Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
)
Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
PETER P. NAWROTH • REINHARD ZIEGLER
(HRSG.)
Klinisc e
E dokrino ogie
und
So wec sei
Mit 523, zum Teil farbigen Abbildungen
und 242 Tabellen
~Springer
Professor Dr. PETER P. NAWROTH
Universitatsklinikum Tiibingen
Medizinische Klinik IV
Otfried-Miiller-StraBe 10
72076 Tiibingen
Deutschland
ISBN 978-3-642-62970-9
Die Endokrinologie hat einen festen Platz in der in- binden und zu vergleichen. Dementsprechend ha-
neren Medizin, mit ihren Sektoren in die Kardiolo- ben sich die Autoren auch bemüht, vor allem im
gie, Gastroendokrinologie, Onkologie, Gynäkologie, Teil Therapie deutlich zu machen, wo der Nachweis
Nuklearmedizin, Radiologie, Chirurgie, Neurochir- der Wirksamkeit gelungen ist und wo - oft auch
urgie und Orthopädie. Die Endokrinologie ist auf durch die geringen Fallzahlen der jeweiligen Erkran-
den ersten Blick sowohl für Studenten wie auch kung bedingt - der Nachweis der therapeutischen
für klinisch tätige Ärzte ein schwer zu lernendes Wirksamkeit zwar plausibel, aber noch nicht allen
Fachgebiet, da es so außerordentlich viele und teil- Regeln der "evidence based medicine" entspricht.
weise heterogene Krankheiten und Organsysteme Hier wird offenbar, dass die Endokrinologie als
betrifft. Dies zeigt sich auch daran, dass im Vergleich Teilgebiet der inneren Medizin beides vertritt: die
zu anderen Fächern der inneren Medizin der Raum, "Volkskrankheit", wie z.B. Struma, Osteoporose,
den deutsche und englischsprachige Lehrbücher der Hyperlipidämie und Diabetes mellitus, aber auch
gesamten inneren Medizin dem Teilgebiet Endokri- viele seltene Erkrankungen und Syndrome. Der Pa-
nologie überlassen, keinesfalls der eines "kleinen Fa- tient hat in beiden Fällen ein Anrecht darauf, opti-
ches" ist. Damit wird deutlich, dass der Lehrauftrag mal behandelt zu werden. Insofern ist dieses Buch
der Endokrinologie ein großer ist. nicht nur als Fortbildung gedacht, sondern auch
Aber die Systematik der Endokrinologie macht als Versuch, die Situation der Versorgung der endo-
das Erlernen dieses Faches einfach und übersicht- krinalogisch Erkrankten zu verbessern. Teil dieser
lich. Allgemein kann zwischen Überfunktion, Or- wünschenswerten Verbesserung der Patientenver-
ganveränderung ohne fassbare Funktionsstörung sorgung ist auch die Pflege der Interaktion zwischen
und Unterfunktion unterschieden werden. An diese dem niedergelassenen Allgemeinarzt, dem Interni-
Einteilung hat sich auch die Gliederung jedes Kapi- sten und Endokrinotogen und der Fachklinik mit
tels dieses Buches gehalten. Damit wird auch ein einer endokrinalogischen Abteilung.
weiteres Merkmal dieses Faches deutlich: Die Endo- Bei den Autoren möchten wir uns besonders für
krinologie ist ein außerordentlich systematisches ihre Bemühungen bedanken. Die Mitherausgeber
Fachgebiet, mit exakt definierbaren Regelkreisen, der einzelnen Bereiche haben eine hervorragende
deren Störung es zu diagnostizieren gilt und deren Arbeit bei der Koordinierung der verschiedenen Ka-
Einstellung im Rahmen der Therapie es zu überwa- pitel geleistet. Aber auch den Lektoren Dres. Cle-
chen gilt. Das Labor und das ärztliche Gespräch sind mens und Joswig gebührt, ebenso wie den Mitarbei-
neben den bildgebenden Verfahren daher die Säulen tern des Springer-Verlages unser Dank.
der Tätigkeit des klinischen Endokrinologen.
Da sich dieses Buch an die klinisch interessierten Heidelberg/Tübingen, im Herbst 2000
Studenten und Ärzte wendet, ist jedem Kapitel ein
Fallbeispiel vorangestellt. Dies soll den Leser in R. ZIEGLER
die Lage versetzen, die Theorie mit der Praxis zu ver- P. P. NAWROTH
Inhaltsverzeichnis
Wachstum 1
G. BINDER, T. HAAK,
M. B. RANKE, K. H. USADEL
50.-------------------------
40
=
~ 30
C'l
.s
I
~ 20
10
Jl\.. - ........
0 •
50 . -------------------------
40
=E 30
.....
C'l
.s
I
~ 20
10
0
lA• .
50
40
E
..... 30
Ol
.s
6 20
•
10
Abb.I-1.
Pulsatilität der GH-Sekre-
12:00 18:00 24:00 6:00 [Uhr] 12:00 18:00 24:00 6:00 [Uhr] tion; unteres Drittel.
7eir Zeit (Aus: Spiliotis et al., 1984)
1.1 Physiologie des Wachstumshormons (GH) 5
~
tionsnetzwerks auf verschiedenen anatomischen
Q)
~
20 und funktionellen Ebenen. Substanzen, die in der
klinischen Situation verwendet werden, um die
0 GH-Sekretion in standardisierter Form zu evo-
21 · 31 29 - 59 61 · 71 zieren, wirken auf unterschiedlichen Ebenen - di-
Alter [Jahre] rekt auf die somatotropen Zellen, oder indirekt
Abb.l-2. Tägliche GH-Sekretion in Abhängigkeit vom Alter via Stimulation von GHRH bzw. Inhibition von
GHRIH.
1.1.3 1.1.4
Regulation der GH-Sekretion Wirkungsmechanismen von GH
Die Synthese und Sekretion von GH wird vordring- Der erste Schritt der GH- Wirkung ist die spezifische
lich durch die Balance zwischen GH-Releasing-Hor- Bindung an einen Membranrezeptor (GH-R),wel-
mon (GHRH) (Syn.: Somatokrinin) und GH-Re- cher zur Superfamilie der Zytokinrezeptoren gehört.
lease-Inhibiting-Hormon (GHRIH) (Syn.: Somato- Das Rezeptorprotein besteht aus einer extrazellulä-
statin) reguliert. ren (247 AS), einer transmembraneo (24 AS) sowie
einer intrazellulären Domäne (397 AS), welche mit
• GHRH. GHRH ist ein Peptidhormon von 44 AS der intrazellulären Signalkaskade gekoppelt ist.
Länge, dessen Produktion vorzugsweise im Nucleus Die Interaktion von GH mit dem Rezeptor erfolgt
arcuatus des Hypothalamus erfolgt. Axone sind von in 2 Schritten. Zunächst bindet GH mit einer hoch-
dort zur Eminentia mediana gerichtet. GHRH wirkt affinen Bindungsstelle an die äußere Domäne eines
nach Bindung an einen spezifischen G-Protein ge- Rezeptormoleküls. Dann assoziiert sich ein zweites
koppelten Zelloberflächenrezeptor über eine cAMP Rezeptormolekül mit einer anderen Bindungsstelle
vermittelte intrazelluläre Signalkaskade. Dies führt des bereits ligierten GH-Moleküls. Wenn diese Di-
zu einer Steigerung der GH ·Produktion und -Sekre- merisierung zwei er GH ·Rezeptoren erfolgt ist,
tion. wird die intrazelluläre Signalkaskade aktiviert. Die
Rezeptor- Dimerisierung aktiviert die assoziierte
Tyrosinkinase JAK2 und führt zur Tyrosin-Phos-
• GHRIH. GHRIH ist ein Peptidhormon von 14 AS
phorylierung des Rezeptors.
Länge, dessen Produktion vorzugsweise von Neu-
Die extrazelluläre Domäne des GH-Rezeptors -
ronen im Bereich der anterioren periventrikulären
ein einsträngiges Glykoprotein (60 kD) - kann im
Region des Hypothalamus erfolgt. Axone von dort
Menschen durch Proteolyse abgespalten werden
sind zur Eminentia mediana regulatorisch gerichtet.
und zirkuliert als hochaffines Bindungsprotein für
Die Bindung von GHRIH an spezifische Rezeptoren
GH (GH-BP) im Serum. Man nimmt an, dass die
bewirkt eine Hemmung der Adenylcyclaseaktivität
Konzentration des GH-BP in der Zirkulation den
und eine Verminderung der intrazellulären Kal-
Rezeptorstatus eines Individuums reflektiert. Im
ziumkonzentration.
Säuglingsalter spiegelt eine verminderte Konzentra-
tion von GH-BP die physiologische Verminderung
Regulationsmechanismen des GH-Rezeptors und somit die entwicklungstypi-
Die Wirkung von GHRH und GHRIH ergibt sich aus sche GH -Resistenz wider. Etwa 15 - 35% des zirku-
der teils pulsatilen, teils tonischen Natur ihrer Se- lierenden GH sind an GH-BP gebunden. Die physio-
kretion. Auf hypothalamisch-hypophysärer Ebene logische Bedeutung der GH -Bindung an GH-BP,
sind Rückkopplungsmechanismen ("short loop") durch welche die Halbwertszeit von GH verlängert
wirksam - die Sekretion von GH steigert z. B. die wird, ist bisher unklar. Da die GH-Bindung an
Freisetzung von GHRIH -,welche die GH-Sekretion GH-BP reversibel ist, mag GH-BP für den Transport
beinflusst. Ein komplexes und bisher nur sehr un- von GH zu Zielgeweben eine Rolle spielen.
6 KAPITEL I Wachstum
IGFBP-3 T IGFBP-3 l
Regulation des /GF-Systems
Das IGF-System ist außerordentlich komplex regu- Insulin l In ulin l
liert. Die Konzentration des IGF-1 im Blut hängt un- Insulin-Sensitivität l In ulin-Sen itivität T
ter anderem sowohl von der GH-Sekretion als auch
von nutritiven Faktoren und der Leberfunktion ab. Glukose I Gluko e 1< ? I >
IGF-1-Konzentrationen in der Zirkulation und die Glukose-Toleranz 1
Sekretion des Wachstumshormons stehen in einem
Rückkopplungsverhältnis ("feedback") zueinander, Lipolyse t Lipolyse
wie es für klassische endokrine Regulationssysteme
typisch ist.
Glukosestoffwechsel
Dem insgesamt als insulinantagonistisch anzuse-
• IGF-Bindungsproteine. IGF zirkulieren an Bin-
hende direkte Effekt von GH steht der indirekte in-
dungsproteine (IGFBP) assoziiert. Es sind derzeit
sulinähnliche Effekt des GH-abhängigen IGF-1 ent-
6 (IGFBP-1 bis -6) Bindungsproteine für IGF be-
gegen. Beim GH-Mangel ist die Nüchternglukose
kannt, welche in ihrer chemischen Struktur grund-
vermindert; insbesondere Kinder neigen zur Hypo-
sätzlich ähnlich sind. Unterschiede ergeben sich hin-
glykämie. Gleichzeitig besteht eine verminderte In-
sichtlich ihrer Größe, ihrem präferenziellen Bin-
sulinsekretion, eine erhöhte Insulintoleranz und
dungsverhalten für IGF-1 oder IGF-11, ihrer Fähig-
eine verminderte Glukosetoleranz. Die endogene
keit, proteolytisch gespalten bzw. phosphoryliert
(hepatische) Glukoseproduktion ist vermindert.
werden zu können, ihrer Expression in Geweben, ih-
Diese Veränderungen sind nach Substitution von
rer Konzentration in Körperflüssigkeiten, ihrer Fä-
GH reversibel, wobei sowohl die endogene Glukose-
higkeit an Strukturproteine zu binden, ihrer Regula-
produktion als auch die Glukoseverwertung gestei-
tion durch Hormone u. a. m. Die funktionelle Rolle
gert sind.
der IGFBP ist nicht vollständig geklärt. IGFBP ver-
längern die Halbwertzeit der IGF, die in "freier"
Form nur wenige Minuten beträgt, auf ca. 12 und Fettstoffwechsel
spielen für die Präsentation von IGF an ihre Rezep- Ein direkter Effekt von GH besteht auf den Stoff-
toren in verschiedenen Geweben eine zentrale Rolle. wechsel von Adipozyten, da diese Zellen keine Re-
In der Zirkulation erscheint IGF-1 (und IGF-11) vor- zeptoren für IGF-1 besitzen. GH stimuliert die Pro-
dringlich an IGFBP-3 (53 kD) gebunden (binärer liferation von Vorläuferzellen der Adipozyten. Die
Komplex) und formt mit ALS (acid-labile sububit) Gabe von GH induziert einen durch Lipolyse be-
(85 kD) einen ternären Komplex (150 kD). IGFBP- dingten Anstieg der freien Fettsäuren (FFA) im
3 und ALS werden abhängig von GH in der Leber Blut. Gleichzeitig stimuliert GH die Lipoprotein-
1.2 GH-Mangel 7
Salz-Wasser-Haushalt Mangel
Es ist gut dokumentiert, dass GH zu einer Retention
M. B. RANKE, G. BINDER
von Wasser und Natrium führt. Die Mechanismen
dieser Effekte sind nicht völlig geklärt. Bei Patienten
mit GH-Mangel besteht eine Verminderung desto-
1.2
talen Körperwassers und der extrazellulären Flüssig-
GH-Mangel
keitsmenge, die durch GH-Gabe kompensiert wird.
Bei akromegalen Patienten ist die extrazelluläre
1.2.1
Flüssigkeitmenge vermehrt. Das Plasmavolumen
Fallpräsentation
scheint nur nach langzeitiger GH-Gabe anzusteigen.
GH steigert die glomeruläre Filtrationsrate (GFR),
eine Wirkung, die wahrscheinlich durch IGF-1 mo- Ein 4,5 Jahre alter Junge (Abb. 1-3) wmde vor-
duliert wird. Ob die Flüssigkeitsretention Ursache gestellt, weil er in den vergangeneo Jahren kaum
oder Folge der erhöhten GFR ist, bleibt derzeit un- gewachsen war und ihn sein 2 Jahre jüngerer
klar. Ebenso unklar ist die Rolle des Renin-Angio- Bruder in der Größe überholt hatte.
tensin-Aldosteron-Systems (RAAS) während der Der proportioniert kleinwüchsige Junge nor-
GH-Gabe, da klinisch-experimentelle Befunde so- mal großer Eltern hatte einen großen Kopf mit
wohl für als auch gegen eine vom RAAS abhängige prominenter Stirn, kleinem Mittelgesicht (Pup-
Flüssigkeitsretention sprechen. Die Bedeutung von pengesicht) sowie eine stammbetonte Adiposi-
atrialem natriuretischen Peptid (ANP), Prostaglan- tas und ein kleines Genitale. Die Größe
dinen und AVP im Zusammenwirken mit GH in (93,2 cm) lag 9 cm unterhalb der 3. Altersper-
der Regulation der Flüssigkeitshomöostase ist Ob- zentile bei normalem Körpergewicht (16,3 kg).
jekt derzeitiger Forschung. Insgesamt kann davon Die GH-abhängigen Faktoren IGF-1 (21 ng/
ausgegangen werden, dass die Effekte von GH auf ml) und IGFBP-3 (703 nglml) waren vermindert.
den Salz-Wasser- Haushalt multifaktoriell sind. Kli- Im Arginin-Test wurde ein GH-Maximum von
nisch bedeutsame Wirkungen sind zudem häufig 2,2 )lg/1, in der nächtlichen Spontansekretion
transitorisch und beim Erwachsenen stärker ausge- ein GH -Maximum von 7 ~tg/1 gemessen. Weitere
prägt. Ausfälle von Hypophysenhormonen waren
nicht nachweisbar. Im MRT stellte sich eine hy-
poplastische Adenohypophyse mit ektoper Neu-
Proteinstoffwechsel
rohypophyse dar.
Die Wirkungen von GH auf den Proteinstoffwechsel,
Tägliche Dosen von 0,5 IE GH s.c./kg KG
die in ihrer Summation anabol sind, sind nicht völlig
und Woche führten zum Aufholwachstum
geklärt, wobei von einer direkten Förderung der
(Abb. 1-4}. ach 3 Jahren wurde die 50. Alters-
Proteinsynthese auszugehen ist.
perzentile der Größe erreicht. Die Behandlung
wird bis zum Erreichen einer normalen Erwach-
senengröße fortgeführt. Da eine Fehlbildung der
Hypophyse vorliegt, ist mit einer lebenslangen
GH-Substitution zu rechnen.
8 KAPITEL I Wachstum
Abb. l-3. Klinische Entwicklung eines Patienten mit GH-Mangel (links) im Vergleich zum 2 Jahre jüngeren gesunden Bruder
(rechts) vor und während GH-Behandlung
6 7 8 9 10 11 12 13 14
cm r-r---,-,-,-,-,--,~~~~~~~~
1.2.2
190
Epidemiologie
90
1.2.3
Pathogenese
Abb. 1-Sa, b.
Ektopie der Neurohypophyse in sagittaler (a)
und koronarer (b) Tl-gewichteter Kernspin -
tomographie
10 KAPITEL I Wachstum
Tabelle 1-2. Mendel-Erbgänge des monogenetisch vererbten gentlieh beobachtet. Angeborene, genetisch be-
isolierten GH-Mangels dingte Formen der GH-Resistenz sind durch eine
Typ Erbgang Serum GH Molekulare
primäre Störung der IGF-I-Synthese bzw -Wirkung
Ursachen bedingt. Beim Laron-Syndrom besteht ein ge-
netischer Defekt des GH-Rezeptors. Bei Hepato-
lA Rezes iv Nicht GH -1 Gen- pathien, schweren mit Katabolie einhergehenden
vorhanden deletion
Erkrankungen und Urämie wird eine GH-Resistenz
IB Reze iv Vermindert beobachtet.
II DomiMnt Vermindert Intron III
GH -1 Gen-
mutation 1.2.4
Klinik des GH-Mangels
111 X-chromoso- Vermindert
mal
Kindesalter
Im Kindesalter variiert das klinische Bild bei GH-
Mangel in seiner Ausprägung in Abhängigkeit
des GHRH-Rezeptors besteht das Vollbild des vom individuellen Ausmaß der GH-Sekretionsstö-
schweren GH-Mangels. Beim für die Hypophysen- rung und in Abhängigkeit vom Alter. Die Symptome
entwicklung bedeutsamen Defekt des hypophysen- des GH-Mangels im Kindesalter sind in der nachfol-
spezifischen Transkriptionsfaktors Pit -1-Gens ist genden Übersicht dargestellt.
der angeborene GH-Mangel mit einem Mangel an
TSH und Prolaktin kombiniert. Symptome des GH-Mangels im Kindesalter
D
jedoch inaktive GH stellt eine seltene Störung dar, Da es einige Zeit (Jahre) dauern kann, bis die Größe
die mit intaktem GH behandelbar ist. Antikörper, unter die Norm abgesunken ist, muss die Wachstums-
welche die Wirkung des GH inhibieren, treten heute geschwindigkeit als das für die Diagnostik relevante
unter GH-Therapie nur beim Typ-IA-GH-Mangel anthropometrische Maß angesehen werden. Unbe-
(s. oben) auf, wurden früher aber bei Verwendung handelt erreichen die Patienten im Erwachsenenalter
unreinem, aus Hypophysen extrahiertem GH gele- eine erheblich verminderte Körperhöhe (< 150 cm).
1.2 GH-Mangel II
als Screening-Verfahren im Vorfeld der Diagnostik Klinischer Verdacht auf GH- Mangel
eingesetzt werden.
I
(basal) IGF·I/IGFBP-3
• Neurosekretorische Dysfunktion. Die Tatsache,
dass es Patienten gibt, die in Stimulationstests
normal subnormal
eine normale (d. h. GH maximal über dem Grenz-
wert) GH-Sekretion zeigen, GH jedoch spontan
GH -Mangel unwah~cheinlich I IL____G_H_-M_a_ng_erlm_og_·-_li<_h_ ___,
• IGF-1/IGFBP-3. In den letzten Jahren haben Be- ktin Anstitg von IGF-1 / IGFBP-3 Anstitg von IGF-1 / IGFBP-3
stimmungen von IGF-I und IGFBP-3 in der Pädiatrie GH -Resistenz
für die Diagnostik des GH-Mangels an Bedeutung
gewonnen. Der rationale Hintergrund hierfür liegt
GHBP Verdacht auf bioinaktives GH
in der Tatsache, dass IGF-I/IGFBP-3 von der GH-Se- Molekulargenetik des GH-Rezepto~
kretion abhängig sind und die basalen Konzentra-
tionen von IGF-I/IGFBP-3 mit der spontan sezer- Abb.l-6. Algorithmus zur Diagnostik des GH-Mangels im
Kindes- und Jugendalter
nierten Menge von GH gut korrelieren. Somit be-
steht prinzipiell eine ähnliche Situation wie für an-
dere regulierte Hormonsysteme (z. B. TSH und
(z. B. NSD, GH-Resistenz, bioinaktives GH) nicht
Schildrüsenhormone). IGF-I/IGBPB-3 fluktuieren
diagnostizieren.
im Tagesverlauf nur gering und es existieren Nor-
malwerte. Die Veröffentlichungen zur diagnosti-
schen Wertigkeit basaler Werte von IGF-I/IGFBP- Bei der Vielzahl von Kindern, bei denen der GH-
3 für die Diagnostik des GH-Mangels sind allerdings Mangel eine Differentialdiagnose darstellt, hat es
kontrovers. Dies kann physiologische (IGF-1/IGFBP- sich aus Praktikabilitäts- und Kostengründen be-
3 sind nicht nur von GH abhängig) oder aber metho- währt, Bestimmungen von IGF-I/IGFBP-3 an den Be-
dische Gründe haben. ginn eines Algorithmus für die Diagnose des GH-
Mangels und seiner Varianten zu stellen (Abb. 1-6).
der Clonidin-Test im Erwachsenenalter offenbar we- schränkungen begrenzt sich die Fragestellung nach
nig aussagekräftig ist. Wegen der Altersabhängigkeit der richtigen Substitutionstherapie auf die injizierte
der GH-Sekretion gelten bei Erwachsenen niedrigere Tagesdosis und deren Zeitpunkt. Die abendliche In-
Grenzwerte als im Kindesalter, für deren exakte jektion scheint nicht nur besonders praktisch zu
Festlegung derzeit noch keine breite empirische Ba- sein, was der Compliance bei Langzeittherapie zu-
sis existiert. Die Bedeutung der Bestimmung von gute kommt, sondern auch den metabolischen Be-
IGF-I bzw. IGFBP-3 für die Diagnostik des GH-Man- dürfnissen des Organismus weitgehend angemes-
gels scheint im Erwachsenenalter geringer zu sein als sen. Theoretisch lässt sich die zu verabreichende Do-
im Kindesalter. sis aus der für den jeweiligen Entwicklungsstand
(Alter, Geschlecht, Pubertätsstadium etc.) typischen
Obwohl im Vergleich mit gleichaltrigen, gesunden Sekretionsrate und dem Ausmaß der biologischen
Personen erniedrigte Konzentrationen die Diagnose Verfügbarkeit nach Injektion berechnen. Die inji-
eines GH-Mangels stützen, schließen normale Werte zierte GH-Dosis muss sich aber darüber hinaus an
die Diagnose bei Erwachsenen nicht aus. den gewünschten Wirkungen sowie Sicherheits-
und Kostenaspekten orientieren.
allerdings, dass nur etwa 50% eine im Normbereich Die Dosen für Erwachsene sind um das 3- bis 4-fache
liegende Erwachsenengröße erreichten. Bei Patien- niedriger als im Kindesalter (ca. 0,07-0,14 IE!kg KG
ten mit zusätzlichem Gonadotropinmangel, bei de- und Woche).
nen die Pubertät nicht oder mit Sexualsteroiden in-
duziert wurde, sind die Endergebnisse bezüglich der Wegen der Komplexität der GH-Wirkungen, der
Körpergröße etwas besser. Dies gilt auch für Kinder Dauer der Behandlung, der relativen Seltenheit
mit ausgeprägterem GH-Mangel, die frühzeitig be- des GH-Mangels in allen Altersstufen und der vielen
handelt wurden. Weniger günstig sind die Ergeb- noch offenen Fragen scheint es angemessen, Patien-
nisse bei Patienten, die wegen einer malignen Er- ten nur in Zentren mit Erfahrung und eingebunden
krankung eine Chemotherapie erhielten und/oder in ein übergreifendes Qualitätskontrollprogramm
bestrahlt wurden. zu behandeln.
• Praktische Empfehlungen
GH-Therapie bei normaler GH-Sekretion
• l. Bei Kindern mit ausgeprägtem (Maximum in Seit rekombinantes GH in prinzipiell unbegrenzten
Stimulationstests ca. <5 ).lg/1) GH-Mangel, der Mengen zur Verfügung steht, werden Versuche un-
früh ( < 6. Lebensjahr) entdeckt wurde, lassen ternommen, das therapeutische Potential auch in Si-
sich die genannten Therapieziele mit den oben tuationen auszuschöpfen, in denen die GH-Sekre-
angegebenen GH-Dosen mit großer Wahrschein- tion nicht vermindert ist. Hierbei handelt es sich
lichkeit erreichen. im Kindesalter überwiegend um Wachstumsstörun-
• 2. Bei Kindern, bei denen aufgrund einer zusätz- gen, deren Pathogenese nicht eindeutig geklärt ist.
lichen Störung (z. B. nach malignen Erkrankun-
gen) von einer verminderten Wachstumstendenz • Turner-Syndrom. Die Modellsituation stellt das
ausgeg<' ' 't~ _·n werden muss, sind höhere GH-Do- Turner-Syndrom dar, bei dem ein Kleinwuchs in
sen ang::L; .gt. der Kindheit besteht und eine Erwachsenengröße
• 3. Bei schlechter Endgrößenprognose zum Beginn um 145 cm zu erwarten ist. Langzeitergebnisse mit
der spontanen Pubertät ist neben einer Dosiser- supraphysiologischen GH-Dosen (ca. 1,0 IE/kg KG
höhung eine Therapie zur Verzögerung und/oder pro Woche) zeigen eine Wachstumsbeschleunigung
Prolongierung der Pubertät (z. B. mittels GnRH- und einen Endgrößenzuwachs. Beim Turner-Syn-
Analoga) zu erwägen. drom ist GH zur Wachstumsförderung zugelassen.
• 4. Individualisierung und Optimierung der GH- Endergebnisse aus klinischen Studien bei einer
Therapie sind mit Hilfe von Prädiktionsalgorith- Reihe anderer Wachstumsstörungen (z. B. intraute-
men anzustreben. riner Kleinwuchs, Noonan-Syndrom) stehen noch
• 5. Eine zusätzliche Hypothyreose muss stets be- aus.
handelt werden (ca. 100 )lg L-Thyroxin1m 2 KO F
pro Tag p.o.). Bei einem klinisch relevanten zu- • Chronische Niereninsuffizienz. Bei der chroni-
sätzlichen Hypocortisolismus sollte restriktiv schen Niereninsuffizienz, die mit Minderwuchs
(ca. 10mg Hydrocortison1m 2 KOF pro Tag p.o., einhergeht, besteht eine GH-Resistenz, welche durch
mindestens 50% der Tagesdosis morgens) substi- erhöhte GH-Gaben teilweise überwunden werden
tuiert werden. kann.
1.3.2
Epidemiologie
ebenfalls zu einem Hochwuchs. Mit einer Häufigkeit pletten Hypophysenfunktion kommen, sodass dar-
von 1:400 aller männlichen Neugeborenen findet aus ein eunuchoider Habitus resultieren kann. In
sich eine XXY -Chromosomie (Klinefelter-Syndrom; der Regel führt ein seit der Kindheit unbehandelter
Abb.l-9). GH-Exzess im Erwachsenenalter zusätzlich zur Aus-
bildung akromegaler Züge. Ohne Therapie verster-
ben die meisten Patienten in der 2. und 3. Lebens-
1.3.3 dekade.
Pathogenese
• Pubertas praecox vera und Pseudopuberta prae-
Einem pathologischen Hochwuchs können unter- cox. Die Pubertas praecox vera und die Pseudopu-
schiedliche Ursachen zugrunde liegen. Diese lassen bertas praecox führen zu einer akzelerierten Puber-
sich in endokrine Störungen, konnatale Syndrome, tätsentwicklung und einer frühzeitigen Wachstums-
Stoffwechselstörungen, chromosomale Defekte und beschleunigung. Das Knochenalter überschreitet das
sonstige Formen wie beispielsweise dem alimentä- chronologische Alter. Die Patienten erreichen je-
ren Hochwuchs einteilen. In der nachfolgenden doch keine übermäßige Endgröße, da es durch
Übersicht sind Erkrankungen und Störungen, die den Androgenüberschuss zu einem vorzeitigen Epi-
mit Hochwuchs einhergehen, zusammengestellt. physenschluss kommt.
Erkrankungen und funktionelle Störungen, die mit • Hyperthyreose. Eine seltene endokrine Ursache
Hochwuchs einhergehen für einen Hochwuchs ist im Kindesalter die Hyper-
thyreose, die vermutlich über Stoffwechseleffekte zu
• Endokrine Störungen einer vorübergehenden Wachstumsbeschleunigung
hypophysärer Gigantismus führt, ohne dass davon die prospektive Endgröße
Pubertas praecox vera beeinflusst wird.
Pseudopubertas praecox
Hyperthyreose
• Konnatale Syndrome 1.3.4
Sotos-Syndrom (zerebraler Gigantismus) Klinik
Wiedemann-Beckwith-Syndrom
• Stoffwechselstörungen • Hypophysärer Gigantismus. Patienten mit hypo-
Marfan -Syndrom physärem Gigantismus zeigen ein gegenüber Gleich-
Homocysteinurie altrigen stark beschleunigtes Längenwachstum, das
e Chromosomale Defekte in der Regel kurz vor der Pubertät einsetzt, im Ein-
Klinefelter-Syndrom zelfall jedoch auch früher beginnen kann. Durch Tu-
XYY -Syndrom morkompression klagen die Patienten über Kopf-
• Sonstige Formen schmerzen. Da die Hypophysentumoren unbehan-
alimentärer Hochwuchs delt sehr an Größe zunehmen können, resultieren
durch die Kompression des Chiasma opticum Seh-
störungen im Sinne einer bitemporalen Hemian-
• Hypophysärer Gigantismus. Der hypophysäre opsie. Durch Kompression der gesunden Anteile
Gigantismus durch GH-Exzess ist die Folge eines der Hypophyse kann die Hypophysenfunktion par-
benignen, hormonell aktiven, eosinophilen Hypo- tiell oder vollständig gestört werden. Dies macht sich
physentumors. Patienten mit GH-Exzess, der erst durch die Ausbildung von Symptomen einer sekun-
im Erwachsenenalter auftritt, zeigen die typischen dären Hypothyreose oder durch eine sekundäre Ne-
Stigmata einer Akromegalie, jedoch keinen Hoch- benniereninsuffizienz bemerkbar. Die Pubertätsent-
wuchs. Tritt die Erkrankung bereits im Kindesalter wicklung kann fehlen oder es bildet sich nach der
auf, so kommt es aufgrund des fehlenden Epi- Pubertät ein sekundärer Hypogonadismus heraus.
physenfugenschlusses zunächst zu einem proportio-
nierten Hochwuchs, der die prospektive Endgröße • Sotos-Syndrom. Patienten mit Sotos-Syndrom
aufgrund der familiären Anlage deutlich überschrei- sind meist nur bei der Geburt und im Kindesalter
tet. Die Knochenreifung ist nur gering beschleunigt größer als normal. Die Endgröße liegt meist nur ge-
und die Wachstumsperiode ist nicht verkürzt wie ring höher als aufgrund der familiären Anlagen er-
beispielsweise bei der Nebennierenhyperplasie. Die wartet. Es finden sich typische Stigmata mit Hyper-
Pubertätsentwicklung ist zunächst meist nicht ge- telorismus, Prognathie, Makrozephalus und einer
stört, jedoch kann es im weiteren Verlauf durch prominenten Stirn. Die geistige Entwicklung ist ge-
die Tumorkompression zu einem Ausfall der kom- stört.
18 KAPI TE L I Wachstum
D
bar nach der Pubertät einsetzt und zu einem hyper-
Sobald sich anhand der Funktionstests und der bild-
gonadotropen Hypogonadismus führt. Das vermin-
gebenden Verfahren der Verdacht auf einen hypo-
derte Hodenvolumen imponiert histologisch als tu-
physären Prozess ergibt, sollte eine augenärztliche
buläre Hodenatrophie mit "Sertoli-cell-only-Syn-
Untersuchung mit Gesichtsfelduntersuchung zum
drom" und Leydig-Zellhyperplasie. Daher ist die
Ausschluss einer bitemporalen Hemianopsie durch-
Spermiogenese stark vermindert oder fehlend. Wei-
geführt werden.
tere Dysmorphiezeichen fehlen in der Regel, jedoch
scheinen manche Patienten in ihrer geistigen Ent-
wicklung verzögert. Dies gilt in besonderem Maße Labor und Funktionstests
auch bei Patienten mit einem XYY -Syndrom. • Basalwerte. Bei Verdacht auf hypophysären Gi-
gantismus werden als Screening-Test die basalen
Konzentrationen von GH und IGF-1 sowie dessen
Bindungsprotein IGFBP-3 bestimmt. Ebenfalls als
Screening-Untersuchung sind die basalen Konzen-
1.3 Hochwuchs 19
D
werden.
Sofern die Tumorgröße und die Tumorlokalisation es
erlauben, sollte aufgrunddes geringeren Operations-
Die Stoffwechselstörungen vom Typ der Homo-
risikos der transsphenoidale Zugang einem trans-
cystinurie lassen sich an einer vermehrten Aus-
kraniellen Zugang vorgezogen werden.
scheidung von Homocystin im Urin und einem
vermehrten Anfall von Homocystin und Methionin
Eine Behandlung mit Somatostatinanaloga kann
bei geringen Konzentrationen von Cystin im Plasma
zur präoperativen Senkung der erhöhten Wachs-
diagnostizieren.
tumshormon-Konzentrationen oder bei Versagen
Patienten mit Klinefelter-Syndrom weisen einen
der chirurgischen Therapie in einer Dosierung
hypergonadotropen Hypogonadismus als Zeichen
von 3-mal 50 bis 3-mal 500 11g pro Tag s.c. bzw.
der gestörten Hodenfunktion auf. Im Spermio-
als Depotpräparat 10-30 mg alle 4 Wochen i.m. ge-
gramm findet man eine Azoospermie. Die Testoste-
geben werden. In manchen Fällen führt die Gabe
ronspiegel können in der Jugend noch im unterem
von Dopaminagonisten (Bromocriptin, Pergolid,
Normbereich liegen, fallen im weiteren Verlauf
Quinagolid, Cabergolin) zu einer Senkung erhöhter
jedoch ab, sodass eine Substitution notwendig wird.
Wachstumshormonkonzentrationen. Die Tumor-
größe lässt sich durch eine medikamentöse Therapie
• Funktionstests. Als Funktionstest bei Verdacht
in der Regel nicht reduzieren. Die Strahlentherapie
auf einen GH-Exzess wird die Kohlenhydratbela-
führt nur langfristig (endgültiger Effekt erst nach
stung durchgeführt. Der Patient erhält hierzu
10-15 Jahren) zu einer Senkung der Wachstumshor-
1,75 g/kg Körpergewicht (maximal 75 g) eines Oligo-
monkonzentrationen und ist damit keine Therapie
saccharidgemisches (Dextro OGT). Blutentnahmen
der ersten Wahl.
zur Bestimmung von Glukose, Wachstumshormon
und Insulin erfolgen vor, sowie 30, 60, 90, 120
• Therapiekontrollen. Therapieziel beim hypo-
und 180 min nach der Kohlenhydratgabe. Eine Sup-
physären Gigantismus ist die Senkung der Wachs-
pression von GH unter 1 ng/ml schließt einen hypo-
tumshormonkonzentrationen. Diese sind regelmä-
physären Gigantismus sicher aus. Beim GH-Exzess
ßig zusammen mit den Konzentrationen von
findet sich neben der fehlenden Suppression von
IGF-1 und dessen Bindungsprotein (IGFBP-3) zu
Wachstumshormon meist ein überschießender An-
kontrollieren. Angestrebt werden Konzentrationen
stieg von Insulin.
innerhalb der alterstypischen Norm. Nach hypo-
physären Operationen ist die Funktion der Hypo-
Bildgebende Verfahren physe zu evaluieren.
Zu den bildgebenden Verfahren zählt die Röntgen-
aufnahme der Hand zur Bestimmung des Knochen- • Nebenwirkungen und Komplikationen. Bei der
alters nach Gräulich und Pyle. Bei Verdacht auf Gabe von Somatostatinanaloga stehen bei Therapie-
einen hypophysären Gigantismus ist die Darstellung beginn gastrointestinale Beschwerden (Blähungen,
der Hypophyse und deren umgebende Strukturen Durchfall, Übelkeit) im Vordergrund. Diese können
mittels MRT unerlässlich. durch einschleichende Dosierung und langsame
Bei den konnatalen Syndromen findet sich beim Dosissteigerung weitgehend vermieden werden.
Sotos-Syndrom (zerebraler Gigantismus) im MRT Langfristig sollte die Gallenblase auf Steinbildung
keine Veränderung der Hypophyse, jedoch Abnor- untersucht werden, da es durch die Somatostatina-
malitäten wie die Agenesie des Septum pellucidum, naloga zu einer Gallenblasenentleerungsverzöge-
strukturelle Veränderungen im Corpus callosum rung kommen kann. Aufgrund der klinischen Er-
und eine vergrößerte Cisterna magna. fahrung scheint sich die Gabe von Choleretika
(z. B. Ursodeoxycholsäure) zu bewähren, um einer
Cholezystolithiasis vorzubeugen. Ferner sollten
jährlich die Vitamin-B 1r Konzentrationen unter-
20 KAPITEL 1 Wachstum
sucht werden, da die Resorption dieses Vitamins ge- • Therapiekontrollen. Die Serumspiegel von Testo-
stört sein kann. steron und der Gonadotropine sind regelmäßig zu
Die Gabe von Dopaminagonisten zur Hemmung kontrollieren. Bei Verdacht einer über längere Zeit
der Wachstumshormonkonzentrationen sollte ein- nicht erfolgten Substitution sollte an die Entwick-
schleichend begonnen werden, da sonst mit ortho- lung einer Osteoporose aufgrund des Androgen-
statischer Dysregulation und Übelkeit zu rechnen mangels gedacht und die Knochendichte überprüft
ist. werden.
Diese für die Dopaminagonisten der ersten Gene-
rationen typischen Nebenwirkungen, werden bei
Reduktion der prospektiven Endgröße
den neuen Dopaminagonisten (Quinagolid, Caber-
durch Hormonbehandlung
golin) deutlich seltener beobachtet.
Die Entscheidung, ob und bei welcher prospektiven
Endgröße eine hormonelle Behandlung mit dem Ziel
Konnatale Syndrome einer Reduktion des Längenwachstums erfolgen soll,
Bei den konnatalen Syndromen ist eine Therapie muss individuell getroffen werden. Dabei ist die Per-
außer der Förderung der mentalen Leistung der sönlichkeit des jungen Patienten und dessen Eltern
Patienten mit Sotos-Syndrom nicht möglich, insbe- ebenso wie die ethnische Herkunft zu berücksichti-
sondere bedarf der Hochwuchs keiner regulierenden gen. Da die durchschnittliche Körpergröße in den
Maßnahmen. letzten Jahrzehnten eine stete Zunahme aufweist,
werden heute höhere Körperlängen als früher akzep-
tiert. Internationaler Konsens besteht in der Hin-
Stoffwechselstörungen
sicht, dass bei Jungen eine Endlänge über 200 cm
Unter den Stoffwechselstörungen mit Hochwuchs ist
und bei Mädchen über 185 cm eine Indikation
eine ursächliche Therapie des Marfan-Syndroms
zur hormonellen Wachstumsbremsung darstellen
nicht möglich. Es können lediglich die Folgen, wie
können. Eine hormonelle Therapie gehört in die
beispielsweise das Aortenaneurysma oder Herzklap-
Hand des erfahrenen Endokrinotogen und zielt
penfehler, korrigiert werden.
darauf ab, durch Gabe von Sexualsteraiden einen
vorzeitigen Schluss der Epiphysenfugen herbeizu-
Die Homocystinurie hingegen lässt sich diätetisch führen.
durch Vermeidung von Methionin in der Nahrung
vermeiden. Bei Ansprechen auf diese Therapie • Männliche Patienten. Bei männlichen Patienten
kann statt Methionin Pyridoxin gegeben werden. werden hierzu wöchentlich 250 mg Testosteron
i.m. gegeben. Als Nebenwirkungen finden sich bei
Klinefelter-Syndrom Testosterongabe Akne, Bluthochdruck und selten
Patienten mit Klinefelter-Sydrom benötigen zum Ödembildung. Das Hodenwachstum ist zunächst
Teil bereits in der Pubertät eine Substitution mit Se- verzögert, wird jedoch nach Absetzen der Therapie
xualsteroiden, um eine entsprechende Pubertätsent- wieder aufgeholt. Ein längerfristiger negativer Ein-
wicklung zu gewährleisten. Folgendermaßen sollte fluss auf die Spermiogenese wurde beschrieben.
therapiert werden:
• schonend,d.h.mit 100 mgTestosteronalle4 Wo- • Weibliche Patienten. Weibliche Patienten erhal-
chen i.m. beginnen. ten Östrogene, z. B. 0,2 mg Ethinylöstradiol pro
• Die weitere Dosierung muss dem Verlauf der Pu- Tag und zyklisch in jeder 4. Woche Gestagene,
bertätsentwicklung und der Psychodynamik der z. B. Norethisteron 10 mg pro Tag. Unter der hormo-
Patienten angepasst werden. Die Dauersubstituti- nellen Wachstumsbremsung kann es zur Ödembil-
on beträgt später 250 mg Testosteron alle dung, Gewichtszunahme, Fettstoffwechselstörungen
2-3 Wochen i.m. oder täglich morgens 15 mg und selten zu einer Thombophilie kommen.
Testosteron als Pflaster (Testoderm 15). Bei der
letzteren Therapieform lassen sich der natürli- • Therapiezeitpunkt Die Therapie wird in Abhän-
chen Sekretion angeglichene Testosteronkonzen- gigkeit von der Körpergröße bereits bei einem Kno-
trationen im Serum erzielen. Von manchen Pa- chenalter von 12 Jahren begonnen und bis zu einem
tienten wird jedoch die Anwendung der Pflaster Knochenalter von 17 Jahren bei Jungen und 16 Jah-
am Skrotum als lästig empfunden. Diesen Patien- ren bei Mädchen fortgeführt, da zu diesem Zeit-
ten steht ein weiteres transdermales System (An- punkt die prospektive Endgröße zu 99% erreicht ist.
droderm) zur Verfügung. Androderm kann auf-
grund der höheren Dosierung auch auf andere • Therapiekontrollen. Wird eine Wachstumsbrem-
Körperstellen platziert werden. sung durch Sexualsteroide durchgeführt, sind die
1.4 Akromegalie 21
1.4
Akromegalie Abb.i-10. Patientin mit florider Akromegalie in Frontalan-
sieht
1.4.1
Fallpräsentation
1.4.3
Pathogenese
Oftmals ist der klinische Verlauf der Akromegalie zur Ausbildung eines Karpaltunnelsyndroms. Durch
so inapparent, dass zwischen dem Zeitpunkt des Wachstum des Calcaneus und der Weichteile der
Auftretens erster Symptome und der Diagnosestel- Fußsohle nehmen die Konturen des Fußes zu, so-
lung ein Zeitraum von 5-10 Jahren vergeht. Die Kon- dass sich die Schuhgröße ändert (Abb. 1-14).
turen der Hände nehmen an Umfang zu, sodass Rin- Im Gesichtsbereich findet sich eine Verdickung
ge nicht mehr passen und die Hand tatzenförmig der Nase, der Lippen und der Hautstruktur. Auf-
wirkt (Abb. 1-13 ). Bei bis zu 70 % der Patienten grund der Makroglassie und des Knorpelwachstums
kommt es durch die Bindegewebsveränderungen im Kehlkopf ändert sich die Stimmlage oder die
und die Reaktivierung der Knorpelproliferation Sprache wird kloßig. Durch die Veränderungen
der knöchernen Gesichtsstrukturen treten die
Orbitaränder wulstig hervor, das Kinn wird promi-
nenter und durch den Umbau der Kiefer treten
Zahnlücken auf (Abb. 1-15).
und vermehrtes Schwitzen ebenso wie vermehrter mus, unter anderem eine fahle, blasse Haut, Fehlen
Durst und ein Abfall der körperlichen Leistungs- der lateralen Augenbrauen und spärliche Sekundär-
fähigkeit zu eruieren. Da durch eine Tumorkom- behaarung (Abb. 1-18).
pression die Hypophysenfunktion zumindest parti- Wegen einer möglichen Kosekretion von Prolak-
ell gestört sein kann, ist nach dem Ausfall peripherer tin ist in der körperlichen Untersuchung auf eine
endokriner Organe zu forschen. Hierzu zählen Fra- Galaktorrhö zu achten bzw. sollte danach gefragt
gen bezüglich Regeltempostörungen, Libido, erekti- werden.
ler Dysfunktion, Hypotonie usw. Schmerzen und
Missempfindungen der Hände als Zeichen eines
Technische Verfahren
Karpaltunnelsyndroms können ebenfalls ein Sym-
Zum Nachweis eines Hypophysentumors ist ein
ptom des GE-Überschusses sein.
MRT mit Gadolinium-DTPA zur Kontrastierung
durchzuführen. Die früher routinemäßig angefer-
Körperliche Untersuchung tigte Sella-Zielaufnahme mittels konventionellem
Bei der körperlichen Untersuchung finden sich die Röntgen ist heute entbehrlich. Findet sich in der
typischen Stigmata der Akromegalie mit Vergröbe- Darstellung der Hypophysenregion, trotz ausrei-
rung der Gesichtszüge, vorspringendem Kinn und chend dünner Schichtung, kein Adenom, so muss
wulstigen Orbitarändern. Die Patienten haben einen an den seltenen Fall einer ektopen Wachstumshor-
fehlenden Kieferschluss. Bei manchen Patienten monproduktion gedacht werden. Eine entsprechen-
schließt durch die Größenzunahme des Unterkiefers de Tumorsuche nach der üblichen Vorgehensweise
die submandibuläre Zahnreihe vor den Schneide- ist anzuschließen. Dennoch schließt der Nachweis
zähnen (Supraklusion). Im Laufe der Erkrankung eines Hypophysentumors eine ektope Wachstums-
findet sich bei manchen Patienten eine starke Ky- hormon- oder GHRH-Produktion nicht aus, da hor-
phosierung der Brustwirbelsäule. moninaktive Hypophysentumoren häufig sind. Aus
Durch die Ablagerung von Glykosaminoglykanen diesem Grund ist die histologische Aufarbeitung des
verdickt sich die Haut. Oft findet sich eine atypische Op.-Präparates im Rahmen der Therapie von Bedeu-
Körperbehaarung. tung.
Eine Sonographie der abdominellen Organe und
D Wegen der möglichen Visuseinschränkung durch eine Röntgenaufnahme des Thorax hilft, das Aus-
Kompression des Chiasma opticum ist eine grob maß einer Organomegalie zu beurteilen. Regel-
orientierende Visus- und Gesichtfeldprüfung (Fin- mäßige sonographische Kontrollen der Schilddrüse
gerperimetrie) vorzunehmen, die jedoch nicht die sind wichtig, da etwa 50 o/o der Patienten mit Akro-
augenärztliche Untersuchung ersetzen kann. megalie eine Struma entwickeln.
Je nach Ausmaß der Hypophysendysfunktion finden Zur Routinediagnostik bei Akromegalie gehört die
sich die typischen Symptome eines Hypopituitaris- augenärztliche Untersuchung mit Sehtest und Ge-
sichtsfeldtestung.
D
kann. Im TRH-Test fände sich entweder ein deutlich Beim nachgewiesenen GH-produzierenden Hypo-
erhöhtes basales Prolaktin, das unter TRH dann physenadenom ist die operative Resektion Therapie
überstimuliert werden kann, oder ein mäßig er- der ersten Wahl.
höhtes Prolaktin, das nur wenig Dynamik nach
TRH zeigt. Wegen der Vergrößerung der sphenoidalen Sinus ist
der transsphenoidale Zugang oftmals erleichtert. Bei
großen Tumoren mit suprasellärer Ausdehnung
wird der Tumor in der Regel über einen transkra-
1.4.6 niellen Zugang reseziert.
Differentialdiagnose
Pharmakatherapie
Bei der Differentialdiagnose zwischen GH- und Die Domäne der Pharmakatherapie in der Langzeit-
GHRH-Exzess als Ursache einer Akromegalie helfen anwendung ist die Restaktivität nach erfolgreicher Tu-
der TRH- und der GHRH-Test, da die Bestimmung morentfernung ohne Nachweis eines Tumorrezidivs.
von GHRH selbst nicht zu den Routinemethoden ge-
hört und nur in wenigen Laboren mit einer ausrei- • Somatostatinanaloga. Die Pharmakatherapie mit
chenden Genauigkeit durchgeführt werden kann. Somatostatinanaloga ist präoperativ zur raschen
Nach TRH findet sich bei Akromegalie durch Senkung der Wachstumshormonspiegel indiziert.
GHRH-Exzess ein Anstieg von Wachstumshormon, Ob sich präoperativ darunter eine Tumorverkleine-
Tabelle 1-4. Therapeutische Optionen in der Behandlung der Akromegalie mit Indikationen und Kontraindikationen
Operative Therapie Therapie der er ten Wahl als Ersteingriff bzw. lnoperabilität des Patienten
bei Rezidiv
Pharmakotherapie Therapie der ersten Wahl bei lnoperabilität Geringe Aktivität der Erkrankung bei langem
und bei postoperativer Restaktivität ohne Verlauf oder geringen akromegalen tigmata
Tumornachwei
Bestrahlungstherapie Therapie der zweiten Wahl bei postoperativer Patienten mit kürzerer prospektiver Leben -
Re taktivität ohne Tumornachweis oder bei erwartung, da vollständiger Wirkungseintritt
ichtan prechen auf die Pharmakatherapie er t nach 5- I5 Jahren
1.4 Akromegalie 27
Bestrahlung
Die Bestrahlung kommt nur beim Rezidivtumor 1.4.8
oder bei nicht vollständig resektablen Tumoren in Notfall
Frage, wenn die Pharmakatherapie nicht anspricht
oder aufgrund ihrer Nebenwirkungen nicht vertra- Eine floride Akromegalie führt selten zu Notfallsi-
gen wird. Neben der Hochvolt-Pendelbestrahlung tuationen.
findet die stereotaktische Bestrahlung mit dem Dennoch können akromegale Patienten in eine
Gamma-Knife zunehmende Bedeutung. Bis zum vital bedrohliche Situation kommen, wenn zusätz-
Wirkeintritt der Bestrahlung muss überbrückend lich eine Hypophyseninsuffizienz vorliegt.
eine Pharmakatherapie durchgeführt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die hypothala-
mo-hypophysär-adrenerge Achse gestört ist. Im
Rahmen einer akuten kritischen Krankheit (bei-
Therapiekontrollen spielsweise schwere Infekte, Myokardinfarkt oder
und die Notwendigkeit der Glucocorticoidsubstitu- Kaplan SL, Grumbach MM (1990) Pathophysiology and treat-
ment of sexual precocity. J Clin Endocrinol Metab
tion aufgeklärt wird. 71 : 785-791
Moses AE, Molitch ME, Sawin CT ( 1981) Bromocriptine the-
D Bei Patienten mit sehr großen GH-produzierenden rapy in acromegaly: use in patients resistant to conventio-
n al therapy and effect on serum Ievels of somatomedin C.
Tumoren kann eine ophthalmologische Notfallsitua- J Clin Endocrinol Metab 53 : 752-757
tion entstehen, wenn durch Tumorkompression die Mudd SH, Skovby F, Levy HL (1985) The natural history of
Sehnerven im Bereich des Chiasma opticum kompri- homocystinuria due to cystathionine-B-synthase deficien -
cy. Am J Hum Genet 37 : 1- 7
miert werden. Einzige Hilfe in dieser Situation ist die Norman EK, Tygstad 0, Larsen S, Dahl-Jorgensen K (1991)
rasche Operation mit Entlastung der Nn. optici. Height reduction in 539 tall girls treated with three diffe-
rent dosages of ethinyloestradial. Arch Dis Childh
66: 1275-1278
Plymate SR: Male hypogonadism. In: Becker KL (1995) Prin-
ciples and practice of endocrinology and metabolism. Lip-
Literatur pincott, pp 1057-1082
Quabbe HJ, Müller OA, Oelkers W, Willig RP (1993) Wachs-
Literatur zu Abschn. 1.1-1.2 tumshormonexzess. In: Ziegler R, Pickardt CR, Willig RP
(eds) Rationelle Diagnostik in derEndokrinologie.
Baumann G (1991) Growth hormon e heterogeneity: Genes, Thieme, S9-10
isohormones, variants, and binding protein. Endocrine Reinken L, von Oost G (1992) Longitudianle Körperentwick-
Rev 12 : 424-449 lung gesunder Kinder von 0 bis 18 Jahren. Körperlänge,-
de Boer H, van der Veen E (1997) Guidelines for optimizing höhe, Körpergewicht und Wachstumsgeschwindigkeit
growth hormone replacement therapy in adults. Horm Klin Pädiat 204 : 129-133
Res 48 (Suppl 5):21-30 Willig RP, Bettendorf M, Hinkel GK, Schwarz HP, Schulze W
Frisch H (1997) Clinical review of pediatric indications for (1992) Androgen treatment of tall stature during puberty
treatment with growth hormone. In: MB Ranke (ed) JA may reduce sperm quality in adult life. Hormone Res 37
Barth, Growth hormone over the human life span. Edition (Suppl 4):3
J & J, Heidelberg, pp 8-24
Moeller N ( 1993) The role of growth hormone in ~~e regulation
ofhuman fuel metabolism. In: Flyvbjerg A, Orskov H, Al- Literatur zu Abschn. 1.4
berti KGMM (eds) Growth hormone and insulin-like
growth factor I. Wiley, New York, pp 77-108 Bengtsson B, EdenS, Ernest I, Oden A, Sjögren B (1988) Epi-
Ranke MB (1994) Growth hormone insufficiency: Clinical fea- demiology and long-term survival in acromegaly. Acta
tures, diagnosis, and therapy. In: L DeGroot (ed) Endocri- Med Scand 233 : 327-335
nology 3rd edn, Saunders, Philadelphia, pp 330-340 Clemmons DR, van Wyk JJ, Redgeway EC, Klima B, Kjellber
Ranke MB, Elmlinger M ( 1997) Functional role of insulin-like RN, Underwood LE (1979) Evaluation of acromegaly by
growth factor binding proteins. Horm Res 48 (Suppl radioimmunoassay of somatostatin C. New Engl J Med
4):9-15 301: ll38-1142
Ranke MB (ed) (1996) Diagnostics of endocrine function in Faglio G, Arosio M, Bazzoni N (1992) Ectopic acromegaly. En-
children and adolescents, Edition J & J, Heidelberg docrinol Metab Clin North Am 21 : 575-577
Rosenfeld RG, Albertsson-Wikland K et al. (1995) Diagnostic Fahlbusch R, Buchfelder M, Sehreil U (1985) Neurochirurgi-
controversy: The diagnosis of childhood growth hormone sche Therapie neuroendokrinalogischer Störungen. Inter-
deficiency revisited. J Clin Endocrinol Metab 80: nist 26:293-301
1532-1540 Lamberts SW, Reubi JC, Krenning EP (1992) Somatostatin
Smith RG, van der Ploeg LHT, Howard AD et al. (1997) Pep- analogs in the treatment of acromegaly. Endocrinol Metab
tidomimetic regulation of growth hormone secretion. En- Clin North Am 21:737-740
docrine Rev 18: 621-645 Losa M, Schopohl J, von Werder K (1993) Ectopic secretion of
Thorner MO, Bengtsson BA, Ho KY et al. (1995) Letter to the growth hormone in man. J Endocr Invest 16:69-81
editor. The diagnosis of growth hormone deficiency in Nyquist P, Laws ER, Elliott RN (1994) Novel features of tumors
adults. J Clin Endocrinol Metab 80 : 3097-3098 that secrete both growth hormone and prolactin in acro-
Wüster C, von zur Mühlen A, Ranke MB (1994) Das Syndrom megaly. Neurosurgery 35 : 179-184
des \f\/achstumshormonmangels beim Erwachsenen, O'Duffy JD, Randall RV, MacCarry CS (1973) Median neuro-
Dtsch Arzteblatt 91: B-1795-B1796 pathy (carpal tunnel syndrome) in acromegaly. Ann In-
tern Med 78:379-384
O'Sullivan AJ, Kelly JJ, Hoffman DM ( 1994) Body composition
Literatur zu Abschn. 1.3 and energy expenditure in acromegaly. J Clin Endocrinol
Metab 78 : 381-384
Brämswig J, von Lengerke HJ, Schmidt H, Schellong G (1988) Plöckinger U, Dienemann D, Quabbe H (1990) Gastrointesti-
The results of shortterm high-dose testosterone treatment nal side-effects of octreotide during long-term treatment
on bone age and adult heigth in boys of excessively tall of acromegaly. J Clin Endocr 71: 1658-1662
stature. Europ J Pediat 148: 104-106 Quabbe HJ, Müller OA, Oelkers W, Willig RP (1993) Wachs-
Engström WS, Lindharn S, Schofield P (1988) Wiedemann- tumshormonexzess. In: Ziegler R, Pickardt CR, Willig RP
Beckwith syndrome. Europ J Pediat 147:450-457 (eds) Rationelle Diagnostik in derEndokrinologie.
Gordon P, Corni RJ, Maton PN, Go VLW (1989) Somatostatin Thieme, S 9-10
and somatostatin analogue (SMS 201-995) in treatment of Ross DA, Wilson CB (1988) Results of transsphenoidal micro-
hormone secreting tumors of the pituitary and gastroin- surgery for growth hormone secreting pituitary adenoma
testinal tract and non-neoplastic diseases of the gut. Ann in a series of 214 patients. J Neurosurg 68:854-867
Intern Med 110 : 35-39 Savage DD, Henry WL, Easthman RC (1979) Echocardiogra-
Jones KL ( 1994) The etiology and diagnosis of overgrowth syn- phic assessment of cardiac anatomy and function in acro-
dromes . Growth Genetics Hormones I 0: 6-10 megalic patients. Am J Med 67: 823- 827
KAPITEL 2
2.1 Physiologie 29
2.1
2.1.1 Prolaktin 29
K. V. WERDER
Physiologie
2.1.2 Brustdrüse 31
f. P ETE RS 2.1.1
Prolaktinmangel, Prolaktin
Unterfunktion der Mamma 33
f. PETERS
K. V. WERDER
DNS:
Prolaktin r ='rn-r-L-·.....::,-:-1
.
Gen 'c-----~o-1""-f-~
,!-------',
...'
' I I
'
'' '
'... ''
' '
''
I • I I
' ,' ,'
RNS : '
...(
,,',' ";," Abb. 2-l.
Wie beim GH findet sich auch beim Prolaktin zwischen Dopamin und GnRH-Sekretion erklären.
eine immunologische Heterogenität mit monome- Neben dem dopaminergen PIH scheint es noch
rem ("little"), dimerem ("big") und polymerem einen peptidergen Prolaktin-Inhibiting-Faktor (PIF)
("big-big") zirkulierendem Prolaktin. Neben diesen zu geben, der möglicherweise in dem GnRH-asso-
PRL-Aggregaten gibt es ein glykosyliertes Prolaktin ziierten Peptid (GAP) residiert (Abb. 2-2).
im Serum. Ein phosphoryliertes Prolaktin und ein Neben dem überwiegend hemmenden hypothala-
16-K-Fragment sind in der Hypophyse nachgewie- misehen dopaminergen Einfluss auf die PRL-Sekre-
sen. tion stimuliert TRH die Synthese und Freisetzung
von PRL, obwohl dieses Hormon wahrscheinlich
Prolaktinwirkung an der Zelle nicht der physiologische Prolaktin-Releasing-Faktor
Prolaktin wirkt über einen spezifischen PRL- Rezep- (PRF) ist. Die PRF-Aktivität wird wahrscheinlich
tor, der zur Zytokin-PRL-GH-Rezeptor-Familie ge- durch das vasoaktive intestinale Polypeptid (VIP)
hört. Der PRL-Rezeptor dimerisiert nach An docken repräsentiert, dessen Freisetzung aus peptidergen
des Prolaktins an die extrazelluläre Domäne, was zu Neuronen durch den Neurotransmitter Serotonin
einer Phosphorylierung weiterer intrazellulärer Pro- stimuliert wird.
teine führt. Zum Teil werden letztere in den Nukleus Die Zahl der laktotropen Zellen hängt von den
transportiert, binden dort an die DNA und führen physiologischen Bedingungen ab. Während der
zur Genaktivierung. So werden unter anderem die Schwangerschaft kommt es durch erhöhte Östrogen-
Gene für die Milchproteine Kasein und Laktalbumin spiegel zu einer Hypertrophie und Hyperplasie der
aktiviert. laktotropen Zellen, was fast zu einer Verdopplung
Ob Prolaktin über ein "Laktomedin" analog dem des Hypophysenvolumens führt. Entsprechend fin-
GH-induzierten Somatomedin bzw. IGF-1 biolo-
gisch wirksam ist, ist noch offen.
Biologische Aktivität
Hypothalamus
Prolaktin ist ein Vielzweckhormon. Es sind über 100
verschiedene biologische Wirkungen bei verschiede-
nen Spezies bekannt. Bei der Frau ist Prolaktin ein
wichtiges Reproduktionshormon, das die Laktoge-
nese und die Laktation post parturn induziert und Portalsystem
aufrecht erhält. Gleichzeitig führt es zu einer Sup-
pression der Ovarialfunktion. Beim Mann hat Pro-
laktin keine physiologische Bedeutung.
Ob Prolaktin, das auch in Lymphozyten produ-
ziert wird, immunologische Wirkungen analog an-
derer Zytokine besitzt, ist nicht bekannt. Ferner
wird Prolaktin außerhalb der Hypophyse im Endo- HVL
metrium und während der Schwangerschaft in der
Dezidua gebildet, was zu hohen PRL-Konzentratio-
nen in der Amnionflüssigkeit führt. Die Bedeutung
des Amnion-PRL ist nicht bekannt.
Prolaktinsekretion
Prolaktin wird in den laktotropen Zellen des Hypo-
Abb. 2-2. Dopaminerge Kontrolle der PRL-Sekretion. Dopa-
physenvorderlappens (HVL) gebildet. Im Gegensatz min wird von den tuberoinfundibulären Neuronen in das Por-
zu allen anderen HVL-Hormonen ist der über- talblut abgegeben. Auf diesem vaskulären Kurzschluss erreicht
wiegende hypothalamisehe Einfluss auf die PRL-Se- es die laktotrophe Zelle des HVL, wo es die Freisetzung von
PRL hemmt. Neben dem dopaminergen Prolaktin-inhibi-
kretion inhibierend über das Prolaktin-Inhibiting- ting-Hormon (PIH) gibt es auch einen peptidergen Prolak-
Hormon (PIH). Dabei handelt es sich - im Gegen- tin-inhibiting-Faktor (PIF), bei dem es sich möglicherweise
satz zu den bisher bekannten Releasing- und Inhibi- um das C-terminale Ende des GnRH-assoziierten Peptids
(GAP) handelt. Der physiologische Prolaktin-releasing-Faktor
ting-Hormonen- nicht um ein Peptid, sondern um (PRF) ist wahrscheinlich das VIP. Dazu stimuliert TRH eben-
das biogene Amin Dopamin (DA). Die Axone der falls die PRL-Sekretion, was für die Pathophysiologie der Hy-
tuberoinfundibulären dopaminergen (TIDA) Neu- perprolaktinämie eine Rolle spielt. Systemische Ostrogene sti-
mulieren die PRL-Sekretion, Kortikosteroide haben hingegen
rone enden in der gleichen Gegend, wo die einen hemmenden Effekt auf die Freisetzung von Prolaktin.
GnRH-Neurone enden. Dies könnte die Interaktion (Nach von Werder 1996)
2.1 Physiologie 31
Tabelle 2-l. Beeinflussung der PRL-Sekretion (Cooper-Ligamente) und dem intralobulären Binde-
gewebe (Mesenchym), dem sog. Mantelgewebe.
Stimulation Suppression
Etwa 20-40 Azini stehen über ein terminales Gang-
Phy iologie segment mit dem nächstgrößeren Milchgang in Ver-
chwangerschaft bindung. Der Drüsenkörper enthält ca. 15-20 dieser
Stillen funktionellen Untereinheiten. Die größeren Milch-
gänge vereinigen sich zu ca. 8-12 Milchausführungs-
Brustwarzenstimulation
gängen, die auf der Brustwarzenoberfläc he ihre
Körperliche Anstrengung
Mündung haben. Die Azini und Milchgänge sind
ahrungsaufnahme von einer Schicht glatter Muskelfasern (Myoepithe-
Unspezifischer tress lien) eingehüllt, die wie ein Korbgeflecht der Milch-
Pharmakologie ejektion (Oxytocinwirkung) dienen.
Hypoglykämie (In ulin) Hyperglykämie
Amino äuren, Hormone Hormone (Thyroxin,
(Östrogene, TRH) Glucocorticoide Endokrine Steuerung
Formal gesehen lassen sich die einzelnen Phasen der
eurotransmitter eurotran mitter
(DA-Antagoni ten, (Dopamin und endokrinen Einflüsse an der Brustdrüse wie folgt be-
Katecholamindepletoren, DA-Agoni ten, schreiben:
erotoninpräkur oren, erotonin-Antagoni ten)
GA BA-Agonisten,
Histamin-Antagonisten, • Mammogenese: Ovarieller Einfluss auf die Brust-
Opiate) drüsenentwicklung. Der erste Stimulus für das
~achstum der Brustdrüse geht von den ovariellen
Ostrogenen aus (Thelarche). Diese unterhalten
den sich auch bei männlichen Patienten, die wegen hauptsächlich die Proliferation der Milchgänge. Pro-
eines Prostatakarzinoms hochdosiert mit Östro- gesteron fördert die Entwicklung der Azini. Der
genen behandelt wurden, erhöhte periphere PRL- Schwellenwert von Östradiol für die Proliferation
Spiegel sowie eine Volumenzunahme des HVL auf- liegt bei ca. 50 pg/ml. Ob die Thetarehe auch Prolak-
grund der Hyperplasie laktotroper Zellen. tin benötigt, ist nicht bekannt. Unter physiologi-
Die PRL-Spiegel bei erwachsenen, nicht schwan- schen Bedingu~gen folgt der Anstieg der Prolaktin-
geren Frauen liegen zwischen 5 und 20 ~g/1 bzw. sekretion den Ostrogenspiegeln. Prolaktin allein ist
100-400 mE/1. Bei Männern sind die PRL-Spiegel nicht in der Lage, das Brustwachstum zu unterhal-
normalerweise etwas niedriger ( < 15 ~g/1 bzw. ten. Entwickelt ein Mädchen während der Pubertät
300 mE/1). Die Halbwertszeit von Prolaktin in der eine Hyperprolaktinämie, kommt es zum Wachs-
Zirkulation beträgt etwa 50 min, die Sekretionsrate tumsstillstand der Brüste bei absinkenden Östro-
400 ~g/Tag. PRL-Spiegel unterliegen erheblichen Ta- genwerten.
gesschwankungen. Der höchste Spiegel wird am frü-
hen Morgen beobachtet, kurz vor dem Aufwachen. • Laktogenese: Plazentare Phase der Laktations-
Im Verlauf des Tages fallen die PRL-Spiegel wieder vorbereitung. Neben dem schwangerschaftsbed ing-
ab. Der nächtliche PRL-Anstieg ist wie beim GH ten quantitativ höheren Niveau von Östrogenen
schlafgekoppelt und lässt sich deshalb mit dem und Progesteron, die die Brustdrüse um das 3- bis
Schlaf verschieben. Die Faktoren, die die PRL-Sekre- 4-fache ihres Ausgangsvolumens anwachsen lassen,
tion beeinflussen, sind in Tabelle 2-1 aufgezeigt. finden in dieser Phase unter dem Einfluss von Cor-
tisol, Insulin und Thyroxin Differenzierungsvorgän-
ge zu einer sekretorischen Drüse statt.
2.1.2 Physiologisch kommt es während der Schwanger-
Brustdrüse schaft durch die ansteigenden plazentaren Östro-
gene zu einem kontinuierlichen Anstieg der PRL-
F. PETERS Spiegel, die vor dem Geburtstermin im Mittel
10-fach höher liegen als vor der Konzeption
Anatomie (Abb. 2-3). Während der Schwangerschaft blockie-
Die weibliche Brust ist das größte Erfolgsorgan für ren die plazentaren Steroide jedoch die biologische
Prolaktin. Embryologisch gesehen ist die Brust ein PRL-Wirkung an der Brust.
Hautorgan. Die Drüsenarchitektur besteht aus Azini
(während der Laktation spricht man von Alveolen), • Galaktopoese: Hypophysäre Phase der Laktati-
den Milchgängen, den kontraktilen Elementen onsaufnahme. Nach der Geburt (speziell der Geburt
(Myoepithelien), dem Binde- oder Stützgewebe der Plazenta) sinken Östradiol- und Progesteron-
32 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse
3000 Abb.2-3.
=E PRL-Spiegel während der
.... Schwangerschaft und der
w postpartualen Laktation.
3 2000 Nach der Entbindung und
_,
a: dem Abfall der plazentaren
CL
Steroide kommt der PRL-
Effekt an der Brustdrüse zum
1000
Tragen, die Milch schießt ein.
Durch den regelmäßigen
Saugreiz und der damit ver-
bundenen Stimulation der
11 1 5 Woche n 1 Tag ovu latorisehe PRL-Sekretion werden
Zyklen Laktation und postpartuale
Blockierung der Laktation Laktation, Anovulation Anovulation aufrecht-
durch Östradiol (E2)- Progesteron erhalten
20
(s. Abb. 2-3).
8
• Wachstum • Funktion I Laktat ion
mit E2 + Progesteron ohne E2 + Progesteron lässt sich nicht immer vornehmen, da Wachstum,
IGF I
/ cx · Lactalbu min
Funktion und Involution in fließenden Übergängen
miteinander stehen (Abb. 2-5).
TGFcx Lactose
EGF Mrlchvolumen
Prolaktinwirkung an der Brustdrüse
/
FGF
abnehmende Aktlvitat
Für die Entwicklung der eigentlichen Laktation
der Wachstumsfaktoren Differenzierung kann man die zahlenmäßige Zunahme der Prolak-
Insulin
Cortisol
tinrezeptoren an den Brustdrüsenzellen verantwort-
Thyroxin lich machen. Die Anzahl der Prolaktinrezeptoren
folgt dem Serumprolaktinspiegel. Dies ist auf einen
Abb. 2-5. Wirkung von Prolaktin an der Brustdrüse kurzen Zeitraum post parturn beschränkt, da durch
2.2 Störung der Stillfunktion 33
die abnehmenden Östrogenspiegel im Blut die Se- Die Inzidenz des Sheehan-Syndroms hat seit der
rumprolaktinspiegel ebenfalls sinken. Jeder Stillvor- Erstbeschreibung 1938 deutlich abgenommen, da in-
gang lässt die periphere Prolaktinkonzentration für tensivmedizinische Maßnahmen, einschließlich
ca. 40-90 min um ein Vielfaches ihrer Ausgangskon- Transfusionen, die Sicherheit in der Geburtshilfe
zentration ansteigen (s. Abb. 2-1 ). Wiederholte Still- eindeutig verbessert haben. Mit einem Blutverlust
vorgänge während eines 24-h-Abschnittes resultie- unter der Geburt von > 1 I ist bei ca. 0,5% der
ren in entsprechend hohen Prolaktinspiegeln, die ih- Geburten zu rechnen.
rerseits die Zahl der Prolaktinrezeptoren steigern.
Für die Funktion der Brustdrüse, die Laktation/Se-
Isolierter Prolaktinmangel
kretion, lassen sich Prolaktinschwellenwerte be-
Ein isolierter Prolaktinmangel als Ursache der Agal-
schreiben, die in Abhängigkeit vom hemmenden
aktie spielt in der geburtshilfliehen Praxis kaum
Progesteron und Östradiol unterschiedliche Grade
eine Rolle. Mittlerweile sind einige Kasuistiken be-
der Laktation - von Galaktorrhö bis zum normalen
schrieben, bei denen das Fehlen der Milchbildung
Milchfluss - ermöglichen (Tabelle 2-2).
auf extrem niedrige Prolaktinspiegel zurückgeführt
Mit der Involution der sog. Schwangerschaftshy-
werden konnte. Stimulationsversuche der hypophy-
pophyse (Hyperplasie der prolaktinbildenden Zellen
sären Prolaktinreserve fielen in diesen Fällen negativ
aufgrund des schwangerschaftsinduzierten Östro-
aus. Diese Störung scheint genetisch bedingt zu sein.
genanstiegs) sinkt das quantitative Konzentrations-
Eine Therapie ist nicht bekannt.
niveau des Serumprolaktins kontinuierlich. Parallel
hierzu wird aber die Prolaktinrezeptorkapazität ge-
steigert. Auf diesem Wege lassen sich steigende
Milchvolumina bei abfallenden Serumprolaktinspie- 2.2.2
geln erklären. Hypolaktie
Ursache Therapie
---
ml
800 0 •
0>
~
...--------- Schmerz I Angst
d.
c. 600 0
,...; • Adrenalin
Noradrenalin
Endorphine
E •
"'c
Q)
0>
c
400
n· ad!energ ~ P·ad renerg j
j
Q)
E Oxytoc inwirkung Oxytocinausschüttung
J::. 200 • Erstgebärende / reduziert gehemmt
..!::!
/
~ o Mehrgebärende
Vasekonstriktion der
0~--~----~---.----.----,--~,-~ versorgenden Arterien
0 100 200 300 400 500 ml
Volumenzunahme der Brust in der Relaxieru ng der
Schwa ngerschaft Myoepithelze llen
Abb. 2-6. Volumenzunahme der Brust in der Schwanger- gestörte Milchejekt ion
schaft. Beziehung zwischen Milchmengen am 7. Tag post par-
turn und Größenzunahme der Brust während der Schwanger- Abb. 2-8. Mögliche Pathophysiologie einer gestörten Milch-
schaft. (Mod. nach Hytten) ejektion
2.3 Involution, Puerperale Mastitis 35
2.4.4
2.4.2 Ultrastruktur
Epidemiologie
Obwohl sich die Biologie der Mikro- und Makropro-
Bald nach Einführung der radioimmunologischen laktinome, was Proliferationsneigung, invasives
PRL-Bestimmung hat sich gezeigt, dass das PRL- Wachstum, Aktivität der PRL-Synthese und -Sekre-
produzierende Hypophysenadenom (Prolaktinom) tion betrifft, deutlich unterscheidet, gibt es keine we-
der häufigste Hypophysentumor ist. Mehr als die sentlichen Unterschiede bezüglich der Ultrastruktur
Hälfte aller klinisch diagnostizierten Hypophysentu- der laktotropen Adenomzelle beim Makro- und Mi-
moren sind Prolaktinome. Viele der vor der PRL- kroprolaktinom. Auch die laktotropen Zellen der
Ära als endokrin-inaktiv angesehenen Adenome Schwangerenhypophyse unterscheiden sich in ihrer
wurden später als Prolaktinome identifiziert. Die Ultrastruktur nicht signifikant von den Prolakti-
meisten Prolaktinome werden zwischen dem 30. nomzellen (Abb. 2-10). Meist handelt es sich um Zel-
und 50. Lebensjahr diagnostiziert, bei Kindern len mit einem gelappten Zellkern, einem prominen-
sind sie selten. ten Nukleolus mit ausgeprägtem endoplasmatischen
Retikulum und wenigen, vereinzelten polymorphen
• Mikroprolaktinom. Bei 65% der Prolaktinome Sekretionsgranula. Diese "sparsely granulated" lak-
handelt es sich um Mikroprolaktinome mit einem totropen Zellen lassen sich mit konventionellen Fär-
Durchmesser von maximal10 mm, die vornehmlich bemethoden deshalb nicht anfärben und imponie-
bei Frauen gefunden werden. ren als chromophobe Zellen .
Es gibt allerdings auch Prolaktinome, die lakto-
• Makroprolaktinom. PRL-produzierende Ade- trope Zellen mit vielen Granula aufweisen ("densely
nome mit eine Durchmesser von > 10 mm werden granulated"). Beide Zellen kommen sowohl in Mi-
als Makroprolaktinome bezeichnet. Es handelt sich kro- als auch Makroprolaktinomen vor und sind
z. T. um invasiv wachsende Tumoren, die bei beiden darüber hinaus in der Schwangerenhypophyse in
Geschlechtern gleich häufig diagnostiziert werden. großer Zahl nachweisbar.
38 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse
Weibliche Patienten
• Amenorrhö und Zyklusstörungen. Frauen mit
Hyperprolaktinämie haben eine primäre, häufiger
eine sekundäre Amenorrhö oder Zyklusstörungen,
an ovulatorisehe Zyklen oder eine Lutealinsuffizienz.
Mikroadenome Makroadenome
wie Metoclopramid und Sulpirid sowie Phenothia- thyreose im Normbereich, bei denen die basalen
zine und Neuroleptika, insbesondere Haloperidol, TSH-Spiegel schon deutlich erhöht sind (Abb. 2-13).
zu nennen (Tabelle 2-6). Auch Substanzen, die zu
einer zentralen Katecholaminverarmung führen,
Ektope Prolaktinproduktion
können eine Hyperprolaktinämie hervorrufen.
Eine ektope Produktion von Prolaktin durch einen
Lungen- oder einen anderen nicht hypophysären
Vermehrte hypothalamisehe Stimulation Tumor ist zwar beschrieben, aber noch nie eindeutig
der PRL-Sekretion anhand der Demonstration von PRL-Messenger-
Selten wird eine Hyperprolaktinämie durch eine die RNA im Tumorgewebe nachgewiesen worden.
inhibitorische Kontrolle überwiegende vermehrte
hypothalamisehe Stimulation hervorgerufen. Dies
ist bei der primären Hypothyreose der Fall, bei 2.4.8
der gelegentlich eine Amenorrhö und Galaktorrhö Therapie
beobachtet werden. Die erniedrigten peripheren
Schilddrüsenhormone führen zu einem vermehrten Die Hyperprolaktinämie lässt sich im Gegensatz zu
Anfall von TRH im zentralen Portalblut Dies kann anderen HVL-Hormonenexzessen durch DA-Agoni-
in Einzelfällen zu einer persistierenden Hyperpro- sten medikamentös äußerst effektiv behandeln.
laktinämie führen, die sich auf Gabe von Schilddrü- Diese Substanzen vermögen nicht nur die PRL-Se-
senhormonen zurückbildet. In der Regel liegen die kretion zu hemmen, sondern führen auch zu einer
PRL-Spiegel auch bei Patienten mit primärer Hypo- Schrumpfung des Hypophysentumors. Die Pharma-
2000 200
200~9 TRH o Hypothyreot (n = 5)
± SE
• Hyperthyreot (n =7)
1 Abb. 2-13.
TRH -induzierte PRL- und
1500 150 200~ TRH
TSH-Sekretion bei hypo- und
hyperthyreoten Patienten.
!::'
..... .....
=' 1 Bei der Hypothyreose ist der
basale PRL-Spiegel im
.s 1000 .s 100
w w
Normbereich gelegen, der
basale TSH-Spiegel schon
...J J:
a: deutlich erhöht; nach Gabe
c.. ~ von TRH kommt bei beiden
zu einem überschießenden
Anstieg. Bei hyperthyreoten
500 50 Pa tien lcn ist der basale PR!.-
Spiegel ebenfalls im Norm -
bereich gelegen, der TRH
induzierte Anstieg ist aller-
dings gering ausgeprägt. Die
0 TSH-Sekretion ist sowohl
0 fff f f ffT basal als auch nach TRH-
·15 0 102030 45 60 75 90 105120 -15 0 102030 45 60 75 90 105120 Gabe völlig supprimiert.
Zei t [min ) Zeit [min i (Aus v. Werder 1974}
42 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse
Medikamentöse Therapie Therapie der Wahl Empfohlene Therapie Sollte in jedem Falle
versucht werden, in bi zu
85% Dauertherapie
Transsphenoidale Nicht indiziert Bei DA-Agonisten- Vor einer chwanger chaft;
selektive Adenomektomie Unverträglichkeit• bei Unverträglichkeit der
(immer nach DA-Agonisten- DA-Agonisten bzw.
Vorbehandlung) fehlendem Ansprechen;
rasch verfallendes Gesichts-
feld
Radiotherapie, icht indiziert icht indiziert Bei Versagen der
,.gamma knife" medikamentösen und
operativen Behandlung
Beobachtung Wenn keine klinischen Be chwerden be tehen, Nicht indiziert
(PRL-Spiegelkontrolle) eventuell Östrogensubstitution
• Bei Frauen mit normaler Sella oder Mikroprolaktinom und Kinderwunsch kann die Ovulation auch durch pulsatile Gabe von
GnRH ausgelöst werden
kotherapie ist deshalb die Therapie der Wahl bei Der einzige Non-Ergot-DA-Agonist mit ausgepräg-
Prolaktinomen (Tabelle 2-7). ter Affinität zum D2-Rezeptor ist das Quinagolid.
DA-Agonisten unterscheiden sich in ihrer biologi-
schen Aktivität, ihrer Halbwertszeit sowie ihrer Ver-
Oopaminagonisten (DA-Agonisten)
träglichkeit (Tabelle 2-8).
Die Hemmung der PRL-Sekretion durch die Dopami-
nagonisten beruht auf dem spezifischen dopaminer-
• Nebenwirkungen. Zu den akuten Nebenwirkun-
gen Effekt der Mutterkornalkaloide, die eine hohe Af-
gen der DA-Agonisten zählen orthostatische Hypo-
finität zum D2-Rezeptor aufweisen. Nach ihrer Struk-
tension, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Lang-
tur können 3 Gruppen unterschieden werden:
fristig werden mitunter auch Kopfschmerzen, trok-
• Lysergsäureamid-Derivate (z. B. Bromocriptin),
kene Nasenschleimhaut, psychotische Veränderun-
• Aminoergotin-Derivate (Lisurid, Tergurid,
gen und kälteempfindliche digitale Vasospasmen
Cabergolin) und
beobachtet.
• Clavin-Derivate (z. B. Pergolid).
Tabelle 2-8. Ungefähre Äquivalenzdosen der verschiedenen criptin, Lisurid, Tergurid), wohingegen andere Präparate eine
zur Behandlung der Hyperprolaktinämie eingesetzten DA- längere (Pergolid, Qinagolid) oder eine sehr lange Wirkungs-
Agonisten. Da diese Medikamente z. T. eine kurze Halbwerts- dauer (Cabergolin) aufweisen, kann der biologische Effekt der
zeit haben, was den PRL-suppressiven Effekt betrifft (Bromo- verschiedenen Medikamente nicht exakt verglichen werden
Parlodel LAR 50-100 1- bzw. 1- bis 3-malige Besser verträglich als die orale
monatliche i.m.-Gabe Gabe, in Deutschland nicht
zugelassen
Cabergolin Dostinex 0.5- 2.0 2- bis 4-mal!Woche DA-Agonist der "2. Generation"
Nebenwirkungen der DA-Agonisten erste Gabe erfolgt nach dem Abendessen. Auch
wenn die Bromocriptinbehandlung einschleichend
• orthostatische Hypotension begonnen wird (z. B. 1,25 mg Bromocriptin am
• Schwindel Abend), wird bei etwa 20% der Patienten eine Bro-
• Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen mocriptin- oder auch Lisuridintoleranz beobachtet.
• trockene Nase Gelegentlich können Patienten mit parenteral appli-
• Verstopfung zierbarem Bromocriptin behandelt werden, das im
• digitale Vasospasmen Gegensatz zur oralen Medikation deutlich besser
• Psychosen (Halluzinationen) vertragen wird. Cabergolin und Quinagolid werden
• Sehstörungen besser toleriert als Bromocriptin. In Abb. 2-14 ist
• Herzrhythmusstörungen eine Patientin mit Kinderwunsch zu sehen, bei der
• Gewichtsabnahme die maximale, gerade noch tolerierte Bromocriptin-
dosis zu keiner, die gut tolerierte Cabergolintherapie
hingegen zu einer Normalisierung der PRL-Spiegel
Aus diesem Grunde muss die Therapie mit Dop- mit anschließender Schwangerschaft geführt hatte.
aminagonisten in sehr niedriger Dosis begonnen Neben der Intoleranz gibt es auch echte Resisten-
werden (Tabelle 2-9). Die Medikamente werden zen. Bei Bromocriptinresistenz ist ein zweiter Thera-
direkt nach der Mahlzeit eingenommen und die pieversuch mit Cabergolin oder Quinagolid gerecht-
12l 10 2,5
1' Bromocriptin Cabergolin
60 (mg / Tag) (mg / Woche)
sekundäre Amenorrhö normaler Zyklus
schwanger
so Abb. 2-14.
"'0 <f' N.E., 21 Jahre Cabergolinbehandlung bei
Bromocriptinunverträglich-
4{)
X keit. Maximal tolerierte
..... Dosen von 10-12,5 mg Bro-
L.U
.§. 30 mocriptin pro Tag führten zu
...J
keiner Normalisierung der
c: PRL-Spiegel. Eine hoch -
0..
20 dosierte Cabergolintherapie
mit 2,5 mg pro Woche hatte
normale PRL-Spiegel mit
regelrechten Ovulationen
zur Folge, was zu einer
problemlos verlaufenden
12 3 6 12 6 12 6 12 6 [Monate) Schwangerschaft führte.
1988 1989 1990 1991 1992 [Jahre) (Aus v. Werder et al. 1994)
44 KAPITEL 2 Prolaktin und Brustdrüse
Abb. 2-16a, b. Erfolgreiche medikamentöse Behandlung extrem erhöhten PRL-Spiegel von 37.500 ~tg!l sind unter der
eines invasiv in die Schädelbasis und nach kranial wachsenden Therapie auf 21 !!g/1 in den Normbereich abgefallen. Der
Makroprolaktinoms. a vor undbunter einer medikamentösen 32-jährige Patient hatte unter der laufenden Therapie eine völ-
Therapie mit dem DA-Agonisten Tergurid; in einer Dosierung lig normale HVL-Funktion. Das Zeitintervall zwischen den
von 1,0 mg pro Tag kam es zu einer völligen Rückbildung des beiden Cis beträgt 2 Jahre, in denen der Patient mit Tergurid
invasiv wachsenden Tumors, der aufgrundseiner Ausdehnung in unveränderter Dosierung behandelt wurde
einer operativen Therapie nicht zugänglich gewesen wäre. Die
I~ .... _,[~J
2S~o~g
70000 1 _ _ _ _7_s_11_
9___ .__2_
x _o._s_
m_g_/W
- oc_he___.
60000
=
.....
.s 50000
LU
NMR ------------~1
.J
0::
40000
c..
30000 Tumor suprasellär weitere Tumor-
nicnt mehr verkleinerung
20000 nachweisbar
10000
0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 2 3 4 5 6
a Tage Monate
Abb. 2-l7a, b. Männlicher Patient mit Makroprolaktinom, in der sagittalen (links) als auch in der koronaren (rechts) Pro-
43 Jahre. a Verlauf der PRL-Spiegel und Verhalten des Tumor- jektion sieht man, dass der suprasellär extendierende Tumor,
volumens unter einer DA-Agonistentherapie. Die Behandlung der sich konvex bis zum Chiasma o. ausdehnt, nach 5-mona-
mit Quinagolid führte zu einer Normalisierung der PRL- tiger Behandlung deutlich kleiner geworden ist und einen kon-
Spiegel und zu einer erheblichen Volumenreduktion des kaven Aspekt angenommen hat. Wo der suprasellär extendie-
suprasellär extendierenden Makroprolaktinoms. Nach Um- rende Tumorzapfen nachweisbar war, lässt sich jetzt der Hy-
stellung auf Cabergolin blieb der PRL-Spiegel normalisiert, pophysenstiel eindeutig erkennen
die Schrumpfung des Adenoms nahm weiter zu. b Sowohl
2.5 Prolaktinassozierte Krankheiten der Brustdrüse 47
70
66
-~ 40
52
48 ~30
~
8 20 / :
44 "".. 8750
~ 10 01
40 -~ 0 -hr-r-...,-T"""T"-r-.,.......,....,
36 0 102030405060708090
e-.. 32 A
max. TRH -Antwort
0\
.s 28
--'
a:
0..
24
TRH -Test
20
16
12
8
4
B
0
bas. max . bas. max. 8 10 12 14 16 18 20 22 24 4 6 8 {Uhrl
Stimulation mit 0.2 mg TRH
f
Schlaf Beginn Schlaf Ende
Abb. 2-18. Serumprolaktinspiegel im TRH-Test (200 J..lg i. v.) Stimulationsantworten im TRH-Test korrelieren signifikant
und das korrespondierende 24-h-PRL-Sekretionsprofil bei mit der max. Prolaktinausschüttung während des Schlafens
einer repräsentativen Patientin mit mastopathischen Ver- und der mittleren Prolaktinkonzentration über 24 h. (Aus
änderungen sowie einer gesunden Kontrollperson. Die Peters et al. 1984)
Collier RJ (1985) Nutrionial, metabolic, and environmental Peters F, Leber A (1998) Prolaktin und Mammakarzinom. In:
aspects of lactation. In: Larson BI (ed) Lactation. Acade- Braendle W, Schulz KD (Hrsg) Hormone und Mamma-
mic Press, New York, pp 80-128 karzinom. Zuckschwerdt, München, 57-64
Cooke NE, Coit D, Shine J, Baxter JD, Martial, JA (1981) Hu- Peters F, Schuth W (1989) Hyperprolactinemia and non-
man prolactin, cDNA structural analysis and evolutionary puerperal mastitis (duct ectasia). J Am Med Ass
comparisons. J Bio! Chem 256: 4007-4016 261: 1618-1620
Delgrange E, Maiter D, Donckier J (1996) Effects of the dopa- Peters F, Schuth W, Scheurich B, Breckwoldt M (1984) Serum
mine agonist cabergoline in patients with prolactinoma prolactin Ievels in patients with fibrocystic breast disease.
intolerant or resistant to bromocriptine. Eur J Endocrinol Obstet Gynec 64: 381-385
134 : 454-456 Rjosk H-K, Fahlbusch R, Werder K von (1982) Influence of
Edwards CRW, Forsyth IA, Besser GM (1971) Amenorrhea, ga- pregnancies on prolactinomas. Acta Endocrinol (Copenh)
lactorrhea and primary hypothyroidism with high circula- 100: 337-346
ting Ievels of prolactin. Br.. Med J 3 : 462-464 Rjosk H-K, Fahlbusch R, Werder K von (1982) Spontaneaus
Erdheim J, Stumme D (1909) Uber die Schwangerschaftsver- development of hyperprolactinaemia. Acta Endocrinol
änderung in der Hypophyse. Beitr Pathol Anat Allg Pathol (Copenh) 100: 333-336
46: 1-132 Rjosk H-K, Werder K von, Fahlbusch R (1976) Hyperpro-
Eversmann T, Eiehinger R, Fahlbusch R, Rjosk H-K, Werder K laktinämische Amenorrhoe. Geburtshilfe Frauenheilk
von (1981) Die Hyperprolaktinämie beim Mann. Schweiz 36 : 575-587
Med Wochensehr 111 : 1782-1789 Schneeberg NG, Perlott Wtt, Israel SL (1960) Incidence of
Ferrari CI, Abs R, Bevan JS et al. (1997) Treatment of macro- unsuspected "Sheehan's syndrome". J Am Med Ass
prolactinoma with cabergoline: a study of85 patients. Clin 172: 70-77
Endocrinol 46: 407-413 Shome B, Parlow AF ( 1977) Human pituitary prolactin (hPRL).
Flückiger E, Pozo Edel, Werder K von (1982) Prolactin, phy- The entire linear amino acid sequence. J Clin Endocrinol
siology, pharmocology and clinical findings. Monographs Metab 45 : 1112-1115
on endocrinology. Springer, Berlin Heidelberg New York, Thorner MO, Martin WH, Rogol AD et al. (1980) Rapid regres-
vol 23 sion of pituitary prolactinomas during bromocriptine
Frawley L S, Miller HA, Betts J, Simpson MT (1988) Liver tissue treatment. J Clin Endocrinol Metab 51 : 438-445
from lactating rats produces a factor which stimulates Thorner MO, Perryman RL, Rogol AD et al. ( 1981) Rapid chan-
prolactin release and gene expression. Endocrinology ges of prolactinoma volume after withdrawal and reinsti-
123: 2014-1018 tution of bromocriptine. J Clin Endocrinol Metab
Griffith RW, Turklj I, Braun P (1979) Pituitary tumors during 53: 480-483
pregnancy in mothers treated with bromocriptine. Br J Truong AT, Duez C, Belayew A, Renard A ( 1984) Isolation and
Clin Pharmacol 7 : 393-396 characterization of the human prolactin gene. EMBO J
Hattori N, Ikebuko K, Ishihara T, Moridera K, Hino M, Kura- 3: 429-437
hachi H (1992) A normal ovulatory woman with hyper- Vance ML, Lipper M, Klibanski A, Biller BMK, Samaan NA,
prolactinemia: presence of anti-prolactin autoantibody Molitch ME ( 1990) Treatment of prolactin-secreting pitui-
and the regulation of prolactin secretion. Acta Endocr tary macroadenomas with the long-acting non-ergot do-
126 : 479-500 pamine agonist CV 205-502. Ann Intern Med
Hili P, Wynder EL, Kumar H, Helman P, Rona G, Kuno K 112 : 668-673
( 1976) Prolactin Ievels in population at risk for breast can- Vuh G, Wells JA (1995) Prolactin receptor antagonists that in-
cer. Cancer Res 36: 4102-4106 hibit the growth of breast cancer cell Jives. J Biol Chem
Holtkamp W, Nagel GA, Wander HE, Rauschenecker HF, Hey- 270: 13133-13137
den D (1984) Hyperprolactinemia is an indicator ofpro- Walter LM, Norman LE (1983) Structure and evolution ofthe
gressive disease and poor prognosis in advanced breast growth hormone gene family. Edocr Rev 4: 97-130
cancer. Int J Cancer 34 : 323-328 Wang DJ, De Stavola BL, Bulbrook RD et al. (1988) The per-
Hytten FE (1954) Clinical and chemical studies in human lac- manent effect of reproductive events on blood prolactin
tation. VI. The functional capacity of the breast. Brit Med J Ievels and its relation to breast cancer risk: a population
I:912-915 study of postmenopausal women. Eur J Cancer Clin Oncol
Krupp P, Monka C (1987) Bromocriptine in pregnancy: safety 24: 1225-1231
aspects. Klein Wochensehr 65: 823-827 Webster J, Piscitelli G, Polli A, Ferrari CI, Ismail I, Scanlon MF
Kwa HG, De Jong-Bakker M, Engelsmann E, Cleton FJ (1974) (1994) A comparison of cabergoline and bromocriptine in
Plasma-prolactin in human breast cancer. Lancet the treatment of hyperprolactinemic amenorrhea. N Eng!
I:433-435 J Med 331 : 904-909
Lee PA, Xenakis T, Winer ), Matsenbaugh S (1976) Puberty in Werder K von, Müller OA, Fink U, GräfK ( 1994) Diagnosis and
girls: Correlation of serum Ievels of gonadotropins, pro- treatment of hyperprolactinemia. In: Imura, H (ed) The
lactin, androgens, estrogens and progestins with physical pituitary. Raven, New York, pp 453-489
changes. J Clin Endocrinol Metab 43 : 775-784 Werder K von (1998) Klinische Neuroendokrinologie. Sprin-
Lely AJ van der, Brownell J, Lamberts SWJ (1991) The efficacy ger Verlag, Berlin Heidelberg New York Tokyo
and tolerability of CV 205-502 (a nonergot dopaminergic Werder K von (1996) Prolactinoma: Clinical findings and en-
drug) in macroprolactinoma patients and in prolactino- docrinology. In: Landolt AM, Vance ML, Reilly PL (Eds)
ma patients intolerant to bromocriptine. J Clin Endo- Pituitary Adenomas, Churchill & Livingstone, New York,
crinol Metab 72: 1136-1141 London, pp 111-126
Musey UC, Delwood CC, Musey PI, Martino-Saltzman D, Pree- Wilde CJ, Addey CP, Casey MJ, Blatchford DR, Peaker M
dey )RK (1987) Long-term effect of a first pregnancy on (1988) Feed-back inhibition of milk secretion: The effect
the secretion of prolactin. N Eng! J Med 316 : 229-234 of a fraction of goat milk on milk yield and composition.
Nieoll CS, Anderson TR, Herbert, NJ & Russell, SM (1987) Pro- Quarterly J Exp Physiol 73 : 391-397
lactin, growth factors and cell growth. In: Rillema J (ed) Yi Cai W, Alexander JM, Hedley-Whyte ET, Scheithauer BW,
Actions of prolactin on molecular processes. CR Press, )ameson JL, Zervas NT, Klibanski A (1994) Rasmutations
Boca Raton, pp 200-212 in human prolactinomas and pituitary carcinomas. J Clin
Nieoll CS (1980) Ontogeny and evolution of prolactin's func- Endocrinol Metab 78 : 89-93
tions. Federation Proceedings 39 : 2563-2568 Zargar AH, Masoodi SR, Laway BA, Shah NA, Salahudin M
Peters F (1992) Gutartige Erkankungen der Brust. Urban & (1997) Familial puerperal alactogenesis: possibility of a
Schwarzenberg, München genetically Iransmitted isolated prolactin deficiency.
Brit J Obstet Gynaecol 104: 629-631
KAPITEL 3
Zona retlrularls
Zona fasclculata
Zona glomerulosa
ACTH bindet an Rezeptoren der Zelloberfläche, der Cholesteroldesmolase und der llß-Hydroxylase
aktiviert die Adenylatcyclase und führt zur Erhö- benötigt werden.
hung der Konzentration von 3'5' -cyclo-Adenosin-
monophosphat (cAMP). Dieses aktiviert Proteinki-
Regulatorproteine der Steroidbiosynthese
nasen, welche eine Reihe von zellulären Prozessen
Eine Reihe kürzlich identifizierter Transkriptions-
regulieren. Im Vordergrund steht die Aktivierung
faktoren interagieren mit spezifischen Sequenzen
der Cholesterolesterhydroxylase durch Phosphory-
an den 5' -Enden verschiedener Gene, die für
lierung, welche verestertes Cholesterol aus den in-
adrenale P450-Enzyme in Säugern kodieren (Ta-
trazellulären Speichern freisetzt. Freies Cholesterol
belle 3-1). Einer dieser Faktoren, ein nebennieren-
wird über das Sterol-Carrier-Protein 2 (SCP 2) in
spezifisches Protein, welches als steroidogener Fak-
die Mitochondrien transportiert.
tor 1 bzw. Ad4 bezeichnet wird, greift offenbar in die
gewebsspezifische Expression ein. Sp1 ist wahr-
Enzyme der Cortisolbiosynthese scheinlich für die ACTH-vermittelte Induktion die-
Die Umwandlung von Cholesterol zu Pregnenolon
erfolgt durch die Cholesteroldesmolase, auch als
"Side-chain-cleavage-Enzym" bezeichnet, und ist Tabelle 3-1. Wichtige neuentdeckte Regulatorproteine der
der geschwindigkeitsbestimmende Schritt in der Ste- Steroidbiosynthese
roidsynthese. Das Enzym wird durch die Verfügbar-
Neue Regulations- Wirkung
keit des Substrats am Enzymsystem an der inneren proteine
Mitochondrienmembran reguliert. Die Cholesterol-
desmolase sowie die weiteren Enzyme der Cortisol- tAR Transport von Cholesterol
biosyn these ( 17a-Hydroxylase, 21-Hydroxylase, in Mitochondrien
llß-Hydroxylase) sind Vertreter der Cytochrom- SCP2 Mitwirkung am Transport von
Cholesteron in Mitochondrien
P450-Superfamilie (Abb. 3-2). Diese Enzyme mit
einer Molekülmasse von etwa 50 kDa hydroxylieren Erhöhung Umsatz von Cholesterol
zu Pregnenolon
das Substrat durch Einführung eines 0-Atoms. Ne-
SAP timulation Umsatz von Cholesterol
ben Kurzzeiteffekten (Minuten bis Stunden) führt zu Pregnenolon
länger anhaltende Stimulation mit ACTH über
Ad4 teigerung Expression der Enzyme
eine Steigerung der Transkription zu einer vermehr- der Steroidbiosynthese
ten Synthese aller 4 P450-Enzyme, Adrenodoxin- Pl Induktion der Genexpression
reduktase sowie Adrenodoxin, die für die Synthese
3.1 Physiologie und Biochemie (ACTH und Glucocorticoide) 53
Cholesterol
Cbo 1.1. De.nol
'
Pregnenolon
17a-lly!tdo~ 17-0H-Pregnenolon 17-Ly
• ~ldroepiandrosteron
l ...... JP .()J(.Stcrold.l Dchydrogcnasc
'
Progesteron 17a lly~oxy~ '
17-0H-Progesteron 17-LylliC h
-
'
Androstendion
, ...... 21 -llydro ln.'IC ~+
Desoxycorticosteron
f.. . . 11~-11 dro ylasc ~ f
Desoxycortisol
Corticosteron Cortisol
~:
18-Deby
Aldosteron
l
nicht vollständig geklärt.
Hypophys~
3.1.2
Regulation der Glucocorticoidsynthese
#Ä
des adrenokortikotropen Hormons (ACTH) aus
den kortikotropen Zellen des Hypophysenvorder-
lappens. ACTH ist der Hauptregulator der Glucocor- Cort1sol
ticoidsynthese in der Nebenniere. Steigt der Corti-
solspiegel im Blut nach Stimulation mit ACTH, Abb. 3-3. Regulation der Steroidbiosynthese
kommt es durch eine Rückkoppelung zur Hemmung
sowohl auf der Ebene des Hypothalamus als auch
auf der Ebene der Hypophyse (Abb. 3-3).
Neuere Ergebnisse zeigen, dass neben der Regu-
lation der Glucocorticoidsynthese durch die Hypo-
thalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
die Steroidogenese der Nebennierenrinde auch
durch das sympathoadrenale System und das Im-
munsystem beeinflusst wird (Abb. 3-4).
54 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide
ACTH
-
ACTH
cAMP
ATP Phosphorylierung
von Enzymen und
Proteinkinase A Regulatorprotemen
(Z.B StAR;
Cholesterolester-
hydroxylase
Cholesterol
Proteinkinase C
IP3
t
®·Proteinkinase C Ka lzium-
freisetzung
( ® \
-..@:)
Calmodulin
Phosphorylierung
von Enzymen und Freisetzung
Regulatorproteinen
(z. B. StAR)
Arachidonsäure
•
Transport von
Cholesterol in
Mitochondrien
\( 111 Cort1sol
\{ fl Corti ol tt
Abb.3-7. Verstärkung der ACTH-Antwort durch
intraglanduläre parakrine Beeinflussung der Zellen
56 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide
• Hypertrophie der Nebennierenrinde. Durch zu einer Abnahme der Mitochondrien und des glat-
chronische Stimulation der Nebenniere mit ACTH ten endoplasmatischen Retikulum (GER). Die Mito-
kommt es zur Hypertrophie der Nebennierenrinde. chondrieninnenmembranen nehmen ebenfalls ab
Dabei verbreitert sich insbesondere die Zona fasci- und zeigen eine Transformation vom vesikulären
culata, in der hauptsächlich die Glucocorticoide ge- Typ in eine tubuläre Form (Abb. 3-Sd). Die Steroid-
bildet werden. Es kommt zu einer Hypervaskularisa- zelle zeigt somit auf der Ebene der Organellenstruk-
tion der Nebennierenrinde (Abb. 3-Sa). Auf der Ebe- tur eindrucksvolle morphologische Veränderungen,
ne der Zelle führt die Stimulation mit ACTH zu einer die mit der biochemischen Aktivität korrelieren.
Zunahme der Mitochondrien, der Mitochondrienio- Dies lässt sich entsprechend bei den pathophysiolo-
nenmembranen und des glatten endoplasmatischen gischen Veränderungen des primären und sekundä-
Retikulums - den Zellorganellen, in denen die Ste- ren Hypercortisolismus (Cushing-Syndrom) sowie
roidbiosynthese stattfindet. Die Liposomen, Spei- der primären und sekundären Nebennierenrinden-
cherorte für Cholesterol in den Steroidzellen, neh- insuffizienz nachweisen.
men ab. Als Ausdruck der erhöhten Substrataufnah-
me bilden die Zellen vermehrt Zellmembranausläu-
Unterfunktion
fer (Abb. 3-Sb ).
(Nebennierenrindeninsuffizienz)
• Atrophie der Nebennierenrinde. Nach Hypophy- W. ARLT
sektomie oder hypophysärem ACTH-Mangel
kommt es bereits nach einer Woche zur Atrophie Thomas Addison veröffentlichte 1855 seine klinisch-
der Nebennierenrinde (Abb. 3-Sc). Die Rinde wird autoptische Arbeit "On the constitutional and local
schmal und die Zellen zeigen eine Abnahme des Zy- effects of disease of the suprarenal capsules" und be-
toplasmas. Auf ultrastruktureller Ebene kommt es schrieb damit als erster die Folgen eines vollständi-
Hypotha lamu
0t CRH
Hypothalamu
0
~ ACfH
1 ebennicrcnrindc
a Cor1isol b Cor1isol
0t --·-·-,
I 0
CRH I T CRH
0 r-·-·--i
ACTH I ACTH
( Cortisol d Cor1isol
Abb. 3-9a-d. Physiologie und Pathophysiologie der Regulation der kortikotropen Achse, a physiologische Situation, b primäre
NNR-Insuffizienz, c sekundäre NNR-lnsuffizienz, d tertiäre NNR-Insuffizienz
58 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide
gegen das P450c21-Enzym, die 21-Hydroxylase. sich neben einer Fibrose und Atrophie eine ver-
Makroskopisch imponiert bei der Autoimmunadre- mehrte lymphozytäre Infiltration der Nebennieren-
nalitis eine deutliche Atrophie der Nebennieren- rinde (Abb. 3-11 ).
rinde bei zumeist morphologisch unauffälligem Die Autoimmunadrenalitis tritt zumeist isoliert
Nebennierenmark (Abb. 3-10). Histologisch findet auf. 40-50 o/o der Patienten erkranken jedoch im
Rahmen einer polyglandulären Insuffizienz Typ I
oder Typ II an weiteren Autoimmunerkrankungen.
n
n 0 0 Morbus Addison
Morbus Addison
50
12
0 Hypoparathyreoidismus "' Diabetes mellitus Typ I
D Autoimmunthyreopathie
10
8
• Candidiasis
40
30
6
4
2
0--~--~~----~~~-r--~~
0 3 6 9 12 15 21 27 36 Lebensjahre 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Lebensjahrzehnt
Abb. 3-12. Zeitlicher Verlauf der poyglanduläre Insuffizienz Abb. 3-13. Zeitliche Abfolge des Auftritts von primärer
Typ I (APECED): Auftritt von mucocutaner Candidiasis, Hy- NNR-Insuffizienz und anderer Autoimmunerkrankungen
poparathyreoidismus und primärer NNR-Insuffizienz. (Mod. bei der polyglandulären Insuffizienz Typ II. (Mod. nach Neu-
nach Betterle et al. 1998) feld et al. 1981)
AIDS
Auch im Rahmen von AIDS kann es durch verschie-
dene opportunistische Infektionen (Tabelle 3-2),
aber auch durch eine Tuberkulose oder seltener
durch HIV selbst zu einer NNR-Insuffizienz kom-
men. Auch hier gilt es, an die Möglichkeit einer
Abb. 3-16. Computertomographie des Abdomens mit Dar- Adrenalitis zu denken, da die klinischen Symptome
stellung von bilateralen Nebennierenmetastasen bei einem Pa-
tienten mit Bronchialkarzinom der NNR-Insuffizienz weitgehend denen einer
schweren Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes
bei fortgeschrittener AIDS-Erkrankung gleichen.
als Folge einer bilateralen makronodulären Hyper-
plasie der Nebennierenrinde.
3.2.4
Klinik
Adrenaler Infarkt mit sekundärer Einblutung
Septische oder hypovolämische Schockzustände Glucocorticoidmangel
können zum bilateralen adrenalen Infarkt mit se- Als Folge der Zerstörung bzw. des Funktionsverlu-
kundärer Einblutung und damit zur NNR-Insuffi- stes der Zona fasciculata kommt es zum Gluco-
zienz führen, wie z. B. beim Waterhouse-Friderich- corticoidmangel und damit zu vermehrter Abge-
sen-Syndrom im Rahmen einer Meningokokkensep- schlagenheit, Müdigkeit und einer deutlichen Ein-
sis (Abb. 3-15). Als Ursache einer NNR-Insuffizienz schränkung der Leistungsfähigkeit (Tabelle 3-3).
kasuistisch beschrieben sind auch adrenale Infarkte Viele Patienten beschreiben auch eine vermehrte
nach intra- und perioperativen Blutdruckabfällen Reizbarkeit, Gleichgültigkeit und andere seelische
sowie bilaterale adrenale Hämorrhagien im Rahmen Veränderungen. Im weiteren Verlauf kommt es zu
eines Antiphospholipidsyndroms. einer interindividuell unterschiedlich ausgeprägten
gastrointestinalen Symptomatik mit Übelkeit, diffu-
sen Bauchschmerzen und manchmal auch Erbre-
Befund Symptome
chen. Aufgrund begleitender Infekte kann Fieber be- neben einem Verlust der Sekundärbehaarung und
stehen, das durch das Cortisoldefizit noch begün- trockener Haut auch Libidoverlust, verminderte see-
stigt wird. Hierauf gründet die gelegentliche Fehldia- lische Belastbarkeit und vermehrte Reizbarkeit zur
gnose eines akuten Abdomens. Die meisten Patien- Folge haben (s. Tabelle 3-3). Pathophysiologische
ten verlieren deutlich an Gewicht bis hin zur Kache-
xie. Als Folge der gegenregulatorisch erhöhten
ACTH-Konzentrationen kommt es durch Stimula-
tion der Melanozyten zu einer vermehrten Melanin-
bildung und damit zu einer variabel ausgeprägten
generalisierten Dunkelpigmentierung der Haut. Prä-
dilektionsstellen sind dabei die sonnenexponierte
Haut sowie Lokalisationen, die einem chronischen
Friktionstrauma ausgesetzt sind (z. B. Handlinien,
Mamillen, Narben, Mundschleimhaut; Abb. 3-17).
Der Glucocorticoidmangel führt zu einer vermehr-
ten peripheren Glukoseutilisation verbunden mit
einer erhöhten Insulinsensitivität und zu einer her-
abgesetzten Glukoneogenese. Manche Patienten
entwickeln daher Hypoglykämiesymptome. Im La-
bor findet sich häufig eine normochrome Anämie,
im Differentialblutbild eine Lymphozytose und
manchmal eine Eosinophilie.
Mineralocorticoidmangel
Der Funktionsverlust der Zona glomerulosa hat
einen Mineralocorticoidmangel zur Folge, der
über eine vermehrte Natriurese und dem damit
verbundenen Flüssigkeitsverlust zu einer relativen
Hypovolämie und damit zum Blutdruckabfall führt
(s. Tabelle 3-3). Darüber hinaus führt das Glucocor-
ticoiddefizit zu einer verminderten adrenergen Sti-
mulierbarkeit der peripheren Gefäße und trägt da-
mit zur Hypotension bei. Diagnostisch hinweisend
sind systolische Blutdruckwerte < 100 mm Hg.
Die Dehydration ist auch die Grundlage der z. T. er-
höht gefundenen Retentionswerte als Ausdruck
eines beginnenden prärenalen Nierenversagens.
Durch vermehrte Natriurese und verminderte Ka-
liumexkretion kommt es zur Hyponatriämie (90%
der Fälle) und Hyperkaliämie (70 %). Manche Pa-
tienten entwickeln einen vermehrten Salzhunger
(15 %). Bei Erstmanifestation einer NNR-Insuffi-
zienz findet man darüber hinaus in 5-10% der Fälle
auch eine Hyperkalzämie, deren Pathogenese noch
unklar ist.
Adrenaler Androgenmangel
Der Funktionsverlust der Zona reticularis führt zum
adrenalen Androgenmangel und damit zu einer
deutlich erniedrigten Serumkonzentration von De- Abb. 3-l7a-c. Hyperpigmentation durch gesteigerte ACTH -
Sekretion: generalisierte Dunkelpigmentierung sowie Hyper-
hydroepiandrosteron-Sulfat (DHEAS). Bei gesun- pigmentation der Handlinien bei einer Patientin mit M.
den Frauen entstehen 60-80% der Androgene durch Addison (a); Hyperpigmentierung im Bereich einer Operati-
periphere Konversion von DHEA bzw. DHEAS, so- onsnarbe (b) und im Bereich der Fingergelenke (c) bei einem
Patienten mit Zustand nach bilateraler Adrenalektomie bei
dass Frauen mit NNR-Insuffizienz ein ausgeprägtes okkulter ektoper ACTH-Sekretion. (Bilder: S. Maier, Würz-
Androgenmangelsyndrom entwickeln. Dieses kann burg)
64 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide
Grundlage für letztere Symptome ist möglicherweise weischarakter, ein Serumcortisol < 1 J.lg/dl ist um
die neurosteroidale Wirkung von DHEA, das u. a. Mitternacht sogar physiologisch. Sicherer Beweis
anti-GABAerge Eigenschaften besitzt. für eine NNR-Insuffizienz ist der Nachweis der feh-
lenden bzw. eingeschränkten adrenalen Funktions-
reserve durch den sog. ACTH-Kurztest (250 J.lg
3.2.5 ACTH 1-24 i. v., Blutentnahmen bei 0 und
Diagnostik 60 min). Zum Beweis einer intakten NNR-Funktion
sollte das Serumcortisol 60 min nach ACTH-Stimu-
Anamnese und körperliche Untersuchung lation auf > 20 J.lg/dl (> 550 nmol/1) ansteigen. Ist
Entscheidend für die Diagnosestellung bei der chro- das basale Serumcortisol > 20 J.lg/dl, so liegt bereits
nischen NNR-Insuffizienz ist es, auf die Gesamtkon- eine deutliche, z. B. stressbedingte Stimulation der
stellation der Symptome und dabei besonders auf kortikotropen Achse vor und zum Beweis einer aus-
das Vorhandensein spezifischer Symptome und Be- reichenden adrenalen Funktionsreserve wird dann
funde (wie Hyperpigmentation, Hyponatriämie, sy- ein Cortisolanstieg um 5 J.lg/dl akzeptiert. Von
stolischer Blutdruck < 100 mmHg) zu achten. Un- manchen Autoren wird auch der Nachweis einer
spezifische Symptome wie Müdigkeit, nachlassende verminderten Exkretion von freiem Cortisol im
Leistungsfähigkeit und Antriebsmangel können 24-h-Urin als beweisend für eine NNR-Insuffizienz
durch eine Vielzahl anderer Erkrankungen bedingt angesehen, die Sicherheit der Methode ist jedoch
sein, gleiches gilt für diffuse Bauchbeschwerden. Im vor allem durch Sammelfehler beeinträchtigt.
Anamnesegespräch sollte deswegen differentialdia-
gnostisch besonders auf Hinweise für das Vorliegen • ACTH-Bestimmung. Ist bei Nachweis einer pa-
einer Depression (reaktiv, neurotisch oder psycho- thologisch niedrigen Cortisolsekretion die Plasma-
tisch bedingt) oder einer System- bzw. Tumorer- ACTH- Konzentration gleichzeitig deutlich erhöht,
krankung (B-Symptomatik!) geachtet werden. so liegt eine primäre NNR-Insuffizienz vor. Ist das
Plasma-ACTH niedrig normal oder nicht nachweis-
Endokrinalogische Diagnostik bar, so liegt eine hypothalamohypophysärbedingte
• Cortisolbestimmung und ACTH-Kurztest. Ein mor- NNR-Insuffizienz vor, die eine weitere funktionsdia-
gendliches Serumcortisol < 5 J.lg/dl ( < 140 nmol/1) ist gnostische Differenzierung erfordert (Abb. 3-18).
verdächtig auf das Vorliegen einer NNR-lnsuffi-
zienz. Wegen der ausgeprägten zirkadianeo Rhyth- • Aldosteronbestimmung. Bei der primären NNR-
mik der Cortisolsekretion haben niedrige nachmit- Insuffizienz findet sich typischerweise auch eine
tägliche oder abendliche Werte jedoch keinen Hin- erniedrigte (oder niedrig-normale) Konzentration
• Bei starkem Stress (schwere Krankheiten, Opera- Wichtig ist, die Patienten darauf hinzuweisen, dass
tionen, Entbindung): bei mangelnder gastrointestinaler Resorption z. B.
100 mg Hydrocortison in Glukose 5 o/o über 24 h durch Erbrechen und/oder Diarrhö bei länger anhal-
kontinuierlich (präoperativ beginnend sowie tender Symptomatik eine i. v.-Glucocorticoidsubsti-
am ersten postop. Tag), Reduktion nach AZ, tution durchgeführt werden muss. Gleiches gilt für
Fludrocortisonpause bis Hydrocortisontages- starken Stress, z. B. bei Operationen und Entbindun-
dosis < 50 mg. gen.
40 ~ 25 mg Cortisonacetat
Tabelle 3-4. Symptome und Befunde mit Hinweischarakter
auf Unter- bzw. Ubersubstitution von Gluco- (1 .-8.) bzw. Mi- 35
neralocorticoiden (9.-1 0.)
30
Untersubstitution Übersubstitution 25
20 Mittelwert
I. Müdigkeit, chwäche Schlafstörungen
2. Antriebsmangel Rückenschmerzen 15 ± SD
3. Appetitlo igkeit Appetitsteigerung
10
4. Übelkeit Ödeme
5
5. Abdominelle Schmerzen Akne
6. Muskelschmerzen lammbetonte Adipositas 0
0 60 120 180 240 300 360 420
7. Hyperpigmentation Diabelische Entgleisung/pa-
thologische Glucosetoleranz b Zeit nach Einnahme (Minuten)
8. Gewichtsabnahme Gewichtszunahme
Abb. 3-19a, b. Referenzkurve für Serumcortisol nach Ein-
9. Arterielle Hypotonie Arterielle Hypertonie nahme einer Morgendosis von 15 mg Hydrocortison (a)
10. erum-Na J, K I bzw. 25 mg Cortisonacetat (b) bei Patienten mit NNR-Jnsuffi-
zienz. (Mod. nach Allolio et al. 1985)
68 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide
Werte zeigen eine Über-, deutlich stimulierte Werte einen lebensbedrohlichen Notfall darstellt. Häufig-
eine Untersubstitution an. ste Ursachen einer Krise bei Patienten mit bereits
diagnostizierter NNR-Insuffizienz sind mangelnde
Glucocorticoid-Notfallausweis Dosisanpassung bei Stress und Compliance-Proble-
Bei jeder Vorstellung sollte das Vorhandensein des me. Dies beruht zumeist auf fehlender oder falscher
Glucocorticoid-Notfallausweises überprüft und ggf. Information des Patienten und/oder seiner Angehö-
die Angaben darin aktualisiert werden. Weiterhin rigen. Wichtigste prophylaktische Maßnahme zur
sollte jedes Mal eine erneute Schulung hinsichtlich Vermeidung adrenaler Krisen ist daher die wieder-
der notwendigen Dosisanpassung bei Stress, Infek- holte, gezielte und geduldige Aufklärung und Schu-
tionen und Operationen erfolgen. Es hat sich gezeigt, lung des Patienten und seiner Angehörigen.
dass Patienten, die bereits eine stationär behand- Eine wichtige Ursache von adrenalen Krisen ist
lungsbedürftige Nebennierenkrise erlitten haben, das plötzliche Absetzen einer Glucocorticoidmedi-
eine doppelt- bis dreifach so hohe Wahrscheinlich- kation nach Langzeittherapie bei Patienten mit chro-
keit haben, eine erneute Krise zu erleiden. Daher nisch-obstruktiver Bronchitis, rheumatoider Arthri-
sollte dieses Kollektiv besonders intensiv geschult tis oder anderen steroidpflichtigen Erkrankungen.
werden. Empfehlungen zur Kontrolluntersuchung Hier kann der äußere Aspekt (Zeichen des Korti-
unter chronischer Gluco- und Mineralocorticoid- koidexzesses ::::? Hautatrophie? Facies lunata?) sowie
substitution sind in folgender Übersicht zusammen- die (Fremd-) Anamnese im Notfall richtungswei-
gefasst. send sein.
3.3 3.3.2
Sekundäre NNR-Insuffizienz Epidemiologie und Pathogenese
3.3.1 Häufigste Ursache der sekundären (und tertiären)
Fallpräsentation NNR-lnsuffizienz sind Tumoren der Hypothala-
mus-Hypophysen-Region, die durch verdrängendes
ach komplikationsloser Schwangerschaft ent- Wachstum (Abb. 3-20) bzw. die Folgen ihrer Thera-
band die 37-jährige Patientin ihr 3. Kind. Durch pie (Operation/Bestrahlung) (Abb. 3-21) Hypophyse
die Notwendigkeit einer manuellen Plazenta- und/oder Hypothalamus schädigen (s. folgende
lösung kam es zu einem starken Blutverlust. Übersicht).
In der Folge fühlte sie sich ständig müde und
abgeschlagen, litt unter Appetitlosigkeit und Ursachen der sekundären NNR-Insuffizienz
verlor in den folgenden Monaten 10 kg Körper-
gewicht. Zwei Monate nach der Geburt ver- • Tumoren
siegte der Milchfluss, die Regelblutung blieb an- Hypophysenmakroadenom (endokrin aktiv oder
haltend aus und sie verlor ihre axilläre Behaa- inaktiv)
rung. Sie konnte sich nur stundenweise auf Hypophysenkarzinom (Rarität), intra- und/oder
den Beinen halten, um das Kind zu versorgen. supraselläre Metastasen
6 Monate nach der Geburt stellte sich die Pa- Meningeom
tientin auf Anraten des Frauenarztes in der Kraniopharyngeom
endokrinalogischen Ambulanz vor. Der körper- • Schädigung der kortikotropen Achse durch ver-
liche Untersuchungsbefund ergab eine 37-jähri- drängendes Wachstum und/oder Folgen der
ge Patientin in reduziertem AZ, leicht unter- Operation und/oder Strahlentherapie
gewichtigem EZ (62 kg, 172 cm). Es zeigte sich • Autoimmunerkrankungen
eine generalisierte Haut- und Schleimhaut- • Lymphozytäre Hypophysitis (Autoimmunhypo-
blässe, eine trockene und schuppige Haut sowie physitis)
deutlich reduzierte ax.illäre Behaarung. Der • Isolierter ACTH-Mangel, isolierter CRH-Mangel
Blutdruck betrug 120/75 mm Hg, die Herzfre- • Idiopathische HVL-Insuffizienz (?)
quenz 52/min. Die Elektrolyte lagen im orm- • Blutung bzw. hämorrhagischer Infarkt (Sonder-
bereich (Kalium 3.9 mmol/1, Na 138 mmol!l). form: postpartales Sheehan-Syndrom)
Die endokrinalogische Diagnostik ergab fol- • Infektionen/granulomatöse Entzündungen/Infil-
gende Befunde: Serum-Cortisol basal 0,6 j..tg/dl trationen
( B 5-25 !lg/dl), 60 min nach 250 11g ACTH Tuberkulose
i. v. 0,9 !Jg/dl ( B > 20 !Jg/dl), Plasma-ACTH Aktinomykose, Nokardiose
3,6 pg/ml (NB < 50 pg/ml), DHEAS < 10 ng/ml • Sarkoidose, Histiozytosis X
(NB 800- 4000 ng/ml), im CRH-Test fehlender • Schädel-Hirn-Trauma (u. a. Hypophysenstielabriss)
Anstieg von Cortisol und ACTH. Weiterhin • Zustand nach lange bestehendem Hypercortisolis-
fand sich ein sekundärer Hypogonadismus, mus exogen (Glucocorticoidtherapie) oder endogen
eine sekundäre Hypothyreose sowie ein Wachs- (Cushing-Syndrom) =? führt über NNR-Atrophie
tumshormonmangel. Prolaktin < 0,5 ng/ml langfristig auch zur primären NNR-Insuffizienz!)
70 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide
Lymphozytöre Hypophysitis
Die lymphozytäre Hypophysitis ist eine seltene
Autoimmunerkrankung mit bisher ca. 150 beschrie-
benen Fällen in der Literatur. Histologisch findet
sich ein chronisch-inflammatorischer Prozess mit
polyklonalen Iymphozytären Infiltraten, die zur fo-
kalen oder diffusen Zerstörung und konsekutiv zum
fibrotischen Umbau des Adenohypophysengewebes
führen. Die Krankheit betrifft vorwiegend Frauen
(im Verhältnis 8-10: 1) und tritt typischerweise in
der Spätschwangerschaft oder in der postpartalen
Periode auf. Im akuten Stadium kann die Auto-
immunhypophysitis durch die entzündliche Schwel-
Abb. 3-20a-c. MR Schädel (a sagittale Schnittebene, b koro-
nare Schicht): Kraniopharyngeom mit primär supraselläre Lo- lung als hypophysärer Tumor imponieren
kalisation und Ausbreitung nach intrasellär. c Im Nativ-Rönt- (Abb. 3-22) und dadurch als Hypophysenadenom
gen (Sella-Zielaufnahme) für ein Kraniopharyngeom charak- verkannt werden. Im Langzeitverlauf kommt es
teristische supraselläre Verkalkungsstrukturen sowie Aufwei-
tung der Sella. (Mit freundlicher Genehmigung von G. häufig zur Atrophie der Adenohypophyse, was
Klingelhöffer, Würzburg) sich in der Bildgebung als Empty sella zeigt (sekun-
3.3 Sekundäre NNR-Insuffizienz 71
3.3.3
Klinik
lnsutTi zicnz
I nsufTizienz
auch eine niedrig dosierte Dauersubstitution. Zur Absetzen einer langjährigen Steroidtherapie oder
partiellen NNR-Insuffizienz, bei der sich im nach erfolgreicher Sanierung eines M. Cushing).
ACTH-Kurztest eine (noch) normale Cortisolant- Der CRH-Test ist für die Diagnostik einer partiellen
wort findet, kann es durch tumoröse Raumforde- NNR-Insuffizienz nicht sehr gut geeignet, da die
rungen im Hypothalamus-Hypophysen-Bereich Normwertbereiche für einen physiologischen An-
bzw. nach Hypophyseneingriffen kommen sowie stieg von Cortisol (und ACTH) nach CRH nicht
im Rahmen der Erholung der NNR-Funktion nach gut definiert sind und auch bei Gesunden ge-
langanhaltender Suppression durch einen exogenen legentlich relativ geringe Anstiege beobachtet wer-
oder endogenen Hypercortisolismus (z. B. nach den. Der sichere Ausschluss einer partiellen NNR-
Insuffizienz kann nur durch einen auch den Hypo-
thalamus stimulierenden Test erfolgen, weil nur so
die Funktion der gesamten Hypothalamus-Hypo-
physen-Nebennieren-Achse beurteilt werden kann
(Abb. 3-24). Der Goldstandard für die hypothala-
misehe Stimulation ist der Insulin-Hypoglykämie-
Test, beim Vorliegen von Kontraindikationen
kann auch der Metopironkurztest zum Einsatz kom-
CRII-Tr I
0 men (Testprinzipien in folgender Übersicht 3.6).
AC fll
Endokrinologische Funktionsdiagnostik
zur Abklärung einer hypothalamohypophysär
bedingten NNR-Insuffizienz
IACTH-T est I ~nni•r•nrind• • CRH-Test
Cortisol Prinzip: exogenes CRH stimuliert die hypo-
Abb. 3-24. Regulation der kortikotropen Achse und An- physäre ACTH-Ausschüttung und damit die
griffspunkte der endokrinalogischen Funktionsdiagnostik adrenale Cortisolsekretion
74 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide
(
3.3.5
t
Therapie
3.4.2
Epidemiologie
Mit ca. 70 o/o aller Fälle ist die häufigste Ursache des
Cushing-Syndroms das zentrale Cushing-Syndrom
Abb. 3-26a, b. Facies lunata (a) und breite livide Striae (b) bei
(Tabelle 3-5). Seine Inzidenz beträgt etwa 1 : 100 einer Patientin mit zentralem Cushing-Syndrom
bis 1 : 500 Einwohner/Jahr. Frauen sind in einem
Verhältnis von 3 : 1 bis 9 : 1 deutlich häufiger be-
troffen als Männer. Der Erkrankungsgipfelliegt zwi- Tabelle 3-5. Relative Häufigkeit der verschiedenen Formen
schen der 3. und 5. Lebensdekade, vereinzelt kommt des Cushing-Syndroms
die Erkrankung aber auch bei Kindern und im
ACTH-abhängige Form 85 %
hohen Alter vor.
ACTH -produzierende 80%
Hypophysenadenom (M. Cu hing)
Ektope ACTH-Produktion 20 o/o
3.4.3 (manife t oder okkult)
Pathogenese Bronchialkarzinoide
Medulläres Schilddrüsenkarzinom
Das zentrale Cushing-Syndrom (M. Cushing) ent- Pankreastumoren u. a. neuroendokrine
steht auf dem Boden einer hypophysären ACTH- Tumoren
Überproduktion mit chronischer Mehrausschüttung Kleinzelliges Bronchialkarzinom
von Glucocorticoiden. Die ACTH-Überproduktion Ektope CRH-Produktion Extrem selten
führt zu einer bilateralen diffusen, seltener knotigen (paraneopla tisch)
Nebennierenhyperplasie. Ursache der hypophysären ACTH-unabhängige Form 15 o/o
Mehrsekretion von ACTH ist meist ein Mikroade- ebennierenrindenadenom 50 %
nom ( < l cm im Durchmesser, Abb. 3-27) und sel- ebennierenrindenkarzinom 50 %
tener auch ein Makroadenom der Hypophyse. Hi- Mikronoduläre Sehr selten
ebennierenrindenhyperplasie
stologisch handelt es sich bei der Mehrzahl der Tu-
moren um chromophobe oder basophile Hypophy- Ma ive makronoduläre ACTH- Sehr selten
unabhängige ebennierenhyperpla ie
senadenome, die immunhistochemisch ACTH-
3.4 Zentrales Cushing-Syndrom 77
3.4.4
Klinik
Adipositas 40- 80
Diabetes mellitu 25-50
Hirsutismus 30-50
Hypertonie 50
Osteoporotische Frakturen 40-50
Hautveränderungen: 100
Hautatrophie Rubeo i
Piethora
Ekchymo en
Livide Striae
Abb. 3-28. Plethora, Stiernacken, stammbetonte Adipositas Akne
bei einem Patienten mit ektopem Cushing-Syndrom Hautinfektionen 100
Stammbetonte Fettgewebsverteilung 80- 100
sprechend innerhalb kurzer Zeit zu irreversiblen Facies lunata 50-95
Schäden. So liegt zum Zeitpunkt der Diagnosestel- Myopathie 30- 90
lung bei mehr als 30% aller Patienten schon eine Zyklusstörungen/Impotenz 30- 85
manifeste Osteoporose vor. Psychi ehe Auffalligkeiten 50- 80 %
r I • J
cs
'f\ ' ,,:
I • I I
I'
A. t
GN •
~ .l.ll
A, I . I 0
'/ Abb. 3-29. Cortisol-
../
tagesrhythmik bei Nor-
malpersonen, adrenalem
7.00 11 00 15.01) 19.00 23.00 1S 00 19 00 23.00 II 00 1500 1900 2300 Cushing-Syndrom und
Uhrtell ACTH-abhängigem
Cushing-Syndrom.
Differentialdiagnose Funktionsdiagnostik
Die Differentialdiagnose nutzt die endokrine Funk- Der erste differentialdiagnostische Schritt ist die
tionsdiagnostikund die radiologische Lokalisations- Trennung von primärem adrenalen und sekundä-
diagnostik. Das diagnostische Primat kommt dabei rem ACTH-abhängigen Cushing-Syndrom durch
der endokrinen Funktionsdiagnostik zu (biochemi- die Messung des Plasma-ACTHs basal und im Kor-
sche Abklärung immer vor Lokalisationsdiagno- tikotropin-releasing-Hormontest (Abb. 3-30). Beim
stik). Es ist ein Fehler, sich an dieser Stelle frühzeitig adrenalen Cushing-Syndrom sind die basalen und
auf Röntgenbefunde zu verlassen. So kann z. B. bei stimulierten ACTH-Werte durch das negative Feed-
einem Vorliegen eines okkulten ektopen Cushing- back des Cortisols stets supprimiert. Beim ACTH-
Syndroms (s. Abschn. 3.5) der Nachweis einer hypo- abhängigen Cushing-Syndrom dagegen sind die
physären Raumforderung zu einem nicht-indizier- ACTH-Konzentrationen normal bis erhöht. Norm-
ten neurochirurgischen Eingriff führen. wertige ACTH-Werte beim Cushing-Syndrom sind
inappropriat hoch und damit Ausdruck einer
ACTH-Abhängigkeit des Cushing-Syndroms.
Die biochemische Differenzierung von zentralem
und ektopem Cushing-Syndrom ist schwieriger (Ta-
belle 3-7). Die endokrine Funktionsdiagnostik ver-
fügt hier über keinen einzigen Test, der in allen Fäl-
len eine sichere Differenzierung erlaubt. Drei Me-
thoden werden gemeinsam genutzt und ermögli-
chen in der Mehrzahl der Fälle eine diagnostische
Zuordnung. Dieses sind die ACTH-Messung, die Sti-
mulation mit CRH und der Suppressionstest mit
hochdosiertem Dexamethason. Man macht sich da-
bei zunutze, dass Hypophysentumoren im Gegen-
satz zum ektopen ACTH-Syndrom meist die Eigen-
schaften gesunder Hypophysenzellen behalten, d. h.:
die Stimulation des Tumor-ACTH durch CRH und
. I.
JO ' __.,._. . . . . . "'··~····- "' •••
•
.:
I -··4·- '•.
•O
,'0 - ".- ............ - - ..
• 0 ....... .. " _. .
.,I I
I '·
·. '
...
.• o Abb. 3-31. CRH-Test
~,.I •• --·-= beim ACTH-abhängigen
Cushing-Syndrom.
:
I o& . •
Suppression des Tumor-ACTH durch höchstdosier- im CRH-Stimulationstest ist sehr spezifisch für das
tes Glucocorticoid. zentrale Cushing-Syndrom. Weniger als5o/oder Pa-
Beim zentralen Cushing-Syndrom ist das Plasma- tienten mit ektopem Cushing-Syndrom weisen solch
ACTH normal oder mäßig erhöht, beim ektopen einen ACTH-Anstieg nach CRH auf. Der Test fällt
Cushing-Syndrom ist es häufig sehr stark erhöht. aber bei ca. 10 o/o der Patienten mit M. Cushing
Extrem hohe ACTH-Konzentrationen sprechen negativ aus (Abb. 3-31). Auch ist die für den
daher eindeutig für das Vorliegen eines ektopen M. Cushing typische Suppression der Cortisolsekre-
Cushing-Syndroms. Ein ACTH-Anstieg (> 35 o/o tion im hochdosierten, über 2 Tage durchgeführten
des Basalwertes zum Zeitpunkt 15 und 30 Minuten) Dexamethasontest weder völlig spezifisch noch sen-
sitiv. Ein 50 o/oiger Abfall des Serumcortisols ist bei
ca. 80 o/o der Patienten mit M. Cushing, aber auch bei
Gesichertes ACTH-abhängiges 20 o/o der Patienten mit ektopem ACTH-Syndrom
'
Cushing-Syndrom nachweisbar. Ist mittels CRH-Test und Dexametha-
sonhemmtest eine eindeutige Zuordnung zum
,/ zentralen bzw. ektopen Cushing-Syndrom nicht
'
CRH-Test positiv CRH-TIIS1 aegltlv
I
möglich, muss die weitere Differenzierung mittels
Sinus-petrosus-Katheter durchgeführt werden
hochdosierter (Abb. 3-32).
Dua.-Test
SlniS·petrosas·lnferlor-
S•ppFeS$IOR lies . . . Kltlletertslerlllglllt Bildgebung
S·Cortlsals
'
CRH-stlmiiatlon • Kernspintomographie. Beim Verdacht auf das
Vorliegen eines zentralen Cushing-Syndroms ist
die Durchführung einer Kernspintomographie der
IIMR ZtlltraVperlplltrer
Hypophysenregion die Methode der Wahl
' ACT1HirMltllt
(Abb. 3-33). Mit diesem Verfahren gelingt bei
, ~~,- /I
45-65 o/o aller Patienten mit kortikotropem Hypo-
physenadenomder Nachweis einer Raumforderung.
Die relativ geringe Sensitivität der Kernspintomo-
Morbus Cushlng
graphie ist nicht überraschend, da der mittlere
Ektopes ACTH-Syndrom
Durchmesser von ACTH-bildenden Hypophysen-
tumoren bei nur 4-5 mm liegt, weshalb kleine
Abb. 3-32. Differentialdiagnostische Abklärung des ACTH- Adenome auch mit hochauflösenden Verfahren
abhängigen Cushing-Syndroms nicht nachgewiesen werden können. Die Spezifität
3.4 Zentrales Cushing-Syndrom 81
Sensitivität Spczifital
(%) (%)
Transsphenoidoien Hypophysenoperation
Diese Operation hat in geübten Händen eine Hei-
!:
j:
f. lungsrate von über 90 o/o mit einer geringen Kompli-
't ... kationsrate von unter 5 o/o. Der Erfolg der transsphe-
J.O
noidalen Hypophysenoperation ist abhängig von
1: "'
W' der Exaktheit der Diagnose und der Erfahrenheit
'!'
..
..
des Operateurs. Patienten mit kompletter Remission
haben postoperativ erniedrigte Cortisolkonzentra-
,. tionen und entwickeln eine substitutionspflichtige
O.' AO<OUS C E.klopos pnmasns Nebennierenrindeninsuffizienz, die tertiärer (hypo-
(n•2151 CS es thalamisch-bedingter) Genese ist.
(n· 201 (n• 11
konfluierende
hypophysäre Sinus Periphere Vene: 35 pg/ml
Sinus Venen petrosus
cavernosus inferior
Vena
jugularis Abb. 3-35. Sinus-petrosus-
Katheterisierung bei einer
Patientin mit zentralem
Plasma ACTH 3 Min. nach CRH 100uQ i.v. SPI·Gradient zentral/peripher> 40 Cushing-Syndrom
In dieser Phase ist manchmal eine leicht supra- Allerdings tritt der Effekt meist erst nach 2 Jahren
physiologische Glucocorticoidsubstitution erforder- ein. In der Zwischenzeit muss überbrückend mit
lich. Die durchschnittliche Dauer der Nebennieren- Adrenostatika behandelt werden. Die Alternative
rindeninsuffizienz nach erfolgreicher transsphenoi- zur Hypophysenbestrahlung ist die bilaterale Adre-
daler Hypophysen-Operation beträgt 6-12 Monate. nalektomie, die stets zu einer substitutionsbedürfti-
gen Nebennierenrindeninsuffizienz führt. Das Ver-
fahren hat beim Cushing-Syndrom eine operations-
Persistenz oder Rezidiv des M. Cushing
assoziierte Letalität von ca. 1 %.
In ca. 10% der Fälle führt die transsphenoidale
Hypophysenoperation nicht zur Remission. In die-
sem Falle ist eine kurzfristige zweite Operation mit Adrenostatika
ca. 50 o/oiger Erfolgschance indiziert. Ebenso ist bei Als Vorbereitung auf die Operation bzw. zur Über-
Rezidiven des M. Cushing zu verfahren, die in brückung des Zeitraumes bis zum Eintreten des Be-
10-30% aller Fälle auftreten. strahlungseffektes werden Medikamente eingesetzt,
Ist auch durch einen zweiten Hypophyseneingriff die die Cortisolbiosynthese hemmen (Tabelle 3-9
eine Heilung nicht zu erzielen, wird eine Bestrahlung und Abb. 3-36). Eine Alternative besteht in dem
der Hypophysenregion eingeleitet, die in einem DDT -Derivat Mitotane, das dosis-und zeitabhängig
hohen Prozentsatz (> 80 %) zur Remission führt. durch die Zerstörung der Nebennierenrinde zu einer
80~
70 ' Iichen Verteilungstyp, progressiver Muskel-
60 , schwäche, Akne und depressiven Verstimmun-
- ektopes Cushing·Syndrom
50 .# gen . Im Labor bestand eine Hypokal iämie von
• - - • Morbus Cushlng
~ 40 2,84 mval/1. Bei der endokrinologischen Diagno-
'"'
..:,
ö
stik fa nden sich ein ACTH-abhängiges Cush ing-
Syndrom mit fehlendem Anstieg von ACTH im
~ 30
10
. •' .-~ -. • -
'-
./ ~
•' - . - • - • • - •• - - •
physe zeigte eine kleine Raumfo rderung. Unter
der Vorstellung eines zentralen Cushing-Syn-
.# .. droms wurde eine tra nssphenoidale Hypophy-
0 '1 1 pf ' I /
0 0,5 1 2 6 12 18 24 48 senoperation durchgefüh rt, bei der ein inaktives
Behandlungsdauer (Monate) Hypophysenadenom entfernt wurde. Postope-
rativ bestand das Cushing-Synd rom fort. Nach
Abb. 3-36. Normalisierung des Serumcortisols unter einer Verlegung in ein Zentrum fa nd sich in der Com-
kombinierten Behandlung mit I000 mg Metyrapon und
1000 mg Aminoglutethimid bei Patienten mit ACTH-abhängi- putertomographie des Thorax eine 6 mm große
gem Cushing-Syndrom Raumforderung (Abb. 3-37), d ie in der Kern -
spi ntomographie des Thorax eine hohe Signa-
lintensität aufwies (Abb. 3-38). Bei der atypi-
chemischen Adrenalektomie führt. Muss eine rasche schen Oberlappenresektion zeigte sich ein ek-
Normalisierung der Cortisolsekretion erreicht wer- top-ACTH-prod uzierendes Bronchialkarzinoid
den (z. B. bei Patienten mit Steroidpsychose), hat mit mehreren Lymphknotenmetastasen . Nach
sich die kontinuierliche, intravenöse Infusion des dem Eingriff bestand eine substitu tionsbedürf-
Hypnotikums Etomidate bewährt, welches über tige, tertiäre ebennierenrindeninsuffiz ienz.
eine Hemmung der 11 ß-Hydroxylase innerhalb
von Stunden einen Cortisolabfall herbeiführt. Diese
Therapie muss wegen einer möglichen Atemdepres-
3.5.2
sion unter intensivmedizinischen Überwachungs-
Pathogenese
maßnahmen erfolgen.
Beim ektopen ACTH-Syndrom produziert und se-
zerniert nichthypophysäres Tumorgewebe biolo-
3.5 gisch aktives ACTH, welches die Nebennieren sti-
Ektopes Cushing-Syndrom muliert und zu einer bilateralen, häufig knotigen
Nebennierenhyperplasie führt. Der dadurch be-
Abzugrenzen gegen den M. Cushing ist das ektope
dingte Hypercortisolismus supprimiert die hypotha-
Cushing-Syndrom auf dem Boden einer paraneopla-
lamisehe CRH-Synthese und -Sekretion, blockiert
stischen ACTH-Sekretion. Die Ursache des ektopen
Cushing-Syndroms kann eine bekannte maligne
Erkrankung sein, z. B. ein kleinzelliges Bronchial-
karzinom. Häufiger und differentialdiagnostisch
schwierig gegen das zentrale Cushing-Syndrom
abzugrenzen ist das okkulte ektope Cushing-Syn-
drom, bei dem der Tumor zunächst mittels Primär-
diagnostik nicht nachweisbar ist.
3.5.1
Fallpräsentation
Tumorart llaufigkeit
Karzinoide: n %
Bronchogen 30 50
Andere (Thymus, Leber) 10 17
Kleinzellige Bronchialkarzinom 5 8
Pankreastumoren:
Inselzelltumoren 3 5
Adenokarzinom 2
Phäochromozytom 2
Medulläres childdrüsen.karzinom 2
Unbekan nt oder unklas ifizierbar 9 15
Abb. 3-38. Ektop ACTH-bildendes ParagangHorn des Tho-
rax: TZ-gewichtetes NMR-Bild (STIR-Sequenz) mit Nachweis
einer Raumforderung mit hoher Signalintensität (Mit freund-
licher Genehmigung von Herrn Prof. D. Hahn, Abt. für Rönt-
gendiagnostik, Würzburg) M. Cushing sind häufig und führen in ca. 1/3 der
Fälle zu ungeeigneten Maßnahmen (Hypophysen-
bestrahlung, Hypophysenoperation). Ca. die Hälfte
die CRH-Wirkung auf die normalen hypophysären aller Fälle von okkultem ektopen Cushing-Syndrom
ACTH-produzierenden Zellen und supprimiert da- wird durch Bronchuskarzinoide hervorgerufen
mit die hypophysäre ACTH-Sekretion. Im Gegensatz (Tabelle 3-11 ). Eine paraneoplastische ACTH -Sekre-
zum sehr viel häufiger bei Frauen auftretenden zen- tion ist aber praktisch bei allen soliden Tumoren
tralen Cushing-Syndrom ist das okkulte ektope schon nachgewiesen worden.
Cushing-Syndrom bei männlichen und weiblichen
Patienten etwa gleich häufig (Tabelle 3-10). Bis
zum Nachweis der Quelle der ACTH-Hypersekreti- 3.5.3
on vergehen beim okkulten ektopen Cushing-Syn- Klinik
drom im Mittel 30 Monate, wobei es in Einzelfällen
jedoch auch 12 Jahre dauern kann, bis der ACTH- Das okkulte ektope ACTH-Syndrom ist dem
bildende Tumor gefunden ist. Fehldiagnosen als klinischen Bild des M. Cushing sehr ähnlich
(Tabelle 3-12). Allerdings weisen die Patienten häu-
figer eine proximale Myopathie sowie eine deutliche
Tabelle 3-10. Epidemiologie des zentralen, ektopen okkulten
Hypokaliämie auf. Die klinische Symptomatik bei
und nicht okkulten Cushing-Syndroms. (Zusammenstellung paraneoplastischer ACTH-Sekretion und bekannten
aus der Literatur nach Reincke et al. 1988) Tumorleiden (z. B. kleinzelliges Bronchialkarzinom)
ist aufgrund der kurzen Anamnesezeit typischerwei-
se oligosymptomatisch. Als Folge der hier exzessiv
erhöhten ACTH- und Cortisolwerte finden sich als
Leitsymptome Hypokaliämie, starke Hautpigmenta-
tion infolge der MSH-ähnlichen Wirkung von
ACTH, ausgeprägte Myopathie sowie eine diabeti-
Geschlecht 17/64 30/30 11/6 sche Stoffwechsellage. Typische Cushing-Stigmata
(männlich/weiblich) haben sich meistens noch nicht ausgebildet.
Durchschnittliches 35 41 51
Alter bei Diagnose (15- 67) (7- 72) (33- 68)
(Jahre) 3.5.4
Hypophysen- 63 % 27 % 0% Diagnose
operation oder
Hypophysen- Biochemische Abklärung
be trahlung
Trotz des Einsatzes moderner diagnostischer Ver-
Bilaterale Adrenal- 37 % 68% 18% fahren ist die Differentialdiagnose zwischen zentra-
ektomie lem Cushing-Syndrom und ektopem Cushing-Syn-
Definitive Heilung > 95 % 56 o/o 0% drom ausgesprochen schwierig. Sie folgt den in
Abschn. 3.4.5 genannten Prinzipien. Fallen CRH-Sti-
3.5 Ektopes Cushing-Syndrom 85
Gewichtszunah me 91 64 29
Gewich tsabnah me 0 18 50
lammbetonte Adipositas 90 77 47
Mondgesicht 88 82 59
Zykl usunregelmäßigkeiten bei Frauen 84 25 25
Hirsutismu bei Fra uen 81 64 18
Arterieller Hypertonus 74 72 53
Psychische Auffalligkeiten 62 60 0
Livide Striae 56 32 24
Diabelische Stoffwechsellage 50 54 64
0 teoporose 50 29 6
Knöchelödeme 50 50 64
Myopathie 29 81 76
Akne 21 45 12
Hautpigmentatio n 12 36 76
Hypokaliä mie 9 73 94
Bildgebende Diagnostik
Die Lokalisationsdiagnostik beim okkulten, ektopen
Cushing-Syndrom nutzt die in folgender Übersicht
genannten Verfahren.
Abb. 3-40. Bilaterale massive, ACTH-unabhängige Neben- Abb. 3-42. Makropathologischer Befund eines Neben-
nierenhyperplasie: CT-Befund nierenkarzinoms. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof.
W. Saeger, Hamburg).
3.6 Adrenales Cushing-Syndrom 87
50 o/o aller Patienten mit Nebennierenkarzinom mit Nebenierenrindenkarzinom haben häufig Lo-
weisen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung keine kalbeschwerden in Form von Flanken- und Rücken-
endokrinen Symptome auf. Drei Viertel aller Tumo- schmerzen.
ren sind bereits bei der körperlichen Untersuchung
palpabel.
3.6.4
• Mikronoduläre Dysplasie der Nebenniere. Die Diagnostik
mikronoduläre Dysplasie der Nebenniere ist eine
seltene Form des adrenalen Cushing-Syndroms Die Diagnosesicherung des Cushing-Syndroms er-
und tritt häufig im Kindesalter auf. Die familiäre folgt wie in Abschn. 3.4.5 dargestellt. Der Nachweis
Form wird auch als Carney-Komplex bezeichnet, supprimierter Plasma-ACTH- Konzentrationen im
bei der sich neben der mikronodulären Hyperplasie CRH-Stimulationstest beweist die adrenale Genese
Hauttumoren, Vorhofmyxome, wachstumshormon- des Cushing-Syndroms. Die weitere Abklärung er-
produzierende Hypophysenadenome und andere folgt mit bildgebenden Verfahren, vorzugsweise
Tumoren nachweisen lassen. Das Gen für diese mittels abdomineller Computertomographie, wie
autosomal-dominant ererbte Erkrankung konnte in Abb. 3-43 und 3-44 dargestellt.
kürzlich auf Chromosom 2pl6 lokalisiert werden.
Makroskopisch zeigen die Nebennieren bei der
mikronodulären Hyperplasie eine feinfleckige
braune Pigmentierung. Histologisch ist die zwischen
den Knoten gelegene normale Nebenniere atro-
phisch.
3.6.3
Klinik
Cortisol-produzierende Nebennierenrindenadenome
führen zur typischen Symptomatik des Cushing-
Syndroms. Die gleichzeitige Bildung anderer adre-
naler Steroide ist für Nebennierenadenome unty-
pisch. Beim Nebennierenrindenkarzinom werden
häufig multiple Vorstufen der Steroidbiosynthese
gebildet. Klinisch finden sich deshalb zusätzlich
zu Cushing-Symptomen eine ausgeprägte Viri- Abb. 3-44. CT eines Nebennierenkarzinoms
lisierung oder eine Feminisierung. Die gleichzeitige
Bildung von Mineralocorticoiden kann zu einer
hypokaliämischen Hypertonie führen. Patienten
88 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide
Unerwünschte Glucocorticoidwirkungen
3.6.5
Therapie
• Katarakt, Glaukom
• Akne, Hirsutismus, Purpura, Hautatrophie
Nebennierenrindenadenome werden einer unilate-
• Hypertonie, Dyslipoproteinämie, Verhaltens-,
ralen Adrenalektomie zugeführt. Als Alternative
Wissensveränderung, Myopathie
zur klassischen lumbalen Adrenalektomie steht in-
• Diabetagene Stoffwechsellage
zwischen die Iaparoskopische Adrenalektomie zur
• Magen-, Darmulzera mit Blutungen
Verfügung. Dieses Verfahren ist mit einer kürzeren
• Erhöhte Infektanfälligkeit
Krankenhausaufenthaltsdauer und einer geringeren
• Osteoporose
Morbidität verbunden.
• Hemmung der körpereigenen Cortisolprodukti-
Beim Nebennierenrindenkarzinom sollte auch
on bis zur Nebennierenrindeninsuffizienz
bei Vorliegen von Fernmetastasen eine Tumorresek-
• Iatrogenes Cushing-Syndrom
tion angestrebt werden. Bei Persistieren des Hyper-
cortisolismus wird das Adrenostatikum Mitotane in
einer Dosis von 2-12 g/Tag eingesetzt (Tabelle 3-9). Die Entwicklug eines iatrogenen Cushing-Syndroms
Bei ausreichender Dosierung lässt sich hiermit der ist eine der gravierendesteil Nebenwirkungen der Glu-
Hypercortisolismus kontrollieren, wobei jedoch cocorticoidtherapie. Vor Einleitung einer längerfristi-
Nebenwirkungen in Form von Übelkeit, Adynamie gen Glucocorticoidtherapie ist deshalb eine besonders
und Erbrechen diese Behandlung limitieren. Poly- sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse notwendig. Die
chemotherapie und Tumorbettbestrahlung sind Glucocorticoidtherapie soll dabei die in der folgenden
weitere Behandlungsprinzipien der Karzinombe- Übersicht dargestellten Richtlinien befolgen:
handlung.
Bei der mikronodulären Nebennierenhyperplasie Richtlinien für die Glucocorticoidtherapie
und der makronodulären, ACTH-unabhängigen
Nebennierenhyperplasie ist die bilaterale Adrenal- e Einsatz der niedrigsten wirksamen Dosis
ektomie die Behandlungsform der Wahl und führt • Einsatz eines Präparates mit kurzer Halbwertszeit
zur Remission des Krankheitsbildes. • Möglichst einmalige morgendliche Applikation
• Topische Gabe vor systemischer Gabe vor intra-
venöser Gabe
3.7 • Kurzfristige hochdosierte Dosis besser als nied-
Exogenes Cushing-Syndrom rigdosierte Langzeittherapie
Glucocorticoide gehören zu den am häufigsten Trotz Beachtung dieser Richtlinien lässt sich die Ent-
eingesetzten Pharmaka. Die Indikationsliste für ih- wiekJung eines iatrogenen Cushing-Syndroms häu-
ren Einsatz ist umfangreicher als bei jeder anderen fig nicht vermeiden. Hierbei ist festzuhalten, dass es
Medikamentengruppe und umfasst Erkrankungen eine allgemein gültige Cushing-Schwellendosis nicht
aus allen Gebieten der Medizin. Die Verordnung gibt. Die Äquivalenzdosen synthetischer Glucocorti-
an Glucocorticoiden hat in den letzten 10 Jahren coide (Tabelle 3-13 und Abb. 3-45) beruhen auf tie-
ständig zugenommen und lag in der Bundesrepublik
1992 bei 6,5 Millionen Packungseinheiten. Inzwi-
schen steht eine Vielzahl von synthetischen Gluco-
corticoidpräparationen zur Verfügung. Durch struk-
turelle Veränderungen am Glucocorticoidmolekül
ist es dabei gelungen, eine Wirkungsverstärkung
zu erzielen. Durch den zusätzlichen Einbau einer
Doppelbindung zwischen Kohlenstoffatom 1 und
2 lässt sich außerdem der therapeutisch uner-
wünschte mineralocorticoide Effekt des Cortisols
deutlich reduzieren. Eine vollständige Abtrennung 0
von erwünschter und unerwünschter Glucocorti-
coidwirkung ließ sich bisher nicht erzielen (s. fol-
gende Übersicht).
Abb. 3-45. Glucocorticoidgrundstruktur. Stellen, in denen
durch zusätzliche Einbringungen von Substituenten (R)
oder durch Strukturveränderungen eine Wirkungsverände-
rung des Glucocorticoids möglich ist, sind farblieh hervor-
gehoben
3.8 Benigne, hormoninaktive Nebennierentumoren 89
Prednisolon 4 2-3
6-Methylpredn isolon 5 1,5-3
Fluorokortolon 4 0,8- 1,7
Deflazako rt 3 1,9
Cloprednol 4 2
Triamcinolon 5 3,5-5
Betamethason 30- 40 3,5
Dexamethason 25 5-7
Tabelle 3-15. Differentialdiagnose des adrenalen Inzidental- druck einer klonalen Expansion nach somatischen
oms und Häufigkeit der einzelnen Diagnosen in einer Serie onkogenen Mutationen. Allerdings wurden in allen
von 267 Fällen
entsprechenden Untersuchungen immer auch poly-
Diagnose (n) klonaleKnoten gefunden. Tumoren der Nebenniere,
die mit dem CT nachgewiesen werden, stellen somit
ebennierenadenom Inaktiv 206 sowohl echte Neoplasien als auch fokale noduläre
Cortisolsezernierend 23 Hyperplasien dar.
Aldo teronom
Androgenproduzierend
Enzymdefekte
Östrogenproduzierend Ein weiterer Zusammenhang besteht möglicherwei-
Nebennierenrindenkarzinom se zwischen adrenalen Enzymdefekten (z. B. 21-Hy-
noduläre Hyperplasie 3 droxylasemangel) und dem Auftreten von Inziden-
Phäochromozytom 7 talomen. Patienten mit klassischem adrenogenita-
Ganglioneurom 3 lem Syndrom entwickeln häufig makronodulär ver-
Ganglioneuroblastom
änderte Nebennieren. Dies ist insbesondere dann
sehr ausgeprägt, wenn diese Patienten keine adäqua-
Angiomyelolipom
te Steroidtherapie erhalten haben. Das unbehandelte
Lipom adrenogenitale Syndrom wird sogar als Risikoer-
Liposarkom krankung für das Auftreten des Nebennierenrinden-
Myelolipom 9 karzinoms angesehen. Eine makronoduläre Hyper-
Lymphangiom plasie wird beim 21-Hydroxylasemangel dabei nicht
Hämangiom nur bei homozygoten sondern auch bei hertero-
Hämatom/Blutung I zygoten Patienten gefunden. So wurden bei Familien
Abszess- ebennierenzyste 6
mit adrenogenitalem Syndrom bei 45 o/o der hetero-
zygoten Genträger Nebennierenknoten nachgewie-
Metastasen 3
sen. Verschiedene Untersuchungen haben darüber
Hypernephrom hinaus gezeigt, dass Patienten mit einem zufällig
retroperitoneales Sarkom entdeckten Nebennierentumor einen gesteigerten
Leiomyom des Magens Anstieg des 17a-Hydroxyprogesterons nach Stimu-
eurilemom lation mit ACTH aufweisen, wie er für heterozygote
Nebenmilz Träger des 21-Hydroxylasemangels typisch ist. Neue
Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass eher
die llß-Hydroxylaseaktivität im Tumor selbst be-
troffen zu sein scheint, da auch andere Vorstufen
klärung der endokrinen Hypertonie, dass die bio-
nach ACTH-Stimulation ansteigen und nach Entfer-
chemische Diagnostik den Bildgebungsverfahren
nung des Tumors der überschießende Anstieg von
vorangeht.
Steroidvorstufen nicht mehr beobachtet wird.
Auch Genanalysen in zufällig entdeckten Tumoren
haben keine erhöhte Mutationsrate im 21 -Hydroxy-
3.8.3
lasegen nachweisen können.
Pathogenese
rinde wirkt und die Steroidogenese sowie die Zell- Endokrinalogische Diagnostik
proliferation beeinflussen kann. Nebennierenkno- Durch sorgfältige Diagnostik besteht die Möglich-
ten können als eine Manifestation des metaboli- keit gravierende Erkrankungen (z. B. Nebennieren-
schen Syndroms eingeordnet werden. karzinom) frühzeitig zu erkennen und zu behan-
deln. Auf der anderen Seite sind die meisten Neben-
nierenveränderungen gutartig, endokrin inaktiv
3.8.4 und erfordern keine gezielten therapeutischen Maß-
Klinik nahmen. Es ist daher wichtig, die Diagnostik zu be-
grenzen (s. folgende Übersicht).
Patienten mit gutartigen endokrin inaktiven Ne-
bennierenraumforderungen sollten typischerweise Endokrinalogische Diagnostik beim Neben-
keine Symptome oder Beschwerden aufweisen. niereninzidentalom
Der Übergang von endokrin inaktiven zu endokrin
aktiven Tumoren ist jedoch fließend. Häufig lässt • Stufe 1:
sich durch eine subtile Diagnostik eine subklinische a) Katecholaminausscheidung im 24-h-Urin
Hypersekretion von Steraiden oder Katecholaminen b) Messung des Serumcortisols im Dexametha-
nachweisen. Eine sorgfältige Befragung und eine ge- son-Kurztest (3 mg Dexamethason um 23.00
zielte erneute körperliche Untersuchung kann oft Uhr per os)
diskrete Hinweise auf einen Hormonüberschuss auf- c) Bestimmung des spontanen Serumkaliums und
decken (z. B. Gewichtszunahme, Hautatrophie, epi- wiederholte Blutdruckmessungen, im Falle einer
sodische Kopfschmerzen). Darüber hinaus zeigen spontan Hypokaliämie oder einer arteriellen Hy-
viele Patienten die Zeichen des metabolischen Syn- pertonie Bestimmung der Plasmareninaktivität
droms mit arterieller Hypertonie, Adipositas und und des Serumaldosterons in Ruhe, Kaliumaus-
Diabetes mellitus Typ 2. scheidung im 24-h-Urin
d) Messung des Serum-DHEAS
• Stufe 2 (nur wenn die korrespondierenden Test-
3.8.5 ergebnisse in Stufe 1 pathologisch ausgefallen
Diagnostik sind):
a) 131-Jod-MIBG-Szintigraphie oder
Anamnese und körperliche Untersuchung b) CRH-Test, Analyse der Cortisoltagesrhythmik
Endokrin inaktive Tumoren werden typischerweise und hochdosierter (8 mg) Dexamethason-Sup-
als Inzidentalome manifest, sodass zum Zeitpunkt pressionstest oder
der diagnostischen Abklärung bereits Bildgebung c) Orthostasetest mit Messung der PRA und des
vorliegt. Bei Kenntnis der Existenz einer Nebennie- Serumaldosterons, Ausscheidung von Aldosteron
renraumforderung wird man über eine gerichtete 18-Glukoronid im 24-h-Urin, Fludrocortison-
Anamnese und eine gezielte körperliche Untersu- suppressionstest, in ausgewählten Fällen: bilate-
chung nach subtilen Zeichen der endokrinen Über- rale Katheterisierung der Nebennierenvenen mit
funktion fahnden (z. B. Hirsutismus). Bestimmung von Aldosteron und Cortisol
n
endokrin aktiv Ziel der endokrinen Diagnostik ist der Nachweis
14 % - endokrin inaktiv einer subklinischen adrenalen Hypersekretion
durch wenige sehr informative Untersuchungen.
Die endokrine Aktivität steht im Zusammenhang
mit der Tumorgröße (Abb. 3-47). Inzidentalome
mit eine Durchmesser unter 1 cm bedürfen keiner
endokrinen Diagnostik, da eine relevante endokrine
Aktivität außerordentlich selten ist. Alleine durch
diese Maßnahme können die diagnostischen Kosten
deutlich reduziert werden. Allerdings kann ein
<2.0 2.0-2 .9 3.0-3.9 4.0-5.9 ~6 . 0 kleines Aldosteronom eine schwere arterielle Hyper-
Tumorgröße (cm) tonie auslösen, sodass der Verzicht auf endokrine
Diagnostik nur bei Normatonie und Normokaliämie
Abb. 3-47. Tumorgröße und endokrine Aktivität bei adrena-
len Inzidentalomen. Mit zunehmender Tumorgröße steigt die
zulässig ist.
Wahrscheinlichkeit einer detektierbaren endokrinen Aktivi-
tät. (Aus Reincke u. Allolio 1995)
3.8 Benigne, hormoninaktive Nebennierentumoren 93
Iipom mit seiner charakteristischen hochechogenen gesetzt. Benigne Nebennierenadenome zeigen typi-
Struktur. Im CT erscheinen Nebennierentumoren scherweise ein konkordantes Muster mit einer Auf-
typischerweise homogen mit hohem Fettgehalt nahme des Tracers auf der Seite der nachgewiesenen
und einer Dichte, die niedriger liegt als Wasser Raumforderung, während maligne Tumoren oder
(< 0-15 Houndsfield-Einheiten). Im Gegensatz zu Metastasen eine vermindert oder fehlende Aufnah-
den Adenomen sind Nebennierenrindenkarzinome me des Tracers und damit eine diskordantes Muster
in der Regel größer, inhomogen und zeigen Weich- zeigen. Einzelne endokrin aktive Karzinome können
teildichte. Unregelmäßige Abgrenzungen und zen- allerdings ein Verhalten wie gutartige Adenome mit
trale Nekrosen bzw. Einblutungen erhöhen die konkordanter Traceraufnahme aufweisen. Wegen
Wahrscheinlichkeit, dass ein Malignom vorliegt. Al- der Ser an und eine trahlenbelastung sollte die
lerdings können auch benigne Phäochromozytome Nebennnierenszintigraphie bevorzugt bei größeren
sich als große inhomogene Tumoren mit Einblutun- (> 3 cm) endokrin inaktiven Tumoren durchge-
gen darstellen. In schwierigen Fällen kann die Kern- führt werden, bei denen die Computertomographie
spintomographie (MRT) dazu beitragen, benigne Houndsfield-Einheiten aufweist, die über denen lie-
von malignen Nebennierentumoren abzugrenzen, gen, die für Nebennierenadenome zu erwarten sind.
obwohl eine vollständige Tjeder anderen Medika-
menterennung allein durch die Bildgebung selten
Tumorgröße
erreicht werden kann. Maligne Raumforderungen
Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass die
und Phäochromozytome zeigen typischerweise
Wahrscheinlichkeit, dass ein endokrin inaktiver Ne-
eine hohe Intensität im Trgewichteten MRT im Ver-
bennierentumor maligne ist, von der Tumorgröße
gleich zur Leber. Dynamische Untersuchungen mit
abhängt. Das therapeutische Vorgehen richtet sich
Gadolinium zeigen ein starkes Enhancement und
daher nach der Größe des Tumors in der Bildge-
ein langsames Auswaschen des Kontrastmittels bei
bung. Da natürlich auch maligne Raumforderungen
Malignomen (Abb. 3-48), während bei Adenomen
initial ein geringes Volumen haben, ist es klar, dass
sich das Enhancement rasch verliert. Seit kurzem
unter alleiniger Berücksichtigung der Tumorgröße
wird auch die Chemical-shift-MRT zur Charakteri-
Fehlklassifizierungen nicht vermieden werden kön-
sierung von Nebennierentumoren eingesetzt. Be-
nen. Deshalb ist die Nachuntersuchung von heraus-
nigne Tumoren mit hohem Fettgehalt zeigen typi-
ragender Bedeutung, um die Geschwindigkeit des
scherweise einen Verlust der Signalintensität im
Tumorwachstums beurteilen zu können. Meist
Vergleich zur Leber.
wird die kontrollierende Bildgebung mit der Com-
Auch die Nebennierenszintigraphie mit NP 59
putertomographie 3-6 Monate nach der ersten
wird zur Einordnung von Nebennierentumoren ein-
Bildgebung durchgeführt. Der Abstand zur Erst-
untersuchung hängt davon ab, wie hoch der Ver-
dacht ist, dass ein Malignom vorliegt. Ist ein klares
Tumorwachstum nachweisbar, muss die Raumfor-
derung chirurgisch entfernt werden. Interessanter-
weise zeigt sich in der Mehrzahl der Fälle keinerlei
Tumorwachstum. Dies spricht dafür, dass entweder
eine extrem langsam wachsende Raumforderungen
'E
::!. 4
a;
"'"'
Qj 3
E
~
~
::> 2
"E
0
E
::>
1-
0
0 1 2 3 4 5 >5
Jahre nach Diagnosestellung
Abb. 3-48. Dynamisches MRT mit Gadolinium-DTPA bei
rechtsseitiger Nebennierenmetastase. Es zeigt sich ein deutli- Abb. 3-49. Größenänderung von Nebenniereninzidentalo-
ches Enhancement und ein langsames Auswaschen des Kon- men im Verlauf. Eine signifikante Größenzunahme ist selten.
trastmittels. (Aus Krestin et al. 1991) (Aus Reincke u. Allolio 1995)
3.8 Benigne, hormoninaktive Nebennierentumoren 95
Feinnadelpunktion
Die histologische Differenzierung zwischen gutarti- endokrin
gen und malignen Nebennierentumoren ist schwie- inaktive
Cushlng·Syndrom
rig. Selbst bei Verfügbarkeit des gesamten Tumors Raumforderung
Conn-Synd rom
ist von pathologischer Seite nicht immer eine ein-
deutige Aussage möglich. Entsprechend ist die Beur-
teilung eines Feinnadelaspirates bzw. eine Feinna-
delbiopsie noch schwieriger. Die Feinnadelbiopsie
hat Nebenwirkungen (retroperitoneale Blutungen,
Pneumothorax). Sie sollte nur bei Patienten einge-
setzt werden, bei denen eine Nebennierenraumfor-
derung als D ist die erste beschherste beschdie erste erneute Bildgebung
nach 3-6 Monaten
bescheinziger Hineschweis auf Metastasen eines be-
kannten Primärtumors gelten können. Die Feinna-
Abb. 3-50. Flussdiagramm für die Betreuung des adrenalen
delpunktion hilft dabei zu klären, ob eine Tumor- In zidentaloms
aussaat stattgefunden hat, oder ein genuiner Neben-
nierentumor vorliegt. Vor jeder Feinnadelpunktion
muss ein Phäochromozytom ausgeschlossen sein, da
durch die Punktion eine hypertensive Krise ausge- gegen dem klinischen Eindruck eine signifikante
löst werden kann und Todesfälle beschrieben sind. Hormonaktivität besitzt, so wird in der Regel eine
unilaterale Adrenalektomie angestrebt. Allerdings
ist für das subklinische Cushing-Syndrom mit einer
3.8.6 geringen autonomen Cortisolsekretion durch den
Therapie Tumor der Nutzen dieses Vorgehens nicht erwiesen.
Nur ein Teil der autonom cortisolsezernierenden
Da die Mehrzahl der endokrin inaktiven Nebennie- Tumoren scheint im Verlauf das Vollbild des adre-
rentumoren gutartig und die Wachstumstendenz nalen Cushing-Syndroms zu entwickeln. In Abhän-
gering ist, besteht die entscheidende therapeutische gigkeit vom Ausmaß der autonomen Cortisolsekre-
Maßnahme darin, den Patienten über die Harmlo- tion und von anderen Faktoren (Alter, Morbidität
sigkeit der Störung zu beruhigen und unnötige chir- des Patienten) ist damit auch ein abwartendes Ver-
urgische Interventionen zu verhindern (Abb. 3-50). halten gerechtfertigt. Inwieweit bei Patienten mit
den Zeichen des metabolischen Syndroms durch
Chirurgische Intervention die Entfernung eines mäßig cortisolsezernierenden
Chirurgische Eingriffe an der Nebenniere haben eine Adenoms eine Besserung von Hypertonie und Über-
signifikante Morbidität (ca. 3%) und Mortalität gewichtigkeit erreicht wird, ist noch unklar.
(0,5 %).
Wegen des hohen Maliginitätsrisikos werden Tumo -
• Endoskopische Adrenalektomie. Die neu ent- ren mit einem Durchmesser > 5 cm grundsätzlich
deckte endoskopische Adrenalektomie hat eine ge- chirurgisch entfernt. Kleinere Tumoren (3-5 cm)
ringere Morbidität und erlaubt daher möglicherwei- sollten ebenfalls chirurgisch entfernt werden, wenn
se eine großzügigere Indikationsstellung zur chirur- die Bildgebung einen hohen Malignitätsverdacht er-
gischen Intervention. Allerdings muss hier bedacht gibt oder das DHEAS deutlich erhöht ist. Alle Tumo-
werden , dass diese Technik nicht geeignet ist, einen ren die bei der Nachsorge ein deutliches Wachstum
malignen Tumor zu entfernen, da die Regeln der zeigen, müssen ebenfalls chirurgisch entfernt werden,
Malignomchirurgie bei diesem Zugang nicht zur An- da dann ein Malignitätsverdacht geäußert werden
wendung kommen können. muss.
• Unilaterale Adrenalektomie. Ergibt die endokri- • Operativer Zugang. Bis zu einem Durchmesser
nalogische Diagnostik, dass die Raumforderung ent- von maximal 6 cm werden Nebennierenturnare
96 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide
Feinnadelpunktion
Die Tumorgröße führt bei Nebennierenrindenkarzi-
nom bereits zwingend zur Operation, sodass eine
Feinnadelpunktion nicht indiziert ist, zumal es zu
Abtropfmetastasen kommen kann.
3.9.6
Differentialdiagnose
dem. Es werden 40-55 Gy über 4-6 Wochen verab- Ehrhart-Bornstein M, Hinson JP, Bornstein SR, Scherbaum
reicht. Häufig ist die Strahlentherapie auch bei Kno- WA, Vinson GP (1998) Intraadrenal interactions in the
regulation of adrenocortical steroidogenesis. Endocr
chenmetastasen indiziert zum Stabilitätserhalt Rev 19(2):101-143
Speiser PW, New MI, White PC {1995) Congenital adrenal hy-
perplasia. In: Weintraub BD (eds) Molecular. Endocrino-
Medikamentöse Therapie logy: Basic concepts and clinical correlations, Raven, New
Die Standardbehandlung besteht in der Verabrei- York
Steffgen J, Ehrhart-Bornstein M, Herkammer B, Güse-Behling
chung von Mitotan (o,p'-DDD, Lysodren). Mitotan H, Pranz HE, Scherbaum WA, Bornstein SR ( 1996) Evi-
wirkt adrenotoxisch und zerstört selektiv Nebennie- dence for a probenecid inhibitable exchange transport sy-
renrindengewebe bei ausreichend hoher Dosierung. stem involved in the release mechanism of cortisol in bo-
vine adrenocortical cells. Cell Phys Biochem6: 82-90
Die Wirksamkeit ist variabel und insgesamt unbe- Strauss JF 3rd, Kallen CB, Christensan LK, Watari H, Devoto L,
friedigend. Insbesondere rasch wachsende, endo- Arakane F, Kiriakidou M, Sugawara T (1999) The stero-
krin inaktive Nebennierenrindenkarzinome spre- idogenic acute regulatory protein (StAR): a window
into the complexities of intracellular cholesterol traffik-
chen nur ausnahmsweise an. Dosissteigerungen king. Recent Prog Horm Res 54: 369-394
bis 12 g/Tag werden empfohlen, von vielen Patien- Thomson M (1998) Molecular and cellular mechanisms used
ten jedoch nur kurzfristig toleriert. Wegen der lan- in the acute phase of stimulated steroidogenesis. Horm
Metab Res 30(1):16-28
gen Halbwertszeit der Substanz (mehrere Wochen) Usadei H, Bornstein SR, Ehrhart-Bornstein M, Kreysch H,
kommt es zur Kumulation mit progressiv ansteigen- Gand Scherbaum WA {1993) Gap junctions in the adrenal
den Wirkspiegeln und zunehmenden Nebenwirkun- cortex. Horm Metab Res 101:371-373
gen. Auch nach Beendigung der Behandlung bleri-
ben über viele Wbochen wirksame pharmakologi- Literatur zu Abschn. 3.2 und 3.3
sche Spiegel bestehen. Bis zu einer Dosierung von
Ahonen P, Myllarniemi S, Sipila I, Perheentupa J (1990)
3-4 g/Tag wird die Substanz meist gut toleriert. Clinical variation of autoimmune polyendocrino-
Die limitierenden Nebenwirkungen sind Übelkeit, pathy-candidiasis-ectodermal dystrophy. N Eng! J Med
Brechreiz, Müdigkeit, Anorexie, Schwäche und 322:1829-1836
Allolio B, Kaulen D, Deuß U, Hipp FX, Winkelmann W (1985)
ZNS-Nebenwirkungen. Die Übelkeit kann durch Vergleich von Hydrocortison und Cortisonacetat in der
die Gabe von modernen Antiemetika oft günstig Substitutionstherapie der Nebennierenrindeninsuffi-
beeinflusst werden. Mitotan beschleunigt den Cor- zienz. Akt Endokr Stoffw 6: 35-39
Allolio B, Rosenthai C, Schulte HM (1990) Überwachung der
tisolabbau, sodass eine ausreichend hohe Gluco- Substitutionstherapie bei Nebennierenrinden (NNR)-In-
corticoidsubstitution angeboten werden muss, um suffizienz. In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Moderne Dia-
eine Nebennierenrindeninsuffizienz zu vermeiden. gnostik und therapeutische Strategien bei Nebennierener-
krankungen. Schattauer, Stuttgart
Bei Versagen von Mitotan kann eine Chemo- Arlt W, Callies F, van Vlijmen JC et al. (1999) Dehydroepian-
therapie eingesetzt werden, wobei sich bisher keine drosterone replacement in women with adrenal insuffici-
definitiven Therapieschemata etabliert haben. ency. N Eng! J Med 14:1013-1020
Betterle C, Greggio NA, Volpato M (1998) Clinical Review: Au-
Eine störende endokrine Aktivität des Tumors toimmune polyglandular syndrome Type I. J Clin Endo-
kann durch Andrenostatika wie Ketokonazol crinol Metab 83: I 049-1055
(600-1.200 mg!Tag) oder Aminoglutethimid gebes- Bornstein SR, Ehrhart-Bornstein M, Guse-Behling H, Scher-
baum WA (1992) Structure and dynamics of adrenal mi-
sert werden. tochondria following stimulation with
Buxi TB, Vohra RB, Sujatha B et al. {1992) CT in adrenalen-
largement due to tuberculosis: a review of the Iiterature
Literatur with five new cases. Clin Imaging 16:102-108
Dickstein G, Shechner C, Nieholsan WE et al. (1991) Adreno-
corticotropin stimulation test: effects of basal cortisolle-
Literatur zu Abschn. 3.1 vel, time of day, and suggested new sensitive low dose test.
Bornstein SR (1996) The adrenal functional unit. Thieme, J Clin Endocrinol Metab 72:773-778
Stuttgart Esteban NV, Loughlin T, Yergey AL et al. (1991) Daily cortisol
Bornstein SR, Chrousos GP {1999) Clinical review 104: Adre- production rate in man determined by stable isotope dilu-
nocorticotropin (ACTH)- and non-ACTH-mediated regu- tion/mass spectrometry. J Clin Endocrinol Metab 72,
39-45
lation of the adrenal cortex: neural and immune inputs. J
Clin Endocrinol Metab 84(5):1729-1736 Grinspoon SK, Biller BMK (1994) Clinical review 62: Labara-
tory assessment of adrenal insufficiency. J Clin Endocrin-
Bornstein SR, Ehrhart M, Scherbaum WA, Pfeiffer EF {1990)
ol Metab 79:923-931
Adrenocortical atrophy ofhypophysectomized rats can be
Hangaard J, Andersen M, Grodum E et al. (1996) Pulsatile thy-
reduced by corticotropin releasing hormone (CRH) Cell
rotropin secretion in patients with Addison's disease du-
Tissue Res 260: 161-166
ring variable glucocorticoid therapy. J Clin Endocrinol
Bornstein SR, Ehrhart-Bornstein M, Güse-Behling Hand
Metab 81: 2502-2507
Scherbaum WA (1992) Structure and dynamics of adrenal
Irvine WJ, Barnes EW (1972) Adrenocortical insufficiency.Clin
mitochondria following stimulation with corticotropin re-
Endocrinol Metab I: 549-594
leasing hormone (CRH). Anat Rec 234:255-262
Kong MF, Jeffcoate W ( 1994) Eighty-six cases of Addison's dis-
Bornstein SR, Ehrhart-Bornstein M, Scherbaum WA, Pfeiffer
ease. Clin Endocrinol 41:757-761
EF, Holst JJ (1990) Effects of splanchnic nerve stimulation
on the adrenal cortex may be mediated by chromaffin
cells in a paracrine manner. Endocrinology 127:900-906
100 KAPITEL 3 Nebennierenrinde und Glucocorticoide
Morales AJ, Nolan JJ, Nelson JC et al. (1994) Effects of repla- Dorn LD, Burgess ES, Friedman TC, Dubbert B, Gold PW,
cement dose of dehydroepiandrosterone in men and Chrousos GP (1997)The longitudinal course of psychopa-
women of advancing age. J Clin Endocrinol Metab thology in Cushing's syndrome after correction of hyper-
78: 1360-1367 cortisolism. J ClinEndocrinol Metab 82:912-919
Moser HW (1995) Clinical and therapeutic aspects of adreno- Estrada J, Boronat M, Mielgo M et al. (1997) The long-term
leukodystrophy and adrenomyeloneuropathyJ Neuropa- outcome of pituitary irradiation after unsuccessful trans-
thol Exp Neuro! 54: 740-745 sphenoidal surgery in Cushing's disease. N Eng! J Med
Nagamine K, Peterson P, Scott HS et al. (1997) Positional clo- 172:172-178
ning of the APECED gene. Nat Genet 17:393-398 Garz G, Luning M, Melzer B (1985) Computed tomographic
Nerup J (1974) Addison's disease-clinical studiesA report of incidental finding of a hormone-inactive adrenal cortex
108 cases. Acta Endocrinol 76:127-141 adenoma. Radio! Diagn (Berl) 26:761-766
Neufeld M, Maclaren NK, Blizzard RM (1981) Two types of Glazer HS, Weyman PJ, Sage! SS, Levitt RG, McClennan BL
autoimmune Addison's disease associated with different (1982) Nonfunctioning adrenal masses: incidental disco-
polyglandular autoimmune (PGA) syndromes. Medicine very on computed tomography. AJR Am J Roentgenol
60:355-362 139:81-85
Oelkers W (1996) Current concepts: Adrenal insufficiencyN Hall WA, Luciano MG, Doppman JL, Patronas NJ, Oldfield EH
Eng! J Med 335: 1206-1212 (1994) Pituitary magnetic resonance imaging in normal
Oelkers W ( 1996) Dose-response aspects in the clinical assess- human volunteers: occult adenomas in the general popu-
ment of the hypothalamo-pituitary-adrenal axis, and the lation. Ann Intern Med 120:817-820
low dose adrenocorticotropin test. Eur J Endocrinol Hensen J, Harsch I, Sachse R et al. (1997) Adrenal gland in-
135:27-33 cidentaloma is not a "time bomb"-arguments for fol-
Piedrola G, Casado JL, Lopez E et al. (1996) Clinical features of low-up control. Zentralbl Chir 122: 487-493
adrenal insufficiency in patients with acquired immuno- Kley HK, Wagner H, Jaresch S, Jungbluth R, SchlagheckeR
deficiency syndrome. Clinical Endocrinology 45 : 97-101 (1990) Endokrin inaktive Nebennierentumoren. In: Allo-
Schlaghecke R, Kornely E, Santen RT et al. (1992) The effect of lio B, Schulte HM (eds) Moderne Diagnostik und thera-
long-term glucocorticoid therapy on pituitary-adrenal re- peutische Strategien bei Nebennierenerkrankungen.
sponses to exogenous corticotropin-releasing hormone. N Schattauer, Stuttgart, S 216-222
Eng! J Med 326:226-230 Kern, W, Fehm HL (1990) Das Nebennierenrindenkarzinom.
Schulte HM, Mönig H, Benker G et al. (1987) Pharmacokinetics In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Moderne Diagnostik und
of aldosteronein patients with Addison's disease: effect of therapeutische Strategie bei Nebennierenerkrankungen.
rifampicin treatment on glucocorticoid and mineralocor- Schattauer, Stuttgart, S198-209
ticoid metabolism. Clin Endocrinol 27: 655-662 Lacroix A, Bolte E, Tremblay Jet al. (1992) Gastric inhibitory
Stewart PM, Corrie J, Seckl JR et al. (1988) A rational approach polypeptide-dependent cortisol hypersecretion: a new
for assessing the hypothalamo-pituitary-adrenal axis. cause of Cushing's syndrome. N Eng! J Med 327:974-980
Lancet 1(8596): 1208-1210 Leibowitz G, Tsu A, Chayen SD, Salameh M, Raz I, Cerasi E,
Thodou E, Asa SL, Kontogeorgos G et al. (1995) Clinical case Gross DJ (1996) Pre-clinical Cushing's syndrome: an un-
seminar: Lymphocytic hyophysitis: clinicopathological expected frequent cause of poor glycaemic control in ob-
findings. J Clin Endocrinol Metab 80:2302-2311 ese diabetic patients. Clin Endocrinol44:717-722
Uibo R, Aavik E, Peterson P et al. (1994) Autoantibodies to Neweli-Price J, Trainer P, Perry L, Wass J, Grossman A, Besser
cytochrome P450 enzymes P450scc, P450c17, and M(1995) A single sleeping midnigt cortisol has 100 o/o sen-
P450c21 in autoimmune polyglandular disease types I sitivity for the diagnosis of Cushing's syndrome. Clin En-
and II andin isolated Addison's disease. J Clin Endocrinol docrinol 43: 545-550
Metab 78: 323-328 Nieman LK, Chrousos GP, Oldfield EH, Avgerinos PC, Cutler
Zanaria E, Monatelli F, Bardoni B et al. (1994) An unusual GB, Loriaux DL (1986) The ovine corticotropin-releasing
member of the nuclear hormone receptor superfamily re- hormone stimulation test and the dexamethasone sup-
sponsible for X-linked adrenal hypoplasia congenita. Na- pression test in the differential diagnosis ofCushing's syn-
ture 372:635-641 drome. Ann Intern Med 105: 862-867
Zelissen PM, Bast EJ, Croughs RJ (1995) Associated autoim- Oldfield EH, Doppman JL, Nieman LK et al. (1991) Petrosal
munity in Addision's disease. J Autoimmun 8: 121-130 sinus sampling with an without corticotropin-releasing
hormone for the differential diagnosis of Cushing's syn-
drome N Eng! J Med 325: 897-905
Literatur zu Abschn. 3.4 bis 3.7 Orth DN (1995) Cushing's syndrome. N Eng! J Med
332:791-803
Allolio, B, Arlt W, Reincke M (1996) Medical therapy of Cus- Reincke M, Allolio B, Winkelmann W (1988) Das okkulte ek-
hing's syndrome. In: Werder K von Fahlbusch R (Hrsg) tope Cushing-Syndrom. Dtsch Med Wochensehr
Pituitary adenomas: From basic research to diagnosis 113:1561-1565
and therapy. Elsevier, Amsterdam, S 223-229 Reincke M, Nieke J, Krestin GP, Saeger W, Allolio B, Winkel-
Aron DC, Findling JW, Tyrell JB (1987) Cushing's disease. En- mann W (1992) Preclinical Cushing's syndromein adre-
docrin Metab Clin North Am 16:705-730 nal "lncidentalomas": Comparison with adrenal Cus-
Buchfelder M, Fahlbusch R (1988) Therapiekonzepte bei Hy- hing's syndrome. J Clin Endocrinol Metab 75: 826-832
pophysenadenomen aus neurochirurgischer Sicht. In: Ross EJ, Linch DC (1982) Cushing's syndrome-Killing disease:
Bamberg M, Sack H (Hrsg) Therapie primärer Hirntumo- Discriminatory value of signs and symptoms aiding early
ren. Zuckerschwerdt, München, S 132-146 diagnosis. Lancet 2 : 646-649
Buchfelder M (1993) The accuracy ofCT and MR evaluation of Schulte, HM, Benker G, Reinwein D, Sippell WG, Allolio B
the sella turcica for detection of adrenokorticotropic hor- (1990) Infusion of low-dose etomidate: correction of hy-
mone-secreting adenomas in Cushing disease. AJNR percortisolemia in patients with Cushing's syndrome and
14: 1183-1190 dose-response relationship in normal subjects. J Clin En-
Chrousos GP, Schulte HM, Oldfield EH, Cutler GB jr, Gold PW, docrin 70 : 1426-1430
Loriaux DL (1984) The corticotropin releasing factor Sti- Shenoy BV, Carpenter PC, Carney JA(1984) Bilateral primary
mulation test: an aid in the differential diagnosis of Cus- pigmented nodular adrenocortical disease. Rare cause of
hing's syndrome. New Eng! J Med 310: 622-627 the Cushing's syndrome. Am J Surg Pathol 8:335-344
Tsigos C, Papanicolaou DA, Chrousos GP (1995) Advances in
the diagnosis and treatment of Cushing's syndrome. Bail-
lieres Clin Endocrinol Metabol 9(2):315-336
Literatur 101
Wajchenberg BL, MendonHa BB, Liberman B, Albergaria Johnson DH, Greco FA (1986) Treatment of metastatic adrenal
Pereira MA, Campos Carneiro P, Wakamatsu A, Kirsch- cortical carcinoma with cisplatin and etoposide (VP-16).
ner MA ( 1994) Ectopic adrenocorticotropic hormone syn- Cancer 58 : 2198-2202
drome. Endocr Rev 15:752-787 Kloos RT, Gross MD, Francis IR, Korobkin M, Shapiro B (1995)
Zeiger MA, Nieman LK, Cutler GB, Chrousos GP, Doppman JL, lncidentally discovered adrenal masse. Endocr Rev
Travis WD, Norton JA (1991) Primary bilateral adreno- 16:460-
cortical causes of Cushing's syndrome. Surgery 110: Krestin GP, Friedmann G, Fischbach R, Neufang KF, Allolio B
1106-1115 (1991) Evaluation of adrenal masses in oncologic patients:
dynamic contrast-enhancement MR vs CT. Comput Assist
Tomogr 15:104-110
Literatur zu Abschn. 3.8 und 3.9 Nader S, Hickey RC, Sellin RV, Samaan NA (1983) Adrenal
cortical carcinoma. A study of 77 cases. Cancer
Arlt W, Reincke M, Winkelmann W, Allolio B (1990) Klinik 52:707-711
und Therapie des Nebennierenrindenkarzinoms. Thera- Reincke M, Nieke J, Krestin GP, Saeger W, Allolio B, Winkel-
piewoche 40:2400-2604 mann W (1992) Preclinical Cushing's syndromein adre-
Bergenstal DM, Hertz R, Lipsett MB, Moy RH (1960) Chemo- nal "incidentalomas": comparison with adrenal Cushing's
therapy of adrenokortical carcinoma with o,p' -DDD. Ann syndrome. J Clin Endocrinol Metab 75 : 826-832
Intern Med 63 : 672-682 Reincke M, Allolio B (1995) Das Nebenniereninzidentalom:
Beuschlein F, Reincke M, Karl Met al. (1994) Clonal composi- Die Ku!:JSt der Beschränkung in Diagnostik und Therapie.
tion of human adrenocortical neoplasms. Cancer Res Dtsch Arzteblatt 92:764-770
54:4927-4932 Reincke M, Fassnacht M, Väth S, Mora P, Allolio B (1996)
Dobbie JW (1969) Adrenocortical nodular hyperplasia: the Adrenal incidentalomas: a manifestation of the metabolic
ageing adrenal. J Pathol 99:1-18 syndrome? Endocr Res 22(4):757-761
Dralle H, Scheumann GFW, Nashan B, Brabant G (1994) Re- Reincke M, Allolio B (1997) Molekularbiologie der zufällig dia-
view: recent developments in adrenal surgery. Acta Chir gnostizierten Nebennierenraumforderung. Zentralbl Chir
Belg 94:137-140 122 : 430-43 7
Fernimdez-Real JM, Engel WR, Sim6 R et al. (1998) Study of Stark S, Pavel M, Sachse R et al. (1994) Endocrirre inactive
glucose tolerance in consecutive patients harbouring irr- adrenocortical adenomas (ACA) are a conditon of the el-
cidental adrenal tumours. Clin Endocrinol 49: 53-61 derly. Exp Clin Endocrinol 102 (Suppl 1):180-184
Garz G, Luning M, Melzer B (1985) Computertomographische Terzolo M, Osella G, Ali A et al. (1996) Different patterns of
Zufallsbefunde von hormoninaktiven Nebennierenande- steroid secretion in patients with adrenal incidentalomas.
nomen. Radiol Diagn (Berlin) 26:761-766 J Clin Endocrinol Metab 81:740-744
Glazer HS, Weyman PJ, Sagel SS, Levitt RG, McClennan (1988)
Nonfunctioning adrenal masses. Am J Radiol 109:
613-618
KAPITEL 4
Schilddrüse 4
J. FELDKAMP, W. A. SCHERBAUM
4.14.3 Pathogenese 145 Anteil des Ductus thyreoglossus den Lobus pyrami-
4.14.4 Klinik 145
4.14.5 Diagnostik 145
dalis. Beide Schilddrüsenlappen bleiben durch den
4.14.6 Therapie 147 prätracheal gelegenen Isthmus verbunden. Die
4.14.7 Prognose 149 Schilddrüse setzt sich aus zahllosen Follikeln zusam-
Literatur 149 men, die aus einzelnen, aneinander gereihten Zellen
bestehen, die einen mit Kolloid gefüllten Hohlraum
umgeben. Im Kolloid werden Schilddrüsenhormone
im Thyreoglobulinmolekül gespeichert und syn-
4.1 thetisiert. Das für die Hormonsynthese benötigte
Physiologie Iod wird als Iodid über die Nahrung aufgenommen
und gelangt über die Blutbahn an die apikale
4.1.1 Zellmembran. Von dort wird es gegen einen Kon-
Anatomie und Organentwicklung zentrationsgradienten über den natriumabhängigen
Iodidsymporter, einem energieabhängigen Mem-
Die Schilddrüse entwickelt sich aus einer Ausstül- branprotein, in die Follikelzelle eingeschleust.
pung des Entoderms in der Mitte der Mundbucht Nach Oxidation steht elementares Iod für die
in der 3. Woche nach der Konzeption. Nach einer Schilddrüsenhormonsynthese zur Verfügung. Nur
zweilappigen Aufteilung wandert die Schilddrüse ein kleiner Teil des Iodids gelangt durch passive
vom Ausgangspunkt, dem Foramen coecum, kau- Diffusion in die Follikelzelle. Biologische Bedeutung
dalwärts. Der Ductus thyreoglossus, die Verbindung haben die Hormone Thyroxin (T4) und Triiodthyro-
zwischen Foramen coecum und endgültiger Lage der nin (T3). Vom T4liegt 10- bis20-malso viel vor wie
Schilddrüse etwa in Höhe des 2.-4. Trachealringes, von T3. Beide Hormone unterscheiden sich che-
obliteriert postpartal. Nicht selten bildet der kaudale misch lediglich durch ein Iodatom (Abb. 4-1 ).
-o-
Tyrosin
~H2
HO CHcTH
I \
COOH
Hoj:)-ab-cH,+
I I NH2
I COOH
3,3',5 '-Triiodthy ronin
(reverse T3) Abb.4-l. Schilddrüsenhormone und ihre Vo rstufen
4.1 Physiologie 105
4.1.2
e -------.._
Hypothala mus
Synthese
4.1.3
Regulation
4.1.4
Rezeptor
Thyreoideastimulierendes Hormon (TSH)
Das hypophysäre Hormon TSH reguliert
Die Wirkung von TSH wird über spezielle TSH-Re-
• die Aktivität der Iodpumpe,
zeptoren auf der Oberfläche der Schilddrüsenzellen
• die Organifizierung des reaktiven Iodids,
vermittelt. Der TSH-Rezeptor gehört zu einer gro-
• die Kopplungsreaktion und
ßen Rezeptorfamilie mit einem extrazellulären car-
• die Schilddrüsenhormonsynthese.
boxyterminalen Ende, 7 transmembranären Regio-
nen und einer intrazellulären aminoterminalen
TSH, ein Glykoprotein mit einer relativen Molekül-
Domäne. Der nukleäre Schilddrüsenhormonrezep-
masse von 28.000, besteht aus einer kovalent gebun-
tor (T3-Rezeptor), ein Produkt des c-Erb-A-Gens,
denen a- und ß-Untereinheit. Lediglich die ß-Kette
liegt als a-Form (Chromosom 17) und als ß- Form
vermittelt die spezifische TSH-Wirkung. TSH wird
(Chromosom 3) vor. Beide Rezeptoren existieren
im Sinne eines negativen Feedback-Mechanismus
als alternative Splice-Varianten als a 1-, a 2-, ß 1-
bedarfsabhängig von der Hypophyse sezerniert.
und ßrRezeptor.
Hypothalamohypophysärer Feedback-Mechanismus
Niedrige Schilddrüsenhormonspiegel führen zu ver- 4.1.5
mehrter TSH-Ausschüttung, während erhöhte T3- Signaltransduktion
und T4-Spiegel die TSH-Produktion supprimieren.
Thyreotropin-releasing-Hormon (TRH, Thyreolibe- An der Schilddrüsenzelle wird die TSH-Rezepto-
rin), ein hypothalamisches Peptidhormon aus 3 rantwort über eine intrazelluläre Signalkaskade an
Aminosäuren kann die TSH -Sekretion übergeordnet G-Protein gekoppelt überwiegend über den Weg
mitbeeinflussen (Abb. 4-2). der Adenylcyclase (cAMP Generierung) aktiviert
und resultiert letztendlich in der Produktion von
T3 und T4. Weniger als 10% der Schilddrüsenhor-
monproduktion kann TSH-unabhängig erfolgen.
Dies erklärt den etwas geringeren Hormonbedarf
bei Patienten mit sekundärer Hypothyreose (Hypo-
physenvorderlappeninsuffizienz) gegenüber Patien-
106 KAPITEL 4 Schilddrüse
ten mit primärer Hypothyreose. Die Freisetzung von bahn werden die Schilddrüsenhormone fast voll-
täglich etwa 80-100 !lg T4 und ca. S!lg T3 geschieht ständig (> 99 o/o) an Eiweiße gebunden. Neben der
über die pinozytotische Aufnahme von Thyreoglo- überwiegenden Bindung an thyroxinbindendes Glo-
bulin aus dem Kolloid in die Follikelzellen. Dort bulin (TBG) wird T4 auch an Albumine und an
wird das Thyreoglobulinmolekül über Iysosomale thyroxinbindendes Präalbumin (TBP A = Trans-
Proteasen degradiert und die Triiodthyronine (T3, thyretin) gebunden. T3 bindet nur an TBG und
r-T3) und Tetraiodthyronine (T4) in die Zirkulation Albumin. Die unterschiedliche Proteinbindung re-
abgegeben. sultiert in einer längeren biologischen Halbwertzeit
von T4 (7-9 Tage) gegenüber T3 (1-2 Tage). In den
Zielzellen der peripheren Gewebe wird freies T4
4.1.6 durch Deiodasen in freies T3 konvertiert, das fast
Transskription und Translation alle Hormonwirkungen vermittelt. Die bedarfsge-
rechte Freisetzung von aktiven Schilddrüsenhor-
Iodthyronine können die Plasmamembranen pe- monen dient einem energiesparenden Metabolis-
netrieren und an den nukleären Rezeptor binden. mus.
Freies T3 aktiviert den Rezeptor. Der T3-Rezeptor-
komplex bindet an spezifische Sequenzen der nu-
kleären DNA in dimerer Form. Es erfolgt die Trans- 4.1.8
skription dieser Gene in mRNA und anschließend Physiologische Wirkung
die Translation in Proteine. Eine direkte Aktivierung
von Mitochondrien durch T3 ist ebenfalls möglich Die Hauptwirkungen der Schilddrüsenhormone
(Abb. 4-3). sind in der folgenden Übersicht wiedergegeben.
T3 T4
~~itochondrium
+
Deiodierung
Unterfunktion
QIIIIID~f, 4.2
"Adulte" Hypothyreose
f~
•
T3 - Rezeptorkomp lex
Die Hypothyreose ist gekennzeichnet durch eine un-
Zellkern zureichende Menge oder Wirkung von Schilddrü-
DNA
Tro nskription senhormonen an der Zielzelle. Die manifeste Hypo-
thyreose mit erniedrigten T3- und T4-Werten wird
unterschieden von der latenten Hypothyreose mit
mRNA Endoplosmatisches Retikulum
noch normalen peripheren Schilddrüsenhormon-
werten, aber schon erhöhtem TSH-Spiegel. Entspre-
Translation
chend den Wirkungen der Schilddrüsenhormone
ist bei deren Ausfall eine Reihe von Organsystemen
Proteine, Enzyme
betroffen. Eine Erniedrigung der Schilddrüsenhor-
mone mit verminderter oder ausgefallener Frei-
setzung von TSH geht auf hypophysäre oder hypo-
I thalamisehe Ursachen zurück. Hierfür wird auch
Zellmembran
der Terminus sekundäre bzw. tertiäre Hypothyreose
Abb.4-3. Nukleäre und zelluläre Wirkungen von T3 benutzt.
4.2 "Adulte" Hypothyreose 107
4.2.1 4.2.2
Fallpräsentation Epidemiologie
Anamneseerhebung
4.2.4
Klinik
• Leitsymptome für weitere hypophysäre Ausfälle
• Gesichtsfeldausfälle
Symptome und Beschwerden
• Hypophysenadenome
Die Hypothyreose aufgrund einer unzureichenden
• Schädelbestrahlung
TSH-Produktion geht prinzipiell mit den gleichen
• Operationen im hypothalamohypophysären Be-
Beschwerden einher wie die primär thyreogenbe-
reich
dingte Hypothyreose, verläuft allerdings meist nicht
• Grunderkrankungen wie z. B. Sarkoidase
so schwer. Die nachfolgende Übersicht fasst die
Symptome beim Erwachsenen mit Hypothyreose zu-
sammen.
Körperliche Untersuchung
Hypothyreosesymptome bei Erwachsenen Neben den klassischen Veränderungen, die die Hy-
pothyreose hervorruft, kann die Haut sehr blass
• Adynamie, Antriebslosigkeit, Depression, sein. Dies ist Zeichen eines ACTH-Mangels oder
erhöhtes Schlafbedürfnis eines Hypogonadismus. Wegen der Möglichkeit
• Haarausfall eines Makroadenoms der Hypophyse gehört eine
• Gewichtszunahme, Gesichtsödeme groborientierende Untersuchung der Gesichtsfelder
• Hyporeflexie zum Untersuchungsprogramm.
• Hypothermie
• Tiefe, heisere Stimme
Labordiagnostik
• Blass-gelbliches Hautkolorit
Niedrige T3- und T4-Konzentrationen mit ebenfalls
• Muskelschwäche
niedrigen TSH-Werten lenken den Verdacht auf
• Obstipation
einen Ausfall der thyreotropen Achse. Liegt eine hy-
• Bradykardie
pophysäre Ursache vor, fehlt der TSH-Anstieg im
• Hypotonie
TRH-Test, während es bei hypothalamisehen Stö-
e Hypercholesterinämie rungen zu einer deutlichen Stimulation kommen
• Zyklusstörungen, Libidoverlust
kann. Der TRH-Test ist jedoch kein eindeutiges Un-
e Hypothyreotes Koma: zusätzlich Bewusstseins-
terscheidungsmerkmal.
eintrübung, Bradypnoe.
Bildgebende Verfahren
Das Spektrum der Beschwerden hängt von der TSH- • Sonographie: Bei länger bestehendem TSH-Aus-
Restsekretion, vom Alter der Patienten und von der fall stellt sich die Schilddrüse sonographisch klein
Ursache der Störung ab. Während der angeborene dar,
TSH-Mangel meist über die Klinik einer begleiten- • Szintigraphie: die nuklearmedizinische Darstel-
den adrenocorticotropen Insuffizienz entdeckt lung der Schilddrüse mit 99 mTechnetium zeigt
wird, kann die Hypothyreose nach Bestrahlung eine homogene Speicherung des Radionuklids,
der Hypophyse sehr langsam über Jahre entstehen. der Technetium-Uptake ist jedoch stark ernied-
Die Übersicht Abschn. 4.3.4 stellt die Symptome rigt,
einer Hypothyreose beim Neugeborenen dar. • Magnetresonanztomographie (MRT) oder Com-
putertomographie (CT): bei Verdacht auf eine
hypothalamisch-hypophysäre Störung ist ein
4.2.5 MRT oder CT zur Darstellung eines organischen
Diagnostik Korrelats für die Veränderung notwendig.
Anamnese
Die folgende Übersicht gibt die zu erfragenden 4.2.6
Punkte bei der Anamnese wieder. Differentialdiagnose
4.2.7
Therapie
ren. Dabei liegt in ca. 40 o/o der Fälle eine Agenesie fekten können die Kinder später durch neurologi-
vor und in ebenfalls ca. 40 o/o ist die Schilddrüse dys- sche und motorische Defizite (Probleme beim Lau-
plastisch oder ektop gelegen. Die übrigen Fälle mit fenlernen) auffallen (s. folgende Übersicht).
angeborener Hypothyreose sind bei orthotoper
Lage des Organs auf verschiedene seltene Defekte Symptome der angeborenen Hypothyreose
in der Schilddrüsenhormonsynthese zurückzu-
führen. Auch TSH-Synthesestörungen (sekundäre • Trinkschwäche
Hypothyreose) und hereditäre TSH-Rezeptor- und • Wachstumsretardierung (retardiertes Skelettal-
Postrezeptordefekte können Ursache für eine an- ter)
geborene Hypothyreose sein. Folgende Übersicht • Neurologische und motorische Defizite
fasst diese Punkte zusammen. • Icterus neonatorum prolongatus
• Makroglassie
Ursachen der angeborenen Hypothyreose • Hypotonie
• Hypothermie
• Agenesie
• Dysgenesie, Ektopie
• TSH-Synthesedefekte
Mutationen im TSH-Gen 4.3.5
Transkriptionsfaktorenmutation Diagnostik
Signaltransduktionsdefekte
TSH-Rezeptor-Mutation Anamnese
• Gs-a-Protein-Mutation Hinweise aufhereditäre Defekte kann bereits die Fa-
e Iodtransportdefekte milienanamnese geben. Eine Autoimmunerkran-
e Mutationen im Natrium-/Iodid-Symportergen kung der Schilddrüse bei der Mutter und der Ein-
e Iodorganifizierungsdefekte fluss strumigener Substanzen während der Schwan-
e Mutationen im Gen für thyreoidale Peroxidase gerschaft sollten eine sorgfältige Beobachtung des
Pendred-Syndrom (assoziiert mit sensonemalern Neugeborenen nach sich ziehen.
Hörverlust)
e Thyreoglobulinsynthesedefekte Labordiagnostik
e Dehalogenasedefekte Die definitive Diagnose wird durch persistierend er-
• Extremer Iodmangel, Einfluss strumigener Sub-
höhte TSH-Werte und erniedrigte freie T3- und freie
stanzen
T4-Werte gestellt. Zu beachten sind die postnatalen
• Transplazentarer Übertritt blockierender mater-
Anpassungsvorgänge mit passager höheren TSH-
naler Antikörper
Werten. Beim Neugeborenenscreening gilt ein
TSH-Wert von > 20 U/ml am 5. Lebenstag als
Cut-off-Grenze für eine Rückmeldung.
Passagere Hypothyreose
Eine passagere Hypothyreose kann durch den trans- Bildgebende Verfahren
planzentaren Übertritt von blockierenden TSH-Re- Ergänzend kann die Halssonographie Hinweise auf
zeptor-Antikörpern bei einer M.-Basedow-Erkran- die Genese der Hypothyreose (Agenesie, Dysplasie,
kung der Mutter auftreten und ist nach Abbau Ektopie) geben. Liegt die Schilddrüse an typischer
der Antikörper rückläufig. Bei einem extrem starken Stelle, kann der Defekt durch eine 123 Iodszintigra-
Iodmangel während der Schwangerschaft oder unter phie evtl. mit Perchlorat-discharge-Test zum Aus-
dem Einfluss strumigener Substanzen kann eben- schluss einer Iodorganifizierungsstörung weiter ein-
falls eine Hypothyreose des Neugeborenen resultie- gegrenzt werden. Zum Ausschluss eines Pendred-
ren. Syndroms ist das Gehör des Kindes zu überprüfen.
4.3.4 4.3.6
Klinik Therapie
Die typischen Symptome der angeborenen Hypothy- Wegen der deletären Folgen eines Schilddrüsenhor-
reose sind Gedeihstörungen, Ikterus neonatorum monmangels für die kognitive Entwicklung ist bei
prolongatus, Makroglassie und Muskelhypotonie. begründetem Verdacht auf eine Hypothyreose
Bei Störungen mit weniger stark ausgeprägten De- eine Substitutionstherapie mit L-Thyroxin unver-
4.4 Akute Thyreoiditis III
Tabelle 4-1. Therapie bei angeborener Hypothyreose tet. Allen Thyreoiditiden gemeinsam ist, dass sie
passagere oder permanente Funktionsstörungen
Alter Dosis (J.!g/kg) Dosis (ltg!Tag)
der Schilddrüse verursachen können. Initial kommt
< 6 Mona te 8- 15 25-50 es gelegentlich zu einer hyperthyreoten Stoffwech-
sellage, die in ihrer Ausprägung abhängig vom Aus-
6- 12 Monate 8-10 37,5-75 maß der inflammatorischen Veränderung und der
1-6Jahre 4-6 50- 100 Aktivität des Autoimmunprozesses ist. Die Hyper-
thyreose ist immer passager und bedingt durch
6-12 Jahre 3-6 50-125 die Freisetzung präformierter Hormone aus den Fol-
12-18 Jah re 2-3 75- 175 likelzellen. Daher ist sie einer Behandlung mit Thy-
reostatika nicht zugänglich.
4.5.3
Klinik
Symptome der subakuten Thyreoiditis Abb. 4-7. Typisches sonographisches Bild mit landkartenar-
tiger Echoarmut bei Thyreoiditis Oe Quervain (Längsschnitt
e Ein- oder beidseitiger Halsehrnerz durch den rechten Schilddrüsenlappen)
• Schmerzausstrahlung (Ohren, Unterkiefer,
Retrosternalraum)
In 40-50 o/o besteht initial eine Hyperthyreose, ge-
• Subfebrile Temperaturen folgt von einer meist passageren Hypothyreose. Sel-
• Schluckstörungen ten ist auch eine leichte Leukozytose vorhanden. Es
• Leichte Heiserkeit kann auch eine entzündungsbedingte leichte nor-
• Virale Prodromi wie Muskelschmerzen, mochrome, normozytäre Anämie vorliegen. Die an-
allgemeines Krankheitsgefühl
fängliche Hyperthyreose durch den Zellzerfall geht
oft passager in eine hypothyreote Stoffwechsellage
über. Nach 4-6 Monaten sind die Schilddrüsenhor-
mone fast immer normalisiert (Abb. 4-6).
4.5.4
Diagnostik
Bildgebende Verfahren
Körperliche Untersuchung • Sonographie. Die subakute Thyreoiditis stellt sich
Die Inspektion zeigt in der Regel keine Auffälligkei- sonographisch mit einem sehr charakteristischen
ten. Palpatorisch ist die Schilddrüse von fester Kon- Bild dar. Landkartenartig grenzen echoarme Bezirke
sistenz und sehr druckschmerzempfindlich. Sehr an echonormale Areale der Schilddrüse, die noch
selten besteht eine begleitende Lymphadenopathie. nicht vom entzündlichen Prozess betroffen sind
(Abb. 4-7).
4.5.5
Therapie
Milde Verlaufsform
Bei milden Verlaufsformen der subakuten Thyreo-
iditis de Quervain ist eine Therapie mit nicht-
steroidalen Antiphlogistika ausreichend. Verschie-
dene Therapiemöglichkeiten bei subakuter Thyreo-
Abb. 4-6. Klassischer Verlauf der Schilddrüsenhormonwerte
iditis (de Quervain) sind in folgender Übersicht
bei Thyreoiditis De Quervain wiedergegeben.
114 KAPIT EL 4 Schilddrüse
thyreose verläuft meist sehr schleichend und wird Peroxidase (TPO-AK, identisch mit mikrosomalen
daher besonders im höheren Lebensalter leicht ver- Antikörpern) und gegen Thyreoglobulin (TG-AK).
kannt, wenn psychomotorische Symptome das Die Höhe der Antikörperspiegel ist nicht direkt kor-
Krankheitsbild dominieren. reliert mit der Stoffwechsellage, jedoch finden sich
bei atrophischer Verlaufsform mit Hypothyreose
im floriden Krankheitsstadium oft sehr hohe Werte
4.6.5 für TPO- und TG-Antikörper. Eine enge Korrelation
Diagnostik besteht zwischen dem Vorhandensein der Antikör-
per und zytologisch nachweisbarer lymphozytärer
Anamnese Organinfiltration.
Die folgende Übersicht gibt Hinweise auf eine Auto-
immunthyreoiditis wieder, die in der Anamnese be-
rücksichtigt werden sollten. Bildgebende Verfahren
• Sonographie. Die Autoimmunthyreoiditis stellt
Anamnesekriterien der Autoimmunthyreoiditis sich im Ultraschallbild diffus echoarm dar. Das
Ausmaß der Echominderung kann unterschiedlich
• Positive Familienanamnese stark ausgeprägt sein und reichen von einer im An-
• Vorliegen assoziierter Autoimmunerkrankungen fangsstadium fleckigen Echoarmut bis zur massiven
diffusen Echoarmut (Abb. 4-9).
• Nur passager aufgetretene Hyperthyreose
• Vorangegangene Entbindung
• Therapie mit Zytokinen, Amiodaron • Szintigraphie. Bei der Autoimmunthyreoiditis ist
die Iodaufnahme und äquivalent auch das in
der Routinediagnostik fast ausschließlich verwen-
dete 99 mTechnetium erniedrigt. Die prozentuale
• Post-partum-Thyreoiditis
D
Technetiumaufnahme (Technetium-Uptake) liegt
Die Post-partum- Thyreoiditis ist klinisch schwer zu
meist < 1,0 %.
diagnostizieren. Nicht selten werden Hyperthyreose-
symptome wie Schwitzen, Nervosität und Tachy-
• Zytologie und Histologie. Die Übersicht gibt die
kardie von Müttern und behandelnden Ärzten
zytologischen Veränderungen bei einer Autoim-
dem Stillen oder der veränderten sozialen Situation
munthyreoiditis wieder. Abbildung 4-10 zeigt das
zugeschrieben und so verkannt. Auch die sog.
histologische Bild einer Autoimmunthyreoiditis.
"Wochenbettdepression" kann Hinweis auf eine
postpartale Thyreoiditis sein.
Körperliche Untersuchung
Der Palpationsbefund bei Autoimmunthyreoiditis
ist sehr unterschiedlich. Meist hat die Schilddrüse
eine feste Konsistenz. Abhängig von der Verlaufs-
form der Erkrankung kann sich eine Struma präsen-
tieren, das Organ normal groß sein oder bei der atro-
phischen Form der Palpation entgehen. Gelegentlich
wird ein Druckschmerz beim Abtasten der Schild-
drüse angegeben. Sehr selten sind im Halsbereich
vergrößerte Lymphknoten tastbar. Herzfrequenz,
Blutdruck, Körpergewicht, Beurteilung der Haut-
qualitäten sind Basisuntersuchungen zur klinischen
Einschätzung der Stoffwechsellage.
Labordiagnostik
In über der Hälfte der Fälle von Autoimmunthyreoi-
ditis liegen T3, T4 und TSH im Referenzbereich. Die
atrophische Verlaufsform resultiert in einer (laten-
ten) Hypothyreose mit erniedrigten (normalen)
Werten für T3 und T4 und TSH-Erhöhung. Die Au-
Abb. 4-9. Sonographisch ausgeprägte diffuse Echoarmut bei
toimmunthyreoiditis geht einher mit einer deutli- Autoimmunthyreoiditis (Querschnitt durch den rechten
chen Erhöhung von Antikörpern gegen thyreoidale Schilddrüsen Iappen)
4.6 Autoimmunthyreoiditis 117
4.6.7
Therapie
Medikamentöse Therapie
Die Therapie aller Formen der Autoimmunthy-
reoiditis ist immer symptomatisch orientiert (Ta-
belle 4-3). Das lokale Druck- oder Kloßgefühl wird
von den meisten Patienten ohne Analgetikagabe
Autoimmunthyreoiditis M. Basedow
Beschwerden Therapieform
• Sofort 500 11g L-Thyroxin i. v. oder über
Keine oder geringe Keine Therapie, Kontrolle Magensonde
Lokalbeschwerden, 100 mg Hydrocortison i. v.
Euthyreo e 1.000 ml NaCl 0,9 o/o i. v.
Lokale Druck- AntiphJogistische Therapie • Anschließend 100-150 11g L-Thyroxin/Tag i. v.
beschwerden (z. B. 500- 1.500 mg Azetylsalizyl- Intensivüberwachung, Flüssigkeitsausgleich,
säure, 400- 1.200 mg lbuprofen) ggfs. Beatmung
Hyperthyreose Nichtkardioselektiver ß-Blocker
(z. B. 3- mal 10- 40 mg Propranolol)
Chirurgische Therapie
jüngere Patienten 50 ).lg L-Thyroxin 100 ).lg L-T4 nach 2 Wochen 1,5- 2 ).lg L-T4/kg KG
Ältere Patienten 25 ).lg L-Thyroxin 50 ).lg L-T4 nach 2 Wochen 1,5- 2 ).lg L-T4/kg KG
75 ).lg L-T4 nach 4 Wochen
100 ~~ g L-T4 nach 8 Wochen
Hohes Risiko 12,5 ).lg L-Thyroxin Alle 2 Wochen erhöhen 1,5 ).lg L-T4/kg KG
(schwere KHK o. Ä.) um 12,5 ).lg L-Thyroxin
4.7 Iatrogene Hypothyreose 119
4.7.3
Pathogenese
Die Sonographie der Schilddrüse zeigte einen Ursachen für eine iatrogene Hypothyreose
kleinen Linken Schilddrüsenlappen (2 ml) und
einen fast den gesamten rechten Schilddrüsen- • Radioiodtherapie
lappen einnehmenden echokomplexen Knoten • Operation
mit 17 ml Volumen. Dieser Knoten entsprach • Medikamenteninduziert
dem autonomen Adenom vor der Radioiodthe- Thyreostatika
rapie. Es wurde sofort eine Sub titutionsthera- Interferon
pie mit 25 )..lg L-Thyroxin/Tag eingeleitet. Interleukin- 2
Nach 14 Tagen wurde auf 50 )..lg L-Thyroxin/ Amiodaron
Tag erhöht. Weitere Steigerungen der Schild- Lithium
drüsenhormondo is erfolgten in 4-wöchigen o, p-DDD (Mitotane)
Abständen bis zur Dosis von 125 )..lg L-Thyro- Iod in hohen Dosen (z. B. Plummerung)
xin/Tag. Hierunter lagen T3, T4 und der basale • Diätfehler
TSH-Wert im Normbereich. Die Patientin war
deutlich agiler geworden u nd d ie Cholesterin-
spiegel näherten sich dem Normbereich
(234 mg!dl).
4.7.4
Klinik
4.7.2 Anamnese
Epidemiologie Es muss nach vorbestehenden Schilddrüsenerkran-
kungen gefragt werden. Eine Hypothyreose nach Ra-
Die iatrogen verursachte Schilddrüsenunterfunktion dioiodtherapie kann sich erst mehrere Monate
stellt eine der häufigsten Hypothyreoseursachen im später entwickeln. Mit zunehmendem Einsatz von
Erwachsenenalter dar. Es werden in Deutschland pro Zytokinen in der Therapie werden auch Hypo-
Jahr ca. 90.000 Schilddrüsenoperationen durchge- thyreosen als Folge einer zytokinbedingten Thyreo-
führt, die im Falle einer umfassenden Organresekti- iditis gesehen. Gefährdet sind vor allem Patienten
on häufig eine lebenslange Schilddrüsenhormonsub- mit vorbestehend nachweisbaren Antikörpern gegen
stitutionstherapie notwendig machen. Ein weiterer Thyreoglobulin und thyreoidale Peroxidase. Einige
großer Teil der Hypothyreosen wird nach einer Ra- andere Medikamente können ebenfalls eine Hypo-
dioiodtherapie gesehen. Meist kann die Stoffwech- thyreose verursachen (s. Übersicht). Extrem selten
sellage jedoch frühzeitig korrigiert werden und es sind Diätfehler mit vermehrter oder alleiniger Zu-
kommt selten zu einer ausgeprägten Symptomatik. fuhr strumigener Lebensmittel (Kohl, Soja). Eine
120 KAPITEL 4 Schilddrüse
Überfunktion
4.8.7
Differentialdiagnose
4.9
Bei hyperthyreoter Stoffwechsellage ist differential- TSH-om
diagnostisch ein TSH-produzierender Tumor auszu-
schließen (Tabelle 4-6). Eine Erhöhung der Konzen- 4.9.1
tration der Schilddrüsenhormone im Blut irrfolge Fallpräsentation
einer Erhöhung der Bindungsproteine lässt sich
durch eine Kontrolle der freien Hormonkonzentra- Ein 58-jähriger Patient wurde wegen emer
tionen abklären. schlecht einstellbaren klinisch-symptomati-
schen Hyperthyreose bei knotig vergrößerter
Schilddrüse mit der Frage einer möglichen
4.8.8 Operation vorgestellt. Trotz einer zweijährigen
Therapie Therapie mit Methimazol in einer Dosis von zu-
letzt 20 mg!Tag lagen die FT3- und FT4-Werte
Eine kausale Therapie existiert nicht. Solange die leicht erhöht vor. TSH war mit 4,6 j.IU/ml eben-
Patienten symptomfrei sind oder nur über milde falls leicht erhöht. Aus alten Unterlagen ging
Symptome klagen, kann auf eine Therapie verzichtet hervor, dass vor Einleitung der Therapie bereits
werden. Bei Patienten mit hypothyreoter Stoff- eine Hyperthyreose mit hochnormalem TSH
wechsellage (sehr selten) ist eine Therapie mit besta nd. Im TRH-Test stieg TSH um 1 )lU/ml
Triiodthyronin in individueller Dosis notwendig. an. Die a-Untereinheit von TSH war erhöht. So-
Liegen Hyperthyreosesymptome vor, so können nographisch zeigte sich eine auf 48 ml vergrö-
ßerte Struma mit insgesamt einer leichten
Echoarmut des Parenchyms. Zwei glatt be-
Tabelle 4-6. Differentialdiagnostische Kriterien zur Unter-
scheidung TSH-om und Schilddrüsenhormonresistenz grenzte echogleiche Knoten waren scha rf be-
grenzt. Der Technetium-Uptake war auf 6,4 o/o
Parameter TSH -om Schilddrüsen- erhöht. Das MRT der Hypophyse stellte ein Ma-
hormonresistenz kroadenom dar (Abb. 4-14a). Zur Suppres ion
T3-T4 Erhöht Erhöht
der hypophysären TSH-A usschüttu ng wurde
eine Therapie mit einem lang wirksamen Soma-
T H ba al Norm al/erhöht ormal/erhöht tostati nanalogon eingeleitet (3-mal 50 11g San-
An stieg im ta rke
dastatin s.c./Tag). Hieru nter sa nken die TSH-
Gerin~e
TRH -Te t timu ation timulation Spiegel prompt und die thyreostatische Behand-
lung wurde ausgesetzt. Nach einer 3- monatigen
truma ja ja
Therapie wurde bei dem Patienten eine elektive
Quotient aus Erhöht (> I) Norma l transnasale Adenomektomie d urchgeführt
TSH -a - und (Abb. 4-14b). Postoperativ resultierte eine eu-
-ß-Untereinheit thyreote Stoffwechsellage mit nied rignormalem
Auftreten poradisch Fa mi liär TSH.
4.9 TSH-om 123
4.9.4
Klinik
4.9.5
Diagnostik
Anamnese
Typisch sind mehrjährige Verläufe mit thyreostati-
scher Therapie, Auslassversuchen, Radioiodthera-
pien und Schilddrüsenoperationen in der Vorge-
Abb.4-14a, b. Kernspintomographie eines TSH-produzie- schichte.
renden Hypophysenadenoms a) vor Operation, b) nach elek-
tiver Adenomentfernung
Körperliche Untersuchung
Die körperliche Untersuchung zeigt fast immer die
4.9.2 oft auch knotige Schilddrüsenvergrößerung sowie
Epidemiologie die klassischen Zeichen der Hyperthyreose u. a.
mit Tachykardie, feuchter Haut, hoher Blutdruck-
TSH-produzierende Adenome der Hypophyse sind
amplitude usw. Fingerperimetrisch können sich er-
sehr selten. Bisher sind in der Literatur erst einige
ste Hinweise auf Gesichtsfeldausfälle ergeben.
100 Fälle beschrieben, wobei die Aufdeckungsrate
im Zeitalter von CT und MRT stark zugenommen
hat. Wesentlich häufiger als TSH-sezernierende Labordiagnostik
hormonaktive Hypophysenadenome sind Prolak- Typisch ist eine hyperthyreote Stoffwechsellage mit
tin-, Wachstumshormon- und ACTH-produzieren- erhöhtem oder normalem TSH. Im TRH-Test ist
de Adenome. TSH vielfach nicht weiter stimulierbar. Die a-Unter-
heit des TSH-Moleküls ist erhöht.
4.9.3
Pathogenese Bildgebende Verfahren
• Sonographie. Durch die dauerhafte TSH-Stimu-
Im Bereich der Hypophyse kommt es zu einer lation ist das Schilddrüsenparenchym echoarm.
klonalen Proliferation von thyreotrophen (TSH-pro- Knotige Veränderungen in der vergrößerten Schild-
duzierenden) Zellen, die autonom arbeiten und drüse sind häufig.
nicht mehr dem negativen Feedback von Schild-
drüsenhormonen unterliegen. Für einen Teil der • Szintigraphie. Der Technetium-Uptake in der
hormonproduzierenden Adenome konnten Gs-a- Schilddrüsenszintigraphie ist diffus erhöht. Gele-
aktivierende Mutationen nachgewiesen werden, gentlich gelingt eine Szintigraphische Anreicherung
die zu einer permanenten Stimulation der intrazel- der Hypophysentumoren mit Indium-111-0ctreo-
lulären Signalkaskade führen . tid.
124 KAPITEL 4 Schilddrüse
• MRT/CT. Der Nachweis des Hypophysenvorder- Eine 28-jährige Frau klagte über periorbitale
lappenadenoms erfolgt mit der er, besser noch mit Schwellungen, Doppelbild ehen, Licht cheu und
der MRT in koronaren und sagittalen Schnitten vor Druckgefühl im Augenbereich (Abb. 4-15). Eine
und nach Gadoliniumgabe. Hyperthyreo e wurde eit 6 Monaten thyreosta-
tisch behandelt. T3 und T4 waren im Normbe-
reich, T H supprimiert. Die Antikörper gegen
4.9.6 Thyreoglobulin und gegen thyreoidale Peroxi-
Differentialdiagnose dase waren erhöht, ebenso wie die TSH-Rezep-
tor-Antikörper (176 U/rnl). Sonographisch zeigte
Die Schilddrüsenhormonresistenz vom thyreotoxi- sich eine vergrößerte echoarme Schilddrüse. Im
schen Typ (früher selektiv hypophysäre Schilddrü- Szintigramm war der Technetium-Uptake auf
senhormonresistenz genannt) kann die gleiche Sym- 11 % erhöht. Die Hertel-Messung be tätigte
ptomatik mit Hyperthyreose bei nichtsupprimier- den Exophthalmus. Computertomographisch
tem TSH hervorrufen. Ein molekularbiologischer zeigte sich eine Augenmuskelverdickung. Die
Nachweis des zugrunde liegenden Gendefektes ist thyreostatische Therapie bei M. Basedow wurde
möglich. über ein Jahr fortgeführt. Es kam zu einer
Spontanremission der Hyperthyreose. Die endo-
krine Orbitapathie wurde über 2 Monate aus-
4.9.7 schleichend mit Glucocorticoiden therapiert.
Therapie Da sich keine deutliche Besserung der endo-
krinen Orbitapathie einstellte, wurde zusätzlich
Die Therapie der Wahl ist die selektive transnasale eine Retroorbitalbestrahlung durchgeführt. Dar-
Adenomenukleation mit dem Ziel der Dauerheilung. aufltin gingen Doppelbilder und Exophthalmus
Wenn ein infiltratives Wachstum vorliegt, kann eine zurück.
vollständige Resektion misslingen und die ver-
bliebenen Reste können eine Persistenz oder ein
Rezidiv der Hyperthyreose verursachen. In einem
solchen Fall kann durch eine Thyreoidektomie
das Erfolgsorgan ausgeschaltet werden. Präoperativ
oder bei inoperablen Rezidiven wird das Somato-
statinanalogon Sandastatin in einer Dosis von
3-mal 50-200 f.lg s.c. eingesetzt. Depotpräparate
zur i. m.-Injektion stehen seit kurzem ebenfalls
zur Verfügung. Auch Dopaminagonisten (klassische
Substanz: Bromocriptin) zeigen gelegentlich eine
Wirkung. Bei Rezidiven ist auch eine Konvergenzbe-
strahlung der Hypophyse mit 45 Gy oder die zielge-
nauere stereotaktische Bestrahlung mit dem "Gam-
maknife" oder dem Linearbeschleuniger möglich.
4.10
Autoimmunhyperthyreose (M. Basedow)
• Photophobie
Abb. 4-16. Aktivierung der _intrazellulären Hormonsynthese • Augentränen
durch kompetettv antagoms1 erende TSH-Rezeptorantikörper • Konjunktivitis
126 KAPITEL 4 Schilddrüse
• Fremdkörpergefühl
• Augendruck, -schmerzen
• Doppelbildsehen
• Verschwommensehen
• Visuseinschränkung
• Periorbitale Schwellung
• Exophtalmus
• Schmerzhafte Hornhautulzerationen
D
Herzfrequenz beschleunigt. Selten ist auch der Blut-
Nach einer endokrinen Orbitapathie ist gezielt zu druck erhöht (hohe RR-Amplitude). Ein feinschlägi-
fragen, da von den Patienten oft kein direkter Zu- ger Fingertremor ist möglich.
sammenhang mit Lichtscheue, Fremdkörper- und
Druckgefühl des Auges und vermehrtem Augenträ- Labordiagnostik
nen mit der Schilddrüsenerkrankung gesehen wird. Erhöhte T3- und T4-Werte bei supprimiertem TSH
belegen die hyperthyreote Stoffwechsellage. Auch
nach Einleitung einer thyreostatischen Behandlung
kann bei schon normalisierten peripheren Schild-
drüsenhormonwerten die Erniedrigung der TSH-
Werte noch länger persistieren. Typisch ist der
Nachweis von Antikörpern (AK) gegen TSH-Rezep-
toren. Im floriden Stadium der Erkrankung sind
diese AK in 80-100 o/o nachweisbar. Mit zunehmen-
der Erkrankungsdauer und unter der Therapie sind
sie häufig rückläufig. Die Höhe der TSH-Rezeptor-
antikörper erlaubt jedoch im individuellen Fall
keine Aussage über den weiteren Verlauf wie z. B.
eine Spontanremission. Ebenfalls können die AK
gegen Thyreoglobulin (50-70 o/o) und die AK gegen
thyreoidale Peroxidase (60-80%) erhöht sein.
Bildgebende Verfahren
• Sonographie. Im Ultraschallbild ist das Echo-
muster typisch echoarm (Abb. 4-19). Mit zuneh-
mender Remission wird das Bild vermehrt echonor-
maL Bei intrathyreoidal unterschiedlicher Krank-
heitsaktivität kann sich die Echoarmut auch fleckig
Abb.4-17. Prätibiales Myxödem mit Kratzeffekten darstellen.
4.10 Autoimmunhyperthyreose (M. Basedow) 127
ren Remissionsrate und eine TSH-Suppression zu • Chirurgische Therapie. Die Operation beim M.
niedrigeren Rezidivraten führt, ist derzeit Gegen- Basedow sollte immer so umfassend sein, dass ein
stand einer multizentrischen Studie. Hyperthyreoserezidiv ausgeschlossen ist. Die Schild-
drüsenreste sollten nicht mehr als 4 g betragen. Die
• Therapiedesign. Beim Rezidiv nach längerer Resektion erfolgt entweder "near total" oder als
Spontanremission kann noch einmal ein konserva- Dunhili-Operation mit einseitiger Hemithyreoidek-
tiver Therapieversuch über ein Jahr gemacht wer- tomie und subtotaler Resektion der Gegenseite.
den, die Heilungsrate ist jedoch geringer als bei
Seltene, aber mögliche Komplikationen sind die Re-
D
der ersten Krankheitsmanifestation.
kurrensparese und der persistierende Hypoparathy-
D Die Entscheidung über eine definitive ablative The-
rapie sollte nach Berücksichtigung folgender Punkte
reoidismus.
D
Fast immer entsteht die endokrine Orbitapathie
kurz nach Auftreten einer Hyperthyreose bei Auto-
immunthyreopathie. Sehr selten geht sie dieser vor- Die Messung mit dem Hertel-Ophtalmometer erlaubt
aus.
die Beurteilung des Exophtalmus in Bezug zum knö-
chernen Orbitarand und ist als Verlaufskontrolle un-
• Periorbitale Schwell
• Lidretraktion
• Zeichen der Konjunkti
• Chemosis (Bindehautödem)
• Exophtalmus
Symptom Therapie
Infilt rative Orbi tapathie mit Yisuseinschränkung 60 mg Prednisolonäquivalen t über 6-8 Woche n
und Doppelbildern auschieichend
Kei ne Besserung od. Kon traindikation Retrobulärbestrahlu ng mit 15- 20 Gy, fraktio niert
über 14 Tage
Akute Yis usbedroh ung (Orbitakompression), keine Ses erung Operative Dekompression
de r chweren EO unte r Cortison der Bestrahlung
4.12 Autonomie 131
4.12.3
Pathogenese
4.12.2
Epidemiologie
Abb. 4-23. Zunehmende Hormonproduktion bei multifoka- Abb. 4-25. Konstitutionelle Aktivierung im G-Protein mit
ler Autonomie nachfolgender autonom aktivierter Schilddrüsenhormonsyn-
these
führen zu einer konstitutionellen Aktivierung des familiären nicht immunogenen Hyperthyreose er-
Proteins (d. h. in Abwesenheit von TSH). In der klären, die autosomal-dominant vererbt wird. Ob
Folge kommt es zu einer dauerhaft vermehrten Pro- letztendlich aus der autonomen Funktionsstörung
duktion von cAMP und damit zu einer erhöhten eine hyperthyreote Stoffwechsellage resultiert, hängt
Produktion von Schilddrüsenhormonen (Abb. 4-24 von den in der folgenden Übersicht wiedergegebe-
u. 4-25). Liegen somatische Mutationen mit klonaler nen Faktoren ab.
Proliferation vor, so entstehen fokale Autonomien
(Abb. 4-26a). In 12-38 o/o der autonomen Adenome
wurden solche Mutationen gefunden mit der höch-
sten Frequenz in Iodmangelgebieten. Die cAMP-
Kaskadekann aber auch dauerhaft durch aktivieren- LI I
.
I
0
c
PIP2f'JDAG + IP3-.... ++
l ~Ca
Proteinkinase C I 'I_P
_r_o_t_
e-in-k-in_a_s_e_A
- --.
b
Faktoren, die die Ausbildung einer hyperthyreoten Die latente Hyperthyreose ist assoziiert mit
Stoffwechsellage bei der autonomen Schilddrüsen- • einer erhöhten Prävalenz von Herzrhythmusstö-
funktionsstörung beeinflussen rungen, besonders absoluter (Tachy-) Arrhyth-
mien,
• Aktivität und Anzahl der autonomen Follikel • einem erhöhten Knochenmasseverlust bei post-
• Iodangebot menopausalen Frauen.
• Adenomvolumen
• Höhe des TSH-Wertes Besonders nach Iodkontamination bei älteren kardi-
al vorgeschädigten Patienten kann sich eine thyreo-
toxische Krise entwickeln, die die Prognose quoad
Es besteht eine eindeutige Korrelation zwischen der vitam deutlich verschlechtert. Die Stadieneinteilung
Knotengröße und dem Auftreten einer Hyper- der thyreotoxischen Krise zeigt folgende Übersicht.
thyreose. Als "kritischer" Adenomdurchmesser gilt
eine Größe von 2,5 cm oder ein Volumen von Stadieneinteilung der thyreotoxischen Krise
6 ml. Mit zunehmender Hormonproduktion sinkt
zunächst der TSH-Spiegel ab. Dieser kann über • Stadium Leitsymptom
längere Zeit leicht erniedrigt oder vollständig • Stadium I Hyperthermie, Tachykardie
supprimiert sein, bevor sich später eine manifeste (> 150/min.), Unruhe, Adynamie
Hyperthyreose einstellen kann. Häufig kommt es • Stadium II Symptome von Stadium I
nach einer vermehrten Iodexposition (besonders + Bewusstseinsstörung
iodhaltige Medikamente wie Röntgenkontrastmittel, • Stadium III Symptome von Stadium I + Koma
Amiodaron u. a.) zu einer Exazerbation.
4.12.4 4.12.5
Klinik Diagnostik
4.12.6
Differentialdiagnose
Abb. 4-28. Szintigraphis~he D~rstellung. einer kompensier-
ten um fokalen Autonomi:. (Mit. freundlicher Genehmigung ~ie zweithäufigste Ursache für die Hyperthyreose
von Herrn Prof. H. W. Muller-Gartner, Düsseldorf) ISt der M. Basedow. Dieser lässt sich durch den
4.12 Autonomie 135
Nachweis von Antikörpern gegen TSH-Rezeptoren, Tabelle 4-10. Medikamentöse Therapie (Dosierungsrichtli-
nien)
eine evtl. begleitende endokrine Orbitopathie, die
diffuse Echoarmut und die diffuse, meist stark er- Medikament Startdosis
höhte Technetiumaufnahme im Szintigramm ab-
grenzen. Eine alleinige TSH-Erniedrigung kann Thiamazol 15- 40 mg
durch eine Reihe anderer Ursachen hervorgerufen
Carbimazol 20- 40 mg
werden. Sie sind in der folgenden Übersicht wieder-
gegeben. Propylthiouracil 200-300 mg
• Medikamente:
Glucocorticoide zol, Carbimazol oder Propylthioracil eingeleitet
Katecholamingabe i. v. (Dopamin, Noradrenalin) (Tabelle 4-10). Ist mit einer fortdauernden oder er-
Nifedipin i. v. neuten Iodkontamination zu rechnen (z. B. Koro-
Schilddrüsenhormontherapie narangiographie bei KHK), wird Perchlorat ein-
Hyperthyreosis factitia gesetzt, um die Iodaufnahme zu hemmen. Diese
• (Latente Hyperthyreose) Hemmung ist jedoch nicht komplett, sondern kom-
petitiv.
