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Das Buch der

efineltdotew

llouiirnknlus
NestroyVerlatoWlen
DAS BUCH
DER

ANEKDOTEN
VON

HOMUNKULUS

Erste Folge

WIEN UND LEIPZIG


NESTROY-VERLAG
1.
In Eger in Böhmen ging ich eines Sonntagabends
ins Kino. Man spielte ein überaus ergreifendes Seelen-
drama: „Hermann, der Herzensbrecher" oder „Ver-
ratene Liebe". Es stellte die Tragödie eines außerge-
wöhnlich tugendhaften jungen Mädchens dar, das sich
von Hermann, einem Scheusal in Mannesgestalt, be-
tören und zu einer Verlobung überreden ließ. Die auf-
reizende Szene, da Hermann vom Verlobungsmahl mit
der einen weg, sich geradewegs zum Stelldichein mit
einer anderen begibt, löste bei dem zahlreichen Sonn-
tagspublikum laute Entrüstung aus. „So ein Schuft! So
ein ehrloser Verräter!" hörte ich es neben mir zischen.
Mitten hinein in diesen moralischen Ansturm - flötete
plötzlich die verzückte Stimme einer Küchenfee: „A b e r
schön gebaut is er doch!"
2.
Bei Ausbruch des Krieges versicherte mir ein sehr
schneidiger österreichischer Cieneral, jetzt sei seine Zeit
gekommen; nun könne er endlich sein volles Feldherrn-
talent entfalten; im Geiste sehe er sich schon als General-
impektor der gesamten Artillerie. Sein Feldherrntalent
versagte aber plötzlich, als er das erstemal ein selbstän-
diges Kommando übernahm, und bald darauf wurde er
sang- und klanglos abgesägt.
Nach dem Zusammenbruch begegnete ich ihm
wieder. Diesmal war er in schlichtes Zivil gekleidet,
mit einem Amtskappel auf dem Kopf und einer Akten-

1*
3
tasche unterm Arm. Richtig hatte er sein Ziel erreicht:
er war jetzt wirklich Generalinspektor. Nur leider nicht
der gesamten Artillerie, sondern von einer Ci a s-
ansta lt.
3.
In meiner Eigenschaft als Rechtspraktikant beim
Wiener Landesgericht für Strafsachen bekam ich eines
Tages eine polizeiliche Anzeige in die Hand, in der sich
nachfolgender Passus fand: „F. verhöhnte den ihn ver-
haftenden Gendarmen, indem er rief, er habe vor dem-
selben auch nicht mehr Respekt als vor Sr. Majestät dem
Kaiser und König. Da hierin eine offenkun-
digeHerabsetzung eines Polizeiorgans
gel eg en is t, so wird um die strengste Bestrafung
des F. ersucht." Da die Gleichstellung mit dem Monar-
chen damals strafrechtlich noch nicht das Delikt der
Ehrenrührigkeit begründete, so mußte ich leider die
Einstellung der Untersuchung gegen F. verfügen.
4.
Ich kam nach Venedig. Kaum daß ich das Schiff,
das mich von Ägypten gebracht hatte, verließ, um-
drängten mich von allen Seiten des Mobo die Facchini,
mir Zimmer und Wohnungen anpreisend. Einer war
darunter, der mit lauter Stimme einen herrlichen Palast
aus dem Cinqttecento als Fremdenherberge offerierte.
Mich reizte es, einmal mitten unter den Gespenstern der
Romantik zu nächtigen, und ich schlug mich auf seine
Seite. „Avanti! Zeigen Sie mir Ihren mittelalterlichen
Palast!"
Mein dunkeläugiger Cicerone führte mich die Kreuz
und die Quer durch zahllose enge Gäßchen und Plätz-
chen, bis er endlich vor einem frischgetünchten Hause

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anhielt. „Ecco, da sind wir!" — Ich starrte ihn in gren-
zenloser Verblüffung an. „Guter Freund!" sagte ich,
„was haben Sie mir denn da vorgefabelt? Dieses Haus
ist ja ein ganz gemeines Zinshaus und höchstens zwei,
drei Jahre alt!" Da kniff der Kerl verschmitzt die Äug-
lein zusammen und meinte: „Oh, Signore, was die Ver-
mieterinnen, die Sie drin finden werden, anbetrifft, so
stammen sie fast alle aus dem — XVI. Jahrhundert!"

5.
Es ist doch etwas Eigenes um den französischen
Esprit. Geh' ich da in Paris eines Abends im Winter
über den Boulevard Poissoniere. Plötzlich taucht aus
dem Menschengewühl eine reizende junge Pariserin, in
einen prachtvollen Zobel gehüllt, vor mir auf.
„Pardon, mein Herr, Sie sind doch Hektor?"
„Sie irren, Madame!"
„Ach, dann sind Sie Armand?"
„Keineswegs!"
„Da wären Sie wohl am Ende Lean?"
„Nicht im entferntesten, Madame!"
Da senkt sie die hübschen Äuglein und seufzt ver-
wirrt: „Ach, bitte, dann verraten Sie mir gütigst, wie
Sie heißen, damit ich Ihnen endlich sagen kann, daß
mein Name Heloise ist."
. . Originell, wie?

6.
Ich unterhandelte mit einem Wiener Fiaker, wobei
ich die ergebene Anfrage stellte, ob und zu welchen Be-
dingungen er eventuell geneigt wäre, mich vom Franz-
Josef-Bahnhof nach Hietzing hinauszubefördern. Der

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biedere Rosselenker überlegte erst eine Weile, dann
erklärte er nachdenklich:
„Schau'n S', gnä' Herr, wann i Huta führ, kost' mi
der 1-labern für d' Roß fuchz'g Kranln! Fuchz'g Kranln
kost' mi die Abnutzung von mein' Wag'n, mei' Nacht-
mahl kost' mi a' an halben Blauen (Hunderter); na, und
verdienen muaß cl'r Mensch do a wos, nöt? Kommet
Ihner dö G'schiche auf so a dreihundert Ka. Da mach'
i Ihna an ander'n Vurschlog: Geb'n S' mir hundert Ka
und fahr'n S' mit d'r Elektrischen!"

