass die Patientinnen das Erbrechen aufgeben
einer "very low calorie diet" (VLCD) wurde diese
und zu einem geregelten Essverhalten finden. Da
Essstörung gefunden. Im Gegensatz zu Anorexie
die Patientinnen meist im Erwachsenenalter sind,
und Bulimie liegt der Anteil betroffener Männer
werden neben Einzel- auch Gruppenpsychothera-
bei bis zu 40 %. Die BED wird oft erst nach dem Alter
pien durchgeführt. Der am häufigsten genutzte
von 30 Jahren klinisch manifest.
und erfolgreichste Therapieansatz ist die "cogniti-
ve-behavioral psychotherapy". Damit ist bei bis zu
80% der Patientinnen eine signifikante Reduktion
15.5.2
von Essanfällen und Erbrechen möglich.
Pathogenese

Medikamente Über die Atiologie und Entstehung der BED ist bis-
Es gibt verschiedene Studien, die eine begrenzte lang wenig bekannt (s. Bulimie).
Wirksamkeit von trizyklischen Antidepressiva,
MAO-Hemmern und selektiven Serotonin-Reupta-
ke-Inhibitoren belegen, vor allem wenn gleichzeitig 15.5.3
depressive Verstimmungen bestehen. Gute Effekte Klinik
lassen sich mit Fluoxetin in einer Dosierung von
60 mg täglich erzielen. Fluoxetin ist auch deshalb Infolge eines oft eher nichtigen externen Reizes oder
günstig, weil es zu keiner Gewichtszunahme führt, als Reaktion auf ein unangenehmes oder frustrieren-
sondern eher gewichtssenkend wirkt und deshalb des Ereignis kommt es auch bei Fehlen von Hunger
besser akzeptiert wird. Die Gabe eines Medikaments zu einem unbeherrschbaren Essdrang, der mit einer
ist lediglich als adjuvante Therapiemaßnahme zu se- nahezu wahllosen Aufnahme großer Kalorienmen-
hen und kann eine Psychotherapie nicht ersetzen. gen einhergeht. Diese meist in unregelmäßiger Fre-
quenz auftretenden Essattacken werden als emotio-
naler Stress erlebt und führen zu Selbstvorwürfen
15.4.8 und Depressionen. Menschen mit BED sind häufig
Prognose adipös und haben dementsprechend übergewichts-
bedingte Begleitstörungen. Gehäuft werden auch ga-
Zur Langzeitprognose der Bulimie gibt es bisher strointestinale Symptome wie Übelkeit, Brechreiz,
kaum Daten. Im Vergleich zur Anorexie scheint Leibschmerzen und Blähungen angegeben.
die Mortalität der Bulimie niedriger zu sein. Die Pro-
gnose ist dann ungünstiger, wenn eine Anorexia
oder psychiatrische Störungen in der Vorgeschichte 15.5.4
bekannt sind. Obwohl es bei den meisten Betroffe- Diagnostik
nen zu einer Symptombesserung kommt, handelt es
sich um eine chronische Essstörung, die immer wie- Anamnese
der zu Rezidiven neigt. Leitsymptom sind wiederkehrende Essattacken, die
bezüglich Anlass und Art genau zu eruieren sind. Oft
findet sich ein gezügeltes Essverhalten sowie eine
15.5 Störung des eigenen Körperbilds. Anamnestisch
"Binge eating disorder" (BED) ist außerdem auf Phasen der Nahrungsverweigerung
und Erbrechen zu achten, damit eine Abgrenzung
15.5.1 von anderen Essstörungen möglich ist. Hier haben
Epidemiologie sich standardisierte Fragebögen bewährt. Für die
Diagnosesicherung sollten die Kriterien der Ameri-
Bei der "Binge-eating-Disorder" (BED) handelt es can Psychiatrie Association verwendet werden (s.
sich um eine erst seit kurzem als eigenständige En- Übersicht "Diagnostische Kriterien für Anorexia
15.6 Alimentäre Adipositas 589

nervosa, Bulimia nervosa und "Binge eating Syn-


drom"). einer Körpergröße von 182 cm ergab einen BMI
von 39,3 kg!m 2. Der Taillenumfang betrug
140 cm, der Blutdruck war mit 150/100 mmHg
Körperliche Untersuchung erhöht. Bei der weiteren klinischen Unter-
Wie bei der Bulimie. suchung fielen eine Dyspnoe, Hyperhidrosis,
Varikosis mit Stauungsdermatitis, Rücken-
Labordiagnostik und Kniegelenksbeschwerden auf. Die Labor-
Spezifische AuffäHigkeiten im metabolischen oder diagnostik erbrachte: Triglyzeride 160 mg/dl,
endokrinen Laborprofil fehlen . Gesamtcholesterin 243 mg/dl, HOL-Cholesterin
42 mg/dl, LDL-Cholesterin 169 mg!dl, Harnsäu-
Technische Verfahren re 8,1 mg/dl, r-GT 56 U/1. Normwerte für Blut-
zucker, Elektrolyte, Kreatinin, TSH basal, Pro-
Sind in Abhängigkeit von Auffälligkeiteil bei der kli-
tein, Blutbild und Urinstatus. Im EKG lag bis
nischen Untersuchung durchzuführen.
auf AV -Block I. Grades und eine Niedervoltage
ein Normalbefund vor. Das Herzecho ergab
15.5.5
einen Befund wie bei hypertensiver Herzkrank-
heit II. Grades, Septumdicke 20 mm mit einer
Differentialdiagnose
mäßigen Dilatation. Aufgrund langjähriger er-
Eine möglichst genaue Abgrenzung von anderen folgloser Therapieversuche und des schlechten
Essverhaltensstörungen, insbesondere der Bulimie Allgemeinzustands erfolgte eine stationäre
ist erforderlich. Gewichtsreduktion mit einer proteinreichen
Mischkost von zunächst 1200 dann 800 kcal/Tag
für 2 Wochen. Es trat eine Gewichtsabnahme auf
15.5.6 123,3 kg sowie eine Normalisierung aller gestör-
Therapie ten Laborparameter ein. Das LOL-Choiesterin
wurde mittels 20 mg Pravastatin auf 104 mg!dl
Die Behandlung der "hinge eating disorder" ist weit- gesenkt, der Blutdruck normalisierte sich. De
~ehend identisch mit der Behandlung der Bulimie. Weiteren erfolgte eine Schulung zu gesundem
Uber die Prognose ist wenig bekannt. In einer 3-jäh- Lebensstil mit Schwerpunkt Ernährung. An-
rigen Verlaufsstudie wurde zumeist eine spontane schließend wurde eine ambulante Betreuung
Besserung des Beschwerdebilds beobachtet. in 2- bis 4-wöchentlichen Abständen mit einer
individuellen Mischkost von 1200-1500 kcal/Tag
weitergeführt. Darunter trat innerhalb von 6 Mo-
Übergewicht naten eine weitere Gewichtsabnahme auf zuletzt
109,5 kg ein. Es konnte eine Gewichtsstabilisie-
rung erreicht werden. Bei gleichzeitig gesteiger-
15.6
ter körperlicher Aktivität (Minimum täglich
Alimentäre Adipositas 30 Minuten kreislaufwirksamer Spaziergang),
war der Patient nahezu beschwerdefrei von Sei-
15.6.1
ten der bekannten Angina-pectoris-Symptoma-
Fallpräsentation
tik. Im weiteren Verlauf erfolgte die Anpassung
der Medikation an den neuen Zustand des Pa-
Ein 63-jähriger Patient wurde vom Kardiologen tienten.
wegen einer therapieresistenten Adipositas
überwiesen. Seit mehreren Jahren wurde er we-
gen Belastungsdyspnoe, koronarer Herzkrank-
heit und Hypertonie medikamentös behandelt, 15.6.2
zuletzt mit Isosorbidmononitrat, ACE-Hemmer, Epidemiologie
Hydrochlorothiazid und Azetylsalizylsäure.
Pektanginöse Beschwerden traten ein- bis zwei- Der Begriff Übergewicht bezeichnet ein erhöhtes
mal wöchentlich bereits bei leichter körperlicher Körpergewicht unabhängig von seiner Ursache
Belastung auf. Der Patient prä entierte sich mit und seinem Ausmaß. Meist liegt eine Vermehrung
massiver stammbetonter Adipositas und war des Körperfetts vor, seltener, und vor allem bei
zyanotisch. Das Körpergewicht von 130,6 kg bei mäßigem Übergewicht (BMI zwischen 25,0 und
29,9 kg/m 2), kann auch die Muskelmasse vermehrt
590 KAPITEL 15 Körpergewicht

sein, z. B. bei körperlich hart arbeitenden Männern selbst adipös zu werden, ist um ein Mehrfaches hö-
oder bei Kraftsportlern. In der Praxis wird Überge- her als das von Kindern schlanker Eltern. Darüber
wicht gleichbedeutend mit Adipositas verwendet, hinaus haben Zwillings- und Adoptionsstudien die
der Begriff Adipositas sollte aber einem BMI von Bedeutung genetischer Einflüsse herausgestellt. Ins-
2': 30 kg/m 2 vorbehalten sein. Nach dem heutigen gesamt wird der genetische Anteil an der Regulation
Verständnis ist die Adipositas - ähnlich wie etwa des Körpergewichts auf 30-50 o/o geschätzt. Noch
die Hypertonie - als chronische Krankheit zu be- stärker scheint der genetische Einfluss beim Fettver-
trachten, die auf einem polygenetischen Hinter- teilungsmuster zu sein.
grund beruht, mit verschiedenen Komorbiditäten
einhergeht, die Lebensqualität und Lebenserwar-
tung beeinträchtigen können, und ein langfristiges Individualität des Energieverbrauchs
Therapie- und Betreuungskonzept erfordert. Nach Messungen des Energieverbrauchs haben zu wider-
verschiedenen bevölkerungsbasierten epidemiologi- sprüchlichen Ergebnissen geführt. Einzelne pro-
schen Studien haben in Deutschland etwa 20 o/o der spektiv angelegte Studien legen nahe, dass es inte-
Erwachsenen einen BMI 2': 30 kg/m2 und sind damit rindividuelle Unterschiede im Energieverbrauch
als adipös einzustufen. 0,5-1 o/o erreichen bzw. über- (bezogen auf fettfreie Körpermasse) gibt und dass
schreiten einen BMI von 40 kg/m2 • Weitere 30-40 o/o Menschen mit niedrigem Grundumsatz leichter an
der Erwachsenen sind mit einem BMI zwischen 25 Gewicht zunehmen als Menschen mit hohem Grun-
und 29,9 kg/m2 "präadipös" und damit ebenfalls dumsatz. Ferner wurde postuliert, dass Menschen,
von übergewichtsbedingten Gesundheitsstörungen die auf eine hohe Fettaufnahme nicht adäquat mit
bedroht. Die Häufigkeit der Adipositas nimmt bis einem Anstieg_~er Fettoxidation reagieren können,
zu einem Alter von etwa 65 Jahren kontinuierlich besonders zu Ubergewicht neigen. In anderen Un-
zu. Bei Männern beginnt die Adipositas in der Regel tersuchungen fanden sich dagegen keine Unter-
früher (meist zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr) schiede in den einzelnen Komponenten des Energie-
als bei Frauen. Im höheren Lebensalter sind Frauen verbrauchs und der Substratoxidation zwischen adi-
allerdings häufiger betroffen als Männer. Je nach zu- pösen und normalgewichtigen Menschen nach Kor-
grundegelegter Definition gelten 10-20 o/o der Kin- rektur für die fettfreie Körpermasse.
der und Jugendlichen als übergewichtig bzw. adipös.
Regulationsstörung von Hunger und Sättigung
Für die Vermutung, dass bei Übergewichtigen Stö-
15.6.3 rungen in der Regulation von Hunger und Sättigung
Pathogenese vorliegen, gibt es bislang keine harten Anhalts-
punkte. Unklar ist auch, inwieweit Übergewichtige
Ernährung und Bewegungsmangel eine höhere Präferenz für fettreiche Speisen haben
Übergewicht kann grundsätzlich nur dann entste- als Schlanke. Ob die kürzlich entdeckten Faktoren,
hen, wenn die Kalorienaufnahme langfristig den die bei Tieren Hunger und Sättigung steuern, bei
Energieverbrauch des Organismus übersteigt. Eine Adipösen verändert sind, ist bisher erst ansatzweise
chronisch-positive Energiebilanz kann genetische, untersucht. Neben zentralen Mechanismen sind
biochemische und psychosoziale Gründe haben. auch gastrale Prozesse von Bedeutung. Beispielswei-
Es steht außer Frage, dass heute alimentäre Ursa- se ist auch die Magendehnung am Zustandekom-
chen und Bewegungsmangel dominieren. Unter men des Sättigungssignals maßgeblich beteiligt.
den Nahrungsfaktoren wurde vor allem der hohe Kürzlich wurde Leptin auch im Mukosaepithel des
Fettkonsum als Ursache für die hyperkalorische Er- Magenfundus gefunden und könnte möglicherweise
nährung angeführt. Dies blieb aber nicht unwider- an frühen Cholezystokinin (CCK)-vermittelten Sät-
sprochen, da letztlich jede überschüssige Kalorie ge- tigungseffekten mitwirken.
speichert wird. Da die mittlere Kalorienaufnahme in
Deutschland in den letzten 25 Jahren leicht rückläu-
Psychosoziale Einflüsse
fig war, kommt der Abnahme der körperlichen Ak-
Das Essverhalten wird zweifellos auch von psycho-
tivität vielleicht sogar eine größere Bedeutung zu.
sozialen Komponenten stark beeinflusst.
Menschen aus niedrigen Sozialschichten kontrol-
Genetische Prädisposition lieren ihre Nahrungsaufnahme weniger streng und
Da Übergewicht innerhalb von Familien gehäuft weniger kognitiv als Menschen aus höheren Sozial-
vorkommt, wird schon lange die Existenz prädispo- schichten. Gleichzeitig sind ihre "Coping-Techni-
nierender Gene angenommen. Das Risiko von Kin- ken" weniger gut entwickelt, sodass sie auf negative
dern übergewichtiger Eltern, im späteren Leben Gefühle/Erlebnisse oder Stress eher mit gesteigerter
15.6 Alimentäre Adipositas 591

Nahrungsaufnahme reagieren. Essen kann somit Gesundheitsstörungen bei Adipositas


über ein normales Maß an Lustgewinn hinaus zu
einem wichtigen Kompensationsmechanismus wer- • Deutlich erhöhtes Risiko für
den. Typ-2-Diabetes mellitus
Dyslipoproteinämie
Schlaf-Apooe-Syndrom
Technisierung des Alltagslebens
Gallensteinleiden
Eine weit unterschätzte Bedeutung hat wahrschein-
Kniegelenkbeschwerden
lich das veränderte Bewegungsverhalten. Aufgrund
Varikosis
der Technisierung des Alltaglebens sind zwei Drittel
Gestörte Fibrinolyse
der erwachsenen Deutschen körperlich inaktiv. Men-
schen, die sportlich regelmäßig aktiv sind, gelingt es
e Mäßig erhöhtes Risiko
Hypertonie, linksventrikuläre Hypertrophie
leichter, normalgewichtig zu bleiben. Zu den typi-
Koronare Herzkrankheit, Schlaganfall
schen Situationen, in denen es häufig zu einer blei-
Hyperurikämie, Gicht
benden Gewichtszunahme kommt, gehören das Ein-
e Gering erhöhtes Risiko
stellen sportlicher Aktivitäten, das Aufgeben des Rau-
Störungen der Reproduktionsfunktion inkl. poly-
chens und, bei der Frau, die Schwangerschaft.
zystische Ovarien
Erhöhtes Narkose- und Operationsrisiko
Medikamenten(-neben-)wirkungen Bestimmte Krebserkrankungen
Einige wenige Medikamente wie Insulin, Sulfonyl-
harnstoffe, Glucocorticoide und, bei längerer Ein-
nahme, ß-Blocker können eine klinisch relevante Der Schweregrad dieser Komplikationen hängt wie-
Gewichtszunahme bewirken. derum von Dauer und Ausmaß der Adipositas sowie
vom Fettverteilungsmuster ab. Bereits bei mäßigem
Übergewicht (BMI 25-29,9 kg/m 2 ) findet sich ein
15.6.4 deutlicher Anstieg in der Prävalenz kardiovaskulärer
Klinik Risikofaktoren wie Hypertonie, Typ-2-Diabetes mel-
litus und Dyslipoproteinämie. Mit steigendem Kör-
Symptome und Beschwerden pergewicht nimmt die Insulinsensitivität des Körpers
Adipöse Menschen leiden gehäuft unter ab, was durch eine gesteigerte Insulinsekretion kom-
• Belastungsdyspnoe, pensiert wird. Kann die Hyperinsulinämie aufgrund
e rascher Ermüdbarkeit, eines vermutlich genetischen Defekts der pankreati-
e verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit, schen ß-Zellen nicht aufrechterhalten werden,
• dyspeptischen Beschwerden, kommt es zur klinischen Manifestation eines Typ-
e Rückenschmerzen, Hüft-, Knie- und Sprungge- 2-Diabetes mellitus. Bei deutlicher Adipositas
lenksbeschwerden. (BMI ~ 30 kg/m2) ist das Typ-2-Diabetesrisiko um
das 20- bis 60-fache erhöht. Zu beachten ist außerdem,
Viele geben vermehrtes Schwitzen an und neigen zu dass eine Gewichtszunahme von 10 kg das Diabetes-
reaktiven Depressionen und Störungen des Selbst- risiko Erwachsener verdreifacht. Die Insulinresistenz
wertgefühls. Häufigkeit und Schweregrad hängen ist möglicherweise auch an der Pathogenese der Dys-
vom Ausmaß des Ubergewichts ab. Der subjektive lipoproteinämie beteiligt. Die charakteristischen Ver-
Leidensdruck ist so ausgeprägt, dass die Ergebnisse änderungen des Lipidstoffwechsels bei Adipositas
standardisierter Befragungen eine deutliche Ein- sind in der folgenden Übersicht wiedergegeben.
schränkung der Lebensqualität anzeigen. Hierbei
spielt auch die unübersehbare Benachteiligung Charakteristische Veränderungen des Lipidstoff-
und Diskriminierung Adipöser in der Gesellschaft wechsels bei Adipositas
eine maßgebliche Rolle.
e Erhöhung der Gesamt- und VLDL-Triglyzeride
• Erhöhte freie Fettsäuren im Serum
15.6.5 e Niedriges HDL-Cholesterin, veränderte Zusam-
Komplikationen mensetzung der HDL-Subklassen
• LDL-Cholesterin nur gering erhöht, Apo B erhöht
Übergewicht/ Adipositas kann darüber hinaus eine • Vermehrung des Anteils kleiner, dichter LDL-
Vielzahl von Gesundheitsstörungen und Begleiter- Partikel
krankungen auslösen, die in folgender Übersicht e Postprandiale Hypertriglyzeridämie
dargestellt sind.
592 KAPITEL 15 Körpergewicht

Das gehäufte Auftreten kardiovaskulärer Risikofak- tere Unterschiede zwischen den beiden Fettdepots
toren erklärt die 2- bis 3-fach erhöhte Morbidität sind in Tabelle 15-3 aufgeführt.
und Mortalität an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die gesteigerte Mobilisierung von Fettsäuren und
Unabhängig davon ist die Adipositas auch ein eigen- der erhöhte Umsatz freier Fettsäuren erklärt die ty-
ständiger Risikofaktor für die Entwicklung von ko- pischen Veränderungen bei abdomineller Adiposi-
ronarer Herzkrankheit, Schlaganfall und Herzinsuf- tas wie verminderte Insulinclearance, gesteigerte
fizienz. Die Adipositas gilt zudem als wichtiger Ri- Glukoneogenese (u. a. aus Laktat und Glyzerin), er-
sikofaktor für das Auftreten eines Schlaf-Apnoe- höhte VLDL-Synthese und verminderte hepatische
Syndroms und kann infolge einer alveolären Hypo- Glukoseverwertung (Abb. 15-4). Die viszerale Adi-
ventilation zum "Pickwick-Syndrom" führen . Auch positas gilt somit als phänotypisches Merkmal des
bestimmte Karzinome treten bei Übergewichtigen metabolischen Syndroms und ist eng mit der Insu-
häufiger auf als bei Schlanken. In beiden Geschlech- linresistenz verbunden. Selbst bei normalem BMI
tern sind vor allem kotorektale Karzinome häufiger, sind vergrößerte viszerale Fettdepots ein Risikofak-
bei übergewichtigen Frauen findet sich außerdem tor für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes mellitus
eine erhöhte Inzidenz östrogenabhängiger Tumoren und koronarer Herzkrankheit.
wie Endometrium- und Mammakarzinom.
Die meisten adipositasassoziierten Komplikatio-
nen finden sich bei abdomineller Adipositas häufi- 15.6.6
ger als bei gluteal-femoraler Fettverteilung. Dement- Lebenserwartung
sprechend sind Männer bei gleichem BMI stärker
von Komorbiditäten bedroht als Frauen. Die Erklä- Ab einem BMI von 30 kg/m 2 ist mit einer Verkür-
rung dafür ist in den ausgeprägten metabolischen zung der Lebenserwartung zu rechnen. In einzelnen
Unterschieden zwischen den viszeralen und subku- Studien fand sich bereits ab einem BMI von 27 kg/
tanen Fettdepots zu suchen. Viszerale Fettzellen rea- m 2 ein Mortalitätsanstieg. Deutlich verkürzt ist die
gieren empfindlicher auf Katechotamine und setzen Lebenserwartung bei einem BMI von 40 kg/m 2
mehr Fettsäuren frei als subkutane Fettzellen. Wei- oder darüber. Haupttodesursachen sind koronare

Tabelle 15-3. Metabolische Unterschiede zwischen viszeralen und subkutanen Fettzellen (FZ)

Fettgewebszellularität:
Fettzellgröße Klein Groß
Innervierung Dicht Weniger dicht
Vaskularisierung tark chwach

Lipolyse:
basale Lipolyse + +
katecholaminstimulierte Lipolyse ++ +
ß 1- , ßr Adrenozeptorz.ahl u. - en itivität + +
ßr Adrenozeptorzahl +
ar Adrenozeptorz.ahl + ++

Andere Frmktionen:
Insulinwirkung + ++
Triglyceridumsatz ++ +
Glucocorticoidrezeptorzahl ++ +
Glucocorticoidwirkung ++ +
Te to teronwirkung ++ +
Wachstumshormonsensitivität ++ +
Leptinproduktion + ++
15.6 Alimentäre Adipositas 593

Überernährung
Bewegungsmangel

Adipositas,
viszerale Fendepots 1

Leber

-
Lipolyse 1 Muskel

Glukoneogenese t
VLDL -Synthese I
Insulindegradierung f -
FFS 1

Glycerin 1
Laktat i
FFS 1

Glycerin
Laktat
Glukoseaufnahme ,
Insulinwirkung ,

LPL , Abb.l5-4.
Schematisch dargestellt ist die
Hypertriglyzeridämie pathologische Beziehung zwischen
Hyperinsu linämie der viszeralen Adipositas und den
Hyperglykämie StoffWechselstörungen ("metabo-
lisches Syndrom")

Herzkrankheit und Herzinsuffizienz (2- bis 3-fach Anamnese und Diagnostik bei adipösen Patienten
erhöht) und Karzinome (1,5- bis 2-fach erhöht). vor Therapiebeginn
Mit steigendem Lebensalter wird die Beziehung zwi-
schen BMI und erhöhter Mortalität schwächer, • Anamnese
bleibt aber selbst bei Menschen im Alter zwischen Familienanamnese (Adipositas, Typ-2-Diabetes,
65 und 74 Jahren noch nachweisbar (Abb. 15-5). Hypertonie, KHK)
Beginn des Übergewichts, größere Gewichtsver-
änderungen in der Vergangenheit und Begleit-
15.6.7 umstände (z. B. Schwangerschaft, Aufgabe von
Diagnostik Sport oder Rauchen, traumatische Erlebnisse)
Bewegungsaktivität
Anamnese Familiäre und berufliche Verhältnisse
Die Anamnese beim übergewichtigen Patienten um- Ernährungsgewohnheiten und Essverhalten
fasst detaillierte Fragen nach dem Beginn und bishe- Frühere Therapieversuche und Gründe für deren
rigen Verlauf des Übergewichts, früheren Therapie- Scheitern
versuchen, Gründen für deren Scheitern, den Lebens- Gründe für den jetzigen Behandlungswunsch
gewohnheiten (Essverhalten, körperliche Bewegung), • Diagnostik
dem sozialen Umfeld sowie nach der Motivation für Körpergröße und -gewicht, Blutdruck, Taillen-
die erneute Behandlung. Daneben ist die Familien- und Hüftumfang
anamnese von Bedeutung, weil sie einen indirekten Körperliche Untersuchung
Hinweis für eine familiäre Disposition liefert. Beson- Nüchternblutzucker, ggfs. oraler Glukosetole-
ders sorgfältig sollten die Ernährungsgewohnheiten ranztest
erhoben werden. Für die Ernährungsanamnese soll- Gesamt-, HDL- und LDL-Cholesterin, Triglyzeride
ten strukturierte Fragebögen oder Essprotokolle ein- Harnsäure
gesetzt werden. Ferner muss auf Hinweise für Ess- Kreatinin, Elektrolyte, kleines Blutbild,
störungen geachtet werden. Genauso bedeutsam Ggfs. TSH und andere endokrinalogische Para-
sind Fragen nach möglichen Begleiterkrankungen meter
oder Komplikationen, da davon die Behandlungs- EKG, Oberbauchsonographie
strategie abhängt. Anamnese und Diagnostik bei Ggfs. Herzecho, Doppler-Sonographie, 24-h-RR-
adipösen Patienten vor Therapiebeginn sind in Messung
der folgenden Übersicht dargestellt.
594 KAPI TEL 15 Körpergewicht

-- --- Men Körperliche Untersuchung


~ 85 yr
- - Women • Erfassung von Übergewicht/ Adipositas. In den
meisten Fällen ermöglicht bereits die Inspektion
die Diagnose Übergewicht. Die Klassifikation erfolgt
heute mit Hilfe des sog. Körpermassenindex ("body
mass index" = BMI; Tabelle 15-4). Der BMI errech-
' net sich als Quotient von Körpergewicht in kg und
'' Quadrat der Körpergröße in Metern.
''

BMI = _K_ö--"rp_e_;rg=e-_w_ic_h_t -'-(k_g:-:--)

~ . .....L ..c.cJ::::::::::::d
Körpergröße (m) 2
"'Ql
"'::J
e .. Der BMI korreliert mit einem Korrelationskoeffizi-
<Ii
E
enten von 0,4 und 0,9 mit der eigentlichen Körper-
_g fettmasse. Andere anthropometrische Maße wie z. B.
.];
der Broca-Index sollten wegen verschiedener Nach-
m teile bzw. wegen ihrer Ungenauigkeit nicht mehr
....-o0 verwendet werden. Neben dem BMI ist bei der Be-
~
<1\
·.::: 45-54yr
urteilung des Gesundheitsrisikos von Übergewicht

:j
Ql
> auch das Fettverteilungsmuster zu berücksichtigen,
'4j
da das Auftreten von metabolischen Komplikatio-
~"'
er: nen eng mit der Größe der viszeralen Fettdepots zu-
sammenhängt. Die Menge an viszeralem Fett kann
bei gleichem BMI erheblich variieren. Männer haben
3 30 - 44yr im Mittel doppelt so viel viszerales Fettgewebe als
Frauen und sind daher stärker von metabolischen
--
-- --
und kardiavaskulären Komplikationen bedroht.
2
• Taille-Hüft-Quotient. Als einfacher anthropome-
__ ...... -- trischer Index zur Erfassung des Fettverteilungsmu-
sters hat sich der Taille-Hüft-Quotient ("waist-hip
ratio" = WHR) bewährt. Der Taillenumfang wird
0 0\_ 0\ 0\ 0\ ~ 0
a-· ;:::j ~
\(). (t)
~
N• mit einem einfachen Maßband am stehenden Pa-
~

V
0
I
0
I
N

0
I
N

0
I
0
I "'Al tienten in der Mitte zwischen Unterrand des Rippen-
o' N• Lti ,..: o'
N N N N bogens und Beckenkamm, der Hüftumfang in Höhe
Body-Mass Index Trochantermajor gemessen. Eine WHR > 1.0 beim
Mann bzw. > 0.85 bei der Frau weist auf ein erhöhtes
Abb 15-5. Beziehung zwischen BMI und Sterberisiko bei wei-
ßen Männern und Frauen, die nie geraucht haben, in Abhän- Risiko hin. Neuerdings wird die alleinige Bestim-
gigkeit vom Alter. (Nach Stevens et al. 1998) mung des Taillenumfang (Messung wie oben) favo-

Tabelle 15-4. Klassifikation von Übergewicht bei Erwachsenen nach BMI (WHO 1998)

Gewichtsklasse Adipositasgrad ß~ll (kg/m 2) Risiko von Komorbiditäten

Untergewicht < 18.5 Niedrig

armalgewich t 18.5- 24.9 Durchschnitt

Übergewicht ~ 25

Präadipös 25- 29.9 Leicht erhöht

Adipös (Grad l) 30- 34.9 Mäßig erhöht

Adipös (Grad I! ) 35- 39.9 Deutlich erhöht

Adipös (G rad III ) :::: 40 Sehr stark erhöht


15.6 Alimentäre Adipositas 595

Tabelle 15-5. Grenzwerte des Taillenumfangs mit erhöhtem Risiko für metabolische Komplikationen. (Nach WHO 1998)

Geschlecht Risiko metabolischer Komplikationen

erhöht [cm J deutlich erhöht [cm l

Män ner ;::: 94 ;::: 102

Frauen ;::: 80 ?: 88

risiert. Die Grenzwerte, die mit einem erhöhten Ri- Endokrine Veränderungen bei alimentärer
siko für metabolische Komplikationen verbunden Adipositas
sind und von der WHO übernommen wurden,
sind aus Tabelle 15-5 ersichtlich. Daneben gibt es • Nebennierenrinde
verschiedene Methoden, um die Körperzusammen- Normales Plasmacortisol bei erhaltener zirkadia-
setzung und damit den Körperfettanteil quantitativ ner Rhythmik
zu erfassen. Diese Verfahren weisen unterschiedli- Normales freies Cortisol im Urin (bei 5 o/o leicht
che Vor- und Nachteile auf und werden hauptsäch- erhöht)
lich für wissenschaftliche Untersuchungen einge- Gesteigerte Cortisolproduktion und -clearance
setzt. Eine gewisse praktische Bedeutung hat ledig- • Geschlechtssteroide
lich die Bioimpedanzanalyse erlangt, deren Genau- 17-Ketosteroide im 24-h-Urin leicht erhöht
igkeit aber nicht überschätzt werden darf. Bei Frauen erhöhte freie Androgenaktivität und
erniedrigtes SHBG
Bei der Blutdruckmessung muss auf die Verwendung Bei Männern relativer Androgenmangel
einer breiteren und längeren Manschette geachtet e Pankreas
werden, um falsch hohe Werte zu vermeiden. Hyperinsulinämie aufgrund gesteigerter Insulin-
sekretion und verminderter hepatischer Insulin-
Bei der klinischen Untersuchung ist darüber hinaus clearance
besonders auf folgende Symptome zu achten: • Wachstumshormon
• Pilzinfektionen und andere Hautinfektionen (im Verminderte basale und stimulierte Wachstums-
Inguinalbereich, submammär) hormonsekretion
• Varikosis und Ulcus cruris im Unterschenkelbe-
reich
• Fußdeformitäten
Technische Verfahren
• Acanthosis nigricans (axillär, Nacken und Hals)
Sie dienen ebenfalls dazu, mögliche Begleiterkran-
• Leber- und Herzvergrößerung
kungen und Komorbiditäten zu erkennen, und die
Eignung des Patienten für bestimmte Therapiemaß-
Labordiagnostik nahmen zu überprüfen. Die in Betracht kommenden
Die Laboruntersuchungen dienen vor allem dazu, technischen Untersuchungen sind der Übersicht
um mögliche Komplikationen der Adipositas zu er- "Anamnese und Diagnostik bei adipösen Patienten
kennen. Sie sind für die Festlegung der Behand- vor Therapiebeginn" zu entnehmen.
lungsindikation aber auch für die Beurteilung des
Therapieverlaufs erforderlich. Die wichtigsten La-
borparameter sind in der Übersicht "Anamnese 15.6.8
und Diagnostik bei adipösen Patienten vor Thera- Differentialdiagnose
piebeginn" aufgeführt.
Obwohl die alimentäre Adipositas die bei weitem
• Endokrine Besonderheiten. Im Zusammenhang häufigste Form der Übergewichts darstellt, dürfen
mit der (viszeralen) Adipositas wurden verschiedene differentialdiagnostische Überlegungen nicht außer
endokrine AuffäHigkeiten beschrieben, die nach Acht gelassen werden. Folgende Übersicht gibt einen
heutiger Ansicht eher Folge als Ursache der Adipo- Überblick über die wichtigsten Differentialdiagno-
sitas sind, aber für die Differentialdiagnose von Be- sen.
deutung sind. Dafür spricht insbesondere, dass die
meisten Veränderungen nach Gewichtsreduktion
reversibel sind. Die wesentlichen Befunde sind in
folgender Übersicht dargestellt.
596 KAPITEL 15 Körpergewicht

Differentialdiagnose der Adipositas Schulung


Vor Therapiebeginn sollte der Patient im Rahmen
• Alimentäre Adipositas einer strukturierten Schulung über Ursachen, Risi-
• M. Cushing ken und Behandlung des Übergewichts informiert
e Hypothyreose werden. Die Behandlungsziele müssen vor Beginn
e Wachstumshormonmangel der Therapie festgelegt werden. Da die Erwartungen
e Klinefelter-Syndrom, Ulrich-Turner-Syndrom bei Arzt wie Patient oft unrealistisch hoch sind, muss
e Hypophysäre und hypothalamisehe Tumoren darauf geachtet werden, dass die Ziele erreichbar
e Chromosomale Störungen (Prader-Willi-Syn- sind, um Enttäuschungen zu vermeiden, die dann
drom, Lawrence-Moon-Biedl-Bardet-Syndrom) zum Therapieabbruch führen. Übliche Behand-
• Autosomal-rezessiv vererbte Syndrome (Al- lungsziele sind
strom-Syndrom, Cohen-Syndrom) • Senkung des Körpergewichts um 5-l 0 %
• Benigne symmetrische Lipomatose (Launois- • langfristige Stabilisierung der Gewichtsabnahme
Bensaude-Syndrom) • Besserung oder Beseitigung von begleitenden Ri-
• Medikamentös induziertes Übergewicht (Gluco- sikofaktoren
corticoide, Insulin, Sulfonylharnstoffe) • Besserung der Lebensqualität
e Leptin- oder Leptinrezeptordefekt
Bei Übergewichtigen mit kontinuierlicher Gewichts-
zunahme kann bereits die Verhinderung einer wei-
teren Zunahme als Erfolg angesehen werden.
15.6.9
Therapie
Behandlungskomponenten
Heute stehen im Wesentlichen 5 Behandlungskom-
Indikation
ponenten zur Verfügung, deren Wirksamkeit durch
Angesichts des erheblichen Behandlungsaufwands
kontrollierte klinische Studien gesichert ist. Es han-
und des großen Interesses vieler Menschen, das Kör-
delt sich um
pergewicht primär aus kosmetischen oder anderen
• kalorienreduzierte Ernährung
nichtmedizinischen Gründen zu senken, muss auf
• Verhaltensmodifikation
eine klare Indikationsstellung geachtet werden.
• Steigerung der körperlichen Aktivität
Die Indikation für eine Gewichtsreduktion ist
• gewichtssenkende Medikamente
dann gegeben, wenn
• interventioneile chirurgische Maßnahmen
• der BMI 2:: 30 kg/m2 ist
• der BMI zwischen 25 und 29.9 kg/m 2 liegt
Grundsätzlich sollte immer mit einer Basistherapie,
• und gleichzeitig ein abdominelles Fettvertei-
bestehend aus kalorienreduzierter Ernährung, Ver-
lungsmuster und/oder
haltensmodifikation und Bewegungssteigerung be-
• assoziierte Risikofaktoren (Typ-2-Diabetes, Dys-
gonnen werden. Medikamente als adjuvante Be-
lipidämie, Hypertonie) und/oder
handlungsmaßnahme sollten wegen der begrenzten
• sonstige Krankheiten vorliegen, die sich durch
Erfahrungen nur zurückhaltend eingesetzt werden.
eine Gewichtsabnahme bessern lassen, und/oder
Die chirurgischen Therapieverfahren sollten Men-
• wenn ein hoher psychosozialer Leidensdruck be-
schen mit extremer Adipositas vorbehalten bleiben.
steht.

Wichtige Voraussetzungen für den Behandlungs- Ernährungstherapie


erfolg sind auf Seiten des Patienten eine Es gibt eine Fülle mehr oder weniger geeigneter Er-
• stabile Motivation, nährungsmaßnahmen, um ein Übergewicht zu sen-
• die Bereitschaft, die eigenen Lebensgewohnheiten ken. Diese lassen sich in folgende Kategorien unter-
dauerhaft zu ändern, und teilen:
• eine positive Unterstützung durch das private • mäßige kalorienreduzierte Mischkost
und berufliche Umfeld. • fettreduzierte Kost ("low-fat, carbohydrate ad li-
bitum")
Von Seite des Therapeuten sind fachliche Kompe- • drastisch kalorienreduzierte Kostformen (z. B.
tenz und die Möglichkeit zur Realisierung eines Formula-Diät)
langfristigen Betreuungskonzepts zu fordern. Der • vegetarische Kostformen
Erfolg einer Behandlung hängt entscheidend davon • Kurzzeit-"Diäten"
ab, wie gut die Therapie auf die individuelle Situa-
tion des Patienten abgestimmt ist.
15.6 Alimentäre Adipositas 597

Mäßig kalorienreduzierte Mischkost Alleinige Fettreduktion


Als am sinnvollsten und langfristig erfolgreichsten ("low fat, carbohydrate ad libitum")
wird die mäßig kalorienbegrenzte Kost anges:hen. Eine derzeit häufig empfohlene Kost zur Gewichts-
Prinzipien dieser Kostform sind in folgender Uber- reduktion sieht eine alleinige Begrenzung der Fett-
sicht wiedergegeben. aufnahme auf etwa 60 g täglich vor. Kohlenhydrate
sind dabei "ad libitum" erlaubt, da diese aufgrund
Prinzipien der mäßig kalorienreduzierten ihres Volumens und ihrer guten Sättigungswirkung
Mischkost weniger als Fett eine überkalorische Ernährung er-
lauben (s. Tabelle 15-1). Nach den bisherigen Erfah-
• Zufuhr von 1000-2400 kcal einer selbstausge- rungen ist damit meist nur eine bescheidene Ge-
wählten, gemischten Kost (je nach Alter, Aus- wichtssenkung möglich. Diese Form der Ernäh-
gangsgewicht etc.) rungstherapie eignet sich aber gut zur Prävention
• Optimale Nährstoffrelation zwischen Kohlenhy- der Adipositas sowie zur Stabilisierung eines redu-
draten, Fetten und Protein von ca. 50: 30: 20 (be- zierten Körpergewichts.
zogen auf den Kaloriengehalt) mit einem Min-
desteiweißgehalt von 50 g
Drastisch kalorienbegrenzte Kostformen
• Sehr sparsame und bevorzugte Verwendung ein-
Da viele Patienten möglichst rasch und viel an Ge-
fach und mehrfach ungesättigter statt gesättigter
wicht abnehmen wollen, erfreuen sich drastisch ka-
Fettsäuren (pflanzliche Öle statt tierischer Fette)
lorienreduzierte Ernährungsformen besonderer Be-
e Bevorzugung komplexer Kohlenhydrate und Stei-
liebtheit. Aus medizinischer Sicht gibt es nur wenige
gerung der Ballaststoffaufnahme (30-50 g/Tag)
Indikationen für ein solches Vorgehen wie z. B. ein
• Selbstkontrolle der Nahrungszufuhr durch den
Pickwick-Syndrom, präoperative Gewichtsabnahme
Patienten (z. B. durch Führung eines Ernährungs-
oder massive Adipositas mit Versagen anderer Er-
tagebuchs, geregelte Mahlzeiten etc.)
nährungstherapieformen ("Diätversager"). Eine
drastische Kalorienrestriktion lässt sich am sicher-
sten mit definierten Nährstoffpulvern ("Formula-
Es sollte sich um eine ausgewogene Mischkost
Diäten") auf der Basis von entfettetem Trocken-
handeln, bei der vor allem die Fettzufuhr verringert
milchpulvern realisieren. Formula-Lebensmittel,
und auf 25-30% der Gesamtkalorienmenge be-
die nach der EU-Richtlinie 96/8 zur Verwendung
grenzt werden soll. Die Gesamtkalorienmenge sollte
in sehr energiearmen Diäten zur Gewichtsreduktion
500-1000 kcal unter dem täglichen Energiever-
eingesetzt werden können, müssen einen Tagesbe-
brauch liegen. Dies entspricht je nach Ausgangs-
darf von mindestens 450-800 kcalliefern und dür-
gewicht, Alter und Geschlecht des Patie?ten
fen nur bei Personen mit mittlerer oder schwerer
1000-2400 kcal!Tag. Damit lässt sich über emen
Fettleibigkeit unter ärztlicher Aufsicht verwendet
Zeitraum von 12-24 Wochen eine Gewichtsabnah-
werden. Folgende Nährstoffe müssen enthalten sein
me von 0.5-1 kg pro Woche erreichen. Da parallel
• mindestens 50 g hochwertiges Eiweiß,
dazu der Energieverbrauch zurückgeht, schwächt
• mindestens 50 g Kohlenhydrate,
sich die Gewichtsabnahme ab und stagniert schließ- e 5-15 g Linolsäure und a-Linolensäure
lich auf einem niedrigeren Niveau. Bei der prakti-
• sowie verschiedene Vitamine und Mineralstoffe
schen Umsetzung nimmt die kompetente Ernäh-
in definierten Mengen.
rungsberatung eine Schlüsselrolle ein. Sie sollte
nach Vorgabe des Arztes von einer Ernährungsfach-
Mit dieser drastischen Kalorienbeschränkung lässt
kraft geleistet werden. Die Ernährungsberatung sich eine tägliche Gewichtsabnahme von 200-400 g
sollte die bisherigen Essgewohnheiten berücksichti- pro Tag oder 6-12 kg pro Monat erzielen. Wegen
gen und versuchen, diese einvernehmlich mit dem
der knappen Nährstoffversorgung sollten solche
Patienten zu verändern. Vorgefertigte Tagespläne Kostformen nicht länger als 4 bis maximal 12 Wo-
können zur Orientierung helfen. Tägliches Kalorien- chen eingesetzt werden. Anschließend sollte die Ka-
zählen bzw. Protokollieren der Mahlzeiten ist nicht
lorienmenge so bemessen werden, damit eine G~­
obligat, kann aber im Einzelfall zur besseren Selbst-
wichtsstabilisierung möglich ist. Wegen des Kompb-
kontrolle dienen. Vorteile dieser Ernährungsthera- kationsrisikos sind eine gründliche Voruntersu-
pie sind eine relativ gute Akzeptanz,. d~s F.ehlen chung und eine engmaschige ärztliche Betreuung
von Nebenwirkungen und Kontramd1katwnen unverzichtbar.
und die Möglichkeit, eine solche Kost auch auf
Dauer beizubehalten.
598 KAPITEL 15 Körpergewicht

Kalorienarme Kostform flexible Kontrolle des Essverhaltens. Rigide Kon-


Daneben definiert die EU-Richtlinie 96/8 auch die trollmechanismen und Verbote ("Ich esse nie wieder
Zusammensetzung von Lebensmitteln für kalorien- Pralinen") sind kontraproduktiv, weil sie zwangs-
arme Ernährung zur Gewichtsverringerung. Der läufig zum Misserfolg und damit zur Frustration
Brennwert solcher Erzeugnisse sollte mindestens führen. Das Erlernen eines neuen Essverhaltens
800 und höchstens 1200 kcal pro Tagesration betra- kann durch regelmäßige Gruppensitzungen ver-
gen. Mindestens 25 o/o und höchstens 50 o/o des stärkt werden.
Brennwerts davon sollten auf Proteine entfallen.
Der Brennwert von Fett darf 30 o/o nicht überschrei-
Steigerung der körperlichen Bewegung
ten, es müssen wenigstens 4,5 g Linolsäure enthalten
Die Steigerung der körperlichen Aktivität ist eine
sein. Diese Erzeugnisse müssen außerdem zwischen
wichtige Begleitmaßnahme, die folgende Vorteile
10-30 g Ballaststoffe je Tagesration enthalten. Dane-
aufweist:
ben ist der Vitamin- und Mineralstoffgehalt genau
• Der Energieverbrauch wird durch die zusätzliche
festgelegt. Eine ähnliche Nährstoffversorgung bei
Muskelarbeit gesteigert.
deutlicher Kalorienreduktion lässt sich auch mit üb-
• Nach Beendigung einer körperlichen Arbeit bleibt
lichen Lebensmitteln sicherstellen. Dies erfordert al-
der Energieverbrauch für mehrere Stunden in ge-
lerdings eine sorgfältige Auswahl und Zusammen-
ringem Umfang erhöht.
stellung der Mahlzeiten, um auf längere Sicht Nähr-
• Der diätetisch bedingte Verlust an Muskelmasse
stoffdefizite zu vermeiden.
und der damit verbundene Abfall des Grundum-
satzes wird begrenzt.
Vegetarische Kostformen • Regelmäßige Bewegung schützt vor einer Ge-
Alternative Kostformen wie eine ovo-lacto-vegeta- wichtszunahme und ist für die Rückfallvermei-
bile Ernährung eignen sich durchaus zur Gewichts- dung besonders wertvoll.
reduktion und langfristigen Gewichtskontrolle, sind • Begleitende kardiavaskuläre Risikofaktoren wer-
aber nur für einen kleineren Teil der Patienten ak- den günstig beeinflusst.
zeptabel und im Alltag umsetzbar. • Die höhere körperliche Fitness senkt per se das
kardiavaskuläre Risiko.
Sonstige Kostformen zur Gewichtsreduktion
Grundsätzlich sollten 2 Ansätze zur Bewegungstei-
Die meisten "Außenseiterdiäten" sind ernährungs-
gerung unterschieden werden.
physiologisch unausgewogen und deshalb abzuleh-
• Steigerung der Alltagsaktivität (Treppensteigen
nen. Sie führen bestenfalls zu einer kurzen Gewichts-
statt Aufzug, kleinere Strecken zu Fuß oder mit
abnahme, ihr Scheitern und damit die Aufgabe der
dem Fahrrad zurücklegen anstatt einen Pkw zu
Therapiebemühungen ist vorprogrammiert.
benutzen etc.).
• Zusätzliche körperliche Aktivitäten (z. B.
Von einer "Nulldiät" ist wegen hoher gesundheitli-
Schwimmen, schnelles Gehen etc.).
cher Risiken grundsätzlich abzuraten.
Zu empfehlen sind Bewegungsarten, die möglichst
viele Muskelgruppen beanspruchen und gelenk-
Änderung des Essverhaltens
schonend sind. Bei untrainierten Übergewichtigen
Durch Modifikation des Essverhaltens lässt sich die
darf nur mit kleinen Trainingseinheiten und niedri-
Gewichtsabnahme verbessern und langfristig besser
gen Belastungsstufen unter Kontrolle von Herzfre-
sichern. Voraussetzung dafür ist die Beobachtung
quenz und Blutdruck begonnen werden. Der maxi-
und Analyse des bisherigen Essverhaltens. Dabei
male Puls sollte einen Wert von 180 minus Lebens-
sind die Umstände, die zur Nahrungsaufnahme füh-
alter nicht überschreiten. Durch Steigerung der kör-
ren, von besonderem Interesse. Ziel ist es, eine be-
perlichen Bewegung allein lässt sich meist nur eine
wusste kognitive Kontrolle und langfristige Ände-
bescheidene Gewichtssenkung erzielen. Umso grö-
rung des Essverhaltens zu erreichen. Der überge-
ßer ist ihr Stellenwert in der Prävention des Überge-
wichtige Patient soll dabei lernen, Essstimuli zu kon-
wichts.
trollieren und den Essvorgang von externen
Auslösern abzukoppeln. Wichtig ist weiter, adäquate
Verhaltensmuster in kritischen Situationen wie z. B. Gewichtsreduktionsprogramme
bei Restaurantbesuch oder bei Einladungen einzuü- Es gibt verschiedene, hauptsächlich kommerzielle Ge-
ben. Durch Belohnungs- und Verstärkungselemente wichtsreduktionsprogramme, die Ernährungsthera-
soll das neue Essverhalten stabilisiert werden. Ziel pie, Modifikation des Essverhaltens und Bewegungs-
dieses Verhaltensmanagements ist außerdem die steigerung kombinieren. Diese Programme werden
15.6 Alimentäre Adipositas 599

zumeist in Gruppen durchgeführt. Die meisten in Beide Substanzen haben sich als wirksam erwie-
Deutschland angebotenen Gewichtsreduktionspro- sen, nach initialer Gewichtssenkung den Gewichts-
gramme sind wissenschaftlich nicht evaluiert. erfolg zu stabilisieren. Nach Absetzen kommt es
meist zu einem raschen Wiederanstieg des Körper-
gewichts.
Medikamentöse Therapie
Gewichtssenkende Pharmaka sollten grundsätzlich
• Appetitzügler. Die älteren, über den Neurotrans-
nur als adjuvante Maßnahme zum Basisprogramm
mitter Noradrenalin wirkenden sympathomimeti-
eingesetzt werden. Eine Pharmakatherapie der Adi-
schen Appetitzügler sind wegen ihres Nebenwir-
positas kommt in Betracht, wenn mit konventionel-
kungsprofils und der schnellen Entwicklung einer
len Maßnahmen über einen wenigstens 3-monatigen
Tachyphylaxie sowie ihres Suchtpotentials nicht
Zeitraum keine ausreichende Gewichtssenkung
zu empfehlen.
(< 5% des Ausgangsgewichts, nicht ausreichende
Besserung von Begleitrisikofaktoren) erreicht wur-
de. Fehlende Diätcompliance ist dagegen eine Kon- Chirurgische Verfahren
traindikation. Da nur Erfahrungen über maximal Wenn bei Personen mit morbider Adipositas (BMI
1-2 Jahre vorliegen, sollte der Einsatz zeitlich be- 2: 40 kg/m 2 bzw. BMI 2: 35 kg/m 2 mit schwerwiegen-
grenzt werden. den Komorbiditäten) die konservative Behandlung
Derzeit sind 2 gewichtssenkende Medikamente erfolglos bleibt, können chirurgische Verfahren in
zugelassen, die über unterschiedliche Mechanismen Erwägung gezogen werden. Verschiedene Verfahren
zu einer Negativierung der Energiebilanz führen. zur Magenverkleinerung bzw. Magenumgehung er-
Sibutramin ist ein selektiver Serotonin-und Nor- lauben eine Gewichtssenkung in einer Größenord-
adrenalinwiederaufnahmehemmer, der im Hypo- nung von 20-50 kg. Am häufigsten wird derzeit
thalamus über seine serotoninerge Wirkung zu einer die laparoskopische Anlage eines anpaßbaren Sili-
schnelleren und besseren Sättigung führt und über konbands sowie die sog. vertikale Gastroplastik
den Neurotransmitter Noradrenalin eine zentrale nach Mason praktiziert. Dabei wird jeweils ein Mini-
Sympathikusaktivierung mit Steigerung des peri- magen mit nachgeschalteter Stenose ("Pouch",
pheren Energieverbrauchs bewirkt. Die mittlere Ge- ca. 30-50 ml Volumen) geformt, der nur noch kleine
wichtssenkung liegt nach einjähriger Anwendung in Essensmengen aufnehmen kann (Abb. 15-6). Post-
der Größenordnung von 3-6 kg. die empfohlene operativ ist eine völlige Umstellung der Ernährungs-
Tagesdosis liegt bei 10-15 mg. Hypertonie weise notwendig (gutes Kauen, sehr kleine Essens-
(> 145/90 mmHg) und manifeste koronare Herz- mengen mehrmals täglich, keine flüssigen Kalorien).
krankheit sind Kontraindikationen. Aus diesem Grund und wegen möglicher chirurgi-
Orlistat ist ein Lipasehemmer, der im Intestinal- scher Komplikationen ist eine konsequente interdis-
trakt die Resorption der Nahrungsfette um durch- ziplinäre Nachbetreuung (Chirurg, Internist, Psy-
schnittlich 30% senkt. Je nach Fettaufnahme resul- chologe) erforderlich. Die drastische Gewichtsre-
tiert daraus ein Energiedefizit von 200-600 kcal täg- duktion führt zu einer raschen, eindrucksvollen Bes-
lich. Die mittlere zusätzliche Gewichtssenkung liegt serung aller adipositasbedingten Beschwerden und
zwischen 2 und 4 kg. Die Dosis beträgt üblicherweise Erkrankungen und geht mit einem deutlichen Ge-
120 mg zu jeder Hauptmahlzeit. winn an Lebensqualität einher.

Klammernaht

Marlex -Band --...


Abb.J S-6.
Chirurgische Verfah ren zur
Magenverkleineru ng bei Behand-
lung der extremen Adipositas.
a vertikale Gastroplastik nach
Mason, b Gastroplastik mit
anpassbarem Silikonband.
a b ( ach Husemann 1997)
600 KAPITEL 15 Körpergewicht

Gewichtsstabilisierung und Rückfallprophylaxe zentralen Sympathikusstimulierung kommt es zu


Von einem Therapieerfolg kann dann gesprochen einem leichten transitorischen Blutdruck- und Herz-
werden, wenn ein Gewichtsverlust von mindestens frequenzanstieg (um 2-4 mmHg bzw. 3-5 Schläge/
5% des Ausgangsgewichts für wenigstens 1 Jahr er- min), aber auch zu Übererregtheit und Schlafstörun-
reicht wird. Weitere Kriterien für die Bewertung gen.
des Therapieerfolgs sind die Besserung adipositas-
assoziierter Risikofaktoren, der Lebensqualität so- • Amphetamine. Amphetamine und verwandte
wie des Gesundheitsverhaltens. Das Hauptproblem Substanzen, die über den Neurotransmitter Nor-
der Adipositastherapie ist die Stabilisierung des re- adrenalin wirken, führen häufig zu Tachykardie,
duzierten Körpergewichts und die Verhinderung Blutdruckanstieg, Schwitzen, Schlaflosigkeit und
einer Wiederzunahme. Die Langzeitergebnisse aller Agitiertheit. Es besteht ein Suchtpotential, in sehr
Formen der Adipositastherapie sind mit Ausnahme seltenen Fällen trat eine pulmonale Hypertonie auf.
der chirurgischen Verfahren enttäuschend. Nur etwa
20% aller Teilnehmer gelingt es, ihr Körpergewicht
Chirurgische Verfahren
stabil zu reduzieren. Je drastischer die Therapie-
Bei den verschiedenen chirurgischen Techniken
maßnahmen sind (z. B. Formula-Diät), desto höher
muss bei 5-10 o/o der Patienten mit frühen postope-
scheint die Misserfolgsrate zu sein. Um den Ge-
rativen Komplikationen, meist Wundinfekten, sel-
wichtserfolg langfristig zu verbessern, haben sich
ten ( < 0,5 %) Thrombembolien, gerechnet werden.
folgende Komponenten als wirksam erwiesen
An langfristigen Komplikationen können Reflux-
• fettarme Kost,
ösophagitis, Stenosen, Nahtdehiszenzen, Fisteln auf-
• regelmäßige körperliche Bewegung,
treten. Missachten die Patienten die Ernährungs-
• regelmäßiger Kontakt zum Therapeuten,
empfehlungen kommt es zu Übelkeit, Völlegefühl
• Einbeziehung der Familie bzw. des sozialen Um-
und Erbrechen. Nimmt ein Patient seine Kalorien
felds in das Behandlungskonzept,
hauptsächlich über Getränke und breiige Kost auf,
• Einbindung in Selbsthilfegruppen.
kann eine Gewichtsabnahme ausbleiben.

15.6.10 15.7
Nebenwirkungen Hormonell bedingtes Übergewicht
Drastisch kalorienreduzierte Ernährung 15.7.1
Im Gegensatz zu mäßig kalorienbegrenzten Kostfor- Fallpräsentation
men sind bei drastisch kalorienreduzierter Ernäh-
rung Nebenwirkungen wie Schwindel infolge des
Blutdruckabfalls, Hungergefühl, Nervosität, Lei- Eine 42 -jährige Frau berichtete über eine Ge-
stungsschwäche, Kältegefühl, Verstopfung, Haar- wichtszunahme von 18 kg innerhalb eines Jah-
ausfall häufig. Bei Menschen mit Vorerkrankungen re . Nach ihren Angaben war sie zuvor immer
können auch gefährlichere Komplikationen wie schlank. Das Treppensteigen fiel ihr zunehmend
Herzrhythmusstörungen infolge Kaliummangels chwer und sie bekam schon bei kleinsten An-
und Proteinverlusts, Nierenversagen bei unzurei- lä en blaue Flecken. Klini eh zeigten sich typi-
chender Flüssigkeitszufuhr und Ketoazidose auftre- sche Striae distensae rubrae im Oberschenkelbe-
ten. reich. Die Patientin war deutlich übergewichtig
(BMI 32,2 kglm 2 ) mit stammbetonter Körper-
fettverteilung. Sie hatte ein Vollmondgesicht,
Gewichtssenkende Medikamente eine Rubeosis faciei und multiple kleine Häma-
• Orlistat. Unter Orlistat werden häufig gastrointe- tome im Unterarm- und Handbereich. Die Pa-
stinale Nebenwirkungen beobachtet. Vor allem nach tientin konnte nicht ohne Hilfe aus der Hocke
fettreichen Mahlzeiten kommt es zu Steatorrhö, Fla- aufstehen. Der Blutdruck betrug 170/95 mmHg.
tulenz und erhöhter Stuhlfrequenz bis hin zu Diar- Laborchemisch fand sich eine leichte Hypokali-
rhö (60-70 %). In Einzelfällen wurde ein Abfall der ämie (3.3 mmol/1) sowie eine Erhöhung der
Serumkonzentrationen fettlöslicher Vitamine beob- Nüchterblutglukose auf 138 mg!dl. Da Corti-
achtet, der eine Substitution erforderlich machte. soltagesprofll war aufgehoben, die Cortisolaus-
cheidung im 24-h-Urin erhöht, das Serumcor-
• Sibutramin. Das zentral wirksame Sibutramin tisol ließ sich durch 2 mg Dexamethason nicht
verursacht bei bis zu 20% der Anwender Symptome supprimieren. Der morgendliche ACTH-Spiegel
wie Mundtrockenheit und Obstipation. Infolge der
15.7 Hormonell bedingtes Übergewicht 601

Hypothyreose
lag unter der Nachweisgrenze. Im Abdomen-CT Da Schilddrüsenhormone eine wichtige Rolle im
konnte rechtsseitig ein 1,5 cm im Durchmesser Energiehaushalt spielen, ist nahe liegend, dass
großer Nebennierenprozess nachgewiesen wer- eine Unterfunktion über eine Verminderung des
den. Nach laborchemischer Sicherung des Hy- Energieverbrauchs eine Gewichtszunahme verursa-
percortisolismus und Hypertonieeinstellung chen kann. Querschnittuntersuchungen bei Adipö-
wurde der Nebennierentumor in minimal inva- sen fanden nur bei ca. 5% Hinweise für eine subkli-
siver Operationstechnik entfernt. Histologisch
nische Hypothyreose. Eine Hypothyreose als Haupt-
handelte es sich um ein Adenom. Postoperativ ursache von Übergewicht ist deutlich seltener. Die
bestand mehrere Monate lang eine sekundäre überwiegende Mehrzahl der Adipösen hat eine nor-
Nebennierenrindeninsuffizienz mit Substituti- male Schilddrüsenfunktion.
onspflichtigkeit für Hydrocortison. Nach Wie-
dereinsetzen der kontralateralen Nebennieren-
funktion konnte die Hydrocortisongabe abge- Wachstumshormonmangel
Wachstumshormon ist ein wichtiger Regulator der
setzt werden. Die Patientin erreichte innerhalb
eines Jahres ohne weitere Therapiemaßnahmen Körpermasse. Bei Kindern mit Wachstumshormon-
ihr altes Körpergewicht wieder. Blutdruck und mangel fällt neben einem Kleinwuchs eine deutliche
Blutglukose normalisierten sich ohne Medika- Vermehrung des Körperfetts mit Betonung des Kör-
mente. perstamms auf. Es handelt sich dabei um eine Fett-
zellhypertrophie besonders im viszeralen Fettgewe-
be, die unter einer Therapie mit Wachstumshormon
innerhalb weniger Monate reversibel ist. Unter
15.7.2 Wachstumshormongabe nimmt gleichzeitig die ma-
Epidemiologie gere Körpermasse, d. h. im Wesentlichen die Mus-
kulatur, und damit der Energieverbrauch geringgra-
Primär endokrine Ursachen der Adipositas sind sel- dig ZU.
ten und können zusammen weniger als 2% aller
Fälle von Übergewicht erklären. M. Klinefelter
Klinische Beobachtungen legen nahe, dass der dem
Klinefelter-Syndrom zugrunde liegende Testoste-
15.7.3 ronmangel die Entstehung einer abdominellen Adi-
Pathogenese positas begünstigt. Klinische Studien zeigen auch,
dass die Gabe von Androgenen bei adipösen Män-
Es gibt nur wenige klinisch relevante, endokrine Ur- nern die Körperfettmasse reduziert und zwar vor-
sachen der Adipositas. Im Wesentlichen handelt es zugsweise in den viszeralen Depots. Testosteron
sich dabei um in der folgenden Übersicht wiederge- scheint in Fettzellen zumindest einen permissiven
gebenen Störungen. Effekt auf die Lipolyse zu haben.

Mögliche endokrine Ursachen für Adipositas


Polyzystisches-Ovarien-(PCO)-Syndrom
Beim PCO-Syndrom findet sich häufig eine Adipo-
• M. Cushing
sitas. Es ist aber unklar, inwieweit das Übergewicht
• Hypothyreose
Ursache oder Folge der Hyperandrogenämie bzw.
• Klinefelter-Syndrom
Hyperinsulinämie ist. Eine chronische Hyperinsuli-
• Wachstumshormonmangel
nämie könnte durchaus eine Gewichtszunahme be-
• Polyzystische Ovarien (PCO)
günstigen.

Glucocorticoide
Ein Glucocorticoidexzess führt über die Induktion 15.7.4
der Lipoproteinlipase und einer gesteigerten Fett- Klinik
zellneubildung zu einer bevorzugten Triglyzeridein-
lagerung in den viszeralen Fettdepots, da dort deut- Symptome und Beschwerden
lich mehr Glucocorticoidrezeptoren als im subkuta- Die Symptome und Beschwerden adipöser Patienten
nen Fettgewebe exprimiert werden. Über zentrale mit einer der genannten endokrinen Erkrankungen
Rückkoppelungsmechanismen können Glucocorti- werden durch die Grundkrankheit bestimmt. Unab-
coide möglicherweise auch Nahrungsaufnahme hängig von der Genese ist auf übergewichtsbedingte
und Energieverbrauch beeinflussen. Symptome und Beschwerden zu achten (s. Übersicht).
602 KAPITEL 15 Körpergewicht

15.7.5 15.7.6
Diagnostik Differentialdiagnose

Anamnese Zwischen abdomineller Adipositas und M. Cushing


Die Gewichtsanamnese gibt keinen Aufschluss über gibt es viele klinische Gemeinsamkeiten wie Insulin-
den Schweregrad der zugrunde liegenden endokri- resistenz, gestörte Glukosetoleranz, Hypertonie,
nen Erkrankung. Die Gewichtszunahme entwickelt Dyslipoproteinämie, abdominelles Fettverteilungs-
sich parallel oder etwas verzögert zu den anderen muster und Striae, sodass die Differentialdiagnose
klinischen Beschwerden und ist in der überwiegen- Schwierigkeiten bereiten kann.
den Mehrzahl relativ gering. In der Regelliegen zu-
sätzliche klinische Hinweise vor, die an eine endo-
krinalogische Krankheit denken lassen. 15.7.7
Therapie
Körperliche Untersuchung Bei einem hormonell bedingten Übergewicht steht
Auch hier stehen die klinischen Befunde der endo- die möglichst kurative Behandlung der Grund-
krinalogischen Grunderkrankung im Vordergrund, krankheit ganz im Vordergrund. Dies bedeutet bei
das Übergewicht ist lediglich ein einzelnes Sym- M. Cushing in der Regel ein chirurgisches Vorgehen,
ptom. Bei allen genannten Hormonstörungen findet bei Hypothyreose eine Schilddrüsenhormonsubsti-
sich charakteristischerweise eine stammbetonte tution, bei Testosteron- und Wachstumshormon-
Fettverteilung, beim Glucocorticoidüberschuss mangel ebenfalls den Ersatz der fehlenden Hor-
kommt die typische Fettgewebsvermehrung im Ge- mone. Beim PCO-Syndrom kommen in erster Linie
sicht und im Nacken hinzu. konservative Behandlungsansätze in Betracht. Bei
deutlicher Insulinresistenz mit Ovulationsstörungen
Labordiagnostik kann die Gabe von Metformin versucht werden. Eine
• M. Cushing. Patienten mit M. Cushing werden Gewichtsabnahme führt beim PCO-Syndrom meist
nach dem in Abschn. 3.7 beschriebenen diagnosti- zur Besserung der endokrinen Störungen.
schem Prozedere erkannt. Bei Personen mit alimen-
tärer Adipositas ist der Kurzhemmtest mit 2 mg De-
xamethason normal. Bei den restlichen 10% liegt Literatur
keine ausreichende Suppression vor, sodass der
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KAPITEL 16

Glukose 16
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M. HOFMANN, B. ISERMANN, T. KASSESSINOFF, M. s. KLEVESATH, G. KLÖPPEL, M. MORCOS,
P. P. NAWROTH, R. RIEDASCH, P. RÖSEN, s. SCHIEKOFER, P. WAHL, T. WEISS

16.1 Physiologie 606 16.5.8 Therapie 663


P. RösEN 16.5.9 Schulung 669
16.1.1 Adaptation des Glukosestoffwechsels an den Energie- 16.5.10 Therapiekontrollen 670
verbrauch und die Substratbereitstellung 606 16.5.11 Notfall 671
16.1.2 Insulin: Struktur und Synthese 608 16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte
16.1.3 Die ß-Zelle 609 der P-Zellfunktion 673
16.1.4 Insulinrezeptorsignalkaskade 611 K. DuGI, T. KASSESSINOFF, P. P. NAWROTH
16.1.5 Glukagon als Gegenspieler des Insulin 613
16.6.1 Fallpräsentation 673
16.2 Pathophysiologie diabetiseher Spätschäden 614 16.6.2 Epidemiologie 674
A. BIERHAUS, P. P. NAWROTH 16.6.3 Pathogenese 675
16.6.4 Klinik 684
16.2.1 Oxidativer Stress 614
16.6.5 Diagnostik 684
16.2.2 "Advanced glycation endproducts" (AGEs) 618
16.6.6 Differentialdiagnose 688
16.2.3 Aktivierung des Polyolstoffwechselweges 622
16.6.7 Therapie 688
16.2.4 Aktivierung der Proteinkinase C 623
16.6.8 Notfall 696
16.2.5 Tumor-Nekrose-Faktor a (TNF-a) 624
16.7 Diabetes und Schwangerschaft 698
Hypoglykämie 624
M. S. KLEVESATH, S. SCHIEKOFER, P. P. NAWROTH
16.3 lnsulinom 624 16.7.1 Fallpräsentation 698
B. lSERMANN, M. BRADO, A. VON HERBAY,
16.7.2 Epidemiologie 699
P. P. NAWROTH 16.7.3 Pathogenese 699
16.3.1 Fallpräsentation 624 16.7.4 Klinik 699
16.3.2 Epidemiologie 625 16.7.5 Diagnostik 700
16.3.3 Pathogenese 625 16.7.6 Therapie (Studien) 701
16.3.4 Klinik 632 16.7.7 Therapiekontrolle und -durchführung 701
16.3.5 Diagnostik 633 16.7.8 Nebenwirkungen 704
16.3.6 Differentialdiagnostik 638 16.7.9 Notfall 704
16.3.7 Therapie 639
16.8 Gestationsdiabetes 704
16.4 Andere Formen der Hypoglykämie 643 M. S. KLEVESATH, S. SCHIEKOFER, P. P. NAWROTH
B. lSERMANN, M. BRADO, A. VON HERBAY, 16.8.1 Fallpräsentation 704
P. P. NAWROTH 16.8.2 Epidemiologie 704
16.4.1 Andere Formen der Pankreaserkrankungen 644 16.8.3 Pathogenese 705
16.4.2 Reaktive Späthypoglykämien als Vorstadium 16.8.4 Klinik 705
des Typ-2-Diabetes mellitus, "prämetabolisches 16.8.5 Diagnostik 705
Syndrom" 645 16.8.6 Therapie 706
16.4.3 Hypoglycaemia factitia 645 16.8.7 Therapiekontrollen 706
16.4.4 Autoimmunhypoglykämien 646 16.8.8 Nebenwirkungen und Komplikationen 707
16.4.5 Tumorhypoglykämien 646
16.4.6 Endokrinalogische Erkrankungen 648 16.9 Iatrogene Hypoglykämien 707
B. ISERMANN, M. S. KLEVESATH, P. P. NAWROTH
16.4.7 Hypoglykämien bei schweren Erkrankungen 648
16.4.8 Medikamenten-induzierte Hypoglykämien 650 16.9.1 Fallpräsentation 707
16.4.9 Postprandiale Frühhypoglykämien (Spät-Dumping) 16.9.2 Epidemiologie 707
und Früh-Dumping-Syndrom 651 16.9.3 Pathogenese 708
16.4.10 Idiopathisches postprandiales Syndrom (IPPS) 652 16.9.4 Klinik 712
16.9.5 Diagnostik 713
Hyperglykämie 653 16.9.6 Differentialdiagnose 713
16.5 Typ-I-Diabetes mellitus 653 16.9.7 Therapie 714
A. CLEMENS, P. WAHL, G. KLÖPPEL, 16.9.8 Notfall 715
P. P. NAWROTH
Diabelische Spätschäden 716
16.5.1 Fallpräsentation 653
16.10 Diabetes und koronare Herzkrankheit 716
16.5.2 Definition 653 B. ISERMANN, S. SCHIEKOFER, M. HAASS,
16.5.3 Epidemiologie 653
P. P. NAWROTH
16.5.4 Pathogenese 654
16.5.5 Klinik 657 16.10.1 Fallpräsentation 716
16.5.6 Diagnostik 659 16.10.2 Epidemiologie 717
16.5.7 Differentialdiagnose 662 16.10.3 Pathogenese 718
606 KAPITEL 16 Glukose

16.10.4 Klinik 719 16.17 Erektile Dysfunktionen bei Diabetikern 783


16.10.5 Diagnostik 721 $. SCHIEKOFER, R. RIEDASCH, B. !SERMANN,
16.10.6 Differentialdiagnose 722 P. P. NAWROTH
16.10.7 Therapie 722 16.17.1 Fallpräsentation 783
16.10.8 Therapiekontrollen 726 16.17.2 Epidemiologie 783
16.10.9 Notfall 726 16.17.3 Pathogenese 784
16.11 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) 16.17.4 Klinik 785
bei Diabetes mellitus 727 16.17.5 Diagnostik 785
S. SCHIEKOFER, T. WEISS, M. S. KLEVESATH, 16.17.6 Differentialdiagnose 786
P. P. NAWROTH 16.17.7 Therapie 786
16.11.1 Fallpräsentation 727 Literatur 790
16.11.2 Epidemiologie 728
16.11.3 Pathogenese 728
16.11.4 Klinik 729
16.11.5 Diagnostik 730
16.11.6 Differentialdiagnose 732 16.1
16.11.7 Therapie 732
Physiologie
16.12 Diabelische Retinopathie 738
H.-P. HAMMES P. RöSEN
16.12.1 Fallpräsentation 738
16.12.2 Epidemiologie 738 16.1.1
16.12.3 Pathogenese 739
16.12.4 Klinik 740 Adaptation des Glukosestoffwechsels
16.12.5 Diagnostik 741 an den Energieverbrauch
16.12.6 Differentialdiagnose 743 und die Substratbereitstellung
16.12.7 Therapie 743
16.12.8 Therapiekontrolle 745
Die Regulation des Energiestoffwechsels ist ein kom-
16.13 Diabelische Nephropathie 745
M. MORCOS, P. P. NAWROTH plexes Wechselspiel zwischen Hormonen, exogenen
16.13.1 Fallpräsentation 745
Nährstoffen und dem Austausch von Substraten mit
16.13.2 Definition 746 dem Ziel, eine konstante und ausreichende Versor-
16.13.3 Epidemiologie 746 gung aller Organe des Körpers sicherzustellen. Insu-
16.13.4 Pathogenese 747
16.13.5 Klinik 749 lin steuert sowohl in der Resorptions- wie in der
16.13.6 Diagnostik 751 Postresorptionsphase als Schlüsselhormon den Aus-
16.13.7 Differentialdiagnose 753 tausch und die Verteilung von Substraten. Gluka-
16.13.8 Therapie 753
16.13.9 Therapiekontrollen 758 gon, Cortisol, Katecholamine und das Wachstums-
16.13.10 Notfall 759 hormon spielen eine wesentliche Rolle für den Ener-
16.14 Diabetische Neuropathie 759 giestoffwechsel in Zeiten eines akuten Glukosebe-
M. HoFMANN, P. P. NAWROTH darfs wie er bei Arbeitsbelastung, im Stress oder
16.14.1 Fallpräsentation 759 als Reaktion auf eine Hypoglykämie vorkommt.
16.14.2 Epidemiologie 759 Wichtigste Organe für die Aufrechterhaltung der
16.14.3 Pathogenese 760
16.14.4 Klinik 762 Energiehomöostase sind die Leber und die Niere
16.14.5 Diagnostik 764 aufgrund ihrer besonderen Fähigkeit, Glukose zu
16.14.6 Differentialdiagnose 766 produzieren; das Gehirn, da es von Glukose als sei-
16.14.7 Therapie 767
nem wesentlichen Energiesubstrat abhängig ist; die
16.15 Diabetisches Fußsyndrom 768 Muskulatur und das Fettgewebe aufgrund ihrer Fä-
M. HOFMANN, P. P. NAWROTH
higkeit, auf Insulin zu reagieren und Glukose m
16.15.1 Fallpräsentation 768
16.15.2 Epidemiologie 769 Form von Glykogen und Fett zu speichern.
16.15.3 Pathogenese 770
16.15.4 Klinik 772
16.15.5 Diagnostik 773 Glykogen als Speicherform von Glukose
16.15.6 Differentialdiagnose 775 Glykogen stellt die wichtigste Speicherform für Koh-
16.15.7 Therapie 776
16.15.8 Notfall 778 lenhydrate dar. Es ist ein Makromolekül, dessen
Äste über a-1,4- oder a-1,6-Bindungen miteinander
16.16 "Hypoglycemia unawareness" 778
M. S. KLEVESATH, B. ISERMANN, verknüpft sind und das ein Molekulargewicht von
P. P. NAWROTH 109-lOu aufweist. Glykogen ist sehr hydrophil und
16.16.1 Fallpräsentation 778 speichert 1-2 g Wasser pro Gramm Glykogen. Daher
16.16.2 Epidemiologie 779 ist die Energiespeicherung in Form von Glykogen re-
16.16.3 Pathogenese 780
16.16.4 Klinik 781 lativ ineft1zient und ergibt lediglich 1-2 cal!g hydra-
16.16.5 Diagnostik 781 tisiertes Glykogen und nicht den theoretischen Wert
16.16.6 Therapie 781 von 4 cal/g.
16.1 Physiologie 607

Drei Mechanismen tragen entscheidend zur Auf- die Aufnahme von Glukose durch die Muskulatur
rechterhaltungder Normoglykämie nach Kohlenhy- und das Fettgewebe wesentlich zur Glukosehomöo-
drataufnahme bei. stase bei. Diese ist von der Insulinkonzentration im
• Die Regulation der hepatischen Glukoseproduk- Plasma abhängig und weniger vom Ausmaß der Hy-
tion (Glukoneogenese), perglykämie selbst. Insulin stimuliert die Transloka-
• die Regulation der hepatischen Glukoseaufnahme tion von Glukosetransportern (Glut4 und mögli-
(Glykogensynthese ), cherweise auch Glutl) in die Plasmamembran und
• die Regulation der Glukoseaufnahme durch peri- steigert dadurch die Aufnahme von Glukose durch
phere Gewebe, insbesondere den Skelettmuskel Muskel und Fettgewebe. Zusätzlich beeinflusst Insu-
und das Fettgewebe. lin den Glukosestoffwechsel durch die Aktivierung
der Glykogensynthase, sodass mehr Glukose als Gly-
Insulin ist das primäre Signal, das die Speicherung kogen gespeichert wird, und durch die Stimulation
und den Stoffwechsel von Glukose steuert und damit der Pyruvatdehydrogenase, sodass die Oxidation
zur Senkung der Glukosekonzentration im Blut von Glukose um ein Mehrfaches ansteigt. Je mehr
führt. Obwohl Glukose den dominanten Mediator Glukose resorbiert wird, desto größer ist die Auf-
für die Insulinsekretion darstellt, ist diese Ausdruck nahme von Glukose durch Leber, Muskel und Fett-
einer komplexen Koordination vielfältiger Effekto- gewebe, während das Gehirn Glukose mit nahezu
ren. Dies wird deutlich, wenn die Insulinantworten konstanter Geschwindigkeit aufnimmt und umsetzt.
auf identischen Mengen an Glukose nach intravenö-
ser und oraler Applikation verglichen werden. Oral
verabreichte Glukose verursacht eine wesentlich hö- Aufrechterhaltung der Normoglykämie
here Insulinfreisetzung als eine vergleichbare Glykä- bei Kohlenhydratmangel
mie nach intravenöser Applikation. Die Ursache Der Abfall des Plasmainsulins führt zu einer deutli-
hierfür sind die Freisetzung von gastrointestinalen chen Verminderung der Glukoseaufnahme durch
Mediatoren (Inkretinen) und Signale des zentralen die peripheren insulinsensitiven Gewebe (Muskula-
Nervensystems (parasympathische Innervation der tur und Fettgewebe) und zu einem erhöhten Anteil
ß-Zelle), die die Insulinsekretion modulieren. Der an Fettsäuren am gesamten EnergiestoffwechseL
Anstieg des Insulins und der Glukosekonzentration Trotzdem verbraucht ein Erwachsener im Durch-
in der Pfortader hemmen zusammen mit einer Ver- schnitt weiterhin Glukose mit einer nahezu konstan-
minderung des Glukagonspiegels die hepatische ten Umsatzgeschwindigkeit von 7-10 g/h. Die Spei-
Glukoseproduktion, sodass Glukose netto durch cher aus freier Glukose, die sich hauptsächlich im
die Leber aufgenommen wird. Nach Resorption Extrazellulärraum befinden, sind sehr begrenzt
einer Mahlzeit und Abfall der Plasmaglukose auf Ba- (15-20 g) und decken den Bedarf an Glukose für
salwerte nimmt die Leber die Glukoseproduktion längstens 2-3 h. Das bedeutet, dass für die Aufrecht-
wieder auf, um die Normoglykämie sicherzustellen. erhaltung der Glukosekonzentration im Blut Glu-
Da somit durch Insulin nicht nur die hepatische Glu- kose in ausreichender Menge produziert werden
koseproduktion supprimiert wird, sondern die Le- muss. Die Leber beginnt 4-5 h nach Nahrungsauf-
ber Glukose auch aufnehmen kann, ist der Beitrag nahme, die Glykogenspeicher zu mobilisieren und
der Leber zur postprandialen Glukosehomöostase Glukose an die Strombahn abzugeben. Diese Um-
ganz wesentlich und von ähnlicher Größenordnung stellung wird wesentlich von den reduzierten Plas-
wie der des Skelettmuskels. Neben der Leber trägt mainsulinspiegeln im Pfortaderkreislauf getragen

Insulin r Glykogen
Glykogen
Glukagon
Glukose

KH - - + Glukose
A~
L r-
-I_ ":Hst
C0 2 Proteine - - C0 2

AcCoA

TG - - + CbyloM _. FsCoA
7 TG TGs ---+ Glyzero{
+ FFS
Ketonkörper

c=;
C02
L _ _. co2 Abb. 16-1.
a Allgemeiner Substratfluss in der Resorptionsphase,
Hst b Postresorptionsphase. Prot Proteine, TG Triglyzeride,
Prot - - + AS - - -...1....-- Protein KH Kohlenhydrate, Hst Harnstoff, AS Aminosäure, ChyloM
a b Chylomikronen. (Mod. nach Jungermann u. Möhler 1980)
608 KAPITEL 16 Glukose

und durch einen Anstieg an Glukagon weiter ver-


16.1.2
stärkt. Nur die Leber und die Niere enthalten signi-
Insulin: Struktur und Synthese
fikante Aktivitäten an Glukose-6-Phosphatase und
sind somit in der Lage, Glukose, die aus der Mobi-
Die Entdeckung des Insulins im Jahre 1921 eröffnete
lisierung von Glykogen und aus der Glukoneogenese
eine neue Ära in der Diabetestherapie, aber auch im
stammt, in die Zirkulation abzugeben. Die Musku-
Verständnis der Physiologie und Pathophysiologie
latur, die 25-30 % der gesamten Körpermasse aus-
der Glukosehomöostase. Insulin ist ein kleines glo-
macht und bis zu 300 g Glykogen speichern kann,
buläres Protein (Molekulargewicht 5800 d), das aus
besitzt dieses Enzym nicht und kann somit nicht
2 Peptidketten, der a- und ß-Kette, besteht, die
auf direktem Wege zur Aufrechterhaltung der Glu-
durch 2 Disulfidbrücken miteinander verknüpft
kosehomöostase beitragen. Auf Grund des nahezu
sind. Es wird durch die ß-Zellen der Langerhans-In-
konstanten Glukoseumsatzes sind die hepatischen
seln sezerniert und wirkt über die Bindung an spe-
Glykogenreserven aber innerhalb weniger Stunden
zifische Rezeptoren auf der Plasmamembran der
erschöpft, sodass die Glukoneogenese die gesamte
Zielzellen.
Glukoseproduktion übernehmen muss. Dies wird
In Abb. 16-2 sind die wichtigsten Schritte der Bio-
möglich durch eine Beschleunigung des proteo-
synthese des Insulins schematisch vereinfacht zu-
lytischen Abbaus von Proteinen und die vermehrte
sammengefasst.
Umsetzung von glukoplastischen Aminosäuren
(Abb. 16-1a). Bei ausdauerndem Fasten tritt ein wei-
terer Wechsel im Stoffwechsel ein. Es werden in ver- Regulation
mehrtem Ausmaß Fette für die Ketogenese genützt Der Metabolismus von Glukose ist essenziell, um
und das Gehirn stellt seinen Energiestoffwechsel einen sekretorischen Reiz auszulösen, nicht metabo-
mehr und mehr auf die Verwendung von Ketonkör- lisierbare Glukosederivate sind biologisch inert. Es
pern (ß-Hydroxybutyrat und Acetoacetat) an Stelle wird derzeit angenommen, dass die Glukokinase
von Glukose ein. Die Bildung von Glukose über die den Glukosesensor der ß-Zelle darstellt und die
Glukoneogenese aus Aminosäuren und Protein tritt Konzentrationsabhängigkeit und Spezifität der In-
demgegenüber in den Hintergrund (Abb. 16-1b). sulinsekretion für Glukose vermittelt.

10-15
Präproinsulin-Synthese RER
min Proinsulin
I
energieabhängiger
30-40
Transfer
min Golgi
~ Prohormon und
konvertierende Enzyme

2-4
I Klathrinmantel 20 - 40

Std
+ min
Insulinkristall

1
C-Peptid

1-2 Tage
Reife Granula
l
Plasma-
~ membran

Abb. 16-2. Synthese von Insulin durch B-Zelle. Präproinsulin haltigen Granula des Golgi-Apparates (trans) überführt, wo es
wird im rauen endoplasmatischen Retikulum synthetisiert. zum reifen Insulin prozessiert wird. Die reifen Granula enthal-
Nach Abspaltung des Signalpeptids wird das entstandene Pro- ten fast ausschließlich Insulin, häufig als kristalline Zinkkom-
insulin in die Kavernen des endoplasmatischen Retikulum plexe. Die Exozytose des Insulins wird durch Glukose und an-
transloziert, wo es sich faltet und die nativen Disulfidbindun- dere vielfältige Reize gesteuert. C-Peptid und Insulin werden
gen ausbildet. Nach Transport in den Golgi-Apparat in einem in äquimolaren Konzentrationen in die Blutbahn freigesetzt.
energieabhängigen Schritt wird das Proinsulin in die klathrin- (Mod. nach Docherty u. Steiner 1997)
16.1 Physiologie 609

Hormone zunächst das exokrine Pankreas und die


Glukose greift auf 3 Ebenen regulierend in die In-
sulin-Biosynthese ein: Leber. Da die Leber bereits einen großen Teil des
• 1. Glukose steigert die Transkription des Insulin-freigesetzten Insulins abbaut, ist die Konzentration
gens. an Insulin im peripheren Blut niedriger als in der
• 2. Glukose erhöht die Stabilität der Insulin- Pfortader. Die verschiedenen sekretorischen Zellen
mRNA. innerhalb der Langerhans-Inseln bilden ein dichtes
• 3. Glukose stimuliert die Translation der lnsulin-Netzwerk mit einem gemeinsamen, engen Extrazel-
mRNA. lularraum, der die Diffusion der freigesetzten Hor-
mone zu den benachbarten Zellen und damit eine
parakrine Regulation zwischen den die Langer-
16.1.3 hans- Inseln bildenden sekretorischen Zellen er-
Die ~-Zelle laubt. Zusätzlich ist eine Koordination zwischen
den endokrinen Zellen durch "gap junctions" mög-
Insulin wird in der ß-Zelle des Pankreas gebildet. lich. Die Langerhans-Inseln werden von sympathi-
Die Freisetzung und Synthese wird durch Verände- schen und parasympathischen Nervenfasern inner-
rungen des Blutzuckerspiegels reguliert (Übersicht viert, die die Freisetzung von Insulin modulieren.
bei Docherty u. Steiner 1997). Bei der Regulation der Insulinfreisetzung durch
Die ß-Zellen befinden sich in den Langerhans- die ß-Zelle lassen sich 4 Phasen unterscheiden
lnseln. Diese bilden diskrete Cluster endokriner (Abb. 16-3 und 16-4).
Zellen, die sich über das gesamte Pankreas ver- • 1. die Aufnahme und Verstoffwechselung von
teilen und einen Durchmesser von 50-300 11m ha- Glukose,
ben. Die Anzahl der Langerhans-Inseln beträgt • 2. die Veränderung von Ionenströmen und der
ca. 100.000-2,5 Mio pro Pankreas, wobei jede dieser elektrischen Aktivität der ß-Zelle,
Inseln aus mehreren tausend hormonsezernieren- • 3. die Freisetzung und Modulation der intrazellu-
den endokrinen Zellen besteht. ß-Zellen machen lären Kalziumkonzentration und
etwa 70-90 % der Gesamtzahl der endokrinen Zellen • 4. die Geschwindigkeit der Exozytose.
des Pankreas aus. Einen im Vergleich zu den ß-Zel- Glukose wird durch einen spezifischen Glukose-
len geringen Anteil nehmen die glukagonsezernie- transporter (Glut2) mit hoher Kapazität, aber
renden a-Zellen ein. O-Zellen (Somatostatin) und niedriger Affinität in die Zelle aufgenommen
F-Zellen (PP) machen nur wenige Prozent der Ge- und dort durch die inselspezifische Glukokinase
samtzahl der endokrinen Zellen der Langerhans-In- (hohe Kapazität, niedrige Affinität für Glukose)
seln aus. Auf Grund der anatomischen Lage errei- phosphoryliert und in die Glykolyse einge-
chen die durch die Langerhans-Inseln freigesetzten schleust. Mutationen im Bereich des Glukoseki-

Regulation von freiem Kalzium Regulation der


Ex_o;ytose
Muskarinischer R

Elektrische

ATP-
abhängige~
K-Kanal
Sekretorische Granula
Membran-
Exozytose
potential 111 Insulin

L-Typ
Ca-Kanäle

cAMP-System

Abb.I6-3.
, Galamn Regulatorische Komplexe,
Somatostatin die für die Regulation der
Freisetzung von Insulin von
Bedeutung sind. R Rezeptor,
Ca-Pumpe PI-PDE Phosphoinositid-
Phosphodiesterase, PKA
Proteinkinase A (Mod. nach
Cook u. Tabo rsky 1997)
610 KAPITEL 16 Glukose

Regulation von freiem Kalzium Regulation der Exozytose


Gluko. e
Acetylcholin

Kalium-
Kanal
ulfonyl·
hamstofTe

Abb.16-4.
Regulation des intrazellulären
Kalziums und der Exozytose
von Insulin. PIP2 Phosphoi-
nositoldiphosphat, IP3 Inosi-
toltriphosphat, cAMP zykli-
sches Adenosinmonophos-
phat, DAG Diazylglyzerol,
PKC Proteinkinase C, PKA
Proteinkinase A, Depol De-
polarisation. (Mod. nach
Cook u. Taborsky 1997)

nasegens sind Ursache für eine spezifische Form moduliert die Insulinfreisetzung über einen bis-
des MODY ("maturity onset diabetes of the her ungeklärten Mechanismus.
youth"). Die als Folge des beschleunigten Umsat-
zes von Glukose ansteigende ATP-Konzentration Die Freisetzung von Insulin wird gehemmt durch:
führt zur Schließung der ATP-abhängigen Ka- • az-adrenerge Stimuli, die zur Hyperpolarisierung
liumkanäle, die im Ruhezustand tonisch offen der ß-Zelle beitragen,
sind und das Ruhepotential der ß-Zelle nahe • durch Galanin und Somatostatin, die beide die
am Kaliumgleichgewicht halten (-80 m V). Als exozytotischen Prozesse hemmen.
Konsequenz der Schließung der Kaliumkanäle
kommt es zur Depolarisierung der ß-Zelle, die
• Glukose. Es ist ersichtlich, dass die ß-Zelle auf
zur Öffnung spannungsabhängiger Kalziumka-
vielfältige Stimuli mit einer Modulation der Insulin-
näle (L-Typ) führt, den Einstrom von Kalzium
freisetzung reagiert. Den wichtigsten Stimulus stel-
in die ß-Zelle ermöglicht und durch die anstei-
len Veränderungen in der Blutglukosekonzentration
gende intrazelluläre Kalziumkonzentration den
dar, die die Insulinfreisetzung über einen weiten
Exozytoseprozess der Insulin enthaltenden Gra-
Konzentrationsbereich beeinflussen. Auch niedrige
nula in Gang setzt. Die ATP-abhängigen Kalium-
Konzentrationen an Glukose, wie sie im Hungerzu-
kanäle sind die Angriffspunkte für Sulfonylharn-
stand vorkommen können, sind von Bedeutung, da
stoffe und antihypertensive wirkende Kalium-
sie die basale Insulinsekretion aufrechterhalten. Zu-
kanalöffner, die die Öffnungswahrscheinlichkeit
sätzlich spielt die Glukose eine zentrale Rolle im Me-
dieser Kanäle erhöhen und damit das Kalium-
tabolismus der ß-Zelle, sodass Glukose die Sensiti-
gleichgewicht in die Nähe des Ruhepotentials ein-
vität der ß-Zelle auf andere Reize beeinflussen
stellen. Die Freisetzung von Insulin wird geför-
und verändern kann. Glukose hat somit einen per-
dert durch:
missiven und regulatorischen Einfluss auf die Frei-
• lnositoltriphosphat: parasympathische Reize
setzung von Insulin.
(Azetylcholin) verstärken die glukoseinduzierte
lnsulinfreisetzung über eine Sensitivierung der
Kalziumabhängigkeit der sekretorischen Prozesse, • Aminosäuren. Als weiterer Stimulus sind Amino-
• zyklische 3' -,5' -AMP: die Aktivierung der Adenyl- säuren von physiologischer Bedeutung. Die meisten
zyklase durch Glukagon und ß-adrenerge Stimuli Aminosäuren sind in der Lage, die Insulinsekretion
beschleunigen über eine Proteinkinase-A-abhän- zu fördern. Eine Mischung von Aminosäuren in
gige Phosphorylierungskaskade die Exozytose in- einer proteinhaltigen Mahlzeit stimuliert die Freiset-
sulinhaltiger Granula, zung von Insulin aber in einem geringeren Ausmaß
• die Synthese von Arachidonsäuremetaboliten als eine kohlenhydratreiche Mahlzeit. Auf der ande-
über den Zyklooxygenase- bzw. Lipoxygenaseweg ren Seite fördern Aminosäuren auch die Freisetzung
16.1 Physiologie 611

von Glukagon und wirken somit antagonistisch zum tion. Als Nettoeffekt ergibt sich in der Regel in vivo
Insulin. eine Hemmung der glukosestimulierten Insulinse-
kretion.
• Gastrointestinale Hormone. Gastrointestinale
Hormone wie das "gastric inhibitory peptide", das
Cholecystokinin und GLP ("glucagon like peptide") 16.1.4
sind für die bei oraler Aufnahme von Glukose beob- lnsulinrezeptorsignalkaskade
achtete verstärkte Freisetzung von Insulin verant-
wortlich. Der Insulinrezeptor ist ein tetrameres a 2/ß 2-Protein
mit Tyrosinkinaseaktivität. Die arUntereinheiten
• Adrenalin. Das Stresshormon Adrenalin aktiviert sind vollständig auf der Außenseite der Plasma-
az-adrenerge, inhibitorische Rezeptoren ebenso wie membran lokalisiert und enthalten die insulinbin-
die in geringerer Zahl auf der ß-Zelle vorkommen- dende Domäne. Die ßrUntereinheiten leiten als
den ß-adrenergen Rezeptoren. Als Ergebnis ist die transmembranäre Proteine über ihre Tyrosinkinase-
akute Insulinfreisetzung nach Glukosebelastung aktivität das Insulinsignal in das Zellinnere weiter.
deutlich gehemmt, während die basale Freisetzung Durch Bindung von Insulin an die a-Untereinheit
von Insulin nicht beeinflusst wird. wird die Autophosphorylierung der ß-Untereinhei-
ten induziert, ein Prozess, der mit einer Aktivierung
• Azetylcholin. Azetylcholin als postganglionärer der Tyrosinkinaseaktivität gegenüber intrazellulä-
Neurotransmitter parasympathischer Nerven stimu- ren Substraten verbunden ist. Die Aktivierung der
liert die Insulinsekretion über die Aktivierung mus- Tyrosinkinase stellt somit einen notwendigen
karinerger Rezeptoren auf der ß-Zelle. Schritt in der Signalkaskade des Insulins dar. Muta-
tionen im Bereich der Tyrosinphosphorylierung
• Noradrenalin. Noradrenalin als postganglionärer (Lys 1018, Met 1153) sind mit Defekten der Wirkun-
Neurotransmitter sympathischer Neurone übt ähn- gen von Insulin auf den Glukosetransport, die Gly-
lich wie Adrenalin eine doppelte Wirkung auf die ß- kogensynthese und die Stimulierung der Proliferati-
Zelle aus: über die Aktivierung der az-adrenergen on von Gefäßzellen assoziiert. Abbildung 16-5 gibt
Rezeptoren eine Hemmung der Insulinfreisetzung, eine aktuelle, hypothetische Übersicht über die Si-
über die der ß-adrenergen Rezeptoren eine Stimula- gnalwege des Insulins. Die Signalkaskade beginnt

Insulinrezeptor

RASKomplex
t
+
PKB (Akt)
Raf-1
+
MAPKK
+
GSK3
S6k
MAP-Kinase
t
+
Glykogensynthese
pp70 PP 90 rsk

,! '-
Zellproliferation Proteinsynthese

Abb. 16-5. Signalwege des Insulins (hypothetisch). Die Insu- (Grb2, SOS, Syp) auf intrazellulär~ Signalmediatoren wie PI-3-
lin-Signalkaskade umfasst direkte Protein-Protein-Wechsel- Kinase und den Ras-Komplex. Uber den Ras-Komplex wird
wirkungen, die auf der Ebene des Insulinrezeptors ansetzen. der MAP-Kinaseweg aktiviert, der für die insulinabhängige
Die Tyrosinkinaseaktivität des Insulinrezeptors führt zur Aktivierung der Proteinsynthese und der Zellproliferation
Phosphorylierung von Insulinrezeptorsubstraten (IRS) und von wesentlicher Bedeutung ist. Die Translokation der Gluko-
shc. Die Phosphotyrosine dieser Proteine übertragen das setransporter (Glut4) ist von der Aktivierung der PI-3-Kinase
Insulinsignal über SH2-Domänen und Adaptermoleküle abhängig. (Mod. nach Holman u. Kasuga 1997)
612 KAPITEL 16 Glukose

mit der Protein-Protein-Wechselwirkung auf der vom Insulin tyrosinphosphorylierten Proteinen ist
Ebene des lnsulinrezeptors, sodass die Tyrosin- bisher nur unzureichend bekannt und stellt ein
kinaseaktivität aktiviert wird. Zusätzlich zur Tyro- wichtiges Forschungsfeld der nächsten Jahre dar.
sinphosphorylierung der ß-Untereinheit des Insu-
linrezeptors wurden verschiedene endogene Sub-
Glukosetransport
strate der Tyrosinkinase in insulinsensitiven Gewe-
Eine der wichtigsten biologischen Wirkungen des
ben wie Muskel, Fettgewebe und Leber identifiziert:
Insulins ist die rasche Beschleunigung der Glukose-
die so genannten Insulinrezeptorsubstrate (IRS 1-6)
aufnahme durch die Muskel- und Fettzelle (10- bis
und das src-homologe Kollagenprotein (shc). IRS1
30-fache Beschleunigung). Diese außerordentliche
wurde als ein Protein mit einem Molekulargewicht
Sensitivität der Glukoseaufnahme für Insulin ist
von 185.000 identifiziert und wird nach Stimulie-
ein typisches Kennzeichen von Fett- und Muskelzel-
rung des Insulinrezeptors dosisabhängig phospho-
le und wird nur in Zellen beobachtet, die eine spe-
ryliert. Es enthält eine src-homologe Domäne
zifische Isoform des Glukosetransporters, Glut4, ex-
(SH2). Derartige SH2-Domänen spielen bei vielen
primieren. In Abwesenheit von Insulin ist der Glut4
intrazellulären Signalwegen eine wichtige Rolle, da
in intrazellulären, tubulovesikulären Strukturen lo-
sie mit hoher Affinität Phosphotyrosinmotive bin-
kalisiert. Zugabe von Insulin führt zu einer raschen
den und somit eine spezifische Protein-Protein-
Translokation von Glut-4-Molekülen aus einer Mi-
Wechselwirkung zwischen signalgebenden Molekü-
krosomenfraktion niedriger Dichte in die Plasma-
len in der Zelle ermöglichen. Neben IRS1 wurden
membran der Zelle. Diese Umverteilung der Glut4
inzwischen eine Reihe von weiteren !SR-Proteinen
aus intrazellulären Speicherformen an die Zellober-
isoliert und identifiziert. Mutationen im Bereich
fläche wurde mit unterschiedlichsten Techniken ein-
der IRS verursachen in der Regel Defekte in der
deutig nachgewiesen und ist die Voraussetzung für
lnsulinsignalübertragung, die aber nur in wenigen
die beobachtete insulinabhängige Beschleunigung
Fällen Ursache für die Entwicklung eines Diabetes
der Glukoseaufnahme.
sind. Phosphotidylinositol-3' -kinase (Ptdins 3' -kina-
se = Pl-3-kinase) ist eine Lipidkinase, die die Phos-
phorylierung von Phosphoinositol an der 3'-Hydro- Glykogensynthese
xylgruppe des D-Myoinositols katalysiert. Dieses Als Konsequenz der Insulinwirkung wird die Glyko-
Enzym besteht aus einer 110.000 großen katalyti- gensynthese im Muskel, im Fettgewebe und in der
schen und einer 85.000 kd großen regulatorischen Leber beschleunigt. Der geschwindigkeitsbestim-
Einheit, die zwei SH2-Domänen und eine SH3-Do- mende Schritt der Glykogensynthese wird durch
mäne enthält. Ptdins-3'-kinase war das erste Enzym, die Glykogensynthase katalysiert, ein Protein, das
für das eine Wechselwirkung mit dem tyrosinphos- im Skelettmuskel als ein 80-84 Kd-Protein vorliegt.
phorylierten IRS1 nachgewiesen werden konnte. Die Glykogensynthase wird durch Phosphorylierung
Eine weitere Komponente, mit der der phosphory- inaktiviert, Insulin aktiviert die Glykogensynthase
lierte Insulinrezeptor wechselwirken kann, ist das durch Dephosphorylierung (Abb. 16-6).
Grb2, ein Protein, das zunächst über seine Fähigkeit,
den phosphorylierten EGF-Rezeptor zu binden, cha-
Proteinsynthese
rakterisiert wurde. Über diese verschiedenen, kaska-
Es ist schon lange bekannt, dass Insulin die Protein-
denförmigen Protein-Protein-Wechselwirkungen
biosynthese aktiviert. Die Wirkung von Insulin
werden letztlich ras-Proteine aktiviert, deren Akti-
scheint im Wesentlichen in der Initiation der Trans-
vierung Voraussetzung für die Vermittlung der Wir-
lation zu liegen. So erhöht Insulin die Anzahl der für
kungen von Insulin auf die Mitogenese und die Zell-
die Proteinsynthese initiierten Ribosomen. Dieser
zyklusprogression angesehen wird. Über Grb2 ist
Prozess ist abhängig von der Aktivierung einer Reihe
auch die Bindung der mikrotubuliaktivierten
von Initiationsfaktoren (eiF-2, eiF2b, eiF-4 und an-
GTPase Dynamin möglich, die eine funktionelle Rol-
dere), deren Wechselwirkung bisher nur partiell ver-
le für die rezeptormediierte Endozytose und die kla-
standen ist (Abb. 16-5).
thrinabhängige Fusion von Vesikeln spielen soll. Als
weiteres SH2-haltiges Protein wechselwirkt die Pro-
teintyrosinphosphatase Syp (oder SHPTP2) mit dem
tyrosinphosphorylierten Insulinrezeptor. Neuere
Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass der
IRS1-Syp-Komplex ebenfalls an der insulinabhängi-
GS- 0 (inaktiv) ----tlllllt> GS (aktiv)

gen Aktivierung von ras beteiligt ist. Der molekulare Abb. 16-6. Aktivierung der Glykogensynthase durch Insulin.
Mechanismus dieser komplexen und vielfältigen P Phosphatgruppe
Wechselwirkungen zwischen den in Abhängigkeit
16.1 Physiologie 613

Physiologische Wirkungen von Glukagon


16.1.5
• Glykogenolyse/Glukogensynthese. Glukagon
Glukagon als Gegenspieler des Insulin
steigert die Glykogenolyse cAMP-PKA- und PKC-
abhängig durch Phosphorylierung der Phosphory-
Das Peptidhormon wurde 1923 von Marlin und
lase B-Kinase, die die inaktive Form der Phosphory-
Kimbel entdeckt. Aber erst in den 60er und 70er Jah-
lase (ß-Form) in die aktive a-Form überführt. Durch
ren wurde gezeigt, dass die a-Zelle eine vitale Kom-
gleichzeitige Phosphorylierung wird die aktive Gly-
ponente der Langerhans-Inseln darstellt. Die Dys-
kogensynthase a zur inaktiven Glykogensynthase ß
funktion der a-Zelle ist von entscheidender Bedeu-
interkonvertiert und damit die Synthese von Glyko-
tung für die Überproduktion von Glukose und Ke-
gen verhindert.
tonkörpern im Diabetes. Der Name leitet sich von
der Beobachtung ab, dass die glukagonhaltigen Gra-
• Glykolyse. Glukagon blockiert die Glykolyse
nula der a-Zellen durch Alkohol präzipitiert werden
durch Hemmung der Transkription der Glukoki-
können. Während die ß-Zellen im Wesentlichen den
nase und Phosphorylierung der 6-Phosphofrukto-
zentralen Bereich der Pseudomikrolobuli innerhalb
2-kinase (PFK2). Unter diesen Bedingungen wirkt
der Langerhans-Inseln bilden, liegen die a-Zellen
dieses bifunktionelle Enzym als Phosphatase und er-
mehr peripher im Kortex. Über die Mikrozirkulation
niedrigt den Fruktose-2,6-diphosphat-Spiegel. Da-
stehen a- und ß-Zellen aber in direkter Wechselwir-
durch wird die für die Glykolyse geschwindigkeits-
kung. Insulin hemmt die Glukagonsekretion und
bestimmende Phosphofruktokinase 1 (PFK1) inakti-
zwar einmal auf der Ebene des Sekretionsprozesses
viert und die Glykolyse gehemmt; umgekehrt wird
als auch auf der Ebene der Transkription des Prä-
die Aktivität der Fruktose-1,6-Diphosphatase
proglukagongens. In Abb. 16-7 sind die Wechselwir-
(FDPase1) gesteigert, sodass die Glukoneogenese
kungen zwischen den Zellen der Langerhans-Inseln
begünstigt wird. Zusätzlich verursacht Glukagon
schematisch vereinfacht zusammengefasst.
die Phosphorylierung der L-Typ-Pyruvatkinase, so-
dass Phosphoenolpyruvat in vermehrtem Maße für
Die Signalkette von Glukagon die Glukoneogenese zur Verfügung steht. Insulin
Glukagon wird vom Glukagonrezeptor auf der Ober- wirkt den oben genannten Glukagonwirkungen
fläche der Zielzelle gebunden und aktiviert dadurch auf allen Ebenen entgegen, sodass sich folgendes zu-
die Stimulatorische Einheit des heterotrimeren Gua- sammenfassendes Bild ergibt (Abb. 16-8): Glukagon
ninnukleotid-bindenden Proteins Gs. Nach Disso- steuert die Glukoseproduktion über eine Beschleu-
ziation seiner a-Untereinheit wird die Adenylzy- nigung des Abbaus von Glykogen (Glykogenolyse)
klase aktiviert, sodass ATP in cAMP konvertiert und der Neusynthese von Glukose (Glukoneoge-
wird, ein Prozess, der in Hepatozyten innerhalb nese). Beim Menschen ist die basale Glukagonsekre-
von Sekunden zu einem markanten Anstieg des in- tion für etwa 75% der Nettoglukoseneubildung ver-
trazellulären cAMP-Spiegels führt. cAMP bindet an antwortlich. Glukagon ist somit eine der wichtigsten
die regulatorische Untereinheit der Proteinkinase A, Determinanten für die Regulation des Blutzuckers
sodass die katalytische Untereinheit dissoziieren im postresorptiven Zustand. Katecholamine gewin-
kann. nen bei körperlicher Belastung und hypoglykämi-
sche Zuständen zusätzliche Bedeutung. Allerdings
wird die Wirkung von Glukagon auf die Glukoneo-

Glukagon (A-Zelle) ----11 ~


.. Stimulation der Sekretion von:
Insulin
Somatostatin

Somatostatin (D-Zelle) Hemmung der Sekretion von:


Insulin
Glukagon
Somatostatin

Insulin (B-Zelle) Hemmung der Sekretion von:


Glukagon Abb.l6-7.
Hormonelle Wechselwirkungen
Insulin zwischen den Zellen der Langer-
Somatostatin hans-Inseln
614 KAPITEL 16 Glukose

Hormon Effektor Physiologische Wirkung

Glukago n cAMP cAMP-PKA t


Phosphorylierung der bifunktionellen
6-Phosphofrukto-2-kinase (PFK2)
F-2,6-P t
Glykolyse t Glukoneogenese t
Insulin cAMP-PDE cAMP-PKA t
Glykogensynthase a t
Phosphorylase a t
F-2,6-P t
Pyruvatkinase t
Glykolyse t Ginkoneogeneset
Abb. 16-8. Antagonistische Wirkungen von Insulin und Glukagon auf den Kohlenhydratstoffwechsel

genese der Leber nur beobachtet, wenn die Konzen-


16.2
tration an Insulin konstant bleibt. Normalerweise
stimuliert Glukagon und ein ansteigender Blutzuk-
Pathophysiologie diabetiseher Spätschäden
ker die Sekretion von Insulin, das die Wirkungen A. BIERHAUS, P. P. NAWROTH
von Glukagon antagonisiert. Für die Ausbalancie-
rung des Stoffwechsels sind somit weniger die abso-
16.2.1
luten Konzentrationen an beiden Hormonen, son-
Oxidativer Stress
dern die relativen Konzentrationen ausschlagge-
bend.
Synthese und Regulation
Diabetische Spätschäden betreffen sehr unterschied-
Ketogenese liche Organe wie Niere, Auge, Nerven, Haut, Herz
Im postresorptiven Zustand ist die Insulinkonzen- und Gehirn. Bei allen unterschiedlichen Formen
tration im Verhältnis zu Glukagon erhöht, die Kon- der Spätschäden lässt sich auch eine Schädigung
zentration an F-2,6-diphosphat erhöht und somit der Gefäße nachweisen. Diese kann sowohl mikro-
der Fluss von C3-Fragmenten als Substrat der FeH- vaskulär (Niere, Retina, Nerv), als auch makro-
säuresynthese erhöht. Die aus Glukosebausteinen vaskulär (Gehirn, Karotisarterie) auftreten. Die Ge-
synthetisierten Fettsäuren werden zu Triglyzeriden fäßveränderungen können alle wichtigen Funktio-
verestert, als VLDL verpackt, durch die Leber sezer- nen des Gefäßsystems wie Hämostase, Fibrinolyse,
niert und im Fettgewebe gespeichert. Wichtigster Reparaturmechanismen, Nährstoffaufnahme und
Regulator im Verlauf der Lipogenese ist das Mal- Infektionsabwehr betreffen. In klinischen Studien
onyl-CoA, das einen äußerst potenten Inhibitor wurde gezeigt, dass eine strikte Blutzuckerkontrolle
der Carnitinpalmitoyltransferase (CPT -1) darstellt. die Entwicklung von Spätschäden deutlich ver-
Dieses Enzym estert Acyl-CoA in Acyl-Carnitine langsamt. Daher gilt die chronische Hyperglykämie
um, die dann von den Mitochondrien aufgenommen neben der Hyperlipidämie, Adipositas, Insulin-
und zu Ketonkörpern oxidiert werden können. Mal- resistenz und Hypertonie als wichtigster Auslöser
onyl-CoA, das bei der Lipogenese als Zwischenpro- diabetiseher Spätschäden. Im Folgenden werden
dukt gebildet wird, hemmt die CPT -1 und dadurch hyperglykämieabhängige zelluläre und molekulare
die Ketogenese. Im Fasten- oder Hungerstand, in Mechanismen beschrieben, die direkt oder indirekt
welchem Glukagon im Vergleich zu Insulin über- zur Entwicklung diabetiseher Spätschäden beitragen
wiegt, ist der Fluss an C3-Körpern aus der Glykolyse können (Abb. 16-9), nicht aber bei Diabetes Typ 2
reduziert; dementsprechend sinkt der Spiegel an zusätzlich auftretende Risikofaktoren wie z. B. ge-
Malonyl-CoA und wird die CPT-1 enthemmt. Als häufte Hypertonie, Hyperlipidämie und Adipositas.
Folge kommt es zu einem vermehrten Einstrom Da sich die durch Hyperglykämie ausgelösten zellu-
von Acyl-CoA und Acyl-Carnitinen in die Mito- lären Veränderungen gegenseitig beeinflussen und
chondrien, die Oxidation von Acyl-CoA wird be- verstärken können, sind die Übergänge fließend, so-
schleunigt und die Ketogenese aus Acetyl-CoA als dass die Aktivierung molekularer Effektorsysteme
Produkt der ß-Oxidation verstärkt. häufig auf einem Zusammenspiel verschiedener
16.2 Pathophysiologie diabetiseher Spätschäden 615

I Hyperglykämie J. 11 Adipositas

I
I
Aktivierung des
t
I
G~kierung und
tll
111 ~ktivierung der
t
Insulinresistenz ....__
Polyolstotf-
wechselweges ;"1~~ p]"~' c
t
I IOxidativer Stress
] TNF-a I

Abb. I6-9.

I
Verschiedene molekulare Mechanismen
Molekulare Mechanismen " Effektorsysteme 1 vermitteln die Hyperglykämie-abhängige
Entwicklung diabetiseher Spätschäden

Stoffwechselwege beruht (Abb. 16-9). Eine mögliche Verschiedene antioxidative Mechanismen schützen
gemeinsame Endstrecke aller durch Hyperglykämie Zellen unter physiologischen Bedingungen vor der
bedingten zellulären Veränderungen scheint die Er- Schädigung durch reaktive Sauerstoffverbindungen.
zeugung von oxidativem Stress zu sein. Unter phy- Superoxiddismutasen und Peroxidasen sind antioxi-
siologischen Bedingungen kann Glukose leicht oxi- dativ wirkende Enzyme, die die Reduktion von Per-
diert werden und in Folge Wasserstoffperoxide und oxiden katalysieren und dadurch endogen entste-
reaktive Zwischenprodukte erzeugen. Unter hyper- hende reaktive Sauerstoffverbindungen neutralisie-
glykämischen Bedingungen sind das Auftreten reak- ren (s. folgende Übersicht).
tiver Sauerstoffverbindungen (ROS = "reactive oxy-
gen species"), die Peroxidbildung und die sowohl in- Antioxidativ wirkende Enzyme
tra- als auch extrazelluläre Bildung freier Sauerstoff-
radikale deutlich vermehrt (s. folgende Übersicht). • Superoxiddismutase: 2 0 2.+2H+ > H 20 2+ 0 2,
• Katalase: 2 H 20 2 > Oz + 2 H20,
Hyperglykämieabhängige Bildung von freien • Glutathionperoxidase: 2 GSH + H 20 2 > GSSG + 2
Sauerstoradikalen und oxidativem Stress H 20,
erfolgt durch • Phospholipid-Hydroperoxid-Glutathionperoxi-
dase: 2 GSH + LOOH > GSSG + LOH + H 20.
• Autoxidationen von Glukose
• Hyperglykämische Pseudohypoxie
• Zwischenprodukte des Cyclooxygenase-Stoff- • Modulation der Verfügbarkeit von Stickstoff-
wechselweges monoxid. Stickstoffmonoxid (NO) ist ein kleines,
• Bildung von "advanced glycation endproducts" kurzlebiges und hochreaktives Radikal, das durch
(AGEs) (s. unten) das Enzym NO-Synthase (NOS) aus Sauerstoff
• Carbonyl-Stress und Arginin gebildet wird (Abb. 16-10). Bisher
• Aktivierung des Polyolstoffwechselweges (s. un- wurden 3 Formen der NOS beschrieben. Die konsti-
ten) tutiven eNOS und nNOS werden von Endothelzellen
• Aktivierung von Proteinkinase C (s. unten) und Neuronen exprimiert, während eine induzier-
• Verminderung antioxidativer Abwehrmechanis- bare Form (iNOS) in fast allen Zelltypen zu finden
men ist. Unter physiologischen Bedingungen wird NO
• Intrazellulär durch Bindung von AGEs an RAGE konstitutiv von vaskulärem Endothel freigesetzt,
(s. unten) vermittelt die Relaxation von glatten Muskelzellen
• Intrazellulär durch verstärkte Produktion von durch Induktion von zyklischem Guanosinmono-
Sauerstoffradikalen in der Elektronentransport- phosphat (cGMP) und moduliert dadurch den Ge-
kette der Mitochondrien (als Folge verminderter fäßtonus. Die NO-abhängige Vasodilatation und
mitochondrialer Glutathionspiegel) Thrombozytenaggregationshemmung erfolgt durch
direkte Stimulation der Guanylatzyklase und Er-
höhung der cGMP-Konzentration in Thrombozyten
und glatten Muskelzellen. Neue Arbeiten zeigen,
dass NO auch unabhängig von cGMP die Aktivie-
616 KAPITEL 16 Glukose

NH2
ci+
Calmodulin NH2
I NADPH I
C=NH c=o
I
NH
I
! I
NH
I
CH2 + o2 NO-Synthase
CH2 + NO
I
CH2 JH2
I I
CH 2 CH2
I I
H-C-NH H-C-NH
I 2 I 2
COOH COOH
Abb.l6-10.
( Arginin + Sauerstoff ) _ _ _ _ _..,.. Citrullin + Stickstoffmonoxid NO-Synthase katalysiert die Umsetzung von
'----------------/ NO aus Arginin und Sauerstoff

rung des Transkriptionsfaktors NF-KB in Endothel- Fettsäuren bewirken und dadurch Hydroperoxide
zellen hemmen kann, indem es dessen Zytoplasma- bilden, die in Gegenwart von Übergangsmetallen
tischen Inhibitor IKB stabilisiert. In Folge vermin- zu Alkoxyradikalen umgebildet werden und ihrer-
dert NO die NF-KB abhängige Expression proin- seits eine weitere Fortpflanzungsreaktion bedingen.
flammatorischer Gene im Endothel. Folgende Über- Als Folge der Lipidperoxidation in Zellmembranen
sicht fasst die Eigenschaften von NO zusammen. kommt es zu Funktionsänderungen der Membranen
und zur Störung von Lipid-Protein-Interaktionen (s.
folgende Übersicht). Peroxidierte Fettsäuren kön-
Eigenschaften von Stickstomonoxid (NO)
nen durch das Enzym Phospholipase A2 aus betrof-
fenen Membranen entfernt und zu Aldehyden (z. B.
• Vasodilatation
Malondialdehyd) abgebaut werden.
• Aktivierung von cGMP
• Inhibition der Thrombozytenadhäsion und -ag-
gregation Folgen der Lipidperoxidation in Zellmembranen
• Inhibition der Monozytenadhäsion am Endothel
• Hemmung der Leukozytenadhäsion am Endothel • Veränderung der Permeabilität
• Verhinderung der Proliferation glatter Muskel- • Verminderung der Fluidität
zellen • Veränderung der Ionenkanäle
• Inhibition der Aktivierung des Transkriptions- e Veränderung membranständiger Rezeptoren
faktors NF-KB in Endothelzellen
• Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-KB in
Monozyten/Makrophagen Neben membranständigen Phospholipiden unterlie-
• Hemmung der proinflammatorischen Mediato- gen aufgrundihres hohen Gehaltes an mehrfach un-
ren Interleukin-6 und Interleukin-8 gesättigten Fettsäuren vor allem "Low-density-Lipo-
• Hemmung der oxidativen Modifikation von LDL proteine" (LDL) einer vermehrten Lipidperoxidati-
• Hemmung der Zytotoxizität von oxidiertem LDL on. Monozyten/Makrophagen binden oxidierte
auf Endothelzellen LDL nicht über den klassischen LDL-Rezeptor, son-
• Regulation der zellulären Immunantwort dern über "Scavenger-Rezeptoren". Im Gegensatz
• Beteiligung an der exzitatorischen Neurotrans- zum LDL-Rezeptor unterliegen "Scavenger-Rezep-
mission toren" keiner substratabhängigen Regulation, so-
• Zytotoxisches Agens aktivierter Makrophagen dass phagozytierende Makrophagen sehr rasch gro-
ße Mengen an LDL aufnehmen und sich bei dem
Versuch, die akkumulierenden Lipide zu entfernen,
• Lipidperoxidation und Membranschädigung. in lipidbeladene Schaumzellen umwandeln. Unter
Durch die Reaktion von Radikalen mit den mehr- hyperglykämischen Bedingungen trägt neben der
fach ungesättigten Fettsäuren von Membranphos- Peroxidation die gleichzeitige Glykierung von LDL
pholipiden bilden sich bei ausreichend hoher Sauer- ("Glykoxidation"; s. folgende Übersicht) dazu bei,
stoffspannung Peroxylradikale. Peroxylradikale dass die Iysosomale Degradation von LDL durch
können den Wasserstoffentzug an benachbarten Makrophagen verlangsamt wird.
16.2 Pathophysiologie diabetiseher Spätschäden 617

Eigenschaften oxidierter und glykoxidierter • Chemotaktisch für Monozyten, glatte Muskelzel-


Lipoproteine len und T-Lymphozyten
• Induktion von Makrophagenadhärenz in vitro
• Bindung an "Scavenger"-Rezeptoren • Veränderung der Oberflächenproteine von Ma-
• Keine Erkennung durch den LDL-Rezeptor krophagen
• Verminderung des Anteils ungesättigter Fettsäu- • Induktion von Lipoproteinlipasen und Sphingo-
ren myelasen
• Erhöhter Gehalt an oxidiertem Cholesterin • Aktivierung der Prostaglandinsynthese und Leu-
• Induktion von oxidativem Stress und Aktivie- kotriensyn these
rung des redox-sensitiven Transkriptionsfaktors
NF-KB in Endothelzellen und Monozyten
• Induktion proatherogener Genprodukte in Endo-
thelzellen und Monozyten (z. B. Induktion von • Aktivierung des redoxsensitiven Transkriptions-
Tissue Faktor, Endothelin-1) faktors NF-KB. Der redoxsensitive Transkriptions-
• Induktion von Zytokinen und Wachstumsfakto- faktor NF-KB wird in den meisten Zelltypen als Ant-
ren in Endothelzellen wort auf primäre (oxidativer Stress, Viren, Bakteri-
• Induktion chemotaktisch aktiver Proteine in En- en) und sekundäre (Zytokine, AGEs, LDL) pathoge-
dothelzellen und glatten Muskelzellen netische Stimuli induziert. Da auch die Expression

Oxidativer Stress
Zytokine
AG Es
Proteinkinase C
Aktivatoren
LDL
Viren
u.a.

IKB - Kinasen
I
Phos~
ph~~'""" P

Ba

B
- Degradation,... S
Autoregulatorischer
I
Translokation
Regelkreis

Abb.l6-ll.
Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-kB
618 KAPITEL 16 Glukose

des NF-KB spezifischen Inhibitors IKBa unter der dation von LDL und der Peroxidation ungesättigter
Kontrolle von NF-KB steht, ermöglicht ein autoregu- Fettsäuren gebildet werden. Als weitere Zwischen-
latorischer Regelkreis, dass die Aktivierung von NF- produkte treten reaktive Dicarbonylintermediate
KB nur transient erfolgt (Abb. 16-11). Eine Ausnah- wie z. B. 3-Deoxyglukoson, Arabinase und Methyl-
me bildet die RAGE-vermittelte NF-KB-Aktivierung, glyoxal auf, die zur AGE-Bildung beitragen. Reaktive
die durch vermehrte NF-KBp65-Synthese die Inhibi- Dicarbonyl-Zwischenprodukte wie Glyoxal und
tion durch IKB kompensiert und eine dauerhafte Arabinose können auch durch metallkatalysierte
NF-KB-Induktion ermöglicht. Autoxidation von Glukose entstehen und Querver-
netzung von Proteinen und AGE-Bildung auslösen.
Besonders leicht bildet Glyoxal mit den Aminosäu-
Klinische Relevanz
ren Arginin und Lysin Quervernetzungen, wodurch
In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass
ebenfalls Pentosidin und CML gebildet werden kön-
Patienten mit Diabetes mellitus und Spätschäden
nen. Bei histologischen Untersuchungen von Nie-
auch vermehrt oxidativem Stress ausgesetzt sind.
renbiopsien diabetiseher Patienten wurde vor kur-
Es ist möglich, oxidativen Stress durch medikamen-
zem das glykierungsunabhängige Lipidperoxidati-
töse Maßnahmen zu kontrollieren. Es bleibt aber
onsprodukt Malondialdehyd in den Glomeruli nach-
unbekannt, wo der therapeutisch gewünschte Spie-
gewiesen, die eine vermehrte Akkumulation von
gel an oxidativem Stress liegt, ebenso wie es völlig
Pentosidin und CML aufwiesen. Neue Untersuchun-
unklar ist, wie viel oxidativer Stress physiologisch
gen zeigen, dass auch mit der Nahrung und inhalativ
notwendig ist und unterhalb welcher Schwelle sein
durch Rauchen aufgenommene Glykotoxine im Se-
Mangel schädigend sein könnte.
rum zirkulieren. Während Gesunde 30-50 o/o dieser
Glykotoxine innerhalb von 48 h mit dem Urin aus-
scheiden, ist die Exkretion bei Patienten mit Nieren-
insuffizienz mit weniger als 5 o/o stark vermindert.
16.2.2
Die exogen zugeführten AGEs erhöhen in Folge
"Advanced glycation endproducts" (AGEs)
die Serum-AGE-Konzentration. (Abb. 16-13}. Die
genaue Struktur der verschiedenen AGE-Querver-
Synthese und Regulation
netzungen, die in vivo auftreten, ist in vielen Fällen
In Gegenwart hoher Glukosekonzentrationen rea-
jedoch noch unbekannt. Im Gewebe wurden nur
gieren primäre Amine in Proteinen, Phospholipiden
CML und Pentosidin eindeutig nachgewiesen. In
und Nukleinsäuren in einer nichtenzymatischen
Plasma und Urin von Diabetikern konnten zudem
Kondensationsreaktion mit reduzierenden Zuckern
Dicarbonylintermediate und Methylglyoxal be-
zu Schiffsehen Basen. Schiffsehe Basen können
stimmt werden.
sich spontan zu 1-Aminodesoxyketosen umlagern,
die als Amadori-Produkte bezeichnet werden. Oxi-
dation der Amadori-Produkte, Dehydrierung und Einfluss auf die Zielzelle
nachfolgende Eliminations- und Kondensations- AGE-Modifrkationen verändern daher zum einen
reaktionen führen zur Entstehung von irreversibel die Struktur, Eigenschaft, Funktion und "Turn-
quervernetzten Strukturen, die unter dem Begriff over-Rate" der betroffenen Makromoleküle (s.
"advanced glycation endproducts" (AGEs, fortge- Übersicht).
schrittene Glykierungsprodukte) zusammengefasst
werden (Abb. 16-12). Von den zahlreichen mögli- Eigenschaften von AGE-Proteinen
chenAGE-Strukturenwurden bisher jedoch nur we-
nige Moleküle isoliert und strukturchemisch aufge- • Fehlerhafte Verankerung von Typ-4-Kollagen in
klärt. Oxidationsprozesse, die die Glykierungsreak- die Basalmembran
tion und die Verfügbarkeit von Übergangsmetallen • Stabilisierung von Kollagen durch AGE-bedingte
fördern, erleichtern die Bildung von stabilen irrever- Kollagenaseresistenz
siblen Modifikationen wie die Bildung von Glykoxi- • Vermehrte Ablagerung an der Gefäßwand und
dationsprodukten, z. B. (3,4}NE-(Carboxymethyl)ly- Verringerung des Gefäßvolumens
sin. CML bildet sich zum einen aus Glukose oder • Vermehrte Ablagerung an Basalmembranen
Threose, einem Abbauprodukt von oxidiertem As- • Glomeruläre Hypertrophie und Glomerulaskle-
corbat, in einer durch Übergangsmetalle katalysier- rose
ten Fragmentationsreaktion, zum anderen .durch • Vermehrte Sekretion der mesangialen Matrix
Autoxidation von Glukose und Ascorbat über Glyo- • Verminderung matrixgebundener Heparansul-
xal als Zwischenprodukt. CML kann aber auch wäh- fatproteoglykane
rend der durch Übergangsmetalle katalysierten Oxi- • Erhöhung der Endothelzellpermeabilität
16.2 Pathophysiologie diabetiseher Spätschäden 619

0 0
'c~
.~i
N- terminale

I" ".;" " '"


oder t -ständige I
Aminogruppen (CHOH} +
+ in Proteinen, I 4
Lipiden, C~OH

+t
• T• •
•NH
II
Schiff'sche Basen CH
(Aldimine)
I
<j>4

I
av>"

~t
Amadori-Produkte
• i. •
NH
(1-Aminodesoxyketosen) I
C"'z
I
Dehydrierung c=o
t
ß-Eiimination (CHOH}3
Kondensationsreaktionen I

--+----
C'\OH
Oxidation
.
lrreverstble Quervernetzungen -
I
t
Advanced Glycation Endproducts .. T I •
(AGEs)

Abb. 16-12.
Die Maillard-Reaktion der AGE-Bildung

Glykotoxine
aufgenommen durch die Nahrung
und inhalativ durch Rauchen

I
Erhöhte AGE- Bildung von Quer-
Serumkonzentration vernetzungen
\Ablagerung in Gefäßen \
Gesteigerte
Thrombusbildun
-........e.:::::------1 Gefäßschäden \
---~1 Nierenschädigung I
30% -so•.• der < s•,. der Glykotoxine
Glykotoxine werden werden innerhalb von
innerhalb von 48 Std. 48 Std. mit dem Unn
mitdem Urin ausgeschieden
ausgeschieden
Abb.l6-I3.
( Gesunde ) ( Diabetiker mit Nierenschäden ) Exogene AGEs werden durch die Nahrung
aufgenommen
620 KAPITEL 16 Glukose

• Induktion von Zytokinen und Wachstumsfakto- AGE-bindende Proteine


ren (z. B. IL-1a, TNF-a, IGF-IA, PDGF)
• Induktion der Proliferation glatter Muskelzellen • AGE-R1 (Ost-4}, nachgewiesen auf Monozyten/
• Induktion der Proliferation von Fibroblasten Makrophagen, Endothelzellen, T-Lymphozyten,
• T-Zell-Stimulation und Induktion der Interferon- Fibroblasten, Mesangialzellen, Nervenzellen
y-Synthese • AGE-R2 (80 KH), nachgewiesen auf Monozyten/
• Induktion von RAGE, einem der bekannten Re- Makrophagen, Endothelzellen, T-Lymphozyten,
zeptoren für AGEs Fibroblasten, Mesangialzellen, Nervenzellen
• Induktion der Bindung AGE-beladener Erythro- • AGE-R3 (Galectin-3, GBP-35}, nachgewiesen
zyten an das Endothel auf Monozyten/Makrophagen, Endothelzellen,
• Verlust endothelialer mitogener Aktivität als Fol- T-Lymphozyten
ge der bFGF-Modifikation • RAGE, nachgewiesen auf Endothelzellen, Mono-
• Induktion der autokrinen vaskulären VEGF-Syn- zyten/Makrophagen, glatten Muskelzellen, Me-
these sangialzellen, Neuronen, T-Lymphozyten, Ery-
• Verstärkung der prokoagulanten Aktivität throzyten
(z. B. Tissue Faktor-Expression) • Laktoferrin, Lysozym, nachgewiesen auf Endo-
• Verminderung antikoagulanter Aktivität thelzellen
(z. B. Thrombomodulinexpression) • Fruktoselysin-spezifisches Bindungsprotein, nach-
• Induktion von Adhäsionsmolekülen gewiesen auf Monozyten
(z. B. VCAM-1} • Makrophagen-Scavenger-Rezeptor, nachgewiesen
• Induktion des für glatte Muskelzellen chemotak- auf Makrophagen
tischen Polypeptids JE/MCP-1
• Induktion der Chemotaxe für mononukleäre Zel-
len, dadurch Aktivierung und Förderung der
transendothelialen Migration In vitro und in vivo konnte gezeigt werden, dass die
• Verminderung vasodilatorischer Eigenschaften Bindung von AGEs an RAGE zur Bildung von intra-
durch das Quenchen von NO zellulärem oxidativem Stress führt, der die Aktivie-
• Induktion der Vasokonstriktion durch Induktion rung des redoxsensitiven Transkriptionsfaktors NF-
von Endothelin-1 KB und die Expression NF-KB-regulierter Gene in-
• Induktion von intrazellulärem oxidativen Stress duziert. Während z. B. Zytokine eine transiente
und Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF- NF-KB-Aktivierung für Minuten bis zu einigen Stun-
KB den vermitteln, die in Folge durch die Induktion des
• Lipidperoxidation Inhibitors IKB zurückgenommen wird (vgl. auch
• Verminderung der intrazellulären antioxidativen Abb. 16-11}, erfolgt die RAGE-vermittelte NF-KB-
Abwehrmechanismen (z. B. GSH, Vitamin C) Aktivierung in vitro und in vivo kontinuierlich
• Vermehrte Aufnahme von AGE-LDL durch Ma- und persistierend. Neue Untersuchungen zeigen,
krophagen dass AGEs und andere Liganden von RAGE neben
• Komplementaktivierung der Aktivierung der Translokation von NF-KB in
• Erhöhung der Mutationsrate in der DNA den Zellkern auch die Neusynthese der NF-KB-Un-
tereinheit p65 in vitro und in vivo induzieren und
dadurch den IKBa-abhängigen autoregulatorischen
AGEs können durch Interaktion mit spezifischen Regelkreis durch eine vermehrte Bereitstellung
Rezeptoren Zielzellen direkt aktivieren. Zahlreiche von NF-KB kompensieren (Abb. 16-14}. Eine erste
AGE-bindende Proteine wurden inzwischen charak- "Verteidigungslinie" wird von Monozyten/Makro-
terisiert (s. folgende Übersicht). Einer dieser Rezep- ph~sen gebildet, die über spezifische Rezeptoren
toren ist RAGE (Rezeptor für AGEs), ein 35-kD-Pro- (s. Ubersicht oben) die zelluläre Aufnahme und De-
tein, das von Endothelzellen, Monozyten/Makro- gradation von löslichen AGEs vermitteln. Zudem
phagen, T-Lymphozyten, glatten Muskelzellen, können verschiedene zelluläre Reduktasesysteme
Mesangialzellen und Neuronen exprimiert wird. die während der AGE-Bildung entstehenden reakti-
Neue Untersuchungen zeigen, dass RAGE ein multi- ven Dicarbonyl-Intermediate zu inaktiven Metabo-
funktioneller Rezeptor ist, der neben AGEs auch liten abbauen. Eine 2-0xoaldehyd-Reduktase, die
Amyloid-ß-Peptide, Amphoterin und Mitglieder 3-Deoxyglukoson zu 3-Deoxyfruktose reduziert,
der S-100-Familie binden kann. wurde isoliert und kloniert. Glyoxalase-I konvertiert
Methylglyoxal über das Zwischenprodukt S-D-
Lactoylglutathion zu D-Lactat. Es wurden erhöhte
Spiegel der Intermediate 3-Deoxyglukoson und
16.2 Pathophysiologie diabetiseher Spätschäden 621

AG Es

Abb.l6-14.
Perpetuierung Beschreibung des Zeitverlaufs
der Zellaktivierung durch Zy-
RAGE -Induktion Be1Sp1el: NF-KB-Aktiv1erung tokine und AGE-Proteine

Methylglyoxal bei Patienten mit Diabetes mellitus


beschrieben und es wird spekuliert, dass hereditär
determinierte Unterschiede in der Aktivierung
AGE-detoxifizierender Enzyme bestimmen, wie
viele AGEs bei einer gegebenen Glukosekonzentra-
tion gebildet und irreversibel deponiert werden.
Neue Untersuchungen zeigen zudem, dass Proto-
onkogene der bd-Familie in Endothelzellen und
Lymphozyten Schutz vor oxidativem Stress ver-
mitteln können.

Klinische Relevanz
Aminoguanidin
Aminoguanidin ist eine pharmakologische nukle-
H2N-NH-C-NH2
ophile Hydrazinkomponente, die mit terminalen II +
Aminogruppen von Intermediärprodukten der frü- NH 2
hen Glykierungsreaktion wie z. B 3-Deoxyglukoson
reagiert (Abb. 16-15). Die Bildung von 3-Amino-5-
und 3-Amino-6-substituierten Triazinen verhindert
in Folge die weitere Umlagerung und Bildung von
irreversiblen Quervernetzungen (Abb. 16-15). Nach
viel versprechenden Tierversuchen, in denen Substi-
tution mit Aminoguanidin die AGEs-vermittelte
Entstehung diabetiseher Komplikationen verhin-
dern konnte, wird diese Substanz derzeit in klini-
schen Studien an Patienten mit Diabetes mellitus ge-
prüft. Auch wenn sich das Therapieprinzip in der
Klinik als ebenso wirksam wie im Tierexperiment er-
weisen sollte, wird eine Intervention mit AGE-Bil-
dungshemmern nur dann effektiv sein, wenn sie Irreversible Quervernetzung
zu einem frühen Zeitpunkt der Erkrankung einge-
setzt werden. Da dies häufig nicht gewährleistet ~ Ausscheidigung im Urin
ist (z. B. Patienten mit metabolischem Syndrom), Ablagerung
wird an der Entwicklung von Substanzen gearbeitet, Abb.l6-15. Die Inhibition der AGE-Bildung durch Amino-
die spezifisch Diketonbrücken in bereits gebildeten guanidin
622 KAPITEL 16 Glukose

Quervernetzungen zerstören. Diese als "crosslink- Einfluss auf die Zielzelle


breaker" bezeichneten Reagenzien werden mögli-
cherweise den "point of no return" dem therapeuti- Folgen der Aktivierung des Polyol-
schen Zugriff öffnen können. stowechselweges

• Störung des osmotischen Gleichgewichtes der


Zelle durch Anhäufung von Sorbitol
16.2.3 • Verminderung des Myoinositolgehaltes der Zelle
Aktivierung des Polyolstoffwechselweges • Verminderung der Na+/K+-sensitivität
• Abnahme des NADPH/NADP+-Verhältnisses und
Synthese und Regulation Zunahme von Sauerstoffradikalen als Folge der
Zellen, die Glukose insulinunabhängig umsetzen vermehrten Reduktion von Glukose zu Sorbitol
können, weichen bei Gukoseüberangebot auf nicht • Verstärkte Oxidation von Sorbitol zu Fruktose
glykolytische Stoffwechselwege aus. Im Polyolstoff- und in Folge Veränderung des zellulären Redox-
wechselweg wird Glukose durch die Enzyme Aldo- gleichgewichtes ("hyperglykämische Pseudohy-
sereduktase und Sorbitoldehydrogenase in Fruktose poxie"); Zunahme an NADH
umgewandelt (Abb. 16-16). Glukose wird zunächst • Induktion von Diacylglycerin (DAG) (s. unten)
durch die Aldosereduktase zu Sorbitol reduziert. • Bildung von Fruktose-3-Phosphat und Sorbitol-
Bei dieser Reaktion wird NADPH als Elektronendo- 3-Phosphat, die potente glykierende Substanzen
Dor verwendet und in Folge das Verhältnis NADPH sind und zur AGE-Bildung beitragen können
zu NADP+ vermindert. In einer zweiten Reaktion
wird Sorbitol durch Sorbitoldehydrogenase zu Fruk-
tose oxidiert. Das Wasserstoffatom wird an NAD+ Zwischenprodukte des Polyolstoffwechselweges wie
abgegeben und das Verhältnis NADH zu NAD+ er- Sorbitol-3-Phosphat und Fruktose-3-Phosphat sind
höht. Unter physiologischen Bedingungen wird nur hochreaktive glykierende Substanzen, die zur
ein sehr geringer Teil der Glukose über den Polyol- AGE-Bildung beitragen können. Zudem kann Me-
stoffwechselweg abgebaut. Unter hyperglykämi- thylglyoxal nicht nur nicht-enzymatisch gebildet
schen Bedingungen steigt der intrazelluläre Gluko- werden, sondern auch enzymatisch durch den Acet-
segehalt in Zellen, die unabhängig von Insulin Glu- ol-/Acetonstoffwechselweg. Reduktion des Methyl-
kose aufnehmen können, stark an. Die geringe glyoxals durch Aldosereduktase führt zu 95% Acet-
Michaelis-Meuten-Konstante der Aldosereduktase ol und 5% D-Lactaldehyd. Reduktion des Acetols
bedingt die verstärkte Aktivierung des Polyolstoff- führt zu L-1,2-Propandiol, das ebenso wie Acetol
wechsels und die intrazelluläre Akkumulation von bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus akku-
Sorbitol. muliert. Da Methylglyoxal und Acetol schneller als
Glukose AGEs bilden, bedeutet dies, dass die
AGE-Hypothese und das Modell der Polyol beding-
ten Gewebsschädigung einander ergänzen.

Klinische Relevanz
Der Einsatz von Aldosereduktase-Inhibitoren hat
Aldosereduktase
sich bis heute nur bei der diabetischen Neuropathie
bewährt, bei der eine Verbesserung der Nervenleit-
geschwindigkeit beobachtet werden kann. Im Ge-
gensatz dazu konnte bei der Retinopathie kein po-
( Sorbitol ) •
sitiver Effekt von Aldosereduktasehemmern nach-
NAD+ gewiesen werden, obgleich die Aldosereduktase-ab-
hängige Akkumulation von Fruktose und Sorbitol
Sorbitoldehydrogenase
(Polyoldehydrogenase) im Auge zu einem Zusammenbruch der Osmoregu-
lation führt, die sich klinisch als Katarakt manife-
NADH stiert. Auch die Basalmembranexpansion in Retina,
Niere, Gefäß und Muskel wurde durch Aldosereduk-
taseinhibitoren nicht positiv beeinflusst.

