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Monika Specht-Tomann
Ganzheitliche Pflege
von alten Menschen
Mit 25 Abbildungen
2123
Monika Specht-Tomann
Graz
Austria
Vorwort
Der Anteil alter Menschen an der Gesamtbevölkerung nimmt stetig zu. Damit rückt auch
die Frage nach geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten und Betreuungskonzepten für
eine immer größer werdende Anzahl von alten Menschen und deren Familien ins Zentrum
sowohl individueller als auch gesellschaftspolitischer Überlegungen. Altenpflegeeinrich-
tungen sind der letzte wichtige Lebensraum, das letzte »Zuhause« alter Menschen. Sie soll-
ten nicht nur »Versorgungsorte« sein, sondern vielfältige Möglichkeiten schaffen, um den
körperlichen, seelischen und sozialen Bedürfnissen gleichermaßen gerecht zu werden und
einen Verbleib bis zum Tod zu ermöglichen. Demnach ist es besonders wichtig, einen ganz-
heitlichen Pflegansatz zu realisieren und Aspekte der Hospizkultur, Palliative Care und End-
of-Life Care zu integrieren.
Eine bedürfnisorientierte Altenpflege und -begleitung kann dann besonders gut gelingen,
wenn das gesamte Team einer Altenpflegeinrichtung ihre Betreuungsaufmerksamkeit im
Sinne einer palliativen Grundhaltung wahrnimmt – zum Wohle der Bewohner und Be-
wohnerinnen und zur Steigerung der eigenen Berufszufriedenheit. Hospizkultur und pal-
liative Begleitansätze sind nicht ausschließlich für die terminale Lebensphase hilfreich, son-
dern sollten vom ersten Schritt eines Menschen in ein Heim bedacht werden. Damit dies
gelingen kann, ist es notwendig, dass alle in einer Altenpflegeinrichtung Tätigen, über ein
Basiswissen in relevanten Bereichen verfügen und sich als Teil eines Teams begreifen, bei
dem jedes Mitglied einen wichtigen Beitrag einer bedürfnisorientierten Betreuung und Be-
gleitung alter Menschen leisten kann. Durch einen bedürfnisorientierten Pflegeansatz, bei
dem eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zentraler Bestandteil ist, können altersbedingte
Veränderungsprozesse besonders einfühlsam begleitet und die Auswirkungen unterschied-
licher Erkrankungsbilder bestmöglich behandelt oder gelindert werden. So kann ein Leben
in Würde bis zuletzt möglich werden.
Das zweite Kapitel beginnt mit dem ersten Schritt eines Menschen in ein Heim. Gerade der
Beginn einer Fremdunterbringung ist für das künftige Wohlbefinden wichtig, und so wird
dem Aufnahmegespräch besondere Beachtung geschenkt. Wesentliche Aspekte der ange-
wandten Kommunikation – u. a. aktives Zuhören, Gesprächsführung, Biografiearbeit – wer-
den aufbereitet und hinsichtlich ihrer Bedeutung für eine bedürfnisorientierte Begleitung
und Pflege alter Menschen beleuchtet. Zwei Hauptthemen sind aus dem breiten Spektrum
VI Vorwort
Das abschließende Kapitel setzt sich mit den Möglichkeiten bedürfnisorientierter Alten-
pflege auseinander, die einen Verbleib alter Menschen in einer Altenpflegeeinrichtung bis
zum Tod ermöglichen. Die meisten Menschen haben den Wunsch, zu Hause zu sterben. Be-
denkt man, dass Altenpflegeeinrichtungen als letztes Zuhause angesehen werden, kommt
einer Sterbebegleitung in Heimen eine besondere Bedeutung zu. Damit dies gelingen kann,
bedarf es spezieller institutioneller Rahmenbedingungen und eines gut geschulten Teams
von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Interdisziplinäre Schulungen und damit verbunde-
ne Organisationsentwicklungsprozesse können wesentlich dazu beitragen, dem anspruchs-
vollen Ansatz einer bedürfnisorientierten Altenbegleitung und -pflege vom Beginn einer
Fremdunterbringung bis zum Tod gerecht zu werden. Anhand eines konkreten Praxisbei-
spiels wird dies dokumentiert.
Das vorliegende Buch wendet sich nicht nur an Pflegefachkräfte, sondern soll allen in einer
Altenpflegeinrichtung Tätigen einen umfassenden Einblick in die Situation der ihnen an-
vertrauten Menschen geben. Darüber hinaus möchte es ein Bewusstsein dafür schaffe, dass
»bedürfnisorientierte Altenpflege« nur dann gelingen kann, wenn alle Mitarbeiter und Mit-
arbeiterinnen ihre Ideen, ihr Können und Engagement gleichberechtigt einbringen können.
Viele haben dazu beigetragen, dass dieses Buch entstehen konnte. An erster Stelle möchte
ich mich bei jenen alten Menschen bedanken, die mir ihre Geschichten und ihre Geschichte
anvertraut und aus ihrem Leben erzählt haben. Ihnen verdanke ich eine wesentliche Erwei-
terung meiner Sichtweise von Altsein! Danken möchte ich auch meinen Kolleginnen und
Kollegen innerhalb und außerhalb von Altenpflegeeinrichtungen für die bereichernden Dis-
kussionen und Denkanstöße. Meiner Familie ein Dank für ihre Geduld und ihre Unterstüt-
zung, das Buch Wirklichkeit werden zu lassen. Schließlich möchte ich dem Springer-Team
um Ulrike Niesel danken, das mir einmal mehr sein Vertrauen geschenkt und die Realisie-
rung meiner Idee ermöglicht hat.
VII
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 1
1
Serviceteil
Stichwortverzeichnis��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 138
1 1
Einleitung
Monika Specht-Tomann
Ein Altenheim ist der letzte wichtige Lebensraum lassen den relativ klar vorgegebenen Weg, den es
1 für Menschen, die nicht mehr in den eigenen vier für bestimmte Krankheitsbilder in der Pflege gibt.
Wänden leben können oder wollen. Es ist ein Ort, Sie führen in Bereiche, in denen es um eine Zu-
an dem Menschen in der Regel körperlich gut und sammenschau unterschiedlichster Lebens- und Er-
umfassend betreut und begleitet werden. Dies ist lebensbereiche der Bewohner und Bewohnerinnen
aber auch ein Ort, an dem alte Menschen in ihrer geht. Es geht um ein ganz bewusstes Wahrnehmen
Einzigartigkeit wahrgenommen und als Personen individueller Bedürfnisse seitens der Pflegenden
mit Geschichte gewürdigt, wertgeschätzt und be- auf dem Hintergrund des jeweils gelebten Lebens
gleitet werden sollten. In diesem Zusammenhang der Betreuten.
sei gleich zu Beginn der Begriff »biopsychosozial« Bedürfnisorientierte Pflege ist mehr als ein
eingeführt, der darauf hinweist, dass es sich bei »Versorgen« alter Menschen. Bedürfnisorientierte
dem in diesem Buch vertretenen Konzept von Al- Pflege meint, den alten Menschen dort abzuholen,
tenarbeit sowohl um Begleitansätze auf der körper- wo er nach all den vielen Lebensjahren steht – und
lichen Ebene handelt, als auch um Vorstellungen das wird bei jedem Einzelnen ein bisschen anders
und Überlegungen, die sich auf den seelischen und aussehen. Durch die Komplexität eines solchen
sozialen Bereich beziehen. Betreuungsansatzes ist es notwendig, einzelne Bau-
Nur durch das Eingehen auf die drei unter- steine genauer zu betrachten, die für eine positive
schiedlichen Ebenen – die körperliche, die seelische Implementierung einer bedürfnisorientierten Pfle-
und die soziale – kann eine bedürfnisorientierte ge in Institutionen notwendig sind. Die inhaltliche
und ganzheitliche Pflege greifen und zu einer guten Positionierung ist ein ganz wichtiges Element bei
Lebensqualität der Bewohner und Bewohnerinnen diesem Prozess und lässt sich auch in Pflegestan-
von Altenpflegeeinrichtungen führen. Dabei han- dards zusammenfassend festlegen. Darüber hinaus
delt es sich um ein sehr ambitioniertes Anliegen, ist aber auch daran zu denken, wer für den jeweili-
das spezielle Anforderungen an die Heimleitungen gen Bewohner, für die jeweilige Bewohnerin als Be-
und alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stellt. zugsperson wichtig und bedeutsam wird. Der »letz-
Die Realisierung dieses Ansatzes in Altenpflegeins- te Lebensraum Altenheim« besteht nicht nur aus
titutionen ist bislang noch keine Selbstverständlich- Pflegefachkräften. Er besteht auch aus einer ganzen
keit. Dies mag unter anderem daran liegen, dass es Reihe anderer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen,
bisher einer jahrzehntelangen Tradition entsprach, die in der Begegnung mit den alten Menschen zu
Altenpflegeeinrichtungen eher in Anlehnung an wichtigen Orientierungshilfen und Gesprächspart-
Krankenstationen auszurichten und somit die Be- nern werden können. Soll eine bedürfnisorientierte
treuungsaufmerksamkeit auf die körperliche Ebene Pflege gelingen und zum Wohl der Bewohnerin-
zu konzentrieren. Wenn man sich die vielfältigen nen und Bewohner funktionieren, müssen alle
Einschränkungen und körperlichen Beschwerden Personen, die in der Institution Altenpflegeheim
von alten Menschen in den entsprechenden Insti- tätig sind, über die wesentlichen Säulen einer be-
tutionen vor Augen hält, lässt sich dieser Zugang dürfnisorientierten Pflege informiert sein und an-
durchaus nachvollziehen. wendungsbezogen geschult werden. Es geht dabei
Anders sieht es allerdings dann aus, wenn man zum einen um Wissensvermittlung, zum anderen
beim Thema der Fremdunterbringung in Pflege- um die Sensibilisierung für eine wertschätzende,
heimen den Aspekt »letzter Lebensraum« stärker verständnisvolle und einfühlsame Grundhaltung
betont. Was bedeutet es, diese letzte Umwelt für gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern
Betroffene schön und lebenswert zu gestalten? Was und deren Bedürfnissen. Ein Blick in die Praxis so
bedeutet es, umfassende Bedürfnisse wahrzuneh- mancher Pflegeeinrichtungen zeigt, dass hier noch
men und ihnen auf einer jeweils sehr individuel- großer Aufholbedarf besteht – auch wenn Leitbil-
len Ebene zu begegnen? Wie kann gelebtes Leben der von Pflegeeinrichtungen oft den Eindruck ver-
gewürdigt und wertgeschätzt werden? Wie kann mitteln, »alles« sei möglich und bereits realisiert
der letzte Lebensabschnitt gestaltet und nicht nur worden.