7.
Eines Nachmittags sitz' ich in Budapest im Cafe
Palermo auf der Anclrassy-ut.
Kommen zur Tür herein: der Ministerpräsident, der
Justizminister, der Minister des Innern und der Finanz-
minister. Ich sehe, wie sich die vier Exzellenzen, nicht
weit von den Tischen der Kartenspieler, in einer ver-
steckten Nische niederlassen und miteinander angelegent-
lich konferieren. Neugierig wink' ich den dicken Zahl-
kellner, den Janos, herbei. „Sie, Janos, was machen die
vier Staatsmänner hier?"
Da lacht Janos übers ganze Gesicht. „Hit, no wos
wemn machen, bitte schön? Wemn machen, bitte
schön, closselbe, wos mocht jeder Spieler in Budapest:
Packeln!"
8.
Maud, eine allerliebste, kleine Amerikanerin, Toch-
ter eines Multimillionärs aus Chicago, hatte trotz ihrer
tadellosen Erziehung allerhand putzige Schrullen. So
sah ich sie in Kopenhagen, wo ich ihre Bekanntschaft

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machte, immer nur in Halbschuhen. Sommer und Win-
ter. Im Salon und auf der Straße. Zu Pferd und beim
Bobfahren. Immer trippelte sie auf ihren dünnen, zier-
lichen Halbschuhstöckeln einher.
Neugierig fragte ich sie einmal nach dem Grund.
„Well!" lächelte Maud, „solang ick sein eine un-
erfahrene Girl, ick nie uerden tragen andere Schuh als
uie Halbschuh. Von die Moment an, whan ick uerden
sein verheiratet, Sie mick nicht uerden sehn anders als
mit die Bergschuh."
Einige Zeit später begegnete ich der interessanten
Amerikanerin an der Seite eines hübschen spanischen
Tenoristen. Sie war noch immer ledig; aber sie trug
diesmal weder Halbschuhe noch Bergschuhe, sondern
seltsamerweise Stiefletten.

9.
Im Ententezug lernte ich zwei Mitglieder der
Ententekommission kennen: einen Franzosen und einen
Engländer. Beide reizende Menschen. Bald entwickelte
sich eine ungezwungene Konversation. Hiebei wurde
die Frage aufgeworfen, in welchem Lande der Welt man
die besten Barbiere fände.
„Unsere Barbiere in London", meinte der Eng-
länder, „sind weitaus die geschicktesten. Niemals pas-
siert es einem Gast, daß er geritzt oder gar geschnitten
wird."
„In Paris", fiel jetzt der Franzose ein, „sind sicher-
lich die elegantesten. Sie bedienen einen wie mit Glac&
handschuhen."
„Und wir in Deutschösterreich, meine Herren",
nahm nun ich das Wort, „haben entschieden die vor-

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nchmsten. Denn eingeseift haben uns die H a b s-
burger und rasiert hat uns — die Friedens-
konferenz»
10. „
In einem Wiener Mädchengymnasium war eine
Schülerin, Frl. F., die ihren Professoren dank ihrem
überaus lebhaften Temperament gar manche bittere
Stunde bereitete. Wenn jemand während des Unter-
richtes plauderte, einsagte, lachte, summte — fast
immer war es die F. Da riß endlich einmal dem Ge-
schichtsprofessor die Geduld und er schnauzte die
kleine Friedensstörerin an: „Mein Fräulein, ich kann
Ihnen versichern: mir sind zehn Gymnasiasten lieber
als Sie!" Und die kle:ne, lebhafte F. erwidert prompt:
„Mir auch, Herr Professor!"
11.
Öfter als einmal in meinem Leben sah ich mich
genötigt, umzulernen. So lautete eine der wichtigsten
grammatikalischen Lehren, die man uns — ich glaube,
es war in der zweiten Volksschulklasse — einimpfte:
„Ein Subjekt und ein Prädikat bilden einen einfachen
Satz." Ich glaubte an die Richtigkeit dieses Axioms wie
an ein Evangelium, bis ich in späteren Jahren in Wiener
Journalistenkreisen Eingang fand. Und da entdeckte
ich plötzlich zu meiner Überraschung gar manches
Subjekt, das zu einem Prädikat kam, ohne daß es
einen einfachen Satz zu bilden ver-
mochte.
12.
Eines schönen Tages betrat ich ein Wiener Selch-
warengeschäft, da wurde ich Ohrenzeuge einer erregtela

8
Diskussion zwischen der dicken Selchermeisterin, gleich-
zeitig Stadtratsgattin, und ihrem schmucken Töchterlein.
Die Frau Stadtrat hatte beide Ellbogen in die Hüften
gestemmt und tobte: „Hörst, Mali, so geht dös net
weiter! Jetzt nmaßt endli amol wos lerna! Denn a un-
gebüldet's Macht, die was nix kann und nix is, maß
zum Schluß an jeden Schmarrn von Mannsbild nehma,
was daherlammt!" Darauf meinte die Mali achsel-
zuckend: „Ja, Muatta, wann du allerweil n a c h'n V a t-
tern urteilst!"
13.
Unser Lehrer in der Volksschule wollte sich über-
zeugen, ob sein literarischer Vortrag auf fruchtbaren
Boden gefallen war und fragte die versammelte Klasse:
„Also habt ihr euch vom letztenmal gemerkt, wer das
sagt: ,Nun sei bedankt, du lieber Schwan?' Na,
Müller?"
Müller steht zögernd auf und stottert: „Nun sei
bedankt, du lieber Schwan — • das sagt der Wilhelmn
Teil!"
„Falsch!" ruft der Lehrer, „na, Kandier, weißt
du's?"
Kandier springt auf. „Nun sei bedankt, du lieber
Schwan — das sagt — das sagt — das sagt — das sagt
der Othello!"
„Ganz falsch!" wettert unser entrüsteter Jugend-
bildner. „Na also, wer von euch weiß es denn?" Da
meldet sich der rote Karpeles.
„Na, Karpeles, also 'raus: Nun sei bedankt, du
lieber Schwan, wer sagt das?"
Darauf Karpeles verschmitzt: „D ie Led a, Herr
Lehrer!"

9
14.
Eduard Pötzl, der glänzende Humorist, servierte
mir beim „Schwarzen" gerne allerhand hübsche Anek-
dötchen. Am hübschesten fand ich diejenigen, die vom
alten Hellmesberger handelten. Wie z. B. diese:
Von Chopin existiert ein Walzer, der sich bei
Klaviertigern besonderer Beliebtheit erfreut: er soll in
einer Minute zu Ende gespielt werden und führt daher
auch den Beinamen „Minutenwalzer". Ein von sich
ziemlich eingenommener junger Tastenbändiger hat
diese wilde Hetzjagd soeben im Konzertsaal absolviert.
Mit vor Stolz geblähter Künstlermähne tritt er von dem
applausumrauschten Podium und begegnet beim Aus-
gang dem alten Hellmesberger. „Nun, Meister!" froh-
lockt der Jüngling, „wie hat Ihnen mein Chopin ge-
fallen?" — „Famos, junger Mann, famos", erwidert
Hellmesberger und klopft ihm auf die Schulter, „I h r
Minutenwalzer war die schönste Viertel-
stunde meines Lebens!" — —
Ein andermal interpellierte jemand Papa Hellines-
berger, wie er wohl über die Kompositionen von Hell-
mesberger junior denke. „Oh", meinte der Papa nach-
denklich, „mein Sohn ist ein äußerst vorsichtiger Mu-
siker. Der komponiert nur bewährte Melodien."
Wieder einmal gab es im Operntheater eine Son-
dervorstellung anläßlich des Lehrertages. Hellmesberger
senior, der aus Anlaß des wohltätigen Zweckes persön-
lich dirigierte, warf von seinem Pult aus einen forschen-
den Blick in den Zuschauerraum und erklärte dann
trocken: „Ich weiß net, ich hab' das Haus schon voller
und auch schon leerer g'sehn. Aber so voller Le h-
r e r hab' ich's noch nie geseh n."