Abb.I6-16. Umsetzung von Glukose im Polyolstoffwechsel-


weg
16.2 Pathophysiologie diabetiseher Spätschäden 623

• Modulation der NO-Synthese


16.2.4
• Veränderung der Kalziumhomeostase durch Ver-
Aktivierung der Proteinkinase C
minderung der Na+/K+ATPase-Aktivität
Synthese und Regulation • Modulation von Gefäßpermeabilität, Kontraktili-
Die Glykolyse ist der wichtigste Weg des Glukoseme- tät und Blutfluss
tabolismus; unter hyperglykämischen Bedingungen • Modulation von Ionenkanälen
wird eine starke Erhöhung der intrazellulären Dia- • Synthese von extrazellulären Matrixproteinen
cylglycerin(DAG)-Konzentrationen beobachtet, die (z. B. Fibronektin, Typ 4 Kollagen)
Folge einer vermehrten Synthese im Verlauf der • Veränderung der Fibrinolyse durch Induktion
schrittweisen Umsetzung von Triosen zu Depot- von PAI-1
und Speicherfetten ist (Abb. 16-17). Glukoseindu- • Aktivierung von Wachstumsfaktoren (z. B.
ziertes DAG enthält überwiegend die Fettsäure Pal- VEGF, EGF)
mitin, weshalb angenommen wird, dass es durch • Aktivierung von Zytokinen und Hormonen
Neusynthese oder durch den Abbau von Phosphati- • Inhibition von Interleukin-1 in Makrophagen
dylcholin entsteht. DAG ist nicht nur die Vorstufe • Aktivierung von Transkriptionfaktoren (z. B. NF-
von Triacylglycerinen, sondern auch Kofaktor der KB, C/EBP)
Proteinkinase C (PKC). Durch Bindung von DAG • Modulation der Genexpression
kommt es in Anwesenheit von Kalzium zu einer
Konformationsänderung der PKC, durch die das ak-
tive Zentrum des Enzyms freigelegt wird und mit • Proteinkinase-C-vermittelte Insulinresistenz
dem Substrat reagieren kann, sodass Hyperglykämie
eine anhaltenden Aktivierung der PKC zur Folge hat. • Hyperglykämie aktiviert PKC und vermindert ln-
In diabetischen Tiermodellen konnte nachgewiesen sulinrezeptorkinase-Aktivität in Adipozyten
werden, dass Gabe von oralen PKCß-11-Inhibitoren • Hohe Glukosekonzentrationen aktivieren PKC im
die Hyperglykämie-abhängige vaskuläre Dysfunk- Skelettmuskel
tion verbesserte. • Aktivierung von PKC inhibiert Glykogensynthase
und Glykogensynthese im Muskel
Einfluss auf die Zielzelle • PKC inhibiert PI-3-Kinase und die Stimulation
der Glut-4-Translokation
• Effekte der Proteinkinase C
in insulin-unabhängigen Geweben

• Aktivierung der zytosolischen Phospholipase A2 Klinische Relevanz


• Aktivierung der Prostaglandinsynthese (in Ab- Eine Hyperglykämie-bedingte generelle Zunahme
hängigkeit vom betroffenen Gewebe vasokon- der DAG-Konzentration und nachfolgende PKC-
striktive und vasodilatorische Prostaglandine) Aktivierung wurde gleichermaßen in Tierexperi-

Dihydroxy -
acetonphosphat

Diabetische Insulinresistenz Diacylg lycer in

l
Spätschäden

Abb. l6-l7.
Triacy lglycerin
Diacylglycerin ist ein
(Depot - und
Kofaktor der Protein-
Speicherlipide)
kinase C
624 KAPITEL 16 Glukose

menten und in Patienten mit Diabetes mellitus Hypoglykämie


nachgewiesen. In vivo gestaltet sich der Einsatz
von PKC-Inhibitoren jedoch schwierig, da die mei-
sten verfügbaren Substanzen toxisch und nicht sehr 16.3
spezifisch für PKC sind, sondern auch andere Pro- lnsulinom
teinkirrasen hemmen können. Neue Untersuchun-
B. ISERMANN, M. BRADO, A. VON HERBAY,
gen zeigen jedoch, dass auchVitaminEund Thioct-
P. P. NAWROTH
säure (a-Liponsäure) die Aktivierung von PKC re-
duzieren können. Neben der Verminderung des oxi-
16.3.1
dativen Stresses scheint Vitamin E dabei direkt eine
Fallpräsentation
DAG-Kinase zu aktivieren, die den Abbau von DAG
beschleunigt. In Versuchen mit diabetischen Ratten
konnten DAG-Konzentration und PKC-Aktivierung Ein 70-jähriger Patient wurde wegen rezidivie-
durch Vitamin-E-Gabe aufphysiologische Werte ge- render Hypoglykämien stationär aufgenom-
senkt werden. men. Bereits 3 Jahre vor Aufnahme war es erst-
mals zu einer Synkope durch Hypoglykämie (BZ
43 mg/dl) gekommen. Der Patient berichtete
16.2.5 über zunehmende Körperschwäche im Verlaufe
Tumor-Nekrose-Faktor a (TN F-a) des Vorjahres. Der Appetit sei jedoch eher gut,
mit nächtlichen Heißhungerattacken, die in den
Synthese und Regulation Wochen vor Aufnahme regelmäßig gewesen sei-
Zahlreiche Studien zeigen, dass Adipositas zur Ver- en. Da Körpergewicht habe im letzten Jahr um
minderung der Insulinsensitivität führt, während ca. 12 kg zugenommen. Schmerzen bestünden
Gewichtsreduktion den Glukosestoffwechsel verbes- nicht. Der Untersuchungsbefund ergab einen
sert. Die molekulare Grundlage hierfür bildet mög- 70-jährigen Patienten im gutem AUgemein-
licherweise die verstärkte Synthese von TNF-a in und Ernährungszustand. Abdomen weich,
Fett- und Muskelgewebe und die durch AGEs indu- pathologische Resistenz im rechten Oberbauch
zierte Freisetzung von TNF-a aus Monozyten/Ma- tastbar, Leber ca. 3 cm unter dem Rippenbogen
krophagen. in der MCL tastbar, Konsistenz verhärtet.
Übrige internistische Untersuchung unauffäUig.
Laborbefunde: Nüchternblutzucker 25 bis
Klinische Relevanz
35 mg/dl, Insulin nüchtern 55 IJ.E/ml (Norm
Die TNF-a-Plasmaspiegel sind bei Insulinresistenz
6-26 11E/ml). Somit beträgt der insulinogene
nur marginal erhöht, sodass diesen wohl kaum kli-
Index nach nächtlichem Fasten ca. 1,83 (Norm
nische Bedeutung zukommt. Andererseits sind die
< 0,5). C-Peptid 1,5 nmoL/1 (Norm 0,33-
TNF-a-Spiegel im Fettgewebe hoch genug, um so-
1,2 nmol/1), CEA 1,6 n.g /ml (Norm bis 3 ng/
wohl direkt die insulinvermittelte Signaltransdukti-
ml), BKS 30/55 mm. Ubrige Laborparameter
on zu hemmen, als auch über Induktion der Leptin-
unauffällig. Ultraschalluntersuchung des Abdo-
synthese an der Pathophysiologie des metabolischen
mens: Verdacht auf Lebermetastasen, Hepa-
Syndroms beteiligt zu sein.
tomegalie, Pankreas: Caput unauffällig, Pan-
kreasschwanz nicht sicher beurteilbar. CI-Un-
tersuchung des Oberbauches: Ca. 3 cm große
Raumforderung im linken Oberbauch, Zuord-
nung zum Pankreasschanz oder Kolon nicht si-
cher möglich. In der Leber multiple kleine
Raumforderungen über beiden Leberlappen so-
wie eine Raumforderung von fast 6 cm Durch-
messer mit zentraler Nekrose. Leberblindpunk-
tion: Sicherung der Diagnose eines malignen In-
sulinoms. Therapie und Verlauf: Wegen der aus-
gedehnten Lebermetastasen wird von einem
operativen Vorgehen abgesehen. Zunächst The-
rapie mit Somatostatin (5-mal 100 11g s.c.) und
Diazoxid (3-mal 25 mg p.o.). Unter dieser The-
rapie blieben nächtlichen Hypoglykämien für
16.3 Insulinom 625

ca. 6 Monate aus. Dann erneute stationäre Auf- 16.3.3


nahme wegen schwerer nächtlicher Hpyogly- Pathogenese
kämien. Zweimalige Chemoembolisation mit je-
weils 2 g Streptozotocin und 750 mg 5-Flour- Das Insulinom ist der häufigste endokrin aktive Tu-
ouracil der Lebermetastasen und des Pankreas- mor des Pankreas, wie folgende Übersicht darstellt.
tumors. Hiernach deutliche Besserung der
Symptome, keine nächtlichen Hypoglykämien. Relative Häufigkeiten der lnsellzelltumoren
Nach weiteren 6 Monaten wegen Wiederauftre-
ten der Beschwerden erneute Chemoembolisati- Insulinome 50%
on mit ebenfalls gutem Erfolg. Der Patient ver- Gastrinome 30%
stirbt nach einem Jahr ohne hypoglykämische VIPome 10-15%
Beschwerden infolge einer unabhängigen Er- Andere (Glukagenom, Somatostatinom) Ca. 5%
krankung (Blasenkarzinom).

Die Ätiologie eines Insulinoms ist, mit Ausnahme


vom Insulinom im Rahmen der MEN I, unbekannt.
16.3.2 Histogen etisch handelt es sich beim Insulinom um
Epidemiologie einen Tumor von Zellen des gastroenteropankreati-
schen neuroendokrinen Systems. Da die Vorläufer-
Das Insulinom ist ein Tumor der Insulin bildeneo ß- zellen dieses Zellsystems der embryonalen Neural-
Zellen des Pankreas. Seine Häufigkeit von 1 bis 4 in leiste ("neural crest") entstammen, werden Insuli-
10 6 pro Einwohner ist insgesamt selten. Der Alters- nome heute als neuroendokrine Tumoren des Pan-
gipfel der Insulinome liegt im 5. und 6. Lebensjahr- kreas kategorisiert. Dieser aktuelle Begriff umfasst
zehnt (Abb. 16-18), und nur selten tritt ein Insuli- sowohl endokrin-aktive (sekretorische), wie auch
nom vor dem 20. Lebensjahr auf. Frauen sind etwas endokrin-inaktive (nichtsekretorische) neuroendo-
häufiger betroffen (F : M = 3: 2). Beim Malignom krine Tumoren des Pankreas, und anderer Primär-
hingegen wird das männliche Geschlecht bevo~zugt. lokalisation. Er hat die frühere Bezeichnung als
Insulinome sind auch bei Diabetikern beschneben APUDome ersetzt. Die gemeinsame embryologische
worden. Spezifische Risikofaktoren sind nicht be- Herleitung von Zellen der Neuralleiste bedingt ver-
kannt. schiedene gemeinsame Charakteristika der neuro-
endokrinen Pankreastumoren, welche serologisch
und immunhistologisch als Tumormarker eine Be-
deutung erhalten haben (s. Übersicht).

25

20

i:
:l0 15
ci:
10

0
<20 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 <=70
Alter (in Jahren)

Abb.l6-l8. Altersverteilung des Insulinoms bei 60 Patienten. (Mod. nach Service et al. 1976)
626 KAPITEL 16 Glukose

Tumormarker der neuroendokrinen nese notwendig für die Entstehung eines malignen
Pankreastumoren Insulinoms ist (Abb. 16-20). Die Proliferationsakti-
vität von Insulinomen ist bemerkenswert gering,
• Chromgranine/Sekretogranine mit einem Anteil von nur weniger als 7 o/o proliferie-
• Neuronenspezifische y-Enulase (NSE) renden Tumorzellen. Hinsichtlich der Lokalisation
werden Unterschiede zwischen malignen und benig-
nen Tumoren nicht beschrieben (Abb. 16-21). Ekto-
pe Insulinome kommen in ca. 1 o/o der Fälle vor. Fol-
Pathomorphologie gende Übersicht gibt die Verteilung dieser wieder.
Insulinome sind zumeist relativ kleine, zirkums-
kripte Tumoren, mit einem medianen Durchmesser Lokalisation ektoper lnsulinome
von 1,6 cm. Ein bindegewebige Kapsel ist inkonstant
vorhanden. Die Histologie von Insulinomen ent- • Im Milzhilus
spricht derjenigen anderer neuroendokriner Tumo- • Im Ligamentum gastrocolicum
ren. Sie bestehen aus trabekulären, insulären, oder • In der Leberpforte
pseudoglandulären Formationen von mittelgroßen, • Im Duodenum
polygonalen Zellen.

Formen des Insulinoms und deren Häufigkeit


Nur ca. 50 o/o der Insulinome produzieren aus-
Einfaches, benignes Insulinom 70 o/o schließlich Insulin, ansonsten werden auch andere,
Multiples, benignes Insulinom 10 o/o z. T. auch gastrointestinalen Hormone produziert,
Im Rahmen einer MEN 10% welche in der folgenden Übersicht wiedergegeben
Malignes Insulinom 10 o/o sind.
Nesidioblastosis des Erwachsenen, Raritäten
diffuse Insellzellhyperplasie Hormonsekretion von Insulinomen
(außer Insulin, in abnehmender Häufigkeit)

• Gastrin
Insulinome im Rahmen einer MEN Typ 1 sind meist
• ACTH
multiple. Bezüglich der Dignität weisen benigne und
• Glucagon
maligne Insulinome keine signifikanten histologi-
• Somatostatin
schen Unterschiede auf. Auch ein vermeintlicher
• Serotonin
Kapseldurchbruch ist noch nicht beweisend für
• Pankreatisches Polypeptid
die Malignität, sondern erst das Vorliegen von Me-
tastasen. Gleichwohl ist eine prospektive Einschät- • hCGT
• Kortikotropin
zung der Dignität eines Insulinoms möglich, wenn
die Tumorgröße als Kriterium berücksichtigt wird
(Abb. 16-19). In Versuchen mit Ratten konnte ge-
zeigt werden (Folkman et al. 1989), dass neben Im Verlaufe der Erkrankung kann sich das Sekreti-
der Onkogenaktivierung die Induktion der Angioge- onsverhalten des Tumors ändern. Metastasen sezer-

-------- --------
Tumorgröße

bis 2 cm 2 bis 3 cm über 3 cm

Angioinvasion mikroskopisch
eindeutig nachweisbar

meist benigner neuroendokriner meist niedriggradig-maligner


Tumor nein ja neuroendokriner Tumor
I I
keine Metastasierung Metastasierung

Abb.I6-19. Tumorgröße als Hinweis auf die Dignität. (Mod. nach Capella et al. 1995)
16.3 lnsulinom 627

normale ß- Zelle
/ lnsulint ~
Onkogenaktivierung 1 Hepatische j
+ GlukosefreisetzunQ Periphere
Glukoseutilisation

/
(- 36%)
benigne ß- Zellhyperplasie

" ' - ' Blutzucker


unbekannter Stimulus
Abb. 16-22. Insulinwirkung beim Insulinom: niedrige Blut-
zuckerwerte resultieren im wesentlichen aus der verminderten
Induktion der Angiogenese hepatischen Glukosefreisetzung
Abb.i6-20.
Entstehung maligner ß-Zel-
mal igne ß- Ze llen len. (Mod. nach Folkman Kohlenhydrate aufnehmen, um ein Absinken des
J 1989) Blutzuckerspiegels zu vermeiden. In Ruhe beträgt
der Glukosebedarf 2.2 mg/kg/min, wovon ca. 60 o/o
vom Gehirn verbraucht werden. Spätestens 5 h
Pankreas- nach dem Essen beginnt die postabsorptive Phase,
Pankreas-
korpus: 30%
in der der Glukosebedarf zunächst durch vorhan-
dene Glukosespeicher gedeckt wird (s. Übersicht;
Biggers et al. 1997; Maggs et al. 1997).

Glukosespeicher beim Erwachsenen

• 15-20 g freie Glukose


Abb. 16-21. Prozentuale Häufigkeit der Lokalisation benig- • Ca. 70 g (24-130 g) Glykogen
ner und maligner lnsulinome innerhalb des Pankreas

nieren häufig andere Peptide als der Primärtumor. Dieser Vorrat kann den Glukosebedarf für 3-8 h
Pathophysiologisch entscheident für das Beschwer- decken. Anschließend ist die Glukoneogenese für
debild des Insulinoms ist die unkoutrollierte Freiset- die Aufrechterhaltung eines ausreichenden Blut-
zung des Insulins mit nachfolgender Störung des he- glukosespiegels entscheidend. Da sowohl die
patische Glukosemetabolismus (Abb. 16-22). Die Glukogenolyse als auch die Glukoneogese beim
verminderte Glukosefreisetzung aus der Leber trägt Insulinom vermindert ist, kommt es zu einem Ab-
entscheidend zum Glukosemangel bei. Der absolute sinken des Blutzuckerspiegels spätestens nach 5 h
periphere Glukoseverbrauch von Insulinompatien- (Abb. 16-23). Glukogenolyse und Glukoneogenese
ten ist nicht höher als beim Gesunden, aber - bezo- finden in der Leber (80 %) und den Nieren (jeweils
gen auf den niedrigen Blutzuckerspiegel - relativ zu 10 %) statt. Nach längerem Fasten nimmt der Anteil
hoch. Werden Insulinompatienten in "clamp" Ver- der Nieren an der Glukoseproduktion bedeutend zu.
suchen euglykämisch (durch ausreichende intrave- Nach 50 Tagen Fasten beträgt der Anteil der renalen
nöse Glukosezufuhr), entspricht die periphere Glu- Glukoneogenese 50%. Neuere Daten zeigen auch
koseutilisation der Normalsituation. Somit ist bei nach 2-stündiger Hypoglykämie eine Zunahme des
ausreichendem Substratangebot die Glukoseutilisa- Anteils der renalen Glukoneogenese auf 60 o/o (Cer-
tion trotz bestehender Hyperinsulinämie nicht ge- sosimo et al. 2000; Abb. 16-24). Ein abfallender Blut-
genüber der Normalsituation gesteigert (Dei Prato zuckerspiegel führt zu verschiedenen gegenregulato-
S et al. 1993). Es wird deshalb eine Insulinresistenz rischen Mechanismen, die normalerweise, d. h. beim
beim Insulinom diskutiert. Beim Gesunden - ohne Gesunden, Hypoglykämien vermeiden (Abb. 16-25).
Hyperinsulinämie - wird der Blutzuckerspiegel in Die Blutzuckerschwelle der Gegenregulation, d. h.
einem engen Bereich von 60-100 mg/dl nüchtern die Blutzuckerwerte, bei denen die gegenregula-
und von bis zu 140 mg/dl postprandial konstant ge- torischen Hormone freigesetzt werden, liegt über
halten. Exogene und endogene Glukosequellen ver- der Blutzuckerschwelle für das Auftreten von Be-
hindern dabei ein Absinken des Blutzuckerspiegels. schwerden und Symptome der Hypoglykämie
Bei Vorliegen eines Insulinoms ist die endogene (Abb. 16-26). Beim Gesunden ist die Abnahme des
Glukoseproduktion infolge der Hyperinsulinämie Insulinspiegels der erste und wichtigste gegenregu-
vermindert, und die Patienten müssen regelmäßig latorische Mechanismus. Bei abfallendem Insulin-
628 KAPITEL 16 Glukose

Glukosequellen

exogen endogen

/ Abb.16-23.
Einfluß der Hyperinsulinämie
intestinale Glukoseabsorption Glukogenolyse ~ Glukoneogenese ~ auf den Glukosehaushalt

-c
·e 16
;
14 •Leber
Cl
oll:
12
• o Niere
ö 10
E
.=: 8
c
0 6
*
~
:I 4
"0
...Cl.
0
2 Abb.16-24.
Cll Glukoseproduktion von Leber und
111
0
0 Niere während Euglykämie und
~ Hypoglykämie. Die Hypoglykämie
:I Euglykämie Hypoglykämie wird durch exogene Insulinzufuhr
5 (Normal- induziert. * p < 0,01 gegenüber
Euglykämie. (Mod. nach Cersosimo
situation) et al. 1997)

spiegelwird keine Glukose mehr für die Glykogen- neuere Ergebnisse für eine Aktivierung der hormo-
synthese in der Leber verwendet. Gleichzeitig fällt nellen Gegenregulation im ZNS (s. folgende Über-
die Hemmung der hepatischen Glukogenolyse und sicht, Borg et al. 1997).
Glukoneogenese weg. Beim Insulinompatienten
bleibt die Hemmung der lnsulinfreisetzung trotz Hinweise auf die Bedeutung des ZNS
sinkendem Blutzucker aus. Infolge der fehlenden In- bei der hormonellen Gegenregulation
sulinsuppression kommt es zu einem weiteren Ab-
sinken des Blutzuckerspiegels, und somit zu einer • Freisetzung gegenregulatorischer Hormone bei
Aktivierung der übrigen gegenregulatorischen Me- isolierter ZNS-Hypoglykämie
chanismen. Für die Freisetzung gegenregulatori- • Fehlende Gegenregulation bei isolierter ZNS-Eug-
scher Hormone werden sowohl zerebrale als auch lykämie
extrazerebrale Mechanismen diskutiert. Auf der • Bei isolierter Hypoglykämie im ventralen medi-
einen Seite wird angenommen, dass die Leber alen Hypothalamus Kern:
eine dominante Rolle bei der Aktivierung der hor- Anstieg der Blutglukose
monellen Gegenregulation spielt, doch sprechen Anstieg des Adrenalin (um 600 o/o)
Anstieg des Noradrenalin (um 400 o/o)
Blutglukose + Blutglukose t Anstieg des Glukagon (um 200 o/o)

Insulin + ___j
Glukagon t __j Die Glukagonfreisetzung ist normalerweise, nach
der Suppression der Insulinfreisetzung, der wich-
Adrenalin t t tigste gegenregulatorische Mechanismus. Bei In-
sulinompatienten bleibt die Wirkung des Glukagons
Wachstumshormon und Cortisol t _j auf die Leber aus, obwohl die Glukagonspiegel

.
Gukoseautoregulation erhöht sind. Bei der gleichzeitig bestehenden Hyper-
insulinämie überwiegt die Wirkung des Insulins,
. andere Hormone, Neutratransmitter u.a. wobei die Ursache der unzureichenden oder fehlen-
Abb. 16-25. Gegenregulatorische Mechanismen (beim Ge· den Glukagonwirkung nicht bekannt ist (Abb. 16-27
sunden). (Mod. nach Cryer 1993) und 16-28). Die Aktivierung des vegetativen Nerven-
16.3 lnsulinom 629

Insulin~

Kateehe lamine t

Gluka ~on t
W< chs tu m rormon t
K rtisol t

Symptc me Abb.16-26.
Die Gegenregulation und Sym-
einges hränkte Bewußt ein ptome bei der Hypoglykämie in
Abhängigkeit des Blutzuckerspie-
gels. Der schwarze Strich markiert
den Bereich der jeweiligen "Blut-
40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 zuckerschwelle". (Mod. nach
BZ (mg/dl) Schwartz et al. 1987, Mitrakauet al.
1993

400
350

I 300
250 ~Gesunde

."'
Gi
-o-lnsulinompatlenten
.
ä.
0::
0
200
150
"'~ 100 Abb.l6-27.
::1
Plasmaglucagon bei gesunden Probanden und ln-
i5 50 sulinompatienten während 8-stündiger Nahrungs-
0 karenz. Die zum Zeitpunkt ull beim lnsulinom-
0 60 130 180 240 300 360 420 480 patienten schon höher liegenden Glucagonwerte
steigen während der Nahrungskarenz noch an.
Zelt(mln)
(Mod. nach Rizza et. al. 1981)

systems, insbesondere des Nebennierenmarks, führt Adrenalinwirkung beim Insulinompatienten


zu einer Freisetzung von Adrenalin. Bei fehlender bei Hypoglykämie
Wirkung des Glukagons wird die Adrenalinfreiset-
zung zum wichtigsten gegenregulatorischen Mecha- Adrenalinwirkung Rezeptor
nismus, wobei Adrenalin die fehlende Glukagonwir-
kung z. T. kompensieren kann (Abb. 16-29). Das T Hepatische Glykogenolyse (ß2)
Adrenalin führt zu einer Aktivierung verschiedener und Glukoneogenese
Mechanismen und somit zu einem Anstieg des Blut- l Insulinfreisetzung (a)
zuckers (s. Übersicht). T Glukagonfreisetzung (ß?)
l Periphere Glukoseverbrauch (ß?)

Blutglukose "- Blutglukose


Die Wirkung des Noradrenalins, das aus den post-

----4llt
ganglionären Neuronen des Sympathikus freigesetzt
Insulin "-
wird, entspricht der des Adrenalins. Die Wachs-
Glukagon -t tumshormon- und Cortisolfreisetzung trägt nur un-
wesentlich zur Korrektur einer akuten Hypoglyk-
Adrenalin -t ämie bei. Wachstumshormone führen initial eher

Wachstumshormon und Cortisol lf' _j zu einem weiteren Absinken der Blutglukose, und
erst nach einigen Stunden lässt sich eine Erhöhung
Gukoseautoregulation .. der Blutglukose nachweisen. Ebenso kann eine Wir-
kung des Cortisols erst nach 2-3 h nachgewiesen
• • andere Hormone, Neutratransmitter u.a.
werden, weshalb diese Hormone nur bei prolon-
Abb. 16-28. Gegenregulatorische Mechanismen (beim Jnsu- gierten Hypoglykämien eine Rolle spielen sollen
linompatienten). (Mod. nach Cryer 1993) (De Feo et al. 1989). Das pankreatische Polypeptid,
630 KAPITEL 16 Glukose

a b c

0 60 120
Zeit (min)

Abb. 16-29. Wirksamkeit von Glukagon und Adrenalin bei Kurve dem Verlauf des Blutzuckers bei pharmakologischer
der Gegenregulation. Blutzuckerspiegel während einer Insu- Ausschaltung der Adrenalinfreisetzung (a), der Glukagonfrei-
lininfusion (dicker Balken). Die durchgezogene Kurve ent- setzung (b) und sowohl der Glukagon- als auch der Adrenalin-
spricht der physiologischen Gegenregulation, die gestrichelte freisetzung (c). (Mod. nach Cryer et. al. 1981)

das unter vagaler Kontrolle steht, wird parallel mit Glukoseutilisation (Abb. I6-3I). Tierexperimentell
Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt, ist aber für konnte ein Anstieg der zerebralen Durchblutung
die Gegenregulation eher unbedeutend. Die Störung bei sinkenden Blutzuckerwerten nachgewiesen wer-
der Glukosehämostase und der Gegenregulation den (Gomez et al. I992), wie folgende Übersicht
führt beim Insulinompatienten zu pathologisch wiedergibt.
niedrigen Blutzuckerwerten. Während die redun-
danten und effektiven gegenregulatorischen Mecha-
nismen normalerweise ein Absinken des Blutzuk- Glukose
kers verhindern und damit die Versorgung des im Blut
ZNS mit Glukose auch in der postabsorptiven Phase
sicher stellen, ist dies beim Insulinompatienten
nicht gewährleistet. Die Aufnahme der Glukose
Glukose
über die Bluthirnschranke in das ZNS ist insulinun-
abhängig und wird durch den Glukosetransporter
(Glutl) reguliert (Abb. I6-30). Die Anzahl der
Glut -I-Transporter kann kurzfristig nicht geändert
werden. Bei normalen Blutzuckerspiegeln kann
der Glut-I-Transporter ungefähr die doppelte
Menge der benötigten Glukose über die Bluthirn-
Abb.16-30. Glukosetransport in das ZNS, Glutl: Glukose-
schranke transportieren. Der Glut-I-Transporter transport über die Bluthinrschranke, Glut3: Glukosetransport
ist also nur zur Hälfte ausgelastet und der Glukose- in die Zellen des ZNS, (Mod. nach Boyle 1997)
metabolismus des ZNS bestimmt die zerebrale Glu-
koseaufnahme. Bei niedrigen Blutzuckerspiegeln
wird der Glut -I-Transporter zum limitierenden Fak-
tor für die zerebrale Glukoseaufnahme, sodass eine Niedriger Blutzucker
zerebrale Glukopenie resultiert. Bei konstant niedri-
gen Blutzuckerwerten, wie dies bei lnsulinompatien-
Aktivierung des vegetativen Nervensystems
ten der Fall ist, erhöht sich innerhalb einiger Tage (insbesondere Adrenalin, Noradrenalin)
die Anzahl der Glut-I-Transporter, sodass es trotz
auffallend niedriger Blutzuckerwerten nicht zur ze- t
rebralen Glukopenie kommen muss (Simpson et al. zerebrale Durchblutung t
I999). Der Glukosetransport in die Zellen (Neurone t
oder Gliazellen) erfolgt überwiegend durch den kapilläre Durchblutung t
Glut-3-Transporter. Auch die Expression des Glut-
3-Transporters wird durch Hypoglykämie erhöht, "Rekrutierung" von Glutl Transportern
aber der Glut-3-Transporter scheint nicht geschwin-
digkeitsbestimmend für die Glukoseaufnahme in
das ZNS zu sein. Kurzfristig führt bei sinkenden zerebra le Glukoseutilisation
Blutzuckerwerten eine Steigerung der zerebralen Abb.I6-31. "Rekrutierung" von Glut-I-Transportern wäh-
Durchblutung zu einer verbesserten zerebralen rend einer Hypoglykämie
16.3 lnsulinom 631

.
1

-·--- - - -·
2
3
60 - -- - ** 3000
0
58
' 2500
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46 +----+----+----+----r---~----~--~--~0
0 30 60 90 120 150 180
Ze it (m in)

Abb. 16-32. Einfluss der zerebralen Durchblutung auf die Probanden waren euglykämisch (1, BZ = 90 mg/dl), oder hy-
hormonale Gegenregulation. Die zerebrale Durchblutung poglykämisch (2, BZ = 70 mg/dl, und 3, BZ = 50 mg/dl). Mit
(V MCA> gestrichelte Linie), gemessen an der Durchblutung der Coffein (o ) kommt es zu einer signifikanten Abnahme der ze-
A. cerebri media, wird pharmakologisch durch Coffein (o ) rebralen Durchblutung und zu einer signifikanten Zunahme
vermindert. Das Plasmaadrenalin (durchgezogene Linie) spie- des Plasmaadrenalins. • = Ergebnisse ohne Coffein (Plazebo)
gelt die hormonale Gegenregulation bei Hpyoglykämie wider. *p < 0,01, **p < 0,001. (Mod. nach Debrah et al. 1996}

Zerebrale Durchblutung in Abhängigkeit Ketonkörpern konnten noch andere potentielle


vom Blutzuckerspiegel Energiequellen für das ZNS nachgewiesen werden,
die in folgender Übersicht dargestellt sind.
Blutzucker [md/dl] Reaktion
Potenzielle Energiequellen des ZNS-Metabolismus
50-55 Signifikanter Anstieg der
zerebralen Durchblutung
• Ketonkörper
< 30 Maximale Steigerung der • Laktat
Durchblutung (um 36 %) • Fettsäuren
• Glycerol
• Aminosäuren (insb. Valin, Leukin, Isoleukin)
Umgekehrt konnte bei reduzierter zerebraler
Durchblutung und Hypoglykämie eine Zunahme
der Hypoglykämiesymptome und der gegenregula- Die Verwertung "alternativer" Energiequellen durch
torischen Hormone nachgewiesen werden (Debrah das ZNS schützt auf der einen Seite das ZNS vor
et al. 1996). Diese Ergebnisse stützen die klinischen einer potenziellen Schädigung, auf der anderen Seite
Beobachtungen, dass die zerebrale Arteriosklerose wird dadurch trotz dauerhaft niedriger Blutzucker-
zur Manifestation hypoglykämischer Symptome werte eine Aufrechterhaltung der ZNS-Funktionen
prädisponiert (Abb. 16-32). Da das Gehirn des Er- gewährleistet. Auch bei akuten Hypoglykämien
wachsenen auf Glukose angewiesen ist, ist ein aus- kann eine Verwertung von Ketonkörpern nachge-
reichender Blutzuckerspiegel für die Funktion des wiesen werden, wobei die Bedeutung dieses Keton-
ZNS absolut notwendig. Perinatal und in der frühen körpermetabolismus noch unklar ist (Amiel 1997).
Kindheit kann das Gehirn auch Ketonkörper und Bei einem kurzfristigen, deutlichen Abfall der Blut-
verzweigtkettige Aminosäuren verwerten und ist glukose kommt es zunächst zu metabolischen, spä-
somit besser bei Glukosemangel vor einer Schädi- ter auch zu morphologischen Veränderungen an
gung geschützt. Im Gehirn des Erwachsenen lässt den Neuronen. Anders als bei der Hypoxie kommt
sich erst nach längerem Fasten (> 40 Tage) ein es hierbei zu einer selektiven Schädigung der Neu-
Ketonkörpermetabolismus nachweisen. Neben den rone (Abb. 16-33).
632 KAPITEL 16 Glukose

Hypoglykämie Mögliche Beschwerden in der Frühphase


des Insulinoms

~ Hypoglykämische Symptome
• Nur nach längerer Fastenzeit (morgens, Auslas-
~ sen einer Mahlzeit)
Membranpolarisationsstörungen:
Veränderungen der Natriumpenetration in die Zelle • Nur nach körperlicher Belastung
• Nur intermitierend (bei unregelmäßiger Freiset-
t
intrazellulärer Natriumanstieg und Kaliumverlust
zung des Insulins)
Abnahme des Sauerstoffverbrauchs

Die zeitliche Reihenfolge, in der die verschiedenen


~ Symptome auftreten, ist nicht spezifisch für das In-
t
ödematöse Schwellung
sulinom. Beim Insulinompatienten mit dauerhaft
niedrigen Blutzuckerwerten verschiebt sich häufig
zelluläres Ödem und petechiale Hämorrhagien der Blutzuckerschwellenwert sowohl für die Gegen-
regulation, als auch für das Auftreten der Sym-
ptome, zu niedrigeren Blutzuckerwerten. Dies
wird auf eine Zunahme der Glut-I-Transporter an
~ der Bluthirnschranke, und damit auf eine verbes-
degenerative Veränderungen mit metabolischen Nekrosen serte Glukoseutilisation bei niedrigen Blutzucker-
Sequestration und Atrophien im Bereich der Hirnrinde
werten, zurückgeführt. Insulinompatienten können
Abb.l6-33. Veränderungen an Hirnzellen bei anhaltender deshalb bei Blutzuckerwerten deutlich kleiner
Hypoglykämie 60 mg/dl beschwerdefrei sein.

• Neuroglykopenische Symptome. Neuroglykope-


16.3.4 nische Symptome sind bei Patienten mit Insulinom
Klinik relativ häufig und oft gravierend. Folgende Über-
sicht gibt die Häufigkeit neurologischer Symptome
Symptome und Beschwerden von Insulinompatienten wieder.
Die klassische Definition der Hypoglykämie ist die
Whippie Trias: Häufigkeit der Symptome bei Insulinompatienten
• typische Symptome der Hypoglykämie,
• pathologisch erniedrigter Blutglukosespiegel, Symptom (%)
• Reversibilität der Symptome nach Zufuhr von
Glukose. Verwirrtheit oder auffallendes Verhalten 70-80
Koma oder Amnesie für das Ereignis 50-80
Schwächeanfall 50-60
Allgemein wird ein Blutzucker kleiner als 60 mg/dl Schwindel 50-60
als pathologisch angesehen, jedoch gibt es hier Krampfanfälle 20-50
starke individuelle Schwankungen. Die Symptome Gewichtszunahme 20-40
der Hypoglykämie werden in vegetativ-autonome Heißhunger 5-10
und neuroglykopenische Symptome aufgeteilt (Ta- Sprachstörungen 5-10
belle 16-1). Die Hypoglykämie ist jedoch unspezi- Inkontinenz 5-10
fisch für das Insulinom. Die Symptome Heißhunger Kopfschmerzen 5-10
und Schwitzen werden durch Atropin, nicht aber
durch adrenerge Antagonisten, blockiert und sind
deshalb cholinerg (Towler et al. 1993). Die vegeta- Die neuroglykopenischen Beschwerden werden in-
tiven Symptome sollten deshalb nicht vereinfacht itial nicht selten auf eine psychiatrische Erkrankung
als "adrenerg" bezeichnet werden. Typisch für das oder auf eine Alkoholintoxikation zurückgeführt,
Insulinom sind Nüchternhypoglykämien, also das sodass die richtige Diagnose Insulinom erst später
Auftreten von Hypoglykämiesymptomen ca. 5 h gestellt wird (s. unten). Die Aktivierung des Sympa-
nach der letzten Nahrungszufuhr. Postprandiale thikus mit erhöhten Katecholaminspiegeln kann, bei
Hypoglykämien sind möglich, jedoch sehr selten. bestehender Prädisposition, zu einer Angina pecto-
In der Frühphase des Insulinoms sind die Beschwer- ris führen. Beschwerden infolge der Raumforderung
den jedoch weniger charakteristisch (s. Übersicht). im Pankreas treten anfangs nicht auf. Eine kurze
16.3 lnsulinom 633

Tabelle 16-l. Symptome der Hypoglykämie

I. Vegetative Symptome 2. Neuroglykopenische Symptome

1.1 Sympathikus 1.2 Parasympathikus

Unruhe Heißhunger Kopfschmerzen


Schwitzen Übelkeit Müdigkeit
Tremor Erbrechen Sprachstörungen (z. B. Dysarthrie)
Blässe Speichelfluss Sehstörungen (z. B. Diplopie)
Hypertonus Schwäche Schwindel
Palpitationen Motorische oder sensible fokale Defizite
Herzrythmusstörungen Automatismen (Grimassieren, Schmatzen)
Mydriasis Verwirrtheil
Reizbarkeit Epilepti ehe Anfälle
Nervosität Koma
Speichelflu

Anamnese und klinisch ausgeprägte Symptome den. Relativ häufig ist bei diesen Patienten die Fehl-
können auf einen malignen Tumor hinweisen. Die diagnose einer neuropsychiatrischen Erkrankung.
Beeinflussung der Symptome durch äußere Fakto- In ca. 70 % der Fälle sind die Beschwerden eher UD-
ren ist in der folgenden Übersicht wiedergegeben. charakteristisch. Wochen- oder monatelange sym-
ptomfreie Intervalle sind möglich. So beträgt die
Die Symptome der Hypoglykämie können durchschnittliche Zeit bis zur korrekten Diagnose
verstärkt oder abgeschwächt werden ca. 5 Jahre (0,5 bis 20 Jahre). Die Symptome treten
in der Regel nach längeren Fastenzeiten, so z. B.
Zunahme Abnahme in den frühen Morgenstunden oder nach übergange-
der Symptome bei der Symptome bei ner Mahlzeit auf (sog. Nüchternhypoglykämien, Hy-
Alkohol ß-Blocker poglykämien in der postabsorptiven Phase). Nur in
Anorexie Polyneuropathie 7 o/o der Fälle führt körperliche Anstrengung zu ma-
Hypoxie chronisch niedrigen nifesten Hypoglykämien. Da der Patient oft "ge-
Blutzuckerwerten lernt" hat, durch regelmäßige Nahrungszufuhr das
lange bestehender Diabetes Auftreten von Hypoglykämien zu vermeiden, ist
nach Änderungen der Ernährungsgewohnheiten,
z. B. nächtliche Mahlzeiten, zu fragen. Ein Gewichts-
verlust schließt ein Insulinom aber nicht aus und
16.3.5
sollte an einen malignes Insulinom denken lassen.
Diagnostik
Symptome in Folge der Raumforderung werden
nicht beschrieben.
Das Leitsymptom des Insulinoms ist die Hypoglyk-
ämie. Die klassische Definition der Hypoglykämie
ist die Whippie Trias. Nur das gleichzeitige Auftre- Körperliche Untersuchung
ten aller drei Punkte ist beweisend für das Vorliegen Die körperliche Untersuchung ist abgesehen von
einer Hypoglykämie, da es einen festen Blutzucker- eines evtl. bestehenden Übergewichtes unauffällig.
grenzwert, der die Hypoglykämie definiert, nicht Während eines hypoglykämischen Anfalls, spontan
gibt. oder provoziert, lassen sich vegetative und/oder
neuroglykopenische Symptome beobachten.
Anamnese
Die möglichen Beschwerden, die der Patient angibt, Labordiagnostik
umfassen das weite Spektrum der oben dargestellten • Blutzucker. Der Blutzucker liegt häufig bei
Symptome. Insbesondere nach den neuroglykopeni- 40 mg/dl. Im Tagesprofil werden selten Werte
schen Symptomen, die häufig bei Patienten mit In- über 120 mg/dl erreicht. Die Bestimmung allein
sulinom sind, muss in der Anamnese gefragt wer- des Blutzuckers reicht nicht aus. Zum Nachweis
634 KAPITEL 16 Glukose

30

25%
25

20

c111
N 15
E
D..
10

5 2,5%

0
< 39 rrg/dl < 43 rrg/dl <47 rrg/dl <54 rrg/dl
Blutz uckerbere ic h

Abb. 16-34. Niedrigster Blutzuckerwert (Biutzuckernadir) nach oraler Glukosebelasung bei asymptomatischen Normalperso-
nen (100 g Glukose). (Daten aus Lev-Ran u. Anderson 1981)

einer Hypoglykämie muss die Whipple-Trias erfüllt • Oraler Glukosetoleranztest (oGTT). Da beim
sein, da auch bei asymptomatischen Gesunden nied- Insulinom die endogene Glukoseproduktion gestört
rige Blutzuckerwerte gemessen werden können. So ist, treten Hypoglykämien nüchtern, d. h. in der
haben Untersuchungen bei Gesunden gezeigt, dass postabsorptiven Phase, auf (Nüchternhypoglyk-
nach oraler Belastung mit 100 g Glukose bei über ämien). In Einzelfällen, z. B. bei blanden Sympto-
25 o/o der asymptomatischen Probanden Blutzucker- men, kann die anamnestische Unterscheidung
werte - z. T. deutlich - unter 60 mg/dl auftreten zwischen der Nüchterhypoglykämie und der post-
(Abb. 16-34). Bei Blutzuckerbestimmungen aus ve- prandialen Hpyoglykämie, schwierig sein. Deshalb
nösem Blut können falsch niedrige Werte gemessen empfiehlt sich die Durchführung eines oralen
werden, wenn es infolge einer zu späten Plasma- Glukosetoleranztests (oGTT) (Abb. 16-35). Die
separation zu einer intrazellulären Glykolyse Durchführung eines 5-h-oGTT ist umstritten.
kommt. Diese so genannten "Pseudohypoglykä- Nach vorausgegangener Magenoperation oder bei
mien" können bei Patienten mit Leukozytose oder der so genannten idiopathischen reaktiven Hypo-
Polycythämie besonders ausgeprägt sein. Da der glykämien ist der 5-h-oGTT kontraindiziert bzw.
Nachweis der Whipple-Trias nur selten spontan ohne Aussagekraft Nach Ausschluss der postpran-
gelingt, ist bei bestehendem Verdacht auf ein In- dialen Hypoglykämie ist zur Abklärung der Ver-
sulinom ein 72-h-Hungerversuch indiziert. dachtsdiagnose Insulinom der Insulinspiegel bei

V.a. Nüchternhypoglykämie

3-h-OGTT

keine postprandiale Hypoglykämie postprandiale Hypoglykämie

DD der Nüchternhypoglykämie DD der postprandialen bei V.a.:


Hypoglykämie • Früh-
NIDDM
• Insulin-
Ausschluss des lnsulinoms antikörper

5-h-OGTT

Abb.I6-35. Labordiagnostisches Vorgehen zur Differentialdiagnose zwischen Nüchternhypoglykämie und postprandialer


Hypoglykämie. DD Differentialdiagnostik, NIDDM Diabetes mellitus Typ !I, oGTT oraler Glukosetoleranztest
16.3 lnsulinom 635

niedrigen Blutzuckerspiegeln (der insulinogene In- • Keine Bettruhe, ausreichende Bewegung während
dex) zu bestimmen. des Tages (auch außerhalb des Krankenzimmers,
aber unter Beaufsichtigung)
• Der insulinogene Index. Der Nachweis eines er- • Blutentnahme (venös) zur Bestimmung von Glu-
höhten Insulinspiegels bei pathologisch niedrigen kose, Insulin, C-Peptid und Proinsulin:
Blutzuckerwerten ist für das lnsulinom typisch alle 4 h, wenn Plasmaglukose 2: 60 mgldl,
(fehlende lnsulinsuppression). Die Berechnung alle 2 h, wenn Plasmaglukose 50 bis 60 mg/dl,
des insulinogenen Index ermöglicht es, das Verhält- stündlich oder häufiger, wenn Plasmaglukose
nis von Insulinspiegel und Blutzuckerwerten zu er- ~50 mg/dl.
fassen. Blutzuckermessungen im Labor, nur orientierend
mit Teststreifen!
Der insulinogene Index: • Ende des Hungerversuches, wenn
Plasmaglukose ~ 45 mg/dl und hypoglykämische
Seruminsulin (uE/ml) < 0,5 Normal
Symptome bestehen;
Blutzucker (mg/dl) > 0,5 Endogener Blutzucker :S 40 mgldl bei zwei aufeinander fol-
Hyperinsulinismus
genden Messungen, auch wenn keine hypoglyk-
ämischen Symptome bestehen;
Die korrigierte Turner-Ratio berücksichtigt, dass bei
ansonsten nach 72 h.
adipösen Patienten irrfolge einer mäßigen Insulin-
resistenz ein endogener Hyperinsulinismus vorlie-
e Am Ende des Hungerversuches Bestimmung von
Glukose, Insulin, C-Peptid (evtl. auch Proinsulin,
gen kann.
ß-Hydroxybutyrat und Sulfonylharnstoffe). Dann
i. v.-Injektion von 1 mg Glukagon und Blutzuk-
Der korrigierte Turner-Index:
kermessung nach 10, 20 und 30 min. Anschlie-
Seruminsulin (uE/ml) x 100 < 30 Normal ßend kann der Patient essen.
Blutzucker in (mg/ dl) - 30 30-100 bei e Bei entsprechender Indikation Bestimmung von
Adipositas möglich Cortisol, Wachstumshormon oder Glukagon am
< 100 Endogener Anfang und am Ende des Tests
Hyperinsulinismus

Bei Patienten mit Insulinom kann in 90 o/o der Fälle Eine ausreichende Suppression der Insulinsekretion
durch 3-malige Bestimmung des insulinogenen In- bei niedrigen Blutzuckerwerten wird durch die Be-
dex nach 12- bis 14-stündiger Nüchternheit über stimmung des insulinogenen Index überprüft.
Nacht ein pathologischer insulinogener Index nach- Kommt es bei einem Patienten spontan zu hypoglyk-
gewiesen werden (Marks u. Rose 1981). In der Regel ämischen Symptomen, sollte Blut zur Bestimmung
ist jedoch zum Nachweis der Whippie-Trias bzw. von Glukose, Insulin, Proinsulin, C-Peptid und Cor-
eines pathologischen insulinogenen Index die tison (evt. auch ACTH) abgenommen werden, ferner
Durchführung eines 72-h-Hungerversuchs erforder- zur Asservierung Urin- und Blutproben für einen
lich (Service 1995). evtl. späteren Nachweis von Medikamenten (Sulfo-
nylharnstoffe) und toxischen Substanzen (Alkohol).
• Der 72-h-Hungerversuch. Nur während einer Hy- Die Suppression der Insulinsekretion kann dann ge-
poglykämie lässt sich die Whipple-Trias nachweisen nau wie im 72-h-Hungerversuch überprüft werden.
und der insulinogene Index sicher bestimmen. Da Das Ergebnis des 72-h-Hungerversuchs gibt folgen-
dies in der Regel nicht spontan gelingt, wird zur Pro- de, in Tabelle 16-2 wiedergegebene, weitere diagno-
vokation ein 72-h-Hungerversuch durchgeführt. stische Hinweise. Durch Veränderung des Schwel-
Folgende Übersicht gibt die Vorgehensweise beim lenwertes können Patienten mit Insulinom noch
72-h-Hungerversuch wieder. bei Blutzuckerwerten unter 40 mgldl asymptoma-
tisch sein. Aber auch junge, schlanke Frauen können
72-h-Hungerversuch Blutzuckerwerte unterhalb von 50 mgldl im Einzel-
fall gut tolerieren. Der Nachweis der Whipple-Trias
• Beginn des Hungerversuches mit der letzten Nah- gelingt mit zunehmender Dauer des Hungerver-
rungsaufnahme. Alle unnötigen Medikamente suchs häufiger (Abb. 16-36). Konnte eine Hypoglyk-
sollten 3 Tage vor Beginn des Versuches abgesetzt ämie am Ende des Hungerversuchs nicht provoziert
werden werden, kann eine körperliche Belastung als Provo-
e Während des Versuches ausreichende Flüssig- kation angeschlossen werden. Entscheidend sind
keitszufuhr kalorienfreier und koffeinfreier Ge- aber weniger die niedrigen Blutzuckerwerte, son-
tränke (2-3 1) dern vielmehr die fehlende Suppression der Insulin-
636 KAPITEL 16 Glukose

Tabelle 16-2. Interpretation des 72-h-Hungerversuches. (Mod. nach Service 1995)

Diagnose Symptome Glukose Insulin C-Peptid Proinsulin ß-OH - Glukose- Sulfonyi-


Butyrat anstieg• harnstoff
im Plasma

mg/dl mU/1 nmol/1 pmol/1 mmol/1 mg/dl

ormal Nein > 40 < 6 < 0,2 < 5 > 2,7 < 25 Nein

lnsulinom Ja < 45 > 6 > 0,2 > 5 < 2,7 > 25 Nein

Hypoglycaemia factitia Ja < 45 > 6 < 0,2 < 5 < 2,7 > 25 Nein
(I nsulin)

Hypoglycaemia fac titia Ja < 45 > 6 > 0,2 > 5 < 2,7 > 25 ja
(Sulfonylharnstoffe)

Hypoftlykämie durch Ja < 45 < 6 < 0,2 < 5 < 2,7 > 25 ein
"lnsu in-like-growth-
Faktor"

Nicht durch Insulin Ja < 45 < 6 < 0,2 < 5 > 2,7 < 25 ein
hervo~eru fene
Hypo ykämie

ahrun3saufnahme ein > 45 < 6 < 0,2 < 5 < 2,7 > 25 Nein
währen des
Hungervers uches

Pseudohypoglykäm ie Ja > 40 < 6 < 0,2 < 5 > 2,7 < 25 ein

a Der "Glukoseanstieg" bezieht sich auf die Differenz zwischen Blutzuckerwert am Ende des Hungerversuches und dem ma-
ximalen Blutzuckerwert nach Glukagonapplikation

sekretion trotz niedriger Blutzuckerwerte, erkenn- glykämie hin. Zuverlässige Vergleichswerte dieser
bar am pathologischen Anstieg des insulinogenen beiden Parameter finden sich hierzu ebenso wenig
Index. Die Bestimmung des insulinogenen Index er- wie für potenzielle Veränderungen der gegenregula-
möglicht die Diagnosesicherung auch unabhängig torischen Hormone während des Hungerversuchs.
von der Symptomatik. Ferner weisen niedrige ß-Hy-
droxybutyratwerte (verminderte Lipolyse) und ein • Andere Provokationstests. Verschiedene andere
deutlicher Blutzuckeranstieg nach Gabe von Gluca- Tests sind zur Diagnose des endogenen Hyperinsu-
gon i. v. (vermehrte Glycogenbildung) auf einen Hy- linismus entwickelt worden (Tabelle 16-3). Für
perinsulinismus bzw. IGF ("insulin-like growth fac- alle diese Tests existieren keine hinreichend guten
tor", meist paraneoplastisch) als Ursache der Hypo- Referenzwerte. Auch ist die Spezifität dieser Tests

98
100
90
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Cll
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Cll-
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I::
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20
'"'
::t: 10
0 Abb.l6-36.
Nachweis der Whippie-Trias in
12 24 48 92 Abhängigkeit von der Dauer des
Hungerversuchs. (Mod. nach
Daue r des Hungerve rsuches (Stu nde n) Service 1983)
16.3 Insulinom 637

Tabelle 16-3. Verschiedene Provokationstests zur Diagnose Anteil des Proinsulin am Gesamtinsulin
eines endogenen Hyperinsulinismus

Testverfahren
Anteil in%

Stim ulat io n Tolbutam intest lnsulinompatienten > 24


der Insulinsekreti on Glucago ntest Gesunde < 22
Kalziumte t Sulfonylharnstoffabusus < l0
Leuei ntest
Glukosete t
Ein zu hoher Proinsulin-Anteil, und damit falsch
Hem mung C-Pep tid -Suppresio nstest positive Befunde (folgende Übersicht) sind möglich.
der Insuli nsekretion omatostati ntes t
Ad renali nte t
Diazoxid test Falsch-positive Befunde der Proinsulinbestimmung

• Urämie
niedrig. Zudem sind insbesondere die Tests, die die • Thyreotoxikose
Insulinsekretion stimulieren, potenziell gefährlich • Lebererkrankungen
für den Patienten und deshalb bei Blutzuckerwerten • Manifester Typ-2-Diabetes
< 60 mg/dl kontraindiziert Relativ gute Vergleichs-
werte sind für den Tolbutamintest erarbeitet worden
(Service et al. 1992; McMahon et al. 1989). Bildgebende Verfahren
An die laborchemische Sicherung der Diagnose des
• C-Peptid-Suppressions-Test. Die Bestimmung Insulinoms schließt sich eine präoperative bildge-
des C-Peptids nach Injektion von Insulin (i. v., benden Diagnostik an. Ziele dieser Diagnostik
0,125 E/kg KG über 60 min) wird am häufigsten sind in der folgenden Übersicht wiedergegeben.
als Ergänzung zum 72-h-Hungerversuch aufgeführt.
Das C-Peptid (normal < 0,33 nmol!L) ist bei equi- Ziel der präoperative bildgebenden Diagnostik
molarer Sekretion mit Insulin weniger von kurzfri-
stigen Schwankungen abhängig. Beim C-Peptid-
• Lokalisation des Tumors
Suppressions-Test wird die - beim Insulinom ver- • Ausschluss einer Multizentrizität
minderte - Suppression der C-Peptid-Sekretion in • Ausschluss einer Malignität
Abhängigkeit vom Lebensalter und des "body (Metastasten, infiltratives Wachstum)
mass index" (BMI) ermittelt. Die Vorteile der C-Pep-
tidbestimmung sind in folgender Übersicht darge-
stellt. Da 30 % der lnsulinome bei Diagnosestellung im
Durchmesser kleiner als 1 cm sind ist die Sensitivität
Vorteile des C-Peptid-Suppressionstests der präoperativen Diagnostik im Allgemeinen
schlecht. Auch bei den multiplen Tumoren einer
• Keine Kreuzreaktion mit Insulinantikörpern MEN I können die verschiedenen Tumorareale oft
• Unabhängig von exogen zugeführtem Insulin nur unzureichend dargestellt werden. Folgende
• Längere Halbwertzeit (t'/2 = 25 min) als Insulin Übersicht gibt die Sensitivität der verschiedenen
• Geringerer Lebermetabolismus bildgebenden Verfahren an .

Bildgebende Verfahren und Sensitivität


• Proinsulinbestimmung. Der Anteil des Proinsu-
lins am Gesamtinsulin ist bei Patienten mit Insuli- Verfahren Sensitivität
in%
nom erhöht (s. Übersicht; Hampton et al. 1988).
Tumoren, die überwiegend Proinsulin, aber normale Intraoperative Sonographie 90-100
Insulinmengen sekretieren, können unerkannt Intraoperative Palpatation 90-100
bleiben, wenn nur das freie Insulin gemessen Endosonographie 82-100
wird. Deshalb sollte ein Assay, der Insulin und Pro- Perkutane transhepatische Portographie 87-94
insulin bestimmt, verwendet werden, oder Insulin Arteriographie 60-91
und Proinsulin sollten unabhängig bestimmt wer- Sonographie 40-56
den. Computertomographie 25-70
Kerspintomographie 25-35
Somatostatinrezeptorszintigraphie 0-20
638 KAPITEL 16 Glukose

Der Stellenwert der Endosonographie als relativ we-


16.3.6
nig invasives Verfahren ist noch nicht endgültig ge-
Differentialdiagnostik
klärt. Die Sensitivität der Endosonographie ist ab-
hängig von der Tumorlokalisation, wie folgende
Hypoglykämien sind in Nüchternhypoglykämien
Übersicht wiedergibt.
und postprandiale Hypoglykämien eingeteilt, wobei
für die diagnostische Unterscheidung dieser beiden
Sensitivität der Endosonographie
Hypoglykämieformen die Durchführung eines
oGTT entscheidend ist. Bei den postprandialen
Lokalisation Sensitivität in %
Hypoglykämien treten die Symptome nur nach
Pankreaskopf 100 der Einnahme von Mahlzeiten auf. Selbstverständ-
Pankreaskorpus 78 lich können bei beiden Hypogykämieformen so-
Pankrasschwanz 60 wohl neuroglykopenische als auch vegetative Sym-
ptome auftreten (Tabelle 16-4). Tabelle 16-5 stellt
die verschiedenen Differentialdiagnosen nach Hy-
Die Somatostatinrezeptorszintigraphie hat sich in poglykämieformen getrennt dar. Enzymdefekte, die
der Lokalisationsdiagnostik des Insulinoms nicht zu Hypoglykämien führen können, manifestieren
bewährt (Kisker et al. 1997). Alle anderen präopera- sich üblicherweise im Kindesalter (s. folgende Über-
tiven Verfahren zur Darstellung des Insulinoms be- sicht).
sitzen eine geringe Sensitivität (US, CT) oder sind
sehr invasiv (z. B. perkutane transhepatische Porto- Enzymdefekte, die zu Hypoglykämien
graphie), sodass bei einem eindeutigen Nachweis führen können:
des Insulinoms im Hungerversuch die Indikation
für diese präoperativen bildgebenden Verfahren • Glykogenspeicherkrankheiten
streng zu stellen ist. Die perkutane transhepatische Glykogen-Synthetase-Mangel
Portographie mit der Blutentnahme aus verschiede- Debranching-Enzym-Mangel
nen Pankreasvenen erlaubt eine relativ sichere prä- Phosphorylasemangel
operative Diagnose multipler Insulinome oder auch Phosphorylase-Kinase-Mangel
einer diffusen Insellzellhyperplasie. Ein Tumor lässt Glukose-6-Phosphatase-Mangel
sich jedoch nur einem bestimmten Areal zuordnen, • Störung der Glukoneogenese
wobei diese Zuordnung durch anatomischen Va- Fruktose-1-6-Di phosphatase-Defekt
rianten der Pankreasvenen und der inkonstanten Phosphoenolpyruvat -Carboxykinase-Defekt
Insulinsekretion der Tumoren beeinträchtigt wird. • Störung der Fettsäureoxidation
Die Untersuchung ist zudem stark von der Erfah- Carnitinmangel
rung des Untersuchers abhängig. Wichtiger ist die "Medium-chain-acyl-CoA-Dehydrogenase-Man-
intraoperative bidigitale Palpation des Pankreas gel"
durch den erfahrenden Chirurgen und die intraope- "Long-chain-acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel"
rative Sonographie (IOUS). Auch multiple Adenome "Long-chain-acyl-CoA -Carnitin-Transferase-
werden so sicher erkannt. Die IOUS hat ein maxima- Mangel"
les Auflösungsvermögen von 1 mm und ermöglicht "Long-chain-3-0 H -acyl-CoA-Dehydrogenase-
ferner eine genaue Lokalisation und somit auch die Mangel"
Abgrenzung vom Pankreasgang. Auch Lebermeta- "Short -chain-3-0H -acyl-CoA-Dehydrogenase-
stasen lassen sich gut erkennen (Correnti et al. Mangel"
1996).

Tabelle 16-4. Hypoglykämieformen

Hypoglykämieformen Symptome (im Bezug Symptome


zur letzten Mahlzeit)

Nüchternhypoglykämien Postabsorptive Phase Typisch neuroglykopenisch


(ca. 5 h oder später)

Postprandiale Hypoglykämien Absorptive Phase Typisch vegetativ


(innerhalb 2- 3 h)
16.3 Insulinom 639

Tabelle 16-5. Differentialdiagnosen verschiedener Ursachen nach Hypoglykämieformen getrennt

Nüchternhypoglykämie Postprandialc Hypoglykämie

• Pankreaserkrankungen • Magenentleeru ngsstörungen


Insulinom Zustand nach Magenoperation
esidioblastose
diffuse InseUzellhyperplasie • Enzymdefekte
InseUzeUadenomatose Glykogenspeichererkrankungen
Störung der Glukoneogenese
• Hypoglycaemia facticia Störung der Fettsäureoxidation
Inulin Galaktosämie
Sulfonylharn toffe Fruktosein toleranz
Ahornsirupkrankheit
• Autoimmunhypoglykämien
Autoantikörper gegen Insulin • Genuss von Gi n und Tonic
Autoantikörper gegen Insulinrezeptoren
Autoantikörper mit ß-ZeU-stimulierender Wirkung • Toxine
Ackee fruit
• Tumorhypoglykämie Pilztoxine
IGF-Il- ekretion • postprandiale Pseudohypoglykämien
Insulinsekretion
• endokrinalogische Erkrankungen
Panhypopituitarismus
Isolierter Wachstumshormonmangel
Isolierter ACTH-Mangel
Morbus Addi on
Hypothyreose
• andere schwere Erkrankungen
ierenversagen
Sepsis
Leberversagen
Dilatative Cardiomyopathie
Kachexie
Anorexie
• Medikamente
Insulin
Sulfonylham toffe
Alkohol

Während der präoperativen Therapie werden nor-


16.3.7
male Blutzuckerspiegel angestrebt. Fastenzeiten
Therapie
sind zu vermeiden. Regelmäßige Blutzuckerkontrol-
len helfen, Hypoglykämien rechtzeitig zu erkennen.
Das therapeutische Vorgehen richtet sich nach der
Bei unzureichender Kontrolle der Blutzuckerwerte
Klinik und Dignität des Insulinoms. Abbil-
mit häufigen Hypoglykämien kann eine stationäre
dung 16-37 gibt das Therapieschema wieder.
Einweisung erforderlich werden.

Therapie der akuten Hypoglykämie


Operation
Folgende Übersicht gibt die Therapie der akuten Hy-
Die operative Entfernung des Tumors ist Therapie
poglykämie wieder.
der 1. Wahl und meist kurativ. Insgesamt lässt
sich durch Operation in 97,5 % der Fälle eine Hei-
Therapie der akuten Hypoglykämie
lung erreichen. Durch eine ausgedehnte Exploration
des gesamten Abdomens, insbesondere der Leber
• Mit Bewusstseinsstörung
und der regionären Lymphknoten ist obligatorisch
Glukose i. v. (40-60 ml 50% Glukose), anschlie-
(s. folgende Übersicht).
ßend 5 % Glukose i. v.
Glukagon (1-2 mg, i.m., s.c. , i. v.), kann wieder-
holt werden; anschließend Glukoseinfusion Notwendigkeit einer intraoperativen Exploration
Glucocorticoide (50-100 mg i. v.)
• Ohne Bewusstseinsstörung • Ausschlussdiagnostik von
Orale Zufuhr schnellresorbierbarer Kohlenhydra- extrapankreatische Tumoren
te (Traubenzucker, Cola) Metastasen
640 KAPITEL 16 Glukose

Diagnose: lnsulinom

Patient klinisch stabil Patient _klinisch instabil

Ernährung Glukose i.v.


(häufige, kohlenhydratarme, fett- und
proteinreiche Mahlzeiten)

I
Lokal isationsd iagnosti k
Hinweis auf Malignität
(infiltrierendes Wachstum, Metastasen)?

0
I
Operation
inoperabel operabel

Heilung kein Tumor gefunden Operation


(in 95%)

erneute Operation
keine Heilung Heilung

Heilung kein Tumor gefunden -


/
weitere Therapien
(in 50%) Embolisation
Diazoxid Abb.l6-37.
Somatostatin Analoga Therapeutische Vorgehen
Chemotherapie bei Patienten mit Insulinom

Ist der Tumor lokalisiert, wird eine Enukleation an- Vermeidung einer Fistelbildung kann eine Wir-
gestrebt, die bei ungünstiger Lage des Tumors, z. B. sung- Jejunostomie mit Roux-Y-Schleife durchge-
in Nähe des Ductus pancreaticus, nicht immer mög- führt werden. Bei malignen Insulinomen sollte in je-
lich ist. In diesem Fall wird eine Teilresektion des dem Fall eine operative Therapie und Heilung ange-
Pankreas durchgeführt (s. folgende Übersicht). strebt werden, da nicht alle malignen Insulinome auf
eine medikamentöse Therapie ausreichend und
Indikationen für eine subtotale Pankreatektomie dauerhaft ansprechen. Folgende Übersicht gibt die
chirurgischen Maßnahmen beim malignen Insuli-
• Ungünstige Lage des Tumors nom wieder.
• Multiple Insulinome (meist bei einer MEN)
• Nesidioblastose (bei gesicherter Diagnose:
Schnellschnittuntersuchung) Chirurgischen Maßnahmen maligner Insulinome
• Postoperativ anhaltende Beschwerden
• Weitestgehende Resektion
• Radikale Entfernung der Lymphknoten
Lässt sich der Tumor intraoperativ nicht darstellen,
kann eine schrittweise distale Pankreatektomie
durchgeführt werden (mit Schnellschnittuntersu- Bei fehlenden Leberfiliae kann dieses Vorgehen ku-
chung und Überprüfung des Blutzuckers als Erfolgs- rativ sein. Ansonsten führt die Tumormassenreduk-
kontrolle). Zum Erhalt der Pankreasrestfunktion tion zu einer deutlichen Besserung der klinischen
sollten nicht mehr als 85 % entfernt werden. Zur Symptome.
16.3 Insulinom 641

Arterielle (Chemo-)Embolisation kommen. Folgende Übersichten geben Gründe für


Ist eine Operation kontraindiziert oder ist durch die ein Versagen einer Therapie mit Somatostatin Ana-
Operation eine Heilung nicht erreicht worden, kann loga wieder.
eine arterielle Embolisation oder Chemoembolisati-
Gründe für ein unzureichendes Ansprechen
on des Tumors und/oder der Metastasen durchge-
einer Somatostatintherapie
führt werden (Abb. 16-38). Hierdurch lässt sich häu-
fig eine Verbesserung der Symptomatik und eine
• Nur etwa die Hälfte der Insulinome exprimieren
Tumorregression erreichen. Die Therapieerfolge
Somatostatinrezeptoren
werden durch eine gleichzeitige Chemotherapie ver-
• Auch die Freisetzung der gegenregulatorischen
bessert. Bei reichlicher Vaskularisierung des Tumors
Hormone (insb. Glukagon) wird gehemmt
aus verschiedenen Gefäßen ist die Embolisation
• Somatostatin Analoga binden nicht an alle Soma-
schwierig. Ein weiterer Nachteil ist, dass auch gesun-
tostatinrezeptorsubtypen (z. B. bindet Oktreotid
des Gewebe geschädigt werden kann.
nicht an die Subtypen 1 und 4)

Konservative Therapie
Indikationen für eine konservative Therapie sind: Gründe für einen Wirkungsverlust
• präoperative Phase, der Somatostatintherapie
• Patient nicht operationsfähig,
• Versagen der anderen Therapien, • Zunahme der Tumormasse
• maligner, nicht operabler Tumor. • Verlust der Somatostatinrezeptoren
(insb. SSTR II)
Die konservative Therapie des Insulinoms umfasst: • Down-Regulation der Somatostatinrezeptoren
• Somatostatin Analoga,
• Diazoxid,
Dennoch ist ein Therapieversuch mit Somatostatin
• Chemotherapie,
Analoga 1. Wahl im Rahmen der konservativen The-
• Interferon,
• diätetische Maßnahmen. rapie. Die Dosierung erfolgt individuell, i. d. R. 3-mal
täglich 100-300 !Jg Oktreotid s.c. Es kann eine Dosis
• Somatostatin Analoga. Die meisten endokrin ak- von mehr als 1500 !Jg/d erforderlich sein. Auch kön-
tiven Tumoren exprimieren beide oder einen der So- nen neuere Retardpräparate verwendet werden. Fol-
matostatinrezeptorsubtypen 1 und 2. Die Expressi- gende Übersicht gibt die Nebenwirkungen von So-
on der Somatostatinrezeptorensubtypen ist jedoch matostatin Analoga wieder.
heterogen in Insulinomen (Kubota et al. 1994). In
Einzelfällen lassen sich aber bei der Therapie des In- Nebenwirkungen der Somatostatin Analoga
sulinoms mit Somatostatin Analoga gute Erfolge er-
z_ielen (z. B. Oktreotid 50-100 !Jg s.c. 3-bis 4-mal täg- • Diarrhöen (häufig, nach 10 Tagen sistierend)
lich oder als Infusion 300 !Jg s.c. pro Tag, maximal • ~holezystolithiasis (30% bis 60% der Fälle)

1500 !Jg täglich). Der Erfolge einer Somatostatin- • Ubelkeit


Analogatherapie lässt sich im Einzelfall nicht vor- • Meteorismus
hersehen. Auch kann es nach einem primären An- • Gastritis
sprechen des Insulinoms zu einem Wirkungsverlust • Vitamin-B,rMangel (nach mehrjähriger Therapie)

79%

o Arterielle Okldusionstherapie

• Arterielle Olddusionstherapie nit


Cherrother a pie
20
Mlnate

0% Abb. l6-38.
Tumorregression, defin iert als mind. 50 %
Turrorregression vollst.'lndjge durchschnittliche Größenabnahme, nach arterieller Okklu i-
(prozentuale Turrorregression Regressionsdauer on therapie mit bzw. ohne ergänzende
Häufigkeit) (prozentuale Chemotherapie bei lnsellzellkarzinomen.
Häufigkeit) (Mod. nach Meertel 1994)
642 KAPITEL 16 Glukose

Diazoxid

ß-Zellen:
Öffnung der K+·Kanäle
t a-Rezeptoren
~
-----------
~ Adenosinmonophosphat
/hodiesterase

Abb.l6-39.
Insulinsekretion ~ Glykogenolyse ~ Wirkweise von Diazoxid

Die Nebenwirkungen resultieren aus einer veränder- Wegen der natriumretinierenden Wirkung sollte
ten Motilität (z. B. Magen, Gallenblase) und einer In- Diazoxid mit einem Thiaziddiuretikum kombiniert
hibition verschiedener Hormone (z. B. Cholezystoki- werden, das zusätzlich zu einer Verstärkung des an-
nin, Gastrin, "intrinsic factor"). Regelmäßige Sonogra- tihyperglykämischen Effektes führt.
phische Kontrollen des Gallengangssystems, Blutbild-
kontrollen und Vitamin-B 1rKontrollen sind deshalb
Chemotherapie
erforderlich. Eine präventive Gabe von z. B. 10 mg/kg
Bei malignen Tumoren ist die Kombinationsthera-
Ursodesoxycholsäure wird diskutiert. Insgesamt wer-
pie Streptozotocin mit Doxorubicin besser als die
den die Somatostatin Analoga jedoch gut vertragen.
Kombination von Streptozotocin mit Fluorouracil
• Diazoxid. Diazoxid, ein Benzothiadiazinderivat, (Tabelle 16-6 und 16-7). Chlorozotocin ist ein neues
ist bei Versagen der Oktreotidtherapie 1. Wahl Chemotherapeutikum, das strukturelle Ähnlichkeit
(p.o. oder i. v., 5-10 mg/kg/d, max. 800 mg/Tag, ver- mit Streptozotocin besitzt. Die gastrointestinalen
teilt auf 3 gleich Dosen). Abbildung 16-39 gibt die Nebenwirkungen sind schwächer als beim Strepto-
Wirkung des Diazoxids auf den Glukosestoffwechsel zotocin. Chlorozotocin ist ebenso wirksam wie die
wieder. In der folgenden Übersicht sind die Neben- bisherige Standardtherapie Streptozotocin mit Fluo-
wirkungen aufgeführt. rouracil (Moertel et al. 1992).

Nebenwirkungen des Diazoxid • Interferon-«-Therapie. Die Wirksamkeit einer


Interferontherapie des Insulinoms ist noch nicht
• natriumretinierend und kaliuretisch eindeutig belegt (Saltz et al. 1994). Bei unzureichen-
• Ödembildung dem Ansprechen des Insulinoms auf andere Thera-
• Hypotensive Effekte pien kann eine Interferon-a-Therapie versucht wer-
• Hypertrichose den. Andere Medikamente zeigen entweder nur sehr
• Tubulusschädigung unregelmäßig Therapieerfolge oder haben gefährli-
• Verdauungsstörungen che Nebenwirkungen und sind von untergeordneter
• Tachykardien (selten) Bedeutung. Folgende Übersicht gibt die mögliche
• Herzinsuffizienz (selten) symptomatische Therapie der Hypoglykämien
• Knochenmarkschädigungen (selten) beim Insulin wieder.

Tabelle 16-6. Chemotherapie beim Insulinom. (Mod. nach Moertel et al. 1992)

Therapie Teilremission Vollremission

[%[ [%1

Streptozotocin + Doxorubicin 69 14
Streptozotocin + Flourouracil 45 4
Chlo rozotocin 30 6

Tabelle 16-7. Empfohlene Dosierung für die Kombinationstherapie Streptozocin und Doxorubicin (Mod. nach Moertel et al.
1992)

1\ledikamcnt Dosierung

Streptozotocin 500 mglm 21d für 5 Tage Wiederholung alle 6 Wochen


Doxorubicin 50 mglm 2 (Tage I und 22) Maximaldosis 500 mglm 2
16.4 Andere Formen der Hypoglykämie 643

Medikamente zur symptomatischen Therapie Häufigkeit von Komplikationen


der Hypoglykämien beim Insulinom bei der lnsulinomtherapie

e ß-Blocker (z. B. Propranolol) Komplikation Häufigkeit in %


• Phenytoin Ohne Komplikationen 69
e Diphenylhydantoin Fistelbildung 23
• Chlorpromazin Abzesse und Infektionen 15
e Ca2 +-Antagonisten (Verapamil) Akute Pankreatitis
Nachblutungen
8
8
Tod 8
WUndheilungstörungen 4
Sekundäre Diabetes mellitus 3
Therapiekontrollen Paralytischer Ileus
Bei endokrin aktiven Tumoren sind der Blutzucker- Peritonitis
Pseudozysten
spiegels und die Symptome des Patienten wesentli-
che Kontrollparameter. Bei endokrin-inaktiven Tu-
moren stellen Tumormarker (Chromogranine, NSE)
Kommt es postoperativ zu einer Fistelbildung, so
und bildgebende Verfahren mögliche Therapiekon-
kann mit einem Somatostatin Analogon versucht
trollen dar. Mit den bildgebenden Verfahren kann,
werden, diese Komplikation zu kontrollieren. Bei
sofern das lnsulinom präoperativ darstellbar war,
malignen Tumoren kann es zu einer Änderung
die vollständige Entfernung des Tumors bzw. das
der Hormonsekretion kommen und somit z. B. zu
Auftreten eines Rezidivs überprüft werden. Die In-
Hyperglykämien infolge gesteigerter Glukagonse-
terpretation der Tumordarstellung ist durch die ver-
kretion. Regelmäßige Kontrollen des Blutzucker-
änderte postoperative Anatomie zusätzlich er-
spiegels sind deshalb erforderlich.
schwert.

Prognose 16.4
Bei den malignen Tumoren beträgt die mittlere Andere Formen der Hypoglykämie
Überlebenszeit ca. 60 Monate. Beim Vorliegen eines
B. ISERMANN, M. BRADO, A. VON HERBAY,
Rezidivs (60% der Fälle), beträgt die mittlere Über-
P. P. NAWROTH
lebenszeit 19 Monate.
Die Hypoglykämien können nach verschiedenen
Nebenwirkungen und Komplikationen Kriterien eingeteilt werden. Wie zuvor dargestellt,
Insbesondere nach distaler partieller Pankreatekto- können Nüchternhypoglykämien von postprandia-
mie kommen passagere Hyperglykämien vor, die je- len Hypoglykämien unterschieden werden. Diese
doch meist in kurzer Zeit reversibel sind und sich Unterteilung ist diagnostisch wertvoll, da sie die
zurückbilden. Ein sekundärer Diabetes mellitus ent- häufigen postprandialen Hypoglykämien von den
steht nur nach resezierenden Eingriffen (in ca. 10% selteneren Nüchternhypoglykämien trennt und
der Fälle), wobei eine distale Pankreatektomie von entscheidend für die weitere Diagnostik ist. Nach
nur 50 % ausreichen kann. Folgende Übersicht stellt pathophysiologischen Gesichtspunkten können die
die Häufigkeit von Komplikationen bei Insulinam- Hypoglykämien entsprechend des Insulinspiegels
therapie dar. eingeteilt werden (Abb. 16-40). Auch in Abhängig-

Hypoglykä mien

1. endogen
---------
mit Hyperinsulinämie, z.B.: ohne Hyperinsulinämie, z.B.:

1. endokrine lnsuffizienzen,
gestörte lnsulinfreisetzung,
z.B.:
1. postprandiale
• lnsulinom z.B.: Frühhypoglykämie
• Autoantikörper • M.Addison (Spät- Dumping)
2.exogen • Hypopituitarismus 2. reaktive
• Hypoglycaemia 2. Nieren-, Leber- oder Späthypoglykämie
factitia Herzinsuffizienz (NIDDM)
3. paraneoplastisch 3. idiopathische Abb.I6-40.
4. Glycogenosen postprandiale Pathophysiologische Einteilung
5. Alkoholintoxikation Hypoglykämien der Hypoglykämien
644 KAPITEL 16 Glukose

keit vom Gesundheitszustand der Patienten können Histologie der Nesidioblastose


die Hypoglykämieneingeteilt werden (s. Übersicht).
a Inselhyperplasie
Klinische Einteilung der Hypoglykämien nach Ge- • Endokrine Zellnester, ausgehend von Pankreas-
sundheitszustand der Patienten gängen (Duktulo-insulinäre Komplexe)
a Erhöhte Proinsulinmenge im Golgi-Apparat
• Patienten im guten Allgemeinzustand • Hypertrophie von ß-Zellen
Ohne bekannte Grundkrankheit, z. B. Alkohol,
Medikamente, Hypoglykaemia factitia, Insuli-
nom (Neumanifestation)
Speziell im Neugeborenenalter ist die Nesidiobla-
Mit bekannter Grundkrankheit, z. B. Medika-
stose eine erbliche Erkrankung (meist autosomal
mente (Medikamente mit Sulhydrylgruppe, ß-
rezessiv) und eine seltene Ursache persistierender
Blocker), Toxine
neonataler Hypoglykämien. Nur in wenigen Einzel-
a Patienten im schlechten Allgemeinzustand
fällen wurde eine Nesidioblastose im Erwachsenen-
Z. B. Medikamente (Pantamidine, Quinidine,
alter als Ursache von rezidivierenden Hypoglyk-
u. a.}, endokrinalogische Erkrankungen, Enzym-
ämien berichtet (van der Wal et al. 2000; Bell et
defekte
al. 1995}. Die histologischen Befunde entsprechen
a Patienten im Krankenhaus
qualitativ jenen im Neugeborenenalter, sind jedoch
Z. B. Sepsis, Nierenversagen, vollständige paren-
quantitativ weniger ausgeprägt. Insofern ist die Dia-
terale Ernährung
gnose einer Nesidioblastose im Erwachsenenalter
letztlich immer eine histologische Ausschlussdia-
gnose, speziell nach Ausschluss eines lnsulinoms
im Operationspräparat Durch die altersentspre-
16.4.1 chende, noch unvollständige Organisation der endo-
Andere Formen krinen Zellen bei Neugeborenen, ist der histologi-
der Pankreaserkrankungen sche Befund beim neonatalen Krankheitsbild hete-
rogen (Goossens et al. 1989}. Deshalb wird bei diesen
Hypoglykämien infolge einer Pankreaserkrankun- Kindern oft die Diagnose einer PHHI ("persistent
gen außer dem Insulinom sind beim Erwachsenen hyperinsulinemic hypoglycemia of infancy") ge-
selten. Sie sind in folgender Übersicht wiedergege- stellt. Die pathohistologischen Befunde des Pan-
ben. kreasgewebes von Kindern mit PHHI deuten bereits
auf eine Funktionsstörung der ß-Zellen hin (Sem-
ß-Zellerkrankungen (außer Insulinom) poux et al. 1995). Ein Defekt der ATP abhängigen
K+-Kanäle (KArP) der pankreatischen ß-Zellen
a Nesidioblastose konnte bei Patienten mit PHHI nachgewiesen
a Diffuse Inselhyperplasie werden (Dunne et al. 1997; Thomas et al. 1997}.
a Inselzelladenomatose In einigen Fällen konnten die postoperativ per-
sistierenden Hypoglykämien mit dem Ca2 -Kanal-
blocker Nifedipine erfolgreich behandelt werden
(Bas et al. 1999}. Diese Beobachtung legt nahe,
Nesidioblastose
dass ein initialer Therapieversuch mit Ca2+ -Kanal-
Die Nesidioblastose ist eine im Allgemeinen diffuse
blockern gerechtfertigt ist.
Abnormalität des Pankreas, charakterisiert durch
eine ausgedehnte und oftmals disorganisierte Neu-
bildung von endokrinen Inseln. IhrName beschreibt Diffuse Inselzellhyperplasie
die Neubildung von Inseln durch Absprossung aus Bei Neugeborenen von schlecht eingestellten, diabe-
dem duktulären Epithel. Dieser histologische Be- tischen Müttern kann eine reversible, diffuse Insel-
fund ist allerdings nicht sehr eng korreliert mit einer zellhyperplasie (infolge der intrauterinen Hyper-
endokrinen Hyperfunktion. Er kann auch ein sekun- glykämie) zu Hypoglykämien in den ersten Tagen
däres hyperplastisches Phänomen bei verschiedenen oder Wochen post parturn führen. Histologisch fin-
Prozessen im Pankreas darstellen. Die histologi- det sich eine vermehrte Zahl normal großer oder
schen Befunde der Nesidioblastose sind in der fol- vergrößerter Inseln. Ausreichende Glukosezufuhr
genden Übersicht dargestellt. während dieser Zeit ist therapeutisch ausreichend.
16.4 Andere Formen der Hypoglykämie 645

lnselzelladenomatose Nahrungs- bzw. Glukosezufuhr


Eine lnselzelladenomatose wurde bisher nur in
einigen Fallberichten beschrieben. Die Diagnose,
die abhängig ist vom histologischen Befund, kann verzögerte, überschießende lnsulinfreisetzung
schwierig sein, da es für die histologische Abgren-
zung der lnselzelladenomatose vom lnsulinom
relativer Hyperinsulinismus
keine eindeutigen Kriterien gibt. Inselzelladenome
können auch außerhalb des Pankreas auftreten
Hypoglykämie

16.4.2 Abb. 16-41. Entstehung der reaktiven Späthypoglykämien


Reaktive Späthypoglykämien
als Vorstadium des Typ-2-Diabetes mellitus,
"prämetabolisches Syndrom" 16.4.3
Hypoglycaemia factitia
Bei den meist adipösen Patienten kommt es bei einer
latenten Insulinresistenz und einer gestörten Insu- Pathogenese
linsekretion zu einer geringradigen Erhöhung des Die Hypoglycaemia factitia ist etwa genauso häufig
Insulinspiegels. Die Entstehung der Hypoglykämien wie das Insulinom. Um eine Krankheit vorzutäu-
wird auf eine gestörte Insulinfreisetzung zurück- schen, verursachen die Patienten durch Medika-
geführt (Abb. 16-41). Im 5-h-oGTT steigen die Blut- menteneinnahme Hypoglykämien. Im Rahmen
zuckerwerte in den ersten 2 h pathologisch an, eines Münchhausen-Syndroms werden häufig Hy-
niedrige Blutzuckerwerte fallen erst nach 3-5 h poglykämien bewusst provoziert. Ebenso wie beim
auf. Dementsprechende werden Symptome ca. lnsulinom liegt ein niedriger Blutzuckerwert bei er-
3-5 h nach einer meist kohlenhydrathaltigen Mahl- höhten Insulinspiegeln vor, es handelt sich jedoch
zeit beschrieben (Abb. 16-42). Charakteristika des um einen exogenen Hyperinsulinismus (s. Über-
5-h-oGTT beim prämetabolischen Syndrom sind sicht).
in folgender Übersicht wiedergegeben.
Ursachen des exogenen Hyperinsulinismus
Charakteristika des 5-h-oGTT
beim prämetabolischen Syndrom • Exogener Insulinzufuhr
• Sulfonylharnstoffe
• Normale bis leicht erhöhte Nüchternblutzucker-
weft
• 1-2 h postprandial: überhöhte Blutzuckerwerte Anamnese
• 3-5 h postprandial: Hypoglykämien Wichtig ist die Berufs- und Familienanamnese. Es ist
zu hinterfragen, ob die Patienten Zugang zu Insulin-
oder Sulfonylharnstoffpräparaten haben. Häufig ar-
beiten die Patienten im medizinischen Bereich oder
aber Familienmitglieder leiden an Diabetes mellitus.

200,---------------------------------------~

180 .. - --- - -

160

- 140
~
.§. 120 [-+- BZ (mg/dl) I
:;j 100
80 ----------------------
60 --------
40+---~--+---~--+---+---+---~--+---+-~ Abb.I6-42.
0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 Blutzuckerwerte bei Patienten mit "präme-
tabolischen Syndrom" im 5-h-oGTT. (Mod.
Zeit(min) nach Chalew et al. 1990)
646 KAPITEL 16 Glukose

Diagnostik ten, unabhängig von der ethnischen Abstammung,


Es ist der Proinsulinanteil, die Insulinantikörper beschrieben werden. In den meisten Fällen wird
und das C-Peptid im Blut und die Abbauprodukte die Antikörperbildung durch ein Medikament in-
der Sulfonylharnstoffe im Urin zu bestimmen. Das duziert. Nach Absetzen des Medikaments kommt
Proinsulin ist bei der exogenen Zufuhr von Insulin es in 80o/o der Fälle zu einer Spontanremission.
gegenüber Normalpersonen normalerweise nicht er-
höht. Jedoch können Antikörper, die in Folge der • Autoantikörper gegen lnsulinrezeptoren. Auto-
Insulinzufuhr entstehen, erhöhte Proinsulinspiegel antikörper gegen Insulinrezeptoren führen zu einer
vortäuschen. Eine Erniedrigung des C-Peptidspiel- insulinunabhängigen Glukoseaufnahme in die Zel-
gels bei exogener Insulinzufuhr ist der sicherste len, woraus häufig Nüchternhypoglykämien resul-
Nachweis. Der Nachweis von Insulinantikörpern tieren, die in schweren Fällen eine Therapie mit
spricht für eine chronische exogene Insulinzufuhr. i. v.-Glukose erforderlich machen. Möglich ist das
Die Verwendung von Humaninsulinen führt jedoch Auftreten dieser Antikörper auch im Rahmen einer
nur noch selten zur Antikörperbildung, sodass ein Insulinresistenz vom Typ B, die gewöhnlich mit
fehlender Anitkörpernachweis diagnostisch nicht einer Hyperglykämie einhergeht, jedoch gelegentlich
verwertbar ist. Sulfonylharnstoffe erhöhen sowohl -vor allem im späteren Verlauf- zu Hypoglykämien
den Insulin- als auch C-Peptidplasmaspiegel. Des- führt. Die Bestimmung des Proinsulinanteils und
halb ist der Nachweis der Abbauprodukte von Sul- der Nachweis der Antikörper ermöglichen eine Ab-
fonylharnstoffen in Serum oder Harn für die Dia- grenzung vom Insulinom. Es kann versucht werden,
gnose erforderlich. Ist eine Hypoglycaemia factitia den autoimmunologischen Prozess durch Immun-
gesichert, sollte auf eine weiterführende internisti- suppression [Prednison (60-I20 mg/Tag) oder Al-
sche Diagnostik verzichtet werden. kylantien] oder aber durch Plasmapherese zu be-
handeln. Ein selbstlimitierender Krankheitsverlauf
infolge spontaner Remission ist häufig.
Therapie
Konnte ein Medikamentenmissbrauch nachgewie-
• Autoantikörper mit ß-Zell-stimulierender Wir-
sen werden, sollte die Gefährlichkeit der Hypoglyk-
kung. Autoantikörper mit ß-Zell-stimulierender
ämien mit dem Patienten besprochen werden und
Wirkung fanden sich, in Analogie des M. Basedow,
evtl. eine weiterführende psychotherapeutische Be-
sowohl bei der Hyper- als auch bei der Hypoglyk-
handlung eingeleitet werden.
ämie (s. Übersicht; Wilkin et al. I988).

Nachweis ß-Zell-stimulierender Autoantikörper


16.4.4
Autoimmunhypoglykämien e Bei Patienten mit Typ-I-Diabetes mellitus
• Bei Patienten mit spontanen Hypoglykämien
Pathogenese
Die Pathophysiologie der Entstehung von Autoanti-
körpern, die Hypoglykämien verursachen können,
Bei Patienten mit Typ-I-Diabetes mellitus werden
ist letztlich nicht geklärt. Verschiedene Autoantikör-
diese Antikörper als Teil des Autoimmunprozesses
per müssen als mögliche Ursache einer Hypoglyk-
angesehen, der letztlich zur Manifestation des Dia-
ämie berücksichtigt werden (s. Übersicht).
betes mellitus führt. Jedoch scheinen diese Antikör-
per nicht immer zur Zerstörung der ß-Zellen zu füh-
Autoantikörper mit hypoglykämischer Wirkung
ren, sondern ließen sich auch bei Patienten mit
spontanen Hypoglykämien nachweisen. Ob diese
• Autoantikörper gegen Insulin
Patienten ein erhöhtes Risiko haben, später an
• Autoantikörper gegen Insulinrezeptoren
einem Typ-1-Diabetes mellitus zu erkranken, ist
• Autoanitkörper mit ß-Zell-stimulierender Wirkung
nicht sicher geklärt.

• Autoantikörper gegen Insulin. Autoantikörper 16.4.5


gegen Insulin sind insbesondere im Rahmen des "in- Tumorhypoglykämien
sulin autoimmune syndrome" (IAS) beschrieben
worden. Das lAS ist die dritthäufigste Ursache Pathogenese
von Hypoglykämien in Japan. Fast 90 o/o der be- Hypoglykämien treten bei verschiedenen Tumoren
schriebenen Fälle sind in Japan aufgetreten, aber des Bauchraums (80 o/o) oder des Thorax (20 o/o)
auch in anderen Ländern konnte ein lAS bei Patien- auf. Nicht-Insulinome, die Insulin sekretieren,
16.4 Andere Formen der Hypoglykämie 647

Tabelle 16-8. Tumoren mit Hypoglykämien. (Prozentuale Häufigkeit der häufigen Tumoren in Klammern)

Häufig Selten

arkome (ca. 45 %) Rhabdomyom des Zwerchfells


Retroperitoneal Myosarkom des Uterus
Intrathorakal Pseudomyoma peritonei
Lebertumoren (ca. 23 %) eurofibrome
ebennierenkarzinome (ca. 10 o/o) Milzrumoren
Carcinoide

sind äußerst selten (Seckl et al. 1999). Meistens han- führt zu einer Erhöhung des freien IGF. Das führt
delt es sich um mesenchymale Tumoren, bei denen zu einer vermehrten Interaktion zwischen "big-
sich histologisch häufig Spindelzellen nachweisen IGF-11" mit Insulin und/oder IGF-11-Rezeptoren.
lassen (Ron et al. 1989). Aber auch bei epithelialen Im Tumorgewebe konnte eine verminderte Expres-
Tumoren kommen Tumorhypoglykämien vor (He- sion der Glukosetransporter Glutl und Glut4 nach-
patome, Nebennierentumoren, Karzinoide). Es gewiesen werden, sodass ein vermehrter Glukose-
handelt sich meist um langsam wachsende, jedoch verbrauch durch den Tumor nicht ursächlich mit
maligne Tumoren, die sehr groß werden können den Hypoglykämie zusammen zuhängen scheint
(400 g-1 kg, aber auch größer; Tabelle 16-8). Es (Wasada et al. 1992). Trotz der verminderten Insu-
konnte eine deutliche Erhöhung eines Prohormons linsekretion aus dem Pankreas resultiert letztlich
des IGF II ("insulin-like growth factors"), genannt eine Hypoglykämie.
"big-IGF-11" bei vielen dieser Tumoren nachge-
wiesen werden. Diskutiert werden verschiedene Symptome
Mechanismen, über die das "big-IGF-11" zu Hypo- Das Ausmaß der Symptome variiert stark bei ver-
glykämie führen könnte (Abb. 16-43). Big-IGF-11 schiedenen Patienten. Typisch sind Nüchternhypo-
bindet an den Insulinrezeptor im Muskel- und Fett- glykämien, die die Hauptbeschwerde des Tumors
gewebe, und der resultierende erhöhte Glukoseum- sein können und gelegentlich die Erstmanifestation
satz trägt wesentlich zur Entstehung der Hypoglyk- des Tumors darstellen.
ämie bei. Big-IGF-11 bindet auch an den IGF-1 Re-
zeptor in der Hypophyse und im Pankreas, wodurch
die Wachstumshormon- und Insulinsekretion sup- Diagnostik
primiert wird. Niedrigere Wachstumshormonspie- Ein Insulinom ist differentialdiagnostisch auszu-
gel wiederum bedingen einen Abfall von IGF-1 schließen. Da der Blutzuckerverlauf spontan und
und IGF-BP-3 ("IGF-binding protein-3"). Die IGF- während einer Provokation, d. h. in der Regel im
BP-2 und 3 gehören zu den IGF-bindenen Proteinen, Rahmen eines Hungerversuchs, nicht einheitlich
die die Aktivität dieser Hormone regulieren. Die ist, ist die Seruminsulinbestimmung entscheidend
Veränderung der Zusammensetzung der IGF-BP (s. Übersicht).

( Tumor

G'"'~C~ 1 _________._
Muskel

+
Hypophyse - - - - - - Big- IGF -11 Glukoseaufnahme f

+ ------. +
GH! Fettgewebe
-+ IGH IGF - BP·n IGF-BP-2 t
Abb.I6-43.
Entstehung der Tumorhypoglykämien.
IGF-1 "insulin-like growth factor !",
Leber Pankreas IGF-II "insuli n-like growth factor II",
Big-IGF-Il Proho rmon des IGF-ll,
IGF-BP" IGF binding protein",
GH "growth hormone". (Mod. nach
Glukosep roduktion ~ Ins u li n~
Le Roith 1997)
648 KAPITEL 16 Glukose

Typische Laborbefunde bei Tumorhypoglykämien Für die Entstehung der Hypoglykämien ist ein ver-
minderter Cortisol- oder Wachstumshormonspiegel
• Niedrige Blutzuckerwerte, insbesondere nüchtern entscheidend (Abb. 16-44). Die Hypoglykämien im
• Niedrige Insulinwerte Rahmen schwerer Hypothyreosen oder eines Myx-
e Niedrige GH-, IGF-I-Werte ödems sind meist Folge einer gleichzeitig bestehen-
• Leicht bis deutlich erhöhte IGF-II-Werte den NNR-Insuffizienz. Wegen des geringeren Gluco-
corticoidbedarfs bei gleichzeitiger Hypothyreose
können die Symptome der Hypothyreose klinisch
Abhängig von der Bestimmungsmethode können bestimmend sein. Diagnostisch sind folgende in
auch niedrige IGF-II-Werte bestimmt werden. Der der Übersicht dargestellten Erkrankungen bei einer
direkte Nachweis des "big-IGF-II", das deutlich er- solchen Konstellation zu berücksichtigen.
höht ist, ist zuverlässiger (Shapiro et al. 1990).
Mögliche Ursache der NNR-Insuzienz
Therapie bei gleichzeitiger Hypothyreose
Die Therapie hängt von der Art des Tumors ab. Eine
Verminderung des "big-IGF-II" durch Größenre- • Gemeinsamer autoimmunologischer Prozess
duktion des Tumors ist Ziel der Therapie (Op., Ra- (Schmidt-Syndrom)
dio-, Chemotherapie). Medikamente, die auf die • Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
Freisetzung des Insulins aus dem Pankreas wirken • Verminderte Enzymaktivität bei schwerer Hypo-
(Oktreotid, Diazoxid), sind wirkungslos und sollten thyreose/Myxödem
deshalb nicht angewendet werden. Therapeutische
Alternativen, die erfolgreich angewendet wurden,
umfassen häufige Mahlzeiten und eine medikamen-
töse Therapie mit Glukokortikoiden oder Wachs- Ausgeprägte hypoglykämische Symptome bei diesen
tumshormonen (Teale et al. 1998). endokrinalogischen Erkrankungen treten nur in
Ausnahmesituationen, z. B. Stresssituationen, Alko-
holmissbrauch oder längeres Fasten, auf. Am häufig-
16.4.6 sten ist die Hypoglykämie im Rahmen einer Addi-
Endokrinalogische Erkrankungen son-Krise, wobei Patienten mit ständigem Brechreiz
besonders Hypoglykämie gefährdet sind.
Verschiedene endokrinalogische Erkrankungen, au-
ßer den bisher beschriebenen Erkrankungen des Diagnostik
Pankreas, können zu einer Hypoglykämie führen Die entsprechende endokrine Diagnostik steht im
(s. Übersicht). Vordergrund. Im Hungerversuch können sich pa-
thologische Blutzuckerwerte ergeben, jedoch ist
Hypoglykämien bei endokrinologischen der Insulinspiegel, entsprechend des Normalbefun-
Erkrankungen des bei Gesunden, supprimiert.

• Erkrankungen der ß-Zellen des Pankreas


• Andere endokrinalogische Erkrankungen Therapie
Panhypopituitarismus Die Therapie richtet sich nach der endokrinalogi-
Isolierter Wachstumshormonmangel schen Grunderkrankung. Bei Hypoglykämien infol-
Isolierter ACTH-Mangel ge eines Cortisolmangels ist neben der Glukosegabe
M. Addison auch eine sofortige Hydrocortisonsubstitution zu
Hypothyreose beginnen.

16.4.7
Cortisol- /Wachstumshormonspiegel t Hypoglykämien bei schweren Erkrankungen
t Epidemiologie
Glukoneogenese t
Hypoglykämien bei hospitalisierten Patienten sind
relativ häufig und konnten in 1,2 o/o der hospi-
hepatische Glukosefreisetzung t talisierten Patienten dokumentiert werden. Dabei
Abb.l6-44. Entstehung der Hypoglykämien bei Störung der treten 45 o/o der Hypoglykämien bei Diabetikern
Cortisol- und Wachstumshormonspiegel auf. Die meisten Hypoglykämien sind iatrogen.
16.4 Andere Formen der Hypoglykämie 649

Verbrennungen 2%
parenterale Ernährung 4 % andere Erkrankungen 2%
maligne Tumoren 5%

Therapie der Hyperkaliämie 6 %

Schwangerschaft 6%

Mangelernährung 15 %
Schock 11 %
Abb.16-45.
Ri ikofaktoren (Grundkrankheit,
Therapie, Komplikation) und
Häufigkeit von Hypoglykämien bei
ho pitali ierten Patienten. (Mod.
Infektionen 12 % Lebererkrankungen 14 % nach Fi eher 1986)

35 34

Hypoglykämien insgesamt
30
0 Mortalität insgesamt
s
0
25
Vl
.D
20
...
~
.di
-"" 15 13
01
~ 10
""
:X: Abb. l6-46.
Absolute Häufigkeit von Hypoglykämien und
5 Mortalität bei 137 Hypoglykämien bei hospitali-
sierten Patienten. Die Anzahl der Risikofaktoren für
0 Hypoglykämien korreliert mit der Mortalität der
0 2 3 4 5
Patienten (p < 0,001). (Mod. nach Fischer et al.
Anzahl der Risikofaktoren 1986)

Bei schwer erkrankten Patienten korrelieren die Nierenerkrankungen


Hypoglykämien mit einer erhöhten Mortalität. Die Für die Entstehung von Hypoglykämien im Rahmen
Mortalität ist größer, wenn mehrere Grund- einer Niereninsuffizienz werden verschiedenen Me-
krankheiten, Komplikationen oder Therapien bei chanismen diskutiert, deren Bedeutung im Einzel-
einem Patienten zu Hypoglykämien prädisponieren nen noch unklar ist (s. Übersicht).
(Abb. 16-45 und 16-46).
Faktoren, die die Entstehung von Hypoglykämien
bei Patienten mit Niereninsuzienz begünstigen
Lebererkrankungen
In Tierexperimenten konnte nachgewiesen werden,
• Erhöhte Insulinhalbwertszeit bei:
dass mindestens 4/5 der Leber fehlen müssen, damit
vermindertem Insulinabbau,
Hypoglykämien entstehen können. Entsprechend ist
verminderter Insulinausscheidung.
der Glukosestoffwechsel bei einer Leberausfalls-Er-
• Verminderte renale Glukoneogenese
krankung erst spät gestört, sodass Hypoglykämien
• Vermindertes Alaninangebot
infolge einer Lebererkrankung selten sind (s. Über-
• Verminderte Kalorienaufnahme
sicht).

Typische Lebererkrankungen, die die Entstehung


von Hypoglykämien begünstigen Auch wenn Hypoglykämien bei Patienten mit Nie-
reninsuffizienz insgesamt selten sind, so stellen
• Fulminante virale Hepatitis diese Patienten bei den hospitalisierten Patienten
• Fettleber (z. B. nach Alkoholintoxikation) - abgesehen von Diabetikern - die größte Risiko-
• Cholangitis und Cholestase gruppe dar (Fischer et al. 1986). Diabetiker mit einer
gestörten Nierenfunktion sind infolge des gestörten
Insulinmetabolismus, der gestörten Sulfonylharn-
stoffausscheidung und der gestörten renalen Gluko-
neogenese für Hypoglykämien prädisponiert (Cer-
650 KAPITEL 16 Glukose

sosimo et al. 1997). Eine Anpassung der Insulin-


16.4.8
bzw. Sulfonylharnstofftherapie ist deshalb bei Ver-
Medikamenten-induzierte Hypoglykämien
schlechterung der Nierenfunktion erforderlich.
Eine Reihe von Medikamente können Hypoglyk-
Sepsis ämie auslösen, bzw. begünstigen (Marks et al.
Hypoglykämien im Rahmen einer Sepsis sind nicht 1999) (Tabelle 16-9). Hypoglykämien infolge von
ungewöhnlich. Der genaue Mechanismus ist nicht Insulin- oder Sulfonylharnstoffgebrauch treten bei
bekannt, doch konnte neben einer verringerten he- Diabetikern oder bei der Hypoglycaemia factitia auf.
patischen Glukosefreisetzung ein erhöhter Glukose-
verbrauch nachgewiesen werden, der zumindest teil- • Alkohol. Alkohol führt zu einer Hemmung der
weise durch Zytokine vermittelt wird (Interleukin 1, Glukoneogenese, wohingegen die Glykogenolyse
TNF; Lee et al. 1987). Involvierte Organe sind in fol- nicht beeinflusst wird. Deshalb treten Hypoglyk-
gender Übersicht dargestellt. ämien erst verspätet - wenn die Glykogenspeicher
aufgebraucht sind - auf. Zu einer Hemmung der
Anteil verschiedener Organe am erhöhten Glukoneogenese kommt es vermutlich infolge
Glukoseverbrauch bei Patienen mit Sepsis eines Verbrauches an Nikotinamid-Adenin-Dinu-
kleotiden beim Abbau von Alkohol zu Acetat
Anteil in o/o Beteiligte Organe (Abb. 16-47). Der Einfluss von Alkohol auf die
gegenregulatorischen Hormone ist nur zum Teil
Ca. 70 Leber, Milz und dem Ileum geklärt (s. Übersicht; Kolaczynski et al. 1988).
(Makrophagen-reichen Gewebe)
Ca. 25 Skelettmuskulatur
Einfluss von Alkohol auf gegenregulatorische
Hormone
Kachexie Freisetzung von Effekt
Hypoglykämien bei deutlichem Untergewicht
kommt selten vor (Elias u. Gwinup 1982). Der Glukagon ?
Adrenalin Verspätet
Mechanismus ist nicht genau bekannt. Möglich Cortisol Vermindert
ist, dass bei fehlenden Fettspeichern der Körper Wachstumshormon Vermindert
auf eine ausreichende und regelmäßige Zufuhr von
Kohlenhydraten angewiesen ist.

Tabelle 16-9a, b. Übersicht über Medikamente mit Blutzucker senkender Wirkung. a Blutzucker senkende Wirkung nachge-
wiesen, b Blutzucker senkende Wirkung möglich

a Blutzucker senkende Wirkung nachgewiesen

Häufig verwendet und deutliche Selten verwendet, aber deutliche Häufig verwendet, aber keine
Blutzucker enkung Blutzuckersenkung deutliche Blutzuckersenkung
• Insulin • Pentamidin • Salicylale
• Sulfonylharnstoffe • Quinin • Sulfonamide
• Alkohol

b Blutzucker senkende Wirkung möglich

• Antihypertensiva ßr adrenerge Antagonisten, ACE-Hemmer, a-Blocker

• Analgetika und SAID Indomethazin, Azetaminophen, Propoxyphen, Penylbutazon, Penicillamin

• Gichttherapeutika Colchizin, Sulfinpyrazone

• Lipid enker Clofibrat, Bezafibrate

• Antibiotika Chloramphenicol, Ketoconazole, Paraaminosalicylsäure, Pentamidin, Quinin

• Neuroleptika Haloperidol

• Andere Perhexilene, MAO· Hemmer

NSAID "nonsteroidal antiinfammatory drugs"


16.4 Andere Formen der Hypoglykämie 651

Alkohol

1 -
Alkohol-
dehydrogenase

~ Glukoneogenese . ............ Acetaldehyd Abb.l6-47.

1
Hemmung der Glukoneogenese durch
Allkohol. Bei dem Alkoholabbau in den
Aldehyd- Hepatozyten wird Nikotin-Adenin-
---+ - dehydrogenase Dinukloetide (NAD) verbraucht; der
NAD-Mangel führt zu einem Substrat-
mangel und damit Verminderung der
Acetat Glukoneogenese

Hypoglykämien bei Gebrauch von an sich blutzuk-


16.4.9
kerunwirksamen Medikamenten treten meist in
Postprandiale Frühhypoglykämien
Verbindung mit anderen Medikamenten, insbeson-
(Spät-Dumping) und Früh-Dumping-Syndrom
dere Sulfonylharnstoffen, auf. Für ACE-Hemmer
konnte eine signifikante Erhöhung von Hypoglyk-
Patienten können nach Magenoperationen, z. B. Ga-
ämien bei Patienten mit Diabetes mellitus gezeigt
strektomien, Gastrojejunostomien, Pylorusplastiken
werden. Folgende Übersicht zeigt mögliche Mecha-
oder Vagotomien verstärkt zu Hypoglykämien nei-
nismen der blutzuckersenkenden Wirkung verschie-
gen. Hierbei stehen autonome Symptome im Vor-
dener Medikamente auf (Pandit et al. 1993).
dergrund, die ca. 2-3 h nach dem Essen auftreten.
Die Entstehung der postprandialen Frühhypoglykä-
Mögliche Mechanismen der blutzuckersenkenden
mien sind in Abb. 16-48 dargestellt. Bei der Durch-
Wirkung verschiedener Medikamente
führung eines oGTT vor bzw. nach Magenoperation
zeigt sich ein charakteristischer Befund bei Patien-
Pentamidin Kurzfristig verstärkte Insulin-
freisetzung infolge toxischer ten mit postprandialen Frühhypoglykämien. Es
Wirkung auf die ß-Zellen des kommt zu einem frühzeitigen Anstieg der Blutzuk-
Pankreas (langfristig wird die kerwerte mit ebenfalls frühzeitig erhöhten Insulin-
Entstehung eines Diabetes
mellitus begünstigt) werten (Abb. 16-49). Der C-Peptid-Spiegel ist eben-
Quinin Verstärkte Insulinfreisetzung, falls erhöht.

D
Hemmung der hepatischen
Glukoneogenese
Salicylate Verminderung der Protein- Da der oGTT bei der oben aufgeführten Patienten-
bindung der Sulfonylharnstof- gruppe fast immer pathologisch ist, sollte er nach
fe, Beeinflussung des Insulin-
metabolismus, Hemmung der
heutiger Auffassung nicht durchgeführt werden.
Glukoneogenese
Acetaminophen Wie Salicylate, zusätzlich Eventuell kann ein Mahlzeitentest durchgeführt
hepatotoxischer Effekt werden. Dabei wird eine standardisierte Mahlzeit,
Sulfamethoxyzole Verstärkte Insu1infreisetzung
ß2-adrenerge Antagonisten Verstärkte Insulinwirkung, d. h. eine Mahlzeit mit normalen Kohlenhydrat-, Li-
Hemmung der Glucagonwir- pid- und Proteinanteil, verabreicht und der Blutzuk-
kung kerwert anschließend regelmäßig gemessen (Hogan
ACE-Hemmer Erhöhte Bradykininspiegel (?)
a-Blocker Verstärkte, glukoseabhängige et al. 1983). Vom Spät-Duming-Syndrom muss das
Insulinfreisetzung
Phenylbutazon, Dicumarol Verlängerung der Halbwerts-
zeit der Sulfonylharnstoffe
durch Enzyminhibition in der beschleunigte Nahrungspassage in das Duodenum
Leber
Fibrate Verstärkte Insulinsensitivität,
verminderte Glucagonfreiset- +
beschleunigte Glukoseresorption
zung
MAO-Hemmer Verstärkte lnsulinfreisetzung
(Hydrazine-Gruppe)
überschießende lnsulinfreisetzung

Diegenaue Medikamentenanamnese, die Beachtung


symptomatischer Blutzuckerabfall
möglicher Wechselwirkungen und die ggf. erforder- (insbesondere autonome Symptome)
liche Modifikation der Therapie sind wichtiger Be-
standteil der Abklärung von Hypoglykämien. Abb. 16-48. Entstehung postprandialer Frühhypoglykämien
652 KAPITEL 16 Glukose

200
16.4.10
180
Idiopathisches postprandiales Syndrom (IPPS)
=o
~

.....
Ol 160 Postprandiale Hypoglykämien sind ausschließlich
.§.
solche, die innerhalb der ersten 4 h nach einer Mahl-
Cii 140
-"'
u zeit auftreten. Jedoch ist diese Abgrenzung ungenau,
:::J
!:! 120 da auch bei den so genannten "Nüchternhypoglyk-
:::J
ä'i o Blutzucker (mg/dl) präoperativ ämien" ein postprandialer Blutzuckerabfall beschrie-
100 • Blutzucker (mg/dl) postoperativ ben wird. "Echte" postprandiale Hypoglykämien,
80 d. h. Hypoglykämien im Sinne der Whipple-Trias,
a 0 10 20 30 40 60 90 120 sind äußerst selten und können bei Patienten mit
entsprechendem Beschwerdebild in weniger als
600 5 o/o der Fälle nachgewiesen werden. Meistens stehen
dann autonomen Symptome im Vordergrund. Lässt
=
..... 500
0 sich die Whipple-Trias nicht nachweisen, wird von
E "Pseudohypoglykämien" gesprochen. Als mögliche
s 400
Ursachen werden Stress und verstärkte Ängstlich-
~ 300
Cli
'ö.
keit angesehen. Für die Entstehung des IPPS gibt
"'c 200 es im Wesentlichen zwei Erklärungsansätze, wobei
"5 D Insulinspiegel präoperativ die Ätiologie letztlich ungeklärt ist (s. Übersicht).
"' 100
.E • Insulinspiegel postoperativ
:>gliche Ursachen des IPPS
0 10 20 30 40 60 90 120
b Zeit (min) • Überschießende Insulinsekretion auf reine Koh-
Abb. 16-49a, b. Blutzucker- und Insulinspiegel bei Patienten
lenhydratgabe
vor bzw. nach Magenoperation; Patienten hatten postoperativ • Verstärkte Vaguswirkung auf die ß-Zellen
Symptome der postprandialen Frühypoglykämien. (Mod.
nach Blackburn et. al. 1980)

Oft handelt es sich um junge Frauen mit emotiona-


Früh-Dumping-Syndrom abgegrenzt werden, das in len Störungen, nicht selten neurotischer Art (John-
der ersten halben Stunde nach Nahrungsaufnahme son et al. 1980). Die Symptome treten 3-5 h nach
auftritt und dem vermutlich eine osmotische Ver- dem Essen auf. Dennoch sollte auf einen 5-h-
schiebung von Flüssigkeit in das Darmlumen und oGTT verzichtet werden, da auch Gesunde in diesem
nachfolgende neuroendokrine Reaktion zu Grunde Zeitraum Blutzuckerwerte unter 50 mg/dl zeigen
liegt. können, ohne das Symptome beklagt werden. Um-
gekehrt treten bei den "Pseudohypoglykämien"
Symptome bei Blutzuckerwerten über 50 mg/dl
Therapie
auf. Entscheidend ist deshalb der Nachweis von
Konservative Maßnahmen bestehen zunächst aus
einer Vermeidung von schnell resorbierbaren Koh-
lenhydraten und dem vermehrten Verzehr von Füll- 130
und Quellstoffen zur Erhöhung der Viskosität der 120 D Blutzucker (ohne Acarbose)

Nahrung. Auch mit Acarbose konnte eine Verbesse- 110 • Blutzucker (mit 100 mg Acarbose)
=o.....
rung der Symptome erreicht werden (Abb. 16-50). Ol 100
Alternativ kann eine Therapie mit Oktreotid ver- .§. 90
sucht werden, die zu einer Verbesserung sowohl Cii

..
-"'
1,1
80
des Früh- als auch des Spät-Dumping-Syndroms N
:::J
70
führt, wobei der Wirkmechanismus noch nicht ge- :::J
iD 60
klärt ist (Hasler et al. 1996).
so
40
0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300
Zeit (min)

Abb. 16-50. Blutzuckerwerte bei Patienten mit postprandia-


len Frühhypoglykämien mit bzw. ohne Acarbose, * p < 0,02.
(Mod. nach Gerard et al. 1984)
16.5 Typ-I-Diabetes mellitus 653

niedrigen Blutzuckerwerten während einer sponta-


nen Episode (Palardy et al. 1989). Unter Umständen zeigte sich ein Nüchternblutzucker (kapillär)
kann ein Mahlzeitentest durchgeführt werden. Ist von 244 mgldl. Das Cholesterin lag bei norma-
dieser positiv, muss ein Hungerversuch zum Aus- lem HDL im oberen Normbereich (230 mgldl).
schluss anderer Erkrankungen, insbesondere des In- Weiterhin lag eine ausgeprägte Glukosurie mit
sulinoms, angeschlossen werden. Andere Ursachen mäßiger Ketonurie sowie Albuminurie vor.
einer Hypoglykämie, insbesondere Medikamente- Das HbA 1c lag bei 13,6 o/o. Es wurden ICA
neinnahme und Alkoholgenuss, sind auszuschlie- (20 JDF-Einheiten) und Anti-GAD (433 mGAD
ßen. Blutzuckerselbstkontrollen durch den Patien- - U/ml) nachgewiesen. Bestehende Medikation:
ten sind zu vermeiden, da die Messgeräte im unteren Glibendamid 1,75 mg 2 - 1 - 0. Nach Absetzen
Messbereich eine relativ hohe Ungenauigkeit besit- des Glibenclamids erfolgte die Einstellung des
zen und die stark schwankenden, häufig falsch ne- Patienten mit Basal-H-Insulin, zunächst mit
gativen Werte die Patienten verunsichern. einer morgendlichen Do i von 8 JE. Im weite-
ren Verlauf wird die Therapie (eigene Applika-
tion mittels Pen) unter Blutzuckerselbstkontrol-
Therapie le auf 12 IE morgens und 10 JE abends ange-
Bei Patienten mit IPPS sollte eine Ernährung mit ho- passt. Die Ketonurie und Albuminurie ist nicht
hem Eiweiß- und geringem Kohlenhydratanteil mehr nachweisbar. Nach 6 Wochen kann die In-
empfohlen werden. Insbesondere schnell resorbier- sulindosis als Zeichen einer beginnenden Re-
bare Kohlenhydrate sind zu vermeiden. Außerdem mission auf 8 lE morgens und 6 IE abends bei
sollten mehrere kleine Mahlzeiten über den Tag ver- Nüchternblutzuckerwerten um 110 mg!dJ redu-
teilt eingenommen werden. Ein geringerer Anstieg ziert werden. Der gemessene HbA 1c-Wert sank
des Insulins und nachfolgend ein geringerer Abfall in den ersten 6 Wochen auf 10,5 %. Das weitere
der Blutzuckerwerte konnte bei Patienten mit reak- Regime ist die Einstellung des Patienten auf eine
tiven Hypoglykämien durch Einnahme von Acar- intensivierte 1nsulintherapie.
bose erzielt werden.

Hyperglykämie 16.5.2
Definition

16.5 (Quelle: The Expert Commitee on the Diagnosis and


Typ-1-Diabetes mellitus Classification of Diabetes Mellitus I997)
Der Typ-I -Diabetes ist über die selektive Destruk-
A. CLEMENS, P. WAHL, G. KLÖPPEL, P. P. NAWROTH tion der ß-Zellen der Langerhans-Inseln des Pan-
kreas definiert. Es werden zwei Formen des
16.5.1 Typ-I-Diabetes unterschieden (s. Übersicht).
Fallpräsentation
Einteilung des Typ- I-Diabetes
Ein normalgewichtiger 38-jähriger Mann wurde
von seinem Hausarzt erstmalig in der Diabetes- Typ-1-Diabetes ß-Zelldestruktion
ambulanz vorgestellt, da im Rahmen einer Rou-
1A Immunvermittelt
tinekontrolle Nüchternblutglukosewerte (Plas-
l B Ideopathisch
maglukose) bis 300 mgldJ gemessen wurden.
Bei näherer Befragung gab der Patient an, inner-
halb der letzten 3- 4 Wochen eine Polyurie, Po-
lidypsie sowie Heißhunger mit gleichzeitiger Ge-
16.5.3
wichtsabnahme von 10 kg bemerkt zu haben.
Epidemiologie
Weiterhin habe er seit dieser Zeit Sehstörungen
und eine Balanitis. Der körperliche Untersu-
chungsbefund war bis auf eine trockene Mund- lnzidenzen
schleimhaut und weiche Bulbi unauffällig. Das Die Inzidenz des Typ-I -Diabetes zeigt geographi-
Vibrationsempfinden an den Extremitäten sche und bevölkerungsspezifische Unterschiede;
ebenso mit 8/8 normal. Die anarnnestisch ange- niedrig ist sie im asiatischen Raum, am höchsten
gebene Balanitis war inzwischen mit einer lokal- in Finnland. Die Gesamtinzidenz des Typ-i -Diabe-
en Nystatinbehandlung ausgeheilt. Im Labor tes ist in den letzten Jahren gestiegen, wie Arbeiten
aus Israel und Finnland gezeigt haben. Der Typ-1-
654 KAPITEL 16 Glukose

Diabetes manifestiert sich am häufigsten um das 4. • Umweltfaktoren. Die beschriebene genetische


und das II. Lebensjahr. Es liegt kein geschlechtsspe- Prädisposition ist für die Genese eines Typ-I-Diabe-
zifischer Unterschied in der Inzidenz des Typ-I-Dia- tes nicht hinreichend. Dies geht aus der unter
betes im Alter zwischen 0 und I4 Jahren vor. Mani- 50 %igen Konkordanz (Erkrankung beider) einei-
festationen jenseits des I4. Lebensjahres können iger Zwillinge bei der Ausbildung eines Typ-I-Dia-
ebenfalls beobachtet werden und sind ab dem 40. betes hervor. Neben viralen Infektionen und beson-
Lebensjahr häufiger als in den Lebensjahren zuvor. derer Ernährung, kommen toxische Substanzen, die
z. B. in Tiermodellen einen Typ-1-Diabetes induzie-
ren können, als Umweltfaktoren in Betracht.
16.5.4
Pathogenese
• Viren. Für intrauterine virale Infektionen mit
dem Rubellavirus wurde eine Diabetesmanifestation
Der Typ-I-Diabetes entsteht durch eine Destruktion
bei 15-40% der geborenen Kinder beobachtet. Aber
der ß-Zellen der Pankreasinseln, die zum Insulin-
es wurde keine eindeutige Stagnation der steigenden
mangel führt, welche die Klinik des Typ-I -Diabetes
Inzidenz des Typ-I-Diabetes in Finnland nach der
bestimmt. Die selektive Zerstörung der ß-Zellen er-
Einführung der Impfung gegen Rubella-, Röteln-
folgt durch einen autoimmunen Prozess, der unter
und Mumpsviren beobachtet. Es wurden Assoziatio-
Beteiligung des Endothels durch T-Lymphozyten,
nen zwischen Virusinfektionen und Typ-1-Diabetes
Makrophagen und B-Lymphozyten vermittelt wird.
für den Coxsackie B-, einen IDDMK 1,222 benannten
Dieser autoimmune Prozess wird durch verschie-
Retrovirus sowie den Zytomegalievirus beschrieben.
dene prädisponierende Faktoren ausgelöst und zeigt
29-33% der Typ-I-Diabetiker weisen IgM-Antikör-
eine schrittweise Entwicklung.
per gegen Coxsackie B (gegenüber 5-8% in der
Kontrollgruppe) auf. Zytomegalievirus-DNA konnte
Prädisponierende Faktoren bei 22 o/o der Typ-I-Diabetiker in deren Lymphozy-
• Genetische Prädisposition. Beim Vergleich der ten (Kontrolle 2,6 %) nachgewiesen werden. Diese
Erkrankungsmanifestation von Verwandten 1. Gra- Beobachtungen stellen allerdings keinen kausalen
des zeigt sich, dass monozygote Zwillinge häufiger Zusammenhang zwischen Virusinfektion und Typ-
als HLA-identische Geschwister, dizygote Zwillinge 1-Diabetes her, denn beide Manifestationen könnten
oder nicht-HLA-identische Geschwister an einem parallel aufgetreten sein. Conrad et al. (1994) be-
Typ- I-Diabetes erkranken. Dies ist als Hinweis auf richteten über ein mikrobielles Superantigen
eine genetische Disposition des Typ-1-Diabetes zu (SAG). Das SAG ist ein virales oder bakterielles Pro-
werten. Als gesichert kann die Assoziation des dukt/Protein, welches an den HLA-Antigen-T-Zell-
Typ-I-Diabetes mit einem bestimmten Muster des rezeptorkomplex bindet. Das SAG steht in Kontakt
Major Histocompartibilitätskomplexes (MHC) an- zum HLA-Komplex und zum Vß-Segment des T-
gesehen werden. Zellrezeptors (TCR) und stabilisiert zusätzlich mit

Antigen präsentierende Zelle

HLA Klasse-li- -::::::::::i:=;;;;::::::


Moleküluntereinheiten

Abb. I6-Sl.
T- Helferzelle
Interaktion zwischen Superantigen (SAG),
Antigen, HLA-Klasse-II-Molekül auf der anti-
genpräsentierenden Zelle und dem T-Zellre-
zeptor auf der T-Helferzelle
16.5 Typ-I-Diabetes mellitus 655

CD4-Molekülen den Gesamtkomplex (Abb. 16-51). Aktivierung des Autoimmunprozesses


Die intrazelluläre Signalvermittlung erfolgt über Der Induktionsmechanismus der autoimmunen
den CD3-Komplex. Es ist noch nicht geklärt, ob Zerstörung der ß-Zellen wird in Abb. 16-52 darge-
ein Antigen Mitvoraussetzung zur Bildung dieses stellt. Auf dem Boden einer genetischen Disposition,
Komplexes ist, oder ob das SAG allein den Komplex auf die im Abschnitt Epidemiologie, prädisponie-
ausreichend stabilisiert um eine T-Helferzellaktivie-
rende Faktoren eingegangen wurde, wird die auto-
rung zu erwirken. immune Reaktion gegen ß-Zellen über einen oder
mehrere Zusatzfaktoren (sog. Trigger) in Gang
• Ernährung. Als weiterer Umweltfaktor in der Pa- gebracht. In erster Linie werden virale Infektionen
thogenese des Typ-1-Diabetes wird die Ernährung (erhöhte Häufigkeit der Erstmanifestation im
diskutiert. Es konzentrieren sich die Untersuchun- Herbst und Winter) als Trigger vermutet. Eine Hy-
gen auf die Ernährung von Neugeborenen. Einige pothese geht davon aus, dass von Viren sensibili-
Daten zeigen, dass gestillte Kinder eine geringere sierte Lymphozyten fälschlicherweise ß-Zellen als
Erkrankungswahrscheinlichkeit aufweisen als mit fremd erkennen und zerstören. In einer Vielzahl
Ersatzmitteln auf Kuhmilchbasis ernährte. Der von Untersuchungen konnte eine Kreuzreaktivität
Nachweis von Antikörpern gegen einige Kuhmilch- zwischen Virusproteinen und Oberflächenproteinen
proteine bei erkrankten Kindern stützt diese Unter- der ß-Zellen nachgewiesen werden. Diese sterische
suchungen. Es wurde im Rinderserumalbumin ein Ähnlichkeit zwischen Virusprotein und ß-Zellen-
Epitop entdeckt, welches mit p69, einem ß-Zellober- oberflächenprotein wird als molekulares Mimikrin
flächenprotein, kreuzreagiert Es liegen jedoch wi- bezeichnet. Kürzlich konnte sogar eine direkte In-
dersprüchliche Ergebnisse in retrospektiven Studien fektion der ß-Zellen durch einen Retrovirus nachge-
betreffend der Ernährung Neugeborener vor. So er- wiesen werden. In diesem Fall würde im Rahmen der
gab sich in einer Untersuchung in Brasilien, dass Immunantwort auf die virale Infektion eine direkte
Nichtstillen und Exposition gegenüber Kuhmilch- ß-Zellzerstörung erfolgen. Der Mechanismus des
pulver vor dem 8. Lebenstag als Risikofaktor für molekularen Mimikrins wird auch für die Auslösung
einen Typ-1-Diabetes anzusehen ist. Eine ebenfalls der Immunreaktion bei früher Exposition gegenüber
retrospektive Studie in Sardinien konnte jedoch Kuhmilchproteinen vermutet. Es liegen jedoch be-
keinen Zusammenhang zwischen Typ-1-Diabetes züglich dieses Triggers uneinheitliche Daten vor.
und Neugeborenenernährung erkennen. Ein weiterer Trigger der autoimmunen Destruktion

Genetische Prädisposition (MHC Klasse+, Klasse-li-Antigene,


lnsulingenlokus, andere Diabetesgene)
Aktivierte T - Lym-
? Virale Infektion, phozyten (Gen-
frühe Kuhmilchexposition ? Rearrangement in
L.,_---,-----....,-___J der Prägungsphase
Inselzellantikörper imTh mus)
(I CA) Expression von Virusprotein auf der
ß-Zellobertläche bei Infektion
der ß-Zellen durch Viren
Bindung auf
1}-Zellooer- ~ Direkte Aktivierung, molekula-
ß-Zelle als res Mimikrin, sterisch ähnliche
fläche und
autoimmunes Ziel Virusproteine und ß-Zellober·
Bildung eines
flächenproteine, Superantigen
immunogenen
Epitops vermeintliches
Antigen - - - - - - ,
Zytotoxische Aktivität
mittels der Komplement- - direkt
kaskade
oder indirekt

TH1 · Lymphozyten> TH2-


Lymphozyten (immunregula-
torische Defektsituation)
> 80%ige ß-Zelldestruktion

Abb.l6-52.
Umsetzung des autoimmunen Prozesses
bezüglich der Genese des Typ-I-Diabetes
656 KAPITEL 16 Glukose

könnte das Auftreten von Inselzellautoantikörpern Insulitis als pathomorphologisches Bild


(ICA) sein. Losgelöst von der Theorie der Trigge- des Typ-1-Diabetes
rung des autoimmunen Prozesses ist die Hypothese, Wie eingangs beschrieben, ist der Typ-1-Diabetes als
dass über ein Gen-Rearrangement eine Population Diabetesform definiert, die einen selektiven ß-Zell-
von gegenüber Inselzelloberflächenproteinen akti- verlust in den Langerhans-Inseln aufweist. Bei klini-
vierten T-Lymphozyten in der Prägungsphase im scher Manifestation enthalten die Mehrzahl der In-
Thymus bei Erkrankten vorliegt und diese die selek- seln entweder keine oder nur noch einzelne ß-Zellen
tive Inselzellzerstörung vollziehen. Für die T-zellver- und bestehen daher vornehmlich aus a-, 3- und PP-
mittelte autoimmune Genese des Typ-I-Diabetes lie- Zellen (s. Übersicht).
gen einige direkte und indirekte Argumente vor: Als
direktes Argument ist die Übertragbarkeit oder auch Zelltypen des Inselorgans des Pankreas
das Wiederauftreten des Typ-1-Diabetes bei trans- und deren charakteristische Proteinprodukte
plantierten Patienten anzusehen.
Die T-zellvermittelte Destruktion der ß-Zellen er- Zelltyp Charakteristisches Proteinprodukt
folgt direkt, wie oben beschrieben, oder indirekt
über ein Ungleichgewicht zwischen 2 Formen von a-Zellen Glukagon
ß-Zellen Insulin
T-Helferzellen, einer sog. immunregulatorischen
Defektsituation. Beide Phänomene können auch 8-Zellen Somatostatin
parallell vorliegen. Bei Typ-1-Diabetikern wurde PP-Zellen Pankreatisches Polypeptid
ein Ungleichgewicht zwischen T-Helfer-1-Zellen
(THl) und T-Helfer-2-Zellen {TH2) gefunden. Ab-
bildung 16-53 beschreibt die Auswirkung dieser im- Histologisch ist die Insulitis durch eine Infiltra-
munregulatorischen Defektsituation. tion der Inselorgane mit T-Lymphozyten (CD4-
und CD8-positive Zellen), wenigen Makrophagen
(CD14-positiv) sowie B-Lymphozyten gekennzeich-
net. Voraussetzung hierfür ist das Vorhandensein

ß-Zelle

I .
J3 -Zellant1gen
l
~
STIMULATION

\ Zytokine IL 1 I
\ q,- TNFa
H,02 TNFß
NO
1
fFy
ß-Zelle
I Abb.l6-53.
Destruktion Schematische Darstellung der Regulation der auto-
+ immunen Antwort auf zuvor beschriebene Antigen-
trigger im Zusammenhang mit der selektiven ß-Zell-
Typ-1-Diabetes destruktion beim Typ-I-Diabetes
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 657

von ß-Zellen, das bei Krankheitsverläufen unter 10 dung wird zusätzlich der intrazelluläre Stoffwechsel
Jahren gegeben ist. Die Entzündung erfolgt von der beeinflusst. Die verminderte intrazelluläre Glukose
Inselperipherie aus (Periinsulitis) und greift zuneh- und die ausbleibende Insulinwirkung (Hemmung
mend auf das gesamte Inselorgan über. von Glukose-6-Phosphatase, Fructosediphospha-
tase, Phosphoenolpyruvatcarboxykinase und Pyru-
vatcarboxylase) bedingt die Induktion der Gluko-
16.5.5 neogenese in den Leberzellen. Wegen verminderter
Klinik intrazellulärer Glukose ist die Triglyzeridsynthese in
den Leberzellen herabgesetzt. Es werden vermehrt
Symptome und Beschwerden Ketonkörper (ß-Hydroxybuttersäure, Acetessig-
säure, Aceton) gebildet. Die Kumulation dieser Ke-
Symptome und Beschwerden bei Patienten mit tonkörper führt zu einer metabolischen Azidose,
einem Typ-I-Diabetes entstehen auf dem Boden welche über Kompensationsmechanismen der Nie-
der Nichtverstoffwechselung von Glukose im Kör- ren (H+-Elimination; Abb. 16-55 und 16-56) zu einer
per, die durch einen absoluten Insulinmangel be- extrazellulären Dehydratation führt. Im Fettgewebe
dingt ist (Abb. 16-54). Die klinischen Symptome werden durch die ausbleibende Hemmung des In-
und Beschwerden werden durch die Hypoinsulinä- sulins auf die Triglyzeridlipase aus Triglyzeriden
mie über 2 Hauptwege bedingt. Neben der konseku- vermehrt freie Fettsäuren gebildet, was zu deren
tiven Hyperglykämie und der damit verbundenen Serumanstieg führt. Die Triglyzeridsynthese ist
Glukosurie mit vermehrter Flüssigkeitsausschei- ebenso wie in den Leberzellen wegen des verminder-

HYPOINSUU NISMUS,
wegen selektiver ,B-Zelldestruktion

I INTRAZELLULÄR j
1
- Hyperglykämie, wegen vennin- - Venninderte intrazelluläre Glukose
derter Glukoseaufnahme in die wegen venninderter Aufnahme (Giuko-
Körperzellen setransporter)
-ausbleibender Insulineffekt auf den
Stoffwechsel der Zelle

Steigerung der kompensatorischen


Glukoneogenese
+
Lipolyse
'-----:--
II
. ---'
Venninderte
Triglyzeridsynthese

Osmotische Diurese:
I Kumulation von Ketonkörpern
,
1

IL---------.-------~
Volumenverlust "'
~LI_______M_et_a_bo_l~is~ch_e_Az
__id_oo
__e __~l

l Kompensatorische renale
Eliminierung von H+ -Ionen

Symptome und Beschwerden


innerhalb der ersten drei Wochen: im weiteren Verlauf,
- Polydipsie (96%) übergehend in eine Ketoazidose:
- Polyurie (94%) - Übelkeit und Erbrechen (60%)
-Nykturie (7 1%) - Anorexie
-Gewichtsverlust (71%) - Parästhesien an den Extremitäten
- Polyphagie (69%) -trockene Haut, weiche Bulbi
-vegetative Dysfunktion (49%)
- Bauchschmerz (46%)
-Kopfschmerz (33%)
- Abgeschlagenheil (25%)
- Leistungsminderung (25%)
- Sehstörungen (17%) Abb.l6-54.
- Schwindel (15%)
- Tachypnoe
Zusammenhang des Hypoinsulinismus
- sekundäre Amenorrhoe , Potenzstörung beim Typ-I-Diabetiker mit den klinischen
- venninderte Infektabwehr Symptomen und Beschwerden. (Daten zur
Häufigkeit nach Scott et al. 1997)
658 KAPITEL 16 Glukose

C0~2-
HC03-
Cl·

Abb. 16-SSa, b.
Zelluläre Mechanismen des renalen H+-Transports.
a proximaler Tubulu : apikaler Na+/H+- Antiport,
b kortikales ammelrohr: apikale H+tK+-ATPase
in den Zwi chenzellen vom Typ A; basolaterale
H+/K+-ATPase in den Zwischenzellen vom Typ B.
CA Carbohydrase

ten intrazellulären Glukosegehaltes vermindert. Die Krankheitsphasen des Typ-1-Diabetes


außerdem wegen der Hyperglykämie vorliegende • 1. Präklinische Phase mit Nachweis von ICA, IAA
osmotische Diurese mit Elektrolytverlust bedingt und GAD,
zusätzlich eine intrazelluläre Dehydratation. Diese • 2. klinische Manifestation (Erstdiagnose),
Stoffwechseldefekte münden in die oben beschriebe- • 3. Remissionsphase ("honeymoon") in 65% über
nen Symptome und Beschwerden. Bei Anhalten der einige Monate bis zu 1 Jahr,
Hypoinsulinämie mit Hyperglykämie über einen • 4. VOllmanifestation des Typ-1-Diabetes.
längeren Zeitraum tritt eine diabetische Dekompen-
sation in Form eines Komas auf. Das ketoazidotische Der Krankheitsverlauf bzw. die Manifestation des
Koma entwickelt sich in etwa 1 % der Patienten bei Typ-1-Diabetes erfolgt bei Kindern schneller als
Erstmanifestation eines Typ-1-Diabetes. bei Jugendlichen oder Erwachsenen. Die Erkran-

Tubulus
Blutbahn
b

Abb. 16-56a, b.
Zelluläre Mechanismen der renalen H"'"-Sekretion.
a Au scheidung als Phosphat, b Sekretion als
NH:YNHt und Ausscheidung als H4+.
~ Basolaterale Transportmechanismen für HC03
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 659

100

C ICA positiv
0 zwei AK positv Abb.l6-57.
A drei oder mehr AK positiv Kumulatives Risiko, bezogen auf die
0 Anzahl erfasster Antikörper (!CA, IAA,
GAD, 37 Kd- oder 40 Kd-Antigen), am
0 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Typ-1-Diabetes zu erkranken. Beobach-
tungszeitraum 10 Jahre. (Mod. nach
Beobachtungszeitrau m [Jahre) Bingley et al. 1994)

kung geht nach Erstmanifestation bzw. Dia~nose­


16.5.6
stellung und dann sofortig begonnener Insulinthe-
Diagnostik
rapie in eine Remission über, die etwa I Jahr anhält.
Nach dieser Zeit erfolgt die Vollmanifestation des
Indikation zur Diagnostik
Typ- I-Diabetes. Bei Typ-I-Diabetikern lie?en gegen
Indikation zur Diagnostik ist gegeben (bzw. die Dia-
ß-Zellen gerichtete Autoantikörper vor. D1ese Aut~­
gnose ist gesichert), wenn im Rahme~ einer Routine-
antikörper liegen bereits vor klinischer Manifestati-
untersuchung ein erhöhter Gelegenheitsblutzucker (2::
on des Typ-I-Diabetes vor und verschwinden zum
200 mg/dl, 11,I mmol/1 Plasmaglukose) oder Nüch-
Teil im Laufe der Erkrankung. Die Manifestations-
ternblutzucker (2:: 126 mg/dl, 7,0 mmol/1 Plasmaglu-
geschwindigkeit des Typ-I-Diabetes schei~t von ~er
kose; entspricht 110 mg/dl, 6,I mmol/1 kapillär oder
Antikörpertiterhöhe sowie -anzahl abhäng1g zu sem.
Vollblut) erfasst wurden. Als nüchtern ist eine Periode
Ein alleiniger !CA-Titer > 80 Juvenile Diabetes
ohne Nahrungsaufnahme von 8 h definiert. Weiterhin
Foundation (JDF) Units birgt eine Erkrankungs-
sind Symptome wie Polyurie und Polydipsie verbun-
wahrscheinlichkeit von 40-50 o/o innerhalb von 5
den mit Gewichtsverlust und Leistungsabnahme als
Jahren. Liegen zusätzlich entweder noch IAA oder
Verdacht auf einen Diabetes mellitus zu werten und
GAD vor, ist das Risiko erhöht, an Typ-I-Diabetes
erfordern eine genauere Diagnostik. Das Auftreten
zu erkranken (Abb. I6-57). Häufig liegen bei Erst-
einer diabetischen Stoffwechsellage während einer
manifestation des Tr.r-I-Diabetes eine oder mehrere
Schwangerschaft ist ebenfalls als Indikation zur wei-
in der folgenden Übersicht wiedergegebenen Er-
teren Diagnostik anzusehen. Die Differenzierung z~i­
krankungen oder Lebenssituationen vor.
schen Typ-I-Diabetes und Typ-2-Diabetes kann me1st
durch Manifestationsform, Anamnese sowie körper-
Erkrankungen oder Lebenssituationen, die
lichen Untersuchungsbefund erfolgen. Nur selten
häufig bei Erstmanifestation eines Typ-1-Diabetes
kann die Differentialdiagnose hierüber nicht erreicht
vorliegen
werden. Dann kann die Bestimmung von Antikörpern
(ICA und GAD) hilfreich sein.
• Infektionskrankheiten wie
Pneumonie Anamnese
Harnwegsinfekt Neben einer ausführlichen allgemeinen Anamnese
Gastrointestinale Infekte muss bei der Patientenbefragung im Rahmen der Pri-
Operationen, Unfälle märdiagnose dezidiert nach den klassischen Sympto-
Schwangerschaft men des manifesten Typ-I-Diabetes gefragt werden
Hyperthyreose (s. Abb. I6-54). Der zeitliche Verlauf bis zur Manife-
Myokardinfarkt station der Symptome erlaubt (neben Alter, Familien-
Beginn einer spezifischen medikamentösen
anamnese, Symptomen und Körpergewicht) di~. Dif-
Therapie (z. B. Corticosteroidtherapie)
ferenzierung zum Typ-2-Diabetes. Folgende Uber-
sicht gibt die einzelnen Punkte zur Anamneseerhe-
bung wieder.
660 KAPITEL 16 Glukose

Anamneseerhebung Im komatösen Zustand des Patienten ist die körper-


liche Untersuchung auszudehnen (s. folgende Über-
• Anamnese: allgemeine Anamnese, Diabetes in sicht.
Familie?
• Liegen klassische Symptome vor? Befunderhebung im komatösen Zustand
• Zeitlicher Verlauf? (DD zum Typ-2-Diabetes)
• Diabetische Stoffwechsellage bei einer früheren • Atemqualität
Schwangerschaft? Kussmaul-Atmung
e Paralleles Auftreten anderer Erkrankungen mit • Untersuchung von Zunge und Abdomen
den Symptomen? • Kreislaufparameter
e Leidet der Patient an einer anderen Autoimmun- • Komastadium
erkrankung? Pupillenreaktion, Abwehrbewegungen,
Muskeltonus, Reflexe

Da eine genetische Prädisposition beim Typ-I-Dia-


betes vorliegt, wenn auch geringer als beim Typ-2- Technische Verfahren
Diabetes, muss eine ausführliche Familienanamnese • Diagnosestellung. Im Zusammenhang auf gemes-
bezüglich an Typ- I- und Typ-2-Diabetes erkrankter sene Blutzuckerwerte sei hier auf Unterschiede der
Verwandter erfolgen. Bei Frauen ist abzuklären, ob Grenzwerte bei Blutproben unterschiedlicher Quali-
diabetische Stoffwechselzustände während einer tät hingewiesen (Tabelle I6-IO). Nach dem "Expert
früheren Schwangerschaft aufgetreten sind. Weiter- Commitee on the Diagnosis and Classification of
hin ist auch nach dem Auftreten anderer Erkrankun- Diabetes Mellitus" (Konsensus ADA und WHO
gen, die in zeitlichem Zusammenhang mit dem Auf- I997} sind Gelegenheitsblutzuckerwerte 2: 200 mg/
treten der Symptome stehen, zu fragen. Die Ab- dl (Plasmaglukose) mit Vorliegen von Symptomen
klärung, ob eine weitere autoimmune Erkrankung und zweimalig 2: I26 mg/dl (Plasmaglukose) be-
beim Patienten vorliegt, gehört ebenso zur Anam- stimmten Nüchternblutzuckerwerten als sichere
nese: der Typ-I-Diabetes ist Bestandteil 3er ver- diagnostische Grenze für das Vorliegen eines Diabe-
schiedener Formen des polyglandulären Autoim- tes mellitus angegeben. Nüchternblutzuckerwerte <
munsyndroms (PAS). Des Weiteren ist der Typ-I- IIO mg/dl (Plasmaglukose) schließen einen Diabetes
Diabetes zu etwa 42 o/o mit dem Stiff-Man-Syndrom mellitus aus. Liegen Nüchternblutzuckerwerte 2: 110
(SMS) assoziiert. und < I26 mg/dl (Plasmaglukose) vor, wird die
Durchführung eines oralen Glukosetoleranztests
(oGTT) gefordert. Hier fließen der Nüchternblut-
Körperliche Untersuchung zuckerwert und der Blutzuckerwert nach 2 h in
Neben einer allgemeinen körperlichen Untersu- die Diagnostik ein. Glukosewerte in pathologischen
chung müssen bei Verdacht auf einen Typ-I-Diabe- Bereichen bei asymptomatischen Patienten deuten
tes folgende Befunde im besonderen untersucht auf eine hohe Wahrscheinlichkeit des Vorliegens
werden (s. folgende Übersicht). eines Diabetes mellitus hin. Zur Sicherung der Dia-
gnosestellung muss mindestens ein erneut gemesse-
ner Blutzuckerwert im diabetischen Bereich liegen
Speziell zu erhebende Befunde (Abb. I6-58}. Die Diagnose kann jedoch nur gestellt
bei der körperlichen Untersuchung werden, wenn die Bestimmungen absolut korrekt
ausgeführt wurden und mögliche Störquellen (s. un-
• Exsikkationszeichen ter oGTT) ausgeschlossen worden sind. Ein Diabetes
Stehende Hautfalten, trockene warme Haut, mellitus liegt nicht vor, wenn beide Messwerte
trockene Schleimhäute, weiche Augenbulbi (Nüchtern- wie 2-h-Wert des oGTT) unter dem je-
e Infektionsstatus weiligen Blutzuckergrenzwert liegen.
• Hautinfektionen, Infektionen des Urogenitaltrak-
tes • Oraler Glukosetoleranztest (oGTT). Der oGTT ist
• Neurologischer Status zur Diagnosestellung des Typ-I-Diabetes mellitus
• Vibrationsempfinden, Parästhesien, sog. Fuß- nur sehr selten notwendig. Er muss nach einem Nah-
visite rungskarenzintervall von I2 h und früh morgens
• Pseudoperitonitische Zeichen (selten) durchgeführt werden. Störparameter (s. folgende
• Ketoazidotische Stoffwechsellage Übersicht) müssen ausgeschlossen sein, oder,
e Ketongeruch der Atmung (Fruchtgeruch) wenn nicht möglich, bei der Interpretation des Tests
berücksichtigt werden. Der für die Routinediagno-
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 661

Tabelle 16-10. Blutzuckergrenzwerte verschieden gewonnener Blutproben zur Diagnose des Typ-I-Diabetes. (Mod. nach The
Expert Commitee on the Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus 1997)

Vollblut (venös) Vollblut (kapillär) Plasma


!mgldl (mmolll)] [mg/dl (mmol/1)] [mg/dl (mmol/1)]

üchtern 110 (6,1) 110 (6,1) 126 (7,0)

2 h nach Glukoseheia tung 180 (10,0) 200 (11, 1) 200 (11,1)

stik als obsolet angesehene intravenöse Glukosetole- Durchführung des oGTT. Die Konzentration der in
ranztest (i. v. GTT) wird nur noch zur Diagnose- Wasser gelösten Glukose darf jeweils nicht höher
tindung bei Malabsorptionssyndromen, die die Glu- als 25 g/dl betragen und muss innerhalb von
koseabsorption betreffen, eingesetzt. 5 min eingenommen werden. Erwachsenen werden
75 g Glukose, Kindern 1,75 g/kg KG (Maximum
75 g) oder 45 g/m2 Körperoberfläche oral verab-
Störparameter des oGTT
reicht. Die Blutglukosebestimmung erfolgt zu den
Zeitpunkten 0 und 120 min. Die Auswertung des
• Glukoseexzess oder Glukoseentzug (z. B. Hunger-
Tests erfolgt nach den in Tabelle 16-11 wiedergege-
versuch) 3 Tage vor Testdurchführung
benen Grenzwerten (Piasmaglukose).
• Medikamente, die in den Glukosestoffwechsel
eingreifen
• HbA 1c-Bestimmung. Der HbA 1c-Spiegel ist kein
z. B. Benzothaizide, Salizylate, Corticosteroide,
Parameter zur Diagnose des Typ-1- Diabetes, gibt
Nikotinsäure, Östrogen, Progesteron, Insulin
aber nach Erstdiagnose eines Diabetes mellitus
sowie andere antidiabetische Substanzen
einen Anhalt über das Ausmaß der Stoffwechsel-
• Malabsorptionssyndrome, die die orale Glukose-
entgleisung im Rahmen der letzten 6-8 Wochen.
aufnahme betreffen
Das HbA 1c spiegelt indirekt den durchschnittlichen
• Vorliegen einer Infektion (z. B. gastrointestinale
Blutzuckerwert in dieser Zeit wieder. Einen großen
Infektionen, die mit einer Resorptionsstörung
Stellenwert nimmt die Bestimmung dieses Labor-
einhergehen)
parameters in der Therapiekontrolle ein. Somit er-
• Zustand nach Trauma
gibt sich bei normaler Erythrozytenüberlebenszeit
• Verminderte physische Aktivität (Bettlägerigkeit)
eine Halbwertszeit des HbA 1c von etwa 6-8 Wochen.
Bei der Interpretation muss jedoch berücksichtigt
werden, dass verschiedene Störparameter den
Wert verfälschen können (s. Übersicht) .