verwaltet werden? Diese und ähnliche Fragen ver-
Einleitung
3 1
Im vorliegenden Buch werden jene Aspekte ge- gen? Welche Möglichkeiten der Schmerzlinderung
nauer beleuchtet, die zu einer umfassenden Betreu- stehen zu Verfügung? Was ist im Umgang mit de-
ungsaufmerksamkeit gehören und eine bedürfnis- menten Menschen zu berücksichtigen? Wie kann
orientierte, ganzheitliche Altenpflege und -beglei- man auf Trauernde zugehen? Was brauchen Men-
tung ermöglichen, die von einer palliativen Grund- schen in ihren letzten Lebensstunden? Antworten
haltung aller Beteiligter getragen wird. Diese pal- auf diese und ähnliche Fragen sollen professionel-
liative Grundhaltung beinhaltet ein tiefes inneres len Begleiterinnen und Begleitern Basisinformatio-
Akzeptieren, dass körperliche, seelische, spirituelle nen, Orientierungshilfen und Denkanstöße liefern.
oder soziale Probleme, Einschränkungen, Defizite Schließlich wird auch der Frage nachgegangen,
und Beeinträchtigungen zwar in vielen Fällen nicht wie es gelingen kann, einen bedürfnisorientierten
geheilt – »kuriert« – wohl aber gelindert werden Pflegeansatz in den Institutionen zu implemen-
können. Das Eingehen auf die jeweils vorliegen- tieren. Anhand eines konkreten Projekts aus der
de Symptomatik und ein einfühlsames Begleiten Pflegepraxis kann aufgezeigt werden, welche Vor-
im Sinne palliativer Maßnahmen ist nicht nur auf teile dieser Ansatz sowohl für die Mitarbeiter und
eine Sterbebegleitung im engeren Sinn beschränkt Mitarbeiterinnen als auch für die Bewohner und
und beginnt demnach nicht erst in den letzten Le- Bewohnerinnen und deren Angehörige hat. Er-
benstagen, sondern sollte bereits bei Eintritt in eine gänzt und konkretisiert werden die theoretischen
Pflegeinstitution greifen. Ausführungen durch Beispiele aus dem Lebens-
Zu Beginn der nachfolgenden Ausführungen alltag von Bewohnern und Bewohnerinnen. Sie
werden Leser und Leserinnen über wichtige Wis- machen sichtbar, wie unterschiedlich die an einer
sensaspekte zur Lebensspanne Alter informiert. Es bedürfnisorientierten Altenpflege ausgerichteten
geht dabei um alterstypische Merkmale, um spezi- Begleitungen ausfallen können. Dabei wird auch
fische Veränderungen im Alter und jene psychoso- deutlich, wie wichtig die Arbeit an einer »inneren
zialen Aspekte, die in der Betreuung und Beglei- Haltung« aller am Pflegeprozess Beteiligten ist, wie
tung von hoher Relevanz sind. Ein Blick auf die sehr fachliche und überfachliche Fähigkeiten und
menschlichen Grundbedürfnisse in ihrer Bedeu- Fertigkeiten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
tung für den Umgang mit alten Menschen liefert zum Wohl aller einfließen und so nicht nur zu einer
ergänzende Informationen. Durch die Ausführun- erhöhten Betreuungszufriedenheit seitens der Be-
gen soll den Betreuerinnen und Betreuern in Pfle- wohner und Bewohnerinnen führen, sondern auch
geeinrichtungen ein emotionales Nachempfinden zu einer größeren Berufszufriedenheit der in einer
der Lebenssituation ihrer Bewohner und Bewohne- Altenpflegeeinrichtung Tätigen.
rinnen erleichtert werden. Neben der Vermittlung Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, dem gan-
und Vertiefung fundierter Grundkenntnisse wer- zen Team einer Einrichtung einen Zugang zu Di-
den Möglichkeiten aufgezeigt, wie dieses Wissen mensionen der Begleitung zu ermöglichen, die
in eine an der Individualität der alten Menschen den Rahmen enger fachlicher Qualifizierung und
orientierten Begleitung einfließen kann. Spezifizierung ergänzen und erweitern. Ganzheit-
Im Anschluss an die Ausführungen über die liche Betreuungs- und Pflegekonzepte in die Pflege-
Besonderheiten des Lebensabschnitts Alter und realität umzusetzen bedarf einer fachspezifischen
erste Ausblicke auf betreuungsbezogene Aspek- und fachübergreifenden Schulung, aber auch einer
te werden jene Bereiche dargestellt, die im Zu- intensiven Auseinandersetzung mit persönlichen
sammenhang mit einer Fremdunterbringung von Werten und inneren Grundhaltungen. In einem
hoher Praxisrelevanz sind. Dabei wird ein weiter ausgewogenen Zusammenspiel dieser Elemente
Bogen gespannt, der von der Aufnahme einer Be- kann Pflege eine neue Qualitätsdimension errei-
wohnerin oder eines Bewohners bis hin zu seinen chen und sich nachhaltig positiv auf das Klima in
letzten Stunden in der Institution Altenheim reicht. den Altenpflegeeinrichtungen auswirken. »Bedürf-
Dementsprechend kommen die Themen Kommu- nisorientierte Altenpflege« liefert Bausteine für ein
nikation, Schmerz, Demenz, Trauer und Sterbebe- Gelingen dieses Pflegeansatzes und möchte so seine
gleitung zur Sprache: Wie können Gespräche gelin- Umsetzung in möglichst vielen Pflegeeinrichtungen
4 Kapitel 1 • Einleitung
2.3 Was das Altern schwer machen kann: vom Umgang mit
Kränkungen – 18
2.6 Fazit – 37
»Älterwerden heißt selbst ein neues Geschäft an- ein, auch wenn sie den Betroffenen selten explizit
treten; alle Verhältnisse verändern sich und man bewusst sind. Tief im Inneren trägt jeder gleich-
muss entweder ganz zu handeln aufhören oder sam eine eigene sehr persönlich gefärbte Definition
2 mit Willen und Bewusstsein das neue Rollenfach
übernehmen.« (Johann Wolfgang von Goethe)
von Alter mit sich, die durch mehr oder weniger
bewusst selektierte Wahrnehmungen und Infor-
mationen gefestigt und unterstrichen wird. Neben
Die professionelle Arbeit mit alten Menschen stellt den Erlebnissen aus Kindheit und Jugend mit alten
eine besondere Herausforderung dar. Viele alters- Menschen spielen für den persönlichen Zugang zu
bedingte Erkrankungen und Einschränkungen ste- Fragen rund um das Alter aber auch gesellschaftli-
hen im Zentrum der Aufmerksamkeit Pflegender, che Aspekte eine große Rolle und bestimmen sozial
viele Bedürfnisse sollen erkannt und so manche relevante Dimensionen des zwischenmenschlichen
Wünsche erfüllt werden. Die Beschäftigung mit Verhaltens.
Menschen, die in ihren letzten Lebensabschnitt
eingetreten sind und mit dem Übergang in eine >> In westlichen Industriestaaten beginnt aus
Pflegeeinrichtung gleichsam ihre letzte Wohnstätte, sozialpolitischer Sicht mit dem Ende der
ihr letztes Zuhause gefunden haben, kann berüh- Berufstätigkeit der Lebensabschnitt Alter.
ren, bewegen, belasten, fordern – und manchmal
überfordern. Eine schrittweise Annäherung an die Bei dem Versuch der Quantifizierung dieses Le-
Klientengruppe »alte Menschen« ist eine wichtige bensabschnitts gibt es verschiedene Definitions-
Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige und vorschläge. Am gängigsten ist die von der Welt-
subjektiv befriedigende Arbeit. Die nachfolgenden gesundheitsorganisation (WHO, 7 www.who.int)
Ausführungen stehen unter dem Motto »Alter ver- vorgeschlagene Einteilung in ältere Menschen (60–
stehen lernen«. 70), alte Menschen (70–90), Hochbetagte (älter
Zu Beginn stellt sich gleich die Frage, was den als 90) und Langlebige. In der Praxis hat sich eine
eigentlich unter Alter zu verstehen ist, welche De- gröbere Unterscheidung durchgesetzt. Demnach
finitionen vorliegen, welche beschreibenden Merk- spricht man von den »jungen Alten« (55–75) und
male herangezogen werden und welche Konse- den »alten Alten« (älter als 75). Neben diesen rein
quenzen dies für den Einzelnen aber auch für die an den erlebten Jahren festgemachten Definitionen,
Gesellschaft hat. »Alt ist nicht gleich alt« – diesem ist eine qualitativ differenzierende Herangehens-
Satz werden viele zustimmen und dies auch mit weise im konkreten Umgang mit der Lebens- und
zahlreichen Beispielen aus ihrem privaten oder be- Erlebenssituation der jeweils Betroffenen wichtig,
ruflichen Umfeld belegen. Jeder Mensch hat seine worauf weiter unten noch eingegangen wird.
eigenen Vorstellungen, die er mit dem Begriff Alter
verbindet. Sehr häufig werden diese Vorstellungen
von sogenannten primären Erfahrungen aus der un- Altersgliederung (WHO)
mittelbaren Lebensrealität des Einzelnen bestimmt. 55 Ältere Menschen: 60–70 Jahre
Wer den eigenen Großvater als rüstigen und bis ins 55 Alte Menschen: 70–90 Jahre
hohe Alter selbstständigen Mann erleben durfte, 55 Sehr Alte/Hochbetagte: älter als 90 Jahre
wird dieses Bild abspeichern und gegebenenfalls 55 Langlebige: älter als 100 Jahre
im Berufsalltag wieder beleben und gleichsam als
Hintergrundbild dem eigenen pflegerischen und
kommunikativen Verhalten hinterlegen. Wer hin- Ab wann sich jemand subjektiv alt fühlt oder sich
gegen einen wichtigen Menschen aus seiner primä- dem Kreis der Alten zurechnet, wird von vielen Fak-
ren Familie im Alter als unselbstständig und auf die toren bestimmt. Eine wichtige Zäsur stellt in jedem
Hilfe anderer angewiesen erlebte, wird mit einem Fall das Ende der Erwerbstätigkeit dar. Manche
ganz anderen inneren Bild auf alte Menschen zu sprechen von einem »wohlverdienten Ruhestand«,
gehen. Diese primären Erfahrungen graben sich andere von »geschenkten Jahren« – in jedem Fall
oft tief in die individuelle Erinnerungslandschaft beginnt eine Lebensspanne, die ein bedeutsamer
Alter – eine besondere Lebenszeit
7 2
Bestandteil der individuellen Lebensgeschichte ist kungen vorliegen. Und so ist ein weiterer wichti-
und sowohl individueller als auch gesellschaftlicher ger gesellschaftspolitischer Aspekt die Bereitstel-
Ausgestaltung und Strukturierung bedarf. lung ausreichender Mittel und Ressourcen für die
Setzt man das Ende der Erwerbstätigkeit und Versorgung, Betreuung und Pflege dieser großen
die durchschnittliche Lebenserwartung – die der- Gruppe an Mitmenschen mit altersspezifischen
zeit in Europa für Männer bei 78 Jahren und für Einschränkungen. Dass es sich dabei nicht um ein
Frauen bei 84 Jahren liegt – in Bezug zueinander, Randthema handelt, belegen Zahlen aus wissen-
bedeutet dies, dass Männer rund ein Viertel und schaftlichen Untersuchungen, die davon ausgehen,
Frauen rund ein Drittel ihrer Lebensjahre als »alte dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr
Menschen« verbringen – als Menschen, die nicht 2040 im Vergleich zum Jahr 2000 um ca. 60 Pro-
mehr im Erwerbsprozess stehen. In Jahren ausge- zent oder gar um 75 Prozent steigen wird (Grün-
drückt handelt es sich um etwa 20 bzw. 26 Jahre! heid und Fiedler 2013).