Radioiodtherapie
4.12.7 Die definitive Behandlung einer unifokalen, multi-
Therapie fokalen oder disseminierten Autonomie ist fast
nebenwirkungsfrei mit einer einmaligen oralen
Der alleinige Nachweis einer Autonomie stellt noch Gabe von 131Iod möglich. Aus strahlenschutzrecht-
keine Therapieindikation dar, solange die Schild- lichen Bestimmungen ist diese Therapie in Deutsch-
drüsenhormone und der TSH-Spiegel im Normbe- land nur unter stationären Bedingungen möglich.
reich liegen. Bei TSH-Suppression und noch euthy- Nach einer kürzlich erlassenen Anhebung der er-
reoten Schilddrüsenhormonwerten kann eine ab- laubten Strahlenbelastung bei Entlassung der Pa-
wartende Haltung eingenommen werden, solange tienten sind in Zukunft deutlich kürzere stationäre
keine subjektive Beschwerdesymptomatik vorhan- Aufenthaltszeiten zu erwarten. Vor Therapiebeginn
den ist. Gleichzeitig bestehende knotige Verände- wird durch einen Radioiodtest die individuelle The-
rungen (z. B. kalte Knoten) legen eine frühzeitige rapiedosis ermittelt. Die angestrebte Herddosis liegt
Operation nahe. Im höheren Lebensalter steigt die bei autonomen Funktionsstörungen zwischen 150
Gefahr von Herzrhythmusstörungen (absolute Ar- und 400 Gy.
rhythmie) bei endogener TSH-Suppression an und
es ist mit einem höheren Knochenmasseverlust
bei postmenopausalen Frauen zu rechnen. Diese
Zum ~h~rapie~eitpunkt soll der basa.le TSH-Spiegel
supprzmzert sezn, um das gesunde Schzlddrüsengewe-
D
möglichen Folgen sind mit dem Patienten im Sinne be zu schonen. Eine Therapie mit Perchlorat muss
einer möglichen präventiven Therapie zu bespre- wenigstens 2-3 Monate vor der Radioiodtherapie
chen. ausgesetzt oder auf ein anderes Thyreostatikum um-
gesetzt werden, da auch die Aufnahme des therapeu-
D Ist wegen Begfeiterkrankungen in Zukunft eine
Kontrastmittelexposition zu erwarten, sollte eine
tisch genutzten 13 1Iod blockiert wird.
D
frühzeitige Therapie angestrebt werden. Chirurgische Therapie
Eine Operation ist immer dann indiziert, wenn
Medikamentöse Therapie gleichzeitig andere Veränderungen vorliegen (z. B.
Sobald eine hyperthyreote Stoffwechsellage besteht, kalte Knoten), die primär suspekt auf das Vorliegen
ist eine definitive Therapie anzustreben, da eine malig11er Veränderungen sind oder bei denen nicht
spontane Besserung oder Ausheilung des autono- auszuschließen ist, dass sie später einer operativen
men Prozesses nicht möglich ist. Nur im Falle einer Sanierung bedürfen.
Iodkontamination wird manchmal eine spontane
Besserung nach Normalisierung des intrathyreoida- Bei sehr großen Strumen mit Lokalsymptomen (Tra-
len Iodgehaltes gesehen. Zunächst wird eine kon- chealkompression) sollte die Operation bevorzugt
servative thyreostatische Behandlung mit Thiama- werden.
136 KAPITEL 4 Schilddrüse
Äthanolinstillation
Die Sklerosierung autonomer Knoten durch
96 o/oigen Äthanol ist vielfach erprobt, kann jedoch
noch nicht als Standard bezeichnet werden. In
mehreren Sitzungen werden kleine Mengen
(1-3 ml) Äthanol 96 o/o unter sonographischer Sicht
in die Knoten appliziert. Ein völliges Ausschalten
aller autonomen Areale gelingt hierdurch meist
nicht, jedoch kann eine klinisch ausreichende Besse-
rung erzielt werden. Besonders eignet sich dieses
Verfahren bei multimorbiden Patienten, bei denen
eine relative Kontraindikation für die Radioiod-
therapie und die Operation besteht und für die
ein langer stationärer Aufenthalt eine erhebliche Be-
lastung bedeuten würde. Diese Methode kann der-
zeit nur in Zentren mit ausgewiesener Erfahrung
durchgeführt werden.
4.13
Endemische Struma Abb. 4-30. Patientin mit endemischer Struma mit klinischem
Schweregrad III.
Iodmangel 4.13.4
II
pidermaler Wachstumsfaktor I Klinik
TSH ·Sensitivität nsulin -Like Growth Faktor I I
e1h0ht \
ransfor ming Growth Faktor 3 j
Symptome und Beschwerden
Die euthyreote Struma geht in den Anfangsstadien
selten mit Beschwerden einher. Im Adoleszenten-
alter fällt häufiger eine sichtbare Schilddrüsenver-
größerung bei schlankem Habitus und relativer Be-
Zellhypertrophie Zellhyperplasie
tonung des Isthmusbereiches der Schilddrüse auf.
Im Erwachsenenalter wird die diffuse Schilddrüsen-
Abb. 4-32. Einfluss von TSH und lokalen Wachstumsfakto- vergrößerung oft lange übersehen. Bei euthyreoter
ren auf die Strumagenese Stoffwechsellage kommt es in der Regel erst bei lokal
verdrängenden Schilddrüsenvergrößerungen zu Be-
schwerden, wie in der folgenden Übersicht darge-
ein, die mit einer Stimulation der Gefäßprolifera- stellt ist.
tion und Vermehrung der Bindegewebsprodukti-
on einhergeht. Beschwerden bei der endemischen Struma
• Der proliferationshemmende Einfluss von Trans-
forming-growth-Faktor ß (TGF-ß) wird ebenso • Globusgefühl
wie der inhibierende Einfluss von iodhaltigen • Engegefühl im Halsbereich
Lipiden, den so genannten Iodlactonen unter • Schluckstörungen
den Bedingungen des Iodmangels geringer. Die • Dyspnoe, inspiratorischer Stridor bei Tracheal-
Anpassungsmechanismen in der iodverarmten kompression
Schilddrüse führen zu einem erhöhten "lodtrap- • Hustenreiz
ping", also der Fähigkeit, vermehrt Iod aufzu- • Räusperzwang
nehmen und umzusetzen. Insgesamt resultiert
ein Iodeinspareffekt, da der "ruhende" Iodpool
D
verringert ist.
Heiserkeit ist ein extrem seltenes Symptom der euthy-
reoten Struma und lenkt den Verdacht auf maligne
Pathologische Veränderungen Veränderungen.
Typisch für die Iodmangelstruma ist die funktio-
nelle, morphologische und proliferative Heterogeni-
tät einzelner Follikel und Follikelverbände, aber 4.13.5
auch einzelner Follikelzellen. So existieren innerhalb Diagnostik
einzelner Follikel Zellen, die unterschiedlichen Zell-
zykluszeiten aufweisen und sehr heterogen wachsen. Anamnese
Auch der Iodstoffwechsel kann von Zelle zu Zelle Die Anamnese kann bereits zahlreiche Informatio-
sehr unterschiedlich sein. Auf diesem von Studer nen für das weitere diagnostische und therapeuti-
u. Gerber entwickelten Konzept beruht die Annah- sche Vorgehen liefern. Die Übersicht gibt die zu er-
me, dass funktionell weniger aktive Zellen zu klona- fragenden Punkte an:
lem Wachstum und so zu kalten Knoten führen kön-
nen. Proliferieren autonom aktive Zellen, so können Anamnese bei der endemischen Struma
autonome Adenome entstehen, wobei hier somati-
sche Mutationen in den schnell proliferierenden Ge- • Positive Familienanamnese
weben vorliegen können. Aufgrund regressiver Ver- • Vorbehandlung
änderungen kommt es in Iodmangelschilddrüsen • Schnell wachsende Knoten (Cave: Malignomver-
durch Follikelrupturen häufig zu Zystenbildungen, dacht)
in die es gelegentlich auch einmal einbluten kann • Schwangerschaft
(sog. Schokoladenzyste). • Iodbelastung
• Strumigene Substanzen (Lithium, Thiozyanate)
• Schmerzen (eingeblutete Zysten)
• Hyperthyreosesymptome (als Hinweis auf Auto-
nomie)
4.1 3 Endemische Struma 139
Körperliche Untersuchung
Die Inspektion des Halses kann bereits folgende, in
der Übersicht wiedergegebene Veränderungen, zei-
gen.
• Gerinnungsstörungen
• Marcumartherapie
• Effektive Heparinisierung
• Fehlende Einwilligung
• Eine relative Kontraindikation besteht bei Medi-
kation mit Azetylsalizylsäure
4.13.6
Differentialdiagnose
Abb. 4-35. Szintigraphische Darstellung einer Struma diffu- • Endemische (Iodmangel-) Struma
sa. (Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. H. W.
Müller-Gärtner, Düsseldorf)
• Zysten, Einblutungen
• M. Basedow
• Chronisch-lymphozytäre Thyreoiditis
monprä parate sind 4-6 Wochen zuvor abzusetzen. (v. a. Hashimoto-Thyreoiditis)
Nur so können kalte Knoten sicher demaskiert wer- • Schilddrüsenmalignome
den. Besteht der Verdacht auf eine Autonomie, so ist • Schilddrüsenentzündungen
eine Suppressionsszintigraphie notwendig. • Kongenitale Hormonsynthesestörungen
• Kongenitale Iodtransportstörung
• Tracheazielaufnahme/CT. Bei sehr großen Stru- • Schilddrüsenhormonresistenz
men, insbesondere vor einer geplanten operativen • TSH-produzierende Hypophysentumoren
Intervention, ist die Indikation zur Tracheazielauf- • hCG-assoziierte Tumoren (TSH-ähnliche
nahme gegeben. Hier zeigen sich Impression und Wirkung, z. B. Blasenmole)
Verlagerung der Trachea (Abb. 4-36). In Funktions- • Strumigene Substanzen (Lithium u. a.)
versuchen (Valsalva-Manöver, Husten) kann ein • Thyreostatische Therapie
tracheomalaziebedingtes Kollabieren der Luftröhre • Akromegalie
gesehen werden. Zur genaueren präoperativen Ein- • Systemische Erkrankungen (z. B. Lymphome)
griffsplanung bei intrathorakaler Strumaausdeh-
nung wird gelegentlich ein CT notwendig.
4.13.7
Therapie
Medikamentöse Therapie
Da Iodmangel die Hauptursache für die endemische
Struma ist, bietet sich die Behandlung mit Iodid als
Basistherapie an (Tabelle 4-13). Insbesondere bei
Kindern, Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen
führt eine ausreichend hohe Iodidbehandlung
zum Rückgang und evtl. zur Normalisierung der
Schilddrüsengröße.
Alter pg/Tag
Eine Behandlung mit Iodid verbietet sich bei latenter Indikationen zur operativen Therapie
oder manifester Hyperthyreose sowie bei szintigra- der endemischen Struma
phisch nachgewiesener Autonomie (Technetium-Up-
take > 1-1,5% unter Suppressionsbedingungen). Bei • Sehr große Strumen (Grad III)
älteren Patienten sollte vor einer höherdosierten • Lokale Verdrängungszeichen (Tracheal-
Iodtherapie ein Suppressionsszintigramm zum siche- kompression, Einflussstauung)
ren Ausschluss einer Autonomie durchgeführt wer- • Versagen der medikamentösen Therapie
den. Liegen deutlich erhöhte Werte für Antikörper • Malignitätsverdacht
gegen Thyreoglobulin oder gegen thyreoidale Peroxi- • Autonome Funktionsstörungen
dase vor, sollte Iod in höheren Dosen (> 150 j.1g/Tag)
ebenfalls nicht eingesetzt werden, da sich hierunter
der Autoimmunprozess evtl. verschlechtert.
Radioiodtherapie
Da L-Thyroxin die Zellhypertrophie der Thyreozy- Eine Radioiodbehandlung kann als volumenredu-
ten günstig beeinflusst, kann eine Kombination zierende Therapie eingesetzt werden. Die Übersicht
aus L-Thyroxin und Iodid immer dann günstig zeigt Indikationen zu dieser Therapieform.
sein, wenn schnell ein volumenreduzierender Effekt
erreicht werden soll. Folgende Übersicht gibt die Indikation zur Radioiodtherapie
Therapie der euthyreoten Struma mit L-Thyroxin der endemischen Struma
wieder.
• Multimorbide Patienten
Therapie der euthyreoten Struma mit L-Thyroxin • Kontraindikationen gegen eine Operation
• Fehlende Operationseinwilligung
• 1,5!-lg L-Thyroxin pro kg KG • Autonome Funktionsstörungen
(Richtdosis 75-125 !lg)
• Kombination mit 100-200 11g Iodid als fixe
Kombination (Jodthyrox@, Thyronajod@, oder in
Nebenwirkungen
getrennten Gaben)
• Die Therapie mit Iod kann in extrem seltenen Fäl-
• Angestrebtes TSH 0,3-0,9 )lU/ml
len zu allergischen Erscheinungen führen, die sich
in der Regel als sog. Iodakne im Gesichtsbereich
manifestieren.
Die TSH-Werte sollen im niedrignormalen Bereich
(0,3-0,9) liegen. Eine vollständige Suppression ist Allergische Reaktionen auf iodhaltige Röntgenkon-
nicht erwünscht. Eine reine Therapie mit L-Thyroxin trastmittel sind keine Iodallergien, sodass man Pa-
sollte immer dann durchgeführt werden, wenn eine tienten mit einem solchen Ereignis in der Vorge-
autonome Funktionsstörung nicht sicher ausge- schichte auch mit Iod behandeln kann.
schlossen wurde. Grundsätzlich ist der Einsatz von
Iod in der Therapie der endemischen Struma immer • Eine vollständig TSH-suppressive Therapie kann
wünschenswert, da es ein ursächliches Therapieprin- besonders bei älteren Menschen Herzrhythmus-
zip darstellt. So konnte gezeigt werden, dass nach störungen begünstigen und bei postmeno-
Absetzen reiner Schilddrüsenhormonpräparate die pausalen Frauen zu einem beschleunigten Kno-
volumenreduzierende Wirkung schnell nachlässt, chenmasseverlust führen.
während dies bei kombinierten Iod-/L-Thyroxinprä- • Komplikationen der Operation sind die Rekur-
paraten bzw. einer Monotherapie nicht so ist. Je aus- rensparese (ca. 1 %) und der persistierende Hypo-
geprägter knotige oder regressive Veränderungen parathyreoidismus (0,5 %).
vorhanden sind, umso geringer fällt die mögliche • Selten kann es nach einer Radioiodtherapie zu
Volumenreduktion einer konservativen Therapie einer passageren Thyreoiditis kommen.
aus. Isolierte zystische Veränderungen können gele-
gentlich durch ein Abpunktieren von Zysteninhalt
Prophylaktische Therapie
oder ggf. anschließender Sklerosierung (Äthanol
Solange in Deutschland obligate legislative Maßnah-
96%, Tetrazyklin, Fibrin) geheilt werden.
men zur Verbesserung der Iodversorgung nicht in
Kraft treten, ist der Gesundheitsaufklärung und
Chirurgische Therapie der Unterstützung der individuellen Prophylaxe
Die Indikation zur Operation gibt folgende Über- ein besonderes Augenmerk zu schenken. Die Ver-
sicht wieder. wendung iodierten Speisesalzes im Haushalt mildert
4.14 Schilddrüsenmalignom 143
Operation
~ /
+
nach 6 Wo. Hormonkontrolle
+
3 Monate nach Operation
Sonographie, Hormonkontrolle
/ ~
+
(latente) Hypothyreose
+
Euthyreose (latente) Hyperthyreose
+
L-Thyroxin zugeben bzw.
+
Therapie fortsetzen
+
L- Thyroxin reduzieren
erhöhen
Rezidivprophylaxe
Da Rezidive bei Patienten ohne Prophylaxe nach
Strumaresektion wesentlich häufiger sind als mit
prophylaktischer Medikation, sollten alle Patienten
hierüber aufgeklärt werden.
4.14.2 • T Primärtumor
Epidemiologie • Tx Primärtumor kann nicht beurteilt werden
• To Kein Anhalt für Primärtumor
Die Schilddrüsenmalignome sind selten und ma- e T 1 Tumor 1 cm oder weniger in größter Ausdeh-
chen mit 0,5-l o/o nur einen kleinen Anteil an allen nung begrenzt auf die Schilddrüse
Krebserkrankungen aus. Es ist von einer jährlichen • T2 Tumor mehr als 1 cm, aber nicht mehr als
Inzidenz von 2-3/100.000 Einwohner auszugehen. 4 cm in größter Ausdehnung, begrenzt auf
Frauen sind ca. 2-mal so häufig betroffen wie die Schilddrüse
Männer. Okkulte papilläre Karzinome wurden in • T3 Tumor mehr als 4 cm in größter Ausdeh-
Autopsiestudien in Finnland in bis zu 1/3 der Fälle nung, begrenzt auf die Schilddrüse
gefunden. In Deutschland liegt der Anteil der okkul- • T4 Tumor jeder Größe mit Ausbreitung jenseits
ten papillären Karzinome bei ca. 7 o/o. Die klinisch der Schilddrüse
manifesten Schilddrüsenkarzinome setzen sich zu- • Alle T -Stadien können unterteilt werden in:
sammen aus a) solitärer Tumor
• papillären Tumoren (ca. 50-80 o/o) b) multifokaler Tumor (der größte Tumor
• follikulären Karzinomen (ca. 40 o/o) bestimmt die Klassifikation)
• medullären Karzinomen (ca. 8-10 o/o) • N Regionäre Lymphknoten
• anaplastischen Karzinomen (sehr selten mit • Nx Regionäre Lymphknoten können nicht
ca. 4 o/o). Sie treten fast ausschließlich im mittle- beurteilt werden
rem und höherem Lebensalter (> 50 Jahre) auf. • No Kein Anhalt für regionäre Lymphknoten-
metastasen
Die 2 folgenden Übersichten geben die Einteilung • N 1 Regionäre Lymphknotenmetastasen nach-
und Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome wie- weisbar
der. Das papilläre Karzinom wird histologisch noch N Ia Metastasen in ipsilateralen Halslymphknoten
weiter unterschieden, wobei die großzellige Variante N Ib Metastasen in bilateralen, in der Mittellinie
mit einer schlechteren Prognose verbunden ist. Die gelegenen oder kontralateralen Halslymph-
oxyphile Variante des follikulären Karzinoms knoten oder in mediastinalen Lymphknoten
(H ürthlezell-Tumor) verläuft wegen der schlechte- • M Fernmetastasen
ren Radioiodspeicherung ebenfalls ungünstiger. • Mo Kein Anhalt für Fernmetastasen
• M 1 Fernmetastasen nachweisbar
4.14 Schilddrüsenmalignom 145
4.14.3 4.14.4
Pathogenese Klinik
• Jüngere Patienten
• Männliches Geschlecht
• Solitärknoten
e Szintigraphisch kalter Knoten
• Sonographisch echoarmer Knoten
• Schnelles Knotenwachstum
• Positive Familienanamnese (medulläres Karzinom)
wahrscheinlich erscheinen.
I
Befunde, die ein Schilddrüsenmalignom t
I
'I •
,.
•
•
Höheres Lebensalter
Multinodöser Organumbau
,.
I.
I
I
...
v
•
•
Szintigraphisch speichernde Knoten
Sonographisch echogleiche bis echoreiche
~
I .••.
,,
Knoten
nomen 99 mTc-MIBI(2-Methoxyisobutyl-
isonitril
Abb. 4-40. Sonographisch echoarme Knoten bei Schilddrü- 18-FDG-(Fluordesoxyglukose-)
senkarzinom (Längsschnitt durch den rechten Schilddrüsen- Positronenemissionstomographie
lappen)
4.14 Schilddrüsenmalignom 147
Nachsorge
Thyreoglobulin wird nur in Schilddrüsenzellen
produziert und ist daher bei thyreoidektomierten Pa-
tienten ein idealer Tumormarker bei differenzierten
Schilddrüsenkarzinomen. Ein Anstieg deutet auf ein
Rezidiv oder eine Progredienz des Tumors hin. Die
Ganzkörperszintigraphie kann 131Iod speichernde
Metastasen aufdecken. Ein Nachsorgeschema des
papillären (Abb. 4-43), des differenzierten (Abb.
4-44) und des medullären Schilddrüsenkarzinoms
(Abb. 4-45) ist in den Abbildungen dargestellt.
Abb. 4-42. Darstellung von Fernmetastasen im 13 1Iodscan.
(Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. H. W. Mül- • Thyreosuppressive Therapie. Um ein Tumorzell-
ler-Gärtner, Düsseldorf) wachstum durch eine TSH-Stimulation zu verhin-
148 KAPITEL 4 Schilddrüse
Tumorfreiheit
Sicherung durch 131 1 Ganzkörperszintigraphie
ggfs. Computertomographie
Kernspintomographie
nach 10 Jahren größere Abstände Skelettszintigraphie
~
Genetisches Screening - positiv Familienscreening
Zeit in Wochen 0 I 2 3 4 5 6 7 8
trahlentherapie 30 Gy 16 Gy
Adriamyzin 20 mg i. v. X X X X X
Operation X
• Papilläres
diiodotyrosine to thyroxine. Endocrinology I 00 : I 129
Mikrokarzinom 99% Laurberg P (1 984) Mechanisms governing the relative propor-
• Follikuläres Karzinom
Papilläres Karzinom, alle Stadien 80- 90% tians of thyroxine a nd 3,5,3'. triiodothyronine in thyroid
Uchimura H, Chiu SC, Kuzuya N, Ikeda H, Ito K, Nagataki S Hay ID (1985) Thyroiditis: a clinical update. Mayo Clin Proc
(1980) Effect of iodine enrichment in vitro on the adeny- 60: 836-843
late cyclase-adenosine 3', 5' monophophate system in thy- Hehrmann-R (1996) Myxödem-Koma - eine seltene Kompli-
roid glands from normal subjects and patients with Gra- kation der Hypothyreose. Mögliche iatrogene Auslösefak-
ves' disease. J Clin Endocrinol Metab 50: 1066 toren beachten. Fortsehr Med 114: 474-478
Heller J, Musiolik J, Homrighausen A, Sauerbruch T, Spengler
U (1996) Vorkommen und Bedeutung von Autoantikör-
Literatur zu Abschn. 4.2-4.7 pern im Rahmen der Interferontherapie der chronischen
Hepatitis C. Dtsch Med Wschr 121: 1179-1183
Ahlbom BD, Yaqoob M, Larsson A, Ilicki A, Anneren G, Wa- Heufelder AE, Hay ID (1994) Evidence for autoimmune me-
delius C ( 1997) Genetic and linkage analysis of familial chanisms in the evolution of invasive fibrous thyroiditis
congenital hypothyroidism: exclusion of linkage to the (Riedel's struma). Clin Invest 72: 788-793
TSH receptor gene. Hum Genet 99: 186-190 Heufelder, Armin E, Hofbauer, Lorenz C (1998) Die Thyreoi-
Amino N, Mari H, Iwatani Y et al. (1982) High prevalence of ditiden: Aktu~per Stand der Pathogenese, Diagnostik und
transient postparturn thyrotoxicosis and hypothyroidism. Therapie. Dt Arztebl 95:A466-A476
N Eng! J Med, 306 : 849-852 Jansson R, Bernander S, Karlsson A et al. (1984) Autoimmune
Badenhoop K, Schwarz G, Walfish PG et al. (1990) Susceptibi- thyroid dysfunction in the postparturn period. J Clin En-
lity to thyroid autoimmune disease: molecular analysis of docrinol Metab 58:681-687
HLA-D region genes identifies new markers for goitrous Jordan RM (1995) Pathophysiology, therapy, and factors affec-
Hashimoto's thyroiditis. J Clin Endocrinol Metab ting prognosis. Med Clin North Am 79: 185-194
71: 1131-1137 Kasagi K, Kousaka T, Higuchi K et al. (1996) Clinical signifi-
Baker JR (1992) Immunologie aspects of endocrine disease. cance od measurements of antithyroid antihoclies in the
JAMA 25 : 2899-2903 diagnosis ofHashimoto's thyroiditis: comparison with hi-
Bartalena L, Brogioni S, Grasso L, Bogazzi F, Burelli A, Martino stological findings. Thyroid 6 : 445-450
E (1996) Treatment of amiodarone-induced thyrotoxico- Klein I, Levey GS (1982) Silent thyrotoxic thyroiditis. Ann In-
sis, a difficult challenge: Results of a prospective study. J tern Med 96 : 242-244
Clin Endocrinol Metab 81 : 2930-2933 Kujat C, Dyck R, BrederhoffJ, Pfannenstiel P (1991) Diagnose
Basgoz N, Swartz MN (1996) Irrfeetions of the thyroid gland. und Therapie der subakuten Thyreoiditis de Quervain.
In: Braverman LE, Utiger RD (Hrsg) Werner and Ingbar's Dtsch Med Wschr 116: 1439-1443
the thyroid. 7th edn, Lippincott & Raven, Philadelphia, pp Kuten A, Lubochitski R, Fishman G, Dale J, Stein ME (1996)
1049-1056 Postradiotherapy hypothyroidism: radiation dose re-
Berger SA, Zonzein J, Villamena P, Mittman N (1983) Infec- sponse and chemotherapeutic radiosensitization at less
tious diseases of the thyroid gland. Rev Infect Dis than 40 Gy. J Surg Oncol61: 281-283
5: 108-122 Labib M, Gama R, Wright J, Marks V, Rohins D (1989) Dietary
Eiehermann H, Schoneberg T, Krude H, Schultz G, Guder- maladvice as a cause ofhypothyroidism and short stature.
mann T, Grüters A (1997) Mutations of the human thy- BMJ 298: 232-233
rotropin receptor gene causing thyroid hypoplasia and Lazarus JH, Othman S (1991) Thyroid disease in relation to
persistent congenital hypothyroidism. J Clin Endocrinol pregnancy. Clin Endocrinol 34: 91-98
Metab 82: 3471-3480 Lecuit M, Caumes E, Bricaire F, Gatineau M, Menegaux F, Gen-
Brander A (1992) Ultrasound appearances in de Quervain's tilini M (1995) Acute suppurative Salmonella enteritidis
subacute thyroiditis with Iangterm follow-up. J Intern thyroiditis in a patient with the human immunodeficiency
Med 232: 321-325 virus. Clin Infect Dis 20: 196
Dayan CM, Daniels GH (1996) Chronic autoimmune thyroidi- Lio S, Pontocorvi A, Caruso M et al. (1984) Transitory subcli-
tis. N Eng! J Med 335 : 99-107 nical and permanent hypothyroidism in the course of sub-
De Bruin TWA, RieckhoffFPM, DeBoer JJ (1990) An outbreak acute thyroiditis (de Quervain). Acta Endocrinol
of thyrotoxicosis due to atypical subacute thyroiditis. J 106: 67-70
Clin Endocrinol Metab 70 : 396-402 Marazuela M, Garcia-Buey L, Gonzalez-Fernandez B et
De Catte L, De Wolf D, Smitz J, Bougatef A, De-Schepper J, al.(1996) Thyroid autoimmune disorders in patients
Foulon W (1994) Fetal hypothyroidism as a complication with chronic hepatitis C before and during interferon-
of amiodarone treatment for persistent fetal supraventri- a-therapy. Clin Endocrinol 44: 635-642
cular tachycardia. Prenat Diagn 14: 762-765 Nikolai TF, Coombs GJ, McKenzie AK et al. (1982) Treatment
DeGroot LJ, Quintans J (1990) The causes of autoimmune thy- of lymphocytic thyroiditis with spontaneously resolving
roid disease. Endocr Rev 10: 537-562 hyperthyroidism (silent thyroiditis). Arch Int Med
Delange F(l997) Neonatal screening for congenital hypothyro- 142:2281-2283
idism: results and perspectives. Horm Res 48:51-61 Othman S, Phillips Dl, Parkes AB et al. (1990) A Iang-term follow-
Gärtner R (1992) Post-partum-Thyreoiditis-Definition. Häu- up of postparturn thyroiditis. Clin Endocrin 32 : 559-564
figkeit und klinische Bedeutung. Internist 33: 100-102 Peter SA (1992) Painful subacute thyroiditis (De Quervain's
Giordano C, Stassi G, Demaria R et al.(1997) Potential invol- thyroiditis). J Nat Med Assoc 84: 877-879
vement of fas and its Iigand in the pathogenesis of Has- Ramchandani D, Schindler BA (1993) The Iithium toxic patient
himoto's thyroiditis. Science 275 : 960-963 in the medical hospital: diagnostic and management di-
Gladwin MT, Duell PB (1996) Inappropriate thyroid gland ab- lemmas. Int J Psychiatry Med 23 : 55-62
lation in patients with generalized resistance to thyroid Rapapart B (1991) Pathophysiology ofHashimoto's thyroiditis
hormone. A common sequela of a rare disorder. Arch In- and hypothyroidism. Ann Rev Med 42: 91-96
tern Med 156: 106-109 Robillon JF, Sadoul JL, Guerin P et al.(1994) Mycobacterium
Glinoer D, Riahi M, Grün JP (1994) Risk of subclinical hypo- avium intracellulare suppurative thyroiditis in a patient
thyroidism in pregnant warnen with asymptomatic auto- with Hashimoto's thyroiditis. J Endocrinol Invest
immune thyroid disorders. J Clin Endocrinol Metab 17: 133-134
79: 197-204 Roti E, Minelli R, Giuberti T et al. (1996) Multiple changes in
Gutekunst R, Hafermann W, Mansky T, Scriba PC (1989) thyroid function in patients with chronic active HCV he-
Ultrasonography related to clinical and Iabaratory fin- patitis treated with recombinant inferferon-alpha. Am J
dings in lymphocytic thyroiditis. Acta Endocrinol Med 172 : 482-487
121 : 129-135 Safran M, Paul TL, Roti E (1987) Environmental factors affec-
Harjai KJ, Licata AA (1997) Effects of amiodarone on thyroid ting autoimmune thyroid disease. Endocrinol Metab Clin
function. Ann Intern Med 126 : 63-73 North Am 16: 327-342
Literatur 151
Scherbaum WA, Paschke R (1995) Bedeutung der Schilddrü- Feldkamp J, Seppel T, Horster FA (1995) Hyperthyroxinämie
senantikörper für Diagnostik und Verlaufsbeurteilung bei nichtsupprimiertem TSH. Differentialdiagnose und
von Schilddrüsenerkrankungen. Internist 36: 303-309 Therapie. Dtsch Med Wschr 120: 1323-1326
Scherbaum-WA (1987) On the clinical importance ofthyroid Franklyn JA (1993) Thyroid hormone resistance syndromes-
microsomal and thyroglobulin antibody determination. are generalized and selective pituitary resistance part of
Acta Endocrinol Suppl Copenh 281 : 325-329 the same disorder? Clin Endocrinol 38 : 235-236
Schwartzentruber DJ, White DE, Zweig MH, Weintraub BD, McDermott MT, Ridgway EC (1993) Thyroid hormone resi-
Rosenberg SA (1991) Thyroid dysfunction associated stance syndromes. Am J Med 94 : 424-432
with immunotherapy for patients with cancer. Cancer Mixson AJ, Hauser P, Tennyson G, Renault JC, Bodenner DL,
68: 2384-2390 Weintraub BD (1993) Differential expression of mutant
Shiegmasa C, Ueta Y, Mitani Y et al. (1985) Chronic thyroiditis and normal beta T3 receptor alleles in kindreds with ge-
with painful tender thyroid enlargement and transient neralized resistance to thyroid hormone. 91 : 2296-2300
thyrotoxicosis. J Clin Endocrinol Metab 70: 385-390 Nagaya T, Eberhardt NL, Jameson JL {1993) Thyroid hormone
Shigemasa C, Kouchi T, Taniguchi S, Mitani Y, Ueta Y, Yoshida resistance syndrome: correlation of dominant negative
A (1991) Autoimmune thyroiditis with transient thyroxi- activity and location of mutations. JClin Endocrinol Me-
cosis: comparison between painful thyroiditis and painful tab 77 : 982-990
thyroiditis. Horm Res 36: 9-15 Ueda S, Takamatsu J, Fukata Set al. (1996) Differences in re-
Singer PA (1991) Thyroiditis: acute, subacute, and chronic. sponse of thyrotropin to 3,5,3'-triiodothyronine and
Med Clin North Am 75: 61-77 3,5,3' -triiodothyroacetic acid in patients with resistance
Skuza K, Rapaport R, Fieldman R, Goldstein S (1991) Recur- to thyroid hormone. Thyroid 6 : 563-570
rent acute suppurative thyroiditis. J Otolaryngol Usala, SJ, Bale AE, Gesundheit N, Weinherger C et al. (1988)
20: 126-129 Tight linkage between the syndrom of generalized thyroid
Szabo SM, Allen DB (1989) Thyroiditis. Differentiation of hormone resistance and the human c-erb A ß gene. Mol
acute suppurative and subacute. Case report and review Endocrinol 2: 1217
ofthe literature. Clin Pediatr 28:171-174 Weiß RE, Refetoff S (1992) Thyroid hormone resistance. Ann
Tachi J, Amino N, Tamaki H et al. (1988) Long-term follow-up Rev Med 43: 363-375
and HLA association in patients with post parturn hypo- Yen PM, Sugawara A, RefetoffS, Chin WW (1992) Newinsights
thyroidism. J Clin Endocrinol Metab 66 : 480-484 on the mechanism(s) of the dominant negative effect of
Takami H, Kozakai M (1994) Tuberculous thyroiditis: Report mutant thyroid hormone receptor in generalized resistan-
of a case with review of the literature. Endocr J ce to thyroid hormone. 90: 1825-1831
41 : 743-747
Takasu N, Komiya I, Asawa T, Nagasawa Y, Yamada T (1990)
Test for recovery from hypothyroidism during thyroxine Literatur zu Abschn. 4.9
therapy in Hashimoto's thyroiditis. Lancet
336: 1084-1086 Beck-Peccoz P, Persani L, Mantovani S, Cortelazzi D, Asteria C
Tomer Y, Barbesino G, Greenberg D, Davies TF (1997) The im- (1996) Thyrotropin-secreting pituitary adenomas. Meta-
munogenetics of autoimmune diabetes and autoimmune bolism 45: 75-79
thyroid disease TEM 8: 63-70 Boni G, Ferdeghini M, Bellina CR et al. (1995) [111In-DTPA-D-
Tomer Y, Davies TF (1993) Infection, thyroid disease, and au- Phe]-octreotide scintigraphy in functioning and non-
toimmunity. Endocr Rev 14: 107-120 functioning pituitary adenomas. Q J Nucl Med 39 (Suppl
Tunbridge WM (1979) The epidemiology ofhypothyroidism. 1):90-93
Clin Endocrinol Metab 8:21-27 Chanson P, Orgiazzi J, Derome PJ et al. (1984) Paradoxical re-
Tunbridge WM, Brewis M, French JM et al. (1981) Natural hi- sponse of thyrotropin to L-dopa and presence of dopami-
story of autoimmune thyroiditis. Br Med J Clin Res Ed nergic receptors in a thyrotropin-secreting pituitary ade-
24: 258-262, 282 noma. J Clin Endocrinol Metab 59 : 542-546
Vanhole C, Aerssens P, Naulaers G, Casneuf A, Devlieger H, Feldkamp J, Seppel T, Horster FA (1995) Hyperthyroxinämie
Van den Berghe G, de Zegher F (1997) L-thyroxine treat- bei nichtsupprimiertem TSH. Differentialdiagnose und
ment of preterm newborns: clinical and endocrine effects. Therapie. Dtsch Med Wschr 120: 1323-1326
Pediatr Res 42: 87-92 Lee EJ, Kim KR, Lim SK, Lee HC, Kim DI, Kim SH, Huh KB
Volpe R {1993) The management of subacute (De Quervain's) (1994) Reduction in size of a thyrotropin-secreting pitui-
thyroiditis. Thyroid 3: 253-255 tary adenoma treated with octreotide acetate (somatosta-
Wilichowski E, Grüters A, Kruse K et al. (1997) Hypoparathy- tin analog). Eur J Endocrinol 131: 109-112
roidism and deafness associated with pleioplasmic !arge Losa M, Giovanelli M, Persani L, Mortini P, Faglia G, Beck-Pec-
scale rearrangements of the mitochondrial DNA: a clinical coz P (1996) Criteria of eure and follow-up of central hy-
and molecular genetic study of four children with Kearns- perthyroidism due to thyrotropin-secreting pituitary ade-
Sayre syndrome. Pediatr-Res 41 : 193-200 nomas. J Clin Endocrinol Metab 81 : 3084-3090
Losa M, Magnani P, Mortini P et al. (1994) Mod-pathol. clinical
and immunohistochemical studies on TSH-secreting pi-
tuitary adenoma: its multihormonality and expression
Literatur zu Abschn. 4.8 of Pit -1. Dec 7 : 893-839
Malarkey WB, Kovacs K, O'Dorisio TM (1989) Response of a
Chatterjee VKK (1994) Resistance to thyroid hormone-an un- GH- and TSH-secreting pituitary adenoma to a somato-
common cause of thyroxine excess and inappropriate statin analogue (SMS 201-995): evidence that GH and
TSH secretion. Acta med austriaca 21 : 56-60 TSH coexist in the same cell and secretory granules. Neu-
De Nayer P (1992) The thyroid hormone receptors: molecular roendocrinology 49: 267-274
basis of thyroid hormone resistance. Horm Res 38: 57-61 Mixson AJ, Friedman TC, Katz DA et al. (1993) Thyrotropin-
Dorey FG, Strauch G, Gayno JP (1990) Thyrotoxicosis due to secreting pituitary carcinoma. J Clin Endocrinol Metab.
pituitary resistance to thyroid to thyroid hormones. Succ- 76: 529-533
sessful control with D-thyroxine. A study in three pa- Takano K, Ajima-M, Teramoto A, Hata K, Yamashita N (1995)
tients. Clin Endocrinol 32: 221 Mechanisms of action of somatostatin on human TSH-se-
Dulgeroff AJ, Geffner ME, Koyal SN, Wong M, Hershmann JM creting adenoma cells. Am J Physiol 268:E558-564
(1992) Bromocriptin and Triac therapy for hyperthyroid- Tschakert H, Hokamp HG (1989) Zur Frage der Bestrahlung
ism due to pituitary resistance to thyroid hormone. J Clin TSH-sezernierender Hypophysenadenome. Strahlenther
Endocrinol Metab 75: 1071 Onkol 165:47-51
152 KAPITEL 4 Schilddrüse
Literatur zu Abschn. 4. 70-4. 77 Prummel M, Mourits M, Berghout A, Krenning EP, van der
Gaag R, Koorneef L, Wiersinga WM (1989) Prednisone
AHanie H, Fauchet R, Orgiazzi Jet al. (1990) Antithyroid drugs and cyclosporine in the treatment of severe Graves' oph-
and Graves' disease. A prospective randomized evaluation talmopathy. N Eng! J Med 321: 1353-1358
of the efficacy of treatment duration. J Clin Endocrinol Prummel MF, Wiersinga WM ( 1993) Smoking and risk of Gra-
Metab 70 : 675-679 ves' disease. J Am Med Assoc 269 : 479-482
Bahn RS, Outton CM, Heufelder AE, Sarkar G (1994) A geno- Prummel MF, Wiersinga WM, Mourits MP, Koornneef L,
mic point mutation in the extracellular domain of the TSH Berghout A, van der Gaag R (1990) Influence of abnormal
receptor in patients with Graves' ophthalmopathy. J Clin thyroid function on the severity of accompanying Graves'
Endocrinol Metab 78 : 256-260 ophthalmopathy. Arch Int Med 150: 1098-1101
Barlow ABT, Wheatcroft N, Watson P, Weetman AP (1996) As- Reiners C (1993) Radi9iodtherapie. Indikation, Durchführung
sociation of HLA-DQA1 *0501 with Graves' disease in Eng- und Risiken. Dt Arztebl:B2217-B2221
lish Caucasian men and women. Clin Endocrinol44 : 73-78 Reinwein D, Benker G, Lazarus JH, Alexander WD, and the
Bartalena L, Marocci C, Bogazzi F, Panicucci M, Lepri A, Pin- European Multicenter Study Group on antithyroid drug
chera A (1989) Use of corticosteroids to prevent progres- treatment (1993) A prospective randomized trial of anti-
sion of Graves' ophthalmopathy after radioiodirre therapy thyroid drug dose in Graves' disease therapy. J Clin En-
for hyperthyroidism. N Eng! J Med 321: 1349-1352 docrinol Metab 76: 1516-1521
DeGroot LJ, Quintans J (1989) The causes of autoimmune thy- Reinwein D, Röher H-D, Emrich D (1993) Therapie der Hyper-
roid disease. Endocr Rev 10: 537-562 thyreose: Aktueller Stand. Dtsch Med Wochensehr
Edmonds CJ, Tellez M (1994) Treatment of Graves' disease by 118 : 1036-1043
carbimazole: high dose with thyroxine compared to titra- Romaldini JH, Bromberg N, Werner RS et al.(1983) Compari-
tion dose. Europ J Endocrinol 131: 120-124 son of effects ofhigh and low dosage regimens of antithy-
Parrar JJ, Toft AD (1991) Iodine-131 treatment ofhyperthyro- roid drugs in the management of Graves' hyperthyroid-
idism: current issues. Clin Endocrinol 35: 207-212 ism. J Clin Endocrinol Metab 57 : 563-570
Feldt-Rasmussen U, Schleusener H, Carayon P (1994) Meta- Schleusener H, Peters H, Fischer C, Bogner U, Pinke R, Kotulla
analysis evaluation of the impact of thyrotropin receptor P (1992) Ist eine Verlaufsprognose nach thyreostatischer
antihoclies on long term remission of medical therapy for Behandlung bei Basedow-Hyperthyreose möglich? Akt
Graves' disease. J Clin Endocrinol Metab 78: 98-103 Endokr Stoffw 13: 47-52
Hashizume K, Ichikawa K, Sakurai A et al.(1991) Administra- Tallstedt L, Lundell G, Blomgren H, Bring J (1994) Does early
tion of thyroxine in treated Graves' disease. Effects on the tratment of thyroxine reduce the development of Graves'
Ievel of antihoclies to thyroid-stimulating receptors and ophtalmopathy after radioiodirre treatment? Eur J Endo-
on the risk of recurrence of hyperthyroidism. N Eng! J crinol 130 : 494-497
Med 324: 947-53 Tallstedt L, Lundell G, Torring 0 et al.(l992) Occurrence of
Hedley AJ, Young RE, Jones SJ, Alexander WD, Bewsher PD ophthalmopathy after treatment for Graves' disease hy-
(1989): Antithyroid drugs in the treatment ofhyperthyro- perthyroidism. N Eng! J Med 326: 1733-1738
idism of Graves' disease. Long-term follow-up of 434 pa- Tomer Y, Davies TF (1993) Infection, thyroid disease, and au-
tients. Clin Endocrinol 31 : 209-218 toimmunity. Endocr Rev 14: 107-120
Heuer M, Aust G, Ode-HakimS, Scherbaum WA (1996) Diffe- Weetman AP, McGregor AM (1994) Autoimmune thyroid dis-
rent cytokine mRNA proflies in Graves' disease, Hashimo- ease: further developments in our understanding. Endocr
to's thyroiditis, and nonautoimmune thyroid disorders Rev 15: 778-830
determined by quantitative reverse transcriptase polyme- Winsa B, Adami HO, Berstrom R (1991) Stressfullife events
rase chain reaction (RT-PCR). Thyroid 6:97-106 and Graves' disease. Lancet 338: 1475-1479
Hoermann R, Schumm-Draeger PM, Mann K (1993): Inhibi- Yanagawa T, Mangklabruks A, DeGroot LJ (1994) Strong associa-
tion of functional and immunological responses to thyro- tion between HLA-DQA1 *0501 and Graves' disease in a male
id-stimulating antihoclies from patients with Graves' dis- Caucasian population. J Clin Endocrinol Metab 79: 227-229
ease by blockade of the thyrotropin receptor. Thyroid
3: 273-278
Hofbauer C, Hörmann R, Heufelder E (1996) M. Basedow: Literatur zu Abschn. 4.12
Neuester, Stand zur Pathogenese, Diagnostik und Thera-
pie. Dt Arztebl 93:A2690-2696 Als C, Listewnik M, Ritter HP, Rosler H (1997) Szintigraphi-
Kahaly G, Stover C, Otto E, Beyer J, Schuler M (1992) Glyco- sches Verfahren zur Quantifizierung der morphologi-
saminoglycans in thyroid-associated ophtalmopathy. Au- schen und funktionellen Veränderungen der thyreoidalen
toimmunity 13:81-88 Autonomie vor und nach Radioiodtherapie. Schweiz Med
Kosugi S, Ban T, Akamizu T, Kohn LD (1992) Identification of Wochensehr 127: 102-106
separate determinants on the thyrotropin receptor reac- Azizi F (1985) Environmental iodine intake affects the re-
tive with Graves' thyroid-stimulating antihoclies and sponse to methimazole in patients with diffuse toxic goi-
with thyroid-stimulating blocking antihoclies in idiopa- ter. J Clin Endocrinol Metab 61 : 374-377
thic myxedema: these determinants have no homologous Becker W, Börner W, GruberG (1986) Szintigraphie und Sono-
sequence on gonadotropirr receptors. Mol Endocrinol graphie bei der Diagnostik der Schilddrüsenautonomie.
6: 168-180 Deutsch Med Wochensehr 111: 1630-1635
Luo GL, Fan JF, Seetharamaiah GS (1993) Immunization of Derwahl M, Hamacher C, Russo D et al. (1996) Constitutive
mice with Yersinia enterocolitica Ieads to the induction activation of the Gs alpha protein-adenylate cyclase path-
of antithyrotropin receptor antibodies. J Immunol way may not be sufficient to generate toxic thyroid ade-
151 : 922-928 nomas. J Clin Endocrinol Metab 81: 1898-1904
Mclver B, Rae P, Beckett G, Wilkinson E, Gold A, Toft A (1996) Emrich D, Erlenmaier U, Pohl Met al. (1993) Determination of
Lack of effect of thyroxinein patients with Graves' hyper- the autonomously functioning volume of the thyroid. Eur
thyroidism who are treated with an antithyroid drug. N J Nucl Med 20: 410-414
Eng! J Med 334 : 220-224 Führer D, Holzapfel HP, Wonerow P, Scherbaum WA, Paschke
Morgenthaler NG, Tremble J, Huang G, Scherbaum WA, R (1997) Somatic mutations in the thyrotropin receptor
McGregor AM, Banga JP (1996) Binding of antithyrotro- gene and not in the Gs alpha protein genein 31 toxic thy-
pin receptor autoantibodies in Graves' disease serum to roid nodules. J Clin Endocrinol Metab 82: 3885-3891
nascent, in vitro translated thyrotropin receptor: ability Hamburger JI (1980) Evolution of toxicity in solitary nontoxic
to map epitopes recognized by antibodies. J Clin Endo- autonomously functioning thyroid nodules. J Clin Endo-
crinol Metab 81 : 700-706 crinol 50: 1089-1093
Literatur 153
Holzapfel HP, Führer D, Wonerow P, Weinland G. Scherbaum Geerdsen JP, Frolund L (1984) Recurrence of nontoxic goitre
WA, Paschke R (1997} Identification of constitutively ac- with and without postoperative thyroxine medication.
tivating somatic thyrotropin receptor mutations in a sub- Clin Endocrinol 21 : 529
set of toxic multinodular goiters. J Clin Endocrinol Metab Glinoer D, De-Nayer P, Delange Fetal. (1995) A randomized
82 : 4229-4233 trial for the treatment of mild iodine deficiency during
Kabadi U, Cech R (1994} Therapeutic 131! dosein hyperthy- pregnancy: matemal and neonatal effects. J Clin Endo-
roidism: role of pretreatment with thionamide. Thyroid- crinol Metab 80 : 258
ology 6: 87-92 Goretzki P, Frilling A, Sirnon D, Rastegar M, Ohmann C (1989}
Klein B, KleinE, Horster FA (1989} Ergebnisse der fraktionier- Growth regulation of human thyrocytes by thyrotropin,
ten Radioiodtherapie bei 696 Hyperthyreosen und 690 cyclic adenosine monophosphate, epidermal growth fac-
blanden Strumen. Nuklearmedizin 28 : 129-36 tor and insuline-like growth factor. In Growth regulation
Kopp P, Kimura ET, Aeschimann S, Gestreicher M, Tobler A, of thyroid gland and thyroid tumors. Karger, Basel, pp
Fey MF, Studer H (1994} Polyclonaland monoclonal thy- 56-80
roid nodules coexist within human multinodular goiters. J Grubeck-Loebenstein B, Buchan G, Sadeghi R et al. (1989}
Clin Endocrinol Metab 79 : 134-139 Transforming growth factor beta regulates thyroid
Luster M, Jacob M, Thelen MH, Michalowski U, Deutsch U, growth. Role in the pathogenesis of nontoxic goiter. J
Reiners C (1995) Reduktion des Schilddrüsenvolumens Clin Invest 83 : 764
nach Radioiodtherapie wegen funktioneller Autonomie. Gutekunst R, Magiera U, Teichert H-M (1993} Iodmangel in
Nuklearmedizin 34: 57-60 der Bundesrepublik Deutschland. Med Klinik 88 : 525
Melliere D, Etienne G,Becquemin JP (1988} Operation for hy- Gutekunst R, Smolarek H, Hasenpusch U, Stubbe P, Friedrich
perthyroidism. Methods and rationale. Am J Surg 1988 H-J, Wood WG, Scriba PC (1986} Goitre epidemiology:
155 : 395-399 Thyroid volume, iodine excretion, thyroglobulin and thy-
Paschke R (1996} Constitutively activating TSH receptor muta- rotropin in Germany and Sweden. Acta Endocrinol
tions as the cause of toxic thyroid adenoma, multinodular 112:494
toxic goiter and autosomal dominant non autoimmune Hampel R, Kühlberg T, Klein K et al. (1995} Strumaprävalenz
hyperthyroidism. Exp Clin Endocrinol Diabetes 104, in Deutschland größer als bisher angenommen. Med Kli-
Suppl4: 129-132 nik 90: 324
Peter HJ, Gerber H, Studer H, Peterson ME, Becker DV, Gros- Hehrmann R (1990} Medikamentöse Therapie der Iodmangel-
curth P (1991) Autonomous growth and function of cul- struma bei Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen
tured thyroid follicles from cats with spontaneous hyper- und Schwangeren. Sozialpädiatrie 12 : 92
thyroidism. Thyroid 1: 331-338 Hintze G, Emrich D, Köbberling J (1985) Therapy of endemic
Röher HD, Goretzki PE (1987) Management of goiter and thy- goitre. Controlled study on the effect of iodine and thy-
roid nodules in an area of endemic goiter. Surg-Clin- roxine. Horm metabol Res 17 : 362
North-Am 67: 233-249 Hintze G, Windeiner S, Baumgart S, Stein H, Köbberling J
Sawin CT, Geiler A, Wolf PA et al. (1994} Lowthyrotropin con- (1991) Thyroid volume and goitre prevalence in the elder-
centrations as a risk factor for atrial fibrillation in older ly. Acta Endocrinol 124 : 12
persons. N Eng! J Med 331: 1249-1252 Hotze A, Bockisch A, Briete B, Horst M, Ruhtmann J, Biersack
Studer H, Derwahl M (1995) Mechanisms of nonneoplastic en- HJ (1989) Therapie der Iodmangelstruma mit Levothyro-
docrine hyperplasia- achanging concept: a review focused xin und einer Kombination aus Iodid und Levothyroxin.
on the thyroid gland. Endocr. Rev 16:411-426 Nuc Comp 20: 166
Utiger RD (1994} Subclinical hyperthyroidism-just a low thy- Kahaly G, Mihaljevic V, Beyer J, Krause U (1989} Thyroxin vs
rotropin concentration, or something more. N Eng! J Med Iod und Thyroxin. Schweiz Med Wochensehr 119: 59
331: 1302-1303 Köbberling J, Hintze G (1988} Therapie der endemischen Stru-
ma. Internist 29 : 550
Kontras DA, Karaiskos KS, Piperingos GD et al. (1986} Treat-
Literatur zu Abschn. 4.13 ment of endemic goitre with iodine and thyroid hormo-
nes, alone or in combination. Endocrinologia Experimen-
Boyages SC (1993} Iodine deficiency disorders. J Clin Endo- talis 20: 57
crinol Metab 77: 587-591 Laurberg P (1994} Editorial: Iodine intake-what are we aiming
Brunn J, Block U, RufG (1981} Volumetrie des Schilddrüsen- at? J Clin Endocrinol Metab 79 : 17
lappens mittels realtime-Sonographie. Dtsch Med Wo- Leisner B, Henrich B, Knorr D, Kantlehner R (1985) Effect of
chenschr 41: 1338-1340 iodide treatment on iodine concentration and volume of
Delange F (1994} The disorders induced by iodine deficiency. endemic non-toxic goitre in childhood. Acta Endocrinol
Thyroid 4 : 107 108: 44
Einenkel D, Bauch KH, Benker G (1992} Treatment of juvenile Liesenkötter KP, Göpel W, Bogner U, Stach B, Grüters A (1996}
goitre with levothyxroxine, iodide or a combination of Earliest prevention of endemic goiter by iodine supple-
both: the value of uhrasound grey-scale analysis. Acta En- mentation. Europ J Endocrinol 134 : 443
docrinol 127: 301 Mandel SJ, Brent GA, Larsen PR (1993} Levothyroxine therapy
Errick JE, Ing KWA, Eggo MC, Burrow GN (1986) Growth and in patients with thyroid disease. Ann Intern Med
differentiation in cultured human thyroid cells: effects of 119:492-502
epidermal growth factor and thyrotropin. In vitro Cell Manz F, Fuchs A, Terwolbeck K, Wiese B, Lombeck I (1993}
Dev Bio! 22 : 28 Iodversorgungszustand gesunder Säuglinge in Deutsch-
Feldkamp J, Seppel T, Becker A, Klisch A, Schlaghecke R, land. Klin Pädiatr 205 : 424
Goretzki PE, Röher HD (1997} Iodide or L-Thyroxine Olbricht Th, Hoff H-G, Benker G, Wagner R, Reinwein D
to prevent recurrent goiter in an iodine-deficient area: (1985} Sonographische Volumetrie der Schilddrüse zur
prospective sonographic study. World J Surg 21: 10-14 Verlaufskontrolle bei einer Thyroxin- und Iodidbehand-
Feldkamp J, Seppel T, Mühlmeyer M, Becker A, Santen R, lung der blanden Struma. Dtsch Med Wochensehr
Schlaghecke R, Horster FA (1996} Therapie der endemi- 110: 863
schen Struma mit Iodid oder L-Thyroxin bei älteren Pa- Pfannenstiel P (1988} Therapie der endemischen Struma mit
tienten. Dtsch Med Wochensehr 121: 1587-1591 Levothyroxin und Iodid. Dtsch Med Wochensehr
Gärtner R (1987} Strumatherapie mit Schilddrüsenhormon 113: 326 '
oder Iodid. Dtsch med Wochensehr 112:987 Pickardt CR, Köbberling J (1989) Therapie der endemischen
Struma. Endokrinologie-Informationen 13: 150
154 KAPITEL 4 Schilddrüse
Saller B, Hoermann R, Ritter R (1991) Course of thyroid iodine Goretzki PE, Frilling A, Ohmann C, Wins L, Grußendorf M,
concentration during treatment of endemic goitre with io- Röher HD (1989) Unterschiedliche Strategien in Diagno-
dine and a combination of iodirre and levothyroxine. Acta stik und Therapie des Schilddrüsenkarzinoms. Chirurg
Endocrinol 125 : 662 60:398-402
Sawin CT, Geiler A, Wolf PA et al. (1994) Low serum thyreo- Hay ID, Bergstralh EJ, Goellner JR, Ebersold JR, Grant CS
tropirr concentrations as a risk factor for atrial fibrillation (1993) Predicting outcome in papillary thyroid carcino-
in older persons. New Engl J Med 331 : 1249 ma: development of a reliable prognostic scoring system
Schumm-Dräger PM (1993) Medikamentöse Strumatherapie. in a cohort of 1779 patients surgically treated at one in-
Iodid, Schilddrüsenhormone oder kombinierte Therapie. stitution during 1940 through 1989. Surgery
Innere Medizin 48 : 592 114: 1050-1058
Scriba PC, Beckers C, Bürgi A et al. (1985) Goitre and iodirre Kerr DJ, Burt AD, Boyle P (1986) Prognostic factors in thyroid
deficiency in Europe. Report of the Subcommitee for the tumors. Br J Cancer 54 : 475-482
Study of endemic Goitre and Iodirre Deficiency of the Eu- Lips CJM, Landsvater RM, Höppener WM et al. (1994) Clinical
ropean Thyroid Association. Lancet 1 : 1289 screening as compared with DNA analysis in families with
Stübner D, Gärtner R, Greil W et al. (1987) Hypertrophy and multiple endocrirre neoplasia Type 2a. N Engl J Med
hyperplasia during growth and involution in rats-separa- 331 : 828-835
te bioeffects ofTSH and iodine. Acta Endocrinol116: 537 Mazzaferri EL, Sissy M, Jhiang SM (1994) Long-term impact of
Studer H, Peter HJ, Gerber H (1989) Natural heterogeneity of initial surgical and medical therapy on papillary and fol-
thyroid cells: the basis for understanding thyroid function licular thyroid cancer. Am J Med 97: 418-429
and nodular goiter growth. Endocr Rev 10 : 125 Müller-Gaertner HW, Brzac HT, Rehpenning W (1991) Pro-
Uzzan B, Campos J, Cucherat M, Nony P, Boissei JP, Perret GY gnostic indices for tumor relapse and tumor mortality
(1996) Effects on bone mass of long term treatment with in follicular thyroid carcinoma. Cancer 67: 1903-1922
thyroid hormones: a meta-analysis. J Clin Endocrinol Me- Mulligan LM, Kwok JBJ, Healey CS et al. (1993) Germ-line mu-
tab 81 : 4278-4289 tations of the RET proto-oncogene in multiple endocrirre
Wawschinek 0, Eber 0, Petek W, Wakonig P, Gürakar A neoplasia type 2a (MEN 2 A). Nature 363 : 458-469
(1985) Bestimmung der Harniodausscheidung mittels Panza N, de Rosa M, Lombardi G, Salvatore M (1985) Useful-
einer modifizierten Cer-Arsenit-Methode. Berichte der ness of serum thyroglobulin at replacement withdrawal
ÖGKC 8:14 after thyroidectomy for differentiated thyroid cancer. J
Wilders-Truschnig MM, Warnkroß H, Leb G et al. (1993) The Nucl Med 26: 316-317
effect of treatment with levothyroxine or iodine on thyro- Raue F, Frank-Raue K, Grauer A (1994) Multiple endocrirre
id size and thyroid growth stimulating immunoglobulins neoplasia type 2, clinical features, and screening. Endo-
in endemic goitre patients. Clin Endocrinol 39: 281 crin. Metab Clin North Am 23: 137-156
Wilgerodt A, Stach B, Keller E, Ockert C (1990) Welchen Ein- Röher HD, Sirnon D, Witte J, Goretzki PE (1994) Principals of
fluss hat eine verbesserte alimentäre Iodversorgung. The- limited or radical surgery for differentiated thyroid can-
rapiewoche 40 : 2085 cer. Thyroidology 5 : 93-96
Samaan NA, Schultz PN, Hickey RC, Goepfert H, Haynie TP,
Johnston DA, Ordonez NG (1992) The results of various
Literatur zu Abschn. 4.14 modalities of treatment of weil differentiated thyroid car-
cinoma: a retrospective review of 1599 patients. J Clin En-
Aust G, Eiehier W, Laue S et al. (1997) CD97: a dedifferentia- docrinol Metab 75: 714-720
tion marker in human thyroid carcinomas. Cancer Res Sawin CT, Geiler A, Wolf PA et al. (1994) Low serum thyro-
57: 1798-1806 tropin concentrations as a risk factor for atrial fibrillation
Biondi B, Fazio S, Carella C et al. (1993) Cardiac effects oflong in older persons. N Engl J Med. 331: 1249-1252
term thyrotropin-suppressive therapy with levothyroxine. Schelfhout LJ, Creutzberg CL, Hamming JF et al. (1988) Mul-
J Clin Endocrinol Metab 77 : 334-338 tivariate analysis of survival in differentiated thyroid can-
De Groot LJ, Kaplan EL, McCormick M, Straus FH (1990) Na- cer: the prognostic significance of the age factor. Eur J
tural history, treatment and course of papillary thyroid Cancer Clin Oncol. 24: 331-337
carcinoma. Clin Endocrinol Metab 71 : 414-424 Schiumberger M, Tubiana M, de Vathaire Fetal. (1986) Long-
De Groot LJ, Kaplan EL, Straus FH, Shukla MS (1994) Does the term results of treatment of 283 patients with lung and
method of management of papillary thyroid carcinoma bone metastases from differentiated thyroid carcinoma.
make a difference in outcome? World J Surg 18: 123-130 J Clin Endocrinol Metab 63 : 960-966
Dralle H, Schwarzrock R, Lang W, Böcker W, Ziegler H, Sehrö- Sherman ST, Tielens ET, Sostre S, Wharam MD Jr, Ladenson
der S, Geerlings H (1985) Comparison of histology and PW (1994) Clinical utility of post-treatment radioiodirre
immuno-histochemistry with thyroglobulin serum Ievels scans in the management of patients with thyroid carci-
and radioiodirre uptake in recurrences and metastases of noma. J Clin Endocrinol Metab 78 : 629-634
differentiated thyroid carcinomas. Acta Endocrinol Solbiati L, Volterrani L, Rizzatto G et al. (1985) The thyroid
108: 504-510 gland with low uptake lesions: evaluation by ultrasound.
Eising EG, Farahati J, Bier D. Knust EJ, Reiners C (1995) So- Radiology 155: 187-191
matostatinrezeptorszintigraphie bei medullären Schild- Solomon BL, Wartowsky L, Burman D (1996) Current trends
drüsenkarzinomen, GEP-Tumoren und Karzinoiden. in the management of weil differentiated papillary thyroid
Nucl Med 34: 1-7 carcinoma. J Clin Endocrinol Metab 81 : 333-339
Farahati J, Reiners C, Stuschke M, Muller SP, Stuben G, Sauer- Uzzan B, Campos J, Cucherat M, Nony P, Boissei JP, Perret GY
wein W, Sack H (1996) Differentiated thyroid cancer. Im- (1996) Effects on bone mass of long term treatment with
pact of adjuvant external radiotherapy in patients with pe- thyroid hormones: a meta-analysis. J Clin Endocrinol Me-
rithyroidal tumor infiltration (stage pT4). Cancer tab 81 : 4278-4289
77: 172-180 Van de Velde CJH, Hamming JF, Goslings BM et al.(l988) Re-
Feldkamp J (1998) Endokrine Therapie und Nachsorge beim port on the consensus development conference on the
Schilddrüsenkarzinom. Schweiz Rundsch Med management of differentiated thyroid cancer in the Ne-
87: 389-393 therlands. Eur J Cancer Clin Oncol 24: 287-292
Girelli ME, Busnardo B, Amerio R et al. (1985) Serum thyro- Wahl RA, Röher HD (1988) Surgery for C-cell-carcinoma of
globulin Ievels in patients with well-differentiated thyroid the thyroid. Progr Surg 19: 100-ll2
cancer during Suppression therapy. Study on 429 patients. Wartofsky L (1993) Does replacement thyroxine therapy cause
Europ J Nucl Med 10: 252-254 osteoporosis? Adv Endocrinol Metab 4: 157-175
KAPITEL 5
Weibliche Gonaden 5
C. V. HAGENS, U. HEINRICH,
F. KIESEWETTER, T. RABE,
B. RuNNEBAUM, E. ScHULZE,
E. VLADESCU
5.1 Physiologie der Reproduktion 156 5.9 Ovarialinsuffizienz und Sterilität 178
L RABE,C.~ HAGENS,B. RUNNEBAUM C. V. HAGENS, T. RABE, ß. RUNNEBAUM
5.1.1 Hypothalamus 156 5.9.1 Fallpräsentation 178
5.1.2 Hypophyse 157 5.9.2 Epidemiologie und Definition 179
5.1.3 Ovarien 157 5.9.3 Pathogenese 179
5.9.4 Klinik 180
5.2 Pubertät 159 5.9.5 Diagnostik 180
LRABE,B. RUNNEBAUM 5.9.6 Differentialdiagnose 181
5.2.1 Neuroendokrine Veränderungen 5.9.7 Therapie 182
während der Pubertät 160 5.9.8 Notfall 184
5.2.2 Sexualreifung und Wachsturn
während der Pubertät 161 5.10 Menopause 184
5.2.3 Psychische Veränderungen L RABE,E. VLADESCU,B. RUNNEBAUM
während der Pubertät 161 5.10.1 Fallpräsentation 184
5.10.2 Epidemiologie und Definition 185
5.3 Menstrueller Zyklus 162 5.10.3 Pathophysiologie 185
T. RABE, C. V. HAGENS 5.10.4 Klinik 186
Physiologie der Schwangerschaft 162 5.10.5 Diagnostik 187
5.4
T. RABE 5.10.6 Therapie 188
5.10.7 Ausblick 195
5.4.1 Entstehung einer Schwangerschaft 162
5.4.2 Entwicklung des Fetus 164 5.11 Vorzeitige Pubertätszeichen
5.4.3 Endokrine Funktionen und Pubertas praecox 195
der fetoplazentaren Einheit 164 U. HEINRICH
Proliferation. Das von den Granulosa- und Theka- Follikelphase (Tabelle 5-l)
luteinzellen des Corpus luteum gebildete Pro- Sie erfolgt in 3 Phasen:
gesteron ist für die sekretorische Transformation • Rekrutierungs-,
des Endometriums verantwortlich. • Selektions- und
• Dominanzphase.
Steuerung der Ovarfunktion
An der Follikelreifung, Ovulation und Corpus-lu-
Die Steuerung der Ovarfunktion unterliegt viel-
teum-Bildung sind neben Peptiden und anderen
fältigen positiven und negativen Rückkopplungen.
Hormonen 2 Hormongruppen wesentlich beteiligt.
die Steroidhormone (17ß-Östradiol und Progeste-
Vorzyklen ron) und die Gonadotropine (LH und FSH), die
Ca. 90 Tage vor dem aktuellen Zyklus erfolgt die vom Ovar bzw. der Hypophyse gebildet werden.
Umwandlung von Primordialfollikeln in Sekundär-
follikel. Die Primordialfollikel werden wahrschein- • Rekrutierungsphase. Vom 1.-4. Tag eines Zyklus
lich durch intraovarielle Wachtsumsfaktoren stimu- werden unter dem Einfluss des hypophysären FSH
liert; dieser Vorgang ist unabhängig von FSH. Erst mehrere Präantralfollikel rekrutiert, um die weitere
nach der Umwandlung in den Sekundärfollikel Entwicklung zum Tertiärfollikel zu vollziehen.
kommt es zur Expression der FSH-Rezeptoren.
Aus der monatlich heranreifenden Follikelkohor- • Selektionsphase. In dieser Phase findet die Aus-
te kommt es durch Selektion zur Ausbildung eines wahl zum dominanten Follikel (5.-7. Zyklustag)
dominanten Follikels ( = Leitfollikels ), der das statt. Das Wachstum der rekrutierten Follikel erfolgt
Wachsturn der anderen Follikel unterdrückt, so unter dem Einfluss von Östradiol, dessen Bildung
dass diese atretisch werden. Zur Zyklusmitte er- durch FSH stimuliert wird. Die steigenden FSH-
reicht die bisher kontinuierlich angestiegene Östra- Spiegel stimulieren zunächst die Granulosazellproli-
diolsekretion des dominanten Follikels ein Plateau feration und vermehren mit der Zellzahl auch die
und löst den LH-Peak und dadurch 24-36 h später Anzahl der aufFSH reagierenden Rezeptoren. Östra-
die Ovulation aus. diol induziert die Ausprägung seiner eigenen Rezep-
toren an den Granulosazellen und regt die mitoti- niedrige Frequenz (alle 3-4 h) mit einer erhöhten
sche Aktivität des Granulosaepithels an, so dass Amplitude. Die Funktion des Corpus luteum ist
die FSH-Wirkung potenziert wird. Dadurch wird vom LH abhängig. Die Injektion von HCG oder
ein rasches Follikelwachstum induziert, die Östra- die endogene HCG-Bildung bei einer Frühschwan-
diolproduktion wird gesteigert und bleibt später gerschaft führen zu einer verbesserten und verlän-
im dominanten Follikel auch bei abfallenden FSH- gerten Corpus-luteum-Funktion.
Spiegeln erhalten.
~~~~
Brunwarze.
Stadium II: tastbarer 8rustdrüsenkörper. erhab1.>ne
Bnustwarze. Vergroßerung des Warzenhofes.
81 Stadium 111: Zunahme des Brustdrüsenkorpers
und des Warzenhofes.
Stadium IV: Zunahme der Pigmentierung
<~ {10
des Warzenhofes.
Stadium V: reife weibliche BnusL
83
< ~~{\0
B4
'~ <10 Pl P2 P3
85
( ,~<i 0 P4 PS
Abb. 5-la, b. Tanner-Stadien der Pubertätsentwicklung: a Entwicklung der Brustdrüsen, b Entwicklung der Pubesbehaarung.
(Aus Keck et al. 1997)
für das Tanner-Stadium B2 (Abb. 5-1) der Brustent- Auslöser für den Eintritt des Kindes in die Puber-
wicklung. Auch das Menarchealter von im Mittel tätsperiode sind. Wahrscheinlich ist es das hypotha-
13,0 Jahren in Deutschland kann zwischen 11,2 lamisch-hypophysäre System. Frühe Veränderun-
und 15,6 Jahren variieren. gen betreffen auch die Nebennierenrinde.
häufig als störend empfunden und können Ängste sehe Vorgänge im Tertiärfollikel des Ovars angeregt
bezüglich fehlender sozialer Kontakte hervorrufen. und so die Ovulation und anschließend die Corpus-
Die Entdeckung und Erkundung der eigenen Sexua- luteum-Bildung induziert. Tritt keine Schwanger-
lität sowie die Identifikation des Mädchens mit der schaft ein, kommt es nach 10-12 Tagen zur Luteo-
zukünftigen Situation des Frauseins und die häufig lyse und zum Abfall der Östrogen- und Progesteron-
ausgeprägte Diskrepanz zwischen körperlicher und spiegel, wodurch die Entzugsblutung ausgelöst wird.
seelischer Reife führt in vielen Fällen zu Konflikten Bei Eintritt einer Schwangerschaft stimuliert das
mit den Eltern, den Lehrern, Freunden und mit sich vom Schwangerschaftsprodukt gebildete HCG, das
selbst. Aus diesen Problemen können schwere Ver- in Struktur und Wirkung dem LH ähnlich ist, die
haltensänderungen aggressiver oder regressiver Art Progesteronsekretion des Corpus luteum, bis diese
entstehen, die, wie im Falle der Anorexia nervosa, dann ab der 9. SSW von der Plazenta übernommen
erhebliche gesundheitliche Nachteile haben. wird.
5.3 5.4
Menstrueller Zyklus Physiologie der Schwangerschaft
T. RABE, c. V. HAGENS T. RABE
Zyklusregulation
5.4.1
Da die Arterhaltung für jede Spezies von essenzieller
Entstehung einer Schwangerschaft
Bedeutung ist, werden die entsprechenden endokri-
nen Vorgänge durch zahlreiche positive und negati-
Befruchtung
ve Rückkopplungsmechanismen (Feedback-Mecha-
Bei der Ovulation wird die Oozyte mit den Granu-
nismen) gesteuert. Der menstruelle Zyklus lässt sich
losazellen und der Follikelflüssigkeit in den Dou-
einteilen in eine Follikelreifungsphase, die Ovulati-
glas-Raum freigesetzt. Hier wird sie durch den Fim-
on und die Gelbkörperphase.
brientrichter in die Tube aufgenommen. Im am-
Ausgehend von einem zentralen Pulsgeber
pullären Teil der Tube findet die Vereinigung der
("elektrische Potentiale") im ZNS steuert der Hypo-
Gameten (Oozyte und Spermatozoon) statt. Die
thalamus über das Neuropeptid GnRH die Freiset-
Spermien müssen hierzu von der Scheide durch
zung der Gonadotropine LH und FSH in der Hypo-
den Zervikalkanal in die Tube hochwandern.
physe; diese wiederum sind verantwortlich für die
Follikelreifung, den Eisprung und die Gelbkörper-
phase. Der Anstieg der vom Eierstock gebildeten Embryonalentwicklung
Östrogene "informiert" die Hypophyse über den Das befruchtete Ei (Zygote) wandert, unterstützt
Reifegrad des Follikels. Bei ausreichender Eizell- durch den Flimmerschlag der Zilien des Tuben-
reifung wird durch ein Östradiolplateau im periphe- epithels, in Richtung Uterus. Während dieser Zeit
ren Blut von mehr als 150 pg/ml für ca. 36-50 h der entwickelt sich die Zygote weiter, um sich etwa
LH-Peak ausgelöst. Hierdurch werden proteolyti- am 6. Tag post ovulationem im Blastozystenstadium
5.3 Menstrueller Zyklus 163
Hypothalamu
t lleasif 0
"'V~
Gonadotrgpine
FSH
miE / ml
Östradiol
0 0 Progesteron
LH
miE / ml
pg / ml ng / ml
30 300 15 45
p
20 200 10 30
10 100 5 15
Zyklustag 2 4 6 8 10 18 20 22 24 26 28
Muttermundsweite
Zerviuchle im
Spinnbarkeil
·~
I \ - - - -- -- - - -- -- - - - - - - - - - - - - - - - - -
-- · - - · - - · - - -- · - - · - - · - - · -- · -- · - - · - - · - - · "'\ I \ ,...- · - - · -- - - - · -- - - - - - - · - - -- · - - -- · - - - - - · - -
Viskosität / X
Menge
---------------------------~
1 \
·, ./
/ \..
---------------------------·
Farnkrauttest
-
Endometrium
..
··. ..
l f~·
)JI. . . .-....,.....
~
• _!i:::"_
- ~..-::::>
7 14 21 28
Menstruat•on
Abb. 5·2. Menstrueller Zyklus: Veränderungen der Sexualhormone im Blut und deren biologische Wirkung. (Nach Schmidt-
Matthiesen u. Hepp 1998)
164 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
meistens an der Hinterwand des Uterus einzunisten. hen sich alle wichtigen Differenzierungs- und Ent-
Die Entwicklung des Embryos bis zum 4- oder wicklungsschritte für die Organbildung. Während
8-Zellstadium ist durch mütterliche RNA vorbe- der Organogenese entstehen Fehlbildungen an den
stimmt, die Zellen sind totipotent. Erst danach sich gerade in Entwicklung befindenden Organsy-
kommt es zur Entfaltung der genetischen Eigen- stemen weitgehend unabhängig vom auslösenden
schaften des Embryos. Bereits vor der Implantation Agens.
setzt der embryomatemale Dialog ein, der zur Syn-
chronisation von Endometrium- und Embryonal- Am stärksten gefährdet ist der Embryo vom 15.-60.
entwicklung und zur Immuntoleranz gegenüber Tag post conceptionem hinsichtlich Fehlbildungen.
dem "fremden Embryo" führt. Beteiligt hieran
sind außer HCG der "early pregnancy factor"
Fetalperiode
(EPF) und der "platelet activating factor" (PAF).
Die Fetalperiode reicht von der 15. SSW bis zur Ge-
Die äußere Zellage der Blastozyste formiert sich
burt. Diese Zeitspanne ist gekennzeichnet durch das
zum Trophoblasten (Anschluss ans mütterliche
Wachstum und die Ausdifferenzierung der Organ-
Blutsystem), aus dem die Plazenta hervorgeht; die
anlagen. Exogene Noxen können den Fetus jetzt we-
innere Zellage formiert sich zum Embryoblasten
niger schädigen als in der Embryonalperiode.
(Abb. 5-3). Nach abgeschlossener Implantation der
Blastozyste sind 3 Zelltypen (Keimblätter) zu diffe-
renzieren.
• Ektoderm: Entwicklung von ZNS, Haut und Haut- 5.4.3
anhangsgebilden, Augen, Ohr, Endokrine Funktionen
• Entoderm: Entwicklung von Gastrointestinal- der fetoplazentaren Einheit
trakt, Atemwegen, Schilddrüse, Leber, Galle, Pan-
kreas, Plazenta
• Mesoderm: Entwicklung von Knochen, Muskeln, Die menschliche Plazenta ist nicht nur zur Ernäh-
Bindegewebe, Gefäße, Urogenitaltrakt rung und zur Entfernung von Stoffwechselproduk-
ten des Kindes notwendig, sondern spielt auch
eine wichtige endokrine Funktion. Die wichtigsten
Corpus luteum
von der Plazenta gebildeten Hormone sind das
Durch die HCG-Bildung der Blastozyste wird die
HCG, die Östrogene, das Progesteron und das
Umwandlung des Corpus luteum in das Corpus
HPL ("human placental lactogen") (Abb. 5-4).
luteum graviditate bewirkt, das das für den Erhalt
der Gravidität notwendige Progesteron synthetisiert.
In der 7.-9. SSW übernimmt die Plazenta die not-
Fetus
wendige Progesteronproduktion. Weitere Substan-
In der Frühschwangerschaft stellt der sog. fetopla-
zen der Plazenta sind das "human placental lacto-
zentare Kreislauf des Progesterons eine wichtige
gen" (HPL) und Östrogene.
Rolle für die Aufrechterhaltung der zur Schwanger-
schaft notwendigen Progesteronspiegel dar. Die
Noxen fetale Nebennierenrinde liefert weiterhin Androgen-
Äußere Noxen (z. B. Medikamente) führen nach vorstufen (hauptsächlich das 16a-DHEAS), aus
dem Alles-oder-Nichts-Gesetz bis zum 29. Tag denen die Plazenta Östriol synthetisiert. Vor der
post menstruationem zu Aborten. Fehlbildungen Geburt werden die Wehen wahrscheinlich durch
nach Exposition in diesem Schwangerschaftsab- einen Anstieg der adrenalen Androgensynthese
schnitt wurden nicht beobachtet. Danach erfolgt der fetalen NNR (s. unten) ausgelöst.
die Organogenese mit folgenden Phasen:
• Skelettsystem (4.-1 0. SSW),
• kardiavaskuläres System (4.-9. SSW), Uterus
• Geschlechtsorgane (5.-14. SSW). Durch steigende Östrogenkonzentrationen wird vor
der Geburt die Expression von Oxytozinrezeptoren
induziert. Eine erhöhte Oxytozinsensibilität zusam-
5.4.2 men mit Relaxin, Prostaglandinen, Vasopressin und
Entwicklung des Fetus dem relativen Abfall der Progesteronkonzentration
im Myometrium ist erforderlich für den Geburts-
Embryonalperiode beginn und die Geburt. Der auslösende Mechanis-
Während der Embryonalperiode, die vom 15. Tag mus für den spontanen Geburtsbeginn ist noch
p. c. bis zum Abschluss der 14. SSW dauert, vollzie- nicht geklärt.
>
r::r
::r
U1
;;;;
'""
N
l't>
;:;
Ol"
l't>
;:;
~ Adhärenz Implantation I Implantation II
;::;· Penetration Hi~tiotrophe Phase - - - - - - - - - -• Hamotrophe Phase
c:
c Lockeres Stroma Stromafestigung
;:;
qo
z
r-.
"'
::r
Vl
::r
"
3
§:
:4;:
e?,
;::;.
r;;·
"'l't>;:;
!=
::c
l't>
"'"'
'-0
'-0
~
::r
-a::;·'""
Deziduale
Reaktion
0
(IQ
1 Faserbildung 1
;;;·
Q..
l't>
...,
Vl
::r
"
~
~...,
g.
"'::::>
0>
U1
166 KAPIT E L 5 Weibliche Gonaden
100
(ng/ml)
10
0 .1
0 . 01
ssw
20
1,5 10
(1-'g/rnl)
1 ,0 1 .0
0,5 0 ,1
0 4 0 ,01
ssw
10
60 Prog-t•ron (nglrnl) 170H- Progeeteron
8
(nglml)
40 6
4
20
2
0 4 0 4 .. 20
ssw
6
3000 (nglml)
(pglml )
4
2000
1000 2
0 0
ssw
Abb. 5-4. Endokrinologie der Schwangerschaft - Hormonverlauf von ßHCG, hPL, Progesteron und Östradiol während der
Schwangerschaft. (Nach Gerhard et al. 1994)
GnRH-Mangel
1: idiopathischer hypogonado- Hypothalamisch Sporadisch/familiär Substitution mit
troper Hypogonadismus (IHH) gehäuft, Östrogen-Gestagen-
mit verminderter oder Männer > Frauen Gemischen, bei
fehlender Ausbildung GnRH- I : 6- 8.000 Kinderwunsch Gona-
produzierender eurone dotropinstimulation
oder GnRH-Pumpe
2. Kallmann- yndrom Hypothalami eh Männer: I : 10.000, Autosomal- ub titution mit
= olfaktogenitales Syndrom Frauen I : 50- 70.000 dominant, auto- Östrogen -Gestagen-
(Hypogonadismus mit somal-rezessiv oder Gemischen, bei
An-/Hyposmie) X-chromosomal Kinderwunsch Gona-
assoziiert; Mutation dotropinstimulation
de KALIG-Gens de oder GnRH -Pumpe
-Chromosoms
Prader-Labhart-Willi- Hypothalami eh I : 10.000-25.000 Veränderungen iehe oben
yndrom (Hypogonadismus Männer: Frauen an Chromo om 15
mit Kleinwuch , Oligophrenie, 1,5- 2 : 1
Muskelhypotonie,
Hyperphagie, Adipo ita )
Familiäre Kleinhirnataxie Hypothalami eh
(Hypogonadismus,
neurologische Ausfälle)
Laurence-Moon-Biedl- Auto omal-reze siv Siehe oben
Bartlett-Syndrom (Retinitis
pigmento a, Minderbegabung,
Adiposita , Hypogonadismus,
häufig mit Diabete in ipidu ,
Vitium und Analatre ie)
5.7 Ausfall der gonadotropen Achse 169
der Gonadotropinsekretion tritt oft zusammen mit im MRT darstellen. Häufiger als die genetisch
einer Sekretionsstörung anderer Hypophysenhor- bedingten Erkrankungen sind die erworbenen (Ta-
mone wie TSH, ACTH, STH und Prolaktin auf. belle S-3).
Man unterscheidet daher zwischen partieller oder
totaler Hypophyseninsuffizienz (s. Kap. 6).
5.7.4
• Kallmann-Syndrom. Patientinnen mit Kalimann- Klinik
Syndrom fallen durch die fehlende Entwicklung der
sekundären Geschlechtsmerkmale und die primäre Symptome und Beschwerden
Amenorrhö auf. Neben den Gonadotropinen sind Die sekundäre Ovarialinsuffizienz durch den Aus-
17ß-Östradiol und Testosteron niedrig. Der fall der Gonadotropine führt zu Östrogenmangel-
GnRH-Test ist positiv. Ein Sella-MRT schließt einen symptomen. Bei Jugendlichen bleibt die Pubertäts-
Hypophysentumor aus. Der Ausfall der Gonadotro- entwicklung aus bzw. sie ist stark verzögert (Puber-
pine beruht beim Kalimann-Syndrom auf einer tas tarda), und es besteht eine primäre Amenorrhö.
verminderten oder fehlenden Sekretion des hypo- Frauen in der reproduktiven Phase klagen über
thalamisehen GnRH, ist also hypothalamisehen Ur- eine sekundäre Amenorrhö, evtl. auch über Kinder-
sprungs. Kombiniert ist die hypogonadotrope losigkeit sowie über vegetative Symptome der vor-
Ovarialinsuffizienz häufig mit einer Anosmie oder zeitigen Erschöpfung der Ovarialfunktion wie Hitze-
Hyposmie, die durch Aplasie oder Hypoplasie des wallungen, Schlaflosigkeit, Depressionen, trockene
Bulbus olfactorius verursacht wird. Dies lässt sich Scheide, Libidoverlust Allerdings ist diese Sympto-
Iatrogen
Sheehan-Syndrom = ischämische Hypophysär Sehr elten
postpartale ekrose des HVL
Po !operative Defektzustände Hypophysär Häufig
Zustand nach Schädelradiatio Hypophysär > 60 % partielle oder
oder Chemotherapie totale Hypophyseninsuffizienz
matik nicht so stark ausgeprägt wie bei den Frauen Bildgebende Verfahren
im Klimakterium. Neben der endokrinalogischen Prüfung der Hypo-
physenfunktionsind bildgebende Verfahren (MRT,
evtl. CT) diagnostisch wegweisend.
Anamnese
Durch die Anamnese lassen sich iatrogene Ursachen
bei Zustand nach Operation oder Radiatio eines
Hypophysentumors oder durch Chemotherapie 5.7.5
leicht klären. Wichtig sind auch Fragen nach Sym- Differentialdiagnose
ptomen des Ausfalls anderer Hypophysenachsen
wie Schilddrüsen- oder Nebennierenunterfunktion Das Leitsymptom bei Frauen mit Ausfall der gona-
(M. Addison), Minderwuchs, Diabetes insipidus. dotropen Achse ist je nach Alter eine primäre oder
sekundäre Amenorrhö sowie die Pubertas tarda; alle
anderen Erkrankungen oder Zustände, die mit einer
Körperliche Untersuchung
Amenorrhö einhergehen, müssen ausgeschlossen
Bei d~r k~rperlichen.. Untersuchung ist es wichtig, werden. In der Menopause wird keine besondere
auf dte Zetehen der Ostrogenwirkung (Tanner-Sta-
Symptomatik auf diese Störung hinweisen. Seltene
dien der Pubertätsentwicklung bei Jugendlichen,
Ursachen ~iner hypophysären Insuffizienz sind in
Zervixfaktor, Vaginalzytologie) zu achten. Von Be-
folgender Ubersicht wiedergegeben.
deutung ist auch eine Größen- und Gewichtsmes-
sung sowie die Bestimmung des Body-Mass-Index
Seltene Ursachen einer hypophysären Insuffizienz
und die Registrierung von Symptomen des M. Ad-
dison (s. Kap. 3), Diabetes mellitus (s. Kap. 16),
• Apoplex
Osteoporose (s. Kap. 11) oder von Zeichen des Min-
• Tumoren im Hypophysenbereich inklusive
derwuchses (s. Kap. 1). Ein Hypophysentumor, wie
ZNS-Metastasen
z. B. ein Prolaktinom, kann zur Kompression des
• Infektionen
Chiasma opticum mit Gesichtsfeldausf<:illen und
• Abszesse
Sehstörungen führen und fällt häufig durch eine Ga-
• Sarkoidase
laktorrhö auf.
• Hämochromatose
• Histiozytose
Labor • Zystenbildungen nach traumatischen
• Hormonbestimmung. Es ist notwendig, eine Einblutungen
Schwangerschaft auszuschließen, und es sind die • Immunhypophysitis
Gonadotropine FSH, LH, das Prolaktin sowie das
17ß-Östradiol zu bestimmen. Sind die Gonadotro-
p_in- u?d ~stradiolspiegel mehrfach erniedrigt, stellt
steh dte Dtagnose einer hypogonadotropen Ovaria-
5.7.6
linsuffizienz. Zum Ausschluss des Ausfalls weiterer
Therapie
Hypophysenpartialfunktionen bestimmt man auch
TSH, ACTH und STH.
Bei Ausfall der Gonadotropine muss eine Substitu-
tionstherapie mit peripheren Sexualsteraiden zur
• GnRH-Test. Die Durchführung des GnRH-Tests
T~erapie und Prophylaxe von Östrogenmangelzu-
hilft, z~ischen hypothalamischer und hypophysärer
standen durchgeführt werden. Eine große Auswahl
Insuffizienz zu unterscheiden. Hierbei werden nach
an Präparaten zur Hormonsubstitution steht zur
basaler Bestimmung von FSH und LH 25 11g oder
V~rfügung (Tabe~le S-4). Zur Erzielung einer langfri-
100 11g GnRH als Bolus injiziert und 30 und
s~tg guten Comphance der Patientin ist eine sorgfäl-
60 min später die Gonadotropine LH und FSH be-
tige ~ufkläru~_g über die kurz- und langfristigen
stimmt. Fehlt die hypophysäre Antwort auf den
Vorteile der Ostrogen-Gestagen-Substitution not-
Stimulus, so liegt die Störung auf hypophysärer
wendig. Hierfür sind am einfachsten Kombinations-
Ebene. In solchen Fällen sind die basophilen Zellen
präparate mit Östradiolestern, meistens Östradiol-
des Hypophysenvorderlappens entweder zerstört
valerat mit Gestagenzusatz in der zweiten Einnah-
oder inaktiv. Unter Umständen besitzen sie keine
mephase. zu verwe~den. Ist die Normalisierung
Rezeptoren für GnRH, z. B. auf Grund einer Muta-
der ovanellen Funktton möglich und eine Kontra-
tion des FSH-Rezeptor-Gens.
zeption notwendig, können auch orale hormonale
Kontrazeptiv<~:. zur Therapie und Prophylaxe von
Folgen des Ostrogenmangels eingesetzt werden.
5.7 Ausfall der gonadotropen Achse 171
Dies ist auch dann sinnvoll, wenn zusätzlich Sym- ne mit Gestagenzusatz) ist auch möglich und findet
ptome einer Hyperandrogenämie bestehen, so eine größere Akzeptanz. Diese Therapieformen ge-
dass die antiandrogene Partialwirkung einiger Kon- hören in die Hand eines erfahrenen pädiatrischen
trazeptiva therapeutisch erwünscht ist. Endokrinologen.
Therapiekontrollen
Die Substitutionstherapie mit Sexualsteraiden kann
bei den meisten Patientinnen mittels Kombinations-
präparaten erfolgen, so dass nach Indikations-
stellung und sorgfältiger (Familien-) Anamnese
(Thromboseneigung) nur die routinemäßigen gy-
näkologischen Kontrollen erforderlich sind. Eine
Stimulationstherapie zur Ovulationsinduktion muss
dagegen engmaschig kontrolliert werden, damit
Überstimulationen und Mehrlingsschwangerschaf-
ten vermieden werden. Handelt es sich um den Aus-
fall mehrerer Partialfunktionen des Hypophysen-
vorderlappens, so ist die Einstellung sukzessiv (Rei-
henfolge: Cortisol, Thyroxin, Sexualsteroide, evtl.
Wachstumshormon) durch erfahrene Endokrinolo- Abb. 5-5. Patientin mit einem Turner-Syndrom
gen vorzunehmen.
U. HEINRICH
5.8.1 5.8.2
Fallpräsentation Pathogenese
• Hormonell Pathogenese
Störungen der Gonadotropinsekretion Die Pathogenese der konstitutionellen Verzögerung
(hypogonadotroper Hypogonadismus) von Wachstum und Pubertät ist nicht geklärt. Bier-
Störungen der Ovarialfunktion ich et al. haben eine niedrige Wachstumshormon-
(hypergonadotroper Hypogonadismus) Spontansekretion nachgewiesen, andere Untersu-
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung cher haben jedoch gezeigt, dass die Wachstums-
hormon-Spontansekretion zwar bezogen auf das
chronologische Alter, nicht jedoch auf das Skelett-
alter erniedrigt ist und sich unter Sexualhormon-
5.8.3
substitution normalisiert. Mädchen mit konstitu-
Definition der verzögerten Pubertätsentwicklung
tioneller Verzögerung von Wachsturn und Pubertät
erreichen gewöhnlich nicht die genetische Zielgröße,
Man spricht von einer Verzögerung, wenn im
enden jedoch im unteren Erwachsenennormbereich.
entsprechenden Alter mehr als 2 Standardab-
weichungen über dem mittleren Pubertätsbeginn
keine Pubertätszeichen aufgetreten sind. Dies be- Therapie
deutet heute bei Mädchen ein Alter von 13 Jahren. Siehe unten.
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung
5.8.5
Die verzögerte Pubertät kann in 2 Formen auftreten:
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung
• konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und
ohne Kleinwuchs
Entwicklung,
• konstitutionelle Verzögerung der Entwicklung
Epidemiologie
ohne Verzögerung des Wachstums.
Diese Variante der Pubertätsverzögerung ist weniger
häufig als die konstitutionelle Entwicklungsverzöge-
Bei der ersten Form liegt häufig eine Kombination
rung mit Kleinwuchs. Differentialdiagnostisch muss
mit familiärem Kleinwuchs vor. In beiden Formen
hier vor allem geklärt werden, ob eine primäre Stö-
sind die basalen LH- und FSH-Spiegel präpubertär
rung der Gonaden oder der Hypothalamus-Hypo-
oder allenfalls frühpubertär und zeigen in den
physen-Achse vorliegt (Tabelle 5-5).
meisten Fällen eine präpubertäre Reaktion auf
GnRH. Hingegen zeigen Patienten mit GnRH-
und/oder Gonadotropinmangel gewöhnlich präpu- Diagnostik
bertäre und oft sehr niedrige basale Gonadotropin- • Bestimmung von LH und FSH. Präpubertäre Se-
spiegel und eine sehr geringe Antwort von LH auf rum-LH- und -FSH-Konzentrationen bei einem
GnRH. Die neuen, sehr sensitiven Gonadotropinas- Mädchen mit einem chronologischen Alter von 12
says erlauben die Abgrenzung von präpubertären, Jahren und fehlenden Pubertätszeichen schließen
pubertären und normalen Gonadotropinspiegeln einen primären, hypergonadotropen Hypogonadis-
gegenüber denjenigen bei LH/FSH-Mangel, wie mus aus. Differentialdiagnostisch muss eine kon-
z. B. Kallmann-Syndrom. stitutionelle Entwicklungsverzögerung oder ein
isolierter Gonadotropinmangel erwogen werden.
In den Alterstufen 13-17 Jahre ist die Differenzie-
5.8.4
Konstitutionelle Verzögerung
von Wachstum und Pubertät Tabelle 5-5. Differentialdiagnose bei Mädchen mit später Pu-
bertät ohne Kleinwuchs
rung dieser beiden Entitäten sehr schwierig. Die GnRH- und GHRH-Mangel:
Differentialdiagnose wird eingehend unter "Pu- genetischer Hypopituitarismus
bertas tarda" abgehandelt. septooptikale Dysplasie
D
Tumoren, Zysten, Granulomata
I?_s muss außerdem berücksichtigt werden, dass die Traumen
Ostradialkonzentrationen bei Mädchen zum Zeit- Assoziation mit:
punkt des Pubertätsbeginns im unteren Sensitivitäts- Prader-Willi-Labhardt -Syndrom
bereich der meisten Assays liegen und die Bestim- Laurence-Moon-Biedl-Syndrom u. a.
mungen damit häufig ungenau sind, wenn sie nicht • Hypophysäre Störungen
mit entsprechend sensitiven Bestimmungsmethoden Kongenital:
in einem speziell eingerichteten endokrinalogischen Aplasie der Hypophyse, des Hypophysenstiels
Labor durchgeführt werden. genetischer Hypopituitarismus (?)
Tumoren, Zysten:
• Weitere Laboruntersuchungen. Unbedingt sollte Prolaktinome
Prolaktin zum Ausschluss eines Prolaktinoms be- destruktive Läsion
stimmt werden. Bei jedem kleinwüchsigen Mädchen Trauma, Radiatio
mit oder ohne verzögerter Pubertätsentwicklung ist Autoimmunhypophysitis
die Chromosomenanalyse unverzichtbar, um ein
• Gonadale Störungen
Ullrich-Turner-Syndrom auszuschließen. Die Ultra-
Kongenital:
schalluntersuchung des inneren Genitales kann hier
reine Gonadendysgenesie 46, XX, 46, XY
zusätzlich Hilfe bieten.
(Swyer-Syndrom)
gemischte Gonadendysgenesie 45, X/46, XY
Therapie Ullrich-Turner-Syndrom
Niedrig dosierte, konjugierte Östrogene (z. B. Preso- 17a-Hydroxylase-Mangel
men 0,3 mg täglich über 3-6 Monate) beschleunigen Aromatase-Mangel
das Körperwachstum, ohne dass eine Akzeleration Trauma, Radiatio, Chemotherapie
der Skelettentwicklung zu befürchten wäre. Sie soll- Chirurgie
ten jedoch nicht vor einem Knochenalter von 12 Jah- Mumps-Oophoritis
ren eingesetzt werden. Schreitet die Pubertät nach Infiltrative Prozesse der Ovarien
einem solchen Behandlungszyklus nicht fort, muss (Tbc, Mucopolysaccharide)
die zugrunde liegende Ursache geklärt werden. Autoimmun
Atrophie der Ovarien
5.8.6
Pubertas tarda
5.8.7
Definition Hypogonadotroper Hypogonadismus
Wenn bei einem Mädchen im Alter von mehr als
13 Jahren keine Pubertätszeichen vorhanden sind, Pathogenese und Differentialdiagnose
handelt es sich um eine konstitutionelle Entwick- Eine ungenügende Sekretion von GnRH und/oder
lungsverzögerung oder eine Störung von Hypotha- LH und FSH führen je nach Ausprägung der Störung
lamus, Hypophyse oder Gonaden. Bei langfristigem zu einer verzögerten oder gänzlich ausbleibenden
Ausbleiben der Pubertätsentwicklung spricht man Pubertätsentwicklung. Diese Störung kann durch
von Pubertas tarda (Differentialdiagnose s. folgende Tumoren, Traumen und entzündliche Prozesse her-
Übersicht). vorgerufen werden oder angeboren sein. Allen die-
sen Störungen gemeinsam ist ein fehlender Anstieg
der Gonadotropine nach GnRH. Die Differential-
Ursachen der Pubertas tarda bei Mädchen
diagnose des hypogonadotropen und hypergonado-
tropen Hypogonadismus ist in der Übersicht "Ur-
• Normvariante:
sachen der Pubertas tarda bei Mädchen" zusam-
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung
mengefasst.
• Hypothalamisehe Störungen
Kongenital:
isolierter GnRH Mangel • Kallmann-Syndrom. Das Kalimann-Syndrom ist
ohne Anosomie durch die Kombination von hypogonadotropem
mit Anosomie (Kallmann-Symptom) Hypogonadismus und einem gestörten Riechvermö-
5.8 Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung und Puberlas tarda 175
• Komplette, sog. "reine Gonadendysgenesie", Tabelle 5-7. Substitution bei weiblichem Hypogonadismus
mit Sexualsteroiden. Beginn bei einem Skelettalter von
Karyotyp 46, XX oder 46, XY (Swyer-Syndrom). 11-12 Jahre
Klinik: Mädchen mit reiner Gonadendysgenesie
sind von normaler Körpergröße oder hochwüchsig. Zeitraum Präparat Dosierung
Die pubertäre Brustentwicklung ist nur gering oder
fehlend. Da die Streak-Gonaden weder Testosteron 0- 6 Monate Östradiolvalerat 0,2 mg!Tag
noch Anti-Müller-Hormon bilden, sind äußere und 6-12 Monate Östradiolvalerat 0,5 mg!Tag
innere Genitalien normal weiblich ausgebildet. Mäd- oder
chen mit einem Karyotyp 46, XY tragen ein erhöhtes 0- 6 Monate ~onjugierte 0,3 mg!Tag.
Risiko, gonadale Tumoren zu entwickeln. Die Ostrogene
Streak-Gonaden müssen deshalb unbedingt entfernt 6- Monate ~onjugierte 0,6 mg!Tag
werden. Ostrogene
Labor: Erhöhung von LH und FSH, niedrige puber- 2. Therapiejahr Östradiolvalerat 1,0 mg/Tag 1-25
täre Östradiolspiegel. +Chlor- 2,0 mg/Tag 14- 25
madinonacetat
• 17a-Hydroxylase-Mangel. Bei diesem seltenen oder
Enzymdefekt, welcher zu Nebenniereninsuffizienz, 2. Therapiejahr ~onjugierte 0,9 mg/Tag 1- 25
arterieller Hypertonie und einer gestörten Bildung Ostrogene
von gonadalen Steraiden (Östrogenen und Andro- +Chlor- 2,0 mg/Tag 14 - 25
madinonacetat
genen) führt, handelt es sich eigentlich nicht um
eine Erkrankung der Ovarien. Bei Mädchen mit 3. Therapiejahr Ö tradiolvalerat 1,5 mg!Tag 1- 25
46, :XX-Karyotyp findet sich ein weiblicher Phäno- +Chlor- 2,0 mg/Tag 14- 25
madinonacetat
typ, sekundäre Geschlechtsmerkmale (Brustent-
wicklung, Scham- und Axillarbehaarung) bilden oder
sich jedoch nicht aus. Mädchen mit einem Karyotyp 3. Therapiejahr ~onjugierte 1,25 mg/Tag 1- 25
46, XY zeigen ebenfalls einen weiblichen Phänotyp Ostrogene
mit Vaginalagenesie und fehlenden Müller-Struktu- +Chlor- 2,0 mg!Tag 14-25
madinonacetat
ren. Im Gegensatz zu Mädchen mit einer Androgen-
danach
insensitivität (testikulären Feminisierung) bleibt
auch hier die Brustentwicklung aus. ab 4. Therapiejahr Übergang auf 1,25 comp
Substitution mit
Cycloprogynova
oder Presomen
Diagnostik Äquivalenzdo en Östradiolvalerat 2 mg
Die erforderlichen Diagnostikschritte bei Mädchen ~onjugierte 0,6-1 ,25 mg
mit Pubertas tarda sind in Abb. 5-6 zusammenge- 0 trogene
stellt. Ethinyl-Östradiol 0,020 mg
• Bei hohen bzw. pubertären Gonadotropinspie-
geln besteht der erste Diagnostikschritt in einer
Chromosomenanalyse, um Gonadendysgenesien
auszuschließen.
• In jedem Fall ist eine Ultraschalluntersuchung mit einem arteriellen Hypertonus bestätigen die
des inneren Genitales anzuschließen. Bei Ull- Diagnose eines 17a-Hydroxylase-Mangels.
rich-Turner-Syndrom wird es gewöhnlich nicht • Bei Erniedrigung der basalen und stimulierten
gelingen, die Streak-Gonaden sonographisch Gonadotropinspiegel kommt neben chronischen
nachzuweisen, der Uterus ist von präpubertärer Erkrankungen und einer Anorexia nervosa am
Größe. Bei der gemischten Gonadendysgenesie ehesten ein Kalimann-Syndrom oder ein isolier-
(Karyotyp 45, X/46, XY) lässt sich häufig abdomi- ter/generalisierter Hypopituitarismus in Frage.
nell bzw. inguinal eine Gonade nachweisen, bei Die spezielle weitere Diagnostik besteht hier in
der es sich gewöhnlich um einen Testis handelt. einer Bestimmung der LH- und FSH-Spontanse-
Auf der Gegenseite bleibt die Streak-Gonade in kretion über Nacht zum Nachweis/ Ausschluss
der Regel unentdeckt. Auch hier ist ein präpuber- einer Pulsatilität. Ferner sind bildgebenden Ver-
tärer Uterus nachweisbar. fahren zum Ausschluss eines intrakraniellen
• Normale DHEA-S- und ACTH-Spiegel sprechen Turmors, insbesondere eines Kraniopharyn-
für eine intakte Nebennierenrindenfunktion. geoms oder einer Fehlbildung im Bereich des
• Eine Erhöhung von Pregnenolon, Progesteron Hypothalamus und der Hypophyse (Arachnoi-
und Desoxycorticosteron im Zusammenhang dalzysten, "empty sella") sowie einer ophthalrno-
5.8 Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung und Pubertas tarda 177
Fehlbildungen:
z.B.Hymenalatresie
Hypopitu~arismus:isolierVgeneralisiert
Chronische Erkrankungen
Anorexia nervosa
Kalimann Syndrom (Geruchsinn ?)
Adipositas
Gonadendysgenesie: Ullrich·Turner·Syndrom
Gonadeninsuflizienz: nach
lnfektion,Trauma,Bestrahfung,Chemotherapie
logischen Untersuchung mit Fundoskopie und sache in einer Substitution mit natürlichen oder
Perimetrie notwendig. konjugierten Östrogenen in ansteigender Dosis, be-
• Finden sich klinische Hinweise auf weitere hypo- ginnend bei einem Skelettalter von 11-12 Jahren
thalamisch-hypophysäre Ausfälle wie eine Er- (Tabelle 5-7). Nach 2-3 Jahren kann auf eine
niedrigung der Schilddrüsenhormone oder des zyklische Therapie mit einer Östrogen-Gestagen -
IGF-1, ist ein generalisierter Hypopituitarismus Kombination übergegangen werden.
anzunehmen. Bei hypogonadotropem Hypogonadismus kann
bei Kinderwunsch der Patientin eine pulsatile The-
Therapie rapie mit GnRH oder eine HMG/HCG-Therapie
Die Behandlung einer Pubertas tarda bei Mädchen durchgeführt werden. Eine primäre Einleitung der
besteht nach Abklärung der zugrunde liegenden Ur- Pubertät mit Gonadotropinen hat sich in der Pä-
178 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Monat
'Tag
rt.opiound
Beoc>ldeo-1
37,0'
38,5'
36,0'
Blulung
z......... ''·
1 2 S ot 5 8 7 I 11 11l'l 2!1 31 1
'' .
"""""
Tao
Then>Pe und
Beoc>-·
'ci.IJNII'II'k .",.. HU
Morgontomporau S7,5
S7,0' '
36,5' I
'
I
38,0' I
' + I
Abb.S-7.
BMung I '..1 Basaltemperaturkurve
Zyt<Juslos 1 2 3 4 ~ • 7 •• 11~ 2)lfl ' 'li' ' r· ~·IIQI21 ~
~· vor und nach Therapie
5.9 Ovarialinsuffizienz und Sterilität 179
Körperliche Untersuchung
5.9.4 Bei der allgemeinen Untersuchung achtet man auf
Klinik Körperbau, Gewicht, Muskel- und Fettverteilung,
Behaarungsmuster, Größe der Schilddrüse sowie
Symptome und Beschwerden auf das Bestehen einer Galaktorrhö.
Häufige Symptome einer Ovarialinsuffizienz sind
Zyklus- und Blutungsstörungen wie • Gynäkologische Untersuchung. Bei der gynäko-
• Oligo-/ Amenorrhö, logischen Untersuchung lassen sich neben dem Aus-
• Polymenorrhö, schluss von Fehlbildungen von Vagina, Zervix und
• Hyper-/Hypomenorrhö, Uterus auch Muttermundsweite, Zervixschleim und
• prämenstruelles Spotting, anschließend mikroskopisch die Vaginalzytologie
• irreguläre Blutungen (vor Therapie Ausschluss ohne großen apparativen Aufwand im Sinne eines
organischer Ursachen wie Polypen, Myome, Zyklusscreenings beurteilen. Daher können bereits
Karzinome). einfache Untersuchungen Hinweise auf den norma-
len oder gestörten Ablauf des Zyklus geben. Die Ver-
Ein regelmäßiger Zyklus schließt aber Anovulation änderungen des Zervixschleimes sind im typischen
und Corpus-luteum-Insuffizienz nicht aus. Fall so charakteristisch, dass sie auch zur Zyklusbe-
5.9 Ovarialinsuffizienz und Sterilität 181
urteilung im Rahmen der natürlichen Familienpla- gnostikzwischen dem 20. und 24. Zyklustag. Stimu-
nung durch die Frau selbst herangezogen werden lationstests wie TRH-Test, GnRH-Test sowie ein
können. Die Basaltemperaturkurve (Abb. 5-7) er- ACTH-Test werden bei pathologischen Basalwerten
laubt Rückschlüsse auf die Vorgänge im Zyklus, im nächsten Zyklus (möglichst 2.-5. Zyklustag)
der biphasische Verlauf ist Ausdruck der Progeste- durchgeführt (Tabelle 5-8).
ronwirkung auf das Temperaturzentrum. Hinweise
auf Funktionsstörungen können sein
Vaginalsonographie
• prämenstruelles Spotting,
Die Vaginalsonographie ermöglicht neben der Dar-
• monophasischer Verlauf,
stellung des inneren Genitale und damit dem Aus-
• verkürzte Lutealphase von weniger als 10 Tagen,
schluss von größeren anatomischen AuffäHigkeiten
• treppenförmiger Anstieg der Temperaturkurve.
die indirekte endokrinalogische Zyklusüberwa-
chung durch Messung des Follikelwachstums und
Bei 10-15 o/o der Frauen fehlt die Wirkung des Pro-
der Endometriumproliferation (Zyklusmonitoring).
gesterons auf die Temperaturregulation des Kör-
pers, außerdem gibt es zahlreiche Störmöglichkei-
ten, z. B. durch körperliche Aktivität oder Infekte. Endometriumbiopsie
Eine Endometriumbiopsie in der Mitte der Luteal-
phase kann über die zyklusgerechte Transformation
Labor
des Endometriums Aussagen machen. Sie wird
Nach Anamnese und allgemeiner sowie gynäkologi-
heute meistens durch Progesteronbestimmungen
scher Untersuchung stehen an nichtinvasiven Un-
ersetzt.
tersuchungsmethoden zunächst Hormonbestim-
mungen sowie Ultraschalluntersuchungen zum Zy-
klusmonitoring im Vordergrund. Die Hormonbe-
stimmungen müssen zyklusgerecht durchgeführt 5.9.6
und oft wiederholt werden, um eine verlässliche Differentialdiagnose
Aussage über den Zyklusablauf zu erlauben. Man
unterscheidet basale Hormonbestimmungen zwi- Aufgrund der vielfältigen Regulationsvorgänge, die
schen dem 2. und 5. Zyklustag sowie die Lutealdia- die Funktion des Ovars beeinträchtigen können,
Tabelle S-8. Endokrinalogische Diagnostik und Therapieansätze bei Ovarialinsuffizienz und Kinderwunsch
TSH Hypothyreose: führt häufig T3, T4, evtl. TRH-Test, jodidzufuhr, Therapie von Hypo-,
zu Hyperprolaktinämie Schilddrüsensonogramm H~erthyreose durch T~oxin
nac internistischer Ab ärung
werden die Möglichkeiten einer sekundären ovariel- zienz, da die verbesserte Follikelreifung auch eine
len Störung durch eine ausführliche Anamnese so- günstige Voraussetzung für ein funktionierendes
wie durch hormonelle Screeninguntersuchungen Corpus luteum schafft (Tabelle 5-10).
anderer endokriner Systeme (Schilddrüse, Neben-
niere, Diabetes mellitus) von Anfang an in die diffe- • Clomiphen. Clomiphen hat einen antiöstrogenen
rentialdiagnostischen Überlegungen miteinbezogen Effekt und bewirkt daher eine Steigerung der endo-
und bei Verdacht individuell abgeklärt. genen hypophysären Gonadotropinsekretion. Es
kann in einer Dosis von 50-100 (-150) mg täglich
vom 3.-5. Zyklustag an für 5 Tage oral gegeben wer-
5.9.7 den, z. B. 5.-9. Zyklustag. Häufig beobachtet man
Therapie einen negativen Effekt auf den Zervixfaktor und
auf das Endometrium. In diesen Fällen können
Da eine Konzeption nur nach einer Ovulation statt- zusätzlich Gonadotropine gegeben werden. Die
finden kann und zur Nidation ein ausreichend se- meisten Schwangerschaften werden innerhalb der
kretorisch umgewandeltes Endometrium vorliegen ersten 3-4 Zyklen beobachtet. Eine mögliche Risiko-
muss, gibt es verschiedene Therapieansätze. erhöhung für das spätere Auftreten von Ovarialkar-
zinomen ist weitgehend ausgeschlossen.
Allgemeine Maßnahmen
• FSH/LH. Gonadotropinpräparate enthalten FSH
Zur Erzielung eines ovulatorisehen Zyklus mit suffi-
(die urinären Präparate auch LH) und müssen inji-
zienter Lutealphase genügt es in vielen Fällen, ande-
ziert werden. Sie werden seit 1960 zur Ovulationsin-
re Endokrinopathien wie Hypothyreose, Hyperan-
duktion eingesetzt. Urinäre Gonadotropine werden
drogenämie oder Hyperprolaktinämie entsprechend
aus dem Urin menopausaler Frauen gewonnen. In-
zu behandeln, so dass sich eine Therapie zur Luteal-
zwischen gibt es gentechnisch hergestellte Präparate,
substitution oder Ovulationsinduktion erübrigt. Je-
die nur FSH enthalten. Die Gonadotropine stellen
doch sollten frühzeitig auch der Mann sowie andere
eine Substitutionstherapie bei hypophysärer Insuffi-
Sterilitätsursachen (Zervixfunktion, Tubenfunkti-
zienz dar. Ihre therapeutische Breite ist sehr gering.
on) untersucht werden, da als Ursache der Sterilität
Die Schwellendosis muss für jede Frau individuell
viele Faktoren einzeln oder kombiniert eine Rolle
gefunden werden, bei Anovulation liegt sie zwischen
spielen können. Finden sich keine allgemeinen
1/2-4 Ampullen mit 75 IE FSH/Tag. Die wichtigsten
oder endokrinen Störungen oder sind diese ausrei-
Risiken und Nebenwirkungen sind Überstimulatio-
chend therapiert, ohne dass eine Schwangerschaft
neil und Mehrlingsschwangerschaften. Die Gonado-
eintritt, so kann bei Lutealinsuffizienz diese zu-
tropine können auch zur Optimierung des Zyklus
nächst durch Progesteronsubstitution oder durch
sowie zur kontrollierten Überstimulation bei
Stimulation des Corpus luteum behandelt werden
Frauen, bei denen die Verfahren der assistierten Re-
(Tabelle S-9).
produktion eingesetzt werden, angewendet werden.
Auch bei Frauen in der Prämenopause und bei mil-
Stimulationsverfahren den Formen der hypergonadotropen Ovarialinsuffi-
Bei Anovulation werden primär verschiedene Stimu- zienz lassen sich mit ihrer Hilfe in ca. 20% der Fälle
lationsverfahren eingesetzt. Diese sind auch der Ovulationen erzeugen. Die Dosis kann in solchen
zweite Therapieschritt bei Corpus-luteum-Insuffi- Fällen bis auf 8 Ampullen pro Tag (= 600 IE/Tag)
Tabelle 5-10. Stimulationstherapien bei Anovulation, unzureichender Eireifung oder für Verfahren der assistierten Reproduk-
tion
I. Ansatz Antiöstrogene heben negatives Feed-back der Östrogene auf Hypophyse/Hypothalamus auf,
bewirken verstärkte Sekretion von Gonadotropinen
Durchführung 5 Tage 50-100 mg Clomiphencitrat, Beginn 3.- 5. Zyklustag
meistens Ovulationsinduktion mit HCG und Lutealsupport
Risiko Überstimulation {10- 15 %), Mehrlingsschwangerschaften (2- 10 %)
Unerwünschte negativer Einfluß auf Cervixfaktor und Endometrium
Nebenwirkungen
3. Ansatz pulsatiles GnRH substituiert die fehlenden hypothalamisehen Impulse bei hypogonadotropen Frauen
mit positivem GnRH-Test
Durchführung Beginn nach Blutungsauslösung (Östrogen/Gestagenkombination) mit 2,5- 10 J.lg/Puls, Frequenz alle
90 Minuten s.c., Steigerung von Dosis + Frequenz sowie i.v. Applikation möglich
Nachteile hoher Aufwand, Kosten
Vorteil meistens monofollikuläres Wachstum
Überwachung I. Sonographische Follikelmessung (Zahl, Größe)
2. ~H - Peak ca. 24 h vor Ovulation, Eigenmonitaring (Urin) möglich
3. Ostradiol-17ß (Sekretionsleistung des reifenden Follikels)
gesteigert werden. Die Prognose für eine erfolgrei- Dreimonatsdepot, täglich s. c., mehrmals täglich
che Schwangerschaft ist allerdings in diesen Fällen nasal) kommt es nach einer initialen Stimulation
ungünstig. (Flare-up-Effekt) zu einer partiellen oder komplet-
ten Blockade der Gonadotropinsekretion durch
• Gonadotropin-releasing-Hormon. Bei intakter Down-Regulation der Rezeptoren und damit zu
Hypophysen-Ovar-Achse und hypothalamischer In- einer reversiblen künstlichen Menopause. Diese
suffizienz lässt sich durch die Substitution von Medikamente werden daher in Kombination mit
GnRH eine Follikelreifung erzielen. Diese Methode Gonadotropinen zur Verhinderung der vorzeitigen
ist sehr aufwendig, da das GnRH pulsatil mittels Luteinisierung bei kontrollierter Überstimulation
einer am Körper tragbaren Pumpe subkutan oder für die assistierte Reproduktion eingesetzt.
i. v. etwa alle 90 min verabreicht werden muss.
Der Vorteil dieser Methode liegt in der meist mo-
noovulatorischen Reaktion und damit in der gerin- Hypergonadotrope Ovarialinsuffizienz
geren Gefahr von Überstimulation und Mehrlings- Bei vorzeitiger ovarieller Erschöpfung und dringen-
schwangerschaften. Bei der Gabe von GnRH-Ana- dem Kinderwunsch sind die Therapiemöglichkeiten
loga in anderen Applikationsformen (Monatsdepot, zur Erzielung einer Schwangerschaft in Deutschland
184 KAPIT EL 5 Weibliche Gonaden
auf Grund des Embryonenschutzgesetzes sehr be- • Klinik. Hierbei kommt es zur Bildung großer Fol-
grenzt, da eine Eizellspende verboten ist. Durch likel- oder Corpus-luteum-Zysten mit der Bildung
eine Substitutionstherapie mit Östrogen/Gestagen- von Aszites und Pleuraergüssen. Durch die meistens
Kombinationspräparaten (s. Tabelle 5-4) lässt sich vorhandene Hämokonzentration entsteht ein Risiko
in einigen Fällen ein normogonadotroper Zustand für Thrombosen und Embolien, die zu einzelnen
erreichen. Dieser vermehrt aber nicht den Restvorrat Todesfällen geführt haben. Es kann auch zur Stiel-
an Stimulierbaren Follikeln. Ein Stimulationsver- drehung der Ovarien oder zur Ruptur von Zysten
such mit hoher Dosis an Gonadotropinen (bis 8 Am- kommen. Die Patientinnen müssen daher sorgfältig
a
pullen 75 IE FSH/Tag) zur Erzielung einer Follikel- über diese Komplikationsmöglichkeit aufgeklärt
reifung lässt sich im Einzelfall vertreten, da die Ei- und während der Therapie engmaschig überwacht
zellqualität bei Frauen unter 35 Jahrentrotz vermin- werden.
derter Reserve noch ausreichend sein kann zur
Erzielung einer Schwangerschaft. Die Schwanger- • Therapie. Bei einem schweren OHSS ist eine In-
schaftsraten sind sehr niedrig (2-10 %), wobei in tensivtherapie mit Infusionen, Thromboseprophy-
der Hälfte der Fälle mit einer Fehlgeburt gerechnet laxe, Bilanzierung des Flüssigkeitshaushaltes, Re-
werden muss. hydratation mit Albuminen und evtl. Punktion
von Ergüssen notwendig. Das Krankheitsbild kann
Studien sich durch den Eintritt der gewünschten Schwanger-
Der Einsatz von Wachstumshormon vor und wäh- schaft noch verschlechtern. Tritt keine Schwanger-
rend eines Stimulationsversuches bei hypergonado- schaft ein, so kommt es meistens zu einer raschen
tropen Frauen führt nicht zu einer signifikanten Besserung.
Verbesserung der Follikelreifung, daher kann dieser
Therapieansatz nicht empfohlen werden.
5.10
Therapiekontrollen
Menopause
Jede Stimulationstherapie sollte sonographisch
überwacht werden, damit das Risiko von Mehr- T RABE,E. VLADESCU,B. RUNNEBAUM
lingsschwangerschaften begrenzt werden kann. In
Deutschland darf eine Stimulationstherapie, bei der 5.10.1
mehr als 2 Follikel entstehen können, nur durch Fallpräsentation
Frauenärzte mit Zulassung durch die zuständige
Ärztekammer durchgeführt werden.
53-jährige Patientin mit Hitzewallungen, Schlaf-
störungen und depre siver Verstimmung seit
Nebenwirkungen
2 Jahren. Zustand nach Hysterektomie ohne
Da die therapeutische Breite insbesondere der Gona-
Adnexektomie. Nie ernsthaft krank gewesen;
dotropine gering ist, besteht bei jeder Stimulation
nach der Geburt des 2. Kindes vor 15 Jahren Ent-
das Risiko einer Überstimulation und von Mehr-
wicklung eines Uteru myomatosu . Mit 46 Jah-
lingsschwangerschaften.
ren wegen dysfunktioneUer Blutungen und De-
scensus uteri und vorderer Zystozele vaginale
Hysterektomie ohne Adnexektomie mit vorde-
5.9.8 rer Kolporhaphie. Zur Zeit sehr nervös; Partner-
Notfall probleme. Starke Zigarettenraucherin (> 20/
Tag). Wenig Bewegung. Arbeit in einem
Ovarielles Überstimulationssyndrom (OHSS) Schreibbüro als Übersetzerin. Bisher noch nie
Während oder nach Stimulationsbehandlung kann Hormone eingenommen. Keine familiäre Bela-
sich - besonders nach Gabe von HCG - ein be- stung hinsichtlich Krebs, kardiovaskulären Er-
drohliches Krankheitsbild, das ovarielle Überstimu- krankungen, Osteoporose, Diabetes mellitus
lationssyndrom (OHSS), entwickeln. Die Häufigkeit und M. Alzheimer. Untersuchungsbefund:
eines schweren OHSS beträgt ca. 2 o/o der ovariellen Patientin mit typisch weiblichem Habitus.
Stimulationen. Patientinnen mit PCO-Syndrom sind 163 cm groß und 58 kg schwer. Normale seiten-
häufiger betroffen. Ein OHSS tritt bei den sog. gleiche, palpatorisch unauffällige Brust, keine
"Step-up-Protokollen" zur ovariellen Stimulation Lymphknoten. Äußeres Genitale leicht gerötet,
(= stufenweise Erhöhung der Gonadotropingabe trocken; weißliche Belege sowie auch Rötung
pro Tag) häufiger auf als bei den sog. "Step- im Bereich der Scheide, z. T. oberflächliche Ero-
down- Protokollen".
5.10 Menopause 185
• Prämenopause. In der Prämenopause kommt es liegen die FSH-Spiegel um 10- bis 20-fach höher. Der
zu einer nachlassenden Ovarialfunktion mit Östra- Anstieg der Serumspiegel für LH ist weniger ausge-
diolabfall und Gonadotropinanstieg (insbesondere prägt (im Vergleich zur fertilen Phase: 3- bis 5-facher
FSH) sowie zu einem relativen oder absoluten Pro- Anstieg).
gesteronmangel; gleichzeitig Verkürzung der Folli-
kelreifungsphase, Zunahme von anovulatorischen
Zyklen, gehäuftes Auftreten von Zyklen mit einer 5.10.4
Lutealinsuffizienz und vermehrt dysfunktioneile Klinik
Blutungen (Abb. 5-8 und Tabelle 5-11).
Während in der Prä- und Perimenopause neben
• Postmenopause. In der Postmenopause tritt Blutungsstörungen neurovegetative und psychische
parallel zur Atresie der ovariellen Follikel ein drasti- Störungen im Vordergrund stehen, kommt es mit
scher Abfall der Östradiolspiegel im Serum auf zunehmender Dauer des Östrogenmangels in der
(< 30 pg/ml). Gleichzeitig kommt es zu einem Postmenopause zur Manifestation von Organstö-
starken FSH-Anstieg; im Vergleich zur fertilen Phase rungen (Abb. S-9).
70 Östradiol
(pg / ml)
so
FSH (ng/ml) 40
30
:1
20
10
[:::::J Sto rungen ohne typ1sche Merkmale Storungen m1t typiSChen Merkmalen
Blutungssto
fur191J1r
c:
0
Kllmakteusc ~~ hwe1den
~
:I
""C S<hlalst oru~(lpn.~ rederQeSChlaQenhen I
~
ll. Abnahme de1 HautdiCke
1:
....."e
01
:0 I Blasenschwac~
Knochenschwu!><J
I
"c:
""C I I Ruckb1ldu t'9 von Brust und S<he•de
"c:
jt s, Ube•gejYKht I
·;;;
'f'
~
cc
I I Blutho<:h{huck
I I
~~·
A rter~verkalkung
Abb. 5-9. Klinische Beschwerden in Ab-
hängigkeit vom Zeitpunkt des Eintritts
40 45 so 55 60 65 70 der Menopause bezogen auf das Lebens-
Altt>r alter
5.10 Menopause 187
Neurovegetative Störungen
5.10.5
Durch den Östrogenmangel in der Perimenopause
Diagnostik
treten psychovegetative Symptome (u. a. Hitzewal-
lungen, depressive Verstimmungen, Schweißaus-
Ziel
brüche, Schlaflosigkeit, Nervosität, Reizbarkeit,
• Erkennung von Grunderkrankungen in der Fami-
Ängste, Spannungsgefühl, Schwindel, Kopfschmer-
lie oder bei der Patientin selbst.
zen, Durchblutungsstörungen) auf. Etwa zwei
• Erkennung von Risikogruppen, bei denen eine
Drittel aller Frauen im Klimakterium weisen diese
bestimmte Erkrankung (z. B. Osteoporose) prä-
Symptome auf; im Vordergrund stehen dabei die
ventiv behandelt werden muss, oder Risiko-
Hitzewallungen.
gruppen, die bestimmte Behandlungsmethoden
nicht bekommen dürfen (z. B. familiäres Risiko
Psychische Störungen (psychonervöse Störungen) für Mammakarzinom und HRT-Beratung).
Reizbarkeit, Lustlosigkeit, Gedächtnisschwäche, • Weitere Informationen: Was will die Patientin
Leistungsabfall, Schlafstörungen, hypomanische selbst - was will sie nicht?
Zustände, depressiv-dysphorische Verstimmungs-
zustände sowie hysterische ReaktionsmusteL Familienanamnese
Familiäres Risiko für Osteoporose, kardiavaskuläre
Erkrankungen, Mamma- und Ovarialkarzinom, Alz-
Organische Veränderungen
heimer-Risiko, Diabetes mellitus, Alter der Eltern,
In Abhängigkeit von der Dauer des Östrogenman-
evtl. Todesursache.
gels sind an allen östrogenabhängigen Zielorganen
Veränderungen zu erwarten. Die Manifestation die-
ser Störungen ist zeitlich unterschiedlich. Zunächst Anamnese
kommt es zu Voroperationen, kardiavaskuläre Erkrankungen
• urogenitalen Veränderungen (Atrophie der Geni- (insbesondere Thrombosen); klären, inwieweit
talschleimhäute mit Entzündungen, Urethralsyn- kontrazeptive Maßnahmen noch erforderlich sind;
drom, Reizblase, Stress- und Urgeinkontinenz), ob regelmäßige Blutungen noch zu erwarten oder
• Haut- und Schleimhautveränderungen (Atro- erwünscht sind; Kenntnisse über Wirkungen und
phien, Vitiligo, androgenetische Alopezie), Nebenwirkungen der Sexualisteroide; Lebensum-
• Arthralgie, stände, Rauchgewohnheiten, Ernährung, Sport
• Keratoconjunctivitis sicca. und Bewegung. Status nach onkologischen Erkran-
kungen. Beschwerdebild: neurovegetative Beschwer-
Mit längerer Dauer des Östrogenmangels (5-10 Jah- den ( u. a. Hitzewallungen, Schlafstörungen, depres-
re) kommt es auch zu Erkrankungen des kardio- sive Verstimmungen, Schweißausbrüche), Urogeni-
vaskulären Systems sowie zu osteoporotischen Ver- talbeschwerden, Schmerzen im Bereich der Wirbel-
änderungen. säule.
188 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Tabelle 5-12. "Natürliche" und synthetische Östrogene: Tägliche Substitutions- und Endometriumsproliferationsdosen
("Natürliche") Östrogene
Östradiol Oral vaginal, (nasal) 0,025- 0,1 60
transdermal
l7ß-Östradiol, mikronisiert Oral, vaginal 2 60
Östradiolvalerat Oral, intramu kulär 1,0- 2,0 60
Konjugierte equine Östrogene Oral 0,6-1 ,25 60
Ö triol( -succinat) Oral, vaginal 1- 2
Östronsulfat Oral
"Synthetische" Östrogene
Äthinylöstradiol Oral 0,02 0,3
5.10 Menopause 189
17a- Hydroxyprogesteronderivate
Progesteron, mikronisiert Oral, vaginal 200-300 4.200
Chlormadinonacetar• Oral 2 25-30
Medroxyprogesteronacetat Oral, intramuskulär 5- 10 30- 50
Medrogeston Oral 5 70
Cyproteronacetat• Oral I 20
Dydrogesteron Oral 10 140
19- ortestosteronderivate
orge trel 0,15 8-12
Levonorgesrrel Oral, intrauterin 0,075 4- 12
Lynestrenol Oral 70- 150
orethisteron Oral 0,7 so
orethisteronacetat Oral, transdermal 100-120
Varia
Tibolon Oral 2,5
Prasteronenanthat (DHEA-enanthat) Intramuskulär
• antiandrogene Wirkung
Behandlungsdauer. 10-14 Tage zur Prophylaxe Überdosierung: Gestagene heben die positiven Wir-
der Endometriumhyperplasie. kungen der Östrogene am kardiavaskulären System
je nach Art und Dosierung z. T. auf. Daher sollte die
Gestagendosis so gering wie nötig gewählt werden,
Auswahl der Gestagene. Beispielsweise bei Nei-
so dass gerade noch eine ausreichende Endometri-
gung zur Androgenisierung: Cyproteronacetat. Da-
umprotektion erzielt wird (Tabelle 5-14).
gegen Progesteron in der Perimenopause bei Ödem-
neigung.
Androgene
• Indikationen Präparate mit Methyltestosteron nicht in Deutsch-
• Bei nichthysterektomierter Patientin werden die land verfügbar; in den USA werden solche Präparate
Gestagene als Schutz vor einem Endometrium- zunehmend beliebter.
karzinom als Nebenwirkung der Östrogensubsti-
tution durch regelmäßige Abbruchblutungen • Wirkung. Substitution des Androgendefizits in
(sequentielle Therapie) gegeben oder durch In- der Postmenopause.
duktion einer Endometriumatrophie mit konse-
kutiver Amenorrhö (kontinuierlich-kombinierte • Vor-/Nachteile. Günstiger Einfluss auf Eiweiß-
Therapie). stoffwechsel, Vitalität, Stimmung und Libido.
190 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Tabelle 5-14. Nebenwirkungen der Östrogen- bzw. (;estage- Bevölkerung; im Vergleich zum Placebo RR
nersatztherapie in der Postmenopause (bei relativer Uberdo- 2,49 (1,23-5,02).
sierung)
• Oberflächliche Thrombophlebitiden bei < 1 o/o
Östrogene Gestagene der Fälle (kein Unterschied zur HRT).
• Vermehrt Wadenkrämpfe (5,5 o/o vs. 1,9 o/o beim
ZNS Übelkeit Abgeschlagenheil Placebo).
Migräne Appetitanstieg
Dysphorie
Gewicht Gewichtszunahme Gewichtszunahme
• Indikation
Wasserretention • Primärprävention der Osteoporose (Prävention
Androgenisierung - Akne, Hirsutis- atraumatischer Wirbelbrüche bei Patientinnen
mus, Seborrhö mit erhöhtem Osteoporoserisiko = zugelassene
Brust Brustspannen Brustspannen Indikation): Reduktion der Osteoporose um
Genitalorgane Zervikaler Fluor Trockene Vagina 42 o/o bei Frauen mit Osteoporose (n = 5064;
und Atrophie des BMD > 2,5 SD).
Vaginalepithels • Sekundärprävention und Therapie der Osteo-
Libido Libidoabnahme porose: Reduktion der fortgeschrittenen Osteo-
Stoffwechsel Cholestase, porose um 34% (n = 2641 mit Wirbelfrakturen).
Cholelithiasis Die MORE-Studie läuft z. Z. im 4. Jahr (geplant
Varia Blähgefühl sind 6 Jahre).
Schwere Beine,
Wadenkrämpfe
• Kontraindikationen
• Venöse thromboembolische Erkrankungen in
der Anamnese oder aktuelle Thrombose.
SERM ("selective estrogen receptor modulators") • Schwere Leber- und Nierenschäden.
Raloxifen ist ein nichtsteroidales Benzothiophende- • Keine Einnahme ohne sicheren Kontrazeptions-
rivat. Weitere Substanzen (u. a. Torimifen) sind in schutz im gebärfähigen Alter.
Entwicklung.
• Anmerkung. Wirkung von Raloxifen auf koro-
• Indikationen. Raloxifen ist in Deutschland zur naren Herztod und nichtletalen Myokardinfarkt
Primärprävention der Osteoporose zugelassen. wird in der RUTH-Studie untersucht (Multizenter-
studie, n = 10.000 Fälle mit erhöhtem kardiovasku-
• Wirkung. Gewebespezifische Bindung am Östra- lärem Risiko). Ergebnisse sind erst in einigen Jahren
diolrezeptor und Veränderung der Rezeptorkon- zu erwarten.
figuration, so dass eine Dimerisierung und somit
Aktivierung nicht möglich ist.
Ziele einer Hormonersatztherapie im Klimakterium
• Dosierung. Raloxifen: 60 mg als Einzelgabe oral/ • Unterdrückung der vegetativen und psychischen
Tag, keine Beeinflussung durch Nahrungsaufnahme; Beschwerden, Schutz vor Urogenitalatrophie,
Einnahmezeitpunkt (Tageszeit) spielt keine Rolle. günstige Wirkungen auf Haut und Schleimhäute,
Verbesserung des psychosozialen Umfeldes, Ver-
• Vor-/Nachteile. Gewebespezifische Östrogenago- besserung der Hirnfunktion (Merkfähigkeit, Kon-
nistische (z. B. Knochen, Stoffwechsel) bzw. -antago- zentration).
nistische Wirkung (z. B. Brust, Endometrium), • Günstige Beeinflussung des kardiovaskulären Sy-
• Vorteil: keine proliferative Wirkung auf das En- stems, d. h. Verbesserung der Durchblutung, Sen-
dometrium (keine Hyperplasie), Abnahme des kung des Blutdruckes, günstige Einflüsse auf den
Mammakarzinomrisikos um 54 o/o (1 0.000 Fälle Fettstoffwechsel.
über 3 Jahre) (Langzeitstudien mit 22.000 Fällen • Prävention bzw. Minderung von Knochenmasse-
laufen zur Zeit, STAR-Studie) (Vergleich Tamoxi- verlust
phen 20 mg vs. 60 mg Raloxifen über 5 Jahre). • Erhaltung der Gesundheit, der Arbeitsfähigkeit
• Nachteil: keine Beeinflussung der psychovege- und einer besseren Lebensqualität
tativen und vasomotorischen klimakterischen
Beschwerden. Indikation
• Behandlung von Blutungsstörungen,
• Nebenwirkungen • Behandlung klimakterischer Beschwerden,
• Venöse thromboembolische Erkrankungen in der • Behandlung chronischer Östrogenmangelerschei-
Postmenopause in 0,8 o/o der durchschnittlichen nungen bzw. Prävention derselben (Genitale, Ske-
5.10 Menopause 191
lettsystem, Herz-Kreislauf-System, Haut und Vorteile der parenteralen Anwendung (z. B. trans-
Schleimhäute, ZNS). dermal): geringere Belastung von Magen, Darm,
Leber und Galle, geringere oder fehlende meta-
Kontraindikation bolische Effekte.
• Floride Thrombose oder Thromboembolie.
• Akuter Herzinfarkt.
• Zustand nach rezeptorpositivem Mammakarzi- Therapieschemata
nom. Die Therapiemöglichkeiten richten sich nach dem
• Akute oder chronische Lebererkrankungen, so- Lebensabschnitt der Frau und den zugrunde liegen-
lange die Leberfunktionsparameter nicht im den funktionellen Störungen bzw. Beschwerden
Normalbereich liegen. (Abb. 5-10).
• Unklare uterine Blutungen. • In der Prämenopause wird eine Zyklusnormali-
• Relative Kontraindikationen, s. jeweilige Beipack- sierung und Kompensation des relativen Östro-
zettel. genübergewichts angestrebt.
• In der frühen Menopause ist eine zyklische Östro-
Anwendungswege gen-Gestagen-Therapie sinnvoll mit regelmäßi-
• Oral: Östradiolester, konjugierte Östrogene, Öst- gen Abbruchblutungen.
riol, Östriolester, • Im höheren Lebensalter kann eine kontinuierliche
• transdermal: Östradiol (Pflaster, Gel), kombinierte Östrogen-Gestagen-Therapie zur
• transvaginal: Östradiol (Vaginalring), Atrophisierung des Endometriums (Ziel: Amen-
• vaginal: Östriol, niedrig dosiert Östradiol (Ovula, orrhö) eingesetzt werden.
Creme), • Bei Zustand nach Hysterektomie ist auch eine
• sublingual: z. Z. in klinischer Prüfung. reine Östrogentherapie möglich.
Monotherapie
Östrogene zyklisch
Östrogene kontinuierlich
Gestagene (kontinuierlich)
Kombinationstherapie
Sequenztherapie: 2-Stufen
Sequenzthet"aple: 2·Stufen
3--Stufen-Therapie
Östrogen/Gestagen kontinuierlich
Abb. 5-10. Hormonersatztherapie in der Postmenopause: Therapieschemata: Östrogen- oder Gestagenmonotherapie und
Kombinationstherapieschemata. (Nach Hollihn 1997)
192 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
• Therapiebeginn
• Jederzeit, je nach Beschwerdesymptomatik,
• vgl. nächsten Abschnitt (s. unten).
5.10 Menopause 193
Klimakterische Beschwerden
• Die Hormonersatztherapie mit Östrogen-Gesta- Urogenitale Beschwerden
gen-Gemischen ist sehr effektiv zur Beseitigung Östriol als Ovulum oder Creme oder Östradiollokal
klimakterischer Symptome. als Ring oder Tablette. Vorteil der Lokaltherapie:
• SERM nicht wirksam bei psychovegetativen und keine systemischen Nebenwirkungen. Nachteil:
vasomotorischen Beschwerden. kein Osteoporoseschutz bzw. Schutz vor kardio-
• Psychovegetative Beschwerden lassen sich häufig vaskulären Erkrankungen etc. Bei isolierten Hitze-
mit Phytopharmaka, z. B. Johanniskraut, zufrie- wallungen evtl. Clonidintherapie oder Gestagenmo-
den stellend behandeln. notherapie.
5.11 Vorzeitige Pubertätszeichen und Puberlas praecox 195
Obwohl die Ätiologie der meisten Fälle von vorzei- Erkrankung der Nebennierenrinde
tiger Pubertät bei Mädchen idiopathisch ist, schließt Adenome können selten vorwiegend Östrogene pro-
die Differentialdiagnose viele organische Erkran- duzieren und damit eine vorzeitige Pubertätsent-
kungen ein, die in der Abklärung von Mädchen wicklung verursachen . Adrenale Karzinome bilden
mit früher isosexueller Pubertätsentwicklung be- neben geringen Östrogenmengen zu meist Androge-
rücksichtigt werden müssen. ne und Cortisol und führen damit zu einer hetero-
sexuellen Pubertät. Bei einem unbehandelten AGS
(s. auch prämature Adrenarche) kann neben der Vi-
5.11.4 rilisierung auch eine beginnende Brustentwicklung
Pathogenese der Pseudopubertas praecox beobachtet werden.
Ovarialtumore Iatrogen
Bei etwa 60% der Ovarialtumoren, welche mit einer Durch protrahierte topische Anwendung von Östro-
vorzeitigen Pubertät einhergehen, liegen Granulosa- genhaitigen Cremes, z. B. zur Behandlung einer Syn-
zelltumoren vor. Ovarialtumore können Östrogene echie der kleinen Labien, kann es zur Brustdrüsen-
und Androgene sezernieren und damit sowohl schwellung kommen. Orale Kontrazeptiva si nd eine
Brustentwicklung als auch Schambehaarung indu- eher seltene Ursache einer vorzeitigen Pseudopuber-
zieren. rumore, welche HCG und Östrogene produ- tät. Ob Östrogene im Fleisch und östrogenhaltige
zieren (Chorionkarzinom des Ovars), können eine Substanzen in Pflanzen für die z. r. in Clustern auf-
vorzeitige Pubertätsentwicklung hervorrufen, wäh- tretende vorzeitige Brustdrüsenschwellung in Frage
rend LH- und ß-HCG-produzierende r umore bei kommen, ist nicht geklärt.
Mädchen nicht zu einer vorzeitigen Pubertät führen.
Primäre Hypothyreose
Gonadotropinunabhängige, vorzeitige Pubertät Bei schwerer, über längere Zeit bestehender primä-
Rezidivierende autonome Follikelzysten können als rer Hypothyreose, gewöhnlich im Rahmen einer
isoliertes Ereignis oder im Rahmen eines McCune- Hashimoto-rhyreoiditis, kann es in seltenen Fällen
Albright-Syndroms (MAS) auftreten . Der Mechanis- zu einer Pubertas praecox kommen . Wenngleich der
mus der gonadotropinunabhängigen Aktivierung Mechanism us nicht geklärt ist, sprechen neuere Be-
der Ovarien und der rezidivierenden Follikelzysten funde dafür, dass extrem erhöhte rSH-Spiegel mit
und der anderen Krankheitsmanifestationen beruht den ovariellen FSH-Rezeptoren reagieren können.
auf einer dominanten somatischen Mutation des sti- Es finden sich häufig Ovarialzysten. Unter ausrei-
mulierenden G-Proteins (Gs-a) in verschiedenen chender Schilddrüsenhormonsubstitution bildet
Zellreihen, welche zu einer autonomen Aktivierung sich die Symptomatik zurück.
des cAMP-Zellstoffwechselweges führt.
UntersliChungsbefund
I I
Pubertätsstadium?
Isosexuelle I heterosexuelle Entwicklung ?
I
I Eub~!l~l~~~is;b~o ·
< 8. Lebensjahr
I
t
--------
I Wach stumsg eschwindigke ~
I
~
~ SO.Perzentile
I s SO.Perzentile
Knochenalter I Knochenalter
I
Akzeleriert (> 1 Jahr) A~ersentsprechend (± 1 Jahr)
KA ~ LA> CA KA·LA
I I
Sonographie , Vaginalsmear (-abstrich)
Steroidhormone: ~.TIDHT, DHENDHEA·S
I
-----------
pubertär
I
J I präpubertär I früh pubertär I
Gonadotropino: LH I FSH
I Normvarianten:
~ ~ ....
Prämature Thetarehe
Prämature Pubarche/Adrenarche
I I I
pubertär präpubertär I Frühe normale Pubertät
Puberlas praecox vo ra
I
Pseudopubertas praecox
McCune Albright Syndrom,Ovarialzysten ..
AGS,HCG·,Androgen·produzierendeTumoren
Hormon -produzierende Tumoren der Ovarien
Spezielle Diagnostik:
I
Spezielle Diagnostik:
GnRH Test
17-OHP,17-OH Prag,Androstendio n
LHI FSH Nachtsekretion
LH/FSH Nachtsekretion
MRT, Augenarzt
GnRH-, AC TH- Test
MRT
• Therapieerfolge. Therapieziele sind es, eine Nor- Studien konnte auch eine mäßige bis deutliche Ver-
malisierung der Östrogenspiegel in den präpubertä- besserung der tatsächlich erreichten Endgröße er-
ren Bereich, eine Regression bzw. und ein Verhin- zielt werden. Entscheidend für einen Erfolg sind
dern des Fortschreirens der Brustentwicklung und engmaschige Kontrollen und eine vollständige
ein Ausbleiben der Menses zu erreichen. Wachs- Suppression der Hypophysen-Gonaden-Achse.
tumsgeschwindigkeit und Skelettreifung verlangsa- Nach Absetzen des Medikaments tritt die Menarche
men sich deutlich unter der Behandlung. In vielen innerhalb von 1-2 Jahren ein, und die Menstruati-
Fällen mit einer eingeschränkten Endgrößenpro - onszyklen sind vergleichbar zu Kindern mit norma-
gnose gelingt es damit, eine Verbesserung der End- ler Pubertätsentwicklung. Eine Behandlung mit
größenvoraussage zu erreichen. In einer Reihe von GnRH-Agonisten ist auch wirksam bei Kindern
200 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Tabelle 5-15. GnRH-Agonisten in der Behandlung der zentra- rungen, Klitorishypertrophie) führt. Differentialdia-
len Puberlas praecox
gnostisch kommen ein adrenogenitales Syndrom,
Präparat Relative Potenz
adrenale Tumoren und androgenbildende Tumoren
der Ovarien (Lipoidzelltumor, Arenoblastom) in
GnR H Frage.
Leuprorelin 15
Enantone Monatsdepot 1.0
Tryptorelin 15
Diagnostik
Decapeptyl reta rd • Körperliche Untersuchung. Im Rahmen der kör-
Buserelin 20 perlichen Untersuchung ist besonders auf Zeichen
uprefact nasal/pro inj der Virilisierung wie Hirsutismus, Akne, Klitorome-
galie zu achten. Bereits eine gründliche Palpation
des Abdomens und eine bimanuelle rektale Unter-
suchung können Hinweise auf einen adrenalen
mit vorzeitiger Pubertät infolge von Harnartomen
oder ovariellen Tumor geben.
und anderen intrakraniellen Tumoren.
• Labor
• Indikationen. Die Behandlung mit GnRH-Ana-
e LH, FSH
loga ist eine sehr kostspielige Therapie und bedarf
• Östradiol
einer strengen Indikationsstellung. In folgender
e Testosteron, DHEA-S, DHEA
Übersicht wird der Versuch unternommen, die In-
• 17-Hydroxyprogesteron, 11-Desoxycortisol, All-
dikationen einzugrenzen.
drostendion (Blutuntersuchungen für Neben-
nierensteroide sollten möglichst morgens zwi-
Indikationen zur GnRH-Agonisten-Therapie schen 7 und 8 Uhr abgenommen werden- Tages-
der Pubertas praecox rhythmus).
• Bei Verdacht auf nichtklassisches adrenogenitales
• Komplette Pubertas praecox Syndrom ACTH-Test mit Bestimmung von
• Pubertäre Geschlechtshormonspiegel plus 17-Hydroxyprogesteron, 21-Desoxycortisol und
a) herabgesetztes Größenpotential 11-Desoxycortisol zum Zeitpunkt 0 und 60 min.
(prospektive Endgröße deutlich <P 5) oder
b) psychosoziale Erwägungen (individualisiert) Eine Erhöhung von DHEA-S und DHEA, welche
1) Mensis bei geistig behinderten oder nicht durch Dexamethason supprimierbar ist, kann
psychisch unreifen Mädchen erste Hinweise auf das Vorliegen eines adrenalen
2) Andere Erwägungen Tumors geben. Eine bildgebende Diagnostik mittels
(Verhalten, emotionale Probleme) Ultraschall, ggf. MRT, muss sich anschließen.
Gewichtszunahme und verlangsamtes Körper-
wachstum sprechen im Zusammenhang mit Virili-
McCune-Aibright-Syndrom sierungszeichen für ein tumorbedingtes Cushing-
Mädchen mit McCune-Albright-Syndrom profitie- Syndrom.
ren nicht von einer Therapie mit GnRH-Agonisten.
Eine Behandlung mit Testolacton, einem Aromata-
sehemmer, welcher die Östradiolsynthese blockiert, 5.11.8
kann hier erwogen werden. Unter dieser Behand- Prämature Adrenarche
lung ist häufig ein Rückgang der Pubertätszeichen
und ein Sistieren der unregelmäßigen, durch die re- Definition
zidivierenden Ovarialzysten hervorgerufenen Geni- Isoliertes Auftreten von Scham- und gelegentlich
talblutungen zu erzielen. Axillabehaarung vor dem Alter von 8 Jahren ohne
Zeichen einer Östrogenwirkung oder Virilisierung
(abnorme Behaarung, Klitorishypertrophie, Stimm-
5.11.7 veränderungen, Akne). Häufig ist auch ein adulter
Heterosexuelle Pubertas praecox Schweißgeruch nachweisbar. In der Literatur finden
sich verwirrenderweise die Begriffe "prämature Pu-
Definition barche" (frühes Auftreten von Scham- und/oder
Vermehrte Androgenproduktion adrenalen oder Axillarbehaarung) und "prämature Adrenarche"
ovariellen Ursprungs, welche zu Akne, Hirsutismus (frühe Reifung der adrenalen Androgenbildung),
und weiteren Virilisierungszeichen (Stimmverände- zum Teil synonym verwendet.
5.11 Vorzeitige Pubertätszeichen und Pubertas praecox 201
Tabelle 5-16. Differentialdiagnose Pubertas praecox-präma- vieles für die Bedeutung der transient vermehrten
ture Thelarche Östrogene unter hypothalamisch-hypophysärer
Prämalure Puberlas
Kontrolle.
Thelarche praecox
5.12.2 5.12.3
Klinik Ätiologie, Häufigkeit und Pathogenese
vermehrter Androgenwirkung
Symptome
Während beim Mann die Androgene die Vorgänge Wirkung der Androgene bei der Frau
der Fortpflanzung (d. h. Reifung der Spermatozoen) Die Androgene sind C19 -Steroidhormone, die für
und die Ausprägung der sekundären männlichen die Ausprägung der sekundären männlichen Ge-
Geschlechtsmerkmale steuern, ist die Bedeutung schlechtsmerkmale verantwortlich sind. Zu dieser
der Androgene für die Frau weitgehend ungeklärt. Gruppe von Hormonen gehören Testosteron, Sa-Di-
Eine vermehrte Bildung von Androgenen führt bei hydrotestosteron, Androstendion, Dehydroepian-
der Frau zu zahlreichen unerwünschten Wirkungen drosteron (DHEA) und dessen Sulfat (DHEAS),
hinsichtlich wobei das Testosteron zur Hälfte an der Gesamt-
• des menstruellen Zyklus, androgenwirkung beteiligt ist. Die Androgene zei-
• des Stoffwechsels sowie gen unterschiedliche genitale sowie extragenitale
• der Haut und deren Anhangsgebilde mit der Ent- Wirkungen wie in folgender Übersicht zusammen-
stehung von Hirsutismus, Akne, Seborrhö und fasst ist.
Alopezie.
Genitale und extragenitale Wirkungen
Bei tumorbedingten stark erhöhten Serumandroge- der Androgene
nen kann es zu einer Defeminisierung bzw. Virilisie-
rung kommen, die sich als • Genitale Wirkungen der Androgene auf die ge-
• Klitorishypertrophie, schlechtliche Ausprägung:
• Hypoplasie der Mammae, Primäre Geschlechtsmerkmale
• Vermännlichung der Muskulatur, (Genitalentwicklung)
• tiefe Stimme usw. äußert. Sekundäre Geschlechtsmerkmale:
Mammaentwicklung
Im Gegensatz zum Hirsutismus tritt bei der Hyper- Sekundärbehaarung
trichose androgenunabhängig ein vermehrtes Zentralnervensystem:
Wachstum von feinem Terminalhaar am ganzen geschlechtsspezifische Differenzierung des
Körper, aber auch isoliert im Bereich der Unterarme, Zentralnervensystems
Unterschenkel und der Lumbosakralregion auf. Die Pubertätsentwicklung, Adrenarche, Thelarche,
Hypertrichose findet sich als Begleiterscheinung Menarche, Zyklusfunktion, Sexualverhalten,
einer Vielzahl von Krankheitsbildern, wie zum Bei- Libido
spiel der Lungentuberkulose, Poliomyelitis, Spina • Extragenitale Wirkungen der Androgene:
bifida, Epilepsie, der Anorexia nervosa oder nach Talgdrüsenaktivität
Lokalbehandlung (Tabelle 5-18). Knochenreifung und Knochenstruktur.
Proteinanabole Wirkung
Beteiligung an der extraglandulären Östrogen-
synthese in den verschiedenen Lebensphasen
der Frau
5.12 Hirsutismus 205
Tabelle 5-18. Androgenisierungserscheinungen bei der Frau. Vergleich: Hirsutismus, Hypertrichose und Virilisierung
Definition
Vermehrte Körperbehaarung an Primäre und ekundäre Allgemeine oder lokale Vermehrung
Prädilektionsorten. Umwandlung des Differenzierung des äußeren der Körperbehaarung, bei der
Flaumhaares in dickes, krauses und weiblichen Genitales und des Gesichts- und Genitalbehaarung
stärker pigmentiertes Terminalhaar Körperbaus in männliche Richtung nicht bevorzugt werden. Zunahme des
hellen, weicheren Sekundärhaares
Symptome
I. Prädilektionsorte: I. Leitsymptome
Oberlippe Klitori hypertrophie
Kinn, Wangen tiefe Stimme
Linea alba
Genitalbereich
Oberschenkel
2. Alopecia androgenetica 2. Begleitsymptome Die Symptomatik ergibt sich aus der
mit Bildung von Geheimrat ecken Hir utismus Definition
eborrhö
Alopecia androgenetica
Amenorrhö
3. Seborrhö, Akne
Ätiologie
Androgen bedingt: Androgen bedingt: ~icht androgenbedingt:
vermehrte Androgenbildung vermehrte Androgenbildung Ubermäßige Reaktion des
erhöhte Endorganempfindlichkeit (obligat!) Haarfollikels bei verschiedenen
Erkrankungen, u. a. Therapie mit
Antiepileptika, Antituberkulostatika
• Tumorbedingte Hyperandrogenämie:
Ursachen der Androgenisierung Hypophysenadenome
Grundsätzlich gibt es 2 Möglichkeiten der ver- basophiles Adenom (M. Cushing)
mehrten Androgenwirkung: Hyperandrogenämie eosinophiles Adenom (Akromegalie)
aufgrund tumoröser Androgenproduktion (Ovarial- chromophobes Adenom (Prolaktinom)
tumoren, Nebennierentumoren) bzw. tumoröser Nebennierenrindentumoren
Produktion von Substanzen, die eine Hormonpro- NNR-Adenome
duktion stimulieren (z. B. ACTH-produzierendes NNR-Karzinome
Hypophysenadenom, ektope ACTH-Bildung durch Ovarialtumoren:
kleinzeiliges Bronchialkarzinom) und funktionelle Arrhenoblastom
Störungen. Funktionellen Störungen mit Androgeni- Hiluszelltumor
206 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Paraneoplastische Syndrome Fälle eine ovarielle und bei 5,4 o/o eine adrenale Ge-
ektope HCG-Sekretion nese der Behaarungsstörung gefunden wurde. Insge-
ektope ACTH-Sekretion samt konnte in diesem Kollektiv bei 3 Patientinnen
• Nichttumorbedingte Hyperandrogenämie ein androgenproduzierender Tumor festgestellt
Adrenale Androgenhypersekretion werden. Bei 3 Fällen (0,6 o/o) war der Hirsutismus ia-
kongenitales adrenogenitales Syndrom trogen bedingt.
postpuberale NNR-Hyperplasie
Cushing-Syndrom
chronischer Stress 5.12.4
• Gemischt ovariell-adrenale Androgenhypersekre- Klinik
tion
Ovarielle Androgenhypersekretion Allgemeinbefinden
polyzystische Ovarien (PCO-Syndrom) Die Symptome der Androgenisierung wirken
Hyperthekose sich - wenn auch nur in geringerer Ausprägung
Hiluszell- und Stromahyperplasie vorliegend - negativ auf das Äußere der Frau aus.
• Peripher erhöhte Androgenaktivität Selbst wenn keine schwerwiegenden Ursachen die-
Erhöhte extraglanduläre Konversion von Andro- sen Veränderungen zugrunde liegen, dürfen die
genvorstufen kosmetischen Probleme, die sich insbesondere aus
SHBG-Mangel (z. B. bei Hypothyreose, Adiposi- den Behaarungsstörungen ergeben, von dem behan-
tas) delnden Arzt nicht unterbewertet werden. Die be-
Reduzierter Androgenabbau (z. B. Niereninsuffi- troffenen Frauen fühlen sich oft in ihrer Weiblich-
zienz) keit sehr beeinträchtigt, woraus verschiedene psy-
Erhöhte Endorganempfindlichkeit chosomatische Störungen resultieren können.
• Intersexualität
XY -Gonadendysgenesie
Begfeiterkrankungen
Männlicher Pseudohermaphroditismus
• Eine Hyperandrogenämie kann durch die fehlen-
• Iatrogene Androgenisierung
de Gestagenbildung am Endometrium bei anovu-
Hormonpharmaka
latorischen Zyklen ("unopposed estrogens") zu
Androgene
einem erhöhten Risiko für das Korpus- und
Anabolika
Mammakarzinom führen.
Gestagene ( 19-Nortestosteronderivate)
Danazol
ACTH Tabelle 5-19. Androgenisierungserscheinungen: Ätiologie und
Glucocorticoide Häufigkeit bei Patientinnen der Hormon- und Sterilitäts-
Nichthormonale Pharmaka sprechstunde der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg
(1971-1981)
Diuretika (Azetazolamid)
Antirheumatika (Penicillamin) Ursachen der llaufigkcitcn
Metopiron Androgenisicrung (n) (%)
Antihypertensiva (Diazoxid, Proglicem)
Hydantoine Idiopathisch {ungeklärt) 404 84,2
Ovariell
Gesam t 44 9,2
PCO/Stein-Leventhal- yndrom 42 8,8
Häufigkeit der Ursachen von Unklare Diagno e 2 0,4
Androgenisierungserscheinungen Ad renal
Die Häufigkeit der Diagnose eines konstitutionellen
Gesa mt 26 5,4
(sog. idiopathischen) Hirsutismus hat durch die
Kongeni tales AGS 4 0,8
Verfeinerung der Labordiagnostik in den letzten
20 Jahren stark abgenommen. Bei einer retrospekti- unklare Genese 22 4,2
ven Auswertung (1971-1981) von 404 Patientinnen Tumore n
der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg, die an Gesamt 3 0,6
Hirsutismus litten, waren bei 84 o/o die Androgene Ovarialtumor 2 0,4
(Testosteron) im Serum und die 17-Ketosteroide Nebennie renri ndentumor I 0,2
im Urin nicht erhöht (Tabelle 5-19). Bei den meisten Iatroge n 3 0,6
dieser Patientinnen wurde von konstitutionellem
Hirsutismus gesprochen, da nur bei ca. 9,2 o/o der
5.12 Hirsutismus 207
Körperliche Untersuchung
• Klinik: Art der Androgenisierung (z. B. Hirsutis- 5.12.6
mus, Akne, Alopezie) und deren Schweregrad. Therapie
• Gynäkologische Untersuchung: Klitorishypertro-
phie, vergrößerte Ovarien; Hinweise auf andro- Allgemeine Therapieempfehlungen
genproduzierenden Tumor. Als allgemeine Richtlinien zur Therapie von An-
• Ultraschall: Ovarien: PCO-Syndrom. drogenisierungserscheinungen mit Antiandrogenen
unabhängig von der augewandten Substanz gelten:
e Vor Therapiebeginn Ausschluss einer Schwanger-
Labor schaft. Die Einnahme von Diane 35 bei einer un-
• Hormondiagnostik. Endokrinalogische Parame- bemerkten Frühschwangerschaft ist jedoch keine
ter können nur bedingt Hinweise für die Indikation Indikation zum Schwangerschaftsabbruch. Selbst
und Auswahl einer Hormontherapie liefern, da die bei Einnahme von Cyproteronacetat (CPA)
Wirkungen der Androgene individuell zu Sympto- 50-100 mg/Tag in der Frühschwangerschaft ist
men unterschiedlichen Schweregrades führen. Ob das Feminisierungsrisiko von männlichen Föten
die Androgenisierung durch eine adrenale oder gering.
ovariell vermehrte Androgenbildung bedingt ist, • Beachtung der Kontraindikationen: bei CPA-Me-
spielt für die medikamentöse Therapie der Androge- dikation gelten beispielsweise alle Gegenanzeigen
nisierungssymptomatik eine untergeordnete Rolle. gegen orale Kontrazeptiva. Daher ist nach Errei-
Die diagnostische Bedeutung von Laborbestimmun- chen des endgültigen Therapieresultats eine Do-
gen bei Patientinnen mit Androgenisierungserschei- sisreduzierung anzustreben.
nungen ist in Tabelle 5-20 zusammengestellt. • Ausführliche Aufklärung der Patientinnen
208 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Tabelle 5-20. Hormondiagnostik: Bedeutung im Rahmen der diagnostischen Abklärung von Androgenisierungserscheinungen
(Anmerkung: Normalbereich abhängig von Labormethode)
Tabelle 5-21. Zusamrnenha~g ~wischen 17-0H-Progesteron nach ACTH-Stimulation und Mutation der 21-Hydroxylase. (Nach
Grunwald 1998, personl. Mlltedungen, Schulze 1998)
• Der Beginn der wahrnehmbaren Rückbildung der Chlormadinonacetat und die neueren Substanz-
Androgenisierungszeichen nimmt längere Zeit in gruppen der 5a-Reduktaseblocker.
Anspruch: beim Hirsutismus 3-9 Monate, bei der • Klassische Antiandrogene: Die Wirkung der 17a-
androgenetischen Alopezie sogar 6-9 Monate. Hydroxyprogesteronderivate Cyproteronacetat
Eine Akne kann schon nach 1-2 Monaten abzu- und Chlormadinonacetat beruhen auf einer
klingen beginnen. kompetitiven Verdrängung von 5a-Dihydro-
• Das endgültige Therapieresultat wird erst nach testosterons vom Androgenrezeptor. Die ver-
9-12 Monaten erreicht, bei der Akne bereits schiedenen Therapieschemata mit Cyproteron-
nach 3-6 Monaten. acetat und deren Therapieerfolg bei Androgeni-
• Nach dem Absetzen der Therapie muss mit einer sierungserscheinungen sind aus Abb. 5-14 und
allmählichen Rückkehr der Androgenisierungzei- Tabelle 5-22 zu entnehmen.
chen gerechnet werden, da es sich um keine kau- • 5a-Reduktaseblocker: Die neue Substanzgruppe
sale, sondern nur um eine symptomatische Be- der 5a-Reduktaseblocker ist derzeit nur zur The-
handlungsform handelt. rapie der benignen Prostatahypertrophie, beim
Prostatakarzinom und zur Therapie beim Haar-
ausfall des Mannes zugelassen (z. B. Finasteride;
Präparat: Propecia). Erste Therapieversuche mit
Therapieoptionen Flutamid bei hirsuten Patientinnen sind ebenfalls
Die verschiedenen Therapieansätze bei Hirsutismus sehr Erfolg versprechend.
zeigt Tabelle 5-22.
Orale Kontrazeptiva Diane 35, Neo-Eunomin, I Tbl./Tag für 21 Tage Ovarieller Hirsuti mus,
Valerte, Belara ~emischter Hirsutismus
Gestramestrol ei gleichzeitigem Wunsch
Ovosiston nach Kontrazeption,
Zyklusstörungen
Corticoide Dexamethason Berco SCM 0,25- 2,5 mg!Tag Adrenaler oder gemischter
Hirsutismus bei gleichzeiti-
gern Kinderwun eh oder
Zyklu törun~en, adreno-
genitales Syn rom
Decortin/Tagecaprednil Prednisolon 5-20 mg!Tag
Hydrocortison Hoechst Cortisol 20- 30 mglm 2 KOF
Cyproteronacetat Androcur SO CPA 10, 50- 100 mg!Tag
( !.- 10. Zyklustag)
plus
Diane 35 CPA 2 mg!Tag + 1.- 21. Zyklustag,
EE 351-ig/Tag Hirsutismus bei jungen
Mädchen
Spironolacton Airlactone SO 100 mg!Tag für 21 Tage, Gemischter und
dann 7 Tage Pause idiopathi eher Hirsuti mus
bei Kontraindikation für
orale Kontrazeptiva
Flutamid Fugerel 250 mg!Tag Schwerer Hirsutismus
(keine Zulassung! )
Cave: Kontraindikationen,
Kontrazeption erforderlich
Epilation ln Kombination mit Lange bestehender
adrenalen undloder Hirsutismus
ovarieller Suppres ion
210 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
- -
100mg CPA 7Tage
lttttllltlltlt
Hochdosierte (50-200mgl 1. Einnahme 10. 21. Pause
I Standard- oooooooooooooooooooooooooooo 40·50 ~g Ethinyl·
....
therapie estradiol ••••••••••
• •• •••••••
--~ -
Niedrigdosierte
Standard·
........................... 2mg CPA e 8 • •••••••• 8 •••• I 8. 8.
-
I. Zyklustag
000000000000000
Hochdosiert IOOmg CPA : 2 Tabletten Androcur
~
111 bei Östrogen· 10 ng Estradiol. ..... • 1 Dragee Diane 35
intoleranz
'-
Mittelhoch- 300mg CPA
V dosiert 40· SO ~g Ethinyl· 300
(parenterales estradiol
Depot) - 00000000000000000000000000000 -
200
Zyklustag 100
0 5 10 15 20 25 30 35 Tage
Menses
5 10 15 20 25 28
a b Tage
80
Hirsutismus
(n" 390)
"'c
~
0 60
E
"'Ol
c Androgenetische
:J
'5 Alopezie
c (n = 99)
40
"'
.c
"'
CO
ten vom Dermatologen behandelt werden. Bei stär- lieh der besonderen Umstände. Sollte eine Kontra-
ker ausgeprägtem Hirsutismus ist ein Pädiater mit zeption erforderlich sein, können in dieser Alters-
endokrinalogischer Erfahrung zu konsultieren. klasse Cyproteronacetat in niedriger Dosierung
(5-10 mg/Tag) vom 1.-10. Zyklustag und gleich-
• Menarche plus 1 Jahr bis 16. Lebensjahr. Die ent- zeitig Diane 35 gegeben werden.
sprechende Medikation richtet sich danach, ob eine
Kontrazeption erforderlich ist. Bei OC-Verordnung • 16. Lebensjahr bis zur Perimenopause. Einen
an Minderjährige: strenge lndikationsstellung; Überblick über die unterschiedlichen Therapiemög-
Empfehlung, möglichst einen Elternteil zu infor- lichkeiten bei Hirsutismus geben die Abb. 5-15
mieren und Eintrag in die Patientenakte einschließ- und Tabelle 5-22. Bei Kontraindikation gegen Ethi-
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 211
Abb.S-15a-c. Endokrine Regulation der Nebennierenrinde bei Gesunden (a), Patientinnen mit AGS (b) und AGS-Patientin-
nen unter Cortisol-substitution (c)
• Häufigkeit:
11. SSW Abort; Zytogenetische Untersuchung klassisch: 1 : 7000-1 : 15 000
ergab einen männlichen Chromosomenansatz. nicht klassisch: 1 : 25-1 : 200
Bei weiterer Schwangerschaft analoges Vorge- Heterozygotenfrequenz für alle Formen in
hen geplant. Mitteleuropa: ca. 1 : 55
....
HO HO
20n , 22R-OihyCiroqoeho..,"-t1n 20a-HyCiroxyc.hoiMtlrln
Cf"•
_H.cm~
0~
Prooeateron 170 -Hy<lroxy~ron
·~
.JSß
OH
~·
,.~
_,
vorwiegend
- 1 •
•
•
Ovar
Mlneralokortlkol
Glukokortlkolde
Androgene
Nur
Nebennierenrinde tllt;& J•rtll I I Wi "., = Enzyme
Abb. 5-16. Biosynthese von Steroidhormonen, die wichtigsten Stoffwechselwege und ihre Enzymsysteme
• Mineralocorticoidmangel • Mineralocorticoid-Überproduktion
(21-Hydrox:ylase, 3ß-HSD, StAR-Protein) ( 11 ß-H ydroxylase, 17 a- H ydrox:ylase)
Hyponatriämie Hypernatriämie
H yperkaliämie Hypokaliämie
Metabolische Azidose Hypokaliämische Alkalose
RR-Abfall Hypertonie
214 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Aldo Aldosteron, B Corticosteron, DHEA Dehydroepiandro- T Testosterone, TH-DOC Tetrahydro-DOC, TH-B Tetrahydro-
steron, DOC 11-Deoxycorticosteron, F Cortisol, StAR-Protein B, TH-S Tetrahydro-S, 3ß-HSD 3ß-Hydroxysteroiddehydro-
Steriodogenic Acute Regulatory Protein, S 11-Deoxycortisol, genase, 4-A Androstendion, 17-0HP 17-Hydroxyprogesteron
Iustkrise setzt in der Regel zwischen der 2. und 3. Le- skrotalfalten mit einer penisartig vergrößerten Kli-
benswoche ein (s. folgende Übersicht), es sind aber toris und Extension der Urethra auf die Glanspenis
auch spätere Manifestationen beschrieben worden. (Abb. 5-17). Weibliche Neugeborene können bei
Geburt als Knaben verkannt werden. Deshalb sollte
bei intersexuellem Genitale eine frühzeitige Ge-
Diagnostik des klassischen AGS schlechtszuweisung nach Karyotypisierung und dif-
durch 21- Hydroxylasedefekt ferentialdiagnostischer Abklärung erfolgen. Bei
frühgeborenen Mädchen wird die durch die noch
• Klinik vollständig entwickelten großen Labien vergrößert
Mädchen: Pseudohermaphroditismus femininus erscheinende Klitoris häufig als leichte Virilisierung
Knaben und Mädchen: Salzverlustsyndrom fehlgedeutet Bei männlichen AGS-Neugeborenen
(5.-14. Lebenstag, aber auch später) mit 21-Hydroxylasedefekt ist das Genitale in der Re-
• Ultraschall: Gonaden, Uterus gel unauffällig. Eine verstärkte Pigmentierung des
• Labor: Karyotyp Skrotums bzw. eine Vergrößerung des Penis werden
Plasmauntersuchungen: ACTH, Plasmarenin- von weniger erfahrenen Untersuchern häufig über-
aktivität (PRA) bzw. Reninkonzentration, 17- sehen.
0H-Progesteron, 21-Desoxycortisol, Natrium,
Kalium, Säure-Basen-Status
Differentialdiagnostisch (andere Enzymdefekte): • Diagnostik
17-0H-Pregnenolon, DHEA, Testosteron DOC, (s. auch Abschn. "Diagnostik des AGS")
Aldosteron, Cortisol • Karyotypisierung: bei Kindern mit intersexuellen
• Molekulargenetik: direkter Nachweis des Gen- Genitale zur richtigen Geschlechtszuweisung er-
defektes auf der Grundlage der klinischen und forderlich.
laborchemischen Verdachtsdiagnose • Genlokalisation: Der Genort für die 21-Hydroxy-
lase wurde auf dem kurzen Arm des Chromosoms
6 in der MHC- (Major-histocompatibility-com-
plex-) Klasse-III-Region lokalisiert. In unmittel-
Außerdem muss bei unzureichender Substitutions-
barer Nachbarschaft zum aktiven Gen (CYP21B)
therapie und in akuten Belastungssituationen
befindet sich ein inaktives Pseudogen (CYP21 A),
(schwere Erkrankungen, Traumata, Operationen)
das aber Bedeutung für die Regulation der Tran-
an eine Dekompensation des Flüssigkeits- und
skription besitzt.
Elektrolythaushaltes gedacht werden.
• Mutationen: Die häufigsten Mutationen sind AGS sind durch die vermehrte Androgensekretion
Deletionen des gesamten Genlokus (ca. 30 kb ), um die Pubertät bzw. bei erwachsenen Patienten
die auch die benachbarten Komplementfaktor- gekennzeichnet.
gene C4 A und C4 B betreffen können sowie
eine Punktmutation im Intron 2, die zu einer • Symptome. Klinische Symptome bei erwachse-
Veränderung bei der Reifung der MRNA ("spli- nen Frauen:
cing") führt. Fast alle Punktmutationen im e primäre oder sekundäre Amenorrhöe bzw.
CYP21B-Gen sind durch "crossing over", d. h. Oligomenorrhö,
durch den Austausch von Gensequenzen mit • Infertilität,
dem inaktiven Pseudogen CYP21 A entstanden. • Klitorishypertrophie,
Deletionen, die eine Mutation im Intron 2, und • Hirsutismus,
Mutationen, die zu einem vorzeitigen Stopkodon e Akne,
führen, bewirken einen vollständigen Verlust der e Seborrhö,
Enzymaktivität Mutationen, deren Folge der • temporärer Haarausfall,
Austausch von Aminosäuren ist, verringern die • Stirnglatze,
Enzymaktivität in unterschiedlichem Ausmaß • tiefe Stimme,
und sind für die phänotypische Variabilität des • Kleinwuchs.
AGS verantwortlich. Wegen der relativ großen
Zahl verschiedener Mutationen sind nur wenige Erwachsene Frauen werden meist durch Gynäko-
Patienten homozygot für eine einzelne Mutation. logen diagnostiziert und wegen Infertilität, Zyklus-
Meist lassen sich 2 oder mehrere Mutationen auf störungen, Hirsutismus bzw. seborrhoischer Akne
den beiden Allelen im Sinne einer "compound behandelt. Bei gründlicher Anamnese lassen sich
Heterozygotie" nachweisen. Für die meisten Mu- aber häufig Symptome nachweisen, die vor oder
tationen des CYP21B-Gens wurde in vitro der während der Pubertät aufgetreten sind (prämature
Einfluss auf die Enzymaktivität der 21-Hydroxy- Pubarche, Großwuchs, leichte Klitorishypertrophie).
lase untersucht. Es zeigte sich, dass ca. 2-4%
Restaktivität für eine basale Mineralocorticoid-
Diagnostik
synthese ausreichend sind. Belastungssituationen
(s. auch Abschn. "Diagnostik des AGS")
führen ohne ausreichende Substitutionstherapie
aber auch bei diesen Patienten zur Dekompensa-
• Labor. Molekulargenetisch lassen sich milde De-
tion mit Salzverlustkrise.
fekte im CYP21B-Gen mit Restaktivitäten des En-
zyms zwischen 20 % und 60 % nachweisen. In einer
• Therapie. Die Therapie muss individuell an den
eigenen Studie mit Patientinnen mit Fertilitäts-
klinischen Verlauf und die Laborparameter bei je-
störungen bzw. Hirsutismus und pathologischem
dem Patienten angepasst werden.
ACTH-Test im Sinne eines milden 21-Hydroxylase-
defektes ließen sich in 8% homozygote bzw. com-
Nichtklassisches AGS pound-heterozygote Mutationen des CYP21B-Gens
durch 21-Hydroxylasedefekt ("Late-onset-AGS") nachweisen. 29% der Patientin-
nen waren heterozygot für einen 21-Hydroxylase-
Klassifikation gendefekt. Neben Konsequenzen für die Therapie
Das nichtklassische AGS durch 21-Hydroxylasede- sollte bei Kinderwunsch auf jeden Fall eine moleku-
fekt kann in 2 verschiedenen Formen auftreten. largenetische Untersuchung des Partners (Heterozy-
gotenfrequenz 1 :50) und eine humangenetische Be-
ratung erfolgen, um das Risiko für Kinder mit AGS
Häufigkeit zu verringern. Ein positiver Mutationsbefund bei
• Klassisch 1 : 7000-1 : 15 000, beiden Partnern eröffnet die Möglichkeit zur Präna-
• nichtklassisch 1 : 25-1 : 200, taltherapie des AGS, die aber nur in erfahrenen Zen-
• Heterozygotenfrequenz für alle Formen in Mittel- tren durchgeführt werden sollte.
europa ca. 1 : 55.
Differentialdiagnose
Klinik Differentialdiagnostisch müssen von den Late-on-
Patienten mit der asymptomatischen Form zeigen set-AGS-Formen Tumoren der NNR und androgen-
keine klinischen Symptome, sondern lediglich milde bildende Gonadentumoren sowie bei erwachsenen
hormonelle Veränderungen. Die klinischen Zeichen Frauen das Syndrom der polyzystischen Ovarien
des symptomatischen, so genannten Late-onset- (PCO-S) abgegrenzt werden.
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 217
3~-Hydroxysteroiddehydrogenase-(3~-HSD-)Defekt
Klinik
Die klinische Symptomatik (Virilisierung, Hyperto-
Pathogenese
nie) und Laborparameter (Anstieg von DOC oder
Der Defekt der 3ß-Hydroxysteroiddehydrogenase
11-Desoxycortisol) weist ein relativ breites Spek-
(3ß-HSD) betrifft die Umwandlung der A-5-Steroide
trum auf. Im Mittelpunkt der Symptomatik steht
Pregnenolon, 17-0H-Pregnenolon und DHEA in die
die erhöhte Androgenproduktion. Es kommt bis
entsprechenden A-4-Steroide Progesteron, 17-OH-
auf wenige Ausnahmen nicht zur Entwicklung eines
Progesteron und Androstendion in den Nebennie-
Salzverlustsyndroms, da das angestaute DOC selbst
ren und den Gonaden.
mineralocorticoide Wirkung besitzt. Durch das er-
höhte DOC entwickelt sich bei den meisten Patien-
ten bereits in den ersten Lebensjahren eine arterielle Klinik
Hypertonie. Die klinische Symptomatik des klassischen AGS
durch 3ß-HSD-Defekt wird durch das Salzverlust-
Diagnostik syndrom bestimmt, obwohl auch Einzelfälle ohne
Salzverlust beschrieben wurden. Bei Knaben kommt
(s. auch Abschn. "Diagnostik des AGS")
es zu einer Hypospadie, die durch die gestörte Te-
stosteronsynthese in den Gonaden bedingt ist. Bei
Labor Mädchen ist das äußere Genitale meist unauffällig,
• Molekulargenetik. Genlokalisation: Für die 11 ß- gelegentlich können leichte Virilisierungserschei-
Hydroxylase gibt es 2 Isoenzyme, die durch das nungen (Klitorishypertrophie) auftreten.
CYP11B1-Gen bzw. das CYP11B2-Gen kodiert wer-
den. Beide Gene wurden auf dem Chromosom 8 lo-
kalisiert. Eine Besonderheit der beiden llß-Hydro- Labor
xylase-Isoenzyme stellt der durch Dexamethason • Molekulargenetik. Genlokalisation: Die beiden
supprimierbare Hyperaldosteronismus dar, der Gene für die menschliche 3ß-HSD sind auf dem
durch einen Austausch von Gensequenzen zwischen Chromosom 1 lokalisiert. Das Typ-I-Gen wird fast
den beiden CYP11B-Genen hervorgerufen wird. Da- ausschließlich in der Plazenta, der Brustdrüse und
bei gelangt das CYP11B2-Gen (Aldosteronsynthase) der Haut exprimiert, die 3ß-HSD Typ II findet
unter die Kontrolle des ACTH-abhängigen Promo- man in der Nebennierenrinde und den Gonaden.
ters des CYP11B1-Gens und wird unabhängig vom Gendefekte konnten bisher nur im Typ-li-Gen loka-
Aldosteronspiegel verstärkt exprimiert. Der entste- lisiert werden.
hende Hyperaldosteronismus kann durch eine
Hemmung der ACTH-Sekretion mittels Dexametha- 17a-Hydroxylase-/17,20-Lyase-Defekt
son therapiert werden.
Pathogenese
• Mutationen Das Enzym P450c17 katalysiert sowohl die 17a-Hy-
• Isoenzym 1 (CYPllBl-Gen): Mutationen betref- droxylierung von Vorstufen der Mineralocorticoid-
fen die Umwandlung von 11-Desoxycorticosteron synthese (Pregnenolon, Progesteron) als auch die
218 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
17, 20-Lyase-Reaktion, die Grundlage der Andro- nestern in den Zellen der Nebennierenrinde und in
r
gen- und Östrogensynthese ist. Der Enzymdefekt den Leydig-Zellen der Hoden kommt es schließlich
ist durch einen Mangel an Androgenen und Östro- zur Lipidhyperplasie dieser Gewebe und zum voll-
genen bei gleichzeitig verstärkter Mineralocorticoid- ständigen Erliegen der Steroidsynthese.
wirkung charakterisiert.
Klinisch entwickelt sich bereits kurz nach der Geburt
Klinik
eine akute NNR-Insuffizienz mit Salzverlustsyn- 1:
drom, die eine sofortige Substitutionstherapie not- u
Durch die vermehrte Produktion von DOC und Cor-
wendig macht. Knaben zeigen aufgrund des Andro-
ticosteron kommt es im Gegensatz zum AGS durch
genmangels ein typisch weibliches oder intersexuel-
den 21-Hydroxylasedefekt zu Hypertonie, Hyperna-
les Genitale.
triämie und Hypokaliämie mit Entwicklung einer
Alkalose. Der Mangel an Östrogenen und Androge-
Das äußere Genitale von weiblichen Neugeborenen
nen führt zu einer gestörten Entwicklung der sekun-
ist nicht verändert.
dären Geschlechtsmerkmale (hypergonadotroper
Hypogonadismus). Bei Mädchen wird das Krank-
heitsbild bei unauffälligem äußeren Genitale oft Diagnostik
erst auf Grund der ausbleibenden Pubertät diagno- Siehe auch Abschnitt "Diagnostik des AGS". Die
stiziert. Männliche Neugeborene werden bei Geburt Diagnose kann durch den Nachweis der fehlenden
oft nicht diagnostiziert (phänotypisch weiblich). Bei Steroidsynthese auf allen Stufen und die Mutations-
intersexuellem Genitale, männlichem Karyotyp und analyse des StAR-Gens gestellt werden.
Nachweis von Hoden (abdominal, inguinal oder la-
bial) erfolgt die Differentialdiagnose durch den
Nachweis der erhöhten DOC- und Corticosteron-
5.13.4
spiegel bei verminderten Androgenen. Außerdem
Diagnostik
können die Gendefekte im CYP17-(P450c17-)Gen,
das auf dem Chromosom 10 lokalisiert ist, nachge-
Klassisches AGS
wiesen werden. In Einzelfällen wurden auch isolierte
Defekte der 17, 20-Lyase-Aktivität dieses Enzyms
AGS mit Salzverlust
beschrieben.
• Weibliche Neugeborene. Die Verdachtsdiagnose
kann bereits durch die Veränderungen des äußeren
Genitales gestellt werden (besonders häufig ist eine
Lipidhyperplasie der Nebennierendefekte
Klitorishypertrophie, aber auch alle anderen For-
des StAR-Proteins
men der Virilisierung bis hin zur vollständigen Ver-
männlichung)
Pathogenese
Das StAR-Protein ("steroidogenic acute regulatory
• Männliche Neugeborene. Zu achten ist auf ein
protein") ist für den Transport von Cholesterin
hyperpigmentiertes Skrotum sowie auf Gedeih-
zur inneren Mitochondrienmembran verantwort-
störungen in den ersten Lebenswochen (Salzver-
lich. Die angeborene Lipidhyperplasie der Neben-
lust). Bei unklaren Todesfällen eines männlichen
nierenrindewird durch Defekte des StAR-Gens her-
Neugeborenen in der Familienanamnese sollte im-
vorgerufen. Bis zur Entdeckung des StAR-Proteins
mer an ein Salzverlustsyndrom bei AGS gedacht
wurden Defekte des P450scc-Proteins (sec= "side-
werden. Neben der Sonographie des inneren Geni-
chain-cleavage-Enzym"), welches den ersten Schritt
tales und dem Karyotyp (Notwendigkeit der frühzei-
der Steroidsynthese katalysiert, als ursächlich für die
tigen Geschlechtszuweisung) liefern Bestimmungen
Lipidhyperplasie der NNR angesehen.
der basalen Hormonwerte im Serum bzw. der Meta-
boliten im Sammelurin differentialdiagnostische
Klinik Hinweise.
Hinweisend auf dieses Krankheitsbild ist die voll-
ständig fehlende Steroidsynthese, wobei auch die • Labor (Basisdiagnostik, Screening). Bei der Be-
Synthese der Sexualhormone in den Gonaden be- stimmung der basalen 17-0H-Progesteronspiegel
troffen ist. In den ersten Lebenstagen bis -wochen bei Neugeborenen sind altersabhängige Normwerte
ist häufig eine geringe Steroidsynthese nachweisbar, (besonders bei Frühgeborenen) sowie größere Ab-
die durch einen StAR-unabhängigen Cholesterin- weichungen, die durch die Verwendung verschie-
transport ermöglicht wird. Durch die Einlagerung dener kommerzieller Assays entstehen können, zu
von großen Mengen an Cholesterin bzw. Cholesteri- beachten.
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 219
• Labor (Funktionsdiagnostik). Weitere Hormon- Fälle beweisend für ein nichtklassisches AGS durch
bestimmungen (basal und nach ACTH-Stimulation) einen 21-Hydroxylasedefekt. Molekulargenetische
erlauben die Differentialdiagnostik der verschie- Untersuchungen haben aber bei ca. 20% der Pa-
denen Enzymdefekte. Dabei sind wiederum die tienten eine Überlappung mit heterozygoten Muta-
laborspezifischen und altersabhängigen Normal- tionen aufgezeigt. Beim heterozygoten 21-Hydroxy-
werte zu beachten. Das gilt auch für Quotienten ein- lasedefekt sollte 17-0H-Progesteron auf> 2,6 ng/dl
zelner Steroidhormone, die spezifisch für einzelne (> 7,8 nmol/1) ansteigen. Bessere Ergebnisse kön-
Enzymdefekte sein sollen, aber eine starke Abhän- nen durch die Kombination mit anderen Hormonen
gigkeit von den verwendeten Analysemethoden zei- (z. B. 21-Desoxycortisol, Quotient aus 17-0H-Proge-
gen. steron und DOC) erzielt werden.
• Molekulargenetik. Der diagnostische Beweis ist • Molekulargenetik. In allen unklaren Fällen, bei
in über 98% der Fälle durch eine genetische Unter- der Untersuchung von Familienangehörigen von
suchung möglich. Die molekulargenetische Diagno- AGS-Patienten sowie bei der Indikationsstellung
stik sollte aber gezielt auf der Basis der Hormonbe- für eine Pränataltherapie sollte die Diagnose deshalb
stimmungen erfolgen. durch die molekulargenetische Diagnostik über-
prüft werden. Die Sensitivität der genetischen Me-
thoden liegt heute bei > 98 %.
AGS ohne Salzverlust
Beim unkomplizierten AGS ohne Salzverlust ist die
• ACTH-Test. Bei Verdacht auf andere Enzymde-
Virilisierung der weiblichen Neugeborenen meist
fekte können weitere Steroide (z. B. DHEA, 17-
schwächer ausgeprägt als beim Salzverlust-AGS (Kli-
0H-Pregnenolon, 11-Desoxycortisol, DOC) basal
torishypertrophie, häufig auch völlig unauffällige
und nach ACTH-Stimulation bestimmt werden.
Befunde zur Geburt). Knaben können in den ersten
Ein nichtklassischer Defekt der 3ß-HSD wurde auf
Lebensjahren einen asymptomatischen Verlauf zei-
der Grundlage erhöhter Serumkonzentrationen
gen. Im späteren Lebensalter fallen diese Kinder
von Pregnenolon, 17-0H-Pregnenolon und DHEA
durch Abweichen der Wachstumskurve nach oben
nach ACTH-Stimulation bei 10-40% der Patientin-
bei gleichzeitig akzeleriertem Knochenalter und/
nen mit Hyperandrogenämie und bei 5-8% der
oder Pseudopubertas praecox auf. Trotzdem sind
Mädchen mit Pseudopubertas praecox postuliert.
diese Kinder im Rahmen von Belastungssituationen
Gendefekte im 3ß-HSD-Typ-II-Gen wurden aber
akut gefährdet, da die Restaktivität der Steroidsyn-
nur bei extrem hohem Anstieg von 17-0H-Preg-
these der Nebennierenrinde nur eine ausreichende
nenolon und DHEA (> 7 SD) beobachtet. Bei diesen
Produktion basaler Hormonspiegel ermöglicht.
Patientinnen wird deshalb eine funktionelle Hem-
mung der 3ß-HSD, möglicherweise hervorgerufen
• Labor. Selbst laborchemische Veränderungen der
durch Umweltbelastungen, diskutiert.
basalen Hormonwerte (in Einzelfallen sogar nach
I. v. ACTH-Kurztest: ACTH (Synacthen) 250 j..Lg/m2
ACTH-Stimulation) lassen sich in den ersten Le-
KOF, maximal 250 j..lg, frühe Follikularphase (3.-8.
bensjahren nicht immer nachweisen. Bisher unge-
Zyklustag): Durchführung zwischen 8.00 und 10.00
klärt ist auch, ob diese Kinder durch ein AGS-Neu-
Uhr; Bestimmung der Steroidhormone basal und
geborenenscreening entdeckt werden können. Des-
nach 60 min. Bei der Differentialdiagnostik der
halb sollten auch klinisch asymptomatische Ge-
adrenalen bzw. ovariellen Hyperandrogenämie
schwister von AGS-Patienten nach der Geburt
kann durch den ACTH-Test die adrenale Kompo-
molekulargenetisch untersucht werden, um frühzei-
nente der Androgensynthese beurteilt werden.
tig eine sichere Diagnose stellen zu können.
Labor Hormonbestimmung
• Hormonbestimmung. Bei den nichtklassischen •17-0H-Progesteron. Das Neugeborenenscreen-
AGS-Formen sowie bei heterozygoten Mutationen ing durch Bestimmung von 17-0H-Progesteron er-
sind die basalen Hormonspiegel (z. B. 17-0HP bei möglicht die Erfassung aller Kinder mit klassischem
21-Hydroxylasedefekt) normal bis leicht erhöht. AGS. Dadurch werden besonders Knaben, die vor
Durch ACTH -Stimulation kommt es zu einem der Entwicklung eines Salzverlustsyndroms asym-
verstärkten Anstieg der Steroidhormone vor dem ptomatisch sind, frühzeitig erfasst und einer lebens-
Enzymdefekt Ein Anstieg von 17-0HP auf rettenden Substitutionstherapie zugeführt. Es wird
> 1.000 ng/dl (> 30,6 nmol/1) ist in über 80% der aber auch immer wieder über Mädchen mit schwerer
220 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Die Hydrocortisondosierung muss kurzzeitig auf das Heterozygote Mutation der 27-Hydroxylase
2- bis 5-fache gesteigert werden und evtl. auch paren- • Glucocorticoidtherapie. Ob bei Frauen mit Hy-
teral erfolgen. perandrogenämie und heterozygoter Mutation der
5.13 Adrenogenitales Syndrom (AGS) 221
21-Hydroxylase eine Therapie mit Glucocorticoiden • Die Mineralocorticoidsynthese lässt sich durch
gerechtfertigt ist, muss noch in klinischen Studien die Bestimmung der Plasmareninaktivität
belegt werden. Bei kombinierter adrenaler und ova- (PRA) oder der Reninkonzentration überwachen.
rieller Hyperandrogenämie mit polyfollikulärem
Ovar scheint eine Behandlung mit niedrig dosiertem Für alle zur Therapieüberwachung verwendeten Ste-
Dexamethason (0,25 mg/Tag) oder mit Prednisolon roidparameter werden Werte im mittleren bis obe-
(5 mg/Tag) aber zu einer Verringerung der extrao- ren Normbereich angestrebt. Eine Suppression bis in
variellen Androgenbildung und zu einer verbesser- den unteren Normbereich, die zur Unterdrückung
ten Therapie der Fertilitätsstörungen zu führen. Im der ACTH-Ausschüttung und damit sekundär zur
Gegensatz dazu wird die periphere Symptomatik Verminderung von androgenen Hormonwirkungen
eines Hirsutismus durch Glucocorticoide selbst versucht wird, führt bereits zu einer Glucocorticoid-
bei einjähriger Therapie kaum beeinflusst. überdosierung mit Wachstumsretardierung und
Cushing-Symptomatik.
Andere Therapieformen
Bessere Ergebnisse in der Therapie des Hirsutismus
werden durch Antiandrogene (z. B. Cyproteron-
acetat 25-50 mglm 2 KOF) oder Hemmer der 5a-Re- 5.13.6
duktase erreicht. Pränatale Diagnostik und Therapie
des klassischen AGS
5.14
Alopecia diffusa der Frau
T. RABE, E. VLADESCU, F. KIESEWETTER,
B. RUNNEBAUM
5.14.1
Fallpräsentation
Unter Berücksichtigung der Klinik BiJd einer Eisen, Ferritin und Zink im Serum, d ie jetzt alle
androgeneti chen Alopezie vom weiblichen im Normbereich liegen. Subjektiv: Verminde-
Typ. Labor: Prolaktin, LH, F H und Östradiol rung der Haarausfall rate innerhalb von 3- 6
normal, Testosteron 158 pglml (normal Monaten. Objektiv: bei der Haarwäsche, da
180-580 pglml) erniedrigt, DHEAS 1850 nglml nur noch ca. 150-200 Haare ausgehen.
(normal 350- 4300 nglml) normal, TSH (basal)
2,2 J.!IE/ml (normal 0-4 j..IIE/mJ) normal, TSH
(nach TRH) 18 ~LIE/ml (normal 3-25j.IIE/ml)
normal, T4/T8-Quotient im Normbereich, kein 5.14.2
Hinweis auflmmundefekt, Eisen 8j..lmol/1 (nor- Epidemiologie
mal 12- 27 j.lmol/1) erniedrigt, Zink 10 j..lmol/1 lnzidenz
(normal 13- 18j..lmol/l) erniedrigt, Ferritin Es bestehen geschlechtsspezifische und altersabhän-
18 11g/ I (normal 20- 120 ~tg/1) erniedrigt, Hb gige Unterschiede in der Inzidenz des Haarausfalls:
12,3 g/100 rnl (normal 12, 3-15,3 g/100 ml), vor dem 30. Lebensjahr wurden bei 47% der Männer
keine Autoantikörper (extrahierbare nukleäre und bei 13% der Frauen eine Alopezie gefunden; ab
Antikörper, Kernantigene (ANF), Anti-DS- dem 50. Lebensjahr sind mindestens 70% der Män-
DNA-AK (ELISA u. IIFT) negativ, keine child- nerund ca. 30% der Frauen betroffen. Wurde früher
drüsen-AK, Anti-TPO < 10 IE/ml ( ormalwerte beobachtet, dass sich die androgenetische Alopezie
< 100 IE/ml), Anti-TG 16 IE/ml ( ormalwerte bei der Frau erst vermehrt postmenopausal entwik-
< 100 IE/ml). Therapie und Verlauf Lokale Be- kelt, so kann sie heute bereits vermehrt bei jüngeren
handlung mit mildem, alkalifreiem HaarSham -
Frauen diagnostiziert werden.
poo (Sebopona) und Haarwasser mit Norethi -
steronacetat; Verhaltensmaßregeln für Haarwä -
sche und -pflege. Eisensubstitutiontherapie Definition
(Ferrosanol duodenal 2-maJ 1 Tbl./Tag; Zink- Bei der androgenetischen Alopezie handelt es sich
substitutiontherapie (Zinkorotrat 20/3-maJ um einen genetisch determinierten, androgenbe-
1 Tbl./Tag), Vitaminkombinationspräparat dingten nichtnarbigen Haarverlust des Kopfes in ty-
(Haar- und Nagel-Vit. 3-mal 1 Kps./Tag), pischer Lokalisation. Beim männlichen Typ entwik-
Zyklusnormalisierung mit Diane 35 (35 !lg Ethi- kelt sich über die hippokratische Kahlheit (Ausdün-
nylöstradiol, 2 mg Cyproteronacetat); Entzugs- nung frontotemporal) eine Glatze, während es beim
blutungen normal stark. Absetzen der Eisen - weiblichen Typ hinter einem intakten Haarsaum zu
und Zinksubstitution nach Laborkontrolle von einer diffusen Lichtung im zentroparietalem Bereich
des Kopfes kommt (Tabelle 5-24).
Klassifikation Diagnostik
Anamnese Krankheitsbild/Symptomatik
liegt, da die Entwicklung häufig langsam progre- Pille) und keiner Therapie bedarf. Ebenso kann
dient ohne akutes Effluvium ist. ein Effluvium nach febrilen Infektionskrankheiten
auftreten. Begleitsymptome wie Seborrhö, Hirsutis-
• Kopthautbiopsie. Dieser kommt nur in den sel- mus, Akne stützen die Diagnose Alopecia andro-
tensten Fällen eine Bedeutung zu, insbesondere genetica. Der Typ des Haarausfall ist wichtig für
bei Haarmangelzuständen, bei denen die Diagnostik die Prognose; während die Alopecia androgenetica
in Verbindung mit der Klinik keine sichere Zuord- eher therapieresistent ist und schleichend pro-
nung zu einem Krankheitsbild erlaubt. Neben Kali- gredient verläuft, kann es bei der diffusen Form
berschwankungen der Haarfollikel sind so genannte der Alopecia areata zu Spontanremissionen kom-
hochgerückte angiofibrotische Bindegewebeverän- men. Bei der diffusen Alopezie ist es wichtig, die
derungen festzustellen. mögliche auslösende Ursache zu finden und zu be-
seitigen. Liegen narbige Veränderungen vor, können
keine miniaturisierten Haare in dickere umgewan-
Labor (s. Tabelle 5-25)
delt werden, da die Haarpapillen irreversibel zer-
• Klinische Chemie. Je nach Anamnese und klini-
stört sind.
schem Bild sind bei der Frau folgende Laborunter-
suchungen indiziert.
• Blut-, Differentialblutbild, Gesamteiweiß, Eisen,
Ferritin, Transaminasen, alkalische Phosphatase, 5.14.7
Kreatinin Therapie
• Vitamine (z. B. Vitamin A)
• Zink und umwelttoxikologische Untersuchungen Verhaltensmaßnahmen
(je nach Krankheitsbild und Expositionsana- Die Ausschaltung exogener Noxen schließt die Ver-
mnese; bei Vergiftungsverdacht: Arsen, Thalli- meidung von mechanischen und chemischen, d. h.
um) haarkosmetischen Schäden (z. B. Färben, Tönen,
• Nüchternblutzucker; bei Verdacht auf Diabetes Heißluftföhn, Dauerwelle, straffe Frisuren, Haarfe-
mellitus: oraler Glukosebelastungstest und stiger) ein. Dies bedeutet im Einzelnen:
HbAlc. • Das Haar sollte nur so oft wie nötig mit einem
milden, alkalifreien Shampoo (z. B. Sebopona)
• Hormone. Die Hormonanalytik sollte zwischen gewaschen werden.
dem 3. und 5. Zyklustag erfolgen: Prolaktin, Testoste- • Das Haar an der Luft trocknen lassen; keinen
ron, SHBG, Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS), Föhn oder Trockenhaube benutzen, da hierdurch
DHEA und Androstendion werden bestimmt; bei ein vorzeitiger Haarbruch induziert wird (Aus-
Patientinnen mit Amenorrhö zusätzlich FSH/LH trocknung).
und Östradiol. Prolaktin, dessen Freisetzung durch • Keine Dauerwellen, Färbemittel, Spülungen, Glät-
TRH (z. B. bei Hypothyreose) gefördert wird, kann tungsmittel, Haarfestiger oder Sprays anwenden.
die adrenale DHEA-Bildung stimulieren. Zum Aus- • Weiterhin sollten berufsbedingte Umweltnoxen
schluss einer latenten Hypothyreose bzw. einer Hy- (z. B. Holzschutzmittel in der Holz verarbeiten-
perprolaktinämie sollte das basale Prolaktin und das den Industrie) vermieden werden (vgl. Lokalthe-
TSH bestimmt werden. rapie; s. unten).
Antia ndrogene Cyproteronacetat Oral I-mal 50 mg CPA (= 1 Tbl. vom 1.- 10. ZT Androcur OC
+ 2-mal 20 J.18 EE (2 Tb!.) vom 1.-10. ZT (Progynon C)
Cyproteronacetat Oral 1 Tb!. vom 1.- 21. ZT: 2 mg CPA/35 J.18 EE Diane 35 OC
Cyproteronacetat Oral 2 mg Estradioval. vom 1.- 11. ZT, Climen HRT
2 mg Estradioval./1 mg CPA 12.- 21. ZT
Chlormadinonacetat Oral I Tb!. vom 1.- 21. ZT: 2 mg CMA/50 J.18 EE Eunomin OC
Chlormadinonacetat Oral I mg CMA/50 ~tg EE vom l.-11. ZT, eo-Eunomin OC
2 mg CMA/50 J.18 EE vom 12.- 23. ZT
Chlormadinonacetat 2 Tb!. vom 1.- 21. ZT: je 2 mg CMA/20 ).lg EE Menova OC
Chlormadinonacetat I Tb!. Vom 1.-21. ZT: 3 mg CMA/100 ).lg MES Gestamestrol OC
Chlormadinonacetat I Tb!. vom 1.-21. ZT: 2 mg CMA/30 ).lg EE Belara OC
Dienegest Oral 1 Tb!. vom 1.-21. ZT: 2 mg Dienogest/30 ).lg EE Valette OC
Spironolacton 25- 200 mg/D vom l.- 21. ZT Aldactone
Östrogene Prednisolon Lokal 0,2 g/100 ml Alpicort
Östradiolbenzoat + Lokal 5 mg/100 ml + 0,2 g/100 ml Alpicort F
Prednisolon Lokal
17ß-Östradiol Lokal EU-Cranell alpha
17ß-Östradiol Lokal Panto tin
Gewebe- Testesextrakt (Rind) Lokal 2 Einreibungen Dermatilin
ex:trakte
Plazentaextrakt
Alburnen ovi
Proteine, Multivitaminpräparate Oral 1-2 Dragees Eunova
Vitamine
Vitamine Oral 3-mal I Kap el Pantovigar
Aminosäuren
Multivitaminpräparate, 3-mal I Kapsel Haar- und
ahrung ergänzung agel Vit
Metall alze Zink Oral 400- 600 mg (2- 3 Brausetabletten) Solvezink
Oral 3-mal I Tb!. Zinkorotat 20
Oral 3-mal I Tb!. Zinkorotat-POS
(40 mg)
Ei en Oral ferro- anol
duodenal
Selen Oral 1- 2 Trinkampulle Trinkampulle
a2 ml
CMA Chlormadi nonacetat, CPA Cyproteronacetat, EE Ethi nylÖstradiol, ZT Zyklustag
5.15.2
Definition
• Es gibt Frauen mit Adipositas, Amenorrhö, Hir- wichtige Rolle bei der Entwicklung einer ovariellen
sutismus und polyzystischen Ovarien, die eine Hyperandrogenämie spielen. Burghen et al. (1980)
LH/FSH-Ratio < 2 aufweisen. zeigten als erste eine positive Korrelation zwischen
den Nüchterninsulinspiegeln im Serum und Testo-
Letztlich gibt es daher bis heute noch keine ein- steron- bzw. Androstendionspiegeln im Serum.
deutige Definition dieses Krankheitsbildes bzw. Diese Ergebnisse konnten von mehreren Untersu-
Symptomkomplexes. chern bestätigt werden. Diese eindeutige Korrelation
könnte durch 3 Hypothesen erklärt werden.
• Hyperinsulinämie verursacht eine ovarielle Hy-
perandrogenämie.
5.15.3
• Hyperandrogenämie verursacht eine Insulinresi-
Epidemiologie
stenz und infolgedessen eine kompensatorische
Hyperinsulinämie.
lnzidenz
• Ein bisher unbekannter Faktor verursacht sowohl
Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCO-Syndrom)
die Hyperinsulinämie als auch die Hyperandroge-
ist die häufigste mit ovarieller Hyperandrogenämie
nämie.
einhergehende Störung. Die Inzidenz ist regional
unterschiedlich und genetisch bestimmt - in den
Mittelmeerländern kommt es häufiger vor als in
Skandinavien. Weltweit wird die Inzidenz mit Wer-
ten zwischen 30 und 50% aller Frauen im reproduk- 5.15.5
tiven Alter mit den klinischen Zeichen einer Hy- Klinik
perandrogenämie angegeben; in der durchschnitt-
liehen Bevölkerung dürfte es bei 2-5% aller Frauen Symptome und Beschwerden
in der Geschlechtsreife vorkommen. Menstruationsstörungen (Oligomenorrhö, anovula-
torische Zyklen), Hirsutismus, Akne und Seborrhö,
Adipositas und Sterilität; evtl. Übergewicht.
5.15.4
Pathogenese Klinische Befunde
• Androgenisierung. Hierbei muss auf Zeichen
Die Pathogenese des Syndroms der polyzystischen von Hirsutismus, Alopezie, Akne und Seborrhö
Ovarien ist seit mehreren Jahrzehnten Thema kon- geachtet werden. Sollten auch Zeichen einer Viri-
troverser Diskussionen. In der Mehrzahl der Fälle lisierung (zusätzlich Klitorishypertrophie, Tiefer-
von funktioneller ovarieller Hyperandrogenämie werden der Stimme sowie männlicher Habitus)
findet man eine multifaktorielle Ätiologie. Darauf bestehen, so ist ein androgenproduzierender
weist auch die Assoziation mit verschiedenen ande- Tumor in die Differentialdiagnose einzubeziehen.
ren spezifischen Erkrankungen hin: • Haut (Varia): Akanthosis nigricans (bei jungen
e kongenitales adrenogenitales Syndrom, Frauen auch mit Insulinresistenz eher selten!).
e Cushing-Syndrom, • Übergewicht.
e Hyperprolaktinämie, • Genitalbefund: Klitorishypertrophie; palpatorisch
e Zustände von lnsulinresistenz. vergrößerte Ovarien bei bimanueller vaginaler
Untersuchung (besonders bei adipöser Patientin
Insgesamt scheint es, dass eine Vielzahl von Mecha- ist eine Vaginalsonographie notwendig).
nismen zu Störungen der Gonadotropinsekretion
führt, in deren Folge sich die typischen morpho-
logischen und biochemischen Veränderungen ent-
wickeln können. Die Folgen erhöhter ovarieller 5.15.6
Androgensekretion und abnormaler Granulosa- Diagnostik
zell-Zytodifferenzierung sind die
• gestörte Follikulogenese, Diagnostische Kriterien
• Oozytendegeneration und • Subkortikal lokalisierte Ovarialzysten (> 6 mm;
e die Unfähigkeit, einen großen, gesunden Antral- mehr als 7 pro Ovar),
follikel (> 10 mm) zu entwickeln. e Vergrößerung des Ovarialvolumen,
• Testosteronerhöhung,
Die Konsequenz daraus ist die Anovulation. Zuneh- e Erhöhte LH/FSH-Ratio (> 2,5) in 30% aller PCO-
mend zeigt sich, dass metabolische Störungen eine Fälle.
234 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
5.15.7
Differentialdiagnose
5.16
LH/FSH produzierender Hypophysentumor
• Ovarialtumoren: Dermoide, Ovarialendome-
triose, Ovarialmalignome, ovarielles Überstimu- C. ~ HAGENS, T RABE,B. RuNNEBAUM
lationssyndrom,
• Adnextumoren: entzündliche Konglomerattumo- 5.16.1
ren. Fallpräsentation (nach Abs et al. 1991)
Anamnese
Die Diagnose wird meist gestellt durch
5.16.2
• Sehstörungen (43 o/o ),
Epidemiologie
• Ausfälle der Hypophysenfunktionen (22 o/o),
Kopfschmerzen (8 o/o) oder
Es ist bekannt, dass LH- und FSH-produzierende
• eine Kombination der genannten Symptome (10 o/o).
Hypophysentumoren äußerst selten sind, sie stellen
5 o/o aller Hypophysentumoren dar. Bei endokrin
17 o/o der Patienten aus der Mayoklinik waren asympto-
aktiven Tumoren findet man häufig eine Hyperse-
matisch.
kretion von mehreren Hypophysenvorderlappen-
hormonen. In einer retrospektiven Auswertung
von Young et al. (1996) aus der Mayoklinik fanden Körperliche Untersuchung
sich bei 100 Patienten (79 Männer und 21 Frauen) Bei der körperlichen Untersuchung achtet man auf
mit Hypophysenmakroadenomen nur 11 Patienten Zeichen der Über- oder Unterfunktion von Schild-
mit einer FSH-Hypersekretion sowie 5 mit einer drüse, Nebenniere und Gonaden sowie auf Sym-
LH-Erhöhung. Eine isolierte LH-Hypersekretion ptome einer Akromegalie oder eines Gigantismus
ist sehr selten. bei Pubertas tarda.
236 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Technische Verfahren
Literatur
Zum Nachweis eines Hypophysentumors ist die ra-
diologische Diagnostik unumgänglich. Heute ist das
Literatur zu Abschn. 5.1 bis 5.6
MRT das Verfahren der Wahl. Bei Nachweis eines
Hypophysentumors mit Raumforderung muss Adashi E (1997) Menstrual cycle: Follicular maturation. In:
Rabe T, Runnebaum B (eds) Manual on assisted repro-
eine ophthalmologische Untersuchung mit Gesichts- duction. Springer, Berlin Heidelberg Tokyo New York,
feldbestimmung und Untersuchung des Augen- p 12-21
hintergrundes auf Hirndruckzeichen durchgeführt Breckwoldt M, Keck C, (1997) Pubertät und Adoleszenz. In:
Keck C, Neulen J, Breckwoldt M (Hrsg) Endokrinologie,
werden. Diese Untersuchungen werden auch zu Ver- Reproduktionsmedizin, Andrologie. Thieme, Stuttgart
laufskontrollen nach Operation eingesetzt, da auch Gerhard I, Heinrich U (1994) Die Pubertät und ihre Störungen.
nach erfolgter partieller oder totaler Hypophysekto- In Runnebaum B, Rabe T (Hrsg) Gynäkologische Endo-
krinologie und Fortpflanzungsmedizin. Bd 1, Springer,
mie oder Radiatio durch Narben oder operationsbe- Berlin Heidelberg New York Tokyo
dingte Zirkulationsstörungen endokrine Funktions- Gerhard I, Runnebaum B (1994) Endokrinologie der Früh-
störungen oder Chiasmakompressionen verursacht schwangerschaft. In: Runnebaum B, Rabe T (Hrsg) Gynä-
kologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin.
werden können. Bd 2, Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Gougeon A (1986) Dynamics of follicular growth in the hu-
man: a model from preliminary results. Human Reprod
1:81-87
5.16.6 Grunewald K, Rabe T, Runnebaum B (1994) Physiologie des
Therapie menstruellen Zyklus. In: Runnebaum B, Rabe T (Hrsg)
Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsme-
dizin. Bd 1, Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Die primäre Therapie bei FSH- und LH-produzie- Grunwald K, Rabe T, Runnebaum B (1997) Physiology of the
renden Hypophysentumoren mit Kompressions- menstrual cycle. In: Rabe T, Runnebaum B (eds) Manual
symptomen ist die transsphenoidale Tumorresek- on assisted reproduction. Springer, Berlin Heidelberg
New York Tokyo
tion, evtl. gefolgt von einer Radiotherapie. Die Kelch RP, Beitins IZ Adolescent sexual development. In: Kap-
Therapie mit GnRH-Analoga verkleinert den Tumor py MS, Blizzard RM, Migeon CJ (eds) Wilkins: The dia-
nicht. gnosis and treatment of endocrine disorders in childhood
and adolescence. 4th edn, Thomas, Springfield, IL, p 193
Schmitt-Mathiesen H, Hepp H (1998) Gynäkologie und Ge-
burtshilfe. Schattauer, Stuttgart
Therapiekontrollen Tanner JM (1975) Growth and endocrinology of the adole-
Nach einer operativen oder radiologischen Primär- scent, in: Gardner L: Endocrine and Genetic Diseases of
therapie muss eine engmaschige Verlaufskontrolle Childhood. Saunders, Philadelphia London
mittels ophtalmologischer Untersuchungen, MRT
und hormoneller Parameter erfolgen, da Rezidive
bis 5 Jahre nach Primärtherapie beschrieben wur- Literatur zu Absch. 5.7
den. Im Kollektiv der Mayaklinik war bei 8 von
Clayton RN (1997) Symptoms, signs and long-term outcomes
100 Patienten mit Hypophysentumor eine Rezidiv- of adulthood acquired hypopituitarism. In: Lamberts SWJ
operation nötig, nach einer mittleren Beobachtungs- (ed) The diagnosis and Treatment of pituitary deficiency.
zeit von 4,3 Jahren fanden sich jedoch bei 42% Re- Bristol, BioScientifica, pp 3-16
European and Australian Multicentre Study (1995) Co-treat-
siduen oder Rezidive mit klinischen Symptomen. ment with growth hormone and gonadotropin for induc-
Bei Rezidiven wird häufig eine medikamentöse The- tion of ovulation in hypogonadotropic patients: a pro-
rapie eingeleitet. Es ist möglich, durch Langzeitgabe spective, randomized, placebo-controlled dose respond
study. Fertil Steril 64: 917-923
von Bromocriptin oder anderen Dopaminagonisten Gromoll J, Simoni M, Nordhoff V, Behre HM, de Geyter C, Nie-
die klinische Symptomatik zu bessern und eine Tu- schlag E (1996) Functional and clinical consequences of
morprogression zu verhindern. mutations in the FSH receptor. Mol-Cell-Endocrinol
125: 177-182
Gromoll J, Simoni M, NieschlagE (1996) An activating muta-
tion of the follicle-stimulatung hormone rezeptor autono-
mously sustains Sperrnatogenesis in a hypophysectomized
man. J Clin Endocrinol Metab 81 : 1367-70
Hardetin JE, Petit C (1995) A molecular approach to the pa-
thophysiology of the X-Iinked Kallmann's syndrome.
Bailliere's Clin Endocrinol Metab 9: 489
Jänicke F, Rjosk HK, Berg, D, Gioning K (1983) Pulsatile
GnRH-Substitution beim Kalimann-Syndrom der Frau.
Geburtshilfe Frauenheilkd 43: 351-354
Knoll JHM, Cheng SD, LaLande M(1994) Allele specificity of
DNA replication timing in the Angelman/Prader-Willi
syndrome imprinte chromosomal region. Nature Genet
6:41-46
Lamberts SWJ, de Herder WW, van der Lely AJ (1998) Pitui-
tary insufficiency. Lancet 352
Literatur 237
Leyendecker G, Wildt L (1983) Induction of ovulation with Goldstein P, Berrier J, Rosen S, Sacks HS, Chalmers TC (1989)
chronic intermittent (pulsatile) administration of Gn- A meta-aanalysis of randomized control trials of proge-
RH in women with hypothalamic amenorrhoea. JReprod stational agents in pregnancy. Br J Obstet Gynaecol
Fertil 69 : 397 96:265-274
Paff DW et al. (1982) GnRH neurons and other cellular mo- GrafMA, Fischer R (1996) Diagnostik und Therapie beim ova-
lecular mechanisms for simple mammalian reproductive riellen Hyperstimulationssyndrom. Gynäkologe 29 : 300
secretion. Acta abstet gynecol scand 61 : 439-443 lnsler V, Melmed H, Lunenfeld B (1972) The cervical score. Int
Petit, C (1993) Molecular basis of the X-chromosome-Iinked J Gynecol Obstet 10: 223
Kallmann's Syndrome. Trends Endocrinol Metab 4 : 8 Kaiser R, Daume E, Lang N (1968) Ovulationsauslösung mit
Wood DF, Franks S (1998) Hypogonadism in women. In: Clomiphen und Gonadotropin. Med Wochensch 47: 1
Grassman A (ed) Clinical endocrinology. Blackwell Scien- Lehmann F, Breckwoldt M (1991) Gonadotropine: drei Jahr-
tific Publications, Oxford, pp 702-717 zehnte Entwicklung. HMG-Behandlung in der Praxis.
Enke, Stuttgart (Bücherei des Frauenarztes Bd 39)
Leyendecker G, Wildt L (1983) Induction of ovulation with
Literatur zu Abschn. 5.8 chronic intermittent (pulsatile) administration of Gn-
RH in women with hypothalamic amenorrhoea. J Reprod
Bierich JR, Burgmann G, Kiessling E (1989) The spontaneaus Fertil 69 : 397
secretion of GH during nocturnal sleep. Monatssehr Kin- Lunenfeld B, Insler V, Glezerman M (1992) Diagnosis and
derhlk 137: 80 treatment of functional infertility, Blackwell, Berlin
Brown DC, Stirling HF, Butler GE, Kelnar CJ, Wu FC (1996) Rudolf K, Martens E, Hofmann R, Rüting M (1993) Ergebnisse
Differentiation of normal male prepuberty and hypogo- der Behandlung der funktionellen Sterilität mit Clomi-
nadotrophic hypogonadism using an ultrasensitive lutei- phen. Zentralbl Gynakol 105: 193
nizing hormone assay. Horm Res 46 : 83-87 Schenker JG, Yarkoni S, Granat M (1981) Multiple pregnancies
Crowne EC, Shalet SM, Wallace WHB, Eminson DM, Price DA following induction of ovulation. Fertil Steril 35 : 105
(1991) Final height in girls with untreated CDGP. Eur J Thonneau P, Spira A (1990) Prevalence of infertility: interna-
Pediatr 150 : 708-712 tional data and problems of measurement. Eur J obstet
De Ia Chapelle A (1983) Sex chromosome abnormalities. In: gynecol Reprod Bio! 38/1:43-52
Emery AEH, Rimoin DL (eds) Principles and practice
of medical genetics. Vol. I. Churchill Livinstone, Edin-
burgh, pp 193-215
Haavisto AM, Dunkel L, Petterson K, Huhtaniemi I (1990) LH Literatur zu Abschn. 5.10
measurements by in vitro bioassay and a highly sensitive
immunofluorometric assay improve the distinction beet- Barret-Connor E, Bush TL (1991) Östrogen and coronary heart
ween boys with constitutional delay of puberty and hypo- disease in women. J Am Med Assoc 265: 1861-1867
gonadotropic hypogonadism. Pediatr Res 27:211-214 Christiansen C, Christiansen MS, Transböl I (1981) Bone mass
Hook EB, Warburton D (1983) The distribution of chromo- in postmenopausal women after withdrawal of oestrogen/
somal genotypes associated with Turner's syndrome: gestagen replacement therapy. Lancet 1 : 459-461
livebirth prevalence rates and evidence for diminished Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer
fetal mortality and severity in genotypes associated (1997). Lancet 350: 1047-59
with structural x abnormalities of mosaicism. Hum Genet Daly E, Vessey MP, Hawkins MM, Carson JL, Gough P, Marsh S
64: 24-27 (1996) Risk ofvenous thromboembolism in users ofhor-
Nyborg H, Nielson J (1977) Sex chromosomal abnormalities mone replacement therapy. Lancet 348: 977-980
and cognitive performance: III Field dependence, frame Editorial (1995) .?TART beschreibt Aspekte der Alzheimer-
dependence, and failing development of perceptual stabi- Krankheit: Arztliehe Hilfe für Demenzkranke. START
lity in girls with Turner's syndrome. J Psychol 96 : 205 3: 6-18
Rosenfeld RG, Attie KM, Frane Jet al. (1998) Growth hormone Gradstein F, Stampfer MJ, Goldhaber SZ et al. (1996) Prospec-
therapy of Turner's syndrome: beneficial effect on adult tive study of exogenaus hormones and risk of pulmonary
height. J Pediatr 132: 319-324 embolism in women. Lancet 348 : 983-987
Stanhope R, Hindmarsh P, Pringle PJ, Holownia P, Honour J, Hemminki E, McPherson K (1997) Impact ofpostmenopausal
Brook CGD (1987) Oxondralone induces a sustained rise hormone therapy on cardiovascularevents and cancer:
in physiological growth hormone secretion in boys with pooled data from cli.J;Jical trials. BMJ 315: 149-53
constitutional delay of growth and puberty. Pediatrician Henderson VW (1998a) Ostrogens and prevention of Alzhei-
14: 183 mer's disease. The Management of the Menopause. Annu-
Waber DP (1979) Neuropsychological aspects ofTurner's syn- al Review, Parthenon, London, pp 183-192
drome. Develop Med Child Neuro! 21 : 58-70 Henderson VW (1998b) Sexualsteroide und Alzheimer-Krank-
Waldstreicher J, Seminara SB, Jameson JL et al. {1996) The ge- heit: Therapeutische Überlegungen. In: ESKA (eds)
netic and clinical heterogeneity of gonadotropin-releasing S. 51-60 (IV. Europäischer Menopausen Kongress, Wien)
hormone deficiency in the human. J Clin Endocrinol Me- Hillard TC, Whitehead MI {1991) Hormon Substitutionsthera-
tab 81 : 4388-4395 pie-Wege der Verabreichung. In: Medical Communicati-
ons Services (Hrsg) Kardiovasculäre Wirkungen einer
Hormon Substitutionstherapie. Proceedings Internatio-
Literatur zu Abschn. 5.9 nales Novo Nordisk Symposium Kopenhagen, Dänmark,
1.-2. Februar 1991
Bettendorf G (1976) Zum Problem der Gonadotropinbehand- Hollihn UK {1997) The climacteric-a period of transition.
lung. Geburtshilfe Frauenheilkd 36: 1017 Hormone Replacement Therapy and the Menopause,
Cates W, Farley TMM, Rowe PJ (1985) Worldwide pattern of pp 12-107; Sehering ..
infertility: is Africa different? Lancet, p 596-598 Hulley Set al. {1998) Randomized Trial of Ostrogen Plus Pro-
Collet M, Reniers J, Frost E et al. (1988) Infertility in Central gestin for Secondary Prevention of Coronary Heart Dis-
Africa; infection is the cause. Int J Gynaecol Obstet 26/ ease in Postmenopausal Women. JAMA 280:605-613
3:423-428 Jick H, Derby LE, Myers MW, Vasilakis C, Newton KM {1996)
Daya S (1989) Efficacy of progesterone support for pregnancy Risk of hospital admission for idiopathic venous throm-
in women with recurrent miscarriage. A meta-analysis of boembolism among users of postmenopausal estrogens.
controlled trials. Br J Obstet gynaecol 96 : 275-280 Lancet 348 : 981-983
238 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Kanne! WB, Hjortland MC, Mcnamara PM, Gordon T (1976) Korth-Schütz S, Levine LS, New MI (1976) Dehydroepiandro-
Menopause and risk of cardiovascular disease: the Fra- sterone sulfate (DS) Ievels, a rapid test for abnormal adre-
mingham study. Ann Intern Med 85 (4) nal androgen secretion. J Clin Endocrinol Metab 42 : 1005
Lilly (1998) Produktinformation EVISTA Lee PA, Dop C van, Migeon C (1986) McCune Albright Syn-
PotthoffP et al. (2000) The Menopause Rating Scale (MRS II): drome: Iengterm follow up. JAMA 256: 1980
methodological standardization in the German popula- Lee PA (1994) Labaratory monitaring of children with preco-
tion. Zentralbl Gynakol 122(5): 280-6 cious puberty. Arch Pediatr Adolesc Med 148: 369
Rabe T, Grunwald K, Vladescu E, Runnebaum B (1998) Kar- Manasco PK, Pescowitz OH, Hili SC, Jones JM, Barnes KM,
diovaskuläres Risiko und Hormonersatztherapie. Der Gy- Hench KD, Loriaux DL, Cutler GB (1989) Six year results
näkologe 10 (31):859-869 of luteinizing hormone releasing hormone (LHRH) ago-
Runnebaum B, Rabe T, Holst T von, Wüster C (1994) Klimak- nist treatment in children with LHRH-dependent preco-
terium der Frau. In: Runnebaum B, Rabe T (eds) Gynä- cious puberty. J Pediatr 115 : 105
kologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Marshall WA, Tanner JM (1969) Variations in the pattern of
Bd 1, Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, pubertal changes in girls. Arch Dis Child 44: 291-296
s 513-588 Nelson KG (1983) Premature thelarche in children born pre-
Sarrel P ( 1989) Effects of ovarian steroids on the cardiovascu- maturely. J Pediatr 103 : 756
lar system. In: Ginsburg J (ed) The circulation of the fe- Oostdijk W, Rikken B, Schreuder Set al. (1996) Final height in
male. Parthenon, Carnforth, New Jersey, pp 117-140 central precocious puberty after long term treatment with
Schiff I, Komarov Sela H, Cramer D, Tulchinsky D, Ryan KJ slow release GnRH agonist. Arch Dis Child 75 : 292-297
(1982) Endemetrial hyperplasia in women on cyclic or Rosenfield RL (1994) Selection of children with precocious pu-
continuous estrogen regimens. Fertil Steril 37 : 79-82 berty for treatment with gonadotropin releasing hormone
Smith-Bindmann R et al. (1998) JAMA 280: 1510-1517 analogs. J Pediatr 124: 989-991
Swales JD (1996) Cardiovascular complications and the meno- Saggese G, Bertelloni S, Baroncelli GI, Battini R, Franchi G
pause. In: Messerli FH (ed) (1996) Hypertension in post- (1993) Reduction ofbone density: an effect of gonadotro-
menopausal women, Dekker, pp 139-148 pin releasing hormone agonist treatment in central pre-
Holst T von(1982) Hormonelle Diagnostik im Klimakterium cocious puberty. Eur J Pediatr 152 : 7 A
der Frau. Habilitationsschrift, Ruprecht-Karls-Universi- Sippell WG, Partsch CJ, Hümmelink R, Lorenzen F (1992)
täts-Heidelberg Langzeittherapie mit dem Retard-LHRH-Agonisten Deca-
Whitehead MI (1986) Prevention of endometrial abnormali- peptyl-Depot bei Mädchen mit Pubertas praecox vera. Er-
ties. Acta Obstet Gynecol Scand Suppl134: 81-91 gebnisse einer internationalen Multizenterstudie. Gynä-
kologe 24: 108
Temeck JW, Pang S, Nelson C, New MI (1987) Genetic defects
of steroidogenesis in premature pubarche. J Clin Endo-
crinol Metab 64 : 609
Literatur zu Abschn. 5.11 Weinstein LS, Shenker A, Gejman PV, Merino MJ, Friedman E,
Anasti JN, Flack MR, Froehlich J, Nelson LM, Nisula BC (1995) Spiegel AM (1991) Activating mutations of the stimulating
A potential novel mechanism for precocious puberty in G-protein in the McCune Albright Syndrome. New Eng! J
juvenile hypothyroidism. J Clin Endocrinol Metab Med 325 : 1688
80: 276-279
Balducci R, Boscherini B, Mangianlini A, Morellini M, Toscano
V (1994) Isolated precocious pubarche: an approach. J Literatur zu Abschn. 5.12
Clin Endocrinol Metab 79 : 582 Baron J (1974) Diagnostik und Therapie des Hirsutismus. Zen-
Blanco-Garcia M, Evain-Brian D, Roger M, Job JC (1985) Iso- tralb Gynakol 5: 129-142
lated menses in prepubertal girls. Pediatrics 76 : 43 Bruchowsky N (1979) Molekulare Wirkung von Androgenen
CrowleyWF, Comite F, Vale W, Rivier J, Loriaux DL, Cutler GB und Antiandrogenen, 7-21. In: Hammerstein J, Lachnit-
(1981) Therapeutic use for pituitary desensitization with a Fixon U, Neumann F, Plewig G (Hrsg) Androgenisie-
long-acting LHRH agonist: a potential new treatment for rungserscheinungen bei der Frau. 1. Aufl, Excerpta Medi-
idiopathic precocious puberty. J Clin Endocrin Metab ca, Amsterdam, S 7-21
52:370 Ferriman D, Gallwey JD (1961) Clinical assessement of body
Feuillan PP, Forster CM, Pescowitz OH (1986) Treatment of hair growth in women. J Clin Endocr 21: 1440-1447
precocious puberty in the McCune Albright syndrome Grunwald (1998) Persönliche Mitteilungen
with the aromatase inhibitor testolactone. New Eng! J Leidenherger F (1997) Klinische Endokrinologie für Frauen-
Med 315: 1115 ärzte. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Freni-Titulaer LW, Cordero JF, Haddock L, Lebron G, Marti- Rosenfield RL (1971) Plasma testosterone binding globulin
nez R, Mills JL (1986) Premature thelarche in Puberto and indexes of the concentration of unbound plasma an-
Rico. Am J Dis Child 140 : 1263 drogens in normal and hirsute females. J Clin Endocrinol
Garibaldi LR, Picco P, MagierS, Chevli R, AcetoT (1991) Se- 32: 717-728
rum luteinizing hormone concentrations, as measured by Rabe T, Runnebaum B (1994) Funktionsteste und Untersu-
a sensitive immunoradiometric assay in children with chungsmethoden in der gynäkologischen Endokrinologie
normal precocious and delayed pubertal development. und Fortpflanzungsmedizin. In: Runnebaum B, Rabe T
J Clin Endocrinol Metab 72 : 888 (Hrsg) Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflan-
Ibanez L, Potau N, Virdis R et al. (1993) Postpubertal outcome zungsmedizin, Springer, Berlin Heidelberg new York To-
in girls diagnosed of premature pubarche during child- kyo, S 29-98
hood: increased frequency of functional ovarian hyperan- Rabe T, Grunwald K, Runnebaum, B (1994) Androgenisie-
drogenism. J Clin Endocrinol Metab 76: 1599 rungserscheinungen bei der Frau. In: Runnebaum B,
Ilicki A, Lewin RP, Kauli R, Kaufman H, Schachter A, Laron Z Rabe T (Hrsg.) Gynäkologische Endokrinologie, Springer,
(1984) Premature thelarche-maternal history and sex hor- Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 589-665
mone secretion in 68 girls. Acta Paediatr Scand 73 : 756
Kauli R, Galatzer A, Kornreich L, Lazar L, Pertzelan A, Laron Z
(1997) Final height of girls with central precocious puber- Literatur zu Abschn. 5.13
ty untreated vs. treated with cyproterone acetate or GnRH
analogue. A comperative study with reevaluation of pre- Blanche H, Vexiau P, Clauin Set al. (1997) Exhaustive screen-
dictions by the Bayley-Pinneau method. Horm Res ing of the 21-hydroxylase genein a population of hyper-
47(2):54-61 androgenie women. Hum Genet 101:56-60
Literatur 239
Dörr HG, Schulze E (1998) Das adrenogenitale Syndrom. Gy- Speiser PW, New MI (1994) Prenatal diagnosis and treatment
näkologe 31: 539-548 of congenital badrenal hyperplasia. J Pediatr Endocrinol
Dörr HG, Sippell WG, Willig RP (1992) Pränatale Therapie und 7: 183-191
Diagnostik des adrenogenitalen Syndroms mit 21-Hyx:- Stocco DM, Clark BJ (1997) The roJe of steroidogenic acute
droxylasedefekt. Mschr Kinderheilkd 140 : 661-663 regulatory protein in adrenal and gonadal steroidogene-
Geley S, Kapelari K et al. (1996) CYP11B1 mutations causing sis. Steraids 62 : 29-36
congenital adrenal hyperplasia due to llß-hydroxylase White PC, Cumow KM, Pascoe L (1994) Disorders of steroid
deficiency. J Clin Endocr Metab 81 : 2896-2901 llß-hydroxylase isozymes. Endocr Rev 15: 421-438
Hughes IA, Dyas J, Robinson J, Walker RF, Fahmy DR (1985) Wilson RC, Mercado AB, Cheng KC, New MI (1995) Steroid
Monitaring treatment in congenital adrenal hyperplasia. 21-hydroxylase deficiency: genotype may not predict phe-
Use of serial measurements of 17-0H-progesterone in notype. J Clin Endocrinol Metab 80 : 2322-2329
plasma, capillary blood, and saliva. Ann NY Acad Sei Yanase T, Simpson ER, Waterinan MR (1991) 17a-hydroxy-
458 : 193-202 lase/17,20-lyase deficiency: from clinical investigation to
Jaresch S, Komely E, Kley HK, SchlagheckeR (1992) Adrenal molecular definition. Endocr Rev 12: 91-108
incidentaloma and patients with homozygous or hetero- Zachmann M, Tassinari D, Prader A (1983) Clinical and bio-
zygous congenital adrenal hyperplasia. J Clin Endocr Me- chemical variability of congenital adrenal hyperplasia due
tab 74: 685-689 to llß-hydroxylase deficiency. J Clin Endocr Metab
Laue L, Merke DP, Tones JV, Bames KM, Hili S, Cutler GB Jr 56:222-229
( 1996) A preliminary study of flutamide, testolactone, and
reduced hydrocortisone dose in the treatment of conge-
nital adrenal hyperplasia. J Clin Endocr Metab Literatur zu Abschn. 5.14
81 : 3535-3539 Bergfeld WF (1979) Diffuser Haarausfall bei Frauen. In: Orfa-
Lifton RP, Dluhy RG et al. (1992) A chimaeric llß-hydroxy- nos CE (Hrsg) Haar und Haarkrankheiten. Fischer, Stutt-
lase/aldosterone synthase gene causes Glucocorticoid-re- gart, S 493-503
midiable aldosteronism and human hypertension. Nature Bergfeld WF (1995) Androgenetic alopecia: an autosomal do-
355 : 262-265 minant disorder. Am J Med 98 : 95S-98S
LinD, Sugawara T et al. (1995) Role of steroidogenic acute re- Ebling FJG (1986) Hair follicles and associated glands as an-
gulatory protein in adrenal and gonadal steroidogenesis. drogen targets. Clin Endocrinol Metab 15: 319-339
Science 267: 1828-1831 Freinkel R, Freinkel N (1972) Hair growth in hypothyreoidism.
Mauthe I, Laspe H, Knorr D (1977) Zur Häufigkeit des kon- Arch Dermatal 106: 349-352
genitalen adrenogenitalen Syndroms (AGS) München Gerhard I (1992) Erst ausschwemmen, dann Dauer-Prophyla-
1963-1972. Klin Padiatr 189: 172-176 xe. In: Medical Tribune 22 : 37
Miller WL (1988) Molecular biology of steroid hormone syn- Headington J (1984) Transverse microscopic anatomy of the
thesis. Endocr Rev 9: 295-318 human scalp. Arch Dermatal 120 : 449-456
Miller WL (1994) Genetics, diagnosis and management of21- Klobusch J, Rabe T, Gerhard I, Runnebaum B (1992) Alopezie
hydroxylase deficiency. J Clin Endocriniol Metab und Umweltbelastungen. Klin Lab 38 : 469-476
78: 241-246 Laue L, Merke DP, Jones JV, Bames KM, Hili S, Cutler GB Jr
Miller WL, Auchus RJ, Geiler DH (1997) The regulation of (1996) A preliminary study of flutamide, testolactone and
17,20 Iyase activity. Steraids 62: 133-142 reduced hydrocortisone dose in the treatment of conge-
More! Y, Miller WL (1991) Clinical and molecular genetics of nital adrenal hyperplasia. J Clin Endocrinol Metab
congenital adrenal hyperplasia due to 21-hydroxylase de- 81(10):3535-3539
ficiency. Adv Hum Genet 20: 1-68 Ludwig E (1977a) Androgenetische Alopezie. Arch Dermatal
New MI (1992) Genetic disorders of adrenal hormone synthe- 113: 109
sis. Horm Res 37 (Suppl 3):22-33 Ludwig E (1977b) Classification of types of androgenetic alo-
New MI (1994) 21-Hydroxylase deficiency congenital adrenal pecia (common baldness) occuring in the female sex. Br J
hyperplasia. J Steroid Bioehern Molec Bio! 48 : 15-22 Dermatal 97: 247-254
Pang S (1997) Congenital adrenal hyperplasia. Bailliere's Clin Maguire HC, Kligman AM (1964) Hair plucking as a diagnostic
Obstet Gynacolll: 281-306 test. J Invest Dermatal 43: 77-80
Pang S ( 1997) Congenital adrenal hyperplasia. Endocrinol Me- Orfanos CE (1990) Androgenetic alopecia: Clinical aspects and
tab Clin North Am 26: 853-891 treatment. In: Orfanos CE, Happle R (Hrsg) Hairand Hair
Pang S, Shook MK (1997) Current status of neonatal sereening Diseases. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, pp
for congenital adrenal hyperplasia. Curr Opin Pediatr 485-521
9:419-423 Salomon T (1968) Genetic factors on male alopecia. In: Bac-
Prader A (1958) Vollkommen männliche äußere Genitalent- caredda-Boy A, Morretti G, Frey JR (Hrsg) Biopathology
wicklung und Salzverlustsyndrom bei Mädchen mit kon- of pattem alopecia. Karger, Basel, S 39-49
genitalem adrenogenitalem Syndrom. Helv Pediatr Acta Sawaya ME, Price VH (1997) Different Ievels of 5 a-reductase
1 : 5-15 type 1 and 11, aromatase, and androgen receptor in hair
Sakkal AH, Zhang L (1996) Studies of 3ß-hydroxysteroid de- follicles of women and men with androgenetic alopecia. J
hydrogenase genes in infants and children manifesting Invest Dermatal 109: 296-300
premature pubarche and increased adrenocorticotro- Schurz B, Schmidt JB, Merka M, Huber JC (1986) Zur klini-
pin-stimulated delta 5-steroid Ievels. J Clin Endocr Metab schen Bedeutung des TRH-Tests bei der Sterilitätsahklä-
81 : 3961-3965 rung und beim androgenetischen Effluvium. Gynakol
Schmidt-Matthiesen H, Hepp H (1998) Gynäkologie und Ge- Rundsch 26 (Suppl2):195-198
burtshilfe. Schattauer, Stuttgart Tronnier H, Essig F (1976) Zur internen Therapie des Haaraus-
Silbernagl A, Despopoulus (1983) Taschenatlas der Physiolo- falles. Acta Dermatal 2: 147-154
gie. 2. Aufl. Thieme, Stuttgart New York Venning VA, Dawber RPR (1988) Patterned androgenic alope-
Simard J, Rheaume E et al. (1993) Molecular basis of conge- cia in women. J Am Acad Dermatal 18: 1073-1077
nital adrenal hyperplasia due to 3ß-hydroxysteroid dehy- Verbow JL (1978) Common baldness occuring in females only
drogenase deficiency. Mol Endocr 7: 716-728 in one generation. Brit J Clin Pract 32: 261-262
Speiser PW, Dupont Jet al. (1992) Disease expression and mo- Zaun H, Perret C (1990) Interna! diseases affecting hair growth.
lecular genotype in congenital adrenal hyperplasia due to In: Orfanos CE, Happle R (ed) Hair and Hair Diseases.