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15.
Im Stadttheater in Czernowitz saß ein Cellist, der
hatte eine ganz sonderbare Manie. Er nahm nämlich
überall dort, wo nach dem Musikschlüssel cis vorge-
schrieben war, regelmäßig c. Das ganze Orchester
nahm cis, unser braver Cellist griif unerschütterlich c.
Das ging nun schon so 1, 2, 5, 10 Jahre lang unentwegt
fort. Endlich, als das elfte Jahr hereinbrach, ohne daß
sich der gute Mann zu einer Änderung seiner Taktik
entschließen wollte, ward das dem dortigen Dirigenten
bei all seiner Langmut denn doch zu bunt, er nahm sich
den hartnäckigen Falschspieler auf die Seite und sprach:
„Lieber Freund! Jetzt erklären Sie mir doch um Him-
mels Christi Willen: Elf Jahre sind Sie nun in unserem
Orchester in Czernowitz. Warum nehmen Sie denn
immer und immer wieder c statt eis?!" „Herr!" ver-
setzte drauf der edle Jünger Polyhymniens, ohne eine
Miene zu verziehen, „wenn ich imstande wäre, cis statt
c zu- nehmen dann wär' ich ja nicht in
Czernowitz!"

16.
Elly, einer meiner holdesten Jugendschwärme, hatte
das Reifeexamen bestanden und sich an der Grazer
Universität inskribieren lassen. Eine ihrer ersten Taten
als unternehmungslustige Tochter der »na mater war
die Gründung einer weiblichen Studentenverbindung,
die sich allwöchentlich in einem geschlossenen Raum
bei Limonade und Zuckerwasser versammelte. Elly,
das liebe, herzige Mädel, führte den Vorsitz als Fuchs-
majorin. Als man nun zum erstenmal die weihevollen
Klänge des „Gaudeamus" anstimmen sollte, herrschte

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zunächst einige Verlegenheit. Denn man konnte doch
in dieser ganz femininen Runde nicht gut singen:
„iuvenes dum sumus."
Aber Elly, die Stramme, wußte sich zu helfen. Sie betete
vor und alle anderen beteten leuchtenden Auges nach:
„Gaudeamus igitur,
Virgines dum sumus ..."
17.
Als in Wien die „Elektrische" noch regelmäßig an
jedem Tage verkehrte — es ist dies nun schon hübsch
eine Weile her, wir hatten damals noch weniger Demo-
kratie, aber dafür mehr Kohle und Lebensmittel -- in
jenen idyllischen Zeiten also stand ich einmal auf der
dichtbesetzten Plattform eines Straßenbahnwagens.
Während der Fahrt springt plötzlich ein korpulenter
„bourgeois" auf, tritt mir kräftig auf mein empfindlichstes
Hühnerauge und belegt mich, als ich ihn dessenthalb
zur Rede stelle, taxfrei mit dem schmückenden Beiwort:
„Idiot!" Idiot — hollah, fällt mir ein, Ehrenbeleidigung
laut § 496 österreichisches Strafgesetz! Na, das Bürsch-
lein wollen wir eintunken! Ich brauche dazu nichts als
einen verläßlichen Zeugen.
Ich wende mich also an den mir zur Linken pogtier-
ten Fahrgast: „Nichtwahr, Sie haben es gehört, wie
dieser Herr mich „Idiot" geschimpft hat!" Er schüttelt
den Kopf. „Schwerhörig!" deutet er mir an. Na, denn
ein anderer! Ich frage den zu meiner Rechten Postierten:
„Aber Sie, mein Herr, haben es gehört?" — „I? Na!
I bin aa schwerhörig!" Zum Teufel, ist denn hier eine
Versammlung von lauter Trommelfellkranken? Wütend
versuche ich es bei einem dritten. „S i e aber müssen's
doch unbedingt gehört haben, wie der Herr dort mich
einen „Idioten" geheißen hat! Oder sind Sie am Ende
auch schwerhörig?" Da starrt mich der also Apostro-
phierte wie geistesabwesend an, deutet mit dem Zeige-
finger auf seinen Mund und sagt bloß das eine Wort:
„Taubstumm!"

18.
Abendgesellschaft bei Kommerzienrats Berlin W.
Ich saß mit der reizenden Tochter eines geheimen Rates
ebenso geheim in der reizenden Nische eines reizenden
Alkovens. Die leuchtenden Schultern des schönen Mäd-
chens hatten es mir angetan; ich verlor für einen Augen-
blick meine Beherrschung. „Aber Herr Doktor!" er-
mahnte mich die wohlerzogene junge Dame strenge,
„was treiben Sie denn? Wir sind doch nic h t
allein!"
19.
Als wir noch mit den Russell Krieg führten, kam
eines Tages ein Wiener Deutschmeister vom k. u. k.
Infanterieregiment Nr. 4 aus Galizien zurück, ging ge-
radewegs ins Garnisonsspital, ließ sich dem Regiments-
arzt vorführen und sagte: „Bitt' geh orsamst, Herr Re'-
Ineiltsarzt, ich hab' schon vier Wochen in Galizien
nicht schlafen können! Bitt' gehorsamst um ein Mittel,
daß ich wieder amal schlafen kann!" Der Arzt unter-
sucht den Mann, verschreibt hierauf ein Rezept und
übergibt ihrn's mit den Worten: „Da hab' ich Ihnen ein
Mittel verschrieben, das heißt auf deutsch „Veronal".
Das nehmen Sie immer abends, bevor Sie sich nieder-
legen, und Sie werden sehn, Sie werden die ganze Nacht
schlafen! Verstanden?"