.---------ll Blutzuckerbestimmung II------,


I
Gelegenheits- Nüchternblutzucker Nüchternblutzucker Nüchternblut-
blutzucker ;:: 126 mg/dl < 200 mg/dl 2!:110 < 126 mg/dl zucker
<: 200 mg/dl (7,0- 11 ,1 mmoVI) (6,1 - 7 mmol/dl) < 110 mg/dl
(11 ,1 mmol/1) (6,1 mmol/1 )
und Symptome

oGTI

I
zweimalige Nüchterng lukose
<!126 mgfdl
(7,0mmolll)

/
2-h-Wert <! 200 mg/dl L -- - - - , - - - - _ _ j Abb.16-58.
(<! 11 ,1 mmol/1) Diagnostischer Weg in der Primärdiagnostik
/ des Diabetes mellitus. Angegeben sind Plas-
mablutzuckerwerte. (Mod. nach The Expert
Kein Diabetes Commitee on the Diagnosis and Classification
Diabetes mellitus
mellrtus of Diabetes Mellitus 1997)
662 KAPITEL 16 Glukose

Störparameter der HbA 1c-Bestimmung


16.5.7
Differentialdiagnose
Falsch erhöhte Werte Falsch erniedrigte
Werte
Typ-1-Diabetes vs. Typ-2-Diabetes
HbF, HbG, andere HbS, HbC, andere Das klinische Bild ist Grundlage der Differentialdia-
negativ geladene HgBs positiv geladene HgBs gnose zwischen beiden Diabetesformen. Im Folgen-
Urämie Hämolytische Anämie den sind Unterschiede im Verlauf und Auftreten
Alkoholismus Akuter und chronischer zwischen Typ-I- und Typ-2-Diabetes aufgeführt
Blutverlust (Tabelle I6-ll). Die Abgrenzung beider Erkrankun-
Bleivergiftung Schwangerschaft gen kann, insbesondere bei Vorliegen einer Spätma-
Hypertriglyzeridämie Vitamin-e-Therapie nifestation ("late onset") Typ- I-Diabetes, schwierig
(> 1 g/Tag) sein. In klinisch unklaren Fällen ist die Bestimmung
Eisenmangelanämie von ICA sowie GAD hilfreich. Bei deren Vorhanden-
Postsplenektomiesyndrom sein liegt mit hoher Sicherheit ein Typ- I-Diabetes
Hyperbilirubinämie vor. Zwischen 8 und 12 Jahren vor Manifestation
Opiate des Typ-I-Diabetes sind Inselzellantikörper (ICA),
Azetylsalizylsäuretherapie
Insulinantikörper (IAA) und Antikörper gegen
das GABA-synthetisierende Glutamatsäuredecarbo-
xylaseenzym (GAD) nachweisbar. Eine Vielzahl von
Weiterführende Diagnostik bei Vorliegen Studien versuchte zu erfassen, ob über das Antikör-
eines Typ-1-Diabetes permuster eine Prädiktion der Manifestation des
Wegen der Assoziation des Typ-I-Diabetes mit Typ-1-Diabetes gemacht werden kann.
anderen Autoimmunerkrankungen (s. Anamnese)
sind, zumindest einmalig, folgende Autoimmun-
Typ-1-Diabetes versus Melliturie
erkrankungen, bei gleichzeitigem Vorliegen ver-
Die Melliturien sind in echte Glukosurien und ande-
dächtiger klinischer Symptome, auszuschließen
(s. folgende Übersicht). re Melliturien eingeteilt. Zu den echten Glukosurien
gehört der Diabetes renalis (Fanconi-Syndrom; Tu-
buluszellschaden des Carrier/Rezeptorsystems für
Weiterführende Diagnostik beim Typ-I-Diabetes
Phosphat, Aminosäuren und Glukose).Zur sicheren
Differentialdiagnose gegenüber einem Typ- I-Diabe-
• Hashimoto-Thyroiditis (erhöhtes TSH, thyroidale
tes wird der oGGT gefordert. Nichtglukosurische
Autoantikörper, Sonographie: kleine, echoarme
Melliturien sind z. B. die hereditäre Fructose-, Ga-
Schilddrüse)
laktose- oder auch Pentoseintoleranz. Der unter-
• M. Addison (ACTH-, Cortisol- und Reninspiegel-
bestimmung, bei unerklärtem Gewichtsverlust, suchte Urin dieser Patienten bedingt falsch-positive
Ergebnisse des Uringlukosetests (Reduktionstest).
Hyperpigmentation und nicht erklärlicher Hypo-
volämie und Leistungsabfall) Hohe Dosen von Vitamin C, Salizylate, Barbiturate,
• perniziöse Anämie (Hb, MCV, Parietalzellauto- Penizillin, Tetrazyklin, hypochlorid- und peroxid-
antikörperbestimmung, Vitamin B1r und Ferri- haltige Desinfektionsmittel bedingen ebenfalls
einem falsch positiven Glukosereduktionstest. Ein
tinspiegelbestimmung)
differentialdiagnostischer Ausschluss erfolgt durch
die Verwendung von enzymatischen Glukosetests,
die spezifisch Glukose nachweisen.

Tabelle 16-11. Anamnesemerkmale des Typ-I-Diabetes vs. Typ-2-Diabetes

Merkmale Typ- I-Diabetes Typ-2-Diabetes

Körperbau Astheniker, mager Pykniker, dick


Alter Eher jung (cave: "late onset") > 30. Lebensjahr
Manifestation Stresssituation Keine
Beginn Akut (Tage bis Wochen) Langsam (Jahre)
Gewichtsverlust Stark Gering
Ketoseneigung Stark Gering
Insulinempfincllichkeit Ausgeprägt Relativ resistent
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 663

Andere Differentialdiagnosen
16.5.8
Differentialdiagnostisch sind weiterhin die im Fol-
Therapie
genden angegebenen Krankheiten zu berücksichti-
gen (s. Übersicht). Bezüglich der Diagnosestellung
Die Therapie des Typ-1-Diabetes erfordert eine
verweisen wir auf die jeweiligen Kapitel, Abschnitte
hohe Bereitschaft der Patienten, eine konsequente
bzw. spezifische Fachliteratur.
gut kontrollierte Therapie durchzuführen. Die
Qualität der Therapie bestimmt entscheidend die
Dierentialdiagnostisch zum Typ-1-Diabetes
Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten.
zu berücksichtigende Erkrankungen
Um dies bei den Patienten zu erreichen, sollte eine
vertrauensvolle und verständnisvolle Zusammen-
• Zyklische Glukosurie
arbeit zwischen dem "Diabetesteam" (Arzt mit dia-
• Alimentäre Glukosurie
betologischem Fachwissen, Diabetesberater, Diät-
e Vergiftungen assistent und, wenn möglich ein Psychologe) und
• Infektionen
den Patienten angestrebt werden.
• Chronische Nephro- oder Hepatopathien
• Zystische Fibrose
Komponenten der Therapie des Typ-I-Diabetes
• Thalassämie
• Wolfram-Syndrom
• Schulung
• Assoziierte Autoimmunerkrankungen (s. Ana-
• Insulintherapie mit Stoffwechsel( -selbst)
mnese)
kontrolle
• Endokrinalogische Erkrankungen: Phäochromo-
• Diabetesgerechte Ernährung
zytom, Prader-Labhart-Willi-Syndrom, POEMS-
• Langzeitbetreuung (einschließlich persönlichem
Syndrom ("plasma cell dyscrasia" mit "polyneu-
Umfeld),
ropathy, organomegaly, endocrinopathy, M'Pro-
• Kontrolle anderer Risikofaktoren (Hypertonie,
tein, skin changes")
Hyperlipidämie, Nikotin)
• Tumorleiden: Akromegalie, Glukagonom, Soma-
tostatinom, Verner-Morrison -Syndrom
• Acanthosis nigricans
Der Typ-I-Diabetes bedarf obligat einer Therapie
• Refsum-Syndrom
mit Insulin. Das Therapieziel ist, die aufgrund der
• Gastrointestinale Erkrankungen mit zu rascher
ß-Zelldestruktion verminderte Sekretion des kör-
Resorption von Kohlenhydraten bzw. zu langsa-
pereigenen Insulins in annähernd physiologischer
mer Metabolisierung in der Leber
Form zu substituieren. So kann eine optimale Stoff-
• Iatrogener Diabetes mellitus (s. Übersicht)
wechseleinstellung mit der Verminderung von Spät-
komplikationen erreicht werden. Die Wahl der The-
rapiestrategie hängt zum einen von der Motivation
Medikamenteninduzierte und zum anderen von den Fähigkeiten der Patienten
diabetische Stoffwechsellage
ab. Es sollte in jedem Einzelfall zusammen mit dem
Patienteil unter Berücksichtigung der persönlichen
Liste potenziell-diabelogener Pharmaka Lebenssituation und seiner Motivation eine Thera-
(nach National Diabetes Data Group) pieform gewählt werden. So ist eine langfristige Mit-
arbeit, die Grundvoraussetzung der Diabetesthera-
e Diuretika und Antihypertensiva: Chlortalidon, pie ist, gewährleistet. Folgende Therapieziele sind
Clonidin, Diazoxid, Furosemid anzustreben.
e Thiazid-Diurethika
• Hormonelle Substanzen: STH, Prolaktin, ACTH, Therapieziele
Glukagon, L-T3, L-T4, Glucocorticoide, Sexual-
steroide, Somatostatin, - Analoga, Katecholami- • Normnahe Blutzuckereinstellung
ne e Erreichen einer optimalen Lebensqualität
• Psychoaktive Substanzen: Haloperidol, Lithium, • Vermeidung akuter und chronischer Komplika-
lmipramin, Phenothiazidderivate, Diphenylhy- tionen.
dantoin, trizyklische Antidepressiva
• Chemotherapeutika, ß-Zelltoxine: Alloxan, Strep-
tozotozin, L-Asparaginase, Pentamidin, Zyklo-
phosphamid
664 KAPITEL 16 Glukose

Insulintherapie dene Resorptionskinetiken (Tabelle 16-12). Die An-


Die routinemäßige Therapie mit Insulin erfolgt wendung des neuen Insulin-Lispros ermöglicht eine
durch subkutane Applikation ins Fettgewebe. Die individuellere Lebensführung, weil so gut wie kein
Injektionsstellen sollten gewechselt werden (Ober- Spritz-Ess-Ahstand eingehalten werden muss. Es
schenkel-, Oberarm- oder Bauchfettgewebe) um muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass bei
einer Lipodystrophie, die bei häufiger Nutzung Umstellung von Humaninsulin auf Insulin-Lispro
der gleichen Injektionsstelle auftreten kann, vorzu- der Patient geschult werden muss, um Hypoglyk-
beugen. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass ämien zu vermeiden.
die Resorption der Insuline bei verschiedenen Ap-
plikationsorten (Oberarm-, Oberschenkel- Bauch-
Einstellung
fettgewebsinjektion) unterschiedlich ist. Aus diesem
• Allgemeines. Der Insulinbedarf ist individuell
Grund ist zumindest im Rahmen der Einstellung
verschieden .und muss für jeden Patienten jeweils
bzw. Einschätzung der Resorptionsgeschwindigkeit
empirisch ermittelt werden. Der übliche Tagesbe-
verschiedener Injektionsstellen, bei Therapiebeginn
darfliegt zwischen 0,5 und 1,0 IE/kg Körpergewicht.
eine häufigere Blutzuckerkontrolle erforderlich.
Patienten, die noch eine endogene Insulinsekretion
Eine Sonderform der subkutanen Insulintherapie
(Frühphase des Typ-1-Diabetes) aufweisen oder
ist die kontinuierliche subkutane Insulininfusion
Ausdauertraining betreiben, benötigen weniger als
mittels einer tragbaren Dosierpumpe. Diese Thera-
0,5 IE/kg KG/Tag. Aufgrund der zuvor angesproche-
pie ist z. Z. noch auf besondere Indikationen, wie
nen unterschiedlichen Resorptionskinetik sowie
z. B. schwere Einsteilbarkeit der Blutzuckerwerte,
Wirklängen muss bei Anwendung von kurzwirksa-
beschränkt. Dem Patienten wird bei dieser Therapie-
men Insulinen ein für die jeweilige Substanz vorge-
form ein hoher Grad an technischem Verständnis
gebener Spritz-Ess-Ahstand eingehalten werden.
abverlangt, was die Indikation weiter einschränkt.
Gesteigerte Unterhautdurchblutung (z. B. nach hei-
Die intravenöse Insulinapplikation bleibt Notfällen
ßem Bad, Sauna, Massage oder nach körperlicher
und einer intensivmedizinischen Betreuung vorbe-
Aktivität) bedingt eine erhöhte lnsulinresorption,
halten und gilt nur für schnell wirksame Insuline.
der durch Verkürzung des Spritz-Ess-Abstandes
Rechnung getragen werden muss. Einer postpran-
Insulinpräparationen und Pharmakakinetik dialen Hyperglykämie und Hypoglykämieneigung
Zur Durchführung der verschiedenen Insulinsubsti- (2-5 h nach Injektion) wird so vorgebeugt. Außer-
tutionsformen werden unterschiedliche Insulinprä- dem wirkt sich der präprandiale Blutzuckerwert
parationen verwendet. Die Präparate unterscheiden auf die Wahl des Spritz-Ess-Abstands aus. Hinzu
sich in Zeitpunkten des Wirkeintritts, Wirkmaxi- kommt ein tageszeitspezifisch unterschiedlicher Be-
mums sowie der Wirklänge, bedingt durch verschie- darf an Insulin bezogen auf die aufgenommene

Tabelle 16-12. Auswahl der wichtigsten Insulinpräparationen ohne Berücksichtigung verschiedener Anbieter, deren Wirkein-
tritt, Wirkmaximum und deren Wirklänge

Präparation Zusammensetzung Wirkeintritt (h) Wirkmaximum (h) Wirklänge (h)

Schnellwirkendes Insulin
[Ly (B28), Pro(B29)) - Behinderung der Hexamer- Minuten 0,5 2
Humaninsulin bildung durch AS-Austausch
(Gallwitz u. Schmidt 1997)

ormal -(Alt-)Insulin An Zink gebundene 0,5-1 2-3 6-8


Insulinkristalle

Verzögerungsinsuline
eutral Protamin Zink, Protamin, Phosphat- 1,5 5- 8 18-24
Hagedorn ( PH), Insulin puffer und Insulin

Lente in ulin Azetatpuffer und amorphe 2,5 6-12 18-28


Insulin

Langwirkendes Insulin

Ultralente Insulin Kristallines Insulin mit 3-4 9-15 22-26


amorphem Insulin
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 665

Tabelle 16-13. Insulinbedarf pro Kohlenhydratportion (10- • Konventionelle lnsulintherapie. Die konven-
12 g reine Kohlenhydrate, BE, KE) in Abhängigkeit von der
tionelle Insulintherapie beruht auf der jeweilig
Tageszeit
2-maligen Applikation eines kurz- und mittellang
Tageszeit Insulinbedarf in JE pro wirksamen Insulins zu festen Zeiten (Abb. 16-59).
Kohlenhydratportion Die Optimierung der Stoffwechsellage erfordert
bei dieser Art von Therapie die Kohlenhydratzufuhr
Morgens ca. 1,5-2,5
(Essenszeiten und Kohlenhydratgehalt) zu festen
Mittags ca. I Zeiten sowie die Anpassung der körperlichen Akti-
Abends ca. 1-1,5 vität, also eine streng reglementierte Lebensweise.
Weil das Wirkmaximum (Phase der höchsten Insu-
linempfindlichkeit) des abendlich injizierten Inter-
Kohlenhydratportion (10-12 greine Kohlenhydrate, mediärinsulins zwischen 0.00 und 3.00 Uhr liegt,
BE, KE), was ebenso bei der Dosisberechnung be- muss eine Spätmahlzeit eingeplant werden. Diese
rücksichtigt werden muss (Tabelle 16-13). Kohlenhydratzufuhr darf nicht zu hoch gewählt
werden, damit dem Dawn-Phänomen (morgendli-
• Ersteinstellung. Die Ersteinstellung eines Typ-I- che Hyperglykämien wegen erhöhten Insulinbe-
Diabetikers sollte mittels der Gabe einer mor- darfs) vorgebeugt wird. Diese Therapieform wird
gendlichen moderaten Intermediärinsulindosis heute nur noch selten bei Typ-1-Diabetikern ange-
(NPH-Insulin) beginnen. Die Dosis sollte etwa wandt.
1/3 der kalkulierten Tagesbedarfsdosis entsprechen

(1/3 · 0,5 IE/kg KG). Ziel ist es, unter Anpassung • Intensivierte Insulintherapie. Diese Therapie-
der morgendlichen Dosis den Blutzucker in Bereiche form ist den zuvor beschriebenen überlegen. Das
um 200 mg/dl zu senken. Ist dies erreicht, beginnt Prinzip der heute bevorzugten Therapieform bei
man zusätzlich etwa 1/3 der morgendlichen Inter- Typ-1-Diabetes, der intensivierten Insulintherapie,
mediärinsulindosis abends zu applizieren. Unter besteht in der Substitution des Basaltagesbedarfs
ständigem Monitoring des Blutzuckers wird nun an Insulin durch mittellang wirksames Insulin so-
die individuelle Tagesbedarfsinsulindosis durch wie der präprandialen Gabe von Normalinsulin in
Anpassung (Zielblutzucker präprandial 100 mg/dl Abhängigkeit von Blutzuckerspiegel und vorge-
und postprandial 160 mg/dl), wie bei der konven- sehener Kohlenhydrataufnahme. Je nach Insulin-
tionellen Insulinsubstitutionstherapie, ermittelt und präparation (Normalinsulin) muss ein Spritz-Ess-
angepasst. Unbedingte Voraussetzung ist, dass eine Ahstand in der Regel von 15-30 min vor der Mahl-
engmaschige Blutzuckerkontrolle gewährleistet ist, zeit (Cave: kein Spritz-Ess-Ahstand beim Insulin-
da eine vorübergehende Remission ("Honeymoon- Lispro) eingehalten werden. Bei hohem bzw. niedri-
Phase") eintreten kann und somit, bei externer gem Ausgangsblutzuckerwert muss der Spritz-Ess-
Insulinzufuhr, das Hypoglykämierisiko steigt. Ist Ahstand um 15 min verkürzt bzw. verlängert werden
eine ausreichende Stabilität im Stoffwechsel er- (Abb. 16-60a-c).
reicht, kann die Einstellung auf die jeweilig mit
dem Patienten gemeinsam gewählte Insulinsubsti-
tutionstherapie erfolgen.

BZB BZB BZB BZ8

MOlgen Noctmt og Abend N cht

Applt~OIIOO Appltl<.olton

u u

1n errnedobr -

-- Abb.16-59.
Therapieregime bei der konventionellen In-


sulinsubstitutionstherapie. BZB Blutzucker-
I • bestimmung
666 KAPITEL 16 Glukose

a
BZB BZB BZB BZB

Mo-gen Nochmitlog Abend Nacht

Appliko1iO'l Applikalioo Appliko1ion


JJ u JJ
Altinsulin Altinsulin Altinsulin

lnterrnediÖI·

- - --.._
Insulin
........

b
I • I • I • Mahlzeiten

BZB BZB BZB BZB

Morgen Nochmittag Abend Nacht

Applikation Applikation
JJ lnterrnedicir-
Insulin

lntermediör-
insuHn

c
I • I • I • Mahlzeilen

BZB BZB BZB BZB

Mo'gen Nochmitlog Abend Nacht

Applikation
ApplikoliO'l Applikalioo Appllkotion (Uitrotord)

JJ JJ JJ JJ
Altinsulin Altinsulin Altinsulin

Abb. 16-60a-c.

-- -- ---
lntermediör- Verschiedene Therapieregime der inten-
insulin sivierten Insulinsubstitutionstherapie.
Einstellung: a Basis-Bolusprinzip mit 3
Applikationen, b und c Basis-Bolusprinzip
mit 4 Applikationen. BZB Blutzuckerbe-

I • I I I • Mahlzeilen
stimmung
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 667

Einstellung (Umstellung von konventioneller Insulin- speziellen Einrichtungen erfolgen. Beim Vergleich
substitutionstherapie). Vorgehen: 40-60 o/o des indi- der Insulinpumpentherapie und der intensivierten
viduell ermittelten Tagesbedarfs an Insulin werden Insulinsubstitutionstherapie (INT) wurde in der
als Intermediärinsulin zu jeweilig gleichen Teilen Gruppe der Pumpenträger eine verminderte Hypo-
morgens und abends appliziert. Die jeweilig benö- glykämierate beobachtet (Insulinpumpe: 31 Fälle/
tigte präprandiale Normalinsulindosis wird nach 100 Patientenjahre vs. INT: 138 Fälle/100 Patienten-
folgenden Faustregeln kalkuliert. jahre). Die Güte der Stoffwechseleinstellung, gemes-
• 1 IE Normalinsulin senkt den Blutzucker um sen am HbA 1c-Wert, war in beiden Gruppen gleich.
30-50 mgldl. Folgende Übersicht gibt die Indikationen zur Insu-
• 1 Kohlenhydrateinheit (KE, BE) erhöht den Blut- linpumpentherapie wieder.
zucker um ca. 40-50 mg/dl.
Indikationen für eine Insulinpumpentherapie
Hieraus ergibt sich, dass die geplante Aufnahme von
BE etwa den IE Normalinsulin entspricht (2 BE
• Ausgeprägtes Dawn-Phänomen (=hohe Blutzuk-
ca. 2 IE Normalinsulin). Bei Applikation muss unbe-
kerwerte am frühen Morgen)
dingt der Spritz-Ess-Ahstand berücksichtigt werden.
• Einstellungsprobleme in der Schwangerschaft
Dosisanpassung: Prospektiv. Eine prospektive In-
• Schlecht einstellbarer Diabetes trotz guter Kom-
sulindosisanpassung ist nur für das Normalinsulin
pliance und intensivierter Insulintherapie
möglich. Vorgehen: Die Ermittlung der jeweiligen
• Erhöhte Anforderungen an die Therapie (Schicht-
präprandialen Normalinsulindosis wird nach den
arbeit)
gleichen Faustregeln wie bei der Umstellung von
konventioneller auf intensivierte Insulinsubstituti-
onstherapie durchgeführt (s. oben).
Retrospektiv. Die Anpassung der abendlichen In- Weitere Varianten der Insulinpumpentherapie sind
termediärinsulindosis erfolgt nach den morgendlich implantierte Pumpenaggregate mit intraperitonea-
gemessenen Nüchternblutzuckerwerten der letzten ler oder intravenöser Insulinapplikation. Sie kom-
Tage. Zur Wahl der Korrekturdosis wird das gleiche men z. B. bei seltener subkutaner Insulinresistenz
Vorgehen wie bei der prospektiven Dosisanpassung in Betracht. Eine kürzlich veröffentlichte Studie
des Normalinsulins benutzt. Die Dosis sollte so ti- zeigte im Vergleich von Insulinpumpentherapie (in-
triert werden, dass das Verhältnis zwischen mor- traperitoneal oder intravenös) keinen Unterschied
gendlicher und abendlicher Intermediärinsulindosis in der Güte der Blutzucker-sowie HbA 1c-Wert-
1 : 1 ist. und Blutfettwerteinstellung im Vergleich zur subku-
tanen INT. Bezüglich des Auftretens von ausgepräg-
• lnsulinpumpentherapie. Diese Therapieoption ten Hypoglykämien lag auch hier die Insulinpum-
ermöglicht mittels einer tragbaren Minipumpe die pentherapie besser als die intensivierte Therapie
kontinuierliche oder auch variabel der Tageszeit an- (INT: 33 Fälle/100 Patientenjahre gegenüber Insu-
gepasste subkutane Insulinbasissekretion über eine linpumpentherapie: 4 Fälle/100 Patientenjahre). In
fixierte, subkutane Verweilkanüle. Die jeweilige prä- der Untergruppenbetrachtung schnitt die intra-
prandiale Insulindosis kann direkt mit der Mini- peritoneale Applikation gegenüber der intravenösen
pumpe über eine Abruffunktion appliziert werden. Insulingabe besser ab. Katheterobstruktionen wur-
Ebenso wie die intensivierte Insulintherapie erfor- den in 76 o/o (intravenöse Katheterlage) nach 8,9 ±
dert dieses System eine regelmäßige Blutzuckerkon- 6,5 Monaten und in 81 o/o (intraperitoneales Regime)
trolle zur optimalen Anpassung sowie ein in noch nach 20,6 ± 12 Monaten beobachtet. Der Ver-
höherem Maße vorhandenes Therapieverständnis. gleich mit Daten der DCCT erbrachte, dass weniger
Grundvoraussetzung zur Anwendung der Insulin- Ketoazidosen (0,4/100 Patientenjahre) bei der In-
pumpentherapie ist eine ausgiebige Instruktion sulinpumpentherapie als bei der INT (1,8/100 Pa-
des Patienten in der Bedienung der Insulinpumpe tientenjahre) auftraten. 'Ebenso ist die Körperge-
und Bewältigung therapiebedingter Probleme (Ver- wichtszunahme unter Insulinpumpentherapie nicht
halten bei Sport, beim Baden, Therapie von Reizzu- so ausgeprägt wie bei der INT (> 120 o/o Idealge-
ständen der länger verweilenden Infusionsnadeln). wicht: INT 12,7 Fälle/100 Patientenjahre gegenüber
Die Patienten müssen über die Gefahr eines ketoa- Insulinpumpentherapie 3,8 Fälle/100 Patienten-
zidotischen Komas bedingt durch ausbleibende In- jahre; Abb. 16-61). Eine Einschätzung, ob die Thera-
sulinzufuhr (Katheterdislokation oder Verstopfung) pie des Typ-I-Diabetes mittels der Insulinpumpen-
aufgeklärt sein und fähig sein, eine Insulinapplika- technik gegenüber der INT besser ist, ist schwer. Es
tion in der üblichen Weise ersatzweise durchführen liegen nur begrenzt Daten vor, die nur eine vor-
zu können. Eine Betreuung dieser Patienten muss in sichtige Aussage zulassen. Hinzu kommt, dass mög-
668 KAPITEL 16 Glukose

35

30

I
~
.r:;
Al 25
· ~;
Ql
~ ~ Intensivierte Insulinsubstitutionstherapie Abb.16-61.
"E 20 Vergleich von Hypoglykämierate, Über-
CD D Insulinpumpentherapie
~ gewicht und Ketoazidosevorfällen bei der
15 intensivierten Insulinsubstitutionstherapie
8 und lnsulinpumpentherapie. Betrachtung
~ bei 76 Patienten zunächst nach 3- bis
:;;; 10
u. 4-monatiger intensivierter Insulin-
5 substitutionstherapie und dann erfolgter
Implantation einer Insulinpumpe (für
0 I J 39,6 ± 10 Monate). (Mod. nach Dunn et al.
1997)
Hypoglykämien ,. 120% Idealgewicht Ketoazidosen

lieherweise die besser ausgefallenen Ergebnisse be- normnaher HbA 1c-Wert für die Vermeidung von
züglich des Hypoglykämierisikos, der verminderten möglicherweise auftretenden Spätkomplikationen
Ketoazidoserate und der geringeren Gewichtszunah- maßgeblich (Tabelle 16-14). Für die Mortalität be-
me auf eine genauere Stoffwechseleigenkontrolle stand kein Unterschied bei beiden Therapieformen.
oder auch stärkere Motivation der Insulinpumpen- Es zeigte sich jedoch, dass in der intensiviert behan-
träger zurückzuführen ist. delten Patientengruppe vermehrt schwere Hypo-
glykämien (Ereignisse, die Glukose- oder Glukago-
ninjektionen oder orale Glukosezufuhr durch ande-
Therapieerfolge re erforderlich machte) auftraten. Die erhöhte
Es sollte immer eine intensivierte Insulinsubsti- Hypoglykämierate bei der intensivierten Insulinsub-
tutionstherapie/Insulinpumpentherapie angestrebt stitutionstherapie erfordert eine genauere Selbst-
werden. Ergebnisse der "Diabetes and Compliance kontrolle und somit eine höhere Kompliance sowie
Trial (DCCT)" zeigten, dass gute Blutzuckereinstel- Fertigkeit des Patienten. Bei Patienten mit Wahr-
lung bezüglich der Spätfolgen des Typ-1-Diabetes im nehmungsstörungen für Hypoglykämien und ana-
Vergleich der schlechten Blutzuckereinstellung mnestisch angegebenen schweren Hypoglykämien
überlegen ist (The Diabetes Control and Complica- sind besondere Vorsicht und spezielle Schulungs-
tions Trial Research Group 1993). In die Betrachtung maßnahmen indiziert. Für Patienten, die eine Selbst-
floss der HbA 1c-Wert, der somit Maß für die Güte kontrolle ihres Therapieerfolges nicht bewältigen
der Stoffwechseleinstellung war, ein. So ist nicht oder nur begrenzt durchführen wollen (z. B. alte
die Therapiewahl, sondern vielmehr ein möglichst Menschen, geistig Retardierte oder Patienten, die

Tabelle 16-14. Vergleich zwischen intensivierter (INT, scher Komplikationen des Typ- I -Diabetes. Eingeschlossen wa-
HbA!c-Werte 7,0-7,2 %) und konventioneller (KON, ren 1441 Patienten aus 29 Zentren über einen Zeitraum von 10
HbA!c-Wert 8,9 %) Insulinsubstitutionstherapie bzgl. der Ri- Jahren. (Mod. nach The Diabetes Control And Complications
sikoreduktion mikroangiopathischer und makroangiopathi- Trail Research Group 1993)

Organproblem Risikoreduktion
!NT gegenüber KON
l%1
Mikroangiopathie
Auge Retinopathie 63
( > 3-Stepp-Verschlechterung)
Makulaödem 26
Erforderliche Lasertherapie 51
iere Albuminurie 2: 40 mg/24 h 39
Albuminurie 2: 300 mg/24 h 54
ervensystem europathie (nach 5 Jahren) 60
Kardiavaskulär 80
pAVK 24
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 669

aufgrund einer stabilen Stoffwechsellage gut kon- manifestationwerden die Patienten mit einer für sie
ventionell eingestellt sind und/ oder die Vorzüge neuen, lebenslangen Erkrankung konfrontiert, die
der intensivierten Therapie nicht in Anspruch neh- nicht selten psychosoziale Probleme mit sich führt.
men wollen), besteht keine Kontraindikation zur Die Anforderungen an das Wissen, das Handlungs-
Fortführung der konventionellen Insulinsubstituti- vermögen, die Selbstdisziplin und das Verantwor-
onstherapie. tungsbewusstsein der Patienten sind groß. Um die-
sem zu begegnen, müssen die Patienten einer spe-
ziellen Schulung (s. Übersicht unten) durch ein
Pankreastransplantation, Inselzelltransplantation
"Diabetesteam" zugeführt werden. Dieses Schu-
• Pankreastransplantation. Die eleganteste Thera-
lungsprogramm, so konnte in einigen Untersuchun-
pie des Typ-I-Diabetes würde in dem Ersetzen des
gen gezeigt werden, ist in ambulanter Form durch-
zerstörten Organs (Gesamtpankreas oder Inselzel-
zuführen. Neben den geringeren Kosten im Ver-
len) bestehen. Das Hauptproblem, wie bei jeder
gleich zu einer Schulung mit Hospitalisierung
Transplantation, sind das Abstoßungsrisiko und
wird zudem erreicht, dass die Patienten aktiv mitar-
die Nebenwirkungen der zur Abstoßungsprophylaxe
beiten und nicht in eine passive Haltung, die unter
nötigen Medikamente. Die Indikation für eine
stationären Bedingungen leicht angenommen wer-
Pankreastransplantation ist eng zu stellen und ist
den kann, verfallen.
bei terminal-niereninsuffizienten Typ-I-Diabetikern
ohne weitere Gefäßkomplikationen (Herz und Ge-
Schulungsinhalte einer strukturierten ambulanten
hirn) in Kombination mit einer Nierentransplanta-
Aus- und Weiterbildung für Typ-I-Diabetiker
tion gegeben. Eine alleinige Pankreastransplantation
ist nur in Ausnahmefällen (schwerer instabiler Typ-
• Grundlagenwissen über Typ-I-Diabetes
I-Diabetes) zu erwägen. In etwa I-I2 o/o tritt ein Dia-
• Kenntnisse und Fertigkeiten der Selbstkontrolle
betesrezidiv im Transplantat ein, was eine erneute
• Wirkung der Insulinformen
Insulintherapie erforderlich macht. Die Transplan-
• Insulintherapieformen
tate werden mittels Pankreatikoduodenojejunosto-
• Injektionstechniken
mie oder der Pankreatikoduodenozystotomie mit
• Diabetesgerechte Ernährung
Ableitung der exokrinen Pankreassekrete in die
• Hypoglykämie
Harnblase transplantiert.
• Spätschäden
• Vererbung
• Inselzelltransplantation. Eine weitere Möglich-
• Schwangerschaft
keit besteht in der Transplantation von isolierten In-
• Psychosoziale Fragen
selzellen. Insbesondere kommen hierfür Typ-I-Dia-
betiker, die bereits nierentransplantiert sind und so-
mit eine immunsuppressive Therapie erhalten, in
Betracht. In Studien zeigte sich, dass I Jahr nach
In Studien bezüglich der Lebensqualität von Typ-I-
Transplantation 47 o/o der Empfänger C-Peptid-posi-
Diabetikern wurde herausgearbeitet, dass bei Pa-
tiv sind und 29 o/o keine Insulinsubstitution benöti-
tienten mit zunehmendem Alter die Unzufrieden-
gen. Die Erfolgsrate der Inselzelltransplantation lag
heit mit ihrer Situation steigt. Bei Frauen ist dies
in einer Studie mit 20 Transplantierten bei etwa
ausgeprägter als bei Männern. Es muss also in be-
45 o/o. Technisch erfolgt die Inselzelltransplantation
sonderem Maße auf die ungünstige psychische
über eine Infusion dieser in die Portalvene. Die In-
und physische Befindlichkeit von älteren Diabeti-
selzellen werden dann in den Lebersinusaiden fest-
kern in den Schulungsprogrammen eingegangen
gehalten und übernehmen von diesem Ort aus die
werden. In Fragen zur Bewältigung des Diabetes
Regulation des Stoffwechsels.
im täglichen Leben und der diabetesspezifischen
Selbstkontrollen kamen alle Altersgruppen gut zu-
recht. In einer Vielzahl von Studien konnte dargelegt
16.5.9 werden, dass Schulungen im Sinne von Aus- und
Schulung Weiterbildung in etwa 4- bis 5-jährigen Abständen
erfolgen sollten. Besondere Wissensdefizite zeigten
Der Typ-I-Diabetes ist eine Erkrankung, die bei gu- sich in diabetesgerechter Ernährung, Insulindosis-
ter Einstellung der Stoffwechsellage erfolgreich be- anpassung und Hypoglykämien, auf die in der Wei-
züglich der Vermeidung von Spätfolgen behandelt terbildung besonders eingegangen werden sollte.
werden kann. Der Therapieerfolg ist in einem gro- Die Schulung sollte ambulant in Gruppen von bis
ßen Maß von der Eigenverantwortlichkeit und Auf- zu IO Personen oder auch Einzelschulungen durch-
geklärtheit des Patienten abhängig. Bei der Diabetes- geführt werden. Es empfiehlt sich neben der Beteili-
670 KAPITEL 16 Glukose

gung des gesamten Diabetesteams (Diabetologe, werden. Des Weiteren sollten 20-35 g Faserstoffe/
Diabetes-Berater, Diätassistent, Psychologe) die Tag, ausreichend Vitamine und Spurenelemente zu-
Schulung in einem Schulungsraum in entspannter geführt werden. Das subjektive Wohlbefinden des
Atmosphäre durchzuführen. Auch sind praktische Patienten bei der Ernährung ist ein wichtiger Be-
Übungen zum Umsetzen des Erlernten sehr sinnvoll standteil zur Sicherung der Einhaltung der diabetes-
(gemeinsamer Restaurantbesuch mit Berechnung gerechten Ernährung. Aus diesem Grund sollte bei
der benötigten Insulinsubstitutionsdosis). Bei der der Erstellung eines Ernährungsplanes auf die jewei-
Betreuung und Schulung von Kindern im Verlauf ligen Neigungen der Patienten eingegangen werden.
der Erkrankung sind Maßnahmen mit verschiede- Hilfreich sind hierbei Ausgleichstabellen, die dann
nen Veranstaltungen und Einrichtungen (s. folgende das Erstellen einer individuellen diabetesgerechten
Übersicht) sinnvoll. Neben der Aufklärung des Pa- Ernährung ermöglichen. Das genaue Abwiegen
tienten selbst und seiner Familie verbessert die der Nahrung erübrigt sich, wenn die Familie und
Krankheitsakzeptanz und Therapieführung bei er- der Patient gelernt haben, Gewicht und BE-Gehalt
krankten Kindern die Aufklärung des sozialen Um- der Nahrung abzuschätzen. Zumeist würde das Ab-
feldes wie z. B. der Lehrer, Sportlehrer, Kindergärt- wiegen auch nur eine relative Genauigkeit vorspie-
ner über diabetische Komplikationen, deren Erken- geln, da der tatsächliche Kohlenhydratanteil in den
nung und Therapie. Für spezielle Fragen bezüglich einzelnen Produkten Schwankungen unterliegt.
der Führung von an Typ-I-Diabetes-erkrankten Beim Ernährungsplan von Kleinkindern sollte we-
Kinder möchten wir auf entsprechende Fachliteratur gen der schnellen Resorption und des damit schnel-
verweisen. len Anstiegs der Blutzuckerspiegel Kochzucker,
Traubenzucker sowie Malzzucker vermieden wer-
Begleitende Programme und Veranstaltungen den. Bei Erwachsenen ist ein mäßiger Genuss von
bei an Typ-1-Diabetes-erkrankten Kindern Kochzucker erlaubt, da die Stoffwechsellage in der
Regel dadurch nicht verschlechtert wird. Anderun-
• Strukturierte Elternabende gen der Nahrung sind z. B. bei Makroalbuminurie
e Schulungswochenendausflüge notwendig (s. diabetische Nephropathie).
• Strukturierte Schulungswochen für Jugendliche
mit Typ-I-Diabetes in einem möglichst wirklich-
keitsnahen und krankenhausfernen Millieu
• Kinderfeste für Familien mit diabetischen Kin- 16.5.10
dern Therapiekontrollen
e Ferienlager für Kinder und Jugendliche mit Typ-
I-Diabetes Der Typ-I-Diabetes ist eine lebenslange Erkran-
kung, die bei guter Einstellung der Stoffwechsellage
(HbA 1c-Wert) eine relativ gute Prognose, auch bezo-
Diabetesgerechte Ernährung gen auf mögliche Spätfolgen, hat. Voraussetzung für
Die Ernährung sollte eine ausgeglichene Kost bein- eine optimale Stoffwechseleinstellung und somit die
halten (Brot, Milch, Gemüse, Früchte, Fleisch und Prävention dieser Spätfolgen sind kontinuierliche
Fett). Insbesondere ist sie an Lebensalter, Ernäh- Therapiekontrollen im Rahmen der Langzeitbetreu-
rungszustand, körperliche Aktivität und spezifische ung der Patienten. Die folgende Übersicht gibt die
metabolische Anomalien anzupassen (Hyperchole- Grundprinzipien wieder, die entsprechend dem kli-
sterinämie, Hypertriglizeridämie usw.). In der Regel nischen Verlauf variabel umgesetzt werden müssen.
werden 3 Hauptmahlzeiten und je nach Art der In-
sulinsubstitutionstherapie bis zu 3-4 Zwischen- Therapiekontrollen bei Typ-1-Diabetikern:
mahlzeiten eingenommen. Wichtig ist die ausrei- Frequenz und Inhalt
chende Nahrungszufuhr bei Kindern, die in der
Wachstumsphase sind. Der Energiebedarfkann mit- • Ärztliche Konsultation in vierteljährlichen Ab-
tels Tabellen ermittelt werden und sollte zu 55 % aus ständen. Bei einer Primärversorgung durch den
Kohlenhydraten, 30 % aus Fetten und I5 % aus Pro- Hausarzt sollte eine halbjährliche bis jährliche
teinen bestehen. Eine Tagesverteilung kann je nach Vorstellung bei einem Diabetesspezialisten oder
Gewohnheiten des Patienten z. B. 20 %auf das Früh- dem "Diabetesteam" erfolgen
stück, 30 % auf das Mittagessen und 20 % auf das • Dezidierte Erfassung der Stoffwechseleinstellung.
Abendessen erfolgen. Für die Zwischenmahlzeiten Dokumentation von
würden dann jeweils IO% auf Morgen, Nachmittag Blutzuckereigenmessungen
und Spätmahlzeit entfallen. Ein Anteil von ungesät- Hypoglykämieereignissen
tigten zu gesättigten Fetten (1,2 : 1,0) sollte erreicht Änderungen des Insulinbedarfs
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 671

• Bestimmung von individuell auf dem Boden seiner persönlichen


HbA 1c-Wert Lebensverhältnisse und Wünsche festgelegt wer-
Körpergewicht den, um, wie zuvor ausgeführt, eine möglichst
Albuminausscheidung im Urin hohe Kompliance des Patienten zu erreichen. Vor
Blutdruck dem Schlafengehen sollten Blutzuckerwerte bei
"Fußvisite" (s. Abschn. 16.15) 110-135 mg/dl (6,0-7,0 mmol/1} liegen, um die Ge-
• Jährliche Früherkennungsuntersuchungen bezo- fahr nächtlicher Hypoglykämien zu vermindern.
gen auf Spätkomplikationen: Nur in Ausnahmefällen, z. B. wenn eine Blutzucker-
Augen (Fundoskopie) kontrolle nicht möglich ist oder der Patient diese
Nieren (Albuminurie) nicht durchführen möchte, kann die Harnzucker-
Nervensystem (Reflexe, Vibrationsempfinden) selbstkontrolle mittels Teststreifen angewandt wer-
Kardiavaskuläres System (Belastungs-EKG, Puls- den. Im Rahmen einer akuten Erkrankung (mit
status) Fieber und Erbrechen), durchweg erhöhtem Blut-
zuckerspiegel (> 250 mg/dl}, während einer Reduk-
tionskost, oder auch bei unerklärbarem Unwohlsein
des Patienten ist die Selbstkontrolle auf die Bestim-
mung von Ketonkörpern im Urin zu erweitern.
Blutzuckereigenbestimmung
Ein wichtiger Bestandteil der Therapiekontrolle ist
die Eigenkontrolle durch den Patienten. Diese Übergewicht, Hypertonie
muss erfolgen, sodass der Patient, insbesondere Ein weiteres Therapieziel ist die Vermeidung von
bei der intensivierten Insulinsubstitutionstherapie, Übergewicht und eine gute Blutdruckeinstellung.
seinen aktuellen Blutzuckerwert erfasst und so einen Der Body-Mass-Index (BMI) sollte bei Männern
Aufschluss über seine derzeitige Stoffwechsellage 25 kg/m 2 und bei Frauen 24 kglm 2 nicht überschrei-
bekommt, um seine Therapie entsprechend anpas- ten. Der Ruheblutdruck sollte unter 140/85 mmHg
sen zu können. Um eine suffiziente Selbstkontrolle liegen. Das Vorliegen einer Mikroalbuminurie (im
zu ermöglichen, müssen folgende Voraussetzungen Nachturin mehr als 20 11g/min oder 20 mg/dl oder
gewährleistet sein. über 30 mgldl pro 24 h) erfordert in besonderem
• Vertrautsein mit der Technik der Blutzuckerei- Maße die normnahe Blutzucker- und perfekte Blut-
genbestimmung (visuelle Ablesung von Teststrei- druckeinstellung (s. diabetische Nephropathie).
fen oder Bedienung von Blutzukkermessgeräten).
• Wissen über methodenspezifische Messfehler
Nebenwirkungen
und deren Behebung bzw. Interpretation.
Haupt- und bedrohlichste Nebenwirkung der Thera-
pie des Typ-I-Diabetes sind Folgen einer falschen
Die Häufigkeit der Blutzuckermessungen muss
Dosierung der Insulinsubstitution oder auch einer
nach gewählter Insulinsubstitutionsform und Stabi-
veränderten nicht berücksichtigten Insulinresorpti-
lität der Stoffwechseleinstellung festgelegt werden.
on. So kann eine Hypoglykämie oder auch eine dia-
Mehrmalige Bestimmungen (meist 4-malig) stellen
betische Dekompensation mit Ausbildung eines ke-
das Optimum der Selbstkontrolle dar. Liegen beson-
toazidotischen Komas auftreten. Weiterhin kann be-
dere Lebensumstände (unregelmäßige Arbeitszei-
dingt durch die subkutane Insulininjektion eine Li-
ten, Schwangerschaftswunsch oder Schwanger-
podystrophie des Unterhautfettgewebes auftreten.
schaft) vor, sollte eine noch häufigere tägliche
Durch ständigen Wechsel der Injektionsstellen
Blutzuckerkontrolle erfolgen. Mindestforderung für
kann diesem entgegengewirkt werden.
die intensivierte Insulinsubstitutionstherapie ist die
3- bis 4-malige tägliche Blutzuckerkontrolle. Liegt
eine Neigung zu nächtlichen Hypoglykämien vor,
16.5.11
ist eine abendliche Blutzuckerbestimmung vor
Notfall
dem Schlafengehen sehr wichtig, damit, wenn nötig,
eine Spätmahlzeit eingenommen werden kann. Bei
Lebensbedrohliche Zustände bei Typ-1-Diabetikern
dem Verdacht auf unbemerkte nächtliche Hypo-
entstehen durch eine diabetische Dekompensation
glykämien ist eine nächtliche (2-3 Uhr) Blutzucker-
oder auch eine Fehltherapie. Wird diese nicht früh-
bestimmung durchzuführen.
zeitig erkannt und behandelt, mündet sie in einen
komatösen Zustand. Führende Laboruntersuchun-
Einschätzung der aktuellen Stoffwechseleinstellung gen zur Differentialdiagnose sind die Bestimmung
Die beste Einstellung ist in jedem Fall anzustreben. des Serumblutzuckerspiegels sowie die Untersu-
Die Therapieziele müssen jedoch für jeden Patienten chung auf Ketonkörper in Serum und Urin. Nach er-
672 KAPITEL 16 Glukose

Tabelle 16-15. Weiterführende Parameter in der Differentialdiagnose komatöser Zustände

Komaform Serumglukose Plasma·pH HCQ 3. (mEq/L) 50 " 1 Plasmaketone Klinik


(rnOsm/kg)

Hyper- ~ 599 ~ 7,3 ~ 15 ~ 320 Gering Dehydratation


glykämi eh normale Haut-
temperatur

Ketoazidotisch ~ 300 :::; 7,3 :::; 18 < 320 Ausgeprägt Dehydratation


warme Haut
Kussmaui-Atmung

H~o- < 50 ormnah ormnah ormnah Keine Normohydratation


gly ämisch warme Haut
Normeventilation

Laktatazidotisch 20-200 :::; 7,3 :::; 18 ormnah Keine - gering Normehydratation


warme Haut
Hyperventilation
Hypotonie

folgter Einschränkung der Differentialdiagnose • Tumorhypoglykämie: mesenchymale Tumoren


muss gezielt durch den Nachweis weiterer Parame- (Sarkom, Fibrom, Mesotheliom, Hämangioperi-
ter bzw. klinischer Symptome die Diagnose erhärtet zytom, primäres Leberzellkarzinom, Nebennie-
werden (Tabelle 16-15 und folgende Übersicht). renrindenkarzinom, Tumoren des Gastrointesti-
naltraktes und Urogenitalsystems)
Weitere dierentialdiagnostisch abzugrenzende Ko- • Hypoglykämie bei Hormonmangelzuständen:
maformen Hypophyseninsuffizienz (isolierter Wachstums-
hormonmangel oder auch kombiniert mit
• Toxisch (Urämie, Koma hepatikum) ACTH- und TSH-Mangel), M. Addison, schwere
• Kardiovaskulär: Volumenmangel, Kollaps, Hypothyreose
Schock, Adams-Stokes-Anfall, Kreislaufstillstand • Hypoglykämie bei Erkrankungen von Leber und
(Myokardinfarkt, Rhythmusstörung) Nieren: Fettleber, Leberzirrhose, Metastasenleber,
• Endokrin (M. Addison, thyreotoxische Krise, hy- Alkoholhepatitis, akute Virushepatitis, toxische
pophysäres Koma, hyperkalzämische Krise) Hepatitis, terminale Niereninsuffizienz
• Zerebral (Massenblutung, Enzephalomalazie, • Medikamentös induzierte Hypoglykämien: Insu-
SAB, sub/epidurales Hämatom, SHT, Epilepsie, lin oder Sulfonylharnstoffe, Chinin, Pentamidin,
Meningitis, Enzephalitis, Hirntumor, Sinus- Disopyramid, ß2-Agonisten, Haloperidol, Nie-
thrombose) reninsuffizienz und Trimethoprimsulfamethoxa-
• Anoxämisch (Erstickung, Hyperkapnie) zoltherapie oder Propoxyphentherapie, Azetylsa-
• Psychisch (Hysterie, Hyperventilation) lizylsäure und Betablocker (bei Kindern)
• Alkoholinduzierte Hypoglykämie
• Ausschließlich postprandiale Hypoglykämien:
Hypoglykämisches Koma: Magenentleerungsstörungen, Galaktosämie, he-
weitere Differentialdiagnose reditäre Glukoseintoleranz
Bei Vorliegen eines hypoglykämischen Komas und
leerer Diabetesanamnese müssen folgende Differen-
tialdiagnosen abgeklärt werden. Zum Vorgehen ver- Therapie
weisen wir auf die jeweiligen Kapitel bzw. weiterfüh- Der komatöse Patient benötigt eine intensivmedizi-
rende Spezialliteratur. nische Betreuung (Tabelle 16-16).

Dierentialdiagnose des hypoglykämischen Bei Serumkalium < 3 mmol!l Insulininfusion unter-


Komas brechen!
Phosphat: bei Serumphosphat < 0,5 mmol/1:
e Insulinom 50 mmol/24 h (Cave: Kontraindikation Niereninsuf-
• Hypoglycaemia factitia: gezielter Insulinabusus fizienz), in großen Studien nicht gesichert.
• Autoimmunhypoglykämie: Insulinautoantikörper Ausgleich der Azidose:
(Autoimmuninsulinsyndrom), Insulinrezeptor- • Bei pH > 7,1 ist eine spezifische Therapie nicht
autoantikörper erforderlich.
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 673

Tabelle 16-16. Notfalltherapie Dekompensierter Typ-I-Diabetiker

Allgemein Spezifisch
· Ketoazidotisc/res Koma

Kontrolle von Atmung, Kreislauf, Wasser- und Elektrolyt- Volumenmangelsubstitution: Milde Rehydratation mit
haushalt (Blutzuckerkontrollen, Blutgaskontrolle) aCL (0,9 %) bei erumnatrium < 155 mmol/1; bei
erumnatrium
> 155 mmol/1 Rehydratation mit aCl
(0,45 %, halbisoton):
Flü sigkeitsbilanz (ZVD, Bla enkatheter, Wiegen) I. h: 1000 ml. Danach:
ZVD < 3 cm: 1000 ml!h
ZVD 3-8 cm: 500 ml!h
ZVD > 8 cm: 250 ml/h
Magen onde (Pylorusspastik, Magenatonie) In den ersten 8 h Sub titution von etwa S-6 I. Danach
250 ml/h. Bei ausgeprägter Hypovolämie evtl.
Humanalbumin oder DFFP. Cave: Herzinsuffizienz.
Thrombembolieprophylaxe, Dekubitusprophylaxe Überlappende Blutzuckerkorrektur
Antibiose (je nach Klinik) Initial 5-10 IE ormalinsulin i. v. {0,1 IE/kg KG). Cave:
Zuvor möglicherweise bestehende oder unter Therapie
entstehende Hypokaliämie ausgleichen!!
Dann 4-10 IE/h Normalinsulin über Perfusor
Blutzuckersenkung um 100 mg!dl pro h bis 250 mg!dl,
danach ist die Infusionsrate zu titrieren.
Dann 2 IE/h über Perfusor mit der Gabe von 5 %iger
Glukoselösung.
Engma ehige Elektrolytkontrolle!
Paralleler Elektrolytau gleich
atrium: im Rahmen der Rehydratation.
Kalium: Einleiten nach Beginn der Insulininfusion
(Cave: Kontraindikationen bei ierenver agen, Anurie
und Hyperkaliämie) und bei:
pH < 7,1
bei Serum Kalium:
< 3 mmol/1 : 20-25 mmol/h
> 3-4 mmol!l: 15-20 mmol/h
> 4-5 mmol/l : 10-15 mmol/h

• Bei pH < 7,1 Gabe von 1/3 des errechneten Bikar- ämie verursachenden Erkrankung muss die spezifi-
bonatbedarfs: Bikarbonatbedarf = [negativer Ba- sche Therapie dieser Erkrankung erfolgen. Wir ver-
seexzess · Körpergewicht (kg)]: 10. weisen hier auf die jeweiligen Abschnitte.

• Hypoglykämisches Koma. Intravenöse Gabe von


40 ml 50 %iger Glukoselösung oder in leichteren 16.6
Fällen intramuskuläre Gabe von 1 mg Glukagon. Typ-2-Diabetes mellitus
Bei ausbleibendem Erwachen innerhalb weniger Mi- und genetische Defekte der p-Zellfunktion
nuten ist eine zweite Injektion durchzuführen. Im
weiteren Verlauf sollte der Blutzucker bei K. DUGI, T. KASSESSINOFF, P. P. NAWROTH
200-250 mg/dl (Serum) gehalten werden. Bei aus-
bleibendem Erfolg liegt entweder keine Hypoglyk- 16.6.1
ämie vor, oder es ist bereits durch eine langandau- Fallpräsentation
ernde Hypoglykämie eine zentrale-zerebrale Schädi-
gung eingetreten. Bei Verdacht auf ein Hirnödem ist
Ein 64-jähriger Mann wurde mit Tachyarrhyth-
eine entwässernde Therapie durchzuführen (Furose-
mia absoluta und dekompensierter Herzinsuffi-
mid, Dexamethason i. v., Sorbitinfusion). Bei Vorlie- zienz stationär aufgenommen. Die Inspektion
gen einer anderen als Typ-1-Diabetes-Hypoglyk-
674 KAPITEL 16 Glukose

zeigte einen Mann mit ausgeprägter androgener naten eine Gewichtsreduktion von 7 kg und ein
Adipositas, d. h., der Bauchumfang ist deutlich im Vergleich zum stationären Aufenthalt nied-
größer als der Hüftumfang (Abb. 16-62). Aus rigerer Blutdruck von 160/85. Die Nüchtern-
dem Gewicht von 115 kg und der Größe von plasmaglukose betrug 115 mg!dl, HbA 1c 6,2 %,
1,72 m ergab sich ein Bodymass-Index (BMI) die Harnsäure 7,1 mgldl. Die Triglyzeride waren
von 38,9 kglm 2• Es handelte sich somit um auf 178 mgldl abgefallen, das HOL-Cholesterin
eine Adipositas Grad li nach Garrow. Das Vor- auf 33 mgldl angestiegen. Das LOL-Choiesterin
liegen eines Diabetes war dem Patienten nicht war allerdings ebenfalls angestiegen auf
bekannt. Eine arterielle Hypertonie wurde erst- 131 mgldl. Insgesamt bestand bei dem Patienten
mals vor ca. 10 Jahren diagnostiziert. Die kör- bei Aufnahme das Vollbild eines metabolischen
perliche Untersuchung ergab neben einem Syndroms mit androgener Adipositas, Typ-2-
hypertonen Blutdruckwert von 180/90 eine Diabetes, Hyperlipidämie, arterieller Hyper-
ausgeprägte Neuropathie mit fast vollständig tonie und Hyperurikämie. Das Einleiten einer
aufgehobenem Vibrationsempfinden. Die oph- Gewichtsreduktion führte zu einer günstigen
thalmologische Untersuchung zeigte einen Fun- Entwicklung aller Komponenten des metaboli-
dus hypertonicus Grad 1-II, jedoch noch keine schen Syndroms und damit zu einer prognosti-
diabetische Retinopathie. Weiterhin fand sich schen Verbesserung der Morbidität und Mor-
ein ausgeprägter Candidabefall der Intertrigi- talität.
nes. Im Labor zeigte sich 2-mal eine Nüchtern-
plasmaglukose von über 126 mgldl (7 mmol/1)
und somit ein manifester Diabetes mellitus.
16.6.2
Der HbA 1c war 6,9% (Norm < 6,1 %). Weiter-
Epidemiologie
hin fand sich eine Hyperlipidämie mit einem
Triglyzerid-Spiegel von 368 mgldl und einem
Eine 1993 veröffentlichte Analyse der Daten von Le-
erniedrigten HOL-Cholesterin von 22 mgldl.
bensversicherungen ergab eine Prävalenz des mani-
Der LDL-Cholesterinspiegel war mit 112 mgldl
festen Diabetes mellitus in Gesamtdeutschland von
im Normbereich. Der Harnsäure-Spiegel im
Plasma war mit 10,9 mgldl deutlich erhöht.
Im 24-h-Sammelurin wurde eine signifikante
Albuminurie von 78 mgll offenbar. Eine Echo-
kardiagraphie ergab den Verdacht auf eine Kar-
diopathie mit hochgradig eingeschränkter links-
ventrikulärer Pumpfunktion. Die Tachyarrhyth-
mie wurde mittels Digitoxin und Diltiazem the-
rapiert. Zur Embolieprophylaxe wurde der
Patient marcumarisiert (niedrige Dosierung
mit einer angestrebten "International normali-
zed ratio" von 2,0- 3,0). Die elektive Koronaran-
giographie wurde wegen der Inguinalmykose
verschoben, zeigte später unauffällige Koronar-
ien, jedoch eine deutlich eingeschränkte links-
ventrikuläre Funktion. Es wurde eine Ernäh-
rungsberatung und eine Diabetikerschulung
durchgeführt; der Patient erhielt 800 kcal einer
fett- und zuckerreduzierten purinarmen Misch-
kost. Die Hyperurikärnie wurde zunächst nur
mit Ernährungsumstellung behandelt. Aufgrund
der Neuropathie wurden 600 mg a -Liponsäure
täglich verabreicht. Aufgrund der Herzinsuffi-
zienz und der Albuminurie wurde ein ACE-
Hemmer rezeptiert. Zu diesem Zeitpunkt wurde
auf eine weitere blutzuckersenkende medika-
mentöse Therapie verzichtet. Nach Schulung
und Ernährungsberatung zeigte sich nach 3 Mo- Abb. 16-62. 65-jähriger Patient mit ausgeprägter androgener
Adipositas und Typ-2-Diabetes mellitus
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 675

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Abb.l6-63.
0 Prävalenz des manifesten Diabetes mellitus
in Deutschland gemäß der alten und ge-
alte Grenzwerte neue Grenzwerte schätzt gemäß der neuen Kriterien der
(geschätzt) WHO. (Daten aus Henrichs et al. 1997)

4,4-5,0 %. Gemäß der neuen, Sensitiveren Kriterien schiedenen Völkergruppen sowie zum anderen
der WHO wird eine Prävalenz von 6,3-9,0 o/o ge- aus Familienstudien hervor. So beträgt beispiels-
schätzt (Abb. 16-63). Aufgrund der zunehmenden weise bei den Pima-Indianern die Wahrscheinlich-
Überalterung der Gesellschaft sowie der ansteigen- keit, während ihres Lebens einen Typ-2-Diabetes
den Prävalenz des Übergewichtes, einem Hauptrisi- zu entwickeln, über 50%. Auch bei in den USA
kofaktor für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes, lebenden Mexikanern ist die Diabeteshäufigkeit
ist mit einer weiteren Zunahme der Diabeteshäufig- deutlich höher als bei den Kaukasiern. Tabelle 16-17
keit zu rechnen. vergleicht den Einfluss der Vererbung zwischen
Typ-1- und Typ-2-Diabetes und verdeutlicht, dass
dieser Einfluss beim Typ-2-Diabetes wesentlich
16.6.3 größer ist. Erhebliche Anstrengungen werden z. Z.
Pathogenese unternommen, die bei der Disposition zum Typ-
2-Diabetes beteiligten Gene zu identifizieren. Wäh-
Der Typ-2-Diabetes mellitus ist ein Paradebeispiel rend bei den genetischen Defekten der ß-Zellfunk-
für eine Erkrankung, die zum einen durch geneti- tion (früher als "maturity onset diabetes of the
sche und zum anderen durch Umwelteinflüsse be- young" oder MODY bezeichnet) oder den geneti-
dingt ist. schen Defekten der Insulinwirkung (beispielsweise
der Typ-A-Insulinresistenz) monogenetische Erb-
gänge nachgewiesen werden konnten, gelang dies
Genetische Disposition
beim Typ-2-Diabetes nicht. Es handelt sich somit
Die Tatsache, dass der Typ-2-Diabetes einer ge-
in der überwiegenden Zahl der Fälle um einen poly-
netischen Disposition unterliegt, geht zum einen
genetischen Erbgang.
aus der unterschiedlichen Prävalenz zwischen ver-

Tabelle 16-17. Erkrankungswahrscheinlichkeit für Diabetes in Deutschland

Typ- I-Diabetes Typ-2-Diabetes


Wahrscheinlichkeit [o/o)

Allgemein 0,2 5
Ein Elternteil erkrankt 4 10- 15
chwester/Bruder
Erkrankt 7 10- 15
Monozygo ter Zwilling
Erkrankt 33 90- 100
676 KAPITEL 16 Glukose

Pathophysiologie und Pathobiochemie Gehirn und dieser Prozess ist ungestört bei Diabeti-
des Typ-2-Diabetes kern. Eine Störung der insulinvermittelten Glukose-
Es handelt sich dabei fast immer um die Kombina- aufnahme des Muskelgewebes hat nur einen gerin-
tion von Insulinresistenz und gestörter Insulinse- gen Einfluss auf die gesamte basale Glukoseverwer-
kretion der ß-Zellen des Pankreas. Die Insulinresi- tung und damit auf den Nüchternblutzucker. Die
stenz bedingt dabei zum einen eine vermehrte Glu- Nüchternglukose spiegelt die Balance zwischen Glu-
koneogenese in der Leber (hepatische Insulinresi- koseproduktion der Leber und Glukoseverwertung
stenz) und zum anderen eine verringerte wieder.
Glukoseaufnahme im peripheren Gewebe (periphere
Insulinresistenz), wobei der quer gestreifte Muskel Periphere Insulinresistenz
mit 80-90 % der insulinvermittelten Glukoseauf- Unter peripherer Insulinresistenz versteht man die
nahme die wichtigste Rolle spielt: Die Trias von ge- inadäquat niedrige Antwort auf Insulin im periphe-
steigerter Glukoseproduktion aufgrund hepatischer ren Gewebe, im Speziellen die zu geringe Erhöhung
Insulinresistenz, verringerter Glukoseaufnahme in des Glukoseeinstroms in Muskelzellen und Adipo-
der Peripherie wegen peripherer Insulinresistenz zyten. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig,
und verringerter Insulinsekretion des Pankreas dass man hepatische und periphere Insulinresistenz
führt zur Erhöhung der Glukosespiegel im Plasma nicht isoliert sehen kann. So führt besonders auch
und somit zum manifesten Typ-2-Diabetes mellitus. im postprandialen Zustand die Insulinresistenz
Im Folgenden sollen nun die pathophysiologischen des Fettgewebes zu erhöhten Plasmaspiegeln an
und pathobiochemischen Mechanismen beschrie- freien Fettsäuren und die Insulinresistenz des Mus-
ben werden, die zu den beschriebenen Veränderun- kelgewebes zur Erhöhung von Alanin und Laktat.
gen im Glukosestoffwechsel führen. Diese Stoffwechselprodukte sind ihrerseits in der
Lage, die hepatische Glukoneogenese zu erhöhen,
Hepatische Insulinresistenz wie in Abb. 16-64 schematisch gezeigt. Abbil-
Die Insulinresistenz setzt sich aus einer hepatischen dung 16-65 verdeutlicht, dass der Skelettmuskel
und einer peripheren Komponente zusammen. Un- der für die Ausbildung der Hyperglykämie entschei-
ter hepatischer Insulinresistenz versteht man die dende Ort der peripheren Insulinresistenz ist, da
nicht ausreichende Suppression der hepatischen hier die Verringerung der postprandialen Glukose-
Glukoneogenese durch Insulin. Obwohl die periphe- aufnahme bei Typ-2-Diabetikern lokalisiert ist.
re Insulinresistenz von vielen Autoren als die ent-
scheidende Variable des Typ-2-Diabetes bezeichnet Welche zellulären Mechanismen liegen der Insulin-
wird, ist die vermehrte Glukoneogenese in der Leber resistenz beim Typ-2-Diabetes zugrunde?
zum überwiegenden Teil für die Nüchternhypergly- Metabolische Defekte, die mit der gestörten Gluko-
kämie beim manifesten Diabetes verantwortlich. Im seutilisation beim Typ-2-Diabetes (Insulinresistenz)
Nüchternzustand erfolgen 75-80 % der Glukoseauf- assoziiert sind:
nahme unabhängig von Insulin. Über 50 % der ba- • insulinstimulierter Glukosetransport in Muskel-
salen Glukoseaufnahme geschieht dabei durch das zellen,

Hepatische Periphere
Insulinresistenz Insulinresistenz

~
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Fettgewebe
(vermehrte Lipolyn)

Abb.l6-64.
(vennehrte Glukoneogenese) Schematische Darstellung der pathophysio-
Muakel logischen Zusammenhänge zwischen peri-
(vennehrte Glykolyse) pherer (vermehrte Lipolyse und vermehrte
Produktion von Produkten der Glykolyse)
und hepatischer (vermehrte Glukoneoge-
nese) Insulinresistenz
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ß-Zellfunktion 677

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0 Lokalisation der peripheren Insulinresistenz.
Kontrolle Typ 2-Diabetes (Mod. nach DeFronzo 1992)

• insulinstimulierter Glukosetransport in Fettge- sind. TNF-a führt unter anderem zu einer ver-
webszellen, mehrten Sekretion von Leptin aus dem Fettgewebe
• Aktivierung des Enzyms Glykogensynthase, und ist somit evtl. für die erhöhten Leptinspiegel
• gestörte insulinvermittelte Regulation anderer bei Adipösen mitverantwortlich. Es konnte weiter-
Enzyme, z. B. Lipoproteinlipase, Hexakinase II hin gezeigt werden, dass TNF-a zu einer verstärkten
und Pyruvatdehydrogenase. Serinphosphorylierung von Insulin Receptor Sub-
strate I (IRS-I) führt und es somit zu einem schlech-
Diese Insulineffekte werden jedoch durch unter- teren Substrat für die Tyrosin-Phosphorylierung
schiedliche Signalmechanismen vermittelt, sodass durch den Insulinrezeptor macht. Da die Plasma-
man davon ausgeht, dass der Insulinresistenz der spiegel von TNF-a sehr niedrig sind, wird hier
Defekt eines frühen Schrittes im Insulinsignalweg eine parakrine Wirkung im Fettgewebe diskutiert.
zugrunde liegt. Einen solchen frühen Defekt könnte Bezüglich des Leptins sind sehr unterschiedliche Er-
beispielsweise die Verminderung der Zahl der Insu- gebnisse publiziert worden. Es gibt bei der periphe-
linrezeptoren an der Zelloberfläche darstellen. Er- ren Insulinresistenz auch Wechselbeziehungen zwi-
höhte Insulinspiegel sind mit erniedrigten Insulin- schen Fett- und Muskelgewebe. Insulinresistenz am
rezeptoren assoziiert, und bei den meisten Patienten Fettgewebe führt zu einer verstärkten Lipolyse und
mit pathologischer Glukosetoleranz oder Typ-2- konsekutiv zu erhöhten Plasmaspiegeln an freien
Diabetes findet sich eine bis um 50 % verminderte Fettsäuren. Diese freien Fettsäuren inhibieren wie-
Zahl von Insulinrezeptoren. Es konnte jedoch ge- derum Glukosetransport und -phosphorylierung
zeigt werden, dass die Besetzung von nur 10-20% im Muskelgewebe, was zu einer verringerten Glyko-
der Insulinrezeptoren ausreicht, um eine maximale gensynthese und Glukoseoxidation und damit zur
Insulinwirkung zu vermitteln. Die meisten Autoren Insulinresistenz am Muskelgewebe führt.
gehen daher davon aus, dass es sich bei dem frühen
Schritt, der zur Insulinresistenz führt, um einen Ef-
fekt handelt, der nach der Bindung von Insulin an Dysfunktion der pankreatischen ~-Zellen
den Rezeptor einsetzt. Da bis zu 80% der Typ-2-Dia- Unter Dysfunktion der pankreatischen ß-Zellen ver-
betiker übergewichtig sind, hat man bereits seit län- steht man die inadäquat niedrige Insulinsekretion
gerem vermutet, dass das Fettgewebe einen Faktor auf einen Glukosereiz hin. Eine gestörte Insulinse-
sezernieren könnte, der die periphere Insulinresi- kretion der pankreatischen ß-Zellen bildet mit der
stenz bedingt oder verstärkt. Zwei Kandidatenpro- hepatischen und peripheren Insulinresistenz die Tri-
teine sind in diesem Zusammenhang in den letzten as der metabolischen Störungen beim manifesten
Jahren intensiv erforscht worden, Tumor-Nekrose- Typ-2-Diabetes. Abbildung 16-66 zeigt, dass beim
Faktar-a (TNF-a) und Leptin. Die Adipozyten von Übergang vom Prädiabetes zur gestörten Glukoseto-
Übergewichtigen produzieren wesentlich mehr leranz zunächst die Insulinspiegel steil ansteigen,
TNF-a als die von Normalgewichtigen. Dies führt um einen normalen Blutzuckerspiegel zu gewährlei-
dazu, dass in übergewichtigen Patienten die sten. In der weiteren Krankheitsprogression kommt
mRNA-Spiegel für TNF-a im Fettgewebe erhöht es dann durch eine gestörte Insulinsekretion zum
678 KAPITEL 16 Glukose

Pradiabetes GGT Diabetes


30 --+ -----------------------+
2
:::) 25
E.
"G

..
i
·a.
.s
20

..
:;
.: 15
E
~
-50 10
z
Abb. 16-66.
Verhältnis der Nüchternplasmakonzentra-
5 tionen von Insulin und Glukose bei Prädia-
0 5 10 15 20 betes, gestörter Glukosetoleranz und mani-
festem Typ-2-Diabetes. GGT Gestörte Glu-
NOchtemblutzucker (mmoln) kosetoleranz. (Nach DeFronzo 1992)

Abfall der Insulinspiegel und gleichzeitig zum An- Eine denkbare Ursache für eine inadäquate Insulin-
stieg der Nüchternglukose. Bei übergewichtigen sekretion wäre die Reduktion der Zahl der ß-Zellen.
Nichtdiabetikern mit Insulinresistenz und bei Pa- Einige Autoren konnten eine Verringerung der ß-
tienten mit gestörter Glukosetoleranz und Insulinre- Zellmasse im Pankreas von Typ-2-Diabetikern zei-
sistenz ist eine deutliche Erhöhung der Insulinsekre- gen. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass Hyper-
tion nachweisbar, die zu Insulinplasmaspiegeln glykämie zu einer kürzeren Lebenszeit von ß-Zellen
führt, die bis zum 4-fachen der Norm erhöht sind führt, sodass die geringere Zahl von ß-Zellen beim
und somit einen normalen Nüchternglukosewert ge- Typ-2-Diabetes vermutlich eine Folge und nicht Ur-
währleisten. Im Gegensatz dazu findet man zu Be- sache des Diabetes ist. Bei einigen Patienten konnten
ginn des manifesten Typ-2-Diabetes nur noch leicht Mutationen im Glukokinasegen oder in der mito-
erhöhte Insulinspiegel, welche nicht mehr in der chondrialen DNA, speziell der Leuzintransfer-
Lage sind, einen normalen Nüchternglukosewert RNA, nachgewiesen werden. Hierbei handelt es
zu erhalten. Bei fortgeschrittenem Typ-2-Diabetes sich um Patienten mit der Unterform des Diabetes,
sind dann oft erniedrigte Insulinspiegel zu finden. die früher als "maturity onset diabetes of the young"
Dies verdeutlicht die Rolle einer gestörten Insulin- oder MODY bezeichnet wurde, und die gemäß der
sekretion durch die pankreatischen ß-Zellen in aktuellen Klassifikation der WHO "genetischer De-
der Pathogenese des manifesten Typ-2-Diabetes. fekt der ß-Zellfunktion" genannt wird. Bei der über-
Die pathopysiologischen Mechanismen, die zu die- wiegenden Zahl der Typ-2-Diabetiker im engeren
ser gestörten Funktion der ß-Zellen führen, sind Sinn konnten keine Mutationen im Glukokinasegen
noch weitgehend unbekannt (s. Übersicht). oder der mitochondrialen DNA nachgewiesen wer-
den. Neueste Ergebnisse lassen einen Regelkreis zwi-
Diskutierte Ursachen einer gestörten P-Zellfunk- schen Insulinsekretion und Leptinproduktion ver-
tion bei Typ-2-Diabetes muten (Abb. 16-67). Es wurde gezeigt, dass eine
Hyperinsulinämie dosisabhängig zu einer Erhöhung
• Verringerung der Zahl pankreatischer ß-Zellen der Leptinspiegel führt, vermutlich über eine ver-
• Ablagerung von Amylin in den ß-Zellen mehrte Genexpression von Leptin. Eine andere
• Mutationen im Glukokinasegen Studie demonstrierte, dass Leptin eine Komponente
• Mutationen in mitochondrialer DNA des Phospholipase-C-/Phosphokinase-C-Signaltrans-
• Störung der pulsatilen Insulinsekretion duktionsweges in ß-Zellen beeinflusst und somit
• Erhöhte Leptinspiegel bei adipösen Typ-2-Diabe- eine vermehrte Insulinsekretion verhindert. Vor
tikern kurzem konnte auch an isolierten menschlichen In-
• Vermehrte Sekretion von Proinsulin im Vergleich selzellen sowie an Mäusen gezeigt werden, dass Lep-
zu Insulin tin die Insulinsekretion der ß-Zellen des Pankreas
• Erniedrigte Expression des ß-Zellglukosetrans- inhibiert. Es könnte daher sein, dass Leptin auch
porters Glut2 beim Menschen ein "negative feedback signal" für
• Erniedrigte Aktivität der FAD-abhängigen Glyze- die Insulinsekretion darstellt und für die gestörte
rolphosphatdehydrogenase der ß-Zellen Glukosehomöostase bei Adipösen mitverantwort-
lich ist. Letztlich ist nicht bekannt, was der inad-
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 679

Insulin

/
Pankreas Fettgewebe

~ ' ....
----
/

f
Abb.l6-67.
-------
;-'
Insulinsekretion! ............ - Leptinproduktion Möglicher Regelkreis zwischen Insulinse-
kretion im Pankreas und Leptinsekretion
Leptin im Fettgewebe

äquat niedrigen Insulinantwort der ß-Zellen auf nifester Diabetes besteht. Des Weiteren wird ver-
einen Glukosereiz zugrundeliegt sucht, Rückschlüsse von der Pathophysiologie in
Tiermodellen mit diabetiseher Stoffwechsellage
Zeitlicher Ablauf der gestörten Stoffwechselvorgänge (u. a. die "obese Zucker rat", "GK rat" etc.) auf
bei Typ-2-Diabetes die Verhältnisse beim Menschen zu ziehen. Obwohl
Eine erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit haben die Kontroverse, welche Störung die primäre in der
Pima-Indianer, Verwandte ersten Grades von Typ- Entstehung des Typ-2-Diabetes ist, seit über 20 Jah-
2-Diabetikern und Personen, bei denen bereits ren andauert, scheint die Mehrzahl der Autoren da-
eine gestörte Glukosetoleranz, jedoch noch kein ma- von auszugehen, dass bei den meisten Patienten zu-

~~--------------------------------~ a

.
Typ 2 (FPG >100 mg/dl}

.,..-.... -- ----·· .. __ ... ..


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I ___ ... --· B
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I \
I \ Abb.l6-68.
a Glukose- und b Insulinspiegel bei Perso-
/ o· 0 nen mit normalen Glukosespiegeln nach
" .·---- -·-
.•-- ·- --· -------- ----· -- ----· -----------
Typ 2 (FPG >100 mg/dl)
- ·- einem oralen Glukosetoleranztest (oGTT)
mit 75 g Glukose, Personen mit gestörter
Glukosetoleranz (IGT Impaired Glukose
0+---~----,----,----,---~~---r----r---~ Tolerance) und Typ-2-Diabetikern mit
0 2 3 4 Nüchternglukosespiegeln (FPG Fasting
Plasma Glukose) < oder > als 150 mg/dl.
Zelt nach oGTT (h) (Daten von Reaven et al. 1976)
680 KAPITEL 16 Glukose

nächst eine periphere Insulinresistenz besteht. Erst Kandidatengene für die Entwicklung
im weiteren Verlauf der Krankheit kommt es dann einer gestörten Insulinsekretion
zu einer progredienten Dysfunktion der pankreati-
schen ß-Zellen und damit zum manifesten Diabetes. • Glukose-"Messung" in der ß-Zelle: Glukokinase,
Abbildung 16-68a, b zeigt die Glukose- und Insulin- Glut2
spiegel im Verlauf eines oralen Glukosetoleranztests • Insulinsynthese und -sekretion: Mitochondrien
bei Normalpersonen, Patienten mit gestörter Gluko- • Insulin
setoleranz und bei Typ-2-Diabetikern mit Nüchtern- • Andere: Inselzell-Amyloid-Polypeptidgen,
glukosewerten kleiner oder größer 150 mgldl. Man "Glucagon -like-peptide-1-Rezeptor",
erkennt, dass Patienten mit gestörter Glukosetole- glukokinaseregulierendes Protein, Islet -1,
ranz deutlich höhere Insulinspiegel aufweisen als Prohormonkonvertasegen
Normalpersonen und dass es erst bei Progression
der Erkrankung zu erniedrigten Insulinspiegeln
kommt. Dies weist daraufhin, dass zunächst die In-
sulinresistenz im Vordergrund steht, dass aber im Tabelle 16-18 listet die Unterformen des Diabetes,
weiteren Verlauf eine progrediente Störung der In- die gemäß der neuesten Klassifikation der WHO
sulinsekretion zur Manifestation der Erkrankung als "genetische Defekte der ß-Zellfunktion" bezeich-
führt. net werden. Mehrere Mutationen konnten im Glu-
kokinasegen nachgewiesen werden. Glukokinase
spielt durch die Phosphorylierung der Glukose
Genetik des Typ-2-Diabetes
eine wichtige Rolle als "Glukosesensor" in den ß-
Wie bereits zu Anfang dieses Kapitels erwähnt, spielt
Zellen und Mutationen im Glukokinasegen führen
die Genetik in der Entstehung des Typ-2-Diabetes
zu einer verminderten Insulinsekretion auf einen
eine große Rolle. Dies geht aus Familienstudien, ins-
Glukosereiz hin. Diese Form der defekten ß-Zell-
besondere der fast 100 o/oigen Konkordanz zwischen
funktion, früher als MODY2 bezeichnet, zeichnet
monozygoten Zwillingen, und der unterschiedlichen
sich durch einen sehr milden klinischen Verlauf
Prävalenz des Diabetes zwischen verschiedenen Ras-
aus. So findet sich meist nur eine leichte Nüchtern-
sen hervor. Große Anstrengungen werden daher un-
hyperglykämie bzw. gestörte Glukosetoleranz. Eine
ternommen, die in der Pathogenese des Typ-2-Dia-
Insulintherapie ist nur in 2 o/o der Fälle notwendig
betes beteiligten Gene zu identifizieren.
und Gefäßkomplikationen sind selten. Bei Patienten
mit "klassischem" Typ-2-Diabetes sind bisher keine
Kandidatengene für die Entwicklung Mutationen im Glukokinasegen gefunden worden.
einer Insulinresistenz Ein weiterer genetischer Defekt der ß-Zellfunktion,
früher als MODY3 bezeichnet, ist durch Mutationen
• Insulinrezeptor: im Gen für "hepatocyte nuclear factor 1a" (HNF-1a)
Insulinbindungsstelle (a- Untereinheit), auf Chromosom 12 bedingt. HNF-la ist ein Tran-
Tyrosinkinase-Aktivität (ß-Untereinheit) skriptionsfaktor, der die Expression mehrerer
• Substrate für den Insulinrezeptor: Gene in der Leber moduliert und in der ß-Zelle
IRS-I als schwacher Transaktivator für das Insulingen
• Glukoseverwertung: wirkt. Die genauen Zusammenhänge, wie Mutatio-
Glut4, Glykogensynthase, Hexakinase II nen im Gen für HNF-1a zu einem Diabetes führen,
• Andere: sind noch nicht geklärt. Die Ausprägung des Diabe-
Rad, Glukagonrezeptor, "Fatty acid binding tes ist wesentlich stärker als bei Patienten mit Mu-
protein" (FABG), ßradrenerger Rezeptor, tationen im Glukokinasegen und ähnlich wie bei Pa-
Tumor-Nekrose-Faktor-a (TNF-a) tienten, bei denen ein Defekt im Gen für HNF-4a,
früher als MODY1 bezeichnet, nachgewiesen wurde.
Patienten mit Mutationen im HNF-1a- oder HNF-
Insgesamt verläuft die Analyse der Kandidatengene 4a-Gen zeichnen sich durch stärkere Nüchternhy-
(s. Übersicht) der Insulinresistenz enttäuschend. perglykämien und die Notwendigkeit einer Insulin-
Nur bei wenigen Patienten mit Typ-2-Diabetes therapie in bis zu 30 o/o der Fälle aus. Auch sind vas-
konnten Mutationen oder Polymorphismen in kuläre Komplikationen häufiger als bei Patienten
einem der Kandidatengene nachgewiesen werden. mit Mutationen im Glukokinasegen. Bei HNF-4a
Weitere Untersuchungen müssen zeigen, inwieweit handelt es sich um ein Mitglied der Steroid- bzw.
vielversprechende frühe Untersuchungen im Gluka- Schilddrüsenhormonrezeptorfamilie. HNF-4a regu-
gonrezeptorgen, FABP und ßradrenergen Rezeptor- liert die Expression von HNF-1a, was vermutlich
gen bestätigt werden können. auch das ähnliche klinische Bild bedingt. Mutatio-
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 681

Tabelle 16-18. Genetische Defekte der ß-Zell-Funktion

Frühere Vcerbungsmodus Genetischer Defekt Funktion Klinik llinlfigkeit


Bezeichnung (o/o aller Diabeti·
kcr)

MODY I Auto omal H F-4a Regulation Früher Beginn < 0,0001


dominant von H F-lu Ausgeprägt

MODY 2 Autosomal Glukokinase Glukose-Sensing Früher Beginn < 0,2


dominant (ß-Zelle) Mild

MODY 3 Auto omal H F-ta Transkriptionsfak- Früher Beginn 1- 2


dominant tor (Leber und Au geprägt
ß-Zelle)

MODY Autosomal H F-lß Transkriptions- Unbekannt Sehr selten


dominant faktor

Mitochondrischer Mürterliche Mitochondrische Mitochondrien- Häufi~ neuro- 1-3


Diabetes Übertragung tR ALEU funktion logisc e Defekte

HNF "Hepatocyte nuclear Faktor"

nen im HNF-4-Gen sind sehr selten. Vor kurzem Bezüglich der genetischen Defekte der ß-Zellfunkti-
konnte gezeigt werden, dass auch Mutationen im on sind also Mutationen in verschiedenen Genen als
HNF-1ß-Gen zu einem Diabetes führen können, wo- kausal für den Diabetes gefunden worden. Beim
bei keine Angaben über den Phänotyp gemacht wur- "klassischen" Typ-2-Diabetes stehen solche Erfolge
den, der aber vermutlich dem bei Mutationen im noch aus. Ähnlich wie bei den Kandidatengenen
HNF-1a-Gen entsprechen dürfte. Häufiger als in he- für die Insulinresistenz scheinen bei den Genen
patischen nuklearen Faktoren wurden Mutationen für die Insulinsekretion bei der überwiegenden
in mitochondrialer DNA, speziell dem mitochon- Zahl der Typ-2-Diabetiker keine relevanten Muta-
drialen Gen für die Leuzintransfer-RNA, gefunden. tionen vorzuliegen. Insgesamt haben also bisher we-
Die folgende Übersicht listet einige Charakteristika der die Analysen von Kandidatengenen ("forward
dieser Diabetesform auf. Der Defekt in den Mito- genetics") noch die Linkage-Untersuchungen ("re-
chondrien führt zu Ausfällen besonders in solchen verse genetics") die Ursache der genetischen Dispo-
Zellen, die einen hohen Energieverbrauch haben. sition bei der Mehrzahl der Patienten mit Typ-2-Dia-
Zu diesen zählt auch die pankreatische ß-Zelle, so- betes identifizieren können.
dass es zu einem progredienten Defekt der Insulin-
sekretion kommt. Da der mitochondriale Defekt
Umweltfaktoren in der Genese des Typ-2-Diabetes
auch in anderen Zellen evident ist, tritt der mütter-
Wie bereits erwähnt, spielen in der Entstehung des
lich vererbte Diabetes sehr häufig mit anderen Sym-
Typ-2-Diabetes sowohl genetische als auch Umwelt-
ptomen, v. a. neurologischen inkl. eines sensori-
faktoren eine Rolle. Ein gutes Beispiel für die Bedeu-
schen Hörschadens, auf.
tung von Umwelteinflüssen ist die unterschiedliche
Prävalenz des Typ-2-Diabetes bei Populationen, die
Charakteristika des genetisch bedingten
in verschiedenen Ländern siedeln. Faktoren, die
Defektes der P-Zellfunktion, der durch Mutationen
diese unterschiedliche Prävalenz bedingen könnten,
in mitochondrialer DNA verursacht wird
sind in der folgenden Übersicht aufgelistet.

• Häufigkeit (o/o aller Diabetiker): 1-2 o/o Umwelteinflüsse, denen eine Rolle in der Genese
(in Holland und Japan) des Typ-2-Diabetes zugeschrieben wird
• Phänotyp: Meist keine periphere Insulinresistenz,
Manifestation typischerweise vor dem 40. Lebens- • Adipositas
jahr, häufig Übergang zu Insulinabhängigkeit • Bewegungsmangel
• Vererbungsmodus: Mütterlich, :>
50 o/o betroffe- • Fettreiche Ernährung
ner Mütter entwickeln Diabetes oder gestörte • Rauchen
Glukosetoleranz • Geburtsgewicht
• Sensorischer Hörverlust Mehrzahl der Diabetiker • Zu kurze Stillzeit
682 KAPITEL 16 Glukose

Adipositas ist sicher ein entscheidender Umweltfak- pathogenetische Ursache des Syndroms. Neuere
tor in der Genese des Typ-2-Diabetes, wobei aller- Untersuchungen stellen die abdominale Adipositas
dings erwähnt werden muss, dass auch die Adiposi- bzw. den intraabdominellen Fettgehalt in den
tas zu einem Teil genetisch determiniert ist. Etwa Vordergrund und beschreiben die periphere Insulin-
80% der Typ-2-Diabetiker sind übergewichtig, resistenz lediglich als wichtige Komponente und Mar-
d. h. haben einen Bodymass-Index (BMI) von > ker des metabolischen Syndroms. Untersuchungen
25 kg/m 2• Abbildung 16-69 zeigt das relative Risiko, zur Pathogenese und Therapie des metabolischen
an einem manifesten Typ-2-Diabetes zu erkranken Syndroms sind dadurch behindert, dass es keine ein-
in Abhängigkeit vom BMI. Bei einem BMI von > heitliche Definition dieses Symptomenkomplexes
34 kg/m 2 ist das Risiko, an einem Typ-2-Diabetes gibt. Ohne Zweifel zeichnetsich das metabolische Syn-
zu erkranken, ungefähr 60-mal so groß wie bei drom durch eine hohe Prävalenz in den westlichen
einem BMI von 22 kg/m 2• Mehrere klinische Studien Ländern aus und spielt eine erhebliche Rolle in der
haben ergeben, dass eine geringe körperliche Akti- kardiavaskulären Mortalität und Morbidität. Die Ent-
vität zu einem erhöhten Erkrankungsrisiko an wicklung eindeutiger Diagnosekritierien und Thera-
Typ-2-Diabetes führt. Ein weiterer Umweltfaktor, pieziele sind unbedingt vonnöten, um die Erfor-
der die Entstehung eines Typ-2-Diabetes begünstigt, schung der pathophysiologischen Grundlagen sowie
ist eine Ernährung, die reich an Fett, besonders ge- Behandlungsstrategien zu beschleunigen.
sättigten Fettsäuren, ist. Diese Form der Ernährung
ist wahrscheinlich auch die Hauptursache für die er- Erkrankungen und Stoffwechselstörungen, die
höhte Diabetesprävalenz in Populationen, die in die am häufigsten mit dem Begriff des metabolischen
USA oder nach Westeuropa emigriert sind. Auch Syndroms in Zusammenhang gebracht werden
Rauchen scheint ein Risikofaktor für die Entstehung
eines Typ-2-Diabetes zu sein. Die Assoziation zwi- • Zentrale Adipositas
schen Rauchen und Diabetes ist sicher z. T. dadurch • Insulinresistenz: gestörte Glukosetoleranz, Typ-
bedingt, dass sich Raucher im Durchschnitt fettrei- 2-Diabetes
cher ernähren und weniger körperlich aktiv sind, • Arterielle Hypertonie
aber es konnte auch gezeigt werden, dass Rauchge- • Fettstoffwechselstörungen: Hypertriglyzeridämie,
wohnheiten mit Insulinresistenz korrelieren. erniedrigtes HD L-Cholesterin
• Hyperurikämie
• Veränderungen im Gerinnungssystem: erhöhte
Metabolisches Syndrom
Plasmaspiegel für Fibrinogen
Unter einem metabolischen Syndrom, im englischen
meist als "syndrome X" bezeichnet, versteht man
das gleichzeitige Vorliegen mehrerer Erkrankungen
bzw. Stoffwechselstörungen bei einem Patienten. Die Wie bereits erwähnt, weisen Studien neueren Da-
meisten Autoren beschreiben eine periphere Insulin- tums auf die zentrale Adipositas als entscheidendes
resistenz als zentrale Stoffwechselstörung des meta- Merkmal des metabolischen Syndroms hin. Zentrale
bolischen Syndroms und vermuten in ihr auch die Adipositas ist ein wichtiger Risikofaktor für die Aus-

Relatives Diabetes Risiko (Typ 2)


70 .---------------~~~----------------------,

Abb.l6-69.
Relatives Risiko, an einem Typ-2-Diabetes
zu erkranken in Abhängigkeit vom Body-
<22 23-24 25-26 27-28 29-30 31-32 33-34 >34 mass-Index (BMI). Ein relatives Risiko von
1 wurde einem BMI von 22 zugeschrieben.
BMI (kg/m 2 ) (Die Daten stammen von der Nurses
Health Study; Colditz et al. 1990)
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ß-Zellfunktion 683

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Abb.l6-70.
Prävalenz einer arteriellen Hypertonie (RR >
0 160/90 mmHg) bei Männern und Frauen mit
Typ-2-Diabetes im Vergleich zu Kontroll-
Kontrolle Typ-li-Diabetes kollektiven. (Daten aus Kelleher et al. 1988)

bildung der Folgeerkrankungen des metabolischen Häufigkeit der Hypertonie sein, da 71 % der Pa-
Syndroms. Wenn man in den 3 T ertilen für den Bo- tienten ohne Albuminurie bereits einen Blutdruck
dymass-Index (BMI) die Patienten nach ihrem Fett- > 140/90 mmHg haben.
verteilungsmuster einteilt, sieht man, dass bei allen 3
Tertilen die Patienten mit der androiden oder zen- Fettstoffwechselstörungen sind ein zentrales Merk-
tralen Adipositas die höchste Inzidenz für KHK hat- mal des metabolischen Syndroms, aber wenn man
ten. Die zentrale Adipositas ist ein wesentlicher Ri- die Gesamtheit der Typ-2-Diabetiker betrachtet, fin-
sikofaktor für die Ausbildung einer lnsulinresistenz. den sich in der Literatur sehr unterschiedliche An-
Auf mögliche pathophysiologische Zusammenhänge gaben zur Prävalenz einer Fettstoffwechselstörung
zwischen Adipositas und Insulinresistenz wurde be- im Vergleich zur Normalbevölkerung. In den mei-
reits eingegangen. sten Studien zeigt sich aber zumindest, dass das
beim metabolischen Syndrom typische Muster der
Eine arterielle Hypertonie ist sehr häufig bei Typ-2- Kombination aus Hypertriglyzeridämie und niedri-
Diabetikern (Abb. 16-70). Bis zu 40% der Männer gem HOL-Cholesterin auch beim Typ-2-Diabetes
und bis zu 53 % der Frauen haben unbehandelt häufiger als bei Vergleichskollektiven zu finden
einen arteriellen Blutdruck von > 160/95 mmHg. ist. Obwohl sich die meisten frühen Studien mit
Obwohl viele der Typ-2-Diabetiker im Verlauf ihrer der Assoziation von LDL-Cholesterin und Athero-
Erkrankung eine diabetische Nephropathie entwik- sklerose beschäftigten, weiß man von neueren
keln, kann dies nicht die alleinige Ursache für die Untersuchungen, beispielsweise den MARS ("Moni-

~ LPL-Aktlvltät 1
't9
~

-.\

CP ~~
1 ._....
VlOl-,..." . . .

Leber ~ Intrazelluläres Abb.l6-71.


"- / Glyzerol 1 Schematische Darstellung der hepatischen
(vermehrte VLDL-Produktion) und peri-
~~ ..-,"_ Llpolyse
l '- pheren (vermehrte Lipolyse und verringerter
Abbau von VLDL) Ursachen der Hyper-
6"11~"11 " Honnon88nsltlve lipoproteinämie beim metabolischen Syn-
Lipase l drom. LPL Lipoproteinlipase, VLDL "very
low density Iipoproteins"
684 KAPITEL 16 Glukose

tored Atherosclerosis Regression Study") und Co- Diurese zur Polyurie und konsekutiv zur Polydipsie.
penhagen-Male-Studien, dass die Kombination aus Die Glukosurie führt auch zu einer erhöhten Nei-
hohen Triglyzeriden und niedrigem HDL-Choleste- gung zu Harnwegsinfekten. Weiterhin neigen Diabe-
rin mindestens ebenso häufig bei Atherosklerose tiker aufgrund der Hyperglykämie zu Infektionen
vorkommt. Die Ursachen der Hyperlipoproteinämie der Haut inklusive PilzbefalL Wenn ein Typ-2-Dia-
beim metabolischen Syndrom liegen, wie in Abbil- betes erst im Rahmen vaskulärer Komplikationen
dung 16-71 schematisch dargestellt, z. T. in der Pe- oder einer symptomatischen Hyperglykämie dia-
ripherie, zum anderen aber auch in der Leber. Die gnostiziert wird, ist die Chance einer Früherken-
Insulinresistenz, bzw. bei manifestem Diabetes der nung vertan. Ziel muss es daher sein, den Typ-2-Dia-
Insulinmangel, führt zu einem verringerten Gluko- betes vor dem Auftreten von Symptomen durch re-
seeinstrom in die Zellen. Dadurch fehlt Glyzerol für gelmäßige Blutzuckerkontrollen, insbesondere bei
die intrazelluläre Synthese von Triglyzeriden. Au- Risikopersonen, zu diagnostizieren (s. unten).
ßerdem kommt es zu einer mangelhaften Suppres-
sion der hormonsensitiven Lipase durch Insulin.
Insgesamt führen diese Effekte zu einer vermehrten 16.6.5
Lipolyse. Der konsekutiv erhöhte Plasmaspiegel an Diagnostik
freien Fettsäuren führt zu einer vermehrten Syn-
these von "very low density Iipoproteins" (VLDL) Indikation zur Diagnostik
in der Leber. Seit längerem ist bekannt, dass ein Aus dem oben gesagten geht hervor, dass eine früh-
Insulinmangel zu einer verminderten Aktivität der zeitige Diagnosestellung des Typ-2-Diabetes, d. h.
Lipoproteinlipase führt. Neuere Ergebnisse haben vor dem Auftreten von Symptomen, von entschei-
gezeigt, dass bei einer Insulinresistenz auch mit dender Bedeutung für die Reduktion der diabetesbe-
normalen oder erhöhten Insulinspiegeln die LPL- dingten Sekundärkomplikationen und damit der
Expression im Fettgewebe reduziert ist. Eine ver- diabetesassoziierten Morbidität und Mortalität ist.
minderte LPL-Aktivität bedingt eine verlängerte Die Herausforderung in diesem Zusammenhang
Verweilzeit triglyzeridreicher Lipoproteine im Plas- ist, eine Krankheit im symptomlosen Zustand zu
ma und begünstigt damit die bei Diabetikern häufige diagnostizieren. Um diesem Problem Rechnung zu
Hypertriglyzeridämie. tragen, trat 1997 eine Expertenkommission zusam-
men, um die Diagnose-Kriterien des Diabetes zu
überarbeiten (s. unten). Eine frühere Erkennung
16.6.4 des Typ-2-Diabetes soll nun mit niedrigeren Grenz-
Klinik werten und genauer definierten Kriterien zu Screen-
ing-Untersuchungen erreicht werden. Die Häufig-
Symptome und Beschwerden keit, mit der Blutzuckerbestimmungen zur Früher-
Im Gegensatz zum Typ 1 bestehen im Frühstadium kennung des Diabetes durchgeführt werden sollen,
des Typ-2-Diabetes keine Symptome und Beschwer- richtet sich dabei nach dem individuellen Risiko,
den. Aus diesem Grund besteht ein Typ-2-Diabetes bzw. der Wahrscheinlichkeit des Patienten, an
oft für viele Jahre, bevor es zur Erstdiagnose kommt. einem Typ-2-Diabetes zu erkranken (Abb. 16-72).
Die im symptomlosen Stadium bestehende Hyper- Anamnese, körperliche Untersuchung und techni-
glykämie sowie die häufig assoziierte Hyperlipopro- sche Verfahren haben daher zunächst die Aufgabe,
teinämie und Hypertonie können jedoch zu erheb- Individuen zu identifizieren, die ein erhöhtes Diabe-
lichen Veränderungen führen. Die "United King- tesrisiko haben und daher frühzeitig und engma-
dom Prospective Diabetes Study" (UKPDS, s. unten) schig mittels Blutzuckermessungen untersucht wer-
hat gezeigt, dass bei bis zu 50 % der neudiagnosti- den müssen, um die Diagnose eines Typ-2-Diabetes
zierten Typ-2-Diabetiker bereits Gewebeschäden vor dem Auftreten von Sekundärkomplikationen
nachweisbar sind. Häufig sind es erst mikrovaskulä- stellen und eine adäquate Therapie einleiten zu kön-
re (z. B. Beschwerden im Rahmen einer Neuropa- nen. Bei bereits diagnostizierten Diabetikern dienen
thie) oder makrovaskuläre (z. B. Angina pectoris Anamnese, körperliche Untersuchung und techni-
bei koronarer Herzkrankheit) Komplikationen, die sche Verfahren dann der Früherkennung von Se-
zur Diagnose eines Typ-2-Diabetes führen. Eine wei- kundärkomplikationen. Eine gewisse Sonderstel-
tere Situation, in der ein zu diesem Zeitpunkt schon lung nehmen die mit Diabetes assoziierten Erkran-
länger bestehender Typ-2-Diabetes diagnostiziert kungen wie Hyperlipoproteinämie und arterielle
wird, ist eine durch ausgeprägte Hyperglykämie be- Hypertonie ein, da sie sowohl zur Risikostratifizie-
dingte Symptomatik. Wenn der Blutzuckerspiegel rung beitragen, als auch eine wichtige Rolle in der
über die Nierenschwelle von etwa 180 mg/dl steigt, Entstehung von Sekundärkomplikationen spielen.
kommt es zur Glukosurie und durch die osmotische Sie sollten daher immer Teil des Untersuchungspro-
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der P-Zellfunktion 685

Individuen ohne Individuen mit Individuen mit


Risikofaktoren erhöhtem Störungen, die hluflg
Diabetesrisiko mit Typ-2-Diabetes
Bt.11 <?: 27 kglm2 assoziiert sind
Verwandter 1. Grades RR <?:140190
mit Typ·2.0iabetes
Baby <?: 4500 g bzw. HOL-Cholesterin s, 35 mgldl
Gestationsdiabetes Triglyzeride <?: 250 mg/dl
Hochrisikopopulation (z.B.

/
Lateinamerikaner)

Testung ~ 45 Jahre Testung < 45 Jahre

~~ /~ Abb.l6-72.

. . 1'. . .
Kriterien zur Diabetestestung mittels Be-
Ergebnis
Ergebnis Ergebnis stimmung der Nüchternglukose in asym-
pathologisch ptomatischen, nicht diagnostizierten Indivi-
normal normal

l
Erneute Testung
l
Erneute Testung
duen. BMI Bodymass-Index, HDL "high
density Iipoproteins", RR arterieller Blut-
druck. (Kriterien des Expert Committee on
in 3 Jahren in 1 Jahr the Diagnosis and Classification of Diabetes
THERAPIE Mellitus 1997)

gramms sein. Der Unterscheidung in Risikostratifi- • Fragen zu häufig mit Diabetes assoziierten Stö-
zierung, diabetesassoziierte Störungen und Früher- rungen:
fassung von Sekundärkomplikationen soll im fol- Gewicht?
genden Rechnung getragen werden. Arterielle Hypertonie bekannt, morgendliche
Kopfschmerzen?
Fettstoffwechselstörungen bekannt?
Anamnese Hyperurikämie bekannt?
Die Anamnese dient verschiedenen Funktionen. Sie • Fragen nach Beschwerden möglicher Sekundär-
ist in nichtdiagnostizierten, asymptomatischen Indi- komplikationen:
viduen Werkzeug zur Entscheidung, ab welchem Al- Arteriosklerotisch bedingte Komplikationen:
ter und in welchen Abständen eine Blutzuckermes- Koronare Herzkrankheit mit Angina pectoris und
sung durchgeführt werden muss, um eine frühzeiti- Belastungsdyspnoe? (Abschn. 16.10)
ge Diabetesdiagnose nicht zu verpassen. Die Fragen Zerebravaskuläre Erkrankungen mit transito-
nach mit dem Diabetes häufig assoziierten Störun- risch-ischämischer Attacke, Amaurosis fugax
gen dient bei nichtdiagnostizierten Individuen eben- und Apoplex?
falls zur Risikostratifizierung, ist aber auch bei be- Arterielle Verschlusskrankheit mit Claudicatio
reits bekanntem Typ-2-Diabetes unerlässlich, da intermittens?
die den Diabetes begleitenden Erkrankungen für • Mikrovaskulär bedingte Komplikationen:
die Prognose mitentscheidend und häufig gut thera- Parästhesien, Schmerzen, Verdauungsprobleme
pierbar sind. Schließlich ist die Anamnese bei be- bei Neuropathie?
kanntem Diabetes für die Früherkennung von Se- Diabetiseher Fuß?
kundärkomplikationen wichtig, wobei eine sympto- Ödeme und Hypertonie bei Niereninsuffizienz?
matische Hyperglykämie ebenfalls als Komplikation Sehstörungen bei Retinopathie?
anzusehen ist. • Hyperglykämiebedingte Symptome:
Polyurie, Nykturie, Polydipsie?
Gewichtsverlust, Müdigkeit, Leistungsschwäche?
Anamnesestrategie bei Typ-2-Diabetes Verschwommenes Sehen?
Harnwegsinfektionen?
• Fragen zur Risikoabschätzung eines Typ-2-Dia-
betes:
Bereits früher diagnostizierte Hyperglykämie? Körperliche Untersuchung
Verwandte 1. Grades mit Typ-2-Diabetes? Die körperliche Untersuchung nimmt im Vergleich
Todesursache der Verwandten? zur Anamnese und Labor beim Typ-2-Diabetes eine
Bei Frauen: Geburtsgewicht der Kinder, Gestati- eher untergeordnete Stellung ein. Auch sie lässt sich
onsdiabetes? unterte ilen in solche Untersuchungen, die zur Risi-
686 KAPITEL 16 Glukose

kostratifizierung und damit zur Entscheidungshilfe Indikation zur Diabetesdiagnostik in asymptomati-


Screeninguntersuchung dienen, und solche, die für schen Individuen, bei denen kein Diabetes bekannt
die Erfassung der Sekundärkomplikationen des ist, wurde bereits in Abb. 16-72 dargestellt. Die Kri-
Typ-2-Diabetes wichtig sind. terien für die Diagnose eines manifesten Diabetes
bzw. für eine gestörte Glukosetoleranz sind 1997
Strategie der körperlichen Untersuchung von einem Expertenkomitee überarbeitet worden.
Vor allem der Grenzwert der Nüchternplasmaglu-
e Erfassung von Adipositas und Fettverteilung kose ist dabei nach unten korrigiert worden. Dafür
(Körpergröße und -gewicht zur Errechnung des gab es v. a. 2 Gründe: Zum einen haben fast alle Pa-
Bodymass-Index, Messung des Hüftumfangs zur tienten mit einer Nüchternglukose von über 140 mg/
Erfassung einer zentralen Adipositas dl, dem alten Grenzwert, einen Zweistundenwert im
• Arterieller Blutdruck oralen Glukosetoleranztest (oGTT) von größer
e Zeichen einer Fettstoffwechselstörung (Xanthe- 200 mg/dl, aber nur etwa ein Viertel der Patienten
lasmen, Xanthome, Arcus lipoides corneae) mit einem Zweistundenwert im oGTT von über
e Erfassung von Sekundärkomplikationen 200 mg/dl hat auch eine Nüchternglukose von
Kardiovaskulärer Status: über 140 mgldl. Die beiden Testergebnisse reflektie-
Gefäßstatus inkl. peripheren Pulsen und arte- ren daher ein unterschiedliches Ausmaß der Hyper-
riellen Strömungsgeräuschen glykämie. Zum anderen soll, wie bereits erwähnt, der
Zeichen der Herzinsuffizienz mit Lungenaus- niedrigere Grenzwert der Nüchternplasmaglukose
kultation und Untersuchung auf periphere und die Betonung dieses Parameters die Diagnostik
Ödeme des Diabetes erleichtern und die Zahl der unerkann-
Neurologische Untersuchung: ten Diabetiker wegen der häufigen Spätschäden ver-
Testen des Vibrationsempfindens mit Stimm- ringern. Der Wert von 200 mg!dl im oGTT wurde
gabel beibehalten, da mehrere Studien zeigen konnten,
Fußinspektion zur Erfassung neuropathisch- dass bei diesem Wert das Risiko für Sekundärkom-
trophischer Störungen plikationen des Diabetes stark ansteigt. Mehrere
Augenhintergrundsuntersuchung: Studien ergaben, dass der Wert von 200 mg/dl im
Diabetische Retinopathie oGTT mit einer Nüchternglukose von 120-126
Hypertensive Retinopathie mg/dl korreliert. Für den neuen Grenzwert von
Hautinspektion: 126 mg/dl hat man sich auch deswegen entschieden,
Entzündungen da er in den SI-Einheiten genau 7 mmol/1 Glukose
Pilzbefall entspricht. Die folgende Übersicht zeigt die neuen
Kriterien für die Diagnose eines Diabetes mellitus.

Die Häufigkeit der Untersuchung richtet sich da- Kriterien für die Diagnose eines Diabetes mellitus
nach, ob ein Diabetes bereits bekannt ist. Bei Patien-
ten ohne bekannten Diabetes sollte eine gründliche e Symptome eines Diabetes zusammen mit einem
körperliche Untersuchung auf Erkrankungen, die sporadischen Glukosewert von 2:: 200 mg/dl
häufig mit Diabetes assoziiert sind, diesem aber (11,1 mmol/1) in Plasma oder kapillärem Blut
auch vorangehen können, mindestens alle 2 Jahre bzw 2:: 180 mg/dl (10,0 mmol/1) in venösem Voll-
durchgeführt werden. Bei bekanntem Diabetes sollte blut. Als sporadisch wird eine Blutzuckermessung
die Untersuchung auf assoziierte Erkrankungen definiert, die zu irgendeiner Tageszeit und ohne
bzw. Sekundärkomplikationen mindestens in jährli- Berücksichtigung der letzten Nahrungsaufnahme
chen Abständen erfolgen. Bei bereits bekannten Se- durchgeführt wird. Als klassische Symptome des
kundärkomplikationen ist auch eine noch engma- Diabetes mellitus werden Polyurie, Polydipsie
schigere Untersuchung, beispielsweise in 3- bis 6- und unerklärter Gewichtsverlust angesehen oder
monatigen Abständen zu empfehlen. e ein Nüchternglukosewert von 2:: 126 mg/dl
(7,0 mmol/1) in Plasma, bzw. 2:: 110 mg/dl
Technische Verfahren (6,1 mmol/1) in kapillärem oder venösem Voll-
Bei den technischen Verfahren kann man zwischen blut. Nüchtern wird definiert als fehlende Kalo-
Diagnosestellung, Verlaufskontrolle und Erfassung rienzufuhr von mindestens 8 h oder
von Sekundärkomplikationen unterscheiden • ein 2-h-Glukosewert während eines oGTTs von 2::
200 mg/dl (11,1 mmol!l) in Plasma oder kapillä-
rem Blut bzw. 2:: 180 mg/dl (10,0 mmol/1) in venö-
• Diagnosestellung. Entscheidend für die Diagnose sem Vollblut.
eines Typ-2-Diabetes ist die Labordiagnostik Die
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 687

Falls keine eindeutige Hyperglykämie mit akuter zur Erfassung mikrovaskulärer (Retinopathie, Ne-
metabolischer Dekompensation vorliegt, sollten phropathie, Neuropathie und diabetiseher Fuß)
diese Kriterien mittels eines Wiederholungstestes und makrovaskulärer (KHK, pA VK, Apoplex) Kom-
an einem anderen Tag bestätigt werden. Besonders plikationen wird auf die entsprechenden Kapitel
erwähnenswert ist, dass sich die neuen Kriterien v. a. verwiesen. Aufgrund der häufig bei Diabetes be-
an einer Nüchternplasmaglukose von 2': 126 mg/dl stehenden Hyper- bzw. Dyslipoproteinämie sollte
(entsprechend einem Blutzuckerwert in Kapillär- bei der Erstdiagnostik und bei Verlaufskontrollen
oder Vollblut von 110 mg/dl) orientieren und dass auch eine Bestimmung der Plasmalipide erfolgen.
der oGTT nicht als Routinetest empfohlen wird. Für die Entscheidung über eine Therapieindikation
Die Betonung des Nüchternblutzuckers bedingt reicht es nicht aus, nur Plasmacholesterin und -tri-
auch die Einführung eines neuen Terminus techni- glyzeride zu messen. Zumindest das HOL-Choleste-
cus, die gestörte Nüchternglukose, im Englischen als rin muss ebenfalls bestimmt werden, um anschlie-
"impaired fasting glucose" oder 1FT bezeichnet. Ta- ßend mittels der Friedewald-Formel das LOL-Cho-
belle 16-19 gibt einen Überblick über die neuen Iesterin berechnen zu können. Die Friedewald-For-
Richtwerte für die gestörte Glukosetoleranz und mel erlaubt eine Schätzung des LOL-Choiesterins in
den manifesten Diabetes. Frühstadien des Typ-2- mg/dl:
Diabetes sind nicht mittels einer Bestimmung des
HbA 1c erkennbar. Des Weiteren ist das Risiko für LOL-Choiesterin = (Gesamtcholesterin) -
eine koronare Herzkrankheit bereits bei Werten (HOL-Cholesterin) - (Triglyzeride : 5)
im oberen Normbereich des HbA 1c signifikant er-
höht. Falls die Konzentrationen in mmol/1 angegeben
sind, müssen die Triglyzeride durch 2,2 statt durch
• Verlaufskontrolle. Auch wenn die Bestimmung 5 geteilt werden. Die Formel darf jedoch nur bis zu
des HbA 1c sich nicht zur Erstdiagnose eines Typ- einem Grenzwert für Triglyzeride von 350 mg/dl an-
2-Diabetes eignet, so dient es doch als wichtiger Ver- gewandt werden, darüber hinaus müssen LDL- und
laufsparameterund Therapiekontrolle. Die Urinun- VLDL-Cholesterin mittels Ultrazentrifugation be-
tersuchung auf Glukosurie im Rahmen von Patien- stimmt werden. Die Bestimmung des LOL-Choieste-
tenselbstkontrolle wird zwar noch häufig durchge- rins ist wichtig, da sich die meisten Therapiekrite-
führt, sollte aber aufgrund der wesentlich besseren rien auf den LDL-Wert beziehen. Aufgrund der häu-
Sensitivität durch regelmäßige Blutzuckerselbstkon- fig bestehenden Hyperurikämie beim Typ-2-Diabe-
trollen ersetzt werden. Lediglich bei Patienten, die tes sollte zusätzlich noch der Harnsäurespiegel
zu einer Blutzuckerselbstmessung nicht in der gemessen werden. Das Vorliegen einer arteriellen
Lage sind bzw. zu dieser nicht bereit sind, sollte Hypertonie sollte mittels Blutdruckmessung, ggf.
die Urinkontrolle mittels Sticks noch eingesetzt wer- auch über 24 h zum Nachweis eines fehlenden
den. nächtlichen Blutdruckabfalls, abgeklärt werden.
Beim Nachweis einer arteriellen Hypertonie sollte
• Erfassung von Sekundärkomplikationen und as- eine Echokardiographie zur Überprüfung auf eine
soziierten Erkrankungen. Weitere wichtige techni- linksventrikuläre Hypertrophie sowie eine Augen-
sche Verfahren in der Diagnostik des Typ-2-Diabe- hintergrundsuntersuchung stattfinden. Da beim
tes beziehen sich auf die Erfassung der Sekundär- Typ-2-Diabetes eine makrovaskuläre Komplikation
komplikationen des Diabetes bzw. auf assoziierte mehr als 70-mal so häufig zum Tod führt wie eine
Erkrankungen. Bezüglich der technischen Verfahren mikrovaskuläre, ist bei bekanntem Diabetes auch

Tabelle 16-19. Kriterien für normalen Glukosestoffwechsel, gestörte Plasmaglukose bzw. Glukosetoleranz und manifesten Dia-
betes mellitus

Nuchternhlutzucker 2-h-Giukosewert im oGTT

Plasma Kapillar/Vollblut Plasma Kapillar/Vollblut

ormal < 110 mgldl < 140 mgldl < 140 mgldl
Gestörte üchternglukose :::>: 110 mgldl und och nicht :::>: 140 mgldl und :::>: 140 mgldl und
bzw. Glukosetoleranz < 126 mgldl Definiert < 200 mgldl < 180 mgld l
Vorläufige Diagnose eines Diabetes :::>: 126 mgldl :::>: 110 mgldl :::>: 200 mgldl :::>: 180 mgldl
(Diagnose mus wie oben be chrieben
be tätigt werden)
688 KAPITEL 16 Glukose

eine Untersuchung auf eine Makroangiopathie prävention gibt es im Wesentlichen 2 Ansätze.


von großer Bedeutung. Daher sollte in jährlichen Der eine basiert auf der Beeinflussung der Gesamt-
Abständen ein Belastungs-EKG und eine Doppler- bevölkerung, der andere auf der Identifikation und
untersuchung der Beinarterien bzw. Karotiden er- Therapie von Individuen, die ein erhöhtes Risiko zur
folgen. Entwicklung eines Typ-2-Diabetes haben (s. Über-
sicht).

16.6.6 Strategien zur Primärprävention


Differentialdiagnose des Typ-2-Diabetes

Die Differentialdiagnose des Typ-2-Diabetes ist die • Bevölkerungsbasierter Ansatz


Abgrenzung von anderen Diabetesformen. Ein häu- (Aufklärung über Ernährung, Bewegung etc.)
figes Problem ist die Abgrenzung zum Typ-I-Diabe- • Identifikation und Therapie von Individuen mit
tes bei einer Diabetesmanifestation im 3. oder 4. Le- erhöhtem Diabetesrisiko: Patienten mit gestörter
bensjahrzehnt. Diese Differentialdiagnose ist wich- Glukosetoleranz bzw. gestörter Nüchternglukose,
tig, da sich die initiale Therapie von Typ-1- und Patienten mit positiver Familienanamnese für
Typ-2-Diabetikern unterscheidet. Meistens gelingt Typ-2-Diabetes, Patienten mit deutlich erhöhtem
die Differenzierung anhand der Anamnese bzw. Bodymass-Index (> 30 kg/m 2)
der initialen Präsentation des Patienten bezüglich
Symptomatik, Blutzuckerspiegel, Adipositas etc.
Falls mittels der Klinik eine Einteilung nicht gelingt,
Beim populationsbasierten Ansatz handelt es sich
steht als weiteres Instrument zur Unterscheidung
um die Aufklärung der Bevölkerung über die Bedeu-
zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes die Bestim-
tung von Ernährung, körperlicher Aktivität und
mung von Inselzellantikörpern (ICA) und GAD-An-
Körpergewicht für die Entstehung des Typ-2-Diabe-
tikörpern (Glutamatsäuredecarboxylase) zur Verfü-
tes. Da, wie bereits erwähnt, auch Rauchen, mangel-
gung (s. Abschn. 16.5). Vor allem bei scheinbaren
hafte Ernährung Schwangerer und eine zu kurze
Typ-2-Diabetikern, die relativ rasch insulinpflichtig
Stillzeit Umweltfaktoren darstellen, die die Entste-
werden, oder bei sich klinisch als Typ-I-manifestie-
hung eines Typ-2-Diabetes begünstigen können,
renden älteren Patienten(> 40 Jahre), kann eine Be-
sollte auch hierüber aufgeklärt werden. Eindeutige
stimmung der ICA- und GAD-Antikörper sinnvoll
Daten zur Wirksamkeit des bevölkerungsbasierten
sein (s. Abschn. 16.5). Im Rahmen der" United King-
Ansatzes liegen derzeit nicht vor. Die Daten zeigen
dom Prospective Diabetes Study" fanden sich bei
eindeutig, dass eine Primärprävention mittels Er-
21 %der Diabetiker zwischen 25 und 55 Lebensjah-
nährungs- oder Bewegungstherapie bei Patienten
ren Inselzellantikörper. 94 % der Patienten dieser
mit einem erhöhten Diabetesrisiko zumindest zeit-
Untergruppe waren nach 6 Jahren insulinpflichtig
lich begrenzt möglich ist. Zur Wirksamkeit einer
im Vergleich zu nur 14% der Patienten, bei denen
medikamentösen Primärprävention liegen derzeit
sich keine Autoantikörper nachweisen ließen. Eine
keine eindeutigen Daten vor. Aus diesem Grund
weitere wichtige Differentialdiagnose ist die des se-
ist in Anbetracht der Kosten und der möglichen Ne-
kundären Diabetes. Im Vordergrund stehen hier En-
benwirkungen der Einsatz von Medikamenten zur
dokrinopathien wie beispielsweise das Cushing-Syn-
Primärprävention des Typ-2-Diabetes derzeit abzu-
drom, Pankreaserkrankungen und der iatrogene
lehnen.
Diabetes, insbesondere medikamenteninduziert
Im Rahmen der Differentialdiagnose sekundärer
Diabetes stehen Anamnese und körperliche Unter- Therapieziele und Sekundärprävention
suchung sicher im Vordergrund, bei einigen Patien- Ziel der Therapie ist die Verhinderung der diabetes-
ten ist die Bestimmung von Hormonen indiziert. bedingten Morbidität und Mortalität. Dabei handelt
es sich im Wesentlichen um mikro- und makro-
vaskuläre Komplikationen sowie hyper- und hypo-
16.6.7 glykämische Komata. Eine große prospektive
Therapie Studie, die "United Kingdom Prospective Diabetes
Study", hat gezeigt, dass eine medikamentöse Blut-
Primärprävention zuckersenkung die Diabetes bedingte Morbidität,
Aufgrund der steigenden Prävalenz des Typ-2-Dia- zumindest bezüglich der mikrovaskulären Kompli-
betes sowie der aufwendigen und kostenintensiven kationen, verringert. Bei den Typ-2-Diabetikern ist
Therapie gewinnt die Primärprävention eine zuneh- daher eine möglichst gute Blutzuckereinstellung
mende Bedeutung. Zur Durchführung der Primär- anzustreben, da die Anzahl der Komplikationen
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ß-Zellfunktion 689

Tabelle 16-20. Empfehlungen der "European NIDDM-Policy-Group" zu den Zielwerten der Stoffwechseleinstellung von Typ-2-
Diabetikern

Gut Grenzwertig Schlecht

üchternglukose im Kapillär/Vollblut mgldl 80-110 110-140 > 140


(mmo l/1) (4,4-6,1) (6,2-7,8) (> 7,8)

Postprandiale Glukose mgldl (mmol/1) 80-144 145- 180 > 180


(4,4-8,0) (8,1-10) (> 10)

HbAlc (%) < 6,5 6,6-7,5 > 7,5

mit dem Nüchternglukosespiegel bzw. dem HbA 1c- • Information über die verschiedenen pharmakolo-
Wert korreliert. Tabelle 16-20 fasst die Empfehlun- gischen Interventionsmöglichkeiten, die korrekte
gen der "European NIDDM-Policy-Group" zu den Medikamenteneinnahme, mögliche Nebenwir-
Zielwerten der Stoffwechseleinstellung bei Typ-2- kungen und bei insulinpflichtigen Diabetikern
Diabetikern zusammen. Der Grenzwert von Schulung bezüglich der Insulintherapie
140 mg/dl (7.8 mmol/1) zur schlechten Blutzucker- • Aufklärung über die Therapieziele, die Wichtig-
einstellung ergibt sich aus der Tatsache, dass epide- keit von Selbstkontrollen mittels Blutzuckerbe-
miologische Daten ab diesem Wert eine deutliche stimmung sowie Anleitung über die korrekte
Zunahme der mikrovaskulären Komplikationen Technik
vermuten lassen. Die empfohlenen Grenzwerte für • Aufklärung über die Wichtigkeit von regelmäßi-
den HbA 1c-Wert sind unter Vorbehalt zu betrach- gen ärztlichen Kontrollen bezüglich Diabetesein-
ten, da aufgrund unterschiedlicher Bestimmungs- stellung (HbA 1c) sowie mikro- und makrovasku-
methoden der Normalwert von Labor zu Labor dif- lärer Komplikationen
feriert.