21-hydroxylase deficiency. J Clin Inverst 90 : 584-595 Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, pp 587-600
240 KAPITEL 5 Weibliche Gonaden
Literatur zu Abschn. 5. 75 Katznelson I, Alexander JM, Bikkal HA, Jameson JL, Klibanski
A (1992) Imbalanced follicie-stimulating hormone beta-
Axelrod LR, Goldzieher JW (1962) The polycystic ovary. III. subunit hormone biosynthesis in human pituitary adeno-
Steroid biosynthesis in normal and polycystic ovarian tis- mas. J Clin Endocrinol Metab 74: 1343-1351
sue. J Clin Endocrinol Metab 22 : 359-368 Kontogeorgos G, Kovacs K, Horvath E, Scheithauer BW (1993)
Burghen GA, Givens JR, Kitabchi AE (1980) Gorrelation ofhy- Null cell adenomas, oncocytomas, and gonadotroph ade-
perandrogenism with hyperinsulinemia in polycystic ova- nomas of the human pituitary: an immunocytochemical
rian disease. J Clin Endocrinoi Metab 50 : 113 and ultrastructural analysis of 300 cases. Endocr Pathol
Chang RJ, Geffner ME (1985) Associated nonovarian problems 4:20-27
of polycystic ovarian disease: insulin resistance. Clin Ob- Kovacs K, Horvath E, Rewcastle NB, Ezrin C (1980) Gonado-
stet Gynecoi 12 : 675-685 troph cell adenoma of the pituitary in a woman with long-
Chang RJ, Nakamura RM, Judd HL, Kaplan SA (1983) Insulin standing hypogonadism. Arch Gynecol 229: 57-65
resistance in nonobese patients with polycystic ovarian Kovacs K, Horvath E, Ryan N, Ezrin C {1980) Null cell adeno-
disease. J Clin Endocrinol Metab 57 : 356-359 mas of the human pituitary. Virchows Arch (A)
Erickson GF, Case E (1983) Epidermal growth factor antago- 387: 165-174
nizes ovarian theca-interstitial cytodifferentiation. Mol Kovacs K, Asa SL, Horvath E (1991) Cytogenesis of non-func-
Cell Endocrinol31: 71-76 tioning pituitary adenoma (abstract). Endocr Pathol
Goldzieher JW, Green JA (1962) The polyzystic ovary. I. Cli- 2: 177-179
nical and histologic features. J Clin Endocrinol Metabol Lamberts SW, Verleun T, Oosterom R, Hofland L, van Ginkel
22: 325-335 LA, Loeber JG, van Vroonhoven CC, Stefanko SZ, de Jong
Kahn CR, Flier JS, Bar RS, Areher JA, Gorden P, Marhn MM, FH {1987) The effects of bromocriptine, Thyrotropin-re-
Roth J {1976) The syndromes of insulin resistance and leasing hormone, and gonadotropin-releasing hormone
acanthosis nigricans. N Eng! J Med 294: 739-747 on hormone secretion by gonadotropin-secreting pituita-
Laatikainen TJ, Apter DL, Paavonen JA, Wahlstrom TR (1980) ry adenomas in vivo and in vitro. J Clin Endocrinol Metab
Steroids in ovarian and peripheral venous blood in poly- 64:524-30
cystic ovarian disease. Clin Endocrinol 13: 125-134 Mermillion JA, Gatchair-Rose A, Svec F {1995) Pituitary
Pasquali R, Casimirri F, Venturoli Set al. (1983) Insulin resi- Tumor and low gonadotropins in a patient with Turner's
stance in patients with polycystic ovaries: its relationship Syndrome. J State Med Soc 147: 540-543
to body weight and androgen Ievels. Acta Endocrinol (Co- Nicolis G, Shimshi M, Allen C, Halmi NS, Kourides JA (1988)
penh) 104: 110-116 Gonadotropin-producing pituitary adenoma in a man
Pasquali R, Fabbri R, Venturoli S, Paradisi R, Antenucci D, with long-standing primary hypogonadismn. J Clin Endo-
Melchionda N {1986) Effect ofweight loss and antiandro- crinol Metab 66: 237-241
genic therapy on sex hormone blood Ievels and insulin Polkowska J, Berault A, Hurbain-Kosmath I, Jolly G, Jutisz M
resistance in obese patients with polycystic ovaries. Am {1991) Bihormonal celle producing gonadotropins and
J Obstet Gynecol154: 139-144 prolactin in a rat pituitary tumor cellline (RC-4B/C). Neu-
Short RV (1962) Furtherobservations on the defective synthe- roendocrinology 54: 267-273
sis of ovarian steroids in the Stein-Leventhal syndrome. J Samaan NA; Stepanas AV, Danziger J, Trujillo J {1979) Reac-
Endocrinol 24 : 359-368 tive pituitary abnormalities in patients with Klinefelter's
Short RV, London DR (1961) Defective synthesis of ovarian and Turner's Syndromes. Arch Intern Med 139: 198-201
steroids in the Stein-Leventhal syndrome. BMJ Sano T, Yamada S (1994) Histologie and immunohistochemi-
1: 1724-1731 cal study of clinically nonfunctioning pituitary adenomas:
Shoupe D, Lobo RA (1984) The influence of androgens on in- special reference to gonadotropin-positive adenomas. Pa-
sulin resistance. Fertil Steril 41 : 385-388 thol Int 44: 697-703
Smith S, Ravnicar VA, Barbieri RL (1987) Androgen and in- Sassolas G, Lejeune H, Trouillas J, Forest MG, Claustrat B, Lah-
sulin response to an oral glucose challenge in hyperandro- lou N, Loras B (1988) Gonadotropin-releasing hormone
genic women. Fertil Steril48: 72-77 agonists are unsuccessful in reducing turnoral gonadotro-
Smith KD, Steinherger E, Perloff WH (1965) Polycystic ovarian pin secretion in two patients with gonadotropin-secreting
disease. A report of 301 patients. Am J Obstet Gynecol pituitary adenomas. J Clin Endocrinol Metab 67 : 180-185
93:994-1004 Spertini F, Deruaz JP, Perentes E, Pelet B, Gomez F (1986) Lu-
Stuart CA, Peters EJ, Prince MJ, Richards G, Cavallo A, Meyer teinizing hormone (LH) and prolactin-releasing pituitary
WJ {1986) Insulin resistance with acanthosis nigricans: tumor: possible malignant transformation of the LH cell
the roles of obesity and androgen excess. Metabolism line. J Clin Endocrinol Metab 62 : 849-854
13: 197-204 Vance ML, Ridgway EC, Thorner MO (1985) Follicle-stimula-
ting hormone--and alphasubunit-secreting pituitary tu-
mor treated with bromocriptine. J Clin Endocrinol Metab
Literatur zu Abschn. 5.16 61 : 580-584
Young WF Jr, Scheithauer BW, Kovacs KT, Horvath E, Davis
Abs R, Parizel PM, Beckers A (1991) Acute effects ofParlodel- DH, Randall RV (1996) Gonadotroph adenoma of the pi-
LAR and response to long-term treatment with bromo- tuitary gland: a clinicopathologic analysis of 100 cases.
criptine in a patient with a follicle stimulating hor- Mayo Clin Proc 71 : 649-656
mone-secreting pituitary adenoma. J Endocrinol Invest
14: 135-138
KAPITEL 6
Männliche Gonaden 6
R. ÜCHSENKÜHN, E. NIESCHLAG
XY XX
Sry Ureter
t
IAMH I Hoden Ovar
Müller -Gang
cJ Q
Uterus
Wolfi -Gang
Ovar
Ureterknospe
a b
Abb. 6-2a-c.
Entwicklung der Genitalgänge. a indifferentes Stadium,
b Entstehung von Nebenhodengang und Samenleiter bzw.
Tube. (Aus Drews 1995). c Graphische Darstellung eines
Hodenquerschnitts durch den menschlichen Hoden nach der
Vorlage eines histologischen Präparats. LT Lobuli testis,
TA Tunica albuginea, TV Tunica vasculosa, ST testikuläres
Bindegewebsseptum, RT Rete testis. (Aus Ergün et al. 1994)
geregelt und in richtiger Reihenfolge ablaufen. Die Samenbläschen aus dem Wolff-Gang. Ebenfalls un-
Urkeimzellen entstehen nicht in den Gonaden, son- ter dem Einfluss von Testosteron entwickeln sich
dern im embryonalen Dottersack und wandern in Prostata, Urethra und Bulbourethraldrüsen aus
der 5. Woche post ovulationem (p. o.) mit amöboi- dem Sinus urogenitalis. Die männlichen Gonaden
den Bewegungen über das dorsale Mesenterium in produzieren außer Testosteron auch das Anti-Mül-
die beiden Gonadenleisten ein, die sich im Bereich ler-Hormon (MIS = "Mullerian inhibiting sub-
der dorsalen Wand der embryonalen Leibeshöhle stance"), das die Entwicklung eines weiblichen inne-
aus einer Proliferation des Zölumepithels und des ren Genitaltraktes aus den Müller-Gängen suppri-
Mesenchyms bilden (Abb. 6-1). Das embryonale miert. Wenn es innerhalb dieser Kaskade zu einer
Geschlecht des männlichen Embryos ist chromoso- Störung kommt, resultiert daraus die Entwicklung
mal festgelegt, wobei das testisdeterminierende Gen eines Neugeborenen mit intersexuellem Genitale
("SRY") auf dem Y-Chromosom das entscheidende oder einer Diskrepanz zwischen genetischem und
Gen bei der Entwicklung des männlichen Genitales phänotypischem Geschlecht (Abb. 6-2a). Bis zum
darstellt. Ab der 7. Woche p. o. erfolgt die Differen- Ende des 2. Trimenons kommt es normalerweise
zierung der Gonadenanlage zum Hoden. Ab der zu Deszensus der Hoden aus dem Abdominalbereich
8. Woche p. o. bewirkt das in den anfänglich noch in die Inguinalregion. Bis zum Ende der Schwanger-
immaturen Leydig-Zellen gebildete Testosteron schaft sollten die Tests bis ins Skrotum deszendiert
eine Maskulinisierung des Genitaltraktes und damit sein. Der vollendete Deszensus wird post parturn als
die Ausbildung von Nebenhoden, Samenleitern und Reifezeichen des Neugeborenen gewertet.
244 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
6.1.2
Anatomie
Hoden
Der paarig angelegten Hoden ist ein ellipsoides
Organ von fester Konsistenz mit einem durch-
schnittlichen Volumen von 15-20 ml. Am hinteren
Rand des Hodens, im Bereich des Mediastinum
testis, verlaufen im Samenstrang Gefäße, Nerven
sowie Samenleiter. Der Hoden wird von einer
Bindegewebskapsel (Tunica albuginea) umschlos-
sen. Von dieser ziehen Bindegewebssepten radiär
auf das Mediastinum testis zu und unterteilen den
Hoden in 200-250 pyramidenförmige Läppchen, Abb. 6-4. Nebenhoden
die Lobuli testis (Abb. 6-3). Die Hodenläppch en ent-
halten mehrere, vielfach gewundene Hodenkanäl-
chen (Tubuli contorti seminiferi), die wiederum aus zylindrischen Zellen, den Sertoli-Zellen, die ne-
in ein Gerüstwerk aus feinfaserigem Bindegewebe ben der Stützfunktion zahlreiche hormonelle Funk-
(Stroma) eingebettet sind. Im gestreckten Zustand tionen besitzen. Zwischen den Hodenkanälc hen und
ist jedes dieser Kanälchen etwa 30-70 cm lang. den Blutgefäßen liegen die androgenpro duzieren-
Die Gesamtlänge der rund 500-700 Tubuli eines ge- den Leydig-Zellen (Abb. 6-3).
schlechtsreifen Hodens wird auf 250-300 m ge-
schätzt. Gegen das Mediastinum testis fließen die Samenwege
häufig anastomosie renden Hodenkanälc hen zusam- Nebenhoden, Ductus deferentes und Ductus ejacu-
men, werden schmaler und strecken sich. Im Me- latorius bilden die Samenwege. Der 4-5 cm lange
diastinum münden sie in das Hodennetz (Rete tes- Nebenhoden (Epididymis) sitzt dem Hoden schweif-
tis), ein Hohlraumsy stem mit weiten, miteinander artig auf. Makroskopisch unterscheidet man einen
verbundenen Kanälchen, von denen die Ductuli ef- Kopf (Caput), Körper (Corpus) und Schwanz (Cau-
ferentes und damit die ableitenden Samenwege aus- da). Aus dem Rete testis gelangen die Spermien über
gehen. Die Hodenkanälc hen werden vom umgeben- 10-20 Ductuli efferentes in den stark gewundenen
den Bindegewebe durch eine Basalmembran ge- Nebenhoden gang (Ductus epididymis), der u. a.
trennt (Blut-Hoden-Schranke). Ihre Wand besteht als Samenspeicher dient. Im gestreckten Zustand
misst er etwa 4-5 m. Er reicht vom Nebenhoden -
kopf bis zu Nebenhodenschwanz (Abb. 6-4). Am
Ureteren Ende des Nebenhodenschwanzes geht der Neben-
hodengang ohne scharfe Grenze in den Ductus
Ductus
deferens Harnblase Ampulla ductus deferentis
Vesicula
seminalis Ureter
Ductus deferens
Ductus
ejacu latorius
Außenzone
(Hauptdri.Jsen) Innenzone
der Prostata der Prostata
Periurethrale Mantelzone
b
Pars
doaphragmauca
urethrae
Fossabulb i Abb. 6-6a, b. Prostata a Frontal chn itt, b Transver al chnitt.
a (Aus Schiebler et al. 1995)
Prostata
Die unpaare Prostata (Vorsteherdrüse) ist kasta-
niengroß und liegt zwischen Harnblasengrund ...
4
und Beckenbodenmuskulatur. Die Prostata besteht N. cavernosus
N. splanchnocus
aus 30-50 verzweigten tubuloalveolären Drüsen, N. pudendus pelvinus
die mit 15-20 Ausführungsgängen im Bereich des
Samenhügels (Colliculus seminalis) in die Urethra Abb. 6-7. Innervation und spinale Reflexbögen zur Regula-
tion männlicher Geschlechtsorgane. 1 parasympathische Neu-
einmünden und ein dünnflüssiges Sekret produzie- rone zu erektilem Gewebe, 2 sympathische Neurone zu erek-
ren. Es reagiert schwach alkalisch und enthält saure tilem Gewebe, 3 sympathische Neurone zum Ductus deferens,
Phosphatase und Zink. Im höheren Alter kommt es Prostata, Samenbläschen und Blasenhals, 4 Motoaxone, 5
aszendierende und deszendierende Bahnen. Interneurone
in einem hohen Prozentsatz zu einer gutartigen, im Rückenmark sind z. T. weggelassen worden. NH N. hypo-
knotigen Vergrößerung der Prostata infolge Hyper- )!;astricus. (Aus Jänig 1995)
246 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
plasie des Epithels sowie des fibromuskulären Gewe- hormone Inhibin, Follistatin und Aktivin beeinflus-
bes im inneren Drüsenbereich (Abb. 6-6). Die paa- sen die Spermatogenese durch eine Inhibierung
rigen, etwa erbsengroßen Glandulae bulbourethrales bzw. Aktivierung der FSH-Synthese in der Hypo-
oder Cowper-Drüsen liegen im Bindegewebe oder in physe.
der Muskulatur des Beckenbodens und münden mit
je einem Ausführungsgang in die Harnröhre. Die
Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH)
verzweigten, tubuloalveolären Drüsen liefern ein
Das Gonadotropin-releasing-Hormon (GnRH) spielt
schleimhaltiges, schwach alkalisches Sekret, das be-
eine entscheidende Rolle für die männliche und
reits vor der eigentlichen Ejakulation in die Harn-
weibliche Reproduktion. Das Dekapeptid GnRH
röhre abgegeben wird.
wird in den Zellkörpern der Neurone des Hypotha-
lamus synthetisiert und über die Zellfortsätze im
Nervale Steuerung von Erektion und Ejakulation Hypophysenstil an das hypophysäre Pfortadersy-
Die nervale Steuerung der genitalen Reflexe ist stem abgegeben. Dort stimuliert GnRH selektiv
äußerst komplex. Beteiligt sind parasympathische, die gonadotropen Zellen zur Freisetzung der hetero-
sympathische, motorische, viszerale und soma- dimeren Gonadotropine LH und FSH. Die beiden
tisch efferente Nervenbahnen. Zum Ablauf der Gonadotropine ihrerseits stimulieren die Produk-
Erektion siehe Abschn. 6.17. Das Zentrum für den tion von Testosteron bzw. die Keimzellreifung. Be-
Ejakulationsreflex liegt im unteren Thorakal- und reits in der Kindheit wird etwa alle 2 Std. ein GnRH-
im Lumbalmark Afferente Impulse aus den Geni- Puls sezerniert. Die Messung des GnRH erfolgt in-
talorganen gelangen vor allem über den N. pu- direkt über die Bestimmung des LH im Serum.
dendus und aufsteigende Zwischenneurone zu Beim Übergang zum jungen Erwachsenen steigert
diesem Zentrum. Dabei ist eine bestimmte zentrale sich die Amplitude und damit die pro Puls ausge-
Erregungssummation (Bahnung) erforderlich, um schüttete LH-Menge. Für eine regelrechte LH- und
die Reflexe auszulösen. Die efferenten Impulse für FSH -Sekretion und somit Hodenfunktion ist eine
die glatte Muskulatur laufen über die sympathischen physiologische Pulsatilität erforderlich. Exogene
Fasern des N. hypogastricus, während die beteiligte Störungen durch hohe Pulsfrequenzen oder eine
quer gestreifte Muskulatur über die motorischen kontinuierliche GnRH-Applikation führen zu einer
Anteile des N. pudendus innerviert werden Hemmung der Gonadotropinfreisetzung (Abb. 6-
(Abb. 6-7). 9). Die GnRH-sezernierenden Neuronestammen ur-
sprünglich nicht aus dem zentralen Nervensystem
(ZNS), sondern wandern während der frühen Fetal-
entwicklung aus dem nasalen Riechepithel entlang
6.2
dem Tractus olfactorius in den Nucleus arcuatus
Physiologie
des Hypothalamus ein (s. Abb. 6-20). Bei Patienten
mit Kalimann-Syndrom unterbleibt diese neuronale
6.2.1
Migration, die Vorläufer der GnRH-produzierenden
Hypothalamisch-hypophysär-testikulärer
Zellen verharren im Riechepithel und können die
Regelkreis
Hypophyse nicht wirksam stimulieren.
Spermatogenese und Hormonbildung im Hoden
unterliegen der endokrinen Regulation durch die Gonadotropine
Gonadotropine follikelstimulierendes Hormon Die Gonadotropine LH und FSH gehören zu der
(FSH) und luteinisierendes Hormon (LH). Synthese Gruppe der Glykoproteine. Wie andere Vertreter
und Ausschüttung der Gonadotropine im Hypo- dieser Gruppe, zu der auch das schilddrüsenstimu-
physenvorderlappen wird durch die pulsatile lierende Hormon (TSH) und das humane Chorion-
GnRH -Sekretion auf hypothalamischer Ebene ge- gonadotropin (hCG) gehören, besitzen die Gonado-
steuert (Abb. 6-8). Unter dem Einfluss des pulsatil tropine als Heterodimere eine gemeinsame a-Unter-
freigesetzten LH sezernieren die interstitiellliegen- einheit und 2 unterschiedliche spezifische ß-Unter-
den Leydig-Zellen im Hoden das Steroidhormon einheiten. Nur als Dimer können die nichtkovalent
Testosteron, das für Knochen- und Muskelaufbau, gebundenen a- und ß-Untereinheiten am Rezeptor
Haarwuchs, die Funktion der männlichen Repro- die physiologische Reaktion der Steroidsynthese
duktionsorgane und für eine normale Sexualität un- bzw. Keimzellreifung hervorrufen. Dabei können
entbehrlich ist. Testosteron hemmt die pulsatile physiologisch oder pharmakologisch induzierte
GnRH- und LH-Sekretion im Hypothalamus bzw. Veränderungen in der Glykosylierung des Protein-
im Hypophysenvorderlappen. FSH stimuliert über anteils unterschiedliche Bindungsaffinitäten bewir-
die Sertoli-Zellen die Spermatogenese. Die Proteo- ken und somit die biologische Wirksamkeit beein-
6.2 Physiologie 247
IHypoph~el
~ + l:;:l
~ ± Aktrvin
I
+
Spermatiden
Abb. 6-8. Darstellung der hormonellen Steuerung der Ho- gen von Testosteron/FSH auf die Gametogenese über die
denfunktion und der Wirkung der Androgene. Schlüssel- somatischen Sertoli-Zellen vermittelt wird. Die Hoden und
hormone sind das luteinisierende Hormon (LH) und das das hypothalamisch-hypophysäre System kommunizieren
folikelstimulierende Hormon (FSH), deren Synthese und über Steroid- und Proteohormone. Testosteron wirkt hem-
Sekretion durch das hypothalamisehe gonadotropinfreiset- mend auf die Ausschüttung von GnRH und Gonadotropinen.
zende Hormon (GnRH) gesteuert wird. Zwischen den Samen- Inhibin und Follistatin unterdrücken selektiv die hypophysäre
kanälchen (Tubuli seminiferi) liegen die Leydig-Zellen, die un- FSH-Freisetzung, während Aktivin diesen Prozeß stimuliert.
ter dem Einfluß von LH das Testosteron synthetisieren und Neben der Wirkung auf die Gametogenese spielt das Testoste-
sezernieren. Testosteron wirkt stimulierend auf die Keimzell- ron eine bedeutende Rolle beim Haarwuchs, Knochenstoff-
reifung in den Samenkanälchen. FSH wirkt direkt auf die Sa- wechsel, Muskelaufbau, der Ausbildung der sekundären Ge-
menkanälchen. Innerhalb des Keimepithels sind nur die Ser- schlechtsmerkmale und der Funktion der männlichen Repro-
toli-Zellen mit Rezeptoren für Testosteron und FSH ausgestat- duktionsorgane. (Aus Weinbauer et al. 1996)
tet. Deshalb wird angenommen, daß die trophischen Wirkun-
248 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
kont1nuierl1ch
~
c:
f-- - - - - - - -
"' ~--------
GnRH Analoga
(Rezeptorl -Blockade)
Gonadotropin-
sekretion
TESTIS
Abb. 6-9. Bedeutung des pulsatilen Musters der GnRH-Se- schüttung und damit die Hodenfunktion. Eine Blockade der
kretion für die Gonadotropinfreisetzung und die Hodenfunk- Rezeptoren für endogene GnRH durch GnRH-Analoga führt
tion. Unphysiologisch hohe GnRH-Frequenzen oder die kon- ebenfalls zur Suppression der Hodenfunktion. (Aus Wein-
tinuierliche Gabe von GnRH hemmen die Gonadotropinaus- bauer et al. 1996)
flussen. Im Hoden wird FSH zur Entwicklung der setzung von Zytochrom P450 SSC führt. Das Zwi-
Samenkanälchen und Initiierung der Spermatoge- schenprodukt Pregnenolon gelangt ins endoplasma-
nese während der Pubertät benötigt. Auf den die tische Retikulum, wo die restlichen Syntheseschritte
Keimzellen umgebenden Sertoli-Zellen befinden überwiegend auf dem 115-Weg und weniger auf dem
sich entsprechend Rezeptoren für FSH. Die AuE- 114-Weg ablaufen. Pregnenolon wird anschließend
rechterhaltung der Spermatogenese verlangt hohe zu Progesteron dehydriert. Der 114-Syntheseweg
intratestikuläre Androgenspiegel, die durch die führt über die Zwischenstufe 17a-Hydroxyprogeste-
LH -Sekretion gewährleistet werden. ron. Wird die Seitenkette abgespalten, so entsteht
Androsten-3,17-dion und durch weitere Reduktion
am C-17-Atom das Testosteron. Im 115-Syntheseweg
Androgene
erfolgt die Synthese von Testosteron über die
Mehr als 95 o/o der im Blut vorkommenden Andro-
Zwischenstufen 17-Hydroxypregnenolon und Dehy-
gene stammen aus dem Hoden, der 6-7 mg Testo-
droepiandrosteron. Die normale Konzentration des
steron pro Tag synthetisiert. Die restlichen Andro-
Testosterons im peripheren Blutserum des erwach-
gene werden in der Nebenniere gebildet. Neben
senen Mannes beträgt 12-30 nmol/1. Testosteron
Testosteron als wichtigstem Androgen werden
wird in zirkadianer Rhythmik ins Blut abgegeben.
im Hoden auch die weniger potenten Sexualstero-
Die höchsten Werte werden in den Morgenstunden
ide Androstendion und Dehydroepiandrosteron
gemessen und fallen im Laufe des Tages um bis zu
(DHEA) gebildet. Die Synthese der Androgene be-
35 o/o ab, um gegen Mitternacht erneut anzusteigen
ginnt mit der Freisetzung von Cholesterin aus Lipid-
(Abb. 6-10).
tröpfchen innerhalb des Zytoplasmas. Cholesterin
gelangt von dort zur inneren Mitochondrienmem-
bran, wo es durch das Enzym Zytochrom P450 SSC Hormontransport
("side chain cleavage") zu Pregnenolon metaboli- Im Plasma wird Testosteron überwiegend in pro-
siert wird. Die Expression dieses Enzyms aus der teingebundener Form transportiert. Im Blut norma-
Gruppe der Monooxygenasen wird durch LH regu- ler Männer liegen nur 2 o/o des Testosterons unge-
liert und stellt die zentrale Substanz bei der Steroid- bunden vor. 44 o/o sind an das sexualhormonbinden-
ogenese dar. LH bindet an einen spezifischen Ober- de Globulin (SHBG) und 54 o/o an Albumin gebun-
flächenrezeptor der Leydig-Zelle und aktiviert über den. Die Dissoziation des Testosterons vom
ein GTP-bindendes Protein (G-Protein) die benach- Bindungsprotein erfolgt in den Kapillaren. Das
barte Adenylzyklase, was zu einer vermehrten Frei- SHBG ist ein hepatisches Protein, das neben Testo-
6.2 Physiologie 249
LH · Rezeptor
Adenylzyklase
3f3-Hydroxysteroid- (H 3
&l
dehydrogenase I
Endoplasmatisches 0 Progesteron CH 3
I
Retikulum
1H, 170!-Hydroxylase CO
CO
~-00
~I
~-OH
0
l 17 -0H -
HO
! 17 -0H ·
H0~ ~ 0
Progesteron
, ~ 17,20-D.,molo"
0
Androstendion ! Dehydro-
epiandrosteron
OH
"'~
1 7f3-Hydroxysteroid-
dehydrogenase
3f3-Hydroxysteroid·
OH dehydrogenase
0
~ Testosteron
Abb. 6-10. Stereoidbiosynthese in der Leydig-Zelle des sehen Modifikationen und deren Lokalisation einfacher
Hodens. Durch eine Aktivierung der Adenylzyklase durch nachvollzogen werden können, sind die C-Atome im
LH wird die Biosynthese induziert. Ausgangssubstanz ist Cholesterin exemplarisch nummeriert. (Aus Weinbauer et
Cholesterin oder Azetat. Damit die verschiedenen enzymati- al. 1996)
250 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
steron auch andere 17ß-hydroxylierte Steroide, in- stata. Veränderungen in den Eigenschaften der
klusive Östradiol, bindet. Die Konzentration von Typ-2,5a-Reduktase durch Mutationen können
SHBG im Serum unterliegt der hormonellen Regu- beim Mann zu Formen des Pseudohermaphroditis-
lation. Die Sekretion wird durch Östrogene gestei- mus masculinus führen (Abb. 6-11).
gert und durch Androgene supprimiert.
Wirkungsmechanismus der Androgene
Androgenmetabolismus SHBG und Albumin geben das locker gebundene Te-
Sezerniertes Testosteron wird in der Leber durch stosteron in den Kapillaren der androgenabhängi-
Oxidation zu ,14-Androstendion und durch Reduk- gen Organen an die Zielzellen ab. Das aktive intra-
tion zu einer Reihe von Sa- oder Sß-reduzierten Ste- zelluläre Hormon hängt dabei vom Zelltyp ab. Die
roiden metabolisiert. Die reduzierten Metabolite Zellen der Reproduktionsorgane wandeln Testoste-
werden mit Glukuroniden oder Sulfaten konjugiert ron zu Sa-Dihydrotestosteron (DHT) um, Muskelge-
und mit dem Urin als unwirksame Substanzen aus- webe verbraucht Testosteron direkt. Fettgewebe,
geschieden. Die wichtigsten aus Testosteron meta- Knochen, bestimmte Hirnareale und andere Gewebe
bolisierten Hormone sind das biologisch hochaktive aromatisieren Testosteron zu Östradiol. Die Wir-
Sa-Dihydrotestosteron (DHT) und das durch Aro- kungen von Testosteron, DHT und Östradiol bedarf
matisierung entstehende Östradiol. Die Reduktion einer regelrechten Expression entsprechender Stero-
von Testosteron zu DHT erfolgt durch das Enzym idhormonrezeptoren. Das Gen für den Androgenre-
Sa-Reduktase, das in 2 Isoformen vorliegt. DHT zeptor ist auf dem X-Chromosom lokalisiert und er-
ist das eigentlich aktive Androgen in vielen Zielge- streckt sich über einen Bereich von 90 Kilobasen.
weben und fördert dort Wachstum und Differenzie- Der Androgenrezeptor gehört zu einer einheitlichen
rung als Voraussetzung für eine ungestörte Ge- Rezeptorgruppe, der auch die Rezeptoren für Östro-
schlechtsentwicklung und Virlisierung. Typ-1 ,Sa- gene, Schilddrüsenhormone, Vitamin D und Vit-
Reduktase wird in Haut, Leber und Gehirn gefun- amin A angehören. Wie bei allen Steroidrezeptoren
den, Typ-2,5a-Reduktase in Nebenhoden und Pro- besteht die DNS-bindende Domäne des Androgen-
rezeptors aus 2 Zinkfingern (s. Abb. 6-12). Dieser
Rezeptortyp ist im Zellkern lokalisiert und wirkt
als ein durch Liganden aktivierbarer Transkriptions-
faktor. Der lipophile Charakter der Androgene er-
möglicht die Diffusion in den Zellkern, wo diese
an ihren spezifischen Rezeptor binden können.
Der dimerisierte Hormonrezeptorkomplex bindet
17ß-Östradiol So:- Dihydrotestosteron
an spezifische DNA-Sequenzen ("hormone response
Y.
element") in der Promoterregion der durch Andro-
Aktive gene regulierten Gene. Der Androgenrezeptorkom-
Metaboliten plex bewirkt im gebundenen Zustand strukturelle
Veränderungen der DNA und interagiert mit den
die Genexpression beeinflussenden Proteinen. Die
0~
Funktion des Androgenrezeptors kann durch Dele-
tionen oder Mutationen erheblich gestört werden.
Das Fehlen des Androgenrezeptorgens bei männli-
- - - - - - - - - - - - - - - -Testosteron - - - - - - chem Genotyp führt zur Ausbildung eines weibli-
chen Phänotyps.
1 CH OH
y- Koojog,.ioo Biologische Wirkungen der Androgene
Das männliche Erscheinungsbild hängt im Wesent-
Inaktive
Metaboliten - - Hydroxylation
lichen von der Wirkung der Androgene ab. Durch
die Gabe von Androgenen kann eine äußere Virili-
sierung bei Frauen erzeugt werden, wie sich bei der
Y
Konjugation --+ 0 Androgentherapie transsexueller weiblicher Patien-
ten eindrucksvoll zeigen lässt (Frau-zu-Mann-
!ydroxylation Transsexualität, s. Abschn. 6.22). Androgene sind
Reduktion für Entwicklung und Aufrechterhaltung der sekun-
Abb. 6-ll. Verschiedene Möglichkeiten des Testosteronme- dären Geschlechtsmerkmale, die männliche Libido,
tabolismus. (Aus Rommerts 1998) die ungestörte Funktion der Spermatogenese und für
6.2 Physiologie 251
X-Chromosom q
lntron 1 3'
Gen
~20 >15 26
Exon lntrongroße (kbp)
mRNA
Exongroße (bp) 1613 152 117 288 145 131 158 155
Protein NH 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . .~ COOH
Abb. 6-12. Die chromosomale Lokalisation des Androgen- gestellt, die jeweiligen lntrongrößen sind darunter ange-
rezeptors, der Aufbau des Gens und des Proteins des An- geben. Exon I kodiert die N-terminale Region, Exon 2-3 die
drogenrezeptors. Oben: Das Gen für den Androgenrezeptor DNA-bindende Domäne und Exon 4-8 die steroidbindende
befindet sich in der perizentrischen Region des Chromosoms Domäne. Unten: Schematische Darstellung des Androgen-
Y auf Xqll-12. Mitte: Das ganze Gen umfaßt eine Region von rezeptorproteins mit den verschiedenen funktionellen Do-
etwa 90 Kilobasenpaaren (kbp) auf der genorniseben DANN. mänen. (Aus Weinbauer et al. 1996)
Die verschiedenen Exons sind durch die Kästen 1-8 dar-
die Rückkopplung auf die Hypothalamus-Hypophy- Bei Männern mit 5a-Reduktasemangel findet kein
sen-Achse verantwortlich. Neben der Wirkung auf Wachstum der Prostatatrotz hoher Testosteronspie-
die Sexualfunktionen besitzen die Androgene ent- gel statt.
scheidende Einflüsse auf die Formung des Muskel-
Skelett-Apparates, den Lipidstoffwechsel, die Ery- Die benigne Prostatahyperplasie (BPH) geht jedoch
thropoese und viele andere Organe wie Haut und auch mit erhöhten Östradiolwerten im Stroma ein-
Nieren. Die Symptomatik des Androgenmangels her.
hängt vom Zeitpunkt des Eintretens bzw. vom
Manifestationsalter ab (Tabelle 6-1).
Tabelle 6-1. Symptomatik des Hypogonadismus in Abhängigkeit vom Manifestationsalter. (Aus: Behre et al. 2000)
Wirkung auf die Geschlechtsorgane dichte unabhängig vom Alter erhöht (Abb. 6-13).
In den Nebenhoden, Samenblasen und den Samen- Das Längenwachstum der Knochen während der Pu-
leitern führt Mangel an Testosteron zu einer Atro- bertät wird durch Steroidhormone gesteuert, mit
phie des sekretorischen Epithels, was letztlich eine einem Verschluss der Wachstumsfugen bei anstei-
Aspermie (fehlendes Ejakulat) bewirkt. genden Werten. Ein männlicher Patient mit einer
Für ein normales Peniswachstum sind Testoste- den Östrogenrezeptor inaktivierenden Mutation
ron und DHT notwendig. Das Peniswachstum kor- zeigt einen stark verzögerten Verschluss der Epiphy-
reliert mit den ansteigenden Testosteronkonzentra- senfuge mit entsprechendem Hochwuchs. Mögli-
tionen während der Pubertät. Die einmal erreichte cherweise beruht die Androgenwirkung beim Kno-
Endgröße des Penis bleibt auch durch therapeuti- chenstoffwechsel zum größten Teil auf der Aroma-
sche evtl. weitere Testosteronsubstitution unbeein- tisierung zu Östradiol. Unterstützt wird diese Ver-
flusst. Zur Unterhaltung der regelrechten männli- mutung durch die Veröffentlichung über einen
chen Sexualfunktionen sind jedoch dauerhafte phy- Patienten mit Aromatasemangel, bei dem ein über-
siologischen Testosteronspiegel unabdingbar. steigertes Körperwachstum aufgrundeines verspäte-
ten Epiphysenverschlusses nicht durch eine Andro-
• Wirkung auf die Muskulatur. Im Unterschied zu gentherapie, sondern erst durch eine Östrogenthera-
den akzessorischen Geschlechtsdrüsen liegt in der pie zum Stillstand gebracht werden konnte.
Muskulatur eine weit niedrigere Sa-Reduktaseakti-
vität vor. In der glatten und quer gestreiften Musku- • Wirkung auf die Sebumproduktion. Die Sebum-
latur vermittelt Testosteron über eine direkte Rezep- produktion durch die Talgddrüsen der Haut ist
torwirkung eine Hypertrophie der Muskelfibrillen, hauptsächlich durch DHT vermittelt. Entsprechend
ohne deren Zahl zu erhöhen. Testosteron stimuliert der lokalen Aktivität der Sa-Reduktase kommt es zu
die Zellen der glatten, quer gestreiften aber auch der einer starken Sebumproduktion vor allem im Be-
kardialen Muskulatur zur vermehrten Glykogen- reich des Gesichtes, der Kopfhaut, des Rückens
synthese mit entsprechend gesteigerter mRNS-Syn- und der Brust. Die Entwicklung einer Akne wird
these. durch hohe Testosteronspiegel gefördert. Im Gegen-
satz dazu gilt eine Kombination aus einem Gestagen
• Wirkung auf das Skelett. Endogene und substitu- und Ethinylöstradiol, wie sie in oralen Kontrazepti-
ierte Östrogene schützen vor der Entwicklung einer va vorliegt, als eine effektive Medikation zur Be-
Osteoporose bei der Frau. Ebenso sind physiologi- handlung der Akne vulgaris bei der Frau.
sche Androgenspiegel für die Aufrechterhaltung
einer normalen Knochendichte verantwortlich, was • Wirkung auf die Haarentwicklung. Die Auswir-
daran erkennbar ist, dass in hypogonadalen kungen von DHT und Testosteron auf die Haarent-
Männern eine Testosterontherapie die Knochen- wicklung sind von der Androgensensitivität der
240
200
160
120
M
E
u
..... 100
.s
0\
gennges
41
Frakturns1ko
80
~
-o
c
41
L 60
~ FrakturriSikO
c
:.:: stark erhöht
40
20
vor 2 4 6 8 10 12 14 16
Therapie
Dauer der Testosterontherapie (Jahre)
Abb. 6-13. Zunahme der Knochendichte während der Lang- Testosterontherapie erhalten zum Zeitpunkt der ersten
zeittestosteronsubstitutionstherapie bis zu 16 Jahren bei 72 qCT-Messung. Die dunkle schattierte Fläche zeigt den Bereich
hypogonadalen Patienten. Kreise bedeuten hypogonadale mit hohem Knochenbruchrisiko an, die helle schattierte
Patienten mit erster quantitativer Computertomographie Fläche zeigt den Übergangsbertich an, in dem Knochenbrüche
(qCT)-Messung vor Beginn der Testosteronsubstitutions- auftreten können. (Aus Behre et al. 1997)
therapie, Quadrate zeigen die Patienten, die inzwischen die
6.2 Physiologie 253
Haarfollikel abhängig. Während die Achsel- und • Wirkung auf die Erythropoese. Testosteron för-
untere Schambehaarung schon auf geringe Andro- dert die Erythropoese über eine rezeptorgesteuerte
genkonzentrationen mit Wachsturn reagieren Erythropoetinsynthese. Androgene wirken auch di-
kann, sind für das Wachstum des Bartes, der oberen rekt auf die bärnatopoetischen Stammzellen ein und
Schambehaarung und der Brustbehaarung höhere führen zu einer gesteigerten Synthese von Häm und
Androgenkonzentrationen verantwortlich. Globin. Testosteronmangel bewirkt eine Reduktion
der Hämatopoese mit einem Rückgang der Parame-
• Wirkung auf das Kehlkopfwachstum. Testoste- ter Hämoglobin und Hämatokrit, sodass Hypogona-
ron induziert während der Pubertät das Wachstum dismus mit einer leichten Anämie einhergeht.
des Kehlkopfes, das mit einer Größen- und Längen-
zunahme der Stimmbänder einhergeht. Im 16. bis • Wirkung auf das Gefäßsystem. Auswirkungen
19. Jahrhundert wurden Kastrationen bei präpuber- von Testosteron auf das Gefäßsystem sind Gegen-
tären Sängerknaben durchgeführt, um eine hohe stand intensiver Forschung. Die Inzidenz der koro-
und voluminöse Sopranstimme zu erhalten. Bei naren Herzerkrankung (KHK) ist bei Männern si-
Frauen kann auch noch später durch Androgene gnifikant höher als bei prämenopausalen Frauen.
eine tiefere Stimme hervorgerufen werden. Auch Diese Geschlechtsunterschiede wurden der Steroid-
im Rahmen einer Pubertätsinduktion bei einer hormonwirkung auf das Lipidprofil zugeschrieben.
Pubertätsverzögerung oder einem idiopathischen In einer Testosteronsubstitutionsstudie mit gesun-
hypogonadotropen Hypogonadismus führt Testo- den, normogonadalen Männern konnte kein stimu-
steron nachträgliche zur Vertiefung der Stimmlage. lierender Effekt auf Triglyzeride, Gesamtcholesterin
und "Low-density-Lipoproteine" (LDL) festgestellt
• Wirkung auf das ZNS. Im zentralen Nervensy- werden. Möglicherweise wird die relative Häufung
stem (ZNS) bindet Testosteron an spezifische Rezep- der kardiavaskulären Erkrankungen auch durch an-
toren. Ähnlich wie in anderen Organen kann es auch dere Mediatoren, wie z. B. eine Verminderung des
im ZNS zu Sa-Dihydrotestosteron (DHT) reduziert Tissue-Plasminogen-Aktivators oder des Lipopro-
und zu Östrogenen aromatisiert werden. Die enzy- tein A bewirkt.
matische Aktivität variiert in den verschiedenen An-
teilen des zentralen Nervensystems. Die Aktivität der
Lokale testikuläre Regulationsvorgänge
Sa-Reduktase ist während der perinatalen Phase be-
Neben der Steuerung der Hodenfunktion durch
sonders hoch, was auf eine mögliche Rolle des DHT
übergeordnete Zentren erfolgt auch eine parakrine
bei der neuronalen Verknüpfung hinweist. Testoste-
testikuläre Regulation der Steroid- und Gametoge-
ron hat ausgeprägte psychotrope Effekte. Eine nor-
nese. Die Bedeutung der lokal produzierten Fakto-
male körperliche und geistige Leistungsfähigkeit
ren liegt in der Modulation der Wirkung von Gona-
und Aktivität stehen ebenso wie eine gute Stim-
dotropinen und des Testosterons. Die Zahl der in
mungslage und Selbstwertgefühl in enger Beziehung
den letzten Jahren beschriebenen lokalen Faktoren
zu normalen Androgenspiegeln. Die Häufigkeit
hat enorm zugenommen und umfasst so unter-
bzw. das Vorhandensein sexueller Phantasien, mor-
schiedliche Substanzen wie Wachstumsfaktoren,
gendlicher Erektionen, die Masturbations- und Ko-
immunologischen Faktoren, Opioide, Oxytozin, Re-
itusfrequenz und die sexuelle Aktivität korrelieren
nin, Angiotensin, GnRH, CRH und ACTH. Die aus
eng mit dem Testosteronspiegel im normalen bis
In -vitro-Versuchen stammenden Ergebnisse lassen
subnormalen Bereich. Androgene spielen auch
meist keinen Rückschluss auf ihre physiologische
eine kritischen Rolle für die kognitiven Funktionen
Bedeutung zu. Testosteron ist bislang die einzige
des Mannes (z. B. mathematische und verbale Fähig-
Substanz, für die der Nachweis einer physiologi-
keiten). Ein Androgenmangel hingegen ist häufig
schen Relevanz als lokaler Faktor für die Gametoge-
vergesellschaftet mit Antriebsschwäche, Lethargie,
nese beim Mann sicher geführt werden konnte.
depressiven Verstimmungen, Libidoverlust und se-
xueller Inaktivität.
Spermatogenese
• Wirkung auf den Stoffwechsel der Leber. Der Der Prozess der Spermatogenese beinhaltet die Bil-
Stoffwechsel der Leber wird durch Steroidhormone dung von Spermien aus teilungsfähigen Stammzel-
beeinflusst. Die geschlechtsspezifischen quantitati- len (Spermatogonien). Es können 3 nacheinander
ven Unterschiede für die hepatischen Enzymsysteme ablaufende Abschnitte unterschieden werden:
werden teilweise durch die antagonistische Wirkung e Die mitotische Proliferation und Differenzierung
der beiden Steroide erklärt. Testosteron und Östro- der diploiden Keimzellen (Spermatogonien).
gene können aber auch synergistische Effekte auf- e Die meiotische Reifeteilung der tetraploiden
weisen, wie z. B. beim a 1-Antitrypsin. Keimzellen (Spermatozyten)
254 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
6.3.1
( Pnmäre Spermatozyte Anamnese
Spezifische Anamnese
Abb.6-14. Schematische Darstellung der Gametogenese bei andrologischen Patienten
beim Mann. Aus Gründen der Ubersichtlichkeit ist der Ent-
wicklungsgang nur für eine Spermatogonie dargestellt. Der
Entwicklungsprozeß von der Spermatogonie bis zum Sper- • Störungen im Wachstums- und Pubertätsverlauf
mium nimmt etwa 74 Tage in Anspruch. Der menschliche Ho- • Testikuläre Lageanomalien
den produziert täglich 200-300 Mi!!. Spermien. Beim Mann • Entzündliche Erkrankungen im Bereich Hodens
entstehen aus einer pachytänen Spermatozyte im Schnitt
zwei runde Spermatiden. Die Spermatiden teilen sich nicht und Nebenhodens
mehr, sondern differenzieren in elangierte Spermatiden. • Geschlechtskrankheiten
(Aus Weinbauer et al. 1996) • Traumata im Bereich des Genitale oder des Schä-
dels (Hypophyse, Hypothalamus)
• Dauer des Kinderwunsches bzw. Zeit bis zum Ein-
• Die Transformation der haploiden Keimzellen treten einer früheren Schwangerschaft
(Spermatiden) in Spermien (Abb. 6-14). • Vita sexualis (Libido, Erektionsstörungen, Ma-
sturbations- bzw. Koitusfrequenz)
Die Spermatogonien liegen basal im Keimepithel • Fragen nach weiteren Zeichen des Androgenman-
und werden als Typ A und Typ B klassifiziert. Die gels (s. Abschn. 6.2. und 6.3, z. B. auch depressive
Typ-A-Spermatogonien zeigen unter normalen Um- Verstimmung)
ständen keine Proliferationsaktivität. Aus den Typ-
B-Spermatogonien entstehen die tetraploiden Sper-
matozyten. Aus den beiden Phasen der Reifeteilung
gehen haploide Keimzellen hervor, die Spermatiden.
Die Prophase der Meiose I dauert 1-3 Wochen, wäh- 6.3.2
rend die restlichen Phasen der Meiose I und die ge- Körperliche Untersuchung
samte Meiose II innerhalb von 1-2 Tagen ablaufen.
Die Spermatiden sind runde und teilungsaktive Zel- Die sich an die Erhebung der Anamnese anschlie-
len und durchlaufen in der Spermiogenese eine ßende körperliche Untersuchung berücksichtigt
komplizierte Transformation zu ausdifferenzierten, den gesamten Organismus, insbesondere jedoch
elangierten Spermatiden (Spermien). Runde Sper- die Genitalorgane und sekundären Geschlechts-
matiden enthalten bereits alle für die Befruchtung merkmale (s. Ubersicht).
6.3 Andrologische Diagnostik 255
Körperliche Untersuchung
e Geschlechtsorgane:
Testes und Nebenhoden (Konsistenz, Lage,
Größe, Anwendung des Orchidometers)
Ductus deferentes (evtl. Aplasie)
Plexus pampiniformis (evtl. Varikozele)
Penis (Deformationen, Urethramündung,
Phimose)
Prostata (Größe, Konsistenz)
• Körperproportionen:
Verhältnis Unter- zu Oberlänge und Spannweite
zu Körperlänge (Norm 1: 1)
Fettverteilung und Muskulatur
Brustdrüse (Gynäkomastie/Liparnastie) Abb. 6-16. Varikozele 111. Grades
• Behaarung:
Bartwuchs (Ausdehnung, Dichte, Rasurhäufig-
keit) Beurteilung der Binnenstruktur der Hoden kommt
Stirnhaargrenze (Geheimratsecken) vor allem eine besondere Bedeutung hinsichtlich
Achsel-, Thorax-, Extremitäten- und der Tumordiagnostik zu. Mit Hilfe der Sonographie
Pubesbehaarung gelingt es auch intratestikuläre, noch nichtpalpable
• Larynx und Stimmlage: Tumoren zu erfassen (Abb. 6-15). Ebenso können
Adamsapfel, Stimmbruch ultrasonographische Veränderungen der Neben-
• Riechvermögen hoden Hinweise auf akute und entzündliche Vor-
gänge geben. Die Vergrößerung des Gefäßdurch-
schnitts der V. testicularis beim Valsalvaversuch,
wie man es typischerweise bei der Varikozele be-
obachtet, kann sonographisch erfasst werden
6.3.3
(Abb. 6-16).
Technische Verfahren
• Transrektale Sonographie. Die transrektale So-
Sonographie
nographie der Prostata ist Bestandteil der Diagno-
• Die Sonographie des Skrotalinhaltes. Die Sono-
stik der Prostatitis, der benignen Prostatahyper-
graphie des Skrotalinhaltes ist aufgrund ihrer hohen
plasie und des Prostatakarzinoms und wird zur
Sensitivität, Spezifität und nebenwirkungsfreien
Therapieüberwachung der Testosteronsubstituti-
Anwendung integraler Bestandteil jeder andrologi-
onstherapie eingesetzt. Durch die transrektale Sa-
schen Untersuchung. Sie ermöglicht eine exakte Be-
menblasensonographie können neben Samen-
stimmung des Hodenvolumens und die Erfassung
blasenagenesie oder -aplasie auch andere Samen-
palpatorisch nicht beurteilbarer Hydrozelen. Der
blasendysfunktionen erfasst werden, evtl. durch
die vergleichende Untersuchung vor und nach Eja-
kulation.
Prinzip Testung der Reaktion von LH und FSH auf das hypothalamisehe Releasing-Hormon
stes und eine Azoospermie lassen ein Klinefelter- kann eine Kerngeschlechtsbestimmung aus Mund-
Syndrom vermuten. Liegt bei Azoospermie oder epithelzellen durchgeführt werden, wobei mögli-
sehr schlechten Ejakulatparametern das Hodenvolu- cherweise die beim Mann pathologischen Barr-Kör-
men über 6 ml und ist das FSH erhöht, so handelt es perchen nachgewiesen werden können. Aufgrund
sich um eine primäre Störung der Spermatogenese. der hohen Fehlerquote ist jedoch die zusätzliche,
Bei Azoospermie in Verbindung mit normalen FSH- aber zeit-und kostenaufwendige Chromosomendar-
W erten besteht der Verdacht auf Verschluss der ab- stellung aus Lymphozytenkulturen unerlässlich.
leitenden Samenwege. Der Verdacht wird durch Weitere molekularbiologische Untersuchungen be-
gleichzeitige Erniedrigung des im Seminalplasma se- treffen den Nachweis möglicher Mutationen von
zernierten Nebenhodenmarkers, z. B. a-Giukosidase Androgen- und Gonadotropinrezeptoren und der
erhärtet. Nachweis von Mikrodeletionen auf dem langen
Arm des Y -Chromosoms im Bereich des sog.
• GnRH-Test. Tabelle 6-3 gibt Prinzip, Indikation, DAZ- ("Deleted in azoospermia") Gens bei Infertili-
Durchführung sowie Beurteilung des GnRH-Tests tätspatienten. 3% aller Patienten mit Azoospermie
wieder. oder schwerer Oligozoospermie weisen eine Mikro-
deletion im DAZ-Gen auf.
Serumchemie und hörnatologische Diagnostik
Besteht der Verdacht auf einen Androgenmangel
sollte auch eine Blutbildkontrolle und Bestimmung 6.3.5
der klinsich-chemischen Parameter erfolgen. Beim Ejakulatuntersuchungen
Hypogonadismus liegen aufgrund der fehlenden
Testosteron- und Erythropoetinwirkung meist ein Eine zuverlässige Ejakulatanalyse kann nur nach
Hämoglobinmangel sowie eine erniedrigte Erythro- den Richtlinien der WHO erfolgen. Zudem muss
zytenzahl vor. Erkrankungen z. B. von Leber und zur Gewährleistung einer guten Reproduzierbarkeit
Nieren können anband der klinisch-chemischen der erzielten Ergebnisse eine laborinterne und -ex-
Parameter erfasst werden. terne Qualitätskontrolle (nationale und internatio-
nale Ringversuche) durchgeführt werden. Das nor-
Zyto- und molekulargenetische Untersuchungen male Ejakulat besteht aus einer Suspension von
Bei vielen andrologischen Krankheitsbildern ergibt Spermien und Sekreten von Hoden und Nebenho-
sich die Notwendigkeit einer Karyotypisierung, so den, die zum Zeitpunkt der Ejakulation mit Sekreten
z. B. bei Verdacht auf ein Klinefelter-Syndrom der Prostata, der Samenbläschen und der bulbou-
(46,XXY) oder bei Vorliegen einer klinischen Inter- rethralen Drüsen gemischt werden. Die Gewinnung
sexualität (46,XX vs. 46,XY). Als Screeningverfahren des Ejakulates erfolgt durch Masturbation möglichst
258 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
Makroskopische Untersuchung
Alle durchzuführenden Analysen des Ejakulates
werden nach der Liquifizierung des Ejakulates
durchgeführt (ca. 30-60 min). Das Ejakulatvolumen
wird an der Graduierung des Glasgefäßes abgelesen
und sollte über 2 ml betragen. Ein normales Ejakulat
hat eine homogenes, grau-opaleszentes Aussehen,
eine geringe Viskösität (max. 2 cm Fadenbildung)
und einen pH-Wert von 7,2-8,0. Abb. 6-17. Abbildung eines normalgeformten Spermiums im
Phasenkontrastmikroskop. Färbung nach Papanicolaou
Mikroskopische Untersuchungen
• Spermienkonzentration. Die normale Spermien- • Spermienmorphologie. Hierbei wird der relative
konzentration beträgt über 20 Mio. Spermien pro ml Anteil abnorm geformter Spermien (Kopf-, Hals-,
bzw. über 40 Mio. pro Ejakulat. Mittelstück- und Schwanzdefekt) bestimmt (Nor-
malwerte s. Tabelle 6-4).
• Spermienmotilität. Die Spermienmotilität wird
mikroskopisch an 2 unabhängig voneinander auf-
• Zusätzliche mikroskopische Beurteilungen. Im
bereiteten Samentropfen an jeweils mindestens
Zusammenhang mit einer Infertilität liegen isolierte
100 Spermien bestimmt. Zudem besteht vor allem
oder kombinierte Störungen bezüglich Konzen-
für Forschungsszwecke die Möglichkeit der Anwen-
tration, Motilität und Morphologie der Spermien
dung einer computerassistierten Spermienanalyse
vor (Abb. 6-17). Zusätzliche mikroskopische Beur-
(CASA). (Zur Einteilung der Spermienmotilität
teilungen des Ejakulats gibt folgende Übersicht
nach WHO-Kriterien: Tabelle 6-4).
wieder.
Tabelle 6-4. Normalwerte des Ejakulates bei Untersuchung Zusätzliche mikroskopische Beurteilung
entsprechend den WHO-Richtlinien (1999)
des Ejakulats
Ejakulatparameter Normalwerte
• Leukozyten sind ein mögliches Zeichen einer
Ejakulatvolumen :?> 2,0ml Infektion der ableitenden Samenwege, müssen
pH 7,2-8,0 jedoch bei fehlender weiterer Symptomatik
Spermienkonzentration ~ 20 Mio./ml permien (z. B. Schmerzen oder Bakteriennachweis) nicht
Motilität 50o/o mit Vorwärtsbeweglichkeit behandelt werden
(d. h. Kategorie "a" und "b"); • Vorläuferzellen der Spermien als Hinweis auf
oder 25% mit chneller pro- eine mögliche Spermatogenesestörung
gre iver Beweglichkeit (d. h.
Kategorie "a") innerhalb von • Agglutinationen der Spermien bei möglicher
60 Minuten nach Probengewin· immunologischer Infertilität
nung
Morphologie ~ 15% normal geformte
Spermien
• "Mixed antiglobulin reaction test" (MAR-Test).
Vitalität ~ 75% nicht abgestorbene
permien Im MAR-Test werden frische Spermienproben mit
MAR-Test < 50% permien mit IgG- bzw. !gA-beschichteten Latexpartikeln oder
anhaftenden Partikeln oder Schaferythrozyten und IgG- bzw. IgA-Antiserum
Erythrozyten gemischt. Unter der Anwesenheit von Antikörpern
Leukozyten < I Mio./ml auf den Spermien werden sie an die Zellen bzw.
u-Gluko idase ~ 20 mU/Ejakulat Partikel gebunden. Der Verdacht auf eine immuno-
Frukto e ~ 13 j.lmoi/Ejakulat logischen Infertilität besteht bei einer Antikörper-
Zink ~ 2,4 j.lmol/Ejakulat
konzentration über 10%. Bei einer Antikörperkon-
zentrationen über 50 o/o kann mit hoher Wahrschein-
6.4 Idiopathischer hypogonadotroper Hypogonadismus (IHH) und Kalimann-Syndrom 259
Terminologie Beschreibung
Hypothalamisehe Störungen
Mikrobiologische Untersuchung
Die mikrobiologische Untersuchung des Ejakulates
sollte bei klinischem Verdacht auf eine Infektion im 6.4
Genitaltrakt oder bei einer Leukozytenzahl im Eja- Idiopathischer hypogonadotroper
kulat von mehr als l Mio./ml durchgeführt werden Hypogonadismus (IHH) und Kalimann-Syndrom
(s. Abschn. 6.16) .
6.4.1
Fallpräsentation
6.3.6
Hodenbiopsie Ein 21-jähriger männlicher Patient mit infanti-
lem Genitalstatus und eunuchoiden Körperpro-
Eine Hodenbiopsie kann aus diagnostischen und/ portionen (Körpergröße: 180 cm, Armspann-
oder therapeutischen Gründen durchgeführt wer- weite: 186 cm) stellte sich wegen fehlender Pu-
den. Besteht eine sonographische Konstellation, bertätsentwicklung und Abklärung des Fertili-
die den Verdacht auf das Vorliegen eines Carcinoma tätsstatus vor. Bei dem kindlich wirkende
in situ (CIS) des Hodens nahe legt, so stellt die Patienten mit fehlendem timmbruch fiel eine
Hodenbiopsie ein Verfahren mit hoher Sensitivität mangelnde Körper- und Genitalbehaarung auf
und Spezifität dar.
260 KAPI TE L 6 Männliche Gonaden
Bei länger bestehendem Hypogonadismus kann als • MRT. Die Durchführung einer Kernspintomogra-
klinisches Zeichen eine Osteoporose hinzukommen phie des Schädels dient der Abklärung möglicher tu-
mit eventuellen pathologischen Frakturen oder moröser oder entzündlicher Ursachen des Hypogo-
Wirbelsäulendeformierungen, beginnend mit einem nadismus.
Rundrücken. Zusätzlich zum Hypogonadismus wur-
den für das Kalimann-Syndrom Synkinesien der Ex- • Osteodensitometrie. Eine Knochendichteunter-
tremitäten in bis zu 60% der Patienten festgestellt suchung kann ein mögliches Frakturrisiko abschät-
sowie gehäuft vorkommende Störungen der Blick- zen und Ausgangswerte für eine die Knochendichte
motorik und der Kleinhirnfunktion. Diese neurolo- verbessernde Androgensubstitutionstherapie lie-
gischen Befunde sind jedoch nur diskret ausgeprägt fern.
und stören im tägliche Leben kaum.
6.4.6
6.4.5 Differentialdiagnose
Diagnostik
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung (KEV)
Anamnese Die größten differentialdiagnostischen Probleme
Im Rahmen der allgemeinen Anamnese sollte auf bereitet die Abgrenzung des IHH von einer KEV.
bisherige Operationen (Orchidopexie) und mögliche Beim IHH und der KEV sind die basalen Gonado-
Schädel-Hirn-Traumata und zerebrale Tumoren tropinspiegel und das Testosteron im Serum niedrig
oder Entzündungen eingegangen werden. Der und die Patienten präsentieren sich mit einem zu
vom Patienten geschilderte fehlende Pubertätsver- diesem Zeitpunkt identischen klinischen Bild. Die
lauf sollte genau dokumentiert werden, ebenso KEV ist bei weitem die häufigste Ursache einer
wie mögliche vorausgehende Hormonbehandlun- Pubertas tarda. Man kann beim Jungen mit einer
gen. Nach dem Riechvermögen und nach dem Auf- Prävalenz von bis zu 1 : 40 rechnen. Die Abgrenzung
treten ähnlicher Krankheitsverläufe in der Familie zwischen IHH und KEV ist wichtig aufgrund der
sollte gefragt werden. Fragen zu sexuellen Aktivität unterschiedlichen Prognose und Behandlungs-
führen zu einer qualitativen Einschätzung des vor- strategie. Bei der KEV ist die Therapie der Wahl
liegenden Hypogonadismus. die intramuskuläre Injektion von 250 mg Testoste-
ronönanthat in 4-wöchigen Abständen über 3 Mo-
nate. Diese Behandlung führt zur Entwicklung se-
Körperliche Untersuchung
kundärer Geschlechtsmerkmale und zu einem
Bei der körperlichen Untersuchung werden die un-
Wachstumsschub. Danach ist häufig keine weiter
ter dem Abschn. 6.3 erwähnten Untersuchungstech-
Therapie mehr nötig.
niken angewandt. Zum Nachweis einer Anosmie
reicht in der Praxis meist eine orientierende Unter-
suchung aus, etwa indem man den Patienten bei Differenzierung des IHH und der KEV
geschlossenen Augen einige Gerüche (z. B. Kaffee Zur Differenzierung des IHH und der KEV hilft die
oder Vanille) identifizieren lässt. alleinige Durchführung eines GnRH-Tests meist
nicht weiter, denn in beiden Fällen kann sich ein
Die Wahrnehmungsfähigkeit für Schleimhautreiz- niedriger Anstieg von LH und FSH ergeben. Erst
stoffe (z. B. Ammoniak) und für die 4 Geschmacks- nach Anwendung eines pulsatilen GnRH-Pumpen-
qualitäten ist beim Kalimann-Syndrom nicht gestört. tests über 36 Stunden (alle 90 min 5 11g GnRH
s. c. durch eine tragbare Minipumpe) und erneuter
GnRH-Bolusgabe (100 11g) kann eine Differenzie-
Technische Verfahren
rung erfolgen. Im Falle einer KEV ist der LH-Anstieg
• Endokrinologische Diagnostik. Bei Verdacht auf
ausgeprägter als beim IHH. Als diagnostisches
einen IHH oder ein KaUmann-Syndrom werden zu-
Kriterium für eine KEV gilt ein Anstieg des LH
nächst die basalen Serumwerte für LH, FSH, Testo-
auf über 3 IU/l. Für den IHH werden längere Stimu-
steron und Östradiol bestimmt. Typischerweise zeigt
lationszeiten als bei der KEV benötigt, um die
sich dabei eine deutliche Reduktion der basalen
Sekretion von LH und FSH zu induzieren. Die Dif-
Werte für LH, FSH und Testosteron. Im GnRH-
ferentialdiagnose zum IHH kann trotz zahlreicher
Test liegt eine nur geringe Stimulierbarkeit vor
diagnostischer Funktionstests in schwierigen Einzel-
(s. Abschn. 6.3). Die Bestimmung der Werte für
fällen nur aus dem Verlauf gestellt werden.
Prolaktin, TSH, Schilddrüsenhormone, ACTH, GH
und IGF-1 dient der Beurteilung der anderen hypo-
thalamisch-hypophysären Hormonachsen.
6.4 Idiopathischer hypogonadotroper Hypogonadismus (IHH) und Kalimann-Syndrom 263
Abgrenzung des IHH von einer hypophysären Störung stosteron gewährleistet am besten die verschiedenen
Zur Abgrenzung des IHH von einer hypophysären physiologischen Wirkungen des Hormons.
Störung sollte ein GnRH-Test nach 7-tägiger pulsati-
ler GnRH-Stimulation (alle 90 min 5 !lg GnRH s.c.) • Auswahl des Präparates zur Testosterontherapie.
durchgeführt werden (s. Abschn. 6.3). Die Normali- Für die Therapie mit Testosteron stehen mehrere
sierung der Gonadotropine nach einem erneutem Präparate zur Verfügung. Bei der Auswahl des ge-
GnRH-Bolus (100 !lg) spricht für einen IHH und ge- eigneten Präparates sind insbesondere die unter-
gen eine hypophysäre Ursache. schiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften
zu bedenken. In Deutschland sind derzeit Testoste-
ronönanthat zur intramuskulären Injektion und Te-
6.4.7 stosteronundecanoat als orale Präparation erhält-
Therapie lich. Ebenso stehen Testosteronpflaster für die Ap-
plikation auf die Skrotalhaut und die nichtskrotale
Die Therapie neudiagnostizierter Patienten mit Haut zur Verfügung. Die Palette der Testosteronprä-
IHH oder Kalimann-Syndrom beginnt mit der intra- parationen wird durch einige nur im Ausland erhält-
muskulären Injektion von Testosteron für einige liche Präparate erweitert (subkutane Testosteronim-
Monate (z. B. Testosteronönanthat 250 mg i. m. plantate, Dihydrotestosteroncreme; Tabelle 6-6).
alle 2-3 Wochen). Falls eine KEV bei einem jungen • Testosteronönanthat: Die intramuskuläre Appli-
Patienten nicht primär auszuschließen war, kann kation von Testosteronönanthat in öliger Lösung
nach 3 Testosteroninjektionen ein Auslassversuch wird derzeit am häufigsten durchgeführt. Die
unternommen werden. Standarddosierung von 250 mg führt jedoch in
den ersten 48 h nach Applikation zu supraphysio-
logischen Serumkonzentrationen. Innerhalb von
Testosterontherapie
2 Wochen fallen die Serumkonzentrationen in
Die Testosterontherapie führt zu einer Induktion
den hypogonadalen Bereich ab, sodass zur Dau-
der Pubertät mit einer raschen Virilisierung, einer
ersubstitution Injektionsintervalle von 2-3 Wo-
Zunahme der allgemeinen physischen Leistungs-
chen sinnvoll sind. Zur Festlegung des Intervalles
fähigkeit, des psychischen Wohlbefindens und einer
empfiehlt sich die Serumtestosteronbestimmung
Zunahme der sexuellen Aktivität des Patienten.
kurz vor der erneuten Injektion in Kombination
Wenn eine ausreichende Virilisierung erreicht ist,
mit den individuellen Angaben des Patienten zu
kann zum Herbeiführen einer Fertilität mit der
seinem Befinden. Gleichmäßige pharmakokineti-
Induktion der Spermatogenese begonnen werden,
sche Profile bei längeren Halbwertszeiten haben
wozu das Testosteron abgesetzt wird.
neuere i. m. injizierbare Substanzen, die sich der-
zeit in der Entwicklung befinden (Testosteronun-
Substitutionstherapie mit Testosteron decanoat, Testosteronbuciclat).
Die Substitution von Testosteron ist essenzieller Be- • Testosteronundecanoat kann oral verabreicht
standteil der Therapie des primären und sekundä- werden, wobei die Standardosierung 2-4 Kapseln
ren Hypogonadismus. Sie kann nebenwirkungsarm, a 40 mg pro Tag beträgt. Da sich Testosteronun-
problemlos und langfrist~~ angewendet werden, decanoat sehr lipophil verhält, wird es primär
wenn eine entsprechende Uberwachung, insbeson- über die Lymphe aufgenommen, weshalb die Re-
dere der Prostata, gewährleistet ist. Durch die Sub- sorption interindividuell sehr unterschiedlich ist.
stitution von Testosteron sollen möglichst physiolo- Die orale Medikation führt zu Gipfeln nach den
gische Serumspiegel erzielt werden. Die Therapie Einnahmen und in den Schlafphasen zu ernied-
mit natürlichem, chemisch nicht modifiziertem Te- rigten Konzentrationen. Die orale Therapie ist
deshalb als Dauertherapie eher in Ausnahmefäl- Tabelle 6-7. Überwachung der Testosterontherapie
len zu empfehlen, insbesondere aber dann, wenn
Klinische Psychische und körperliche
noch eine gewisse Eigenproduktion gegeben ist Parameter Leistungsfähigkeit
und eher eine Testosteronsupplementation als
Substitution erfolgen soll. exualität (Libido, Erektion frequenz,
• Testosteronpjlastersysteme: Eine gute Alternative sexuelle Aktivität)
für Patienten, bei denen die Testosteronspiegel- timmung, allgemeines Wohlbefinden
schwankungen unter Testosteronönanthat i. m. Somatische Pa- Körpergewicht und -proportionen
oder -undecanoat p. o. zu Beeintächtigungen rameter (BM I, Waist-Hip-Ratio)
des subjektiven Wohlbefindens führen, stellen Behaarung (Bartwuchs, tirnhaargrenze,
Testosteronpflaster dar, die täglich auf die Skro- Pubes)
talhaut appliziert werden und natürliches Testo- Haut (Sebumproduktion)
Präpubertär: timmmutation
stern enthalten. Über einen Zeitraum von 10 Jah-
ren sind gute Erfahrungen mit der lokalen und Laborparameter Testo teron im erum
systemischen Verträglichkeit und der Aufrechter- Gonadotropine (LH)
haltung der Testosteronspiegel und -wirkung ge- Knochen Blutbild (Hb, Hk, Erythrocyten)
macht worden. Ein weiterer Vorteil des Pflasters Ejakulatvolumen
Knochendichte (am besten LWK)
ist die schnelle Elimination von Testosteron nach
Prostata Palpation und Sonographie (Volumen,
Absetzen des Präparates. Testosteronpflastersy- Binnenstruktur), Uroflowmetrie,
steme, die über die nichtskrotale Haut angewen- PSA im erum
det werden, sind ebenfalls geeignet, physiologi-
sche Testosteronkonzentrationen zu erzielen,
können jedoch zu Hautirritationen führen.
• Subkutane Testosteronimplantate sind bereits seit allerdings nicht größer wird als in einer altersglei-
50 Jahren verfügbar, haben sich aber nur in Groß- chen Normalpopulation. Ob eine langfristige Thera-
britannien, Südafrika und Australien gehalten, da pie mit Testosteron zur Entwicklung einer benignen
ein kleiner operativer Eingriff zum Einsetzen er- Prostatahyperplasie oder einer malignen Entartung
forderlich ist, Entzündungen auftreten können beiträgt, ist derzeit weder belegt noch widerlegt. Aus
und einige Implantate extrudiert werden. großen Autopsiestudien ist seit langem bekannt,
• Dihydrotestosterongel: Das in Frankreich erhältli- dass die Prostatagröße direkt mit dem ansteigenden
che Dihydrotestosterongel hat den Nachteil, nicht Lebensalter korreliert, sodass die Sonographische
alle physiologischen Testosteronwirkungen zu Kontrolle von Prostatastruktur und -tumormarker
r
gewährleisten, da DHT nicht wie Testosteron (PSA) während einer Substitutionstherapie beim äl-
zu Östrogen aromatisiert wird. Außerdem müs- teren Mann (> 45 Jahre) in mindestens jährlichen
sen große Körperpartien eingerieben werden, Intervallen notwendig ist.
was relativ unpraktisch ist. Es eignet sich daher
nicht zur Langzeitanwendung. Eine manifeste benigne Prostatahyperplasie oder
auffällige PSA-Werte stellen eine relative Kontra- ~
• Überwachung der Testosterontherapie. Bestand- indikation, das manifeste Prostatakarzinom eine v
teil der Therapieüberwachung ist die Kontrolle von absolute Kontraindikation für die Therapie dar.
Hämoglobin, Erythrozytenzahl und Hämatokrit, da
die Normalisierung dieser Parameter einerseits den
Therapieerfolg belegt, andererseits aber auch lang- Induktion der Spermatogenese
fristige Überdosierungen durch Auftreten einer Die Standardtherapie zur Induktion der Spermato-
Polyglobulie erkannt werden. Letztere tritt insbe- genese besteht in der pulsatilen GnRH-Gabe über
sondere bei älteren Patienten auf. Zudem sollte eine Minipumpe. Diese führt dem Patienten in defi-
eine regelmäßige Kontrolle der Blutfettwerte erfol- nierten Zeitintervallen (alle 120 min) einen kleinen
gen (Tabelle 6-7). Eine gut geführte Substitutions- Bolus GnRH (meist 5-20 f.lg/Puls) zu. Die Applika-
therapie hat ein positiven Einfluss auf die Stim- tion erfolgt mit Hilfe einer regelmäßig zu wechseln-
mungslage und das Aktivitätsniveau, führt neben den Nadel. Die GnRH-Pulse stimulieren die hypo-
einer Verbesserung der sexuellen Funktion zur physäre Gonadotropinsekretion und damit sekun-
Korrektur der Anämie und beugt einen weiteren där die Gonadenfunktion einschließlich der Game-
Verlust an Knochenmasse auch dann vor, wenn tenreifung. Alternativ kommt eine Behandlung mit
die Therapie erst im höherem Lebensalter einsetzt. humanem Choriongonadotropin (hCG; entspricht
Die Therapie des Hypogonadismus mit Testosteron LH) und humanem Menopausengonadotropin
bewirkt eine Zunahme des Prostatavolumens, das (hMG; entspricht FSH) in Frage. HCG und hMG
6.5 Prader-Labhart-Willi-Syndrom 265
Tabelle 6-8. Therapieoptionen bei IHH und Kalimann-Syndrom zur Stimulation der Spermatogenese
GnRH pul atil Lutrelef Subkutan, externe Mini- 5-20 11g pro Puls alle
pumpe (Zyklomat pulse) 120 min
Alternativ zu GnRH pulsatil: Predalon, Pregnesin, Intramuskulär oder 1.000-2500 JE 2-mal
Humanes Choriongonadotropin Primogonyl, Choragon ubkutan pro Woche (Montag und
Freitag)
In Kombination mit Humanem Humegon Menogon lntramu kulär oder ISO JE 3-mal pro Woche
Menopausengonadotropin (hMG) Pergonal subkutan (Montag, Mittwoch, Freitag)
müssen beim Mann 2- bzw. 3-mal pro Woche intra- verbunden und nur dann zu rechtfertigen, wenn
muskulär oder subkutan injiziert werden. In Zu- Kinderwunsch besteht oder zu Beginn einer Lang-
kunft werden rekombinante LH- und FSH-Präparate zeittherapie die Gonadenfunktion einmalig bis zur
zur Verfügung stehen (Tabelle 6-8). Die Behandlung vollen Ausreifung der Spermatogenese stimuliert
wird bis zum Erscheinen von Spermien im Ejakulat werden soll. Danach wird wieder auf eine reine Te-
bzw. bis zum Eintritt einer Schwangerschaft durch- stosterontherapie umgestellt, da diese wesentlich
geführt. Die durchschnittliche Therapiedauer bis kostengünstiger und zum Ausgleich des Androgen-
zum Auftreten von Spermien im Ejakulat ist 4 defizits vollkommen ausreichend ist. Zur Erhaltung
(GnRH) bzw. 6 Monate (Gonadotropine). Im eige- der sekundären Geschlechtsmerkmale und der an-
nen Patientengut konnten bei 11 Patienten mit drogenabhängigen Funktionen inklusive der Ver-
IHH und 10 Patienten mit Kallmann-Syndrom, hinderung der Osteoporose ist die Substitution
die vor Therapiebeginn alle eine Azoospermie auf- mit Testosteronpräparaten lebenslang notwendig.
wiesen, nach Gonadotropintherapie in 90% oder
nach GnRH-Therapie in 86% eine Zunahme des Ho-
denvolumens und Spermien im Ejakulat beobachtet
werden. Die Schwangerschaftsraten bei Patienten 6.5
mit Kinderwunsch lagen bei 80% bzw. 50%. Die Prader-Labhart-Willi-Syndrom
meisten Schwangerschaften traten bei reduzierten
Spermienkonzentrationen von durchschnittlich 1,7 6.5.1
bzw. 1,2 Mio./ml auf. In manchen Fällen ist eine Epidemiologie
GnRH- bzw. Gonadotropintherapie von 2 und
mehr Jahren erforderlich, bis eine Schwangerschaft Das Prader-Labhart-Willi-Syndrom (PLWS) weist
eintritt (Abb. 6-22). Ein Hodenhochstand oder ein eine Prävalenz von 1 : 10.000 auf. Neben einer ver-
geringes Hodenvolumen schließen eine Behandlung zögerten Pubertät ist es durch die Kombination
nicht aus. Sowohl die GnRH- als auch die hCG/hMG- von Adipositas und/oder geistiger Minderbegabung
Behandlung sind mit vergleichsweise hohen Kosten gekennzeichnet.
Qj 0,1
a.
(/)
0 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 42 45 48
Abb. 6-22. Schwangerschaftsrate
Dauer der Behandlung (Monate) nach GnRH - bzw. hCG/hMG -Th erapie
266 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
6.6.1
Epidemiologie 6.6.4
Diagnostik
Exakte epidemiologische Daten sind wegen der Fülle
an Ursachen nicht verfügbar. Anamnese und körperliche Untersuchung
Hierbei finden die für die sonst isoliert auftretenden
hypophysären Ausfallserscheinungen relevanten Vor-
6.6.2 gehensweisen ihre Anwendung.
Pathogenese
Technische Verfahren
Folgende Übersicht gibt die Ursachen für eine Hypo-
• MRT. Bei Hypophyseninsuffizienz kann eine
physeninsuffizienz wieder.
Kernspinuntersuchung (MRT) der Sella-Region
die Klärung der Ursache bringen (Tumor, Entzün-
Ursachen für eine Hypophyseninsuffizienz
dung etc.).
• Hormonproduzierende Tumoren
• Labor. Der Bestimmung der basalen Serum-
(Gonadotropine, Prolaktin, GH, TSH, ACTH)
werte für LH, FSH, TSH, ACTH und GH folgt bei
e Endokrin-inaktive Tumoren fehlender Nachweisbarkeit ein globaler Hypophy-
• Metastasen anderer Tumoren im Bereich der
senstimulationstest Im Falle eines großen Tumors
Hypophyse besteht aufgrund einer drohenden Tumornekrose
e Idiopathisch: postoperativ, nach Radiatio eine relative Kontraindikation für die Durchführung
e Schädel-Hirn-Trauma des Tests.
(z. B. Hypophysenstilabriss)
• Infektionen
• Hämochromatose 6.6.5
• Kongenitaler Hypopituitarismus (selten) Therapie
6.7 6.7.2
Hyperprolaktinämie Epidemiologie
unerfüllter Kinderwunsch sollten an eine mögliche (s. Übersicht) mit einer einschleichenden Dosierung
Hyperprolaktinämie denken lassen. am Abend begonnen werden. Nach ca. 2 Wochen
kann in Abhängigkeit vom aktuellen Prolaktinwert
mit einer über den Tag verteilten Dosierung fortge-
Körperliche Untersuchung
setzt werden.
Die Fingerperimetrie gilt als orientierende Unter-
suchung für mögliche Gesichtsfeldeinschränkungen
Mögliche Nebenwirkungen von Bromocriptin
bei suprasellärer Ausdehnung eines Prolaktinoms.
Eine exakte augenärztliche Untersuchung sollte
• Akute Nebenwirkungen
sich bei unklarem oder positiven Befund anschlie-
Hypotension
ßen.
Müdigkeit
Kopfschmerzen
Technische Verfahren Gastrointestinale Störungen
• Labor. Die Diagnose basiert auf erhöhten Prolak- • Langzeitnebenwirkungen
tinserumspiegeln (> 500 miU/1). Sehr hohe Werte Kopfschmerzen
(> 5.000 miU/l) sprechen für das Vorliegen eines Trockene Nasenschleimhaut
Makroprolaktinoms. Vasospasmen bei Kälte
6.8
6.7.7 Lageanomalien der Testes
Therapie
6.8.1
Medikamentös Fallpräsentation
Die stressinduzierte Hyperprolaktinämie muss nicht
therapiert werden. Bei Vorliegen eines Prolaktinoms Ein 32-jähriger Mann in gutem Allgemeinzu-
besteht die Therapie in der oralen Einnahme von stand stellte sich wegen unerfüllten Kinder-
Dopaminagonisten. Mit dem Präparat Bromocriptin wunsches seit 3 Jahren vor. Der Patient be-
(Pravidel) liegen die meisten Erfahrungen vor. Dabei richtete bei Nachfrage von beidseitigen Leisten-
sollte zur Vermeidung eines hypotensiven Effekts
270 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
von Keimzellen in maldeszentierten Hoden bereits einzelner intakter Hoden funktionell ausreichend
bei Patienten im Alter von 6-12 Monaten nachge- ist, bleiben bei der kongenitalen einseitigen An-
wiesen werden (Abb. 6-23). Der testikuläre Maldes- archie Störungen der Geschlechtsdifferenzierung
zensus ist mit einem höheren Risiko der malignen und Pubertätsentwicklung aus (Abb. 6-24).
Entartung im Erwachsenalter assoziiert. Neuere Er-
hebungen gehen von einem 5- bis 10-fachen Risiko
aus. Bei Patienten mit Hodentumoren ist ein uni- 6.8.7
lateraler testikulärer Maldeszensus anamnestisch Therapie
15-fach häufiger, ein bilateraler Maldeszensus 33-
fach häufiger als bei einem Normalkollektiv. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie emp-
fiehlt die Durchführung einer Therapie bis späte-
stens zum Ende des 1. Lebensjahres, da bereits im
6.8.5 2. Lebensjahr beim nichttherapierten Kryptorchis-
Diagnose mus eine progessive Degeneration der Keimzellen
stattfindet (s. folgende Übersicht).
Die Diagnose erfolgt durch Palpation bzw. Sonogra-
phie. Kann der Hoden mit diesen Methoden nicht Therapie bei Maldeszensus gemäß den Kriterien
lokalisiert werden, muss eine MRT -Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
des Abdomens und der Inguinalregion durchgeführt (DGE)
und/oder ein hCG-Test angewendet werden.
• Bis 2. Lebensjahr: 500 I. E. hCG i. m.
(Choragon, Pergonal, Primogonyl)
6.8.6 • 2.-3. Lebensjahr: 1.000 I. E. hCG i. m.
Differentialdiagnose • Ab dem 3. Lebensjahr: 2.000 I. E. hCG i. m.
jeweils pro Woche über 5 Wochen,
Angeborene Anorchie
Differentialdiagnostisch muss an das Vorliegen
einer angeborenen Anarchie gedacht werden, die Alternativ GnRH-Nasenspray (Kryptocur 3-mal täg-
doppelseitig mit einer Häufigkeit von 1 : 20.000 vor- lich ein Sprühstoß von 200 11g in jedes Nasenloch,
kommt. Unbehandelt bleibt bei Patienten mit ange- insgesamt 1,2 mg pro Tag über 4 Wochen)
borener Anarchie die Pubertät aus und es entwickelt Die Erfolgsraten nach Hormonbehandlung mit
sich das typische Bild eines Eunuchoidismus. Da ein hCG oder GnRH liegen allerdings unabhängig von
272 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
der Ursache eines Maldeszensus lediglich bei menhang gesichert wäre. Gelegentlich führen große
10-20 o/o. In speziellen Patientengruppen, z. B. bei Varikozelen (III 0 ) zu mechanischen Problemen
bilateralen skrotalnahen Leistenhoden oder bei z. B. beim Sitzen und es treten Schmerzen oder
Pendelhoden werden bessere Erfolge erzielt. Falls Druckgefühl auf.
die endokrine Therapie versagt, muss eine Orchido-
pexie durchgeführt werden. Der optimale Zeitpunkt
für einen chirurgische Eingriff einer testikulären 6.9.4
Lageanomalie bleibt unklar, obwohl zahlreiche Stu- Diagnostik
dien eine frühzeitigen Operation befürworten. Für
die Behandlung einer Infertilität nach Maldeszensus Anamnese
gelten dieselben Behandlungskriterien wie bei idio- Der zeitliche Verlauf der Entwicklung der Vari-
pathischer Infertilität. kozele sollten ebenso erfragt werden wie evtl. vor-
liegende Beschwerden.
6.9
Körperliche Untersuchung
Varikozele
Das wichtigste Instrument zur Diagnose ist weiter-
hin die sorgfältige Palpation des Plexus pampini-
6.9.1
formis am stehenden Patienten. Unter dem Valsalva-
Epidemiologie
manöver kommt es bei Vorliegen einer Varikozele
zu einer Füllung und Ausdehnung des Venenplexus
Bei der Varikozele handelt es sich um eine Erweite-
aufgrund des Blutrückflusses. Langbestehende Va-
rung, Verlängerung und varizenähnliche Schlänge-
rikozelen führen zu einer Hodenverkleinerung auf
lung der den Plexus pampiniformis bildenden Vv.
der betroffenen Seite.
spermaticae internae im Skrotum. Die Varikozele
Die Varikozele wird in 3 Schweregrade eingeteilt,
stellt den häufigsten Befund beim infertilen Mann
die in der folgenden Übersicht dargestellt sind.
dar. Knapp 17 o/o von 8.000 konsekutiven Patienten
des Institutes für Reproduktionsmedizin der Uni-
Einteilung der Varikozele
versität Münster wiesen eine Varikozele auf.
e Varikozele I. Grades:
nur bei Valsalvamanöver tastbare Erweiterung
6.9.2
des Plexus pampiniformis
Pathogenese
• Varikozele II. Grades:
deutlich palpable Erweiterung des Plexus pampi-
Die Entstehung einer Varikozele wird durch den
niformis
freien Verlauf der testikulären Venen im Retro-
• Varikozele III. Grades:
peritoneum und durch das Fehlen einer Muskel-
sichtbare Erweiterung des Plexus pampiniformis
pumpe begünstigt. Wahrscheinlich aufgrund der
hämodynamisch ungünstigen Einmündung der
linken V. spermatica in die V. renalis - die rechte
Vene mündet direkt in die V. cava-liegen 95 o/o aller Technische Verfahren
Varikozelen linksseitig. Ob Varikozelen zu einer Die dopplersonographisch und die bildgebende So-
Einschränkung der Fertilität führen wird kontro- nographie stellen wertvolle, die Diagnose sichernde
vers diskutiert ohne klares pathophysiologisches Untersuchungmethoden dar.
Konzept. Mögliche Mechanismen einer Beein-
flussung der Fertilität sind eine Überwärmung der
Testes und der Rückfluss toxischer Stoffe von der 6.9.5
Niere. Differentialdiagnose
6.9.6 6.10.3
Therapie Klinik
Auf dem spekulativen Konzept beruhend, dass Va- Symptome und Beschwerden
rikozelen durch Erhöhung der Skrotaltemperatur zu Die akute Symptomatik der Mumpsorchitis besteht
testikulären und epididymalen Schäden führen, in einer Anschwellung der Hoden mit starker
wurde lange Zeit der Verschluss der V. spermatica Schmerzhaftigkeit. Meist hinterlässt eine Mumpsor-
durch chirurgische Ligatur oder angiographische chitis eine ausgeprägte Oligozoospermie oder Azoo-
Okklusion (z. B. Embolisation) als Therapie der spermie mit irreversibler Infertilität. Die Symptoma-
Wahl angesehen. Einige Studien zeigten Verbesse- tik der durch andere Viren oder Bakterien hervor-
rungen der Fertilität nach operativer Varikozelenbe- gerufene Orchitiden kann wesentlich diskreter sein.
hebung im Vergleich zu unoperierten Kontrollen. In
diesen Studien blieben die Kontrollgruppen jedoch
weitgehend unbehandelt und unberaten, wodurch 6.10.4
die Existenz unspezifischer Effekte im Sinne eines Diagnostik
Plazeboeffekts keine Berücksichtigung fand. Im Un-
terschied zu diesen Studien fand eine randomisierte, Anamnese
kontrollierte, prospektive Studie keine signifikanten Die Schilderung der Mumpsorchitis durch den Pa-
Unterschiede in der kumulativen Schwangerschafts- tienten ist durch die massive Angabe der Schmerz-
rate über einen Zeitraum von 12 Monaten, wenn die symptomatik bestimmt.
Kontrollgruppe regelmäßig gesehen, untersucht und
beraten wurde. Solange keine aussagekräftigen Stu-
dien vorliegen, sollte die Operationsindikation aus Körperliche Untersuchung
Fertilitätgründen zurückhaltend und am ehesten Bei Vorliegen einer Hodenentzündung wird eine
dann gestellt werden, wenn die Varikozele mit vorsichtige, weil schmerzhafte Palpation durchge-
Schmerzen oder Druckgefühl einhergeht bzw. zum führt. Nach abgelaufener Orchitis kann der Hoden
mechanischen Hindernis wird. eine verhärtete Konsistenz annehmen und/oder
atrophieren.
Etwa 25 % aller Adoleszenten und Erwachsenen mit • Sonographie. Bei der akuten Orchitis erscheint
Mumpsparotitis erleiden auch eine Orchitis, präpu- das Hodenparenchym im Ultraschallbild inhomo-
bertäre Patienten sind kaum betroffen. Genaue epi- gen mit teils vermehrter und teils verminderter
demiologische Daten zur Häufigkeit einer Orchitis Echogenität.
durch andere Viren sind nicht verfügbar.
6.10.5
6.10.2 Differentialdiagnose
Pathogenese
Eine Hodentorsion oder eine Epididymitis müssen
Mumpsviren, aber auch ECHO-Viren, Arboviren, differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden.
das Marburg-Virus und das lymphozytäre Chorio-
meningitisvirus können den Hoden hämatogen be-
fallen. Bei Urethritis, Prostatitis, Vesikulitis oder
6.10.6
Epididymitis durch Gonokokken kann es zu einem
Therapie
Übergreifen des Entzündungsprozesses auf die Ho-
den kommen.
Eine Schutzimpfung gegen Mumps kann das Auftre-
ten einer Mumpsorchitis und einer späteren Inferti-
lität verhindern helfen. Tm Falle einer viralen Orchi-
274 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
6.11.2
Epidemiologie
6.11.3
Pathogenese
Technische Verfahren
6.11.4
• Labor. Der klinische Verdacht auf ein Klinefelter-
Klinik
Syndrom verstärkt sich durch den Nachweis von
Ban-Köperehen im Mundschleimhautabstrich. Die
Symptome und Beschwerden
sichere Diagnose kann jedoch erst nach der Chro-
Ein Klinefelter-Syndrom wird für gewöhnlich erst
mosomenanalyse aus Lymphozytenkulturen gestellt
nach der Pubertät erkannt. Vor der Pubertät be-
werden. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sind die
stehen meist nur diskrete Symptome wie in ihrer
Testosteronspiegel im Serum in 80% der Patienten
Größe reduzierte Testes, eine Langbeinigkeit und
mit 47,XXY Karyotyp erniedrigt und im weiteren
evtl. Störungen der Lernfähigkeit und der verbalen
Verlauf tritt bei allen nichtsubstituierten Patienten
Ausdrucksfähigkeit Nach der Pubertät ist das Kline-
eine Androgenmangel ein. Die durchschnittlichen
felter-Syndrom durch das Vorliegen kleiner, fester
Östradiolspiegel sind erhöht. Da die Spiegel für
Hoden mit einem Volumen von 1-3 ml (Norm:
SHBG ebenfalls erhöht sind, resultiert ein weiterer
> 12 ml) und ein Androgenmangelsyndrom charak-
Abfall des biologisch aktiven freien Testosterons.
terisiert (s. Abschn. 6.2). Bei etwa der Hälfte der Pa-
Die Gonadotropine LH und insbesondere FSH
tienten liegt eine Gynäkomastie vor. Patienten mit
sind stark erhöht.
Klinefelter-Syndrom sind stets infertil. Spermien
im Ejakulat oder im Hodengewebe werden nur in
• Ejakulatuntersuchung. In der Ejakulatuntersu-
seltenen Ausnahmen gefunden. Der Grad der Viri-
chung zeigt sich in 99% der Fälle eine Azoospermie.
lisierung kann erheblich variieren. Da initial nor-
In Hodenbiopsien werden mit großer Regelmäßig-
male Androgenspiegel vorliegen, entwickelt sich
keit hyalinisierende Fibrosierung, fehlende Sperma-
bei 60% der Patienten eine normale Penisgröße.
togenese und relative Leydig-Zellhyperplasie beob-
Die Armspannweite überschreitet nicht die Körper-
achtet. Nur ganz selten kann fokal Spermatogenese
länge, jedoch sind die Beine länger als der Rumpf.
vorkommen. In seltenen Einzelfällen konnten Sper-
Als eine Folge eines länger bestehenden Androgen-
mien aus dem Hodengewebe isoliert und zur ICSI
mangels entsteht in vielen Fällen eine Osteoporose.
verwandt werden.
Ein Drittel der Patienten weisen eine Varikosis mit
eventuellen Ulcera cruris auf.
6.11.6
6.11.7
Therapie
Gynäkomastie
Die Gynäkomastie wird durch die Hormontherapie
nicht beeinflusst. Bei subjektiven Beschwerden kann
eine Mastektomie durch einen in kosmetischer Chi-
rurgie erfahrenen Operateur vorgenommen werden.
Kinderwunsch
Der Kinderwunsch von Klinefelter-Patienten konnte
bisher nur in Einzelfällen unter Anwendung assi-
stierter Reproduktionsverahren erfüllt werden.
Abb. 6-27. Spermatogenesearrest (Die Abbildung wurde
freundlicherweise von Universitätsprofessor Dr. rer. medic.
6.12 Martin Bergmann, Institut für Anatomie und Zellbiologie
Störungen der Spermatogenese der Universität Halle-Wittenberg zur Verfügung gestellt)
und Spermiogenese
6.12.1 6.12.2
Epidemiologie Pathogenese
Abb. 6-28a-g. Elektronenmikroskopische Aufnahmen von ren Doppeltubuli. c Querschnitt eines Spermiums mit "9 + 0"-
Spermien (PD Dr. D. Neugebauer): a Längsschnitt eines nor- Syndrom ohne die zentralen Tubuli. d Spermium mit "5 + 2"-
malen menschlichen Spermiums mit Nukleus (N), Akrosom Defekt. e "8 + 2"- und "6 + 2"-Defekt innerhalb einer Zelle.
(A), Mitochondrien (M), und Cytoplasma (C). b Im Quer- f externe Mikrotubuli. g "3 + 2 + I" -Defekt. Spermien mit de-
schnitt ist das Axonern mit zwei zentralen und neun periphe- fekter Anordnung der Mikrotubuli sind immotil
278 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
6.12.3 6.13
Klinik Idiopathische Infertilität
Anamnese 6.13.2
Die Infertilität ist oft das einzige Symptom, das erst Pathogenese
durch unerfüllten Kinderwunsch evident wird.
In den Fällen, in denen aus diagnostischen und/oder
Körperliche Untersuchung therapeutischen Gründen eine Hodenbiopsie durch-
Es gilt dieselbe Vorgehensweise wie bei allen Infer- geführt wird, können teilweise Störungen der Sper-
tilitätpatienten (s. Abschn. 6.3). matogenese beobachtet werden. In vielen Fällen
bleibt dabei die Pathogenese jedoch unklar und
eine Einteilung erfolgt lediglich deskriptiv.
Technische Verfahren
Die Globozoospermie kann auch mit der gewöhn-
lichen Lichtmikroskopie beurteilt werden. Zur Dia-
6.13.3
gnose des 9 + 0-Syndroms und des Syndroms der
Klinik
immotilen Zilien werden elektronenmikroskopische
Verfahren benötigt. Störungen der Spermatogenese
Symptome und Beschwerden
werden in durch eine Hodenbiopsie gewonnenen
Unerfüllter Kinderwunschtrotz regelmäßigen unge-
testikulären Präparaten beurteilt (s. auch Abschn.
schützten Verkehrs.
6.3).
6.12.5 6.13.4
Differentialdiagnose Diagnostik und Differentialdiagnose
Differentialdiagnostisch kommen alle anderen Ur- Die Diagnose der idiopathischen Infertilität kann
sachen der Infertilität in Frage (s. Tabelle 6-4}. nur dann gestellt werden, wenn andere Ursachen
ausgeschlossen wurden.
Spermien besteht gegenwärtig in der Anwendung • Malignome. Malignome sind häufig per se mit
einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion einer Beeinträchtigung der Spermatogenese korre-
(ICSI). liert. Informationen dazu liegen hauptsächlich
über Patienten mit Lymphomen, Leukämien oder
Hodentumoren vor. Ungefähr die Hälfte aller Pa-
Fertilitätsstörungen als Folge tienten mit testikulären Keimzelltumoren zeigen
von extratestikulären Erkrankungen und Noxen eine Beeinträchtigung der Spermatogenese vor jeg-
Zahlreicheinternistische und neurologische Erkran- licher Behandlung oder nach Orchiektomie vor einer
kungen können zu einer Einschränkung der männ- zytotoxischen Chemotherapie. Bei Patienten mit
lichen Fertilität führen. eingeschränkter Fertilität erfolgt deshalb eine routi-
nenmäßige Sonographische Untersuchung der Ho-
• Leberzirrhose. Fertilität und Libido von Patien- den als hochsensitives diagnostisches Verfahren.
ten mit Leberzirrhose sind deutlich eingeschränkt. Bei einer allgemeinen Inzidenz für Hodentumoren
Falls überhaupt ein Ejakulat gewonnen werden von 1 : 30.000 pro Jahr finden wir bei ca. jedem
kann, besteht meist eine therapieresistente Oligoas- 200. Patienten mit Infertilität einen Hodentumor,
thenoteratozoospermie. meist mit Hilfe der routinemäßig eingesetzten Sono-
graphie.
• Entzündliche Darmerkrankungen. Entzündliche
Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und M. • Chemotherapeutika. Die Malignomtherapie mit
Crohn können zu einer Verminderung der Fertilität zytotoxischen Chemotherapeutika ermöglicht im-
führen. Dabei ist es schwierig zwischen krankheits- mer häufiger Langzeitremissionen oder Heilungen.
spezifischen und medikamentös-toxischen Effekten • Die alkylierenden Substanzen Cyclophosphamid,
zu differenzieren. Chlorambuzil und Cisplatin führen bei Dosen
über 7.500 mg/m 2, 400 mg/m 2 bzw. 600 mg/m 2
• Chronische Niereninsuffizienz. Eine chronische zu einer irreversiblen Schädigung der Spermato-
Niereninsuffizienz führt bei 60% der betroffenen genese.
Männer zu einer Störung der Hodenfunktion mit • Die Behandlung mit Stickstofflost, Procarbazin,
Libidoverlust, erektiler Dysfunktion und ausgepräg- Prednison und Vincristin (MOPP oder MVPP)
ter Oligoasthenoteratozoospermie. Eine Therapie führt schon nach 2 Behandlungszyklen bei allen
durch Hämodialyse verhindert eine weitere Ver- Patienten zur meist irreversiblen Azoospermie.
schlechterung der Ejakulatbefunde und den stetigen • Die Antimetaboliten Methotrexat, 5-Fluorouracil
Anstieg des FSH als Ausdruck der progressiven sowie die Topoisomeraseinhibitoren sind in kon-
Schädigung des Keimepithels nicht. Dagegen tritt ventioneller Dosierung mit keiner dauerhaften
nach Nierentransplantation mit der Verbesserung Reduktion der Spermatogenese assoziiert.
der Nierenfunktion auch eine Wiederherstellung • Teilweise reversibel sind die nach einer Kombina-
der Fertilität ein. tion von Cisplatin, Vinblastin, Bleomycin und
Doxorubicin auftretenden Spermatogeneseschä-
• Diabetes mellitus. Die Prävalenz der erektilen den.
Dysfunktion beträgt bei jungen Patienten
(20-24 Jahre) mit Diabetes mellitus etwa 6% und Über die Möglichkeit der Kryokonservierung von
nimmt mit dem Alter zu (50% aller 55-bis 59-jäh- Spermien vor einer möglicherweise irreversibel fer-
rigen). Das Auftreten der erektilen Dysfunktion tilitätschädigenden Zytostatikatherapie, Radiatio
korreliert mit dem Vorkommen der diabetischen oder Orchiektomie muss daher jeder Patient ohne
Komplikationen Nephropathie, Neuropathie und abgeschlossene Familienplanung ausführlich bera-
Angiopathie. Besteht ein Testosteronmangel, sollte ten werden. Denn trotz aller Versuche gibt es bisher
eine Substitution erfolgen, da bei einem Teil der keine effektive Gonadenprotektion für Patienten,
Patienten die erektile Dysfunktion gebessert werden die sich einer keimzellzerstörenden Therapie unter-
kann. Besteht eine Aspermie, erfolgt zum Aus- ziehen müssen.
schluss einer retrograden Ejakulation eine Unter-
suchung des Urins nach Masturbation. Finden • Medikamente. Zahlreiche Medikamente, neben
sich dabei Spermien, können diese einerseits für den Zytostatika besonders die mit sympathischer
assistierte Reproduktionsverfahren gewonnen wer- oder parasympathischer Aktivität, können eine Re-
den. Andererseits können in einigen Fällen präkoital duktion von Libido, Erektionsfähigkeit oder Ejaku-
eingenommene sympathomimetisch wirkende Sub- lationsvermögen bewirken. Genannt seien die häufig
stanzen (z. B. das Antidepressivum Imipramin) eine verordneten ß- Blocker sowie Psychopharmaka und
antegrade Ejakulation herbeiführen. Antikonvulsiva. Falls möglich kann bei bestehen-
280 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
D
mutet werden. Trotz verschiedener Publikationen Kontrollierte Studien konnten jedoch keine positiven
über eine mögliche allgemeine Reduzierung der Auswirkungen auf Spermienparameter oder Schwan-
Spermienqualität in den letzten Jahrzehnten ist gerschaftsraten zeigen, wodurch die Therapie mit
ein solcher Trend nicht sicher zu belegen. Vielmehr Kallikrein obsolet wurde.
führen methodische und/oder analytische Probleme
zu Fehlinterpretationen.
Die Wirksamkeit von Pentoxiphyllin oder der als
Antioxidanzien wirkenden Substanzen Vitamin E
• Chronischer Alkoholkonsum. Moderater Alko-
und Vitamin C im Hinblick auf erhöhte Schwanger-
holkonsum birgt keine Gefahr für die Fertilität.
schaftsraten wurde bisher nicht schlüssig bewiesen.
Chronischer Alkoholkonsum mit Suchtcharakter
kann als eine Auswirkung des generellen metaboli-
schen Schadens zu einer Fertilitätsabnahme führen. Hormone
Da GnRH, Gonadotropine und Testosteron für eine
• Nikotin. Die allgemeine Empfehlung gerade an normale testikuläre Funktion benötigt werden und
Infertilitätspatienten, das Rauchen aufzugeben, be- beim Hypogonadismus wirksam sind, fanden sie
ruht auf epidemiologischen Untersuchungen, die auch bei der hormonellen Behandlung der idiopa-
eine leichte Reduktion für die Spermienparameter thischen männlichen Infertilität ihre Anwendung,
Konzentration, Motilität und Morphologie bei auch wenn keine endokrinen Defekte gefunden wer-
Rauchern zeigen. Die negative Korrelation zwischen den konnten. Für die pulsatile GnRH-Gabe konnte
Rauchen und Spermienkonzentration und -motilität keine Wirksamkeit nachgewiesen werden. Die Not-
ist allerdings bei fertilen Probanden stärker aus- wendigkeit von Testosteron für eine reguläre Sper-
geprägt als bei infertilen Patienten. Ferner bestehen matogenese führte zu einem breiten Gebrauch von
Hinweise auf ein erhöhtes relatives Risiko für Mesterolon (Proviron), dessen Wirksamkeitsnach-
kongenitale Anomalien und die Entwicklung von weis für die idiopathische Infertilität in randomisier-
Malignomen bei den Nachkommen von rauchenden ten, kontrollierten Studien nicht erbracht werden
Vätern. konnte. Dasselbe gilt für Antiöstrogene, Clomiphen
und Tamoxifen. Die Gonadotropine hCG/hMG wur-
• Stress. Extremer Stress, wie er z. B. nach einem den zur Behandlung der idiopathischen Infertilität
verheerendem Erdbeben in Japan festgestellt wurde, eingesetzt, auf der Hypothese beruhend, dass die Er-
wird in Einzelfällen als Ursache verminderter Sper- höhung der Gonadotropinwerte möglicherweise zu
mienmotilität vermutet. Ob allerdings gewöhnliche einer Stimulation der Spermatogenese führt. In
Stresssituationen, wie sie z. B. am Arbeitsplatz oder einer randomisierten, doppelblinden, plazebokon-
in der Familie auftreten, einen wesentlichen Effekt trollierten Studie für normogonadotrope Patienten
auf die männliche Fertilität ausüben, blieb bisher mit Oligoasthenoteratozoospermie zeigte die hCG/
unbewiesen. hMG-Behandlung keinen positiven Effekte im Hin-
blick auf Spermienparameter oder Schwanger-
6.13 Idiopathische Infertilität 281
Assistierte Reproduktionsverfahren
Führt die Diagnostik der Infertilität zu keiner Auf-
klärung der Ursachen mit der Möglichkeit einer
wirksamen kausalen Therapie, können assistierte
Reproduktionsverfahren für die Überwindung der
ungewollten Kinderlosigkeit zur Anwendung kom-
men.
b
• Intrauterine Insemination. Bei der homologen
intrauterinen Insemination werden durch spezielle
Verfahren ("Swim-up-" oder "Percoll-Präparation")
konzentrierte und selektionierte motile Spermien in
das Cavum uteri der Partnerin übertragen. Die
Wirksamkeit der Insemination hinsichtlich Schwan-
gerschaftsraten wurde bei geringgradigen Formen
der männlichen Subfertilität und bei gestörter Sper-
mien-Zervikalmukus-Interaktion in kontrollierten
Untersuchungen gesichert. Unter einer ovariellen
Stimulationsbehandlung der Partnerin mit bis zu
4 aufeinander folgenden Behandlungen ist die ku-
mulative Schwangerschaftsrate bei vergleichbaren
Ausgangswerten mit der aufwendigeren In-vitro-
Fertilisation (IVF) ähnlich hoch. Zu bedenken ist je-
doch das erhöhte Risiko von Mehrlingsgraviditäten
unter ovarieller Stimulationsbehandlung.
1 2 3 4 5 6/7
Abb. 6-31. Klinische Einteilung des Ausprägungsgrades oder Kryptorchismus. Grad 4 intersexuelles Genitale: kli-
beim Androgenresistenzsyndrom. Mit zunehmendem Grad torisartiger Phallus, labioskrotale Falten, perineale Öffnung.
(1-7) liegt eine weniger ausgeprägte Maskulinisierung vor. Grad 5 weiblicher Phänotyp mit hinterer Labienfusion und
Grad I normale Maskulinisierung. Grad 2 männlicher Phäno- Klitorisvergrößerung. Grad 6 weiblicher Phänotyp mit Scham-
typ mit leicht ausgeprägtem Defekt der Maskulinisierung, behaarung im Erwachsenenalter. Grad 7 weiblicher Phänotyp
z. B. mit isolierter Hypospadie. Grad 3 männlicher Phänotyp ohne Schambehaarung im Erwachsenenalter. (Aus Quigley et
mit stark ausgeprägtem Defekt der Maskulinisierung: kleiner aL 1995)
Penis, perineoskrotale Hypospadie, Seroturn bifidum und/
Pathogenese
6.14.3
Unterschiedliche Mutationen im X-chromosomalen
Testikuläre Feminisierung
AR-Gen verursachen funktionelle Defekte im AR-
Protein und führen zu verschiedenen Manifestati-
Die Prävalenz der kompletten testikulären Femini-
onsbildern der testikulären Feminisierung. Bei Pa-
sierung wird mit 1 : 20.000 angegeben und dürfte
tienten mit kompletter und inkompletter testikulä-
für die inkomplette Form der Androgenresistenz,
rer Feminisierung liegen normale männliche Testo-
die ein breites Spektrum an klinischen Manifestatio-
steronspiegel vor. Trotzdem bleiben die Wolff-Gän-
nen beinhaltet, ähnlich hoch liegen.
ge hypoplastisch. Die Müller-Gänge, aus denen sich
Protein
Normale AR cDN A
.j 2 I 3 I 5 I6 I 7 I 8 ~
Deleti onen
.j I 7 I 3 I s Io I 7 I 8 ~
2 -+{ I 2 3 I s Io I 7 I 8 ~
3 -1 2 I 3 I s Io I 7 I 8 ~
Abb.6-32. Zusammenfassende
Darstellung bekannter Deletionen im
4 -1 I 2 l I s I6 I 7 I 8 ~ Androgenrezeptor (AR)-Gen.
Tm oberen Teil der Abbildung erfolgt
die schematische Darstellung des
5 -+! I 2 l I 5 I6 I 7 I 8 ~ AR-Proteins und einer normalen
AR-DNA. Deletionen, erkennbar an
den dunklen Schattierungen, wurden
6 -1 2 I 3 I 5 I6 I 7 I 8 ~ in verschiedenen Exons der DNA
beschrieben. Infertilität kann vorlie-
gen bei kompletter (1), inkompletter
7 -+! I 2 l I I 5 I6 I 7 I 8 ~ (2, 3) Deletion des gesamten AR-Gens
(I) oder auch bei Deletion nur ein-
zelner Exons (4-8). (Mod. nach
8 -+! I 2 l I 5 I ~~ I 7 I 8 ~ Quigley et aL 1995)
284 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
Uterus und Tuben entwickeln, bilden sich aufgrund gend weiblich. Beim Kind zeigt die Genitaluntersu-
der Sekretion des Anti-Müller-Hormons (MIS = chung eine leicht ausgeprägte Klitorishypertrophie
"Muellerian inhibiting substance") durch die Ser- und partielle Synechie der Labien. Die Virilisierung
toli-Zellen zurück. Die Hoden liegen abdominal des äußeren Genitales kann sich in der Pubertät ver-
oder inguinal und weisen postpubertär hyperplasti- stärken oder stationär bleiben. Die Sexualbehaarung
sche Leydig-Zellen und eine unreife Spermatogenese ist im Gegensatz zur kompletten Form der testiku-
auf. Auf der funktionellen Ebene wurden für die te- lären Feminisierung normal entwickelt. Bei chirur-
stikuläre Feminisierung 2 grundsätzliche Typen des gischer Exploration sind unterentwickelte Nebenho-
AR-Defekts beschrieben: entweder eine Störung der den, Ductus deferens und Samenblasen als Ab-
Androgenbindung oder der DNA-Bindung. Die kömmlinge der Wolff-Gänge nachweisbar.
komplette Deletion des AR-Gens oder eine vollstän-
dig Unfähigkeit zur Androgenbindung führen zur
Diagnostik
Ausbildung einer kompletten testikulären Femini-
• Anamnese. Die Diagnose einer testikulären Femi-
sierung. Im Gegensatz dazu kann die Mutation einer
nisierung kann aufgrundder anamnestischen Anga-
einzelnen Base, die eine Substitution einer Amino-
ben der Patientin (Infertilität, primäre Amenorrhö)
säure bewirkt, mit einer großen klinischen Variabi-
und des Untersuchungsbefundes ("hairless wo-
lität des Androgenresistenzsyndroms einhergehen.
man") leicht klinisch gestellt werden. Bei sorgfältiger
Von den bisher über 200 beschriebenen Mutationen
Anamneseerhebung stößt man in etwa 2 Drittel der
bei den Syndromen mit Androgenresistenz (Testi-
Fälle auf eine positive Familienvorgeschichte. Be-
kuläre Feminsierung, Reifenstein-Syndrom etc.)
troffene weitere Verwandte (Frauen mit ungewollter
wurden die meisten in der steroidbindenden Do-
Kinderlosigkeit, die keine Menstruationsblutung
mäne des AR-Gens identifiziert (Abb. 6-32).
hatten) sind in der matemalen Abstammungslinie
zu suchen. Die Diagnose sollte gegenüber der Pa-
Klinik tientin nicht genannt werden, denn durch unvor-
• Symptome und Beschwerden sichtige Äußerungen von Ärzten oder sorglosen
Umgang mit Arztbriefen können die Patientinnen
akzidentell von der tatsächlichen Diagnose Kenntnis
Symptome der kompletten testikulären •
erhalten, was gravierende psychischen Folgen haben
Feminisierung
kann.
• Normal weibliches äußeres Genitale
• Körperliche Untersuchung. Neben der Festle-
• Blind endende und verkürzte Vagina
gung des Status der Körper- und Geschlechtsbehaa-
• Uterus und Tuben sind nicht angelegt
rung sowie weiterer sekundärer Geschlechtsmerk-
• Abdominal oder inguinalliegende Gonaden (Ho-
male (Brustentwicklung, Fettverteilungstyp) erfolgt
den)
eine genaue Untersuchung des genitalen Status.
• Normaler weiblicher Phänotyp (Fettverteilung,
Mammae)
• Technische Verfahren. Bei Vorliegen von Störun-
• Fehlende Scham- und Achselbehaarung ("hairless
gen im Bereich der Androgenzielorgane muss stets
women")
eine Karyotypisierung und eine direkte Mutations-
• Primäre Amenorrhö und Infertilität
analyse des Androgenrezeptorgens durchgeführt
werden. Unentbehrlich ist die Analyse des Andro-
genrezeptors auf Protein- bzw. Zellebene. Hierbei
Die für die Ausbildung der Mammae notwendigen
wird die Androgenrezeptorbindung in durch Biop-
Östrogene entstammen der peripheren Konversion
sie gewonnenen Fibroblasten der Genitalhaut be-
aus Androgenen. Die Entwicklung der Schambe-
stimmt. Folgende Übersicht gibt den endokrinen Be-
haarung bleibt aus, da diese von Androgenen ab-
fund wieder.
hängig ist. Die Körpergröße ebenso wie die Größe
der Zähne entspricht der von Männern, was mit
der Wirkung Y-chromosomaler Gene in Verbindung Endokriner Befund bei testikulärer Feminisierung
gebracht wird. Das Ausbleiben der Regelblutung ist
häufig das Symptom, welches die Patientinnen zum • LH postpubertär erhöht
Arzt führt. • FSH normal oder leicht erhöht
Die inkomplette Form der testikulären Feminisie- • Erhöhte (männliche) Testosteronwerte
rung nimmt im klinischen Spektrum der Androgen- • Erhöhte Östradiolwerte (bezogen auf männliche
resistenz den Platz zwischen kompletter Form und Vergleichspersonen)
Reifenstein-Syndrom ein. Der Phänotyp ist überwie-
6.14 Androgenresistenzsyndrom 285
Abb. 6-33. Patient( in) mit Pseudohermaphroditismus mas- minalen Hoden bei einer Herniotomie zur Diagnose. Nach Go-
culinus, verursacht durch eine 17ß-Hydroxysteroid-Dehydro- nadenentfernung wurde eine Ostrogensubstitutionstherapie
genasedefekt in der Testosteronsynthese. Die Patientin wurde eingeleitet. a Ganzkörperaufnahme mit männlichem Phäno-
als Mädchen aufgezogen und suchte wegen primärer Amenor- typ. b Genitale Klitorishyperthrophie und Introitus vaginae.
rhö ärztlichen Rat, ohne daß die Diagnose gestellt wurde. Erst
im Alter von 29 Jahren führte das Auffinden von intraabdo-
286 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
Therapie
Bei testikulärer Feminisierung besteht ein hohes Ri-
siko der malignen Entartung des Hodengewebes mit
einer kumulativen Inzidenz von 30 o/o für Gonaden-
malignome bis zum Erreichen des 50. Lebe!.lsjahres.
Die Hoden müssen daher entfernt werden. Uber den
optimalen Zeitpunkt des Eingriffs existieren unter-
schiedliche Meinungen. Erfolgt die Entfernung der
Hoden erst nach durchlaufener Pubertät, bis zu de-
ren Beendigung man keine maligne Ent~~tung er-
wartet, können die erhöhten endogenen Ostradial-
werte bis dahin die Ausbildung eines normalen
weiblichen Habitus hervorrufen. Wenn die Hoden
schon vor Eintritt der Pubertät entfernt werden,
muss eine entsprechende Östrogensubstitution zur
Pubertätsinduktion erfolgen. Für die Entfernung
Abb. 6-34. Gesamtkörperbild eines Patienten mit Reifen-
vor der Pubertät spricht möglicherweise, dass der stein -Syndrom
Eingriff von einem Kind auf Dauer weniger psy-
chisch traumatisierend als von einem Adoleszenten
erlebt wird.
6.14.4
Reifenstein-Syndrom
Epidemiologie
Über die relative Häufigkeit des Reifenstein-Syn-
droms in der Allgemeinbevölkerung sind keine ge-
nauen Zahlen bekannt.
Pathogenese
Wie bei der testikulären Feminisierung sind Muta-
Abb. 6-35. Genitalbefund desselben Patienten mit Reifen-
tionen im X-chromosomalen AR-Gen für die Mani- stein-Syndrom
festation des Reifenstein-Syndroms verantwortlich.
Diagnostik
• Anamnese. Die Anamnese der männlich wirken-
den Patienten mit dem Reifenstein-Syndrom sollte
das Vorliegen einer Infertilität und die mögliche
Entwicklung einer Pubertätsgynäkomastie abklären.
Differentialdiagnose
Im Unterschied zur testikulären Feminisierung liegt
eine nur mittelgradige Virilisierungsstörung vor, in al-
ler Regel mit männlicher psychosexueller Orientierung.
Therapie
Abb. 6-36. Präpeniles Seroturn bifidum. Der hinter dem
Die beim Reifenstein-Syndrom vorliegende Infertili- Skrotum liegende Penis weist eine (auf diesem Bild nicht sicht-
tät kann nicht behoben werden. Wegen der klini- bare) Hypospadie auf. (Aus Meschede et al. 1996)
schen Variabilität des Krankheitsbildes ist die The-
rapie mehr als bei der testikulären Feminisierung in-
dividuell auf den einzelnen Patienten abzustimmen. Symptome bei präpenilem Seroturn bifidum
Die Therapie zielt darauf, den Phänotyp in männli- mit Hypospadie
cher Richtung zu beeinflussen. Chirurgische Maß-
nahmen werden daher auf Korrektur von Hypospa- • Stark beeinträchtigte Spermatogenese
die, Kryptorchismus und Gynäkomastie zielen. • Maldeszendierte Testes
• Verminderte sekundäre Geschlechtsbehaarung
• Fehlender Stimmbruch
6.14.5 • Erektile Dysfunktion
Präpeniles Seroturn bifidum
mit Hypospadie
Bei diesen Patienten kann eine deutlich einge-
Bei dieser Form der Androgenresistenz findet sich schränkte Bindungskapazität des Androgenrezep-
ein vor dem Penis liegendes zweigeteiltes Skrotum, tors gefunden werden. Durch eine Testosteronthera-
und der Penis weist eine ausgeprägte Hypospadie pie können die Symptome des Androgenmangels
auf (Abb. 6-36). nicht überwunden werden.
Zusätzliche Symptome bei präpenilem Seroturn
bifidum mit Hypospadie sind in folgender Übersicht
wiedergegeben. 6.14.6
Minimalformen der Androgenresistenz
weisbare Mutationen im Androgenrezeptor charak- von 32 Kindern mit Hypospadie konnte in einem
terisiert. Fall ein partieller Defekt der Sa-Reduktase 2 gefun-
den werden. Allgemeine epidemiologische Daten für
die insgesamt seltene Störung liegen nicht vor.
Infertile Male Syndrome
Die Diagnose "infertile male syndrome" (IMS) stützt
sich im Wesentlichen auf 3 zu erfüllende Kriterien: Pathogenese
• 1. pathologisches Spermiogramm und Infertilität, Eine Reihe verschiedener Mutationen für das auf
e 2. männlicher Habitus mit anatomisch normalem dem Chromosom 2 liegende Gen der Sa-Reduk-
Genitaltrakt, tase 2 werden für das klinische Bild der perineoskro-
e 3. Anomalie des Androgenrezeptors (Mutation). tale Hypospadie mit Pseudovagina (PHP) verant-
wortlich gemacht.
"Undervirilized Fertile Male Syndrome"
Als mildester Ausbildungsgrad der Androgenresi- Klinik
stenz wird das "undervirilized fertile male syn- • Symptome und Beschwerden. Die Erkrankung
drome" (UFMS) angesehen. Unter dieser diagnosti- sollte bei jedem Neugeborenen mit Intersexgenitale
schen Kategorie werden Patienten zusammenge- in die differentialdiagnostische Erwägungen einbe-
fasst, die eine gewisse Einschränkung des Virilisie- zogen werden. Patienten mit PHP werden meist
rungsgrades aufweisen mit folgenden Symptomen als Mädchen aufgezogen, sind aber genetisch männ-
bzw. Störungen. lich (s. Übersicht).
e Geringer Bartwuchs
• Spärliche Körperbehaarung
Typisches klinisches Bild der perineoskrotale
• Gynäkomastie
Hypospadie mit Pseudovagina
e Kleiner Penis
e Anomalie des Androgenrezeptors (Mutation)
• Weiblich differenziertes äußeres Genitale mit
Klitorishypertrophie
Klinik • Obligate skrotale oder perineale Hypospadie
• Anamnese und Diagnostik. Bei den Minimalfor- e Stets extraabdominal gelegene Gonaden
men der Androgenresistenz werden in der Anamne- (Leiste, große Labien)
se insbesondere Fragen zum unerfülltem Kinder- e Angelegte Nebenhoden, Samenleiter und Samen-
wunsch gestellt. Die Diagnostik entspricht der bei blasen (Wolff-Gänge)
der idiopathischen Infertilität. e Blind endende Pseudovagina
• Oberes Vaginaldrittel, Zervix, Uterus und Tuben
fehlen (Müller-Gänge)
Therapie
Ob sich beim "infertile male syndrome", das u. a.
durch ein pathologisches Spermiogramm charakte- Diagnostik
risiert ist, und beim "undervirilized fertile male syn- • Anamnese. Bei Verdacht auf das Vorliegen einer
drome" mit einer zusätzlichen Androgenzufuhr ein perineoskrotalen Hypospadie mit Pseudovagina
positiver Effekt erzielen lässt, ist ungeklärt. sollte die Frage nach dem Ausbleiben der Regelblu-
tung erfolgen. Eine positive Familienanamnese kann
bei der Diagnosestellung hilfreich sein. Die Erkran-
6.14.7 kung wird autosomal dominant vererbt; demnach
Sa-Reduktase-2-Defizienz sind weitere Erkrankungsfälle am ehesten bei Ge-
(Perineoskrotale Hypospadie mit Pseudovagina) schwistern zu erwarten. Die Krankheit kommt ge-
häuft bei Kindern aus konsanguinen Partnerschaf-
Epidemiologie ten vor.
Bei der Sa-Reduktase-2-Defizienz handelt es sich
um eine Störung der Androgenwirkung, allerdings • Körperliche Untersuchung. Bei Vorliegen einer
nicht auf Rezeptor-, sondern auf metabolischer Androgenresistenz werden die möglicherweise ex-
Ebene. Die Sa-Reduktase-2-Defizienz wird auch traabdominal liegenden Gondaden in der Leiste
als perineoskrotale Hypospadie mit Pseudovagina oder den großen Labien aufgesucht. Die Durchfüh-
(PHP) bezeichnet. Der grundlegende Defekt liegt rung einer vaginalen Untersuchung ist notwendig.
in einer gestörten Konversion von Testosteron zu
Dihydrotestosteron (DHT) durch das Enzym Sa- Re- • Technische Verfahren. Bei Verdacht auf eine Sa-
duktase 2. In einem selektierten Patientenkollektiv Reduktase-2-Defizienz sollte eine direkte Mutati-
6.15 Gynäkomastie 289
onsanalyse des entsprechenden Gens auf Chromo- lung sollte durch eine nichtzyklische Östrogensub-
som 2 durchgeführt werden. Die Aktivitätsmessung stitution unterstützt werden. Wird der Patient als
der Sa-Reduktase 2 in kultivierten Genitalhautfibro- Junge erzogen, so müssen Begleitfehlbildungen
blasten ist zur Diagnosesicherung von hohem Wert, wie beispielsweise eine Hypospadie entsprechend
kann jedoch nur in Speziallabors durchgeführt wer- korrigiert werden. In der Pubertät gelingt es - vor
den. Der endokrine Befund (bei Kinder zustätzlich allem bei partiellem Enzymdefekt - durch hochdo-
Stimulation durch hCG-Test) ergibt: sierte Testosteronapplikation, die allgemeine Virili-
• erhöhter Testosteron/DHT -Quotient, sierung zu begünstigen.
• Serumtestosteron normal oder leicht erhöht,
• normale Serumöstrogenspiegel,
• LH und FSH normal oder erhöht. 6.15
Gynäkomastie
Differentialdiagnose
6.15.1
Im Gegensatz zur testikulären Feminisierung ist die
Fallpräsentation
Lage der Gonaden stets extraabdominal, entweder
im Bereich der Leisten oder der Labien bzw. des
Skrotums. Ein weiterer wichtiger Unterschied be- Ein 53-jähriger Mann in gutem AZ und mit
steht darin, dass bei der Sa-Reduktase-2-Defizienz gesundem Aussehen stellte sich wegen einer
die Derivate des Wolff-Gangsystems (Nebenhoden, seit 4 Monaten bestehenden und langsam zu-
Ductus deferens, Glandulae seminales) angelegt nehm enden beidseitigen Gynäkomastie im In-
sind. Die pränatale Erhaltung bzw. Differenzierung stitut für Reproduktionsmedizin der Universität
dieser Strukturen ist von Testosteron, nicht aber von Münster vor (Abb. 6-37). Bei der Inspektion der
DHT abhängig. Mammae fällt eine deutliche Brustentwicklung
mit beidseits palpablen, leicht druckdolenten
• Hermaphroditismus verus. Ein intersexuelles Drüsenkörpern (Durchmesser 35 mm) auf.
Genitale liegt auch beim seltenen Hermaphroditis- Auf Befragen teilt der Patient mit, dass seit
mus verus vor (weltweit ca. 400 beschriebene Fälle). ca. einem halben Jahr die Libido erloschen sei
Hierbei kann sowohl testikuläres, als auch ovarielles und eine erektile Dysfunktion bestehe. Bei der
Gewebe bei einem Patienten nachgewiesen werden.
Ungefähr 2/3 aller Patienten haben eine 46,XX-Ka-
ryotyp, 10 % einen 46,XY-Karyotyp, bei den Übrigen
liegt ein chromosomales Mosaik mit mindestens
einer Y-Zellinie vor. Bei phänotypisch männlichen
Patienten mit Hermaphroditismus verus ist es not-
wendig, alles ovarielle Gewebe komplett zu entfer-
nen. Bei phänotypisch weiblichen Patienten mit
Hermaphroditismus verus muss alles testikuläre Ge-
webe zur Vermeidung einer fortschreitenden Virili-
sierung und aufgrund des erhöhten Tumorrisikos
entfernt werden.
Therapie
In Abhängigkeit von der Ausprägung der äußeren
Genitalorgane beim Neugeborenen muss entschie-
den werden, ob eine Erziehung als Junge oder Mäd-
chen sinnvoll erscheint. Die meisten Patienten mit
Sa-Reduktase-Mangel werden als Mädchen erzogen.
In diesen Fällen sollten frühzeitig plastische Korrek-
turen der äußeren Geschlechtsorgane vorgenom-
men werden, um im Falle einer stärkeren Virilisie-
rung während der Pubertät die geschlechtliche Ent-
stellung zu vermeiden. Hierzu muss in vielen Fällen
eine Teilresektion der Klitoris vorgenommen wer-
den, um die weitere Ausprägung des Organs zum
Mikrophallus zu verhindern. Die Pubertätsentwick- Abb.6-37. Älterer Mann mit Gynäkomastie
290 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
Physiologische Gynäkomastie
körperlichen Untersuchung fallt eine für das Das histologisch und funktionell identisch aufge-
Alter kleine Pro tata auf und die Sonographie baute männliche und weibliche Brustdrüsengewebe
ergibt einen kreisrunden hypodensen Bezirk des Neugeborenen reagiert fast regelmäßig auf die
im linken Hoden. Die Hormonuntersuchung zirkulierenden Östrogene der fetoplazentaren Ein-
im Serum zeigt einen reduzierten Wert für heit mit der Entwicklung einer Gynäkomastie. Die
das Testosteron (6,3 nmol/1) und einen hohen Ursachen der physiologischen Pubertätsgynäkoma-
Östradiolwert (230 pmol/1). Die Tumormarker stie sind weitgehend unbekannt. Bei Jugendlichen
AFP und ß-hCG sind nicht erhöht. Aufgrund mit Pubertätsgynäkomastie liegen die Serumspiegel
des Verdacht auf einen Hodentumor wurde für Testosteron, Östradiol, LH, FSH und Prolaktin
eine sofortige Operation veranlasst. Der Schnell- meist im altersentsprechenden Normbereich. Eine
schnitt zeigt einen Leyd ig-Zelltumor, der im Expression von Östrogenrezeptoren als mögliche
Gesunden unter Erhalt des Restgewebes enu- Ursache der Pubertätsgynäkomasie konnte nicht
kleiert werden konnte. 4 Monate nach der nachgewiesen werden. Die physiologische Gynäko-
Operation bildete sich die Gynäkomastie mastie in der Seneszenz ist häufig mit einem primä-
spontan zurück und es stellten sich wieder ren Hypogonadismus assoziiert. Regelmäßige Medi-
eine normale Libido und Erektionsfähigkeit kamenteneinnahme und allgemeine Erkrankungen
ein. Die regelmäßige Tumornachsorge erbrachte betreffen überwiegend ältere Menschen. Damit er-
keinerlei Rezidiv oder Metastasierung. höht sich auch das Risiko für die Entwicklung einer
pathologischen Gynäkomastie.
6.15.2
Die pathologische Gynäkomastie
Epidemiologie
Verschiedene Mechanismen können zu der Ausbil -
dung einer Gynäkomastie führen:
Die Gynäkomastie stellt einen vieldeutigen klini-
• eine exogene Zufuhr oder vermehrte endogene
schen Befund dar und ist durch eine primär gutartige
Produktion von Östrogenen und deren Verfüg-
Proliferation des männlichen Brustdrüsengewebes
barkeil im Brustdrüsengewebe,
definiert. Eine physiologische Gynäkomastie kommt
• eine erhöhte Sensitivität gegenüber Östrogene in
in 3 Lebensabschnitten besonders häufig vor:
der Zielzelle,
• Neugeborene weisen in ca. 75% eine Gynäko-
• ein Androgenmangel oder
mastie auf.
• eine Kombination aus diesen Faktoren.
• Während der Pubertät, meist um das 14. Lebens-
jahr, besteht häufig eine physiologische Gynäko-
mastie. • Erhöhte ÖstrogenspiegeL Testikuläre Leydig-
• Im höheren und höchsten Alter wiederum sind Zelltumoren und andere Hodentumoren sowie
bis zu 30% aller Männer von einer Gynäkomastie feminisierende adrenokortikale Tumoren produzie-
betroffen. ren erhöhte Mengen an Östradiol durch Aromati-
sierung von Testosteron bzw. Androstendion. Eine
Auch zahlreiche pathologische Zustände und All- vermehrte Umsetzung von Androgenen zu Östrog-
gemeinerkrankungen sind mit dem Auftreten einer enen ist möglicherweise auch bei Adipositas, Leber-
Gynäkomastie assoziiert. Eine große Anzahl an erkrankungen, Hyperthyreose und beim Klinefelter-
Medikamente kann für die Entwicklung einer Gynä- Syndrom für die Entwicklung einer Gynäkomastie
komastie verantwortlich gemacht werden. verantwortlich (Abb. 6-38). Das Auftreten einer
Gynäkomastie im Zusammenhang mit einer Leber-
zirrhose korreliert mit erhöhten Östrogenspiegeln.
6.15 .3 Dafür sind möglicherweise ein reduzierter Östro-
Pathogenese genmetabolismus und eine vermehrte periphere
Aromatisierung verantwortlich. Die ektope Aus-
Für sich gesehen stellt die Gynäkomastie keine Er- schüttung von (LH) oder Choriongonadotropin
krankung dar, sondern das Symptom eines hormo- und strukturell verwandter Stoffe aus testikulären
nellen Ungleichgewichtes, zugunsten einer Östro- Chorionkarzinomen, Tumoren der Lunge, Leber
gen- gegenüber der Testosteronwirkung im hor- und Niere kann über eine vermehrte Freisetzung
monregulierten Brustdrüsengewebe. Dieses Un- von Androgenen und deren Aromatisierung zu
gleichgewicht kann Ergebnis eines physiologischen Östradiol ebenfalls zu einer Gynäkomastie führen.
zeitlich begrenzten Vorganges oder eines pathologi- Östrogene steigern ihre Wirksamkeit durch Sup-
schen Zustandes sein. pression der Testosteronproduktion aufgrund einer
6.15 Gynäkomastie 291
Medikamente
Die Gabe einer ganzen Reihe von Medikamenten
Abb. 6-38. Klinefelter-Patient mit Gynäkomastie kann mit der Entwicklung einer Gynäkomastie ein-
hergehen. Nur für wenige Medikamenten sind die
genauen Pathomechanismen bekannt.
Hemmung der hypophysären LH-Sekretion und
• Spironolacton, Ketokonazol. Die beiden Medika-
einer direkten Unterdrückung der testikulären
mente Spironolacton und Ketokonazol bewirken bei
P4so-cl7- Enzymaktivität
längerer Anwendung eine Gynäkomastie durch eine
Verdrängung der Östrogene vom sexualhormonbin-
• Erniedrigte Androgenspiegel mit relativem
denden Globulin (SHBG). Da SHBG eine höhere
Überwiegen der Östrogene oder verminderte All-
Bindungsaffinität für Androgene als für Östrogene
drogensensitivität
besitzt, steigt der Serumspiegel für ungebundenes
• Im Falle eines starken Prolaktinanstieges wie
Östradiol. Spironolacton stört zudem die Testoste-
beim Prolaktinom kann es über eine Hemmung
ronsynthese und die Bindung von Testosteron
der Testosteronsynthese oder -Wirksamkeit auf
und Dihydrotestosteron an den Androgenrezeptor.
zellulärer Ebene zur Ausbildung einer Gynäko-
mastie kommen.
• Alkohol. Exzessiver Alkoholkonsum hat vermut-
• Männer mit kongenitaler Anorchie und einem
lich direkte toxische Effekte auf den Hoden. Zudem
normalem Chromosomensatz (46,XY) weisen Te-
erhöht es den Abbau von Testosteron in der Leber
stosteronwerte unterhalb der Nachweisgrenze auf
und verstärkt die Aromatisierung von Testosteron
und entwickeln in der Hälfte der Fälle eine Gynä-
zu Östradiol.
komastie.
• Beim männlichen Pseudohermaphroditismus
führt ein Defekt in der Testosteronbiosynthese
zu erniedrigten oder fehlenden Testosteronspie- 6.15.4
geln mit der Ausprägung eines teilweisen oder Klinik
kompletten weiblichen Phänotyps.
• Patienten mit kompletter Androgenresistenz wie Symptome und Beschwerden
bei der testikulären Feminisierung zeigen einen Die physiologische Gynäkomastie des männlichen
weiblichen Phänotyp mit Gynäkomastie bzw. und weiblichen Neugeborenen, die mit einer Sekre-
einer regelrechten weiblichen Brustbildung. tion aus der Brustwarze verbunden sein kann (sog.
Aber auch bei einer inkompletten testikulären Fe- Hexenmilch), führt gelegentlich zur elterlichen Be-
minisierung und dem Reifenstein-Syndrom liegt unruhigung, die durch einen Hinweis auf den phy-
regelmäßig eine Gynäkomastie vor. siologischen Vorgang aufgelöst werden kann. Die
• Erworbene testikuläre Schäden nach Mumpsor- physiologische Pubertätsgynäkomastie kann mit
chitis und Infektionen mit Coxsackie- und Echo- Schmerzen im Bereich der Brust einhergehen. Her-
viren ebenso wie lepröse, tuberkulose oder ande- absetzende Äußerungen und Missverhalten aus der
re granulomatöse Erkrankung der Hoden können Umgebung können ein psychologisches Problem des
zur Ausbildung einer Gynäkomastie führen . betroffenen Jugendlichen verstärken, was auch für
• Viele neurologische Erkrankungen haben eine Patienten anderer Altersgruppen und mit unter-
testikuläre Atrophie zur Folge. Bei der bulbospina- schiedlicher Genese der Gynäkomastie Gültigkeit
len Muskelatrophie Typ Kennedy ist ein Andro- hat. Im Falle einer pathologischen Gynäkomastie
genrezeptordefekt für die Ausbildung der regelmä- kommen zur Brustschwellung weitere krankheits-
ßig vorhandenen Gynäkomastie verantwortlich. spezifische Symptome hinzu. Die sich rasch entwik-
292 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
kelnde Gynäkomastie kann wie im Falle eines Ho- im Bereich des Brustdrüsenkörpers, asymmetrische
dentumors Hinweise auf das Vorliegen einer spezi- Veränderungen und Ausfluss bedürfen als mögliche
fischen Erkrankung geben. Beim Klinefelter-Syn- Hinweise auf ein Mammakarzinom einer weiteren
drom und beim Kennedy-Syndrom gilt die Gynäko- Abklärung. Besonderer Wert muss auf die Unter-
mastie als pathognomonisch. suchung der Hoden gelegt werden sowie die Erhe-
bung eines Status der sekundären Geschlechtsmerk-
male. Tumoröse und entzündliche Veränderungen
6.15.5 im Bereich der Leber und Nieren können teilweise
Diagnostik palpatorische erfasst werden.
Anamnese
Technische Verfahren
Bei der altersspezifischen Erhebung der Anamnese
Die Ausdehnung der Brustdrüsenkörper kann sono-
sollte neben Informationen über Beginn, Dauer
graphisch bestimmt werden. Falls der Verdacht auf
und Ausprägung der Gynäkomastie besonderer
ein Mammakarzinom besteht, sollte eine Mammo-
Wert auf Angaben über den potenziellen Gebrauch
graphie und evtl. eine Biopsie durchgeführt werden.
bzw. Missbrauch von Medikamenten, Drogen und
Ein Hodentumor kann per Sonographie ausge-
Alkohol gelegt werden. Zusätzlich muss nach den
schlossen werden. Bei Vedacht auf ein Klinefelter-
Zeichen einer Hyperthyreose sowie eines Androgen-
Syndrom erfolgt eine Karyotypisierung. Bestehen
mangels (Impotenz, Infertilität, allgemeiner Lei-
Hinweise auf Erkrankungen der Leber und Nieren
stungsabfall, verminderter Bartwuchs etc.) gefragt
können Sonographische und gegebenfalls CT-
werden. Das eventuelle Vorliegen eines testikulären
oder NMR-Untersuchungen Klarheit schaffen.
Tumors muss per Palpation und Sonographie ausge-
schlossen werden.
• Labor. Neben einer Bestimmung der allgemei-
nem Laborparametern kommt der Messung der
Körperliche Untersuchung Werte für LH, FSH, Testosteron, Östradiol, Pro-
Die körperliche Untersuchung umfasst eine genaue laktin und SHBG besondere Bedeutung zu, um en-
Inspektion und Palpation der beiden Brüste und dokrinologische Ursachen zu erfassen. Die Bestim-
Brustdrüsenkörper. Zur orientierenden Beschrei- mung der Tumormarker humanes Choriongonado-
bung des Ausprägungsgrades kann man auf die Sta- tropin (hCG) und a-Fetoprotein (AFP) sollte nur
dieneinteilung der Brustentwicklung nach Tanner bei Tumorverdacht durchgeführt werden.
zurückgreifen (Abb. 6-39). Wichtig ist die Abgren-
Erst wenn alle diagnostischen Untersuchungen ein
D
zung von der einfachen Lipomastie, da vor allem
adipöse Männer erhebliche Fettablagerungen im normales Ergebnis zeigten, darf die Diagnose der
Brustbereich aufweisen. Fixierte und harte Knoten idiopathischen Gynäkomastie gestellt werden.
Bl 62 B3 B4 BS
Abb. 6-39. Stadien der Brustentwicklung nach Tann er. B 1 B4 Areola und Warze bilden eine zweite Erhebung, die sich
präpuberal: einzig die Brustwarze tritt hervor, B 2 Brustknos- gegenüber derjenigen der Brust abhebt, B 5 voll entwickelte
pe: leichte Erhebung der Brust und der Brustwarze als kleine Brust: Zurückweichen der Areola in die allgemeine Kontur
halbkugelige Erhebung, Areola gegenüber B 1 im Durchmesser der Brust, sodass sich nur noch die Brustwarze abhebt.
erweitert, B 3 Brust und Areola beide vergrößert und gegen- (Mod. nach Joss 1980)
über B 2 weiter angehoben, jedoch mit fließenden Konturen,
6.16 Infektbedingte Verschlüsse der ableitenden Samenwege 293
Störungen im Bereich
6.15.6
der ableitenden Samenwege
Differentialdiagnose
Technische Verfahren
6.16.5
• Sonographie. Besondere Bedeutung kommt der
Differentialdiagnose
Sonographischen Untersuchung des Skrotalinhaltes
und der Sonographischen transrektalen Prostata- Differentialdiagnostisch müssen die klassischen ve-
untersuchung zu. Die Nebenhoden können sich nerischen Infektionen wie Lues oder Gonorrhö aus-
verdickt und in ihrer Echogenität inhomogen dar- geschlossen werden, aber auch eine genitale Tuber-
stellen (Abb. 6.40-41). Im Falle einer asymptomati- kulose, die zu einer teilweisen oder kompletten Ob-
schen Prostatitis werden häufig Kalzifikationen, struktion der ableitenden Samenwege führen kön-
Ödeme und Asymmetrien nachgewiesen. nen. Weitere Ursachen für Obstruktionen sind
iatrogene Schädigungen durch Hernitomien, Orchi-
• Ejakulatuntersuchung. In der Ejakulatuntersu- dopexien und Varikozelenoperationen.
chung weisen eine Leukozytenkonzentration von
über 1 Mio./ml, erniedrigte Funktionsmarker der • Zystische Fibrose und kongenitale bilaterale Sa-
akzessorischen Geschlechtsdrüsen (s. Abschn. 6.3) menleiteraplasie. Von einer infektiös oder iatrogen
und eine verminderte Spermienqualität bis zur ob- bedingten Obstruktion der ableitenden Samenwege
struktiven Azoospermie auf das Vorliegen einer ge- muss die Obstruktion bei der autosomal rezessiv
nitalen Infektion hin. In diesen Fällen sollte der Ver- vererbten zystische Fibrose (CF) abgegrenzt werden.
such eines direkten Nachweises der Erreger im Eja- Die kongenitale bilaterale Samenleiteraplasie
kulat erfolgen. (CBA VD: "congenital bilateral absence of the vas de-
a 8 b
Abb. 6-40a, b. Querschnitt des Penis. a Arterielle Gefäßver- 8 Corpus spongiosum. b Venöse Gefäßversorung. 1 V. dorsalis
sorgung. 1 A. dorsalis penis; 2 A. profunda penis; 3 Helixarte- superficialis; 2 V. dorsalis profunda; 3 V. circumflexa; 4 V.
rien; 4 A. urethralis; 5 Anastomosen zwischen A. dorsalis und emissaria. (Aus van Ahlen u. Hertle 1996)
A. profunda penis; 6 Corpora cavernosa; 7 Tunica albuginea;
Abb.6-4l.
Der Nebenhoden stellt sich in der Sonographie verdickt und
von inhomogener Echogenität dar
6.17 Erektile Dysfunktion 295
der Serumtestosteronwerte und einer Wiederher- Ein erheblicher Teil der Patienten mit Erektionsstö-
stellung von Potenz und Libido. Patienten mit nor- rungen weisen eine Multimorbidität auf. So besteht
malen Testosteronspiegeln (> 12 nmol!l) sollten bei ca. 60 o/o der Patienten mit organisch bedingter
keine Testosterontherapie erhalten, da sich die Sym- Erektionsstörung eine koronare Herzerkrankung.
ptomatik darunter nicht verbessert. Testosteron In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt wer-
über dem Normwert führt zu keiner Steigerung den, dass eine vermehrte sexuelle Aktivität bei Pa-
der Erektionsfähigkeit. Eine Hyperprolaktinämie tienten mit schwerer Arteriosklerose das Risiko
muss entsprechend ihrer Ursache behandelt werden. z. B. für einen Herzinfarkt erhöhen kann. Die Kom-
Bei Vorliegen eines Mikroprolaktinoms ohne wei- bination von Nitraten und Sildenafil ist wegen des
tergehende Symptomatik wird mit oralen Dopami- gleichartigen Wirkungsmechanismus und dem
nagonisten therapiert. Für eine euthyreote Stoff- möglichen Auftreten hypotoner Krisen kontraindi-
wechsellage ist durch eine entsprechende medika- ziert
mentöse Therapie zu sorgen.
Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT)
Perkutane Therapie Die intrakavernöse Applikation vasoaktiver Sub-
Verschiedene potenziell erektionsfördernde Sub- stanzen hat sich nicht nur diagnostisch, sondern
stanzen zum Auftragen auf die Penishaut sind be- auch in der Therapie durchsetzen können und findet
reits getestet worden. Die topische Anwendung eines heute bei allen Patienten Anwendung, die auf die In-
Gels mit Nitroverbindungen, Papaverin und PGE 1 jektion vasoaktiver Substanzen mit kohabitationsfä-
zeigt keine verbesserte therapeutische Wirkung ge- higen Erektionen ansprechen. Angestrebt wird eine
genüber einem Plazebo. Erektionsdauer von 30-60 min. Grundsätzlich wird
analog zur diagnostischen Anwendung mit niedri-
gen Dosen langsam gesteigert, um so mit minima-
Orale medikamenöse Therapie lem Priapismusrisiko die korrekte therapeutische
• Yohimbin. Für die unspezifische orale Therapie Dosierung zu ermitteln. Es bestehen dieselben Kon-
von Erektionsstörungen ist Yohimbin die am besten
traindikationen und mögliche Nebenwirkungen wie
untersuchte Substanz. Eine aktuelle doppelblind
bei der SKAT-Testung. Mögliche Spätfolge der
und plazebokontrolliert durchgeführte Studie zur
SKAT-Therapie ist die lokalisierte oder generali-
Wirksamkeit von Yohimbin bei nichtorganischer
sierte Schwellkörperfibrose. Zur Vermeidung der Fi-
erektiler Dysfunktion zeigte eine Erfolgsrate von
brosierung sollte sich die Zahl der Injektionen, un-
71 o/o gegenüber 45 o/o für das Plazebo. Yohimbin ver-
abhängig von der verwendeten vasoaktiven Sub-
fügt über eine a 2-adrenolytische Wirkung, die auf-
stanz, auf 1-2 Injektionen pro Woche beschränken.
grundder peripheren Sympathikolyse Hauptwirkur-
sache sein dürfte. Die volle Wirksamkeit tritt erst
nach mehrwöchiger Therapiedauer ein bei nur ge- Transurethrale Therapie
ringem Nebenwirkungsspektrum. In einer doppelblinden plazebokontrollierten Studie
konnte die Wirksamkeit der transurethralen Appli-
• Sildenafil. Die Substanz Sildenafil (Viagra) wird kation von Alprostadil (Prostaglandin E1) bei Pa-
u. a in den USA mit großen Erfolgen und geringer tienten mit chronischer erektiler Dysfunktion nach-
Nebenwirkungsrate bei ED verschiedener Ursachen gewiesen werden. Ob sich diese Therapieform als
eingesetzt. Nach Einführung in Deutschland liegen eine Alternative zu anderen organischen Verfahren
auch hier begrenzte Erfahrungen vor. Es handelt durchsetzen wird, ist aufgrundder exzessiven Dosis-
sich beim Sildenafil um einen oral wirksamen Gua- erfordernis und den damit verbundenen Kosten
nosin-Monophosphat-spezifischen Phosphodieste- eher fraglich.
rase-5-Inhibitor, mit selektiver Wirkung im Corpus
cavernosum des Penis. Bei Probanden, die Viagra Externe Erektionshilfen
einnahmen, waren 69 o/o aller Geschlechtsverkehr- Externe Erektionshilfen haben sich vor allem in
versuche erfolgreich, verglichen mit 22 o/o in der Pla- Form von Vakuumpumpen in Kombination mit
zebogruppe. Kopfschmerzen, Hautrötung und Dys- einem Kompressionsring an der Penisbasis etabliert.
pepsie waren die häufigsten Nebenwirkungen und Zur Behandlung der erektilen Dysfunktion mit einer
traten bei 6-18 o/o der Männer auf. Vakuumpumpe bedarf es keiner umfangreichen
prätherapeutischen Testungen wie bei der SKAT-
Die Libido bleibt durch Viagra unbeeinflusst, zudem Therapie. Die klinische Erfolgsrate wird mit bis zu
kann die Therapie mit Sildenafil im Falle eines Te- 90 o/o angegeben bei nur geringer Nebenwirkungsra-
stosteronmangels eine Androgensubstitutionsthera- te und einer meist guten Akzeptanz durch die Pa-
pie nicht ersetzen. tienten.
300 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
Eine vor dem 9. Lebensjahr beginnende Pubertät • Testotoxikose. Die familiäre Pseudopubertas
bei Jungen wird als Pubertas praecox bezeichnet. praecox oder Testotoxikose ist eine nur in Jungen
Die geschätzte Inzidenz der Pubertas praecox für auftretende autosomal dominant vererbte Erkran-
Jungen und Mädchen zusammen beträgt 1: 5000 kung, bei der Zeichen der Pubertät unter hohen Te-
bis 1 : 10.000. stosteronkonzentrationen und erniedrigten Gona-
dotropinen bereits im 2. Lebensjahr auftreten kön-
nen, verursacht durch eine aktivierende Mutation
6.18.2 des LH-Rezeptors. In dem Fall eines 5-jährigen Jun-
Pathogenese und Klinik gen mit einer Mutation in der ersten transmembra-
nen Domäne des LH-Rezeptors konnte durch Be-
Einer vorzeitigen Pubertät können die verschieden- handlung mit einem GnRH-Agonisten eine kom-
sten Ursachen zu Grunde liegen. Prinzipiell werden plette Suppression der Testosteronsekretion erreicht
die GnRH -abhängige Pubertas praecox vera und die werden.
GnRH-unabhängige Pseudopubertas praecox unter-
schieden. • Hypothyreose. Eine massive Hypothyreose kann
• Bei Jungen macht die GoRH-abhängige Pubertas gelegentlich zu einer Pseudopubertas praecox füh-
praecox vera nur 10 o/o der Fälle aus und muss als ren, die dann mit einer Wachstumsverzögerung as-
Ausschlussdiagnose gestellt werden. Der dazuge- soziiert ist, möglicherweise aufgrund einer intrinsi-
hörige Mechanismus unterscheidet sich außer im schen FSH-Aktivität der sehr hohen TSH-Spiegel.
zeitlichen Verlauf nicht von der normalen Puber- Tabelle 6-9 gibt Ursachen einer verfrühten Pubertät
tät. Auch ZNS-Tumoren können eine GoRH-ab- wieder.
hängige Pubertas praecox verursachen. Gelegent-
lich tritt eine verfrühte Pubertät auch nach einem
Schädel-Hirn-Trauma auf.
6.18.3
• 90 o/o der vorzeitigen Pubertätsfälle bei Jungen
Diagnostik
entwickeln sich unter erhöhten Sexualsteroid-
konzentrationen zunächst GnRH-unabhängig
Anamnese
(Pseudopubertas praecox). Dabei werden niedri-
Die Anamnese sollte Fragen nach dem Verlauf von
ge LH- und FSH-Konzentrationen gemessen bei
Wachstum und Pubertät, dem Auftreten von Akne
reduzierter Stimulierbarkeit im LHRH-Test. Se-
und Seborrhö, Körpergeruch sowie Erektionen und
kundär können die erhöhten Sexualsteroidkon-
nächtlichen Ejakulationen umfassen. Ebenso muss
zentrationen jedoch über eine ZNS-Reifung zu
eine Familienanamnese erhoben werden. Unerklärte
einer GnRH-Erhöhung führen, wodurch eine Pu-
frühe Todesfälle bei männlichen Geschwistern des
bertas praecox vera vorgetäuscht werden kann.
betroffenen Patienten könnten sich nachträglich
als ein AGS herausstellen.
• Adrenogenitales Syndrom. Die kongenitale adre-
nale Hyperplasie (Adrenogenitales Syndrom = AGS)
stellt die häufigse Ursache der LHRH-unabhängigen Körperliche Untersuchung
Pseudopubertas praecox dar. Die klassische Formen Neben einer allgemeinen körperlichen Untersu-
des 21-Hydroxylase- und 11-Hydroxylasedefektes chung sollte besonderer Wert auf die genitale Unter-
6.18 Puberlas praecox 30 I
suchung und die Feststellung des Ausprägungsgra- sehen Abklärung. Im Falle eines isolierten und ver-
des der sekundären Geschlechtsmerkmale gelegt frühten Pubeshaarwachstums kann der Verdacht
werden. Bei Verdacht auf zentrale Ursachen solle auf ein nichtklassisches AGS (später Verlauf) an-
eine genaue neurologische Untersuchung durchge- hand eines ACTH-Test überprüft werden. Erhöhte
führt werden. Werte für Testosteron und Dihydroepiandrosteron
können auf einen Nebennierentumor hinweisen.
Technische Verfahren Erhöhte hCG-Serumspiegel liegen bei hCG-produ-
Eine Röntgenaufnahme der rechten Hand gibt Aus- zierenden Tumoren vor. a-Fetoprotein (AFP) und
kunft über das möglicherweise erhöhte Knochen- karzinoembryonales Antigen (CEA) sind potenziell
alter. Ein GnRH-Test dient der Überprüfung der nützliche Marker von Keimzelltumoren.
Hypothalamus-Hypophysen-Achse und ermöglicht
die Differenzierung zwischen GnRH -abhängiger
oder -unabhäniger verfrühter Pubertät. Eine hohe 6.18.4
LH-Sekretion spricht für eine GnRH-abhängige Pu- Differentialdiagnose
bertät. Im Falle einer GnRH-Abhängigkeit ist eine
Kernspinuntersuchung oder Computertomographie Zu berücksichtigende Differentialdiagnosen sind in
der Sella unerlässlicher Bestandteil der diagnosti- Tabelle 6-9 wiedergegeben.
Ursache Spezifizierung
GoRH-abhängige Idiopathisch
Pubertas praecox
Z S-Läsionen Hypothalamisches Hamartom (relativ häufig)
Kongenitale Anomalien Hydrozephalu
Arachniodalzyste
Neoplasmen Astrozytom
Ependymom
Gliom (oft mit eurofibromatose)
Andere Z -Läsionen Schädel-Hirn-Trauma
Infektionen (Meningitis, Enzephalitis, Abszess)
Bestrahlung
Ventrikuläre Zysten
Granulome
Andere seltene Ursachen Russell- ilver yndrom
Palli ter-Hall Syndrom
GnRH-unabhängige Adrenal 21 - Hydroxylase-Mangel (AGS)
Pseudopubertas praecox 11-Hydroxylase-Mangel (AGS)
3ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Mangel (AGS)
Tumor (Adenom, Karzinom)
Testikulär Testotoxikose
Stromazelltumoren
Ektoper hCG-sezernierender Tumor
Gonadal (z. B. Chorionkarzinom)
Extragonadal (z. B. Hepatoblastom, Keimzelltumor im Z S
oder Mediastinum)
LH- ezernierender Tumor
(Hypophy enadenom)
Exogene Steroide
Ma ive Hypothyreose
LHRH = luteinisierendes Hormon releasing Hormon. hCG = humanes Choriongonadotropin; ZNS = zentrales Nervensystem.
(Nach Rosen u. Kelch 1995)
302 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
Diagnostik
6.19.2
• Anamnese. Im Zusammenhang mit einer Inferti-
Einteilung
litätdiagnostik oder einer allgemeinen urologischen
Anamneseerhebung werden die bekannten Risiko-
Modifizierte Einteilung der Hodentumoren faktoren Lageanomalie der Hoden, vorhergehende
nach Mostofi Hodentumoren und familiäre Häufung abgeklärt.
Pathogenese
Die TIN-Zellen stammen nach heutiger Vorstellung
direkt von den embryonalen Keimzellen ab. Mögli-
cherweise liegen die TIN-Zellen bereits bei der Ge-
burt späterer Hodentumorpatienten im Hoden vor.
Die Ursachen, die zur späteren Entwicklung eines
manifesten Hodentumors führen, sind weitgehend
unbekannt, wobei hormonelle und genetische Fak- Abb. 6-42. Ultraschalldarstellung eines Hodens mit Carci-
toren eine Rolle spielen könnten. noma in situ
304 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
teilt, wodurch bei der Biopsie eine hohe Trefferquote zelltumoren können zu Rückenschmerzen oder zur
gewährleistet ist. Ausbildung einer Varikozele führen. Gastrointesti-
nale Blutungen, Knochenschmerzen, zentral nervöse
Symptome, Dyspnö und Husten als Zeichen einer
Therapie
hämatogenen Metastasierung sind bei Diagnose-
Besteht ein einseitiger Befall bei Vorhandensein
stellung extrem selten.
eines 2. gesunden Hodens, stellt die operative Ent-
fernung des betroffenen Hodens die Methode der
Wahl dar. Ist gleichzeitig eine kontralaterale TIN Diagnostik
vorhanden, was nur durch eine Hodenbiopsie • Anamnese. Die Angaben des Patienten bzgl. te-
oder durch den zeitlichen Verlauf festgestellt wer- stikulärer Schwellung oder Schmerzhaftigkeit gibt
den kann, gilt die Strahlentherapie als das beste The- meist sehr konkrete Hinweise auf das mögliche Vor-
rapiekonzept Die Bestrahlung kann im Unterschied liegen eines Tumors. Besonderer Wert sollte auf die
zur Chemotherapie eine vollkommene Vernichtung familiäre und patienteneigene Tumoranamnese ge-
der TIN bewirken. Der Wert der Radiatio wird da- legt werden. Ferner muss der bekannte Risikofaktor
durch erhöht, dass die Testosteronwerte im Serum Lageanomalie der Hoden abgeklärt werden.
in der Mehrzahl der Patienten in Normbereich blei-
ben. Dadurch wird die lebenslange Hormonsubsti- • Körperliche Untersuchung. Die Palpation des
tution vermieden. Skrotalinhaltes gibt erste Informationen über Aus-
dehnung, Schmerzhaftigkeit und erhöhte Konsi-
stenz des betroffenen Hodens. Ebenso ist der ingui-
nale Lymphknotenstatus zu erheben, da eine
6.19.4
Schwellung der nicht primär im Metastasierungsweg
Seminomatöse und nichtseminomatöse
der Hodentumoren liegenden inguinalen Lymph-
Keimzelltumoren des Hodens
knoten differentialdiagnostisch an einen entzündli-
chen Vorgang denken lassen muss. Die Inspektion
Epidemiologie
der Brust mit Palpation des Brustdrüsenkörpers
Seminome stellen rund die Hälfte aller testikulären
überprüft das Vorliegen einer möglichen Gynäko-
Keimzelltumoren und treten in Patienten mit einem
mastie.
Durchschnittsalter von 40 Jahren auf. Seminome vor
der Pubertät sind äußerst selten. Tumoren aus der
• Technische Verfahren. Bildgebung: Neben der
Gruppe der Nichtseminome treten durchschnittlich
palpatorischen Untersuchung gibt der Ultraschall
10 Jahre früher auf.
des Skrotalinhaltes weitere Auskünfte über die intra-
skrotale Tumorausdehung. Die Hodentumoren er-
Pathogenese scheinen hierbei als echoarme oder -reiche Areale
Die Ursache für die Entstehung der Keimzelltumo- mit inhomogenen Binnenmuster (Abb. 6-43). Eine
ren ist unbekannt. Familiäre Häufungen wurden be- computertomographische Untersuchung (CT) des
obachtet. Lageanomalien der Hoden und das Kline- Abdomens und des Beckens und Röntgenaufnah-
felter-Syndrom stellen prädisponierende Faktoren men der Lunge können retroperitoneale und die
für die Entwicklung eines Keimzelltumors der Ho- sehr seltenen hämatogenen Metastasierungen zei-
den dar. gen. Eine CT -Untersuchung des Gehirns sollte nur
bei neurologischen Symptomen durchgeführt wer-
den.
Klinik
Labor: Alphafetoprotein (AFP) wird nur von nicht-
• Symptome und Beschwerden. Die meisten Pa-
seminomatösen Keimzelltumoren, speziell den em-
tienten mit Keimzelltumoren weisen eine testikuläre
bryonalen und Dottersacktumoren, produziert. Er-
Schwellung auf, aber auch Schmerzen des Hodens
höhte Serumkonzentrationen für humanes Chorion-
können zusätzlich bestehen. Durch das Tumor-
gonadotropin (hCG) treten in etwa der Hälfte aller
wachstum kann ein rascher Abfall der Ejakulat-
Patienten mit metastasierenden nichtseminoma-
parameter verbunden mit einer veränderten Kon-
tösen Keimzelltumoren auf und bei 15-20 o/o der
sistenz der Hoden eintreten. Gelegentlich entwickelt
Patienten mit metastasierenden Seminomen. Die
sich eine beidseitige Gynäkomastie aufgrund einer
Laktatdehydogenase (LDH) gilt als wenig spezifi-
Erhöhung des humanen Choriongonadotropins
scher aber wichtiger Verlaufsparameter bei Patien-
(hCG) im Serum. Nur 2-3 o/o aller Patienten mit
ten mit fortgeschrittenen Keimzelltumoren.
einem Seminom präsentieren sich bei Diagnose-
stellung mit den Zeichen einer retroperitonealen
Lymphknotenmetastasierung. Metastasierte Keim-
6.19 Hodentumoren 305
6.19.5
Gonadale Stromatumoren
Epidemiologie
Die gonadalen Stromatumoren mit den Leydig-
Zell-, Sertoli-Zell- und Granulosazelltumoren tra-
gen lediglich 3-4% zum Spektrum aller Hoden-
tumoren bei und treten zum Teil in Kombination
mit komplexen Erkrankungen auf. Dazu gehören
das Peutz-Jeghers-Syndrom, das Carney-Syndrom,
die Gonadendysgenesie ferner Androgenrezeptor-
defekte. Leydig-Zelltumoren treten zu 20% in der
Kindheit auf, meist zwischen dem 5. und 10. Lebens-
jahr. 80% aller Leydig-Zelltumoren betreffen Pa-
Abb. 6-43. Großes Seminom in der Ultraschalldarstellung tienten im Erwachsenenalter. Die seltenen Sertoli-
Zelltumoren nehmen weniger als 1% aller Hoden-
tumoren ein und können in jedem Lebensalter fest-
gestellt werden. Die im Hoden sehr selten vorkom-
Differentialdiagnose menden Granulosazelltumoren treten entweder im
Abzugrenzen von den Keimzelltumoren sind alle Erwachsenealter oder bei Säuglingen vor dem 5. Le-
übrigen Tumoren und entzündliche Vorgänge der bensmonat auf. Das seltene Gonadoblastom besteht
Hoden und Nebenhoden sowie traumatische Ho- aus gemischten Anteilen von tumorös veränderten
denveränderungen einschließlich der akut auftre- Keimzellen und Stromazellen. Es betrifft gewöhnlich
tenden Hodentorsion. Patienten mit dysgenetischen Gonaden.
Therapie Pathogenese
Therapie und Prognose hängen von Typ und Aus- Die Pathogenese der Stromazelltumore ist weitge-
dehnung (staging) des Tumors ab. Die Therapie hend unbekannt. Es bestehen jedoch Hinweise auf
nach Entfernung des Primärtumors besteht bei die Beteiligung endokrinalogischer Faktoren:
den nichtseminomatösen Hodentumoren im We- • Bei dem außerordentlich seltenen Carney-Syn-
sentlichen in der Anwendung spezifischer Chemo- drom werden regelmäßig vorkommende, kalzifi-
therapeutika wie Bleomycin, Etoposide, Carboplatin zierende Sertoli-Zelltumoren neben endokrinen
oder Cisplatin. Darunter konnten in Patientengrup- Symptomen wie Adipositas, Hyperlipidämie, Glu-
pen mit niedrigem Risiko komplette Remissionen in koseintoleranz und Cortisolüberschuss in Kom-
bis zu 94% der Fälle erzielt werden. Seminome wer- bination mit myxomatösen Tumoren u. a. im
den nach Entfernung des Primärtumors primär Herzmuskel beschrieben. Östradiolproduzieren-
strahlentherapeutisch behandelt. Bezüglich der de- de Sertoli-Zelltumoren mit der Ausbildung einer
taillierten Therapie der Keimzelltumoren sei auf ein- Gynäkomastie und einem verfrühten Knochen-
schlägige Fachliteratur sowie onkologische und mo- wachstum kommen gelegentlich bei Kindern
logische Lehrbücher verwiesen. mit Peutz-Jeghers-Syndrom vor.
• Juvenile Granulosazelltumoren sind häufig mit
Vor beidseitiger Orchiektomie, Chemotherapie, testi- einer gonadalen Dysgenesie oder Anomalien
kulärer Radiatio oder retroperitonealer Lymphade- der Geschlechtschromosomen assoziiert, ein-
nomektomie muss den Patienten die Möglichkeit schließlich eines 45,XO/XY -Mosaiks.
zur Kryokonservierung ihrer Spermien, zur Erhal- • Patienten mit einem Gonadoblastom weisen un-
tung ihrer Fertilität, angeboten werden. Ein Testoste- abhängig vom Phänotyp ein Y-Chromosom auf
ronmangel nach beidseitiger Orchiektomie muss mit bei einem 46,XY oder 45,XO/XY- Karyotyp.
Androgenen substituiert werden.
Klinik
• Symptome und Beschwerden
e Leydig-Zelltumoren präsentieren sich im Erwach-
senenalter mit testikulärem Tastbefund und in
etwa 30% mit einer Gynäkomastie aufgrund er-
höhter Östradiolserumkonzentrationen. Hinzu
306 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
kommen eine Infertilität sowie ein Abfall von ein Befall der relevanten Lymphknotenstationen,
Libido und Erektionsfähigkeit. 10% aller Ley- wie beschrieben, ausgeschlossen werden. Die Sono-
dig-Zelltumoren im Erwachsenenalter zeigen graphische Untersuchung der Brustdrüsen erlaubt
die Kriterien der Malignität. Bei Kindern steht eine Abgrenzung der Gynäkomastie von der häufi-
die Entwicklung einer gleichgeschlechtlichen te- gen Lipomastie.
stosteronbedingten Pseudopubertät in fast allen Labor: Die Bestimmung der Tumormarker a-Feto-
Fällen im Vordergrund, noch bevor es zu einem protein (AFP) und humanes Choriongonadotropin
testikulärem Tastbefund kommt. Maligne Leydig- (hCG), die Untersuchung des Ejakulates und die Be-
Zelltumoren im Kindesalter wurden bisher nicht stimmung der Hormonparameter einschließlich
beschrieben. Östradiolliefern wichtige Hinweise bei der Diagnose
• Bei den Sertoli-Zelltumoren kann es ebenso zu der endokrin aktiven Hodentumoren.
überhöhten Östradiolserumspiegeln kommen
mit Entwicklung einer Gynäkomastie, Infertilität
Differentialdiagnose
und Impotenz. Eine isolierte Gynäkomastie im
Ursachen für Störungen der sexuellen Funktionen
Kindesalter kann das mögliche Erstsymptom
mit Impotenz und Infertilität sowie das Auftreten
eines Sertoli-Zelltumors sein, wohingegen Kinder
einer Gynäkomastie oder einer verfrühten Pubertät
mit einem Leydig-Zelltumor keine Gynäkomastie
wird differentialdiagnostisch in den entsprechenden
ohne Virilisierung entwickeln. Im Unterschied zu
Kapiteln dieses Buches erörtert.
Leydig-Zelltumoren können Sertoli-Zelltumoren
auch bei Kindern metastasieren.
• Die meist gutartigen testikulären Granulosazell- Therapie
tumoren vom adulten Typ präsentieren sich Bei einseitigem Hodentumor ist die operative Ent-
häufig mit einer Gynäkomastie. Granulosa-Zell- fernung des befallenen Hodens die Therapie der
tumoren vom juvenilen Typ treten gehäuft bei Wahl. Maligne Leydig-Zelltumoren sind gegenüber
Säuglingen mit gelegentlichem testikulärem Tast- Bestrahlung und Chemotherapie resistent. Bei meta-
befund auf. stasierenden Sertoli-Zelltumoren kann eine adju-
• Die Gonadoblastome liegen häufig bei testikulärer vante Radiatio und Chemotherapie in Einzelfällen
Lageanomalie, peniler Hypospadie und Anoma- die Prognose verbessern. Die retroperitoneale Lym-
lien der äußeren Genitalien vor. Eine Gynäkoma- phadenektomie ist deshalb Haupbestandteil der
stie ist dabei nicht selten. Therapie maligner Leydig- und Sertoli-Zelltumoren.
Für eine Hormonsubstitution nach bilateraler Or-
chiektomie muss gesorgt werden.
Diagnostik
D
• Anamnese. Neben der bereits genannten allge- In jedem Fall sollte den Patienten vor Durchführung
meinen Anamnese im Zusammenhang mit testi- einer potenziell fertilitätsmindernden Therapie die
kulären Keimzelltumoren kommt bei den Sertoli-, Durchführung der Kryokonservierung des Ejakulates
Leydig- und Granulosazelltumoren sowie den Go- als Zeugungsreserve ermöglicht werden.
nadoblastomen dem Abfragen nach möglichen en-
dokrin bedingten Symptomen wie verfrühter Puber-
tät, Gynäkomastie, Potenzstörungen und Infertilität Weitere Störungen
besondere Bedeutung zu, da diese Zeichen noch vor
dem Entstehen eines palpablen Tumors auftreten
können. 6.20
Seneszenz
• Körperliche Untersuchung. Bei der körperlichen
Untersuchung sollten Schwellungen der Brustdrü- 6.20.1
senkörper ebenso festgehalten werden wie Zeichen Epidemiologie
einer verfrühten Pubertät im Kindesalter. Die geni-
tale Untersuchung gibt Auskunft über Virilierungs- Ein Climacterium virile, eine der Menopause
grad und mögliche Intersexualität. vergleichbare abrupte altersbedingte Änderung der
Gonadenfunktion, existiert beim männlichen Ge-
• Technische Verfahren. Wie bei den Keimzell- schlecht nicht. Es kommt daher nicht zum plötz-
tumoren kommt der Ultraschalluntersuchung eine lichen Verlust der Fertilität. Ältere Männer ohne
entscheidende Bedeutung bei der Diagnostik deren- begleitende Erkrankungen können gegenüber
dokrin aktiven Hodentumoren zu. Zeigt die Hoden- jüngeren vergleichbare Testosteronwerte und Ho-
histologie nach Orchiektomie eine Malignität, muss denvolumina aufweisen. Eine verminderte endo-
6.20 Seneszenz 307
Hormonstatus im Alter 25
21
Ein signifikanter Abfall der Serumspiegel des biolo-
20
gisch wirksamen Testosterons im Alter, wenn auch
mit erheblicher Streubreite, ist mehrfach nachgewie- 15
sen worden und begründet sich durch die Zunahme
des Gehaltes an sexualbindendem Globulin (SHBG) 10
7
im Serum (Abb. 6-44). Auch nimmt die Amplitude
5
der zirkardianen Rhythmik der Testosteronserum-
0
konzentrationen mit höchsten Werten am frühen o~--------~~--~~--~~~-
Morgen ab. Der Anteil der Männer mit Testosteron- 20-40 ·60 -80 >80
konzentrationen im Serum im hypogonadalen Be-
reich (d. h. < 12 nmol!l) nimmt mit dem Alter zu Abb. 6-45. Anteil gesunder Männer mit hypogonadalen Te-
und beträgt bei 60- bis SO-jährigen 20% und bei stosteronkonzentrationen im Serum bei 300 Männern ver-
über SO-jährigen 33% (Abb. 6-45). Die basalen Kon- schiedener Altersgruppen. (Nach Vermeuten u. Kaufmann
1995)
zentrationen von LH und FSH im Serum steigen zwi-
schen dem 40. und 70. Lebensjahr leicht und danach
deutlich an. Auch die pulsatile Frequenz der LH-Se-
bleiben im Alter konstant. Bei sinkenden Testoste-
kretion nimmt ab. Eine leichte Abnahme des Prolak-
ronspiegeln und abnehmenden SHBG kann der ver-
tinspiegels ist im Alter zu beobachten. Die Serum-
stärkte Einfluss der Östrogene auf den Organismus
spiegel für Östradiol und Östron sowie Östronsulfat
z. B. bei der Entwicklung einer Gynäkomastie rele-
vant sein. Die Serumspiegel des Testosteronmetabo-
liten Dihydrotestosteron (DHT) nehmen mit dem
Alter nicht ab, jedoch sind bei chronisch erkrankten
.. . Patienten niedrigere Spiegel festzustellen. Bei Pa-
tienten mit einer benignen Prostatahyperplasie
:::::-
...... konnten erhöhte DHT-Serumspiegel nachgewiesen
0
E werden.
s
1- 0,1
Hodenmorphologie im Alter
. ·. ·:: . . Eine generelle Abnahme des Hodenvolumens bei äl-
teren Männern kann nicht beobachtet werden. Bei
einigen älteren Männern finden sich jedoch Verän-
0.01 derungen, die von diskreten Anomalien bis zur völ-
40 50 60 70
ligen Atrophie reichen. Wenn Zeichen der Atrophie
und Hyalinisierung vorhanden waren, konnten
100
meist auch arteriosklerotische Veränderungen der
Gefäße festgestellt werden, und das Ausmaß der
...... degenerativen Veränderungen korrelierte mit den
0
E Zeichen einer allgemeinen Arteriosklerose des be-
s treffenden Individuums. Histomorphologische Un-
~
I
CO tersuchungen der Hoden von Unfallopfern zeigen,
Vl
dass die einzelne Leydig-Zelle auch im höheren Alter
10
keine Volumenveränderung aufweist. Wohl aber
geht die Gesamtzahl der Leydig-Zellen zurück.
40 so 60 70
Alte r (Jahre) Ejakulatparameter im Alter
Repräsentative Daten aus Longitudinalstudien zu
Abb. 6-44. Altersabhängige Änderung der Testosteron- und
SHBG-Spiegel. Ergebnisse der Massachusetts Male Aging
Ejakulatveränderungen sind nicht vorhanden. In
Study. (Nach Gray et al. 1991) eigenen Untersuchungen waren die Seminalpara-
308 KA P ITEL 6 Männliche Gonaden
'E 4oo •
100
.....
.
0
~
,..
..: I
80
~
c
300 • ... • • • •• •
""
.'•
.g
•• •
~ 60 ,~
~
-~ • •
c 200 E
c 40
~
~
c • • .!!! •
'••• •• • •
0
•• E
""'c 100
.E
<IJ
R
Vl
0
0 20
...
.:j•
40
.,.
••
60 80
•
100
Vl
R 20
0
0 20 40
• •
60
•
80 100
Alter in Jahren Alter in Jahren
80 100
l 70 ••
.. • 80
•• •
..
<IJ
'61 60 •••• •
••
~,.
0
•\. •••
• ~
,.•
0 50 60 (
.!:
Q.
40 • ••• t: •••
0 ~
• •
E 0.. 40 •'
c 30
•
0
•• •• •
.E
<IJ
20 •• I
•
20
Qj
Q. 10 •
Vl
0 0
0 20 40 60 80 100 0 20 40 60 80 100
Alter in Jahren Alter in Jahren
Abb.6-46. Vergleich der Ejakulatparameter und zwischen Großvätern und jungen fertilen Männern. (Nach Nieschlag et al.
1982)
meter sowohl von gesunden Großvätern, d. h. von konzentration sogar zu. Diese Änderungen können
Männern über 60 Jahren, die im früheren Leben möglicherweise durch die längere Karenzzeit erklärt
ihre Zeugungsfähigkeit unter Beweis gestellt hatten, werden. In Spermienfunktionstests (Hamster-
als auch von Männern über 50 Jahre, die unsere Kli- ovum-Penetrationstest) konnten keine Unterschie-
nik wegen unerfüllten Kinderwunsches aufsuchten, de festgestellt werden (Abb. 6-46 und 6-48).
nicht wesentlich verschieden von den jeweiligen
Kontrollgruppen jüngererMännerund Väter. Ledig-
lich eine signifikante Abnahme des Anteils der pro-
gressiv beweglichen Spermien war festzustellen. In 6.20.2
der Gruppe der Großväter nahm die Spermien- Klinik
Symptome
D Spermienkonzentration (Mio./ml) • Fertilität des alternden Mannes. Männer können
70 • Spermienmotilität (%) auch noch in einem relativ fortgeschrittenen Le-
60 normale Spermienmorphologie (%) bensalter Kinder mit jüngeren Partnerin erzeugen.
55
Die erhaltene Zeugungsfähigkeit spiegelt sich auch
50
in der Statistik der Gesamtbevölkerung wieder, in
40 der sich eine stattliche Zahl von Vätern von Neuge-
30 borenen im Alter über 50 Jahre, aber kaum Mütter in
dieser Altersgruppe finden (Abb. 6-47). Die Zeu-
20 gungsfähigkeit bleibt demnach auch beim älteren
10 Mann grundsätzlich erhalten. Die Tatsache einer re-
lativ seltenen Vaterschaft bei Männern über 60 Jah-
0
Patient (Alter) 53 ± 3 28 ± 2 27 ± 2 ren findet ihre Begründung eher in der reduzierten
Partnerin (Alter) 36 ± 5 34 ± 2 27 ± 3 oder erloschenen Konzeptionsfähigkeit der Partne-
Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 rin bzw. dem bewussten Verzicht auf Kinder.
Abb. 6-47. Vergleich der Ejakulatparameter jüngerer und äl-
terer Patienten mit unerfülltem Kinderwunsch. (Nach Rolf • Chromosomenanomalien und höheres väterli-
et al. 1996) ches Risiko. Eine erhöhte Inzidenz von Chromoso-
6.20 Seneszenz 309
100000
0 Väter
10000 • Mütter
1000
56- 60
~
61 -65
100
66 - 70
> 50
10 > 70
20 30 40 50 60 70
Alter der Eitern
Abb. 6-48. Altersverteilung der Väter und Mütter in Deutschland im Jahre 1991 (Analyse der Daten des Statistischen Bundes-
amtes 1994}
menanomalien bei einem höheren mütterlichen widersprüchliche Ergebnisse vorliegen. Für die rela-
Alter ist gesichert. Die möglichen Auswirkungen tiv häufigen und somit klinisch relevanten Chromo-
eines höheren väterlichen Alters wurde bisher in somenanomalien der Trisomie 13, Trisomie 18, dem
nur wenigen epidemiologischen Studien mit meist Turner-Syndrom (45,XO) und dem Klinefelter-Syn-
kleinen Fallzahlen untersucht. In einer retrospekti- drom (47,XXY) konnte keine Beziehung zwischen
ven kanadischen Studie mit relativ großer Fallzahl dem väterlichen Alter und der Krankheitshäufigkeit
wurde die Auswirkung des väterlichen Alters auf gefunden werden.
die Rate der Anomalien der Neugeborenen unter-
sucht. Dazu wurden die Daten von 9.660 Fällen • Sexualität im Alter. Trotz eines möglichen Testo-
aus British Columbia mit angeborenen Anomalien steronabfalls in der Seneszenz bleibt die sexuelle Ak-
herangezogen. Bei den über 50-jährigen Vätern tivität häufig bis ins hohe Alter erhalten. Etwa 60%
zeigte sich gegenüber jüngeren Vätern ein erhöhtes der über 60-jährigen Männer berichten, noch sexuell
relatives Risiko (berichtigt für das mütterliche Alter aktiv zu sein. In einer Gruppe von gesunden Män-
und andere Faktoren) für die diversen Anomalien nern im Alter zwischen 80 und 102 Jahren geben
(Tabelle 6-10). Die genannten Zahlen sind jedoch über 60% an, noch Geschlechtsverkehr zu haben.
sehr kritisch zu betrachten, da aus anderen Studien Beim alternden Mann sind jedoch Veränderungen
der Phasen des sexuellen Reaktionszyklus zu beob-
achten. Die Erregungsphase und das Erreichen der
Erektionsphase sind verzögert, die Erektionsphase
Tabelle 6-10. Relatives Risiko von Anomalien bei Kindern
von Vätern über 50 Jahre unter Berücksichtigung des mütter- bis zur Ejakulation ist meist verlängert. Nach der
lichen Alters (Mcintosh et al. 1995} Ejakulation tritt ein rascher Erektionsverlust ein.
Die Refraktärzeit bis zur erneuten Erregungsphase
Anomalie Angepasste Odds Ratio ist verlängert. Nächtliche Erektionen sind bei älteren
(Bcnicksichtigung des
mütterlichen Alters; normal Männern deutlich seltener als bei jüngeren Män-
ist I ,0 für 25 - 29jährige Väter) nern, und die Rigidität des Penis nimmt ebenfalls
ab. Die Inzidenz der erektilen Dysfunktion nimmt
euralrohrdefekte 2,3 mit dem Alter zu. Ebenso wie die erektile Dysfunk-
Anenzephalie 2,6 tion ist die benigne Prostatahyperplasie (BPH) eine
Spi na bifida 2,2 häufige im Alter auftretende Erkrankung. In den
Ko ngenitaler Katarakt 2,5 USA wird die Inzidenz für eine behandlungsbedürf-
Tracheoösophageale Fistel 3, 1 tige Prostatahyperplasie mit 27% für Männer zwi-
Darmatresie 5,0 schen 60 und 69 Jahren und mit 35% für Männer
Red uktionsdefekte der oberen Extremitäten 3,1 zwischen 70 und 79 Jahren angegeben. Die Ursachen
sind weiterhin unklar. Hormonelle Verschiebungen
Down-Syndrom 2,0
im Alter werden als Ursache angegeben. In einer
310 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
rone (DHEA). Die enzymatische Konversion dieser individuellem zeitlichen Verlauf oft schubweise ver-
Vorläufersubstanzen zu DHT führt zu Seborrhö, schiedene klassifizierbare Stadien (Abb. 6-49). Die
Hirsutismus, Akne und Alopezie in unterschiedli- androgenetische Alopezie bei der Frau ist eher diffus
chem Ausmaß. Testosteron entsteht aus DHEA und weniger auf einzelne Areale begrenzt und be-
und Androstendion durch die Aktivität der Enzyme ginnt meist erst in der 3. oder 4. Lebensdekade.
3ß-Hydroxysteroiddehydrogenase (3ß-HSH) und Ein weiteres Fortschreiten der Alopezie nach der
17ß-Hydroxysteroiddehydrogenase. Durch das En- Menopause kann häufig beobachtet werden. Sowohl
zym Sa-Reduktase wird Testosteron zum in der bei Frauen als auch Männern führt der bemerkte
Haut wirksamen DHT konvertiert. In den Haarfolli- Haarverlust häufig zu einer Beeinträchtigung des
keln der Kopfhaut von Frauen mit androgenetischer psychosexuellen Wohlbefindens und zur Angst
Alopezie kann die Aktivität der Cytochrom- vor einem weiteren Fortschreiten oder dem kom-
P450-Aromatase, die Testosteron zu Östradiol um- pletten Haarverlust
wandelt, gegenüber der Kopfhaut betroffener Män-
ner um den Faktor 6 erhöht gemessen werden. Die
Aktivität der Sa-Reduktase (Typ I und II) zeigt sich
6.21.4
bei denselben Frauen um den Faktor 3 reduziert und
Diagnostik
die Zahl der Androgenrezeptoren um 40% geringer.
Die geschlechtsspezifischen Unterschiede für die
Aktivität der steroidkonvertierenden Enzyme, und
Anamnese
die Verteilung der Androgenrezeptoren sind mögli- Neben einer Erhebung des allgemeinen Gesund-
cherweise für den unterschiedlichen Ausbildungs- heitsstatus umfasst die Anamnese ein Erfragen
nach Beginn und Verlauf des Haarverlustes sowie
grad der androgenetischen Alopezie bei Frau und
Mann verantwortlich. Die beiden Androgene DHT eine ausführliche Familienanamnese im Zusammen-
hang mit vorzeitiger Alopeziebildung. Aktuelle und
und DHEA verkürzen den anagenen Wachstumszy-
alte Photographien des Patienten bzw. betroffener
klus der Haarfollikel und bewirken die bei der an-
Familienmitglieder können für die Erhebung der
drogenetischen Alopzie typische Verkleinerung
Anamnese und der Beurteilung der späteren Thera-
der Follikel.
pie hilfreich sein. Die aktuelle Medikation sowie die
Einnahme von Vitaminpräparaten sollten ebenso
erfragt werden wie mögliche Schilddrüsenerkran-
6.21.3
kungen, Neoplasien oder systemische Erkrankun-
Klinik gen.
Symptome und Beschwerden
Die androgenetische Alopezie beginnt beim Mann Körperliche Untersuchung
typischerweise mit einem bitemporalen Haarverlust Die Klassifikation der androgenetsichen Alopezie
("Geheimratsecken") in der späten Adoleszenz oder des Mannes kann anhand der modifizierten Rarnil-
im frühen Erwachsenenalter und durchläuft mit tonskala erfolgen (s. Abb. 6-50).
312 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
II IIa 111
6.21.6 6.22.2
Therapie Pathogenese
Eine zufrieden stellende Therapieform für die an- Die Ätiologie der Transsexualität ist unklar. Ein
drogenetischen Alopezie gibt es noch nicht. Für möglicher psychogener oder biologischer Auslöser
die topische Anwendung einer 2 o/oigen Lösung der Transsexualität wird seit vielen Jahren disku-
von Minoxidil, eigentlich ein Antihypertensivum, tiert. In einerneueren Studie konnte gezeigt werden,
wurde in großen kontrollierten Studien ein Wirk- dass eine bestimmte Kernregion der zum Hypotha-
samkeitsnachweis erbracht. Die Therapie wird aller- lamus gehörenden Stria terminalis, die bei Nagern
dings erst nach 4-6 Monaten wirksam und bei Ab- für das sexuelle Verhalten von Bedeutung ist, bei
setzen fallen die neu gewachsenen Haare wieder aus. Männern ein größeres Volumen als bei Frauen ein-
Das Medikament ist in der BRD nicht zugelassen, nimmt. In Mann-zu-Frau-Transsexuellen wurden
auch wenn ernsthafte Nebenwirkungen bisher nicht diese Kernregionen als klein, sprich weiblich, iden-
bekannt sind. Neue Hoffnung wird in die Anwen- tifiziert. Die Größe dieser Region war unabhängig
dung von Hemmstoffen der Sa-Reduktase gelegt. Fi- von Sexualhormonkonzentrationen im Erwachse-
nastaride inhibiert spezifisch die Typ-II-Sa-Reduk- nenalter und von der sexuellen Orientierung. In die-
tase und verhindert somit zum Teil die Metabolisie- ser Studie wurden zum 1. Mal weibliche Gehirn-
rung von Testosteron in das am Haarfollikel wirksa- strukturen in männlichen Transsexuellen festge-
me Dihydrotestosteron (DHT). Das Präparat ist seit stellt, woraus die Autoren eine Abhängigkeit der Ge-
Dezember 1997 in den USA unter dem Handelsna- schlechtsidentität von Sexualhormonen während
men Propecia erhältlich. In einer plazebokontrol- der embryonalen Gehirnentwicklung unabhängig
lierten Studie mit 326 Männer mit unterschiedlich vom genetischen Geschlecht folgern. Untersuchun-
stark ausgeprägter Alopezie konnte dessen Wirk- gen der Chromosomen, Gonaden, Genitalien sowie
samkeit nachgewiesen werden (52 o/o der Probanden Hormonbestimmungen haben bisher keine Erklä-
mit Verum gegenüber 31 o/o mit Plazebo wiesen nach rungen für das Auftreten der Transsexualität liefern
Behandlung eine höhere Haardichte auf). Da die können.
Kopfhaut hauptsächlich Typ-I-Sa-Reduktase expri-
miert, wird derzeit an der Entwicklung und Erpro-
bung spezifischer Typ-I-Sa-Reduktasehemmstoffe
gearbeitet. Ob diese Substanzen zu einem wesentli-
chen Therapievorteil führen, werden bereits begon-
nene kontrollierte Studien zeigen.
314 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
Körperliche Untersuchung
6.22.3
Neben der Durchführung einer allgemeinen Unter-
Klinik
suchung sollten der genitale Status und die sekun-
dären Geschlechtsmerkmale untersucht werden.
Symptome und Beschwerden
Transsexuelle leiden ausgesprochen stark unter ih-
rem anatomischen Geschlecht, unter der Inkongru- Technische Verfahren
enz von körperlicher Sexualkonstitution und erleb- Außerhalb klinischer Studien kann auf die Anwen-
ter Psychosexualität oft schon von Kindheit an. Sie dung besonderer technischer Verfahren verzichtet
erwarten vom Arzt die hormonelle bzw. operative werden. Die Bestimmung eines Hormonstatus sowie
Umwandlung in das andere Geschlecht. Sexualbe- eines Karyotyps sollte jedoch durchgeführt werden.
dürfnis und Sexualbefriedigung der Transsexuellen
sind unterschiedlich. Manche verkehren heterosexu-
ell, d. h. ihrem somatischen, nicht ihrem gewünsch-
6.22.5
ten Geschlecht entsprechend; diese Partnerbezie-
Differentialdiagnose
hungen sind unbefriedigend. Auch Homosexualität
kommt vor, wobei jedoch die erwünschte Anerken-
nung der gegengeschlechtlichen Rolle meist nicht er- Diffentialdiagnosen bei Transsexualität
reicht wird. Häufig erscheint jedoch die sexuelle
Identität wichtiger als die sexuelle Befriedigung. • Temporäre oder partielle Störungen der
Die soziale und psychosoziale Situation Transsexu- Geschlechtsidentität
eller hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten • Transvestismus
verändert. Die Einführung des Transsexuellengeset- • Homosexuelle Orientierung in der Entwicklung
zes und die vermehrt öffentlich geführte Diskussion • Psychosen
über die Problematik führte teilweise zu einer ver-
besserten Akzeptanz und gesellschaftlichen Stellung
Transsexueller. Trotzdem werden die zwischenmen- Vom genuinen Transsexualismus sind temporäre
schlichen Beziehungen Transsexueller als stark ge- Störungen der Geschlechtidentität abzugrenzen,
stört beschrieben, u. a. weil ihnen Bindungsfähigkeit wie z. B. in der Adoleszenz als diffuses Unbehagen
und Einfühlungsvermögen fehlten. Häufig sind die im eigenen Körper. Ebenso abzugrenzen ist der
Patienten innerlich zerrissen und affektlabil, subde- Transvestismus, der mit einer sexuellen Erregung
pressiv und suizidgefährdet Selbstverstümmelun- durch das Tragen von gegengeschlechtlicher Klei-
gen (z. B. Abschnürungen der Brust oder des Penis) dung einhergeht. Im Gegensatz dazu dient dies
und Selbstkastrationen sind mehrfach beschrieben bei den Transsexuellen typischerweise der Beruhi-
worden. gung. Wesentliches Abgrenzungskriterium zur
psychotischen Ich-Verkennung ist die beim trans-
sexuellen Patienten prinzipiell vorhandene Einsicht
in die biologische Realität, die im Widerspruch zur
6.22.4
eigenen subjektiven Identität steht. Wer die diffe-
Diagnostik
rentialdiagnostischen und versicherungsrechtlichen
Gegebenheiten beim Umgang mit Geschlechts-
Anamnese
identitätsstörungen nicht beachtet, muss mit arzt-
Die Diagnose wird im Wesentlichen durch eine um-
rechtlichen Konsequenzen und eventuellen Regress-
fassende Anamnese gestellt. Neben Fragen nach
forderungen rechnen.
dem Erleben der gegengeschlechtlichen psychischen
Identität und dessen zeitlichen Verlauf stehen auch
Fragen nach sexuellen Gewohnheiten und Wün- Juristische Aspekte bei Transexualität
schen im Vordergrund. Der Familienstand und In Deutschland wird der rechtliche Rahmen für eine
die mögliche Existenz eigener Kindern müssen er- Änderung der geschlechtlichen Identität durch das
fragt werden. Die Reaktionen im sozialen Umfeld Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 geregelt. Das
sollten eruiert werden. TSG unterscheidet eine "kleine" und eine "große"
Lösung. Nach der kleinen Lösung (§ 1 TSG) sind
dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend siken. Folgende Übersicht zeigt die Hormontherapie
zu leben. Die ursprünglich im Gesetz enthaltene für Mann-zu-Frau-Transsexuelle.
Vorgabe eines Mindestalter von 25 Jahren ist 1993
vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswid- Hormontherapie für Mann-zu-Frau-Transsexuelle
rig erklärt worden (BVerfG, NJW 1993, S. 1517). Die
große Lösung führt nicht nur zu einer Vornamens- • Östrogen i. m. alle 2 Wochen für 6-12 Monate
änderung, sondern zu einer gerichtlichen Feststel- (z. B. Estradurin 80 mg i.m.oder Progynon Depot
lung der anderweitigen Geschlechtszugehörigkeit 100 mg i. m.) in Kombination mit oralen Antian-
(§§ 8 ffTSG). Neben den Voraussetzungen der klei- drogene (z. B. Androcur 100 mg täglich)
nen Lösung ist notwendig, dass die betroffene Per- • Danach lebenslange Substitution mit oralen
son nicht verheiratet ist, dauernd fortpflanzungsun- Östrogenen (2-4 mg Östradiol täglich) bzw. bei
fähig ist und sich einem, ihre äußeren Geschlechts- Patienten im Zustand nach Embolie und bei
merkmale verändernden operativen Eingriff unter- über 40-jährigen individuelle transdermale
zogen hat. Bei der großen und kleinen Lösung Östrogensubstitution
sind 2 unabhängige Gutachten erforderlich. Minde-
stens eines der Gutachten sollte sich durch psychia-
trischen Sachverstand auszeichnen, während das an- Als einer der ersten Effekte wird eine Vergrößerung
dere im Hinblick auf die Fortpflanzungsunfähigkeit der beiden Areolae und der Brustwarzen beobachtet
und die notwendige Anpassungsoperationen sexual- in Kombination mit einer vermehrten Pigmentie-
medizinisch-gynäkologisches bzw. -urologisches Ex- rung und Berührungsempfindlichkeit Das Volumen
pertenwissen haben sollte. des Brustdrüsengewebes nimmt zu und es entwik-
kelt sich eine Gynäkomastie. Der maximale Effekt
auf das Brustwachstum ist nach etwa 2 Jahren er-
6.22.6 reicht. Die Hautstruktur verändert sich und er-
Therapie scheint zarter und weicher. Die Muskelkraft nimmt
ab. Es entwickelt sich ein weiblicher Fettverteilung-
Da die Durchführung einer psychoanalytischen und styp mit einer entsprechenden vom Genotyp unab-
verhaltenstherapeutischen Therapie bei Transsexu- hängigen Leptinkonzentration. Bartwuchs und Kör-
ellen mit dem Ziel einer Umkehrung der gestörten perbehaarung nehmen ab, die Notwendigkeit zur
Geschlechtsidentiät nicht erfolgreich ist, bleibt nur Rasur oder anderer Enthaarungsmethoden entfällt
die pragmatische Lösung einer schrittweisen Annä- jedoch nicht vollkommen. Eine Abnahme von Pro-
herung der körperlichen Merkmale an das psychi- stata- und Hodenvolumen kann beobachtet werden.
sche Geschlecht. Dieses Konzept basiert auf einer in- Eine Steigerung der Östrogendosis über das ge-
terdisziplinären Zusammenarbeit von Psychologen, nannte Maß hinaus bringt keine zusätzlichen Effekt
Psychiatern, Endokrinotogen und operativ tätigen auf die Zielorgane, kann jedoch zu einer erheblichen
Ärzten. Die ersten 2 Jahre der Behandlung dienen Libidoreduktion führen. Während dieser Zeit erfol-
lediglich der Beobachtung des Patienten und der gen in Abstand von 2-3 Monaten körperliche Unter-
Verfestigung der Diagnose. Noch vor dem Beginn suchungen und eine Bestimmung der Leberfunkti-
einer Hormontherapie sollte der Patient mit dem onsparameter, der Hormonspiegel und der Serum-
Tragen der gegengeschlechtlichen Kleidung begin- lipide. Mit abnehmenden Testosteronspiegeln kön-
nen, um die psychosozialen Probleme und dadurch nen die Antiandrogene schrittweise reduziert und
entstehenden Konfliktsituationen kennen und mei- abgesetzt werden. Nach etwa einem Jahr kann
stern zu lernen. Erst nachdem eine Umwandlung der man auf eine orale Östrogengabe umsteigen mit
sekundären Geschlechtsmerkmale durch eine ge- z. B. 2-4 mg oralem Östradiol täglich.
gengeschlechtliche Hormontherapie erfolgt ist,
sollte mit der Anwendung operativer Maßnahmen
begonnen werden.
Bei Patienten über 40 fahre und im Zustand nach
einer Thromboembolie kann das Thromboserisiko
durch die Anwendung transdermaler Applikations-
D
weisen reduziert werden.
Gegengeschlechtliche Hormonbehandlung
Die gegengeschlechtliche Hormonbehandlung dient
der Unterdrückung der ursprünglichen sekundären
Geschlechtsmerkmale und der Entwicklung der ge-
wünschten gegengeschlechtlichen Merkmale. Diese
Hormonsubstitutionstherapie muss lebenslang
durchgeführt werden und beinhaltet potenzielle Ri-
316 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
Folgende Übersicht gibt die Hormontherapie für Jen retrospektiven Studie derselben Arbeitsgruppe
Frau-zu-Mann-Transsexuelle wieder. geht man von einem weit geringeren thrombembo-
lischen Risiko seit der Einführung der transderma-
Hormontherapie für Frau-zu Mann-Transsexuelle len Östrogenapplikation aus. Bei den retrospektiv
untersuchten 816 Mann-zu-Frau-Transsexuellen
• Testosteronönanthat 250 mg i.m.alle 2 Wochen und 293 Frau-zu-Mann-Transsexuellen zeigte sich
• Nach ca. einem Jahr individuelle Dosierung keine Zunahme der Mortalität in Mann-zu-Frau-
und Frau-zu-Mann-Transsexuellen unter gegen-
geschlechtlicher Hormontherapie. Das Risiko der
Eine höhere Testosterondosis führt aufgrund der Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit wird
limitierten Androgenrezeptoren zu keiner schnelle- kontrovers und widersprüchlich diskutiert. Ein
ren Antwort der Zielorgane. Einer der ersten Effekte protektiver Effekt durch Östrogene wäre denkbar.
bei Frau-zu Mann-Transsexuellen ist das Ausbleiben
der Regelblutung. Sistiert die Regelblutung nicht, • Androgene. Die Behandlung mit Androgenen bei
sollte man zwischen den Testosteroninjektionen Frau-zu-Mann-Transsexuellen führt bei 12 o/o der
ein Gestagen intramuskulär verabreichen (z. B. Cli- Patienten als häufigste Nebenwirkung zu einer
novir 500 mg i. m. 2-mal im Abstand von 2-3 Ta- Akne, die mit topischen Antibiotika behandelt wer-
gen). Mit einem individuellen Zeitverlauf beobach- den kann. In 17 o/o der Fälle kommt es zu einer Ge-
tet man ein Tieferwerden der Stimme und die Ent- wichtszunahme über 10 o/o. Als mögliche Auswirkun-
wicklung eines Hirsutismus. Das subkutane Fett- gen auf den Leberstoffwechsel kann es zu einer Er-
masse nimmt ab. Muskelmasse und Libido höhung der Leberenzyme bei hormontherapierten
nehmen zu. Transsexuellen kommen. Eine dauerhafte Erhöhung
Während dieser Behandlungsphase sollten regel- geht jedoch meist auf eine Hepatitis oder Alkohol-
mäßig körperliche Untersuchungen durchgeführt abusus zurück.
werden, sowie Laboruntersuchungen einschließlich
D
einer Bestimmung des Hormon-, Leber- und Lipid- Angesichts der tiefen psychologischen Bedürfnisse
status. Meist wird nach 9-12 Monaten eine zufrieden Transsexueller kann die gegenschlechtliehe Hormon-
stellende Androgenisierung erreicht. Danach kann therapie nicht verweigert und als relativ sicher ange-
das Injektionsintervall gemäß der kontrollierten sehen werden, zu mal man seit Anwendung der trans-
Hormonwerte individuell variiert werden. dermalen Östrogensubstitution von einer rückläufi-
gen Inzidenz thrombembolischer Komplikationen
Nebenwirkungen der ausgehen kann.
gegenschlechtliehen Hormontherapie
• Östrogene. In Mann-zu-Frau-Transsexuellen Operative Therapie
kann gelegentlich am Ende eines Östrogeninjekti- Erst nach Entwicklung der sekundären Geschlechts-
onsintervalles eine Galaktorrhö auftreten. Eine Hy- merkmale unter einer gegengeschlechtlichen Hor-
perprolaktinämie, die durch Antiandrogene ver- montherapie sollten operative Maßnahmen ergrif-
stärkt wird, zeigt sich um den Faktor 400 gegenüber fen werden. Besonderer Wert muss dabei auf die Pa-
der Normalbevölkerung gehäuft. Die Entwicklung tientenaufklärung gelegt werden. Der Zeitpunkt der
eines Prolaktinoms wurde in Einzelfällen beschrie- Aufklärung ist früh anzusetzen. Nach der Rechtspre-
ben, muss jedoch als Ausnahme angesehen werden. chung des BGH (BGH. NJW 1992, S. 2351) muss in
Die Inzidenzrate depressiver Verstimmungen unter den Fällen einer geplanten operativen Geschlechts-
Hormontherapie bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen umwandlung die Aufklärung spätestens zum Zeit-
zeigt sich um den Faktor 15 erhöht. punkt der Vereinbarung des Operationstermins
durch den zuständigen Arzt erfolgen. Die Aufklä-
Ein Hauptproblem der Östrogengabe bei Mann-zu-
~ Frau-Transsexuellen ist die Steigerung des Embo-
~
rung muss sich nicht nur auf die Risiken des Ein-
griffs selbst beziehen, vielmehr muss dem Patienten
u lierisikos. bzw. der Patientin das ganze Ausmaß der von ihm/
ihr zu treffenden Entscheidung auch in seiner Irre-
In einer retrospektiven Studie war die kombi- versiblität und der Notwendigkeit lebenslanger hor-
nierte Behandlung mit Östrogenen und Cyprotero- moneller Substitution deutlich vor Augen geführt
nacetat von 303 Mann-zu-Frau-Transsexuellen mit werden.
einer um den Faktor 45 erhöhten Inzidenzrate
von Thromboembolien im Vergleich zur gleichaltri- • Mann zu Frau. Standard für die chirurgische Um-
gen Normalbevölkerung assoziiert. In einer aktuel- wandlung von Mann zu Frau ist die Kastration
6.22 Transsexualität 317
durch Entnahme der Testes, die Resektion des Pe- Von Eckardstein A (1998) Androgens: cardiovascular risk fac-
nisschaftes, die Ausbildung einer Neovagina und tors and atherosclerosis. In: Nieschlag E, Behre HM (Hrsg)
Testosterone: Action-Deficiency-Substitution. Springer
die Herstellung der kleinen Schamlippen und der Berlin Heidelberg New York Tokyo, pp 229-258 '
Klitoris. Häufig werden zusätzlich kosmetische Ope- Evans R (1988) The steroid thyroid hormone receptor super-
rationen wie eine Brustaugmentation oder ein Face- family. Science 240: 889-895
Gharib SD, Wierman ME, Shupnik MA, Chin WW (1990) Mo-
lifting durchgeführt. lecular biology of the pituitary gonadotropins. Endocr
Rev 11: 177-199
• Frau zu Mann. Für die chirurgische Umwandlung Randall VA (1998) Androgensand hair. In: Nieschlag E, Behre
HM (Hrsg) Testosterone, Action-Deficiency-Substituti-
von Frau zu Mann gelten als Standard die bilaterale on. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo,
Mastektomie, Adnexektomie und die Hyster- PP 169-186
ektomie. Die verschiedenen Techniken für eine Redmond G~, Olson WH, Lippman JS, Kafrissen ME, Jones
Neophalloplastik liefern ästhetisch und funktionell
!M, Jonzzo JL (1997) Norgestimate and ethinyl estradiol
m the treatment of acne vulgaris: a randomized placebo-
mehr oder weniger akzeptable Resultate. Ihre Viel- controlled trial. Obstet Gynecol 89 : 615-622 '
Schla~t S, Meinhard~ A, Ni~schl~g E (1997) Paracrine regula-
zahl weist jedoch darauf hin, dass eine ideale Tech-
tion of cellular mteractwns m the testis: factors in search
nik noch nicht besteht. of a function. Eur J Endocrinol 137: 107-117
Shupn~k MA, Schreih~fer ~A (1997) Molecular aspects of ste-
rO!d hormone actwn m the male reproductive axis. J An-
drol 18 : 341-344
Literatur Simo~li M, Gromoll J, NieschlagE (1997) The follicle-stimula-
tmg ~ormone receptor: biochemistry, molecular biology,
physwlogy, and pathophysiology. Endocr Rev
Literatur zu Abschn. 6.1 18: 739-773
Drews U (1995) Morphologische Entwicklung der Sexualor- Smith EP, Boyd J, Fran.k G~ et al. (1994) Estrogen resistance
gane. Gynäkologe 28( 1):5-11 caused by a mutatwn m the estrogen-receptor gene in a
Ergün S, Stingl J, Holstein AF (1994) Segmental angioarchitec- man. N Eng! J Med 331: 1056-1061
ture of the testicular lobule in man. Andrologia Thiboutot D, ~a_rris G, Iles V, Cimis G, Gilliland K, Hagari S
26: 143-150 (1995) ActlVlty of the type 1 5 alpha-reductase exhibits re-
Gustafson ML, Donahoe PK (1994) Male sex determination: gional differences in isolated sebaceous glands and whole
current concepts of male sexual differentiation. Ann skin. J Invest Dermatol 105: 209-214
Rev Med 45 : 505-524 Wang C, Alexander G, Berman N, Salehian B, Davidson T,
Thews G, Mutschier E, Vaupel P (1989) Fortpflanzungsorgane McDonald V, Steiner B, Hull L, Callegari C, Swerdloff
und Schwangerschaft. In: Thews G, Mutschier E, Vaupel p RS (1~96) Testosterone replacement therapy improves
(Hrsg) Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Men- mood m hypogonadal men-a clinical research center stu-
schen, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stutt- dy. J Clin Endocrinol Metab 81 : 3578-3583
Wein~aue~ GF, Gromoll J, Simoni M, NieschlagE (2000) Phy-
gart, S 581-603
swlogle der Ho~enfunktion. In: Nieschlag E, Behre HM
(!frsg) Androlo~1e. Grundlagen und Klinik der reproduk-
tiven Gesundheit des Mannes. Springer, Berlin Heidelberg
Literatur zu Abschn. 6.2 New York Tokyo, pp 27-67
Anwar R, Gilbey SG! ~ew JP, ~arkham AF (1997) Male pseu- Wu FCW, Farley TMM, Peregoudov A, Waites GM (1996) Ef-
dohermaphrodltism resultmg from a novel mutation in fects of test~sterone enanthate in normal men: experience
f~om a multicenter contraceptive efficacy study. FertilSte-
the human steroid 5 alpha-reductase type 2 gene
nl 65 : 626-636
(SRD5A2). Mol Pathol 50: 51-52
Behre HM, Kliesch S, Leifke E, Link TM, Nieschlag E (1997)
Long.-ter.m effect of testosterone therapy on bone mineral
denslty m hypogonadal men. J Clin Endocrinol Metab Literatur zu Abschn. 6.3
82: 2386-2390
Behre HM, Young C-H, Holstein AF, Weinbauer GF Gassner Handelsman DJ (2000) Hypogonadismus und Infertilität bei
P, NieschlagE (2000) Diagnostik der Infertilität und des systemischen Er~rankungen. In: Nieschlag E, Behre HM
Hypog?nadismus. In: Nieschlag E, Behre HM (Hrsg) An- (!frsg) Androlo~1e: Grundlagen und Klinik der reproduk-
drologl~: Grundlagen und Klinik der reproduktiven Ge-
tiVen Gesundheit des Mannes. Springer, Berlin Heidelberg
sundheit des Mannes (2. Aufl.). Springer, Berlin Heidel- New York Tokyo, pp 267-278
berg New York Tokyo, pp 96-135 Nieschlag E, von zur Mühlen A, Sippe! WG (1993) Männliche
Carani C, Qin K, Simoni M, Faustini-Fustini M, Serpente S, Gonaden. I~: Deutsc~e Ges~llsc.haft für Endokrinologie
Boyd J, Korach KS, Simpson ER (1997) Effect of testoste- (Hrsg) Rationale Diagnostik m der Endokrinologie.
rone and estradiol in a man with aromatase deficiency. N Thieme, Stuttgart, pp 186-212
Salzbrunn A, Benson DM, Holstein AF, Schulze W (1996) A
Eng! J Med 337:91-95
Christiansen K (1998) Behavioural correlates of testosterone. new concept for the extraction of testicular spermatozoa
as a tool for assisted fertilization (ICSI). Hum Reprod
In: Nieschlag E, Behre HM (Hrsg) Testosterone: Action -
11: 752-755
Deficiency - Substitution. Springer, Berlin Heidelberg
Simoni M.' Gromoll J, Dworniczak R et al. (1997) Screening for
New York Tokyo, pp 107-142
deletwns of the Y chromosome involving the DAZ (Dele-
Clark PA, Iranmanesh A, Veldhuis JD, Rogol AD (1997) Com-
ted in Azoospermia) genein azoospermia and severe oli-
parison of pulsatile luteinizing hormone secretion be-
gozoospermia. Fertil Steril 67 : 542-547
tween prepubertal children and young adults: evidence
WHO:Laborhandbuch zur Untersuchung des menschlichen
for a mass/amplitude-dependent difference without gen-
Ejakulates und der Spermien-Zervikalschleim-Interakti-
der or day/night contrasts. J Clin Endocrinol Metab
82 : 2950-2955 on. (1999) 4. Aufl, übersetzt von NieschlagE et al., Sprin-
ger, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Conn PM, Crowley WF Jr (1994) Gonadotropin-releasing hor-
mone and its analogs. Annu Rev Med 45: 391-405
318 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
Literatur zu Abschn. 6.4 bis 6.13 Nieschlag (1998) Pharmacology and clinical use of testoste-
rone. In: Nieschlag E, Behre HM (Hrsg) Testosterone, Ac-
Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Endokrinologie und tion-Deficiency-Substitution. Springer, Berlin Heidel-
Fortpflanzungsmedizin (Hrsg) (1999) Deutsches IVF-Re- berg New York Tokyo, S 293-328
gister. Jahrbuch 1998. Bad Segeberg. Palermo GD, Schlegel PN, Sills ES, Veeck LL, Zaninovic N, Me-
Behre, HM, Bohmeyer J, Nieschlag E. (1994) Prostate volume nendez S, Rosenwaks Z (1998) Births after intracytoplas-
in testosterone-treated and untreated hypogonadal men mic injection of sperm obtained by testicular extraction
in comparison to age-matched normal controls. Clin En- from men with nonmosaic Klinefelter's syndrome. N
docrinol 40 : 341-349 Engl J Med 338 : 588-590
Behre HM, S. Kliesch, E Leitke, TM Link, PE Peters, E Nie- Peterson CM, Hatasaka JJ, Jones KP (1994) Ovulation induc-
schlag (1997) Long-term effect of testosterone therapy tion with gonadotropins and intrauterine insemination
on bone mineral density in hypogonadal men. J Clin En- compared with in vitro fertilization and not therapy: a
docrinol Metabol 82: 2386-2390 prospective, nonrandomized, cohort study and meta-ana-
Biller BM, Molitch ME, Vance ML et al. (1996) Treatment of lysis. Fertil Steril 62 : 535-544
prolactin-secreting macroadenomas with the once-weekly de Roux N, Young J, Misrahi M, Genet R, Chanson P, Schaison
dopamine agonist cabergoline. J Clin Endocrinol Metab G, Milgrom E (1997) A family with hypogonadotropic hy-
81 : 2338-2343 pogonadism and mutations in the gonadotropin-releasing
Brocks DR., Meikle AW, Boike SC, Mazer NA, Zariffa N, Audet hormone receptor. N Engl J Med 337: 1597-1602
PR, Jorkasky DK (1996) Pharmacokinetics of testosterone Sasco AJ, Lowenfels AB, Pasker-de Jong P (1993) Review ar-
in hypogonadal men aftertransdermal delivery: influence ticle: epidemiology of male breast cancer. A meta-analysis
of dose. J Clin Pharmacol 36: 732-739 of published case-control studies and discussion of selec-
Büchter D, Behre HM, Kliesch S, NieschlagE (1998) Pulsatile ted aetiological factors. Int J Cancer 53 : 538-549
GnRH or human chorionic gonadotropin/human meno- Sorahan T, Lancashire RJ, Hulten MA, Peck I, Stewart AM
pausal gonadotropirr as effective treatment for men with (1997) Childhood cancer and parental use of tobacco:
hypogonadotropirr hypogonadism: a review of 42 cases. deaths from 1953-1955. Br J Canc Res 75: 134-138
Eur J Endocrinol 139 : 298-303 Vine MF (1996) Smoking and male reproduction: a review. Int
von Eckardstein S, Nieschlag E (1998) Substititionstherapie J Androl 19: 323-337
mit Testosteron. Der Kassenarzt 8: 39-41 Wang C, Alexander G, Berman N, Salehian B, Davidson T,
Fukuda M, Fukuda K, Shimizu T, Yomura W, Shimizu S (1996) McDonald V, Steiner B, Hull L, Callegari C, Swerdloff
Kobe earthquake and reduced sperm motility. Hum Re- RS (1996) Testosterone replacement therapy improves
prod 11 : 1244-1246 mood in hypogonadal men-a clinical research center stu-
Glenn CC, Driscoll DJ, Yang TP, Niehalls RD (1997) Genomic dy. J Clin Endocrinol Metab 81 : 3578-3583
imprinting: potential function and mechanisms revealed
by the Prader-Willi and Angelman syndromes. Mol Hum
Reprod 3: 321-332 Literatur zu Abschn. 6.14
Handelsman DJ (2000) Hypogonadismus und Infertilität bei
systemischen Erkrankungen. In: Nieschlag E, Behre HM Bals-Pratsch M, Schweikert HU, NieschlagE (1990) Androgen
(Hrsg) Andrologie: Grundlagen und Klinik der reproduk- receptor disorder in three brothers with bifid prepenile
tiven Gesundheit des Mannes, Springer, Berlin Heidelberg seroturn and hypospadias. Acta Endocrinol (Copenh)
New York Tokyo (2. Aufl.) S 267-278 123 : 271-276
Hauffa BP (1997) One-year results of growth hormone treat- Brown TR (1995) Human androgen insensitivity syndrom.
ment of short staturein Prader-Willi syndrome. Acta Pae- J Androl 16: 299-303
diatr Suppl 423 : 63-65 Quigley CA (1998) The androgen receptor: physiology and
Hoorweg-Nijman JJG, Harvers HM, Delemarre-van de Waal pathophysiology. In: Testosterone, Action - Deficiency
HA (1994) Effect of human chorionic gonadotropirr - Substitution. In: Nieschlag E, Behre HM (Hrsg). Sprin-
(hCG)/ follicle-stimulating hormone treatment vs. hCG ger, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 33-106
alone on testicular descent: a double-blind placebo-con- Kremer H, Kraaij R, Toledo SP et al. (1995) Male pseudoher-
trolled study. Eur J Endocrinol 130 : 60-64 maphroditism due to a homozygous missense mutation of
Hutsan JM, Hasthorpe S, Heyns CF (1997) Anatomical and the luteinizing hormone receptor gene. Nat Genet
functional aspects of testicular descent and cryptorchi- 9: 160-164
dism. Endocr Rev 18: 259-280 Meschede D, Behre HM, Nieschlag E (2000) Störungen im
Kamischke A, Behre HM, Bergmann M, Simoni M, Schäfer T, Bereich der Androgenzielorgane. In: Nieschlag E, Behre
Nieschlag E (1998) Recombinant human FSH for treat- HM (Hrsg) Andrologie: Grundlagen und Klinik der re-
ment of male idiopathic infertility: A randomized, dou- produktiven Gesundheit des Mannes (2. Aufl.) Springer,
ble-blind, placebo-controlled, clinical trial. Hum Reprod Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 247-265
13: 596-603 van Niekerk WA (1976) True hermaphroditism: an analytic
Nieschlag E, Behre HM (Hrsg) (2000) Andrologie: Grundlagen review with a report of 3 new cases. Am J Obstet Gynecol
und Klinik der reproduktiven Gesundheit des Mannes 126 : 890-907
(2. Aufl.) Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Nieschlag E, Lerchl A (1996) Declining sperm counts in Euro-
pean men-fact or fiction? Andrologia 28 : 305-306 Literatur zu Abschn. 6.15
Nieschlag E, Brabant G, Schopohl J, Sippell W (1997) Männ-
liche Gonaden: Hypogonadismus, Infertilität, Pubertäts- Abel A, Danek A, Borasio GD, Witt TN (1996) X chromosomal
störungen. In: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie bulbospinal neuropathy (X-BSN, Kennedy syndrome): an
(Hrsg), Rationelle Therapie in der Endokrinologie. illness with repetitive triplet sequences. Case report, dif-
Thieme, Stuttgart, S 317-340 ferential diagnosis and molecular genetics aspects. Ner-
Nieschlag E, Behre H M, Fischedick A, Herde L (1998) Vari- venarzt 67: 1011-1019
kozelen~ehandlung im Zeitalter der Evidence-based Me- Adler RA (1992) Clinical review 33: Clinically important effects
dicine: Arztliehe Beratung so erfolgreich wie interventio- of alcohol on endocrirre function. J Clin Endocrinol Metab
neHe Behandlung (Ligatur oder Embolisation). Urologe A 74: 957-960
27:263-269 Braunstein GD (1993) Gynecomastia. N Engl J Med
328 : 490-495
Casanova D, Maga1on G (1997) Surgical treatment of gyneco-
mastia. J Chir (Paris) 134: 76-79
Literatur 319
Lee KO, Chua DY, Cheah JS (1990) Gestrogen and progeste- Literatur zu Abschn. 6.18
rone receptors in men with bilateralor unilateral pubertal
macromastia. Clin Endocrinol 32: 101-105 Merke DP, Cutler GB Jr (1996) Evaluation and management of
Mathur R, Braunstein GD (1997) Gynecomastia: pathomecha- precocious puberty. Arch Dis Child 7: 269-271
nisms and treatment strategies. Horm Res 48: 95-102 Nieschlag E, Brabant G, Schopohl J, Sippe! W (1997) Männli-
Riemel A, Grzeszczak W, Koziak H, Moczulski D (1996) Cir- che Gonaden: Hypogonadismus, Infertilität, Pubertätsstö-
cadian rhythm oflutropin and follitropin in patients with rungen. In: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie
chronic renal failure. Pol Arch Med Wewn 95: 313-322 (Hrsg) Rationale Therapie in der Endokrinologie ein-
Sasco AJ, Lowenfels AB, Pasker-de-Jong P (1993) Review ar- schließlich Diabetologie und Stoffwechsel. Thieme, Stutt-
ticle: epidemiology of male breast cancer. A meta-analysis gart, S 317-341
of published case-control studies and discussion of selec- Rosen D, Kelch RP (1995) Precocious and delayed puberty. In:
ted aetiological factors. Int J Cancer 53 : 538-549 Becker KL (eds) Principles and practice of endocrinology
and metabolism. Lippincott, Philadelphia, S 830-842
Gramoll J, Partsch CJ, Simoni M, Nordhoff V, Sippell WG, Nie-
Literatur Abschn. 6.16 schlagE, Saxena BB (1998) A mutation in the first trans-
membrane domain of the lutropin receptor causes male
Purvis K, Christiansen E (1993) Infection in the male repro- precocious puberty. J Clin Endocrinol Metab 83 : 476-480
ductive tract. Impact, diagnosis and treatment in relation Sippell WG, German/Dutch Central Precocious Puberty Study
to male infertility. Int J Androl 16 : 1-13 Group. (1994) Diagnosis and treatment of central preco-
cious puberty-can final height be improved? Horm Res 41
Suppl 2: 14-15
Literatur zu Abschn. 6.17
van Ahlen H, Hertle L (2000) Störungen der Samendeposition. Literatur zu Abschn. 6.19
In: Nieschlag E, Behre HM (Hrsg) Andrologie: Grundla-
gen und Klinik der reproduktiven Gesundheit des Mannes Bosl GJ, Motzer RJ (1997) Testicular germ-cell cancer. N Eng! J
(2. Auf!.) Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, Med 337 : 242-253
s 211-245 Buetow SA ( 1995) Epidemiology of testicular cancer. Epidemi-
Boolell M, Allen MJ, Ballard SA et al. (1996) Sildenafil: an oral- ol Rev 17 : 433-449
ly active type 5 cyclic GMP-specific phosphodiesterase in- Dieckmann KP, Loy V (1995) Testikuläre intraepitheliale Neo-
hibitor for the treatment of penile erectile dysfunction. Int plasie-die Präkanzerose der germinalen Hodentumoren.
J Impot Res 8: 47-52 In: Schnorr D, Loening S, Weißbach L (Hrsg) Hodentu-
Diemont WL, Meuleman EJ (1997) Neurological testing in moren. Blackwell, Berlin, S 27-31
erectile dysfunction. J Androl 18 : 345-350 Parkas L, Baki M, Pusztai C ( 1995) Therapy of gonadal stromal
Granata AR, Rochira V, Lerchl A, Marrama P, Carani C (1997) cell testicular tumours. Int J Nephrol 27: 597-601
Relationship between sleep-related erections and testoste- Giwercman A, von der Maase H, Shakkebaeck NE (1993) Epi-
rone Ievels in men. J Androl 18 : 522-527 demiological and clinical aspects of carcinoma in situ of
Gupta R, Kirschen J, Barrow RC 2nd, Eid JF (1997) Predictors the testis. Eur Urol 23: 104-114
of success and risk factors for attrition in the use of intra- Horwich A, Sleijfer DT, Fossa SD et al. (1997) Randomized trial
cavernous injection. J Urol 157: 1681-1686 of bleomycin, etoposide, and cisplatin compared with
Lewis RW, Witherington R (1997) External vacuum therapy bleomycin, etoposide, and carboplatin in good-prognosis
for erectile dysfunction: use and results. World J Urol metastatic nonseminomatous germ cell cancer: a Multiin-
15: 78-82 stitutional Medical Research Council/European Organiza-
Munoz MM, Baneraft J, Marshall I (1993) The performance of tion for Research and Treatment of Cancer Trial. J Clin
the Rigiscan in the measurement of penile tumescence Oncol15: 1844-1852
and rigidity. Int J Impot Res 5: 69-76 Mene MP, Finkeistein LH, Manfrey SJ, BelkhoffLH (1996) Me-
Padma-Nathan H, Hellstrom WJ, KaiserFEet al. (1997) Treat- tastatic Sertoli cell carcinoma of the testis. J Am Osteopath
ment of men with erectile dysfunction with transurethral Assoc 96: 612-614
alprostadil. Medicated Urethral System for Erection Meng FJ, Zhou Y, Skakkebaek NE, Marks A, Giwercman A
(MUSE) Study Group. N Eng! J Med 336: 1-7 (1996) Detection and enrichment of carcinoma-in-situ
Rampin 0, Bernabe J, Giuliano F (1997) Spinal control of pe- cells in semen by an immunomagnetic method using mo-
nile erection. World J Urol 15: 2-13 noclonal antibody M2 A. Int J Androl 19: 365-370
Rolf C, Nieschlag E (1998) Sildenafil (Viagra) bei erektiler Dys- Mostofi FK (1979) Camparisan of various clinical and patho-
funktion. Effektive Behandlung mit beachtenswerten logical classifications of tumors of the testes. Semin Oncol
Wechselwirkungen. Dtsch Med Wochensehr 123: 6: 26-30
1356-1361 Singh SD, Lansing AM (1996) Familial cardiac myxoma - a
Vogt HJ, Brand! P, Kockott G, Schmitz JR, Wiegand MH, Scha- comprehensive review of reported cases. J Ky Med Assoc
drack J, Gierend M (1997) Double-blind, placebo-con- 94: 96-104
trolled safety and efficacy trial with yohimbine hydrochlo- Young S, Gooneratne S, Straus FH 2nd, Zeller WP, Bulun SE,
ride in the treatment of nonorganic erectile dysfunction. Rosenthai IM (1995) Feminizing Sertoli cell tumors in boys
Int J Impot Res 9 : 155-161 with Peutz-Jeghers syndrome. Am J Surg Pathol19: 50-58
Weinbauer GF, Gramoll J, Simoni M, NieschlagE (2000) Phy-
siologie der Hodenfunktion. In: Nieschlag E, Behre HM
(Hrsg) Andrologie: Grundlagen und Klinik der reproduk- Literatur zu Abschn. 6.20
tiven Gesundheit des Mannes (2. Auf!.) Springer, Berlin
Heidelberg New York Tokyo, S 27-67 ßordson BL, Leonardo VS (1991) The appropriate upper age
Stravynski A, Gaudette G, Lesage A, Arbe! N, Petit P, Clerc D, Iimit for semcn donors: a review of the genetic etfects of
Fabian J, Lamontagne Y, Langlais R, Lipp 0, Sidoun P patemal age. Fertil Steril 56: 397-401
(1997) The treatment of sexually dysfunctional men with- Gooren LI (1996) The age-related decline of androgen Ievels in
out partners: a controlled study of three behavioural men: clinically significant? Br J Urol 78 : 763-768
group approaches. Br J Psychiatry 170: 338-344 Gray A, Feldman HA, McKinlay JB, Langcape C (1991) Age,
disease, and changing sex hormone Ievels in middle-
aged men: results of the Massachusetts Male Aging Study.
J Clin Endocrinol Metab 73: 1016-1025
320 KAPITEL 6 Männliche Gonaden
Hajjar RR, Kaiser FE, Morley JE (1997) Outcomes of long- Literatur Abschn. 6.22
term testosterone replacement in older hypogonadal
males: a retrospective analysis. J Clin Endocrinol Metab Schlauerer K, von Werder K, Stalla GK (1996) Multistep treat-
82 : 3793-3796 ment concept of transsexual patients. Exp Clin Endocrinol
Handelsman DJ, Staraj S (1985) Testicular size: the effects of Diabetes 104:413-419
aging, malnutrition, and illness. J Androl 6: 144-151 Benjamin (1953) Transvestism and transsexualism. Int J Sexol
Lagiou P, Mantzoros CS, Tzonou A, Signorello LB, Lipworth L, 7:12-14
Trichopoulos D (1997) Serum steroids in relation to be- Bakker A, van Kersten PJM, Gooren LJG, Bezemer PD (1993)
nign prostatic hyperplasia. Oncology 54: 497-501 The prevalence of transsexualism in the Netherlands. Acta
Mclntosh GC, Olshan AF, Baird PA (1995) Patemal age and the Psychiatr Scand 87: 237-238
risk of birth defects in offspring. Epidemiology Bosinski HAG, Sohn M, Löffler D, Wille R, Jakse G (1994) Ak-
6: 282-288 tuelle Aspekte ger Begutachtung und Operation Transse-
Meston CM (1997) Aging and sexuality. West J Med xueller. Dtsch Arztebl 91 : 552-555
167 : 285-290 Diederichs P (1993) Der eigene Körper als Fremder. In: Streek
Nieschlag E, Lammers U, Freisehern CW, Langer K, Wiekings U (Hrsg) Das Fremde in der Psychoanalyse. Pfeiffer, Mün-
EJ (1982) Reproductive functions in young fathers and chen, S 324-336
grandfathers. J Clin Endocrinol Metab 55 : 676-681 Eicher W (1995) Operative Therapie bei intersexuellem, weib-
Rolf C, Behre HM, NieschlagE (1996) Reproductive parame- lichen Genitale und bei Transsexualismus. Gynäkologe
ters of older compared to younger men of infertile coup- 28:40-47
les. Int J Androl 19: 135-142 Gooren LJ (1998) Androgen treatment of female-to-male
Rolf C, NieschlagE (2000) Seneszenz. In: Nieschlag E, Behre transsexuals. In: Nieschlag E, Behre HM (Hrsg) Testoste-
HM (Hrsg) Andrologie: Grundlagen und Klinik der repro- rone: Action-Deficiency-Substitution. Springer, Berlin
duktiven Gesundheit des Mannes (2. Aufl.) Springer, Ber- Heidelberg New York Tokyo, pp 529-544
lin Heidelberg New York Tokyo, S 465-479 Hage JJ, Haumann G (1995) Maskulinisierende Techniken bei
intersexuellem männlichen Genitale und bei Frau-zu-
Mann-Transsexualismus. Gynäkologe 28:48-53
Literatur zu Abschn. 6.2 7 Ratze! R (1995) Juristische Aspekte bei Intersexualität und
Transexualismus. Gynäkologe 28: 59-61
Amichai B, Grunwald MH, Sobel R (1997) 5 a-reductase inhi- Sigusch V (1995) Leitsymptome transsexueller Entwicklung.
bitors - a new hope in dermatology? Int J Dermatal Dtsch Arztbl 91 : 1085-1088
36: 182-184 Zhou JN, Hofman MA, Gooren LJ, Swaab DF (1995) A sex dif-
Bergfeld WF (1995) Androgenetic alopecia: an autosomal do- ference in the human brain and its relation to transsexua-
minant disorder. Am J Med 98(1 A):95S-98 S lity. Nature 378: 68-70
Demark-Wahnefried W, Lesko SM, Conaway MR, Robertson van Kesteren PJ, Gooren LJ, Megens JA (1996) An epidemio-
CN, Clark RV, Lobaugh B, Mathias BJ, Strigo TS, Faulsou logical and demographic study of transsexuals in The Ne-
DF (1997) Serum androgens: associations with prostate therlands. Arch Sex Behav 25 : 589-600
cancer risk and hair patterning. J Androl 18 : 495-500 van Kesteren PJ, Asseheman H, Megens JA, Gooren LJ (1997)
Drake LA, Dinehart SM, Farmer ER et al. (1996) Guidelines of Mortality and morbidity in transsexual subjects treated
care for androgenetic alopecia. American Academy of with cross-sex hormones. Clin Endocrinol 47: 337-342
Dermatology. J Am Acad Dermatal 35(3 Pt 1):465-469 Elbers JM, Asseheman H, Seideli JC, Prolieh M, Meinders AE,
Hamilton JB (1942) Malehormonestimulation is prerequisite Gooren LJ (1997) Reversal of the sex difference in serum
and an incitement in common baldness. Am J Anat leptin Ievels upon cross-sex hormone administration in
71 : 451 transsexuals. J Clin Endocrinol Metab 82: 3267-3270
Kaufman KD (1996) Androgen metabolism as it affects hair
growth in androgenetic alopecia. Dermatal Clin
4: 697-711
Norwood OT (1975) Malepattern baldness: classification and
incidence. South Med J 68 : 1359-1365
Rubin MB (1997) Androgenetic alopecia. Batding a losing pro-
position. Postgrad Med 102: 129-131
Sawaya ME, Price VH (1997) Different Ievels of 5a-reductase
type I and II, aromatase, and androgen receptor in hair
follicles of women and men with androgenetic alopecia.
J Invest Dermatal 109: 296-300
Shrank AB (1995) Minoxidil over the counter. BMJ 311 : 526
KAPITEL 7
Komplexe Hypophysenerkrankungen 7
C. KASPERK
Diagnose Hiwfigkeit (% )
Hormoninaktive HVL-Adenome 40
Prolaktinome 40
5TH-produzierende HVL-Adenome 10
7.1.4
Klinik
HVL-Adenome sind fast immer gutartige Tumoren; Wegen der empfindlichen Steuerung der Ovarial-
HVL-Karzinome sind sehr seltene Raritäten (Ta- und Uterusfunktion durch die Gonadotropinsekre-
belle 7-1). tion und weil die gonadotrope HVL-Funktion häufig
früh durch ein HVL-Adenom gestört wird, werden
HVL-Adenome bei Frauen sehr viel eher symptoma-
tisch (Zyklusstörungen) und somit meistens bereits
im Stadium eines Mikroadenoms entdeckt. Bei Män-
7.1 Hormoninaktive Hypophysentumoren 323
Tabelle 7-4. Funktionsausfälle nach transsphenoidalen HVL- Häufigkeiten der beobachteten Ausfälle einzelner
Operationen bei M. Cushing Hypophysenfunktionen, die in Tabelle 7-4 wieder-
gegeben sind.
Diagnose Häufigkeit (%)
Bei einem postoperativ beschwerdefreien, asym-
Gonadotrope HVL-lnsuffizienz 48 ptomatischen Patienten ist eine endokrinalogische
HVL-Funktionsdiagnostik mit den entsprechenden
Thyreotrope HVL-Insuffizienz 28
Stimulationstests sowie eine MRT Diagnostik der
25 Sellaregion und eine augenärztliche Untersuchung
zunächst in jährlichen Abständen sinnvoll. Bei Be-
fundkonstanz sollten diese Kontrollen nach 10 Jah-
älteren Patienten. In einer Nachuntersuchung von ren nicht weitergeführt werden. Eine Übersicht des
Patienten, die wegen eines M. Cushing transsphe- diagnostisch/therapeutischen Vorgehens beim hor-
noidal operiert waren, zeigten sich unterschiedliche moninaktiven HVL-Adenoms gibt Abb. 7-2 wieder.
IHormoninaktives HVL-Adenom I
~ ~
- c_m_)' l
r--M-ik-r-oa_d_e_n_o_m_ (<-'-1 I
.-~-M-a-kr=o-ad_e_n_o_m-(>-1c-m--,)
+ +
HVL Funktionen ? HVL Funktionen?
\
Klinische Symptomatik?
Perimetrie?
/~
Normal 11 nsuffizienz I Insuffizienz
rl_N_o_r_m_a_l-,
symptomatisch
Kompressionszeichen
Normal Wachstum
/ \Normal
j
Insuffizienz
~j-~I /
Kompressionszeichen
Nach 5 Jahren
keine weitere
Operation I Nach 10Jahren
keine weitere
Verlaufsbeobachtung Verlaufsbeobachtung
,------:--,1 r-----'-\---,
I Erfolglos I IKontraindikationen I
IRe-op:.::, J :::iat;o j
.-------------------------,
(Therapieversuch zur Verkleinerung
mit Dopaminagonisten oder Octreot id
erwägen bei OP-Kontra indikationen Abb. 7-2.
oder Beden ken gegen Radiatio) Diagnostisch-therapeutisches Schema
bei hormoninaktiven HVL-Adenomen
326 KAPITEL 7 Komplexe Hypophysenerkrankungen
- -----
--
-
IW 1 . ...
I I
-
- -----
--
-
.....
Abb. 7-3a-c. Koronales MRT der Sellaregion mit supresellär ristische Perimetrien des rechten (b) und linken (c) Auges bei
raumforderndem (großer Pfeil) und das Chiasma nach kranial bitemporaler Hemianopsie
(kleiner Pfeil) abdrängendem HVL-Adenom (a). Charakte-
328 KAPITEL 7 Komplexe Hypophysenerkrankungen
Tabelle 7-6. Genetische Defekte mit Ausfall einzelner HVL- siegenden Sekretionsleistung der endokrinen Zielor-
Funktionen gane führt. Demgemäß leiden die Patienten mit
Syndrom Symptomatik einer kompletten HVL-Insuffizienz unter den klini-
schen Folgen der Kombination eines sekundären
Kalimann-Syndrom Riechstörung und Hypogonadismus, einer sekundären Nebennieren-
Hypogonadismu insuffizienz und einer sekundären Hypothyreose
Prader-Willi-Syndrom Hyperphagie, Hypo~ona (Tabelle 7-7). Bei der sekundären Nebennierenin-
dismus, Oligophreme suffizienz kommt es wegen der erhaltenen Aldoste-
ronproduktion und erniedrigter ACTH -Spiegel
Familiäre Kleinhirnataxie eurologische Symptome,
Hypogonadismus nicht zu einer Hypotonie bzw. vermehrten Pigmen-
tierung des Patienten (weißer Addison), die typi-
Minderwuchs Physiognomie, STH Mangel scherweise eine primäre Nebenniereninsuffizienz
(Laron-Syndrom) (STH- Rezeptor- Defekt)
begleiten. Die Existenz und klinische Relevanz eines
Wachstumshormonmangelsyndroms im Erwachse-
nenalter ist unklar. In Abhängigkeit von der Ätiolo-
gie einer kompletten HVL-Insuffizienz (hypothala-
7.2.3 misch-hypophysäre Raumforderungen, Einblutun-
Klinik gen oder entzündliche Prozesse) können auch neu-
rologische Symptome und ophthalmologische
Die klinische Symptomatik bei Patienten mit einer Ausfälle die klinisch-endokrinologische Symptoma-
im Erwachsenenalter auftretenden kompletten tik begleiten bzw. ihr vorausgehen. Hypothalami-
HVL-Insuffizienz entwickelt sich durch den Ausfall sehe Prozesse können mit Persönlichkeitsverände-
der die endokrinen Zieldrüsen stimulierenden Pep- rungen und Störungen der Durst- und Hungeremp-
tidhormone der Adenohypophyse, was zu einer ver- findung einhergehen.
Thyreotrop TSH -Mangel Reduktion von T3/T4- Kretinismus bei frühkindlichem T3/T4-
Produktion bei niedrigem Mangel, leistungsschwäche, Müdigkeit,
TSH Kälteempfindlichkeit, Obstipation, Brady-
kardie, Odeme, Gewichtszunahme, trockene
Haut, pröde Haare, distanzierte Psyche
und reduzierte Vigilanz, Adynamie
a Zur Beurteilung der Sertoli-Zellfunktion und der Spermatogenese bei der männlichen Infertilität und als Tumormarker für
Ovarialtumoren in der Diskussion.
b Wegen der erforderlichen Beobachtung des Patienten und vorhandener Kontraindikationen (Krampfleiden, zerebrale
Durchblutungsstörungen) selten in der klinischen Routine angewandter Test.