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Der Deutscluneister übernimmt das Rezept, be-
trachtet es mißtrauisch, schaut dann den ärarischeu
Medikus an und sagt: „Herr Re'mentsarzt, glauben S',
daß das wirklich hilft gegen d' Wanzen?!"
20.
Im. Cafe Abeles in Wien, demselben, wo in Frie-
denszeit mit Kreide an die Wand geschrieben stand: „Es
Gebäck is gezählt!" — im Cafe Abeles gab es, ehe noch
die Kriegsfurie auch hier in Gestalt von Kettenhändlern
und Preistreibern ihren Einzug hielt, stets eine Anzahl
bewegter Tarockpartien. Einmal saßen hier drei .Mata-
doren beim „Tapper" beisammen: der Silbernagel, der
Lcwy und der Dattelbaum. Ein neues Spiel wird herum-
gereicht. Lewy, an den die Reihe des "Ansagens"
kommt, proklamiert mit dröhnender Stimme: „Solo
ultimo!" Kaum ist Lewys Zahngehege dieses bedeu-
tungsschwere Wort entfahren, als er plötzlich erblaßt,
zurücktaumelt und seine Seele aushaucht. Ein Schlag-
anfall hat seinem tarockreichen Leben ein jähes Ende
gesetzt. Zuerst tiefe Stille bei den Partnern. Dann er-
hebt sich mit einemmal Dattelbaum von seinem Sitz,
neigt sich leise, ganz leise zu dem toten Lewy hinüber
und sagt feierlich: „Jetzt muß ich aber doch einmal
nachschaun, auf was herauf der selige Le w y
eigentlich den Ultimo angesagt hat. ..."
2I.
Ein Komponist, namens Fuchs, hatte eine Kantate
geschrieben und führte sie nun im Konservatorium einem
löblichen Professorenkollegium vor. Sämtliche Juroren
schienen von dem Werk begeistert. Nur als die Reihe
an Hellmesberger senior kam und der sein Urteil ab-

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geben sollte, da kniff er blinzelnd die Äuglein zu-
sammen, erhob drohend den Finger und summte fröh-
lich: „Fuchs, die hast du ganz gestohlen . . ."

22.
In Zlozo),v in Galizien existierten von altersher drei
bemerkenswerte Dinge: eine Straße, eine Kirche und
eine Rabbinersfrau. Die Straße und die Rabbinersfrau
hatten das eine Gemeinsame, daß sie nicht mehr ganz
gut erhalten waren. Dennoch galt die Rabbinersfrau
als eine noch ziemlich lebenslustige Frau, die gerne
Gesellschaft um sich sah. Insbesondere auf arme jüdische
Lehrer hatte sie's abgesehen. Diese pflegte sie durch
selbstgekochten Kaffee, auf dessen Zubereitung sie sich
ungemein viel zugute hielt, anzulocken. Einmal nun
'hatte sie sich einen ganz armen, ganz jüdischen Lehrer
zu Gaste geladen, den sie durch Liebeserklärungen —
und noch andere gefährliche Drohungen — zum Aus-
löffeln einer großen Tasse selbstbereiteten Kaffees
nötigte. Der jüdische Lehrer schlürft mit Todesver-
achtung und wie er damit nun zu Ende ist, fragt ihn
die liebenswürdige Rabbinerin um sein Gutachten über
das Genossene.
Da knöpft sich der jüdische Lehrer den einzigen
Knopf seines einzigen, ausgeborgten Salonrockersatzes
zu und sagt: „Hochgeehrte Frau Ehrwürden! Jetzt
werd' ich Ihnen mei' ehrliche Meinung verraten. Mit
Ihrem hochgeschätzten Kaffee is es genau eso wie mit
allem auf der Welt. Er hat sei' gute Seit', und er hat
sei' schlechte Seit'. Sei' gute Seit' is: es is ka Cichorie
drin; und sei' schlechte Seit' is: es is auch ka —
Kaffee drin!"

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23.
Egon Sternfeld, der famose Karrikaturist, den der
Würger Krieg in seiner Jahre Blüte hinabzog, suchte
mich eines Morgens zeitlich früh im Kaffeehaus auf. Ich
wußte, was das zu bedeuten hatte. Egon brauchte Geld!
Diesmal waren es ganze 50 Kronen, um derentwegen
er den heiligen Morgenschlaf geopfert hatte. Ich möchte
ihm doch mit diesem kleinen Betrage aushelfen — in
8 Tagen längstens könnte er mir's bestimmt mit Zinses-
zinsen zurückzahlen. Da ich nicht so viel Geld bei mir
hatte, bestellte ich ihn für den folgenden Morgen. Pünkt-
lich am folgenden Morgen erscheint Egon Sternfeld im
Kaffeehaus. Ich greife nach meiner Brieftasche. „Sie
kommen ums Geld, lieber Sternfeld?" „Ach nein,
Doktor!" lächelt er vergnügt, „S i e kommen ums Geld!"

24.
An einem Frühlingstag ging ich durch die äußeren
Bezirke von Wien spazieren. Im Lichthof eines großen
schmutzigen Zinshauses spielten zwei Knaben. Plötz-
lich seh' ich, wie der eine Junge einen Kieselstein
nimmt, ihn mit aller Kraft gegen ein Fenster im dritten
Stockwerk schleudert und dazu die mysteriösen Worte
brüllt: „Muatta, schau oba!" (Was im Munde eines
wohlerzogenen Kindes wohl gelautet hätte: „Mama,
ach, sieh doch herunter!") Die Mutter hört scheinbar
nicht, denn der Junge ergreift nach einer Weile aber-
mals ein Geschoß, schleudert es mit Wucht in den dritten
Stock hinauf und schreit neuerdings: „Mu—a—tta!
Schau o—ba!!" — Die Mutter rührt sich noch immer
nicht. Da packt der Knirps einen faustgroßen Stein,
schwingt ihn rundherum im Kreise und schleudert ihn

16
dann mit beiden Armen gegen das Fenster, daß dieses
klirrend zerbricht: „Muatta, jetzt schau' aber scho amol
oba!!" - - Das wirkt. Die Mutter, eine mehrfache I laus-
besorgerin, erscheint beim Fenster, steckt den Kopf
durch die zertrümmerte Scheibe heraus und grölalt in
den Lichthol: „Du Lausbua, du ölendigar, was treibst
denn da? Mistbua verdammter, was schreist denn
allerweil?"
Darauf ruft der Junge, indem er zugleich auf seinen
Spielgefährten hinzeigt: „Hörst, Muatta, der F er dl
will's d'r net glaub'n,doß d' scheangelst!"
(= schielst).
25.
In Schöneberg war's in einem Bierrestaurant, wo
ich unfreiwillig nachfolgenden ehelichen Dialog er-
lauschte:
Er, ein älterer, biederer Clewerkschaftsbeamter; sie
eine rundliche, kokette Blondine.
Er: „011e, dm, heut nacht hob' ick nachjedacht --
und da is m'r so vorjekomm' — unser Jüngster, da
Willem — die Haare ziehts mich von Kopp runda —
der is nich von mir!"
Drauf sie: „Ick vasteh dir nick, Mensch, mit deine
Vadächti jungen. Jr ad e d a Willem is v on di r,
varstehste!"
26.
Ich war in großer Gesellschaft geladen. Es wurde
später und später, aber keiner von den zahlreichen
Gästen machte auch nur im entferntesten Miene, auf-
zubrechen. Wiewohl die Hausfrau immer nervöser zu
werden anfing und der Hausherr ein- übers anderemal