Patientenschulung Ernährungstherapie
Basis jeder Diabetestherapie ist eine Ernährungsum-
Unabdingbar in der Diabetestherapie ist eine konse-
stellung (s. auch Abschn. 16.5 "Typ-I-Diabetes").
quente Patientenschulung. Ziel ist ein mündiger Pa-
Diese sollte gemäß einer professionellen Ernäh-
tient, der seine Blutzuckereinstellung selbst kontrol-
rungsberatung erfolgen. Bei den übergewichtigen
liert und die Therapie entsprechend anpaßt. Von
Diabetikern steht eine Gewichtsreduktion mittels
großer Wichtigkeit sind auch professionelle Anlei-
hypokalorischer Kost mit im Vordergrund. Wichtig
tung zur Ernährungstherapie sowie die Vermittlung
ist auch die Verteilung der Nahrungsaufnahme auf
der Bedeutung von Gewichtsreduktion und zusätz-
möglichst viele kleine Mahlzeiten, da gezeigt werden
licher kardiavaskulärer Risikofaktoren wie Zigaret-
konnte, dass dies zu einem niedrigeren mittleren
tenrauchen, Hyperlipidämie und arterieller Hyper-
Blutzuckerspiegel und zu einer Glättung der Insulin-
tonie. Die folgende Auflistung gibt einige wichtige
spiegel führt (s. Übersicht).
Inhalte der Patientenschulung wieder.
Richtlinien zur Ernährungstherapie
Inhalte der Patientenschulung beim Typ-2-Diabetes
beim Typ-2-Diabetes
• Die Nahrung sollte aus 50-60 % überwiegend
• Erklärung des Krankheitsbildes Diabetes komplexen Kohlenhydraten, 20-30 % Fett und
• Bei adipösen Diabetikern Aufklärung über die 10-15% Protein bestehen
Wichtigkeit einer Gewichtsreduktion • Der Anteil von gesättigten Fettsäuren sollte weni-
• Professionelle Ernährungsberatung mit Erlernen ger als 10% der Gesamtkalorienzufuhr betragen,
von Broteinheiten etc. der restliche Fettanteil sollte sich auf einfach und
• Beratung zur körperlichen Aktivität mehrfach ungesättigte Fettsäuren verteilen
• Aufklärung darüber, dass beim Typ-2-Diabetes • Bei adipösen Diabetikern ist eine Gewichtsreduk-
makrovaskuläre Komplikationen über die Pro- tion mittels hypokalorischer Kost anzustreben
gnose entscheiden und deshalb zusätzliche kar- • Der Alkoholkonsum sollte minimiert werden
diovaskuläre Risikofaktoren wie Rauchen, Hyper- • Die Nahrungszufuhr sollte auf mindestens 5 klei-
lipidämie und arterielle Hypertonie unbedingt nere Mahlzeiten verteilt werden
behandelt werden müssen
690 KAPITEL 16 Glukose

Medikamentöse Therapie des Typ-2-Diabetes, nämlich bei Patienten, die be-


• Acarbose. Acarbose ist ein Pseudotetrasaccharid reits die Höchstdosis Sulfonylharnstoff erhalten,
und somit ein kompetitiver Inhibitor der Amylase zu einer günstigen Beeinflussung der Glukosespiegel
sowie der a-Glukosidasen Sucrase, Glukoamylase, führt und dass dieser günstige Effekt bei schlanken
Isomaltase und Maltase. Die Einnahme von Acar- Patienten ebenso gross ist wie bei adipösen. Met-
bose zu den Mahlzeiten führt daher zu einer ver- formin kann daher auch bei schlanken Typ-2-Dia-
zögerten Verdauung von Kohlenhydraten. Die Auf- betikern eingesetzt werden.
nahme von Glukose sowie die Verdauung von Metformin kann mittlerweile sowohl als Mono-
Laktose sind ungestört. Die verzögerte Aufspaltung therapie als auch kombiniert mit Sulfonylharn-
von Kohlenhydraten führt zu einer Verringerung stoffen oder Acarbose angewendet werden. Ähnlich
des postprandialen Blutzuckeranstiegs. Aufgrund wie bei Phenformin wird auch bei Metformin in sehr
seiner Wirkungsweise kann Acarbose mit anderen seltenen Fällen eine Laktatazidose als schwer-
oralen Antidiabetika wie Sulfonylharnstoffen und wiegende Nebenwirkung beobachtet, jedoch zeigt
Biguaniden kombiniert werden. Einige Studien ha- sich bei der überwiegenden Zahl der Fälle, dass
ben gezeigt, dass die Gabe von 50-200 mg Acarbose bei den betroffenen Patienten die Kontraindikatio-
3-mal täglich zu einer Reduktion von Nüchtern- und nen nicht beachtet wurden.
postprandialem Glukosespiegel sowie den postpran-
dialen Insulinspiegeln führen kann. Eine Multicen- Kontraindikationen für eine Metformintherapie
ter-, placebokontrollierte Studie zeigte, dass die
Gabe von Acarbose eine statistisch signifikante Ab- e Niereninsuffizienz (Serumkreatininspiegel
senkung des HbA 1c-Spiegels um ca. 0,7% bewirken > 1,3 mg/dl)
kann. Acarbose führte dabei zu keiner Gewichts- e Schwere Lebererkrankungen
zunahme und zu keinen Hypoglykämien, aber die e Hypoxisehe Zustände
gastrointestinalen Nebenwirkungen waren im Ver- e Respiratorische Insuffizienz
gleich zur Placebogruppe signifikant häufiger. e Höhergradige Herzinsuffizienz
e Schock
• Biguanide. Biguanide wurden in den 20er Jahren e Höhergradige periphere Durchblutungsstörungen
aus Guanidin synthetisiert, dem aktiven Wirkstoff e Fieberhafte Erkrankungen
der Pflanze "Galega officinalis", die bereits im Mit- • Alkoholabusus
telalter zur Behandlung des Diabetes eingesetzt wur- e Stark hypokalorische Zustände (z. B. "very low
de. Die beiden wichtigsten Vertreter der Biguanide, calorie diet")
Metformin und Phenformin, wurden in den späten e Schwangerschaft
50er Jahren in die Medizin eingeführt, aber Phenfor- e Laktatazidose in der Anamnese
min in den späten 70er Jahren wegen der Assozia- e Anwendung intravenöser Kontrastmittel
tion mit Laktatazidose in vielen Ländern vom Markt
zurückgezogen. Der Haupteffekt von Metformin auf
Metformin sollte mit den Mahlzeiten eingenommen
den Glukosestoffwechsel in vivo ist die Inhibition
werden. Es liegt in Tabletten von 500 und 850 mg vor
der hepatischen Glukoneogenese. Möglicherweise
und sollte einschleichend dosiert werden. Die Maxi-
spielen weitere Faktoren wie eine vermehrte Gluko-
maldosis liegt bei 2550 mg täglich. Die bei der The-
seaufnahme in der Peripherie eine zusätzliche Rolle.
rapie mit Metformin beobachteten Nebenwirkungen
Die Inhibition der Glukoneogenese geschieht durch
sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst.
eine Verstärkung der Insulinwirkung, was dazu
führt, dass Biguanide beim Fehlen von Insulin kei- Mögliche Nebenwirkungen einer Therapie
nen glukosesenkenden Effekt haben. In vitro führt mit Metformin
Metformin u. a. auch zu einer verstärkten Translo-
kation von Glutl und Glut4 sowie zu einer verringer- e Inappetenz
ten Oxidation von Fettsäuren. • Übelkeit
• Erbrechen
Metformin hat einen vergleichbaren glukosesenken- • Diarrhö
den Effekt in normal- und übergewichtigen Patien- • Völlegefühl
ten, aber aufgrund seiner Wirkweise und der Tat- • Metallgeschmack
sache, dass die überwiegende Zahl der klinischen e Hautallergien (selten)
Daten an adipösen Patienten gewonnen wurden, e Verringerte Absorption von Vitamin B12 und Fol-
lag hier bislang die Hauptindikation für die Anwen- säure (sehr selten)
dung von Metaforin. Die Daten der UKPDS zeigen • Laktatazidose (sehr selten)
jedoch, dass Metformin auch in späten Stadien
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 691

In der "United Kingdom Prospective Diabetes auch bei diesen Patienten initial Metformirr zu ver-
Study" (UKPDS) führte eine Monotherapie mit abreichen. Der Grund hierfür ist, dass sich kein Un-
Metformirr zu einer statistisch signifikanten Sen- terschied im blutzuckersenkenden Effekt von Met-
kung der Gesamtmortalität In der Kombinations- formirr zwischen normal- und übergewichtigen Dia-
therapie mit Sulfonylharnstoffen fand sich jedoch betikern fand und dass Metformirr im Gegensatz zu
eine höhere Mortalität, ein Ergebnis, das weiterer den getesteten älteren Sulfonylharnstoffen zu einer
Analyse bedarf. Insgesamt kann aber Metformirr geringeren Rate an Hypoglykämien und zu keiner
als Mittel der ersten Wahl zumindest bei Typ-2-Dia- Gewichtszunahme führte.
betikern mit Übergewicht angesehen werden.
• Thiazolidinedione. Die Thiazolidinedione sind
• Sulfonylharnstoffe. Sulfonylharnstoffe sind die eine interessante neue Gruppe von Medikamenten,
am längsten zur oralen Therapie des Typ-2-Diabetes da in vitro und in vivo Daten gezeigt haben, dass
zugelassenen Medikamente. Sie wirken über eine diese Substanzen die Insulinsensitivität im peri-
Steigerung der Insulinsekretion aus den ß-Zellen pheren Gewebe verbessern können. Außerdem
des Pankreas. Vor kurzem wurde der Rezeptor für scheinen sie auch die Insulinsekretion der pan-
Sulfonylharnstoffe kloniert. Es handelt sich dabei kreatischen ß-Zellen verbessern zu können. Die
um ein regulatorisches Protein, das einen Verschluss Thiazolidinedione wirken über eine Aktivierung
der ATP-abhängigen Kaliumkanäle in den ß-Zellen des "Peroxisome Proliferator-Activated Receptor y"
des Pankreas und somit die Insulinsekretion be- oder PPARy. Der erste Vertreter dieser Substanz-
wirkt. Die physiologische Relevanz des Sulfonyl- klasse, Troglitazone, ist nach dem Bekanntwerden
harnstoffrezeptors konnte durch den Nachweis sehr seltener Fälle von fulminanter Hepatitis under
von Mutationen im entsprechenden Gen von Patien- Therapie in Deutschland nicht zugelassen worden.
ten mit familiärer Hyperinsulinämie demonstriert Andere Vertreter dieser Substanzklasse scheinen
werden. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal diese Nebenwirkung nicht hervorzurufen. Im Som-
ist die verschiedene Lipidlöslichkeit der Sulfonyl- mer 2000 ist daher Rosiglitazone in Deutschland zu-
harnstoffe und damit deren biologische Halbwerts- gelassen worden, allerdings zunächst nur in Korn-
zeit. Die wichtigste Nebenwirkung der Sulfonylharn- binationstherapie mit Metformirr oder Sulfonyl-
stoffe sind Hypoglykämien. Die anderen Nebenwir- harnstoffen.
kungen, die bei der Therapie mit Sulfonylharnstof- Klinische Studien haben gezeigt, dass Rosiglitazo-
fen auftreten können, sind selten (s. Übersicht). ne zu einer Absenkung des HbA 1c in einer Höhe
führt, die mit der anderer Antidiabetika vergleichbar
ist. Es gibt Hinweise, dass unter Einsatz von Rosigli-
Nebenwirkungen, die bei der Therapie
tazone der HbA 1c möglicherweise länger stabil ge-
mit Sulfonylharnstoen auftreten können
halten werden kann als die UKPDS-Studie dies für
die anderen Antidiabetika gezeigt hat. Ein Nachteil
• Hypoglykämien
einer Therapie mit Rosiglitazone ist die beobachtete
e Gastrointestinale Beschwerden (selten) Gewichtszunahme. Trotz der Gewichtszunahme
e Allergische Hautreaktionen (sehr selten)
konnte jedoch nachgewiesen werden, dass es zu
• Panzytopenie (sehr selten)
einer Verbesserung der Insulinsensitivität kommt.
Langzeitbeobachtungen werden zeigen, welchen
Stellenwert die Thiazolidinedoine im Arsenal der
Die UKPDS (s. unten) hat bestätigt, dass die Thera- Antidiabetika einnehmen werden.
pie mit Sulfonylharnstoffen zu einer signifikanten
Senkung von Glukose- und HbA 1c-Spiegeln führt. • Insulin. Bei den meisten Typ-2-Diabetikern
Die Wirksamkeit entsprach dabei ungefähr der kommt es im Verlauf der Erkrankung zu einer pro-
von Insulin und Metformin. Sulfonylharnstoffe er- gredienten Erschöpfung der ß-Zellfunktion und so-
höhen jedoch die Plasmainsulinspiegel. Beim Typ- mit zu einem Sekundärversagen der oralen Antidia-
2-Diabetes findet sich aberinitialhäufig eine Hyper- betika. Schließlich liegt ein Insulinmangel und somit
insulinämie (s. oben), die durch die Gabe von Sul- die Indikation zu einer Insulintherapie vor. Obwohl
fonylharnstoffen noch verstärkt wird. Sie sollten da- bei diesen Patienten das fehlende Insulin exogen zu-
her erst eingesetzt werden, wenn eine Therapie mit geführt wird, ist es wichtig zu verstehen, dass die
Metformirr nicht oder nicht mehr zu einer ausrei- subkutane Applikation von Insulin nicht physiolo-
chenden Einstellung führt. Während bislang bei gisch ist und im Vergleich zur Sekretion durch
schlanken Diabetikern Sulfonylharnstoffe das Medi- das Pankreas deutliche Nachteile aufweist. Bei der
kament der ersten Wahl waren, gibt es aufgrundder Insulinsekretion durch die ß-Zellen wird das Insulin
Ergebnisse der UKPDS (s. unten) jedoch Argumente, über die Pfortader zunächst der Leber zugeführt. In
692 KAPITEL 16 Glukose

der Leber unterdrückt das Insulin unter anderem bis zwei Drittel der Dosis 30 min vor dem Frühstück,
die Glukoneogenese, unterliegt aber auch einem der Rest 30 min vor dem Abendessen verabreicht.
"First-pass-Effekt". Bei der systemischen Applika- Besonders wichtig bei dieser Form der Insulinthera-
tion im Rahmen einer Therapie kommt es aufgrund pie ist eine Ernährungsberatung des Patienten, um
des fehlenden "First-pass-Effektes" zu unphysiolo- die Wichtigkeit der regelmäßigen und konstanten
gisch hohen Insulinspiegeln im Gefäßsystem und Nahrungszufuhr zu betonen. Bezüglich einer mehr
peripheren Geweben. Ein Hyperinsulinismus führt als 2-maligen Insulindosis pro Tag konnten die bis-
jedoch in aller Regel zu einer deutlichen Gewichtszu- her veröffentlichten Studien beim Typ-2-Diabetes
nahme (s. unten). Weiterhin sind hohe Insulinspie- keinen Vorteil nachweisen, sodass die 2-malige
gel mit einer Progression der Atherosklerose assozi- Gabe eines Mischinsulins derzeit die Standardthera-
iert, wobei allerdings bisher eine kausale Wirkung pie darstellt. UKPDS konnte keinen Vorteil einer in-
noch nicht nachgewiesen werden konnte. Die itialen Insulintherapie bei Patienten mit neu diagno-
Hauptwirkung der Insulintherapie bei Typ-2-Diabe- stiziertem Diabetes nachweisen. Die UKPDS war
tikern besteht in einer Unterdrückung der hepati- nicht dazu angelegt, um zu überprüfen, welchen kli-
schen Glukoneogenese. Weiterhin kommt es auch nischen Nutzen eine Insulintherapie bei Patienten
zu einer erhöhten Glukoseaufnahme in peripheren mit einem Sekundärversagen oraler Antidiabetika
Geweben, dieser Effekt ist jedoch im Vergleich ge- bringt. Hierfür wäre eine weitere prospektive Studie
ringer ausgeprägt. Es ist in diesem Zusammenhang notwendig. Bis zum Vorliegen einer solchen Studie
jedoch zu bedenken, dass sich (s. auch Abschnitt ist die Insulintherapie bei diesen Patienten gerecht-
Differentialdiagnose) v. a. bei den schlanken Diabe- fertigt.
tikern jüngeren Alters in ca. 20% der Fälle Autoan-
tikörper nachweisen lassen und dass über 90 o/o die- Studienlage
ser Patienten bereits nach 6 Jahren insulinpflichtig Die wichtigste Studie zur Überprüfung der Therapie
sind. Vor allem bei schlanken Diabetikern, die jün- des Typ-2-Diabetes ist die "United Kingdom Pro-
ger als 55 Jahre sind, ist daher darauf zu achten, den spective Diabetes Study" (UKPDS). In der Studie
richtigen Zeitpunkt für eine Insulintherapie nicht zu wurden neu diagnostizierte Typ-2-Diabetiker im
verpassen. Bei diesen Patienten wäre, wie z. T. bei- Alter von 25 bis 65 Jahren für 3 Monate einer ini-
spielsweise in den USA üblich, auch eine primäre tialen Ernährungstherapie zugeführt. Anschließend
Insulintherapie vertretbar. Bezugnehmend auf die wurden die Patienten mit Nüchternglukosewerten
gesamte Gruppe der Typ-2-Diabetiker sollte bei zwischen 108 und 270 mg/dl (6-15 mmol/1) zur
Sekundärversagen unter oralen Antidiabetika zu- konventionellen (Ernährungstherapie) oder inten-
nächst eine Kombinationstherapie, z. B. mit Sul- sivierten (medikamentösen) Therapie randomisiert.
fonylharnstoffen und einer einmaligen Insulinin- Die intensivierte Therapie wurde bei den normal-
jektion, durchgeführt werden. Dabei scheint eine gewichtigen Patienten entweder mit Sulfonylharn-
abendliche (zwischen 22.00 und 24.00 h) Injektion stoffen oder mit Insulin durchgeführt. Ein Teil
eines Intermediärinsulins am günstigsten zu sein der übergewichtigen Patienten wurde mit Bigu-
(s. Abb. 16-74}. aniden behandelt. Seit 1994 wird ein Teil der re-
krutierten Patienten auch mit Acarbose behandelt.
Die folgende Auflistung fasst die Ergebnisse der
Vorteile einer Kombinationstherapie mit einer
UKPDS zusammen.
abendlichen Gabe eines Intermediärinsulins
Nach einer mittleren Beobachtungszeit
e Reduziert den Nüchternglukosespiegel sowie den von 11 Jahren vorliegende Ergebnisse der
postprandialen nach dem Frühstück
"United Kingdom Prospective Diabetes Study"
e Wirkt dem sog. Dawn-Phänomen entgegen
e Unterdrückt die hepatische Glukoseproduktion e Die intensive Therapie führte zu einem 11 %
• Einfache Handhabung niedrigeren HbA 1c-Wert (7,0 vs. 7,9 %}
• Die intensive Therapie führte zu einer signifikan-
ten 25 %igen Verringerung der mikrovaskulären
Falls es zu einer weiteren Erschöpfung der ß-Zellen Komplikationen (p = 0,0099)
und inadäquat hohen Glukosespiegeln während des • Es zeigte sich eine 16 %ige Reduktion an Myokar-
Tages kommt, muss von der Kombinationstherapie dinfarkten, die jedoch gerade nicht statistisch si-
auf eine alleinige Insulintherapie umgestellt werden. gnifikant war (p = 0,052)
Diese wird in den meisten Fällen mit der Gabe eines • Metformin führte in der Monotherapie zu einer
Kombinationspräparates aus Intermediär- und Nor- signifikanten Senkung der Gesamtmortalität
malinsulin durchgeführt. Dabei werden die Hälfte {36 %, p = 0,011)
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der P-Zellfunktion 693

• Bezüglich der Blutzuckereinstellung fanden sich Eine wichtige prospektive Studie, die den Zusam-
keine signifikanten Unterschiede zwischen Met- menhang zwischen Diabetes und anderen Risiko-
formin, Sulfonylharnstoffen oder Insulin faktoren und kardiavaskulärer Mortalität unter-
• Bei adipösen Patienten war Metformin ebenso ef- sucht hat, ist das "Multiple Risk Factor Interven-
fektiv wie Sulfonylharnstoffe oder Insulin in der tion Trial" (MRFIT). Die folgende Auflistung fasst
Senkung der Nüchternglukosespiegel, führte aber die wichtigsten Ergebnisse der MRFIT -Studie zu-
zu weniger Hypoglykämien und zu einer geringe- sammen.
ren Gewichtszunahme
• Ca. 50 o/o der neu diagnostizierten Typ-2-Diabeti-
ker der UKPDS hatten bereits mit Diabetes asso-
ziierte Gewebsschäden Ergebnisse im 12-jährigen Beobachtungszeitraum
• Nur 17 o/o der neu diagnostizierten Typ-2-Dia- des "Multiple Risk Factor Intervention Trial"
betiker konnten mit einer Ernährungstherapie
ihre Nüchternglukosespiegel unter 108 mg/dl • Korrigiert für Alter, Cholesterinspiegel, Blut-
(6 mmol/1) senken. Zwei Drittel dieser Patienten druck und Nikotinkonsum ist das Risiko eines
überschritten diesen Grenzwert wieder innerhalb kardiavaskulären Todes bei Diabetikern im Ver-
der ersten 3 Jahre gleich zu Nichtdiabetikern um den Faktor 3 er-
• 29 o/o der Patienten hatten während der Beobach- höht
tungszeit einen mit Diabetes assoziierten klini- • Cholesterinspiegel, systolischer Blutdruck und
schen Endpunkt. Davon waren 20 o/o makrovas- Zigarettenrauchen sind bezüglich der kardiavas-
kulärer und 9 o/o mikrovaskulärer Genese. 9 o/o kulären Mortalität prädiktive Faktoren sowohl
der Patienten hatten einen tödlichen klinischen für Diabetiker als auch für Nichtdiabetiker
Endpunkt, dabei waren makrovaskuläre Kompli- e Beim Vorliegen weiterer Risikofaktoren stieg die
kationen 70-mal häufiger als mikrovaskuläre kardiavaskuläre Mortalität bei den Diabetikern
• Trotz Intensivierung und Kombination der medi- steiler an als bei Nichtdiabetikern
kamentösen Therapie kam es im Beobachtungs-
zeitraum zu einem kontinuierlichen Anstieg
von Nüchternglukose und HbA 1c
Die MRFIT -Studie zeigt, dass das Vorliegen eines
• Während in der Frühphase der UKPDS nur über-
Diabetes der gewichtigste prädiktive Faktor der kar-
gewichtige Patienten mit Metformin behandelt
diovaskulären Mortalität ist, da Diabetiker 3-mal
wurden, liegen seit kurzem auch Daten zur
häufiger an kardiavaskulären Komplikationen ver-
Gabe von Metformin in schlanken Typ-2-Diabe-
sterben als Nichtdiabetiker. Zusätzlich verdeutlicht
tikern vor. Aus einer kürzlich veröffentlichten
die MRFIT Studie die Bedeutung von Hyperchole-
Analyse geht hervor, dass die zusätzliche Gabe
sterinämie, arterieller Hypertonie und Zigaretten-
von M~tformin in Patienten, die bereits mit der
rauchen für die kardiavaskuläre Mortalität bei Dia-
Höchstdosis Sulfonylharnstoffe therapiert wur-
betikern.
den, im Vergleich zur Monotherapie zu einer si-
gnifikanten Verminderung der Nüchternglukose-
spiegel und des HbA 1c führte. Während in der Therapie weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren
ausschließlich mit Sulfonylharnstoffen behandel- beim Typ-2-0iabetes
ten Gruppe 37 o/o im Verlauf von 3 Jahren eine Die Ergebnisse der UKPDS haben gezeigt, dass bei
schwere Hyperglykämie entwickelten, waren es Diabetikern makrovaskuläre Komplikationen 70-
in der Kombinationsgruppe nur 7 o/o. Besonders mal häufiger zu Todesfällen führen als mikrovasku-
bemerkenswert ist, dass die zusätzliche Gabe läre. Die Prävention von Herzinfarkt, Schlaganfall
von Metformin in schlanken Diabetikern genauso und peripherer arterieller Verschlusskrankheit ist
effektiv war wie in übergewichtigen. Die bisher daher für die Prognose der Diabetiker von entschei-
gängige Praxis, Metformin nur den adipösen dender Bedeutung. Die intensive Therapie der Hy-
Typ-2-Diabetikern zukommen zu lassen, er- perglykämie in der UKPDS führte jedoch nicht zu
scheint daher fraglich. Im Gegenteil: Aufgrund einer statistisch signifikanten Reduktion der makro-
der Tatsache, dass Metformin in der UKPDS ge- vaskulären Komplikationen. Umso wichtiger ist da-
nauso effektiv war wie Sulfonylharnstoffe oder her bei Diabetikern die konsequente Therapie der
Insulin, jedoch zu weniger Hypoglykämien und weiteren kardiavaskulären Risikofaktoren. Nicht zu-
zu keiner Gewichtszunahme führte, könnte Met- letzt aufgrund der Daten der MRFIT -Studie, die bei
formin in der Behandlung schlanker als auch Nikotinabusus als zusätzlichen Risikofaktor eine
übergewichtiger Diabetiker das Medikament der deutliche Erhöhung des kardiavaskulären Mortali-
ersten Wahl darstellen. tätsrisikos bei Diabetikern offenbarte, müssen
694 KAPITEL 16 Glukose

Typ-2-Diabetiker im Rahmen der Schulung unmiss- krankheit sollte jedoch aufgrund der Herabsetzung
verständlich darauf hingewiesen werden, dass eine des Infarktrisikos unbedingt ein Versuch mit einem
vollständige Nikotinkarenz für ihre Prognose von ß-Blocker erfolgen. So konnte in einer klinischen
mitentscheidender Bedeutung ist. Da auch das Vor- Studie gezeigt werden, dass bei Patienten mit Typ-
liegen einer arteriellen Hypertonie das kardiovasku- 2-Diabetes und koronarer Herzkrankheit die Gabe
läre Risiko bei Diabetikern signifikant erhöht, muss eines ß-Blockers innerhalb von 3 Jahren zu einer Re-
diese konsequent therapiert werden. Abbildung 16- duktion der Gesamtmortalität von 44 o/o und der
73 zeigt das von der "Working Group on Hyperten- kardiovaskulären Mortalität von 42 o/o führt.
sion in Diabetes" des "National High Blood Pressure Die kardiovaskuläre Mortalität steigt auch bei
Education Program" in einer Konsensuskonferenz Diabetikern in Abhängigkeit vom Serumcholesterin-
vorgeschlagene Therapieschema bei Diabetikern spiegel, sodass eine Hypercholesterinämie konse-
mit arterieller Hypertonie. Erwähnenswert ist dabei quent therapiert werden muss. Die europäische
auch, dass der angestrebte Blutdruckwert < als 130/ Atherosklerose-Gesellschaft empfiehlt beim Vorlie-
85 mmHg beträgt. Der Effekt einer antihypertensi- gen eines weiteren Risikofaktors einen LDL-Chole-
ven Therapie wurde in der UKPDS bewiesen. Eine sterinspiegel von 135-155 mg/dl. Beim Vorliegen
intensivere blutdrucksenkende Therapie führte zu zweier oder mehrerer zusätzlicher Risikofaktoren
einem niedrigeren Blutdruck (144/82 vs. 154/87). sollte der LDL-Cholesterinspiegel zwischen 115
Dies bedingte eine Reduktion von Diabetes-bezoge- und 135 mg/dl liegen. Neueste Studienergebnisse
nen Endpunkten (bis 24 o/o, p = 0,0046) und Todes- zeigen sogar, dass beim Vorliegen einer Koronaren
fällen (bis 32 o/o, p = 0,019), Schlaganfällen (bis Herzkrankheit eine weitere Senkung des LDL-Cho-
44 o/o, p = 0,013) und mikrovaskulären Endpunkten lesterins auf < 100 mg/dl einen weiteren progno-
(11-56 o/o, p = 0,0092). Dabei zeigte sich kein signi- stisch günstigen Effekt liefert. Untergruppenanaly-
fikanter Unterschied zwischen Captopril und Ate- sen, beispielsweise der "Scandinavian Simvastatin
nolol. Aufgrund der Ergebnisse anderer Studien gel- Survival Study" oder der "CARE-Studie", haben ge-
ten ACE-Hemmer jedoch weiter als antihypertensive zeigt, dass eine Senkung des LDL-Cholesterins zu
Medikamente der ersten Wahl bei Diabetikern. Bei einer Senkung der kardiovaskulären Morbidität
Diabetikern mit nachgewiesener koronarer Herz- und Mortalität auch bei Diabetikern führt. Ein im

Behandlungsziel <130185 mmHG

Modifikation des Lebensstils


Gewichtsabnahme
Blutzuckereinstellung
Verringerte Alkoho lzufuhr
Regelmäßige Bewegung
Verminderte Kochsalzzufuhr

l
Nikotinkarenz

Falls inadäquat

Modifikation des Lebensstils


+
Medikamentöse Monotherapie
(in alphabetischer Reihenfolge)
ACE-Hemmer, Alpha-Rezeptoren-Blocker.
Diuretika, Kalziumantagon isten

Falls 1 inadäquat

Erhöhung Ersatz mit einem Zusätzliche Gabe


der Dosis anderen Medikament eines 2. Medikamentes

Falls 1 inadäquat
Abb.l6-73.
Therapiealgorithmus bei Diabetikern mit arteri-
eller Hypertonie gemäß des "National High Blood
Pressure Education Program Working Group
Zusätzliche Gabe eines 2. oder 3. Medikamentes, Report on Hypertension in Diabetes". (Mod. nach
eines sollte ein Diuretikum sein National High Blood Pressure Education Program
Working Group Report on Hypertension in Dia-
betes. Hypertension 1994, 23: 145)
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 695

Vergleich mit der Normalbevölkerung größerer Pro- mit Insulin ist zumindest eine morgendliche Bestim-
zentsatz von Diabetikern hat die Konstellation eines mung des Nüchternblutzuckers notwendig. Zu Be-
niedrigen HDL-Cholesterins und erhöhter Triglyze- ginn der Therapie sowie bei Therapieanpassungen
ride. Neueste Studienergebnisse zeigen, dass auch ist selbstverständlich eine häufigere Messung zur Er-
diese Patienten von einer Senkung des LDL-Chole- fassung von Blutzuckerspitzen bzw. Hypoglykämien
sterins profitieren. Vor kurzem wurde die VA-Hit- indiziert. Die Patienten sollten angehalten werden,
Studie veröffentlicht. Hier wurde bei Patienten ein Buch über die Ergebnisse sowohl der Blutzucker-
mit manifester KHK, niedrigem HDL- und niedrig als auch, falls angezeigt, der Blutdruckselbstmessun-
normalem LDL-Cholesterin untersucht, ob eine gen zu führen und diese dem behandelnden Arzt in
Erhöhung des HDL-Cholesterin-Spiegels zu einer regelmäßigen Abständen vorzulegen. Aufgrund der
Senkung der kardiavaskulären Morbidiät führt. heute zur Verfügung stehenden relativ preiswerten,
Im Vergleich zu Placebo senkte die Gabe von Gem- verlässlichen und genauen Messgeräte bzw. optisch
fibrozil die Infarktrate signifikant um 22 o/o. Im Ge- ablesbaren Teststreifen zur Blutzuckerbestimmung
gensatz zu Studien der 80er Jahre zeigte sich in sollten diese in den allermeisten Fällen verwendet
VA-HIT keine Erhöhung der nicht-kardiavasku- und die ungenaue Bestimmung der Uringlukose
lären Mortalität. Des Weiteren wurden im Sommer mittels Sticks auf Patienten beschränkt werden,
2000 die Ergebnisse der LDS-Studie präsentiert, die die nicht in der Lage oder unmotiviert sind, Blutzuk-
zeigten, dass angiographisch die Gabe von Feno- kerselbstbestimmungen durchzuführen. Die zweite
fibrat bei Diabetikern zu einer verringerten Pro- wichtige Methode zur Überprüfung der Diabetesthe-
gression der KHK führt. Aufgrund dieser Daten rapie ist die Messung des HbA 1c. Diese sollte in
sollte bei Patienten mit Diabetes und KHK sowie ca. 12-wöchigen Abständen erfolgen. Bei unbefriedi-
einem LDL-Cholesterin von unter 130 mg/dl und genden Werten (s. oben) muss eine Intensivierung
einem niedrigen HDL-Cholesterin ein Fibrat zur der Diabetestherapie versucht werden. Dabei sollten
Erhöhung des HDL-Cholesterins verabreicht wer- die Patienten darüber aufgeklärt werden, dass eine
den. zusätzliche Therapie mit Sulfonylharnstoffen oder
Insulin zu einer Gewichtszunahme führen kann.
Von großer Bedeutung ist die Früherkennung mi-
Therapiekontrollen kro- und makrovaskulärer Komplikationen. Zur Er-
Entscheidend für eine erfolgreiche Diabetesbehand- fassung einer Retinopathie sind regelmäßige Augen-
lung ist die regelmäßige Kontrolle und entsprechen- hintergrundsuntersuchungen beim Ophthalmolo-
de Therapieanpassung. Von mindestens ebenso gro- gen durchzuführen. Es empfiehlt sich eine Untersu-
ßer Bedeutung ist die Früherkennung und Behand- chung pro Jahr, bei bereits vorhandener diabetiseher
lung mikrovaskulärer und makrovaskulärer Kom- Retinopathie höheren Grades öfter. Zur Erfassung
plikationen. Unerlässlich in der Therapiekontrolle einer beginnenden diabetischen Nephropathie sollte
ist die Mitarbeit des Patienten. Bei jedem Diabetiker regelmäßig ein 24-h-Sammelurin auf Mikroalbu-
muss eine Schulung durchgeführt werden (s. oben) minurie untersucht werden oder eine Albuminbe-
und die Bedeutung der selbständigen Blutzucker- stimmung im Spontanurin erfolgen. Dabei sollte
kontrollen verdeutlicht werden. Bei der Therapie zur Überprüfung der Nierenfunktion auch eine

Tabelle 16-21. Therapiekontrollen beim Typ-2-Diabetes

Art der Kontrolle Parameter lldutlgkeit

Diabetes-Einstellung BZ-Messung Bei jedem Besuch, bei Insulin-


Therapie tägliche elbstmessung
HbAic Alle 12 Wochen
Mikrovaskuläre Komplikationen Augenhintergrund Alle 12 Monate, bei höhergradiger
Retinopathie häufiger
Mikroalbuminurie Alle 6 Monate
Vibration empfinden Alle 6 Monate
Fußinspektion Bei bekannter Neuropathie bei jedem
Arztbesuch
Makrovaskuläre Komplikationen Vaskuläre Anamnese und Unter uchung Bei jedem Arztbesuch
Belastungs-EKG Alle 12 Monate
Doppler-Untersuchung Bei klinischem Verdacht
696 KAPITEL 16 Glukose

Kreatininclearance gemessen werden, die wesentlich Sch lanke Adipöse


sensitiver ist als eine Serumkreatininmessung. Auch
die neurologische Untersuchung zur Erfassung einer ,............=--------=-,/
diabetischen Neuropathie gehört zu den Routine- Ernährungstherapie
kontrollen und sollte mindestens einmal jährlich Bewegungstherapie
durchgeführt werden. Eine einfache und billige Me- I
Fal ls inadäquat
thode ist die Messung des Vibrationsempfindens
mit einer geeichten Stimmgabel. Bei Verdachtsmo-
menten kann auch die wesentlich aufwendigere
Messung der Nervenleitgeschwindigkeit durchge-
führt werden. Zur neurologischen Untersuchung ge-
hört auch die Inspektion der Füße, um einen begin-
nenden diabetischen Fuß frühzeitig erkennen und Metform in
behandeln zu können. Die Daten der UKPDS haben +
zweifelsfrei gezeigt, dass die Prognose der Typ-2- Su lfonylharnstotfe
Diabetiker entscheidend vom Auftreten makrovas- +
kulärer Komplikationen abhängt, da diese mehr evtl. Acarbose
als 70-mal so häufig wie mikrovaskuläre Komplika- I
Falls inadäquat
tionen zum Tod führen. Bei jedem Arztbesuch sollte
daher in der Anamnese nach Angina pectoris, Bela-
t
Sulfonylharnstoffe
stungsdyspnoe, Schwindel, Amaurosis fugax etc. ge- +
fragt werden. In der körperlichen Untersuchung ist Abendliche Gabe eines
auf Zeichen der Herzinsuffizienz, periphere Pulse Verzögerungsinsulins
und Strömungsgeräusche der Karotiden zu achten. I
Falls inadäquat
Einmal im Jahr sollte ein Belastungs-EKG, bei Ver-
dachtsmomenteil ein Karotisdoppler bzw. ein Dopp- t
ler der Beingefäße durchgeführt werden (Kontrollen Mischinsulin
2 x täglich
s. Tabelle 16-21).
Abb.16-74. Algorithmus der Behandlung bei normalgewich-
tigen und adipösen Patienten mit Typ-2-Diabetes. Eine inad-
Zusammenfassung der Therapie äquate Therapie liegt beispielsweise dann vor, wenn der
des Typ-2-Diabetes HbA1c-Wert kontinuierlich um mehr als 1% über dem oberen
Grenzwert des entsprechenden Labors liegt
Die UKPDS (s. oben) hat einen eindeutigen Effekt
der blutzuckersenkenden Therapie auf mikrovasku-
läre Komplikationen nachgewiesen. Bezüglich ma-
krovaskulärer Komplikationen fand sich ein Trend, re zur Insulinpflichtigkeit führt. Ob bei diesen Pa-
der z. B. bei Myokardinfarkten mit einem p-Wert tienten eine initiale Insulintherapie dem herkömm-
von 0,052 gerade nicht signifikant war. Der Unter- lichen Vorgehen überlegen ist, wird derzeit in der so
schied im HbA 1c zwischen intensiv-therapierter genannten LIDlA-Studie untersucht.
und Kontrollgruppe war jedoch mit 0,9 % wesent-
lich geringer als z. B. in der DCCT -Studie. Insgesamt
ist ein Effekt der blutzuckersenkenden Therapie be- 16.6.8
züglich mikrovaskulärer Komplikationen gesichert, Notfall
bezüglich makrovaskulärer Komplikationen wahr-
scheinlich. Abbildung 16-74 stellt den Therapiealgo- Die Notfälle bei Patienten mit Typ-2-Diabetes sind
rithmus für normal- und übergewichtige Typ-2-Dia- durch Stoffwechselentgleisungen im Rahmen der
betiker dar. Während bisher Metformin nur bei Krankheit oder der Therapie bedingt (s. Übersicht).
übergewichtigen Diabetikern als Mittel der ersten
Wahl galt, ist dies nach den Ergebnissen der UKPDS Notfallsituationen bei Typ-2-Diabetikern
eigentlich nicht weiter aufrecht zu erhalten (s. oben),
sodass ein unterschiedlicher Therapiealgorithmus • Hyperosmolares Koma (s. unten)
bei normal- und übergewichtigen Patienten nicht • Ketoazidotisches Koma (typisch für Typ-I-Diabe-
gerechtfertigt erscheint. Ein Unterschied besteht tes, s. Abschn. 16.5)
darin, dass der Diabetes besonders bei jüngeren, • Symptomatische Hypoglykämie im Rahmen der
schlanken Patienten in bis zu 20 % der Fälle autoim- Therapie (s. Abschn. 16.5)
mun vermittelt ist und somit innerhalb weniger Jah-
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ß-Zellfunktion 697

Bei einer extremen Entgleisung des Glukosestoff- tion. Die Diagnose eines hyperosmolaren Komas
wechsels mit Hyperglykämie kann es entweder lässt sich aus Anamnese, Klinik und Labor stellen.
zum ketoazidotischen oder hyperosmolaren Koma
kommen, wobei jedoch auch Mischformen vor-
Diagnose eines hyperosmolaren Komas
kommen. Während das ketoazidotische Koma typi-
Tabelle 16-22 gibt in zusammengefasster Form Ana-
scher für den Typ-I-Diabetes ist, kommt das hyper-
mnese, Klinik und Labor des hyperosmolaren Ko-
osmolare Koma häufiger beim Typ 2 vor. Initiiert
mas wieder.
wird das hyperosmolare Koma durch eine ausge-
Die Serumosmolarität kann mit folgender Formel
prägte Hyperglykämie mit osmotischer Diurese
geschätzt werden:
und folglich Polyurie. Ist der Patient nicht in der
Lage, den Flüssigkeitsverlust durch Zufuhr zu erset-
Serumosmolarität in mOsm/1 = 2 · [Na+ +K+] +
zen, kommt es zur Dehydratation und konsekutiv zu
Glukose (mmol/1) + Harnstoff (mmol!l)
einer weiteren Zunahme der lnsulinresistenz. Da
aufgrund der osmotischen Diurese mehr freies
Das wichtigste therapeutische Mittel ist eine ausrei-
Wasser als Kochsalz verloren geht, entsteht eine
chende und rasche Rehydratation. Bis zur klinischen
Hyperosmolarität. Folgende Übersicht gibt be-
Stabilisierung des Patienten wird zunächst 0,9 %
günstigende Faktoren des hyperosmolaren Komas
Kochsalz infundiert. Anschließend kann man
wieder.
0,45 % Kochsalz verabreichen. Das gesamte Flüssig-
keitsdefizitbeträgt oft mehr als 10 1, 2-31 sollten in
Faktoren, die das Auftreten eines hyperosmolaren
den ersten 1-2 hinfundiert werden. Zusätzlich sollte
Komas begünstigen können
Insulin intravenös gegeben werden. Initiall0-15 IE,
dann 0,1 IE/kg/KG/h über Perfusor. Unter dieser
• Weibliches Geschlecht
Therapie muss aufgrund des durch Insulin vermit-
• Neu diagnostizierter Diabetes
telten zellulären Kaliumeinstroms der Plasmaka-
• Infektion
liumspiegel engmaschig kontrolliert und ggf. mittels
• Demenz
Substitution korrigiert werden. Sobald der Blutzuk-
• Aufenthalt in einem Altersheim
kerwert auf250-300 mg/dl abgesunken ist, sollte zu-
• Peritoneal- oder Hämodialyse
sätzlich 5 %ige Glukose infundiert und die Insulin-
• Medikamente
zufuhr gedrosselt werden. Da beim hyperosmolaren
• Diuretika
Koma im Gegensatz zum ketoazidotischen Koma
• Corticosteroide
keine ausgeprägte Azidose mit einem Austausch in-
• ß-Blocker
trazellulären Kaliums gegen Protonen vorliegt, ist es
typischerweise bereits früh in der Therapie notwen-
dig, Kalium zu substituieren. Bei Anzeichen auf eine
In einer Studie an 135 Patienten mit hyperosmola- Infektion muss antibiotisch therapiert werden, ty-
rem Koma und 135 Kontrollen waren v. a. 3 Fakto- pisch sind gramnegative Keime. (Antibiogramm!)
ren unabhängige Risikofaktoren für die Entwicklung Die Letalität des hyperosmolaren Komas ist ge-
eines hyperosmolaren Komas: weibliches Ge- sunken, aber nach wie vor hoch. In der Literatur
schlecht, neu diagnostizierter Diabetes und Infek- wird sie mit 12-40% angegeben. Besonders hohe

Tabelle 16-22. Anamnese, Klinik und Therapie des hyperosmolaren Komas

Anamnese Klinik Labor

Diabetes bekannt? Zeichen der Dehydratation (trockene Zunge, Plasmaglukose mindestens 600 mgldl, oft
stehende Hautfalten, Anurie)? größer als 800 mgldl
Derzeitige Therapie? eurologische Auffalligkeiten Plasmaosmolarität minde tens
(incl. chorearischer Störungen)? 325 mO m/1, oft größer 350 mgldl
Andere Erkrankungen? Zeichen einer Infektion, z. B. Pneumonie? Bikarbonat nur leicht erniedrigt,
typisch bei 15-25 mmol/1
Demenz? Krealinin deutlich erhöht;
Medikamente? Infektparameter
Blutkulturen
Urinkulturen
Evtl. Liquorkultur
698 KAPITEL 16 Glukose

Plasmaosmolarität, hohes Alter und Aufenthalt in


einem Altenpflegeheim sind prognostisch ungünsti- und der HbA 1c-Wert lag nun bei 9,1% (der
ge Faktoren. Mögliche Komplikationen des hyper- HbA 1c-Verlauf ist in Tabelle 16-23 wieder-
gebeben). Bereits während der Schwanger-
osmolaren Komas sind Thromboembolien aufgrund
schaft fiel dem Gynäkologen bei den durchge-
der stark erhöhten Viskosität, Blutungen vermutlich
führten Ultraschalluntersuchungen im Rahmen
auf dem Boden einer disseminierten intravasalen
der Schwangerschaftsbetreuung das "zu große
Gerinnung und akute Pankreatitis.
Kind" auf. Gegen Ende der Schwangerschaft
traten Symptome einer Präeklampsie auf und
16.7 die Patientin erlitt eine Totgeburt in der 38.
Diabetes und Schwangerschaft Schwangerschaftswoche. Das Totgeborene wies
ein Geburtsgewicht von 4500 g und schwerste
M. S. KLEVESATH, S. SCHIEKOFER,
Mazerationen der Haut auf (Abb. 16-75). Die
P. P. NAWROTH
Plazenta wies ebenfalls eine ausgeprägte Hyper-
trophie auf (Abb. 16-76). Der HbA 1c-Wert von
16.7.1 9,1 % bestätigte die von der Patientin durch-
Fallpräsentation geführten Blutglukoseselbstkontrollen der vor-
angegangenen Tage mit Blutglukosewerten
Eine 26-jährige, normalgewichtige Patientin aus zwischen 150-280 mg%. Nach Aufnahme in
Rumänien litt seit ihrem 22. Lebensjahr an der Klinik wurde die Patientin sofort auf eine
einem Diabetes mellitus Typ 1 (ICA positiv). konventionelle Insulintherapie, danach im Rah-
Die Erkrankung wurde in Rumänien mü einer men einer ambulanten Diabetikerschulung auf
konventionellen Insulintherapie behandelt. eine intensivierte Insulintherapie umgestellt.
Darunter konnte ein HbA 1c-Wert von 8,5 % Darunter besserte sich der HbA 1c-Wert auf
(Norm bis 6,1 %) erreicht werden. Als die Pa- 5,9 %. Unter intensivierter Insulintherapie
tientin dann in Deutschland schwanger wurde, und ausreichender Schulung, sowie normalem
setzte der Hausarzt das Insulin ab und begann HbA 1c-Wert, wurde die Patientin erneut
eine orale antidiabetische Therapie mit Euglu- schwanger. Das gesunde Kind wurde termin-
con und Glucophage. Unter dieser Therapie gerecht geboren und wies ein Geburtsgewicht
verschlechterte sich die Stoffwechseleinstellung von 3100 g auf.

Abb. 16-75. Makrosomie Abb.l6-76. Hypertrophie der Plazenta


16.7 Diabetes und Schwangerschaft 699

im ersten Trimenon gesteigerten Insulinempfind-


16.7.2
lichkeit besteht eine Hypoglykämieneigung. Im 2.
Epidemiologie und 3. Trimenon entwickelt sich infolge gesteigerter
Sekretion kontrainsulinärer Plazentahormone eine
Die Schwangerschaft bei Diabetes mellitus birgt ein
Insulinresistenz bei der Mutter. Die Kohlenhydrat-
erhöhtes Risiko für Mutter und Kind. Durch die ver-
toleranz verschlechtert sich.
besserten Möglichkeiten der Blutglukoseeinstellung
schwangerer Diabetikerinnen kam es zwar zu einem
Abfall von Totgeburten bei schwangeren Diabetike-
rinnen, aber gleichzeitig auch zu einem Anstieg an- 16.7.4
derer Probleme wie Frühgeburtlichkeit, kongenitale Klinik
Malformationen und Plazentahypertrophie. Der
schädigende Einfluss der Hyperglykämie setzt in Symptome und Beschwerden
der Mehrzahl der Fälle schon in einem sehr frühen Die häufigsten Schwangerschaftskomplikationen
Stadium der Schwangerschaft ein, schon bevor die Hydramnion, Aborte und schwer beherrschbare
Schwangerschaft überhaupt diagnostiziert wurde. Spätgestosen (Präeklampsie und Eklampsie) sind
In Studien konnten an diabetischen Ratten verschie- in ihrer Häufigkeit abhängig von der Stoffwechsel-
denste Störungen der Präimplantationsphase nach- qualität. Zusätzlich werden bei diabetischen
gewiesen werden (s. Übersicht). Dies belegt, dass Schwangeren eine erhöhte Hypertonieneigung, Pla-
schon eine präkonzeptionelle Normalisierung des zentainsuffizienz und vorzeitige Wehen beobachtet.
Stoffwechsels nötig ist. Diabetische Spätschäden in Form von Retinopathie
und Nephropathie können sich im Verlauf der
Häufigkeit verschiedener Störungen der Schwangerschaft verstärken. Eine gering ausge-
Präimplantationsphase bei diabetischen Ratten prägte, nichtproliferative diabetische Retinopathie
verschlechtert sich im Verlauf der Schwangerschaft
• 5-fach erhöhte Inzidenz degenerierter Embryos meist nicht, wohingegen bei einer schweren, prolife-
• Verminderung der Anzahl teilungsfähiger Blasto- rierenden Retinopathie oftmals eine Verschlechte-
zyten um 33 o/o rung zu beobachten ist. Verschiedene Studien konn-
• Verminderung der inneren Zellmasse des Blasto- ten zeigen, dass bei der milden diabetischen Ne-
zyten um 20 o/o phropathie häufig ein reversibles Ansteigen der Pro-
• Aktivierung des Apoptose-Pathways teinurie zu beobachten ist, die postpartal wieder
verschwindet. Ob es durch eine Schwangerschaft
bei Diabetikerinnen zu einer Progredienz der Ne-
phropathie kommt, ist noch nicht endgültig geklärt.
16.7.3 Sicher ist jedoch, dass eine bestehende Nephropa-
Pathogenese thie vermehrt zu Spätgestosen (Pfropfgestosen)
führt. In Deutschland liegen perinatale Mortalität,
Die Makrosomie hat ihre Ursache in der mütterli- Frühgeburtlichkeit und letale Fehlbildungen bei
chen Hyperglykämie unabhängig vom Ernährungs- Kindern diabetiseher Mütter noch über dem sonsti-
zustand und Alter der Mutter. Durch die perma- gen Bundesdurchschnitt Die Hyperglykämie wäh-
nente Hyperglykämie werden die fetalen ß-Zellen rend der Zeit der Embryogenese ist ursächlich für
des Kindes stimuliert, was zur Hypertrophie und die erhöhte Missbildungsrate bei Kindern diabeti-
Hyperplasie der ß-Zellen im fetalen Pankreas führt, seher Mütter verantwortlich, was auch an Tierversu-
dadurch zu einem Zustand der konsekutiven Hyper- chen gezeigt werden konnte. Als Fetopathia diabe-
insulinämie, der letztlich zur ausgeprägten Lipoge- tica wird die Gesamtheit der durch die diabetische
nese und Makrosomie führt. Graviditätsbedingte Stoffwechselstörung der Mutter verursachten Syn-
Stoffwechselveränderungen während der Schwan- drome, mit Ausnahme der Missbildungen, bezeich-
gerschaft sind hormoneller Genese. Aufgrund der net (s. Übersicht).

Tabelle 16-23. HbA 1c-Verlauf unter den verschiedenen Therapieregimen

Diabetestherapie Konventionelle Orale antidiabetische Konventionelle Intensivierte


Insulintherapie Therapie Insulintherapie Insulintherapie

8,4% 9,1% 8,2% 5,9%


700 KAPITEL 16 Glukose

Fetopathia diabetica (s. Übersicht unten). Die Deutsche Diabetesgesell-


schaft hat 1992 in ihren veröffentlichten Richtlinien
• Hypoglykämie bezüglich Schwangerenscreening gefordert, bei
• Hypokalzämie jeder schwangeren Frau ohne bekannten Diabetes
• Hypomagnesiämie mellitus einen "Glucose-Challenge-Test" mit 50 g
• Hyperbilirubinämie Glukose in der 24.-28. SSW durchzuführen. Liegt
• Polyglobulie die nach 1 h abgenommene Blutglukose höher als
140 mg/dl, sollte ein oraler Glukosebelastungstest
(oGTT) mit 75 g Glukose durchgeführt werden.
Dieser sollte auch durchgeführt werden, wenn ana-
Verschiedene Stoffwechselstörungen bedingen die
mnestisch Hinweise auf einen Gestationsdiabetes
neonatale Morbidität von Kindern diabetiseher
bestehen. Falls sich hierbei ein Gestationsdiabetes
Mütter. Diese Stoffwechselstörungen treten auch
diagnostizieren lässt, ist die Schwangerschaft auch
bei äußerlich unauffälligen Kindern auf (s. folgende
durch Komplikationen gefährdet, wie bei bereits
Übersicht).
bekanntem Diabetes mellitus der Mutter. Aus die-
sem Grund gelten zur Überwachung dieser
Typische Stowechselstörungen bei Neugeborenen
Schwangeren ähnliche Forderungen. Die diabetolo-
diabetiseher Mütter
gisch-internistische Betreuung umfasst neben der
strukturierten Schulung und der ausführlichen
• Makrosomie
Untersuchung hinsichtlich vorhandener Sekundär-
• Cushingoid
komplikationen des Diabetes mellitus v. a. eine
• Hypertrichose
engmaschige Kontrolle der Glukosewerte, je nach
• Nackenfettpolster
Risikokonstellation bis zu 2-mal wöchentliche Blut-
• Viszeromegalie
druckmessung, Kontrolle der Nierenwerte und
• Zeichen organischer und funktioneller Reifungs-
Urinalbumine sowie Dokumentation des Körperge-
störungen
wichts (wöchentlich).

Apparative fetale Überwachung


16.7.5
Diagnostik • Ultraschalluntersuchung: erfolgt erstmals zwi-
schen 8.-12. SSW, weitere Kontrolluntersuchun-
Anamnese gen in 14-tägigen Abständen, bei Hyper- oder
Bei jeder Schwangeren sollte nach dem Vorliegen Hypotrophie wöchentlich
eines Diabetes mellitus v. a. auch in der engeren • Kardiotokographie (CTG): erfolgt ab der 32. SSW
Verwandtschaft gefragt werden, ebenso nach vor- bei jeder ambulanten Vorstellung (mindestens
ausgegangenen Schwangerschaftsverläufen, Fehlge- 1-mal wöchentlich), bei Risikoverläufen oder
burten und dem Gewicht evtl. schon geborener Kin- stationär täglich
der.

• Laborwerte der Mutter. Zur Erfassung möglicher


Körperliche Untersuchung
Missbildungen wird das a-Fetoprotein im Serum be-
Neben den üblichen körperlichen Untersuchungen
stimmt. In der Spätschwangerschaft können durch
spielen in dem hier besprochenen Zusammenhang
Hormonbestimmungen die Intaktheit oder Störun-
die Untersuchung auf Ödeme und die Blutdruck-
gen in der fetoplazentaren Entwicklung festgestellt
messung sowie Spiegelung des Augenhintergrundes
werden. Das HPL (humanes plazentares Laktogen)
(schon vor Schwangerschaft) eine besondere Rolle.
kann irreführenderweise erhöht sein, trotz unzu-
reichender Plazentafunktion, da bei Diabetikerin-
Technische Verfahren nen häufig eine plazentare Hypertrophie zu finden
Die gynäkologisch-geburtshilfliehe Betreuung er- ist. Aus diesem Grund ist die Untersuchung dieses
folgt bei schwangeren Diabetikerinnen in kürzeren Hormons alleine nicht ausreichend aussagekräftig.
Abständen als bei Nichtdiabetikerinnen. Diese sind Bei kompliziertem Schwangerschaftsverlauf kann
in der Regel Kontrolluntersuchungen in 14-tägigen zur Bestimmung der Lungenreife des Fetus eine
Intervallen. Sie werden durch den Ultraschallbefund Amniozentese durchgeführt werden. Der L:S (Leci-
und die Kardiotokographie gestützt. Der Gynäko- thin-Sphingomyelin)-Quotient soll über 1,4 liegen
loge dokumentiert diese Befunde im Mutterpass (s. unten).
16.7 Diabetes und Schwangerschaft 701

Laborbestimmungen zur fetalen Überwachung


16.7.6
Therapie (Studien)
a- Fetoprotein Bestimmung in der 16. SSW
zur Erfassung möglicher
Während der Schwangerschaft sind orale Antidiabe-
Missbildungen
tika kontraindiziert (s. Fallpräsentation). Es ist un-
HPL, Östriol HPL und Östriol im Serum
Gesamtöstrogene Gesamtöstrogene im bedingt rechtzeitig eine Insulintherapie durchzufüh-
24-h-Urin in der Spät- ren. Es liegen zwar nur wenig Studienergebnisse be-
schwangerschaft zur züglich oraler antidiabetischer Therapie während
Überprüfung der Intaktheit der Schwangerschaft vor, aber es scheint unter oraler
bzw. Störungen der a~tidiabetischer T?erapie eine Häufung von konge-
fetoplazentaren Entwick- mtalen Malformattonen und prolongierten neonata-
lung len Hypoglykämien zu geben (s. folgende Übersich-
L:S-(Lecithin- Zur Bestimmung der ten).
Sphingomyelin)-Quotient, Lungenreifung
C-Peptid, Insulin Proben werden durch Häufigkeit der kongenitalen Fehlbildungen
Amniozentese gewonnen,
zur Bestimmung der Therapie Häufigkeit in o/o
Lungenreifung
Mit oralen Antidiabetika 50
Ohne orale Antidiabetika 15
• Untersuchungen beim Kind. Aufgrund der ver-
schiedenen Stoffwechselstörungen, die bei Kindern
diabetiseher Mütter auftreten, muss jedes Neugebo-
Gehäufte kongenitale Fehlbildungen
rene einer diabetischen Mutter in besondererWeise
unter oralen Antidiabetika
überwacht werden. Dies gilt auch für Neugeborene
mit einem Geburtsgewicht oberhalb der 95. Perzen-
• Missbildungen der Ohren
tile der Gewichtstragzeitkurven. Die Anwesenheit
eines Neonatologen bei der Entbindung einer diabe- • Hydrozele
• Gefäßanomalien
tischen Mutter ist die optimale Regelung. Für Kinder
• Atrium -und Venrikelseptumdefekt
diabetiseher Mütter ist eine spezielle Diagnostik zu-
• Anenzephalie und andere zerebrale
sätzlich zur Ul-Untersuchung erforderlich.
Malformationen
• Vertebrale Malformationen (bevorzugt Ll-L3)
Zusatzdiagnostik bei Kindern diabetiseher Mütter

• Blutglukosebestimmung 30 min, 1 h und 3 h


Es konnte gezeigt werden, dass die Inzidenz der Ma-
postpartal
krosomie eng gekoppelt ist an die Qualität der Stoff-
• Postnatale Bestimmung von Hämoglobin und
wechseleinstellung, wobei besonders die Blutgluko-
Hämatokrit
~ekontr~lle im letzten Trimenon ausschlaggebend
• 2 weitere präprandiale Blutglukosebestimmun-
1st. Studien haben auch die Notwendigkeit der opti-
gen in den folgenden Tagen
malen Blutglukoseeinstellung schon während des
• Bestimmung des Serumkalziumsam 2. und 3. Tag
ersten Trimenons der Schwangerschaft und zum
(auch ohne Auffälligkeiten)
Zeitpunkt der Konzeption bewiesen.
• Bestimmung des Serummagnesiums
• Bestimmung des Serumbilirubins am 3. und
5. Tag
16.7.7
Therapiekontrolle und -durchführung

Deshalb sollte bei bekanntem Diabetes mellitus der


Stoffwe~hsel bereits präkonzeptionell optimal einge-
s~ellt sem. Auf alle Fälle sollte bei der Konzeption
eme Normoglykämie vorliegen bzw. der Blutzucker-
stoffwechsel möglichst rasch normalisiert werden.
Diabetikerinnen sollten schon in der Planungsphase
der Schwangerschaft von einem diabeteserfahrenen
Arzt betreut und geschult werden. Falls erforderlich,
702 KAPITEL 16 Glukose

muss zusätzlich eine Blutdruckeinstellung erfolgen. Insulinbedarf während der Schwangerschaft


Mögliche Kontraindikationen sind auszuschließen.
Folgend sind die zu erreichenden Voraussetzungen • 1. Trimenon:
einer Diabetikerin während ihrer Schwangerschaft Meist keine Insulinerhöhung nötig, eher gestei-
wiedergegeben: gerte Insulinempfindlichkeit, Hypoglykämienei-
gung
Voraussetzung für Schwangerschaft • 2. und 3. Trimenon:
Der Insulinbedarf steigt kontinuierlich an, als
• Schulung der Patientin Folge kontrainsulinär wirkender Schwanger-
• Optimale Blutglukoseeinstellung, (intensivierte schaftshormone. Am Ende der Schwangerschaft
Therapie oder Pumpentherapie) kann der Insulinbedarfbis zu 100% über dem In-
• Blutdruckeinstellung sulinbedarf vor der Schwangerschaft liegen.
• Ausschluss möglicher Kontraindikationen

Zur Überwachung der Stoffwechselsituation muss


Eine relative Kontraindikation zur Schwangerschaft sich die Patientin in 1- bis 4-wöchigen Intervallen
besteht bei Patientinnen mit fortgeschrittener Ne- ambulant vorstellen. Zum einen kann bei diesen
phropathie, schwerer Retinopathie und ausgepräg- Terminen die aktuelle Stoffwechselsituation bespro-
ter peripherer arterieller Verschlusskrankheit der chen werden und ggf. eine Insulindosisanpassung
Beckenarterien. Als absolute Kontraindikation gilt vorgenommen werden. Zum andern müssen ver-
die Schwangerschaft nur nach Herzinfarkt. schiedene Parameter wie Blutdruck, Körpergewicht,
Ödemneigung etc. (s. unten) kontrolliert werden.
Glykosyliertes Hämoglobin (HbA 1c) sollte während
Therapie
der Schwangerschaft in 4-wöchentlichen Abständen
Die Therapie ist im Verlauf der Schwangerschaft so
kontrolliert werden, um eine engere Kontrolle zu ge-
durchzuführen, dass die Blutzuckerwerte denen von
währleisten. Zur Erfassung der Blutglukosesituation
gesunden Schwangeren entsprechen, d. h. Nüch-
der vorangegangenen 2 Wochen können ggf. auch
ternblutzucker 60-100 mg/dl und postprandial ::::;
Fruktosamine (s. Abschn. 16.5) bestimmt werden.
140 mg/dl. Der HbA 1c sollte während der Schwan-
Eine Glukosurie ist bei 30 % aller nichtdiabetischen
gerschaft eher im unteren Normbereich liegen, da
Schwangeren physiologisch und ohne Krankheits-
auch bei nichtdiabetischen Schwangeren die Blut-
wert. Augenärztliche Kontrollen sind mit Rückspra-
glukosewerte gegenüber Nichtschwangeren ernied-
che des Augenarztes öfters (alle 3 Monate) durchzu-
rigt sind. Eine notwendige Laserkoagulation am All-
führen (Zusammenfassung s. Übersicht).
genhintergrund ist frühzeitig durchzuführen, um
einer durch die Presswehen während der Geburt
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen
ausgelösten Verschlechterung vorzubeugen. Da
bei schwangeren Diabetikerinnen
sich während der Schwangerschaft der Insulinbedarf
ändert (s. folgende Übersicht), sollten die Patientin-
• Klinische Parameter: Körpergewicht (bei jedem
nen engmaschig mit ihrem betreuenden Diabetolo-
Arztbesuch), Ödeme (mindestens 1-mal wöchent-
gen die dokumentierten Blutglukosewerte bespre-
lich), Blutdruck (1-mal wöchentlich), Augenhin-
chen und ggf. die Insulindosis anpassen. Je nach
tergrund (3-monatlich)
Qualität der Stoffwechselkontrolle müssen die Pa-
• Laborparameter: Blutglukose (täglich 6-mal),
tientinnen in 1- bis 3-wöchigen Abständen einbe-
HbA 1c (alle 4 Wochen), evtl. Fruktosamine, Pro-
stellt werden. Während der Schwangerschaft kön-
tein urie/Mikroalbumin urie, Bakteriurie
nen die Werte stark schwanken, v. a. im ersten Tri-
menon findet sich eine erhöhte Hypoglykämie-
neigung.
Zusätzlich zu den regelmäßig durchgeführten Blut-
glukoseselbstkontrollen der Patientin und Doku-
mentation der Werte ist bei Gestosegefahr eine Blut-
druckselbstmessung durch die Patientin nötig (s.
folgende Übersicht). Die Häufigkeit der Kontrollun-
tersuchung ist dem Ausgangsstatus und Schwanger-
schaftsverlauf anzupassen.
16.7 Diabetes und Schwangerschaft 703

Regelmäßige Kontrolluntersuchungen Als erfolgreich für die Betreuung der Schwangeren


durch die Patientin hat sich die Zusammenarbeit zwischen diabeteser-
fahrenen Gynäkologen und Diabetologen erwiesen.
• Tägliche Blutglukoseselbstkontrolle und Doku- Schwangere Diabetikerinnen können heute bis zur
mentation der Werte im Blutzuckertagebuch Entbindung ambulant betreut werden und müssen
• Körpergewicht (bei Gestosegefahr täglich, sonst nicht mehr monatelang vor der Entbindung stationär
wöchentlich) aufgenommen werden. Der betreuende Gynäkologe
• Blutdruckselbstkontrolle (bei Gestosegefahr täg- kann durch häufige Ultraschalluntersuchungen früh-
lich) zeitig Missbildungen und gestörtes fetales Wachstum
entdecken. Erfahrung ist nötig, um die optimale Ent-
bindungsart und Zeitpunkt festzulegen. Außerdem
Studien haben gezeigt, dass sich diese Therapieziele sollte die Entbindungsklinik Erfahrung mit der
in der Regel besser durch gute Patientenschulung, schwierigen metabolischen Kontrolle während der
intensivierte Insulintherapie oder lnsulinpumpen- Geburt besitzen und Diabetologen hinzuziehen,
behandlung, regelmäßige Blutglukoseselbstkontrol- um den Blutzucker zu kontrollieren. Ein Neonatolo-
len mit Insulindosisanpassung durch den Patienten ge sollte das Neugeborene nach der Geburt untersu-
und enge Anhindung an den Diabetologen erreichen chen. Makrosame Neugeborene sollten von einem
lassen. Es konnte in Studien die enge Korrelation neonatologischen Zentrum betreut werden.
der postprandialen Blutglukosewerte (1-2 h post-
prandial) zur Makrosomie der Neugeborenen ge- Mit Einsetzen der Wehentätigkeit und während der
zeigt werden. Bei Schwangeren, die einen Gesta- Geburt sinkt der Insulinbedarf ab. Unmittelbar nach
tionsdiabetes entwickelt haben und einer Insulin- Entbindung erfolgt eine weitere abrupte Senkung des
therapie zugeführt wurden, wurde zwischen der Insulinbedarfs, und auch im Wochenbett ist der In-
Blutglukoseeinstellung von Diabetikerinnen, die sulinbedarf noch verringert, er kann sogar niedriger
präprandiale Blutglukosekontrollen durchführten sein als vor der Schwangerschaft. Deshalb liegt wäh-
und Schwangeren, die postprandiale Blutglukose- rend der Geburt und unmittelbar nach der Geburt
messungen (1 h postprandial) durchführten, vergli- eine erhöhte Hypoglykämiegefahr vor. Aus diesem
chen. Hierbei ergab sich nicht nur ein signifikanter Grund sind gerade mit Einsetzen der Geburt und
Abfall des HbA 1c in der Gruppe der postprandial in der postpartalen Phase regelmäßige Blutzucker-
Messenden gegenüber den Schwangeren, die aus- selbstkontrollen mit Anpassung der Insulindosis un-
schließlich präprandiale Blutglukosemessungen bedingt notwendig. Ein stabiler, endgültiger Insulin-
durchführten, sondern auch ein signifikant niedri- bedarf stellt sich erst 2-3 Wochen postpartal ein.
geres Geburtsgewicht der Neugeborenen, deren
Mütter postprandiale Blutglukosemessungen durch- Während der Schwangerschaft soll auf eine aus-
führten. gewogene Ernährung geachtet werden. Vor allem
in der zweiten Schwangerschaftshälfte ist auf einen

D Daher sollten bei diabetischen Schwangeren nicht


nur Nüchternblutglukosemessungen durchgeführt
werden, sondern auch Blutglukosemessungen jeweils
ausreichenden Kaloriengehalt der Nahrung zu
achten. Als Faustregel gilt, je nach körperlicher
Aktivität, die Formel, die in der folgenden Übersicht
1-2 h nach den Hauptmahlzeiten (s. Übersicht). wiedergegeben ist.

Bedarf an kcal pro Tag während


Empfehlung zur Blutglukoseselbstkontrolle und
der Schwangerschaft
Dokumentation während der Schwangerschaft
• Prägravides Idealgewicht in kg mal 30-40 = kcal
• Morgens, vor dem Frühstück
pro Tag
• 1-2 h nach dem Frühstück
• Minimum 1500 kcal pro Tag
• Vor dem Mittagessen
• 1-2 h nach dem Mittagessen
• Vor dem Abendessen Die Gewichtszunahme während der Schwanger-
• 1-2 h nach dem Abendessen schaft sollte 10-15 kg nicht überschreiten. Eine Ke-
• Spätabends, vor dem Zubettgehen tonurie, v. a. im ersten Morgenurin, kann auf einen
• Evtl. nächtliche Blutglukosetestung unzureichenden Kohlenhydratgehalt der Nahrung
(oder auf eine nächtliche Unterzuckerung) hindeu-
ten. Die Ernährungsempfehlungen bei Schwangeren
mit bekanntem Diabetes mellitus folgen den allge-
meinen Richtlinien der Diabetestherapie.
704 KAPITEL 16 Glukose

16.7.8 Verdacht auf einen Gestationsdiabetes ver-


Nebenwirkungen stärkte. Zur weiteren Diagno tik überwies der
betreuende Gynäkologe seine Patientin nun
Bei einer optimalen Stoffwechseleinstellung besteht, an eine diabeti ehe Fachambulanz. Hier
gerade auch während des ersten Trimenons, eine er- wurde ein oraler Glukosetoleranztest mit 75 g
höhte Gefahr der Hypoglykämie. Es fanden sich bis- Glukose durchgeführt. Da sich bei diesem
langjedoch keinerlei Hinweise, dass dies für das Un- Test 2 h nach Glukosebelastung ein Blutglukose-
geborene schädlich sein könnte. wert von 210 mgldl ergab, war die Diagnose
Gestationsdiabetes gesichert. Als Verlaufs-
parameter wurde der HbA 1c-Wert be timmt.
16.7.9 Es ergab sich ein leicht erhöhter Wert von
Notfall 6,3 o/o (Norm < 6,2 o/o). Mit der Patientin
wurden zunächst die Bedeutung einer normo-
Falls es ambulant - weder durch eine intensivierte glykämischen Stoffwechsel ituation während
Insulintherapie noch durch eine Insulinpumpenthe- der Schwanger chaft und die Risiken einer dia-
rapie- nicht gelingt, eine normnahe Blutglukoseein- betischen Stoffwechsellage besprochen. Danach
stellung zu erreichen, ist eine stationäre Aufnahme erhielt die Patientin eine ausführliche Ernäh-
indiziert. Auch andere internistische Indikationen rungsberatung, bei der auch individuelle Ernäh-
können zur Klinikeinweisung führen (s. Übersicht). rungsgewohnheiten erfasst wurden. Zunächst
wurde nun ein rein diäteti eher Therapiever-
Indikationen zur stationären Aufnahme such unternommen, wobei die Patientin 3- bi
4-mal täglich Blutgluko e elbstbestimmungen
• Trotz Schulung, ICT oder Pumpentherapie keine und Dokumentation der Werte durchzuführen
ausreichend gute Stoffwechsellage hatte. Ein erneuter ambulanter Vorstellungster-
• Schwere Hypoglykämien min wurde auf wenige Tage später vereinbart.
• Ketoazidose Beim folgenden ambulanten Vorstellung ter-
• Andere internistische Indikationen (z. B. akute min zeigte sich, dass unter Einhaltung einer spe-
Pyelonephritis oder entgleiste Hypertonie) ziellen Diät (keine üßigkeiten, Mahlzeiten über
den Tag hinweg verteilt etc.) Blutglukosewerte
im Normbereich erreicht werden konnten, so-
dass zu diesem Zeitpunkt keine Insulinbehand-
lung nötig war. E zeigten sich im weiteren
16.8 Verlauf der Schwangerschaft zunächst unter
Gestationsdiabetes die em rein diätetischen Therapieregime nor-
M. S . KLEVESATH, S . ScHIEKOFER, male Blutglukosewerte mit HbA 1c-Werten im
P. P. NAWROTH unteren ormbereich. Im 3. Trimenon der
chwangerschaft war dann jedoch eine alleinige
16.8.1 diätetische Therapie nicht mehr au reichend,
Fallpräsentation und es musste zusätzlich eine In ulinbehand -
lung begonnen werden. Darunter war der rest-
liche Schwanger chaft verlauf unproblematisch
Bei einer 34-jährigen, erstgraviden, übergewich- und die Geburt des gesunden Kindes verlief
tigen Schwangeren (BMI 29), fiel dem betreuen- ohne Komplikationen und termingerecht.
den Frauenarzt in der 24. SSW die Makrosomie
des Kindes auf. Die Schwangerschaft verlief
bislang unauffällig. Insbesondere fand sich
keine Glukosurie, Hypertonie oder Proteinurie.
Auf gezieltes Nachfragen berichtete die Patien- 16.8.2
tin jedoch über das Vorkommen von Typ-2-Dia- Epidemiologie
betes mellitus in ihrer Familie. Zur weiteren
Diagnostik führte der betreuende Gynäkologe Die Häufigkeit des Gestationsdiabetes wird in der
einen sog. Screeningtest mit 50 g Glukose durch. Literatur mit 0,15-12,3 o/o bis 19,2 o/o angegeben. Ur-
Bei der einmaligen Blutglukosebestimmung sachen dieser großen Schwankungen liegen sowohl
60 min nach oraler Gabe fand sich ein Wert an der verschiedenen Zusammensetzung der unter-
von 150 mgldl im kapillären Vollblut, was den suchten Populationen, den unterschiedlichen dia-
gnostischen Kriterien und Testmethoden als auch
16.8 Gestationsdiabetes 705

unterschiedlichen konstitutionellen und ethnischen Auch die Risiken für das Kind sind ähnlich den Ri-
Faktoren. Im westeuropäischen Patientengut tritt siken bei bereits vor der Schwangerschaft bekann-
der Gestationsdiabetes in unterschiedlicher Ausprä- tem mütterlichen Diabetes mellitus:
gung bei 2-5 o/o aller Schwangeren auf. e Makrosomie,
e perinatale Stoffwechselstörungen (Hypoglyk-
ämie, Hyperbilirubinämie, Hypokalzämie).
16.8.3
Pathogenese Diese Risiken sind verantwortlich für die erhöhte
pränatale Mortalität und perinatale Morbidität
In den ersten Monaten der Schwangerschaft bleibt beim Gestationsdiabetes. Eine zusätzliche Gefahr
die Glukosetoleranz unverändert. Aufgrund plazen- beim Gestationsdiabetes besteht v. a. darin, dass
tarer Hormone wie Östrogen, Gestagen und v. a. er zum einen in seiner Häufigkeit unterschätzt
HPL ("human placental lactogen") entwickelt sich wird (ca. 2-5 o/o!) und zum anderen das mütterliche
jedoch in der zweiten Schwangerschaftshälfte all- und kindliche Risiko unterschätzt wird. Unter-
mählich eine Insulinresistenz mit konsekutiver Ver- schätzt wird des Weiteren die Manifestation eines
schlechterung der Glukosetoleranz. Parallel zur In- Typ-2-Diabetes mellitus nach vorausgegangenem
sulinresistenz nehmen basale und stimulierte Insu- Gestationsdiabetes. So konnte in Studien gezeigt
linsekretion um das 2- bis 3-fache zu (Abb. 16-77). werden, dass Frauen mit vorausgegangenem Gesta-
Wenn die Sekretionskapazität der pankreatischen ß- tionsdiabetes 16 Jahre post parturn ein 3-fach erhöh-
Zellen nicht mehr ausreicht, manifestiert sich ein tes Diabetesrisiko haben (30 o/o vs. 10 o/o). Im Verlauf
Gestationsdiabetes in Anbetracht der individuell un- des gesamten späteren Lebens entwickeln mehr als
terschiedlichen Insulinsensitivität (Übergewicht). die Hälfte der Gestationsdiabetikerinnen einen Dia-
Definitionsgemäß handelt es sich um ein Krank- betes mellitus, meist Typ 2.
heitsbild, das erstmals während der Schwanger-
schaft auftritt.
16.8.5
Diagnostik
16.8.4
Klinik Indikation zur Diagnostik
Da der Gestationsdiabetes häufig asymptomatisch
Symptome und Beschwerden verläuft, kann die Diagnose nur durch gezielte Ana-
Der Gestationsdiabetes birgt mütterliche und fetale mnese und diagnostische Maßnahmen gestellt wer-
Risiken ähnlich einem bereits vor der Schwanger- den. Aufgrund seiner Manifestation in der zweiten
schaft bestehenden Diabetes mellitus. Die mütterli- Hälfte der Schwangerschaft wird von der WHO
chen Risiken liegen in einer Häufung von Schwan- und der Deutschen Diabetesgesellschaft ein Screen-
gerschaftskomplikationen (s. auch Abschn. 16.7): ingtest bei jeder Schwangeren gefordert. Dieser
e Harnwegsinfekte, Screeningtest sollte zwischen der 24-28. Schwanger-
• Gestose, schaftswache durchgeführt werden und bei Risiko-
• Hydramnion, patientinnen bereits vor der 24. Schwangerschafts-
e Sectio caesarea. woche.

Insulinsekretion

Abb.l6-77.
Steigender Insulinbedarf im Verlauf der
Schwangerschaft aufgrund kontrainsulinär
1.Trimenon 2.Trimenon 3.Trimenon wirkender Hormone
706 KAPITEL 16 Glukose

Tabelle 16-24. Screening und Diagnoseschema für Gestationsdiabetes

Zeitpunkt der Plasma-Glukose-Gabe Grenzwerte fur SOg Screeningtest Grenzwerte f ü r 100 g Diagnosetest
11
· mgldl (mmolll) mgldl (mmo I )

üchtern 105 (5,8)


ach I h 140 (7,8) 190 (10,6)
ach 2 h 165 (9,2)
ach 3 h 145 (8, 1)

Anamnese
16.8.6
Die Anamnese hilft bei der Identifizierung von Ri-
Therapie
sikopatientinnen (s. folgende Übersicht).
Therapieziele
Risikopatientinnen für einen Gestationsdiabetes
Die Therapieziele beim Gestationsdiabetes sind ähn-
lich denen bei Schwangeren mit bereits bekanntem
• Auffällige Schwangerschaftsanamnese (Makroso-
Diabetes mellitus (s. Abschn. 16.7):
mie, Hydramnion)
• Nüchternblutglukose 60-100 mg/dl,
• Auffällige Geburtsanamnese (Fehlgeburten, Tot-
• postprandiale Blutglukose 1 h < 140 mg/dl; 2 h
geburten, Kindsgewicht > 4000 g)
pp < 120 mg/dl,
• Typ-2-Diabetes mellitus in der Familie
• HbA 1c präkonzeptionell im Normbereich,
• Übergewicht von mehr als 20 %
• HbA 1c während der Schwangerschaft im unteren
• Glukosurie in der ersten Schwangerschaftshälfte
Normbereich ( < 6 %).
(bis 24. Woche)
• Hypertonie, Proteinurie
• Lebensalter über 30 Jahre Therapie
Beim Gestationsdiabetes ist zunächst ein rein diäte-
tischer Therapieversuch sinnvoll, wobei auch hierbei
regelmäßige postprandiale Blutglukoseselbstkon-
Technische Verfahren
trollen unerlässlich sind:
Der Screeningtest mit 50 g Glukose hat den Vorteil,
• schnell resorbierbare Kohlenhydrate meiden,
dass er unabhängig von Tageszeit und vorangegan-
• Mahlzeiten über den Tag hinweg verteilen (d. h.
genen Mahlzeiten durchgeführt wer~en kann. D~es keine 2-3 Hauptmahlzeiten, sondern5-7 kleinere
macht ihn praktikabel für den PraXIsablauf. Beim
Mahlzeiten),
oralen Glukosetoleranztest müssen hingegen ver- • BE begrenzen (jedoch keine Reduktionsdiät wäh-
schiedene Punkte bei der Durchführung beachtet
rend der Schwangerschaft).
werden. Außerdem unterliegt der Test bestimmten
Störfaktoren, die ein falsches Ergebnis bedingen
Falls eine Ernährungstherapie allein nicht ausreicht,
können(s. Abschn. 16.7, Tabelle 16-24).
ist ein frühzeitiger Beginn mit Insulintherapie unbe-
dingt notwendig, um normnahe Blutglukosewerte
zu erreichen.

Orale Antidiabetika sind in der Schwangerschaft


kontraindiziert, da unter ihnen vermehrt Malforma-
tionen beobachtet wurden.

16.8.7
Therapiekontrollen

Siehe Abschn. 16.7.6, 16.7.7.


16.9 Iatrogene Hypoglykämien 707

16.8.8 im Urin nicht nachweisbar. Das Routinelabor,


Nebenwirkungen und Komplikationen einschließlich Kreatinin, Harnstoff, Triglyzeri-
de, Cholesterin, war unauffallig. Es erfolgte
Siehe Abschn. 16.7.8. eine Umstellung der Insulintherapie mit einer
Reduktion und gleichmäßigeren Verteilung
des Basalinsulin (morgens 16 E, spätabends
16.9 12 E). Da die berufliche Situation nur eine un-
Iatrogene Hypoglykämien regelmäßige Nahrungsaufnahme erlaubte, wur-
B. ISERMANN, M. s. KLEVESATH, de die Patientin gleichzeitig auf ein Insulinanal-
P. P. NAWROTH ogon (Insulin Lispro) umgesteUt und die Menge
dieses schnellverfügbaren Insulins erhöht (mor-
16.9.1 gens 1,5 E pro BE, mittags 1 E pro BE, abends
Fallpräsentation 1,5 E pro BE). Die Patientin nahm an einer
strukturierten ambulanten Schulung teil, und
zusätzlich wurde mit der Patientin das Prinzip
Eine 30-jährige Patientin mit einem seit dem 6. der ICT (intensivierte konventionelle Insulin-
Lebensjahr bekannten Typ-1-Diabetes mellitus therapie) in der Sprechstunde durchgesprochen.
steHt sich in der Sprechstunde wegen häufiger, Außerdem wurde der Patientin Glucagon (Glu-
in letzter Zeit mehrfach täglich auftretender Hy- caGen HypoKit) rezeptiert und mit dem Lebens-
poglykämien vor. Dabei sei es in letzter Zeit gefährten die Anwendung durchgesprochen.
auch vermehrt zu schweren Hypoglykämien ge- Schwere Hypoglykämien konnten durch die
kommen, wobei die Patientin auf Fremdhilfe an- Umstellung der Insulintherapie und die Schu-
gewiesen war. Der Diabetes mellitus wird im lung der Patientin verhindert werden. Dennoch
Rahmen einer intensivierten Insulintherapie be- konnte eine gute Stoffwechselkontrolle beibe-
handelt. Dabei spritzte die Patientin Basalinsu- halten werden, wobei der HbA 1c-Wert nach
lin morgens 33 IE und abends 8 IE, Normalinsu- einem Jahr 6,0% betrug.
lin bei Bedarf zusätzlich. Die Blutzuckerwerte,
die die Patientin selbst bestimmte, hätten im
Normbereich gelegen, waren jedoch nicht doku-
mentiert worden. Weitere Vorerkrankungen be- 16.9.2
standen nicht. Es handelt sich um eine 173 cm Epidemiologie
große, 73 kg schwere Patientin, Blutdruck 120/
70 mmHg, regelmäßiger Puls, Herzfrequenz Bei Patienten mit einer Insulintherapie, aber auch
72/min, Fußpulse gut ta tbar, Muskeleigenrefle- einer Sulfonylharnstofftherapie, hängt die Häufig-
xe seitengleich, Vibrationsempfinden an der un- keit der Hypoglykämien wesentlich von der
teren Extremität 7/8 beidseits. Im Augenarztbe- Schulung und der Stabilität der Stoffwechselkon-
fund kein Hinweis auf eine diabetische Retino- trolle, gemessen am Blutzuckertagesprofil oder am
pathie. Der postprandiale Blutzucker betrug HbA 1c-Wert, ab. In der DCCT-Studie, in der an
86 mg/dl, der HbA 1c-Wert 5,8% (Norm bis über 1400 Patienten der Einfluss der Stoffwechsel-
6,1 %). Das Albumin im Urin betrug 2 mg/1 kontrolle, gemessen am HbA 1c-Wert, untersucht
( orm bis 20 mg/1). Glukose und Aceton sind wurde, zeigte sich parallel zu einer Verbesserung
des HbA 1c-Wertes auch eine Zunahme schwerer

90
90
g 80
a -e .c~
> 0.
70
60
2 ~ ·~
·m .E ~
50
"ä o<U ~ 40
'§ ~ ~ 30
~ 0.
~a.. 20
:t 10 Abb.l6-78.
0 Einfluss der Blutzuckerkontrolle auf die
9 · 10 8·9 7-8 6-7 5-6 Häufigkeit der Hypoglykämien. (Mod. nach
The Diabetes Control and Complications
HbA 1c (in Prozent) Trial Research Group 1997)
708 KAPITEL 16 Glukose

Hypoglykämien, d. h. Hypoglykämien, bei denen Insulin


der Patient auf Fremdhilfe angewiesen war Beim Gesunden ist die Abnahme des Insulinspiegels
(Abb. 16-78). Andere Untersuchungen, bei denen der erste und wichtigste gegenregulatorische Mecha-
es zu einer Verbesserung des HbA 1c-Wertes nach nismus. Bei abfallendem Insulinspiegel wird keine
intensiver Patientenschulung kam, ergaben hinge- Glukose mehr für die Glykogensynthese in der Leber
gen, dass es bei adäquater Patientenschulung nicht verwendet. Gleichzeitig entfällt die Hemmung der
zu einem signifikanten Anstieg von schweren Hypo- hepatischen Glykogenolyse und Glukoneogenese.
glykämien (mit Krankenhauseinweisung) kommt. Eine bestehende Hyperinsulinämie verhindert hin-
Hypoglykämien scheinen beim Typ-2-Diabetiker gegen die Mobilisation endogener Glukosespeicher,
insgesamt seltener zu sein. Für Typ-2-Diabetiker sodass bei einer relativen Hyperinsulinämie die ge-
mit Insulintherapie konnte jedoch eine ähnliche störte endogene Glukoseproduktion nur durch eine
Hypoglykämiehäufigkeit wie für Typ- I-Diabetiker exogene Glukosezufuhr ausgeglichen werden kann.
gezeigt werden.
Glukagon
Die Glukagonfreisetzung ist bei fehlender Suppres-
16.9.3
sion der lnsulinfreisetzung der wichtigste gegenre-
Pathogenese
gulatorische Mechanismus. Glukagon wirkt v. a. in
der Leber und ist dort der potenteste physiologische
Die klassische Definition der Hypoglykämie ist die
Stimulator der Glykogenolyse und Glukoneogenese,
Whippl'sche Trias (s. Abschn. 16.3.4). Allgemein
sodass es innerhalb von wenigen Minuten zu einem
wird ein Blutzucker < 60 mg/dl als pathologisch an-
Anstieg der Blutglukosekonzentration kommt.
gesehen, jedoch gibt es hier starke individuelle
Schwankungen. Bei niedrigen Blutzuckerwerten
werden verschiedene gegenregulatorische Mecha- Adrenalin
nismen aktiviert, um eine ausreichende Glukosever- Die Aktivierung des vegetativen Nervensystems
sorgung durch die Glykogenolyse und Glukoneoge- führt zu einer Freisetzung von Adrenalin insbeson-
nese zu gewährleisten (Abb. 16-79). Für die Freiset- dere aus dem Nebennierenmark Adrenalin führt zu
zung gegenregulatorischer Hormone werden sowohl einer Aktivierung verschiedener Mechanismen und
zerebrale als auch extrazerebrale Mechanismen dis- somit zu einem Anstieg des Blutzuckers (s. Über-
kutiert. Auf der einen Seite wird angenommen, dass sicht).
die Leber eine dominante Rolle bei der Aktivierung
der hormonellen Gegenregulation spielt, doch spre- Aktivierung verschiedener Mechanismen
chen neuere Ergebnisse für eine Aktivierung der durch Adrenalin
hormonellen Gegenregulation im ZNS. Die Blutzuk-
kerschwelle der Gegenregulation, d. h. die Blutzuk- Adrenalinwirkung Rezeptor
kerwerte, bei denen die gegenregulatorischen Hor-
mone freigesetzt werden, liegt über der Blutzucker- T Hepatische Glykogenolyse und (ß2)
schwelle für das Auftreten von Beschwerden und Glukoneogenese
Symptomen der Hypoglykämie. l lnsulinfreisetzung (a)
T Glukagonfreisetzung (ß?)
Blutglukose U Blutglukose ft 1 Peripherer Glukoseverbrauch (ß?)

Insulin U------1
Andere Hormone der Gegenregulation
Glukakon ft - - - - - ' Die Wachstumshormon- und Cortisolfreisetzung

Adrenalin ft _____ t trägt nur unwesentlich zur Korrektur einer akuten


Hypoglykämie bei. Wachstumshormone führen in-
itial eher zu einem weiteren Absinken der Blutglu-
kose, und erst nach einigen Stunden lässt sich eine
Wachstumsbonnon und Cortisol ft,_j
Erhöhung der Blutglukose nachweisen. Ebenso kann
Glukoseautoregulation ~
eine Wirkung des Cortisols erst nach 2-3 h nachge-
. . wiesen werden, weshalb diese Hormone nur bei pro-
:..... Andere Honnone, Neurotransmitter u.a.. ....~ longierten Hypoglykämien eine Rolle spielen sollen.
Abb. 16-79. Gegenregulatorische Mechanismen (beim Ge- Das pankreatische Polypeptid, das unter vagaler
sunden). (Mod. nach Cryer 1993) Kontrolle steht, wird parallel mit Adrenalin und
16.9 Iatrogene Hypoglykämien 709

Noradrenalin freigesetzt, ist aber für die Gegen- Zerebrale Glukopenie


regulation eher unbedeutend. Die Störung der Glukosehämostase bei einem rela-
tiven Hyperinsulinismus und eine insuffiziente Ge-
genregulation führen beim Diabetiker zu patholo-
Störung der Gegenregulation beim Diabetiker
gisch niedrigen Blutzuckerwerten. Während einer
Bei Diabetikern kommt es in Abhängigkeit von der
Hypoglykämie ist somit die Versorgung des ZNS
Krankheitsdauer zunächst zu einer gestörten Gluka-
mit Glukose nicht gewährleistet.
gonfreisetzung und später auch zu einer Störung der
adrenergen Gegenregulation (s. Übersicht).
Glukoseaufnahme in das ZNS
Störung der Hypoglykämiegegenregulation Die Aufnahme der Glukose über die Bluthirnschran-
in Abhängigkeit von der Diabetesdauer ke in das ZNS ist insulinunabhängig und wird durch
den Glukosetransporter (Glutl) reguliert. Kurzfri-
Störung Diabetesdauer stig führt bei sinkenden Blutzuckerwerten eine Stei-
gerung der zerebralen Durchblutung zu einer ver-
Glukagondefizit Nach ca. 5 Jahren besserten zerebralen Glukoseutilisation. Umgekehrt
Gestörte Adrenalinfreisetzung Nach ca. 10 Jahren konnte bei reduzierter zerebraler Durchblutung z. B.
infolge einer Arteriosklerose und Hypoglykämie
eine Zunahme der Hypoglykämiesymptome und
In Folge eines relativen Hyperinsulinismus, u. U. der gegenregulatorischen Hormone nachgewiesen
verstärkt durch eine gestörte Gegenregulation, werden. Diese Ergebnisse stützen die klinischen Be-
kommt es beim Diabetiker zum Fehlen eines Blut- obachtungen, dass die zerebrale Arteriosklerose zur
zuckeranstiegs und somit zur Hypoglykämie. Bei Manifestation hypoglykämischer Symptome prädis-
einem isolierten Fehlen des Glukagons wird die poniert.
Adrenalinfreisetzung zum wichtigsten gegenregula-
torischen Mechanismus, wobei Adrenalin die feh-
lende Glukagonwirkung z. T. kompensieren kann. Alternative Energiequellen des ZNS
Beim Diabetiker mit gestörter Gegenregulation las- Da das Gehirn des Erwachsenen auf Glukose ange-
sen sich sowohl der Glukagon- als auch der Adrenal- wiesen ist, ist ein ausreichender Blutzuckerspiegel
inspiegel durch andere Stimuli, aber nicht durch Hy- für die Funktion des ZNS absolut notwendig. Peri-
poglykämie, erhöhen. Es liegt also eine spezifische natal und in der frühen Kindheit kann das Gehirn
Störung der Gegenregulation vor. Während Gluka- auch Ketonkörper und verzweigtkettige Aminosäu-
gon ganz ausfällt, kann Adrenalin noch freigesetzt ren verwerten und ist somit besser bei Glukoseman-
werden, jedoch erst bei subnormalen Blutzucker- gel vor einer Schädigung geschützt. Im Gehirn des
werten. Bei verspäteter Adrenalinfreisetzung fehlen Erwachsenen lässt sich erst nach längerem Fasten
die Warnsymptome, sodass der Patient nicht durch (> 40 Tage) ein Ketonkörpermetabolismus von
sein Verhalten (Nahrungsaufnahme) der Gefahr ent- 80-90 o/o nachweisen. Neben den Ketonkörpern
gegenwirken kann. Die gestörte vegetative Reaktion konnten noch andere potenzielle Energiequellen
bei gleichzeitigem Fehlen der Glukagonfreisetzung für das ZNS nachgewiesen werden (s. Übersicht).
im Rahmen einer Hypoglykämie führt zu einer Zu-
nahme der Hypoglykämien beim Diabetiker.

. .
Katechotakinelfl
Qlukagont _ _.....,.
. \Vachsturr\shormor\elfi-~--
Co~isollfl ~ : :
· ' ' Symptome :
! Einges~hränktes ~ewußts~in
: : : :

40 45 so 55 60 65 70 75 80 85 90
BZ (mgldl)

Abb.l6-80. Die Gegenregulation und Symptome bei der Hypoglykämie in Abhängigkeit des Blutzuckerspiegels. Der schwarze
Strich markiert den Bereich der jeweiligen "Blutzuckerschwelle". (Mod. nach Schwartz et al. 1987 und Mitrakauet al. 1993)
710 KAPITEL 16 Glukose

Potenzielle Energiequellen des ZNS-Metabolismus Ursachen einer Hypoglykämie bei Patienten


mit Diabetes mellitus
• Ketonkörper
• Laktat • Patienten mit relativem Hyperinsulinismus
• Fettsäuren Medikamentenüberdosierung
• Glyzerol Unzureichende Nahrungsaufnahme
• Aminosäuren (insb. Valin, Leuzin, lsoleuzin) Ungeplante physische Aktivität
Beschleunigte Insulinresorption (z. B. Massage,
Sonnenbad)
Die Verwertung "alternativer" Energiequellen durch Akkumulation von Antidiabetika (Niereninsuffi-
das ZNS schützt das ZNS vor einer potenziellen zienz)
Schädigung und ermöglicht trotz dauerhaft niedri- Erkrankungen mit Durchfall oder Erbrechen
ger Blutzuckerwerte eine Aufrechterhaltung der Autonome Neuropathie (diabetische Gastropa-
ZNS-Funktionen. Auch bei akuten Hypoglykämien rese)
kann eine Verwertung von Ketonkörpern nachge- • Andere Ursachen
wiesen werden, wobei die Bedeutung dieses Keton- Alkoholgenuss (Hemmung der hepatischen Glu-
körpermetabolismus noch unklar ist. koseproduktion)
ACE-Hemmer und andere Medikamente
Autonome Neuropathie (gestörte adrenerge Ge-
Schädigung des ZNS
genregulation)
Bei einem kurzfristigen, deutlichen Abfall der Blut-
glukose kommt es zunächst zu metabolischen, spä-
ter auch zu morphologischen Veränderungen der
Neurone. Anders als bei der Hypoxie kommt es hier- Relativer Hyperinsulinismus
bei zu einer selektiven Schädigung der Neurone • Therapiefehler und Nebenwirkung. Therapiefeh-
(Abb. 16-81). ler (Medikamentenüberdosierung, unzureichende
Nahrungsaufnahme) sind häufige Situationen, die
zu einem relativen Hyperinsulinismus und somit
Ursachen der Hypoglykämie bei Diabetikern
zu einer Hypoglykämie führen. Folgende Übersicht
Die Ursachen der Hypoglykämie beim Patienten mit
gibt Prädiktoren von Hypoglykämien bei Diabeti-
Diabetes mellitus sind vielfältig (s. Übersicht).
kern wieder.

Hypoglykämie Prädiktoren von Hypoglykämien


I bei Diabetes mellitus
~
+
• Vorausgegangene schwere Hypoglykämien
• Lange Diabetesdauer
Membranpolarisationsstörungen: • Abnahme des HbA 1c-Wertes
Veränderungen der Natrium.Penetration in die Zelle

*
intrazellulärer Natrium-Anstieg und Kalium-Vertust
Abnahme des Sauerstoffverbrauchs
• Störungen der Nieren- und Leberfunktion. Beim
Typ-2-Diabetes kann es außerdem bei eingeschränk-
ter Nieren-, aber auch Leberfunktion zu einer Akku-
mulation der Sulfonylharnstoffe kommen. Die resul-
~ tierenden Hypoglykämien verlaufen oft protrahiert.
+
Ödematöse Schwellung
Entscheidend sind der Metabolismus und die Halb-
wertszeit des Wirkstoffes (Tabelle 16-25). Bei fortge-
Zelluläres Ödem und petechiale Hämorrhagien schrittener Niereninsuffizienz verringert sich zu-
nächst die Insulinelimination und damit der Insu-
linbedarf, sodass die Hypoglykämiegefahr weiter
steigt. Bei der terminalen Niereninsuffizienz kann
der Insulinbedarf infolge der Katabolie wieder stei-
Degenerative Veränderungen mit metabolischen Nekrosen gen.
Sequestration und Atrophien im Bereich der Hirnrinde

Abb. 16-81. Veränderungen neuronaler Zellen im ZNS bei


anhaltender Hypoglykämie
16.9 Iatrogene Hypoglykämien 711

Tabelle 16-2S. Metabolismus oraler Antidiabetika vom Sulfonylharnstofftyp (Auswahl)

Sulfonvlharnstoff Elimination Halbwertszeit Aktive :\1etaholiten


· llepatisch J%1 Renal J%1 (i n h)

Glibendamid so so 7 Wenig
Glibornurid 23- 33 30-72 6 Ja
Glisoxepid 14-26 70-82 l,S Ja
Gliquidon 95 5 2 ein
Glimepirid 55 45 2,5 Ja

• Insulinart Unterschiede in der Wirkung von tie- Hypoglykämien bei Gebrauch von an sich blutzuk-
rischem und humanem Insulin, die bei Insulinwech- kerunwirksamen Medikamenten treten meist in
sel zu hypoglykämischen Zwischenfällen führen sol- Verbindung mit anderen Medikamenten, insbeson-
len, spielen keine Rolle. Eher kann die Rückbildung dere Sulfonylharnstoffen, auf. Die genaue Medika-
von Resorptionsstörungen infolge von Lipodystro- mentenanamnese, die Beachtung möglicher Wech-
phien, die bei Verwendung von tierischen Insulinen selwirkungen und die ggf. erforderliche Modifikati-
gehäuft auftreten und sich nach der Umstellung auf on der Therapie sind deshalb wichtiger Bestandteil
humanes Insulin zurückbilden, zu einer besseren bei der Abklärung von Hypoglykämien.
"Wirksamkeit" des Humaninsulins führen.
• Alkohol. Alkohol führt zu einer Hemmung der
• Erkrankungen des Verdauungstraktes. Bei der Glukoneogenese, wohingegen die Glykogenolyse
diabetischen Gastroparese kommt es zu einem ver- nicht beeinflusst wird. Deshalb treten Hypoglyk-
zögerten Transport des Speisebreis aus dem Magen ämien erst verspätet auf- wenn die Glykogenspei-
in den Dünndarm und somit zu einer verzögerten cher aufgebraucht sind. Zu einer Hemmung der Glu-
Resorption der zugeführten Kohlenhydrate. koneogenese kommt es vermutlich infolge eines
Verbrauchs an Nicotinamid-Adenin-Dinukleotiden
beim Abbau von Alkohol zu Acetat. Der Einfluss
Andere Ursachen der Hypoglykämie bei Diabetikern
von Alkohol auf die gegenregulatorischen Hormone
• Medikamente. Eine Reihe von Medikamenten
ist nur z. T. geklärt.
können eine Hypoglykämie auslösen bzw. begünsti-
gen (s. Übersicht).

Medikamente mit blutzuckersenkender Wirkung

Anwendung Medikament

Blutzucker senkende Wirkung nachgewiesen:


Häufig verwendet und deutliche Selten verwendet, aber deutliche Häufig verwendet, aber keine deutliche
Blutzuckersenkung Blutzuckersenkung Blutzuckersenkung
• Insulin • Pentamidin • Salizylate
• Sulfonylharnstoffe • Quinin e Sulfonamide
• Alkohol

Blutzuckersenkende Wirkung möglich:


• Antihypertensiva ß2-adrenerge Antagonisten, ACE-Hemmer, a-Blocker
• Analgetika und NSAID Indomethazin, Acetaminophen, Propoxyphen, Penylbutazon, Penicillamin
• Gichttherapeutika Colchizin, Sulfinpyrazone
• Lipidsenker Clofibrat, Bezafibrate
• Antibiotika Chloramphenicol, Ketoconazole, Paraaminosalizylsäure,
Pentamidin, Quinin
• Neuroleptika Haloperidol
• Andere Perhexilene, MAO-Hemmer
712 KAPITEL 16 Glukose

Psychosoziale Aspekte unterscheiden sich die Hypoglykämien bei Diabeti-


Der Einfluss des Verhaltens auf die Hypoglykämie- kern nicht von denen bei Nichtdiabetikern. Jedoch
häufigkeit ist nicht ausrei<;:hend geklärt. Umgekehrt hängt der Schwellenwert für das Auftreten der Sym-
konnte eine negative psychosoziale Wirkung von ptome von der Diabeteseinstellung ab. Bei einer
Hypoglykämien auf folgende Faktoren nachgewie- schlechten Einstellung können bereits bei Blutzuk-
sen werden. kerwerten von 100 mg/dl deutliche Symptome auf-
• Stimmung (Ängstlichkeit, depressive Verstim- treten. Umgekehrt kommt es bei rezidivierenden
mung), Hypoglykämien zu einer verspäteten oder vermin-
• Persönlichkeit (Verschlossenheit, Zurückgezo- derten Gegenregulation.
genheit),
• soziale Integration (Arbeitsplatzprobleme, soziale • Ursachen einer gestörten Gegenregulation
Desintegration), • Hochregulation der zerebralen Glutl-Transpor-
• Handhabung des Diabetes mellitus (unzureichen- ter,
de Krankheitsverarbeitung). • Glukagondefizit,
• gestörte Adrenalinfreisetzung,
Der Persönlichkeit kommt hierbei eine besondere • verminderte Kortisolfreisetzung.
Bedeutung zu, da sie auf der einen Seite das Verhal-
ten des Diabetikers vorgibt, auf der anderen Seite Während die Regulation der Glutl-Transporter von
durch die Erfahrungen rezidivierender Hypoglyk- der Blutzuckerkontrolle beeinflusst wird, hängt die
ämien mitgeprägt wird. So kann es, bei entsprechen- Verminderung der Glukagon- und Adrenalinfreiset-
der Primärpersönlichkeit, zu einem Circulus vitio- zung wesentlich von der Diabetesdauer ab. Neben
sus kommen, in dem sich die Hypoglykämien und der Erkrankungsdauer des Diabetes mellitus können
das Verhalten des Patienten negativ beeinflussen. die Symptome der Hypoglykämie auch durch ande-
re Faktoren verstärkt oder abgeschwächt werden (s.
Übersicht).

16.9.4
Faktoren, die die Hypoglykämie bei Diabetikern
Klinik
modifizieren können
Symptome und Beschwerden
• Zunahme der Symptome bei Alkohol, Anorexie,
Die Symptome der Hypoglykämie werden in vegeta-
Hypoxie
tiv-autonome und neuroglykopenische Symptome
• Abnahme der Symptome bei ß-Blocker, Polyneu-
aufgeteilt (s. Übersicht).
ropathie, chronisch niedrigen Blutzuckerwerten,
lange bestehendem Diabetes
Symptome der Hypoglykämie

• Vegetative Symptome
Sympathikus: Unruhe, Schwitzen, Tremor, Blässe, Komplikationen
Hypertonus, Palpitationen, Herzrhythmusstö- Der Einfluss von rezidivierenden Hypoglykämien
rungen, Mydriasis, Reizbarkeit, Nervosität, Spei- auf die kognitiven Leistungen ist letztlich unklar.
chelfluß Nach neueren Untersuchungen hat der Diabetes
Parasympathikus: Heißhunger, Übelkeit, Erbre- per se, unabhängig von der Diabetesdauer, keinen
chen, Speichelfluss, Schwäche wesentlichen Einfluss, jedoch konnten bei Patienten
• Neuroglykopenische Symptome mit rezidivierenden Hypoglykämien kognitive Defi-
Kopfschmerzen, Müdigkeit, Sprachstörungen zite und neuropsychatrische Veränderungen in fol-
(z. B. Dysarthrie), Sehstörungen (z. B. Diplopie), genden Bereichen gezeigt werden:
Schwindel, Motorische oder sensible fokale Defi- • Feinmotorik,
zite, Automatismen (Grimassieren, Schmatzen), • Kurzzeitgedächtnis, Assoziationsgedächtnis,
Verwirrtheit, Epileptische Anfälle, Koma Konzentrationsvermögen,
• räumliches Vorstellungsvermögen.

Die Symptome Heißhunger und Schwitzen werden Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes mellitus und re-
durch Atropin, nicht aber durch adrenerge Antago- zidivierenden schweren Hypoglykämien sind zere-
nisten, blockiert und sind deshalb cholinerg. Die ve- brale kortikale Atrophien, als Ausdruck morpho-
getativen Symptome sollten deshalb nicht verein- logischer Veränderungen, im NMR signifikant
facht als "adrenerg" bezeichnet werden. Prinzipiell häufiger.
16.9 Iatrogene Hypoglykämien 713

mellitus, müssen Synkopen anderer Genese (kar-


16.9.5
diale Erkrankungen, zerebrale Durchblutungsstö-
Diagnostik
rungen) ausgeschlossen werden.
Anamnese
• "Pseudohypoglykämien". Bei der Abklärung von
Die Hypoglykämien werden anamnestisch erfragbar
Hypoglykämien ist zu beachten, dass bei der Blut-
nach dem Schweregrad eingeteilt (s. Abschn. 16.3.
zuckerbestimmung aus venösem Blut falsch-niedri-
und 16.4). Ist ein Diabetes mellitus, der mit Insulin
ge Werte gemessen werden können, wenn es infolge
oder mit Sulfonylharnstoffen behandelt wird be-
einer zu späten Plasmaseparation zu einer intrazel-
kannt, so ist die Medikamentenanamnese wichtig.
lulären Glykolyse kommt. Diese so genannten
Therapiefehler, z. B. Verwechslung von Insulinen
"Pseudohypoglykämien" können bei Patienten mit
bzw. Tabletten, die oft nach Therapieumstellung
Leukozytose oder Polyzythämie besonders ausge-
auftreten, sind häufig. Da der Anteil der nächtlichen
prägt sein.
Hypoglykämien (s. Übersicht) mit 55% sehr hoch
ist, sollte nach diesen spezifisch gefragt werden.
• "Prämetabolisches Syndrom". (Sonderform der
Hypoglykämie: reaktive Späthypoglykämien im
Hinweise auf nächtliche Hypoglykämien
Vorstadium des Typ-2-Diabetes). Bei den meist adi-
pösen Patienten kommt es bei einer latenten Insu-
• Unruhiger Schlaf, kein erholsamer Schlaf,
linresistenz und einer gestörten Insulinsekretion zu
"durchgewühlte" Bettwäsche, nächtliche Schweiß-
einer geringgradigen Erhöhung des Insulinspiegels.
ausbrüche
Die Entstehung der Hypoglykämien wird auf eine
• Morgendliche Hyperglykämien, morgendliche
gestörte Insulinfreisetzung zurückgeführt. Zur Dia-
Kopfschmerzen
gnostik wird der 5-h-oGGT eingesetzt (s. Übersicht).
• Partneranamnese

Charakteristika des 5-h-oGTT


beim prämetabolischen Syndrom
Technische Verfahren
• Blutzuckerbestimmung. Liegen Symptome oder • Normale bis leicht erhöhte Nüchternblutzucker-
Beschwerden einer Hypoglykämie vor, ist eine sofor- werte
tige Therapie wichtiger als der Nachweis eines nied- • 1-2 h postprandial: überhöhte Blutzuckerwerte,
rigen Blutzuckers. Werte, die der Patient während • 3-5 h postprandial: Hypoglykämien
einer Hypoglykämie bestimmt, sollten zudem mit
Vorsicht interpretiert werden, da die üblichen Mess-
geräte im unteren Messbereich nur unzuverlässig Der Nachweis von Hypoglykämien schließt eine ge-
funktionieren . störte Glukosetoleranz also nicht aus. Wie häufig es
zu reaktiven Späthypoglykämien im Vorstadium des
Typ-2-Diabetes mellitus kommt, ist nicht geklärt,
16.9.6
zumal sich Beschwerden durch regelmäßige Nah-
Differentialdiagnose
rungszufuhr vermeiden lassen. Therapeutisch sind
bei diesen Patienten die gleichen diätetischen Maß-
• Bekannter Diabetes mellitus. Bei einem bekann-
nahmen wie beim manifesten Typ-2-Diabetiker zu
ten Diabetes mellitus, der mit Insulin oder Sulfonyl-
beachten.
harnstoffen behandelt wird, treten Hypoglykämien
meist infolge von Therapiefehlern oder als Neben- • Tabellarische Übersicht. Im Folgenden ist die
wirkung der Therapie auf. In Einzelfällen, insbeson- Differentialdiagnose der Hypoglykämie zusammen-
dere bei einem seit langem bestehenden Diabetes gefasst (s. folgende Übersichten). Die Hypoglyk-

Tabelle 16-26. Differentialdiagnose der Hypoglykämie

Hypoglykämieformen Symptome Symptome


(im Bezug wr letzten Mahlzeit)

üchternhypoglykämien Postab orptive Pha e Typisch neuroglykopenisch


(ca. 5 h oder später)
Postprandiale Hypoglykämien Absorptive Phase Typisch vegetativ
(innerhalb 2-3 h)
714 KAPITEL 16 Glukose

ämien werden in Nüchternhypoglykämien und post- • Genuss von Gin und Tonic
prandiale Hypoglykämien eingeteilt, wobei für die • Toxine ("Ackee fruit", Pilztoxine)
diagnostische Unterscheidung dieser beiden Hypo- • Postprandiale Pseudohypoglykämien
glykämieformen die Durchführung eines oGTT ent-
scheidend ist (Tabelle 16-26). Bei den postprandia-
len Hypoglykämien treten die Symptome nur nach Enzymdefekte, die zu Hypoglykämien führen kön-
der Einnahme von Mahlzeiten auf. Bei beiden Hypo- nen, manifestieren sich üblicherweise im Kindesal-
gykämieformen können sowohl neuroglykopeni- ter.
sche als auch vegetative Symptome auftreten.
Enzymdefekte, die zu Hypoglykämien
Dierentialdiagnose der Nüchternhypoglykämie führen können

• Pankreaserkrankungen: lnsulinom, Nesidio- • Glykogenspeicherkrankheiten: Glykogen-Synthe-


blastose, diffuse Insellzellhyperplasie, lnselzell- tase-Mangel, Debranching-Enzym-Mangel, Phos-
adenomatose phorylasemangel, Phosphorylase-Kinase-Mangel,
• Hypoglycaemia factitia: Insulin, Sulfonylharn- Glukose-6-Phosphatase-Mangel
stoffe • Störung der Glukoneogenese: Fruktose-1-6-
• Autoimmunhypoglykämien: Autoantikörper ge- Diphosphatase-Defekt, Phosphoenolpyruvat -Car-
gen Insulin, Autoantikörper gegen Insulinrezep- boxykinase-Defekt
toren, Autoantikörper mit ß-zellstimulierender • Störung der Fettsäureoxidation: Carnitinman-
Wirkung gel, "Medium -chain-acyl-CoA-Dehydrogenase-
• Tumorhypoglykämien Mangel", "Long-chain-acyl-CoA-Dehydrogenase-
• Endokrinologische Erkrankungen: Panhypopitui- Mangel", "Long-chain -acyl-CoA -Carnitin-Trans-
tarismus, isolierter Wachstumshormonmangel, ferase-Mangel", "Long-chain-3-0H-acyl-CoA-De-
isolierter ACTH-Mangel, M. Addison, Hypothy- hydrogenase-Mangel", "Short -chain-3-0H -acyl-
reose CoA-Dehydrogenase-Mangel"
• Andere schwere Erkrankungen: Nierenversagen,
Sepsis, Leberversagen, dilatative Kardiopathie,
Kachexie, Anorexie
• Medikamente: Insulin, Sulfonylharnstoffe, Alko-
hol 16.9.7
Therapie

Dierentialdiagnose Patientenschulung
der postprandialen Hypoglykämie Die Schulung der Patienten mit Diabetes mellitus ist
ein wesentlicher Bestandteil der Therapie. Sie be-
• Magenentleerungsstörungen: Zustand nach Ma- steht in:
genoperation • strukturiertem Schulungsprogramm,
• Enzymdefekte: Glykogenspeicherkrankheiten, • häufigem Selbstmessen,
Störung der Glukoneogenese, Störung der Fett- • Früherkennung der Symptome,
säureoxidation, Galaktosämie, Fruktoseintole- • Erkennung und Vermeidung der Risikofaktoren,
ranz, Ahornsirupkrankheit • Einbeziehung von Angehörigen/Freunden.

cQ)
40
N • vor der Schulung
!2 35
a.. D nach der Schulung
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INSI
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'5 20
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Q)
11
13 Abb.16-82.
•CO Häufigkeit schwerer Hypoglykämien (%) vor
10
"">. und nach Patientenschulung in Abhängigkeit
8'
o_
5 vom HbA 1c-Wert. Bei Patienten mit guten
HbA 1c-Werten lässt sich eine signifikante
>.
I 0 Abnahme der Hypoglykämien beobachten.
HbA1 c $ 7,3% HbA1c > 7,3% (Mod. nach Müller et al. 1995)
16.9 Iatrogene Hypoglykämien 715

Durch die intensive Patientenschulung lässt sich bei Medikamentöse Therapie


den gut eingestellten Diabetikern eine Abnahme der diabetischen Gastroparese
schwerer Hypoglykämien erreichen (Abb. 16-82).
5- HT 4- Antagonisten Cisaprid
Dopaminantagonisten Metoclopramid, Domperi-
Insulinanaloga don
Der Stellenwert der Insulinanaloga (Insulin humal- Cholinergika Bethanechol
og, Insulin aspart) in der Therapie des Typ-I-Diabe- Motilide Abkömmlinge der Makro-
tes mellitus ist noch nicht abschließend geklärt. In lidantibiotika
einigen Studien, u. a. auch in der größten "Cross- (Erythromycinanaloga,
over-Studie" zur Untersuchung der Insulinanaloga, derzeit in klinischen Stu-
konnte eine signifikante Abnahme der Hypoglykä- dien)
miehäufigkeit gezeigt werden. Andere Studien zeig-
ten keine Änderung der Hypoglykämiehäufigkeit
Eine kumulative Metaanalyse der bisher durchge- Nach den derzeitigen Daten scheint Cisaprid prak-
führten Studien ergab eine Abnahme schwerer Hy- tisch allen anderen Prokinetika an Effektivität über-
poglykämien um 30 o/o bei Verwendung der schnell- legen zu sein. In therapierefraktären Fällen kann der
wirkenden Insulinanaloga. Magen elektrisch stimuliert werden, wobei die
Schrittmacher laparoskopisch implantiert werden
können. Bei Patienten mit Gastroparese ist vor ope-
Insulinpumpe
rativen Eingriffen eine längere Nüchternphase not-
Die klassischen Indikationen zur Pumpentherapie
wendig, um eine vollständige Entleerung des Ma-
beinhalten nicht die Hypoglykämien. Einige Studien
gens sicherzustellen.
haben aber eine Abnahme der Hypoglykämiehäufig-
keit bei Diabetikern, die auf eine Insulinpumpe um-
gestellt wurden, gezeigt. Ein Vergleich verschiedener
16.9.8
Patientengruppen ist schwierig, da Diabetiker mit
Notfall
Insulinpumpe in der Regel sehr gut motiviert sind
und deshalb verschiedene Therapiestrategien sehr
Wegen der potentiellen Gefährdung des ZNS wäh-
gut umsetzen können.
rend der Hypoglykämie hat die sofortige Glukosezu-
fuhr mit dem Ziel einer Normalisierung des Blutzuk-
Diabetische Gastroparese kers Priorität. Die Form der Glukosezufuhr hängt
Liegt eine Gastroparese vor, so ist eine Verbesserung vom Schweregrad der Hypoglykämie ab. Bei leichten
der Blutzuckerkontrolle zur Vermeidung einer Pro- Hypoglykämien kann sich der Patient durch kohlen-
gression anzustreben. Durch mehrere, gleichmäßig hydrathaltige Nahrung (z. B. Fruchtsaft, Obst) selbst
über den Tag verteilte Mahlzeiten kann oft eine Ver- helfen. Bis zur Verbesserung der Symptome müssen
besserung erreicht werden. Alternativ kann eine me- die Maßnahmen wiederholt werden. Bei unzurei-
dikamentöse Therapie versucht werden (s. Über- chendem Effekt, Insulinüberdosierung oder bei Vor-
sicht). liegen einer Gastroparese muss der Patient, wie bei

Therapie der schweren


Hypoglykämie

/
Glukoseinlusion:
Bolusgabe: ...,. bei fehlender Wirksamkeit Glukagon i.m.
50ml 40% Glukose, .... oder s.c.
selten bis 100ml

/
Dauerinlusion: 5%-1 0%
Glukose
Cave: Kalium-Kontrolle Abb. 16-83.
Akuttherapie der schweren Hypoglykämie
716 KAPITEL 16 Glukose

mittelschweren Hypoglykämien, potentere, d. h. Diabetische Spätschäden


schneller resorbierbare, Kohlenhydrate, zu sich neh-
men. Es eignen sich Traubenzucker oder stark koh-
lenhydrathaltige Getränke (z. B. Cola oder Limona- 16.10
de) . Bei fehlenden Glykogenspeichern sind die Diabetes und koronare Herzkrankheit
schnell verfügbaren Kohlenhydrate auch rasch ver-
braucht und es besteht die Gefahr einer erneuten B. ISERMANN, s. SCHIEKOFER, M. HAASS,
Unterzuckerung. Deshalb hat bei Besserung der
P. P. NAWROTH

Symptome sofort eine weitere Nahrungsaufnahme


16.10.1
zu erfolgen. Die Therapie der schweren Hypoglyk-
ämie ist in Abb. 16-83 zusammengefasst. Die Gluka- Fallpräsentation
gontherapie kann auch von Angehörigen der Patien-
ten durchgeführt werden. Entsprechende "Hypo- Eine 69-jährige Patientin mit Typ-1-Diabetes-
kits" sind erhältlich. Durch Induktion der Glykogen- mellitus, Erstdiagnose vor 42 Jahren, stellte
olyse kommt es innerhalb weniger Minuten zum sich im Rahmen eines Routinebesuchs in der
Blutzuckeranstieg, der in einigen Fällen aber nur un- Sprechstunde vor. Seit 3- 4 Wochen sei es ver-
zureichend ist. Zu den Nebenwirkungen einer Glu- mehrt zu "Herzrasen" sowie "Luftnot" bei kör-
kagontherapie gehört Erbrechen mit Aspirationsge- perlicher Belastung (z. B. Treppensteigen) ge-
fahr. kommen. Pektangiöse Beschwerden bestanden
nicht. Vor 2 Jahren sei ein "stummer" Myokard-
• Versagen der Glukagontherapie infarkt (intramuraler HWI) diagnostiziert wor-
• Fehlende Wirksamkeit des Glukagons bei Hyper- den (Enzymanstieg, Herzrhythmusstörungen,
insulinämie, T-Negativierung in III). Tachyarrhythrnien
• fehlende hepatische Glykogenspeicher bei Leber- waren mehrfach beobachtet worden. Wegen
erkrankungen, einer diabetischen Retinopathie waren wieder-
• kürzere Halbwertszeit des Glukagons im Ver- holte Laserkoagulationen durchgeführt worden.
gleich zum Insulin. Ferner waren eine diabetische Neuropathie mit
diabetiseher Gastroparese und eine diabetische
Nach Normalisierung des Blutzuckers sollte dieser Nephropathie (Stadium der Mikroalbuminurie)
durch eine Glukosedauerinfusion für mehrere Stun- bei der Patientin bekannt. Weitere Risikofak-
den über 150 mg/dl gehalten werden, bis die Glyko- toren: arterielle Hypertonie, Dyslipidämie. Bis-
genspeicher wieder aufgefüllt sind. Wichtig, v. a. bei herige Medikation: ASS 100 mg 1-0-0, Rarnipril
gleichzeitiger Hyperinsulinämie, ist die Kontrolle 5 mg 1-0-0, Doxazosin 2 mg 1-0-0, Furosemid
des Kaliumspiegels. Je nach Klinik ist die intensiv- 40 mg 1-0-0. Klinisch stellte sich eine 69-jährige
medizinische Betreuung notwendig. Patientin in gutem Allgemein- und Ernährungs-
zustand (163 cm, 66,4 kg) vor. Keine Zyanose,
keine peripheren Ödeme, keine Dyspnoe. Keine
Halsvenenstauung. Die Herzaktionen sind re-
gelmäßig mit einer Frequenz von 70 min· 1,

Abb. l6-84.
a Angiographischer Befund des
rechten Koronargefäßes, b Zustand
b nach Stent-Implantation
16.10 Diabetes und koronare Herzkrankheit 717

1/6-Systolikum mit punctum maximum über tation prophylaktisch ASS 100 mg 1-0-0 sowie
dem Erb-Punkt. Die Auskultation und Perkussi- zusätzlich für 4 Wochen Ticlopidin 250 mg
on der Lunge ist unauffällig. Die Strömungsge- 1-0-1. Optimierung der Insulintherapie mit
räusche über der A. carotislinks sind auskultier- Absinken des HbA 1c-Wertes auf 6,2 o/o. Unter
bar, ansonsten besteht ein unauffälliger periphe- Therapie der Dyslipidämie mit Fenofibrat
r~r Pulsstatus. Blutdruck 100/80 mmHg. Vibra- Normalisierung der Blutfette. Außerdem Meto-
tiOnsempfinden an der unteren Extremität 3/8 prolol 50 mg 1-0-0. ach PTCA und Stentim-
beidseitig. Diabetische Retinopathie mit Visus- plantation ist die Patientin beschwerdefrei.
minderung auf 10 o/o. Das Labor ergab: Post-
prandialer Blutzuckerwert 189 mg/dl, HbA 1c-
Wert 7,1 o/o (Norm bis 6,1 o/o). Fettwerte: TG
16.10.2
337 mg/dl, Gesamtcholesterin 270 mg!dl, HDL-
Epidemiologie
C 35 mg!dl, LDL-C 168 mg!dl und VLDL
67 mg/dl. Albuminurie 183 mg/dl (Norm bis
Seit Einführung der Insulin- und Antibiotikathera-
20 mg/dl). Im Normbereich lagen LDH, GOT,
p_ie haben die akuten, oft tödlichen Komplikationen
GPT, CK, TNI, Kreatinin, Harnstoff sowie das
(msbesondere Coma diabeticum) bei Diabetikern an
übrige Routinelabor. Das EKG zeigte einen Steil-
B~deutung verloren. Gefäßerkrankungen sind be-
typ, Sinusrhythmus, Frequenz 89 min-1, AV-
stimmend für Morbidität und die Mortalität des
Block I. Grades (PQ-Zeit 220 ms), QTc-Zeit
Diabetikers geworden (Abb. 16-85). Klinische und
413 ms, negatives T in III, abgeflachtes T in
epidemiologische Untersuchungen, Todesursachen-
~VL und V2, leichte aszendierende ST -Senkung
und Autopsiestatistiken zeigen, dass Diabetiker häu-
m V4, RS-Umschlag in V4 und V5. Befund des
figer und früher an der Arteriosklerose erkranken.
Belastungs-EKGs: Wegen peripherer Erschöp-
Bei den makroangiopathischen Gefäßveränderun-
fung Abbruch nach einer Minute bei 50 W, dabei
gen stellt die koronare Herzkrankheit (KHK) die be-
keine Veränderung zum Ruhe-EKG. Herzfre-
drohlichste Folgeerkrankung dar. Andere makro-
quenz von 79 auf 120, Blutdruck von 115/
vaskuläre Erkrankungen, insbesondere des ZNS,
70 ~mHg auf 160/65 mmHg. Echokardiogra-
machen nur 15 o/o der Todesfälle aus. Nach 9-jähri-
phle: Normal-großer, konzentrisch-hypertro-
gem "Follow-up" waren in der UKPDS (United
phierter linker Ventrikel mit global guter sys-
Kingdom Prospective Diabetes Study) Todesfälle in-
tolischer Pumpfunktion bei hyperdynamischen
folge einer KHK 70-mal häufiger als tödliche mikro-
Wandbewegungen. Keine regionalen Kontrakti-
angiopathische Erkrankungen. Bei Typ-I-Diabeti-
onsstörungen. Regelrechter Herzklappenbe-
kern ist in über 50 o/o der Fälle die Todesursache vas-
fund. Herzkatheteruntersuchung: Koronare 3-
kulärer Genese, und die kardiovaskuläre Mortalität
Gefäßerkrankung mit guter linksventrikulärer
ist im Vergleich zu Nichtdiabetikern 3- bis 6-fach er-
Funktion. PTCA der LCX-Stenose (90-99 o/oige
höht. Wesentlicher prognostischer Faktor ist die Er-
Stenose) und PTCA mit Stentimplantation der
~~an~ungsdauer. Bei Typ-2-Diabetikern beträgt die
R~A (75 o/o-90 o/o~ge Stenose). Ferner periphere,
Jahrhebe Todesrate mehr als das Doppelte im Ver-
mmdestens 50 o/o1ge Stenose der LAD (Abb. 16-
gleich zu Nichtdiabetikern. Die durchschnittliche
84a, b). Weiterer Verlauf: Nach Stentimplan-
Lebenserwartung ist bei Typ-2-Diabetikern um

andere Erkrankungen '


8%
Niereninsuffizienz
8%

Infektionen, Sepsis
9%

Vaskuläre
Hypo-/ Erkrankungen
Hyperglykämie 56%
Abb.l6-85.
9% Relative Häufigkeit der Todesursachen bei
Typ-I-Diabetikern (n = 159).
' Einschließlich nicht näher bezeichneter
Komplikation en des Diabetes mellitus.
(Mod. nach Lehsten et al. 1995)
718 KAPITEL 16 Glukose

*
45
40
~
~

N 35
*
c
Q)
30
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>
D Nicht·
:(ll 25 diabetiker
ct
~ 20 • Diabetiker
I Abb.I6-86.
~ 15
Prävalenz der KHK bei Diagnosestellung des
10
Typ-2-Diabetes mellitus (n = 133) im Ver-
gleich zu einem Kon trollkollektiv (n = 144).
Alter 45- 64 Jahre. (Mod. nach Uusitupa et al.
Männer Frauen 1985)

5-l 0 Jahre verkürzt. In mindestens 50 o/o ist die To- kofaktoren des metabolischen Syndroms ausgesetzt.
desursache die KHK. Ergebnisse der Framingham- Somit ist die Inzidenz der KHK bereits bei der
Studie zeigten, dass auch bei Nichtdiabetikern Un- Erstdiagnose des Typ-2-Diabetes mellitus erhöht
terschiede im Blutzuckerspiegel, gemessen am (Abb. 16-86). Umgekehrt wird bei 10 o/o der Diabeti-
HbA 1c Wert, die Prävalenz kardiavaskulärer Er- ker erst bei Auftreten eines Herzinfarktes der Diabe-
krankungen beeinflussen. Bei Männern und v. a. tes mellitus erkannt. Die neuen Grenzwerte für die
bei Frauen (Nichtdiabetiker) in der oberen Diagnose eines Diabetes mellitus [Nüchternblutzuk-
HbA 1c-Quartile war die Prävalenz kardiavaskulärer ker 2': 126 mg/dl (Pasma) bzw. 2': 110 mg/dl (kapil-
Erkrankungen signifikant erhöht. Bei Diabetikern lär)] sollen ermöglichen, Diabetiker frühzeitig zu er-
nimmt die Inzidenz der KHK-Erkrankungen und kennen. Bei Typ-I-Diabetikern, bei denen es das
KHK-Mortalität in Abhängigkeit von der Stoffwech- metabolische Syndrom bei Krankheitsbeginn in ver-
selkontrolle, gemessen am HbA 1c-Wert, weiter zu. gleichbarer Form nicht gibt, wird oft der diabeti-
Da beim Diabetiker auch ohne Vorliegen weiterer schen Nephropathie als Marker der meist begleiten-
Risikofaktoren die Mortalität der KHK um ein den Arteriosklerose eine besondere Bedeutung bei-
mehrfaches erhöht ist, müssen beim Diabetiker dia- gemessen. Ebenso wie beim Typ-2-Diabetiker ist die
betesspezifische Risikofaktoren vorliegen. In diesem konstante Mikroalbuminurie ein Marker der diffu-
Zusammenhang wird der Diabetes mellitus häufig sen Gefäßschädigung.
als - statistisch - "unabhängiger Risikofaktor" be-
zeichnet. Die Hyperglykämie kann dabei direkt
die Entstehung der Arteriosklerose begünstigen, 16.10.3
oder zusammen mit weiteren metabolischen Störun- Pathogenese
gen, die das metabolische Syndrom des Typ-2-Dia-
betes mellitus kennzeichnen und atherogen sind, Die Mediatoren und molekularen Mechanismen, die
auftreten. Das Vorliegen einer oder mehrerer Risi- zur Entstehung einer Arteriosklerose führen, sind
kofaktoren (Hypertonie, Hypercholesterinämie, beim Diabetiker und Nichtdiabetiker ähnlich. Der
Rauchen) bedingt eine erhöhte kardiavaskuläre Verlauf der arteriosklerotischen Erkrankung und
Mortalität des Diabetikers. Bereits vor Manifestation somit der koronaren Herzkrankheit wird aber kom-
des Typ-2-Diabetes mellitus lässt sich dieses KHK- pliziert durch den akzelerierten Verlauf, durch die
Risikoprofil, häufig zusammen mit einer Insulinre- vermehrte Glykierung von Proteinen und Lipiden
sistenz und einer gestörten Glukosetoleranz ("im- und schließlich durch weitere Folgeerkrankungen
paired fasting glucose") bei den betroffenen Patien- (s. Übersicht, s. auch Abschn. 16.2).
ten nachweisen. Bei der Diagnosestellung des Diabe-
tes mellitus haben bereits über 90 o/o der Diabetiker Pathophysiologische Faktoren der beschleunigten
mindestens einen weiteren kardiavaskulären Risi- disseminierten Arteriosklerose bei Diabetikern
kofaktor. Der genaue pathophysiologische Zusam-
menhang ist noch unklar. Die von Kaplan gewählte • Hyperglykämie
Bezeichnung für diesen Symptomkomplex als "das • Hypertonie
tödliche Quartett" hebt die prognostische Bedeu- • Hyperlipidämie,
tung hervor. Aufgrund des schleichenden Beginns • Rauchen
des Typ-2-Diabetes mellitus und der häufig verspä- • Hyperkoagulabilität
tet gestellten Diagnose sind die Patienten bereits vor • Thrombozytenfunktion,
Diagnosestellung den multiplen atherogenen Risi- • Endotheldysfunktion
16.10 Diabetes und koronare Herzkrankheit 719

• Zytokine Vermutlich wegen der autonomen Neuropathie stel-


• Diabetische Nephropathie, len sich Diabetiker später als Nichtdiabetiker nach
• Insulin, Beginn der Beschwerden im Krankenhaus vor. Er-
• Hyperhomocyst(e)inämie gebnisse aus verschiedenen Studien zeigen, dass
• Oxidativer Stress die Therapie der KHK beim Diabetiker oft weniger
effektiv, d. h. v. a. konsequent, durchgeführt wird
(Abb. 16-87). Studien, die diesbzgl. einen Zusam-
Bei der Entstehung der diabetischen Herzkrankheit menhang zur diabetischen autonomen Neuropathie
sind neben der beschleunigten, disseminierten Arte- herstellen, liegen nicht vor, doch dürfte die fehlende
riosklerose spezifische diabetische Folgeerkrankun- Schmerzsymptomatik zu diesem Therapiedefizit
gen (autonome Neuropathie, diabetische Kardio- beitragen. Gerade deshalb ist eine sorgfältige Unter-
pathie) bedeutend. suchung zum Ausschlauss einer KHK beim Diabeti-
ker erforderlich.

16.10.4 • Bedeutung der diabetischen Kardiopathie. Bei


Klinik Diabetikern ohne klinische Hinweise auf eine
KHK ist die systolische linksventrikuläre Funktion
Symptome und Beschwerden vergleichbar mit der von Nichtdiabetikern. Diastoti-
Bei Vorliegen einer KHK sind die Beschwerden und sche Funktionsstörungen lassen sich bei 1/3 bis 2/3
Symptome des Diabetikers mit denen des Nichtdia- der asymptomatischen Diabetiker nachweisen. Ein
betikers vergleichbar. "Stumme" Verlaufsformen gleichzeitig bestehender Hypertonus verschlechtert
sind infolge einer diabetischen autonomen Polyneu- die Myokardfunktion weiter, die diastolische Funk-
ropathie jedoch häufiger. tionsstörung lässt sich jedoch auch bei fehlender Hy-
pertonie nachweisen. Bei der häufigen, präexistie-
• Bedeutung der diabetischen autonomen Poly- renden Kardiopathie bei Diabetikern ist die kom-
neuropathie. "Stumme" Herzinfarkte (s. Übersicht) pensatorische Hyperkontraktilität und die regionale
kommen bei Diabetikern in 10-20 o/o der Fälle vor Auswurfleistung des nicht betroffenem Myokards
und sind damit mehr als doppelt so häufig wie nach einem Myokardinfarkt und somit die Kompen-
bei Nichtdiabetikern. Deshalb sind auch bei weniger sationsmöglichkeit verringert. Die diabetische Kar-
spezifischen Symptomen EKG- und serologische diopathie, als primäre Schädigung des Myokards be-
Kontrollen, evtl. auch eine Koronarangiographie, günstigt systolische Funktionsstörungen des Her-
zum Ausschluss einer KHK notwendig. zens und führt damit zu einer schlechteren Prognose
des Diabetikers bei konsekutiven ischämischen oder
hypertonen Herzerkrankungen.
Hinweise auf einen "stummen" Myokardinfarkt

• Symptome einer plötzlichen Herzinsuffizienz Krankheitsverlauf


• Epigastrisches Druckgefühl und Übelkeit Patienten mit Diabetes mellitus leiden nicht nur
• Hyperglykämische Entgleisung (unbekannter Genese) häufiger an einer KHK, sondern auch nach klini-
• Verwirrtheit scher Manifestation ist die Prognose für Diabetiker
• Rhythmusstörungen (Herzstolpern) schlechter als für Nichtdiabetiker. Dies betrifft so-
• EKG-Veränderungen wohl die kurzfristige (4 Wochen) als auch die lang-
fristige Prognose (1 Jahr) (Abb. 16-88). Eine wesent-

so P= 0 ,0083
45
o Nicht-
diabetiker
40
;;e • Diabetiker
!?... 35
30
Gi
""
Cl 25
~ 20
•ro
:r 15
10
Abb.16-87.
Unterschiede in der Diagnostik und Therapie
Q.J.---'---
zwischen Diabetikern und Nichtdiabetikern
Therapie mit f3- Angiographie PTCA mit instabiler Angina pectoris (n = 324).
Biocker (Mod. nach Fava et al. 1997)
720 KAPITEL 16 Glukose

25

20

0 Nichtdiabetiker
• Diabetiker

5 Abb.I6-88.
28-Tage-Mortalität bei Diabetikern (Typ I und Typ II)
und Nichtdiabetikern nach einem ersten Myokardinfarkt;
0 _,_____._ _ Zeitraum von 1988-1992, n = 4065, davon 620 Diabetiker,
Manner Frauen
* p < 0,005. (Mod. nach Miettinen et al. 1998)

liehe Ursache der schlechten, kurzfristigen Prognose • Herzrhythmusstörungen


für Diabetiker nach Myokardinfarkt (s. Übersicht) • Hohe Prävalenz arteriosklerotischer Veränderun-
ist die erhöhte Inzidenz systolischer Funktionsstö- gen an Nichtinfarktgefäßen
rungen. • Häufiger Myokardruptur
• Nierenfunktionsstörungen
Ursachen einer erhöhten Krankenhausmortalität
nach Myokardinfarkt bei Diabetikern
Neben der diabetischen Kardiopathie führen eine
• Hohe Inzidenz systolischer Funktionsstörungen Störung der kollateralen Blutversorgung und mögli-
• Hohe Inzidenz von Reinfarkten cherweise eine verminderte Glukoseutilisation und
• Häufiger kardiogener Schock eine mangelnde Wirksamkeit der Thrombolysethe-
• Stärkere Infarktausdehnung rapie zu einer erhöhten Inzidenz der systolischen
• Rezidivierende Ischämien Funktionsstörung bei Diabetikern (Abb. 16-89).

Hypertonie

?
Herzinsuffizienz < ? r -"'"'v-er-
m.,..
in-d-ert-e--,
und erhöhte Kranken- Gtukoseutilisation
hausmortalitäl

Abb.I6-89.
Mögliche Ursachen der erhöhten
Krankenhausmortalität bei Diabetikern.
(Mod. nach Aronson et. al. 1997)
16.10 Diabetes und koronare Herzkrankheit 721

angestrebt werden. Als Anhaltspunkt für die Ausbe-


16.10.5
lastung kann die durchschnittliche maximale Herz-
Diagnostik
frequenz, abhängig vom Alter, verwendet werden.
[Maximale Herzfrequenz (Schläge/min) = 200-Le-
Indikation zur Diagnostik
bensjahre ]. Bei Diabetikern mit pA VK ist eine Aus-
Da bei Diabetikern "stumme" Myokardinfarkte dop-
belastung u. U. nicht möglich. Bei gleichzeitigem
pelt so häufig sind wie bei Nichtdiabetikern, müssen
Vorliegen einer autonomen Neuropathie treten pek-
Beschwerden im Sinne einer plötzlichen Herzinsuf-
tanginöse Beschwerden erst verspätet auf. Das Bela-
fizienz, plötzlichen Herzstolperns, unerklärter hy-
stungs-EKG ist positiv bei deszendierenden oder ho-
perglykämischer Entgleisungen oder Unwohlsein
rizontalen ST-Senkungen über 0,1 mV in I, II, III
mit epigastrischem Druck und Übelkeit weiter abge-
bzw. über 0,2 mV in V1 - V2 • Falsch-positive Befun-
klärt werden.
de sind bei Digitalis-, Clonidin- und trizyklischer
Antidepressivatherapie möglich. Ischämiebedingte
Anamnese ST -Senkungen und Rhythmusstörungen, auch bei
Die Anamneseerhebung erfolgt wie beim Nichtdia- "stummen" Ischämien, können im Langzeit-EKG,
betiker, jedoch unter besonderer Berücksichtigung mittels ST -Streckenanalyse, erfasst werden. Nicht-
der diabetischen Neuropathie. Angesichts der öfter invasiv können Funktionsbeeinträchtigungen des
vorliegenden Symptomfreiheit des Diabetikers mit Myokards außerdem in der Ruhe- und Belastungs-
KHK ist der Nachweis einer Albuminurie, Retinopa- echokardiographie sowie durch nuklearmedizinsehe
thie oder AVK ein zusätzlicher Hinweis auf das Vor- Untersuchungsmethoden (20 1-Thallium-Myokard-
liegen einer KHK. szintigraphie) erkannt werden und den Verdacht
auf eine KHK erhärten. Folgende Übersicht gibt
Punkte der nicht-invasiven Erfassung der Arterio-
Körperliche Untersuchung
sklerose wieder.
Bei KHK-Patienten kann die körperliche Untersu-
chung, sofern kein akuter AP-Anfall oder ein Myo-
Nichtinvasive Erfassung der Arteriosklerose
kardinfarkt vorliegt, unauffällig sein. Bei Verdacht
auf einen Myokardinfarkt ist auf die oben genannten
• Knöchel-Arm-Index
Symptome, auf (neu aufgetretende) pathologische
• Dicke der Intima und Media der A. carotis (IMT)
Herzgeräusche und auf Zeichen einer Herzinsuffi-
• Puls-Wellen-Geschwindigkeit (PWG) in der Aor-
zienz zu achten. Ebenso sind bei klinischem Ver-
ta und Gefäßstarrheit (Index b)
dacht auf eine Neuropathie (vermindertes Vibrati-
• Blutflussinduzierte Gefäßdilatation (FMD)
onsempfinden) die Zeichen eines "stummen" Myo-
kardinfarktes zu beachten.

Prinzipiell haben diese nicht-invasiven Methoden


Technische Verfahren
zur Erfassung der Arteriosklerose den Nachteil,
dass sie nur indirekt einen Schluss auf die Koronar-
Nichtinvasiv arteriosklerose zulassen und stark von der Erfah-
Besteht aufgrund der Anamnese oder der körperli-
rung des Untersuchers abhängen.
chen Untersuchung der Verdacht auf eine KHK, ent-
spricht das weitere Vorgehen dem bei Nichtdiabeti-
• Bildgebende Verfahren. Weniger Erfahrungen
kern. Solange kein Infarkt vorliegt, ist das Ruhe-
liegen bisher im Umgang mit der vergleichsweise
EKG auch bei schwerer KHK in 50% der Fälle un-
teuren Magnetresonanzangiographie und der Ma-
auffällig. Auf Zeichen einer LV-Hypertrophie und
gnetresonanzcharakterisierung von arterioskleroti-
auf QT -Zeit-Verlängerungen ist zu achten. Unspezi-
schen Plaques vor.
fische EKG-Veränderungen (T-Abflachung, T-Nega-
tivierung) sprechen für abgelaufene, disseminierte
kleine Infarkte, insbesondere der Herzinnenschicht, lnvasiv
können aber auch auf eine aktuell manifeste Innen- • Linksherzkatheter. Die Linksherzkatheterunter-
schichtischämie hinweisen. Nach Ausschluss eines suchung ermöglicht einen definitiven Nachweis
akuten Myokardinfarktes oder einer instabilen über das Vorliegen einer KHK (Goldstandard).
Angina pectoris muss neben dem obligatorischen Die selektive Koronarangiographie erlaubt eine Aus-
Ruhe-EKG ein Belastungs-EKG, mit ansteigenden sage über Lokalisation, Schweregrad (Ausmaß der
Belastungsstufen, durchgeführt werden. Da der dia- Lumeneinengung) und Morphologie von Koronar-
gnostische Wert des Belastungs-EKG mit dem Grad stenosen. Durch die linksventrikuläre Angiographie
der Belastung steigt, sollte eine Maximalbelastung (Ventrikulographie) erhält man eine Aussage über
722 KAPIT EL 16 Glukose

die linksventrikuläre Funktion sowie das Vorliegen


16.10.6
regionaler Kontraktionsstörungen. Folgende Über-
Differentialdiagnose
sicht gibt die Indikationen zur Koronarangiographie
wieder.
Die Differentialdiagnose der diabetischen Herz-
krankheit unterscheidet sich nicht von der des
Indikation der Koronara,ngiographie Nichtdiabetikers.

• Fehlender Ausschluss einer KHK durch die nicht-


invasive Diagnostik bei KHK-Verdacht 16.10.7
• Vor der Durchführung invasiv-therapeutischer Therapie
Maßnahmen bei bekannter KHK
Konservative Therapie
Maßnahmen, die eine Reduktion der Risikofaktoren
Bei Diabetikern liegt eher eine diffuse Arterios- zum Ziel haben, sind in der folgenden Übersicht zu-
klerose vor, hingegen finden sich bei ichtdiabeti- sammengefasst.
kern meist segmentale Gefäßveränderungen. Ferner
sind bei Diabetikern ausgeprägte arteriosklerotische Reduktion von Risikofaktoren bei Diabetikern
Veränderung der linken Hauptstammarterie zwei- mit KHK
mal häufiger als bei Nichtdiabetikern (Abb. 16-90).
Auch die Mehrgefäßerkrankung kommt bei KHK- Reduktion allgemeiner Reduktion spezifischer
Patienten mit Diabetes mellitus häufiger vor Risikofaktoren Risikofaktoren
(Abb. 16-91). Die Mehrgefäßerkrankung der KHK Gewichtsnormalisierung Normalisierung
ist definiert als eine angiographisch gesicherte Koro- des Blutzuckers
narsklerose in mindestens 2 der 3 großen Gefäße, Ausgewogene Ernährung Normalisierung
von denen wenigstens ein Gefäß mindestens zu des Blutzuckers
50 o/o stenosiert ist. Bei diabetischen Patienten mit Dosiertes, körperliches Normalisierung
Ausdauertraining der Blutfette
instabiler Angina pectoris ist die Morphologie der
(Z. B. KHK-Sportgruppe) Thrombozyten-
arteriosklerotischen Läsionen nach angioskopischen
aggregationshemmung
Befunden im Vergleich zu nichtdiabetischen Patien- Nikotinabstinenz
ten komplexer, d. h. es finden sich häufiger Ulzera-
tionen und thrombotische Veränderungen.
• Normalisierung des Blutzuckers. Wegen der
schlechten Prognose nach Myokardinfarkt kommt
der Prävention der KHK bei Diabetikern eine beson-
dere Bedeutung zu. In der DCCT -Studie konnte für
Typ-I -Diabetiker die besondere Bedeutung einer
guten Blutzuckereinstellung, gemessen am HbA 1c-
Wert, für die Primär- und Sekundärprävention mi-
kroangiopathischer Komplikationen gezeigt wer-
den. Das Risiko makrovaskulärer Erkrankungen
verringerte sich um 41 o/o in der Gruppe mit einem
niedrigeren HbA 1c-Wert (intensivierten Therapie-
gruppe), wobei dieser Unterschiedaufgrund niedri-
ger Zahlen nicht signifikant war. Eine geringere In-
zidenz kard iavaskulärer Erkrankungen und eine
niedrigere kardiavaskuläre Mortalität konnte bei
Typ-2-Diabetikern mit niedrigerem HbA 1c-Wert
oder niedrigeren üchternblutglukosewerten ge-
zeigt werden (Abb. 16-92). Im Vergleich zu einer al-
leinigen diätetischen Therapie konnte durch eine
Therapie mit Sulfonylharnstoffen oder mit Insulin
Abb. 16-90. Typischer angiographischer Befund eines 68- eine (nichtsignifikante) Reduzierung der Herzin-
jährigen Typ-2-Diabetikers mit diffusen Stenosen der Ramus farkthäufigkeit bei Typ-2-Diabetikern in der UKPDS
interventricularis anterior und Ramus circumflexus
erreicht werden (Abb. 16-93). Da auf der einen Seite
weitere Risikofaktoren bei mindestens 90 o/o der
16.10 Diabetes und koronare Herzkrankheit 723

70 D Nichtdiabetiker

~ 60
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c
~
50
c
= ~
~-!!: 40
.g>~
..."l!!.,
J:~
30
..c .,
::; 20
Q;
c
·;;; 10 Abb.l6-91.
Häufigkeit der Mehrgefaßerkrankung bei Diabeti-
0 kern und Nichtdiabetikern. Die Unterschiede
Manner Frauen Tl MI-Studie Nichtdiabetiker vs. Diabetiker sind in jedem Fall
TAMl-Studie TAMl-Sludie (insg.) signifikant (p < 0,001). (Mod. nach Granger et al.)