330 KAPITEL 7 Komplexe Hypophysenerkrankungen
7.2 .5
Wichtig ist die Aufklärung des Patienten und der
Therapie
nächsten Angehörigen über das Verhalten in Stress-
situationen (Unfall, Operationen, seelische Krisen)
Bei der Therapie der kompletten HVL-Insuffizienz
und die Ausstellung eines Notfallausweises, indem
werden die ausgefallenen Zielhormone substituiert
auf die lebenslängliche Substitutionspflichtigkeit
(Tabelle 7-10). Eine solche Substitutionsbehandlung
des Patienten mit den entsprechenden Medikamen-
ten und insbesondere auf die erforderliche Dosisstei-
ersetzt die endokrine Funktion der Schilddrüse, der
gerung der Cortisonmedikation in Stresssituationen
Nebenniere und der Gonaden, wobei die Mineralo-
hingewiesen wird.
kortikoide in der Regel nicht substituiert werden, da
die Regulation der Aldosteronsekretion über das Re-
Werden vom Patienten fortbestehende oder neue
nin-Angiotensin-System nicht gestört ist. Die phy-
Beschwerden angegeben, kann anhand von Labor-
siologische Tagesrhythmik der Cortisol- und Sexual-
parametern nur in erster Näherung eine Unter-
steroidsekretion kann im Rahmen der Substitu-
oder Überdosierung der Substitutionstherapie bei
tionsbehandlung aufgrund der starren aber prak-
kompletter HVL-Insuffizienz überprüft werden.
tikablen Applikationsschemata nur in erster
Die erfolgreiche Steuerung der Substitutionsthera-
Näherung (bei der Cortisol-, sequenziellen Östro-
pie ist wesentlich abhängig von der klinischen Erfah-
gen/Gestagenbehandlung und Testosteronpflaster-
rung des Therapeuten mit HVL-insuffizienten Pa-
therapie) bzw. nur unbefriedigend (bei der i.m. Te-
tienten.
stosteronenanthatgabe) nachvollzogen werden. Be-
steht bei Männern mit einer Insuffizienz der gona-
dotropen HVL-Funktion eine Kontraindikation
gegen die regelmäßigen intramuskulären Testoste- Tabelle 7-11. Laborparameter und anamnestische Angaben
roninjektionen (z. B. Markumarisierung) oder sub- zur Uberwachung der HVL-Substitutionstherapie
jektive Vorbehalte, kann die Substitution auch oral
(Testosteronundecanoat 1-3-mal 40 mg tgl.) oder Adrenokortikotrope Elektrolyte normal; (Renin al
Ach e Marker ungeeignet, da Renin-
mit Hilfe von skrotal bzw. kutan täglich zu applizie- Angiotensin-Aldosteronsystem
renden Pflasterpräparaten erfolgen (1-2 Pflaster ungestört)
tgl.), die physiologischere Testosteronserumspiegel- Leistungsfähigkeit? Blutdruck
eher niedrig
verläufe gewährleisten als mehrwöchentlich verab-
reichte Testosteroninjektionen. Die Therapie wird Thyreotrope Achse T3, T4 und TBG (zur Beurteilung
ganz wesentlich anhand der individuellen Befind- der gemessenen T3/T4-Spiegel),
Leistungsfähigkeit?
lichkeit des jeweiligen Patienten gesteuert und ggf.
individuell modifiziert. Gonadotrope Achse Männer: HK, Erythrozytenzahl,
Hb, Leberenzyme, PSA, Te to-
steron piegel am Ende der
Applikationsintervalle (LH/F H
Tabelle 7-10. Substitutionsbehandlung der kompletten HVL- weniger aus agekräftig, da häufig
Insuffizienz keine gute Korrelation mit
erumtestosteronspiegeln bei
I T'<ll/ dl·r H\ I I unk Mcd1kanu•nt Klinefelter-Patienten und oraler
tion und transdermaler Testosteron-
substitution wenig Einfluss auf
Adrenokortikotropen 30 mg Hydrocortison in 2 Gonadotropinspiegel haben);
HVL-Funktion oder 3 Tagesdosen Libido, Potenz, morgendliche
(20 mg- 10 mg-0 mg oder Erektionen~
15 mg- 10 mg- 5 mg) alternativ Prämenopausale Frauen: Labor-
37,5 mg Cortisonacetat parameter nicht sinnvoll, regel-
(25 mg-12,5 mg-0 mg) mäßige Menses
Postmenopausale Frauen: Labor-
Thyreotropen 100-150 11g Thyroxin/Tag parameter nicht sinnvoll, Befind-
HVL-Funktion morgens nüchtern lichkeit
Osteodensitometrie: Kontrollen
Gonadotropen Mä11ner: 250 mg Testosteron- ind bei Diagno estellung einer
HVL-Funktion enantat i.m. alle 2- 4 Wochen, Insuffizienz der gonadotropen
alternativ tägliche, skrotale Ach e bei beiden Ge chlechtern
oder kutane Testosteron- innvoll; bei erniedrigter
pflasterapplikation. Knochenma se sollten jährliche
Frauen: Ostrogen -/Gestagen - Kontrollen sonst 2-jährliche
Sequenzpräparate Kontrollen erfolgen
7.2 Komplette Hypophyseninsuffizienz 331
Verlaufskontrollen Hall WA, Luciano MG, Doppman JL, Patronas NJ, Oldfield EH
(1994) Pituitary magnetic resonance imaging in normal
In den ersten 3 Jahren nach Diagnosestellung einer human volunteers: occult adenomas in the general popu-
kompletten HVL-Insuffizienz sollte zunächst jähr- lation. Ann Intern Med 120: 817-820
lich und danach bis zum 10. Jahr alle 2 Jahre eine Kovacs K, Horvath E 1987 Pathology of pituitary tumors. En-
docrinol Metab Clin North Am 16:609-645
komplette Austestung der HVL-Funktionen durch- Liuzzi A, Dallabonzana D, Oppizzi G: Is there a real medical
geführt werden, um eine mögliche Restitution der treatment for the nonsecreting pituitary adenomas? In:
Funktionsfähigkeit einer HVL-Achse nicht zu über- Faglia G, Beck-Peccoz P, Ambrosi B (eds): Pituitary ade-
sehen (Tabelle 7-11). Nach 10 Jahren ist eine Erho- nomas: new trends in basic and clinical research. Amster-
dam, Niederlande, Elsevier 1991, S. 383-390
lung der HVL-Funktionen sehr unwahrscheinlich. Molitch ME, Russell EJ 1990 The pituitary incidentaloma. Ann
Intern Med 112: 925-931
Reincke M, Allolio B, Saeger W, Menzel J, Winkelmann W 1990
Wachstumshormonsubstitution The incidentaloma of the pituitary gland. Is neurosurgery
Ob es eine Indikation für eine Wachstumshormon- required? JAMA 263 : 2772-2776
Werder K von, Faglia G 1992 Potential indications for octreo-
substitution im Erwachsenenalter gibt, ist fraglich. tide in endocrinology. Metabolism 41(Suppl 2):91-98
Für eine klinisch relevante osteoanabole Wirkung
einer Wachstumshormontherapie bei Erwachsenen
gibt es keinen gesicherten Hinweis. Zudem steht Literatur zu Abschn. 7.2
einem möglichen Gewinn infolge Wachstumshor- Burger HG (1993) Clinical utility of inhibin measurements. J
monsubstitution durch Verbesserung der Lebens- Clin Endocrinol Metab 76: 1391-1396
Burman P, Broman JE, Hetta J, Wiklund I, Erfurth EM, Hagg E,
qualität und Senkung der Mortalität infolge kardio- Karlsson FA (1995) Quality of life in adults with growth
vaskulärer Erkrankungen bei gestörtem Fettstoff- hormone deficiency: response to treatment with recombi-
wechsel eine mögliche Stimulation des Wachstums nant human GH in a placebo-controlled 21-month trial. J
Clin Endocrinol Metab 80 : 3585-3590
neoplastischer Prozesse (Prostata- und Mammakar- Chan JM, Stampfer MJ, Giovanucci E et al. (1998) Plasma in-
zinom) und einer retinalen Neovaskularisation mit sulin-like growth factor 1 and prostate cancer risk: a pro-
Erblindung gegenüber. spective study. Science 279 : 563-566
Cuneo RC, Judd S, Wallace JD (1998) The Australian multicen-
ter trial of growth hormone treatment in GH-deficient
adults. J Clin Endocrinol Metab 83: 107-116
de Boer H, Blok GJ, Popp C, Sips A, Lips P, van der Veen E
(1998) Intestinal calcium absorption and hone metabo-
Literatur lism in young adult men with childhood-onset growth
hormone deficiency. J Bone Miner Res 13 : 245-252
Literatur zu Abschn. 7.1 Markussis V, Beshyah SH, Fisher C, Sharp P, Nicolaides AN,
Johnston DG (1992) Detection of premature atherosclero-
Bevan JS, Adams CB, Burke CW, Morton KE, Molyneux AJ, sis by high resolution ultrasonography in symptom free
Moore RA, Esiri UM (1987) Factors in the outcome of hypopituitary adults. Lancet 340: 1188-1192
transsphenoidal surgery for prolactinoma and non-func- Nieschlag E, Behre HM (1996) Therapie mit Testosteron. In:
tioning pituitary tumor including preoperative bromo- Nieschlag E (Hrsg) Andrologie. Springer Berlin Beidei-
criptine therapy. Clin Endocrinol (Oxf) 26: 541-556 berg New York Tokyo, S 315-329
Burke CW, Adams CB, Esiri MM, Morris C, Bevan JS (1990) Ng ST, Zhou J, Adesanya 00, Wang J, LeRoith D, Bondy CA
Transsphenoidal surgery for Cushing's disease. Clin En- (1997) Growth hormone treatment induces mammary
docrinol (Oxf) 33: 525-537 gland hyperplasia in aging primates. Nature Med
Cohen DL, Bevan JS, Adams CB 1989 The presentation and 3: 1141-1144
management of pituitary tumors in the lederly. Age Aging Rosen T, Bengtsson BA (1990) Premature mortality due to car-
18: 247-252 diovascular disease in hypopituitarism. Lancet
Delgrange E, Trouillas J, Maiter D, Donckier J, Tourniaire J 336 : 285-288
1997 Sex-related difference in the growth of prolactino- Smith LEH, Kopchick JJ, Chen W. et al. (1997) Essential role of
mas: a clinical and proliferation study. J Clin Endocrinol growth hormonein ischemia-induced retinal neovascula-
Metab 82: 2102-2107 risation. Science 276 : 1706-1709
Donovan L, Whitaker MD, Corenblum B {1993) Natural histo- Toogood AA, O'Neill PA, Shalet SM {1996) Beyond the soma-
ry of the pituitary incidentaloma. Proceeding of the 75th topause: growth hormone deficiency in adults over the age
Annual Meeting ofthe Endocrine Soc 1993 (Abstract 972) of 60 years. J Clin Endocrinol Metab 81 : 460-465
KAPITEL 8
Wasserhaushalt 8
J. HENSEN
Jahr forschungs~rgebni.'
1895 Olliver und Schäfer steUen die blutdrucksteigernde Wirkung eines Hypophysenextraktes fest
1910 Frank stellt den Zusammenhang zwischen Hypophysenhinterlappeninsuffizienz und Diabetes insipidus dar
1913 Camus und Roussy weisen bei Hunden nach, da eine hypothalamisehe Läsion zum Diabetes insipidu
führt
1930 Farmi und von den Felden wei en den therapeutischen Effekt von Extrakten des Hypophysenhinterlappens
bei Patienten mit Diabetes insipidu nach
1948 Verney et al. führen Studien zur Regulation des Vasopressins durch den osmotischen Druck des
hypothalamisehen Blutes durch.
1953-55 du Vigneaud et al. isolieren und synthetisieren Vasopres in und Oxytozin
1957 Schwartz, Bennett, Cuelop und Bartter beschreiben da Syndrom der inapproriaten ADH-Sekretion
1968 Vavra et al. synthetisieren Desmopres in
1984 chmale und Richter klären die Ursache des kongenitalen Diabetes insipidus centralis bei der
Brattleboro-Ratte auf
1992 Birnbaumer et al. klonieren den renalen antidiuretischen Vasopressinrezeptor
1992 Yamamura et al. beschreiben den er tenoral wirk amen AVP-V2 -Rezeptorantagonisten
1993 Sa aki und Agre et al. entdecken die va opressinabhängigen Wa erkanäle (Aquaporin-2)
8.1 Physiologie 335
NH 2
I
C=NH
9Y
OH
I
NH 2 NH
I I
C=O NH 2 CH 2
I I H2 I
CH , C=O C CH 2
I ' I H2; \H 2 I
NH 2 0 CH 2 0 CH 2 0 CH 2 0 0 CH 2 0 0 C C 0 CH 2 0
I II I II I II IH II II I II II I I II I II
HC-C-N-C-C-N-C-C-N-C-C-N-C-C-N-CH-C-N- C-C-N-C-C-N-C-C-NH 2
I HH HH HH HH H l H HH HH
CH 2 CH 2
I I
s s
2 3 4 5 6 7 8 9
Abb. 8-2. Strukturformel des Nonapeptids Arginin 8 - Vasopressin (A VP)
[nfundibulum
ADH wird in den magnozellulären Neuronen des
Abb. 8-3. Frontalschnitt durch den Hypothalamus in Höhe
des Nucleus supraopticus (schematisch, da auch das Infundi- vorderen Hypothalamus als Präprohormon synthe-
bulum dargestellt ist, welches dorsal des N ucleus supraopticus tisiert (s. Abb. 8-4). Im Golgi-Apparat wird es in ein
liegt). Zum magnozellulären ADH-sezernierenden System ge- Prohormon umgewandelt und dann in neurosekre-
hören die paarigen Nn. supraoptici und paraventriculares
torischen Vesikeln in den Hypophysenhinterlappen
transportiert. Währen des axonalen Transportes
wird das Prohormon in Vasopressin sowie in Neu-
Synthese rophysin li (Vasopressin-spezifisches Neurophysin,
Das Gen für AVP-NP-II ist auf Chromosom 20 loka- AVP-NP II) und das Glykopeptid gespalten. Das Va-
lisiert und etwa 2,6 Kilobasenlang (Abb. 8-4). Es ent- sopressin liegt an Neurophysin li gebunden vor. Alle
hält 3 Exone, die in der folgenden Übersicht darge- 3 Produkte werden als Antwort auf die natürlichen
stellt sind und für folgende Peptide kodieren: Stimuli in die Blutbahn sezerniert.
336 KAPITEL 8 Wasserhaushalt
Prohormon
VP GP Verpackung
Signalpeptidase Transport
Disulfidformation Weiterverarbeitung
Kernglykolisierung Glykolisierung
Proteolyse
Amidation
Hormon
~Freigabe
Abb.S-4.
Gen für den Polypeptidpräkursor für AVP-
europhysin-11 und die Kaskade der Biosyn-
these von AVP. (Modifiziert nach Richter und
Schmale)
Harnstoff entfaltet aber in vivo nur einen geringen fühl befreit, wenn eine initial alleinige Antidiurese
"effektiven" osmotischen Druck, da es die Zellmem- zunächst noch zur Kompensation ausreicht.
bran weitgehend frei permeiert. Auch die Tonizität
von Glukose ändert sich und zwar in Abhängigkeit • Nichtosmotische Reize. Das Durstgefühl kann,
von der Insulinkonzentration. Bei Insulinmangel wie die ADH-Sekretion auch, durch nichtosmotische
entfaltet Glukose einen effektiven osmotischen Reize stimuliert werden. Wichtige nichtosmotische
Druck ähnlich dem von Natrium, da Glukose Stimuli für das Durstgefühl sind lokale oropharyn-
ohne Insulin die Zellmembran nicht passieren geale Reize ("trockene Kehle") und Volumenmangel,
kann. Eine Hyperglykämie in Abwesenheit von In- z. B. nach Salzverlust oder nach Blutungen. Im Tier-
sulin führt deshalb zu einer ADH-Freisetzung. versuch haben sich zudem Hinweise für eine dipso-
Dies ist einer der Gründe, warum ADH beim gene Wirkung blutdrucksteigeroder Dosen von An-
Coma diabeticum stark erhöht ist und eine Hypo- giotensin II ergeben.
natriämie besteht.
• Durststillung. Das Durstgefühl sistiert, wenn die
Gesamtmenge der Flüssigkeit ausreicht, um die To-
Durst
nizität des Plasmas zu normalisieren, aber noch be-
• Osmotische Reize. Die Erhöhung der Plasmatoni-
vor sich die Plasmaosmolalität tatsächlich normali-
zität aktiviert die osmosensitiven Neurone und löst
siert hat. Dies weist ebenfalls auf eine Beteilung ora-
Durst und Trinken aus. Durst ist ein stark subjektiv
ler, pharyngealer und intestinaler komplexer Fakto-
gefärbtes Gefühl. Es kann annäherungsweise visuell
ren an der Durststillung hin. Diese Mechanismen
auf einer linearen analogen Skala quantifiziert wer-
sind sinnvoll, um eine übermäßige Wasseraufnahme
den kann. Baylis und andere konnten zeigen, dass
zu verhindern, bevor die Flüssigkeit aus dem Darm
Durst bei niedrigen Plasmaosmolalitäten nicht ge-
resorbiert ist. Die Durststillung wird zudem durch
spürt wird, dann aber ab einer Schwellenplasmaos-
thermale und chemikalische Faktoren ("eisgekühlte
molalität von etwa 285 mosmol!kg linear an Stärke
saure oder bittere Getränke") und soziale Aspekte
zunimmt (Abb. 8-5). Die Schwellenplasmaosmolali-
reguliert.
tät für die Auslösung von Durstlag nur knapp über
der Schwellenplasmaosmolalität, ab der eine ADH-
Sekretion auftrat. Allerdings schwankte die Schwel- Osmotisch induzierte AOH-Freisetzung
lenplasmaosmolalität für das Durstgefühl individu- Bei erniedrigter Plasmaosmolalitätliegt (P) ADH mit
ell erheblich. Im Gegensatz dazu war nach Robert- den heute üblichen Radioimmunoassays unterhalb
son Durst erst ab Plasmaosmolalitäten von 295 mos- der Nachweisgrenze ( < 0.2 ng/1), sofern ADH nicht
mol/kg und mehr nachweisbar. Bei diesen Plas- durch nichtosmotische Reize stimuliert worden ist.
maosmolalitäten war (P) ADH schon deutlich Wird, ausgehend von einer niedrigen Plasmaosmo-
erhöht und der Urin bereits maximal konzentriert. lalität und inadäquat niedrigem (P) AVP, hypertone
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte: Kochsalzlösung infundiert, steigt ab einer mittleren
Eine höher gesetzte Schwellenosmolalität für Durst osmotischen Schwellenkonzentration von 284 mos-
erscheint sinnvoll, da sie von unnötigem Durstge- mol/kg die ADH-Sekretion linear an. Die Empfind-
lichkeit dieses Systems ist sehr hoch: eine Steigerung
der Plasmaosmolalität um 1 o/o führt zu einem wei-
/---\ teren ADH-Anstieg. Analog dazu führt Dursten über
10 . l Wasserverluste ebenfalls zu einer osmotischen
9 ADH I Durst
8
onnalbereicb
ADH-Stimulation, nach langem Dursten addiert
I / sich eine Hypovolämie-induzierte ADH-Stimulation
ADH [ngfl] ~ HirADH
Durst [cm] 5 1 / durch den Flüssigkeitsverlust Nach 24-stündigem
I ,
4
I I Dursten steigt bei Gesunden die Plasmaosmolalität
3
2 I / selten über 300 mosmol!kg. Die Plasmakonzentrati-
1 1 ,/ on von ADH steigt deutlich auf etwa 5 ng/1, der Plas-
0
maosmolalität entsprechend.
260 270 260 290 300 310 (P) Osm [mosmollkg)
126 131 136 141 146 151 (S) Na· {mmolll]
Nichtosmotisch bedingte AOH-Freisetzung
Abb. 8-5. Abhängigkeit von Durstgefühl und ADH-Sekretion
von der Plasmaosmolalität. Ab einer "Schwellenosmolalität" ADH wird auch über baro- und volumenrezeptor-
von etwa 285 mmol/kg kommt es zu einem linearen Anstieg vermittelte Reize (Hypovolämie, Blutdruckabfall)
von ADH. Das Durstgefühl wird ab einer etwas höheren sowie über pharmakologische, neurale und andere
Schwellenosmolalität ausgelöst, tritt aber erst bei Plasmaos-
molalitäten von mehr als 295 mosmol/kg deutlich in Erschei- Reize freigesetzt. Die baro- und volumenrezeptor-
nung vermittelte ADH-Freisetzung reagiert bei weitem
338 KAPITEL 8 Wasserhaushalt
nicht so empfindlich wie die osmolalitätvermittelte renden Faktoren können nach Robertson in erster
ADH-Freisetzung. So muss der Blutdruckabfall10% Linie die Empfindlichkeit des Systems ("Anstiegs-
des Ausgangswerts betragen, damit die ADH-Sekre- steilheit") oder die Schwellenosmolalität beeinflus-
tion stimuliert wird, dafür ist aber die sezernierte sen.
Menge an ADH wesentlich größer.
• Natriuretische Hormone. Die natriuretischen
• Druck- und Volumenregulation. Hypotension Hormone sind eine Familie von strukturell ver-
führt über Aktivierung von Barorezeptoren in der wandten Peptiden, die einen aus 17 Aminosäuren
Aorta und den Aa. carotides internae zu einem An- bestehenden, durch eine Disulfidbrücke geschlosse-
stieg von (P) ADH. Der Vasopressinanstieg auf- nen Ring gemeinsam haben. Der Prototyp der na-
grund Blutverlust setzt erst spät ein, ist aber der po- triuretischen Hormone ist das atriale natriuretische
tenteste Stimulus, der zu extrem hohen Vasopressin- Hormon (a-ANH 99 - 126 ; a-ANH), das ein (schwacher)
spiegeln (> 100 ng/1} führen kann. Bei diesen Kon- Inhibitor der ADH-Freisetzung und auch der ADH-
zentrationen von Vasopressin erfolgt auch eine Wirkung am Sammelrohr ist.
Vasokonstriktion.
Eine Abnahme des Plasmavolumens, insbesonde- • Angiotensin II. Hohe blutdrucksteigernde Dosen
re des arteriellen Volumens, führt über Dehnungsre- von Angiotensin II haben - zumindestens bei der
zeptoren im linken Vorhof und Abnahme der toni- Ratte- neben dem oben bereits erwähnten dipsoge-
schen inhibitorischen Impulse in den Hypothalamus nen Effekt, der über zentrale gelegene Rezeptoren
zu einer Freisetzung von Vasopressin. Dies spielt vermittelt wird, bei intravenöser Gabe in hoher Do-
eine Rolle bei Orthostase, Vasodilatation und Beat- sis auch eine ADH-stimulierende Wirkung. Der Ef-
mung mit positivem Druck. Flaches liegen, Baden, fekt wird durch die Plasmaosmolalität moduliert.
Schwerelosigkeit, Beatmung mit negativen Drucken
sowie Kälte können dagegen über den Anstieg des • Glucocorticoide. Glucocorticoide üben einen to-
zentralen arteriellen Volumen die Vasopressinfrei- nisch inhibitorischen Effekt auf die Vasopressinse-
setzung hemmen und so eine Aquarese (Ausschei- kretion im Rahmen der negativen Rückkopplung
dung von freiem Wasser) und eine Korrektur der aus.
Hypervolämie bewirken.
Alter
D
Neurale und pharmakologische Einflüsse
Im Alter nimmt die Fähigkeit der Nieren, den Urin zu
Auch eine Vielzahl von hypothalamisehen Neuro-
konzentrieren, zunehmend ab, mit der Folge, das
Wasserverluste ansteigen. Vermutlich als Reaktion
transmittern und Neuropeptiden beeinflusst die
Freisetzung von ADH (s. Übersicht "Ursachen des
auf die vermehrte Wasserausscheidung nimmt die
SIADH"). Potente Stimuli für eine ADH-Sekretion
Konzentration von Vasopressin im Alter zu, ebenso
stellen dar:
die Reaktion auf einen Anstieg der Plasmaosmolali-
• Starker Stress und Schmerz, möglicherweise indi-
tät. Der altersbedingte Anstieg von ADH ist bei Pa-
rekt über vasovagale Reaktionen in Verbindung
tienten mit M. Alzheimer nicht vorhanden (relativer
mit Hypotension und Übelkeit.
ADH-Mangel). Von großer Bedeutung ist, das im Al-
• Schwere Hypoxie und Hyperkap nie. Sie werden in
ter das Durstempfinden abnimmt, was das Risiko für
Verbindung mit einer nicht-osmotischen ADH-
eine hypertone Dehydratation erhöht.
Stimulation gebracht, möglicherweise ebenfalls
indirekt über Auslösung von Übelkeit.
• Alkoholentzug bei Alkoholikern und ein "Kater". 8.1.4
Einfluss auf die Zielzelle
Zu den Stimulatorischen Substanzen gehören
• Nikotin, Morphin, Vincristin, Cyclophosphamid, ADH-Rezeptoren (Vasopressinrezeptoren)
Clofibrat, Chlorpropamid, Narkotika, Carbama- Die wesentlichen Wirkungen von Vasopressin
zepin, Neuroleptika sowie Antidepressiva. Li- werden über 3 Rezeptorsubtypen vermittelt (Ta-
thium scheint ebenfalls zu einer leicht erhöhten belle 8-2). Weitere Rezeptoren für ADH scheinen
Freisetzung von Vasopressin zu führen, evtl. re- vorzuliegen und werden zur Zeit erforscht.
aktiv aufgrund einer durch Lithium induzierten
renalen ADH-Resistenz (Abnahme von AQP-2). • V1-A VP-Rezeptoren. Sie lassen sich aufgrund ih-
rer Affinität und Struktur in V1a- und V 1b-Rezepto-
Phenytoin und Chlorpromazin können wie Alkohol ren unterscheiden, Letztere finden sich überwiegend
die Vasopressinfreisetzung inhibieren Die modulie- aufkortikotropen Zellen des Hypophysenvorderlap-
8.1 Physiologie 339
Tabelle 8-2. Arginin-Vasopressin, das humane antdiuretische Hormon: Rezeptoren, Expression im Gewebe und Wirkungen
pens. Gemeinsam ist den V1-A VP-Rezeptoren die sertion von Wasserkanälen in die luminale (apikale)
Kopplung an die Phospholipase C und die Wirkung Zellmembran führen . Diese Wasserkanäle wurden
über Erhöhung des Kalziumeinstroms und des kürzlich als Aquaporin 2 (AQP-2) identifiziert.
Phosphatidylinositolumsatzes. AQP-2 wird nur in Prinzipalzellen von Sammelrohr-
zellen der inneren Medulla exprimiert. Bei niedri-
• V2-AVP-Rezeptoren. Im Unterschied dazu akti- gem (P) ADH ist AQP-2 diffus im Zytoplasma ver-
vieren die renalen (antidiuretischen) V2-A VP-Re- teilt. Nach exogener Gabe von ADH reichem sich
zeptoren die Adenylatzyklase. Das Gen für den AQP-2 Moleküle in der IuminaJen (apikalen) Zell-
menschlichen Vz-AVP-Rezeptor liegt auf dem Chro- wand an, und es kommt zu einem passiven transzel-
mosom 28 (Xq28). Es besteht aus 3 Exonen und 2 lulären Fluss von Wasser durch die Sammelrohrzelle
kleinen Intronen. Der Rezeptor besteht aus 371 Ami- entlang des osmotischen Gradienten. Die ADH-ab-
nosäuren. Die räumliche Struktur ist für Guanin- hängige exozytotische Insertion von Wasserkanälen
Nukleotid(G)-Protein gekoppelte Rezeptoren mit 7 aus intrazellulären Vesikeln in die apikale Plasma-
transmembranäsen Domänen typisch. 4 Schleifen membran und wieder zurück bezeichnet man als
liegen extrazellulär, 4 Schleifen im Zytoplasma. "Shuttle-Hypothese". An der basolateralen Mem-
bran der Sammelrohrzelle sind ADH-unabhängige
Wasserkanäle (Aquaporin 3 und Aquaporin 4) für
VrAVP-Rezeptor-Aktivierung ("Shuttle-Hypothese") den Wasserfluss verantwortlich. Das Gen, welches
Der erste Schritt der antidiuretischen Wirkung von für den ADH-abhängigen Wasserkanal der apikalen
ADH ist die Bindung an die renalen Vasopressinre- Zellmembran kodiert, wurde auf Chromosom 12ql3
zeptoren (Vz-AVP-Rezeptor) derbasolateralen Zell- lokalisiert. Es besteht aus 4 Exonen und 3 Intronen.
membran der Prinzipalzelle der renalen Sammel- AQP-2 ist ein Polypeptid mit 271 Aminosäuren und
rohre (Abb. 8-6). Über Aktivierung des V2-A VP-Re- 6 transmembranäsen Domänen, d. h. beide Peptid-
zeptors und das stimulierende G-Protein wird die termini, sowohl der N- als auch der C-Terminus lie-
Adenylzyklase aktiviert und der "second messen- gen intrazellulär.
ger" cAMP gebildet. Die Proteinkinase A bewirkt
die Phosphorylierung von im Detail noch nicht iden-
tifizierten Proteinen, welche zur Exozytose und In-
340 KAPITEL 8 Wasserhaushalt
Recycling
Vesi kel
Endozytose
Vesikel
\ AQP2
AQP2
Abb. S-6.
Wassertransport durch eine renale
AQP2 Sammelrohrzelle. Der erste Schritt ist
/
die Bindung von AQH an den renalen
V2-A VP-Rezeptor. Uber eine Aktivie-
rung der Adenylatzyklase kommt es
zur Insertion von AQP-2-Wasserka-
Exozytose nälen in die luminale Zellmembran.
Insertion Der Wassertransport durch die baso-
Recycling laterale Zellmembran erfolgt durch
Vesikel Iumina/ ADH-unabhängige Wasserkanäle. Ein
Diabetes insipidus renalis kann durch
Mutationen im Gen für AQP-2 und für
den V2-Vasopressinrezeptor entste-
hen. (Modifiziert nach Bichet)
Unterfunktion Fallpräsentation 2
8.2.3
Pathogenese
(p) ADH 6
9
8
7
10
Normalbereich
for ADH
-) (c)
1000
800
Uo m
[ng/IJ 5 I
I (b) 600 [ mosmol!kg)
//
4
3 400
2
1
__/
/'· /'' .. (a 200
0
260 270 280 290 300 3 10 320 330 340 (P) Osm [mosmoVkg)
126 131 136 141 146 151 156 161 166 (S) Na•[mmol/1)
Abb. 8-9a-c. Formen des Diabetes insipidus zentralis, die einen plötzlichen Anstieg der Urinosmolalität. Dies weist auf
mittels Untersuchung der Urinosmolalität während Durstens einen defekten Osmorezeptor (Diabetes insipidus hypersalae-
unterschieden werden können. Bei Patienten mit komplettem micus) hin, da die Freisetzung von Vasopressin durch Hypo-
Diabetes insipidus centralis liegt ein absoluter ADH-Mangel volämie noch funktioniert. Wiederum andere Patienten (b)
vor (a). Auch bei sehr hohen Plasmaosmolalitäten steigen zeigen einen geringen Anstieg der Urinosmolalität mit steigen-
die ADH-Spiegel oder die Urinosmolalität nicht an. Dieser der Plasmaosmolalität. In diesen Fällen ist die Schwellenplas-
Typ ist der häufigste. Andere Patienten (c) zeigen zunächst maosmolalität deutlich angehoben. Als Ursache werden eine
ebenfalls keinen Anstieg der Urinosmolalität, reagieren jedoch herabgesetzte Vasopressin- Freisetzung oder ein "High-set -Os-
nach längerem Dursten auf die hypertone Dehydratation mit morezeptor" ("upward setting") angenommen
Re 1 ekrelion
von ADH
10
-.......
o>
c
8
6
i
J/ ----r-
y--"-~~----
!
0.... Abb. S-12.
~ 4 I Plasma-AD H- Konzentratio-
I
I nen während intravenöser
I Infusion von 10 ng ADH/min
I
I bei einer Patientin mit Dia-
2
..
I betes insipidus gravidarum
I
kurz nach der Entbindung
g--"§ (untere Kurve) und bei Nor-
0 ··--------~·~--------~·~----- malpersonen. Die deutlich
erhöhte metabolische Clea-
0 20 40 60 rance weist auf eine erhöhte
Aktivität der Vasopressinase
Zeit (mi n) (Oxytocinase) hin. (Aus
Hensen et al. 1991)
Erkrankung sein. Polyurie und Wasserverluste, wel- lieber Wasserestriktion kleiner als 1008 g/1. Serum-
che nicht immer durch Trinken voll kompensiert natrium und Plasmaosmolalität sind bei Diabetes
werden können, können einige indirekte Symptome insipidus morgens meist zu hochnormalen Konzen-
mitbedingen, wie trockene Haut und Schleimhäute, trationen verschoben. Eine Hypernatriämie weist
Obstipation, durstbedingte Schlafstörungen und Ge- auf einen Diabetes insipidus hypersalaemicus hin.
reiztheit. Nicht ausgeglichene Wasserdefizite kön- Besteht eine hypotone Polyurie (Harnvolumen
nen bei Kindern zum "Durstfieber" führen, welches > 30 ml!kg/24 h) und liegen keine anderen offen-
typischerweise morgens am höchsten ist. Im Rah- sichtlichen Ursachen für die Polyurie vor, wie Hy-
men von schweren hypertonen Dehydratationen perglykämie bzw. Glukosurie, Hypokaliämie, Hy-
kann es zu zerebralen Leistungsschwächen kom- perkalzämie, chronisch polyurische Nierenerkran-
men, insbesondere bei Patienten mit kongenitalem kung oder die polyurische Phase eines akuten Nie-
nephrogenem Diabetes insipidus. Langjährige Poly- renversagens etc., sollte eine weiterführende,
urie kann zur Erweiterung des Nierenbeckenkelch- vorzugsweise stationäre Diagnostik erfolgen.
systems mit Hydronephrose führen.
• Durstversuch mit anschließender DDA VP-Gabe
(Miller-Test). Im Durstversuch werden Freisetzung
8.2.5 und Wirkung indirekt überprüft. Der Durstversuch
Diagnostik ist einfach und hat den Vorteil, dass er in jedem
Krankenhaus preiswert durchgeführt werden
Anamnese und körperliche Untersuchung kann. Durchführung:
Anamnestisch und bei der körperlichen Untersu- • Üblicherweise beginnt man den Durstversuch un-
chung ist stets nach möglichen Ursachen des Diabe- ter stationären Bedingungen morgens um 6 Uhr.
tes insipidus zu fahnden: Der Patient muss zu Testbeginn die Harnblase
• Traumata, Tumoren (Kopfschmerzen), vollständig entleeren.
• Blutungen, • Während des Tests müssen in 1- bis 2-stündigem
• Metastasen, Abstand Harnmenge, Urinosmolalität, Körperge-
• vorangegangene neurochirurgische Eingriffe, wicht, Blutdruck und Puls gemessen werden so-
• entzündliche oder infiltrative Erkrankungen des wie zu Beginn und gegen Ende des Tests die Plas-
Hypothalamus oder maosmolalität, Serumnatrium und wenn möglich
• Hautläsionen bei Histiozytose. (P) ADH (nicht obligat).
Labordiagnostik
• Suchtest. Als Such- bzw. Ausschlussdiagnostik
wird die Messung des Harnvolumens und der Trink-
Eine ständige Überwachung des Patienten während
des Durstversuchs ist erforderlich, da Patienten mit
einem Diabetes insipidus sehr schnell ein bedrohli-
D
menge über eine oder zwei 24-h-Perioden nach ches Flüssigkeitsdefizit entwickeln können und um
Absetzen diuretischer oder antidiuretischer Medi- zu verhindern, dass die Patienten während des Ver-
kation für mindestens 2 Tage sowie die 1- oder suchs etwas trinken.
2-malige Bestimmung von Plasmaosmolalität und
Serumnatrium empfohlen (s. auch nachfolgende Der Test muss abgebrochen werden, wenn Patienten
Übersicht). mehr als 3-4 o/o ihres Körpergewichts verloren ha-
ben, hypotensiv werden oder wenn der Durst uner-
träglich wird.
Diagnostische Verfahren
für den Diabetes insipidus Nach der Methode von Miller et al. wird Flüssig-
keitsrestriktion empfohlen, bis die stündlich gemes-
• 24-h-Sammelurin (Bestätigungstest) sene Urinosmolalität ein Plateau erreicht (die Urin-
• Durstversuch mit Gabe von DDA VP (Miller-Test) osmolalität sollte während 3 h um nicht mehr als
• ADH-Bestimmung am Ende des Durstversuchs 30 mosmol/kg ansteigen).
• Therapieversuch mit Desmopressin Bei Abbruch sollte dann die Injektion von Des-
• Magnetresonanztomographie mopressin (4!-lg DDAVP i. v.), und Messung der
• Kochsalzinfusionstest mit ADH-Bestimmung Urinosmolalität 30 und 60 min später erfolgen.
• (ADH im Urin, Aquaporin im Urin) Die letzte Urinosmolalität und die höchste
Urinosmolalität nach Desmopressin werden vergli-
chen (Tabelle 8-3). Normalpersonen konzentrieren
Das spezifische Gewicht des Urins ist bei Diabetes nach etwa 12-16 h Flüssigkeitsentzug den Urin
insipidus kleiner als 1005 g/1, morgens nach nächt- auf ca. 900-1200 mosmol!kg, wohingegen Patienten
8.2 ADH-Mangel (Diabetes insipidus) 347
mit komplettem Diabetes insipidus centralis ihren sierung der Blase, damit die Ergebnisse auch bei
Urin meist nur auf weniger als 250 mosmol!kg kon- kleinen Urinmengen ausreichend genau sind. Der
zentrieren können. Bei Patienten mit primärer Poly- Test wurde früher nach dem Durstversuch als 2. dia-
dipsie ist das maximale Urinkonzentrationsvermö- gnostisches Standbein empfohlen. Seine Stellung hat
gen ebenfalls deutlich auf etwa 450-700 mosmol! heute der Kochsalzinfusionstest mit direkter ADH-
kg eingeschränkt. Eine Abnahme der Hypertonizität Bestimmung eingenommen.
des Nierenmarks, wahrscheinlich als Folge eines An-
stiegs des medullären Blutflusses, wird für diesen • Kochsalzinfusionstest mit ADH-Bestimmung.
Verlust an Urinkonzentrationskapazität verantwort- Wenn die Differenzierung, z. B. zwischen primärer
lieh gemacht. Nur bei Patienten mit einem Diabetes Polydipsie und partiellem zentralem Diabetes insipi-
insipidus steigt nach Gabe von exogenem Desmo- dus oder partiellem nephrogenem Diabetes insipi-
pressin (4!lg DDA VP i. v.) die Urinosmolalität wei- dus nicht eindeutig möglich ist, hilft der Kochsalzin-
ter an. Dies zeigt indirekt an, dass der Patient mit fusionstest weiter. Er ist als "Goldstandard" der Dif-
Diabetes insipidus noch nicht maximale Mengen ferentialdiagnostik der Polyurie/Polydipsie anzuse-
von endogenem ADH sezerniert hat. Ein Defekt hen.
der ADH-Sekretion kann angenommen werden,
wenn exogenes DDA VP die Urinosmolalität um Durchführung:
mehr als 10 o/o nach Dursten stimuliert. Der Durst- • 5 o/oige Kochsalzlösung (855 mmol/1) wird über
versuch ist bei kompletten Störungen valide, hat eine großvolumige Vene, am besten über einen
aber als indirekter Test insbesondere bei partiellen zentralvenösen Zugang mit einer Geschwindig-
Störungen erhebliche Schwächen (sowohl falsch ne- keit von 0,06 ml!kg/min über 2 h infundiert.
gative wie falsch positive Ergebnisse), wie Zerbe und Wenn eine ausreichend kräftige Vene nicht punk-
Robertson zeigen konnten, indem sie die Ergebnisse tiert werden kann, sollte alternativ zur Vene-
des Durstversuchs mit dem direkten Test der ADH- nschonung 3 o/oige Kochsalzlösung über 3 h mit
Sekretion (Kochsalzinfusionstest) verglichen. Ursa- 0,06 ml!kg/min infundiert werden.
chen für die Diskrepanzen sind die Auswaschung • Während des Tests kann das Durstgefühl zu den
der Hypertonizität des Nierenmarks und die Dilata- Blutentnahmezeiten nach einer linearen Durst-
tion der ableitenden Harnwege sowie die erhöhte skala registriert werden. Es wird Plasmaosmolali-
Blasenkapazität bei Patienten mit Polyurie, die bei tät, Serumnatrium und (P)-ADH bei Testbeginn
den Urinsammlungen insbesondere nach Desmo- und Testende bestimmt.
pressin falsche Ergebnisse ergeben können.
Tabelle 8-3. Grenzwerte zur Beurteilung des Durstversuchs. (Nach Miller et al. 1970)
mosmollkg
Diabetes insipidus centralis partialis II 438 549 (28%) > 9 bis < 50%
Serumnatrium sollte nicht über 155 mmol/1 anstei- • Diagnostischer Therapieversuch mit DDA VP
gen, deshalb ist bei Ausgangswerten über Ein Therapieversuch mit Desmopressin zur Nacht,
145 mmol/1 eine Dosisreduktion der infundierten später auch morgens, zeigt bei Patienten mit Diabe-
Natriummenge angebracht, z. B. um 10 o/o pro tes insipidus centralis eine sofortige Wirkung. Patien-
1 mmol/1 Serumnatriumüber 145 mmol/1. ten mit Diabetes insipidus centralis verspüren sofort
Erleichterung und sind glücklich, weil Polyurie,
(P) ADH steigt der erreichten Natriumkonzentrati- Nykturie, Durst und Polydipsie vergehen, und weil
on entsprechend bei Gesunden auf etwa 3-8 ng/1 sie wieder durchschlafen können.
an. Bei Diabetes insipidus centralis findet sich
kein, beim partiellen Diabetes insipidus ein subnor- Patienten mit primärer Polydipsie verspüren jedoch
maleroder verzögerter Anstieg (Abb. 8-13). Bei pri- keine oder nur wenig Linderung, sie werden u. U.
märer Polydipsie liegt die basale Plasmaosmolalität durch die Wasserretention hyponatriämisch und
oft im unteren Normbereich. ADH steigt auch hier entwickeln ein Hirnödem mit hyponatriämischer
deutlich an, wenn die Plasmaosmolalität auf Enzepahlopathie. Deshalb muss ein Therapiever-
> 300 mosmol!kg stimuliert wird. Patienten mit such gut überwacht werden, am besten stationär
Diabetes insipidus renalis haben basal meist schon mit täglicher Messung von Trinkmenge, Gewicht,
eine hochnormale Plasmaosmolalität mit erhöhtem Urinausscheidung und Serumnatrium.
ADH und weiterem starken Anstieg von (P)-ADH.
Magnetresonanztomographie
• ADH-Bestimmung. ADH kann im Plasma unter
Eine Magnetresonanztomographie sollte immer bei
Einhaltung bestimmter Regeln (eisgekühlte Abnah-
Diabetes insipidus durchgeführt werden. Das MRT
me, schnelle Separation) bestimmt werden. Die In-
ist wesentlich besser als das CT zur Darstellung
terpretation muss jedoch immer in Bezug auf Plas-
der Hypophysen- und Hypothalamusregion geeig-
maosmolalität bzw. Serumnatrium erfolgen. Niedri-
net. Der intakte Hypophysenhinterlappen stellt
ge ADH-Konzentrationen sind nur dann beweisend
sich in der Tl-gewichteten Spin-Echo-Sequenz stets
für einen zentralen Diabetes insipidus, wenn sie am
hyperintens als "hot spot" dar. Regenerate des Hin-
Ende eines Durstversuchs bei einer Plasmaosmolali-
terlappens bzw. ADH-sezernierender Neurone nach
tät von 300 mosmol!kg oder mehr nachgewiesen
Hypophysektomie oder Hypophysenstielabriss las-
wurden.
sen sich gelegentlich im Bereich der Eminentia me-
diana aufgrund ihrer Hyperintensität im Tl-gewich-
teten Bild nachweisen.
16
14 8.2.6
12 Differentialdiagnose
~
.s 10
:I: • Psychogene Polydipsie. Die neurotisch bedingte
0 8
c( Polydipsie (Dipsomanie, Potomanie, psychogene
e
(II
6 Polydipsie) ist gelegentlich mit anderen neuroti-
"'
(II
0:: 4
schen Störungen, z. B. Essstörungen verbunden.
Frauen sind häufiger betroffen. Patienten geben ge-
2 legentlich auf Nachfrage an, dass sie aus einem be-
0 stimmten Grund trinken, z. B. um den Körper zu rei-
240 260 280 300 320 nigen oder "durchzuspülen". Patienten mit Diabetes
Plasmaosmolalität [mosmollkg] insipidus haben immer eine Nykturie, Patienten mit
neurotischer Polydipsie oft nicht. Während Patien-
Abb. 8-13. Ergebnisse zwei er Kochsalzinfusionstests mit
ADH-Bestimmung bei einer Patientin mit Diabetes insipidus ten mit Diabetes insipidus morgens meistens etwas
centralis partialis. Die gefüllten Kreise stellen den Normalbe- unterhydriert sind und ihre Plasmaosmolalität um
reich des Labors dar. Der Kochsalzinfusionstest wurde 2-mal 300 mosmol/kg liegt, ist sie bei Patienten mit Poly-
im Abstand von 8 Monaten durchgeführt. Es zeigt sich, dass
die Schwellenosmolalität für die ADH-Freisetzung bei beiden dipsie meist leicht erniedrigt. Bei psychogener (neu-
Tests deutlich zu höheren Werten verschoben ist, bei normaler rotischer) Polydipsie wird eine psychotherapeuti-
ADH-Reserve. Die Schwellenosmolalität für die Auslösung des sche Behandlung empfohlen. Die Prognose ist gün-
Durstgefühlslag bei etwa 290 mmol!kg, d. h. die Patientin hatte
zumeist Durst und regulierte die Plasmaosmolalität, die im stig.
oberen Normbereich lag, in erster Linie über Durst und Trin-
ken und nur bei höheren Plasmaosmolalitäten über eine ADH-
Sekretion und renale Wasserkonservierung
8.2 ADH-Mangel (Diabetes insipidus) 349
• Primäre Polydipsie (Hyperdipsie) Die primäre das Durstgefühl beeinträchtigt ist oder eine ausrei-
Polydipsie (Hyperdipsie) bei organisch~n Läsi~nen chende Flüssigkeitszufuhr nicht möglich ist.
im Bereich des Durstzentrums, z. B. bei Sarkmdose
oder Encephalitis, ist eine Rarität.
Medikamente und verschiedene Applikationsmodi
• Desmopressin, enterale und nasale Applikation.
• Hypernatriämie. Bei Hypernatriämie muss diffe-
Bei Patienten mit Diabetes insipidus centralis ist in-
rentialdiagnostisch ein Diabetes insipidus hypersa-
tranasales Desmopressin Medikament der Wahl
laemicus ausgeschlossen werden. Wesentlich häufi-
(DDA VP: 1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin,
ger sind allerdings allein nichtausgeglichene inse~
Minirin). DDAVP bindet nur an den antidiureti-
sible Wasserverluste über Lunge und Haut soWie
schen V2-AVP-Vasopressinrezeptor und hat deshalb
über Nieren und Darm (normal > 1 1/Tag) Ursache
keine pressorischen Nebenwirkungen. Bedingt
einer Hypernatriämie können sein:
durch die fehlende a-Aminogruppe weist DDA VP
• Fieber, auch im Vergleich zu AVP (s. unten) eine deutlich
• Hyperventilation,
verlängerte Halbwertszeit (ca. 2-3 h) auf. ~DAVP
• Schwitzen, ist in Deutschland in mehreren Zubereitungen
• Verbrennungsverletzungen und
(100 J..Lg/ml) erhältlich (s. nachfolgende Übersicht).
• osmotische Diurese (z. B. bei Glykosurie).
Die Bioverfügbarkeit nach intranasaler Gabe beträgt
etwa 10 o/o und nach oraler Gabe 1 o/o. 20 J..Lg DDA VP
Insbesondere Säuglinge oder ältere und kranke bett-
intranasal, 1 J..Lg DDA VP i. v. und 400-600 J..Lg oral
lägerige Patienten sind bei Flüssigkeitsverlusten h~
verhalten sich klinisch etwa gleichwertig, allerdings
pernatriämiegefährdet, denn sie können of~ aus .ei-
mit großen individuellen Schwankungen. Die anti-
gener Kraft nicht mehr ausreichend Flüs~igkelt zu SI~h
diuretische Wirkung einer intranasalen Gabe von
nehmen. Außerdem ist bei älteren Patienten oft die
10-20 J..Lg hält ungefähr 10 h an, bei manchen Patien-
renale Konzentrationskapazität eingeschränkt. Die
ten aber auch deutlich länger (bis 24 h). Die Dosie-
Hypernatriämie in obigen Fällen ist meist mit einem
rung kann deshalb im Einzelfall nicht vorausgesagt
Volumenmangel im Sinne einer hypertonen Dehy-
werden. Die Wirkdauer beim jeweiligen Patienten
dratation (Leitsymptom: orthostatische Hypotensi-
kann leicht anhand des Wiederauftretens von hypo-
on) verbunden. Die seltene iatrogen induzierte Hy-
toner Polyurie und Polydipsie festgestellt werden.
pernatriämie wird z. B. durch Infusion hypertoner
Bei einer Dosierung von 2-mal1 Hub reicht ein Do-
Kochsalzlösung verursacht. Die Niere besitzt zwar
sierspray maximal 25 Tage. Die Rhinyle, ein
eine große Kapazität zur Ausscheidungvon Na+ (ma-
Schläuchchen, mit dem eine kleine Menge der Sub-
ximales Konzentrationsvermögen bis 300 mmol/1),
stanz aufgezogen und dann in ein Nasenloch gebla-
die komplette Natriumausscheidung wird jedoch
sen werden kann, hat den Vorteil, dass damit genau-
erst nach einer Verzögerung von mehreren Stunden
er und geringer dosiert werden kann (0,025 bzw.
erreicht. Auch hyperosmolare Lösungen oder Pro-
0,05 ml entsprechen 2,5 bzw. 5 J..Lg). Für den Geb.rau~h
teinkonzentratekönnen über die osmotische (Harn-
bei Kindern und Säuglingen kann DDA VP weiter m
stoff-)Diurese zu einer Hypernatriämie führen.
physiologischer Kochsalzlösung verdünnt werden.
Ein Diabetes insipidus bei parenteral ernährten Pa-
tienten oder postoperativ kann intramuskulär mit
8.2.7
2 J..Lg Desmopressin (lh Ampulle Minirin) 1- bis 2-
Therapie mal pro Tag behandelt werden. Schwangerschaft
und Laktation sind keine Kontraindikation für the-
Medikamentöse Therapie
rapeutische "Substitutionsdosen" von DDA VP.
Allgemeine Richtlinien .
Die Behandlung des Diabetes insipidus muss Sich an In Deutschland erhältliche Desmopressin-
dessen Ursache und Ausprägung orientieren. Pa- zubereitungen (pernasal 100 J..Lg/ml)
tienten mit langjährigem mildem (partiellen) Diabe-
tes insipidus centralis benötigen nicht immer eine • Minirio mit Rhinyle (250 J..Lg in 2,5 ml, Nasen-
medikamentöse Therapie. Viele Patienten, insbe- schlauch, Feindosierung möglich)
sondere mit familiärem zentralen Diabetes insipi- • Minirio-Dosierspray (500 J..Lg in 5 ml)
dus haben sich an die gesteigerte Trinkmenge ge- • Minirio Rhinetten (a 0,2 ml)
wöhnt. Manche Patienten tolerieren auch, dass sie • Minirio parenteral (i. m., i. v., s. c., 4 J..Lg/ml)
u. U. 1-2mal pro Nacht aufstehen müssen. Eine Be- • Minirin-Tabletten (0,2 mg)
handlung mit DDA VP ist absolut indiziert, wenn e DDAVP-Tabletten (0,1 mg)
eine hypertone Dehydratation droht, z. B. wenn
350 KAPITEL 8 Wasserhaushalt
• Genuines AVP, parenterale Substitution. Genui- vor angesprochene Kontrollen zur frühzeitigen Er-
nes AVP ist in einer parenteralen Form erhältlich: fassung einer Überwässerung oder Hypernatriämie.
• als Präparat mit kurzer Wirkungsdauer (Pitres- Regelmäßige (wöchentliche) Kontrollen von Serum-
sin, 1 ml enthält 20 I.E. Argenin-Vasopressin). Da- natrium sind bei diesen Patienten unerlässlich.
bei werden 5 bis maximal10 I.E. AVP bei Erwach-
senen i.m. oder s.c. gegeben.
Nebenwirkungen
Sehr selten kommt es unter DDA VP zu Bauch-
• Nicht-AVP-Derivate. Die früher gelegentlich in
krämpfen und lokalen Reaktionen an der Nasen-
der Behandlung des Diabetes insipidus aufgrund
schleimhaut (Perfusionssteigerung). Gewichtszu-
von Antikörperbildung und allergischen Reaktionen
nahme, Übelkeit, Schwindel, Müdigkeit, Kopf-
gegen Hypophysenhinterlappenextrakt durchge-
schmerzen und Krämpfe sind Hinweise auf eine Hy-
führte (gering wirksame) Therapie mit Carbamaze-
ponatriämie, die auftreten kann, wenn ein Patient
pin (400-600 mg/Tag), Clofibrat (4-mal 500 mg/
mit einer primären psychogenen oder organischen
Tag) oder Chlorpropamid (200-500 mg!Tag) ist
Hyperdipsie mit DDA VP behandelt wird, mit
seit der Einführung von DDA VP obsolet. Chlorpro-
DDAVP überdosiert wird oder nach Gabe von
pamid ist ein Sulfonylharnstoffderivat und orales
DDAVP zu viel trinkt.
Antidiabetikum mit geringgradiger ADH-antagoni-
stischer Wirkung. Die Substanz führt interessanter-
weise bei Langzeitapplikation zu einer geringgradi- Patientenschulung
gen Hochregulation der Vasopressinrezeptoren und Die überwiegende Mehrzahl der Patienten mit Dia-
damit zu einer vermehrten Aktivierung der ADH-in- betes insipidus lässt sich problemlos behandeln.
duzierbaren Adenylatzyklase. Eine "Schulung" ist bei permanentem Diabetes insi-
pidus allerdings zu empfehlen, insbesondere weil es
sich um eine Erkrankung handelt, die den Patienten
Einstellung und Therapiekontrolle lebenslang begleitet. Viele Patienten haben einen
Im Allgemeinen beginnt man bei Erwachsenen mit enormen "Wissensdurst" und fühlen sich erst sicher,
DDAVP-Dosierspray in einer niedrigen Dosis, z. B. wenn sie die zugrunde liegende Krankheit und die
1 Hub oder 0,1 ml zur Nacht (ca. 10 ).lg), da es für Regulationsmechanismen "verstanden" haben.
die meisten Patienten am wichtigsten ist, nachts wie- Aber es gibt auch medizinische Gründe für eine
der durchschlafen zu können. Der Patient sollte Schulung, denn passagere Elektrolytentgleisungen
auch daraufhin gewiesen werden, in den ersten treten häufiger als angenommen auf und lassen
3 h nach DDAVP-Einnahme keine großen Mengen sich durch richtige Reaktion verhindern. Schulungs-
zu trinken (z. B. Bier). Je nach Wirkung kann mor- inhalte sind in der folgenden Übersicht wiedergege-
gens oder mittags eine 2. Dosis DDA VP zugegeben ben.
werden. Normalerweise gibt es bei erhaltenem
Durstgefühl keinen Grund, die Flüssigkeitsaufnah- Schulungsinhalte bei an Diabetes insipidus
me zu kontrollieren, außer zu Beginn der Therapie, Erkrankten
um eine Überwässerung zu vermeiden. In den ersten
Wochen sollte das Körpergewicht täglich kontrol- • Prinzip der Regelung der Natriumkonzentration
liert werden, auch für die Langzeittherapie ist das durch Wasserzufuhr und -ausscheidung
regelmäßige Wiegen eine gute Kontrollmöglichkeit • Symptome einer Hypo- und Hypernatriämie
bei unsicheren Patienten. Serumnatrium sollte im • Wertigkeit der Kontrollparameter wie
ersten Therapiemonat wöchentlich überwacht wer- Gewicht
den, später in größeren Abständen, z. B. alle Serum-Na+
3-6 Monate. Gelegentlich sind sich die Patienten un- Urinkonzentration (Farbe, spez. Gewicht)
sicher, ob sie noch wirklich ein Durstgefühl haben. Durstgefühl
In diesen Fällen sollte die Desmopressindosis zu- • Verhalten in besonderen Fällen.
nächst reduziert werden.
• Diabetes insipidus hypersalaemicus. Patienten Ein Verweis auf Selbsthilfegruppen hilft vielen Pa-
mit Diabetes insipidus hypersalaemicus müssen zu- tienten weiter. Im deutschsprachigen Raum bietet
sätzlich zur DDA VP-Therapie zu einer regelmäßigen das Netzwerk Hypophysen- und Nebennierener-
Wasseraufnahme, evtl. mit Dokumentation von Ein- krankungen, 91054 Erlangen, Waldstraße 34, mit
fuhr, Ausfuhr und Gewicht angehalten werden. Wir seinen regionalen Gesprächsgruppen, diagnosespe-
verordnen meist bei konstanter DDAVP-Dosierung zifischen Gesprächskreisen (auch Diabetes insipi-
eine konstante Trinkmenge von 1,5-21/Tag und zu- dus) und Abhaltung von Hypophysen-Nebennie-
8.3 ADH-Resistenz 351
§
ren-Tagen eine Anlaufstelle. Das Netzwerk ist auch Bei zu schneller Korrektur der extrazellulären Hy-
unter http://www. uni-erlangen. de/glandula er- pertonizität kommt es zu einem Einstrom von Was-
reichbar. ser nach intrazellulär und als Folge zu einem Hirn-
ödem mit Krampfanfall, insbesondere, wenn mit
DDAVP eine Antidiurese bewirkt worden ist. Um
Grad der Behinderung (GdB) und Minderung
dies zu vermeiden, wird nur eine vorsichtige Korrek-
der Erwerbsfähigkeit (MdE)
tur bis in den oberen Normalbereich von Serumna-
Auch in den neuesten "Anhaltspunkten für die ärzt-
trium mit einer Geschwindigkeit von 0,5-1 mmol!h
liche Gutachtertätigkeit", herausgegeben vom Bun-
empfohlen.
desarbeitsministerium, sind Vorschläge für die Ein-
stufung des Grades der Behinderung (GdB) bzw. für
Die Menge an freiem Wasser, die näherungsweise
die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für
zur Korrektur erforderlich ist, kann unter der An-
"Diabetes insipidus centralis" nicht enthalten. In
nahme eines konstanten Gesamtkörperwassers
Analogie zur Bewertung des Diabetes mellitus, der
(TBW) von 60% nach der folgenden Formel abge-
mit Sulfonylharnstoffen und Diät ausreichend be-
schätzt werden.
handelt ist, wird als "Anhaltspunkt" 10-20%
MdE/GdB vorgeschlagen. Bei dem sehr belastenden
Wasserkorrekturbedarf = (TBW · aktuelles Serum-
Diabetes insipidus hypersalaemicus, der täglicher
natrium I gewünschtes Serumnatrium) - TBW
und regelmäßiger Kontrolle bedarf, wird als "An-
haltspunkt" 30-50% vorgeschlagen. Bei einem 70 kg schweren Patienten mit einem Se-
rumnatrium von 165 mmol/1 müssen danach zur
Korrektur auf 150 mmol/1 etwa 3,8 1 freies Wasser
8.2.8 (5 o/oige Glukose) infundiert werden. Bei einer ange-
Notfall strebten Korrekturrate von 0,75 mmol!h sind dies
etwa 4 l/24 h.
Bei unbehandeltem Diabetes insipidus, insbesonde-
re beim potenzielllebensbedrohlichen Diabetes in-
sipidus hypersalaemicus kann sich eine hypertone
8.3
Dehydratation entwickeln. Die Hypernatriämie be-
ADH-Resistenz
wirkt ein Schrumpfen der Gehirnzellen mit in der
folgenden Übersicht wiedergegebener neurologi-
Man kann zwischen angeborener und erworbener
scher Symptomatik.
Endorganresistenz gegenüber ADH unterscheiden.
Zwei verschiedene angeborene Ursachen sind heute
Neurologische Symptomatik bei hypotoner
bekannt.
Dehydratation
• Somnolenz
8.3.1
• Verwirrtheit
Angeborener Diabetes insipidus
• Muskelkrämpfe
• Kollaps X-chromosomaler Diabetes insipidus
• Durstfieber bei Säuglingen
Zahlreiche Mutationen im Vz-AVP-Rezeptorgen be-
wirken den X-chromosomal rezessiv vererbten Dia-
betes insipidus renalis (nephrogener Diabetes insipi-
Therapie dus, NDI). Die Erkrankung betrifft nur Knaben und
Die Behandlung der hypertonen Dehydratation be- Männer. Konduktorinnen können gelegentlich in
steht in der vorsichtigen Zufuhr freien Wassers, z. B. geringerem Ausmaß polyurisch und polydiptisch
durch Infusion 5 o/oiger Glukoselösung. Bei Volu- sein, was auf eine vermehrte (einseitige) X-chromo-
mendepletion (orthostatische Hypotension) wird somale Inaktivation des gesunden Allels zurückge-
zusätzlich zu 5 o/oiger Glukose 1 : 1 mit physiologi- führt wird.
scher Kochsalzlösung behandelt, bis sich die hämo-
dynamische Situation stabilisiert hat. Bei Verdacht • Klinik. Klinisch bedingt die unbehandelte Er-
auf einen zentralen Diabetes insipidus wird auch krankung bei Kindern eine Hypernatriämie und Hy-
DDAVP eingesetzt. Die Korrektur der Hypernatri- perthermie. Die fast immer nachweisbare mentale
ämie muss jedoch langsam geschehen. Retardierung ist vermutlich durch mehrmalige Epi-
soden von unbemerkter Dehydratation vor Diagno-
sestellung in frühester Kindheit bedingt. Typisch für
352 KAPITEL 8 Wasserhaushalt
1
on von Renin und Aldosteron und eine Abnahme
tion aus einem Bronchialkarzinom.
der proximalen tubulären Natriumreabsorption.
Auch das atriale natriuretische Peptid (ANP) ist
Diese erweiterte Definition darf aber nicht dazu ver-
durch die Hypervolämie erhöht. Die Patienten
~ leiten, eine Wasserrestriktion therapeutisc~ d_ort
sind leicht hypervolämisch, haben jedoch bedingt
v einzusetzen, wo primär eine Hormonsubstltutwn
durch die Natriurese einen potenziellen Volumen-
oder ein Weglassen von Medikamenten sinnvoller
mangel, d. h. der Gesamtbestand an Natrium ist ver-
wäre.
mindert, was sich nach Therapie durch Wasserre-
striktion bemerkbar machen kann. In Abb. 8-14
Das SIADH wird in größeren Kliniken etwa 1-mal
sind 3 typische Beziehungen zwischen ADH und
täglich bis 1-mal wöchentlich gesehen. Die Prävalenz
Plasmaosmolalität nach einem osmotischen Stimu-
ist vermutlich höher, aber die zur Erkennung not-
lus bei SIADH zusammengefasst. Etwa 40 o/o der Pa-
wendige Hyponatriämie benötigt zur Entstehung
tienten zeigen eine unregulierte Fluktuation erhöh-
auch eine relativ zur Urinausscheidung vermehrte
ter ADH-Spiegel unabhängig von osmotischen (und
Trinkmenge.
nichtosmotischen Stimuli). Etwa 1/3 der Patienten
zeigt eine erniedrigte osmotische Schwelle f~r.. die
ADH-Freisetzung. Bei höheren Plasmaosmolahtaten
8.4.1
zeigt sich jedoch eine normale Korrelation von AJ?H
Fallpräsentation
und Plasmaosmolalität. Diese Patienten können th-
ren Urin maximal verdünnen, wenn sie ausreichend
Ein 60-jähriger Patient wurde wegen Appetit- hyponatriämisch sind. Eine dritte Gruppe von Pa-
losigkeit und Abgeschlagenheit vorgestellt. Am-
bulant war eine Hyponatriämie von 120 mmol/1
aufgefallen. Der Patient hatte im vorherigen Mo- 8
nat 3 kg an Gewicht verloren. Die Anamnese er- 7
gab einen Nikotinabusu , die körperliche Un_te_r-
suchung war völlig unauffällig. Serumkreatmm
und Serumharnsäure waren niedrig normal. Ein ADH 4
6
5 ....
Röntgen des Thorax in 2 Ebe~e~ war ~auffäl ng/1)
3
lig. Nach Wasserrestriktion m1t emer Tnnkmen-
2
ge von zunächst 800 ml, dann 1 I/Tag gelang _es,
das Serumnatrium in den unteren Normberetch o +-~~-L~~~~~;--------.---
anzuheben. Der Patient fühlte sich wesentlich
240 260 280 300
besser. Ein CT der Lunge zeigte eine etwa Osmolali tät [mosmol/kQ]
2,5 cm große hilusnahe Struktur. Die Bronc~o
Abb. 8-14. Typen des SIADH im Kochsalzinfusionst~st. Bei
skopie bestätigte den Befund. Es handelte s1ch der unregulierten ADH-Freisetzung (Typ_ a) besteht_ keme Be-
histologisch um ein kleinzelliges Bronchialkar- ziehung zur Plasma-Osmolalität. Typ b 1st durch _eme he~ab
zinom. gesetzte Schwellenosmolalität geken~ze1chnet. Be1 Typ ~ ~asst
sich die ADH-Sekretion durch niednge Plasmaosmolahtaten
nicht supprimieren, währen.d A~H durch h?here Natrium-
konzentrationen normal stJmuherbar 1st. Eme Zuordnung
der Typen zu bestimmten Krankheitsbildern lässt sich nicht
herstellen
8.4 Das Syndrom der inappropriaten (inadäquaten) Überproduktion von ADH (SIADH) 355
tienten (etwa 20 %) zeigt trotz niedriger Plasmaos- • Reizbarkeit, später Unkooperativität und Ver-
molalität stets eine geringe ADH-Sekretion, ähnlich wirrtheit bis hin zur Lethargie
einem "ADH-Leck" aus dem Hypothalamus. Die • Muskelkrämpfe
verschiedenen Typen des SIADH lassen sich den • Extrapyramidale Störungen
verschiedenen Ursachen des SIADH nicht eindeutig • Krampfanfälle bis hin zum Koma und Atemstill-
zuordnen. stand.
Wenn Patienten mit SIADH jedoch natriumarm er- oben schon ausgeführt, systematisch mittels Ana-
nährt wurden oder gleichzeitig aus anderen Grün- mnese, körperlicher Untersuchung und einfachen
den hypovolämisch sind, kann die Urinnatriumex- Laborparametern geklärt werden, ob das (effektive)
kretion auch niedriger als 20 mmol/1 sein. Der arterielle Blutvolumen und/oder das venöse Blutvo-
Urin ist nie maximal verdünnt, d. h. die Urinosmo- lumen erniedrigt bzw. erhöht sind. Auf die Konstel-
lalität ist immer > 100 mosmol!kg). Vielfach ist die lation des SIADH (arterielle Eu- oder Hypervolämie/
Urinosmolalität größer als die Plasmaosmolalität, venöse Euvolämie) wurde oben bereits eingegangen.
dies ist jedoch keine conditio sine qua non für die Viel häufiger ist die Konstellation arterielle Hypo-
Diagnose des SIADH. Die Messung der Urinosmo- volämie/venöse Hypovolämie bei Volumenkontrak-
lalität wird oft als wesentlich für die Diagnose des tion (z. B. Diuretika) oder die Konstellation (effek-
SIADH beschrieben, tatsächlich ist die Urinosmola- tive) arterielle Hypovolämie/venöse Hypervolämie
lität ohne Bedeutung, da bei nahezu allen Fällen von bei dekompensierter Herzinsuffizienz oder Leberzir-
Hyponatriämie ein nicht verdünnter Urin ausge- rhose.
schieden wird. Wichtige Anhaltspunkte für ein erniedrigtes ef-
fektives arterielles Blutvolumen (EABV) sind anam-
Wasserbelastungstest nestische Salz- oder Volumenverluste, z. B. durch
Der Wasserbelastungstest ist nur selten zur Dia- Erbrechen oder Diuretika (das Serumkalium ist
gnose des SIADH notwendig. Er ist unspezifisch dann oft begleitend erniedrigt). Weiterhin liegen
und hat den Nachteil, eine Hyponatriämie bei bei EABV die in der folgenden Übersicht wiederge-
SIADH zu verschlimmern. Der Test beruht auf gebenen Symptome und Laborwerte vor.
der Messung der Ausscheidung von Wasser nach
oraler Wasserbelastung (20 ml Wasser pro kg Kör- Symptome und Laborwerte bei erniedrigtem
pergewicht in 15-20 min per os). Normalerweise "effektivem arteriellem Blutvolumen"
werden im Liegen innerhalb von 5 h 80% der Trink-
menge ausgeschieden. Die Urinosmolalität wenig- • Durst
stens einer Probe, meist der in der zweiten Stunde, • Trockene Schleimhäute
fällt unter 100 mosmol!kg (spez. Gewicht 1005 g!ml). • Blutdruckabfall und Pulsanstieg im Stehen (Or-
Patienten mit SIADH scheiden oft nur 40% der zu- thostasetest)
geführten Menge aus. Vor dem Test muss das Se- • Plasmakreatinin, Plasmaharnstoff sowie Plasma-
rumnatrium durch Wasserrestriktion oder durch harnsäure im oberen Normbereich oder leicht er-
eine andere adäquate Therapie (falls nötig Natrium- höht
gabe) auf 125 mmol/1 angehoben werden. Patienten • Urinnatriumkonzentration niedrig
mit SIADH benötigen nach dem Test eine einge- (meist < 10 mmol/1)
schränkte Trinkmenge, bis das Serumnatrium wie- Klinik bei venöser Hypervolämie
der auf Konzentrationen wie vor dem Test angestie- • Periphere Ödeme
gen ist (> 125 mmol/1). Nachteil des Wasserbela- • Ascites
stungstest ist auch seine geringe Spezifität. Patienten • Gefüllte Jugularvenen
mit einer Hyponatriämie anderer Genese (Leberzir-
rhose, Herzinsuffizienz) zeigen ebenfalls eine gestör-
te Wasserausscheidung. Patienten, die einen niedrig • Diagnostischer Wert der Urinosmolalität. Die
gesetzten Osmorezeptor bzw. ein "downward rese- Messung der Urinosmolalität ist für die Differential-
ting" des Osmostaten haben (SIADH Typ b nach Ro- diagnostik der Hyponatriämie ohne große Bedeu-
bertson), können den Urin bei niedrigem Serumna- tung. Genau wie bei fast allen Fällen von Hyponatri-
trium wieder adäquat verdünnen. Diese Störung, die ämie das antidiuretische Hormon (ADH) mehr oder
bei SIADH häufig gesehen wird, lässt sich durch den weniger stark erhöht ist, so ist auch bei fast allen
Kochsalzinfusionstest mit gleichzeitiger Messung Formen der Hyponatriämie die Urinosmolalität er-
der ADH-Konzentration erfassen. höht (bzw. der Urin nicht maximal verdünnt) und
der Vergleich der Urinosmolalität mit der Plasmaos-
molalität diagnostisch ohne großen Wert.
8.4.5
Differentialdiagnose • Diagnostischer Wert der Aquaporin-2-Konzen-
tration im Urin. Auch die Aquaporin-2-Konzentra-
Differentialdiagnose der Hyponatriämie tion im Urin ergibt keine zusätzlichen Hinweise, da
Die Differentialdiagnose des SIADH ist die Differen- sie ebenfalls bei verschiedenen Formen der Hypo-
tialdiagnose der Hyponatriämie (Abb. 8-15). Nach natriämie parallel zum ADH erhöht ist, z. B. bei
Ausschluss einer Pseudohyponatriämie muss, wie SIADH oder bei Leberzirrhose.
r
8.4 Das Syndrom der inappropriaten (inadäquaten) Überproduktion von ADH (SIADH) 357
~
Hyponatriämie
I
•
renale Verluste
I
•
extrarenale Verluste
t
Leberzirrhose,
1
SIADH, SIADH im weiteren Sinn:
(Diuretika, Aldosteronmangel, (Erbrechen, Durchfälle, Herzinsuffizienz, Kortisolmangel, Medikamente,
Salzverlustniere, zerebra les Verbrennungen, nephrotisches Schmerzen, Emotion,
Sa lzverlustsynd rom) Pankreatitis etc.) Syndrom Hypothyreose
! I
t t
I
1
Urinnatrium
I
Urinnatrium Urinnatrium
< 10 mmol / 1 >20 mmol/1
I > 20 mmol/1
Abb. 8-15. Differentialdiagnose der Hyponatriämie. Die Be- die Unterteilung und damit die Differentialtherapie. EABV Ef-
stimmung des arteriellen und venösen Volumenstatus sowie fektives arterielles Blutvolumen, EZV Extrazellulärvolumen,
die Urin-Natrium-Konzentration im Spontanurin erlaubt RRortho Blutdruck in Orthostase
Leitlinien zur Behandlung der Hyponatriämie. und Ausfuhr und initial 2- bis 4-stündlicher Mes-
(Nach Berl 1990) sung von Serumnatrium.
Neurologische Störungen können sowohl Folge • Chronische Hyponatriämie. Die chronische Hy-
einer zu langsamen als auch einer zu schnellen ponatriämie (> 48 h Dauer) ist meist nur mild sym-
Korrektur der Hyponatriämie sein ptomatisch oder asymptomatisch. Es besteht des-
Die Behandlung der Hyponatriämie muss sich halb kein Notwendigkeit für eine schnelle therapeu-
stets an der Schwere der neurologischen Sym- tische Intervention und eine intensive Therapie mit
ptome ausrichten hypertoner Kochsalzlösung bringt oft mehr Schaden
Die Dauer des Bestehens der Hyponatriämie be- als Nutzen:
stimmt die Geschwindigkeit der Korrektur
• Akute symptomatische Hyponatriämie (<48 h be- Bei der überschnellen bzw. überschießenden Kor- ...,
stehend) rektur einer Hyponatriämie mit hypertoner Koch- ~
Das Komplikationsrisiko des Hirnödems ist höher salzlösung, insbesondere bei einer mehr als 48 h be- '-'
als das Komplikationsrisiko einer Behandlung stehenden (und damit "chronischen") Hyponatri-
Gabe von hypertoner Kochsalzlösung (s. Text) bis ämie, bei der das Hirnvolumen bereits wieder nor-
die Krampfanfälle sistieren malisiert ist, kann es zur zentralen pontinen
• Asymptomatische Hyponatriämie Myelinolyse (CPM) mit Entwicklung einer schlaffen
Fast immer chronisch Para- oder Tetraplegie, Dysphagie, Dysarthrie und
Wasserrestriktion (bei SIADH) und salzreiche Koma kommen.
Diät unhhängig vom Ausmaß der Hyponatriämie
• Symptomatische Hyponatriämie (chronisch oder Diese schwerwiegende Störung ist nur partiell rever-
Dauer unbekannt) sibel und führt häufig zum Tod. Ausgelöst wird die
Anheben des Serumnatriums um 10%, das ent- CPM durch ein Schrumpfen sensibilisierter Hirnzel-
spricht etwa 10 mmol/1, danach Wasserrestrikti- len durch schnellen Anstieg der Osmolalität. Dies
on (bei SIADH), dabei bewirkt eine Ruptur der Myelinscheiden und setzt
- die Korrekturrate von 2 mmol!l!h nicht damit die Demyelinisirerung über einen noch nicht
überschreiten geklärten Mechanismus in Gang. Die Demyelinisie-
- Serumnatrium nicht über 120 mmol!l anhe- rung lässt sich in der Kernspintomographie nach-
ben weisen. Als besonders gefährdet gelten unterer-
- Serumnatrium nicht um mehr als 20 mmol/ nährte hypovolämische Alkoholiker mit kombinier-
Tag anheben ten Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hyponatri-
- Kochsalzinfusion beenden, wenn Symptome ämie). Der Schweregrad der Hyponatriämie, die
gebessert Schnelligkeit der Entwicklung, die Dauer des Be-
stehens der Hyponatriämie sowie insbesondere
die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Korrektur
• Akute symptomatische Hyponatriämie. Bei einer der Hyponatriämie sind wesentliche Risikofaktoren
akuten Hyponatriämie mit Hirnödem und schwer- bei der Entwicklung der CPM. Bei Alkoholikern und
wiegenden Symptomen wie Bewusstseinsstörungen unterernährten Patienten ist das Risiko für eine
und Krampfanfällen besteht die Gefahr einer Ein- CPM erhöht, ebenfalls bei einer kombinierten Stö-
klemmung, da sich das Gehirn nur um etwa 8% rung (Hypokaliämie und Hyponatriämie). Bei letze-
in der harten Schädelkalotte ausdehnen kann. Es rer Störung wird empfohlen, primär nur Kalium-
ist deshalb notwendig, das erniedrigte Serumna- chlorid oral zu substituieren, auch wenn diese Pa-
trium durch i. v.-Infusion 3 %iger Kochsalzlösung tienten initialoft Zeichen des Volumenmangels auf-
schnell anzuheben, um das Hirnödem effektiv zu be- weisen. Der Grund ist, dass manche Patienten nach
handeln. Zur wirksamen Behandlung des Hirn- Infusion von 1-2 l physiologischer Kochsalzlösung
ödems ist initial eine schnelle Korrektur um bereits eine positive Freiwasserclearance zeigen.
5-10% des Ausgangsnatriumwertes notwendig. Die vermehrte Wasserausscheidung bewirkt, dass
Serumnatrium viel schneller als erwartet ansteigt.
Sobald sich die Symptomatik bessert oder spätestens
wenn die Natriumkonzentration 120 mmol/1 erreicht
hat, muss die Infusion gestoppt werden.
Zur Vermeidung der Komplikation wird generell
empfohlen: Behandeln nur bis die Symptomatik si-
stiert. Bei milder Symptomatik und chronischer Hy-
D
Die Behandlung solcher symptomatischer Hypona- ponatriämie Begrenzung der Korrekturrate auf
triämien erfolgt optimal auf der Intensivstation un- 0,5 mmol/1/h und maximal auf 120 mmol/1 korrigie-
ter regelmäßiger und genauer Kontrolle von Ein- ren ("begrenzt und kontrolliert" behandeln).
360 KAPITEL 8 Wasserhaushalt
8.4.7 Literatur
Notfall
Arieff AI, Kucharczyk J(1993) Myelinolysis is due to rapid cor-
rection of hyponatremia. Reply. Am J Med 94 : 226-227
Bei der symptomatischen Hyponatriämie kann die Bartter FC, Schwartz WB (1967) The syndrome of inappro-
initiale Infusionsgeschwindigkeit der 3 %igen Koch- priate secretion of antidiuretic hormone. Am J Med
salzlösung nach folgender Formel abgeschätzt wer- 42: 790-806
Berl T (1990) Treating hyponatremia: Damned if we do and
den: damned ifwe don't. Kidney Int 37:1006-1018
Bichet DG, Lonergan M, Arthus M-F, Fujiwara TM, Morgan K.
1995. Nephrogenic diabetes insipidus due to mutations in
AVPR2 and AQP2. In: Saito T, Kurokawa K, Yoshida S
(eds) Neurohypophysis-Recent Progress of Vasopressin
and Oxytocin research, pp 605-614
Literatur 361
BurreH LM, Lambert HJ, Baylis PH (1991) The effect of drin- Müller OA, AscherS, Fahlbusch R, Hirsch F, Kluge F, Moll HC,
king on atrial natriuretic peptide, vasopressin and thirst Scriba PC (1972) Zur Diagnostik des Diabetes insipidus
appreciation in hyperosmolar man. Clin Endocrinol unter besonderer Berücksichtigung hypophysektomierter
35: 229-234 Patienten. Acta Neurochir (Wien) 26: 179-190
Damaraju SC, Rajshekhar V, Chandy MJ (1997) Validation stu- Oelkers W (1989) Hyponatremia and inappropriate secretion
dy of a central venous pressure-based protocol for the ma- of vasopressin (antidiuretic hormone) in patients with hy-
nagement of neurosurgical patients with hyponatremia popituitarism. N Eng! J Med 321 : 492-496.
and Natriuresis. Neurosurgery 40: 312-316 Peters JP, Welt LG, Sims EAH (1950) A salt wasting syndrome
DeFronzo RA, Goldberg M, Agus ZS (1976) Normal diluting associated with cerebral disease. Trans Assoc Am Physi-
capacity in hyponatremic patients. Reset osmostat or a va- cians 63 : 57-64
riant of the syndrome of inappropriate antidiuretic hor- Raff H (1987) Glucocorticoid inhibition of neurohypopyseal
mone secretion. Ann Intern Med 84 : 5-42 vasopressin secretion. Am J Physiol 252:R635-R644
Dürr J, Hoffman WH, Hensen J, Sklar AH, EI-Gamma! T, Stein- Richter D, Schmale H (1985) Molecular aspects of the expres-
hart CM (1990) Osmoregulation of vasopressin in diabetic sion of the vasopressin gene. In: Czernichow P, Robinso-
ketoacidosis. Am J Physiol 259:E723-E728 n AG (eds) Diabetes insipidus in man. International Sym-
Gross P, Hensen J (1995) Evaluation ofhyponatremia: is there posium on Diabetes insipidus in Man, (Series editor: van
a rational approach? Nephrol Dia! Transplant 1789-1791 Wimersma Greidanus TB), Front Horm Res 13: 37-41
Hensen J, Bähr V, Oelkers W (1988) Schwere Hypernatriämie Robertson GL (1985) Diagnosis of diabetes insipidus. In: Czer-
bei erworbener Störung der Durst- und Vasopressinregu- nichow P, Robinson AG (eds) Diabetes insipidus in man.
lation (Severe hypernatremia due to acquired disturban- International Symposium on Diabetes insipidus in Man.
ces of thirst and vasopressin regulation). Klin Wo- (Series editor: van Wimersma Greidanus TB) Front Horm
chenschr 66 : 498-501 Res 13 : 176-189
Hensen J, Buchfelder M, Henig A, Fahlbusch R (1996) Distur- Ross EJ, Christie SBM (1969) Hypernatremia. Medicine
bances of osmoregulation in the neurosurgical setting-- 48: 441-473
with special emphasis on the situation after surgery for Scherbaum WA (1992) Autoimmune hypothalamic diabetes
pituitary adenomas, In: v. Werder, K Fahlbusch R (eds) insipidus ("autoimmune hypothalamitis"). Prog Brain
Pituitary adenomas-from basic research to diagnosis Res 93 : 283-292; discussion 292-293
and therapy. Elsevier, Amsterdam, pp 255-268 Thompson CJ, Edwards CRW, Baylis PH (1991) Osmotic and
Hensen J, Dolz M, Oelkers W (1991) Transiente Polyurie in der non-osmotic regulation of thirst and vasopressin secreti-
Schwangerschaft bei Diabetes insipidus und Gestations- on in patients with compulsive water drinking. Clin En-
diabetes (Transient diabetes insipidus and diabetes mel- docrinol 35: 221-228
litus in pregnancy). Med Klin 86 : 623-628 Vallotton MB, Favrel, Dolci W (1986) Osmolar Stimulation of
Hensen J, Henig A, Fahlbusch R, Meyer M, Boehnert M, Buch- vasopressin secretion in man:comparison of various pro-
felder M (1999) Prevalence, predictors and patterns of tocols. Acta Endocrinol (Copenh) 113: 161-167
postoperative polyuria and hyponatraemia in the imme- Verbalis JG (1993) Hyponatremia: epidemiology, pathophysio-
diate course after transsphenoidal surgery for pituitary logy, and therapy. Curr Opin Nephrol Hypertens 2: 4-52
adenomas. Clin Endocrinol (Oxf) SO( 4):431-439 Vierhapper H, Jorg J, Favrel, Vallotton MB, Waldhausl W
Hensen J, Scharia SH (1998) Die Einstufung des Grades der (1984) Comparative therapeutic benefit of indomethacin,
Behinderung bei Hypophyseninsuffizienz, Diabetes insi- hydrochlorothiazide, and acetyl-salicylic acid in a patient
pidus centralis und Morbus Addison. Glandula 7 : 19-20 with nephrogenic diabetes insipidus. Acta Endocrinol
Hensen J, Seufferlein T, Oelkers W (1997) Atherosclerosis, aor- (Copenh) 106: 3-6
tic stenosis and sudden onset central diabetes insipidus. Wuthrich R, Valloton M (1986) Prostaglandin E2 and cAMP
Exp Clin Endocrinol Diabetes 105: 227-233 response to vasopressin in renal medullary tubular cells.
Lohr JW. 1994 Osmotic demyelination syndrome following Am J Physiol 251:F499-FSOS
correction of hyponatremia: Association with hypokale- Zerbe RL, Robertson GL (1981) A comparison of plasma va-
mia. Am J Med 96:408-413 sopressin measurements with a standard indirect test in
Mayinger B, Hensen J (1999) Nonpeptidevasopressin antago- the differential diagnosis of polyuria. N Eng! J Med
nists: a new group of hormone blockers entering the 305 : 1539-1546
scene. Exp Clin Endocrinol Diabetes 107(3):157-165 Zerbe RL, Robertson GL (1983) Osmoregulation of thirst and
Miller M, Dalakos T, Moses AM, Feilerman H, Streeten DH vasopressin secretion in human subjects: effects of va-
(1970) Recognition of partial defects of antidiuretic hor- rious solutes. Am J Physiol 244:E607-E614
mone secretion. Ann Intern Med 73: 721-729
TEIL n Endokrine Störungen
mehrerer Organsysteme
KAPITEL 9
Unterfunktion 365
9.1 Polyglanduläre Insuffizienz 365 wurde, stellte sich mit entgleister Stoffwechsel-
A. LORE NZ lage erstmalig in der Klinik vor. Die Entgleisung
9.1.1 Fallpräsentation 365 wurde zunächst auf Diätfehler im Rahmen der
9.1.2 Krankheitsbilder 366 seit kurzem bestehenden Anorexia nervosa zu-
9.1.3 Pathogenese 366
9.1.4 Klinik 368 rückgeführt. Die Patientin konnte nach adäqua-
9.1.5 Diagnostik 369 ter Therapie in stabilem Zustand nach Hause
9.1.6 Therapie 372 entlassen werden. In den folgenden Wochen
Überfunktion 373 kam es jedoch wiederholt zu stationären Auf-
9.2 Multiple endokrine Neoplasie Typ I nahmen wegen Elektrolyt- und Blutzuckerent-
(MEN 1) 373 gleisungen. Die Patientin klagte im Wesentli-
T. SCHILLING, A. GR AUE R
chen über Müdigkei t und Abgeschlagenheil so-
9.2.1 Fallpräsentation 373
9.2.2 Epidemiologie 374 wie trockene Haut. Bei der klinischen Un ter u-
9.2.3 Pathogenese 374 chung fiel eine bräunliche Verfärbung der
9.2.4 Klinik 375 Handlinien auf. Laborchemi eh zeigte sich
9.2.5 Diagnose 377
9.2.6 Differentialdiagnose 378 eine latente Hypothyreose mit peripher noch
9.2.7 Therapie 379 euthyreoten Werten, aber überschießend re-
9.2.8 Notfall 381 agierendem TRH -Test und erhöhten Schilddrü-
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 senantikörpern bei sonographisch normaler
(MEN 2) 382 Schilddrüse (Tabelle 9-1). Weiterhin fiel ein
A. GRAUER, w. HÖPPNER
Cortisoltagesprofil m it erniedrigten Werten
9.3.1 Fallpräsentation 382
9.3.2 Epidemiologie 382 und aufgehobener Tagesrhythmik auf sowie
9.3.3 Einteilung 382 eine erniedrigte Cortisolausscheidung im 24-
9.3.4 Pathogenese 385 h-Urin. Der ba ale ACTH-Spiegel war erhöht.
9.3.5 Klinik 387
9.3.6 Diagnostik 388 Aldosteron und 18-0H -Corticosteron waren er-
9.3.7 Therapie 393 niedrigt (Tabelle 9-1). Nach ACTH - timulation
9.3.8 Prognose 396 fand sich kei n adäquater Anstieg der Cortisol-
Literatur 396 spiegel (Tabelle 9-2) . Ein Anhalt für eine ova-
rielle Dysfunktion fand sich klinisch und labor-
chem isch nicht. Aufgrund der genannten Befun-
Unterfunktion
de wurde bei der Patientin die Diagnose einer
polyglandulären Insuffizienz (PGI) Typ 2 ge-
9.1 stellt. Diese bestand aus einem M. Addison,
Polyglanduläre Insuffizienz einer Hypothyreose bei Hashimoto-Thyreoiditis
und einem Typ-1-Diabetes-mellitus. Die Patien-
A. LüRENZ tin wurde mit 100 )lg L-Thyroxin, 30 mg Hydro-
cortison, 0,1 mg Aston in H und einer inten ivi-
9.1.1
erten Insulinth erapie substituiert, worunter eine
Fallpräsentation deutliche Besseru ng des Gesamtbefindens er-
reich t wurde. Die Patientin konnte mit otfall-
Eine 23-jährige Patientin mit Typ-1-Diabetes- ausweis in stabilem Zustand nach Hause entl as-
mellitus, der seit dem dritten Lebensjahr be- sen werden. Elektrolyten tgleisungen sind nicht
kannt und bisher zufrieden stellend therapiert wieder aufgetreten.
366 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
Tabelle 9-l. Laborwerte der Patientin. Normale Schrift niedrig- destens 2 endokrinen Insuffizienzen spricht man
normale Werte, halbfette Schrift erhöhte Werte von einer PGI oder auch vom polyglandulären
Laborparameter Werte der Normwerte
autoimmun Syndrom (PAS, bedingt durch eine un-
Paticntin einheitliche Nomenklatur im Schrifttum; s. auch
Abschn. Typ-1-Diabetes-mellitus)
TSH basal 4,9 0,3-4,0 mU/1 • PGI l(entspricht PAS Typ I): Sie wurde 1956 erst-
TSH nach TRH (na al) 32,5 mals beschrieben und ist durch die Trias chroni-
sche mukokutane Candidiasis, Hypoparathyroid-
T3 1,0 0,8-1,8 nglml ismus und M. Addison charakterisiert. Assozi-
T4 53 53-126 nglml ierte Erkrankungen wie primäre Gonadeninsuf-
fizienz, Alopezie, Malabsorption, Vitiligo,
TBG 15,5 11-29 j.lg/ml
chronisch-aktive Hepatitis finden sich in wech-
Anti-TPO 442 < 100 U/ml selnder Häufigkeit.
Anti-TG 1310
• PGI 2 (entspricht PAS Typ II): Sie ist durch die
< 100 U/ml
Trias M. Addison, Autoimmunthyreoiditis und
Cortisol basal 8 h 67 50-250 ng!ml Typ-1-Diabetes-mellitus ausgezeichnet. Ein Bei-
12 h 63 50-250 nglml spiel für eine PGI 2 ist das erstmals 1926 beschrie-
bene Schmidt-Syndrom, nämlich die Kombina-
16 h 63 20-90 nglml tion eines M. Addison mit einer Schilddrüsener-
20 h 76 20-90 nglml krankung. Auch bei der PGI 2 finden sich andere
assoziierte Krankheiten wie perniziöse Anämie/
ACTH basal 1461,5 9-52 pglml atrophische Gastritis, primäre Gonadeninsuffizi-
Aldo teron 1,0 enz, chronisch-aktive Hepatitis oder Vitiligo
(s. Abschn. Typ-1-Diabetes-mellitus).
17 -OH -Corticosteron 5,4
• PGI 3 (entspricht PAS Typ III): Sie wird zusätzlich
LH 4,1 1-11 U/1 noch von manchen Autoren unterschieden. Diese
FSH 7,0 1- 11 U/1
besteht führend aus einer Autoimmunthyreopa-
thie, die mit einer anderen endokrinen Insuffi-
Östradiol 100 zienz kombiniert ist. Ein M. Addison tritt bei
Cortisol im 24-h-Urin 10-60 j.!g/24 h der PGI 3 typischerweise nicht auf.
Immunologische Aspekte
9.1.2 Die Pathogenese der PGI ist noch unklar. Es handelt
Krankheitsbilder sich bei allen Formen um Autoimmunerkrankun-
gen, bei denen Autoantikörper gegen die betroffe-
Die Assoziation verschiedener endokriner Insuffi- nen Organe gebildet werden (Tabelle 9-3). So kön-
zienzen wurde zuerst 1908 von Claude und Gougerot nen bei Patienten mit PGI Antikörper gegen ver-
beschrieben. Polyglanduläre Insuffizienzen manife- schiedene, in der Steroidbiosynthese vorkommende
stieren sich in 2 verschiedenen Krankheitsbildern, Enzyme gefunden werden. Patienten mit einem
die als polyglanduläre Insuffizienz Typ 1 (PGI 1) M. Addison weisen zu einem hohen Prozentsatz
und Typ 2 (PGI 2) benannt sind. Grundlage dieser Antikörper gegen die 21-0H-Dehydroxylase (21-
Erkrankungen ist eine Autoimmunreaktion gegen 0HD-AK) auf. 17-a-OH-Dehydroxylase-Antikörper
mehrere endokrine Organe, die infolge dieser (17a-OHD-AK) und Antikörper gegen P450 scc
Autoimmunreaktion in zeitlich unabhängigen Rah- (P 450 scc-AK) werden dagegen vermehrt bei Patien-
men insuffizient werden. Beim Auftreten von min- ten mit gonadaler Insuffizienz gefunden. Patienten
9.1 Polyglanduläre Insuffizienz 367
Tabelle 9-3. Häufigkeit einzelner Autoantikörper bei ver- 17-a-OH-Dehydroxylase (17-u-OHD ), P450scc, Inselzellen
schiedenen Endokrinopathien im Rahmen der PAS. Darge- (I CA), Glutamatdehydrogenase (GAD ), Thyreoid-Peroxidase
stellt sind die Häufigkeilen einzelner Autoantikörper bei ver- (TPO), Thyreoglobulin (Tg), TSH-Rezeptor (TRAK), Cal-
schiedenen Endokrinopathien im Rahmen des PAS in Prozent cium-sensing-Rezeptor (CASR), Parietalzellen
gegen folgende Antigene: 21-0H-Dehydroxylase (21-0HD),
Antikorper gegen 21 -0HD 17u-OHD P450scc !CA GAD TPO Tg TRAK CaSR Parietal-
zellen
M. Addison 80 40 43
Primä rer 38 46 70
Hypogonadism u
Threoiditis Hashimoro 7 95 70
M. Basedow 7 70 80
Hypoparathyreo idism us - 56
mit einer Autoimmunthyreoiditits weisen häufig die Autoimmunthyreopathie vom Typ Basedow,
Antikörper gegen die Schilddrüsenperoxidase bei der es durch stimulierende TSH-Rezeptoranti-
(anti-TPO ), Thyreoglobulinantikörper (T AK) und/ körper zu einer Stimulation und damit zur Über-
oder TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) auf. Anti- funktion der Schilddrüse kommt und erst im Spät-
körper gegen Nebenschilddrüsengewebe sind schon stadium der Erkrankung über einen fibrotischen
I966 bei Patienten mit idiopatischem Hypopara- Umbau der Drüse die sekretorische Insuffizienz ein-
thyroidismus nachgewiesen worden, und neuere treten kann.
Studien zeigten, dass diese Antikörper gegen die
extrazelluläre Domäne des auf den Nebenschild-
drüsenzellen gelegenen "Calcium-sensing-Rezep- Genetische Aspekte
tor" (CaSR-AK) gerichtet sind. Bei Patienten mit Verschiedene Studien ergaben Hinweise auf einen
einem Typ-1-Diabetes treten neben Inselzellanti- gemeinsamen immunogenetischen Hintergrund
körpern (ICA) Antikörper gegen das Enzym Gluta- der PGI-Syndrome.
matdecarboxylase (GAD) auf (Tabelle 9-3). Patien-
ten mit einer PGI ohne Typ-I-Diabetes zeigen eben- • Polyglanduläre Insuffizienz Typ 1 (PAS Typ I).
falls eine erhöhte Prävalenz für GAD-Antikörper, Die PGI I wird autosomal-rezessiv vererbt und fin-
wobei kürzlich gezeigt wurde, dass bei PGI-Patien- det sich interessanterweise gehäuft in der finnischen
ten das Vorkommen von Antikörpern gegen das Population und bei irakischen Juden. Linkage-Ana-
37k-Antigen mit einer raschen Progression zum lysen in Finnland lokalisierten den Typ I der PGI auf
Typ- I-Diabetes vergesellschaftet ist. Welche Rolle das Chromosom 21q22.3. Erst kürzlich wurde ein
diese verschiedenen Antikörper ätiologisch spielen, neues Gen, KNP-I, isoliert, welches ebenfalls in die-
ist unklar. Gemeinsame Antigendeterminanten, die ser Region lokalisiert ist. Weitere Studien werden
die Autoimmunprozesse an verschiedenen Organen zeigen, ob dieses Gen möglicherweise dem PGI-
bei der PGI erklären könnten, sind bisher nicht ge- Gen entspricht. Eine Assoziation zu HLA-Antigenen
funden worden. konnte für die PGI 1 nicht gefunden werden.
eine Häufung von HLA DR3 und DR3-DQB1 *201. Es Weitere lnsuffizienzen. Ist bei einem Kind die
liegt also der Schluss nahe, dass die Assoziation von Diagnose PGI 1 gestellt worden, sollte im weiteren
PGI2 mit dem DR4-DQB1 *302 Haplotyp von dem Verlauf auf zusätzliche endokrine Insuffizienzen
Vorhandensein eines Typ-1-Diabetes abhängt. vor allem gonadaler Art in der Pubertät geachtet
werden. Auch bei normaler Pubertät ist die Entwick-
lung einer gonadalen Insuffizienz beim Mann oder
9.1.4 eine frühe Menopause bei Frauen häufig. In etwa
9% der Fälle ist bei PGI -I-Syndromen eine intesti-
Klinik
nale Malabsorption beschrieben worden, andere as-
Polyendokrine lnsuffizienzen sind seltene Erkran- soziierte Erkrankungen wie chronisch-aktive Hepa-
kungen. Genaue Zahlen bezüglich der Häufigkeit titis oder perniziöse Anämie kommen seltener vor
der einzelnen PGI-Typen liegen nicht vor. Insgesamt (s. Abschn. "Typ-1-Diabetes-mellitus").
gesehen kommen polyendokrine Insuffizienzen mit
einer Häufigkeit von 5 Neuerkrankungen pro
Polyglanduläre Insuffizienz Typ 2 (PAS Typ II)
100.000 Einwohner pro Jahr vor. Von den 3 PGI-Ty-
Die PGI 2 ist die häufigste Form der PGI.
pen ist die PGI 2 die häufigste Form.
• Die PGI 1 ist eine Erkrankung des Kindesalters,
• Typ-1-Diabetes-mellitus. In der Regel wird zuerst
welche in der Regel innerhalb der ersten Lebens-
ein Typ-I-Diabetes diagnostiziert, ohne dass dabei
dekade auftritt. Die Erstmanifestation zeigt sich
an eine PGI gedacht wird. Die klinischen Leitsym-
meist in Form einer mukokutanen Candidiasis,
ptome - Polyurie, Polydipsie, Inappetenz und Ge-
seltener in Form eines Hypoparathyreoidismus.
wichtsverlust - unterscheiden sich bei der PGI 2
• Die PGI 2 manifestiert sich charakteristischerwei-
nicht von denen beim isolierten Typ-1-Diabetes-
se erst im Erwachsenenalter. Frauen sind etwa
3-mal so häufig betroffen wie Männer. Einen ein- mellitus.
deutigen Altersgipfel gibt es dabei nicht, die Va-
riabilität des Krankheitsbildes ist bei der PGI 2
größer als bei der PGI 1.
Ungefähr 10% aller Typ-i-Diabetiker entwickeln
weitere endokrine Autoimmunerkrankungen. D
Eine positive Familienanamnese, die Zunahme der
Polyglanduläre Insuffizienz Typ 1 (PAS Typ I) Häufigkeit hypoglykämischer Schocks oder die Ab-
• Mulmkutane Candidiasis. Häufigste Erstmanife- nahme des Insulinbedarfs sollte bei Typ-1-Diabeti-
station der PGI 1 ist die mukokutane Candidiasis kern an die Entwicklung einer Nebenniereninsuffi-
im Säuglings- oder Kleinkindalter. Sie ist charakte- zienz denken lassen.
ristischerweise ausgeprägt, befällt oft Nägel und
Schleimhäute und zeigt eine gewisse Therapieresi- • M. Addison. Weitere Leitsymptome der PGI 2
stenz. In einer Studie zeigten 22 von 43 Kindern sind die des M. Addison:
mit chronischer Candidiasis im späteren Verlauf • Müdigkeit,
eine polyglanduläre Insuffizienz Typ 1, sodass bei • Appetitlosigkeit,
jeder länger verlaufenden Candidiasis im Säuglings- • Übelkeit,
und Kleinkindalter an die Möglichkeit einer PGI ge- • abdominelle Beschwerden,
dacht werden sollte. • Hypotonie und
• zunehmende Hautpigmentierungen.
• Hypoparathyreoidismus. Ein Hypoparathyreoi- Interessanterweise ist das Vorkommen eines M. Ad-
dismus als Erstmanifestation ist seltener. Im weite- dison bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 oder
ren Verlauf jedoch ist er die häufigste Endokrinapa- Autoimmunthyreoiditis nicht wesentlich häufiger
thie und betrifft 80-100% der Patienten. Klinisch als bei Normalpersonen. Patienten mit einem M. Ad-
kann er sich durch Tetanie, Anfallsleiden und Hypo- dison als Erstmanifestation entwickeln dagegen in
kalzämie zeigen. mehr als 50% der Fälle Schilddrüsenantikörper
und/oder Inselzellantikörper, was in 40-45% der
• Nebenniereninsuffizienz. Eine Nebennierenin- Fälle zur klinischen Manifestation der Erkrankung
suffizienz tritt in der Regel erst nach dem 6. Lebens- führt.
jahr auf und manifestiert sich oft im Pubertäts- oder
frühen Erwachsenenalter. Müdigkeit und Gedeih- • Autoimmunthyreoiditis. Die dritthäufigste Ma-
störungen sind neben Hyponatriämie und Hyper- nifestationsform im Rahmen der PGI 2 sind Autoim-
kaliämie erste Anzeichen eines M. Addison. munerkrankungen der Schilddrüse. Bei der Auto im-
9.1 Polyglanduläre Insuffizienz 369
munthyreoiditis Hashimoto kommt es im Verlauf • Das Auftreten von Tetanien, Krämpfen oder un-
zur Entwicklung einer Hypothyreose mit Sympto- klaren epileptischen Anfällen kann erster Hinweis
men wie Schwäche, Kälteintoleranz, Müdigkeit, auf die Entwicklung eines Hypoparathyreoidis-
Haarausfall, Hauttrockenheit, Myxödem. Vorausge- mus sein. Ein erniedrigtes Serumkalzium zusam-
hen kann eine kurze Phase der Überfunktion. Bei men mit erniedrigtem intaktem Parathormon
der Autoimmunthyreopathie vom Typ Basedow im- und erhöhtem Serumphosphat sichern die Dia-
poniert die Überfunktion der Schilddrüse mit Sym- gnose.
ptomen wie Gewichtsverlust, Schwitzen, Nervosität, • Müdigkeit, Gedeihstörungen und Hypotonie er-
Herzrhythmusstörungen und Exophthalmus. geben zusammen mit einer Hyperkaliämie und
Hyponatriämie erste Hinweise auf eine Neben-
nierenrindeninsuffizienz. Im Labor findet sich
Polyglanduläre Insuffizienz Typ 3 (PAS Typ 111)
typischerweise ein erhöhter ACTH-Spiegel, ein
Nach der ursprünglichen Klassifikation ist für die Dia-
basaler Cortisolspiegel im niedrig normalen
gnose einer PGI 2 das Vorhandensein eines M. Ad-
oder erniedrigten Bereich und ein unzureichen-
dison zwingend erforderlich. Inwieweit etwa die
der Anstieg des Cortisols auf eine ACTH-Stimu-
Kombination einer Autoimmunthyreopathie mit
lation. Dieser ACTH -Stimulationstest erfolgt
einem Typ-1-Diabetes odereiner atrophischen Gastri-
mittels der Gabe von 0,25 mg synthetischem
tis als PGI 2 eingestuft werden sollte, ist umstritten.
ACTH i. v. und einer Messung des Cortisols
Wie schon zuvor erwähnt, benutzen mehrere Au-
zum Zeitpunkt 0, 30 und 60 min. Einem normaler
toren in der neueren Zeit als weitere Klassifikation
Anstieg des Cortisols liegt bei 150-180 ng/ml
den Begriff der PGI 3. Dieses Syndrom beschreibt die
(0,4-0,5 mmol/1) nach 60 min vor. Noch als aus-
Kombination einer Autoimmunthyreopathie mit
reichend ist ein Mindestanstieg auf 50 ng/ml
einer beliebigen anderen Autoimmunendokrinopa-
(0,137 mmol!l) zu werten.
thie, ohne das gleichzeitig ein M. Addison vorliegt.
Ein isolierter Hypoparathyreoidismus oder M. Ad-
Weitere Manifestationsformen dison im Kindesalter sind extrem selten. In einer re-
Auch bei der PGI 2 werden assoziierte Kranheitsbil- trospektiven Studie über 10 Jahre an einer Kinder-
der wie Vitiligo oder perniziöse Anämie in einer ge- universitätsklinik wurde insgesamt nur 7-mal die
ringeren Häufigkeit gefunden. Die chronisch-aktive Diagnose einer primären Nebenierenrindeninsuffi-
Hepatits und die primär biliäre Zirrhose sind selte- zienz gestellt, wobei in 3 Fällen eine Autoimmuna-
ner als bei der PGI 1, während Vitiligo oder Alopezie drenalitis Ursache der Insuffizienz war.
häufiger vorkommen. Unklar ist die Bedeutung der
perniziösen Anämie aufgrund einer atrophischen
Gastritis. In einer Studie wurde bei 95 o/o aller Patien-
Ähnlich selten ist der isolierte Hypoparathyreoidis-
mus im Kindesalter, sodass bei dem Auftreten beider
D
ten mit Vitiligo eine perniziöse Anämie und/oder Krankheitsbilder an die Erstmanifestation einer PGI
eine atrophische Gastritis bioptisch gesichert, sodass gedacht werden sollte.
die Inzidenz einer pernizösen Anämie und/oder
atrophischen Gastritis möglicherweise bei der Tritt der M. Addison als Zweit- oder Dritterkran-
PGI 2 unterschätzt wird. kung im Rahmen einer diagnostizierten PGI auf,
kann man von einer Autoimmunadrenalitis als Ur-
sache der Nebenniereninsuffizienz ausgehen. Ist der
9.1.5 M. Addison die Erstmanifestation, kann der eta-
Diagnostik blierte Nachweis von Nebennierenrindenantikör-
pern helfen, eine infektiöse Genese der NNR-Insuf-
Polyglanduläre Insuffizienz Typ 1 fizienz abzugrenzen. Die Differenzierung der Anti-
Ein generelles Screening der Gesamtbevölkerung auf körper in entsprechende Autoantikörper gegen ver-
PGI ist wegen der Seltenheit der Erkrankung nicht schiedene Enzyme der Steroidbiosynthese ist
sinnvoll. Bestimmte Konstellationen sollten jedoch aufwendiger und wird im klinischen Alltag sicher-
an die PGI denken lassen und eine entsprechende lich nicht benötigt.
Diagnostik nach sich ziehen (Abb. 9-1 ):
• Es sollte bei Kindern mit hartnäckiger oder beson- • Screeninguntersuchungen. Sobald 2 endokrine
ders ausgeprägter Candidiasis an eine mögliche Organe insuffizient sind, ist es gerechtfertigt, die
PGI gedacht werden. Eine gerraue Familienana- Funktion der anderen endokrinen Organe im Rah-
mnese unter besonderer Berücksichtigung endo- men von Screeninguntersuchungen regelmäßig z. B.
kriner Erkrankungen kann hier bereits richtungs- 1- bis 2-mal/Jahr zu testen. Besonders die gonadale
weisend sein. Funktion sollte während der Pubertät durch Iabor-
370 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
Familienanamnese
Assoziation von zwei typischen Endokrinopaihlen
chron. Candidiasis. Hypoparathyreoidismus oder M. Addison im Kindesalter
M.Add ison im Erwachsenenalter (hohes Risiko einer Zwe~·Endokrinopathie)
""'"'"'" /
Anamnese klinischer Befund
Müdigkeit, Gedeihstörungen, Blutdruck, Pulsfrequenz und •
Leistungsschwäche, Rhythmus, Tremor
Gewichtsänderungen. Hautbeschaffenheit,
alle 12 Monate
Hautveränderungen, Nervosität, Pigmentierung,
Unruhe Schwitzen, Tremor, Schilddrüsengröße,
Augenprobleme, Krämpfe, Exophtalmus, Trousseau 'sches
Tetanien, Zeichen, Chvosteksches
Zyktusunregelmäßigkeiten, Zeichen, Vitiligo,
Libido, Potenz, Sekundärbehaarung, Alopezie,
Sekundärbehaarung , Polyurie, Anämiezeichen,
Polydypsie Leberhautzeichen
Labor-screeningparameter
Serumcalcium. Intakt PTH. ACTH basal, Elektrolyte.
Renin basal, TSH basal, HbAlc, Nüchternblutzucker
M. Addison ACTH-Te~t ,
Autoimmunthyreopathie Schilddrüsenantikörper,
GonadeninsuHizienz FSH, LH, Östrogen, ggf. Testosteron,
Autoimmunhepatitis Transaminasen
!
perniziöse Anämie Blutbild
weitere Untersuchungen
• M. Addison und Typ-1-Diabetes-mellitus. Bei Pa- • Assoziierte Krankheitsbilder. Auch bei der PGI 2
tienten mit einem M. Addison als Erstmanifestation finden sich in geringerer Häufigkeit assoziierte
sollte einmal jährlich neben dem klinisch-anamne- Krankheitsbilder wie Vitiligo, perniziöse Anämie
stischen Screening ein Screening auf Inselzellanti- oder chronisch-aktive Hepatitis .
körper erfolgen, um Risikopatienten bezüglich der
Entwicklung eines Typ-1-Diabetes-mellitus zu er- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Dia-
kennen und frühzeitig therapieren zu können. gnostik der Endokrinopathien bei beiden PGI-For-
men nicht von der Diagnostik isolierter Endokrino-
Wie bei der PGI 1 geben klinische Sypmtome wie pathien unterscheidet. Wichtig ist, an die mögliche
Müdigkeit, Hypotonie, verstärkte Hautpigmentie- Manifestation weiterer Endokrinopathien zu denken
rung oder eine Änderung des Insulinbedarfs bei und diese durch ein regelmäßiges Screening frühzei-
Typ-I-Diabetikern erste Hinweise auf eine Neben- tig zu erkennen (Tabelle 9-4).
Endokrinopathie Therapieschema
Candidiasi Ketoconazol
M. Basedow Carbimalzol, in itial 10- 30 mg/Tag p. o., Erhaltung dosi 5- 10 mg/Tag p. o. oder
Nach Erreichen der Euthyreose entweder Monotherapie mit Thyreostatika mit häufigeren
Laborkontrollen oder Kombinationstherapie mit L-Thyrox.in 50- 100 J.tg/Tag p. o.
Therapiekontrolle Überfunktion
Die Kontrolle der Therapie erfolgt im Wesentlichen
über die Klinik:
• Eine gute Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit, 9.2
normaler Blutdruck, ausgeglichene Elektrolyte Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1)
und normaler oder nur leicht erhöhter Reninspie-
T. SCHILLING, A. GRAUER
gel signalisieren eine ausreichende Substitutions-
therapie beim M. Addison. Eine Überdosierung
9.2.1
kann über die Cortisolausscheidung im 24-h-
Fallpräsentation
Urin nachgewiesen werden.
• Freies T3 und T4 geben zusammen mit dem ba-
salen TSH Aufschluss über die Suffizienz der Bei einer 40-jährigen Patientin traten epigastri-
Schilddrüsenhormonsubstitution. sche Schmerzen auf, die im Verlaufvon wenigen
• Die Therapie des Hypoparathyreoidismus sollte Wochen zu einem akuten Abdomen führten. Bei
durch regelmäßige Bestimmung des Serumkal- der Laparotomie wurde ein perforiertes Ulcus
zium- und -phosphatspiegels kontrolliert werden. ventriculi festgestellt, welches übernäht wurde.
• Ein regelmäßiger Menstruationszyklus bei der Ein Jahr später traten erneut epigastrische
Frau und normale Libido, Potenz und Sekundär- Schmerzen mit Entwicklung eines akuten Abdo-
behaarung beim Mann sind gute klinische Hin- mens auf. Bei einer Laparotomie fand man er-
weise für eine ausreichende Funktion der Gona- neut ein perforiertes Ulcus ventriculi. Anamne-
den. Unter Substitutionstherapie ist eine Bestim- stisch ließ sich erfahren, dass die Mutter der Pa-
mung des Östrogens nur sinnvoll, wenn tatsäch- tientin mit 55 Jahren an einem metastasierenden
lich 17ß-Östradiol verabreicht wird. Dies erfolgt Inselzellkarzinom des Pankreas verstorben war.
z. B. in den meisten transdermalen Östrogenprä- Bei der Patientin bestand klinisch der V. a. ein
paraten. Andere Östrogenpräparate lassen sich Gastrinom. Bei familiär auftretenden Pankreas-
durch die Östrogenbestimmung meist nicht nach- tumoren ist das Vorliegen einer MEN 1 sehr
weisen. Klinische Zeichen wie Hitzewallungen wahrscheinlich. Im Rahmen der Befunderhe-
sind Hinweise für eine unzureichende Substituti- bung ergab sich ein erhöhtes Gastrin und ein
on. Unter Testosteronsubstitution ist der klini- positiver Sekretinstimulationstest. Dies erhärtet
sche Eindruck und das Vorhandensein einer zu- die Diagnose eines Gastrinoms. Als Lokalisation
frieden stellenden Libido und Potenz ein wichti- fand sich ein 2 cm großer Herd im Caput
ges Kriterium. Eine einmal angefangene Substitu- des Pankreas. Weiterhin litt die Patientin an
tionstherapie muss ein Leben lang durchgeführt einem primären Hyperparathyreoidismus (Ta-
werden und darf nicht abgesetzt werden. belle 9-5). Bei der durchgeführten familiären
Screeninguntersuchung wurde eine weitere
Schwester mit MEN 1 (Prolaktinom und pri-
Nebenwirkungen
märer Hyperparathyreoidismus) identifiziert
Nebenwirkungen sind bei korrekt dosierter Substi-
(Abb. 9-2). Therapeutisch wurde zunächst eine
tutionstherapie nicht zu erwarten. Die möglichen
erfolgreiche Operation des primären Hyper-
Komplikationen bei der Substitutionstherapie un-
parathyreoidismus durchgeführt. Daraufhin
terscheiden sich nicht von denen bei monoglandu-
wurde das Gastrinom im Pankreaskopf
lären Hormonmangelzuständen (s. entsprechende
enukleiert. Histologisch zeigte sich ein nied-
Kapitel). Wichtig ist, bei Patienten oder Verwandten
rig-malignes Gastrinom bei tumorfreien
mit PGI an die mögliche Entstehung weiterer endo-
Lymphknoten. Das postoperative Gastrin war
kriner Insuffizienzen zu denken und durch regelmä-
ßige klinische und laborchemische Kontrollen sol- mit 121 ng/ml (Norm < 90 ng!ml) fast normali -
che frühzeitig zu entdecken und entsprechend zu siert. Bei der Verlaufsbeobachtung kam es zu
einem Wiederanstieg des Serumgastrins auf
therapieren.
770 ng/1. Im CT ergab sich der V. a. ein Rezidiv
des Gastrinoms mit einer Raumforderung von
1- 2 cm Durchmesser. Die Patientin wurde mit
Omeprazol (Antra) 3-mal 20 mg!Tag behandelt.
374 KA PITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
Organ Häufigkeit (% )
ebenschilddrüse 95
Pankreas/Duodenum 40
Hypophyse 30
exon 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
P12L
L22R S308X R415X
L83,S84del A309P D416del
S84del Y312X W436R
S84,185del Y323X W436X
R98X W341del 0442X
R108X 1132del F447S
0102del T344R Abb. 9-3.
K119del Schemati ehe Darstellung des Menin-
A160P L286P Y353X R460X
gen s mit den bisher gefundenen
K120X
A176P 1202del 1484del
F134del
W183S E363del 1509ins
Keimbahnmutationen bei ME I. Die
T275G,276insG
W183X 1280del 1650del kodierenden Regionen de Meningen
313del
W198X 1650ins sind schwarz darge teilt, die nichtko-
357del
0209, T21 Odel R527X dierenden Regionen sind grau. Die
416del
713del Mutationen ind ehr variabel und be-
483del
512deiC
T21 O,V211 del inhalten Punktmutationen, Insertionen
H139Y
735del und Deletionen. Da am häufig ten
H1390 betroffenen Exon ist der kodierende
F144V Anteil von Exon 2
Tabelle 9-8. Pankreas- und Duodenumtumoren bei MEN 1 gekennzeichnet ist. Der Tumor ist in der Regel im
und deren Häufigkeit
Pankreas lokalisiert und ist in 1/3 der Fälle maligne.
Hormon - Häufigkeit Klinik
produktion (%)
Hypophysenadenome
Gastrin 63 ZoUinger-EUison-Syndrom Die Hypophysenvorderlappenadenome bei der
MEN I sind im überwiegenden Teil der Fälle hor-
Insulin 27 lnsulinom monaktiv und nur selten hormoninaktiv. Die kli-
Glukagon 2 Glukagonom nische Symptomatik richtet sich nach dem sezer-
nierten Hormon und unterscheidet sich nicht von
VIP ,..., ) Verner-Morrison -Syndrom der von sporadischen Adenomen. Am häufigsten
Inaktiv "' 1 kommt bei der MEN I ein Prolaktinom, gefolgt
von einer Akromegalie und einem M. Cushing,
vor (Tabelle 9-9).
Die klinisch gebotene Symptomatik wird dabei Tabelle 9-9. Hypophysenvorderlappenadenome bei MEN 1 und
durch das sezernierte Hormon bedingt. Die endokri- deren Häufigkeit
nen Tumoren sind in der Regel sehr klein und mul-
Hormon - Haufigkeit Klinik
tifokal, sodass die Symptomatik einer mechanischen produktion (%)
Raumforderung erst sehr spät oder gar nicht in Er-
scheinung tritt. Prolaktin 63 Prolaktinom
Wachstums- 22 Akromegalie
• Gastrinom. Das Leitsymptom dieses endokrinen hormon
Tumors ist das Zollinger-Ellison-Syndrom mit rezi-
divierenden Ulzera des Gastrointestinaltraktes zu- ACTH 6 Zentraler Morbus Cushing
D
Größe bei entsprechender Somatostatinrezeptor-
dichte nachgewiesen werden können. Beim Insuli-
nom sind dagegen mindestens 40 o/o der lnsulinome Da bei der MEN I Insulinome signifikant häufiger in
Somatostatinrezeptor-negativ, wodurch die Wertig- jungen Jahren und Gastrinome signifikant häufiger
jenseits von 40 Jahren auftreten, müssen bei jüngeren
Familienangehörigen eher Insulinome und bei älte-
Tabelle 9-10. Bildgebende Verfahren bei Pankreas-/Duode- ren Familienangehörigen eher Gastrinome gesucht
numtumoren
werden.
Methode Erfolgsrate (%)
Diese Kontrollen sind alle 6-12 Monate lebenslang
Oberbauchsonographie < 50 oder bis zum eindeutigen molekulargenetischen
CT < 50 Ausschluss einer Genträgerschaft durchzuführen.
Als standardisierter Screeningtest für die Detektion
MRT 30 von endokrinen Pankreastumoren wird von Skog-
Somatostatinrezeptor-Szintigraphie 58- 100 seid et al. ein standardisierter Nahrungstest zur Sti-
mulation des endokrinen Pankreas durchgeführt.
Endosonographie 80 Dabei wird vor und während der Mahlzeit das pan-
ArterieUe Angiographie 50 kreatische Polypeptid (PP), Gastrin, Insulin, Gluka-
gon und Somatostatin im Serum bestimmt.
378 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
asymptomatischer
schließen. Selbst wenn in einer MEN-1-Familie die
MEN 1 zugrunde liegende Meninmutation nicht bekannt
Familienangehöriger
ohne bekannte
ist, so kann doch mittels "Linkage-Analysen" bei
Keimbahnmutation großen Familien eine präsymptomatische Aussage
über eine MEN-1-Erkrankung mit großer Treffsi-
cherheit gemacht werden.
9.2.6
Differentialdiagnose
MEN-1-Gendiagnostik
Das MEN-1-Gen "Menin" liegt auf Chromosom Wichtig ist die Abgrenzung von endokrinen Tu-
11ql3. Es besteht aus 10 Exons und kodiert ein Pro- moren der MEN 1 von sporadischen endokrinen Tu-
tein von ca. 610 Aminosäuren Länge. Eine Ähnlich- moren ohne Keimbahnmutation. Beim Auftreten
keit mit bisher bekannten Proteinen besteht nicht. eines "sporadischen" endokrinen Tumors sollte im-
Die der MEN 1 zugrunde liegenden Mutationen mer an die Möglichkeit einer Erstmanifestation
im Meningen umfassen eine Reihe von verschiede- einer MEN 1 gedacht werden. Dies trifft vor allem
nen Mutationen, die zu Rasterverschiebungen, Dele- bei Pankreastumoren zu: diese sind in ca. 32%
tionen, Nonsense- und Misseusernutationen führen der Fälle Erstmanifestation einer MEN I und keine
können (s. Abb. 9-3). Die Vielfalt der vorliegenden eigenständige sporadische Erkrankung (Abb. 9-5).
Mutationen macht eine routinemäßige Gendiagno-
stik auf eine MEN-1-Mutation schwierig. Derzeit
ist die Suche nach weiteren MEN-1-Mutationen
im Meningen Gegenstand der Forschung. In der Re- Pankreastumor
gel findet sich bei den beschriebenen Mutationen
(s. Abb. 9-3) eine sichere Genotyp-Phänotyp-Korre- Karzinoid
lation in den entsprechenden Familien. Ein Problem pHPT
bei der Gendiagnostik von Individuen ohne großen
familiären Kontext bereiten jedoch Genpolymor- HVL-Adenom
phismen im Meningen, die von einer "krankma-
chenden" MEN-1-Mutation nicht sicher abzugren-
zen sind.
Ist in einer MEN -1-Familie die Meninmutation • sporadisch D MEN 1
bekannt, so lässt sich durch eine entsprechenden
Abb. 9-5. Häufigkeit einer MEN-1-Zugehörigkeit beim Auf-
Gendiagnostik bei den Familienangehörigen eine treten von augenscheinlich "sporadischen" endokrinen Tu-
MEN-1-Erkrankung sicher nachweisen oder aus- moren
9.2 Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1) 379
Dagegen handelt es sich beim Auftreten von Karzi- • Aggressives Therapiekonzept bei MEN. Bei der
noiden, Nebenschilddrüsenadenomen oder Hypo- MEN 1 besteht bezüglich des Zeitpunkts und des
physenadenomennur in 7, in 5 und in 2% der Fälle Ausmaßes einer operativen Therapie des Gastri-
um eine Erstmanifestation einer MEN 1. noms keine Einigkeit. Ein aggressives Therapiekon-
Kommt es im Rahmen einer MEN 1 zu einer zept verfolgt das Ziel, einer malignen Entartung mit
Akromegalie oder zu einem Cushing-Syndrom, so diffuser Metastasierung vorzubeugen und das funk-
muss differentialdiagnostisch neben einem Hypo- tionelle Syndrom der Hypergastrinämie chirurgisch
physenvorderlappenadenom an eine ektope Pro- zu sanieren. Bei MEN-1-Patienten mit Gastrinom
duktion hypothalamischer oder hypophysärer Hor- und ohne Lebermetastasen wird deshalb eine Lapa-
mone gedacht werden. In Frage kommt hier z. B. rotomie mit distaler Pankreatektomie, Enukleation
eine ACTH-Sekretion durch ein Karzinoid oder aller Tumoren des Pankreaskopfes, eine obligate
aber Bronchialkarzinomen und Pankreastumoren, Duodenatornie mit Exzision aller suspekten Befun-
die entsprechende Hormone sezernieren. de des Duodenums und die Resektion aller peripan-
kreatisch, entlang des Ductus hepaticus communis
und an der Leberpforte lokalisierten Lymphknoten
9.2.7 empfohlen. Die exzessive Lymphadenektomie ist
Therapie wegen der Gefahr einer Persistenz der Hypergastrin-
ämie aufgrund von Mikroadenomen von 1 mm
Nebenschilddrüsenadenome Durchmesser in den Lymphknoten indiziert. Die Er-
Therapie der Wahl ist eine operative Resektion der folgsrate dieser ausgedehnten operativen Therapie
Nebenschilddrüsenadenome. Da die Nebenschild- scheint bei erfahrenen Chirurgen bei ca. 65% zu lie-
drüsenadenome bei der MEN 1 in der Regel immer gen.
polyglandulär sind, sollten nur erfahrene Chirurgen
diese Operation durchführen. Die Dissektion der • Zollinger-Ellison-Syndrom. Da es sich beim Zoll-
Nebenschilddrüsen muss deshalb immer bilateral inger-Ellison-Syndrom im Rahmen einer MEN 1 in
unter Darstellung aller Nebenschilddrüsen sein. der Regel um eine multiple Mikroadenomatose des
Als Operation kommt entweder eine subtotale Pa- Gastrinoms mit generell sehr hoher Rezidivrate han-
rathyreoidektomie oder eine totale Parathyreoidek- delt, wird bei einem konservativen Therapiekonzept
tomie mit autogener muskulärer Nebenschilddrü- eine abwartende Haltung mit 6-monatigen Nachun-
sentransplantation in Frage. tersuchungen empfohlen. Eine Laparotomie wird
erst bei einem nachgewiesenen Gastrinom von
mehr als 3 cm Durchmesser empfohlen. Beim Auf-
Pankreas-/Duodenumtumoren treten von Lebermetastasen eines Gastrinoms bei
Therapie der Wahl bei allen endokrinen Pankreas- MEN 1 sollte eine Primärtumorentfernung mit Le-
und Duodenumtumoren ist eine operative Resek- berteilresektion oder Chemoembolisation der Le-
tion. bermetastasen erwogen werden.
Tabelle 9-12. Medikamentöse, symptomatische und palliative Therapie bei endokrinen Tumoren des GI-Traktes
lnsulinom I. Wahl Vasodilatator Diazoxid Proglieem 150- 300 mg/ Kombination Blutzucker
Tag ein- mit Diureti-
schleichend kum erforder-
Lieh (kein
Thiazid)
3. Wahl Polychemo- Strepto- Zanosar mit 500 mg!m 2 Gabe über Blutzucker
therapie zoteein + Fluorouracil 100 mgtm 2 5 aufeinander Tumorgröße
5-Fiuorouracil "Rache" folgende Tage
bei MEN -I-assoziierten Insulinomen in 75 o/o ein • Medikamentöse Therapie. Die medikamentöse,
multifokales Auftreten im Pankreas zu verzeichnen. symptomatische Therapie des Hyperinsulinismus
Ein extrapankreatisches Auftreten von Insulinomen ist schwierig (s. Tabelle 9-12). Als erste Wahl bietet
bei MEN 1 ist selten und die Malignitätsrate der In- sich die Hemmung der Insulinsekretion mit Dia-
sulinome bei MEN 1 beträgt ungefähr 14 o/o. zoxid an. Eine Wirkung liegt jedoch nur bei Insuli-
nomen vor, deren Tumorzellen speichernde Sekret-
• Subtotale Pankreatektomie. Als kurativer Ansatz granula aufweisen. Als weitere Option besteht die
empfiehlt sich deshalb eine subtotale Pankreatekto- Möglichkeit einer Gabe von Somatostatinanaloga,
mie in Kombination mit der Enukleation aller im deren Wirksamkeit jedoch auch von speichernden
Pankreaskopf nachweisbaren Tumoren. Die Erfolgs- Sekretgranula abhängt. Falls sich die Hypoglyk-
rate dieser Operationstechnik erreicht bis zu 95 o/o ämien durch diese Maßnahmen nicht beherrschen
und ist damit der minimalen distalen Pankreasre- lassen, ist eine palliative Chemotherapie mit Strep-
sektion oder der einfachen Enukleation der Ade- tozotocin, einem Zytostatikum mit hoher ß-zytoto-
nome, wie sie beim sporadischen Insulinom durch- xischer Wirkung, in Kombination mit 5-Fluoroura-
geführt wird, deutlich überlegen. Eine totale Pan- cil indiziert.
kreatektomie ist wegen der endokrinen und exokri-
nen Pankreasinsuffizienz mit hoher perioperativer
Morbidität und Mortalität nur bei therapierefraktä-
ren Insulinomen empfehlenswert.
9.2 Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1) 381
Nebennierentumoren
Wird eine Nebennierenrindenproliferation festge-
stellt, so muss zunächst differentialdiagnostisch ge-
klärt werden, ob es sich um eine primäre Neoplasie
382 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
Abb. 9-7.
MIBG-Szintigramm. Mehr-
anreicherung in der rechten
Nebennierenloge (Pfeil)
Phäochromozytomabklärzmg
24-h-Urin Adrenalin 647 nmol/Tag Bis 109 nmoi!Tag
ormetanephrin 7,90 J.lmoi/Tag Bis 1,9 J.imoi/Tag
Metanephrin 11,9 J.imol/Tag Bis 1,5 J.lmoi/Tag
MRT der ebenniere 3 · 4 · 5 cm große Raumfor-
derung im TZ-gewichteten
Bild
MIBG-Szintigramm Mehr peicherung rechte
R-Loge (s. Abb. 9-8)
Abklärung medulläres childdrüsenkarzinom
Kalzitonin basal 35,3 pglml Männer bis 6,6 pglml
2 min nach Pentagastrin 983 pglml Bis 43 pglml
5 min nach Pentagastrin 824 pglml Bis 43 pglml
childdrüsensonographie rechts zentrokranial 1,6 mJ
großes echoarmes Areal
Abklärung primärer Hyperparathyreoidismus
Serumkalzium 2,32 mmol/1 2,1-2,65 mmol/1
PTH intakt 39,7 pglml 10-65 pglml
Genetische Testtmg
Nachweis einer Mutation in
Exon II, Codon 634 des RET-
Protoonkogens (TGC zu TAC)
mit Aminosäureaustausch
von Cystein nach Tyrosin.
384 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
7,8%
I EI sporadisch
e MEN 2A
• MEN 28
[I] fMTC
Abb.9-8.
Häufigkeitsverteilung der medullären
Schilddrüsenkarzinome in Deutschland,
Auswertung von 1.004 Patienten des
deutschen C-Zell-Karzinomregisters
Tabelle 9-14. Komponenten der Erkrankung. jMTC familiäres Tabelle 9-15. Phäochromozytom bei MEN 2. MTC medulläres
medulläres Schilddrüsenkarzinom Schilddrüsenkarzinom. (Nach Modigliani et al. 1995; Frank-
Raue et al. 1996)
Krankheitsentitat MEN 2A ß1TC l\IEN 28
(%) (%) (%) Untersuchungspunkte Vorkommen (%)
Tabelle 9-16. Hyperparathyreoidismus bei MEN 2A. (Nach Protoonkogens vorkommen und führen zur Hirsch-
Raue et al. 1995) sprung-Krankheit (Megacolon congenitum, Agang-
lionose). Aktivierende Mutationen lösen die heredi-
Untersuchungspunkt Vorkomm en (o/o)
tären Tumoren der MEN-2-Erkrankung aus. Auch
Zeitpunkt der Diagnose bei einigen MEN 2 auslösenden Mutationen tritt
ein M. Hirschsprung als Begleiterkrankung auf.
Zusammen mit dem MTC 75
Das über das RET-Protoonkogen kodierte RET-
Schweregrad Protein gehört zu der Familie der membranständi-
gen Tyrosinkinaserezeptoren. Der Aufbau ent-
Asymptomatisch 80
spricht dem verwandter Rezeptoren, wie etwa dem
Vorkommen von ierensteinen 15 Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor
(EGF-Rezeptor). Es besteht aus einem extrazellulä-
Pathologie
ren Teil mit Ligandenbindungsdomäne, cysteinrei-
Singuläres Adenom ca.SO cher Domäne sowie transmembranöser Domäne.
Der intrazelluläre Teil baut sich aus einer Tyrosin-
4-Drüsen-Hyperplasie 40
kinasedomäne mit Tyrosinkinaseaktivität und Au-
tophosphorylierungsstellen auf (Abb. 9-10).
Exons 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15161718192021
mRNA 5' 3'
Protein COOH
Abb. 9-9. Schematischer Aufbau des Ret-Protoonkogens, der mRNA und des ret Proteins. Cys Cystein-reiche Domäne, LBD
Ligandenbindungsdomäne, TM Transmembrandomäne, TK Tyrosinkinasedomäne)
386 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
I Liganden-Bindungs-Domäne
I
Cadherin
Cysteinreiche Domäne
.-------~~~~~--~-------------. Membran
•
Cysteln Reste
mutierte Cystelne
I Tyroslnkinase Domäne
Abb. 9-11.
Dim erisierung des RET-
Proteins mit dem GDNF-
Rezeptor nach Ligandenbin-
intrazelluläre dung und Aktivierung der
Signalkette (-n) intrazellulären Signalkette
nach Autophosphorylierung
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 387
Cys 609 Cys 618 Cys 620 Cys 634 Glu 768 Val804 Ala 883
lff. Tyr lff. Tyr lff. Tyr lff. Tyr lff. Asp lff. Leu lff. Phe
Cys 611 ~ Ser lff. Arg lff. Trp Leu 790 lff.Met Met 918
lff. Tyr /ff.Giy ~ Ser lff. Phe Arg 844 lff. Thr Abb. 9-12.
lff. Trp /ff.Arg /ff.Giy Tyr 791 lff. Leu Lokalisation der wichtigsten
/ff.Arg ~Phe aktivierenden Mutationen im
lff. Phe RET-Protoonkogen
Tabelle 9-17. Verteilung der häufigsten Mutationen im RET-Protoonkogen und korrelierter Phänotyp bei deutschen MEN-2-
Familien
sich eine Struma nodosa mit sonographisch meist pen, Mundschleimhaut, Zunge und Augenlidern. In
echoarmem, szintigraphisch kaltem Knoten. In der Spaltlampenuntersuchung findet man verdickte
50 o/o sind bereits zervikale Lymphknotenmetastasen Kornealnerven. Sie finden sich bereits im frühen
nachweisbar. Eine sekretorische Diarrhö kann in Kindesalter, oft vor der Manifestation des medullä-
etwa 30 %, vor allem bei fortgeschrittenen Fällen, ren Schilddrüsenkarzinoms. Die intestinale Ganglio-
auftreten. Der dafür ursächliche Faktor konnte bis- neuromatose, die üblicherweise den gesamten
lang noch nicht sicher identifiziert werden. Einzel- Gastrointestinaltrakt betrifft, findet sich bei ca.
fälle sind beschrieben, in denen das medulläre 75-90 o/o der Patienten. Diese Erscheinung führt zu
Schilddrüsenkarzinom durch zusätzliche ACTH- Störungen der Kolonfunktion im Sinne einer chro-
Produktion ein ektopes Cushing-Syndrom ausgelöst nischen Obstipation, die von Geburt an besteht. Häu-
hat. In einem Alter von 35 Jahren ist die Wahr- fig liegt ein Megakolon vor, welches in etwa 50 o/o der
scheinlichkeit, dass sich ein MTC klinisch bemerk- Fälle chirurgisch therapiert werden muss. Typische
bar gemacht hat, nur etwa 20 o/o und steigt auf Veränderungen des klassischen Marfan -Syndroms,
60 o/o in einem Alter von 70 Jahren an. Biochemisch wie Linsenanomalien oder ein Aortenaneurysma,
nachweisbar ist die Erkrankung jedoch bereits mit werden nicht beobachtet. Die folgende Übersicht
20 Jahren bei 65 o/o und mit 35 Jahren bei nahezu gibt einen Überblick über die klinischen Zeichen
100 o/o der Gen träger. der MEN 2B.
D
Kyphoskoliose
Bei primär unilateralem Befall wird sich in ca. 35 % Epiphysiolysis capitis femoris
der Patienten mit MEN 2 auf der primär nicht betrof- • Verdickung der Kornealuerven
fenen Seite im Laufe der nächsten fahre ebenfalls ein • Zahnanomalien mit ausgedehntem Kariesbefall
Phäochromozytom entwickeln.
nur etwa in der Hälfte der Fälle eine klinische Auffäl- Tabelle 9-18. Labordiagnostik bei der MEN 2. MTC medullä-
ligkeit zur Indikation der Diagnostik. In diesem res Schilddrüsenkarzinom, pHPT primärer Hyperparathyreoi-
dismus
Falle unterscheidet sich der diagnostische Weg nicht
von dem der Einzelerkrankungen. In der anderen Erkrankung Nachweis Screening
Hälfte der Fälle wird die Diagnostik im Rahmen
des Familienscreenings bei genetischer Belastung MTC Kalzitonin, CEA Kalzitonin nach
Pentagastrin
durchgeführt. Dabei wird der Nachweis nicht
mehr durch ein biochemisches Screening geführt, Phäochromo- Urinkatecholamine U rinkatecholamine
sondern durch den Nachweis von Mutationen im zytom
RET-Protoonkogen, die in nahezu allen genetisch pHPT Serumkalzium, erumkalzium
bedingten Fällen vorliegen. PTH
Wenn bei einem Indexfall in der Familie eine
MEN 2 diagnostiziert wurde, sollte zunächst dessen
Genotyp ermittelt werden. Im Anschluss sollten zu-
für jeden Assay neu ermittelt werden. Die Kalzito-
nächst alle Verwandten 1. Grades genetisch auf das
ninspiegel liegen bei Frauen physiologischerweise
Vorliegen der bei dem Indexfall gefundenen Muta-
niedriger als bei Männern, auch dies muss bei der
tion getestet werden. Unabhängig vom Ergebnis
Normwertermittlung berücksichtigt werden. Neben
sollte diese Testung aus einer 2. unabhängigen Blut-
dem Kalzitonin findet sich beim manifesten C-Zell-
probe wiederholt werden (Bestätigungsanalyse).
karzinom auch ein erhöhtes CEA.
Wenn keine einschlägige Mutation vorliegt, kann
die weitere Überwachung eingestellt werden. Findet
• Kalzitoninstimulations-Test mit Pentagastrin.
sich eine MEN-2-Mutation, muss der Patient jetzt
Ein kleines C-Zellkarzinom oder eine C-Zellhyper-
auf das Vorliegen der Organmanifestationen hin un-
plasie sind durch einen normalen basalen Kalzito-
tersucht werden.
ninspiegel nicht auszuschließen. Bei entsprechender
Fragestellung erhöht der Pentagastrintest die dia-
Anamnese gnostische Sicherheit. Die folgende Übersicht zeigt
Charakteristisches Symptom bei etwa 30% der Pa- das Vorgehen beim Pentagastrintest Die Normwer-
tienten mit medullären Schilddrüsenkarzinom te für die pentagastrinstimulierte Kalzitoninsekreti-
sind sekretorische Diarrhöen. Für das Phäochromo- on unterscheiden sich zwischen verschiedenen
zytom ist eine, häufig anfallsartige arterielle Hyper- Nachweissystemen und müssen jeweils neu definiert
tonie mit Schweißausbrüchen, Kopfschmerzen und werden.
Zittern typisch. Bei V. a. MEN 2 ist die Familienvor-
geschichte von zentraler Bedeutung.
Pentagastrintest
Lokalisationsverfahren beim
90
medullären Schilddrüsenkarzinom
230
80 Phäochromozytom
Für die bildgebende Diagnostik stehen an rein mor-
50 50 phologischen Verfahren die Sonographie, die Com-
putertomographie und die Kernspintomographie
zur Verfügung. Die Kombination aus Bildgebung
und funktioneller Aussage ist mit Hilfe der Szinti-
graphie mit 123 1-Metaiodbenzylguandin (MIBG)
möglich. Bei Patienten mit biochemischen AuffäHig-
keiten lässt sich im Dünnschicht-CI oder MRT fast
Abb. 9-13. Kalzitoninbestimmung nach selektiver Halsve- immer ein Tumor nachweisen, was umgekehrt nicht
nenkatheterisierung. Ein Katheter wird über die V. femoralis immer der Fall ist. Die MIBG-Szintigraphie ist das
eingeführt, 15- 25 Blutproben werden selektiv nach einem
standardisierten Schema entnommen. Aus den Proben wird spezifischste Verfahren und kann bereits im Sta-
Kalzitonin bestimmt und ein Gradient aus dem höchsten Kal- dium der Nebennierenmarkhyperplasie positiv
zitoninwert und einem Mittelwert der Kalzitoninbestimmun- sein. Wichtig ist daran zu denken, dass das Phäo-
gen aus den peripheren Abnahmestellen unterhalb der V. he-
patica ermittelt. Gradienten über 1,2 deuten auf res iduales Tu- chromozytom bei der MEN 2 in 50% der Fälle bei
morgewebe im Abflussgebiet dieser Venen hin Diagnosestellung bilateral vorkommt (Tabelle 9-19).
100
89%
80
l 60
~
~
·;;; 40 38%
I:
Cl)
(/)
20
Abb.9-14.
0
Sensitivität von Lokalisationsverfahren zur Identifi-
sHVK Ultraschall CT kation von Tumorresiduen eines MTC nach totaler
Lokalisationsverfahren Thyreoidektomie. (Nach Frank-Raue et al. 1992)
392 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
Tabelle 9-19. Lokalisationsverfahren beim Phäochromozy- aus Tumor- oder Normalgewebe müssen Familien-
tom (prospektive Untersuchung an 109 Fällen. (Nach Bravo
1994)
mitglieder dann nur noch auf diese Mutation unter-
sucht werden. Ist es nicht möglich, von einem Index-
Untersuchung Sensitivität Spezifitat patienten über die molekulare Diagnostik die Muta-
(%) (%) tion zu identifizieren, muss bei allen Familienmit-
gliedern, an die nach den Erbregeln eine evtl.
CT 98 70
vorhandene Mutation vererbt worden sein könnte,
M RT 100 67 eine komplette Analyse der Exons 10, 11 und 13
durchgeführt werden.
MIBG-Szin ti- 78 100
gramm
• Sporadisches medulläres Schilddrüsenkarzinom.
Auch für Patienten mit sporadischem medullärem
Schilddrüsenkarzinom ist eine molekularbiologi-
sche Diagnostik des RET-Protoonkogen sinnvoll.
Primärer Hyperparathyreoidismus
In 11,6% der anscheinend sporadischen Fälle findet
Eine präoperative Lokalisationsdiagnostik über eine
man eine Mutation im RET-Protoonkogen.
Ultraschalluntersuchung hinaus ist vor einem Er-
steingriff nicht erforderlich. Da in 3/4 der Fälle die
• Möglichkeit prognostischer Aussagen. Die Un-
Diagnose des pHPT zusammen mit der des MTC er-
tersuchung des Tumorgewebes auf eine somatische
folgt, wird die operative Sanierung auch im Rahmen
Mutation im RET-Protoonkogens stellt einen Pro-
dieses Eingriffs erfolgen. Hier ist sehr wichtig, dass
gnoseparameter für den Krankheitsverlauf dar. So
eine chirurgische Exploration aller 4 Drüsen erfol-
liegt in etwa der Hälfte der C-Zellkarzinome die Mu-
gen muss, weil im Rahmen einer MEN 2 prizipiell
tation in Exon 16, Codon 918 als somatische Muta-
alle 4 Nebenschilddrüsen befallen sein können.
tion vor, welches bezüglich der Metastasierung in
Sollte ein Rezidiv des operierten pHPT vorliegen,
Studien einen aggressiveren Krankheitsverlauf
kann zur Planung des operativen Vorgehens, wie
zeigte. Diese Mutation ist eine Keimbahnmutation,
beim MCT, eine selektive Halsvenenkatherterunter-
die die MEN-2B-Erkrankung auslöst. Andere soma-
suchung mit der Bestimmung von Parathormon
tische Mutationen im RET -Protoonkogen (Exon 11,
hilfreich sein.
Codon 630; Exon 13, Codon 768} sowie kleinere De-
letionen oder Duplikationen in den Exon 10, 11 oder
Molekulare Diagnostik 15 als somatische Mutationen lassen aufgrundihrer
Die Konsequenzen aus dem Ergebnis der molekular- Seltenheit keine prognostischen Aussagen zur Er-
genetischen Analyse sind schwer wiegend. Im Posi- krankung zu.
tivfall erfolgt eine prophylaktische Thyreoidektomie
mit lebenslanger Thyroxinsubstitution, bei Nicht- • Laborchemischer Nachweis der Mutationen im
nachweis keine weitere Überwachung mit dem Risi- RET-Protoonkogen. Er wird aus genorniseher
ko der Entwicklung eines MTC. Um eine hohe Si- DNA durchgeführt, die aus Leukozyten, also kern-
cherheit in der Aussage bezüglich einer Mutation haltigen Blutzellen gewonnen wird. In mehr als
zu gewinnen, hat die deutsche MEN-Studiengruppe 99% aller Fälle von MEN 2A/FMTC befindet sich
eine Doppeluntersuchung mittels 2 verschiedener die Mutation in Exon 10, 11 oder 13. Bei der
Blutproben empfohlen. Dies ist sowohl bei präsym- MEN 2B ist Codon 918 in Exon 16 die häufigste be-
ptomatischen Genträgern als auch bei Mitgliedern kannte Mutation, die in mehr als 95% der Fälle vor-
einer MEN-2-Familie durchzuführen. Gelegentlich liegt. Die übrigen Fälle sind wahrscheinlich auf die
kommt es vor, dass ein Indexpatient bereits verstor- Mutation in Exon 15, Codon 883 zurückzuführen.
ben ist. Grundsätzlich ist es vorzuziehen, die mole- Das Schema der Laboranalytik zum Nachweis al-
kulargenetische Familienuntersuchung mit einem ler relevanten Mutationen im RET -Protoonkogen
klinisch sicher betroffenen Mitglied zu beginnen, für MEN-2A/FMTC-Patienten ist beispielhaft in
da dort eine Mutation im RET-Protoonkogen vorlie- Abb. 9-15 dargestellt.
gen muss. Bei nicht mehr lebenden Tumorpatienten Aus der genorniseben DNA wird zunächst durch
besteht jedoch die Möglichkeit, im archivierten Tu- die Polymerasekettenreaktion das zu untersuchende
morgewebe oder auch Normalgewebe (Paraffin- Exon vervielfältigt (amplifiziert) und dann durch ein
block oder Schnittpräparat) eine Mutationsanalyse Mutationsscreeningverfahren (SSCP: "single stran-
durchzuführen. Allerdings muss bei der Verwen- ded conformational polymorphism analysis") das
dung von DNA aus Tumormaterial berücksichtigt Vorliegen einer Mutation überprüft. Zeigt das ver-
werden, dass es sich um eine somatische Mutation änderte Bandenmuster in der SSCP eine Mutation
handeln könnte. Beim Nachweis einer Mutation an, wird durch einen sequenzspezifischen Enzym-
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 393
I PCR-Fragment I
SSCP-Analyse
Abb. 9-15.
Analyseschema zum Nachweis
vo n Mu tationen im RET-Pro -
toonkogen bei V. a. ME 2A
oder FMTC
verdau (Restriktionsendonuklease) oder eine di- lieh mehr), sind die Mutationen, die zur MEN 2B
rekte DNA-Sequenzierung der Basenaustausch iden- führen, Neumutationen. Sie sind also erst während
tifiziert. Da die Mutationen in Exon 11, Codon 364 der Reifung der Keimzellen eines Elternteils (meist
am häufigsten sind, wird zunächst dieser Abschnitt des Vaters) entstanden und so auf die Keimbahn des
des Gens untersucht. Findet man hier keine Muta- Kindes übertragen worden. Da die Patienten häufig
tion, dehnt man die Mutationssuche auf Exon 10 versterben, oder zumindest bereits schwer erkran-
und anschließend auf Exon 13 aus. Ist bei diesem ken, bevor sie das reproduktionsfähige Alter errei-
Vorgehen keine Mutation nachweisbar gewesen, chen, findet eine Vererbung selten statt.
kann mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 99% da-
von ausgegangen werden, dass ein medulläres
Schilddrüsenkarzinom oder ein Phäochromozytom
9.3.7
sporadisch bedingt ist (beim Vorliegen eines Phäo-
Therapie
chromozytoms muss allerdings eine Hippel-Lindau-
Erkrankung oder eine Neurofibromatose ausge-
Zu unterscheiden ist hier wieder einerseits die The-
schlossen werden). Diese Sicherheit reicht in der
rapie nach Manifestation der Erkrankung und ande-
Routinediagnostik aus. Liegt allerdings aufgrund
rerseits eine prophylaktische Therapie nach Ermitt-
der Familienanamnese oder eines multiplen Tumor-
lung einer Genträgerschaft Prinzip der Therapie
befalls dennoch der V. a. eine erbliche Ursache vor,
nach Manifestation ist die chirurgische Entfernung
ist die Mutationssuche auf die Exons 14 und 15 aus-
der erkrankten Organe.
zudehnen, die in einzelnen Familienmutationen ge-
funden wurden (Anteil insgesamt < 1 %). An ande-
ren Stellen des RET-Protoonkogens sind bisher Medulläres Schilddrüsenkarzinom
keine Mutationen gefunden worden, die medulläre • Primäreingriff. Die Therapie der Wahl des me-
Schilddrüsenkarzinome oder die MEN-2-Erkran- dullären Schilddrüsenkarzinoms ist die totale Thy-
kung hervorrufen. reoidektomie mit systematischer Lymphknotenaus-
Ist in einer Familie bei einem oder mehreren Mit- räumungdes zentralen Kompartiments. Die Schild-
gliedern bereits die Mutation im RET -Protoonkogen drüse ist immer komplett zu entfernen, da die C-Zel-
bekannt, reicht es aus, nur das Vorliegen dieser Mu- len diffus in der Schilddrüse verteilt sind. Da die
tation zu überprüfen. Vollständigkeit dieses Eingriffs großen Einfluss
Wenn die Indikation für die molekulargenetische auf den weiteren Verlauf der Krankheit hat, sollte
Untersuchung im V. a. MEN 2B besteht, werden nur diese Operation möglichst in einem der darauf spe-
die Exons 15 und 16 auf die Mutation in Codon 883 zialisierten Zentren durchgeführt werden. Präopera-
und 918 routinemäßig untersucht. In ca. 50-60% tiv sollte immer ein Phäochromozytom ausgeschlos-
der Fälle (nach eigenen Beobachtungen sogar erheb- sen werden.
394 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
• Sekundäreingriff bei postoperativ weiter erhöh- • Palliative Therapie. Im Stadium der lokoregiona-
tem Kalzitonin. Nach dem Ersteingriff sollte ein len Metastasierung ist die chirurgische Behandlung
Pentagastrinstimulationstest durchgeführt werden. die Therapie der Wahl. Eine Radioiodtherapie, wie
Zeigt sich hierbei ein pathologischer Anstieg des beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom, ist we-
Kalzitonins, sollte nach vorheriger ausgiebiger Loka- gen der fehlenden Iodaufnahme der C-Zellen nicht
lisationsdiagnostik eine systematische Mikrodissek- sinnvoll. Eine externe Strahlentherapie hat sich nicht
tion der 4 Halskompartiments erfolgen. Dieser Ein- bewährt und erschwert eine mögliche Nachoperati-
griff setzt eine sehr große Erfahrung voraus und on. Im Stadium der Fernmetastasierung kann die
wird nur an wenigen Zentren in Deutschland durch- chirurgische Therapie nur im Rahmen einer Tumor-
geführt. Die systematische Mikrodissektion hat sich massenreduktion ("debulking") eingesetzt werden.
der Entfernung lediglich erkennbar vergrößerter Eine kurative Zielsetzung ist hier nicht mehr reali-
Lymphknoten ("berry-picking") als deutlich überle- stisch. Andere, systemische Therapieformen wurden
gen gezeigt. Bei 20-35% der Patienten lässt sich mit leider bislang nur mäßigem Erfolg erprobt:
durch die systematische Mikrodissektion im Sta- • Die konventionelle Chemotherapie hat beim me-
dium der lokalen Metastasierung noch eine bioche- dullären Schilddrüsenkarzinom bislang keine
mische Normalisierung erzielen. überzeugenden Resultate erbracht; eine Kombi-
nationen von 5-Fluorouracil mit Streptozotozin
• Prophylaktische Therapie. Alle möglicherweise und alternierend, 5-Fluorouracil und Dacarbazin,
betroffenen Familienmitglieder eines MEN-2-Pa- konnte zumindest bei einer Reihe von Patienten
tienten sollten auf das Vorliegen der krankheitsspe- mit fortschreitender Erkrankung eine Hemmung
zifischen Mutation hin untersucht werden. Die Un- der Progression für einige Monate bedingen.
tersuchung kann bereits direkt nach der Geburt er- • Auch der Einsatz des Somatostatinanalogon
folgen, sollte aber spätestens bis zum 6. Lebensjahr (Octreotid) in Dosierungen von 3-mal 50 !lg bis
durchgeführt werden. Beim Vorliegen einer Mutati- zu 3-mal 500 !lg s. c./Tag erbrachte keinen deut-
on besteht in der prophylaktischen Thyreoidekto- lichen und reporduzierbaren Rückgang der Meta-
mie die einzige Möglichkeit der sicheren Heilung, stasengröße. Bei einzelnen Patienten wurde eine
da sich das medulläre Schilddrüsenkarzinom in Besserung der Diarrhö erreicht. In einer Kombi-
praktisch 100% der MEN-2-Fälle im Laufe des Le- nation von 300 !lg Octreotid mit 5-mal106 IE In-
bens manifestiert. Der optimale Zeitpunkt für die terferon-a-lb, 3-mal pro Woche, kam es allenfalls
prophylaktische Thyreoidektomie ist nach dem zu einem leichten und meist passageren Rück-
Konsensus der internationalen MEN-2-Studien- gang von Kalzitonin und einer Reduktion der
gruppe für die MEN 2A vor dem 6. Lebensjahr CEA-Spiegel.
(s. folgende Übersicht). Bei den Patienten der deut-
schen MEN-2-Studiengruppe fand sich unter 75
Die palliativen Therapieoptionen sind demnach alle
MEN-2A-Genträgern, die vor dem Alter von 20 Jah-
bislang unbefriedigend und sollten nur bei Patienten
ren total thyreoidektomiert wurden, bei 46 Patienten
mit klinischen Symptomen (Diarrhö), unter der sie
(61 %) bereits ein Mikrokarzinom. Der jüngste Pa-
stark leiden, oder bei Vorliegen einer rasanten Tu-
tient war 4 Jahre alt. Bei 3 Patienten lag bereits
morprogression, eingesetzt werden. Experimentelle
eine lokoregionale Metastasierung, der jüngste Pa-
Ansätze wie Tumortargeting mit radioaktiv mar-
tient war hier 14,6 Jahre alt. Alle übrigen Patienten
kierten Anti-CEA-Antikörpern sind in der Erpro-
wiesen eine C-Zellhyperplasie auf.
bung.
Der natürliche Verlauf der MEN 2B ist aggressi-
ver, eine lokoregionale Metastasierung wurde hier
bereits im Alter von 2 Jahren beobachtet, sodass
Phäochromozytom
eine möglichst frühzeitige totale Thyreoidektomie
Die Therapie des Phäochromozytoms ist die Adre-
angestrebt wird.
nalektomie, bei nachgewiesenem einseitigem Befall
Prophylaktische Thyreoidektomie zunächst unilateral. Bei etwa 35 % dieser Patienten
wird im Laufe des Lebens die Entfernung der zwei-
• Gründe für die Durchführung der prophylakti- ten Nebenniere nötig. Die Zeit bis zu diesem Zwei-
schen Thyreoidektomie bei MEN-2A-Genträgern teingriff schankt zwischen 1 und 15 Jahren. Die Pa-
vor dem 6. Lebensjahr tienten gewinnen also Zeit, in der sie keiner Substi-
Manifestation des MTC bei der MEN 2A in fast tution mit Cortison bedürfen. Bei nachgewiesenem
100 % im Laufe des Lebens beidseitigen Befall ist eine bilaterale Adrenalektomie
Jüngste Patientin mit metastasiertem MTC bei indiziert, einige Zentren führen dann auch eine Re-
MEN 2A: 5 Jahre, 11 Monate sektion unter Schonung eines Teils der Nebennie-
renrinde durch, wodurch etwa 60% der Patienten
9.3 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 395
die postoperative Cortisonsubstitution erspart wer- dektomie mit Autotransplantation erfolgen sollte.
den kann. Vor der Adrenalektomie muss eine aus- Im Gegensatz zur MEN 1 ist der Hyperparathyreoi-
reichende a-Blockade mit 120-200 mg Dibenzyran dismus bei der MEN 2A häufig milde. Wenn die Kri-
(einschleichend dosiert) erfolgen. Bei einseitig Adre- terieren der NIH -Consensus-Konferenz von 1990 er-
nalektomierten ist eine jährliche Kontrolle der Ka- füllt sind (Tabelle 9-20), ist auch ein zunächst ab-
techolamine im 24-h-Urin angebracht, um einen Be- wartendes Verhalten gerechtfertigt.
fall der Gegenseite frühzeitig festzustellen.
Therapiekontrolle
Primärer Hyperparathyreoidismus
Werden bei der Operation des medullären Schild- Medulläres Schilddrüsenkarzinom
drüsenkarzinoms vergrößerte Epithelkörperchen Die Verlaufskontrollen nach Therapie hängen vom
entdeckt, sollten diese entfernt werden. Wird ein erzielten Operationsergebnis ab. Wenn der Patient
primärer Hyperparathreoidismus im Verlauf der Er- mit dem Ziel der Kuration operiert worden ist,
krankung entdeckt, liegt in 40% eine Vierdrüsenhy- muss zunächst der Erfolg durch einen Pentagastrin-
perplasie vor, sodass eine subtotale Parathyreoidek- stimulationstest überprüft werden. Dieser kann be-
tomie (7/8-Resektion) oder eine totale Parathyreoi- reits einige Tage postoperativ durchgeführt werden,
wohingegen die Bestimmung des CEA wegen seiner
langen Halbwertszeit erst nach Wochen aussagekräf-
Tabelle 9-20. Primärer Hyperparathyreoidismus, Vorausset- tig ist. Wenn das Ergebnis des Pentagastrintests nor-
zungen für ein abwartendes Verhalten. (NIH-Konsensus-Kon- mal ist, kann auf eine weitere Bildgebung verzichtet
ferenz, 1990) werden und die nächste Kontrolle in einem halben
Jahr erfolgen. Bei pathologischem Pentagastrintest
Untersuchung Voraussetzung für Abwarten
muss eine Tumorlokalisation versucht werden. Vor-
erumkalzium < 3 mmol/1 aussetzung für einen erneuten kurativen operativen
Ansatzt ist, dass die Metastasierung auf die Jakore-
Urinkalzium < 10 mmol/1/24 h gionären Lymphknoten beschränkt ist. Aus diesem
iere Keine teine, keine ephrokalzinose, Grund müssen unbedingt Fernmetastasen mittels
keine Einschränkung der Nierenfunk- Thoraxröntgen, Oberbauchsonographie und Kno-
tion um mehr als 30 %
chenszintigraphie ausgeschlossen werden. Diese Un-
Knochen Knochendichte nicht mehr als 2 Stan- tersuchungen sind auch Bestandteil der routinemä-
dardabweichungen unter dem alters- ßigen Nachkontrolle (Abb. 9-16). Im Rahmen der
entsprechenden Mittelwert, keine ra-
diologischen Zeichen de pHPT
Kontrolluntersuchungen müssen weiterhin andere
mögliche Manifestationen der MEN 2 überprüft wer-
!
Kontrolle in 6 Monaten Metastasensuche
Pentagastrin-Test Röntgenthorax
CEA Oberbauchsonographie
Katecholamine im 24-h-Urin Knochenszintigraphie
Serumkalzium Ultraschall Hals
TSH Cl Hals/Mediastinum
sei. Halsvenekatheter
ggf. Octreotid-Szintigraphie Abb.9-16.
DMSA-Szintigraphie Postoperatives Nachsorgeprogramm bei
MIBI-Szintigraphie Patienten mit medullärem Schilddrüsen-
karzinom
396 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
den. Bezüglich der Substitutionstherapie mit Schild- mit familiärem medullärem Schilddrüsenkarzinom
drüsenhormon nach totaler Thyreoidektomie ist oder MEN 2A unterscheidet sich für die klinisch ma-
eine euthyreote Stoffwechsellage anzustreben. Eine nifest gewordenen Indexfälle nicht von der sporadi-
suppressive Behandlung (TSH stark supprimiert) scher MTC. Werden Patienten mit familiärer Er-
wie bei den differenzierten Schilddrüsenkarzinomen krankung durch Screening entdeckt, ist die Pro-
ist nicht notwendig, da TSH kein Wachstumsfaktor gnose signifikant besser.
für das medulläre Schilddrüsenkarzinom ist.
Phäochromozytom
Die Situation unterscheidet sich hier von der beim Literatur
sporadischen Phäochromozytom, da sich in 35%
der MEN-2-Patienten im Verlauf von 6 und mehr Literatur zu Abschn. 9.1
Jahren auch auf der kontralateralen Seite ein Phäo- Ahonen P, Miettinen A, Perheentupa J (1987) Adrenal and ste-
chromozytom manifestiert. Alle 6 Monate und bei roidal cell antiborlies in patients with autoimmune poly-
glandular disease type I and risk of adrenocortical and
entsprechender klinischer Symptomatik auch früher ovarian failure. J Clin Endocrinol Metab 64 : 494-500
müssen hier die Urinkatecholamine als Screening- Ahonen P, Myllarniemi S, Sipila I, et al. (1990) Clinical varia-
untersuchung bestimmt werden. tion of autoimmune polyendocrinopathy-candidiasis-ec-
todermal dystrophy (APECD) in a series of 68 patients. N
Eng! J Med 322 : 1829-1836
Badenhoop K, Walfish PG, Rau H et al. (1995) Susceptibility
9.3.8 and resistance alleles of human leucocyte antigen (HLA)
Prognose DQA I and HLA DQB 1 are shared in endocrine autoim-
mune disease. J Clin Endocrinol Metab 80: 2112-2117
Betterle C, Caretto A, DeZio A et al. (1985) Incidence and si-
Der Verlauf der Erkrankung ist sehr variabel. Inner- gnificance of organ-specific autoimmune disorders (clini-
halb einer Familie, also bei Patienten mit dem glei- cal, latent or only autoantibodies) in patients with vitiligo.
Dermatologica 171 : 419-423
chen Genotyp, findet man sowohl einen sehr aggres- Björses P, Aaltonen J, Vikman A et al. (1996) Genetic homo-
siven als auch einen sehr blanden Verlauf. Insgesamt geneity of autoimmune polyglandular disease type I. Am J
liegt die Fünfjahresüberlebensrate bei etwa 80 %, die Hum Gen 59 : 879-886
Butler MG, Hodes ME, Conneally PM, Biege! AA, Wright JC
Zehnjahresüberlebensrate bei etwa 65 %. Wesentli- (1984) Linkage analysisinan !arge kindred with autoso-
cher prognostischer Faktor ist das Tumorstadium mal-dominant Iransmission of polyglandular autoim-
bei Diagnosestellung: mun e disease type 1!. Am J Med Gen 18: 61-65
Chen S, Sawicka J, Betterle C et al. (1996) Autoantibodies to
e Im Stadium I (Tl NO MO) und II (T2-4 NO MO), steroidogenic enzymes in autoimmune polyglandular
also solange die Erkrankung auf die Schilddrüse syndrome, addison's disease and premature ovarian fai-
selbst begrenzt ist, liegt die Fünfjahresüberle- lure. J Clin Endocrinol Metab 81 : 1871-1876
Claude H (1908) Insuffisance pluriglandulaire endocrinienne.
bensrate bei 100 %. J Physiol Pathol Gen 10: 469-480
• Im Stadium III (Tl-4 Nl MO), bei dem die Meta- Csaszar T, Patakfalvi A (1992) Treatment of polyglandular au-
stasierung auf die Lymphknoten beschränkt ist, toimmune syndrome with cyclosporin A. Acta Med Hung
49 : 187-1 93
sinkt die Fünfjahresüberlebensrate auf ca 70 %. De Bellis A, Bizzarro A, Rossi R, Paglionico VA, Criscuolo T,
• Beim Vorliegen von Fernmetastasen fällt diese Lombardi G, Bellastella A (1993) Remission of subclinical
auf 50%. adrenocortical failure in subjects with adrenal autoanti-
bodies. J Clin Endocrinol Metab 76: 1002-1007
Drexhage HA, Wulffraat NM (1994) Endocrine autoimmune
Weitere prognostische Faktoren sind Alter und Ge- diseases. Neth I Med 45 : 285-293
schlecht (Tabelle 9-21). Die Prognose von Patienten Eisenbarth GS (1986) Typ 1 diabetes mellitus: chronic autoim-
mune disease. N Eng! J Med 314: 1360-1368
Hashizume K, Ichikawa K, Nishii Y et al. (1992) Effect of ad-
ministration of thyroxine on the risk of postparturn recur-
Tabelle 9-21. Prognostische Faktoren beim medullären rence of hyperthyroid Graves' disease. J Clin Endocrinol
Schilddrüsenkarzinom Metab 75: 6-10
Herrod HG (1990) Chronic mucocutaneous candidiasis in
Faktoren Gunstig Ungunstig childhood and complications of non-candida infection:
a report of the pediatric immunodefiency Collaborative
Famil iäres MTC Study Group. J Pediatr 116 : 377-382
Genese ME 28
Kahaly G, Förster G, Otto E, Hansen C, Schulz G (1997) Typ 1
Geschlecht Weiblich Männlich Diabetes mellitus als Teil des polyglandulären Autoim-
munsyndroms. Diab Stoffw 6: 19-27
Alter bei Diagnose Unter 40 Über 60 Leshin M (1985) Polyglandular autoimmune syndromes. Am J
Med Sei 290(2): 77-88
Tumorgröße < 3cm > 3cm Mandroup -Pou1sen T, Nerup J, Reimers Jl et al. (1996) Cyto-
kines and the endocrine System. II roles in substrate me-
Stadium Lokal begrenzt Fernmetastasen tabolism, modulation of thyroidal and pancreatic endo-
(1+11) (IV) crine cell functions and autoimmune endocrine diseases.
Eur J Endocrinol 134: 21-30
Literatur 397
Nagamine K, Kudoh J, Minoshima S, Kawasaki K, Asakawa S, Demeure MJ, Klonoff DC, Karam JH, Duh QY, Clark OH
Ito F, Shimizu N (1996) Isolation of cDNA for a novel hu- (1991) Insulinomas associated with multiple endocrine
man protein KNP-I that is homologaus to the E. coli neoplasia type I: The need for a different surgical ap-
SCRP-27 A protein from the autoimmune polyglandular proach. Surgery 110:998-1005
diease type I (APECED) region of chromosome Dobnig H, Steppan V, Leb G, Wolf G, Buchfelder M, Krejs GJ
21q22.3. Bioehern Biophys Res Comm 225: 606-618 (1996) Recovery from severe osteoporosis following eure
Neufeld M, MacLAren N, Blizzard RM (1980) Autoimmune from ectopic ACTH syndrome caused by an appendix car-
polyglandular syndromes. Pediatr Ann 4 : 125-136 cinoid. J Intern Med 239 : 365-369
Neufeld M, MacLaren N, Blizzard RM (1981) Two types of au- Doppman JL, Chang R, Fraker DL et al. (1995) Localization of
toimmune Addison's disease associated with different po- insulinomas to regions of the pancreas by intra-arterial
lyglandular autoimmune (PGA) syndromes. Medicine Stimulation with calcium. Ann. Intern Med 123 : 269-273
60: 355-362 Friedman E, Sakaguchi K, Bale AE et al. (1989) Clonality of
Pfützner A, Forst T, Schilling B, Saur G, Beyer J, Kahaly G parathyroid tumors in familial multiple endocrine neo-
(1996) Prävalenz von GAD 65 Auto-antikörpern bei Pa- plasia type 1. N Eng! J Med. 321 : 213-218
tienten mit autoimmunogenen Schilddrüsenerkrankun- Jensen RT, Fraker DL (1994) Zollinger-Ellison syndrome.
gen. Diab Stoffw 5 : 132-133 JAMA 271: 1429-1435
Pozzilli P, Carotenuto P, Deiitala G (1994) Lymphocytic trafficKnudson AG (1971) Mutation and cancer. Proc Natl Acad Sei
and homing into target tissue and the generation of en- U S A 68 : 820-823
docrine autotimmunity. Clin Endocrinol 41 : 545-554 Larsson C, Calender A, Grimmond S, Giraud S, Hayward NK,
Riley WJ (1992) Autoimmune polyglandular syndromes. Teh B, Farnebo F (1995) Molecular tools for pesymptoma-
Horm Res 38 (suppl. 2):9-15 tic testing in multiple endocrine neoplasia type 1. J Intern
Rongen-Westerlaken C, Drop SLS, Van Den Anker JN (1986) Med 238 : 239-244
Primary adrenocortical insufficiency in chlddhood. Acta Lehy T, Cadiot G, Ruszniewski P, Bonfils S (1992) Influence of
Endocrinol 279 (Suppl.):279-283 multiple endocrine neoplasia type 1 on gastric endocrine
Rose NR (1989) Pathogenic mechanism in autoimmune dis- cells in patients with Zollinger-Ellison-syndrome. Gut
ease. Clin Imunol Immunopathai 53: 7-16 33 : 1275-1279
Schloot N, Eisenbarth GS (1995) Isohormonal therapy of en- Lemmens I, Van-de VW, Kas K et al. (1997) Identification of
docrine autoimmunity. Immunol Today 16 : 289-294 the multiple endocrine neoplasia type 1 (MEN1) gene. The
Schmidt MB (1926) Eine biglanduläre Erkrankung (Nebennie- European Consortium on MENl. Hum Mol Genet
re und Schilddrüse). Verh Dtsch Ges Path 21: 212 6: 1177-1183
Scordis N, MacLaren N (1988) Immunogenetics of autoim- MacFarlane MP, Fraker DL, Alexander HR, Norton JA, Luben-
mune polyglandular syndromes. In: N. R. Farid (ed) Im- sky I, Jensen RT (1995) Prospektive study of surgical re-
munogenetic of endocrine disorders. Liss, New York, section of duodenal and pancreatic gastrinomas in mul-
pp 373 tiple endocrine neoplasia type 1. Surgery 118 : 973-980
Uibo R, Harik E, Peterson P, Perheentupa J, Aranko S, Petko- Mignon M, Ruszniewski P, Podevin P, Sabbagh L, Cadiot G,
nen R, Krohn KJE (1994) Autoantibodies to cytochrome Rigaud D, Bonfils S (1993) Current approach to the ma-
P450 enzymes, P450 sec, P450 c17 and P450 c21 in auto- nagement of gastrinoma and insulinoma in adults with
immune polyglandular disease types I and II and in iso- multiple endocrine neoplasia type I. World J Surg
lated Addison's disease. J Clin Endocrinol Metab 17: 489-497
78:323-328 Sehröder S, Fadberg B, Capella C, Frilling A, Klöppel G, Heitz
Wagner R, Genovese S, Bosi E et al. (1994) Slow metabolic de- PU (1994) Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1).
terioration towards diabetes in islet cell antibody positive Patholog~. 15: 150-157
patients with autoimmune polyendocrine disease. Diabe- Skogseid B, Oberg K, Benson L et al. (1987) A standardized
tologica 37 : 365-3 71 meal Stimulation test of the endocrine pancreas for early
Whitaker J, Landing BH, Essetborn VM, Williams RR (1956) detection of pancreatic endocrine tumors in multiple en-
The syndrome of Juvenile hypoadrenocorticism, hypopa- docrine neoplasia type 1 syndrome: five years experience.
rathyroidism and superficial moniliasis. J Clin Endocrinol J Clin Endocrinol Metab 64: 1233-1240
Metab 16: 1374-1387 Skogseid S, Rastad J, Gobl A et al. (1995) Adrenallesion in
Yangxin L, Song Y-H, Rais N, Connor E, Schatz D, Muir A, multiple endocrine neoplasia type 1. Surgery
MacLaren N (1996) Autoantibodies to the etracellular do- 118: 1077-1082
main of the calcium sensing receptor in patients with ac- Takayamy T, Kameya T, Inagaki K et al. (1993) MEN type 1
quired hypoparathyroidismus. J Clin Invest 97: 910-914 associated with mediastinal carcinoid producing parathy-
roid hormone, calcitonin and chorionic gonadotropin.
Pathol Res Pract 189: 1090-1096
Literatur zu Abschn. 9.2 Thakker RV (1994) The role of molecular genetics in screening
for multiple endocrine neoplasia type 1. Endocrinol Me-
Agarwal SK, Kester MB, Debelenko LV et al. (1997) Germline tab Clin North Am 23:117-135
mutations of the MEN 1 gene in familial multiple endo- Thompson NW (1992) Surgical treatment of the endocrine
crine neoplasia type 1 and related states. Hum Mol Genet pancreas and Zollinger-Ellison syndrome in the MEN 1
6 : 1169-1175 syndrome. Henry Ford Hosp Med J 40: 195-198
Bertherat J, Turpin G, Rauch C, Li JY, Epelbaum J, Sassolas G, Thompson NW (1995) The surgical management of hyperpa-
Schaison G (1994) Presence of somatostatin receptors ne- rathyroidism and endocrine disease of the pancreas in the
gatively coupled to adenylate cyclase in ectopic growth multiple endocrine neoplasia type 1 patient. J Intern Med
hormone-releasing hormone- and a-subunit-secreting tu- 238: 269-280
mors from acromegalic patients responsive to octreotide. Trump D, Farren B, Wooding C et al. (1996) Clinical studies of
J Clin Endocrinol Metab 79: 1457-1464 multiple endocrine neoplasia type 1 (MEN1). Q J Med
Brandi ML, Aurbach GD, Fitzpatrick LA et al. (1986) Parathy- 89:653-669
roid mitogenic activity in plasma from patients with fami- Underdahl LO, Woolner LB, Black BM (1953) Multiple endo-
lial multiple endocrine neoplasia type 1. N Eng! J Med crine adenomas. Report of eight cases in which parathy-
314: 1287 roids, pituitary and pancreatic islets were involved. J Clin
Chandrasekharappa SC, Guru SC, Maniekam P et al. (1997) Endocr 13 : 20-27
Positional cloning of the gene for multiple endocrine neo-
plasia-type 1. Science 276: 404-407
398 KAPITEL 9 Komplexe endokrine Störungen
Weinel RJ, Kisker 0, Joseph K, Welcke U, Zaraca F, Rothmund Gagel_RF, Tashjian AH Jr, Cummings T et al. (1988) The cli-
M (1994) Die Somatostatinrezeptor-Szintigraphie in der m~al outcom~ of prospective screening for multiple endo-
präoperativen Lokalisationsdiagnostik endokriner ga- cnne neoplasta type 2a. An 18-year experience. N Engl J
strointestinaler Tumoren. Chirurg 65 : 849-855 Med 318 : 478-484
Weine! RJ, Neuhaus C, Klotter HJ, Trautmann ME, Arnold R, Gimm 0, Drall: H (19~7) Reoperation in metastasizing medul-
Rothmund M (1993) Standardisiertes chirurgisches Kon- lary thyrotd carcmoma: Is a tumor stage-oriented ap-
zept zur Diagnostik und Therapie des Zollinger-Ellison- proach justified. Surgery 122 : 1124-1131
Syndroms. Dtsch Med Wochensehr 118:485-492 Grauer f:• R~ue F (1997) Diag~ostic value of the peptides of
Wermer P (1954) Genetic aspects of adenomatosis of endo- calcttonm gene. In: Schmtdt-Gayk H, Blind E, Roth HJ
crine glands. Amer J Med 16: 363-371 (eds) Calcium regulating hormones and markers of
hone metabolism; measurement and interpretation.
Clin Lab Publik, Heidelberg, pp 85-93
Literatur zu Abschn. 9.3 Grauer A, Raue F, Gage! RF (1990) Changing concepts in the
Abdelmoumene N, Schiumberger M, Gardet P, Roche A, Tra- ~anagei?ent of hereditary and sporadic medullary thyro-
vagli JP, Francese C, Farmentier C (1994) Selective venous td carcmoma. Endocrmol Metab Clin North Am
sampling catheterisation for localisation of persisting me- 19: 613-635
dullary thyroid carcinoma. Br J Cancer 69: 1141-1144 Hofstra RM, Landsvater RM, Ceccherini I et al. (1994) A muta-
Behr TM, WulstE, Radetzky Set al. (1997) Improved treatment tion in _the RET pr?to-oncogene associated with multiple
of me_dullary ~hyroid cancer in a nude mouse model by en_docnn~ neoplasta type 2B and sporadic medullary thy-
com_bmed radwtmmu~ochemotherapy. Doxorubicin po- rOtd carcmoma. Nature 367 : 375-376
tenttates the therapeuttc efficacy of radiolabelled antibo- Hofstra RM, Sijmons RH, Stelwagen T et al. (1996) RET muta-
dies in a radioresistrant tumor type. Cancer Res tion _scree~ing in ~ami~ial cuta_neous ~ichen amyloidosis
57: 5309-5319 and m skm amyl01dosts assoctated wtth multiple endo-
Berndt I, ~eute! M, Saller B et al. (1998) A new hot spot for crine neoplasia. J Invest Dermatal 107 : 215-218
mutatwns m the ret Protaoneogene causing familial me- Ito S, Iwash~ta T, Asai N,_Mukara~i H, et ~- (1997) Biological
dullary thyroid carcinoma and multiple endocrine neo- properttes of RET wtth cysteme mutattons correlate with
plasia type 2A. J Clin Endocrinol Metab 83: 770-774 multiple end?crine neoplas!a type 2A, familial medullary
Bonnin F, Schiumberger M, Gardet P et al. (1994) Screening for thyr01d carcmoma, and Htrschsprung's disease pheno-
adrenal medullary disease in patients with medullary thy- type. Cancer Res 57 : 2870-2872
roid carcinoma. J Endocrinol Invest 17:253-257 Juweid M, Sharkey RM, Swayne LC, Goldenberg DM (1997)
Bravo. EL 0?94) Evolving concepts in the pathophysiology, Improved selection of patients for reoperation for medul-
dtagnosts, and treatment of pheochromocytoma. Endocr l~ry thyroid cancer by imaging with radiolabeled anticar-
Rev 15(3):356-368 cmoembryonic antigen antibodies. Surgery
Buhr HJ, Kallinowski F, Raue F, Frank-Raue K, Herfarth C 122 : 1156-1165
(1993) Microsurgical neck dissection for occultly metasta- Komminoth P (1997) The RET proto-oncogene in medullary
sizing medullary thyroid carcinoma. Three-year results. and papillary thyroid carcinoma. Molecular features, pa-
Cancer 72 : 3685-3693 thophysiology and clincal implications. Virchows Arch
Donis Keller H, Dou S, Chi D et al. (1993) Mutations in the RET 431 : 1-9
proto-oncogene are associated with MEN 2A and FMTC. Lee J~, Curley_SA, Gage! RF, Evans DB, Hickey RC (1996) Cor-
Hum Mol Genet 2: 851-856 ttcal-spanng adrenalectomy for patients with bilateral
Eng C, Clayton D, ?chuffenecker I et al. (1996) The relationship pheochromocytoma. Surgery 120: 1064-70
between spectfic RET proto-oncogene mutations and dis- Lupoli G, Cascone E, Arlotta F, Vitale G, Celentano L, Salvatore
ease ph~notype in multiple endocrine neoplasia type 2. M, Lombardi G (1996) Treatment of advanced medullary
Internattonal RET mutation consortium analysis. JAMA thyroid carcinoma with a combination of recombinant in-
276: 1575-1579 terferon <I-2b and octreotide. Cancer 78: 1114-1148
Evans DB, Lee JE, Merrell RC, Hickey RC (1994) Adrenal me- Modigliani E, Vasen HM, Raue K et al. (1995) Pheochromocy-
dullary disease in multiple endoc;ine neoplasia type 2: ap- toma in multiple endocrine neoplasia type 2: European
propnate mangement. Endocnn Metab Clin N Am study. J Intern Med 238 : 363-367
23: 167-176 Moers AM, Landsvater RM, Schaap C et al. ( 1996) Familial me-
Frank-Raue K, Hoppner W, Frilling A et al. (1996) Mutations dullary thyroid carcinoma: not a distinct entity? Geno-
of the ret protaoneogene in German multiple endocrine type-phenotype correlation in a !arge family. Am J Med
neoplasia families: relation between genotype and pheno- 101 : 635-641
type. German Medullary Thyroid Carcinoma Study Mulligan LM, Eng C, Healey CS et al. (1994) Specific mutations
Group. J Clin Endocrinol Metab 81: 1780-1783 of the RET proto-oncogene are related to disease pheno-
Frank-Raue K, Kratt T, Höppner W, Buhr H, Ziegler R, Raue F type in MEN 2A and FMTC. Nature Genet 6: 70-74
(1996) Diagnosis and management of phenochromocyto- Mulligan LM, Kwok JB, Healey CS et al. (1993) Germ-line mu-
mas in patients with multiple endocrine neoplasia type tations of the RET proto-oncogene in multiple endocrine
2-relevance of specific mutations in the RET proto-onco- neoplasia type 2A. Nature 363 : 458-460
gene. Eur J Endocrinol 135 : 222-225 Ponder _BA, Ponder MA, Coffey R, Pembrey ME, Gagel RF, Te-
Frank-Raue K, Raue F, Buhr HJ, Baldauf G, Lorenz D, Ziegler R lemus-Berg M, Sempie P, Easton DF (1988) Risk estima-
(199~) Localization of occult persisting medullary thyroid tion and screening in families of patients with medullary
carcmoma before microsurgical reoperation: high sensiti- thyroid carcinoma. Lancet 1 : 397-401
vity of selective venous catheterization. Thyroid Raue F, Frank Raue K, Grauer A (1994) Multiple endocrine
2: 113-117 neoplasia type 2. Clinical features and screening. Endo-
Frank-Raue K, Ziegler R, Raue F (1993) The use of octreotide crinol Metab Clin North Am 23: 137-156
in the treatment of medullary thyroid carcinoma. Horm Raue F, GeigerS, Buhr H, Frank-Raue K, Ziegler R (1993) Pro-
Metab Res 27 : 44-47 gnostische Bedeutung des Kalzitonin-Screenings beim fa-
Gage! RF, Levy ML, Donovan DT, Alford BR, Wheeler T, miliären medullären Schilddrüsenkarzinom. Dtsch Med
Tschen JA (1989) Multiple endocrine neoplasia type 2a as- Wochensehr 118: 49-52
sociated with cutaneous liehen amyloidosis. Ann Intern Raue F, Kra_i~ps J_L, Dral~e H et al. (_1995) Primary hyperpa-
Med 111 : 802-806 rathyrOtdtsm m multtple endocnne neoplasia type 2A. J
Intern Med 238: 369-373
Literatur 399
Saad MF, Ordonez NG, Rashid RK, Guido JJ, Hili CS, Jr., Hik- van Heyningen V (1994) Genetics. One gene-four syndromes.
key RC, Samaan NA (1984) Medullary carcinoma of the Nature 367: 319-320
thyroid: a study of the clinical features and prognostic fac- Vasen HF, van der Feltz M, Raue F et al. (1992) The natural
tors in 161 patients. Medicine 63: 319-342 course of multiple endocrine neoplasia type IIb. A study
Santoro M, Carlomagno F, Romano A et al. (1995) Activation of 18 cases. Arch Intern Med 152 : 1250-1252
of RET as a dominant transforming gene by germline mu- Wu LT, Averbuch SD, Ball DW, de Bustros A, Baylin SB,
tations of MEN 2A and MEN 2B. Science 267: 381-383 McGuire WP 3rd. (1994) Treatment of advanced medul-
Scherübl H, Raue F, Ziegler R (1990) Combination chemothe- lary thyroid carcinoma with a combination of cyclophos-
rapy of advanced medullary and differentiated thyroid phamide, vincristine, and dacarbazine. Cancer
cancer. J Cancer Res Clin Oncol 116:21-23 73:432-436
Smith DP, Houghton C, Ponder BA (1997) Germline mutation Zink A, BlindE, Raue F (1992) Determination of serum calci-
of RET codon 882 in two cases of de novo MEN 2b. On- tonin by immunometric two-site assays in normal sub-
cogene 15: 1213-1217 jects and patients with medullary thyroid carcinoma.
Trupp M, Arena E, Fainzilber Met al. (1996) Functional recep- Eur J Clin Chem Clin Bioehern 30: 831-835
tor for GDNF encoded by the c-ret proto-oncogene. Na-
ture 381 : 785-789
TEIL m Kalziumstoffwechsel
und metabolische
Knochenerkrankungen
KAPITEL 10
Nebenschilddrüse 10
M. J. SEIBEL, E. BLIND, T. ScHILLING, H. W. WoiTGE
Abb.l0-1. Primärstruktur von Parathormon (PTH) und Parathormon-related Protein (PTHrP); nur die ersten 13 aminoter-
minalen Aminosäuren sind dargestellt, Aminosäureindentität in diesem Abschnitt ist durch einen Kreis in fett hervorgehoben
10.1 Physiologie 405
tin, Glukagon und der Releasinghormone für besteht dagegen beim Pseudohyperparathyreoidis-
Wachtumshormon und Kortikotropin angehören. mus, bei dem durch eine Mutation im Gen der a-Un-
In der Zelle wird durch die Stimulation des PTH-Re- tereinheit von Gs der cAMP-Signalweg nur noch teil-
zeptors eine Signalkaskade aktiviert, die zyklisches weise funktioniert. Neben anderen Symptomen re-
Adenosinmonophosphat als klassischen "second sultieren Hypokalzämie und reaktiv erhöhte PTH-
messenger" utilisiert (Abb. 10-2). Viele biologische Spiegel.
Wirkungen von PTH können der Aktivierung dieses
Signalweges zugeordnet werden. Darüber hinaus
existiert allerdings ein zweiter PTH-vermittelter Si- 10.1.5
gnalweg, in dem intrazelluläres Inositoltrisphosphat Bestimmung von PTH
und Kalzium als Botenstoffe fungieren. Die Bedeu-
tung dieses Signalweges ist noch unklar, jedoch Die Methode der Wahl ist die Bestimmung von
scheint er zumindest an der Niere eine Rolle zu spie- intaktem PTH mittels immunoradiometrischer
len. Das intakte PTH-Molekül kann ebenso wie das oder immunoluminometrischer "Two-site-Assays".
aminoterminale Fragment mit 34-37 Aminosäuren Diese Verfahren ermöglichen die spezifische Mes-
den PTH-Rezeptor vollständig aktivieren. Amino- sung des biologisch aktiven, intakten PTH-Peptids,
terminal verkürzte PTH-Fragmente sind hierzu ohne dass es zur Interferenz durch die in ca. 10-fach
nicht in der Lage. Auch das verwandte PTH-related höherer Konzentration zirkulierenden C-terminalen
Protein (PTHrP) aktiviert den Rezeptor, der deshalb Fragmente kommt. In allen Assays findet ein Anti-
auch als PTH/PTHrP-Rezeptor bezeichnet wird. körperpaar Verwendung, welches zum einen den
Eine konstitutive Aktivierung des PTH/PTHrP-Re- aminoterminalen und zum anderen den carboxyl-
zeptors aufgrund einer Punktmutation besteht bei terminalen PTH-Abschnitt erkennt. Ein Antikörper
der seltenen Chondrodysplasie vom Typ Jansen. ist hierbei an eine feste Phase gebunden, der andere
Es kommt unter anderem zu Zwergwuchs und Hy- mit einem Detektionsmolekül markiert (Abb. 10-3).
perkalzämie. Eine Hemmung der Signalübertragung Der Normalbereich für intaktes PTH liegt in diesen
Assays bei 1-6 pmol/1 ( = 10-65 ng/1), sowohl er-
höhte (z. B. primärer Hyperparathyreoidismus) als
auch erniedrigte PTH-Spiegel (z. B. Tumorhyper-
kalzämie, Hypoparathyreoidismus) werden zuver-
läßig erfasst. Spezifische "Two-site-Assays" eignen
sich deshalb besonders gut zur weiteren Differential-
diagnose bei erhöhtem Serumkalziumspiegel
I cAMP I I OAGIIPl I
I \ I \
PK·C I (Ca++J i I
+ + +
Abb. 10-2. Schema der intrazellulären Signalübertragung des
- a:o1
84
PTH/PTHrP-Rezeptors: Die Aktivierung des stimulierenden
G-Proteins G, bewirkt die Aktivierung der Adenylatzyk!ase
(AC), welche wiederum das intrazelluläre zyklische Adenosin-
monophosphat (cAMP) ansteigen lässt. Ein zweiter durch PTH
aktivierter Signalweg führt über das G-Protein Gq zur Aktivie- 125J-Anti-amino-PTH
rung der Phospholipase C (PL-C), welche wiederum intrazel-
luläres Diacylglycerol (DAG), Inositoltris.phosphat (IP 3 ) und
Kalzium als Botenstoffe ansteigen lässt. Uber die weitere Ak-
tivierung u. a. von Proteinkinasen (PK-A, PK-C) werden zell- Abb.I0-3. Prinzip der "Two-site-Assays" zur Bestimmung
spezifische biologische Antworten ausgelöst des intakten PTH
10.2 Hypoparathyreoidismus I Pseudohypoparathyreoidismus 407
Bestrahlung
mit einem Serumkalzium von 2,2 mmol/1 be- Trauma
schwerdefrei entlassen werden. Die durch die Hämosiderose
Überdosierung des Vitamin D entstandene ie- M. Wilson
reninsuffizienz hatte sich auf ein Kreatinin von Amyloidase
1,45 mg/dl gebes ert.
Neoplastische Tumorinfiltration
Sarkoidase
• Suppression der Nebenschilddrüse
Hypomagnesiämie
10.2.2 Alkoholexzess
Epidemiologie und Pathogenese Aluminiumintoxikation (Endstadium der Nieren-
insuffizienz)
Hypoparathyreodismus WR 2721 (radioprotektives Medikament)
Am häufigsten wird die Unterfunktion der Neben- • PTH-Unwirksamkeit
schilddrüsen durch eine operative Schädigung bei Pseudohypoparathyreoidismus
Halsoperationen hervorgerufen. Im Allgemeinen (Endorganresistenz)
handelt es sich hierbei um eine sofort nach der Ope-
ration auftretende, transiente Hypokalzämie, die
sich nach Restitution des geschädigten Nebenschild-
Bei den angeborenen Nebenschilddrüsenerkran-
drüsengewebes innerhalb von Tagen wieder norma-
kungen muss die Störung des Kalziumstoffwechsels
lisiert. Gelegentlich entwickelt sich jedoch auch ein
nicht von Geburt an bestehen. Man geht daher da-
permanter Hypoparathyreoidismus, dies insbeson-
von aus, dass es auch partielle Fehlbildungen der
dere dann, wenn alle 4 Epithelkörperchen reseziert
Nebenschilddrüsen gibt, bei denen eine noch vor-
oder irreversibel geschädigt wurden (sog. parathy-
handene Teilsekretion von PTH zu symptomfreien
reopriver Hypoparathyreoidismus). Bei machen Pa-
Intervallen führen kann. Neben einer seltenen, allei-
tienten kann eine längere Latenzperiode vergehen,
nigen Aplasie der Nebenschilddrüsen, die spora-
bis die Hypokalzämie symptomatisch wird. Oftmals
disch und familiär auftreten kann, kommt es oft
haben sich dann bereits unbemerkt irreversible Or-
zu einer Kombination mit anderen Fehlbildungen.
ganschädigungen entwickelt. Die folgende Übersicht
gibt einen Überblick über weitere Ursachen des Hy-
poparathyreoidismus. Di-George-Syndrom
Dieses seltene Krankheitsbild ist durch Missbildun-
Verschiedene Formen des Hypoparathyreoidismus gen der Organe gekennzeichnet, die sich in der 4.-7.
Embryonalwoche aus der 3. und 4. Schlundtasche
• Angeborene Fehlentwicklungen entwickeln. Diese sind:
Aplasie der Nebenschilddrüsen • Nebenschilddrüsenhypo- oder -aplasie
- sporadisch • Thymushypo- oder -aplasie und
- familiär • Missbildungen des Herzens und der großen Ge-
Di-George-Syndrom (Fehlentwicklung der 3. und fäße sowie Gesichtsmissbildungen.
4. Schlundtasche)
In Assoziation mit Kearns-Sayre-Syndrom
Kearns-Sayre-Syndrom
Andere Syndrome (in Kombination mit Taubheit
Dieses Syndrom umfasst folgende Symptome:
und Nierendysplasie)
• externe Ophthalmoplegie,
Partieller kongenitaler Hypoparathyreoidismus
• Pigmentstörungen der Netzhaut,
(transient, "late onset")
• Reizleitungsstörungen des Herzens und Herzin-
• Unreife der Nebenschilddrüsen bzw. neonatale
suffizienz.
Suppression
Transitorische Neugeborenen-Hypokalzämie
(Frühform/Spätform) Idiopathischer Hypoparathyreoidismus
• Autoimmunpathogenese = idiopathisch Diese Form der Nebenschilddrüsenunterfunktion
Isolierter sporadischer Hypoparathyreoidismus enwickelt sich in der Regel auf dem Boden eines Au-
In Kombination mit anderen Autoimmunendo- toimmungeschehens. Oft kommt es zu einem Poly-
krinopathien (z. B. M. Addison) glandulären Autoimmunsyndrom (PAS), oder zur
• Andere Schädigungen Assoziation mit anderen Erkrankungen aus dem im-
Operationen der Schilddrüse, der Nebenschild- munologischen Formenkreis, z. B. einer Zöliakie.
drüse, des Kehlkopfes Auch die gleichzeitige Entwicklung einer Autoim-
10.2 Hypoparathyreoidismus I Pseudohypoparathyreoidismus 409
munthyreoiditis, eines M. Addison, einer chronisch- Adenylcyclase (AC). Es werden hier weitere Unter-
atrophischen Gastritis mit Vitamin-B 1rMangel oder formen beschrieben:
eines Diabetes mellitus ist möglich. • PHP Typ Ja: Ursache ist eine verminderte Aktivi-
tät der a-Untereinheit des nukleotidbindenden
G-Proteins (G 5 a). Da das G-Protein nicht nur
Pseudohypoparathyreoidismus
beim PTH-Rezeptor eine wichtige Rolle spielt,
Neben einer verminderten PTH -Sekretion kann auch
ist es verständlich, dass beim PHP Typ Ia weitere
eine Endorganresistenz Ursache einer Hypokalzämie
Hormonresistenzen beobachtet werden, z. B. ge-
sein. Die Endorganresistenz gegenüber PTH wird als
genüber TSH, Gonadotropinen und Glukagon.
Pseudohypoparathyreoidismus (PHP) bezeichnet.
Der G5a-Defekt hat darüber hinaus weitere soma-
Der PHP unterscheidet sich pathophysiologisch
tische Auswirkungen, die man als hereditäre
also grundlegend vom oben beschriebenen Hypo-
Osteodystrophie nach Albright zusammenfasst.
parathyreoidismus. Bei einer primär ungestörten
Folgende Übersicht gibt diese somatischen Ver-
PTH-Sekretion findet sich aufgrund der Hypokalz-
änderungen und Funktionsstörungen wieder.
ämie bei diesen Patienten ein erhöhter PTH-Spiegel,
d. h. ein sekundärer Hyperparathyreoidismus. Die
Interaktion von PTH mit dem PTH-Rezeptor Somatische Veränderungen und
aktiviert über die Stimulation intrazellulärer G-Pro- Funktionsstörungen bei der hereditären
teine verschiedene Second Messenger (cAMP, lnosi- Osteodystrophie nach Albright
tol 1,4,5-Trisphosphat-Diacylglycerol, zytosolisches (Pseudohypoparathyreoidismus/PHP Typ I
Kalzium), welche die multiplen biologischen Effekte und Pseudo-Pseudohypoparathyreoidismus)
von PTH vermitteln. Da verschiedene Ebenen dieser
komplexen Reaktionskaskade betroffen sein können, • Brachymetakarpalia
ergeben sich unterschiedliche Varianten der PTH- • Brachymetatarsalia
Endorganresistenz (Abb. 10-5). • Rundgesicht
• Kleinwuchs
• PHP Typ I. Hier liegt eine ossäre und renale • Oligophrenie
Endorganresistenz gegenüber PTH vor: nach PTH- • Hypothyreose (primär und sekundär)
Injektion kommt es weder zu einem Anstieg der • nephrogener Diabetes insipidus
cAMP- noch der Phosphatausscheidung. Die Stö-
rung liegt im Ablauf der PTH-Stimulation vor der
• Pseudo-Pseudohypoparathyreoidismus. Der Pseu-
do-PHP ist eine Unterform des PHP Typ Ia, wobei
die somatischen Veränderungen des Albright-
Symptomenkomplexes ohne Hypoparathyreoi-
dismus auftreten. Beiden Krankheitsbildern,
'~
PTH-Infuslon
dem PHP und dem Pseudo-PHP, liegen verschie-
)PHPI dene Mutation im G5 a-Gen zugrunde; dabei kann
es in ein und derselben Familie, mit ein und der-
selben Mutation (welche autosomal-dominant
ATP" ' \ vererbt wird), sowohl zum Auftreten eines PHP
cAMP
als auch eines Pseudo-PHP kommen. Es scheint
• }PHP II daher gerechtfertigt, zur Vereinfachung den
PHP Typ I PHP Typ II
PHP und Pseudo-PHP unter dem Begriff heredi-
täre Osteodystrophie nach Albright zusammen-
zufassen.
Abb. 10-5. Pseudohypoparathyreoidismus (PHP) Typ I und • PHP Typ Jb: Einige Patienten mit PHP Typ I zei-
II. Entscheidend für die Diagnostik ist die Reaktion auf gen eine alleinige PTH-Hormonresistenz ohne
eine PTH-Infusion. Beim PHP Typ I bleibt ein physiologischer andere Ausfälle oder Symptome, mit einer nor-
Anstieg der Urin-cAMP-Ausscheidung nach i. v. PTH-Gabe
aus. Die Ursache liegt in einem defekten G-Protein (Gsu) = malen G5a-Aktivität. Man nimmt an, dass bei die-
Typ Ia, in einer anderen Störung der Adenylcyclase = sem Krankheitsbild ein primärer PTH-Rezeptor-
Typ Ic oder in einem defekten PTH-Rezeptor (Rs) = Typ Ib. defekt vorliegt. Auch diese Patienten zeigen keine
Beim PHP Typ !I kommt es dagegen zu einem physiologischen
cAMP-Anstieg im Urin nach PTH-Stimulation. Der physiolo- cAMP-Antwortauf eine PTH-lnjektion.
gische phosphaturische Effekt von PTH bleibt jedoch aus. Es • PHP Typ Je. Hier kommt es wie beim Typ Ia zum
werden also die weiteren physiologischen Effekte von cAMP Ausfall mehrerer Rezeptorsysteme. Im Gegensatz
nicht vermittelt. AC Adenylcyclase, Gs Guanosin-bindendes
Protein, Rs stimulierender PTH-Rezeptor, I Zunahme, l keine zum Typ Ia besteht jedoch kein nachweisbarer
Zunahme Defekt im G-Protein.
410 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse
• PHP Typ II. Hier liegt ein heterogenes Krank- len und generalisierten Anfällen, selten zu einem
heitsbild zugrunde. Bisher konnte kein genetischer Pseudotumor cerebri führen.
Defekt nachgewiesen werden. Der PHP Typ II unter-
scheidet sich vom PHP Typ I durch einen physiolo- Wird ein Patient bei einem tetanischen Anfall be-
gischen Anstieg der cAMP-Ausscheidung nach PTH- wusstlos, so muss differentialdiagnostisch an einen
Injektion, aber fehlender phosphatmiseher Antwort. epileptischen Anfall gedacht werden. Umgekehrt
sollte bei unklaren epileptischen Anfällen immer
auch eine Hypokalzämie bei Hypoparathyreoidis-
10.2.3 mus ausgeschlossen werden.
Klinik
• Organische Veränderungen. Wird ein Hypopara-
Symptome und Beschwerden thyreoidismus nicht erkannt und behandelt, so kann
Die Klinik des Hypoparathyreoidismus wird durch die chronische Hypokalzämie zu z. T. irreversiblen
die chronische Hypokalzämie, weniger durch die Organschädigungen führen. Folgende Übersicht
Hyperphosphatämie geprägt. Die Hypokalzämie gibt diese Organschädigungen wieder.
führt zu typischen neuromuskulären und zerebralen
Funktionsstörungen.
Organische Veränderungen des Hypopara-
thyreoidismus/Pseudohypoparathyreoidismus
• Neuromuskuläre Symptome. Das Leitsymptom
der Hypokalzämie ist die Tetanie, wobei es durch
• Hypoparathyreoidismus
Übererregbarkeit zu tonischen, schmerzhaften Mus-
Haarausfall, Nagelwuchsstörungen mit gehäuften
kelkrämpfen kommt (Tabelle 10-2). Durch die Dra-
Pilzinfektionen
matik des Anfalls kommt es meistens zusätzlich zu
tetanischer Katarakt
einer Hyperventilation, was die Erregbarkeit weiter
Basalganglienverkalkungen des Gehirns
steigert und den Zustand verschlechtert. Zwischen
Zahnanomalien und Skelettdeformierungen
dem Vollbild des tetanischen Anfalls und Beschwer-
bei Manifestation in der Kindheit
defreiheil sind Symptome aller Abstufungsgrade
• Pseudohypoparathyreoidismus
möglich, die als "tetanoide" Äquivalente, vegetative
Hereditäre Osteodystrophie nach Albright
Dysfunktionen und funktionelle Anomalien in Er-
(s. vorherige Übersicht)
scheinung treten. Die Übergänge zum Beschwerde-
komplex des Hyperventilationssyndroms sind flie-
ßend und klinisch nicht sicher differenzierbar.
Obwohl der Serumkalziumspiegel erniedrigt ist,
• Zerebrale Symptome. Eine chronische Hypokalz- kann es beim Hypoparathyreoidismus durch die
ämie kann zu psychischen Veränderungen, zu foka- gleichzeitige Hyperphosphatämie zu Organverkal-
(%) (%)
Ka rpopedalspasmen 75 37
Konvuls io nen 75 14
Parästhesien 25 40
" Fischmaulstell ung" (im akuten Anfa ll ) elten selten
Hypokalzämie
~
Abb.l0-6.
Flussdiagramm der diagnostischen Abklärung
einer Hypokalzämie. Aufgrund der Bestim-
mung von Phosphat (P), intaktem Parathormon
und Kreatinin lässt sich eine Hypokalzämie
ätiologisch einordnen. HP Hypoparathyreoi-
Nephrogener- dismus, HPT Hyperparathyreoidismus, iPTH
Pseudo -HP
HPT intaktes Parathormon, __, normal, I erhöht,
1 erniedrigt
412 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse
Augenärztliche Untersuchung
10.2.6
Die ophtalmologische Untersuchung gibt Hinweise
Therapie
auf das Vorliegen einer tetanischen Katarakt.
Prinzip der Therapie ist eine Steigerung der Kalzi-
umabsorption aus dem Darm und eine Normalisie-
10.2.5 rung der Serumkalziumspiegel im unteren Norm-
Differentialdiagnose bereich durch kombinierte Gabe von Kalzium und
Vitamin D.
Als Differentialdiagnose zur Hypokalzämie bei Hy-
poparathyreoidismus kommen vor allem Erkran-
Hypoparathyreoidismus
kungen mit verminderter intestinaler Kalziumauf-
Therapieziel ist die Anhebung des Serumkalziums in
nahme in Frage, wie in der folgenden Übersicht wie-
den unteren Normbereich, nicht darüber. Um ein
dergegeben ist.
ausreichendes Kalziumangebot zu gewährleisten,
sollten 500-1500 mg elementares Kalzium/Tag ver-
Differentialdiagnose der Hypokalzämie
abreicht werden.
• Hypoparathyreoidismus (s. Tabelle 10-2)
Übermäßige Zufuhr von Milch- oder Milchproduk-
• Pseudohypoparathyreoidismus (s. Tabelle 10-2)
ten sollte vermieden werden, da hierdurch das Phos-
• Kalziummangel
phatangebot und die Gefahr einer Verschlechterung
Mangelernährung
der Hyperphosphatämie mit extraossären Verkal-
Malabsorption/Maldigestion
kungen erhöht wird.
• Vitamin D-Mangel (Rachitis/Osteomalazie)
Mangelernährung
Zusätzlich sollte Vitamin D gegeben werden, um die
Mangelnde Sonnenlichtexposition
Kalziumutilisation zu optimieren (Tabelle 10-3). Ist
Malabsorption
der Hypoparathyreoidismus mit oralem Kalzium
Vitamin D-Katabolismus durch Antiepileptika
und Vitamin-D nur ungenügend einstellbar, sind
Vitamin D-abhängige Rachitis Typ I (25-0H-D 1a
weitere adjuvante Maßnahmen zu ergreifen (Ta-
Hydroxylasemangel)
belle 10-4).
Vitamin D-Resistenz
Vitamin D-abhängige Rachitis Typ II (Vitamin D-
Endorganresistenz) Pseudohypoparathyreoidismus
• Medikamente Es gelten die gleichen Therapieprinzipien wie beim
Antiepileptika Hypoparathyreoidismus. Der therapeutische Serum-
Disphosphonate, Kalzitonin, Phosphat kalziumspiegel sollte beim PHP allerdings eher im
Colchicinüberdosierung mittleren Normbereich liegen, um einen sekundären
Zitratblut Hyperparathyreoidismus und eine Stimulation der
• Chronische Niereninsuffizienz Knochenresorption zu vermeiden.
• Hypoproteinämie
• Hypomagnesiämie
• Akute Pankreatitis
Die Gefahr einer therapiebedingten Hyperkalzurie
ist beim PHP geringer als beim Hypoparathyreoidis-
mus, sie muss jedoch ebenfalls bedacht und über-
D
wacht werden.
Typischerweise ist der Serumphosphatspiegel bei
Das Ausmaß des PTH-Rezeptordefektes kann sich in
diesen Erkrankungen erniedrigt, da zum einen die
Abhängigkeit vom Serumkalziumspiegel mit der
intestinale Phosphatabsorption vermindert ist,
Zeit ändern. Daher sollte in diesen Fällen das besser
zum anderen ein sekundärer Hyperparathyreoidis-
steuerbare 1,25-Dihydroxyvitamin D3 verwendet
mus besteht.
werden (Tabelle 10-4). Nach Erreichen der Normo-
Ein Sonderfall ist die Hypoproteinämie, bei der
kalzämie ist ein Auslassversuch indiziert, da der
trotz Verminderung des Serumgesamtkalziums aus-
PHP phasenweise in einen Pseudo-PHP übergehen
reichende Spiegel an ionisiertem (d. h. biologisch
kann.
wirksamem) Kalzium vorliegen. Die Patienten
sind bezüglich des Kalziumstoffwechsels asympto-
matisch (keine tetanische Symptomatik), es besteht
keine Therapieindikation für eine Kalzium- oder
Vitamin-D-Substitution.
I 0.2 Hypoparathyreoidismus I Pseudohypoparathyreoidismus 413
Maßnahme Mechanismus
Tabelle 10-4. Vergleich der Dosis und Wirksamkeit von Vitamin D und seinen Metaboliten
Potenz
(bezogen auf
2-3 1000- 1500 -·
Vitamin 0 3)
D
den, da Cholecalciferol vom Organismus kontinu- Da sich sämtliche Formen des Hypoparathyreoidis-
ierlich in den aktiven Metaboliten 1,25-Dihydroxy- mus im Laufe des Lebens in ihrer Ausprägung ändern
vitamin D umgewandelt wird. können, sind Kontrollen des Serumkalzium und
-phosphats lebenslang in 3- bis 6-monatigen Abstän-
Bei schlechter Compliance und bei Kindern sollte den indiziert.
allerdings 1,25-Dihydroxyvitamin D3 verwandt
werden. Aufgrund seiner sehr kurzen Halbwertszeit Weiterhin sollte mindestens einmal jährlich eine
lässt sich diese Substanz einfacher und zuverlässiger therapiebedingte Hyperkalzurie und Nephrokalzi-
steuern, Unter- und Übertherapien sind seltener. nose ausgeschlossen werden (Kalzium im 24-h-
414 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse
Tabelle 10-5. Symptome bei primärem Hyperparathyreoidismus und Hyperkalzämie (Modifiziert nach Ziegler 1996)
euromu kuläres System Adynamie, Schwächegefühl, Adynamie, Myopathie, Meist keine morpholo-
Myopathie, Reflexab- Reflexverlust, Paresen, gischen Veränderungen
schwächung, Müdigkeit, Somnolenz, Koma
Kopf chmerzen,
P ychosyndrom
Kriterien des asymptomatischen primären Ein Schema zum diagnostischen Vorgehen bei Hy-
Hyperparathyreoidismus perkalzämie zeigt Abb. 10-8. Neben der zufällig ent-
deckten Hyperkalzämie (s. Fallbeispiel) sind die in
• Gesamtkalzium bei mindestens 2 Messungen er- der Übersicht (s. oben) aufgeführten Organmani-
höht, jedoch < 3,0 mmol/1 festationen (z. B. Nephrolithiasis) und Funktions-
• Intaktes (1-84) Parathormon bei mindestens 2 störungen (z. B. Polyurie, Psychosyndrom) Indika-
Messungen erhöht tionen zur Diagnostik. Auch bei Erkrankungen,
• Kalzurie < 10 mmol!Tag die bekanntermaßen mit einer Begleithyperkalzämie
• Kein Anhalt für Niereninsuffizienz einhergehen können (s. Übersicht oben), sollte das
• Keine Nephrolithiasis Serumkalzium kontrolliert werden. Dies gilt auch
• Keine radiologisch sichtbare Knochenbeteiligung für den Patienten mit bekannter oder vermuteter
• Knochenmineralsalzgehalt am distalen Radius MEN (inkl. Familienscreening).
nicht mehr als 2 SD unterhalb der geschlechtsent-
sprechenden Norm Primärdiagnostik
Obwohl Anamnese und Untersuchung Hinweise auf
das Vorliegen einer Hyperkalzämie liefern können,
wird die Diagnose eines pHPT im Wesentlichen bio-
Die häufigste Komplikation des pHPT ist nach wie chemisch gestellt. Die hierfür obligaten Untersu-
vor die Nephro- oder Urolithiasis. Sie wird heute bei chungen zeigt folgende Übersicht.
20-25 o/o aller Patienten mit pHPT und nicht selten
als Erstmanifestation gesehen. Nephrokalzinose, Obligate Untersuchungen zur Diagnosesicherung
Pankreatitis, diffuse Knochenschmerzen oder die eines pHPT
Osteitis fibrosa cystica sind dagegen selten gewor-
den ( < 5 %). Das früher häufige neuromuskuläre • Gesamtkalzium und anorganisches Phosphat im
Syndrom bei pHPT (Myopathie) ist durch ein un- Serum (mehrfache Bestimmung)
scharf definiertes Bild verdrängt worden, das durch • Intaktes (1-84) Parathormon (mehrfache Bestim-
leichte Ermüdbarkeit, Schwächegefühl, Konzentrati- mung)
onsstörungen und Gewichtsabnahme gekennzeich- • Gesamteiweiß im Serum (einmalige Bestimmung)
net ist. Psychosyndrome mit depressiver Verstim- • Kreatinin im Serum (einmalige Bestimmung)
mung werden beobachtet. Höhere Serumkalzium- • Kalium im Serum (einmalige Bestimmung)
werte (> 3 mmol/1) manifestieren sich oft im Rah- • Kalziumausscheidung im 24-h-Urin (einmalige
men eines "Hyperkalzämiesyndroms", das durch Bestimmung)
Polyurie bei Hyposthenurie, Polydipsie, Übelkeit,
Erbrechen, Obstipation, Gewichtsverlust und Ady-
namie gekennzeichnet ist. Unbehandelt kann sich Die Kombination aus Hyperkalzämie und erhöhtem
hieraus, insbesondere bei hohen Außentemperatu- PTH liegt bei über 90 o/o der Fälle mit pHPT vor und
ren (Exsikkose), eine hyperkalzämische Krise ent- sichert die Diagnose. Allerdings können bei milden
wickeln. Diese bedarf als endokrinologischer Notfall Verlaufsformen vereinzelt auch hochnormale Kalzi-
der sofortigen und konsequenten Intervention. umwerte gemessen werden. Zu beachten ist ferner,
dass bei Hyper- oder Hypoproteinämie das Gesamt-
• Nebenschilddrüsenkarzinom. Die Symptomatik kalzium im Serum gleichsinnig abweichen kann. In
des seltenen Nebenschilddrüsenkarzinoms ist aus- diesen Fällen sollte das korrigierte Kalzium errech-
geprägter, der Verlaufbis zur Diagnose im Allgemei- net werden. Die Bestimmung des ionisierten Serum-
nen kürzer als beim benignen pHPT. Lokale, lym- kalziums ist meistens überflüssig. 30% der Patienten
phogene (Hals- und parabronchiale Lymphknoten) zeigen eine manifeste Hypophosphatämie, in den
sowie hämatogene Metastasen (Leber) entstehen re- übrigen Fällen ist das Phosphat (niedrig-) normal.
lativ spät. Die Bestimmung des Parathormons im Serum ist
die zweite entscheidende Größe bei der Diagnose
des pHPT. Für die klinische Situation ist ausschließ-
lich das intakte Parathormon (1-84 PTH; IRMA)
10.3.5 von diagnostischem Wert, da nur hiermit eine zu-
Diagnostik verlässige Differenzierung zwischen parathyreoida-
ler und nichtparathyreoidaler Hyperkalzämie mög-
Eine erhöhter Serumkalziumwert gilt bis zum Beweis lich ist. Fragmentassays (z. B. mittmolekulares oder
des Gegenteils als malignitätsverdächtig und muss carboxylterminales PTH) sind für die klinische An-
abgeklärt werden. wendung ungeeignet.
418 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse
Serumkalzium bestimmen
(mehrfach)
Hyperka lzämie
Normalkalzämie
(auch hochnormal)
PTH erhöht
bzw. inadäquat
pHPT ausgeschlossen
pHPT bewiesen
00: s. Seite 415 u. 420
+ +
I
Parathyreoidekto mie
I
+
Persistierende Hyperkalzämie
- Abb. 10-8. Flussschema zur Diagnostik bei Hyperkalzämie.
( ach Ziegler 1996)
Hin und wieder findet sich bei mildem pHPT ein Lokalisationsdiagnostik
hochnormales oder nur leicht erhöhtes Serumkal- • Vor Erstoperation. Epithelkörperchenadenome
zium bei normalem, in diesem Fall jedoch offen- über 1 cm Durchmesser sind bei Lokalisation im
sichtlich inadäquat hohem PTH. Hier lässt sich Halsbereich und bei entsprechender Erfahrung sei-
der Verdacht eines pHPT in der Regel durch die wie- tens des Untersuchers sonographisch meist gut dar-
derholte Simultanbestimmung von Serumkalzium stellbar. Sie imponieren als ovaläre, echoarme,
und -PTH erhärten. Provokationstests wie der Thia- scharf abgrenzbare und meist im Bereich der dorsa-
zidtest sind nur in seltenen Fällen notwendig. Etwa len Schilddrüsenkapsel, d. h. extrathyreoidal gelege-
30 o/o aller Patienten mit pHPT zeigen eine Hyper- ne Areale (Abb. 10-7). Die routinemäßige Sonogra-
kalzurie, deren Fehlen somit einen pHPT nicht aus- phie beim unkomplizierten pHPT, d. h. beim Patien-
schließt. Die Kalzurie kann jedoch für die Differen- ten vor Ersteingriff, ist umstritten. Für eine präope-
tialdiagnose des pHPT von Bedeutung sein (DD: rative Lokalisationsdiagnostik sprechen einerseits
familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie). eine möglicherweise verkürzte Operations- und
10.3 Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) 419
Tabelle 10-6. Lokalisationsdiagnostik bei primärem Hyperparathyreoidismus. Die Daten wurden, wo möglich, aus mehreren
Studien zusammengestellt (Doppman 1996; Mirehell 1995; Roe 1994). (Spannbreite, Mittelwerte in Klammern)
Technetium- 99 m-Sestamibi-Szintigraphie 50 97
Hospitalisationsdauer sowie die geringere Anzahl den, da es hierdurch zu Einblutungen in das Adenom
erfolgloser Operationen. Allerdings liegt die intra- und zur unnötigen Erschwerung der Operation kom-
operative Finderate beim erfahrenen Halschirurgen men kann. Hiervon nicht berührt sind selbstver-
mit ca. 95% über der Sensitivität sämtlicher nichtin- ständlich suspekte Herdbefunde bei unklarer Dia-
vasiver Lokalisationsverfahren (Tabelle 10-6), so- gnoselage.
dass manche Autoren die Lokalisationsdiagnostik
vor (unkompliziertem) Ersteingriff ablehnen. Ande-
rerseits wird bei der präoperativen Halssonographie Knochendichtebestimmung
die Schilddrüse stets mituntersucht, sodass suspekte Radiologisch sichtbare Knochenläsionen, wie z. B.
Befunde diagnostiziert und in gleicher Sitzung mit subperiostale Resorptionszonen (Abb. 10-9) oder
der Parathyreoidektomie saniert werden können. gar eine Osteitis fibrosa cystica, sind zwar pathogno-
Bei einem Teil der Patienten werden so komplizier- monisch für den pHPT, heute jedoch nur noch in
tere und risikoreichere Zweiteingriffe am Hals ver- fortgeschrittenen Fällen zu sehen. Häufiger finden
mieden. Vor allem aus diesem Grunde empfehlen sich diskrete Zeichen einer kortikal betonten Osteo-
penie.
D
wir die Halssonographie als nichtinvasive Technik
vor geplanter Parathyreoidektomie. Selbstverständ-
lich ist der fehlende Sonographische Adenomnach- Mit der Knochendichtemessung lässt sich diese Art
weis kein Grund, eine erforderliche Operation bei der Skelettbeteiligung frühzeitiger und präziser er-
(biochemisch) nachgewiesenem pHPT zurückzu- fassen als mit der konventionellen Röntgenauf-
stellen. nahme.
• Vor Zweitoperation im Halsbereich. Unumstrit- Deshalb ist die Osteodensitometrie heute integraler
ten ist die Situation bei voroperiertem Hals, d. h. bei Bestandteil der Evaluation beim pHPT. Typischer-
Zustand nach Strumaresektion, "Neckdissection", weise ist die Knochendichte am (kortikalisreichen)
vorausgegangenem erfolglosem Versuch der Para- distalen Unterarm stärker erniedrigt als an der
thyreoidektomie, Rezidiv eines pHPT. Hier ist auf- (spongiosareichen) LWS.
grundder schwierigen, durch Verwachsungen ver-
änderten anatomischen Situation die genaue prä- Oberbauchsonographie
operative Lokalisation des fraglichen Epithelkörper- Eine Oberbauchsonographie (Nephro- bzw. Uroli-
chens von großer Bedeutung für den Operations- thiasis?) sollte bei jedem Patienten mit neu diagno-
erfolg. Neben den nichtinvasiven Verfahren (Ta-
stiziertem pHPT durchgeführt werden.
belle 10-6) ist bei diesen Patienten die Durchführung
eines selektiven Halsvenenkatheters zu fordern.
Knochenbiopsie I Knochenszintigraphie
Tabelle 10-7. Konservative Therapie der Hyperkalzämie beim primären Hyperparathyreoidismus. (Mod. nach Ziegler 1997)
Rehydratation 4- 6 (10) I/Tag Universal, bei Vermehrte Kalziurie, Volumen- Herzin uffizienz,
0.9 % aCl i. v. höherfadiger" Rehydratation, belastung, ierenin uffizienz
Hyper alzämie Verdünnung, rascher Hypokaliämie
Wirkungseintritt
Forcierte Variabel, Universal bei Steigerung der Diurese Hypokaliämie, icht korrigierte
Diurese, Furo- 20- 500 mg/Tag höherfadiger• und Kalziurese, (Cave bei Erbre- Hypokaliämie,
semid, (Lasix) Hyper alzämie rascher chen!), Hypo- Hypotonie,
und/oder Wirkungseintritt magnesiämie, Hypovolämie
Retention Hypovolämie
Kalzitonin 200- 500 I.E./Tag Als Adjuvans Hemmun~ Flush, Übelkeit, Hypotonie
s.c. bei höhergradiger" der Osteo asten, Erbrechen,
Hyperkalzämie verminderte Hypotonie,
Kalziummobili ation; Tachykardie
ra eher
Wirkungseintritt
Prednison 40- 100 mg/Tag Vitamin-0 -Intox., Hemmung der Kalzi- Bei längerfri tiger Übliche Kontraindi-
arkoido e, hyper- umabsorption im Anwendung iatro- kationen gegen
kalzämi ehe Krise Darm, vermehrte genes Cu hin~- Glucocorticoide,
tubuläre Kalziurie; yndrom, in e- in be ondere Diabe-
langsamer sondere gestörte tes mellitus, florides
Wirkungseintritt Glukosetoleranz, Ulkusleiden, Psy-
Hypokaliämie chose, Osteoporose
Pho phat 0,5-1,5 g/Tag p.o. Hypophosphat- Hemmung der Kalzi- Ektope Verkal- Pho phatgaben ind
ämie, Au nahme- umabsorption im kun~en durch für den Regelfall
fälle!! Darm, Hemmung der Aus ällun~ von obsolet!
1,25-(OHh-Vitamin Kalziump osphat
D-Synthese, (Ca · P-Produkt
langsamer > 5,5!)
Wirkungseintritt
a Kriterien sind die kritische Hyperkalzämie (3 mmol/1) sowie die klinische Symptomatik
424 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse
druck einer Auffüllung der Kalziumspeicher zu des Kalzium-, Phosphat- oder Vitamin D-Haushal-
einem deutlichen Wiederanstieg der Knochendiebe tes reaktiv gesteigert ist (Tabelle 10-8). Im Gegensatz
am distalen Radius. Bei vorbestehender arterieller zum autonomen pHPT handelt es sich also beim
Hypertonie sind Besserungen beschrieben, jedoch sHPT um einen regulativen Kompensationsmecha-
nicht die Regel. Bei Beachtung der geltenden Richt- nismus, wobei definitionsgemäß sämtliche Epithel-
linien (s. Übersicht: "Verlaufsbeobachtung...") ist körperchen betroffen sind (und hyperplastisch sein
auch bei konservativer Therapie meist mit einem können). Hierbei wird die PTH-Sekretion durch
günstigen Verlauf zu rechnen. Interessanterweise einen oder mehrere der folgenden Stimuli getriggert:
bleibt der klinische und laborchemische Befund • Hypokalzämie,
bei diesen Patienten im Allgemeinen stabil, auch • Hyperphosphatämie,
eine Osteopenie verschlechtert sich nur selten. • erniedrigte 1,25(0Hh-Vitamin DrSpiegel (Calci-
triol).
Nebenschilddrüsenkarzinom
• Ätiologie. Ätiologisch können diesen Störungen
Beim seltenen Nebenschilddrüsenkarzinom
unterschiedlichste Erkrankungen zugrunde liegen
schwankt die 5-Jahres-Überlebenszeit nach Opera-
(Tabelle 10-8). Die kalzipenischen Formen des
tion zwischen 40 und 70 %, abhängig vom Stadium
sHPT entwickeln sich stets auf dem Boden eines Kal-
der Erkrankung. Rezidive treten durchschnittlich
zium- oder eines Kalzium- und Vitamin D-Mangels.
nach 3 Jahren auf, Intervalle bis zu 20 Jahren sind
Sie treten klinisch unter dem Bild der Rachitis bzw.
allerdings beschrieben.
der Osteomalazie (s. dort) auf. In den folgenden Ab-
schnitten wird deshalb nur der sHPT im Rahmen der
chronischen Niereninsuffizienz dargestellt.
10.4
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
M. J. SEIBEL 10.4.2
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
10.4.1 bei Niereninsuffizienz
Definition
Pathophysiologie und histologisches Korrelat
Ein sekundärer Hyperparathyreoidismus (sHPT) Die Kalzium-, Phosphat- und Magnesiumhomöo-
besteht immer dann, wenn die Sekretion von Parat- stase wird über die Modulation der renal-tubulären
hormon (PTH) aufgrund einer primären Störung Clearance aufrecht erhalten, wobei sowohl Parathor-
I K noc hen
• kontrolliert als ubiquitäres Steroidhormon die
Proliferation und Differenzierung zahlreicher
Zellsysteme.
G
' , _- .-1 I'TH i
Bereits aus dieser kurzen Skizzierung der Mineral-
.'
:
1,25 (0~1h 0 -
(J
a++ •
1,25 (0 H)1 D
PTH •
homöostase wird offensichtlich, dass chronische
Nierenfunktionsstörungen zu gravierenden Rück-
G ~ ---- •• •. p wirkungen auf den Knochenstoffwechsel führen
müssen. So ist bereits bei einen Abfall der glomeru-
PTH I t PT H
(I') . (Ca) lären Filtrationsrate (GFR) auf 60-90 ml!min in
manchen Fällen aufgrund der verminderten Calci-
triolsyntheseleistung des Nierenparenchyms ein An-
Abb.l0-10. Regulation der Kalzium-, Phosphat- und Magne- stieg des Serum-PTH zu beobachten, ohne dass si-
siumhomöostase durch Parathormon und Vitamin D gnifikante Veränderungen der Serumphosphat-
oder Serumkalziumkonzentrationen zu verzeichnen
wären. Bei einer Reduktion der GFR aufWerte unter
30% des Normwertes ( < 30-40 ml!min) kommt es
mon als auch Calcitrial durch ihre Wirkung am zur Hyperphosphatämie. Hierdurch, aber auch auf-
Nephron direkt in dieses Geschehen eingreifen grund des progredienten Calcitriolmangels und
(Abb. 10-10). der verminderten intestinalen Kalziumabsorption,
steigt das Serum-PTH weiter an. Unbehandelt ent-
• Parathormon (PTH). PTH stimuliert: wickelt sich das Vollbild eines sekundären Hyper-
• die tubuläre Rückresorption von Kalzium, parathyreoidismus (Tabelle 10-9). PTH stimuliert
• die Ausscheidung von Phophat, sowohl die Aktivität von Osteoblasten als auch
• die Mobilisation von Kalzium aus der skelettalen von Osteoklasten. Der chronische PTH-Überschuss
Matrix und bei sHPT ist daher in der Regel mit einem beschleu-
• die Umwandlung von 25-0H-Vitamin D3 in nigten Knochenumsatz assoziiert. Diese "High-turn-
1,25(0Hh-Vitamin D3• over Osteopathie" wird auch als sog. "hyperdyname
Läsion" bezeichnet und ist, zusammen mit der "ady-
• Calcitriol (1,25(0Hh-Vitamin D3). Calcitriol wird namen Läsion", eine der typischen Verlaufsformen
in den Zellen des proximalen Tubulus unter dem der renalen Osteodystrophie. Im fortgeschrittenen
Einfluss von PTH synthetisiert und Stadium präsentiert sich der sHPT bei chronischer
• stimuliert die intestinale Kalziumabsorption, Niereninsuffizienz unter dem Bild der Osteitis fibro-
• hemmt in einer negativen Rückkopplung die sa, die durch überstürzte Knochenneubildung und
PTH-Synthese und -resorption charakterisiert ist (Abb. 10-11 ).
Auslöser Pathome•hansimus
(Ursa•hc)
Verminderte Expres ion des Viiamin-D-Rezeptors Inhibition der PTH-Gentransscription durch Calcitriol 1
auf Epithelkörperchen PTH-Synthese I
(l zirkulierende Calcitriol u. a.)
Abb.IO-ll.
Knochenhistologie bei sHPT und chroni-
scher Niereninsuffizienz. Man erkennt das
Bild einer überstürzten Knochenneubil-
dung und -resorption
Manifestationsari abhängig vom Alter des Patienten bei Auftreten der Nierenin uffizienz
"Low-turnover"/adynamische Osteapathie
Aluminiumexze s
Sarkoide e/Tuberkulo e
Magnesiumhaltige Antazida/Laxanzien
erum-iPTH T Differenzierung zwi chen 0 teopathien mit verlang amtem ("adynamen"; iPTH
< 150- 200 pg/ml) und be chleunigtem ("hyperdynamen"; iPTH > 250- 300 pg!ml)
Knochen toffwech el
tarker PTH-Stimulu
CAPD kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse, GFR Glomeruläre Filtrationsrate, HD Hämodialyse, iPTH intaktes Parat-
hormon, sHPT sekundärer Hyperparathyreoidismus
10.4 Sekundärer Hyperparathyreoidismus 429
0 teopenie
Kinder/ Adoleszenten:
Rachitisähnliche Veränderungen der Wachstumszone
Epiphy ioly e
Rippenfrakturen
Kartenherz-Deformität de Becken
Osteopenie
Verwa chene pongio a truktur
Phosphatbindende Kalziumkarbonat 4-15 g!Tag p.o. Ind: Hyperphosphatämie, HPT, Prävention von
Antazida Weichteilverkalkungen, mit den Mahlzeiten einnehmen
NW: Hyperkalzämie (kalziumarmes Dialy at venvenden,
z. B. 2.5 mEq/1)
Kombination mit anderen Antazida in manchen Fällen
notwendig
Cholecalciferol 1000-1500 IE/Tag p.o. kontinuierlich Ind: Kompensierte Retention+ sHPT + erum-250H-
("natives" Vitamin D) Vitamin D < 100 pmol/1
NW: Hyperkalzämie (regelmäßige Kontrollen indizierl,
s. Text!)
la-OH-Vitamin D3 0,25-0,5 mg!Tag p.o. kontinuierlich lnd: Cholecalciferol ohne Effekt (PTH!), primär
dialysepflichtige Patienten
Cave bei Pho phat > 2 mmol/1
NW: Hyperkalzämie (regelmäßige Kontrollen indiziert,
s. Text!)
I,25-(0Hh-Vitamin 0,25-1,5 mg!Tag p.o. kontinuierlich Ind: Primär dialysepflichtige Patienten
D3 (Calcitriol) mit niedriger Do i (0,25 mg!Tag) beginnen, Do i nach
erumkalzium anpa en
NW: Hyperkalzämie (regelmäßige Kontrollen indiziert,
. Text!)
kurze Halbwertszeit: bei Hyperkalzämie kurzfristig
aussetzen und in niedrigerer Dosis fortfahren
lntermitterend 0,5- 4,0 mg 3-mai/Woche oder lnd: Primär dialy epAichtige Patienten unter regel-
CalcitrioI 2,0- 5,0 mg 2-mai/Woche p.o. oder i. v. mäßiger Hämodialy e (nicht bei CAPD!), schwerer sHPT
mit niedriger Dosis (0,25 mg!Tag) beginnen und Dosis
nach Serumkalzium anpassen
nicht empfohlen für Kinder
NW: Hyperkalzämie (regelmäßige Kontrollen indiziert,
s. Text!)
Desferrioxamin 0,5- 1,0 g!W oche lnd: Symptomatischer Aluminium- und/oder Eisenexzess
Tabelle 10-14. Laborchemische Grenzwerte und Zielkriterien bei Dialysepatienten mit renaler Osteodystrophie/sekundärem
Hyperparathyreoidismus
> 2,0 mmol/1 Induktion: HPT, extrao äre Verka!kungen, Therapie mit aktiven
Vitamin D-Metaboliten relativ kontraindiziert
> 50 pmol/1 Schwerer HPT; Indikation für Therapie mit aktiven Vitamin
D-Metaboliten oder PTX
• Normbereiche können zwischen unterschiedlichen Laboratorien differieren. Die hier angegebenen Werte sind Richtwerte und
müssen ggf. an die lokalen Verhältnisse adaptiert werden. Al Aluminium, DFO Desferrioxamin, sHPT sekundärer Hyper-
parathyreoidismus
• Vitamin D-Metaboliten. Bei dialysepflichtigen Pa- der Hyperkalzämie bzw. der Entwicklung einer ady-
tienten ist aufgrund derweitgehenden Zerstörung des namen Osteopathie. Aufgrund der kurzen Halbwerts-
Nierenparenchyms diese Therapie oft unwirksam, zeit von Calcitriollassen sich hyperkalzämische Epi-
sodass hier primär mit aktiven Vitamin D-Metabo- soden im Allgemeinen durch Absetzen des Medika-
liten, d. h. mit la-OH-Vitamin D3 (z. B. Doss) oder ments für einige Tage leicht korrigieren.
mit 1,25(0Hh-Vitamin D3 (Calcitriol; z. B. Rocaltrol)
behandelt werden muss (Tabelle 10-13). Beide Sub-
stanzen sind zur Behandlung des sHPT bei chroni- Therapiekontrollen
scher Niereninsuffizienz geignet und in Deutschland In jedem Fall ist eine engmaschige Therapiekontrol-
zugelassen. Voraussetzung zur Therapie mit ak- le unerlässlich: Serumelektrolyte, intaktes PTH,
tiven Vitamin D-Metaboliten ist ein Serumphosphat T AP, Kreatinin, endogene Kreatininclearance und
< 2 mmol!l (bzw. ein Kalzium-Phosphat-Produkt die Ausscheidung von Kalzium und Phosphat im
< 5,5). Man beginnt mit einer niedrigen Dosis 24-h-Urin sollten mindestens einmal alle 3 Monate
(z. B. 0,25 mg/Tag) und paßt diese im Laufe der kontrolliert werden. Bei Verordnung magnesium-
Zeit dem Serumkalziumspiegel an (Tabelle 10-13). haltiger Präparate sind die Serummagnesiumspiegel
Zu vermeiden ist eine Übertherapie mit der Gefahr mitzukontrollieren.
432 KAPITEL 10 Nebenschilddrüse
Primärtumor
z.B. Mamma, Prostata, Bronchial
iere, Schilddrüse
1 1 1 1
Blastisch lytisch
l l
Osteoklasten iere
KnocheiUleubildung Kn<Xhenresorption
l
Hyperkalzämie
l Abb.10-l3.
Pathomechanismen der Tumorosteo-
(ohne Hyperkalzämie) pathie. (Nach Zipf u. Seibel 1992)
Absorption von Kalzium und die renale Kalziumex- osteopathie auftreten und das klinische Bild we-
kretion in variablem Ausmaß betroffen sind. sentlich mitbestimmen können.
Die Anamneseerhebung umfasst weiterhin eine aus- erniedrigt) und Albumin im Serum gemessen
führliche Evaluation der Vorerkrankungen, vegeta- werden. Zur Abgrenzung gegenüber der häufigsten
tive und Familienanamnese mit dem Ziel, Hinweise benignen Hyperkalzämieform, dem pnmaren
auf den Primärtumor zu erhalten. Hyperparathyreoidismus, ist die Bestimmung von
Bei der körperlichen Untersuchung sollen klini- PTH im Serum essentiell
sche Zeichen der Hyperkalzämie erkannt sowie
ggf. die Fahndung nach dem Primärtumor eingelei- Bei der tumorassoziierten Hyperkalzämie ist das
tet werden. Folgende Übersicht fasst die körperliche PTH im Serum immer supprimiert, mit der einzigen
Untersuchung zusammen. und sehr seltenen Ausnahme einer ektopen PTH-Se-
kretion. Damit entspricht die Diagnostik weitgehend
Körperliche Untersuchung bei V. a. tumor- dem Vorgehen beim pHPT (s. Abb. 10-11 und Über-
assoziierte Hyperkalzämie sicht "Obligate Untersuchung zur Diagnosesiche-
rung eines pHPT") bzw. bei hyperkalzämischer
• Allgemeinzustand Krise (s. Übersicht "Apparative Diagnostik bei
Exsikkose, Dehydratation V. a. hyperkalzämische Krise").
Lymphknotenstatus
Tumorzeichen Bildgebende Verfahren
• Neurologischer Status Die bildgebende Diagnostik dient der Abschätzung
Reflexabschwächung, Paresen der Tumorausdehnung im Skelettsystem. Folgende
Muskelschwäche, Myopathie Übersicht gibt die geeigneten bzw. obligaten Unter-
Adynamie, Konzentrationsstörungen, Verwirrt- suchungen wieder.
heit, Somnolenz
• Abdomineller Status Bildgebende Verfahren zur Erfassung
Druckschmerz (Pankreatitis, peritoneale Rei- der Tumorausdehnung im Skelettsystem
zung)
Nierenlager (N ephrolithiasis, U rolithiasis) • Skelettszintigraphie (Merke: meist negativ und
• Kardialer Status daher nicht indiziert bei V. a. Plasmozytom)
Bradykardie • Nativröntgen; klinisch (Schmerz!) und szintigra-
Rhythmusstörungen phisch suspekter Skelettabschnitte
Insuffizienzzeichen • CT und MRT bei V. a. Instabilität von Wirbelsäu-
Hypertonie lenläsionen oder zum Nachweis einer Knochen-
Einflussstauung markinfiltration
• Skelettstatus • Biopsie: direkte Knochenbiopsie oder evtl. vor-
Umschriebener Druck-, Klopf-, Stauchungs- handener W eichteilmetastasen.
schmerz
Beweglichkeit
Schonhaltung
Pathologische Frakturen 10.5.6
• Gynäkologischer Status (Tumorsuche) Therapie
• Urologischer Status (Tumorsuche)
• HNO-ärztlicher Status (Tumorsuche) Die tumorassoziierte Hyperkalzämie ist in praktisch
allen Fällen als Zeichen eines weit fortgeschrittenen
Tumorstadiums zu werten. Ihre Therapie ist daher
palliativ und umfasst die
• EKG. Nicht selten finden sich im EKG bei Hyper- • symptomatische Senkung des Serumkalziumspie-
kalzämie typische, allerdings nicht pathognomoni- gels durch
sche Veränderungen. Hierzu zählen unterschiedli- - Hemmung der gesteigerten osteoklastären
che Herzrhythmusstörungen (insbesondere bei digi- Knochenresorption und
talisierten Patienten) und ein AV-Block I. Eine aus- - Optimierung der renalen Kalziumclearance,
geprägte Hyperkalzämie verkürzt außerdem das sowie die
QT- Intervall. • Reduktion der Tumormasse.
konzentrationen unter 3,0 mmol/1 werden meistens men die Osteoklastenfunktion spezifisch, wobei so-
gut toleriert und sind nur dann behandlungspflich- wohl direkte Effekte am Osteoklasten selbst, als auch
tig, wenn der Patient Symptome der Hyperkalzämie indirekte Wirkungen über Osteoblasten und lokale
aufweist (s. Tabelle 10-5). Bei Kalziumwerten über Mediatoren beschrieben sind. Tabelle 10-17 zeigt die
3,0 mmol/1 muss unabhängig von der klinischen für die Behandlung der tumorassoziierten Hyper-
Symptomatik interveniert werden. kalzämie in Deutschland zugelassenen Bisphospho-
nate. Bei akuter Hyperkalzämie und schwerer Beein-
trächtigung des Allgemeinzustandes kann 30-90 mg
Allgemeine Maßnahmen
Pamidronat (Aredia) als i. v.-Infusion in 500 ml
Eine Dehydratation bzw. Exsikkose ist bei hyper-
0,9 o/o NaCl über einen Zeitraum von 4-6 h gegeben
kalzämischen Patienten sehr häufig (ausgelöst durch
werden. Als mögliche Nebenwirkungen sind vor-
Anorexie, Erbrechen, Polyurie) und verstärkt die
übergehender Temperaturanstieg und Muskel-
Hyperkalziämie. Ausreichende Hydration durch
schmerzen nach der Infusion, eine leichte Leukope-
orale Flüssigkeitszufuhr (> 3 I/Tag kalziumarmes
nie sowie Nephrotoxizität beschrieben. Im Allgemei-
Wasser) oder durch i. v.-Verabreichung normotoner
nen sind diese Nebenwirkungen bei langsamer Infu-
Kochsalzlösung ist daher Grundlage jeder Therapie.
sion milde und reversibel. Der Einsatz von
Der vorsichtige Einsatz von Schleifendiuretika kann
Pamidronat hat sich vor allem bei Patienten mit
von Vorteil sein, da die Kalziumausscheidung im
Plasmozytom und eingeschränkter glomerulärer Fil-
Urin über eine Hemmung der Kalziumrückresorp-
trationsleistung wegen seiner geringen Nephrotoxi-
tion in der Henle-Schleife erhöht wird (s.
zität bewährt. Neuere, noch potentere Bisphospho-
Tabelle 10-7).
nate (z. B. Zoledronat) sind derzeit in klinischer Er-
probung und werden in nächster Zukunft für die Be-
Die Verabreichung von Thiaziddiuretika ist kontra-
handlung der Tumor-assoziierten Hyperkalzämie
indiziert, da die renale Kalziumausscheidung ver-
zur Verfügung stehen.
mindert und hierdurch die Hyperkalzämie verstärkt
wird.
• Kalzitonin. Zur kurzfristigen Senkung der Se-
rumkalziumspiegel kommt weiterhin Kalzitonin in
Rehydratation und forcierte Diurese führen aller-
Betracht (z. B. 4-6 U/kg KG i.m. oder s.c. alle
dings nur in leichteren Fällen (Serumkalzium
6-8 h). Kalzitonin ist eine relativ nebenwirkungs-
< 3,0 mmol/1) zur Normokalzämie. In allen anderen arme Substanz (Flush, Übelkeit, Durchfall) mit mä-
Fällen sind weitere Maßnahmen notwendig.
ßiger, oft nur transienter hypokalzämischer Wir-
kung. Auf der anderen Seite hat Kalzitonin einen in-
Spezifische Maßnahmen trinsischen analgetischen Effekt, der bei Tumorpa-
Hierzu zählen die spezifische Inhibition der Osteo- tienten (und nach akuten Frakturen) mit gutem
klastenfunktion (Hemmung der Kalziummobilisa- Erfolg genutzt werden kann. Nach wiederholter An-
tion) sowie die Gabe von Glucocorticoiden. wendung kann es zur Entwicklung einer Kalzitonin-
resistenz und zur Bildung von Kalzitoninantikör-
• Bisphosphonate. Bei der Behandlung der tumor- pern kommen.
assoziierten Hyperkalzämie gehören Bisphospho- In Verbindung mit einem Bisphosphonat ist Kal-
nate zur Therapie der 1. Wahl. Bisphosphonate hem- zitonin zur schnellen Absenkung krisenhaft erhöh-
Tabelle 10-17. In Deutschland zur Behandlung der tumorassoziierten Hyperkalzämie zugelassene Disphosphonate
Clodronat Bonefos Astra/Medac i. v., p.o. i. v. : 300 mg/Tag über >4h für 5 Tage
p.o. : 400- 3200 mg/Tag
Clodronat Ostac Roche i. v., p.o. i. v. : 300 mg/Tag über >4h für 5 Tage
p.o. : 400- 3200 mg/Tag
Etidronat Etidronat i. v. Proeier & Gamble i. V. 7,5 mg/kg KG über 2- 4 h für 3 Tage
Therapie der hyperkalzämischen Krise Die Indikation zur Hämedialyse ist weit zu stellen.