2 1T
vielsagend nach der Uhr blickte. Aber niemand be-
achtete den Wink mit dem Zaunpfahl; der Sekt war viel
zu süffig, die junge Damenwelt viel zu animiert und das
Rauchmaterial noch lange nicht aufgebraucht. Plötzlich
erhob sich der 72jährige Großvater und sagte so laut
zu seiner Tochter, der Hausfrau, daß es jedermann in
der Gesellschaft hören mußte: „U nd jetzt vor dem
Schlafengehn wollen wir noch rasch
die lieben Kinderchen hereinrufen, da-
mit sie den Gästen schön ‚Gute Nacht'
sage n!" Die Wirkung war durchschlagend . . .
27.
Vor der Barre eines Pariser Gerichtshofes stand
Herr Antoine Vilain, ein Reisender, als Zeuge. Auf
sämtliche Fragen, die ihm der Präsident des Gerichts-
hofes vorlegte, erwiderte Herr Vilain ausweichend: „Es
ist möglich, Herr Präsident, daß es sich so verhält; es
ist aber auch möglich, daß es sich anders verhält."
Oder: „Mag sein, daß ja, mag sein, daß nein!" Oder
"Wenn ich mich recht erinnere, so glaube ich beinahe
sagen zu dürfen, daß ich mich doch nicht recht erinnern
kann, Herr Präsident!''
Diese ablenkenden Antworten entfachen den Groll
des Verhandlungsleiters: „Zeuge Vilain, ich fordere Sie
auf, auf meine Fragen präzis mit ja oder mit nein zu
antworten!"
„Verzeihung, I lerr Präsident, aber das ist unmög-
lich!"
„Das möchte ich aber doch sehn!" braust Mon-
sieur Dupont, der Präsident, auf. „Ich will es Ihnen
beweisen! Stellen Sie mir irgend eine beliebige Frage
und ich werde sie mit ja oder mit nein beantworten."

IS
„Gut!” sagt Herr Antoine Vilain. "Ich frage Sie,
Herr Präsident: Betrügen Sie Ihre Frau Ge-
mahlin schon längere Zeit?"
Monsieur Dupont ist die Antwort darauf bis zum
heutigen Tage schuldig geblieben.
28.
Kürzlich traf ich meinen alten Freund Leopold, den
ich seit Jahren nicht gesehen hatte. Er hatte sich kaum
verändert. Auch seine Neigung zum Raunzen war die
gleiche geblieben.
Sofort begann er mir von seinen Kalamitäten vor-
zujammern.
„Seit 3 Jahren setz' ich jetzt bei meinem Geschäft
schon zu. Dabei wird's immer ärger. Vor. 3 Jahren
hatte ich noch 20.000 Kronen Defizit, vergangenes Jahr
betrug meine Unterbilanz schon 80.000 Kronen; und
heuer, lieber Freund, heuer, ich schwör's dir, zahl' ich
bare 200.000 Kronen drauf»
Ich konnte mich nicht enthalten, ihn zu unter-
brechen: „Ja, Menschenskind, wenn das Geschäft so
elend geht — sag 'mal, warum gibst du's dann nicht
einfach auf?"
Da sieht er mich groß an und schreit: „J a, u n d
wovon soll ich leben?!"
29.
Frau Pastor Thorwaldson zählte zu den tugend-
haftesten Frauen Norwegens. Und gerade ihr mußte es
passieren, daß ein junger Guckindiewelt ihr moralisches
Gefühl attackierte. Da kam sie denn zu ihrem gottes-
fürchtigen Gatten gelaufen und klagte: „Teurer Mann,
etwas muß da gesehen& Just gegenüber von meinem

9*
19
Ankleidezinuner haust ein junger gottloser Studiosus_
Und immer des Morgens, wenn ich mich wasche, sieht
er ganz keck beim Fenster heraus. /vtänne, du mußt mir
vor meinem Waschtisch unbedingt ein Vorhängle
machen lassen!"
Pastor Thorwaldson schloß die Augen, vor denen
er innerlich all die unsagbaren Reize seiner tugend-
haften Lebensgefährtin Revue passieren ließ und sprach
dann sanft und milden Tones: „Teuerste Fraue! Teufel
wird nur durch Teufel gebannt! Ich will dir daher einen
guten Ratschlag geben. Morgen frühe, so du erwachst,
tritt schleier- und hüllenlos, wie der Herr dich erschaf-
fen, mutig ans offene Fenster und wasche dich davor. —
Gib acht: dann wird er sich 'n Vorhängle
machen lassen!"
30.
In einen zum Bersten vollen Wagen der Wiener
Straßenbahn drängt sich noch fluchend eine wohlge-
mästete öbstlerin im Lebendgewicht von 130 Kilo-
gramm. Ich höre sie fürchterlich über die Ungalanterie
der heutigen Männerwelt schimpfen, die einem schwa-
chen, hilflosen Weib nicht einmal das bißchen Platz zum
Mitfahren gönne. Bei der vierten Station steigt die ent-
rüstete Dame ab, wobei sie erleichtert aufseufzt: „Gott
sei Dank! I kumm da außi! Die ganze Zeit bin i auf a n'
Fuaß g'standen!" „U n d da s wa r d er m ein e!"
haucht ein blasser, unterernährter Jüngling.
31.
Nelkenduft sen ior, der dank seiner Neigung für
Schiebergeschäfte über Nacht reich geworden, belehrt
seinen Filius, wie er sich in der vornehmen Abendgesell-

20
schaft, in die dieser geladen ist, benehmen soll: wie er
sich zu verneigen, den Damen die Hand zu küssen, ein
Gespräch anzuknüpfen, die Gemälde zu bewundern
habe usw. „Noch eines, Vater," sagt Moritz zum
Schluß, „wenn w'r wem sitzen bei Tisch und es wird
kommen zu essen, muß ich da sagen: Menuh oder
Menüh?"
Da überlegt Nelkenduft senior eine Weile, kratzt
sich dann bedächtig am Kopfe und meint: „Du sogst
nix Menuh, du sogst nix Menüh — du eßt!"
32.
Ein älteres Fräulein erscheint bei der Polizei: Ein
Langfinger habe ihr im Gedränge ein goldenes Me-
daillon, das sie über ihrem Herzen trug, entwendet. „Ja,
haben Sie denn nicht eine fremde Hand auf Ihrem
Körper gespürt?" fragt der Polizeibeamte erstaunt.
„Das wohl!" erwidert die Verlustträgerin. „Nun, und
warum haben Sie denn da nicht gleich um Hilfe ge-
rufen?"
Da wird die Dame feuerrot. „Ach, Herr Kommis-
sär," lispelt sie, „ich dachte, der Mensch hat
ehrbare Absichten..0
33.
In der Botanikstunde gelangte der Professor zu
den -kippenbliitlern. Dabei kam er auf die Blüte des
Löwenzahns zu sprechen und erläuterte ihren
Bau, ihre Herkunft, ihre pharmakologische Verwendung
usw. Da stand ein wißbegieriger Gymnasiast auf und
fragte, wieso diese Pflanze gerade zu dem Namen
„Löwenzahn" komme, da sie doch weder mit Löwen
noch mit Zähnen etwas zu tun habe. Der Professor