Auch wenn diese Zeitspanne von vielen Menschen
noch sehr aktiv gestaltet und ausgefüllt werden zz Selbsterfahrungsimpulse
kann, rücken doch immer auch Gedanken an ein- 55 Ab wann ist jemand für Sie »alt«? Hat sich Ihre
schneidende Veränderungen näher, die eine Pfle- diesbezügliche Einschätzung im Laufe Ihres
gesituation ankündigen oder den Eintritt in eine Lebens verändert?
Altenpflegeeinrichtung notwendig machen. Durch 55 Welche alten Menschen konnten Sie in Ihrer
die Veränderungen in der Altersstruktur unse- Kindheit und Jugend im Kreis Ihrer Familie
rer Gesellschaft betreffen diese Prozesse durch- kennen lernen? Wie sind diese mit Ihrem Al-
aus nicht nur eine kleine Minderheit. Wirft man ter umgegangen – was ist Ihnen dabei positiv
nämlich einen Blick auf die demografischen Daten aufgefallen – was negativ? Wie ist man in Ihrer
unserer Gesellschaft, dann wird deutlich, dass sich Familie mit alten Menschen und deren Hilfs-
die Altersstruktur innerhalb der westlichen Indus- bedürftigkeit umgegangen?
triestaaten drastisch in Richtung einer Zunahme 55 Gibt es einen Zusammenhang zwischen den
von sogenannten »Alten« verändert hat und dies Erfahrungen mit »Alter« in Ihrer Vergangen-
laut aktueller Prognosen auch weiterhin tun wird. heit und Ihrer Berufswahl?
Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts konnte 55 Welche Eigenschaften verbinden Sie mit
man die Altersverteilung in Form einer Pyramide »Alter«?
darstellen, deren Basis ein großer Anteil an jungen 55 Wie alt möchten Sie selbst werden?
Menschen bildete und an deren Spitze eine relativ
kleine Anzahl alter Menschen stand. Dieses Bild Neben demografischen Aspekten und den damit
hat sich über die Jahrzehnte dahingehend verän- verbundenen Auswirkungen sowohl auf individu-
dert, dass die Basis immer schmäler und der obe- eller als auch gesellschaftlicher Ebene stellt sich die
re Bereich immer breiter wird. Mit anderen Wor- Frage nach adäquaten Begleit- und Betreuungsan-
ten: Es gibt immer weniger »Junge« und immer geboten für alte Menschen. Die im nachfolgenden
mehr »Alte«. Solch eine Entwicklung hat enorme Märchen »Der alte Großvater und der Enkel« an-
gesellschaftspolitische Auswirkungen. Auf der in- gesprochene Situation gehört zum Glück weitest-
dividuellen Ebene bedeutet es, dass immer mehr gehend der Vergangenheit hat. Und doch wird in
Menschen den »Boden Alter« betreten und einen ihr ein Thema angesprochen, das für viele Fami-
Zeitraum inhaltlich füllen können oder müssen, lien wichtig ist: Wie wollen wir die alten Menschen
den die Generationen vor uns nur in seltenen Fäl- unserer Familie begleiten, pflegen, betreuen?
len überhaupt erreichten. Diesem Aspekt wird auf Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren
der öffentlichen Seite durch vielfältige Bildungs- die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die
angebote, Veranstaltungen und Hinweise für eine Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tische saß und
aktive Lebensgestaltung Rechnung getragen. Dies den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe
ist so lange angemessen, als keine einschneidenden auf das Tischtuch, und es floss ihm auch etwas wie-
körperlichen, sozialen oder seelischen Einschrän- der aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekel-
8 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
ten sich davor, und deswegen musste sich der alte Rotes Kreuz, Diakonie) oder über das Internet be-
Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, kommen kann. Auch bieten viele Organisationen
und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüssel- und Gemeinden Seniorensprechstunden an, in de-
2 chen und noch dazu nicht einmal genug, um satt zu nen kompetente Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
werden. Da sah er betrübt nach dem Tisch und die behilflich sind, ein den individuellen Bedürfnissen
Augen wurden ihm nass. entsprechendes Betreuungskonzept zu entwickeln.
Einmal auch konnten seine zittrigen Hände das Der großen Zahl von alten Menschen, die Be-
Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und gleitung, Unterstützung, Betreuung und Pflege
zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte nichts und brauchen, stehen jene gegenüber, die sich für die
seufzte nur. Da kaufte sie ihm ein hölzernes Schüs- Arbeit in geriatrischen Institutionen, in Altenpfle-
selchen für ein paar Heller, daraus musste er nun geeinrichtungen, in mobilen Betreuungsteams oder
essen. Wie sie da so sitzen, so trägt der kleine Enkel in der ehrenamtlichen Altenarbeit entschieden ha-
von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusam- ben. Für diese große Gruppe von Begleiterinnen
men. »Was machst du da?«, fragte der Vater. »Ich und Begleitern ist es hilfreich, einen Blick auf die
mache ein Tröglein«, antwortete das Kind, »daraus besonderen Merkmale der Lebensspanne Alter zu
sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin.« werfen (Erikson 2008, Rentsch und, Zimmermann
Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fin- 2013, Riemann 2011). Welche biopsychosozialen
gen endlich an zu weinen, holten alsofort den alten Veränderungen sind typisch? Welche innerseeli-
Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an schen Prozesse bestimmen das Erleben im Alter?
immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein we- Welche Bedürfnisse treten in den Vordergrund?
nig verschüttete. (Der alte Großvater und der Enkel. Welche Lebensthemen bestimmen den Alltag? Im
Brüder Grimm 2009) Folgenden werden einige Aspekte angesprochen,
Für die Pflege, Begleitung und Betreuung alter die etwas Licht in den Bereich Alter und Altern
Menschen steht ein breites Spektrum unterschied- bringen, den Umgang mit den Folgen von Alte-
licher Angebote zur Verfügung. Prinzipiell kann rungsprozessen erleichtern und eine persönliche
man zwischen jenen Formen der Betreuung und Auseinandersetzung ermöglichen sollen.
Begleitung unterscheiden, die in den eigenen vier
Wänden angeboten werden, und jenen, bei denen
es sich um eine sogenannte Fremdunterbringung 2.1 Veränderungen im Alter
handelt. Die »Betreuungslandschaft« wird ständig
erweitert, ergänzt und den neuesten Erkenntnissen In der Alltagssprache wird ganz generell von »Al-
aus Forschung und Praxisevaluierung angepasst ter« oder von »alten Menschen« gesprochen und
(Altmann 2014, Keller 2011, Ries 2012). Für Betrof- nur selten ist damit eine ganz bestimmte Alters-
fene wie auch für deren Familien stellen sich viele gruppe gemeint. Diese vage Begrifflichkeit ent-
Fragen, wenn sich der Bedarf an Unterstützung spricht durchaus den vielfältigen körperlichen,
oder Pflege deutlich abzeichnet: Verbleib in der geistig-seelischen und sozialen Prozessen, die zwar
eigenen Wohnung bei Inanspruchnahme ambu- einerseits mit dem Altwerden verbunden sind, die
lanter Dienste oder Übersiedlung zu Angehörigen? sich aber andererseits über einen längeren Zeit-
24-Stunden-Betreuung zu Hause oder Tagesklinik? raum hin entwickeln. Schritt für Schritt, nach und
Betreutes Wohnen oder ambulante Hausgemein- nach setzen Veränderungen ein, die den Menschen
schaften? Quartierkonzepte oder intergenerative in einen neuen Lebensabschnitt führen. Dieses
Wohnformen? Altenwohngemeinschaft oder Seni- Geschehen ist nicht nur am Lebensende zu beob-
orenheim? Pflegeheim oder Demenzhaus? … Um achten. Im Laufe des Lebens kündigen sich immer
den alten Menschen selbst und deren Angehörigen wieder Entwicklungsschritte an, die zu vielfältigen
einen Überblick über die vielen vorhandenen Mög- Veränderungen führen. Es sind dies Veränderun-
lichkeiten zu geben, sind zahlreiche Broschüren gen auf der körperlichen Ebene aber auch in der
und Ratgeber auf dem Markt, die man entweder Art und Weise, wie soziale Kontakte gepflegt wer-
bei einschlägigen Organisationen (z. B. Caritas, den, wie man sich und seine Umwelt wahrnimmt,
2.1 • Veränderungen im Alter
9 2
welche Empfindungen und Einstellungen man we- des Energiestoffwechsels. In der einschlägigen Li-
sentlichen Lebensfragen gegenüber hat, wie man teratur findet man selten konkrete Altersangaben
mit den eigenen Kräften umgeht und wie viel Ener- für alterstypische Veränderungen. Dies ist auf
gie zu Verfügung steht. Während diese Prozesse in dem Hintergrund zu verstehen, dass Altern kein
der Jugend vorrangig mit Entwicklungs- und Ent- punktuelles Ereignis sondern ein prozesshaftes Ge-
faltungsmöglichkeiten verbunden sind, stehen im schehen ist (Zeyfang und Hagg-Grün 2012). Dazu
Alter andere Dinge im Vordergrund. kommt noch der Umstand, dass es große interindi-
viduelle Unterschiede gibt, die zum einen genetisch
bedingt, zum anderen vom jeweiligen Lebensstil
Lebensbegleitende Veränderungen geprägt werden. Für den Pflegealltag bedeutet es,
55 Körperliche Veränderungen und vorhande- sich auf eine ganze Bandbreite von Symptomen und
ne Energie Zustandsbilder einzulassen.