Ziegler R, Breckwoldt W, Grußendorf M, Kruse K (1993) Ne- Ralston SH, Gallacher SJ, Pate! U et al. (1990) Cancer-associa-
benschilddrüsen und Calciumhomöostase In: Deutsche ted hypercalcemia:morbidity and mortality. Clinical expe-
Gesellschaft für Endokrinologie (Hrsg) Rationelle Dia- rience in 126 treated patients. Ann Intern Med
gnostik in der Endokrinologie. Thieme, Stuttgart, S 112 : 499-504
79-103 Stewart AF, Horst R, Deftos LJ et al. (1980) Biochemical eva-
Ziegler R, Hesch RD, Kruse K, Raue F, Rothmund M (1997) luation of patients with cancer-associated hypercalce-
Nebenschilddrüsen und Calciumhomöostase (einschließ- mia:evidence for humoral and non-humoral groups. N
lich Osteopthien) In: Deutsche Gesellschaft für Endokri- Eng! J Med 303: 1377-1383
nologie (Hrsg) Rationelle Diagnostik in der Endokrinolo- Zipf A, Seibel MJ (1992) Biochemische Labordiagnostik bei
gie. Thieme, Stuttgart, S 103-148 Knochenmetastasen. In: Wüster Ch, Ziegler R (eds) Kno-
chenmetastasen: Pathophysiologie, Diagnostik und The-
rapie. Zuckschwerdt, München, pp 16-33)
Literatur zu Abschn. 10.5
Bart! R (1992) Entstehung und histologische Diagnose von Literatur zu Abschn. 10.6
Knochenmetastasen. In: Wüster Ch, Ziegler R (Hrsg)
Knochenmetastasen: Pathophysiologie, Diagnostik und Attie MF (1989) Treatment of hypercalcemia. Endocrinol Me-
Therapie. Zuckschwerdt, München, pp 1-15 tab Clin North Am 18: 807-828
Bilezikian JP (1992) Management of acute hypercalcemia. Bilezikian JP (1992) Managment of acute hypercalcemia.
N Eng! J Med 326: 1196-1203 N Eng! J Med 326: 1196-1203
Burtis WJ, Brady TG, Orloff JJ et al. (1980) Immunochemical Nussbaum SR (1993) Pathophysiologiy and management of
characterization of circulating PTH-related protein in pa- severe hypercalcemia. Endocrinol Metab Clin North
tients with humoral hypercalcemia of malignancy. N Eng! Am 22 : 343-362
JMed 322: 1106-1112 Schmidt-Gayk H (1997) Störungen der Kalzium- und Phos-
Die! IJ (1997) Tumorassoziierte Störungen des Knochen-und phathomöostase. In: Seibel MJ, Stracke H (Hrsg) Metabo-
Mineralstoffwechsels. In: Seibel MJ, Stracke H (Hrsg) Me- lische Osteopathien. Schattauer, Stuttgart, S 243-275
tabolische Osteopathien. Schattauer, Stuttgart, pp Shane E (1996) Hypercalcemia: Pathogenesis, clinical mani-
276-287 festations, differential diagnosis and managment. In: Fa-
Galasko CSB (1981) The anatomy and pathways of skeletal me- vus JM (ed) Primeron the metabolic hone diseases and
tastases. In: Weiß L, Gilbert AH (eds) Bone metastasis. disorders of mineral metabolism. 3rd edn, Lippincott &
Hall, Boston, pp 49-63 Raven, Philadelphia, pp 177-181
Garrett RI, Durie BGM, Nedwin GE et al. (1987) Production of Ziegler R, Breckwoldt W, Grußendorf M, Kruse K (1993) Ne-
the hone resorbing cytokine lymphotoxin by cultured hu- benschilddrüsen und Calciumhomöostase In: Deutsche
man myeloma cells. N Eng! J Med 317: 526-532 Gesellschaft für Endokrinologie (Hrsg) Rationelle Dia-
Harinck HIJ, Bijvoet OLM, Platingh AST (1987) Role of hone gnostik in der Endokrinologie. Thieme, Stuttgart, S
and kidney in tumor-associated hypercalcemia and ist 79-103
treatment with Bisphosphonate and sodium chloride. Ziegler R, Hesch RD, Kruse K, Raue F, Rothmund M (1997)
Am J Med 82 : 1113-1142. Nebenschilddrüsen und Calciumhomöostase (einschließ-
Mundy GR, Martin TJ (1982) The hypercalcemia of malignan- lich Osteopthien) In: Deutsche Gesellschaft für Endokri-
cy: pathogenesis and treatment. Metabolism nologie (Hrsg) Rationelle Diagnostik in der Endokrinolo-
31: 1247-1277 gie. Thieme, Stuttgart, S 103-148
KAPITEL 11
chen in kürzeren Zeiträumen zur erkennbaren Ver- Osteoklasten und Osteoblasten/Osteozyten stellen
minderung der Knochendichte führen als dies beim eine Arbeitseinheit dar, die in lokaler Autarkie, ge-
kompakten Knochen der Fall ist. Dies gilt umgekehrt steuert von physikalischen und biochemischen Kräf-
auch für den Knochenaufbau, sodass knochenan- ten, für den kontinuierlichen Knochenumbau ver-
baustimulierende Medikamente an der Spongiosa antwortlich ist. Die Umbaueinheiten bewirken den
rascher wirksam sind, als an der Kompakta. kontinuierlichen Knochenersatz und seine Repara-
tur im Falle der Verletzung (Fraktur). Sie bedürfen
• Umbau des Knochens. Den Knochenumbau be- für ihre grundsätzliche Tätigkeit keiner übergeord-
werkstelligen die Knochenzellpopulationen mit 2 neten hormonellen Einflüsse, sind jedoch unter dem
Zelltypen. Aspekt übergeordneter Aufgaben durch Hormone
• Der Osteoklast bewerkstelligt den Abbau, er steuerbar und in ihrem Leistungsniveau optimier-
stammt aus der bärnatologischen Reihe der Mo- bar.
nozyten/Makrophagen. Abbildung 11-1 stellt die Kommunikationswege
• Der Osteoblast als aufbauender Zelltyp, der in sei- zwischen den Elementen der Arbeitseinheit dar. Jeg-
ner Erhaltungsfunktion des Knochens zum Teil licher Umbau beginnt mit dem Abbau vorhandenen
zum Osteozyten wird, ist mesenchymaler Her- Knochengewebes durch den Osteoklasten. Dieser
kunft. wird durch stimulierende Signale des Osteoblasten
Calciurie
e Stimulation
Calcium· Absorption
e Hemmung
"alter" Knochen
Abb.ll-1. Osteoblast und Osteoklast sind eine Arbeitsein- terleukin 1, MFF "macrophage/monocyte fusion factor", Ma-
heit Der Knochenabbau wird vor allem durch stimulierende krophagen-/Monozytenfusionsfaktor, OBDRF "osteoblast de-
Signale angeregt, die der Osteoblast aussendet. Umgekehrt ak- rived resorption factor", von Osteoblasten abgeleiteter Re-
tiviert der Osteoklast während seiner Arbeit über den Kopp- sorptionsfaktor, PA! Plasminogenaktivatorinhibitor, TGFß
lungsfaktor den Osteoblasten, sich zur Reparatur bereit zu ma- "transforming growth factor ß", transformierender Wachs-
chen. BMP "bone morphogenetic proteins", morphogeneti- tumsfaktor ß. [Aus Ziegler R. (1995) Der Knochen und seine
sche Knochenproteine, CSF "colony stimulating factor", Kolo- Erkrankungen, Abbildung 1 aus Teil II: Der Dialog zwischen
nie-stimulierender Faktor, DIF "differentiation inducing Osteoblasten und Osteoklasten. Dtsch Med Wochensehr
factor", differenzierungsinduzierender Faktor, IGF "insulin- 120: 572, Georg-Thieme-Verlag, Stuttgart]
like growth factor", Insulin-ählicher Wachstumsfaktor, ILl In-
11.1 Physiologie 445
bzw. des Osteozyten aktiviert. Der Osteozyt ist für zen sind die morphogenetischen Proteine des Kno-
den Unterhaltungsstoffwechsel des Knochengewe- chens ("bone morphogenetic protein" = BMP), die
bes verantwortlich. Gleichzeitig hat er über das ver- als Signale der Osteolyse den Osteoblasten mitteilen,
zweigte Netzwerk seiner Zellfortsätze die Aufgaben dass Defekte (Howship-Lakunen) entstehen und
eines Mechanosensors. Mechanischer Druck auf das wieder aufgefüllt werden müssen. Am trabekulären
Knochengewebe sowie Scher- und Zugkräfte aktivie- Knochen entstehen innerhalb weniger Tage Laku-
ren über vermutete Mechanostaten zunächst das nen von einer Tiefe von etwa 70 11, die in etwa
osteozytäre/osteoblastäre System, welches den 90-150 Tagen wieder aufgefüllt werden. Bis zum
Osteoklasten durch resorptionsstimulierende Fakto- 30. Lebensjahr ist unter normalen Bedingungen
ren zum Umbau anregt. Der Osteoblast sezerniert die Umbaubilanz einer Einheit ausgeglichen. Durch
Kollagenase, die die Oberfläche des Knochenmine- verstärkte mechanische Belastung resultiert ein
rals von einer schützenden Proteinschicht befreit, Mehr an Knochen, das die Stabilität erhöht. Bei ge-
diese kann der Osteoklast selbst nicht angreifen. Ne- ringerer Beanspruchung verschlechtert sich die Sta-
ben diesen lokalen Signalen, ausgelöst von der Me- bilität.
chanik, sind übergeordnete Hormone umbaustimu-
lierend wirksam. Eine 3. Quelle von Signalen ist ver-
mutlich das Knochengewebe selbst. Möglicherweise 11.1.2
vermitteln herausdiffundierende Zytokine im Rah- Hormonabhängigkeit des Knochenumbaus
men des Alterungsprozesses der Zellpopulation
die Botschaft, dass das entsprechende Areal ein Alter Die Umbaueinheit, die zur selbständigen Arbeit in
erreicht hat, das den Ersatz erforderlich macht. Wei- der Lage ist, kann man auch als "Osteostaten" be-
terhin werden z. B. vom Osteoklasten beim Kno- zeichnen - ihre Einflüsse kommen aus dem Mikro-
chenabbau Signalproteine wie der transformierende milieu. Erfasst der mechanische Reiz ein größeres
Wachstumsfaktor ß (TGF-ß) herausgelöst, welcher Knochenareal, sind entsprechend viele Einheiten in-
den Knochenanbau stimuliert. Verwandte Substan- volviert. Übergeordnete Reize beispielsweise humo-
Spitzenknochenmasse
("peak bone mass-)
1,2
~ ~~=u~es beschleunigten
N- 1.1 ' \igh turnover")
1
*
Cl)
Beginn des
..:
1.0 _ -langsamen Umbaus
E ("low turnover' )
c::
Cl>
Erholung??
.
J:.
g !
~ 0.9 :
ungenügender
Aufbau durch
Hormonmangel
0,8
, t:
0
LIPub~rtät I
0 10 20 30 40 50 60 70 80
Jahre
Abb.ll-2. Abhängigkeit von Knochenautbau und -erhalt schlecht gehen die Östrogene mit der Menopause verloren -
von den Sexualhormonen: Ab der Zeit der Pubertät wird das Abbautempo beschleunigt sich für etwa ein Jahrzehnt,
der Knochen sexualhormonabhägnig, d. h. nur mit Hilfe der l)m dann neuerlich in das langsame Verlusttempo, das vom
Sexualhormone entwickelt er das mögliche Optimum Alterwerden abhängt, einzuschwenken. [Aus Ziegler R.
("peak bone mass") im Alter zwischen 20 und 40. Dann (1995) Der Knochen und seine Erkrankungen, Abbildung 1
schließt sich auch beim Gesunden ein langsamer Verlust an aus Teil III: Der Einfluß der Sexualhormone. Dtsch Med Wo-
(Jahresrate 1/ 4 bis 112 bis maximal 1 %). Beim weiblichen Ge- chenschr 120 : 1092, Georg-T hieme-Verlag, Stuttgart]
446 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen
raler Art über das Gefaßsystem erreichen letzlieh alle stes nach Ausfall der Sexualhormone sind gut be-
Knochen, und sie modulieren die Arbeit der Um- kannt. Die Sexualhormone entfalten im Knochen-
baueinheiten unter dem Aspekt eines übergeordne- umbau eine antiresorptive Wirkung. Der Östrogen-
ten Programms: Wachstumsphasen, ein Mehr an ausfall wird von einem Anstieg osteolytischer Zyto-
Knochen für die Fortpflanzung, Angreifen des Kno- kine wie Interleukin-1 und Interleukin-6 gefolgt,
chenkalziums als Depot in Notzeiten. hierdurch wird der Umbau akzeleriert.
Tabelle 11-l. Minusvarianten (Osteopenie, Osteoporose) und Plusvarianten (Osteosklerose, Osteopetrose) metabolischer
Osteopathien
Storung Krankheitsbild
Zur Verminderung der Knochenmasse bzw. -Stabilität führend (osteopenisch, -porotisch, -dystrophisch)
Lokalisierte Auswirkung
finitionen, ist auch diese willkürlich. Da die postme- Gens. Genvarianten können auch bei folgenden
nopausale Osteoporose der Frau das Erlöschen der Faktoren des Knochenstoffwechsels eine Rolle
Eierstocksfunktion voraussetzt, könnte sie als "se- spielen: Unterschiedliche Allele des Vitamin-D-
kundär" eingestuft werden (vergleichbar der Osteo- Rezeptorgens können die Kalziumaufnahme vari-
porose einer Frau im Alter von 45 Jahren, die die ieren, Varianten des Östrogenrezeptors könnten
Eierstocksfunktion durch Kastration verloren hat). für die biologische Aktivität dieses Sexualhor-
Demgegenüber kann auch anders argumentiert wer- mons verantwortlich sein, Genvariaten des Zyto-
den: Alle Frauen erfahren die Menopause, nur ein kins Interleukin-6 könnten über das Ausmaß der
Teil von ihnen entwickelt die Osteoporose. Bei wei- Resorption von Knochengewebe nachWegfall der
terhin nicht klar erkennbarer Disposition ist es ge- Östrogene entscheidend sein. Die Genetik ent-
rechtfertigt, diese postmenopausale 0/0 als idiopa- scheidet vermutlich auch über unterschiedliche
thisch einzustufen. Es ist ersichtlich, dass Übergänge Qualitäten der Verdauung, bezogen auf die Kal-
fließend sind. ziumaufnahme und -utilisierung, über die Ausge-
staltung von Knochengerüst und Muskulatur
Vermutlich ist die idiopathische 0/0 ein Sammeltopf (Körperbau: Athletiker vs. Astheniker), ja ver-
eines multifaktoriellen Geschehens: mutlich auch über die Motivation zur körperli-
• Faktoren der Lebensweise (Kalziumarmut durch chen Mobilität.
die Ernährung, geringe Besonnung; körperliche
Inaktivität).
• Faktoren der hormonellen Exposition des Skeletts M. Sudeck
(späte Menarche, frühe Menopause, Jahre der Bei den lokalisierten Zuständen des verminderten
Amenorrhö). Knochens stößt man auf kryptogene Krankheitsbil-
• Zunehmend ist die Gewichtigkeit hereditärer der wie den M. Sudeck, bei dem posttraumatisch be-
Faktoren (Tabelle 11-2). Für Erkrankungen wie vorzugt an typischer Stelle (Handwurzelgelenk)
die Osteogenesis imperfecta sind zahlreiche Kol- "neurodystrophisch" bei prädisponierten Menschen
lagendefekte als eindeutige Ursache beschrieben. Umbau- und Abbauprozesse in Gang kommen, die
Bei der 0/0 beginnt die Diskussion über die Be- von erregerunabhängigen Entzündungszeichen und
deutung ungünstiger Varianten des Kollagen-1- Schmerzen begleitet werden.
Tabelle ll-2. Genetische Einflüsse auf die Ausgestaltung der Knochenmasse, die für die Entstehung einer Osteoporose relevant
sein können
Ernährung Kalzium
po tmenopau al lnterleukin-6-Allele
Abb. ll-4.
Röntgenbild einer Wirbel-
Abb. 11-3. Patientin mit manifester Osteoporose der unteren säule mit Keilwirbelbildung
Brustwirbelsäule: Die Dornfortsätze drücken sich nach dorsal
durch die Haut, der Oberkörper ist gestaucht und damit ver-
kürzt. Hautfalten schwingen nach links und rechts (Tannen-
baumphänomen)
LWS Gefährdet ist zeitlich als erstes vor allem die Wirbel-
Referenz· Datenbank • säule. Die Manifestation der Wirbelsäulenosteopo-
r-------------J}
rose wird als Typ I bezeichnet.
1,4
1,3
• Pathophysiologie. Der Entstehungsweg dieser
N' 1,2 Osteoporose Typ I.Jst in Abbildung 11-7 dargestellt.
E 1,1 1
u
~ 1.0
f--
t- =+T - - --J
-- - - --:--rl-
1__1_:
M
± 250
Nach Wegfall der Ostrogene, die im Knochenumbau
Q' o.9
1 j
1..:::tlT T
~ 0,8 r-- -1,--+-...L_L__ _ _ _ __j
antiresorptiv wirken, führt die Zunahme der osteo-
lytischen Zytokine Interleukin-1 und Interleukin-6
~ 0,7
zu einer Aktivierung der Knochenresorption. Diese
0,6
0,5
Aktivierung findet statt, obwohl das ansonsten den
0.4 L..-_ _...J...__ _---L._ ____J_ ____J Umbau aktivierende PTH niedriger ist. Durch die
68 70 72 74 76 Abbauaktivierung werden die Abstände der Umbau-
Alter zyklen verkürzt. Infolge dieser Verkürzung erfolgt
Abb. 11-6. Darstellung der Knochendichte an der Lenden- die Restitution der Lakunen nicht vollständig. Die
wirbelsäule (LWK 2-4), gemessen mit DXA unter 4-jähriger Osteoblasten steigern in der zweiten Lebenshälfte
Fluoridtherapie ihre Aktivität nicht mehr in Entsprechung zur Über-
aktivität der Osteoklasten. Beschleunigter Umbau
frakturen durch Osteoporose erleiden als vor eini- bedeutet in der zweiten Lebenshälfte immer Kno-
gen Jahrzehnten. Diese Zunahme ist sicherlich nicht chenmassenverlust
auf eine durchaus denkbare gewisse Abnahme der
Knochendichte zurückzuführen. Vielmehr werden Die gesteigerte Resorption bewirkt eine Kalziumfrei-
Menschen mit anderen Erkrankungen heutzutage setzung in die Blutbahn, die einen leichten Kalzium-
älter, die dann durch Fallneigung, Medikamenten- spiegelanstieg zur Folge hat. Dieser Anstieg senkt
einnahme etc. frakturgefährdet sind. Bei Schenkel- den Spiegel des PTHs. Ein niedrigeres PTH beein-
halsfrakturen ist die Bruchdefinition einfach und trächtigt die Kalziumhomöostase über zwei Mecha-
sicher. Schwierig einzuschätzen ist die Abhängigkeit nismen. Zum einen entfällt die PTH-induzierte ge-
des Bruchrisikos von der Knochendichte, deren kau- steigerte Rückresorption für Kalzium in den Nieren.
sale Bedeutung im Alter abnimmt und aus obigen Frauen ohne Östrogene scheiden nach der Meno-
Gründen fragwürdig wird. Wertet man Deformie- pause täglich etwa 30 mg Kalzium zusätzlich aus.
rungen der Wirbelsäule aus, so ergeben sorgfältige Umgerechnet auf ein Jahr bedeutet dies etwa 10 g,
Analysen, dass nur gut die Hälfte der Deformierun- also 1 o/o des gesamten Skelettkalziums. Bei einigen
gen gesicherten osteoporotischen Frakturen ent- Frauen kann es durchaus das Doppelte hiervon sein.
sprechen. Beachtet man das Erfordernis derart sorg- Zum anderen fehlt die Parathormonwirkung in der
fältiger Analysen, so finden sich bei Frauen jenseits Niere als Stimulator für die Bildung von Kalzitrial
des 50. Lebensjahres in rund 20 o/o der Fälle, bei Män- aus Kalzidiol: Die Frau ohne Östrogene absorbiert
nern in rund 10 o/o der Fälle osteoporotische Wirbel- bei gleichem Kalziumangebot weniger Mineral aus
frakturen. Es steht somit außer Frage, dass die dem Darm. Vermehrte Kalziurie und verminderte
Osteoporose mit Frakturen eine mit dem Alter zu- Kalziumabsorption addieren sich zu einer Negati-
nehmende Erkrankung ist, die Menschen mit zu- vierung der Kalziumbilanz. Während eine prämeno-
sätzlichen gesundheitlichen Problemen häufiger pausale Frau mit noch normaler endogener Östro-
trifft als im Alter noch gesunde Menschen. In den genproduktion mit dem Optimum einer täglichen
Familien Erkrankter ist auf die erbliche Kompo- Kalziumzufuhr von 1000 mg bestens versorgt ist, be-
nente der Osteoporose und die mögliche Gefähr- nötigt sie postmenopausal (ohne Östrogensubstitu-
dung von Blutsverwandten aufmerksam zu machen. tion) nunmehr 1500 mg als Optimum. Dies ist bei
B.erat!;Ing auch der Gesunden zu beachten. Erfolgt
eme Ostrogensubstitution, kann die Kalziumzufuhr
zunächst auf 1000 mg/Tag beschränkt bleiben. Aus
11.2.3 den geschilderten Mechanismen ergibt sich ein be-
Pathogenese schleunigter Verlust über etwa 10 Jahre. Der Verlust
i.~ beschleunigten Umbau infolge eines relativen
Osteoporose Typ I (sog. Wirbelsäulenosteoporose) Uberwiegens der Resorption gegenüber dem Anbau,
Wenn eine zu Osteoporose führende Noxe wie z. B. der verstärkte Kalziumverlust über die Nieren und
der Östrogenausfall nach der Menopause wirksam die verminderte Absorption aus dem Darm führen
wird, so betrifft sie infolge des dort schneller ablau- vor allem dann zur Osteopenie, wenn der Startpunkt
fenden Umbaus zunächst den spongiösen Knochen. des Verlustes z. Z. der Menopause eher niedrig liegt
11.2 Osteoporose 453
Knoc:hcnzelloo
produzll!fon mollr
001801y11$CIIe Zy1olone
- ü s e n·
• • zelten sezernlof'en
W0f19>r PTH
a
I
GB
+ ~ 25-0H-03 1
Zunalvno der !
J
I
PTH- <lJrchPTH·
Mangel
Calciune
~~ ~
..... -- 8 -- ----~ ------- 8 ---.... '
"
I
N re
produzie<l
Niere
•
pro24 hl r """"0'!'
1 1.25·10HJz·03
I I
I
'
eufblutllmul. n..teple: Abb. ll-7.
Fluorid Der Weg vom Östrogenmangel zum
Anebollke (?) Knochenmassenverlust bei der postme-
Wechelumlfelllllfetl
ADFR nopausalen Osteoporose Typ I. Die Pfeile
zeigen an, an welcher Stelle therapeutisch
interveniert werden kann. [Aus Ziegler R.
(1995) Der Knochen und seine Erkran-
kungen, Abbildung 1 aus Teil IV: Die
Entstehung der Osteoporose Typ I. Dtsch
Med Wochensehr 120 : 1252, Georg-
Thieme-Verlag, Stuttgart]
und die Verlustrate beschleunigt ist (Abb. 11-2). Für im Alter ab 75 Jahren zur Schenkelhalsfraktur führt.
die Rate des Abbaus während der kritischen 10 Jahre Betroffen ist zunehmend auch das männliche Ge-
nach der Menopause können erbliche Faktoren ver- schlecht.
antwortlich sein. Zur Abbaurate tragen eine ungenü-
gende Kalziumversorgung mit der Nahrung und ge-
ringe körperliche Belastung bei. • Pathophysiologie. Der Entstehungsmechanismus
ist häufig folgender (s. auch Abb. 11-8): Der älter
werdende Mensch kommt im Mittel mit weniger Ka-
Osteoporose Typ II (sog. senile Osteoporose) lorien aus (sofern er nicht überkalorisch lebt und da-
Als Osteoporose Typ II wird der zunehmende Ver- mit an Gewicht zunimmt. Übergewicht ist ein gewis-
lust auch des kompakten Knochens bezeichnet, der ser Schutz vor Osteoporose). Die Ernährung älterer
454 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen
Mangel in vermindene
3l
der Nahrung Sonneneinstrahlung • 8---Abnahme
,,,' ~ @ Zunahme
IVItamin 03 ~Therapie
Vitamin D3
I
I
25-0H·D3
I
I
I
I
''"'-8 -----·
Abnahmeder
1a·Hydroxylase·
Aktivitäl
I
Abnahme
der
$ Osteoblasten·
aktivitat
Oefekldes
Vitamln·D3· -
+
Rezeptors?
--e-..
'
I
I
Ca..
,1
,.,''A
.,.; y
, , ' Nebenschilddrils&n·
,' ~· Zellen produzieren
,' mehr PTH: sekundarar
,/ Pb-1•
• Hyperparalhyreoldismus
I PTH
I Abb.ll-8.
I
I Die Entstehung der Typ-li-Osteoporose:
I Der Mangel an Kalzium und Vitamin D
I führt zum sekundären Hyperparathyreoi-
I
I dismus, die Alterung der Systeme der 1a-
Hydroxylase in der Niere und der Osteo-
~ $ blasten im Knochen selbst vermindert die
Möglichkeit der Kompensation. Wesent-
~·
lich für das Frakturereignis ist nicht nur
die reduzierte Knochenmasse, sondern
auch die Zunahme der äußeren Bedin-
gungen, die eine Fraktur begünstigen. [Aus
Ziegler R. (1995) Der Knochen und seine
Erkrankungen, Abbildung 1 aus Teil V:
Calciumbilanz Die Entstehung der Osteoporose Typ II.
wird negativ Dtsch Med Wochensehr 120 : 1368, Georg-
Thieme-Verlag, Stuttgart]
Menschen vor allem in Gemeinschaftsküchen ist weniger Vitamin D in der Zirkulation anflutet
nicht selten bezüglich der Kalziumzufuhr unterhalb und auch weniger Kalzidiol (25-0H-Vitamin D) in
des Optimums, das für Menschen beider Geschlech- der Leber entsteht. Ein allmählicher latenter Kalzi-
ter jenseits des 65. Lebensjahrs bei 1500 mg Kal- ummangel in der Nahrung, verstärkt durch eine la-
zium/Tag angelegt ist. Wahrscheinlich nimmt die tente D-Hypovitaminose bei immobiler Lebenswei-
Aktivität der la-Hydroxylase in der Niere, die die se, induziert einen zunehmenden sekundären Hy-
Umwandlung von Kalzidiol in Kalzitrial stimuliert, perparathyreoidismus. Der sHPT induziert seiner-
mit dem Älterwerden ab. Darüber hinaus gehen äl- seits einen beschleunigten Knochenumbau, der
tere Menschen seltener an die Sonne, sodass auch wie im Falle des beschleunigten Umbaus der Osteo-
11.2 Osteoporose 455
porose Typ I (mit niedrigem PTH) zum Knochen- • Sekundärer Hyperparathyreodismus. Vermin-
verlust führt. derte intestinale Kalziumabsorption und vermehrter
renaler Kalziumverlust führen zum Negativwerden
der Kalziumbilanz mit Absinken des Kalziums in
Glucocorticoidinduzierte Osteoporose der Zirkulation. Dies ist ein Anreiz zur Entwicklung
Das häufigste Beispiel einer sekundäre Osteoporose eines sHPT. Dieser verstärkt am Knochen die Re-
ist die infolge eines endogenen, exogenen oder se- sorption, um auf diesem Wege Kalzium in die Blut-
kundären Hypercortisolismus (Cushing-Syndrom). bahn freizusetzen. Der Knochenstoffwechsel wird
beschleunigt ("high turnover"). Dabei ist der durch
• Pathophysiologie. Wenn das Knochengerüst die Osteoblasten stimulierte Knochenanbau vermin-
chronisch erhöhten Glucocorticoidspiegeln ausge- dert, da die Glucocorticoide die Aktivität der Osteo-
setzt wird, kommt es in der Kalziumhomöostase blasten (als einer mesenchymalen Zellart) hemmen.
und im Knochenstoffwechsel sowie der Funktion Die übliche Kopplung der Knochenzellpopulatio-
der beteiligten Organe zu folgenden Veränderungen nen, nämlich dass Osteoklasten die Osteoblasten
(Abb. 11-9). zur Füllung der entstehenden Defekte stimulieren,
• Verschlechterung der Kalziumabsorption im ist gestört.
Darm. Umstritten ist, ob darin eine Störung
des Vitamin-D-Metaholismus eingeschlossen ist. • Hemmung des Sexualhormone. Des Weiteren
• Erhöhung der Kalziumausscheidung im Urin bei hemmen die erhöhten Glucocorticoide die Hormon-
gleichzeitiger Erhöhung der glomerulären Filtra- achse der Sexualhormone: Es kommt bei beiden Ge-
tionsrate. schlechtern zu deren Verminderung. Mit dem Ab-
• Hemmung der Osteoblastenaktivität sinken der Sexualhormone entfällt der Schutzme-
• Hemmung der Hormonachse der Sexualhor- chanismus für den Erhalt von Knochen. Resorptive
mone. Zytokine nehmen zu. Der "anabole" Effekt der Se-
• Abnahme der Muskelmasse und Muskelkraft. xualhormone auf die Osteoblasten (vermutlich
Hyperkortisolismus
(Beeinträchtigung
des Viiamin - D-
Stoffwechsels ?)
Beschleunigter
!
Verlangsamter
Knochen stoffwechsel Knochenstoffwechsel
(.high turnover") (.low turnover")
Knochenmassen-
verlust
Osteoporose
Abb.ll-9. Entstehung der glucocorticoidinduzierten Osteo- mone wird vermindert, sodass ihr protektiver Effekt im Kno-
porose. Ein Glucocorticoidexzess führt zur Verminderung der chenstoffwechsel entfällt. Die Muskulatur wird adynam und
Kalziumabsorption, zur Vermehrung der Kalziumexkretion atrophisch - der muskuläre Bewegungsanreiz auf den Kno-
über die Niere. Die negative Kalziumbilanz führt zum sekun- chen entfällt. Hypercortisolismus hemmt direkt die Aktivität
dären Hyperparathyreoidismus, der einen beschleunigten der Osteoblasten
Knochenumsatz induziert. Die Sekretion der Gonadenhor-
456 KAPITEL ll Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen
über eine Sensibilisierung des Mechanostaten wirk- halsfraktur, distale Radiusfraktur). Auch der durch
sam) entfällt. Des Weiteren bewirkt ein Hypercorti- nichtadäquates Trauma eingetretene akute Wirbel-
solismus eine Abnahme der Muskelmasse und Mus- bruch verursacht im Zusammenhang damit Schmer-
kelkraft. Besonders beim Mann prägt sich hier auch zen. Selten liegt die Spielform des schmerzarmen oder
das Absinkendes Testosterons aus. Die verminderte schmerzlosen langsamen Zusammensinterns eines
Muskelkraft lässt einen wichtigen Stimulus für die Wirbels vor. Schreitet die Verformung mehrerer Wir-
Knochenbildung schwächer werden. Besteht der Hy- bel allerdings voran, gibt es den Zustand fehlender
percortisolismus länger und wird nicht behandelt, Symptome eigentlich nicht mehr.
so zeigt der Knochen im Laufe der Zeit eine Abnah-
me der Beschleunigung des Knochenstoffwechsels.
• Schmerzen. Das Schmerzsyndrom des Rückens
Das Endresultat ist ein atrophischer Knochen mit
bei Osteoporose ist in keiner Weise pathognomo-
Zellarmut ("low turnover").
nisch. Es kommen alle Schmerzqualitäten vor,
auch die Dauer reicht von Tagen über Wochen
bis zum Dauerschmerz. Da chronische Rücken-
schmerzen durch degenerative Veränderungen häu-
11.2.4
figer sind als die durch Osteoporose, treffen wir
Klinik
zahlreiche Menschen mit vorbestehenden Rücken-
schmerzen, bei denen sich irgendwann die Wirbels-
Symptome und Beschwerden
äulenosteoporose manifestiert.
Ob eine Osteopenie im Sinne der präklinischen
Osteoporose, die bei unadäquatem Trauma zu Frak-
turen führen kann, wirklich Beschwerden bedingt, • Kriterien zum Nachweis der Osteoporose. Abbil-
ist umstritten. dung 11-10 fasst die Symptome und Beschwerden
zusammen, die Anlass zum Ausschluss oder Nach-
• Frakturen. Es ist eine Versuchung, die z. Z. der vor weis einer Osteoporose geben.
der ersten Fraktur geschilderten Beschwerden nach • Frakturen an typischer Stelle nach inadäquatem
dem Bruchereignis auf die davor bereits bestehende Trauma (betreffend Wirbelsäule, distalen Radius,
Verminderung der Knochenmasse zu beziehen. Zur Femurhals und -trochanter),
Zeit muss die Frage offen bleiben. Ist die Fraktur ein- • chronische Rückenschmerzen beim Älteren,
getreten, bereitet sie bei Diskontinuität selbstver- • ein Krummerwerden des Rückens mit und ohne
ständlich entsprechend starke Schmerzen (Schenkel- Beschwerden,
Bandscheibenschaden, Röntgen
Spondylarthrose,
Spondylose
Anamnese
• pathologisch
",. Knochentumor I Röntgen, Szintigraphie, Marker
· metastasen des Knochenstoffwechsels,
Knochen- Biopsie
• eine Abnahme der Körperlänge mit und ohne • Nikotin u. a. Genussmittel? Kaffee ohne oder mit
Rückenbeschwerden. Milch? Alkohol?
11.2.5
Bei der körperlichen Untersuchung ist nach Stigma-
Diagnostik ta zu suchen, die auf eine sekundäre Genese der
Osteoporose hindeuten könnten. Diese sind in der
In der Hauptsache kommen 2 diagnostische Situa-
folgenden Übersicht wiedergegeben.
tionen vor. Im häufigeren Falle liegen Symptome
vor, die auf eine Osteoporose hindeuten können.
Körperlichen Untersuchung bei Osteoporose
Durch das Röntgenbild ergibt sich dann der Befund
(Verdacht):
einer manifesten Osteoporose (eingetretene Fraktur
in Verbindung mit Demineralisierung).
• Hinweise auf Hypogonadismus (z. B. kleine Ho-
In selteneren Fällen deutet eine Konstellation bei
den bei Klinefelter-Syndrom)?
einem ansonsten gesund erscheinenden Menschen
darauf hin, dass er eine präklinische Osteoporose
e Hinweise auf Unterernährung, Malabsorption,
Maldigestion? Operationsnarben am Bauch?
aufweisen könnte. Die Hinweise können sein:
e Hinweise auf Niereninsuffizienz?
• Osteoporose bei einem Elternteil,
e Hinweise auf maligne Erkrankung?
• Körperbau (Astheniker),
• Hinweise auf Endokrinopathie:
• Lebensweise (kalziumarme Ernährung, wenig Be-
Hypercortisolism us (Cushing -Stigma ta)?
wegung).
Hyperparathyreoidismus?
Die Leitdiagnostik ist die Osteodensitometrie, die Hyperthyreose?
aber nur einen Teil der Risikofälle mit dem so ge- e Hinweise auf Muskelhypotrophie?
nannten WHO-Standard erfassen wird. Knochen-
dichte <-2,5 Standardabweichungen unter dem
Sonderformen wie eine Osteogenesis imperfecta
Mittelwert der gesunden 30-jährigen. Benötigt wer-
können sich durch blaue Skleren verraten.
den in beiden Fällen exakte Anamneseerhebung und
körperliche Untersuchung, Röntgen, Osteodensito-
metrie, Laboruntersuchungen und ggf. eine Kno- Bildgebende Verfahren
chenhistologie. • Röntgen. Für die Frage des Vorliegens einer
Osteoporose bedürfen die Röntgenbilder einer be-
Anamnese und körperliche Untersuchung sonderen Qualität, bzw. der Röntgenologe einer be-
Die Anamneseerhebung muss sachkundig und voll- sonderen Qualifikation. Häufig zeigen über- oder
ständig sein. Insbesondere müssen die in der folgen- unterbelichtete Bilder lediglich das Frakturereignis.
den Übersicht wiedergegebenen Fragen beantwortet Die Beurteilung einer Demineralisierung, die im
werden. Röntgenbild erst nach einem Verlust von etwa
30 % einigermaßen sicher möglich ist, wird durch
Anamneseerhebung bei Osteoporose ungünstige Belichtungsbedingungen noch weiter
bzw. -verdacht verschleiert. Bei Überbelichtung kann durch das
Auslöschen von Knochenstrukturen eine Osteopo-
e Familiäre Belastung? (Diagnose bei Angehörigen rose vorgetäuscht werden. An der Wirbelsäule zeigt
überprüfen!) das Röntgenbild der Osteoporose häufig eine Verti-
e Unterversorgung mit Kalzium/Vitamin D? Ernäh- kalisierung der TrabekeL Dies ist ein Überlagerungs-
rungsgewohnheiten? effekt der zahlenmäßig reduzierten Bälkchen. Nach
e Eingriffe oder chronische Erkrankungen des Ma- beispielsweise einer Fluoridtherapie zeichnet sich
gen-Darm-Traktes? (z. B. 2/3 Magenresektion, Re- die Vertikalisierung verstärkt ab. Am Schenkelhals
sektion von Darmabschnitten, M. Crohn, Colitis wurden unterschiedliche Grade des Verschwindens
ulcerosa, Zustand nach Pankreatitis) der Trajektorien als Stadien des so genannten Singh-
e Stuhlbeschaffenheit (Durchfälle)? Index beschrieben. Exakter ist eine Messung des lo-
e Hinweise auf vorübergehenden/persistierenden kalen Kalziumgehaltes mittels Osteodensitometrie.
Hypogonadismus? (primäre/sekundäre Amenor- Wichtig ist die röntgenologische Aussage, ob eine
rhö, Dauer?) Wirbelfraktur jüngeren oder älteren Datums ist.
e Körperliche Trägheit, Immobilität? (Wurde je- Hier kann die ergänzende Skelettszintigraphie Aus-
mals Sport getrieben? In der Schule; später?) kunft geben, ob der lokale Knochenstoffwechsel
• Einnahme knochenschädlicher Medikamente noch beschleunigt ist (frisch nach der Fraktur)
(z. B. Glucocorticoide, Antiepileptika); Heparin- oder neuerlich normalisiert nach Ausheilung.
therapie?
458 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen
D Die anamnestische Angabe einer Osteoporose bei • Spezielle Diagnostik. Bei nachgewiesener Osteo-
einem Elternteil verdoppelt beispielsweise das eigene porose ist zur Charakterisierung des Knochenstoff-
wechsels je ein Anbau- und ein Abbaumarker zu
Frakturrisiko bei gleichem Knochendichtewert.
empfehlen. Als Anbaumarker dient die alkalische
• Knochenhistologie. Wenn sich die Umbausitua- Phosphatase (nach Ausschluss einer Lebererkran-
tion des Knochenstoffwechsels nicht aus der Ana- kung) bzw. die knochenspezifische alkalische Phos-
mnese ausreichend sicher vermuten lässt, ist die Ge- phatase (Osteokalzin bietet demgegenüber keine
winnung einer Knochenhistologie aus einer Becken- Vorteile), als Orientierung für den Abbau dient
kammbiopsie sinnvoll. Die Probe sollte mit einem die Kalziurie im 24-h-Urin bzw. (genauer) die Aus-
Instrument ausreichenden Durchmessers gewonnen scheidung der Pyridinium-Crosslinks. Über je einen
werden (Zylinder 2: 5 mm im Durchmesser). Der Marker hinaus liefern zusätzliche Marker keine dia-
Biopsiezylinder sollte für eine Kunststoffeinbettung gnostischen Informationen. Leider sind auch die
für die Gewinnung unentkalkter Hartschnitte kon- Umbaumarker (vergleichbar der Osteodensitome-
serviert werden. Die Aufarbeitung des unentkalkten trie) vor allem Parameter der Therapiekontrolle.
Schnitts erlaubt die genaue Unterscheidung zwi- Für die Diagnosestellung haben sie begrenzten
schen verkalktem Knochen und unverkalktem Wert in wenigen Fällen, da die Mehrzahl der Patien-
Osteoid. Für besondere Fragestellungen kann eine ten mit Osteoporose Werte in breiter Überschnei-
Tetrazyklinmarkierung vor der Biposieentnahme dung mit dem Normalbereich liefert.
dazu dienen, Aussagen zur Umbaugeschwindigkeit
noch exakter zu treffen. Wesentlich ist aus der Hi-
stologie die Aussage, in welchem Umfang die Trabe-
kel reduziert sind, wie häufig Perforationen und un-
Hinzu tritt die Zufälligkeit der Situation der Proben-
entnahme: Nach frischer Fraktur erhöht gefundene
Marker signalisieren vermutlich eher das Reparatur-
D
terbrochene Bälkchen zu sehen sind. Hinsichtlich geschehen als den Umbauzustand des Restskeletts.
der Zellularität ist das Verhältnis von Ostecklasten
zu Osteoblasten in Verbindung mit der Häufigkeit
dieser Populationen eine wichtige Aussage. Die Kno-
chenhistologie ist der Goldstandard für die wichtige
Aussage, ob ein beschleunigter oder ein verlangsam-
ter Knochenstoffwechsel vorliegt.
11.2 Osteoporose 459
a Differentialdiagnostisches Ausschlussprogramm
erniedrigt
Phosphat im erum
Osteomalazie
weise, dass eine verminderte Knochendichte keine würde der geringe Effekt eines Antiresorptivums
Osteoporose, sondern eine Osteomalazie ist, so nicht ausreichen, den Knochen zu stabilisieren.
hat die Therapie für diese definierte andere Entität Eine knochenaufbaustimulierende Therapie ist vor-
den Regeln der Enddiagnose zu folgen. zuziehen. In erster Linie sollten hier Fluoride, evtl.
Anabolika eingesetzt werden. Ereignet sich die erste
Fraktur am Schenkelhals jenseits des 75. Lebensjahrs
11.2.7 (Osteoporose Typ II), so ist der Knochenstoffwechsel
Therapie in den meisten Fällen durch sHPT beschleunigt. Pa-
thophysiologisch begründet wird mit Kalzium und
Grundprinzipipien Vitamin D therapiert. Antiresorptiva dürften eben-
Die Wirksamkeit osteotroper Medikamente hängt falls wirksam sein, jedoch nicht die Ursache des se-
davon ab, in welchem Umbautempo der Knochen- kundären Hyperparathyreoidismus beseitigen. In
stoffwechsel abläuft. Für die Osteoporose der Frau seltenen Fällen liegt in diesen Fällen ein langsamer
stellt sich dies folgendermaßen dar (Abb. 11-11 ). Er- Knochenstoffwechsel vor (beispielsweise bei opti-
leidet eine Frau ihre erste Wirbelfraktur im Alter maler Versorgung mit Kalzium und Vitamin D
von 55 Jahren, d. h. 5 Jahre nach der Menopause, und ausreichender Mobilität). Dann ist auch hier
so befindet sich ihr Knochenstoffwechsel im "high eine knochenaufbaustimulierende Therapie sinn-
turnover". Antiresorptive Medikamente (Östrogene, voll.
Bisphosphonate, ggf. Kalzitonine) haben eine gute
Erfolgsaussicht Tritt die erste Wirbelfraktur etwa
im Alter von 65 Jahren, also 15 Jahre nach der Me- Antiresorptive Therapie
nopause auf, so hat sich der Knochenstoffwechsel Sie ist die Behandlung der Wahl beim postmenopau-
nach der Phase des "high turnover" (etwa ein Jahr- sal beschleunigten KnochenstoffwechseL
zehnt) inzwischen verlangsamt, eine ausreichende
Zufuhr von Kalzium und Vitamin D vorausgesetzt. • Östrogentherapie. Bei einer solchen Therapie
Der Einsatz der Antiresorptiva bei langsamem Kno- (bei vorhandener Gebärmutter mit Gestagenen zu
chenstoffwechsel ist deutlich geringer wirksam als kombinieren) ist in erster Linie unter der Fragestel-
im Zustand des "high turnover". In vielen Fällen lung zu überlegen, ob bei der behandlungsbedürfti-
--=.Ba=s;.;.:ist=..:h.:..:e.:..:ra:!:p.:..:ie.:..:
/A .:..:d:!;ju.:..:v.::.an.:..:z=..:ie=..:nc..:
: C.:.;a:_i+_:.•c..:V.:..:ita.:.:m.:..:i.:..:n--=D_ _""-
_____"_ [ca2+, Vitamin D )
.,
-------------------- - - -~
Gesteigert
/
/
1
/
/
/
/
j
/
/
/
/
_________ -- ....
/
/
Verlangsamt --..::::--,;,__
Prä- 70 Jahre
menopause Ca. 10 Jahre
Menopause
Osteopo rose Typ I Osteoporose Typ 11
___ früh ... ... ~oiit ...
Abb.ll-11. Prinzipien der Osteoporosetherapie in Abhän- stimulierende Medikamente sind indiziert: Fluoride, evtl. Ana-
gigkeit vom Knochenstoffwec~sel: Postmenopausal beschleu- bolika. Bei der senilen Osteoporose (Typ !I) mit Schenkelhals-
nigt sich bei der Frau durch Ostrogenmangel der Knochen- fraktur ab dem 75. Lebensjahr herrscht ein beschleunigter
stoffwechsel für etwa ein Jahrzehnt - in dieser Zeit sind vor Knochenstoffwechsel durch sekundären Hyperparathyreoidis-
allem antiresorptiv wirksame Medikamente sinnvoll: Östro- mus vor- Therapie der Wahl ist Kalzium plus Vitamin D (bei
gene, Bisphosphonate (Kalzitonine). Danach folgt eine Phase dem in diesem Alter selteneren langsamen Knochenstoffwech-
des eher reduzierten Knochenstoffwechsels - Knochenanbau- sel: Fluoride, Anabolika)
11.2 Osteoporose 461
gen Osteoporotikerin noch weitere Symptome drucksvoll und führt in dieser Zeit zu einem
von einer Östrogentherapie profitieren könnten. Zugewinn an Knochen von mehreren Prozent. In
Beispielsweise ob anhaltende Hitzewallungen, eine den nachfolgenden Behandlungsjahren ergibt sich
Infektanfälligkeit des Harntraktes infolge des zum Teil ein Plateau, zum Teil immer noch ein leich-
Östrogenmangels oder eine Hypercholesterinämie ter Zugewinn. Direkt den Knochenanbau stimulie-
vorliegt. Die Wirksamkeit der Östrogentherapie hin- rende Effekte der Bisphosphonate sind erhofft,
sichtlich der Veränderung weiterer osteoporotischer aber bisher nicht eindeutig nachgewiesen. Bisphos-
Frakturen ist vor allem aus zahlenmäßig großen re- phonate sind gut verträglich, schwerwiegende Ne-
trospektiven Studien belegt. Erste prospektive Stu- benwirkungen wichtiger Organsysteme wie Blutbil-
dien bestätigen diese Erwartung. Für die Osteoporo- dung, Leberfunktion, Nierenfunktion sind bei Be-
setherapie mit Östrogenen werden die Dosen emp- achtung der Dosierungsempfehlungen nicht be-
fohlen, die sich bei der Osteoporoseprophylaxe zum kannt geworden.
Erhalt der Knochenmasse bewährt haben: Konju- • Alendronat: Verabreicht werden 10 mg oral mor-
gierte equine Östrogene (0,6 mg/Tag), 17ß-Östradiol gens nüchtern, ein Glas Wasser soll nachgetrun-
als Valerat oder in mikronisierter Form (1-2 mg/Tag). ken werden. Danach aufrechte Haltung für 30 Mi-
Bei Verwendung der perkutanen Östrogenpflaster nuten (nicht hinlegen), um eine in Einzelfällen
müssen adäquate Blutspiegel, vergleichbar der en- beobachtete Ösophagitis zu vermeiden. Auf
dogenen Produktion vor der Menopause, erreicht eine ausreichende Kalziumzufuhr mit der Nah-
werden. Ist mit Ernährung und Lebensweise ein op- rung (1000 mg täglich) ist zu achten, ggf. muss
timales Angebot von Kalzium (1000 mg täglich) und Kalzium (und auch Vitamin D) substituiert wer-
Vitamin D (400-1000 E täglich) nicht garantiert, den. Die Bisphosphonateinnahme und die Kalzi-
sind die Adjuvanzien parallel zu substituieren. umzufuhr sind unbedingt zu trennen, um vor al-
lem eine Absorptionsverminderung des Bisphos-
.., Regelmäßige gynäkologische Kontrollen dieser The- phonats durch Kalzium zu vermeiden. Die Alen-
~ rapie sind unbedingt zu fordern. Bei Therapiezeiten dronatstudien haben eine Zunahme der
u bis 5 Jahre ist ein zusätzliches Brustkrebsrisiko nicht Knochendichte (im Vergleich zu einer reinen Kal-
ersichtlich. Ab Zeiten von 7 bis 10 Jahren scheint ziumsubstitution) und eine Abnahme sowohl ver-
eine leichte Zunahme des Brustkrebsrisikos möglich tebraler als auch nichtvertebraler Frakturen er-
zu sein. Durch die geforderten gynäkologischen bracht. Empfohlene Therapiezeiten sind minde-
Kontrollen scheint aber eine Früherkennung und stens 2-3 Jahre, individuell auch länger.
-behandlung die Prognose im Vergleich zu unzurei- • Etidronat: Dieses Bisphosphonat wird zyklisch
chenden Kontrollen zu verbessern. verabreicht. 400 mg Etidronat täglich über
14 Tage, anschließend während der restlichen
Ein erhöhtes Letalitätsrisiko zeichnet sich daher Tage eines Quartals 500-1000 mg Kalzium (ggf.
selbst bei Frauen mit familiärer Brustkrebsbelastung sollte auch Vitamin D substituiert werden).
nicht ab. Möchte man dennoch lieber auf eine Östro- Eine Wiederholung dieses Zyklus sollte über 2,
gentherapie verzichten, stehen neuerdings selektive 3 oder mehr Jahre in Abhängigkeit von der Klinik
Estrogen-Rezeptor-Modulatoren (SERM) wie Ralo- erfolgen. Auch Etidronat sollte getrennt von den
xifen zur Verfügung, die am Brustgewebe östro- Mahlzeiten eingenommen werden. Studien haben
gen-antagonistisch wirken, am Knochen jedoch den- eine Zunahme der Knochendichte (im Vergleich
noch osteoprotektiv. Der beste Effekt einer Östro- zu reiner Kalziumtherapie) und eine Abnahme
gentherapie ist während des 1. Jahrzehnts nach der Wirbelfrakturen erbracht.
der Menopause (etwa 50. bis 60. Lebensjahr) zu er- • Pamidronat: Alendronat und Etidronat sind die
warten, danach nimmt die Effizienz mit der zuneh- z. Z. in Deutschland für die Osteoporosetherapie
menden "Östrogenentwöhnung" des Knochens ab. zugelassenen Bisphosphonate. Interessante Er-
gebnisse aus Studien mit intravenöser Verabrei-
• Bisphosphonate. Eine Alternative zur Östrogen- chung von Pamidronat sind veröffentlicht,
therapie (beispielsweise bei Frauen, die eine Östro- ohne dass aber bereits eine Zulassung vorliegt.
gensubstitution ablehnen oder bei denen bei mögli- Die zyklische i. v.-Bisphosphonatgabe alle 3 Mo-
chem Brustkrebsrisiko von einer solchen Therapie nate ist eine interessante Alternative vor allem
abzuraten ist) ist die Therapie mit Bisphosphonaten. für Patienten mit Ulkusanamnese und Magen-
Sie hemmen die Aktivität der Osteoklasten und er- Darm-Empfindlichkeit.
lauben so in der Situation des beschleunigten Kno- • Ibandronat: In einer Ibandronatstudie wurde
chenstoffwechsels eine Auffüllung entstandener De- nachgewiesen, dass dieses Bisphosphonat bei
fekte durch die Osteoblasten ohne Zeitdruck. Der Ef- beschleunigtem Knochenstoffwechsel deutlich
fekt ist im ersten Behandlungsjahr besonders ein- wirksamer ist als bei verlangsamtem Knochen-
462 KAPITEL II Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen
Stoffwechsel. Bei den anderen Bisphosphonaten kalzitonins die Ausbildung neutralisierender Anti-
fehlen bedauerlicherweise Angaben der Wirk- körper möglich ist und im Einzelfall das biologische
samkeit, bezogen auf den KnochenstoffwechseL Phänomen des Nicht-mehr-Ansprechens vorkom-
men kann (so genanntes Escape-Phänomen im
Die hier angesprochenen Ibandronatbefunde und Sinne einer biologischen Resistenz), kann die Dauer-
die pathophysiologischen Erkenntnisse zur Abhän- therapie mit Kalzitonin bei der Osteoporose nicht
gigkeit einer abbauhemmenden Therapie vom Kno- empfohlen werden. Darüber hinaus sind die Dosis-
chenstoffwechsel begründen jedoch die Empfeh- empfehlungen in einem sehr breiten Bereich un-
lung, Bisphosphonate vor allem bei beschleunigtem scharf (zwischen 3 · SO E s. c. wöchentlich und
Knochenstoffwechsel anzuwenden, um Enttäu- 100 Es. c. täglich bzw. zwischen 100 E und 200 E täg-
schungen bei "Low-turnover-Osteoporose" zu ver- lich als Nasenspray). Kalzitonin entfaltet eine ge-
meiden. wisse analgetische Wirkung auf zentralnervösem
Wege unabhängig von örtlichen Prozessen. Manche
• Kalzitonine. Sie hemmen den Knochenabbau bei Therapeuten empfehlen daher seine Verabreichung
beschleunigtem "turnover". Ihre Wirkung ist bei über einige Wochen beispielsweise nach einem aku-
normalem (oder langsamem) Knochenstoffwechsel ten Einbruch eines osteoporotischen Wirbels.
nicht nachgewiesen. Der Nachweis der Abnahme
von Frakturen ist in Präventionsstudien bescheiden. Knochenaufbaustimulierende Therapie
In einer aktuellen Studie mit Kalzitoninnasenspray • Fluoride. Die Aktivität der Osteoblasten in der Si-
war der Nachweis der Abnahme von Wirbelfraktu- tuation des verlangsamten Umbaus ("low turn-
ren nur in einer Studiengruppe mit mittlerer Dosie- over") lässt sich durch Fluoride steigern. Ihr Wir-
rung statistisch signifikant. Da für die Bisphospho- kungsmechanismusbesteht darin, dass sie die Wirk-
nate als Antiresorptivum eine wesentlich bessere samkeit der durch endogene Wachstumsfaktoren
Datenlage vorhanden ist, die Kalzitonine ökono- (beispielsweise IGF-1) angeregten Tyrosinkinase
misch ungünstiger sind, bei Verwendung des Lachs- verstärken. Fluoride bewirken damit eine Zunahme
Jährliche Rönt-
genkontrolle:
Beendigung bei
beginnende r
Fluoridose
Natriumfluorid
Ospur F 25 NaF 25 3 Tbl. = 33,9 mg
Baer Ossiplex ret.
2 Tb!.
(selten
= 22,6 mg }
(25 mg) I = 11,3 mg) 1000 mg 1000 IE 3-4 Jahre
der Knochenneubildung unabhängig vom Knochen- und 1000 E Vitamin D. Wird als Fluorid ein Natri-
abbau, d. h. der resorptiven Osteoklastentätigkeit. umfluorid gewählt, sollte die Fluoridgabe mit dem
Unter mehrjähriger Fluoridtherapie kann somit Abendessen erfolgen, die Kalziumgabe getrennt da-
kontinuierlich die Knochendichte vermehrt werden, von morgens bzw. mittags. Wird mit Monofluoro-
wobei jedoch das mechanische Optimum über- phosphat therapiert, interferiert das gleichzeitige
schritten werden kann: Zu hohe Fluoriddosen indu- Kalziumangebot nicht mit der Fluoridabsorption.
zieren offenbar eine Osteosklerose mit dann redu- Die Fluoridtherapie sollte jährlich osteodensitome-
zierter Stabilität. Die Wirksamkeit einer Fluoridthe- trisch kontrolliert werden, um das Tempo der Zu-
rapie setzt daher voraus, dass ein optimales "thera- nahme der Knochendichte zu beurteilen und zur
peutisches Fenster" erreicht wird. Zu niedrige Dosen Dosiskorrektur zu verwenden. Jährliche Röntgen-
sind bei einem Teil der Patienten unwirksam und kontrollen der Wirbelsäule dienen der Beurteilung
haben ein scheinbares Nichtansprechen zur Folge, ihrer Stabilität. Im Durchschnitt erstreckt sich die
zu hohe Dosen produzieren zwar mehr Knochen, je- Fluoridtherapie über 4 Jahre, gelegentlich auch län-
doch von minderwertiger mechanischer Qualität. ger. Gründe für die Beendigung sind eine ausrei-
Bei adäquater Dosierung reduzieren Fluoride ver- chende Zunahme der Knochendichte (etwa 20 o/o
tebrale und nichtvertebrale Frakturen. Dem thera- in 4 Jahren) bzw. das Auftreten erster röntgenologi-
peutischen Fenster entsprechen 20 mg biologisch scher Zeichen einer Fluoridose (Stadium I nach
verfügbare Fluoridionen pro Tag. Ihre Zufuhr Roholm) im Röntgenbild.
kann mit verschiedenen Präparationen erreicht wer-
den. Bei der Therapie mit Monofluorophosphat mit • Anabolika. Infolge ihres Missbrauchs im Sport
einer hohen Fluoridabsorptionsrate von über 90 o/o wird z. Z. die medizinische Verwendung der Anabo-
entspricht die Fluoriddosierung den genannten lika mit Skepsis betrachtet. Studien bei postmeno-
20 mg (entsprechend beispielsweise 4 Tbl. Tridin pausalen Frauen mit Osteoporose haben aufgezeigt,
mit 5 mg Fluoridionen oder 2 Tbl. Monotridin dass sie zur Zunahme der Knochendichte führen
mit 10 mg Fluoridionen). Bei den magengeschützten und dass die zusätzliche Verabreichung eines Ana-
Natriumfluoridpräparaten wie Ospur F 25 oder Os- bolikums zu einer Östrogen-/Gestagen-Substitution
sin werden nur rund 60 o/o adsorbiert. Das NaF-An- die Knochendichte über den Östrogeneffekt hinaus
gebot liegt bei 33-36 mg Fluridionen pro Tag, von erhöht. Vermutlich kommt hier der muskulotrope
denen rund 20 mg absorbiert werden (Tabelle 11-4). Effekt zum Tragen. Studiendaten zur Frakturver-
minderung bei Osteoporose fehlen. Damit ist der
Manche Patienten reagieren auf diese "Volldosis" Einsatz eines Anabolikums bei Osteoporose eine In-
von 20 mg Fluoridionen pro Tag noch überschie- dividualentscheidung. Bei einer Osteoporotikerin
ßend: Ihre Knochendichte steigt innerhalb eines Jah- mit ausgeprägter Muskelschwäche, Ablehnung einer
res um 8-10% und höher an. In diesen Fällen sollte Östrogensubstitution und Neigung zu Depressivität
die Fluoriddosis dann halbiert werden. Ein weiterer ohne endogene Komponente ist der Versuch einer
Grund zur Reduktion ist die Entwicklung eines Anabolikatherapie gerechtfertigt (beispielsweise
Schmerzsyndroms an der unteren Extremität: 25 mg Dekadurabolin i.m. alle 3 Wochen, bei guter
Schmerzen im Bereich des Fußgelenks und der Ferse Verträglichkeit Steigerung auf 50 mg alle 3 Wochen
gehen mit Schwellungen, ähnlich einem rheumati- über l-2 Jahre). Auch bei Zustand nach Implantati-
schen Schub einher. Im Knochenszintigramm zeigen on einer Hüftendoprothese und problematischer
sich Mehranreicherungen im Bereich des Calcaneus Remobilisierung infolge Muskelschwäche kann ein
oder des distalen Tibiaendes, etwas später zeigen Anabolikaversuch angezeigt sein.
Röntgenbilder bandartige Verdichtungen. Dem
Schmerzsyndrom liegen Mikrokallusbildungen zu-
grunde, wie sie sich (seltener) bei der Osteoporose Therapie mit Kalzium und Vitamin 0
auch ohne Fluoridtherapie zeigen können. Die Um- bei Osteoporose Typ II
bauzonen sind offenbar Fluorideffekte im Sinne einer Bei der Mehrzahl der Patienten mit Osteoporose
überschießenden Reaktion, die keine mechanische Typ II liegt ein sekundärer Hyperparathyreoidismus
Gefährdung signalisieren. Zu empfehlen ist bei ihrem infolge eines Kalzium- und Vitamin-D-Mangels vor.
Auftreten eine Therapiepause von 4 Wochen und Pathophysiologisch begründet können diese Sub-
dann die Fortsetzung der Behandlung mit halbierter stanzen zur substitutiven Therapie herangezogen
Dosis. werden. Eine Supplementierung mit 1200 mg Kal-
zium und 800 E Vitamin D hat bei SO-jährigen in
Damit der unter Fluroid bereits neu gebildete Kno- Frankreich zu einer deutlichen Reduktion der
chen ausreichend mineralisieren kann, empfehlen Schenkelhalsfrakturen geführt. Entsprechende Er-
wir die Einnahme von täglich 1000 mg Kalzium fahrungen wurden aus den USA mitgeteilt. In einer
464 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen
11.3
Rachitis/Osteomalazie
(kalzipenisch, phosphopenisch)
11.3.1
Fallpräsentation
Störungen
Vitamin D:
D 3 =tierischer Herkunft Vorstufen Mangel in der Nahrung
-
D 2 =pflanzlicher Herkunft (7- Dehyd rocholesterol)
Blutbahn
Sehr selten:
hepatische Insuffizienz der
Leber 25- Hyd roxylase,
z.B. Leberzirrhose
selten:
Antiepileptikainduzierte
Beschleunigung des
Vitamin D-Metabolismus
Insuffizienz der
Niere 1a- Hydroxy- 1a- Hydroxylase:
ylierung • Niereninsuffizienz (häufig)
• Pseudo-VitaminD-Mangel-
rachitis Typ I (sehr selten)
Vitamin D. Der nächste Schritt einer Störungsmög- setzung des gebundenen Kalzitriols in eine genorni-
lichkeit ist die zu geringe Aufnahme des fettlöslichen sehe Wirkung gestört. Infolge der D-Hypovit-
Vitamin D bei Erkrankungen mit Maldigestion und aminose wird nicht genügend Kalzium aus dem
Malabsorption. In der Leber wird Vitamin D am C- Darm absorbiert und in die Zirkulation transpor-
Atom 25 hydroxyliert. Dieser Metabolismus ist nur tiert. Kalziummangelzustände verstärken die Aus-
selten gestört (z. B. bei extremer hepatischer Insuf- wirkungen der D-Hypovitaminose.
fizienz durch Leberzirrhose im Finalstadium oder
auch bei einer antiepileptikainduzierten Beschleuni-
gung des Vitamin D-Metabolismus mit Entstehung Phosphopenische Rachitis/Osteomalazie
einer Osteomalazie bei etwa 10 o/o der therapierten Abbildung 11-15 stellt den Weg des Phosphates von
Epileptiker, die etwas häufiger ist). Anfälliger als der Absorption bis zur Ausscheidung sowie Mög-
die Metabolisierung in der Leber ist die am CI- lichkeiten störender Einflüsse dar. Phosphatarme
Atom in der Niere. Die Ia- Hydroxylase ist frühzeitig Ernährung ist beim Erwachsenen eine Seltenheit,
bei der Niereninsuffizienz gestört. Selten ist sie bei bei Frühgeborenen wurde sie infolge der Nichtbe-
der Pseudo-Vitamin-D-Mangelrachitis Typ I insuffi- achtung von deren erhöhtem Bedarf in der Vergan-
zient. Der letzte Schritt der Vitamin D-Wirkung er- genheit gesehen (jetzt korrigiert). Aufgenommenes
folgt am Endorgan. Bei der Pseudo-Vitamin D-Man- Phosphat kann im Magen durch Phosphatbinder
gelrachitis Typ II ist die Rezeptorbindung des an der Absorption gehindert werden. Auch Syn-
Kalzitriols in verschiedenen Varianten bzw. die Um- drome der Maldigestion und Malabsorption können
468 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen
Störungen
Maldigestion, Malabsorption
Blutbahn
Parenterale Ernährung
(phosphatarm)
Knochen
11.3.7
Therapie
Kalzipenische Rachitis/Osteomalazie
Tabelle 11-7 gibt Medikamenten- und Dosierungs-
hinweise für die wesentlichen Formen der kalzipeni-
schen Erkrankung.
Tabelle ll-6a, b. Differentialdiagnose der Formen der Rachitis/Osteomalazie. a Kalzipenische Formen, b Phosphopenische
Formen
a Kalzipenische Formen
b Phosphopenische Formen
Das Therapieziel ist die Ausheilung des Defektes. Bei Phosphopenische Rachitis/Osteomalazie
vorübergehenden Störungen kann die Therapie Tabelle 11-8 zählt Medikamente und Dosierungen
nach verschwinden dieser beendet werden. Bei an- auf. Hinsichtlich der Absicherung der Richtigkeit
haltenden Insuffizienzen, beispielsweise der Hypo- der Therapie durch ein Zentrum gilt das oben Ge-
vitaminose ist eine Erhaltungstherapie mit Vitamin sagte. Bei den bleibenden Defekten der X-Chromo-
D in niedrigen Dosen erforderlich. som-gebundenen hypophosphatämischen Rachitis/
Osteomalazie ist in der Regel eine lebenslange The-
rapie erforderlich, gleiches gilt für das Fanconi-Syn-
drom. Bei der onkogenen Osteomalazie ist zu versu-
chen, den verantwortlichen Tumor aufzuspüren und
zu entfernen. Im Falle der In-toto-Entfernung des
Tumors heilt die Knochenerkrankung rasch aus.
472 KAPITEL ll Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen
Mangelhafte Besonnung in 3000-5000 E/Tag Vitamin D3 über 5.000- 10.000 E/Tag Vitamin D3 über
Kombination mit mangelnder 3 Wochen, anschließend Prophylaxe 3 Wochen, anschließend Prophylaxe
oraler Vitamin D-Zufuhr
X-chromosomale 50- 70 mg P (z. B. Reducto Spezial) l-3 g P als Phospat (z. B. Reducto
hypophosphatämische R/OM in 5-6 Einzeldosen und 20-40 nglkg Spezial) und 0,25-0,5 ~g Kalzitriol
Kalzitriol täglich p.o. täglich p.o.
Fanconi-Syndrom 50- 70 mg P als Phospat (z. B. Reducto 1-3 g P als Phosphat (z. B. Reducto
Spezial) in 5-6 Einzeldosen und Spezial) und 0,25- 0,5 11g Kalzitrial
20-40 nglkg Kalzitriol täglich p.o. täglich p.o.
Onkogene R/OM:
Vermehrte Knochenbildung
11.4
M. Paget des Skeletts
11.4.1
Fallpräsentation
n = 250
Pat.
94
200
180
140
100
60
20
10
fragung von Ärzten in 2 Bundesländern konnten wir et al. 1975 in den Kernen von Paget-Osteoklasten nu-
für Deutschland eine so hohe Häufigkeit nicht bestä- kleäre Einschlüsse, die an Virusrasen erinnerten.
tigen, selbst wenn mit einer Dunkelziffer zu rechnen Nach 20 Jahren weiterer Forschung wird der M. Pa-
ist. Die Zahl therapiebedürftiger Menschen dürfte in get heute als langsame Viruserkrankung ("slow vi-
Deutschland im Bereich einiger Tausend liegen. Ab- rus") angesehen, wobei eine Virusidentifizierung
bildung 11-19 zeigt die Verteilung von Paget-Her- bisher nicht gelang. Gedacht wird an Virusmutatio-
den im Skelett bei 250 Patienten. Bei der Manifesta- nen des Masernvirus, aber auch der Hundestaupe.
tion führen die Femora, gefolgt von den Beckenhälf- Das Virus scheint sich nach frühem Kontakt in
ten und den Tibiae. Ähnliche Größenordnungen lie- einem oder mehreren Knochenarealen festzusetzen.
gen dann für das Schädeldach und die Lendenwir- Die befallenen Osteoklasten zeigen eine Überzahl an
belkörper vor. Die übrigen Knochen zeigen abneh- Kernen, eine Übergröße und Überaktivität Sie re-
mende Zahlen. Ein Drittel dieses Kollektivs zeigt den sorbieren ungezügelt Knochen; die irrfolge der
Befall eines einzigen Knochens (monostotische Kopplung von Osteoklasten und Osteoblasten se-
Form). Es folgen alle Übergänge zwischen 2, 3 kundär aktivierten Anbauzellen versuchen, den De-
und letztendlich 56 Knochen bei einem Patienten. fekt zu reparieren. Umbautempo und-richtungsind
Die Manifestation der Erkrankung erfolgt in der Re- so ungezügelt, dass das resultierende Knochengewe-
gel in der 2. Lebenshälfte, selten vor dem 50. Lebens- be geflechtartig ungeordnet ist. Die Kontur des Kno-
jahr. Pro Dekade liegen die Männer um etwa ein chens wird sogar verlassen. Die Knochenverdickung
Jahrzehnt bei der Diagnosestellung früher als die (bei allerdings mechanisch geringerer Stabilität) ist
Frauen; offen ist, ob aus anderen Gründen häufiger ein Kompensationsversuch des Organismus, die Sta-
geröntgt wird oder ob die Toleranz bei Männern ge- biliät zu erhalten. Histologisch imponiert das wirre
ringer ist. Hinweise für einen schwereren Verlauf Knochengewebe als "Mosaikknochen".
beim Mann haben wir nicht.
11.4.4
11.4.3 Klinik
Pathogenese
Für das Auftreten von Beschwerden ist die Lokalisie-
Paget beschrieb die später nach ihm benannte Er- rung der Herde, die Richtung der Knochenverdik-
krankung als Ostitis deformans (1877). Nach Ver- kung, das Ausmaß der Schwächung der Stabilität
mutungen einer Krankheitsentstehung durch Tu- und metabolische Folgen der lokalen Erkrankung
berkulose, Syphilis und Tumoren entdeckten Rebel verantwortlich (Tabelle 11-9).
11.4 M. Paget des Skeletts 475
Knochenveränderungen u. a. Symptome
Schädelbefall Kopfschmerzen
Kalziumstoffwechsel Hyperkalziurie
Nephrolithiasis
Körperliche Untersuchung Das typische histologische Bild ist das der vielkerni-
Zu beurteilen sind Konturen und Dicke der schmer- gen Riesenosteoklasten mit Überaktivität in Verbin-
zenden oder verformten Knochen, oft ist die Region dung mit Osteoblastensäumen auf Osteoid, die Irre-
überwärmt Ein sorgfältiger Funktionsstatus des gularität macht die Mosaikstruktur des Paget-Kno-
Nervensystems, insbesondere lokalisationsbezogen, chens aus. In Zweifelsfällen kann die Elektronenmi-
hat zu erfolgen. Ggf. ist eine konsiliarische neurolo- kroskopie die nukleären Einschlüsse zeigen.
gische Untersuchung erforderlich, gleiches gilt für
die HNO-Untersuchung bei Fersenbeinbefall (Au-
diogramm). Die augenärztliche Untersuchung zeigt 11 .4.6
in einigen Fällen so genannte "angeoid streaks", de- Differentialdiagnose
ren Bedeutung nicht eindeutig ist.
Die Mehrzahl der Paget-Patienten zeigt pathogno-
monische Röntgenbilder, im Zweifelsfalle ist ein Ra-
Labordiagnostik diologe mit osteologischer Erfahrung beizuziehen.
Der beste biochemische Marker für das Krankheits- Mehrdeutige Bilder können die Frage folgender an-
geschehen ist die AP (nach Ausschluss einer Leber- derer Erkrankungen aufwerfen:
erkrankung) bzw. die knochenspezifische AP. Ab- • Knochenmetastase,
baumarker wie die Pyridinium-Crosslinks im Urin • Osteomyelitis,
oder die tartratresistente saure Phosphatase sind • Looser-Umbauzone,
ebenfalls erhöht, sie sind jedoch in der Regel für Dia- • primärer Knochentumor,
gnosestellung und Verlaufskontrolle entbehrlich. • HämangiomwirbeL
Kalzium und Phosphat im Serum sind normal, die
Kalziurie kann gesteigert sein. Ein erhöhtes Kalzium
11.4.7
deutet auf die Möglichkeit eines koexistenten HPT
Therapie
hin, der dann ausgeschlossen werden sollte. Diesel-
tene Hyperkalziämie eines Paget-Patienten bei Im- Indikationen zur medikamentösen Therapie
mobilisierung geht mit erniedrigtem PTH einher. des M. Paget des Skeletts
Bildgebende Verfahren
• Absolute Indikation
Knochenschmerzen
• Röntgen. Zu röntgen sind symptomatische Ske-
Fortschreitende Verbiegung und Deformierung
lettanteile. Häufig ist das Bild pathognomonisch
mit Arthrosefolge
mit den bereits oben geschilderten Besonderheiten.
Frakturanfälligkeit
Nervenausfälle
• Skelettszintigraphie. Bei jedem neu diagnosti- Schädelbasisbefall
zierten Paget- Fall sollte einmal eine Skelettszin tigra- Starke Umbauaktivität (alkalische Serumphos-
phie durchgeführt werden, um eine Übersicht über phatase um 600-800 E/1 und darüber)
evtl. mehrere vorhandene Herde zu gewinnen, die (Hyperkalzämie, nach Ausschluss eines pHPT)
für eine Therapieentscheidung wichtig sein könnten. • Relative Indikation
Im Szintigramm verdächtige Herde der Mehrspei- Jugendliches Alter mit mittlerer Krankheitsaktivi-
cherung sind dann nachzuröntgen. Für den Verlauf tät
spielt dann die Skelettszintigraphie in der Regel Schädelkalottenbefall
keine Rolle mehr. Lästiges Wärmegefühl
Radiologische Progression
Vorbereitung auf operative Korrekturen (Gelenk-
Knochenhistologie
ersatz)
In Zweifelsfällen der Mehrdeutigkeit eines Röntgen-
Herzinsuffizienz (mit Volumenbelastung durch
befundes ist die örtliche Probenentnahme für die
M. Paget)
Gewinnung einer Histologie erforderlich.
• Keine automatische Indikation
Zufallsentdeckter M. Paget ohne Symptome
Bei der Seltenheit der Erkrankung ist es aber unbe- - mit geringer Umbauaktivität (alkalische Se-
dingt zu empfehlen, dass ein Radiologe mit weniger rumphosphatase 200-300 E/1)
Erfahrung vor der Empfehlung einer Biopsieentnah- - beim Älteren
me die Bilder einem Experten vorlegt. Dieser kann - Befall weniger gefährdeter Knochen (Arm,
dank seiner Erfahrung dem Patienten zum Teil un- Rippen)
nötige Biopsien ersparen.
11.4 M. Paget des Skeletts 477
Die obige Übersicht zählt die Indikationen für eine Demgegenüber ist Tiludronat potenter. Seine Dosie-
medikamentöse Paget-Therapie auf. Zu therapieren rung beträgt 400 mg täglich über 3-6 Monate. Hier-
ist bei vorhandenen Schmerzen, Nervenausfällen, durch wird ein Abfall der alkalischen Phosphatase
bestehenden oder drohenden Deformierungen. auf rund 1/3- 1/4 des Ausgangsniveaus erreicht. Die
Auch bereits eingetretene Frakturen sind Grund Überlegenheit des Tiludronats gegenüber dem Eti-
für eine Therapie. Relative Indikationen ergeben dronat ist in Studien belegt.
sich aus einem jüngeren Alter der Betroffenen
und noch langer Lebenserwartung nach Diagnose- Schwerere Paget-Fälle, bei denen vor allem stärkere
stellung. Lästige Wärmegefühle oder eine Herzinsuf- Deformierungen und auch Bedrohungen von Hirn-
fizienz können ebenfalls relative Therapieindikatio- nerven (Felsenbeinbefall) ein möglichst hochpotentes
nen sein. Nicht automatisch zu therapieren sind zu- Medikament erfordern, sollten einem Zentrum zuge-
fallsentdeckte Herde von geringer Aktivität ohne Be- wiesen werden, das mit den nur zum Teil für die
schwerden beim Älteren. Paget- Therapie eingeführten hochpotenten Bisphos-
phonaten behandelt.
Symptomatische Therapie
Für die symptomatische Paget-Therapie stehen Kal- Sowohl Pamidronat als auch Ibandronat weisen bei
zitonine und Bisphosphonate zur Verfügung. Mit ih- i. v.-Verabreichung folgende Vorteile auf.
nen kann die Erkrankung zum Stillstand gebracht Nach Verabreichung von 60-180 mg Pamidronat
werden. Eine Restitutio ad integrum ist nicht mög- i. v. (beispielsweise 2-mal 30 oder 3-mal 60 mg an 2
lich. Bei langen Therapiezeiträumen zeigt der Kno- bzw. 3 aufeinander folgenden Tagen i. v. über je 4 h
chen jedoch auch gewisse Rückbildungstendenzen. infundiert) sinkt die AP in 3-6 Monaten auf20-30 o/o
Teilweise ist die Paget-Therapie durch Schmerzmit- des Ausgangsniveaus. Der Effekt hält über ein Jahr
tel, orthopädische bzw. knochenchirurgische Maß- und länger an. Ein ähnlicher Effekt wird durch
nahmen zu ergänzen (Behandlung von Frakturen, 2-6 mg Ibandronat erzielt, aufgeteilt auf 1-2 Tages-
Hüftgelenksersatz, Achsenkorrekturen). Die medi- dosen mit Infusionszeiten von 2 h. Mit der intrave-
kamentöse Therapie "beruhigt" den Knochenstoff- nösen Zufuhr wird der Gastrointestinaltrakt völlig
wechsel durch Hemmung der überaktiven Osteokla- entlastet. Die Bisphosphonate zeigen beim M. Paget
sten auf Zeit. Zugelassen für die medikamentöse Pa- bei dieser Form der Verabreichung einen gewissen
get-Therapie in Deutschland sind (Tabelle 11-10) Depoteffekt Je nach klinischem Verlauf können
• Kalzitonine, die Infusionen in Abständen von 6 Monaten (selten
• die Bisphosphonate Etidronat und Tiludronat. sind kürzere Abstände erforderlich) wiederholt wer-
den. Man strebt eine AP im oberen Normbereich an
Heutzutage sind die Kalzitonine für den M. Paget und erhofft sich mit dieser Strategie noch günstigere
nur noch in leichteren Ausnahmefällen zu empfeh- Langzeiterfolge als es die bisherige Therapie gezei-
len: Im Vergleich zu den Bisphosphonaten sind sie tigt hat. Wie immer bei noch nicht zugelassenen
weniger potent, reicher an Nebenwirkungen und Therapien, ist der durchführende Arzt für die Be-
teurer. Von den zugelassenen Bisphosphonaten ist handlungsrisiken verantwortlich, und Patientenauf-
Etidronat für den M. Paget nicht mehr zu empfehlen, klärung und Einholung seines Einverständnisses
da es in der zugelassenen Dosierung (5 mg pro kg sind korrekt einzuhalten. Ob die symptomatische
KG und Tag) die alkalische Phosphatase nur auf Paget-Therapie zu einer Reduktion des Sarkomrisi-
durchschnittlich 50 o/o des Ausgangsniveaus senkt. kos führt, ist z. Z. noch nicht zu beantworten.
Tabelle 11-10. Medikamente für die Therapie des M. Paget des Skeletts
ln Deutschland zugelassen Kalzitoni ne 100 I. E./Tag s.c. über 3-6 (selten 12) Monate evtl. Do is-
(Cibacalci n, Karil, Cal yna r) reduzierung nach 3 Mona ten auf 3-mal 100 I. E. pro Woche
och nicht zugelassen Clodronat (Ostac) 800- 1600 mg/Tag p.o. über 6 Mona te
478 KAPITEL 11 Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen
Der Osteopetrose liegt ein Osteoidastendefekt zu- • Intermediäre Form. Diese zeigt das Bild der ma-
grunde. Er scheint in der Stammzelle selbst angelegt lignen kindlichen Form ebenso wie der Erwachse-
zu sein. Daneben werden aber auch Defekte der nenform in abgeschwächter Ausprägung. Klein-
Knochenmatrix bzw. des periosteoklastären Milieus wuchs und Frakturen (trotz Osteosklerose) sind
diskutiert. Eine Genidentifizierung im Autosomen- häufig.
satz ist noch nicht gelungen. Weitere Diskussionen
betreffen ein abnormales PTH oder andere osteoly-
tische Faktoren. Lediglich bei der Osteopetroseva- 11.5.4
riante, die mit renaltubulärer Azidose und zerebra- Diagnostik
len Verkalkungen einhergeht, wurde als Defekt eine
Insuffizienz der Carboanhydrase II identifiziert. • Infantile Form. Die Diagnosestellung der kindli-
chen Form ergibt sich aus den klinischen Befunden
und den Röntgenbildern der allgemeinen Osteoskle-
rose. Eine charakteristisches Laborspektrum gibt es
11.5.3 nicht. Die Knochenhistologie ergibt einen Über-
Klinik schuss an Osteoidasten ohne ihre typischen Aktivi-
tätszeichen wie Bürstensaum und Lakunenbildung.
Symptome und Befunde
• Infantile Form. Bei der malignen kindlichen • Erwachsenenform. Bei der Erwachsenenform
Form zeigen sich bereits im Kleinkindesalter Störun- kann die Osteoidastenzahl auch normal oder sogar
gen: reduziert sein, charakteristisch ist das Fehlen des
• der Hirnnerven (Opticus, Oculomotorius, Facia- Bürstensaums. Das Osteoid ist vermehrt. Beim
lis), Erwachsenen fällt nicht selten eine erhöhte Kno-
• der Atmung und chendichte auf, als deren Ursache sich dann beim
• des Schluckens Nachröntgen die Diagnose ergibt. In dem in der
infolge von Entwicklungsstörungen der Schädel- Abb. ll-20 wiedergegebenen milden Fall zeigt sich
knochen bedingt durch eine insuffiziente Osteo- z. B. eine Doppelkontur der Grund- und Deckplat-
Idastenfunktion der Knochenresorption. ten in Verbindung mit einem höheren Mineralisati-
11.6 Ausgewählte seltene metabolische Osteopathien 479
11.5.6
Therapie
11.6.1
11.5.5 Osteogenesis imperfecta
Differentialdiagnose
Pathogenese
Tabelle 11-11 zählt generalisierte Osteosklerosen Das Syndrom der Osteogenesis imperfecta zerfällt in
auf, die eine erhöhte Knochendichte aufweisen 4 klinische Typen, bei denen in teils autosomal-do-
und mit einer Osteopetrose verwechselt werden minantem, teils autosomal-rezessivem Erbgang un-
können. Bei der Seltenheit der Krankheitsbilder terschiedliche Defekte im Typ-I-Kollagen nachge-
empfiehlt sich die Konsultation einer Spezialabtei- wiesen sind. Neben der verminderten Produktion
lung. von Typ-I-Prokollagen finden sich unterschiedliche
Punktmutationen und Substitutionen, die die Fibril-
lenverflechtung in unterschiedlicher Weise er-
Tabelle 11-11. Relevante Formen generalisierter Osteosklero- schweren. Das Resultat ist eine minderwertige Kno-
sen chengrundsubstanz unterschiedlicher Schweregrade
mit klinischen Folgen. Zum Teil ist auch die Zahn-
Kategorie Formen
bildung betroffen (Dentinogenesis imperfecta).
Hereditär Osteopetrose (Marmorknochen-
krankheit) Albers- chönberg
Einteilung und Klinik
Metabolisch Carboandrasemangel Typ II Klinisch bedeutsam sind die folgenden Osteogene-
sis-imperfecta- (OI-) Typen:
(Para)- eoplastisch Myelofibrose
• OI-Typ-I ist auffällig durch die blauen Skleren,
Ma tozyto e (Piu -Variante) Schwerhörigkeit bei etwa 50 %. Deformitäten fin-
den sich nicht, die Körpergröße ist normal. Die
Iatrogen bzw. geo- Fluorose (Fiuorido e)
graphi ch-endemi eh Brüchigkeit der Knochen bei geringen Traumen
ist mit günstigem Resultat behandelbar.
Endokrin Hyperparathyreoidismus
(Plus-Variante) • Patienten mit OI-Typ-li versterben zumeist schon
wenige Tage postnatal. Frakturen entstehen be-
480 KAPITEL II Osteoporose und metabolische Knochenerkrankungen
11.6.2
McCune-Aibright-Syndrom
Obrant KJ, Bngner U, Johnell 0, Nilsson BE, Sernbo I (1989) Rebe! A, Bregeon C, Basle M, Kalkani K, Patezour A, Filmon R
Increasing age-adjusted risk of fragility fractures: a sign of (1975) Osteoclastic inclusions in Paget's disease of bone.
increasing osteoporosis in successive generations? Calcif Rev Rhum Mal Osteoartic 42: 637-641
Tissue Int 44: 157-167 Roux C, Gennari C, Farrerons Jet al. (1995) Comparative pro-
Overgaard K, Hansen MA, BirkJensen S, Christiansen C (1992) spective double-blind, multicenter study of the efficacy of
Effect of salcatonin given intranasally on hone mass and tiludronate and etidronate in the treatment ofPaget's dis-
fracture rate in established osteoporosis: a dose-response ease of hone. Arthritis Rheum 38 : 851-858
study. BMJ 305 : 556-561 Schmor! G (1932) Über Ostitis deformans Paget. Virch Arch
Quigley MET, Martin PL, Burnier AM, Brooks P (1987) Estro- Path Anat 283 : 694
gen therapy arrestshone loss in elderly women. Am J Ob- Ziegler R (1990) M. Paget des Skeletts. Internist 31: 763-768
stet Gynecol 156 : 1516-1523 Ziegler R, Holz G, Rotzier B, Minne H (1985) Paget's disease of
Ravn P, Clemmesen B, Riis BJ, Christiansen C (1996) The effect hone in West Germany: Prevalence and distribution. Clin
on hone mass and hone markers of different doses of Orthop 194: 199-204
ibandronate: A new bisphosphorrate for prevention and
treatment of postmenopausal osteoporosis: A 1-year, ran-
domized, double-blind, placebo-controlled dose-finding Literatur zu Abschn. 11.5
study. Bone 19: 527-533
Riggs BL, Melton LJ III (1986) Involutional osteoporosis. N Albers-Schönberg H (1904) Röntgenbilder einer seltenen Kno-
Eng! J Med 314: 1676-1686 chenerkrankung. Münch Med Wochensehr 51:365
Riggs BL, O'Fallon WM, Lane A, Hodgson SF et al. (1994) Cli- Coccia PF, Krivit W, Cervenka Jet al. (1980) Successful bone-
nical trial of fluoride therapy in postmenopausal osteopo- marrow transplantation for infantile malignant osteope-
rotic women: extended observations and additional ana- trosis. N Eng! J Med 302: 701-708
lysis. J Bone Miner Res 9 : 265-275 Helfrich MH, Aronson DC, Everts V, Mieremet RHP, Gerritsen
Scheidt-Nave C, Felsenberg D, Kragl G, Brucker T, Leidig- EJA, Eckhardt PG, Groot CG, Scherft JP (1991) Morpho-
Bruckner G, Wüster C, Ziegler R (1998) Vertebrale Defor- logie features of bone in human osteopetrosis. Bone
mität als Index der osteoporotischen Wirbelfraktur-eine 12: 411-419
externe Konstruktvalidierung anband von Knochendich- Kahler SG, Bums JA, Aylsworth AS (1984) A mild autosomal
temessdaten. Medizinische Klinik 93 (Suppl. 11):46-55 recessive form of osteopetrosis. Am J Med Genet
Seilers TA, Mink PJ, Cerhan JR et al. (1997) The roJe of hor- 17:451-464
mone replacememnt therapy in the risk for breast cancer KeyLL, Ries WL, SchiffR (1987) Osteopetrosis associated with
and total mortality in women with a family history of interleukin-2 deficiency. J Bone Miner Res 2 (Suppl. 2):85
breast cancer. Ann Intern Med 127 : 973-980 Loria-Cortes R, Quesada-Calvo E, Cordero-Chaverri E (1977)
Storm T, Kollerup G, Thamsborg G, Genant HK, Sorensen OH Osteopetrosis in children. A report of 26 cases. J Pediatr
(1996) Five years of clinical experience with intermittent 91 : 43-47
cyclical etidronate for postmenopausal osteoporosis. Teitelbaum SL, Tonadravi MM, Ross FP (1996) Osteoclast bio-
J Rheumatel 23: 1560-1564 logy. In: Marcus R, Feldman D, Kelsey J (eds) Osteoporo-
Thiebaud D, Burckhardt P, Melchior Jet al. (1994) Two years's sis, Academic Press, San Diego, pp 61-94
effectiveness of intravenous pamidronate (APD) versus
oral fluoride for osteoporosis occurring in the postmeno-
pause. Osteoporosis Int 4 : 76-83 Literatur zu Abschn. 11.6
Tilyard MW, Spears GFS, Thomson J, Dovey S (1991) Treat-
Devogelaer JP, Malghem J, Maldague B, Nagant de Deuxchais-
ment of postmenopausal osteoporosis with calcitriol or
nes C (1987) Radiological manifestations of bisphospho-
calcium. J Engl J Med 326: 357-362
rrate treatment with ADP in a child suffering from osteo-
Ziegler R (1995) Der Knochen und seine Erkrankungen, Teil
genesis imperfecta. Skeletal Radio! 16: 360-363
I-VI. Dtsch med Wschr 120:531-532,571-572, 1091-1092,
Henethorn PS, Raducha M, Fedde KN, Lafferty MA, Whyte MP
1251-1252, 1367-1368, 1445-1446
(1992) Different missense mutations at the tissues-non-
specific alkaline phosphatase gene locus in autosomal re-
cessively inherited forms of mild and severe hypophos-
Literatur zu Abschn. 11.3 phatasia. Proc Natl Acad Sei USA 89 : 9924-9928
Liens D, Delmas PD, Meunier PJ (1994) Long-term effects of
Glorieux FH (1996) Hypophosphatemic vitamin D-resistant intravenous pamidronate in fibrous dysplasia of bone.
rickets. In: Favus MJ (ed) Primer on the metabolic Lancet 323 : 953-954
hone diseases and disorders of mineral metabolism. Pfeilschifter J, Ziegler R (1998) Wirkung von Pamidronat auf
3rd edn, Lippincott & Raven, Philadelphia, pp 316-319 das Beschwerdebild und den Knochenstoffwechsel bei Pa-
Kruse K (1990) Metabolische Osteopathien im Kindesalter. tienten mit fibröser Dysplasie und McCune-Albright-Syn-
Internist 31: 745-755 drom. Medizinische Klinik 99: 352-359
Offermann G, Manhold C (1978) Osteomalazie bei türkischen Shenker A, Weinstein LS, Sweet DE, Spiegel AM (1994) An ac-
Gastarbeitern in Deutschland. Inn Med 5: 103-108 tivating Gs a mutations is present in fibrous dysplasia of
Sparagana M (1987) Tumor-induced osteomalacia: long-term hone in the McCune-Albright syndrome. J Endocrin Me-
follow-up of two patients cured by removal of their tu- tab 79: 750-755
mors. J Surg Oncol 36: 198-205 Stöß H, Pesch H-J, Spranger J (1979) Therapie der Osteogene-
sis imperfecta mit (+)-Catechin. Dtsch Med Wochensehr
50: 1774-1778
Whyte MP (1996) Osteogenesis imperfecta. In: Favus MJ (ed)
Literatur zu Abschn. 11.4 Primer on the metabolic bone diseases and disorders of
mineral metabolism. Lippincott & Raven, Philadelphia,
Cartwright EJ, Gordon MT, Freemont AJ, Anderson DC, Shar- pp 382-385
pe PT (1993) Paramyxovirus and Paget's disease. J Med Whyte MP (1996) Hypophosphatasia. In Favus MJ (ed) Primer
Virol 40: 133-141 on the metabolic bone diseases and disorders of mineral
Grauer A, Klar B, Scharla S, Ziegler R (1994) Long-term effi- metabol.ism. Lippincott & Raven, Philadelphia, pp 326-328
cacy of intravenous pamidronate in Paget's disease of Ziegler R, Raue F, Cotta H et al. (1987) Osteogenesis imperfecta
hone. Seminars in Arthritis and Rheumatism 23: 283-284 und juvenile Osteoporose. Behandlungsversuche mit syn-
Paget J (1877) On a form of chronic inflammation ofbone (ost- thetischem Humancalcitonin. Therapiewoche 37: 1895-
eitis deformans). Med Chir Trans 60: 37 1904
TEIL IV Endokrinologie
und Blutdruckregulation
KAPITEL 12
Renin-Angiotensin-Aidosteron 12
P. HEILMANN
12. 1 Physiologie 485 in der Zelle de novo hergestellt oder über LDL-Re-
12.1.1 Synthese 485
12.1.2 Regulation 487
zeptoren aus Lipoproteinen (LDL-Cholesterin) in
12.1.3 Ren in-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) 488 die Zelle aufgenommen wird. Der Syntheseweg ist
12.1.4 Einfluss auf die Zielzelle 491 in Abb. 12-1 dargestellt. Limitierender Schritt ist
12.1.5 Pathophysiologie 493
die Abspaltung der Seitenkette an C-Atom 20 durch
Verminderte Produktion 494 ein Cytochrom-P450-Enzym (P450scc; "cholesterol
12.2 Hypoaldosteronismus 494 side chain cleavage enzyme). Das entstehende Preg-
12.2.1 Fallpräsentation 494
12.2.2 Epidemiologie 494
nenolon ist Ausgangsstereid für die weitere Syn-
12.2.3 Pathogenese 494 these der Gluco- und Mineralocorticoide. Beteiligt
12.2.4 Klinik 496 sind dabei insgesamt 4 Cytochrom-P450-Enzyme
12.2.5 Diagnostik 497
12.2.6 Differentialdiagnostik 498
und die 3 ß-Hydroxysteroiddehydrogenase (3ß-
12.2.7 Therapie 499 HSD).
Vermehrte Produktion 500
Syntheseort des Aldosterons ist die Zona glome-
12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 500
rulosa der ebenniere, Syntheseort des Cortisols die
12.3.1 Fallpräsentation 500 Zona fascic ulata. Die Synthese von Aldosteron wird
12.3.2 Ep idemiologie 501 auch für andere Organe, z. B. das Gehirn, angenom-
12.3.3 Pathogenese 501 men. Die Bedeutung dieser extraadrenalen Minera-
12.3.4 Klinik 503
12.3.5 Diagnostik 503 locorticoidsynthese ist aber noch nicht abschließend
12.3.6 Diffe rentialdiagnose 509 geklärt. Der erste Schritt der Stereidsynthese läuft in
12.3.7 Therapie 510
12.3.8 otfall 514
den Mitochondrien ab, an deren innerer Membran
P450scc lokalisiert ist. Der Transport des Choleste-
12.4 Sekundärer Hyperaldosteroni smus 514
12.4.1 Fallpräsentation 514
rols in die Mitochondrien wird durch ein erst in den
12.4.2 Epidemiologie 515 letzten Jahren charakterisiertes Protein (StAR-Pro-
12.4.3 Pathogenese 515 tein, "Steroidogenic Acute Regulatory Protein") ver-
12.4.4 Klinik 516
12.4.5 Diagnostik 516
mittelt, das für die Regulation der Steroidsynthese
12.4.6 Differentialdiagnose 517 ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist. Das ge-
12.4.7 Therapie 518 bildete Pregnenolon wandert in das endoplasmati-
Literatur 518 sche Retikulum, wo die weiteren Hydroxylierungs-
schritte ablaufen . DOC bzw. 11 -Desoxycortisol wer-
den wieder in den Mitochondrien, wo die 11 ß-Hy-
droxylase und die Aldosteronsynthetase lokalisiert
12.1 sind, weiter metabolisiert.
Physiologie Drei Enzymsysteme sollen hier hervorgehoben
werden, da sie die wesentlichen Unterschiede zwi-
12.1 .1 schen Zona fascicu lata und Zona glomerulosa aus-
Synthese machen.
P450scc!
P450c17
17-0H-Preg-
HO Pregnenolon HO ne nolon
3ß -HSD! 3ß-HSD
! CH 3
I
C=O
P450c17 CH3 OH
17-0H-Pro-
0 Progesteron 0 gesteron
P450c2 1! ! P450c21
HCOH
I
C=O
CH 3 OH
P450c11ß
11-Deoxy- 11-Deoxy-
0 corticosteron 0 cortisol
P450c11AS!
'
t t
118-0H-DOC I .....
'
t
-. CYPllBl: llß-Hydroxylase
•••• • CYPl l 82: Aldosteronsyn thetase
Abb.l2-2. Vereinfachte Darstellung der Metabolisierungsschritte in der Zona fasciculata und Zona glomerulosa der Neben-
niere durch die CYPll-Bl - und -B2-Enzymvarianten
488 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron
ACTI-1 Plasmabindung
J
(chronisch ) [Na+]. Plasma-
-', ( volumen - - , Orthostase
Aldosteron wird, ganz im Gegensatz zu Cortisol, nur
~ ,--,, ~ ~ ~
[K+)Aldosteron - [Na+ )-
.i
R .
schwach an das Kortikosteroid bindende Globulin
(CBG) gebunden. Der größere Teil wird an Albumin
gebunden im Serum transportiert. Das freie Aldoste-
~ Synthese Mangel ---+ enln
ACTH ) (~~g~::__AogO- j
ron macht ca. 30-50 o/o aus. Das Cortisolliegt zu etwa
5-10 o/o frei im Serum vor. Dies erklärt auch die kür-
(akut) tensin II tensin I
zere Halbwertszeit von Aldosteron von ca. 15-20
min. Die tägliche Aldosteronsekretion liegt zwischen
- - . St imulation, Steigerung 50 und 250 mg bei normaler Kochsalzaufnahme
- - .,.. Hemmung, Senkung
(8-12 g/Tag). DOC wird in vergleichbarer Menge se-
Abb. 12-3. Regulation der Aldosteronproduktion zerniert, wird aber ähnlich wie Cortisol zu 90-95 o/o
an CBG gebunden. Seine Affinität zum Mineralocor-
ticoidrezeptor (MR) ist gleich hoch. Da Aldosteron
zu einem höheren Anteil ungebunden vorliegt, hat
sitoldiphosphat spaltet. Das gebildete Inositoltri- es die größere Bedeutung bezüglich der mineralo-
phosphat und Diacylglycerat führen über eine Stei- corticoiden Wirksamkeit.
gerung des intrazellulären Kalziums zu einer Stimu-
lation der Aldosteronsynthese.
Pressorezeptoren im Karotissinus vermitteln Abbau
durch Umstellung des Sympathikus eine Steigerung Der Abbau von Aldosteron zu Tetrahydroaldosteron
des renalen Sympathikotonus. Auf diesem Wege erfolgt sehr rasch in der Leber. Ein weiterer Anteil
führt bereits Orthostase zu einer mehrfachen Steige- (5-10 %) wird in der Niere zu Aldosteron-18-Glucu-
rung der Reninproduktion, ein Umstand, der beim ronid abgebaut und über den Harn ausgeschieden.
Orthostasetest genutzt wird. Die Ausscheidung freien Aldosterons im Urin ist nur
Auf welchem Wege Kalium zu einer Steigerung sehr gering. DOC wird über die gleichen Wege ab-
der Aldosteronsekretion führt, ist nicht vollständig gebaut (Tetrahydro-DOC, DOC-Glucuronid); freies
geklärt. Wahrscheinlich sind hierbei Membraodepo- DOC im Urin ist praktisch nicht nachweisbar.
larisierungen mit anschließendem Influx von Kal-
zium durch polarisationsgesteuerte Kanäle von Be-
deutung. 12.1.3
Die Stimulation von Aldosteron durch ACTH Renin-Angiotensin-Aidosteron-System (RAAS)
spielt eine untergeordnete Rolle, wurde aber zur Un-
terscheidung einer primären und sekundären NN- Bereits 1898 isolierten Tigerstedt u. Bergmann eine
Insuffizienz herangezogen. Während bei der primä- Substanz aus Kaninchennieren, die zu einer Steige-
ren Insuffizienz weder Cortisol noch Aldosteron auf rung des Blutdrucks führte und von ihnen als Renin
ACTH reagieren, ist bei der sekundären NN-Insuf- bezeichnet wurde. 1934 beschrieb Goldblatt, dass
fizienz die Aldosteronproduktion erhalten und rea- eine Reduktion des Blutflusses in der Niere zu einem
giert auf eine ACTH-Stimulation. Anstieg des Blutdrucks führt und wies damit auf die
Bedeutung der Niere für die Entwicklung eines ar-
teriellen Hypertonus hin. Heute weiß man, dass
hierbei das RAAS die zentrale Rolle spielt.
12.1 Physiologie 489
Angiotensinrezeptoren
Mehrere Angiotensinrezeptorsubtypen sind be-
schrieben worden. Die Rezeptorsubtypen AT 1 und
AT 2 sind Polypeptide mit einer Aminosäurense-
quenz von 360 Aminosäuren, die die Zellmembran
7-mal durchtreten. Trotz ihrer vergleichbaren Affi-
nität zu Angiotensin haben sie eine Homologie
von nur ca. 30%. Das Gen für den AT 1-Rezeptor
liegt auf Chromosom 3, das für den AirRezeptor
Proximaler Tubulus auf dem x-Chromosom. Die größte Bedeutung hat
Abb. 12-4. Der juxtaglomeruläre Apparat der AT 1-Rezeptor, der in den meisten Geweben vor-
kommt. Die Signaltransduktion an diesem Rezeptor
läuft über die Dissoziation einer Untereinheit eines
Angiotensinogen Guanidinnukleotid-bindenden Proteins (Gq/11), was
Angiotensinogen ist ein arGlobulin, das in der Le- über eine Phospholipase C vermittelte Bildung von
ber gebildet wird. Es hat ein Molekulargewicht von Diacylglycerol und Inositoltriphosphat zu einer Stei-
ca 60.000. Im Serum liegt es in weitgehend konstan- gerung der Freisetzung von intrazellulärem Kalzium
ter Konzentration (ca. 1 ~-tmol/1) vor. Dabei ist die wie auch des Kalziuminflux führt. Über die anderen
Konzentration niedriger, als es der maximalen Ka- Rezeptorsubtypen ist nur wenig bekannt. Angioten-
pazität der Reaktion zur Umwandlung durch Renin sin II wird am AT 1- und AT r Rezeptor wirksam, aber
entspricht. Dies bedeutet, dass eine gesteigerte Pro- auch hier spielt der AT 1-Subtyp die größere Rolle.
duktion, z. B. durch Glucocorticoide oder Östroge- Angiotensin II führt zu einer Down-Regulation
ne, zu einer Steigerung der Konzentration der An- des AT 1- und AT r Rezeptors. Diese erfolgt für den
giotensinderivate führt. Dieser Effekt könnte zu AT 1- Rezeptor vorwiegend durch Internalisierung
der Ödemneigung unter Östrogeneinnahme beitra- des Rezeptors in die Zelle, die durch die Okkupation
gen. des Rezeptors eingeleitet wird. Die Down-Regula-
tion des AT 2- Rezeptors folgt einer langsameren Ki-
Angiotensinderivate netik und basiert auf einer Änderung der Stabilität
Angiotensinderivate sind Peptidhormone, die aus der mRNA. Die Wirkungen von Angiotensin II sind
Angiotensinogen gebildet werden. Der klassische in Tabelle 12-3 zusammengefasst.
Aktivierungsweg beinhaltet die Aktivierung von An-
giotensinogen zu Angiotensin I durch Renin sowie
die Umwandlung von Angiotensin I zu Angio-
490 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron
Angiotensinogen
Angiotensin I
AT 2 - Rezeptorantagonisten
z.B. Saralasin
- ATrRezeptor
Angiotensinasen
Peptidfragmente
Abb.l2-5. Renin-Angiotensin-Aidosteron- ystem
Ang iotensin I
-
Angiotensin II
~
-
Angiotensin 111
~
- ~
-
Angiotensin IV
~
Ang iotensinogenderivat Wirksam an
Organ Wirkung
Angiotensin Converting Enzyme (ACE) eine Steigerung der Zahl der Kanäle und durch
ACE ist eine Carboxypeptidase, ein Glykoprotein eine Verlängerung der Kanalöffnungszeit erreicht.
mit einem Molekulargewicht von 130.000-160.000, Andererseits steigert Aldosteron die Synthese der
das ubiquitär und vor allem in der Plasmamembran in derbasolateralen Membran der Zellen lokalisier-
vaskulärer Endothelzellen lokalisiert ist. Seine Akti- ten Na/K-ATPase. Diese erhält durch aktiven Trans-
vität ist in der Lunge besonders hoch. Es spaltet eine port von Natriumionen im Austausch gegen Kali-
Reihe von Substraten, u. a. Bradykinin, Enkephaline um- oder Wasserstoffionen einen elektromechani-
und Substanz P. Die Bildung von Angiotensin li ist schen Gradienten aufrecht, der für die passiven
offenbar auch über andere Wege möglich, die kein Diffusionsströme erforderlich ist (Abb. 12-7). Unbe-
ACE benötigen. dingte Voraussetzung für den Aldosteroneffekt ist
daher ein ausreichendes Natriumangebot
~
torischen Einheiten (HRE), wodurch die vermehrte
Transkription mineralocorticoidabhängiger Gene
bewirkt wird. Auch Cortisol kann mit vergleichbarer
Affinität an den MR binden, wird aber in den Ziel-
zellen der Niere durch die llß-Hydroxysteroid-De-
hydrogenase ( 11 ß-HSD) sehr schnell und effektiv zu
Cortison metabolisiert, das keine Bindungsaffinität
mehr zum MR hat. Durch diesen Mechanismus wird
eine mineralocorticoide Wirksamkeit von Cortisol
bei physiologischer Konzentration unterbunden
(Abb. 12-8). Eine Störung dieses Mechanismus führt
durch eine mineralocorticoide Wirkung von Corti-
sol zu einem scheinbaren Hyperaldosteronismus
Na/ K-A TPase
(Stimulation durch
(AME-Syndrom = "apparent mineralocorticoid ex-
Aldosteron) cess syndrome"). Angeborene Störungen wurden
Na -Kanäle beschrieben, als erworbene Form kann der Pseudo-
(Aktivierung durch
Aldosteron)
hyperaldosteronismus nach Lakritzabusus gelten.
Abb. 12-7. Natriumabsorption an der Nierentubuluszelle.
Die durch Aldosteron aktivierte Na/K-ATPase erhält den
• Weiterer membranständiger Rezeptor. Über die
für die passive Diffusion durch die aldosteronabhängigen Bindung an den MR wird der größte Teil der mine-
Na-Kanäle an der IuminaJen Membran erforderlichen Gra- ralocorticoiden Wirkungen erklärt. Daneben wer-
dienten aufrecht den ein zweiter membranständiger Rezeptor und
nichtgenomische Effekte des Aldosterons postuliert.
- -- llß-HSD
8==7\
MR Mineralocorticoidrezeptor
-
Cortisol
-
Cortison
Aldosteron
Hierfür spricht, dass einige Effekte der Mineralocor- • Aldosteron-escape-Phänomen. Nach ca. einer
ticoide schneller auftreten, als sie über eine Steige- Woche kommt es zum so genannten "aldoste-
rung der Gentranskription vermittelt werden könn- rone-escape", d. h. einer Aufhebung der Na+-retinie-
ten. Daneben sind viele dieser Effekte nicht durch renden Wirkung von Aldosteron. Hierbei spielt zum
Substanzen hemmbar, die mit dem MR interferieren einen eine Hemmung der Na/K-ATPase durch eine
oder eine Änderung der Transkription von Genen gesteigerte Ausschüttung von atrialem natriureti-
bewirken. Außerdem zeigen isolierte Präparationen schem Peptid (ANP) eine Rolle, zum anderen dessen
von Plasmamembranen mononukleärer Leukozyten direkte inhibierende Wirkung auf die Aldosteron-
eine spezifische Bindung von Aldosteron, nicht aber sekretion.
von Cortisol.
• Peripherer Gefäßwiderstand. Gleichzeitig bleibt
der Blutdruck durch den erhöhten peripheren Ge-
12.1.5 fäßwiderstand aber erhöht, der u. a. aus einem er-
Pathophysiologie höhten Tonus der glatten Gefäßmuskulatur resul-
tiert. Dies ist als Folge der veränderten Elektrolyt-
Für die Entstehung des Hypertonus bei einem Hy- gleichgewichte anzusehen (Abb. 12-9).
peraldosteronismus sind verschiedene Mechanis-
men verantwortlich (Abb. 12-9). • Zentralnervöse Aldosteronwirkung. Einen weite-
ren Faktor für die Genese des Hypertonus beim Hy-
• Periphere Aldosteronwirkung. Zunächst kommt peraldosteronismus stellen zentralnervöse Wirkun-
es durch die Wirkungen des Aldosterons zu einer gen des Aldosterons dar. Intrazerebroventrikuläre
Retention von Natrium und in dessen Gefolge Infusionen von Aldosteron führen bei Ratten zu
auch von H20. Die Volumenretention und der damit einem Hypertonus, wobei dieser Effekt nicht durch
verbundene Anstieg des Extrazellulärvolumens und Aldosteronantagonisten aufhebbar ist und bereits
des Plasmavolumens führen zu einem gesteigerten bei Konzentrationen auftritt, die peripher appliziert
Herzminutenvolumen. Ein zusätzlicher positiv-in- keinen Hypertonus induzieren.
otroper Effekt wurde beschrieben.
Aldosteron
Positiv inotroper
Effekt
Steigerung des
Herzzeitvolumens
Aldosteronsynthctasedcfckt
Klinik:
Steroidspiegel:
Corticosteron (B) i T !
18-0H-B l Tfl !
Aldosteron (Aldo) U! lb !
B/18-0H-B TT H Wechselnd
Plasmaren in T TTT !
Betroffenes Gen CYPIIB2 CYPIIB2 CYPIIBI
a Aldosteron ist oft unter die Nachweisgrenze erniedrigt, die OH-Steroid-Dehydrogenase-Aktivität betroffen, d 18-Hydro-
18-0H-B/Aldo-ratio damit rechnerisch oo, b Bei stark erhöh- xylase- und 18-0H-Steroid-Dehydrogenase-Aktivität betrof-
ten 18-0H-B-Werten ist ein geringer Umsatz zu Aldosteron fen
noch möglich, 'llß-Hydroxylase-, 18-Hydroxylase- und 18-
Aldosteronsynthetasedefekt
Zu einem isolierten Aldosteronmangel kommt es
beim Aldosteronsynthetasedefekt Typ I oder II. Kli-
12.2.5
nisch lassen sich die beiden Formen nicht unter-
Diagnostik
scheiden. Je nach Ausprägung des Enzymdefekts,
kann es zu einem ausgeprägten Salzverlustsyndrom
Die Diagnostik der Nebenniereninsuffizienz und der
bereits im Neugeborenenalter kommen oder aber zu
Steroidsynthesestörungen wird ausführlich in Kap. 3
einem blanderen Verlauf, der sich erst im Kleinkin-
behandelt. Im Folgenden soll nur auf den singulären
desalter durch Gedeihstörungen oder durch eine
Hypoaldosteronismus bei Aldosteronsynthetasede-
krisenhafte Verschlechterung manifestiert. Wie
fekten und den Pseudohypoaldosteronismus aus-
auch für den 21-Hydroxylasedefekt beschrieben
führlicher eingegangen werden. Abbildung 12-11
scheint die Niere sich im Verlauf durch aldosteron-
gibt ein Flussschema zur Vorgehensweise bei der
unabängige Mechanismen zur Na-Rückresorption
Diagnose eines Hypoaldosteronismus wieder.
an den Enzymdefekt zu adaptieren, sodass es zu
einer Verbesserung der Elektrolytsituation kommt.
Die Schwere des klinischen Bildes bei einem Al- Technische Verfahren
dosteronsynthetasedefektes ist heterogen und meist • Laborparameter. Beim Hypoaldosteronismus
negativ korreliert zum Lebensalter bei Diagnosestel- findet sich folgende Laborkonstellation:
lung. e Hyperkaliämie,
• Hyponatriämie,
• Schwere Verlaufsform. Bei schweren Verlaufsfor- • metabolische Azidose.
men kommt es bereits in den ersten Lebenswochen
zur Manifestation mit Trinkschwäche, Exsikkose, Die Diagnose wird anhand des ernierdrigten Aldo-
Erbrechen und Gedeihstörungen. Bei schwerer De- sterons in Plasma und Urin und der erhöhten Plas-
hydratation kann ein lebensbedrohlicher Zustand mareninaktivität gestellt.
bis hin zum Tode entstehen.
• Orthostasetest. Hier findet sich bei niedrigem
• Moderate Verlaufsform. Bei moderaterem Ver- Ausgangsniveau kein oder nur ein geringer Anstieg
laufkommt es erst im Alter von 1/4-3 Jahren zur Ma- von Renin und Aldosteron.
498 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aidosteron
• Genanalyse. Durch DNA-Analysen können heute schlossen sein. Die Medikamentenanamnese ist
in Speziallabors die entsprechenden Defekte des wichtig zum Ausschluss iatrogener Ursachen. Eine
mutierten CYP11B2-Gens nachgewiesen werden. Niereninsuffizienz ist ebenfalls leicht anband der
Anamnese und des Routinelabors zu erkennen.
• Bildgebende Verfahren. Sie spielen eine unterge-
ordnete Rolle, können aber zur Darstellung einer Differentialdiagnose der Hyperkaliämie
NN-Hyperplasie hilfreich sein.
e Hypoaldosteronismus
• Pseudohypoaldosteronismus
12.2.6 • Niereninsuffizienz mit Oligo- oder Anurie
Differentialdiagnose • Stoffwechselentgleisung
Ketoazidotisches diabetisches Koma
Differentialdiagnostisch müssen andere Ursachen Urämische Azidose
einer Hyperkaliämie ausgeschlossen werden (s. fol- • Medikamenteninduzierte Hyperkaliämie
gende Übersicht). Abnahmefehler müssen ausge- Kaliumsparende Diuretika
12.2 Hypoaldosteronismus 499
D
12.2.7 Ein Notfallausweis muss den Patienten ausgestellt
Therapie und entsprechend des Verlaufs aktualisiert werden.
Basistherapie
• Adrenogenitales Syndrom. Mittel der Wahl beim Nebenwirkungen
AGS ist die lebenslange Substitution mit Gluco- und Nebenwirkungen können bei Überdosierung mit
bei zusätzlichem Salzverlustsyndrom auch Minera- Astonin H auftreten und entsprechen dann der Sym-
500 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron
Tabelle 12-5. Serumspiegel und Exkretionsraten der Mineralocorticoide bei der Patientin mit primären Hyperaldosteronismus
Exkretionsrate
12.3.2
Epidemiologie
12.3.3
Pathogenese
Abb.l2-12. Computertomographischer Befund des linkssei- Häufigste Ursache des primären Hyperaldosteronis-
tigen NN-Adenoms bei der Patientin mit Conn-Adenom mus ist ein aldosteronproduzierendes NN-Adenom
(Pfeil) (Conn-Adenom, s. Tabelle 12-6). Wichtig ist die Ab-
grenzung gegen den idiopathischen Hyperaldostero-
nismus mit bilateraler homogener oder mikronodu-
lärer NN-Hyperplasie, da hierbei ein anderer thera-
peutischer Ansatz besteht. Die übrigen Formen sind
seltener und machen zusammen nur ca. 5-8% der
Fälle aus.
V. suprarenalis re.
V. cava
inferior
/
Aldosteron 17,8 ng / dl
Cortisol 3.4 1-1 9 / dl
Aldosteron / Cortisol· Abb. 12-13.
Quotient 5,2 Ergebnisse des selektiven Venenkatheters
bei der Patientin mit primärem Hypera ldosteronismus
502 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron
Autonom
Reninsensitiv (sehr selten)
Familiär (sehr elten)
Idiopathischer Hyperaldosteronismus 20-30
D
Leitsymptom des Hyperaldosteronismus ist der hypo- gien sind selten. Ähnliches gilt für eine im Rahmen
kaliämische Hypertonus. Der Blutdruck ist meist der Hypertonie aufgetretene Herzvergrößerung
leicht bis stark erhöht. oder kardiale Geräusche auf dem Boden einer kar-
dialen Hypertrophie. EKG-Veränderungen im Sinne
Tabelle 12-7. Beschwerden und klinische Befunde bei 145 Fällen von primärem Hyperaldosteronismus. (Nach Conn et al. 1964)
Polyurie, ykturie 72
Muskelschwäche 73
Kopfschmerzen 51
Polydypsie 46
Intermittierende Paralyse 21
Intermittierende Tetanien 21
Sehstörungen 21
Müdigkeit 19
Muskelschmerz 16
Asymptomatisch 6
Ausgeprägte Ödeme 3
Klinische Befunde
Arterieller Hypertonus 100
Hypokaliämie 100
Aldosteronhypersekretion 100
Proteinurie 85
Hyposthenurie 80
EKG-Veränderungen 80
Hypernatriämie 65
Kardiomegalie 41
APA ~A/Hyperplasie j
D
Lässt sich mehrfach eine Hypokaliämie erfassen, die stik abgesetzt sein, der Aldosteronantagonist Spiro-
nicht anders erklärbar ist (Diuretika, Laxanzienabu- nolakton sogar mindestens 4 Wochen. Auch andere
sus etc.), und zeigt die Basisdiagnostik eine suppri- Antihypertensiva beeinflussen mehr oder weniger zu-
mierte PRA sowie erhöhte Werte für Aldosteron, mindest reflektorisch das RAASund sollten möglichst
ist der primäre Hyperaldosteronismus gesichert. 2 Wochen abgesetzt sein.
200 mmol/24 h liegen. Zu beachten ist, dass unter • 24-h-Urinparameter. Aldosteron, 18-0H-Corti-
kochsalzreicher Diät die Kaliurese zunimmt und da- costeron, Tetrahydroaldosteron und Aldosteron-
mit eine Hypokaliämie verstärkt werden kann. Fol- 18-Glucuronid können im 24-h-Urin gemessen wer-
gende Parameter können je nach Laborausstattung den. Die Sensitivität der Urinexkretionsraten ist hö-
bestimmt werden (die Normbereiche sind stark me- her als die der Serumparameter, insbesondere, da
thodenabhängig, sodass hier die lokalen Angaben hierbei tageszeitliche Schwankungen subsumiert
berücksichtigt werden müssen): werden.
Spezielle Testverfahren
Primärer
Hypoaldosteronismus
• Lasixtest, Orthostasetest. Der Lasixtest und der
Orthostasetest machen sich die Stimulierbarkeit
Plasmaaldosteron des RAAS zunutze (Tabelle 12-9). Diese ist beim
IHA (und dem seltenen reninresponsiven NN-Ade-
Abb.I2-15. Relation zwischen Plasmaaldosteron und Quo- nom) erhalten, beim AP A dagegen nicht. Während
tienten aus Plasmaaldosteron und Plasmareninaktivität bei
den unterschiedlichen Formen des Hyper- und Hypoaldoste- es beim IHA von bereits basal erhöhten Werten für
ronismus Aldosteron und 18-0H-Corticosteron zu einem
deutlichen Anstieg kommt, steigen beide beim
APA in 75-90% der Fälle nicht an oder fallen sogar
Hiramatsu et al. fanden bei Patienten mit AP A Wer- ab. Dies ist erklärt durch die vollständige Suppres-
te über 750 und schlugen einem Aldosteron/FRA- sion des RAAS beim AP A, durch das fehlende An-
Quotienten > 400 als Hinweis auf ein APA vor. Wer- sprechen des APA auf Angiotensin li sowie auf
te < 200 wiesen dagegen eher auf eine essentielle die im Verlauf des Testsaufgrund der zirkadianen
Hypertonie hin. In einigen Arbeiten wurde ein Rhythmik abfallenden Konzentration von ACTH
Test mittels Gabe von 25-50 mg Captopril vorge- (Abb. 12-16). In einer Studie von Opocher et al. wur-
schlagen, wobei bei Patienten mit Hyperaldostero- de für den Nachweis eines Ansprechens auf Ortho-
Testprinzip Stimulation der Reninaktivität Stimulation der Reninaktivität Suppre ion des RAAS
durch Volumenverlust und durch Volumenverschiebung durch Kochsalzbelastung
Natriurese nach Gabe von Lasix nach Orthostase
Testvoraussetzungen Absetzen von Diuretika, ACE-Hemmern und möglichst auch anderer Antihypertensiva,
keine kochsalzarme Diät, minde tens 4 h Bettruhe vor dem Test
Testdurchführung Abnahme von Renin, Abnahme von Renin, Infusion von 3 I isotonischer
Aldosteron und 18-0H-B Aldosteron und Kochsalzlö ung über 6 h. BE
morgens nach strenger Bettruhe 18-0H-B morgens nach zur Bestimmung von Renin
(!!!). Anschließend Gabe von strenger Bettruhe (!!!}. und Aldo teron vor und nach
40 mg Lasix. Nach 2 h Anschließend Aufforderung Kochsalzinfusion
erneute BE zum Herumlaufen für die
nächsten 2 h. Nach 2 h
erneute BE
Testbeurteilung ormal: Stimulation von Renin, Aldosteron und Normal: Suppression von
18-0H-Cortico teron Renin, Aldosteron und
APA: Ba al erhöhte Werte von Renin, Aldo teron und 18-0H-Corticosteron
18-0H-Corticosteron APA: Keine Suppression
Keine Stimulation oder sogar paradoxer Abfall im Testverlauf !HA: Unvollständige
!HA: Basal erhöhte Werte von Ren in, Aldosteron und Suppression
18-0H -Corticosteron.
Deutliche Stimulation im Testverlauf
BE Blutentnahme
508 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron
Andere
Plasma Plasma Aldo· Szinti· Orthosu~ /
Ren in CT / MRT
I I
Mineralo·
Na ~ steron gmphi<' Lasixtest
conicoide
t t t
'
Aldosteron·ptoduzierendes Raumlorderur19 Keine
Adenom (APA)
N
J n.J~hwebbar
Lateralis.! tion
Stimulation
t t t
'
Aldosteron· produzierendes Raumlorderu"9 Gerif19e l<eine
Card nom J n.JChweisbar Speicheru"9 Stimulation
I I
' t IJ
Idiopathischer Beiderseitige Keine
N N Stimulation
Hyperaldosteronismus (IHA) N N Hyperplasi<' l..ttera lisation
''
Gelegentlich
t t
Makronodu lare Hyperplasi<' l..tteralis.!tion Keine
(MN H)
N
J N Raumforderu"9
nachweisbar
wenn unil tera l S1imulation
t
•J
Apparent Mineralocortico.d Keine
Excess (AME J
N
J 7 J Stimulation
t
•I
Keine
lakriuabusus N ? J Stimulation
l l ß· Hydroxylase·
mange!
N
I N J J t c:J ' Keine
Stimulation
t
' t
'
17a • Hydroxylase· Keine
mangel
N
J Stimu lation
c:J Normal
J Erniedrigt
t Erhoht
Abb.12-17. Befundkonstellationen bei den unterschiedlichen Formen des Hyperaldosteronismus und Pseudohyperaldostero-
nismus
510 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron
Venenblutentnahme, bei der der Nachweis einer für einen DOC-produzierenden NN-Tumor. Mittels
Lateralisation das AP A belegt. Verwechslungen ACTH-Test und bildgebender Diagnostik kann dies
sind vor allem beim Vorliegen eines reninsensitiven weiter abgeklärt werden. Cortisol kann beim
Adenoms denkbar, das sich in den Funktionstests Cushing-Syndrom oder beim AME-Syndrom ver-
wie ein idiopathischer Hyperaldosteronismus dar- antwortlich sein. Das Cushing-Syndrom lässt sich
stellt. Auch hier ist die Darstellung der Lateralisation klinisch leicht erkennen. Beim AME-Syndrom
der Aldosteronproduktion mittels selektiver Ve- kann die Cortisol/Cortison-Ratio im Urin weiterhel-
nenblutentnahme die richtungsweisende Untersu- fen.
chung.
Glucocorticoid-supprimierbarer 12.3.7
Hyperaldosteronismus Therapie
Charakteristisch für den Glucocorticoid-suppri-
mierbaren Hyperaldosteronismus sind die deutlich Abbildung 12-18 fasst die Therapie des primären
erhöhten Werte für die 18-hydroxylierten Metaboli- Hyperaldosteronismus zusammen.
ten des Cortisols (18-0H-Cortisol, 18-0xocortisol).
Daneben ist die positive Familienanamnese rich-
Aldosteronproduzierendes Adenom
tungsweisend. Im Orthostasetest kommt es durch
• Unilaterale Adrenalektomie. Therapie der ersten
die zirkadiane Rhythmik der ACTH-Sekretion ähn-
Wahl beim APA ist die unilaterale Adrenalektomie.
lich dem AP A zu einem Abfall des Aldosterons. Ge-
Durch die lang bestehende Suppression des RAAS ist
stellt werden kann die Diagnose mittels Genanalyse.
das restliche NN-Gewebe funktionell atrophiert.
Sollte diese nicht möglich sein, kann die Diagnose
Dies kann postoperativ zu einem passageren Hypo-
u. U. ex juvantibus mittels mehrwöchiger Behand-
aldosteronismus mit Hypotonie und Hyperkaliämie
lung mit Dexamethason (2-mal 0,5 bis 2-mal
führen. Um dies zu vermeiden, sollte mit einem Al-
1 mg/Tag) etabliert werden.
dosteronantagonisten vorbehandelt werden. Emp-
fohlen wird eine Therapie mit 200-400 mg/Tag Spi-
Noduläre Hyperplasie ronolacton in den 6-8 Wochen vor Operation. Blut-
Die noduläre Hyperplasie ist schwer nachzuweisen. druck und Kaliumspiegel sollten zur Operation nor-
Bezüglich der Abhängigkeit von Angiotensin II und malisiert sein. Da die Größe der Adenome im
ACTH verhält sie sich meist wie das Aldosteron pro- Allgemeinen nicht zu groß ist, kann für die Opera-
duzierende Adenom. Wichtig ist die Klärung der tion der dorsale paravertebrale Zugang nach Young
Frage, ob der Prozess ein- oder doppelseitig ist, gewählt werden. In neuererZeitwerden auch zuneh-
da nur bei eindeutiger Einseitigkeit ein operativer mend endoskopische Verfahren zur Operation ge-
therapeutischer Ansatz sinnvoll ist. Neben der selek- nutzt.
tiven NN-Venenblutentnahme ist hier in seltenen
Fällen die Durchführung einer NN-Szintigraphie
B
Die Enukleation des Adenoms unter Erhalt der rest- w
vertretbar, insbesondere, da die bildgebende Dia- liehen NN hat den Nachteil einer erhöhten Rezidiv-
gnostik häufig eine falsch-positive Lateralisation er- und Nachblutungsrate. Der beabsichtigte Vorteil des
gibt. Erhalts von NN-Gewebe rechtfertigt diese Vorge-
hensweise nicht, da dies bei Erhalt der kontralatera-
len NN überflüssig ist.
Sekundärer Hyperaldosteronismus
Ein sekundärer Hyperaldosteronismus liegt vor,
Durch die Operation lässt sich bei ca. 60-70 o/o der
wenn die Aldosteronsekretion durch übermäßige
Patienten eine Normalisierung des RAAS, des Se-
Stimulation über das RAAS zustande kommt. Diffe-
rumkaliums und des Blutdrucks erreichen. Weitere
rentialdiagnostisch ist entsprechend die Messung
20 o/o erfahren eine deutliche Besserung der Blut-
der erhöhten Plasmareninaktivität entscheidend.
drucksituation und sind im Verlauf besser einstell-
bar. Bei den übrigen Patienten ist der Blutdruck,
Pseudohyperaldosteronismus meist durch renale Veränderungen, fixiert. Mantero
Für einen Pseudohyperaldosteronismus spricht das et al. beschreiben 2 getrennt ausgewertete Gruppen
Vorliegen der klinischen Befunde eines Hyperaldo- von Patienten, die operiert wurden. Gruppe 1 betraf
steronismus bei gleichzeitig supprimierter Plasma- 23 Patienten mit unilateralem Adenom, Gruppe 2
reninaktivität und erniedrigtem AldosteronspiegeL 12 Patienten mit unilateralem Adenom und einen
Ein deutlich erhöhter DOC-Spiegel spricht für einen Patienten mit unilateraler nodulärer Hyperplasie.
llß-Hydroxylase- oder 17-Hydroxylasedefekt oder Abbildung 12-19 zeigt den Blutdruckverlaufbei die-
12.3 Primärer Hyperaldosteronismus 511
Hyperaldosteronismus
I
Nodullre
APA IHA DSHA
Hyperplasie
I I
Unilateral Bilateral
I I
Typische Befunde
I l
Therapie der 1. Wahl
~ ~ ~ ~ ~
Uni laterale Behandlung mit Unilaterale Behandlung mit
Adrenalektomie einem Aldosteron- Adrena lektom ie einem Aldosteron-
antagonisten antagonisten
Präopera tiv Suppression mit
Präopera tiv
Dexamethason
Vorbehandlung mit Ggf. zusätzliche Vorbehand lung mit Ggf. zusätzliche
einem Aldosteron - antihypertensive einem Aldosteron- antihypertensive
antagonisten Therapie antagonisten Therapie
225 ~----------------------------------.5
• RR systolische Gruppe A
1
200 o RR diastolische Gruppe A
• RR systolische Gruppe B 4,5
c;; /
/
o RR diastollsehe Gruppe B
I 175 .1. Kaliumkonzentration
E
.s
-"" 150
Gruppe A
V Abb.12-19.
2 Blutdruckverlaufbei Patienten mit Conn-Adenom
~
'B::> 125 vor und nach Operation. Zwei Studiengruppen mit
m 23 (• ) bzw. 12 ( • ) Patienten wurden beschrieben,
3 ausgefüllte Symbole zeigen die systolischen,
100 .....",__ _ _ _ _-<i offene Symbole die diastolischen Blutdruckwerte.
Die offenen Rauten und die gestrichelte Linie zeigt
75 +------------------------------------'- 2,5 den Verlauf des Serumkaliums in der Gruppe mit
Vo r Operation Nach Operation 2-Jahre-Fallow-Up 12 Patienten. (Nach Mantero et al. 1995)
sen Patienten. In Gruppe 1 zeigten 56,5 o/o eine Nor- werden insgesamt 3 Patienten beschrieben, die bei
malisierung und 26,1 o/o eine deutliche Senkung des IHA operativ behandelt wurden. Keiner dieser Pa-
Blutdrucks, bei 17,4 o/o änderte sich der Blutdruck tienten erfuhr durch die Operation eine Normalisie-
nur unwesentlich. In Gruppe 2 wurde bei 75 o/o rung des Blutdrucks.
eine Normalisierung, bei 25 o/o eine Besserung des Therapie der Wahl ist die Gabe des Aldosteronan-
Blutdrucks erreicht. tagonisten Spironolacton. Dabei empfehlen sich zu-
nächst Dosen von 200-300 mg/Tag, meist werden
• Therapiekontrolle. Postoperativ muss der Patient aber langfristig wegen auftretender Nebenwirkun-
engmaschig überwacht werden. Den Blutdruck sollte gen nur Dosen zwischen 100 und 200 mg/Tag tole-
der Patient möglichst selbst täglich kontrollieren, riert. Bei Persistenz der Hypokaliämie muss zusätz-
die Elektrolytspiegel müssen regelmäßig, anfangs lich mit einem kaliumsparenden Diuretikum (z. B.
1- bis 2-mal wöchentlich kontrolliert werden. 1-2 Trimateren 50-100 mg/Tag) behandelt werden. Ist
Wochen nach Ende der akuten postoperativen Phase damit keine Normatonie zu erreichen, müssen zu-
sollte eine Kontrolle der Plasmareninaktivität sowie sätzlich weitere Antihypertensiva (z. B. ß-Blocker,
des Aldosteronspiegels in Serum und Urin erfolgen. Kalziumantagonisten) gegeben werden. Mantero
Meist spiegelt sich dann ein milder Hypoaldostero- et al. beschreiben bei 43 Patienten mit primärem Hy-
nismus wieder, dessen Ausprägung ganz wesentlich peraldosteronismus (41 mit IHA, 2 mit APA) eine
von der präoperativen Behandlung mit Spironolac- initiale Blutdrucksenkung von 193± 26/119±11 auf
ton abhängt. Bei klinisch relevantem Befund (Hy- 147± 17/97±12 mmHg unter Behandlung mit Spiro-
perkaliämie, Hypotension) muss eine Therapie nolacton. Bei 58% wurde eine Normalisierung des
mit dem synthetischen Mineralocorticoid 9a-Fluor- diastolischen Blutdrucks erreicht. Nach 5 Jahren
hydrocortison (Fludrocortison, Astonin H) eingelei- wurden nur 14 von 29 Patienten weiter mit einer Spi-
tet werden. Begonnen werden kann mit einer Dosis ronolactonmonotherapie behandelt. Die übrigen Pa-
von 50-100 !lg/Tag. Die Dosisanpassung erfolgt tienten erhielten zusätzlich Thiazide (7 Patienten)
nach den klinischen Befunden (RR, Kalium, PRA) oder ß-Blocker (6 Patienten). Bei 13 Patienten muss-
wobei die PRA im oberen Normbereich bis leicht er- te Spironolacton wegen Nebenwirkungen abgesetzt
höht sein sollte. werden.
on sollte regelmäßig wie beim M. Addison kontrol- meist ein iatrogenes Cushing-Syndrom, sodass die
liert werden. Dosis auf 0,5-1 mg/Tag reduziert werden muss.
Bei den meisten Patienten ist mit Dexamethason al-
• Nebenwirkungen. Dosen über 200 mg Spirono- lein keine dauerhaft ausreichende Blutdruckkon-
lacton/Tag werden wegen auftretender Nebenwir- trolle zu erreichen, sodass zusätzlich andere Antihy-
kungen oft nicht toleriert. Bei Männern kommt es pertensiva erforderlich sind. Größere kontrollierte
zu schmerzhaften Gynäkomastien und zur Abnah- Therapiestudien fehlen wegen der Seltenheit der Er-
me von Libido und Potenz, bei Frauen kann es zu krankung.
Mastodynie und Zyklusstörungen kommen. Dane-
ben treten gastrointestinale Beschwerden und • Therapiekontrolle. Die Therapiekontrolle erfolgt
Stimmveränderungen auf. Diese Nebenwirkungen wie bei den anderen Formen des Hyperaldosteronis-
machen Dosisanpassungen notwendig. Mit den Pa- mus klinisch durch engmaschige Kontrolle der Blut-
tienten muss die Notwendigkeit der Therapie einge- druck- und Elektrolytwerte. Der volle Effekt der
hend besprochen werden. Eine Bestrahlung der Therapie ist allerdings erst nach 2-3 Wochen zu er-
Brust bei Gynäkomastie kann zu einer Besserung warten. Oft reichen die tolerablen Dosen des Dexa-
der Symptomatik führen. Sollte mit Spironolacton methasons nicht aus, um die Aldosteronproduktion
allein keine ausreichende Besserung des Hypertonus ausreichend zu unterdrücken. Bei Persistenz des Hy-
und der Hypokaliämie erreichbar sein, kann zusätz- pertonus und der Hypokaliämie muss ergänzend
lich mit anderen kaliumsparenden Diuretika (Ami- mit Spironolacton und anderen kaliumsparenden
lorid 5-20 mg/Tag, Triamteren 50-100 mg/Tag) oder Diuretika (z. B. Triamteren) behandelt werden.
mit ACE-Hemmern und anderen Antihypertensiva Die Dosis orientiert sich am Therapieerfolg.
in den üblichen Dosierungen behandelt werden.
Eine bilaterale Adrenalektomie sollte nur als Ultima • Nebenwirkungen. Durch die Gabe von Dexame-
ratio in Erwägung gezogen werden. thason kann es zu der Entwicklung eines iatrogenen
Cushing-Syndroms kommen. Bei hierauf basieren-
den klinischen Problemen (corticoidinduzierte
Noduläre Hyperplasie
Osteoporose) muss die Dosis angepasst oder auf
Bei der nodulären Hyperplasie stellt sich zunächst
eine symptomatische Therapie umgestellt werden.
die Frage, ob ein uni- oder bilateraler Prozess vor-
liegt. Nur wenn ein unilaterales Geschehen gesichert
ist, ist die Operation Therapie der Wahl. Andernfalls
NN-Karzinom
sollte wie beim idiopathischen Hyperaldosteronis-
Mittel der ersten Wahl ist die Adrenalektomie, oft ist
mus zunächst mit Spironolacton behandelt werden
eine kurative Operation aber nicht möglich. Der Zu-
und nur bei Persistenz der Befunde unter der The-
gang erfolgt vorzugsweise transperitoneal, um eine
rapie eine bilaterale Adrenalektomie erwogen wer-
komplette Resektion ohne Kapseleröffnung zu er-
den.
möglichen. Benachbarte Organe müssen bei ausge-
dehntem Befund u. U. "en-bloc" mitresiziert wer-
• Therapiekontrolle. Die Therapiekontrolle orien-
den. Bei Persistenz oder bei Vorliegen von Metasta-
tiert sich an der Therapie, die durchgeführt wurde,
sen sollte nach möglichst weitgehender operativer
und verläuft prinzipiell entsprechend den unter den
Reduktion der Tumormasse eine Therapie mit
Abschnitten AP A und IHA aufgeführten Überlegun-
o,p-DDD (Mitotane, Lysodren) eingeleitet werden.
gen. Sollte ein bilaterale Adrenalektomie erforder-
Da es mit einer solchen Behandlung bisher relativ
lich sein, besteht postoperativ natürlich eine voll-
wenig Erfahrung gibt, sollte sie möglichst erfahrenen
ständige Nebenniereninsuffizienz, die entsprechend
Zentren vorbehalten bleiben. Die Dosierung wird in
zu kontrollieren ist.
den verschiedenen Zentren sehr unterschiedlich ge-
wählt, die Angaben in der Literatur liegen bei Ziel-
Glucocorticoid-supprimierbarer dosen zwischen 3 und 12 g/Tag. Mehrheitlich wird
Hyperaldosteronismus eine langsame Dosissteigerung auf 10 g/Tag emp-
Entsprechend der Genese erfolgt die Behandlung fohlen. Alternative Chemotherapieschemata, z. B.
mittels niedriger Dosen Dexamethason. Begonnen mit Carboplatin, Etoposid, Doxorubicin, BCNU
werden sollte mit einer Dosis von 2-mal1 mg Dexa- oder 5-Fluoruracil, wurden ebenso versucht wie
methason. Hierunter normalisieren sich die Aldo- eine Behandlung mittels einer Bestrahlung des
steronwerte, die Aldosteronsynthese kommt wieder Tumorbettes. Insgesamt sind die Ansprechraten
unter die Kontrolle des RAASund des ebenfalls vor- für Lysodren am besten, aber auch hier liegen sie
handenen normalen CYP11B2-Gens. Unter der Do- nur zwischen 30 und 60 o/o. Ist die endokrine Aktivi-
sis von 2 mg Dexamethason/Tag entwickelt sich tät nicht ausreichend beherrschbar, ist der Einsatz
514 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron
Das weibliche Geschlecht ist häufiger betroffen Von einem Pseudo-Bartter-Syndrom wird gespro-
(weiblich: männlich = 2: 1). chen, wenn es durch übermäßige Einnahme von Di-
• Eine 2. Möglichkeit stellt die ektope Reninsekreti- uretika oder Laxanzien oder durch herbeigeführtes
on dar, dies ist jedoch eine extreme Rarität. Erbrechen zu einem Verlust an Flüssigkeit und Elek-
trolyten kommt.
Sehr komplex ist die Situation während der
Renale Hypertonie
Schwangerschaft. Es kommt zu einem sekundären
Hierzu gehört die häufigste Form des sekundären
Hyperaldosteronismus, wobei die Genese auf einen
Hyperaldosteronismus, die renovaskuläre Hyperto-
vermehrten Elektrolytverlust zurückzuführen ist,
nie. Sie entsteht durch eine Verminderung des Blut-
für den vor allem auch die natriuretische Wirkung
flusses in der Niere durch unterschiedliche Schädi-
des in der Schwangerschaft erhöhten Progesterons
gungen einer oder beider Nierenarterien oder ihrer
entscheidend ist.
Segmentarterien. Häufigste Ursache ist die Nieren-
Ebenfalls komplex ist die Situation bei einer Herz-
arterienstenose durch atherosklerotische Plaques
insuffizienz. Die verminderte Auswurfleistung und
oder eine muskuläre Hyperplasie der Arterienwand.
die Entwicklung kardialer Ödeme spielt für die Ent-
Entsprechend der Experimente von Goldblatt lassen
wicklung eines Hyperaldosteronismus ebenso eine
sich 3 Phasen unterscheiden:
Rolle wie der verminderte Abbau des Aldosterons
e In einer ersten, Tage bis Wochen dauernden in der Leber und die Steigerung der Ausschüttung
Phase kommt es durch Stenose der Nierenarterie
von ANP. Ähnliches gilt für die Situation bei einer
zu einer gesteigerten Renin- und Aldosteronaus-
Leberzirrhose.
schüttung und in deren Gefolge zur arteriellen
Hypertonie. Beides ist nach Aufhebung der Ste-
nose schnell reversibel. 12.4.4
e Die 2. Phase ist charakterisiert durch die Persi- Klinik
stenz der Hypertonietrotz Abnahme der Konzen-
tration an Angiotensin II. Ursächlich werden Die Symptomatik, die die Patienten bieten, ist un-
Veränderungen der Gefäßwände, Wirkungen spezifisch.
des Angiotensin II auf das sympathische Nerven-
system und ein verändertes Ansprechen der Ba- • Primärer Reninismus
rorezeptoren angenommen. Auch in dieser Phase • Schwere Hypertonie mit deutlicher Erhöhung der
ist der Blutdruck durch Beeinflussung des RAAS diastolischen Werte,
regulierbar. • Kopfschmerzen,
e Die 3. Phase ist durch Persistenz der Hypertonie • Polyurie,
auch nach Aufhebung der Stenose gekennzeich- • Ödemneigung.
net, da andere Faktoren an der Aufrechterhaltung
der Hypertonie beteiligt sind. • Renovaskuläre Hypertonie
e Schwere arterielle Hypertonie, insbesondere bei
Auftreten vor dem 20. oder nach dem 50. Lebens-
Phäochromozytom jahr, relativ kurzer Anamnese, negativer Fami-
Der sekundäre Hyperaldosteronismus bei einem lienanamnese,
Phäochromozytom kann zum einen durch die Sti- • Kopfschmerzen,
mulation der Reninproduktion in den juxtaglome- • Polyurie,
rulären Zellen durch Katecholamine, zum anderen • Ödemneigung.
durch Druck des Tumors auf die Nierenarterie ent-
stehen.
12.4.5
Diagnostik
Sekundärer Hyperaldosteronismus
ohne arterielle Hypertonie Anamnese
Kommt es durch eine Reduktion des effektiven arte- Die Anamnese ist auf die zugrunde liegende Erkran-
riellen Blutvolumens zu einer Stimulation des RAAS kung auszurichten und beinhaltet entsprechend der
und zu einem sekundären Hyperaldosteronismus, oft unspezifischen Symptomatik viele der im Rah-
ist dieser primär nicht unbedingt mit einer arteriel- men jeder Anamnese wesentlichen Fragen. Ein mög-
len Hypertonie verbunden. licher Diuretika- oder Laxanzienabusus muss im Ge-
Beim Bartter-Syndrom liegt eine gestörte Natri- spräch herausgearbeitet werden:
umchloridrückresorption im aufsteigenden Ast • Haben Sie und seit wann besteht dieser Bluthoch-
der Henle-Schleife zugrunde. druck?
12.4 Sekundärer Hyperaldosteronismus 517
• Haben Sie Ödeme und wo sind diese lokalisiert? wird angenommen, dass sie daher zu einem erheb-
• Haben Sie oder hatten Sie in Ruhe oder nur unter lichen Teil über subkapsuläre Venen drainiert sind
Belastung Atemnot? und sich deshalb oft keine Seitendifferenz bei Blut-
e Schlafen Sie mit erhöhtem Oberkörper? entnahme aus den Nierenvenen ergibt.
• Besteht vermehrter Harndrang und wie häufig
müssen Sie nachts zur Toilette?
Bildgebende Verfahren
e Werden Diuretika/Laxanzien eingenommen? • Sonographie. Mittels der Sonographischen Un-
tersuchung der Nieren können nichtinvasiv die Grö-
Körperliche Untersuchung ße und Form der Nieren beurteilt werden. Außer-
Die Befunde der körperliche Untersuchung sind von dem können Veränderungen wie Nierentumoren
der zugrunde liegenden Erkrankung und dem Vor- oder -zysten als mögliche Ursachen für eine reno-
liegen einer Hypertonie geprägt und entsprechend vaskuläre Hypertonie erkannt werden. Gleichzeitig
meist unspezifisch. Nach Zeichen einer zugrunde kann mittels farbkodierter Duplexsonographie der
liegenden Herzinsuffizienz (z. B. Lungenstauung, Nierengefäße grob orientierend eine Nierenarterien-
Ödeme, Atemnot) oder einer Leberzirrhose (Spider- stenose ausgeschlossen werden.
naevi, Caput medusae, Palmarerythem, Gynäkoma-
stie, Braunverfärbung der Haut) ist gezielt zu su- • Nierensequenzszintigraphie. Die Nierensequenz-
chen. Einige Befunde können Hinweise auf die Ge- szintigraphie erlaubt die Erkennung regionaler
nese geben: Durchblutungsstörungen und Seitendifferenzen be-
e Ein abdominelles Strömungsgeräusch spricht für züglich der Nierendurchblutung. Bei ca. 90 o/o der
das Vorliegen einer Nierenarterienstenose, Patienten mit Nierenarterienstenose lassen sich Sei-
e Eine höhergradige Retinopathie spricht für einen tendifferenzen nachweisen, die Rate falsch-positiver
über längere Zeit stark erhöhten Blutdruck, Befunde liegt bei ca. 5 o/o.
e Zeichen der Linksherzhypertrophie sprechen
ebenfalls für ein längeres Bestehen der Hypertonie. • Angiographie. Liegen sonographisch und szinti-
graphisch fragliche Befunde vor oder stehen negati-
ve Befunde im krassen Widerspruch zur Klinik (z. B.
Technische Verfahren paraumbilikales Strömungsgeräusch, diastolische
Werte konstant über 100 mmHg), kann eine Nieren-
Laborparameter arterienstenose angiographisch mittels digitaler
• Eine ausgeprägte Hypokaliämie weist auf einen Subtraktionsangiographie nachgewiesen werden.
primären Reninismus oder eine Niernarterienste- Bei Patienten mit multiplen Gefäßproblemen emp-
nose hin. fehlen manche Autoren im Falle einer angiographi-
• Eine Hyponatriämie liegt bei Bartter- oder Pseu- schen Untersuchung immer auch die Nierenarterien
do-Bartter-Syndrom vor. orientierend mit darzustellen.
• Eine erhöhte Plasmareninaktivität und erhöhte
Mineralocorticoide (Aldosteron, 18-0H-Cortico- Reninome stellen sich u. U. als gering vaskularisierte
steron) weisen auf ein Reninom hin und können Areale in der Niere dar. Dies wird möglicherweise
dabei exzessiv hoch ausfallen. Eine Korrelation auf Vasokonstriktorische Effekte des freigesetzten
zwischen der Größe des Reninoms und der Renins zurückgeführt. Falsch-negative Ergebnisse
Höhe der Plasmareninaktivität besteht aber nicht. sind relativ häufig (bis 45 o/o).
Bei der Nierenarterienstenose sind die Werte mo-
derater, Befunde im oberen Normbereich sind • (Spinal-)Computertomographie (CT, Spinal-CT)/
möglich (ca. 30-35 o/o der Fälle). Magnetresonanztomographie (MRT). Bildgebende
Verfahren sind wichtig für den Nachweis einer
Raumforderung im Bereich der Nieren und Neben-
• Selektiver Venenkatheter. Mittels selektivem Ve- nieren. Für das Reninom ist die Bildgebung mittels
nenkatheter kann die Reninaktivität seitengetrennt CT die Untersuchung mit den besten Erfolgsaussich-
gemessen werden, was als prognostischer Faktor ten.
für die Beurteilung einer Nierenarterienstenose ge-
nutzt wurde.
12.4.6
Beim Reninom gelingt die Lokalisation mittels se- Differentialdiagnose
lektivem Venenkatheter nur selten. Dies wird vor al-
lem darauf zurückgeführt, dass die Tumoren häufig Die Differentialdiagnose ergibt sich aus dem klini-
auf der Oberfläche der Nieren lokalisiert sind. Es schen Bild und umfasst die Differentialdiagnose
518 KAPITEL 12 Renin-Angiotensin-Aldosteron
der vorliegenden Elektrolytstörung. Die Abgren- drucks gelingt initial mit ACE-Hemmern gut, es
zung eines primären Hyperaldosteronismus ergibt ist aber beschrieben, dass es im Verlauf zu einem
sich aus der dann supprimierten Plasmareninaktivi- Wiederansteigen des Blutdrucks kommt. Alternativ
tät Die wesentlichen Hinweise ergeben sich aus der können Kalziumantagonisten eingesetzt werden.
Anamnese (Leber-/Herzerkrankungen, Medikamen-
teneinnahme).
Bartter-Syndrom
Eine kausale Therapie des Bartter-Syndroms ist bis-
lang nicht möglich. Im Vordergrund stehen die me-
12.4.7 dikamentöse Beeinflussung der Natriumausschei-
Therapie dung sowie der Ausgleich der Natriumverluste.
Nierenarterienstenose
Pseudo-Bartter-Syndrom
Als Therapie der ersten Wahl gilt die gefäßchirurgi-
Beim Pseudo-Bartter-Syndrom steht primär die Be-
sche Intervention oder die Aufdehnung der Stenose
endigung des zugrunde liegenden Abusus im Mittel-
mittels perkutaner transluminaler Angioplastie
punkt. Dies erfordert eine eingehende psychosoma-
(PTA). Nach erfolgreicher Beseitigung der Stenose
tische Betreuung und Aufarbeitung der zugrunde
kommt es in den meisten Fällen zu einer Normali-
liegenden meist psychosomatischen Grundproble-
sierung der erhöhtenRenin-und AldosteronspiegeL
matik
Eine Persistenz des Hypertonus ist aber insbesonde-
re bei bereits längerem Bestehen häufig, da in der
Spätphase eines renovaskulären Hypertonus andere Therapiekontrollen
Mechanismen für die Unterhaltung der Hypertonie Die Therapiekontrolle erfolgt mittels Kontrolle der
mit verantwortlich sind. Die seitengetrennte Renin- Elektrolyte und des Blutdrucks. Eine ausreichende
bestimmung wurde als prognostischer Faktor ge- Blutdruckeinstellung sollte gewährleistet sein.
nutzt. Bei einem Quotient zwischen betroffener Nach PTA einer Nierenarterienstenose ist vor allem
und gesunder Seite über 1,5 wurde ein Operations- an die Möglichkeit einer Restenase zu denken, die
erfolg > 80 o/o angenommen. Heute weiß man, dass u. U. eine neuerliche Intervention notwendig macht.
andere Faktoren wie Dauer der Hypertonie, Steno- Patienten mit einer Form des Pseudo-Bartter-Syn-
sen anderer Gefäße und die Höhe des Blutdrucks droms bedürfen häufig einer längerfristigen psycho-
aussagekräftiger sind. Als Index für die Suppression somatischen Nachbetreuung.
der kontralateralen Reninproduktion wurde der
Quotient aus der Reninaktivität der kontralateralen
Nebenwirkungen
Seite und der unteren Hohlvene beschrieben. Ein
Mögliche Nebenwirkungen ergeben sich im Wesent-
Quotient > 1,3 zeigt eine pathologische Reninpro-
lichen aus der gewählten Therapie und entsprechen
duktion der kontralateralen Seite an. Reststenosen
den üblichen perioperativen Problemen sowie den
nach PT A sind möglich und müssen ggf. sekundär
Nebenwirkungen und Problemen einer arteriellen
operiert oder erneut dilatiert werden. Die medika-
Hypertonie. AufFolgeerkrankungen eines länger be-
mentöse Therapie ist zwar durch ACE-Hemmer
stehenden Hypertonus ist natürlich ein besonderes
und andere Antihypertensiva möglich, beinhaltet
Augenmerk zu legen.
aber die Gefahr, dass es durch Absenken des Blut-
drucks, bei ACE-Hemmern insbesondere auch
durch die Blockade des RAAS mit entsprechenden
Verschlechterung des Perfusionsdrucks, zu einer zu-
sätzlichen Verschlechterung der Nierendurchblu- Literatur
tung und -funktion kommt. Der Einsatz von Diure-
tika kann, insbesondere bei einseitigen oder lokalen Literatur zu Abschn. 12.1
Befunden, zu zusätzlichen Natriumverlusten und Biglieri EG, Kater CE, Ramsay DJ (1994) Endocrine hyperten-
damit zu einer zusätzlichen Stimulation des sekun- sion. In: Greenspan F, Baxter J (Hrsg) Basic and clinical
dären Hyperaldosteronismus führen. endocrinology. 4th edn, Appleton & Lange, Connecticut,
s 347-369
Corvol P, Jeunemaitre X (1997) Molecular genetics of human
hypertension: Role of angiotensinogen. Endocr Reviews
Reninom 18: 662-677
Mittel der Wahl ist die operative Entfernung des Re- Epstein FH (1994) Disorders of aldosterone biosynthesis and
ninoms. Im Allgemeinen reicht die Enukleation des action N Eng! J Med 331: 250-258
Gomez-Sanchez EP, Zhou M, Gomez-Sanchez CE (1996) Mi-
Tumors. Sie sollte der Nephrektomie vorgezogen neralocorticoids, salt and high blood pressure. Steroids
werden. Die medikamentöse Kontrolle des Blut- 61 : 184-188
Literatur 519
Goodfried TL, Elliott ME, Catt KJ (1996) Drug therapy: Angio- Biglieri EG, Kater CE, Ramsay DJ (1994) Endocrine hyperten-
tensin receptors and their antagonists. N Eng! J Med sion. In: Greenspan F, Baxter J (Hrsg) Basic & Clinical En-
334: 1649-1654 dicrinology. Appleton & Lange, Norwalk, S 347-369
Gordon RD (1994) Mineralocorticoid hypertension. Lancet Corvol P, Soubrier F, Jeunemaitre X (1997) Molecular genetics
344 : 240-243 of the renin-angiotensin-aldosterane system in human
Heusen J, Oelkers W (1991) Adrenocorticale Hypertonie. In: hypertension. Path Bio! 45: 229-239
Allolio B et al. (Hrsg)I. Intensivkurs für klinische Endo- Dluhy RG, Lifton RP (1995) Glucocorticoid-remediable aldo-
krinologie. PMI, Frankfurt, S 528-545 steranism (GRA): Diagnosis, variability of phenotype and
Müller J (1995) Aldosterone: The minority hormone of the regulation of potassium homeostasis. Steraids 60: 48-51
adrenal cortex. Steraids 60 : 2-9 Findling JW, Raff H, Hanssou JH, Lifton RP(1997) Liddle's
Oelkers W (1995) Adrenocorticale Hypertonie-Update 1995. syndrome: Prospective genetic screening in an extended
In: Allolio B et al. (Hrsg) III. Intensivkurs für klinische kindred. J Clin Endocrinol Metab 82: 1071-1074
Endokrinologie. Bundesdruckerei, Neu-Isenburg, Gordon RD (1994) Mineralocorticoid hypertension. Lancet
s 169-175 344 : 240-243
Takeda Y, Miyamori I, Yoneda T et al. (1996) Regulation of Gordon RD, Stowasser M, Klemm SA, Tunny TJ (1995) Prima-
aldosterone synthase in human vascular endothalial cells ry aldosteronism-some genetic, morphological, and bio-
by angiotensin II and adrenocorticotropin. J Clin Endo- chemical aspects of subtypes. Steraids 60 : 35-41
crinol Metab 81 : 2797-2800 Heusen J, Oelkers W (1991) Adrenocorticale Hypertonie. In:
Allolio B et al. (Hrsg)I. Intensivkurs für klinische Endo-
krinologie. PMI, Frankfurt, S 528-545
Literatur zu Abschn. 72.2 Hiramatsu K, Yamada T, Yukimura Y et al. (1981) A screening
test to identify aldosterone-producing adenoma by mea-
Biglieri EG, Kater CE (1991) Mineralocorticoids in congenital suring plasma renin activity. Results in hypertensive pa-
adrenal hyperplasia. J Steroid Bioehern Molec Bio! tients. Arch Intern Med 141: 1589-1593
40:493-499 Iwaoka T, Umeda T, Naomi S, Inoue J, Sasaki M, Yamauchi J,
Globerman H, Rösler A, Theodor R, New MI, White PC (1988) Sato T (1993) The usefulness of the captopril test as a si-
An inherited defekt in aldosterone biosynthesis caused by multaneous screening for primary aldosteronism and re-
a mutation in or near the gene for steroid 11-hydraxylase. novascular hypertension. Am J Hypertens 6 : 899-906
N Eng! J Med 319: 1193-1197 Lifton RP, Dluhy RG, Powers M, Rich GM, Cook S, Ulick S,
Kuhnie U, Hinkel GK, Akkurt HI, Krazowski Z (1995) Familial Lalouel I-M (1992) A chimaeric llß-hydroxylase/aldoste-
pseudohypoaldosteronism: A review on the heterogeneity rone synthase gene causes glucocorticoid-remediable al-
of the syndrome. Steraids 60: 157-160 dosteronism and human hypertension. Nature
Muhammad S, Mamish ZM, Tucci JR (1994) Type II pseudo- 355 : 262-265
hypoaldosteronism. Report of a case and a review of the Mantera F, Opocher G, Rocco S, Carpene G, Armanini D
literature. J Endocrinol Invest 17 : 453-457 (1995) Long-term treatment of mineralocorticoid excess
Pascoe L, Curnow KM (1995) Genetic recombination as a syndromes. Steraids 60: 81-86
cause of inherited disorders of aldosterone and cortisol Oelkers W (1995) Adrenocorticale Hypertonie-Update 1995.
biosynthesis and a contributor to genetic variation in In: Allolio B et al. (Hrsg) III. Intensivkurs für klinische
blood pressure Steraids 60 : 22-27 Endokrinologie. S 169-175. Bundesdruckerei, Neu-Isen-
Rösler A (1984) The natural history of salt-wasting disorders of burg
adrenal and renal origin. J Clin Endocrinol Metab Oelkers W, Holzhäuer H (1990) Hypertonie bei Hypersekreti-
59:689-699 on von Mineralocorticoiden. In: Allolio B et al. (Hrsg)
Shizuta Y, Kawamoto T, Mitsuuchi Y, Miyahara K, Rösler A, Moderne Diagnostik und therapeutische Strategien bei
Ulick S, Imura H (1995) Inborn errors of aldosterone bio- Nebennierenerkrankungen. Schattauer, Stuttgart, S 40-52
synthesis in humans. Steraids 60 : 15-21 Opocher G, Rocco S, Carpene G, Mantero F (1993) Differential
Take C, Ikeda K, Kurasawa T, Kurokawa K (1991) Increased Diagnosis in primary aldosteronism. J Steroid Bioehern
chloride reabsorption as an inherited renal tubular defekt Molec Bio! 45 : 49-55
in familial type II pseudohypoaldosteranism. N Eng! J
Med 324 : 472-475
Ulick S (1976) Diagnosis and nomenclature of the disorders of
the terminal portion of the aldosterane biosynthetic path- Literatur zu Abschn. 12.4
way. J Clin Endocrinol Metab 43 : 92-96
Veldhuis JD, Kulin HE, Sauten RJ, Wilson TE, Melby JC (1980) Anderson GH, Blakeman N, Streeten DHP (1994) The effect of
Inborn error in the terminal stepp of aldosterone biosyn- age on prevalence of secondary forms of hypertension in
thesis. Corticosterone methyl oxidase type II deficiency in 4429 consecutively referred patients. J Hypertension
a north american pedigree. N Eng! JMed 303: 117-121 12: 609-615
White PC (1994) Disorders of aldosterane biosynthesis and ac- Corry DB, Tuck ML (1995) Secondary aldosteronism. Endo-
tion. N Eng! J Med 331 : 250-258 crinol Metab Clin North Am 24: 511-529
White PC, Curnow KM, Pascoe L (1994) Disorders of steroid Haab F, Duclos JM, Guyenne T, Plouin PF, Corvol P (1995)
llß-hydroxylase isozymes. Endocr Rev 15:421-438 Renin secreting tumors: Diagnosis, conservative surgical
Zennara M-C (1996) Mineralocorticoid resistance. Steraids approach and long-term results. J Ural 153: 1781-1784
61 : 189-192 Iwaoka T, Umeda T, Naomi S, Inoue J, Sasaki M, Yamauchi J,
Sato T (1993) The usefulness of the captopril test as a si-
multaneous screening for primary aldosteronism and re-
Literatur zu Abschn. 12.3 novascular hypertension. Am J Hypertens 6: 899-906
McVicar M, Carman C, Chandra M, Abbi RJ, Teichberg S,
Banks WA, Kastin AJ, Biglieri EG, Ruiz AE (1984) Primary KahnE (1993) Hypertension secondary to renin-secreting
adrenal hyperplasia: A new subset of primary hyperaldo- juxtaglomerular cell tumor: case report and review of 38
steronism. J Clin Endocrinol Metab 58 : 783-785 cases. Pediatr Nephrol 7: 404-412
KAPITEL 13
Katecholamine 13
D. KOPF, c. SCHULZ, H. LEHNERT
- - -
OH OH CH 3
~OH HO:cr{,O
""'I OH
HO~ HO~ - HO~NH
HOAJ ~H, TH HO '»- NH, AAO HON NH, DBH HON ~H, PNMT HOAJ
In Abhängigkeit von der Lokalisation der Phospho- nalen Medulla wird die Expression dieses Enzyms
rylierung können Vmax oder die Affinität zum TH 4- durch Glucocorticoide stimuliert.
Kofaktor, der unter physiologischen Bedingungen in
suboptimaler Konzentration vorliegt, erhöht wer-
den. Über Vermittlung von aradrenergen oder 13.1.2
D2-Rezeptoren können cAMP oder Ca 2+/Calmodu- Speicherung
lin-abhängige Proteinphosphatasen aktiviert wer-
den, die die TH dephosphorylieren. Längerfristige Die Aufnahme in die Granula der chromaffinen Zel-
Veränderungen der Katecholaminbiosynthese, z. B. len wird über vesikuläre Monoamintransporter
durch Hormone oder die Stimulation muscarinerger (VMA T) vermittelt. Die dazu benötigte Energie
Acetylcholinrezeptoren, beinhalten die Regulation stammt aus einem Wasserstoffionengradienten,
der Synthese der TH, aber auch der DBH und der der durch eine H+-ATPase aufrecht erhalten wird.
PNMT. Die Granula der NNM-Zellen enthalten Katechol-
amine und ATP im Verhältnis 4 : 1; in den Vesikeln
• Dopaminsynthese. Der nächste Schritt in der noradrenerger Neurene beträgt das Verhältnis
Synthese, die Umwandlung von L-Dopa in Dopa- 6-8: 1 (im N. splenicus). Man nimmt an, dass die
min, wird durch die zytosolische Aromatische-L- anionischen Phosphatgruppen des ATP ionische
Aminosäuren-Decarboxylase (AAD, Dopa-Decarbo- Wechselwirkungen mit den unter physiologischen
xylase, EC 4.1.1.28, Km 4 x 10- 4 M) katalysiert. Py- Bedingungen als Kation vorliegenden Katechotami-
ridoxalphosphat (Vitamin B6 ) ist hieran als Kofaktor nen besitzen und so die Katechotamine in den Ve-
beteiligt. In dopaminergen Neuronen endet hier der sikeln binden. Zum Teil gehen diese zusammen mit
Syntheseweg der Katecholamine. Ca 2+ Komplexe mit dem Protein Chromogranin A
ein. Durch solche Mechanismen können hohe osmo-
• Noradrenalinsynthese. In noradrenergen und tische Drücke in den Granula vermieden werden.
adrenergen Neuronen sowie den chromaffinen Zel- Die physiologische Bedeutung dieser Zellkomparti-
len des NNM wird mit Hilfe der dort vorkommen- mente {in denen auch die Oxidation von Dopamin
den DBH (EC 1.14.17.1) die Reaktion von Dopamin zu Noradrenalin stattfindet) besteht in einer Spei-
zu Noradrenalin katalysiert. Außer Dopamin kön- cherung von Katechotaminen bis zur Freisetzung
nen durch das Cu 2+-enthaltende Enzym eine Reihe durch einen physiologischen Stimulus sowie in
weiterer Phenylethylamine ß-hydroxyliert werden. dem Schutz vor metabolischen Enzymen. Weiterhin
Die DBH ist eine gemischtfunktionelle Oxidase, wird durch die Aufnahme der Katechotamine in
die molekularen Sauerstoff benötigt und Aseerbat Speiebergranula die Zytoplasmatische Konzentra-
als HrDonor nutzt. Das Enzym kommt in den sekre- tion verringert und so der Konzentrationsgradient
torischen Vesikeln katecholaminerger Neurene bzw. zum Extrazellulärraum erhöht, wodurch die Auf-
den Granula der chromaffinen Zellen vor und ist nahme von Katechotaminen begünstigt wird.
dort in der Innenseite der Vesikelmembran oder ge-
löst lokalisiert. Die Aufnahme von Dopamin in diese
Vesikel erfolgt mit Hilfe eines energieabhängigen 13.1.3
Monoamintransporters (VMAT). In den chromaffi- Sekretion
nen Zellen der adrenalen Medulla sowie in den im
ZNS in geringer Zahl vorhandenen adrenergen Neu- • Chromaffine Zellen des NNM. Am besten unter-
ronen katalysiert die PNMT (EC 2.1.1.28) die N-Me- sucht ist der Mechanismus der Freisetzung von Ka-
thylierung von Noradrenalin zu Adrenalin. Sie ist im techolaminen an den chromaffinen Zellen des NNM.
Zytosollokalisiert und benötigt S-Adenosylmethio- Unter Vermittlung präganglionärer Neurene wird
nin als Methyldonor. Das Enzym ist nicht substrat- Acetylcholin freigesetzt und führt über nicotinerge
spezifisch und katalysiert die Methylierung einer Rezeptoren an den chromaffinen Zellen zu einer
Reihe von Phenylethanolaminderivaten. In der adre- Veränderung der Membranpermeabilität für Ca 2+
13.1 Physiologie 523
und andere Ionen. Man nimmt an, dass der Ein- Enzymatische Inaktivierung
strom von Ca 2+ der relevante Stimulus für die Frei- Eine zentrale Stellung beim Metabolismus der Kate-
setzung von Adrenalin ist, der exozytotisch erfolgt. cholamine nehmen 2 Enzyme ein:
Ebenfalls über einen Ca2+-Einstrom vermittelt kann • zum einen die sowohl intra- wie auch extrazellu-
die Freisetzung von Adrenalin über histaminerge lär gefundene Monoaminooxidase (MAO, EC
Rezeptoren sowie durch K+-Ionen, Bradykinin 1.3.2.4) und
und andere Stoffe stimuliert werden. • zum anderen die Catecholamin-0-Methyltransfe-
rase (COMT, EC 2.1.1.6; Trendelenburg 1990), die
• Periphere sympathische Neurone. Die Freiset- zum größten Teil zytosolisch, aber auch extraneu-
zung von Katecholaminen aus peripheren sympathi- ronal vorkommt.
schen Neuronen ist weniger gut untersucht. Nach
gegenwärtigem Kenntnisstand liegen ähnliche Me- Auf verschiedenen Abbauwegen entstehen instabile,
chanismen wie an den chromaffinen Zellen zu Grun- intermediäre Aldehyde und Alkohole, die von Alde-
de. Die elektrische Erregung in der Anstiegsphase hyd- oder Alkoholdehydrogenasen weiter metaboli-
des Aktionspotentiales eines Axons führt über po- siert werden (Abb. 13-2 und 13-3).
tentialgesteuerte Na+-Ionenkanäle zu einem Ein-
strom von Ca2+ in die Präsynapse und zur exozyto- • Monoaminooxidase/MAO. Die MAO ist partikel-
tischen Freisetzung der Speichervesikel in die Syn- gebunden und wird hauptsächlich in der äußeren
apse. Membran von Mitochondrien gefunden, kommt
aber auch in größerer Menge extraneuronal vor, wo-
bei das intraneuronale Enzym von größerer Bedeu-
tung beim Abbau der Katecholamine zu sein scheint.
13.1.4
Im menschlichen Gehirn tritt die MAO in minde-
Wiederaufnahme
stens 2 unterschiedlichen Formen (MAO A und
MAO B) auf, die durch unterschiedliche Spezifität
Der bevorzugte Weg der Inaktivierung von Kate-
für Substrate und Antagonisten charakterisiert
cholaminen neuronalen Ursprungs ist die erleich-
sind. Die MAO A besitzt eine höhere Affinität für
terte Aufnahme in umgebende Neurone und Gliazel-
Noradrenalin als die MAO B, beide Subtypen sind
len aus dem synaptischen Spalt. Darüber hinaus dif-
jedoch relativ unspezifische Enzyme, die unter Be-
fundieren Katecholamine in Kapillaren und gelan-
teiligung von Flavinadenindinucleotid (FAD) eine
gen über den Blutkreislauf in Organe wie Leber,
Vielzahl von Aminen zu oxidieren vermögen. So be-
Nieren, Milz und Herz, in denen sie metabolisiert
sitzen sie eine Bedeutung nicht nur beim Metabolis-
werden. Im Besonderen gilt das für Adrenalin aus
mus der Katecholamine, sondern oxidieren auch an-
dem NNM. Der Aufnahmeprozess ist sättigbar
dere, z. B. mit der Nahrung aufgenommene, Amine.
und energetisch an eine Na+ /K+-ATPase gekoppelt,
bevorzugtes Substrat ist L-Noradrenalin. Für den
• Catecholamin-0-Methyltransferase/COMT. Das
Noradrenalintransporter sowie für die spezifischen
zweite Enzym, die sowohl frei als auch membrange-
Transportproteine der anderen Katecholamine ist
bunden vorkommende, Mg2+-abhängige COMT
gezeigt worden, dass sie integrale Membranproteine
wird in hohen Konzentrationen in Leber und Niere
mit 12 Transmembransegmenten sind und durch
gefunden und ist im ZNS ebenfalls in größerer
nahe verwandte Gene kodiert werden. Zur gleichen
Menge vorhanden. Sie katalysiert die 0-Methylie-
Genfamilie gehören auch die Transporter für GABA,
rung von Noradrenalin und Adrenalin sowie deren
Glycin und Cholin. Für den Noradrenalintranspor-
deaminierte Metaboliten. Für die Funktion dieses
ter ist gezeigt worden, dass er durch die sympathi-
Enzyms ist S-Adenosylmethionin als Methylgrup-
sche Nervenaktivität reguliert wird. Hierbei wird
pendonor erforderlich.
eine Phosphorylierung von Serin- und Threonin-
resten als Mechanismus diskutiert.
Inaktivierung durch Konjugation
Ein weiterer sehr effektiver Weg der physiologischen
13.1.5 Inaktivierung ist die Konjugation von Katecholami-
Metabolismus nen zu Sulfaten und Glukuronaten. Die für die Sul-
fatierung verantwortliche Phenolsulfotransferase
Am Metabolismus der Katecholamine sind zum (PST, EC 2.8.2.1) wird in 2 Subtypen vor allem in Le-
einen Nerven- und Gliazellen beteiligt und zum an- ber, Gastrointestinaltrakt, Gehirn und Thrombozy-
deren Thrombozyten und Organe wie Leber und ten gefunden. An der Glukuronierungvon Katechol-
Nieren. aminen und deren Metaboliten sind mehrere ver-
524 KAPITEL 13 Katecholamine
CH 3 OH CH3 OH
O~OH 6~o
Konj ugat ion
HON HOJJ ÖH
COMT
OH OH
i Ald.-Red.
HO~OH HO~O 6~
Konjugation HON ÖH HOJ J 8H
HON
i i
glycol (DOPEG) mandelsäure (DOMA) phenylg lycola ldehyd ""'
Ald.-Red.
~.-Dehydro. MAO
OH CH3 OH
HO~ O~NH2
Konjugation
HOAJ 8H HON
3, 4 · Dihydroxy-
phenylg lycolald ehyd
"\AO /roMT
!
Normetanephrin (NM)
Konjugation
Metanephrin (NM)
i COMT
OH OH CH 3
HO~ HO~NH
HON ~H2 Konjugation HON Konj ugation
Noradrenalin Adrenalin
Abb.B-2. Metabolismus von Noradrenalin und Adrenalin. COMT Catecholamin-0-Methyltransferase, MAO Monoamino-
oxidase
l Konjugation
Konjugat ion
HO"Y"';('?O
HON OH
3, 4- Dihydroxyphenyl-
--
COMT
Homovanillinsäure
-
Ald.·Red.
3- Methoxy-4- Hydroxy-
essigsäure (DOPAC) (HVA) phenylacetaldehyd
HO~
HON
3, 4-Dihydroxyphenyl-
ÖH
MAO
- - HON
HOY'Y'"'l
Dopamin
NH2 -
COMT
3- Methoxytyramin
acetaldehyd (MTA)
schiedene Glukuronyltransferasen der Leber betei- C. Darüber hinaus wird die Phospholipase Al akti-
ligt. Die Ausscheidung der Katecholamine und Me- viert.
taboliten erfolgt in freier oder konjugierter Form
zum größten Teil über die Niere, ein geringer Teil Der a 1a- Typ ist unabhängig vom Phosphoinositol-
wird über die Leber in die Galle abgegeben. system in der Lage, Dihydropyridin-sensitive
Ca 2 +-Kanäle zu öffnen ( Minneman 1988).
toren primär in Geweben mit dichter sympathischer fekt und erhöht die AV-Überleitungsgeschwin-
Innervation (z. B. Herz, Darm) lokalisiert, während digkeit. An der juxtaglomerulären Zelle der Niere
postsynaptische ar und ßrRezeptoren bevorzugt in wird die Reninsekretion stimuliert und aus Adi-
Geweben geringer sympathischer Innervation (z. B. pozyten vermehrt Fettsäuren freigesetzt.
Skelettmuskulatur, Uterus) gefunden werden und • Über ßradrenerge Rezeptoren wird eine Relaxa-
dort hauptsächlich durch das Adrenalin des Neben- tion der glatten Muskulatur im Bereich der Gefä-
nierenmarkes stimuliert werden: ße, der Bronchien und auch des Gastrointestinal-
• aradrenerge Rezeptoren sind vor allem an der traktes vermittelt Im endokrinen Pankreas be-
glatten Gefäßmuskulatur, der Leber, der Muscu- wirken Katecholamine über ß2-Rezeptoren so-
laris des Gastrointestinaltraktes und im Myokard wohl eine Erhöhung der Glukagon- wie auch
lokalisiert. der Insulinsekretion, wobei Letztere durch die
• Postsynaptische arRezeptoren vor allem in den an den Inselzellen vorhandenen a 2-Rezeptoren
ß-Zellen des Pankreas, in Gehirn und Leber antagonisiert wird. In der Skelettmuskulatur
und an einigen glatten Muskeln. Darüber hinaus ebenso wie auch in der Leber wird die Glykogen-
besitzen präsynaptisch lokalisierte a 2-Rezepto- olyse stimuliert.
ren, die die Freisetzung von Noradrenalin hem-
men, eine große Bedeutung bei der Modulation In Bezug auf den Intermediärstoffwechsel kann zu-
der neuronalen Aktivität. sammenfassend gesagt werden, dass die Effekte des
• ßradrenerge Rezeptoren sind vor allem auf Myo- sympathoadrenomedullären Systems generell die
kardzellen und den juxtaglomerulären Zellen lo- Mobilisierung von Substraten des Energiestoffwech-
kalisiert. sels bewirken. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die
• Die adrenergen Rezeptoren der glatten Muskula- Homöostase des Energiestoffwechsels als auch unter
tur (Gefäße, Bronchien, GI-Trakt), der Skelett- stressreichen Bedingungen im Sinne einer "Notfall-
muskulatur und der Leber sind vorzugsweise reaktion".
vom ßrTyp, der auch an den ß-Zellen des Pan-
kreas gefunden wird.
Unterproduktion
Biologische Wirkungen
Bei den metabolischen und kardiavaskulären Wir- 13.2
kungen der Katecholamine muss zwischen neurona- Vermindertes Ansprechen
len Effekten, die über eine vermehrte Freisetzung auf Katecholamine
von Nordrenalin vermittelt werden, und der humo-
ralen Wirkung von Adrenalin aus dem Nebennie- 13.2.1
renmark unterschieden werden. Beide Anteile des Epidemiologie
sympathoadrenomedullären Systems können selek-
tiv aktiviert werden und so distinkte Wirkungen Bei den Erkrankungen, die auf einer Unterfunktion
ausüben. Entscheidend für die Wirkung der Kate- des katecholaminergen Systems beruhen, handelt es
cholamine in verschiedenen Geweben ist das Vor- sich definitionsgemäß um Störungen, die entweder
handensein unterschiedlicher Rezeptortypen mit ih- auf einer verminderten Produktion der Katechol-
ren Signaltransduktionsmechanismen, über die die amine oder einem verminderten Ansprechen auf
unterschiedlichen physiologischen Wirkungen ver- ihre Wirkung beruhen. Hierbei können diese Stö-
mittelt werden: rungen entweder allein auf der Ebene des sympathi-
• So bewirkt z. B. die Stimulation des arRezeptors schen Nervensystems oder in Verbindungen mit
an der glatten Gefäßmuskulatur eine ausgeprägte Störungen weiterer Systeme auftreten. Zudem
Kontraktion, am Myokard eine erhöhte kontrak- kann die Unterfunktion Ausdruck einer Dysfunkti-
tile Wirkung und führt in der Leber zu einer ge- on des zentralen wie auch des peripheren Nervensy-
steigerten Glykogenolyse. stems sein. Valide Angaben zur Epidemiologie kön-
• Auch arStimulation bewirkt an der glatten Ge- nen kaum gemacht werden, da die Erkrankungen
fäßmuskulatur eine Kontraktion, dient jedoch (mit Ausnahme der Dysfunktion im Rahmen eines
an der präsynaptischen Membran als negativer Diabetes mellitus und eines M. Parkinson) außeror-
Regulator für die Freisetzung von Noradrenalin dentlich selten sind und mit einer geschätzten Inzi-
und reduziert in Gegenwart von Glukagon an denz von l auf 100.000-200.000 auftreten. In diesem
den Inselzellen des Pankreas die Insulinsekretion. Zusammenhang sollen nur die Erkrankungen be-
• Die Stimulation ß radrenerger Rezeptoren be- sprochen werden, die als Leitsymptom eine (ortho-
wirkt am Herzmuskel einen positiv-inotropen Ef- statische) Hypotonie aufweisen.
13.2 Vermindertes Ansprechen auf Katecholamine 527
• CT/MRT. Ein zerebrales CT oder besser noch ein L-DOPS) werden bei Patienten mit einem DBH-
MRT ist hilfreich für die Diagnose einer multiplen Mangel eingesetzt. Hier handelt es sich um die
Systematrophie. So können mit dieser Untersu- Präkursorsubstanzen, die über eine DOPA-De-
chung hiermit assoziierte Veränderungen im Stria- carboxylase zu Noradrenalin metabolisiert wer-
tum nachgewiesen werden. den und damit den enzymatischen Block über-
brücken.
• Weiterhin ist Fludrocortison in einer Dosis von
1- bis 2-mal 0,1 mg zu nennen, das einen Mine-
13.2.5 ralocorticoideffekt auf das Plasmavolumen aus-
Differentialdiagnose übt und a-Adrenorezeptoren gegenüber endoge-
nem Noradrenalin sensitivieren kann.
Die Differentialdiagnostik ist grundsätzlich bei der • Substanzen wie Metoclopramid (blockiert Dopa-
Einteilung der unterschiedlichen Störungen genannt minrezeptoren) in einer Dosis von etwa 3-mal
worden. Wesentlich ist, dass insbesondere an die ge- 10 mg,
nannten zugrunde liegenden Erkrankungen im Rah- • Indomethacin als Hemmer der Prostaglandinsyn-
men einer erworbenen Störung des autonomen Ner- these in einer Dosis von 2- bis 3-mal 50 mg und
vensystems gedacht wird. Hier stehen ganz im Vor- • Yohimbin als präsynaptischer arAdrenorezepto-
dergrund: rantagonist.
• Diabetes mellitus,
• die akut auftretende Störung im Rahmen eines Grundsätzlich soll aber bei diesen seltenen Erkran-
Guillain-Barre-Syndroms, kungen Kontakt zu einem erfahrenen endokrinolo-
• eine Paraneoplasie, beispielsweise bei Bronchial- gischen Zentrum aufgenommen werden.
karzinom im Rahmen eines Lambert-Eaton-Syn-
droms,
• der M. Parkinsan und
• die Amyloidose. Überproduktion
Die oben getroffene Definition des Blutdruckabfalls
in Orthostase über 20 mmHg in Verbindung mit 13.3
einer klinischen Symptomatik ist hilfreich, um die Phäochromozytom (ohne MEN)
Patienten mit diesen spezifischen Dysfunktionen und Paragangliom
von der großen Gruppe der Patienten mit nicht-pa-
thologischer Hypotonie abzugrenzen. 13.3.1
Fallpräsentationen
Fallpräsentation 1
13.2.6
Therapie
Eine 41 -jährige Patientin stellte sich mit star-
Prinzipiell stehen nichtmedikamentöse und medika- ken Kopfschmerzen in der Notaufnahme vor.
mentöse Verfahren zur Behandlung dieser Probleme Bei Aufnahme wurde ein Blutdruck von
zur Verfügung. 185/95 mmHg gemessen. Ähnliche Beschwerden
An nichtmedikamentösen Maßnahmen sind diä- habe sie seit 3 Jahren immer wieder gehabt, oft
tetische Intervention (eher salzreiche Kost) und begleitet von Herzstolpern und Blässe. Bei vor-
ein Schlafen in soweit vertretbar aufrechter Körper- ausgegangenen Vorstellungen wegen dieser Be-
haltung zu nennen. schwerden sei der Blutdruck jedoch immer nor-
mal gewesen. Es bestanden keine relevanten
Vorerkrankungen. Vom klinischen Aspekt her
Medikamentöse Therapie fielen eine Blässe vor allem im Gesicht, vermehr-
Der Einsatz von Medikamenten ist im Wesentlichen tes Schwitzen und eine mittelschwere Adipositas
empirisch und aufgrund der geringen Fallzahl von (90,2 kg bei 167 cm Körpergröße) auf. Die kör-
Patienten nicht studienbegründet So gibt es eine perliche Untersuchung ergab keine neuen
Reihe von Vasokonstriktorischen Substanzen, die Aspekte. Im Routinelabor war die Glukose
zur Blutdruckerhöhung eingesetzt werden können: (nüchtern) mit 10,92 mmol/1 (196 mg!dl) er-
• Pharmaka, die Ephedrin und Phenyledrin enthal- höht. Weiterhin fanden sich im Urin 10- 12 Ery-
ten. Die Substanzen DL-Dehydroxyphenylserin throzyten/Gesichtsfeld und eine minimal er-
und L-Dehydroxyphenylserin (DL-DOPS bzw.
530 KAPITEL 13 Katecholamine
Tag 1 12 . 08 . 1997
2 40 ~
200....,
B
D
m
m
H
q
I
40 ....
0
zoo ~
I
H
F 1 50J Abb. 13-4.
s 24-h-Bi ut druckprofi l der
"'i
c Pat ientin in Fall prä enta-
z
i
tio n I: Bei der ta ti ti chen
Auswertung zeigte sich ein
n norm aler 24-h-Mittelwert
so (120/71 mm Hg), jedoch eine
achtab enku ng um nur
I
5 o/o. Ei nzelne mäßige
0 u 12 1 3 1 4 15 16 11 l& 19 20 2 1 22 z30i 2 3 4 5 6 1 s 9 10 11 Bl ut d ru ckspi c~:en bis
UHRZEIT (in Stunden )
168/94 mm Hg
caudal 13.3.2
Epidemiologie
coronar cranial
Unter einem Phäochromozytom versteht man einen
r von den neuroendokrinen Zellen des Nebennieren-
e marks ausgehenden Tumor. Als Krankheitsbild zu-
c n erst 1886 von dem Pathologen Franke! beschrieben,
h k erhielt es den heute gebräuchlichen Namen 10 Jahre
s später aufgrundder Beobachtung, dass sich die Zel-
s len durch Chromsalze spezifisch braun-grau anfär-
ben lassen.
Man unterscheidet benigne von malignen Phäo-
chromozytomen (Letztere auch bisweilen als Phäo-
caudal chromoblastom bezeichnet), wobei sich die Eintei-
Abb.13-5. MIBG-Szintigraphie, SPECT-Aufnahmen der Ne- lung in erster Linie nach dem Vorhandensein von
bennierenregion nach 2 h. Starke pathologische Anreicherung Metastasen in Organen, die normalerweise kein
in der rechten Nebenniere, physiologische Anreicherung in chromaffines Gewebe enthalten, richtet. Ähnliche
der Gallenblase (transversaler Schnitt, rechts oben). (Mit
freundlicher Genehmigung von Dr. R. Steinke und Prof. Dr. Tumoren, die aus den Ganglien des sympathischen
H.-J. Otto, Klinik für Nuklearmedizin, Universität Magdeburg) Grenzstrangs hervorgehen, werden von manchen
Autoren als Paraganghorne abgegrenzt.
Tumoren, die primär an atypischen Lokalisatio-
bei 118 ).lg/Tag. Die Katechotamine im Plasma nen, wie z. B. an der Blase oder am Herzen entste-
sind in Tabelle 13-3 wiedergegeben. Das Chro- hen, werden als extraadrenale Phäochromozytome
mogranin A lag bei 12800 ).lg/1. Im Nativ-CT bezeichnet.
zeigte sich keine Raumforderung im Bereich
der Nebennieren, jedoch eine interaortokaval • Prävalenz und Inzidenz. Exakte, repräsentative
gelegene, weichteildichte Raumforderung etwas Daten zu Prävalenz und Inzidenz an unselektierten
oberhalb der Nierenarterien, die mit einem Bevölkerungsgruppen liegen nicht vor. Ältere Schät-
ParagangHorn vereinbar war (Abb. 13-7). Auch zungen gehen von 3- 4 Neuerkrankungen pro 1 Mio
die 1231-MIBG- und 111 In-Octreotidszintigraphie Einwohner und Jahr aus. Durch sensitivere diagno-
zeigten ausschließlich in diesem Bereich patho- stische Verfahren werden heute mehr Raumforde-
rungen der Nebennieren diagnostiziert, sodass diese
532 KAPITEL 13 Katecholamine
!I
~
;n , n
~ · ~-·~
cVL
Abb.l3-6.
EKG während einer hyper-
tensiven Krise mit Sinus-
tachykardie (164/min) und
Hypertrophiezeichen
poradisch 75%
Extraadrenal ca. 10
MIBG Octreotide
transversal anterior transversal anterior
r
e
c n
h k
t s
s
posterior posterior
sagittal cranial sagittal cranial
p
0 a
s n
t
e e
r r
0 0
r r
caudal caudal
coronar cranial coronar cranial
r
e i
c n
h k Abb.l3-8.
t s MIBG- und Octreotidszintigraphie mit patholo-
s gischen Mehrspeicherungen prävertebral
(jeweils Bildmitte). Physiologische Anreicherun-
gen von Octreotid in Leber und Milz.
(Mit freundlicher Genehmigung von
Dr. R. Steinke und Prof. Dr. H.-J. Otto, Klinik
caudal caudal für Nuklearmedizin, Universität Magdeburg)
linghausen-Krankheit (Neurofibromatose Typ 1), etwa mit den 20 o/o aus Beobachtungen der eigenen
einem Bourneville-Pringle-Syndrom oder der Stur- Arbeitsgruppe deckt. Aktuelle Hochrechnungen
ge- Weber-Krabbe-Krankheit assoziiert. Diese fami- schätzen die Inzidenz des malignen Phäochromozy-
liären Leiden haben aber eine besondere Bedeutung toms in der Bevölkerung auf 3-4 Fälle pro Mio Ein-
für die Diagnostik dadurch, dass meist ein bilaterales wohner und Jahr (Mundschenk u. Lehnert 1998).
Phäochromozytom vorliegt und danach gesucht wer-
den muss. Umgekehrt muss bei jedem Patienten mit
bilateralem Phäochromozytom an eine familiäre Ge- 13.3.3
nese gedacht werden. Pathogenese
• Malignes Phäochromozytom. Auch die Schät- Das Auftreten des sporadischen Phäochromozytoms
zungen zur Häufigkeit des malignen Phäochromo- ist pathophysiologisch noch sehr unzureichend ver-
zytoms schwanken sehr stark mit tendenziell höhe- standen. Eine klonale Entstehung dieser Tumoren
ren Werten in neueren Arbeiten. Eine französische gilt als sicher. Dabei wird bei den sporadischen Fäl-
Arbeitsgruppe fand bei Langzeitbeobachtung 19 ma- len von einer Sequenz verschiedener Mutationen in
ligne Verläufe bei 129 Patienten, ein Anteil, der sich einer einzelnen Zellreihe ausgegangen, die zu einem
534 KAPITEL 13 Katecholamine
unkontrollierten Wachstum und schließlich malig- auf denen für den Zellzyklus wichtige Gene kodiert
ner Entartung führen. Diese Sequenz ist nicht aufge- sind.
klärt.
~achstu~sfaktoren
Genetische Befunde
Auf Phäochromozytomen wurden Rezeptoren für
Eine Hilfe bei der Erforschung der Pathophysiologie
verschiedene Wachstumsfaktoren nachgewiesen,
war das Bekanntwerden von Gendefekten, die für
unter anderem für IGF 1 und IGF 2, aber auch für
die familiären Formen bedeutsam sind.
das eher wachstumshemmende Somatostatin. Wei-
So ist beim Hippel-Lindau-Syndrom inzwischen
terhin wird Somatostatin selbst von Phäochromozy-
der zugrunde liegende genetische Defekt bekannt.
tomen in unterschiedlichem Ausmaß exprimiert.
Es handelt sich um verschiedene Mutationen des
Die Bedeutung einzelner Befunde im gesamten Kon-
Hippel-Lindau-Gens, eines auf Chromosom 3,
text der Tumorentstehung ist noch nicht letztlich ge-
p25-26 lokalisierten Tumorsuppressorgens. Wenn
klärt.
im Nebennierenmark ein mutiertes Allel, das zu
einem Funktionsverlust des Hippel-Lindau-Gens
führt, vorliegt, kommt es zum Tumorwachstum. E~bryologie
Verschiedene Untersuchungen konnten eine Asso- Die Vielgestaltigkeit des Phäochromozytoms, vor al-
ziation des Mutationstyps mit dem Phänotyp nach- lem die unterschiedlichen Lokalisationen, erklären
weisen und damit das Hippel-Lindau-Syndrom un- sich aus der Embryologie. Chromaffine Zellen kom-
terteilen in men beim Feten in vielen Organen vor. Nach der Ge-
• einen Typ mit Nierenzellkarzinom, aber ohne burt degenerieren die meisten dieser Zellen und
Phäochromozytom, bleiben lediglich noch als Organe im Nebennieren-
• einen Typ mit beiden Tumoren und mark und in den sympathischen Ganglien erhalten.
e einen Typ ausschließlich mit Phäochromozytom. Phäochromozytome und ParagangHorne können da-
her an den verschiedensten Stellen des Körpers auf-
Sowohl das vhl-Gen als auch das cul2-Gen, ein an- treten:
deres Tumorsuppressorgen, dessen Produkt physio- e am Herzen,
lgischerweise mit dem vhl-Gen interagiert, scheint e im Mediastinum,
eine gewisse Rolle bei einigen Fällen von sporadi- e am Beckenboden oder
schen Phäochromozytomen zu spielen (Vargas et • in der Blase und
al. 1997, Duerr et al. 1999). • an anderen Orten.
Auch eine somatische Mutationen des ret-Pro-
toonkogens konnte in sporadischen Phäochromo- Die embryologische Verwandtschaft der Zellen zu
zytomen nachgeweisen werden (Beldjord et al. anderen neuroendokrinen Geweben kann sich in
1995). Keimbahnmutationen dieses Gens sind für der Bildung einer Vielzahl von Peptidhormonen äu-
die Entstehung der MEN 2 verantwortlich. Das ßern. Im Sinne eines paraneoplastischen Syndroms
ret-Protoonkogen kodiert für eine Tyrosinphospha- können diese die Symptomatik mitbestimmen.
tase, die möglicherweise an der Regulation der Pro-
liferation beteiligt ist. Physiologischerweise bildet
das ret-Protoonkogen einen Komplex mit einem 13.3.4
Rezeptor für GDNF ("glial cellline derived neuro- Klinik
trophic factor"). Ein Teil der nachgewiesenen Mu-
tationen verursachen eine Ligand-unabhängige Die Kardinalsymptome des Phäochromozytoms
konstitutionelle Aktivierung der Tyrosinphosphata- werden im Englischen einprägsam und zugleich
seaktivität, was möglicherweise beim Zusammen- sehr zutreffend als "5 H" und "5 P" zusammenge-
treffen mit einer weiteren Mutation zum Tumor- fasst. Sie sind in der nachfolgenden Übersicht dar-
wachstum führt. Dass eine weitere Mutation hinzu- gestellt.
kommen muss, wird aus der variablen Penetranz
der Erkrankung bei familiären Formen des Phäo- Symptome des Phäochromozytoms (,,5 H, 5 P")
chromozytoms geschlossen. Diese Hypothese ist
als "Zwei-Treffer-Mutationsmodell" von Knudson • "5 H"
bekannt geworden. Weitere genetische Befunde Hypertension (Bluthochdruck)
bei sporadischen Phäochromozytomen sind Muta- Headache (Kopfschmerzen)
tionen oder Sequenzvarianten in Introns des p53- Hyperhidrosis (verstärkte Schweißproduktion)
Gens und "loss of heterozygosity" auf verschiede- Hyperglycemia (Hyperglykämie)
nen Chromosomenabschnitten (lp, 3p, 17p, 22q), Hypermetabolism (verstärkter Stoffwechsel)
13.3 Phäochromozytom (ohne MEN) und ParagangHorn 535
D
Interleukin 6 und VIP.
Aus diesem Grund und wegen der weitreichenden
Konsequenzen der Diagnose eines Phäochromozy- • Phäochromozytom in der Schwangerschaft. Ein
toms sollte jeder Patient mit arterieller Hypertonie besonderes Problem stellt das Phäochromozytom
mindestens einmal in einem Screeningprogramm un- in der Schwangerschaft dar. Aus unbekannten Grün-
tersucht werden. den gibt es eine Fülle von publizierten Fällen, bei de-
nen ein Phäochromozytom in der Schwangerschaft
• Weitere Symptome. Vor allem beim paroxysma- neu diagnostiziert wurde. Für die werdende Mutter
len Auftreten wird das Phäochromozytom oft nicht ist die Gefahr einer letalen Blutdruckkrise z. B. unter
erkannt, da der Patient bereits wieder normotensiv der Geburt beträchtlich erhöht.
ist, wenn ärztliche Hilfe zugegen ist. Für die Patien-
ten stehen oft paroxysmal subjektive, vieldeutige • Familienanamnese. Neben den oben beschriebe-
Symptome wie Kopfschmerz, Palpitationen, Tre- nen eigenanamnestischen Hinweisen hat auch die
mor, Nervosität oder abdominelle Schmerzen im Familienanamnese eine besondere Bedeutung. Hier-
Vordergrund. Die Anfälle können Minuten bis Stun- bei wird insbesondere nach Indizien für ein familiä-
den dauern und variieren stark in ihrer Häufigkeit. res Syndrom, das mit einem Phäochromozytom ein-
Flush (plötzliches Erröten von Gesicht und Hals) ist hergeht, gefahndet. Gezielt gefragt wird nach
Da uerhypertonie 50- 60
Paroxysmale Hypertonie 40- 50
Pektanginöse Beschwerden 20-50 Schwitzen, Fieber 60- 70
ervosität 35-40 Tachykardien, 50- 70
Herzrhythmusstörungen
Ferner ist die Frage nach den Auslösemechanismen Grundsätzlich müssen vor der Diagnostik verschie-
für eine Krise interessant. Während bei Panikattak- dene Medikamente, die die Katecho/aminsekretion
ken sich oft klassische Auslösesituationen erfragen beeinflussen, abgesetzt werden. Dies betrifft insbe-
lassen, kommt die hypertensive Krise meist aus hei- sondere ß- und a-Blocker, aber auch a-Methyl-
terem Himmel. Dopa, L-Dopa, Theophyllin. Auch Vasodilatatoren
wie Hydralazin oder Kalziumantagonisten, die
Körperliche Untersuchung
eine Reflextachykardie hervorrufen können, können
die Katecho/aminausscheidung steigern und da-
Die körperliche Untersuchung ist, vom akuten An-
fall und von der Feststellung der Hypertonie abge-
durch falsch-positive Befunde verursachen. Clonidin
sehen, beim sporadischen Phäochromozytom nicht
muss langsam ausgeschlichen werden.
sehr ergiebig. Obwohl Phäochromzytome eher groß
• Screeningverfahren. Als Screeningverfahren eig-
sind, sind tastbare Nebennierentumoren eine ex-
net sich am besten die Bestimmung von Adrenalin
treme Rarität. Sehr hilfreich für die Diagnostik ist
es, wenn bei Phäochromozytomen mit paroxysmaler
und Noradrenalin im 24-h-Urin. Bei der empfohle-
nen zweimaligen Durchführung liegt die Sensitivität
Symptomatik ein Anfall beobachtet werden kann.
etwa bei 90-95 o/o. Die oft noch durchgeführte Be-
Dabei lassen sich die entscheidenden, sonst oft im
stimmung von Vanillinmandelsäure im 24-h-Urin
Subjektiven bleibenden, zuvor geschilderten Sym-
hat zwar den theoretischen Vorteil, auch im Tumor
tome direkt beurteilen. Weiterhin sollte auch hier
selbst entstehende Abbauprodukte zu erfassen, im
nach Begleiterkrankungen gefahndet werden. Eine
Gegensatz zu der Bestimmung von Adrenalin und
gezielte Untersuchung der Schilddrüse, der Haut,
Noradrenalin, das nur die in die Zirkulation abgege-
eine gründliche neurologische Untersuchung und
benen Katecholamine berücksichtigt.
die Fundoskopie können die klassischen Hinweise
Allerdings ist sie in der Praxis sehr störungsanfäl-
auf eine MEN 2 oder auf eine der Phakomatosen ge-
lig. Beispielsweise stören die Bestimmung der Ge-
ben.
nuss von Schokolade oder Bananen sowie die Ein-
nahme einer Vielzahl von Medikamenten (z. B. An-
tibiotika wie Tetrazykline, Sulfonamide und Ery-
13.3.5 thromycin sowie ASS und Phenothiazine).
Diagnostik
Weiterhin ist die Vanillinmandelsäure auch in der
Technische Verfahren Sensitivität der Bestimmung von Adrenalin und
Noradrenalin unterlegen. Aus diesen Gründen
Laborparameter kann die Bestimmung von Vanillinmandelsäure
Die Verdachtsdiagnose wird im Allgemeinen auf- routinemäßig nicht mehr empfohlen werden.
grund der Anamnese gestellt. Die Bestimmung Eine sinnvolle neuere Methode, die ebenfalls eine
von Katecholaminen im Urin dient der Erhärtung hohe Sensitivität und Spezifität hat und damit prin-
oder Widerlegung des Verdachts, aber auch dem zipiell zum Screening geeignet ist, ist die Bestim-
Screening. Mit der Bestimmung von Plasmaka- mung der Abbauprodukte Metanephrin und Norme-
techolaminen unter Testbedingungen wird die Dia- tanephrin im 24-h-Urin. Allerdings bestehen hier
gnose gesichert. noch zu wenig Erfahrungen, sodass eine abschlie-
ßende Bewertung noch nicht gegeben werden kann.
Labortests in der Phäochromozytomdiagnostik
des Tests beruht auf der Senkung des Sympathiko- • Akute Bestimmung der Katecholamine. Lediglich
tonus durch Clonidin, wenn dieser durch physiolo- der Orientierung dient die Abnahme von Adrenalin
gische Stimuli (Stress etc.) erhöht ist. Beim Phäo- und Noradrenalin akut in der Krise. Da hierbei die
chromozytom dagegen besteht eine autonome üblichen Abnahmebedingungen nicht eingehalten
Mehrsekretion, die nicht auf eine Senkung des Sym- werden können, kann erst ab einer Noradrenalin-
pathikoton us anspricht. Verfahrensweise: konzentration von 2000 !lg/1 von einem pathologi-
• Zum Test wird zunächst eine halbe Stunde nach schen Befund ausgegangen werden.
Legen des Zugangs beim liegenden Patienten
Plasma zur Bestimmung von Adrenalin und Nor- • Seitengetrennte Blutentnahme. Die seitenge-
adrenalin entnommen. trennte Blutentnahme aus den Nebennierenvenen
• Anschließend erhält der Patient 0,3 mg Clonidin hat durch die Möglichkeiten der MIBG-Szintigra-
oral. phie erheblich an Bedeutung verloren. Sie ist noch
• Nach weiteren 3 h werden erneut die Katechol- erforderlich bei schwer abzuklärenden Diskrepan-
amine abgenommen. Diese müssen bei physiolo- zen zwischen verschiedenen bildgebenden Verfah-
gischer Mehrsekretion auf die Hälfte des Basal- ren und Hormonbefunden oder in dem seltenen
wertes oder bei nur leicht erhöhten Basalwerten Fall eines Phäochromozytoms mit kontralateralem
in den Normbereich supprimiert werden. Inzidentalom. Das Verfahren bleibt in der Technik
sehr erfahrenen Untersuchern vorbehalten.
Sind diese Kriterien nicht erfüllt, gilt der Clonidin-
test als pathologisch. Bei normalen Basalwerten ist
• Chromogranin A. Da viele Phäochromozytome
die Aussagekraft eingeschränkt. Bei erhöhten Basal-
zusätzlich Chromogranin A exprimieren (Abb.13-9),
werten ist vor allem die Sensitivität sehr hoch (Ta-
belle 13-6).
Sensitivitat Spezifit<it
(%) (%)
Bildgebende Verfahren .
Die bildgebende Diagnostik dient in der Regel mcht
so sehr zur Sicherung der Diagnose, sondern der
präoperativen Lokalisationsdiagnostik . Weiterhin
müssen die bildgebenden Verfahren zwischen den
Abb. 13-11. Darstellung beidseitiger Phäochromozytome
verschiedenen Erscheinungsformen (adrenal! ex- (Pfeile) bei einer 20-jä~rigen Patienti~ mittels Computertomo-
traadrenal; unilateral/bilateral; metastasierend) dif- graphie. (Mit freundlicher_ Gen_ehm1g_ung .v?n Prof. Dr. W.
ferenzieren. Döhring, Zentrum für Radwlog1e, Umvers1tat Magdeburg)
Genanalyse
chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks. Auch
Neben der MEN 2 stehen inzwischen auch geneti-
bei malignen Phäochromozytomen, die teilweise
sche Methoden zur Diagnostik von Neurofibroma-
diese spezifische Transportfunktion verlieren, wird
tose und Hippel-Lindau-Syndrom zur Verfügung.
noch der überwiegende Teil der Metastasen darge-
Bei entsprechendem Verdacht ermöglichen diese
stellt. Ein unspezifischer Aufnahmemechanismus
Verfahren auch in den meisten Fällen eine Identifi-
sorgt für die Hintergrundaktivität, die jedoch in
kation noch asymptomatischer, aber betroffener
Spätaufnahmen weitgehend verschwindet.
Angehöriger, die dann einer intensivierten Verlaufs-
kontrolle bedürfen.
Da MIBG zu diagnostischen Zwecken mit 123 Iod mar-
kiert wird, muss die Schilddrüse zuvor blockiert wer-
den. Hierfür werden 2 Tage vor und weiter bis 7 Tage
nach Applikation der Testsubstanz jeweils 1200 mg 13.3.6
Natriumperchlorat, verteilt in 3-4 Einzeldosen, Differentialdiagnose
oral verabreicht (z. B. Irenat 3 x 20 Trpf).
Je nach Leitsymptom können sehr unterschiedliche
Physiologische Anreicherungen findet man auf- Differentialdiagnosen zu berücksichtigen sein. Sie
grund der reichen sympathischen Innervierung die- sind in der folgenden Übersicht aufgelistet.
ser Organe in den Speicheldrüsen, Myokard, Leber
und Harnblase. Wegen der hohen Spezifität der Me- Differentialdiagnose der verschiedenen
thode kann das Verfahren auch in schwierigen Zwei- Leitsymptome
felsfällen der Labordiagnostik Klärung bringen. We-
gen dieser Eigenschaften muss die Methodetrotz der • Hypertonie
hohen Kosten heute routinemäßig im Rahmen der Essentielle arterielle Hypertonie
präoperativen Diagnostik eingesetzt werden. Damit Renoparenchymatöse Hypertonieformen
können bereits metastasierte oder bilaterale Phäo- Nierenarterienstenose
chromozytome präoperativ indentifiziert werden. Mineralocorticoidhochdruck
Hyperkortisolismus
• Octreotidszintigraphie. Bei malignem Phäochro- Aortenisthmusstenose
mozytomen können einzelne Metastasen, die dem Diätfehler bei Einnahme von MAO-Hemmern
Nachweis durch die MIBG-Szintigraphie entgehen, • Kopfschmerz
durch die Octreotidszintigraphie als komplementä- Migräne
res Verfahren erkannt werden. Diese Technik visua- Clusterkopfschmerz
lisiert durch ein (meist mit 111 Indium) markiertes • Nebennierentumor
Somatostatinanalogon verschiedene Subtypen der Inzidentalom
Somatostatinrezeptoren. Sensitivität und Spezifität Cushing-Syndrom
liegen zwar deutlich niedriger als bei der MIBG- M. Conn
540 KAPITEL 13 Katecholamine
Chemotherapie
Bei ungenügendem Ansprechen auf die oben ge-
nannten Verfahren steht als letzte Behandlungsmög-
lichkeit des malignen Phäochromozytoms die Che-
motherapie zur Verfügung. Auch hier ist eine The-
rapie unter kurativer Zielstellung nicht möglich. Die
größte Serie wurde von Averbuch et al. 1988 mit
einem Schema bestehend aus Cyclophosphamid,
Vincristin und Dacarbazin publiziert. Cyclophos-
phamid wurde in einer Dosis von 750 mglm 2 KO
am Tag 1, Vincristin am 1. Tag 1,4 mg/m 2 KO
und Dacarbazin in einer Dosis von 600 mg/m 2 KO
an Tag 1 und 2 gegeben. Das Schema wurde bei feh-
lender Myelotoxizität in 21-tägigem Rhythmus wie-
derholt, wobei die Dosis wenn möglich jeweils um
Abb.B-13. Operationssitus bei laparoskopischer Entfer- 10% erhöht wurde. Komplettes oder partielles bio-
nung der linken Nebenniere. Das Bild zeigt die V. suprarenalis chemisches Ansprechen wurde immerhin bei 79 %
inf. (Bildmitte) an der Stelle ihrer Mündung in die V. renalis
(unten) und die rechte Nebenniere (im Bild rechts der V. su- der Patienten gesehen. Der Therapieeffekt hielt im
prarenalis inf.) (Mit freundlicher Geehmigung von Dr. T. Man- Median 21 Monate an. Dennoch sollte die Therapie
ger und Prof. Dr. H. Lippert, Zentrum für Chirurgie, Univer- aufgrundder Nebenwirkungen für sonst therapiere-
sität Magdeburg)
fraktäre Fälle mit deutlicher Progredienz oder
schwerer Symptomatik beschränkt bleiben. Weiter-
hin sollte die Therapie nur bei ausreichender Kno-
re bei beidseitigen Phäochromozytomen, wie sie vor
chenmarks-, Leber- und Nierenfunktion und einem
allem im Rahmen familiärer Syndrome vorkommen,
Karnofsky-Index über 30% erwogen werden.
wurde die Enukleation des Tumors anstelle einer
beidseitigen Adrenalektomie durchgeführt (Neu-
mann et al. 1999). Mit dieser Technik verknüpft Palliative medikamentöse Maßnahmen
sich die Hoffnung, den Patienten das Problem der Bei nicht operationsfähigen Patienten oder Patien-
postoperativen Insuffizienz der Nebennierenrinde ten mit malignem Phäochromozytom wird die Blut-
zu ersparen. drucknormalisierung mit Phenoxybenzamin, aller-
dings in etwas niedrigerer Dosis als zur Operations-
vorbereitung, gegeben. Alternativ oder zusätzlich
Radiotherapeutische Verfahren
kann der Inhibitor der Tyrosinhydroxylase, a-Me-
• MIBG-Therapie. Bei nicht kurativ resezierbarem
thylparatyrosin, in einer Dosis von 500-1000 mg,
malignem Phäochromozytom steht als nächste Op-
aufgeteilt auf 4 Dosen, gegeben werden. Leider ist
tion die MIBG- Therapie zur Verfügung. Das Prinzip
auch dieses Medikament z. Z. in Deutschland nicht
ist ähnlich wie bei der MIBG-Szintigraphie. Hier
erhältlich und muss aus dem Ausland bestellt wer-
wird allerdings eine höhere Dosis 131 Iod (statt
123 Iod) verwandt. Im Allgemeinen ist die Therapie,
den.
ähnlich wie die Radioiodtherapie der Schilddrüse,
sehr gut verträglich. Sie ist jedoch nur bei nachge- Prognose und Ausblick
wiesener MIBG-Speicherung sinnvoll und verfolgt Die Patienten mit malignem Phäochromozytom
eine palliative Zielsetzung. Eine Perspektive für scheinen in 2 Gruppen eingeteilt werden zu können:
die Zukunft dürfte im höherdosierten Einsatz dieser • Solche mit einem relativ langsamem, sich über
Therapie liegen, wobei wegen des Risikos der persi- viele Jahre hinziehenden Verlauf und
stierenden Knochmarkschädigung vor der Therapie • solche mit sehr rascher Progredienz, bei denen
Blutstammzellen entnommen werden, um eventuell der Tod schon wenige Monate nach der Diagnose
eine autologe Knochenmarktransplantation zu er- eintreten kann.
möglichen. Dieses Vorgehen bedarf weiterer Evalua-
tion. Die Metastasierung betrifft am häufigsten das Ske-
lett (45% der Patienten), dann in absteigender Rei-
• Externe Bestrahlung. Ebenfalls unter palliativer henfolge Leber, Lymphknoten, Zentralnervensy-
Zielsetzung wird die externe Bestrahlung durchge- stem, Pleura und Nieren. Es existieren keine siche-
führt. Diese eignet sich speziell für lokale Komplika- ren Daten über prognostische Faktoren, aber disse-
tionen wie z. B. Schmerzen oder Rückenmarkkom- minierter Metastasenbefall bei Diagnosestellung gilt
pression bei Knochenmetastasen. als äußerst ungünstig.
542 KAPITEL 13 Katecholamine
In Studien wird z. Z. eine Kombination von So- rungen gemacht. Urapidil wird zunächst als Bolus
matostatinanaloga und Interferon untersucht. Für langsam i. v. appliziert, beginnend mit einer Dosis
Octreotid allein liegen bis jetzt nur Einzelfallbeob- von 25 mg, ebenfalls unter sorgfältiger Blutdruck-
achtungen vor, die weiterer systematischer Untersu- kontrolle. Die Dosis kann auf 50 mg gesteigert wer-
chungen bedürfen. Insgesamt bleibt die Therapie den und in schweren Fällen nach 15-30 min wieder-
des malignen Phäochromozytoms noch unbefriedi- holt werden. Urapidil kann im Anschluss an die aku-
gend. te Situation auch kontinuierlich über eine Spritzen-
Bei benignen Tumoren dagegen können die pumpe appliziert werden (ausgehend von einer
Symptome großenteils durch die Operation dauer- Dosis von etwa 5-10 mglh). Diese Therapie setzt je-
haft beseitigt werden. Bei Patienten ohne Rezidiv doch selbstverständlich eine intensive Überwachung
wurde ein hypertoniefreies Überleben von 74% voraus, insbesondere, da beim Phäochromozytom
nach 5 Jahren und von 45% nach 10 Jahren beob- die Hypertonie manchmal nur kurz anhält.
achtet. Die weitere Entwicklung der minimal-invasi- Auch andere periphere a-Antagonisten können
ven Chirurgie wird Iaparoskopische Verfahren in selbstverständlich zum Einsatz kommen. Als Ergän-
Zukunft einer größeren Anzahl von Patienten zu- zung bieten sich Vasodilatatoren wie z. B. Kalzium-
gänglich machen. antagonisten, Nitroprussid-Natrium oder auch Ni-
trate an.
Keinesfalls darf vor suffizienter a-Blockade ein
13.3.8 ß-Blocker eingesetzt werden, da dies die Blutdruck-
Notfall krisen verschlimmern kann.
KopfD, Goretzki PE, Lehnert H (2000) Clinical management of Ruß H, Staust K, Martel F, Gliese M, Schomig E (1996) The
malignant adrenal tumors. J Cancer Res Clin Oncol 2000, extraneuronal transporter for monoamine transmitters
in press exists in cells derived from human central nervous system
Lehnert H (1995) Diagnostik und Therapie des malignen glia. Eur J Neurose 8 : 1256-1264
Phäochromozytoms. In: Lehnert H, Kopf D, Hensen J Schatz IJ (1994) Orthostatic hypotension. Clinical diagnosis,
(Hrsg) Endokrine Tumoren-Jahrestagung der Sektion An- testing and treatment. Arch Int Med 144: 1037-1041
gewandte Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Schiumberger M, Gicquel C, Lumbrosa J et al. (1992) Malig-
Endokrinologie. Bundesdruckerei Neu-Isenburg, nant pheochromocytoma: Clinical, biological, histologic
s 157-165 and therapeutic data in a series of 20 patients with distant
Ligget, SB und Raymond, JR (1993) Pharmacology and mole- metastases. J Endocrinol Invest 15 : 631-642
cular biology of adrenergic receptors. Bailliere's Clin En- Schubert B, VanDongen AM, Kirsch GE, Brown AM (1989)
docrinol Metabol vol 7/2: 279-306 Beta-adrenergic inhibition of cardiac sodium channels
Lehnert H (1998) Regulation of catecholamine synthesizing by dual G-protein pathways. Science 245: 516-519
enzyme gene expression in human pheochromocytoma. Shapiro B, Sisson JC, Lloyd R, Nakajo M, Satterlee W, Beier-
Eur J Endocrinol 138: 363-367 walters WH (1984) Malignant phaeochromocytoma:clini-
Manger T, Piatek S, Klose S, Kopf D, Kunz D, Lehnert H, Lip- cal, biochemical and scintigraphic characterization. Clin
pert H (1997) Bilateralelaparoskopische Adrenalektomie Endocrinol 20: 189-203
beim Phäochromozytom. Langenhecks Arch Chir Suppl Shulkin BL, Thompson NW, Shapiro B, Francis IR, Sisson JC
Kongressbd 382: 37-42 (1999) Pheochromocytomas: imaging with 2-(fluorine-
Mathias CJ (1993) Sympathetic nervous system disorders in 18)fluoro-2-deoxy-D-glucose PET. Radiology 212: 35-41
man. Bailliere's Clin Endocrinol Metab 7: 465-490 Sisson JC, Shapiro B, Meyers Letal. (1987) MIBG to map scin-
Minneman KP (1988) a 1-adrenergic receptor subtypes, inosit- tigraphically the adrenergic nervous system in man. J Nucl
ol phosphates, and sources of cell Ca 2+. Pharmacol Rev Med 28: 1625-1636
40: 87-119 Trendelenburg U (1990) The interaction of transport mecha-
Mulligan LM, Eng C, Healey CS et al. (1994) Specific mutations nisms and intracellular enzymes in metabolizing systems.
of the ret proto-oncogene are related to disease phenotype J Neural Transm (Suppl 32):3-18
in MEN 2 A and FMTC. Nature Genet 6: 70-74 Udenfriend S (1966) Tyrosine hydroxylase. Pharmacol Rev
Mundschenk J, Lehnert H. (1998) Malignant pheochromocy- 18: 43-51
toma. Exp Clin Endocrinol Diabetes 106: 373-376 Vargas MP, Zhuang Z, Wang C, Vortmeyer A, Linehan WM,
Neumann HP, Reincke M, Bender BU, Elsner R, Janetschek G Merino MJ ( 1997) Loss of heterozygosity on the short arm
(1999) Preserved adrenocortical function after laparosco- of chromosomes 1 and 3 in sporadic pheochromocytoma
pic bilateral adrenal sparing surgery for hereditary pheo- and extra-adrenal paraganglioma. Hum Pathol
chromocytoma. J Clin Endocrinol Metab 84: 2608-2610 28: 411-415
Perlman, RL und Chalfie, M (1977) Catecholamine release Webher J, Macdonald IA (1993) Metabolie actions of catech-
from the adrenal medulla. Clin Endocrinol Metab olamines in man. Bailliere's Clin Endocrin Metabol, vol7/
6: 551-576 2: 393-414
Plouin PF, Catellier G, Fofol I, Corvol P (1997) Tumor recur- Winkler H, Sietzen M, Schober M (1987) The life cycle of ca-
rence and hypertension after successful pheochromocyto- techolamine-storing vesicles. Ann NY Acad Sei 493 : 3-19
ma operation. Hypertension 29: 1133-1139 Wong DL, Siddall B, Wang W (1995) Hormonal control ofrat
Preitner F, Muzzin P, Revelli JP et al. (1998) Metabolie re- adrenal phenylethanolamine N-methyltransferase. Enzy-
sponse to various beta-adrenoceptor agonists in beta3- me activity, the final critical pathway. Neuropsychophar-
adrenoceptor knockout mice: evidence for a new beta- macology 13: 223-234
adrenergic receptor in brown adipose tissue. Br J Phar-
macol 124: 1684-1688
TEIL v Endokrine Tumoren
des Gastrointestinaltraktes
(ohne MEN)
KAPITEL 14
Tabelle 14-1. Verteilung der endokrinen Zellen des Gastrointestinaltraktes und ihrer Hormonprodukte. (Mod. nach Solcia et al.
1993)
Darm
Dunndarm Dickdarm
Zelle Hauptprodukt Pankreas Magen Duodenum Jejunum Ileum Appendix Colon Hektum
EC 5-Hydroxytrypta- (+) + + + + + + +
min, Substanz P,
Opiate
D Somatostatin + + + + + + (+) +
A Glukagon +
PP Pankreatisches +
Polypeptid
B Insulin +
X "endothelin- +
like peptides"?
ECL Histamine +
G Gastrin + +
s Sekretin + +
Mo Motilin + + (+)
Neuroteosin (+) + +
GLI "glucagon-like immunoreactants: glicentin", Glucagon-37, Glucagon 29, GLP "glucagon-like peptides"
Präpro-Glukagon
Glicentin
Abb.l4-I.
Präproglukagon. Das Präproglukagon wird in den Langer-
hans-Inseln (A-Zellen) und in der Darmmukosa synthetisiert
und durch proteolytische Spaltung in Glicentin und Proglu-
kagonfragment gespalten. In den Langerhans-Inseln ist der
weitere Abbau von Glicentin in Glukagon von funktioneller
Bedeutung, während in der Darmmukosa vorwiegend GLP1
Glukagon GLPI GLP2 und GLP2 ("glucagon like peptide") sezerniert werden
14.1 Physiologie 549
Tabelle 14-2. Die wichtigsten Peptide des Darms und deren physiologische Wirkungen. (Mod nach Green et al. 1989)
• alka l. pH
• HCI- ekretion
· Magen-
dehnung ~
Abb.l4-2.
Regulation der Gastrin- bzw. Ma-
gensäuresekretion. (SS Somatostatin)
Überproduktion
14.2
Karzinoid
14.2.1
Fallpräsentation
Flush
Der Flush beim Karzinoid ist auf eine multifak-
14.2.2 torielle Genese zurückzuführen, wobei dem Brady-
Epidemiologie kinin mit seiner bekannten kapillarerweitemden
Wirkung eine besondere pathophysiologische Be-
Als das Karzinoid im eigentlichen Sinne (,,klassi- deutung zukommt. Zwar sind die Serumkonzen-
sches Karzinoid") bezeichnet man einen neuroendo- trationen für Substanz P, NeuropeptidKund Neuro-
krinen Tumor, der von argentaffinen, vorwiegend kinin A während eines Flushs erhöht, es konnte aber
Serotonin-produzierenden Zellen ausgeht. Nach keine Korrelation zwischen Flush und Serotonin-
WHO-Klassifikation wird die Definition weiter ge- sekretion bzw. 5-Hydroxyindolessigsäureausschei-
fasst und schließt alle Tumoren des diffus neuroen- dung im Urin nachgewiesen werden. Daraus ist zu
dokrinen Systems mit ein. Ausgenommen hiervon schließen, dass die anfänglich vermutete, pathophy-
sind jedoch Neoplasien, die den C-Zellen der Schild- siologische Bedeutung des Serotonins unwesentlich
drüse, dem Nebennierenmark, den extraadrenalen für die Entstehung des Flush sein muss.
Paraganglien, dem peripheren Nervensystem oder
dem endokrinen Pankreas entstammen.
Die Einteilung erfolgt nach histogenetischen Ge- Diarrhö
sichtspunkten in Karzinoide des Vorder-, Mittel- Die Beobachtung, dass die Diarrhö auch ohne einen
und Enddarms (Tabelle 14-3) und nach der Lokali- Flush auftreten kann spricht für eine über unter-
sation des Primärtumors (Abb. 14-6). In der Litera- schiedliche Mediatoren vermittelte Genese. Seroto-
tur sind auch weitere, seltene Organmanifestationen nirr ist aufgrund seiner stimulierenden Wirkung
bekannt: Ovar, Hoden, Thymus, Speicheldrüse, Nie- auf die Peristaltik und den Tonus des Darms von
re, Gallenblase und Gallenwege. Im weiteren wird zentraler Bedeutung.
552 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes
1771< 2091(
12 16
R
1
n g
t h
t
1491! 1861(
13 17
Abb. 14-5. Octreotidszintigraphie bei dem Patienten mit (Die Abbildung wurde freundlicherweise von der Klinik und
Ileozäkalkarzinoid und Lebermetastasen. Konventionelle Poliklinik für Radiologie und Nuklearmedizin zur Verfügung
Szintigraphie (oben) und dreidimensional Darstellung (unten). gestellt, Leiter: Prof. Dr. Thelen)
14.2 Karzinoid 553
Rektum 15 % Karzinoid
Ileum 11%
Dünndarm 6%
(nicht spezifiziert)
5-Hydroxy·
lryptamin
= Serotonin
Abb.l4-6. Prozentuale Verteilung der häufigsten Organma-
nifestation bei 1867 Karzinoiden. (Mod. nach Godwin 1975) Aminoxidase
Flush
14.2.4 Bei einem Flush kommt es anfallsweise zu einem
Klinik ca. 5 min bestehenden diffusen Erythem insbeson-
dere im Bereich des Gesichts und des oberen Thorax
Es ist davon auszugehen, dass zwischen dem Auftre- (s. Abb. 14-3). Der Patient selbst empfindet ein
ten erster Symptome und der Tumorentstehung der plötzlich aufsteigendes HitzegefühL Über Jahre be-
meisten Karzinoide Jahre vergehen können. Häufig stehende, häufig auftretende Flushs können zu einer
werden Karzinoidtumoren zufällig im Rahmen dia- Gewöhnung an die Beschwerdesymptomatik mit Re-
gnostischer Verfahren (Rektumkarzinoid bei Kolo- duktion des Leidensdrucks führen. Meist tritt der
skopie) oder bei Operationen entdeckt (Appendix- Flush bei den Patienten nach dem Aufstehen, z. B.
karzinoid bei Appendektomie). Zum Teil bleiben beim Waschen auf, bekannt ist aber auch die Induk-
diese Tumoren zu Lebzeiten klinisch asymptoma- tion durch Alkohol, heiße Getränke, scharf gewürzte
Tabelle 14-4. Klinische Beschwerden bei Patienten mit einem neuroendokrinen Tumor des Gastrointestinaltraktes
Hauptprodukt Klinik
Tabelle 14-5. Klinische Beschwerden bei Patienten mit einem Karzinoidtumor. (Mod. nach Norheim et al. 1987)
Diarrhö 32 84
Flush 23 75
Ileus/Subileus 44 k. A.
Asthmaartige Anfalle 4 15
Kardiale Manifestation k. A. 33
Anzahl der Patienten: 91, Lokalisation: Vorderdarm: 9, Mitteldarm: 87, Hinterdarm: I, unbekannt: 1
k. A. keine Angabe
Labordiagnostik
14.2.5
Bewährt hat sich bei konkretem klinischem Ver-
Diagnostik dacht auf ein Karzinoid und bei der Nachsorge
die Bestimmung von 5-Hydroxyindolessigsäure
Diagnostik beim Karzinoid (5-HIES) im 24-h-Sammelurin (Normbereich:
< 12 mg/24 h). Während der Sammelphase ist auf
• Anamnese und körperliche Untersuchung den Verzehr von Ananas, Avocados, Bananen, Kaf-
• Biochemische Untersuchungen fee, Pflaumen und Walnüssen zu verzichten, da die
• 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) im 24-h-Urin Nahrungsbestandteile zu falsch positiven Ergebnis-
(2-mal) sen führen können. Auch eine Reihe von Medika-
• (Bei V. a. Vorderdarmkarzinoiden auch Seroto- menten können zu artifiziellen Ergebnissen führen
nin) (z. B. falsch-positiv: Fluorouracil, Reserpin, Phen-
556 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes
Molekularbiologische Untersuchungen
Genetische Untersuchungen zum Nachweis von Mu- 14.2.6
tationen im MEN-1-Gen (Chromosom llql3) als Therapie
Zeichen einer genetischen Disposition für MEN
Typ I sollten bei einer Koinzidenz verschiedener en- Chirurgische kurative Therapie
dokriner Tumoren (Karzinoid, Hypophysentumor Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose eines Karzinoids ist
oder primärer Hyperparathyreoidismus) bei einem nach Abschluss der Diagnostik zu prüfen, inwieweit
Patienten oder bei einer Häufung dieser Tumoren durch eine chirurgische Intervention eine kurative
in der Familie des Patienten durchgeführt werden Therapie möglich ist. Da dieses Vorgehen nur bei
(s. Kap. 9). einem isolierten Primärtumor und allenfalls lokaler
Metastasierung sinnvoll ist, ist in der Regel nur bei
einem Bronchial-, Hoden- oder Ovarialkarzinoid die
Bildgebende Diagnostik komplette Tumorexstirpation zu realisieren. Wenig
Zur Erfassung der Tumorausdehnung und einer Me- ermutigend sind die ersten Ergebnisse bzgl. der
tastasierung bedarf es der Durchführung und des 5-Jahres-Überlebensrate von Patienten mit Leber-
Vergleichs mehrerer bildgebender Verfahren. Bei metastasen, bei denen neben der Tumorexstirpation
bereits gesicherter Metastasierung ist die Primärtu- eine Lebertransplantation durchgeführt wurde. Da
morsuche allenfalls von wissenschaftlichem Inter- bei den meisten Karzinoiden bereits bei ihrer Ent-
esse. Bei unklarer Diagnose dient die endoskopische deckung eine inoperable, diffuse Metastasierung
Diagnostik auch zur Gewinnung von Tumormaterial vorliegt, ist die Wahl eines geeigneten palliativen
zur weiteren Differenzierung durch den Pathologen. Therapiekonzeptes von entscheidender Bedeutung.
Die in der oben aufgeführten Übersicht genannten
fakultativen, bildgebenden Verfahren sollten indivi-
duell auf die Krankengeschichte des Patienten abge- Palliativer Ansatz
stimmt werden und hinsichtlich der ggf. fehlenden Die palliative Therapie zielt auf die Linderung tu-
therapeutischen Konsequenzen kritisch durchdacht morbedingter Beschwerden und die Vermeidung
werden. einer Tumorprogression, im Idealfall Erreichen
einer Tumorregression, ab. Prinzipiell muss zuvor
das biologische Wachsturnsverhalten des Tumors
Histologie und immunhistochemische Untersuchungen erfasst werden, da bei klinisch asymptomatischen
Histologisch kennzeichnend sind die im Lichtmi- Karzinoiden keine spezifische Behandlung erforder-
kroskop und Elektronenmikroskop durch Silberfär- lich ist. Als Indikator für eine Therapieentscheidung
bung erkennbaren, Zytoplasmatischen Sekretgranu- gilt der nachgewiesene Progress (neu aufgetretene
la, die den Speicherort der endokrin aktiven Peptide Metastasen oder Anwachsen einer großen Metastase
oder deren Vorstufen darstellen. Die argentaffine um mehr als 25 o/o) in einer standardisierten bildge-
Reaktion bei den Mitteldarmkarzinoiden korreliert benden Diagnostik, z. B. CT -Abdomen bei Leberme-
mit dem Serotoningehalt der Zelle. Nach histologi- tastasierung. Bei kritischer Durchsicht der Literatur
schen Kriterien kann eine weitere Einteilung in zur palliativen Therapie beim Karzinoid zeigen sich
14.2 Karzinoid 557
insbesondere bei älteren Studien die folgenden der Fälle erreicht werden. Nach der derzeitigen Da-
grundsätzlichen Probleme: Zu kleine Fallzahl, biolo- tenlage ist das Erreichen einer Tumorregression we-
gisches Tumorwachstum wurde nicht berücksich- nig wahrscheinlich (0-3% d. F.), jedoch scheint eine
tigt, unterschiedliche Erfolgsparameter (klinische Tumorstabilisierung im Sinne derVermeidungeiner
Beschwerden, biochemische Tumormarker oder Tu- Tumorprogression möglich (36% d. F. bei progres-
morgröße). Auch aufgrund der unterschiedlich ge- siven Karzinoiden). Inwieweit aus dieser Tumorsta-
wählten Dosierungen in den Medikamentenstudien bilisierung auch eine Verbesserung der Überlebens-
ist der direkte Vergleich der publizierten Daten teil- zeit resultiert, ist offen. Die postulierte Apoptosis
weise nur bedingt möglich. unter Hochdosistherapie (12.000 )lg pro Tag) konnte
nicht in prospektiven Studien bewiesen werden. Die
Palliative medikamentöse Therapie wesentliche Nebenwirkung ist die Steatorrhö als Fol-
• Somatostatinanaloga. In der Vergangenheit be- ge der inhibitorischen Wirkung der Somatostatin-
wies die Substanz Somatostatin in Studien bei neu- analoga auf die exokrine Pankreasfunktion. Durch
roendokrinen Tumoren mit Somatostatinrezepto- die Substitution von Pankreasfermenten kann in-
ren ihre Wirksamkeit, jedoch war der Einsatz auf- dessen häufig wieder eine Normalisierung des Stuhl-
grund der notwendigen intravenösen Applikation gangs erreicht werden. Bei einer Langzeittherapie
und der kurzen Verweildauer im Blut limitiert. kann es zur Cholezystolithiasis und Cholestase
Mit den Somatostatinanaloga (z. B. Octreotid, San- kommen. In der Erprobung sind derzeit Somato-
dostatin) stehen heute Präparate mit einer längeren statinanaloga, die durch die Kopplung mit einem
Halbwertszeit zur Verfügung, sodass eine subkutane therapeutischen Radioisotop (Betastrahler) die Mög-
Therapie mit 3 Injektionen pro Tag möglich ist lichkeit eröffnen, den Somatostatinrezeptor-tragen-
(empfohlene Dosis: 3-mal 200 )lg Octreotid). Rubin den Tumor selektiv zu bestrahlen.
et al. (1999) konnte zeigen, dass auch mit dem neu-
eren Depotpräparat (Sandostatin LAR) eine ver- • Cl-Interferon. In mehreren Studien über neuroen-
gleichbare Wirkung bei den neuroendokrinen Tu- dokrine Tumoren zeigte sich ein antiturnoraler Ef-
moren des Gastrointestinaltraktes erreicht werden fekt, wobei insbesondere ein Ansprechen des bio-
kann. Da bei der Depotform von Octreotid nur chemischen Tumormarkers (45% d. F.) und eine
eine intramuskulöse Applikation alle 4 Wochen er- Symptomreduktion (70% d. F.) nachgewiesen wur-
forderlich ist, liegt die Akzeptanz dieser Therapie ge- de, während der antiproliferative Effekt nicht befrie-
genüber der subkutanen Verabreichung deutlich hö- digen konnte (10-20% d. F.). Anstatt die Therapie
her. Zur Erfassung einer Unverträglichkeit gegen- wegen der in Tabelle 14-6 (wiedergegebenen Neben-
über Octreotid sollte jedoch immer zunächst mit wirkungen abzubrechen, sollte zunächst der Ver-
einer subkutanen Therapieform begonnen und such einer Dosisreduktion durchgeführt werden.
über ca. 14 Tage überlappend auf das i.m.-Präparat
umgestellt werden (Dosisäquivalent zu 3 · 200 )lg • Chemotherapie. In der Vergangenheit kamen
Octreotid: 20 mg Sandastatin LAR alle 4 Wochen). verschiedene Kombinationen von Chemotherapeu-
Durch die Octreotidtherapie kann die Reduktion tu- tika bei der Behandlung von neuroendokrinen Tu-
morabhängiger Symptome in ca. 80% und der Ab- moren zur Anwendung, jedoch lagen die Tumorans-
fall des biochemischen Tumormarkers in ca. 70% prechraten enttäuschend niedrig (0-30% d. F., Ta-
belle 14-7). Moertel et al. fanden für die Kombina-
tionstherapie mit Streptozotocin und Doxorubicin
eine höhere Tumoransprechrate (70 %) als die in Ta-
Tabelle 14-6. Die häufigsten Nebenwirkungen bei Therapie belle 14-7 aufgeführten Arbeitsgruppen. Problema-
mit a-Interferon bei 111 Patienten mit neuroendokrinem tisch bei dieser Therapiestudie ist, dass das biologi-
Tumor
sche Wachsturnverhalten nicht vor Therapiebeginn
Nebenwirkung (% )
ermittelt wurde. Eine von uns empfohlene Therapie
nach Zusammenschau der einzelnen angegebenen
Grippeähnliche Symptome 89 Studien ist in Tabelle 14-8 wiedergegeben.
Gewichtsverl ust 59
• Leberembolisation. Nachgewiesen wurde die Re-
Müdigkeit SI duktion von Lebermetastasen durch die Embolisati-
Anämie
on über die Leberarterie. In ca. 50% der Fälle wurde
31
dabei eine Reduktion des Tumormarkers beobach-
Thrombozytopenie 18 tet. Zwar scheint der therapeutische Effekt auf etwa
Leukopenie 7
1 Jahr zeitlich limitiert zu sein, doch kann die Em-
bolisation wiederholt werden. Ähnliche Effekte kön-
558 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes
CTX Cyclophosphamid, DOX Doxorubicin, DPP Cisplatin um, DTIC Dimethyltriazenoimidazol Carboxamid, ETP Etoposid, 5-FU
Fluorouracil, IFN a-Interferon, Oe Octreotid, STZ Streptozotocin
Er tdiagnose:
Karzinood
Therapie unter
Therapie unter palliativen pckten
kurati' en spckten
I
möglich oder
L
palliath es erfahren
sinmoll
I
eine klinischen
Flush· ymptomatik
Be chwerdcn
I
Operall n
(
Restaging nach 3·6
Monaten
.-------+-.
J
kdo T"' ~rogreo_J ~ Toroo~roll"ß
Tumorprogrcß
Abb. 14-8.
Diagnostisches und thera-
peutisches Vorgehen beim
inoperablem Karzinoid
Appendektomie
Ein 53-jähriger Mann wurde aufgrun d von rezi-
< I
divierenden Ulzeratio nen im oberen Gastroi nte-
1-2 Appendektomie und achunter u- stinaltrakt zur weiteren diagnostischen Abklä-
chungen
ru ng stationär aufgenommen. Der Patient be-
>2 Hemikolektomie recht richtete, dass in den letzten 4 Jahren bei wieder-
holten Gastroskopien aufgrund epigastrischer
Schmerzen mehrere Ulzera im Bereich des ge-
Tabelle 14-10. 5-Jahresüberlebensrate bei Patienten mit Karzinoid in Abhängigkeit zur Tumorlokalisation und Tumorstadiums.
(n = 1867; nach Godwin 1975)
(Angaben in %)
Appendix 99 99
Kolon 77 52
Alle Karzinoide 94 82
14.3 Gastrinom 561
Tabelle 14-11. Lokalisation des Primärtumors bei Gastrinomen (n = 29; mod. nach Kaplan et al. 1990)
Duodenum II 38
Pankreas 10 34
Außerhalb des Duodenums bzw. Pankreas 3 10
Unbekannt 5 17
Magensäureproduktion
Kurzdarmsyndrom
• Sekretintest. Bei erhöhtem BAO (> 15 mmol!h) Tabelle 14-13. Überblick der bildgebenden Diagnostik beim
Gastrinom, Glukagonom, Vipom und Somatostatinom (De-
kann die G-Zellhyperplasie von dem Gastrinom tails s. entsprechende Kapitel)
durch den Sekretintest differenziert werden. Durch
die intravenöse Gabe von Sekretin (1 U/kg Körper- Obligat Fakultativ
gewicht) kommt es bei einem Gastrinompatienten
zu einem starken Anstieg der Gastrinwerte im Se- Sonographie Abdomen Angiographie
rum, während bei der G-Zellhyperplasie es meist Röntgen Thorax Intestinale Endoskopie
zu einem Abfall wie bei Normalpersonen oder nur
leichtem Anstieg des Gastrins kommt. Ein Stimula- Computertomographie Endesonographie
des Abdomens
tionstest mit Pentagastrin oder Kalzium ist zur Dia-
gnosefindung nicht erforderlich. Bei der postopera- Octreotid-Szintigraphie MRT des Abdomens
tiven Nachsorge sollte sowohl der Gastrinwert beim
Computertomographie
nüchternen Patienten bestimmt als auch ein Sekre- anderer Organe
tintest durchgeführt werden.