21
rückt sich die goldene Brille zurecht. „Ja, mein Lieber,
das kommt in der deutschen Sprache häufig vor, daß
ein Wort mit dem, was die einzelnen Bestandteile aus-
drücken, absolut 'nichts gemein hat. Denken Sie doch
nur zum Beispiel an das Wort: „A r bei ter ra t".
34.
Seit meiner frühesten Jugend leide ich an zwei
lästigen Übeln: an chronischer Unterbilanz und an
chronischer Atemnot. Gegen die chronische Unterbilanz
hab' ich schon verschiedene Mittel mit Erfolg ange-
wendet; z. B. etablierte ich mich eine Zeitlang als Ar-
beitsloser. Mit den Bezügen, die ich da erhielt, konnte
ich mich in kürzester Frist wieder rangieren.
Gegen die Atemnot aber hab' ich bis dato noch
keinerlei dauernde Erleichterung gefunden. Ich hab' es
nämlich mit den Ärzten versucht. Und das ist immer
einigermaßen riskant. Die einzelnen ärztlichen Rat-
schläge waren voneinander sehr verschieden. Der erste,
an den ich mich wandte, ein älterer Herr mit mächtigem
Vollbart und imposanter Denkerstirn, untersuchte mich
auf das gründlichste, klopfte mich oben und unten, vorn
und hinten, dazwischen und daneben ab, dann zog er
die buschigen Brauen zusammen und sprach bedeu-
tungsschwer: „Verlieren Sie Ihr Asthma, junger Mann,
dann sind Sie's los! Denn sonst wird es Ihnen noch
viele böse Stunden bereiten." Für diesen Rat mußte ich
20 Kronen hinlegen. Ein zweiter, jüngere Schule, sehr
nervös, visitierte bloß mein Zahnfleisch und konstatierte:
„Ihre Zähne sind vollkommen in Ordnung. Davon kann
es also nicht sein. Sie müssen jedenfalls trachten, Ihre
Zähne weiter in Ordnung zu erhalten; denn solange
Ihre Zähne in Ordnung sind, solange wird sich Ihr

22
Leiden voraussichtlich nicht sehr verschlimmern." Dafür
mußte ich 50 Kronen hinlegen. Ein Spezialist, zu dem
ich mich nunmehr hoffnungsgläu.big begab, beleuchtete
meinen Rachen, betastete meine Drüsen und erklärte
streng: „Natürlich vom Rauchen! Das Rauchen auf-
geben, mein Verehrtester, und Sie sind sofort von Ihrem
Asthma befreit!" In meinem ganzen Leben hab' ich nie
geraucht, nichtsdestoweniger mußte ich diese fulminante
Therapie mit einer 100 Kronennote vergüten.
Von der exakten Wissenschaft angeödet, ging ich zu-
letzt zu einem Landbader. Vielleicht, daß die Homöo-
pathie mir helfen konnte! Der sah meinen Corpus nun
überhaupt nicht an, sondern übergab mir sofort eine
unfehlbar wirkende Salbe. Als ich mich damit zu Hause
einrieb, verging zwar mein Asthma nicht im geringsten,
wohl aber bekam ich einen juckenden Ausschlag.
Wütend lief ich zu dem verdammten Quacksalber und
schrie: „Herr, wie können Sie sich unterfangen, mir
solch einen Schmarrn anzuhängen? Den ganzen Körper
hab' ich nun voll mit Flecken!" „Jo, mei'," versetzte
der biedere Mann kopfschüttelnd, „soll varsteh i lei
sölbar nöt!Bei dö ondarn Rindviecher hot's
bis hitzt no allarweil g'holfa!"
35.
Nach dem Sturz der Budapester Räteregierung
wurde ein ehemaliger „Volksbeauftragter" in der Zelle
eines Gefängnisses untergebracht. In der Nachbarzelle
befand sich ein Raubmörder. Da der Herr „Volksbe-
auftragte", dem unterschiedliche schwere Verstöße gegen
das Strafgesetz zur Last gelegt wurden, den Wunsch
geäußert hatte, einen Verteidiger zu bekommen, so wird
ihm ein solcher von amtsweg-en zugewiesen. Als nun

23
der hiezu designierte Rechtsanwalt die Antrittsvisite bei
seinem Ktenten machen will, ereignet es sich, daß sich
der ihn geleitende Gefängnisaufseher irrt und die Zelle
des Raubmörders aufsperrt. „Sind Sie der Herr Vollo-
beauftragte?" fragt der Advokat eintretend. „Nein,
nein!" tönt es aus dem Dunkel der Zelle zurück, „ich
bin der wirkliche Raubmörder!"
36.
Mein Freund Ingomar — er heißt in Wahrheit
ganz anders, aber ich nenne ihn so, damit niemand
daraufkommt, wie er in Wahrheit heißt — mein Freund
Ingomar war das apathischeste Menschenwesen auf
Gottes weiter Welt. Nichts vermochte ihn aus seinem
Phlegma herauszureißen. Einmal aber schien es doch,
als müßte in ihm eine größere Bewegung vor sich
gehen. Das war, als ein unverdientes Glück ihm das
liebreizendste und zugleich reichste Mädchen der Stadt
als legitimes Eigentum in die Arme führte.
Kurze Zeit hernach traf ich Ingomar auf dem
Korso. Sein Aussehn war unverändert apathisch. „Du
Sonntagskind," sagte ich, „wie hast du dich mit deinem
Haupttreffer abgefunden?" „Ach du lieber Gott," seufzte
Ingomar, und seine Mienen spiegelten den Ausdruck
vollkommenster Gleichgültigkeit, „m an gewöhnt
sich auch ans Glücklichsein ..."
37.
In jener fabelhaften Sömmerfrische, deren pracht-
volles Klima mir durch ein fettgedrucktes Inserat auf-
gefallen war, regnete es von Anfang Juni bis Ende
September Tag für Tag. Da ward mir die Geschichte
denn doch zu grün, ich ging zum dortigen Bürger-

24
meister, stellte mich ihm vor und erklärte: „Mein 1 lerr!
Da preisen Sie Ihr herrliches Klima in fettgedruckten In-
seraten an, und dann, wenn man, leichtgläubig genug,
Ihrem Sirenenruf folgt und herkommt, sitzt man
monatelang wie unter geöffneten Schleusen! Ja, Herr
Bürgermeister, regnet es denn bei Ihnen das ganze
Jahr?"
„Ach wo!" lautete die aufklärende Antwort, „b 1 o 3
in der schönen Jahreszeit!"