55 Seelisches Erleben (Art und Weise der Welche altersbedingten körperlichen Verände-
Empfindungen) rungen bestimmen häufig das Bild jener Menschen,
55 Form und Gestaltung sozialer Kontakte die in Altenpflegeeinrichtungen begleitet und be-
55 Beziehung und Wahrnehmung der Umwelt treut werden?
(Zeit/Raum)
55 Einstellung zu wesentlichen Lebensfragen zz Beispiele für körperliche Veränderungen im
Alter
55 Haut: immer größer werdender Verlust an
Über diese Prozesse Bescheid zu wissen und sich Elastizität und Festigkeit (Falten, Hautverän-
selbst in die eine oder andere altersspezifische Si- derungen)
tuation hineinzudenken, kann Pflegenden helfen, 55 Muskulatur: fortschreitende Abnahme der
die Welt aus der Sicht der Pflegebedürftigen sehen Muskelfasern und der Muskelmasse bei gleich-
zu lernen. Auch können alterstypische Erlebens- zeitig verstärkter Einlagerung von Binde- und
und Verhaltensweise besser verstanden und richtig Fettgewebe; Bewegungsmangel verstärkt den
gedeutet werden. Ein besseres Begreifen der Situ- Prozess
ation alter Menschen kann das Klima zwischen 55 Knochen- und Gelenkapparat: Abnahme der
allen am Pflegeprozess Beteiligten verbessern und Knochendichte → geringere Festigkeit der
erleichtert die Pflege- und Begleitsituation. Nach Knochen; geringere Belastbarkeit und gestei-
einem kurzen Blick auf jene biologischen Prozesse, gerte Gefahr von Brüchen; Verlust an Elastizi-
die nicht nur die Lebensspanne Alter charakteri- tät von Sehnen, Bändern und Knorpelgewebe;
sieren sondern auch hinsichtlich einer bedürfnis- Gelenksveränderungen, Zunahme von Verkal-
orientierten Pflege relevant sind, wird der weitere kungen und Verknöcherungen
Schwerpunkt der Ausführungen im psychosozialen 55 Atmung: fortschreitenden Elastizitätsverlust →
Bereich liegen. reduzierte Sauerstoffaufnahme
55 Herz-Kreislaufsystem: Einlagerung von Fett-
und Bindegewebe im Herzmuskel, Abnahme
2.1.1 Biologische Veränderungen im von Muskelmasse; geringere Leistungsfähig-
Alter keit → sinkende Herzfrequenz, Abnahme des
Sauerstofftransports, Erhöhung des arteriellen
Biologisch betrachtet ist das Altern des Körpers Blutdrucks
ein zum Leben gehörender Vorgang, dem man sich 55 Immunsystem: Aktivität nimmt ab → ver-
nicht entziehen kann und der nicht erst in einem zögerte Wundheilung, höhere Anfälligkeit
fortgeschrittenen Alter beginnt. Als Leitsymptome für Infektionen, Tumorbildungen und andere
biologisch bedingter Alterung werden die nach und Erkrankungen
nach abnehmende Leistungsfähigkeit aller Körper- 55 Energiestoffwechsel: kontinuierliche Abnah-
systeme genannt sowie der sinkende Grundumsatz me des Grundumsatzes bereits ab dem mitt-
10 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
mittleres
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. Abb. 2.1 Lebensbogen
. Abb. 2.2 Rückschau auf die Ernte des Lebens. (Quelle: 7 © www.spechtarts.com)
und so zu einem »Gelingen« des Altseins beitra- den werden kann. Es gilt nun, die sozialen Kon-
gen können. Nachfolgend wird auf Merkmale je- takte selbst zu initiieren, sich aus freien Stücken
ner Altersabschnitte eingegangen, die im Rahmen und ohne beruflich bedingte Vorgaben mit den
bedürfnisorientierter Altenpflege von besonderer Menschen zu treffen, die einem wichtig sind. Die
Relevanz sind. sozialen Kontakte spielen sich in diesem Lebens-
abschnitt in aller Regel mit gleich gesinnten Men-
Das späte Erwachsenenalter schen ab, mit denen man Ideen, Vorstellungen und
Welche Besonderheiten und Merkmale kennzeich- Interessen teilt, die eine ähnliche Weltanschauung
nen die späten Lebensabschnitte? Das späte Er- vertreten oder sich in einer ähnlichen Situation be-
wachsenenalter wird als eine Zeit beschrieben, in finden. Als Orientierungshilfen im sozialen Mit-
der es vor allem im Bereich der zwischenmensch- einander dienen persönliche Erfahrungen und die
lichen Beziehungen zu drastischen Umstellungen daraus gewonnen Lebensweisheiten.
kommt. Bei Ehepaaren, die Kinder haben, bricht Auf der körperlichen Ebene machen sich spä-
die Zeit an, in der diese sich aus dem Familien- testens jetzt viele kleine und größere Einschrän-
verband der Kernfamilie lösen und eigene Wege kungen bemerkbar (7 Abschn. 2.1.1). Auch das seeli-
gehen. Doch auch andere Abschiede kennzeichnen sche Erleben wird immer öfter durch die Vorgänge
diese Lebensphase. Berufstätige sehen das Ende rund um das Altwerden und das Näherrücken des
ihrer Erwerbstätigkeit nahen und müssen sich auf eigenen Endes bestimmt. Die Vergänglichkeit liegt
das Ende selbstverständlich gewordener Kontakte gleichsam in der Luft und führt oft zu dem Bedürf-
mit Kollegen vorbereiten. Das kann in einigen Fäl- nis, das eigene Leben noch einmal Revue passie-
len entlastend sein – meist jedoch entsteht durch ren zu lassen, die Ernte des Lebens zu betrachten
den Wegfall regelmäßiger kollegialer Kontakte eine (. Abb. 2.2), erzählend neu zu beleben oder in
Leere, die nur durch aktives Handeln überwun-
14 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
schriftlicher Form für die kommende Generation läuten. Wenn sich der Lebensbogen deutlich neigt,
zu bewahren. In der Rückschau auf das gelebte tritt der alte Mensch in jene Phase ein, die auch mit
Leben können Zufriedenheit und Dankbarkeit im dem Begriff Greisenalter umschrieben wird.
2 Vordergrund sein – oder auch Bedauern über all In vielen Fällen ist dies jener Lebensabschnitt,
in dem die meisten Menschen eine Pflege oder zu-
das, was nie mehr möglich sein wird. Im Mittel-
punkt des seelischen Erlebens stehen Bemühungen, mindest vielfältige Unterstützung brauchen. Der
aus der Fülle gelebter Erfahrungen jene herauszu- persönliche Umkreis, in dem sich soziale Kontakte
filtern, die für die individuelle Lebensgestaltung abspielen, bleibt oft auf Betreuer, Pfleger und Be-
sinnvoll und wichtig erscheinen. Die sogenannte gleiter beschränkt – ob zu Hause, in einem Heim
psychosoziale Krise, die es in diesem Lebensalter oder einem Krankenhaus. Die freie Wahl sozialer
zu überwinden gilt, liegt demnach in einer Aus- Ansprechpartner wird ebenso zunehmend ein-
einandersetzung mit all den Veränderungen, die geschränkt, wie auch viele andere Möglichkeiten,
für dieses Lebensalter typisch sind. Gelingt es dem das Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.
Einzelnen, dies zu akzeptieren, kann sich eine Der hoch betagte alte Mensch muss sehr viele Ver-
neue Form von Zufriedenheit einstellen, ein Ge- richtungen rund um seine ureigensten Wünsche
fühl der Lebenserfülltheit und inneren Sicherheit. und Bedürfnisse an andere abgeben – das fällt oft
Bedauern bis Verzweiflung machen sich dagegen sehr schwer und stellt für viele eine große seelische
dort breit, wo es nicht gelingt, in einem Prozess der Belastung dar. Die Fähigkeit, sich einem anderen
Anpassung und Neuorientierung die auftretenden Menschen in seiner eigenen Hilfsbedürftigkeit an-
Veränderungen anzunehmen. vertrauen zu können, wird so zu einem entschei-
denden Element für ein gutes soziales Miteinander.
Auf der körperlichen Ebene treten nach und
Typische Merkmale des späten Erwachse- nach Zeichen auf, die auf abnehmende Körper-
nenalters funktionen hindeuten. Es wird beispielsweise für
55 Psychosoziale Krise: »Erfüllung versus Ver- den alten Menschen mühsam, Arme und Bei-
zweiflung« ne zu koordinieren und auch das Sprechen wird
55 Personaler Umkreis: Partner, Familie, langsamer. Viele Dinge, die früher leicht und wie
Freunde; »Menschen meiner Art« selbstverständlich zu erledigen gingen, werden zu
55 Sozialordnung: »persönliche Lebensweis- unüberwindbaren Hürden und machen die sozia-
heiten« le Abhängigkeit wiederum deutlich sichtbar. Auch
55 Erlebnisform: »sein, was man geworden eine aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt
ist« wird immer seltener, die Menschen ziehen sich
55 Durch Überwindung der Krise erworbene mehr und mehr in ihre innere Bilderwelt zurück
Grundhaltung: »individuelle Weisheit« und durchleben oft weit zurückliegende Dinge zum
wiederholten Mal. Vieles, was früher wichtig war,
wird gut erinnert und bekommt in der Erinnerung
Das Greisenalter neuen Glanz. Demgegenüber fällt alles, was im Au-
Wie lange die Lebensphase des späten Erwachse- genblick erlebt wird rasch ins Vergessen. Manch-
nenalters dauert, ist von Mensch zu Mensch ver- mal treten auch Wesensmerkmale verdichtet bis
schieden und lässt sich – wie auch bei allen anderen überzeichnet hervor, die man für diesen Menschen
Lebensabschnitten – nicht exakt bestimmen. Bei als typisch bezeichnet hat. Aus einer sparsamen
einigen Menschen kommt es zu einem fließenden Frau kann eine geizige alte Frau werden, aus einem
Übergang von der Selbstständigkeit hin zu einem aufschäumend temperamentvollem Mann ein wü-
immer größeren Maß an benötigter Unterstüt- tend-aggressiver alter Mann, aus einer schüchter-
zung. Bei anderen wiederum können körperliche nen Frau eine alles erduldende alte Frau …
oder psychosoziale Veränderungen gleichsam über Ein Begleiter drückte das in einem Gespräch
Nacht das Stadium des späten Erwachsenenalters so aus: »Ich hatte das Gefühl, ganz zum Schluss hat
beenden und einen neuen Lebensabschnitt ein- sich ihr Wesen in gewissem Sinn vollendet.« Was
2.2 • Altern aus der Sicht von Defizit- und Aktivitätsmodellen
15 2
sich schon Jahre zuvor als Auseinandersetzung mit Ende findet. Assoziativ verbunden sind mit dem
den großen und kleinen Abschieden des Lebens Alter gemeinhin eine schlechte Gesundheit, die
angedeutet hatte, findet nun im bewussten Zuge- Abnahme der Beweglichkeit, die Abnahme geis-
hen auf den Tod seine Fortsetzung (7 Abschn. 3.4). tiger Fähigkeiten, häufiges Auftreten von Behin-
In der Auseinandersetzung mit der letzten psycho- derung, die Abnahme der Leistungsfähigkeit und
sozialen Lebenskrise können Menschen zu einer letztendlich die Pflegebedürftigkeit. In diesem Zu-
großen inneren Zufriedenheit gelangen. Wenn sammenhang ist auch von einem defizitären Alten-
kein positiver Abschluss, keine positive Lebensbi- modell die Rede. Begriffe wie »roleless role« oder
lanz und keine versöhnliche Grundhaltung erreicht »disengagement-theorie« aus der Altensoziologie
werden, stellt sich oftmals Verbitterung und seeli- gehen speziell auf die vielen unterschiedlichen Ver-
sche Verhärtung ein. lustsituationen ein, z. B. der Auszug der Kinder,
der Wegfall beruflicher Kontakte, der Verlust von
Freunden und Verwandten, des Partners und vieler
Typische Merkmale des Greisenalters Menschen der eigenen Generation. Setzt man die