Bronchoskopie
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie dient der Vermeidung 14.3.7
von Zweiterkrankungen, die aus der Hypergastrin- Prognose
ämie resultieren können. Bei der Therapie zur Sup-
pression der Magensäuresekretion steht die Thera- Nach den vorliegenden Daten ist eine Heilung durch
pie mit den Protonenpumpenhemmern (z. B. Ome- chirurgische Intervention nur in 5-20 o/o aller erst-
prazol, Tagesdosis: 80-120 mg) und den HrRezep- diagnostizierten Fälle möglich. Bei einem Kollektiv
torenblockern im Vordergrund. Als Kriterium für von 81 Patienten, bei denen eine Tumorexstirpation
eine ausreichende Dosierung der Antazida kann unter kurativen Aspekten durchgeführt wurde, be-
die Senkung der BAO unter 10 mmol/h verwendet trug die 5-Jahresüberlebensrate 35 o/o. Durch die
werden. Durch eine Therapie mit Octreotid ist Therapie mit Antazida können die früher z. T. töd-
auch eine suffiziente Senkung des Gastrinserum- lichen Komplikationen der Ulzerationen vermieden
spiegel möglich. Aufgrund des fehlenden Nachwei- werden. Da die Proliferation des Gastrinoms durch
564 KAPITE L 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes
D
und einer erheblichen familiären Konfliktsituta-
Gastrinome, Glukagonome, Vipome und Somatosta-
tion setzte der Patient, 2 Jahre nach Erstdia-
tinome können im Rahmen einer multiplen endokri-
gnose, seinem Leben selbst ein Ende.
nen Neoplasie Typ I auftreten. Aus diesem Grund
muss bei Patienten mit diesen Tumoren die Anam-
neseerhebung und die Diagnostik möglicher anderer
Tumormanifestationen fokussiert werden. In den
nachfolgenden Kapiteln wird daraufjedoch nicht nä- 14.4.2
her eingegangen (s. Abschn. 9.2-9.3). Epidemiologie
Glukoseintoleranz und Diabetes mellitus lieh auftretender Juckreiz kann infolge Kratzen zu
Die Störungen im Glukosestoffwechsel sind im bakteriellen Superinfektionen führen. Nach dem
Wesentlichen auf die physiologische, antagonisti- Abheilen der Hautläsionen bleiben meist perma-
sche Wirkung des Glukagons gegenüber dem Insulin nente Indurationen und Hyperpigmentierungen
zurückzuführen. Eine Schädigung der ß-Zelle durch der Haut.
ein lokales Tumorwachstum scheint jedoch nur
selten von pathophysiologischer Bedeutung. Bei
Glukagonompatienten findet sich häufig ein z. T. 14.4.5
erheblicher Gewichtsverlust trotz eines normalen Diagnostik
Appetits. Dieses Phänomen wird evtl. durch die ka-
tabole Wirkung des Hormons auf den Proteinstoff- Labordiagnostik
wechsel verursacht. Es wird weiterhin vermutet, dass Mit Hilfe eines Immunoassays ist der direkte Nach-
die normochrome, normozytäre Anämie die Folge weis eines erhöhten Glukagonspiegels im Serum
eines direkten Effekts des Glukagons auf das Kno- möglich. Bei einigen Patienten können auch andere
chenmark ist. Sekretionsprodukte des Glukagonoms nachgewie-
sen werden (z. B. Chromogranin, pankreatisches Po-
lypeptid). Als Sekundärphänomene finden sich bei
14.4.4 den Patienten weiterhin eine normochrome und
Klinik normozytäre Anämie, eine Glukoseintoleranz bzw.
ein Diabetes mellitus und eine Hypoaminoazidämie.
Mit dem Begriff "Glukagonomsyndrom" werden die
häufigsten Symptome zusammengefasst: Erythema
Bildgebende Diagnostik
necrolyticans migrans, Diabetes mellitus, Stomatitis,
Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose liegt bei etwa je-
schmerzhafte Glossitis, Gewichtsverlust, normo-
dem zweiten Glukagonomträger bereits eine Meta-
chrome normozytäre Anämie, erhöhtes Risiko einer
stasierung vor. Da der maximale Durchmesser des
Thrombose und psychiatrischer Erkrankungen (Ta-
Primärtumors bei seiner Entdeckung meist
belle 14-14).
> 3 cm ist und die Lokalisation des Glukagonoms
in ca. 97 o/o der Fälle im Pankreas liegt, ist gewöhn-
• Erythema necrolyticans migrans. Das Erythema
lich die Durchführung einer Sonographie und einer
necrolyticans migrans beginnt mit gut markierten
Computertomographie ausreichend. Besonders
Erythemen im Bereich der Leisten, die sich von
kleine Tumoren können durch eine selektive Arte-
dort auf die Extremitäten, das Gesäß und das Peri-
riographie entdeckt werden. Zur Erfassung von
neum ausdehnen können. Aus dem Erythem gehen
Fernmetastasen ist die Octreotidszintigraphie nütz-
Papeln hervor, die ein ekzematöses oder auch Pso-
lich (s. Tabelle 14-13).
riasis-ähnliches Erscheinungsbild aufweisen. Die
aus diesen Hautläsionen hervorgehenden Bläschen
können später aufplatzen und verkrusten. Gelegent-
Tabelle 14-14. Klinische Beschwerden und Laborbefunde beim Glukagonom. (Nach Stacpoole 1981)
Diabetes mellitus 76 90
Hautläsionen 54 64
Gewichtsverlust 47 56
Anämie 38 44
Hypoaminoazidämie 22 26
abdominelle Schmerzen 12 14
Venenthrombose 11 13
14.4.6 14.5
Therapie Vipom
wendet. Die Inzidenz dieses Tumors wird auf ca. 1 tersuchten Patienten mit einer Diarrhö fanden sich
pro 10 Mio pro Jahr geschätzt. Bei einem Kollektiv bei 23 erhöhte VIP-Werte. Bei 10 dieser 23 Patienten
von 62 Patienten fanden sich bei 84 o/o ein Pankreas- war die Erhöhung auf ein bereits metastasiertes Vi-
tumor und bei 16 o/o ein Glioneuroblastom als Ursa- pom zurückzuführen (vgl. DD der erhöhten VIP-Se-
che der erhöhten VIP-PlasmaspiegeL Es wurde aber rumwerte in der Übersicht). Unspezifische Marker
auch von einer vermehrten VIP-Sekretion bei Plas- für das Vorliegen eines Vipoms sind die Hypokali-
mozytomen, Neurofibromen und kleinzelligen ämie, die Hyperkalzämie, die Hyperglykämie und
Bronchialkarzinomen berichtet. die Hypochlorhydrie.
Hypochlorhydrie 86 17
Literatur zu Abschn. 14.2
Gewichtsverlust 90 44
Ahlman H, Wangberg B, Nilsson 0 (1993) Growth regulation
in carcinoid tumors. Endocrinol Metab Clin North Am
22(4):889-915
Arnold R, Benning R, Neuhaus C, Rolwage M, Trautmann ME
(1993) Gastroenteropancreatic endocrine tumours: effect
mone ausschütten (z. B. ACTH, Kalzitonin, Insulin). ofSandostatin on tumour growth. The German Sandosta-
tin Study Group. Digestion 54 (Suppl 1): 72-75
In seltenen Fällen kann dies auch von klinischer Re- Arnold R, Trautmann ME, Creutzfeldt W et al. (1996) Soma-
levanz sein (z. B. Cushing-Syndrom, Flush, Hypo- tostatin analogue octreotide and inhibition of tumour
glykämie). Provokations- bzw. Suppressionstest growth in metastatic endocrine gastroenteropancreatic
tumours. Gut 38(3):430-438
zur Unterscheidung zwischen einer normalen und Bukowsky RM, Johnson KG, Peterson RF, Stephens RL, Riv-
einer pathologischen Somatostatinsekretion sind kin SE, Neilan B, Constanzi JH (1987) A phase I! trail of
in der Literatur beschrieben (Tolbutamid, Arginin combination chemotherapy in patients with metastatic
carcinoid tumors. A Southwest Oncology Group Study.
bzw. Diazoxid), aufgrund der kleinen Fallzahlen Cancer 60(12):2891-2895
der untersuchten Patienten aber noch nicht eta- Bukowski RM, Stephens R, Oishi N (1983) Phase I! trial of 5-
bliert. FU.Adriamycin, cyclophosphamide, and streptozotocin
in metastatic carcinoid. Proc Am Soc Clin Oncol 2 : 130
Burkowsky RM, Tangen CM, Peterson RF et al. (1994) Phase I!
trial of dimethyltriazenoimidazole carboxiamide in pa-
Bildgebende Diagnostik tients with metastatic carcinoid. A Southwest Oncology
Besonderes Augenmerk bei der bildgebenden Dia- Group Study. Cancer 73(5):1505-1508
gnostik gilt dem Pankreas und dem Duodenum (Ta- Caplin ME, Buscombe JR, Hilson AJ, Jones AL, Watkinson AF,
Burroughs AK (1989) Carcinoid tumor. Lancet
belle 14-13). Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose finden 352(9130):799-805
sich bereits in 92% der Fälle beim pankreatischen Casper ES, Mittelman A, Kelson D, Young CW (1982) Phase I
Typ und in circa 69% der Fälle beim intestinalen clinical trial of tludarabine phosphate (F-ara-AMP). Can-
cer ehernother Pharmacol 15(3):233-235
Typ eine Metastasierung. Gelegentlich wird die Dia- Clouse ME, Perry L, Stuart K, Stokes KR (1994) Hepatic arterial
gnose des Somatostatinoms erst durch immunhisto- chemoembolization for metastatic neuroendocrine tu-
chemische Untersuchungen am Tumorpräparat ge- mors. Digestion 55 (Suppl3):92-97
Creutzfeldt W (1994) Historical background and natural histo-
stellt. ry of carcinoids. Digestion 55 (Supp\3):3-10
di Bartolomeo M, Bajetta E, Buzzoni R et al. (1996) Clinical
efficacy of octreotide in the treatment of metastatic neu-
roendocrine tumors. A study by the Italian Trials in Me-
14.6.6 dical Oncology Group. Cancer 77(2):402-408
Therapie Godwin JD (1975) Carcinoid tumors: an analysis of2837 cases.
Cancer 36: 560-569
Frank M, Klose KJ, Wied M, Ishaque N, Schade-Brittinger C,
Bei Ausschluss einer Metastasierung ist primär die Arnold R (1999) Combination therapy with octreotide
vollständige Tumorexstirpation anzustreben. We- and alpha-interferon: effect on tumor growth in metasta-
gen der Seltenheit dieses Krankheitsbildes fehlen tic endocrine gastroenteropancreatic tumors. Am J Ga-
stroenterol 94(5):1381-1387
Daten bezüglich der Effektivität einer palliativen Janson ET, Ronnblom L, Ahlstrom H, Grander D, Alm G, Ein-
Therapie. Aufgrund der bekannten guten zytotoxi- horn S, Oberg K (1992) Treatment with alpha-interferon
schen Effekte von Streptozotocin bei gastrointesti- versus Alpha-interferon in combination with streptozocin
and doxorubicin in patients with malignant carcinoid tu-
nalen neuroendokrinen Tumoren ist ein Versuch mors: a randomized trial. Ann Oncol 3(8):635-638
mit Streptozotocin und 5-Fluorouracil bei metasta- Kelsen DP, Cheng E, Kemeny N (1982) Streptozotocin and
sierenden Somatostatinomen zu empfehlen. Ergän- adriamycin in the treatment of apud tumors. Proc Am As-
soc Cancer Res 23 : 433
zend kann die Embolisation von Lebermetastasen Lamberts SW, van der Lely AJ, de Herder WW, Hofland LJ
erwogen werden. (1996) Octreotide. N Eng! J Med 334(4):246-254
570 KAPITEL 14 Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes
Körpergewicht 15
H. HAUNER
Nahrungsabhängige Thermogenese
15.1.2
Die nahrungsabhängige Thermogenese beschreibt
Komponenten des Energieverbrauchs
den Energieaufwand für die Nahrungsaufnahme
Ruheenergiebedarf bzw. Grundumsatz und -verwertung. Diese Komponente macht
Der Energieverbrauch des Menschen wird üblicher- 6-10 o/o des Gesamtenergieverbrauchs aus. Die nah-
weise in drei Hauptkomponenten unterteilt rungsabhängige Thermogenese hängt nicht nur von
(Abb. 15-1). Etwa 50-70 o/o des Kalorienverbrauchs der Kalorienmenge, sondern auch von der Nähr-
sind für den Ruheenergiebedarf oder Grundumsatz stoffzusammensetzung ab. Die Aufnahme und Me-
zu veranschlagen. Die wichtigste Determinante des tabolisierung von Kohlenhydraten und Proteinen ist
Grundumsatzes ist die fettfreie Körpermasse, die ein energieaufwendigerer Prozess als die von Nah-
im Wesentlichen der stoffwechselaktiven Muskel- rungsfetten. Hinzu kommt, dass Kohlenhydrate
masse entspricht. Zwischen 60 und 90 o/o der Varianz über eine Steigerung der Insulinsekretion und nach-
im Grundumsatz werden durch die fettfreie Körper- folgende Sympathikusaktivierung eine deutlich hö-
masse erklärt. Da die Körperzusammensetzung von here Thermogeneseantwort hervorrufen als Fette
Mensch zu Mensch erheblich variieren kann, ist es (8-12 o/o gegenüber 3 o/o der aufgenommenen Ener-
erforderlich, den Ruheenergieverbrauch auf die fett- giemenge; Tabelle 15-1). Inwieweit sich dieser Un-
freie Körpermasse zu beziehen. Da mit dem Körper- terschied tatsächlich auf das langfristige Gewichts-
gewicht auch die Muskelmasse zunimmt (pro 10 kg verhalten auswirkt, ist bislang ungeklärt.
Gewichtszunahme wächst die fettfreie Körpermasse
um etwa 2,5-3 kg), haben adipöse Menschen einen Bewegungsabhängige Thermogenese
höheren Grundumsatz als Normalgewichtige. Män- Die bewegungsabhängige Thermogenese ist für etwa
ner weisen im Durchschnitt 10-20 o/o mehr fettfreie 20-40 o/o des Gesamtenergieverbrauchs verantwort-
Körpermasse auf als Frauen und haben dementspre- lich. Unter diesem Begriff wird der Energiever-
chend einen höheren Grundumsatz. Mit dem Älter- brauch für Alltagsaktivitäten und zusätzliche kör-
werden nimmt die Muskelmasse des Menschen ab, perliche Betätigung wie z. B. Sport zusammenge-
sodass der Grundumsatz zwischen dem 20.-50. Le- fasst. Infolge der zunehmenden Technisierung
bensjahr um etwa 1 o/o jährlich zurückgeht. Dieses und des damit verbundenen Bewegungsmangels
Phänomen dürfte erheblich für die altersabhängige ist der Anteil der bewegungsabhängigen Thermoge-
Zunahme des Körpergewichts verantwortlich sein. nese am Gesamtenergieverbrauch in den letzten
Weitere Determinanten des Grundumsatzes sind Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Neben der
die Aktivität des sympathischen Nervensystems akuten Steigerung des Energiebedarfs hat regelmä-
und die Schilddrüsenfunktion. ßige körperliche Aktivität noch den Vorteil, dass
sie zum Erhalt oder sogar zur Zunahme der Muskel-
100 Determinanten
masse beiträgt und damit indirekt den Grundumsatz
• Intensität
erhöht. Der bewegungsabhängige Energieverbrauch
• Dauer ist umso höher, je intensiver und länger die Aktivi-
• Körpergewicht tätsphase dauert und je mehr Muskelgruppen bean-
~ 75 • Genetik / Sympath. Nerven- sprucht werden.
't: system?
"'
-o • Menge / Zusammensetzung
1l<l> der Nahrung
·rn
Qj 50
c 15.1.3
w
Qj
• fettfreie Körpermasse Hypothalamisehe Kontrolle des Körpergewichts
s::. • Körperfett
-~ • Alter
Cl 25 • Geschlecht Bereits ältere Studien lieferten Hinweise, dass die
'"'
1-
• Genetik hypothalamisehen Kerne bei der Regulation des
• Hormone / Sympath. Nerven-
system
Energiehaushalts und damit des Körpergewichts
eine zentrale Rolle spielen. So löst die stereotakti-
0
sche Zerstörung des ventromedialen Hypothalamus
Abb.15-l. Komponenten des täglichen Energiebedarfs beim bei Versuchstieren eine Hyperphagie aus, die rasch
Menschen. Der tägliche Energiebedarf kann in 3 Hauptkom- zu einer extremen Adipositas führt. Eine Ausschal-
ponenten geteilt werden. Grundumsatz, bestehend aus Ener-
giebedarf im Ruhezustand plus den Energiebedarf für den tung des lateralen Hypothalamus verursacht dage-
Wachzustand, welcher insgesamt 50-70 o/o des täglichen Ener- gen eine Abnahme der Nahrungsaufnahme und
giebedarfs ausmacht. Die nahrungsabhängige Thermogenese einen Gewichtsverlust. Daraus wurde geschlossen,
macht etwa 10 o/o des täglichen Energiebedarfs aus und die be-
wegungsabhängigeThermogenese 20-40 o/o. (Nach Ravussin dass das Sättigungszentrum im ventromedialen Hy-
und Swinburn 1992) pothalamus liegt, während das Appetitzentrum im
15.1 Physiologie 577
Tabelle 15-1. Unterschiede in der Metabolisierung von Kohlenhydraten und Fetten. (Nach Lissner u. Heilmann 1995)
Kohlenhydrate Fette
Hohe Speicherkosten (z. B. Glykogensynthe e 12 Ofo•) iedrige Speicherkosten (z. B. Lipidsynthese 4 %•)
lateralen Kerngebiet lokalisiert ist. In den letzten coide stimuliert, durch Katecholamine und Andro-
20 Jahren wurde dann schrittweise erkannt, dass gene supprimiert. Da die Leptinsekretion mit zuneh-
die Neurotransmitter Noradrenalin, Dopamin und mender Fettzellgröße und Körperfettmasse ansteigt,
Serotonin und Neuropeptide wie Neuropeptid Y haben adipöse Menschen deutlich höhere Serum-
und Corticotropin-releasing-Hormone (CRH) an konzentrationen als schlanke. Da adipöse Menschen
der komplexen Regulation von Appetit und Sätti- dennoch meist mehr Kalorien als schlanke verzeh-
gung beteiligt sind. In den letzten Jahren hat das ren, wird eine "Leptinresistenz" postuliert.
Wissen über die Regulation von Appetit und Sätti-
gung dank moderner molekularbiologischer For- • Leptinrezeptor. Der inzwischen klonierte Leptin-
schung explosionsartig zugenommen. Ausgangs- rezeptor gehört zur Familie der Zytokinrezeptoren
punkt war die Identifizierung des genetischen De- und wird bei Nagetieren in einer Langform mit lan-
fekts, der für die monogenetische Adipositas der ger intrazellulärer Domäne, einer Kurzform mit
ob/ob-Maus verantwortlich ist. noch erhaltener JAK-Domäne und in mehreren Spli-
cing-Varianten exprimiert. Defekte im Leptinrezep-
torgen wurden als Ursache der Adipositas bei der
Regulation der Nahrungsaufnahme
db/db-Maus, der Zuckerratte und anderen Tiermo-
dellen erkannt. Leptinrezeptoren wurden außer in
Leptin
1994 entdeckten Friedman et al. durch "positional
cloning" ein bis dahin unbekanntes Gen, dessen andere Neuropeptide
Produkt bei der ob/ob-Maus infolge einer "Non-
sense mutation" (vorzeitiges Stoppkodon) verkürzt
t
a -MSH , , CRH '
und biologisch nicht aktiv ist. Das homologe Gen
beim Menschen kodiert ein 167-Aminosäurenpro- t
tein, das fast ausschließlich im Fettgewebe expri- Hypothalamus Sympathikusaktivität 1
miert wird. Dieses Leptin genannte Genprodukt
wird in die Blutbahn sezerniert und gelangt über ~ ~
einen erschöpfbaren Transportmechanismus durch Neuropeptid Y, Energieverbrauch 1
Weiche physiologische Bedeutung die einzelnen zulande eher selten. Sie werden bei Anorexie, aber
Neuropeptide für die Regulation des Körperge- auch gelegentlich bei älteren Menschen und Perso-
wichts beim Menschen haben, ist derzeit noch völlig nen mit Alkohol- oder Drogenabhängigkeit unter
unklar. Weder im Zusammenhang mit Adipositas den Bedingungen einer chronischen Unter- bzw.
noch mit Untergewicht/Anorexie konnten bisher Fehlernährung beobachtet. Mit fallendem BMI
spezifische Auffälligkeiten entdeckt werden. Auch nimmt die Lebenserwartung ab, BMI-Werte unter
die bisherigen molekulargenetischen Studien beim 13 kg/m 2 beim Mann und unter 11 kg/m2 bei der
Menschen lieferten bisher keinen Anhalt, dass mo- Frau sind nicht mehr mit dem Leben vereinbar.
nogenetische Defekte häufig vorkommen und die
weite Verbreitung der Adipositas erklären.
15.2.2
Steuerung des Energieverbrauchs Entstehung
• "Uncoupling-Protein-1" (UPC-1). Das bereits vor Geht dem Untergewicht eine längere Phase einer un-
längerer Zeit charakterisierte UCP-1 spielt im Ener- terkalorischen Ernährung voraus, ist eine Unterver-
giehaushalt des Menschen kaum eine Rolle, weil sich sorgung mit essenziellen Makro- und Mikronähr-
das braune Fettgewebe, der alleinige Ort der UCP- stoffen wahrscheinlich.
1-Synthese, in den ersten Wochen nach Geburt
fast vollständig zurückbildet. Nur beim Phäochro-
Ursachen
mozytom kann es unter der exzessiven Katechol-
Die rein anthropometrische Definition des Unterge-
aminproduktion zu einer Reaktivierung von
wichts umfasst eine heterogene Gruppe, der sehr un-
UCP-1 in ehemals braunen Fettzellen der viszeralen
terschiedliche Ursachen zugrunde liegen können,
Fettdepots kommen.
die in der folgenden Übersicht wiedergegeben sind.
• "Uncoupling-Protein-2" und 3 (UCP-2 und 3). Im
Ursachen für Untergewicht
Gegensatz dazu finden sich die kürzlich entdeckten
UCP-2 und UCP-3 in verschiedenen Organen des
• Konstitutionell
Körpers, darunter auch in der Muskulatur, und wer-
• Fehlendes Hungergefühl, geringe Nahrungsauf-
den durch metabolische und hormonelle Faktoren
nahme ohne erkennbaren Grund
reguliert. Weiche genaue Rolle beide Proteine im
Energiehaushalt der Menschen spielen, ist noch un-
e Essstörungen (gezügeltes Essen, Anorexia nervo-
sa)
bekannt.
e Appetitlosigkeit aufgrund hoher Stressbelastung,
chronischer Schmerzen etc.
Untergewicht e Exzessive körperliche Bewegung (z. B. Tänzer
oder Leistungssportler)
e Obstruktion im Gastrointestinaltrakt (Ösopha-
15.2 gus-, Pylorus- oder Duodenalstenose)
Untergewicht e Maldigestion und Malabsorption (Zustand nach
Gastrektomie, Kurzdarmsyndrom, M. Crohn, Pa-
15.2.1 rasitosen, exokrine Pankreasinsuffizienz, Zu-
Epidemiologie stand nach Strahlentherapie etc.)
e Konsumierende Erkrankungen (z. B. Karzinome,
Untergewicht wird am besten als ein "Body-mass- chronische Infektionen, schwere Herzinsuffi-
Index" (BMI) unter 18,5 kg/m 2 definiert. In den zienz, Niereninsuffizienz)
westlichen Überflussgesellschaften sind 5-10 o/o der e Endokrine Erkrankungen: Hyperthyreose, schlecht
Bevölkerung in diese Kategorie einzuordnen. eingestellter Diabetes mellitus, M. Addison
Schwere Formen des Untergewichts finden sich hier- e Chronischer Alkoholismus, Leberzirrhose
580 KAPITEL 15 Körpergewicht
L
20g usw.
-----, -P :' 14g
369
Glycerin
1Sg
Glykoneo-
genese
1-
SOg
•
'
Lactat t Pyruvat .I
'
'
I
?2
Fettgewebe 02 H20 '
Herz, I
Triglyceride Fettsäuren ', - P ~ ~ Keton- Nieren, :
- -- ~ --~-- ....
140g !SOg körper Muskel :I
138 g
(Fettsäuren)
usw. :-P
------- .t_--
112 9
Urin
10 g Keton·
'-----+ körper=
- 100mmol
Abb. 15-3. Quantitative Rolle verschiedener Formen chemi- satz ist leicht auf 1500 kcal!Tag geschrumpft. Herausragende
scher Energie nach 40-tägigem Fasten (Cahill1970). Die Skizze Merkmale sind der signifikante Verbrauch von Ketonkörpern
stellt Substratbereitstellung und -verbrauch verschiedener Ge- im ZNS und die herabgesetzte Oxidation von Glukose
webe während einer 24-h-Periode dar. Der Gesamtenergieum-
Tabelle 15-2. Endokrine und metabolische Veränderungen beim Fasten bzw. bei schwerer Malnutrition
Hormon Konsequenzen
Gonadotropine Reproduktion l
Ren in-Aldosteron-System atriumretention 1
Leptin ! Reproduktion l
582 KAPITEL 15 Körpergewicht
Körperliche Untersuchung
Untergewicht lässt sich bereits vom Aspekt erken- 15.2.6
nen, muss aber durch Bestimmung von Größe, Ge- Therapie
wicht und BMI objektiviert werden. Der Blutdruck
ist meist niedrig (< 110/70 mmHg). Die Haut ist fal- Ernährung
tig und dünn, beim lipatrophischen Diabetes melli- Ist die Ursache des Untergewichts erkannt, besteht
tus kann die subkutane Fettschicht völlig fehlen. Bei die erste und wichtigste Maßnahme in der Behand-
Mangelernährung sind schlecht heilende Hautinfek- lung der Grundkrankheit Handelt es sich um eine
tionen häufig. Daneben ist besonders auf Zeichen inadäquat niedrige Energiezufuhr, dann sollte die
der Osteoporose, der Malassimilation und des Ma- tägliche Kalorienmenge so bemessen werden, dass
rasmus zu achten. eine Gewichtszunahme möglich ist. Schrittweise
sollte folgende Ernährungsgrundsätze umgesetzt
werden, wie folgend aufgezählt:
Labordiagnostik
• Die tägliche Kalorienmenge sollte den Bedarf um
Elektrolyte, Gesamteiweiß, Kreatinin, Harnstoff, Li-
maximal 500-1000 kcal überschreiten.
pide, Blutzucker und Blutbild sollten bestimmt wer-
• Die Kost sollte energiedicht sein, voluminöse und
den. Um die Frage einer möglichen Mangelernäh-
blähende Speisen sollten gemieden werden.
rung abzuklären, sollten die Serumkonzentration
• Die Kost sollte in kleinen Mahlzeiten verabreicht
von Albumin bzw. Transferrio gemessen werden.
werden und den Nährstoffbedarf decken.
Sie können Aufschluss über den Proteinstatus des
• Mit kleinen Zwischenmahlzeiten und kalorienrei-
Organismus geben (Werte von > 3 g/dl bzw.
chen Getränken lässt sich die Compliance verbes-
> 170 mgldl gelten als akzeptabel). Eine detaillierte sern.
endokrinalogische Diagnostik ist nur in Ausnahme-
fällen bzw. bei differentialdiagnostischen Überle-
Untergewichtige Menschen haben oft wenig Appetit
gungen indiziert. Die beiden wichtigsten endokrinen
und müssen daher angehalten werden, auch bei feh-
Erkrankungen, die innerhalb weniger Wochen bis
lendem Hungergefühl regelmäßig Mahlzeiten einzu-
Monate zu einer deutlichen Gewichtsabnahme füh-
nehmen. Wichtig für den Behandlungserfolg ist
ren können, sind ein neu aufgetretener oder entglei-
auch, die Ernährungsempfehlungen den individuel-
ster Diabetes mellitus und die Hyperthyreose.
len Bedürfnissen und Wünschen anzupassen. Han-
delt es sich um eine Störung, die sich primär nicht
Technische Verfahren mehr beheben lässt, aber mit bestimmten Mangelzu-
Geht dem Untergewicht eine Phase der unabsichtli- ständen einhergeht wie z. B. ein Kurzdarmsyndrom,
chen Gewichtsabnahme voraus, so muss ein höherer dann muss eine gezielte bedarfsorientierte Ernäh-
diagnostischer Aufwand betrieben werden, um kon- rungstherapie erfolgen. Bei Obstruktionen des obe-
sumierende Prozesse, z. B. chronisch-entzündliche ren Verdauungstraktes als Ursache des Unterge-
Erkrankungen im Magen-Darm-Trakt oder Mali- wichts ist eine bilanzierte Ernährung über die perku-
gnome, auszuschließen. Zu den obligaten Untersu- tane endoskopische Gastrostomie (PEG) die Metho-
chungen gehören ein Elektrokardiogramm und ein de der Wahl.
Oberbauchsonogramm.
Medikamente
Die Möglichkeiten für eine medikamentöse Thera-
pie zur Appetitsteigerung sind sehr begrenzt. Die
Gabe des Serotoninantagonisten Cyproheptadien
ist nur selten hilfreich. Früher versuchte Hormon-
therapien wie die Gabe von ACTH, Cortison, Schild-
drüsenhormonen oder Insulin haben sich nicht be-
währt. Neuroleptika wie z. B. Clozapin können in
15.3 Anorexia nervosa und gezügeltes Essverhalten 583
Diagnostische Kriterien für Anorexia nervosa, 2. Während des Essanfalls wird der Verlust der
Bulimia nervosa und "Binge eating Syndrome" Kontrolle über das Essen empfunden (z. B.
als Gefühl, nicht mit dem Essen aufhören zu
• Anorexia nervosa können oder nicht im Griff zu haben, wie
Weigerung, das Körpergewicht über einem mini- viel gegessen wird).
malen Normalgewicht zu halten, das Alter und Die Essanfälle sind mit 3 oder mehr der folgenden
Größe entspricht Merkmale verbunden:
Intensive Furcht vor einer Gewichtszunahme 1. Es wird wesentlich schneller gegessen als nor-
oder davor, fett zu werden, obwohl Untergewicht mal
besteht 2. Es wird gegessen, bis man sich unangenehm
Störung in der Art und Weise, in der das eigene voll fühlt
Körpergewicht oder die eigene Figur erlebt wird, 3. Es werden große Mengen gegessen, obwohl
übermäßiger Einfluss von Körpergewicht oder Fi- man sich nicht körperlich hungrig fühlt
gur auf die Bewertung der eigenen Person oder 4. Es wird allein gegessen, weil es einem peinlich
Leugnung des Ernstes des gegenwärtigen niedri- ist, wie viel man isst
gen Körpergewichts 5. Man fühlt sich von sich selbst angeekelt, de-
Amenorrhö bei Frauen und Mädchen nach der pressiv oder sehr schuldig nach dem Überes-
Menarche, d. h. Ausbleiben von mindestens 3 sen
aufeinander folgenden Menstruationszyklen Es besteht wegen der Essanfälle ein Gefühl der
• Bulimia nervosa Verzweiflung
Regelmäßige Essanfälle: Ein Essanfall ist durch Die Essanfälle treten im Durchschnitt an minde-
folgende 2 Merkmale gekennzeichnet: stens 2 Tagen pro Woche über sechs Monate auf
1. In einem abgrenzbaren Zeitraum wird eine Die Essanfälle sind nicht mit der regelmäßigen
Nahrungsmenge gegessen, die deutlich größer Anwendung von Kompensationsverhalten (ab-
ist als die Menge, die die meisten anderen führende Maßnahmen, Fasten oder exzessiver
Menschen im selben Zeitraum und unter glei- Sport) verbunden und treten nicht im Verlauf
chen Umständen essen würden einer Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa auf
2. Während des Essanfalls wird der Verlust der
Kontrolle über das Essen empfunden (z. B.
als Gefühl, nicht mit dem Essen aufhören zu Leitsymptome sind dabei kritisches Untergewicht,
können oder nicht im Griff zu haben, wie Störung der Körperwahrnehmung und sekundäre
viel gegessen wird) Amenorrhö.
Regelmäßiges unangemessenes Kompensations-
verhalten, um einen Gewichtsanstieg zu vermei-
den, wie selbst herbeigeführtes Erbrechen, Miss- Anamnese
brauch von Abführmitteln, Diuretika, Einläufen Bei der Anamnese sind die Essgewohnheiten, das
oder anderen Medikamenten, Fasten oder exzes- Körperbild bzw. die Zufriedenheit mit dem eigenen
siver Sport Körper und die Menses genau zu erfragen. Wichtig
Die Essanfälle und das unangemessene Kompen- ist außerdem, die familiäre und soziale Situation der
sationsverhalten treten beide im Durchschnitt Patientin zu kennen. Häufig werden vegetative Stö-
mindestens zweimal pro Woche für mindestens rungen wie z. B. Schlafstörungen und Obstipation
3 Monate auf. angegeben.
Die Bewertung der eigenen Person wird durch Fi-
gur und Gewicht übermäßig beeinflusst. Körperliche Untersuchung
Diese Störung tritt nicht ausschließlich während Die Patientinnen erscheinen abgemagert, obwohl sie
einer Phase von Anorexie auf. ihr Untergewicht durch Kleidung oft geschickt ver-
• Binge eating disorder (BED) bergen. Häufig finden sich eine Parotisschwellung,
Regelmäßige Essanfälle: Ein Essanfall ist durch ein niedriger Blutdruck sowie eine Bradykardie.
folgende 2 Merkmale gekennzeichnet: Nicht selten liegen periphere Ödeme, deren Genese
1. In einem abgrenzbaren Zeitraum wird eine unklar ist, vor. Die Haut ist meist trocken und sprö-
Nahrungsmenge gegessen, die deutlich größer de. Herzgeräusche aufgrund veränderter Herzklap-
ist als die Menge, die die meisten anderen penmorphologie bei verminderter linksventrikulä-
Menschen im selben Zeitraum und unter glei- rer Muskelmasse kommen bei bis zu 30% der Pa-
chen Umständen essen würden tienten vor.
15.3 Anorexia nervosa und gezügeltes Essverhalten 585
Anamnese
15.4.3 Ein hoher Anteil der Bulimikerinnen leidet an einer
Pathogenese Amenorrhö, sodass eine gezielte Anamnese und
ggfs. endokrinologische Diagnostik angezeigt ist.
Die Ätiologie der Bulimie ist ungeklärt. Es fällt auf,
dass viele Patientinnen aus Familien kommen, in de-
nen Alkoholprobleme oder psychiatrische Erkran- Körperliche Untersuchung
kungen bekannt sind. Etwa 50 o/o der Frauen mit Die teilweise massiven Manipulationen der Patien-
Anorexie konvertieren zu Bulimikerinnen. Auf- tinnen können zu sichtbaren Komplikationen wie
grund von Familienstudien werden genetische Ein- Zahnschäden, Parotisschwellungen, Rachen- und
flüsse angenommen. Ösophagusentzündungen, eingerissenen Lippen so-
wie Finger- und Handrückenverletzungen führen,
sodass auf diese Zeichen sehr genau zu achten ist.
15.4.4 Der Missbrauch von Laxanzien kann rektale Blutun-
Klinik gen und schwere Hypokaliämien und -kalzämien
zur Folge haben, die durch rektale Untersuchung
Symptome und Beschwerden und Laborkontrollen zu sichern sind.
Personen mit Bulimie weisen manchmal extreme Ge-
wichtsschwankungen auf, die von dramatischem Un- Labordiagnostik
tergewicht bis zu exzessiver Adipositas reichen kön- Die metabolischen und endokrinen Veränderungen
nen, sodass das aktuelle Körpergewicht keinen Auf- sind bei der Bulimie meist nicht so ausgeprägt wie
schluss über das Vorliegen einer Bulimie geben kann. bei der Anorexie. Elektrolyte, Gesamteiweiß, Blut-
Die meisten Bulimikerinnen sind aber normalge- bild, Blutglukose und ggf. weitere Routineparameter
wichtig. sollten in jedem Fall bestimmt werden. Bei Patien-
tinnen mit häufigem Erbrechen wird nicht selten
Ähnlich wie Personen mit Anorexie versuchen auch eine Hypokaliämie und Hypokalzämie gefunden.
Bulimikerinnen die Nahrungsaufnahme zu begren-
zen oder ganz zu verhindern, weil sie sich zu dick
fühlen und eine Störung des eigenen Körperbilds ha-
ben. Sie sind ebenfalls auf ein möglichst niedriges 15.4.6
Körpergewicht fixiert. Gleichzeitig neigen sie dazu, Differentialdiagnose
belastenden Problemen durch Essen zu entkommen.
Sie erliegen immer wieder Essanfällen, in denen sie Die Abgrenzung von Anorexie und "Binge eating
bei völligem Kontrollverlust wahllos große Nah- Disorder" ist mit Hilfe der Kriterien der American
rungsmengen (bis zu 10.000 kcal und mehr) ver- Psychiatrie Association möglich (s. Übersicht "Dia-
schlingen. Anschließend versuchen sie sofort, die gnostische Kriterien für Anorexia nervosa, Bulimia
Kalorien durch selbstinduziertes Erbrechen oder nervosa und "Binge eating Syndrom").
588 KAPITEL 15 Körpergewicht
Medikamente Über die Atiologie und Entstehung der BED ist bis-
Es gibt verschiedene Studien, die eine begrenzte lang wenig bekannt (s. Bulimie).
Wirksamkeit von trizyklischen Antidepressiva,
MAO-Hemmern und selektiven Serotonin-Reupta-
ke-Inhibitoren belegen, vor allem wenn gleichzeitig 15.5.3
depressive Verstimmungen bestehen. Gute Effekte Klinik
lassen sich mit Fluoxetin in einer Dosierung von
60 mg täglich erzielen. Fluoxetin ist auch deshalb Infolge eines oft eher nichtigen externen Reizes oder
günstig, weil es zu keiner Gewichtszunahme führt, als Reaktion auf ein unangenehmes oder frustrieren-
sondern eher gewichtssenkend wirkt und deshalb des Ereignis kommt es auch bei Fehlen von Hunger
besser akzeptiert wird. Die Gabe eines Medikaments zu einem unbeherrschbaren Essdrang, der mit einer
ist lediglich als adjuvante Therapiemaßnahme zu se- nahezu wahllosen Aufnahme großer Kalorienmen-
hen und kann eine Psychotherapie nicht ersetzen. gen einhergeht. Diese meist in unregelmäßiger Fre-
quenz auftretenden Essattacken werden als emotio-
naler Stress erlebt und führen zu Selbstvorwürfen
15.4.8 und Depressionen. Menschen mit BED sind häufig
Prognose adipös und haben dementsprechend übergewichts-
bedingte Begleitstörungen. Gehäuft werden auch ga-
Zur Langzeitprognose der Bulimie gibt es bisher strointestinale Symptome wie Übelkeit, Brechreiz,
kaum Daten. Im Vergleich zur Anorexie scheint Leibschmerzen und Blähungen angegeben.
die Mortalität der Bulimie niedriger zu sein. Die Pro-
gnose ist dann ungünstiger, wenn eine Anorexia
oder psychiatrische Störungen in der Vorgeschichte 15.5.4
bekannt sind. Obwohl es bei den meisten Betroffe- Diagnostik
nen zu einer Symptombesserung kommt, handelt es
sich um eine chronische Essstörung, die immer wie- Anamnese
der zu Rezidiven neigt. Leitsymptom sind wiederkehrende Essattacken, die
bezüglich Anlass und Art genau zu eruieren sind. Oft
findet sich ein gezügeltes Essverhalten sowie eine
15.5 Störung des eigenen Körperbilds. Anamnestisch
"Binge eating disorder" (BED) ist außerdem auf Phasen der Nahrungsverweigerung
und Erbrechen zu achten, damit eine Abgrenzung
15.5.1 von anderen Essstörungen möglich ist. Hier haben
Epidemiologie sich standardisierte Fragebögen bewährt. Für die
Diagnosesicherung sollten die Kriterien der Ameri-
Bei der "Binge-eating-Disorder" (BED) handelt es can Psychiatrie Association verwendet werden (s.
sich um eine erst seit kurzem als eigenständige En- Übersicht "Diagnostische Kriterien für Anorexia
15.6 Alimentäre Adipositas 589
sein, z. B. bei körperlich hart arbeitenden Männern selbst adipös zu werden, ist um ein Mehrfaches hö-
oder bei Kraftsportlern. In der Praxis wird Überge- her als das von Kindern schlanker Eltern. Darüber
wicht gleichbedeutend mit Adipositas verwendet, hinaus haben Zwillings- und Adoptionsstudien die
der Begriff Adipositas sollte aber einem BMI von Bedeutung genetischer Einflüsse herausgestellt. Ins-
2': 30 kg/m 2 vorbehalten sein. Nach dem heutigen gesamt wird der genetische Anteil an der Regulation
Verständnis ist die Adipositas - ähnlich wie etwa des Körpergewichts auf 30-50 o/o geschätzt. Noch
die Hypertonie - als chronische Krankheit zu be- stärker scheint der genetische Einfluss beim Fettver-
trachten, die auf einem polygenetischen Hinter- teilungsmuster zu sein.
grund beruht, mit verschiedenen Komorbiditäten
einhergeht, die Lebensqualität und Lebenserwar-
tung beeinträchtigen können, und ein langfristiges Individualität des Energieverbrauchs
Therapie- und Betreuungskonzept erfordert. Nach Messungen des Energieverbrauchs haben zu wider-
verschiedenen bevölkerungsbasierten epidemiologi- sprüchlichen Ergebnissen geführt. Einzelne pro-
schen Studien haben in Deutschland etwa 20 o/o der spektiv angelegte Studien legen nahe, dass es inte-
Erwachsenen einen BMI 2': 30 kg/m2 und sind damit rindividuelle Unterschiede im Energieverbrauch
als adipös einzustufen. 0,5-1 o/o erreichen bzw. über- (bezogen auf fettfreie Körpermasse) gibt und dass
schreiten einen BMI von 40 kg/m2 • Weitere 30-40 o/o Menschen mit niedrigem Grundumsatz leichter an
der Erwachsenen sind mit einem BMI zwischen 25 Gewicht zunehmen als Menschen mit hohem Grun-
und 29,9 kg/m2 "präadipös" und damit ebenfalls dumsatz. Ferner wurde postuliert, dass Menschen,
von übergewichtsbedingten Gesundheitsstörungen die auf eine hohe Fettaufnahme nicht adäquat mit
bedroht. Die Häufigkeit der Adipositas nimmt bis einem Anstieg_~er Fettoxidation reagieren können,
zu einem Alter von etwa 65 Jahren kontinuierlich besonders zu Ubergewicht neigen. In anderen Un-
zu. Bei Männern beginnt die Adipositas in der Regel tersuchungen fanden sich dagegen keine Unter-
früher (meist zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr) schiede in den einzelnen Komponenten des Energie-
als bei Frauen. Im höheren Lebensalter sind Frauen verbrauchs und der Substratoxidation zwischen adi-
allerdings häufiger betroffen als Männer. Je nach zu- pösen und normalgewichtigen Menschen nach Kor-
grundegelegter Definition gelten 10-20 o/o der Kin- rektur für die fettfreie Körpermasse.
der und Jugendlichen als übergewichtig bzw. adipös.
Regulationsstörung von Hunger und Sättigung
Für die Vermutung, dass bei Übergewichtigen Stö-
15.6.3 rungen in der Regulation von Hunger und Sättigung
Pathogenese vorliegen, gibt es bislang keine harten Anhalts-
punkte. Unklar ist auch, inwieweit Übergewichtige
Ernährung und Bewegungsmangel eine höhere Präferenz für fettreiche Speisen haben
Übergewicht kann grundsätzlich nur dann entste- als Schlanke. Ob die kürzlich entdeckten Faktoren,
hen, wenn die Kalorienaufnahme langfristig den die bei Tieren Hunger und Sättigung steuern, bei
Energieverbrauch des Organismus übersteigt. Eine Adipösen verändert sind, ist bisher erst ansatzweise
chronisch-positive Energiebilanz kann genetische, untersucht. Neben zentralen Mechanismen sind
biochemische und psychosoziale Gründe haben. auch gastrale Prozesse von Bedeutung. Beispielswei-
Es steht außer Frage, dass heute alimentäre Ursa- se ist auch die Magendehnung am Zustandekom-
chen und Bewegungsmangel dominieren. Unter men des Sättigungssignals maßgeblich beteiligt.
den Nahrungsfaktoren wurde vor allem der hohe Kürzlich wurde Leptin auch im Mukosaepithel des
Fettkonsum als Ursache für die hyperkalorische Er- Magenfundus gefunden und könnte möglicherweise
nährung angeführt. Dies blieb aber nicht unwider- an frühen Cholezystokinin (CCK)-vermittelten Sät-
sprochen, da letztlich jede überschüssige Kalorie ge- tigungseffekten mitwirken.
speichert wird. Da die mittlere Kalorienaufnahme in
Deutschland in den letzten 25 Jahren leicht rückläu-
Psychosoziale Einflüsse
fig war, kommt der Abnahme der körperlichen Ak-
Das Essverhalten wird zweifellos auch von psycho-
tivität vielleicht sogar eine größere Bedeutung zu.
sozialen Komponenten stark beeinflusst.
Menschen aus niedrigen Sozialschichten kontrol-
Genetische Prädisposition lieren ihre Nahrungsaufnahme weniger streng und
Da Übergewicht innerhalb von Familien gehäuft weniger kognitiv als Menschen aus höheren Sozial-
vorkommt, wird schon lange die Existenz prädispo- schichten. Gleichzeitig sind ihre "Coping-Techni-
nierender Gene angenommen. Das Risiko von Kin- ken" weniger gut entwickelt, sodass sie auf negative
dern übergewichtiger Eltern, im späteren Leben Gefühle/Erlebnisse oder Stress eher mit gesteigerter
15.6 Alimentäre Adipositas 591
Das gehäufte Auftreten kardiovaskulärer Risikofak- tere Unterschiede zwischen den beiden Fettdepots
toren erklärt die 2- bis 3-fach erhöhte Morbidität sind in Tabelle 15-3 aufgeführt.
und Mortalität an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die gesteigerte Mobilisierung von Fettsäuren und
Unabhängig davon ist die Adipositas auch ein eigen- der erhöhte Umsatz freier Fettsäuren erklärt die ty-
ständiger Risikofaktor für die Entwicklung von ko- pischen Veränderungen bei abdomineller Adiposi-
ronarer Herzkrankheit, Schlaganfall und Herzinsuf- tas wie verminderte Insulinclearance, gesteigerte
fizienz. Die Adipositas gilt zudem als wichtiger Ri- Glukoneogenese (u. a. aus Laktat und Glyzerin), er-
sikofaktor für das Auftreten eines Schlaf-Apnoe- höhte VLDL-Synthese und verminderte hepatische
Syndroms und kann infolge einer alveolären Hypo- Glukoseverwertung (Abb. 15-4). Die viszerale Adi-
ventilation zum "Pickwick-Syndrom" führen . Auch positas gilt somit als phänotypisches Merkmal des
bestimmte Karzinome treten bei Übergewichtigen metabolischen Syndroms und ist eng mit der Insu-
häufiger auf als bei Schlanken. In beiden Geschlech- linresistenz verbunden. Selbst bei normalem BMI
tern sind vor allem kotorektale Karzinome häufiger, sind vergrößerte viszerale Fettdepots ein Risikofak-
bei übergewichtigen Frauen findet sich außerdem tor für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes mellitus
eine erhöhte Inzidenz östrogenabhängiger Tumoren und koronarer Herzkrankheit.
wie Endometrium- und Mammakarzinom.
Die meisten adipositasassoziierten Komplikatio-
nen finden sich bei abdomineller Adipositas häufi- 15.6.6
ger als bei gluteal-femoraler Fettverteilung. Dement- Lebenserwartung
sprechend sind Männer bei gleichem BMI stärker
von Komorbiditäten bedroht als Frauen. Die Erklä- Ab einem BMI von 30 kg/m 2 ist mit einer Verkür-
rung dafür ist in den ausgeprägten metabolischen zung der Lebenserwartung zu rechnen. In einzelnen
Unterschieden zwischen den viszeralen und subku- Studien fand sich bereits ab einem BMI von 27 kg/
tanen Fettdepots zu suchen. Viszerale Fettzellen rea- m 2 ein Mortalitätsanstieg. Deutlich verkürzt ist die
gieren empfindlicher auf Katechotamine und setzen Lebenserwartung bei einem BMI von 40 kg/m 2
mehr Fettsäuren frei als subkutane Fettzellen. Wei- oder darüber. Haupttodesursachen sind koronare
Tabelle 15-3. Metabolische Unterschiede zwischen viszeralen und subkutanen Fettzellen (FZ)
Fettgewebszellularität:
Fettzellgröße Klein Groß
Innervierung Dicht Weniger dicht
Vaskularisierung tark chwach
Lipolyse:
basale Lipolyse + +
katecholaminstimulierte Lipolyse ++ +
ß 1- , ßr Adrenozeptorz.ahl u. - en itivität + +
ßr Adrenozeptorzahl +
ar Adrenozeptorz.ahl + ++
Andere Frmktionen:
Insulinwirkung + ++
Triglyceridumsatz ++ +
Glucocorticoidrezeptorzahl ++ +
Glucocorticoidwirkung ++ +
Te to teronwirkung ++ +
Wachstumshormonsensitivität ++ +
Leptinproduktion + ++
15.6 Alimentäre Adipositas 593
Überernährung
Bewegungsmangel
Adipositas,
viszerale Fendepots 1
Leber
-
Lipolyse 1 Muskel
Glukoneogenese t
VLDL -Synthese I
Insulindegradierung f -
FFS 1
Glycerin 1
Laktat i
FFS 1
Glycerin
Laktat
Glukoseaufnahme ,
Insulinwirkung ,
LPL , Abb.l5-4.
Schematisch dargestellt ist die
Hypertriglyzeridämie pathologische Beziehung zwischen
Hyperinsu linämie der viszeralen Adipositas und den
Hyperglykämie StoffWechselstörungen ("metabo-
lisches Syndrom")
Herzkrankheit und Herzinsuffizienz (2- bis 3-fach Anamnese und Diagnostik bei adipösen Patienten
erhöht) und Karzinome (1,5- bis 2-fach erhöht). vor Therapiebeginn
Mit steigendem Lebensalter wird die Beziehung zwi-
schen BMI und erhöhter Mortalität schwächer, • Anamnese
bleibt aber selbst bei Menschen im Alter zwischen Familienanamnese (Adipositas, Typ-2-Diabetes,
65 und 74 Jahren noch nachweisbar (Abb. 15-5). Hypertonie, KHK)
Beginn des Übergewichts, größere Gewichtsver-
änderungen in der Vergangenheit und Begleit-
15.6.7 umstände (z. B. Schwangerschaft, Aufgabe von
Diagnostik Sport oder Rauchen, traumatische Erlebnisse)
Bewegungsaktivität
Anamnese Familiäre und berufliche Verhältnisse
Die Anamnese beim übergewichtigen Patienten um- Ernährungsgewohnheiten und Essverhalten
fasst detaillierte Fragen nach dem Beginn und bishe- Frühere Therapieversuche und Gründe für deren
rigen Verlauf des Übergewichts, früheren Therapie- Scheitern
versuchen, Gründen für deren Scheitern, den Lebens- Gründe für den jetzigen Behandlungswunsch
gewohnheiten (Essverhalten, körperliche Bewegung), • Diagnostik
dem sozialen Umfeld sowie nach der Motivation für Körpergröße und -gewicht, Blutdruck, Taillen-
die erneute Behandlung. Daneben ist die Familien- und Hüftumfang
anamnese von Bedeutung, weil sie einen indirekten Körperliche Untersuchung
Hinweis für eine familiäre Disposition liefert. Beson- Nüchternblutzucker, ggfs. oraler Glukosetole-
ders sorgfältig sollten die Ernährungsgewohnheiten ranztest
erhoben werden. Für die Ernährungsanamnese soll- Gesamt-, HDL- und LDL-Cholesterin, Triglyzeride
ten strukturierte Fragebögen oder Essprotokolle ein- Harnsäure
gesetzt werden. Ferner muss auf Hinweise für Ess- Kreatinin, Elektrolyte, kleines Blutbild,
störungen geachtet werden. Genauso bedeutsam Ggfs. TSH und andere endokrinalogische Para-
sind Fragen nach möglichen Begleiterkrankungen meter
oder Komplikationen, da davon die Behandlungs- EKG, Oberbauchsonographie
strategie abhängt. Anamnese und Diagnostik bei Ggfs. Herzecho, Doppler-Sonographie, 24-h-RR-
adipösen Patienten vor Therapiebeginn sind in Messung
der folgenden Übersicht dargestellt.
594 KAPI TEL 15 Körpergewicht
~ . .....L ..c.cJ::::::::::::d
Körpergröße (m) 2
"'Ql
"'::J
e .. Der BMI korreliert mit einem Korrelationskoeffizi-
<Ii
E
enten von 0,4 und 0,9 mit der eigentlichen Körper-
_g fettmasse. Andere anthropometrische Maße wie z. B.
.];
der Broca-Index sollten wegen verschiedener Nach-
m teile bzw. wegen ihrer Ungenauigkeit nicht mehr
....-o0 verwendet werden. Neben dem BMI ist bei der Be-
~
<1\
·.::: 45-54yr
urteilung des Gesundheitsrisikos von Übergewicht
:j
Ql
> auch das Fettverteilungsmuster zu berücksichtigen,
'4j
da das Auftreten von metabolischen Komplikatio-
~"'
er: nen eng mit der Größe der viszeralen Fettdepots zu-
sammenhängt. Die Menge an viszeralem Fett kann
bei gleichem BMI erheblich variieren. Männer haben
3 30 - 44yr im Mittel doppelt so viel viszerales Fettgewebe als
Frauen und sind daher stärker von metabolischen
--
-- --
und kardiavaskulären Komplikationen bedroht.
2
• Taille-Hüft-Quotient. Als einfacher anthropome-
__ ...... -- trischer Index zur Erfassung des Fettverteilungsmu-
sters hat sich der Taille-Hüft-Quotient ("waist-hip
ratio" = WHR) bewährt. Der Taillenumfang wird
0 0\_ 0\ 0\ 0\ ~ 0
a-· ;:::j ~
\(). (t)
~
N• mit einem einfachen Maßband am stehenden Pa-
~
V
0
I
0
I
N
0
I
N
0
I
0
I "'Al tienten in der Mitte zwischen Unterrand des Rippen-
o' N• Lti ,..: o'
N N N N bogens und Beckenkamm, der Hüftumfang in Höhe
Body-Mass Index Trochantermajor gemessen. Eine WHR > 1.0 beim
Mann bzw. > 0.85 bei der Frau weist auf ein erhöhtes
Abb 15-5. Beziehung zwischen BMI und Sterberisiko bei wei-
ßen Männern und Frauen, die nie geraucht haben, in Abhän- Risiko hin. Neuerdings wird die alleinige Bestim-
gigkeit vom Alter. (Nach Stevens et al. 1998) mung des Taillenumfang (Messung wie oben) favo-
Tabelle 15-4. Klassifikation von Übergewicht bei Erwachsenen nach BMI (WHO 1998)
Übergewicht ~ 25
Tabelle 15-5. Grenzwerte des Taillenumfangs mit erhöhtem Risiko für metabolische Komplikationen. (Nach WHO 1998)
Frauen ;::: 80 ?: 88
risiert. Die Grenzwerte, die mit einem erhöhten Ri- Endokrine Veränderungen bei alimentärer
siko für metabolische Komplikationen verbunden Adipositas
sind und von der WHO übernommen wurden,
sind aus Tabelle 15-5 ersichtlich. Daneben gibt es • Nebennierenrinde
verschiedene Methoden, um die Körperzusammen- Normales Plasmacortisol bei erhaltener zirkadia-
setzung und damit den Körperfettanteil quantitativ ner Rhythmik
zu erfassen. Diese Verfahren weisen unterschiedli- Normales freies Cortisol im Urin (bei 5 o/o leicht
che Vor- und Nachteile auf und werden hauptsäch- erhöht)
lich für wissenschaftliche Untersuchungen einge- Gesteigerte Cortisolproduktion und -clearance
setzt. Eine gewisse praktische Bedeutung hat ledig- • Geschlechtssteroide
lich die Bioimpedanzanalyse erlangt, deren Genau- 17-Ketosteroide im 24-h-Urin leicht erhöht
igkeit aber nicht überschätzt werden darf. Bei Frauen erhöhte freie Androgenaktivität und
erniedrigtes SHBG
Bei der Blutdruckmessung muss auf die Verwendung Bei Männern relativer Androgenmangel
einer breiteren und längeren Manschette geachtet e Pankreas
werden, um falsch hohe Werte zu vermeiden. Hyperinsulinämie aufgrund gesteigerter Insulin-
sekretion und verminderter hepatischer Insulin-
Bei der klinischen Untersuchung ist darüber hinaus clearance
besonders auf folgende Symptome zu achten: • Wachstumshormon
• Pilzinfektionen und andere Hautinfektionen (im Verminderte basale und stimulierte Wachstums-
Inguinalbereich, submammär) hormonsekretion
• Varikosis und Ulcus cruris im Unterschenkelbe-
reich
• Fußdeformitäten
Technische Verfahren
• Acanthosis nigricans (axillär, Nacken und Hals)
Sie dienen ebenfalls dazu, mögliche Begleiterkran-
• Leber- und Herzvergrößerung
kungen und Komorbiditäten zu erkennen, und die
Eignung des Patienten für bestimmte Therapiemaß-
Labordiagnostik nahmen zu überprüfen. Die in Betracht kommenden
Die Laboruntersuchungen dienen vor allem dazu, technischen Untersuchungen sind der Übersicht
um mögliche Komplikationen der Adipositas zu er- "Anamnese und Diagnostik bei adipösen Patienten
kennen. Sie sind für die Festlegung der Behand- vor Therapiebeginn" zu entnehmen.
lungsindikation aber auch für die Beurteilung des
Therapieverlaufs erforderlich. Die wichtigsten La-
borparameter sind in der Übersicht "Anamnese 15.6.8
und Diagnostik bei adipösen Patienten vor Thera- Differentialdiagnose
piebeginn" aufgeführt.
Obwohl die alimentäre Adipositas die bei weitem
• Endokrine Besonderheiten. Im Zusammenhang häufigste Form der Übergewichts darstellt, dürfen
mit der (viszeralen) Adipositas wurden verschiedene differentialdiagnostische Überlegungen nicht außer
endokrine AuffäHigkeiten beschrieben, die nach Acht gelassen werden. Folgende Übersicht gibt einen
heutiger Ansicht eher Folge als Ursache der Adipo- Überblick über die wichtigsten Differentialdiagno-
sitas sind, aber für die Differentialdiagnose von Be- sen.
deutung sind. Dafür spricht insbesondere, dass die
meisten Veränderungen nach Gewichtsreduktion
reversibel sind. Die wesentlichen Befunde sind in
folgender Übersicht dargestellt.
596 KAPITEL 15 Körpergewicht
zumeist in Gruppen durchgeführt. Die meisten in Beide Substanzen haben sich als wirksam erwie-
Deutschland angebotenen Gewichtsreduktionspro- sen, nach initialer Gewichtssenkung den Gewichts-
gramme sind wissenschaftlich nicht evaluiert. erfolg zu stabilisieren. Nach Absetzen kommt es
meist zu einem raschen Wiederanstieg des Körper-
gewichts.
Medikamentöse Therapie
Gewichtssenkende Pharmaka sollten grundsätzlich
• Appetitzügler. Die älteren, über den Neurotrans-
nur als adjuvante Maßnahme zum Basisprogramm
mitter Noradrenalin wirkenden sympathomimeti-
eingesetzt werden. Eine Pharmakatherapie der Adi-
schen Appetitzügler sind wegen ihres Nebenwir-
positas kommt in Betracht, wenn mit konventionel-
kungsprofils und der schnellen Entwicklung einer
len Maßnahmen über einen wenigstens 3-monatigen
Tachyphylaxie sowie ihres Suchtpotentials nicht
Zeitraum keine ausreichende Gewichtssenkung
zu empfehlen.
(< 5% des Ausgangsgewichts, nicht ausreichende
Besserung von Begleitrisikofaktoren) erreicht wur-
de. Fehlende Diätcompliance ist dagegen eine Kon- Chirurgische Verfahren
traindikation. Da nur Erfahrungen über maximal Wenn bei Personen mit morbider Adipositas (BMI
1-2 Jahre vorliegen, sollte der Einsatz zeitlich be- 2: 40 kg/m 2 bzw. BMI 2: 35 kg/m 2 mit schwerwiegen-
grenzt werden. den Komorbiditäten) die konservative Behandlung
Derzeit sind 2 gewichtssenkende Medikamente erfolglos bleibt, können chirurgische Verfahren in
zugelassen, die über unterschiedliche Mechanismen Erwägung gezogen werden. Verschiedene Verfahren
zu einer Negativierung der Energiebilanz führen. zur Magenverkleinerung bzw. Magenumgehung er-
Sibutramin ist ein selektiver Serotonin-und Nor- lauben eine Gewichtssenkung in einer Größenord-
adrenalinwiederaufnahmehemmer, der im Hypo- nung von 20-50 kg. Am häufigsten wird derzeit
thalamus über seine serotoninerge Wirkung zu einer die laparoskopische Anlage eines anpaßbaren Sili-
schnelleren und besseren Sättigung führt und über konbands sowie die sog. vertikale Gastroplastik
den Neurotransmitter Noradrenalin eine zentrale nach Mason praktiziert. Dabei wird jeweils ein Mini-
Sympathikusaktivierung mit Steigerung des peri- magen mit nachgeschalteter Stenose ("Pouch",
pheren Energieverbrauchs bewirkt. Die mittlere Ge- ca. 30-50 ml Volumen) geformt, der nur noch kleine
wichtssenkung liegt nach einjähriger Anwendung in Essensmengen aufnehmen kann (Abb. 15-6). Post-
der Größenordnung von 3-6 kg. die empfohlene operativ ist eine völlige Umstellung der Ernährungs-
Tagesdosis liegt bei 10-15 mg. Hypertonie weise notwendig (gutes Kauen, sehr kleine Essens-
(> 145/90 mmHg) und manifeste koronare Herz- mengen mehrmals täglich, keine flüssigen Kalorien).
krankheit sind Kontraindikationen. Aus diesem Grund und wegen möglicher chirurgi-
Orlistat ist ein Lipasehemmer, der im Intestinal- scher Komplikationen ist eine konsequente interdis-
trakt die Resorption der Nahrungsfette um durch- ziplinäre Nachbetreuung (Chirurg, Internist, Psy-
schnittlich 30% senkt. Je nach Fettaufnahme resul- chologe) erforderlich. Die drastische Gewichtsre-
tiert daraus ein Energiedefizit von 200-600 kcal täg- duktion führt zu einer raschen, eindrucksvollen Bes-
lich. Die mittlere zusätzliche Gewichtssenkung liegt serung aller adipositasbedingten Beschwerden und
zwischen 2 und 4 kg. Die Dosis beträgt üblicherweise Erkrankungen und geht mit einem deutlichen Ge-
120 mg zu jeder Hauptmahlzeit. winn an Lebensqualität einher.
Klammernaht
15.6.10 15.7
Nebenwirkungen Hormonell bedingtes Übergewicht
Drastisch kalorienreduzierte Ernährung 15.7.1
Im Gegensatz zu mäßig kalorienbegrenzten Kostfor- Fallpräsentation
men sind bei drastisch kalorienreduzierter Ernäh-
rung Nebenwirkungen wie Schwindel infolge des
Blutdruckabfalls, Hungergefühl, Nervosität, Lei- Eine 42 -jährige Frau berichtete über eine Ge-
stungsschwäche, Kältegefühl, Verstopfung, Haar- wichtszunahme von 18 kg innerhalb eines Jah-
ausfall häufig. Bei Menschen mit Vorerkrankungen re . Nach ihren Angaben war sie zuvor immer
können auch gefährlichere Komplikationen wie schlank. Das Treppensteigen fiel ihr zunehmend
Herzrhythmusstörungen infolge Kaliummangels chwer und sie bekam schon bei kleinsten An-
und Proteinverlusts, Nierenversagen bei unzurei- lä en blaue Flecken. Klini eh zeigten sich typi-
chender Flüssigkeitszufuhr und Ketoazidose auftre- sche Striae distensae rubrae im Oberschenkelbe-
ten. reich. Die Patientin war deutlich übergewichtig
(BMI 32,2 kglm 2 ) mit stammbetonter Körper-
fettverteilung. Sie hatte ein Vollmondgesicht,
Gewichtssenkende Medikamente eine Rubeosis faciei und multiple kleine Häma-
• Orlistat. Unter Orlistat werden häufig gastrointe- tome im Unterarm- und Handbereich. Die Pa-
stinale Nebenwirkungen beobachtet. Vor allem nach tientin konnte nicht ohne Hilfe aus der Hocke
fettreichen Mahlzeiten kommt es zu Steatorrhö, Fla- aufstehen. Der Blutdruck betrug 170/95 mmHg.
tulenz und erhöhter Stuhlfrequenz bis hin zu Diar- Laborchemisch fand sich eine leichte Hypokali-
rhö (60-70 %). In Einzelfällen wurde ein Abfall der ämie (3.3 mmol/1) sowie eine Erhöhung der
Serumkonzentrationen fettlöslicher Vitamine beob- Nüchterblutglukose auf 138 mg!dl. Da Corti-
achtet, der eine Substitution erforderlich machte. soltagesprofll war aufgehoben, die Cortisolaus-
cheidung im 24-h-Urin erhöht, das Serumcor-
• Sibutramin. Das zentral wirksame Sibutramin tisol ließ sich durch 2 mg Dexamethason nicht
verursacht bei bis zu 20% der Anwender Symptome supprimieren. Der morgendliche ACTH-Spiegel
wie Mundtrockenheit und Obstipation. Infolge der
15.7 Hormonell bedingtes Übergewicht 601
Hypothyreose
lag unter der Nachweisgrenze. Im Abdomen-CT Da Schilddrüsenhormone eine wichtige Rolle im
konnte rechtsseitig ein 1,5 cm im Durchmesser Energiehaushalt spielen, ist nahe liegend, dass
großer Nebennierenprozess nachgewiesen wer- eine Unterfunktion über eine Verminderung des
den. Nach laborchemischer Sicherung des Hy- Energieverbrauchs eine Gewichtszunahme verursa-
percortisolismus und Hypertonieeinstellung chen kann. Querschnittuntersuchungen bei Adipö-
wurde der Nebennierentumor in minimal inva- sen fanden nur bei ca. 5% Hinweise für eine subkli-
siver Operationstechnik entfernt. Histologisch
nische Hypothyreose. Eine Hypothyreose als Haupt-
handelte es sich um ein Adenom. Postoperativ ursache von Übergewicht ist deutlich seltener. Die
bestand mehrere Monate lang eine sekundäre überwiegende Mehrzahl der Adipösen hat eine nor-
Nebennierenrindeninsuffizienz mit Substituti- male Schilddrüsenfunktion.
onspflichtigkeit für Hydrocortison. Nach Wie-
dereinsetzen der kontralateralen Nebennieren-
funktion konnte die Hydrocortisongabe abge- Wachstumshormonmangel
Wachstumshormon ist ein wichtiger Regulator der
setzt werden. Die Patientin erreichte innerhalb
eines Jahres ohne weitere Therapiemaßnahmen Körpermasse. Bei Kindern mit Wachstumshormon-
ihr altes Körpergewicht wieder. Blutdruck und mangel fällt neben einem Kleinwuchs eine deutliche
Blutglukose normalisierten sich ohne Medika- Vermehrung des Körperfetts mit Betonung des Kör-
mente. perstamms auf. Es handelt sich dabei um eine Fett-
zellhypertrophie besonders im viszeralen Fettgewe-
be, die unter einer Therapie mit Wachstumshormon
innerhalb weniger Monate reversibel ist. Unter
15.7.2 Wachstumshormongabe nimmt gleichzeitig die ma-
Epidemiologie gere Körpermasse, d. h. im Wesentlichen die Mus-
kulatur, und damit der Energieverbrauch geringgra-
Primär endokrine Ursachen der Adipositas sind sel- dig ZU.
ten und können zusammen weniger als 2% aller
Fälle von Übergewicht erklären. M. Klinefelter
Klinische Beobachtungen legen nahe, dass der dem
Klinefelter-Syndrom zugrunde liegende Testoste-
15.7.3 ronmangel die Entstehung einer abdominellen Adi-
Pathogenese positas begünstigt. Klinische Studien zeigen auch,
dass die Gabe von Androgenen bei adipösen Män-
Es gibt nur wenige klinisch relevante, endokrine Ur- nern die Körperfettmasse reduziert und zwar vor-
sachen der Adipositas. Im Wesentlichen handelt es zugsweise in den viszeralen Depots. Testosteron
sich dabei um in der folgenden Übersicht wiederge- scheint in Fettzellen zumindest einen permissiven
gebenen Störungen. Effekt auf die Lipolyse zu haben.
Glucocorticoide
Ein Glucocorticoidexzess führt über die Induktion 15.7.4
der Lipoproteinlipase und einer gesteigerten Fett- Klinik
zellneubildung zu einer bevorzugten Triglyzeridein-
lagerung in den viszeralen Fettdepots, da dort deut- Symptome und Beschwerden
lich mehr Glucocorticoidrezeptoren als im subkuta- Die Symptome und Beschwerden adipöser Patienten
nen Fettgewebe exprimiert werden. Über zentrale mit einer der genannten endokrinen Erkrankungen
Rückkoppelungsmechanismen können Glucocorti- werden durch die Grundkrankheit bestimmt. Unab-
coide möglicherweise auch Nahrungsaufnahme hängig von der Genese ist auf übergewichtsbedingte
und Energieverbrauch beeinflussen. Symptome und Beschwerden zu achten (s. Übersicht).
602 KAPITEL 15 Körpergewicht
15.7.5 15.7.6
Diagnostik Differentialdiagnose
Husemann B (1997) Die chirurgische Therapie der extremen Wechsler JG, Schusdziarra V, Hauner H, Gries FA (1997) The-
Adipositas. Dtsch Arztebl 94:C1603-C1607 rapie der Adipositas. Dtsch Ärztebl 93:C1518-C1520
Katan MB, Grundy SM, Willett WC (1997) Beyond low-fat Woods SC, Seeley RJ, Porte D, Schwartz MW (1998) Signals
diets. N Engl J Med 337 : 563-566 that regulate food intake and energy homeostasis. Science
Lichtman SW, Pisarska K, Berman ER et al. ( 1992) Discrepancy 280 : 1378-1282
between self-reported and actual caloric intake and exer- Westenhöfer J (1996) Essstörungen. Akt Ernähr Med
cise in obese subjects. N Engl J Med 327: 1893-1898 21:235-242
Lissner L, Heitmann BL (1995) The dietary fat:carbohydrate Wirth A (1997) Adipositas. Springer, Berlin Beideiberg New
ratio in relation to body fat. Curr Opin Lipidol 6: 8-13 York Tokyo
Manson JE, Willett WC, Stampfer MJ et al. (1995) Bodyweight World Health Organization (1998) Obesity-Preventing and
and mortality among women. N Engl J Med 333 : 677-685 managing the global epidemic. WHO Geneva, im Druck
Montague CT, Farooqi IS, Whitehead JP et al. (1997) Conge- Yanovski SZ (1998) Obesity and Eating Disorders. In: Bray GA,
nitalleptin deficiency is associated with severe early-onset Bouchard C, James WPT (eds) Handbook ofübesity. Dek-
obesity in humans. Nature 387 : 903-907 ker, New York, pp 115-128
Ravussin E, Swinburn BA (1992) Pathophysiology of obesity. Zhang Y, Proenca R, Maffei M, Barone M, Leopold L, Friedman
Lancet 340 : 404-408 JM (1994) Positional cloning ofthe mouse obese gene and
Rössner S (1992) Factors determining the long-term outcome its human homologue. Nature 372 : 425-432
of obesity treatment. In: Björntorp P, Brodoff BN (eds) ZipfelS, Löwe B, Reas DL, Deter H-C, Herzog W (2000) Lang-
Obesity. Lippincott, Philadelphia, pp 712-719 term prognosis in anorexia nervosa: Lessons from a 21-
Shah M, Garg A (1996) High-fat and high-carbohydrate diets year follow-up study. Lancet 355:721-722
and energy balance. Diabetes Care 19: 1142-1152
Stevens J, Cai J, Pamuk ER et al. (1998) The effect of age on the
association between body-mass index and mortality.
N Engl J Med 338: 1-7
KAPITEL 16
Glukose 16
M. BRADO, A. BIERHAUS, A. CLEMENS, K. DuGI, M. HAAss, H.-P. HAMMES, A. v. HERBAY,
M. HOFMANN, B. ISERMANN, T. KASSESSINOFF, M. s. KLEVESATH, G. KLÖPPEL, M. MORCOS,
P. P. NAWROTH, R. RIEDASCH, P. RÖSEN, s. SCHIEKOFER, P. WAHL, T. WEISS
Drei Mechanismen tragen entscheidend zur Auf- die Aufnahme von Glukose durch die Muskulatur
rechterhaltungder Normoglykämie nach Kohlenhy- und das Fettgewebe wesentlich zur Glukosehomöo-
drataufnahme bei. stase bei. Diese ist von der Insulinkonzentration im
• Die Regulation der hepatischen Glukoseproduk- Plasma abhängig und weniger vom Ausmaß der Hy-
tion (Glukoneogenese), perglykämie selbst. Insulin stimuliert die Transloka-
• die Regulation der hepatischen Glukoseaufnahme tion von Glukosetransportern (Glut4 und mögli-
(Glykogensynthese ), cherweise auch Glutl) in die Plasmamembran und
• die Regulation der Glukoseaufnahme durch peri- steigert dadurch die Aufnahme von Glukose durch
phere Gewebe, insbesondere den Skelettmuskel Muskel und Fettgewebe. Zusätzlich beeinflusst Insu-
und das Fettgewebe. lin den Glukosestoffwechsel durch die Aktivierung
der Glykogensynthase, sodass mehr Glukose als Gly-
Insulin ist das primäre Signal, das die Speicherung kogen gespeichert wird, und durch die Stimulation
und den Stoffwechsel von Glukose steuert und damit der Pyruvatdehydrogenase, sodass die Oxidation
zur Senkung der Glukosekonzentration im Blut von Glukose um ein Mehrfaches ansteigt. Je mehr
führt. Obwohl Glukose den dominanten Mediator Glukose resorbiert wird, desto größer ist die Auf-
für die Insulinsekretion darstellt, ist diese Ausdruck nahme von Glukose durch Leber, Muskel und Fett-
einer komplexen Koordination vielfältiger Effekto- gewebe, während das Gehirn Glukose mit nahezu
ren. Dies wird deutlich, wenn die Insulinantworten konstanter Geschwindigkeit aufnimmt und umsetzt.
auf identischen Mengen an Glukose nach intravenö-
ser und oraler Applikation verglichen werden. Oral
verabreichte Glukose verursacht eine wesentlich hö- Aufrechterhaltung der Normoglykämie
here Insulinfreisetzung als eine vergleichbare Glykä- bei Kohlenhydratmangel
mie nach intravenöser Applikation. Die Ursache Der Abfall des Plasmainsulins führt zu einer deutli-
hierfür sind die Freisetzung von gastrointestinalen chen Verminderung der Glukoseaufnahme durch
Mediatoren (Inkretinen) und Signale des zentralen die peripheren insulinsensitiven Gewebe (Muskula-
Nervensystems (parasympathische Innervation der tur und Fettgewebe) und zu einem erhöhten Anteil
ß-Zelle), die die Insulinsekretion modulieren. Der an Fettsäuren am gesamten EnergiestoffwechseL
Anstieg des Insulins und der Glukosekonzentration Trotzdem verbraucht ein Erwachsener im Durch-
in der Pfortader hemmen zusammen mit einer Ver- schnitt weiterhin Glukose mit einer nahezu konstan-
minderung des Glukagonspiegels die hepatische ten Umsatzgeschwindigkeit von 7-10 g/h. Die Spei-
Glukoseproduktion, sodass Glukose netto durch cher aus freier Glukose, die sich hauptsächlich im
die Leber aufgenommen wird. Nach Resorption Extrazellulärraum befinden, sind sehr begrenzt
einer Mahlzeit und Abfall der Plasmaglukose auf Ba- (15-20 g) und decken den Bedarf an Glukose für
salwerte nimmt die Leber die Glukoseproduktion längstens 2-3 h. Das bedeutet, dass für die Aufrecht-
wieder auf, um die Normoglykämie sicherzustellen. erhaltung der Glukosekonzentration im Blut Glu-
Da somit durch Insulin nicht nur die hepatische Glu- kose in ausreichender Menge produziert werden
koseproduktion supprimiert wird, sondern die Le- muss. Die Leber beginnt 4-5 h nach Nahrungsauf-
ber Glukose auch aufnehmen kann, ist der Beitrag nahme, die Glykogenspeicher zu mobilisieren und
der Leber zur postprandialen Glukosehomöostase Glukose an die Strombahn abzugeben. Diese Um-
ganz wesentlich und von ähnlicher Größenordnung stellung wird wesentlich von den reduzierten Plas-
wie der des Skelettmuskels. Neben der Leber trägt mainsulinspiegeln im Pfortaderkreislauf getragen
Insulin r Glykogen
Glykogen
Glukagon
Glukose
KH - - + Glukose
A~
L r-
-I_ ":Hst
C0 2 Proteine - - C0 2
AcCoA
TG - - + CbyloM _. FsCoA
7 TG TGs ---+ Glyzero{
+ FFS
Ketonkörper
c=;
C02
L _ _. co2 Abb. 16-1.
a Allgemeiner Substratfluss in der Resorptionsphase,
Hst b Postresorptionsphase. Prot Proteine, TG Triglyzeride,
Prot - - + AS - - -...1....-- Protein KH Kohlenhydrate, Hst Harnstoff, AS Aminosäure, ChyloM
a b Chylomikronen. (Mod. nach Jungermann u. Möhler 1980)
608 KAPITEL 16 Glukose
10-15
Präproinsulin-Synthese RER
min Proinsulin
I
energieabhängiger
30-40
Transfer
min Golgi
~ Prohormon und
konvertierende Enzyme
2-4
I Klathrinmantel 20 - 40
Std
+ min
Insulinkristall
1
C-Peptid
1-2 Tage
Reife Granula
l
Plasma-
~ membran
Abb. 16-2. Synthese von Insulin durch B-Zelle. Präproinsulin haltigen Granula des Golgi-Apparates (trans) überführt, wo es
wird im rauen endoplasmatischen Retikulum synthetisiert. zum reifen Insulin prozessiert wird. Die reifen Granula enthal-
Nach Abspaltung des Signalpeptids wird das entstandene Pro- ten fast ausschließlich Insulin, häufig als kristalline Zinkkom-
insulin in die Kavernen des endoplasmatischen Retikulum plexe. Die Exozytose des Insulins wird durch Glukose und an-
transloziert, wo es sich faltet und die nativen Disulfidbindun- dere vielfältige Reize gesteuert. C-Peptid und Insulin werden
gen ausbildet. Nach Transport in den Golgi-Apparat in einem in äquimolaren Konzentrationen in die Blutbahn freigesetzt.
energieabhängigen Schritt wird das Proinsulin in die klathrin- (Mod. nach Docherty u. Steiner 1997)
16.1 Physiologie 609
Elektrische
ATP-
abhängige~
K-Kanal
Sekretorische Granula
Membran-
Exozytose
potential 111 Insulin
L-Typ
Ca-Kanäle
cAMP-System
Abb.I6-3.
, Galamn Regulatorische Komplexe,
Somatostatin die für die Regulation der
Freisetzung von Insulin von
Bedeutung sind. R Rezeptor,
Ca-Pumpe PI-PDE Phosphoinositid-
Phosphodiesterase, PKA
Proteinkinase A (Mod. nach
Cook u. Tabo rsky 1997)
610 KAPITEL 16 Glukose
Kalium-
Kanal
ulfonyl·
hamstofTe
Abb.16-4.
Regulation des intrazellulären
Kalziums und der Exozytose
von Insulin. PIP2 Phosphoi-
nositoldiphosphat, IP3 Inosi-
toltriphosphat, cAMP zykli-
sches Adenosinmonophos-
phat, DAG Diazylglyzerol,
PKC Proteinkinase C, PKA
Proteinkinase A, Depol De-
polarisation. (Mod. nach
Cook u. Taborsky 1997)
nasegens sind Ursache für eine spezifische Form moduliert die Insulinfreisetzung über einen bis-
des MODY ("maturity onset diabetes of the her ungeklärten Mechanismus.
youth"). Die als Folge des beschleunigten Umsat-
zes von Glukose ansteigende ATP-Konzentration Die Freisetzung von Insulin wird gehemmt durch:
führt zur Schließung der ATP-abhängigen Ka- • az-adrenerge Stimuli, die zur Hyperpolarisierung
liumkanäle, die im Ruhezustand tonisch offen der ß-Zelle beitragen,
sind und das Ruhepotential der ß-Zelle nahe • durch Galanin und Somatostatin, die beide die
am Kaliumgleichgewicht halten (-80 m V). Als exozytotischen Prozesse hemmen.
Konsequenz der Schließung der Kaliumkanäle
kommt es zur Depolarisierung der ß-Zelle, die
• Glukose. Es ist ersichtlich, dass die ß-Zelle auf
zur Öffnung spannungsabhängiger Kalziumka-
vielfältige Stimuli mit einer Modulation der Insulin-
näle (L-Typ) führt, den Einstrom von Kalzium
freisetzung reagiert. Den wichtigsten Stimulus stel-
in die ß-Zelle ermöglicht und durch die anstei-
len Veränderungen in der Blutglukosekonzentration
gende intrazelluläre Kalziumkonzentration den
dar, die die Insulinfreisetzung über einen weiten
Exozytoseprozess der Insulin enthaltenden Gra-
Konzentrationsbereich beeinflussen. Auch niedrige
nula in Gang setzt. Die ATP-abhängigen Kalium-
Konzentrationen an Glukose, wie sie im Hungerzu-
kanäle sind die Angriffspunkte für Sulfonylharn-
stand vorkommen können, sind von Bedeutung, da
stoffe und antihypertensive wirkende Kalium-
sie die basale Insulinsekretion aufrechterhalten. Zu-
kanalöffner, die die Öffnungswahrscheinlichkeit
sätzlich spielt die Glukose eine zentrale Rolle im Me-
dieser Kanäle erhöhen und damit das Kalium-
tabolismus der ß-Zelle, sodass Glukose die Sensiti-
gleichgewicht in die Nähe des Ruhepotentials ein-
vität der ß-Zelle auf andere Reize beeinflussen
stellen. Die Freisetzung von Insulin wird geför-
und verändern kann. Glukose hat somit einen per-
dert durch:
missiven und regulatorischen Einfluss auf die Frei-
• lnositoltriphosphat: parasympathische Reize
setzung von Insulin.
(Azetylcholin) verstärken die glukoseinduzierte
lnsulinfreisetzung über eine Sensitivierung der
Kalziumabhängigkeit der sekretorischen Prozesse, • Aminosäuren. Als weiterer Stimulus sind Amino-
• zyklische 3' -,5' -AMP: die Aktivierung der Adenyl- säuren von physiologischer Bedeutung. Die meisten
zyklase durch Glukagon und ß-adrenerge Stimuli Aminosäuren sind in der Lage, die Insulinsekretion
beschleunigen über eine Proteinkinase-A-abhän- zu fördern. Eine Mischung von Aminosäuren in
gige Phosphorylierungskaskade die Exozytose in- einer proteinhaltigen Mahlzeit stimuliert die Freiset-
sulinhaltiger Granula, zung von Insulin aber in einem geringeren Ausmaß
• die Synthese von Arachidonsäuremetaboliten als eine kohlenhydratreiche Mahlzeit. Auf der ande-
über den Zyklooxygenase- bzw. Lipoxygenaseweg ren Seite fördern Aminosäuren auch die Freisetzung
16.1 Physiologie 611
von Glukagon und wirken somit antagonistisch zum tion. Als Nettoeffekt ergibt sich in der Regel in vivo
Insulin. eine Hemmung der glukosestimulierten Insulinse-
kretion.
• Gastrointestinale Hormone. Gastrointestinale
Hormone wie das "gastric inhibitory peptide", das
Cholecystokinin und GLP ("glucagon like peptide") 16.1.4
sind für die bei oraler Aufnahme von Glukose beob- lnsulinrezeptorsignalkaskade
achtete verstärkte Freisetzung von Insulin verant-
wortlich. Der Insulinrezeptor ist ein tetrameres a 2/ß 2-Protein
mit Tyrosinkinaseaktivität. Die arUntereinheiten
• Adrenalin. Das Stresshormon Adrenalin aktiviert sind vollständig auf der Außenseite der Plasma-
az-adrenerge, inhibitorische Rezeptoren ebenso wie membran lokalisiert und enthalten die insulinbin-
die in geringerer Zahl auf der ß-Zelle vorkommen- dende Domäne. Die ßrUntereinheiten leiten als
den ß-adrenergen Rezeptoren. Als Ergebnis ist die transmembranäre Proteine über ihre Tyrosinkinase-
akute Insulinfreisetzung nach Glukosebelastung aktivität das Insulinsignal in das Zellinnere weiter.
deutlich gehemmt, während die basale Freisetzung Durch Bindung von Insulin an die a-Untereinheit
von Insulin nicht beeinflusst wird. wird die Autophosphorylierung der ß-Untereinhei-
ten induziert, ein Prozess, der mit einer Aktivierung
• Azetylcholin. Azetylcholin als postganglionärer der Tyrosinkinaseaktivität gegenüber intrazellulä-
Neurotransmitter parasympathischer Nerven stimu- ren Substraten verbunden ist. Die Aktivierung der
liert die Insulinsekretion über die Aktivierung mus- Tyrosinkinase stellt somit einen notwendigen
karinerger Rezeptoren auf der ß-Zelle. Schritt in der Signalkaskade des Insulins dar. Muta-
tionen im Bereich der Tyrosinphosphorylierung
• Noradrenalin. Noradrenalin als postganglionärer (Lys 1018, Met 1153) sind mit Defekten der Wirkun-
Neurotransmitter sympathischer Neurone übt ähn- gen von Insulin auf den Glukosetransport, die Gly-
lich wie Adrenalin eine doppelte Wirkung auf die ß- kogensynthese und die Stimulierung der Proliferati-
Zelle aus: über die Aktivierung der az-adrenergen on von Gefäßzellen assoziiert. Abbildung 16-5 gibt
Rezeptoren eine Hemmung der Insulinfreisetzung, eine aktuelle, hypothetische Übersicht über die Si-
über die der ß-adrenergen Rezeptoren eine Stimula- gnalwege des Insulins. Die Signalkaskade beginnt
Insulinrezeptor
RASKomplex
t
+
PKB (Akt)
Raf-1
+
MAPKK
+
GSK3
S6k
MAP-Kinase
t
+
Glykogensynthese
pp70 PP 90 rsk
,! '-
Zellproliferation Proteinsynthese
Abb. 16-5. Signalwege des Insulins (hypothetisch). Die Insu- (Grb2, SOS, Syp) auf intrazellulär~ Signalmediatoren wie PI-3-
lin-Signalkaskade umfasst direkte Protein-Protein-Wechsel- Kinase und den Ras-Komplex. Uber den Ras-Komplex wird
wirkungen, die auf der Ebene des Insulinrezeptors ansetzen. der MAP-Kinaseweg aktiviert, der für die insulinabhängige
Die Tyrosinkinaseaktivität des Insulinrezeptors führt zur Aktivierung der Proteinsynthese und der Zellproliferation
Phosphorylierung von Insulinrezeptorsubstraten (IRS) und von wesentlicher Bedeutung ist. Die Translokation der Gluko-
shc. Die Phosphotyrosine dieser Proteine übertragen das setransporter (Glut4) ist von der Aktivierung der PI-3-Kinase
Insulinsignal über SH2-Domänen und Adaptermoleküle abhängig. (Mod. nach Holman u. Kasuga 1997)
612 KAPITEL 16 Glukose
mit der Protein-Protein-Wechselwirkung auf der vom Insulin tyrosinphosphorylierten Proteinen ist
Ebene des lnsulinrezeptors, sodass die Tyrosin- bisher nur unzureichend bekannt und stellt ein
kinaseaktivität aktiviert wird. Zusätzlich zur Tyro- wichtiges Forschungsfeld der nächsten Jahre dar.
sinphosphorylierung der ß-Untereinheit des Insu-
linrezeptors wurden verschiedene endogene Sub-
Glukosetransport
strate der Tyrosinkinase in insulinsensitiven Gewe-
Eine der wichtigsten biologischen Wirkungen des
ben wie Muskel, Fettgewebe und Leber identifiziert:
Insulins ist die rasche Beschleunigung der Glukose-
die so genannten Insulinrezeptorsubstrate (IRS 1-6)
aufnahme durch die Muskel- und Fettzelle (10- bis
und das src-homologe Kollagenprotein (shc). IRS1
30-fache Beschleunigung). Diese außerordentliche
wurde als ein Protein mit einem Molekulargewicht
Sensitivität der Glukoseaufnahme für Insulin ist
von 185.000 identifiziert und wird nach Stimulie-
ein typisches Kennzeichen von Fett- und Muskelzel-
rung des Insulinrezeptors dosisabhängig phospho-
le und wird nur in Zellen beobachtet, die eine spe-
ryliert. Es enthält eine src-homologe Domäne
zifische Isoform des Glukosetransporters, Glut4, ex-
(SH2). Derartige SH2-Domänen spielen bei vielen
primieren. In Abwesenheit von Insulin ist der Glut4
intrazellulären Signalwegen eine wichtige Rolle, da
in intrazellulären, tubulovesikulären Strukturen lo-
sie mit hoher Affinität Phosphotyrosinmotive bin-
kalisiert. Zugabe von Insulin führt zu einer raschen
den und somit eine spezifische Protein-Protein-
Translokation von Glut-4-Molekülen aus einer Mi-
Wechselwirkung zwischen signalgebenden Molekü-
krosomenfraktion niedriger Dichte in die Plasma-
len in der Zelle ermöglichen. Neben IRS1 wurden
membran der Zelle. Diese Umverteilung der Glut4
inzwischen eine Reihe von weiteren !SR-Proteinen
aus intrazellulären Speicherformen an die Zellober-
isoliert und identifiziert. Mutationen im Bereich
fläche wurde mit unterschiedlichsten Techniken ein-
der IRS verursachen in der Regel Defekte in der
deutig nachgewiesen und ist die Voraussetzung für
lnsulinsignalübertragung, die aber nur in wenigen
die beobachtete insulinabhängige Beschleunigung
Fällen Ursache für die Entwicklung eines Diabetes
der Glukoseaufnahme.
sind. Phosphotidylinositol-3' -kinase (Ptdins 3' -kina-
se = Pl-3-kinase) ist eine Lipidkinase, die die Phos-
phorylierung von Phosphoinositol an der 3'-Hydro- Glykogensynthese
xylgruppe des D-Myoinositols katalysiert. Dieses Als Konsequenz der Insulinwirkung wird die Glyko-
Enzym besteht aus einer 110.000 großen katalyti- gensynthese im Muskel, im Fettgewebe und in der
schen und einer 85.000 kd großen regulatorischen Leber beschleunigt. Der geschwindigkeitsbestim-
Einheit, die zwei SH2-Domänen und eine SH3-Do- mende Schritt der Glykogensynthese wird durch
mäne enthält. Ptdins-3'-kinase war das erste Enzym, die Glykogensynthase katalysiert, ein Protein, das
für das eine Wechselwirkung mit dem tyrosinphos- im Skelettmuskel als ein 80-84 Kd-Protein vorliegt.
phorylierten IRS1 nachgewiesen werden konnte. Die Glykogensynthase wird durch Phosphorylierung
Eine weitere Komponente, mit der der phosphory- inaktiviert, Insulin aktiviert die Glykogensynthase
lierte Insulinrezeptor wechselwirken kann, ist das durch Dephosphorylierung (Abb. 16-6).
Grb2, ein Protein, das zunächst über seine Fähigkeit,
den phosphorylierten EGF-Rezeptor zu binden, cha-
Proteinsynthese
rakterisiert wurde. Über diese verschiedenen, kaska-
Es ist schon lange bekannt, dass Insulin die Protein-
denförmigen Protein-Protein-Wechselwirkungen
biosynthese aktiviert. Die Wirkung von Insulin
werden letztlich ras-Proteine aktiviert, deren Akti-
scheint im Wesentlichen in der Initiation der Trans-
vierung Voraussetzung für die Vermittlung der Wir-
lation zu liegen. So erhöht Insulin die Anzahl der für
kungen von Insulin auf die Mitogenese und die Zell-
die Proteinsynthese initiierten Ribosomen. Dieser
zyklusprogression angesehen wird. Über Grb2 ist
Prozess ist abhängig von der Aktivierung einer Reihe
auch die Bindung der mikrotubuliaktivierten
von Initiationsfaktoren (eiF-2, eiF2b, eiF-4 und an-
GTPase Dynamin möglich, die eine funktionelle Rol-
dere), deren Wechselwirkung bisher nur partiell ver-
le für die rezeptormediierte Endozytose und die kla-
standen ist (Abb. 16-5).
thrinabhängige Fusion von Vesikeln spielen soll. Als
weiteres SH2-haltiges Protein wechselwirkt die Pro-
teintyrosinphosphatase Syp (oder SHPTP2) mit dem
tyrosinphosphorylierten Insulinrezeptor. Neuere
Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass der
IRS1-Syp-Komplex ebenfalls an der insulinabhängi-
GS- 0 (inaktiv) ----tlllllt> GS (aktiv)
gen Aktivierung von ras beteiligt ist. Der molekulare Abb. 16-6. Aktivierung der Glykogensynthase durch Insulin.
Mechanismus dieser komplexen und vielfältigen P Phosphatgruppe
Wechselwirkungen zwischen den in Abhängigkeit
16.1 Physiologie 613
I Hyperglykämie J. 11 Adipositas
I
I
Aktivierung des
t
I
G~kierung und
tll
111 ~ktivierung der
t
Insulinresistenz ....__
Polyolstotf-
wechselweges ;"1~~ p]"~' c
t
I IOxidativer Stress
] TNF-a I
Abb. I6-9.
I
Verschiedene molekulare Mechanismen
Molekulare Mechanismen " Effektorsysteme 1 vermitteln die Hyperglykämie-abhängige
Entwicklung diabetiseher Spätschäden
Stoffwechselwege beruht (Abb. 16-9). Eine mögliche Verschiedene antioxidative Mechanismen schützen
gemeinsame Endstrecke aller durch Hyperglykämie Zellen unter physiologischen Bedingungen vor der
bedingten zellulären Veränderungen scheint die Er- Schädigung durch reaktive Sauerstoffverbindungen.
zeugung von oxidativem Stress zu sein. Unter phy- Superoxiddismutasen und Peroxidasen sind antioxi-
siologischen Bedingungen kann Glukose leicht oxi- dativ wirkende Enzyme, die die Reduktion von Per-
diert werden und in Folge Wasserstoffperoxide und oxiden katalysieren und dadurch endogen entste-
reaktive Zwischenprodukte erzeugen. Unter hyper- hende reaktive Sauerstoffverbindungen neutralisie-
glykämischen Bedingungen sind das Auftreten reak- ren (s. folgende Übersicht).
tiver Sauerstoffverbindungen (ROS = "reactive oxy-
gen species"), die Peroxidbildung und die sowohl in- Antioxidativ wirkende Enzyme
tra- als auch extrazelluläre Bildung freier Sauerstoff-
radikale deutlich vermehrt (s. folgende Übersicht). • Superoxiddismutase: 2 0 2.+2H+ > H 20 2+ 0 2,
• Katalase: 2 H 20 2 > Oz + 2 H20,
Hyperglykämieabhängige Bildung von freien • Glutathionperoxidase: 2 GSH + H 20 2 > GSSG + 2
Sauerstoradikalen und oxidativem Stress H 20,
erfolgt durch • Phospholipid-Hydroperoxid-Glutathionperoxi-
dase: 2 GSH + LOOH > GSSG + LOH + H 20.
• Autoxidationen von Glukose
• Hyperglykämische Pseudohypoxie
• Zwischenprodukte des Cyclooxygenase-Stoff- • Modulation der Verfügbarkeit von Stickstoff-
wechselweges monoxid. Stickstoffmonoxid (NO) ist ein kleines,
• Bildung von "advanced glycation endproducts" kurzlebiges und hochreaktives Radikal, das durch
(AGEs) (s. unten) das Enzym NO-Synthase (NOS) aus Sauerstoff
• Carbonyl-Stress und Arginin gebildet wird (Abb. 16-10). Bisher
• Aktivierung des Polyolstoffwechselweges (s. un- wurden 3 Formen der NOS beschrieben. Die konsti-
ten) tutiven eNOS und nNOS werden von Endothelzellen
• Aktivierung von Proteinkinase C (s. unten) und Neuronen exprimiert, während eine induzier-
• Verminderung antioxidativer Abwehrmechanis- bare Form (iNOS) in fast allen Zelltypen zu finden
men ist. Unter physiologischen Bedingungen wird NO
• Intrazellulär durch Bindung von AGEs an RAGE konstitutiv von vaskulärem Endothel freigesetzt,
(s. unten) vermittelt die Relaxation von glatten Muskelzellen
• Intrazellulär durch verstärkte Produktion von durch Induktion von zyklischem Guanosinmono-
Sauerstoffradikalen in der Elektronentransport- phosphat (cGMP) und moduliert dadurch den Ge-
kette der Mitochondrien (als Folge verminderter fäßtonus. Die NO-abhängige Vasodilatation und
mitochondrialer Glutathionspiegel) Thrombozytenaggregationshemmung erfolgt durch
direkte Stimulation der Guanylatzyklase und Er-
höhung der cGMP-Konzentration in Thrombozyten
und glatten Muskelzellen. Neue Arbeiten zeigen,
dass NO auch unabhängig von cGMP die Aktivie-
616 KAPITEL 16 Glukose
NH2
ci+
Calmodulin NH2
I NADPH I
C=NH c=o
I
NH
I
! I
NH
I
CH2 + o2 NO-Synthase
CH2 + NO
I
CH2 JH2
I I
CH 2 CH2
I I
H-C-NH H-C-NH
I 2 I 2
COOH COOH
Abb.l6-10.
( Arginin + Sauerstoff ) _ _ _ _ _..,.. Citrullin + Stickstoffmonoxid NO-Synthase katalysiert die Umsetzung von
'----------------/ NO aus Arginin und Sauerstoff
rung des Transkriptionsfaktors NF-KB in Endothel- Fettsäuren bewirken und dadurch Hydroperoxide
zellen hemmen kann, indem es dessen Zytoplasma- bilden, die in Gegenwart von Übergangsmetallen
tischen Inhibitor IKB stabilisiert. In Folge vermin- zu Alkoxyradikalen umgebildet werden und ihrer-
dert NO die NF-KB abhängige Expression proin- seits eine weitere Fortpflanzungsreaktion bedingen.
flammatorischer Gene im Endothel. Folgende Über- Als Folge der Lipidperoxidation in Zellmembranen
sicht fasst die Eigenschaften von NO zusammen. kommt es zu Funktionsänderungen der Membranen
und zur Störung von Lipid-Protein-Interaktionen (s.
folgende Übersicht). Peroxidierte Fettsäuren kön-
Eigenschaften von Stickstomonoxid (NO)
nen durch das Enzym Phospholipase A2 aus betrof-
fenen Membranen entfernt und zu Aldehyden (z. B.
• Vasodilatation
Malondialdehyd) abgebaut werden.
• Aktivierung von cGMP
• Inhibition der Thrombozytenadhäsion und -ag-
gregation Folgen der Lipidperoxidation in Zellmembranen
• Inhibition der Monozytenadhäsion am Endothel
• Hemmung der Leukozytenadhäsion am Endothel • Veränderung der Permeabilität
• Verhinderung der Proliferation glatter Muskel- • Verminderung der Fluidität
zellen • Veränderung der Ionenkanäle
• Inhibition der Aktivierung des Transkriptions- e Veränderung membranständiger Rezeptoren
faktors NF-KB in Endothelzellen
• Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-KB in
Monozyten/Makrophagen Neben membranständigen Phospholipiden unterlie-
• Hemmung der proinflammatorischen Mediato- gen aufgrundihres hohen Gehaltes an mehrfach un-
ren Interleukin-6 und Interleukin-8 gesättigten Fettsäuren vor allem "Low-density-Lipo-
• Hemmung der oxidativen Modifikation von LDL proteine" (LDL) einer vermehrten Lipidperoxidati-
• Hemmung der Zytotoxizität von oxidiertem LDL on. Monozyten/Makrophagen binden oxidierte
auf Endothelzellen LDL nicht über den klassischen LDL-Rezeptor, son-
• Regulation der zellulären Immunantwort dern über "Scavenger-Rezeptoren". Im Gegensatz
• Beteiligung an der exzitatorischen Neurotrans- zum LDL-Rezeptor unterliegen "Scavenger-Rezep-
mission toren" keiner substratabhängigen Regulation, so-
• Zytotoxisches Agens aktivierter Makrophagen dass phagozytierende Makrophagen sehr rasch gro-
ße Mengen an LDL aufnehmen und sich bei dem
Versuch, die akkumulierenden Lipide zu entfernen,
• Lipidperoxidation und Membranschädigung. in lipidbeladene Schaumzellen umwandeln. Unter
Durch die Reaktion von Radikalen mit den mehr- hyperglykämischen Bedingungen trägt neben der
fach ungesättigten Fettsäuren von Membranphos- Peroxidation die gleichzeitige Glykierung von LDL
pholipiden bilden sich bei ausreichend hoher Sauer- ("Glykoxidation"; s. folgende Übersicht) dazu bei,
stoffspannung Peroxylradikale. Peroxylradikale dass die Iysosomale Degradation von LDL durch
können den Wasserstoffentzug an benachbarten Makrophagen verlangsamt wird.
16.2 Pathophysiologie diabetiseher Spätschäden 617
Oxidativer Stress
Zytokine
AG Es
Proteinkinase C
Aktivatoren
LDL
Viren
u.a.
IKB - Kinasen
I
Phos~
ph~~'""" P
Ba
B
- Degradation,... S
Autoregulatorischer
I
Translokation
Regelkreis
Abb.l6-ll.
Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-kB
618 KAPITEL 16 Glukose
des NF-KB spezifischen Inhibitors IKBa unter der dation von LDL und der Peroxidation ungesättigter
Kontrolle von NF-KB steht, ermöglicht ein autoregu- Fettsäuren gebildet werden. Als weitere Zwischen-
latorischer Regelkreis, dass die Aktivierung von NF- produkte treten reaktive Dicarbonylintermediate
KB nur transient erfolgt (Abb. 16-11). Eine Ausnah- wie z. B. 3-Deoxyglukoson, Arabinase und Methyl-
me bildet die RAGE-vermittelte NF-KB-Aktivierung, glyoxal auf, die zur AGE-Bildung beitragen. Reaktive
die durch vermehrte NF-KBp65-Synthese die Inhibi- Dicarbonyl-Zwischenprodukte wie Glyoxal und
tion durch IKB kompensiert und eine dauerhafte Arabinose können auch durch metallkatalysierte
NF-KB-Induktion ermöglicht. Autoxidation von Glukose entstehen und Querver-
netzung von Proteinen und AGE-Bildung auslösen.
Besonders leicht bildet Glyoxal mit den Aminosäu-
Klinische Relevanz
ren Arginin und Lysin Quervernetzungen, wodurch
In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass
ebenfalls Pentosidin und CML gebildet werden kön-
Patienten mit Diabetes mellitus und Spätschäden
nen. Bei histologischen Untersuchungen von Nie-
auch vermehrt oxidativem Stress ausgesetzt sind.
renbiopsien diabetiseher Patienten wurde vor kur-
Es ist möglich, oxidativen Stress durch medikamen-
zem das glykierungsunabhängige Lipidperoxidati-
töse Maßnahmen zu kontrollieren. Es bleibt aber
onsprodukt Malondialdehyd in den Glomeruli nach-
unbekannt, wo der therapeutisch gewünschte Spie-
gewiesen, die eine vermehrte Akkumulation von
gel an oxidativem Stress liegt, ebenso wie es völlig
Pentosidin und CML aufwiesen. Neue Untersuchun-
unklar ist, wie viel oxidativer Stress physiologisch
gen zeigen, dass auch mit der Nahrung und inhalativ
notwendig ist und unterhalb welcher Schwelle sein
durch Rauchen aufgenommene Glykotoxine im Se-
Mangel schädigend sein könnte.
rum zirkulieren. Während Gesunde 30-50 o/o dieser
Glykotoxine innerhalb von 48 h mit dem Urin aus-
scheiden, ist die Exkretion bei Patienten mit Nieren-
insuffizienz mit weniger als 5 o/o stark vermindert.
16.2.2
Die exogen zugeführten AGEs erhöhen in Folge
"Advanced glycation endproducts" (AGEs)
die Serum-AGE-Konzentration. (Abb. 16-13}. Die
genaue Struktur der verschiedenen AGE-Querver-
Synthese und Regulation
netzungen, die in vivo auftreten, ist in vielen Fällen
In Gegenwart hoher Glukosekonzentrationen rea-
jedoch noch unbekannt. Im Gewebe wurden nur
gieren primäre Amine in Proteinen, Phospholipiden
CML und Pentosidin eindeutig nachgewiesen. In
und Nukleinsäuren in einer nichtenzymatischen
Plasma und Urin von Diabetikern konnten zudem
Kondensationsreaktion mit reduzierenden Zuckern
Dicarbonylintermediate und Methylglyoxal be-
zu Schiffsehen Basen. Schiffsehe Basen können
stimmt werden.
sich spontan zu 1-Aminodesoxyketosen umlagern,
die als Amadori-Produkte bezeichnet werden. Oxi-
dation der Amadori-Produkte, Dehydrierung und Einfluss auf die Zielzelle
nachfolgende Eliminations- und Kondensations- AGE-Modifrkationen verändern daher zum einen
reaktionen führen zur Entstehung von irreversibel die Struktur, Eigenschaft, Funktion und "Turn-
quervernetzten Strukturen, die unter dem Begriff over-Rate" der betroffenen Makromoleküle (s.
"advanced glycation endproducts" (AGEs, fortge- Übersicht).
schrittene Glykierungsprodukte) zusammengefasst
werden (Abb. 16-12). Von den zahlreichen mögli- Eigenschaften von AGE-Proteinen
chenAGE-Strukturenwurden bisher jedoch nur we-
nige Moleküle isoliert und strukturchemisch aufge- • Fehlerhafte Verankerung von Typ-4-Kollagen in
klärt. Oxidationsprozesse, die die Glykierungsreak- die Basalmembran
tion und die Verfügbarkeit von Übergangsmetallen • Stabilisierung von Kollagen durch AGE-bedingte
fördern, erleichtern die Bildung von stabilen irrever- Kollagenaseresistenz
siblen Modifikationen wie die Bildung von Glykoxi- • Vermehrte Ablagerung an der Gefäßwand und
dationsprodukten, z. B. (3,4}NE-(Carboxymethyl)ly- Verringerung des Gefäßvolumens
sin. CML bildet sich zum einen aus Glukose oder • Vermehrte Ablagerung an Basalmembranen
Threose, einem Abbauprodukt von oxidiertem As- • Glomeruläre Hypertrophie und Glomerulaskle-
corbat, in einer durch Übergangsmetalle katalysier- rose
ten Fragmentationsreaktion, zum anderen .durch • Vermehrte Sekretion der mesangialen Matrix
Autoxidation von Glukose und Ascorbat über Glyo- • Verminderung matrixgebundener Heparansul-
xal als Zwischenprodukt. CML kann aber auch wäh- fatproteoglykane
rend der durch Übergangsmetalle katalysierten Oxi- • Erhöhung der Endothelzellpermeabilität
16.2 Pathophysiologie diabetiseher Spätschäden 619
0 0
'c~
.~i
N- terminale
+t
• T• •
•NH
II
Schiff'sche Basen CH
(Aldimine)
I
<j>4
I
av>"
~t
Amadori-Produkte
• i. •
NH
(1-Aminodesoxyketosen) I
C"'z
I
Dehydrierung c=o
t
ß-Eiimination (CHOH}3
Kondensationsreaktionen I
--+----
C'\OH
Oxidation
.
lrreverstble Quervernetzungen -
I
t
Advanced Glycation Endproducts .. T I •
(AGEs)
Abb. 16-12.
Die Maillard-Reaktion der AGE-Bildung
Glykotoxine
aufgenommen durch die Nahrung
und inhalativ durch Rauchen
I
Erhöhte AGE- Bildung von Quer-
Serumkonzentration vernetzungen
\Ablagerung in Gefäßen \
Gesteigerte
Thrombusbildun
-........e.:::::------1 Gefäßschäden \
---~1 Nierenschädigung I
30% -so•.• der < s•,. der Glykotoxine
Glykotoxine werden werden innerhalb von
innerhalb von 48 Std. 48 Std. mit dem Unn
mitdem Urin ausgeschieden
ausgeschieden
Abb.l6-I3.
( Gesunde ) ( Diabetiker mit Nierenschäden ) Exogene AGEs werden durch die Nahrung
aufgenommen
620 KAPITEL 16 Glukose
AG Es
Abb.l6-14.
Perpetuierung Beschreibung des Zeitverlaufs
der Zellaktivierung durch Zy-
RAGE -Induktion Be1Sp1el: NF-KB-Aktiv1erung tokine und AGE-Proteine
Klinische Relevanz
Aminoguanidin
Aminoguanidin ist eine pharmakologische nukle-
H2N-NH-C-NH2
ophile Hydrazinkomponente, die mit terminalen II +
Aminogruppen von Intermediärprodukten der frü- NH 2
hen Glykierungsreaktion wie z. B 3-Deoxyglukoson
reagiert (Abb. 16-15). Die Bildung von 3-Amino-5-
und 3-Amino-6-substituierten Triazinen verhindert
in Folge die weitere Umlagerung und Bildung von
irreversiblen Quervernetzungen (Abb. 16-15). Nach
viel versprechenden Tierversuchen, in denen Substi-
tution mit Aminoguanidin die AGEs-vermittelte
Entstehung diabetiseher Komplikationen verhin-
dern konnte, wird diese Substanz derzeit in klini-
schen Studien an Patienten mit Diabetes mellitus ge-
prüft. Auch wenn sich das Therapieprinzip in der
Klinik als ebenso wirksam wie im Tierexperiment er-
weisen sollte, wird eine Intervention mit AGE-Bil-
dungshemmern nur dann effektiv sein, wenn sie Irreversible Quervernetzung
zu einem frühen Zeitpunkt der Erkrankung einge-
setzt werden. Da dies häufig nicht gewährleistet ~ Ausscheidigung im Urin
ist (z. B. Patienten mit metabolischem Syndrom), Ablagerung
wird an der Entwicklung von Substanzen gearbeitet, Abb.l6-15. Die Inhibition der AGE-Bildung durch Amino-
die spezifisch Diketonbrücken in bereits gebildeten guanidin
622 KAPITEL 16 Glukose
Klinische Relevanz
Der Einsatz von Aldosereduktase-Inhibitoren hat
Aldosereduktase
sich bis heute nur bei der diabetischen Neuropathie
bewährt, bei der eine Verbesserung der Nervenleit-
geschwindigkeit beobachtet werden kann. Im Ge-
gensatz dazu konnte bei der Retinopathie kein po-
( Sorbitol ) •
sitiver Effekt von Aldosereduktasehemmern nach-
NAD+ gewiesen werden, obgleich die Aldosereduktase-ab-
hängige Akkumulation von Fruktose und Sorbitol
Sorbitoldehydrogenase
(Polyoldehydrogenase) im Auge zu einem Zusammenbruch der Osmoregu-
lation führt, die sich klinisch als Katarakt manife-
NADH stiert. Auch die Basalmembranexpansion in Retina,
Niere, Gefäß und Muskel wurde durch Aldosereduk-
taseinhibitoren nicht positiv beeinflusst.
Dihydroxy -
acetonphosphat
l
Spätschäden
Abb. l6-l7.
Triacy lglycerin
Diacylglycerin ist ein
(Depot - und
Kofaktor der Protein-
Speicherlipide)
kinase C
624 KAPITEL 16 Glukose
25
20
i:
:l0 15
ci:
10
0
<20 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 <=70
Alter (in Jahren)
Abb.l6-l8. Altersverteilung des Insulinoms bei 60 Patienten. (Mod. nach Service et al. 1976)
626 KAPITEL 16 Glukose
Tumormarker der neuroendokrinen nese notwendig für die Entstehung eines malignen
Pankreastumoren Insulinoms ist (Abb. 16-20). Die Proliferationsakti-
vität von Insulinomen ist bemerkenswert gering,
• Chromgranine/Sekretogranine mit einem Anteil von nur weniger als 7 o/o proliferie-
• Neuronenspezifische y-Enulase (NSE) renden Tumorzellen. Hinsichtlich der Lokalisation
werden Unterschiede zwischen malignen und benig-
nen Tumoren nicht beschrieben (Abb. 16-21). Ekto-
pe Insulinome kommen in ca. 1 o/o der Fälle vor. Fol-
Pathomorphologie gende Übersicht gibt die Verteilung dieser wieder.
Insulinome sind zumeist relativ kleine, zirkums-
kripte Tumoren, mit einem medianen Durchmesser Lokalisation ektoper lnsulinome
von 1,6 cm. Ein bindegewebige Kapsel ist inkonstant
vorhanden. Die Histologie von Insulinomen ent- • Im Milzhilus
spricht derjenigen anderer neuroendokriner Tumo- • Im Ligamentum gastrocolicum
ren. Sie bestehen aus trabekulären, insulären, oder • In der Leberpforte
pseudoglandulären Formationen von mittelgroßen, • Im Duodenum
polygonalen Zellen.
• Gastrin
Insulinome im Rahmen einer MEN Typ 1 sind meist
• ACTH
multiple. Bezüglich der Dignität weisen benigne und
• Glucagon
maligne Insulinome keine signifikanten histologi-
• Somatostatin
schen Unterschiede auf. Auch ein vermeintlicher
• Serotonin
Kapseldurchbruch ist noch nicht beweisend für
• Pankreatisches Polypeptid
die Malignität, sondern erst das Vorliegen von Me-
tastasen. Gleichwohl ist eine prospektive Einschät- • hCGT
• Kortikotropin
zung der Dignität eines Insulinoms möglich, wenn
die Tumorgröße als Kriterium berücksichtigt wird
(Abb. 16-19). In Versuchen mit Ratten konnte ge-
zeigt werden (Folkman et al. 1989), dass neben Im Verlaufe der Erkrankung kann sich das Sekreti-
der Onkogenaktivierung die Induktion der Angioge- onsverhalten des Tumors ändern. Metastasen sezer-
-------- --------
Tumorgröße
Angioinvasion mikroskopisch
eindeutig nachweisbar
Abb.I6-19. Tumorgröße als Hinweis auf die Dignität. (Mod. nach Capella et al. 1995)
16.3 lnsulinom 627
normale ß- Zelle
/ lnsulint ~
Onkogenaktivierung 1 Hepatische j
+ GlukosefreisetzunQ Periphere
Glukoseutilisation
/
(- 36%)
benigne ß- Zellhyperplasie
nieren häufig andere Peptide als der Primärtumor. Dieser Vorrat kann den Glukosebedarf für 3-8 h
Pathophysiologisch entscheident für das Beschwer- decken. Anschließend ist die Glukoneogenese für
debild des Insulinoms ist die unkoutrollierte Freiset- die Aufrechterhaltung eines ausreichenden Blut-
zung des Insulins mit nachfolgender Störung des he- glukosespiegels entscheidend. Da sowohl die
patische Glukosemetabolismus (Abb. 16-22). Die Glukogenolyse als auch die Glukoneogese beim
verminderte Glukosefreisetzung aus der Leber trägt Insulinom vermindert ist, kommt es zu einem Ab-
entscheidend zum Glukosemangel bei. Der absolute sinken des Blutzuckerspiegels spätestens nach 5 h
periphere Glukoseverbrauch von Insulinompatien- (Abb. 16-23). Glukogenolyse und Glukoneogenese
ten ist nicht höher als beim Gesunden, aber - bezo- finden in der Leber (80 %) und den Nieren (jeweils
gen auf den niedrigen Blutzuckerspiegel - relativ zu 10 %) statt. Nach längerem Fasten nimmt der Anteil
hoch. Werden Insulinompatienten in "clamp" Ver- der Nieren an der Glukoseproduktion bedeutend zu.
suchen euglykämisch (durch ausreichende intrave- Nach 50 Tagen Fasten beträgt der Anteil der renalen
nöse Glukosezufuhr), entspricht die periphere Glu- Glukoneogenese 50%. Neuere Daten zeigen auch
koseutilisation der Normalsituation. Somit ist bei nach 2-stündiger Hypoglykämie eine Zunahme des
ausreichendem Substratangebot die Glukoseutilisa- Anteils der renalen Glukoneogenese auf 60 o/o (Cer-
tion trotz bestehender Hyperinsulinämie nicht ge- sosimo et al. 2000; Abb. 16-24). Ein abfallender Blut-
genüber der Normalsituation gesteigert (Dei Prato zuckerspiegel führt zu verschiedenen gegenregulato-
S et al. 1993). Es wird deshalb eine Insulinresistenz rischen Mechanismen, die normalerweise, d. h. beim
beim Insulinom diskutiert. Beim Gesunden - ohne Gesunden, Hypoglykämien vermeiden (Abb. 16-25).
Hyperinsulinämie - wird der Blutzuckerspiegel in Die Blutzuckerschwelle der Gegenregulation, d. h.
einem engen Bereich von 60-100 mg/dl nüchtern die Blutzuckerwerte, bei denen die gegenregula-
und von bis zu 140 mg/dl postprandial konstant ge- torischen Hormone freigesetzt werden, liegt über
halten. Exogene und endogene Glukosequellen ver- der Blutzuckerschwelle für das Auftreten von Be-
hindern dabei ein Absinken des Blutzuckerspiegels. schwerden und Symptome der Hypoglykämie
Bei Vorliegen eines Insulinoms ist die endogene (Abb. 16-26). Beim Gesunden ist die Abnahme des
Glukoseproduktion infolge der Hyperinsulinämie Insulinspiegels der erste und wichtigste gegenregu-
vermindert, und die Patienten müssen regelmäßig latorische Mechanismus. Bei abfallendem Insulin-
628 KAPITEL 16 Glukose
Glukosequellen
exogen endogen
/ Abb.16-23.
Einfluß der Hyperinsulinämie
intestinale Glukoseabsorption Glukogenolyse ~ Glukoneogenese ~ auf den Glukosehaushalt
-c
·e 16
;
14 •Leber
Cl
oll:
12
• o Niere
ö 10
E
.=: 8
c
0 6
*
~
:I 4
"0
...Cl.
0
2 Abb.16-24.
Cll Glukoseproduktion von Leber und
111
0
0 Niere während Euglykämie und
~ Hypoglykämie. Die Hypoglykämie
:I Euglykämie Hypoglykämie wird durch exogene Insulinzufuhr
5 (Normal- induziert. * p < 0,01 gegenüber
Euglykämie. (Mod. nach Cersosimo
situation) et al. 1997)
spiegelwird keine Glukose mehr für die Glykogen- neuere Ergebnisse für eine Aktivierung der hormo-
synthese in der Leber verwendet. Gleichzeitig fällt nellen Gegenregulation im ZNS (s. folgende Über-
die Hemmung der hepatischen Glukogenolyse und sicht, Borg et al. 1997).
Glukoneogenese weg. Beim Insulinompatienten
bleibt die Hemmung der lnsulinfreisetzung trotz Hinweise auf die Bedeutung des ZNS
sinkendem Blutzucker aus. Infolge der fehlenden In- bei der hormonellen Gegenregulation
sulinsuppression kommt es zu einem weiteren Ab-
sinken des Blutzuckerspiegels, und somit zu einer • Freisetzung gegenregulatorischer Hormone bei
Aktivierung der übrigen gegenregulatorischen Me- isolierter ZNS-Hypoglykämie
chanismen. Für die Freisetzung gegenregulatori- • Fehlende Gegenregulation bei isolierter ZNS-Eug-
scher Hormone werden sowohl zerebrale als auch lykämie
extrazerebrale Mechanismen diskutiert. Auf der • Bei isolierter Hypoglykämie im ventralen medi-
einen Seite wird angenommen, dass die Leber alen Hypothalamus Kern:
eine dominante Rolle bei der Aktivierung der hor- Anstieg der Blutglukose
monellen Gegenregulation spielt, doch sprechen Anstieg des Adrenalin (um 600 o/o)
Anstieg des Noradrenalin (um 400 o/o)
Blutglukose + Blutglukose t Anstieg des Glukagon (um 200 o/o)
Insulin + ___j
Glukagon t __j Die Glukagonfreisetzung ist normalerweise, nach
der Suppression der Insulinfreisetzung, der wich-
Adrenalin t t tigste gegenregulatorische Mechanismus. Bei In-
sulinompatienten bleibt die Wirkung des Glukagons
Wachstumshormon und Cortisol t _j auf die Leber aus, obwohl die Glukagonspiegel
.
Gukoseautoregulation erhöht sind. Bei der gleichzeitig bestehenden Hyper-
insulinämie überwiegt die Wirkung des Insulins,
. andere Hormone, Neutratransmitter u.a. wobei die Ursache der unzureichenden oder fehlen-
Abb. 16-25. Gegenregulatorische Mechanismen (beim Ge· den Glukagonwirkung nicht bekannt ist (Abb. 16-27
sunden). (Mod. nach Cryer 1993) und 16-28). Die Aktivierung des vegetativen Nerven-
16.3 lnsulinom 629
Insulin~
Kateehe lamine t
Gluka ~on t
W< chs tu m rormon t
K rtisol t
Symptc me Abb.16-26.
Die Gegenregulation und Sym-
einges hränkte Bewußt ein ptome bei der Hypoglykämie in
Abhängigkeit des Blutzuckerspie-
gels. Der schwarze Strich markiert
den Bereich der jeweiligen "Blut-
40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 zuckerschwelle". (Mod. nach
BZ (mg/dl) Schwartz et al. 1987, Mitrakauet al.
1993
400
350
I 300
250 ~Gesunde
."'
Gi
-o-lnsulinompatlenten
.
ä.
0::
0
200
150
"'~ 100 Abb.l6-27.
::1
Plasmaglucagon bei gesunden Probanden und ln-
i5 50 sulinompatienten während 8-stündiger Nahrungs-
0 karenz. Die zum Zeitpunkt ull beim lnsulinom-
0 60 130 180 240 300 360 420 480 patienten schon höher liegenden Glucagonwerte
steigen während der Nahrungskarenz noch an.
Zelt(mln)
(Mod. nach Rizza et. al. 1981)
----4llt
ganglionären Neuronen des Sympathikus freigesetzt
Insulin "-
wird, entspricht der des Adrenalins. Die Wachs-
Glukagon -t tumshormon- und Cortisolfreisetzung trägt nur un-
wesentlich zur Korrektur einer akuten Hypoglyk-
Adrenalin -t ämie bei. Wachstumshormone führen initial eher
Wachstumshormon und Cortisol lf' _j zu einem weiteren Absinken der Blutglukose, und
erst nach einigen Stunden lässt sich eine Erhöhung
Gukoseautoregulation .. der Blutglukose nachweisen. Ebenso kann eine Wir-
kung des Cortisols erst nach 2-3 h nachgewiesen
• • andere Hormone, Neutratransmitter u.a.
werden, weshalb diese Hormone nur bei prolon-
Abb. 16-28. Gegenregulatorische Mechanismen (beim Jnsu- gierten Hypoglykämien eine Rolle spielen sollen
linompatienten). (Mod. nach Cryer 1993) (De Feo et al. 1989). Das pankreatische Polypeptid,
630 KAPITEL 16 Glukose
a b c
0 60 120
Zeit (min)
Abb. 16-29. Wirksamkeit von Glukagon und Adrenalin bei Kurve dem Verlauf des Blutzuckers bei pharmakologischer
der Gegenregulation. Blutzuckerspiegel während einer Insu- Ausschaltung der Adrenalinfreisetzung (a), der Glukagonfrei-
lininfusion (dicker Balken). Die durchgezogene Kurve ent- setzung (b) und sowohl der Glukagon- als auch der Adrenalin-
spricht der physiologischen Gegenregulation, die gestrichelte freisetzung (c). (Mod. nach Cryer et. al. 1981)
das unter vagaler Kontrolle steht, wird parallel mit Glukoseutilisation (Abb. I6-3I). Tierexperimentell
Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt, ist aber für konnte ein Anstieg der zerebralen Durchblutung
die Gegenregulation eher unbedeutend. Die Störung bei sinkenden Blutzuckerwerten nachgewiesen wer-
der Glukosehämostase und der Gegenregulation den (Gomez et al. I992), wie folgende Übersicht
führt beim Insulinompatienten zu pathologisch wiedergibt.
niedrigen Blutzuckerwerten. Während die redun-
danten und effektiven gegenregulatorischen Mecha-
nismen normalerweise ein Absinken des Blutzuk- Glukose
kers verhindern und damit die Versorgung des im Blut
ZNS mit Glukose auch in der postabsorptiven Phase
sicher stellen, ist dies beim Insulinompatienten
nicht gewährleistet. Die Aufnahme der Glukose
Glukose
über die Bluthirnschranke in das ZNS ist insulinun-
abhängig und wird durch den Glukosetransporter
(Glutl) reguliert (Abb. I6-30). Die Anzahl der
Glut -I-Transporter kann kurzfristig nicht geändert
werden. Bei normalen Blutzuckerspiegeln kann
der Glut-I-Transporter ungefähr die doppelte
Menge der benötigten Glukose über die Bluthirn-
Abb.16-30. Glukosetransport in das ZNS, Glutl: Glukose-
schranke transportieren. Der Glut-I-Transporter transport über die Bluthinrschranke, Glut3: Glukosetransport
ist also nur zur Hälfte ausgelastet und der Glukose- in die Zellen des ZNS, (Mod. nach Boyle 1997)
metabolismus des ZNS bestimmt die zerebrale Glu-
koseaufnahme. Bei niedrigen Blutzuckerspiegeln
wird der Glut -I-Transporter zum limitierenden Fak-
tor für die zerebrale Glukoseaufnahme, sodass eine Niedriger Blutzucker
zerebrale Glukopenie resultiert. Bei konstant niedri-
gen Blutzuckerwerten, wie dies bei lnsulinompatien-
Aktivierung des vegetativen Nervensystems
ten der Fall ist, erhöht sich innerhalb einiger Tage (insbesondere Adrenalin, Noradrenalin)
die Anzahl der Glut-I-Transporter, sodass es trotz
auffallend niedriger Blutzuckerwerten nicht zur ze- t
rebralen Glukopenie kommen muss (Simpson et al. zerebrale Durchblutung t
I999). Der Glukosetransport in die Zellen (Neurone t
oder Gliazellen) erfolgt überwiegend durch den kapilläre Durchblutung t
Glut-3-Transporter. Auch die Expression des Glut-
3-Transporters wird durch Hypoglykämie erhöht, "Rekrutierung" von Glutl Transportern
aber der Glut-3-Transporter scheint nicht geschwin-
digkeitsbestimmend für die Glukoseaufnahme in
das ZNS zu sein. Kurzfristig führt bei sinkenden zerebra le Glukoseutilisation
Blutzuckerwerten eine Steigerung der zerebralen Abb.I6-31. "Rekrutierung" von Glut-I-Transportern wäh-
Durchblutung zu einer verbesserten zerebralen rend einer Hypoglykämie
16.3 lnsulinom 631
.
1
-·--- - - -·
2
3
60 - -- - ** 3000
0
58
' 2500
"
-.
56
"
'
2000 s
0
.!!! 54 " E
E '
Q.
~
<
<.)
:1
52 "
'i"* ..
.. 1500-
.5
iG
c
> 0 •
1000 f!
50 "0
<
48 500
46 +----+----+----+----r---~----~--~--~0
0 30 60 90 120 150 180
Ze it (m in)
Abb. 16-32. Einfluss der zerebralen Durchblutung auf die Probanden waren euglykämisch (1, BZ = 90 mg/dl), oder hy-
hormonale Gegenregulation. Die zerebrale Durchblutung poglykämisch (2, BZ = 70 mg/dl, und 3, BZ = 50 mg/dl). Mit
(V MCA> gestrichelte Linie), gemessen an der Durchblutung der Coffein (o ) kommt es zu einer signifikanten Abnahme der ze-
A. cerebri media, wird pharmakologisch durch Coffein (o ) rebralen Durchblutung und zu einer signifikanten Zunahme
vermindert. Das Plasmaadrenalin (durchgezogene Linie) spie- des Plasmaadrenalins. • = Ergebnisse ohne Coffein (Plazebo)
gelt die hormonale Gegenregulation bei Hpyoglykämie wider. *p < 0,01, **p < 0,001. (Mod. nach Debrah et al. 1996}
~ Hypoglykämische Symptome
• Nur nach längerer Fastenzeit (morgens, Auslas-
~ sen einer Mahlzeit)
Membranpolarisationsstörungen:
Veränderungen der Natriumpenetration in die Zelle • Nur nach körperlicher Belastung
• Nur intermitierend (bei unregelmäßiger Freiset-
t
intrazellulärer Natriumanstieg und Kaliumverlust
zung des Insulins)
Abnahme des Sauerstoffverbrauchs
Anamnese und klinisch ausgeprägte Symptome den. Relativ häufig ist bei diesen Patienten die Fehl-
können auf einen malignen Tumor hinweisen. Die diagnose einer neuropsychiatrischen Erkrankung.
Beeinflussung der Symptome durch äußere Fakto- In ca. 70 % der Fälle sind die Beschwerden eher UD-
ren ist in der folgenden Übersicht wiedergegeben. charakteristisch. Wochen- oder monatelange sym-
ptomfreie Intervalle sind möglich. So beträgt die
Die Symptome der Hypoglykämie können durchschnittliche Zeit bis zur korrekten Diagnose
verstärkt oder abgeschwächt werden ca. 5 Jahre (0,5 bis 20 Jahre). Die Symptome treten
in der Regel nach längeren Fastenzeiten, so z. B.
Zunahme Abnahme in den frühen Morgenstunden oder nach übergange-
der Symptome bei der Symptome bei ner Mahlzeit auf (sog. Nüchternhypoglykämien, Hy-
Alkohol ß-Blocker poglykämien in der postabsorptiven Phase). Nur in
Anorexie Polyneuropathie 7 o/o der Fälle führt körperliche Anstrengung zu ma-
Hypoxie chronisch niedrigen nifesten Hypoglykämien. Da der Patient oft "ge-
Blutzuckerwerten lernt" hat, durch regelmäßige Nahrungszufuhr das
lange bestehender Diabetes Auftreten von Hypoglykämien zu vermeiden, ist
nach Änderungen der Ernährungsgewohnheiten,
z. B. nächtliche Mahlzeiten, zu fragen. Ein Gewichts-
verlust schließt ein Insulinom aber nicht aus und
16.3.5
sollte an einen malignes Insulinom denken lassen.
Diagnostik
Symptome in Folge der Raumforderung werden
nicht beschrieben.
Das Leitsymptom des Insulinoms ist die Hypoglyk-
ämie. Die klassische Definition der Hypoglykämie
ist die Whippie Trias. Nur das gleichzeitige Auftre- Körperliche Untersuchung
ten aller drei Punkte ist beweisend für das Vorliegen Die körperliche Untersuchung ist abgesehen von
einer Hypoglykämie, da es einen festen Blutzucker- eines evtl. bestehenden Übergewichtes unauffällig.
grenzwert, der die Hypoglykämie definiert, nicht Während eines hypoglykämischen Anfalls, spontan
gibt. oder provoziert, lassen sich vegetative und/oder
neuroglykopenische Symptome beobachten.
Anamnese
Die möglichen Beschwerden, die der Patient angibt, Labordiagnostik
umfassen das weite Spektrum der oben dargestellten • Blutzucker. Der Blutzucker liegt häufig bei
Symptome. Insbesondere nach den neuroglykopeni- 40 mg/dl. Im Tagesprofil werden selten Werte
schen Symptomen, die häufig bei Patienten mit In- über 120 mg/dl erreicht. Die Bestimmung allein
sulinom sind, muss in der Anamnese gefragt wer- des Blutzuckers reicht nicht aus. Zum Nachweis
634 KAPITEL 16 Glukose
30
25%
25
20
c111
N 15
E
D..
10
5 2,5%
0
< 39 rrg/dl < 43 rrg/dl <47 rrg/dl <54 rrg/dl
Blutz uckerbere ic h
Abb. 16-34. Niedrigster Blutzuckerwert (Biutzuckernadir) nach oraler Glukosebelasung bei asymptomatischen Normalperso-
nen (100 g Glukose). (Daten aus Lev-Ran u. Anderson 1981)
einer Hypoglykämie muss die Whipple-Trias erfüllt • Oraler Glukosetoleranztest (oGTT). Da beim
sein, da auch bei asymptomatischen Gesunden nied- Insulinom die endogene Glukoseproduktion gestört
rige Blutzuckerwerte gemessen werden können. So ist, treten Hypoglykämien nüchtern, d. h. in der
haben Untersuchungen bei Gesunden gezeigt, dass postabsorptiven Phase, auf (Nüchternhypoglyk-
nach oraler Belastung mit 100 g Glukose bei über ämien). In Einzelfällen, z. B. bei blanden Sympto-
25 o/o der asymptomatischen Probanden Blutzucker- men, kann die anamnestische Unterscheidung
werte - z. T. deutlich - unter 60 mg/dl auftreten zwischen der Nüchterhypoglykämie und der post-
(Abb. 16-34). Bei Blutzuckerbestimmungen aus ve- prandialen Hpyoglykämie, schwierig sein. Deshalb
nösem Blut können falsch niedrige Werte gemessen empfiehlt sich die Durchführung eines oralen
werden, wenn es infolge einer zu späten Plasma- Glukosetoleranztests (oGTT) (Abb. 16-35). Die
separation zu einer intrazellulären Glykolyse Durchführung eines 5-h-oGTT ist umstritten.
kommt. Diese so genannten "Pseudohypoglykä- Nach vorausgegangener Magenoperation oder bei
mien" können bei Patienten mit Leukozytose oder der so genannten idiopathischen reaktiven Hypo-
Polycythämie besonders ausgeprägt sein. Da der glykämien ist der 5-h-oGTT kontraindiziert bzw.
Nachweis der Whipple-Trias nur selten spontan ohne Aussagekraft Nach Ausschluss der postpran-
gelingt, ist bei bestehendem Verdacht auf ein In- dialen Hypoglykämie ist zur Abklärung der Ver-
sulinom ein 72-h-Hungerversuch indiziert. dachtsdiagnose Insulinom der Insulinspiegel bei
V.a. Nüchternhypoglykämie
3-h-OGTT
5-h-OGTT
niedrigen Blutzuckerspiegeln (der insulinogene In- • Keine Bettruhe, ausreichende Bewegung während
dex) zu bestimmen. des Tages (auch außerhalb des Krankenzimmers,
aber unter Beaufsichtigung)
• Der insulinogene Index. Der Nachweis eines er- • Blutentnahme (venös) zur Bestimmung von Glu-
höhten Insulinspiegels bei pathologisch niedrigen kose, Insulin, C-Peptid und Proinsulin:
Blutzuckerwerten ist für das lnsulinom typisch alle 4 h, wenn Plasmaglukose 2: 60 mgldl,
(fehlende lnsulinsuppression). Die Berechnung alle 2 h, wenn Plasmaglukose 50 bis 60 mg/dl,
des insulinogenen Index ermöglicht es, das Verhält- stündlich oder häufiger, wenn Plasmaglukose
nis von Insulinspiegel und Blutzuckerwerten zu er- ~50 mg/dl.
fassen. Blutzuckermessungen im Labor, nur orientierend
mit Teststreifen!
Der insulinogene Index: • Ende des Hungerversuches, wenn
Plasmaglukose ~ 45 mg/dl und hypoglykämische
Seruminsulin (uE/ml) < 0,5 Normal
Symptome bestehen;
Blutzucker (mg/dl) > 0,5 Endogener Blutzucker :S 40 mgldl bei zwei aufeinander fol-
Hyperinsulinismus
genden Messungen, auch wenn keine hypoglyk-
ämischen Symptome bestehen;
Die korrigierte Turner-Ratio berücksichtigt, dass bei
ansonsten nach 72 h.
adipösen Patienten irrfolge einer mäßigen Insulin-
resistenz ein endogener Hyperinsulinismus vorlie-
e Am Ende des Hungerversuches Bestimmung von
Glukose, Insulin, C-Peptid (evtl. auch Proinsulin,
gen kann.
ß-Hydroxybutyrat und Sulfonylharnstoffe). Dann
i. v.-Injektion von 1 mg Glukagon und Blutzuk-
Der korrigierte Turner-Index:
kermessung nach 10, 20 und 30 min. Anschlie-
Seruminsulin (uE/ml) x 100 < 30 Normal ßend kann der Patient essen.
Blutzucker in (mg/ dl) - 30 30-100 bei e Bei entsprechender Indikation Bestimmung von
Adipositas möglich Cortisol, Wachstumshormon oder Glukagon am
< 100 Endogener Anfang und am Ende des Tests
Hyperinsulinismus
Bei Patienten mit Insulinom kann in 90 o/o der Fälle Eine ausreichende Suppression der Insulinsekretion
durch 3-malige Bestimmung des insulinogenen In- bei niedrigen Blutzuckerwerten wird durch die Be-
dex nach 12- bis 14-stündiger Nüchternheit über stimmung des insulinogenen Index überprüft.
Nacht ein pathologischer insulinogener Index nach- Kommt es bei einem Patienten spontan zu hypoglyk-
gewiesen werden (Marks u. Rose 1981). In der Regel ämischen Symptomen, sollte Blut zur Bestimmung
ist jedoch zum Nachweis der Whippie-Trias bzw. von Glukose, Insulin, Proinsulin, C-Peptid und Cor-
eines pathologischen insulinogenen Index die tison (evt. auch ACTH) abgenommen werden, ferner
Durchführung eines 72-h-Hungerversuchs erforder- zur Asservierung Urin- und Blutproben für einen
lich (Service 1995). evtl. späteren Nachweis von Medikamenten (Sulfo-
nylharnstoffe) und toxischen Substanzen (Alkohol).
• Der 72-h-Hungerversuch. Nur während einer Hy- Die Suppression der Insulinsekretion kann dann ge-
poglykämie lässt sich die Whipple-Trias nachweisen nau wie im 72-h-Hungerversuch überprüft werden.
und der insulinogene Index sicher bestimmen. Da Das Ergebnis des 72-h-Hungerversuchs gibt folgen-
dies in der Regel nicht spontan gelingt, wird zur Pro- de, in Tabelle 16-2 wiedergegebene, weitere diagno-
vokation ein 72-h-Hungerversuch durchgeführt. stische Hinweise. Durch Veränderung des Schwel-
Folgende Übersicht gibt die Vorgehensweise beim lenwertes können Patienten mit Insulinom noch
72-h-Hungerversuch wieder. bei Blutzuckerwerten unter 40 mgldl asymptoma-
tisch sein. Aber auch junge, schlanke Frauen können
72-h-Hungerversuch Blutzuckerwerte unterhalb von 50 mgldl im Einzel-
fall gut tolerieren. Der Nachweis der Whipple-Trias
• Beginn des Hungerversuches mit der letzten Nah- gelingt mit zunehmender Dauer des Hungerver-
rungsaufnahme. Alle unnötigen Medikamente suchs häufiger (Abb. 16-36). Konnte eine Hypoglyk-
sollten 3 Tage vor Beginn des Versuches abgesetzt ämie am Ende des Hungerversuchs nicht provoziert
werden werden, kann eine körperliche Belastung als Provo-
e Während des Versuches ausreichende Flüssig- kation angeschlossen werden. Entscheidend sind
keitszufuhr kalorienfreier und koffeinfreier Ge- aber weniger die niedrigen Blutzuckerwerte, son-
tränke (2-3 1) dern vielmehr die fehlende Suppression der Insulin-
636 KAPITEL 16 Glukose
ormal Nein > 40 < 6 < 0,2 < 5 > 2,7 < 25 Nein
lnsulinom Ja < 45 > 6 > 0,2 > 5 < 2,7 > 25 Nein
Hypoglycaemia factitia Ja < 45 > 6 < 0,2 < 5 < 2,7 > 25 Nein
(I nsulin)
Hypoglycaemia fac titia Ja < 45 > 6 > 0,2 > 5 < 2,7 > 25 ja
(Sulfonylharnstoffe)
Hypoftlykämie durch Ja < 45 < 6 < 0,2 < 5 < 2,7 > 25 ein
"lnsu in-like-growth-
Faktor"
Nicht durch Insulin Ja < 45 < 6 < 0,2 < 5 > 2,7 < 25 ein
hervo~eru fene
Hypo ykämie
ahrun3saufnahme ein > 45 < 6 < 0,2 < 5 < 2,7 > 25 Nein
währen des
Hungervers uches
Pseudohypoglykäm ie Ja > 40 < 6 < 0,2 < 5 > 2,7 < 25 ein
a Der "Glukoseanstieg" bezieht sich auf die Differenz zwischen Blutzuckerwert am Ende des Hungerversuches und dem ma-
ximalen Blutzuckerwert nach Glukagonapplikation
sekretion trotz niedriger Blutzuckerwerte, erkenn- glykämie hin. Zuverlässige Vergleichswerte dieser
bar am pathologischen Anstieg des insulinogenen beiden Parameter finden sich hierzu ebenso wenig
Index. Die Bestimmung des insulinogenen Index er- wie für potenzielle Veränderungen der gegenregula-
möglicht die Diagnosesicherung auch unabhängig torischen Hormone während des Hungerversuchs.
von der Symptomatik. Ferner weisen niedrige ß-Hy-
droxybutyratwerte (verminderte Lipolyse) und ein • Andere Provokationstests. Verschiedene andere
deutlicher Blutzuckeranstieg nach Gabe von Gluca- Tests sind zur Diagnose des endogenen Hyperinsu-
gon i. v. (vermehrte Glycogenbildung) auf einen Hy- linismus entwickelt worden (Tabelle 16-3). Für
perinsulinismus bzw. IGF ("insulin-like growth fac- alle diese Tests existieren keine hinreichend guten
tor", meist paraneoplastisch) als Ursache der Hypo- Referenzwerte. Auch ist die Spezifität dieser Tests
98
100
90
"' 80
·;:
":"
"'
Cll
70
Q.
~-;;- 60
·- t::
.c Cll
3: .... 50
... 0
Ql ...
-,:,1:1. 40
.~ .5
Cll-
..:.t 30
c:n
I::
~
20
'"'
::t: 10
0 Abb.l6-36.
Nachweis der Whippie-Trias in
12 24 48 92 Abhängigkeit von der Dauer des
Hungerversuchs. (Mod. nach
Daue r des Hungerve rsuches (Stu nde n) Service 1983)
16.3 Insulinom 637
Tabelle 16-3. Verschiedene Provokationstests zur Diagnose Anteil des Proinsulin am Gesamtinsulin
eines endogenen Hyperinsulinismus
Testverfahren
Anteil in%
• Urämie
niedrig. Zudem sind insbesondere die Tests, die die • Thyreotoxikose
Insulinsekretion stimulieren, potenziell gefährlich • Lebererkrankungen
für den Patienten und deshalb bei Blutzuckerwerten • Manifester Typ-2-Diabetes
< 60 mg/dl kontraindiziert Relativ gute Vergleichs-
werte sind für den Tolbutamintest erarbeitet worden
(Service et al. 1992; McMahon et al. 1989). Bildgebende Verfahren
An die laborchemische Sicherung der Diagnose des
• C-Peptid-Suppressions-Test. Die Bestimmung Insulinoms schließt sich eine präoperative bildge-
des C-Peptids nach Injektion von Insulin (i. v., benden Diagnostik an. Ziele dieser Diagnostik
0,125 E/kg KG über 60 min) wird am häufigsten sind in der folgenden Übersicht wiedergegeben.
als Ergänzung zum 72-h-Hungerversuch aufgeführt.
Das C-Peptid (normal < 0,33 nmol!L) ist bei equi- Ziel der präoperative bildgebenden Diagnostik
molarer Sekretion mit Insulin weniger von kurzfri-
stigen Schwankungen abhängig. Beim C-Peptid-
• Lokalisation des Tumors
Suppressions-Test wird die - beim Insulinom ver- • Ausschluss einer Multizentrizität
minderte - Suppression der C-Peptid-Sekretion in • Ausschluss einer Malignität
Abhängigkeit vom Lebensalter und des "body (Metastasten, infiltratives Wachstum)
mass index" (BMI) ermittelt. Die Vorteile der C-Pep-
tidbestimmung sind in folgender Übersicht darge-
stellt. Da 30 % der lnsulinome bei Diagnosestellung im
Durchmesser kleiner als 1 cm sind ist die Sensitivität
Vorteile des C-Peptid-Suppressionstests der präoperativen Diagnostik im Allgemeinen
schlecht. Auch bei den multiplen Tumoren einer
• Keine Kreuzreaktion mit Insulinantikörpern MEN I können die verschiedenen Tumorareale oft
• Unabhängig von exogen zugeführtem Insulin nur unzureichend dargestellt werden. Folgende
• Längere Halbwertzeit (t'/2 = 25 min) als Insulin Übersicht gibt die Sensitivität der verschiedenen
• Geringerer Lebermetabolismus bildgebenden Verfahren an .
Diagnose: lnsulinom
I
Lokal isationsd iagnosti k
Hinweis auf Malignität
(infiltrierendes Wachstum, Metastasen)?
0
I
Operation
inoperabel operabel
erneute Operation
keine Heilung Heilung
Ist der Tumor lokalisiert, wird eine Enukleation an- Vermeidung einer Fistelbildung kann eine Wir-
gestrebt, die bei ungünstiger Lage des Tumors, z. B. sung- Jejunostomie mit Roux-Y-Schleife durchge-
in Nähe des Ductus pancreaticus, nicht immer mög- führt werden. Bei malignen Insulinomen sollte in je-
lich ist. In diesem Fall wird eine Teilresektion des dem Fall eine operative Therapie und Heilung ange-
Pankreas durchgeführt (s. folgende Übersicht). strebt werden, da nicht alle malignen Insulinome auf
eine medikamentöse Therapie ausreichend und
Indikationen für eine subtotale Pankreatektomie dauerhaft ansprechen. Folgende Übersicht gibt die
chirurgischen Maßnahmen beim malignen Insuli-
• Ungünstige Lage des Tumors nom wieder.
• Multiple Insulinome (meist bei einer MEN)
• Nesidioblastose (bei gesicherter Diagnose:
Schnellschnittuntersuchung) Chirurgischen Maßnahmen maligner Insulinome
• Postoperativ anhaltende Beschwerden
• Weitestgehende Resektion
• Radikale Entfernung der Lymphknoten
Lässt sich der Tumor intraoperativ nicht darstellen,
kann eine schrittweise distale Pankreatektomie
durchgeführt werden (mit Schnellschnittuntersu- Bei fehlenden Leberfiliae kann dieses Vorgehen ku-
chung und Überprüfung des Blutzuckers als Erfolgs- rativ sein. Ansonsten führt die Tumormassenreduk-
kontrolle). Zum Erhalt der Pankreasrestfunktion tion zu einer deutlichen Besserung der klinischen
sollten nicht mehr als 85 % entfernt werden. Zur Symptome.
16.3 Insulinom 641
Konservative Therapie
Indikationen für eine konservative Therapie sind: Gründe für einen Wirkungsverlust
• präoperative Phase, der Somatostatintherapie
• Patient nicht operationsfähig,
• Versagen der anderen Therapien, • Zunahme der Tumormasse
• maligner, nicht operabler Tumor. • Verlust der Somatostatinrezeptoren
(insb. SSTR II)
Die konservative Therapie des Insulinoms umfasst: • Down-Regulation der Somatostatinrezeptoren
• Somatostatin Analoga,
• Diazoxid,
Dennoch ist ein Therapieversuch mit Somatostatin
• Chemotherapie,
Analoga 1. Wahl im Rahmen der konservativen The-
• Interferon,
• diätetische Maßnahmen. rapie. Die Dosierung erfolgt individuell, i. d. R. 3-mal
täglich 100-300 !Jg Oktreotid s.c. Es kann eine Dosis
• Somatostatin Analoga. Die meisten endokrin ak- von mehr als 1500 !Jg/d erforderlich sein. Auch kön-
tiven Tumoren exprimieren beide oder einen der So- nen neuere Retardpräparate verwendet werden. Fol-
matostatinrezeptorsubtypen 1 und 2. Die Expressi- gende Übersicht gibt die Nebenwirkungen von So-
on der Somatostatinrezeptorensubtypen ist jedoch matostatin Analoga wieder.
heterogen in Insulinomen (Kubota et al. 1994). In
Einzelfällen lassen sich aber bei der Therapie des In- Nebenwirkungen der Somatostatin Analoga
sulinoms mit Somatostatin Analoga gute Erfolge er-
z_ielen (z. B. Oktreotid 50-100 !Jg s.c. 3-bis 4-mal täg- • Diarrhöen (häufig, nach 10 Tagen sistierend)
lich oder als Infusion 300 !Jg s.c. pro Tag, maximal • ~holezystolithiasis (30% bis 60% der Fälle)
79%
o Arterielle Okldusionstherapie
0% Abb. l6-38.
Tumorregression, defin iert als mind. 50 %
Turrorregression vollst.'lndjge durchschnittliche Größenabnahme, nach arterieller Okklu i-
(prozentuale Turrorregression Regressionsdauer on therapie mit bzw. ohne ergänzende
Häufigkeit) (prozentuale Chemotherapie bei lnsellzellkarzinomen.
Häufigkeit) (Mod. nach Meertel 1994)
642 KAPITEL 16 Glukose
Diazoxid
ß-Zellen:
Öffnung der K+·Kanäle
t a-Rezeptoren
~
-----------
~ Adenosinmonophosphat
/hodiesterase
Abb.l6-39.
Insulinsekretion ~ Glykogenolyse ~ Wirkweise von Diazoxid
Die Nebenwirkungen resultieren aus einer veränder- Wegen der natriumretinierenden Wirkung sollte
ten Motilität (z. B. Magen, Gallenblase) und einer In- Diazoxid mit einem Thiaziddiuretikum kombiniert
hibition verschiedener Hormone (z. B. Cholezystoki- werden, das zusätzlich zu einer Verstärkung des an-
nin, Gastrin, "intrinsic factor"). Regelmäßige Sonogra- tihyperglykämischen Effektes führt.
phische Kontrollen des Gallengangssystems, Blutbild-
kontrollen und Vitamin-B 1rKontrollen sind deshalb
Chemotherapie
erforderlich. Eine präventive Gabe von z. B. 10 mg/kg
Bei malignen Tumoren ist die Kombinationsthera-
Ursodesoxycholsäure wird diskutiert. Insgesamt wer-
pie Streptozotocin mit Doxorubicin besser als die
den die Somatostatin Analoga jedoch gut vertragen.
Kombination von Streptozotocin mit Fluorouracil
• Diazoxid. Diazoxid, ein Benzothiadiazinderivat, (Tabelle 16-6 und 16-7). Chlorozotocin ist ein neues
ist bei Versagen der Oktreotidtherapie 1. Wahl Chemotherapeutikum, das strukturelle Ähnlichkeit
(p.o. oder i. v., 5-10 mg/kg/d, max. 800 mg/Tag, ver- mit Streptozotocin besitzt. Die gastrointestinalen
teilt auf 3 gleich Dosen). Abbildung 16-39 gibt die Nebenwirkungen sind schwächer als beim Strepto-
Wirkung des Diazoxids auf den Glukosestoffwechsel zotocin. Chlorozotocin ist ebenso wirksam wie die
wieder. In der folgenden Übersicht sind die Neben- bisherige Standardtherapie Streptozotocin mit Fluo-
wirkungen aufgeführt. rouracil (Moertel et al. 1992).
Tabelle 16-6. Chemotherapie beim Insulinom. (Mod. nach Moertel et al. 1992)
[%[ [%1
Streptozotocin + Doxorubicin 69 14
Streptozotocin + Flourouracil 45 4
Chlo rozotocin 30 6
Tabelle 16-7. Empfohlene Dosierung für die Kombinationstherapie Streptozocin und Doxorubicin (Mod. nach Moertel et al.
1992)
1\ledikamcnt Dosierung
Prognose 16.4
Bei den malignen Tumoren beträgt die mittlere Andere Formen der Hypoglykämie
Überlebenszeit ca. 60 Monate. Beim Vorliegen eines
B. ISERMANN, M. BRADO, A. VON HERBAY,
Rezidivs (60% der Fälle), beträgt die mittlere Über-
P. P. NAWROTH
lebenszeit 19 Monate.
Die Hypoglykämien können nach verschiedenen
Nebenwirkungen und Komplikationen Kriterien eingeteilt werden. Wie zuvor dargestellt,
Insbesondere nach distaler partieller Pankreatekto- können Nüchternhypoglykämien von postprandia-
mie kommen passagere Hyperglykämien vor, die je- len Hypoglykämien unterschieden werden. Diese
doch meist in kurzer Zeit reversibel sind und sich Unterteilung ist diagnostisch wertvoll, da sie die
zurückbilden. Ein sekundärer Diabetes mellitus ent- häufigen postprandialen Hypoglykämien von den
steht nur nach resezierenden Eingriffen (in ca. 10% selteneren Nüchternhypoglykämien trennt und
der Fälle), wobei eine distale Pankreatektomie von entscheidend für die weitere Diagnostik ist. Nach
nur 50 % ausreichen kann. Folgende Übersicht stellt pathophysiologischen Gesichtspunkten können die
die Häufigkeit von Komplikationen bei Insulinam- Hypoglykämien entsprechend des Insulinspiegels
therapie dar. eingeteilt werden (Abb. 16-40). Auch in Abhängig-
Hypoglykä mien
1. endogen
---------
mit Hyperinsulinämie, z.B.: ohne Hyperinsulinämie, z.B.:
1. endokrine lnsuffizienzen,
gestörte lnsulinfreisetzung,
z.B.:
1. postprandiale
• lnsulinom z.B.: Frühhypoglykämie
• Autoantikörper • M.Addison (Spät- Dumping)
2.exogen • Hypopituitarismus 2. reaktive
• Hypoglycaemia 2. Nieren-, Leber- oder Späthypoglykämie
factitia Herzinsuffizienz (NIDDM)
3. paraneoplastisch 3. idiopathische Abb.I6-40.
4. Glycogenosen postprandiale Pathophysiologische Einteilung
5. Alkoholintoxikation Hypoglykämien der Hypoglykämien
644 KAPITEL 16 Glukose
200,---------------------------------------~
180 .. - --- - -
160
- 140
~
.§. 120 [-+- BZ (mg/dl) I
:;j 100
80 ----------------------
60 --------
40+---~--+---~--+---+---+---~--+---+-~ Abb.I6-42.
0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 Blutzuckerwerte bei Patienten mit "präme-
tabolischen Syndrom" im 5-h-oGTT. (Mod.
Zeit(min) nach Chalew et al. 1990)
646 KAPITEL 16 Glukose
Tabelle 16-8. Tumoren mit Hypoglykämien. (Prozentuale Häufigkeit der häufigen Tumoren in Klammern)
Häufig Selten
sind äußerst selten (Seckl et al. 1999). Meistens han- führt zu einer Erhöhung des freien IGF. Das führt
delt es sich um mesenchymale Tumoren, bei denen zu einer vermehrten Interaktion zwischen "big-
sich histologisch häufig Spindelzellen nachweisen IGF-11" mit Insulin und/oder IGF-11-Rezeptoren.
lassen (Ron et al. 1989). Aber auch bei epithelialen Im Tumorgewebe konnte eine verminderte Expres-
Tumoren kommen Tumorhypoglykämien vor (He- sion der Glukosetransporter Glutl und Glut4 nach-
patome, Nebennierentumoren, Karzinoide). Es gewiesen werden, sodass ein vermehrter Glukose-
handelt sich meist um langsam wachsende, jedoch verbrauch durch den Tumor nicht ursächlich mit
maligne Tumoren, die sehr groß werden können den Hypoglykämie zusammen zuhängen scheint
(400 g-1 kg, aber auch größer; Tabelle 16-8). Es (Wasada et al. 1992). Trotz der verminderten Insu-
konnte eine deutliche Erhöhung eines Prohormons linsekretion aus dem Pankreas resultiert letztlich
des IGF II ("insulin-like growth factors"), genannt eine Hypoglykämie.
"big-IGF-11" bei vielen dieser Tumoren nachge-
wiesen werden. Diskutiert werden verschiedene Symptome
Mechanismen, über die das "big-IGF-11" zu Hypo- Das Ausmaß der Symptome variiert stark bei ver-
glykämie führen könnte (Abb. 16-43). Big-IGF-11 schiedenen Patienten. Typisch sind Nüchternhypo-
bindet an den Insulinrezeptor im Muskel- und Fett- glykämien, die die Hauptbeschwerde des Tumors
gewebe, und der resultierende erhöhte Glukoseum- sein können und gelegentlich die Erstmanifestation
satz trägt wesentlich zur Entstehung der Hypoglyk- des Tumors darstellen.
ämie bei. Big-IGF-11 bindet auch an den IGF-1 Re-
zeptor in der Hypophyse und im Pankreas, wodurch
die Wachstumshormon- und Insulinsekretion sup- Diagnostik
primiert wird. Niedrigere Wachstumshormonspie- Ein Insulinom ist differentialdiagnostisch auszu-
gel wiederum bedingen einen Abfall von IGF-1 schließen. Da der Blutzuckerverlauf spontan und
und IGF-BP-3 ("IGF-binding protein-3"). Die IGF- während einer Provokation, d. h. in der Regel im
BP-2 und 3 gehören zu den IGF-bindenen Proteinen, Rahmen eines Hungerversuchs, nicht einheitlich
die die Aktivität dieser Hormone regulieren. Die ist, ist die Seruminsulinbestimmung entscheidend
Veränderung der Zusammensetzung der IGF-BP (s. Übersicht).
( Tumor
G'"'~C~ 1 _________._
Muskel
+
Hypophyse - - - - - - Big- IGF -11 Glukoseaufnahme f
+ ------. +
GH! Fettgewebe
-+ IGH IGF - BP·n IGF-BP-2 t
Abb.I6-43.
Entstehung der Tumorhypoglykämien.
IGF-1 "insulin-like growth factor !",
Leber Pankreas IGF-II "insuli n-like growth factor II",
Big-IGF-Il Proho rmon des IGF-ll,
IGF-BP" IGF binding protein",
GH "growth hormone". (Mod. nach
Glukosep roduktion ~ Ins u li n~
Le Roith 1997)
648 KAPITEL 16 Glukose
Typische Laborbefunde bei Tumorhypoglykämien Für die Entstehung der Hypoglykämien ist ein ver-
minderter Cortisol- oder Wachstumshormonspiegel
• Niedrige Blutzuckerwerte, insbesondere nüchtern entscheidend (Abb. 16-44). Die Hypoglykämien im
• Niedrige Insulinwerte Rahmen schwerer Hypothyreosen oder eines Myx-
e Niedrige GH-, IGF-I-Werte ödems sind meist Folge einer gleichzeitig bestehen-
• Leicht bis deutlich erhöhte IGF-II-Werte den NNR-Insuffizienz. Wegen des geringeren Gluco-
corticoidbedarfs bei gleichzeitiger Hypothyreose
können die Symptome der Hypothyreose klinisch
Abhängig von der Bestimmungsmethode können bestimmend sein. Diagnostisch sind folgende in
auch niedrige IGF-II-Werte bestimmt werden. Der der Übersicht dargestellten Erkrankungen bei einer
direkte Nachweis des "big-IGF-II", das deutlich er- solchen Konstellation zu berücksichtigen.
höht ist, ist zuverlässiger (Shapiro et al. 1990).
Mögliche Ursache der NNR-Insuzienz
Therapie bei gleichzeitiger Hypothyreose
Die Therapie hängt von der Art des Tumors ab. Eine
Verminderung des "big-IGF-II" durch Größenre- • Gemeinsamer autoimmunologischer Prozess
duktion des Tumors ist Ziel der Therapie (Op., Ra- (Schmidt-Syndrom)
dio-, Chemotherapie). Medikamente, die auf die • Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
Freisetzung des Insulins aus dem Pankreas wirken • Verminderte Enzymaktivität bei schwerer Hypo-
(Oktreotid, Diazoxid), sind wirkungslos und sollten thyreose/Myxödem
deshalb nicht angewendet werden. Therapeutische
Alternativen, die erfolgreich angewendet wurden,
umfassen häufige Mahlzeiten und eine medikamen-
töse Therapie mit Glukokortikoiden oder Wachs- Ausgeprägte hypoglykämische Symptome bei diesen
tumshormonen (Teale et al. 1998). endokrinalogischen Erkrankungen treten nur in
Ausnahmesituationen, z. B. Stresssituationen, Alko-
holmissbrauch oder längeres Fasten, auf. Am häufig-
16.4.6 sten ist die Hypoglykämie im Rahmen einer Addi-
Endokrinalogische Erkrankungen son-Krise, wobei Patienten mit ständigem Brechreiz
besonders Hypoglykämie gefährdet sind.
Verschiedene endokrinalogische Erkrankungen, au-
ßer den bisher beschriebenen Erkrankungen des Diagnostik
Pankreas, können zu einer Hypoglykämie führen Die entsprechende endokrine Diagnostik steht im
(s. Übersicht). Vordergrund. Im Hungerversuch können sich pa-
thologische Blutzuckerwerte ergeben, jedoch ist
Hypoglykämien bei endokrinologischen der Insulinspiegel, entsprechend des Normalbefun-
Erkrankungen des bei Gesunden, supprimiert.
16.4.7
Cortisol- /Wachstumshormonspiegel t Hypoglykämien bei schweren Erkrankungen
t Epidemiologie
Glukoneogenese t
Hypoglykämien bei hospitalisierten Patienten sind
relativ häufig und konnten in 1,2 o/o der hospi-
hepatische Glukosefreisetzung t talisierten Patienten dokumentiert werden. Dabei
Abb.l6-44. Entstehung der Hypoglykämien bei Störung der treten 45 o/o der Hypoglykämien bei Diabetikern
Cortisol- und Wachstumshormonspiegel auf. Die meisten Hypoglykämien sind iatrogen.
16.4 Andere Formen der Hypoglykämie 649
Verbrennungen 2%
parenterale Ernährung 4 % andere Erkrankungen 2%
maligne Tumoren 5%
Schwangerschaft 6%
Mangelernährung 15 %
Schock 11 %
Abb.16-45.
Ri ikofaktoren (Grundkrankheit,
Therapie, Komplikation) und
Häufigkeit von Hypoglykämien bei
ho pitali ierten Patienten. (Mod.
Infektionen 12 % Lebererkrankungen 14 % nach Fi eher 1986)
35 34
Hypoglykämien insgesamt
30
0 Mortalität insgesamt
s
0
25
Vl
.D
20
...
~
.di
-"" 15 13
01
~ 10
""
:X: Abb. l6-46.
Absolute Häufigkeit von Hypoglykämien und
5 Mortalität bei 137 Hypoglykämien bei hospitali-
sierten Patienten. Die Anzahl der Risikofaktoren für
0 Hypoglykämien korreliert mit der Mortalität der
0 2 3 4 5
Patienten (p < 0,001). (Mod. nach Fischer et al.
Anzahl der Risikofaktoren 1986)
Tabelle 16-9a, b. Übersicht über Medikamente mit Blutzucker senkender Wirkung. a Blutzucker senkende Wirkung nachge-
wiesen, b Blutzucker senkende Wirkung möglich
Häufig verwendet und deutliche Selten verwendet, aber deutliche Häufig verwendet, aber keine
Blutzucker enkung Blutzuckersenkung deutliche Blutzuckersenkung
• Insulin • Pentamidin • Salicylale
• Sulfonylharnstoffe • Quinin • Sulfonamide
• Alkohol
• Neuroleptika Haloperidol
Alkohol
1 -
Alkohol-
dehydrogenase
1
Hemmung der Glukoneogenese durch
Allkohol. Bei dem Alkoholabbau in den
Aldehyd- Hepatozyten wird Nikotin-Adenin-
---+ - dehydrogenase Dinukloetide (NAD) verbraucht; der
NAD-Mangel führt zu einem Substrat-
mangel und damit Verminderung der
Acetat Glukoneogenese
D
Hemmung der hepatischen
Glukoneogenese
Salicylate Verminderung der Protein- Da der oGTT bei der oben aufgeführten Patienten-
bindung der Sulfonylharnstof- gruppe fast immer pathologisch ist, sollte er nach
fe, Beeinflussung des Insulin-
metabolismus, Hemmung der
heutiger Auffassung nicht durchgeführt werden.
Glukoneogenese
Acetaminophen Wie Salicylate, zusätzlich Eventuell kann ein Mahlzeitentest durchgeführt
hepatotoxischer Effekt werden. Dabei wird eine standardisierte Mahlzeit,
Sulfamethoxyzole Verstärkte Insu1infreisetzung
ß2-adrenerge Antagonisten Verstärkte Insulinwirkung, d. h. eine Mahlzeit mit normalen Kohlenhydrat-, Li-
Hemmung der Glucagonwir- pid- und Proteinanteil, verabreicht und der Blutzuk-
kung kerwert anschließend regelmäßig gemessen (Hogan
ACE-Hemmer Erhöhte Bradykininspiegel (?)
a-Blocker Verstärkte, glukoseabhängige et al. 1983). Vom Spät-Duming-Syndrom muss das
Insulinfreisetzung
Phenylbutazon, Dicumarol Verlängerung der Halbwerts-
zeit der Sulfonylharnstoffe
durch Enzyminhibition in der beschleunigte Nahrungspassage in das Duodenum
Leber
Fibrate Verstärkte Insulinsensitivität,
verminderte Glucagonfreiset- +
beschleunigte Glukoseresorption
zung
MAO-Hemmer Verstärkte lnsulinfreisetzung
(Hydrazine-Gruppe)
überschießende lnsulinfreisetzung
200
16.4.10
180
Idiopathisches postprandiales Syndrom (IPPS)
=o
~
.....
Ol 160 Postprandiale Hypoglykämien sind ausschließlich
.§.
solche, die innerhalb der ersten 4 h nach einer Mahl-
Cii 140
-"'
u zeit auftreten. Jedoch ist diese Abgrenzung ungenau,
:::J
!:! 120 da auch bei den so genannten "Nüchternhypoglyk-
:::J
ä'i o Blutzucker (mg/dl) präoperativ ämien" ein postprandialer Blutzuckerabfall beschrie-
100 • Blutzucker (mg/dl) postoperativ ben wird. "Echte" postprandiale Hypoglykämien,
80 d. h. Hypoglykämien im Sinne der Whipple-Trias,
a 0 10 20 30 40 60 90 120 sind äußerst selten und können bei Patienten mit
entsprechendem Beschwerdebild in weniger als
600 5 o/o der Fälle nachgewiesen werden. Meistens stehen
dann autonomen Symptome im Vordergrund. Lässt
=
..... 500
0 sich die Whipple-Trias nicht nachweisen, wird von
E "Pseudohypoglykämien" gesprochen. Als mögliche
s 400
Ursachen werden Stress und verstärkte Ängstlich-
~ 300
Cli
'ö.
keit angesehen. Für die Entstehung des IPPS gibt
"'c 200 es im Wesentlichen zwei Erklärungsansätze, wobei
"5 D Insulinspiegel präoperativ die Ätiologie letztlich ungeklärt ist (s. Übersicht).
"' 100
.E • Insulinspiegel postoperativ
:>gliche Ursachen des IPPS
0 10 20 30 40 60 90 120
b Zeit (min) • Überschießende Insulinsekretion auf reine Koh-
Abb. 16-49a, b. Blutzucker- und Insulinspiegel bei Patienten
lenhydratgabe
vor bzw. nach Magenoperation; Patienten hatten postoperativ • Verstärkte Vaguswirkung auf die ß-Zellen
Symptome der postprandialen Frühypoglykämien. (Mod.
nach Blackburn et. al. 1980)
Nahrung. Auch mit Acarbose konnte eine Verbesse- 110 • Blutzucker (mit 100 mg Acarbose)
=o.....
rung der Symptome erreicht werden (Abb. 16-50). Ol 100
Alternativ kann eine Therapie mit Oktreotid ver- .§. 90
sucht werden, die zu einer Verbesserung sowohl Cii
..
-"'
1,1
80
des Früh- als auch des Spät-Dumping-Syndroms N
:::J
70
führt, wobei der Wirkmechanismus noch nicht ge- :::J
iD 60
klärt ist (Hasler et al. 1996).
so
40
0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300
Zeit (min)
Hyperglykämie 16.5.2
Definition
Abb. I6-Sl.
T- Helferzelle
Interaktion zwischen Superantigen (SAG),
Antigen, HLA-Klasse-II-Molekül auf der anti-
genpräsentierenden Zelle und dem T-Zellre-
zeptor auf der T-Helferzelle
16.5 Typ-I-Diabetes mellitus 655
Abb.l6-52.
Umsetzung des autoimmunen Prozesses
bezüglich der Genese des Typ-I-Diabetes
656 KAPITEL 16 Glukose
ß-Zelle
I .
J3 -Zellant1gen
l
~
STIMULATION
\ Zytokine IL 1 I
\ q,- TNFa
H,02 TNFß
NO
1
fFy
ß-Zelle
I Abb.l6-53.
Destruktion Schematische Darstellung der Regulation der auto-
+ immunen Antwort auf zuvor beschriebene Antigen-
trigger im Zusammenhang mit der selektiven ß-Zell-
Typ-1-Diabetes destruktion beim Typ-I-Diabetes
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 657
von ß-Zellen, das bei Krankheitsverläufen unter 10 dung wird zusätzlich der intrazelluläre Stoffwechsel
Jahren gegeben ist. Die Entzündung erfolgt von der beeinflusst. Die verminderte intrazelluläre Glukose
Inselperipherie aus (Periinsulitis) und greift zuneh- und die ausbleibende Insulinwirkung (Hemmung
mend auf das gesamte Inselorgan über. von Glukose-6-Phosphatase, Fructosediphospha-
tase, Phosphoenolpyruvatcarboxykinase und Pyru-
vatcarboxylase) bedingt die Induktion der Gluko-
16.5.5 neogenese in den Leberzellen. Wegen verminderter
Klinik intrazellulärer Glukose ist die Triglyzeridsynthese in
den Leberzellen herabgesetzt. Es werden vermehrt
Symptome und Beschwerden Ketonkörper (ß-Hydroxybuttersäure, Acetessig-
säure, Aceton) gebildet. Die Kumulation dieser Ke-
Symptome und Beschwerden bei Patienten mit tonkörper führt zu einer metabolischen Azidose,
einem Typ-I-Diabetes entstehen auf dem Boden welche über Kompensationsmechanismen der Nie-
der Nichtverstoffwechselung von Glukose im Kör- ren (H+-Elimination; Abb. 16-55 und 16-56) zu einer
per, die durch einen absoluten Insulinmangel be- extrazellulären Dehydratation führt. Im Fettgewebe
dingt ist (Abb. 16-54). Die klinischen Symptome werden durch die ausbleibende Hemmung des In-
und Beschwerden werden durch die Hypoinsulinä- sulins auf die Triglyzeridlipase aus Triglyzeriden
mie über 2 Hauptwege bedingt. Neben der konseku- vermehrt freie Fettsäuren gebildet, was zu deren
tiven Hyperglykämie und der damit verbundenen Serumanstieg führt. Die Triglyzeridsynthese ist
Glukosurie mit vermehrter Flüssigkeitsausschei- ebenso wie in den Leberzellen wegen des verminder-
HYPOINSUU NISMUS,
wegen selektiver ,B-Zelldestruktion
I INTRAZELLULÄR j
1
- Hyperglykämie, wegen vennin- - Venninderte intrazelluläre Glukose
derter Glukoseaufnahme in die wegen venninderter Aufnahme (Giuko-
Körperzellen setransporter)
-ausbleibender Insulineffekt auf den
Stoffwechsel der Zelle
Osmotische Diurese:
I Kumulation von Ketonkörpern
,
1
IL---------.-------~
Volumenverlust "'
~LI_______M_et_a_bo_l~is~ch_e_Az
__id_oo
__e __~l
l Kompensatorische renale
Eliminierung von H+ -Ionen
C0~2-
HC03-
Cl·
Abb. 16-SSa, b.
Zelluläre Mechanismen des renalen H+-Transports.
a proximaler Tubulu : apikaler Na+/H+- Antiport,
b kortikales ammelrohr: apikale H+tK+-ATPase
in den Zwi chenzellen vom Typ A; basolaterale
H+/K+-ATPase in den Zwischenzellen vom Typ B.
CA Carbohydrase
Tubulus
Blutbahn
b
Abb. 16-56a, b.
Zelluläre Mechanismen der renalen H"'"-Sekretion.
a Au scheidung als Phosphat, b Sekretion als
NH:YNHt und Ausscheidung als H4+.
~ Basolaterale Transportmechanismen für HC03
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 659
100
C ICA positiv
0 zwei AK positv Abb.l6-57.
A drei oder mehr AK positiv Kumulatives Risiko, bezogen auf die
0 Anzahl erfasster Antikörper (!CA, IAA,
GAD, 37 Kd- oder 40 Kd-Antigen), am
0 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Typ-1-Diabetes zu erkranken. Beobach-
tungszeitraum 10 Jahre. (Mod. nach
Beobachtungszeitrau m [Jahre) Bingley et al. 1994)
Tabelle 16-10. Blutzuckergrenzwerte verschieden gewonnener Blutproben zur Diagnose des Typ-I-Diabetes. (Mod. nach The
Expert Commitee on the Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus 1997)
stik als obsolet angesehene intravenöse Glukosetole- Durchführung des oGTT. Die Konzentration der in
ranztest (i. v. GTT) wird nur noch zur Diagnose- Wasser gelösten Glukose darf jeweils nicht höher
tindung bei Malabsorptionssyndromen, die die Glu- als 25 g/dl betragen und muss innerhalb von
koseabsorption betreffen, eingesetzt. 5 min eingenommen werden. Erwachsenen werden
75 g Glukose, Kindern 1,75 g/kg KG (Maximum
75 g) oder 45 g/m2 Körperoberfläche oral verab-
Störparameter des oGTT
reicht. Die Blutglukosebestimmung erfolgt zu den
Zeitpunkten 0 und 120 min. Die Auswertung des
• Glukoseexzess oder Glukoseentzug (z. B. Hunger-
Tests erfolgt nach den in Tabelle 16-11 wiedergege-
versuch) 3 Tage vor Testdurchführung
benen Grenzwerten (Piasmaglukose).
• Medikamente, die in den Glukosestoffwechsel
eingreifen
• HbA 1c-Bestimmung. Der HbA 1c-Spiegel ist kein
z. B. Benzothaizide, Salizylate, Corticosteroide,
Parameter zur Diagnose des Typ-1- Diabetes, gibt
Nikotinsäure, Östrogen, Progesteron, Insulin
aber nach Erstdiagnose eines Diabetes mellitus
sowie andere antidiabetische Substanzen
einen Anhalt über das Ausmaß der Stoffwechsel-
• Malabsorptionssyndrome, die die orale Glukose-
entgleisung im Rahmen der letzten 6-8 Wochen.
aufnahme betreffen
Das HbA 1c spiegelt indirekt den durchschnittlichen
• Vorliegen einer Infektion (z. B. gastrointestinale
Blutzuckerwert in dieser Zeit wieder. Einen großen
Infektionen, die mit einer Resorptionsstörung
Stellenwert nimmt die Bestimmung dieses Labor-
einhergehen)
parameters in der Therapiekontrolle ein. Somit er-
• Zustand nach Trauma
gibt sich bei normaler Erythrozytenüberlebenszeit
• Verminderte physische Aktivität (Bettlägerigkeit)
eine Halbwertszeit des HbA 1c von etwa 6-8 Wochen.
Bei der Interpretation muss jedoch berücksichtigt
werden, dass verschiedene Störparameter den
Wert verfälschen können (s. Übersicht) .
oGTI
I
zweimalige Nüchterng lukose
<!126 mgfdl
(7,0mmolll)
/
2-h-Wert <! 200 mg/dl L -- - - - , - - - - _ _ j Abb.16-58.
(<! 11 ,1 mmol/1) Diagnostischer Weg in der Primärdiagnostik
/ des Diabetes mellitus. Angegeben sind Plas-
mablutzuckerwerte. (Mod. nach The Expert
Kein Diabetes Commitee on the Diagnosis and Classification
Diabetes mellitus
mellrtus of Diabetes Mellitus 1997)
662 KAPITEL 16 Glukose
Andere Differentialdiagnosen
16.5.8
Differentialdiagnostisch sind weiterhin die im Fol-
Therapie
genden angegebenen Krankheiten zu berücksichti-
gen (s. Übersicht). Bezüglich der Diagnosestellung
Die Therapie des Typ-1-Diabetes erfordert eine
verweisen wir auf die jeweiligen Kapitel, Abschnitte
hohe Bereitschaft der Patienten, eine konsequente
bzw. spezifische Fachliteratur.
gut kontrollierte Therapie durchzuführen. Die
Qualität der Therapie bestimmt entscheidend die
Dierentialdiagnostisch zum Typ-1-Diabetes
Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten.
zu berücksichtigende Erkrankungen
Um dies bei den Patienten zu erreichen, sollte eine
vertrauensvolle und verständnisvolle Zusammen-
• Zyklische Glukosurie
arbeit zwischen dem "Diabetesteam" (Arzt mit dia-
• Alimentäre Glukosurie
betologischem Fachwissen, Diabetesberater, Diät-
e Vergiftungen assistent und, wenn möglich ein Psychologe) und
• Infektionen
den Patienten angestrebt werden.
• Chronische Nephro- oder Hepatopathien
• Zystische Fibrose
Komponenten der Therapie des Typ-I-Diabetes
• Thalassämie
• Wolfram-Syndrom
• Schulung
• Assoziierte Autoimmunerkrankungen (s. Ana-
• Insulintherapie mit Stoffwechsel( -selbst)
mnese)
kontrolle
• Endokrinalogische Erkrankungen: Phäochromo-
• Diabetesgerechte Ernährung
zytom, Prader-Labhart-Willi-Syndrom, POEMS-
• Langzeitbetreuung (einschließlich persönlichem
Syndrom ("plasma cell dyscrasia" mit "polyneu-
Umfeld),
ropathy, organomegaly, endocrinopathy, M'Pro-
• Kontrolle anderer Risikofaktoren (Hypertonie,
tein, skin changes")
Hyperlipidämie, Nikotin)
• Tumorleiden: Akromegalie, Glukagonom, Soma-
tostatinom, Verner-Morrison -Syndrom
• Acanthosis nigricans
Der Typ-I-Diabetes bedarf obligat einer Therapie
• Refsum-Syndrom
mit Insulin. Das Therapieziel ist, die aufgrund der
• Gastrointestinale Erkrankungen mit zu rascher
ß-Zelldestruktion verminderte Sekretion des kör-
Resorption von Kohlenhydraten bzw. zu langsa-
pereigenen Insulins in annähernd physiologischer
mer Metabolisierung in der Leber
Form zu substituieren. So kann eine optimale Stoff-
• Iatrogener Diabetes mellitus (s. Übersicht)
wechseleinstellung mit der Verminderung von Spät-
komplikationen erreicht werden. Die Wahl der The-
rapiestrategie hängt zum einen von der Motivation
Medikamenteninduzierte und zum anderen von den Fähigkeiten der Patienten
diabetische Stoffwechsellage
ab. Es sollte in jedem Einzelfall zusammen mit dem
Patienteil unter Berücksichtigung der persönlichen
Liste potenziell-diabelogener Pharmaka Lebenssituation und seiner Motivation eine Thera-
(nach National Diabetes Data Group) pieform gewählt werden. So ist eine langfristige Mit-
arbeit, die Grundvoraussetzung der Diabetesthera-
e Diuretika und Antihypertensiva: Chlortalidon, pie ist, gewährleistet. Folgende Therapieziele sind
Clonidin, Diazoxid, Furosemid anzustreben.
e Thiazid-Diurethika
• Hormonelle Substanzen: STH, Prolaktin, ACTH, Therapieziele
Glukagon, L-T3, L-T4, Glucocorticoide, Sexual-
steroide, Somatostatin, - Analoga, Katecholami- • Normnahe Blutzuckereinstellung
ne e Erreichen einer optimalen Lebensqualität
• Psychoaktive Substanzen: Haloperidol, Lithium, • Vermeidung akuter und chronischer Komplika-
lmipramin, Phenothiazidderivate, Diphenylhy- tionen.
dantoin, trizyklische Antidepressiva
• Chemotherapeutika, ß-Zelltoxine: Alloxan, Strep-
tozotozin, L-Asparaginase, Pentamidin, Zyklo-
phosphamid
664 KAPITEL 16 Glukose
Tabelle 16-12. Auswahl der wichtigsten Insulinpräparationen ohne Berücksichtigung verschiedener Anbieter, deren Wirkein-
tritt, Wirkmaximum und deren Wirklänge
Schnellwirkendes Insulin
[Ly (B28), Pro(B29)) - Behinderung der Hexamer- Minuten 0,5 2
Humaninsulin bildung durch AS-Austausch
(Gallwitz u. Schmidt 1997)
Verzögerungsinsuline
eutral Protamin Zink, Protamin, Phosphat- 1,5 5- 8 18-24
Hagedorn ( PH), Insulin puffer und Insulin
Langwirkendes Insulin
Tabelle 16-13. Insulinbedarf pro Kohlenhydratportion (10- • Konventionelle lnsulintherapie. Die konven-
12 g reine Kohlenhydrate, BE, KE) in Abhängigkeit von der
tionelle Insulintherapie beruht auf der jeweilig
Tageszeit
2-maligen Applikation eines kurz- und mittellang
Tageszeit Insulinbedarf in JE pro wirksamen Insulins zu festen Zeiten (Abb. 16-59).
Kohlenhydratportion Die Optimierung der Stoffwechsellage erfordert
bei dieser Art von Therapie die Kohlenhydratzufuhr
Morgens ca. 1,5-2,5
(Essenszeiten und Kohlenhydratgehalt) zu festen
Mittags ca. I Zeiten sowie die Anpassung der körperlichen Akti-
Abends ca. 1-1,5 vität, also eine streng reglementierte Lebensweise.
Weil das Wirkmaximum (Phase der höchsten Insu-
linempfindlichkeit) des abendlich injizierten Inter-
Kohlenhydratportion (10-12 greine Kohlenhydrate, mediärinsulins zwischen 0.00 und 3.00 Uhr liegt,
BE, KE), was ebenso bei der Dosisberechnung be- muss eine Spätmahlzeit eingeplant werden. Diese
rücksichtigt werden muss (Tabelle 16-13). Kohlenhydratzufuhr darf nicht zu hoch gewählt
werden, damit dem Dawn-Phänomen (morgendli-
• Ersteinstellung. Die Ersteinstellung eines Typ-I- che Hyperglykämien wegen erhöhten Insulinbe-
Diabetikers sollte mittels der Gabe einer mor- darfs) vorgebeugt wird. Diese Therapieform wird
gendlichen moderaten Intermediärinsulindosis heute nur noch selten bei Typ-1-Diabetikern ange-
(NPH-Insulin) beginnen. Die Dosis sollte etwa wandt.
1/3 der kalkulierten Tagesbedarfsdosis entsprechen
(1/3 · 0,5 IE/kg KG). Ziel ist es, unter Anpassung • Intensivierte Insulintherapie. Diese Therapie-
der morgendlichen Dosis den Blutzucker in Bereiche form ist den zuvor beschriebenen überlegen. Das
um 200 mg/dl zu senken. Ist dies erreicht, beginnt Prinzip der heute bevorzugten Therapieform bei
man zusätzlich etwa 1/3 der morgendlichen Inter- Typ-1-Diabetes, der intensivierten Insulintherapie,
mediärinsulindosis abends zu applizieren. Unter besteht in der Substitution des Basaltagesbedarfs
ständigem Monitoring des Blutzuckers wird nun an Insulin durch mittellang wirksames Insulin so-
die individuelle Tagesbedarfsinsulindosis durch wie der präprandialen Gabe von Normalinsulin in
Anpassung (Zielblutzucker präprandial 100 mg/dl Abhängigkeit von Blutzuckerspiegel und vorge-
und postprandial 160 mg/dl), wie bei der konven- sehener Kohlenhydrataufnahme. Je nach Insulin-
tionellen Insulinsubstitutionstherapie, ermittelt und präparation (Normalinsulin) muss ein Spritz-Ess-
angepasst. Unbedingte Voraussetzung ist, dass eine Ahstand in der Regel von 15-30 min vor der Mahl-
engmaschige Blutzuckerkontrolle gewährleistet ist, zeit (Cave: kein Spritz-Ess-Ahstand beim Insulin-
da eine vorübergehende Remission ("Honeymoon- Lispro) eingehalten werden. Bei hohem bzw. niedri-
Phase") eintreten kann und somit, bei externer gem Ausgangsblutzuckerwert muss der Spritz-Ess-
Insulinzufuhr, das Hypoglykämierisiko steigt. Ist Ahstand um 15 min verkürzt bzw. verlängert werden
eine ausreichende Stabilität im Stoffwechsel er- (Abb. 16-60a-c).
reicht, kann die Einstellung auf die jeweilig mit
dem Patienten gemeinsam gewählte Insulinsubsti-
tutionstherapie erfolgen.
Applt~OIIOO Appltl<.olton
u u
1n errnedobr -
-- Abb.16-59.
Therapieregime bei der konventionellen In-
•
sulinsubstitutionstherapie. BZB Blutzucker-
I • bestimmung
666 KAPITEL 16 Glukose
a
BZB BZB BZB BZB
lnterrnediÖI·
- - --.._
Insulin
........
b
I • I • I • Mahlzeiten
Applikation Applikation
JJ lnterrnedicir-
Insulin
lntermediör-
insuHn
c
I • I • I • Mahlzeilen
Applikation
ApplikoliO'l Applikalioo Appllkotion (Uitrotord)
JJ JJ JJ JJ
Altinsulin Altinsulin Altinsulin
Abb. 16-60a-c.
-- -- ---
lntermediör- Verschiedene Therapieregime der inten-
insulin sivierten Insulinsubstitutionstherapie.
Einstellung: a Basis-Bolusprinzip mit 3
Applikationen, b und c Basis-Bolusprinzip
mit 4 Applikationen. BZB Blutzuckerbe-
I • I I I • Mahlzeilen
stimmung
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 667
Einstellung (Umstellung von konventioneller Insulin- speziellen Einrichtungen erfolgen. Beim Vergleich
substitutionstherapie). Vorgehen: 40-60 o/o des indi- der Insulinpumpentherapie und der intensivierten
viduell ermittelten Tagesbedarfs an Insulin werden Insulinsubstitutionstherapie (INT) wurde in der
als Intermediärinsulin zu jeweilig gleichen Teilen Gruppe der Pumpenträger eine verminderte Hypo-
morgens und abends appliziert. Die jeweilig benö- glykämierate beobachtet (Insulinpumpe: 31 Fälle/
tigte präprandiale Normalinsulindosis wird nach 100 Patientenjahre vs. INT: 138 Fälle/100 Patienten-
folgenden Faustregeln kalkuliert. jahre). Die Güte der Stoffwechseleinstellung, gemes-
• 1 IE Normalinsulin senkt den Blutzucker um sen am HbA 1c-Wert, war in beiden Gruppen gleich.
30-50 mgldl. Folgende Übersicht gibt die Indikationen zur Insu-
• 1 Kohlenhydrateinheit (KE, BE) erhöht den Blut- linpumpentherapie wieder.
zucker um ca. 40-50 mg/dl.
Indikationen für eine Insulinpumpentherapie
Hieraus ergibt sich, dass die geplante Aufnahme von
BE etwa den IE Normalinsulin entspricht (2 BE
• Ausgeprägtes Dawn-Phänomen (=hohe Blutzuk-
ca. 2 IE Normalinsulin). Bei Applikation muss unbe-
kerwerte am frühen Morgen)
dingt der Spritz-Ess-Ahstand berücksichtigt werden.
• Einstellungsprobleme in der Schwangerschaft
Dosisanpassung: Prospektiv. Eine prospektive In-
• Schlecht einstellbarer Diabetes trotz guter Kom-
sulindosisanpassung ist nur für das Normalinsulin
pliance und intensivierter Insulintherapie
möglich. Vorgehen: Die Ermittlung der jeweiligen
• Erhöhte Anforderungen an die Therapie (Schicht-
präprandialen Normalinsulindosis wird nach den
arbeit)
gleichen Faustregeln wie bei der Umstellung von
konventioneller auf intensivierte Insulinsubstituti-
onstherapie durchgeführt (s. oben).
Retrospektiv. Die Anpassung der abendlichen In- Weitere Varianten der Insulinpumpentherapie sind
termediärinsulindosis erfolgt nach den morgendlich implantierte Pumpenaggregate mit intraperitonea-
gemessenen Nüchternblutzuckerwerten der letzten ler oder intravenöser Insulinapplikation. Sie kom-
Tage. Zur Wahl der Korrekturdosis wird das gleiche men z. B. bei seltener subkutaner Insulinresistenz
Vorgehen wie bei der prospektiven Dosisanpassung in Betracht. Eine kürzlich veröffentlichte Studie
des Normalinsulins benutzt. Die Dosis sollte so ti- zeigte im Vergleich von Insulinpumpentherapie (in-
triert werden, dass das Verhältnis zwischen mor- traperitoneal oder intravenös) keinen Unterschied
gendlicher und abendlicher Intermediärinsulindosis in der Güte der Blutzucker-sowie HbA 1c-Wert-
1 : 1 ist. und Blutfettwerteinstellung im Vergleich zur subku-
tanen INT. Bezüglich des Auftretens von ausgepräg-
• lnsulinpumpentherapie. Diese Therapieoption ten Hypoglykämien lag auch hier die Insulinpum-
ermöglicht mittels einer tragbaren Minipumpe die pentherapie besser als die intensivierte Therapie
kontinuierliche oder auch variabel der Tageszeit an- (INT: 33 Fälle/100 Patientenjahre gegenüber Insu-
gepasste subkutane Insulinbasissekretion über eine linpumpentherapie: 4 Fälle/100 Patientenjahre). In
fixierte, subkutane Verweilkanüle. Die jeweilige prä- der Untergruppenbetrachtung schnitt die intra-
prandiale Insulindosis kann direkt mit der Mini- peritoneale Applikation gegenüber der intravenösen
pumpe über eine Abruffunktion appliziert werden. Insulingabe besser ab. Katheterobstruktionen wur-
Ebenso wie die intensivierte Insulintherapie erfor- den in 76 o/o (intravenöse Katheterlage) nach 8,9 ±
dert dieses System eine regelmäßige Blutzuckerkon- 6,5 Monaten und in 81 o/o (intraperitoneales Regime)
trolle zur optimalen Anpassung sowie ein in noch nach 20,6 ± 12 Monaten beobachtet. Der Ver-
höherem Maße vorhandenes Therapieverständnis. gleich mit Daten der DCCT erbrachte, dass weniger
Grundvoraussetzung zur Anwendung der Insulin- Ketoazidosen (0,4/100 Patientenjahre) bei der In-
pumpentherapie ist eine ausgiebige Instruktion sulinpumpentherapie als bei der INT (1,8/100 Pa-
des Patienten in der Bedienung der Insulinpumpe tientenjahre) auftraten. 'Ebenso ist die Körperge-
und Bewältigung therapiebedingter Probleme (Ver- wichtszunahme unter Insulinpumpentherapie nicht
halten bei Sport, beim Baden, Therapie von Reizzu- so ausgeprägt wie bei der INT (> 120 o/o Idealge-
ständen der länger verweilenden Infusionsnadeln). wicht: INT 12,7 Fälle/100 Patientenjahre gegenüber
Die Patienten müssen über die Gefahr eines ketoa- Insulinpumpentherapie 3,8 Fälle/100 Patienten-
zidotischen Komas bedingt durch ausbleibende In- jahre; Abb. 16-61). Eine Einschätzung, ob die Thera-
sulinzufuhr (Katheterdislokation oder Verstopfung) pie des Typ-I-Diabetes mittels der Insulinpumpen-
aufgeklärt sein und fähig sein, eine Insulinapplika- technik gegenüber der INT besser ist, ist schwer. Es
tion in der üblichen Weise ersatzweise durchführen liegen nur begrenzt Daten vor, die nur eine vor-
zu können. Eine Betreuung dieser Patienten muss in sichtige Aussage zulassen. Hinzu kommt, dass mög-
668 KAPITEL 16 Glukose
35
30
I
~
.r:;
Al 25
· ~;
Ql
~ ~ Intensivierte Insulinsubstitutionstherapie Abb.16-61.
"E 20 Vergleich von Hypoglykämierate, Über-
CD D Insulinpumpentherapie
~ gewicht und Ketoazidosevorfällen bei der
15 intensivierten Insulinsubstitutionstherapie
8 und lnsulinpumpentherapie. Betrachtung
~ bei 76 Patienten zunächst nach 3- bis
:;;; 10
u. 4-monatiger intensivierter Insulin-
5 substitutionstherapie und dann erfolgter
Implantation einer Insulinpumpe (für
0 I J 39,6 ± 10 Monate). (Mod. nach Dunn et al.
1997)
Hypoglykämien ,. 120% Idealgewicht Ketoazidosen
lieherweise die besser ausgefallenen Ergebnisse be- normnaher HbA 1c-Wert für die Vermeidung von
züglich des Hypoglykämierisikos, der verminderten möglicherweise auftretenden Spätkomplikationen
Ketoazidoserate und der geringeren Gewichtszunah- maßgeblich (Tabelle 16-14). Für die Mortalität be-
me auf eine genauere Stoffwechseleigenkontrolle stand kein Unterschied bei beiden Therapieformen.
oder auch stärkere Motivation der Insulinpumpen- Es zeigte sich jedoch, dass in der intensiviert behan-
träger zurückzuführen ist. delten Patientengruppe vermehrt schwere Hypo-
glykämien (Ereignisse, die Glukose- oder Glukago-
ninjektionen oder orale Glukosezufuhr durch ande-
Therapieerfolge re erforderlich machte) auftraten. Die erhöhte
Es sollte immer eine intensivierte Insulinsubsti- Hypoglykämierate bei der intensivierten Insulinsub-
tutionstherapie/Insulinpumpentherapie angestrebt stitutionstherapie erfordert eine genauere Selbst-
werden. Ergebnisse der "Diabetes and Compliance kontrolle und somit eine höhere Kompliance sowie
Trial (DCCT)" zeigten, dass gute Blutzuckereinstel- Fertigkeit des Patienten. Bei Patienten mit Wahr-
lung bezüglich der Spätfolgen des Typ-1-Diabetes im nehmungsstörungen für Hypoglykämien und ana-
Vergleich der schlechten Blutzuckereinstellung mnestisch angegebenen schweren Hypoglykämien
überlegen ist (The Diabetes Control and Complica- sind besondere Vorsicht und spezielle Schulungs-
tions Trial Research Group 1993). In die Betrachtung maßnahmen indiziert. Für Patienten, die eine Selbst-
floss der HbA 1c-Wert, der somit Maß für die Güte kontrolle ihres Therapieerfolges nicht bewältigen
der Stoffwechseleinstellung war, ein. So ist nicht oder nur begrenzt durchführen wollen (z. B. alte
die Therapiewahl, sondern vielmehr ein möglichst Menschen, geistig Retardierte oder Patienten, die
Tabelle 16-14. Vergleich zwischen intensivierter (INT, scher Komplikationen des Typ- I -Diabetes. Eingeschlossen wa-
HbA!c-Werte 7,0-7,2 %) und konventioneller (KON, ren 1441 Patienten aus 29 Zentren über einen Zeitraum von 10
HbA!c-Wert 8,9 %) Insulinsubstitutionstherapie bzgl. der Ri- Jahren. (Mod. nach The Diabetes Control And Complications
sikoreduktion mikroangiopathischer und makroangiopathi- Trail Research Group 1993)
Organproblem Risikoreduktion
!NT gegenüber KON
l%1
Mikroangiopathie
Auge Retinopathie 63
( > 3-Stepp-Verschlechterung)
Makulaödem 26
Erforderliche Lasertherapie 51
iere Albuminurie 2: 40 mg/24 h 39
Albuminurie 2: 300 mg/24 h 54
ervensystem europathie (nach 5 Jahren) 60
Kardiavaskulär 80
pAVK 24
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 669
aufgrund einer stabilen Stoffwechsellage gut kon- manifestationwerden die Patienten mit einer für sie
ventionell eingestellt sind und/ oder die Vorzüge neuen, lebenslangen Erkrankung konfrontiert, die
der intensivierten Therapie nicht in Anspruch neh- nicht selten psychosoziale Probleme mit sich führt.
men wollen), besteht keine Kontraindikation zur Die Anforderungen an das Wissen, das Handlungs-
Fortführung der konventionellen Insulinsubstituti- vermögen, die Selbstdisziplin und das Verantwor-
onstherapie. tungsbewusstsein der Patienten sind groß. Um die-
sem zu begegnen, müssen die Patienten einer spe-
ziellen Schulung (s. Übersicht unten) durch ein
Pankreastransplantation, Inselzelltransplantation
"Diabetesteam" zugeführt werden. Dieses Schu-
• Pankreastransplantation. Die eleganteste Thera-
lungsprogramm, so konnte in einigen Untersuchun-
pie des Typ-I-Diabetes würde in dem Ersetzen des
gen gezeigt werden, ist in ambulanter Form durch-
zerstörten Organs (Gesamtpankreas oder Inselzel-
zuführen. Neben den geringeren Kosten im Ver-
len) bestehen. Das Hauptproblem, wie bei jeder
gleich zu einer Schulung mit Hospitalisierung
Transplantation, sind das Abstoßungsrisiko und
wird zudem erreicht, dass die Patienten aktiv mitar-
die Nebenwirkungen der zur Abstoßungsprophylaxe
beiten und nicht in eine passive Haltung, die unter
nötigen Medikamente. Die Indikation für eine
stationären Bedingungen leicht angenommen wer-
Pankreastransplantation ist eng zu stellen und ist
den kann, verfallen.
bei terminal-niereninsuffizienten Typ-I-Diabetikern
ohne weitere Gefäßkomplikationen (Herz und Ge-
Schulungsinhalte einer strukturierten ambulanten
hirn) in Kombination mit einer Nierentransplanta-
Aus- und Weiterbildung für Typ-I-Diabetiker
tion gegeben. Eine alleinige Pankreastransplantation
ist nur in Ausnahmefällen (schwerer instabiler Typ-
• Grundlagenwissen über Typ-I-Diabetes
I-Diabetes) zu erwägen. In etwa I-I2 o/o tritt ein Dia-
• Kenntnisse und Fertigkeiten der Selbstkontrolle
betesrezidiv im Transplantat ein, was eine erneute
• Wirkung der Insulinformen
Insulintherapie erforderlich macht. Die Transplan-
• Insulintherapieformen
tate werden mittels Pankreatikoduodenojejunosto-
• Injektionstechniken
mie oder der Pankreatikoduodenozystotomie mit
• Diabetesgerechte Ernährung
Ableitung der exokrinen Pankreassekrete in die
• Hypoglykämie
Harnblase transplantiert.
• Spätschäden
• Vererbung
• Inselzelltransplantation. Eine weitere Möglich-
• Schwangerschaft
keit besteht in der Transplantation von isolierten In-
• Psychosoziale Fragen
selzellen. Insbesondere kommen hierfür Typ-I-Dia-
betiker, die bereits nierentransplantiert sind und so-
mit eine immunsuppressive Therapie erhalten, in
Betracht. In Studien zeigte sich, dass I Jahr nach
In Studien bezüglich der Lebensqualität von Typ-I-
Transplantation 47 o/o der Empfänger C-Peptid-posi-
Diabetikern wurde herausgearbeitet, dass bei Pa-
tiv sind und 29 o/o keine Insulinsubstitution benöti-
tienten mit zunehmendem Alter die Unzufrieden-
gen. Die Erfolgsrate der Inselzelltransplantation lag
heit mit ihrer Situation steigt. Bei Frauen ist dies
in einer Studie mit 20 Transplantierten bei etwa
ausgeprägter als bei Männern. Es muss also in be-
45 o/o. Technisch erfolgt die Inselzelltransplantation
sonderem Maße auf die ungünstige psychische
über eine Infusion dieser in die Portalvene. Die In-
und physische Befindlichkeit von älteren Diabeti-
selzellen werden dann in den Lebersinusaiden fest-
kern in den Schulungsprogrammen eingegangen
gehalten und übernehmen von diesem Ort aus die
werden. In Fragen zur Bewältigung des Diabetes
Regulation des Stoffwechsels.
im täglichen Leben und der diabetesspezifischen
Selbstkontrollen kamen alle Altersgruppen gut zu-
recht. In einer Vielzahl von Studien konnte dargelegt
16.5.9 werden, dass Schulungen im Sinne von Aus- und
Schulung Weiterbildung in etwa 4- bis 5-jährigen Abständen
erfolgen sollten. Besondere Wissensdefizite zeigten
Der Typ-I-Diabetes ist eine Erkrankung, die bei gu- sich in diabetesgerechter Ernährung, Insulindosis-
ter Einstellung der Stoffwechsellage erfolgreich be- anpassung und Hypoglykämien, auf die in der Wei-
züglich der Vermeidung von Spätfolgen behandelt terbildung besonders eingegangen werden sollte.
werden kann. Der Therapieerfolg ist in einem gro- Die Schulung sollte ambulant in Gruppen von bis
ßen Maß von der Eigenverantwortlichkeit und Auf- zu IO Personen oder auch Einzelschulungen durch-
geklärtheit des Patienten abhängig. Bei der Diabetes- geführt werden. Es empfiehlt sich neben der Beteili-
670 KAPITEL 16 Glukose
gung des gesamten Diabetesteams (Diabetologe, werden. Des Weiteren sollten 20-35 g Faserstoffe/
Diabetes-Berater, Diätassistent, Psychologe) die Tag, ausreichend Vitamine und Spurenelemente zu-
Schulung in einem Schulungsraum in entspannter geführt werden. Das subjektive Wohlbefinden des
Atmosphäre durchzuführen. Auch sind praktische Patienten bei der Ernährung ist ein wichtiger Be-
Übungen zum Umsetzen des Erlernten sehr sinnvoll standteil zur Sicherung der Einhaltung der diabetes-
(gemeinsamer Restaurantbesuch mit Berechnung gerechten Ernährung. Aus diesem Grund sollte bei
der benötigten Insulinsubstitutionsdosis). Bei der der Erstellung eines Ernährungsplanes auf die jewei-
Betreuung und Schulung von Kindern im Verlauf ligen Neigungen der Patienten eingegangen werden.
der Erkrankung sind Maßnahmen mit verschiede- Hilfreich sind hierbei Ausgleichstabellen, die dann
nen Veranstaltungen und Einrichtungen (s. folgende das Erstellen einer individuellen diabetesgerechten
Übersicht) sinnvoll. Neben der Aufklärung des Pa- Ernährung ermöglichen. Das genaue Abwiegen
tienten selbst und seiner Familie verbessert die der Nahrung erübrigt sich, wenn die Familie und
Krankheitsakzeptanz und Therapieführung bei er- der Patient gelernt haben, Gewicht und BE-Gehalt
krankten Kindern die Aufklärung des sozialen Um- der Nahrung abzuschätzen. Zumeist würde das Ab-
feldes wie z. B. der Lehrer, Sportlehrer, Kindergärt- wiegen auch nur eine relative Genauigkeit vorspie-
ner über diabetische Komplikationen, deren Erken- geln, da der tatsächliche Kohlenhydratanteil in den
nung und Therapie. Für spezielle Fragen bezüglich einzelnen Produkten Schwankungen unterliegt.
der Führung von an Typ-I-Diabetes-erkrankten Beim Ernährungsplan von Kleinkindern sollte we-
Kinder möchten wir auf entsprechende Fachliteratur gen der schnellen Resorption und des damit schnel-
verweisen. len Anstiegs der Blutzuckerspiegel Kochzucker,
Traubenzucker sowie Malzzucker vermieden wer-
Begleitende Programme und Veranstaltungen den. Bei Erwachsenen ist ein mäßiger Genuss von
bei an Typ-1-Diabetes-erkrankten Kindern Kochzucker erlaubt, da die Stoffwechsellage in der
Regel dadurch nicht verschlechtert wird. Anderun-
• Strukturierte Elternabende gen der Nahrung sind z. B. bei Makroalbuminurie
e Schulungswochenendausflüge notwendig (s. diabetische Nephropathie).
• Strukturierte Schulungswochen für Jugendliche
mit Typ-I-Diabetes in einem möglichst wirklich-
keitsnahen und krankenhausfernen Millieu
• Kinderfeste für Familien mit diabetischen Kin- 16.5.10
dern Therapiekontrollen
e Ferienlager für Kinder und Jugendliche mit Typ-
I-Diabetes Der Typ-I-Diabetes ist eine lebenslange Erkran-
kung, die bei guter Einstellung der Stoffwechsellage
(HbA 1c-Wert) eine relativ gute Prognose, auch bezo-
Diabetesgerechte Ernährung gen auf mögliche Spätfolgen, hat. Voraussetzung für
Die Ernährung sollte eine ausgeglichene Kost bein- eine optimale Stoffwechseleinstellung und somit die
halten (Brot, Milch, Gemüse, Früchte, Fleisch und Prävention dieser Spätfolgen sind kontinuierliche
Fett). Insbesondere ist sie an Lebensalter, Ernäh- Therapiekontrollen im Rahmen der Langzeitbetreu-
rungszustand, körperliche Aktivität und spezifische ung der Patienten. Die folgende Übersicht gibt die
metabolische Anomalien anzupassen (Hyperchole- Grundprinzipien wieder, die entsprechend dem kli-
sterinämie, Hypertriglizeridämie usw.). In der Regel nischen Verlauf variabel umgesetzt werden müssen.
werden 3 Hauptmahlzeiten und je nach Art der In-
sulinsubstitutionstherapie bis zu 3-4 Zwischen- Therapiekontrollen bei Typ-1-Diabetikern:
mahlzeiten eingenommen. Wichtig ist die ausrei- Frequenz und Inhalt
chende Nahrungszufuhr bei Kindern, die in der
Wachstumsphase sind. Der Energiebedarfkann mit- • Ärztliche Konsultation in vierteljährlichen Ab-
tels Tabellen ermittelt werden und sollte zu 55 % aus ständen. Bei einer Primärversorgung durch den
Kohlenhydraten, 30 % aus Fetten und I5 % aus Pro- Hausarzt sollte eine halbjährliche bis jährliche
teinen bestehen. Eine Tagesverteilung kann je nach Vorstellung bei einem Diabetesspezialisten oder
Gewohnheiten des Patienten z. B. 20 %auf das Früh- dem "Diabetesteam" erfolgen
stück, 30 % auf das Mittagessen und 20 % auf das • Dezidierte Erfassung der Stoffwechseleinstellung.
Abendessen erfolgen. Für die Zwischenmahlzeiten Dokumentation von
würden dann jeweils IO% auf Morgen, Nachmittag Blutzuckereigenmessungen
und Spätmahlzeit entfallen. Ein Anteil von ungesät- Hypoglykämieereignissen
tigten zu gesättigten Fetten (1,2 : 1,0) sollte erreicht Änderungen des Insulinbedarfs
16.5 Typ-1-Diabetes mellitus 671
Allgemein Spezifisch
· Ketoazidotisc/res Koma
Kontrolle von Atmung, Kreislauf, Wasser- und Elektrolyt- Volumenmangelsubstitution: Milde Rehydratation mit
haushalt (Blutzuckerkontrollen, Blutgaskontrolle) aCL (0,9 %) bei erumnatrium < 155 mmol/1; bei
erumnatrium
> 155 mmol/1 Rehydratation mit aCl
(0,45 %, halbisoton):
Flü sigkeitsbilanz (ZVD, Bla enkatheter, Wiegen) I. h: 1000 ml. Danach:
ZVD < 3 cm: 1000 ml!h
ZVD 3-8 cm: 500 ml!h
ZVD > 8 cm: 250 ml/h
Magen onde (Pylorusspastik, Magenatonie) In den ersten 8 h Sub titution von etwa S-6 I. Danach
250 ml/h. Bei ausgeprägter Hypovolämie evtl.
Humanalbumin oder DFFP. Cave: Herzinsuffizienz.
Thrombembolieprophylaxe, Dekubitusprophylaxe Überlappende Blutzuckerkorrektur
Antibiose (je nach Klinik) Initial 5-10 IE ormalinsulin i. v. {0,1 IE/kg KG). Cave:
Zuvor möglicherweise bestehende oder unter Therapie
entstehende Hypokaliämie ausgleichen!!
Dann 4-10 IE/h Normalinsulin über Perfusor
Blutzuckersenkung um 100 mg!dl pro h bis 250 mg!dl,
danach ist die Infusionsrate zu titrieren.
Dann 2 IE/h über Perfusor mit der Gabe von 5 %iger
Glukoselösung.
Engma ehige Elektrolytkontrolle!
Paralleler Elektrolytau gleich
atrium: im Rahmen der Rehydratation.
Kalium: Einleiten nach Beginn der Insulininfusion
(Cave: Kontraindikationen bei ierenver agen, Anurie
und Hyperkaliämie) und bei:
pH < 7,1
bei Serum Kalium:
< 3 mmol/1 : 20-25 mmol/h
> 3-4 mmol!l: 15-20 mmol/h
> 4-5 mmol/l : 10-15 mmol/h
• Bei pH < 7,1 Gabe von 1/3 des errechneten Bikar- ämie verursachenden Erkrankung muss die spezifi-
bonatbedarfs: Bikarbonatbedarf = [negativer Ba- sche Therapie dieser Erkrankung erfolgen. Wir ver-
seexzess · Körpergewicht (kg)]: 10. weisen hier auf die jeweiligen Abschnitte.
zeigte einen Mann mit ausgeprägter androgener naten eine Gewichtsreduktion von 7 kg und ein
Adipositas, d. h., der Bauchumfang ist deutlich im Vergleich zum stationären Aufenthalt nied-
größer als der Hüftumfang (Abb. 16-62). Aus rigerer Blutdruck von 160/85. Die Nüchtern-
dem Gewicht von 115 kg und der Größe von plasmaglukose betrug 115 mg!dl, HbA 1c 6,2 %,
1,72 m ergab sich ein Bodymass-Index (BMI) die Harnsäure 7,1 mgldl. Die Triglyzeride waren
von 38,9 kglm 2• Es handelte sich somit um auf 178 mgldl abgefallen, das HOL-Cholesterin
eine Adipositas Grad li nach Garrow. Das Vor- auf 33 mgldl angestiegen. Das LOL-Choiesterin
liegen eines Diabetes war dem Patienten nicht war allerdings ebenfalls angestiegen auf
bekannt. Eine arterielle Hypertonie wurde erst- 131 mgldl. Insgesamt bestand bei dem Patienten
mals vor ca. 10 Jahren diagnostiziert. Die kör- bei Aufnahme das Vollbild eines metabolischen
perliche Untersuchung ergab neben einem Syndroms mit androgener Adipositas, Typ-2-
hypertonen Blutdruckwert von 180/90 eine Diabetes, Hyperlipidämie, arterieller Hyper-
ausgeprägte Neuropathie mit fast vollständig tonie und Hyperurikämie. Das Einleiten einer
aufgehobenem Vibrationsempfinden. Die oph- Gewichtsreduktion führte zu einer günstigen
thalmologische Untersuchung zeigte einen Fun- Entwicklung aller Komponenten des metaboli-
dus hypertonicus Grad 1-II, jedoch noch keine schen Syndroms und damit zu einer prognosti-
diabetische Retinopathie. Weiterhin fand sich schen Verbesserung der Morbidität und Mor-
ein ausgeprägter Candidabefall der Intertrigi- talität.
nes. Im Labor zeigte sich 2-mal eine Nüchtern-
plasmaglukose von über 126 mgldl (7 mmol/1)
und somit ein manifester Diabetes mellitus.
16.6.2
Der HbA 1c war 6,9% (Norm < 6,1 %). Weiter-
Epidemiologie
hin fand sich eine Hyperlipidämie mit einem
Triglyzerid-Spiegel von 368 mgldl und einem
Eine 1993 veröffentlichte Analyse der Daten von Le-
erniedrigten HOL-Cholesterin von 22 mgldl.
bensversicherungen ergab eine Prävalenz des mani-
Der LDL-Cholesterinspiegel war mit 112 mgldl
festen Diabetes mellitus in Gesamtdeutschland von
im Normbereich. Der Harnsäure-Spiegel im
Plasma war mit 10,9 mgldl deutlich erhöht.
Im 24-h-Sammelurin wurde eine signifikante
Albuminurie von 78 mgll offenbar. Eine Echo-
kardiagraphie ergab den Verdacht auf eine Kar-
diopathie mit hochgradig eingeschränkter links-
ventrikulärer Pumpfunktion. Die Tachyarrhyth-
mie wurde mittels Digitoxin und Diltiazem the-
rapiert. Zur Embolieprophylaxe wurde der
Patient marcumarisiert (niedrige Dosierung
mit einer angestrebten "International normali-
zed ratio" von 2,0- 3,0). Die elektive Koronaran-
giographie wurde wegen der Inguinalmykose
verschoben, zeigte später unauffällige Koronar-
ien, jedoch eine deutlich eingeschränkte links-
ventrikuläre Funktion. Es wurde eine Ernäh-
rungsberatung und eine Diabetikerschulung
durchgeführt; der Patient erhielt 800 kcal einer
fett- und zuckerreduzierten purinarmen Misch-
kost. Die Hyperurikärnie wurde zunächst nur
mit Ernährungsumstellung behandelt. Aufgrund
der Neuropathie wurden 600 mg a -Liponsäure
täglich verabreicht. Aufgrund der Herzinsuffi-
zienz und der Albuminurie wurde ein ACE-
Hemmer rezeptiert. Zu diesem Zeitpunkt wurde
auf eine weitere blutzuckersenkende medika-
mentöse Therapie verzichtet. Nach Schulung
und Ernährungsberatung zeigte sich nach 3 Mo- Abb. 16-62. 65-jähriger Patient mit ausgeprägter androgener
Adipositas und Typ-2-Diabetes mellitus
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 675
12
0 Frauen M:lnner
t<II
10
1i"ca 8
i:5
....
b.
>o 6
.,
1-
<ll
'0
N
c 4
<ll
'1ii
>
'I!!
Q.
2
Abb.l6-63.
0 Prävalenz des manifesten Diabetes mellitus
in Deutschland gemäß der alten und ge-
alte Grenzwerte neue Grenzwerte schätzt gemäß der neuen Kriterien der
(geschätzt) WHO. (Daten aus Henrichs et al. 1997)
4,4-5,0 %. Gemäß der neuen, Sensitiveren Kriterien schiedenen Völkergruppen sowie zum anderen
der WHO wird eine Prävalenz von 6,3-9,0 o/o ge- aus Familienstudien hervor. So beträgt beispiels-
schätzt (Abb. 16-63). Aufgrund der zunehmenden weise bei den Pima-Indianern die Wahrscheinlich-
Überalterung der Gesellschaft sowie der ansteigen- keit, während ihres Lebens einen Typ-2-Diabetes
den Prävalenz des Übergewichtes, einem Hauptrisi- zu entwickeln, über 50%. Auch bei in den USA
kofaktor für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes, lebenden Mexikanern ist die Diabeteshäufigkeit
ist mit einer weiteren Zunahme der Diabeteshäufig- deutlich höher als bei den Kaukasiern. Tabelle 16-17
keit zu rechnen. vergleicht den Einfluss der Vererbung zwischen
Typ-1- und Typ-2-Diabetes und verdeutlicht, dass
dieser Einfluss beim Typ-2-Diabetes wesentlich
16.6.3 größer ist. Erhebliche Anstrengungen werden z. Z.
Pathogenese unternommen, die bei der Disposition zum Typ-
2-Diabetes beteiligten Gene zu identifizieren. Wäh-
Der Typ-2-Diabetes mellitus ist ein Paradebeispiel rend bei den genetischen Defekten der ß-Zellfunk-
für eine Erkrankung, die zum einen durch geneti- tion (früher als "maturity onset diabetes of the
sche und zum anderen durch Umwelteinflüsse be- young" oder MODY bezeichnet) oder den geneti-
dingt ist. schen Defekten der Insulinwirkung (beispielsweise
der Typ-A-Insulinresistenz) monogenetische Erb-
gänge nachgewiesen werden konnten, gelang dies
Genetische Disposition
beim Typ-2-Diabetes nicht. Es handelt sich somit
Die Tatsache, dass der Typ-2-Diabetes einer ge-
in der überwiegenden Zahl der Fälle um einen poly-
netischen Disposition unterliegt, geht zum einen
genetischen Erbgang.
aus der unterschiedlichen Prävalenz zwischen ver-
Allgemein 0,2 5
Ein Elternteil erkrankt 4 10- 15
chwester/Bruder
Erkrankt 7 10- 15
Monozygo ter Zwilling
Erkrankt 33 90- 100
676 KAPITEL 16 Glukose
Pathophysiologie und Pathobiochemie Gehirn und dieser Prozess ist ungestört bei Diabeti-
des Typ-2-Diabetes kern. Eine Störung der insulinvermittelten Glukose-
Es handelt sich dabei fast immer um die Kombina- aufnahme des Muskelgewebes hat nur einen gerin-
tion von Insulinresistenz und gestörter Insulinse- gen Einfluss auf die gesamte basale Glukoseverwer-
kretion der ß-Zellen des Pankreas. Die Insulinresi- tung und damit auf den Nüchternblutzucker. Die
stenz bedingt dabei zum einen eine vermehrte Glu- Nüchternglukose spiegelt die Balance zwischen Glu-
koneogenese in der Leber (hepatische Insulinresi- koseproduktion der Leber und Glukoseverwertung
stenz) und zum anderen eine verringerte wieder.
Glukoseaufnahme im peripheren Gewebe (periphere
Insulinresistenz), wobei der quer gestreifte Muskel Periphere Insulinresistenz
mit 80-90 % der insulinvermittelten Glukoseauf- Unter peripherer Insulinresistenz versteht man die
nahme die wichtigste Rolle spielt: Die Trias von ge- inadäquat niedrige Antwort auf Insulin im periphe-
steigerter Glukoseproduktion aufgrund hepatischer ren Gewebe, im Speziellen die zu geringe Erhöhung
Insulinresistenz, verringerter Glukoseaufnahme in des Glukoseeinstroms in Muskelzellen und Adipo-
der Peripherie wegen peripherer Insulinresistenz zyten. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig,
und verringerter Insulinsekretion des Pankreas dass man hepatische und periphere Insulinresistenz
führt zur Erhöhung der Glukosespiegel im Plasma nicht isoliert sehen kann. So führt besonders auch
und somit zum manifesten Typ-2-Diabetes mellitus. im postprandialen Zustand die Insulinresistenz
Im Folgenden sollen nun die pathophysiologischen des Fettgewebes zu erhöhten Plasmaspiegeln an
und pathobiochemischen Mechanismen beschrie- freien Fettsäuren und die Insulinresistenz des Mus-
ben werden, die zu den beschriebenen Veränderun- kelgewebes zur Erhöhung von Alanin und Laktat.
gen im Glukosestoffwechsel führen. Diese Stoffwechselprodukte sind ihrerseits in der
Lage, die hepatische Glukoneogenese zu erhöhen,
Hepatische Insulinresistenz wie in Abb. 16-64 schematisch gezeigt. Abbil-
Die Insulinresistenz setzt sich aus einer hepatischen dung 16-65 verdeutlicht, dass der Skelettmuskel
und einer peripheren Komponente zusammen. Un- der für die Ausbildung der Hyperglykämie entschei-
ter hepatischer Insulinresistenz versteht man die dende Ort der peripheren Insulinresistenz ist, da
nicht ausreichende Suppression der hepatischen hier die Verringerung der postprandialen Glukose-
Glukoneogenese durch Insulin. Obwohl die periphe- aufnahme bei Typ-2-Diabetikern lokalisiert ist.
re Insulinresistenz von vielen Autoren als die ent-
scheidende Variable des Typ-2-Diabetes bezeichnet Welche zellulären Mechanismen liegen der Insulin-
wird, ist die vermehrte Glukoneogenese in der Leber resistenz beim Typ-2-Diabetes zugrunde?
zum überwiegenden Teil für die Nüchternhypergly- Metabolische Defekte, die mit der gestörten Gluko-
kämie beim manifesten Diabetes verantwortlich. Im seutilisation beim Typ-2-Diabetes (Insulinresistenz)
Nüchternzustand erfolgen 75-80 % der Glukoseauf- assoziiert sind:
nahme unabhängig von Insulin. Über 50 % der ba- • insulinstimulierter Glukosetransport in Muskel-
salen Glukoseaufnahme geschieht dabei durch das zellen,
Hepatische Periphere
Insulinresistenz Insulinresistenz
~
t1jjj
Fettgewebe
(vermehrte Lipolyn)
Abb.l6-64.
(vennehrte Glukoneogenese) Schematische Darstellung der pathophysio-
Muakel logischen Zusammenhänge zwischen peri-
(vennehrte Glykolyse) pherer (vermehrte Lipolyse und vermehrte
Produktion von Produkten der Glykolyse)
und hepatischer (vermehrte Glukoneoge-
nese) Insulinresistenz
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ß-Zellfunktion 677
c
~ 8
"
~
~
Ol
.s
Ol
6 r
Ql
E Fangewebe
~
<0
c
' f'
"5
<0
Ql
VI
0
:s:
::;, Muskel
(5
Q)
(ij
'ö
c: 2 f Gehirn
....<0
a.
üi
0
Q. Abb. 16-65.
0 Lokalisation der peripheren Insulinresistenz.
Kontrolle Typ 2-Diabetes (Mod. nach DeFronzo 1992)
• insulinstimulierter Glukosetransport in Fettge- sind. TNF-a führt unter anderem zu einer ver-
webszellen, mehrten Sekretion von Leptin aus dem Fettgewebe
• Aktivierung des Enzyms Glykogensynthase, und ist somit evtl. für die erhöhten Leptinspiegel
• gestörte insulinvermittelte Regulation anderer bei Adipösen mitverantwortlich. Es konnte weiter-
Enzyme, z. B. Lipoproteinlipase, Hexakinase II hin gezeigt werden, dass TNF-a zu einer verstärkten
und Pyruvatdehydrogenase. Serinphosphorylierung von Insulin Receptor Sub-
strate I (IRS-I) führt und es somit zu einem schlech-
Diese Insulineffekte werden jedoch durch unter- teren Substrat für die Tyrosin-Phosphorylierung
schiedliche Signalmechanismen vermittelt, sodass durch den Insulinrezeptor macht. Da die Plasma-
man davon ausgeht, dass der Insulinresistenz der spiegel von TNF-a sehr niedrig sind, wird hier
Defekt eines frühen Schrittes im Insulinsignalweg eine parakrine Wirkung im Fettgewebe diskutiert.
zugrunde liegt. Einen solchen frühen Defekt könnte Bezüglich des Leptins sind sehr unterschiedliche Er-
beispielsweise die Verminderung der Zahl der Insu- gebnisse publiziert worden. Es gibt bei der periphe-
linrezeptoren an der Zelloberfläche darstellen. Er- ren Insulinresistenz auch Wechselbeziehungen zwi-
höhte Insulinspiegel sind mit erniedrigten Insulin- schen Fett- und Muskelgewebe. Insulinresistenz am
rezeptoren assoziiert, und bei den meisten Patienten Fettgewebe führt zu einer verstärkten Lipolyse und
mit pathologischer Glukosetoleranz oder Typ-2- konsekutiv zu erhöhten Plasmaspiegeln an freien
Diabetes findet sich eine bis um 50 % verminderte Fettsäuren. Diese freien Fettsäuren inhibieren wie-
Zahl von Insulinrezeptoren. Es konnte jedoch ge- derum Glukosetransport und -phosphorylierung
zeigt werden, dass die Besetzung von nur 10-20% im Muskelgewebe, was zu einer verringerten Glyko-
der Insulinrezeptoren ausreicht, um eine maximale gensynthese und Glukoseoxidation und damit zur
Insulinwirkung zu vermitteln. Die meisten Autoren Insulinresistenz am Muskelgewebe führt.
gehen daher davon aus, dass es sich bei dem frühen
Schritt, der zur Insulinresistenz führt, um einen Ef-
fekt handelt, der nach der Bindung von Insulin an Dysfunktion der pankreatischen ~-Zellen
den Rezeptor einsetzt. Da bis zu 80% der Typ-2-Dia- Unter Dysfunktion der pankreatischen ß-Zellen ver-
betiker übergewichtig sind, hat man bereits seit län- steht man die inadäquat niedrige Insulinsekretion
gerem vermutet, dass das Fettgewebe einen Faktor auf einen Glukosereiz hin. Eine gestörte Insulinse-
sezernieren könnte, der die periphere Insulinresi- kretion der pankreatischen ß-Zellen bildet mit der
stenz bedingt oder verstärkt. Zwei Kandidatenpro- hepatischen und peripheren Insulinresistenz die Tri-
teine sind in diesem Zusammenhang in den letzten as der metabolischen Störungen beim manifesten
Jahren intensiv erforscht worden, Tumor-Nekrose- Typ-2-Diabetes. Abbildung 16-66 zeigt, dass beim
Faktar-a (TNF-a) und Leptin. Die Adipozyten von Übergang vom Prädiabetes zur gestörten Glukoseto-
Übergewichtigen produzieren wesentlich mehr leranz zunächst die Insulinspiegel steil ansteigen,
TNF-a als die von Normalgewichtigen. Dies führt um einen normalen Blutzuckerspiegel zu gewährlei-
dazu, dass in übergewichtigen Patienten die sten. In der weiteren Krankheitsprogression kommt
mRNA-Spiegel für TNF-a im Fettgewebe erhöht es dann durch eine gestörte Insulinsekretion zum
678 KAPITEL 16 Glukose
..
i
·a.
.s
20
..
:;
.: 15
E
~
-50 10
z
Abb. 16-66.
Verhältnis der Nüchternplasmakonzentra-
5 tionen von Insulin und Glukose bei Prädia-
0 5 10 15 20 betes, gestörter Glukosetoleranz und mani-
festem Typ-2-Diabetes. GGT Gestörte Glu-
NOchtemblutzucker (mmoln) kosetoleranz. (Nach DeFronzo 1992)
Abfall der Insulinspiegel und gleichzeitig zum An- Eine denkbare Ursache für eine inadäquate Insulin-
stieg der Nüchternglukose. Bei übergewichtigen sekretion wäre die Reduktion der Zahl der ß-Zellen.
Nichtdiabetikern mit Insulinresistenz und bei Pa- Einige Autoren konnten eine Verringerung der ß-
tienten mit gestörter Glukosetoleranz und Insulinre- Zellmasse im Pankreas von Typ-2-Diabetikern zei-
sistenz ist eine deutliche Erhöhung der Insulinsekre- gen. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass Hyper-
tion nachweisbar, die zu Insulinplasmaspiegeln glykämie zu einer kürzeren Lebenszeit von ß-Zellen
führt, die bis zum 4-fachen der Norm erhöht sind führt, sodass die geringere Zahl von ß-Zellen beim
und somit einen normalen Nüchternglukosewert ge- Typ-2-Diabetes vermutlich eine Folge und nicht Ur-
währleisten. Im Gegensatz dazu findet man zu Be- sache des Diabetes ist. Bei einigen Patienten konnten
ginn des manifesten Typ-2-Diabetes nur noch leicht Mutationen im Glukokinasegen oder in der mito-
erhöhte Insulinspiegel, welche nicht mehr in der chondrialen DNA, speziell der Leuzintransfer-
Lage sind, einen normalen Nüchternglukosewert RNA, nachgewiesen werden. Hierbei handelt es
zu erhalten. Bei fortgeschrittenem Typ-2-Diabetes sich um Patienten mit der Unterform des Diabetes,
sind dann oft erniedrigte Insulinspiegel zu finden. die früher als "maturity onset diabetes of the young"
Dies verdeutlicht die Rolle einer gestörten Insulin- oder MODY bezeichnet wurde, und die gemäß der
sekretion durch die pankreatischen ß-Zellen in aktuellen Klassifikation der WHO "genetischer De-
der Pathogenese des manifesten Typ-2-Diabetes. fekt der ß-Zellfunktion" genannt wird. Bei der über-
Die pathopysiologischen Mechanismen, die zu die- wiegenden Zahl der Typ-2-Diabetiker im engeren
ser gestörten Funktion der ß-Zellen führen, sind Sinn konnten keine Mutationen im Glukokinasegen
noch weitgehend unbekannt (s. Übersicht). oder der mitochondrialen DNA nachgewiesen wer-
den. Neueste Ergebnisse lassen einen Regelkreis zwi-
Diskutierte Ursachen einer gestörten P-Zellfunk- schen Insulinsekretion und Leptinproduktion ver-
tion bei Typ-2-Diabetes muten (Abb. 16-67). Es wurde gezeigt, dass eine
Hyperinsulinämie dosisabhängig zu einer Erhöhung
• Verringerung der Zahl pankreatischer ß-Zellen der Leptinspiegel führt, vermutlich über eine ver-
• Ablagerung von Amylin in den ß-Zellen mehrte Genexpression von Leptin. Eine andere
• Mutationen im Glukokinasegen Studie demonstrierte, dass Leptin eine Komponente
• Mutationen in mitochondrialer DNA des Phospholipase-C-/Phosphokinase-C-Signaltrans-
• Störung der pulsatilen Insulinsekretion duktionsweges in ß-Zellen beeinflusst und somit
• Erhöhte Leptinspiegel bei adipösen Typ-2-Diabe- eine vermehrte Insulinsekretion verhindert. Vor
tikern kurzem konnte auch an isolierten menschlichen In-
• Vermehrte Sekretion von Proinsulin im Vergleich selzellen sowie an Mäusen gezeigt werden, dass Lep-
zu Insulin tin die Insulinsekretion der ß-Zellen des Pankreas
• Erniedrigte Expression des ß-Zellglukosetrans- inhibiert. Es könnte daher sein, dass Leptin auch
porters Glut2 beim Menschen ein "negative feedback signal" für
• Erniedrigte Aktivität der FAD-abhängigen Glyze- die Insulinsekretion darstellt und für die gestörte
rolphosphatdehydrogenase der ß-Zellen Glukosehomöostase bei Adipösen mitverantwort-
lich ist. Letztlich ist nicht bekannt, was der inad-
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 679
Insulin
/
Pankreas Fettgewebe
~ ' ....
----
/
f
Abb.l6-67.
-------
;-'
Insulinsekretion! ............ - Leptinproduktion Möglicher Regelkreis zwischen Insulinse-
kretion im Pankreas und Leptinsekretion
Leptin im Fettgewebe
äquat niedrigen Insulinantwort der ß-Zellen auf nifester Diabetes besteht. Des Weiteren wird ver-
einen Glukosereiz zugrundeliegt sucht, Rückschlüsse von der Pathophysiologie in
Tiermodellen mit diabetiseher Stoffwechsellage
Zeitlicher Ablauf der gestörten Stoffwechselvorgänge (u. a. die "obese Zucker rat", "GK rat" etc.) auf
bei Typ-2-Diabetes die Verhältnisse beim Menschen zu ziehen. Obwohl
Eine erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit haben die Kontroverse, welche Störung die primäre in der
Pima-Indianer, Verwandte ersten Grades von Typ- Entstehung des Typ-2-Diabetes ist, seit über 20 Jah-
2-Diabetikern und Personen, bei denen bereits ren andauert, scheint die Mehrzahl der Autoren da-
eine gestörte Glukosetoleranz, jedoch noch kein ma- von auszugehen, dass bei den meisten Patienten zu-
~~--------------------------------~ a
.
Typ 2 (FPG >100 mg/dl}
i'
a 300 '
• Typ 2 (FPG <100 mg/dl}
[;] ..... ........ ,_ . t:J-
.§.
Jc:;
' IGT
0
:I 200 /
', 0
y
/
''
' ' , . ,_ _
100 -----...
•
0+----.---.---.--------,----r--~--~
0 2 3 4
Zelt ntch oGTT (h)
... __
180 . - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - . b
/ .... .....,
IGT I - - - - -...
I \
I \
,
I \
I
I
100 ,. Normal
I
I ___ ... --· B
I o-·
..
I \
I \ Abb.l6-68.
a Glukose- und b Insulinspiegel bei Perso-
/ o· 0 nen mit normalen Glukosespiegeln nach
" .·---- -·-
.•-- ·- --· -------- ----· -- ----· -----------
Typ 2 (FPG >100 mg/dl)
- ·- einem oralen Glukosetoleranztest (oGTT)
mit 75 g Glukose, Personen mit gestörter
Glukosetoleranz (IGT Impaired Glukose
0+---~----,----,----,---~~---r----r---~ Tolerance) und Typ-2-Diabetikern mit
0 2 3 4 Nüchternglukosespiegeln (FPG Fasting
Plasma Glukose) < oder > als 150 mg/dl.
Zelt nach oGTT (h) (Daten von Reaven et al. 1976)
680 KAPITEL 16 Glukose
nächst eine periphere Insulinresistenz besteht. Erst Kandidatengene für die Entwicklung
im weiteren Verlauf der Krankheit kommt es dann einer gestörten Insulinsekretion
zu einer progredienten Dysfunktion der pankreati-
schen ß-Zellen und damit zum manifesten Diabetes. • Glukose-"Messung" in der ß-Zelle: Glukokinase,
Abbildung 16-68a, b zeigt die Glukose- und Insulin- Glut2
spiegel im Verlauf eines oralen Glukosetoleranztests • Insulinsynthese und -sekretion: Mitochondrien
bei Normalpersonen, Patienten mit gestörter Gluko- • Insulin
setoleranz und bei Typ-2-Diabetikern mit Nüchtern- • Andere: Inselzell-Amyloid-Polypeptidgen,
glukosewerten kleiner oder größer 150 mgldl. Man "Glucagon -like-peptide-1-Rezeptor",
erkennt, dass Patienten mit gestörter Glukosetole- glukokinaseregulierendes Protein, Islet -1,
ranz deutlich höhere Insulinspiegel aufweisen als Prohormonkonvertasegen
Normalpersonen und dass es erst bei Progression
der Erkrankung zu erniedrigten Insulinspiegeln
kommt. Dies weist daraufhin, dass zunächst die In-
sulinresistenz im Vordergrund steht, dass aber im Tabelle 16-18 listet die Unterformen des Diabetes,
weiteren Verlauf eine progrediente Störung der In- die gemäß der neuesten Klassifikation der WHO
sulinsekretion zur Manifestation der Erkrankung als "genetische Defekte der ß-Zellfunktion" bezeich-
führt. net werden. Mehrere Mutationen konnten im Glu-
kokinasegen nachgewiesen werden. Glukokinase
spielt durch die Phosphorylierung der Glukose
Genetik des Typ-2-Diabetes
eine wichtige Rolle als "Glukosesensor" in den ß-
Wie bereits zu Anfang dieses Kapitels erwähnt, spielt
Zellen und Mutationen im Glukokinasegen führen
die Genetik in der Entstehung des Typ-2-Diabetes
zu einer verminderten Insulinsekretion auf einen
eine große Rolle. Dies geht aus Familienstudien, ins-
Glukosereiz hin. Diese Form der defekten ß-Zell-
besondere der fast 100 o/oigen Konkordanz zwischen
funktion, früher als MODY2 bezeichnet, zeichnet
monozygoten Zwillingen, und der unterschiedlichen
sich durch einen sehr milden klinischen Verlauf
Prävalenz des Diabetes zwischen verschiedenen Ras-
aus. So findet sich meist nur eine leichte Nüchtern-
sen hervor. Große Anstrengungen werden daher un-
hyperglykämie bzw. gestörte Glukosetoleranz. Eine
ternommen, die in der Pathogenese des Typ-2-Dia-
Insulintherapie ist nur in 2 o/o der Fälle notwendig
betes beteiligten Gene zu identifizieren.
und Gefäßkomplikationen sind selten. Bei Patienten
mit "klassischem" Typ-2-Diabetes sind bisher keine
Kandidatengene für die Entwicklung Mutationen im Glukokinasegen gefunden worden.
einer Insulinresistenz Ein weiterer genetischer Defekt der ß-Zellfunktion,
früher als MODY3 bezeichnet, ist durch Mutationen
• Insulinrezeptor: im Gen für "hepatocyte nuclear factor 1a" (HNF-1a)
Insulinbindungsstelle (a- Untereinheit), auf Chromosom 12 bedingt. HNF-la ist ein Tran-
Tyrosinkinase-Aktivität (ß-Untereinheit) skriptionsfaktor, der die Expression mehrerer
• Substrate für den Insulinrezeptor: Gene in der Leber moduliert und in der ß-Zelle
IRS-I als schwacher Transaktivator für das Insulingen
• Glukoseverwertung: wirkt. Die genauen Zusammenhänge, wie Mutatio-
Glut4, Glykogensynthase, Hexakinase II nen im Gen für HNF-1a zu einem Diabetes führen,
• Andere: sind noch nicht geklärt. Die Ausprägung des Diabe-
Rad, Glukagonrezeptor, "Fatty acid binding tes ist wesentlich stärker als bei Patienten mit Mu-
protein" (FABG), ßradrenerger Rezeptor, tationen im Glukokinasegen und ähnlich wie bei Pa-
Tumor-Nekrose-Faktor-a (TNF-a) tienten, bei denen ein Defekt im Gen für HNF-4a,
früher als MODY1 bezeichnet, nachgewiesen wurde.
Patienten mit Mutationen im HNF-1a- oder HNF-
Insgesamt verläuft die Analyse der Kandidatengene 4a-Gen zeichnen sich durch stärkere Nüchternhy-
(s. Übersicht) der Insulinresistenz enttäuschend. perglykämien und die Notwendigkeit einer Insulin-
Nur bei wenigen Patienten mit Typ-2-Diabetes therapie in bis zu 30 o/o der Fälle aus. Auch sind vas-
konnten Mutationen oder Polymorphismen in kuläre Komplikationen häufiger als bei Patienten
einem der Kandidatengene nachgewiesen werden. mit Mutationen im Glukokinasegen. Bei HNF-4a
Weitere Untersuchungen müssen zeigen, inwieweit handelt es sich um ein Mitglied der Steroid- bzw.
vielversprechende frühe Untersuchungen im Gluka- Schilddrüsenhormonrezeptorfamilie. HNF-4a regu-
gonrezeptorgen, FABP und ßradrenergen Rezeptor- liert die Expression von HNF-1a, was vermutlich
gen bestätigt werden können. auch das ähnliche klinische Bild bedingt. Mutatio-
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 681
nen im HNF-4-Gen sind sehr selten. Vor kurzem Bezüglich der genetischen Defekte der ß-Zellfunkti-
konnte gezeigt werden, dass auch Mutationen im on sind also Mutationen in verschiedenen Genen als
HNF-1ß-Gen zu einem Diabetes führen können, wo- kausal für den Diabetes gefunden worden. Beim
bei keine Angaben über den Phänotyp gemacht wur- "klassischen" Typ-2-Diabetes stehen solche Erfolge
den, der aber vermutlich dem bei Mutationen im noch aus. Ähnlich wie bei den Kandidatengenen
HNF-1a-Gen entsprechen dürfte. Häufiger als in he- für die Insulinresistenz scheinen bei den Genen
patischen nuklearen Faktoren wurden Mutationen für die Insulinsekretion bei der überwiegenden
in mitochondrialer DNA, speziell dem mitochon- Zahl der Typ-2-Diabetiker keine relevanten Muta-
drialen Gen für die Leuzintransfer-RNA, gefunden. tionen vorzuliegen. Insgesamt haben also bisher we-
Die folgende Übersicht listet einige Charakteristika der die Analysen von Kandidatengenen ("forward
dieser Diabetesform auf. Der Defekt in den Mito- genetics") noch die Linkage-Untersuchungen ("re-
chondrien führt zu Ausfällen besonders in solchen verse genetics") die Ursache der genetischen Dispo-
Zellen, die einen hohen Energieverbrauch haben. sition bei der Mehrzahl der Patienten mit Typ-2-Dia-
Zu diesen zählt auch die pankreatische ß-Zelle, so- betes identifizieren können.
dass es zu einem progredienten Defekt der Insulin-
sekretion kommt. Da der mitochondriale Defekt
Umweltfaktoren in der Genese des Typ-2-Diabetes
auch in anderen Zellen evident ist, tritt der mütter-
Wie bereits erwähnt, spielen in der Entstehung des
lich vererbte Diabetes sehr häufig mit anderen Sym-
Typ-2-Diabetes sowohl genetische als auch Umwelt-
ptomen, v. a. neurologischen inkl. eines sensori-
faktoren eine Rolle. Ein gutes Beispiel für die Bedeu-
schen Hörschadens, auf.
tung von Umwelteinflüssen ist die unterschiedliche
Prävalenz des Typ-2-Diabetes bei Populationen, die
Charakteristika des genetisch bedingten
in verschiedenen Ländern siedeln. Faktoren, die
Defektes der P-Zellfunktion, der durch Mutationen
diese unterschiedliche Prävalenz bedingen könnten,
in mitochondrialer DNA verursacht wird
sind in der folgenden Übersicht aufgelistet.