Typ-2-Diabetiker vorliegen und auf der anderen Sei- kontraindiziert Ebenso ist Metformin bei bestehen-
te die Prävalenz der KHK bereits bei einem HbA 1c dem Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit
von ca. 5,5 % zunimmt, dürfte es problematisch kontraindiziert, da nach Herzkatheteruntersuchun-
sein, bei Typ-2-Diabetiker einen günstigen Effekt gen die Nierenfunktion vorübergehend einge-
auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität schränkt und durch Oberflächenbenetzung der Ery-
eine bessere Blutzuckerkontrolle zu zeigen. Ist durch throzyten der Sauerstofftranport reduziert sein kann
diabetesgerechte Ernährung alleine eine Blutzucker- und somit das Risiko einer Laktatazidose besteht.
einstellung beim Typ-2-Diabetiker nicht zu errei-
chen, so sollte frühzeitig eine medikamentöse The- • Normalisierung des Blutdrucks. Eine Untergrup-
rapie angestrebt werden. Im Vergleich zu einer allei- penanalyse der UKPDS, bei der durch eine Hyper-
nigen diätetischen Kontrolle wird die Überlebenszeit tonietherapie das Risiko makroangiopathischer Er-
sowohl durch eine orale hypoglykämische als auch krankungen stärker reduziert wurde als durch eine
durch eine Insulintherapie günstig beeinflusst Hyperglykämietherapie, hebt die Bedeutung der Hy-
(Abb. 16-94). achden Ergebnissen der UKPDS ha- pertonietherapie eindeutig hervor. In der UKPDS
ben weder Sulfonylharnstoffe noch Insulin einen ne- wurden jedoch nicht verschiedene Antihypertensiva
gativen Effekt auf kardiale Erkrankungen. Metfor- verglichen. Obwohl Diuretika auch bei Diabetikern
min führte zu einer signifikanten Reduktion der zu einer effektiven Senkung des Blutdrucks führen,
Myokardinfarkthäufigkeit und wurde deshalb von ist eine Diuretikatherapie, unabhängig von der Prä-
der UKPDS-Group als Medikament erster Wahl senz einer Nephropathie, mit einer zweifach erhöh-
bei neumanifestierten Typ-2-Diabetikern empfoh- ten Mortalität verbunden. Auch für kurzwirksame
len. Metformin ist jedoch bei einer bestehenden Nie- Ca2+ -Antagonisten vom Dihydropyridintyp (z. B.
reninsufftzienz wegen der Akkumulationsgefahr Nifedipin) konnte dosisabhängig eine erhöhte Mor-

BZ-Schwelle

1.8
1.7
*
0
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1.6
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1.4
~ ~ 1.3
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1.2

>..=. 1.1
0 Q)
~ 1 Abb. 16-92.
0.9 Relative Risiko für einen Myokardinfarkt in Ab -
0.8 hängigkeit vom Blutglukosewert (nüchtern, mg!dl).
Probanden oberhalb eines Blutglukose-Schwellen-
95 100 105 11 0 115 120 125 130 wertes werden mit den Probanden unterhalb des
Blutglukose-Schwellenwert jeweiligen Blutglukoseschwellenwertes verglichen;
* p < 0,05. (Mod. nach Goldberget al. 1998)
724 KAPITEL 16 Glukose

-e.t::.18 p = 0,052
ftl
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17.5
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ll.. 16.5
0
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~"' 14.5
:!
c 14
~ 13.5 Abb. 16-93.
....0"' Absolute Myokardinfarkthäufigkeit für Typ-2-Diabetiker in
>- 13 der UKPDS (pro 1000 Patientenjahre). Patienten wurden nur
~ diätetisch (n = 1138) oder "intensiviert", d. h. mit Sulfonyl-
diätetische intensivierte harnstoffen und/oder Insulin (n = 2729) behandelt. (Mod.
Thera pie Therapie nach UK Prospective Diabetes Study Group/UKPDS 1998)

talität gezeigt werden, die bei einer Kombinations- ACE-Hemmer von Nutzen. Nach den Ergebnissen
therapie mit Diuretika noch weiter erhöht wird. der GISSI-3-Studie sollte eine ACE-Hemmertherapie
Möglicherweise ist die erhöhte Mortalität auf eine innerhalb von 24 h nach Auftreten des Myokardin-
verstärkte Sympathikusaktivität zurückzuführen. farktes begonnen werden. DasAbsinkendes Throm-
Analysen von Subgruppen aus größeren Studien bomodulins trotz erhöhter Blutzuckerwerte spricht
konnten diesen negativen Effekt auch für Diabetiker für einen Schutz der Endothelzellen unter einer
bestätigen. Unter Therapie mit langwirkenden Ca 2+- ACE-Hemmertherapie. Nicht nur nach Myokardin-
Antagonisten vom Dihydropyridintyp konnte in farkt, sondern auch bei KHK-Patienten mit Diabetes
neueren Studien eine signifikante Abnahme kardio- wird sowohl die Gesamtmortalität als auch die kar-
vaskulärer Erkrankungen und Todesfälle bei älteren diovaskuläre Mortalität durch eine Therapie mit
Diabetikern mit isolierter systolischer Hypertonie einem ß-Blocker signifikant verringert. Die Verbes-
gezeigt werden. Hingegen kann durch eine Blut- serung der Mortalität ist unabhängig vom Alter, vom
druckeinstellung mittels ACE-Hemmer eine signifi- Vorliegen eines Myokardinfarktes oder einer Herz-
kante Verbesserung der Mortalität nach einem insuffizienz. Der Einfluss kardiaselektiver ß-Blocker
Herzinfarkt erreicht werden. Insbesondere bei einer auf die Hypoglykämiehäufigkeit und -Wahrneh-
gestörten Ventrikelfunktion ist eine Therapie mit mung scheint unerheblich zu sein, wobei Studien
diesbzgl. fehlen. Ein Verzicht auf eine Therapie
mit einem ß-Blocker ist deshalb nicht zu rechtferti-
gen, eher ist die Blutzuckertherapie ggf. anzupassen.
20
18
..., 16
• Normalisierung der Blutfette. Ergebnisse neuerer
..c: Studien zeigen eine deutliche Verbesserung der kar-
11) .~ 14 diovaskulären Mortalität und Morbidität bei Diabe-
3< c
~ .,
4!C 12 tikern mit Lipidsenkern (HMG-CoA-Hemmer;
·-..,;a..
c =
"'
"' 10 Abb. 16-95). Z. T. handelt es sich hierbei jedoch
.>o<o
oo 8 um retrospektive Studien. Darüber hinaus waren
~~ 6 Patienten mit erhöhten Triglyzeridwerten (>
s
0
4 2,5 mmol/1, ca. 220 mg/dl) von einer Studienteilnah-
2 me ausgeschlossen. In der "Helsinki Heart Study"
0 konnte unter Therapie mit Genefibrozil (Fibrat)
Diät Insulin/ Metform in die Inzidenz der Arteriosklerose bei Diabetikern
Sulphonyl- (nicht signifikant) reduziert werden.
hamstoff

Abb. 16-94. Absolute Myokardinfarkt-Häufigkeit für über- • Thrombozytenaggregationshemmung. Durch


gewichtige Typ-2-Diabetiker (> 120% des idealen Körperge- Azetylsalizylsäure (ASS) und Derivate wird die
wichtes) in der UKPDS (pro 1000 Patientenjahre). Patienten Zyklooxygenase der Thrombozyten irreversibel
wurden nur diätetisch (n = 411), mit Sulpühonalharnstoffen
und/oder Insulin (n = 342) behandelt. (Mod. nach UK Pro- azetyliert und somit geblockt. Bei Diabetikern ist
spective Diabetes Study Group/UKPDS 1998) die Eikosanoidsynthese aus Arachidonsäure in den
16.10 Diabetes und koronare Herzkrankheit 725

18
0 Placebo
16
~ • Simvastatin
14
~
<ii 12
äi
...J
\!!
10
•<0
'3 8
~
1/l
<0
> 6
0 Abb.l6-95.
'E<0 4 Kardiovaskuläre Letalität von Nichtdiabetikern
::.::: 2 (n = 4242) und Diabetikern (n = 202 Typ I und
Typ 2} in Abhängigkeit von ei ner Therapie mit dem
0 HMG-CoA-Hemmer Simvastatin. Ergebnisse der
4 -Studie, durchsch nittliches Follow-up 5,4 Jahre.
Nichtdiabetiker Diabetiker (Mod. nach Pyorälä et al. 1997}

Thrombozyten gesteigert, kann aber durch niedrig duktion freier Sauerstoffradikale erreicht werden.
dosiertes Aspirin (z. B. 50 mg pro Tag) reduziert Günstige Effekte auf die Gerinnung, z. B. die Throm-
werden. Eine Therapie mit Thrombozytenaggregati- bozytenaggregation, die stickstoffabhängige Gefäß-
onshemmer führt beim Diabetiker ebenso wie beim dilatation, den Blutzucker und die Blutfette scheinen
Nichtdiabetiker zu einer deutlichen Reduktion der diesen Therapieansatz zu bestätigen. Ergebnisse gro-
Mortalität bei bekannter KHK. Clopidogrel, ein ßer prospektiver Studien, insbesondere der CHAOS
Thienopyridinderivat wie Ticlopidin, hat nach den oder HOPE-Studie, konnten positive Auswirkungen
Ergebnissen der CARPIE-Studie im Vergleich zu auf die Mortalität nicht eindeutig belegen.
ASS keinen Vorteil bzgl. kardiavaskulärer Erkran-
kungen. Studien mit Antikörpern gegen die Ilb/
Illa-Integrine der Thrombozyten (Abciximab) erga- lnterventionelle Therapie
ben eine verbesserte langfristige Prognose von • PTCA Nach erfolgreicher PTCA sind Komplika-
Nichtdiabetikern (weniger Bypassoperationen und tionen (Myokardinfarkt, erneute PTCA, Bypassope-
PTCA), aber auch eine erhöhte Rate an Blutun- rationen) bei Diabetikern häufiger und die Mortali-
gskomplikationen. Für Diabetiker konnte kein ein- tät ist, unabhängig von der Anzahl der stenosierten
deutiger Nutzen gezeigt werden. Unter Therapie mit Gefäße, doppelt so hoch wie bei Nichtdiabetikern.
Abciximab nach PTCA konnte bei Diabetikern eine Der limitierende Faktor nach einer PTCA ist bei Dia-
Abnahme von Todesfällen und Myokardinfarkten betikern die erhöhte Restenoserate, die mit einer er-
erreicht werden, jedoch war bei Patienten in der Ab- höhten Mortalität und Morbidität einhergeht.
ciximab-Gruppe häufiger eine erneute PTCA erfor-
derlich. • PTCA mit Stentimplantation. Im Vergleich zu
einer alleinigen PTCA konnte für Diabetiker die Pro-
• Antioxidanzien. Durch Therapie mit Antioxidan- gnose nach Myokardinfarkt in den letzten Jahren
zien (Vitamin C und E, a-Liponsäure) kann eine Re- durch die zusätzliche Implantation eines Koronar-

60
• Alleinige PTCA
0 PTCA und Stent
50

:Je
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40
Qi
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0>
<:: 30
::>
'(II
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20

10 Abb. 16-96.
Reinfarktrate (nach 1 Jahr) und Restenoserate
(nach 6 Monaten) nach Stent-lmplanta tion
0 bzw. PTCA bei Diabetikern (n 92}. (Mod. nach
Rein farktra te Restenosera te Savage et al. 1997)
726 KAPITEL 16 Glukose

stent verbessert werden. Sowohl unmittelbar nach


16.10.8
der Stentimplantation als auch nach einem halben
Therapiekontrollen
Jahr ist das Gefäßlumen deutlich größer im Ver-
gleich mit einer alleinigen PTCA. Auch die Resteno-
Nach neuen oder progredienten kardialen Sympto-
serate und die Reinfarkthäufigkeit werden durch die
men ist bei den regelmäßigen (vierteljährlichen) Vi-
Stentimplantation gesenkt (Abb. 16-96). Dennoch
sitationen zu fragen. Einmal jährlich, bei Änderung
kann es auch nach Implantation eines Koronar-
der Beschwerden auch häufiger, ist ein Belastungs-
stents zu einer Lumeneinengong kommen, die bei
EKG durchzuführen. Wegen der insgesamt ungün-
Diabetikern mehr als doppelt so stark ausgeprägt
stigeren Prognose und der häufig fehlenden
(5,2 ± 2,5 mm 2 vs. 2,0 ± 2,3 mm 2 bei Nichtdiabeti-
Schmerzsymptomatik ist eine Therapiekontrolle re-
kern) und fast ausschließlich auf eine Hyperplasie
gelmäßig durchzuführen (s. Übersicht).
der Intima zurückzuführen ist.
Therapiekontrolle bei Diabetikern mit KHK
• Bypassoperation. Mehrgefäßerkrankungen und
Hauptstammstenosen der linken Koronararterie
Zeitabstände Kontrollwerte
stellen die wesentlichen Indikationen einer Bypass-
operation dar. Bezogen auf die Überlebenszeit und Regelmäßig durch Blutzuckerwerte (mehrfach
die Kosten ist bei Nichtdiabetikern die Gefäßdilata- den Patienten selbst täglich), Blutdruck (mehrfach
tion (ohne Stentimplantation) durchaus vergleich- täglich bis wöchentlich).
bar mit den Ergebnissen einer Bypassoperation. Vierteljährlich HbA 1c, Blutfette, Vibrations-
Bei Diabetikern, bei denen häufiger eine Haupt- empfinden (Neuropathie),
stammstenose bzw. eine Mehrgefäßkrankheit vor- Urinalbumin, Nierenwerte
liegt, ist die Bypassoperation der PTCA in beiden (Kreatinin, Harnstoff).
Punkten überlegen, wobei der Überlebensvorteil si- Jährlich Ruhe-EKG, Belastungs-EKG
gnifikant ist. Je mehr Gefäße befallen sind, desto
größer ist die durchschnittliche Lebensverlängerung
einer Bypassoperation. Obwohl Diabetiker von einer
Bypassoperation mehr profitieren als von einer
PTCA, ist die Mortalität sowohl nach 30 Tagen als 16.10.9
auch nach 2 Jahren doppelt so hoch im Vergleich Notfall
zu Nichtdiabetikern. Die Kosten nach einer 5-jähri-
gen Therapiezeit, sowohl für die PTCA (häufig er- Therapie des Myokardinfarktes
neute PTCA erforderlich) als auch für die Bypass- Im Falle eines Myokardinfarktes unterscheidet sich
operation, sind bei Diabetikern um über 20 o/o die Notfalltherapie im Wesentlichen nicht von der
höher als bei Nichtdiabetikern (Abb. 16-97a, b). Ver- Therapie bei einem Nichtdiabetiker (Abb. 16-98).
gleichende Studien für Bypassoperationen und Obwohl Diabetiker von einer Thrombolysetherapie
Stentimplantationen bei Diabetikern liegen z. Z. eindeutig profitieren, ist auch in neueren Studien
noch nicht vor. (GISSI-2, GUSTO, TAMI) die Mortalität 30 Tage
nach Lysetherapie bei Diabetikern im Vergleich zu
Nichtdiabetikern fast doppelt so hoch. Bisherige Stu-
dien weisen nicht auf eine erhöhte Inzidenz retinaler
Blutungen während einer Lysetherapie hin. Die
Gabe von ß-Blockern vermindert die Katecholamin-
t:l Nichtdiabetiker

.
<h
~
75.000
• DiabeUker

c
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4,5
c 70.000
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5
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lil
1
0
65.000
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~ 4,1
a. 1:
13.9
60.000

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i
0

-~ 50.000
3,7
Abb. 16-97a, b.
~ il
c
45.000 ~ 3,5 Durc~schnittliche Therapiekosten
~ und Uberlebenszeit nach 5 Jahren bei
1i:>
'Q
40.000
Bypaß- PTCA
..,~ 3,3
Bypaß- PTCA
Diabetikern und Nichtdiabetikern:
a b a Therapiekosten, b Überlebenszeit
Operation Operation
(Mod. nach Hlatky et al. 1997)
16.11 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) bei Diabetes mellitus 727

-.-
( Myokardinfarkt

-Bettruhe, Oberkörper hochlagern


16.11
Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)
- Nitro-Spray (z. B. 2 Hübe) bei Diabetes mellitus
- 0 2 über Nasensonde
- peripheren Zugang legen
-Transport in die Klinik nur mit Arztbegleitung
s. SCHIEKOFER, T. WEISS, M. s. KLEVESATH,
P. P.

...
- CAVE: keine i.m.-Spritzen NAWROTH
-frühzeitig Intensivmedizinische Betreuung

16.11.1
- Ruhe-EKG Fallpräsentation
- Blutentnahme: CK, CK-MB, Troponin (1fT) , LOH, GOT,

-.-
Myoglobin, BB. BSG
-Wiederholung des Labors nach 2, 6. 12 und 24 h
Ein 67-jähriger Patient, der seit 12 Jahren an
- Glyzeroltrinitratgabe über Perfusor Diabetes mellitus Typ 2litt, kam mit einer Gan-
- Heparinisierung (therapeutisch, Bolus 5000 iE i.v.) grän der linken Großzehe (Abb. 16-100) in die
- Thrombozytenaggregationshammer (ASS, initia.l 500
mg i.v., dann 100 mg/d p. o.) Notaufnahme und wurde sogleich stationär auf-
-bei Unruhe des Patienten Oiazepam (10-15 mg i.v.
oder sublingual)
genommen. Er berichtete seinem ihn betreuen-
- Schmerzbekämpfung (Morphin 5-10 mg i.v.) den Stationsarzt über eine schon seit ca. 7 Jah-
- Blutzuckereinstellung (Insulin i.v., ggt. Glukose i. v. ,
CAVE: Kaliumkontrolle)
ren andauernde Claudicatiosymptomatik beider
- gegebenenfalls D·Biocker (bei fehlenden Waden. Bis vor einem halben Jahr hatte er aber


Kontraindikationen, Kontrolle von Puls und RR)
- Flüssigkeitsbilanzierung noch gut eine Gehstrecke von ca. 100m relativ
beschwerdefrei zurücklegen können. Doch seit
~
Thrombolyse Primäre PTCA
3- 4 Monaten hatte er Ruheschmerzen. Der linke
Ertolgskontrolle: rasche
Schmerzfreiheit. schnelle
wird nur in speziellen Zentren Vorfuß war seit 2 Monaten geschwollen und röt-
angeboten, abhängig von der
Redu ktion der ST-Hebt.mg. kein
Lokalisation und Ausdehnung des
lich verfärbt. Bei der weiteren Anamneseerhe-
später R-Verlust, frühzeitiger
bung berichtete der Patient über einen vor


Infarktes
Rückgang des CK·Wertes
10 Jahren erJjttenen Herzinfarkt und über einen
# Nikotinabusus von ca. 30 Zigaretten pro Tag
Kontrollen :
EKG und Herzenzyme und eine schlecht einstellbare kombinierte Hy-
(zunächst alle 4 h)
perlipoproteinämie. Die klinische Untersu-
Abb. 16-98. Therapie des Myokardinfarktes chung ergab einen erheblich übergewichtigen
Patienten mit einem BMI von 31,2. Die Inspek-
wirkung, und die gleichzeitige Insulingabe hemmt tion zeigte einen geschwollenen linken Vorfuß
die Lipolyse und fördert gleichzeitig die Glukoseauf- mit einer völlig vereiterten, gangränösen linken
nahme in noch funktionstüchtigen Zellen. Durch die Großzehe. Während rechts der Puls der A. fe-
Glykolyse kann den Zellen auch unter anaeroben Be- moralis noch zu tasten war, fehlte dieser auf
dingungen noch ATP zur Verfügung gestellt werden. der linken Seite. Die Pulse in der Kniekehle
Durch eine sofortige Insulin-Glukose-Therapie (i. v.) bzw. die Fußpulse waren beidseitig nicht palpa-
zur Normalisierung des Blutzuckers und, falls erfor- bel. Bei der Auskultation der Arterien fielen v. a.
derlich, eine nachfolgende Insulintherapie mit meh- Strömungsgeräusche über den Beckengefäßen
reren Insulindosen täglich kann die Einjahresüber- links auf. Die Messung der Ultraschall-Dopp-
lebensrate deutlich verlängert werden (Abb. 16-99). ler-Drücke ergab für die linke A. tibiali post-

30
_.._ Kontrollg ruppe

25 --o- Therapiegruppe

~
0 20

~
'iij 15
t:
0
:::
10
Abb.16-99.
5 Effekt ein_er sofortigen Insulintherapie nach
Myokardmfarkt auf die Mortalität bei
Diabetikern (Typ I und Typ II, n = 306).
0
Bei den Kontrollpatienten (n = 314) wurde
Kra nkenhaus- Mortalitat (n ach 3 Mortalitat (nac h 12 die bisherige Diabetestherapie beibehalten.
mortalitat Monaten) Monaten) (Mod. nach Malmberg 1995)
728 KAPITEL 16 Glukose

16.11.2
Epidemiologie

Die relative Häufigkeit der pA VK ist mit der


anderer Volkskrankheiten durchaus gleichzusetzen.
Schätzungen gehen von einer Prävalenz der pA VK
von etwa 10 % bei den über 60-Jährigen aus.
Dennoch ist die pA VK nicht nur eine Erkrankung
älterer Menschen. Bereits bei 30-jährigen Menschen
kann ihre Prävalenz an die 2 o/o heranreichen. Epi-
demiologische Studien belegen eine Abhängigkeit
vom HbA 1c-Wert (Abb. 16-101). Neben einer er-
höhten Prävalenz der pA VK bei Diabetikern in
Abb. 16-100. Bild einer gangränö en Großzehe Abhängigkeit vom HbA 1c-Wert findet sich auch
eine andere Verteilung der Verschlusslokalisationen
im Vergleich zu nichtdiabetischen Gefäßkranken
(Abb. 16-102). Die schwerste Spätkomplikation
erior bzw. A. dorsalis pedis Werte von 30 mmHg einer pA VK im Rahmen des Diabetes mellitus stellt
bzw. 10 mmHg, für die Arterien des rechten die Amputation von Gliedmaßen dar. Das Ampu-
Beines Werte zwischen 60 und 80 mmHg. We- tationsrisiko bei Diabetikern ist 45-mal höher als
gen dieser Befunde wurde die Diagnose einer bei Nichtdiabetikern, d. h. es gibt ca. 28.000 Ampu-
pAVK, links im Stadium nach Fontaine IV, tationen bei Diabetikern pro Jahr in Deutschland
rechts im Stadium nach Fontaine li bis lii ge- (Abb. 16-103).
stellt. Eine Angiographie des linken Beines zeigt
eine 3- Etagen -Erkrankung des linken Beines
mit Verschluss der Unterschenkelarterien. Zur 16.11.3
Perfusionsverbesserung wurde eine Profunda- Pathogenese
plastik mit intraoperativer PT A der A. iüaca
communis durchgeführt. Die operativen Maß- Der Diabetes mellitus ist ein wichtiger Risikofaktor
nahmen wurden durch die Gabe von Antibiotika für die Arteriosklerose. Beim Patienten mit Typ-2-
und intravenöse Infusionen mit Prostagtan- Diabetes mellitus kommen aber noch einige zusätz-
din El ergänzt. Im Verlauf der Behandlung de- liche Risikofaktoren hinzu (Abb. 16-104).
markierte sich der Vorfuß, soda s eine Vorfuß-
amputation nicht zu vermeiden war. Der Hei-
lungsverlauf der Amputationswunde verlief
gut und der Patient konnte erfreulicherweise
nach 5 1/2 Wochen stationärer Behandlung
und Diabetesschulung entlassen werden.

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Abb. 16-101.
0 Prävalenz der pA VK in Abhängigkeit vom
6%-7% 7%-8% 8%-9% 9%-10% HbAlc-Wert im Rahmen der Framingham
Heart Study. (Mod. nach Meigs, Journal of
HbA l c-Wert Clinical Epidemiology, 1996)
16.11 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pA VK) bei Diabetes mellitus 729

:,!!
80
0
70
.~ 60 • Diabetiker
c 50 • Nichtdiabetiker
Ql
.a 40
ca
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c
<( 20 Abb. l6-102.
10 Arterielle Verschlusslokalisation bei
0 Diabetikern und nichtdiabetischen
Schulter-Arm-Typ Becken-Typ Oberschenkel:ryp Peripherer Typ Patienten. (Mod. nach Staudl, Deutsches
Verschlusslokalisation Ärzteblatt 1995)

80
70 ;---

60 [J aabetiker ;---

~ 50 • flichtdiabetiker
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..: 30 -
20 Abb.l6-103.

....
Jährliche In zidenzrate von Amputa-

-
10 tionen au f 10.000 Diabetiker bzw. Ge-
0
----
Oeutsc hland OOnerrark USA Schweden
sunde im internationalen Vergleich .
(Mod. nach Staudl, Diabetes und
Stoffwechsel, 1996)

Hyperlipidämie, arterielle Hypertonie, Nikotinabusus, immunogene


und hämedynamische Faktoren

Monozytenadhäsion (PDGF)

~ 1
Endothelzellendysfunktionen
Thrombozytenadhäsion (PDGF)

1
Hyperlipidämie --+
------...
Intimaschaumzellen (Makrophagen)

Proliferation glatter

.------------
Muskelzellen

Abb. 16-104.
Atherosklerotische(s) Plaque I Ulkus Pathogenese der Arteriosklerose

schmerzen, welche auch als Claudicatio intermittens


16.11.4 bezeichnet werden. Die Lokalisation der Gefäß-
Klinik stenose liegt typischerweise eine Etage über dem
Bereich, in dem der Patient über Muskelschmerzen
Symptome und Beschwerden klagt. Häufig wird die Claudicatio intermittens
Charakteristisch für eine pA VK mit Lokalisationsort aber infolge der meist peripher gelegenen Ver-
im Bereich der Bein- und Beckenarterien bzw. der schlusslokalisation bei Diabetes mellitus aufgrund
Aorta sind beim Gehen regelmäßig auftretende, der diabetischen Neuropathie nicht wahrgenom-
nach einer Ruhepause wiederabflauende Muskel- men.
730 KAPITEL 16 Glukose

Gefäßes unter 100 mmHg in der Regel nicht mehr


16.11.5
zu tasten. Beim Diabetes mellitus können tastbare
Diagnostik
Fußpulse und eine durch die diabetische Neuropa-
thie bedingte Schmerzfreiheit mit schweren Gewebs-
Indikation zur Diagnostik
defekten einhergehen, wobei man häufig erst durch
Jeder Patient mit Diabetes mellitus sollte mindestens
die Diskrepanz zwischen Beschwerdearmut und ein-
einmal jährlich angiologisch (Pulsstatus, Fußinspek-
drucksvollem Lokalbefund auf die Möglichkeit eines
tion) untersucht werden. Bei Beschwerden (Claudi-
bestehenden Diabetes mellitus hingewiesen wird. Zu
catio intermittens, Neuropathie, Ulcus) sollte auch
achten ist auch auf Verlaufsanomalien der Arterien,
eine apparative Diagnostik erfolgen.
die sich insbesondere im Fußbereich befinden, einen
Pulsausfall nachahmen und zur Fehldiagnose einer
Anamnese organischen Durchblutungsstörung verleiten.
Die Stadien der pAVK lassen sich z. T. anamnestisch
und klinisch erfassen, wobei beim Diabetiker u. a. • Auskultation. Beginnend mit den Halsarterien
durch die Neuropathie bedingt, die Anamnese un- werden seitenvergleichend die A. subclavia, die
typisch sein kann. A. axillaris, die A. brachialis, die A. radialis und
A. ulnaris, die abdominelle Aorta, die A. renalis,
die A. iliaca, die A. femoralis entlang der Innenseite
Körperliche Untersuchung
der Oberschenkel und die A. poplitea auskultiert.
• Inspektion. Die Inspektion der Haut gibt wichtige
Ihre volle Aussagekraft erhalten Auskultationsbe-
Hinweise auf das Vorliegen einer pA VK bei Diabe-
funde nur in Kombination mit der Palpation (s.
tikern. Veränderungen der Hautfarbe, bei kritischer
oben) und einer Ultraschall-Doppler-Druckmes-
Ischämie typischerweise zyanotisch bzw. marmo-
sung (s. unten) der Arterien.
riert, Hyperkeratosen der Fußsohlen, Schwielenbil-
dungen, Nageldystrophien, Haarausfall und begin-
• Neurologische Untersuchung. Ergänzend wird
nende trophische Störungen der Interdigitalräume
eine orientierende neurologische Untersuchung
sprechen für eine fortgeschrittene pA VK bei Diabe-
durchgeführt. Mit der Stimmgabel wird das Vibra-
tes mellitus (s. Übersicht).
tionsempfinden geprüft. Eine Störung des Vibrati-
onsempfindens als Symptom einer reduzierten Tie-
Hinweise auf das Vorliegen einer pA VK fensensibilität gilt als frühestes Zeichen einer peri-
bei Diabetes mellitus durch Inspektion pheren Neuropathie. Eine reduzierte Schmerzwahr-
nehmung wird mit der Nadel untersucht. Die
e Veränderungen der Hautfarbe Bestimmung der Temperaturwahrnehmung wird
e Hyperkeratosen der Fußsohlen im klinischen Alltag meist vernachlässigt, obwohl
• Schwielenbildungen von erheblicher Bedeutung für den Patienten wegen
e Nageldystrophien des Risikos von Wärme- oder Kälteschäden.
e Haarausfall
e Beginnende trophische Störungen der Interdigi-
talräume Technische Verfahren
• Lautbandergometrie bzw. Gehtest. Mit Hilfe des
Gehtestes bzw. der Lautbandergometrie können die
• Palpation. Bei der Diagnostik der pAVK muss Angaben des Patienten bzgl. seiner Gehleistung ob-
nach einer Beurteilung der Hauttemperatur mit jektiviert werden. Gemessen wird die schmerzfreie
dem Handrücken über zu vergleichenden Körperab- Gehstrecke bis zum Auftreten ischämischer Schmer-
schnitten (dies erlaubt nur eine grobe Differenzie- zen sowie die maximale Gehstrecke, die zum Ab-
rung, da sich marginal durchblutete Diabetikerfüße bruch der Untersuchung führt. Der Gehtest gibt so-
infolge einer Spontansympathikolyse oft ausgespro- mit auch Hinweise über die Kompensationsfähigkeit
chen warm anfühlen!) ein genauer Pulsstatus erho- des Kollateralkreislaufs bei pA VK. Die Bestimmung
ben werden. Man beginnt von kranial mit Palpation der Gehstrecke erfolgt bei einem mittels Metronom
der A. temporalis superficialis und tastet sich sym- vorgegebenen Schritttempo bzw. mit einem Lauf-
metrisch bis hinab zu den Fuß pulsen, wobei auf Sei- band bei definierter Geschwindigkeit und Steigung.
tendifferenzen zu achten ist. Sind die Pulse abge- Die Ergametrie ist nur bis zum Stadium Ilb einer
schwächt oder nicht mehr palpabel, kann man pA VK indiziert.
von einer Arterienstenose oder einem -Verschluss
proximal der Palpationsstelle ausgehen. Die Fuß- Im Stadium III und IV einer pAVK nach Fontaine ist
pulse sind bei einem Dopplerdruck des jeweiligen diese Untersuchung kontraindiziert
16.11 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pA VK) bei Diabetes mellitus 731

• Bestimmung der Dopplerdrucke. Im Rahmen der zillographie jedoch bei Patienten mit Mediasklerose
angiologischen Diagnostik muss bei Verdacht auf und infolgedessen nicht verwertbaren Dopplerdruk-
eine pA VK an beiden Oberarmen und beiden Unter- ken. Hier kann mit Hilfe der Oszillationen das Aus-
schenkeln eine Messung der Dopplerdrucke erfol- maß der peripheren Perfusionsminderung semi-
gen. Am liegenden Patienten werden die A. brachia- quantitativ bestimmt werden.
lis, A. dorsalis pedis und die A. tibialis posterior ge-
messen. Für die reine Dopplerdruckmessung sind • Farbkodierte Duplexsonographie. Die farbko-
nichtdirektionale Ultraschalldopplergeräte ausrei- dierte Duplexsonographie stellt eine Kombination
chend. Die systolischen Dopplerdruckwerte werden von 2-dimensionalem Ultraschallbild (B-Bild) und
nun zu den systolischen Dopplerdrücken der oberen Dopplersonographie einschließlich Farbkodierung
Extremitäten, die in gleicher Art undWeise über der dar. Im Vergleich zur konventionellen Dopplerun-
A. brachialis ermittelt werden, ins Verhältnis gesetzt tersuchung ermöglicht sie eine genauere Beurteilung
und somit ein Ultraschall-Doppler-Index errechnet der peripheren Gefäßveränderungen (Abb. 16-105).
(s. Übersicht). Häufig sind systolische Blutdruck- Im Einzelfall kann durch eine gründliche duplexso-
werte bei Diabetes mellitus aber nicht zu verwenden, nographische Untersuchung eine belastende Angio-
da eine Mediasklerose ( = Mönckeberg-Sklerose) graphie vermieden werden. Auch bei der lokalen
virtuell hohe Blutdruckwerte erzeugen kann. Das Kontrolle der Gefäßverhältnisse nach interventio-
Vorliegen einer Mediasklerose verschlechtert die neilen Maßnahmen bzw. nach gefäßchirurgischen
Prognose bezüglich des Extremitätenerhaltes signi- Eingriffen ist die farbkodierte Duplexsonographie
fikant. von hohem Wert. Zur Planung revaskularisierender
Eingriffe wird jedoch eine ergänzende Angiographie
durchgeführt.
Ultraschall-Doppler-Index = RRuntere Extremität/RRo.
bere Extremität • Angiographie/ Arteriographie. Angiographien,
welche die invasivste Untersuchungsmethode bei
Index Diagnose
einer pA VK darstellen, sind vor lumeneröffnenden
> 1,0 Normal Maßnahmen wie rekonstruktiven Gefäßeingriffen
oder komplexeren Katheterinterventionen indiziert
0,7 < x < 1,0 Hämodynamisch wirksame Stenose (s. Übersicht).
größer als 50 %

< 0,7 Höhergradige Stenose oder Verschluss Indikationen für eine elektive Angiographie

:::; 0,5 Nekrosegefahr der unteren Extremität • Geplante, rekonstruktive, operative Gefäßein-
griffe
• Obligat vor einer drohenden Amputation
• Im Rahmen einer PT A, Ballondilatation bzw.
Eine Erweiterung der diagnostischen Möglichkeiten
perkutanen Atherektomie
ist mit bidirektionalen Ultraschallgeräten möglich,
mit denen die Richtung und die Geschwindigkeit
der Blutströmung (Hämotachygramm) aufgezeich-
net wird. Die Analyse der Kurvenform gibt Auf-
schluss über die proximale Strombahn. Die Betrach-
tung der Flussgeschwindigkeitskurve ist besonders
bei nicht verwertbaren Dopplerdrucken hilfreich.
Bei einem proximalen Strombahnhindernis tritt
eine Abnahme der Amplitude sowie eine Verplum-
pung der Kurve auf. Der normale triphasische Ver-
lauf der Kurve geht in ein deformiertes monophasi-
sches Signal über.

• Oszillographie. Bei der Oszillographie werden


pulssynchrone Volumenkurven mittels einer Mess-
manschette erstellt. Durch seitenvergleichende Aus-
wertung können diese Pulsvolumenkurven zur ge-
nauen Eingrenzung von Stenoselokalisationen die-
nen. Die entscheidende Bedeutung gewinnt die Os- Abb. 16-105. Duplexsonogra phie bei pA VK
732 KAPITEL 16 Glukose

Hierfür wird die A. femoralis mit Hilfe der Seldin-


16.11.7
ger-Technik punktiert und über einen Katheter in-
Therapie
traarteriell Kontrastmittel injiziert. Anschließend
werden Röntgenbilder angefertigt. Relative Kontra-
Primärprävention
indikationen für eine elektive Angiographie sind in
Die Therapie der pA VK gliedert sich in Primärprä-
der folgenden Übersicht wiedergegeben.
vention und sekundär in allgemeine und spezifische
Maßnahmen. Aus der UKPDS-Studie liegen zu die-
Relative Kontraindikationen
ser Frage nun Ergebnisse vor. Kurz zusammenge-
einer elektiven Angiographie
fasst zeigte sich eine aktive Behandlungsstrategie
der abwartenden, konservativen Behandlungsstrate-
• Kontrastmittelunverträglichkeit
gie überlegen (Tab. 16-28). Der Unterschied war
• Manifeste Hyperthyreose
aber statistisch nicht signifikant. Nicht nur die Glu-
• Niereninsuffizienz (COrAngiographie)
kosekontrolle, sondern auch die Qualität der Blut-
• Respiratorische und kardiale Insuffizienz
druckeinstellung beeinflusst das vaskuläre Risiko
• Hämorrhagische Diathese
der Typ-2- Diabetiker (s. Übersicht).
• Antikoagulantientherapie
Bedeutung der Blutdruckeinstellung für die Inzi-
denz von Todesfällen bzw. Amputationen, die durch
eine pA VK bei Diabetikern verursacht werden
• Digitale Subtraktionsangiographie. Computer-
gestützt werden bei der digitalen Subtraktionsangio- Absolutes Risiko (Ereignisse pro 1000 Patientenjahren)
graphie Röntgenbilder angefertigt und diese von
störenden, überlagernden Hintergrundstrukturen Inzidenz Gute RR- Schlechte p-Wert
befreit. Durch diese Elimination ergibt sich ein Einstellung RR-Ein-
wesentlicher Kontrast- und Helligkeitsgewinn. stellung
Tod durch pA VK 0,2 0,3 0,63
Amputationen 1,4 2,7 0,17
16.11.6
Differentialdiagnose

Um den diabetischen Fuß optimal zu therapieren, ist Die "ideale" Diabetestherapie sollte mit einem mög-
es von entscheidender Bedeutung zu klären, welches lichst normnahen HbA 1c, einem Blutdruckzielwert
die Genese der vorliegenden trophischen Störung von 120/70 mmHg (und hinzuzufügen ist ein LDL-
ist. Prognose und Behandlungsmaßnahmen unter- Cholesterinwert unter 125 mg/dl, ein HOL-Choleste-
scheiden sich je nachdem, ob die ischämische Kom- rinwert größer als 35 mg/dl und eine Triglyzeridwert
ponente im Vordergrund steht oder eine Druckläsi- unter 150 mg/dl) streng zielorientiert sein. Diese
on bei bestehender Neuropathie vorliegt. In Ta- ehrgeizigen Therapieziele können mit Basismaß-
belle 16-27 sind die wichtigsten Kriterien zur ätiolo- nahmen (Diät, Gewichtskontrolle, Bewegungsakti-
gischen Einordnung der Läsion aufgelistet. vierung) allein in aller Regel nicht erreicht werden.

Tabelle 16-27. Klinik und Differentialdiagnostik beim Diabetischen Fuß

Arterielle Verschlusskrankheit Diabelische Neuropathie

Bewegungsschmerz ++ (Ciaudicatio) ehrnerzlos


Ruheschmerz +++ Fehlt
ensomotorik Intakt Aufgehoben
Fußpulse Fehlen Gut tastbar
Vibrationsempfinden Normal Gemindert/aufgehoben
Hauttemperatur Kalt Warm
Knochenstruktur Normal Destruktion/Osteolysen
Läsion Gangrän Malum perforans
Defektlokalisation Im Bereich der Endstrombahn An Druckstellen
Therapie Perfusionsverbesserung Entlastung, Ruhigstellung
16.11 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) bei Diabetes mellitus 733

Tabelle 16-28. Bedeutung der Glukosekontrolle für die Inzidenz der pA VK

Behandlungsmodus Absolutes Risiko RR (95 % CI) vs.


(Ereignisse pro 1000 Paticntcnjahren) konventioneller Kontrolle

Biguanide 1,6 0,74


ulfonylharnstoffe 1,2 0,56
Konventionell 2,1 1,0

Deshalb sollte diese Basistherapie in aller Regel sehr einer Hyperlipidämie: fettarm und fettmodifi-
frühzeitig pharmakologisch ergänzt werden. Die ziert; bei hohen Triglyzeriden keine Zuckeraus-
ärztliche Aufgabe besteht darin, diese idealisierten tauschstoffe, kein Alkohol, ggf. lipidsenkende
Zielwerte der Lebenssituation des einzelnen Diabe- Medikamente
tikers adäquat anzupassen. • Nikotinverzicht

Konservative Therapie
Die allgemeinen Therapieprinzipien gelten für alle
Stadien und dienen hauptsächlich der Prophylaxe
Physikalische Maßnahmen/Ergotherapie
Bei Patienten mit Claudicatio intermittens lässt sich
bzw. der Sekundärprävention. Unter den spezifi-
durch kontinuierliches Gehtraining eine Erhöhung
schen Therapieempfehlungen werden stadienge-
der Gehstrecke bis auf das Doppelte erreichen. Meh-
rechte perfusionsverbessernde Verfahren subsu-
miert. Hierzu zählen vasoaktive Medikamente wie rere Mechanismen tragen zur Zunahme der Geh-
strecke bei wie eine verbesserte Mikrozirkulation,
auch interventionelle und gefäßchirurgische Maß-
eine optimierte Sauerstoffutilisation, eine Zunahme
nahmen. Eine invasive Diagnostik und Therapie
der Kollateralen oder ein geänderter Bewegungsab-
ist auf jeden Fall nur bei entsprechendem Leidens-
lauf. Diese Therapieform, die der Patient nach An-
druck des Patienten im Stadium II der pA VK oder
leitung bis fast an die Schmerzgrenze ausüben sollte,
Extremitätengefährdung indiziert (s. Übersicht).
ist insbesondere bei einer pA VK bis Fontaine Ilb ge-
eignet. Allerdings sind nur etwa 20 o/o der Patienten
Allgemeine Verhaltensregeln bei pA VK
in der Lage bzw. willens, sich einem anstregenden
Training zu unterziehen. Allerdings kann bei Gefäß-
• Vermeiden von engem, einschnürendem Schuh-
kranken mit gleichzeitig vorliegender Neuropathie
werk (Vermeiden von Drucknekrosen!)
und infolgedessen herabgesetztem Schmerzempfin-
• Keine Feuchtigkeit und Kälte
den bei nicht angepasstem Training eine gefährliche
• Äußerste Vorsicht bei Fußpflege und Fußhygiene
Blutumverteilung von der Haut zur arbeitenden
(Vermeiden von Verletzungen bei der Pediküre
Muskulatur stattfinden, was die Entstehung von
bzw. von feuchten Kammern, insbesondere inter-
Druckläsionen begünstigt. Das Gehtraining sollte
digital). Pediküre nur mit Sandpapierfeilen
vom Patienten als Intervalltraining (Gehen von 2/3
• Prophylaxe von Fußmykosen bzw. deren konse-
der ausgetesteten Maximalstrecke, Pausieren und
quente Behandlung
Weitergehen) und über mindestens 1 h durchge-
• Vermeiden von Vollbädern 35 °C, Heizkissen und
führt werden.
Kompressionsstrümpfen
• Verbot von hyperämisierenden Salben (mögli-
cher Steal-Effekt!) Medikamentöse Therapie

Thrombozytenfunktionshemmet
Minimierung von Risikofaktoren Thrombozytenfunktionshemmer sind im Rahmen
einer pA VK ab dem Stadium I nach Fontaine indi-
• Normalisierung des Körpergewichts ziert. Sie können periphere Gefäßprobleme reduzie-
• Vermeidung körperlicher Immobilisierung ren, aber auch, was weit wichtiger ist, das allgemeine
• Optimale Einstellung vaskuläre Risiko bezüglich Myokardinfarkt und
eines Diabetes mellitus: normoglykämisch (s. möglicherweise Apoplex vermindern. Der in der Kli-
Spezialkapitel!), HbA 1c-Wert nahe 6 o/o nik am häufigsten zur Anwendung kommende
einer arteriellen Hypertonie: ACE-Hemmer u. a., Thrombozytenaggregationshemmer ist die Azetylsa-
bei peripherer AVK nicht zu stark absenken lizylsäure (Abb. 16-106). Gegeben werden üblicher-
(Cave: Nephropathie) weise im Rahmen einer pAVK 100-300 mg ASS pro
734 KAPITEL 16 Glukose

200
150
100
50
ol-11==]1__~~--L_--. .L_~ Abb.l6-106.
Gesunde Diabetiker Effekte einer Therapie mit Aspirin auf
Makroangiopathische Folgeerkrankungen auf 100.000/Monat bzw. durch makroangiopathische Folgeerkrankungen
Einnahme von Aspirin verhinderte makroangiopathische Folgeerkrankungen bei Diabetikern und Gesunden (Mod. nach
auf 100.000/Monat Patrona, Diabetes/Metabolism, (1993)

Tag. Wenn Unverträglichkeiten gegenüber azetylsa- Kontraindikationen einer Therapie der pA VK


lizylsäurehaltigen Präparaten bestehen, hat sich als mit Thrombozytenaggregationshemmern
Alternative zu ASS in den letzten Jahren Ticlopidin
in der Behandlung einer pA VK bewährt. Es hemmt Thrombozyten- Kontraindikation
die ADP-induzierte Thrombozytenaggregation. Ti- aggregationshemmer
clopidin weist allerdings ein höheres Nebenwir-
kungsrisiko auf. Eingesetzt werden 2 Tabletten zu Alle Präparate Hämorrhagische Diathesen
250 mg pro Tag. Das Nachfolgeprodukt Clopidogrel Azetylsalizylsäure Ulkuserkrankungen, Salizylat-
scheint einen ausgeprägteren protektiven Effekt bei allergien, Asthma bronchiale
Ticlopidin Blutbildveränderungen, inte-
reduzierten Nebenwirkungen zu besitzen. Ein weite-
stinale Ulzera, Gravidität,
rer, in der Klinik zum Einsatz kommender, Throm-
Stillzeit
bozytenaggregationshemmer, Dipyridamol, redu- Dipyridamol
ziert durch Inhibition der Phosphodiesterase und Clopidogrel
damit verbundenem Anstieg von C-AMP die
Thrombozytenaggregationsfähigkeit Zusätzlich be-
sitzt diese Substanz einen gering vasodilatierenden
Effekt. Sie wird meistens nur in Kombination mit Vasoaktive Pharmaka
Azetylsalizylsäure verwendet. In den folgenden Um Verbesserungen einer von Patienten nicht mehr
Übersichten sind Nebenwirkungen sowie Kontrain- tolerierten Gehstreckeneinschränkung zu erzielen,
dikationen dieser Substanzen zusammengefasst. werden im Rahmen einer pA VK häufig sog. vasoak-
tive Medikamente eingesetzt. Der frühere Ausdruck
Rheologika ist obsolet, da diese Substanzen nicht
Nebenwirkungen einer Therapie der pAVK
nur die Fließfähigkeit des Blutes verbessern, son-
mit Thrombozytenaggregationshemmern
dern verschiedene z. T. noch nicht vollständig er-
forschte Effekte in der Endstrombahn haben. Sie
Thrombozyten- Nebenwirkung können ab dem Stadium II einer pA VK (nach Fon-
aggregations-
taine) verabreicht werden, wenngleich ihr Nutzen
hemm er
neben einem adäquaten Risikofaktorenmanagement
Alle Präparate Gesteigerte Blutungsneigung, umstritten ist. Zum Einsatz kommen Substanzen
insbesondere bei Gefäßdefekten wie Pentoxifyllin, Naftidrofuryl, Buflomedil. Eine
Azetylsalizylsäure Magen-Darm-Beschwerden bis zur orale Therapie ist im Stadium III oder IV der
Ulkusbildung, Asthma bronchiale, AVK nicht mehr sinnvoll (Tabelle 16-29). Zur Ver-
allergische Reaktionen, Hämolyse besserung der Fließfähigkeit des Blutes wird durch
bei G-6-PDH-Mangel Austausch korpuskulärer Bestandteile gegen Plas-
Ticlopidin Knochenmarksdepression (deshalb maexpander wie Dextrane oder mittelmolekulare
während der ersten 3 Monate der Hydroxyäthylstärke der Hämatokrit des Blutes ge-
Behandlung Differentialblutbild- senkt. Die Hämodilution kann abhängig von der
kontrollen in 14-tägigen Abständen kardialen Situation entweder isovolämisch oder hy-
erforderlich!), allergische
pervolämisch durchgeführt werden. So kann bei
Reaktionen, selten Magen-Darm-
Herzgesunden 500 ml HAES 10 o/o täglich intravenös
Beschwerden, Ikterus oder
erhöhte Transaminasen in ca. 4 h über einen Zeitraum von 10 - 14 Tagen
Dipyridamol infundiert werden. Nebenwirkungen und Kontrain-
Clopidogrel Kopfschmerzen, selten Stenokar- dikationen sind folgend in den Übersichten wieder-
dien infolge eines Steal-Effekts gegeben.
16.11 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) bei Diabetes mellitus 735

Tabelle 16-29. Vasoaktive Pharmaka zur Therapie einer Kontraindikationen einer Therapie
pAVK mit Prostaglandinen
Oral (mg/Tag) Intravenös
(mg!Tag) • Schwere KHK
• Dekompensierte Herzinsuffizienz (NYHA II-IV)
Pen to~ifylli n 800- 1200 100- 300 • Schwere Herzrhythmusstörungen
aftidrofuryl 300-600 200- 400 • Schwere Leberschäden
Buflomedil 450-600 100- 200 • Schwere Bronchialobstruktionen
• Schwangerschaft

Nebenwirkungen einer Therapie mit HAES 10%


Prostaglandine (z. B. Alprostadil = PGE1) kommen
• Allergien sowohl als intravenöse Infusion von 40-60 mg in
• Juckreiz 100 ml physiologischer Kochsalzlösung über 2-3 h
• Niereninsuffienz (selten) täglich 2-3 (max. 4) Wochen lang als auch in
Form einer intraarteriellen Infusion von 10-20 mg
in 50 ml physiologischer Kochsalzlösung über
Kontraindikationen einer Therapie mit HAES 10% 1-2 h zum Einsatz. Prostaglandine werden bei Pa-
tienten mit schwerer arterieller Verschlusskrankheit
• Dekompensierte Herzinsuffizienz (ab Fontaine IIb) eingesetzt. Insbesondere beim
• Niereninsuffizienz neuropathisch-ischämisch bzw. ausschließlich isch-
ämisch bedingten Ulkus im Spätstadium einer
pA VK beim Diabetiker kommen häufig (in
ca. 50% der Fälle) trotz dringenden Handlungsbe-
Wegen der unklaren Studienlage und der hohen Prä-
valenz einer kardialen und renalen Erkrankung bei darfs wegen Inoperabilität bzw. fehlender Erfolgs-
aussichten ausschließlich konservative Maßnah-
Diabetikern und pAVK wird diese Therapie nur sel-
men, wie die Gabe von Prostaglandinen, in Betracht.
ten eingesetzt.
Hierbei profitieren Patienten mit einer schweren
pAVK sowohl durch eine Abnahme des Ruhe-
• Prostaglandine. Die Einführung von Prostaglan-
schmerzes als auch durch eine verbesserte Heilungs-
dinen in die Therapie der pA VK führte zu einer
wesentlichen Bereicherung der therapeutischen Op- tendenz ischämisch bedingter Ulzera. Neu entwik-
kelte Prostanoide wie Iloprost (PGI2) haben sich
tionen. Die Gabe von Prostaglandinen hat neben
ebenfalls bei schwerer pAVK als effektiv in der
einer Vasodilatation multiple Wirkungen in der
Schmerzreduktion und in der Verbesserung der
Mikrozirkulation wie z. B. Hemmung der Leuko-
Durchblutung erwiesen. Die Infusion wird in der Re-
zytenaktivierung, Endothelprotektion, Beeinflus-
gel über 6 h intravenös verabreicht.

D
sung der Proliferation glatter Muskelzellen u. a.
Die Therapie mit Prostagtandin El lässt sich in
der Regel problemlos ambulant durchführen. Aufgrund der etwas stärker ausgeprägten kardiovas-
Nebenwirkungen sind insgesamt sehr selten und kulären Nebenwirkungen ist eine Dosistitration not-
bei Beachtung der Kontraindikationen zu vermei- wendig.
den (s. Übersichten).
Antikoagulanzien
Nebenwirkungen einer Therapie Antikoagulanzien vom Kumarintyp hemmen die
mit Prostaglandinen Vitamin-K-abhängige Karboxylierung der Gerin-
nungsfaktoren II, VII, IX und X bzw. Protein C, S
• Hypotensive Krisen und Z in der Leber. Entsprechend ihrer Halbwerts-
• Blutbildveränderungen zeit nehmen deren Konzentrationen im peripheren
• Neurologische Symptome Blut ab und führen zu einer Hypokoagulabilität des
Blutes. Im Rahmen einer pA VK sind sie bei beson-
• Fieber
• Stenokardien deren Risikopatienten mit Hinweisen auf eine dro-
• Schmerzhafte Rötung im Bereich des infundier- hende Verschlechterung der Erkrankung bzw. nach
ten Gefäßes gefäßchirurgischen oder interventioneil-radiologi-
schen Eingriffen zur Prophylaxe einer arteriellen
Thrombose indiziert. Die Behandlung sollte ein-
schleichend (unter Hepurinschutz) begonnen wer-
736 KAPITEL 16 Glukose

den. Zur Therapieüberwachung eignet sich die Be- Aufblasen des Ballons wird arteriosklerotisches
stimmung der Thromboplastinzeit ( = Quick-Test), Material in die aufgebrochene Intima hineingescho-
wobei als therapeutischer Bereich ein Wert zwischen ben und das Gefäßlumen somit eröffnet. Indiziert ist
2,5 und 3,5 INR anzusehen ist. Eine Therapie mit dieses Verfahren bei Verschlüssen und Stenosen im
Vitamin-K-Antagonisten wird durch Absetzen des Bereich der A. iliaca und im arteriellen femoropo-
Medikaments beendet. Eine Normalisierung des Ge- plitealen Stromgebiet. Über einen Zeitraum von
rinnungssystems kann abhängig vom Präparat bis 5 Jahren anhaltende Verbesserungen der Durch-
zu 2 Wochen dauern. Nach Beendigung der Thera- blutung werden im Bereich der A. iliaca bei bis zu
pie ist das natürliche Thromboserisiko selbstver- 85 o/o, im femoropoplitealen Bereich bei bis zu
ständlich wieder vorhanden. 70 o/o der durchgeführten Angioplastien berichtet
(Abb. 16-107). Um die Rezidivrate zu verringern,
wird die regelmäßige Einnahme eines niedrigdosier-
Peptide mit Einfluss auf die Wundheilung
ten Azetylsalizylsäurepräparates von 50-100 mg
Zur Förderung der Wundheilung werden z. Z. ver-
pro Tag oder im Einzelfall eine Marcumarisierung
schiedene Peptide erprobt. Positive Erfahrungen
empfohlen. Schwerwiegende Komplikationen wie
werden für PDGF ("platelet derived growth factor")
Embolien, operationsbedürftige Blutungen oder
mitgeteilt, die Substanz wird aus Thrombozyten in
akute Gefäßverschlüsse treten bei bis zu 3 o/o der
einem aufwendigen Verfahren gewonnen. Bei
interventioneH-radiologischen Eingriffe auf.
schlecht heilenden Läsionen sollte allerdings erst
die Perfusion verbessert werden, bevor an den Ein-
satz von Wundheilungsfaktoren gedacht wird. Die
Behandlung ist relativ teuer, nach Antrag werden
Laserangioplastie/Rotationsangioplastie!
die Kosten in der Regel von den Krankenversiche-
Endoprothesen (Stents)
rungen übernommen.
In Veränderung zur PTA werden bei neuentwickel-
Die Wachstumsfaktoren haben folgende Funktio-
ten interventioneBen Verfahren, wie der Laserangio-
nen:
plastie bzw. Rotationsangioplastie, arterioskleroti-
• FGF stimuliert Angiogenese bzw. Mitosen von Fi-
sche Plaques mittels eines Lasers bzw. mit Hilfe eines
broblasten,
rotierenden Schleifkopfes entfernt. Auch Endopro-
• TGF-a stimuliert Mitosen von Epithelzellen und
thesen (Stents), die insbesondere bei Restenosen
Fibroblasten,
zum Einsatz kommen, werden mittels eines Kathe-
• TGF-ß hemmt Wachstum von Epithelien; wirkt
ters zum Offenhalten von Engstellen appliziert.
chemotaktisch auf Fibroblasten; stimuliert Kolla-
Diese Methoden erscheinen vielversprechend, ihre
gen- und Fibronektin-Synthese,
speziellen Indikationen müssen allerdings noch in
• Monozyten. klinischen Studien erarbeitet werden. Die Komplika-
tionsraten sind mit denen der bisherigen interven-
tioneH-radiologischen Eingriffe vergleichbar. Die
Interventioneil-radiologische Therapie Laserangioplastie hat mit dem bis heute verfügbaren
Material an Lichtleitern die therapeutischen Optio-
Perkutane transluminale Angioplastie (PTA) nen nicht wesentlich bereichert. Die Atherektomie
Mit Hilfe der Seldlinger-Technik wird bei der perku- hat sich nur in sehr wenigen Situationen als über-
tanen transluminalen Angioplastie über einen Füh- legen gezeigt. Allein die Verwendung von Stents
rungsdraht ein zusammengefalteter Ballon in den zu hat in bestimmten Gefäßregionen zu einer Verbes-
eröffnenden Gefäßabschnitt vorgeschoben. Durch serung der Offenheitsrate beigetragen.

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Amputationen Gliedmaßen Heilende Ulcera Heilende Ulcera
Abb.l6-107.
ober- bzw. völlig verhellt mit Zehen- ohne Zehen-
bzw. Vorfuß- bzw. Vorfuß-
Ergebnisse einer klinischen Studie nach
unterhalb des
durchgeführter perkutaner transluminaler
Knies amputation amputation
Angioplastie. (Mod. nach Faglia, Diabetes
Ergebnisse Care, 1996)
16.11 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pA VK) bei Diabetes mellitus 737

Katheterlyse Festlegung der operativen Maßnahme


Da in jedem Gefäßverschluss thrombotisches Mate- in Abhängigkeit von der Verschlusslokalisation
rial vorhanden ist, wurde versucht, den rein mecha-
nischen Ansatz zu verlassen und das Gerinnsel auf- Verschlusslokalisation Operative Maßnahme
zulösen. Über einen intraarteriellliegenden Katheter
werden bei der lokalen Infiltrationsthrombolyse Fi- Hoher Aortenverschluss Y-Prothese
brinolytika, wie Streptokinase, Urokinase oder Ge- Verschluss der Profundaplastik; Bypass
websplasminaktivator (t-PA) in einen Arterienver- A. femoralis superficialis mit autologer Vene oder
schluss bzw. -engstelle injiziert. Eine Katheterlyse Gefäßprothese, evtl. in
kommt v. a. in Betracht, wenn operative Maßnah- Kombination mit knie-
men ausscheiden. Empfohlen werden die Gabe gelenksüberschreitendem
von 30.000 E/h Streptokinase, 100.000 E/h Uroki- femoropoplitealem Bypass
nase oder 2,5 mg/h t-PA über maximal 2-3 h. Ziel Verschluss im Bereich Femorokruraler Bypass mit
dieser niedrig dosierten Therapieformen ist es, der A. poplitea-Tri- peripherem Anschluss an
eine möglichst geringe Störung des Gerinnungssy- furkation eine oder zwei
stems zu bewirken. Schwerwiegende Komplikatio- Un terschenkelarterien.
nen werden aber dennoch in bis zu 3% der Behand-
lungen angegeben. Kontraindikationen dieser The-
rapie sind in folgender Übersicht wiedergegeben. Sympathektomie
Die lumbale Sympathektomie (heute eher als CT -ge-
Kontraindikationen einer Therapie steuerte Sympathikolyse durchgeführt) kommt nur
mit Fibrinolytika noch in wenigen Fällen zum Einsatz. Gelegentlich
wird die Indikation für eine Sympathektomie/Sym-
• Hämorrhagische Diathesen pathikolyse im Stadium 111 oder IV einer pA VK
• Erkrankungen mit Gewebsdefekten nach Fontaine bei fehlender Möglichkeit eines re-
• Schwere Hepatopathien konstruktiven gefäßchirurgischen Eingriffs gestellt.



Blutungen in das ZNS
Intraokuläre Blutungen
Allergische Reaktionen
Bei Diabetikern ist die Sympathektomie aufgrund
der zumeist vorliegenden Autosympathikolyse nicht
D
indiziert bzw. sinnlos.

Amputation
Seit der Einführung der intraarteriellen lokalen Bei Versagen aller konservativen bzw. operativen ge-
Thrombolyse ist die intravenöse systemische fäßrekonstruktiven Therapiemöglichkeiten einer
Thrombolyse aufgrund ihres um ein Vielfaches hö- pA VK im Stadium IV nach Fontaine ist als letzte
heren Komplikationsrisikos in den Hintergrund ge- Option eine bei drohender Sepsis oftmals lebensret-
treten. tende Amputation von Gliedmaßen zu erwägen.
Amputiert werden bei Diabetikern v. a. die Zehen,
Operative Therapie der Vorfuß bzw. der Unterschenkel (Abb. 16-108).
Postamputationskomplikationen sind in folgender
Thrombendarteriektomie/Bypass Übersicht zusammengetragen.
Erweisen sich konservative Maßnahmen bei der Be-
handlung einer pA VK als wenig Erfolg verspre- Komplikationen nach Amputation bei pA VK
chend, muss überprüft werden, ob Voraussetzungen Stadium IV nach Fontaine
(Operabilität des Patienten und Verschlusslokalisa-
tion) für eine chirurgische Therapie vorliegen. Die • Wundheilungsstörungen durch Diabetes mellitus
Stadien 111 und IV einer pA VK nach Fontaine stellen • Durchblutungsstörungen des Stumpfes: evtl. hö-
Operationsindikationen dar. Operationsindikatio- here Amputation notwendig
nen im Stadium II einer pA VK müssen individuell • Hautinfektionen (Mykosen), Hyperkeratosen,
gestellt werden. Schlechte periphere Abflussverhält- Ekzeme
nisse bei Mehretagenverschluss schränken die Mög- • Phantomschmerz
lichkeit zur operativen Gefäßrekonstruktion häufig • Druckläsionen durch nicht genügend abgerunde-
ein. Beim Vorliegen einer Mediasklerose und te Kanten des Knochenstumpfes
schlechtem Blutabfluss verschlechtert sich die Pro-
gnose.
738 KAPITEL 16 Glukose

60

50

40 o Diabetiker

% 30
• Nichtdiabetiker

20

10
Abb.16-108.
Häufigkeit der Amputationen gegliedert
0
nach Etagen bei Diabetikern und Nicht-
Oberschenkel Unterschenkel Vorfuß Zehe diabetikern. (Mod. nach Staudl, Diabetes
Amputationslokalisation und Stoffwechsel, 1996)

Eine konsequente und frühzeitig einsetzende Thera-


pie und ggf. eine rechtzeitige periphere Revaskulari- Kursus erneut geschult (Diabetiker-Schulung).
sation mit Beseitigung nekrotischen Gewebes kön- Die bislang bereits durchgeführte Insulinthera-
nen dazu beitragen, die in der Vergangenheit pie wurde ambulant anband von Blutzucker-
selbstkontrollen angepasst und mit dem Essen-
hohe Amputationsrate zu senken.
plan abgestimmt. Eine Kontrolle des HbA 1c-
Wertes nach 3 Monaten ergab 7,8 % und nach
6 Monaten 6,8 %. Eine ophthalmologische Kon-
16.12 trolle nach 6 Monaten zeigte einen unveränder-
Diabetische Retinopathie ten Fundus.
H.-P. HAMMES

16.12.1 16.12.2
Fallpräsentation Epidemiologie

Eine 22-jährige Patientin mit einem seit IS Jah- Die diabetische Retinopathie ist die häufigste mikro-
ren bestehenden Typ- I-Diabetes stellte sich im vaskuläre Komplikation des Diabetes.
Rahmen einer Kontrolluntersuchung in der Dia-
betesambulanz vor. Seit 3 Jahren war keine Fun- • Typ-I-Diabetes. Nach 15-20jähriger Diabetes-
dauer entwickeln 80-100 % aller Typ-1-Diabetiker
duskontrolle in Mydriasis durchgeführt worden.
Die Patientin hatte keine Sehverschlechterung ei.ne diabetische Retinopathie. Allerdings können
b1s zu I 0 % der Typ-1-Diabetiker innerhalb der
bemerkt. Die Fundusphotographie in Mydriasis
zeigte das in Abb. 16-109 dargestellte Bild des ersten 4 Jahre bereits eine Retinopathie entwickelt
haben. Die meisten Typ-1-Diabetiker entwickeln
rechten Auges (3 -Teilausschnitt von Papillen -
und Makularegion). Teils runde, teils etwas un-
regelmäßig begrenzte kleinste rote Läsionen wa -
ren erkennbar. Diese Veränderungen entspre-
chen Mikroaneurysmen und Punktblutungen.
Es handelte sich somit um eine diabetische Re-
tinopathie Stadium 1.1 (milde nichtproliferative
diabetische Retinopathie). Weitere Befunde wa-
ren: RR 1I5/75 mmHg, keine klinischen und
elektrophysiologischen Anhaltspunkte für eine
diabetische Neuropathie, keine Stenosegeräu-
sche über den Karotiden; unauffälliges Ruhe-
EKG und Echokardiogramm; Laborbefunde:
HbA 1c 9,1 %, aktueller postprandialer Blutzuk-
ker 140 mgldl, Urinausscheidung von 15 g Glu-
kose im 24-h-Sammelurin, Albuminurie von
6 mg/24 h, Gesamtcholesterin und Triglyzeride
im Normbereich. Die Patientin wurde in einem Abb.16-109. Diabetische Retinopathie Stadium 1.1 mild
(Mikroaneurysmen)
16.12 Diabetische Retinopathie 739

zwischen dem 5. und 15. Jahr der Erkrankung eine Epidemiologie der diabetischen Mikroangiopathie
Retinopathie. Bei Kindern und Adoleszenten verge-
hen in der Regel9 Jahre, bis erste Retinaveränderun- • Typ-1-Diabetes
gen auftreten. Vor dem 10. Erkrankungsjahr ist der selten vor dem 5. Erkrankungsjahr und vor der
Übergang in die proliferative Form der Retinopathie Pubertät
selten, anschließend beträgt die 10-Jahresinzidenz höchste Inzidenz zwischen dem 8. und 15. Er-
der Progression zur proliferativen Retinopathie krankungsjahr
ca. 30 o/o. Die kumulative Inzidenz der proliferativen Prävalenz 80-100 o/o nach 20 Jahren Diabetesdau-
diabetischen Retinopathie bei Typ-1-Diabetikern er
beträgt 60 o/o. Das ErbEndungsrisiko von Typ-I-Dia- • Typ-2-Diabetes
betikern gegenüber altersgleichen Nichtdiabetikern bei Diagnosestellung 5-19 o/o nichtproliferative
ist verheerend und beträgt bis zum 60. Lebensjahr Retinopathie
das 10- bis 30-fache. Jährlich erblinden in Deutsch- Prävalenz nach 20 Jahren Diabetesdauer ca. 80 o/o
land ca 10.000 Patienten mit Diabetes. (insulinbehandelt) bzw. 60 o/o (nicht-insulinbe-
handelt)
• Typ-2-Diabetes. Bereits zum Zeitpunkt der Dia- Anteil mit proliferativer Retinopathie 20 o/o (in-
gnosestellung hat fast jeder 5. Patient mit Typ-2- sulinbehandelt) bzw. 10 o/o (nicht-insulinbehan-
Diabetes Zeichen einer diabetischen Retinopathie. delt)
Bereits bei Patienten mit gestörter Glukosetoleranz
ist eine Retinopathie in mehr als 10 o/o der Fälle fest-
stellbar. Nach 20-jähriger Diabetesdauer haben
ca. 80 o/o der insulinbehandelten und ca. 60 o/o der 16.12.3
nichtinsulinbehandelten Typ-2-Diabetiker eine Re- Pathogenese
tinopathie entwickelt. Eine proliferative diabetische
Retinopathie haben nach dieser Zeit von den insu- Die nichtproliferative diabetische Retinopathie ist
linbehandelten Patienten ca. 20 o/o und von den gekennzeichnet durch die Kombination aus
nichtinsulinbehandelten ca. 10 o/o eine proliferative • gesteigerter Gefäßpermeabilität und
Retinopathie. Innerhalb von 10 Jahren wird erfah- • progressivem Gefäßverschluss.
rungsgemäß jeder 4. insulinbehandelte und ca. jeder
10. nichtinsulinbehandelte Patient eine proliferative Die folgende Gegenüberstellung fasst die fundusko-
Retinopathie haben und ca. 4-5 o/o erblindet sein. pisch sichtbaren Auswirkungen dieser beiden Ver-
Mit steigendem Lebensalter nimmt das Risiko, an änderungen auf die Retina zusammen.
einer diabetesbedingten Augenerkrankung zu er- Die histologisch zu beobachtenden Kapillarver-
blinden ab, weil der Anteil nichtdiabetischer ErbliD- änderungen sind daraus ersichtlich.
dungsursachen (wie z. B. die altersabhängige Maku-
ladegeneration) steigt (s. folgende Übersicht und
Abb. 16-110).

Relatives Risiko
35,-------------------------------------------------,
30

25
20
15
10

< 21 21-40 41-60 61-70 71-80 > 80

Alter (Jahre)

Abb. l6-110. Altersabhängigkeit des Erblindungsrisikos von Diabetikern. (Nach Trautner u. Jcks 1996)
740 KAPITEL 16 Glukose

Korrelation zwischen sichtbaren Retina- Histologische Kapillarveränderungen


veränderungen und zugrunde liegender Störung bei früher Retinopathie
der retinalen Gefaßstrombahn
• Perizytenverlust
Zugrunde liegende Zugrunde liegende • Endothelproliferation
Störung Störung • Azelluläre Kapillaren
• Mikroaneurysmen
Gesteigerte Gefäßpermea- Progressiver Gefäßver- • Basalmembranverdickung
bilität schluss
Leckage von Plasma- Nichtperfundierte
bestandteilen Netzhautareale Biochemie der diabetischen Retinopathie
Blutungen Mikroaneurysmen Eine eindeutige Klärung der Pathogenese der diabe-
Lipide ("harte Exsudate") Mikroinfarkte tischen Retinopathie ist bislang nicht erfolgt. Die der
("Cotton -wool-Herde") diabetischen Retinopathie zugrunde liegende bio-
chemische Störung ist die chronische Hyperglyk-
ämie. Die resultierenden Veränderungen können
Mikroaneurysmen sind nicht das mechanische Re- konzeptionell in 2 Kategorien eingeteilt werden (s.
sultat des Perizytenverlustes, sondern ein früher ab- Übersicht).
ortiver Versuch einer intraretinalen Gefäßneubil-
dung (Abb. 16-111, s. folgende Übersicht). Mit zu- Kategorien der Veränderungen
nehmender Diabetesdauer nimmt das Ausmaß bei diabetiseher Retinopathie
nichtperfundierter Retinakapillaren zu. Durch die
progressive Retinaischämie wird die Bildung neuer • Kurzfristige Veränderungen intrazellulärer Meta-
Blutgefäße angeregt. Das Ausmaß nichtperfundier- bolite:
ter Areale korreliert oft mit der Zahl neugebildeter erhöhter Metabolismus über den Polyolweg
Gefäße. Diese Neovaskularisationen neigen zur prä- verstärkte De-novo-Synthese von Diazylglyzerol
retinalen Ausbreitung, führen wegen ihres noch un- mit Aktivierung der Proteinkinase C
vollständigen Aufbaus (z. B. Fehlen von Perizyten) veränderter intrazellulärer Redoxstatus
leicht zu Blutungen, und werden von einsprossen- Bildung von intrazellulären AGEs
den Bindegewebszellen begleitet, die durch starke • Langfristige Veränderungen extrazellulärer Matrix
Matrixsynthese Membranen bilden, die durch Trak- durch glukosebedingte kovalente Modifikation:
tion die Netzhaut ablösen können. Die Kombination Proteinveränderungen durch Lipidperoxide
aus Glaskörperblutung und traktiver Netzhautablö- Proteinveränderungen durch AGE
sung erklärt das stark erhöhte Erblindungsrisiko bei
proliferativer diabetiseher Retinopathie.
16.12.4
Klinik

Symptome und Beschwerden


Die frühe diabetische Retinopathie macht keine kli-
nischen Symptome. Daraus resultiert unmittelbar
die Notwendigkeit zur regelmäßigen Durchführung
von Vorsorgeuntersuchungen. Das Kardinalsym-
ptom der diabetischen Retinopathie ist der Visus-
verlust. Aber erst die fortgeschrittenen Stadien der
Retinopathie werden vom Patienten subjektiv als
mehr oder minder akuter Visusverlust bemerkt. Ab-
bildung 16-112 zeigt vergleichsweise den Sehein-
druck von Patienten mit Augenerkrankungen.

Abb. 16-111. Retinadigestionspräparat eines Auges mit dia-


betischer Retinopathie. Man erkennt Mikroaneurysmen und
Selbst fortgeschrittene Retinaveränderungen können
asymptomatisch bleiben. Anmerkung: Der bisweilen
D
azelluläre Kapillaren. (Originalvergrößerung 400-fach; PAS- auftretende subjektive Eindruck einer Sehverschlech-
Färbung) terung bei Einleitung einer Insulintherapie ist zu-
meist auf Veränderungen der Refraktion und nicht
auf eine Retinopathie zurückzuführen.
16.12 Diabelische Retinopathie 741

Normal

Abb.l6-ll2.
Seheindruck bei verschiedenen Augener-
Myopie Proliferative diabetische Retinopathie krankungen im Vergleich zur proliferati-
ven diabetischen Retinopathie

1.2 papillenferne (periphere) Proliferation (=


16.12.5
neovascularization elsewhere, NVE) (Abb. 16-117),
Diagnostik
präretinale Blutung (Abb. 16-118)
• Diabetische Makulopathie (Diagnostik nur bi-
Die Diagnose der diabetisehell Retinopathie wird er-
nokular biomikroskopisch durch den Ophthal-
möglicht durch
mologen möglich)
• Ophthalmoskopie,
Fokales Makulaödem: umschriebene Zone(n) von
• Funduskamera,
Ödem, kombiniert mit intraretinalen Blutungen
• Fluoreszenzangiographie.
und harten Exsudaten, "Klinisch signifikant"
Unter dem Gesichtspunkt der Qualitätssicherung
(= visusbedrohend), wenn die Veränderungen
ganz oder teilweise innerhalb eines Papillen-
soll die Befunddokumentation einheitlich erfolgen.
durchmessers von der Foveola entfernt liegen
Als Dokumentationsgrundlage bewährt sich der
Diffuses Makulaödem: Ödem und harte Exsudate
von der "Initiativgruppe Früherkennung diabeti-
am gesamten hinteren Augenpol mit massiver
seher Augenerkrankungen" entworfene Bogen,
Leckage
dem die im Folgenden wiedergegebene Stadienein-
Ischämisches Makulaödem: ausgedehnter Perfu-
teilung zugrunde liegt (s. Übersicht).
sionsausfall des Kapillarnetzes um die Fovea. Die
Diagnose ist nur fluoreszenzangiographisch zu
stellen
Stadieneinteilung der diabetischen Retinopathie
und Makulopathie
Anamnese
• Nichtproliferativ-diabetische Retinopathie Die Anamnese ist von hervorragender Bedeutung
1.1 mild: Mikroaneurysmen (Abb. 16-113) für die Identifikation von Risikopatienten. Die dia-
1.1 mäßig: Mikroaneurysmen, einzelne intra- betische Retinopathie ist nur in fortgeschrittenen
retinale Blutungen, perlschnurartige Venen Fällen symptomatisch. Das Kardinalsymptom ist
(Abb.16-114) der Visusverlust. Da die Retina neben der Haut
1.1 schwer (früher: "präproliferativ"): "4-2-1-Re- die einzigen direkt einsehbaren Gefäßbezirke bietet,
gel": Mikroaneurysmen und intraretinale die diabetische Retinopathie die häufigste mikrovas-
Blutungen in 4 Quadranten oder perlsehnur- kuläre Komplikation des Diabetes darstellt, und das
artige Venen in 2 Quadranten oder intraretinale frühzeitige Auftreten einer diabetischen Retinopa-
mikrovaskuläre Anomalien (IRMA) in 1 Qua- thie prognostisch mit einem erhöhten Risiko von
drant (Abb. 16-115) Morbidität (Erblindung) und Mortalität (Tod durch
• Proliferativ kardiavaskuläre Komplikationen) verbunden ist,
1.2 Papillenproliferation (= "neovascularization müssen folgende zusätzliche Risikofaktoren ana-
from the disc", NVD) (Abb. 16-116) mnestisch erfasst werden:
742 KAPITEL 16 Glukose

Abb.16-113. Diabetische Retinopathie Stadium 1.1: mild Abb. 16-115. Diabetische Retinopathie Stadium 1.1 : schwer
(Mikroaneurysmen) (IRMA; "intraretinal microvascular abnormalities")

• Vorliegen einer Nephropathie. Erfassungssicherheit für behandlungsbedürftige Re-


• Vorliegen einer Neuropathie. tinaveränderungen von > 95 % ein valides, preis-
• Vorliegen einer KHK. wertes, leicht durchführbares und generell verfügba-
• Nikotinabusus. res Diagnostikum. Als Nachteile sind die fehlende
• Hyperlipoproteinämie. permanente Dokumentation, die fehlende Erfassung
• Erfassen eines familiär protektiven Faktors: Frage eines Netzhautödems und Unterschätzung harter
nach Blutsverwandten, die > 80 Jahre alt wurden. Exsudate zu nennen. Die binokulare indirekte Oph-
thalmoskopie ist die Methode der Wahl zur Erfas-
sung der diabetischen Makulopathie.
Technische Verfahren
Grundvoraussetzung einer gründlichen und treffsi-
cheren Retinauntersuchung ist die Untersuchung in • Retinaphotographie (Funduskamera, Screening)
Mydriasis. Ursprünglich hauptsächlich als Screening von Pa-
tienten im Rahmen der Diabetessprechstunde (Un-
• Ophthalmoskopie. Die direkte Ophthalmoskopie tersuchung in Nonmydriasis) propagiert, kommt
ist in den Händen des Ophthalmologen in Ergän- der Augenhintergrundsuntersuchung mit der Fun-
zung zur Visusprüfung die Basisuntersuchung und duskamera ein relativ hoher Stellenwert zu. Das Ver-
ergibt mit einer Sensitivität von ca. 70 % bei einer fahren hat nachgewiesenermaßen eine gute diagno-

Abb.16-114. Diabetische Retinopathie Stadium 1.1: mäßig Abb.l6-116. Diabetische Retinopathie Stadium 1.2: Papillen-
(perlschnurartige Venen) proliferation
16.12 Diabetische Retinopathie 743

Hauptindikation zur Durchführung


der Fluoreszenzangiographie

• Aus ophthalmologischer Sicht:


diabetische Makulopathie
proliferative diabetische Retinopathie
(zur Planung der Laserbehandlung)
• Aus internistischer Sicht:
Frühdiagnostik der diabetischen Retinopathie

Die Fluoreszenzangiographie verlegt gegenüber der


direkten Ophthalmoskopie und Fundusphotogra-
phie den Zeitpunkt der Retinopathie-Diagnose um
4-5 Jahre vor und kann in Einzelfällen bei Hoch-
Abb.I6-ll7. Diabelische Retinopathie Stadium 1.2: papillen- risikopatienten oder unklaren Fällen einen erheb-
ferne Proliferation lichen Gewinn darstellen. Die Komplikationsrate
wird weit überschätzt. Allergische Reaktionen liegen
in Sammelstatistiken bei < 0.5 o/o; häufigste Reak-
stische Sensitivität und Spezifität, erlaubt die konsi-
tion ist Nausea und Erbrechen (bei 4,6 o/o bzw.
liarische Beurteilung durch den Ophthalmologen
1,3 o/o der Patienten).
und hat deutliche Vorteile bei der Diagnostik der ex-
sudativen Makulopathie. Allerdings werden die Zahl
von Mikroaneurysmen und kleinen Hämorrhagien
16.12.6
unterschätzt. Die Vorteile der Funduskamera liegen
Differentialdiagnose
in der Anwendungsmöglichkeit durch einen nicht
ophthalmologisch versierten Personenkreis und in
Die diabetische Retinopathie muss von einer Reihe
der permanenten Dokumentation.
anderer Netzhautgefäßerkrankungen abgegrenzt
werden (s. Übersicht). Werden Retinaveränderun-
• Fluoreszenzangiographie. Mit dieser Methode
gen im Rahmen einer Screeninguntersuchung fest-
wird das retinale Gefäßnetz durch Natriumfluores-
gestellt, ist in jedem Falle eine Vorstellung beim
zein kontrastiert, und sowohl funktionelle wie auch
Ophthalmologen indiziert.
strukturelle Abweichungen werden dokumentiert (s.
Übersicht).
Dierentialdiagnostisch zu berücksichtigende
Erkrankungen der Retina

• Hämorrhagische Zentralvenenthrombose
• Hypertensive Retinopathie
• Strahlenretinopathie
• Okuläre Ischämie bei Carotis-Interna-Stenose
• Retinopathie bei Sichelzell-Anämie
I • Retinopathie bei Sarkoidose

16.12.7
Therapie

Die Therapie der diabetischen Retinopathie umfasst


folgende Teilbereiche:
• internistische und
Abb.I6-118. Präretinale Blutung • ophthalmologische.
744 KAPITEL 16 Glukose

Internistische Therapie Mäßig: Keine Laserkoagulation


• Stoffwechselkontrolle. Die einzige Prophylaxe Schwer: Laserkoagulation zu erwägen, insbeson-
der diabetischen Retinopathie ist die normnahe dere bei Risikopatienten mit: mangelnder Kom-
Blutzuckereinstellung. Von wesentlicher Bedeutung pliance, Typ-1 -Diabetes, beginnendem Katarakt
ist, dass den Patienten mit Diabetes bei der Schulung mit erschwertem Fundusein blick, Risikoallgemei-
die Bedeutung der Fundusuntersuchung als Risiko- nerkrankungen, speziell: arterielle Hypertension,
parameter der gesamten Gefäßsituation begreiflich Schwangerschaft
gemacht wird. Die Notwendigkeit zur Einhaltung • Indikationen zur Lasertherapie bei proliferativer
von Kontrollintervallen und die Asymptomatik diabetiseher Retinopathie (PDR)
der Frühstadien sind darzulegen. Neovaskularisation an der Papille
Periphere Neovaskularisation > 1/2 Papillen-

D Eine zu drastische Therapieintensivierung bei be-


stehender Retinopathie (gleich welchen Stadiums)
durchmesser
Präretinale Blutung
Rubeosis iridis
und stark erhöhtem HbA 1c (> 12 %) kann die Reti-
nopathie durch rasche Senkung des Blutzuckers ver- • Indikationen zur Lasertherapie bei diabetiseher
schlechtern. Daher muss vor jeder Therapieintensivie- Makulopathie (DMP)
rung bei Patienten mit vormals sehr hohem HbA 1c Fokale DMP: Gezielte Laserkoagulation bei Vor-
auch außerhalb der normalen Kontrollintervalle liegen eines visusbedrohenden (klinisch signifi-
eine Netzhautuntersuchung in Mydriasis erfolgen. kantes) Makula-Ödems: umschriebene Ödem-
Zone(n), kombiniert mit Mikroaneuysmen, intra-
• Blutdruckbehandlung. Bei bestehender arteriel- retinalen Blutungen und harten Exsudaten, die
ler Hypertonie ist eine antihypertensive Behandlung ganz oder teilweise innerhalb eines Papillen-
empfohlen. Der Blutdruck sollte auf Werte unter durchmessers von der Foveola entfernt liegen,
140/85 mmHg eingestellt sein. Obwohl eine gene- unabhängig davon, ob der Visus noch unbeein-
relle therapeutische Empfehlung noch nicht gegeben trächtigt ist oder schon ein Visusverlust besteht
werden kann, zeichnet sich aber ab, dass ACE-Hem- Diffuse DMP: Gitterförmige Laserkoagulation op-
mer eine günstige Wirkung auf die Progression der tional
diabetischen Retinopathie haben. In einer multizen- Ischämische DMP: Keine Laserkoagulation mög-
trischen Studie wurde festgestellt, dass diese Be- lich; sehr schlechte Visusprognose
handlung bei normotensiven und zumeist normal-
buminurischen Patienten bei bestehender milder
Retinopathie die Progression zu höheren Stadien
als auch den Übergang zur proliferativen Retino- Vitrektomie
pathie signifikant reduzieren konnte. Bei fortgeschrittener proliferativer diabetiseher Re-
Bei jedem Diabetiker muss auf Nikotinkarenz ge- tinopathie mit Glaskörperblutung bzw. Amotio reti-
drungen werden. nae bzw. bei Progression trotz Laserbehandlung ist
therapeutisch eine Vitrektomie noch möglich. Dabei
werden Glaskörperblutungen und fibrovaskuläre
Ophthalmologische Therapie
Proliferationen entfernt, die evtl. abgehobene Netz-
• Ophthalmologische Therapiemöglichkeiten der
haut wiederangelegt und mit dem "Endo"-Laser eine
diabetischen Retinopathie/Makulopathie. Mit Ein-
panretinale Laserkoagulation durchgeführt (s. Über-
führung der Lichtkoagulation durch Meyer-Schwik-
sicht).
kerath und den nachfolgenden technischen Verfei-
nerungen steht eine Therapie zur Verfügung, die
Indikationen zur Vitrektomie
das Erblindungsrisiko durch fortgeschrittene Netz-
bei proliferativer diabetiseher Retinopathie
hautveränderungen dramatisch reduzieren kann.
Die Indikation zur Lasertherapie wird ausschließlich
• Schwere nicht resorbierende Glaskörperblutung
vom Ophthalmologen gestellt und ist kursorisch in
(keine Aufhellung innerhalb von 3 Monaten bei
der folgenden Übersicht zusammengefasst.
Typ-1-Diabetiker, innerhalb von 3-6 Monaten
bei Typ-2-Diabetiker)
Ophthalmologische Therapie • Traktionsbedingte oder kombiniert traktiv/rheg-
bei diabetiseher Retinopathie matogene Netzhautablösung mit relativ frischer
Beteiligung der Makula
• Indikationen zur Lasertherapie bei nichtprolife- • Progressive proliferative diabetische Retinopathie
rativer diabetiseher Retinopathie (NPDR) trotz massiver Laserkoagulation (auch bei noch
Mild: Keine Laserkoagulation gutem Ausgangsvisus)
16.13 Diabetische Nephropathie 745

• Prämakuläre subhyaloidale Blutung worden. Weiterentwicklungen zu oral oder parente-


• Rubeosis iridis bei Trübungen der brechenden ral verfügbaren Substanzen sind aber erforderlich,
Medien (Glaskörperblutung mit oder ohne Ka- da diese großen Moleküle nur durch intravitreale In-
tarakt), die eine ausreichende Laserkoagulation jektionen in ausreichender Konzentration in die
behindern Nähe der Gefäßneubildungen gebracht werden.
Ein solcher Ansatz ist klinisch auf Dauer nicht prak-
tikabel. Eine Reihe von Substanzen mit unterschied-
lichen Angriffspunkten in der Angiogenese sind der-
16.12.8 zeit in Entwicklung und Erprobung. Welche dieser
Therapiekontrolle Substanzen den Weg in die klinische Anwendung
finden wird, ist nicht vorhersagbar.
Wegen der fehlenden Frühsymptome und der gro-
ßen Bedeutung der Retinopathie als "pars pro
toto" des Gefäßstatus bei Diabetikern werden die 16.13
in der folgenden Übersicht zusammengefassten Diabetische Nephropathie
Kontrollintervalle empfohlen.
M. MORCOS, P. P. NAWROTH

Kontrollintervalle bei diabetiseher Retinopathie


16.13.1
Fallpräsentation
• Typ-1-Diabetes mellitus
Bei Kindern ab dem 5. Erkrankungsjahr oder bei
chronologischem Lebensalter > 11 Jahre: 1-mal Ein 52-jähriger Patient mit einem seit 30 Jahren
jährlich; wenn Retinopathie festgestellt: nach bestehenden Diabetes mellitus Typ 1 stellte sich
Maßgabe des Augenarztes 1995 erstmals in der Diabetikerambulanz vor.
Cave: Retinopathie ist bei Kindern vor der Pu- Körpergröße 185 cm, Gewicht 68,6 kg, Blut-
barche extrem selten, auch danach bis zum 18. druck 180/75, das Vibrationsempfinden war
Lebensjahr selten; wenn jedoch vorhanden, an der unteren Extremität vermindert, Fußpulse
dann ist sie meist als Hochrisikofall mit ernster waren nicht tastbar. Der Kreatinirrwert lag bei
Prognose anzusehen 4 mg!dl, Harnstoff bei 139 mg/dl, Kreatinin-
Bei Erwachsenen: 1-mal jährlich, wenn Retinopa- clearance 12 ml/min. Der HbA 1c-Wert lag bei
thie festgestellt: nach Maßgabe des Augenarztes 9 o/o, BZ 187 mg/dl, Hb 9 mg!dl, Albumin
Bei Schwangerschaft wenn möglich: vor der ge- und Protein im Serum normal, Albumin im
planten Konzeption, sonst: sofort bei Erstdia- 24-h-Urin 1.473 g, Gesamteiweiß im 24-h-Urin
gnose, dann: alle 3 Monate präpartal, bei schon 2,9 g. Die sich daraus ergebende Diagnose
bestehender diabetiseher Retinopathie: alle lautete diabetische Nephropathie. Bei dem ka-
1-2 Monate, falls während der Schwangerschaft chektischen Patienten wurde eine intensivierte
Manifestation und/oder Progression von diabeti- Insulintherapie mit Basal-H-Insulin und Nor-
seher Retinopathie bzw. Makulopathie: kurzfri- mal-H-Insulin mit Anpassung der Insulindosis
stig in Absprache mit dem Augenarzt an den postprandial gemessenen Blutzucker-
• Typ-2-Diabetes mellitus wert eingeleitet. Darunter sank der HbA 1c-
Bei Diagnosestellung: sofort, dann 1-mal jährlich, Wert auf 7,2 o/o. Ferner wurde eine konsequente
bei Retinopathie/Makulopathie: nach Maßgabe antihypertensive Therapie mit ACE-Hemmern
des Augenarztes und Diuretika eingeleitet, die zu einer guten Ein-
stellung der arteriellen Hypertonie führte. Eine
Progredienz der diabetischen Nephropathie,
(gemessen als Albuminurie, Serumkreatinirr
Proliferative diabetische Retinopathie und Harnstoff), in Richtung dialysepflichtiges
Experimentelle Untersuchungen der letzten Jahre Nierenversagen konnte durch die konsequente
haben die Bedeutung von Wachstumsfaktoren in Einstellung des Blutzuckers, des Blutdrucks
der Pathogenese der retinalen Neovaskularisationen und durch Eiweißrestriktion auf 0,6-0,8 g/kg/
aufgeklärt. Wie bereits geschildert, spielt VEGF als KG inhibiert werden (Abb. 16-119a-c). Ferner
ischämieinduzierbarer Faktor dabei eine bedeuten- wurde bei dem Patienten eine Erythropoetinthe-
de Rolle. Die Unterdrückung der VEGF-Wirkung rapie aufgrundeiner renalen Anämie eingeleitet,
durch Antikörper gegen VEGF bzw. gegen die die den zunächst erniedrigten Hb-Wert wieder
VEGF-Rezeptoren, die die VEGF-Wirkung vermit- in den Normbereich ansteigen ließ. Die bei dem
teln, sind in Tierexperimenten erfolgreich eingesetzt
746 KAPITEL 16 Glukose

200

l f;O
01
r
E

·: c~
E

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40
a t (Monate)

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1400
1200
1----+- Albu minuri e I
1000
'6 800
.....
01
E 600
400 Abb. 16-119a-c.
Verlauf a des Bl utdrucks, b des HbAlc und c der
200 Albuminausscheid ung bei dem Patienten nach
0 Einle itung einer inte nsivierten Insulintherapie und
0 6 12 18 24 36 40 einer intensivierten antihypertensiven Therapie.
RRsyst arterieller Blutdruck, systolisch, RRdiast
c t (Monate) arterieller Blutdruck, diastolisch

und Tubulointerstitium der Niere gefolgt wird. Kli-


Patienten ebenfalls vorliegende periphere arteri- nisch imponiert die diabetische Nephropathie an-
elle Verschlusskrankheit (pAVK) wurde mit fangs durch eine Mikroalbuminurie, die nach 5-15
Prostavasininfusionen und lokalen Maßnah- Jahren auftritt und unbehandelt in eine Makroalbu-
men, die diabetische Retinopathie durch Laser- minurie und schließlich in eine Proteinurie mit dem
koagulation behandelt. Endstadium der terminalen Niereninsuffizienz
übergeht.

16.13.2
Definition 16.13.3
Epidemiologie
Die diabetische Nephropathie ist eine diabetische
Folgeerkrankung, die sowohl bei Typ-1-, als auch Die diabetische Nephropathie ist einer der Haupt-
bei Typ-2-Diabetes auftritt. Histologische Merkmale gründe für Morbidität und Mortalität bei Patienten
sind die frühe Entwicklung einer glomerulären und mit Diabetes mellitus und ist zur häufigsten Ursache
tubuloepithelialen Hypertrophie, die von einer Ba- der terminalen Niereninsuffizienz in den westlichen
salmembranverdickung und zunehmender Anhäu- Industrienationen geworden. Etwa 30-40 % aller
fung an extrazellulärer Matrix (Kollagen Typ 4, La- Diabetiker entwickeln eine diabetische Nephropa-
minin, Fibronektin) im glomerulären Mesangium thie. 10-50% der Typ-1- und Typ-2-Diabetiker (je
16.13 Diabetische Nephropathie 747

nach Studie) entwickeln innerhalb von 10 Jahren zur Entwicklung einer diabetischen Nephropathie
und 20-80 o/o nach 18 Jahren ein terminales Nieren- bei. Es soll im Folgenden auf die pathophysiologi-
versagen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass das schen Mechanismen eingegangen werden, die zur
Risiko für die Entwicklung einer diabetischen Ne- Ausbildung einer diabetischen Nephropathie füh-
phropathie für Typ-1- und Typ-2-Diabetiker ver- ren. Die aufgeführten Punkte können nicht unab-
gleichbar hoch ist. Im Raum unterer Neckar wurden hängig voneinander betrachtet werden, sondern sol-
im Jahr 1994/95 pro 1 Mio Einwohner 125 dialyse- len als ein ineinander greifendes System verstanden
pflichtig. Von diesen Patienten waren 52 (42 o/o) Dia- werden, welches sich wechselseitig beeinflusst und
betiker. Der Anteil der Typ-2-Diabetiker an der Ge- letztlich zu einer renalen Schädigung führt.
samtzahl der Diabetiker betrug 90 o/o. (s. folgende
Übersicht).
Hyperglykämie
Hyperglykämie führt zur Aktivierung von zellulären
Gründe für die zunehmende Zahl
Signaltransduktionssystemen. Hyperglykämie führt
an dialysepflichtigen Typ-2-Diabetikern
zur vermehrten Synthese von Diacylglycerol und
zu einer Aktivierung von Proteinkinase C (PKC).
• Höhere Prävalenz an Typ-2-Diabetes
Es kommt zu einer Aktivierung des Aldosereduk-
e Zunehmendes Durchschnittsalter der Bevölke- tase-Polyol-Pathways, zu einem veränderten Myo-
rung mit höherer Prävalenz an Typ-2-Diabetes
inositol und Glykosphingolipidmetabolismus sowie
und höherer Prävalenz an arterieller Hypertonie
zur vermehrten Bildung extrazellulärer Matrixpro-
• Höhere Überlebenswahrscheinlichkeit der Diabe-
teine und zu renal-tubulärem Hypermetabolismus.
tiker bzgl. kardiavaskulärer Komplikationen (Zu-
Die Heparansulfatsynthese ist herabgesetzt, die
nahme der Zahl der Langzeitdiabetiker)
VEGF-Bildung wird induziert. Es kommt zu einer
• Größere Häufigkeit der Zuweisung zur Dialyse
Induktion von oxidativem Stress. Erhöhte Glukose-
spiegel und Angiotensin II (AT-II) aktivieren ähn-
Prädiktoren, die ein erhöhtes Risiko für die Entwick- liche intrazelluläre Transduktionssysteme (wobei
lung einer diabetischen Nephropathie darstellen, das Renin-Angiotensin-System seinerseits durch
sind in folgender Übersicht zusammengefasst. Hyperglykämie aktiviert wird), deren gemeinsamer
"Downstream-mediator der Transforming-Growth-
Prädiktoren für ein erhöhtes Risiko für die Faktor-ß" (TGF-ß) ist (s. folgende Übersicht).
Entwicklung einer diabetischen Nephropathie Eine Aktivierung von TGF-ß durch oben genannte
Mechanismen führt in der Niere zu einer tubuloepi-
• Genetische Faktoren (familiäres Clustering, thelialen Zellhypertrophie und zu einer vermehrten
männliches Geschlecht) Bildung extrazellulärer Matrixproteine (Kollagen
• Schlechte Blutzuckereinstellung Typ 4, Fibronektin). Zusätzlich wird die Degradati-
• Hypertonie on neusynthetisierter Matrixproteine durch eine
• Fortgeschrittenes Alter vermehrte Synthese an Proteaseninhibitoren und
• Mikroangiopathie (Retinopathie) eine verminderte Synthese an Proteasen blockiert.
e Makroangiopathie (KHK, pAVK) Es kommt schließlich zur Ausbildung einer Fibrose
• Hyperlipidämie und Sklerose. In Erprobung sind TGF-ß-Antikörper,
• Rauchen die im Tiermodell zu einer Inhibition der Sklerose in
• Hyperhomocysteinämie (fraglich) diabetischen Tieren führen und möglicherweise eine
Therapieoption der Zukunft darstellen.

Kostimulatorische Eekte von AT-11


16.13.4 und Hyperglykämie
Pathogenese
Kennzeichen des Diabetes mellitus ist ein gestörter • Vermehrte PKC-Aktivität
Glukosemetabolismus. Dieser ist die Hauptursache • TGF-ß-Produktion
für die Entwicklung einer diabetischen Nephropa- • PDGF-Induktion (Platelet-Derived-Growth-Fac-
thie bei Typ-1-Diabetikern. Beim Typ-2-Diabetiker tor
spielen in der Genese der diabetischen Nephropathie • Niedriger Protein-Turnover durch Enzyminhibi-
auch andere Faktoren eine entscheidende Rolle. Ins- tion
besondere eine arterielle Hypertonie, aber auch eine • Inhibition der Nitritoxidase-Bildung
Hyperlipidämie, die meist gleichzeitig im Rahmen • Vermehrter Natriumtransport im Tubulus
eines metabolischen Syndroms vorliegen, tragen
748 KAPITEL 16 Glukose

Heparansulfat ist der wichtigste Ladungsträger der trationsdrucks in den Glomeruli. Die Kontraktion
glomerulären Basalmembran und reguliert die des Mesangiums und der Podozyten führt ebenfalls
Wachstumseigenschaften glatter Muskelzellen (im zu einer Zunahme der Permeabilität und damit zu
Gefäßsystem). Eine gestörte Heparansulfatsynthese einer Verstärkung der Albuminurie und Proteinurie.
ist in diabetischen Nieren seit langem bekannt. Diese Weitere AT-II-Wirkungen sind eine Stimulation der
führt über eine Abnahme der negativen Ladungen proximalen Natrium-, Bikarbonat- und Wasserab-
zu einer erhöhten Permeabilität für negativ geladene sorbtion, was zur Verstärkung einer arteriellen Hy-
Proteine (Albumin). Für dieses Konzept spricht pertonie führt. Außerdem erfolgt durch AT-11 eine
auch der therapeutische Effekt einer Heparinthera- Stimulation des proximalen Glukosetransports
pie auf den Verlauf einer diabetischen Nephropa- und der Glukoneogenese, was zu einer Verschlech-
thie. In einer 1996 an Typ-I-Diabetikern mit diabe- terung einer diabetischen Stoffwechsellage führt.
tischer Nephropathie durchgeführten Studie kam es
unter Therapie mit niedermolekularem Heparin zu
Genetische Prädisposition
einem Abfall der Albuminexkretionsrate. Die weite-
Eine genetische Prädisposition ist für die Entwick-
re Auflockerung der Kollagenstruktur führt zu einer
lung einer diabetischen Nephropathie von Bedeu-
Erweiterung des Gerüsts und zu einer unselektiven
tung (familiäre Häufung der diabetischen Nephro-
Proteinurie (Endstadium der diabetischen Nephro-
pathie bei Typ- I- und-Typ-2-Diabetikern). Untersu-
pathie). Darüber hinaus kompetitiert die zuneh-
chungen an Kindern von Eltern mit Typ-2-Diabetes
mende Produktion an extrazellulärer Matrix mit
und diabetiseher Nephropathie zeigten eine 83 o/oige
der ohnehin reduzierten Heparansulfatsynthese,
Prävalenz der Entwicklung einer Nephropathie ver-
wodurch es zu einer weiteren Abnahme der Dichte
glichen mit einer Prävalenz von 17 o/o bei Kindern
negativer Ladungsträger an der glomerulären Basal-
diabetiseher Eltern, die nicht an einer Nephropathie
membran kommt.
litten. Seit langem wird ein Zusammenhang zwi-
schen den Insertions/Deletions-Polymorphismus
(1/D, Deletion oder Insertion einer 287 bP Alu repe-
Renin-Angiotensin-System
titiven Sequenz im Intron 16) im "Angiotensin-con-
Angiotensin II (AT-11) ist ein pluripotentes Zytokin,
verting-enzyme(ACE)-Gen" und dem Auftreten
das neben der seit langem bekannten Vasokonstrik-
einer diabetischen Nephropathie diskutiert, der je-
torischen Potenz eine Vielzahl weiterer Eigenschaf-
doch nicht von allen Arbeitsgruppen bestätigt wer-
ten besitzt. AT II ist nicht nur vasoaktiv, sondern ist
den konnte. Ein anderer Aspekt ist die Beobachtung,
auch ein Wachstumsfaktor und agiert als ein profi-
dass in Erythrozyten und Fibroblasten der Na+/Li+
brinogenes Peptid u. a. in renalen Zellen. Die AT-II-
Gegentransport bei Typ-I-Diabetikern gestört ist.
Wirkungen werden über spezifische Rezeptoren ver-
Dieser Mechanismus ist ein Marker für den Natri-
mittelt (Angiotensinrezeptor Typ I und 2: ATRI,
umprotonenaustausch, der wiederum bei essenziel-
ATR2), wobei die Mehrzahl der bekannten Funktio-
ler Hypertonie gesteigert ist und damit Hinweise auf
nen über ATRI vermittelt werden. In der Niere sind
ein erhöhtes renales Risiko liefert. Vielleicht wird es
90 o/o der AT-li-Rezeptoren (u. a. auf glomerulären
künftig möglich sein, Hochrisikoträger mit moleku-
Mesangialzellen und tubulären Epithelzellen) vom
larbiologischen Methoden zu ermitteln.
ATRI-Typ und 10 o/o vom ATR2-Typ. Ein Merkmal
der diabetischen Nephropathie ist die Albuminurie/
Proteinurie. Für das Ausmaß der Proteinurie ist ne- Induktion von oxidativem Stress
ben den Eigenschaften des Basalmembranfilters (ne- Hyperglykämie, AGE-Proteine, AT-11 und Hyper-
gative Ladungen, Veränderungen durch Glykierung) lipidämie sind pathogenetische Faktoren in der Ent-
der Blutdruck verantwortlich. Der Glomerulus rea- stehung einer diabetischen Nephropathie und gelten
giert durch eine Feineinstellung des Widerstandes in als Induktoren von oxidativem Stress. Es existiert
den prä- und postglomerulären Gefäßen auf sy- bei Diabetikern eine positive Korrelation zwischen
stemische Blutdruckschwankungen und sichert so der Blutzuckereinstellung und oxidativem Stress
konstante Blutdruckverhältnisse in seinen Kapilla- (V orhandensein freier Sauerstoffradikale). Eine
ren. Beim Diabetiker ist dieser Autoregulationsme- mögliche Folge ist eine Aktivierung des Transkrip-
chanismus gestört, das Renin-Angiotensin-System tionsfaktors NF-KB. Dieser Transkriptionsfaktor
ist aktiviert. Das Vas efferens reagiert auf AT-II kontrolliert die Aktivierung verschiedener Targetge-
empfindlicher als das Vas afferens, wodurch es zu ne, wie Zytokine, Nitritoxidase, Endothelin I, Tissue
einem Anstieg des Filtrationsdrucks in den Glome- factor, sowie die Leukozytenadhäsion und könnte
ruli kommt. Hinzu kommt ein systemischer Anstieg auf diesem Wege an der Entstehung einer diabeti-
des Blutdrucks und eine Kontraktion des Mesang- schen Nephropathie beteiligt sein. In Abb. 16-120
iums. Dies führt zu einer weiteren Zunahme des Fil- sind verschiedene pathophysiologische Mechanis-
16.13 Diabelische Nephropathie 749

Hypertonie und Diabetes


(Inhibition durch ACE-Hemmer. Kalziumantagonisten)

Erhöhter
+ +
intraglomerulärer Druck Glykiertes Album in Hyperglykämie
I
+
j
(Inhibition
Oxidativer Stress durch Insulin)
Inhibition durch Antioxidanzien

Glomeruläre Dehnung
't
Zellschädigung
~
AGE·Proteine
(lnhibitidn durch
Aminoguanidin) Abb.l6-l20.
Zytokinfreisetzung / Übersicht über verschiedene patho-
physiologische Mechanismen, die
zur Ausbildung einer diabetischen


EZM-Produktion, Sklerose, Entzündung
Nephropathie führen können. EZM
extrazelluläre Matrix

men, die zur Ausbildung einer diabetischen Nephro- kardiovaskulären Risikofaktoren gekennzeichnet.
pathie führen können, in einer vereinfachten Weise Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Albuminu-
dargestellt. rie ein von Serumkreatin in und Blutdruck unabhän-
gigen Parameter für die Progression einer Nierenin-
suffizienz darstellt. Im fortgeschrittenen Stadium
16.13.5 der diabetischen Nephropathie fällt die GFR konti-
Klinik nuierlich über mehrere Jahre ab. Man geht bei un-
behandelter diabetiseher Nephropathie von einem
Symptome und Verlauf jährlichen Abfall der GFR von 10-20 ml!min aus.
Initial imponiert laborchemisch zunächst die Mikro- Eine diabetische Nephropathie und eine arterielle
albuminurie, die sich im weiteren Verlauf zu einer Hypertonie beeinflussen sich wechselseitig, wobei
Makroalbuminurie und schließlich zu einer unselek- beim Typ-I-Diabetiker die Hyperglykämie zu den
tiven Proteinurie steigern kann. Es kommt im fort- beschriebenen Nierenveränderungen führt, auf de-
geschrittenen Stadium zum Abfall der initial gestei- ren Grundlage sich dann eine sekundäre Hypertonie
gerten glomerulären Filtrationsrate (Tabelle 16-30; aufpfropft, die wiederum die Progression einer dia-
Abb. 16-12la, b) und zu einem Anstieg des Serum- betischen Nephropathie beschleunigt. Beim Typ-2-
kreatinins und Harnstoffs. Die diabetische Nephro- Diabetiker liegen im Rahmen des metabolischen
pathie ist ferner durch eine arterielle Hypertonie Syndroms Diabetes mellitus und Hypertonie meist
sowie eine hohe Morbidität und Mortalität an gleichzeitig vor und wirken synergistisch schädigend

Tabelle 16-30. Entwicklungsstadien der diabetischen Nephropathie. (Mod. nach Mogensen 1992}

Stadien I, Hyperfunktion II, klinische 111, beginnende IV, klinisch manifeste V, terminale
Latenz Nephropathie Nephropathie Niereninsuffillicnz

Verlauf Bei Diagnose 2- 5 Jahre 5- 15 Jahre 10- 25 Jahre 15- 30 Jahre


Diabetes
GFR,RPF Erhöht ormal ormal Abnehmend Abnehmend
Urinbefund Unauffällig Unauffällig Mikroalbuminurie Persi tierende Fallende Albumin-
(20- 300 )lg/min) Proteinurie au cheidung
> 300 )lg/m in
Serumkreatinin Unauffällig Unauffällig Unauffällig Anstieg im Erhöht
Normbereich
I<Jinik onographisch Unauffällig Blutdruckanstieg 60-70 % Hypertonie 90-100 % Hyperto-
verrößerte ieren im ormbereich und diabetische e- nie und diabetische
phropathie Nephropathie,
verkleinerte ieren
Morphologie Hypertrophie Verdickung Zusätzlich Diffu e oder Zunehmende
der Glomeruli der Basalm- Me angiumver- noduläre Sklera e Veränderungen
embran breiterung (Glomerulosklerose Kapillarver chlüs e
Kimme! tiel-Wil on)
750 KAPITEL 16 Glukose

10

11
I
.r:.
'<t
(\J
...... 0,1
Cl
w
<(

0,01

0~ ~~~--~~--~~-~--~~~--~~~~
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 2) 22 24 26 28
a t (Jahre)

160

140

120

...c:
(\J
100
<:<:
"c
......
~

80

E
a: 60
u.
C)

Abb.l6-12la, b.
40 a Verlauf der diabetischen Nephropathie
(Verlauf der glomerulären Filtrationsrate und
Albuminexkretion). Die Entwicklung einer
Mikroalbuminurie hin zu einer Makroal-
20 buminurie findet viele Jahre vor Abfall der
glomerulären Filtrationsrate/GFR statt.
AE Albuminexkretionsrate. (Mod. nach
Molitch et al. 1996).
0 b Verlauf der diabetischen Nephropathie
(Verlauf der glomerulären Filtrationsrate
0 4 6 8 14 18 20 22 26 und Albuminexkretion). GFR glomeruläre
Filtrationsrate. (Mod. nach Molitch et al.
b I (Jahre) 1996)
16.13 Diabetische Nephropathie 751

auf die Nieren. Prädiktoren, die eine beschleunigte Technische Verfahren


Progression einer diabetischen Nephropathie impli- Die Diagnose einer diabetischen Nephropathie ist zu
zieren, sind in folgender Übersicht zusammenge- einem sehr frühen Zeitpunkt über den Nachweis
fasst. einer Mikroalbuminurie möglich (bis zu 25 Jahre
vor dem Auftreten terminalen Nierenversagens!).
Prädiktoren einer schnellen Progression Die Mikroalbuminurie, definiert als Albuminaus-
einer diabetischen Nephropathie scheidung von 30-300 mg!Tag, gilt als zuverlässiger
Marker für die Entstehung einer diabetischen Ne-
• Metabolisch: Hyperlipidämie, Insulinresistenz, phropathie, zumindest bei Typ-1-Diabetikern. Bei
spätes Auftreten des Diabetes, niedriger Hämato- Typ-2-Diabetikern kann die Mikroalbuminurie
krit auch Ausdruck der generalisierten Makroangiopa-
• Renal: Dysproteinämie, Ödeme, Proteinurie, Ab- thie oder eines schlecht eingestellten Blutdrucks
fall der glomerulären Filtrationsrate, Anstieg der sein, sodass die Diagnostik hier erschwert wird. Phy-
Retentionswerte siologische Ursachen einer Proteinurie (Fieber, Or-
• Familiäre Belastung thostase, Herzinsuffizienz, Anstrengung, Harnwegs-
e Physikalisch: arterielle Hypertonie, abnormes infekt, operative Eingriffe, dekompensierter Diabe-
EKG, Retinopathie tes) sollten ausgeschlossen werden. Eine Mikroalbu-
minurie muss in 2 von 3 Proben gesichert sein, bevor
eine beginnende Nephropathie diagnostiziert wird.
Der Krankheitsverlauf des Typ-2-Diabetikers ent- Die Diagnosekriterien der Mikroalbuminurie sind
spricht oft nicht dem klassischen Verlauf des Typ- in folgender Übersicht wiedergegeben.
1-Diabetikers. Die renalen Risikofaktoren, wie
z. B. eine arterielle Hypertonie, bestehen bei dieser Definition des Mikroalbuminuriebereichs bei un-
Patientengruppe im Rahmen des metabolischen terschiedlichen Urinsammelmethoden (nach der
Syndroms meist schon vorher und haben zu einer Arbeitsgemeinschaft diabetische Nephropathie)
Schädigung der Niere geführt. Häufig entwickeln
die meist älteren Patienten nur eine diskrete Pro- e 20-200 J..Lg/min: bei befristeter Urinsammlung
teinurie wechselnder Ausprägung, auch in fortge- • 30-300 mg/24 h: 24-h-Urin
schrittenem Stadium der diabetischen Nephropa- e 30-300 mg/g U-Krea (3,5-35 mglmmol U-Krea):
thie. Die typische Glomerulasklerose Kimmelstiel- Bezug auf Urinkreatinin Frauen;
Wilson wird bei älteren Patienten meist durch arte- • 20-200 J..Lg/g U-Krea (2,5-25 mg/mol U-Krea):
riosklerotische Veränderungen überlagert. Bezug auf Urinkreatinin Männer.

16.13.6 Gesamteiweiß und Einzelproteine werden im 24-h-


Diagnostik Urin bestimmt, ggf. die Einzelproteine auch im
2. morgendlichen Spontanurin, der dem 24-h-Urin
Indikation zur Diagnostik beim ambulanten Patienten gleichwertig ist, wenn
Die frühzeitige Diagnose einer diabetischen Nephro- ein Bezug auf die Kreatininausscheidung erfolgt.
pathie ist Voraussetzung zur Verhinderung von Im Folgenden ist ein Flussschema zur Frühdiagnose
diabetischen Spätschäden. Eine gezielte Anamnese, einer diabetischen Nephropathie dargestellt (nach
die Hinweise auf das Vorliegen einer diabetischen den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft diabeti-
Nephropathie liefert, ist meist wenig ergiebig, da sche Nephropathie; Abb. 16-122).
im Frühstadium meist keine spezifische Beschwer-
desymptomatik seitens der Nieren vorliegt (evtl. Be- • Nierensonographie. Die Nierensonographie er-
schwerden aufgrund rezidivierender Harnwegs- laubt eine Beurteilung der Nierengröße und der Pa-
infektionen und daraus resultierender pyelonephri- renchymstruktur. Im Frühstadium imponieren ver-
tischer Veränderungen). Im Spätstadium können größerte Nieren mit geschwollenen Markpyramiden
die klassischen Beschwerden einer terminalen Nie- sowie ein echoreiches Parenchym. Im fortgeschritte-
reninsuffizienz geäußert werden. Daher ist ab Dia- nen Stadium kommen verkleinerte Nieren mit ver-
gnosestellung "Diabetes" eine regelmäßige Bestim- schmälertem Parenchym, Pyramidennekrosen und
mung der Albuminausscheidung erforderlich. Zysten zur Darstellung.
752 KAPIT EL 16 Glukose

Vortesten des Urins auf Makroalbuminurie

L __ _ _ _ _ _ w_e_n_n_n~e_g_a_tiv------~~ ~~------W--en_n,p_o_s_iti_v______~

Bestimmung derAibumin- Fortgeschrittene Schädigung,


konzentration im Morgenurin weitere nephrologische Diagnostik

Mindestens 2 Proben > 20 mg/1 II Mindestens 2 Proben < 20 mg/1

Verdacht auf diabetische Keine diabetische Nephropathie


Nephropathie Testwiederholung in 1 Jahr

Weiterführende Diagnostik, Mindestens 2fach im Jahr im


Albuminausscheidungsrate Normbereich

erhöht, keine nichtdiabetische


Nierenerkrankung

Abb.l6-l22.
Diabelische Nephropathie Flussschema zur Diagnostik einer
diabetischen Nephropathie

• Nierenbiopsie. Eine endgültige Diagnose einer • Hämaturie, Erythrozytenzylinder


diabetischen Nephropathie ist nur über eine histolo- • Akute Niereninsuffizienz und Nierentransplan-
gische Beurteilung mit Nachweis der genannten Ver- tatdysfunktion
änderungen möglich. Eine Biopsie ist bei den meist
jüngeren Patienten mit Typ-1-Diabetes meist nicht
indiziert, da sich keine therapeutischen Konsequen-
• Blutdruckmessung. Eine konsequente Überwa-
zen ergeben. Eine Biopsie sollte insbesondere bei
chung des Blutdrucks ist essenziell, da sich diabeti-
nicht plausiblem Verlauf der diabetischen Nephro-
sche Nephropathie und arterielle Hypertonie wech-
pathie (gute BZ, gute RR-Einstellung, kurze Diabe-
selseitig bedingen. Die Prävalenz des Auftretens
tesdauer, dennoch rasche Progredienz) erwogen
einer Hypertonie liegt bei Typ-1-Diabetikern ohne
werden. Die Indikationen zur Nierenbiopsie sind
Proteinurie bei 40 %, bei Typ-1-Diabetikern mit
in folgender Übersicht wiedergegeben.
Proteinurie, (d. h. diabetiseher Nephropathie), bei
60 % und bei terminalem Nierenversagen bei 80 %
Indikationen zur Nierenbiopsie (bei Typ-2-Diabetikern liegen die Zahlen höher;
Abb. 16-123). Die Bestimmung des 24-h-Bludrucks
• Nephrotisches Syndrom ohne Hämaturie gewinnt immer mehr an Bedeutung, da ein "Weiß-
• Proteinurie mit Hämaturie kitteleffekt" ausgeschlossen wird, Blutdruckanstiege
• Rasche Progredienz einer Niereninsuffizienz bzw. im Normbereich erkannt werden (von Bedeutung
einer diabetischen Nephropathie (gemessen als als Frühsymptom zur Erkennung und Prävention
Albuminurie/Proteinurie, Anstieg der Retenti- einer diabetischen Nephropathie) und der Verlauf
onswerte) bei kurzem Krankheitsverlauf und des Blutdrucks im Tages/Nacht-Rhythmus beurteilt
guter Blutzucker- und Blutdruckeinstellung (rela- werden kann. Die Indikationen zur 24-h-Blutdruck-
tive Indikation) messung sind in folgender Übersicht dargestellt.
16.13 Diabelische Nephropathie 753

90
80
~ 70
~
N
60
c 50
Ql

~ 40
·~ 30
a..
20
10
0 -----.
keine Proteinurie Nierenversagen
a Proteinurie

100
90
80
~ 70
~
N
60
c
Ql 50
tij
> 40
:~
a.. 30
20 J
10
0 Abb.16-123a,b.
Prävalenz des Auftretens an Hypertonie nach
kei ne Proteinurie Nierenversagen den WHO-Kriterien bei Typ-!- und Typ-2-
b Proteinurie Diabetikern. (Mod. nach Ritzet al. 1996)

Indikationen zur 24-h-Blutdruckmessung Gegebenenfalls ist hier zur Differentialdiagnose


eine Nierenbiopsie unter Beachtung der Kontrain-
• Nachweis einer Mikroalbuminurie dikationen hilfreich. Beachten sollte man eine
• Einmalig gemessener Blutdruck über 140/90 Nierenschädigung durch die bei Diabetikern häufig
• Diabetische Retinopathie auftretenden Harnwegsinfekte und Pyelonephriti-
• Schwindel, Synkopen, Präsynkopen den (Leukozyturie, Proteinurie, Leukozytose, Fie-
• Retinopathie ber), die klassischen dysurischen Beschwerden
• Überwachung einer antihypertensiven Therapie sind beim Diabetiker oft durch eine gleichzeitig
• Differenzierung primäre/sekundäre Hypertonie vorliegende diabetische Neuropathie verschleiert.
• Diabetische Neuropathie

16.13.8
16.13.7 Therapie
Differentialdiagnose
Durch gute Blutzucker- und Blutdruckeinstellung
Die Diagnose ist beim Typ-I-Diabetiker und fehlen- kann das Risiko der Entwicklung einer diabetischen
den Begleiterkrankungen relativ leicht zu stellen. Nephropathie vermindert werden. Ist eine diabeti-
Beim Typ-2-Diabetiker treten häufiger renale Be- sche Nephropathie bereits eingetreten, ist sie im Sta-
gleiterkrankungen auf, die eine sichere Diagnose er- dium der Mikroalbuminurie bei konsequenter The-
schweren können. Zu den Erkrankungen, die die rapie noch reversibel. Bei fortgeschrittener diabeti-
Symptome einer diabetischen Nephropathie ver- seher Nephropathie kann noch eine Verlangsamung
schleiern können, zählen die verschiedenen Formen der Progression erreicht werden. Es gibt 3 Grund-
der Glomerulonephritiden (insgesamt jedoch seltene pfeiler einer optimalen Therapie und Prävention:
Koinzidenz, Differentialdiagnose durch Bestimmung • optimale Stoffwechseleinstellung,
von Urinstatus, Erythrozytenzylinder, progredienter • konsequente antihypertensive Therapie,
Funktionsverlust der Niere, schneller Anstieg der • eiweißreduzierte Kost bei bereits eingetretenem
Retentionswerte), Amyloidose, Stauungsniere etc. renalem Funktionsverlust.
754 KAPITEL I6 Glukose

Stoffwechseleinstellung darstellt. Eine intensivierte Insulintherapie leistet


Basierend auf den Ergebnissen des DCCT -Studie hier einen Beitrag zur Verzögerung der Progression
steht außer Frage, dass die optimale Blutzuckerein- einer diabetischen Nephropathie in Richtung termi-
stellung eine Schlüsselrolle in der Verhütung einer nales Nierenversagen. Reichert et al. konnten in
diabetischen Nephropathie einnimmt. Dies gilt so- einer Studie von 1993 belegen, dass die Progression
wohl für Typ-1- als auch für Typ-2-Diabetiker. einer diabetischen Nephropathie (gemessen als Ent-
Eine gute Blutzuckerkontrolle durch eine intensivi- wicklung einer permanenten Makroproteinurie und
erte Insulintherapie reduziert im Vergleich zu einer Abfall der GFR auf < 70 ml!min) durch eine Re-
deutlich schlechteren Blutzuckerkontrolle bei kon- duktion des HbA 1c auf7% (erreichbar durch inten-
ventioneller Insulintherapie das Auftreten einer Mi- sivierte Insulintherapie) in Kombination mit einer
kroalbuminurie um 39 % und einer fortgeschritte- konsequenten antihypertensiven Therapie praktisch
nen Nephropathie um 54% (Typ-I-Diabetiker; zum Stillstand kommt. Die Zielgröße des HbA 1c
Abb. 16-124a, b ). Auch bei bereits eingetretener dia- sollte daher mindestens unter 7,5% liegen, optimal
betischer Nephropathie ist eine gute Blutzuckerein- wäre eine Reduktion auf unter 7 %. Beim Typ-2-Dia-
stellung von Bedeutung, da sie im Gegensatz zu frü- betiker ist die Datenlage seit der UKPDS-Studie
heren Annahmen keinen Punkt of "no return" mehr besser als vorher. Die UKPDS-Studie zeigte, dass

Abb.I6-I24a.
Primärprävention, 726 Patienten ohne Reti-
nopathie zu Beginn der Studie: kumulative
Inzidenz des Auftretens einer Urinalbumi-
nexkretion > 300 mg/24 h (gestrichelte Linie)
und > 40 mg/24 h (durchgezogene Linie) bei
Typ-I-Diabetikern mit intensivierter (•)
oder konventioneller Therapie (6 ). Das
mittlere Risiko der Entwicklung einer Mi-
kroalbuminurie wird bei intensivierter
Therapie um 34 o/o gesenkt (p < 0,04).
HbAic konventionell: 8,8 ± I,7 %, intensi-
viert: 8,8 ± I,6 %. (Mod. nach The Diabetes
Control and Complications Trial Research
Group I993)

45 1
40 1
Abb.I6-I24b.
35 · Sekundärprävention, 7IS Patienten mit zu
c: Beginn bestehender Retinopathie: kumula-
$ :I) 4 tive Inzidenz des Auftretens einer Drinal-
c:
buminexkretion > 300 mg/24 h (gestrichelte
25 J
Q)
·~
c.. Linie) und > 40 mg/24 h (du rchgezogene
I Linie) bei Typ-I-Diabetikern mit intensivi-
c 2Q J

iI
Q) erter (• ) oder konventioneller Therapie (.6).
e
N
Patienten mit Albuminexkretion > 40 mg/
c.. 15 24 h zu Beginn wurden ausgeschlossen.
10 • Das mittlere Risiko der Entwicklung einer
Albuminurie reduziert sich um 56 o/o
5< (p = O,OI) bei intensivierter Insulintherapie,
.. n . . " . · n -· n - · "._._-~ ·-·.~ . · • · · • · ·• · · • · · • · ·• · · • .. • verglichen mit konventioneller Insulinthe-
rapie. HbAic konventionell 8,9 ± 1,5 %,
25 35 45 5,5 6,5 7,5 8,5 9 ,5 Intensiviert 9 ± 1,5 %. (Mod. nach The
Diabetes Control and Complications Trial
b Studienjahre Research Group I993)
16.13 Diabelische Nephropathie 755

das Risiko für Typ-2-Diabetiker mikrovaskuläre eher Patientenkollektive sind besser und im "Follow
Folgeerkrankungen zu erleiden durch eine strenge up" mit einer geringeren Mortalitätsrate verbunden
Blutzuckereinstellung reduziert werden kann. Die (Tabelle 16-31). Auch bei bereits entwickelter diabe-
Blutzuckereinstellung mit Sulfonylharnstoffen, In- tischer Nephropathie führt eine konsequente antihy-
sulin oder Metformin war einer rein diätetischen pertensive Therapie zu einer Stabilisierung der rena-
Einstellung bezüglich mikrovaskulärer Folgeerkran- len Situation. Das initiale Ausmaß der Proteinurie
kungen (gesamt 25 o/o Risikoreduktion, diabetische vor Behandlungsbeginn reflektiert das Ausmaß
Nephropathie, diabetische Retinopathie) überlegen. der glomerulären Basalmembranschädigung und
-Mittlerer HbA 1c nach 10 Jahren bei konventionel- korreliert mit der Effektivität der antihypertensiven
ler diätetischer Einstellung 7,9 %, unter Therapie Therapie. Der Beginn einer antihypertensiven The-
mit Chlorpropamid 6,7 o/o, Glibenclamid 7,2 o/o rapie sollte nach Meinung einiger Autoren bereits
und Insulin 7,1 o/o. - Vergliehen mit einer rein diä- bei Blutdruckanstiegen im Normbereich erfolgen
tetischen Einstellung fand sich bei medikamentöser (24-h-Blutdruckmessung). Spätestens aber sollte
Einstellung eine Risikoreduktion für das Eintreten eine antihypertensive Therapie bei Auftreten einer
von Albuminurie und Proteinurie. Die Reduktion Mikroalbuminurie eingeleitet werden (auch ohne
des relativen Risikos für eine Verdoppelung des Vorliegen einer manifesten arteriellen Hypertonie
Plasmakreatinins betrug 67 %, für eine Verdopplung > 130/80). Die glomeruläre Filtrationsrate verringert
des Plasmaharnstoffs 74 %. Bei der Wahl der medi- sich bei Blutdruckwerten von 150/90 (mittlerer arte-
kamentösen Therapie ist unbedingt zu beachten, rieller Blutdruck 110 mmHg) jährlich um 9 ml!min.
dass Metformin bei Niereninsuffizienz kontraindi- Eine Senkung auf 120/75 (mittlerer arterieller Blut-
ziert ist und somit beim Typ-2-Diabetiker durch druck 90 mmHg) führte in einer Studie von
ein anderes Präparat ersetzt werden muss. Die Ne- Peterson et al. (1995) an Nichtdiabetikern mit Nie-
phropathie ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand reninsuffizienz zu einem Rückgang des Abfalls auf
keine Indikation zum Umsetzen eines Typ-2-Diabe- 3 ml!min. Dies würde die Einleitung einer Dialyse
tikers von einer oralen antidiabetischen Therapie um 10-20 Jahre verzögern. Als Faustregel gilt,
auf eine Insulintherapie. dass ein diastolischer Blutdruck zwischen 60 und
70 mmHg als optimal hinsichtlich der Verzögerung
der Progression einer diabetischen Nephropathie
Antihypertensive Therapie
anzusehen ist. Folgende Übersicht fasst zusammen,
Neben einer guten Stoffwechseleinstellung ist eine
ab welchem Zeitpunkt mit einer antihypertensiven
konsequente antihypertensive Therapie entschei-
Therapie bei Typ-1- und Typ-2-Diabetikern begon-
dend, die in Kombination mit einer guten Blutzuk-
nen werden sollte.
kereinstellung die Entwicklung einer diabetischen
Nephropathie verhindern kann. Bei bereits eingetre-
Beginn der antihypertensiven Therapie
tener diabetiseher Nephropathie werden die Überle-
bei Patienten mit Diabetes mellitus
bensraten entscheidend verbessert und die Nieren-
funktion sowohl bei Typ-1-, als auch bei Typ-2-Dia-
• Manifeste arterielle Hypertonie (RR > 135/85)
betikern stabilisiert (Abb. 16-125). Bei den Patienten
• Mikroalbuminurie ohne/mit Hypertonie
sollte eine intensivierte antihypertensive Therapie
• Makroalbuminurie
erfolgen, d. h. eine antihypertensive Therapie, die
• 24-h-Blutdruck: Blutdruckanstieg im Normbe-
häufige Selbstmessungen und auch eine Selbstein-
reich (z. B. von 125/75 auf 130/80) in der 24-h-
stellung der Therapie durch den Patienten selbst
Blutdruckmessung, fehlende nächtliche Blut-
vorsieht (nach intensiver Schulung und bei guter
druckabfälle
Kompliance des Patienten). Die Blutdruckwerte sol-

Tabelle 16-31. Überlebensraten von Patienten (Typ-I-Diabetiker) mit konventioneller antihypertensiver Therapie und inten-
sivierter antihypertensiver Therapie. (Mod. nach Sawicki et al. 1995)

Monate Überlebensrate der Patienten Patienten mit intensivierter


mit konventioneller Therapie antihypertensiver Therapie

0 100 100
40 80 90
70 70 90
90 60 60
756 KAPITEL 16 Glukose

300

250

200

~
'<t
~
150
.9
Ql
·;:;
::J 100
c:
"Q)
e
a.. Placebo
Abb.l6-125a.
Entwicklung der Proteinurie während einer
50 5-jährigen Follow-up-Studie, die an Typ-I-
- - - Enapril Diabetikern durchgeführt wurde, die ein
Placebo-Präparat erhielten oder antihyper-
tensiv mit Enalapril behandelt wurden. Die
0 Daten entsprechen dem Mittelwert aus 3-4
0 2 3 4 5 Bestimmungen jährlich. (p < 0,05 für das 2.
Jahr, p < 0,01 für das 3. Jahr und p < 0,05 für
a t (Jahre) das 5. Jahr). (Mod. nach Ravid 1993)

Placebo
90

80

70

c
.E 60
Cn
-3 50
Ql
·;::
::J
c: 40
.E
::J
.c 30
<i:
20 Abb.l6-125b.
Verlauf der Albuminurie während einer
5-jährigen Follow-up-Studie, durchgeführt
10 an Typ-2-Diabetikern, die entweder anti-
hypertensiv mit Enalapril oder einem
0 Placebo behandelt wurden. Jeder Punkt
0 2 3 4 5 entspricht dem Mittelwert aus 3-4 Bestim-
mungen pro Jahr (p < 0,001). (Mod. nach
b t (Jahre) Kennefick et al. 1997)

• Wahl der antihypertensiven Therapie. ACE- len wird reduziert, die Glomerulumgröße vermin-
Hemmer stellen bei Fehlen von Kontraindikationen dert, die Ausziehung und Abflachung der epithelia-
Medikamente der ersten Wahl in der Behandlung len Fußfortsätze verbessert, die intrazelluläre Ma-
einer diabetischen Nephropathie dar. ACE-Hemmer trixexpression, die Plättchenaggregation und die
senken neben dem systemischen, auch den lokal- TGF-ß-Bildung vermindert. Nach Einleitung der an-
glomerulär-transkapillären Druck, insbesondere tihypertensiven Therapie mit ACE-Hemmern kann
durch Hemmung der Angiotensin-11-Wirkung an es initial zu einem Abfall der GFR in den ersten 6
der efferenten Arteriole. Diese wird dilatiert, es Monaten kommen, längerfristig kommt es jedoch
kommt zur Senkung des intraglomerulären Filtrati- zu einer Stabilisierung der GFR (dies gilt auch für
onsdrucks. Außerdem schützen ACE-Inhibitoren nicht-diabetische Nephropathien). Ob auch Angio-
die selektive Ladungsdichte von Heparansulfat tensinrezeptorblocker (Blockade des Typ-1-Rezep-
und damit die natürliche Barrierefunktion des Glo- tors für Angiotensin II), eine ähnliche Wirkung
merulum. Die Einschwemmung von Makromolekü- wie ACE-Inhibitoren haben ist nicht endgültig gesi-
16.13 Diabetische Nephropathie 757

chert, erste Untersuchungen weisen aber auf ein Antihypertensive Therapie beim Diabetiker
ähnliches Wirkprofil hin. Über den Einsatz dieser unter Berücksichtigung der Begleiterkrankungen
Medikamente beim normotensiven Diabetiker mit (Ziel < 130/85)
Mikroalbuminurie liegen jedoch noch keine genü-
genden Erfahrungen vor. Diese Medikamentengrup- e Ohne Begleiterkrankungen (insbesondere ohne
pe stellt jedoch eine therapeutische Alternative ge- KHK, hauptsächlich Typ-1-Diabetiker): gleiche
genüber den ACE-Inhibitoren dar, insbesondere Gesichtspunkte wie bei essenzieller Hypertonie,
scheint die Nebenwirkungsrate geringer zu sein. möglicherweise sind ACE-Hemmer von Vorteil
(Selteneres Auftreten des als sehr lästig empfunde- e Mit Mikroalbuminurie: ACE-Hemmer und Kalzi-
nen Reizhustens.) Es wird noch kontrovers disku- umantagonisten sind Mittel der 1. Wahl; diese
tiert, ob ACE-Hemmer einen renoprotektiven Effekt können bei mangelndem Ansprechen auch kom-
besitzen, der über den blutdrucksenkenden Effekt biniert werden, ggf. kann ein 3. Antihypertoni-
herausgeht. Einige der durchgeführten Studien wei- kum dazugegeben werden
sen auf eine Überlegenheit der ACE-Inhibitoren ge- • Mit Makroalbuminurie: 1. Wahl: ACE-Inhibito-
genüber anderen antihypertensiven Medikamenten ren, ß-Blocker oder/und Kalziumantagonisten
wie Kalziumantagonisten [insbesondere Dihydropy- evtl. Kombination mit einem a-Rezeptorenblok-
ridintyp: Nifedipin (Adalat)] und ß-Blockern hin. In ker
einer Studie von Sawicki (1997) sowie Donnelly et al. • Mit Herzinsuffizienz: ACE-Inhibitoren in Kombi-
(1996) konnte ein überlegener Effekt der ACE-Hem- nation mit Diuretika und ggf. speziellem ß-Blok-
mer allerdings nicht nachgewiesen werden, Kalzi- ker (engmaschige Kaliumkontrollen)
umantagonisten vom Nichtdihydropyridintyp (Ver- • Mit koronarer Herzkrankheit: ACE-Hemmer, ins-
apamil) erwiesen sich gegenüber ACE-Hemmern als besondere nach Myokardinfarkt, kardioselekive
gleichwertig. Die UKPDS-Studie zeigte einen ver- ß-Blocker sind ebenfalls Medikamente 1. Wahl.
gleichbaren Effekt bei Typ-2-Diabetikern unter The- Diese Medikamente können auch, wenn zur
rapie mit ß-Blockern oder ACE-Hemmern hinsicht- suffizienten Senkung des Blutdrucks erforderlich,
lich der Reduktion des Risikos mikro- oder makro- kombiniert eingesetzt werden, ggf. zusätzliche
vaskuläre Folgeerkrankungen zu erleiden, sodass in Gabe eines Diuretikums.
der Behandlung der arteriellen Hypertonie bei Typ-
2-Diabetikern mit koronarer Herzerkrankung ß-
Blocker als Medikamente erster Wahl gelten dürfen.
• Kochsalzbeschränkung. Sowohl bei Typ-1- als
Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp (Nife-
auch bei Typ-2-Diabetikern ist das austauschbare
dipin, Nitrendipin) führen oft zur Vasodilatation im
Natrium deutlich erhöht, dies wird teilweise auf
Vas afferens bei fehlender Dilatation im Vas effe-
die natriumretinierende Wirkung von Insulin zu-
rens. Dies kann zu einem gesteigertem Filtrations-
rückgeführt (steigert die Natriumrückresorption
druck mit gesteigerter Proteinurie führen. Kalzium-
im renalen Tubulussystem). Der Hypertonus ist
antagonisten vom Nichtdihydropyridintyp (Diltia-
beim Diabetiker daher meist kochsalzsensitiv. Dies
zem, Verapamil) dilatieren auch Vas efferens und
gilt für Typ-1- und Typ-2-Diabetiker. Eine gestei-
scheinen diese unerwünschte Wirkung nicht zu ha-
gerte Kochsalzsensitivität findet sich auch beim me-
ben. Diese Medikamentengruppe reduziert jeden-
tabolischen Syndrom. Es sollte daher eine diäteti-
falls signifikant Blutdruck und Albuminurie und
sche Kochsalzrestriktion erfolgen (20 mmol Na/
stellt somit neben ACE-Hemmern und ß-Blockern
Tag).
ein Medikament der ersten Wahl in der Behandlung
einer diabetischen Nephropathie dar. Bei therapier-
esistenter arterieller Hypertonie können ACE-Hem- Eiweißreduzierte Kost
mer, ß-Blocker und Kalziumantagonisten auch Eine eiweißreduzierte Kost führt bei Typ-I-Diabeti-
kombiniert eingesetzt werden. Eine kombinierte kern mit diabetiseher Nephropathie zu einem ge-
Gabe hat, wie von Stefanski et al. (1995) gezeigt, ringerem Abfall der GFR in Verbindung mit einer
einen additiven Effekt. Die folgende Übersicht gibt Abnahme der Proteinurie. Eine "Restriktion" der
einen Überblick über die Wahl der antihypertensi- Eiweißzufuhr auf 0,8 g/kg/Tag (s. Übersicht) führt
ven Therapie beim Diabetiker unter Berücksichti- im Vergleich zu einer signifikant erniedrigten Pro-
gung der Begleiterkrankungen. teinausscheidung. - Eine Beschränkung der Eiweiß-
zufuhr auf 0,8 mglkg/Tag, stellt nur im Vergleich zur
sonst in den westlichen Länder üblichen exzessiven
Eiweißzufuhr eine Restriktion dar. - Der Effekt ist
unabhängig von der Beeinflussung des Blutdrucks
oder der Stoffwechselsituation.
758 KAPITEL 16 Glukose

D Bei Hypoproteinämie ist eine Eiweißrestriktion


kontraindiziert. Generell sollte bei Diabetikern mit
Maßnahmen zur Reduktion nierenschädigender
Faktoren
fortgeschrittener diabetiseher Nephropathie bedacht
werden, dass diese Patienten zu einer katabolen • Metabolisch: optimale Stoffwechseleinstellung
Stoffwechsellage neigen. (HbA 1c), Eiweißrestriktion (bei bereits einge-
tretener renaler Schädigung), Vermeidung chole-
sterinreicher Lebensmittel, Vermeidung phos-
Eiweißrestriktion bei diabetiseher Nephropathie
phatreicher Lebensmittel, evtl. lipidsenkende
(Kontraindikation bei Hypoproteinämie!)
Therapie
• Blutdruckeinstellung, Kochsalzaufnahme: < 5 g/
• GFR (ml!min):
Tag bei arterieller Hypertonie
> 25: keine Restriktion
• Weitere Maßnahmen: Vermeidung nephrotoxi-
25-10: 0,6-0,8 g/kg/KG
scher Medikamente (Röntgenkontrastmittel!),
Unter Dialysetherapie: 1,2 g/kg/Tag
frühzeitige antibiotische Therapie von Infektio-
nen

Weitere Maßnahmen
• Lipidsenkende Therapie. Eine Dyslipidämie be-
schleunigt das Fortschreiten einer diabetischen Ne- 16.13.9
phropathie. Charakteristisch für die diabetische Therapiekontrollen
Dyslipidämie ist ein erhöhter Triglyzeridspiegel
und ein erniedrigtes HDL und stellt einen Prädiktor
eines schnelleren Fortschreitens einer diabetischen Therapiekontrollen bei diabetiseher Nephropathie.
Nephropathie dar. Es sollten zunächst diätetische Diagnostik durch den Arzt
Maßnahmen eingeleitet werden, um eine Normali-
sierung zu erzielen. Wenn dies nicht ausreicht, sollte • Jährlich:
eine zusätzliche medikamentöse lipidsenkende The- Labor: Harnstoff, Kreatinin, Urinsediment,
rapie erwogen werden (z. B. Fibrate bei gleichzeitig Urikult (bei Verdacht auf Harnwegsinfekt sofort,
normalem LDL-Cholesterin, bei erhöhtem LDL- bei rezidivierenden Harnwegsinfekten häufiger
Cholesterin eher Cholesterinsynthesehemmer). als einmal jährlich)
Klinische Untersuchung: Pulsstatus, Reflexstatus,
Vibrations- und Temperaturempfinden
Harnwegsinfekte Technische Untersuchungen: Visusbeurteilung,
Harnwegsinfekte treten beim Diabetiker gehäuft auf Fundusbeurteilung, Belastungs-EKG
und sind einer raschen Therapie zuzuführen. Rezi- • 1/2-jährlich:
divierende Harnwegsinfekte können aufsteigend zu • Albuminausscheidung bei bekannter Albumin-
Pyelonephritiden und zusätzlichen Nierenschädi- urie, 24-h-Blutdruckmessung
gungen führen. Man sollte eine fehlende Klinik • 1/4-jährlich:
bei gleichzeitig vorliegender diabetiseher Neuropa- HbA 1c, BZ, Gewichtskontrolle, Blutdruckmessung
thie beachten, weshalb regelmäßige Kontrollen des (wenn keine arterielle Hypertonie bekannt, sonst
Urinstatus angezeigt sind (Urikult, Leukozyturie, täglich durch den Patienten selbst)
Proteinurie). Bei Verdacht auf einen Harnwegsin-
fekt sollte notfalls eine Therapie eingeleitet werden,
ohne das Ergebnis einer Bakterienkultur abzuwar-
Davon abweichend sollte bei bereits eingetretener
ten.
diabetischen Nephropathie eine häufigere Kontrolle
der genannten Untersuchungen erfolgen, sowie in
Vermeidung zusätzlicher Belastungen der Niere Ergänzung in 1/4-jährlichen Abständen eine Kon-
Allgemein sollten sowohl zur Prophylaxe als auch trolle von Serumkreatinin und Serumharnstoff.
bei beginnender diabetiseher Nephropathie (und Die Frequenz der Kontrollen sollte sich an der Stoff-
natürlich bei bereits eingetretener Niereninsuffi- wechseleinstellung, der Blutdruckeinstellung und
zienz) folgende Maßnahmen zur Reduktion nephro- der renalen Funktion orientieren. Eine erfolgreiche
toxischer Faktoren getroffen werden (s. Übersicht). Therapie ist an der Senkung des arteriellen Blut-
drucks, dem Rückgang oder dem fehlenden Anstieg
einer Mikroalbuminurie zu erkennen. Bei bereits
eingetretener diabetiseher Nephropathie führt eine
erfolgreiche Therapie zu einer langsameren Progres-
16.14 Diabetische Neuropathie 759

sion der Erkrankung. Dies ist an einem langsameren


Abfall der GFR sowie dem Rückgang der Makro-
albuminurie und der Proteinurie sichtbar. Die Re-
tentionswerte und der Elektrolythaushalt müssen
daher ebenso regelmäßig kontrolliert werden wie
der HbA 1c-Wert (Minimalziel 7,5 %), Blutzucker-
werte, der Lipidstatus und der Blutdruck (Zielgröße
< 125/85).