38.
Zur Zeit des ärgsten Kommunistenrummels stieß
ich auf der Gasse mit Herrn Erich Korn, den ich von
Tarno;,v her kannte — er hieß damals noch Elias Korn-
feld — durch Zufall zusammen. Er hatte es anscheinend
sehr eilig. „Wohin, Herr Kornfeld?" rief ich ihn an.
„In die Kirche!" lautete die Antwort. „Mich taufen
lassen !"
„Aber Herr Kornfeld," sagte ich, „Ihr Herr Vater
war Schächter bei der Kultusgemeinde in Tarnow und
Sie wollen vom Glauben Ihrer Väter abfallen?"
„Ach," lächelte Korn-Kornfeld, „wenn ich getauft
bin, dann tret' ich ja sofort wieder zurück und werde
Jude."
Das verstand ich nun aber absolut nicht. „Erst
Jud — dann Christ — und dann wieder Jud? Ja, was
soll denn das für einen Zweck haben?"
Korn-Kornfeld nahm mich unter den Arm.
„Sehen Sie, das hat alles seine ganz bestimmten Gründe.
Ich will nämlich eintreten bei den Kommunisten. Wenn
ich nun so hinkomme wie ich bin, was werden sie
sagen? Werden sie sagen: Pah — e' Jud! — Wenn

25
ich aber hinkomme zig Partei und kann sagen: Schau'n
Sie mich an, meine llerren, ich bin gewesen e' Christ
und bin aus Liebe zur Partei geworden e'
J u d — nu, was meinen Sie, was die Leut' werden vor
mir für e' Hochachtung haben!"
39.
Wenn reiche Leute, die noch dazu keine leibliche
Nachkommenschaft besitzen, sich zum Sterben rüsten,
finden sich allemal treue Freunde, die sich um den Dahin-
siechenden gerade in jenen gefahrvollen Stunden, in
denen Dahinsiechende ihre letztwilligen Verfügungen zu
treffen pflegen, aufs liebevollste bemühen. Zwei solche
liebevolle Seelen waren auch Karl und Hermann. Kaum
daß ihr gemeinschaftlicher Freund Hugo den letzten
Seufzer getan hatte, liefen sie beide schnurstracks zum
Notar, um das Testament Hugos eröffnen zu lassen. Wie
groß aber wurden ihre Augen, als sie folgenden, auf
ihre Person bezüglichen Passus vorfanden: „Meinen
treuen Freunden Karl und Hermann vermache ich an
Geld und Geldeswert ebenso viel als diese m i r ver-
macht haben würden, falls sie vor mir das Zeitliche ge-
segnet und gewußt hätten, daß ich ihnen nichts
vermachen würde als dieses."
40.
Auf einer Soir& bei neuen Reichen werden Herr L.
und Herr W., zwei schwere Kriegsverdiener, einander
vorgestellt. Herr L. mustert Herrn W. und meint
schmunzelnd: „Wenn ich nicht irre, sind wir einander
schon einmal begegnet." „Sie irren," wehrt Herr W.
entschieden ab, „der gesessen ist, das ist mein
Bruder ...!"

26
41.
Das Gespräch kam auf den hübschen jungen Rechts-
anwalt, Dr. Winkler, der sich vor einigen Tagen ver-
lobt hatte. Die Mitgift seiner Braut, das wußte jeder-
mann, war kolossal; ihr Liebreiz hingegen minimal. Ein
Herr meinte: ,;Ich möchte bloß wisben, wo dieser fesche
Mensch so eine Vogelscheuche hernimmt." „Wo er sie
hernimmt," fiel eine maliziöse ältere Dame ein, „interes-
siert mich nicht. Mich interessiert bloß, w o er sie
hingibt."
49.
An einem leuchtenden I Ierbstsonntagsmorgen,
einem der ersten in der „Republik Österreich", traf ich
einen alten Schulkameraden aus dem Gymnasium. „Hast
du etwas vor?" fragte er mich. „Nein", erwiderte ich
wahrheitsgemäß. „Dann komm mit mir — ich will dir
was Interessantes zeigen!" — Er führte mich hinaus in
der Richtung nach Hütteldorf. Plötzlich blieb er an der
Böschung des Wienflusses stehen und deutete nach dem
Geleise der Stadtbahn. Ich sah hinab und gewahrte etwas
ganz Merkwürdiges. Zwischen den Schienen .der Stadt-
bahn hatte sich mein Schulkamerad einen --- k o ni-
p 1 et te n Schrebergarten angelegt! „Siehst du,"
sagte er, „jetzt bin ich aus dem Wasser. Der Boden ist
ziemlich fruchtbar, Pachtzins hab' ich keinen zu be-
zahlen, na, und bis in Wien die Stadtbahn wieder ver-
kehrt, bis dahin bin ich wahrscheinlich
schon längst vermodert."
43.
Wir unterhielten uns mit einem berühmten Gynä-
kologen über das Problem der Volksvermehrung. Je-

27
mand wollte erfahren, wie sich die Wissenschaft das
von Jahr zu Jahr deutlicher hervortretende Nachlassen
der weiblichen Fruchtbarkeit erkläre. Der große Ge-
lehrte zog die Stirne kraus in Falten und gab sodann
nachfolgenden orakelhaften Bescheid: „Meine Herr-
schaften, überlegen Sie: Wieviele Kinder könn-
ten geboren werden, wenn soviele ge-
borenwürden,alsgeborenwürden,wenn
alle geboren würden, die geboren wer-
den könnten!"

44.
Zur selben Zeit, da die Friedenskonferenz in Saint
Germain das Schicksal Deutschösterreichs bestimmte,
ging ich mit einem guten Freund über Land, als wir
mit einemmal eine noch nie gesehene schauerliche Gro-
teske gewahrten: In einen vollbeladenen, mitten im
Morast steckengebliebenen Erntewagen war ein toter
Kleppergaul eingespannt. Neben dem Kadaver des
Tieres stand ein Mann mit funkelnden Blicken, der fort-
während mit der Peitsche darauf loshieb und unaufhör-
lich brüllte: „Du wirst den Wagen aus dem Sumpf
herausziehn! Du wirst den Wagen aus dem Sumpf
herausziehn!" Schon waren wir im Begriffe, den bru-
talen Menschen zur Rede zu stellen, als uns jemand am
Ärmel zurückhielt, indem er uns zuraunte: „Pst! Lassen
Sie ihn gewähren! Der Mann ist irrsinnig. Er bildet
sich nämlich ein, er ist der Clemenceau!"