• Häufigkeit (o/o aller Diabetiker): 1-2 o/o Umwelteinflüsse, denen eine Rolle in der Genese
(in Holland und Japan) des Typ-2-Diabetes zugeschrieben wird
• Phänotyp: Meist keine periphere Insulinresistenz,
Manifestation typischerweise vor dem 40. Lebens- • Adipositas
jahr, häufig Übergang zu Insulinabhängigkeit • Bewegungsmangel
• Vererbungsmodus: Mütterlich, :>
50 o/o betroffe- • Fettreiche Ernährung
ner Mütter entwickeln Diabetes oder gestörte • Rauchen
Glukosetoleranz • Geburtsgewicht
• Sensorischer Hörverlust Mehrzahl der Diabetiker • Zu kurze Stillzeit
682 KAPITEL 16 Glukose
Adipositas ist sicher ein entscheidender Umweltfak- pathogenetische Ursache des Syndroms. Neuere
tor in der Genese des Typ-2-Diabetes, wobei aller- Untersuchungen stellen die abdominale Adipositas
dings erwähnt werden muss, dass auch die Adiposi- bzw. den intraabdominellen Fettgehalt in den
tas zu einem Teil genetisch determiniert ist. Etwa Vordergrund und beschreiben die periphere Insulin-
80% der Typ-2-Diabetiker sind übergewichtig, resistenz lediglich als wichtige Komponente und Mar-
d. h. haben einen Bodymass-Index (BMI) von > ker des metabolischen Syndroms. Untersuchungen
25 kg/m 2• Abbildung 16-69 zeigt das relative Risiko, zur Pathogenese und Therapie des metabolischen
an einem manifesten Typ-2-Diabetes zu erkranken Syndroms sind dadurch behindert, dass es keine ein-
in Abhängigkeit vom BMI. Bei einem BMI von > heitliche Definition dieses Symptomenkomplexes
34 kg/m 2 ist das Risiko, an einem Typ-2-Diabetes gibt. Ohne Zweifel zeichnetsich das metabolische Syn-
zu erkranken, ungefähr 60-mal so groß wie bei drom durch eine hohe Prävalenz in den westlichen
einem BMI von 22 kg/m 2• Mehrere klinische Studien Ländern aus und spielt eine erhebliche Rolle in der
haben ergeben, dass eine geringe körperliche Akti- kardiavaskulären Mortalität und Morbidität. Die Ent-
vität zu einem erhöhten Erkrankungsrisiko an wicklung eindeutiger Diagnosekritierien und Thera-
Typ-2-Diabetes führt. Ein weiterer Umweltfaktor, pieziele sind unbedingt vonnöten, um die Erfor-
der die Entstehung eines Typ-2-Diabetes begünstigt, schung der pathophysiologischen Grundlagen sowie
ist eine Ernährung, die reich an Fett, besonders ge- Behandlungsstrategien zu beschleunigen.
sättigten Fettsäuren, ist. Diese Form der Ernährung
ist wahrscheinlich auch die Hauptursache für die er- Erkrankungen und Stoffwechselstörungen, die
höhte Diabetesprävalenz in Populationen, die in die am häufigsten mit dem Begriff des metabolischen
USA oder nach Westeuropa emigriert sind. Auch Syndroms in Zusammenhang gebracht werden
Rauchen scheint ein Risikofaktor für die Entstehung
eines Typ-2-Diabetes zu sein. Die Assoziation zwi- • Zentrale Adipositas
schen Rauchen und Diabetes ist sicher z. T. dadurch • Insulinresistenz: gestörte Glukosetoleranz, Typ-
bedingt, dass sich Raucher im Durchschnitt fettrei- 2-Diabetes
cher ernähren und weniger körperlich aktiv sind, • Arterielle Hypertonie
aber es konnte auch gezeigt werden, dass Rauchge- • Fettstoffwechselstörungen: Hypertriglyzeridämie,
wohnheiten mit Insulinresistenz korrelieren. erniedrigtes HD L-Cholesterin
• Hyperurikämie
• Veränderungen im Gerinnungssystem: erhöhte
Metabolisches Syndrom
Plasmaspiegel für Fibrinogen
Unter einem metabolischen Syndrom, im englischen
meist als "syndrome X" bezeichnet, versteht man
das gleichzeitige Vorliegen mehrerer Erkrankungen
bzw. Stoffwechselstörungen bei einem Patienten. Die Wie bereits erwähnt, weisen Studien neueren Da-
meisten Autoren beschreiben eine periphere Insulin- tums auf die zentrale Adipositas als entscheidendes
resistenz als zentrale Stoffwechselstörung des meta- Merkmal des metabolischen Syndroms hin. Zentrale
bolischen Syndroms und vermuten in ihr auch die Adipositas ist ein wichtiger Risikofaktor für die Aus-
Abb.l6-69.
Relatives Risiko, an einem Typ-2-Diabetes
zu erkranken in Abhängigkeit vom Body-
<22 23-24 25-26 27-28 29-30 31-32 33-34 >34 mass-Index (BMI). Ein relatives Risiko von
1 wurde einem BMI von 22 zugeschrieben.
BMI (kg/m 2 ) (Die Daten stammen von der Nurses
Health Study; Colditz et al. 1990)
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ß-Zellfunktion 683
60
50 D Mlinner • Frauen
~
<P
·;::
0
t:: 40
~
:I:
~
Qj 30
·c
..
Cb
t:
N
20
c
<P
n;
>
'!!
0.. 10
Abb.l6-70.
Prävalenz einer arteriellen Hypertonie (RR >
0 160/90 mmHg) bei Männern und Frauen mit
Typ-2-Diabetes im Vergleich zu Kontroll-
Kontrolle Typ-li-Diabetes kollektiven. (Daten aus Kelleher et al. 1988)
bildung der Folgeerkrankungen des metabolischen Häufigkeit der Hypertonie sein, da 71 % der Pa-
Syndroms. Wenn man in den 3 T ertilen für den Bo- tienten ohne Albuminurie bereits einen Blutdruck
dymass-Index (BMI) die Patienten nach ihrem Fett- > 140/90 mmHg haben.
verteilungsmuster einteilt, sieht man, dass bei allen 3
Tertilen die Patienten mit der androiden oder zen- Fettstoffwechselstörungen sind ein zentrales Merk-
tralen Adipositas die höchste Inzidenz für KHK hat- mal des metabolischen Syndroms, aber wenn man
ten. Die zentrale Adipositas ist ein wesentlicher Ri- die Gesamtheit der Typ-2-Diabetiker betrachtet, fin-
sikofaktor für die Ausbildung einer lnsulinresistenz. den sich in der Literatur sehr unterschiedliche An-
Auf mögliche pathophysiologische Zusammenhänge gaben zur Prävalenz einer Fettstoffwechselstörung
zwischen Adipositas und Insulinresistenz wurde be- im Vergleich zur Normalbevölkerung. In den mei-
reits eingegangen. sten Studien zeigt sich aber zumindest, dass das
beim metabolischen Syndrom typische Muster der
Eine arterielle Hypertonie ist sehr häufig bei Typ-2- Kombination aus Hypertriglyzeridämie und niedri-
Diabetikern (Abb. 16-70). Bis zu 40% der Männer gem HOL-Cholesterin auch beim Typ-2-Diabetes
und bis zu 53 % der Frauen haben unbehandelt häufiger als bei Vergleichskollektiven zu finden
einen arteriellen Blutdruck von > 160/95 mmHg. ist. Obwohl sich die meisten frühen Studien mit
Obwohl viele der Typ-2-Diabetiker im Verlauf ihrer der Assoziation von LDL-Cholesterin und Athero-
Erkrankung eine diabetische Nephropathie entwik- sklerose beschäftigten, weiß man von neueren
keln, kann dies nicht die alleinige Ursache für die Untersuchungen, beispielsweise den MARS ("Moni-
~ LPL-Aktlvltät 1
't9
~
-.\
CP ~~
1 ._....
VlOl-,..." . . .
tored Atherosclerosis Regression Study") und Co- Diurese zur Polyurie und konsekutiv zur Polydipsie.
penhagen-Male-Studien, dass die Kombination aus Die Glukosurie führt auch zu einer erhöhten Nei-
hohen Triglyzeriden und niedrigem HDL-Choleste- gung zu Harnwegsinfekten. Weiterhin neigen Diabe-
rin mindestens ebenso häufig bei Atherosklerose tiker aufgrund der Hyperglykämie zu Infektionen
vorkommt. Die Ursachen der Hyperlipoproteinämie der Haut inklusive PilzbefalL Wenn ein Typ-2-Dia-
beim metabolischen Syndrom liegen, wie in Abbil- betes erst im Rahmen vaskulärer Komplikationen
dung 16-71 schematisch dargestellt, z. T. in der Pe- oder einer symptomatischen Hyperglykämie dia-
ripherie, zum anderen aber auch in der Leber. Die gnostiziert wird, ist die Chance einer Früherken-
Insulinresistenz, bzw. bei manifestem Diabetes der nung vertan. Ziel muss es daher sein, den Typ-2-Dia-
Insulinmangel, führt zu einem verringerten Gluko- betes vor dem Auftreten von Symptomen durch re-
seeinstrom in die Zellen. Dadurch fehlt Glyzerol für gelmäßige Blutzuckerkontrollen, insbesondere bei
die intrazelluläre Synthese von Triglyzeriden. Au- Risikopersonen, zu diagnostizieren (s. unten).
ßerdem kommt es zu einer mangelhaften Suppres-
sion der hormonsensitiven Lipase durch Insulin.
Insgesamt führen diese Effekte zu einer vermehrten 16.6.5
Lipolyse. Der konsekutiv erhöhte Plasmaspiegel an Diagnostik
freien Fettsäuren führt zu einer vermehrten Syn-
these von "very low density Iipoproteins" (VLDL) Indikation zur Diagnostik
in der Leber. Seit längerem ist bekannt, dass ein Aus dem oben gesagten geht hervor, dass eine früh-
Insulinmangel zu einer verminderten Aktivität der zeitige Diagnosestellung des Typ-2-Diabetes, d. h.
Lipoproteinlipase führt. Neuere Ergebnisse haben vor dem Auftreten von Symptomen, von entschei-
gezeigt, dass bei einer Insulinresistenz auch mit dender Bedeutung für die Reduktion der diabetesbe-
normalen oder erhöhten Insulinspiegeln die LPL- dingten Sekundärkomplikationen und damit der
Expression im Fettgewebe reduziert ist. Eine ver- diabetesassoziierten Morbidität und Mortalität ist.
minderte LPL-Aktivität bedingt eine verlängerte Die Herausforderung in diesem Zusammenhang
Verweilzeit triglyzeridreicher Lipoproteine im Plas- ist, eine Krankheit im symptomlosen Zustand zu
ma und begünstigt damit die bei Diabetikern häufige diagnostizieren. Um diesem Problem Rechnung zu
Hypertriglyzeridämie. tragen, trat 1997 eine Expertenkommission zusam-
men, um die Diagnose-Kriterien des Diabetes zu
überarbeiten (s. unten). Eine frühere Erkennung
16.6.4 des Typ-2-Diabetes soll nun mit niedrigeren Grenz-
Klinik werten und genauer definierten Kriterien zu Screen-
ing-Untersuchungen erreicht werden. Die Häufig-
Symptome und Beschwerden keit, mit der Blutzuckerbestimmungen zur Früher-
Im Gegensatz zum Typ 1 bestehen im Frühstadium kennung des Diabetes durchgeführt werden sollen,
des Typ-2-Diabetes keine Symptome und Beschwer- richtet sich dabei nach dem individuellen Risiko,
den. Aus diesem Grund besteht ein Typ-2-Diabetes bzw. der Wahrscheinlichkeit des Patienten, an
oft für viele Jahre, bevor es zur Erstdiagnose kommt. einem Typ-2-Diabetes zu erkranken (Abb. 16-72).
Die im symptomlosen Stadium bestehende Hyper- Anamnese, körperliche Untersuchung und techni-
glykämie sowie die häufig assoziierte Hyperlipopro- sche Verfahren haben daher zunächst die Aufgabe,
teinämie und Hypertonie können jedoch zu erheb- Individuen zu identifizieren, die ein erhöhtes Diabe-
lichen Veränderungen führen. Die "United King- tesrisiko haben und daher frühzeitig und engma-
dom Prospective Diabetes Study" (UKPDS, s. unten) schig mittels Blutzuckermessungen untersucht wer-
hat gezeigt, dass bei bis zu 50 % der neudiagnosti- den müssen, um die Diagnose eines Typ-2-Diabetes
zierten Typ-2-Diabetiker bereits Gewebeschäden vor dem Auftreten von Sekundärkomplikationen
nachweisbar sind. Häufig sind es erst mikrovaskulä- stellen und eine adäquate Therapie einleiten zu kön-
re (z. B. Beschwerden im Rahmen einer Neuropa- nen. Bei bereits diagnostizierten Diabetikern dienen
thie) oder makrovaskuläre (z. B. Angina pectoris Anamnese, körperliche Untersuchung und techni-
bei koronarer Herzkrankheit) Komplikationen, die sche Verfahren dann der Früherkennung von Se-
zur Diagnose eines Typ-2-Diabetes führen. Eine wei- kundärkomplikationen. Eine gewisse Sonderstel-
tere Situation, in der ein zu diesem Zeitpunkt schon lung nehmen die mit Diabetes assoziierten Erkran-
länger bestehender Typ-2-Diabetes diagnostiziert kungen wie Hyperlipoproteinämie und arterielle
wird, ist eine durch ausgeprägte Hyperglykämie be- Hypertonie ein, da sie sowohl zur Risikostratifizie-
dingte Symptomatik. Wenn der Blutzuckerspiegel rung beitragen, als auch eine wichtige Rolle in der
über die Nierenschwelle von etwa 180 mg/dl steigt, Entstehung von Sekundärkomplikationen spielen.
kommt es zur Glukosurie und durch die osmotische Sie sollten daher immer Teil des Untersuchungspro-
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der P-Zellfunktion 685
/
Lateinamerikaner)
~~ /~ Abb.l6-72.
. . 1'. . .
Kriterien zur Diabetestestung mittels Be-
Ergebnis
Ergebnis Ergebnis stimmung der Nüchternglukose in asym-
pathologisch ptomatischen, nicht diagnostizierten Indivi-
normal normal
l
Erneute Testung
l
Erneute Testung
duen. BMI Bodymass-Index, HDL "high
density Iipoproteins", RR arterieller Blut-
druck. (Kriterien des Expert Committee on
in 3 Jahren in 1 Jahr the Diagnosis and Classification of Diabetes
THERAPIE Mellitus 1997)
gramms sein. Der Unterscheidung in Risikostratifi- • Fragen zu häufig mit Diabetes assoziierten Stö-
zierung, diabetesassoziierte Störungen und Früher- rungen:
fassung von Sekundärkomplikationen soll im fol- Gewicht?
genden Rechnung getragen werden. Arterielle Hypertonie bekannt, morgendliche
Kopfschmerzen?
Fettstoffwechselstörungen bekannt?
Anamnese Hyperurikämie bekannt?
Die Anamnese dient verschiedenen Funktionen. Sie • Fragen nach Beschwerden möglicher Sekundär-
ist in nichtdiagnostizierten, asymptomatischen Indi- komplikationen:
viduen Werkzeug zur Entscheidung, ab welchem Al- Arteriosklerotisch bedingte Komplikationen:
ter und in welchen Abständen eine Blutzuckermes- Koronare Herzkrankheit mit Angina pectoris und
sung durchgeführt werden muss, um eine frühzeiti- Belastungsdyspnoe? (Abschn. 16.10)
ge Diabetesdiagnose nicht zu verpassen. Die Fragen Zerebravaskuläre Erkrankungen mit transito-
nach mit dem Diabetes häufig assoziierten Störun- risch-ischämischer Attacke, Amaurosis fugax
gen dient bei nichtdiagnostizierten Individuen eben- und Apoplex?
falls zur Risikostratifizierung, ist aber auch bei be- Arterielle Verschlusskrankheit mit Claudicatio
reits bekanntem Typ-2-Diabetes unerlässlich, da intermittens?
die den Diabetes begleitenden Erkrankungen für • Mikrovaskulär bedingte Komplikationen:
die Prognose mitentscheidend und häufig gut thera- Parästhesien, Schmerzen, Verdauungsprobleme
pierbar sind. Schließlich ist die Anamnese bei be- bei Neuropathie?
kanntem Diabetes für die Früherkennung von Se- Diabetiseher Fuß?
kundärkomplikationen wichtig, wobei eine sympto- Ödeme und Hypertonie bei Niereninsuffizienz?
matische Hyperglykämie ebenfalls als Komplikation Sehstörungen bei Retinopathie?
anzusehen ist. • Hyperglykämiebedingte Symptome:
Polyurie, Nykturie, Polydipsie?
Gewichtsverlust, Müdigkeit, Leistungsschwäche?
Anamnesestrategie bei Typ-2-Diabetes Verschwommenes Sehen?
Harnwegsinfektionen?
• Fragen zur Risikoabschätzung eines Typ-2-Dia-
betes:
Bereits früher diagnostizierte Hyperglykämie? Körperliche Untersuchung
Verwandte 1. Grades mit Typ-2-Diabetes? Die körperliche Untersuchung nimmt im Vergleich
Todesursache der Verwandten? zur Anamnese und Labor beim Typ-2-Diabetes eine
Bei Frauen: Geburtsgewicht der Kinder, Gestati- eher untergeordnete Stellung ein. Auch sie lässt sich
onsdiabetes? unterte ilen in solche Untersuchungen, die zur Risi-
686 KAPITEL 16 Glukose
Die Häufigkeit der Untersuchung richtet sich da- Kriterien für die Diagnose eines Diabetes mellitus
nach, ob ein Diabetes bereits bekannt ist. Bei Patien-
ten ohne bekannten Diabetes sollte eine gründliche e Symptome eines Diabetes zusammen mit einem
körperliche Untersuchung auf Erkrankungen, die sporadischen Glukosewert von 2:: 200 mg/dl
häufig mit Diabetes assoziiert sind, diesem aber (11,1 mmol/1) in Plasma oder kapillärem Blut
auch vorangehen können, mindestens alle 2 Jahre bzw 2:: 180 mg/dl (10,0 mmol/1) in venösem Voll-
durchgeführt werden. Bei bekanntem Diabetes sollte blut. Als sporadisch wird eine Blutzuckermessung
die Untersuchung auf assoziierte Erkrankungen definiert, die zu irgendeiner Tageszeit und ohne
bzw. Sekundärkomplikationen mindestens in jährli- Berücksichtigung der letzten Nahrungsaufnahme
chen Abständen erfolgen. Bei bereits bekannten Se- durchgeführt wird. Als klassische Symptome des
kundärkomplikationen ist auch eine noch engma- Diabetes mellitus werden Polyurie, Polydipsie
schigere Untersuchung, beispielsweise in 3- bis 6- und unerklärter Gewichtsverlust angesehen oder
monatigen Abständen zu empfehlen. e ein Nüchternglukosewert von 2:: 126 mg/dl
(7,0 mmol/1) in Plasma, bzw. 2:: 110 mg/dl
Technische Verfahren (6,1 mmol/1) in kapillärem oder venösem Voll-
Bei den technischen Verfahren kann man zwischen blut. Nüchtern wird definiert als fehlende Kalo-
Diagnosestellung, Verlaufskontrolle und Erfassung rienzufuhr von mindestens 8 h oder
von Sekundärkomplikationen unterscheiden • ein 2-h-Glukosewert während eines oGTTs von 2::
200 mg/dl (11,1 mmol!l) in Plasma oder kapillä-
rem Blut bzw. 2:: 180 mg/dl (10,0 mmol/1) in venö-
• Diagnosestellung. Entscheidend für die Diagnose sem Vollblut.
eines Typ-2-Diabetes ist die Labordiagnostik Die
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 687
Falls keine eindeutige Hyperglykämie mit akuter zur Erfassung mikrovaskulärer (Retinopathie, Ne-
metabolischer Dekompensation vorliegt, sollten phropathie, Neuropathie und diabetiseher Fuß)
diese Kriterien mittels eines Wiederholungstestes und makrovaskulärer (KHK, pA VK, Apoplex) Kom-
an einem anderen Tag bestätigt werden. Besonders plikationen wird auf die entsprechenden Kapitel
erwähnenswert ist, dass sich die neuen Kriterien v. a. verwiesen. Aufgrund der häufig bei Diabetes be-
an einer Nüchternplasmaglukose von 2': 126 mg/dl stehenden Hyper- bzw. Dyslipoproteinämie sollte
(entsprechend einem Blutzuckerwert in Kapillär- bei der Erstdiagnostik und bei Verlaufskontrollen
oder Vollblut von 110 mg/dl) orientieren und dass auch eine Bestimmung der Plasmalipide erfolgen.
der oGTT nicht als Routinetest empfohlen wird. Für die Entscheidung über eine Therapieindikation
Die Betonung des Nüchternblutzuckers bedingt reicht es nicht aus, nur Plasmacholesterin und -tri-
auch die Einführung eines neuen Terminus techni- glyzeride zu messen. Zumindest das HOL-Choleste-
cus, die gestörte Nüchternglukose, im Englischen als rin muss ebenfalls bestimmt werden, um anschlie-
"impaired fasting glucose" oder 1FT bezeichnet. Ta- ßend mittels der Friedewald-Formel das LOL-Cho-
belle 16-19 gibt einen Überblick über die neuen Iesterin berechnen zu können. Die Friedewald-For-
Richtwerte für die gestörte Glukosetoleranz und mel erlaubt eine Schätzung des LOL-Choiesterins in
den manifesten Diabetes. Frühstadien des Typ-2- mg/dl:
Diabetes sind nicht mittels einer Bestimmung des
HbA 1c erkennbar. Des Weiteren ist das Risiko für LOL-Choiesterin = (Gesamtcholesterin) -
eine koronare Herzkrankheit bereits bei Werten (HOL-Cholesterin) - (Triglyzeride : 5)
im oberen Normbereich des HbA 1c signifikant er-
höht. Falls die Konzentrationen in mmol/1 angegeben
sind, müssen die Triglyzeride durch 2,2 statt durch
• Verlaufskontrolle. Auch wenn die Bestimmung 5 geteilt werden. Die Formel darf jedoch nur bis zu
des HbA 1c sich nicht zur Erstdiagnose eines Typ- einem Grenzwert für Triglyzeride von 350 mg/dl an-
2-Diabetes eignet, so dient es doch als wichtiger Ver- gewandt werden, darüber hinaus müssen LDL- und
laufsparameterund Therapiekontrolle. Die Urinun- VLDL-Cholesterin mittels Ultrazentrifugation be-
tersuchung auf Glukosurie im Rahmen von Patien- stimmt werden. Die Bestimmung des LOL-Choieste-
tenselbstkontrolle wird zwar noch häufig durchge- rins ist wichtig, da sich die meisten Therapiekrite-
führt, sollte aber aufgrund der wesentlich besseren rien auf den LDL-Wert beziehen. Aufgrund der häu-
Sensitivität durch regelmäßige Blutzuckerselbstkon- fig bestehenden Hyperurikämie beim Typ-2-Diabe-
trollen ersetzt werden. Lediglich bei Patienten, die tes sollte zusätzlich noch der Harnsäurespiegel
zu einer Blutzuckerselbstmessung nicht in der gemessen werden. Das Vorliegen einer arteriellen
Lage sind bzw. zu dieser nicht bereit sind, sollte Hypertonie sollte mittels Blutdruckmessung, ggf.
die Urinkontrolle mittels Sticks noch eingesetzt wer- auch über 24 h zum Nachweis eines fehlenden
den. nächtlichen Blutdruckabfalls, abgeklärt werden.
Beim Nachweis einer arteriellen Hypertonie sollte
• Erfassung von Sekundärkomplikationen und as- eine Echokardiographie zur Überprüfung auf eine
soziierten Erkrankungen. Weitere wichtige techni- linksventrikuläre Hypertrophie sowie eine Augen-
sche Verfahren in der Diagnostik des Typ-2-Diabe- hintergrundsuntersuchung stattfinden. Da beim
tes beziehen sich auf die Erfassung der Sekundär- Typ-2-Diabetes eine makrovaskuläre Komplikation
komplikationen des Diabetes bzw. auf assoziierte mehr als 70-mal so häufig zum Tod führt wie eine
Erkrankungen. Bezüglich der technischen Verfahren mikrovaskuläre, ist bei bekanntem Diabetes auch
Tabelle 16-19. Kriterien für normalen Glukosestoffwechsel, gestörte Plasmaglukose bzw. Glukosetoleranz und manifesten Dia-
betes mellitus
ormal < 110 mgldl < 140 mgldl < 140 mgldl
Gestörte üchternglukose :::>: 110 mgldl und och nicht :::>: 140 mgldl und :::>: 140 mgldl und
bzw. Glukosetoleranz < 126 mgldl Definiert < 200 mgldl < 180 mgld l
Vorläufige Diagnose eines Diabetes :::>: 126 mgldl :::>: 110 mgldl :::>: 200 mgldl :::>: 180 mgldl
(Diagnose mus wie oben be chrieben
be tätigt werden)
688 KAPITEL 16 Glukose
Tabelle 16-20. Empfehlungen der "European NIDDM-Policy-Group" zu den Zielwerten der Stoffwechseleinstellung von Typ-2-
Diabetikern
mit dem Nüchternglukosespiegel bzw. dem HbA 1c- • Information über die verschiedenen pharmakolo-
Wert korreliert. Tabelle 16-20 fasst die Empfehlun- gischen Interventionsmöglichkeiten, die korrekte
gen der "European NIDDM-Policy-Group" zu den Medikamenteneinnahme, mögliche Nebenwir-
Zielwerten der Stoffwechseleinstellung bei Typ-2- kungen und bei insulinpflichtigen Diabetikern
Diabetikern zusammen. Der Grenzwert von Schulung bezüglich der Insulintherapie
140 mg/dl (7.8 mmol/1) zur schlechten Blutzucker- • Aufklärung über die Therapieziele, die Wichtig-
einstellung ergibt sich aus der Tatsache, dass epide- keit von Selbstkontrollen mittels Blutzuckerbe-
miologische Daten ab diesem Wert eine deutliche stimmung sowie Anleitung über die korrekte
Zunahme der mikrovaskulären Komplikationen Technik
vermuten lassen. Die empfohlenen Grenzwerte für • Aufklärung über die Wichtigkeit von regelmäßi-
den HbA 1c-Wert sind unter Vorbehalt zu betrach- gen ärztlichen Kontrollen bezüglich Diabetesein-
ten, da aufgrund unterschiedlicher Bestimmungs- stellung (HbA 1c) sowie mikro- und makrovasku-
methoden der Normalwert von Labor zu Labor dif- lärer Komplikationen
feriert.
Patientenschulung Ernährungstherapie
Basis jeder Diabetestherapie ist eine Ernährungsum-
Unabdingbar in der Diabetestherapie ist eine konse-
stellung (s. auch Abschn. 16.5 "Typ-I-Diabetes").
quente Patientenschulung. Ziel ist ein mündiger Pa-
Diese sollte gemäß einer professionellen Ernäh-
tient, der seine Blutzuckereinstellung selbst kontrol-
rungsberatung erfolgen. Bei den übergewichtigen
liert und die Therapie entsprechend anpaßt. Von
Diabetikern steht eine Gewichtsreduktion mittels
großer Wichtigkeit sind auch professionelle Anlei-
hypokalorischer Kost mit im Vordergrund. Wichtig
tung zur Ernährungstherapie sowie die Vermittlung
ist auch die Verteilung der Nahrungsaufnahme auf
der Bedeutung von Gewichtsreduktion und zusätz-
möglichst viele kleine Mahlzeiten, da gezeigt werden
licher kardiavaskulärer Risikofaktoren wie Zigaret-
konnte, dass dies zu einem niedrigeren mittleren
tenrauchen, Hyperlipidämie und arterieller Hyper-
Blutzuckerspiegel und zu einer Glättung der Insulin-
tonie. Die folgende Auflistung gibt einige wichtige
spiegel führt (s. Übersicht).
Inhalte der Patientenschulung wieder.
Richtlinien zur Ernährungstherapie
Inhalte der Patientenschulung beim Typ-2-Diabetes
beim Typ-2-Diabetes
• Die Nahrung sollte aus 50-60 % überwiegend
• Erklärung des Krankheitsbildes Diabetes komplexen Kohlenhydraten, 20-30 % Fett und
• Bei adipösen Diabetikern Aufklärung über die 10-15% Protein bestehen
Wichtigkeit einer Gewichtsreduktion • Der Anteil von gesättigten Fettsäuren sollte weni-
• Professionelle Ernährungsberatung mit Erlernen ger als 10% der Gesamtkalorienzufuhr betragen,
von Broteinheiten etc. der restliche Fettanteil sollte sich auf einfach und
• Beratung zur körperlichen Aktivität mehrfach ungesättigte Fettsäuren verteilen
• Aufklärung darüber, dass beim Typ-2-Diabetes • Bei adipösen Diabetikern ist eine Gewichtsreduk-
makrovaskuläre Komplikationen über die Pro- tion mittels hypokalorischer Kost anzustreben
gnose entscheiden und deshalb zusätzliche kar- • Der Alkoholkonsum sollte minimiert werden
diovaskuläre Risikofaktoren wie Rauchen, Hyper- • Die Nahrungszufuhr sollte auf mindestens 5 klei-
lipidämie und arterielle Hypertonie unbedingt nere Mahlzeiten verteilt werden
behandelt werden müssen
690 KAPITEL 16 Glukose
In der "United Kingdom Prospective Diabetes auch bei diesen Patienten initial Metformirr zu ver-
Study" (UKPDS) führte eine Monotherapie mit abreichen. Der Grund hierfür ist, dass sich kein Un-
Metformirr zu einer statistisch signifikanten Sen- terschied im blutzuckersenkenden Effekt von Met-
kung der Gesamtmortalität In der Kombinations- formirr zwischen normal- und übergewichtigen Dia-
therapie mit Sulfonylharnstoffen fand sich jedoch betikern fand und dass Metformirr im Gegensatz zu
eine höhere Mortalität, ein Ergebnis, das weiterer den getesteten älteren Sulfonylharnstoffen zu einer
Analyse bedarf. Insgesamt kann aber Metformirr geringeren Rate an Hypoglykämien und zu keiner
als Mittel der ersten Wahl zumindest bei Typ-2-Dia- Gewichtszunahme führte.
betikern mit Übergewicht angesehen werden.
• Thiazolidinedione. Die Thiazolidinedione sind
• Sulfonylharnstoffe. Sulfonylharnstoffe sind die eine interessante neue Gruppe von Medikamenten,
am längsten zur oralen Therapie des Typ-2-Diabetes da in vitro und in vivo Daten gezeigt haben, dass
zugelassenen Medikamente. Sie wirken über eine diese Substanzen die Insulinsensitivität im peri-
Steigerung der Insulinsekretion aus den ß-Zellen pheren Gewebe verbessern können. Außerdem
des Pankreas. Vor kurzem wurde der Rezeptor für scheinen sie auch die Insulinsekretion der pan-
Sulfonylharnstoffe kloniert. Es handelt sich dabei kreatischen ß-Zellen verbessern zu können. Die
um ein regulatorisches Protein, das einen Verschluss Thiazolidinedione wirken über eine Aktivierung
der ATP-abhängigen Kaliumkanäle in den ß-Zellen des "Peroxisome Proliferator-Activated Receptor y"
des Pankreas und somit die Insulinsekretion be- oder PPARy. Der erste Vertreter dieser Substanz-
wirkt. Die physiologische Relevanz des Sulfonyl- klasse, Troglitazone, ist nach dem Bekanntwerden
harnstoffrezeptors konnte durch den Nachweis sehr seltener Fälle von fulminanter Hepatitis under
von Mutationen im entsprechenden Gen von Patien- Therapie in Deutschland nicht zugelassen worden.
ten mit familiärer Hyperinsulinämie demonstriert Andere Vertreter dieser Substanzklasse scheinen
werden. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal diese Nebenwirkung nicht hervorzurufen. Im Som-
ist die verschiedene Lipidlöslichkeit der Sulfonyl- mer 2000 ist daher Rosiglitazone in Deutschland zu-
harnstoffe und damit deren biologische Halbwerts- gelassen worden, allerdings zunächst nur in Korn-
zeit. Die wichtigste Nebenwirkung der Sulfonylharn- binationstherapie mit Metformirr oder Sulfonyl-
stoffe sind Hypoglykämien. Die anderen Nebenwir- harnstoffen.
kungen, die bei der Therapie mit Sulfonylharnstof- Klinische Studien haben gezeigt, dass Rosiglitazo-
fen auftreten können, sind selten (s. Übersicht). ne zu einer Absenkung des HbA 1c in einer Höhe
führt, die mit der anderer Antidiabetika vergleichbar
ist. Es gibt Hinweise, dass unter Einsatz von Rosigli-
Nebenwirkungen, die bei der Therapie
tazone der HbA 1c möglicherweise länger stabil ge-
mit Sulfonylharnstoen auftreten können
halten werden kann als die UKPDS-Studie dies für
die anderen Antidiabetika gezeigt hat. Ein Nachteil
• Hypoglykämien
einer Therapie mit Rosiglitazone ist die beobachtete
e Gastrointestinale Beschwerden (selten) Gewichtszunahme. Trotz der Gewichtszunahme
e Allergische Hautreaktionen (sehr selten)
konnte jedoch nachgewiesen werden, dass es zu
• Panzytopenie (sehr selten)
einer Verbesserung der Insulinsensitivität kommt.
Langzeitbeobachtungen werden zeigen, welchen
Stellenwert die Thiazolidinedoine im Arsenal der
Die UKPDS (s. unten) hat bestätigt, dass die Thera- Antidiabetika einnehmen werden.
pie mit Sulfonylharnstoffen zu einer signifikanten
Senkung von Glukose- und HbA 1c-Spiegeln führt. • Insulin. Bei den meisten Typ-2-Diabetikern
Die Wirksamkeit entsprach dabei ungefähr der kommt es im Verlauf der Erkrankung zu einer pro-
von Insulin und Metformin. Sulfonylharnstoffe er- gredienten Erschöpfung der ß-Zellfunktion und so-
höhen jedoch die Plasmainsulinspiegel. Beim Typ- mit zu einem Sekundärversagen der oralen Antidia-
2-Diabetes findet sich aberinitialhäufig eine Hyper- betika. Schließlich liegt ein Insulinmangel und somit
insulinämie (s. oben), die durch die Gabe von Sul- die Indikation zu einer Insulintherapie vor. Obwohl
fonylharnstoffen noch verstärkt wird. Sie sollten da- bei diesen Patienten das fehlende Insulin exogen zu-
her erst eingesetzt werden, wenn eine Therapie mit geführt wird, ist es wichtig zu verstehen, dass die
Metformirr nicht oder nicht mehr zu einer ausrei- subkutane Applikation von Insulin nicht physiolo-
chenden Einstellung führt. Während bislang bei gisch ist und im Vergleich zur Sekretion durch
schlanken Diabetikern Sulfonylharnstoffe das Medi- das Pankreas deutliche Nachteile aufweist. Bei der
kament der ersten Wahl waren, gibt es aufgrundder Insulinsekretion durch die ß-Zellen wird das Insulin
Ergebnisse der UKPDS (s. unten) jedoch Argumente, über die Pfortader zunächst der Leber zugeführt. In
692 KAPITEL 16 Glukose
der Leber unterdrückt das Insulin unter anderem bis zwei Drittel der Dosis 30 min vor dem Frühstück,
die Glukoneogenese, unterliegt aber auch einem der Rest 30 min vor dem Abendessen verabreicht.
"First-pass-Effekt". Bei der systemischen Applika- Besonders wichtig bei dieser Form der Insulinthera-
tion im Rahmen einer Therapie kommt es aufgrund pie ist eine Ernährungsberatung des Patienten, um
des fehlenden "First-pass-Effektes" zu unphysiolo- die Wichtigkeit der regelmäßigen und konstanten
gisch hohen Insulinspiegeln im Gefäßsystem und Nahrungszufuhr zu betonen. Bezüglich einer mehr
peripheren Geweben. Ein Hyperinsulinismus führt als 2-maligen Insulindosis pro Tag konnten die bis-
jedoch in aller Regel zu einer deutlichen Gewichtszu- her veröffentlichten Studien beim Typ-2-Diabetes
nahme (s. unten). Weiterhin sind hohe Insulinspie- keinen Vorteil nachweisen, sodass die 2-malige
gel mit einer Progression der Atherosklerose assozi- Gabe eines Mischinsulins derzeit die Standardthera-
iert, wobei allerdings bisher eine kausale Wirkung pie darstellt. UKPDS konnte keinen Vorteil einer in-
noch nicht nachgewiesen werden konnte. Die itialen Insulintherapie bei Patienten mit neu diagno-
Hauptwirkung der Insulintherapie bei Typ-2-Diabe- stiziertem Diabetes nachweisen. Die UKPDS war
tikern besteht in einer Unterdrückung der hepati- nicht dazu angelegt, um zu überprüfen, welchen kli-
schen Glukoneogenese. Weiterhin kommt es auch nischen Nutzen eine Insulintherapie bei Patienten
zu einer erhöhten Glukoseaufnahme in peripheren mit einem Sekundärversagen oraler Antidiabetika
Geweben, dieser Effekt ist jedoch im Vergleich ge- bringt. Hierfür wäre eine weitere prospektive Studie
ringer ausgeprägt. Es ist in diesem Zusammenhang notwendig. Bis zum Vorliegen einer solchen Studie
jedoch zu bedenken, dass sich (s. auch Abschnitt ist die Insulintherapie bei diesen Patienten gerecht-
Differentialdiagnose) v. a. bei den schlanken Diabe- fertigt.
tikern jüngeren Alters in ca. 20% der Fälle Autoan-
tikörper nachweisen lassen und dass über 90 o/o die- Studienlage
ser Patienten bereits nach 6 Jahren insulinpflichtig Die wichtigste Studie zur Überprüfung der Therapie
sind. Vor allem bei schlanken Diabetikern, die jün- des Typ-2-Diabetes ist die "United Kingdom Pro-
ger als 55 Jahre sind, ist daher darauf zu achten, den spective Diabetes Study" (UKPDS). In der Studie
richtigen Zeitpunkt für eine Insulintherapie nicht zu wurden neu diagnostizierte Typ-2-Diabetiker im
verpassen. Bei diesen Patienten wäre, wie z. T. bei- Alter von 25 bis 65 Jahren für 3 Monate einer ini-
spielsweise in den USA üblich, auch eine primäre tialen Ernährungstherapie zugeführt. Anschließend
Insulintherapie vertretbar. Bezugnehmend auf die wurden die Patienten mit Nüchternglukosewerten
gesamte Gruppe der Typ-2-Diabetiker sollte bei zwischen 108 und 270 mg/dl (6-15 mmol/1) zur
Sekundärversagen unter oralen Antidiabetika zu- konventionellen (Ernährungstherapie) oder inten-
nächst eine Kombinationstherapie, z. B. mit Sul- sivierten (medikamentösen) Therapie randomisiert.
fonylharnstoffen und einer einmaligen Insulinin- Die intensivierte Therapie wurde bei den normal-
jektion, durchgeführt werden. Dabei scheint eine gewichtigen Patienten entweder mit Sulfonylharn-
abendliche (zwischen 22.00 und 24.00 h) Injektion stoffen oder mit Insulin durchgeführt. Ein Teil
eines Intermediärinsulins am günstigsten zu sein der übergewichtigen Patienten wurde mit Bigu-
(s. Abb. 16-74}. aniden behandelt. Seit 1994 wird ein Teil der re-
krutierten Patienten auch mit Acarbose behandelt.
Die folgende Auflistung fasst die Ergebnisse der
Vorteile einer Kombinationstherapie mit einer
UKPDS zusammen.
abendlichen Gabe eines Intermediärinsulins
Nach einer mittleren Beobachtungszeit
e Reduziert den Nüchternglukosespiegel sowie den von 11 Jahren vorliegende Ergebnisse der
postprandialen nach dem Frühstück
"United Kingdom Prospective Diabetes Study"
e Wirkt dem sog. Dawn-Phänomen entgegen
e Unterdrückt die hepatische Glukoseproduktion e Die intensive Therapie führte zu einem 11 %
• Einfache Handhabung niedrigeren HbA 1c-Wert (7,0 vs. 7,9 %}
• Die intensive Therapie führte zu einer signifikan-
ten 25 %igen Verringerung der mikrovaskulären
Falls es zu einer weiteren Erschöpfung der ß-Zellen Komplikationen (p = 0,0099)
und inadäquat hohen Glukosespiegeln während des • Es zeigte sich eine 16 %ige Reduktion an Myokar-
Tages kommt, muss von der Kombinationstherapie dinfarkten, die jedoch gerade nicht statistisch si-
auf eine alleinige Insulintherapie umgestellt werden. gnifikant war (p = 0,052)
Diese wird in den meisten Fällen mit der Gabe eines • Metformin führte in der Monotherapie zu einer
Kombinationspräparates aus Intermediär- und Nor- signifikanten Senkung der Gesamtmortalität
malinsulin durchgeführt. Dabei werden die Hälfte {36 %, p = 0,011)
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der P-Zellfunktion 693
• Bezüglich der Blutzuckereinstellung fanden sich Eine wichtige prospektive Studie, die den Zusam-
keine signifikanten Unterschiede zwischen Met- menhang zwischen Diabetes und anderen Risiko-
formin, Sulfonylharnstoffen oder Insulin faktoren und kardiavaskulärer Mortalität unter-
• Bei adipösen Patienten war Metformin ebenso ef- sucht hat, ist das "Multiple Risk Factor Interven-
fektiv wie Sulfonylharnstoffe oder Insulin in der tion Trial" (MRFIT). Die folgende Auflistung fasst
Senkung der Nüchternglukosespiegel, führte aber die wichtigsten Ergebnisse der MRFIT -Studie zu-
zu weniger Hypoglykämien und zu einer geringe- sammen.
ren Gewichtszunahme
• Ca. 50 o/o der neu diagnostizierten Typ-2-Diabeti-
ker der UKPDS hatten bereits mit Diabetes asso-
ziierte Gewebsschäden Ergebnisse im 12-jährigen Beobachtungszeitraum
• Nur 17 o/o der neu diagnostizierten Typ-2-Dia- des "Multiple Risk Factor Intervention Trial"
betiker konnten mit einer Ernährungstherapie
ihre Nüchternglukosespiegel unter 108 mg/dl • Korrigiert für Alter, Cholesterinspiegel, Blut-
(6 mmol/1) senken. Zwei Drittel dieser Patienten druck und Nikotinkonsum ist das Risiko eines
überschritten diesen Grenzwert wieder innerhalb kardiavaskulären Todes bei Diabetikern im Ver-
der ersten 3 Jahre gleich zu Nichtdiabetikern um den Faktor 3 er-
• 29 o/o der Patienten hatten während der Beobach- höht
tungszeit einen mit Diabetes assoziierten klini- • Cholesterinspiegel, systolischer Blutdruck und
schen Endpunkt. Davon waren 20 o/o makrovas- Zigarettenrauchen sind bezüglich der kardiavas-
kulärer und 9 o/o mikrovaskulärer Genese. 9 o/o kulären Mortalität prädiktive Faktoren sowohl
der Patienten hatten einen tödlichen klinischen für Diabetiker als auch für Nichtdiabetiker
Endpunkt, dabei waren makrovaskuläre Kompli- e Beim Vorliegen weiterer Risikofaktoren stieg die
kationen 70-mal häufiger als mikrovaskuläre kardiavaskuläre Mortalität bei den Diabetikern
• Trotz Intensivierung und Kombination der medi- steiler an als bei Nichtdiabetikern
kamentösen Therapie kam es im Beobachtungs-
zeitraum zu einem kontinuierlichen Anstieg
von Nüchternglukose und HbA 1c
Die MRFIT -Studie zeigt, dass das Vorliegen eines
• Während in der Frühphase der UKPDS nur über-
Diabetes der gewichtigste prädiktive Faktor der kar-
gewichtige Patienten mit Metformin behandelt
diovaskulären Mortalität ist, da Diabetiker 3-mal
wurden, liegen seit kurzem auch Daten zur
häufiger an kardiavaskulären Komplikationen ver-
Gabe von Metformin in schlanken Typ-2-Diabe-
sterben als Nichtdiabetiker. Zusätzlich verdeutlicht
tikern vor. Aus einer kürzlich veröffentlichten
die MRFIT Studie die Bedeutung von Hyperchole-
Analyse geht hervor, dass die zusätzliche Gabe
sterinämie, arterieller Hypertonie und Zigaretten-
von M~tformin in Patienten, die bereits mit der
rauchen für die kardiavaskuläre Mortalität bei Dia-
Höchstdosis Sulfonylharnstoffe therapiert wur-
betikern.
den, im Vergleich zur Monotherapie zu einer si-
gnifikanten Verminderung der Nüchternglukose-
spiegel und des HbA 1c führte. Während in der Therapie weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren
ausschließlich mit Sulfonylharnstoffen behandel- beim Typ-2-0iabetes
ten Gruppe 37 o/o im Verlauf von 3 Jahren eine Die Ergebnisse der UKPDS haben gezeigt, dass bei
schwere Hyperglykämie entwickelten, waren es Diabetikern makrovaskuläre Komplikationen 70-
in der Kombinationsgruppe nur 7 o/o. Besonders mal häufiger zu Todesfällen führen als mikrovasku-
bemerkenswert ist, dass die zusätzliche Gabe läre. Die Prävention von Herzinfarkt, Schlaganfall
von Metformin in schlanken Diabetikern genauso und peripherer arterieller Verschlusskrankheit ist
effektiv war wie in übergewichtigen. Die bisher daher für die Prognose der Diabetiker von entschei-
gängige Praxis, Metformin nur den adipösen dender Bedeutung. Die intensive Therapie der Hy-
Typ-2-Diabetikern zukommen zu lassen, er- perglykämie in der UKPDS führte jedoch nicht zu
scheint daher fraglich. Im Gegenteil: Aufgrund einer statistisch signifikanten Reduktion der makro-
der Tatsache, dass Metformin in der UKPDS ge- vaskulären Komplikationen. Umso wichtiger ist da-
nauso effektiv war wie Sulfonylharnstoffe oder her bei Diabetikern die konsequente Therapie der
Insulin, jedoch zu weniger Hypoglykämien und weiteren kardiavaskulären Risikofaktoren. Nicht zu-
zu keiner Gewichtszunahme führte, könnte Met- letzt aufgrund der Daten der MRFIT -Studie, die bei
formin in der Behandlung schlanker als auch Nikotinabusus als zusätzlichen Risikofaktor eine
übergewichtiger Diabetiker das Medikament der deutliche Erhöhung des kardiavaskulären Mortali-
ersten Wahl darstellen. tätsrisikos bei Diabetikern offenbarte, müssen
694 KAPITEL 16 Glukose
Typ-2-Diabetiker im Rahmen der Schulung unmiss- krankheit sollte jedoch aufgrund der Herabsetzung
verständlich darauf hingewiesen werden, dass eine des Infarktrisikos unbedingt ein Versuch mit einem
vollständige Nikotinkarenz für ihre Prognose von ß-Blocker erfolgen. So konnte in einer klinischen
mitentscheidender Bedeutung ist. Da auch das Vor- Studie gezeigt werden, dass bei Patienten mit Typ-
liegen einer arteriellen Hypertonie das kardiovasku- 2-Diabetes und koronarer Herzkrankheit die Gabe
läre Risiko bei Diabetikern signifikant erhöht, muss eines ß-Blockers innerhalb von 3 Jahren zu einer Re-
diese konsequent therapiert werden. Abbildung 16- duktion der Gesamtmortalität von 44 o/o und der
73 zeigt das von der "Working Group on Hyperten- kardiovaskulären Mortalität von 42 o/o führt.
sion in Diabetes" des "National High Blood Pressure Die kardiovaskuläre Mortalität steigt auch bei
Education Program" in einer Konsensuskonferenz Diabetikern in Abhängigkeit vom Serumcholesterin-
vorgeschlagene Therapieschema bei Diabetikern spiegel, sodass eine Hypercholesterinämie konse-
mit arterieller Hypertonie. Erwähnenswert ist dabei quent therapiert werden muss. Die europäische
auch, dass der angestrebte Blutdruckwert < als 130/ Atherosklerose-Gesellschaft empfiehlt beim Vorlie-
85 mmHg beträgt. Der Effekt einer antihypertensi- gen eines weiteren Risikofaktors einen LDL-Chole-
ven Therapie wurde in der UKPDS bewiesen. Eine sterinspiegel von 135-155 mg/dl. Beim Vorliegen
intensivere blutdrucksenkende Therapie führte zu zweier oder mehrerer zusätzlicher Risikofaktoren
einem niedrigeren Blutdruck (144/82 vs. 154/87). sollte der LDL-Cholesterinspiegel zwischen 115
Dies bedingte eine Reduktion von Diabetes-bezoge- und 135 mg/dl liegen. Neueste Studienergebnisse
nen Endpunkten (bis 24 o/o, p = 0,0046) und Todes- zeigen sogar, dass beim Vorliegen einer Koronaren
fällen (bis 32 o/o, p = 0,019), Schlaganfällen (bis Herzkrankheit eine weitere Senkung des LDL-Cho-
44 o/o, p = 0,013) und mikrovaskulären Endpunkten lesterins auf < 100 mg/dl einen weiteren progno-
(11-56 o/o, p = 0,0092). Dabei zeigte sich kein signi- stisch günstigen Effekt liefert. Untergruppenanaly-
fikanter Unterschied zwischen Captopril und Ate- sen, beispielsweise der "Scandinavian Simvastatin
nolol. Aufgrund der Ergebnisse anderer Studien gel- Survival Study" oder der "CARE-Studie", haben ge-
ten ACE-Hemmer jedoch weiter als antihypertensive zeigt, dass eine Senkung des LDL-Cholesterins zu
Medikamente der ersten Wahl bei Diabetikern. Bei einer Senkung der kardiovaskulären Morbidität
Diabetikern mit nachgewiesener koronarer Herz- und Mortalität auch bei Diabetikern führt. Ein im
l
Nikotinkarenz
Falls inadäquat
Falls 1 inadäquat
Falls 1 inadäquat
Abb.l6-73.
Therapiealgorithmus bei Diabetikern mit arteri-
eller Hypertonie gemäß des "National High Blood
Pressure Education Program Working Group
Zusätzliche Gabe eines 2. oder 3. Medikamentes, Report on Hypertension in Diabetes". (Mod. nach
eines sollte ein Diuretikum sein National High Blood Pressure Education Program
Working Group Report on Hypertension in Dia-
betes. Hypertension 1994, 23: 145)
16.6 Typ-2-Diabetes mellitus und genetische Defekte der ~-Zellfunktion 695
Vergleich mit der Normalbevölkerung größerer Pro- mit Insulin ist zumindest eine morgendliche Bestim-
zentsatz von Diabetikern hat die Konstellation eines mung des Nüchternblutzuckers notwendig. Zu Be-
niedrigen HDL-Cholesterins und erhöhter Triglyze- ginn der Therapie sowie bei Therapieanpassungen
ride. Neueste Studienergebnisse zeigen, dass auch ist selbstverständlich eine häufigere Messung zur Er-
diese Patienten von einer Senkung des LDL-Chole- fassung von Blutzuckerspitzen bzw. Hypoglykämien
sterins profitieren. Vor kurzem wurde die VA-Hit- indiziert. Die Patienten sollten angehalten werden,
Studie veröffentlicht. Hier wurde bei Patienten ein Buch über die Ergebnisse sowohl der Blutzucker-
mit manifester KHK, niedrigem HDL- und niedrig als auch, falls angezeigt, der Blutdruckselbstmessun-
normalem LDL-Cholesterin untersucht, ob eine gen zu führen und diese dem behandelnden Arzt in
Erhöhung des HDL-Cholesterin-Spiegels zu einer regelmäßigen Abständen vorzulegen. Aufgrund der
Senkung der kardiavaskulären Morbidiät führt. heute zur Verfügung stehenden relativ preiswerten,
Im Vergleich zu Placebo senkte die Gabe von Gem- verlässlichen und genauen Messgeräte bzw. optisch
fibrozil die Infarktrate signifikant um 22 o/o. Im Ge- ablesbaren Teststreifen zur Blutzuckerbestimmung
gensatz zu Studien der 80er Jahre zeigte sich in sollten diese in den allermeisten Fällen verwendet
VA-HIT keine Erhöhung der nicht-kardiavasku- und die ungenaue Bestimmung der Uringlukose
lären Mortalität. Des Weiteren wurden im Sommer mittels Sticks auf Patienten beschränkt werden,
2000 die Ergebnisse der LDS-Studie präsentiert, die die nicht in der Lage oder unmotiviert sind, Blutzuk-
zeigten, dass angiographisch die Gabe von Feno- kerselbstbestimmungen durchzuführen. Die zweite
fibrat bei Diabetikern zu einer verringerten Pro- wichtige Methode zur Überprüfung der Diabetesthe-
gression der KHK führt. Aufgrund dieser Daten rapie ist die Messung des HbA 1c. Diese sollte in
sollte bei Patienten mit Diabetes und KHK sowie ca. 12-wöchigen Abständen erfolgen. Bei unbefriedi-
einem LDL-Cholesterin von unter 130 mg/dl und genden Werten (s. oben) muss eine Intensivierung
einem niedrigen HDL-Cholesterin ein Fibrat zur der Diabetestherapie versucht werden. Dabei sollten
Erhöhung des HDL-Cholesterins verabreicht wer- die Patienten darüber aufgeklärt werden, dass eine
den. zusätzliche Therapie mit Sulfonylharnstoffen oder
Insulin zu einer Gewichtszunahme führen kann.
Von großer Bedeutung ist die Früherkennung mi-
Therapiekontrollen kro- und makrovaskulärer Komplikationen. Zur Er-
Entscheidend für eine erfolgreiche Diabetesbehand- fassung einer Retinopathie sind regelmäßige Augen-
lung ist die regelmäßige Kontrolle und entsprechen- hintergrundsuntersuchungen beim Ophthalmolo-
de Therapieanpassung. Von mindestens ebenso gro- gen durchzuführen. Es empfiehlt sich eine Untersu-
ßer Bedeutung ist die Früherkennung und Behand- chung pro Jahr, bei bereits vorhandener diabetiseher
lung mikrovaskulärer und makrovaskulärer Kom- Retinopathie höheren Grades öfter. Zur Erfassung
plikationen. Unerlässlich in der Therapiekontrolle einer beginnenden diabetischen Nephropathie sollte
ist die Mitarbeit des Patienten. Bei jedem Diabetiker regelmäßig ein 24-h-Sammelurin auf Mikroalbu-
muss eine Schulung durchgeführt werden (s. oben) minurie untersucht werden oder eine Albuminbe-
und die Bedeutung der selbständigen Blutzucker- stimmung im Spontanurin erfolgen. Dabei sollte
kontrollen verdeutlicht werden. Bei der Therapie zur Überprüfung der Nierenfunktion auch eine
Bei einer extremen Entgleisung des Glukosestoff- tion. Die Diagnose eines hyperosmolaren Komas
wechsels mit Hyperglykämie kann es entweder lässt sich aus Anamnese, Klinik und Labor stellen.
zum ketoazidotischen oder hyperosmolaren Koma
kommen, wobei jedoch auch Mischformen vor-
Diagnose eines hyperosmolaren Komas
kommen. Während das ketoazidotische Koma typi-
Tabelle 16-22 gibt in zusammengefasster Form Ana-
scher für den Typ-I-Diabetes ist, kommt das hyper-
mnese, Klinik und Labor des hyperosmolaren Ko-
osmolare Koma häufiger beim Typ 2 vor. Initiiert
mas wieder.
wird das hyperosmolare Koma durch eine ausge-
Die Serumosmolarität kann mit folgender Formel
prägte Hyperglykämie mit osmotischer Diurese
geschätzt werden:
und folglich Polyurie. Ist der Patient nicht in der
Lage, den Flüssigkeitsverlust durch Zufuhr zu erset-
Serumosmolarität in mOsm/1 = 2 · [Na+ +K+] +
zen, kommt es zur Dehydratation und konsekutiv zu
Glukose (mmol/1) + Harnstoff (mmol!l)
einer weiteren Zunahme der lnsulinresistenz. Da
aufgrund der osmotischen Diurese mehr freies
Das wichtigste therapeutische Mittel ist eine ausrei-
Wasser als Kochsalz verloren geht, entsteht eine
chende und rasche Rehydratation. Bis zur klinischen
Hyperosmolarität. Folgende Übersicht gibt be-
Stabilisierung des Patienten wird zunächst 0,9 %
günstigende Faktoren des hyperosmolaren Komas
Kochsalz infundiert. Anschließend kann man
wieder.
0,45 % Kochsalz verabreichen. Das gesamte Flüssig-
keitsdefizitbeträgt oft mehr als 10 1, 2-31 sollten in
Faktoren, die das Auftreten eines hyperosmolaren
den ersten 1-2 hinfundiert werden. Zusätzlich sollte
Komas begünstigen können
Insulin intravenös gegeben werden. Initiall0-15 IE,
dann 0,1 IE/kg/KG/h über Perfusor. Unter dieser
• Weibliches Geschlecht
Therapie muss aufgrund des durch Insulin vermit-
• Neu diagnostizierter Diabetes
telten zellulären Kaliumeinstroms der Plasmaka-
• Infektion
liumspiegel engmaschig kontrolliert und ggf. mittels
• Demenz
Substitution korrigiert werden. Sobald der Blutzuk-
• Aufenthalt in einem Altersheim
kerwert auf250-300 mg/dl abgesunken ist, sollte zu-
• Peritoneal- oder Hämodialyse
sätzlich 5 %ige Glukose infundiert und die Insulin-
• Medikamente
zufuhr gedrosselt werden. Da beim hyperosmolaren
• Diuretika
Koma im Gegensatz zum ketoazidotischen Koma
• Corticosteroide
keine ausgeprägte Azidose mit einem Austausch in-
• ß-Blocker
trazellulären Kaliums gegen Protonen vorliegt, ist es
typischerweise bereits früh in der Therapie notwen-
dig, Kalium zu substituieren. Bei Anzeichen auf eine
In einer Studie an 135 Patienten mit hyperosmola- Infektion muss antibiotisch therapiert werden, ty-
rem Koma und 135 Kontrollen waren v. a. 3 Fakto- pisch sind gramnegative Keime. (Antibiogramm!)
ren unabhängige Risikofaktoren für die Entwicklung Die Letalität des hyperosmolaren Komas ist ge-
eines hyperosmolaren Komas: weibliches Ge- sunken, aber nach wie vor hoch. In der Literatur
schlecht, neu diagnostizierter Diabetes und Infek- wird sie mit 12-40% angegeben. Besonders hohe
Diabetes bekannt? Zeichen der Dehydratation (trockene Zunge, Plasmaglukose mindestens 600 mgldl, oft
stehende Hautfalten, Anurie)? größer als 800 mgldl
Derzeitige Therapie? eurologische Auffalligkeiten Plasmaosmolarität minde tens
(incl. chorearischer Störungen)? 325 mO m/1, oft größer 350 mgldl
Andere Erkrankungen? Zeichen einer Infektion, z. B. Pneumonie? Bikarbonat nur leicht erniedrigt,
typisch bei 15-25 mmol/1
Demenz? Krealinin deutlich erhöht;
Medikamente? Infektparameter
Blutkulturen
Urinkulturen
Evtl. Liquorkultur
698 KAPITEL 16 Glukose
unterschiedlichen konstitutionellen und ethnischen Auch die Risiken für das Kind sind ähnlich den Ri-
Faktoren. Im westeuropäischen Patientengut tritt siken bei bereits vor der Schwangerschaft bekann-
der Gestationsdiabetes in unterschiedlicher Ausprä- tem mütterlichen Diabetes mellitus:
gung bei 2-5 o/o aller Schwangeren auf. e Makrosomie,
e perinatale Stoffwechselstörungen (Hypoglyk-
ämie, Hyperbilirubinämie, Hypokalzämie).
16.8.3
Pathogenese Diese Risiken sind verantwortlich für die erhöhte
pränatale Mortalität und perinatale Morbidität
In den ersten Monaten der Schwangerschaft bleibt beim Gestationsdiabetes. Eine zusätzliche Gefahr
die Glukosetoleranz unverändert. Aufgrund plazen- beim Gestationsdiabetes besteht v. a. darin, dass
tarer Hormone wie Östrogen, Gestagen und v. a. er zum einen in seiner Häufigkeit unterschätzt
HPL ("human placental lactogen") entwickelt sich wird (ca. 2-5 o/o!) und zum anderen das mütterliche
jedoch in der zweiten Schwangerschaftshälfte all- und kindliche Risiko unterschätzt wird. Unter-
mählich eine Insulinresistenz mit konsekutiver Ver- schätzt wird des Weiteren die Manifestation eines
schlechterung der Glukosetoleranz. Parallel zur In- Typ-2-Diabetes mellitus nach vorausgegangenem
sulinresistenz nehmen basale und stimulierte Insu- Gestationsdiabetes. So konnte in Studien gezeigt
linsekretion um das 2- bis 3-fache zu (Abb. 16-77). werden, dass Frauen mit vorausgegangenem Gesta-
Wenn die Sekretionskapazität der pankreatischen ß- tionsdiabetes 16 Jahre post parturn ein 3-fach erhöh-
Zellen nicht mehr ausreicht, manifestiert sich ein tes Diabetesrisiko haben (30 o/o vs. 10 o/o). Im Verlauf
Gestationsdiabetes in Anbetracht der individuell un- des gesamten späteren Lebens entwickeln mehr als
terschiedlichen Insulinsensitivität (Übergewicht). die Hälfte der Gestationsdiabetikerinnen einen Dia-
Definitionsgemäß handelt es sich um ein Krank- betes mellitus, meist Typ 2.
heitsbild, das erstmals während der Schwanger-
schaft auftritt.
16.8.5
Diagnostik
16.8.4
Klinik Indikation zur Diagnostik
Da der Gestationsdiabetes häufig asymptomatisch
Symptome und Beschwerden verläuft, kann die Diagnose nur durch gezielte Ana-
Der Gestationsdiabetes birgt mütterliche und fetale mnese und diagnostische Maßnahmen gestellt wer-
Risiken ähnlich einem bereits vor der Schwanger- den. Aufgrund seiner Manifestation in der zweiten
schaft bestehenden Diabetes mellitus. Die mütterli- Hälfte der Schwangerschaft wird von der WHO
chen Risiken liegen in einer Häufung von Schwan- und der Deutschen Diabetesgesellschaft ein Screen-
gerschaftskomplikationen (s. auch Abschn. 16.7): ingtest bei jeder Schwangeren gefordert. Dieser
e Harnwegsinfekte, Screeningtest sollte zwischen der 24-28. Schwanger-
• Gestose, schaftswache durchgeführt werden und bei Risiko-
• Hydramnion, patientinnen bereits vor der 24. Schwangerschafts-
e Sectio caesarea. woche.
Insulinsekretion
Abb.l6-77.
Steigender Insulinbedarf im Verlauf der
Schwangerschaft aufgrund kontrainsulinär
1.Trimenon 2.Trimenon 3.Trimenon wirkender Hormone
706 KAPITEL 16 Glukose
Zeitpunkt der Plasma-Glukose-Gabe Grenzwerte fur SOg Screeningtest Grenzwerte f ü r 100 g Diagnosetest
11
· mgldl (mmolll) mgldl (mmo I )
Anamnese
16.8.6
Die Anamnese hilft bei der Identifizierung von Ri-
Therapie
sikopatientinnen (s. folgende Übersicht).
Therapieziele
Risikopatientinnen für einen Gestationsdiabetes
Die Therapieziele beim Gestationsdiabetes sind ähn-
lich denen bei Schwangeren mit bereits bekanntem
• Auffällige Schwangerschaftsanamnese (Makroso-
Diabetes mellitus (s. Abschn. 16.7):
mie, Hydramnion)
• Nüchternblutglukose 60-100 mg/dl,
• Auffällige Geburtsanamnese (Fehlgeburten, Tot-
• postprandiale Blutglukose 1 h < 140 mg/dl; 2 h
geburten, Kindsgewicht > 4000 g)
pp < 120 mg/dl,
• Typ-2-Diabetes mellitus in der Familie
• HbA 1c präkonzeptionell im Normbereich,
• Übergewicht von mehr als 20 %
• HbA 1c während der Schwangerschaft im unteren
• Glukosurie in der ersten Schwangerschaftshälfte
Normbereich ( < 6 %).
(bis 24. Woche)
• Hypertonie, Proteinurie
• Lebensalter über 30 Jahre Therapie
Beim Gestationsdiabetes ist zunächst ein rein diäte-
tischer Therapieversuch sinnvoll, wobei auch hierbei
regelmäßige postprandiale Blutglukoseselbstkon-
Technische Verfahren
trollen unerlässlich sind:
Der Screeningtest mit 50 g Glukose hat den Vorteil,
• schnell resorbierbare Kohlenhydrate meiden,
dass er unabhängig von Tageszeit und vorangegan-
• Mahlzeiten über den Tag hinweg verteilen (d. h.
genen Mahlzeiten durchgeführt wer~en kann. D~es keine 2-3 Hauptmahlzeiten, sondern5-7 kleinere
macht ihn praktikabel für den PraXIsablauf. Beim
Mahlzeiten),
oralen Glukosetoleranztest müssen hingegen ver- • BE begrenzen (jedoch keine Reduktionsdiät wäh-
schiedene Punkte bei der Durchführung beachtet
rend der Schwangerschaft).
werden. Außerdem unterliegt der Test bestimmten
Störfaktoren, die ein falsches Ergebnis bedingen
Falls eine Ernährungstherapie allein nicht ausreicht,
können(s. Abschn. 16.7, Tabelle 16-24).
ist ein frühzeitiger Beginn mit Insulintherapie unbe-
dingt notwendig, um normnahe Blutglukosewerte
zu erreichen.
16.8.7
Therapiekontrollen
90
90
g 80
a -e .c~
> 0.
70
60
2 ~ ·~
·m .E ~
50
"ä o<U ~ 40
'§ ~ ~ 30
~ 0.
~a.. 20
:t 10 Abb.l6-78.
0 Einfluss der Blutzuckerkontrolle auf die
9 · 10 8·9 7-8 6-7 5-6 Häufigkeit der Hypoglykämien. (Mod. nach
The Diabetes Control and Complications
HbA 1c (in Prozent) Trial Research Group 1997)
708 KAPITEL 16 Glukose
Insulin U------1
Andere Hormone der Gegenregulation
Glukakon ft - - - - - ' Die Wachstumshormon- und Cortisolfreisetzung
. .
Katechotakinelfl
Qlukagont _ _.....,.
. \Vachsturr\shormor\elfi-~--
Co~isollfl ~ : :
· ' ' Symptome :
! Einges~hränktes ~ewußts~in
: : : :
40 45 so 55 60 65 70 75 80 85 90
BZ (mgldl)
Abb.l6-80. Die Gegenregulation und Symptome bei der Hypoglykämie in Abhängigkeit des Blutzuckerspiegels. Der schwarze
Strich markiert den Bereich der jeweiligen "Blutzuckerschwelle". (Mod. nach Schwartz et al. 1987 und Mitrakauet al. 1993)
710 KAPITEL 16 Glukose
*
intrazellulärer Natrium-Anstieg und Kalium-Vertust
Abnahme des Sauerstoffverbrauchs
• Störungen der Nieren- und Leberfunktion. Beim
Typ-2-Diabetes kann es außerdem bei eingeschränk-
ter Nieren-, aber auch Leberfunktion zu einer Akku-
mulation der Sulfonylharnstoffe kommen. Die resul-
~ tierenden Hypoglykämien verlaufen oft protrahiert.
+
Ödematöse Schwellung
Entscheidend sind der Metabolismus und die Halb-
wertszeit des Wirkstoffes (Tabelle 16-25). Bei fortge-
Zelluläres Ödem und petechiale Hämorrhagien schrittener Niereninsuffizienz verringert sich zu-
nächst die Insulinelimination und damit der Insu-
linbedarf, sodass die Hypoglykämiegefahr weiter
steigt. Bei der terminalen Niereninsuffizienz kann
der Insulinbedarf infolge der Katabolie wieder stei-
Degenerative Veränderungen mit metabolischen Nekrosen gen.
Sequestration und Atrophien im Bereich der Hirnrinde
Glibendamid so so 7 Wenig
Glibornurid 23- 33 30-72 6 Ja
Glisoxepid 14-26 70-82 l,S Ja
Gliquidon 95 5 2 ein
Glimepirid 55 45 2,5 Ja
• Insulinart Unterschiede in der Wirkung von tie- Hypoglykämien bei Gebrauch von an sich blutzuk-
rischem und humanem Insulin, die bei Insulinwech- kerunwirksamen Medikamenten treten meist in
sel zu hypoglykämischen Zwischenfällen führen sol- Verbindung mit anderen Medikamenten, insbeson-
len, spielen keine Rolle. Eher kann die Rückbildung dere Sulfonylharnstoffen, auf. Die genaue Medika-
von Resorptionsstörungen infolge von Lipodystro- mentenanamnese, die Beachtung möglicher Wech-
phien, die bei Verwendung von tierischen Insulinen selwirkungen und die ggf. erforderliche Modifikati-
gehäuft auftreten und sich nach der Umstellung auf on der Therapie sind deshalb wichtiger Bestandteil
humanes Insulin zurückbilden, zu einer besseren bei der Abklärung von Hypoglykämien.
"Wirksamkeit" des Humaninsulins führen.
• Alkohol. Alkohol führt zu einer Hemmung der
• Erkrankungen des Verdauungstraktes. Bei der Glukoneogenese, wohingegen die Glykogenolyse
diabetischen Gastroparese kommt es zu einem ver- nicht beeinflusst wird. Deshalb treten Hypoglyk-
zögerten Transport des Speisebreis aus dem Magen ämien erst verspätet auf- wenn die Glykogenspei-
in den Dünndarm und somit zu einer verzögerten cher aufgebraucht sind. Zu einer Hemmung der Glu-
Resorption der zugeführten Kohlenhydrate. koneogenese kommt es vermutlich infolge eines
Verbrauchs an Nicotinamid-Adenin-Dinukleotiden
beim Abbau von Alkohol zu Acetat. Der Einfluss
Andere Ursachen der Hypoglykämie bei Diabetikern
von Alkohol auf die gegenregulatorischen Hormone
• Medikamente. Eine Reihe von Medikamenten
ist nur z. T. geklärt.
können eine Hypoglykämie auslösen bzw. begünsti-
gen (s. Übersicht).
Anwendung Medikament
16.9.4
Faktoren, die die Hypoglykämie bei Diabetikern
Klinik
modifizieren können
Symptome und Beschwerden
• Zunahme der Symptome bei Alkohol, Anorexie,
Die Symptome der Hypoglykämie werden in vegeta-
Hypoxie
tiv-autonome und neuroglykopenische Symptome
• Abnahme der Symptome bei ß-Blocker, Polyneu-
aufgeteilt (s. Übersicht).
ropathie, chronisch niedrigen Blutzuckerwerten,
lange bestehendem Diabetes
Symptome der Hypoglykämie
• Vegetative Symptome
Sympathikus: Unruhe, Schwitzen, Tremor, Blässe, Komplikationen
Hypertonus, Palpitationen, Herzrhythmusstö- Der Einfluss von rezidivierenden Hypoglykämien
rungen, Mydriasis, Reizbarkeit, Nervosität, Spei- auf die kognitiven Leistungen ist letztlich unklar.
chelfluß Nach neueren Untersuchungen hat der Diabetes
Parasympathikus: Heißhunger, Übelkeit, Erbre- per se, unabhängig von der Diabetesdauer, keinen
chen, Speichelfluss, Schwäche wesentlichen Einfluss, jedoch konnten bei Patienten
• Neuroglykopenische Symptome mit rezidivierenden Hypoglykämien kognitive Defi-
Kopfschmerzen, Müdigkeit, Sprachstörungen zite und neuropsychatrische Veränderungen in fol-
(z. B. Dysarthrie), Sehstörungen (z. B. Diplopie), genden Bereichen gezeigt werden:
Schwindel, Motorische oder sensible fokale Defi- • Feinmotorik,
zite, Automatismen (Grimassieren, Schmatzen), • Kurzzeitgedächtnis, Assoziationsgedächtnis,
Verwirrtheit, Epileptische Anfälle, Koma Konzentrationsvermögen,
• räumliches Vorstellungsvermögen.
Die Symptome Heißhunger und Schwitzen werden Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes mellitus und re-
durch Atropin, nicht aber durch adrenerge Antago- zidivierenden schweren Hypoglykämien sind zere-
nisten, blockiert und sind deshalb cholinerg. Die ve- brale kortikale Atrophien, als Ausdruck morpho-
getativen Symptome sollten deshalb nicht verein- logischer Veränderungen, im NMR signifikant
facht als "adrenerg" bezeichnet werden. Prinzipiell häufiger.
16.9 Iatrogene Hypoglykämien 713
ämien werden in Nüchternhypoglykämien und post- • Genuss von Gin und Tonic
prandiale Hypoglykämien eingeteilt, wobei für die • Toxine ("Ackee fruit", Pilztoxine)
diagnostische Unterscheidung dieser beiden Hypo- • Postprandiale Pseudohypoglykämien
glykämieformen die Durchführung eines oGTT ent-
scheidend ist (Tabelle 16-26). Bei den postprandia-
len Hypoglykämien treten die Symptome nur nach Enzymdefekte, die zu Hypoglykämien führen kön-
der Einnahme von Mahlzeiten auf. Bei beiden Hypo- nen, manifestieren sich üblicherweise im Kindesal-
gykämieformen können sowohl neuroglykopeni- ter.
sche als auch vegetative Symptome auftreten.
Enzymdefekte, die zu Hypoglykämien
Dierentialdiagnose der Nüchternhypoglykämie führen können
Dierentialdiagnose Patientenschulung
der postprandialen Hypoglykämie Die Schulung der Patienten mit Diabetes mellitus ist
ein wesentlicher Bestandteil der Therapie. Sie be-
• Magenentleerungsstörungen: Zustand nach Ma- steht in:
genoperation • strukturiertem Schulungsprogramm,
• Enzymdefekte: Glykogenspeicherkrankheiten, • häufigem Selbstmessen,
Störung der Glukoneogenese, Störung der Fett- • Früherkennung der Symptome,
säureoxidation, Galaktosämie, Fruktoseintole- • Erkennung und Vermeidung der Risikofaktoren,
ranz, Ahornsirupkrankheit • Einbeziehung von Angehörigen/Freunden.
cQ)
40
N • vor der Schulung
!2 35
a.. D nach der Schulung
.!:: 30
'(jj
25
""
INSI
.Ql 19
'5 20
'"'
.t:
.E 15
Q)
11
13 Abb.16-82.
•CO Häufigkeit schwerer Hypoglykämien (%) vor
10
"">. und nach Patientenschulung in Abhängigkeit
8'
o_
5 vom HbA 1c-Wert. Bei Patienten mit guten
HbA 1c-Werten lässt sich eine signifikante
>.
I 0 Abnahme der Hypoglykämien beobachten.
HbA1 c $ 7,3% HbA1c > 7,3% (Mod. nach Müller et al. 1995)
16.9 Iatrogene Hypoglykämien 715
/
Glukoseinlusion:
Bolusgabe: ...,. bei fehlender Wirksamkeit Glukagon i.m.
50ml 40% Glukose, .... oder s.c.
selten bis 100ml
/
Dauerinlusion: 5%-1 0%
Glukose
Cave: Kalium-Kontrolle Abb. 16-83.
Akuttherapie der schweren Hypoglykämie
716 KAPITEL 16 Glukose
Abb. l6-84.
a Angiographischer Befund des
rechten Koronargefäßes, b Zustand
b nach Stent-Implantation
16.10 Diabetes und koronare Herzkrankheit 717
1/6-Systolikum mit punctum maximum über tation prophylaktisch ASS 100 mg 1-0-0 sowie
dem Erb-Punkt. Die Auskultation und Perkussi- zusätzlich für 4 Wochen Ticlopidin 250 mg
on der Lunge ist unauffällig. Die Strömungsge- 1-0-1. Optimierung der Insulintherapie mit
räusche über der A. carotislinks sind auskultier- Absinken des HbA 1c-Wertes auf 6,2 o/o. Unter
bar, ansonsten besteht ein unauffälliger periphe- Therapie der Dyslipidämie mit Fenofibrat
r~r Pulsstatus. Blutdruck 100/80 mmHg. Vibra- Normalisierung der Blutfette. Außerdem Meto-
tiOnsempfinden an der unteren Extremität 3/8 prolol 50 mg 1-0-0. ach PTCA und Stentim-
beidseitig. Diabetische Retinopathie mit Visus- plantation ist die Patientin beschwerdefrei.
minderung auf 10 o/o. Das Labor ergab: Post-
prandialer Blutzuckerwert 189 mg/dl, HbA 1c-
Wert 7,1 o/o (Norm bis 6,1 o/o). Fettwerte: TG
16.10.2
337 mg/dl, Gesamtcholesterin 270 mg!dl, HDL-
Epidemiologie
C 35 mg!dl, LDL-C 168 mg!dl und VLDL
67 mg/dl. Albuminurie 183 mg/dl (Norm bis
Seit Einführung der Insulin- und Antibiotikathera-
20 mg/dl). Im Normbereich lagen LDH, GOT,
p_ie haben die akuten, oft tödlichen Komplikationen
GPT, CK, TNI, Kreatinin, Harnstoff sowie das
(msbesondere Coma diabeticum) bei Diabetikern an
übrige Routinelabor. Das EKG zeigte einen Steil-
B~deutung verloren. Gefäßerkrankungen sind be-
typ, Sinusrhythmus, Frequenz 89 min-1, AV-
stimmend für Morbidität und die Mortalität des
Block I. Grades (PQ-Zeit 220 ms), QTc-Zeit
Diabetikers geworden (Abb. 16-85). Klinische und
413 ms, negatives T in III, abgeflachtes T in
epidemiologische Untersuchungen, Todesursachen-
~VL und V2, leichte aszendierende ST -Senkung
und Autopsiestatistiken zeigen, dass Diabetiker häu-
m V4, RS-Umschlag in V4 und V5. Befund des
figer und früher an der Arteriosklerose erkranken.
Belastungs-EKGs: Wegen peripherer Erschöp-
Bei den makroangiopathischen Gefäßveränderun-
fung Abbruch nach einer Minute bei 50 W, dabei
gen stellt die koronare Herzkrankheit (KHK) die be-
keine Veränderung zum Ruhe-EKG. Herzfre-
drohlichste Folgeerkrankung dar. Andere makro-
quenz von 79 auf 120, Blutdruck von 115/
vaskuläre Erkrankungen, insbesondere des ZNS,
70 ~mHg auf 160/65 mmHg. Echokardiogra-
machen nur 15 o/o der Todesfälle aus. Nach 9-jähri-
phle: Normal-großer, konzentrisch-hypertro-
gem "Follow-up" waren in der UKPDS (United
phierter linker Ventrikel mit global guter sys-
Kingdom Prospective Diabetes Study) Todesfälle in-
tolischer Pumpfunktion bei hyperdynamischen
folge einer KHK 70-mal häufiger als tödliche mikro-
Wandbewegungen. Keine regionalen Kontrakti-
angiopathische Erkrankungen. Bei Typ-I-Diabeti-
onsstörungen. Regelrechter Herzklappenbe-
kern ist in über 50 o/o der Fälle die Todesursache vas-
fund. Herzkatheteruntersuchung: Koronare 3-
kulärer Genese, und die kardiovaskuläre Mortalität
Gefäßerkrankung mit guter linksventrikulärer
ist im Vergleich zu Nichtdiabetikern 3- bis 6-fach er-
Funktion. PTCA der LCX-Stenose (90-99 o/oige
höht. Wesentlicher prognostischer Faktor ist die Er-
Stenose) und PTCA mit Stentimplantation der
~~an~ungsdauer. Bei Typ-2-Diabetikern beträgt die
R~A (75 o/o-90 o/o~ge Stenose). Ferner periphere,
Jahrhebe Todesrate mehr als das Doppelte im Ver-
mmdestens 50 o/o1ge Stenose der LAD (Abb. 16-
gleich zu Nichtdiabetikern. Die durchschnittliche
84a, b). Weiterer Verlauf: Nach Stentimplan-
Lebenserwartung ist bei Typ-2-Diabetikern um
Infektionen, Sepsis
9%
Vaskuläre
Hypo-/ Erkrankungen
Hyperglykämie 56%
Abb.l6-85.
9% Relative Häufigkeit der Todesursachen bei
Typ-I-Diabetikern (n = 159).
' Einschließlich nicht näher bezeichneter
Komplikation en des Diabetes mellitus.
(Mod. nach Lehsten et al. 1995)
718 KAPITEL 16 Glukose
*
45
40
~
~
N 35
*
c
Q)
30
(ij
>
D Nicht·
:(ll 25 diabetiker
ct
~ 20 • Diabetiker
I Abb.I6-86.
~ 15
Prävalenz der KHK bei Diagnosestellung des
10
Typ-2-Diabetes mellitus (n = 133) im Ver-
gleich zu einem Kon trollkollektiv (n = 144).
Alter 45- 64 Jahre. (Mod. nach Uusitupa et al.
Männer Frauen 1985)
5-l 0 Jahre verkürzt. In mindestens 50 o/o ist die To- kofaktoren des metabolischen Syndroms ausgesetzt.
desursache die KHK. Ergebnisse der Framingham- Somit ist die Inzidenz der KHK bereits bei der
Studie zeigten, dass auch bei Nichtdiabetikern Un- Erstdiagnose des Typ-2-Diabetes mellitus erhöht
terschiede im Blutzuckerspiegel, gemessen am (Abb. 16-86). Umgekehrt wird bei 10 o/o der Diabeti-
HbA 1c Wert, die Prävalenz kardiavaskulärer Er- ker erst bei Auftreten eines Herzinfarktes der Diabe-
krankungen beeinflussen. Bei Männern und v. a. tes mellitus erkannt. Die neuen Grenzwerte für die
bei Frauen (Nichtdiabetiker) in der oberen Diagnose eines Diabetes mellitus [Nüchternblutzuk-
HbA 1c-Quartile war die Prävalenz kardiavaskulärer ker 2': 126 mg/dl (Pasma) bzw. 2': 110 mg/dl (kapil-
Erkrankungen signifikant erhöht. Bei Diabetikern lär)] sollen ermöglichen, Diabetiker frühzeitig zu er-
nimmt die Inzidenz der KHK-Erkrankungen und kennen. Bei Typ-I-Diabetikern, bei denen es das
KHK-Mortalität in Abhängigkeit von der Stoffwech- metabolische Syndrom bei Krankheitsbeginn in ver-
selkontrolle, gemessen am HbA 1c-Wert, weiter zu. gleichbarer Form nicht gibt, wird oft der diabeti-
Da beim Diabetiker auch ohne Vorliegen weiterer schen Nephropathie als Marker der meist begleiten-
Risikofaktoren die Mortalität der KHK um ein den Arteriosklerose eine besondere Bedeutung bei-
mehrfaches erhöht ist, müssen beim Diabetiker dia- gemessen. Ebenso wie beim Typ-2-Diabetiker ist die
betesspezifische Risikofaktoren vorliegen. In diesem konstante Mikroalbuminurie ein Marker der diffu-
Zusammenhang wird der Diabetes mellitus häufig sen Gefäßschädigung.
als - statistisch - "unabhängiger Risikofaktor" be-
zeichnet. Die Hyperglykämie kann dabei direkt
die Entstehung der Arteriosklerose begünstigen, 16.10.3
oder zusammen mit weiteren metabolischen Störun- Pathogenese
gen, die das metabolische Syndrom des Typ-2-Dia-
betes mellitus kennzeichnen und atherogen sind, Die Mediatoren und molekularen Mechanismen, die
auftreten. Das Vorliegen einer oder mehrerer Risi- zur Entstehung einer Arteriosklerose führen, sind
kofaktoren (Hypertonie, Hypercholesterinämie, beim Diabetiker und Nichtdiabetiker ähnlich. Der
Rauchen) bedingt eine erhöhte kardiavaskuläre Verlauf der arteriosklerotischen Erkrankung und
Mortalität des Diabetikers. Bereits vor Manifestation somit der koronaren Herzkrankheit wird aber kom-
des Typ-2-Diabetes mellitus lässt sich dieses KHK- pliziert durch den akzelerierten Verlauf, durch die
Risikoprofil, häufig zusammen mit einer Insulinre- vermehrte Glykierung von Proteinen und Lipiden
sistenz und einer gestörten Glukosetoleranz ("im- und schließlich durch weitere Folgeerkrankungen
paired fasting glucose") bei den betroffenen Patien- (s. Übersicht, s. auch Abschn. 16.2).
ten nachweisen. Bei der Diagnosestellung des Diabe-
tes mellitus haben bereits über 90 o/o der Diabetiker Pathophysiologische Faktoren der beschleunigten
mindestens einen weiteren kardiavaskulären Risi- disseminierten Arteriosklerose bei Diabetikern
kofaktor. Der genaue pathophysiologische Zusam-
menhang ist noch unklar. Die von Kaplan gewählte • Hyperglykämie
Bezeichnung für diesen Symptomkomplex als "das • Hypertonie
tödliche Quartett" hebt die prognostische Bedeu- • Hyperlipidämie,
tung hervor. Aufgrund des schleichenden Beginns • Rauchen
des Typ-2-Diabetes mellitus und der häufig verspä- • Hyperkoagulabilität
tet gestellten Diagnose sind die Patienten bereits vor • Thrombozytenfunktion,
Diagnosestellung den multiplen atherogenen Risi- • Endotheldysfunktion
16.10 Diabetes und koronare Herzkrankheit 719
so P= 0 ,0083
45
o Nicht-
diabetiker
40
;;e • Diabetiker
!?... 35
30
Gi
""
Cl 25
~ 20
•ro
:r 15
10
Abb.16-87.
Unterschiede in der Diagnostik und Therapie
Q.J.---'---
zwischen Diabetikern und Nichtdiabetikern
Therapie mit f3- Angiographie PTCA mit instabiler Angina pectoris (n = 324).
Biocker (Mod. nach Fava et al. 1997)
720 KAPITEL 16 Glukose
25
20
0 Nichtdiabetiker
• Diabetiker
5 Abb.I6-88.
28-Tage-Mortalität bei Diabetikern (Typ I und Typ II)
und Nichtdiabetikern nach einem ersten Myokardinfarkt;
0 _,_____._ _ Zeitraum von 1988-1992, n = 4065, davon 620 Diabetiker,
Manner Frauen
* p < 0,005. (Mod. nach Miettinen et al. 1998)
Hypertonie
?
Herzinsuffizienz < ? r -"'"'v-er-
m.,..
in-d-ert-e--,
und erhöhte Kranken- Gtukoseutilisation
hausmortalitäl
Abb.I6-89.
Mögliche Ursachen der erhöhten
Krankenhausmortalität bei Diabetikern.
(Mod. nach Aronson et. al. 1997)
16.10 Diabetes und koronare Herzkrankheit 721
70 D Nichtdiabetiker
~ 60
"'::>
c
~
50
c
= ~
~-!!: 40
.g>~
..."l!!.,
J:~
30
..c .,
::; 20
Q;
c
·;;; 10 Abb.l6-91.
Häufigkeit der Mehrgefaßerkrankung bei Diabeti-
0 kern und Nichtdiabetikern. Die Unterschiede
Manner Frauen Tl MI-Studie Nichtdiabetiker vs. Diabetiker sind in jedem Fall
TAMl-Studie TAMl-Sludie (insg.) signifikant (p < 0,001). (Mod. nach Granger et al.)
Typ-2-Diabetiker vorliegen und auf der anderen Sei- kontraindiziert Ebenso ist Metformin bei bestehen-
te die Prävalenz der KHK bereits bei einem HbA 1c dem Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit
von ca. 5,5 % zunimmt, dürfte es problematisch kontraindiziert, da nach Herzkatheteruntersuchun-
sein, bei Typ-2-Diabetiker einen günstigen Effekt gen die Nierenfunktion vorübergehend einge-
auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität schränkt und durch Oberflächenbenetzung der Ery-
eine bessere Blutzuckerkontrolle zu zeigen. Ist durch throzyten der Sauerstofftranport reduziert sein kann
diabetesgerechte Ernährung alleine eine Blutzucker- und somit das Risiko einer Laktatazidose besteht.
einstellung beim Typ-2-Diabetiker nicht zu errei-
chen, so sollte frühzeitig eine medikamentöse The- • Normalisierung des Blutdrucks. Eine Untergrup-
rapie angestrebt werden. Im Vergleich zu einer allei- penanalyse der UKPDS, bei der durch eine Hyper-
nigen diätetischen Kontrolle wird die Überlebenszeit tonietherapie das Risiko makroangiopathischer Er-
sowohl durch eine orale hypoglykämische als auch krankungen stärker reduziert wurde als durch eine
durch eine Insulintherapie günstig beeinflusst Hyperglykämietherapie, hebt die Bedeutung der Hy-
(Abb. 16-94). achden Ergebnissen der UKPDS ha- pertonietherapie eindeutig hervor. In der UKPDS
ben weder Sulfonylharnstoffe noch Insulin einen ne- wurden jedoch nicht verschiedene Antihypertensiva
gativen Effekt auf kardiale Erkrankungen. Metfor- verglichen. Obwohl Diuretika auch bei Diabetikern
min führte zu einer signifikanten Reduktion der zu einer effektiven Senkung des Blutdrucks führen,
Myokardinfarkthäufigkeit und wurde deshalb von ist eine Diuretikatherapie, unabhängig von der Prä-
der UKPDS-Group als Medikament erster Wahl senz einer Nephropathie, mit einer zweifach erhöh-
bei neumanifestierten Typ-2-Diabetikern empfoh- ten Mortalität verbunden. Auch für kurzwirksame
len. Metformin ist jedoch bei einer bestehenden Nie- Ca2+ -Antagonisten vom Dihydropyridintyp (z. B.
reninsufftzienz wegen der Akkumulationsgefahr Nifedipin) konnte dosisabhängig eine erhöhte Mor-
BZ-Schwelle
1.8
1.7
*
0
-"'~
1.6
·;:;; 0
·c:: ~ 1.5
""'·-
-
~0::
V>
1.4
~ ~ 1.3
"0 >
1.2
~§
>..=. 1.1
0 Q)
~ 1 Abb. 16-92.
0.9 Relative Risiko für einen Myokardinfarkt in Ab -
0.8 hängigkeit vom Blutglukosewert (nüchtern, mg!dl).
Probanden oberhalb eines Blutglukose-Schwellen-
95 100 105 11 0 115 120 125 130 wertes werden mit den Probanden unterhalb des
Blutglukose-Schwellenwert jeweiligen Blutglukoseschwellenwertes verglichen;
* p < 0,05. (Mod. nach Goldberget al. 1998)
724 KAPITEL 16 Glukose
-e.t::.18 p = 0,052
ftl
·;:
:!
17.5
c
~"' 17
ll.. 16.5
0
0
0
16
~
15.5
.e 15
~"' 14.5
:!
c 14
~ 13.5 Abb. 16-93.
....0"' Absolute Myokardinfarkthäufigkeit für Typ-2-Diabetiker in
>- 13 der UKPDS (pro 1000 Patientenjahre). Patienten wurden nur
~ diätetisch (n = 1138) oder "intensiviert", d. h. mit Sulfonyl-
diätetische intensivierte harnstoffen und/oder Insulin (n = 2729) behandelt. (Mod.
Thera pie Therapie nach UK Prospective Diabetes Study Group/UKPDS 1998)
talität gezeigt werden, die bei einer Kombinations- ACE-Hemmer von Nutzen. Nach den Ergebnissen
therapie mit Diuretika noch weiter erhöht wird. der GISSI-3-Studie sollte eine ACE-Hemmertherapie
Möglicherweise ist die erhöhte Mortalität auf eine innerhalb von 24 h nach Auftreten des Myokardin-
verstärkte Sympathikusaktivität zurückzuführen. farktes begonnen werden. DasAbsinkendes Throm-
Analysen von Subgruppen aus größeren Studien bomodulins trotz erhöhter Blutzuckerwerte spricht
konnten diesen negativen Effekt auch für Diabetiker für einen Schutz der Endothelzellen unter einer
bestätigen. Unter Therapie mit langwirkenden Ca 2+- ACE-Hemmertherapie. Nicht nur nach Myokardin-
Antagonisten vom Dihydropyridintyp konnte in farkt, sondern auch bei KHK-Patienten mit Diabetes
neueren Studien eine signifikante Abnahme kardio- wird sowohl die Gesamtmortalität als auch die kar-
vaskulärer Erkrankungen und Todesfälle bei älteren diovaskuläre Mortalität durch eine Therapie mit
Diabetikern mit isolierter systolischer Hypertonie einem ß-Blocker signifikant verringert. Die Verbes-
gezeigt werden. Hingegen kann durch eine Blut- serung der Mortalität ist unabhängig vom Alter, vom
druckeinstellung mittels ACE-Hemmer eine signifi- Vorliegen eines Myokardinfarktes oder einer Herz-
kante Verbesserung der Mortalität nach einem insuffizienz. Der Einfluss kardiaselektiver ß-Blocker
Herzinfarkt erreicht werden. Insbesondere bei einer auf die Hypoglykämiehäufigkeit und -Wahrneh-
gestörten Ventrikelfunktion ist eine Therapie mit mung scheint unerheblich zu sein, wobei Studien
diesbzgl. fehlen. Ein Verzicht auf eine Therapie
mit einem ß-Blocker ist deshalb nicht zu rechtferti-
gen, eher ist die Blutzuckertherapie ggf. anzupassen.
20
18
..., 16
• Normalisierung der Blutfette. Ergebnisse neuerer
..c: Studien zeigen eine deutliche Verbesserung der kar-
11) .~ 14 diovaskulären Mortalität und Morbidität bei Diabe-
3< c
~ .,
4!C 12 tikern mit Lipidsenkern (HMG-CoA-Hemmer;
·-..,;a..
c =
"'
"' 10 Abb. 16-95). Z. T. handelt es sich hierbei jedoch
.>o<o
oo 8 um retrospektive Studien. Darüber hinaus waren
~~ 6 Patienten mit erhöhten Triglyzeridwerten (>
s
0
4 2,5 mmol/1, ca. 220 mg/dl) von einer Studienteilnah-
2 me ausgeschlossen. In der "Helsinki Heart Study"
0 konnte unter Therapie mit Genefibrozil (Fibrat)
Diät Insulin/ Metform in die Inzidenz der Arteriosklerose bei Diabetikern
Sulphonyl- (nicht signifikant) reduziert werden.
hamstoff
18
0 Placebo
16
~ • Simvastatin
14
~
<ii 12
äi
...J
\!!
10
•<0
'3 8
~
1/l
<0
> 6
0 Abb.l6-95.
'E<0 4 Kardiovaskuläre Letalität von Nichtdiabetikern
::.::: 2 (n = 4242) und Diabetikern (n = 202 Typ I und
Typ 2} in Abhängigkeit von ei ner Therapie mit dem
0 HMG-CoA-Hemmer Simvastatin. Ergebnisse der
4 -Studie, durchsch nittliches Follow-up 5,4 Jahre.
Nichtdiabetiker Diabetiker (Mod. nach Pyorälä et al. 1997}
Thrombozyten gesteigert, kann aber durch niedrig duktion freier Sauerstoffradikale erreicht werden.
dosiertes Aspirin (z. B. 50 mg pro Tag) reduziert Günstige Effekte auf die Gerinnung, z. B. die Throm-
werden. Eine Therapie mit Thrombozytenaggregati- bozytenaggregation, die stickstoffabhängige Gefäß-
onshemmer führt beim Diabetiker ebenso wie beim dilatation, den Blutzucker und die Blutfette scheinen
Nichtdiabetiker zu einer deutlichen Reduktion der diesen Therapieansatz zu bestätigen. Ergebnisse gro-
Mortalität bei bekannter KHK. Clopidogrel, ein ßer prospektiver Studien, insbesondere der CHAOS
Thienopyridinderivat wie Ticlopidin, hat nach den oder HOPE-Studie, konnten positive Auswirkungen
Ergebnissen der CARPIE-Studie im Vergleich zu auf die Mortalität nicht eindeutig belegen.
ASS keinen Vorteil bzgl. kardiavaskulärer Erkran-
kungen. Studien mit Antikörpern gegen die Ilb/
Illa-Integrine der Thrombozyten (Abciximab) erga- lnterventionelle Therapie
ben eine verbesserte langfristige Prognose von • PTCA Nach erfolgreicher PTCA sind Komplika-
Nichtdiabetikern (weniger Bypassoperationen und tionen (Myokardinfarkt, erneute PTCA, Bypassope-
PTCA), aber auch eine erhöhte Rate an Blutun- rationen) bei Diabetikern häufiger und die Mortali-
gskomplikationen. Für Diabetiker konnte kein ein- tät ist, unabhängig von der Anzahl der stenosierten
deutiger Nutzen gezeigt werden. Unter Therapie mit Gefäße, doppelt so hoch wie bei Nichtdiabetikern.
Abciximab nach PTCA konnte bei Diabetikern eine Der limitierende Faktor nach einer PTCA ist bei Dia-
Abnahme von Todesfällen und Myokardinfarkten betikern die erhöhte Restenoserate, die mit einer er-
erreicht werden, jedoch war bei Patienten in der Ab- höhten Mortalität und Morbidität einhergeht.
ciximab-Gruppe häufiger eine erneute PTCA erfor-
derlich. • PTCA mit Stentimplantation. Im Vergleich zu
einer alleinigen PTCA konnte für Diabetiker die Pro-
• Antioxidanzien. Durch Therapie mit Antioxidan- gnose nach Myokardinfarkt in den letzten Jahren
zien (Vitamin C und E, a-Liponsäure) kann eine Re- durch die zusätzliche Implantation eines Koronar-
60
• Alleinige PTCA
0 PTCA und Stent
50
:Je
~
40
Qi
.:.:.
0>
<:: 30
::>
'(II
J:
20
10 Abb. 16-96.
Reinfarktrate (nach 1 Jahr) und Restenoserate
(nach 6 Monaten) nach Stent-lmplanta tion
0 bzw. PTCA bei Diabetikern (n 92}. (Mod. nach
Rein farktra te Restenosera te Savage et al. 1997)
726 KAPITEL 16 Glukose
.
<h
~
75.000
• DiabeUker
c
~
.
..,
4,5
c 70.000
:.::,..
5
., 4 ,3
i
lil
1
0
65.000
"
~ 4,1
a. 1:
13.9
60.000
~ 55.000
i
0
-~ 50.000
3,7
Abb. 16-97a, b.
~ il
c
45.000 ~ 3,5 Durc~schnittliche Therapiekosten
~ und Uberlebenszeit nach 5 Jahren bei
1i:>
'Q
40.000
Bypaß- PTCA
..,~ 3,3
Bypaß- PTCA
Diabetikern und Nichtdiabetikern:
a b a Therapiekosten, b Überlebenszeit
Operation Operation
(Mod. nach Hlatky et al. 1997)
16.11 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) bei Diabetes mellitus 727
-.-
( Myokardinfarkt
...
- CAVE: keine i.m.-Spritzen NAWROTH
-frühzeitig Intensivmedizinische Betreuung
16.11.1
- Ruhe-EKG Fallpräsentation
- Blutentnahme: CK, CK-MB, Troponin (1fT) , LOH, GOT,
-.-
Myoglobin, BB. BSG
-Wiederholung des Labors nach 2, 6. 12 und 24 h
Ein 67-jähriger Patient, der seit 12 Jahren an
- Glyzeroltrinitratgabe über Perfusor Diabetes mellitus Typ 2litt, kam mit einer Gan-
- Heparinisierung (therapeutisch, Bolus 5000 iE i.v.) grän der linken Großzehe (Abb. 16-100) in die
- Thrombozytenaggregationshammer (ASS, initia.l 500
mg i.v., dann 100 mg/d p. o.) Notaufnahme und wurde sogleich stationär auf-
-bei Unruhe des Patienten Oiazepam (10-15 mg i.v.
oder sublingual)
genommen. Er berichtete seinem ihn betreuen-
- Schmerzbekämpfung (Morphin 5-10 mg i.v.) den Stationsarzt über eine schon seit ca. 7 Jah-
- Blutzuckereinstellung (Insulin i.v., ggt. Glukose i. v. ,
CAVE: Kaliumkontrolle)
ren andauernde Claudicatiosymptomatik beider
- gegebenenfalls D·Biocker (bei fehlenden Waden. Bis vor einem halben Jahr hatte er aber
•
Kontraindikationen, Kontrolle von Puls und RR)
- Flüssigkeitsbilanzierung noch gut eine Gehstrecke von ca. 100m relativ
beschwerdefrei zurücklegen können. Doch seit
~
Thrombolyse Primäre PTCA
3- 4 Monaten hatte er Ruheschmerzen. Der linke
Ertolgskontrolle: rasche
Schmerzfreiheit. schnelle
wird nur in speziellen Zentren Vorfuß war seit 2 Monaten geschwollen und röt-
angeboten, abhängig von der
Redu ktion der ST-Hebt.mg. kein
Lokalisation und Ausdehnung des
lich verfärbt. Bei der weiteren Anamneseerhe-
später R-Verlust, frühzeitiger
bung berichtete der Patient über einen vor
•
Infarktes
Rückgang des CK·Wertes
10 Jahren erJjttenen Herzinfarkt und über einen
# Nikotinabusus von ca. 30 Zigaretten pro Tag
Kontrollen :
EKG und Herzenzyme und eine schlecht einstellbare kombinierte Hy-
(zunächst alle 4 h)
perlipoproteinämie. Die klinische Untersu-
Abb. 16-98. Therapie des Myokardinfarktes chung ergab einen erheblich übergewichtigen
Patienten mit einem BMI von 31,2. Die Inspek-
wirkung, und die gleichzeitige Insulingabe hemmt tion zeigte einen geschwollenen linken Vorfuß
die Lipolyse und fördert gleichzeitig die Glukoseauf- mit einer völlig vereiterten, gangränösen linken
nahme in noch funktionstüchtigen Zellen. Durch die Großzehe. Während rechts der Puls der A. fe-
Glykolyse kann den Zellen auch unter anaeroben Be- moralis noch zu tasten war, fehlte dieser auf
dingungen noch ATP zur Verfügung gestellt werden. der linken Seite. Die Pulse in der Kniekehle
Durch eine sofortige Insulin-Glukose-Therapie (i. v.) bzw. die Fußpulse waren beidseitig nicht palpa-
zur Normalisierung des Blutzuckers und, falls erfor- bel. Bei der Auskultation der Arterien fielen v. a.
derlich, eine nachfolgende Insulintherapie mit meh- Strömungsgeräusche über den Beckengefäßen
reren Insulindosen täglich kann die Einjahresüber- links auf. Die Messung der Ultraschall-Dopp-
lebensrate deutlich verlängert werden (Abb. 16-99). ler-Drücke ergab für die linke A. tibiali post-
30
_.._ Kontrollg ruppe
25 --o- Therapiegruppe
~
0 20
~
'iij 15
t:
0
:::
10
Abb.16-99.
5 Effekt ein_er sofortigen Insulintherapie nach
Myokardmfarkt auf die Mortalität bei
Diabetikern (Typ I und Typ II, n = 306).
0
Bei den Kontrollpatienten (n = 314) wurde
Kra nkenhaus- Mortalitat (n ach 3 Mortalitat (nac h 12 die bisherige Diabetestherapie beibehalten.
mortalitat Monaten) Monaten) (Mod. nach Malmberg 1995)
728 KAPITEL 16 Glukose
16.11.2
Epidemiologie
6
r----'
5
,......----.,
~ 4 r---
N
1:
Oll '1
iii 3
>
:~
2
r---
;
0..
Abb. 16-101.
0 Prävalenz der pA VK in Abhängigkeit vom
6%-7% 7%-8% 8%-9% 9%-10% HbAlc-Wert im Rahmen der Framingham
Heart Study. (Mod. nach Meigs, Journal of
HbA l c-Wert Clinical Epidemiology, 1996)
16.11 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pA VK) bei Diabetes mellitus 729
:,!!
80
0
70
.~ 60 • Diabetiker
c 50 • Nichtdiabetiker
Ql
.a 40
ca
C'l 30
c
<( 20 Abb. l6-102.
10 Arterielle Verschlusslokalisation bei
0 Diabetikern und nichtdiabetischen
Schulter-Arm-Typ Becken-Typ Oberschenkel:ryp Peripherer Typ Patienten. (Mod. nach Staudl, Deutsches
Verschlusslokalisation Ärzteblatt 1995)
80
70 ;---
60 [J aabetiker ;---
~ 50 • flichtdiabetiker
~
N
c
Cll 40 ;---
"0
'N
..: 30 -
20 Abb.l6-103.
....
Jährliche In zidenzrate von Amputa-
-
10 tionen au f 10.000 Diabetiker bzw. Ge-
0
----
Oeutsc hland OOnerrark USA Schweden
sunde im internationalen Vergleich .
(Mod. nach Staudl, Diabetes und
Stoffwechsel, 1996)
Monozytenadhäsion (PDGF)
~ 1
Endothelzellendysfunktionen
Thrombozytenadhäsion (PDGF)
1
Hyperlipidämie --+
------...
Intimaschaumzellen (Makrophagen)
Proliferation glatter
.------------
Muskelzellen
Abb. 16-104.
Atherosklerotische(s) Plaque I Ulkus Pathogenese der Arteriosklerose
• Bestimmung der Dopplerdrucke. Im Rahmen der zillographie jedoch bei Patienten mit Mediasklerose
angiologischen Diagnostik muss bei Verdacht auf und infolgedessen nicht verwertbaren Dopplerdruk-
eine pA VK an beiden Oberarmen und beiden Unter- ken. Hier kann mit Hilfe der Oszillationen das Aus-
schenkeln eine Messung der Dopplerdrucke erfol- maß der peripheren Perfusionsminderung semi-
gen. Am liegenden Patienten werden die A. brachia- quantitativ bestimmt werden.
lis, A. dorsalis pedis und die A. tibialis posterior ge-
messen. Für die reine Dopplerdruckmessung sind • Farbkodierte Duplexsonographie. Die farbko-
nichtdirektionale Ultraschalldopplergeräte ausrei- dierte Duplexsonographie stellt eine Kombination
chend. Die systolischen Dopplerdruckwerte werden von 2-dimensionalem Ultraschallbild (B-Bild) und
nun zu den systolischen Dopplerdrücken der oberen Dopplersonographie einschließlich Farbkodierung
Extremitäten, die in gleicher Art undWeise über der dar. Im Vergleich zur konventionellen Dopplerun-
A. brachialis ermittelt werden, ins Verhältnis gesetzt tersuchung ermöglicht sie eine genauere Beurteilung
und somit ein Ultraschall-Doppler-Index errechnet der peripheren Gefäßveränderungen (Abb. 16-105).
(s. Übersicht). Häufig sind systolische Blutdruck- Im Einzelfall kann durch eine gründliche duplexso-
werte bei Diabetes mellitus aber nicht zu verwenden, nographische Untersuchung eine belastende Angio-
da eine Mediasklerose ( = Mönckeberg-Sklerose) graphie vermieden werden. Auch bei der lokalen
virtuell hohe Blutdruckwerte erzeugen kann. Das Kontrolle der Gefäßverhältnisse nach interventio-
Vorliegen einer Mediasklerose verschlechtert die neilen Maßnahmen bzw. nach gefäßchirurgischen
Prognose bezüglich des Extremitätenerhaltes signi- Eingriffen ist die farbkodierte Duplexsonographie
fikant. von hohem Wert. Zur Planung revaskularisierender
Eingriffe wird jedoch eine ergänzende Angiographie
durchgeführt.
Ultraschall-Doppler-Index = RRuntere Extremität/RRo.
bere Extremität • Angiographie/ Arteriographie. Angiographien,
welche die invasivste Untersuchungsmethode bei
Index Diagnose
einer pA VK darstellen, sind vor lumeneröffnenden
> 1,0 Normal Maßnahmen wie rekonstruktiven Gefäßeingriffen
oder komplexeren Katheterinterventionen indiziert
0,7 < x < 1,0 Hämodynamisch wirksame Stenose (s. Übersicht).
größer als 50 %
< 0,7 Höhergradige Stenose oder Verschluss Indikationen für eine elektive Angiographie
:::; 0,5 Nekrosegefahr der unteren Extremität • Geplante, rekonstruktive, operative Gefäßein-
griffe
• Obligat vor einer drohenden Amputation
• Im Rahmen einer PT A, Ballondilatation bzw.
Eine Erweiterung der diagnostischen Möglichkeiten
perkutanen Atherektomie
ist mit bidirektionalen Ultraschallgeräten möglich,
mit denen die Richtung und die Geschwindigkeit
der Blutströmung (Hämotachygramm) aufgezeich-
net wird. Die Analyse der Kurvenform gibt Auf-
schluss über die proximale Strombahn. Die Betrach-
tung der Flussgeschwindigkeitskurve ist besonders
bei nicht verwertbaren Dopplerdrucken hilfreich.
Bei einem proximalen Strombahnhindernis tritt
eine Abnahme der Amplitude sowie eine Verplum-
pung der Kurve auf. Der normale triphasische Ver-
lauf der Kurve geht in ein deformiertes monophasi-
sches Signal über.
Um den diabetischen Fuß optimal zu therapieren, ist Die "ideale" Diabetestherapie sollte mit einem mög-
es von entscheidender Bedeutung zu klären, welches lichst normnahen HbA 1c, einem Blutdruckzielwert
die Genese der vorliegenden trophischen Störung von 120/70 mmHg (und hinzuzufügen ist ein LDL-
ist. Prognose und Behandlungsmaßnahmen unter- Cholesterinwert unter 125 mg/dl, ein HOL-Choleste-
scheiden sich je nachdem, ob die ischämische Kom- rinwert größer als 35 mg/dl und eine Triglyzeridwert
ponente im Vordergrund steht oder eine Druckläsi- unter 150 mg/dl) streng zielorientiert sein. Diese
on bei bestehender Neuropathie vorliegt. In Ta- ehrgeizigen Therapieziele können mit Basismaß-
belle 16-27 sind die wichtigsten Kriterien zur ätiolo- nahmen (Diät, Gewichtskontrolle, Bewegungsakti-
gischen Einordnung der Läsion aufgelistet. vierung) allein in aller Regel nicht erreicht werden.
Deshalb sollte diese Basistherapie in aller Regel sehr einer Hyperlipidämie: fettarm und fettmodifi-
frühzeitig pharmakologisch ergänzt werden. Die ziert; bei hohen Triglyzeriden keine Zuckeraus-
ärztliche Aufgabe besteht darin, diese idealisierten tauschstoffe, kein Alkohol, ggf. lipidsenkende
Zielwerte der Lebenssituation des einzelnen Diabe- Medikamente
tikers adäquat anzupassen. • Nikotinverzicht
Konservative Therapie
Die allgemeinen Therapieprinzipien gelten für alle
Stadien und dienen hauptsächlich der Prophylaxe
Physikalische Maßnahmen/Ergotherapie
Bei Patienten mit Claudicatio intermittens lässt sich
bzw. der Sekundärprävention. Unter den spezifi-
durch kontinuierliches Gehtraining eine Erhöhung
schen Therapieempfehlungen werden stadienge-
der Gehstrecke bis auf das Doppelte erreichen. Meh-
rechte perfusionsverbessernde Verfahren subsu-
miert. Hierzu zählen vasoaktive Medikamente wie rere Mechanismen tragen zur Zunahme der Geh-
strecke bei wie eine verbesserte Mikrozirkulation,
auch interventionelle und gefäßchirurgische Maß-
eine optimierte Sauerstoffutilisation, eine Zunahme
nahmen. Eine invasive Diagnostik und Therapie
der Kollateralen oder ein geänderter Bewegungsab-
ist auf jeden Fall nur bei entsprechendem Leidens-
lauf. Diese Therapieform, die der Patient nach An-
druck des Patienten im Stadium II der pA VK oder
leitung bis fast an die Schmerzgrenze ausüben sollte,
Extremitätengefährdung indiziert (s. Übersicht).
ist insbesondere bei einer pA VK bis Fontaine Ilb ge-
eignet. Allerdings sind nur etwa 20 o/o der Patienten
Allgemeine Verhaltensregeln bei pA VK
in der Lage bzw. willens, sich einem anstregenden
Training zu unterziehen. Allerdings kann bei Gefäß-
• Vermeiden von engem, einschnürendem Schuh-
kranken mit gleichzeitig vorliegender Neuropathie
werk (Vermeiden von Drucknekrosen!)
und infolgedessen herabgesetztem Schmerzempfin-
• Keine Feuchtigkeit und Kälte
den bei nicht angepasstem Training eine gefährliche
• Äußerste Vorsicht bei Fußpflege und Fußhygiene
Blutumverteilung von der Haut zur arbeitenden
(Vermeiden von Verletzungen bei der Pediküre
Muskulatur stattfinden, was die Entstehung von
bzw. von feuchten Kammern, insbesondere inter-
Druckläsionen begünstigt. Das Gehtraining sollte
digital). Pediküre nur mit Sandpapierfeilen
vom Patienten als Intervalltraining (Gehen von 2/3
• Prophylaxe von Fußmykosen bzw. deren konse-
der ausgetesteten Maximalstrecke, Pausieren und
quente Behandlung
Weitergehen) und über mindestens 1 h durchge-
• Vermeiden von Vollbädern 35 °C, Heizkissen und
führt werden.
Kompressionsstrümpfen
• Verbot von hyperämisierenden Salben (mögli-
cher Steal-Effekt!) Medikamentöse Therapie
Thrombozytenfunktionshemmet
Minimierung von Risikofaktoren Thrombozytenfunktionshemmer sind im Rahmen
einer pA VK ab dem Stadium I nach Fontaine indi-
• Normalisierung des Körpergewichts ziert. Sie können periphere Gefäßprobleme reduzie-
• Vermeidung körperlicher Immobilisierung ren, aber auch, was weit wichtiger ist, das allgemeine
• Optimale Einstellung vaskuläre Risiko bezüglich Myokardinfarkt und
eines Diabetes mellitus: normoglykämisch (s. möglicherweise Apoplex vermindern. Der in der Kli-
Spezialkapitel!), HbA 1c-Wert nahe 6 o/o nik am häufigsten zur Anwendung kommende
einer arteriellen Hypertonie: ACE-Hemmer u. a., Thrombozytenaggregationshemmer ist die Azetylsa-
bei peripherer AVK nicht zu stark absenken lizylsäure (Abb. 16-106). Gegeben werden üblicher-
(Cave: Nephropathie) weise im Rahmen einer pAVK 100-300 mg ASS pro
734 KAPITEL 16 Glukose
200
150
100
50
ol-11==]1__~~--L_--. .L_~ Abb.l6-106.
Gesunde Diabetiker Effekte einer Therapie mit Aspirin auf
Makroangiopathische Folgeerkrankungen auf 100.000/Monat bzw. durch makroangiopathische Folgeerkrankungen
Einnahme von Aspirin verhinderte makroangiopathische Folgeerkrankungen bei Diabetikern und Gesunden (Mod. nach
auf 100.000/Monat Patrona, Diabetes/Metabolism, (1993)
Tabelle 16-29. Vasoaktive Pharmaka zur Therapie einer Kontraindikationen einer Therapie
pAVK mit Prostaglandinen
Oral (mg/Tag) Intravenös
(mg!Tag) • Schwere KHK
• Dekompensierte Herzinsuffizienz (NYHA II-IV)
Pen to~ifylli n 800- 1200 100- 300 • Schwere Herzrhythmusstörungen
aftidrofuryl 300-600 200- 400 • Schwere Leberschäden
Buflomedil 450-600 100- 200 • Schwere Bronchialobstruktionen
• Schwangerschaft
D
sung der Proliferation glatter Muskelzellen u. a.
Die Therapie mit Prostagtandin El lässt sich in
der Regel problemlos ambulant durchführen. Aufgrund der etwas stärker ausgeprägten kardiovas-
Nebenwirkungen sind insgesamt sehr selten und kulären Nebenwirkungen ist eine Dosistitration not-
bei Beachtung der Kontraindikationen zu vermei- wendig.
den (s. Übersichten).
Antikoagulanzien
Nebenwirkungen einer Therapie Antikoagulanzien vom Kumarintyp hemmen die
mit Prostaglandinen Vitamin-K-abhängige Karboxylierung der Gerin-
nungsfaktoren II, VII, IX und X bzw. Protein C, S
• Hypotensive Krisen und Z in der Leber. Entsprechend ihrer Halbwerts-
• Blutbildveränderungen zeit nehmen deren Konzentrationen im peripheren
• Neurologische Symptome Blut ab und führen zu einer Hypokoagulabilität des
Blutes. Im Rahmen einer pA VK sind sie bei beson-
• Fieber
• Stenokardien deren Risikopatienten mit Hinweisen auf eine dro-
• Schmerzhafte Rötung im Bereich des infundier- hende Verschlechterung der Erkrankung bzw. nach
ten Gefäßes gefäßchirurgischen oder interventioneil-radiologi-
schen Eingriffen zur Prophylaxe einer arteriellen
Thrombose indiziert. Die Behandlung sollte ein-
schleichend (unter Hepurinschutz) begonnen wer-
736 KAPITEL 16 Glukose
den. Zur Therapieüberwachung eignet sich die Be- Aufblasen des Ballons wird arteriosklerotisches
stimmung der Thromboplastinzeit ( = Quick-Test), Material in die aufgebrochene Intima hineingescho-
wobei als therapeutischer Bereich ein Wert zwischen ben und das Gefäßlumen somit eröffnet. Indiziert ist
2,5 und 3,5 INR anzusehen ist. Eine Therapie mit dieses Verfahren bei Verschlüssen und Stenosen im
Vitamin-K-Antagonisten wird durch Absetzen des Bereich der A. iliaca und im arteriellen femoropo-
Medikaments beendet. Eine Normalisierung des Ge- plitealen Stromgebiet. Über einen Zeitraum von
rinnungssystems kann abhängig vom Präparat bis 5 Jahren anhaltende Verbesserungen der Durch-
zu 2 Wochen dauern. Nach Beendigung der Thera- blutung werden im Bereich der A. iliaca bei bis zu
pie ist das natürliche Thromboserisiko selbstver- 85 o/o, im femoropoplitealen Bereich bei bis zu
ständlich wieder vorhanden. 70 o/o der durchgeführten Angioplastien berichtet
(Abb. 16-107). Um die Rezidivrate zu verringern,
wird die regelmäßige Einnahme eines niedrigdosier-
Peptide mit Einfluss auf die Wundheilung
ten Azetylsalizylsäurepräparates von 50-100 mg
Zur Förderung der Wundheilung werden z. Z. ver-
pro Tag oder im Einzelfall eine Marcumarisierung
schiedene Peptide erprobt. Positive Erfahrungen
empfohlen. Schwerwiegende Komplikationen wie
werden für PDGF ("platelet derived growth factor")
Embolien, operationsbedürftige Blutungen oder
mitgeteilt, die Substanz wird aus Thrombozyten in
akute Gefäßverschlüsse treten bei bis zu 3 o/o der
einem aufwendigen Verfahren gewonnen. Bei
interventioneH-radiologischen Eingriffe auf.
schlecht heilenden Läsionen sollte allerdings erst
die Perfusion verbessert werden, bevor an den Ein-
satz von Wundheilungsfaktoren gedacht wird. Die
Behandlung ist relativ teuer, nach Antrag werden
Laserangioplastie/Rotationsangioplastie!
die Kosten in der Regel von den Krankenversiche-
Endoprothesen (Stents)
rungen übernommen.
In Veränderung zur PTA werden bei neuentwickel-
Die Wachstumsfaktoren haben folgende Funktio-
ten interventioneBen Verfahren, wie der Laserangio-
nen:
plastie bzw. Rotationsangioplastie, arterioskleroti-
• FGF stimuliert Angiogenese bzw. Mitosen von Fi-
sche Plaques mittels eines Lasers bzw. mit Hilfe eines
broblasten,
rotierenden Schleifkopfes entfernt. Auch Endopro-
• TGF-a stimuliert Mitosen von Epithelzellen und
thesen (Stents), die insbesondere bei Restenosen
Fibroblasten,
zum Einsatz kommen, werden mittels eines Kathe-
• TGF-ß hemmt Wachstum von Epithelien; wirkt
ters zum Offenhalten von Engstellen appliziert.
chemotaktisch auf Fibroblasten; stimuliert Kolla-
Diese Methoden erscheinen vielversprechend, ihre
gen- und Fibronektin-Synthese,
speziellen Indikationen müssen allerdings noch in
• Monozyten. klinischen Studien erarbeitet werden. Die Komplika-
tionsraten sind mit denen der bisherigen interven-
tioneH-radiologischen Eingriffe vergleichbar. Die
Interventioneil-radiologische Therapie Laserangioplastie hat mit dem bis heute verfügbaren
Material an Lichtleitern die therapeutischen Optio-
Perkutane transluminale Angioplastie (PTA) nen nicht wesentlich bereichert. Die Atherektomie
Mit Hilfe der Seldlinger-Technik wird bei der perku- hat sich nur in sehr wenigen Situationen als über-
tanen transluminalen Angioplastie über einen Füh- legen gezeigt. Allein die Verwendung von Stents
rungsdraht ein zusammengefalteter Ballon in den zu hat in bestimmten Gefäßregionen zu einer Verbes-
eröffnenden Gefäßabschnitt vorgeschoben. Durch serung der Offenheitsrate beigetragen.
0
0
.:
:c
~
~
."
c:
Cl)
"0
c:
_g
e
a..
Amputationen Gliedmaßen Heilende Ulcera Heilende Ulcera
Abb.l6-107.
ober- bzw. völlig verhellt mit Zehen- ohne Zehen-
bzw. Vorfuß- bzw. Vorfuß-
Ergebnisse einer klinischen Studie nach
unterhalb des
durchgeführter perkutaner transluminaler
Knies amputation amputation
Angioplastie. (Mod. nach Faglia, Diabetes
Ergebnisse Care, 1996)
16.11 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pA VK) bei Diabetes mellitus 737
Amputation
Seit der Einführung der intraarteriellen lokalen Bei Versagen aller konservativen bzw. operativen ge-
Thrombolyse ist die intravenöse systemische fäßrekonstruktiven Therapiemöglichkeiten einer
Thrombolyse aufgrund ihres um ein Vielfaches hö- pA VK im Stadium IV nach Fontaine ist als letzte
heren Komplikationsrisikos in den Hintergrund ge- Option eine bei drohender Sepsis oftmals lebensret-
treten. tende Amputation von Gliedmaßen zu erwägen.
Amputiert werden bei Diabetikern v. a. die Zehen,
Operative Therapie der Vorfuß bzw. der Unterschenkel (Abb. 16-108).
Postamputationskomplikationen sind in folgender
Thrombendarteriektomie/Bypass Übersicht zusammengetragen.
Erweisen sich konservative Maßnahmen bei der Be-
handlung einer pA VK als wenig Erfolg verspre- Komplikationen nach Amputation bei pA VK
chend, muss überprüft werden, ob Voraussetzungen Stadium IV nach Fontaine
(Operabilität des Patienten und Verschlusslokalisa-
tion) für eine chirurgische Therapie vorliegen. Die • Wundheilungsstörungen durch Diabetes mellitus
Stadien 111 und IV einer pA VK nach Fontaine stellen • Durchblutungsstörungen des Stumpfes: evtl. hö-
Operationsindikationen dar. Operationsindikatio- here Amputation notwendig
nen im Stadium II einer pA VK müssen individuell • Hautinfektionen (Mykosen), Hyperkeratosen,
gestellt werden. Schlechte periphere Abflussverhält- Ekzeme
nisse bei Mehretagenverschluss schränken die Mög- • Phantomschmerz
lichkeit zur operativen Gefäßrekonstruktion häufig • Druckläsionen durch nicht genügend abgerunde-
ein. Beim Vorliegen einer Mediasklerose und te Kanten des Knochenstumpfes
schlechtem Blutabfluss verschlechtert sich die Pro-
gnose.
738 KAPITEL 16 Glukose
60
50
40 o Diabetiker
% 30
• Nichtdiabetiker
20
10
Abb.16-108.
Häufigkeit der Amputationen gegliedert
0
nach Etagen bei Diabetikern und Nicht-
Oberschenkel Unterschenkel Vorfuß Zehe diabetikern. (Mod. nach Staudl, Diabetes
Amputationslokalisation und Stoffwechsel, 1996)
16.12.1 16.12.2
Fallpräsentation Epidemiologie
Eine 22-jährige Patientin mit einem seit IS Jah- Die diabetische Retinopathie ist die häufigste mikro-
ren bestehenden Typ- I-Diabetes stellte sich im vaskuläre Komplikation des Diabetes.
Rahmen einer Kontrolluntersuchung in der Dia-
betesambulanz vor. Seit 3 Jahren war keine Fun- • Typ-I-Diabetes. Nach 15-20jähriger Diabetes-
dauer entwickeln 80-100 % aller Typ-1-Diabetiker
duskontrolle in Mydriasis durchgeführt worden.
Die Patientin hatte keine Sehverschlechterung ei.ne diabetische Retinopathie. Allerdings können
b1s zu I 0 % der Typ-1-Diabetiker innerhalb der
bemerkt. Die Fundusphotographie in Mydriasis
zeigte das in Abb. 16-109 dargestellte Bild des ersten 4 Jahre bereits eine Retinopathie entwickelt
haben. Die meisten Typ-1-Diabetiker entwickeln
rechten Auges (3 -Teilausschnitt von Papillen -
und Makularegion). Teils runde, teils etwas un-
regelmäßig begrenzte kleinste rote Läsionen wa -
ren erkennbar. Diese Veränderungen entspre-
chen Mikroaneurysmen und Punktblutungen.
Es handelte sich somit um eine diabetische Re-
tinopathie Stadium 1.1 (milde nichtproliferative
diabetische Retinopathie). Weitere Befunde wa-
ren: RR 1I5/75 mmHg, keine klinischen und
elektrophysiologischen Anhaltspunkte für eine
diabetische Neuropathie, keine Stenosegeräu-
sche über den Karotiden; unauffälliges Ruhe-
EKG und Echokardiogramm; Laborbefunde:
HbA 1c 9,1 %, aktueller postprandialer Blutzuk-
ker 140 mgldl, Urinausscheidung von 15 g Glu-
kose im 24-h-Sammelurin, Albuminurie von
6 mg/24 h, Gesamtcholesterin und Triglyzeride
im Normbereich. Die Patientin wurde in einem Abb.16-109. Diabetische Retinopathie Stadium 1.1 mild
(Mikroaneurysmen)
16.12 Diabetische Retinopathie 739
zwischen dem 5. und 15. Jahr der Erkrankung eine Epidemiologie der diabetischen Mikroangiopathie
Retinopathie. Bei Kindern und Adoleszenten verge-
hen in der Regel9 Jahre, bis erste Retinaveränderun- • Typ-1-Diabetes
gen auftreten. Vor dem 10. Erkrankungsjahr ist der selten vor dem 5. Erkrankungsjahr und vor der
Übergang in die proliferative Form der Retinopathie Pubertät
selten, anschließend beträgt die 10-Jahresinzidenz höchste Inzidenz zwischen dem 8. und 15. Er-
der Progression zur proliferativen Retinopathie krankungsjahr
ca. 30 o/o. Die kumulative Inzidenz der proliferativen Prävalenz 80-100 o/o nach 20 Jahren Diabetesdau-
diabetischen Retinopathie bei Typ-1-Diabetikern er
beträgt 60 o/o. Das ErbEndungsrisiko von Typ-I-Dia- • Typ-2-Diabetes
betikern gegenüber altersgleichen Nichtdiabetikern bei Diagnosestellung 5-19 o/o nichtproliferative
ist verheerend und beträgt bis zum 60. Lebensjahr Retinopathie
das 10- bis 30-fache. Jährlich erblinden in Deutsch- Prävalenz nach 20 Jahren Diabetesdauer ca. 80 o/o
land ca 10.000 Patienten mit Diabetes. (insulinbehandelt) bzw. 60 o/o (nicht-insulinbe-
handelt)
• Typ-2-Diabetes. Bereits zum Zeitpunkt der Dia- Anteil mit proliferativer Retinopathie 20 o/o (in-
gnosestellung hat fast jeder 5. Patient mit Typ-2- sulinbehandelt) bzw. 10 o/o (nicht-insulinbehan-
Diabetes Zeichen einer diabetischen Retinopathie. delt)
Bereits bei Patienten mit gestörter Glukosetoleranz
ist eine Retinopathie in mehr als 10 o/o der Fälle fest-
stellbar. Nach 20-jähriger Diabetesdauer haben
ca. 80 o/o der insulinbehandelten und ca. 60 o/o der 16.12.3
nichtinsulinbehandelten Typ-2-Diabetiker eine Re- Pathogenese
tinopathie entwickelt. Eine proliferative diabetische
Retinopathie haben nach dieser Zeit von den insu- Die nichtproliferative diabetische Retinopathie ist
linbehandelten Patienten ca. 20 o/o und von den gekennzeichnet durch die Kombination aus
nichtinsulinbehandelten ca. 10 o/o eine proliferative • gesteigerter Gefäßpermeabilität und
Retinopathie. Innerhalb von 10 Jahren wird erfah- • progressivem Gefäßverschluss.
rungsgemäß jeder 4. insulinbehandelte und ca. jeder
10. nichtinsulinbehandelte Patient eine proliferative Die folgende Gegenüberstellung fasst die fundusko-
Retinopathie haben und ca. 4-5 o/o erblindet sein. pisch sichtbaren Auswirkungen dieser beiden Ver-
Mit steigendem Lebensalter nimmt das Risiko, an änderungen auf die Retina zusammen.
einer diabetesbedingten Augenerkrankung zu er- Die histologisch zu beobachtenden Kapillarver-
blinden ab, weil der Anteil nichtdiabetischer ErbliD- änderungen sind daraus ersichtlich.
dungsursachen (wie z. B. die altersabhängige Maku-
ladegeneration) steigt (s. folgende Übersicht und
Abb. 16-110).
Relatives Risiko
35,-------------------------------------------------,
30
25
20
15
10
Alter (Jahre)
Abb. l6-110. Altersabhängigkeit des Erblindungsrisikos von Diabetikern. (Nach Trautner u. Jcks 1996)
740 KAPITEL 16 Glukose
Normal
Abb.l6-ll2.
Seheindruck bei verschiedenen Augener-
Myopie Proliferative diabetische Retinopathie krankungen im Vergleich zur proliferati-
ven diabetischen Retinopathie
Abb.16-113. Diabetische Retinopathie Stadium 1.1: mild Abb. 16-115. Diabetische Retinopathie Stadium 1.1 : schwer
(Mikroaneurysmen) (IRMA; "intraretinal microvascular abnormalities")
Abb.16-114. Diabetische Retinopathie Stadium 1.1: mäßig Abb.l6-116. Diabetische Retinopathie Stadium 1.2: Papillen-
(perlschnurartige Venen) proliferation
16.12 Diabetische Retinopathie 743
• Hämorrhagische Zentralvenenthrombose
• Hypertensive Retinopathie
• Strahlenretinopathie
• Okuläre Ischämie bei Carotis-Interna-Stenose
• Retinopathie bei Sichelzell-Anämie
I • Retinopathie bei Sarkoidose
16.12.7
Therapie
200
l f;O
01
r
E
·: c~
E
0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40
a t (Monate)
10
8
~ 6
'tr
~
<{
Ll
4
I
2
0
0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40
b t (Monate)
1400
1200
1----+- Albu minuri e I
1000
'6 800
.....
01
E 600
400 Abb. 16-119a-c.
Verlauf a des Bl utdrucks, b des HbAlc und c der
200 Albuminausscheid ung bei dem Patienten nach
0 Einle itung einer inte nsivierten Insulintherapie und
0 6 12 18 24 36 40 einer intensivierten antihypertensiven Therapie.
RRsyst arterieller Blutdruck, systolisch, RRdiast
c t (Monate) arterieller Blutdruck, diastolisch
16.13.2
Definition 16.13.3
Epidemiologie
Die diabetische Nephropathie ist eine diabetische
Folgeerkrankung, die sowohl bei Typ-1-, als auch Die diabetische Nephropathie ist einer der Haupt-
bei Typ-2-Diabetes auftritt. Histologische Merkmale gründe für Morbidität und Mortalität bei Patienten
sind die frühe Entwicklung einer glomerulären und mit Diabetes mellitus und ist zur häufigsten Ursache
tubuloepithelialen Hypertrophie, die von einer Ba- der terminalen Niereninsuffizienz in den westlichen
salmembranverdickung und zunehmender Anhäu- Industrienationen geworden. Etwa 30-40 % aller
fung an extrazellulärer Matrix (Kollagen Typ 4, La- Diabetiker entwickeln eine diabetische Nephropa-
minin, Fibronektin) im glomerulären Mesangium thie. 10-50% der Typ-1- und Typ-2-Diabetiker (je
16.13 Diabetische Nephropathie 747
nach Studie) entwickeln innerhalb von 10 Jahren zur Entwicklung einer diabetischen Nephropathie
und 20-80 o/o nach 18 Jahren ein terminales Nieren- bei. Es soll im Folgenden auf die pathophysiologi-
versagen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass das schen Mechanismen eingegangen werden, die zur
Risiko für die Entwicklung einer diabetischen Ne- Ausbildung einer diabetischen Nephropathie füh-
phropathie für Typ-1- und Typ-2-Diabetiker ver- ren. Die aufgeführten Punkte können nicht unab-
gleichbar hoch ist. Im Raum unterer Neckar wurden hängig voneinander betrachtet werden, sondern sol-
im Jahr 1994/95 pro 1 Mio Einwohner 125 dialyse- len als ein ineinander greifendes System verstanden
pflichtig. Von diesen Patienten waren 52 (42 o/o) Dia- werden, welches sich wechselseitig beeinflusst und
betiker. Der Anteil der Typ-2-Diabetiker an der Ge- letztlich zu einer renalen Schädigung führt.
samtzahl der Diabetiker betrug 90 o/o. (s. folgende
Übersicht).
Hyperglykämie
Hyperglykämie führt zur Aktivierung von zellulären
Gründe für die zunehmende Zahl
Signaltransduktionssystemen. Hyperglykämie führt
an dialysepflichtigen Typ-2-Diabetikern
zur vermehrten Synthese von Diacylglycerol und
zu einer Aktivierung von Proteinkinase C (PKC).
• Höhere Prävalenz an Typ-2-Diabetes
Es kommt zu einer Aktivierung des Aldosereduk-
e Zunehmendes Durchschnittsalter der Bevölke- tase-Polyol-Pathways, zu einem veränderten Myo-
rung mit höherer Prävalenz an Typ-2-Diabetes
inositol und Glykosphingolipidmetabolismus sowie
und höherer Prävalenz an arterieller Hypertonie
zur vermehrten Bildung extrazellulärer Matrixpro-
• Höhere Überlebenswahrscheinlichkeit der Diabe-
teine und zu renal-tubulärem Hypermetabolismus.
tiker bzgl. kardiavaskulärer Komplikationen (Zu-
Die Heparansulfatsynthese ist herabgesetzt, die
nahme der Zahl der Langzeitdiabetiker)
VEGF-Bildung wird induziert. Es kommt zu einer
• Größere Häufigkeit der Zuweisung zur Dialyse
Induktion von oxidativem Stress. Erhöhte Glukose-
spiegel und Angiotensin II (AT-II) aktivieren ähn-
Prädiktoren, die ein erhöhtes Risiko für die Entwick- liche intrazelluläre Transduktionssysteme (wobei
lung einer diabetischen Nephropathie darstellen, das Renin-Angiotensin-System seinerseits durch
sind in folgender Übersicht zusammengefasst. Hyperglykämie aktiviert wird), deren gemeinsamer
"Downstream-mediator der Transforming-Growth-
Prädiktoren für ein erhöhtes Risiko für die Faktor-ß" (TGF-ß) ist (s. folgende Übersicht).
Entwicklung einer diabetischen Nephropathie Eine Aktivierung von TGF-ß durch oben genannte
Mechanismen führt in der Niere zu einer tubuloepi-
• Genetische Faktoren (familiäres Clustering, thelialen Zellhypertrophie und zu einer vermehrten
männliches Geschlecht) Bildung extrazellulärer Matrixproteine (Kollagen
• Schlechte Blutzuckereinstellung Typ 4, Fibronektin). Zusätzlich wird die Degradati-
• Hypertonie on neusynthetisierter Matrixproteine durch eine
• Fortgeschrittenes Alter vermehrte Synthese an Proteaseninhibitoren und
• Mikroangiopathie (Retinopathie) eine verminderte Synthese an Proteasen blockiert.
e Makroangiopathie (KHK, pAVK) Es kommt schließlich zur Ausbildung einer Fibrose
• Hyperlipidämie und Sklerose. In Erprobung sind TGF-ß-Antikörper,
• Rauchen die im Tiermodell zu einer Inhibition der Sklerose in
• Hyperhomocysteinämie (fraglich) diabetischen Tieren führen und möglicherweise eine
Therapieoption der Zukunft darstellen.
Heparansulfat ist der wichtigste Ladungsträger der trationsdrucks in den Glomeruli. Die Kontraktion
glomerulären Basalmembran und reguliert die des Mesangiums und der Podozyten führt ebenfalls
Wachstumseigenschaften glatter Muskelzellen (im zu einer Zunahme der Permeabilität und damit zu
Gefäßsystem). Eine gestörte Heparansulfatsynthese einer Verstärkung der Albuminurie und Proteinurie.
ist in diabetischen Nieren seit langem bekannt. Diese Weitere AT-II-Wirkungen sind eine Stimulation der
führt über eine Abnahme der negativen Ladungen proximalen Natrium-, Bikarbonat- und Wasserab-
zu einer erhöhten Permeabilität für negativ geladene sorbtion, was zur Verstärkung einer arteriellen Hy-
Proteine (Albumin). Für dieses Konzept spricht pertonie führt. Außerdem erfolgt durch AT-11 eine
auch der therapeutische Effekt einer Heparinthera- Stimulation des proximalen Glukosetransports
pie auf den Verlauf einer diabetischen Nephropa- und der Glukoneogenese, was zu einer Verschlech-
thie. In einer 1996 an Typ-I-Diabetikern mit diabe- terung einer diabetischen Stoffwechsellage führt.
tischer Nephropathie durchgeführten Studie kam es
unter Therapie mit niedermolekularem Heparin zu
Genetische Prädisposition
einem Abfall der Albuminexkretionsrate. Die weite-
Eine genetische Prädisposition ist für die Entwick-
re Auflockerung der Kollagenstruktur führt zu einer
lung einer diabetischen Nephropathie von Bedeu-
Erweiterung des Gerüsts und zu einer unselektiven
tung (familiäre Häufung der diabetischen Nephro-
Proteinurie (Endstadium der diabetischen Nephro-
pathie bei Typ- I- und-Typ-2-Diabetikern). Untersu-
pathie). Darüber hinaus kompetitiert die zuneh-
chungen an Kindern von Eltern mit Typ-2-Diabetes
mende Produktion an extrazellulärer Matrix mit
und diabetiseher Nephropathie zeigten eine 83 o/oige
der ohnehin reduzierten Heparansulfatsynthese,
Prävalenz der Entwicklung einer Nephropathie ver-
wodurch es zu einer weiteren Abnahme der Dichte
glichen mit einer Prävalenz von 17 o/o bei Kindern
negativer Ladungsträger an der glomerulären Basal-
diabetiseher Eltern, die nicht an einer Nephropathie
membran kommt.
litten. Seit langem wird ein Zusammenhang zwi-
schen den Insertions/Deletions-Polymorphismus
(1/D, Deletion oder Insertion einer 287 bP Alu repe-
Renin-Angiotensin-System
titiven Sequenz im Intron 16) im "Angiotensin-con-
Angiotensin II (AT-11) ist ein pluripotentes Zytokin,
verting-enzyme(ACE)-Gen" und dem Auftreten
das neben der seit langem bekannten Vasokonstrik-
einer diabetischen Nephropathie diskutiert, der je-
torischen Potenz eine Vielzahl weiterer Eigenschaf-
doch nicht von allen Arbeitsgruppen bestätigt wer-
ten besitzt. AT II ist nicht nur vasoaktiv, sondern ist
den konnte. Ein anderer Aspekt ist die Beobachtung,
auch ein Wachstumsfaktor und agiert als ein profi-
dass in Erythrozyten und Fibroblasten der Na+/Li+
brinogenes Peptid u. a. in renalen Zellen. Die AT-II-
Gegentransport bei Typ-I-Diabetikern gestört ist.
Wirkungen werden über spezifische Rezeptoren ver-
Dieser Mechanismus ist ein Marker für den Natri-
mittelt (Angiotensinrezeptor Typ I und 2: ATRI,
umprotonenaustausch, der wiederum bei essenziel-
ATR2), wobei die Mehrzahl der bekannten Funktio-
ler Hypertonie gesteigert ist und damit Hinweise auf
nen über ATRI vermittelt werden. In der Niere sind
ein erhöhtes renales Risiko liefert. Vielleicht wird es
90 o/o der AT-li-Rezeptoren (u. a. auf glomerulären
künftig möglich sein, Hochrisikoträger mit moleku-
Mesangialzellen und tubulären Epithelzellen) vom
larbiologischen Methoden zu ermitteln.
ATRI-Typ und 10 o/o vom ATR2-Typ. Ein Merkmal
der diabetischen Nephropathie ist die Albuminurie/
Proteinurie. Für das Ausmaß der Proteinurie ist ne- Induktion von oxidativem Stress
ben den Eigenschaften des Basalmembranfilters (ne- Hyperglykämie, AGE-Proteine, AT-11 und Hyper-
gative Ladungen, Veränderungen durch Glykierung) lipidämie sind pathogenetische Faktoren in der Ent-
der Blutdruck verantwortlich. Der Glomerulus rea- stehung einer diabetischen Nephropathie und gelten
giert durch eine Feineinstellung des Widerstandes in als Induktoren von oxidativem Stress. Es existiert
den prä- und postglomerulären Gefäßen auf sy- bei Diabetikern eine positive Korrelation zwischen
stemische Blutdruckschwankungen und sichert so der Blutzuckereinstellung und oxidativem Stress
konstante Blutdruckverhältnisse in seinen Kapilla- (V orhandensein freier Sauerstoffradikale). Eine
ren. Beim Diabetiker ist dieser Autoregulationsme- mögliche Folge ist eine Aktivierung des Transkrip-
chanismus gestört, das Renin-Angiotensin-System tionsfaktors NF-KB. Dieser Transkriptionsfaktor
ist aktiviert. Das Vas efferens reagiert auf AT-II kontrolliert die Aktivierung verschiedener Targetge-
empfindlicher als das Vas afferens, wodurch es zu ne, wie Zytokine, Nitritoxidase, Endothelin I, Tissue
einem Anstieg des Filtrationsdrucks in den Glome- factor, sowie die Leukozytenadhäsion und könnte
ruli kommt. Hinzu kommt ein systemischer Anstieg auf diesem Wege an der Entstehung einer diabeti-
des Blutdrucks und eine Kontraktion des Mesang- schen Nephropathie beteiligt sein. In Abb. 16-120
iums. Dies führt zu einer weiteren Zunahme des Fil- sind verschiedene pathophysiologische Mechanis-
16.13 Diabelische Nephropathie 749
Erhöhter
+ +
intraglomerulärer Druck Glykiertes Album in Hyperglykämie
I
+
j
(Inhibition
Oxidativer Stress durch Insulin)
Inhibition durch Antioxidanzien
Glomeruläre Dehnung
't
Zellschädigung
~
AGE·Proteine
(lnhibitidn durch
Aminoguanidin) Abb.l6-l20.
Zytokinfreisetzung / Übersicht über verschiedene patho-
physiologische Mechanismen, die
zur Ausbildung einer diabetischen
•
EZM-Produktion, Sklerose, Entzündung
Nephropathie führen können. EZM
extrazelluläre Matrix
men, die zur Ausbildung einer diabetischen Nephro- kardiovaskulären Risikofaktoren gekennzeichnet.
pathie führen können, in einer vereinfachten Weise Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Albuminu-
dargestellt. rie ein von Serumkreatin in und Blutdruck unabhän-
gigen Parameter für die Progression einer Nierenin-
suffizienz darstellt. Im fortgeschrittenen Stadium
16.13.5 der diabetischen Nephropathie fällt die GFR konti-
Klinik nuierlich über mehrere Jahre ab. Man geht bei un-
behandelter diabetiseher Nephropathie von einem
Symptome und Verlauf jährlichen Abfall der GFR von 10-20 ml!min aus.
Initial imponiert laborchemisch zunächst die Mikro- Eine diabetische Nephropathie und eine arterielle
albuminurie, die sich im weiteren Verlauf zu einer Hypertonie beeinflussen sich wechselseitig, wobei
Makroalbuminurie und schließlich zu einer unselek- beim Typ-I-Diabetiker die Hyperglykämie zu den
tiven Proteinurie steigern kann. Es kommt im fort- beschriebenen Nierenveränderungen führt, auf de-
geschrittenen Stadium zum Abfall der initial gestei- ren Grundlage sich dann eine sekundäre Hypertonie
gerten glomerulären Filtrationsrate (Tabelle 16-30; aufpfropft, die wiederum die Progression einer dia-
Abb. 16-12la, b) und zu einem Anstieg des Serum- betischen Nephropathie beschleunigt. Beim Typ-2-
kreatinins und Harnstoffs. Die diabetische Nephro- Diabetiker liegen im Rahmen des metabolischen
pathie ist ferner durch eine arterielle Hypertonie Syndroms Diabetes mellitus und Hypertonie meist
sowie eine hohe Morbidität und Mortalität an gleichzeitig vor und wirken synergistisch schädigend
Tabelle 16-30. Entwicklungsstadien der diabetischen Nephropathie. (Mod. nach Mogensen 1992}
Stadien I, Hyperfunktion II, klinische 111, beginnende IV, klinisch manifeste V, terminale
Latenz Nephropathie Nephropathie Niereninsuffillicnz
10
11
I
.r:.
'<t
(\J
...... 0,1
Cl
w
<(
0,01
0~ ~~~--~~--~~-~--~~~--~~~~
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 2) 22 24 26 28
a t (Jahre)
160
140
120
...c:
(\J
100
<:<:
"c
......
~
80
:§
E
a: 60
u.
C)
Abb.l6-12la, b.
40 a Verlauf der diabetischen Nephropathie
(Verlauf der glomerulären Filtrationsrate und
Albuminexkretion). Die Entwicklung einer
Mikroalbuminurie hin zu einer Makroal-
20 buminurie findet viele Jahre vor Abfall der
glomerulären Filtrationsrate/GFR statt.
AE Albuminexkretionsrate. (Mod. nach
Molitch et al. 1996).
0 b Verlauf der diabetischen Nephropathie
(Verlauf der glomerulären Filtrationsrate
0 4 6 8 14 18 20 22 26 und Albuminexkretion). GFR glomeruläre
Filtrationsrate. (Mod. nach Molitch et al.
b I (Jahre) 1996)
16.13 Diabetische Nephropathie 751
L __ _ _ _ _ _ w_e_n_n_n~e_g_a_tiv------~~ ~~------W--en_n,p_o_s_iti_v______~
Abb.l6-l22.
Diabelische Nephropathie Flussschema zur Diagnostik einer
diabetischen Nephropathie
90
80
~ 70
~
N
60
c 50
Ql
~ 40
·~ 30
a..
20
10
0 -----.
keine Proteinurie Nierenversagen
a Proteinurie
100
90
80
~ 70
~
N
60
c
Ql 50
tij
> 40
:~
a.. 30
20 J
10
0 Abb.16-123a,b.
Prävalenz des Auftretens an Hypertonie nach
kei ne Proteinurie Nierenversagen den WHO-Kriterien bei Typ-!- und Typ-2-
b Proteinurie Diabetikern. (Mod. nach Ritzet al. 1996)
16.13.8
16.13.7 Therapie
Differentialdiagnose
Durch gute Blutzucker- und Blutdruckeinstellung
Die Diagnose ist beim Typ-I-Diabetiker und fehlen- kann das Risiko der Entwicklung einer diabetischen
den Begleiterkrankungen relativ leicht zu stellen. Nephropathie vermindert werden. Ist eine diabeti-
Beim Typ-2-Diabetiker treten häufiger renale Be- sche Nephropathie bereits eingetreten, ist sie im Sta-
gleiterkrankungen auf, die eine sichere Diagnose er- dium der Mikroalbuminurie bei konsequenter The-
schweren können. Zu den Erkrankungen, die die rapie noch reversibel. Bei fortgeschrittener diabeti-
Symptome einer diabetischen Nephropathie ver- seher Nephropathie kann noch eine Verlangsamung
schleiern können, zählen die verschiedenen Formen der Progression erreicht werden. Es gibt 3 Grund-
der Glomerulonephritiden (insgesamt jedoch seltene pfeiler einer optimalen Therapie und Prävention:
Koinzidenz, Differentialdiagnose durch Bestimmung • optimale Stoffwechseleinstellung,
von Urinstatus, Erythrozytenzylinder, progredienter • konsequente antihypertensive Therapie,
Funktionsverlust der Niere, schneller Anstieg der • eiweißreduzierte Kost bei bereits eingetretenem
Retentionswerte), Amyloidose, Stauungsniere etc. renalem Funktionsverlust.
754 KAPITEL I6 Glukose
Abb.I6-I24a.
Primärprävention, 726 Patienten ohne Reti-
nopathie zu Beginn der Studie: kumulative
Inzidenz des Auftretens einer Urinalbumi-
nexkretion > 300 mg/24 h (gestrichelte Linie)
und > 40 mg/24 h (durchgezogene Linie) bei
Typ-I-Diabetikern mit intensivierter (•)
oder konventioneller Therapie (6 ). Das
mittlere Risiko der Entwicklung einer Mi-
kroalbuminurie wird bei intensivierter
Therapie um 34 o/o gesenkt (p < 0,04).
HbAic konventionell: 8,8 ± I,7 %, intensi-
viert: 8,8 ± I,6 %. (Mod. nach The Diabetes
Control and Complications Trial Research
Group I993)
45 1
40 1
Abb.I6-I24b.
35 · Sekundärprävention, 7IS Patienten mit zu
c: Beginn bestehender Retinopathie: kumula-
$ :I) 4 tive Inzidenz des Auftretens einer Drinal-
c:
buminexkretion > 300 mg/24 h (gestrichelte
25 J
Q)
·~
c.. Linie) und > 40 mg/24 h (du rchgezogene
I Linie) bei Typ-I-Diabetikern mit intensivi-
c 2Q J
iI
Q) erter (• ) oder konventioneller Therapie (.6).
e
N
Patienten mit Albuminexkretion > 40 mg/
c.. 15 24 h zu Beginn wurden ausgeschlossen.
10 • Das mittlere Risiko der Entwicklung einer
Albuminurie reduziert sich um 56 o/o
5< (p = O,OI) bei intensivierter Insulintherapie,
.. n . . " . · n -· n - · "._._-~ ·-·.~ . · • · · • · ·• · · • · · • · ·• · · • .. • verglichen mit konventioneller Insulinthe-
rapie. HbAic konventionell 8,9 ± 1,5 %,
25 35 45 5,5 6,5 7,5 8,5 9 ,5 Intensiviert 9 ± 1,5 %. (Mod. nach The
Diabetes Control and Complications Trial
b Studienjahre Research Group I993)
16.13 Diabelische Nephropathie 755
das Risiko für Typ-2-Diabetiker mikrovaskuläre eher Patientenkollektive sind besser und im "Follow
Folgeerkrankungen zu erleiden durch eine strenge up" mit einer geringeren Mortalitätsrate verbunden
Blutzuckereinstellung reduziert werden kann. Die (Tabelle 16-31). Auch bei bereits entwickelter diabe-
Blutzuckereinstellung mit Sulfonylharnstoffen, In- tischer Nephropathie führt eine konsequente antihy-
sulin oder Metformin war einer rein diätetischen pertensive Therapie zu einer Stabilisierung der rena-
Einstellung bezüglich mikrovaskulärer Folgeerkran- len Situation. Das initiale Ausmaß der Proteinurie
kungen (gesamt 25 o/o Risikoreduktion, diabetische vor Behandlungsbeginn reflektiert das Ausmaß
Nephropathie, diabetische Retinopathie) überlegen. der glomerulären Basalmembranschädigung und
-Mittlerer HbA 1c nach 10 Jahren bei konventionel- korreliert mit der Effektivität der antihypertensiven
ler diätetischer Einstellung 7,9 %, unter Therapie Therapie. Der Beginn einer antihypertensiven The-
mit Chlorpropamid 6,7 o/o, Glibenclamid 7,2 o/o rapie sollte nach Meinung einiger Autoren bereits
und Insulin 7,1 o/o. - Vergliehen mit einer rein diä- bei Blutdruckanstiegen im Normbereich erfolgen
tetischen Einstellung fand sich bei medikamentöser (24-h-Blutdruckmessung). Spätestens aber sollte
Einstellung eine Risikoreduktion für das Eintreten eine antihypertensive Therapie bei Auftreten einer
von Albuminurie und Proteinurie. Die Reduktion Mikroalbuminurie eingeleitet werden (auch ohne
des relativen Risikos für eine Verdoppelung des Vorliegen einer manifesten arteriellen Hypertonie
Plasmakreatinins betrug 67 %, für eine Verdopplung > 130/80). Die glomeruläre Filtrationsrate verringert
des Plasmaharnstoffs 74 %. Bei der Wahl der medi- sich bei Blutdruckwerten von 150/90 (mittlerer arte-
kamentösen Therapie ist unbedingt zu beachten, rieller Blutdruck 110 mmHg) jährlich um 9 ml!min.
dass Metformin bei Niereninsuffizienz kontraindi- Eine Senkung auf 120/75 (mittlerer arterieller Blut-
ziert ist und somit beim Typ-2-Diabetiker durch druck 90 mmHg) führte in einer Studie von
ein anderes Präparat ersetzt werden muss. Die Ne- Peterson et al. (1995) an Nichtdiabetikern mit Nie-
phropathie ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand reninsuffizienz zu einem Rückgang des Abfalls auf
keine Indikation zum Umsetzen eines Typ-2-Diabe- 3 ml!min. Dies würde die Einleitung einer Dialyse
tikers von einer oralen antidiabetischen Therapie um 10-20 Jahre verzögern. Als Faustregel gilt,
auf eine Insulintherapie. dass ein diastolischer Blutdruck zwischen 60 und
70 mmHg als optimal hinsichtlich der Verzögerung
der Progression einer diabetischen Nephropathie
Antihypertensive Therapie
anzusehen ist. Folgende Übersicht fasst zusammen,
Neben einer guten Stoffwechseleinstellung ist eine
ab welchem Zeitpunkt mit einer antihypertensiven
konsequente antihypertensive Therapie entschei-
Therapie bei Typ-1- und Typ-2-Diabetikern begon-
dend, die in Kombination mit einer guten Blutzuk-
nen werden sollte.
kereinstellung die Entwicklung einer diabetischen
Nephropathie verhindern kann. Bei bereits eingetre-
Beginn der antihypertensiven Therapie
tener diabetiseher Nephropathie werden die Überle-
bei Patienten mit Diabetes mellitus
bensraten entscheidend verbessert und die Nieren-
funktion sowohl bei Typ-1-, als auch bei Typ-2-Dia-
• Manifeste arterielle Hypertonie (RR > 135/85)
betikern stabilisiert (Abb. 16-125). Bei den Patienten
• Mikroalbuminurie ohne/mit Hypertonie
sollte eine intensivierte antihypertensive Therapie
• Makroalbuminurie
erfolgen, d. h. eine antihypertensive Therapie, die
• 24-h-Blutdruck: Blutdruckanstieg im Normbe-
häufige Selbstmessungen und auch eine Selbstein-
reich (z. B. von 125/75 auf 130/80) in der 24-h-
stellung der Therapie durch den Patienten selbst
Blutdruckmessung, fehlende nächtliche Blut-
vorsieht (nach intensiver Schulung und bei guter
druckabfälle
Kompliance des Patienten). Die Blutdruckwerte sol-
Tabelle 16-31. Überlebensraten von Patienten (Typ-I-Diabetiker) mit konventioneller antihypertensiver Therapie und inten-
sivierter antihypertensiver Therapie. (Mod. nach Sawicki et al. 1995)
0 100 100
40 80 90
70 70 90
90 60 60
756 KAPITEL 16 Glukose
300
250
200
~
'<t
~
150
.9
Ql
·;:;
::J 100
c:
"Q)
e
a.. Placebo
Abb.l6-125a.
Entwicklung der Proteinurie während einer
50 5-jährigen Follow-up-Studie, die an Typ-I-
- - - Enapril Diabetikern durchgeführt wurde, die ein
Placebo-Präparat erhielten oder antihyper-
tensiv mit Enalapril behandelt wurden. Die
0 Daten entsprechen dem Mittelwert aus 3-4
0 2 3 4 5 Bestimmungen jährlich. (p < 0,05 für das 2.
Jahr, p < 0,01 für das 3. Jahr und p < 0,05 für
a t (Jahre) das 5. Jahr). (Mod. nach Ravid 1993)
Placebo
90
80
70
c
.E 60
Cn
-3 50
Ql
·;::
::J
c: 40
.E
::J
.c 30
<i:
20 Abb.l6-125b.
Verlauf der Albuminurie während einer
5-jährigen Follow-up-Studie, durchgeführt
10 an Typ-2-Diabetikern, die entweder anti-
hypertensiv mit Enalapril oder einem
0 Placebo behandelt wurden. Jeder Punkt
0 2 3 4 5 entspricht dem Mittelwert aus 3-4 Bestim-
mungen pro Jahr (p < 0,001). (Mod. nach
b t (Jahre) Kennefick et al. 1997)
• Wahl der antihypertensiven Therapie. ACE- len wird reduziert, die Glomerulumgröße vermin-
Hemmer stellen bei Fehlen von Kontraindikationen dert, die Ausziehung und Abflachung der epithelia-
Medikamente der ersten Wahl in der Behandlung len Fußfortsätze verbessert, die intrazelluläre Ma-
einer diabetischen Nephropathie dar. ACE-Hemmer trixexpression, die Plättchenaggregation und die
senken neben dem systemischen, auch den lokal- TGF-ß-Bildung vermindert. Nach Einleitung der an-
glomerulär-transkapillären Druck, insbesondere tihypertensiven Therapie mit ACE-Hemmern kann
durch Hemmung der Angiotensin-11-Wirkung an es initial zu einem Abfall der GFR in den ersten 6
der efferenten Arteriole. Diese wird dilatiert, es Monaten kommen, längerfristig kommt es jedoch
kommt zur Senkung des intraglomerulären Filtrati- zu einer Stabilisierung der GFR (dies gilt auch für
onsdrucks. Außerdem schützen ACE-Inhibitoren nicht-diabetische Nephropathien). Ob auch Angio-
die selektive Ladungsdichte von Heparansulfat tensinrezeptorblocker (Blockade des Typ-1-Rezep-
und damit die natürliche Barrierefunktion des Glo- tors für Angiotensin II), eine ähnliche Wirkung
merulum. Die Einschwemmung von Makromolekü- wie ACE-Inhibitoren haben ist nicht endgültig gesi-
16.13 Diabetische Nephropathie 757
chert, erste Untersuchungen weisen aber auf ein Antihypertensive Therapie beim Diabetiker
ähnliches Wirkprofil hin. Über den Einsatz dieser unter Berücksichtigung der Begleiterkrankungen
Medikamente beim normotensiven Diabetiker mit (Ziel < 130/85)
Mikroalbuminurie liegen jedoch noch keine genü-
genden Erfahrungen vor. Diese Medikamentengrup- e Ohne Begleiterkrankungen (insbesondere ohne
pe stellt jedoch eine therapeutische Alternative ge- KHK, hauptsächlich Typ-1-Diabetiker): gleiche
genüber den ACE-Inhibitoren dar, insbesondere Gesichtspunkte wie bei essenzieller Hypertonie,
scheint die Nebenwirkungsrate geringer zu sein. möglicherweise sind ACE-Hemmer von Vorteil
(Selteneres Auftreten des als sehr lästig empfunde- e Mit Mikroalbuminurie: ACE-Hemmer und Kalzi-
nen Reizhustens.) Es wird noch kontrovers disku- umantagonisten sind Mittel der 1. Wahl; diese
tiert, ob ACE-Hemmer einen renoprotektiven Effekt können bei mangelndem Ansprechen auch kom-
besitzen, der über den blutdrucksenkenden Effekt biniert werden, ggf. kann ein 3. Antihypertoni-
herausgeht. Einige der durchgeführten Studien wei- kum dazugegeben werden
sen auf eine Überlegenheit der ACE-Inhibitoren ge- • Mit Makroalbuminurie: 1. Wahl: ACE-Inhibito-
genüber anderen antihypertensiven Medikamenten ren, ß-Blocker oder/und Kalziumantagonisten
wie Kalziumantagonisten [insbesondere Dihydropy- evtl. Kombination mit einem a-Rezeptorenblok-
ridintyp: Nifedipin (Adalat)] und ß-Blockern hin. In ker
einer Studie von Sawicki (1997) sowie Donnelly et al. • Mit Herzinsuffizienz: ACE-Inhibitoren in Kombi-
(1996) konnte ein überlegener Effekt der ACE-Hem- nation mit Diuretika und ggf. speziellem ß-Blok-
mer allerdings nicht nachgewiesen werden, Kalzi- ker (engmaschige Kaliumkontrollen)
umantagonisten vom Nichtdihydropyridintyp (Ver- • Mit koronarer Herzkrankheit: ACE-Hemmer, ins-
apamil) erwiesen sich gegenüber ACE-Hemmern als besondere nach Myokardinfarkt, kardioselekive
gleichwertig. Die UKPDS-Studie zeigte einen ver- ß-Blocker sind ebenfalls Medikamente 1. Wahl.
gleichbaren Effekt bei Typ-2-Diabetikern unter The- Diese Medikamente können auch, wenn zur
rapie mit ß-Blockern oder ACE-Hemmern hinsicht- suffizienten Senkung des Blutdrucks erforderlich,
lich der Reduktion des Risikos mikro- oder makro- kombiniert eingesetzt werden, ggf. zusätzliche
vaskuläre Folgeerkrankungen zu erleiden, sodass in Gabe eines Diuretikums.
der Behandlung der arteriellen Hypertonie bei Typ-
2-Diabetikern mit koronarer Herzerkrankung ß-
Blocker als Medikamente erster Wahl gelten dürfen.
• Kochsalzbeschränkung. Sowohl bei Typ-1- als
Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp (Nife-
auch bei Typ-2-Diabetikern ist das austauschbare
dipin, Nitrendipin) führen oft zur Vasodilatation im
Natrium deutlich erhöht, dies wird teilweise auf
Vas afferens bei fehlender Dilatation im Vas effe-
die natriumretinierende Wirkung von Insulin zu-
rens. Dies kann zu einem gesteigertem Filtrations-
rückgeführt (steigert die Natriumrückresorption
druck mit gesteigerter Proteinurie führen. Kalzium-
im renalen Tubulussystem). Der Hypertonus ist
antagonisten vom Nichtdihydropyridintyp (Diltia-
beim Diabetiker daher meist kochsalzsensitiv. Dies
zem, Verapamil) dilatieren auch Vas efferens und
gilt für Typ-1- und Typ-2-Diabetiker. Eine gestei-
scheinen diese unerwünschte Wirkung nicht zu ha-
gerte Kochsalzsensitivität findet sich auch beim me-
ben. Diese Medikamentengruppe reduziert jeden-
tabolischen Syndrom. Es sollte daher eine diäteti-
falls signifikant Blutdruck und Albuminurie und
sche Kochsalzrestriktion erfolgen (20 mmol Na/
stellt somit neben ACE-Hemmern und ß-Blockern
Tag).
ein Medikament der ersten Wahl in der Behandlung
einer diabetischen Nephropathie dar. Bei therapier-
esistenter arterieller Hypertonie können ACE-Hem- Eiweißreduzierte Kost
mer, ß-Blocker und Kalziumantagonisten auch Eine eiweißreduzierte Kost führt bei Typ-I-Diabeti-
kombiniert eingesetzt werden. Eine kombinierte kern mit diabetiseher Nephropathie zu einem ge-
Gabe hat, wie von Stefanski et al. (1995) gezeigt, ringerem Abfall der GFR in Verbindung mit einer
einen additiven Effekt. Die folgende Übersicht gibt Abnahme der Proteinurie. Eine "Restriktion" der
einen Überblick über die Wahl der antihypertensi- Eiweißzufuhr auf 0,8 g/kg/Tag (s. Übersicht) führt
ven Therapie beim Diabetiker unter Berücksichti- im Vergleich zu einer signifikant erniedrigten Pro-
gung der Begleiterkrankungen. teinausscheidung. - Eine Beschränkung der Eiweiß-
zufuhr auf 0,8 mglkg/Tag, stellt nur im Vergleich zur
sonst in den westlichen Länder üblichen exzessiven
Eiweißzufuhr eine Restriktion dar. - Der Effekt ist
unabhängig von der Beeinflussung des Blutdrucks
oder der Stoffwechselsituation.
758 KAPITEL 16 Glukose
Weitere Maßnahmen
• Lipidsenkende Therapie. Eine Dyslipidämie be-
schleunigt das Fortschreiten einer diabetischen Ne- 16.13.9
phropathie. Charakteristisch für die diabetische Therapiekontrollen
Dyslipidämie ist ein erhöhter Triglyzeridspiegel
und ein erniedrigtes HDL und stellt einen Prädiktor
eines schnelleren Fortschreitens einer diabetischen Therapiekontrollen bei diabetiseher Nephropathie.
Nephropathie dar. Es sollten zunächst diätetische Diagnostik durch den Arzt
Maßnahmen eingeleitet werden, um eine Normali-
sierung zu erzielen. Wenn dies nicht ausreicht, sollte • Jährlich:
eine zusätzliche medikamentöse lipidsenkende The- Labor: Harnstoff, Kreatinin, Urinsediment,
rapie erwogen werden (z. B. Fibrate bei gleichzeitig Urikult (bei Verdacht auf Harnwegsinfekt sofort,
normalem LDL-Cholesterin, bei erhöhtem LDL- bei rezidivierenden Harnwegsinfekten häufiger
Cholesterin eher Cholesterinsynthesehemmer). als einmal jährlich)
Klinische Untersuchung: Pulsstatus, Reflexstatus,
Vibrations- und Temperaturempfinden
Harnwegsinfekte Technische Untersuchungen: Visusbeurteilung,
Harnwegsinfekte treten beim Diabetiker gehäuft auf Fundusbeurteilung, Belastungs-EKG
und sind einer raschen Therapie zuzuführen. Rezi- • 1/2-jährlich:
divierende Harnwegsinfekte können aufsteigend zu • Albuminausscheidung bei bekannter Albumin-
Pyelonephritiden und zusätzlichen Nierenschädi- urie, 24-h-Blutdruckmessung
gungen führen. Man sollte eine fehlende Klinik • 1/4-jährlich:
bei gleichzeitig vorliegender diabetiseher Neuropa- HbA 1c, BZ, Gewichtskontrolle, Blutdruckmessung
thie beachten, weshalb regelmäßige Kontrollen des (wenn keine arterielle Hypertonie bekannt, sonst
Urinstatus angezeigt sind (Urikult, Leukozyturie, täglich durch den Patienten selbst)
Proteinurie). Bei Verdacht auf einen Harnwegsin-
fekt sollte notfalls eine Therapie eingeleitet werden,
ohne das Ergebnis einer Bakterienkultur abzuwar-
Davon abweichend sollte bei bereits eingetretener
ten.
diabetischen Nephropathie eine häufigere Kontrolle
der genannten Untersuchungen erfolgen, sowie in
Vermeidung zusätzlicher Belastungen der Niere Ergänzung in 1/4-jährlichen Abständen eine Kon-
Allgemein sollten sowohl zur Prophylaxe als auch trolle von Serumkreatinin und Serumharnstoff.
bei beginnender diabetiseher Nephropathie (und Die Frequenz der Kontrollen sollte sich an der Stoff-
natürlich bei bereits eingetretener Niereninsuffi- wechseleinstellung, der Blutdruckeinstellung und
zienz) folgende Maßnahmen zur Reduktion nephro- der renalen Funktion orientieren. Eine erfolgreiche
toxischer Faktoren getroffen werden (s. Übersicht). Therapie ist an der Senkung des arteriellen Blut-
drucks, dem Rückgang oder dem fehlenden Anstieg
einer Mikroalbuminurie zu erkennen. Bei bereits
eingetretener diabetiseher Nephropathie führt eine
erfolgreiche Therapie zu einer langsameren Progres-
16.14 Diabetische Neuropathie 759
16.13.10
Notfall
Terminales Nierenversagen
Bei eingetretener terminaler Niereninsuffizienz ist Abb.l6-126. 65-jährige Patientin mit autonomer Neuropa-
eine frühzeitige Nierenersatztherapie (Dialyse) indi- thie. Röntgenkontrastmitteluntersuchung des Magens zeigt
eine Ektasie des Magens mit Speiseresten
ziert. Rechtzeitig sollte insbesondere bei jüngeren
Patienten auch über die Möglichkeit einer Nieren-
transplantation in Kombination mit einer Pankrea-
stransplantation nachgedacht werden. Vorliegen einer manifesten Neuropathie (senso-
motorisch und autonom) wurde die Diagnose
einer kardialen autonomen Neuropathie ge-
stellt.
16.14
• I. Verbesserung der diabetischen Stoffwech-
Diabetische Neuropathie
sellage durch Umstellung von der konventio-
M. HoFMANN, P. P. NAWROTH nellen Insulintherapie auf eine intensivierte
konventionelle Insulintherapie (ICT) mit Ba-
16.14.1 sal-H-Insulin 16 E morgens und 22 E um spät
Fallpräsentation abends sowie zu den Mahlzeiten Normal-H-
Insulin 2 IE/BE morgens, 1 IE/BE mittags,
1,5 IE/ BE abends;
Eine 65-jährige, normalgewichtige Patientin mit • 2. Strukturierte Diabetesschulung mit
seit 25 Jahren bekanntem Typ-2-Diabetes-melli- Schwerpunkt ICT und diabetische Neuropa-
tus stellte sich wegen plötzlich auftretendem thie/Vermeidung eines diabetischen Fußsyn-
Schwindel, Herzstolpern und Atemnot in der droms;
Ambulanz vor. Es fand sich ein Blutdruck von • 3. Medikamentöse Therapie mit a -Lipon-
165/95 mmHg sowie ein arhythmischer Puls säure l x 600 mg pro Tag, Ramipiril 5 mg
mit f = 52/min. Das EKG zeigte Salven supra- pro Tag und Piretanid 6 mg pro Tag. 3 Mo-
ventrikulärer Extrasystolen. An diabetischen nate nach normnaher Blutdruckeinstellung,
Folgeerkrankungen fand sich eine diabetische Schulung und Ernährungsberatung besserten
Retinopathie Grad II, diabetische Nephropathie sich gastrointestinalen Beschwerden. Nach
im Stadium der Makroalbuminurie und eine Blutdruckeinstellung reduzierte sich die
symmetrisch sensible PNP beider Unterschenkel Albuminausscheidung im Urin.
mit ausgeprägten Schmerzen, fehlendem ASR
rechts, eingeschränktem Vibrationsempfinden
und dystrophischen Hautveränderungen. Zu-
sätzlich berichtete die Patientin über ein post-
prandiales Völlegefühl, Wechsel von Obstipa- 16.14.2
tion und Diarrhoe. Die deshalb durchgeführte Epidemiologie
Röntgenkontrastmitteluntersuchung des Ma-
gens (Abb. 16-126) zeigte eine verzögerte Moti- Die Angaben zur Prävalenz der Neuropathie
lität und Retention von Nahrungsbestandteilen. schwanken im klinischen Krankengut bei Diabetes
Nach Ausschluss anderer organischer Ursachen mellitus zwischen 10 und 100 o/o. Diese extreme Va-
für die Herzrhythmusstörung (einschließlich riabilität ist Ausdruck für das Fehlen einer ver-
Koronarangiographie und Langzeit-EKG) und bindlichen Definition, uneinheitliches diagnosti-
sches Vorgehen und unterschiedliche Selektion
760 KAPITEL 16 Glukose
60
50 0 Periphere
~ 40 Neuropathie
GI • Autonome
iii 30 Neuropathie
>
!a:J
~ 20
10
Abb. 16-127.
0 Prävalenz der autonomen und peripheren
<30 30-39 40-49 50-59 60~9 >70 Neuropathie bei Diabetikern in Abhängigkeit
vom Lebensalter. (Mod. nach Flynn et al.
Alter 1995)
Periphere Neuropathie
100
l
-
95
GI
a:J
90
:,; 85
c:
.8 80
.!! 75
~
:;::) 70
Abb. 16-128.
0 2 3 4 5 Überlebensrate von Diabetikern bei diabeti-
seher Neuropathie. (Mod. nach O'Brien et al.
Jahre 1991)
N p<0.001
c
..! 20
..
IV
>
,."
a.. 10
Abb. 16-129.
Ergebnisse der DCCI -Studie zur lnzidenz
der Neuropathie, HbA1c-Wert der !CI-
Gruppe (n) 7,0 o/o und HbA1c-Wert der CI-
Nervenleit- Autonome Neurologischer Gruppe ( • ) 9,0 o/o. (Mod. nach DCCI study
geschwindigkeit Neuropathie Status group 1993)
16.14 Diabetische Neuropathie 761
Hyperglykämie
~///
.--P-o-ly-o-lp--"at'--h-w-ay---,1
/
/ /
Akkumulation Akkumulation von AGE Funktionsminderung von
~~~.
von Sorbitol NGF, FGF und anderen
l
Wachstumsfaktoren
I
Depletion
l an RAGE
""MT'"' "'
. .
Funkt10nsmmderung /
I
NF-k.B-
Aktivierung
1
Expression von
Tissue-Faktor
\
Vem1indertes Spreading
der Na!K-ATPase I
1
1 .//
Hyperkoagulation
1
Schädigung der Mikroperfusionsstörung Neurotrophe Defizite
Seilwannzellen
Myelinscheiden
verminderter
axonaler Transport
() Neuropathie () Abb.l6-130.
Pathogenese der diabetischen Neuropathie
Klassifikation der diabetischen Neuropathie Studien zeigten eine schwächere jedoch signifikante
Bei der diabetischen Neuropathie wird die sensorno- Assoziation von Alzheimer-Demenz und Diabetes
torische Polyneuropathie abgegrenzt von der auto- mellitus, andere Studien konnten keinen Zusam-
nomen Neuropathie (Tabelle 16-32). Inwieweit es menhang von Diabetes und Prävalenz Alzheimer
eine diabetische Neuropathie des Zentralnerven- typischer Histologie post martern nachweisen. Im-
systems als eigenständige diabetische Folgeerkran- munhistologische Untersuchungen post martern
kung gibt, ist Gegenstand derzeitiger Forschung. von Alzheimer-Patienten zeigten eine erhöhte Ex-
Eine erhöhte Inzidenz von seniler Demenz bei Pa- pression von Insulinrezeptoren bei verminderter
tienten mit Typ-2-Diabetes mellitus gilt als gesi- Signaltransduktion. Diese Befunde legen nahe,
chert. Multivariate Analysen zeigten je nach Studie dass insulinabhängige Mechanismen und Störungen
ein 1,3- bis 1,6-fach erhöhtes relatives Risiko für in der Glukoseutilisation eine Rolle in der Patho-
senile Demenz bei Vorliegen eines Typ-2-Dia- genese des M. Alzheimer spielen. Eine weitere Ein-
betes-mellitus. Der Pathomechanismus dafür ist teilung der diabetischen Neuropathie hat den
derzeit unklar. Diskutiert werden sowohl vaskuläre Schweregrad der klinischen Symptomatik als Grund-
als auch metabolische Ursachen. Oben genannte lage (Tabelle 16-33).
Tabelle 16-32. Klassifikation der diabetischen Neuropathie nach dem VerteilungsmusteL PNP Polyneuropathie
Tabelle 16-33. Klassifikation der diabetischen Neuropathie nach der klinischen Symptomatik
N. medianus Doppelbilder
Abb.l6-131.
Diabelische Radikolopathie mit linksseitiger Lähmung des
M. obliquus abdominis bei einem 61-jährigen Mann, bei dem
erst nach Parese der Bauchmuskulatur die diabetische Stoff.
wechsellage festgestellt wurde
• Zwischenfälle bei der Narkoseeinleitung bei nicht Beschwerden weisen auf eine diabetische Neuropa-
beachteter verlängerter Magenentleerungszeit bei thie hin, sind jedoch nicht spezifisch und werden
Gastroparese auch häufig von Nichtdiabetikern geklagt.
eurologc G troenterologe
I
Urologe Kardiologe
Abb.l6-133.
Interdisziplinäre Diagnostik bei Verdacht
pelielle Diagnostik. spezielle Diagno tik. spezielle Diagno tik spezielle Diagno tik, auf diabetische Neuropathie. NP Neuro-
Differentialdiagnose Di ITcn:ntialdiagnosc Di ffcmnialdiagnosc Di ffercntialdingnose pathie, PNP Polyneuropathie
Tabelle 16-35. Diagnostik bei Verdacht auf autonome Neuropathie des Gastrointestinaltraktes
Die diagnostische Abklärung des Diabetikers mit Pathologisch: maximale Herzfrequenz bei Inspi-
erektiler Dysfunktion erfolgt nach denselben Regeln ration - minimale Herzfrequenz bei Exspiration
wie beim Nichtdiabetiker. < 10
• Orthostase-Test (Abb. 16-135): Mindestens 5 min
• Kardiovaskuläres System. Indikation zur kardio- liegen, Puls und Blutdruck unmittelbar vor dem
vaskulären Diagnostik sind bei Patienten mit klini- Aufstehen und nach raschem Aufstehen messen.
schen Zeichen einer autonomen kardialen Neuro- Normal: geringer Blutdruckabfall ( < 10 mm Hg),
pathie als auch bei allen Diabetikern mit einer Pulsanstieg um ca. 20 Schläge
langen Diabetesdauer und/oder klinischen Zeichen Pathologisch: Blutdruckabfall > 20 mm Hg, feh-
einer diabetischen Neuropathie gegeben (s. Übersicht). lender Pulsanstieg
f(min 1)
140
120
100 B
80
60
40
Abb. 16-134.
Normale Pulsfrequenzvariabilität im EKG
20~-------------------r--------------------~ (A) und Frequenzstarre (B) bei kardialer
min autonomer Neuropathie
150
RR systolisch i
;
i
,~"'~
~
AR diastolischi
• mit nachweislich guter Stoffwechsellage in den greifen, eingesetzt (Tabelle 16-37). Die meisten kli-
letzten Jahren, nischen Erfahrungen liegen in der Therapie mit
• bei Patienten ohne Hinweise auf diabetische mi- a-Liponsäure vor.
kro- und makrovaskuläre Komplikationen.
• a-Liponsäure. Die Therapie mit a-Liponsäure
Differentialdiagnose der diabetischen Neuropathie war lange Zeit umstritten und besitzt auch nach
ist in Tabelle 16-36 wiedergegeben. Beweis der klinischen Wirksamkeit durch die
doppelblinde-placebokontrollierte ALADIN-Studie
(= "alpha lipoic acid in diabetic neuropathy") nur
16.14.7 adjuvanten Charakter in der Therapie der diabeti-
Therapie schen Neuropathie (Abb. 16-136). In der DEKAN-
Studie konnte die Wirksamkeit der a-Liponsäure
Die optimale Diabeteseinstellung gilt als kausal be- auch bei kardialer Neuropathie gezeigt werden.
gründete Therapie und sollte die Grundlage jegli- Die Hauptwirkung der Thioctsäure ist ihre antioxi-
cher Prophylaxe sowie Therapie der diabetischen dative Eigenschaft: Das physiologische Redoxsystem
Neuropathie sein. Grundpfeiler der Prophylaxe Liponsäure/Dihydroliponsäure nimmt am Recycling
und Behandlung der diabetischen Neuropathie sind anderer antioxidativer Schutzmechanismen (Glu-
• optimale Stoffwechselkontrolle, thation, Vitamin C, Vitamin E) teil und kann so
• Schulung des Patienten, die durch oxidativen Stress vermittelte Zellaktivie-
• medikamentöse Therapie. rung inhibieren. Da die Bioverfügbarkeit und Akku-
mulation im Nervengewebe bei oraler Gabe ausrei-
chend ist, bietet die häufig empfohlene i. v.-Gabe
Medikamentöse Therapie lediglich den Vorteil der schnelleren Aufsättigung
Die entscheidende kausale Therapie der Blutzucker- bei z. B. schmerzhafter PNP. Ansonsten ist die orale
kontrolle ist in Abschn. 16.5 und 16.6 beschrieben. Einmalgabe von 600 mg/Tag die Standarddosierung,
Erst in zweiter Linie werden Medikamente, die in welche auch bei autonomer Neuropathie des Ga-
die Pathogenese der diabetischen Neuropathie ein- strointestinaltraktes ausreichend resorbiert wird.
2. Vergiftung
Alkohol Schwerpunktneuropathie
Schwermetalle (Blei, Quecksilber, Arsen)
M. Paget
Medikamente
Läsionen des spinalen NS
3. Infiltration des Nerven (diagnostische Biopsie)
Amyloidase Autonome Neuropathie
Sarkoidase
Shy-Drager-Syndrom
4. Andere Erkrankungen Idiopathische orthostatische Hypotension
Periarteriitis nodosa
Systemischer Lupus erythematosus Motorische Neuropathie/Myopathien
Lymphome
Guillain-Barre-Syndrom
Paraneoplastische Erkrankungen
Myasthenia gravis
Primäre Myopathien
768 KAPI TEL 16 Glukose
• Benfotiamin. Benfotiamin ist ein lipidlösliches zytosen kommen. In der Therapie der symptomati-
Derivat aus der Gruppe der Thiamin-(B 1)- Vitamine, schen autonomen Neuropathie des Gastrointestinal-
welches sich durch eine besonders hohe Bioverfüg- traktes zeigte Erythromycin, das u. a. an den Moti-
barkeit von dem bisherigen hydrophilen Vitamin B1 linrezeptor bindet, verglichen mit Cisapride und
unterscheidet. Die Derivate der B-Vitamine (Thia- Tetrazyklin die beste Wirksamkeit (Tabelle 16-38).
min, Pyridoxin, Cobalamin) sind an der Myelin-
und Axonregeneration beteiligt, u. a. durch Synthese
von Sphingosin. Eine doppelblinde, placebokontrol- 16.15
lierte randomisierte Studie konnte zeigen, dass es Diabetisches Fußsyndrom
nach 3-monatiger Therapie mit einer Kombination
aus Benfotiaminen, Vitamin B6 und Vitamin B12 zu M. HOFMANN, P. P. NAWROTH
einer signifikanten Verbesserung sowohl der Neuro-
pathiesymptome als auch der objektiven Parameter 16.15.1
wie der Nervenleitfähigkeit kommt. Fallpräsentation
• Unspezifische medikamentöse Therapie. Beson- Ein 68-jähriger Mann mit einem seit 10 Jahren
ders bei schmerzhafter Polyneuropathie sind Anal- bekannten Typ-2-Diabetes mellitus stellte sich
getika und sog. schmerzdistanzierende Psychophar- erstmals in der Diabetikerambulanz wegen einer
maka wie Amytryptilin in bis zu 80% der Fälle wirk- "kleinen Rötung am Fuß" vor. Der Lokalbefund
sam, jedoch ist mit einer hohen Nebenwirkungsrate zeigte am rechten Fuß ein 3 cm großes paraun-
zu rechnen. Besonders bei der Therapie mit Carba- guinales Ulkus mit Rötung, Überwärmung und
mazepin kann es zu lebensgefährlichen Agranulo-
80
~
70,8
60 f--
~
~ 57 6
r-:;:::::::::.
40 f-- 1---
- -
-
"v
I I "----1
____,
~ Abb.16-136.
"'-=4.5 -3,3 -2,6
Wirksamkeit von a-Liponsäure bei diabeti-
seher Neuropathie mit Verbesserung der
'--- f- p<0,01 einzelnen Scores für Schmerzen, Brennen,
-20
Parästhesien und TaubheitsgefühL (Mod.
1200 mg 600mg 100 mg Plazebo nach Ziegler et al. 1995)
16.15 Diabetisches Fußsyndrom 769
Indikation Medikament
• 320.000 Patienten mit diabetischem Fußsyndrom überwiegend makroangiopathisches und etwa 1/3
(etwa 7 %). ein neuropathisch-makroangiopathisches Fußulkus
hatten (Abb. 16-139).
0
0
1200
0
0 1000
OQl
~..c
e .~
800
c.c: 0 Nichtdiabetiker
c: Q) 600
Q) c:
... o • Diabetiker
........
CIS <Jl
N Q)
400
C:(l.
Q)
'0
200
·;;:;
E 0
40-60 60-80 >80 Abb.l6-138.
Jnzidenzraten von Amputationen bei Männern. (Mod. nach
Alter Trautner 1996)
16.15 Diabetisches Fußsyndrom 771
PNP
47 %
Abb. 16-139.
Verteilung der Grundkrankheiten pA VK und Neuropathie
bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom. pA VK
periphere arterielle Verschlusskrankheit, PNP Polyneu-
ropathie. (Krankengut der Städtischen Kliniken Düssel-
24 % dorf; mod. nach Reike 1995)
Diabetes mellitus
Bagatellverletzung
vermindene
Schweißbildung
I
Muskel·
atrophie
\
Verlust des Verletzung
lnlektion
Anamnese
16.15.5
Diagnostik
• Spüren Sie Schmerzen?
• Haben Sie oft kalte Füße?
Die Diagnose ist durch Anamnese und klinische Un-
• Haben Sie Schmerzen beim Gehen?
tersuchung der Füße zu stellen. Eine zusätzliche ap-
• Wie pflegen Sie Ihre Füße?
parative Diagnostik (Abb. 16-142) wird zur Beurtei-
• Leiden Sie öfters an Fußpilz?
lung des Schweregrades und zur Therapieplanung
• Was tragen Sie für Schuhwerk?
benötigt.
• Fühlen Sie sich ausreichend geschult?
• Hatten Sie schon einmal ein Fußgeschwür?
Anamnese • Nikotinabusus?
Die Anamnese ist der Eckpfeiler sowohl für die früh-
zeitige Erkennung von Risikopatienten als auch für
eine frühzeitige Erkennung des manifesten diabeti-
schen Fußsyndroms (s. Übersicht).
Körperliche Untersuchung
Die Untersuchung der Füße, sog. "Fußvisite" (s.
Übersicht) muss bei Patienten ohne Neuropathie
mindestens einmal jährlich und bei Patienten mit
Neuropathie 1/4jährlich erfolgen, um trophische Ver-
änderungen rechtzeitig zu erfassen .
l l
Manifestes diabetisches Fußsyndrom
1
Röntgen
Ke1ne PNP PNPiund Doppler
Keine pAVK oder pAVK
1
angiopathisches
neuropathisches
Ulkus Ulkus
kein Infekt
\
Infekt Angiographie
• Labor
(BB. BSG,CRP)
Kontrolle Risiko- • Wundabstrich
.
in 1 Jahr pat1ent
lokal systemisch
.
Ambulante
1
Ambulante Stationäre Stationäre
Therapie Therapie Therapie Therapie
BZ-Kontrolle BZ-Kontrolle BZ-Kontrolle Revaskula-
Druckentlastung Druckentlastung Druckentlastung risation ?
lokale Wund- lokale Wund- lokale Wund- BZ-Kontrolle
behandlung behandlung behandlung Wund-
Schulung Antibiose Antibiose behandlung
Schulung Heparin s. c. Antibiose
Infektkontrolle Druckent-
chirurgisches lastung
Konsil Schulung
Schulung
Interdisziplinäre Therapie
Abb.l6-142.
Algorithmus der Diagnostik. BZ Blut-
IPrimärprävention I I Sekundärprävention I zucker, pA VK periphere arterielle Ver-
schlusskrankheit, PNP Polyneuropathie
774 KAPITEL 16 Glukose
Tabelle 16-41. Häufigkeit der nachgewiesenen Bakterien bei infiziertem diabetischem Fußsyndrom
Nachgewiesene Bakterien
Gramnegativ
Aerobier [%] Anaerobier [o/o]
Proteus mirabilis 28 B. fragilus 19
E. coli 16 B. ovatus 9
Pseudomonas aeruginosa 16 B. ureoluticus 9
Grampositiv
Aerobier [o/o] Anaerobier [o/o]
Enterococcus sp. 41 P. magnus 28
Staph. aureus 25 P. anerobius 19
Streptokokken der Gruppe B 16
• Vaskulitis
16.15.6
• Chronisch venöse Insuffizienz
Differentialdiagnose
Diabetiker mit diabetischem PNP Diabetiker mit Läsionen Diabetiker nach Läsionen
und/oder pA VK
Stoffwechselkontrolle Schulung toffwechselkontrolle interdisziplinäre Stoffwechselkontrolle, chulung
Therapie
16.15 Diabetisches Fußsyndrom 777
auf eine bakterielle Infektion zeigen, ist eine Anti- Die Fibroblastenproliferation wird durch feuchtes
biotikaprophylaxeumstritten und nach einer Unter- Wundmilieu (z. B. konventionelle sterile Wundauf-
suchung von Chantelau et al. (1996) ohne Vorteil. lagen mit Ringer-Lösung) unterstützt. Gute Erfolge
Tetanusprophylaxe nicht vergessen! durch eine lokale Anwendung von Insulin oder He-
parin als Wachstumsfaktoren sind in Einzelfällen
• Lokale Wundbehandlung. Das Therapieziel be- dokumentiert. Polymerverbände (Okklusivverbän-
steht in der Unterstützung der biologischen Vorgän- de) sollten wegen des Risikos einer progredienten
ge der Wundheilung und umfasst folgende Ziele: Infektionsausbreitung nur bei klinisch nicht infizier-
• stadienorientierte Unterstützung der biologi- ten Wunden und mit einer maximalen Verweildauer
schen Wundheilung, von 2 Tagen benutzt werden. Bei zunehmender Epi-
• Infektionsbekämpfung und -prophylaxe, thelialisierung der Wunde ist ein nichtverklebender
• Entfernung von Nekrosen und Hyperkeratosen. Wundverband (z. B. Fettgaze) angezeigt.
Ein stadienorientierter Wechsel der Behandlungs- • Chirurgische Intervention. Sind Sehnen, Kno-
methoden (Tabelle 16-43) ist bei der Versorgung chen oder Gelenke in den entzündlichen Prozess
chronischer Wunden erforderlich. Während der einbezogen, ist eine operative Revision und häufig
Entzündungsphase wird nekrotisches und infiziertes eine Knochenentfernung unumgänglich. Zunächst
Gewebe mit dem Skalpell, scharfen Löffel, Schere wird versucht, mit einer Strahl- oder Vorfußampu-
und Pinzette vorsichtig entfernt. Ein tägliches me- tation auszukommen, bei nicht beherrschbarer In-
chanisches Wunddebridement und zusätzliches en- fektion ist eine Unterschenkel- oder Oberschenkel-
zymatisches Debridement ist einer ausgedehnten amputation erforderlich. Wenn eine pA VK, mit oder
chirurgischen Nekrosektomie zu bevorzugen. Die ohne begleitende Neuropath ie, die Hauptursache
beste Prophylaxe gegen eine Wundinfektion ist des Ulkus ist, sind revaskularisierende Maßnahmen
die subtile Entfernung der für Bakterien günstigen vor einer Amputation zu versuchen. Weitere Indika-
Lebensbedingungen, d. h. Drainage von Exsudat tion für chirurgische Maßnahmen sind rezidivieren-
und mechanisches Debridement. Lokale Antiseptika de Ulzera durch Druck von Knochenvorsprüngen,
wirken unspezifisch bakteriostatisch und hemmen z. B. bei Deformierung des Fußskelettes bei der
die Zellproliferation und damit die Wundheilung. Charcot-Osteoarthropathie. Nur durch eine enge
Eine individuelle Schaden-Nutzen-Abwägung ist Zusammenarbeit von Chirurgen und Internisten
deshalb erforderlich. Nach Reinigung der Wunde ist die in der St.-Vincent-Deklaration (s. Übersicht)
gilt es optimale Wachstumsbedingungen für das geforderte Verringerung der Amputationszahlen zu
proliferierende Granulationsgewebe zu schaffen. erreichen.
Angiogenese
.
:3..c
12 + - - - - -
10 + - - - - -
~
;;: &+ - - - - -
""'g' 6 +-----
:::J
".
~ 4+ - - - - -
w
".
2 +-----
Abb.l6-144.
Erkrankungsdauer bei Patienten mit "hypo-
Patienten mit Patienten ohne glycemia unawareness" im Gegensatz zu Pa-
.. h\IPoglycaemia .. h\IPoglycaemia tienten ohne "hypoglycemia unawareness" .
unawareness· unawareness" (Mod. nach Mokan et al. 1994)
780 KAPITEL 16 Glukose
obachtet, vermutlich aufgrund der erhöhten Hypo- glycemia unawareness", wenn nicht nur die Gluka-
glykämiehäufigkeit unter intensivierter Insulinthe- gongegenreaktion, sondern auch die Adrenalinreak-
rapie im Gegensatz zur konventionellen lnsulinthe- tion eingeschränkt ist. Andere Hormone der Gegen-
rapie. Hypoglykämien treten häufig nachts auf regulation sind das Wachstumshormon und Corti-
(mehr als 50 o/o). Dies liegt daran, dass z. B. eine in- sol. Sie tragen nur unwesentlich zum Ausgleich
adäquate Insulintherapie oder Insulinmischung einer akuten Hypoglykämie bei. Diese Hormone
durch fehlende Wahrnehmung der Hypoglykämie- spielen nur eine Rolle bei der prolongierten Hypo-
symptome während des Schlafs lange unerkannt glykämie nach mehreren Stunden. Die Entstehung
bleiben können. Dadurch ist die Anamnese der Hy- der "hypoglycemia unawareness" ist letztlich nicht
poglykämie häufig erschwert. Indirekte Hinweise sicher geklärt. Es scheinen jedoch verschiedene Fak-
auf eine nächtliche Hypoglykämie wie nass ge- toren eine Rolle zu spielen. So beeinflusst die Häu-
schwitzte, durchwühlte Bettwäsche oder morgendli- figkeit von Hypoglykämien und auch das Vorliegen
che Kopfschmerzen müssen erfragt werden. Oft ist einer diabetischen Neuropathie die Entstehung
es der Partner, dem der unruhige Schlaf auffällt. einer "hypoglycemia unawareness". Das Vorliegen
Der schlafende Patient selbst nimmt dies häufig einer diabetischen Neuropathie ist jedoch keine not-
nicht wahr und mancher unerklärt gebliebene wendige Voraussetzung zur Entstehung einer "hy-
nächtliche Tod ist möglicherweise Folge einer nächt- poglycemia unawareness". Aber die diabetische
lichen Hypoglykämie. Bei insulinpflichtigen Diabe- Neuropathie kann durch Verminderung der Katech-
tikern unter 45 Jahren sind Hypoglykämien in olaminreaktion zur Entwicklung einer "hypoglyce-
2-4 o/o ursächlich für den Tod verantwortlich. mia unawareness" beitragen. Risikofaktoren für
die Entstehung sind in folgender Übersicht wieder-
gegeben.
16.16.3
Pathogenese Risikofaktoren für die Entstehung einer "hypogly-
cemia unawareness" bei insulinpflichtigem Diabe-
Bei Patienten mit "hypoglycemia unawareness" lässt tes mellitus
sich eine defekte hormonelle Hypoglykämiegegenre-
gulation nachweisen. Vor allem die Hormone Glu- e Langjährige Diabetesdauer
kagon und Adrenalin sind, in Abhängigkeit von • Diabetische Neuropathie
der Diabetesdauer, betroffen. • Häufige Hypoglykämien
• Niedriger HbA 1c
Gestörte hormonelle Hypoglykämie-Gegenregula- • Abgeschwächte ß-adrenerge Sensitivität
tion in Abhängigkeit von der Diabetesdauer • Intensivierte Insulintherapie
Anamnese 16.16.6
Ob bei einem Patienten eine "hypoglycemia unawa- Therapie
reness" vorliegt, kann durch genaues Befragen des
Patienten bzw. der Angehörigen festgestellt werden. Die Therapie der "hypoglycemia unawareness" ruht
Nächtliche Hypoglykämien müssen erfragt werden. auf 3 Säulen:
Dies ist oftmals nur möglich anhand indirekter Hin- • Vermeidung von Hypoglykämien,
weise wie: verwühlte und durchgeschwitzte Bettwä- • höhere Blutglukoseeinstellung,
sche, Alpträume, morgendliche Gereiztheit und • Schulung des Patienten.
Abb.16-l45.
Häufigkeit schwerer Hypoglykämien
Patienten ohne Patienten mit bei Patienten mit und ohne "hypo-
"hypoglycemia "hypog lycamla glycemia unawareness". (Mod. nach
unawareneu" unawareness .. Gold et a l. !994)
782 KAPITEL 16 Glukose
Abb.l6-146.
Hypoglykämievermittelter (Clamp-Test)
Anstieg des Adrenalinspiegels im Plasma
unter strenger Blutglukoseeinstellung
0 +-----+-----~----~----~-----------+----~
(graue Linie) und nach 3-monatiger er-
0 20 40 60 80 100 120 140 höhter Blutglukoseeinstellung (schwarze
Zeit(min) Linie). (Mod. nach Liu et al. 1996)
16.17 Erektile Dysfunktionen bei Diabetikern 783
...... 100
~ 90
c:
Cl)
c: 80
0 70
li1c: 60
:I 50
'üi
> 40
0
30
.!
+:: 20
.X
w 10
Cl)
0
>10-15 >15-20 >20-25 >25-30 >30-35 >35-40 >40 Abb.l6-147.
Erektile Dysfunktion en in Abhängigkeit zur
Diabetesdauer (Jahre) Diabetesdauer
784 KAPITEL 16 Glukose
schiedlich anzusetzen: Die organogen bedingten gisehe Shuntverbindungen zwischen Corpus caver-
erektilen Dysfunktionen überwiegen mit insgesamt nosum und Glans penis bzw. Corpus spongiosum,
ca. 84 o/o die psychogen bedingten mit ca. 16 o/o bei die meist im Bulbusbereich zu finden sind, aufzu-
weitem. führen.
Psychogen bedingte erektile Dysfunktion Erschwert wird dies dadurch, dass organisch be-
Das Ursachenspektrum der erektilen Dysfunktion dingte erektile Dysfunktion sekundär oft auch zu
hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert, psychischen Beeinträchtigungen führen. Die zweite
da in diesem Zeitraum bei Diagnostik, Therapie und diagnostische Aufgabe besteht darin, Art und Ort
Grundlagenforschung der erektilen Dysfunktion der Störung, die bei Diabetikern zu erektiler Dys-
richtungsweisende Fortschritte erzielt worden funktion führt, herauszufinden, um diese gezielt the-
sind. Während in der Vergangenheit die Psychothe- rapieren zu können.
rapie von Erektionsstörungen im Vordergrund
stand, bestimmen heute zunehmend neue Erkennt-
Anamnese
nisse von der Physiologie und Pathophysiologie der
Die Anamneseerhebung hat die 3 Säulen Sexualana-
Erektion die Therapie, auch wenn durch einen mo-
mnese, Risikofaktoren und Medikamentenanam-
lekular begründbaren Therapieansatz keineswegs
nese (s. Übersicht).
psychogene Aspekte vergessen werden dürfen. Man-
che Sexualmediziner behaupten immer noch, dass
Anamneseerhebung bei erektiler Dysfunktion
90 % der erektilen Dysfunktion auch bei Diabetikern
psychogener Natur sind. Hierbei kann man nicht
• Sexualanamnese
leugnen, dass bei längerfristigen erektilen Dysfunk-
Fragen zu sexueller Aktivität, Libido, Erektionen,
tionen psychogene Aspekte (wie z. B. Partnerschafts-
psychosexueller Entwicklung in der Kindheit und
probleme oder fehlendes Glücksempfinden) eine ge-
Jugend (soweit möglich), Pubertätsentwicklung,
wichtige Rolle spielen. Das in seiner Sexualität ge-
Beginn der erektilen Dysfunktion, Partnerschafts-
störte Individuum empfindet sich in seinen Lebens-
problemen
werten eingeschränkt. Es ist weniger belastungsfähig
• Risikofaktoren
und psychisch und somatisch leichter anfällig. Diese
Fragen nach Diabetes mellitus, Hyperlipidämie,
Beschwerden sind dann aber oft nicht ausschließlich
Hypertonie, Alkohol-, Nikotin- und Drogenabu-
psychogen, sondern häufig sekundärer Natur und
sus, chronischer Niereninsuffizienz
entstehen auf dem Boden vorher bestehender orga-
• Medikamentenanamnese
nogen bedingter erektiler Dysfunktion.
Fragen nach Antihypertensiva, Lipidsenkern,
Neuroleptika, Antidepressiva oder Hormonen
wie Antiandrogenen oder Östrogenen
16.17.4
Klinik
• Neurophysiologische Untersuchungen
16.17.7
• Messung der Bulbocavernosus-Reflex-Latenzzeit
Therapie
(BCR) mit Ableitung der kortikalen somatasenso-
risch-evozierten Potentiale (SSEP),
Internistische Therapie
• Elektromyographie der Schwellkörpermuskula-
• Blutzuckereinstellung. Die Grundlage jeder The-
tur.
rapie erektiler Dysfunktion bei Diabetes mellitus
stellt eine weitestgehende Anpassung des diabeti-
• Bestimmung des Gefäßstatus
schen Stoffwechsels an normale Stoffwechselverhält-
• Duplex- bzw. (Farb)dopplersonographie der Pe-
nisse dar.
nisarterien,
• intrakavernöser Injektionstest,
• Minimierung von Risikofaktoren. Neben einer
• Pharmakonkavernosographie,
optimalen Blutzuckereinstellung bei der Behand-
• Angiographie der A. pudenda, Penisarteriogra-
lung von erektiler Dysfunktion ist die Therapie einer
phie in Kombination mit SKAT-Test.
arteriellen Hypertonie und einer Hyperlipoprotein-
ämie von Bedeutung. Für beide Erkrankungen soll-
Die Duplex- bzw. (Farb)dopplersonographie der Pe-
ten Werte im unteren Normbereich angestrebt wer-
nisarterien ist die wichtigste Untersuchung für die
den. Patienten mit Alkohol- und Nikotinabusus, die
klinische Diagnostik bei einer arteriellen Durchblu-
an erektiler Dysfunktion leiden, müssen diesen be-
tungsstörung. Sie erlaubt einerseits die Darstellung
enden bzw. weitestgehend einschränken.
der Dorsal- und Schwellkörperarterien, andererseits
eine Messung der Blutflussgeschwindigkeit in den
• Orale, medikamentöse Therapie. Yohimbin-Hy-
Penisarterien. Die Normwerte liegen für die Dorsa-
drochlorid ist das am meisten bei erektiler Dysfunk-
larterien bei 35-40 cm/s, für die Schwellkörperarte-
tion verwendete Medikament. Es handelt sich um
rien bei 25-30 cm/s.
ein Hauptalkaloid aus der Rinde der zentralafrikani-
Die Angiographie der A. pudenda bzw. Penisarte-
schen Coryanthe Yohimbe. Es soll eine zentrales a-
riographie ist heute weitgehend durch die Doppler-
l-Rezeptoren-blockierendes und somit antiadrener-
und Duplexsonographie ersetzt worden. Sie ist nur
ges Wirkungsprofil haben. Statistisch auswertbare
noch vor einer geplanten arteriellen Revaskularisa-
Differenzen bei der Behandlung von erektiler Dys-
tion in Kombination mit einem SKAT-Test indiziert.
funktion im Vergleich zu Placebokontrollen zeigen
Es handelt es sich um eine sehr invasive, teure und
Yohimbinpräparate aber nicht. Neben Yohimbin
strahlungsintensive Untersuchung.
kommen v. a. noch Pentoxifyllin, ein Xanthinderi-
vat, das die Blutviskosität reduziert, Isoxsuprin,
Messung nächtlicher peniler Tumeszenzen ein ß-Sympathomimetikum, das mittels Aktivierung
(NPT-Messungen) von ß-Rezeptoren der glatten Muskulatur eine Va-
e Erektiometer: Messband, das sich je nach Erekti- sodilatation bewirken soll, Trazodon, ein Serotoni-
onsgrad gegen einen definierten Schubwider- nantagonist, Naltrexon, ein Opiatantagonist und
stand verändert, aber keine Aussage über Dauer Phentolamin, ein a-Blocker, zum Einsatz. Keines
und Anzahl der Erektionen ermöglicht, dieser Medikamente führte jedoch zu eindeutigen
• Rigiscan: mittels zweier um Penisbasis und Sulcus Verbesserungen bei der Therapie der erektilen Dys-
coronarius gelegter Messringe werden die Nacht funktion bei Diabetikern.
hindurch die Penisveränderungen erfasst und ge-
speichert. • Hormonsubstitution. Nur bei 1-5% aller Patien-
ten mit erektiler Dysfunktion liegt eine hormonelle
Störung vor. Die heute immer noch weit verbreitete
16.17.6 Testosteronmedikation bei Diabetikern mit erektiler
Differentialdiagnose Dysfunktion kann deshalb lediglich einen Placebo-
effekt haben.
DieNPT-Messungen zur Differenzierung von orga-
nischen und psychischen erektilen Dysfunktionen
Technische Verfahren
haben nach Einführung der Schwellkörperpharma-
• Vakuumapparate. Vakuumapparate werden
kontestung an Bedeutung verloren (Abb. 16-148).
mittlerweile von verschiedenen Herstellern produ-
ziert und sind seit 1989 auch in Deutschland erhält-
lich. Der Einsatz von Vakuumapparaten stellt die
Therapie der Wahl dar. Sie werden bei Erektionsstö-
rungen unterschiedlichster Ätiologie, also auch bei
16.17 Erektile Dysfunktionen bei Diabetikern 787
Anamnese
Körperliche Untersuchung (einschließlich neurologischer Untersuchung)
Laboruntersuchungen
l
Blutzuckereinstellung
Minimierung von Risikofaktoren
l
lntracavernöser Injektionstest (mit 10 11g PGE 1) und gleichzeitiger Doppler-/
/·'·'~
Normal Pathologisch
(Erektion) (Ausbleiben einer Erektion)
BCR und SSEP PGE1-Test mit 20-40 11g
/~ /~
Pathologisch Normal Normal Pathologisch
(Erektion) (Ausbleiben einer Erektion)
l
Vakuumapparat Psychotherapie/ Vakuumapparat,
l l
Pharmakonka-
bzw. SKAT/MUSE Sexualtherapie SKAT/MUSE evtl. vernosographie
I
Revasku larisation
Leicht
Deutlich pathologisch pathologisch
(Erhaltungsfluß >80ml) (Erhaltungsfluß 40
bis BOml) Abb.l6-148.
l
Penisprothese
+
Venenchirurgie,
Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen
bei Diabetikern mit erektiler Dysfunktion. BCR
Bulbocavernosus-Reflex-Latenzzeit, PGE 1
evtl. SKAT/ Prostaglandin Eh SSEP somatasensorisch-evo-
Revaskularisation zierten Potentiale
diabetogen bedingten, eingesetzt. Ursachenunab- die durch Vakuum erzeugte Erektion aufrechterhält.
hängig ist es nahezu bei jedem Patienten möglich, Vorteile der Anwendung von Vakuumapparaten be-
eine rigide Erektion zu erzeugen. Besondere In- stehen in ihrer universellen Anwendbarkeit und in
dikationen der Vakuumtherapie sind die Kombina- ihrer Komplikationsarmut Leichtere Komplikatio-
tion mit einer Schwellkörperautoinjektionstherapie nen dieser Methode sind Schmerzen, petechiale
(SKAT: siehe unten!) bei mangelhaftem Ansprechen Hautblutungen bzw. Ecchymosen (s. Übersicht).
auf vasoaktive Substanzen sowie der Einsatz nach Schwerere Komplikationen wie z. B. Hautnekrosen
Explantation von Penisprothesen, um die Kohabita- stellen eine Rarität dar.
tionsfähigkeit wiederherzustellen.
Komplikationen der Anwendung
von Vakuumapparaten
Spezialindikationen zum Einsatz
von Vakuumapparaten
• Schmerzen bei Anwendung
• Fetechiale Hautblutungen bzw. Ecchymosen
• Kombination mit Autoinjektionstherapie
• Hautnekrosen
• Zustand nach Explantation einer Penisprothese
Die Mehrzahl der angebotenen Vakuumapparate be- Nachteile resultieren aus der Mechanisierung des
steht aus 3 Komponenten, einem Vakuumzylinder, Koitus, aus Anwendungsproblemen und einer mög-
einer Vakuumpumpe, die den negativen Druck in lichen Beeinträchtigung der Ejakulation durch An-
der Kammer erzeugt und einem Schnürring, der legen des Schnürrings.
788 KAPITEL 16 Glukose
• Phentolamin und Papaverin. Eine Kombinati- Erstere treten in bis zu 15 % aller behandelten Pa-
onslösung aus Phentolamin, einem a-Blocker, und tienten auf und müssen, wenn sie länger als 4 h an-
Papaverin (Papaverin sollte aufgrund seines hohen dauern, unbedingt einer Behandlung durch den be-
priapismogenen Potentials und möglicher Schwell- treuenden Arzt zugeführt werden, da sonst Nekro-
körperfibrosen als Monosubstanz nicht mehr zum sen drohen. Hierfür eignen sich a-Agonisten wie
Einsatz kommen) kommt in einer Dosierung zwi- Epinephrin (z. B. 0,03 mg), Phenylephrin (z. B.
schen 12,5 bis 60 mg bei Papaverin und zwischen 5 mg bis 20 mg) oder Metaraminol (z. B. 2 mg).
0,5 bis 3 mg bei Phentolamin zur Anwendung. Bis eine Detumeszenz erreicht ist, können beispiels-
weise wiederholt Dosen von 200 mg Phenylephrin
intrakavernös verabreicht werden. Über Fibrosie-
rungen der Corpora cavernosa wird in Studien in
bis zu 60 % der behandelten Patienten berichtet.
16.17 Erektile Dysfunktionen bei Diabetikern 789
Diese sind proportional der Behandlungsdauer und eines Knopfes am Applikator als halbfestes Pellet
-frequenz und können durch Kompression der In- in die Harnröhre injiziert wird. Nach Entfernen
jektionsstelle und Minimierung der zu applizieren- des Applikators massiert der Patient den Penis,
den Medikamentenmenge auf unter 0,5 ml pro An- um das Auflösen des Pellets zu unterstützen. Die va-
wendung reduziert werden. Dies ist durch eine Me- soaktiven Substanzen werden nun vom Epithel der
dikamentenmischung aus Prostaglandin El, Phen- Harnröhre absorbiert, gelangen über Kollateralgefä-
tolamin oder Papaverin erzielbar. ße aus dem Corpus spongiosum, das die Urethra
umgibt, in die Schwellkörper und führen dort zu
• Durchführung einer SKAT. Die Akzeptanz und einer Erektion. Verabreicht werden neben Prosta-
Wirksamkeit dieser Methode liegen bei bis zu glandin-El-Derivaten aucha-Blocker wie Prazosin.
80 o/o. In folgender Übersicht ist das therapeutische Die Therapieindikationen entsprechen der SKAT-
Vorgehen einer Autoinjektionstherapie wiedergege- Therapie. Im Vergleich zur SKAT-Therapie werden
ben. allerdings weitaus höhere Medikamentendosen ver-
abreicht, bei Prostaglandin-El-Derivaten bis zu
Therapeutisches Vorgehen bei Autoinjektions- 1000 11g und bei a-Blockern bis zu 2000 11g als Ein-
therapie zeldosis oder als Kombinationspräparat Die Kom-
plikationen gleichen der SKAT-Therapie, wobei
e Dosisfindungsphase Schmerzen während der Erektion in bis zu 30 o/o
langsames Anheben der Injektionsdosis, bis die der Patienten und, in einem weit geringerem Pro-
verwendete vasoaktive Substanz so eingestellt zentsatz, Verletzungen der Urethra bzw. Hypotonie
ist, dass die Erektionsdauer 2 h nicht überschrei- hervorzuheben sind.
tet
e Erlernen der Autoinjektion durch den Patienten • Hervorzuhebende Komplikationen
Desinfektion, Erlernen der Injektionstechnik in bei der MUSE-Therapie
die Corpora cavernosa während mehrerer Sitzun- • Schmerzen während der Erektion bei bis zu 30 o/o
gen der Applikationen,
• Verletzungen der Urethra,
• Hypotonie.
• Kontraindikationen einer SKAT
Bei bis zu 80 o/o der Patienten mit erektiler Dysfunk-
Kontraindikationen einer intrakavernösen tion können im Rahmen der MUSE-Therapie rigide
Injektionstherapie Erektionen erzielt werden.
werden. Dies ist ein relativ einfach durchzuführen- Neben Abnutzung, Versagen einzelner Bauteile der
des Verfahren, wobei die Indikation sehr streng ge- Prothese, reduziertem Ejakulatvolumen und tempo-
halten werden sollte. Nur Patienten, die weder neu- rärer Desensibilisierung der Glanspenis steht die In-
rogene Läsionen noch arterielle Defizite aufweisen fektion des Operationsgebietes als wichtigste Kom-
und auf vasoaktive Substanzen ungenügend anspre- plikation im Vordergrund. Bestmögliche präopera-
chen, dürfen einer solchen Operation zugeführt wer- tive Desinfektion und antibiotische Abdeckung die-
den, deren wichtigste Komplikation die Verletzung nen als wichtige prophylaktische Maßnahmen.
der eng benachbarten Dorsalnerven mit nachfolgen- Dennoch liegt die Reoperationsrate aufgrund Infek-
der neurogener Impotenz darstellt. Die Langzeiter- tionen zwischen 3 % und 8 %. Bei Diabetikern kann
gebnisse aller gefaßchirurgischen Eingriffe zur Behe- es zu einer Verdopplung dieser Komplikationsrate
bung erektiler Dysfunktionen sind im Großen und kommen. Bei Patienten mit erektiler Dysfunktion,
Ganzen eher enttäuschend. Die anfänglichen Er- die erfolgreich keiner anderen Therapie zuzuführen
folgsraten einer arteriellen Revaskularisation über waren (andere Methoden haben sich als wirkungslos
einen Zeitraum von 1-2 Jahren werden mit 30% erwiesen bzw. sind vom Patienten oder seiner Part-
bis 80 % angegeben. Eine anfängliche Euphorie nerin nicht akzeptiert worden), dürfte diese Metho-
der Penisvenenchirurgie in den 70er-Jahren ist einer de die letzte Option sein, da durch das Einsetzen der
ernüchternden Langzeitbilanz gewichen. Selbst nach Prothese das ganze verbliebene erektile Restgewebe
durch Spezialisten durchgeführten Operationen er- entfernt wird. Das Vermögen zu ejakulieren bzw.
reichen nicht einmal 50 % der Patienten auf Dauer das Verspüren eines Orgasmus wird durch die Ope-
eine deutliche Verbesserung der Erektionsfahigkeit. ration nicht beeinträchtigt. Unter Berücksichtigung
Nach 12 Monaten berichten noch knapp 45% der dieser Voraussetzungen können Wirksamkeit und
Patienten über Spontanerektionen. Bei ca. 20 % Akzeptanz bei bis zu 90 % liegen.
können durch eine zusätzliche Schwellkörperauto-
injektionstherapie Erektionen ausgelöst werden.
Fingar DC, Birnbaum MJ (1994) Characterization of the mito- Ullrich A, Shine J, Chirgwin J et al. (1977) Ratinsulin genes:
gen-activated protein kinase/90 kilodalton ribosomal pro- construction of plasmids containing the coding sequen-
teirr S6 kirrase signaling pathway in 3T3-Ll adipocytes ces. Science 196: 1313
and its roJe in insulin stimulated glucose transport. Endo- Unger RH, Orci L: Glucagon. In: Porte D, Sherwin RS (eds)
crinology 134: 728 Ellenberg & Rifkin's Diabetes mellitus. Appleton & Lange,
Han VK, Hynes MA, Jin C et al. (1986) Cellular localisation of Stamford, 5th edn, pp 115-139
proglucagon/glucagon like peptide I messenger RNA in Walker MD (1990) Insulingene regulation. In: Cuatrecasas P,
rat brain. J Neuro Sei Res 11: 97-107 Jacobs P (eds) Handbook of experimental pharmacology.
Holman GD, Kasuga M (1997) From receptor to transporter: Springer, Berlin Beideiberg New York Tokyo, pp92-93
insulin signalling to glucose transport. Diabetologia 40: White MF (1997) The insulin signalling system and the IRS
991-1003 proteins. Diabetologia 40: S2-S17
lngebritsen TS, Stewart AA, Cohen P (1983) The protein phos-
phatases involved in cellular recognition. 6. Measurement
of type-1 and type-2 protein phosphatases in extracts of Literatur zu Abschn. 16.2
mammalian tissues; an assessment of their physiological
roJe. Eur J Bioehern 132: 297
Jelinek LJ, LokS, Rosenberg GB et al. (1993) Expression, clo- Barnes PJ, Karirr M (1997) Nuclear Factor-KB-a pivotal trans-
ning and signaling properties of the rat glucagon receptor. cription factor in chronic inflammatory dieseases. New
Science 259: 1614-1616 Eng! J Med 336: 1066-1071
Jouneaux C, Audigier Y, Goldsmith P et al. (1993) Gs mediates Bierhaus A, Hofmann M, Ziegler R, Nawroth PP (1998) AGEs
hormonal inhibition of the calcium pump in the liver and their interaction with AGE-receptors in vascular dis-
plasma membrane. J Bio! Chem 268: 2368-2372 ease and diabetes mellitus. Part 1: The AGE-concept. Car-
Jungermann K, Möhler H (1980) Biochemie. Springer, Berlin diovasc Res 37: 586-600
Beideiberg New York Tokyo Fenner E, King GL (1997) Vascular dysfunction in diabetes
Kimball SR, Vary TC, Jefferson LJ (1994) Regulation of protein mellitus. Lancet 350 (Suppl. I): 9-13
synthesis by insulin. Ann Rev Physiol 56: 321 Giugliano D, Ceriello A, Paolisso G (1995) Diabetes mellitus,
Klarlund JK, Cherniack AD, Conway BR, VanRenterghem B, hypertension and cardiovascular disease: which roJe for
Czech MP: Mechanisms of insulin action. In: Porte D, oxidative stress? Metabolism 44: 363-368
Sherwin RS (eds) Ellenberg & Rifkin's Diabetes mellitus. Halliwell B (1993) The roJe of oxygen radicals in human dis-
Appleton & Lange, Stamford, 5th edn, pp 75-93 ease, with particular reference to the vascular system.
Lane MA (1907) The cytological characters of the areas of Haemostasis 23 suppl 1: 118-126
Langerhans. Am J Anat 7: 409-422 Hunt JV, Smith CCT, Wolff SP (1990) Autoxidative glycosyla-
Lefebvre PJ, Luycks AS (1979) Glucagon and diabetes: a reap- tion and possible involvement of peroxides and free ra-
praisal. Diabetologia 16: 347-354 dicals in LDL modifications. Diabetes 39: 1420-1424
Lomedico PT, Chan SJ, Steiner DF et al. (1977) lmmunological King GL, Brownlee M (1996) The cellular and molecular me-
and chemical characterization of bovine preproinsulin. chanisms of diabetic complications. EndocrinMetabol25:
J Bio! Chem 252: 7971 255-270
Philippe J, Missotten M (1990) Functional characterisation of a Schmidt AM, Yan SD, Stern DM (1995) The dark side of glu-
cAMP-responsive element of the rat insulin I gene. JBio! cose. Nature Med 1: 1002-1004
Chem 8: 225 Stehouwer CDA, Lambert J, Donker AJM, van Hinsbergh
Philippe J (1991) Structure and pancreatic expression of the VWM (1997) Endothelial dysfunction and pathogenesis
insulin and glucagon genes. Endocrirre Rev 12: 252 of diabetic angiopathy. Cardiovascular Res 34: 55-68
Rasmussen H, Zawalih KC, GauesanSet al. (1990) Physiology Vlassara H, Bucala R, Striker L (1994) Pathogenic effects of
and pathophysiology of insulin secretion. Diabetes Care advanced glycosylation: biochemical, biological and clini-
13: 655-666 cal implications for diabetes and aging. Lab luvest 70:
Ravazzola M, Orci L (1980) Glucagon and glicentin immuno- 138-151
reactivity are topologically segregated in the a-granula of
the human pancreatic A cell. Nature 284: 66-67
Redpath NT, Proud CG (1994) Molecular mechanisms in the Literatur zu Abschn. 16.3
control of translation by hormones and growth factors.
Biochim Biophys Acta 1220: 147 Amiel SA (1997) Hypoglycaemia in diabetes mellitus-protec-
Saksela K, Makelöa TP, Hughes K et al. (1992) Activation of ting the brain. Diabetologia 40 (Suppl 2): 562-68
protein kirrase C increases phosphorylation of the L- Biggers DW, Myers SR, Neal D et al. (1989) Role of brain in
myc trans-activator domain at a GSK-3 target site. Onco- counterregulation of insulin-induced hypoglycemia in
gene 7: 347 dogs. Diabetes 38(1): 7-16
Schroeder WT, Lopez SC, Harper ME et al. ( 1984) Localization Borg MA, Sherwin RS, Borg WP, Tarnborlaue WV, Shulman GI
ofthe human glucagon gene (GCG) to chromosome Seg- (1997) Local ventromedial hypothalamus glucose perfu-
ment 2136-37. Cytogenet Cell Genet 38: 76-79 sion blocks Counterregulation during systemic hypoglyce-
Shulmann GI, Barrett EJ, Sherwin RS (1997) Integrated fuel mia in awake rats. J luvest 99: 361-365
metabolism. In: Porte D, Sherwin RS (eds) Ellenberg & Boyle PJ (1997) Alteration in brain glucose metabolism indu-
Rifkin's Diabetes mellitus. Appleton & Lange, Stamford, ced by hypoglycaemia in man. Diabetologia 40 (Suppl2):
5th edn, pp 1-17 S69-74
Stein R (1993) Factors regulating insulin gene transcription. Capella C, Heitz PU, Hofler H, Solcia E, Kloppe! G (1995) Re-
Trends Endocrinol Metab 4: 96 vised classification of neuroendocrine tumours of the
Taeger H, Given B, Baldwirr D et al. (1979) A structurally Jung, pancreas and gut. Virchows Arch 425(6): 547-560
abnormal insulin causing human diabetes. Nature 281: Cersosimo E, Molina PE, Abumrad NN (1997) Renalglucose
122 production during insulin-induced hypoglycemia. Diabe-
Tillil H, Shapiro ET, Miller MA et al. (1988) Dose-clependeut tes 46(4): 643-646)
effects of oral and intravenous glucose on insulin secre- Cersosimo E, Garliek P, Ferretti J (2000) Renal substrate me-
tion and clearance in normal humans. Am J Physiol S254: tabolism and gluconeogenesis during hypoglycemia in
349-357 humans. Diabetes 49: 1186-1193
Tricolli HA V, Bell GI, Shows TB (1984) The human glucagon Clutter WE, Rizza RA, Gerich JE, Cryer PE (1988) Regulation of
gene is located on chromosome 2. Diabetes 33: 200- glucose metabolism by sympathochromaffin catecholami-
202 nes. Diabetes Metab Rev 4(1): 1-15
792 KAPITEL 16 Glukose
Correnti S, Liverani A, Antonini G, Paganelli MT, Mercati U Bell DS, Grizzle WE, Dunlap NE (1995) Nesidioblastosis cau-
(1996) Intraoperative ultrasonography for pancreatic in- sing reversal of insulin-dependent diabetes and develop-
sulinomas. Hepatogastroenterology 43(7): 207-211 ment of hyperinsulinemic hypoglycemia. Diabetes Care
Debrah K, Sherwin RS, Murphy J, Kerr D (1996) Effect of caf- 18(10): 1379-1380
feine on recognition of and physiological responses to hy- Cersosimo E, Molina PE, Abumrad NN: Renalglucose produc-
poglycaemia in insulin-dependent diabetes. Lancet tion during insulin-induced hypoglycemia. Diabetes
347(8993): 19-24 46(4): 643-646
De Feo P, Perriello G, Torlone E et al. (1989) Contribution of Dunne MJ, Kane C, Shepherd RM et al. (1997) Familial persi-
cortisol to glucose counterregulation in humans. Am J stent hyperinsulinemic hypoglycemia of infancy and mu-
Physiol 257(1 Pt l): E35-42 tations in the sulfonylurea receptor. N Engl J Med 336(10):
Dei Prato S, Riccio A, Vigili de Kreutzenberg S, Dorella M, 703-706
Avogaro A, Marescotti MC, Tiengo A (1993) Mechanisms Elias AN, Gwinup G (1982) Glucose-resistant hypoglycemia in
of fasting hypoglycemia and concomitant insulin resistan- inanition. Arch Intern Med 142(4): 743-746
ce in insulinoma patients. Metabolism 42(1): 24-29) Fischer KF, Lees JA, Newman JH (1986) Hypoglycemia in hos-
Folkman J, Watson K, Ingber D, Hanahan D (1989) Induction pitalized patients. Causes and outcomes. N Engl J Med
of angiogenesis during the transition from hyperplasia to 315(20): 1245-1250
neoplasia. Nature 339(6219): 58-61 Goossens A, Gepts W, Saudubray JM, et al. (1989) Diffuse and
Gomez B, Garcia-Villallon AL, Frank A, Garcia JL, Monge L, focal nesidioblastosis. Am J Surg Pathol 13: 766-775
Dieguez G (1992) Effects ofhypoglycemia on the cerebral Hasler WL, Soudah HC, Owyang C (1996) Mechanisms by
circulation in awake goats. Neurology 42(4): 909-16 which octreotide ameliorates symptoms in the dumping
Hampton SM, Beyzavi K, Teale D, Marks V (1988) A direct syndrome. J Pharmacol Exp Ther 277(3): 1359-1365
assay for proinsulin in plasma and its applications in hy- Hogan MJ, Service FJ, Sharbrough FW, Gerich JE (1983) Oral
poglycaemia. Clin Endocrinol (Oxt) 29(1): 9-16 glucose tolerance test compared with a mixed meal in the
Herbay A, Sieg B, Schurmann G, Hofmann WJ, Betzler M, Otto diagnosis of reactive hypoglycemia. A caveat on Stimula-
HF (1991) Proliferative activity of neuroendocrine tu- tion. Mayo Clin Proc 58(8): 491-496
mours of the gastroenteropancreatic endocrine system: Johnson DD, Dorr KE, Swenson WM, Service FJ (1980) Reac-
DNA flow cytometric and immunohistological investiga- tive hypoglycemia. JAMA 243(11): 1151-1155
tions. Gut 32(8): 949-953 Kolaczynski JW, Ylikahri R, Barkonen M, Koivisto VA (1988)
Kisker 0, Bartsch D, Weine! RJ, Joseph K, Welcke UH, Zaraca The acute effect of ethanol on counterregulatory response
F, Rothmund M (1997) The value of somatostatin-recep- and recovery from insulin-induced hypoglycemia. J Clin
tor scintigraphy in newly diagnosed endocrine gastroen- Endocrinol Metab 67(2): 384-388
teropancreatic tumors. J Am Coll Surg 184(5):487-492 Lecavalier L, Bolli G, Cryer P, Gerich J (1989) Contributions of
Kubota A, Yamada Y, Kagimoto Set al.(1994) Identification of gluconeogenesis and glycogenolysis during glucose Coun-
somatostatin receptor subtypes and an implication for the terregulation in normal humans. Am J Physiol256(6 Pt 1):
efficacy of somatostatin analogue SMS 201-995 in treat- E844-51
ment of human endocrine tumors. J Clin Invest 93(3): Lee MD, Zentella A, Vine W, Pekala PH, Cerami A (1987) Ef-
1321-1325 fect of endotoxin-induced monokines on glucose metabo-
Maggs DG, Borg WP, Sherwin RS (1997) Mieredialysis techni- lism in the muscle cellline L6. Proc Natl Acad Sei USA
ques in the study of brain and skeletal muscle. Diabeto- 84(9): 2590-4-259
logia 40 (Suppl 2): S75-82 Le Roith D (1997) Seminars in medicine ofthe Beth Israel Dea-
Marks V, Rose FC (1981) Hypoglycemia. 2nd edn, Blackwell, coness Medical Center. Insulin-like growth factors. N Eng!
Oxford J Med 336(9): 633-640
McMahon MM, O'Brien PC, Service FJ (1989) Diagnostic in- Marks V, Teale JD (1999) Drug-induced hypoglycemia. Endo-
terpretation ofthe intravenous tolbutamide test for insu- crinol Metab Clin North Am 28(3): 555-577
linoma. Mayo Clin Proc 64(12):1481-1488 Palardy J, Havrankova J, Lepage R, MatteR, Belanger R, D'A-
Moertel CG, Letkopoulo M, Lipsitz S, Hahn RG, Klaassen D mour P, Ste-Marie LG (1989) Blood glucose measure-
( 1992) Streptozocin-doxorubicin, streptozocin-fluoroura- ments during symptomatic episodes in patients with su-
cil or chlorozotocin in the treatment of advanced islet-cell spected postprandial hypoglycemia. N Eng! J Med
carcinoma. N Engl J Med 326(8): 519-523 321(21): 1421-1425
Service FJ (1995) Hypoglycemic disorders. N Engl J Med Pandit MK, Burke J, Gustafson AB, Minocha A, Peiris AN
332(17): 1144-1152 (1993) Drug-induced disorders of glucose tolerance.
Service FJ, O'Brien PC, Kao PC, Young WF Jr (1992) C-peptide Ann Intern Med 118(7): 529-539
suppression test: effects of gender, age, and body mass Ron D, Powers AC, Pandian MR, Godine JE, Axelrod L (1989)
index; implications for the diagnosis of insulinoma. J lncreased insulin-like growth factor II production and
Clin Endocrinol Metab 74(1):204-210 consequent Suppression of growth hormone secretion:
Simpson lA, Appel NM, Hokari M, Oki J, Holman GD, Maher a dual mechanism for tumor-induced hypoglycemia. J
F, Koehler-Stec EM, Vannucci SJ, Smith QR (1999) Blood- Clin Endocrinol Metab 68(4): 701-706
brain barrier glucose transporter: effects of hypo- and hy- Seckl MJ, Mulholland PJ, Bishop AE, Teale JD, Haies CN, Gla-
perglycemia revisited. J Neurochern Jan; 72(1): 238-247 ser M, Watkins S, Seckl JR (1999) Hypoglycemica due to
Towler DA, Havlin CE, Craft S, Cryer P (1993) Mechanism of an insulin -secreting small-cell carcinoma of the cervix.
awareness of hypoglycemia. Diabetes 42: 1791-1798 N Eng! J Med 341(10): 733-736
Sempoux C, Poggi F, Brunelle F, Saudubray JM, Fekete C, Ra-
hier J (1995) Nesidioblastosis and persistent neonatal hy-
Literatur zu Abschn. 16.4 perinsulinism. Diabete Metab 21(6): 402-407
Shapiro ET, Bell GI, Polonsky KS, Ruhenstein AH, Kew MC,
Albers N, Lohr M, Bogner U, Loy V, Kloppe! G (1989) Nesidio- Tager HS (1990) Tumor hypoglycemia: relationship to
blastosis of the pancreas in an adult with persistent hyper- high molecular weight insulin-like growth factor-II. J
insulinemic hypoglycemia. Am J Clin Pathol 91(3): Clin Invest 85(5): 1672-1679
336-340 Teale JD, Marks V (1998) Glucocorticoid therapy suppresses
Bas F, Darendeliler F, Demirkol D, Bundak R, Saka N, Gunoz H abnormal secretion ofbig IGF-II by non-islet cell tumours
(1999) Successful therapy with calcium channel blocker inducing hypoglycaemia. Clin Endocrinol (Oxt) 49(4):
(nifedipine) in persistent neonatal hyperinsulinemic 491-498
hypoglycemia of infancy. J Pediatr Endocrinol Metab Thomas PM (1997) Current Opinion in Endocrinology and
12( 6): 873-878 Diabetes 4. pp 272-276
Literatur 793
Wal van der BC, de Krijger RR, de Herder WW, Kwekkeboom Christie MR, Tun RY, Lo SS et al. (1992) Antihoclies to GAD
DJ, van der Harn F, Bonjer HJ, van Eijck CH (2000) Adult and tryptic fragments of islet 64 Kantigen as distinct mar-
hyperinsulinemic hypoglycemia not caused by an insuli- kers for development of IDDM. Studies with identical
noma: a report of two cases. Virchows Arch 436(5): twins. Diabetes 41: 782-787
481-486 Conrad B, WeidmannE, Trucco G et al. (1994) Evidence for
Wasada T, Hizuka N, Yamamoto Met al. {1992) An insulin- superantigen involvement in insulin-dependent diabetes
like growth factor 11-producing histiocytoma associated mellitus aetiology. Nature 371: 351-355
with hypoglycemia: analysis of the peptide, its gene ex- Conrad B, Weissmahr RN, Boni J, Arcari R, Schupbach J, Mach
pression, and glucose transporter isoforms. Metabolism B. (1997) A human endogenaus retroviral superantigenas
41(3): 310-316 candidate autoimmune gene in type I diabetes. Cell 90:
Wilkin TJ, Harnmonds P, Mirza I, Bone AJ, Webster K (1988) 303-313
Graves' disease of the beta cell: glucose dysregulation due Copeman JB, Cucca F, Hearne CM et al. {1995) Linkage dis-
to islet-cell stimulating antibodies. Lancet 2(8621): equilibrium mapping of a type 1 diabetes suspectibility
1155-1158 gene (IDDM 7) to chromosome 2q31-q33. Nature Genet
9: 80-85
Dahlquist G. (1993) Etiological aspects of insulin-dependent
Literatur zu Abschn. 16.5 diabetes mellitus: an epidemiological perspective. Auto-
immunity 15: 61-65
Davies JL, Cucca F, Goy JV et al. (1996) Saturationmultipoint
Arden C, Toeller M, Schumacher W, Heitkamp G, Gries FA linkage mapping of chromosome 6q in type 1 diabetes.
(1997) Aspekte der Lebensqualität bei Typ-I-Diabetikern Hum Mol Genet 5: 1071-1074
der Düsseldorfer EURODIAB-Stichprobe. Diab Stoffw 6: De Filippo G, Carel JC, Boitard C, Bougneres PF (1996) Lang-
189-198 term results of early cyclosporin therapy in juvenile
Assal JP, Aoki TT, Manzano FM, Kozak GP (1974) Metabolie IDDM. Diabetes 45: 101-104
effects of sodium bicarbonate in management of diabetic Dobersen MJ, Scharff JE, Ginsberg-Feliner F, Notkins AL
ketoacidosis. Diabetes 23: 405-411 (1980) Cytotoxic autoantibodies to beta cells in theserum
Atkinson MA, Bowman MA, Campbell L, Darrow BL, Kaufman of patients with insulin-dependent diabetes mellitus. N
DL, Maclaren NK (1994) Cellular immunity to a determi- Eng! J Med 303: 1493-1498
nant common to glutamate decarboxylase and coxsackie Dunn F, Nathan DM, Scavini M, Selam J, Wingrove TG {1997)
virus in insulin-dependent diabetes (see comments). J Long-term therapy of IDDM with an implantable insulin
Clin Invest 94: 2125-2129 pumpe. Diabetes Care 20: 59-63
Awata T, Kurihara S, Iitaka M, Takei S-1, lnoue I, Ishii C, Ne- Eisenbarth GS, Morris MA, Scearce RM. (1981) Cytotoxic auto-
gishi K, Izumida T, Yoshiba Y, Hagura R, Kuzuya N, Ka- antibodies to cloned rat islet cells in serum of patients
nazawa Y, Katayama S (1998) Association ofCTLA-4 gene with diabetes mellitus. J Clin lnvest 67: 403-408
A-G polymorphism (IDDM 12 locus) with. acute-on~et Elliott RB, Pileher CC, Fergusson DM, Steward AW (1996) A
and insulin-depleted IDDM as weil as autOimmune dts- population based strategy to prevent insulin-dependent
ease (Graves' disease and Hashimoto's thyreoiditis) in diabetes using nicotinamide. J Pediatr Endocrinol Metab
the japanese population. Diabetes 47: 128-129 . . 9: 501-509
Barnett AH, Epp C, Leslie RDG, Pyke DA. (1981) Dtabetes m Faich GA, Fishbein HA, Ellis SE (1983) The epidemiology of
identical twins. A study of 200 pairs. Diabetologia 20: diabetic acidosis: a population-based study. Am J Epide-
87-93 miol117: 551-558
Bell GI, Horita S, Karam JH (1984) A polymorphic locus near Feutren G, Papotz L, Assan R et al. (1986) Cyclosporin increa-
the human insulin gene is associated with insulin-depen- ses the rate and length of remissions in insulin-dependent
dent diabetes mellitus. Diabetes 33: 176-183 diabetes of recent onset. Results of a multicentre double-
Bennett ST, Lucassen AM, Gough SC, Powell EE, Undlien DE, blind trail. Lancet 2: 119-124
Pritchard LE, Merriman ME, Kawaguchi Y, Dronsfield MJ, Foulis AK, McGill M, Farquharson MA, Hilton DA (1997) A
Pociot Fetal. (1995) Susceptibility to human type 1 dia- search for evidence of viral infection in pancreases of
betes at IDDM 2 is determined by tandem repeat variation newly diagnosed patients with IDDM. Diabetologia 40:
at the insulin gene minisatellite locus. Nat Genet 9: 53-61
284-292 Gallwitz B, Schmidt WE (1997) Insulinanaloga und neue Anti-
Bingley PJ, Christie MR, Bonifacio E et al. (1994) Combined diabetika: Perspektiven der Diabetestherapie. Internist 38:
analysis ~f autoanti~odies i~~roves rredicti?n of 617-624
IDDM in tslet cell anttbody-poslttve relatives. Dtabetes Gimeno SGA, DeSouza JMP (1997) IDDM and milk consump-
43: 1304-1310 tion. A case-control study in Sao Paulo, Brazil. Diabetes
Bode BW, Steed RD, Davidson PC (1996) Reduction in servere Care 20: 1256-1260
hypoglycemia with long-term continous subcutanous in- Gorsuch AN, Spencer KM, Lister J, WolfE, Bottazzo GF, Cud-
sulin infusion in type I diabetes. Diabetes Care 19: worth AG (1982) Can futuretype 1 diabetes be predicted?