16.13.10
Notfall

Terminales Nierenversagen
Bei eingetretener terminaler Niereninsuffizienz ist Abb.l6-126. 65-jährige Patientin mit autonomer Neuropa-
eine frühzeitige Nierenersatztherapie (Dialyse) indi- thie. Röntgenkontrastmitteluntersuchung des Magens zeigt
eine Ektasie des Magens mit Speiseresten
ziert. Rechtzeitig sollte insbesondere bei jüngeren
Patienten auch über die Möglichkeit einer Nieren-
transplantation in Kombination mit einer Pankrea-
stransplantation nachgedacht werden. Vorliegen einer manifesten Neuropathie (senso-
motorisch und autonom) wurde die Diagnose
einer kardialen autonomen Neuropathie ge-
stellt.
16.14
• I. Verbesserung der diabetischen Stoffwech-
Diabetische Neuropathie
sellage durch Umstellung von der konventio-
M. HoFMANN, P. P. NAWROTH nellen Insulintherapie auf eine intensivierte
konventionelle Insulintherapie (ICT) mit Ba-
16.14.1 sal-H-Insulin 16 E morgens und 22 E um spät
Fallpräsentation abends sowie zu den Mahlzeiten Normal-H-
Insulin 2 IE/BE morgens, 1 IE/BE mittags,
1,5 IE/ BE abends;
Eine 65-jährige, normalgewichtige Patientin mit • 2. Strukturierte Diabetesschulung mit
seit 25 Jahren bekanntem Typ-2-Diabetes-melli- Schwerpunkt ICT und diabetische Neuropa-
tus stellte sich wegen plötzlich auftretendem thie/Vermeidung eines diabetischen Fußsyn-
Schwindel, Herzstolpern und Atemnot in der droms;
Ambulanz vor. Es fand sich ein Blutdruck von • 3. Medikamentöse Therapie mit a -Lipon-
165/95 mmHg sowie ein arhythmischer Puls säure l x 600 mg pro Tag, Ramipiril 5 mg
mit f = 52/min. Das EKG zeigte Salven supra- pro Tag und Piretanid 6 mg pro Tag. 3 Mo-
ventrikulärer Extrasystolen. An diabetischen nate nach normnaher Blutdruckeinstellung,
Folgeerkrankungen fand sich eine diabetische Schulung und Ernährungsberatung besserten
Retinopathie Grad II, diabetische Nephropathie sich gastrointestinalen Beschwerden. Nach
im Stadium der Makroalbuminurie und eine Blutdruckeinstellung reduzierte sich die
symmetrisch sensible PNP beider Unterschenkel Albuminausscheidung im Urin.
mit ausgeprägten Schmerzen, fehlendem ASR
rechts, eingeschränktem Vibrationsempfinden
und dystrophischen Hautveränderungen. Zu-
sätzlich berichtete die Patientin über ein post-
prandiales Völlegefühl, Wechsel von Obstipa- 16.14.2
tion und Diarrhoe. Die deshalb durchgeführte Epidemiologie
Röntgenkontrastmitteluntersuchung des Ma-
gens (Abb. 16-126) zeigte eine verzögerte Moti- Die Angaben zur Prävalenz der Neuropathie
lität und Retention von Nahrungsbestandteilen. schwanken im klinischen Krankengut bei Diabetes
Nach Ausschluss anderer organischer Ursachen mellitus zwischen 10 und 100 o/o. Diese extreme Va-
für die Herzrhythmusstörung (einschließlich riabilität ist Ausdruck für das Fehlen einer ver-
Koronarangiographie und Langzeit-EKG) und bindlichen Definition, uneinheitliches diagnosti-
sches Vorgehen und unterschiedliche Selektion
760 KAPITEL 16 Glukose

der untersuchten Diabetiker. Hauptmanifestation


16.14.3
der diabetischen Neuropathie ist die symmetrisch-
Pathogenese
sensible Polyneuropathie der unteren Extremität.
Die Prävalenz der Neuropathie steigt mit zunehmen-
Die Hyperglykämie ist die der diabetis~hen ~euro­
der Diabetesdauer upd mit zunehmendem Lebens-
pathie zugrunde liegende Ursache. Dte "Dtabetes
alter. Eine autonome Neuropathie ist häufiger bei
Control and Complication Trial" (DCCT) konnte
jungen Diabetikern, während sich eine sensornoto-
eine Reduktion sowohl von Inzidenz als auch Pro-
rische PNP überwiegend im höheren Lebensalter
gression der Neuropathie mit Verbesseru_ng d~s
findet (Abb. 16-127). Etwa die Hälfte aller über
HbA 1c-Wertes nachweisen (Abb. 16-129). Dte Aktt-
60 Jahre alten Diabetiker haben eine Neuropathie;
vierung des Polyolstoffwechsels mit energetischer
Nichtdiabetiker über 60 Jahre in weniger als 10 %.
Erschöpfung der Nervenzelle und die v~rm:hrte
Die diabetische Neuropathie, einschließlich ihrer
Proteinglykierung mit Entstehung von oxtdattvem
Komplikation des diabetischen Fußsyndroms, ist
Stress führen zu einer Schädigung der Nervenzellen.
die häufigste Ursache für Amputationen an der un-
Zusätzlich sind Störung der Mikrozirkulation mit
teren Extremität. Diabetiker mit eingeschränkter
Reduktion des nervalen Blutflusses (Vasa nervor-
Nervenleitfähigkeit und besonders Diabetiker mit
um) von Bedeutung. Die pathophysiologischen
autonomer kardialer Neuropathie haben ein er-
Mechanismen sind im Hinblick auf ihre einzelne
höhtes Mortalitätsrisiko (Abb. 16-128).
Gewichtung noch nicht hinreichend geklärt
(Abb. 16-130).

60

50 0 Periphere
~ 40 Neuropathie
GI • Autonome
iii 30 Neuropathie
>
!a:J
~ 20

10
Abb. 16-127.
0 Prävalenz der autonomen und peripheren
<30 30-39 40-49 50-59 60~9 >70 Neuropathie bei Diabetikern in Abhängigkeit
vom Lebensalter. (Mod. nach Flynn et al.
Alter 1995)

Periphere Neuropathie
100
l
-
95
GI
a:J
90
:,; 85
c:
.8 80
.!! 75
~
:;::) 70
Abb. 16-128.
0 2 3 4 5 Überlebensrate von Diabetikern bei diabeti-
seher Neuropathie. (Mod. nach O'Brien et al.
Jahre 1991)

N p<0.001
c
..! 20

..
IV
>
,."
a.. 10
Abb. 16-129.
Ergebnisse der DCCI -Studie zur lnzidenz
der Neuropathie, HbA1c-Wert der !CI-
Gruppe (n) 7,0 o/o und HbA1c-Wert der CI-
Nervenleit- Autonome Neurologischer Gruppe ( • ) 9,0 o/o. (Mod. nach DCCI study
geschwindigkeit Neuropathie Status group 1993)
16.14 Diabetische Neuropathie 761