55 Psychosoziale Krise: »Zufriedenheit oder Brille des Defizitmodells auf, steht Inaktivität statt
Verbitterung« Aktivität, Defizit statt Kompetenz, Sinnlosigkeit
55 Personaler Umkreis: »Menschen, die mich statt Perspektiven und Rückzug statt Engagement
pflegen und begleiten« im Vordergrund subjektiven Empfindens alternder
55 Sozialordnung: »sich anvertrauen können« Menschen. Die oft gehörte Aussage: »Schließlich
55 Erlebnisform: »Wissen, dass man einmal bin ich jetzt in meinem wohlverdienten Ruhe-
nicht mehr sein wird« stand!« unterstreicht die passive Herangehensweise
55 Durch Überwindung der Krise erworbene an das eigene Alter.
Grundhaltung: »Versöhnung« Natürlich entsprechen viele Elemente des De-
fizitmodells der Realität alternder und alter Men-
schen. Es ist Faktum, dass körperliche Einschrän-
Den Gedanken, dass menschliches Leben in ver- kungen auftreten, die Leistungskraft sinkt oder die
schiedenen Abschnitten verläuft und wir immer innere Spannkraft nachlässt (7 Abschn. 2.1). Es ist
wieder herausgefordert sind, Altes und Vertrau- auch Faktum, dass das Wegsterben liebgewordener
tes aufzugeben und loszulassen, um uns neuen Weggefährten nicht nur die eigenen sozialen Be-
Aufgaben und Herausforderungen zu stellen, hat züge verändern, sondern auch die eigene Endlich-
Herman Hesse in seinem Gedicht »Stufen« auf ein- keit deutlicher vor Augen führt. Viele kleine und
drucksvolle Weise dargestellt. Er vergleicht darin größere Trauerprozesse (7 Abschn. 2.5.2) begleiten
das Leben der Menschen mit dem Werden, Wach- alternde Menschen – unabhängig, welchem theo-
sen und Vergehen in der Natur. Die Bereitschaft retischen Modell man folgt! Diese zu würdigen, auf
Abschiedzunehmen stellt eine wichtige Vorausset- sie einzugehen und durch biografische Elemente
zung für positive Erfahrungen mit Neuem dar – im Gespräch zu begleiten, ist eine wichtige Aufgabe
und das bis zum letzten Atemzug: einer bedürfnisorientierten Altenbegleitung.
»» Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und >> Bei sogenannten Defizitmodellen des
gesunde! Alterns stehen die negativen Seiten der Al-
(Hermann Hesse) terungsprozesse im Vordergrund. Im Mittel-
punkt der Betreuungs- und Begleitaufgaben
stehen Bemühungen, bestehende Defizite
2.2 Altern aus der Sicht von Defizit- aufzufangen oder/und zu kompensieren.
und Aktivitätsmodellen
Die Forschungsansätze der letzten Jahrzehnte wei-
Im Alltagsverständnis der meisten Menschen wird sen auf eine andere Sichtweise im Umgang mit der
»alt« mit »am Ende des Lebens« gleich gesetzt und Situation alter Menschen hin (Backes und Clemens
meint jene Lebensspanne, die mit dem Tod ihr 2013). Dabei geht es um die Erforschung jener Be-
16 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
. Abb. 2.3 Unterschiedliche Zugänge zum Thema Altern: »Das Glas ist halb voll – das Glas ist halb leer«. (Quelle:
7 © www.spechtarts.com)
dingungen, die es möglichen machen, die kogni- tivierende Pflege« oder »aktivierende Förderung«
tiven Reserven und Potenziale im Alter effizient in der einschlägigen Literatur beschrieben werden
zu nützen. Man spricht in diesem Zusammenhang (Matolycz 2011).
auch von Aktivitätsmodellen. Im Mittelpunkt die-
ser Modelle stehen Bemühungen, Fähigkeiten und >> Bei den sogenannten Aktivitätsmodellen
Fertigkeiten alter Menschen so zu schulen, dass ein stehen Anregung, Förderung und Unter-
selbstständiges, selbstverantwortliches und intel- stützung im Mittelpunkt von Betreuung und
lektuelles Leben in einer anregenden und unter- Begleitung alter Menschen. Als Anknüp-
stützenden sozio-ökonomischen Umwelt mög- fungspunkt dienen bestehende Fähigkeiten
lichst lang aufrecht erhalten werden kann. Aus und Fertigkeiten.
einem »wohlverdienten Ruhestand in Passivität«
können aus subjektiver Sicht so vielleicht »gewon- Im direkten Kontakt mit alten Menschen merkt
nene Jahre« oder sogar noch »goldene Jahre« wer- man meist recht rasch, ob in deren Selbstwahrneh-
den. Dies ist nicht zu verwechseln mit dem »fore- mung und im Umgang mit den kleinen und großen
ver young«-Bild, das besonders durch die Werbung Mühen des Alters das Lebensglas eher »halb voll«
propagiert wird, und ein deutlich verzerrtes Bild oder »halb leer« ist (. Abb. 2.3). Diese Einschät-
der Lebensrealität alter Menschen zeichnet. Das zung folgt auf der individuellen Ebene den jewei-
Aktivitätsmodell hat in zahlreiche Pflegekonzepte ligen Aspekten der angesprochenen theoretischen
Eingang gefunden, die unter dem Schlagwort »ak- Modelle. Woher der persönliche Zugang und Um-
2.2 • Altern aus der Sicht von Defizit- und Aktivitätsmodellen
17 2
gang mit dem eigenen Altern kommt, bleibt Beglei- von Selektionen, Optimierung und Kompensation
tern oft verborgen und tritt in vielen Fällen erst im beschrieben werden. Durch die vielfältigen alters-
Laufe einer längeren Begleitsituation, die Raum für bedingten Prozesse ist es besonders sinnvoll und
biografiegeleitete Gespräche lässt (7 Abschn. 3.1.3), notwendig, eine klare Auswahl angestrebter Zie-
zu Tage. Auf einer objektiven Ebene wird der Pro- le zu treffen (Selektion), sich genau zu überlegen,
zess des Alterns von einer Reihe unterschiedlicher wie man diese am leichtesten erreichen (Optimie-
Faktoren beeinflusst. Zu nennen sind in diesem rung) und wie man dabei bestimmte Schwächen,
Zusammenhang Umweltfaktoren, soziokulturel- Einschränkungen oder Ausfälle ersetzen kann
le Dimensionen, individuelle Anlagen und Prä- (Kompensation). Diese Vorgehensweise steht in
dispositionen, der persönlicher Gestaltungswille deutlichem Kontrast zu den häufig anzutreffenden
und spezifische Krankheitsbilder mit den für sie Formen des Wegschiebens und Verdrängens wahr-
typischen Veränderungen und Auswirkungen auf genommener Alterserscheinungen.
die Betroffenen. Bei der Suche nach einem idea-
len Betreuungs- und Begleitangebot für einen alten Beispiel
Menschen werden körperliche Prozesse ebenso als Andrea war ihr ganzes Leben lang eine gute Musi-
Parameter herangezogen wie die persönliche Ein- kerin und Sängerin. Mit zunehmendem Alter – sie
schätzung der Situation durch die Betroffenen oder war zum Zeitpunkt des Gesprächs knapp 80 Jahre
deren Betreuer. Neben einer genauen körperlich- alt – merkte sie ein deutliches Nachlassen ihrer Hör-
geistigen Iststand-Analyse tritt eine weitere Frage und Merkfähigkeiten. Auch hatte sie Gehprobleme,
in den Mittelpunkt: Was macht alte Menschen zu die es ihr immer schwerer machten, an den regel-
zufriedenen Alten? Warum findet beispielsweise mäßigen Musiziertreffen teilzunehmen. Aber die
der eine trotz schwerer Einbußen auf körperlicher heiß geliebte Musik aufzugeben – nein, das konnte
und sozialer Ebene immer noch sehr viel Positives und wollte sich Andrea gar nicht vorstellen. Doch
und Lebenswertes an seiner Situation und blickt etwas musste getan werden! Andrea hat sich dann
zufrieden in die Zukunft? Warum kommt ein an- entschlossen, einen kleinen Kreis von Musikern zu
derer trotz geringen Einbrüchen und einem intak- regelmäßigen Treffen zu sich nach Hause einzula-
ten sozialen Umfeld aus dem Jammern und Klagen den und die Auswahl der Stücke auf einige weni-
nicht heraus? Kann man Bedingungen nennen, die ge zu beschränken. Um auch einen entsprechend
zu einem subjektiven Wohlbefinden führen und wertvollen Beitrag im Chor zu liefern, übte Andrea
dies trotz erheblicher Einschränkungen? mehr als bisher und dieses zusätzliche Üben erfüll-
Erkenntnisse aus den Arbeiten von Altenfor- te sie mit großer Freude. Der Schwierigkeit, sich
schern – allen voran von Leopold Rosenmayr und neue Stücke zu merken oder zu erlernen, ging sie
Paul Baltes – zeigen, dass sich ein subjektives Ge- insofern aus dem Weg, als sie ihre Kolleginnen und
fühl von Zufriedenheit und Wohlbefinden dann Kollegen bat, doch »unsere guten alten Stücke« zu
einstellt, wenn Menschen aktive Zukunftsüberle- spielen oder nur solche einzuüben, die »so ähnlich
gungen anstellen (Baltes und Eckensberger 1997, sind«. Andrea folgte unbewusst jenem Prinzip der
Rosenmayr 1989, 2007). Das bedeutet, sich mit den Selektion (es wurden nur einige wenige Musik-
Veränderungen auf den verschiedensten Ebenen stücke ausgewählt), Optimierung (sie übte auch
aktiv auseinanderzusetzen und in einer Art von Vo- außerhalb der gemeinsamen Abende) und Kom-
raussicht Schritte zu setzen, die einem das Gefühl pensation (exaktes Wiedergeben von »Altem« ließ
vermitteln, wenigstens zu einem kleinen Teil Bau- die Schwierigkeiten beim Einstudieren neuer Stü-
meister der eigenen Lebensumstände zu sein. In cke verblassen). Die gesamte Vorgehensweise von
diesem Zusammenhang sei auf den von Paul Baltes Andrea kann als »kompensatorische Maßnahme«
beschriebenen SOK-Prozess hingewiesen, der zwar betrachtet werden und ist ein bemerkenswertes
über alle »Lebensspannen« hinweg ein wichtiger Beispiel einer aktiven Auseinandersetzung mit
Regulator ist, jedoch im Alter besonders bedeut- altersbedingten Defiziten und der Suche nach Lö-
sam wird. Eine erfolgreiche Entwicklung im Altern sungsmöglichkeiten.
kann auch als gut abgestimmtes Zusammenwirken
18 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
Manche Menschen beginnen, sich zu einem re- >> Altersbedingte Prozesse machen es notwen-
lativ frühen Zeitpunkt in ihrer Lebensgeschichte dig, eine klare Auswahl angestrebter Ziele
bewusst mit aktuell nötigen Anpassungsprozes- zu treffen (Selektion), genau zu überlegen,
2 sen zu beschäftigen. Dies kann einer zukünftigen wie man diese am leichtesten erreichen
Überforderung vorbeugen, Lernprozesse in Gang (Optimierung) und wie es gelingen kann, be-
setzen und zu einem gesteigerten Wohlbefinden stimmte Schwächen, Einschränkungen oder
führen. Doch auch in fortgeschrittenem Alter Ausfälle zu ersetzen (Kompensation).