324-327 A study in families of affected children. Diabetes 31:
Cavan DA, Penny MA, Bain SC, Barnett HA. Alberti KGMM, 862-866
Zimmet P, De Fronzo RA, Keen H (eds) (1997) Interna- Harrison LC, Colman PG, Dean B, Baxter R, Martin FI {1985)
tional Textbook of Diabetes mellitus. 6, Molecular gene- Increase in remissionrate in newly diagnosed type I dia-
tics of Typ-1-Diabetes mellitus. Chichester: John Wiley pp betic subjects treated with azathioprine. Diabetes 34:
109-124 1306-1308
Charron-Prochownik D, Maihle T, Siminerio L, Songer T. Hashimoto L, Habita C, Beressi JP et al. {1994) Genetic map-
(1997) Outpatient versus inpatient care of children newly ping of a susceptibility locus for insulin-dependent diabe-
diagnosed with IDDM. Diabetes Care 20: 657-660 tes mellitus on chromosome llq. Nature 371: 161-164
Cheetham TD, Jones J, Taylor AM, Holly J, Matthews DR, Dun- Hering BJ, Browatzki CC, Schultz AO, Bretzel RG, Federlin K
ger DB. {1993) The effects of recombinant insulin-like (1994) Islet transplant registry report on adult and fetal
growth factor I administration on growth hormone Ievels islet allografts. Transplant Proc 26: 565-568
and insulin requirements in adolescents with type 1 (in- Herskowitz RD, Jackson RA, Soeldner JS, Eisenbarth GS (1989)
sulin-dependent) diabetes mellitus. Diabetologia 36: Pilot trial to prevent type I diabetes: progression to overt
678-681 IDDM despite oral nicotinamide. J Autoimmun 2:
733-737
794 KAPITEL 16 Glukose
Hitman GA, Tarn AC, Winter RM et al. (1985) Type 1 (insulin- Meloni T, La Vecchia C, Marinaro AM, Negri E, Mannazzu MC,
dependent) diabetes and a highly variable locus close to Colombo C, Ogana A (1997) IDDM and early infant fee-
the insulin gene on chromosome 11. Diabetologia 28: ding. Sardinian case-control study. Diabetes Care 20:
218-222 340-342
Holleman F, Hoekstra JBL (1997) Insulin Lispro. N Engl J Med Merriman T, Twells R, Merriman Met al. (1997) Evidence by
337: 176-183 allelic association-dependent methods foratype 1 diabe-
Hyöty H, Hiltunen M, Reuanen A et al. (1993) Decline of tespolygene (IDDM 6) on chromosome 18q21. Hum Mol
mumps antibodies in Type l(insulin-dependent) diabetic Genet 6: 1003-1010
children and a plateau in the rising incidence of Type 1 Millward BA, Alviggi L, Hoskins PJ et al. (1986) Immune chan-
diabetes after introduction of the mumps-measles-rubella ges associated with insulin dependent diabetes may remit
vaccine in Finland. Diabetologia 36: 1303-1308 without causing the disease: a study in identical twins. Br
Jaremko J, Rorstad 0 (1998) Advances toward the implantable Med J 292: 793-796
artificial pancreas for treatment of diabetes. Diabetes Care Moraharr G, Huang D, Tait BD, Colman PG, Harrison LC
21: 444-450 (1996) Markers on distal chromosome 2q linked to insu-
Kahaly G, Förster G, Otto E, Harrsen C, Schulz G (1997) Dia- lin-dependent diabetes mellitus. Science 272: 1811-1813
betes mellitus Typ 1 als Teil des polyglandulären Autoim- Moritani M, Yoshimoto K, Li S et al. (1996) Prevention of ad-
munsyndroms. Diab Stoffw 6: 19-27 optively transferred diabetes in nonobese diabetic mice
Karjalainen J, Martin JM, Knip Met al. (1992) A bovine albu- with IL-10-transduced islet-specific Thl lymphocytes. A
mirre peptide as a possible trigger of insulin-dependent gene therapy model for autoimmune diabetes. J Clin In-
diabetes mellitus. N Engl J Med 327: 302-307 vest 98: 1851-1859
Karounos DG, Wolinsky JS, Thomas JW (1993) Monoclonal Muir A, Schatz D, Maclaren N (1993) Antigen-specific immu-
antibody to rubella virus capsid protein recognizes a ß- notherapy: oral tolerance and subcutaneous immunisati-
cell antigen. J Immunol 150: 3080-3085 on in the treatment of insulin-dependent diabetes. Diabe-
Katz JD, Benoist C, Mathis D (1995) T helper cell subsets in tes Metab Rev 9: 279-287
insulin-dependent diabetes. Science 268: 1185 Neu A, Hub R, Kehrer M, Ranke MB (1997) Incidence ofiDDM
Keller RJ, Eisenbarth GS, Jackson RA (1993) Insulin prophy- in German Children Aged 0-14 Years. A 6-year popula-
laxis in individuals at high risk of type I diabetes (see com- tion-based study (1987-1993). Diabetes Care 20: 530-533
ments). Lancet 341: 927-928 Olmos P, A'Hern R, Heaton DA, Millward BA, Risley D, Pyke
Klöppel G, Clemens A (1996) [Insulin-dependent diabetes DA, Leslie RD (1988) The significance of the concordance
mellitus. Current aspects of morphology, etiology and pa- rate for type 1 (insulin-dependent) diabetes in identical
thogenesis] lnsulinabhängige,r Diabetes mellitus. Aktuelle twins. Diabetologia 31: 747-750
Aspekte zur Morphologie, Atiologie und Pathogenese. Owerbach D, Gabbay KH (1996) The Search for IDDM Suspe-
Pathologe 17: 269-275 tibility Genes. The Next Generation. Diabetes 45: 544-551
Kuzuya H, Matsuura N, Sakamoto Met al. (1993) Trial of in- Padaiga Z, Tuomilehto J, Karvorren Met al. (1997) Incidence
sulinlike growth factor I therapy for patients with extreme trends in childhood onset IDDM in four countries around
insulin resistance syndromes. Diabetes 42: 696-705 the Baltic sea during 1983-1992. Diabetologia 40: 187-192
Kwok WW, Mickelson E, Masewicz S, Milner EC, Harrsen J, Pietropaolo M, Castano L, Babu S et al. (1993) Islet cell auto-
Nepom GT (1990) Polymorphie DQ alpha and DQ beta antigen 69 kD (ICA69). Molecular cloning and characte-
interactions dictate HLA dass II determinants of allo-re- rization of a novel diabetes-associated autoantigen. J Clin
cognition. J Exp Med 171: 85-95 Invest 92: 359-371
Lampeter EF, Hornberg M, Quaheck K et al. (1993) Transfer of Pietropaolo M, Trucco M (1996) Viralelements in autoimmu-
insulin-dependent diabetes between HLA-identical si- nity of Typ-I-Diabetes. TE M 7: 139-144
blings by hone marrow transplantation. Lancet 341: Pociot F, Nerup J (1993) A chromosome 2 suspectibility mar-
1243-1244 ker in familial IDDM: the IL-1 receptor antagonist. Dia-
Leslie RD, Pyke DA, Denman AM (1985) Immunosupressive betologia 36: Al7
therapy in diabetes [Ietter ]. Lancet 1: 516 Pozzilli P, Visalli N, Cavallo MG et al. (1997) Vitamin E and
Libman I, Songer T, LaPorte R (1993) How many people in nicotinamide have similar effects in maintaining residual
USA have IDDM? Diabetes Care 16: 841-842 ß-cell function in recent onset insulin-dependent diabetes
Löhr M, Klöppel G (1987) Residualinsulin positivity and pan- (the IMDIAB IV study). Eur J Endocrinology 137: 234-239
creatic atrophy in relation to duration of chronic type 1 Püschel K, Lockemann U, Saukko P, Klöppel G, Eiseurnenger
(insulin-dependent) diabetes mellitus and microangiopa- W (1996) Scharlatanerie mit tödlichem Ausgang. Münch
thy. Diabetologia 30: 757-762 • Med Wochensehr 138: 287-290
Ludvigsson J, Heding L, Lieden G, Marner B, Lernmark A QuaUrin T, Thrailkill K, Baker Letal. (1997) Dual hormonal
(1983) Plasmapheresis in the initial treatment of insu- replacement with insulin and recombinant human insu-
lin-dependent diabetes mellitus in children. Br Med J lin-like growth factor I in IDDM. Effects on glycemic cont-
Clin Res 286: 176-178 rol, IGF-1 Ievels, and safety profile. Diabetes Care 20:
Mandrup Poulsen T, Reimers Jl, Andersen HU, Pociot F, 374-380
Karlsen AE, Bjerre U, Nerup J (1993) Nicotinamide treat- Rabinovitch A (1994) Immunoregulatory and cytokine imba-
ment in the prevention of insulin-dependent diabetes lances in the pathogenesis of IDDM. Therapeutic inter-
mellitus. Diabetes Metab Rev 9: 295-309 vention by immunostimulation? Diabetes 43: 613-621
Martin S, Schernthaner G, Nerup Jet al. (1991) Follow-up of Rapoport MJ, Jaramillo A, Zipris D et al. (1993) Interleukin 4
cyclosporin A treatment in type 1 (insulin-dependent) reverses T cell proliferative unresponsiveness and pre-
diabetes mellitus: Iack of long-term effects. Diabetologia vents the onset of diabetes in nonobese diabetic mice. J
34: 429-434 Exp Med 178: 87-99
Mathieu C, Laureys J, Sobis H, Vandeputte M, Waer M, Bouil- Roep BO (1996) T-cell responses to autoantigens in IDDM.
lon R (1992) 1,25-Dihydroxyvitamin D3 prevents insulitis The search for the Holy Grail. Diabetes 45: 1147-1156
in NOD mice. Diabetes 41: 1491-1495 Roep BO, Duinkerken G, Schreuder GM, Kolb H, de Vries RR,
Mathieu E, Fain 0, Sitbon M, Thomas M (1995) [Autoimmune Martin S (1996) HLA-associated inverse correlation be-
diabetes after treatment with interferon-alpha (Ietter)] tween T cell and antibody responsiveness to islet autoan-
Diabete auto-immun apres traitement par interferon tigen in recent-onset insulin-dependent diabetes mellitus.
alpha. Presse Med 24: 238 Eur J Immunol 26: 1285-1289
McGinnis RE, Spielman RS (1995) Insulin expression: is VNTR
allele 698 really anomalous? Nature Genet 10: 378-380
Literatur 795
Rowe RE, Wapelhorst B, Bell GI, Risch N, Spielman RS, Can- Tyden G, Tibell A, Sandberg J, BraUstrom C, Groth CG (1996)
cannon P (1995) Linkage and association between insulin- Improved results with a simplified technique for pancrea-
dependent diabetes mellitus (IDDM) suspectibility and ticoduodenal transplantation with enteric exocrine drai-
markers near the glukokinase gene on chromosome 7. Na- nage. Clin Transplant 10: 306-309
ture Genet 10: 240-242 Vague P, Picq R, Bemal M, Lassmann Vague V, Vialettes B
Schiel R, Müller UA, Kalbas B, Franke I (1996) Diabeteswissen (1989) Effect of nicotinamide treatment on the residual
und Lebensqualitätzweier Patientengruppen mit intensi- insulin secretion in type 1 (insulin-dependent) diabetic
vierter konventioneller lnsulintherapie. Diab Stoffw 5: patients. Diabetologia 32: 316-321
63-68 Verge CF, Gianani R, Kawasaki E et al. (1996) Prediction of
Schrezenmeir J, Laue C (1996) Aktuelle Aspekte der Inseltrans- type I diabetes in first-degree relatives using a combina-
plantation. Med Klin 91: 19-24 tion of insulin, GAD, and ICA512bdc/IA-2 autoantibo-
Scott CR, Smith JM, Cradock MM, Pihoker C (1997) Charac- dies. Diabetes 45: 926-933
teristics of youth-onset noninsulin-dependent diabetes Vialettes B, Schmitt N, HirnMet al. (1991) The soluble recep-
mellitus and insulin-dependent diabetes mellitus at dia- tor of interleukin 2 is not a serum marker of the autoim-
gnosis. Pediatrics 100: 84-91 mune activity in type I diabetes mellitus. Autoimmunity
Secchi A, Socci C, Maffi P et al. (1997) Islet transplantation in 11: 53-59
IDDM patients. Diabetologia 40: 225-231 Virtanen SM, Sankkonen T, Savilahti E et al. (1994) Diet, cow's
Shamis I, Goldsang G, Gordon 0, Laron Z, Albag Y (1997) Eth- milk protein antihoclies and the risk of IDDM in Finnish
nic differences in the incidence of childhood IDDM in Is- children. Childhood Diabetes in Finland Study Group.
rael (1965-1993). Marked increase since 1985, especially Diabetologia 37: 381-387
in Yemenite Jews. Diabetes Care 20: 504-508 WHO (1985) Diabetes mellitus. Report ofWHO Study Group.
Shehadeh N, Calcinaro F, Bradley BJ, Bruchtim I, Vardi P, Laf- WHO Techn Rep Ser. WHO. 727
ferty KJ (1994) Effect of adjuvant therapy on development WHO (1980) Expert Committee on Diabetes Mellitus. Second
of diabetes in mouse and man (see comments). Lancet report. Technical report series. Geneva, WHO
343: 706-707 Wiley J (1997) Genelies ofDiabetes. In: Scheuner MT, Raffel LJ,
Sibley RK, Sutherland DER, Goetz FC, Michael AF (1985) Re- Rotter JI. Alberti KGMM, Zimmet P, De Fronzo RA, Keen
current diabetes mellitus in the pancreatic iso- and allo- H (eds) International Textbook of Diabetes mellitus. Chi-
graft period. A light and electron microscopic and immu- chester, pp 37-88
nohistochemical analysis of four cases. Lab lnvest 53: Yang X, Michie SA, Mebius RE, Tisch R, Weissman I, McDevitt
132-144 HO (1996) The Role of Cell Adhesion Molecules in the
Silverstein J, Maclaren N, Riley W, Spillar R, Radjenovic D, Development of IDDM. Implications for Pathogenesis
Johnson S (1988) Immunosupression with azathioprine and Therapy. Diabetes 45: 705-710
and prednisone in recent-onset insulin-dependent diabe- Yilmaz MT, Devrim AS, Biyal F et al. (1993) Immunoprotec-
tes mellitus. N Eng! J Med 319: 599-604 tion in spontaneaus remission of type 1 diabetes: long-
Skyler JS, Lorenz TJ, Schwartz Set al. (1993) Effects of an anti- term follow-up results. Diabetes Res Clin Pract 19: 151-162
CDS immunoconjugate (CD5-plus) in recent onset type I Zhang ZJ, Davidson L, Eisenbarth G, Weiner HL (1991) Sup-
diabetes mellitus: a preliminary investigation. The CD5 pression of diabetes in nonobese diabetic mice by oral ad-
Diabetes Project Team. J Diabetes Complications 7: ministration of porcine insulin. Proc Natl Acad Sei U S A
224-232 88: 10252-10256
Snorgaard 0, Eskildsen PC, Vadstrup S, Nerup J (1989) Dia- Ziegler AG, Bachmann W, Rabl W (1993) Prophylactic insulin
betic ketoacidosis in Denmark: epidemiology, incidence tr;:atment in relatives at high risk for type 1 diabetes. Dia-
rates, precipitating factors and mortality rates. J lnt betes Metab Rev 9: 289-293
Med 226: 223-228 Zimmet P (1982) Type II (non-insulin dependent) diabetes-an
Solimena M, Folli F, Aparisi R, Pozza G, De Camilli P (1990) epidemiological overview. Diabetologia 22: 399-411
Autoantibodies to GABA-ergic neurons and pancreatic Zumbach M, Butz B, Liedvogel B et al. (1996) GAD-Antikörper
beta cells in stiff-man syndrome. N Eng! J Med 322: zur Diagnose eines Typ-I-Diabetes bei Patienten mit spä-
1555-1560 ter Manifestation. Diab Stoffw 5: 153-156
Steiner DF, James DE (1992) Cellular and molecular biology of
the beta cell. Diabetologia 35 (Suppl. 2): S41-S48
Sutherland DE, Gruessner A, Moudry Munns K (1991) Report Literatur zu Abschn. 16.6
on results of pancreas transplantation in the United States
October 1987 to October 1991 from the United Network
for Organ Sharing Registry. Clin Transplant 5: 31-38 Aguilar-Bryan L, Niehots CG, Wechsler SW et al. (1995) Clo-
The Diabetes Control And Complications Trail Research ning of the ß-cell high-affinity sulfonylurea receptor: A
Group (1993) The effect of intensive treatment of diabetes regulator of insulin secretion. Science 268: 423-426
on the development and progression of long-term com- Araki E, Lipes MA, Patti ME, Bruning JC, Haag B rd, Johnson
plications in insulin-dependent diabetes mellitus. N RS, Kahn CR (1994) Alternative pathway of insulin signal-
Eng! J Med 329: 977-986 ling in mice with targeted disruption of the IRS-1 gene.
The Expert Commitee on the Diagnosis and Classification of Nature 372: 186-190
Diabetes Mellitus (1997) Report of the Expert Commitee Baier LJ, Saccettini JC, Knowler WC et al. (1995) An amino acid
on the Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus. substitution in the human intestinal fatty acid binding
Diabetes Care 20: 1183-1197 protein is associated with increased fatty acid binding, in-
Thomson G, Robinson WP, Kuhner MK et al. (1988) Genetic creased fat oxidation, and insulin resistance. J Clin Invest
heterogeneity, modes of inheritance, and risk estimates 95: 1281
for a joint study of Caucasians with insulin-dependent Blankenhorn DH, Azen SP, Kramsch DM et al. (1993) Coro-
diabetes mellitus. Am J Hum Genet 43: 799-816 nary angiographic changes with lovastatin therapy: the
Tiedge M, Hohne M, Lenzen S (1993) Insulin secretion, insulin Monitared Atherosclerosis Regression Study (MARS).
content and glucose phosphorylation in RINm5F insuli- Ann Intern Med 119: 969-976
noma cells after transfection with human GLUT2 glu- Boden G, Chen X, Kolaczynski JW, Polansky M (1997) Effects
cose-transporter cDNA. Bioehern J 296: 113-118 of prolonged hyperinsulinemia on serum leptin in normal
Tillil H, Kobberling J ( 1987) Age-corrected empirical genetic human subjects. J Clin Invest 100: 1107-1113
risk estimates for first-degree relatives ofiDDM patients. Burant CF, Sreenan S, Hirano KI et al. (1997) Troglitazone ac-
Diabetes 36: 93-99 tion is independent of adipose tissue. J Clin Invest 100:
2900-2908
796 KAPITEL 16 Glukose
Chen NG, Swick AG, Romsos DR (1997) Leptin constrains Leahy JL (1990) Natural history of ß-cell dysfunction in
acetylcholine-induced insulin secretion from pancreatic NIDDM. Diabetes Care 13: 992-1010
islets of ob/ob mice. J Clin Invest 100: 1174-1179 Maddux BA, Sbraccia P, Kumakura Set al. (1995) Membrane
Colditz GA, Willett WC, Stampfer MJ, Mansan JE, Hennekens glycoprotein PC-1 and insulin resistance in non-inswin-
CH, Arky RA, Speizer FE ( 1990) Weight as a risk factor for dependent diabetes mellitus. Nature 373: 448-451
clinical diabetes in warnen. Am J Epidemioll32: 301-513 Maheux P, Azhar S, Kern PA, Chen YDI, Reaven GM (1997)
ConiffRF, Shapiro JA, Seaton TB, Bray GA (1995) Multicenter, Relationship between insulin-mediated Glukose disposal
placebo-controlled trial comparing acarbose (BAY g5421) and regulation of plasma and adipose tissue Iipoprotein
with placebo, tolbutamide, and tolbutamide-plus Acar- Iipase. Diabetologia 40: 850-858
bose in non-insulin-dependent diabetes mellitus. Am J McCance DR, Pettitt DJ, Hanson RL, Jacobsson LT, Knowler
Med 98: 443-451 WC, Bennett PH (1994) Birth weight and non-insulin-de-
DeFronzo RA, Goodman AM, and the Multicenter Metformin pendent diabetes: thrifty genotype, thrifty phenotype, or
Study Group (1995) Efficacy of metformin in patients with surviving small baby genotype? BMJ 308: 942-945
non-insulin-dependent diabetes mellitus. N Engl J Med Mueckler M, Kruse M, Strube M et al. (1994) A mutation of the
333: 541-549 GLUT2 Glukosetransportergene of a diabetic patient ab-
De Koning EJP, Morris ER, Hofhuis FMA et al. (1994) Intra- olishes transport activity. J Bio! Chem 37: 17765
and extracellular amyloid fibrils are formed in cultured Muller HK, Kellerer M, Ermel B, Muhlhofer A, Obermaier-
pancreatic islets of transgenic mice expressing human Kusser B, Vogt B, Haring HU (1991) Prevention by protein
amyloid polypeptide. Proc Natl Acad Sei USA 91: kinase C inhibitors of Glukose-induced insulin receptor
8467-8471 tyrosine kinase resistance in rat fat cells. Diabetes 40:
Eastman RC, Carson RE, Gordon MR et al. (1990) Brain Glu- 1440-1448
kose metabolism in non-insulin-dependent diabetes mel- Naggert JK, Fricker LD, Varlamov 0 et al. (1995) Hyperpro-
litus: a study in Pima Indians using positron emission to- insulinaemia in obese fat/fat mice associated with a car-
mography during hyperinsulinemia with euglycemic boxypeptidase Emutation which reduces enzyme activity.
clamp. J Clin Endocrinol Metab 71: 1602-1610 Nature Genet 10: 135
Ericsson CG, Hamsten A, Nilsson J, Grip L, Svane B, de Faire U National High Blood Pressure Education Program Warking
(1996) Angiographic assessment of effects of bezafibrate Group Report on Hypertension in Diabetes. (1994) Hyper-
on progression of coronary artery disease in young male tension 23: 145-158
postinfarction patients. Lancet 347: 849-853 Olansky L, Janssen R, Welling C et al. (1992) Variability of the
Ferrannini E, Natali A, Bell P, Cavallo-Perin P, Lalic N, Min- insulingenein American blacks with NIDDM. J Clin In-
grone G (1997) Insulin resistance and hypersecretion in vest 89: 1596
obesity. J Clin Invest 100: 1166-1173 Pettitt DJ, Forman MR, Hanson RL, Knowler WC, Bennett PH
Grant PJ, Strickland MH, Mansfield MW (1995) Insulin recep- (1997) Breastfeeding and incidence of non-inswin-depen-
tor substrate-1 gene and cardiovascular risk factors in dent diabetes mellitus in Pima Indians. Lancet 350:
NIDDM [Letter]. Lancet 346: 841-842 166-168
Guillam MT, Hümmler E, Schaerer E et al. (1997) Early diabe- Reynet C, Kahn CR (1993) Rad: A member of the ras family
tes and abnormal postnatal pancreatic islet development overexpressed in muscle of Type II diabetic humans. Sci-
in mice lacking Glut-2. Nature Genet 17: 327-330 ence 262: 1441-1444
Hager J, Hansen L, Vaisse C et al. (1995) Amissensemutation Ricote M, Li AC, Wilson TM, Kelly CJ, Glass CK (1998) The
in the Glukagon receptor gene is associated with non-in- peroxisome proliferator-activated receptor-y is a negative
sulin-dependent diabetes mellitus. Nature Genet 9: regulator of macrophage activation. Nature 391: 79-82
299-304 Roden M, Price TB, Perseghin G, Peterson KF, Rothman DL,
Horikawa Y, Iwasaki N, Hara Met al. (1997) Mutation in he- Cline GW, Shulman GI (1996) Mechanism of free fatty
patocyte nuclear factar-Iß gene (TCF2) associated with acid-induced insulin resistance in humans. J Clin Invest
MODY. Nature Genet 17: 384-385 97: 2859-2865
Hotamisligil GS, Peraldi P, Budavari A, Ellis R, White MF, Saghizadeh M, Ong JM, Garvey WT, Henry RR, Kern PA (1996)
Spiegelman BM (1996) IRS-1 mediated inhibition of insu- The expression of TNF-a by human muscle. J Clin Invest
lin receptor tyrosine kinase activity in TNF-a and obesity- 97: 1111-1116
induced insulin resistance. Science 271: 665-668 Seracchi LA, Brown TJ, Maclusky N, Brubaker PL, Auerbach
Jonas M, Reicher-Reiss H, Boyko V, Shotan A, Mandelzweig L, AB, Joyner AL, Drucker DJ (1996) Glukose intolerance but
Goldbourt U, Behar S (1996) Usefulness of ß-blocker the- normal satiety in mice with a null mutation in the Gluka-
rapy in patients with non-insulin dependent diabetes mel- gon-like peptide 1 receptor gene. Nature Med 2:
litus and coronary artery disease. Bezafibrate Infarction 1254-1258
Prevention (BIP) Study Group. Am J Cardiol 77: Stenbit AE, Tsao TS, Li J et al. (1997) GLUT4 heterozygous
1273-1277 knockout mice develop muscle insulin resistance and dia-
Kahn SE, Leonetti DL, Prigeon RL, Boyko EJ, Bergstom RW, betes. Nature Med 3: 1096-1101
Fujimoto WY (1996) Proinsulin Ievels predict the develop- Stumvoll M, Nurjhan N, Perriello G, Dailey G, Gerich JE (1995)
ment of non-insulin-dependent diabetes mellitus Metabolie effects of metformin in non-insulin-dependent
(NIDDM) in Japanese-American men. Diabet Med 13 diabetes mellitus. N Engl J Med 333: 550-554
(Suppl): S63-S66 Tamemoto H, Kadowaki T, Tobe K et al. (1994) Insulin resi-
Kelleher C, Kingston SM, Barry DG, Cole MM, Perriss JB, Grea- stance and growth retardation in mice lacking insulin re-
ly G, Joyce C, O'Sullivan DJ (1988) Hypertension in dia- ceptor substrate-1. Nature 372: 182-186
betic clinics patients and their siblings. Diabetologia 31: Tenkanen L, Mänttäri M, Manninen V (1995) Same coronary
76-81 risk factors related to the insulin resistance sydrome and
Kirchgessner TG, Uysal KT, Wiesbrack SM, Marino MW, Ho- treatment with gemfibrozil. Circulation 92: 1779-1785
tamisligil GS (1997) Tumor necrosis factora contributes Turner R, Stratton I, Horton V et al. (1997) UKPDS 25: auto-
to obesity-related hyperleptinemia by regulating leptin re- antibodies to islet-cell cytoplasm and glutamic acid decar-
lease from adipocytes. J Clin Invest 100: 2777-2782 boxylase for prediction of insulin requirement in type 2
Kulkarni RN, Wang ZL, Wang RM et al. (1997) Leptin rapidly diabetes. Lancet 350: 1288-1293
suppresses insulin release from insulinoma cells, rat and Von-Ferber L, Salzsieder E, Hauner H et al. (1993) Diabetes
human islets and, in vivo, in mice. J Clin Invest 100: prevalence from health insurance data: evaluation of esti-
2729-2736 mates by comparison with a population-based diabetes
register. Diabetes Met 19: 89-95
Literatur 797
Wachtel TH, Silliman RA, Lamberton P (1987) Predisposing Piacquadio K, Hollingsworth DR, Murphy H (1991) Effects of
factors for the diabetic hyperosmolar state. Arch Intern in-utero exposure to oral hypoglycaemic drugs. Lancet
Med 147: 499-501 338: 866-869
Walston J, Silver K, Bogardus C et al. (1995) Earlier onset of Reece EA, Eriksson UJ (1996) The pathogenesis of diabetes-as-
non-insulin-dependent diabetes mellitus in subjects with sociated congenital malformations. Obstetrics and gyne-
a mutation in the ß3-adrenergic receptor gene. N Engl J cology clinics of north america 23: 29-45
Med 333: 337 Siman CM, Eriksson UJ (1997) VitaminE decreases the occur-
Wu Z, Xie Y, Morrison RF, Bucher NLR, Farmer SR (1998) rence of malformations in the offspring of diabetic rats.
PPAR y induces the insulin-dependent Glukose transpor- Diabetes 46: 1054-1061
ter GLUT4 in the absence of C/EBP a during the conver- Simmons D, Robertson S ( 1997) Influence of matemal insulin
sion of 3T3 fibroblasts into adipocytes. J Clin Invest 101: treatment on the infants of warnen with gestational dia-
22-32 betes. Diabetic Medicine 14: 762-765
Yamagata K, Oda N, Kaisaki PJ et al. (1996) Mutations in the Steinhart JR, Sugarman JR, Connell FA (1997) Gestational dia-
hepatocyte nuclear factor-la in maturity-onset diabetes of betes is a herald of NIDDM in navajo warnen. Diabetes
the young (MODY3). Nature 384: 455-458 Care 20: 943-947
Yamagata K, Furuta H, Oda N et al. (1996) Mutations in the Veciana deM, Major CA, Morgan MA, Asrat T, Toohey JS, Lien
hepatocyte nuclear factor-4a gene in maturity-onset dia- JM, Evans AT (1995) Postprandial versus preprandial
betes of the young (MODYl). Nature 384: 458-460 blood glucose monitaring in warnen with gestational dia-
Yki-Jarvinen H, Kauppila M, Kujansuu E et al. (1992) Campa- betes mellitus requiring insulin therapy. N Engl J Med 333:
risan of insulin regimens in patients with non-insulin-de- 1237-1241
pendent diabetes mellitus. N Engl J Med 327: 1426 Vohr BR, McGarvey ST (1997) Growth patterns of large-for-
Zawalich WS, Kelley GG (195) The pathogenesis of NIDDM: gestational-age and appropriate-for-gestational-age in-
the role of the pancreatic beta cell. Diabetologia 38: fants of gestational diabetic mothers and control mothers
986-999 at age 1 year. Diabetes Care 20: 1066-1072
Zhang Y, Wat N, Stratton IM, Warren-Perry MG, Orho M,
Groop L, Turner RC (1996) UKPDS 19: Heterogeneity
in NIDDM: separate contributions of IRS-1 and Literatur zu Abschn. 16.8
ß3-adrenergic-receptor mutations to insulin resistance
and obesity respectively with no evidence for glycogen
synthase gene mutations. Diabetolgia 39: 1503-1511. Beischer NA, Oats JN, Henry OA, Sheedy MT, Walstab JE
(1991) Incidence and severity of gestational diabetes me-
litus according to country ofbirth in warnen living in au-
stralia. Diabetes 40 (Suppl. 2): 35-38
Literatur zu Abschn. 16.7 Dornhorst A, Girling JC ( 1995) Management of gestational dia-
betes mellitus. N Engl J Med 19: 1281-1282
Dornhorst A, Girling JC ( 1995) Management of gestational dia- Festa A, Schernthaner G (1995) Klinische Relevanz des Gesta-
betes mellitus. N Engl J Med 333: 1281-1282 tionsdiabetes. Pathophysiologie, Epidemiologie, Screen-
Eriksson U, Dahlström E, Larsson KS, Hellerström C (1982) ing, Diagnose und Therapie. Diabetes Stoffw 4: 21-29
Increased incidence of congenital malformations in the Pritsche A, Schmülling R (1995) Gestationsdiabetes wird häu-
offspring of diabetic rats and their prevention by matemal fig zu spät erkannt. Forschung und Praxis 200: 19-22
insulin therapy. Diabetes 31: 1-6 Greene MF (1997) Screening for gestational diabetes mellitus.
Pritsche A, Schmülling R (1995) Gestationsdiabetes wird häu- N Engl J Med 22: 1625-1626
fig zu spät erkannt. Forschung und Praxis 200: 19-22 Hadden DR (1985) Geographie, ethnic and racial variations in
Rillebrand B (1996) Schwangerschaft und Diabetes. Ernäh- the incidence of gestational diabetes mellitus. Diabetes 34
rungsumschau 43: 40-43 (Suppl. 2): 8-12
Jang HC, Cho NH, Min Y-K, Han IK, Jung KB, Metzger BE Rillebrand B (1996) Schwangerschaft und Diabetes. Ernäh-
(1997) Increased macrosomia and perinatal morbidity in- rungsumschau 43: 40-43
dependent of matemal obesity and advanced age in ko- Jang HC, Cho NH, Min YK, Jung KB, Metzger BE (1997) In-
rean warnen with GDM. Diabetes Care 20: 1582-1588 creased macrosomia and perinatal morbidity indepen-
Kuruvilla AG, D'Souza SW, Glazier JD, Mahendran D, Maresh dent of matemal obesity and advanced age in korean wa-
MJ, Sibley CP (1994) Altered activity of the system of ami- rnen with GDM. Diabetes Care (vol. 20) 10: 1582-1588
no acid transporter in microvillous membrane vesicles Nah um GG, Huffaker BJ (1993) Racial differences in oral glucose
from placentas of macrosomic babies born to diabetic wa- screening test results: Establishing race-specific criteria for
rnen. J Clin Invest 94: 689-695 abnormality in pregnancy. Obstet Gynecol 81: 517-522
Lea RG, McCracken JE, Mclntyre SS, Smith W, Baird JD (1996) Naylor CD, Sermer M, Chen E, Farine D (1997) Selective
Disturbed development of the preimplantation embryo in screening for gestational diabetes mellitus. N Engl J
the insulin-dependent diabetic BB/E rat. Diabetes 45: Med 22: 1591-1596
1463-1470 Page RCL, Kirk BA, Fay T, Wilcox M, Hosking DJ, Jeffcoate WJ
Mackie ADR, Doddridge MC, Gamsu HR, Brudenell JM, Nico- (1996) Is macrosomia associated with poor glycaemic
laides KH, Drury PL (1996) Outcome of pregnancy in pa- control in diabetic pregnancy. Diabet Med 13: 170-174
tients with insulin-dependent diabetes mellitus and ne- Piacquadio K, Hollingsworth DR, Murphy H (1991) Effects of
phropathy with moderate renal impairment. Diabetic Me- in-utero exposure to oral hypoglylcaemic drugs. Lancet
dicine 13: 90-96 338: 866-869
Müller UA, Hunger-Dathe W, Kobes M, Reuber E, Kirchner D Simmons D, Robertson S (1997) Influence of matemal insulin
(1995) Qualität der Stoffwechseleinstellung bei Typ-I- treatment on the infants of warnen with gestational dia-
Diabetikern ein Jahr nach Teilnahme an einem struktu- betes. Diabet Med 14: 762-765
rierten Behandlungsprogramm für intensivierte konven- Steinhardt JR, Sugarman JR, Connell FA (1997) Gestational
tionelle lnsulintherapie. Diabet Stoffw 4: 9-13 diabetes is a herald of NIDDM in Navajo warnen. High
Page RCL, KirkBA, FayT, WilcoxM, HoskingDJ, Jeffcoate WJ rate of abnormal glucose tolerance after GDM. Diabetes
(1995) Is macrosomia associated with poor glycaemic Care (vol. 20) 6: 943-947
control in diabetic pregnancy. Diabetic Medicine 13: The expert committee on the diagnosis and classification of
170-174 diabetes mellitus (1997) Report of the expert committee
Phelan SA, Ito M, Loeken MR (1997) Neural tube defects in on the diagnosis and classification of diabetes mellitus.
embryos of diabetic mice. Diabetes 46: 1189-1197 Diabetes Care (vol. 20) 1183-1197
798 KAPITEL 16 Glukose
de Veciana M, Major CA, Morgan MA, Asrat T, Toohey JS, Lien Kolaczynski JW, Ylikahri R, Harkonen M, Koivisto VA (1988)
JM, Evans AT (1995) Postprandial versus preprandial The acute effect of ethanol on counterregulatory response
blood glukose monitoring in women with gestational dia- and recovery from insulin-induced hypoglycemia. J Clin
betes mellitus requiring insulin therapy. N Eng! J Med 19: Endocrinol Metab 67(2): 38438-8
1237-1241 Lecavalier L, Bolli G, Cryer P, Gerich J (1989) Contributions of
Vohr BR, McGarvey ST (1997) Growth patterns of large-for- gluconeogenesis and glycogenolysis during glucose Coun-
gestational-age and appropriate-for-gestational-age in- terregulation in normal humans. Am J Physiol256(6 Pt 1):
fants of gestational diabetic mothers and control mothers E844-851
at age 1 year. Diabetes Care (vol. 20) 7: 1066-1072
Giugliano D, Marfella R, Verrazzo G et al. (1995) Abnormal Kuusisto J, Mykkanen L, Pyorala K, Laakso M (1994} NIDDM
rheologic effects of glyceryl trinitrate in patients with and its metabolic control predict coronary heart disease in
non-inswin-dependent diabetes mellitus and reversal elderly subjects. Diabetes 43{8): 960-967
by antioxidants. Ann Intern Med 123{4): 338-343 Lamarehe B, Tchernof A, Moorjani S, Cantin B, Dagenais GR,
Goldberg RB, Mellies MJ, Sacks FM et al. (1998) Cardiovascu- Lupien PJ, Despres JP {1997) Small, dense low-density Ii-
lar events and their reduction with Pravastatin in diabetic poprotein particles as a predictor of the risk of ischemic
and glucose-intolerant myocardial infarction survivors heart disease in men. Prospective results from the Quebec
with average cholesterol Ievels. Circulation 98{23): Cardiovascular Study. Circulation 95{1}: 69-75
2513-2519 Lehmann ED, Riley WA, Clarkson P, Gosling RG {1997) Non-
Granger CB, Aronson L, Wall TC {1993) The impact of diabetes invasive assessment of cardiovascular disease in diabetes
on survival in acute myocardial infarction: the TAMI ex- mellitus. Lancet 350 (Suppl. I): SI14-SI19
perience. J Am Coll Cardiol 14 (Suppl. A): 198A Lopes-Virella MF, Virella G {1996} Cytokines, modified Iipo-
Granger CB, CaliffRM, Young Set al. (1993) Outcome ofpa- proteins, and arteriosclerosis in diabetes. Diabetes
tients with diabetes mellitus and acute myocardial infarc- 45{Suppl. 3): S40-S44
tion treated with thrombolytic agents. The Thrombolysis Lynch M, Gammage MD, Lamb P, Nattrass M, Pentecost BL
and Angioplasty in Myocardial Infarction (TAMI) Study (1994} Acute myocardial infarction in diabetic patients
Group. J Am Coll Cardiol 21{4): 920-905 in the thrombolytic era. Diabet Med 11(2): 162-165
Gray RP, Yudkin JS, Patterson DL {1993) Enzymatic evidence Mattock MB, Barnes DJ, Viberti G et al. {1998) Microalbumi-
of impaired reperfusion in diabetic patients after throm- nuria and coronary heart disease in NIDDM: an incidence
bolytic therapy for acute myocardial infarction: a roJe for study. Diabetes 47{11 ): 1786-1792
plasminogen activator inhibitor? Br Heart J 70( 6): 530-536 Moncada S, Higgs A (1993) The L-arginine-nitric OJude path-
Grossman E, Messerli FH (1996) Diabetic and hypertensive way. N Eng! J Med 329(27}: 2002-2012
heart disease. Ann Intern Med 125{4): 304-310 Mueller HS, Cohen LS, BraunwaldE et al. (1992} Predictors of
Guigliano D, Ceriello A, Paoliso G (1995) Diabetes mellitus, early morbidity and mortality after thrombolytic therapy
hypertension, and cardiovascular disease: which role of acute myocardial infarction. Analyses of patients sub-
for oxidative stress? Metabolism 44{3): 363-368 groups in the Thrombolysis in Myocardial Infarction
Hasenfuss G {1995) Cardiac changes in diabetes. Exp Clin En- (TIMI) trial, phase II. Circulation 85{ 4): 1254-1264
docrinol Diabetes 103{6): 352-353 Murray DP, O'Brien T, Mulrooney R, O'Sullivan DJ {1990) Au-
Herlitz J, Wognsen GB, Emanuelsson H et al. (1996} Mortality tonomie dysfunction and silent myocardial ischemia on
and morbidity in diabetic and nondiabetic patients during exercise testing in diabetes mellitus. Diabet Med 7{7):
a 2-year period after coronary artery bypass grafting. Dia- 580-584
betes Care 19{7}: 698-703 Oliver MF, Opie LH {1994} Effects of glucose and fatty acids on
Hlatky MA, Rogers WJ, Johnstone I et al. {1997} Medical care myocardial ischaemia and arrhythmias. Lancet
costs and quality of life after randomization to coronary 343{8890):155-158
angioplasty or coronary bypass surgery. Bypass Angiopla- Orth SR, RitzE, Schrier RW {1997) The renal risks of smoking.
sty Revascularization Investigation (BARI) Investigators. Kidney Int 51{6): 1669-1677
N Eng! J Med 336{2): 92-99 Paolisso G, Gambardalla A, Giugliano D et al. {1995} Chronic
Hofmann MA, Kohl B, Zumbach MS et al. (1998} Hyperhomo- intake of pharmacological doses of vitamin E might be
cyst(e)inemia and endothelial dysfunction in IDDM. Dia- useful in the therapy of elderly patients with coronary
betes Care 21{5): 841-848 heart disease. Am J Clin Nutr 61{4):848-852
Jacoby RM, Nesto RW (1992} Acute myocardial infarction in Psaty BM, Heckbert SR, Koepsell TD et al. (1995) The risk of
the diabetic patient: pathophysiology, clinical course and myocardial infarction associated with antihypertensive
prognosis. J Am Coll Cardiol 20(3}:736-744 drug therapies. JAMA 274(8): 620-625
Jank HW: Diabetes Stoffw 5: 24-28 Pyörälä K, Pedersen TR, Kjekshus J, Faergeman 0, Olsson AG,
Jensen-Urstad KJ, Reichard PG, Rosfors JS, Lindblad LE, Jen- Thorgeirsson G {1997) Cholesterollowering with simva-
sen-Urstad MT {1996} Early atherolsclerosis is retarded by statin improves prognosis of diabetic patients with coro-
improved blood glucose control in patients with IDDM. nary heart disease. A subgroup analysis of the Scandina-
Diabetes 45{9}: 1253-1258 vian Simvastatin Survival Study {4S). Diabetes Care 20{4):
Jonas M, Reicher-Reiss II, Boyko V, Shotan A, Manderlzweig L, 614-620
Goldbourt U, Behar S {1996) Usefulness of ß-blocker the- Riggs TW, Transue D {1990) Doppler echocardiographic eva-
rapy in patients with non-insulin-dependent diabetes luation ofleft ventricular diastolic function in adolescents
mellitus and coronary artery disease. Bezafibrate Infarc- with diabetes mellitus. Am J Cardiol65{13}: 899-902
tion Prevention (BIP) Study Group. Am J Cardiol 77{15}: Ryden Ahlgren A, Lanne T, Wollmer P, Sonesson B, Hansen F,
1273-1277 Sundkvist G (1995) Increased arterial stiffness in women,
Kaplan NM (1989} The deadly quartet. Upper-body obesity, but not in men with IDDM. Diabetologia 38(9): 1082-1089
glucose intolerance, hypertriglyceridemia, and hyperten- Sacks FM, Pfeffer MA, Moye LA et al. (1996} The effect of pra-
sion. Arch Intern Med 149{7}: 1514-1520 vastatin on coronary events after myocardial infarction in
Kjekshus J, Gilpin E, Cali G, Blackey AR, Henning H, Ross J Jr patients with average cholesterol Ievels. Cholesterol and
(1990} Diabetic patients and ß-blockers after acute myo- Recurrent Events Trial investigators. N Eng! J Med
cardial infarction. Eur Heart J 11(1): 43-50 335{14): 1001-1009
Kleiman NS, Lincoff AM, Kereiakes DJ et al. (1998) Diabetes Savage MP, Fischman DL, Slota P et al. {1992) Association of
mellitus, glycoprotein IIb/IIIa blockade, and heparin: evi- HbAlc with prevalent cardiovascular disease in the origi-
dence for a complex interaction in a multicenter trial. EPI- nal cohort of the Framingham Heart Study. Diabetes
LOG Investigators. Circulation 19, 97{19): 1912-1920 42{2):202-208
Kluijtmans LA, van den Heuvel LP, Boers GH et al. (1996} Mo- Stamler J, Vaccaro 0, Neton JD, Wentworth D {1993) Diabetes,
lecular genetic analysis in mild hyperhomocysteinemia: a other risk factors, and 12-yr cardiovascular mortality for
common mutation in the methylenetetrahydrofolate re- men screened in the Multiple Risk Factor Intervention
ductase gene is a genetic risk factor for cardiovascular dis- Trial. Diabetes Care 16(2): 434-444
ease. Am J Hum Genet 58(1}: 35-41 Stein B, Weintraub WS, Gehhart SP et al. {1995) Influence of
Kornowski R, Mintz GS, Kent KM et al. (1997) Increased re- diabetes mellitus on early and late outcome after percu-
stenosis in diabetes mellitus after coronary interventions taneous transluminal coronary angioplasty. Circulation
is due to exaggerated hyperplasia. A scribal intravascular 91(4):979-989
uhrasound study. Circulation95( 6}: 1366-1369
800 KAPITEL 16 Glukose
Syvänne M, Kahri J, Virtanen KS, Taskinen MR (1995) HDLs GISAP Study (1994) Evaluation of a conservative treatment
containing apolipoproteins A-I and A-ll (LpA-I:A-II) as with iloprost in severe peripheral occlusive arterial disease
markers of coronary artery disease in men with non-in- (POAD). GISAP Study. Int Angiol 13(1): 70-74
snlin-dependent diabetes mellitus. Circulation Meigs JB, Nathan DM, Cuppies LA, Wilson PW, Singer DE
92(3):364-370 (1996) Tracking of glycated hemoglobin in the original co-
Taskinen MR, Smith U (1998) Lipiddisorders in NIDDM: im- hort of the Framingham Heart Study. J Clin Epidemiol
plications for treatment. J Intern Med 244(5): 361-370 49( 4): 411-417
Taylor GJ, Moses HW, KatholiRE et al. (1992) Six-year survival Orchard TJ, Dorman JS, MaserREet al. (1990) Prevalence of
after coronary thrombolysis and early revascularization complications in IDDM by sex and duration. Pittsburgh
for acute myocardial infarction. Am J Cardiol79(1): 26-30 Epidemiology of Diabetes Complications Study II. Diabe-
The Diabetes Control and Complications Trial Research tes 39(9): 1116-1124
Group (1993) The effect of intensive treatment of diabetes Patrono C, Davi G (1993) Antiplatelet agents in the prevention
on the development and progression of long-term com- of diabetic vascular complications, Diabetes Metab Rev
plication in insulin-dependent diabetes mellitus. N Eng! 9(3): 177-188
J Med 329(14): 977-986 Shepherd JT (1992) The evolving knowledge of the physiopa-
Ting HH, Timimi FK, Boles KS, Creager SJ, Ganz P, Creager thology of the circulation in the human limbs. From sym-
MA (1996) Vitamin C improves endothelium-dependent pathectomy to molecular biology. Int Angiol11(1): 8-13
vasodilatation in patients with non-insulin-dependent Singer DE, Nathan DM, Anderson KM, Wolson PW, Evans
diabetes mellitus. J Clin Invest 97(1): 22-28 JC(l992) Association of HbA 1c with prevalent cardiovas-
Topoi EJ, Califf RM, Weisman HF et al. (1994) Randomised cular disease in the original cohort of the Framingham
trial of coronary intervention with antibody against pla- Heart Study. Diabetes 41(2): 202-208
telet IIb/IIIa integrin for reduction of clinical restenosis: Stand! E (1996) Metaboliesyndrome and fatal quartet, Inter-
results at six months. The EPIC Investigators. Lancet nist 37(7): 698-704
343(8902): 881-886 Stand! E, Mendler G, Zimmermann R, Stiegler H (1996) Zur
Tuomilehto J, Rastenyte D, Birkenhager WH et al. (1999) Ef- Amputationshäufigkeit von Diabetikern in Deutschland.
fects of calcium-channel blockade in older patients with Diabetes Stoffw 5: 29-32
diabetes and systolic hypertension. Systolic Hypertension StarringerG (1996) Informationsbroschüre des Arbeitskreises
in Europe Trial Investigators. N Eng! J Med 4; 340(9): pAVK: Schaufenster pAVK (1/96). ASMA Medien GmbH
677-684 Stiegler H (1996) Placebokontrollierte, doppelblinde Studie
Turner R, Cull C, Holman R (1996) United Kingdom Prospec- zur Wirksamkeit von i. v. Prostaglandin E1 bei Diabeti-
tive Diabetes Study 17: a 9-year update of a randomized, kern mit AVK im Stadium IV, VASA Supplementum
controlled trial on the effect of improved metabolic cont- 35 zum 21. Jahrestag der Deutschen Gesellschaft fiir An-
rol on complication in non-insulin-dependent diabetes giologie
mellitus. Ann Intern Med 124(1 Pt 2): 136-1145 Stiegler H (1996) Oral anticoagulation in activated protein C
UK Prospective Diabetes Study Group (1998) Tight blood pres- resistance? Dtsch Med Wochensehr 20; 121(51-52):1619
sure control and risk of macrovascular and microvascular Stiegler H, Stand! E, Frank S, Mendler G (1998) Failure of re-
complications in type 2 diabetes: UKPDS 38. BMJ 12; 317/ ducing lower extremity amputations in diabetic patients:
7160): 703-713 result of two subsequent population based surveys 1990
UK Prospective Diabetes Study Group (UKPDS) (1998) Inten- and 1995 in Germany. Vasa 27(1): 10-14
sive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin Wienert V et al. (1995) Kagerer Kommunikation
compared with conventional treatment and risk of com-
plications in patients with type 2 diabetes (UKPDS33).
Lancet 352(9131):837-853 Literatur zu Abschn. 16.12
Zheng ZJ, Sharett AR, Chambless IE et al. (1997) Association of
angle-brachial index with clinical coronary heart disease,
stroke and preclinical carotid and popliteal atherols- Aiello LP {1997) Vascular endothelial growth factor. 20th-cen-
clerosis: the Atherosclerosis Risk in Communities tury mechanisms, 21st century therapy. Invest Ophthalm-
(ARIC) Study. Atherosclerosis 131(1): 115-125 ol Vis Sei 38: 1647-1652
DCCT Research Group (1993) The effect ofintensive treatment
of diabetes on the development and progression of Iang-
term complications in insulin-dependent diabetes melli-
Literatur zu Abschn. 16.11 tus. N Eng! J Med 329: 977-986
Rammes HP and Brownlee M (1996) Advanced glycation end-
Bierman EL (1992) George Lyman DuffMemorial Lecture. Athe- products and the pathogenesis of diabetic complications.
rogenesis in diabetes. Arteriasder Thromb 12(6): 647-656 In: Lereoith DL, Olefsky JM, Taylor S (eds) Diabetes mel-
Bloomgarden ZT (1996) American Diabetes Association annu- litus: A fundamental and clinical text. Lippincott, Phila-
al meeting 1996: the etiology of type II diabetes, obesity, delphia, pp 810-815
and the treatment of type II diabetes. Diabetes Care Rollwich F (1988) Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart
19(11): 1311-1315 Klein R, Klein BE, Moss SE (1992) Epidemiology of prolifera-
CAPRIE Steering Committee (1996) A ramdomised, blinded, tive diabetic retinopathy. Diabetes Care 15: 1875-1891
trial of clopidogrel versus aspirin in patients at risk of is- Klein R, Klein BEK, Moss SE et al. (1984) The Wisconsin epi-
chaemic events (CAPRIE). CAPRIE Steering Committee. demiologic study of diabetic retinopathy: II. Prevalence
Lancet 16; 348(9038): 1329-1339 and risk of diabetic retinopathy when the age at diagnosis
Currie CJ, Morgan CL, Peters JR (1998) The epidemiology and is less than 30 years. Arch Ophthalmol 102: 520-526
cost of inpatient care for peripheral vascular disease, in- Klein R, Klein BEK, Moss SE et al. (1984) The Wisconsin epi-
fection, neuropathy, and ulceration in diabetes. Diabetes demiologic study of diabetic retinopathy: III. Prevalence
Care 21(1): 42-48 and risk when the age at diagnosis is 30 or more years.
Diehm C, Weiss T (1997) PAVK Fibel. Lingua Medizin Arch Ophthalmol 102: 527-32
Faglia E, Favales F, Quarantiello A, Calia P, Brambilla G, Ram- Lemmen KD (1993) Stadien-Einteilung und Laser-Therapie
poldi A, Morabito A (1996) Feasibility and effecttiveness für die nichtproliferative diabetische Retinopathie und
of peripheral percutaneous transluminal balloon angio- die diabetische Makulopathie. Der Augenarzt 27: 70-78
plasty in diabetic subjects with foot ulcers. Diabetes Pfeiffer A, Schatz H (1995) Diabetic microvascular complica-
Care 19(11): 1261-1264 tions and growth factors. Exp Clin Endocrinol Diabetes
103: 7-14
Literatur 801
Trautner C. Icks A, Haastert B, Plum F, Berger M (1997) In- Hasslacher C, Borgholte G, Panradi U, Wahl P (1990) Verbes-
cidence ofblindness in relation to diabetes. A population- serte Prognose von Typ 1 und Typ 2 Diabetikern mit Ne-
based study. Diab Care 20: 1147-1153 phropathie. Med Klin 85: 643-646
Trautner C, Icks A, Haastert B, Plum F, Berger M (1997) In- Hasslacher C, Bostedt Kiesel A, Kempe HP, Wahl P (1993) Ef-
cidence ofblindness in relation to diabetes. A population- fect of metabolic factors and blood pressure on kidney
base study. Diabetes Care 20: 1147-1153 function in proteinuric type 2 (non insulin dependent)
diabetic patients. Diabetologia 36(10): 1051-1056
Heesom AE, Hibberd ML, Millward A, Demaine AG ( 1997) Po-
Literatur zu Abschn. 16.13 lymorphism in the 5' end of the aldose reductase gene is
strongly associated with the development of diabetic ne-
phropathy in type I diabetes. Diabetes 46(2): 287-2?1
Anderson PW, Zhang XY, Tian Jet al. (1996) Insulin and an- Hoffman B, Ziyadeh Z (1996) The role of growth facors m the
giotensin II are addditive in stimulating TGF ß1 and ma- development of diabetic nephropathy. Curr Opin Endo-
trix mRNA's in mesangial cells. Kidney Int 50: 745-753 crinol Diab 3: 322-329
Anderson SS, Tsilibary EC, Charonis AS (1993) Nonenzymatic Horie K, Miyata T, Maeda K, Miyata S, Sugiyama S, Sakai H,
glycosylation induced modifications of intact bovine kid- van Ypserle de Strihou C, Monnier V, Witzturn J, Kuroka-
ney tubular basement membrane. J Clin Invest 6: wa K (1997) Immunohistochemical colocalization of gly-
3045-3052 coxidation poducts and Iipid peroxidation products in
Bakris GL, Copley JB, Vicknair N, Sadler R, Leurßans S (19~6) diabetic renal glomerular lesions. J Clin Invest 100(12):
Calcium channel blockers versus other antihypertensive 2995-3004
therapies on progression ofNIDDM associated nephropa- Isaka Y, Akagi Y, Ando Y, Imai E (1997) Application of gene
thy. Kidney Int 50(5): 1641-1650 therapy to diabetic nephropathy. Kidney Int 52(60):
Berg TJ, Bangstad HJ, Torjesen PA, Osterby R, Bucala R, Hans- 100-103
sen KF (1997) Advanced glycation end products in serum Ishii H, Jirousek. M, Koya D et al. ( 1996) Amelioration of vas-
predict changes in the kidney morphology of pa~ients with cular dysfunktion in diabetic rats by an oral PKC ß inhi-
insulin dependent diabetes mellitus. Metabohsm 46(6): bitor. Science 27: 728-731
661-665 Jerums G, Allen TJ, Tsalamandris C, Cooper ME (1992) Angio-
Bierhaus A, RitzE, Nawroth PP (1996) Expression of receptors tensin converting enzyme inhibition and calcium channel
for advanced glycation end products in occlusive vascular blockade in incipient diabetic nephropathy. The Mel-
and renal disease. Nephrol Dia! Transplant 11 (Suppl. 5): bourne Diabetic Nephropathy Study Group. Kidney Int
87-90 41(4): 904-911
Böhlen L, de Courten M, Weidmann P (1994) Comparative Jones SC, Thomas GH, Marshall SM (1997) Thiol group mo-
study of the effect of ACE Inhibitorsand other antihyper- dulation of sodium Iithium Countertransport kinetics in
tensive agents on proteinuria in diabetic patients. Am J diabetic nephropathy. Diabetologia 40: 1079-1084
Hypertens 7: 84S-92S . JungmannE (1996) Chemoprophylaxis of diabetic nephropa-
Breyer JA, Bain RP, Eval!-s JK e~ al. ( ~ 996) ~redict?rs. of t~e thy in the elderly. Drugs Aging 9(6): 449-457
progression of renal msuffiCiency m patients with msulm Kagami S, Border W, Millerand NobleN (1994) Angiotensin II
dependent diabetes and overt diabetic nephropathy. The stimulates extrazellular matrix protein synthesis through
Collaborative Study Group. Kidney Int 50(5): 1651-1658 induction of transforming growth factor ß expression in
Bucala R, Makita Z, Vega G, Grundy S, Koschinsky T, Cerami rat glomerular mesangial cells. J Clin Invest June 13:
A, Vlassara H (1994) Modification oflow density Iipopro- 2431-2437
tein by advanced glycation end products contributes to Kennefick T, Anderson z (1997) Role of angiotensin II in dia-
the dyslipidemia of diabetes and renal insufficiency. betic nephropathy. Semin Nephrol17(5): 441-447
Proc Natl Acad Sei USA 91(20): 9441-9445 Kikkawa R, Togawa M, lsono M, Isshiki K, Haneda M (1997)
Colwell J (1996) Intensive insulin therapy in type II diabetes. Mechanism of the progression of diabetic nephropahy to
Diabetes 45: 87-90 renal failure. Kidney Int 52(5): 39-40 .
Crepaldi G, Carta Q, Defferari G et al. (1998) Effects ofli~in? Kramer BK, Wiecek A, RitzE (1997) In what way and how m-
pril and nifedipine on the progression to overt albummna tensively should blood pressure be lowered in diabetic ne-
in IDDM patients with incipient nephropathy and normal phropathy? Dtsch Med Wochensc~r 12.2(25, 26): ~29-8~2
blood pressure. Diabetes Care 21(1): 104 Krämer BK, Wiecek A, RitzE (1997) Wiewelt und wie mtensiv
de Gasparo M, Levens N (1994) Pharmacology of angiotensin soll der Blutdruck bei diabetiseher Nephropathie gesenkt
II receptors in the kidney. Kidney Int 46: 1486-1491 werden? Dtsch Med Wochensehr 122: 829-832
Elving LD, Wetzeis JF, de Nobel E, Berden J_H (1991) Erythr?- Kramer Guth A, Quaschning T, Greiber S, Wanner C (1996)
cyte sodium Iithium counte.rtra~sport. IS not. differen~ m Potential role of Iipids in the progression of diabetic ne-
type 1 (insulin dependent) diabetic patlents with and With- phropathy. Clin Nephrol 46(4): 262-265
out diabetic nephropathy. Diabetologia 34(2): 126-128 Krolewski AS, Laffe! LM, Krolewski M, Quinn M, Warram JH
Elving LD, Wetzeis JF, de Nobel E, Hoits~a AJ, ~erden JH (1995) Glycosylated hemoglobin and the risk of m.icroal-
(1992) Captopril acutely lowers albummuna m no.rmo- buminuria in patients with insulin dependent diabetes
tensive patients with diabetic nephropathy. Am J Kidney mellitus. N Eng! J Med 332(19): 1251-1255
Dis 20(6): 559-563 Lam KS, Cheng IK, Janus ED, Pang RW (19~5) Chol.ester?llo-
Ga!! MA; Nielsen FS; Smidt UM; Parving HH (1993) The cou~se wering therapy may retard the progression of diabetiC ne-
ofkidney function in type 2 (non insulin depe.ndent) di.a- phropathy. Diabetologia 38(5):604-60~ ..
betic patients with diabetic nephropathy. Diabetologia. Lash JP, Bakris GL (1995) Effects of ACE Inhibitors an.d cal-
36(10): 1071-1078 cium antagonists alone or combined on progresswn of
Gambaro G, VenturiniAP, Noonan DM et al. (1994) Treatment diabetic nephropathy. Nephrol Dia! Transplant 10 (Suppl.
with a glycosaminoglycan formulation ameliorates expe- 9): 56-62
rimental diabetic nephropathy. Kidney Int 46(3): 797-806 Lewis EJ, Hunsicker LG, Bain RP, Rohde RD (1993) The effect
Geberth S, Lippert J, RitzE (1993) The apparent" ~pid~mic" of angiotensin converting enzyme inhibition on diabetic
increase in the incidence of renal failure from diabetJc ne- nephropathy. The Collaborative Study Group. N Eng! J
phropathy. Nephron. 65(1): 160 Med 329(20): 1456-1462
Hasegawa G, Nakano K, Sawada M, Uno K, Shibayama Y, Ie- Lippert J, RitzE, Schwarzbec~ A, Schneide~ P (1_995) The rising
naga K, KondoM (1991) Possible role of tumor n:cros!s tide of endstage renal fmlure from diabetiC nephropathy
factor and interleukin 1 in the development of diabetJc type II an epidemiological analysis (see comments).
nephropathy. Kidney Int 40(6): 1007-1012 Nephrol Dia! Transplant 10(4): 462-467
802 KAPITEL 16 Glukose
Makita Z, Yanagisawa K, Kuwajima S, Yoshioka N, Atsumi T, RitzE (1993) Hypertension in diabetic nephropathy: Preven-
Hasunuma Y, Koike T (1995) Advanced glycation endpro- tion and treatment. Am Heart J 125(5, P2): 1514-1519
ducts and diabetic nephropathy. J Diabetes Complications RitzE (1997) Nephropathy in type II diabetes. Exp Clin Endo-
9(4): 265-268 crinol Diab 105 (Suppl): 80-82
Mangili R, Bending z, Scott z (1988) Increased sodium Iithium Ritz E, Bergis C, Strojek K, Keller C (1997) Nephropathie und
Countertransport activity in red cells of patients with in- Hypertonie bei Typ 2 Diabetes. Med Klein 92: 421-425
sulin dependent diabetes and nephropathy. N Engl J Med RitzE, Hasslacher C, Tschope W (1990) Diabetic nephropathy
318:146-150 are there differences between type I and type II? Miner
Maschio G, Alberti D, Janin G et al. (1996) Effect ofthe angio- Electrolyte Metabol 16(1): 69-72
tensin converting enzyme inhibitor benazepril on the pro- RitzE, Keller C, Bergis K, Strojek K (1997) Pathogenesis and
gression of ehrenie renal insufficiency. The Angiotensin course of renal disease in IDDM/NIDDM: differences and
Converting Enzyme Inhibition in Progressive Renal Insuf- similarities. Am J Hypertens 10(9 Pt 2): 202S-207S
ficiency Study Group (see comments). N Eng! J Med RitzE, Keller C, Bergis KH (1996) Nephropathy of type II dia-
334(15): 939-945 betes mellitus. Nephrol Dia! Transplant 11 (Suppl. 9):
Mathiesen ER, Hommel E, Giese J, Parving HH (1991) Efficacy 38-44
of captopril in postponing nephropathy in normotensive Ritz E, Orth SR, Strzelczyk P (1997) Angiotensin converting
insulin dependent diabetic patients with microalbuminu- enzyme inhibitors, calcium channel blockers, and their
ria (see comments). BMJ 303(6794): 81-87 combination in the treatment of glomerular disease. J Hy-
Mogensen CE (1994) Renoprotective role of ACEinhibitors in pertens (Suppl.) 15(2): 21-26
diabetic nephropathy. Br Heart J 72 (Suppl. 3): 38-45 RitzE, Siebels M, Fliser D (1993) Hemmung der Progression
Mogensen CE, Damsgaard EM, Proland A, Nielsen S, de Fine der Niereninsuffizienz bei glomerulären Erkrankungen.
Olivarius N, Schmitz A (1992) Microalbuminuria in non Internist 34: 330-339
insulin dependent diabetes. Clin Nephrol 38 (Suppl. 1): RitzE, Stefanski A (1996) Diabetic nephropathy in type II dia-
28-39 betes. Am J Kidney Dis 27/2: 167-194
Mogensen CE, Hansen KW, Nielsen S, Pedersen MM, Rehling RitzE, Keller C, Bergis K (1996) Nephropathy of type II dia-
M, Schmitz A (1993) Monitoring diabetic nephropathy: betes mellitus. Nephrology Dialysis Transplantation 11
glomerular filtration rate and abnormal albuminuria in Suppl 9: 38-44. Review
diabetic renal disease reproducibility, progression, and ef- Rutherford PA, Thomas TH, Taylor R, Wilkinson R (1994) Ne-
ficacy of antihypertensive intervention. Am J Kidney Dis phropathy and changes in sodium Iithium Countertrans-
22(1): 174-187 port kinetics in type 2 (non insulin dependent) diabetes
Molitch ME (1997) Management of early diabetic nephropa- mellitus. J Hum Hypertens 8(1): 29-35
thy. Am J Med 102: 392-398 Salahudeen AK, Kanji V, Reckethoff JF, Schmidt AM (1997)
Molitch ME (1994) ACEinhibitorsand diabetic nephropathy. Pathogenesis of diabetic nephropathy: a radical approach.
Diabetes Care 17(7): 756-760 Nephrol Dia! Transplant 12(4): 664-668
Moran A, Brown DM, Kim Y, Klein DJ (1991) Effects ofiGF I Sawicki PT (1997) Stabilization of glomerular filtration rate
and glucose on protein and proteoglycan synthesis by hu- over 2 years in patients with diabetic nephropathy under
man fetal mesangial cells in culture. Diabetes 40(10): intensified therapy regimes. Nephrol Dia! Transplant 12:
1346-1354 1890-1899
Nelson RG, Pettitt DJ, Baird HR, Charles MA, Liu QZ, Bennett Sawicki PT, Dahne R, Bender R, Berger M (1996) Prolonged QT
PH, Knowler WC (1993) Pre diabetic blood pressure pre- interval as a predictor of mortality in diabetic nephropa-
dicts urinary albumin excretion after the onset of type 2 thy. Diabetologia 39(1): 77-81
(non insulin dependent) diabetes mellitus in Pima In- Sawicki PT, Muhthauser I, Didjurgeit U, Baumgartner A, Be-
dians. Diabetologia 36(10): 998-1001 nder R, Berger M (1995) Intensified antihypertensive the-
Nielsen FS, Rossing P, Gall MA, Skott P, Smidt UM, Parving rapy is associated with improved survival in type 1 diabe-
HH (1997) Long term effect of lisinopril and atenolol on tic patients with nephropathy. J Hypertens 13(8): 933-938
kidney function in hypertensive NIDDM subjects with Schmidt A, Hasu M, Popov D et al. (1998) Receptor for advan-
diabetic nephropathy. Diabetes 46(7): 1182-1188 ced glycation end products (AGEs) has a central role in
O'Donnell MJ, Rowe BR, Lawson N, Horton A, Gyde OH, Bar- vessel wall interactions and gene activation in response
nett AH (1993) Placebo controlled trial of lisinopril in to circulating AGE proteins. Proc Natl Acad Sei USA
normotensive diabetic patients with incipient nephropa- :8807-8811
thy. J Hum Hypertens 7(4): 327-332 Schmidt S, Giessel R, Bergis KH, Strojek K, Grzeszczak W,
Parving H, Tarnow L, Rosing P (1996) The angiotensin conver- Ganten D, Ritz E (1996) Angiotensinogen gene M235 T
ting enzyme gene and ist inhibition in diabetic nephropa- polymorphism is not associated with diabetic nephropa-
thy. Curr Opin Endocrin 3:315-321 thy. The Diabetic Nephropathy Study Group. Nephrol
Parving HH, Jacobsen P, Rossing K, Smidt UM, Hommel E, Dia! Transplant 11(9): 1755-1761
Rossing P (1996) Benefits of long term antihypertensive Schmidt S, RitzE (1996) The role of angiotensin I converting
treatment on prognosis in diabetic nephropathy. Kidney enzyme gene polymorphism in renal disease. Curr Opin
Int 49( 6): 1778-1782 Nephrol Hypertens 5(6): 552-555
Parving HH, Smidt UM, Hommel E, Mathiesen ER, Rossing P, Schmidt S, Strojek K, Grzeszczak W, Bergis K, Ritz E (1997)
Nielsen F, Gall MA (1993) Effective antihypertensive treat- Excess of DD homozygotes in haemodialysed patients
ment postpones renal insufficiency in diabetic nephropa- with type II diabetes. The Diabetic Nephropathy Study
thy. Am J Kidney Dis 22(1): 188-195 Group. Nephrol Dia! Transplant 12(3): 427-429
Pugh JA, Medina R, Ramirez M (1993) Comparison of the Sensi M, Pricci F, Andreani D, Di Mario U (1991) Advanced
course to endstagerenal disease of type 1 (insulin depen- nonenzymatic glycation endproducts (AGE): Their rele-
dent) and type 2 (non insulin dependent) diabetic ne- vance to aging and the pathogenesis of late diabetic com-
phropathy. Diabetologia 36(10): 1094-1098 plications. Diabetes Res 16: 1-9
Ravid 0 (1993) Long term stabilizing effect of angiotensin con- Shikata K, Makino H, Sugimoto H et al. (1995) Localization of
verting enzyme inhibition on plasma creatinine and on advanced glycation endproducts in the kidney of experi-
proteinuria in normotensive type II diabetic patients. mental diabetic rats. J Diabetes Complications 9(4):
Ann Int Med 118: 577-581 269-271
Ringel J, Beige J, Kunz R, Distier A, Sharma AM (1997) Genetic Smulders Y, Rakic M, Stehouwer C, Weijers R, Slaats E, Silber-
variants of the renin angiotensin system, diabetic nephro- busch J (1997) Determinants of progression of microalbu-
pathy and hypertension. Diabetologia 40(2): 193-199 minuria in patients with NIDDM. Diabetes Care 20(6):
999-1003
Literatur 803
Soulis T, Cooper ME, Vranes D, Bucala R, Jerums G (1996) Vlassara H (1995) Advanced glycation in diabetic renal and
Effects of aminoguanidine in preventing experimental vascular disease. Kidney Int 51 (Suppl.): 43-44
diabetic nephropathy are related to the duration of treat- Vlassara H (1997) Pathogenesis of diabetic nephropathy, ad-
ment. Kidney Int 5072: 627-634 vanced glycation and new therapy. Med Klin 92 (Suppl.):
Stephenson Z et al. (1994) The EURODIAB IDDM Complica- 29-34
tions study. Diabetologia 37: 278-285 Vlassara H, Striker LJ, Teichberg S, Fuh H, Li YM, Steffes M
Striker LJ, Striker GE (1996) Administration of AGEs in vivo (1994) Advanced glycation end products induce glomeru-
induces extracellular matrix gene expression. Nephrol lar sclerosis and albuminuria in normal rats. Proc Natl
Dia! Transplant 11 (Suppl. 5): 62-65 Acad Sei USA 91(24): 11704-11708
Strojek K, Grzeszczak G, Ritz E (1997) Risk factors for deve- Wainai H, Katsukawa F, Takei I, Maruyama H, Kataoka K, Sa-
lopment of diabetic nephropathy: A review. Nephrol Dia! ruta T (1991) Influence of glycemic control and hyperten-
Transplant 12 (Suppl. 2): 24-26 sion on urinary microprotein excretion in non insulin de-
Strojek K, Grzeszczak W, Morawin E et al. (1997) Nephropathy pendent diabetes mellitus. J Diabet Compl 5(2-3):
of type II diabetes: evidence for hereditary factors? Kidney 160-161
Int 51(5): 1602-1607 Waldherr R, Ilkenhans C, Ritz E (1992) How frequent is glo-
Tamsma JT, van den Born J, Bruijn JA et al. (1994) Expression merulonephritis in diabetes mellitus type II? Clin Nephrol
of glomerular extracellular matrix components in human 378(6): 271-273
diabetic nephropathy: decrease ofheparan sulphate in the Wolf G, Neilson EG (1993) Angiotensin II as aa hypertropho-
glomerular basement membrane (see comments). Diabe- genic cytokine for proximal tubular cells. Kidney Int 43:
tologia 37(3): 313-320 100-107
Tamsma JT, van der Woude FJ, Lemkes HH (1996) Effect of Wolf G, Ziyadeh F, Thaiss Fetal. (1997) Angiotensin II stimu-
sulphated glycosaminoglycans on albuminuria in patients lates expression of the chemokine RANTES in rat glome-
with overt diabetic (type 1) nephropathy. Nephrol Dia! rular endothelial cells. J Clin Invest 100(5): 1047-1058
Transplant 11(1): 182-185 Wolf G, Ziyadeh FN (1997) The role of angiotensin II in dia-
Tepel M, Doberauer C, Zidek W (1997) Diabetic nephropathy betic nephropathy: emphasis on nonhemodynamic me-
and genetic alterations of the renin angiotensin system. chanisms. Am J Kidney Dis 29(1): 153-163
Exp Clin Endocrinol Diabetes 105/5: 243-247 Wolf G, Ziyadeh FN, Zahner G, Stahl RA (1996) Angiotensin II
Tepel M, van Giet M, Zidek M(l997) Praktische Therapie der is mitogenic for cultured rat glomerular endothelial cells.
chronischen J'!'_jereninsuffizienz durch Progressionshem- Hypertension 27(4): 897-905
mung. Dtsch Arzteblatt 94(41): 2161-2166 WolfS, Stahl R (1996) Angiotensin II Wirku~g an der Niere:
Thaiss F, Stahl RA (1996) The kidney in diabetes mellitus new mehr als ein Vasokonstriktor. Dtsch Arzetebl 31(32):
aspects on pathogenesis, diagnosis and therapy. Z Arzt! 1604-1608
Fortbild Jena 90(3): 199-204 Yang CW, Vlassara H, Peten EP, He CJ, Striker GE, Striker LJ
The Diabetes Control and Complications Trial (DCCT) Re- (1994) Advanced glycation end products up regulate gene
search Group (1993) The effect of intensive treatment expression found in diabetic glomerular disease. Proc
of diabetes on the development and progression of Natl Acad Sei USA 91(20): 9436-9440
long term complications in insulin dependent diabetes Yokoyama H, Tornonaga 0, Hirayama Met al. (1997) Predic-
mellitus. N Eng! J Med 329:14-18 tors of the progression of diabetic nephropathy and the
The Diabetes Control and Complications Trial (DCCT) Re- beneficial effect of angiotensin converting enzyme inhibi-
search Group (1995) The effect of intensive therapy on tors in NIDDM patients. Diabetologia 40(4): 405-411
the development and progression of diabetic nephropathy Zeller K, Whittaker E, Sullivan L, Raskin P, Jacobson HR
in the Diabetes Control and Complications Trial. Kidney (1991) Effect of restricting dietary protein on the progres-
Int 47(6): 1703-1720 sion of renal failure in patients with insulin dependent
The Diabetes Control and Complications Trial Research diabetes mellitus. N Eng! J Med 324(2): 78-84
Group (1996) Lifetime benefits and costs of intensive the- Ziyadeh F, Snipes E, Watanabe M, Alvarez R, Goldfarb, Haver-
rapy as practiced in the diabetes control and complicqa- ty T (1990) Highglucose induces cell hypertrophy and sti-
tions trial. JAMA 276(17): 1409-1415 mulates collagen gene transcription in proximale tubule.
Tripathi K, Prakash J, Appaiha D, Srivasta P (1993) Pentoxy- Am J Phys 259(4 Pt 2): F704-714
fylline in management of proteinuria in diabetic nephro-
pathy. Nephron 64: 641-642
United kingdom Prospective Diabetes Study Group (1998) Literatur zu Abschn. 16.14
United Kingdom Prospective Diabetes Study 24: A 6
year, randomized, controlled trial comparing sulfonylu-
rea, insulin and metformin therapy in patients with newly Anand P, Terenghi G, Warner G, Kopelman P, Williams-
diagnosed type 2 diabetes that could not be controlled Chestnut RE, Sinicropi DV (1996) The role of endogenous
with diet therapy. Ann Intern Med 128(3): 165-175 nerve growth factor in human diabetic neuropathy. Natu-
United kingdom Prospective Diabetes Study Group (1998) Ef- re Medicine 6: 703-707
fect of intensive blood glucose control with metformin on Clark CM, Lee DA (1995) Prevention and treatment of the
omplications in overweight patients with type 2 diabetes. complications of diabetes mellitus. N Eng! J Med 332:
Lancet 352: 854-864 1210-1217
United Kingdom Prospective Diabetes Study Group ( 1998) Ef- DCCT study group (1995) The effect of intensive treatment
ficiacy of atenolol and captopril in reducing risk of mia- of diabetes on the development and progression of
crovascular and microvascular complications in type 2 long-term complications in insulin-dependent diabetes
diabetes:UKPDS 39. Br Med J 317: 13-26, 713-726 mellitus. The Diabetes Control and Complications Trial
United Kingdom Prospective Diabetes Study Group (1998) In- Research Group. N Eng! J Med 1993 Sep 30; 329(14):
tensive blood glucose control with sulfonylureas or insu- 977-986
lin compared with conventional treatment and risk of Erckenbrecht JF, Flesch S, Frieling T, Ziegler D, Wienheck M,
compliations in patients with type 2 diabetes (UKPDS Caspary W (1996) Die autonome diabetisc):te Neuropathie
33). Lancet 352: 837-853 des Gastrointestinaltraktes. Dtsch Arzteblatt 93:
Van der Woude F, van Det NF (1997) Heparan suöphate proteo- 1436-1440
glycans and diabetic nephropathy. Exp Nephro!S: 180-188 Flynn MD, O'Brien IA, Corrall RJM (1995) The prevalence of
Van der Woude FJ, van Det NF (1997) Heparan sulphate pro- autonomic and peripheral neuropathy in insulin treated
teoglycans and diabetic nephropathy. Exp Nephrol 5(3): diabetic subjects. Diabetic Medicine 12: 310-313
180-188
804 KAPITEL 16 Glukose
Prolieh 1, Blum-Degen D et al. (1998) Brain insulin and insulin Li YM, Tan AX, Vlassara H (1995) Antibacterial activity ofly-
receptors in aging and sporadic Alzheimer's disease. J sozyme and lactoferrin is inhibited by binding of advan-
Neural Transm. 105 (4-5): 423-438 ced glycation-modified proteins to a conserved motif. Na-
Heitner J und Dickson D (1997) Diabetics do not have increa- ture Medicine 10: 1057-1061
sed Alzheimer-type pathology compared with age mat- Reike H (1995) Das diabetische Fußsyndrom. Edition Materia
ched control subjects. A retrospective postmartern im- Medica, S 52-53
muncytochemical and histoflurescent study. Neurology Sapico FL, Witte JL, Canawati HN et al. (1980) Quantitative
49 (5): 1306-1311. aerobic and anaerobic biology of infected diabetic feet.
Itagaki T, Itoh Y, Sugai Y, Suematsu N, Ohtomo E, Yamada M J Clin Microbiol 12: 413
(1996) Glucose metabolism and Alzheimer's dementia. Schmidt AM, Yan SD, Stern D (1995) The dark side of glucose.
Nippon-Ronen-Igakkai-Zasshi 8: 569-572 Nature Medicine 10: 1002-1004
Leibson CL, Rocca WA, Hanson VA, Cha R, Kokmen E, O'B- Trautner C, Haastert B, Giani G, Berger M (1996) Incidence of
rien PC, Palumbo PJ (1997) Risk of dementia Among per- lower limb amputations and diabetes. Diabetes Care 19
sons with diabetes mellitus: a population- based cohort (9): 1006-1009
study. Am J Epidemiol 145 (4): 301-308
Nagamatsu H, Nickander K, Schmelzer J, Raya A, Wittrock D,
Tritschler H, Low P (1995) Lipoic acid improves nerve Literatur zu Abschn. 16.16
blood flow, reduces oxidative stress, and improves distal
nerve conduction in experimental diabetic neuropathy.
Diabetes Care 18: 1160-1167 Bolli G, De Feo P, Compagnucci P, Cartechini MG, Angeletti G,
Nusser J, Landgraf R (1990) Autonome Neuropathie bei Dia- Santeusanio F (1983) Abnormal glucose counter-regula-
betes mellitus: Bedeutung in Klinik und Praxis. Internist tion in insulin-dependent diabetes mellitus: interaction
31: 198-207 of anti-insulin antibodies and impaired glucagon and epi-
O'Brien IA, McFadden JP, Corrall RJ (1991) The influence of nephrine secretion. Diabetes 32: 134-141
autonomic neuropathy on mortality in insulin dependent Bottini P, Boschetti E, Pampanelli Set al. (1997) Contribution
diabetes. Q J Med. 79(290): 495-502 of autonomic neuropathy to reduced plasma adrenaline
O'Brien IA, McFadden JP, Corall RJM (1991) The influence of responses to hypoglycemia in IDDM: evidence for a
autonomic neuropathy on mortality in insulin-dependent non -selective defect. Diabetes 46: 814-823
diabetics. Q J Med 290: 495-502 Clarke WL, Cox DJ, Gonder-Frederick LA, Julian D, Schlundt
Ott A, Stolk RP, Hofmann A, van Harskamp F, Grobbee DE, D, Polonsky W (1995) Reduced awareness of hypoglyce-
Breteler MM (1996). Association of diabetes mellitus and mia in adults with IDDM. A prospective study ofhypogly-
dementia: Rotterdam Study. Diabetologia 39 (11): cemic frequency and associated symptoms. Diabetes Care
1392-1397 18: 517-522
Preiß R , Teicher J, Preiß C, Kern J, Tritschler HJ, Ulrich H Clarke WL, Haymond MW, Santiago JV (1980) Overnight ba-
(1996) Untersuchungen zur Pharmakakinetik von alpha sal insulin requirements in fasting insulin-dependent dia-
Liponsäure (Thioctsäure) an Patienten mit diabetiseher betics Diabetes 29: 78-80
Polyneuropathie. Diabetes Stoffw (Suppl. 5): 17-22 Cox D, Gonder-Frederick L, Polonsky W, Schlundt D, Julian D,
Price DE, Gingell JC, Gepi-Attee S, Wareharn K, Jates P, Boolell Clarke W (1995) A multicenter evaluation of blood glu-
M (1998). Sildenafil: Study of a novel oral treatment for cose awareness training-II. Diabetes Care 18: 523-528
erectile dysfunction in diabetic men. Diabet Med Cryer ~E (1992a) Glucose homeostasis and hypoglycemia. In:
15(10): 821-825 Wtlson JD, Poster DW (eds) Williams textbook of endo-
Sasaki N, Fukatsu R, Tsuzuki K et al. (1998). Advanced glyca- crinology, 8th ed. Philadelphia, Saunders, pp 1223-1253
tion end products in alzheimer's disease and other neu- Cryer PE (1992b). Iatrogenic hypoglycemia as a cause ofhypo-
rodegenerative diseases. Am J Pathol. 153 (4): 1149-1155 glycemia-associated autonomic failure in IDDM: a vicious
Schmidt AM (1995) The dark side of glucose. Nature Medicine circle. Diabetes 41: 255-260
1: 1002-1004 Cryer PE (1993). Hypoglycemia unawareness in IDDM. Diabe-
Stracke H, Lindemann A, FederlinK (1996) Benfotiamine-vit- tes Care 16: 40-47
amin B combination in treatment of diabetic polyneuro- Cryer ~E, Frier BM (1997) Hypoglycaemia. In: Alberti KGMM,
pathy. Endocrinol Diabetes 104: 311-316 Ztmmet P, DeFronzo RA, Keen H (eds) International text-
The Diabetes Control and Complication Trial Research Group book of diabetes mellitus. 2nd edn, Wiley, pp 1193-1213
(1993) The effect of intensive treatment on the develop- Dagogo-Jack SE, Craft S, Cryer PE (1993) Hypoglycemia-asso-
ment and progression of long-term complications in in- ciated autonomic failure in insulin dependent diabetes
sulin dependent diabetes mellitus. N Eng! J Med 329: mellitus. J Clin Invest 91: 819-828
977-986 Dagogo-Jack S, Rattarasam C, Cryer PE (1994) Reversal ofhy-
Yan SD, Chen X, Fu C et al. (1996) RAGE and amyloid-ß peptide poglycemia unawareness, but not defective glucose coun-
neurotoxicity in Alzheimers disease. Nature 382: 685-691 terregulation, in IDDM. Diabetes 43: 1426-1434
Ziegler D, Hanefeld M, Ruhnau KJ et al. (1995) Diabetologia Fanelli CG, Epifano L, Rambotti AM et al. (1993) Meticulous
388: 1425-1433 prevention of hypoglycemia normalizes the glycemic
thresholds and magnitude of most of neuroendocrine re-
sponses to, symptoms of, and cognitive function during
Literatur zu Abschn. 16.15 hypoglycemia in intesively treated patients with short-
term IDDM. Diabetes 42: 1683-1689
Fanelli C, Pampanelli S, Epifano L et al. (1994) Long-term re-
Chantelau E, Tanudjaja T, Altenhöfer F, Ersanli Z, Lacigova S, covery from unawareness, deficient Counterregulation
Metzger C (1996) Antibiotic treatment for uncomplicated and Iack of cognitive dysfunction during hypoglycemia,
neuropathic forefoot ulcers in diabetes: a controlled trial. following institution of a rationale, intensive insulin the-
Diabet Med 13: 156-159 rapy in IDDM. Diabetologia 37: 1265-1276
Forst T, Pfützner A, Kann P, Lobmann R, Schäfer H, Beyer J Fanelli C, Pampanelli S, Calderone S et al. (1995) Effects of
(1995) Association between diabetic -autonomic c-fibre recent, .s~ort-term hyperglycemia on responses to hypo-
neuropathy and medial wall calcification and the signifi- glycemta tp humans. Relevance to the pathogenesis ofhy-
cance in the outcome oftrophic foot 1esions exp. Clin En- poglycemta unawareness and hyperglycemia-induced in-
docrinol Diabetes 103: 94-98 sulin resistance. Diabetes 44: 513-519
Greenhalgh DG, Sprugel KH, Murray MJ, Ross R (1990) PDGF
and FGF stimulate wound healing in the genetically dia-
betic mouse. Am J Path 136: 1235-1245
Literatur 805
Fukuda M, Tanaka A, Tahara Y, Ikegami H, Yamamoto Y, Ku- Buvat J, Lemaire A, Buvat-Herbaut M (1985) Comparative in-
mahara Y, Shima K (1988) Gorrelation between minimal vestigations in 26 impotent and 26 nonimpotent diabetic
secretory capacity of pancreatic ß-cells and stability of patients. J Urol 133: 34-38
diabetic control. Diabetes 37: 81-88 Chen RN, Lakin MM, Montague DK, Ausmundsan S (1996)
Gold AE, MacLeod KM, Frier BM (1994) Frequency of severe Penile scarring with intracavernous injection therapy
hypoglycemia in patients with type 1 diabetes with impai- using prostaglandin E1: a risk factor analysis. J Urol
red awareness ofhypoglycemia. Diabetes Care 17: 697-703 155: 138-140
Pramming S, Thorsteinsson B, Bendtson I, Binder C (1991) Hirshkowitz M, Karacan I, Rando KC, Williams RL, Howell
Symptomatic hypoglycemia in 411 type 1 diabetic pa- JW(1990) Diabetes, erectile dysfunction, and sleep-related
tients. Diabet Med 8: 217-222 erections. Sleep 13( 1): 53-68
Hepburn DA, Patrick AW, Eadington DW, Ewing DJ, Frier BM Jensen SB (1986) Sexual dysfunction in insulin-treated diabe-
(1990) Unawareness of hypoglycemia in insulin-treated tics: a six-year follow-up study of 101 patients. Arch Sex
diabetic patients: prevalence and relationship to autono- Behav 15(4): 271-283
mic neuropathy. Diabet Med 7: 711-717 Kerfoot WW, Carson CC, Donaldson JT, Kliewer MA (1994)
Kalimo H, Olsson Y (1980) Effects of severe hypoglycemia on Investigation of vascular changes following penile vein li-
the human brain. Acta Neuro! Scand 62: 345-348 gation. J Urol 152: 884-887
Lingenfelser T, Overkamp D, Renn W, Buettner U, Kimmerle Klein R, Klein BE, Lee KE, Moss SE, Cruickshanks KJ (1995)
K, Schmalfuss A, JakoberB (1996) Insulin-associated mo- Prevalence of self-reported erectile dysfunction in people
dulation of neuroendocrine counterregulation, hypogly- with long-term IDDM. Diabetes Care 19: 135-141
cemia perception, and cerebral function in insulin-depen- Knoll LD, Benson RC Jr, Bilhartz DL, Minich PJ, Furlow WL
dent diabetes mellitus: evidence for an intrinsic effect of (1996) A randomized crossover study using yohimbine
insulin on the central nervous system. J Clin Endocrinol and isoxsuprine versus pentoxifylline in the management
Metab 81: 1197-1205 ofvasculogenic impotence. J Urol155: 144-146
Liu D, McManus RM, Ryan EA (1996) Improved counter-re- Korenman LG, Lue TF (1994) Erectile Dysfunction. Current
gulatory hormonal and symptomatic responses to hypo- concepts. Pharmacia & Upjohn
glycemia in patients with insulin-dependent diabetes mel- Lincoln J, Crowe R, Blacklay PF, Pryor JP, Lumley JS, Burn-
litus after 3 months of less strict glycemic control. Clin stock G (1987) Changes in the vipergic, cholinergic and
Invest Med 19: 71-82 adrenergic innervation of human penile tissue in diabetic
Mokan M, Mitrakou A, Veneman T, Ryan C, Korytowski M, and non-diabetic impotent males. J Urol137: 1053-1059
Cryer P, Gerich J (1994) Hypoglycemia unawareness in Linet 0, Ogrinc FG ( 1996) Efficacy and safety of intracaverno-
IDDM. Diabetes Care 17: 1397-1403 sal alprostadil in men with erectile dysfunction. N Eng! J
Service FJ (1995) Hypoglycemic disorders. N Eng! J Med 332: Med 334: 873-877
1144-1152 McCulloch, Campbell IW, Wu FC, Prescott RJ, Clarke BF
Tattersall RB, Gill GV (1991) Unexplained deaths oftype 1 dia- (1980) The prevalence of diabetic impotence. Diabetologia
betic patients. Diabet Med 8: 49-58 18: 279-283
The Diabetes Control and Complications Trial Research Melman A, Henry D (1979) The possible role of the catechol-
Group (1993) The effect of intensive treatment of diabetes amines of the corpora in penile erection. J Urol 121(4):
on the development and progression of long-term com- 419-421
plications in insulin-dependent diabetes mellitus. N Robinson AM, Ryder REJ (1991) Impotence in diabetes.
Eng! J Med 329: 977-986 Trends Endocrinol Metab 8: 98-101
Turnbridge WMG (1981) Factors contributing to deaths of dia- Ryder RE, Close CF, Moriarty KT, Moore KT, Hardisty CA
betics under fifty years of age. Lancet 569-572 (1992) Impotence in diabetes: aetiology, implications
Veneman TF, Van Haeften TW (1994) Hypoglycemia unawa- for treatment and preferred vacuum device. Diabet
reness in insulin-dependent diabetes mellitus. Europ J Med 9: 893-898
Clin Invest 24: 785-793 Saenz de Tejada I, Goldstein I, Azadzoi K, Krane RJ, Cohen
White NH, Skor DA, Cryer PE, Levandoski L, Bier DM, San- RA(1989) Impaired neuragenie and endothelium-media-
tiaga JV (1983) Identification of type 1 diabetic patients at ted relaxation of penile smooth muscle from diabetic men
increased risk for hypoglycemia during intensive therapy. with impotence. N Eng! J Med 320: 1025-1030
New Eng! J Med 308: 485-491 Treiber U, Gilbert P (1989) Venous surgery in erectile dysfunc-
tion: a critical report on 116 patients. Urology 34(1): 22-27
Turner LA, Althof SE, Levine SB, Tobias TR, Kursh ED, Bodner
Literatur zu Abschn.16.17 D, Resnick ML (1990) Treating erectile dysfunction with
external vacuum devices: impact upon sexual, psycholo-
gical and marital functions. J Urol 144: 79-82
Aydin S, Odabas 0, Ercan M, Kara H, Agargun MY (1996) Ef- Vale JA, Feneley MR, Lees WR, KirbaRS (1995) Venous leak
ficacy of testosterone, trazodone and hypnotic suggestion surgery: long-term follow-up of patients undergoing ex-
in the treatment of non-organic male sexual dysfunction. cision and ligation of the deep dorsal vein of the penis.
Br J Urol 77: 256-260 Br J Urol 76: 192-195
KAPITEL 17
0 ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
C C C C C C C HC
3
R= HO -- c11 / " ' c/ " ' c/ " ' c/ " ' c/ " 'c/ " ' c/ " 'c/
0 0
H 2 C-O~ H 2 C - O~
I 0 I 0
HO HC-0~ HC - 0~
2
I 0
HC-0~ 2
I
H C- 0- fp\ -O-CH -CH-NH 1
1.!:..) 2 1
$
coo9
R
Stearinsäure), einfach ungesättigten (z. B. Ölsäure) als "intelligente" Teile der Lipoproteine wichtige De-
und mehrfach ungesättigten Fettsäuren (z. B. Lin- terminanten des Lipoproteinstoffwechsels und ha-
ol-, Linolen- oder Arachidonsäure). ben die folgende Funktionen:
• Sicherung der Integrität des Gesamtpartikels als
Strukturbestandteile (z. B. Apo B-100- und LDL-
Freie Fettsäuren
Partikel),
Der Anteil an freien (unveresterten) Fettsäuren an
• Ligand für Rezeptorbindungen (z. B. Apo B- und
allen Lipidfraktionen beträgt weniger als 2 %. Sie
LDL-Rezeptor),
werden auch nicht mit den Lipoproteinen transpor-
• Vermittelung enzymatischer Reaktionen als Ko-
tiert, sondern hauptsächlich an andere Plasmaeiwei-
faktoren im Plasma (z. B. Apo C-II für Lipo-
ße (z. B. Albumin) gekoppelt transportiert. Ihr An-
proteinlipase ).
teil im Plasma hat eine wichtige Lipoprotein-regulie-
rende Funktion. Sie entstehen im Plasma entweder Das Zusammenspiel von Apolipoproteinen, enzy-
durch die Aufspaltung (Hydrolyse) von Triglyceri- matischen Reaktionen und Rezeptoren reguliert
den oder Phospholipiden und liefern Energie in die Lipoproteinhomöostase im Blut und in der inter-
der ß-Oxydation. stitiellen Flüssigkeit. Die Nomenklatur der Apolipo-
proteine erfolgt nach dem Vorschlag von Alaupovic
Weitere Lipide alphabetisch in Apo A, -B, -C etc., wobei einzelne
Eine Reihe weiterer Lipide kommt in Spuren vor wie Apoproteingruppen noch weitere Unterteilungen
Zerebroside, Carotinoide etc. und trägt nur zu einem erfahren. Für eine Reihe der bekannten Apoproteine
sind, hauptsächlich genetisch bedingte, Verände-
sehr geringen Teil zum so genannten Gesamtlipid im
rungen beschrieben, die sich im völligen Fehlen,
Plasma bei. Lipidlösliche Vitamine sowie lipophile
in der Verminderung, in der Vermehrung oder im
Medikamente werden ebenfalls mit den Lipopro-
teinen transportiert. Auftreten von funktionsunfähigen Mutanten dieser
Apoproteine äußern. Diese Apolipoproteinopathien
haben zum Teil klinische Bedeutung, zum Teil sind
sie jedoch auch klinisch stumm.
17.1.2
Apolipoproteine und Lipoproteine Lipoproteinpartikel
Die makromolekularen Komplexe (Lipoproteine)
Apolipoproteine stellen die Proteinanteile der Lipo- enthalten in ihrem Inneren (Core) hauptsächlich
proteine dar und dienen u. a. der Lösungsvermitt- Triglyceride und Cholesterinester, umgeben von
lung hydrophober Lipide im wässrigen Milieu des einer Einfachschicht an Phospholipiden, die mit ih-
Plasmas (Tabelle 17 -1). Darüber hinaus sind sie ren Fettsäureresten nach innen "zeigen" und mit ih-
17.1 Physiologie 809
VLDL = very low density Iipoprotein, LDL = low density Iipoprotein, HOL= high density Iipoprotein, VHDL = very high density
Iipoprotein.
rer geladenen Gruppe nach außen orientiert sind. phobe (lipidbindende) und hydrophile (wasserlösli-
Durchsetzt wird diese Einzelschicht an Phospholipi- che) Seiten aus, mit denen sie jeweils zur Lipopro-
den von freiem Cholesterin und Proteinen, die man teininnenseite hin mit Lipiden und zur Lipoprotei-
Apolipoproteine oder Apoproteine oder kurz Apo naußenseite mit dem wässrigen Plasma in Verbin-
nennt. Diese amphiphilen Proteine bilden hydro- dung treten (Abb. 17-2).
freies
Cholesterin
Triglyzeride ~
0 CH-0-C-R
II I 2 1
R-C-0 - CH 0
1 I II
CH2 0 - C- R3
Abb. 17-2.
Räu mliche Anordn ung der Lipoproteine
810 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine
Lipoproteine
17.1.3
Lipoproteine bilden ein poly~ispers~s Sy~tem aus
Enzyme des Lipoproteinstoffwechsels
unterschiedlichen Partikeln mit deutheb differenter
Lipid- und Proteinzusamme~set~ung. N~ch ?räse-
Neben den Apoproteinen spielen Enzyme im Lipo-
lektierten Dichten werden d1e Lipoproteme m der
proteinstoffwechsel, die Lipoproteinlipase, die hepa-
Ultrazentrifuge aufgetrennt und nach abnehmender
tische Triglyceridlipase, die Lecithin-Cholesterzn-
Größe und zunehmender Dichte (wegen abnehmen-
Acyltransferase sowie die Lipidtransferproteine
den Lipid- und zunehmenden Proteingehalt~) in
LTP 1 und LTP 2 eine wichtige Rolle (Tabelle 17-2).
Chylomikronen, VLDL, IDL, LDL und HDL emge-
LCA T spielt insbesondere für den HDL-Stoffwechsel
teilt. Eine weitere Methode zur Trennung und Klas-
eine entscheidende Rolle, indem es die Veresterung
sifizierung stellt die Lipoproteinelektrop_horese ~ar,
von freiem Cholesterin zu Cholesterinestern durch-
die Chylomikronen, Prä-ß-, ß- und a-Lipoproteme
führt, hierdurch die Reifung der HDL-Partikel maß-
unterscheidet. Abb. 17-3 vergleicht Lipoproteine
geblich unterstützt und somit für den "rever_sen
nach ihrem Verhalten in der Ultrazentrifuge und
Cholesterintransport" eine wesentliche Rolle spielt.
ihrem elektrophoretischem Muster und gibt deren
Interessanterweise zeigten transgene Tiere mit einer
Zusammensetzung an. Neuere Klassifizierungen
Überexpression von LCA T einen beschleunigten
von Lipoproteinen gehen dazu über, Lipo~ro~eine
LDL-Abbau. Unter cholesterinreicher Provokations-
nach ihrem Apoproteinbesatz zu klassifizieren
kost kam es bei den Tieren mit LCAT-Überexpres-
(Lipoproteinfamilienkonzept von Alaupovic).
sion zu deutlich geringerer Atherosklerosebildung
als bei Kontrolltieren, so daß die LCA T ein interes-
santes Target für zukünftige Medikamentenentwick-
lung darstellt.
8 bis 80 nm
Zusammensetzung (Gewichtsprozent)
0
bis 50 nm
0
bis 20 nm
0
bis 10 nm
0
iV1\
5%
\::_) Abb.I7-3.
Zusammensetzung und
Nomenklatur der Lipo-
c::J Trigl yze ri de c::J Cholesterin c::J Phos pholipide - Protein proteinfraktionen
17.1 Physiologie 811
0 ooc
17.1.5
Lipoprotein (a) [Lp(a)]
Periphere
Zelle
Lipoproteinlipase
Leber
LDL
~
~
Leber
Remnantrezeptor
(ApoE) ~VLDL
Abb. 17-8. Der HOL-Stoffwechsel ist überaus komplex und
in der Abbildung stark vereinfacht wiedergegeben. HDL wird
in Leber sowie Darm gebildet und interagiert mit allen Lipo-
proteinpartikeln, - insbesondere mit VLDL. LCAT Lezithin-
Abb. 17-6. Exogener Trigliceridstoffwechsel. Bei Defekten Cholesterin-Acyltransferase, CETP Cholesterinester-Transfer-
der Lipoproteinlipase oder des Kofaktors Apo C-11 kommt protein, VLDL "Very low density Iipoproteins" LDL "Low
es zum Anstieg der Chylomikronen und ihrer Remnants im density Iipoproteins", HDL "High density Iipoproteins"
Plasma
17.1.7
Triglyceridstoffwechselwege
Leber ., ~
-100 (exogener Triglyceridstoffwechse/)
Der in Abb. 17-5 mit (1) bezeichnete Chylomikronen-
stoffwechselweg stellt den Transportweg der mit
,.~ <.:.:;:-
der Nahrung aufgenommenen Lipide dar (exogene
~ VLDL Lipide). Oral aufgenommene "mittelkettige Triglyce-
ride" sind leichter wasserlöslich und können on-
gespalten in das Darmepithel übertreten. Nach
Hydrolyse in der Epithelzelle des Darms erreichen
die unveresterten mittelkettigen Fettsäuren direkt
über die Pfortader die Leber und werden somit nicht
in Chylomikronen eingebaut. Diese Fettform wird
z. B. therapeutisch verabreicht, wenn Patienten Pro-
bleme mit erhöhten Chylomikronenmengen haben.
Die kostüblichen "langkettigen Triglyceride" werden
im Dünndarm durch Pankreaslipasen hydrolysiert
Periphere Zelle
und in den Zellen der Darmmukosa erneut zu Tri-
glyceriden (und Phospholipiden) aufgebaut. Diese
werden zu Chylomikronen, die dann über die Darm-
Abb.l7-7. Stoffwechselweg eines von der Leber syntheti-
sierten VLDL-Partikels (endogener Triglyceridstoffwechsel).
lymphe letztendlich ins Blut gelangen. Die Chylo-
VLDL "Very low density Iipoproteins", IDL "lntermediate mikronentriglyceride werden am Kapillarendothel
density Iipoproteins", LDL "Low density Iipoproteins". Bei durch die dort ansässige Lipoproteinlipase zahlrei-
Defekten der Lipoproteinlipase oder des Kofaktors Apo C-11
kommt es zum Anstieg von VLDL und ihrer Remnants
cher Gewebe (insbesondere Herz, Muskel und Fett-
(VLDL-Remnants) gewebe) nach Bedarfhydrolysiert. Die so entstehen-
814 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine
den Fettsäuren werden für den Energiestoffwechsel jedoch bei den meisten anderen Geweben offenbar
verwendet oder erneut innerhalb von Zellen zu Tri- einen Cholesterinausstrom aus Zellen und Rück-
glyceriden aufgebaut und gespeichert. Im Laufe ihrer transport des Cholesterins zur Leber (Abb. 17-8).
kurzen Aufenthaltszeit im Plasma werden die Chylo- Zellen, die Cholesterin abgeben wollen, exprimieren
mikronen dadurch kleiner, verlieren Apoproteine an ihrer Oberfläche Proteine, die HDL binden (HDL-
wie Apo A-I und -A-IV neben ihren Triglyceriden Rezeptoren). Die Bindung von HDL führt dann zum
und werden dann als Chylomikronenremnants irre- Cholesterinausstrom aus diesen Zellen. Das in Form
versibel in die Leber aufgenommen, nachdem sie aus von freiem Cholesterin aus den Zellen herausgelöste
der HDL das ApoproteinE als Liganden für die Cholesterin wird dann durch die LCAT in Choleste-
Leberzellbindung aufgenommen haben (Abb. 17-6). rinester übergeführt und im Inneren der HDL ver-
ankert. HDL gelangt zurück ins Plasma und kann so
VLDL -LDL-Stoffwechselweg Cholesterin in die Leber transportieren. Der genaue
(endogener Triglyceridstoffwechsel) Transportweg dieses Cholesterins zurück zur Leber
"Very-low-density-Lipoproteine" (VLDL) werden als ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Wahrschein-
Träger der endogenen, im Körper synthetisierten Tri- lich ist die Rolle der HDL im Cholesterinrücktran-
glyceride in der Leber gebildet, deren Aufbau über- sport eine der wesentlichen Aufgaben, die die
wiegend in der Leber, z. T aber auch im Fettgewebe Schutzfunktion der HDL vor Atheroskleroseent-
stattfindet. Die VLDL enthalten hauptsächlich Apo- wicklung erklären könnte.
protein B-100 und Triglyzeride. Auch die VLDL
kommen an den Gefäßendothelzellen in Kontakt
mit der dort verankerten Lipoproteinlipase, die ähn- 17.2
lich wie die Chylomikronen die VLDL-Triglyceride Störungen des Lipoproteinstoffwechsels
hydrolysiert. Dabei verlieren VLDL nicht nur Tri-
glyceride, sondern auch Apolipoprotein C, später Störungen im Fettstoffwechsel können sich in einer
ApolipoproteinE (an HDL). Das noch apolipo- Verminderung, einer Fehlverteilung oder einer Ver-
protein-E-haltige Zwischenprodukt (entsprechend mehrung der Lipoproteine äußern, die als
der IDL) wird dann auf noch nicht ganz bekannte • Hypolipoproteinämie,
Weise zur LDL umgewandelt. Wahrscheinlich spielt
• Dyslipoproteinämie oder
hierbei eine erneute Bindung an die Leberzelle eine • Hyperlipoproteinämie bezeichnet werden.
Rolle. Die Partikel verlieren weiter Triglyceride und
Phospholipide (durch Hydrolyse an der hepatischen
Triglyceridlipase) und gelangen dann als LDL in die
Zirkulation. Diese dient den peripheren Zellen als 17.2.1
Cholesterinlieferant und sämtlicher übriger mittrans- Fallpräsentationen
portierter Lipide und Vitamine. Dennoch werden
etwa 70 o/o der zirkulierenden LDL-Partikelletztlich Familiäre Hypercho/esterinämie
wieder über LDL-Rezeptoren in die Leber aufgenom-
men. Aus dieser Vorläuferproduktbeziehung zwi- Eine 53-jährige normalgewichtige Patientin
schen VLD L und LD Lgeht hervor, dass eine vermehrte teilte ich mit seit 6 Monaten zunehmender
Bildung von VLDL, z. B. bei Diabetikern, erhöhte Belastungsangina pectoris vor. In der Familien-
Spiegel von LDL nach sich ziehen kann (Abb. 17-7). anamnese fand ich eine Häufung von früh-
zeitigen Myokardinfarkten (definiert als In-
HOL-Stoffwechselweg (Cholesterinrücktransport) farktereignis bei Männern vor dem 55. Lebens-
Der Stoffwechsel der HDL wird mit dem Choleste- jahr, bei Frauen vor dem 65. Lebensjahr) beim
rinrücktransport aus dem peripheren Gewebe zur Vater und dessen Verwandten 1. Grades. Es
Ausscheidung in die Leber in Verbindung gebracht. bestanden Xanthela men (Abb. l7-9a) sowie
Bildungsort für HDL sind sowohl die Leber als auch deutlich verdickte Achillessehnen (Abb. l7-9b)
der Darm, wobei die Leber direkt HDL bildet und beidseits, die sich sonographi eh mit einer
beim Darm die HDL teilweise aus Oberflächenteilen Verdickung auf 19 mm darstellen ließen
der Chylomikronen (Apo A-I und Phospholipide) (Abb. 17-lOa u. b). Die Patientin hatte Strö-
entstehen. Diese so genannte naszente HDL, die mungsgeräusche über beiden Ka rotiden und
scheibchenförmig zu sein scheint, wird im Plasma ein positives Belastungs-EKG sowie Myokard-
durch die Einwirkung der LCA T und Einlagerung szintigramm. Koronarangiographi eh zeigte ich
von Cholesterinestern ins Innere Kugelform anneh- eine schwere koronare Dreigefäßerkrankung.
men. HDL kann einigen Geweben (z. B. der Neben- Laborchemisch zeigte sich fo lgendes Lipopro-
niere) auch als Cholesterinlieferant dienen, bewirkt
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 815
I
Typ-11/-Hyper/ipidämie
grediente tuberöse Xanthome an beiden Ellen- Damit bestand der Verdacht auf das Vor-
bogen (Abb. 17-1 1a). Die Lipoproteinanalytik liegen einer Typ-III-Hyperl ipoproteinämie.
ergab: Gesam tcholesterin 360 mg!dl, Triglyze- Zur weiteren Differenzierung erfolgte eine
ride 645 mg!dl, HOL-Cholesterin 35 mg!dl, Bestimmung des Apo E-Phänotyps. Hier er-
Lp(a) 21 mg!dl. Da ich eine LOL-Choiesterin- gab sich ein Apo E-2/2-Muster wie üblicher-
berechnung nach der Friedewald-Formel ver- weise bei Typ-IIl-Hyperlipoproteinämie ge-
bietet (Triglyzeride über 400 mgldl), wurde sehen (s. Abb. 17-llc, Bahn 5). Hiermit be-
eine Lipoproteinelektrophorese angefordert. stätigte sich die Diagnose einer Typ-III-HLP.
Hier zeigte sich eine schlechte Trennung von Da diese HLP auf dem Boden eines Apo
LDL und VLDL im Sinne einer breiten Lipo- E-2/2-Phänotyps durch weitere exogene Hyper-
proteinbande zwischen ß- und prä-ß-Bereich. lipidämie-triggernde Faktoren entsteht, wurde
nach Hypothyreose, Diabetes mellitus, Nieren-
sowie Leberfunktionsstörung gesucht. Diese
waren bis auf ein y-GT von 54 U/1 auszuschlie-
ßen, sodas es sich im vorliegenden Fall um eine
durch Adipositas, d urch den Patienten bestätig-
ten vermehrten Alkoholgenuss und durch
innerhalb der Familie vorkommende Gene für
Hyperlipidämien getriggerte Typ-lii-Hyper-
lipidämie handelte.
Eine Ernährungsumstellung zur Gewichts-
reduktion unterstützt durch Fettmodifikation
und Meiden von Alkohol sowie ein wegen
der fortgeschrittenen AVK gegebenes Fibrat
(Fenofibrat 3-mal 100 mg!Tag) ergaben nach
2 Monaten ein Lipoproteinproftl mit: Gesamt-
cholesterin 210 mg/dl, Triglyzeriden 180 mgl
dl, HOL-Cholesterin 46 mg!dl, Lp(a) 19 mg/dl.
LOL-Choiesterin sollte auch hier nicht be-
rechnet werden, da bei der Typ-III-HLP die
hauptsächliche cholesterintragenden Fraktio-
nen Lipoproteine intermediärer Dichte sowie
VLDL sind. Innerhalb der 3-jährigen Therapie
kam es zu einem Verschwinden der Xanthome
(Abb. 17-llb) sowie zu einer Verbesserung der
Gehst recke.
Unterfunktion
- -- -2
E
17.2.2
Hypolipidämien und Dyslipidämien,
Pathophysiologie und Klinik
den Entitäten Hypo - und Dyslipidämien zusammen des Apo B-100 und können so eine Hypobeta-
abgehandelt. lipoproteinämie verursachen. Bei der normotri-
glyceridämischem A-Betalipoproteinämie scheinen
Chylomikronen normal gebildet zu werden, wäh-
A-Betalipoproteinämie
rend LDL im Plasma fehlt. Umgekehrt wurde eine
Völliges Fehlen der Apo B-haltigen Lipoproteine
Hypolipoproteinämie beschrieben, die Apo B-100-
(Chylomikronen, VLDL, LDL) wird bei der A-Beta-
LDL im Plasma zeigt, jedoch kein Apo B-48 [das
lipoproteinämie ( = Bassen-Kornzweig-Erkrankung)
im Darm gebildete Chylomikron Apo B ("chylo-
gesehen. Es handelt sich hier um eine rezessiv ver-
micron retention Disease") ].
erbte Erkrankung, die auf einen Defekt des mikro-
somalen Triglyceridtransferproteins (= MTP) be-
ruht. Dieses Enzym steht wesentlich für den intrazel- Normolipämische Dysbetalipoproteinämie
lulären Zusammenbau und die spätere Sekretion Diese Fehlverteilung der ß-Lipoproteine stellt die
Apo B-haltiger Partikel. Die Fettresorption aus häufigste Form der Hypobetalipoproteinämie dar.
dem Darm ist erheblich gestört, es kommt zu An- Die normolipämische Dysbetalipoproteinämie geht
reicherung von Triglyceriden in den Darmmukosa- mit deutlich erniedrigten Gesamtcholesterin- und
zellen sowie in der Leber. Erythrozyten zeigen eine LDL-Cholesterinspiegeln einher. Infolge einer Fehl-
Akanthozytose, die Patienten leiden unter Mangel verteilung der ß-Lipoproteine sind dagegen die
an fettlöslichen Vitamine und fallen mit schweren VLDL- und IDL-Cholesterinspiegel erhöht. Eine
Neuropathien auf. normolipämische Dysbetalipoproteinämie lässt sich
bei etwa 1 %der Bevölkerung nachweisen. Eine zen-
trale Rolle bei der Dysbetalipoproteinämie spielt das
Hypobetalipoproteinämie Apolipoprotein E, für das in der Bevölkerung gene-
In der homozygoten Form lässt sich die familiäre tischer Polymorphismus existiert. Die homozygote
Hypobetalipoproteinämie nicht von der A-Beta- Form Apo E-2/2 führt durch eine Aminosäure-
lipoproteinämie unterscheiden. Im Gegensatz zur substitution in der Position 158 des Apo E (Cystein
A-Betalipoproteinämie haben hier die Eltern der für Arginin) zu einem defekten Stoffwechselverhal-
Probanden als heterozygote Merkmalsträger bereits ten dieses Proteins. Dergenaue Mechanismus dieser
niedrige Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegel, also Dysbetalipoproteinämie ist nicht klar, jedoch spielt
eine Hypobetalipoproteinämie, die per se offen- intaktes Apo E (Arginin in Position 158) offenbar in
sichtlich keine krankhafte Bedeutung hat. Ver- der Umwandlung von VLDL zur LDL eine wichtige
schiedene Formen der Hypobetalipoproteinämie Rolle. Die Vorstufe VLDL und die Zwischenstufe
wurden mit Defekten im Apoprotein B-100 assozi- IDL akkumulieren, während das Produkt LDL nied-
iert gefunden: Patienten, die nur Teile des B-100- rig bleibt. Gemäß der Fehlverteilung der Lipopro-
Proteins produzieren. Eine Reihe genetischer De- teinfraktionen zeigen die homozygoten Apo E-2/2-
fekte im Apo B-Gen führen zu einer Verkürzung Probanden auch sehr niedrige Apolipoprotein B-,
818 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine
dagegen hohe Apolipoprotein E-Spiegel. Da sich koronaren Atheroskleroserisikos. Als Ursache für
homozygote Probanden für Apo E-2 in einem Pro- die praktisch fehlenden HDL (weniger als 3 o/o der
zent der meisten bisher untersuchten Populationen Normalwerte) konnte ein beschleunigter Apo A-I-
findet, stellt die Dysbetalipoproteinämie die häufig- Abbau nachgewiesen werden. Als Ursache für Tan-
ste bekannte vererbte Stoffwechselstörung in Form gier Disease konnte ein Defekt im ABC-I-Trans-
einer Hypobetalipoproteinämie. Ob diese primäre porter-System aufgeklärt werden. Das ABI-I-Trans-
Dysbetalipoproteinämie per se einen Krankheitswert porter-System ist Teil der "ATP-binding cassette"-
besitzt, ist unklar. Die Entwicklung einer Typ-III- Familie, die sowohl den zellulären Transfer von
Hyperlipidämie auf dem Boden einer Dysbetalipo- Cholesterinen als auch Phospholipiden erleichtert.
proteinämie durch Zusammentreffen mehrerer Der bei "Tangier Disease" zugrunde liegende Defekt
Faktoren wird bei der Typ-III-HLP besprochen. des ABC-I-Transporter-Systems führt zu einem ge-
störten zellulären Ausstrom von Cholesterinen und
Phospholipiden, wodurch die HDL-Partikel nur
Hypoalphalipoproteinämie
ungenügend lipidiert und dadurch beschleunigt ab-
Niedrige HDL-Cholesterinspiegel sind ein unabhän-
gebaut werden, was wiederum zu niedrigen HDL-
giger Risikofaktor für die Entwicklung atherosklero-
Spiegeln führt. Die Aufklärung des Stellenwertes
tischer Gefaßerkrankungen. Unter anderem schei-
von ABC-I für den Lipidstoffwechsel erlaubt heute
nen Mutationen der Lipoproteinlipase eine Rolle
die Aufklärung weiterer Defekte dieses Systems
bei der Entwicklung einer Hypoalphalipoproteinä-
und dessen Zusammenhang mit bislang noch un-
mie zu spielen, denn es besteht eine inverse Bezie-
geklärten Hypoalphalipoproteinämien. Desweiteren
hung zwischen der Höhe von Triglyceridspiegeln im
kann man davon ausgehen, dass das ABC-I-System
Serum und dem HDL-Cholesterin. Das heißt, dass
ein weiteres Target für eine medikamentöse Thera-
Patienten mit hohen Triglyceridspiegeln niedrige
pie zur Verbesserung des reversen Cholesterintrans-
HDL-Cholesterinwerte aufweisen und sich diese
portes darstellt.
HDL-Cholesterine oft normalisieren, wenn sich
die Triglyceridwerte im Serum normalisieren. Nied-
rige HDL-Cholesterinspiegel treten häufig familiär "Fish eye Disease"
auf. Diese sind jedoch in ihrer Ätiologie noch nicht "Fisheye Disease" und LCAT-Mangel sind ebenfalls
vollständig geklärt. In einigen wenigen Fällen konn- ausgesprochen seltene Erkrankungen, gekennzeich-
ten Apo A1-Mutationen als die primäre Ursache ge- net durch niedriges HDL-Cholesterin und Apo A-I,
funden werden (Apo A1 Marburg, Milano, Iowa, Bal- denen ein partieller oder kompletter Mangel des
timore, Seattle etc.). Bei den bislang kinetisch unter- Enzyms Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase (LCAT)
suchten Apo A1-Mutationen ist stets ein erhöhter zugrunde liegt. Nephropathien kennzeichnen be-
Apolipoprotein A1-Abbau bei normaler Synthese- sonders den LCAT-Mangel.
leistung als Ursache der erniedrigten Apo A1- und
HDL-Cholesterin-Spiegel festgestellt worden.
Überfunktion
"Tangier Disease"
"Tangier Disease" ist eine ausgesprochen seltene
17.2.3
Erkrankung, die durch das fast vollständige Fehlen
Hyperlipidämien
von intaktem HDL-Cholesterin, Apo A-I und
Apo A-II gekennzeichnet ist. Die Erkrankung wird
Sekundäre Hyperlipidämien:
autosomal-codominant vererbt. Tangier-Disease-
Epidemiologie, Pathophysiologie und Klinik
Patienten zeigen zudem erhöhte Triglyceridspiegel
Sekundäre Hyperlipoproteinämien treten im Gefol-
und vergleichsweise niedrige LDL-Cholesterinwerte.
ge anderer primärer Erkrankungen auf:
Klinisch führende Zeichen sind die massiv ver-
• Diabetes mellitus,
größerten, typisch orangerot gefärbten Tonsillen,
• Adipositas,
eine vergrößerte Milz und Leber, zum Teil vorhan-
• Bluthochdruck,
dene Korneatrübungen sowie eine intermittierende
• hormonelle Einflüsse,
periphere Polyneuropathie. Neben den Tonsillen ist
• Nierenerkrankungen,
auch die Darmmukosa der betroffenen Individuen
• Lebererkrankungen.
orangerot gefärbt, sodass die Diagnose "Tangier
Disease" in einem bekannt gewordenen Falle auch
nach einer Kaloskopie gestellt wurde. Trotz des Schwangerschah
Mangels an HDL-Cholesterin besteht interessanter- In der Schwangerschaft treten physiologischerweise
weise offenbar nur eine geringe Zunahme des Hyperlipoproteinämien auf. Weniger bekannt sind
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 819
• Überernährung
• Bewegungsmangel
• Soziokulturelle Faktoren
Abb.l7-l2.
• Genetische Disposition Die erstmals von Hanefeld et al.
vorgestellte Spirale des metabo-
lischen Syndroms, die ausgehend
von Uberernährung, Bewegungs-
mangel, soziokulturellen und ge-
netischen Faktoren letztendlich
zur Arteriosklerose führt
Zusammenhänge zwischen Hypertonie und Fett- im Serum spielt bei dieser Dyslipidämie eine wich-
stoffwechsel in Form der familiär dyslipämischen tige Rolle. Sie steigern in der Leber eine Triglycerid-
Hypertonie. Besonderes Interesse verdient das Zu- synthese und führen zur einer vermehrten Sekretion
sammentreffen von Adipositas, Hypertonie, Dysli- von VLDL mit Erhöhung des Plasma-VLDL-Pools.
poproteinämie, Hyperurikämie und pathologischer Dieser wiederum vermindert HOL-Cholesterin
Glukosetoleranz als Eckpfeiler des metabolischen durch Austausch von Cholesterin gegen Triglyceri-
Syndroms (Abb. 17-12). de, vermehrt die Bildung von LDL sowie deren Tri-
glyceridmodifikation mit Bildung von kleinen dich-
ten Partikeln, die dann der oxidativen Modifikation
Diabetes mellitus anheim fallen. Dabei kommt es zu einer Triglyceri-
Hyperlipoproteinämien und Dyslipoproteinämien
danreicherung der LDL mit Ausbildung einer athe-
kennzeichnen die Erscheinungsbilder sowohl des rogenen LDL-Subpopulation (kleine dichte Partikel)
Typ-1-Diabetes-mellitus als auch des Typ-2-Dia-
mit veränderten Rezeptorbindungseigenschaften
betes-mellitus. Hyperlipoproteinämien finden sich
und erhöhter Anfälligkeit für oxidative Modifikation
3-mal häufiger bei Diabetikern im Vergleich zur (Abb. 17-13 ). Der LDL-Cholesterinanstieg erscheint
Normalbevölkerung, gehen der Manifestation des eher weniger im Vordergrund. Diese veränderte Zu-
Typ-2-Diabetes häufig voraus und gelten als wichti-
sammensetzung führt schließlich im Verein mit
ge Risikofaktoren für die Makroangiopathie. Speziell
nichtenzymatischer Glykierung, hauptsächlich des
zeigen die Triglyceride eine enge Korrelation zum
Auftreten ischämischer EKG-Veränderungen. Se-
kundärfolgen des Diabetes mellitus, besonders die
Nephropathie, beeinflussen das Lipoproteinprofil
zusätzlich in atherogener Richtung. Beim gut einge-
stellten Typ-I-Diabetiker findet sich häufig eine
Normolipidämie, die jedoch, bei schlechter Einstel-
lung, auch mit Triglyceriderhöhungen und niedri- Cholesterin
gen HOL-Cholesterinwerten imponieren kann. Da- ester
bei nimmt der Triglyceridgehalt sämtlicher Lipopro-
teine zu. Beim Auftreten einer Ketoazidose kommt
es gelegentlich zu einem Chylomikronämiesyn-
drom. Die Dyslipoproteinämie beim Typ-2-Diabeti-
ker ist gekennzeichnet durch eine deutliche Trigly-
ceriderhöhung sowie eine Erniedrigung des HOL- Abb.l?-13. Atherogene Lipoproteinveränderungen beim
Cholesterins. Die Vermehrung der freien Fettsäuren Diabetes mellitus und bei der Adipositas
820 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine
Apoproteins B der LDL zu verminderter rezeptor- ein schwacher Zusammenhang zwischen reinem
vermittelter Verstoffwechslung in der Leber und Körpergewicht und kardiavaskulärer Sterblichkeit.
vermehrter Aufnahme in Makrophagen mit In den meisten Studien wurde dabei lediglich der
Schaumzellbildung und damit zur Arteriosklerose- Broca-Index oder der "Body-mass-Index" (BMI) ge-
progression. messen, ohne auf unterschiedliche Fettverteilung zu
achten, auf die Vague bereits 1947 hingewiesen hat.
• Prävalenz. Die Prävalenz der Lipid- und Lipopro- Eine Vermehrung der abdominellen Fettmasse ist
teinveränderung hängt in erheblichem Maße von stark assoziiert mit Insulinresistenz und daraus re-
der Qualität der Stoffwechselkontrolle sowie von sultierender Hyperinsulinämie, Glukoseintoleranz
den Komplikationen des Diabetes mellitus, insbe- und Typ-2-Diabetes mellitus. Darüber hinaus findet
sondere von Nierenfunktionsstörungen, ab. Etwa sich eine Korrelation zwischen abdomineller Fett-
1/4 aller Typ-2-Diabetiker ohne Nephropathie weisen masse und arterieller Hypertonie sowie Dyslipopro-
eine Hyperlipidämie auf, etwa doppelt so viele nach teinämie. Die gluteal-femorale Fettsucht ist dagegen
Entwicklung einer Nierenfunktionsstörung. Die Prä- mehr als ein kosmetisches Problem anzusehen. In
valenz von niedrigem HDL-Cholesterin (unter neueren Arbeiten wird der Zusammenhang zwi-
35 mg/dl oder 0,9 mmol/1) wird zwischen 13 und schen Körperfettverteilung und Fettstoffwechsel so-
30 o/o angegeben. wie kardiavaskulären Erkrankungen dargestellt.
Hierbei werden nach steigendem kardiavaskulärem
• Apolipoprotein-E-Polymorphismus und Diabe- Risiko 3 Fettverteilungstypen definiert:
tes mellitus. Neben dem Ausmaß der Nephropathie
übt der genetische Apolipoprotein-E-Polymorphis- • 1. Die gluteal-femorale Fettsucht geht mit mode-
mus einen modifizierenden Einfluss auf die Hyper- rater Insulinresistenz einher. Es finden sich ge-
lipidämie auch beim Diabetes mellitus aus: ring erhöhte Plasmatriglyzeridspiegel, bedingt
• Beim normolipämischen Diabetikern findet sich durch vermehrte VLDL-Sekretion oder aber
häufiger der Phänotyp E3/3. auch durch verminderten VLDL-Katabolismus.
• Diabetiker mit dem Phänotyp E2/3 zeigen hinge- • 2. Bei der trunkal-abdominalen Fettsucht ist die
gen höhere Triglyzeride, VLDL-Triglyzeride, Insulinresistenz bereits weiter ausgeprägt, und
VLDL-Cholesterine und VLDL-Apo B bei gleich- die Plasmainsulin- und -triglyceridspiegel sind
zeitig niedrigem HDL- sowie LDL-Cholesterin. erhöht. Dies führt zu einem erhöhten Triglyce-
D
ridgehalt von LDL und HDL und dem Auftreten
Bei den Diabetikern sieht man also eine stärkere
von dichteren LDL-Partikeln, die denen bei der
Assoziation zwischen Apo E-2 und Hypertriglyzerid-
familiär kombinierten Hyperlipidämie entspre-
ämie im Vergleich zu Nichtdiabetikern. Eine ähn-
chen. Außerdem kommt es zu einer HDL-Sen-
liche Assoziation findet sich zwischen Apo E-4 und
kung.
Hypercholesterinämie bei Kontroll- und Diabetiker-
• 3. Die mit dem höchsten kardiavaskulären Risiko
gruppen.
einhergehende viszerale Fettsucht führt zur Glu-
koseintoleranz und zur weiteren HDL-Choleste-
• Lipoprotein [Lp(a)] und Diabetes mellitus. Lp(a),
rinreduktion durch vermehrte hepatische Trigly-
ein genetisch bedingter Lipoproteinrisikofaktor
zeridlipaseaktivität. Triglyzerid- und LDL-Verän-
wird im Bezug auf seine zusätzliche Bedeutung im
derungen sind dabei weiter ausgeprägt als bei der
Rahmen des Diabetes mellitus in der Literatur
trunkal-abdominalen Fettsucht.
noch sehr unterschiedlich diskutiert. Durch intensi-
vierte Insulintherapie beim Typ-1-Diabetes scheint
Die Gründe für die deutlichen Lipoproteinverände-
es zu einer Senkung der Lp(a)-Plasmaspiegel zu
rungen bei der abdominalen-viszeralen Fettsucht
kommen. Die Entwicklung nephrologischer Kompli-
werden in einem vermehrten Strom freier Fettsäu-
kationen bei Typ-2-Diabetes lässt Lp(a)-Werte
ren aus dem metabolisch aktiveren abdominellen
ansteigen, zudem zeigen diabetische Patienten mit
Fettgewebe via Pfortader zur Leber gesehen. Fettsäu-
koronarer Herzerkrankung und Makroangiopathie
ren können ihrerseits eine vermehrte VLDL-Syn-
höhere Lp(a)-Spiegel als solche ohne diese Kompli-
these und -Sekretion anregen. Die damit einherge-
kationen. Aus diesen Untersuchungen wurde abge-
hende Erhöhung der Plasmatriglyzeridspiegel ist
leitet, dass hohe Lp(a)-Spiegel die Wahrscheinlich-
mitverantwortlich für die Entstehung atherogener,
keit, Makroangiopathien zu entwickeln, erhöhen.
dichter LDL-Partikel. In Bezug auf den Lipidstoff-
wechsel und das kardiavaskuläre Risiko muss also
Adipositas bei der Beurteilung einer übergewichtigen Person
Obwohl Übergewicht erhebliche gesundheitliche unbedingt das Fettverteilungsmuster mit berück-
Probleme mit sich bringen kann, besteht lediglich sichtigt werden (Tabelle 17-5).
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 821
Tabelle 17-5. Zusammenfassung der unterschiedlichen Adipositastypen, deren metabolische Veränderungen und kardiavasku-
läres Risiko
/l~
jahr bei 2 oder mehr Geschwistern, die gleichzeitig
erniedrige HOL-Cholesterin-, erhöhte LDL-Chole-
sterin- und erhöhte Triglyceridwerte oder eine
Kombination aus diesen Störungen aufwiesen. In Triglyzeride t LDL t HDL ~
~l/
der "Lipid Research Clinic-Coronary Primary Pre-
vention Trial-Studie" (LRC-CPPT) entwickelten in
der Cholestyramin behandelten Gruppe signifikant
weniger Patienten eine Hypertonie als in der Pla-
cebogruppe (9 o/o gegenüber 12 o/o). Neben diesen
t Koronares
Risiko
bei Hypertonikern bestehenden Fettstoffwechsel- Abb.17-l4. Mögliche atherogene Lipidkonstellation indu-
störungen können zusätzliche atherogene Lipid- ziert durch antihypertensive Medikation (z. B. hochdosierte
konstellationen durch blutdrucksenkende Medika- Retahlocke r ohn e ISA oder Diure tika)
822 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine
sterinämie spielen die Wirkungen der Schilddrüsen- Verschwinden des HDL-Cholesterins durch enorme
hormone auf die LDL-Rezeptoraktivität Der Anstieg Überproduktion der hepatischen Triglyceridlipase.
des LDL-Cholesterins ist durch eine Verminderung Hier sind Todesfälle durch schwere koronare Herz-
seines rezeptorvermittelten Abbaus zu erklären. Ob- erkrankungen bei jungen Bodybuildern beschrie-
wohl die Cholesterinsynthese beim Schilddrüsen- ben.
hormonmangel noch vermindert abläuft, führt der
gleichzeitig gehemmte Katabolismus doch zu einer • Schwangerschaft. Während der Schwangerschaft
Akkumulation von LDL-Cholesterin im Plasma. In kommt es physiologischerweise zu einer geringfügi-
einer Untersuchung an über 2000 Personen in gen Erhöhung von Cholesterin und Triglyceriden,
Schottland fanden sich 90 Patienten mit Hypercho- die sich nach der Geburt wieder normalisiert. Diese
lesterinämie (> 310 mg/dl) und deutlicher Hypothy- Effekte werden hauptsächlich dem erhöhten Ös-
reose, und bei weiteren 8 fielen erhöhte TSH -Spiegel trogenspiegel während der Schwangerschaft zuge-
auf, vereinbar mit einem subklinischen Schilddrü- schrieben. Bei schwerer Hypercholesterinämie
senhormonmangeL Bezeichnenderweise waren die sind sogar LDL-Cholesterin-Senkungen beschrie-
meisten hypothyreoten Personen Frauen, was den ben, wahrscheinlich durch Induktion von LDL-Re-
Schluss nahe legte, dass bei bis zu 20 % der hyper- zeptoren durch Östrogene während der Schwanger-
cholesterinämischen Frauen über 40 Jahre mit einer schaft. Diese führten dann sogar zu einer Ver-
Hypothyreose zu rechnen ist. Der Ausgleich des minderung der Achillessehnenxanthomatose wäh-
Schilddrüsenhormonmangels normalisiert die Li- rend der Schwangerschaft. Eine Schwangerschaft
pidstoffwechselstörung. Diese Daten belegen, dass kann jedoch auch eine bestehende Hypertriglycerid-
zur Beurteilung jeglicher Hyperlipoproteinämie ämie erheblich verstärken, besonders wenn diese
der Schilddrüsenhormonstatus bekannt sein muss. durch Lipoproteinlipasemangel bedingt ist. Hier
können in Extremfällen akute Pankreatitiden ausge-
• Sexualhormone. Östrogene, Gestagene und An- löst werden. Die Zeitspanne nach der 20. Schwan-
drogene haben sehr unterschiedliche Wirkungen gerschaftswoche scheint durch die zusätzlich zu
auf den Lipistoffwechsel: dem Östrogenanstieg stattfindende plazentagängige
• Östrogene stimulieren die hepatische Sekretion Wachstumshormonproduktion besonders kritisch
von VLDL durch Steigerung der Triglyceridsyn- zu sein.
these. Sie heben gleichzeitig HDL2 an durch Ver-
minderung der Aktivität ihres abbauenden En-
zyms, der hepatischen Triglyceridlipase. Nierenfunktionsstörungen und Lipidstoffwechsel
• Gestagene und Androgene führen dagegen zu • Nephrotisches Syndrom. Schwere Hyperlipopro-
einer enormen Stimulation der hepatischen Tri- teinämien werden oft bei nephrotischem Syndrom
glyceridlipase und verringern dabei HDL, insbe- beobachtet. Die dabei bestehende Hypalbuminämie
sondere HDL2. scheint dadurch eine zentrale Rolle zu spielen, dass
erhöhte freie Fettsäurespiegel die Leber erreichen
Östrogengabe führt einerseits häufig zu einem und die Lipoproteinsynthese stimulieren. Dies
Anstieg der Triglyceride (auch in den mit oralen könnte die starke negative Beziehung zwischen Se-
Kontrazeptiva verabreichten geringen Dosen), kann rumalbumin und Gesamtcholesterinspiegel erklä-
somit bei prädisponierten Personen zu einer ren. Es können sowohl Hypercholesterinämien, ge-
schweren Hypertriglyceridämie führen und eine mischte Hyperlipidämien aber auch Hypertriglyceri-
Pankreatitis auslösen. Andererseits stimulieren dämien auftreten. Als weitere Gründe für die deut-
Östrogene die Expression des LDL-Rezeptors in liche Hyperlipoproteinämie beim nephrotischen
der Leber und mindern damit in hohen Dosen Syndrom sind gestörter Abbau triglyceridreicher Li-
LDL-Cholesterin im Plasma, wogegen Androgene poproteine durch verminderte LPL- oder hepatische
LDL-Cholesterin erhöhen. Bis zur Pubertät haben Triglyceridlipase. Auch wurde ein verminderter re-
Knaben höhere HDL-Cholesterinspiegel als Mäd- naler Metabolismus von Mevalonat, einem Vorläu-
chen, dies kehrt sich nach der Pubertät ins Gegen- fer der Cholesterinbiosynthese, diskutiert.
teil. Der Östrogenverlust nach der Menopause ist
zum großen Teil für den Anstieg des LDL-Choleste- • Chronische Niereninsuffizienz und Nierentrans-
rins bei Frauen im höheren Alter verantwortlich. plantion. Oft ist das nephrotische Syndrom auch mit
Östrogensubstitution nach der Menopause führt chronischer Niereninsuffizienz vergesellschaftet, so-
zu einer signifikanten Reduktion des kardiovasku- dass zwischen einem reinen nephrotischen Syndrom
lären Risikos bei Frauen. Bei Missbrauch anaboler und einer chronischen Niereninsuffizienz nicht im-
Steroide kommt es zu einer deutlichen Hyperchole- mer klar unterschieden werden kann. Die chroni-
sterinämie und zusätzlich zu einem fast völligen sche Niereninsuffizienz ohne nephrotisches Syn-
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 823
drom zeigt ebenfalls häufig Dyslipoproteinämien, bererkrankungen eher gering einzuschätzen. Ge-
die nicht mit der Ursache der chronischen Nieren- wöhnlich erholen sich die veränderten Lipidstoff-
insuffizienz korrelieren. Die Hyperlipoproteinämie wechselparameter wieder bei Reversibilität der Le-
persistiert unter der chronischen Hämodialyse bererkrankung.
und oft auch nach erfolgreicher Nierentransplanta-
tion. Hypertriglyceridämie wird dabei häufig ange- • Cholestatische Lebererkrankungen. Die zum Teil
troffen, und die Inzidenz wird zwischen 20 und massive Erhöhung von Serumcholesterin haupt-
30 % bei den konservativ behandelten Patienten sächlich in Form unveresterten Cholesterins ist
und zwischen 30 und 60 % bei den Patienten unter eine bekannte Begleiterscheinung obstruktiver cho-
chronischer Hämodialyse angegeben. Das Gesamt- lestatischer Lebererkrankungen. Das abnorme
cholesterin ist üblicherweise normal oder allenfalls Lipoprotein X (Lp-X) akkumuliert und wird leicht
leicht erhöht. Interessanterweise steigt das athero- in der Elektrophorese entdeckt, da es entgegen
gene Lipoprotein(a) bei Patienten mit chronischer der Richtung sämtlicher anderer Plasmaproteine
Niereninsuffizienz massiv an. "High-density-Lipo- wandert. Klinisch kommt es zum Auftreten kutaner
proteine" sind meist erniedrigt und in ihrem Tri- Xanthome, wie häufig bei Patienten mit primär
glyceridgehalt angereichert, sodass trotz normaler biliärer Zirrhose zu beobachten.
Gesamtlipide eine deutliche Dyslipoproteinämie
existiert, die zum Teil für das Atheroskleroserisiko • Parenchymatöse Lebererkrankungen. Die Aus-
der Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz wirkungen hepatozellulärer Schädigungen auf den
mitverantwortlich gemacht wird. Folgende Über- Lipidstoffwechsel sind ebenfalls abhängig von aku-
sicht stellt diese zusammen. ter oder chronischer Schädigung. Im Allgemeinen
sind die Auswirkungen akuter Schädigungen ausge-
prägter als die vom Typ der chronischen Hepatitis.
Lipoproteinveränderungen im Rahmen
Diese akute Schädigung zeigt eine abnorme LDL mit
einer chronischen Niereninsuffizienz, die das
erhöhtem Triglyceridgehalt als möglicher Ausdruck
Atheroskleroserisiko der Patienten erhöht
der Akkumulation von Lipoproteinremnants, die
auf ihren hepatischen Abbau "warten". Zudem
• Erhöhte Triglyceridspiegel in Form von VLDL
kommt es zu einem, je nach Schwere der Leberer-
und ihren Abbauprodukten (Remnants), die als
krankung, erheblichen Absinken des HDL-Spiegels
atherogene Lipoproteine weiter zirkulieren und
im Plasma, der sich mit Regeneration der Leber wie-
in ihrem Abbau vermindert sind
der erholt.
• Erniedrigtes HDL-Cholesterin
• Leicht erhöhtes LDL-Cholesterin
• Erhötes Lipoprotein(a)
Alkohol
• Moderater Alkoholkonsum Der Alkohol ist be-
sonders bei Männern ein häufiger Grund sekundä-
rer Hypertriglyceridämien. Obwohl moderater Al-
Die Nierentransplantation hebt zwar meist erfolg-
koholgenuss auf einer regulären Basis in signifikan-
reich die urämischen Veränderungen auf, aller-
ter Erhöhung der Serumtriglyceride resultiert, stei-
dings persistieren häufig die Anomalien im Lipid-
gen offensichtlich auch HDL-Cholesterinspiegel
stoffwechsel oder sind sogar noch verstärkt: erhöhte
an. Besonders die leichte Erhöhung von HDL-Cho-
Cholesterinspiegel werden in bis zu 90 %, erhöhte
lesterinspiegeln wird als einer der Gründe dafür ge-
Triglyceridspiegel bei etwa 65 % der Patienten be-
sehen, dass Probanden mit regelmäßig moderatem
obachtet. Hier spielen offensichtlich dann verab-
Alkoholgenuss eine günstigere Prognose in Bezug
reichte Medikamente wie Kortikosteroide sowie
aufkoronare Herzerkrankungen zeigen als Alkohol-
Ciclosporin A eine bedeutende Rolle.
abstinente. Selten führt exzessiv schweres Trinken
zum Zieve-Syndrom (Ikterus, Hypertriglyceridämie
Lebererkrankungen und Lipidstoffwechsel und Hämolyse). Akuter und chronischer Alkohol-
Die Leber ist sowohl der Hauptsyntheseort als auch genuss führen ab einer gewissen Menge zu dosisab-
das zentrale Abbauorgan der Lipoproteine. Akute hängigen, eingreifenden Veränderungen im Lipo-
und chronische Leberschädigungen unterscheiden proteinstoffwechseL Wenn in einer Reihe von neu-
sich in ihrer Auswirkung auf den LipidstoffwechseL erenUntersuchungenkeine Veränderungen gefun-
Im Gegensatz zu Fettstoffwechselstörungen im Ge- den wurden, dann liegt das daran, dass die
folge von Diabetes mellitus oder chronischer Nie- verabreichten Dosen von 20-30 g Alkohol pro
reninsuffizienz bzw. Hypothyreose ist die klinische Tag, entsprechend 1-2 Flaschen Bier oder 1-1,5
Bedeutung des gestörten Lipidstoffwechsels bei Le- Glas Wein, sehr niedrig gewählt waren.
824 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine
D
nerkrankungen können verschiedene Fettstoffwech-
In unserer Praxis muss ein Patient dann seinen Al- selstörungen auftreten. Patienten mit einer Hypo-
koholkonsum einschränken oder beenden, wenn die- physeninsuffizienzund noch ausgeprägter Patientin-
ser zu einer Verstärkung der genetischen Hyperlipo- nen mit einem Sheehan-Syndrom zeigen häufig
proteinämie beiträgt oder eine ausgeprägte Hypertri- kombinierte Hyperlipidämien. Die Substitution
glyceridämie allein unterhält. Letzteres wegen der mit Wachsturnshormonell bessert die Lipidstoff-
Gefahr einer akuten Pankreatitis. Die medikamen- wechsellage deutlich. Durch Kreuzreaktivität des Pa-
töse Behandlung einer alkoholinduzierten Hyper- raproteins mit dem LDL-Rezeptor wurde bei einem
lipoproteinämie entbehrt jeglicher Grundlage. Patienten mit Plasmozytoms eine massive Hyper-
cholesterinämie, wie bei FH, beobachtet. Folgende
Übersicht zeigt häufige und seltene Ursachen einer
sekundären Hyperlipidämie.
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 825
Häufige und seltene Ursachen einer sekundären 1 : 250 in der Bevölkerung angenommen, womit
Hyperlipidämie die Erkrankung eines der häufigsten vererbten Stoff-
wechselstörungen darstellt. Die Heterozygoten ha-
• Häufige Ursachen ben ein etwa 2- bis 3-fach erhöhtes Plasmacholeste-
Fehlernährung rin bereits von Geburt an und entwickeln früh Xan-
Alkohol- und Nikotinabusus thome und Atherosklerose. Etwa 30 % der heterozy-
Adipositas goten FH-Patienten leiden im Alter von SO Jahren an
Diabetes mellitus einer manifesten KHK. Homozygote Probanden fin-
Nierenerkrankungen den sich etwa 1 : 1.000. Die Cholesterinspiegel liegen
Hypothyreose hierbei zwischen 600 und 1000 mg/dl. Schwere Xan-
Lebererkrankungen thome und Atherosklerose entwickeln sich bereits
Medikamente (Diuretika, Betablocker ohne ISA, im Kindesalter, die Lebenserwartung unbehandelter
Steroide, Cimetidin, Tamoxifen, orale Kontrazep- Homozygoter liegt unter 20 Jahren.
tiva, Immunsuppressiva, Retinoide) Der familiären Hypercholesterinämie liegen Mu-
• Seltene Ursachen tationen im LDL-Rezeptorgen zugrunde. Dieser Re-
Anorexia nervosa zeptor findet sich an der Zelloberfläche, hauptsäch-
Cushing-Syndrom lich der Leberzellen sowie sämtlicher bisher unter-
Akromegalie suchter Zellen weiterer Organe und ist verantwort-
Hypopituitarismus, speziell Wachstumshormon- lich für die Aufnahme von LDL in die Zellen und
mangel damit auch für den Serum-LDL-Cholesterinspiegel.
Akut intermittierende Porphyrie Defekte in den LDL-Rezeptoren führen zu einem
Typ-I- Glykogenspeicherkrankheit
Autoimmunerkrankungen, speziell Lupus erythe-
matodes
Monoklonale Gammopathie
W erner -Syndrom
Aids
Rezeptor-
Primäre Hyperlipidämien bindungsdomäne
Hypercholesterinämien; Epidemiologie,
Pathophysiologie und Klinik LDL -Rezeptor
Familiäre Formen von Hypercholesterinämie sind
charakterisiert durch meist isolierte Erhöhung des
Gesamtcholesterins im Plasma, bedingt durch eine
Erhöhung von LDL-Cholesterin. Dies entspricht
einem phänotypischen Muster nach Fredrickson N- gebundene
im Sinne einer Ila-Hyperlipoproteinämie. Die Tri- Zuckerkette
glyceride im Plasma sind hierbei definitionsgemäß
0 -gebundene Zuckerkette
normal bis grenzwertig hoch, das HDL-Cholesterin
oft erniedrigt oder normal. Folgende genetische For-
men der primären Hypercholesterinämie lassen sich
heute unterscheiden:
• Familiäre Hypercholesterinämie (FH). Die fami-
liäre Hypercholesterinämie zeigt neben der massiv
Abb.l7-15. Schema des LDL-Rezeptors. Das 839 Amino-
erhöhten Konzentration von LDL-Cholesterin im säure enthaltene Protein ist mit wenig C-terminalen Amino-
Plasma eine Ablagerung von Cholesterin in Sehnen säuren intrazytoplasmatisch verankert. Mutationen in diesem
(Sehnenxanthome) und Haut (Xanthelasmen) sowie Teil des Proteins führen meist zu einem Internalisierungs-
defekt (Klasse-IV -Defekt). In der Nähe des Aminoterminus
Arterien (Atherosklerose). Die Erkrankung wird au- findet sich eine cysteinreiche Region , in der sich verschiedene
tosomal-dominant vererbt, sie zeigt einen Gen-Do- spezifische Aminosäuresequenzen wiederholen und die als
sis-Effekt in dem Sinne, dass Homozygote erheblich LDL-Bindungsregion dient. Mutationen in dieser Region
führen zu einem defekten Binden von LDL über seinen
schwerer betroffen sind als heterozygot Erkrankte. Apoprotein B-1 00- Liganden an diesen LD L-Rezeptor. (Nach
Die Zahl der Heterozygoten wird mit 1 : 500 bis Goldstein JL u. Brown MS)
826 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine
verminderten Abbau von LDL, sodass es umgekehrt werden, die Zelloberfläche erreichen, auch LDL
zu einem Anstieg von LDL-Cholesterinspiegeln im binden, jedoch nicht in der Lage sind, die gebun-
Plasma kommt. Zusätzlich ist die LDL-Synthese dene LDL in die Zelle aufzunehmen (Internalisie-
über eine vermehrte Bildung von VLDL gesteigert. rungsdefekt)
Das Gen für den LDL-Rezeptor liegt auf dem kurzen
Arm des Chromosoms 19 und kodiert für das 839-
Aminosäuren große LDL-Rezeptorprotein. Mehr
als 140 verschiedene Mutationen wurden zwischen- Die physiologische Bedeutung des LDL-Rezeptors
zeitlich in diesem Rezeptorprotein identifiziert und für die zelluläre Cholesterinhomöostase und damit
je nach ihrem Sitz in 4 verschiedene Klassen aufge- auch für das Plasma-LDL-Cholesterin verdeutlicht
teilt, die in der folgenden Übersicht dargestellt sind. die Abb. 17-16 für die intrazelluläre Cholesterinre-
gulation und Abb. 17-17 für den Plasmastoffwechsel
Klassen der familiären Hypercholesterinämie von LDL bei FR-Patienten.
• Als Klasse-I-Defekt bezeichnet man Mutationen, • Familiärer Apo B-100-Defekt ("Familial defecti-
bei denen kein Rezeptorprotein gebildet wird ve Apo B-100", FDB). Dieseneuere Krankheitsenti-
(Null - Allel) tät wurde bei Patienten beschrieben, die klinisch
• In Klasse II werden Mutationen eingereiht, die zu einer familiären Hypercholesterinämie ähnelten,
einer intrazellulären Transportblockade des Re- in der Zellkultur jedoch normale LDL-Rezeptorakti-
zeptors zwischen dem endoplasmatischen Retiku- vität aufwiesen. Erkrankte Probanden zeigten eine
lum und dem Golgi-Apparat führen Punktmutation im Apo B-100-Gen, die einen Ami-
• Klasse-III-defekte Rezeptoren werden syntheti- nosäurenaustausch (meist die Aminosäure 3500) in
siert, auf die Oberfläche der Zelle transportiert, der Rezeptorbindungsregion nach sich zieht. Da-
können jedoch LDL nicht binden durch kommt es zu einem defekten Bindungsverhal-
• Schließlich versteht man unter Klasse-IV-Defek- ten des Apo B an den LDL-Rezeptor und somit zu
ten das Phänomen, dass LDL-Rezeptoren gebildet einer Anhäufung von LDL im Plasma.
"coated pit'
Abb. l?-16.
Klasse Transport Bindung Anhäufung Schematische Darstellung des LDL-Rezeptor-
der Synthese vom ER der in den wegs von der Synthese am endoplasmatischen
Mutation zum Golgi LDL "coated pits' Retikulum über die Reifung im Golgi-Komplex
bis zum Transport zur Anreicherung an der
X Zelloberfläche in .,coated pits" zur Aufnahme
der LDL, die durch Rauten dargestellt sind. Im
2 X unteren Teil der Abbildung sind die verschie-
denen Klassen von Mutationen im LDL-Re-
3 X zeptorgen in ihrer Auswirkung auf das
Schicksal des jeweiligen defekten Rezeptor-
4 X proteins skizziert
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 827
Leber Leber
"-"------
~. ~ ~,
................. e.,oo
VLDL
.. ·· LDL t IDL
Abb.l7-17. Pathogenese der familiären Hypercholesterinä- Abb.17-19. Schematische Darstellung der Stoffwechselver-
mie. Der Defekt des LDL-Rezeptors führt zu einem verzöger- änderungen bei einem Patienten mit familiärem Apo B-Defekt
ten Abbau von Apo B- und Apo E-haltiger Partikel. Es kommt (FDB). Durch fehlende Aufnahmemöglichkeit von Apo B-100-
zu einer erhöhten Produktion von LDL, bei gleichzeitig redu- haltigen Partikeln kommt es zur vermehrten Expression des
zierter Abbaurate des LDL-Cholesterins. Das zum Teil oxidativ LDL-Rezeptors, der ebenso in der Lage ist Apo E-haltige Par-
veränderte LDL wird vermehrt von Makrophagen über den tikel (z. B. IDL) aufzunehmen. Durch die vermehrte Aufnahme
Scavenger-Rezeptor aufgenommen. VLDL "Very low density von IDL kommt es zu einer reduzierten LDL-Synthese. Der
Iipoproteins", IDL "lntermediate density Iipoproteins", LDL LDL-Spiegel steigt aufgrund fehlender Abbauwege und dra-
"Low density Iipoproteins" matisch verlängerter biologischer Halbwertszeiten dennoch
an ([pfo]). VLDL "Very low density Iipoproteins", IDL "Inter-
mediate density Iipoproteins", LDL "Low density Iipoproteins"
Die Häufigkeit dieses Defektes liegt bei etwa 5 o/o
innerhalb einer hypercholesterinämischen Popula-
tion. Homozygote Merkmalsträger sind im Ver- cholesterinämie. Abb. 17-18 gibt einen Überblick
gleich zu Patienten mit homozygotem FH-Defekt über die Liganden-Rezeptor-Verhältnisse bei der
weitaus weniger schwer betroffen. Dies lässt sich FH und der FDB und Abb. 17-19 illustriert den
darauf zurückführen, dass der LDL-Rezeptor hier In-vivo-Stoffwechsel von VLDL, IDL und LDL bei
völlig intakt ist und andere Liganden, wie z. B. einem Patienten mit FDB.
das Apo E die Apo B-Funktion zumindest teilweise
ersetzen können. Die Behandlung dieser Fettstoff-
wechselstörung entspricht der der familiären Hyper- • Ernährungsinduzierte, polygene
und sporadische Hypercholesterinämie
• Die polygene Hypercholesterinämie wird definiert
p als Hypercholesterinämie, die als Ergebnis beim
L Zusammentreffen mehrerer, einzeln zu leichter
A
s Cholesterinerhöhung führender Defekte zustande
M kommt. Diese Einzeldefekte sind nicht klar ver-
A
standen und das Krankheitsbild über Familien-
untersuchungen definiert. Hier finden sich Pro-
z banden mit leichteren und schwereren Hypercho-
E
L
lesterinämieformen innerhalb einer Familie, also
L keine strikte bimodale Verteilung der Choleste-
E
Normal FH FDB rinspiegel wie bei der FH- oder FDB-Erkrankung.
Vielmehr imponiert die unimodale Verteilung zu
Abb. l?-18. LDL-Rezeptor- und Apo B-100-Defekte bei der höheren Werten hin verschoben. Auffallend ist
familiären Hypercholesterinämie (FH) und familiärem Apo
B-Defekt (FDB) im Vergleich zur Normalsituation (Norm). die gute Ansprechbarkeit auf diätetische Maß-
Im ersten Fall kommt es durch de.n defekten LDL-Rezeptor, nahmen bei dieser Störung.
im zweiten Fall durch den defekten Liganden (Apo B-100) • Als sporadische Hypercholesterinämie wird das
zu einer gestörten Interaktion zwischen Rezeptor und LDL
und einer Anhäufung von LOL-Choiesterin im Plasma in Auftreten einer Hypercholesterinämie in einer
beiden Fällen ansonsten in Bezug auf Hyperlipidämie unauffäl-
828 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine
ligen Familie verstanden. Hier können z. B. Neu- somal-dominante Erkrankung bei einem Patienten
mutationen vorliegen. Einzelursachen dieser spo- eine Hypercholesterinämie (Phänotyp Ila), beim
radischen Hypercholesterinämie sind nicht be- anderen eine Hypertriglyceridämie (Phänotyp IV)
kannt. und bei weiteren eine kombinierte Hyperlipidämie
(Phänotyp IIb) und somit zu fast pathognomoni-
• Familiär kombinierte Hyperlipidämie (FCH). schem Phänotypenwechsel führt. Insgesamt schei-
Hier handelt es sich um eine Erkrankungseinheit, nen schlanke, normalgewichtige Probanden eher
die je nach Stoffwechsellage des Trägers auch mit einen Typ IIa und einen Typ Ilb und Übergewich-
verschiedenen phänotypischen Ausprägungen vor- tige einen Typ IV auszuprägen. Ein direkter Marker
liegen kann (wechselnder Phänotyp ), so auch einmal für diese Erkrankung ist derzeit nicht bekannt.
als reine Hypercholesterinämie (Typ Ila nach Fre- Neuere Hinweise sprechen dafür, dass der familiär
drickson). Meist bilden schlanke, normalgewichtige kombinierten Hyperlipidämie eine Störung im FeH-
Probanden diesen Typ-IIa-Phänotyp aus, neigen säuremetabolismus zugrunde liegt mit Störungen
aber auch zum Wechsel der Ausprägung unter lipid- der Lipoproteinlipase.
senkender Behandlung. Die familiär kombinierte
Hyperlipidämie ist somit immer als Differentialdia- • Typ-III-Hyperlipoproteinämie. Patienten mit
gnose der Hypercholesterinämie miteinzubeziehen. Typ-III-Hyperlipoproteinämie zeigen ebenfalls er-
höhte Konzentrationen sowohl von Cholesterin als
auch von Triglyceriden im Plasma. Diese Fettstoff-
Gemischte Hyperlipoproteinämien wechselstörung führt sehr früh zu schwerer Athero-
Als gemischte Hyperlipoproteinämien werden Er- sklerose sowohl der zerebralen Arterien, peripheren
scheinungsbilder von Fettstoffwechselstörungen Arterien und Koronarien. Die Patienten zeigen tu-
verstanden, bei denen es sowohl zu einer Erhöhung berös-eruptive Xanthome, palmare Xanthome schei-
von Cholesterin als auch von Triglyceriden im Plas- nen fast pathognomonisch. Die Erkrankung ist oft
ma kommt. Diese können sich sowohl im Sinne assoziiert mit gestörter Glukosetoleranz, Schilddrü-
einer Typ-IIb-Hyperlipidämie (Erhöhung von LDL senunterfunktion und Überernährung, übermäßi-
und VLDL) manifestieren, als auch durch Erhöhung gem Alkoholkonsum und weiteren Formen von Hy-
z. B. abnormer VLDL (so genannter ß-VLDL). Die perlipoproteinämien. Die Analyse im Plasma zeigt
beiden wichtigsten Vertreter aus dieser Gruppe eine abnorm zusammengesetzte, cholesterinreiche
sind auf familiärer Ebene die familiär kombinierte VLDL (so genannte ß-VLDL), die oft den Hauptan-
Hyperlipidämie und die Typ-III-Hyperlipoprotein- teil des Plasmacholesterins ausmacht, wobei LDL-
ämie. Cholesterin eher niedrig ist. Diese hyperlipämische
Dysbetalipoproteinämie lässt sich durch Dichte-
• Familiär kombinierte Hyperlipidämie. Die Exi- gradientenultrazentrifugation diagnostizieren. Ein
stenz der genetisch bedingten Krankheitseinheit typischer Dichtegradient ist in Abb. 17-20 darge-
familiär kombinierter Hyperlipidämie wurde aus stellt. Die Erkrankung wird heute als multifaktorielle
zahlreichen Untersuchungen von Familien Herzin- Erkrankung verstanden. Es liegt als primärer Defekt
farktüberlebender gefordert ("Familial combined die rezessiv vererbte Dysbetalipoproteinämie (Ho-
Hyperlipidemia", FCH). Diese FCH stellt wahr- mozygotie für das abnorme mutierte Apolipopro-
scheinlich die häufigste genetische Fettstoffwechsel- tein E-2, Aminosäure Cystein in Positionen 112
störung bei Koronarkranken dar. Es ist noch nicht und 158 der Aminosäuresequenz) zugrunde. Ho-
geklärt, durch welchen Mechanismus diese auto- mozygotie für dieses Apoprotein führt zur Dysbeta-
:;
.....
Cl
E 300 300 1.3 2 300
(")
I ~
1.2 ~
I
~
ct:
150 150 • 150
w 1.1;;
.....
U)
w ~
...J
0 1.0- 0
:z:
u
u
F RAKT ION SNUMM E R
Abb.l?-20. Profil einer Dichtegradientenultrazentrifugation eines Normalprobanden (Mitte), einer normolipämischen (links)
sowie einer hyperlipämischen ( = Typ-III -) Dysbetalipoproteinämie (rechts)
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 829
• Familiäre Chylomikronämie
• Lipoproteinlipasemangel: Chylomikronen kom-
men im Nüchternplasma nicht vor. Die familiäre
Hyperchylomikronämie ist ein lange bekanntes
Krankheitsbild, sie wurde erstmals 1932 von Bür-
ger und Grütz als "Hepatosplenomegale Lipoido-
se" beschrieben. Sie geht einher mit exzessiven
Triglyceridwerten, wird mit Hepatosplenomega-
lie und eruptiven Xanthomen sowie Abdominal-
koliken klinisch manifest, üblicherweise bereits
Abb. l?-21. Stoffwechselveränderungen bei der Typ-lli-Hy-
perlipoproteinämie
im Kindesalter. Die Serumtrübung ist auffällig.
Im Kühlschranktest (Stehenlassen des Serums
über 12-24 h) zeigt sich eine Klärung der Serum-
trübung durch das "Aufrahmen" der Chylomi-
lipoproteinämie mit niedrigen LDL- und erhöhten kronen. In der Lipoproteinelektrophorese bleiben
VLDL-Cholesterinspiegeln. Das Vorliegen des Apo die Chylomikronen an der Auftragsstelle liegen,
E-Phänotyps E-2/2 beim Hyperlipämiker beweist bei höheren Konzentrationen kommt es zu einem
die Typ-III-Hyperlipidämie. Erwirbt ein solch für Verschmieren über den ganzen Streifen. Eine
Apo E-2 homozygoter Proband Gene für weitere Hy- Chylomikronämie ist am Augenhintergrund als
perlipoproteinämien oder trifft diese Homozygotie Lipaemia retinalis zu beobachten.
mit einer gestörten Glukosetoleranz, einer Hypothy- Die Erkrankung ist bedingt durch einen rezessiv
reose oder Fehlernährung zusammen, kommt es zur vererbten Mangel an Lipoproteinlipase. Der Aus-
Manifestation der Typ-III-Hyperlipoproteinämie. fall dieses Enzyms, das normalerweise die Klä-
Die Veränderungen des Lipoproteinstoffwechsels rung von Triglyceriden aus Chylomikronen und
bei der Typ-III-Hyperlipoproteinämie sind in der VLDL aus der Zirkulation mit einer Halbwerts-
Abb. 17-21 dargestellt. Die Abhängigkeit der Typ- zeit von etwa 10 min bewirkt, hat bei den homo-
III-HLP von diätetischen Faktoren erklärt auch zygoten und einem Teil der heterozygoten Träger
die Tatsache, dass normalerweise diese Fettstoff- eine exzessiv verlängerte intravasale Verweil-
wechselstörung sehr gut auf diätetische Maßnah- dauer von Triglyceriden zur Folge. Gefährlich
men, wie auf Gewichtsreduktion, Einstellen des Al- und deshalb behandlungsbedürftig ist sie primär
koholkonsums, Beherrschung des Diabetes mellitus wegen der Gefahr akuter Pankreatitiden, sobald
oder der Hypothyreose anspricht. die Triglyceridwerte über 1000 mg/dl ansteigen.
• Apo C-Il-Mangel: Wie im Kapitel Apoproteine
beschrieben, aktiviert das Apoprotein C-II die
Hypertriglyceridämie Lipoproteinlipase. Hinter dem ausgesprochenen
Eine ausschließliche oder überwiegende Hypertri- seltenen Mangel an funktionell wirksamem Apo-
glyceridämie ist zurückzuführen auf eine Vermeh- protein C-II verbirgt sich eine Reihe von autoso-
rung von VLDL oder Chylomikronen oder von bei- mal-rezessiv vererbten Mutationen des Apopro-
den. Eine massive VLDL- oder Chylomikronenerhö- teins. Symptomatisch werden nur die homo-
hung führt jedoch auch zu Cholesterinanstiegen, da zygoten Erbmalsträger, die heterozygoten bleiben
sämtliche Lipoproteinpartikel einen definierten Pro- klinisch unauffällig. Die klinische Manifestation
zentsatz an Cholesterin enthalten. entspricht der familiären Chylomikronämie.
830 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine
• Familiäre Hypertriglyceridämie. Die familiäre Eine genetische Disposition ist anzunehmen. Die
Hypertriglyceridämie wurde erstmals beschrieben Insulinresistenz scheint nicht nur in genetischer Be-
aufgrundvon Untersuchungen an 500 hyperlipopro- trachtungsweise einen Angelpunkt darzustellen,
teinämischen Patienten, die einen Myokardinfarkt sondern auch in pathophysiologischer Hinsicht:
überlebt hatten, sowie deren Familien. Sie manife- Höhere Plasmatriglyceride und VLDL-Triglyceride
stiert sich als VLDL-Vermehrung (entsprechend und erniedrigtes HDL-Cholesterin korrelieren mit
einem Typ IV nach Fredrickson). Die VLDL-Partikel der Insulin-vermittelten Glukoseverschwinderate,
solcher Patienten weisen einen erhöhten Triglyce- gleichgültig, ob eine normale oder eingeschränkte
ridgehalt auf. Zwar ist der zugrunde liegende Stoff- Glukosetoleranz oder ein Typ-2-Diabetes vorliegt,
wechseldefekt bisher nicht bekannt, diese Patienten d. h. auch beim Nichtdiabetiker mit einer Insulin-
haben aber eine erhöhte endogene Triglyceridsyn- resistenz kommt es zu einer VLDL-Hypertrigly-
these und einen verminderten intravasalen Abbau ceridämie und zu erniedrigtem HDL-Cholesterin.
von VLDL. Da weniger VLDL in LDL überführt wer- Letztendlich kann sich auch eine Typ-III-Hyper-
den, sind LDL-Produktion und LDL-Cholesterinspie- lipidämie oder eine FCHL als Hypertriglyceridämie
gel normal, ebenso das LDL-Apo B. Die HDL-Spiegel manifestieren und sollte bei den differential-
sind erniedrigt. Diese Stoffwechselstörung wird auto- diagnostischen Überlegungen mit einbezogen wer-
somal-dominant vererbt, sie ist die häufigste vererbte den.
Hypertriglyceridämie und wird bei unter 60-jährigen
Patienten mit KHK in etwa 15 o/o gefunden. Sie wird
Lp(a)-Hyperlipoproteinämie
überlieherweise erst im Erwachsenenalter manifest.
Lp(a) ist ein in seinen Plasmaspiegeln genetisch
Über die Athrogenität dieser Hyperlipoproteinämie
fixiertes Lipoprotein, das bis zu 100-fach in der Kon-
besteht Uneinigkeit, immerhin ist sie als monogene
zentration zwischen Individuen schwanken kann.
primäre Hyperlipoproteinämie mit einer Häufigkeit
Das Molekül wurde bereits in Kapitel Apoproteine
von 14 o/o bei den Infarktpatienten gefunden worden.
beschrieben und besteht aus einem LDL-ähnlichen
Gebilde, an das Apo(a) wahrscheinlich über eine
• Weitere Hypertriglyceridämien. Die bisher ge-
Disulfidbrücke gekoppelt ist. Apo(a) hat eine hohe
nannten zumindest genetisch definierten Störungen
Homologie zum Plasminogen. Hohe Spiegel von
machen nur einen Teil der in der Praxis auftauchen-
Lp(a) sind mit der Entwicklung von Atherosklerose
den primären Hypertriglyceridämien aus: Die Chy-
assoziiert. Speziell zeigten Studien eine positive Kor-
lomikronensyndrome sind Einzelfalle, die Häufig-
relation zwischen erhöhtem Lp(a) und der Inzidenz
keit der familiären Hypertriglyceridämie wird auf
von koronarer Herzerkrankung und Schlaganfällen.
0,2-2 o/o in der Bevölkerung geschätzt. Hypertrigly-
Als weiterer Risikofaktor für die Arteriosklerose, po-
ceridämien sind aber die häufigsten Fettstoffwech-
tenzieren gleichzeitig erhöhte LDL-Spiegel die Athe-
selstörungen überhaupt. Nach Ausschluss einer
rogenität von Lp(a) deutlich. Leider haben sich bis-
Grunderkrankung (s. unter "Sekundäre Hyperlipo-
her noch keine diätetischen und medikamentösen
proteinämien") müssen sie als primär bezeichnet
Maßnahmen gefunden, den Risikofaktor Lp(a) ef-
werden, wobei die Abgrenzung primär/sekundär
fektiv im Plasma zu senken. Der Mechanismus
im Fall von Fehlernährung, Übergewicht, einge-
der Arterioskleroseentstehung durch Lp(a) ist
schränkter Glukosetoleranz gar nicht sinnvoll gezo-
noch nicht völlig geklärt. Es werden die folgenden
gen werden kann, eigentlich ihren Sinn verliert. In
Mechanismen diskutiert (s. Übersicht):
Analogie zur Hypercholesterinämie ließe sich bei
den nicht klassifizierbaren Fällen von polygener
oder sporadischer Hypertriglyceridämie sprechen, Vermutete Mechanismen der Atherosklerose-
mit fließendem Übergang von diätetisch leicht the- entstehung durch Lp(a)
rapierbaren Fällen hin zum oberen Ende des Nor-
malverteilungsspektrums. Viele dieser übergewich- • Lp(a) ist ähnlich wie LDL atherogen und führt
tigen und körperlich untrainierten Patienten lassen zur Schaumzellbildung
sich auch unter dem Begriff des "metabolischen • Lp(a) wirkt durch die hohe Sequenzhomologie
Syndroms" zusammenfassen, bestehend aus: von Apo(a) mit dem Plasminogen thrombogen
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 831
und behindert die Thrombolyse durch Interaktio- • Durchführung. In der Diagnostik sollten 2 Nüch-
nen mit tPA ternblutentnahmen vorgenommen werden, bevor
• Lp(a) wirkt proliferativ auf die glatten Muskelzel- therapeutische Maßnahmen anstehen. Zu beachten
len und Endothelzellen und stimuliert so die Ent- sind des Weiteren:
stehung der Atherosklerose • Nüchternblutabnahme nach 12- bis 14-stündigem
Fasten (insbesondere für Triglyceridwerte),
• kein vorhergehender Alkoholexzess,
• konstantes Körpergewicht,
• keine akuten Erkrankungen in den letzten 8 Wo-
17 .2.4
chen.
Diagnostik
Zum Ausschluss sekundärer Hyperlipidämien sind
Bereits in der Diagnostik hat sich ein kleiner Wandel
notwendig:
hin zur Vereinfachung vollzogen, der mit praxisna-
• Anamnese bzgl. Diabetes mellitus, Schilddrüsen-,
hen Einteilungen die dann notwendige Therapie in
Nieren- und Lebererkrankungen,
sinnvoller Weise planen lässt. Dies bedeutet einen
• Medikamentenanamnese,
Weggang von der uns bekannten Fredrickson-Ein-
• Blutzuckerbestimmung,
teilung (bei der HDL-Cholesterin und Lp(a) zudem
• TSH, Nieren- und Leberwerte.
D
noch keinen Platz hatten) hin zu einer vereinfachten
in der folgenden Übersicht wiedergegebenen Basis-
Eine Ernährungsumstellung sollte über einen Zeit-
diagnostik.
raum von 3-6 Monaten erfolgen. Beim Vorliegen
einer koronaren Herzerkrankung sollte allerdings
Basisdiagnostik bei Fettstoffwechselstörungen
sofort auch medikamentös die LDL-Cholesterin-
senkung auf etwa 100 mg!dl (2,5 mmol!l) angestrebt
• Gesamtcholesterin
werden.
• HDL-Cholesterin
• Triglyceride
Folgende Übersicht gibt die verschiedenen Differen-
• LDL-Cholesterin (nach der Friedewald-Formel
tialdiagnosen, die mittels dieser Basisdiagnostik ge-
berechnet, bei Triglyceride <400 mg/dl bzw
stellt werden können, wieder.
4,6 mmol/1)
• Lp(a)
Differentialdiagnose mittels Basisdiagnostik
Zielwerte
Kein weiterer Risikofaktor LOL -Cholesterin ISS · 17Smg/ dl LDL Cholesteron 155 175 mgtdl
Tnq~IM < lOO mg/dl Triglyzerlde <lOOmg / dl
Ein weiterer Risikofaktor oder LDL · C~terln 13S · ISS mg / dl LDL C~nn 13S ISSmg dl
HOL -Cholesterin < 39 mg / dl Tnq~IM <lOOmg dl" Bei Diabetes mellitus <lSOmg / dl
Zwei weitere Risikofaktoren LDL ·Cholesterin 115 · 135mg/ dl lOI Chokost<'nn I IS 135 "'9 dl Falls keine positive Famll~namnese für
oder vorliegende familiäre Tnglyzer!M <200mg dl' I<HK. kein weiterer Risikofaktor und keine
Hypercholesterinämie Ponkreatitis ln der Vorgeschichte bekannt.
können aU<h Triglyzeri<H! <.wo mg / dl
KH K: LDL · Cholesterin <lOOmg/ dl LDL Cholestenn <lOOmg dl als au.srekhend betrachttot werden.
sofortige Erreichung der Tnglyz..-lde <200mg dl'
Zielwerte erforderlich
Kontrollen Bis zum Erreichen des Therapieziels alle 1-3 Monate, nach Erreichen
des Therapieziels alle 6 -12 Monate
Abb.l?-22. Diagnostik und Therapie von Hyperlipidämien in der Praxis des Hausarztes (aus: LipidmanuaJ®)
für den behandelnden Arzt nur empfehlenden Cha- • HDL-Cholesterin (und daraus berechnetem LDL
rakter haben, zumal, wenn sie die individuelle Aus- und VLDL-Cholesterin)
gangssituation des Patienten berücksichtigen. Wie • sowie die Bestimmung von Lp(a).
das in den Europäischen Richtlinien bei der Festle-
gung des jeweiligen Therapiezieles der Fall ist, dür- Da insbesondere die Hypertriglyceridämie nicht nur
fen sie die Evidenz von positiv verlaufenden Inter- als sekundäre Folge des Diabetes mellitus anzusehen
ventionsstudien für sich beanspruchen. ist und da die Behandlung der Hypertriglyceridämie
mit Verbesserungen der Diabeteseinstellung ein-
hergeht, sind Indikationen zur Behandlung der
Aspekte beim Diabetes mellitus Hypertriglyceridämie früh zu stellen. Als Hoch-
Die Diagnostik der Dyslipoproteinämie beim Diabe- risikopatienten für KHK sind auch in der Primär-
tes mellitus umfasst die Bestimmung von prevention LDL-Cholesterinwerte von 100 mg/dl
• Plasmacholesterin, und Triglyceridspiegel von 150 mg/dl anzustreben.
• Triglyceriden,
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 833
Tabelle 17-6. Empfehlungen der American Heart Association (AHA) zur Ernährung bei Hypercholesterinämie
Protein 10 % - 20 % 10 % -20 %
Bevorzugen Reduzieren
Gemüse aller Art, Hülsenfrüchte, Kartoffeln Gemüse in Butter oder Sahnesoße, Pommes frites,
Bratkartoffeln
Vollkornbrot, Vollkorngetreide, Haferflocken, Vollkornreis, Helle Mehle und Brotsorten, fetthaltige Feinbrote
Vollkornteigwaren ohne Ei (Buttertoa ts, Croissant), eihaltige Teigwaren
Magerfische (Kabeljau, Rotbarsch, Seelachs), kaltwasserfische Aal, geräucherte Fischerzeugnisse, panierter Fisch,
(Hering, Makrele, Thunfisch, Lachs) Fischkonserven in Sahnesoße
Magermilch, fettarme Milch, magere und fettarme Vollmilch, Vollmilchprodukte, Sahne, sahnehaltige
Milchprodukte, Kä e unter 30% Fett in Trockenmasse Milchprodukte, Käse über 30 o/o Fett in Trockenmasse
Öle und Margarine mit reichlich einfach und/oder mehrfach Tierische Fette (Butter, chmalz), gesättigte bzw gehärtete
ungesättigten Fettsäuren (cave Tans-FS), Sonnenblumenöl, Pflanzenfette (Kokosfett, Palmkernfett)
Keimöle, Sojaöl. Olivenöl
Brathuhn, Pute, Kalbfleisch, Wild, mageres Rindfleisch, Ente, Gans, Schweinefleisch, fettes Fleisch aller Art,
Fleischsülze, Cornedbeef, magerer Schinken, fettreduzierte Innereien (Leber, Niere, Zunge), handelsübliche
Wurstsorten Wurstsorten
Eiklar Eidotter
Fruchtei , fettarme Süß pei en Milcheis, Sahneeis, fett oder eihaltige üßspeisen,
Schokolade, Pralinen und andere üßigkeiten
Kaffee, Tee, Mineralwasser mit niedrigem Natriumgehalt, Mineralwasser mit hohem Natriumgehalt, zuckerhaltige
Gemüsesaft, Fruchtsaft Erfri chungsgetränke, alkoholi ehe Getränke
Kräuter, Gewürze, fettarme Suppen und oßen alz, fett- oder eihaltige uppen und Soßen, Mayonnaise
Chloridionen gegen Gallensäuren aus. Hierdurch • Fibrate: Die wirksamsten Präparate sind Bezafi-
wird in den enterohepatischen Kreislauf einge- brat, Fenofibrat und Gemfibrozil, daneben Etofi-
griffen durch erhöhte Ausscheidung von Gallen- brat und Etofyllinclofibrat (Tabelle 17-9). Die
säuren, Cholsäure und Chenodesoxycholsäure. Fibrate wirken durch eine Verminderung der
• Das pflanzliche ß-Sitosterin stört im Darm die VLDL-Produktion sowie durch gesteigerten Ab-
Mizellenbildung und interferiert mit der Chole- bau hauptsächlich triglyceridreicher Lipopro-
sterinabsorption. teine, vor allem der VLDL. Fibrate können Fibri-
nogen- und Harnsäurespiegel senken und zusam-
• Resorbierbare Lipidsenker. Als resorbierbare Li- men mit der Triglyceridsenkung die Plasmavis-
pidsenker werden die Präparate zusammengefasst, kosität und Mikrozirkulation verbessern.
die nach Resorption ihre Wirkung systemisch 1m
Körper entfalten.
Etofibrat 500-1000 mg
(Lipo-Merz retard)
• Nikotinsäure: Die Nikotinsäureund deren Derivate • Vitamin E als natürliches Antioxidans hat in
hemmen die Lipolyse in Adipozyten und damit die Interventionsstudien (CHAOS-Studie) in einer
Lipoproteinsynthese (Tabelle 17 -10). Außerdem Dosierung von 400 bzw 800 I. E. pro Tag zu einer
fördern sie den Metabolismus von VLDL und LDL. Reduktion nicht tödlicher Myokardinfarkte ge-
• HMG-CoA-Reduktasehemmer: Diese Substanz- führt, verzeichnete jedoch keinen signifikanten
klasse wirkt über eine kompetitive Hemmung Rückgang der Gesamtmortalität Vor Vitamin-
der HMG-CoA-Reduktase, einem Schlüsselenzym E-Überdosierungen muss gewarnt werden.
der Cholesterinbiosynthese (Tabelle 17-11 ). Die Neuere Untersuchungen haben positive Effekte
derzeit zur Verfügung stehenden Präparate füh- des Vitamin E nicht bestätigt.
ren dosisabhängig zu einer zuverlässigen Sen-
kung des Gesamt- und LDL-Cholesterins. Das
HDL-Cholesterin wird leicht angehoben. LDL-Apherese
Als letzte Alternative zur LDL-Cholesterinsenkung
• Weitere Medikamente bietet sich die maschinelle LDL-Elimination mittels
• Probucol (Lurselle), ein stark antioxidativ wirksa- LDL-Apherese an. Es handelt sich hierbei um ein
mes Präparat, hat eine lange Halbwertszeit von extrakorporales Blutreinigungsverfahren, wobei
etwa 2 Monaten und ist daher nicht gut steuerbar. entweder mittels Heparinpräzipitation, Affinitäts-
Da sowohl LDL-Cholesterin als auch HDL-Sen- chromatographie an anti-Apo B-haltigen Säulen,
kungen resultierten und verlängerte QT -Zeiten Dextransulfatadsorption oder in neuester Zeit mit-
mit malignen Herzrhythmusstörungen beschrie- tels Vollblutapherese auf acrylsäurebeschichteten
ben wurden, hat sich das Präparat nicht durchge- Säulen LDL entfernt wird. Die Behandlungsinter-
setzt. valle sind wöchentlich bis 14-tägig, je nach Wieder-
Xantinolnicotinat bis 3 g
(Complamin ,Xantinol-nicotinatratiopharm )
lnositol-nicotinat 0,8-2,4 g
(Nicolip~ )
anstieg der LD L-Cholesterinspiegel. Alle Verfahren haben sich aufgrund der überzeugenden Datenlage
führen auch zu einer deutlichen Senkung der der Interventionsstudien die HMG-CoA-Reduktase-
Lp(a)-Spiegel. Aufgrund des nicht unerheblichen hemmer als Mittel der ersten Wahl durchgesetzt. Je
Aufwandes und der hohen Kosten muss dieses Ver- nach Schwere der Hypercholesterinämie und ihrem
fahren Extremfällen vorbehalten bleiben (schwere, Ansprechen ist dann in einem abgestuften Therapie-
therapierefraktäre Hypercholesterinämie mit doku- schema die Kombination unterschiedlich wirkender
mentierter koronarer Herzerkrankung). Über die Lipidsenker möglich, z. B. die gleichzeitige An-
Indikation zur LDL-Apherese wird von einer Exper- wendung eines HMG-CoA-Reduktasehemmers mit
tenkommission auf Antrag entschieden. Der sche- einem gallensäurebindenden Harz. Um den intesti-
matische Aufbau eines LDL-Apheresesystems ist nalen Gallensäurenentzug zu kompensieren wird in
in der Abb. 17-23 dargestellt. der Leber die endogene Cholesterinsynthese hochre-
guliert, die ihrerseits durch die HMG-CoA-Redukta-
seinhibitoren gebremst wird. Als Folge versucht die
Spezifische Therapie Leber den Cholesterinbedarf durch eine Hochregu-
lation der LDL-Rezeptoren auszugleichen. Als Net-
Reine Hypercholesterinämie toeffekt resultiert duch die vermehrte Ausschleu-
durch hohes LOL-Choiesterin sung von Cholesterin in Form von Gallensäuren
Milde Formen sind eine Indikation für nicht resor- eine erhöhte Aufnahme und Verstoffwechslung
bierbare Lipidsenker vom Typ der gallesäurenbin- von LDL-Cholesterin durch die Leber. In besonders
denden Harze oder pflanzlicher Sterine. Heutzutage therapierefraktären Fällen kann dann zu dieser
Spül· Regene-
Iösung rations-
Iösung
Heparin
Blutsystem Plasmasystem
Kombination noch ein 3. Lipidsenker aus der Niko- ma in der Behandlung der Hypertriglyzeridämie
tinsäurereihe zugefügt und bei deren Erfolglosigkeit wieder.
eine extrakorporale LDL-Elimination angewendet
werden. Die folgende Übersicht gibt das Stufensche- Stufenschema zur medikamentösen Therapie
ma der medikamentösen Therapie von Hyperchole- der kombinierten Hypertriglyzeridämie:
sterinämien wieder.
e Fibrate oder Nikotinsäure oder Omega-3-Fett-
Stufenschema zur medikamentösen Therapie säuren
der Hypercholesterinämie • Fibrate und Nikotinsäure und Omega-3-Fett-
säuren
• Gallensäurebindende Harze
e HMG-CoA-Reduktasehemmer (ggf. Fibrate)
e HMG-CoA-Reduktasehemmer u. gallensäurebin- Diabetes mellitus
denden Harzen oder Fibrate • Diätetische Maßnahmen. Diätetische Maßnah-
e HMG-CoA-Reduktasehemmer u. gallensäurebin- men, die viele Gemeinsamkeiten mit denen zur Dia-
denden Harzen u. Nikotinsäure betesbehandlung zeigen, achten zusätzlich auf eine
e LDL-Apherese (in Kombination mit medikamen- Fettmodiflkation, d. h. auf eine Reduktion der gesät-
tösen Maßnahmen) tigten und eine Betonung der einfach und mehrfach
ungesättigten Fettsäuren (etwa je ein Drittel der
Fettkalorien als gesättigte, einfach-ungesättigte
Kombinierte Hyperlipidämie und mehrfach-ungesättigte Fettsäuren). Dies kann
Die Gruppe der kombinierten Hyperlipidämien unterstützt werden durch die Gabe von Fischölen,
stellt die Mehrzahl der Lipidstoffwechselpatienten. für die eine triglyceridsenkende Wirkung dokumen-
Die gallesäurebindenden Medikamente bzw. Sterane tiert ist.
kommen hier primär nicht zum Einsatz, da sie zu-
sätzlich auch zur Steigerung der Triglyceridsynthese • Lipidsenkende Medikamente
führen. Bei der kombinierten Hyperlipidämie mit • Lipidsenkende Medikamente der ersten Wahl
dominierendem LDL-Cholesterinanteil (Typ II B) stellen die Fibrate dar. Sie sind sehr potente Tri-
kommen überwiegend HMG-CoA-Reduktasehem- glyceridsenker, verbessern zusätzlich die Gluko-
mer zur Anwendung. Als Mittel der ersten Wahl setoleranz und vermindern in vielen Fällen eine
bei triglyceridbetonter kombinierter Hyperlipid- gleichzeitig bestehende Hyperurikämie. Vorsicht
ämie werden in Deutschland hauptsächlich Fibrate, ist geboten bei eingeschränkter Nierenfunktion
in den USA überwiegend Nikotinsäure und deren wegen entsprechend notwendiger Dosisreduk-
Derivate eingesetzt. Folgende Übersicht zeigt das tion.
therapeutische Stufenschema bei der kombinierten • Nikotinsäure und ihre Derivate, die besonders die
Hyperlipidämie. Freisetzung freier Fettsäuren aus peripheren Ge-
weben hemmen und damit ebenfalls die Hypertri-
Stufenschema zur medikamentösen Therapie glyceridämie beeinflussen, sind in Deutschland in
der kombinierten Hyperlipidämie den Hintergrund getreten, da sie zumindest initi-
al zudem die Glukosetoleranz negativ beeinflus-
e HMG-CoA-Reduktasehemmer bei LDL-betonter sen. Fibrate und Nikotinsäurederivate führen, be-
HLP sonders bei hypertriglyceridämischen Patienten,
e Fibrate bzw Nikotinsäure bei triglyceridbetonter zu deutlichen Anstiegen von HDL-Cholesterin.
HLP • Hemmer der Cholesterin-Biosynthese (HMG-CoA-
e gegebenenfalls Kombinationstherapie von HMG- Reduktasehemmer, Statine) werden ebenfalls bei
CoA-Reduktionshemmer mit Fibrat bzw. Niko- der diabetischen Dyslipoproteinämie, wenn LDL-
tinsäure Cholesterinerhöhungen und nicht eine Hyper-
triglyceridämie im Vordergrund stehen, einge-
setzt. Sie führen zu einer deutlichen LDL-Chole-
Hypertriglyceridämie sterinsenkung. Ihre Wirksamkeit bei Bestehen
Bei der Hypertriglyceridämie sind weder HMG- einer koronaren Herzerkrankung konnte belegt
CoA-Reduktasehemmer noch gallensäurebindende werden. In einer Subgruppenanalyse der diabeti-
Harze indiziert. Diese Störung ist eine Domäne schen Teilnehmer an der 4S-Studie (Sekundär-
der Fibrat- und Nikotinsäuretherapie. Zudem sind intervention der koronaren Herzerkrankung
Omega-3-Fettsäuren (Fischöle) zur Korrektur dieser durch LDL-Cholesterinsenkung mittels Ernäh-
Störung wirksam. Die Übersicht gibt das Stufensche- rungsumstellung und Simvastatin) zeigte sich
838 KAPITEL 17 Lipide und Lipoproteine
nämlich sowohl eine deutliche Verbesserung des scher Zustände gehört. Insgesamt haben sich zur Be-
Überlebens als auch eine drastische Reduktion handlung der Hypertonie des Diabetikers mehr und
schwerwiegender KHK-bedingter Ereignisse. mehr Substanzen aus der Gruppen der ACE-Hem-
Die frühzeitige Behandlung der diabetischen Dys- mer durchgesetzt.
lipoproteinämie, insbesondere die drastische Re-
duktion der Triglyceride auf Zielwerte unter • Nierenerkrankungen. Die Behandlung der Fett-
150 mg/dl (1,7 mmol/1}, begünstigen zusätzlich stoffwechselstörung bei Nierenerkrankungen erfor-
die Diabeteseinstellung. Studien sind derzeit im dert besondere Aufmerksamkeit sowohl in Bezug
Gange, um nachzuweisen, ob auch langfristig auf ein zu wählendes Präparat als auch in Bezug
die Behandlung der Dyslipoproteinämie beim auf die reduzierte Dosierung. HMG-CoA-Redukta-
Diabetes mellitus zu einer Verminderung der sehemmer haben sich hier besonders effektiv erwie-
diabetischen Makroangiopathie, Nephropathie sen. Bei Erfolglosigkeit der medikamentösen Thera-
und weiterer Spätkomplikationen führt. pie, bei der sämtliche gängige Präparate unter enger
Kontrolle grundsätzlich zum Einsatz kommen kön-
Weitere sekundäre Hyperlipidämien nen, ist die extrakorporale LDL-Elimination eine
• Metabolisches Syndrom. Häufig findet sich eine weitere Option. Bei der Indikationsstellung ist der
sekundäre Hyperlipoproteinämie im Rahmen eines Zusammenhang zwischen Hypertonie, Fettstoff-
metabolischen Syndroms. Adipositas, Hypertonie, wechselstörung und Progredienz der Nierenerkran-
Diabetes mellitus sind zusammen mit assoziierter kung zu bedenken. Kompliziert wird die Therapie
Dyslipoproteinämie die Eckpfeiler dieses Syndroms. nach Nierentransplantation, nach der oft die im-
Obwohl schon seit über 20 Jahren beschrieben, rückt munsuppressive Medikation die Hyperlipidämie
es erst jetzt immer mehr ins Bewusstsein. Abb. 17-12 verseblech tert.
zeigt die Ansammlung von Stoffwechselstörungen,
die in einem Patienten mit metabolischem Syndrom
auftreten können. Sie sind gemeinsam synergistisch
17.2.6
wirkende Risikofaktoren für die Entwicklung der
Lipidspeichererkrankungen
Arteriosklerose.
Im Vordergrund sämtlicher Bemühungen zur
Lipidspeichererkrankungen oder Lipidosen sind re-
Normalisierung der Hyper- und Dyslipoprotein-
lativ seltene, genetisch determinierte Erkrankungen
ämien in Assoziation mit dem metabolischen Syn-
des Fettstoffwechsels mit Ablagerungen von Lipiden
drom, speziell dem Übergewicht, Bluthochdruck
und Lipoiden in unterschiedlichen Organen. Bereits
und Diabetes mellitus, stehen diätetische Maßnah-
Anfang der 80er-Jahre des vorletzten Jahrhunderts
men zur Korrektur der Grunderkrankung. Zusätz-
wurden mit den Gangliosidosen (1881} und dem
lich können medikamentöse Maßnahmen zur Blut-
M. Gaueher (1882} die ersten Lipidspeichererkran-
drucksenkung sowie Diabeteseinstellung notwendig
kungen beschrieben. Die Lipidspeichererkrankun-
werden. "Erweiterte diätetische Maßnahmen" in
gen werden in die folgenden Untergruppen unter-
Form von Fischölen konnten sowohl bei Hyperlipä-
teilt (Tabelle 17-12).
mikern und Diabetikern insbesondere Triglyceride
senken als auch bei Hypertonikern den systolischen
und diastolischen Blutdruck günstig beeinflussen. Sphingolipidosen
Über Langzeiteffekte dieser Fischöle liegen jedoch
noch keine hinreichende Daten vor. Die Auswahl M. Gaueher
der blutdrucksenkenden Medikamente muss deren Er ist die häufigste angeborene Iysosomale Speicher-
Effekte auf den Lipidstoffwechsel mitberücksichti- krankheit vom Typ der Sphingolipidosen.
gen. Der in Langzeitstudien zur Hypertoniebehand-
lung gesehene geringe Schutz vor koronarer Herzer- • Pathogenese. Es handelt sich dabei um eine ins-
krankung hängt mit der Tatsache zusammen, dass gesamt seltene, autosomal-rezessiv vererbte Lipid-
durch die verwendete Medikation (hauptsächlich speicherkrankheit mit Akkumulierung von abnor-
Diuretika) zusätzlich eine ungünstige Lipidkonstel- mem Glukozerebrosiden im RES. Klinisch treten
lation entstand (s. Abb. 17-14}. Obwohl noch keine Hepatosplenomegalie, gelb-braune Pigmentierun-
Studien vorliegen zum Nutzen gleichzeitiger Blut- gen vor allem an Gesicht und Beinen sowie Skelet-
drucksenkung und Korrektur von Dyslipidämien, taffektionen und Pingueculae an den Konjunktiven
kann aus den vorliegenden Daten geschlossen wer- im Vordergrund. Seltener treten Lungenverände-
den, dass zur effektiven Behandlung der Hypertonie rungen (Infiltrate, pulmonale Hypertension) auf.
im Hinblick auf die Risikominderung koronarer Die Erkrankung wird durch einen Defekt der Gluko-
Herzerkrankungen auch eine Korrektur dyslipämi- zerebrosidase ausgelöst, ein Enzym, das normaler-
17.2 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 839
Krankheitsgruppen Erkrankungen
weise Glukozerebroside zu Glukose und Zeramid • Diagnose. Die Diagnose wird durch den Nachweis
abbaut. Die Stoffwechselanomalie tritt gewöhnlich typischer Zellen in Knochenmark, Milz- oder Leber-
in der frühen Kindheit auf. Charakteristische patho- biopsie gestellt. Zudem kann eine fehlende Gluko-
logische Befunde sind eine Anhäufung von Glukoze- zerebrosidaseaktivität in Zellkulturen nachgewiesen
rebrosiden in den Retikulaendothelzellen von Milz, werden. Die Enzymsubstitution ist heute möglich.
Leber, Lymphknoten und Knochenmark. Die Zellen
haben eine unterschiedliche Form und besitzen M. Krabbe
einen oder mehrere exzentrisch angeordnete Kerne Die Galaktosylceramidlipidose (globoidzellige Leu-
(Gaucher-Zellen). kodystrophie oder das Krabbe-Syndrom) tritt zwi-
schen dem 3. und 6. Lebensmonat auf und führt
• Klinik. Es gibt 3 unterschiedliche Verlaufsformen in der Regel nach 6-8 Jahren zum Tode. Klinisch im-
des M. Gaucher, die in der folgenden Übersicht ge- poniert ein progredienter Zerebralabbau, Erblin-
nannt sind. dung, Taubheit und Pseudobulbärparalyse. Als Ur-
sache der Erkrankung wurde ein Defekt der Galakto-
Verlaufsformen des M. Gaueher Zerebrosid- ß-Galaktosidase identifiziert.
Refsum-Syndrom
Das Refsum-Syndrom wird rezessiv vererbt. Ursäch- Aktuelle Links im Internet finden Sie unter:
lich ist der Abbau der Phytansäure aufgrund eines http://www.springer.de/cgl-bin/bag_generate,pl?ISBN =3-540-64765-1
Mangels an Phytansäurehydroxylase gestört. Es Weiterführende Literatur finden Sie unter:
kommt hierdurch zur Anreicherung von Phytansäu- http://www.springer.de/books/literatur/354064755l.pdf
KAPITEL 18
Purinstoffwechsel 18
w. GRÖBNER
18.1 Physiologie 841 standteile der meisten Coenzyme, speziell von Coen-
18.1.1 Harnsäurebildung 841 zymen des Energiestoffwechsels. Alle purinhaltigen
18.1.2 Regulation der Purinsynthese 841
18.1.3 Nahrungspurine 842 Verbindungen im Körper unterliegen einer ständi-
18.1.4 Renale und extrarenale gen Neubildung und einem ständigen Abbau.
Harnsäureausscheidung 842 Beim Menschen entsteht beim Abbau von Purinen
18.2 Hyperurikämie und Gicht 842 Harnsäure.
18.2.1 Fallpräsentation 842
18.2.2 Definition der Hyperurikämie 843
18.2.3 Epidemiologie 844 18.1.1
18.2.4 Pathogenese 844
18.2.5 Klinik 847 Harnsäurebildung
18.2.6 Diagnostik 848
18.2.7 Differentialdiagnose 850 Harnsäure, das Endprodukt des Purinstoffwechsels
18.2.8 Therapie 851
18.2.9 Prognose 855 beim Menschen, entsteht überwiegend in der Leber
und Dünndarmmukosa. Die Purinsynthese und ihre
18.3 Lesch-Nyhan-Syndrom 856
18.3.1 Pathogenese 856 Regulation ist in Abb. 18-1 dargestellt. Ausgangs-
18.3.2 Klinik 856 substanz der Purinsynthese ist 5-Phosphoribosylpy-
18.3.3 Diagnostik 856 rophosphat (PRPP), das mit Glutamin zu 5-Phos-
18.3.4 Therapie 856
phoribosylamin reagiert. Dieser Schritt ist geschwin-
18.4 Adeninphosphoribosyltransferase-Mangel digkeitsbestimmend für die Purinsynthese. Über
und 2,8-Dihydroxyadeninlithiasis 856
18.4.1 Pathogenese 856 eine Reihe weiterer Syntheseschritte entsteht Inosin-
18.4.2 Klinik 856 säure, aus der die anderen Nukleotide, nämlich Ade-
18.4.3 Diagnostik 856 nyl- und Guanylsäure, hervorgehen. Ein weiterer
18.4.4 Therapie 856
Weg der Inosinsäure führt über Inosin, Hypoxan-
18.5 Xanthinune 856 thin und Xanthin zu Harnsäure. Die letzten beiden
18.5.1 Pathogenese und Klinik 856
18.5.2 Therapie 857 Schritte werden durch das Enzym Xanthinoxidase
katalysiert.
18.6 Myoadenylatdesaminasemangel
(MAD-Mangel) 857
18.6.1 Pathogenese 857
18.6.2 Klinik 857 18.1.2
18.6.3 Diagnostik 857 Regulation der Purinsynthese
18.6.4 Therapie 857
18.7 Störungen der Immunantwort 857
Untersuchungen zur Regulation der Purinsynthese
Literatur 857 ergaben, dass Adenyl-, Guanyl- sowie Inosinsäure
den ersten Schritt der Purinsynthese im Sinne eines
Feedback-Mechanismus hemmen. Adenyl- und
18.1 Guanylsäure hemmen auch ihre eigene Bildung
Physiologie aus Inosinsäure. Nach Produktion ausreichender
Mengen von Adenyl-, Inosin- und Guanylsäure
Purine sind essenzielle Bestandteile des menschli- wird daher die Neusynthese der Purine von selbst
chen Körpers. Gemeinsam mit Pyrimidinen sind gebremst. Besondere Bedeutung bei der Aufrechter-
sie die entscheidenden Bestandteile der Desoxyribo- haltung der intrazellulären Konzentration von Ade-
nukleinsäure (DNS) und Ribonukleinsäure (RNS), nyl-, Inosin- und Guanylsäure kommt dabei denEn-
den Trägern der genetischen Information und Über- zymen Hypoxanthinguaninphosphoribosyltransfe-
mittlern dieser Information an die Eiweißsynthese. rase (HPRTase) sowie Adeninphosphoribosyltrans-
Eine zweite wichtige Rolle spielen die Purine als Be- ferase (APRTase) zu (Abb. 18-1).
842 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel
Ribose-5-phosphat + ATP
I PRPP-Synthetase I
5-Phosphoribosyl pyrophosphat
+
Glutamin
Inosinsäure 1 - - - - - - -- 1
HPRTase APRTase
+ PRPP PRPP+ PRPP+ Abb.IS-1.
Schematische Darstellung des
Purinstoffwechsels und sei-
ner Regulation. APRTase
Adeninphosphoribosyltrans-
ferase, HPRTase Hypoxan-
thinguaninphosphoribosyl-
I 2,8 Dihydroxyadenin I transferase, PRPP-Synthetase
5-Phosphoribosylpyrophos-
phatsynthetase, PRPP 5-
Phosphoribosylpyrophos-
phat. (Nach Zöllner et al.
1996a)
18.1.4
Renale und extrarenale
Harnsäureausscheidung
Harnsäure
Allantoin
18.2.2
Ein 40-jähriger übergewichtiger Patient wachte Definition der Hyperurikämie
gegen Morgen mit heftigen Schmerzen im Be-
reich des linken Großzehengrundgelenks auf. Ursache der Gicht ist die Hyperurikämie, d. h. eine
Vorausgegangen war eine Familienfeier am Harnsäurekonzentration im Plasma oder Serum
Abend zuvor. Mit Ausnahme einer linksseitigen oberhalb des Normalbereiches. Unter Berücksichti-
Nierenkolik mit spontanem Steinabgang (aller- gung der Löslichkeitsgrenze von Natriumurat im
dings ohne nachfolgende Steinanalyse) sei der Plasma kann man bei Männern und Frauen die Hy-
Patient bisher noch nie ernsthaft krank gewesen. perurikämie als eine Harnsäurekonzentration ober-
Klinisch zeigte sich eine deutliche Schwellung halb 6,4 mg/dl definieren. Eine Erhöhung des Se-
und Rötung des Großzehengrundgelenks links rumharnsäurespiegels über diesen Wert bedeutet
(Abb. 18-4). Laborchemisch ergab sich: Leuko- das Vorliegen einer übersättigten Lösung mit der
zyten 13.000/f.ll, Serumharnsäure 9,9 mg/dl, Neigung zu Harnsäureausfällung bei Auftreten ent-
Bilirubin 0,8 mg/dl, SGOT 35 U/1, SGPT 44 U/1, sprechender physikalischer Voraussetzungen.
844 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel
18.2.3 18.2.4
Epidemiologie Pathogenese
Die Ernährung unserer Wohlstandsgesellschaft hat Der Harnsäurebestand des Körpers stellt die Re-
in den Nachkriegsjahren zu einer deutlichen Zunah- sultierende aus Zufuhr und Ausscheidung dar
me der Hyperurikämie und Gicht geführt. In der (Abb. 18-5). Eine Hyperurikämie entsteht, wenn
Framingham-Studie, in der 5127 Personen mit Harnsäure vermehrt gebildet oder verringert ausge-
einem Durchschnittsalter von 44 Jahren zu Beginn schieden wird. In seltenen Fällen kombinieren sich
der Studie 12 Jahre lang beobachtet wurden, fanden beide Mechanismen. Folgende Übersicht gibt Eintei-
Hallet al. (1967) bei 9,2 o/o derMännerund 0,4 o/o der lung und Pathogenese der Hyperurikämie wieder.
Frauen Serumharnsäurewerte von 7,0 mg/dl oder
darüber. 19 o/o dieser Personen litten an Gicht. Das Einteilung und Pathogenese der Hyperurikämien
Risiko der Entwicklung eine Arthritis urica nahm
mit steigendem Serumharnsäurespiegel zu (Ta- • Familiäre (primäre) Hyperurikämie
belle 18-1). Innerhalb der gesamten untersuchten Störung der tubulären Harnsäuresekretion
Bevölkerung in Framingham wurden 2,8 o/o der (ca. 99 o/o)
Männerund 0,4 o/o der Frauen von einem oder meh- Vermehrte endogene Harnsäuresynthese infolge
reren Gichtanfällen befallen. Eine epidemiologische von Enzymdefekten des Purinstoffwechsels
Untersuchung 30- 59jähriger Männer und Frauen (ca. 1 o/o)
aus dem Raum Heidelberg ergab Serumharnsäure- • Sekundäre Hyperurikämie
werte über 8,0 mg/dl bei jedem 11. Mann und Werte Vermehrte Harnsäurebildung (z. B. bei Blutkrank-
über 7,5 mg/dl bei jeder 50sten Frau (1984). Gresser heiten, erhöhter Purinzufuhr über die Nahrung)
et al. (1990) beobachteten innerhalb der Bevölke- Verminderte renale Harnsäureausscheidung
rung Süddeutschlands Serumharnsäurespiegel über (z. B. bei Niereninsuffizienz)
6,5 mg/dl bei 28,6 o/o der Männer und 2,6 o/o der Vermehrte Harnsäurebildung mit verminderter
Frauen. In einem stationären Krankengut fanden renaler -ausscheidung (z. B. bei Glykogensrei-
Gröbner und Bantel (1997) eine Serumharnsäure- cherkrankheit Typ I, bei reichlicher Alkoholzu-
konzentration über 6,4 mg/dl bei 36,3 o/o der Männer fuhr)
und 23,7 o/o der Frauen. Ein relativ großer Prozent-
satz der Bevölkerung ist also dem Risiko eines Gicht-
anfalls, einer Uratnephropathie (Gichtniere) oder
Nephrolithiasis ausgesetzt. Die im Rahmen einer Familiäre Hyperurikämie
Uratnephropathie auftretende Hypertonie sowie Über die Art der der familiären Hyperurikämie zu-
die mit Hyperurikämie und Gicht häufig assoziier- grunde liegenden Stoffwechselstörung bestand lange
ten Begleitkrankheiten (Übergewicht, Störungen Zeit Meinungsverschiedenheit. Inzwischen konnte
des Fett- und Kohlenhydratstoffwechsels, essenzielle klar herausgearbeitet werden, dass die familiäre Hy-
Hypertonie), begünstigen das Auftreten einer früh- perurikämie bei der Mehrzahl aller Patienten
zeitigen Arteriosklerose. (ca. 99 o/o) auf einer Störung der renalen Harnsäu-
Tabelle 18-1. Häufigkeit desAuftretenseiner Arthritis urica in Abhängigkeit von der Höhe des Serumharnsäurespiegels. (Mod.
nach Hall et al. 1967)
8-8,9 40 25 1:4
• Phosphoribosylpyrophosphatsynthetase (PRPP-
Synthetase). Wesentlich seltener wird eine gestei-
Harnsäure gerte Aktivität der PRPP-Synthetase als Ursache
Pool einer vermehrten Harnsäurebildung gefunden. Ein
/
Mangel an APRTase führt nicht zu einer Hyper-
urikämie, sondern zur Bildung größerer Mengen
~
Abbau " Ausscheidung
von 2,8-Dihydroxyadenin und als Folge davon zu
Harnsteinen (Abb. 18-1).
Tabelle 18-2. Wichtige Ursachen (und Beispiele) sekundärer Hyperurikämien und Gicht; bei den eingeklammerten Angaben
müssen wahrscheinlich für das Zustandekommen einer Gicht hereditäre Faktoren vorliegen
Glukose-6-Phosphatasemangel
Calor
Abb.l8-6.
Rubor Schematische Darstellung der
Reaktionsfolge des aku ten
Tumor
Gichtanfalls. (Aus Zöllner et al.
Dolor 1996b)
der Harnsäure als Uration vor. Die Uratkonzentra- bunden ist. Sekundäre Pyelonephritis und Harnsäu-
tion in der Gelenkflüssigkeit entspricht der im Se- renephrolithiasis können die Nierenfunktionsein-
rum. Diepathogenetischen Vorstellungen beim aku- schränkung begünstigen.
ten Gichtanfall sind vereinfacht in Abb. 18-6 darge-
stellt. Kommt es durch eine kurzfristige Erhöhung • Harnsäurenephrolithiasis. Bei der Entstehung
des Harnsäurespiegels im Plasma und der Gelenk- von Harnsäuresteinen spielen 3 Faktoren eine Rolle:
flüssigkeit zum Ausfall von Uraten, so verursachen • 1. Erhöhung der Harnsäurekonzentration im
diese eine Mobilisierung und eine Ansammlung von Endharn durch vermehrte Harnsäureausschei-
Leukozyten. Es kommt zur Phagozytose der Uratkri- dung.
stalle mit Zerfall der Leukozyten und Freisetzung • 2. Veränderter renaler Ausscheidungsmechanis-
von entzündungsfördernden Substanzen. Die wäh- mus für Harnsäure bei der familiären Hyper-
rend dieser Vorgänge entstehende Laktatazidose urikämie.
führt zu einem weiteren Ausfall von Kristallen. So • 3. Verringerung der Löslichkeit von Harnsäure
läuft ein Circulus vitiosus immer schneller ab, bis durch vermehrte Harnkonzentrierung und/oder
der Höhepunkt der Entzündung erreicht ist. Die Harnsäuerung.
chronische Gicht ist durch Weichteil- und Knochen-
tophi gekennzeichnet. Im Gegensatz zum akuten Die akute Harnsäurenephropathie ist in der Regel
Gichtanfall ist die Topbusbildung ein chronischer Folge einer gesteigerten Harnsäurebildung mit Hy-
und kontinuierlicher Vorgang, der durch Ablage- perurikämie und stark erhöhter renaler Harnsäu-
rung von meist kristallinen Uraten zustande kommt reausscheidung. Sie findet sich meist bei Patienten
und häufig eine Fremdkörperreaktion hervorruft. mit lympho- oder myeloproliferativen Erkrankun-
Chemische Eigenschaften der bevorzugt befallenen gen unter zytostatischer Behandlung oder Bestrah-
Gewebe, nämlich Gelenkknorpel und -synovien, lungstherapie. Auch zu Beginn einer urikosurischen
Sehnenscheiden und Bursae sowie Helix des Ohres Therapie kann eine akute Harnsäurenephropathie
und Subkutis sind in der Pathogenese wahrschein-
lich von entscheidender Bedeutung.
Renale Komplikationen
Die renalen Komplikationen einer Hyperurikämie
sind in Abb. 18-7 dargestellt.
entstehen, wenn nämlich entsprechende Vorsichts- Im späteren Verlaufkönnen alle Gelenke befallen
maßnahmen wie einschleichende Dosierung des werden, ebenso Schleimbeutel, Sehnenscheiden und
Urikosurikums, ausreichende Flüssigkeitszufuhr die Weichteile der Endphalangen. Der erste Anfall
und Harnneutralisierung vernachlässigt werden. klingt auch ohne Behandlung wieder ab und macht
völliger Symptomfreiheit Platz ("interkritische
Gicht"). Ohne adäquate Behandlung wiederholen
18.2.5 sich die Gichtanfälle, es werden nach und nach bis-
Klinik lang noch nicht betroffene Gelenke befallen. Die Ab-
stände zwischen den Gichtattacken werden immer
Symptome und Beschwerden kürzer, die Dauer der Anfälle länger. Es entwickelt
Die klinischen Manifestationen einer Hyperurikä- sich eine chronische Gicht.
mie sind in der folgenden Übersicht wiedergegeben
Chronische Gicht
Klinische Manifestationen der Hyperurikämie
Die chronische Gicht ist durch Weich teil- und Kno-
chentophi gekennzeichnet. Die Gelenkveränderun-
• Akute Arthritis, Sehnenscheidenentzündung,
gen sind Folge der Zerstörung gelenknaher Kno-
Bursitis
chenanteile durch Harnsäureablagerungen. Es
• Chronische deformierende Arthritis (mit periar-
kommt zu Deformierungen der Gelenke, Ankylosen
tikulären und subkutanen Tophi)
sind jedoch selten. Tophi der Weichteile gehen vom
• Harnsäurenephrolithiasis
periartikulären Gewebe, von Sehnenscheiden,
• Uratnephropathie mit Hypertonie
Schleimbeuteln oder der Subkutis der Ohrmuscheln
• Akute Harnsäurenephropathie
aus (Abb. 18-8 und 18-9). Gelegentlich brechen To-
phi nach außen durch, es entsteht dann ein Gicht-
geschwür. Selten können bei Gicht auch neurologi-
Akute Gicht sche Störungen wie z. B. ein Karpaltunnelsyndrom
Der akute Gichtanfall ist meist das erste klinische auftreten. Nicht selten sucht der Patient wegen einer
Symptom einer Hyperurikämie. Er ist durch plötz- Nierenkolik mit Flankenschmerzen und evtl.
lichen Beginn aus voller Gesundheit, enorme Hämaturie den Arzt auf. Eine Harnsäurenephroli-
Schmerzhaftigkeit, Beschränkung auf ein Gelenk so- thiasis kann der Gelenkgicht um viele Jahre voraus-
wie eine intensive entzündliche Reaktion gekenn- gehen und wird in einer Häufigkeit von 20-40 o/o bei
zeichnet (Abb. 18-4). Auslösende Faktoren eines Hyperurikämie und Gicht beobachtet. Symptome
Gichtanfalls sind z. B. vermehrte Purinzufuhr, Alko- einer Uratnephropathie sind
holexzesse oder Arzneimittel wie Saluretika. All- • Proteinurie,
gemeinreaktionen wie Fieber können das Krank- • Hämaturie und
heitsbild begleiten. Am häufigsten ist beim ersten • Leukozyturie.
Gichtanfall das Großzehengrundgelenk betroffen.
Tabelle 18-3 gibt die Häufigkeit des Befalls verschie- 30-70 o/o der Patienten entwickeln eine Hypertonie.
dener Gelenke durch den 1. Gichtanfall wieder.
Großzehengrundgelenk 80
Kn~ 5
Fingergelenk 3
Handgelenk 2
Laboruntersuchungen
/
Harnsäure im Serum und 24 - h - Urin, Harnstatus,
Harnstoff, Kreatinin, Elektrolyte, Lipide im Serum
Blutzucker, Differentialblutbild
Technische Untersuchungen
Röntgenaufnahme des betroffenen und kontralateralen Gelenks
Röntgenaufnahme der Vorfüße (Tophi ?)
evtl. Gelenkpunktion zum Nachweis von Harnsäurekristallen Abb. 18-10.
Ultraschall der Nieren, evtl. i. v.-Pyelographie Flussschema zur Diagnostik bei Hyper-
urikämie
18.2 Hyperurikämie und Gicht 849
Urikosurika Saluretika
Corticoide ikotinsäure
L-Dopa
Pyrazinamid
Ethambutol
Methoxyfluran
Ciclosporin A
Hand betrifft. Der therapeutische Effekt einer aus- blau (Abb. 18-11). Die Bestätigung der Diagnose er-
reichenden und am 1. Tag einsetzenden Kolchizin- folgt durch die enzymatische Bestimmung der Se-
therapie ist diagnostisch beweisend. Eine Gelenk- rumharnsäure. Die Serumharnsäurebestimmung
punktion mit dem Nachweis von Harnsäure- sollte dabei aus dem Nüchternblut erfolgen, wobei
kristallen in den polymorphkernigen Leukozyten sich der Patient in den Tagen vor der Blutentnahme
der Gelenkflüssigkeit mit Hilfe des Polarisations- wie gewohnt ernähren sollte. Alkoholabusus vor der
mikroskops kann gelegentlich notwendig sein. Die Blutabnahme ist zu vermeiden. Serumharnsäure-
Untersuchung der Kristalle erfolgt im nativen Ge- werte über 6,4 mg/dl sind mit der Diagnose Gicht
lenkpunktat. Im Polarisationsmikroskop ist der vereinbar. In Ausnahmefällen kann ein Gichtanfall
Harnsäurekristall negativ doppelbrechend und par- auch bei einem normalen Serumharnsäurespiegel
allel zur Kompensatorachse gelb, senkrecht dazu auftreten.
Bei Feststellung einer Hyperurikämie müssen
weitere Untersuchungen zur Ursache der Hyper-
urikämie sowie zur Erkennung von Komplikationen
eines erhöhten Serumharnsäurespiegels getroffen
werden (Tabelle 18-5). Proteinurie, Leukozyturie,
Hämaturie und Blutdruckerhöhung weisen auf
eine Beteiligung der Niere bei Hyperurikämie hin.
Abgegangene Nierensteine sind zu analysieren.
Harnsäure in Weichteiltophi lässt sich mit Hilfe
der Murexidprobe nachweisen (Rotfärbung bei Er-
hitzen mit einem Tropfen Salpetersäure).
Besondere diagnostische Bedeutung hat auch der
röntgenologische Nachweis von Knochentophi. Sie
kommen meist im Bereich der Großzehengrund-
und Fingergelenke, meist in Form runder Defekte
ohne sklerosierten Randsaum vor (Abb. 18-12).
Abb. 18-11. Uratkrislalle im Polarisationsmikroskop. Die
gelb erscheinenden Kristalle liegen parallel, die blau erschei- Die Knochentophi sitzen zunächst subchondral, er-
nenden Kristalle senkrecht zur Komp<>nsetorechse reichen aber bald die Gelenkflüchen und zerstören
850 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel
Diagnose Untersuchung
Zur Diagno e bzw. Au schluss von Enzymdefekten Quotient Harn äure (mgldl)/Kreatinin (mgldl)
des Purin toffwechsels bei familiärer Hyerurikämie im Spontanurin
Gichtanfall
Im Vordergrund steht die Differentialdiagnose der
akuten Mon- oder Oligoarthritis. Nahezu alle rheu-
matischen Erkrankungen können in einer dieser
beiden Formen beginnen. Durch gezielte anamnesti-
sche Fragen sowie präzise klinische und laborchemi-
sche Untersuchungen lassen sich die einzelnen Er-
Abb.l8-12. Knochentophi im Bereich der Vorfüße krankungen diagnostizieren .
18.2 Hyperurikämie und Gicht 851
Diät
Kombinierte Behandlung Kombination aus 100 mg I-mal pro Tag Gastrointestinale Störungen,
Allopurinol und 20 mg allergische Reaktionen
Benzbromaron
852 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel
Ziele der Ernährungstherapie der Hyperurikämie durch Allopurinol. Bei gleichzeitiger Gabe von Allo-
und Gicht purinol und 6-Mercaptopurin oder Azathioprin
muss die Dosis der letztgenannten Substanzen um
• Verringerung der Zufuhr von Nahrungspurinen etwa 75 o/o reduziert werden. Allopurinol beeinflusst
• Einschränkung des Alkoholverbrauchs außerdem die Pharmakakinetik von Kumarinderi-
• Normalisierung des Körpergewichts bei Überge- vaten. Auch durch Beeinflussung des Metabolismus
wicht von Theophyllin können Arzneimittelinteraktionen
auftreten. Der Vorteil des Allopurinols gegenüber
Urikosurika liegt in der Hemmung der Harnsäure-
bildung und der dadurch bedingten Verminderung
Zur Verringerung der Purinzufuhr mit der Nahrung der renalen Harnsäureausscheidung. Daraus leiten
empfehlen wir täglich nur einmal Fisch, Fleisch oder sich auch die in der folgenden Übersicht wiederge-
Wurst (100-150 g) zu essen und Innereien zu mei- gebenen unbedingten Indikationen zur Allopurinol-
den. Die Eiweißzufuhr (12-15 Energieprozent) sollte therapie ab.
bevorzugt durch Milch und Milchprodukte sowie
Brot erfolgen. Bei den diätetischen Vorschriften
Unbedingte Indikationen zur Allopurinoltherapie
darf man nicht nur auf den Puringehalt eines Nah-
••
rungsmittels pro Gewichtseinheit achten, sondern
Gichtniere
man muss vielmehr auch den Puringehalt pro Ener-
Harnsäurenephrolithiasis
gieeinheit oder pro Portion in Rechnung stellen (Ta-
belle 18-7). Die Einschränkung der Alkoholzufuhr • Familiäre Hyperurikämie auf der Basis von En-
zymdefekten des Purinstoffwechsels
sowie die Normalisierung des Körpergewichts sind
Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen diäteti- • Lesch-Nyhan-Syndrom
• Verschiedene sekundäre Hyperurikämien
•
sehen Therapie. Durch eine Wasserzufuhr von 2 1
Allergie oder auch Unverträglichkeit von Uriko-
oder mehr kommt die urikosurische Wirkung der
surika
Diurese zum Tragen.
• Nichtansprechen auf Urikosurika
• Allopurinol. Allopurinol hemmt das Enzym Xan-
thinoxidase und damit die Oxidation von Hypoxan-
thin zu Xanthin und von Xanhin zu Harnsäure • Urikosurika. Unter den Urikosurika (Tabelle 18-
(Abb. 18-13). Außerdem führt Allopurinol zu einer 6) wird am häufigsten Benzbromaron eingesetzt. Die
Hemmung der Purinsynthese de novo sowie zu einer Wirkung der Urikosurika beruht auf einer Hem-
Beeinflussung des Pyrimidinstoffwechsels. Nach mung des tubulären Harnsäuretransports und da-
Verabreichung von Allopurinol kommt es zu einem mit in erster Linie der tubulären Harnsäurerückre-
Abfall der Serumharnsäure und der renalen Harn- sorption. Es kommt dadurch bis zur Einstellung
säureausscheidung bei gleichzeitigem Anstieg der eines neuen Gleichgewichts zu einer vermehrten re-
Ausscheidung von Hypoxanthin und Xanthin im nalen Harnsäureausscheidung (Abb. 18-15), die bei
Urin (Abb. 18-14). Die Tagesdosis von Allopurinol, Patienten mit chronischer Gicht über Monate anhal-
die auf einmal gegeben werden kann, liegt bei ten kann. Dadurch entsteht die Gefahr von tubulä-
200-300 mg, nur in Einzelfällen muss die Dosis ge- ren Harnsäureausfallungen. Urikosurika müssen
steigert werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion einschleichend dosiert werden. Gleichzeitig muss
ist eine Dosisreduktion erforderlich (Tabelle 18-8). auf eine ausreichende Diurese sowie Harnneutrali-
Nebenwirkungen unter Allopurinol sind selten. sierung zu Beginn einer urikosurischen Therapie ge-
Am häufigsten werden gastrointestinale Störungen achtet werden. Urikosurika sollten nur noch bei Hy-
sowie Überempfindlichkeitsreaktionen beobachtet perurikämikern und Gichtpatienten mit normaler
(Tabelle 18-6). Sehr seltene Fälle von Vaskulitis Harnsäureausscheidung und ohne jegliche renale
sind beschrieben worden. Sie sind die Grundlage Symptomatik eingesetzt werden. Als Nebenwirkung
der generalisierten Allopurinolüberempfindlich- werden in seltenen Fällen gastrointestinale Störun-
keitsreaktion. Diese Nebenwirkung wird nur beob- gen sowie allergische Reaktionen beobachtet (Ta-
achtet, wenn bei Niereninsuffizienz mit voller Allo- belle 18-6).
purinoldosis behandelt wird. Jedenfalls empfiehlt es
sich, bei Patienten mit Niereninsuffizienz die Oxipu- • Kombinierte Arzneimitteltherapie. Als fixe Arz-
rinolspiegel zu überwachen und die Plasmaharnsäu- neimittelkombination sind Präparate im Handel, die
re auf nur 5,5 mg!dl zu senken. Einige Interaktionen 20 mg Benzbromaron und 100 mg Allopurinol ent-
des Allopurinols mit anderen Arzneimitteln erklä- halten. Die harnsäuresenkende Wirkung der Kombi-
ren sich durch die Hemmung der Xanthinoxidase nation entspricht etwa derjenigen einer mittleren
18.2 Hyperurikämie und Gicht 853
Tabelle 18-7. Harnsäuregehalt einiger Lebensmittel (berechnet als mg Harnsäure pro 100 g Frischgewicht und pro Portion).
(Aus Zöllner 1990b)
OH OH OH
H
HO).,_N N
I ~
H
HO NI N
}-oH
H
Hypoxanthin
r Xanthin
r Harnsäure
Abb.18-13.
Umwandlunfl von Hypoxanthin zu Harnsäure
Allopurinol Allopurinol sowie Angri fspunkte von Allopurinol
I Purinfreie Basisdiät
I Allopu rinol 400 mg/die lAuslaßversuch
I Purinzulage
t
Serumharnsäure
5 g
4 -
3 '0\
E
2
800
0
I I I
Hypoxanthin· und Xanthin-
~j ausscheidung Abb.18-14.
~~
Tagesausscheid~ng (Mittelwerte der Versuchs-
perioden ohne Ubergangsphasen) von Harn-
säure, Hypoxanthin und Xanthin unter purin-
10 20 29
= 37 freier Basisdiät und nach Zulage von Allopurinol
sowie Allopurinol und Ribonukleinsäure (413 mg
Tage Purin-N täglich; nach Gröbner u. Zöllner 1989)
Dosis der jeweiligen Einzelsubstanz (300 mg Allopu- Tabelle 18-8. Richtlinien für die Dosis von Allopurinol bei
rinol, weniger als 100 mg Benzbromaron). Im Ver- eingeschränkter Nierenfunktion. (Nach Cameron u. Sim-
monds 1987)
gleich zu Allopurinol hat das Kombinationspräparat
keine Vorteile. Im Vergleich zur rein urikosurischen Kreatinindearancc Erhaltungsdosis
Behandlung hat das Kombinationspräparat den [mlfminl von Allopurinol
Vorteil, dass bei Therapieeinleitung keine strengen [mgl
Vorsichtsmaßnahmen bezüglich Diurese und Harn- 0 100 jeden 3. Tag
neutralisierung erforderlich sind, da nur geringe
Schwankungen der renalen Harnsäureausscheidung 10 100 jeden 2. Tag
beobachtet werden. Das Kombinationspräparat hat 20 100 tgl.
jedoch den Nachteil, dass es 2 verschiedene Substan-
zen enthält und somit das Risiko nicht dosisabhän- 40 150 tgl.
giger Nebenwirkungen erhöht wird. 60 200 tgl.
80 250 tgl.
Benzbromaronum
100 mg oral
ml/min
01
30 c
mg / Periode -€l
so ~
u
40 "'
~
!3
Harnsäure- 30 5
:~
dearance
20 E
II)
I
Harnsäureausscheidung 10 ~
II)
c Abb.18-15.
0~---L~r-,--,--~~--~~--~-r--~~--LO & Wirkung eines Urikosurikums, dargestellt am
0 2 3 4 5 6 7 8 9 Beispiel vom Benzbromaron (Nach Zöllner et al.
Stunden 1970)
18.5
18.3.3 Xanthinurie
Diagnostik
18.5.1
Die Diagnose erfolgt durch Bestimmung der Pathogenese und Klinik
HPRTaseaktivität in hämolysierten Erythrozyten.
Bei Vorliegen einer Schwangerschaft und Verdacht Die Xanthinoxidase katalysiert die Oxidation von
auf diese Chromosomenanomalie kann mittels Am- Hypoxanthin zu Xanthin und Xanthin zu Harnsäure
niozentese ebenfalls die Diagnose gestellt werden. (Abb. 18-13). Bei Patienten mit Xanthinurie ist die
Harnsäurekonzentration im Plasma und Urin er-
niedrigt, während die renale Ausscheidung von Hy-
18.3.4 poxanthin und Xanthin deutlich erhöht ist. Ein au-
Therapie tosomal rezessiver Erbgang wird vermutet, etwa
30 o/o der Patienten mit Xanthinurie haben Harnstei-
Die Behandlung von Patienten mit Lesch-Nyhan- ne aus Xanthin, einige Fälle von Myopathie sind be-
Syndrom besteht aus der Verabreichung von Allo- schrieben.
purinol, reichlicher Flüssigkeitszufuhr sowie sym-
ptomatischen Maßnahmen.
18.7 Störungen der Immunantwort 857
18.5.2 Literatur
Therapie
Beck LH (1986) Requiem for gouty nephropathy. Kidney int
30: 280
Die Therapie besteht aus einer purinarmen Kost und Cameron JS, Simmonds HA(l987) Use and abuse of allopuri-
reichlich Flüssigkeitszufuhr. nol. Br Med J 294 : 1504
Emmersan BT (1996) The management of gout. N Engl J Med
334:445
Gresser U, Gathof B, ZöllnerN (1990) Uric acid Ievels in Sou-
18.6 thern Germany in 1989. A comparison with studies from
Myoadenylatdesaminasemangel 1962, 1971 and 1984. Klin Wochensehr 68: 1222
Gröbner W (1994) Uratstoffwechsel und Niere. In: Brass H,
(MAD-Mangel) Philipp Th, Schulz W (Hrsg) Manuale Nephrologicum.
VII-4-5-10; 1. Dustri, München-Deisenhafen
18.6.1 Gröbner W, BantelE (1997) Hyperurikämie- häufige Begleit-
erkrankung beim metabolischen Syndrom. In: Mehnert H
Pathogenese (Hrsg) Herz, Gefäße und Diabetes. S 105
Gröbner W, Walter-Sack I (1993) Gichttherapeutika; Physio-
Es handelt sich um eine Störung des Purinnukleotid- logische Grundlagen, Klinik und Pharmakologie. Wiss
Verlagsgesellschaft, Stuttgart
zyklus des Muskels. Neben dem autosomal-rezessiv Gröbner W, Wolfram G (1990) Der Einfluss von Purinen in der
vererbten Enzymdefekt gibt es eine erworbene Nahrung auf den PurinstoffwechseL In: ZöllnerN (Hrsg)
Form. Ein sekundärer MAD-Mangel ist bei Kolla- Hyperurikämie, Gicht und andere Störungen des Purin-
haushalts. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo,
genasen mit Vaskulitis, bei Polymyositis und Der- s 31
matomyositis beobachtet worden. Gröbner W, ZöllnerN (1989) Differentialindikation Urikosu-
rika und Allopurinol. Klin Wochensehr 67: 313
Gröbner W, Zöllner N (1995) Hyperurikämie. Internist
36: 1207
18.6.2 Hall AP, Barry PE, Dawber TR, Mc Namara PM (1967) Epide-
miology of gout and hyperuricemia. Am J Med 42 : 27
Klinik Kelley WN, Wortmann RL (1997) Gout and hyperuricemia. In:
KelleyWN, Harris E, Ruddy S, Sledge C (eds) Textbookof
Leitsymptome des MAD-Mangels sind Muskel- rheumatology. 5. Aufl, Saunders, Philadelphia, p 1313
Löffler W (1990) Renale und extrarenale Harnsäureausschei-
schmerzen und -schwäche bei geringer Belastung. dung. In: Zöllner N (Hrsg) Hyperurikämie, Gicht und an-
dere Störungen des Purinhaushalts. Springer, Berlin Hei-
delberg Tokyo New York, S 36
Löffler W, Gröbner W, ZöllnerN (1983) Harnsäuresenkende
18.6.3 Wirkung einer Kombination von Benzbromaron und Al-
Diagnostik lopurinol. Untersuchungen unter standardisierten Ernäh-
rungsbedingungen. Arzneimittelforschung 33/II:1687
Mc Carty DJ (1994) Gout without hyperuricemia. J Am Med
Die Diagnose wird durch den fehlenden Ammoniak- Assoc 271 : 302
anstieg im Arbeitsversuch sowie durch den histoche- Mertz DP (1993) Hyperurikämie und Gicht; Grundlagen, Kli-
mischen oder biochemischen Nachweis des Enzym- nik, Therapie. 6. Aufl, Thieme, Stuttgart
Nüsse! E, Buchholz L, Morgenstern W, Scheidt R (1984) Hy-
mangels in Muskelbiopsien gestellt. perurikämie und Risikofaktoren bei 30- bis 59-jährigen
Männern und Frauen. In: Matzkies F (Hrsg) Hyperurikä-
mie - ein latentes Risiko für die Nieren. S. 70, Perimed,
Erlangen
18.6.4 Scriver CR, Beaudet AL, Sly WS, Valle D (Hrsg) The metabolic
Therapie and molecular bases of inherited disease. Val. II, Part 7,
Purinesand pyrimidines. McGraw-Hill, New York 1995
Star VL Hochberg MC (1993) Prevention and Management of
Als symptomatische Therapie hat sich in vielen Fäl- gout. Drugs 45 : 212
len die Gabe von Ribose oder Xylit in verteilten Do- Stone TW, Simmonds HA (1991) Purines: Basic and clinical
aspects. Kluwer Academic Publishers, London
sen während körperlicher Belastung bewährt. Zöllner N (Hrsg) (1990a) Hyperurikämie, Gicht und andere
Störungen des Purinhaushalts. Springer, Berlin Heidel-
berg New York Tokyo
ZöllnerN (1990b) Diät bei Gicht und Harnsäuresteinen. Fal-
18.7 ken, Niedemhausen
Störungen der Immunantwort ZöllnerN Dofel W Gröbner, W (1970) Die Wirkung von Benz-
bromaron auf die renale Harnsäureausscheidung Gesun-
der. Klin Wochensehr 48: 426
Bei einem Mangel an Adenosindeaminase entwik- ZöllnerN, Griebsch A, Gröbner W (1972) Einfluss verschiede-
kelt sich ein schwerer kombinierter Immundefekt, ner Purine auf den HarnsäurestoffwechseL Ernährungs-
während der Mangel von Purinnukleosidphospho- umschau 3 : 79
Zöllner N, Gröbner W (1977) Dietary feedback regulation of
rylase zu einem zellulären Immundefekt führt. Beide purine and pyrimidine biosynthesis in man. Ciba Pounda-
Erkrankungen treten sehr selten auf. tion Symp 48: 165, 1977
858 KAPITEL 18 Purinstoffwechsel
Zöllner N, Gröbner W, Gresser U (1996a) Gicht und andere Zöllner N, Gröbner W (Hrsg) (1976) Gicht. Springer, Berlin
Störungen des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels. In: Heidelberg New York Tokyo (Handbuch der Inneren Me-
Gross R, Schölmerich P, Gerok W (Hrsg) Die Innere Me- dizin Band 7/3)
dizin. Schattauer, Stuttgart, S 979
ZöllnerN, Gröbner W, Gresser U (1996b) Purinstoffwechsel,
Urikosurika, Urikostatika, Pharmakotherapie der Gicht.
In: Forth W, Henschler D, Rummel W, Starke K (Hrsg)
Pharmakologie und Toxikologie, Spektrum, Heidelberg
s 545
Sachverzeichnis
- Resistenz 24, 591, 614, 624, 627, Kalzium 404, 463-464 - mit ADH-Bestimmung 347
676, 677, 751 - Antagonisten 757 Kochsalzlösung
- - hepatische 676 - Clearance, GFR-korrigierte 420 - 3-prozentige 359
- - periphere 676 - Hypokalzämie 700 - hypertone 358
- Rezeptor 611, 677 - Mangel (s. auch Hypokalz- kognitive Verhaltenstherapie 585
- Sekretion 607, 678 ämie) 412 Kokzidioidmykose 415
- Spritz-Ess-Ahstand 664 - Zufuhr 452 Kolchizin
- Therapie 663, 664 Kalziumarmut 449 - Prophylaxe 851
- - intensivierte 665 Kalziumhömostase 403 - Therapie 849, 855
- - konventionelle 665 Kalziumkarbonat 427 Kollagen Typ IV 746
- - Pumpentherapie 667, 714 Kalziumsensor 404 kolarektales Karzinom 592
Insulinanaloga 714 Kalziumzitrat 427 Koma 359
Insulin-Hypoglykämie-Test 74 Kalzurie 420 - hyperosmolares 697
"insulin-like-growth"-Faktoren Kardiomyopathie, diabetische 719 - hypoglykämisches 672
(s. IGF) 6 Kardiotokographie (CTG) 700 - ketoazidotisches diabetiselies 498,
lnsulinom 376, 379-381, 624-643 kardiavaskUläre Risikofaktoren, 658, 672
Insulinpumpe 667, 714 Diabetes mellitus Typ II 694 kongenitale adrenale Hypoplasie 61
Insulitis 655, 656 Karpalspasmus 411 Konvergenzbestrahlung 124
Interferon (IFN) 119 Karpaltunnelsyndrom 23, 847 Konzentrationskapazität, renale 349
- a-IFN 557, 642 Kartenherzbecken 469 Konzentrationsstörungen 416
- IFN-1 452 Kartenherz-Deformität 429 Konzeption 159
- IFN-2 119 Karzinoid 22, 376, 381, 550-560 Kopfhautbiopsie 228
- IFN-6 452 Katarakt 741 Koronarangiographie, Indikation
Interleukin (IL), IL-6 580 - tetanischer 410, 412 722
In -vitro-Fertilisation 281 Katecholamine 390, 521-543, 592, koronare Herzkrankheit (KHK) 253,
Inzidentalom 90-91 602 592
IPPS (idiopathisches postprandiales - Überproduktion 529-542 Körpergewicht 354, 575-603
Syndrom) 652, 653 - Unterproduktion 526-529 - Desmopressin 350
IRS-1 677 Katheterlyse 737 - Gewichtsabnahme 417
lsoxsuprin 786 kavernöse Insuffizienz 784 - Gewichtsreduktionsprogramme
Kearns-Sayre-Syndrom 408 598, 599
Kehlkopfwachstum 253 - Gewichtsverlust 438
J Keimzellen 253 - Gewichtszunahme (s. dort) 354,
- tetraploide 253 703
Jod 104 - Tumoren 302, 304-305 - Übergewicht 589-600, 671
131 -Jod 135 Kelley-Seegmüller-Syndrom 845 Körpermassenindex ("body-mass-
131 - Jodszintigraphie/ 131 - Jod-MIBG- Kernspintomographie (s. auch index"; BMI) 579, 594, 683
Szintigraphie 92, 110 MRT) 19, 21, 25, 40, 108, 348, kortikotrope Zellen 338
Jodakne 142 508, 517 Krabbe-Erkrankung 839
Jodaktivität 140 ketoazidotisches diabetiselies Krampfanfall, zerebraler 351, 359
Jodausscheidung 137 Koma 498, 658, 672 Kraniopharyngeom 40, 69, 107, 169,
131 J-6ß-Jod-metliyl-19-norcholesterin Ketogenese 614 324, 342
508 Ketokonazol 99, 514 Kraniotabes 469
131 J-19-Jodcholesterin 508 Ketonkörper 608, 631, 657 Kretinismus 447
Jodid 104 KEV (Entwicklungsverzögerung, Krise
Jodidsymporter, natriumabhängiger konstitutionelle) 262 - hyperkalzämische (s. dort)
104, 137 KHK (koronare Herzkrankheit) 253, 437-439
Jodkontamination 109, 135 592 - tetanische, Therapie 414
Jodlactone 138 - Diabetes mellitus 716-727 - thyreotoxische 133
Jodmangel 137 Kinderwunsch 321 Kryptorchismus 270
Jodsupplementation 143 Kleinhirnataxie, familäre 168 Kumarin 735
juxtaglomerulärer Apparat 496 Klinefelter-Syndrom 16, 18, 20,
274-276, 601, 602
- Diagnostik 275 L
- Prävalenz 274
K - Therapie 276 Laktation 31-33, 349
Knöchel-Arm-Index (ABI) 721 Laktogen, humanes plazentares (HPL)
Kachexie 650 Knochen
- Tumorkachexie 580 701, 705
- Anbaumarker 458 Laktogenese 31
Kalium - kompakter 443
- Hyperkaliämie (s. dort) 63, 497 Lambert-Eaton-Syndrom 527
- Metastasen 415 Laminin 746
- Hypokaliämie (s. dort) 503-505, - Mineralsalzgehalt 417
509, 514, 517 Längenwachstum 252
- spongiöser 443 - Reduktion 20
- Serumkalium 504 Knochenalter 19
- Substitution 499 Langerhans-
Knochenanbau 459 - Langerhans-Inseln 609, 613
Kalkknoten 851 Knochendichte 39, 252
Kallikrein 280 - Zellgranulomatose 341
- Bestimmung/Messung 256, 419 Laron-Syndrom 328
Kalimann-Syndrom 168, 169, Knochenhistologie 451, 458
174-175, 259-265, 328 Laserangioplastie 736
Knochentophi 849 Läsion
Kalorienreduktion 596, 598, 600 Knochenumbau 444, 459
- Nebenwirkungen 600 - adyname 425
- Umbaueinheit 443 - hyperdyname 425
Kalzitonin 148, 407, 423, 436-437, Kochsalzbelastungs-Test 508
462, 476 Lasix-Test 507, 508
Kochsalzbeschränkung 757 Laufbandergometrie 730
- Stimulationstest 389, 391 Kochsalzinfusions-Test 357
Sachverzeichnis 867