Hyperglykämie
~///
.--P-o-ly-o-lp--"at'--h-w-ay---,1
/

/ /
Akkumulation Akkumulation von AGE Funktionsminderung von

~~~.
von Sorbitol NGF, FGF und anderen

l
Wachstumsfaktoren

Oxidativer Streß Kompetition

I
Depletion
l an RAGE

""MT'"' "'
. .
Funkt10nsmmderung /
I
NF-k.B-
Aktivierung
1
Expression von
Tissue-Faktor
\
Vem1indertes Spreading

der Na!K-ATPase I
1
1 .//
Hyperkoagulation
1
Schädigung der Mikroperfusionsstörung Neurotrophe Defizite
Seilwannzellen
Myelinscheiden
verminderter
axonaler Transport

() Neuropathie () Abb.l6-130.
Pathogenese der diabetischen Neuropathie

Klassifikation der diabetischen Neuropathie Studien zeigten eine schwächere jedoch signifikante
Bei der diabetischen Neuropathie wird die sensorno- Assoziation von Alzheimer-Demenz und Diabetes
torische Polyneuropathie abgegrenzt von der auto- mellitus, andere Studien konnten keinen Zusam-
nomen Neuropathie (Tabelle 16-32). Inwieweit es menhang von Diabetes und Prävalenz Alzheimer
eine diabetische Neuropathie des Zentralnerven- typischer Histologie post martern nachweisen. Im-
systems als eigenständige diabetische Folgeerkran- munhistologische Untersuchungen post martern
kung gibt, ist Gegenstand derzeitiger Forschung. von Alzheimer-Patienten zeigten eine erhöhte Ex-
Eine erhöhte Inzidenz von seniler Demenz bei Pa- pression von Insulinrezeptoren bei verminderter
tienten mit Typ-2-Diabetes mellitus gilt als gesi- Signaltransduktion. Diese Befunde legen nahe,
chert. Multivariate Analysen zeigten je nach Studie dass insulinabhängige Mechanismen und Störungen
ein 1,3- bis 1,6-fach erhöhtes relatives Risiko für in der Glukoseutilisation eine Rolle in der Patho-
senile Demenz bei Vorliegen eines Typ-2-Dia- genese des M. Alzheimer spielen. Eine weitere Ein-
betes-mellitus. Der Pathomechanismus dafür ist teilung der diabetischen Neuropathie hat den
derzeit unklar. Diskutiert werden sowohl vaskuläre Schweregrad der klinischen Symptomatik als Grund-
als auch metabolische Ursachen. Oben genannte lage (Tabelle 16-33).

Tabelle 16-32. Klassifikation der diabetischen Neuropathie nach dem VerteilungsmusteL PNP Polyneuropathie

Sensornotorische Polyneuropathie Autonome Neuropathie Enzephalopathie

Symmetrisch-sensible P P Gastrointestinaltrakt Vermehrte senile Demenz und


Alzheimer-Demenz bei Patienten mit
Diabetes mellitus Typ 2
Symmetrisch-motori ehe PNP Urogenitaltrakt
Asymmetrische Neuropathie Kardiavaskuläre europathle
Mononeuropathia multiplex Haut
Schwerpunktneuropathie
762 KAPITEL 16 Glukose

Tabelle 16-33. Klassifikation der diabetischen Neuropathie nach der klinischen Symptomatik

Neuropathie Grad I Neuropathie Grad 2 Neuropathie Grad 3

Asymptomatisch Symptomatisch Symptomatisch mit Behinderung

Symptome der symmetrisch-motorischen PNP


16.14.4
Klinik
• Atrophie der kleinen Fußmuskeln
• Krallenfuß
Symptome
• Subluxation/Luxation der Zehen
• Symmetrisch sensible Polyneuropathie. Sie ist
• Veränderte Statomotorik
gekennzeichnet durch sensible Störungen, die in
• Aufgehobener ASR
der Regel an den Zehen und Füßen beginnen und
sich strumpfförmig nach proximal ausbreiten (s.
Übersicht). Anfangs kommt es zu Nervenirritatio-
nen mit Dysästhesien und später zur Denervierung, • Asymmetrische Neuropathie. Bei dieser seltenen
mit einem der Nervenfaser entsprechenden Funkti- Neuropathieform wird die Mononeuropathia multi-
onsausfalL plex (Reizerscheinungen und Ausfälle halten sich
exakt an das Versorgungsgebiet des Nerven) von
der Schwerpunktneuropathie (kombinierte senso-
Symptome bei symmetrisch-sensibler PNP motorische Ausfälle) unterschieden (Tabelle 16-34
u. Abb. 16-131).
• Dysästhesie: Kribbeln, Prickeln, Ameisenlaufen
• Parästhesie: "burning feet" • Symptome der autonomen Neuropathie. Diese
• Anästhesie: Pelzigkeit, Taubheit Form der Neuropathie wird oft wegen ihrer
• Fehlen der Tiefen- und Oberflächensensibilität Schmerzlosigkeit, Symptomarmut und auch Sym-
• Fehlen der Schmerzwahrnehmung ptomvielfalt zu spät erkannt bzw. beachtet. Es
• Fehlen der Temperaturwahrnehmung können alle Organe betroffen sein (Abb. 16-132)
und zu einem starken Verlust der Lebensqualität
und zur Lebensgefährdung führen (s. folgende
Übersicht).
• Symmetrisch-motorische PNP. Treten die sensi-
blen Störungen kombiniert mit symmetrisch ange-
ordneten motorischen Ausfällen auf (s. Übersicht), Lebensgefährdung durch autonome Neuropathie
spricht man von einer symmetrisch-motorischen
PNP, die sich z. T. aus der symmetrisch sensiblen • Myokardischämie (stummer Infarkt) wegen feh-
PNP entwickelt. Meist sind die Ausfälle im Versor- lender klinischer Symptomatik zu spät einge-
gungsgebiet des N. peroneus. leitete kardiologische Diagnostik und Therapie

Tabelle 16-34. Formen der Neuropathie

Mononeuropathia multiplex Schwerpunktneuropathie (kombinierte scnsomotorische Ausfälle)

Hirn nervenausfälle Diabelische Radikotapathie Diabelische Amyotrophie


( . 111, IV, VI, VII) (Th6- TII) (LI -SI)

N. ulnaris Orbitaschmerzen Gürtelförmige, Schmerzen


thorakoabdominale (Rücken/Oberschenkel)
Schmerzen

N. medianus Doppelbilder

. radialis Facialisparese Paresen der Becken- und


Ober chenkelmu kulatur,
PSR vermindert

N. femoralis Parästhesien und Paresen


N. cutaneus femoris lateralis im Dermatom
N. peroneus
16.14 Diabetische Neuropathie 763

Abb.l6-131.
Diabelische Radikolopathie mit linksseitiger Lähmung des
M. obliquus abdominis bei einem 61-jährigen Mann, bei dem
erst nach Parese der Bauchmuskulatur die diabetische Stoff.
wechsellage festgestellt wurde

Autonome diabetische Periphere diabetische


Neuropathie Neuropathie
• Kardial: Herzfrequenzstarre,
symptomarmer oder schmerz-
loser Herzinfarkt bzw. Koronar·
ischämie, Arrhythmien
• Störung der Thermoregulation
und der Sudemotorik (Hyper-
hidrosis I Hypohidrosis)
• Muskelschwäche, Muskel·
• gastrointestinal: Störungen schwund
der Peristaltik bzw. Dystonie
• Reflexabschwächung bis
des Ösophagus des Magens
Reflexausfall
• Diarrhoen nach dem Essen • Taubheitsgefühl I Parästhesien
Obstipation (z. B. Kribbeln, Brennen)
• urogenital: Tonusstörungen • Reflexabschwächung bis
der Blase (schmerzlose Reflexausfall
Dilatation) mit Restharnbildung
• Muskelschwäche, Muskel·
• erektile Impotenz oft bei erhal· schwund
tener Libido, • Schmerzen in den Füßen und
Libidostörungen Unterschenkeln (auch in Ruhe
Verlust des Hodendruck· und nachts)
Schmerzes • Reflexabschwächung bis
• trophische Störungen: Reflexausfall
Ödembildung vor allem an den • Taubheitsgefühl I Parästhesien
Füßen mit Entwicklung Abb.l6-132.
(z. B. Kribbeln, Brennen) Organmanifestation der
schmerzloser Ulzera an den
Druckstellen des Fußes diabetischen Neuropathie

• Zwischenfälle bei der Narkoseeinleitung bei nicht Beschwerden weisen auf eine diabetische Neuropa-
beachteter verlängerter Magenentleerungszeit bei thie hin, sind jedoch nicht spezifisch und werden
Gastroparese auch häufig von Nichtdiabetikern geklagt.

• Autonome diabetische Neuropathie des Urogeni-


• Autonome diabetische Neuropathie des Ga- taltraktes. Blasenentleerungsstörungen sind häufig
strointestinaltraktes. Diabetiker geben häufig ga- asymptomatisch, so fanden sich bei 40 - 80 o/o der
strointestinale Symptome wie Völlegefühl, Übelkeit, nichtsymptomatischen Patienten pathologische uro-
Sodbrennen, Obstipation und Diarrhoe an. Diese dynamische Befunde. Neben Blasenentleerungsstö-
764 KAPITEL 16 Glukose

rungen finden sich rezidivierende, oftmals auch


16.14.5
komplizierte (d. h. mit Beteiligung des oberen Harn-
Diagnostik
traktes) Urogenitalinfekte (s. Übersicht).
Indikation zur Diagnostik
Symptome der autonomen Neuropathie Bei jedem Patienten sollte bei Erstdiagnose des Dia-
des Urogenitaltraktes betes mellitus und später zumindest jährlich das
Vorliegen einer Neuropathie ausgeschlossen wer-
• Blasenentleerungsstörungen den. Wichtig ist auch der präoperative Ausschluss
Restharngefühl einer autonomen Neuropathie (fehlende Angina-
Abgeschwächter Harnstrahl pectoris-Symptomatik).
Harninkontinenz
• Harnwegsinfekte
Anamnese
Dysurie, Pollakisurie
In den meisten Fällen kann durch eine gezielte
• Erektile Dysfunktion
Anamnese mit Erfassung der gesamten Beschwerde-
• Retrograde Ejakulation
symptomatik (s. Übersichten oben und Tabelle
16-32) die Diagnose einer diabetischen PNP gestellt
werden. Die frühen Zeichen der diabetischen PNP
• Autonome diabetische kardiovaskuläre Neuro-
(in diesem Stadium sind die besten Behandlungs-
pathie. Die Symptome (s. folgende Übersicht) füh-
erfolge zu erwarten) sind meist im Arzt-Patienten-
ren kaum zur wesentlichen Beeinträchtigung der Le- Gespräch schon erkennbar, sodass die neuro-
bensqualität und werden deshalb nur selten von den
logische Basisdiagnostik erst an zweiter Stelle steht.
Patienten geschildert. Aufgrund der durch stumme
Myokardischämie, maligne Herzrhythmusstörung
und plötzlichen Herztod schlechten Prognose der Körperliche Untersuchung
kardiavaskulären Neuropathie ist eine frühzeitige Eine einfache klinische Untersuchungsmethode
Diagnostik notwendig. Ein Ausfall der sympathi- steht mit dem Stimmgabeltest zur Verfügung (s. un-
schen Vasomotoren führt zunächst zu einer Hyper- ten). Dieser Test zur Überprüfung der Tiefensensi-
reaktivität auf Katecholamine und damit zur Eng- bilität sollte bei jedem Diabetiker einmal pro Jahr
stellung der kutanen Arteriolen (blasses Hautkolo- durchgeführt werden. Seit kürzerem werden sog.
rit, kalte Füße). Nach Denervierung tritt eine Weit- Monofilamente zur Graduierung des Druckempfin-
stellung der Gefäße ein, Folge ist dann die typische dens eingesetzt. Bei diesem Test gibt der Patient an,
Wärme und Rubeosis plantarum des diabetischen ob er den Druck von unterschiedlich dicken Kunst-
Fußes. Durch Ausfall der sympathischen Vasomoto- stofffilamenten (1-20 g/mm 2 ) an der Fußsohle
ren können orthostatische Beschwerden auftreten, spürt. Die ausführliche Anamnese, die klinische
die insbesondere bei der medikamentösen Blut- neurologische Basisdiagnostik sowie ein Ruhe-
druckeinstellung zu Problemen führen. Da sympa- und Belastungs-EKG sind für ein Screening ausrei-
thische Nervenfasern früher als die parasympathi- chend, sodass weiterführende apparative Diagnostik
schen Fasern betroffen sind, findet sich z. B. nicht einer speziellen Indikation bedarf (Abb. 16-133).
selten eine Pupillenstörung (Anisokorie) als Sym- Auf eine routinemäßige Messung der Nervenleitge-
ptom einer autonomen Neuropathie. schwindigkeit kann verzichtet werden.

• Stimmgabeltest. Der entspannt liegende Patient


Symptome der autonomen kardiovaskulären Neu-
gibt Beginn und Ende desVibrierenseiner angeschla-
ropathie
genen Stimmgabel an. Prüfung: Großzehengrund-
gelenk, Malleus medialis, Malleus lateralis, Patella.
• Kardiale Symptome
Ruhetachykardie
Graduierung: 7/8 bis 8/8 normal, 3/8 bis 6/8 einge-
Abnahme der Herzfrequenzvariation
schränkt, 1/8 bis 2/8 deutlich eingeschränkt, 0/8 auf-
Arrhythmien
gehoben.
QT-Zeitverlängerung
• Gestörte Vasomotorenregulation
• Gastrointestinal. Untersuchungsmöglichkeiten
Orthostatische Beschwerden zur spezifischen Erfassung einer autonomen ga-
Blasses Hautkolorit strointestinalen Neuropathie stehen bisher nur in
Rubeosis
Ansätzen zur Verfügung, ebenso ist eine spezifische
Therapie bislang nicht etabliert. Das diagnostische
16.14 Diabetische Neuropathie 765

Anamnese und klinische Untersuchung

lf. Verbesserung der diabeti chen toffivechsellage


II chulung
II eventuell o.-Lipons ure (oder Benfotiamin)

eurologc G troenterologe
I
Urologe Kardiologe
Abb.l6-133.
Interdisziplinäre Diagnostik bei Verdacht
pelielle Diagnostik. spezielle Diagno tik. spezielle Diagno tik spezielle Diagno tik, auf diabetische Neuropathie. NP Neuro-
Differentialdiagnose Di ITcn:ntialdiagnosc Di ffcmnialdiagnosc Di ffercntialdingnose pathie, PNP Polyneuropathie

Vorgehen entspricht dem bei Nichtdiabetikern (Ta- • Urogenital. Da Blasenentleerungsstörungen häu-


belle 16-35). Spezifische Nachweismethoden für eine fig asymptomatisch verlaufen und eine Schädigung
autonome Neuropathie des Intestinaltraktes sind des oberen Harntraktes damit verbunden sein kann,
derzeit nicht klinische Routine. Wichtig ist der Aus- sollte gezielt nach Symptomen einer Blasenentlee-
schluss nichtdiabetischer Ursachen durch gezielten rungsstörung gefragt werden (s. Übersicht).
Einsatz von Anamnese, Endoskopie, Manometrie
und bildgebenden Verfahren. Bei der Diagnostik
Stufendiagnostik bei Blasenentleerungsstörung
von Patienten mit therapiebedürftiger Diarrhoe
steht der Ausschluss diabetesunabhängiger Ursa-
• Anamnese: Miktionsfrequenz (evtl. Tagebuch!)?
chen im Vordergrund. Es wird unterschieden in:
Einsatz der Bauchpresse bei der Miktion?
• Diarrhoe ohne ursächlichen Zusammenhang zur
Restharngefühl? Inkontinenz? Harnstrahlab-
diabetischen Neuropathie (z. B. chronische Pan-
schwächung? Dysurie, Pollakisurie? Dysurie und
kreatitis, glutensensitive Enteropathie) und
Pollakisurie mit Fieber. Cave: Urosepsis
• Diarrhoe in ursächlichem Zusammenhang mit
• Labor: Urinstatus (Bakterien, Leukozyten, Nitrit)
diabetiseher Neuropathie (Dünndarmmotilitäts-
• Apparative Diagnostik: Sonographische Rest-
störung mit Transportstörung, bakterielle Fehl-
harnbestimmung, Uroflow, Zystomanometrie,
besiedlung, veränderte intestinale Permeabilität,
radiologische und endoskopische Untersuchung
Flüssigkeitsretention durch adrenerge Fehlregu-
des oberen Harntrakts
lation).

Tabelle 16-35. Diagnostik bei Verdacht auf autonome Neuropathie des Gastrointestinaltraktes

Symptom Apparative Diagnostik

Dysphagie, Odoynophagie Ösophogogastroskopie


Bariumkontrast-Breischluck
Manometrie
Sodbrennen Therapie mit Protonenpumpeninhibitor
Bei Persistenz: s. oben und pH-Metrie
Völlegefühl, Erbrechen Gastroskopie
Bariumkontrast-Breischluck
Magenszintigraphie
Obstipation Kotoskopie
Diarrhoe Hr Atemtest mit Glukose
766 KAPITEL 16 Glukose

Die diagnostische Abklärung des Diabetikers mit Pathologisch: maximale Herzfrequenz bei Inspi-
erektiler Dysfunktion erfolgt nach denselben Regeln ration - minimale Herzfrequenz bei Exspiration
wie beim Nichtdiabetiker. < 10
• Orthostase-Test (Abb. 16-135): Mindestens 5 min
• Kardiovaskuläres System. Indikation zur kardio- liegen, Puls und Blutdruck unmittelbar vor dem
vaskulären Diagnostik sind bei Patienten mit klini- Aufstehen und nach raschem Aufstehen messen.
schen Zeichen einer autonomen kardialen Neuro- Normal: geringer Blutdruckabfall ( < 10 mm Hg),
pathie als auch bei allen Diabetikern mit einer Pulsanstieg um ca. 20 Schläge
langen Diabetesdauer und/oder klinischen Zeichen Pathologisch: Blutdruckabfall > 20 mm Hg, feh-
einer diabetischen Neuropathie gegeben (s. Übersicht). lender Pulsanstieg

Jährliche Untersuchung bei Patienten mit einer


Diabetesdauer über 10 Jahren und bei allen
Diabetikern mit klinisch manifester Neuropathie 16.14.6
Differentialdiagnose
• Belastungs-EKG
• 24-h-Blutdruckmessung Verschiedene Erkrankungen (s. Übersicht) können
• Herzfrequenzvariation bei forcierter Atmung zu einer Neuropathie führen und sollten v. a. bei Pa-
(Abb. 16-134): tienten bedacht werden:
Normal: maximale Herzfrequenz bei Inspiration • mit unklarem klinischem Bild,
- minimale Herzfrequenz bei Expiration > 15 • mit kurzer Diabetesdauer,

f(min 1)

140

120

100 B

80

60

40
Abb. 16-134.
Normale Pulsfrequenzvariabilität im EKG
20~-------------------r--------------------~ (A) und Frequenzstarre (B) bei kardialer
min autonomer Neuropathie

mmHg (Blutdruck) mmHg (Blutdruck)


1/min (Puls) 1/min (Puls)
200 200 .

150
RR systolisch i
;
i
,~"'~
~
AR diastolischi

100 Pul~ 100 ~


Abb.16-135a, b.
AR diasoolisch;
50-3
Normaler a und pathologischerb Verlauf
-2 -1 0 2 3 4 2 3 4 von Blutdruck und Puls während des
(min) (min)
~I Schellong-Tests. RR arterieller Blutdruck.
Liegen Stehen b Liegen Stehen (Mod. nach Nusser et al. 1990)
16.14 Diabelische Neuropathie 767

• mit nachweislich guter Stoffwechsellage in den greifen, eingesetzt (Tabelle 16-37). Die meisten kli-
letzten Jahren, nischen Erfahrungen liegen in der Therapie mit
• bei Patienten ohne Hinweise auf diabetische mi- a-Liponsäure vor.
kro- und makrovaskuläre Komplikationen.
• a-Liponsäure. Die Therapie mit a-Liponsäure
Differentialdiagnose der diabetischen Neuropathie war lange Zeit umstritten und besitzt auch nach
ist in Tabelle 16-36 wiedergegeben. Beweis der klinischen Wirksamkeit durch die
doppelblinde-placebokontrollierte ALADIN-Studie
(= "alpha lipoic acid in diabetic neuropathy") nur
16.14.7 adjuvanten Charakter in der Therapie der diabeti-
Therapie schen Neuropathie (Abb. 16-136). In der DEKAN-
Studie konnte die Wirksamkeit der a-Liponsäure
Die optimale Diabeteseinstellung gilt als kausal be- auch bei kardialer Neuropathie gezeigt werden.
gründete Therapie und sollte die Grundlage jegli- Die Hauptwirkung der Thioctsäure ist ihre antioxi-
cher Prophylaxe sowie Therapie der diabetischen dative Eigenschaft: Das physiologische Redoxsystem
Neuropathie sein. Grundpfeiler der Prophylaxe Liponsäure/Dihydroliponsäure nimmt am Recycling
und Behandlung der diabetischen Neuropathie sind anderer antioxidativer Schutzmechanismen (Glu-
• optimale Stoffwechselkontrolle, thation, Vitamin C, Vitamin E) teil und kann so
• Schulung des Patienten, die durch oxidativen Stress vermittelte Zellaktivie-
• medikamentöse Therapie. rung inhibieren. Da die Bioverfügbarkeit und Akku-
mulation im Nervengewebe bei oraler Gabe ausrei-
chend ist, bietet die häufig empfohlene i. v.-Gabe
Medikamentöse Therapie lediglich den Vorteil der schnelleren Aufsättigung
Die entscheidende kausale Therapie der Blutzucker- bei z. B. schmerzhafter PNP. Ansonsten ist die orale
kontrolle ist in Abschn. 16.5 und 16.6 beschrieben. Einmalgabe von 600 mg/Tag die Standarddosierung,
Erst in zweiter Linie werden Medikamente, die in welche auch bei autonomer Neuropathie des Ga-
die Pathogenese der diabetischen Neuropathie ein- strointestinaltraktes ausreichend resorbiert wird.

Tabelle 16-36. Differentialdiagnose der diabetischen Neuropathie

Distal-symmetrische PNP i\lononeuropathia multiplex

J. Metabolische Erkrankungen Vaseulitis


Diabetes mellitus Amyloidase
Urämie Hypothyreose
Hypothyreose Akromegalie
Akut intermittierende Porphyrie Carotisaneurysma
Vitamin-8 6-/Vitamin-8 12-Mangel Hirntumor, Hirndruck

2. Vergiftung
Alkohol Schwerpunktneuropathie
Schwermetalle (Blei, Quecksilber, Arsen)
M. Paget
Medikamente
Läsionen des spinalen NS
3. Infiltration des Nerven (diagnostische Biopsie)
Amyloidase Autonome Neuropathie
Sarkoidase
Shy-Drager-Syndrom
4. Andere Erkrankungen Idiopathische orthostatische Hypotension
Periarteriitis nodosa
Systemischer Lupus erythematosus Motorische Neuropathie/Myopathien
Lymphome
Guillain-Barre-Syndrom
Paraneoplastische Erkrankungen
Myasthenia gravis
Primäre Myopathien
768 KAPI TEL 16 Glukose

Tabelle 16-37. Pathogenetisch begründete medikamentöse Therapie der diabetischen Neuropathie

Störung Substanz Therapieziel Tagesdosis

Oxidativer Stress a -Liponsäure Freie Sauerstoffradikale ! I-mal 600 mg oral


Axon - und Benfoliamine + Regeneration T 40 mg Benfoliamine +
Myelindegeneration Vitamin B6 + Vitamin B12 90 mg Vitamin B6
Vitamin B12
Polyolstoffwechsel Aldose-Reduktase- Produkte des Polyolstoff- Studienmedikation
Hemmer (Tolrestat) wechsels 1
Glykierung Aminoguanidin Bildung von AGEs 1 Studienmedikation
Hypoxie Vasodilatoren ervendurchblutung T Studienmedikation
Neurotrope Defizite "Nerve growth factor" ( GF) Regeneration T Studienmedikation

• Benfotiamin. Benfotiamin ist ein lipidlösliches zytosen kommen. In der Therapie der symptomati-
Derivat aus der Gruppe der Thiamin-(B 1)- Vitamine, schen autonomen Neuropathie des Gastrointestinal-
welches sich durch eine besonders hohe Bioverfüg- traktes zeigte Erythromycin, das u. a. an den Moti-
barkeit von dem bisherigen hydrophilen Vitamin B1 linrezeptor bindet, verglichen mit Cisapride und
unterscheidet. Die Derivate der B-Vitamine (Thia- Tetrazyklin die beste Wirksamkeit (Tabelle 16-38).
min, Pyridoxin, Cobalamin) sind an der Myelin-
und Axonregeneration beteiligt, u. a. durch Synthese
von Sphingosin. Eine doppelblinde, placebokontrol- 16.15
lierte randomisierte Studie konnte zeigen, dass es Diabetisches Fußsyndrom
nach 3-monatiger Therapie mit einer Kombination
aus Benfotiaminen, Vitamin B6 und Vitamin B12 zu M. HOFMANN, P. P. NAWROTH
einer signifikanten Verbesserung sowohl der Neuro-
pathiesymptome als auch der objektiven Parameter 16.15.1
wie der Nervenleitfähigkeit kommt. Fallpräsentation

• Unspezifische medikamentöse Therapie. Beson- Ein 68-jähriger Mann mit einem seit 10 Jahren
ders bei schmerzhafter Polyneuropathie sind Anal- bekannten Typ-2-Diabetes mellitus stellte sich
getika und sog. schmerzdistanzierende Psychophar- erstmals in der Diabetikerambulanz wegen einer
maka wie Amytryptilin in bis zu 80% der Fälle wirk- "kleinen Rötung am Fuß" vor. Der Lokalbefund
sam, jedoch ist mit einer hohen Nebenwirkungsrate zeigte am rechten Fuß ein 3 cm großes paraun-
zu rechnen. Besonders bei der Therapie mit Carba- guinales Ulkus mit Rötung, Überwärmung und
mazepin kann es zu lebensgefährlichen Agranulo-

100 p<0,002 I'

80
~
70,8

60 f--
~
~ 57 6
r-:;:::::::::.

40 f-- 1---

- -
-
"v
I I "----1
____,
~ Abb.16-136.
"'-=4.5 -3,3 -2,6
Wirksamkeit von a-Liponsäure bei diabeti-
seher Neuropathie mit Verbesserung der
'--- f- p<0,01 einzelnen Scores für Schmerzen, Brennen,
-20
Parästhesien und TaubheitsgefühL (Mod.
1200 mg 600mg 100 mg Plazebo nach Ziegler et al. 1995)
16.15 Diabetisches Fußsyndrom 769

Tabelle 16-38. Unspezifische Therapie der diabetischen Neuropathie

Indikation Medikament

ehrnerzhafte P P Amytriptilin 25- 150 mgiTag


Phenytoin 200-400 mg/Tag
Carbamazepin 200-600 mg/Tag
Wadenkrämpfe Magnesium
Chininsulfat 300 mg/Tag
Gastroparese/Diarrhoe Erythromycin 750 mg/Tag
Cisapride 4·10 mg
Metoclopramid 30 mgiTag
Tetrazyklin 200-500 mgiTag
Ortho tatische Dysregulation Vermehrte Aufnahme von aCl
Fludrocortisone
Erektile Disfunktion Sildenaf!l 50 mg (Price et al)

ödematöser Schwellung bis zum Sprunggelenk


(Abb. 16-137). Das Ulkus entstand nach Schnei-
de_n der _Zehe~nägel. Die Schmerzwahrnehmung
wgte s1ch emgeschränkt und das Vibrations-
empfinden im Stimmgabeltest aufgehoben.
Die Fußpulse waren gut tastbar. Temperatur
38,2°. Bestehende Medikation: Glibenclamid
2:-0-1 '. Metformin 850 1-0-0. Im Labor zeigte
sJCh eme Leukozytose (14.000) sowie Erhöhung
von CRP 12 mg!dl, Blutsenkung 28 nW, HbA 1c
9,8 %, Glukose 350 mgldl. Antibiogramm:
Mischinfektion Staphylokokken und Entero-
kokken. Die Röntgenuntersuchung des Fußes
ergab einen Normalbefund ohne Hinweis auf Abb. 1~-137. P~rainguina_les Ulkus bei diabetiseher Polyneu-
Osteomyelitis. Dopplersonographisch zeigte ropathle, ausgelost durch madäquate Fußpflege
sich eine pA VK Stadium I. Der Patient wurde
umgehend stationär aufgenommen und es er-
16.15.2
folgte eine systemische Antibiose mit Ofloxacin
und Staphylex. Metformin und Glibenclamid Epidemiologie
wurden abgesetzt, Diabetestherapie mit De-
Unter dem diabetischen Fußsyndrom werden Fuß-
pot-H-Insulin 24 E morgens und 12 E abends.
läsionen infolge des Diabetes mellitus verstanden,
Tägliche Wundversorgung mit mechanischem
deren primäre Ursache eine durch ungenügende
Wunddebridement, niedrig dosierte Heparin-
~toffwechselkontrolle entstandene Polyneuropathie
therapie. ach 10 Tagen Bettruhe und rückläu-
1st. Ca. 30 % aller Patienten mit Diabetes mellitus
figer lokaler Entzündung erfolgte Mobilisierung
müssen als Risikoträger für ein diabetisches Fußsyn-
mit einem Vorfußentlastungsschuh und ambu-
drom gelten, weil sie an einer PNP und/oder pA VK
lante Weiterbehandlung in der Diabeti.kerambu-
erkrankt sind. Die Prävalenz des diabetischen Fuß-
lanz. Nach einem 112 Jahr intensiver Betreuung
syndroms ist in folgender Übersicht wiedergegeben.
und Schulung vollständige Abheilung des Ulkus
und verbesserte diabetische Stoffwechsellage
Prävalenz des diabetischen Fußsyndroms
(HbA1c-Wert 7,2 %). Die Insulindosis konnte
in Deutschland
in Kombination mit Glibenclamid 1-0-0 auf
12 E morgens und 8 E abends reduziert werden.
• 5 Mio. Diabetiker in Deutschland
Eine augenärztliche Kontrolle zeigte eine nicht-
Davon 1,5 Mio. "Hochrisiko-Patienten"
proliferative diabetische Retinopathie, die regel-
70 o/o haben eine Polyneuropathie
mäßig kontrolliert wird.
30% haben zusätzlich eine Makroangiopathie
770 KAPITEL 16 Glukose

• 320.000 Patienten mit diabetischem Fußsyndrom überwiegend makroangiopathisches und etwa 1/3
(etwa 7 %). ein neuropathisch-makroangiopathisches Fußulkus
hatten (Abb. 16-139).

Das diabetische Fußsyndrom beginnt bei entspre-


Neuropathie
chender Prädisposition oft mit Bagatellverletzungen
Die neuropathisch bedingte Fehlbelastung des Fußes
(z. B. bei der Pediküre, Fremdkörper, ungeeignetes
in Kombination mit einem verminderten Schmerz-
Schuhwerk) und ist wegen der verminderten
empfinden sind in der Genese des diabetischen Fuß-
Schmerzwahrnehmung und Wundheilungstörungen
syndroms von zentraler Bedeutung, jedoch sind als
sehr schnell progredient. Sogenannte Bagatellverlet- auslösende Faktoren auch weitere Faktoren zu be-
zungen können via Osteomyelitis, Phlegmone un.d rücksichtigen (Abb. 16-140). Bedingt durch die Neu-
Sepsis zur Amputation der Extremität führen. ~Ie ropathie, wird der Fuß nicht mehr gleichmäßi~ be-
in der 1989 verabschiedeten St.-Vincent-DeklaratiOn
lastet und im Vorfußbereich kommt es zu maxima-
geforderte Reduzierung diabetesbedingt~r Fußa.~­ ler Druckbelastung. An diesen Stellen bilden sich
putationen um 50% bis 1994 wur?e mcht. erf~llt bevorzugt Ulzera (Abb. 16-141b). Durch die Druck-
und der Diabetes mellitus ist noch Immer die hau-
belastung und begünstigt durch eine verminderte
figste Ursache für Amputationen im Bereich der un-
Hautelastizität bilden sich Hyperkeratosen, Rhaga-
teren Extremität (Abb. 16-138).
den und Fissuren. Fissuren sind Eintrittspforte für
Infektionen, welche die Nekrotisierung und Ulzerie-
rung des Gewebes fortschreiten lassen. Für das Fort-
16.15.3
schreiten der Erkrankung ist entscheidend, dass der
Pathogenese Patient weder die Druckstellen und Rhagaden, noch
Infektion oder Verletzungen selbst spürt und somit
Der Begriff "diabetischer Fuß" umschreibt ein Syn- wegen des fehlenden Leidensdrucks häufig zu spät
drom verschiedener Krankheitsbilder, die durch un-
zum Arzt geht. Bagatellverletzungen, die zu einem
terschiedliche diabetesassoziierte Pathomechanis-
diabetischen Fußsyndrom führen können, sind fol-
men gekennzeichnet sind. Die Ätiologie ist in fol-
gend aufgezählt:
gender Übersicht dargestellt.
Bagatellverletzungen, die zum diabetischen
Ätiologie des diabetischen Fußsyndroms
Fußsyndrom führen können
• Neuropathie mit Fehlbelastung und Traumatisie-
• Mechanische Verletzungen:
rung Verletzungen durch Pediküre,
• Mikroangiopathie (evtl. zusätzlich Makroangio-
enges Schuhwerk
pathie) Fremdkörper im Schuh
Wundheilungs- und Angiogenesestörung
eingetretene Fremdkörper
Störung der lokalen Infektabwehr
• Physikalische Verletzungen:
Verbrennungen (z. B. Sonnenbrand),
Verbrühungen (z. B. Wärmflasche)
Eine Untersuchung von 42 Patienten (55% Typ-1- • Chemische Verletzungen: Keratolytika
und 45% Typ-2-Diabetes-mellitus) mit diabe- (z. B. Hühneraugenpflaster)
tischem Fußsyndrom zeigte, dass ca. die Hälfte
der Patienten ein rein neuropathisches, ca. 1/3 ein

0
0
1200
0
0 1000
OQl
~..c
e .~
800
c.c: 0 Nichtdiabetiker
c: Q) 600
Q) c:
... o • Diabetiker
........
CIS <Jl
N Q)
400
C:(l.
Q)
'0
200
·;;:;
E 0
40-60 60-80 >80 Abb.l6-138.
Jnzidenzraten von Amputationen bei Männern. (Mod. nach
Alter Trautner 1996)
16.15 Diabetisches Fußsyndrom 771

PNP
47 %

Abb. 16-139.
Verteilung der Grundkrankheiten pA VK und Neuropathie
bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom. pA VK
periphere arterielle Verschlusskrankheit, PNP Polyneu-
ropathie. (Krankengut der Städtischen Kliniken Düssel-
24 % dorf; mod. nach Reike 1995)

Diabetes mellitus

Bagatellverletzung

Makroangio- Mikroangio- motorisch sensibel


pathie pathie

vermindene
Schweißbildung
I
Muskel·
atrophie
\
Verlust des Verletzung
lnlektion

Wundheolungs· - • Fissuren Fehlbelastung Abb.l6-140.


störung / InJektion Rhagaden Druckstellen Ulkus
Synopsis für Entstehung des Fußsyndroms

Normaler Fuß Diabetikerfuß


Abb. 16-141. a Pedographie, b Hyperkeratose
772 KAPITEL 16 Glukose

Mikroangiopathie rose der Beinarterien zeigten als Diabetiker ohne


Eine Störung der Mikrozirkulation hat neben ihrer Neuropathie. Inwieweit diese C-Faserneuropathie
Bedeutung in der Pathogenese der diabetischen eine direkte Ursache der Kalzifizierung der Tunica
Neuropathie auch einen direkten hypoxischen und media ist, ist noch unklar.
nutritiven Gewebeschaden zur Folge. Die Hypoxie
des Gewebes entsteht z. B durch eine vermehrte Sau-
erstoffaffinitätdes glykierten Hämoglobins und ver- 16.15.4
änderte Fließeigenschaften. Klinik

Symptome und Beschwerden


Gestörte Wundheilung
Typisch ist für das diabetische Fußsyndrom, dass die
Alle Phasen der normalen Wundheilung sind bei
Patienten in der frühen Phase keine oder nur geringe
Hyperglykämie gestört (Tabelle 16-39) und betref-
Beschwerden haben und deshalb nur eine regelmä-
fen eine erhöhte Infektneigung sowie eine Störung
ßige Selbst- und ärztliche Kontrolle geeignet ist, die
der Angiogenese und Kollagenbiosynthese. Lyso-
(zu Beginn meist schmerzlosen) Symptome des dia-
zyme und Laktoferrin sind wichtige antibakterielle
betischen Fuß zu erfassen (s. Übersicht).
Schutzproteine und finden sich in Sekreten, Plasma
und Lysosomen von Granulozyten und Makropha-
Symptome des diabetischen Fußsyndroms
gen. Es wurde gezeigt, dass die bei Hyperglykämie
entstehenden "advanced glycation endproducts"
• Blasen und Ulzerationen bei bestehenden Haut-
an diese beiden Proteine binden können und zu
veränderungen
einer Inaktivierung dieser lokalen Abwehrmecha-
trockene, warme, atrophische Haut
nismen führen.
Interdigitalmykosen und Onychokeratomykosen
Druckstellen mit Hyperkeratosen
Makroangiopathie • Infektion: Rötung, Überwärmung, Phlegmone
Eine periphere Verschlusskrankheit der Unter- • Fehlstellung der Zehen, Frakturen, ausgeprägte
schenkelarteriell findet sich sowohl als alleinige Fußdeformierung bei Osteoarthropathie
Ursache für Ulzera an den Füßen (pA VK Stadi- • Fieber bis hin zur Sepsis
um 4), als auch in Kombination mit der Poly-
neuropathie. Eine Untersuchung an Diabetikern
mit autonomer kardialer Neuropathie (gestörte
Sudomotorik, verminderte Herzfrequenzvariabili-
tät) zeigte, dass diese viel häufiger eine Mediaskle-

Tabelle 16-39. Gestörte Wundheilung bei Hyperglykämie

Phase Normoglykamie Hyperglykämie

I. Phase: Entzündung/Wundreinigung Infiltration von Granulozyten, Gestörte Chemotaxis, Migration


Makrophagen und Phagozytose
Wundreinigung durch Lysozyme, Inaktivierung von Lactoferrin und Ly-
Phagozytose sozym durch AGEs
Erhöhte Adhärenz gramnegativer
Bakterien
2. Phase: Neovaskularisation Endothelzellproliferation, Glykierung von Angiogenesefaktoren
Kapillareinsprossung mit verminderter Endothelzellprolifera-
tion
Nutritivetoxische Endothelzell-
schädigung durch Hypoxie
3. Phase: Epithelialisierung Fibroblastenproliferation Glykierung von Fibroblast Growth
Factor (FGF) und Epidermal Growth
Factor (EGF)
Kollagensynthese Verminderte Kollagensynthese
Wundretraktion
16.15 Diabetisches Fußsyndrom 773

Anamnese
16.15.5
Diagnostik
• Spüren Sie Schmerzen?
• Haben Sie oft kalte Füße?
Die Diagnose ist durch Anamnese und klinische Un-
• Haben Sie Schmerzen beim Gehen?
tersuchung der Füße zu stellen. Eine zusätzliche ap-
• Wie pflegen Sie Ihre Füße?
parative Diagnostik (Abb. 16-142) wird zur Beurtei-
• Leiden Sie öfters an Fußpilz?
lung des Schweregrades und zur Therapieplanung
• Was tragen Sie für Schuhwerk?
benötigt.
• Fühlen Sie sich ausreichend geschult?
• Hatten Sie schon einmal ein Fußgeschwür?
Anamnese • Nikotinabusus?
Die Anamnese ist der Eckpfeiler sowohl für die früh-
zeitige Erkennung von Risikopatienten als auch für
eine frühzeitige Erkennung des manifesten diabeti-
schen Fußsyndroms (s. Übersicht).
Körperliche Untersuchung
Die Untersuchung der Füße, sog. "Fußvisite" (s.
Übersicht) muss bei Patienten ohne Neuropathie
mindestens einmal jährlich und bei Patienten mit
Neuropathie 1/4jährlich erfolgen, um trophische Ver-
änderungen rechtzeitig zu erfassen .

. . . . - - - - - Anamnese + klinische Untersuchung


!
Dopplersonographie
1

l l
Manifestes diabetisches Fußsyndrom
1
Röntgen
Ke1ne PNP PNPiund Doppler
Keine pAVK oder pAVK

1
angiopathisches
neuropathisches
Ulkus Ulkus

kein Infekt
\
Infekt Angiographie
• Labor
(BB. BSG,CRP)
Kontrolle Risiko- • Wundabstrich

.
in 1 Jahr pat1ent

lokal systemisch

.
Ambulante
1
Ambulante Stationäre Stationäre
Therapie Therapie Therapie Therapie
BZ-Kontrolle BZ-Kontrolle BZ-Kontrolle Revaskula-
Druckentlastung Druckentlastung Druckentlastung risation ?
lokale Wund- lokale Wund- lokale Wund- BZ-Kontrolle
behandlung behandlung behandlung Wund-
Schulung Antibiose Antibiose behandlung
Schulung Heparin s. c. Antibiose
Infektkontrolle Druckent-
chirurgisches lastung
Konsil Schulung
Schulung

Interdisziplinäre Therapie
Abb.l6-142.
Algorithmus der Diagnostik. BZ Blut-
IPrimärprävention I I Sekundärprävention I zucker, pA VK periphere arterielle Ver-
schlusskrankheit, PNP Polyneuropathie
774 KAPITEL 16 Glukose

Fußvisite sches oder ein sog. Mischulkus gelingt überwiegend


mit klinischen Methoden (Tabelle 16-40). Das Fuß-
• Inspektion der Füße und besonders von Zehen- ulkus neuropathischer Genese tritt typischerweise
zwischenraum und Fußnägeln an den plantaren Stellen hoher Druckbelastung
Suche nach Hautveränderungen, Hautläsionen, auf; überwiegend makrovaskulär bedingte Ulzera
• Druckstellen sind an den Akren lokalisiert. Besonders bei älteren
Beurteilung der Qualität der Hautpflege Diabetikern handelt es sich bei gleichzeitig vorlie-
Prüfen von Sensibilität, Vibrations- und Schmerz- gender peripherer arterieller Verschlusskrankheit
empfinden häufig um ein "Mischulkus".
• Prüfen von Achillessehnenreflex, Patellarsehnen-
reflex
Technische Verfahren
• Fotodokumentation von Läsionen
• Röntgen. Röntgenuntersuchungen sind notwen-
• Palpieren der Fußpulse
dig bei neu-manifestem Ulkus, bei klinischer Ver-
• Überprüfen der Schuhe
schlechterung sowie zur Verlaufsbeurteilung des
diabetischen Fußsyndroms, um Veränderungen
Bei Patienten mit manifestem diabetischem Fußsyn- wie Fremdkörper, Frakturen (Charcot-Osteoarthro-
drom ist bei ambulanter Behandlung eine ärztliche pathie), Osteomyelitis oder Gasbildung zu erkennen.
Kontrolle im Abstand von 2-3 Tagen ratsam. Die Er- Häufig findet sich nebenbefundlieh eine Mediaskle-
hebung des Defektstatus ist in folgender Übersicht rose. Zur Differentialdiagnose Osteomyelitis/Osteo-
dargestellt. arthropathie ist ein MRT und evtl. auch ein Kno-
chenszintigramm notwendig.
Erheben des Defektstatus
bei diabetischem Fußsyndrom • Labor. Bei klinischen Zeichen einer lokalen Infek-
tion muss ein tiefer Wundabstrich, einschließlich
• Sondieren von Wundhöhlen und -taschen Untersuchung auf Anaerobier (spezielles Entnah-
Fistelgänge Kapsel-, Sehnen-, Gelenkbeteiligung meset) zur Erreger- und Resistenzbestimmung erfol-
Knochenbeteiligung gen (Tabelle 16-41). Zusätzlich sind mehrere Blut-
• Entzündungsstatus kulturen sowie Untersuchung des Blutbildes, klini-
Erysipel, Phlegmone, Gangrän, Ödem sche Chemie (einschließlich CRP und Blutsenkung)
generalisierte Entzündung (Fieber, Leukozytose, zur Beurteilung einer systemischen Infektion not-
CRP, BSG) wendig. Bei reizfreien, nichtentzündeten Läsionen
• Sicherung des Keimspektrums (tiefer Abstrich, ist eine bakteriologische Untersuchung sowie pro-
Blutkultur) phylaktische Antibiose ohne Vorteil.
• Röntgen
• Osteomyelitis, Fremdkörper, Gasbildung • Dopp1er-/Duplexsonographie. Die Doppler- und
• Fotodokumentation Duplexsonographie zur Beurteilung des Gefäßstatus
ist bei allen Diabetikern mit manifestem Ulkus not-
wendig und bei gesicherter pA VK Stadium III- IV ist
Die für die Therapie entscheidende Differenzierung die Angiographie zur Operationsplanung (Ziel der
in ein rein neuropathisches, rein makroangiopathi- Revaskularisation) notwendig.

Tabelle 16-40. Klinische Unterscheidungsmerkmale von makroangiopathischem und neuropathischem Fußulkus

Makroangiopathhches Ulkus Neuropathisches Ulkus

Schmerzen Claucticatio intermittens Keine


Hauttemperatur Kühl Warm und trocken
Hautfarbe Bla s-livide ormal bi ro ig
Fußpulse Abgeschwächt bis fehlend Gut tastbar
Manifestationsort der Ulzera Akren Fußsohle und Ferse
eurologischer Befund Muskeleigenreflexe normal Muskeleigenreflexe vermindert
Sensibilität normal Sensibilität vermindert
Vibrationsempfinden normal Vibrationsempfinden aufgehoben
Doppleruntersuchung Dopplerindex < 0,9 Dopplerindex > 0,9
16.15 Diabetisches Fußsyndrom 775

Tabelle 16-41. Häufigkeit der nachgewiesenen Bakterien bei infiziertem diabetischem Fußsyndrom

Nachgewiesene Bakterien

Gramnegativ
Aerobier [%] Anaerobier [o/o]
Proteus mirabilis 28 B. fragilus 19
E. coli 16 B. ovatus 9
Pseudomonas aeruginosa 16 B. ureoluticus 9

Grampositiv
Aerobier [o/o] Anaerobier [o/o]
Enterococcus sp. 41 P. magnus 28
Staph. aureus 25 P. anerobius 19
Streptokokken der Gruppe B 16

• Vaskulitis
16.15.6
• Chronisch venöse Insuffizienz
Differentialdiagnose

Bei bekanntem Diabetes mellitus ist die Differential-


Eine seltene Manifestation im Rahmen eines diabe-
diagnose einfach und eine Unterscheidung von neu-
tischen Fußsyndroms ist die Charcot-Osteoarthro-
ropathischem zu makroangiopathischem Ulkus
pathie. Diese Osteoarthropathie ist ätiologisch un-
meist möglich. Besonders bei Patienten mit bisher
geklärt, es kommt zur Zerstörung der Knochen-
nicht bekanntem Diabetes mellitus sind weitere Dif-
struktur
. und Gelenke. Ein nur kleines Trauma
f~rentialdiagnosen zu berücksichtigen (s. Über- )

wte z. B. Stolpern, kann die auslösende Ursache


steht); so können auch andere Neuropathien z. B.
~~r die zu beobachtenden Veränderungen wie
bei Lepra zu sehr ähnlichen Fußulzera führen
Uberwärmung, Rötung und Schwellung des Fußes
(Abb. 16-143a).
(~bb. ~6-143) sein. Im Knochenszintigramm zeigt

Dierentialdiagnose des Fußulkus st.ch eme. hohe Aktivitätsanreicherung. Oft wird


dte Fehldtagnose Phlegmone, Gicht oder tiefe Bein-
venenthrombose gestellt. Im Verlauf kommt es
• Diabetes mellitus
häufig zur knöchernen Destruktion des Fuß-
• Lepra, Tabes dorsalis, Syringomyelie
skelettes und zur Bildung von Ulzera an druck-
• Polyneuropathie anderer Ursache
belasteten Stellen.
• Lagerungsschäden
• Arterielle Verschlusskrankheit

Abb.l6-l43a. Neuropathisches Ulkus bei Lepra Abb. l6-l43b. Makroangiopathisches Ulkus


776 KAPITEL 16 Glukose

der Klinik zunächst durch Bettruhe und kontinuier-


16.15.7
liche Hochlagerung des Beines (Verhinderung von
Therapie
Ödemen), an die sich eine Mobilisierung mittels
Rollstuhl, Unterarmgehstützen und spezielle Schuhe
Die Therapie des diabetischen Fußsyndroms um-
zur Entlastung anschließen.
fasst die Primärprävention, eigentliche Behandlung
des Ulkus und die Sekundärprävention nach abge-
heilten Läsionen (Tabelle 16-42). Motivation und Compliance in der Therapie
des diabetischen Fußsyndroms
Ulkusbehandlung
• Absolute Druckentlastung
Die Primärprävention mit der Kontrolle der diabe-
Bettruhe, Vorfußentlastungsschuh, evtl. Orthode-
tischen Stoffwechsellage und der Schulung des Pa-
sen
tienten mit Neuropathie sind wichtige und sehr wir-
• Optimale diabetische Stoffwechselkontrolle:
kungsvolle Maßnahmen. Bei diabetischem Fußulkus
selbständige Blutzuckerkontrolle, ernährungsme-
ist die enge Zusammenarbeit von Diabetologen,
dizinische Beratung
Schulungsteam, Hausarzt, Chirurgen, Orthopäden
evtl. intensivierte Insulintherapie
und Schuhmacher wichtig, um die Versorgung des
• Anleitung zur täglichen Fußinspektion und Fuß-
Patienten mit diabetischem Fuß zu gewährleisten.
pflege
Erfahrungen von spezialisierten Zentren (Diabetes-
tägliches Waschen
fußambulanz) konnten zeigen, dass durch die inter-
tägliches Eincremen mit einer Fettsalbe unter
disziplinäre Betreuung die Anzahl der Amputatio-
Aussparen der Zehenzwischenräume
nen rückläufig ist. Die Sekundärprophylaxe ist inte-
Abschleifen der Hornhaut (nicht schneiden!)
graler Bestandteil in der Therapie. Die Behandlung
Feilen der Nägel
des neuropathischen Fußulkus erfolgt primär inter-
Wundversorgung nach Anleitung, keine "Bath-
nistisch, und operative Eingriffe erfolgen, abgesehen
room surgery"
von lebensbedrohlichen Zuständen, erst in zweiter
Linie, im Gegensatz zu makroangiopathischen Ulze-
ra, bei denen eine Revaskularisation Therapie der
ersten Wahl darstellt (s. Übersicht). • Stoffwechselkontrolle. Die mit dem Ulkus ver-
bundene Infektion führt sowohl bei Typ-1- als
Grundzüge der Therapie auch bei Typ-2-Diabetes-mellitus zu einer Insulin-
des diabetischen Fußsyndroms resistenz und damit zu einer Verschlechterung der
meist ohnehin ungenügenden Blutzuckerkontrolle.
• Absolute Druckentlastung Bei Patienten mit infiziertem Ulkus ist die Therapie
• Optimierte Stoffwechselkontrolle mit Metformin wegen der Gefahr der Laktatazidose
• Systemische Antibiose kontraindiziert
• Lokale Wundbehandlung
• Systemische Antibiose. Die antibiotische Be-
handlung sollte gezielt nach der Erreger- und Resi-
• Druckentlastung. Intensive Schulung soll den Pa- stenzaustestung des tief entnommenen Fußabstri-
tienten zur Mitbehandlung motivieren. Die Behand- ches erfolgen. Die initiale Behandlung sollte zu-
lung einzelner Läsionen, als auch die lebenslange nächst mit einem Breitspektrumantibiotikum, das
Prädisposition für neue Läsionen nach abgeheiltem die häufigsten Erreger (s. Tabelle 16-39) erfasst, er-
diabetischem Fußulkus, erfordern eine hohe Moti- folgen. Die systemische Antibiose (oral, i. v.) ist der
vationaufseiten des Patienten und des Therapeuten- lokalen Antibiotikagabe in jedem Fall vorzuziehen.
teams (s. Übersicht). Die Druckentlastung erfolgt in Bei kleinen Läsionen, die klinisch keinen Hinweis

Tabelle 16-42. Therapie des diabetischen Fußsyndroms

Primärprävention Therapie des Ulkus Sekundarprävention

Diabetiker mit diabetischem PNP Diabetiker mit Läsionen Diabetiker nach Läsionen
und/oder pA VK
Stoffwechselkontrolle Schulung toffwechselkontrolle interdisziplinäre Stoffwechselkontrolle, chulung
Therapie
16.15 Diabetisches Fußsyndrom 777

auf eine bakterielle Infektion zeigen, ist eine Anti- Die Fibroblastenproliferation wird durch feuchtes
biotikaprophylaxeumstritten und nach einer Unter- Wundmilieu (z. B. konventionelle sterile Wundauf-
suchung von Chantelau et al. (1996) ohne Vorteil. lagen mit Ringer-Lösung) unterstützt. Gute Erfolge
Tetanusprophylaxe nicht vergessen! durch eine lokale Anwendung von Insulin oder He-
parin als Wachstumsfaktoren sind in Einzelfällen
• Lokale Wundbehandlung. Das Therapieziel be- dokumentiert. Polymerverbände (Okklusivverbän-
steht in der Unterstützung der biologischen Vorgän- de) sollten wegen des Risikos einer progredienten
ge der Wundheilung und umfasst folgende Ziele: Infektionsausbreitung nur bei klinisch nicht infizier-
• stadienorientierte Unterstützung der biologi- ten Wunden und mit einer maximalen Verweildauer
schen Wundheilung, von 2 Tagen benutzt werden. Bei zunehmender Epi-
• Infektionsbekämpfung und -prophylaxe, thelialisierung der Wunde ist ein nichtverklebender
• Entfernung von Nekrosen und Hyperkeratosen. Wundverband (z. B. Fettgaze) angezeigt.

Ein stadienorientierter Wechsel der Behandlungs- • Chirurgische Intervention. Sind Sehnen, Kno-
methoden (Tabelle 16-43) ist bei der Versorgung chen oder Gelenke in den entzündlichen Prozess
chronischer Wunden erforderlich. Während der einbezogen, ist eine operative Revision und häufig
Entzündungsphase wird nekrotisches und infiziertes eine Knochenentfernung unumgänglich. Zunächst
Gewebe mit dem Skalpell, scharfen Löffel, Schere wird versucht, mit einer Strahl- oder Vorfußampu-
und Pinzette vorsichtig entfernt. Ein tägliches me- tation auszukommen, bei nicht beherrschbarer In-
chanisches Wunddebridement und zusätzliches en- fektion ist eine Unterschenkel- oder Oberschenkel-
zymatisches Debridement ist einer ausgedehnten amputation erforderlich. Wenn eine pA VK, mit oder
chirurgischen Nekrosektomie zu bevorzugen. Die ohne begleitende Neuropath ie, die Hauptursache
beste Prophylaxe gegen eine Wundinfektion ist des Ulkus ist, sind revaskularisierende Maßnahmen
die subtile Entfernung der für Bakterien günstigen vor einer Amputation zu versuchen. Weitere Indika-
Lebensbedingungen, d. h. Drainage von Exsudat tion für chirurgische Maßnahmen sind rezidivieren-
und mechanisches Debridement. Lokale Antiseptika de Ulzera durch Druck von Knochenvorsprüngen,
wirken unspezifisch bakteriostatisch und hemmen z. B. bei Deformierung des Fußskelettes bei der
die Zellproliferation und damit die Wundheilung. Charcot-Osteoarthropathie. Nur durch eine enge
Eine individuelle Schaden-Nutzen-Abwägung ist Zusammenarbeit von Chirurgen und Internisten
deshalb erforderlich. Nach Reinigung der Wunde ist die in der St.-Vincent-Deklaration (s. Übersicht)
gilt es optimale Wachstumsbedingungen für das geforderte Verringerung der Amputationszahlen zu
proliferierende Granulationsgewebe zu schaffen. erreichen.

Tabelle 16-43. Stadiengerechte lokale Wundbehandlung

Wundheilungsphase Therapieziel Therapie Zusatzlieh

Entzündung Entfernung von nekrotischem Mechanisches Wunddebride- Druckentlastung


und infiziertem Gewebe ment

Ableitung von ekret und Eiter Operative ekrosektomie Hochlagerung

Enzyrnati ehe Systemische Antibiose nach


Wunddebridement Antibiogramm

Lokale Antiseptika Tetanu prophylaxe

"Low-do e-Heparin" s.c.

Granulation Fibroblastenproliferation Feuchte Wundbehandlung (Lokal Insulin, Heparin )

Kollagen ynthese Entfernung von Hyperkerato en

Angiogenese

Epithelialisierung Proliferation und Migration Fettgaze


von Epithelzellen
778 KAPI TE L 16 Glukose

St.-Vincent-Deklaration zur Verringerung ist eine sofortige stationäre Aufnahme erforderlich


diabetesassoziierter Amputation: Grundzüge der (s. Übersicht).
interdisziplinären Zusammenarbeit
Notfall diabetiseher Fuß
• Vor diabetesassoziierten Amputationen sollten
ein gefäßchirurgisch und ein diabetalogisch er- • Diagnostik
fahrener Arzt konsultiert werden Klinische Untersuchung (Drohende Sepsis? Neu-
• Bei pA VK ist eine Revaskularisation vor einer ropathisches Ulkus? Makrovaskuläres Ulkus?)
Amputation in Betracht zu ziehen Tiefe Wundabstriche sowie Blutkulturen für Erre-
• Bei fehlenden Hinweisen auf eine pA VK ist eine gerresistenzbestimmung
Amputation als primäre Behandlungsmaßnahme Röntgen (Osteomyelitis? Frakturen? Fremdkör-
nicht indiziert per? Gasbildung?)
Labor (Blutbild, klinische Chemie, Urinstatus)
• Therapie
Sekundärprophylaxe Entlastung (Abszessspaltung/Drainage, Ruhig-
Patienten mit abgeheiltem Ulkus sind Hochrisikopa- stellung, evtl. Amputation)
tienten bezüglich eines erneuten Ulkus und sollten i. v.-Breitspektrumantibiose
deshalb in spezialisierten Zentren an einer struktu- "Low-dose-Heparinisierung"
rierten Diabetesschulung teilnehmen. Schulungsin- Tetanusprophylaxe
halte umfassen neben den Grundlagen zur Patho- Revaskularisierung bei pA VK Stadium IV
physiologie des Diabetes mellitus und Stoffwechsel- Chirurgisches Konsil bei chronischer Osteomye-
kontrolle auch Informationen zur Pathogenese von litis, konservativ nicht beherrschbarer Infektion
diabetischen Folgeerkrankungen mit den Besonder- oder bei Sepsis
heiten der Wahrnehmungsstörung bei Neuropathie
(s. Übersicht).

Schulungsinhalte zur Vermeidung 16.16


von Verletzungen "Hypoglycemia unawareness"
• Fußpflege: Füße täglich waschen, keine längeren M. s. KL EVESATH, B. IS E RMANN, P. P. NAWROTH
Fußbäder, Wassertemperatur messen, Füße mit
Fettsalbe eincremen (Zwischenzehenräume aus- 16.16.1
sparen), Hornhaut abschleifen, Nägel feilen, Fallpräsentation
keine Scheren oder andere spitze Gegenstände
verwenden, keine Hornhautpflaster, nicht barfuß Ein 42-jähriger Patient mit einem seit dem 19.
laufen Lebensjahr bekannten Diabetes mellitus stellte
• Schuhwerk: neue Schuhe vorsichtig einlaufen, sich in der Sprechstunde vor. Vorstellungsgrund
Schuhe passend kaufen (wenn die Größe wegen war die Erstmanifestation einer Hypoglykämie
der Neuropathie nicht beurteilt werden kann, ohne Symptome. Hypoglykämisch war er mit
dann Fußumriss auf Papier aufzeichnen), optimal
einem Auto gegen ein parkendes Fahrzeug ge-
bequeme Schuhe (z. B. Jogging-Schuhe) ohne
fahren. Er berichtete, da s in letzter Zeit gehäuft
hohe Absätze, geräumiges weiches Oberleder
leichtere Hypoglykämien aufgetreten waren, die
ohne harte Vorderkappen, maßgefertigte elasti-
allerdings bisher symptomatisch gewesen wa-
sche W eichschaumbettung, orthopädische Maß-
ren . Aber es fiel ihm auf, dass neuerdings eine
schuhe bei Fußdeformierung, Schuhe mit der
Hypoglykämiesymptomatik zunehmend erst
Hand innen nach Fremdkörpern absuchen bei relativ niedrigen Blutglukosewerten, oder
wie jetzt zum ersten Mal, nicht mehr aufgetreten
sei. Der Diabetes mellitus war seit einigen Mo -
naten mit Hilfe einer intensivierten Insulinthe-
16.15.8 rapie eingestellt. Eine strukturierte Schulung
Notfall wurde nicht durchgeführt. Der Patient spritzte
sich jeweils morgens und spätabends 12 IE Ver-
Bei klinischen Zeichen einer fortgeschrittenen lokal- zögerungsinsulin und zu den Mahlzeiten
en Entzündung (Phlegmone, Abszess, Gangrän) schnellwirk ames Altinsulin nach Bedarf. Er
oder bei einem Patienten mit einem Fußulkus gab an, seine Blutzuckerwerte nicht vor jeder
und systemischer Infektion (Fieber, Schüttelfrost)
16.16 "Hypoglycemia unawareness" 779

Mahlzeit zu bestimmen und dokumentierte 16.16.2


seine Werte auch nur unregelmäßig. Zu Beginn Epidemiologie
der intensivierten Insulintherapie hatte er regel-
mäßiger Blutglukoseselbstkontrollen und Do- Bis zu 50 o/o aller Patienten mit langjährigem,
kumentation der Werte durchgeführt, dies insulinpflichtigem Diabetes mellitus (> 30 Jahre)
aber in letzter Zeit vernachlässigt. Untersu- und durchschnittlich 25 o/o aller Diabetiker entwik-
chungsbefund: 180 cm großer, 75 kg schwerer keln klinisch eine "hypoglycemia unawareness"
Patient, Cor und Pulmo auskultatorisch unauf- (Abb. 16-144). Unter "hypoglycemia unawareness"
fällig, Blutdruck beidseits 130/70 mm Hg, Puls versteht man eine Hypoglykämie, die ohne voran-
64/min und regelmäßig. Fußpul e beidseits gehende, warnende Hypoglykämiesymptomatik
gut tastbar. Der letzte Augenarztbefund be- auftritt. Dabei unterscheidet man die vegetativen
schreibt eine beginnende diabetische Retinopa- Hypoglykämiesymptome und die neuroglykopeni-
thie. Das Vibrationsempfinden betrug an den schen Hypoglykämiesymptome (s. Übersicht).
unteren Extremitäten 7/8. Der po tprandiale
Blutgl ukosewert lag bei 76 mgldl. Der HbA 1c- Vegetative Hypoglykämiesymptome
Wert betrug 7,2 o/o (Norm bis 6,1 o/o). Therapie
und Verlauf: Die Insulintherapie wurde so geän- • Sympathisches Nervensystem: Unruhe, Tachy-
dert, dass die mittlere Blutglukosekonzentration kardie, Schwitzen, Hypertonie, Hyperventilation,
vorübergehend auf einen durchschnittlichen Nervosität, Reizbarkeit, Zittern, Blässe, Mydriasis
Wert von ca. 160 mgldl angehoben wurde. Der • Parasympathisches Nervensystem: Heißhunger,
HbA 1c-Wert stieg dann auf 8,4 %. Außerdem Schwindel, Übelkeit, Schwächegefühl, Speichel-
wurde der Patient angeleitet, durch engma ehi- fluss, Erbrechen, Adynamie
ge Blutglukosekontrollen eine Hypoglykämie • Neuroglukopenische Hypoglykämiesymptome:
absolut zu vermeiden. Er wurde zum ersten Kopfschmerz, Endokrines Psychosyndrom (Ver-
Mal ausführlich geschult und auf seine spezifi- stimmung, Konzentrations- und Merkschwäche
schen Hypoglykämiesymptome sen ibilisiert. u. a.), Verwirrtheit, Schwindel, Kopfschmerz,
Außerdem wurde ihm eine GlukagoneinmaJ- Sprachstörungen, Sehstörungen, Müdigkeit, mo-
spritze ausgehändigt und owohl ihm al auch torische und sensible Ausfälle, Automatismen
den Angehörigen der Gebrauch erklärt. Der Pa- (Grimassieren, Schmatzen), Krampfanfälle, Hy-
tient wurde zunächst angehalten, nicht Auto zu pothermie, Atem- und Kreislaufinsuffizienz
fahren. Unter dieser Therapie entwickelte der
Patient schon bei Blutglukosewerten unter
90 mg!dl wieder ein deutlicheres Wahrnehmen
von Symptomen einer Hypoglykämie. Nach In großen Studien konnte gezeigt werden, dass Pa-
einigen Wochen konnten die Blutglukosewerte tienten mit "hypoglycemia unawareness" eine signi-
wieder in einen normnahen Bereich gesenkt fikant längere Erkrankungsdauer haben, signifikant
werden, ohne dass die Hypoglykämiewahrneh- niedrigere HbA 1c-Werte haben und eine Anamnese
mung eingeschränkt war. Danach konnte der mit häufigen schweren Hypoglykämien aufweisen
Patient auch wieder gefahrlo Auto fahren. (Abb. 16-144). Die "hypoglycemia unawareness"
wird unter intensivierter Insulintherapie gehäuft be-

.
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Abb.l6-144.
Erkrankungsdauer bei Patienten mit "hypo-
Patienten mit Patienten ohne glycemia unawareness" im Gegensatz zu Pa-
.. h\IPoglycaemia .. h\IPoglycaemia tienten ohne "hypoglycemia unawareness" .
unawareness· unawareness" (Mod. nach Mokan et al. 1994)
780 KAPITEL 16 Glukose

obachtet, vermutlich aufgrund der erhöhten Hypo- glycemia unawareness", wenn nicht nur die Gluka-
glykämiehäufigkeit unter intensivierter Insulinthe- gongegenreaktion, sondern auch die Adrenalinreak-
rapie im Gegensatz zur konventionellen lnsulinthe- tion eingeschränkt ist. Andere Hormone der Gegen-
rapie. Hypoglykämien treten häufig nachts auf regulation sind das Wachstumshormon und Corti-
(mehr als 50 o/o). Dies liegt daran, dass z. B. eine in- sol. Sie tragen nur unwesentlich zum Ausgleich
adäquate Insulintherapie oder Insulinmischung einer akuten Hypoglykämie bei. Diese Hormone
durch fehlende Wahrnehmung der Hypoglykämie- spielen nur eine Rolle bei der prolongierten Hypo-
symptome während des Schlafs lange unerkannt glykämie nach mehreren Stunden. Die Entstehung
bleiben können. Dadurch ist die Anamnese der Hy- der "hypoglycemia unawareness" ist letztlich nicht
poglykämie häufig erschwert. Indirekte Hinweise sicher geklärt. Es scheinen jedoch verschiedene Fak-
auf eine nächtliche Hypoglykämie wie nass ge- toren eine Rolle zu spielen. So beeinflusst die Häu-
schwitzte, durchwühlte Bettwäsche oder morgendli- figkeit von Hypoglykämien und auch das Vorliegen
che Kopfschmerzen müssen erfragt werden. Oft ist einer diabetischen Neuropathie die Entstehung
es der Partner, dem der unruhige Schlaf auffällt. einer "hypoglycemia unawareness". Das Vorliegen
Der schlafende Patient selbst nimmt dies häufig einer diabetischen Neuropathie ist jedoch keine not-
nicht wahr und mancher unerklärt gebliebene wendige Voraussetzung zur Entstehung einer "hy-
nächtliche Tod ist möglicherweise Folge einer nächt- poglycemia unawareness". Aber die diabetische
lichen Hypoglykämie. Bei insulinpflichtigen Diabe- Neuropathie kann durch Verminderung der Katech-
tikern unter 45 Jahren sind Hypoglykämien in olaminreaktion zur Entwicklung einer "hypoglyce-
2-4 o/o ursächlich für den Tod verantwortlich. mia unawareness" beitragen. Risikofaktoren für
die Entstehung sind in folgender Übersicht wieder-
gegeben.
16.16.3
Pathogenese Risikofaktoren für die Entstehung einer "hypogly-
cemia unawareness" bei insulinpflichtigem Diabe-
Bei Patienten mit "hypoglycemia unawareness" lässt tes mellitus
sich eine defekte hormonelle Hypoglykämiegegenre-
gulation nachweisen. Vor allem die Hormone Glu- e Langjährige Diabetesdauer
kagon und Adrenalin sind, in Abhängigkeit von • Diabetische Neuropathie
der Diabetesdauer, betroffen. • Häufige Hypoglykämien
• Niedriger HbA 1c
Gestörte hormonelle Hypoglykämie-Gegenregula- • Abgeschwächte ß-adrenerge Sensitivität
tion in Abhängigkeit von der Diabetesdauer • Intensivierte Insulintherapie

• Glukagondefizit nach ca. 5 Jahren


• Gestörte Adrenalinfreisetzung nach ca. 10 Jahren Zahlreiche Organsysteme können durch Hypo-
glykämien geschädigt werden (s. Übersicht unten).
Diese Gefährdung ergibt sich zum einen aus der
Neuroglukopenie, zum anderen aus der sympatho-
Es kommt beim insulinpflichtigen Diabetes mellitus adrenergen Aktivierung mit ihren jeweiligen Kon-
schon nach wenigen Jahren zu einer gestörten Glu- sequenzen.
kagonausschüttung. Dieser Ausfall ist selektiv, d. h.
die Glukagonantwort auf andere Stimuli bleibt in- Morbidität durch Hypoglykämien
takt. Man kann somit nicht von einer strukturellen
Abnormalität der a-Zellen per se ausgehen, sondern • Gehirn
von einem Defekt der Überleitung des Hypoglyk- Psychologische Veränderungen: kognitive Dys-
ämiesignals. Die Adrenalinausschüttung wird erst funktion, Automatismen, Persönlichkeits- und
Jahre später beeinflusst. Dieser Defekt ist ähnlich Verhaltensänderungen, Psychosen
wie die fehlende Glukagonausschüttung selektiv, Neurologische Veränderungen: Koma, Konvulsio-
d. h. auf andere Stimuli ist die Reaktion nicht einge- nen, Fokale motorische und sensorische Ausfälle,
schränkt, sodass auch hier nicht von einer struktu- Hemiplegie, TIAs, Ataxie, Dekortikation
rellen Läsion des Nebennierenmarks ausgegangen • Herz: Myokardischämie, Infarkt, Arrhythmien
werden kann. Die Adrenalinreaktion kann jedoch, • Augen: Hämorrhagien (Glaskörper)
im Gegensatz zum völligen Fehlen der Glukagonre- • Verschiedenes: Unfälle (z. B. beim Autofahren),
aktion, durch besonders niedrige Glukosespiegel Hypothermie u. a.
noch hervorgerufen werden. Es kommt zur "hypo-
16.16 "H ypoglycemia unawareness" 781

Kopfschmerzen oder stark erhöhte morgendliche


16.16.4
Blutglukosewerte. Auch der Partner kann wichtige
Klinik
Hinweise zum Schlafverhalten (unruhiger Schlaf)
geben, die auf eine nächtliche Hypoglykämie schlie-
Symptome und Beschwerden
ßen lassen. Auch die Häufigkeit der Hypoglykämien,
Patienten mit "hypoglycemia unawareness" verspü-
die Diabetesdauer und auch das Vorliegen einer dia-
ren nicht mehr die warnenden, vegetativ ausgelösten
betischen Neuropathie muss festgestellt werden, da
Hypoglykämiesymptome und können somit nicht
sowohl häufige Hypoglykämien als auch eine lange
mehr rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen (Nah-
Diabetesdauer und das Vorliegen einer diabetischen
rungszufuhr) ergreifen, um eine schwere Hypo-
Neuropathie mit einer "hypoglycemia unawareness"
glykämie zu vermeiden. Die Hypoglykämie wird
assoziiert sind (s. oben). Nicht selten sind die Patien-
erst im Stadium der Neuroglukopenie mit den dar-
ten völlig überrascht und verunsichert über ihr auf-
aus resultierenden Symptomen wahrgenommen.
getretenes Unvermögen, Hypoglykämien noch
Besteht die Neuroglukopenie zu lange, so resultiert
wahrzunehmen.
u. U. ein irreversibles Defektsyndrom (z. B. posthy-
poglykämisches Koma oder Demenz). Die auf die
Neuroglukopenie folgende kognitive Dysfunktion Körperliche Untersuchung
verhindert oftmals die Möglichkeit, die Hypo- Die körperliche Untersuchung dient v. a. zum Auf-
glykämie noch selbst adäquat zu therapieren. Das decken einer evtl. vorhandenen diabetischen Neuro-
heißt, der Betroffene ist auf Fremdhilfe angewiesen. pathie (s. Kapitel 16.14).
Die daraus folgenden häufigeren Hypoglykämien
führen ihrerseits wieder zur "hypoglycemia un-
Technische Verfahren
awareness", sodass hier ein Circulus vitiosus vor-
Mit der Clamp-Technik kann mittels Glukose und
liegt. Aus diesem Grund findet sich bei Patienten
Insulinzufuhr ein Gleichgewicht geschaffen werden.
mit "hypoglycemia unawareness" in der Anamnese
Durch vermehrte Insulinzufuhr können auch iatro-
ein 6-fach erhöhtes Risiko von schweren Hypo-
gen Hypoglykämien induziert werden, um die dar-
glykämien (Abb. 16-145).
auf folgende Symptomatik des Patienten oder Pro-
banden zu überprüfen bzw. zu erfragen. Dieser Test
wird im Rahmen vieler Studien angewandt, hat aber
16.16.5 für die klinische Routine praktisch keine Bedeutung.
Diagnostik

Anamnese 16.16.6
Ob bei einem Patienten eine "hypoglycemia unawa- Therapie
reness" vorliegt, kann durch genaues Befragen des
Patienten bzw. der Angehörigen festgestellt werden. Die Therapie der "hypoglycemia unawareness" ruht
Nächtliche Hypoglykämien müssen erfragt werden. auf 3 Säulen:
Dies ist oftmals nur möglich anhand indirekter Hin- • Vermeidung von Hypoglykämien,
weise wie: verwühlte und durchgeschwitzte Bettwä- • höhere Blutglukoseeinstellung,
sche, Alpträume, morgendliche Gereiztheit und • Schulung des Patienten.

Abb.16-l45.
Häufigkeit schwerer Hypoglykämien
Patienten ohne Patienten mit bei Patienten mit und ohne "hypo-
"hypoglycemia "hypog lycamla glycemia unawareness". (Mod. nach
unawareneu" unawareness .. Gold et a l. !994)
782 KAPITEL 16 Glukose

Vermeidung von Hypoglykämien schwäche konnten nach 3-monatiger leicht erhöhter


Es konnte gezeigt werden, dass die sichere Ver- Blutglukoseeinstellung signifikant vermehrt wahr-
hinderung von Hypoglykämien bei Patienten mit genommen werden.
Typ-1-Diabetes-mellitus die "hypoglycemia un-
awareness" verbessern kann. Bei Patienten mit
Schulung des Patienten
nur kurzer Diabetesdauer kann es bei adäquater Be-
Der Patient muss auf Behandlungsmöglichkeiten
handlung, d. h. peinlich genauer Hypoglykämiever-
und auf die Notwendigkeit eines "Blutzuckertage-
meidung, sogar zu einer kompletten Remission in-
buchs" hingewiesen werden, d. h. regelmäßige Do-
nerhalb von 3 Monaten kommen. Dabei konnte
kumentation der ermittelten Werte durch den Pa-
nicht nur die neuroendokrine Reaktion wieder her-
tienten. Wichtig ist es, den Patienten auf mögliche
gestellt werden, sondern auch teilweise die Glu-
Gefahren der "hypoglycemia unawareness" auf-
kagonreaktion. Hingegen kann bei Patienten mit
merksam zu machen (z. B. durch eine Hypoglyk-
langer Erkrankungsdauer nur noch ein partieller
ämie beim Autofahren). Ein weiterer Therapieansatz
Therapieerfolg erreicht werden. Andere Studien zei-
besteht darin, die Patienten dafür zu sensibilisieren,
gen schon eine Verbesserung der Hypoglykämie-
noch evtl. vorhandene, potenzielle frühe Hypoglykä-
symptome nach 3 Tagen strikter Vermeidung einer
miesymptome zu erkennen. In multizentrischen
Hypoglykämie. Diese Verbesserung der Hypogly-
Studien konnte mit Hilfe einer 10-stündigen Schu-
kämiesymptome durch strikte Vermeidung von
lung anhand eines umfangreichen Handbuchs
Hypoglykämien setzt sich über die folgenden
zum "Biutglukosewahrnehmungstraining" eine
1-3 Monate fort. Aber auch schon eine kurzfristige
deutliche Verbesserung der Blutglukosewahrneh-
Hyperglykämiephase von nur wenigen Stunden
mung erzielt werden, auch bei Patienten mit redu-
kann eine Insulinresistenz induzieren und somit
zierter Hypoglykämiewahrnehmung. Dieses Schu-
die Glukosegegenreaktion beeinflussen. Es fand
lungsprogramm legt seinen Schwerpunkt auf Hypo-
sich hierbei jedoch kein Einfluss auf die hormonelle
glykämiesymptome (s. Übersicht).
Gegenregulation während einer Hypoglykämie oder
auf die kognitiven Funktionen.
Form und Inhalt des
"Blutglukosewahrnehmungstrainings"
Höhere Blutglukoseeinstellung
Ein anderer Therapieansatz besteht darin, die Blut- • Einwöchiges Patiententraining (täglich 1,5-stün-
glukose weniger "scharf' einzustellen. Es konnte dige Schulungseinheiten) anhand eines standar-
in Studien gezeigt werden, dass eine Anhebung disierten Programms
des HbA 1c von 6,9 o/o (+/- 0,3 o/o) auf 8,0 o/o • Themenwahl
(+I- 0,3 o/o) für 3 Monate eine signifikante Verbesse- Vegetative und neuroglykopenische Hypoglyk-
rung der hormonellen Gegenregulation bewirkt, ämiesymptome
zumindest bzgl. der Adrenalinreaktion und der Insulininjektionen (Zeitpunkt, Insulinmenge
Wachstumshormonausschüttung (Abb. 16-146). Aber etc.)
nicht nur ein Anstieg der hormonellen Gegenregula- Ernährung, Energieverbrauch
tion stellte sich ein, sondern auch Hypoglykämie- Praktische Übungen
symptome wie Schwitzen und Konzentrations-

Abb.l6-146.
Hypoglykämievermittelter (Clamp-Test)
Anstieg des Adrenalinspiegels im Plasma
unter strenger Blutglukoseeinstellung
0 +-----+-----~----~----~-----------+----~
(graue Linie) und nach 3-monatiger er-
0 20 40 60 80 100 120 140 höhter Blutglukoseeinstellung (schwarze
Zeit(min) Linie). (Mod. nach Liu et al. 1996)
16.17 Erektile Dysfunktionen bei Diabetikern 783

16.17 Blutzuckerei nstellung bzw. einer Minimierung


Erektile Dysfunktionen bei Diabetikern von Risikofaktoren (Einstellen des Nikotinabu-
sus und Senkung der Triglyzeride bzw. de Cho-
s. SCHIEKOFER, R. RIEDASCH, B. ISERMANN ,
lesterins) eine weitergehende Diagnostik in
P. P. NAWROTH
Form eines intrakavernösen Injektion te tes
nach Applikation von 10 ~·g Prostaglandin EI
16.17.1
in Kombination mit einer Doppler-Duplex-Un -
Fallpräsentation
tersuchung der zuführenden Penisarterien.
Hierbei wurden tenosen der beiden zuführen-
Ein 58-jähriger Typ-I-Diabetiker, der seit 1959 den Penisarterien von über 60 % und eine
an Diabetes erkrankt ist, stellte sich im Verlauf verminderte Blutzuflussgeschwindigkeit unter
der letzten 15 Jahre regelmäßig in der Diabetike- 15 cm/s festgestellt. Dies erlaubte die Diagno e
rambulanz vor. Innerhalb die er Zeit konnte er einer arteriellen Ätiologie als Ursache für die
HbA 1c-Werte zwischen 7,2% und 8,5% errei- erektile Dysfunktion bei dem Patienten. Als
chen. Erfreulicherweise zeigten sich keine An- Therapie der Wahl wurde dem Patienten die
zeichen für eine diabetische ephropath ie (die Verwendung eine Vakuumapparates vorge-
Albuminurie betrug kontinuierlich < 2 mg/1) schlagen, den er bereitwillig akzeptierte. Nach
oder diabetische Retinopathie (regelmäßige anfänglichen, kleineren Problemen in der Hand-
halbjährliche Kontrollen waren unauffällig). habung des Vakuumapparats konnte der
Eine arterielle Hyperton ie konn te mit einem Patient in bis zu 90 % der Anwendungen des
ACE-Hemmer in niedriger Dosierung normge- Vaku umapparate rigide Erektionen erreichen.
recht eingestellt werden. Wegen einer asympto-
matischen peripheren arteriellen Verschluss-
krankheit (pA VK Grad I) erhielt er Azetylsali-
16.17.2
zylsäure 100 mg/Tag. Nach 30-jährigem Krank-
heitsverlauf äußerte der Patient erstmals
Epidemiologie
Beschwerden, die auf eine diabetische Polyneu-
In einer Bostoner Feldstudie von 1994 klagten 51 %
ropathie hinwiesen. Im Stimmgabeltest lag ein
der zufällig befragten Männer über erektile Dys-
eingeschränktes Vibrationsempfinden von 4/8
funktion . Andere Arbeiten kommen zu dem Ergeb-
an beiden Füßen vor. Klagen über beginnende
erektile Dysfunktion (E. D.), die sich in man- nis, dass mindestens 35% der über 60-jährigen
Männer an erektiler Dysfunktion leiden. Bei Dia-
gelnder Rigidität der Erektion bzw. dem Unver-
mögen äußerten, Erektionen aufrechtzuerhal- betikern sind erektile Dysfunktionen verbreiterter
ten, verschwieg er. ach 36-jährigem Krank- als in der Allgemeinbevölkerung. Deren Prävalenz
variiert je nach Studie von 35 %bis zu 59 % im Dia-
heitsverlauf kam es zu einem völligen Ausblei-
ben von Erektionen . Dies belastete ihn betikerkollektiv, wobei die Zahlen im Alter und bei
psychisch so sehr, dass er sich seinem Diabeto- längerer Dauer des Diabetes mellitus ansteigen
logen anvertraute. Dieser veranlasste nach dem (Abb. 16-147). Die Ursachen der erektilen Dysfunk-
zuvor erfolglosen Versuch einer verbesserten tion bei Diabetikern sind im Vergleich zur männ-
lichen Allgemeinbevölkerung prozentual unter-

...... 100
~ 90
c:
Cl)
c: 80
0 70
li1c: 60
:I 50
'üi
> 40
0
30
.!
+:: 20
.X

w 10
Cl)

0
>10-15 >15-20 >20-25 >25-30 >30-35 >35-40 >40 Abb.l6-147.
Erektile Dysfunktion en in Abhängigkeit zur
Diabetesdauer (Jahre) Diabetesdauer
784 KAPITEL 16 Glukose

schiedlich anzusetzen: Die organogen bedingten gisehe Shuntverbindungen zwischen Corpus caver-
erektilen Dysfunktionen überwiegen mit insgesamt nosum und Glans penis bzw. Corpus spongiosum,
ca. 84 o/o die psychogen bedingten mit ca. 16 o/o bei die meist im Bulbusbereich zu finden sind, aufzu-
weitem. führen.

• Schwellkörperfibrosen. Im Rahmen des Diabetes


16.17.3 mellitus kann es zu fibrösen Veränderungen der
Pathogenese Rahmenbaubestandteile der sinusoidalen Speicher-
räume, resultierend aus einer durch den Diabetes
Bedeutung der Neuropathie mellitus veränderten Synthese von Kollagen und
Ergebnisse neuerer Studien beweisen, dass der Ab- glatten Muskelzellen, kommen. Diese Schwellkör-
fall der Gesamtzahl cholinerger Nerven im Gewebe perfibrosen beeinträchtigen v. a. das venöse Ver-
der Schwellkörper im Rahmen der autonomen Neu- schlusssystem des Penis. Die Schwellkörper sind
ropathie als eine wichtige Ursache erektiler Dys- nicht mehr in der Lage, sich gegen die Tunica albu-
funktionen bei Diabetikern anzusehen ist. Diese Stu- ginea pressend zu erweitern und die venöse Draina-
dien zeigen auch, dass die Dauer der Erkrankung in ge über die Venolen zu unterbinden.
negativer Weise mit der Fähigkeit cholinerger Ner-
venfasern korreliert ist, Azetylcholin zu synthetisie-
Medikamentös bedingte erektile Dysfunktion
ren. In vergleichbaren Kollektiven von Männern mit
Viele Medikamente, die Diabetiker einnehmen, kön-
Diabetes mellitus klagen nur 12 o/o der Diabetiker
nen erektile Dysfunktion mitverursachen (s. Über-
ohne eine autonome Neuropathie über erektile Dys-
sicht).
funktion, hingegen 82 o/o der Männer mit Diabetes
mellitus mit neuropathischen Spätschäden.
Medikamente, die eine erektile Dysfunktion
bedingen können
Vaskulär bedingte erektile Dysfunktion
Folgende Übersicht fasst die Pathogenese zusam- • Antihypertensiva: ß- Blocker, Thiazide, Diuretika,
men. a-Methyldopa, a-Blocker, Reserpin, Clonidin,
Guanethidin, Dihydralazin
Pathogenese vaskulärbedingter erektiler • Antiandrogene: H2-Blocker (z. B. Cimetidin),
Dysfunktion bei Diabetikern Spironolacton, Ketococonazol
• Psychopharmaka: Neuroleptika, Barbiturate,
• Arteriosklerose: Stenosen und Verschlüsse Benzodiazepine, trizyklische Antidepressiva, Li-
• Kavernöse Insuffizienz: pathologisch erhöhter thiumsalze, MAO-Hemmer
venöser Abfluss aus den Corpora cavernosa • Antiepileptika: Phenytoin
• Veränderungen der sinusoidalen Speicherräume • Opiate: Methadon, Heroin, Schmerzmittel
in den Corpora cavernosa: Schwellkörperfibrosen • Antiphlogistika: Indometazin, Naproxen, Azetyl-
salizylsäure
• Migränemittel: Dihydroergotamin, Methysergid
• Anticholinergika, Parkinsanmittel
• Arteriosklerose. Erektile Dysfunktionen können
• Antimykotika
sich entwickeln, wenn mehr als 70 o/o des arteriellen
• Alkohol, Tabak
Blutzuflusses beider Hauptversorgungsarterien des
Penis von einer arteriellen Verschlusskrankheit be-
troffen sind. Diese durch Arteriosklerose verursach-
ten Gefäßveränderungen (Stenosen und Ver- Hormonell bedingte erektile Dysfunktion
schlüsse) führen zu einem verminderten arteriellen Studien, die die Bedeutung von Testosteron, Prolak-
Perfusionsdruck und verhindern somit eine ausrei- tin und Wachstumshormonen bei Diabetikern un-
chende Füllung der sinusoidalen Speicherräume der tersuchten, ist es nicht gelungen, Zusammenhänge
Corpora cavernosa mit Blut. mit erektiler Dysfunktion bei Diabetikern herzustel-
len. Bei Diabetikern mit erektiler Dysfunktion sind
• Kavernöse Insuffizienz. Bezüglich eines patholo- die Testosteron-, Prolaktin- und Wachstumshor-
gisch erhöhten venösen Abflusses aus den Corpora monspiegel nicht signifikant erniedrigt und spielen
cavernosa sind als Leakagelokalisationen die tiefe somit keine Rolle bei der Pathogenese erektiler Dys-
und oberflächliche V. dorsalis penis, die interkrura- funktion im Rahmen einer diabetischen Grund-
len Vv. profundae, welche aus den divergierenden erkrankung.
Schwellkörperschenkeln entspringen, und patholo-
16.17 Erektile Dysfunktionen bei Diabetikern 785

Psychogen bedingte erektile Dysfunktion Erschwert wird dies dadurch, dass organisch be-
Das Ursachenspektrum der erektilen Dysfunktion dingte erektile Dysfunktion sekundär oft auch zu
hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert, psychischen Beeinträchtigungen führen. Die zweite
da in diesem Zeitraum bei Diagnostik, Therapie und diagnostische Aufgabe besteht darin, Art und Ort
Grundlagenforschung der erektilen Dysfunktion der Störung, die bei Diabetikern zu erektiler Dys-
richtungsweisende Fortschritte erzielt worden funktion führt, herauszufinden, um diese gezielt the-
sind. Während in der Vergangenheit die Psychothe- rapieren zu können.
rapie von Erektionsstörungen im Vordergrund
stand, bestimmen heute zunehmend neue Erkennt-
Anamnese
nisse von der Physiologie und Pathophysiologie der
Die Anamneseerhebung hat die 3 Säulen Sexualana-
Erektion die Therapie, auch wenn durch einen mo-
mnese, Risikofaktoren und Medikamentenanam-
lekular begründbaren Therapieansatz keineswegs
nese (s. Übersicht).
psychogene Aspekte vergessen werden dürfen. Man-
che Sexualmediziner behaupten immer noch, dass
Anamneseerhebung bei erektiler Dysfunktion
90 % der erektilen Dysfunktion auch bei Diabetikern
psychogener Natur sind. Hierbei kann man nicht
• Sexualanamnese
leugnen, dass bei längerfristigen erektilen Dysfunk-
Fragen zu sexueller Aktivität, Libido, Erektionen,
tionen psychogene Aspekte (wie z. B. Partnerschafts-
psychosexueller Entwicklung in der Kindheit und
probleme oder fehlendes Glücksempfinden) eine ge-
Jugend (soweit möglich), Pubertätsentwicklung,
wichtige Rolle spielen. Das in seiner Sexualität ge-
Beginn der erektilen Dysfunktion, Partnerschafts-
störte Individuum empfindet sich in seinen Lebens-
problemen
werten eingeschränkt. Es ist weniger belastungsfähig
• Risikofaktoren
und psychisch und somatisch leichter anfällig. Diese
Fragen nach Diabetes mellitus, Hyperlipidämie,
Beschwerden sind dann aber oft nicht ausschließlich
Hypertonie, Alkohol-, Nikotin- und Drogenabu-
psychogen, sondern häufig sekundärer Natur und
sus, chronischer Niereninsuffizienz
entstehen auf dem Boden vorher bestehender orga-
• Medikamentenanamnese
nogen bedingter erektiler Dysfunktion.
Fragen nach Antihypertensiva, Lipidsenkern,
Neuroleptika, Antidepressiva oder Hormonen
wie Antiandrogenen oder Östrogenen
16.17.4
Klinik

Symptome und Beschwerden Körperliche Untersuchung


Meistens entwickeln sich erektile Dysfunktionen bei Im Rahmen einer umfassenden internistischen Un-
Diabetikern über einen Zeitraum von Monaten bis tersuchung ist besonderes Augenmerk zu richten
Jahren. Die Patienten klagen zuallererst über eine er- auf:
niedrigte Fähigkeit, Erektionen aufrechtzuerhalten • Hodengröße und -konsistenz,
bzw. eine mangelnde Rigidität des Penis. Häufig gip- e abnormale Penisverkrümmungen,
feln diese Beschwerden in dem völligen Unvermö- • palpable Fibrose der Schwellkörper.
gen, den Beischlaf auszuüben. Bei bis zu 10 o/o der
Diabetiker sind erektile Dysfunktionen sogar das er-
Technische Verfahren
ste klinische Symptom eines bisher nicht diagnosti-
• Laboruntersuchungen
zierten Diabetes mellitus, was die Bedeutung einer
• Routine: Nüchternblutglukose, HbA 1c, Triglyze-
engen Zusammenarbeit zwischen dem Diabetologen
ride, Cholesterin, Blutbild,
und dem Urologen unterstreicht.
• Hormone: Testosteron und Serumprolaktin (fa-
kultativ).

16.17.5 Pathologische Testosteronwerte begründen eine


Diagnostik weitere Bestimmung von FSH, LH und evtl. Östra-
diol und freiem Testosteron, ggf. auch die Durch-
Indikation zur Diagnostik führung eines GnRH -Stimulationstests zur weiteren
Eine klare Abgrenzung der ausschließlich organisch differentialdiagnostischen Differenzierung. Erhöhte
von der hauptsächlich psychisch bedingten erektilen Prolaktinwerte bedürfen einer ausführlichen Anam-
Dysfunktion ist das erste diagnostische Ziel im Rah- nese und weitergehenden Diagnostik, evtl. ein-
men der erektilen Dysfunktionen bei Diabetikern. schließlich NMR.
786 KAPITEL 16 Glukose

• Neurophysiologische Untersuchungen
16.17.7
• Messung der Bulbocavernosus-Reflex-Latenzzeit
Therapie
(BCR) mit Ableitung der kortikalen somatasenso-
risch-evozierten Potentiale (SSEP),
Internistische Therapie
• Elektromyographie der Schwellkörpermuskula-
• Blutzuckereinstellung. Die Grundlage jeder The-
tur.
rapie erektiler Dysfunktion bei Diabetes mellitus
stellt eine weitestgehende Anpassung des diabeti-
• Bestimmung des Gefäßstatus
schen Stoffwechsels an normale Stoffwechselverhält-
• Duplex- bzw. (Farb)dopplersonographie der Pe-
nisse dar.
nisarterien,
• intrakavernöser Injektionstest,
• Minimierung von Risikofaktoren. Neben einer
• Pharmakonkavernosographie,
optimalen Blutzuckereinstellung bei der Behand-
• Angiographie der A. pudenda, Penisarteriogra-
lung von erektiler Dysfunktion ist die Therapie einer
phie in Kombination mit SKAT-Test.
arteriellen Hypertonie und einer Hyperlipoprotein-
ämie von Bedeutung. Für beide Erkrankungen soll-
Die Duplex- bzw. (Farb)dopplersonographie der Pe-
ten Werte im unteren Normbereich angestrebt wer-
nisarterien ist die wichtigste Untersuchung für die
den. Patienten mit Alkohol- und Nikotinabusus, die
klinische Diagnostik bei einer arteriellen Durchblu-
an erektiler Dysfunktion leiden, müssen diesen be-
tungsstörung. Sie erlaubt einerseits die Darstellung
enden bzw. weitestgehend einschränken.
der Dorsal- und Schwellkörperarterien, andererseits
eine Messung der Blutflussgeschwindigkeit in den
• Orale, medikamentöse Therapie. Yohimbin-Hy-
Penisarterien. Die Normwerte liegen für die Dorsa-
drochlorid ist das am meisten bei erektiler Dysfunk-
larterien bei 35-40 cm/s, für die Schwellkörperarte-
tion verwendete Medikament. Es handelt sich um
rien bei 25-30 cm/s.
ein Hauptalkaloid aus der Rinde der zentralafrikani-
Die Angiographie der A. pudenda bzw. Penisarte-
schen Coryanthe Yohimbe. Es soll eine zentrales a-
riographie ist heute weitgehend durch die Doppler-
l-Rezeptoren-blockierendes und somit antiadrener-
und Duplexsonographie ersetzt worden. Sie ist nur
ges Wirkungsprofil haben. Statistisch auswertbare
noch vor einer geplanten arteriellen Revaskularisa-
Differenzen bei der Behandlung von erektiler Dys-
tion in Kombination mit einem SKAT-Test indiziert.
funktion im Vergleich zu Placebokontrollen zeigen
Es handelt es sich um eine sehr invasive, teure und
Yohimbinpräparate aber nicht. Neben Yohimbin
strahlungsintensive Untersuchung.
kommen v. a. noch Pentoxifyllin, ein Xanthinderi-
vat, das die Blutviskosität reduziert, Isoxsuprin,
Messung nächtlicher peniler Tumeszenzen ein ß-Sympathomimetikum, das mittels Aktivierung
(NPT-Messungen) von ß-Rezeptoren der glatten Muskulatur eine Va-
e Erektiometer: Messband, das sich je nach Erekti- sodilatation bewirken soll, Trazodon, ein Serotoni-
onsgrad gegen einen definierten Schubwider- nantagonist, Naltrexon, ein Opiatantagonist und
stand verändert, aber keine Aussage über Dauer Phentolamin, ein a-Blocker, zum Einsatz. Keines
und Anzahl der Erektionen ermöglicht, dieser Medikamente führte jedoch zu eindeutigen
• Rigiscan: mittels zweier um Penisbasis und Sulcus Verbesserungen bei der Therapie der erektilen Dys-
coronarius gelegter Messringe werden die Nacht funktion bei Diabetikern.
hindurch die Penisveränderungen erfasst und ge-
speichert. • Hormonsubstitution. Nur bei 1-5% aller Patien-
ten mit erektiler Dysfunktion liegt eine hormonelle
Störung vor. Die heute immer noch weit verbreitete
16.17.6 Testosteronmedikation bei Diabetikern mit erektiler
Differentialdiagnose Dysfunktion kann deshalb lediglich einen Placebo-
effekt haben.
DieNPT-Messungen zur Differenzierung von orga-
nischen und psychischen erektilen Dysfunktionen
Technische Verfahren
haben nach Einführung der Schwellkörperpharma-
• Vakuumapparate. Vakuumapparate werden
kontestung an Bedeutung verloren (Abb. 16-148).
mittlerweile von verschiedenen Herstellern produ-
ziert und sind seit 1989 auch in Deutschland erhält-
lich. Der Einsatz von Vakuumapparaten stellt die
Therapie der Wahl dar. Sie werden bei Erektionsstö-
rungen unterschiedlichster Ätiologie, also auch bei
16.17 Erektile Dysfunktionen bei Diabetikern 787

Anamnese
Körperliche Untersuchung (einschließlich neurologischer Untersuchung)
Laboruntersuchungen

l
Blutzuckereinstellung
Minimierung von Risikofaktoren

l
lntracavernöser Injektionstest (mit 10 11g PGE 1) und gleichzeitiger Doppler-/

/·'·'~
Normal Pathologisch
(Erektion) (Ausbleiben einer Erektion)
BCR und SSEP PGE1-Test mit 20-40 11g

/~ /~
Pathologisch Normal Normal Pathologisch
(Erektion) (Ausbleiben einer Erektion)

l
Vakuumapparat Psychotherapie/ Vakuumapparat,
l l
Pharmakonka-
bzw. SKAT/MUSE Sexualtherapie SKAT/MUSE evtl. vernosographie

I
Revasku larisation

Leicht
Deutlich pathologisch pathologisch
(Erhaltungsfluß >80ml) (Erhaltungsfluß 40
bis BOml) Abb.l6-148.
l
Penisprothese
+
Venenchirurgie,
Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen
bei Diabetikern mit erektiler Dysfunktion. BCR
Bulbocavernosus-Reflex-Latenzzeit, PGE 1
evtl. SKAT/ Prostaglandin Eh SSEP somatasensorisch-evo-
Revaskularisation zierten Potentiale

diabetogen bedingten, eingesetzt. Ursachenunab- die durch Vakuum erzeugte Erektion aufrechterhält.
hängig ist es nahezu bei jedem Patienten möglich, Vorteile der Anwendung von Vakuumapparaten be-
eine rigide Erektion zu erzeugen. Besondere In- stehen in ihrer universellen Anwendbarkeit und in
dikationen der Vakuumtherapie sind die Kombina- ihrer Komplikationsarmut Leichtere Komplikatio-
tion mit einer Schwellkörperautoinjektionstherapie nen dieser Methode sind Schmerzen, petechiale
(SKAT: siehe unten!) bei mangelhaftem Ansprechen Hautblutungen bzw. Ecchymosen (s. Übersicht).
auf vasoaktive Substanzen sowie der Einsatz nach Schwerere Komplikationen wie z. B. Hautnekrosen
Explantation von Penisprothesen, um die Kohabita- stellen eine Rarität dar.
tionsfähigkeit wiederherzustellen.
Komplikationen der Anwendung
von Vakuumapparaten
Spezialindikationen zum Einsatz
von Vakuumapparaten
• Schmerzen bei Anwendung
• Fetechiale Hautblutungen bzw. Ecchymosen
• Kombination mit Autoinjektionstherapie
• Hautnekrosen
• Zustand nach Explantation einer Penisprothese

Die Mehrzahl der angebotenen Vakuumapparate be- Nachteile resultieren aus der Mechanisierung des
steht aus 3 Komponenten, einem Vakuumzylinder, Koitus, aus Anwendungsproblemen und einer mög-
einer Vakuumpumpe, die den negativen Druck in lichen Beeinträchtigung der Ejakulation durch An-
der Kammer erzeugt und einem Schnürring, der legen des Schnürrings.
788 KAPITEL 16 Glukose

Kontraindikationen der Anwendung Vorteile der Kombinationstherapie


von Vakuumapparaten aus Phentolamin und Papaverin

• Gerinnungsstörungen Vorteile Nachteile


• Penisdeviationen (Induratio penis plastica)
Responderraten Behandlungsbedürftige
zwischen 60 o/o und Priapismen bis über 10 o/o
Die Wirksamkeit und die Akzeptanz dieser Methode 80 o/o
der Behandlung von erektiler Dysfunktion liegen bei Geringer Preis Bei längerer Anwendung
bis zu 100 %. Plaquesbildungen und
Fibrosierungen in bis zu
Intrakavernöse Autoinjektionstherapie (SKAT) 50 o/o der Fälle
Indikationen einer Schwellkörperinjektionstherapie
mit vasoaktiven Substanzen:
• neurogene Läsionen, • Kombinationsanwendung. Bei einer Kombinati-
• arterielle Störungen und leichte kavernöse Insuf- onslösung aus PGE1, Papaverin und Phentolamin
fizienzen, sind sogar Effizienzraten von bis zu 90 % erzielbar.
• psychogene Störungen (nur zeitlich befristet oder Kombinationslösungen sind jedoch nur über inter-
bei Fehlschlagen einer Sexualtherapie). nationale Apotheken zu beziehen.

Alle vasoaktiven Substanzen, die zur Behandlung der


Zur Injektionstherapie geeignete Medikamente
erektilen Dysfunktion geeignet sind, sollten nicht
häufiger als 3-mal pro Woche zum Einsatz kommen,
• 1. Prostaglandin E1 da sonst die Komplikationsrate ansteigt.
• 2. Papaverin
• 3. Phentolamin
• 4. Kombinationstherapien aus 1.-3. • Komplikationen

Komplikationen einer intrakavernösen


• Prostagtandin EI Injektionstherapie

Vor- und Nachteile von Prostaglandin EI • Verlängerte Erektionen


• Priapismus
Vorteile Nachteile • Schwellkörperfibrose
• Plaquesbildungen
Hohe Effizienz der Schmerzhafte Erek- • Hämatome
Behandlung (bis zu 80 %) tionen in ca. 10 o/o • Stechender Schmerz nach Injektion
Geringe Priapismogenität Hoher Preis • Verletzungen der Urethra
(unter 1 o/o) • Infektionen
Geringe lokale Komplikationen - • Penisverkrümmungen durch narbige Fibrosen
(Plaques- und Fibrosenbildung • Vasovagale Synkopen, insbesondere bei arteriel-
unter 5 o/o) ler Hypotonie

• Phentolamin und Papaverin. Eine Kombinati- Erstere treten in bis zu 15 % aller behandelten Pa-
onslösung aus Phentolamin, einem a-Blocker, und tienten auf und müssen, wenn sie länger als 4 h an-
Papaverin (Papaverin sollte aufgrund seines hohen dauern, unbedingt einer Behandlung durch den be-
priapismogenen Potentials und möglicher Schwell- treuenden Arzt zugeführt werden, da sonst Nekro-
körperfibrosen als Monosubstanz nicht mehr zum sen drohen. Hierfür eignen sich a-Agonisten wie
Einsatz kommen) kommt in einer Dosierung zwi- Epinephrin (z. B. 0,03 mg), Phenylephrin (z. B.
schen 12,5 bis 60 mg bei Papaverin und zwischen 5 mg bis 20 mg) oder Metaraminol (z. B. 2 mg).
0,5 bis 3 mg bei Phentolamin zur Anwendung. Bis eine Detumeszenz erreicht ist, können beispiels-
weise wiederholt Dosen von 200 mg Phenylephrin
intrakavernös verabreicht werden. Über Fibrosie-
rungen der Corpora cavernosa wird in Studien in
bis zu 60 % der behandelten Patienten berichtet.
16.17 Erektile Dysfunktionen bei Diabetikern 789

Diese sind proportional der Behandlungsdauer und eines Knopfes am Applikator als halbfestes Pellet
-frequenz und können durch Kompression der In- in die Harnröhre injiziert wird. Nach Entfernen
jektionsstelle und Minimierung der zu applizieren- des Applikators massiert der Patient den Penis,
den Medikamentenmenge auf unter 0,5 ml pro An- um das Auflösen des Pellets zu unterstützen. Die va-
wendung reduziert werden. Dies ist durch eine Me- soaktiven Substanzen werden nun vom Epithel der
dikamentenmischung aus Prostaglandin El, Phen- Harnröhre absorbiert, gelangen über Kollateralgefä-
tolamin oder Papaverin erzielbar. ße aus dem Corpus spongiosum, das die Urethra
umgibt, in die Schwellkörper und führen dort zu
• Durchführung einer SKAT. Die Akzeptanz und einer Erektion. Verabreicht werden neben Prosta-
Wirksamkeit dieser Methode liegen bei bis zu glandin-El-Derivaten aucha-Blocker wie Prazosin.
80 o/o. In folgender Übersicht ist das therapeutische Die Therapieindikationen entsprechen der SKAT-
Vorgehen einer Autoinjektionstherapie wiedergege- Therapie. Im Vergleich zur SKAT-Therapie werden
ben. allerdings weitaus höhere Medikamentendosen ver-
abreicht, bei Prostaglandin-El-Derivaten bis zu
Therapeutisches Vorgehen bei Autoinjektions- 1000 11g und bei a-Blockern bis zu 2000 11g als Ein-
therapie zeldosis oder als Kombinationspräparat Die Kom-
plikationen gleichen der SKAT-Therapie, wobei
e Dosisfindungsphase Schmerzen während der Erektion in bis zu 30 o/o
langsames Anheben der Injektionsdosis, bis die der Patienten und, in einem weit geringerem Pro-
verwendete vasoaktive Substanz so eingestellt zentsatz, Verletzungen der Urethra bzw. Hypotonie
ist, dass die Erektionsdauer 2 h nicht überschrei- hervorzuheben sind.
tet
e Erlernen der Autoinjektion durch den Patienten • Hervorzuhebende Komplikationen
Desinfektion, Erlernen der Injektionstechnik in bei der MUSE-Therapie
die Corpora cavernosa während mehrerer Sitzun- • Schmerzen während der Erektion bei bis zu 30 o/o
gen der Applikationen,
• Verletzungen der Urethra,
• Hypotonie.
• Kontraindikationen einer SKAT
Bei bis zu 80 o/o der Patienten mit erektiler Dysfunk-
Kontraindikationen einer intrakavernösen tion können im Rahmen der MUSE-Therapie rigide
Injektionstherapie Erektionen erzielt werden.

e Zustand nach Herzinfarkt


e Schwere Myokardiopathien Operative Verfahren
• Dekompensierte Hepatopathien • Gefäßchirurgie. Arterielle Revaskularisations-
• Marcumartherapie operationen: Das Ziel der arteriellen Revaskularisa-
• Mangelnde manuelle Geschicklichkeit tionsoperationen bei erektilen Dysfunktionen ist
e Gefahr eines Missbrauchs der Therapie eine Erhöhung des arteriellen Zuflusses in die
• Adipositas permagna Schwellkörper des Penis unter Umgehung okklusi-
e Eingeschränkte Sehfähigkeit ver Gefäßveränderungen. Hierfür wird gewöhnlich
e Psychiatrische Erkrankungen die A. epigastrica inferior an die A. dorsalis penis
bzw. V. dorsalis profunda (A V-Fistel) anastomo-
siert. Aufgrund des technisch sehr aufwendigen Ein-
Urethrale Applikation vasoaktiver Substanzen griffs, enorm langen Operationszeiten von bis zu 6 h
(MUSE) und einer Komplikationsrate von über 20 o/o sollten
Die urethrale Applikation vasoaktiver Substanzen solche Operationen nur jüngeren Männern (maxi-
ist derzeit die modernste Therapiemethode bei Pa- mal 50 Jahre) mit kongenitalen oder posttraumati-
tienten mit erektiler Dysfunktion. Hierbei werden schen Gefäßläsionen angeboten werden. Diabetiker
vasoaktive Substanzen mittels eines Einmalapplika- werden deshalb selten als geeignet für diese Vorge-
tors aus Polypropylen in die Harnröhre verabreicht. hensweise betrachtet.
Nachdem der Patient seine Blase entleert hat, wird
der Applikator vorsichtig ca. 3 cm in die Urethra • Penile Venenchirurgie. Findet sich nach ausge-
vorgeschoben. Resturin in der Urethra dient als dehnter hämodynamischer Routinediagnostik ein
Schmiermittel für den Applikator und als Lösungs- venöses Leck der Corpora cavernosa, kann dem Pa-
mittel für die Medikation, welche nach Drücken tienten eine Ligatur der V. dorsalis penis angeboten
790 KAPITEL 16 Glukose

werden. Dies ist ein relativ einfach durchzuführen- Neben Abnutzung, Versagen einzelner Bauteile der
des Verfahren, wobei die Indikation sehr streng ge- Prothese, reduziertem Ejakulatvolumen und tempo-
halten werden sollte. Nur Patienten, die weder neu- rärer Desensibilisierung der Glanspenis steht die In-
rogene Läsionen noch arterielle Defizite aufweisen fektion des Operationsgebietes als wichtigste Kom-
und auf vasoaktive Substanzen ungenügend anspre- plikation im Vordergrund. Bestmögliche präopera-
chen, dürfen einer solchen Operation zugeführt wer- tive Desinfektion und antibiotische Abdeckung die-
den, deren wichtigste Komplikation die Verletzung nen als wichtige prophylaktische Maßnahmen.
der eng benachbarten Dorsalnerven mit nachfolgen- Dennoch liegt die Reoperationsrate aufgrund Infek-
der neurogener Impotenz darstellt. Die Langzeiter- tionen zwischen 3 % und 8 %. Bei Diabetikern kann
gebnisse aller gefaßchirurgischen Eingriffe zur Behe- es zu einer Verdopplung dieser Komplikationsrate
bung erektiler Dysfunktionen sind im Großen und kommen. Bei Patienten mit erektiler Dysfunktion,
Ganzen eher enttäuschend. Die anfänglichen Er- die erfolgreich keiner anderen Therapie zuzuführen
folgsraten einer arteriellen Revaskularisation über waren (andere Methoden haben sich als wirkungslos
einen Zeitraum von 1-2 Jahren werden mit 30% erwiesen bzw. sind vom Patienten oder seiner Part-
bis 80 % angegeben. Eine anfängliche Euphorie nerin nicht akzeptiert worden), dürfte diese Metho-
der Penisvenenchirurgie in den 70er-Jahren ist einer de die letzte Option sein, da durch das Einsetzen der
ernüchternden Langzeitbilanz gewichen. Selbst nach Prothese das ganze verbliebene erektile Restgewebe
durch Spezialisten durchgeführten Operationen er- entfernt wird. Das Vermögen zu ejakulieren bzw.
reichen nicht einmal 50 % der Patienten auf Dauer das Verspüren eines Orgasmus wird durch die Ope-
eine deutliche Verbesserung der Erektionsfahigkeit. ration nicht beeinträchtigt. Unter Berücksichtigung
Nach 12 Monaten berichten noch knapp 45% der dieser Voraussetzungen können Wirksamkeit und
Patienten über Spontanerektionen. Bei ca. 20 % Akzeptanz bei bis zu 90 % liegen.
können durch eine zusätzliche Schwellkörperauto-
injektionstherapie Erektionen ausgelöst werden.

• Penisprothesen. Intrakorporale Penisprothesen Literatur


wurden in den frühen 70er-Jahren eingeführt. Es
handelt sich um das am längsten etablierte Verfah- Literatur zu Abschn. 16.1
ren bei der Behandlung der erektilen Dysfunktion.
Grundsätzlich lassen sich halbstarre, biegsame Pro- Ashcroft SJ, Ashcroft FM (1990) Properties and functions of
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KAPITEL 17

Lipide und Lipoproteine 17


J. R. SCHÄFER, A. STEINMETZ

17.1 Physiologie 807 Cholesterin


17.1.1 Lipide 807 Das Cholesterin gehört zu den Sterinen (Steroiden).
17.1.2 Apolipoproteine und Lipoproteine 808
17.1.3 Enzyme des Lipoproteinstoffwechsels 809 Es kann sowohl im Körper synthetisiert als auch
17.1.4 Rezeptoren des Lipoproteinstoffwechsels 809 über die Nahrung aufgenommen werden. Die Syn-
17.1.5 Lipoprotein (a) [Lp(a)] 810 these verläuft über mehr als 24 Zwischenschritte
17.1.6 Stoffwechsel der Lipoproteine 813
17.1.7 Triglyceridstoffwechselwege 813 aus aktivierter Essigsäure (Acetyl-CoA). Ein Schlüs-
selenzym in der Biosynthese von Cholesterin stellt
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 814
17.2.1 Fallpräsentationen 814 die Hydro:xy-Methyl-Glutaryl-CoenzymA-Reduk-
tase (HMG-CoA-Reduktase) dar, deren Hemmung
Unterfunktion 815
einen therapeutischen Ansatz in der Behandlung
17.2.2 Hypolipidämien und Dyslipidämien, der Hypercholesterinämie darstellt (Abb. 17-1).
Pathophysiologie und Klinik 815
Cholesterin kommt im Serum in freier und ver-
Überfunktion 818
esterter Form vor. Die freie Form besitzt in der
17.2.3 Hyperlipidämien 818 Position 3 eine OH-Gruppe, während die veresterte
17.2.4 Diagnostik 830 Form in dieser Position eine Fettsäure in Ester-
17 .2.5 Therapie 831
17.2.6 Lipidspeichererkrankungen 838 bindung trägt.
17.2.7 Störungen des Stoffwechsels apolarer Lipide 839

Literatur 840 • Veresterte Cholesterinformen. Etwa 2/3 des Cho-


lesterins im Plasma sind verestert, hauptsächlich
durch das Plasmaenzym Lecithin-Cholesterin-Acyl-
17.1 transferase (LCAT). Der Fettsäureanteil des Chole-
Physiologie sterinesters besteht überwiegend aus ungesättigten
Fettsäuren. Die Fettsäuren bestehen aus einer unter-
17.1.1 schiedlich langen Kohlenstoftkette. Je nach Anzahl
Lipide der Kohlenstoffatome spricht man von kurzkettigen
(4C-Atome), mittelkettigen (6-12C-Atome) oder
Lipide sind wasserunlösliche Verbindungen, die im langkettigen (mehr als 12C-Atome) Fettsäuren.
wässrigen Milieu des Plasmas nur in Form von Li-
poproteinen transportiert werden können. Der Phospholipide
Kunstgriff der Natur besteht darin, Lipide und Pro- Phospholipide bestehen ebenfalls aus einem Glyce-
teine zu Lipoproteinen zusammenzubringen. Lipide rinmolekül, in dem 2 nebeneinander liegende Koh-
stellen keine einheitliche Stoffklasse dar. Nach der lenstoffatome mit Fettsäuren verestert sind und die
chemischen Struktur unterscheiden wir mehrere 3. Kohlenstoffposition über eine Phosphatbindung
Komponenten. Die wichtigsten Fraktionen sind in einen z. B. Cholin-, Serin- oder Inositolrest enthält.
der folgenden Übersicht dargestellt. Mehr als 2/3 im Serum vorkommender Phosphatide
bestehen aus Phosphatidylcholin (Lecithin), ver-
Lipoproteinlipide estert mit hauptsächlich gesättigten Fettsäuren.

• Glyceride (Mono-, Di- und Triglyceride)


• Cholesterin (in freier oder veresterter Form) Triglyceride
• Phospholipide (Phosphatidylcholine, Sphingo- Je nach Zahl der mit dem Glycerin veresterten Fett-
myeline, Phosphatidylserine etc.) säuren trennt man Mono- von Di- und Triglyceri-
• Freie Fettsäuren den. Bei der Fettsäurekomponente wird differenziert
zwischen gesättigten (z. B. Laurin, Palmitin- oder
808 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

0 ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
C C C C C C C HC
3
R= HO -- c11 / " ' c/ " ' c/ " ' c/ " ' c/ " 'c/ " ' c/ " 'c/

0 0
H 2 C-O~ H 2 C - O~
I 0 I 0
HO HC-0~ HC - 0~

2
I 0
HC-0~ 2
I
H C- 0- fp\ -O-CH -CH-NH 1
1.!:..) 2 1
$

coo9
R

Abb.l7-l. Strukturformel des Cholesterins und dessen veresterter Formen

Stearinsäure), einfach ungesättigten (z. B. Ölsäure) als "intelligente" Teile der Lipoproteine wichtige De-
und mehrfach ungesättigten Fettsäuren (z. B. Lin- terminanten des Lipoproteinstoffwechsels und ha-
ol-, Linolen- oder Arachidonsäure). ben die folgende Funktionen:
• Sicherung der Integrität des Gesamtpartikels als
Strukturbestandteile (z. B. Apo B-100- und LDL-
Freie Fettsäuren
Partikel),
Der Anteil an freien (unveresterten) Fettsäuren an
• Ligand für Rezeptorbindungen (z. B. Apo B- und
allen Lipidfraktionen beträgt weniger als 2 %. Sie
LDL-Rezeptor),
werden auch nicht mit den Lipoproteinen transpor-
• Vermittelung enzymatischer Reaktionen als Ko-
tiert, sondern hauptsächlich an andere Plasmaeiwei-
faktoren im Plasma (z. B. Apo C-II für Lipo-
ße (z. B. Albumin) gekoppelt transportiert. Ihr An-
proteinlipase ).
teil im Plasma hat eine wichtige Lipoprotein-regulie-
rende Funktion. Sie entstehen im Plasma entweder Das Zusammenspiel von Apolipoproteinen, enzy-
durch die Aufspaltung (Hydrolyse) von Triglyceri- matischen Reaktionen und Rezeptoren reguliert
den oder Phospholipiden und liefern Energie in die Lipoproteinhomöostase im Blut und in der inter-
der ß-Oxydation. stitiellen Flüssigkeit. Die Nomenklatur der Apolipo-
proteine erfolgt nach dem Vorschlag von Alaupovic
Weitere Lipide alphabetisch in Apo A, -B, -C etc., wobei einzelne
Eine Reihe weiterer Lipide kommt in Spuren vor wie Apoproteingruppen noch weitere Unterteilungen
Zerebroside, Carotinoide etc. und trägt nur zu einem erfahren. Für eine Reihe der bekannten Apoproteine
sind, hauptsächlich genetisch bedingte, Verände-
sehr geringen Teil zum so genannten Gesamtlipid im
rungen beschrieben, die sich im völligen Fehlen,
Plasma bei. Lipidlösliche Vitamine sowie lipophile
in der Verminderung, in der Vermehrung oder im
Medikamente werden ebenfalls mit den Lipopro-
teinen transportiert. Auftreten von funktionsunfähigen Mutanten dieser
Apoproteine äußern. Diese Apolipoproteinopathien
haben zum Teil klinische Bedeutung, zum Teil sind
sie jedoch auch klinisch stumm.
17.1.2
Apolipoproteine und Lipoproteine Lipoproteinpartikel
Die makromolekularen Komplexe (Lipoproteine)
Apolipoproteine stellen die Proteinanteile der Lipo- enthalten in ihrem Inneren (Core) hauptsächlich
proteine dar und dienen u. a. der Lösungsvermitt- Triglyceride und Cholesterinester, umgeben von
lung hydrophober Lipide im wässrigen Milieu des einer Einfachschicht an Phospholipiden, die mit ih-
Plasmas (Tabelle 17 -1). Darüber hinaus sind sie ren Fettsäureresten nach innen "zeigen" und mit ih-
17.1 Physiologie 809

Tabelle 17-1. Übersicht über die wichtigsten Apoproteine

Apoprotein hauptsächliches Vorkommen bisher bekannte Funktionen

Apo AI HOL Aktivierung der Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase

Ligand für den HOL-Rezeptor

Apo A II HOL unbekannt


Apo A IV HOL, VHDL, Chylomikronen Aktivierung der Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase

Ligand für den HOL-Rezeptor

Apo (a) eigene Lipoprotein unbekannt

Apo B 100 LDL Bindung an den LDL (Apo B, E)-Rezeptor

Apo B 48 Chylomikronen unbekannt

Apo CI VLDL, HOL Aktivierung der Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase

Apo C II VLDL, HOL Aktivierung der Lipoproteinlipase

Apo C 111 VLDL, HOL Hemmung der Lipoproteinlipase,

Aktivierung der lysosomalen Sphingomyelinase

Apo 0 HOL Sterol. Carrier Protein ?

Aktivierung der Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase

Apo E Chylomikronen, Bindung an den Apo B, E (LOL)-Rezeptor


VLDL, HOL Bindung an das LOL-Receptor-Related Protein

VLDL = very low density Iipoprotein, LDL = low density Iipoprotein, HOL= high density Iipoprotein, VHDL = very high density
Iipoprotein.

rer geladenen Gruppe nach außen orientiert sind. phobe (lipidbindende) und hydrophile (wasserlösli-
Durchsetzt wird diese Einzelschicht an Phospholipi- che) Seiten aus, mit denen sie jeweils zur Lipopro-
den von freiem Cholesterin und Proteinen, die man teininnenseite hin mit Lipiden und zur Lipoprotei-
Apolipoproteine oder Apoproteine oder kurz Apo naußenseite mit dem wässrigen Plasma in Verbin-
nennt. Diese amphiphilen Proteine bilden hydro- dung treten (Abb. 17-2).

freies
Cholesterin

Triglyzeride ~
0 CH-0-C-R
II I 2 1
R-C-0 - CH 0
1 I II
CH2 0 - C- R3

Abb. 17-2.
Räu mliche Anordn ung der Lipoproteine
810 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

Tabelle 17-2. Schlüsselenzyme und Austauschproteine im Plasmalipoproteintransportsystem

Enzym Vorkommen Funktion

Lipoproteinlipa e Fett1ewebe Hydroly e von Triglyceriden in VLDL und Chylomikronen


Mus ulatur

Hepatische Lipase Leberzellen Hydrolyse von Phospholipiden in VLDL-Remnant und IDL

LTP I (= CETP) Pla ma Chole terine ter/Triglyceridau tau eh

LTP 2 (= PLTP) Plasma Pho pholi pidausta u eh, HOL-Bildung

LCAT Pla ma Cholesterin zu Cholesterinester in HOL und LDL

CETP Cholesterinestertransferprotein, LCAT Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase, LTP Lipidtransferprotein, PLTP Phospho-


lipidtransferprotein

Lipoproteine
17.1.3
Lipoproteine bilden ein poly~ispers~s Sy~tem aus
Enzyme des Lipoproteinstoffwechsels
unterschiedlichen Partikeln mit deutheb differenter
Lipid- und Proteinzusamme~set~ung. N~ch ?räse-
Neben den Apoproteinen spielen Enzyme im Lipo-
lektierten Dichten werden d1e Lipoproteme m der
proteinstoffwechsel, die Lipoproteinlipase, die hepa-
Ultrazentrifuge aufgetrennt und nach abnehmender
tische Triglyceridlipase, die Lecithin-Cholesterzn-
Größe und zunehmender Dichte (wegen abnehmen-
Acyltransferase sowie die Lipidtransferproteine
den Lipid- und zunehmenden Proteingehalt~) in
LTP 1 und LTP 2 eine wichtige Rolle (Tabelle 17-2).
Chylomikronen, VLDL, IDL, LDL und HDL emge-
LCA T spielt insbesondere für den HDL-Stoffwechsel
teilt. Eine weitere Methode zur Trennung und Klas-
eine entscheidende Rolle, indem es die Veresterung
sifizierung stellt die Lipoproteinelektrop_horese ~ar,
von freiem Cholesterin zu Cholesterinestern durch-
die Chylomikronen, Prä-ß-, ß- und a-Lipoproteme
führt, hierdurch die Reifung der HDL-Partikel maß-
unterscheidet. Abb. 17-3 vergleicht Lipoproteine
geblich unterstützt und somit für den "rever_sen
nach ihrem Verhalten in der Ultrazentrifuge und
Cholesterintransport" eine wesentliche Rolle spielt.
ihrem elektrophoretischem Muster und gibt deren
Interessanterweise zeigten transgene Tiere mit einer
Zusammensetzung an. Neuere Klassifizierungen
Überexpression von LCA T einen beschleunigten
von Lipoproteinen gehen dazu über, Lipo~ro~eine
LDL-Abbau. Unter cholesterinreicher Provokations-
nach ihrem Apoproteinbesatz zu klassifizieren
kost kam es bei den Tieren mit LCAT-Überexpres-
(Lipoproteinfamilienkonzept von Alaupovic).
sion zu deutlich geringerer Atherosklerosebildung
als bei Kontrolltieren, so daß die LCA T ein interes-
santes Target für zukünftige Medikamentenentwick-
lung darstellt.

Chylomikronen "Very Low "lntermediate "Low "H igh


Density Density Density Density
Lipoproteins" (VLDL) Lipoproteins" (IDL) Lipoproteins· (LDL) Lipopro teins· (HDU
Durchmesser

8 bis 80 nm

Zusammensetzung (Gewichtsprozent)
0
bis 50 nm

0
bis 20 nm
0
bis 10 nm
0

iV1\
5%

\::_) Abb.I7-3.
Zusammensetzung und
Nomenklatur der Lipo-
c::J Trigl yze ri de c::J Cholesterin c::J Phos pholipide - Protein proteinfraktionen
17.1 Physiologie 811

ACA T ist für die intrazelluläre Veresterung von


17.1.4
freiem Cholesterin zuständig und es wird vermutet,
Rezeptoren des Lipoproteinstoffwechsels
daß ACAT zur Schaumzellbildung aus Makro-
phagen durch die Bereitstellung vo~ intrazell~läre_n
Apolipoprotein-bindende Rezeptoren s~ielen e~ne
Cholesterinestern beiträgt. ACAT 1st auch fur d1e
wichtige Rolle in der Regulation der ~lpop~?tel~­
Cholesterinaufnahme im Darm zuständig, trägt
homöostase und sind somit maßgebhch fur d1e
zur Bildung von VLDL in der Leber und zur Steroid-
Höhe der Plasma-, Cholesterin-, Triglycerid- und
synthese bei. Es gibt zwei Formen des ACA_T, das
Phospholipidspiegel verantwortlich. Rezeptor~n
ACAT 1 und das ACAT 2. ACAT 2 wird überw1egend
dienen nicht nur der Entfernung von Cholestenn,
im Darm und der Leber exprimiert und trägt zur
Triglyceriden und Phospholipiden aus dem_ ~lut­
Cholesterinadsorption bei. Das ACAT 1 wird in
plasma, sondern sichern die Zufuhr von L1p1den
zahlreichen Geweben exprimiert und spielt eine we-
für Zellsysteme. Inzwischen sind auf verschiedenen
sentliche Rolle für den intrazellulären Cholesterin-
Zelltypen wie Leber, Nebenniere, Muskel, Makro-
stoffwechsel in der Nebenniere und den Makro-
phagen usw. mehrere Lipoproteinrezept?ren nach-
phagen. Die medikamentöse Unterdrü~kung ~er
gewiesen (Tabelle 17-3). Insbesondere die a~f dem
ACAT-Aktivität zeigte im Tiermodell emen gun-
Makrophagen exprimierten Rezeptoren, wie der
stigen Einfluß und konnte die Atherosklerose~nt­
Scavenger-Rezeptor A (SRA) und der ~e~eptor
stehung verzögern. Neuerdings zeigten. allerdmgs
CD36 scheinen für die Aufnahme von oxidiertem
ACAT 1-knock-out-Mäuse, daß es be1m Fehlen
LDL von Bedeutung zu sein. CD36-knock-out
dieses Enzyms zur massiven Ablagerung von Chol~­
Mäuse, bei denen zusätzlich noch das Apo E entfernt
sterin in der Haut und im Gehirn kommt und d1e
wurde (CD36-Apo E Doppel-Knock-Out), hatten
Atheroskleroseentstehung (bei zusätzlichem LDL-
wesentlich weniger Atherosklerose als erwartet, so
Rezeptor oder Apo E-knock-out) nicht aufgehalten
daß dieser Rezeptortyp von großem Interesse ist.
werden kann.

Tabelle 17-3. Rezeptoren im Lipoproteinstoffwechsel des Menschen

Rezeptor Hauptsächliche Expression Funktion

Low density Lipoprotein-Rezeptor-


Genfamilie:
a) LDL-Rezeptor Alle Zellen, be onders Leber, Aufnahme von Apo B- und
ebennieren -E-haltigen Lipoproteinen

b) VLDL-Rezepor Herz, Skelettmu kel, Fettgewebe, Aufnahme Apo E-haltiger VLDL


Uterus, Ovarien, intrazelluläre und IDL, Fettgewebsentwicklung,
ignaling Lieferung triglyceridhaltiger
Lipoproteme an Z1elgewebe

c) Apo E-Rezeptor-2 Intrazelluläres Signaling, Gehirn, Apo E-vermittelte Transportprozesse


Placenta und Testes im Gehirn
d) LDL-Rezeptor-Related Protein (LRP) Leber, eurone, Fibrobla ten Aufnahme Apo E- und Lipoprotein-
(a-2-Makroglobin -Rezeptor) lipa ehaltiger Lipoproteine
(Chylomikronen-Remnant-Rezeptor)

e) Megalin (Giykoprotein 330) absorptive Epithelien: Darm, Frontalhirnentwicklung durch


proximaler Tubulus, Lunge, embryonale Lipoprotein- und
Hirnventrikel ystem, Cholesterinaufnahme, auch 1m
(Hauptautoantigen der Heymann- Dotter ack zusammen mit Vitaminen
Nephritis) Matemal-fetaler Lipidtransport

Scavenger-Rezeptor Typ I und II Makrophagen, Kupfer- und Katabolismus modifizierter


chaumzellen (z. B. oxidierter) Lipoproteine,
wie ox-LDL, ß-VLDL

HOL-Rezeptor Leber, Gonaden, ebennieren Selektive Aufnahme von


H DL-Cholesterin
812 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

0 ooc

ßi2 Kringei - IV - Domäne


0 Kringel -V- Domäne
- Proteasedomäne
-oo<( Kohlenhydrate
Abb.I7-4.
JIJ Apo B-100 Struktur des Lipoprotein (a)

17.1.5
Lipoprotein (a) [Lp(a)]

Ein spezielles Lipoprotein stellt Lp(a) dar, eine Ver-


bindung aus einem Mokelül LDL und über Disulfid-
brücken gebundenes Apo(a) (somit gilt Lp(a) =
Apo(a) + LDL, Abb. 17-4). Die Lp(a)-Plasmaspiegel
sind genetisch determiniert und reichen von nicht
nachweisbar bis über 300 mg/dl. Das sehr kohlen-
hydratreiche Apo(a)-Molekül zeigt eine hohe Homo-
logie zum Plasminogen und einen genetischen
Größenpolymorphismus von 400 bis 800 kDa. Die
mehrfache Wiederholung der Kringel-IV-Struktur
bedingt einen Größenpolymorphismus mit über
Abb.l?-5. Schematische Darstellung der Hauptstoffwechsel-
40 unterschiedlichen Apo(a)-Phänotypen. Die phy- wege der menschlichen Plasmalipoproteine
siologische Relevanz dieses Konstrukts ist noch un-
klar.
sterinist wichtig, dass zwar fast sämtliche Körperzel-
len des Menschen in der Lage sind, Cholesterin auf-
17.1.6 zubauen, nicht jedoch zu verstoffwechseln. Die ein-
Stoffwechsel der Lipoproteine zige Möglichkeit, Cholesterin in ausreichenden Men-
gen aus dem Körper zu entfernen, ist deren
Beim Stoffwechsel der Lipoproteine lassen sich 3 Ausscheidung durch die Leber über den Gallenweg
Hauptwege herausstellen, wobei die der einzelnen nach Bildung von Gallensäuren. Es muss daher Stoff-
Lipoproteinwege dynamisch miteinander in Verbin- wechselwege geben, die Cholesterin aus sämtlichen
dung stehen. Es kommt zum Austausch sowohl von Körperregionen zur Ausscheidung in die Leber zu-
Lipiden und Apoproteinen. In Abb. 17-5 sind die rücktransportieren. Diese wurden mit den HDL in
Hauptstoffwechselwege der Plasmalipoproteine skiz- Verbindung gebracht und als Cholesterinrücktran-
ziert. Hauptstoffwechselorgane der Lipoproteine sind sport bezeichnet. Die Hauptstoffwechselwege aus die-
die Leber und der Darm; als Peripherie werden alle ser Abbildung sind in den 3 Abbildungen (Abb. 17-6,
anderen Organe verstanden. Bezogen auf das Chole- 17-7, 17-8) noch einmal ausführlicher dargestellt.
17.1 Physiologie 813

Periphere
Zelle

Lipoproteinlipase

Leber

LDL

~
~
Leber

Remnantrezeptor
(ApoE) ~VLDL
Abb. 17-8. Der HOL-Stoffwechsel ist überaus komplex und
in der Abbildung stark vereinfacht wiedergegeben. HDL wird
in Leber sowie Darm gebildet und interagiert mit allen Lipo-
proteinpartikeln, - insbesondere mit VLDL. LCAT Lezithin-
Abb. 17-6. Exogener Trigliceridstoffwechsel. Bei Defekten Cholesterin-Acyltransferase, CETP Cholesterinester-Transfer-
der Lipoproteinlipase oder des Kofaktors Apo C-11 kommt protein, VLDL "Very low density Iipoproteins" LDL "Low
es zum Anstieg der Chylomikronen und ihrer Remnants im density Iipoproteins", HDL "High density Iipoproteins"
Plasma

17.1.7
Triglyceridstoffwechselwege

Stoffwechselweg der Chylomikronen

Leber ., ~
-100 (exogener Triglyceridstoffwechse/)
Der in Abb. 17-5 mit (1) bezeichnete Chylomikronen-
stoffwechselweg stellt den Transportweg der mit
,.~ <.:.:;:-
der Nahrung aufgenommenen Lipide dar (exogene
~ VLDL Lipide). Oral aufgenommene "mittelkettige Triglyce-
ride" sind leichter wasserlöslich und können on-
gespalten in das Darmepithel übertreten. Nach
Hydrolyse in der Epithelzelle des Darms erreichen
die unveresterten mittelkettigen Fettsäuren direkt
über die Pfortader die Leber und werden somit nicht
in Chylomikronen eingebaut. Diese Fettform wird
z. B. therapeutisch verabreicht, wenn Patienten Pro-
bleme mit erhöhten Chylomikronenmengen haben.
Die kostüblichen "langkettigen Triglyceride" werden
im Dünndarm durch Pankreaslipasen hydrolysiert
Periphere Zelle
und in den Zellen der Darmmukosa erneut zu Tri-
glyceriden (und Phospholipiden) aufgebaut. Diese
werden zu Chylomikronen, die dann über die Darm-
Abb.l7-7. Stoffwechselweg eines von der Leber syntheti-
sierten VLDL-Partikels (endogener Triglyceridstoffwechsel).
lymphe letztendlich ins Blut gelangen. Die Chylo-
VLDL "Very low density Iipoproteins", IDL "lntermediate mikronentriglyceride werden am Kapillarendothel
density Iipoproteins", LDL "Low density Iipoproteins". Bei durch die dort ansässige Lipoproteinlipase zahlrei-
Defekten der Lipoproteinlipase oder des Kofaktors Apo C-11
kommt es zum Anstieg von VLDL und ihrer Remnants
cher Gewebe (insbesondere Herz, Muskel und Fett-
(VLDL-Remnants) gewebe) nach Bedarfhydrolysiert. Die so entstehen-
814 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

den Fettsäuren werden für den Energiestoffwechsel jedoch bei den meisten anderen Geweben offenbar
verwendet oder erneut innerhalb von Zellen zu Tri- einen Cholesterinausstrom aus Zellen und Rück-
glyceriden aufgebaut und gespeichert. Im Laufe ihrer transport des Cholesterins zur Leber (Abb. 17-8).
kurzen Aufenthaltszeit im Plasma werden die Chylo- Zellen, die Cholesterin abgeben wollen, exprimieren
mikronen dadurch kleiner, verlieren Apoproteine an ihrer Oberfläche Proteine, die HDL binden (HDL-
wie Apo A-I und -A-IV neben ihren Triglyceriden Rezeptoren). Die Bindung von HDL führt dann zum
und werden dann als Chylomikronenremnants irre- Cholesterinausstrom aus diesen Zellen. Das in Form
versibel in die Leber aufgenommen, nachdem sie aus von freiem Cholesterin aus den Zellen herausgelöste
der HDL das ApoproteinE als Liganden für die Cholesterin wird dann durch die LCAT in Choleste-
Leberzellbindung aufgenommen haben (Abb. 17-6). rinester übergeführt und im Inneren der HDL ver-
ankert. HDL gelangt zurück ins Plasma und kann so
VLDL -LDL-Stoffwechselweg Cholesterin in die Leber transportieren. Der genaue
(endogener Triglyceridstoffwechsel) Transportweg dieses Cholesterins zurück zur Leber
"Very-low-density-Lipoproteine" (VLDL) werden als ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Wahrschein-
Träger der endogenen, im Körper synthetisierten Tri- lich ist die Rolle der HDL im Cholesterinrücktran-
glyceride in der Leber gebildet, deren Aufbau über- sport eine der wesentlichen Aufgaben, die die
wiegend in der Leber, z. T aber auch im Fettgewebe Schutzfunktion der HDL vor Atheroskleroseent-
stattfindet. Die VLDL enthalten hauptsächlich Apo- wicklung erklären könnte.
protein B-100 und Triglyzeride. Auch die VLDL
kommen an den Gefäßendothelzellen in Kontakt
mit der dort verankerten Lipoproteinlipase, die ähn- 17.2
lich wie die Chylomikronen die VLDL-Triglyceride Störungen des Lipoproteinstoffwechsels
hydrolysiert. Dabei verlieren VLDL nicht nur Tri-
glyceride, sondern auch Apolipoprotein C, später Störungen im Fettstoffwechsel können sich in einer
ApolipoproteinE (an HDL). Das noch apolipo- Verminderung, einer Fehlverteilung oder einer Ver-
protein-E-haltige Zwischenprodukt (entsprechend mehrung der Lipoproteine äußern, die als
der IDL) wird dann auf noch nicht ganz bekannte • Hypolipoproteinämie,
Weise zur LDL umgewandelt. Wahrscheinlich spielt
• Dyslipoproteinämie oder
hierbei eine erneute Bindung an die Leberzelle eine • Hyperlipoproteinämie bezeichnet werden.
Rolle. Die Partikel verlieren weiter Triglyceride und
Phospholipide (durch Hydrolyse an der hepatischen
Triglyceridlipase) und gelangen dann als LDL in die
Zirkulation. Diese dient den peripheren Zellen als 17.2.1
Cholesterinlieferant und sämtlicher übriger mittrans- Fallpräsentationen
portierter Lipide und Vitamine. Dennoch werden
etwa 70 o/o der zirkulierenden LDL-Partikelletztlich Familiäre Hypercho/esterinämie
wieder über LDL-Rezeptoren in die Leber aufgenom-
men. Aus dieser Vorläuferproduktbeziehung zwi- Eine 53-jährige normalgewichtige Patientin
schen VLD L und LD Lgeht hervor, dass eine vermehrte teilte ich mit seit 6 Monaten zunehmender
Bildung von VLDL, z. B. bei Diabetikern, erhöhte Belastungsangina pectoris vor. In der Familien-
Spiegel von LDL nach sich ziehen kann (Abb. 17-7). anamnese fand ich eine Häufung von früh-
zeitigen Myokardinfarkten (definiert als In-
HOL-Stoffwechselweg (Cholesterinrücktransport) farktereignis bei Männern vor dem 55. Lebens-
Der Stoffwechsel der HDL wird mit dem Choleste- jahr, bei Frauen vor dem 65. Lebensjahr) beim
rinrücktransport aus dem peripheren Gewebe zur Vater und dessen Verwandten 1. Grades. Es
Ausscheidung in die Leber in Verbindung gebracht. bestanden Xanthela men (Abb. l7-9a) sowie
Bildungsort für HDL sind sowohl die Leber als auch deutlich verdickte Achillessehnen (Abb. l7-9b)
der Darm, wobei die Leber direkt HDL bildet und beidseits, die sich sonographi eh mit einer
beim Darm die HDL teilweise aus Oberflächenteilen Verdickung auf 19 mm darstellen ließen
der Chylomikronen (Apo A-I und Phospholipide) (Abb. 17-lOa u. b). Die Patientin hatte Strö-
entstehen. Diese so genannte naszente HDL, die mungsgeräusche über beiden Ka rotiden und
scheibchenförmig zu sein scheint, wird im Plasma ein positives Belastungs-EKG sowie Myokard-
durch die Einwirkung der LCA T und Einlagerung szintigramm. Koronarangiographi eh zeigte ich
von Cholesterinestern ins Innere Kugelform anneh- eine schwere koronare Dreigefäßerkrankung.
men. HDL kann einigen Geweben (z. B. der Neben- Laborchemisch zeigte sich fo lgendes Lipopro-
niere) auch als Cholesterinlieferant dienen, bewirkt
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 815

weitert, worunter das LOL-Choiesterin auf


Werte um ISO mgldl gesenkt werden konnte.
Da HOL-Cholesterin tieg auf SO mgldl an,
wohingegen die Triglyceride und Lp(a)-Werte
nahezu unverändert blieben. Seit S Jahren ist
die Patientin klini eh beschwerdefrei.

I
Typ-11/-Hyper/ipidämie

Ein 45-jähriger adipöser Mann (BMI 32) litt


seit S Jahren an einer Claudicatio intermittens
mit einer freien Gehstrecke von maximal
ISO m. In der Familie des Patienten wurde bei
2 Verwandten 1. Grades eine Fettstoffwechsel-
törung berichtet, die jedoch bislang ohne kli-
nische AuffäUigkeit geblieben war. Zudem be-
merkte der Patient zusätzlich eit Jahren pro-

Abb.l?-9. a Xanthelasmen der Augenlider, b Achillesseh-


nenverdickung

teinprofil: Gesamtcholesterin 460 mg/dl, LOL-


Choiesterin 400 mgldl, Triglyzeriden 100 mgl
dl, HOL-Cholesterin 40 mg/dl, Lp(a) SO mg/dl.
Somit bestand eine chwere Hypercholesterinä-
mie mit erhöhtem Lp(a)-Anteil. Differentialdia-
gnostisch kommt bei dieser Familienanamnese
mit Hinweisen für einen autosomal-dominan-
ten Erbgang in Verbindung mit dem Lipidprofil
eine familiäre Hypercholesterinämie (FH) oder
ein familiär defektes Apo B (FDB) in Frage. In
der Folgezeit konnte ein Defekt des Apo B-
100 (FDB) bei die er Patientin ausgeschlo sen
werden und ein heterozygoter Defekt des
LDL-Rezeptors nachgewiesen werden, so daß
hier eine klassische FH vorliegt. Therapeutisch
stand bei der symptomatischen Patientin zu-
nächst die coronare Bypass-Versorgung im Vor-
dergrund. Zur Sekundärprophylaxe wurde be-
reits präoperativ neben einer Ernährungsum-
stellung ein HMG-CoA-Reduktasehemmer ein-
gesetzt, mit dem eine Senkung des LOL-
Choiesterins auf Werte um 210 mgldl möglich
Abb. 17-10. onographi ehe Darstellung von Achilles-
war. Zur weiteren Cholesterinsenkung wurde sehnenverdickungen. Sehne zwischen den Kur oren dar-
die Therapie mit einem Austauscherharz er- gestellt. Abbild ung (a) ormalbefund. Abbildung (b) massive
Xanthomatose
816 K AP ITEL 17 Lipide und Lipoproteine

grediente tuberöse Xanthome an beiden Ellen- Damit bestand der Verdacht auf das Vor-
bogen (Abb. 17-1 1a). Die Lipoproteinanalytik liegen einer Typ-III-Hyperl ipoproteinämie.
ergab: Gesam tcholesterin 360 mg!dl, Triglyze- Zur weiteren Differenzierung erfolgte eine
ride 645 mg!dl, HOL-Cholesterin 35 mg!dl, Bestimmung des Apo E-Phänotyps. Hier er-
Lp(a) 21 mg!dl. Da ich eine LOL-Choiesterin- gab sich ein Apo E-2/2-Muster wie üblicher-
berechnung nach der Friedewald-Formel ver- weise bei Typ-IIl-Hyperlipoproteinämie ge-
bietet (Triglyzeride über 400 mgldl), wurde sehen (s. Abb. 17-llc, Bahn 5). Hiermit be-
eine Lipoproteinelektrophorese angefordert. stätigte sich die Diagnose einer Typ-III-HLP.
Hier zeigte sich eine schlechte Trennung von Da diese HLP auf dem Boden eines Apo
LDL und VLDL im Sinne einer breiten Lipo- E-2/2-Phänotyps durch weitere exogene Hyper-
proteinbande zwischen ß- und prä-ß-Bereich. lipidämie-triggernde Faktoren entsteht, wurde
nach Hypothyreose, Diabetes mellitus, Nieren-
sowie Leberfunktionsstörung gesucht. Diese
waren bis auf ein y-GT von 54 U/1 auszuschlie-
ßen, sodas es sich im vorliegenden Fall um eine
durch Adipositas, d urch den Patienten bestätig-
ten vermehrten Alkoholgenuss und durch
innerhalb der Familie vorkommende Gene für
Hyperlipidämien getriggerte Typ-lii-Hyper-
lipidämie handelte.
Eine Ernährungsumstellung zur Gewichts-
reduktion unterstützt durch Fettmodifikation
und Meiden von Alkohol sowie ein wegen
der fortgeschrittenen AVK gegebenes Fibrat
(Fenofibrat 3-mal 100 mg!Tag) ergaben nach
2 Monaten ein Lipoproteinproftl mit: Gesamt-
cholesterin 210 mg/dl, Triglyzeriden 180 mgl
dl, HOL-Cholesterin 46 mg!dl, Lp(a) 19 mg/dl.
LOL-Choiesterin sollte auch hier nicht be-
rechnet werden, da bei der Typ-III-HLP die
hauptsächliche cholesterintragenden Fraktio-
nen Lipoproteine intermediärer Dichte sowie
VLDL sind. Innerhalb der 3-jährigen Therapie
kam es zu einem Verschwinden der Xanthome
(Abb. 17-llb) sowie zu einer Verbesserung der
Gehst recke.

Unterfunktion

- -- -2
E
17.2.2
Hypolipidämien und Dyslipidämien,
Pathophysiologie und Klinik

Hypolipoproteinämien imponieren durch die Er-


4 niedrigung der Gesamtlipide, meist durch drastische
c
Verminderung einer dominierenden Fraktion (z. B.
1 2 3 4 5 6
Apo B-haltiger Lipoproteine, LDL). Dyslipidämien
Abb.l7-l l. a Xanthome an beiden Ellenbogen des Pa- charakterisieren Fehlverteilungen von Lipopro-
tienten, b nicht mehr nachweisbare Xanthome beider Ellen- teinfraktionen, die meist nicht im Gesamtlipidgehalt
bogen nach Behandlung des Patienten, c Elektrophoretische auffallen, z. B. durch deutliche Erniedrigungen von
Apo E-Phänotypdifferenzierung. Bahn 5 zeigt das klassische
Bild eines Apo E-2/2-Musters, pathognomonisch für eine HOL-Cholesterin (Tabelle 17-4). Im Folgenden wer-
Hyperlipidämie Typ III den wegen der fließenden Übergänge zwischen bei-
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 817

Tabelle 17-4. Zusammenfassung der Hypolipoproteinämien

Erkrankung Defekt Lipoproteinphanotyp Klinik

A-Betalipoproteinämie MTP Fehlen der Apo B-haltigen europathien


Lipoproteine Vitaminmangel

Hypobetalipoproteinämie Apo B-Mutanten iedriges LDL Unauffallig

Anderson's Disease Unbekannt Gestörte Chylomikro- Ähnlich A-Betalipo-


nensekretion proteinämie

Hypoalphalipoproteinämien Apo Al-Mutanten, iedriges HOL-Cholesterin Vorzeitige Arterio klerose


Lipasedefekte (?) und
unklare familiäre Formen
Tangier-Di ease ABC-I-Defekt Extrem niedriges HOL- Orangerote Tonsillen,
Chole terin, hohe Triglyceride Hepatosplenomegalie

LCAT-Mangel, Totaler oder fartieller Sehr niedriges HDL- ephropathie, Anämie,


"Fish-eye-Oi ea e" (FED) LCAT-Mange (FED) Cholesterin, abnorme Lipo- Hornhauttrübung
proteine, hohe Triglyceride
LCAT Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase, MTP mikrosomales Triglyceridtransferprotein

den Entitäten Hypo - und Dyslipidämien zusammen des Apo B-100 und können so eine Hypobeta-
abgehandelt. lipoproteinämie verursachen. Bei der normotri-
glyceridämischem A-Betalipoproteinämie scheinen
Chylomikronen normal gebildet zu werden, wäh-
A-Betalipoproteinämie
rend LDL im Plasma fehlt. Umgekehrt wurde eine
Völliges Fehlen der Apo B-haltigen Lipoproteine
Hypolipoproteinämie beschrieben, die Apo B-100-
(Chylomikronen, VLDL, LDL) wird bei der A-Beta-
LDL im Plasma zeigt, jedoch kein Apo B-48 [das
lipoproteinämie ( = Bassen-Kornzweig-Erkrankung)
im Darm gebildete Chylomikron Apo B ("chylo-
gesehen. Es handelt sich hier um eine rezessiv ver-
micron retention Disease") ].
erbte Erkrankung, die auf einen Defekt des mikro-
somalen Triglyceridtransferproteins (= MTP) be-
ruht. Dieses Enzym steht wesentlich für den intrazel- Normolipämische Dysbetalipoproteinämie
lulären Zusammenbau und die spätere Sekretion Diese Fehlverteilung der ß-Lipoproteine stellt die
Apo B-haltiger Partikel. Die Fettresorption aus häufigste Form der Hypobetalipoproteinämie dar.
dem Darm ist erheblich gestört, es kommt zu An- Die normolipämische Dysbetalipoproteinämie geht
reicherung von Triglyceriden in den Darmmukosa- mit deutlich erniedrigten Gesamtcholesterin- und
zellen sowie in der Leber. Erythrozyten zeigen eine LDL-Cholesterinspiegeln einher. Infolge einer Fehl-
Akanthozytose, die Patienten leiden unter Mangel verteilung der ß-Lipoproteine sind dagegen die
an fettlöslichen Vitamine und fallen mit schweren VLDL- und IDL-Cholesterinspiegel erhöht. Eine
Neuropathien auf. normolipämische Dysbetalipoproteinämie lässt sich
bei etwa 1 %der Bevölkerung nachweisen. Eine zen-
trale Rolle bei der Dysbetalipoproteinämie spielt das
Hypobetalipoproteinämie Apolipoprotein E, für das in der Bevölkerung gene-
In der homozygoten Form lässt sich die familiäre tischer Polymorphismus existiert. Die homozygote
Hypobetalipoproteinämie nicht von der A-Beta- Form Apo E-2/2 führt durch eine Aminosäure-
lipoproteinämie unterscheiden. Im Gegensatz zur substitution in der Position 158 des Apo E (Cystein
A-Betalipoproteinämie haben hier die Eltern der für Arginin) zu einem defekten Stoffwechselverhal-
Probanden als heterozygote Merkmalsträger bereits ten dieses Proteins. Dergenaue Mechanismus dieser
niedrige Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegel, also Dysbetalipoproteinämie ist nicht klar, jedoch spielt
eine Hypobetalipoproteinämie, die per se offen- intaktes Apo E (Arginin in Position 158) offenbar in
sichtlich keine krankhafte Bedeutung hat. Ver- der Umwandlung von VLDL zur LDL eine wichtige
schiedene Formen der Hypobetalipoproteinämie Rolle. Die Vorstufe VLDL und die Zwischenstufe
wurden mit Defekten im Apoprotein B-100 assozi- IDL akkumulieren, während das Produkt LDL nied-
iert gefunden: Patienten, die nur Teile des B-100- rig bleibt. Gemäß der Fehlverteilung der Lipopro-
Proteins produzieren. Eine Reihe genetischer De- teinfraktionen zeigen die homozygoten Apo E-2/2-
fekte im Apo B-Gen führen zu einer Verkürzung Probanden auch sehr niedrige Apolipoprotein B-,
818 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

dagegen hohe Apolipoprotein E-Spiegel. Da sich koronaren Atheroskleroserisikos. Als Ursache für
homozygote Probanden für Apo E-2 in einem Pro- die praktisch fehlenden HDL (weniger als 3 o/o der
zent der meisten bisher untersuchten Populationen Normalwerte) konnte ein beschleunigter Apo A-I-
findet, stellt die Dysbetalipoproteinämie die häufig- Abbau nachgewiesen werden. Als Ursache für Tan-
ste bekannte vererbte Stoffwechselstörung in Form gier Disease konnte ein Defekt im ABC-I-Trans-
einer Hypobetalipoproteinämie. Ob diese primäre porter-System aufgeklärt werden. Das ABI-I-Trans-
Dysbetalipoproteinämie per se einen Krankheitswert porter-System ist Teil der "ATP-binding cassette"-
besitzt, ist unklar. Die Entwicklung einer Typ-III- Familie, die sowohl den zellulären Transfer von
Hyperlipidämie auf dem Boden einer Dysbetalipo- Cholesterinen als auch Phospholipiden erleichtert.
proteinämie durch Zusammentreffen mehrerer Der bei "Tangier Disease" zugrunde liegende Defekt
Faktoren wird bei der Typ-III-HLP besprochen. des ABC-I-Transporter-Systems führt zu einem ge-
störten zellulären Ausstrom von Cholesterinen und
Phospholipiden, wodurch die HDL-Partikel nur
Hypoalphalipoproteinämie
ungenügend lipidiert und dadurch beschleunigt ab-
Niedrige HDL-Cholesterinspiegel sind ein unabhän-
gebaut werden, was wiederum zu niedrigen HDL-
giger Risikofaktor für die Entwicklung atherosklero-
Spiegeln führt. Die Aufklärung des Stellenwertes
tischer Gefaßerkrankungen. Unter anderem schei-
von ABC-I für den Lipidstoffwechsel erlaubt heute
nen Mutationen der Lipoproteinlipase eine Rolle
die Aufklärung weiterer Defekte dieses Systems
bei der Entwicklung einer Hypoalphalipoproteinä-
und dessen Zusammenhang mit bislang noch un-
mie zu spielen, denn es besteht eine inverse Bezie-
geklärten Hypoalphalipoproteinämien. Desweiteren
hung zwischen der Höhe von Triglyceridspiegeln im
kann man davon ausgehen, dass das ABC-I-System
Serum und dem HDL-Cholesterin. Das heißt, dass
ein weiteres Target für eine medikamentöse Thera-
Patienten mit hohen Triglyceridspiegeln niedrige
pie zur Verbesserung des reversen Cholesterintrans-
HDL-Cholesterinwerte aufweisen und sich diese
portes darstellt.
HDL-Cholesterine oft normalisieren, wenn sich
die Triglyceridwerte im Serum normalisieren. Nied-
rige HDL-Cholesterinspiegel treten häufig familiär "Fish eye Disease"
auf. Diese sind jedoch in ihrer Ätiologie noch nicht "Fisheye Disease" und LCAT-Mangel sind ebenfalls
vollständig geklärt. In einigen wenigen Fällen konn- ausgesprochen seltene Erkrankungen, gekennzeich-
ten Apo A1-Mutationen als die primäre Ursache ge- net durch niedriges HDL-Cholesterin und Apo A-I,
funden werden (Apo A1 Marburg, Milano, Iowa, Bal- denen ein partieller oder kompletter Mangel des
timore, Seattle etc.). Bei den bislang kinetisch unter- Enzyms Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase (LCAT)
suchten Apo A1-Mutationen ist stets ein erhöhter zugrunde liegt. Nephropathien kennzeichnen be-
Apolipoprotein A1-Abbau bei normaler Synthese- sonders den LCAT-Mangel.
leistung als Ursache der erniedrigten Apo A1- und
HDL-Cholesterin-Spiegel festgestellt worden.
Überfunktion
"Tangier Disease"
"Tangier Disease" ist eine ausgesprochen seltene
17.2.3
Erkrankung, die durch das fast vollständige Fehlen
Hyperlipidämien
von intaktem HDL-Cholesterin, Apo A-I und
Apo A-II gekennzeichnet ist. Die Erkrankung wird
Sekundäre Hyperlipidämien:
autosomal-codominant vererbt. Tangier-Disease-
Epidemiologie, Pathophysiologie und Klinik
Patienten zeigen zudem erhöhte Triglyceridspiegel
Sekundäre Hyperlipoproteinämien treten im Gefol-
und vergleichsweise niedrige LDL-Cholesterinwerte.
ge anderer primärer Erkrankungen auf:
Klinisch führende Zeichen sind die massiv ver-
• Diabetes mellitus,
größerten, typisch orangerot gefärbten Tonsillen,
• Adipositas,
eine vergrößerte Milz und Leber, zum Teil vorhan-
• Bluthochdruck,
dene Korneatrübungen sowie eine intermittierende
• hormonelle Einflüsse,
periphere Polyneuropathie. Neben den Tonsillen ist
• Nierenerkrankungen,
auch die Darmmukosa der betroffenen Individuen
• Lebererkrankungen.
orangerot gefärbt, sodass die Diagnose "Tangier
Disease" in einem bekannt gewordenen Falle auch
nach einer Kaloskopie gestellt wurde. Trotz des Schwangerschah
Mangels an HDL-Cholesterin besteht interessanter- In der Schwangerschaft treten physiologischerweise
weise offenbar nur eine geringe Zunahme des Hyperlipoproteinämien auf. Weniger bekannt sind
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 819

• Überernährung
• Bewegungsmangel
• Soziokulturelle Faktoren
Abb.l7-l2.
• Genetische Disposition Die erstmals von Hanefeld et al.
vorgestellte Spirale des metabo-
lischen Syndroms, die ausgehend
von Uberernährung, Bewegungs-
mangel, soziokulturellen und ge-
netischen Faktoren letztendlich
zur Arteriosklerose führt

Zusammenhänge zwischen Hypertonie und Fett- im Serum spielt bei dieser Dyslipidämie eine wich-
stoffwechsel in Form der familiär dyslipämischen tige Rolle. Sie steigern in der Leber eine Triglycerid-
Hypertonie. Besonderes Interesse verdient das Zu- synthese und führen zur einer vermehrten Sekretion
sammentreffen von Adipositas, Hypertonie, Dysli- von VLDL mit Erhöhung des Plasma-VLDL-Pools.
poproteinämie, Hyperurikämie und pathologischer Dieser wiederum vermindert HOL-Cholesterin
Glukosetoleranz als Eckpfeiler des metabolischen durch Austausch von Cholesterin gegen Triglyceri-
Syndroms (Abb. 17-12). de, vermehrt die Bildung von LDL sowie deren Tri-
glyceridmodifikation mit Bildung von kleinen dich-
ten Partikeln, die dann der oxidativen Modifikation
Diabetes mellitus anheim fallen. Dabei kommt es zu einer Triglyceri-
Hyperlipoproteinämien und Dyslipoproteinämien
danreicherung der LDL mit Ausbildung einer athe-
kennzeichnen die Erscheinungsbilder sowohl des rogenen LDL-Subpopulation (kleine dichte Partikel)
Typ-1-Diabetes-mellitus als auch des Typ-2-Dia-
mit veränderten Rezeptorbindungseigenschaften
betes-mellitus. Hyperlipoproteinämien finden sich
und erhöhter Anfälligkeit für oxidative Modifikation
3-mal häufiger bei Diabetikern im Vergleich zur (Abb. 17-13 ). Der LDL-Cholesterinanstieg erscheint
Normalbevölkerung, gehen der Manifestation des eher weniger im Vordergrund. Diese veränderte Zu-
Typ-2-Diabetes häufig voraus und gelten als wichti-
sammensetzung führt schließlich im Verein mit
ge Risikofaktoren für die Makroangiopathie. Speziell
nichtenzymatischer Glykierung, hauptsächlich des
zeigen die Triglyceride eine enge Korrelation zum
Auftreten ischämischer EKG-Veränderungen. Se-
kundärfolgen des Diabetes mellitus, besonders die
Nephropathie, beeinflussen das Lipoproteinprofil
zusätzlich in atherogener Richtung. Beim gut einge-
stellten Typ-I-Diabetiker findet sich häufig eine
Normolipidämie, die jedoch, bei schlechter Einstel-
lung, auch mit Triglyceriderhöhungen und niedri- Cholesterin
gen HOL-Cholesterinwerten imponieren kann. Da- ester
bei nimmt der Triglyceridgehalt sämtlicher Lipopro-
teine zu. Beim Auftreten einer Ketoazidose kommt
es gelegentlich zu einem Chylomikronämiesyn-
drom. Die Dyslipoproteinämie beim Typ-2-Diabeti-
ker ist gekennzeichnet durch eine deutliche Trigly-
ceriderhöhung sowie eine Erniedrigung des HOL- Abb.l?-13. Atherogene Lipoproteinveränderungen beim
Cholesterins. Die Vermehrung der freien Fettsäuren Diabetes mellitus und bei der Adipositas
820 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

Apoproteins B der LDL zu verminderter rezeptor- ein schwacher Zusammenhang zwischen reinem
vermittelter Verstoffwechslung in der Leber und Körpergewicht und kardiavaskulärer Sterblichkeit.
vermehrter Aufnahme in Makrophagen mit In den meisten Studien wurde dabei lediglich der
Schaumzellbildung und damit zur Arteriosklerose- Broca-Index oder der "Body-mass-Index" (BMI) ge-
progression. messen, ohne auf unterschiedliche Fettverteilung zu
achten, auf die Vague bereits 1947 hingewiesen hat.
• Prävalenz. Die Prävalenz der Lipid- und Lipopro- Eine Vermehrung der abdominellen Fettmasse ist
teinveränderung hängt in erheblichem Maße von stark assoziiert mit Insulinresistenz und daraus re-
der Qualität der Stoffwechselkontrolle sowie von sultierender Hyperinsulinämie, Glukoseintoleranz
den Komplikationen des Diabetes mellitus, insbe- und Typ-2-Diabetes mellitus. Darüber hinaus findet
sondere von Nierenfunktionsstörungen, ab. Etwa sich eine Korrelation zwischen abdomineller Fett-
1/4 aller Typ-2-Diabetiker ohne Nephropathie weisen masse und arterieller Hypertonie sowie Dyslipopro-
eine Hyperlipidämie auf, etwa doppelt so viele nach teinämie. Die gluteal-femorale Fettsucht ist dagegen
Entwicklung einer Nierenfunktionsstörung. Die Prä- mehr als ein kosmetisches Problem anzusehen. In
valenz von niedrigem HDL-Cholesterin (unter neueren Arbeiten wird der Zusammenhang zwi-
35 mg/dl oder 0,9 mmol/1) wird zwischen 13 und schen Körperfettverteilung und Fettstoffwechsel so-
30 o/o angegeben. wie kardiavaskulären Erkrankungen dargestellt.
Hierbei werden nach steigendem kardiavaskulärem
• Apolipoprotein-E-Polymorphismus und Diabe- Risiko 3 Fettverteilungstypen definiert:
tes mellitus. Neben dem Ausmaß der Nephropathie
übt der genetische Apolipoprotein-E-Polymorphis- • 1. Die gluteal-femorale Fettsucht geht mit mode-
mus einen modifizierenden Einfluss auf die Hyper- rater Insulinresistenz einher. Es finden sich ge-
lipidämie auch beim Diabetes mellitus aus: ring erhöhte Plasmatriglyzeridspiegel, bedingt
• Beim normolipämischen Diabetikern findet sich durch vermehrte VLDL-Sekretion oder aber
häufiger der Phänotyp E3/3. auch durch verminderten VLDL-Katabolismus.
• Diabetiker mit dem Phänotyp E2/3 zeigen hinge- • 2. Bei der trunkal-abdominalen Fettsucht ist die
gen höhere Triglyzeride, VLDL-Triglyzeride, Insulinresistenz bereits weiter ausgeprägt, und
VLDL-Cholesterine und VLDL-Apo B bei gleich- die Plasmainsulin- und -triglyceridspiegel sind
zeitig niedrigem HDL- sowie LDL-Cholesterin. erhöht. Dies führt zu einem erhöhten Triglyce-

D
ridgehalt von LDL und HDL und dem Auftreten
Bei den Diabetikern sieht man also eine stärkere
von dichteren LDL-Partikeln, die denen bei der
Assoziation zwischen Apo E-2 und Hypertriglyzerid-
familiär kombinierten Hyperlipidämie entspre-
ämie im Vergleich zu Nichtdiabetikern. Eine ähn-
chen. Außerdem kommt es zu einer HDL-Sen-
liche Assoziation findet sich zwischen Apo E-4 und
kung.
Hypercholesterinämie bei Kontroll- und Diabetiker-
• 3. Die mit dem höchsten kardiavaskulären Risiko
gruppen.
einhergehende viszerale Fettsucht führt zur Glu-
koseintoleranz und zur weiteren HDL-Choleste-
• Lipoprotein [Lp(a)] und Diabetes mellitus. Lp(a),
rinreduktion durch vermehrte hepatische Trigly-
ein genetisch bedingter Lipoproteinrisikofaktor
zeridlipaseaktivität. Triglyzerid- und LDL-Verän-
wird im Bezug auf seine zusätzliche Bedeutung im
derungen sind dabei weiter ausgeprägt als bei der
Rahmen des Diabetes mellitus in der Literatur
trunkal-abdominalen Fettsucht.
noch sehr unterschiedlich diskutiert. Durch intensi-
vierte Insulintherapie beim Typ-1-Diabetes scheint
Die Gründe für die deutlichen Lipoproteinverände-
es zu einer Senkung der Lp(a)-Plasmaspiegel zu
rungen bei der abdominalen-viszeralen Fettsucht
kommen. Die Entwicklung nephrologischer Kompli-
werden in einem vermehrten Strom freier Fettsäu-
kationen bei Typ-2-Diabetes lässt Lp(a)-Werte
ren aus dem metabolisch aktiveren abdominellen
ansteigen, zudem zeigen diabetische Patienten mit
Fettgewebe via Pfortader zur Leber gesehen. Fettsäu-
koronarer Herzerkrankung und Makroangiopathie
ren können ihrerseits eine vermehrte VLDL-Syn-
höhere Lp(a)-Spiegel als solche ohne diese Kompli-
these und -Sekretion anregen. Die damit einherge-
kationen. Aus diesen Untersuchungen wurde abge-
hende Erhöhung der Plasmatriglyzeridspiegel ist
leitet, dass hohe Lp(a)-Spiegel die Wahrscheinlich-
mitverantwortlich für die Entstehung atherogener,
keit, Makroangiopathien zu entwickeln, erhöhen.
dichter LDL-Partikel. In Bezug auf den Lipidstoff-
wechsel und das kardiavaskuläre Risiko muss also
Adipositas bei der Beurteilung einer übergewichtigen Person
Obwohl Übergewicht erhebliche gesundheitliche unbedingt das Fettverteilungsmuster mit berück-
Probleme mit sich bringen kann, besteht lediglich sichtigt werden (Tabelle 17-5).
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 821

Tabelle 17-5. Zusammenfassung der unterschiedlichen Adipositastypen, deren metabolische Veränderungen und kardiavasku-
läres Risiko

Adipositastyp Metabolische Veränderung KHK-Risiko

Gluteal-femoral Moderate lnsulinre i tenz, moderate Triglyceriderhöhung +


durch vermehrte Sekretion und/oder verminderten Katabo-
lismus

Trunkal -abdominal Weitere Triglyceriderhöhung und höhere Insulinspiegel durch ++


fort ehreilende lnsulinre istenz, Triglyceridanreicherung der
LDL mit Au bildungvon "Small-dense-LDL" und HOL-Ab-
senkung

Viszeral Deutliche In ulinresistenz mit Glukoseintoleranz, erhöhte ++++


hepatische Triglyceridlipase mit zusätzlich weiterer HDL-
Cholesterinreduktion

KHK-Risiko: + gering, ++ erhöht, ++++ stark erhöht) KHK = koronare Herzerkrankung

Bluthochdruck mente, insbesondere Diuretika und ß-Rezeptoren-


Hypertonie und Hyperlipidämie, besonders die blocker, herbeigeführt werden. Abbildung 17-14
Hypercholesterinämie, kommen häufig gemeinsam zeigt mögliche atherogene Lipidveränderungen durch
vor. Über Hypertriglyzeridämien und niedriges diese Medikamente.
HOL-Cholesterin bei Hypertonikern gibt es in der
Literatur unterschiedliche Angaben. Es besteht
Hormonelle Einflüsse auf den Lipidstoffwechsel
jedoch kein Zweifel daran, dass auch diese Dys-
• SchilddrüsenhormonmangeL Der Einfluss von
lipidämien vermehrt bei hypertonen Probanden an-
Schilddrüsenhormonen auf den Fettstoffwechsel
zutreffen sind. Nach Daten aus der PROCAM-Studie
wurde schon früh erkannt und beschrieben. Insge-
fand sich bei 1/3 der männlichen und weiblichen Hy-
samt führt Schilddrüsenhormonmangel zur Hyper-
percholesterinämiker (Cholesterin über 260 mg/dl)
cholesterinämie vom Typ Ila oder Ilb, er kann je-
ein Hypertonus. Bei normocholesterinämischen
doch auch stark zur Hypertriglyceridämie prädispo-
Männern bzw. Frauen fanden sich dagegen ledig-
nieren. Dies äußert sich dann in der Manifestation
lich in 18,6 o/o bzw. 13,6 o/o erhöhte Blutdruckwerte.
einer Typ-III- oder Typ-IV-Hyperlipoproteinämie.
Ähnlich lagen die Verhältnisse bei der H ypertrigly-
Offensichtlich spielt hierbei die erhöhte Anflutung
ceridämie. Während sich bei Männern keine Bezie-
freier Fettsäuren zur Leber eine Rolle, auch sind so-
hung zwischen niedrigem HOL-Cholesterin und Hy-
wohl die Aktivitäten der Lipoproteinlipase als auch
pertonie zeigte, hatten 24,5 o/o der Frauen mit nied-
der hepatischen Triglyzeridlipase reduziert. Dies be-
rigem HOL-Cholesterin eine Hypertonie. Lediglich
deutet, dass sowohl die Triglyceridsynthese stimu-
17,7 o/o der hypertonen Frauen hatten dagegen ein
liert als auch deren Abbau gehemmt sind. Eine
normales oder erhöhtes HOL-Cholesterin.
Schlüsselrolle bei der Ausprägung der Hyperchole-

• Familiäre dyslipämische Hypertonie. Kürzlich


wurde anband großer Familienstudien das Syndrom
Betablocker (ß 1 und ß2l
einer ,,familiären dyslipämischen Hypertonie" defi- und
niert. Dieses Syndrom beschreibt das Auftreten Diuretika
einer essenziellen Hypertonie vor dem 60. Lebens-

/l~
jahr bei 2 oder mehr Geschwistern, die gleichzeitig
erniedrige HOL-Cholesterin-, erhöhte LDL-Chole-
sterin- und erhöhte Triglyceridwerte oder eine
Kombination aus diesen Störungen aufwiesen. In Triglyzeride t LDL t HDL ~

~l/
der "Lipid Research Clinic-Coronary Primary Pre-
vention Trial-Studie" (LRC-CPPT) entwickelten in
der Cholestyramin behandelten Gruppe signifikant
weniger Patienten eine Hypertonie als in der Pla-
cebogruppe (9 o/o gegenüber 12 o/o). Neben diesen
t Koronares
Risiko
bei Hypertonikern bestehenden Fettstoffwechsel- Abb.17-l4. Mögliche atherogene Lipidkonstellation indu-
störungen können zusätzliche atherogene Lipid- ziert durch antihypertensive Medikation (z. B. hochdosierte
konstellationen durch blutdrucksenkende Medika- Retahlocke r ohn e ISA oder Diure tika)
822 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

sterinämie spielen die Wirkungen der Schilddrüsen- Verschwinden des HDL-Cholesterins durch enorme
hormone auf die LDL-Rezeptoraktivität Der Anstieg Überproduktion der hepatischen Triglyceridlipase.
des LDL-Cholesterins ist durch eine Verminderung Hier sind Todesfälle durch schwere koronare Herz-
seines rezeptorvermittelten Abbaus zu erklären. Ob- erkrankungen bei jungen Bodybuildern beschrie-
wohl die Cholesterinsynthese beim Schilddrüsen- ben.
hormonmangel noch vermindert abläuft, führt der
gleichzeitig gehemmte Katabolismus doch zu einer • Schwangerschaft. Während der Schwangerschaft
Akkumulation von LDL-Cholesterin im Plasma. In kommt es physiologischerweise zu einer geringfügi-
einer Untersuchung an über 2000 Personen in gen Erhöhung von Cholesterin und Triglyceriden,
Schottland fanden sich 90 Patienten mit Hypercho- die sich nach der Geburt wieder normalisiert. Diese
lesterinämie (> 310 mg/dl) und deutlicher Hypothy- Effekte werden hauptsächlich dem erhöhten Ös-
reose, und bei weiteren 8 fielen erhöhte TSH -Spiegel trogenspiegel während der Schwangerschaft zuge-
auf, vereinbar mit einem subklinischen Schilddrü- schrieben. Bei schwerer Hypercholesterinämie
senhormonmangeL Bezeichnenderweise waren die sind sogar LDL-Cholesterin-Senkungen beschrie-
meisten hypothyreoten Personen Frauen, was den ben, wahrscheinlich durch Induktion von LDL-Re-
Schluss nahe legte, dass bei bis zu 20 % der hyper- zeptoren durch Östrogene während der Schwanger-
cholesterinämischen Frauen über 40 Jahre mit einer schaft. Diese führten dann sogar zu einer Ver-
Hypothyreose zu rechnen ist. Der Ausgleich des minderung der Achillessehnenxanthomatose wäh-
Schilddrüsenhormonmangels normalisiert die Li- rend der Schwangerschaft. Eine Schwangerschaft
pidstoffwechselstörung. Diese Daten belegen, dass kann jedoch auch eine bestehende Hypertriglycerid-
zur Beurteilung jeglicher Hyperlipoproteinämie ämie erheblich verstärken, besonders wenn diese
der Schilddrüsenhormonstatus bekannt sein muss. durch Lipoproteinlipasemangel bedingt ist. Hier
können in Extremfällen akute Pankreatitiden ausge-
• Sexualhormone. Östrogene, Gestagene und An- löst werden. Die Zeitspanne nach der 20. Schwan-
drogene haben sehr unterschiedliche Wirkungen gerschaftswoche scheint durch die zusätzlich zu
auf den Lipistoffwechsel: dem Östrogenanstieg stattfindende plazentagängige
• Östrogene stimulieren die hepatische Sekretion Wachstumshormonproduktion besonders kritisch
von VLDL durch Steigerung der Triglyceridsyn- zu sein.
these. Sie heben gleichzeitig HDL2 an durch Ver-
minderung der Aktivität ihres abbauenden En-
zyms, der hepatischen Triglyceridlipase. Nierenfunktionsstörungen und Lipidstoffwechsel
• Gestagene und Androgene führen dagegen zu • Nephrotisches Syndrom. Schwere Hyperlipopro-
einer enormen Stimulation der hepatischen Tri- teinämien werden oft bei nephrotischem Syndrom
glyceridlipase und verringern dabei HDL, insbe- beobachtet. Die dabei bestehende Hypalbuminämie
sondere HDL2. scheint dadurch eine zentrale Rolle zu spielen, dass
erhöhte freie Fettsäurespiegel die Leber erreichen
Östrogengabe führt einerseits häufig zu einem und die Lipoproteinsynthese stimulieren. Dies
Anstieg der Triglyceride (auch in den mit oralen könnte die starke negative Beziehung zwischen Se-
Kontrazeptiva verabreichten geringen Dosen), kann rumalbumin und Gesamtcholesterinspiegel erklä-
somit bei prädisponierten Personen zu einer ren. Es können sowohl Hypercholesterinämien, ge-
schweren Hypertriglyceridämie führen und eine mischte Hyperlipidämien aber auch Hypertriglyceri-
Pankreatitis auslösen. Andererseits stimulieren dämien auftreten. Als weitere Gründe für die deut-
Östrogene die Expression des LDL-Rezeptors in liche Hyperlipoproteinämie beim nephrotischen
der Leber und mindern damit in hohen Dosen Syndrom sind gestörter Abbau triglyceridreicher Li-
LDL-Cholesterin im Plasma, wogegen Androgene poproteine durch verminderte LPL- oder hepatische
LDL-Cholesterin erhöhen. Bis zur Pubertät haben Triglyceridlipase. Auch wurde ein verminderter re-
Knaben höhere HDL-Cholesterinspiegel als Mäd- naler Metabolismus von Mevalonat, einem Vorläu-
chen, dies kehrt sich nach der Pubertät ins Gegen- fer der Cholesterinbiosynthese, diskutiert.
teil. Der Östrogenverlust nach der Menopause ist
zum großen Teil für den Anstieg des LDL-Choleste- • Chronische Niereninsuffizienz und Nierentrans-
rins bei Frauen im höheren Alter verantwortlich. plantion. Oft ist das nephrotische Syndrom auch mit
Östrogensubstitution nach der Menopause führt chronischer Niereninsuffizienz vergesellschaftet, so-
zu einer signifikanten Reduktion des kardiovasku- dass zwischen einem reinen nephrotischen Syndrom
lären Risikos bei Frauen. Bei Missbrauch anaboler und einer chronischen Niereninsuffizienz nicht im-
Steroide kommt es zu einer deutlichen Hyperchole- mer klar unterschieden werden kann. Die chroni-
sterinämie und zusätzlich zu einem fast völligen sche Niereninsuffizienz ohne nephrotisches Syn-
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 823

drom zeigt ebenfalls häufig Dyslipoproteinämien, bererkrankungen eher gering einzuschätzen. Ge-
die nicht mit der Ursache der chronischen Nieren- wöhnlich erholen sich die veränderten Lipidstoff-
insuffizienz korrelieren. Die Hyperlipoproteinämie wechselparameter wieder bei Reversibilität der Le-
persistiert unter der chronischen Hämodialyse bererkrankung.
und oft auch nach erfolgreicher Nierentransplanta-
tion. Hypertriglyceridämie wird dabei häufig ange- • Cholestatische Lebererkrankungen. Die zum Teil
troffen, und die Inzidenz wird zwischen 20 und massive Erhöhung von Serumcholesterin haupt-
30 % bei den konservativ behandelten Patienten sächlich in Form unveresterten Cholesterins ist
und zwischen 30 und 60 % bei den Patienten unter eine bekannte Begleiterscheinung obstruktiver cho-
chronischer Hämodialyse angegeben. Das Gesamt- lestatischer Lebererkrankungen. Das abnorme
cholesterin ist üblicherweise normal oder allenfalls Lipoprotein X (Lp-X) akkumuliert und wird leicht
leicht erhöht. Interessanterweise steigt das athero- in der Elektrophorese entdeckt, da es entgegen
gene Lipoprotein(a) bei Patienten mit chronischer der Richtung sämtlicher anderer Plasmaproteine
Niereninsuffizienz massiv an. "High-density-Lipo- wandert. Klinisch kommt es zum Auftreten kutaner
proteine" sind meist erniedrigt und in ihrem Tri- Xanthome, wie häufig bei Patienten mit primär
glyceridgehalt angereichert, sodass trotz normaler biliärer Zirrhose zu beobachten.
Gesamtlipide eine deutliche Dyslipoproteinämie
existiert, die zum Teil für das Atheroskleroserisiko • Parenchymatöse Lebererkrankungen. Die Aus-
der Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz wirkungen hepatozellulärer Schädigungen auf den
mitverantwortlich gemacht wird. Folgende Über- Lipidstoffwechsel sind ebenfalls abhängig von aku-
sicht stellt diese zusammen. ter oder chronischer Schädigung. Im Allgemeinen
sind die Auswirkungen akuter Schädigungen ausge-
prägter als die vom Typ der chronischen Hepatitis.
Lipoproteinveränderungen im Rahmen
Diese akute Schädigung zeigt eine abnorme LDL mit
einer chronischen Niereninsuffizienz, die das
erhöhtem Triglyceridgehalt als möglicher Ausdruck
Atheroskleroserisiko der Patienten erhöht
der Akkumulation von Lipoproteinremnants, die
auf ihren hepatischen Abbau "warten". Zudem
• Erhöhte Triglyceridspiegel in Form von VLDL
kommt es zu einem, je nach Schwere der Leberer-
und ihren Abbauprodukten (Remnants), die als
krankung, erheblichen Absinken des HDL-Spiegels
atherogene Lipoproteine weiter zirkulieren und
im Plasma, der sich mit Regeneration der Leber wie-
in ihrem Abbau vermindert sind
der erholt.
• Erniedrigtes HDL-Cholesterin
• Leicht erhöhtes LDL-Cholesterin
• Erhötes Lipoprotein(a)
Alkohol
• Moderater Alkoholkonsum Der Alkohol ist be-
sonders bei Männern ein häufiger Grund sekundä-
rer Hypertriglyceridämien. Obwohl moderater Al-
Die Nierentransplantation hebt zwar meist erfolg-
koholgenuss auf einer regulären Basis in signifikan-
reich die urämischen Veränderungen auf, aller-
ter Erhöhung der Serumtriglyceride resultiert, stei-
dings persistieren häufig die Anomalien im Lipid-
gen offensichtlich auch HDL-Cholesterinspiegel
stoffwechsel oder sind sogar noch verstärkt: erhöhte
an. Besonders die leichte Erhöhung von HDL-Cho-
Cholesterinspiegel werden in bis zu 90 %, erhöhte
lesterinspiegeln wird als einer der Gründe dafür ge-
Triglyceridspiegel bei etwa 65 % der Patienten be-
sehen, dass Probanden mit regelmäßig moderatem
obachtet. Hier spielen offensichtlich dann verab-
Alkoholgenuss eine günstigere Prognose in Bezug
reichte Medikamente wie Kortikosteroide sowie
aufkoronare Herzerkrankungen zeigen als Alkohol-
Ciclosporin A eine bedeutende Rolle.
abstinente. Selten führt exzessiv schweres Trinken
zum Zieve-Syndrom (Ikterus, Hypertriglyceridämie
Lebererkrankungen und Lipidstoffwechsel und Hämolyse). Akuter und chronischer Alkohol-
Die Leber ist sowohl der Hauptsyntheseort als auch genuss führen ab einer gewissen Menge zu dosisab-
das zentrale Abbauorgan der Lipoproteine. Akute hängigen, eingreifenden Veränderungen im Lipo-
und chronische Leberschädigungen unterscheiden proteinstoffwechseL Wenn in einer Reihe von neu-
sich in ihrer Auswirkung auf den LipidstoffwechseL erenUntersuchungenkeine Veränderungen gefun-
Im Gegensatz zu Fettstoffwechselstörungen im Ge- den wurden, dann liegt das daran, dass die
folge von Diabetes mellitus oder chronischer Nie- verabreichten Dosen von 20-30 g Alkohol pro
reninsuffizienz bzw. Hypothyreose ist die klinische Tag, entsprechend 1-2 Flaschen Bier oder 1-1,5
Bedeutung des gestörten Lipidstoffwechsels bei Le- Glas Wein, sehr niedrig gewählt waren.
824 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

D Es ist also festzuhalten, dass beim ansonsten Stoff-


wechselgesunden Alkoholkonsum in dieser Dosis
Nikotin
Das Arterioskleroserisiko der Zigarettenraucher ist
nicht zu einer in der Praxis bedeutenden Hyperlipo- stark erhöht. Unter anderem wird eine oxidative
proteinämie führt. Modifikation der Lipoproteine als einer der Gründe
hierfür angesehen. Zusätzlich kommt es durch Rau-
• Erhöhter Alkoholkonsum. In höheren Dosen (ab chen zu einer Dyslipidämie mit Erhöhung des Cho-
50-60 g pro Tag) führt akuter Alkoholkonsum beim lesterins und der Triglyceride sowie HDL-Choleste-
Stoffwechselgesunden zu passagerer Erhöhung tri- rinsenkungen.
glyceridreicher Lipoproteine, bei besonders emp-
findlichen Probanden mit vorbestehender Hyper-
Medikamente
lipidämie zu ausgeprägtereil und längerdauernden
• Diuretika: Thiazide können in hoher Dosis zur
Hyperlipidämien. Der Anstieg der Triglyceride im
Anhebung von Gesamtcholesterin, von Triglyce-
ansonsten fastenden Probanden wird weitgehend
riden und LDL-Cholesterin sowie zu einem
unterdrückt, wenn die periphere Lipolyse z. B. mit
Absinken von HOL-Cholesterin und damit zu
Nikotinsäure blockiert wird. Das Fettsäuremuster
einer atherogenen Stoffwechselsituation führen.
der neu gebildeten und zusätzlich sezernierten Tri-
Abbildung 17-14 skizziert diesen Sachverhalt.
glyceride entspricht dem des peripheren Fettgewe-
Diese Effekte müssen beachtet werden, wenn
bes. Die gleichzeitige Aufnahme von Alkohol mit
Patienten mit Hypertonie gleichzeitig eine Hyper-
Nahrungsfett verstärkt die postprandiale Hypertri-
lipoproteinämie aufweisen.
glyceridämie deutlich. Diese Hypertriglyceridämie
entsteht durch eine Vermehrung von VLDL wie
• ß-Rezeptorenblocker: ß-Rezeptorenblocker, ins-
besondere die ohne ISA, können zu einem Trigly-
im ersten Fall und von Chylomikronen, der primä-
ceridanstieg und HOL-Cholesterinabfall führen.
ren Transportform des resorbierten Nahrungsfettes.
Auch für diese Medikamente gilt eine vorsichtige
Eine vorbestehende, alkoholinduzierte Vermehrung
Indikation bei Patienten mit Fettstoffwechselstö-
der VLDL behindert die Klärung von Chylomikro-
rungen.
nen, wie sich an intravenös verabreichten Fettemul-
• Andere Antihypertonika: Prazosin, Clonidin,
sionen feststellen lässt. Im Akutversuch bleiben LDL
ACE-Hemmer und Kalziumantagonisten sind in
unbeeinflusst, und die Lipoproteinlipaseaktivität
Bezug auf den Fettstoffwechsel als eher indiffe-
nimmt ab. Bei regelmäßigem Alkoholgenuss von an-
rent einzustufen.
sonsten Stoffwechselgesunden ist der epidemiolo-
gisch häufigste Befund eine Erhöhung des HOL-
• Antazida: Unter Cimetidine wurden schwere
Chylomikronämien berichtet.
Cholesterins, an zweithäufigster Stelle steht eine Hy-
pertriglyceridämie. Diese ist bedingt durch eine
• Retinoide: Retinoide, besonders in der Dermato-
logie angewandt, können deutliche Hypertrigly-
VLDL-Vermehrung infolge Überproduktion. Nur
ceridämien induzieren, insbesondere bei vorexi-
nach exzessivem Alkoholgenuss kommt es zu einer
stierender Hypertriglyceridämie.
verzögerten Klärung von VLDL und Chylomikro-
nen, damit zu einer ausgeprägten Hypertriglyceridä-
mie. Bei Patienten mit einer genetisch determinier- Seltene sekundäre Hyperlipoproteinämieformen
ten Hyperlipoproteinämie mit Vermehrungen der Patienten mit Anorexia nervosa sowie Patienten mit
VLDL wirkt sich Alkoholkonsum aggravierend akut intermittierender Porphyrie zeigen häufig eine
aus, nicht jedoch bei reiner Hypercholesterinämie. ausgeprägte Hypercholesterinämie. Bei Autoimmu-

D
nerkrankungen können verschiedene Fettstoffwech-
In unserer Praxis muss ein Patient dann seinen Al- selstörungen auftreten. Patienten mit einer Hypo-
koholkonsum einschränken oder beenden, wenn die- physeninsuffizienzund noch ausgeprägter Patientin-
ser zu einer Verstärkung der genetischen Hyperlipo- nen mit einem Sheehan-Syndrom zeigen häufig
proteinämie beiträgt oder eine ausgeprägte Hypertri- kombinierte Hyperlipidämien. Die Substitution
glyceridämie allein unterhält. Letzteres wegen der mit Wachsturnshormonell bessert die Lipidstoff-
Gefahr einer akuten Pankreatitis. Die medikamen- wechsellage deutlich. Durch Kreuzreaktivität des Pa-
töse Behandlung einer alkoholinduzierten Hyper- raproteins mit dem LDL-Rezeptor wurde bei einem
lipoproteinämie entbehrt jeglicher Grundlage. Patienten mit Plasmozytoms eine massive Hyper-
cholesterinämie, wie bei FH, beobachtet. Folgende
Übersicht zeigt häufige und seltene Ursachen einer
sekundären Hyperlipidämie.
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 825

Häufige und seltene Ursachen einer sekundären 1 : 250 in der Bevölkerung angenommen, womit
Hyperlipidämie die Erkrankung eines der häufigsten vererbten Stoff-
wechselstörungen darstellt. Die Heterozygoten ha-
• Häufige Ursachen ben ein etwa 2- bis 3-fach erhöhtes Plasmacholeste-
Fehlernährung rin bereits von Geburt an und entwickeln früh Xan-
Alkohol- und Nikotinabusus thome und Atherosklerose. Etwa 30 % der heterozy-
Adipositas goten FH-Patienten leiden im Alter von SO Jahren an
Diabetes mellitus einer manifesten KHK. Homozygote Probanden fin-
Nierenerkrankungen den sich etwa 1 : 1.000. Die Cholesterinspiegel liegen
Hypothyreose hierbei zwischen 600 und 1000 mg/dl. Schwere Xan-
Lebererkrankungen thome und Atherosklerose entwickeln sich bereits
Medikamente (Diuretika, Betablocker ohne ISA, im Kindesalter, die Lebenserwartung unbehandelter
Steroide, Cimetidin, Tamoxifen, orale Kontrazep- Homozygoter liegt unter 20 Jahren.
tiva, Immunsuppressiva, Retinoide) Der familiären Hypercholesterinämie liegen Mu-
• Seltene Ursachen tationen im LDL-Rezeptorgen zugrunde. Dieser Re-
Anorexia nervosa zeptor findet sich an der Zelloberfläche, hauptsäch-
Cushing-Syndrom lich der Leberzellen sowie sämtlicher bisher unter-
Akromegalie suchter Zellen weiterer Organe und ist verantwort-
Hypopituitarismus, speziell Wachstumshormon- lich für die Aufnahme von LDL in die Zellen und
mangel damit auch für den Serum-LDL-Cholesterinspiegel.
Akut intermittierende Porphyrie Defekte in den LDL-Rezeptoren führen zu einem
Typ-I- Glykogenspeicherkrankheit
Autoimmunerkrankungen, speziell Lupus erythe-
matodes
Monoklonale Gammopathie
W erner -Syndrom
Aids

Rezeptor-
Primäre Hyperlipidämien bindungsdomäne

Hypercholesterinämien; Epidemiologie,
Pathophysiologie und Klinik LDL -Rezeptor
Familiäre Formen von Hypercholesterinämie sind
charakterisiert durch meist isolierte Erhöhung des
Gesamtcholesterins im Plasma, bedingt durch eine
Erhöhung von LDL-Cholesterin. Dies entspricht
einem phänotypischen Muster nach Fredrickson N- gebundene
im Sinne einer Ila-Hyperlipoproteinämie. Die Tri- Zuckerkette
glyceride im Plasma sind hierbei definitionsgemäß
0 -gebundene Zuckerkette
normal bis grenzwertig hoch, das HDL-Cholesterin
oft erniedrigt oder normal. Folgende genetische For-
men der primären Hypercholesterinämie lassen sich
heute unterscheiden:
• Familiäre Hypercholesterinämie (FH). Die fami-
liäre Hypercholesterinämie zeigt neben der massiv
Abb.l7-15. Schema des LDL-Rezeptors. Das 839 Amino-
erhöhten Konzentration von LDL-Cholesterin im säure enthaltene Protein ist mit wenig C-terminalen Amino-
Plasma eine Ablagerung von Cholesterin in Sehnen säuren intrazytoplasmatisch verankert. Mutationen in diesem
(Sehnenxanthome) und Haut (Xanthelasmen) sowie Teil des Proteins führen meist zu einem Internalisierungs-
defekt (Klasse-IV -Defekt). In der Nähe des Aminoterminus
Arterien (Atherosklerose). Die Erkrankung wird au- findet sich eine cysteinreiche Region , in der sich verschiedene
tosomal-dominant vererbt, sie zeigt einen Gen-Do- spezifische Aminosäuresequenzen wiederholen und die als
sis-Effekt in dem Sinne, dass Homozygote erheblich LDL-Bindungsregion dient. Mutationen in dieser Region
führen zu einem defekten Binden von LDL über seinen
schwerer betroffen sind als heterozygot Erkrankte. Apoprotein B-1 00- Liganden an diesen LD L-Rezeptor. (Nach
Die Zahl der Heterozygoten wird mit 1 : 500 bis Goldstein JL u. Brown MS)
826 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

verminderten Abbau von LDL, sodass es umgekehrt werden, die Zelloberfläche erreichen, auch LDL
zu einem Anstieg von LDL-Cholesterinspiegeln im binden, jedoch nicht in der Lage sind, die gebun-
Plasma kommt. Zusätzlich ist die LDL-Synthese dene LDL in die Zelle aufzunehmen (Internalisie-
über eine vermehrte Bildung von VLDL gesteigert. rungsdefekt)
Das Gen für den LDL-Rezeptor liegt auf dem kurzen
Arm des Chromosoms 19 und kodiert für das 839-
Aminosäuren große LDL-Rezeptorprotein. Mehr
als 140 verschiedene Mutationen wurden zwischen- Die physiologische Bedeutung des LDL-Rezeptors
zeitlich in diesem Rezeptorprotein identifiziert und für die zelluläre Cholesterinhomöostase und damit
je nach ihrem Sitz in 4 verschiedene Klassen aufge- auch für das Plasma-LDL-Cholesterin verdeutlicht
teilt, die in der folgenden Übersicht dargestellt sind. die Abb. 17-16 für die intrazelluläre Cholesterinre-
gulation und Abb. 17-17 für den Plasmastoffwechsel
Klassen der familiären Hypercholesterinämie von LDL bei FR-Patienten.

• Als Klasse-I-Defekt bezeichnet man Mutationen, • Familiärer Apo B-100-Defekt ("Familial defecti-
bei denen kein Rezeptorprotein gebildet wird ve Apo B-100", FDB). Dieseneuere Krankheitsenti-
(Null - Allel) tät wurde bei Patienten beschrieben, die klinisch
• In Klasse II werden Mutationen eingereiht, die zu einer familiären Hypercholesterinämie ähnelten,
einer intrazellulären Transportblockade des Re- in der Zellkultur jedoch normale LDL-Rezeptorakti-
zeptors zwischen dem endoplasmatischen Retiku- vität aufwiesen. Erkrankte Probanden zeigten eine
lum und dem Golgi-Apparat führen Punktmutation im Apo B-100-Gen, die einen Ami-
• Klasse-III-defekte Rezeptoren werden syntheti- nosäurenaustausch (meist die Aminosäure 3500) in
siert, auf die Oberfläche der Zelle transportiert, der Rezeptorbindungsregion nach sich zieht. Da-
können jedoch LDL nicht binden durch kommt es zu einem defekten Bindungsverhal-
• Schließlich versteht man unter Klasse-IV-Defek- ten des Apo B an den LDL-Rezeptor und somit zu
ten das Phänomen, dass LDL-Rezeptoren gebildet einer Anhäufung von LDL im Plasma.

Endoplasmatisches Golgi- Komplex


Retikulum

"coated pit'

Abb. l?-16.
Klasse Transport Bindung Anhäufung Schematische Darstellung des LDL-Rezeptor-
der Synthese vom ER der in den wegs von der Synthese am endoplasmatischen
Mutation zum Golgi LDL "coated pits' Retikulum über die Reifung im Golgi-Komplex
bis zum Transport zur Anreicherung an der
X Zelloberfläche in .,coated pits" zur Aufnahme
der LDL, die durch Rauten dargestellt sind. Im
2 X unteren Teil der Abbildung sind die verschie-
denen Klassen von Mutationen im LDL-Re-
3 X zeptorgen in ihrer Auswirkung auf das
Schicksal des jeweiligen defekten Rezeptor-
4 X proteins skizziert
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 827

Leber Leber

"-"------
~. ~ ~,
................. e.,oo
VLDL

.. ·· LDL t IDL

Periphere Zelle Periphere Zelle

Abb.l7-17. Pathogenese der familiären Hypercholesterinä- Abb.17-19. Schematische Darstellung der Stoffwechselver-
mie. Der Defekt des LDL-Rezeptors führt zu einem verzöger- änderungen bei einem Patienten mit familiärem Apo B-Defekt
ten Abbau von Apo B- und Apo E-haltiger Partikel. Es kommt (FDB). Durch fehlende Aufnahmemöglichkeit von Apo B-100-
zu einer erhöhten Produktion von LDL, bei gleichzeitig redu- haltigen Partikeln kommt es zur vermehrten Expression des
zierter Abbaurate des LDL-Cholesterins. Das zum Teil oxidativ LDL-Rezeptors, der ebenso in der Lage ist Apo E-haltige Par-
veränderte LDL wird vermehrt von Makrophagen über den tikel (z. B. IDL) aufzunehmen. Durch die vermehrte Aufnahme
Scavenger-Rezeptor aufgenommen. VLDL "Very low density von IDL kommt es zu einer reduzierten LDL-Synthese. Der
Iipoproteins", IDL "lntermediate density Iipoproteins", LDL LDL-Spiegel steigt aufgrund fehlender Abbauwege und dra-
"Low density Iipoproteins" matisch verlängerter biologischer Halbwertszeiten dennoch
an ([pfo]). VLDL "Very low density Iipoproteins", IDL "Inter-
mediate density Iipoproteins", LDL "Low density Iipoproteins"
Die Häufigkeit dieses Defektes liegt bei etwa 5 o/o
innerhalb einer hypercholesterinämischen Popula-
tion. Homozygote Merkmalsträger sind im Ver- cholesterinämie. Abb. 17-18 gibt einen Überblick
gleich zu Patienten mit homozygotem FH-Defekt über die Liganden-Rezeptor-Verhältnisse bei der
weitaus weniger schwer betroffen. Dies lässt sich FH und der FDB und Abb. 17-19 illustriert den
darauf zurückführen, dass der LDL-Rezeptor hier In-vivo-Stoffwechsel von VLDL, IDL und LDL bei
völlig intakt ist und andere Liganden, wie z. B. einem Patienten mit FDB.
das Apo E die Apo B-Funktion zumindest teilweise
ersetzen können. Die Behandlung dieser Fettstoff-
wechselstörung entspricht der der familiären Hyper- • Ernährungsinduzierte, polygene
und sporadische Hypercholesterinämie
• Die polygene Hypercholesterinämie wird definiert
p als Hypercholesterinämie, die als Ergebnis beim
L Zusammentreffen mehrerer, einzeln zu leichter
A
s Cholesterinerhöhung führender Defekte zustande
M kommt. Diese Einzeldefekte sind nicht klar ver-
A
standen und das Krankheitsbild über Familien-
untersuchungen definiert. Hier finden sich Pro-
z banden mit leichteren und schwereren Hypercho-
E
L
lesterinämieformen innerhalb einer Familie, also
L keine strikte bimodale Verteilung der Choleste-
E
Normal FH FDB rinspiegel wie bei der FH- oder FDB-Erkrankung.
Vielmehr imponiert die unimodale Verteilung zu
Abb. l?-18. LDL-Rezeptor- und Apo B-100-Defekte bei der höheren Werten hin verschoben. Auffallend ist
familiären Hypercholesterinämie (FH) und familiärem Apo
B-Defekt (FDB) im Vergleich zur Normalsituation (Norm). die gute Ansprechbarkeit auf diätetische Maß-
Im ersten Fall kommt es durch de.n defekten LDL-Rezeptor, nahmen bei dieser Störung.
im zweiten Fall durch den defekten Liganden (Apo B-100) • Als sporadische Hypercholesterinämie wird das
zu einer gestörten Interaktion zwischen Rezeptor und LDL
und einer Anhäufung von LOL-Choiesterin im Plasma in Auftreten einer Hypercholesterinämie in einer
beiden Fällen ansonsten in Bezug auf Hyperlipidämie unauffäl-
828 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

ligen Familie verstanden. Hier können z. B. Neu- somal-dominante Erkrankung bei einem Patienten
mutationen vorliegen. Einzelursachen dieser spo- eine Hypercholesterinämie (Phänotyp Ila), beim
radischen Hypercholesterinämie sind nicht be- anderen eine Hypertriglyceridämie (Phänotyp IV)
kannt. und bei weiteren eine kombinierte Hyperlipidämie
(Phänotyp IIb) und somit zu fast pathognomoni-
• Familiär kombinierte Hyperlipidämie (FCH). schem Phänotypenwechsel führt. Insgesamt schei-
Hier handelt es sich um eine Erkrankungseinheit, nen schlanke, normalgewichtige Probanden eher
die je nach Stoffwechsellage des Trägers auch mit einen Typ IIa und einen Typ Ilb und Übergewich-
verschiedenen phänotypischen Ausprägungen vor- tige einen Typ IV auszuprägen. Ein direkter Marker
liegen kann (wechselnder Phänotyp ), so auch einmal für diese Erkrankung ist derzeit nicht bekannt.
als reine Hypercholesterinämie (Typ Ila nach Fre- Neuere Hinweise sprechen dafür, dass der familiär
drickson). Meist bilden schlanke, normalgewichtige kombinierten Hyperlipidämie eine Störung im FeH-
Probanden diesen Typ-IIa-Phänotyp aus, neigen säuremetabolismus zugrunde liegt mit Störungen
aber auch zum Wechsel der Ausprägung unter lipid- der Lipoproteinlipase.