können Menschen angeleitet werden, ihren Hand-
lungsspielraum nach dem SOK-Modell aktiv zu ge- Neben einer Beschäftigung mit Aspekten der
stalten. Diese Erkenntnis kann für alle, die mit der Gegenwart und der gedanklichen Planung der Zu-
Pflege und Begleitung alter Menschen betraut sind, kunft spielt für das subjektive Wohlbefinden auch
von großer Bedeutung sein. Auch wenn der Hand- die Möglichkeit eine Rolle, die Gedanken in die
lungsspielraum alter Menschen kleiner und kleiner Vergangenheit wandern zu lassen. Es wird von älte-
wird, auch wenn die Umsetzung der einen oder ren Menschen zumeist als sehr bereichernd erlebt,
anderen »Zukunftsbemühung« den Pflegealltag er- jemandem unter dem Motto »was hat mir gehol-
schwert, sollten Menschen angeregt werden, jede fen« davon zu erzählen, wie man »damals« Zukunft
noch so kleine Chance zur Selbstverwirklichung gestaltet hat (7 Biografiearbeit, Abschn. 3.1.3). Es tut
und Lebensgestaltung zu ergreifen. Sie können ganz offensichtlich nicht nur gut, tatsächliche Zu-
dabei unterstützt werden, die geeignete Selektion kunftsgestaltung vorzunehmen, sondern auch mit
ihrer Ziele vorzunehmen und Wege zu finden, die- einem Menschen über das zu sprechen, was einst
se gemäß ihrer Möglichkeit optimal zu erreichen. wichtig und möglich war und was dem Leben Sinn
Durch kompensatorische Handlungen wird häufig und Freude verlieh. Vielleicht lässt sich auch leich-
der individuelle Aktivitätsradius erweitert und es ter entdecken, welche kleinen Wünsche man doch
ergeben sich neue Sichtweisen. noch umsetzen kann – in der Realität oder zu-
Die Möglichkeit, aus eigenen Stücken Ansprü- mindest in Gedanken. An dieser Stelle sei auch auf
che, Bedürfnisse und konkrete Handlungsabläufe die große Bedeutung von Zufriedenheit und einer
gleichsam »zurückzunehmen« und irreversible positiven Lebensbilanz hingewiesen. »Positiv«
Situationen als gegeben anzusehen, stellt für viele meint nicht, dass das Leben rückblickend nur als
alte Menschen ein Stück Lebensqualität und per- schön, einfach und gut beschrieben wird, »positiv«
sönliche Freiheit dar. Dabei spielt der Aspekt der bedeutet vielmehr, dass der Mensch zu seinem ge-
Freiwilligkeit, der Eigenverantwortung und der in- lebten Leben steht und einen inneren Sinnzusam-
dividuellen Gestaltung eine dominante Rolle und menhang herstellen kann, wie es beispielsweise im
steht in krassem Gegensatz zu einer Anpassung auf Text »Der Clown« zum Ausdruck kommt:
»Druck von außen«. Dies gilt es in Begleitsituatio-
nen besonders zu berücksichtigen. Wenn sich die »» Der Clown
persönliche Gesamtsituation im Alter drastisch Am Ende des Lebens
verändert und wenn es offensichtlich ist, dass die- glücklich:
se Veränderungen größtenteils irreversibel sind, Das Scheitern
bleibt es auf der persönlichen Ebene immer noch war der Weg.
möglich, die Haltung gegenüber diesem Zustand (Wolfgang Schuster)
zu verändern und so zu einer inneren Gelassenheit
und einem subjektiven Wohlbefinden zu gelangen.
Dort, wo dies nicht möglich ist, wo Verweigerung, 2.3 Was das Altern schwer machen
Verdrängung und Verleugnung statt Akzeptie- kann: vom Umgang mit
ren die Oberhand gewinnt, kann die täglich neue Kränkungen
Konfrontation mit der Lebensrealität einer tiefen
seelischen Kränkung gleichkommen und nach und Im Laufe der gelebten Jahre entwickelt jeder
nach in eine psychosoziale Isolation führen. Mensch seine ganz eigenen Vorstellungen von sich
selbst. Dieses – auch als Identität – bezeichnete Bild
2.3 • Was das Altern schwer machen kann: vom Umgang mit Kränkungen
19 2
der eigenen Person betrifft alle Lebens- und Seins-
bereiche. Petzold hat in diesem Zusammenhang
auch von den tragenden Säulen der Identität ge- Säulen der Identität
sprochen und benennt sie mit »Leiblichkeit, soziale
Bezüge, Arbeit und Leistung, materielle Sicherheit
Körperlichkeit
Leiblichkeit/
und Werte« (Petzold 2004) (. Abb. 2.4). Solange
Arbeit und
Sicherheit
Materielle
Netzwerk
Leistung
Soziales
der Lebensbogen eine aufsteigende Tendenz hat,
Wette
sind diese Säulen bei den meisten Menschen stark
und tragfähig und bekommen durch individuelle
Erfahrungen ihren ganz eigenen »Schliff«. Im De-
tail bedeutet dies, dass der Körper vielfältige Ak- . Abb. 2.4 Säulen der Identität nach H. Petzold
tivitäten zulässt, unterschiedlichste Belastungen
aushält und mit den Gesundheit gefährdenden An-
fechtungen gut zurechtkommt. Es bedeutet auch, Die individuellen Reaktionen alternder Men-
dass die sozialen Kontakte lebendig und gestaltbar schen auf die unterschiedlichen Veränderungen
sind, das soziale Netz dicht ist und ein reger Aus- und Einbrüche können recht verschieden ausfallen.
tausch mit unterschiedlichsten Gesprächspartnern Während die einen sehen können, dass beispiels-
stattfinden kann. Die Säulen Arbeit und Leistung weise das Ende einer bestimmten Aktivität einer
nehmen in diesem Zeitraum einen zentralen Platz anderen Tür und Tor öffnet – z. B.: »Ich kann jetzt
in der Lebensgestaltung und Lebensführung ein. nicht mehr regelmäßig Sport betreiben – dafür
Zudem besteht eine gewisse Balance zwischen Ent- habe ich jetzt mehr Zeit und lese meinen Enkeln
wicklungsgewinnen und Entwicklungsverlusten. Bücher vor.« – kann das bei anderen tiefe Verzweif-
Was geschieht, wenn der Zenit des Lebensbo- lung auslösen – z. B.: »Ich kann nicht mehr gut se-
gens überschritten ist? Was geschieht, wenn der hen und hören – da ist es wohl das Beste zu Hause
Lebensbogen sich neigt? Meistens sind es kleine zu bleiben, was soll ich da noch unter Menschen?«
Anzeichen im körperlichen Bereich, die auf das Doch jenseits individueller Unterschiede werden
langsame Brüchigwerden der Lebenssäulen hin- sich Menschen im letzten Abschnitt ihres Lebens
deuten: Der Körper kann sich nicht mehr so rasch immer wieder der vielen Veränderungen bewusst,
regenerieren, die Anfälligkeit gegenüber Krankhei- die unweigerlich darauf hindeuten, dass ihr Weg
ten und Verletzungen steigt oder die Beweglichkeit zu Ende geht. Rainer Maria Rilke fängt in seinem
einzelner Körperteile lässt drastisch nach. Auch die Gedicht »Ende des Herbstes« diese Stimmung auf
Konzentrationsfähigkeit ist nicht mehr »die alte« besondere Weise ein:
und das Gedächtnis weist die eine oder andere
Lücke auf (7 Abschn. 2.1). Nach und nach haben
»» Ende des Herbstes
Ich sehe seit einer Zeit
diese Veränderungen auch ihre Auswirkungen auf
wie alles sich verwandelt.
den Arbeitsbereich und die Leistungsfähigkeit des
Etwas steht auf und handelt
Einzelnen. Schließlich bleibt auch das soziale Netz
und tötet und tut Leid.
nicht davor verschont, brüchig zu werden. Wichti-
Von Mal zu Mal sind all
ge Seilschaften, die über viele Jahre des Lebens ge-
die Gärten nicht dieselben;
halten haben, verlieren ihre Kraft und Stärke durch
von den gilbenden zu der gelben
den Verlust einzelner Mitglieder. Anstelle eines ste-
langsamen Verfall:
ten Zuwachses an Halt gebenden Kontakten tritt
wie war der Weg mir weit.
eine Abnahme nicht nur an Quantität sondern oft
Jetzt bin ich bei den leeren
auch an Qualität der Beziehungen. Das Thema Ver-
und schaue durch alle Alleen.
gänglichkeit und Endlichkeit tritt ganz konkret in
Fast bis zu den fernen Meeren
das Bewusstsein und bleibt nicht länger mehr nur
kann ich den ernsten schweren
ein Gedankenspiel.
verwehrenden Himmel sehn.
(Rainer Maria Rilke)
20 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
Häufig genannte Belastungsmomente im Alter sind Wie muss es Menschen zu Mute sein, die sich
Einsamkeit, ein fehlendes Ziel, Langeweile, körper- unerwünscht und nutzlos vorkommen, die sich
liche Gebrechlichkeit, Schwierigkeiten, sich auf eingeschränkt und überfordert fühlen und gleich-
2 Neues einzustellen und schließlich das unausweich- zeitig sehr intensiv erleben, wie die kostbare Le-
benszeit verrinnt und der Tod näher rückt? Bei
liche Herankommen des eigenen Sterbens. Das al-
les macht traurig (7 Abschn. 2.5.2). Alte Menschen allen Schwierigkeiten, die in Pflegesituationen auf-
müssen von vielem Abschied nehmen – manchmal treten können, ist es manchmal hilfreich, sich mit
sogar von allem, was einmal wichtig war. dem einen oder anderen der nachfolgenden Sätze
auseinanderzusetzen und nachzuspüren, welche
Gefühle in einem selbst entstehen und welche
Beispiele für Veränderungen im Alter, die Möglichkeiten einem einfallen, diesen belastenden
mit Abschiednehmen verbunden sind: Gedanken und Gefühlen etwas entgegenzusetzen.