45.
Im Foyer der Oper rief mich jemand an. Ich drehte
mich um und erblickte meinen alten Sangesbruder

28
Theodor. „Na, Theodor, was treibst du denn? Du siehst
ja beängstigend blaß aus!"
„Ja," versetzte er traurig, „ich bin jung verheiratet!"
„Na erlaub' mal, Theddy, das ist doch kein Grund,.
um schlecht .auszusehen."
„Ja, aber meine Frau — wenn du wüßtest, was
die alles von mir verlangt!"
Ich war gespannt.
„In der Früh, wenn sie aufwacht, Mittags, wenn
ich zum Speisen komme, Abends, wenn wir zu Bette
gehen — immer und immer verlaug-t sie Geld, immer
nur Geld!"
Ich blieb stehen. „Ja, sag' mir nur, Theodor, was
fängt denn deine kleine Frau mit dem vielen Geld an?"
„Weiß ich!" versetzte er achselzuckend, „i ch ha b'
ihrnoch keines gegeben!"

46.
Ein mir bekannter Wiener, der den Weltkrieg in
Paris mitgemacht, berichtete mir eine für französische
Verhältnisse überaus bezeichnende Episode, die sieh in
der Seinestadt abgespielt.
In einem Boulevardcafe sitzt ein Sergeant von zeit-
lich früh bis spät abends bei seinem Absynth. Einer
Bekannten des Sergeanten, die der Weg an dem Fenster
des Cafes schon mehrmals vorbeigeführt, fällt das auf,
sie tritt in das Lokal, geht auf den Soldaten zu und
fragt: „Lieber Freund! Bitte sagen Sie mir gefälligst,
wo machen Sie Militärdienst? Den ganzen Tag sehe
ich Sie hier im Cafe sitzen. Sind Sie am Ende hieher
kommandiert?"

29
"0 nein, Madame!" lacht der Sergeant, „ich bin
bei den Scheinwerfern!"
Verwundert starrt ihn die Nachbarin an. „Bei den
Scheinwerfern? Ja, wieso denn bei den Schein-
werfern . .
Der Sergeant richtet sich auf. „Ach, ganz einfach,
Madame! Des Morgens um 7, da geh' ich in die Kaserne
und wer f e dem dienstführenden Wachtmeister einen
S eh ein hi n; na, und dann sitz' ich den ganzen Tag
im Kaffeehaus . . ."
„Sehen Sie" schloß mein Gewährsmann augen-
zwinkernd — „s o wa r es in Pari s!"

47.
Als die Habsburger noch fest auf ihrem Throne
saßen, lebte in Mitteleuropa ein Mann, den Tag und
Nacht die Sehnsucht nach einem schönen Titel ver-
zehrte. Endlich sollte der Traum seines Lebens in Er-
füllung gehen: Eines Morgens prangte sein Name in
der amtlichen „Wiener Zeitung" in der Liste jener, die
sich den Titel „kaiserlicher Rat" zugezogen hatten. Als
nun der politische Umschwung, der die Habsburger und
Hohenzollern hinwegfegte, kam, da schwang sich auch
der Herr kaiserliche Rat mit derart jugendlicher Elasti-
zhät mit, daß er just am entgegengesetzten Pol zum
Vorschein kam, und zwar nicht nur als ingrimmiger
‚Hasser alles Monarchischen, sondern gleichzeitig als
blutrünstiger Bolschewik. Da nun dazumal die aus der
Monarchie stammenden Auszeichnungen gesetzlich noch
nicht abgeschafft waren, so bereitete ihm sein „kaiser-
licher Rat" bei seiner neuen Umgruppierung ziemliche
Verlegenheit. Er griff daher zu einem in alten Märchen

30
längst erprobten Mittel. Er begab sich zu einem in
einer verschwiegenen Höhle hausenden Einsiedler, der
ob seiner Weisheit weit und breit berühmt war, und
bat ihn um seinen Rat, was da zu tun.
Da wiegte Einsiedelmann sein allwissendes Haupt
und sprach: „Die Sache liegt klarer denn der sonnigste
Tag. Jedwedes Ding hat sich seit dem Umsturz ins
Gegenteil verkehrt. Was früher Moral hieß, heißt jetzt
Unmoral, was ehdcm als Recht bezeichnet ward, gilt
jetzt als Unrecht, was man früher als heilig verehrte,
verflucht man jetzt als unheilig. Tun Sie desgleichen,
Herr kaiserlicher Rat. Nennen Sie sich fortan: ‚k aise r-
I i cher Unrat'."

48.
Als einer meiner Bekannten, Chef eines Großhand-
lungshauses, eines Abends unverhofft von einer Ge-
schäftsreise heimkehrte, überraschte er seine nicht mehr
ganz jugendliche Gattin in einer äußerst verfänglichen
Situation mit seinem langjährigen Buchhalter. In höch-
ster moralischer Entrüstung faßt er den Ehebrecher an
der Brust und schreit: „Sie Schurke, Sie! Wenn das
nicht zufällig meine eigene Frau wär' und Sie nicht zu-
fällig mein eigener Angestellter, und wenn ich jetzt nicht
zufällig endlich einmal einen plausiblen Grund hätt',
euch alle beide herauszuschmeißen — beim allmächti-
gen Gott! Jetzt würden Sie etwas erleben!"

49.
Ich saß einmal friedlich schlummernd in einem
Eisenbahnkupee, als ein Mensch die Türe aufriß, mir
auf den Fuß trat, meiner Begleiterin die Hand einzwickte

31
und einer Hutschachtel die Eingeweide nach außen
kehrte. Das war mir zuviel. Und da ließ ich mich in
meiner Erregung zu einem Vorgehen hinreißen, das ganz
außerhalb meiner guten Erziehung lag. Ich sprang auf,
packte den Eindringling mit beiden Fäusten an der
Gurgel, schüttelte ihn kräftig hin und her und warf
ihn zuletzt wütend zur Türe hinaus. — Lautlose Stille.
-- Da wendet sich plötzlich ein Mitreisender von auf-
fallend mongolischem Typus, der schon lange Zeit mir
schweigend gegenüber gesessen, mit der Frage an mich:
„Hät, barätoin, entschuldigen bitte schön, lieb& Frajade
nichtwohr,SiesindajnUngor?"

50.
Als Präsident Wilson von der Friedenskonferenz in
Paris, allwo er seine völkerbeglückenden Theorien in
so sonderbarer Weise in die Praxis umgesetzt hatte,
nach Washington zurückkehrte, wurde ihm ein Rechts-
anwalt, Mr. Brown, vorgestellt, dessen Überredungs-
kunst es gelungen war, in einem Sensationsprozeß für
eine geständige Mörderin einen Freispruch zu erwirken.
Wilson drückte ihm freundlichst die Hand. „All right,
Mr. Brown! Meine Anerkennung! Sie haben eine
schlechte Sache zu einer guten gemacht!"
„Herr Präsident!" erwiderte der junge Rechtsan-
walt geschmeichelt, „und doch kann ich mich nicht int
entferntesten mit Ihnen messen. Denn Sie haben, eine
gute Sache zu einer schlechten gemacht!"

32
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