senkender Behandlung. Die familiär kombinierte
Hyperlipidämie ist somit immer als Differentialdia- • Typ-III-Hyperlipoproteinämie. Patienten mit
gnose der Hypercholesterinämie miteinzubeziehen. Typ-III-Hyperlipoproteinämie zeigen ebenfalls er-
höhte Konzentrationen sowohl von Cholesterin als
auch von Triglyceriden im Plasma. Diese Fettstoff-
Gemischte Hyperlipoproteinämien wechselstörung führt sehr früh zu schwerer Athero-
Als gemischte Hyperlipoproteinämien werden Er- sklerose sowohl der zerebralen Arterien, peripheren
scheinungsbilder von Fettstoffwechselstörungen Arterien und Koronarien. Die Patienten zeigen tu-
verstanden, bei denen es sowohl zu einer Erhöhung berös-eruptive Xanthome, palmare Xanthome schei-
von Cholesterin als auch von Triglyceriden im Plas- nen fast pathognomonisch. Die Erkrankung ist oft
ma kommt. Diese können sich sowohl im Sinne assoziiert mit gestörter Glukosetoleranz, Schilddrü-
einer Typ-IIb-Hyperlipidämie (Erhöhung von LDL senunterfunktion und Überernährung, übermäßi-
und VLDL) manifestieren, als auch durch Erhöhung gem Alkoholkonsum und weiteren Formen von Hy-
z. B. abnormer VLDL (so genannter ß-VLDL). Die perlipoproteinämien. Die Analyse im Plasma zeigt
beiden wichtigsten Vertreter aus dieser Gruppe eine abnorm zusammengesetzte, cholesterinreiche
sind auf familiärer Ebene die familiär kombinierte VLDL (so genannte ß-VLDL), die oft den Hauptan-
Hyperlipidämie und die Typ-III-Hyperlipoprotein- teil des Plasmacholesterins ausmacht, wobei LDL-
ämie. Cholesterin eher niedrig ist. Diese hyperlipämische
Dysbetalipoproteinämie lässt sich durch Dichte-
• Familiär kombinierte Hyperlipidämie. Die Exi- gradientenultrazentrifugation diagnostizieren. Ein
stenz der genetisch bedingten Krankheitseinheit typischer Dichtegradient ist in Abb. 17-20 darge-
familiär kombinierter Hyperlipidämie wurde aus stellt. Die Erkrankung wird heute als multifaktorielle
zahlreichen Untersuchungen von Familien Herzin- Erkrankung verstanden. Es liegt als primärer Defekt
farktüberlebender gefordert ("Familial combined die rezessiv vererbte Dysbetalipoproteinämie (Ho-
Hyperlipidemia", FCH). Diese FCH stellt wahr- mozygotie für das abnorme mutierte Apolipopro-
scheinlich die häufigste genetische Fettstoffwechsel- tein E-2, Aminosäure Cystein in Positionen 112
störung bei Koronarkranken dar. Es ist noch nicht und 158 der Aminosäuresequenz) zugrunde. Ho-
geklärt, durch welchen Mechanismus diese auto- mozygotie für dieses Apoprotein führt zur Dysbeta-

:;
.....
Cl
E 300 300 1.3 2 300
(")

I ~
1.2 ~
I
~
ct:
150 150 • 150
w 1.1;;
.....
U)
w ~
...J
0 1.0- 0
:z:
u
u
F RAKT ION SNUMM E R

Abb.l?-20. Profil einer Dichtegradientenultrazentrifugation eines Normalprobanden (Mitte), einer normolipämischen (links)
sowie einer hyperlipämischen ( = Typ-III -) Dysbetalipoproteinämie (rechts)
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 829

In einer Einteilung nach pathogenetischen und


genetischen Gesichtspunkten kristallisieren sich
aus einer größeren Zahl von wenig definierten For-
Chylomikron men 2 klar umschriebene Störungen heraus:
• familiäre Chylomikronämie,
• familiäre Hypertriglyceridämie,
• weitere Hypertriglyceridämien.

Weiterhin kann eine Hypertriglyceridämie als Mani-


festationsform der
Leber • familiären kombinierten Hyperlipoproteinämie
oder
• familiären Dysbetalipoproteinämie auftreten.

• Familiäre Chylomikronämie
• Lipoproteinlipasemangel: Chylomikronen kom-
men im Nüchternplasma nicht vor. Die familiäre
Hyperchylomikronämie ist ein lange bekanntes
Krankheitsbild, sie wurde erstmals 1932 von Bür-
ger und Grütz als "Hepatosplenomegale Lipoido-
se" beschrieben. Sie geht einher mit exzessiven
Triglyceridwerten, wird mit Hepatosplenomega-
lie und eruptiven Xanthomen sowie Abdominal-
koliken klinisch manifest, üblicherweise bereits
Abb. l?-21. Stoffwechselveränderungen bei der Typ-lli-Hy-
perlipoproteinämie
im Kindesalter. Die Serumtrübung ist auffällig.
Im Kühlschranktest (Stehenlassen des Serums
über 12-24 h) zeigt sich eine Klärung der Serum-
trübung durch das "Aufrahmen" der Chylomi-
lipoproteinämie mit niedrigen LDL- und erhöhten kronen. In der Lipoproteinelektrophorese bleiben
VLDL-Cholesterinspiegeln. Das Vorliegen des Apo die Chylomikronen an der Auftragsstelle liegen,
E-Phänotyps E-2/2 beim Hyperlipämiker beweist bei höheren Konzentrationen kommt es zu einem
die Typ-III-Hyperlipidämie. Erwirbt ein solch für Verschmieren über den ganzen Streifen. Eine
Apo E-2 homozygoter Proband Gene für weitere Hy- Chylomikronämie ist am Augenhintergrund als
perlipoproteinämien oder trifft diese Homozygotie Lipaemia retinalis zu beobachten.
mit einer gestörten Glukosetoleranz, einer Hypothy- Die Erkrankung ist bedingt durch einen rezessiv
reose oder Fehlernährung zusammen, kommt es zur vererbten Mangel an Lipoproteinlipase. Der Aus-
Manifestation der Typ-III-Hyperlipoproteinämie. fall dieses Enzyms, das normalerweise die Klä-
Die Veränderungen des Lipoproteinstoffwechsels rung von Triglyceriden aus Chylomikronen und
bei der Typ-III-Hyperlipoproteinämie sind in der VLDL aus der Zirkulation mit einer Halbwerts-
Abb. 17-21 dargestellt. Die Abhängigkeit der Typ- zeit von etwa 10 min bewirkt, hat bei den homo-
III-HLP von diätetischen Faktoren erklärt auch zygoten und einem Teil der heterozygoten Träger
die Tatsache, dass normalerweise diese Fettstoff- eine exzessiv verlängerte intravasale Verweil-
wechselstörung sehr gut auf diätetische Maßnah- dauer von Triglyceriden zur Folge. Gefährlich
men, wie auf Gewichtsreduktion, Einstellen des Al- und deshalb behandlungsbedürftig ist sie primär
koholkonsums, Beherrschung des Diabetes mellitus wegen der Gefahr akuter Pankreatitiden, sobald
oder der Hypothyreose anspricht. die Triglyceridwerte über 1000 mg/dl ansteigen.
• Apo C-Il-Mangel: Wie im Kapitel Apoproteine
beschrieben, aktiviert das Apoprotein C-II die
Hypertriglyceridämie Lipoproteinlipase. Hinter dem ausgesprochenen
Eine ausschließliche oder überwiegende Hypertri- seltenen Mangel an funktionell wirksamem Apo-
glyceridämie ist zurückzuführen auf eine Vermeh- protein C-II verbirgt sich eine Reihe von autoso-
rung von VLDL oder Chylomikronen oder von bei- mal-rezessiv vererbten Mutationen des Apopro-
den. Eine massive VLDL- oder Chylomikronenerhö- teins. Symptomatisch werden nur die homo-
hung führt jedoch auch zu Cholesterinanstiegen, da zygoten Erbmalsträger, die heterozygoten bleiben
sämtliche Lipoproteinpartikel einen definierten Pro- klinisch unauffällig. Die klinische Manifestation
zentsatz an Cholesterin enthalten. entspricht der familiären Chylomikronämie.
830 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

Diese beiden Krankheitsbilder und weitere, wie der • Insulinresistenz, Hyperinsulinämie,


familiäre hepatische Lipasemangel, spielen aufgrund • pathologischer Glukosetoleranz,
ihrer Seltenheit nur eine untergeordnete Rolle in der • VLDL-Hypertriglyceridämie,
ärztlichen Praxis, sie sind gelegentlich differential- • HDL-Cholesterinverminderung,
diagnostisch abzugrenzen, was die Zusammenarbeit • Hypertonie,
mit einem Speziallabor erfordert. • Adipositas.

• Familiäre Hypertriglyceridämie. Die familiäre Eine genetische Disposition ist anzunehmen. Die
Hypertriglyceridämie wurde erstmals beschrieben Insulinresistenz scheint nicht nur in genetischer Be-
aufgrundvon Untersuchungen an 500 hyperlipopro- trachtungsweise einen Angelpunkt darzustellen,
teinämischen Patienten, die einen Myokardinfarkt sondern auch in pathophysiologischer Hinsicht:
überlebt hatten, sowie deren Familien. Sie manife- Höhere Plasmatriglyceride und VLDL-Triglyceride
stiert sich als VLDL-Vermehrung (entsprechend und erniedrigtes HDL-Cholesterin korrelieren mit
einem Typ IV nach Fredrickson). Die VLDL-Partikel der Insulin-vermittelten Glukoseverschwinderate,
solcher Patienten weisen einen erhöhten Triglyce- gleichgültig, ob eine normale oder eingeschränkte
ridgehalt auf. Zwar ist der zugrunde liegende Stoff- Glukosetoleranz oder ein Typ-2-Diabetes vorliegt,
wechseldefekt bisher nicht bekannt, diese Patienten d. h. auch beim Nichtdiabetiker mit einer Insulin-
haben aber eine erhöhte endogene Triglyceridsyn- resistenz kommt es zu einer VLDL-Hypertrigly-
these und einen verminderten intravasalen Abbau ceridämie und zu erniedrigtem HDL-Cholesterin.
von VLDL. Da weniger VLDL in LDL überführt wer- Letztendlich kann sich auch eine Typ-III-Hyper-
den, sind LDL-Produktion und LDL-Cholesterinspie- lipidämie oder eine FCHL als Hypertriglyceridämie
gel normal, ebenso das LDL-Apo B. Die HDL-Spiegel manifestieren und sollte bei den differential-
sind erniedrigt. Diese Stoffwechselstörung wird auto- diagnostischen Überlegungen mit einbezogen wer-
somal-dominant vererbt, sie ist die häufigste vererbte den.
Hypertriglyceridämie und wird bei unter 60-jährigen
Patienten mit KHK in etwa 15 o/o gefunden. Sie wird
Lp(a)-Hyperlipoproteinämie
überlieherweise erst im Erwachsenenalter manifest.
Lp(a) ist ein in seinen Plasmaspiegeln genetisch
Über die Athrogenität dieser Hyperlipoproteinämie
fixiertes Lipoprotein, das bis zu 100-fach in der Kon-
besteht Uneinigkeit, immerhin ist sie als monogene
zentration zwischen Individuen schwanken kann.
primäre Hyperlipoproteinämie mit einer Häufigkeit
Das Molekül wurde bereits in Kapitel Apoproteine
von 14 o/o bei den Infarktpatienten gefunden worden.
beschrieben und besteht aus einem LDL-ähnlichen
Gebilde, an das Apo(a) wahrscheinlich über eine
• Weitere Hypertriglyceridämien. Die bisher ge-
Disulfidbrücke gekoppelt ist. Apo(a) hat eine hohe
nannten zumindest genetisch definierten Störungen
Homologie zum Plasminogen. Hohe Spiegel von
machen nur einen Teil der in der Praxis auftauchen-
Lp(a) sind mit der Entwicklung von Atherosklerose
den primären Hypertriglyceridämien aus: Die Chy-
assoziiert. Speziell zeigten Studien eine positive Kor-
lomikronensyndrome sind Einzelfalle, die Häufig-
relation zwischen erhöhtem Lp(a) und der Inzidenz
keit der familiären Hypertriglyceridämie wird auf
von koronarer Herzerkrankung und Schlaganfällen.
0,2-2 o/o in der Bevölkerung geschätzt. Hypertrigly-
Als weiterer Risikofaktor für die Arteriosklerose, po-
ceridämien sind aber die häufigsten Fettstoffwech-
tenzieren gleichzeitig erhöhte LDL-Spiegel die Athe-
selstörungen überhaupt. Nach Ausschluss einer
rogenität von Lp(a) deutlich. Leider haben sich bis-
Grunderkrankung (s. unter "Sekundäre Hyperlipo-
her noch keine diätetischen und medikamentösen
proteinämien") müssen sie als primär bezeichnet
Maßnahmen gefunden, den Risikofaktor Lp(a) ef-
werden, wobei die Abgrenzung primär/sekundär
fektiv im Plasma zu senken. Der Mechanismus
im Fall von Fehlernährung, Übergewicht, einge-
der Arterioskleroseentstehung durch Lp(a) ist
schränkter Glukosetoleranz gar nicht sinnvoll gezo-
noch nicht völlig geklärt. Es werden die folgenden
gen werden kann, eigentlich ihren Sinn verliert. In
Mechanismen diskutiert (s. Übersicht):
Analogie zur Hypercholesterinämie ließe sich bei
den nicht klassifizierbaren Fällen von polygener
oder sporadischer Hypertriglyceridämie sprechen, Vermutete Mechanismen der Atherosklerose-
mit fließendem Übergang von diätetisch leicht the- entstehung durch Lp(a)
rapierbaren Fällen hin zum oberen Ende des Nor-
malverteilungsspektrums. Viele dieser übergewich- • Lp(a) ist ähnlich wie LDL atherogen und führt
tigen und körperlich untrainierten Patienten lassen zur Schaumzellbildung
sich auch unter dem Begriff des "metabolischen • Lp(a) wirkt durch die hohe Sequenzhomologie
Syndroms" zusammenfassen, bestehend aus: von Apo(a) mit dem Plasminogen thrombogen
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 831

und behindert die Thrombolyse durch Interaktio- • Durchführung. In der Diagnostik sollten 2 Nüch-
nen mit tPA ternblutentnahmen vorgenommen werden, bevor
• Lp(a) wirkt proliferativ auf die glatten Muskelzel- therapeutische Maßnahmen anstehen. Zu beachten
len und Endothelzellen und stimuliert so die Ent- sind des Weiteren:
stehung der Atherosklerose • Nüchternblutabnahme nach 12- bis 14-stündigem
Fasten (insbesondere für Triglyceridwerte),
• kein vorhergehender Alkoholexzess,
• konstantes Körpergewicht,
• keine akuten Erkrankungen in den letzten 8 Wo-
17 .2.4
chen.
Diagnostik
Zum Ausschluss sekundärer Hyperlipidämien sind
Bereits in der Diagnostik hat sich ein kleiner Wandel
notwendig:
hin zur Vereinfachung vollzogen, der mit praxisna-
• Anamnese bzgl. Diabetes mellitus, Schilddrüsen-,
hen Einteilungen die dann notwendige Therapie in
Nieren- und Lebererkrankungen,
sinnvoller Weise planen lässt. Dies bedeutet einen
• Medikamentenanamnese,
Weggang von der uns bekannten Fredrickson-Ein-
• Blutzuckerbestimmung,
teilung (bei der HDL-Cholesterin und Lp(a) zudem
• TSH, Nieren- und Leberwerte.

D
noch keinen Platz hatten) hin zu einer vereinfachten
in der folgenden Übersicht wiedergegebenen Basis-
Eine Ernährungsumstellung sollte über einen Zeit-
diagnostik.
raum von 3-6 Monaten erfolgen. Beim Vorliegen
einer koronaren Herzerkrankung sollte allerdings
Basisdiagnostik bei Fettstoffwechselstörungen
sofort auch medikamentös die LDL-Cholesterin-
senkung auf etwa 100 mg!dl (2,5 mmol!l) angestrebt
• Gesamtcholesterin
werden.
• HDL-Cholesterin
• Triglyceride
Folgende Übersicht gibt die verschiedenen Differen-
• LDL-Cholesterin (nach der Friedewald-Formel
tialdiagnosen, die mittels dieser Basisdiagnostik ge-
berechnet, bei Triglyceride <400 mg/dl bzw
stellt werden können, wieder.
4,6 mmol/1)
• Lp(a)
Differentialdiagnose mittels Basisdiagnostik

• Reine Hypercholesterinämie (LDL-Cholesterin


Das LDL-Cholesterin kann bei Triglyceridwerten erhöht) von
< 400 mg/dl bzw 4,6 mmol/1 verlässlich mit der Frie- • einer Hypertriglyceridämie (Triglyceride erhöht)
dewald-Formel berechnet werden. und
• einer kombinierten Hyperlipidämie (LDL-Chole-
Friedewald-Formel: sterin und Triglyceride erhöht) abgrenzen.
a) mg/dl
LDL-Cholesterin = Gesamtcholesterin -
HDL-Cholesterin - (Triglyceride: 5)
b) mmol/1 Normalwerte, Indikation zur Behandlung
LDL-Cholesterin = Gesamtcholesterin - Die 3 möglichen Ergebnisse der Basisdiagnostik
HDL-Cholesterin - (Triglyceride : 2,2) erlauben die einfache Planung sowohl der diäteti-
schen Maßnahmen als auch der evtl. folgenden me-
Wir empfehlen heutzutage die Bestimmung des ge- dikamentösen Strategien. Die zu erreichenden
netisch bedingten Lp(a), welches sich besonders Grenzwerte sind in Abb. 17-22 in Anlehnung an
atherogen bei hohen LDL-Cholesterinspiegeln aus- Empfehlungen der Europäischen Arteriosklerosege-
wirkt und sich als weiterer etablierter Risikofaktor sellschaft zusammengestellt. In mehreren Interven-
für Atheroskleroseentwicklung herauskristallisiert tionsstudien zur Primär- und Sekundärintervention
hat. Obwohl wir diesen Risikofaktor weder durch (4 S, CARE, LIPID, WOS) wurde bewiesen, dass eine
diätetische noch durch medikamentöse Maßnah- Senkung des Cholesterinspiegels zu einer Verminde-
men beeinflussen können, sollte er bei der Risiko- rung des KHK-Risikos führt. Da bei der Atheroge-
evaluierung bekannt sein, da Patienten mit einer nese Schwellenwerte mit Alles-oder-Nichts-Charak-
Lp(a)-Erhöhung (über 30 mg/dl) besonders gut ter nicht erkennbar waren, sind die Grenzziehungen
von einer LDL-Cholesterinsenkung profitieren. solcher Richtlinien willkürlich. Sie können deshalb
832 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

Check - up I Cholesterin > 200 mg / dl oder Triglyzeride > 200 mg / dl

Klassifikation Hypercholesterinämie Kombinierte Hypertriglyzeridäm ie


der FetlStoffwechselstörunq in: LDL· Cholesterin erhöht Hyperlipidämie Triglyzeride erhöht
LOL ChoMsterin lfhOhl
Triglyzeride eohöhl

Zielwerte
Kein weiterer Risikofaktor LOL -Cholesterin ISS · 17Smg/ dl LDL Cholesteron 155 175 mgtdl
Tnq~IM < lOO mg/dl Triglyzerlde <lOOmg / dl
Ein weiterer Risikofaktor oder LDL · C~terln 13S · ISS mg / dl LDL C~nn 13S ISSmg dl
HOL -Cholesterin < 39 mg / dl Tnq~IM <lOOmg dl" Bei Diabetes mellitus <lSOmg / dl

Zwei weitere Risikofaktoren LDL ·Cholesterin 115 · 135mg/ dl lOI Chokost<'nn I IS 135 "'9 dl Falls keine positive Famll~namnese für
oder vorliegende familiäre Tnglyzer!M <200mg dl' I<HK. kein weiterer Risikofaktor und keine
Hypercholesterinämie Ponkreatitis ln der Vorgeschichte bekannt.
können aU<h Triglyzeri<H! <.wo mg / dl
KH K: LDL · Cholesterin <lOOmg/ dl LDL Cholestenn <lOOmg dl als au.srekhend betrachttot werden.
sofortige Erreichung der Tnglyz..-lde <200mg dl'
Zielwerte erforderlich

Bevorzugte Therapie : Bevorzugte Therapie : Bevorzugte Therapie :


Medikamenten - Gallensäureaustauscherharze Frb<ite f ib<ate
auswahl HMG CoA Reduktasehemmer HMG CoA Reduktasehemm..- Diätfehler werclen durch die medlka ·
Kombination: Ko<nl>inilron mentöse Therapie nicht •usgeglich@n
Gallenslureaustauscherlharze + Ftbrate Gallenslure.ustauschefharze
HMG CoA Reduktasehemmer
Fibrate + Gallenslureaustauscherlharze

Kontrollen Bis zum Erreichen des Therapieziels alle 1-3 Monate, nach Erreichen
des Therapieziels alle 6 -12 Monate

Abb.l?-22. Diagnostik und Therapie von Hyperlipidämien in der Praxis des Hausarztes (aus: LipidmanuaJ®)

für den behandelnden Arzt nur empfehlenden Cha- • HDL-Cholesterin (und daraus berechnetem LDL
rakter haben, zumal, wenn sie die individuelle Aus- und VLDL-Cholesterin)
gangssituation des Patienten berücksichtigen. Wie • sowie die Bestimmung von Lp(a).
das in den Europäischen Richtlinien bei der Festle-
gung des jeweiligen Therapiezieles der Fall ist, dür- Da insbesondere die Hypertriglyceridämie nicht nur
fen sie die Evidenz von positiv verlaufenden Inter- als sekundäre Folge des Diabetes mellitus anzusehen
ventionsstudien für sich beanspruchen. ist und da die Behandlung der Hypertriglyceridämie
mit Verbesserungen der Diabeteseinstellung ein-
hergeht, sind Indikationen zur Behandlung der
Aspekte beim Diabetes mellitus Hypertriglyceridämie früh zu stellen. Als Hoch-
Die Diagnostik der Dyslipoproteinämie beim Diabe- risikopatienten für KHK sind auch in der Primär-
tes mellitus umfasst die Bestimmung von prevention LDL-Cholesterinwerte von 100 mg/dl
• Plasmacholesterin, und Triglyceridspiegel von 150 mg/dl anzustreben.
• Triglyceriden,
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 833

Insgesamt lässt sich die lipidsenkende Ernährung


17.2.5
in Grundsätzen, wie in folgender Übersicht darge-
Therapie
stellt, realisieren.
Diätetische Behandlung
Grundsätze der lipidsenkenden Ernährung
Die Ernährungstherapie stellt die Basis der Behand-
lung von Fettstoffwechselstörungen. Grundsätzlich
• Fettmodifikation (Reduktion der Gesamtfettzu-
muss bei übergewichtigen Patienten eine Normali-
fuhr und gesättigter Fettsäuren)
sierung des Körpergewichts angestrebt werden. Be-
• Cholesterinzufuhr weniger als 300 mg/Tag
reits hierdurch lassen sich eine Reihe von Fettstoff-
• Erhöhte Aufnahme von Nahrungsmitteln mit
wechselstörungen günstig beeinflussen. 2-4 Monate
komplexen Kohlenhydraten
diätetische Maßnahmen, bei Gewichtsreduktion ent-
sprechend länger, sind durchzuführen. Bei deren Er-
folglosigkeit oder bei zusätzlicher Behandlungsbe-
dürftigkeit kommen Medikamente zum Zuge. Prinzipien der medikamentösen Therapie
Der Plasmacholesterin steigernde Einfluss lang- Wie oben ausgeführt, muss ähnlich wie bei der diä-
kettig gesättigter Fettsäuren ist etabliert. Einfach tetischen Therapie für die Auswahl eines Medika-
und mehrfach ungesättigte Fettsäuren können die ments grundsätzlich unterschieden werden zwi-
Plasmacholesterinspiegel senken, wenn sie langket- schen:
tige gesättigte Fettsäuren in der Nahrung ersetzen. • reiner Hypercholesterinämie durch hohes LDL-
In Bezug auf Cholesterinzufuhr in der Nahrung zei- Cholesterin,
gen sich interindividuelle Unterschiede, im Schnitt • kombinierter Hyperlipidämie und
führt die Einschränkung der Cholesterinzufuhr • Hypertriglyceridämie.
auf 300 mg/Tag zu einer LDL-Cholesterinsenkung
um etwa 10 mg/dl. Auch die ballaststoffreiche Außerdem sollte auf die Höhe des Lp(a) geachtet
(30-35 g/Tag) Ernährung hat günstige Einflüsse werden.
auf Plasma- und LDL-Cholesterin. Heute stehen gute medikamentöse Alternativen
Hypertriglyceridämien lassen sich diätetisch zur Korrektur der Fettstoffwechselstörungen zur
besser beeinflussen als Hypercholesterinämien Verfügung.
durch Reduktion des Körpergewichts, Minderung
der Alkoholzufuhr sowie des Konsums von Mono- Lipidsenkende Medikamente
und Disacchariden. Tabelle 17-6 gibt die Empfeh- • Nicht resorbierbare Lipidsenker. Unter dem Be-
lungen der American Heart Association (AHA) griff nicht resorbierbarer Lipidsenker werden die
zur Ernährung bei Hypercholesterinämie wieder. Substanzen verstanden, die im Darm verbleiben,
Tabelle 17-7 zeigt eine Auswahl von Lebensmit- dort ihre Wirkung entfalten und mit dem Stuhl wie-
teln, die von der Nationalen Cholesterin Initiative der ausgeschieden werden (Tabelle 17-8).
als empfehlenswert bzw als nicht empfehlenswert • Die Anionenaustauscher Cholestyramin und Cole-
eingruppiert wurden. stipol sind hochmolekulare Harze und tauschen

Tabelle 17-6. Empfehlungen der American Heart Association (AHA) zur Ernährung bei Hypercholesterinämie

Bestandteil Diatstufe I Diätstufe II

Totaler Fettverzehr < 30 % < 30 %

Gesättigte Fettsäuren < 10 % < 7%

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren < 10 % < 10 %

Einfach ungesättigte Fettsäuren 10 %- 15 % 10 o/o- 15 %

Kohlenhydrate 50 %- 60 % 50 o/o - 60 o/o

Protein 10 % - 20 % 10 % -20 %

Cholesterin < 300 mg!Tag < 200 mg!Tag

Kalorienzufuhr Isokalorisch Isokalorisch

% Prozent der Gesamtkalorien pro Tag


834 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

Tabelle 17-7. Empfehlenswerte bzw. zu vermeidende Lebensmittel bei Hyperlipidämie

Bevorzugen Reduzieren

Gemüse aller Art, Hülsenfrüchte, Kartoffeln Gemüse in Butter oder Sahnesoße, Pommes frites,
Bratkartoffeln

Obst aller Art

Vollkornbrot, Vollkorngetreide, Haferflocken, Vollkornreis, Helle Mehle und Brotsorten, fetthaltige Feinbrote
Vollkornteigwaren ohne Ei (Buttertoa ts, Croissant), eihaltige Teigwaren

Magerfische (Kabeljau, Rotbarsch, Seelachs), kaltwasserfische Aal, geräucherte Fischerzeugnisse, panierter Fisch,
(Hering, Makrele, Thunfisch, Lachs) Fischkonserven in Sahnesoße
Magermilch, fettarme Milch, magere und fettarme Vollmilch, Vollmilchprodukte, Sahne, sahnehaltige
Milchprodukte, Kä e unter 30% Fett in Trockenmasse Milchprodukte, Käse über 30 o/o Fett in Trockenmasse

Öle und Margarine mit reichlich einfach und/oder mehrfach Tierische Fette (Butter, chmalz), gesättigte bzw gehärtete
ungesättigten Fettsäuren (cave Tans-FS), Sonnenblumenöl, Pflanzenfette (Kokosfett, Palmkernfett)
Keimöle, Sojaöl. Olivenöl

Brathuhn, Pute, Kalbfleisch, Wild, mageres Rindfleisch, Ente, Gans, Schweinefleisch, fettes Fleisch aller Art,
Fleischsülze, Cornedbeef, magerer Schinken, fettreduzierte Innereien (Leber, Niere, Zunge), handelsübliche
Wurstsorten Wurstsorten

Eiklar Eidotter

Fruchtei , fettarme Süß pei en Milcheis, Sahneeis, fett oder eihaltige üßspeisen,
Schokolade, Pralinen und andere üßigkeiten

Kaffee, Tee, Mineralwasser mit niedrigem Natriumgehalt, Mineralwasser mit hohem Natriumgehalt, zuckerhaltige
Gemüsesaft, Fruchtsaft Erfri chungsgetränke, alkoholi ehe Getränke

Kräuter, Gewürze, fettarme Suppen und oßen alz, fett- oder eihaltige uppen und Soßen, Mayonnaise

Chloridionen gegen Gallensäuren aus. Hierdurch • Fibrate: Die wirksamsten Präparate sind Bezafi-
wird in den enterohepatischen Kreislauf einge- brat, Fenofibrat und Gemfibrozil, daneben Etofi-
griffen durch erhöhte Ausscheidung von Gallen- brat und Etofyllinclofibrat (Tabelle 17-9). Die
säuren, Cholsäure und Chenodesoxycholsäure. Fibrate wirken durch eine Verminderung der
• Das pflanzliche ß-Sitosterin stört im Darm die VLDL-Produktion sowie durch gesteigerten Ab-
Mizellenbildung und interferiert mit der Chole- bau hauptsächlich triglyceridreicher Lipopro-
sterinabsorption. teine, vor allem der VLDL. Fibrate können Fibri-
nogen- und Harnsäurespiegel senken und zusam-
• Resorbierbare Lipidsenker. Als resorbierbare Li- men mit der Triglyceridsenkung die Plasmavis-
pidsenker werden die Präparate zusammengefasst, kosität und Mikrozirkulation verbessern.
die nach Resorption ihre Wirkung systemisch 1m
Körper entfalten.

Tabelle 17-8. Nicht resorbierbare Lipidsenker

Anionenaustauscher Dosis wichtige Nebenwirkungen

Colestyramin 4-32 g Völlegefühl, Obstipation,


(Quantalan ) Steatorrhoe, Bindung von
(Lipocol-Merz ) Antikoagulantien u. a.

Colestipol 5-30 g Substanzen


(Cholestabyl' , Colestid •)
Pflanzliche Sterine Dosis wichtige Nebenwirkungen

Silosterin 2-6 g Sehr vereinzelt Völlegefühl


( itolande •, Lipo it Merz ' , Obstipation, Durchfall
Sitosterin Delalande ")
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 835

Tabelle 17-9. Clofi.bratderivate und Substanzen vom Fibrattyp (Fibrate)

Präparat Dosis wichtige Nebenwirkungen

Fenofibrat 160-300 mg Myositis


( ormalip Pro ' 't, Lipidil *, Lipidil Ter ' *, Gallensteinbildung
ormalip , Lipanthyl ) Verstärkung der
An tikoagulan tien wirku ng
Bezafibrat 200- 600mg Verbesserung der Glukosetoleranz
(Cedu , Bezalande ' ) Kumulationsgefahr bei
iereninsuffizienz
Gemfibrozil 900- 1350 mg Potenzstörungen
(Gevilon )

Etofibrat 500-1000 mg
(Lipo-Merz retard)

Etofyllinclofi.brat 500- 1500 mg


(Duolip )
* mikronisiert

• Nikotinsäure: Die Nikotinsäureund deren Derivate • Vitamin E als natürliches Antioxidans hat in
hemmen die Lipolyse in Adipozyten und damit die Interventionsstudien (CHAOS-Studie) in einer
Lipoproteinsynthese (Tabelle 17 -10). Außerdem Dosierung von 400 bzw 800 I. E. pro Tag zu einer
fördern sie den Metabolismus von VLDL und LDL. Reduktion nicht tödlicher Myokardinfarkte ge-
• HMG-CoA-Reduktasehemmer: Diese Substanz- führt, verzeichnete jedoch keinen signifikanten
klasse wirkt über eine kompetitive Hemmung Rückgang der Gesamtmortalität Vor Vitamin-
der HMG-CoA-Reduktase, einem Schlüsselenzym E-Überdosierungen muss gewarnt werden.
der Cholesterinbiosynthese (Tabelle 17-11 ). Die Neuere Untersuchungen haben positive Effekte
derzeit zur Verfügung stehenden Präparate füh- des Vitamin E nicht bestätigt.
ren dosisabhängig zu einer zuverlässigen Sen-
kung des Gesamt- und LDL-Cholesterins. Das
HDL-Cholesterin wird leicht angehoben. LDL-Apherese
Als letzte Alternative zur LDL-Cholesterinsenkung
• Weitere Medikamente bietet sich die maschinelle LDL-Elimination mittels
• Probucol (Lurselle), ein stark antioxidativ wirksa- LDL-Apherese an. Es handelt sich hierbei um ein
mes Präparat, hat eine lange Halbwertszeit von extrakorporales Blutreinigungsverfahren, wobei
etwa 2 Monaten und ist daher nicht gut steuerbar. entweder mittels Heparinpräzipitation, Affinitäts-
Da sowohl LDL-Cholesterin als auch HDL-Sen- chromatographie an anti-Apo B-haltigen Säulen,
kungen resultierten und verlängerte QT -Zeiten Dextransulfatadsorption oder in neuester Zeit mit-
mit malignen Herzrhythmusstörungen beschrie- tels Vollblutapherese auf acrylsäurebeschichteten
ben wurden, hat sich das Präparat nicht durchge- Säulen LDL entfernt wird. Die Behandlungsinter-
setzt. valle sind wöchentlich bis 14-tägig, je nach Wieder-

Tabelle 17-10. Nikotinsäure und ihre Derivate

Präparat Dosis wichtige Nebenwirkungen

ikotinsäure(amid) l-7g Hautrötung, Blutdruck-Verminderung,


(Nicobion , Nicotinsäureamid 200 mg JENA Gastrointestinale Beschwerden, harn aure
PHARM) Diathese, Verringerung der Glucosetoleranz.

Pyridylmethanol 0,6- 1,8 (3) g


(Radecol 11 )

Xantinolnicotinat bis 3 g
(Complamin ,Xantinol-nicotinatratiopharm )

lnositol-nicotinat 0,8-2,4 g
(Nicolip~ )

Acipimox 0,5-0,75 g Acipimox: in der angebenen Dosierung


(Oibemox ) geringere ebeneffekte
836 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

Tabelle 17-ll. HMG-CoA-Reduktasehemmer, (Statine, CSE-Hemmer) Dosierung und Nebenwirkungen

Hl\!G -CoA -Reduktase-lnhibitoren Dosis wichtige Nebenwirkungen

Atorvastalin 10-80 mg Gastrointestinale Störungen


( ortis ) Mundtrockenheil
Cerivastatin 0,1-0,4 mg Übelkeit
(Zenas , Lipoba Myolyse
Fluvastatin 20- 60mg reversible Abduzenslähmung
(Cranoc ' , Locol ' ) Transaminasenerhöhungen
Lovastatin 20- 40 mg Schlafstörungen
(Mevinacor ' ) Müdigkeit
Pravastatin 10-40 mg Hyperglykämien
(Pravasin ', Liprevil ", Mevalorin ')
Simva tatin 10-80 mg
(Den an ' , Zocor •)

anstieg der LD L-Cholesterinspiegel. Alle Verfahren haben sich aufgrund der überzeugenden Datenlage
führen auch zu einer deutlichen Senkung der der Interventionsstudien die HMG-CoA-Reduktase-
Lp(a)-Spiegel. Aufgrund des nicht unerheblichen hemmer als Mittel der ersten Wahl durchgesetzt. Je
Aufwandes und der hohen Kosten muss dieses Ver- nach Schwere der Hypercholesterinämie und ihrem
fahren Extremfällen vorbehalten bleiben (schwere, Ansprechen ist dann in einem abgestuften Therapie-
therapierefraktäre Hypercholesterinämie mit doku- schema die Kombination unterschiedlich wirkender
mentierter koronarer Herzerkrankung). Über die Lipidsenker möglich, z. B. die gleichzeitige An-
Indikation zur LDL-Apherese wird von einer Exper- wendung eines HMG-CoA-Reduktasehemmers mit
tenkommission auf Antrag entschieden. Der sche- einem gallensäurebindenden Harz. Um den intesti-
matische Aufbau eines LDL-Apheresesystems ist nalen Gallensäurenentzug zu kompensieren wird in
in der Abb. 17-23 dargestellt. der Leber die endogene Cholesterinsynthese hochre-
guliert, die ihrerseits durch die HMG-CoA-Redukta-
seinhibitoren gebremst wird. Als Folge versucht die
Spezifische Therapie Leber den Cholesterinbedarf durch eine Hochregu-
lation der LDL-Rezeptoren auszugleichen. Als Net-
Reine Hypercholesterinämie toeffekt resultiert duch die vermehrte Ausschleu-
durch hohes LOL-Choiesterin sung von Cholesterin in Form von Gallensäuren
Milde Formen sind eine Indikation für nicht resor- eine erhöhte Aufnahme und Verstoffwechslung
bierbare Lipidsenker vom Typ der gallesäurenbin- von LDL-Cholesterin durch die Leber. In besonders
denden Harze oder pflanzlicher Sterine. Heutzutage therapierefraktären Fällen kann dann zu dieser

Spül· Regene-
Iösung rations-
Iösung

Heparin

Plasmafilter LDL- Adsorptionssäulen

Blutsystem Plasmasystem

Entferntes LDL LJ Abb. 17-23. LDL-Aphere e


17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 83 7

Kombination noch ein 3. Lipidsenker aus der Niko- ma in der Behandlung der Hypertriglyzeridämie
tinsäurereihe zugefügt und bei deren Erfolglosigkeit wieder.
eine extrakorporale LDL-Elimination angewendet
werden. Die folgende Übersicht gibt das Stufensche- Stufenschema zur medikamentösen Therapie
ma der medikamentösen Therapie von Hyperchole- der kombinierten Hypertriglyzeridämie:
sterinämien wieder.
e Fibrate oder Nikotinsäure oder Omega-3-Fett-
Stufenschema zur medikamentösen Therapie säuren
der Hypercholesterinämie • Fibrate und Nikotinsäure und Omega-3-Fett-
säuren
• Gallensäurebindende Harze
e HMG-CoA-Reduktasehemmer (ggf. Fibrate)
e HMG-CoA-Reduktasehemmer u. gallensäurebin- Diabetes mellitus
denden Harzen oder Fibrate • Diätetische Maßnahmen. Diätetische Maßnah-
e HMG-CoA-Reduktasehemmer u. gallensäurebin- men, die viele Gemeinsamkeiten mit denen zur Dia-
denden Harzen u. Nikotinsäure betesbehandlung zeigen, achten zusätzlich auf eine
e LDL-Apherese (in Kombination mit medikamen- Fettmodiflkation, d. h. auf eine Reduktion der gesät-
tösen Maßnahmen) tigten und eine Betonung der einfach und mehrfach
ungesättigten Fettsäuren (etwa je ein Drittel der
Fettkalorien als gesättigte, einfach-ungesättigte
Kombinierte Hyperlipidämie und mehrfach-ungesättigte Fettsäuren). Dies kann
Die Gruppe der kombinierten Hyperlipidämien unterstützt werden durch die Gabe von Fischölen,
stellt die Mehrzahl der Lipidstoffwechselpatienten. für die eine triglyceridsenkende Wirkung dokumen-
Die gallesäurebindenden Medikamente bzw. Sterane tiert ist.
kommen hier primär nicht zum Einsatz, da sie zu-
sätzlich auch zur Steigerung der Triglyceridsynthese • Lipidsenkende Medikamente
führen. Bei der kombinierten Hyperlipidämie mit • Lipidsenkende Medikamente der ersten Wahl
dominierendem LDL-Cholesterinanteil (Typ II B) stellen die Fibrate dar. Sie sind sehr potente Tri-
kommen überwiegend HMG-CoA-Reduktasehem- glyceridsenker, verbessern zusätzlich die Gluko-
mer zur Anwendung. Als Mittel der ersten Wahl setoleranz und vermindern in vielen Fällen eine
bei triglyceridbetonter kombinierter Hyperlipid- gleichzeitig bestehende Hyperurikämie. Vorsicht
ämie werden in Deutschland hauptsächlich Fibrate, ist geboten bei eingeschränkter Nierenfunktion
in den USA überwiegend Nikotinsäure und deren wegen entsprechend notwendiger Dosisreduk-
Derivate eingesetzt. Folgende Übersicht zeigt das tion.
therapeutische Stufenschema bei der kombinierten • Nikotinsäure und ihre Derivate, die besonders die
Hyperlipidämie. Freisetzung freier Fettsäuren aus peripheren Ge-
weben hemmen und damit ebenfalls die Hypertri-
Stufenschema zur medikamentösen Therapie glyceridämie beeinflussen, sind in Deutschland in
der kombinierten Hyperlipidämie den Hintergrund getreten, da sie zumindest initi-
al zudem die Glukosetoleranz negativ beeinflus-
e HMG-CoA-Reduktasehemmer bei LDL-betonter sen. Fibrate und Nikotinsäurederivate führen, be-
HLP sonders bei hypertriglyceridämischen Patienten,
e Fibrate bzw Nikotinsäure bei triglyceridbetonter zu deutlichen Anstiegen von HDL-Cholesterin.
HLP • Hemmer der Cholesterin-Biosynthese (HMG-CoA-
e gegebenenfalls Kombinationstherapie von HMG- Reduktasehemmer, Statine) werden ebenfalls bei
CoA-Reduktionshemmer mit Fibrat bzw. Niko- der diabetischen Dyslipoproteinämie, wenn LDL-
tinsäure Cholesterinerhöhungen und nicht eine Hyper-
triglyceridämie im Vordergrund stehen, einge-
setzt. Sie führen zu einer deutlichen LDL-Chole-
Hypertriglyceridämie sterinsenkung. Ihre Wirksamkeit bei Bestehen
Bei der Hypertriglyceridämie sind weder HMG- einer koronaren Herzerkrankung konnte belegt
CoA-Reduktasehemmer noch gallensäurebindende werden. In einer Subgruppenanalyse der diabeti-
Harze indiziert. Diese Störung ist eine Domäne schen Teilnehmer an der 4S-Studie (Sekundär-
der Fibrat- und Nikotinsäuretherapie. Zudem sind intervention der koronaren Herzerkrankung
Omega-3-Fettsäuren (Fischöle) zur Korrektur dieser durch LDL-Cholesterinsenkung mittels Ernäh-
Störung wirksam. Die Übersicht gibt das Stufensche- rungsumstellung und Simvastatin) zeigte sich
838 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

nämlich sowohl eine deutliche Verbesserung des scher Zustände gehört. Insgesamt haben sich zur Be-
Überlebens als auch eine drastische Reduktion handlung der Hypertonie des Diabetikers mehr und
schwerwiegender KHK-bedingter Ereignisse. mehr Substanzen aus der Gruppen der ACE-Hem-
Die frühzeitige Behandlung der diabetischen Dys- mer durchgesetzt.
lipoproteinämie, insbesondere die drastische Re-
duktion der Triglyceride auf Zielwerte unter • Nierenerkrankungen. Die Behandlung der Fett-
150 mg/dl (1,7 mmol/1}, begünstigen zusätzlich stoffwechselstörung bei Nierenerkrankungen erfor-
die Diabeteseinstellung. Studien sind derzeit im dert besondere Aufmerksamkeit sowohl in Bezug
Gange, um nachzuweisen, ob auch langfristig auf ein zu wählendes Präparat als auch in Bezug
die Behandlung der Dyslipoproteinämie beim auf die reduzierte Dosierung. HMG-CoA-Redukta-
Diabetes mellitus zu einer Verminderung der sehemmer haben sich hier besonders effektiv erwie-
diabetischen Makroangiopathie, Nephropathie sen. Bei Erfolglosigkeit der medikamentösen Thera-
und weiterer Spätkomplikationen führt. pie, bei der sämtliche gängige Präparate unter enger
Kontrolle grundsätzlich zum Einsatz kommen kön-
Weitere sekundäre Hyperlipidämien nen, ist die extrakorporale LDL-Elimination eine
• Metabolisches Syndrom. Häufig findet sich eine weitere Option. Bei der Indikationsstellung ist der
sekundäre Hyperlipoproteinämie im Rahmen eines Zusammenhang zwischen Hypertonie, Fettstoff-
metabolischen Syndroms. Adipositas, Hypertonie, wechselstörung und Progredienz der Nierenerkran-
Diabetes mellitus sind zusammen mit assoziierter kung zu bedenken. Kompliziert wird die Therapie
Dyslipoproteinämie die Eckpfeiler dieses Syndroms. nach Nierentransplantation, nach der oft die im-
Obwohl schon seit über 20 Jahren beschrieben, rückt munsuppressive Medikation die Hyperlipidämie
es erst jetzt immer mehr ins Bewusstsein. Abb. 17-12 verseblech tert.
zeigt die Ansammlung von Stoffwechselstörungen,
die in einem Patienten mit metabolischem Syndrom
auftreten können. Sie sind gemeinsam synergistisch
17.2.6
wirkende Risikofaktoren für die Entwicklung der
Lipidspeichererkrankungen
Arteriosklerose.
Im Vordergrund sämtlicher Bemühungen zur
Lipidspeichererkrankungen oder Lipidosen sind re-
Normalisierung der Hyper- und Dyslipoprotein-
lativ seltene, genetisch determinierte Erkrankungen
ämien in Assoziation mit dem metabolischen Syn-
des Fettstoffwechsels mit Ablagerungen von Lipiden
drom, speziell dem Übergewicht, Bluthochdruck
und Lipoiden in unterschiedlichen Organen. Bereits
und Diabetes mellitus, stehen diätetische Maßnah-
Anfang der 80er-Jahre des vorletzten Jahrhunderts
men zur Korrektur der Grunderkrankung. Zusätz-
wurden mit den Gangliosidosen (1881} und dem
lich können medikamentöse Maßnahmen zur Blut-
M. Gaueher (1882} die ersten Lipidspeichererkran-
drucksenkung sowie Diabeteseinstellung notwendig
kungen beschrieben. Die Lipidspeichererkrankun-
werden. "Erweiterte diätetische Maßnahmen" in
gen werden in die folgenden Untergruppen unter-
Form von Fischölen konnten sowohl bei Hyperlipä-
teilt (Tabelle 17-12).
mikern und Diabetikern insbesondere Triglyceride
senken als auch bei Hypertonikern den systolischen
und diastolischen Blutdruck günstig beeinflussen. Sphingolipidosen
Über Langzeiteffekte dieser Fischöle liegen jedoch
noch keine hinreichende Daten vor. Die Auswahl M. Gaueher
der blutdrucksenkenden Medikamente muss deren Er ist die häufigste angeborene Iysosomale Speicher-
Effekte auf den Lipidstoffwechsel mitberücksichti- krankheit vom Typ der Sphingolipidosen.
gen. Der in Langzeitstudien zur Hypertoniebehand-
lung gesehene geringe Schutz vor koronarer Herzer- • Pathogenese. Es handelt sich dabei um eine ins-
krankung hängt mit der Tatsache zusammen, dass gesamt seltene, autosomal-rezessiv vererbte Lipid-
durch die verwendete Medikation (hauptsächlich speicherkrankheit mit Akkumulierung von abnor-
Diuretika) zusätzlich eine ungünstige Lipidkonstel- mem Glukozerebrosiden im RES. Klinisch treten
lation entstand (s. Abb. 17-14}. Obwohl noch keine Hepatosplenomegalie, gelb-braune Pigmentierun-
Studien vorliegen zum Nutzen gleichzeitiger Blut- gen vor allem an Gesicht und Beinen sowie Skelet-
drucksenkung und Korrektur von Dyslipidämien, taffektionen und Pingueculae an den Konjunktiven
kann aus den vorliegenden Daten geschlossen wer- im Vordergrund. Seltener treten Lungenverände-
den, dass zur effektiven Behandlung der Hypertonie rungen (Infiltrate, pulmonale Hypertension) auf.
im Hinblick auf die Risikominderung koronarer Die Erkrankung wird durch einen Defekt der Gluko-
Herzerkrankungen auch eine Korrektur dyslipämi- zerebrosidase ausgelöst, ein Enzym, das normaler-
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 839

Tabelle 17-12. Zusammenstellung der Lipidspeichererkrankungen

Krankheitsgruppen Erkrankungen

Sphingolipidosen Sphingomyelinose (M. iemann-Pick)


Ganglio ido en
Oligohexosylceramidosen (M. Fabry, M. Dawson)
Zerebrosido en (M. Gaucher, M. Krabbe)
Sulfatidosen (metachromatische Leukodystrophie)

Störungen des Stoffwechsels apolarer Lipide Refsum-Syndrom


Wolman-Krankheit
Cholesterinesterspeicherkrankheit
Zerebrotendinö e Xanthomatose

weise Glukozerebroside zu Glukose und Zeramid • Diagnose. Die Diagnose wird durch den Nachweis
abbaut. Die Stoffwechselanomalie tritt gewöhnlich typischer Zellen in Knochenmark, Milz- oder Leber-
in der frühen Kindheit auf. Charakteristische patho- biopsie gestellt. Zudem kann eine fehlende Gluko-
logische Befunde sind eine Anhäufung von Glukoze- zerebrosidaseaktivität in Zellkulturen nachgewiesen
rebrosiden in den Retikulaendothelzellen von Milz, werden. Die Enzymsubstitution ist heute möglich.
Leber, Lymphknoten und Knochenmark. Die Zellen
haben eine unterschiedliche Form und besitzen M. Krabbe
einen oder mehrere exzentrisch angeordnete Kerne Die Galaktosylceramidlipidose (globoidzellige Leu-
(Gaucher-Zellen). kodystrophie oder das Krabbe-Syndrom) tritt zwi-
schen dem 3. und 6. Lebensmonat auf und führt
• Klinik. Es gibt 3 unterschiedliche Verlaufsformen in der Regel nach 6-8 Jahren zum Tode. Klinisch im-
des M. Gaucher, die in der folgenden Übersicht ge- poniert ein progredienter Zerebralabbau, Erblin-
nannt sind. dung, Taubheit und Pseudobulbärparalyse. Als Ur-
sache der Erkrankung wurde ein Defekt der Galakto-
Verlaufsformen des M. Gaueher Zerebrosid- ß-Galaktosidase identifiziert.

• Typ I, die chronische, nicht neuropathische Er- M. Niemann-Piek


wachsenenform (häufigste Form) Beim M. Niemann-Piek wird vermehrt Sphingomye-
• Typ li, die akute neuropathische Form lin (Ceramidphosphorylcholin) in den Zellen des
• Typ III, die subakute neuronapathische Form RES gespeichert. Man unterscheidet heute 2 Haupt-
• Der Typ I zeigt einen ausgesprochen variablen gruppen, die jeweils 3 Unterformen aufweisen:
Verlaufund kann zum Teil mit einer nahezu un- • Gruppe I: Lipidose mit Sphingomyelinasemangel
beeinträchtigen Lebensdauer einhergehen und primärer Sphingomyelinspeicherung (akute,
• Der Typ II beginnt dagegen in den ersten Lebens- subakute und chronische Form beziehungsweise
monaten und die erkrankten Kinder sterben Typ Ia, Is und Ic).
meist im ersten oder zweiten Lebensjahr an pul- • Gruppe Il: Lipidosen mit unbekanntem Primär-
monlen Infekten und respiratorischer Insuffi- defekt und sekundärer Sphingomyleinspeiche-
zienz rung (akut, subakute und chronische Form bezie-
• Der Typ III verläuft protrahierter im Vergleich hungsweise Typ Ila, Ils und Ilc).
zum Typ li. Die Patienten leiden zudem noch
an Ataxien und Krampfanfällen. Häufig findet Bei der schweren juvenilen Form liegt die Enzymak-
sich ein Intelligenzverlust und der Tod tritt häufig tivität unter 5 o/o. Demyelinisierung und neurologi-
im ersten Lebensjahrzehnt ein sche Symptome treten auf. Die infantile und juvenile
Form der Erkrankung wird rezessiv vererbt. Klinisch
stehen Xanthome, Pigmentation, Hepatosplenome-
Die Splenomegalie ist das Hauptsymptom des M. galie, Lymphoadenopathie und mentale Retardie-
Gaucher. Darüber hinaus werden Hepatomegalie rung im Vordergrund. Die Diagnose wird durch
und Lymphadenopathie beobachtet. Ein Befall des den histologischen Nachweis von Niemann-Piek-
Skeletts verursacht Schmerzen und kann zu Schwel- Zellen (Schaumzellen) gestellt und durch den En-
lungen der angrenzenden Gelenke führen. zymtcst gesichert.
840 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine

M. Fabry ren im Blut und in Organen. Klinisch treten periphe-


Der M. Fabry ist eine seltene familiäre, x-chromoso- re Neuropathien, zerebellärer Ataxie, Retinitis pig-
mal vererbte Erkrankung. Glykolipide (Galactosyl- mentosa, Skelett- und Hautveränderungen in Er-
glucosylceramid) werden in den Organen angerei- scheinung. Eine phytansäurefreie ("chlorophyll-
chert. Ursache dieser Stoffwechselanomalie ist das freie") Diät bessert die Symptomatik. Darüber
völlige Fehlen der Aktivität des lysosomalen Enzyms hinaus werden Plasmapheresen zur Senkung der
a-Galaktosidase A, das für den normalen Katabolis- Plasmaspiegel der Phytansäure durchgeführt.
mus der Trihexosylceramide verantwortlich ist. Auf-
grund der charakteristischen Hautläsionen (Angio- Wo/man-Syndrom und Cholesterinesterspeicher-
keratome), besonders am Unterbauch, Gesäß und in krankheit
der Leistengegend, kann bei den betroffenen Män- Beim Wolman-Syndrom treten bereits in den ersten
nern die Diagnose gestellt werden. Des Weiteren tre- Lebenswochen Hepatosplenomegalie, Steatorrhö
ten Hornhauttrübungen, febrile Episoden, Hirnner- und adrenale Verkalkungen auf. Es kommt zur An-
venparese und brennende Schmerzen in den Extre- reicherung von großen Mengen an Neutralfetten,
mitäten auf. Die Prognose wird bestimmt durch kar- v. a. Cholesterinester und Triglyceride, in den Gewe-
diovaskuläre Komplikationen. ben. Eine saure Lipasedefizienz wurde beschrieben.
Derzeit ist keine kausale Therapie bekannt. Der Tod
GM 1- und GMrGangliosidosen tritt meist in den ersten 6 Lebensmonaten ein. Die
• GMl-Gangliosidose. Die generalisierte (GM 1-) Cholesterinesterspeicherkrankheit zeigt einen mil-
Gangliosidose wird autosomal-rezessiv vererbt. deren Verlauf, wobei aufgrundder längeren Lebens-
Diese Erkrankung endet bereits im 2. Lebensjahr zeit mit dem Auftreten von atherosklerotischen Ver-
tödlich. Die Symptome treten bereits kurz nach änderungen gerechnet werden muss.
der Geburt auf. Es kommt zur Akkumulation des
GM 1-Gangliosids im Nervengewebe. Zerebrotendinöse Xanthomatose
• Pathogenese. Bei der zerebrotendinösen Xantho-
• GM2-Gangliosidose. Das Tay-Sachs-Syndrom matose handelt es sich um eine seltene Erkrankung
(GMrGangliosidose) beginnt im späten Säuglingsal- mit rezessivem Erbgang. Das sonst nur in Spuren
ter und führt zu Paralyse, Demenz, Erblindung, nachweisbare Cholestanol (Dihydrocholesterin)
kirschroten Macula-lutea-Flecken. Der Tod tritt in wird in erhöhten Konzentrationen im Nervensy-
aller Regel im Alter von 3-4 Jahren ein. Es besteht stem, Lunge, Blut und Xanthomen gefunden. Ur-
ein rezessiver Erbgang. Ursächlich besteht ein Man- sächlich besteht ein Defekt des Leberenzyms, das
gel an Hexosaminidase A, was zur Akkumulierung die 24S-Hydroxylierung eines intermediären Sterins
von Gangliasiden (komplexen Sphingolipiden) im in der Gallensäurebiosynthese katalysiert. Frühzeiti-
ZNS führt. ge Arteriosklerose tritttrotzeher niedriger Gesamt-
cholesterinwerte ein.
Metachromatische Leukodystrophie (Sulfatidose)
Bei der metachromatischen Leukodystrophie (Sulfa- • Klinik. Die Krankheit wird selten vor dem 30. Le-
tidose) ist die Zerebrosidsulfatase defekt, was zur bensjahr manifest und zeigt unbehandelt eine deut-
Speicherung metachromatisch anfärbbarer Substan- liche Progression. Klinisch treten eine progressive
zen im myelinisierten Bereich von ZNS, peripheren Ataxie, Demenz, Kataraktbildung und Sehnenxan-
Nerven, Niere, Milz und anderen viszeralen Organen thome auf.
führt. Es kommt zu einem progredienten Zerebral-
abbau. Die Symptomatik beginnt in aller Regel • Therapie. Die zerebrotendinöse Xanthomatose
bereits vor dem 2. Lebensjahr und endet nach kann erfolgreich mit Chenodeoxycholsäure in einer
etwa 8 Jahren tödlich. Dosierung von 0,5-1,5 g!Tag oral behandelt werden.
Hierdurch wird die normale Gallensäurebiosynthese
gehemmt, und die Cholestanolspiegel werden ge-
17.2.7 senkt. Eine weitere Progression der Krankheit
Störungen des Stoffwechsels apolarer Lipide kann verhindert werden.

Refsum-Syndrom
Das Refsum-Syndrom wird rezessiv vererbt. Ursäch- Aktuelle Links im Internet finden Sie unter:
lich ist der Abbau der Phytansäure aufgrund eines http://www.springer.de/cgl-bin/bag_generate,pl?ISBN =3-540-64765-1
Mangels an Phytansäurehydroxylase gestört. Es Weiterführende Literatur finden Sie unter:
kommt hierdurch zur Anreicherung von Phytansäu- http://www.springer.de/books/literatur/354064755l.pdf
KAPITEL 18

Purinstoffwechsel 18
w. GRÖBNER

18.1 Physiologie 841 standteile der meisten Coenzyme, speziell von Coen-
18.1.1 Harnsäurebildung 841 zymen des Energiestoffwechsels. Alle purinhaltigen
18.1.2 Regulation der Purinsynthese 841
18.1.3 Nahrungspurine 842 Verbindungen im Körper unterliegen einer ständi-
18.1.4 Renale und extrarenale gen Neubildung und einem ständigen Abbau.
Harnsäureausscheidung 842 Beim Menschen entsteht beim Abbau von Purinen
18.2 Hyperurikämie und Gicht 842 Harnsäure.
18.2.1 Fallpräsentation 842
18.2.2 Definition der Hyperurikämie 843
18.2.3 Epidemiologie 844 18.1.1
18.2.4 Pathogenese 844
18.2.5 Klinik 847 Harnsäurebildung
18.2.6 Diagnostik 848
18.2.7 Differentialdiagnose 850 Harnsäure, das Endprodukt des Purinstoffwechsels
18.2.8 Therapie 851
18.2.9 Prognose 855 beim Menschen, entsteht überwiegend in der Leber
und Dünndarmmukosa. Die Purinsynthese und ihre
18.3 Lesch-Nyhan-Syndrom 856
18.3.1 Pathogenese 856 Regulation ist in Abb. 18-1 dargestellt. Ausgangs-
18.3.2 Klinik 856 substanz der Purinsynthese ist 5-Phosphoribosylpy-
18.3.3 Diagnostik 856 rophosphat (PRPP), das mit Glutamin zu 5-Phos-
18.3.4 Therapie 856
phoribosylamin reagiert. Dieser Schritt ist geschwin-
18.4 Adeninphosphoribosyltransferase-Mangel digkeitsbestimmend für die Purinsynthese. Über
und 2,8-Dihydroxyadeninlithiasis 856
18.4.1 Pathogenese 856 eine Reihe weiterer Syntheseschritte entsteht Inosin-
18.4.2 Klinik 856 säure, aus der die anderen Nukleotide, nämlich Ade-
18.4.3 Diagnostik 856 nyl- und Guanylsäure, hervorgehen. Ein weiterer
18.4.4 Therapie 856
Weg der Inosinsäure führt über Inosin, Hypoxan-
18.5 Xanthinune 856 thin und Xanthin zu Harnsäure. Die letzten beiden
18.5.1 Pathogenese und Klinik 856
18.5.2 Therapie 857 Schritte werden durch das Enzym Xanthinoxidase
katalysiert.
18.6 Myoadenylatdesaminasemangel
(MAD-Mangel) 857
18.6.1 Pathogenese 857
18.6.2 Klinik 857 18.1.2
18.6.3 Diagnostik 857 Regulation der Purinsynthese
18.6.4 Therapie 857
18.7 Störungen der Immunantwort 857
Untersuchungen zur Regulation der Purinsynthese
Literatur 857 ergaben, dass Adenyl-, Guanyl- sowie Inosinsäure
den ersten Schritt der Purinsynthese im Sinne eines
Feedback-Mechanismus hemmen. Adenyl- und
18.1 Guanylsäure hemmen auch ihre eigene Bildung
Physiologie aus Inosinsäure. Nach Produktion ausreichender
Mengen von Adenyl-, Inosin- und Guanylsäure
Purine sind essenzielle Bestandteile des menschli- wird daher die Neusynthese der Purine von selbst
chen Körpers. Gemeinsam mit Pyrimidinen sind gebremst. Besondere Bedeutung bei der Aufrechter-
sie die entscheidenden Bestandteile der Desoxyribo- haltung der intrazellulären Konzentration von Ade-
nukleinsäure (DNS) und Ribonukleinsäure (RNS), nyl-, Inosin- und Guanylsäure kommt dabei denEn-
den Trägern der genetischen Information und Über- zymen Hypoxanthinguaninphosphoribosyltransfe-
mittlern dieser Information an die Eiweißsynthese. rase (HPRTase) sowie Adeninphosphoribosyltrans-
Eine zweite wichtige Rolle spielen die Purine als Be- ferase (APRTase) zu (Abb. 18-1).
842 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel

Ribose-5-phosphat + ATP

I PRPP-Synthetase I
5-Phosphoribosyl pyrophosphat
+
Glutamin

Inosinsäure 1 - - - - - - -- 1

HPRTase APRTase
+ PRPP PRPP+ PRPP+ Abb.IS-1.
Schematische Darstellung des
Purinstoffwechsels und sei-
ner Regulation. APRTase
Adeninphosphoribosyltrans-
ferase, HPRTase Hypoxan-
thinguaninphosphoribosyl-
I 2,8 Dihydroxyadenin I transferase, PRPP-Synthetase
5-Phosphoribosylpyrophos-
phatsynthetase, PRPP 5-
Phosphoribosylpyrophos-
phat. (Nach Zöllner et al.
1996a)

Harnsäure zu Allantoinsäure, Glyoxylat und Harn-


18.1.3
stoff sowie Ammoniak und Kohlendioxid abgebaut
Nahrungspurine
(Abb. 18-3).
Nahrungspurine werden vorwiegend als Adenosin
und Guanosin resorbiert und größtenteils rasch
zu Harnsäure abgebaut. Nahrungspurine beeinflus-
sen die endogene Purinsynthese nicht.

18.1.4
Renale und extrarenale
Harnsäureausscheidung

Die Ausscheidung der synthetisierten Harnsäure er-


folgt zu 20-30% über den Darm, der Hauptanteil
der gebildeten Harnsäure wird über die Nieren eli-
miniert. Der renale Ausscheidungsmechanismus für
Harnsäure ist dabei durch glomeruläre Filtration so-
wie tubuläre Rückresorption und Sekretion gekenn-
zeichnet (Abb. 18-2). Durch das Zusammenwirken
dieser Funktionen ergibt sich bei physiologischen
Harnsäurespiegeln und glomerulären Filtrationsra-
ten eine Harnsäureclearance von 8,7 ± 2,5 ml/min. Abb.lS-2.
Schematische Darstellung des
Die über den Darm ausgeschiedene Harnsäure un- Mechanismus der renalen Harn-
terliegt der bakteriellen Urikolyse. Hierbei wird säureausscheidung
18.2 Hyperurikämie und Gicht 843

Harnsäure

Allantoin

Abb. 18-4. Akuter Gichtanfall mit Rötung und Schwellung


des linken Großzehengrundgelenks

y-GT 70 U/1, Serumcholesterin 280 mgldl, Se-


rumtriglyzeride 540 mgldl. Die röntgenologi-
sche Darstellung der Vorfüße zeigte keine To-
phi. Die Oberbauchsonographie stellte eine Fett-
leber sowie unauffällige Nieren dar. Nierenstei-
Glyoxylat ne konnten ausgeschlossen werden. Es ergab
sich die Diagnose: akuter Gichtanfall des linken

Urease r-- 2 H20


Großzehengrundgelenks. Der Patient erhielt
insgesamt 6 mg Kolchizin per os innerhalb
von 24 h. Nach Abklingen der Schmerzen er-
folgte dann eine Reduktion der Kolchizindosis
4 NH 3 + 2 co2
auf 1,5 mg/Tag über insgesamt 3 Monate. Zur
Abb. 18-3. Abbau von Harnsäure im Gastrointestinaltrakt Serumharnsäuresenkung nach Abklingen des
akuten Gichtanfalls wurde neben diätetischen
Maßnahmen 300 mg Allopurinol eingesetzt, wo-
bei der Serumharnsäurespiegel auf einen Wert
18.2
von 5,0-5,5 mg/dl eingestellt wurde. Gichtan-
Hyperurikämie und Gicht fälle traten unter konsequenter harnsäuresen-
kender Therapie nicht mehr auf.
18.2.1
Fallpräsentation

18.2.2
Ein 40-jähriger übergewichtiger Patient wachte Definition der Hyperurikämie
gegen Morgen mit heftigen Schmerzen im Be-
reich des linken Großzehengrundgelenks auf. Ursache der Gicht ist die Hyperurikämie, d. h. eine
Vorausgegangen war eine Familienfeier am Harnsäurekonzentration im Plasma oder Serum
Abend zuvor. Mit Ausnahme einer linksseitigen oberhalb des Normalbereiches. Unter Berücksichti-
Nierenkolik mit spontanem Steinabgang (aller- gung der Löslichkeitsgrenze von Natriumurat im
dings ohne nachfolgende Steinanalyse) sei der Plasma kann man bei Männern und Frauen die Hy-
Patient bisher noch nie ernsthaft krank gewesen. perurikämie als eine Harnsäurekonzentration ober-
Klinisch zeigte sich eine deutliche Schwellung halb 6,4 mg/dl definieren. Eine Erhöhung des Se-
und Rötung des Großzehengrundgelenks links rumharnsäurespiegels über diesen Wert bedeutet
(Abb. 18-4). Laborchemisch ergab sich: Leuko- das Vorliegen einer übersättigten Lösung mit der
zyten 13.000/f.ll, Serumharnsäure 9,9 mg/dl, Neigung zu Harnsäureausfällung bei Auftreten ent-
Bilirubin 0,8 mg/dl, SGOT 35 U/1, SGPT 44 U/1, sprechender physikalischer Voraussetzungen.
844 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel

18.2.3 18.2.4
Epidemiologie Pathogenese

Die Ernährung unserer Wohlstandsgesellschaft hat Der Harnsäurebestand des Körpers stellt die Re-
in den Nachkriegsjahren zu einer deutlichen Zunah- sultierende aus Zufuhr und Ausscheidung dar
me der Hyperurikämie und Gicht geführt. In der (Abb. 18-5). Eine Hyperurikämie entsteht, wenn
Framingham-Studie, in der 5127 Personen mit Harnsäure vermehrt gebildet oder verringert ausge-
einem Durchschnittsalter von 44 Jahren zu Beginn schieden wird. In seltenen Fällen kombinieren sich
der Studie 12 Jahre lang beobachtet wurden, fanden beide Mechanismen. Folgende Übersicht gibt Eintei-
Hallet al. (1967) bei 9,2 o/o derMännerund 0,4 o/o der lung und Pathogenese der Hyperurikämie wieder.
Frauen Serumharnsäurewerte von 7,0 mg/dl oder
darüber. 19 o/o dieser Personen litten an Gicht. Das Einteilung und Pathogenese der Hyperurikämien
Risiko der Entwicklung eine Arthritis urica nahm
mit steigendem Serumharnsäurespiegel zu (Ta- • Familiäre (primäre) Hyperurikämie
belle 18-1). Innerhalb der gesamten untersuchten Störung der tubulären Harnsäuresekretion
Bevölkerung in Framingham wurden 2,8 o/o der (ca. 99 o/o)
Männerund 0,4 o/o der Frauen von einem oder meh- Vermehrte endogene Harnsäuresynthese infolge
reren Gichtanfällen befallen. Eine epidemiologische von Enzymdefekten des Purinstoffwechsels
Untersuchung 30- 59jähriger Männer und Frauen (ca. 1 o/o)
aus dem Raum Heidelberg ergab Serumharnsäure- • Sekundäre Hyperurikämie
werte über 8,0 mg/dl bei jedem 11. Mann und Werte Vermehrte Harnsäurebildung (z. B. bei Blutkrank-
über 7,5 mg/dl bei jeder 50sten Frau (1984). Gresser heiten, erhöhter Purinzufuhr über die Nahrung)
et al. (1990) beobachteten innerhalb der Bevölke- Verminderte renale Harnsäureausscheidung
rung Süddeutschlands Serumharnsäurespiegel über (z. B. bei Niereninsuffizienz)
6,5 mg/dl bei 28,6 o/o der Männer und 2,6 o/o der Vermehrte Harnsäurebildung mit verminderter
Frauen. In einem stationären Krankengut fanden renaler -ausscheidung (z. B. bei Glykogensrei-
Gröbner und Bantel (1997) eine Serumharnsäure- cherkrankheit Typ I, bei reichlicher Alkoholzu-
konzentration über 6,4 mg/dl bei 36,3 o/o der Männer fuhr)
und 23,7 o/o der Frauen. Ein relativ großer Prozent-
satz der Bevölkerung ist also dem Risiko eines Gicht-
anfalls, einer Uratnephropathie (Gichtniere) oder
Nephrolithiasis ausgesetzt. Die im Rahmen einer Familiäre Hyperurikämie
Uratnephropathie auftretende Hypertonie sowie Über die Art der der familiären Hyperurikämie zu-
die mit Hyperurikämie und Gicht häufig assoziier- grunde liegenden Stoffwechselstörung bestand lange
ten Begleitkrankheiten (Übergewicht, Störungen Zeit Meinungsverschiedenheit. Inzwischen konnte
des Fett- und Kohlenhydratstoffwechsels, essenzielle klar herausgearbeitet werden, dass die familiäre Hy-
Hypertonie), begünstigen das Auftreten einer früh- perurikämie bei der Mehrzahl aller Patienten
zeitigen Arteriosklerose. (ca. 99 o/o) auf einer Störung der renalen Harnsäu-

Tabelle 18-1. Häufigkeit desAuftretenseiner Arthritis urica in Abhängigkeit von der Höhe des Serumharnsäurespiegels. (Mod.
nach Hall et al. 1967)

Serumharnsäurekonzentration [mg/dl] Anzahl der Personen Gichthaufigkeit (%) Relation

< 6 1281 0,6 I: 167

6-6,9 790 1,9 1:53

7-7,9 162 16,7 I: 6

8-8,9 40 25 1:4

9,0 und mehr 10 90 I: I


18.2 Hyperurikämie und Gicht 845

Endogene Exogene synthese sowie infolge einer erhöhten intrazellulä-


Harnsäuresynthese Purinzufuhr ren Konzentration von PRPP (durch verminderten
(- 35 0 mg/die) (> 300 mg/die)
Verbrauch) zu einer vermehrten Harnsäuresyn-
these.

• Phosphoribosylpyrophosphatsynthetase (PRPP-
Synthetase). Wesentlich seltener wird eine gestei-
Harnsäure gerte Aktivität der PRPP-Synthetase als Ursache
Pool einer vermehrten Harnsäurebildung gefunden. Ein
/
Mangel an APRTase führt nicht zu einer Hyper-
urikämie, sondern zur Bildung größerer Mengen
~
Abbau " Ausscheidung
von 2,8-Dihydroxyadenin und als Folge davon zu
Harnsteinen (Abb. 18-1).

Darm Niere Sekundäre Hyperurikämien


20 % 80 % Sekundäre Hyperurikämien sind entweder auf eine
Abb. 18-5. Synthese und Ausscheidung der Harnsäure vermehrte Harnsäurebildung oder eine verminderte
renale Harnsäureausscheidung zurückzuführen (Ta-
belle 18-2). Eine Kombination aus beiden Mechanis-
men wird z. B. bei der Glykogenspeicherkrankheit
reausscheidung, nämlich der tubulären Harnsäure-
Typ I (Glukose-6-phosphatase-Mangel) angetroffen.
sekretion, beruht. Eine vermehrte endogene Harn-
In manchen Fällen ist eine eindeutige pathogeneti-
säuresynthese wird lediglich bei ca. 1% aller familiä-
sche Zuordnung nicht möglich. Sekundäre Hyper-
ren Hyperurikämiker beobachtet. Ursache dieser ge-
urikämien werden z. B. bei hämatologischen Er-
steigerten endogenen Harnsäuresynthese sind En-
krankungen (z. B. Polycythaemia vera), unter dem
zymdefekte des Purinstoffwechsels.
Einfluss von Arzneimitteln (z. B. Saluretika), bei
Nierenkrankheiten sowie bei vermehrter Purinzu-
• Hypoxanthinguaninphosphoribosyltransferase
fuhr mit der Nahrung beobachtet.
(HPRTase). Am häufigsten findet man eine vermin-
derte Aktivität der HPRTase (Kelley-Seegmiller-Syn-
drom; Abb. 18-1). Ein vollständiger Verlust der Gichtanfall bzw. chronische Gicht
HPRTaseaktivität wird beim Lesch-Nyhan-Syndrom Harnsäure kommt im Körper je nach dem pH-Wert
beobachtet. Bei verminderter oder fehlender Aktivi- des Mediums als freie Harnsäure und/oder Urat vor.
tät der HPRTase kommt es infolge verminderter Bil- Dementsprechend entstehen Ausfällungen aus freier
dung von Inosin- und Guanylsäure und dadurch Harnsäure oder Urat, vorwiegend aus Mononatri-
verminderter Rückkopplungshemmung der Purin- umurat Im physiologischen Bereich liegen 97,5%

Tabelle 18-2. Wichtige Ursachen (und Beispiele) sekundärer Hyperurikämien und Gicht; bei den eingeklammerten Angaben
müssen wahrscheinlich für das Zustandekommen einer Gicht hereditäre Faktoren vorliegen

Vermehrte Harnsäurebildung Verminderte renale Harnsaureausscheidung

Chronische myeloi ehe Leukämie ierenkrankheiten

Polycythaemia vera Ketoazidose (Fasten, entgleister Diabetes mellitus)

0 teomyelofibrose Hyperlaktazidämien (hohe Alkoholspiegel, Glukose-


6-Phosphatasemangel)

(Sekundäre Polyglobulie bei Herz- und Lungenerkrankungen) Arzneimittel (Saluretika, Ciclosporin)

(Hämolytische Anämien) Vergiftungen (Blei)

(Vermehrte Zufuhr von ahrungspurinen,


reichliche Alkoholzufuhr)

Glukose-6-Phosphatasemangel

Zytostatische Therapie und Bestrahlung


846 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel

Calor
Abb.l8-6.
Rubor Schematische Darstellung der
Reaktionsfolge des aku ten
Tumor
Gichtanfalls. (Aus Zöllner et al.
Dolor 1996b)

der Harnsäure als Uration vor. Die Uratkonzentra- bunden ist. Sekundäre Pyelonephritis und Harnsäu-
tion in der Gelenkflüssigkeit entspricht der im Se- renephrolithiasis können die Nierenfunktionsein-
rum. Diepathogenetischen Vorstellungen beim aku- schränkung begünstigen.
ten Gichtanfall sind vereinfacht in Abb. 18-6 darge-
stellt. Kommt es durch eine kurzfristige Erhöhung • Harnsäurenephrolithiasis. Bei der Entstehung
des Harnsäurespiegels im Plasma und der Gelenk- von Harnsäuresteinen spielen 3 Faktoren eine Rolle:
flüssigkeit zum Ausfall von Uraten, so verursachen • 1. Erhöhung der Harnsäurekonzentration im
diese eine Mobilisierung und eine Ansammlung von Endharn durch vermehrte Harnsäureausschei-
Leukozyten. Es kommt zur Phagozytose der Uratkri- dung.
stalle mit Zerfall der Leukozyten und Freisetzung • 2. Veränderter renaler Ausscheidungsmechanis-
von entzündungsfördernden Substanzen. Die wäh- mus für Harnsäure bei der familiären Hyper-
rend dieser Vorgänge entstehende Laktatazidose urikämie.
führt zu einem weiteren Ausfall von Kristallen. So • 3. Verringerung der Löslichkeit von Harnsäure
läuft ein Circulus vitiosus immer schneller ab, bis durch vermehrte Harnkonzentrierung und/oder
der Höhepunkt der Entzündung erreicht ist. Die Harnsäuerung.
chronische Gicht ist durch Weichteil- und Knochen-
tophi gekennzeichnet. Im Gegensatz zum akuten Die akute Harnsäurenephropathie ist in der Regel
Gichtanfall ist die Topbusbildung ein chronischer Folge einer gesteigerten Harnsäurebildung mit Hy-
und kontinuierlicher Vorgang, der durch Ablage- perurikämie und stark erhöhter renaler Harnsäu-
rung von meist kristallinen Uraten zustande kommt reausscheidung. Sie findet sich meist bei Patienten
und häufig eine Fremdkörperreaktion hervorruft. mit lympho- oder myeloproliferativen Erkrankun-
Chemische Eigenschaften der bevorzugt befallenen gen unter zytostatischer Behandlung oder Bestrah-
Gewebe, nämlich Gelenkknorpel und -synovien, lungstherapie. Auch zu Beginn einer urikosurischen
Sehnenscheiden und Bursae sowie Helix des Ohres Therapie kann eine akute Harnsäurenephropathie
und Subkutis sind in der Pathogenese wahrschein-
lich von entscheidender Bedeutung.

Renale Komplikationen
Die renalen Komplikationen einer Hyperurikämie
sind in Abb. 18-7 dargestellt.

• Uratnephropathie. Die Uratnephropathie (Gicht-


niere) kann als (primär abakterielle) interstitielle Uratnephropathie
(Gkhtniere)
Nephritis aufgefasst werden, die in vielen Fällen
auch mit einer renalen Hypertonie und einem lang- Abb. 18-7. Renale Folgen einer Hyperurikämie. (Nach Gröb-
sam fortschreitenden Nierenfunktionsverlust ver- ner u. Zöllner 1995)
18.2 Hyperurikämie und Gicht 847

entstehen, wenn nämlich entsprechende Vorsichts- Im späteren Verlaufkönnen alle Gelenke befallen
maßnahmen wie einschleichende Dosierung des werden, ebenso Schleimbeutel, Sehnenscheiden und
Urikosurikums, ausreichende Flüssigkeitszufuhr die Weichteile der Endphalangen. Der erste Anfall
und Harnneutralisierung vernachlässigt werden. klingt auch ohne Behandlung wieder ab und macht
völliger Symptomfreiheit Platz ("interkritische
Gicht"). Ohne adäquate Behandlung wiederholen
18.2.5 sich die Gichtanfälle, es werden nach und nach bis-
Klinik lang noch nicht betroffene Gelenke befallen. Die Ab-
stände zwischen den Gichtattacken werden immer
Symptome und Beschwerden kürzer, die Dauer der Anfälle länger. Es entwickelt
Die klinischen Manifestationen einer Hyperurikä- sich eine chronische Gicht.
mie sind in der folgenden Übersicht wiedergegeben
Chronische Gicht
Klinische Manifestationen der Hyperurikämie
Die chronische Gicht ist durch Weich teil- und Kno-
chentophi gekennzeichnet. Die Gelenkveränderun-
• Akute Arthritis, Sehnenscheidenentzündung,
gen sind Folge der Zerstörung gelenknaher Kno-
Bursitis
chenanteile durch Harnsäureablagerungen. Es
• Chronische deformierende Arthritis (mit periar-
kommt zu Deformierungen der Gelenke, Ankylosen
tikulären und subkutanen Tophi)
sind jedoch selten. Tophi der Weichteile gehen vom
• Harnsäurenephrolithiasis
periartikulären Gewebe, von Sehnenscheiden,
• Uratnephropathie mit Hypertonie
Schleimbeuteln oder der Subkutis der Ohrmuscheln
• Akute Harnsäurenephropathie
aus (Abb. 18-8 und 18-9). Gelegentlich brechen To-
phi nach außen durch, es entsteht dann ein Gicht-
geschwür. Selten können bei Gicht auch neurologi-
Akute Gicht sche Störungen wie z. B. ein Karpaltunnelsyndrom
Der akute Gichtanfall ist meist das erste klinische auftreten. Nicht selten sucht der Patient wegen einer
Symptom einer Hyperurikämie. Er ist durch plötz- Nierenkolik mit Flankenschmerzen und evtl.
lichen Beginn aus voller Gesundheit, enorme Hämaturie den Arzt auf. Eine Harnsäurenephroli-
Schmerzhaftigkeit, Beschränkung auf ein Gelenk so- thiasis kann der Gelenkgicht um viele Jahre voraus-
wie eine intensive entzündliche Reaktion gekenn- gehen und wird in einer Häufigkeit von 20-40 o/o bei
zeichnet (Abb. 18-4). Auslösende Faktoren eines Hyperurikämie und Gicht beobachtet. Symptome
Gichtanfalls sind z. B. vermehrte Purinzufuhr, Alko- einer Uratnephropathie sind
holexzesse oder Arzneimittel wie Saluretika. All- • Proteinurie,
gemeinreaktionen wie Fieber können das Krank- • Hämaturie und
heitsbild begleiten. Am häufigsten ist beim ersten • Leukozyturie.
Gichtanfall das Großzehengrundgelenk betroffen.
Tabelle 18-3 gibt die Häufigkeit des Befalls verschie- 30-70 o/o der Patienten entwickeln eine Hypertonie.
dener Gelenke durch den 1. Gichtanfall wieder.

Tabelle 18-3. Häufigkeit des Befalls verschiedener Gelenke


beim I. Gichtanfall

Betroffenes Gelenk llaufigkcit (%)

Großzehengrundgelenk 80

Sprunggelenk und Fußwurzel 10

Kn~ 5

Fingergelenk 3

Handgelenk 2

Gelenke der kleinen Zehen, Schulter, Selten


Hüfte, Ellenbogen
Abb. 18-8. Tophi im Bereich der Helix des Ohres
848 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel

wie der Feststellung einer Hyperurikämie, wenn


nicht Arzneimittel eingenommen wurden, die den
Serumharnsäurespiegel verändern (Tabelle 18-4).
Die Gicht befällt den Mann, meist im jungen und
mittleren Lebensalter, selten die Frau nach der Me-
nopause. Der erste Gichtanfall klingt auch ohne The-
rapie wieder ab und macht völliger Beschwerdefrei-
heil Platz. Die Anamnese muss sich deshalb aus-
drücklich auch auf frühere Anfälle beziehen. Weite-
re anamnestische Fragen betreffen eine Nephroli-
thiasis, eine Bursitis (z. B. Bursitis olecranii) oder
Tendovaginitis. Unerlässlich ist eine präzise Fami-
lienanamnese (Arthritis, Tophi, Nephrolithiasis,
Niereninsuffizienz). Der Lokalbefund beim Gichtan-
fall besteht aus einer über die Gelenkgrenzen hin-
ausgehenden Schwellung, Rötung und Überwär-
Abb. 18-9. Hand eines Patienten mit chronisch topböser mung (s. Abb. 18-4), extremen Palpationsempfind-
Gicht
lichkeit sowie Einschränkung der passiven und ak-
tiven Beweglichkeit. Die weitere Inspektion des Pa-
tienten betrifft die Suche nach Tophi. Hauptlokalisa-
18.2.6 tion für Weichteiltophi sind Ohrmuscheln, Bursa
Diagnostik olecranii und die Sehnenscheiden an der Streckseite
der Finger (s. Abb. 18-8 und 18-9). Nie unterlassen
Ein Flussschema zur Diagnostik bei Hyperurikämie werden sollte bei Patienten mit Hyperurikämie und
ist in Abb. 18-10 dargestellt. Die Diagnose der Gicht Gicht auch eine Blutdruckmessung.
beruht auf der typischen Anamnese, dem klinischen Jede akute Monarthritis ist gichtverdächtig, be-
Befund, dem Nachweis von Uratablagerungen, dem sonders wenn sie ein Großzehengrundgelenk, ein
Ansprechen auf Kolchizin während des Anfalls so- Sprunggelenk, ein Kniegelenk oder ein Gelenk der

~--F_.m__l~ __m_n_~----~~ ~~---~--ln_IK


___n. __~---nd----~
__hK

Akut aufgetretene Gelenk- Gicht bei männlichen Akute Monarthritis


schwellung, Blutsverwandten evtl. Bursitis (z. B. Bursitis
evtl. früher akut aufge- Nephrolithiasis olecranii)
tretene Arthritiden oder Niereninsuffizienz oder Tendovaginitis
Bursitis oder Tendovag initis Tophi
Nierenkolik Hypertonie
Alkoholabusus
Arzneimitteleinnahme
z.B. Diuretika

Laboruntersuchungen
/
Harnsäure im Serum und 24 - h - Urin, Harnstatus,
Harnstoff, Kreatinin, Elektrolyte, Lipide im Serum
Blutzucker, Differentialblutbild

Technische Untersuchungen
Röntgenaufnahme des betroffenen und kontralateralen Gelenks
Röntgenaufnahme der Vorfüße (Tophi ?)
evtl. Gelenkpunktion zum Nachweis von Harnsäurekristallen Abb. 18-10.
Ultraschall der Nieren, evtl. i. v.-Pyelographie Flussschema zur Diagnostik bei Hyper-
urikämie
18.2 Hyperurikämie und Gicht 849

Tabelle 18-4. Der Einfluss von Arzneimitteln auf den Serumharnsäurespiegel

Senkung des Serumharnsäurespiegels Erhöhung des Harnsäurespiegels


durch: durch:

Xanthinoxidasehemmer (Allopurinol) Zytostatika

Urikosurika Saluretika

alizylate (> 3 g/Tag) Salizylare ( < 3 g/Tag)

Phenylbu tazon (in höherer Dosierung) Phenylbutazon (in niedriger Dosierung)

Oxyphenbutazon (i n höherer Dosierung) Oxyphenbutazon (in niedriger Dosierung)

Phenylindandion Probenezid (in niedriger Do ierung)

Kumarine iridazol (in niedriger Dosierung)

Corticoide ikotinsäure

L-Dopa

Pyrazinamid

Ethambutol

Methoxyfluran

Fruktose-, Sorbit-, Xylitinfusionen

Ciclosporin A

Hand betrifft. Der therapeutische Effekt einer aus- blau (Abb. 18-11). Die Bestätigung der Diagnose er-
reichenden und am 1. Tag einsetzenden Kolchizin- folgt durch die enzymatische Bestimmung der Se-
therapie ist diagnostisch beweisend. Eine Gelenk- rumharnsäure. Die Serumharnsäurebestimmung
punktion mit dem Nachweis von Harnsäure- sollte dabei aus dem Nüchternblut erfolgen, wobei
kristallen in den polymorphkernigen Leukozyten sich der Patient in den Tagen vor der Blutentnahme
der Gelenkflüssigkeit mit Hilfe des Polarisations- wie gewohnt ernähren sollte. Alkoholabusus vor der
mikroskops kann gelegentlich notwendig sein. Die Blutabnahme ist zu vermeiden. Serumharnsäure-
Untersuchung der Kristalle erfolgt im nativen Ge- werte über 6,4 mg/dl sind mit der Diagnose Gicht
lenkpunktat. Im Polarisationsmikroskop ist der vereinbar. In Ausnahmefällen kann ein Gichtanfall
Harnsäurekristall negativ doppelbrechend und par- auch bei einem normalen Serumharnsäurespiegel
allel zur Kompensatorachse gelb, senkrecht dazu auftreten.
Bei Feststellung einer Hyperurikämie müssen
weitere Untersuchungen zur Ursache der Hyper-
urikämie sowie zur Erkennung von Komplikationen
eines erhöhten Serumharnsäurespiegels getroffen
werden (Tabelle 18-5). Proteinurie, Leukozyturie,
Hämaturie und Blutdruckerhöhung weisen auf
eine Beteiligung der Niere bei Hyperurikämie hin.
Abgegangene Nierensteine sind zu analysieren.
Harnsäure in Weichteiltophi lässt sich mit Hilfe
der Murexidprobe nachweisen (Rotfärbung bei Er-
hitzen mit einem Tropfen Salpetersäure).
Besondere diagnostische Bedeutung hat auch der
röntgenologische Nachweis von Knochentophi. Sie
kommen meist im Bereich der Großzehengrund-
und Fingergelenke, meist in Form runder Defekte
ohne sklerosierten Randsaum vor (Abb. 18-12).
Abb. 18-11. Uratkrislalle im Polarisationsmikroskop. Die
gelb erscheinenden Kristalle liegen parallel, die blau erschei- Die Knochentophi sitzen zunächst subchondral, er-
nenden Kristalle senkrecht zur Komp<>nsetorechse reichen aber bald die Gelenkflüchen und zerstören
850 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel

Tabelle 18-5. Wichtige Untersuchungen bei Hyperurikämie

Diagnose Untersuchung

Zur Diagno e bzw. Ausschluss sekundärer Hyperurikämien BB, ierendiagnostik, Arzneimittelanamnese,


ggf. spezifi ehe Untersuchungen (z. B. Laktat im Serum)

Zur Diagno e bzw. Au schluss von Enzymdefekten Quotient Harn äure (mgldl)/Kreatinin (mgldl)
des Purin toffwechsels bei familiärer Hyerurikämie im Spontanurin

Renale Tagesharnsäureausscheidung unter ormalkost


oder standardisierten Ernährungsbedingungen, evtl. unter
isoenergetischer purinfreier Formeldiät

Bestimmung der Aktivität von Schlüsselenzymen des


Purinstoffwechsels (Hypoxanthinguaninphosphoribosyl-
transferase, 5-Phosphoribosylpyrophosphatsynthetase)
aus Erythrozyten (Speziallaboratorien)

Zur Diagnose bzw. Ausschluss von Komplikationen Anamnese (Gichtanfälle, Nephrolithjasis)


einer Hyperurikämie Tophi (Weichteile, Knochen)

Uratnephropathie, Nephrolithiasis (Blutdruck, Harnstatus,


Kreatinin, Harnstoff und Elektrolyte im Serum,
Sonographie der Nieren, ggf. i. v. Pyelogramm,
Steinanalyse)
Zur Diagnose bzw. Ausschluss weiterer Cholesterin und Triglyzeride im Serum , Blutzucker,
Stoffwechselerkrankungen Harnzuckerausscheidung im 24-h-Urin, evtl. oGTT

sie. Gicht ist wie viele Stoffwechselstörungen eine


18.2.7
Folge der Wohlstandsernährung. Zum Ausschluss
Differentialdiagnose
von weiteren Stoffwechselstörungen empfehlen
sich die Bestimmung von Cholesterin und Triglyze-
Hyperurikämie
riden im Serum sowie des Blutzuckers. Eventuell ist
Differentialdiagnostisch ist die familiäre Hyperur-
eine orale Glukosebelastung durchzuführen. Eine
ikämie von sekundären Formen abzugrenzen.
Hyperurikämie ist nicht selten mit einer Hyperlipid-
Zum Nachweis des angeborenen Stoffwechseldefek-
ämie bzw. mit den Komponenten des metabolischen
tes dienen die Familienanamnese und Verwandten-
Syndroms assoziiert.
untersuchungen. Zum Nachweis sekundärer Hyper-
urikämien bedient man sich eines vollständigen
Blutbildes. Störungen der Niere sind durch Untersu-
chung des Harns sowie durch Bestimmung von Re-
tentionswerten und Elektrolyten sowie durch eine
Sonographie zu erfassen. Unerlässlich ist auch
eine präzise Arzneimittelanamnese. Einen moleku-
largenetischen Nachweis der familiären Hyperurikä-
mie gibt es (noch) nicht.

Gichtanfall
Im Vordergrund steht die Differentialdiagnose der
akuten Mon- oder Oligoarthritis. Nahezu alle rheu-
matischen Erkrankungen können in einer dieser
beiden Formen beginnen. Durch gezielte anamnesti-
sche Fragen sowie präzise klinische und laborchemi-
sche Untersuchungen lassen sich die einzelnen Er-
Abb.l8-12. Knochentophi im Bereich der Vorfüße krankungen diagnostizieren .
18.2 Hyperurikämie und Gicht 851

Tophus die Harnsäurebildung hemmen (Urikostatika)


Der Tophus ist differentialdiagnostisch von Rheu- oder die renale Harnsäureausscheidung erhöhen
maknoten, Kalkknoten (Sklerodermie, Dermata- (Urikosurika). In Deutschland gibt es seit Jahren
myositis), Xanthomen, Fingerknöchelpolstern sowie auch eine fixe Arzneimittelkombination, die sich
Herberdenknötchen abzugrenzen. aus dem Urikostatikum Allopurinol und dem Uriko-
surikum Benzbromaron zusammensetzt (Ta-
belle 18-6).
Harnsäurenephrolithiasis und Uratnephropathie
Bei der Differentialdiagnose der Nephrolithiasis ge-
ben Serum- und Harndiagnostik sowie Ausschei-
Da zu Beginn einer medikamentösen harnsäuresen-
dungsurographie wichtige Aufschlüsse. Bei röntgen-
kenden Therapie Gichtanfälle auftreten können,
sollte 3-6 Monate lang eine Kolchizinprophylaxe
negativen Konkrementen sind neben Harnsäurestei-
(0,5-1,5 mg/Tag) durchgeführt werden.
nen auch 2,8-Dihydroxyadenin- sowie Xanthinstei-
ne differentialdiagnostisch in Erwägung zu ziehen.
Bei einer asymptomatischen Hyperurikämie bis
Die Differentialdiagnose der Uratnephropathie um-
etwa 8,5-9,0 mg/dl sind zunächst lediglich Diätvor-
fasst in erster Linie die familiäre juvenile Gicht mit
schriften angebracht. Erst bei Serumharnsäurewer-
Nephropathie, die Niereninsuffizienz bei HPRTase-
ten über 9,0 mg/dl oder bei Vorliegen von klinischen
Mangel, die chronische Bleinephropathie, die chro-
Komplikationen einer Hyperurikämie (z. B. Gicht-
nische Glomerulonephritis sowie die Nierenfunk-
anfälle, Nephrolithiasis) besteht die Indikation für
tionseinschränkung infolge Hypertonie.
zusätzliche medikamentöse Maßnahmen. Diäteti-
sche Maßnahmen machen eine Arzneimitteltherapie
entweder überflüssig oder führen zur Einsparung
18.2.8
von Arzneimitteln.
Therapie

Hyperurikämie • Diät. Präzise Daten über den Zusammenhang


• Prinzipien. Die Therapie der Hyperurikämie und zwischen Nahrungspurinen und Harnsäure konnten
ihrer klinischen Manifestationen strebt eine dauer- durch Verwendung einer isoenergetischen purin-
hafte Senkung des Harnsäurebestands an. Ziel der freien Formeldiät und Zulage von chemisch defi-
Behandlung ist die Senkung des Serumharnsäure- nierten Purinquellen gewonnen werden. Die Ziele
spiegels auf einen Wert von 5,0-5,5 mgldl. Neben der Ernährungstherapie der Hyperurikämie und ih-
diätetischen Maßnahmen als Basistherapie stehen rer klinischen Komplikationen sind in folgender
hierzu Arzneimittel zur Verfügung, die entweder Übersicht wiedergegeben.

Tabelle 18-6. Maßnahmen zur Senkung des Hansäurespiegels

Arzneimittel Dosis Nebenwirkungen

Diät

Urikostatikum Allopurinol I -mal tgl. 200- 300 mg, Gastrointestinale Störungen,


Dosisreduktion bei Nieren - allergische Reaktionen,
insuffizienz Vaskulitis, generalisierte
Allopurinolüberempftndlich-
keitsreaktion, sehr selten gra-
nulomatöse Hepatitis

Urikosurika Probenezid 1-3 g/Tag, 3 Einzelportionen, Gastrointestinale Störungen,


einschleichende Dosierung allergische Reaktionen, sehr
selten nephrotisches Syndrom

Benzbromaron I-mal tgl. 25-100 mg, Gastrointestinale Störungen,


einschleichende Dosierung allergische Reaktionen,
Kopfschmerzen, vermehrter
Harndrang

Kombinierte Behandlung Kombination aus 100 mg I-mal pro Tag Gastrointestinale Störungen,
Allopurinol und 20 mg allergische Reaktionen
Benzbromaron
852 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel

Ziele der Ernährungstherapie der Hyperurikämie durch Allopurinol. Bei gleichzeitiger Gabe von Allo-
und Gicht purinol und 6-Mercaptopurin oder Azathioprin
muss die Dosis der letztgenannten Substanzen um
• Verringerung der Zufuhr von Nahrungspurinen etwa 75 o/o reduziert werden. Allopurinol beeinflusst
• Einschränkung des Alkoholverbrauchs außerdem die Pharmakakinetik von Kumarinderi-
• Normalisierung des Körpergewichts bei Überge- vaten. Auch durch Beeinflussung des Metabolismus
wicht von Theophyllin können Arzneimittelinteraktionen
auftreten. Der Vorteil des Allopurinols gegenüber
Urikosurika liegt in der Hemmung der Harnsäure-
bildung und der dadurch bedingten Verminderung
Zur Verringerung der Purinzufuhr mit der Nahrung der renalen Harnsäureausscheidung. Daraus leiten
empfehlen wir täglich nur einmal Fisch, Fleisch oder sich auch die in der folgenden Übersicht wiederge-
Wurst (100-150 g) zu essen und Innereien zu mei- gebenen unbedingten Indikationen zur Allopurinol-
den. Die Eiweißzufuhr (12-15 Energieprozent) sollte therapie ab.
bevorzugt durch Milch und Milchprodukte sowie
Brot erfolgen. Bei den diätetischen Vorschriften
Unbedingte Indikationen zur Allopurinoltherapie
darf man nicht nur auf den Puringehalt eines Nah-

••
rungsmittels pro Gewichtseinheit achten, sondern
Gichtniere
man muss vielmehr auch den Puringehalt pro Ener-
Harnsäurenephrolithiasis
gieeinheit oder pro Portion in Rechnung stellen (Ta-
belle 18-7). Die Einschränkung der Alkoholzufuhr • Familiäre Hyperurikämie auf der Basis von En-
zymdefekten des Purinstoffwechsels
sowie die Normalisierung des Körpergewichts sind
Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen diäteti- • Lesch-Nyhan-Syndrom
• Verschiedene sekundäre Hyperurikämien

sehen Therapie. Durch eine Wasserzufuhr von 2 1
Allergie oder auch Unverträglichkeit von Uriko-
oder mehr kommt die urikosurische Wirkung der
surika
Diurese zum Tragen.
• Nichtansprechen auf Urikosurika
• Allopurinol. Allopurinol hemmt das Enzym Xan-
thinoxidase und damit die Oxidation von Hypoxan-
thin zu Xanthin und von Xanhin zu Harnsäure • Urikosurika. Unter den Urikosurika (Tabelle 18-
(Abb. 18-13). Außerdem führt Allopurinol zu einer 6) wird am häufigsten Benzbromaron eingesetzt. Die
Hemmung der Purinsynthese de novo sowie zu einer Wirkung der Urikosurika beruht auf einer Hem-
Beeinflussung des Pyrimidinstoffwechsels. Nach mung des tubulären Harnsäuretransports und da-
Verabreichung von Allopurinol kommt es zu einem mit in erster Linie der tubulären Harnsäurerückre-
Abfall der Serumharnsäure und der renalen Harn- sorption. Es kommt dadurch bis zur Einstellung
säureausscheidung bei gleichzeitigem Anstieg der eines neuen Gleichgewichts zu einer vermehrten re-
Ausscheidung von Hypoxanthin und Xanthin im nalen Harnsäureausscheidung (Abb. 18-15), die bei
Urin (Abb. 18-14). Die Tagesdosis von Allopurinol, Patienten mit chronischer Gicht über Monate anhal-
die auf einmal gegeben werden kann, liegt bei ten kann. Dadurch entsteht die Gefahr von tubulä-
200-300 mg, nur in Einzelfällen muss die Dosis ge- ren Harnsäureausfallungen. Urikosurika müssen
steigert werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion einschleichend dosiert werden. Gleichzeitig muss
ist eine Dosisreduktion erforderlich (Tabelle 18-8). auf eine ausreichende Diurese sowie Harnneutrali-
Nebenwirkungen unter Allopurinol sind selten. sierung zu Beginn einer urikosurischen Therapie ge-
Am häufigsten werden gastrointestinale Störungen achtet werden. Urikosurika sollten nur noch bei Hy-
sowie Überempfindlichkeitsreaktionen beobachtet perurikämikern und Gichtpatienten mit normaler
(Tabelle 18-6). Sehr seltene Fälle von Vaskulitis Harnsäureausscheidung und ohne jegliche renale
sind beschrieben worden. Sie sind die Grundlage Symptomatik eingesetzt werden. Als Nebenwirkung
der generalisierten Allopurinolüberempfindlich- werden in seltenen Fällen gastrointestinale Störun-
keitsreaktion. Diese Nebenwirkung wird nur beob- gen sowie allergische Reaktionen beobachtet (Ta-
achtet, wenn bei Niereninsuffizienz mit voller Allo- belle 18-6).
purinoldosis behandelt wird. Jedenfalls empfiehlt es
sich, bei Patienten mit Niereninsuffizienz die Oxipu- • Kombinierte Arzneimitteltherapie. Als fixe Arz-
rinolspiegel zu überwachen und die Plasmaharnsäu- neimittelkombination sind Präparate im Handel, die
re auf nur 5,5 mg!dl zu senken. Einige Interaktionen 20 mg Benzbromaron und 100 mg Allopurinol ent-
des Allopurinols mit anderen Arzneimitteln erklä- halten. Die harnsäuresenkende Wirkung der Kombi-
ren sich durch die Hemmung der Xanthinoxidase nation entspricht etwa derjenigen einer mittleren
18.2 Hyperurikämie und Gicht 853

Tabelle 18-7. Harnsäuregehalt einiger Lebensmittel (berechnet als mg Harnsäure pro 100 g Frischgewicht und pro Portion).
(Aus Zöllner 1990b)

Lebensmittel mg Harnsaure mg Harnsäure Portionsgröße


pro 100 g pro Portion in g

Rindfl ei eh z. B. Braten, roh 140 210 150


Ka lbfleisch z. B. Braten, roh ISO 225 ISO
Gefl ügel z. B. Hu hn , gegrillt, ohne Haut 230 345 ISO
Innereien
Z. B. Kalbsbries, roh 900 900 100
Kalbsleber, roh 240 300 125
Fisch
Z. B. Forelle, ohne Haut ISO 300 200
Karpfen, ohne Haut 110 165 ISO
Fischkonserven
Z. B. Anchovis, ardellen 260 52 20
Milch, Milchprodukte und Eier
Z. B. Vollmilch 0 0
Camembert, 45 % F. i. Tr. 30 15 50
Vallei (I Ei-60 g) 5 3 60
Fette
Z. B. Butter 0 0
Kartoffeln
Z. B. Kartoffeln gekocht 15 23 ISO
Gemüse und Hülsenfrüchte
Z. B. pinat, frisch so 100 200
pargel 25 50 200
Feldsalat 24 7 30
Erb en, grü n, frisch ISO 225 ISO
Rosenkohl 70 lOS ISO
Kopfsalat 10 3 30
Obst
Z. B. Äpfel 15 15 100
Brot- und Backwaren
Z. B. Brötchen 70 31 4S
Mischbrot 84 42 so
äh rmittel und Getreide
Z. B. Rei , natu r, gekocht 50 75 ISO
Nudel n, gekocht 30 45 ISO
Alko holfreie Getränke
Z. B. Bohnenkaffe 0 0 125
Tee 0 0 125
Alkoholische Getränke
Z. B. Vollbier, hell 15 7S 500
Weißwein 0 0 200
854 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel

OH OH OH

(Je) N:rN AN:rN


Xanthin- Xanthin-
oxidase oxidase

H
HO).,_N N
I ~
H
HO NI N
}-oH
H

Hypoxanthin
r Xanthin
r Harnsäure
Abb.18-13.
Umwandlunfl von Hypoxanthin zu Harnsäure
Allopurinol Allopurinol sowie Angri fspunkte von Allopurinol

I Purinfreie Basisdiät
I Allopu rinol 400 mg/die lAuslaßversuch
I Purinzulage

t
Serumharnsäure

5 g
4 -
3 '0\
E
2
800

600 Renale Harnsäure-


41 ausscheidung

.....
400 0\
E
200

0
I I I
Hypoxanthin· und Xanthin-
~j ausscheidung Abb.18-14.

~~
Tagesausscheid~ng (Mittelwerte der Versuchs-
perioden ohne Ubergangsphasen) von Harn-
säure, Hypoxanthin und Xanthin unter purin-
10 20 29
= 37 freier Basisdiät und nach Zulage von Allopurinol
sowie Allopurinol und Ribonukleinsäure (413 mg
Tage Purin-N täglich; nach Gröbner u. Zöllner 1989)

Dosis der jeweiligen Einzelsubstanz (300 mg Allopu- Tabelle 18-8. Richtlinien für die Dosis von Allopurinol bei
rinol, weniger als 100 mg Benzbromaron). Im Ver- eingeschränkter Nierenfunktion. (Nach Cameron u. Sim-
monds 1987)
gleich zu Allopurinol hat das Kombinationspräparat
keine Vorteile. Im Vergleich zur rein urikosurischen Kreatinindearancc Erhaltungsdosis
Behandlung hat das Kombinationspräparat den [mlfminl von Allopurinol
Vorteil, dass bei Therapieeinleitung keine strengen [mgl
Vorsichtsmaßnahmen bezüglich Diurese und Harn- 0 100 jeden 3. Tag
neutralisierung erforderlich sind, da nur geringe
Schwankungen der renalen Harnsäureausscheidung 10 100 jeden 2. Tag
beobachtet werden. Das Kombinationspräparat hat 20 100 tgl.
jedoch den Nachteil, dass es 2 verschiedene Substan-
zen enthält und somit das Risiko nicht dosisabhän- 40 150 tgl.
giger Nebenwirkungen erhöht wird. 60 200 tgl.

80 250 tgl.

;::: 100 300 tgl.


18.2 Hyperurikämie und Gicht 855

Benzbromaronum
100 mg oral
ml/min

01
30 c
mg / Periode -€l
so ~
u
40 "'
~
!3
Harnsäure- 30 5
:~
dearance
20 E
II)
I
Harnsäureausscheidung 10 ~
II)
c Abb.18-15.
0~---L~r-,--,--~~--~~--~-r--~~--LO & Wirkung eines Urikosurikums, dargestellt am
0 2 3 4 5 6 7 8 9 Beispiel vom Benzbromaron (Nach Zöllner et al.
Stunden 1970)

Gichtanfall Uratnephropathie, Harnsäurenephrolithiasis


Zur Behandlung des Gichtanfalls eigenen sich und akute Harnsäurenephropathie
Kolchizin, Indometacin, Acemetacin, Diclofenac Die Behandlung der Uratnephropathie besteht in
und andere nichtsteroidale Antirheumatika (Ta- der Verabreichung von Allopurinol, ausreichender
belle 18-9). Corticoide sollten erst dann eingesetzt Flüssigkeitszufuhr sowie der Behandlung einer
werden, wenn die Beseitigung des Gichtanfalls mit evtl. vorliegenden Hypertonie, Pyelonephritis oder
den erwähnten Arzneimitteln nicht gelungen ist. Nephrolithiasis. Die konservative Therapie der Ur-
Bei diagnostisch nicht gesicherten Fällen ist Kolchi- atnephrolithiasis umfasst neben diätetischen Maß-
zin das Mittel der Wahl. Man gibt im Verlauf von 4 h nahmen die Gabe von Allopurinol, die Harnneutra-
a
4 mg Kolchizin (z. B. Colchicum dispert® 0,5 mg), lisierung durch Alkalizufuhr sowie Maßnahmen zur
dann in Abständen von 2 h 0,5-1,0 mg. Die Höchst- Diuresesteigerung, wie in folgender Übersicht noch-
dosis beträgt am 1. Tag 6-8 mg. Treten Diarrhöen mals dargestellt.
auf, so lassen sie sich meist unter Fortsetzung der
Kolchizinverabreichung durch geeignete Mittel Konservative Behandlung von Harnsäuresteinen
(Tinctura opii, Loperamid oder Diphenoxylat) be-
herrschen. Nach eindeutiger Besserung reduziert • Verminderte Zufuhr von Nahrungspurinen
man die Kolchizindosis im Verlauf einiger Tage. • Harnneutralisation
Bei Fällen, die nicht spätestens am 2. Tag eine Bes- • Diurese (2-3 1/Tag)
serung erfahren, sollte Kolchizin mit Corticoiden • Verabreichung von Allopurinol
kombiniert werden. In diagnostisch gesicherten Fäl-
len kann man nichtsteroidale Antirheumatika wie
z. B. Indometacin (200-400 mg/Tag) oder Diclofe- Die Therapie der akuten Harnsäurenephropathie
nac (150 mg/Tag) einsetzen. Bei den zur Anfallsbe- umfasst neben der Verabreichung von Allopurinol
handlung benötigten relativ hohen Dosen ist auf Ne- die Zufuhr von Alkali zur Verbesserung der Harn-
benwirkungen zu achten. säurelöslichkeit in der Niere sowie Maßnahmen
zur Diuresesteigerung. Meist ist jedoch eine Dialyse-
behandlung erforderlich. Eine rechtzeitig eingeleite-
Tabelle 18-9. Arzneimittel zur Behandlung des Gichtanfalls te Allopurinoltherapie z. B. 24-48 h vor Beginn einer
zytostatischen Therapie sowie reichliche Flüssig-
Präparat Handelsname Dosierung keitszufuhr und Harnneutralisierung stellen geeig-
[mg/Tag l nete Maßnahmen zur Prävention der akuten Harn-
Kolchizin Colchicum dispert~ 6-8 säurenephropathie dar.

lndometacin Amuno 200- 400

Diclofenac Voltaren ISO 18.2.9


Prognose
Piroxicam Felden Initial {1-2 Tage)
40, dann 20
Unter konsequenter harnsäuresenkender Therapie
werden die Patienten nach wenigen Monaten an-
856 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel

fallsfrei. Weichteiltophi verschwinden, Knochenta-


18.4
phi können sich unter Wiederherstellung des Ge-
Adeninphosphoribosyltransferase-Mangel
lenks ebenfalls zurückbilden, meist beobachtet
und 2,8-Dihydroxyadeninlithiasis
man jedoch eine Defektheilung. Die Bildung von
Harnsäuresteinen kann unter Allopurinoltherapie
18.4.1
verhindert werden, Harnsäuresteine können sich so-
Pathogenese
gar auflösen. Keine sicheren Angaben können bis
jetzt bezüglich der therapeutischen Beeinflussung
Bei einem Mangel an Adeninphosphoribosyltransfe-
der Uratnephropathie gemacht werden. Die Progre-
rase, einer autosomal-rezessiv vererbten Störung,
dienz der Uratnephropathie scheint unter Allopu-
wird Adenin mit Hilfe der Xanthinoxidase zu 2,8-
rinol jedoch aufgehalten zu werden.
DHA oxidiert, welches sehr schlecht löslich ist (s.
Abb. 18-1).
18.3
Lesch-Nyhan-Syndrom
18.4.2
18.3.1 Klinik
Pathogenese
Zirka 90 o/o der homozygoten Merkmalsträger haben
Ein kompletter Verlust der HPRTaseaktivität (s. Nierensteine aus 2,8-DHA. Folgen sind Nierenkoli-
Abb. 18-1) wird beim Lesch-Nyhan-Syndrom beob- ken, Harnwegsinfekte und Niereninsuffizienz.
achtet. Charakteristisch für dieses Syndrom sind
eine an das X-Chromosom gebundene rezessive
Vererbung. 18.4.3
Diagnostik

18.3.2 Die Diagnose erfolgt durch die Bestimmung der En-


Klinik zymaktivität in hämolysierten Erythrozyten sowie
durch die Steinanalyse (z. B. Infrarotspektrometrie).
Klinische Zeichen sind Gicht mit Gichtarthritis,
Gichttophi, Gichtniere und Uratnephrolithiasis so-
wie zentralnervöse und neurologische Störungen. 18.4.4
Diese äußern sich in einer meist in den beiden ersten Therapie
Lebensjahren auftretenden Choreoathetose, geisti-
ger Unterentwicklung sowie in einem eigenartigen Die Therapie besteht in purinarmer Diät, reichlicher
selbstverstümmelnden Beißen der Lippen und Fin- Flüssigkeitszufuhr und Gabe von Allopurinol.
ger.

18.5
18.3.3 Xanthinurie
Diagnostik
18.5.1
Die Diagnose erfolgt durch Bestimmung der Pathogenese und Klinik
HPRTaseaktivität in hämolysierten Erythrozyten.
Bei Vorliegen einer Schwangerschaft und Verdacht Die Xanthinoxidase katalysiert die Oxidation von
auf diese Chromosomenanomalie kann mittels Am- Hypoxanthin zu Xanthin und Xanthin zu Harnsäure
niozentese ebenfalls die Diagnose gestellt werden. (Abb. 18-13). Bei Patienten mit Xanthinurie ist die
Harnsäurekonzentration im Plasma und Urin er-
niedrigt, während die renale Ausscheidung von Hy-
18.3.4 poxanthin und Xanthin deutlich erhöht ist. Ein au-
Therapie tosomal rezessiver Erbgang wird vermutet, etwa
30 o/o der Patienten mit Xanthinurie haben Harnstei-
Die Behandlung von Patienten mit Lesch-Nyhan- ne aus Xanthin, einige Fälle von Myopathie sind be-
Syndrom besteht aus der Verabreichung von Allo- schrieben.
purinol, reichlicher Flüssigkeitszufuhr sowie sym-
ptomatischen Maßnahmen.
18.7 Störungen der Immunantwort 857

18.5.2 Literatur
Therapie
Beck LH (1986) Requiem for gouty nephropathy. Kidney int
30: 280
Die Therapie besteht aus einer purinarmen Kost und Cameron JS, Simmonds HA(l987) Use and abuse of allopuri-
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Verlagsgesellschaft, Stuttgart
zyklus des Muskels. Neben dem autosomal-rezessiv Gröbner W, Wolfram G (1990) Der Einfluss von Purinen in der
vererbten Enzymdefekt gibt es eine erworbene Nahrung auf den PurinstoffwechseL In: ZöllnerN (Hrsg)
Form. Ein sekundärer MAD-Mangel ist bei Kolla- Hyperurikämie, Gicht und andere Störungen des Purin-
haushalts. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo,
genasen mit Vaskulitis, bei Polymyositis und Der- s 31
matomyositis beobachtet worden. Gröbner W, ZöllnerN (1989) Differentialindikation Urikosu-
rika und Allopurinol. Klin Wochensehr 67: 313
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Löffler W, Gröbner W, ZöllnerN (1983) Harnsäuresenkende
18.6.3 Wirkung einer Kombination von Benzbromaron und Al-
Diagnostik lopurinol. Untersuchungen unter standardisierten Ernäh-
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Die Diagnose wird durch den fehlenden Ammoniak- Assoc 271 : 302
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Störungen der Immunantwort ZöllnerN Dofel W Gröbner, W (1970) Die Wirkung von Benz-
bromaron auf die renale Harnsäureausscheidung Gesun-
der. Klin Wochensehr 48: 426
Bei einem Mangel an Adenosindeaminase entwik- ZöllnerN, Griebsch A, Gröbner W (1972) Einfluss verschiede-
kelt sich ein schwerer kombinierter Immundefekt, ner Purine auf den HarnsäurestoffwechseL Ernährungs-
während der Mangel von Purinnukleosidphospho- umschau 3 : 79
Zöllner N, Gröbner W (1977) Dietary feedback regulation of
rylase zu einem zellulären Immundefekt führt. Beide purine and pyrimidine biosynthesis in man. Ciba Pounda-
Erkrankungen treten sehr selten auf. tion Symp 48: 165, 1977
858 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel

Zöllner N, Gröbner W, Gresser U (1996a) Gicht und andere Zöllner N, Gröbner W (Hrsg) (1976) Gicht. Springer, Berlin
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s 545
Sachverzeichnis

A Adrenalektomie 88, 510 - Renin-Angiotensin-Aldosteron


adrenaler Infarkt 62 (s. dort) 485-519
Acanthosis nigricans 595 Adrenalin 521, 536, 611, 628, 708 - Suppression 354
Acarbose 690 Adrenalitis, tuberkulose 58 - Synthetase (P450c11AS/
ACE (Angiotensin Converting Adrenarche 160 CYP11B2) 486-488
Enzyme) 491 - prämature 201-202 - - Defekt/Mangel 495, 497, 499
- ACE-Hemmer 499 az-adrenerge Rezeptoren 611 - - - Typ I 495, 499
- ACE-Inhibitoren 756 ß-adrenerge Rezeptoren 611 - - - Typ II 495, 499
ACTH 51, 53-55, 369 "adrenocortical auto-antibodies" - Wirkung 493
- Kurztest 64, 72 65 - - zentralnervöse 493
- Stimulationstest (ACTH-Test) 72, adrenogenitales Syndrom Aldosteron-escape-Phänomen 493
207, 219, 369 (AGS) 211-222 Alendronat 461
Addison-Erkrankung 58-69, 648 - Diagnostik 218-220 Alkalose 509
- Addison-Krise 21, 68-69 - 11ß-Hydroxylasedefekt 217 - metabolische 509
- Nebenniereninsuffizienz, primäre - 17a-Hydroxylase-/17,20-Lyase- - respiratorische 509
(s. dort) 58-69, 115, 355, 368, 371, Defekt 217-218 Alkohol 280, 338, 635, 650, 711, 784,
409, 492, 494 - 21-Hydroxylasedefekt 212-216 786
Adenektomie, transsphenoidale 42, - - nichtklassisches 216 - Entzug 338
342 - 3ß-Hydroxysteroiddehydrogenase- Allopurinol 852
Adeninphosphoribosyltransferase defekt 217 - bei eingeschränkter Nierenfunktion
(APRTase) 841 - Klassifikation 212 854
- Mangel 856 - Neugeborenenscreening 219-220 Allopurinoltherar.ie 852
Adenoviren 113 - Pränataltherapie 221 - generalisierte Uberempfindlich-
Adenylatzyklase 339 - StAR-Protein 218 keitsreaktion 852
ADH (antidiuretisches Hormon, Adrenoleukodystrophie 60-61 Alopezie/ Alopezia
Vasopressin) 333-335, 356 Adrenomyeloneuropathie 60-61 - androgenetische 223, 310-313
- ADH-Leck 354 Adrenostatika 82 - - Diagnostik 311-313
- Antagonisten 360 Adynamie 438 - - Therapie 313
- Bestimmung 348 Agalaktie 33 - areata 224
- Freisetzung AGEs ("advanced glycation - diffusa der Frau 222-230
- nichtosmotisch be- endproducts") 618, 740 - - Definition 223
dingte 337-338 AGS (s. adrenogenitales Syndrom) - - Diagnostik 227-228
osmotisch induzierte 337 211-222 - - Inzidenz 223
- Mangel (Diabetes insipidus) AIDS 62, 341, 343 - - Therapie 228-230
340-351 Akne 20 a-Rezeptoren 525
- - absoluter 241 Akromegalie 21-28 - a 1-adrenerge 526
- - Diagnostik 346-348 - Diagnostik 24-26 Alter (s. auch Seneszenz) 307, 338
- - Frühsymptome 342 - Pharmakatherapie 26 Aluminium 415
- - Prävalenz 341 - Therapie 26-28 Aluminiumintoxikation 408
- - relativer 344 - - operative 26 Alzheimer-Demenz 338, 761
- - Therapie 349-351 Akropachie 126 Amaurosis fugax 696
- bei Nebenniereninsuffizienz Aktinomykose 69 AME ("a,pparent mineralocorticoid
355 Akut-Phase-Proteine 112 excess ) 503
- Reserve 344 Albuminausscheidung 751 - AME-Syndrom 492, 503, 510
- Resistenz 351 Albuminurie 751, 755 Amenorrhö 33, 36, 38, 321, 580, 583
- Rezeptoren 338 - Makroalbuminurie 755 - primäre 169
- Sekretion - Mikroalbuminurie 751, 755 Amilorid 352
- - ektope 353 Aldosereduktase 622, 747 Aminoglutethimid 99, 514
- - eutope 353 Aldosereduktase-Polyol-Pathways Aminoguanidin 621, 749
- Synthese 335, 353 747 Aminosäuren 610, 611
- - ektope 353 Aldosteron 485, 488, 504, 506 - glukoplastische 608
- - orthotope 353 - Produktion 488 Amiodaron 116, 119
Adipositas 589-600, 614 - - Adenom, aldosteron- Amnion 166
- abdominelle 592, 602 produzierendes (AP A) 506 Amotio retinae 744
- Epidemiologie 589 - - - APA/idiopathischer Hyper- 3'-,5'-AMP 610
- Ernährungstherapie 596-598 aldosteronismus 509 Amputation 737, 760, 770
genetische Prädisposition 590 - - Nebennierenkarzinom, Amyloidase 408, 426, 527
- Lebenserwartung 592 aldosteronproduzierendes 502 Anabolika 463
860 Sachverzeichnis

Analgetika 768 Arachnodaktylie 18 A-Betalipoproteinämie 816


Androgen 189, 248, 250-253 Arterial Arteriae bewegungsabhängige Thermogenese
- Mangel, adrenaler 66 - A. carotis Aneurysma 107 576
- Mangelsyndrom 63 - A. cerebri communicans anterior, Bewegungsmangel 590
- Resistenzsyndrom 282-289 Aneurysmablutungen 343 Bewegungssteigerung 596, 598
- Rezeptor 250, 251, 283 - A. hypophysea inferior 334 Bewusstseinsstörungen 359
androgenitales Syndrom mit Salz- Arteriosklerose 717, 784 Biguanide 690
verlust 499 Arthritis Bilirubin, Hyperbilirubinämie 700
Aneurysma 324, 341 - akute 847 "binge-eating-disorder" (BED) 588
- Arterial Arteriae - Arthritis urica, Häufigkeit 844 Bioimpedanzanalyse 595
- - carotis 107 chronische deformierende 847 Bisphosphonate 436, 461-462, 476
- - cerebri communicans anterior - Monarthritis 850 Blasenentleerungsstörung 763
343 - Oligoarthritis 850 Blasenmole 141
- Blutungen 343 Astonin H 499 a-Blocker 784
- Mikroaneurysmen 740 Äthanol 142 ß-Blocker 591, 757, 784
Angiogenese 626, 627, 736 Äthanolinstillation 136 Blutdruck 723
Angiographie 731 atriales natriuretische Peptid Blutdruckmessung 752
- Fluoreszenzangiographie 741, 743 (ANP) 354, 516 - 24-h- 752, 766
- Koronarangiographie, Indika- Augeninnendruckmessung 129 Blutdruckprofli, 24-h- 25
tion 722 Augenmuskeln 124, 345 Blutdruckregulation 483 ff.
- Nieren 517 - Lähmungen 345 Blutfette 724
Angioplastie - Verdickung 124 Blut-Hirn-Schranke (BHS) 336, 630
- Laserangioplastie 736 Autoantikörper 366 Blutsenkungsgeschwindigkeit
- perkutane transluminale Autoimmunadrenalitis (poly- (BSG) 112
(PTA) 736 glanduläre Insuffizienz) 58-60 Blutvolumen
Angiotensin - Typ I 59-60 - effektives arterielles 356
- Angiotensin I 490 - Typ II 60 - - erniedrigtes (EABV, s. dort) 356
- Angiotensin II 337, 338, 489-491, Autoimmunhyperthyreose - venöses 356
748, 756 (Morbus Basedow) 124-128 Blutzuckerkontrolle 614, 671
- Angiotensin Converting Enzyme - Diagnose 126-127 "body-mass-index" (BMI, Körper-
(s. ACE) 491, 499, 756 - Symptome 125-126 massenindex) 579, 594, 683
- Rezeptoren (AT) 489, 748 - Therapie 127-128 Borneville-Pringle-Syndrom 532
- - AT 1 489 Autoimmunprozessl-reaktion 366, Bradykardie 108
- - AT 2 489 655 "brain natriuretic hormone" 357
Angiotensinogen 489, 490 Autoimmunthyreoiditis 114-118, Bromocriptin 27, 36, 42-44, 122,
Angiotensinogenderivate 489 368-369 269, 324
a-ANH 357 - Diagnostik 116-117 Bronchialkarzinoid 83
Anionenaustauscher 832 - Prävalenz 115 Bronchialkarzinom 354
- Cholestyramin 832 - Therapie 117-118 - kleinzelliges, Chemotherapie 358
- Colestipol 832 Autoimmunthyreopathie 119 Brustdrüse 31-33, 47
Anisokorie 764 Autonomie der Schilddrüse (s. Brustentwicklung nach Tanner 292
Anisomastie 34 Schilddrüsenautonomie) 130-136 Bulbocavernosus-Reflex-Latenz-
Anorchie 271 AVP, genuines 350 zeit 786
Anorexia nervosa 424, 583 AVP-NP-II -Gen, Produkte 335 Bulimia nervosa 586-588
Anovulation 32, 178 Axillarbehaarung, Fehlen von 355 Bursitis 847, 848
ANP (atriales natriuretische Peptid) Azetylcholin 611 - B. olecranii 848
354, 516 Azidose, urämische 498 Bypassoperation 726, 737
Antazida 427 Azoospermie 19
Antiandrogene 209
Antibiogramm 769
Antibiose 776
c
B
Antidepressiva 338 Cabergolin 20, 27, 37, 42, 43, 269
Antidiurese 351 Bagatellverletzungen 770 Calcitonin (s. Kalzitonin) 148
antidiuretisches Hormon (s. ADH) Bardet-Biedl-Syndrom 266 Calcitriol 425
333-335 Barerezeptoren 338 Calcium-"sensing"-Rezeptor
Antiepileptika 412, 424 Barr-Körperchen 257 (s. auch CaSR) 367
Antigen präsentierende Zelle 654 Bartter-Syndrom 516-518 Candidiasis 369
Antikoagulanzien 735 Bartwuchs 255 - mukokutane 368
Anti-Müller-Hormon (MIS) 243 Basalganglienverkalkungen 410 Captopril-Test 507, 508
Antioxidanzien 725 Basaltemperatur 178, 180 Carbamazepin 338, 350, 358
Antirheumatika, nichtsteroide 855 Basedow-Erkrankung 60, 109 Carbimazol 127
Anti-TPO 367 - Autoimmunhyperthyreose (s. dort) Carnitinpalmitoyltransferase
Apo-B-100-Defekt, familiärer 124-128 (CPT-1) 614
(FDB) 825 Bassen-Kornzweig-Erkrankung 816 CaSR (Calcium-"sensing"-Rezeptor)
Apo-Cu-Manset 829 Beatmung mit posistivem endex- 367
Apolipoproteme 808 spiratorischen Druck (PEEP) 358 CaSR-AK 367
Appendixkarzinoid 551, 559, 560 Befruchtung 162 Catecholamin-0-Methyltransferase
APUD ("amine and precursor uptake Begleithyperprolaktinämie 40 523
and decarboxylation") 547, 625 Benfotiamin 768 "cerebral salt wasting syndrom"
Aquaporin-2 339 Benzbromaron 852 (CSWS, Salzverlustsyndrom,
- Konzentration im Urin 356 Bestrahlung 27, 45, 82, 106 zerebrales) 357
Aquarese 338 - stereotaktische 124 "chain cleavage enzyme"
Aquaretika 360 ß-Rezeptoren 525 (P450scc) 485-487
Arachidonsäuremetaboliten 610 - ß1-adrenerge 526 Charcot-Osteoarthropathie 775, 777
Sachverzeichnis 861

Chemosis 129 - adrenale 86-88 17-Desoxy-Syntheseweg 486


Chemotherapeutika 279 - - Diagnostik 87 Dexamethasongabe 508
Chemotherapie 557, 642 - - Therapie 88 - Dexamethason-Kurz-Test 78, 92,
Chiasma opticum 21, 123 - ektope 83-86 207
- Kompression 22 - - Diagnose 84-85 Dextro OGT 19
- Syndrom 39, 324 - - Therapie 85-86 D-Halogenasen 106
Chlormadinonacetat 209 - exogene 88-89 DHEA (Dehydroepiandroste-
Chlorpromazin 338 subklinisches 96 ron) 248
Chlorpropamid 338, 350 - zentrale 75-83 DHT (5a-Dihydrotestosteron) 250,
Cholecalciferol 413 - Diagnose 78-81 253
Cholecystokinin 611 - - Differentialdiagnose 79 Diabetes
Choleretika 19 - - Ekchymosen 77 - insipidus 325
Cholesterin 121, 807 - - Inzidenz 76 - - autosomal-rezessiver 352
- HDL- 687 Myopathie 77 - - familiärer 344
- LDL- 687 - - Osteoporose 78 hypersalaemicus 343, 349, 350
- Hypercholesterinämie 108, 718, - - Striae, livide 77 idiopathischer 345
824, 825 Cyclophosphamid 338 - - kongenitaler (angeborener)
- Rücktransport 813 CYP11B1 (11ß-Hydroxylase) 351-353
Cholesterindesmolase/3 ß-Hydro- 486-488, 495 - - - nephrogener 346
xysteroid-Dehydrogenase 495 CYP11B2 (Aldosteronsynthetase) - - posttraumatischer 345
Cholesterinester 807 486-488, 495 - - Remission 345
Cholestyramin 832 Cyproheptadien 582 - - renalis, erworbener 352-353
Cholezystokinin (CCK) 549, 590 Cyproteronacetat 209 - Ursachen 352
Cholezystolithiasis 19 C-Zellen 407 sekundärer 341, 345
Chondrodysplasie, Typ Jansen 406 C-Zellkarzinom 389 Selbsthilfegruppen 350
Chromogranine 537, 643 - - Suchtest 346
- Chromogranin A 537 - - Symptome 345
Chvostek-Zeichen 411 D - - X-chromosomaler 351-352
Chylomikronämie, familiäre 828 - - zentralis 341, 345
Chylomikrone 813 Dalrymple-Zeichen 129 - mellitus 24, 115, 227, 279, 343, 527
Ciclosporin A 120, 207 Darmerkrankungen, entzündliche Coma diabeticum 337
Cisterna magna 19 279 - - Fetopathia diabetica 700
Claudicatio intermittens 729, 774 Dawn-Phänomen 667 Fußsyndrom, diabetisches 760,
CLL (Leukämie, chronisch DAZ ("deleted in azoospermia")-Gen 768-778
lymphatische) 340 257 - - Gastroparese, diabetische 714
Clodronat 423, 436 DCCT-Studie 707, 754, 760 - - Gestationsdiabetes 704-707
Clofibrat 338, 350 DDAVP (s. Desmopressin) 343, 346, - - Kardiomyopathie, diabetische
Clomiphen 182, 280 349 719
Clonidin 784 DDD 99, 119 o,p- Katecholamine 527
- Test 536 Dehnungsrezeptor im linken Vorhof ketoazidotisches diabetisches
Clozapin 582 338 Koma 498, 658, 672
Coma diabeticum 337 Dehydratation 63 - - KHK (koronare Herzkrankheit)
Conn-Adenom 501, 502 - hypertone 344, 351 716-727
Cooper-Ligament 31 - - neurologische Symptomatik Nephropathie, diabetische 496,
Corpus callosum 19 351 745-759
Corpus luteum 159, 164 Dehydroepiandrosteron - - Neuropathie, diabetische
- Insuffizienz (DHEA) 248 759-768
(s. auch Lutealinsuffizienz) 38, 47, Dehydroepiandrosteron-Sulfat 63, Retinopathie, diabetische
178 93 738-745, 751
Corticoide 855 Dehydroxyphenylserin 529 Spätschaden, diabetiseher
Corticosteron 488, 506 - DL- 529 614
- 18-0H-Corticosteron 488, 506 - L- 529 - - Typ I 60, 368, 371, 653-673
Cortisol 19, 606, 628, 648 DEKAN-Studie 768 - - - Epidemiologie 653, 654
- Biosynthese 52 Demeclocyclin 358 - Ernährung 655, 663, 670
- Defizitf-mangel 344, 355 Demenz - Schulung 663, 669, 670
- Freisetzung 708 - Alzheimer- 338, 761 - - - Therapiekontrollen 670, 671
- Metabolismus, Enzymdefekte 503 - senile 761 - - Typ II 591, 645, 673-698
- Sekretion, autonome 93 Demineralisierung 457 - - - Diagnostik 684-688
Cowper-Drüsen 246 Demyelinisierung 359 Epidemiologie 674, 675
Coxackieviren 113 "densely granulated" laktotrope - Ernährung 690
C-Peptid-Suppressions-Test 637 Zellen 37 Genetik 680-682
CPM (Myelinolyse, zentrale pontine) Deoxyglukoson 618 - - - genetische Disposition 675
358, 359 Depressionen 416 kardievaskuläre Risiko-
C-reaktives-Protein 112 Dermeidzysten 40 faktoren 694
CRH 53 Desmolase 285 17,20- - Primärprävention 688
- Test 72, 73 Desmopressin 343, 346, 349 - - - Schulung 689
CSWS ("cerebral salt wasting - Applikation 349 Sekundärprävention 689
syndrom", Salzverlustsyndrom, Bioverfügbarkeit 349 - Symptome 684
zerebrales) 357 Dosierspray 349, 350 - Therapie 694
CT (Computertomographie) 108 Halbwertszeit 349 Umwelteinflüsse 682
- Nieren 517 - Körpergewicht 350 Diabetesrisiko 705
CTG (Kardiotokographie) 700 Kontraindikation 349 Diacylglycerin (DAG) 623
Cushing-Erkrankung 75-89, 503, - Nebenwirkungen 350 Diacylglycerol 747
601, 602 Patientenschulung 350 Diarrhö 509, 551
862 Sachverzeichnis

Diät E - Hyperurikämie 851


- Diätstörungen 352 - kalorienreduzierte 596, 598, 600
- eiweißreduzierte Kost 757 EABV (erniedrigtes effektives - Mischkost 597
- Formula-Diät 597, 600 arterielles Blutvolumen) 356 - parenterale 415
- Hyperurikämie 851 - Laborwerte 356 - Schwangerschaft 703
- kalorienreduzierte 596, 598, 600 - Symptome 356 Ernährungstherapie 596-599
Diazmcid 641, 642 EGF ("epidermal-growth"-Faktor) Erythema necrolyticans migrans
Dicarbonyl-Zwischenprodukte 618 137 564-566
DIDMOAD-Syndrom 343 Einblutungen 329 Erythropoese 253
Di-George-Syndrom 408 Eisenmangelanämie 227 Essstörungen 348
Digitalis 439 Ejakulation 258 Essverhalten, gezügeltes 586
- Intoxikation 499 Ejakulationsuntersuchun- Etidronat 436, 461
5a-Dihydrotestosteron (s. DHT) 250 gen 257-259 Etomidate 83
2,8-Dihydroxyadenin 845, 851 Ejakulatparameter 308 Exophtalmometrie 129
2,8-Dihydroxyadeninlithiasis 856 Ejakulatvolumen 258 Exophtalmus 124
1,25-Dihydroxyvitamin D<3> 413, Ekchymosen 77 Exozytose 339
424, 471 Eklampsie 699 Extrazellulärvolumen 352
25-Dihydroxyvitamin D<3> 471 Ektoderm 164 Exsikkose 438
Diiodtyrosin 105 Elektrolytstörungen 352
Dipsomanie 348 Elektromyographie 786
Diurese Embolisation 641 F
- forcierte 423, 436 - Leberembolisation 557
- osmotische 349 Embryonalentwicklung Fabry-Erkrankung 839
Diuretika 352, 784 - Frau 162 familiäre autonome Dysfunktion
- Thiaziddiuretika 352, 436 - Mann 242-254 (Rily-Day-Syndrom) 527
Diuretika 583 Embryonalperiode 164 Farbdoppler 117
DNA "binding domain" 491 Eminentia mediana 334 C-Fasernneuropathie 772
DOC 488, 506, 510 Empty-Sella-Syndrom 107 Fasten 580
- NN-Tumor, DOC-produzierender endometriales Karzinom 592 FDB (familiärer Apo-B-100-Defekt)
510 Endometriumbiopsie 181 825
Dominanzphase 159 Endoprothesen (Stents) 736 18-FDG-(Fluordesoxyglukose-)
Dopamin 439, 521, 577 Endosonographie 377, 638 Positronenemissionstomographie
Dopamin- ß- Hydroxylase-Mangel Endothel 654 146
527, 528 Endothelzellen 616, 620 Feminisierung, testikuläre 283-286
Dopaminagonisten 19, 20, 27, 42-44, Energiehaushalt, Störungen 573-603 - Diagnostik 284
46, 269, 324 Energieverbrauch 575-579, 590, 601 - Therapie 286
- Nebenwirkungen 42, 43 Entoderm 164 Ferritin 121
Dopaminstoffwechsel 40 Entwicklungsbeschleunigung, Fertilität 308
Dopplerdrucke 731 konstitutionelle 16 Fetalperiode 164
Dopplersonographie, farbko- Entwicklungsverzögerung, Fetopathia diabetica 700
dierte 134 konstitutionelle (KEV) 262 a-Fetoprotoprotein 701
Dostinex (s. auch Cabergolin) 269 Enuresis nocturna 345 Fett, Blutfette 724
Druckregulation 338 Enzephalitis 341, 349 Fettgewebe, viszerales 594
DSA (digitale Subtraktionsangio- Enzephalopathie, hyponatriämische Fettoxidation 590
graphie), Nieren 517 355 Fettsäuren 607
DSHA 511 "epidermal-growth"-Faktor (s. EGF) - freie 683, 807, 808
D-Thyroxin 120 137 Fettsäureoxidation 714
Ductus Epididymis 244 Fettzellen 592
- deferens 244 Epiphysiolyse 429 Fetus 164
- ejaculatorius 244, 245 Epithelkörperchen 408 FGF ("fibroblast-growth"-Faktor)
thyreoglossus 104 Epithelkörperchenadenom 416 137
- D. thyreoglossus-Karzinom 144 Erbrechen 509, 583 FHH (Hyperkalzämie, familiäre
Dumping 651 - selbstinduziertes 587 hypokalziurische) 404, 415, 420
- Früh-Dumping 651 erektile Dysfunktion 295-300, Fibrate 833, 695
- Spät-Dumping 651 783-790 Fibrin 142
Dunhili-Operation 128 - Anamnese 785 "fibroblast-growth"-Faktor (s. FGF)
Duodenaltumoren 375-376 - Diagnostik 297 137
Duplexsonographie 731, 774 - Inzidenz 296 Fibronektin 736, 746
Durst 337 - psychogen bedingt 785 Fibrose, zystische 294
- imperativer 345 - Therapie 298-300 fibrovaskuläre Proliferation 744
Durstfieber 346, 352 Erektiometer 786 Fieber 111, 349
- bei Kindern, morgendliches 345 Erektionshilfen 299 "fish eye disease" 817
Durststillung 337 Erektionsstörung 296-297 Flare-up-Effekt 183
Durstversuch, DDAVP 346 Ergometrie, Laufbandergometrie 730 Fludrocortison 529
Dysarthrie 359 Ernährung 655, 831 Fluoreszenzangiographie 741, 743
Dysbetalipoproteinämie 816 - Anamnese 580 Fluoride 462-463
Dysgerminom 40, 324 - beim Diabetes mellitus Fluoxetin 585, 588
Dyslipidämie 758, 815 - - Typ I 655, 663, 670 Flush 551, 554
Dyslipoproteinämie 591 - - Typ II 690 Follikelphase 158
Dysphagie 359 Diät (s. dort) 352, 597, 600 follikelstimulierendes Hormon
- eiweißreduzierte Kost 757 (s.FSH) 157,181,182,246,256,785
- Harnsäuregehalt einiger Foramen coecum 104
Lebensmittel 853 Frakturbehandlung 464
- hyperkalorische 590 Framingham-Studie 844
Sachverzeichnis 863

Frederickson-Einteilung 830 - Mangel 7-15 - Synthese 612


Freiwasserclearance 347 - - Diagnostik 11-13 Glykogenolyse/Glukogensynthese
- positive 359 - - Erwachsenenalter 11, 12, 14, 15 613
Friedewald-Formel 687, 830 - - idiopathischer 9 Glykogenspeicherkrankheit 714,
Fruktose 259 - Kindesalter 10, 11, 13, 15 845
Fruktosediphosphatase 657 - - Therapie 13-15 Glykolyse 613, 614, 623, 727
FSH (follikelstimulierendes Hormon) - Sekretion 4-5 Glykosphingolipid 747
157, 181, 182, 246, 256, 785 - Wirkungsmechanismen 5-6 Glykotoxine 618
Funduskamera 741 GH-Exzess 22 Glykoxidation 617
Funiculus spermaticus 245 GHRH-Hypersekretion 22 GnRH (Gonadotropin-releasing-
Fusssyndrom, diabetisches 760, Gicht (s. Hyperurikämie und Hormon) 183, 246, 261, 265, 280
768-778 Gicht) 842-856 - Agonisten 302
- neuropathisch bedingte Fußfehl- Gichtgeschwür 847 - Pumpe 167
belastung 770 Gichtniere (s. auch Uratnephropathie) - Test 170, 257
- Schulung 778 846, 847, 852 - Therapie 47
Fussvisite 774 Gigantismus, hypophysärer 16, 17, - - pulsatile 171
19 GnRH-assoziiertes Peptid (GAP) 30
- Dopaminagonisten 19, 20 Gonadarche 161
G Somatostatinanaloga 19 Gonadendysgenesie 175
- Strahlentherapie 19 Gonadenfunktionsstörung 40
GABA-synthetisierte Glutamatsäure- - Therapie 19-20 Gonadenleiste 242
decarboxylaseenzym 662 Glandulae bulbourethrales 246 Gonadotropine 246-248, 280
GAD (Glutamatdecarboxylase) 367, Glaskörperblutungen 744 Gonadotropin-releasing-Hormon
659 Gleithoden 270 (s. GnRH) 183
Galaktokinese 32 Gliome 107, 324 G-Protein 339, 404
Galaktopoese 31-32 Gliose 344 G-Proteinmutation 131
Galaktorrhö 25, 33, 39, 40, 170 Globozoospermie 259, 277 Grad der Behinderung (GdB) 351
gamma-knife-Therapie 37, 42, 45, Glockenthorax 469 Gradient, osmotischer 339
124 GLP ("glucagon-like peptide") Graefe-Zeichen 129
Gangliosidosen 839 611 Granulozytopenie 127
- GM! 839 Glucocorticoidbiosynthese 53 "growth hormone" (s. GH) 3 ff.
- GM2 839 Glucocorticoide 51 ff., 338, 591 Grundumsatz 576
Ganzkörperszintigraphie 147 - Substitution 65-67 Gs-Proteinmutation 37
GAP (GnRH-assoziiertes Peptid) 30 glucocorticoid-supprimierbarer - Gs-a-Protein-Mutation 110
Gastrin 19, 376, 549, 550 Hyperaldosteronismus 502, 506, Guil1ain-Barn~-Syndrom 527
Gastrinom 376, 379, 381, 560-562 510, 513 Gynäkomastie 289-293, 513
- sporadisches 379 Glukagon 376,547,549,606,628,708 - Diagnostik 292
Gastritis, atrophische 115 - als Gegenspieler zu Insulin 613 - pathologische 290-291
Gastrointestinaltrakt, endokrine - Rezeptor 613 - physiologische 290
Tumoren (ohne MEN) 547-571 - Sekretion 613 - Therapie 293
Gastroparese, diabetische 714 - Test 537
Gaucher-Erkrankung 838 Glukagonom 376, 381, 564-566
GdB (Grad der Behinderung) 351 Glukogenolyse 627 H
Geburtshelferhand 411 Glukokinase 609, 680
Gefässpermeabilität 739 Glukoneogenese 580, 592, 627, 714 Haarentwicklung 252-253
Gefässsystem 253 Glukopenie, zerebrale 709 Haarfollikel 311
Gefässverschluss 739 glukoplastische Aminosäuren 608 Haarzupf-Test 227
Gefässwiderstand, peripherer 493 Glukose 605-805 Habitus
Gegenregulation 709 - Produktion 607 - akromegaler 22
Gegenstromprinzip 333 - Serumglukose 336 - eunuchoider 17
Gehtraining 733 - Stoffwechsel 606 "hairless women" 284
Gehirn (s. auch Hirn- und ZNS) Glukose-6-Phosphatase 608, 657 Halssonographie 419
- Einklemmung 359 - Mangel 845 Halsvenenkatheter, selektiver 419
Gelenkpunktion 849 Glukosehomöostase 607 Hamartome 324
Gene, mineralcorticoidabhängige Glukoseneogenese 608 Rarnilton "scale of baldness" 312
492 Glukosesensor 608 Hämochromatose 107, 329
Genregulation, hormonelle 628 Glukosespeicher 627 Hämodialyse 423, 439
Germinom 341 Glukosetoleranz, gestörte 24 Hämolyse, intravasale 499
Gesichtsfeldausfälle 108, 170, 345 Glukosetoleranztest, oraler hämorrhagische Zentralvenen-
Gestagene 188-189, 583, 705 (oGTT) 26, 634, 645, 660 thrombose 743
Gestationsdiabetes 704-707 Glukosetransporter (Glut) 607, 609, Hämosiderose 408
Gestose, Spätgestose 699 612 Harnsäure
Gewichtsabnahme 417 - Glut-1 630 - Ausscheidung 842
Gewichtsreduktionsprogramme 598, - Glut-4 647 - Bestimmung, Serum 849
599 a-Glukosidase 259 - Bildung 841
Gewichtsverlust 438 Glukosurie 657 - Clearance 842
Gewichtszunahme Glutamatdecarboxylase (GAD) 367, - Lebensmittel, Harnsäuregehalt
(s. auch Körpergewicht) 354 659 853
- Schwangerschaft 703 Glutamatsäuredecarboxylaseenzym, - Synthese, endogene 845
GFR 352 GABA-synthetisierte 662 Harnsäurekristalle 849
GH ("growth hormone", Somato- Glyceride 807 Harnsäurenephrolithiasis 846, 847,
tropin, somatotropes Hormon = Glykierung 617 851
STH, Wachstumshormon) 3 ff., Glykogen 606 Harnsäurenephropathie, akute 846
18, 29, 49 - Synthase 607, 612 - Therapie 855
864 Sachverzeichnis

Harnstoff 336, 358 - HRE (hormonregulatorische - Therapie 423


- Serumharnstoff 336 Einheiten) 492 - Tumor-assoziierte 432-437
- Sulfonylharnstoffe 591, 635 - Lipase, hormonsensitive 683 - - Diagnostik 434-435
Harnvolumen 346 - somatotropes (s. GH) 3 ff. - - Einteilung 432-433
Harnwegsinfekte 758 - Substitution 170, 786 - - Therapie 435-437
Hashimoto-Thyreoiditis 60 - Therapie 298, 315-316 hyperkalzämische Krise 437-439
HbA1c 661, 662 - - Ersatztherapie 188 ff. - Diagnostik 438-439
- Bestimmung 661 "hot spot" 344, 348 - Therapie und Nachsorge 439
hCG (humanes Choriongonadotropin) Howship-Lakunen 445 Hyperkalzurie 413
166, 181, 264, 265, 280 Hungerstand 614 Hyperkapnie 338
- Test 256 Hungerversuch 635 Hyperkeratose 771
HDL-Cholesterin 687 Hürthle-Zelltumor 144 Hyperlipidämie 614, 729, 751, 818
"heat shock protein" (hsp90) 491 HVL (s. Hypophysenvorderlappen) - familiär kombinierte (FCH) 827
T-Helferzellen Hydrochlorothiazid 464 - sekundäre 818
- T-1 656 Hydrocortison 438 - Typ III- 827
- T-2 656 Hydronephrose 346 Hyperlipoproteinämie 683, 815
Hemianopsie, bitemporale 18 ß-Hydroxybutyratwerte 635 - Lp(a)- 830
Hemithyreoidektomie 147 Hydroxylase Hypernatriämie 343, 349
Heparansulfat 748, 756 - 1a- 467 Hyperparathyreoidismus 148, 375,
Heparin 735 - llß- (P450c11ß) 52, 486-488 382, 385, 450
hepatische Insulinresistenz 676 - - 11 ß-Hydroxylase/Aldosteron- - familiärer 420
Hermaphroditismus verus 289 synthetase-Syntheseweg 486 - neonataler (schwerer) 404
Herpes simplex 343 - 17a- (P450c17) 52, 486, 487 - nephrogener sekundärer 411
Hertel-Messung!Ophtalmome- - 21-(P450c21) 52, 487, 495 - persistierender 381
ter 124, 129 - Synthese 485-486 - primärer (s. pHPT) 388
Herzfrequenzvariation 766 1a-Hydroxylaseaktivitat 405 - sekundärer (s. sHPT) 424-431
Herzinsuffizienz 516, 592 Hydroxylasedefekt 212 - tertiärer 420
- dekompensierte 356 - 1a- 424 Hyperphagie 576
Herz-Kreislauf-Erkrankungen 592 - 11ß- 212, 510 Hyperphosphatämie 410, 424
Hickey-Hare-Test 347 - 17- 510 Hyperprolaktinämie 35, 38-41, 47,
"high-set" -Osmorezeptor 344 - 21- 212, 494 180, 268-269
"high-turn-over"-Osteopathie 425, Hydroxysteroid-Dehydrogenase - medikamenteninduzierte 40-41
447, 455 (HSD) - milde 345
Hippel-Lindau-Syndrom 532, 534 - 3ß-HSD 492 Hypertelorismus 17
Hirnerkrankungen, akute 357 - llß-HSD 492 Hyperthermie 133
Hirnödem 351, 355 3ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase/ Hyperthyreose 17, 41, 113, 227, 447
- Hyponatriämie 358 4,5-lsomerase (3ß-HSD) 485-487 - immunogene (s. Autoimmun-
Hirntod 344 - Defekt 212 thyreoiditis) 125
Hirnvolumen, Zellvolumenregulation 17ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase- - latente 1330
358 defekt 285 Hyperthyreosis factica 135
Hirsutismus 40, 203-211 Hyperaldosteronismus 500-505, 511 Hypertonie ("hypertension") 591,
- Diagnostik 207 - dexamethasonsupprimierba- 614, 671, 718, 729, 755
- Therapie 207-211 rer 502 - antihypertensive Therapie 694,
Histiozytose/Histiozytosis 107, 340, - Flussschema 505 755
346 - glucocorticoid-supprimierbarer - arterielle 683, 749, 751
- Histiozytosis X 69, 341 502, 506, 510, 513 - Dehydratation, hypertone 344,351
Histoplasmose 415 - idiopathischer (IHA) 502, 503, - hypokaliämische 503
HLA-Antigen Bw 35 112 506, 510, 512 - "low-renin-hypertension" 504
HLA-B8 125 - - und aldosteronproduzierendes - Phäochromozytom (ohne MEN)
HLA-DQA1 125 Adenom (APA) 509, 511 und Paragangliom 535
HLA-DR3 115, 125 - Labor 504, 506 - renale 516
HLA-DR4 115 - primärer 500-503, 506, 509 - renovaskuläre 515, 516
HLA-DR5 115 - - Formen 502 - Retinopathie, hypertensive 743
HLA-Haplotypen 367 - - Venenkatheter, selektiver 501 Hypertonizität des Nierenmarks 347
hMG 280 - sekundärer 509, 510, 514-518 Hypertrichose 204, 205
- hMG-CoA-Reduktasehemmer 834 - - Formen 515 Hypertriglyceridämie 828, 829
HNF-1a 680 - - Ursachen 515 - familiäre 829
Hochwuchs 15 ff. Hyperandrogenämie 180, 601 Hyperurikämie und Gicht 842-856
- familiärer 16 Hyperbilirubinämie 700 - akute Gicht 847
Hoden (s. auch Testes) 18 Hypercholesterinämie 108, 718, 824 - asymptomatische 851
- Carcinoma in situ 303 - familiäre (FH) 825 - auslösende Faktoren, Gichtanfall
Hoden Hyperglykämie 337, 614, 657, 747 847
- Biopsie 259, 303 - Pseudohypoxie, hyperglykämische - chronische Gicht 845, 847
- Ektopie 270 622 - Definition 843
- Tumoren 302-306 Hyperinsulinämie 591, 601 - Diätvorschriften 851
- - Einteilung 303 Hyperkaliämie 63, 497 - Diagnose der Gicht 848
Hodenkanal 244 - Differentialdiagnose 497 - Differentialdiagnose 850
Holmes-Adie-Syndrom 527 Hyperkalzämie (s. auch Hyperpara- - Einteilung und Pathogenese 844
Homocystin 19 threoidismus) 415 - Epidemiologie 844
Homocystinurie 18 - Differentialdiagnose 420 - Ernährungstherapie 851
Hormon 280 - familiäre hypokalziurische (s. FHH) - familiäre 844
- adrenokortikotropes 19 404 - Gichtniere 846, 852
- Genregulation, hormonelle 628 - humoral vermittelte 415 - interkritische Gicht 847
- Syndrom 417, 438 - klinische Manifestationen 847
Sachverzeichnis 865

- Prognose 855, 856 Hypophyse 157


- renale Komplikationen 846 - Adenom 107, 342, 376, 381
neurologische Störungen 847 - - Ausdehnung, extraselläre 342 IKB 620
- sekundäre 845 - - Makroadenom 22, 69 Ibandronat 423, 436, 461-462
- Therapie 851, 855 - - Mikroadenom 322 ICA (Inselzellantikörper) 367, 368,
Hyperventilation 349, 410 - - prä- und postoperativ 342-343 662
Hypervolämie 354 Apoplexie (s. auch Sheehan-Syn- !CA-Titer 659
Hypoaldosteronismus 494-499 drom) 107 ICSI (intrazytoplasmatische
- hyporeninämischer 496, 499 - Degeneration, retrograde 343 Spermieninjektion) 282
- Symptome 497 Funktionstest, kombinierter 26 idiopathisches postprandiales
Hypodipsie-H ypernatriämie- - Insuffizienz 24, 168, 355 Syndrom (IPPS) 652, 653
Syndrom 343 - - komplette 326-331 IGF ("insulin -like-growth-factors")
Hypoglykämie 606, 624, 627, 638, - - - Diagnostik 329 6
700 - - - Therapie 330-331 IGF-1 18, 137
- Anamnese 780 - - partielle 267 - IGF-11 647
- bei Diabetikern 710 - - primäre 171 - IGF-BP-2 647
- "hypoglycemia unawareness" - Karzinom 69 IGFB (IGF-Bindungsproteine) 6
778-782 - Mischturnare 22 - IGFB-3 18
- - Schulung 781, 782 - Operation 81-82 IHH (idiopathischer hypogonado-
- iatrogene 707-716 - Tumore 375 troper Hypogonadismus) 168,
Insulin-Hypoglykämie-Test 74 - - hormoninaktive 321-325 259-265
Koma, hypogrykämisches 672 - Diagnostik 323 - Diagnostik 262-263
nächtliche 712 - - - Therapie 324-325 - Prävalenz 261
- neuroglukopenische Hypo- LH/FSH-produzieren- - Therapie 263-265
glykämiesymptome 779 de 234-236 Ikterus neonatorum prolongatus
- Nüchternhypoglykämie 638, 713 - - Zufallsdiagnose 323 110
- postprandiale 638, 713, 714 Hypophysenhinterlappen 333 Immobilisation 415
- psychosoziale Aspekte 711 Hypophysenstiel 334, 344 Immunantwort, Störungen 857
- Symptome 712 - verdickter 340 Impotentia coeundi 36
Tumorhypoglykämie 646-648 Hypophysenvorderlappen Inaktivität, körperliche 449
- vegetative Hypoglykämie- (HVL) 322 Indium-111-0ctreotid 123
symptome 779 - Adenome 322 Indometazin 353
Hypogonadismus 251 - Funktion 345 Infarkt 341
- hypergonadotroper 18, 175 - Insuffizienz 105 - adrenaler 62
- hyperprolaktinämischer 38, 39 - Karzinome 322 Infektionen 293
- hypogonadotroper 174-178 Hypophysitis 69, 107, 324, 340, 341 "infertile male syndrom" 287, 288
- - Diagnostik 176-177 - lymphozytäre 70-71 Infertilität
- - idiopathischer (s. IHH) 168 Hypopituitarismus 25 - idiopathische 278-282
- - Therapie 177 Hypoproteinämie 412, 758 - - Diagnostik 278-280
Hypoinsulinämie 657 Hyporeflexie 108 - - Therapie 280-281
Hypokaliämie 503-505, 509, 514, 517 Hypospadie mit Pseudovagina, peri- - immunologisch bedingte 278-279
- Hypertonie, hypokaliämische 503 neoskrotale 288 Influenza 113
- medikamenteninduzierte 509 Hypotension, orthostatische 349 Infrarotspektometrie 856
- Paralyse, hypokaliämische Hypothalamus 30, 156, 336 Infundibulum 334
periodische 509 - lateraler 576 Inhibin B 329
- Therapie 514 - ventromedialer 576 Inselhyperplasie, diffuse 644
Hypokalzämie (s. auch Hypo- Hypothermie 108 Inselzelladenomatose 644, 645
parathyreoidismus) 408, 410, 424, Hypothyreose 17, 35, 41, 106-111, Inselzellantikörper (ICA) 367, 368,
700 226, 601, 602 662
- Neugeborene 408 - adulte 106-109 Inselzellautoantikörper 656, 662
Hypolaktie 33-35 - - Diagnostik 108-109 Inselzelltransplantation 669
Hypolipoproteinämie 817 - - Symptome 108 Insemination, intrauterine 281
Hypomagnesiämie 408, 412, 700 - - Therapie 109 Insertion 339
Hyponatriämie 63, 343, 353, 355, 517 - Ursachen 107 Insuffizienz
- akute 359 - angeborene 109-111 - endokrine 366
- - Symptome 355 - - Diagnostik 110 gonadale 371
asymptomatische 359 - - Prävalenz 109 polyglanduläre 365-373
chronische 359 - - Therapie 110-111 Diagnostik 369-371
Differentialdiagnose 356 - - iatrogene 118-120 Substitutionstherapie 372
Differentialtherapie 360 - latente 106 Therapie 372-373
Hirnödem 358 - primäre 106 Typ I (s. PGI 1) 59-60
- Nebenniereninsuffizienz, - sekundäre 17, 105, 106 - - Typ II (s. PGI 2) 60
sekundäre 355 - tertiäre 106 - - Typ III (s. PGI 3) 366
- symptomatische 359 Hypotonie 108 Insuffizienz, polyglanduläre
- Therapie 358-360 - Muskelhypotonie 110 - Typ I 59-60
- - Leitlinien 359 - orthostatische Hypotonie mit - Typ II 60
Hypoparathyreoidismus 368, 369, Endorganresistenz 527 Insulin 376, 591, 628, 692, 693, 708
407-414 Hypovolämie 63 - Hyperinsulinämie 591, 601
- Diagnostik 411-412 Hypoxanthin 852 - Hypoinsulinämie 657
- idiopathischer 408-409 Hypoxanthinguaninphosphoribosyl- - lAS ("insulin autoimmune
- parathyreopriver 408 transferase (HPRTase) 841, 845 syndrome") 646
- persistierender 142 Hypoxie 338 - Konzentration 337
- Therapie 412-414 - Proinsulin (s. dort) 637, 646
Hypophosphatasie 480-481
866 Sachverzeichnis

- Resistenz 24, 591, 614, 624, 627, Kalzium 404, 463-464 - mit ADH-Bestimmung 347
676, 677, 751 - Antagonisten 757 Kochsalzlösung
- - hepatische 676 - Clearance, GFR-korrigierte 420 - 3-prozentige 359
- - periphere 676 - Hypokalzämie 700 - hypertone 358
- Rezeptor 611, 677 - Mangel (s. auch Hypokalz- kognitive Verhaltenstherapie 585
- Sekretion 607, 678 ämie) 412 Kokzidioidmykose 415
- Spritz-Ess-Ahstand 664 - Zufuhr 452 Kolchizin
- Therapie 663, 664 Kalziumarmut 449 - Prophylaxe 851
- - intensivierte 665 Kalziumhömostase 403 - Therapie 849, 855
- - konventionelle 665 Kalziumkarbonat 427 Kollagen Typ IV 746
- - Pumpentherapie 667, 714 Kalziumsensor 404 kolarektales Karzinom 592
Insulinanaloga 714 Kalziumzitrat 427 Koma 359
Insulin-Hypoglykämie-Test 74 Kalzurie 420 - hyperosmolares 697
"insulin-like-growth"-Faktoren Kardiomyopathie, diabetische 719 - hypoglykämisches 672
(s. IGF) 6 Kardiotokographie (CTG) 700 - ketoazidotisches diabetiselies 498,
lnsulinom 376, 379-381, 624-643 kardiavaskUläre Risikofaktoren, 658, 672
Insulinpumpe 667, 714 Diabetes mellitus Typ II 694 kongenitale adrenale Hypoplasie 61
Insulitis 655, 656 Karpalspasmus 411 Konvergenzbestrahlung 124
Interferon (IFN) 119 Karpaltunnelsyndrom 23, 847 Konzentrationskapazität, renale 349
- a-IFN 557, 642 Kartenherzbecken 469 Konzentrationsstörungen 416
- IFN-1 452 Kartenherz-Deformität 429 Konzeption 159
- IFN-2 119 Karzinoid 22, 376, 381, 550-560 Kopfhautbiopsie 228
- IFN-6 452 Katarakt 741 Koronarangiographie, Indikation
Interleukin (IL), IL-6 580 - tetanischer 410, 412 722
In -vitro-Fertilisation 281 Katecholamine 390, 521-543, 592, koronare Herzkrankheit (KHK) 253,
Inzidentalom 90-91 602 592
IPPS (idiopathisches postprandiales - Überproduktion 529-542 Körpergewicht 354, 575-603
Syndrom) 652, 653 - Unterproduktion 526-529 - Desmopressin 350
IRS-1 677 Katheterlyse 737 - Gewichtsabnahme 417
lsoxsuprin 786 kavernöse Insuffizienz 784 - Gewichtsreduktionsprogramme
Kearns-Sayre-Syndrom 408 598, 599
Kehlkopfwachstum 253 - Gewichtsverlust 438
J Keimzellen 253 - Gewichtszunahme (s. dort) 354,
- tetraploide 253 703
Jod 104 - Tumoren 302, 304-305 - Übergewicht 589-600, 671
131 -Jod 135 Kelley-Seegmüller-Syndrom 845 Körpermassenindex ("body-mass-
131 - Jodszintigraphie/ 131 - Jod-MIBG- Kernspintomographie (s. auch index"; BMI) 579, 594, 683
Szintigraphie 92, 110 MRT) 19, 21, 25, 40, 108, 348, kortikotrope Zellen 338
Jodakne 142 508, 517 Krabbe-Erkrankung 839
Jodaktivität 140 ketoazidotisches diabetiselies Krampfanfall, zerebraler 351, 359
Jodausscheidung 137 Koma 498, 658, 672 Kraniopharyngeom 40, 69, 107, 169,
131 J-6ß-Jod-metliyl-19-norcholesterin Ketogenese 614 324, 342
508 Ketokonazol 99, 514 Kraniotabes 469
131 J-19-Jodcholesterin 508 Ketonkörper 608, 631, 657 Kretinismus 447
Jodid 104 KEV (Entwicklungsverzögerung, Krise
Jodidsymporter, natriumabhängiger konstitutionelle) 262 - hyperkalzämische (s. dort)
104, 137 KHK (koronare Herzkrankheit) 253, 437-439
Jodkontamination 109, 135 592 - tetanische, Therapie 414
Jodlactone 138 - Diabetes mellitus 716-727 - thyreotoxische 133
Jodmangel 137 Kinderwunsch 321 Kryptorchismus 270
Jodsupplementation 143 Kleinhirnataxie, familäre 168 Kumarin 735
juxtaglomerulärer Apparat 496 Klinefelter-Syndrom 16, 18, 20,
274-276, 601, 602
- Diagnostik 275 L
- Prävalenz 274
K - Therapie 276 Laktation 31-33, 349
Knöchel-Arm-Index (ABI) 721 Laktogen, humanes plazentares (HPL)
Kachexie 650 Knochen
- Tumorkachexie 580 701, 705
- Anbaumarker 458 Laktogenese 31
Kalium - kompakter 443
- Hyperkaliämie (s. dort) 63, 497 Lambert-Eaton-Syndrom 527
- Metastasen 415 Laminin 746
- Hypokaliämie (s. dort) 503-505, - Mineralsalzgehalt 417
509, 514, 517 Längenwachstum 252
- spongiöser 443 - Reduktion 20
- Serumkalium 504 Knochenalter 19
- Substitution 499 Langerhans-
Knochenanbau 459 - Langerhans-Inseln 609, 613
Kalkknoten 851 Knochendichte 39, 252
Kallikrein 280 - Zellgranulomatose 341
- Bestimmung/Messung 256, 419 Laron-Syndrom 328
Kalimann-Syndrom 168, 169, Knochenhistologie 451, 458
174-175, 259-265, 328 Laserangioplastie 736
Knochentophi 849 Läsion
Kalorienreduktion 596, 598, 600 Knochenumbau 444, 459
- Nebenwirkungen 600 - adyname 425
- Umbaueinheit 443 - hyperdyname 425
Kalzitonin 148, 407, 423, 436-437, Kochsalzbelastungs-Test 508
462, 476 Lasix-Test 507, 508
Kochsalzbeschränkung 757 Laufbandergometrie 730
- Stimulationstest 389, 391 Kochsalzinfusions-Test 357
Sachverzeichnis 867

Laurence-Moon-Biedl-Bartlett- Lobus pyramidalis 104 MEN Typ 1 (multiple endokrine


Syndrom 168 Looser Umbauzonen 429, 470 Neoplasie Typ 1) 19, 373-381,
Laurence-Moon-Syndrom 266 Low-T3/Low-T4-Syndrom 109 420, 625, 626
Laxanzien 583, 587 "low-turn-over"-Osteopathie 447, - Diagnose 377-378
LCAT 813 456 - Gendiagnostik 378
LDL 616, 618 Lungenerkrankungen 355 - Pankreatektomie, subtotale 380
- Apherese 834 luteale - Prävalenz 374
- Cholesterin 687 - Diagnostik 181 MEN Typ 2 (multiple endokrine
- Rezeptor 616 - Insuffizienz (s. Corpus-luteum- Neoplasie Typ 1) 382-393, 420
Lebensqualität 596 Insuffizienz) 38, 182 - Diagnostik 388-393
Leber 253, 607 luteinisierendes Hormon (s. LH) 157 - Einteilung 383
Leberembolisation 557 Lymphadenektomie 113 - Häufigkeit 384
Leberfiliae 640 Lymphknotendissektion 147 - Therapie 393-396
Leberzirrhose 279, 356, 424 Lymphozyten Menarche 161
Lecithin -Cholesterin-Acyltransferase - B-Lymphozyten (B-Zellen) 654 - prämature 202
809 - T-Lymphozyten (T-Zellen) 620, Menin 375, 378
Lecithin-Sphingomyelin-Quotient 654 Meningeome 107, 324
701 Lysodren (o,p-DDD) 99, 513 Menopause 32, 167, 184-195, 446
Leitfollikel 158 - Diagnostik 187-188
Lepra 415, 775 - Therapie 188-195
Leptin 577, 578, 590, 677 M menstrueller Zyklus 162, 163
- Resistenz 577 MESA ("microsurgical epididymal
- Rezeptor 577 Magen sperm aspiration") 259
- Wirkung 578 - Entleerungszeit 763 Mesangialzellen 620
Lesch-Nyhan-Syndrom 845, 856 - Verkleinerung 599 Mesoderm 164
Leukämie 341 Magersucht (Anorexia nervosa) 424, metabolisches Syndrom 91-92, 95,
- chronisch lymphatische (CLL) 340 583 592, 682-684, 837, 850
Leukodystrophie Magnesium, Hypomagnesiämie 700 Metanephrin 536
- Adrenoleukodystrophie 60-61 Magnetresonanztomographie (s. Metastasen 324, 341
- metachromatische (Sulfatidose) MRT) 19, 21, 25, 40, 108, 348, 508, Metformin 602, 690
839 517 Methirnazot 122
Leukozytose 112 "major histocompatibility complex" Methionin 19
Leydig-Zelle 249 (MHC) 125 Methylglyoxal 618
- Hypoplasie 285-286 Makroadenome der Hypophyse 22, Metopiron-Kurz-Test 74
LH (luteinisierendes Hormon) 157, 107 Metyrapon 74, 514
181' 182, 246, 256, 785 Makroalbuminurie 755 - Kurz-Test 74
- LH/FSH-Ratio 232-233 Makroglassie 110 MHC ("maj,or histocompatibility
Libido 250 Makrophagen 616, 620, 654 complex ') 125
- Abnahme 513 Makroprolaktinom 35-37, 39, 44, 46, MIBG (Methyliodbenzylguani-
Liddle-Syndrom 503 47, 268 din) 528
Lidspaltenweite 129 - 131 -Jodszintigraphie/ 131 - Jod-MIBG-
Makrosomie 699, 705
Linearbeschleuniger 124 Makrozephalus 17 Szintigraphie 92, 110
Linksherzkatheter 721 Makulaödem 741 - MIBG-Szintigramm 538
Linksverschiebung 112 - fokales 741 - MIBG-Therapie 541
Lipase - ischämisches 741 "microsurgical epididymal sperm
- hormonsensitive 683 Malabsorption 412, 424 aspiration" (MESA) 259
- Triglyceridlipase 809 Maldeszensus 271 Mikroalbuminurie 751, 755
Lipide 807-809 Maldigestion 412, 424 Mikroaneurysmen 740
- Dyslipidämie 758, 815 Malignome 279 Mikroprolaktinom 35, 37, 39, 44, 45,
- Glykosphingolipid 747 Mammakarzinom 49, 275, 592 47, 268
- Hyperlipidämie (s. dort) 614, 729, Mammagenese 31 Milch-Alkali-Syndrom 415
751, 818, 827 MAR ("mixed antiglobulin reaction Milchejektion 34, 336
Lipidperoxidation 616 test") 258-259 Miller-Test 346
lipidsenkende Medikamente 832 Marasmus 580 Minderung der Erwerbsfähigkeit
Lipidspeichererkrankungen 838, 839 Marfan-Syndrom 18 (MdE) 351
Lipolyse 580, 727 Mastitis Minderwuchs 328, 447
Lipomatose, benigne symmetrische - non-puerpurale 47-49 Mineralocorticoid
596 - puerpurale 35 - AME-("apparent mineralocorticoid
Lipome 374 Mastodynie 513 excess")-Syndrom 492, 503, 510
a-Liponsäure (Thioctsäure) 624, 768 Mastopathie 48 - Corticoidsubstitution 66, 67
Lipoproteine 809-840 MC-4-R 578 - Gene, mineralocorticoidabhängige
- Apolipoproteine 808 McCune-Albright-Syndrom 480 492
- A-Betalipoproteinämie 816 MdE (Minderung der Erwerbsfähig- - Mangel 63
Dysbetalipoproteinämie 816 keit) 351 - Rezeptor (MR) 491
- Dyslipoproteinämie 591 Mechanosensor 445 - $.ynthese 485
- Hyperlipoproteinämie 683, 815, Mediasklerose 737, 774 - Uberdosierung 503
830 Medikamente 279, 352, 355 Minirin 340
- Hypolipoproteinämie 817 Medulla, innere 339 Minoxidil 207, 229
Lipoprotein (a) (Lp(a)) 810 Meiose 254 MIS (Anti-Müller-Hormon) 243
Lipoproteinelektrophorese 809 "melanin-concentrating hormone" Mischkost 597
Lipoproteinlipase 601, 809 (MCH) 578 Mischulkus 774
- Mangel 828 Melliturie 662 Mischturnare der Hypophyse 22
Lithium 119, 138, 337 membranständiger Rezeptor 492 Mitotane (o,p-DDD) 88, 99, 119,
Lithiumcarbonat 358 513
868 Sachverzeichnis

Mitramycin 439 Natriumkorrekturbedarf 360 Nervensystem


"mixed antiglobulin reaction test" Natriumreabsorption, proximal - parasympathisches 779
(MAR) 258-259 tubuläre 354 - sympathisches 779
Möbius-Zeichen 129 natriuretische Hormone 338 - vegetatives 629
MODY 675 Nebenhoden 244 Nervus/N ervi
- MODY I 680 Nebenniere 51-53 - N. opticus, Atrophie 343
Monarthritis 850 - Adenom, aldosteron- - N. paraventricularis 334
Monoaminooxidase (MAO) 523 produzierendes 502, 510 - N. supraopticus 334
Monoatriumurat 845 - bilaterale makronodulare Hyper- Nesidioblastosis 626, 644
Monofilamente 764 plasie, ACTH-unabhängige 87 Netzwerk Hypophysen- und
Monoiodtyrosin 105 - CT 508 Nebennierenerkrankungen 350
Mononeuropathia multiplex 761 - Hyperplasie 76 Neugeborenenhypokalzämie 408
Monozyten/Makrophagen 616, 620 - - makronoduläre 502, 503 neuroendokrine Tumoren 625
Morbus (s. Syndrome) - Insuffizienz 368 neuroendokrines System 547
Morphin 338 - - ADH 355 Neuroglukopenie 779, 781
Mosaikknochen 474 - - Hyponatriämie 355 - Hypoglykämiesymptome, neuro-
Motilin 549 - - primäre 58-69, 115, 355, 368, ginkopenisehe 779
MRT (Magnetresonanztomogra- 371, 409, 492, 494, 499 neuroglykopenische Symptome 632,
phie) 19, 21, 25, 40, 108, 348, 508, - - sekundäre 17, 354, 355 633
517 - Karzinom 96 Neurohypophyse, Gewicht 334
- Nieren 517 - - aldosteronproduzierendes 502 Neuroleptika 41, 338
- Tl-gewichtete 344, 348 - mikronoduläre Dysplasie 87 Neuronen 620
a-MSH 578 - MRT 508 - magnozelluläre 334, 335
mukosale Neurome, multiple 527 - Szintigraphie 508 Neuropathie
Mukozelen 324 Tumoren 376, 381 - Adrenomyeloneuropathie 60-61
multiple - - hormoninaktive 89-99 asymmetrische 762
- Endokrine Neoplasie Typ II 145 Nebennierenmark (NNM) 521, 629 - autonome 762
- "risk factor intervention trial", Nebennierenrinde 51 ff., 225 - - autonome kardiale 760
Diabetes mellitus Typ II 693 - Adenom 86, 87 - diabetische 739-768
Multiple Sklerose (MS) 527 - Atrophie 57 - C-Fasernneuropathie 772
Mumpsorchitis 273 - Hypertrophie 57 Fußfehlbelastung, neuropathisch
Mumpsviren 654 Hypervaskularisation 57 bedingt 770
Murexidprobe 849 Insuffizienz 57-75 - Mononeuropathia multiplex 761
MUSE 789 - - primäre (s. auch Addison- - Polyneuropathie (s. dort) 762
Muskelhypotonie 110 Erkrankung) 58-69, 115, 355, - Schwerpunktneuropathie 761
Muskelzellen, glatte 620 368, 371, 409, 492, 494 Neuropeptid Y 577, 578
Muskulatur 252 - - - Diagnostik 64-65 Neurophysin II 335
Mutation 344 - Epidemiologie 58 Neurotransmitter 577
Myasthenia gravis 115 - - - Schwangerschaft 66 Neutropenie 127
Myelinolyse, zentrale pontine - - - Therapie 65-66 NFKB 616, 620, 748
(CPM) 358, 359 - - sekundäre 69-75 Nicht-AVP-Derivate 350
Myoadenylatdesaminasemangel - - - Diagnostik 72-75 Niemann-Piek-Erkrankung 839
(MAD-Mangel) 857 - - - Therapie 75 Nieren 334
Myoinositol 747 - Ursachen 69 - Biopsie 752
Myokardinfarkt 719, 726 - - tertiäre 72 - Diagnostik
Myolyse 499 - Karzinom 86-88 - - Angiographie 517
Myopathie 77, 417 - Überfunktion (s. Cushing- - - CT 517
Myopie 741 Erkrankung) 75-89 - - DSA (digitale Subtraktions-
Myxödem 126, 648 - Unterfunktion (s. Nebennieren- angiographie) 517
- prätibiales 126 rindeninsuffizienz) - - MRT 517
Nebennierenvenenkatheter, selektiver - - Nierensequenzszintigra-
508 phie 517
N Nebenschilddrüse 403-439 - - Sonographie 517, 751
- Adenome 3 79 Gichtniere (Uratnephropa-
Na/K-ATPase 491, 492 - Karzinom 424 thie) 846, 852
NAD+ 622 "neck-dissection" 147 - Insuffizienz 649
NADH 622 Nelson-Tumor 67 - - chronische 279, 415, 352, 424
NADPH 622 Neoplasie - - Hyperparathyreoidismus,
nahrungsabhängige Thermogenese - follikuläre 145 sekundärer 424-426
576 - multiple endokrine (MEN) 415 Nierenarterienstenose 518
Nahrungspurine 842, 845 - Typ 1 (s. MEN Typ 1) 373-381 Nierenmark, Hypertonizität 347
Naltrexon 786 - Typ 2 (s. MEN Typ 2) 382-396, Nierensteine 464
Narkose 763 534 Nierenversagen 415, 759
Narkotika 338 Neovaskularisation 740 - akutes 415
Nativszintigraphie 140 Nephrokalzinose 413, 417 - terminales 747, 759
Natrium Nephrolithiasis 416 Nikotin/Rauchen 280, 338, 694, 718,
- Hyponatriämie (s. dort) 63, 343, - Harnsäurenephrolithiasis 846, 847 729, 786
353, 355, 517 Nephropathie, diabetische 496, - Abusus 729
- Jodidsymporter, natrium- 745-759 - Karenz 694
abhängiger 104, 137 Nervenfasern Nikotinsäure 833
- Na/K-ATPase 491, 492 - parasympathische 609 NN-
- Serumnatrium 334, 504 - sympathische 609 - Hyperplasie 501
- Urinnatriumexkretion 355 Nervenleitfähigkeit 760 - Karzinom 503, 513
Natriumiodidsymporter 137 Nervenleitgescbwindigkeit 764 - Tumor, DOC-produzierender 510
Sachverzeichnis 869

NO-abhängige Vasodilatation 616 Osteomyelitis 450, 770 p


NO-Bildung 747 Osteapathie 448
noduläre Hyperplasie 510, 511, 513 - "high-turn-over" 425, 447 P450c11AS (Aldosteronsynthetase)
Nokardiose 69 - "low-turn-over" 447 486-488
Noradrenalin 521, 536, 577, 611 Osteopenie 39, 447-449 P450c11ß (llß-Hydroxylase) 52,
Normetanephrin 536 Osteopetrose 478-479 486, 487
NO-Synthase (NOS) 616 - Diagnostik 478-479 P450c17 (17a-Hydroxylase) 52,
Notfallausweis 68 - Therapie 479 486, 487
Notstandsamenorrhö 180 Osteoporose 18, 67, 78, 190, 447-465 P450c21 (21-Hydroxylase) 486,
NSE 643 - Alendronat 461 487, 495
Nüchternhypoglykämie 638, 713 - Anabolika 463 P450scllß (11ß-Hydroxyalase) 486
Nykturie 345, 348 - D-Hypovitaminose (s. auch P450scc ("chain cleavage enzyme")
Vitamin D-Mangel) 454 485-487
- Diagnostik 457-459 Paget-Erkrankung 26, 450, 473-477
0 - Differentialdiagnose 459-460 - Diagnostik 475-476
- Etidronat 461 - Häufigkeit 473-474
o,p-DDD (Mitotane, Lysodren) 513 - Fluoride 462-463 - Therapie 476-477
Obstipation 346, 438 - Fraktur 456 Pamidronat 423, 436, 461
Octreotid (s. auch Sandastatin - - Behandlung 464 Panhypopituitarismus 648
LAR) 21, 122, 130, 324, 557 - glucocorticoidinduzierte 447, Pankreas
18-0H-Corticosteron 488, 506 455-456 - Erkrankungen 644, 645
18-0H-Cortisol 506 - Häufigkeit 451 - Polypeptid, pankreatisches 549
18-0H-DOC 488 - Hydrochlorothiazid 464 - Transplantation 669
OB-Progesteron .,212 17- - Ibandronat 461-462 - Tumoren 375-376, 625
0HSS (ovarielles Uberstimulations- - Männer 464 Pankreatitis 416
syndrom) 184 - Nierensteine 464 - akute 412
Oktreotid 641 - Pamidronat 461 Papaverin 788
Oktreotidszintigraphie 539 - Raloxifen 461 Paragaugliom 529
okulare Ischämie 743 - Rückenschmerz 456 paraneoplastisches Syndrom 22
Oligoarthritis 850 - Schmerztherapie 464 Paraplegie 359
Oligurie 343, 438 - Therapie 460-465 Parasympathikus 632
omasensitive Zellen 333 - - physikalische 465 - Nervenfasern, parasympathische
Omphalozele 18 - Typ 1 452-453 609
Operation 107 - Typ 2 (senile) 453-455 - Nervensystem, parasympathisches
Ophthalmoskopie 741, 742 Osteosklerose 429 779
Orbitaränder, wulstige 25 Osteostaten 445 Parathormon (s. PTH) 19
Orbitasonographie 129 Osteozyten 444 paratharrnon-ähnliches Protein
Orbitopathie, endokrine 117, 124, Ostitis deformans 474 (s. PTHrP) 407
128-130 Östradiol 166, 785 Parkinson-Erkrankung 527
Orexin A und B 578 -;: 17ß- 157, 171, 188 Parotisschwellung 584, 587
Organspende 344 Ostradiolvalerat 188 PAS (polyglanduläres Autoimmun-
Orlistat 599, 600 Östriol 157 syndrom und PGI) 115, 366, 408,
- Nebenwirkungen 600 Östrogen 705 660
Orthostase 338 - konjugierte equine 188 pA VK (periphere arterielle
- Test 497, 507, 508, 766 - Rezeptor 449 Verschlusskrankheit) 727-738
orthostatische Hypotonie mit - Substitution 45 PCO-(polyzistisches-Ovarien)-
Endorganresistenz 527 -;: Therapie 460-461 Syndrom 231-234, 601, 602
Osmolalität und Tonizität 336 Qstrogenspiegel 33 - Definition 231
Osmolyte 358 Ostron 157 - Diagnostik 233-234
Osmoregulation 336-338 Oszillographie 731 - Inzidenz 233
Osmorezeptoren 336 Ovarialinsuffizienz 60, 179-184 - Therapie 234
- defekte 344 - Definition 179 PDGF 747
Osmotat, "downward reseting" 356 - Diagnostik 180-181 "peak bone mass" 446, 451
osmotischer - hypergonadotrope 180, 183 Pedographie 771
- Druck, effektiver 333, 336 - hypogonadotrope 167 PEEP (posistiver endexspiratorischer
- Gradient 339 - primäre 180 Druck) 358
Osteitis fibrosa 425 - sekundäre 180 PEG (perkutane endoskopische
- O.f. cystica 417 - Therapie 182-184 Gastrostomie) 582
Osteoblast 444 Ovarien 157-160, 225 Pendelhoden 270
Osteocalcin 121 - polyzystisches-Ovarien-(PCO)-Syn- Pendred-Syndrom 110
Osteodensitometrie 419, 457-458 drom 601, 602 penile Venenchirurgie 789, 790
Osteodystrophie - Überstimulationssyndrom, ovariel- Penisprothesen 790
- nach Albright 409, 411 les (OHSS) 184 Peniswachstum 252
- renale 425 Ovulation 159 Pentagastrintest 389-390
Osteogenesis imperfecta 479-480 oxidativer Stress 614-618, 621, 748, Pentosin 618
Osteoklast 444 760 Pentoxifyllin 786
Osteolyse 415 Oxipurinolspiegel 852 Perchlorat-"discharge"-Test 110
Osteomalazie (s. auch Rachitis) 411, Oxytocin 166, 336 Pergolid 27
424, 465-472 - Ausschüttung 32, 34 Perimenopause 185
- Diagnostik 469-470 - Wirkung 31, 34 PGI 1 (polyglanduläre Insuffizienz
- kalzipenische 466-467, 470-472 Typ 1) 59-60, 366-369
- phosphopenische 467-468, - Diagnostik 369-370
471-472 PGI 2 (polyglanduläre Insuffizienz
- Therapie 470-472 Typ 2) 59-60, 366-368, 370-371
870 Sachverzeichnis

- Diagnostik 370-371 - symmetrisch sensible 762 Propylthiouracil 127


PGI 3 (polyglanduläre Insuffizienz Polyolstoffwechselweg 622 Prostaglandine 735
Typ 3) 366, 369 Polyolweg 740 - EI 788
Phagozytose der Uratkristalle 846 Polypeptid Prostaglandinsynthesehemmer 353
Phäochromozytom 93, 148, 382, 384, - pankreatisches 549 Prostata 244-246
388, 390, 391, 415, 516 - vasoaktives intestinales 549 Proteinbiosynthese 612
- Diagnostik 390, 391 Polyurie 340, 438 Proteinkinase C 623-624, 740, 747
- malignes 532, 533 - hypotone 343 Proteolyse 580
- ohne MEN 529-542 - persistierende 345 Protoonkogene 145
- Therapie 394-395 - Phase, polyurische 343 Pseudo-Bartter-Syndrom 516-518
Pharmaka, vasoaktive 734 Portalsystem 30 Pseudohermaphroditismus
Pharmakokavernosographie 786 posistiv endexspiratorischer Druck masculinus 285
Phase, polyurische 343 (PEEP) 358 Pseudohyperaldosteronismus 502,
Phenoxybenzamin 540 Postkoitaltest 179 503, 509, 510
Phentolamin 540, 542, 786, 788 Postmenopause 167, 185, 186, 192 - Formen 502
Phenytoin 338, 358 Postresorptionsphase 606 Pseudohyperkaliämie 499
Phlegmone 770 Potenzabnahme 513 Pseudohyperparathyreoidismus
Phosphat 423 Potomanie 348 (pHPT) 406
Phosphatase, alkalische Serumge- Prader-Labhart-Willi-Syndrom 168, - Therapie 412
samtphosphatase 426 265-266, 328 Pseudohypoaldosteronis-
Phosphatdiabetes 471 Prader-Willi-Syndrom 596 mus 496-499
Phosphatide 808 Präeklampsie 699 - Symptome 497
Phosphatidylinositolumsatz 339 Prämenopause 167, 185, 186, 192 Pseudohypoglykämie 713
Phosphoenolpyruvatcarboxy- prämenstruelles Syndrom 180 Pseudohyponatriämie 356
kinase 657 prämetabolisches Syndrom 645, 713 Pseudohypoparathyreoidis-
6-Phosphofrukto-2-kinase Präproglukagongen 613 mus 407-414
(PKF2) 613 Präprohormon 335 Pseudohypoxie, hyperglykämische
Phospholipase C 339, 404 Präpubertät 161 622
Phospholipide 807 Pravidel 269 Pseudoprolaktinom 40
Phosphoribosylpyrophosphat- Prednison 423 Pseudo-Pseudohypopara-
synthetase (PRPP-Synfhetase) 845 PRF (Prolaktin-releasing-Faktor) 30 thyreoidismus 409
Phosphorylase 613 Prinzipalzelle 339 Pseudopubertas preacox 17,
- ß-Form 613 PRL (s. auch Prolaktin) 29 ff. 197-200, 302
- Phosphorylase-B-Kinase 613 - PRL-Gen 29 Pseudotumor cerebri 410
Photophobie 125 - PRL-Rezeptor 30 psychosoziale Aspekte, Hypo-
pHPT (primärer Hyperparathy- Probucol 834 glykämie 711
reoidismus) 388, 392, 414-424 Progesteron 158, 166, 181 Psychosyndrom, endokrines 416
- asymptomatischer, Kriterien 417 Prognathie 17 Psychotherapie 588
- Diagnostik 390, 417-420 Prohormon 335 PTA (perkutane transluminale
- Inzidenz 415 Prohormonkonvertasegen 680 Angioplastie) 736
- Lokalisationsdiagnostik 418-419 Proinsulin (s. auch Insulin) PTCA 725
- maskierter 421 - Anteil 646 PTH (Parathormon) 19, 403, 404,
- Prognose 422-424 - Bestimmung 637 435, 446-447, 452
- Therapie 395, 421-422 Prolaktin (s. auch PRL) 19, 29 ff., 157, - Bestimmung 406-407
Pickwiek-Syndrom 592 181, 784 - Infusionstest 411
PIF (Prolaktin-Inhibiting-Faktor) 30 - Heterogenität 30 - Metabolismus 405
PIH (Prolaktin-Inhibiting-Hor- - Mammakarzinom 49 - Ektopie 420, 433
mon) 30 - Mangel 33-35 - Mangel 447
Pinealom 341 - PIF (Prolaktin-Inhibiting-Fak- - ~egulation 405
PKCß-11-Inhibitoren 623 tor) 30 - Uberschuss 446
Plasma-a-ANH 357 - PIH (Prolaktin-Inhibiting-Hor- - Wirkung 405-406
Plasmaharnsäure 355 mon) 30 PTH/PTHrP-Rezeptor 406
Plasmaharnstoff 355 - PRL-Spiegel 31-33, 37, 39, 42, PTHrP (Parathormon-ähnliches
Plasmakreatinirr 355 44,49 Protein) 407, 433
Plasmaosmolalität 333, 356 - Sekretion 30-31, 39, 40 Pubarche 161
Plasmareninaktivität (PRA) 19, 67, - - Pharmakologie 31 Pubertas
93, 499, 504, 506, 517 - - Physiologie 31 - P. praecox 195-202, 300-302
Plasmozytom 415 - Tumormarker 49 - - Definition 196
Plazenta 164, 165 - Wirkung 30 - - Diagnostik 300-301
- humanes plazentares Laktogen - - Brustdrüse 32 - - heterosexuelle 200
(HPL) 701, 705 Prolaktinom 36-47, 169 - P. tarda 174
- Hypertrophie 699 - Adenektomie, transsphenoi- - P. vera 17, 196-200, 302
PNMT 522 dale 42 Pubertät 159-162, 446
Polarisationsmikroskop 849 - Diagnostik 40-41 puerpurale Mastitis 35
Polycythaemia vera 845 - malignes 37 Punktionszytologie 140
Polydipsie 340, 438 - Prohiktinspiegel 42 Purin
- primäre 349 - Radiotherapie 42, 45 - Nahrungspurine 842
- psychogene 348 - Schwangerschaft 47 - Stoffwechsel 841-858
polyglanduläres Autoimmunsyndrom - Therapie 41-47 - - Enzymdefekte 845
(PAS und PGI) 115, 366, 408, 660 - - medikamentöse 42 - - vermehrte Purinzufuhr mit
Polyglobulie 700 Prolaktinproduktion, ektope 41 der Nahrung 845
Polyneuropathie 762 Prolaktin-releasing-Faktor (PRF) 30 Synthese 841
- asymmetrische 762 Proopiomelanokortin 578 Pyruvatcarboxylase 657
- symmetrisch motorische 762 Pro-Prolaktin 29
Sachverzeichnis 871

Q Rheumaknoten 851 TNM-Klassifikation 144


Rhinyle 349 - multifokale 131
QT-Zeitverlängerung 764 Riedel-Struma 111 - Neoplasmen 374
Quinagolid 20, 27, 37, 42, 43 Riesenzellen 112 - Symptome 133
Rigiscan 786 - Szintigraphie 371
Rily-Day-Syndrom (familiäre - Therapie 135-136
R autonome Dysfunktion) 527 - unifokale 131
Rosenkranz, rachitischer 469 Schilddrüsenhormone 19, 41, 447,
RAAS (Renin-Angiotensin- Rötelnviren 654 601
Aldosteron-System) 488-491, 505, Rubellaviren 654 - Resistenz 120-122
515, 748 Rückenschmerz 456 - - Diagnostik 121-122
Rachitis (s. auch Osteomalazie) 411, "rugger jersey" 429 - - Einteilung 120
465-472 - - Therapie 122
- Diagnostik 469-470 Schlaganfall 592
- kalzipenische 466-467, 470-472 s Schleifendiuretika 436
Schmerz 338
- phosphopenische 467-468,
471-472 SAHA-Syndrom 225 - Therapie 464
- Therapie 470-472 Saluretika 845 Schmerzunempfindlichkeit, kon-
Radioimmunoassays 337 Salzverlust, androgenitales Syndrom genitale 527
Radiojod mit Salzverlust 499 Schokoladenzyste 138
- Test 135 Salzverlustkrise 499 Schwangerschaft 33, 34, 47, 66, 143,
- Therapie 118, 128, 147 Salzverlustsyndrom 214 162-164, 344, 349, 516, 698-704
RAGE 618 - zerebrales ("cerebral salt wasting - Ernährung 703
Raloxifen 461 syndrom", CSWS) 357 - Gewichtszunahme 703
Rauchen/Nikotin 280, 338, 694, 718, Samenleiteraplasie, kongenitale Schwangerschaftshypophyse 33
729, 786 bilaterale 294-295 Schwellenplasmaosmoialität 337
Reduktase 250, 252 5a- Samenstrang 245 - angehobene 344
- Mangel 250 5a- Samenwege 293-295 Schwellkörperfibrose 784
- Reduktase-2-Defizienz Sammelrohr 338 Schwellkörperpharmakontest/-auto-
288-289 5a- Sammelrohrzellen 333 injektionstest (SKAT) 297, 299,
Refsum-Syndrom 839 Sandastatin LAR (s. auch Octreotid) 786, 788
Rehydratation 423 22 Schwerpunktneuropathie 761
Reifenstein -Syndrom 286-287 Sarkoidose 69, 107, 324, 329, 341, 349, Schwitzen 25, 349
Reize 408, 415, 743 SCO-Syndrom 276
- Barorezeptor-vermittelte 337 Sauerstoffradikale 622, 748 Seroturn bifidum mit Hypospaie,
- nichtosmotische 337 Sauerstoffverbindungen, reaktive präpeniles 287
- oropharyngeale, lokale 337 (ROS) 615 Sebumproduktion 252
- osmotische 337 Scavenger-Rezeptoren 616 Sehnenscheidenentzündung 847
- Volumenrezeptor-vermittelte 337 Schambehaarung 253 Sekretin 549
Rekrutierungsphase 158 - Fehlen von 355 - Test 563
Rekurrensparese 142 Schilddrüse 226 Sekretionsarrest 343
renale Komplikationen, Hyper- - Adenom "selective estrogen receptor
urikämie 846 - - autonomes 131 modulators" (SERM) 190
Renin 489 - - - dekompensiertes 134 Selektionsphase 158
- Suppression 354 - - - kompensiertes 134 Seminalplasma 259
Renin-Angiotensin-Aldoste- - - toxisches 131 Seminom 255
ron 485-519 - Agenesie 110 Seneszenz 306-310
- RAAS (Renin-Angiotensin- - Antikörper 368, 371 - Fertilität 308
Aldosteron-System) 488-491, 505, - Aplasie 107 - Sexualität 309
515, 748 - Dysgenesie 110 - Therapie 310
Reninismus, primärer 515, 516 - Echoarmut 116 senile Demenz 761
Reninom 515, 517, 518 - Ektopie 110 Sepsis 650, 770
renin-produzierender Tumor 515 - Hypoplasie 107 Septum pellucidum 19
Reninsekretion, ektope 516 - Tumoren, papilläre 144 SERM ("selective estrogen receptor
renovaskuläre Hypertonie 515, 516 Schilddrüsenautonomie 109, modulators") 190, 461
Reproduktionsverfahren, 130-136 Serotonin 30, 551, 577
assistierte 281 - Diagnostik 133-134 Sertoli-Zellen 244
Resorptionsphase 606 - disseminierte 131 - Sertoli-cell-only-Syndrom 18, 278
Resorptionszonen, subperiostale 429 - Karzinome Serumgesamtphosphatase, alkalische
Retardierung, mentale 351 - - anaplastische 144, 149 426
Rete testis 243 - - follikuläre 144 Serumglukose 336
Retinopathie, diabetische 738-745, medulläre 144, 387-391 Serumharnsäurebestimmung 849
751 - - - Diagnostik 389-392 Serumharnstoff 336
- - - sporadische 392 Serumnatrium 334, 504
- hYI?ertensive 743 Sexualanamnese 785
- mchtproliferative 739 - - - Therapie 393-394
- proliferative 739 Malignom 143-149 sexualhormonbindendes
- - Diagnostik 145 - Globulin (s. SHGB) 248
- bei Sichelzellanämie 743
- Ductus-thyreoglossus-Karzinom - Hormon 121
- Strahlenretinopathie 743
Retinaphotographie 742 144 Sexualsteroide 19
- Lymphknotendissektion 147 Shambelan-Syndrom 499
Retinsäure 149 Sheehan-Syndrom 34, 69, 71, 107,
Ret-Protoonkogen 145, 385, 392 Mukoepidermoidkarzinom 144
Retroorbitalbestrahlung 124 - Neoplasie, follikuläre 145 169, 329
Plattenepithelkarzinom 144 SHGB (sexualhormonbindendes
Retrovirus 654 Globulin) 248, 256
- Therapie 147-149
872 Sachverzeichnis

sHPT (sekundärer Hyperpara- St. Vincent-Deklaration 778 - Di-George 408


thyreoidismus) 424-431, 455 Staphylococcus aureus 111 Fabry 839
- Definition 424 StAR-Protein 212, 218, 485 - Gaueher 838
- Diagnostik 426 Stein-Leventhal-Syndrom 232 - Guillain-Barre 527
- Klinik 426 Stellwag-Zeichen 129 - Hippel-Lindau 532, 534
- Niereninsuffizienz 424-426 Stents (Endoprothesen) 736 - Holmes-Adie 527
- Therapie 426-431 Sterilität (weibliche) (s. auch - Kalimann 168, 169, 174-175,
"shuttle' Hypothese 339 Ovarialinsuffizienz) 178-184 259-265, 328
Shy-Drager-Syndrom 527 "steroid producing cell auto - Kearns-Sayre 408
SIADH (Syndrom.,der inappropriaten antibodies" 65 - Kelley-Seegmüller 845
(inadäquaten) Uberproduktion von Steroidbiosynthese 52, 249 Klinefelter (s. dort) 16, 18, 20,
ADH) 343, 353-360 Steroidhormone 274-276, 601, 602
- Diagnostik 355-356 - Produktion 485 - Krabbe 839
- Hyponatriämie, akute 355 - Regulation 487-488 - Lambert-Eaton 527
- Langzeittherapie, medikamen- - Synthese 485-487 - Laron 328
töse 358 Steroidpsychose 340 - Laurence-Moon 266
- Therapie 358-360 STH (s. auch "growth hormone") - Laurence-Moon-Biedl-Bartlett
- - Trinkmengenbegrenzung 358 3 ff. 168
- - ZVD-gesteuert 357 Stickstoffmonoxid (s. auch NO) 616 - Lesch-Nyhan 845, 856
- Substitutionstherapie 358 Stillzeit 143 - Leydig 285-286
- Ursache 355 Stimmgabeltest 764 Liddie 503
Sibutramin 599, 600 Strahlenretinopathie 743 - Marfan 18
Sichelzellanämie, Retinopathie 743 Strahlentherapie 19 - McCune-Albright 480
"side chain cleavage enzyme" Strahlenthyreoiditis 111 - Niemann-Piek 839
(s. auch P450scc) 485, 486 Stress 280, 338 - Paget (s. dort) 26, 450, 473-477
Sildenafil 299 - oxidativer 614-618, 621, 748, 760 - Parkinsan 527
Simmonds-Sheehan-Syndrom 344 Striae, livide 77 - Pendred 110
Sinus cavernosus 334 Stromazelltumoren 302 - Pickwiek 592
- Kompression 324 - gonadale 305-306 - Prader-Labhart-Willi 168,
Sinus-petrosus-Katheter 80, 81 Struma, endemische 136-143 265-266, 328
Sjörgen-Syndrom 115 - Adoleszenz 143 - Prader-Willi 596
SKAT (Schwellkörperpharmakontest/- - Diagnostik 138-141 - Refsum 839
autoinjektionstest) 297, 299, 786, Prävalenz 137 - Reifenstein 286-287
788 - Rezidivprophylaxe 143 - Rily-Day 527
Skelett 252 Schwangerschaft 143 - Sertoli-cell-only-Syndrom 18,
Skelettszintigraphie 435, 457, 476 - Stillzeit 143 278
Sklerosierung 142 - St. colloides nodosa 136 - Shambelan 499
Somatostatin 534, 549, 609, 641 - St. nodosa, Rezidiv 24 - Sheehan 34, 69, 71, 107, 169, 329
- Rezeptor 641 - Therapie 141-143 - Shy-Drager 527
Somatostatinanaloga 19, 26, 557 Sturge-Weber-Krabbe-Erkrankung - Simmonds-Sheehan 344
- Nebenwirkungen 19 532 - Sjörgen 115
Somatostatinom 568, 569 Sudeck-Erkrankung 449-450 - Sotos 17, 26
Somatostatinrezeptor-Szintigra- Sulfatidose (metachromatische - Stein-Leventhal 232
phie 377, 638 Leukodystrophie) 839 - Sturge-Weber-Krabbe 532
Somnolenz 438 Sulfonylharnstoffe 591, 635 - Sudeck 449-450
Sonographie 25, 108, 112, 255-256 Superantigen (SAG) 654 - Sweyer 285
- farbkodierte 255 Suppression - Ullrich-Turner 175
- Nieren 517, 751 - Aldosteron 354 - Tangier disease 817
- transrektale 255 - Renin 354 Waterhouse-Friderichsen 62
Sorbitoldehydrogenase 622 - Szintigraphie 141 - Wermer 19
Sotos-Syndrom 17, 26 Supraklusion 25 - Wiedemann-Beckwith 18
Spaltlampenuntersuchung 129 Suramin 514 - Wilson 408
"sparsely granulated" laktotrope Sweyer-Syndrom 285 - Wolfram 343
Zellen 37, 38 Sympathektomie 737 - Wolman 839
Spätschäden 614 Sympathikus 632 - Young 295
Spermatiden 254 sympathische Nervenfasern 609 - Zollinger-Ellison 379, 561
- elangierte 254 sympathisches Nervensystem 779 Syringomyelie 775
Spermatogenese 253-254, 264, Syndrom Systematrophie, multiple 528
276-278 - 9 + 0- 277 Szintigraphie 108, 112
Spermatogenesearrest 277 - der immotielen Zilien 277 - Ganzkörperszintigraghie 147
Spermatogonien 253, 254 - <;!er inappropriaten (inadäquaten) 131 -Jodszintigraphie/ 31 -Jod-MIBG-
Spermatozyten 253 Uberproduktion von ADH Szintigraphie 92, 110
Spermien 254 (s. SIADH) 353-360 - MIBG-Szintigramm 538
- intrazytoplasmatische Spermien- Syndrome/Morbus/Erkrankungen - Nativszintigraphie 140
injektion (ICSI) 282 (nur Namen benannte) - Nebenniere 508
- Konzentration 258 - Addison (s. dort) 58-69, 648 - Nierensequenzszintigraphie 517
- Mobilität 258 - Alzheimer 338, 761 Oktreotidszintigraphie 539
- Morphologie 258 - Bardet-Biedl 266 Schilddrüsenszintigraphie 371
Spermiogenese 276-278 - Bartter 516-518 - Skelettszintigraphie 435, 457,
Sphingolipidosen 838 - Basedow (s. dort) 60, 109, 124-128 476
Spironolacton 512 - Bassen-Kornzweig 816 - Somatostatinrezeptor-Szintigraphie
Spitzenknochenmasse 446 - Borneville-Pringle 532 377, 638
Spurenelemente 227 - Cushing (s. dort) 75-89, 503, 601, - Suppressionsszintigraphie 141
SRY-Gen 243, 275 602 - 99 m- Technetium 113
Sachverzeichnis 873

T thyreoidale Peroxidase (s. auch TPO) - Stoffwechsel 813


105, 115 Triglyzeridlipase 809
T3 (s. auch Triiodidthyronin) 104 thyreoideastimulierendes Hormon Triiodessigsäure (TRIAC) 122
- Rezeptor 105, 121 (s. TSH) 105 Triiodidthyronin (s. auch T3) 104
- Rezeptorgen 121 Thyreoidektomie 394 Trinkmenge 346
T4 (s. auch Thyroxin) 104 Thyreoiditis 111-118 Trinkmengenbegrenzung 358
Tabes dorsalis 775 - akute 111-112 Trousseau-Zeichen 411
Tagesrhythmus 334 - Diagnostik 111-113 TSH (Thyreoideastimulierendes
Taillenumfang 594 - atrophische Form (primäres Hormon) 105, 181
TAK (Thyreoglobulinantikör- Myxödem) 111 - a-Untereinheit 123
per) 367 - Autoimmunthyreoiditis (s. dort) - Rezeptor 105
Tamoxifen 280 114-118 - Rezeptor-Antikörper (TRAK) 125,
Tangier disease 817 - chronische lymphozytäre 111 367
Tanner-Stadium 160 fibrosierende (Riedel-Struma) 111 TSH-om 122-124
Taubheit 343 - granulomatöse 111, 112 - Diagnostik 123-124
TBPA (thyroxinbindendes Prä- - - subakute 112 - Therapie 124
albumin; Transthyretin) 106 - hypertrophe Form (Hashimoto) Tuberkulose 69, 415
99m- Technetium 113 111 Tumoren
- Szintigraphie 146 - Karzinom 111 - braune 426
99m-Technetium-2-Methoxyiso butyl- - medikamentös-induzierte 111 - somatomammotrope 37
isonitril 146 - post parturn 111 Tumorhyperkalzämie
Technetium-Uptake 108, 116 - "silent" 111 Diagnostik 434-435
Tendovaginitis 848 - subakute (de Quervain) 112-114 humorale 433
TESE ("testicular sperm extraction") - Therapie 112-114 osteolytisch-metastatische 433,
259 - traumatische 111 434
Testes, Lageanomalien (s. auch Thyreoliberin 105 - Therapie 435-437
Hoden) 269-272 Thyreostatika 119, 127 Tumorhypoglykämie 646-648
- Diagnose 271 - Erhaltungsdosis 127 Tumorkachexie 580
- Therapie 271-272 - Nebenwirkungen 127 Tumorkompression der Hypo-
testikuläre intraepitheliale Neoplasie Thyreotoxikose 415 physe 17
(TIN) 303 thyreotoxische Krise 133 Tumormarker 49
Testis-determinierendes Gen 243 thyreotrope Insuffizienz 107 Tumor-Nekrose-Faktor a
Testosteron 181, 256, 280, 784, 785 Thyroxin (s. auch T4) 104 (TNF a) 580, 624, 677
- freies 256 - D-Thyroxin 120 Tumorosteolyse 450
- Referenzbereiche 256 thyroxinbindendes Tumorosteopathie 432
- Substitutionstherapie 263-264 - Globulin (TGB) 106 Tumorsuppressorgen 145
Testosteronenarrthat 263 - Präalbumin (TBP A; Transthyretin) Turner-Index 635
Testosteronimplantate, subku- 106 Tyrosin
tane 264 TIDA Neurone 30 - Diiodtyrosin 105
Testosteronpflastersysteme 264 Tiefensensibilität 730 - L-Tyrosin 521
Testosterontherapie 263-264 TIN (testikuläre intraepitheliale - Monoiodtyrosin 105
Testosteronundecanoat 263-264 Neoplasie) 303 Tyrosinhydroxylase (TH) 521
Testotoxikose 300 Tonizität 333 Tyrosinkinase 611
Tetanie 410 Tophus 851 Tyrosinrezeptorkinase 385
tetanische Krise 414 totipotent 162
Tetraplegie 359 Toxoplasma sondii 343
Tetrazyklin 142 TPO (Thyremdale Peroxidase) 105
Trachealkompression 139
u
TGB (thyroxinbindendes Globu-
lin) 106 Trachealzielaufnahme 136 Übelkeit 438
TGF-ß ("transforming-growth"-Faktor Tractus supraoptico-neurohypo- Übergewicht 589-600, 671
ß) 138, 445, 747 physeus 334 - Epidemiologie 589
Thallium 146 201 TRAK (TSH-Rezeptorantikör- UKPDS 691, 722, 732, 754
Thelarche 31, 161 per) 367 Ulkus, Mischulkus 774
- prämature 202 "transforming-growth"-Faktor ß Ullrich-Turner-Syndrom 175
Therapie, physikalische 465 (s. TGF-ß) 138, 445, 747 Ultrazentrifuge 809
Thermogenese Transkriptionsfaktor NFKB 616, 620, Umwelteintlüsse, Diabetes 682
- bewegungsabhängige 576 748 Umweltgifte 280
- nahrungsabhängige 576 Transsexualität 313-317 "uncoupling"-Proteine (UPC) 579
Thiamazol 127 - Diagnostik 314 - UPC-1 579
Thiaziddiuretika 352, 436 - Prävalenz 313 - UPC 2 579
Thiazide 784 - Therapie 315-317 - UPC 3 579
Thioctsäure (a-Liponsäure) 624, 768 transsphenoidale(r) "undervirilized fertile male syn-
Thiozyanate 138 - Aderrektornie 42, 342 drom" 287, 288
Thromboarteriektomie/Bypass 737 - Eingriff 44 Untersuchung, augenärztliche 25
Thrombolyse 726 - Hypophysenoperation 81-82 urämische Azidose 498
Thrombose, hämorrhagische Zentral- Transthyretin (TBPA; thyroxin- Urapidil 542
venenthrombose 743 bindendes Präalbumin) 106 Uratkristalle, Phagozytose 846
Thrombozytenaggregationshemm er Trazodon 786 Uratnephrolithiasis, Therapie 855
733 TRH 105 Uratnephropathie (Gichtniere) 846,
Thrombozytenaggregationshemmung - Test 48, 108, 121 847, 851
724 TRIAC (Triiodessigsäure) 122 - Symptome 847
Thyreoglobulin 105 Trichogramm 227-228 - Therapie 855
- Antikörper (TAK) 115, 367 Triglyzeride 614, 807 Urikolyse, bakterielle 842
- Hypertriglyceridämie 828, 829 Urikostatika 851
874 Sachverzeichnis

Urikosurika 851, 852 Vibrationsempfinden 730 X


Urin Vincristin 338
- Aquaporin-2-Konzentration 356 VIP 376 Xanthin 852
- konzentrierter 353 Vipom 376, 381, 566-568 Xanthinoxidase 841
- Natriumexkretion 355 Viren 654, 655 Xanthinsteine 851
- Osmolalität 356 Virilisierung 204, 205 Xanthinurie 856
- spezifisches Gewicht 346 Visuell evozierte Potentiale Xanthomatose, zerebrotendinöse
Urkeimzelle 242 (VEP) 129 840
Urolithiasis 417 Visus XX-Mann-Syndrom 275
Ursodesoxycholsäure 642 - Bestimmung 129 XXY-Karyotyp 274 47,
Uterus 164 - Einschränkung/-minderung 25, XXY -Syndrom 275
- Kontraktion 336 345
UV-Mangel 424 - Verlust 129
Vitamine y
- Vitamin A 227, 415
V - Vitamin B12 -Mangel 641
- Vitamin D 403, 463-464 Yersinia enterocolitica 128
- - Intoxikation 470 Yohimbin 299
V<l>-AVP-Rezeptoren 338 Yohimbin-Hydrochlorid 786
V<2>-AVP-Rezeptoren 339 - - Mangel 412, 454
- Metaboliten 413 Young-Syndrom 295
- Rezeptor-Antagonisten 360
- Rezeptor-Aktivierung 339 - - Rachitis, Vitamin D-abhängige
- Rezeptorgen, Mutation 351
Vaginalaplasie 285
412, 470
- - - Typ 1 470 z
Vaginalsonographie 181 - - - Typ 2 412, 470
Vakuumapparate 786, 787 - - Resistenz 412 Zellen
Valsalva-Manöver 141 - Vitamin E 624 - a-Zellen 609, 613
Vanillinmandelsäure 536 Vitiligo 115 - B-Zellen (B-Lymphozyten) 654
Varikosis 595 Vitrektomie 744 - ß-Zellen 609, 654
Varikozele 272-273 VLDL 592, 683 - 8-Zellen (Somatostatin) 609
- III. Grades 255 - Synthese 592 - laktotrope
vasoaktive Pharmaka 734 Volumenmangel 337 - - "densely granulated" 37
vasoaktives intestinales Polypeptid Volumenregulation 338 - - "sparsely granulated" 37, 38
549 - T-Helferzellen 656
Vasodilatation, NO-abhängige 616 - T-Zellen (T-Lymphozyten) 620,
Vasokonstriktion 338 w 654
ß-Zellhyperplasie 627
Vasopressin (s. ADH) 334-335
Vasopressinase 344 Wachsturn 3 ff. Zentralvenenthrombose, hämorr-
Vasopressin-Escape 352 Wachstumshormon (s. auch "growth hagische 743
vegetative hormone") 3 ff., 606, 628, 784 zerebrotendinöse Xanthomatose 840
- Hypoglykämiesymptome 779 - Mangel 601, 602, 648 Zielgröße 18
vegetatives Nervensystem 629 - Substitution 331 Zink 259
VEGF 745 Wasseraufnahme 337 ZNS 253
Venenchirurgie, penile 789, 790 Wasserbelastungstest 356 - Erkrankungen 355
Venenkatheter, selektiver 501, 508, Wasserhaushalt 333-360 - lymphozytäre Infiltration 343
517 Wasserkorrekturbedarf 351 Zoledronat 436
VEP (Visuell evozierte Poten- Waterhouse-Friderichsen -Syn- Zoller-Ellison-Syndrom 379
tiale) 129 drom 62 Zollinger-Ellison-Syndrom 561
Verbrennungsverletzungen 349 Wermer-Syndrom 19 Zona
Verdünnungshyponatriämie 354 Whipple-Trias 635, 708 - fasciculata 51
Verhaltensmodifikation 596 W~edemann- Beckwith -Syndrom 18
- glomerulosa 51
Verhaltenstherapie, kognitive 585 Willebrandt-Jürgens-Faktor 352 - reticularis 51
Verschlusskrankheit, periphere Wilson-Erkrankung 408 Zufallsdiagnose 323
arterielle (pAVK) 727-738 Wolff-Gang 243 Zyklusstörungen 38, 513
Verwirrtheit 438 Wolfram-Syndrom 343 Zytokine 618, 749
Vesikel, neurosekretorische 335 Wolman-Syndrom 839 Zytologie 113
Viagra 299 Wundheilung, gestörte 772 Zytomegalie 343
Zytostase 499

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