55 Abschied von Fähigkeiten und Fertigkeiten
(»Ich kann nicht mehr alleine gehen«, »Ich zz Selbsterfahrungsimpulse
brauche Hilfe beim Ankleiden«…) Anregungen für eine persönliche Auseinanderset-
55 Abschied von Ideen und Träumen (»Ich zung: Was lösen die nachfolgenden Sätze in Ihnen
werde mein Haus nicht mehr umgestalten aus und was könnte helfen?
können«, »Ich werde keine Pilgerreise 55 »Ich bin doch nur unerwünscht, mich braucht
mehr machen«…) keiner.«
55 Abschied von aktiven Handlungsmöglich- 55 »Ich kann ja nicht mehr mit anpacken, ich bin
keiten (»Ich muss mein Hobby aufgeben«, einfach nur mehr nutzlos.«
»Ich kann nicht mehr frei über meine Zeit 55 »Auch wenn Sie es gut mit mir meinen, ich
verfügen«…) kann mich an die neue Situation nicht gewöh-
55 Abschied von sozialen Spielräumen (»Ich nen – einen alten Baum soll man halt nicht
kann meine Freunde nicht mehr besuchen mehr verpflanzen!«
gehen«, »Ich habe keine Möglichkeit, 55 »Alle meine alten Freunde sind gestorben, von
meine Gesprächspartner selbst auszuwäh- den alten Nachbarn lebt auch keiner mehr –
len«…) die nächste werde wohl ich sein.«
55 Abschied von geliebten Menschen und
vertrauten sozialen Umwelten (»Nach und Welche Reaktionen aus der Umwelt könnten hel-
nach sterben alle meine Freunde weg«, fen, die Not zu lindern? Wenig sinnvoll ist es, mit
»Meine Generation – da gibt es nicht mehr einem »Aber das ist doch nicht so« oder »So dür-
viele!«…) fen Sie gar nicht denken!« zu reagieren. Ein erster
Schritt könnte darin bestehen, diese Sätze anzuhö-
ren, ohne sich selbst schuldig oder angegriffen zu
Je weiter reichend die Einschnitte sind, die der Ein- fühlen. Dies bedeutet einen kompetenten und acht-
zelne erlebt, und je schwieriger die Gesamtsituation samen Umgang mit dem Instrument Kommunika-
ist, desto häufiger kann man schwere Abweichun- tion und hier in erster Linie mit dem aktiven Zuhö-
gen von einem sogenannten normalen Lebens- ren (7 Abschn. 3.1.2), bei dem man dem Gesprächs-
verhalten feststellen. Das Interesse an der Umwelt partner seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt,
scheint zu erlahmen und auch die Fähigkeit, sich sich ganz auf ihn einstellt, ihn nicht unterbricht
jemandem liebevoll zuzuwenden schwindet. Ver- und versucht, mit großer Empathie seine Gefühls-
bunden ist dieser Zustand mit einer starken Ver- welt zu erfassen. Oft hilft es dem pflegebedürftigen
minderung der Leistungsfähigkeit, was bei sehr Menschen schon, wenn es jemanden gibt, dem er
alten Menschen oft mit einer allgemeinen Inakti- solche Sätze »zumuten« kann und der es aushält,
vität assoziiert ist. Im Extremfall kann es zu einer seine innere Not mit anzusehen. Auch wenn es in
tiefen und schmerzlichen Verstimmung kommen vielen Fällen tatsächlich wenig zu verändern gibt,
(Schneider und Nesseler 2011). kann menschliche Nähe und das Gefühl, wahrge-
2.3 • Was das Altern schwer machen kann: vom Umgang mit Kränkungen
21 2
. Abb. 2.5 Negativspirale, die zur Aussage führt: »Alter ist eine einzige Kränkung«
plötzliche Erkrankung oder Verunfallung, die ein Plötzlich eintretende Ereignisse erfordern ein
Leben ohne Begleitung nicht mehr möglich ma- spontanes und rasches Handeln seitens der Fami-
chen, ein langsames Hineingleiten in eine Pflege- lie der Betroffenen. Für tief greifende Diskussionen
2 bedürftigkeit, das ohne professionelle Betreuung über das geeignete Altenheim oder die passende
24-Stunden-Betreuung ist keine Zeit, wenn der
nicht gemeistert werden kann, und fortgeschritte-
ne demenzielle Erkrankungen, die eine Begleitung Vater mit einem Schlaganfall in die Klinik einge-
und Pflege zu Hause nur schwer möglich machen. liefert wird oder die Mutter einen Herzinfarkt erlit-
ten hat. Bei solchen Ereignissen steht ein optimales
Management anstehender Aufgaben im Vorder-
Ausgangssituationen für den Beginn einer grund und die Frage, wie es weitergehen kann, tritt
Fremdunterbringung zurück. Erst wenn sich die seelischen Wogen ein
55 Eine plötzliche Erkrankung oder Verun- wenig geglättet haben, wird es möglich sein, in Ab-
fallung, die nach einer Akutversorgung stimmung mit dem Zustand des Patienten und den
gleichsam über Nacht eine Pflegesituation ärztlichen Prognosen eine Zukunftsplanung vorzu-
nach sich zieht (z. B. Schlaganfall, Herzin- nehmen.
farkt, Unfälle). Unterstützung und Betreuung steht zunächst
55 Ein langsames Schwächerwerden ver- oft unter dem Aspekt der Reaktivierung – also der
bunden mit dem fortschreitenden Abbau Bemühungen, den »alten Gesundheitszustand«
der Funktions- und Leistungsfähigkeit wieder herbeizuführen oder zumindest eine An-
(z. B. Verminderung des Seh- und Hörver- näherung zu ermöglichen. Ob und in welchem
mögens, eingeschränkte Motorik, Sturz- Ausmaß dies gelingen kann, bleibt abzuwarten.
anfälligkeit, Nachlassen der Konzentra- Diese Wartezeit öffnet Angehörigen und – sofern
tionsfähigkeit). Meist führt der Weg über möglich – Betroffenen die Tür für ein Überdenken
familiäre Unterstützung zu punktueller und Überlegen in Richtung Betreuung, Pflege und
Fremdbetreuung durch mobile Dienste bis Fremdunterbringung. Die Kontakte mit Pflegeein-
hin zum Eintritt in eine Pflegeeinrichtung. richtungen werden in diesen Fällen zunächst meist
Der körperlich-geistige Zustand der Betrof- von den Angehörigen geknüpft. Dies bedeutet, dass
fenen kann sehr unterschiedlich sein, wo- entsprechende Informationen so aufbereitet wer-
rauf bereits bei Eintritt in eine Institution den sollten, dass sie auf wesentliche Fragen von An-
eingegangen werden muss. gehörigen eingehen und deren Sorgen und Ängste
55 Demenzerkrankungen (einhergehend mit aufgreifen. Oft entscheiden diese ersten Kontakte
einer Beeinträchtigung des Gedächtnisses darüber, ob das weitere Miteinander glücken kann
und des Denkvermögens sowie Verhal- oder nicht. Wie wichtig es ist, Angehörige gleich-
tensveränderungen), die je nach Verlauf sam mit ins Boot zu holen, zeigen zahlreiche Arbei-
früher oder später dazu führen, dass Er- ten über Parameter für ein gelungenes Einleben in
krankte eine professionelle Begleitung im der neuen Wohn- und Lebenssituation.
Rahmen einer Pflegeinstitution brauchen.
Beispiel
Herr T. lebt mit seiner Frau in einem kleinen Haus
Die genannten Situationen unterscheiden sich auf dem Land. Beide waren als Landwirte tätig und
nicht nur durch das jeweilige Ausmaß an erforder- sind nach der Hofübergabe in die Nähe ihres äl-
licher Unterstützung, Betreuung oder Pflege, son- testen Sohnes gezogen. Der Kontakt zu allen vier
dern geben den Angehörigen wie den Betroffenen Kindern ist gut und das Ehepaar übernimmt immer
selbst mehr oder weniger viel Zeit, sich auf die neue wieder kleinere Arbeiten im Gemüsegarten oder
Lage einzustellen. Auch sind die Anzeichen, ob und bei der Obstverwertung. Auch als Babyhüter sind
wie viel Pflege benötigt wird, je nach Ausgangslage sie willkommene Gäste bei Kindern und Schwie-
sehr unterschiedlich. gerkindern. Obwohl beide schon auf ihren 80er
2.5 • Fremdunterbringung: zwischen Verlust und Entlastung
27 2
zugehen, sind sie gesundheitlich in gutem Zustand ter einer Fremdbetreuung anzuvertrauen. Gut auf-
und fühlen sich wohl. Dann und wann kommen bereitete Informationsblätter und die Möglichkeit,
die Töchter vorbei und helfen ein bisschen bei den sich die Räumlichkeiten anschauen zu können, sind
groben Arbeiten. Viel Unterstützung brauchen die weitere wichtige Elemente im Sinne vertrauensbil-
beiden nicht, sie kommen mit den altersbedingten dender Maßnahmen. Die so plötzlich eingetretene
Einschränkungen gut zu recht. Manchmal hilft die Veränderung im Leben der gesamten Großfamilie
eine oder andere Tochter beim Hausputz oder sie wirkt jedoch noch lange nach und braucht auch
bringen die Eltern in die Stadt, wenn ein größerer in den Folgemonaten einfühlsame Begleitung und
Einkauf oder ein Arztbesuch nötig ist. Vielmehr an viel Verständnis seitens der Pflegekräfte für immer
Hilfestellung ist nicht nötig. wiederkehrende Rückschläge im Eingewöhnungs-
Niemand denkt daran, wie schnell sich alles än- prozess.
dern kann! An einem heißen Sommertag erleidet Bei einem langsamen Übergang in eine Pfle-
Herr T. einen schweren Schlaganfall. Sein Zustand gesituation erleichtert der Faktor Zeit den Anpas-
ist bedenklich. Dieses Ereignis versetzt die Familie sungsprozess der Betroffenen an neue Gegeben-
in einen Schock. Wie gelähmt schauen sie der mit heiten und macht ein langsames Hineinwachsen
Blaulicht davon fahrenden Rettung nach … Die in die Pflegesituation möglich. Allerdings ist zu
folgenden Wochen sind geprägt von der Sorge um bedenken, dass es für viele Angehörige schwierig
den Vater, die Begleitung der geschockten Mutter ist abzuschätzen, wie viel Betreuung notwendig
und den Versuchen, die Situation zu begreifen. Es ist und ab wann definitiv eine regelmäßige Pflege
fällt allen sehr schwer, diesen »Blitz aus heiterem bzw. eine Fremdunterbringung in Betracht gezogen
Himmel« als Realität anzuerkennen. werden muss. Einen nahen Angehörigen in einem
Pflegeheim anzumelden, ist und bleibt für viele
Der Wunsch, dass alles nur ein böser Traum sei, Menschen ein sehr schwerer Schritt.
begleitet viele Familienmitglieder und neben al- Selten wird davon berichtet, dass sich Senioren
ler Trauer und Sorge steht bei den Besuchen im selbst in Altenheimen anmelden oder ihren Umzug
Krankenhaus vor allem die Frage im Raum, ob der etwa in ein betreutes Wohnen organisieren. Dort
alte Vater wieder »so wie früher« werden kann. wo dies möglich ist, kann auch mit einer raschen
Die Ärzte vertrösten die Familienangehörigen und Eingewöhnung und einer hohen Akzeptanz gegen-
meinen, dass es noch zu früh sei, darüber eine Aus- über notwendigen Pflegemaßnahmen gerechnet
kunft zu geben. Nach einigen Wochen zeichnet es werden. Doch meistens werden die Entscheidun-
sich ab, dass ein längerer Aufenthalt von Herrn T. gen für den Eintritt in ein Pflegeheim von Angehö-
in einer Rehabilitationsklinik nötig sein wird. »Und rigen, Ärzten oder Sozialbetreuern vorangetrieben.
dann? Vater wird sicher nicht mehr in sein Haus Inhaltliche Kriterien orientieren sich an der Mög-
zurückkommen können – Mutter wäre mit seiner lichkeit, den Aktivitäten des täglichen Lebens aus-
Pflege überfordert! Wie viel Hilfe wird Vater brau- reichend nachzukommen. Darüber hinaus können
chen und wer wird sie leisten? Welches Heim käme auch Aspekte der zeitlichen Veränderung heran-
in Frage?« gezogen werden. Wenn sich die Hilfsbedürftigkeit
Diese Familie muss erst langsam in die neue eines Menschen innerhalb weniger Wochen dras-
Situation hineinwachsen und sich gedanklich an tisch verstärkt und mehr und mehr Bereiche nicht
das Thema Pflege herantasten. Der Aufenthalt von mehr selbstständig übernommen werden können,
Herrn T. in einer Rehabilitationsklinik schafft einen ist die Zeit der Pflegebedürftigkeit und häufig auch
gewissen zeitlichen Puffer, um sich gedanklich auf die Frage nach einer geeigneten Fremdunterbrin-
die veränderten Lebensumstände einzustellen, den gung gekommen.
Trauergefühlen Raum zu geben und erste Kontakte Neben den individuellen Einschätzungen gibt
mit einem nahe gelegenen Pflegeheim aufzuneh- es auch offizielle Regelungen für die Frage, ab wann
men. Durch einige Gespräche mit der Heimleitung ein Mensch pflegebedürftig ist und damit auch
kann eine gute Vertrauensbasis geschaffen werden, staatliche Unterstützung bekommt. Kriterium ist
die es der Familie leichter möglich macht, ihren Va- das Ausmaß an nötiger täglicher Hilfe in den Be-
28 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
reichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität. wurde gespart und die Kinder erhielten nur das Al-
Leistungen können dann bezogen werden, wenn lernotwendigste zum Anziehen und Spielen. Beim
eine Pflegebedürftigkeit voraussichtlich mehr als Hausbau packten alle mit an. Verwandte, Nachbarn
2 sechs Monate dauert und ein Mindestausmaß an und Freunde halfen, wo es nur ging, und so wurde
der Traum von Frau W. Wirklichkeit. Die Familie zog
täglichem Zeitaufwand besteht (in Deutschland
liegt der Mindestaufwand derzeit bei täglich 90 Mi- in das eigene Heim. Frau W. betreute neben ihrer
nuten, in Österreich bei mehr als 50 Stunden im Arbeit so gut es ging die vier Kinder. Später, als die
Monat). Die Höhe der zuerkannten Beiträge richtet Kinder erwachsen waren, führte sie ein ruhiges Le-
sich nach dem Ausmaß der benötigten Hilfe und ben mit ihrem Mann… Jahre vergingen, Frau W.
wird in den Pflegestufen zusammengefasst. Pfle- pflegte ihren Mann, der nach einer Krebserkran-
geberatungsstellen vor Ort stehen für Fragen zur kung rasch an Kraft verlor. Die Pflege war mühsam,
Verfügung und können Angehörigen bei den An- doch für Frau W. kam es nicht in Frage, ihren Mann
trägen behilflich sein sowie den richtigen Weg bei in ein Pflegeheim zu geben. Auch die von einer
den Behördengängen weisen. Das zuerkannte Geld Tochter organisierte Haushilfe lehnte sie ab: »Wir
wird dem Pflegebedürftigen selbst ausbezahlt, was wollen keine Fremden, das kann ich alles selbst!«
als Beitrag zu einem möglichst selbst bestimmten Nach dem Tod des Mannes trauerte Frau W. sehr,
Leben gesehen wird. sie fühlte sich mit einem Mal nutzlos. Die eigenen
Der langsame Übergang in eine Pflegesituation Beschwerden wurden ihr plötzlich bewusst und
lässt Betroffenen wie Angehörigen Zeit, sich nach immer wieder erzählte sie über schwere Träume,
geeigneten Einrichtungen umzusehen – theore- die sie belasteten. Nach einem Schlaganfall, der
tisch. Die Praxis zeigt, dass die meisten alten Men- bei ihren Kindern zu einer heftigen Diskussion um
schen einfach »zuwarten«, in der Hoffnung, dass die Betreuung der Mutter führte, wollte Frau W. so-
»es« bis zuletzt gut gehen wird. Die Angst, Ver- lange in einer Rehabilitationsklinik untergebracht
trautes aufgeben und Neuland betreten zu müssen, werden, bis sie wieder in ihr heiß geliebtes Haus
wirkt sich oft lähmend auf die Entscheidungsfähig- zurückkehren konnte. Die Kinder übernahmen
keit Betroffener und deren Familien aus. Durch wochenweise den »Hausdienst« und stellten auch
gezielte Veranstaltungen (z. B. Tag der offenen schon einen Betreuungsplan für ihre Mutter zu-
Tür) und gutes Informationsmaterial über die Ge- sammen. Sie hatten noch zu gut den Satz in den
gebenheiten im Heim können Berührungsängste Ohren: »Aus meinem Haus werdet ihr mich nur tot
gemildert werden. Im Einzelfall gilt auch hier: Der heraustragen!« Die Organisation eines Aufenthalts
Erstkontakt (Kommunikation, 7 Abschn. 3.1.2) ist in einem Pflegeheim schien ihnen wie Verrat an der
wichtig und bestimmt oftmals über Gelingen oder Mutter …
Misslingen des Übergangs von der Vertrautheit der Frau W. erholte sich nur schleppend von ihrem
eigenen vier Wände hin zu einem Leben in einer Schlaganfall und hatte große Schwierigkeiten beim
neuen Umgebung und mit neuen Menschen. Überwinden von Unebenheiten oder gar von klei-
neren Treppen. Doch nichts und niemand konnte
Beispiel sie von einer Rückkehr in ihr Haus abhalten. Die
Frau W. ist 87 Jahre und lebt in dem Haus, das sie von den Kindern organisierte Hauskrankenpfle-
gemeinsam mit ihrem Mann unter großen Entbeh- ge zur Unterstützung der Grundpflege wurde von
rungen gebaut hat. Die Jahre vor dem Hausbau Frau W. nach wenigen Tagen ebenso abbestellt wie
musste sie mit ihrer Familie zuerst bei Verwandten der regelmäßige Besuch ihrer ältesten Tochter, die
in engen Verhältnissen auf dem Land verbringen. täglich nach dem Rechten sehen wollte. »Ich melde
Dann zog das Paar mit den vier Kindern in eine mich, wenn ich etwas brauche – du siehst doch, wie
kleine Wohnung unter dem Dach. Hier waren die rüstig ich bin«, sagte Frau W. Nach einer Erkältung
Winter eiskalt und die Sommer drückend heiß. Mit ließen die Kräfte der mittlerweile bereits alten Frau
den bescheidenen Mitteln einer kleinen Erbschaft jedoch drastisch nach. Hilfe war an allen Ecken und
erfüllten Frau W. und ihr Mann sich den großen Enden nötig, Hilfe, die in diesem Ausmaß von der
Wunsch nach einem eigenen Heim. Jeder Pfennig Familie nicht mehr geleistet werden konnte. Zum
2.5 • Fremdunterbringung: zwischen Verlust und Entlastung
29 2
Erstaunen aller brachte Frau W. nun selbst das The- zur Kenntnis nehmen, dass Hildegard H. durch den
ma Pflegeheim zur Sprache und willigte schließlich Schock ihres Unfalls mit den damit verbundenen
in die Übersiedlung ins Heim ein. Trotz ihres hohen Folgen seelisch nicht fertig wurde und für sich noch
Alters war Frau W. in der Lage, sich notwendigen keine Möglichkeiten gefunden hatte, die notwen-
Anpassungen zu beugen und Entscheidungen für digen Anpassungen an die neue körperliche Situ-
ihren letzten Lebensabschnitt zu treffen. Trotz der ation zu vollziehen – ohne auf allen Ebenen in die
subjektiven »Niederlage«, nicht bis zu ihrem Tod Unselbstständigkeit und Hilflosigkeit abzugleiten.
im eigenen Haus leben zu können, konnte Frau W.
dem Leben in der Pflegeeinrichtung einiges abge- Eine Sonderstellung innerhalb der Pflegesitua-
winnen und war stolz darauf, dass sie sich – mehr tionen nimmt die Begleitung von an Demenz er-
oder weniger – selbst dafür entschieden hat. krankten Menschen ein. Hier handelt es sich we-
der um eine akute Erkrankung, wie beispielsweise
Beispiel einen Herzinfarkt, noch um einen normalen Alte-
Hildegard H. lebte in einer kleinen Zweizimmer- rungsprozess, bei dem die Vitalfunktionen langsam
wohnung in einer Siedlung am Stadtrand. Sie war schwächer werden. Demenz ist eine Erkrankung
stolz darauf, mit ihren 81 Jahren noch ganz selbst- des Gehirns, die mit einer Beeinträchtigung des
ständig den Haushalt führen zu können. Auch den Gedächtnisses und des Denkvermögens einhergeht
wöchentlichen Einkauf erledigte sie mit Hilfe einer und bei einigen Formen auch mit massiven Ver-
Nichte selbst. Ihr körperlicher und geistiger Zu- änderungen in der Persönlichkeit der Erkrankten
stand war gut und es gab keine Anzeichen dafür, verbunden ist (7 Abschn. 3.3). Es ist ein weit ver-
dass die Zeit der Selbstversorgung und des selbst- breiteter Irrtum, dass Demenz mit einem norma-
ständigen Lebens bald vorbei sein würde. Eines len Alterungsprozess gleichzusetzen ist. Nicht jeder
Tages aber stürzte Frau H. in ihrer Wohnung und alte Mensch wird dement, wenngleich mit zuneh-
konnte sich nur mit Mühe an ihr Handy herantas- mendem Alter die Wahrscheinlichkeit steigt, an
ten, um ihre Nichte zu verständigen. Mit der Ret- einer Form von Demenz zu erkranken.
tung wurde sie in das Krankenhaus gebracht, wo Pflegende Angehörige demenzkranker Men-
man einen Oberschenkelhalsbruch feststellte. Es schen kommen oft sehr rasch an die Grenzen des
folgten Wochen des Spitals- und Rehabilitations- Machbaren. Es ist bekannt, dass sich an Demenz
aufenthaltes. In diesen Wochen veränderte sich das Erkrankte in ihrer gewohnten und vertrauten Um-
gesamte Wesen der 81-Jährigen. Sie weinte oft und gebung am sichersten und wohlsten fühlen. Dies
bat die Nichte inständig, einen Platz in einem Heim bringt viele Angehörige in eine schwierige Ent-
zu organisieren. »Jetzt ist es so weit – ich kann nicht scheidungssituation. Ausführliche Informationen
mehr zurück in meine Wohnung.« Mit diesem Satz und Gespräche mit den Leiterinnen bzw. Leitern
unterstrich sie ihre Sorge und ihre Ängste und ließ der in Frage kommenden Altenpflegeeinrichtun-
die Umwelt unmissverständlich wissen, dass sie in gen können den Entscheidungsprozess erleichtern.
ein Altenpflegeheim wollte. Nachdem ein Platz in Die meisten Pflegeheime sind für Menschen mit
einer nahe liegenden Einrichtung gefunden und und ohne demenzielle Veränderungen offen. Die-
die Übersiedlung durchgeführt wurde, glaubten se Mischformen der Unterbringung bringen Vor-
alle, dass sich Hildegard H. wohl bald in ihrem und Nachteile. Die Vorteile sind in erster Linie für
neuen Zuhause wohl fühlen werde. Doch dem war leichter Erkrankte darin zu sehen, dass sie sich in
nicht so. Binnen weniger Wochen veränderte sich ihrem Verhalten an dem gesunder Alter orientie-
das Zustandsbild von Frau H. drastisch. Sie klagte ren können (z. B. »Wie benütze ich das Essbesteck
über häufige Schwindelgefühle, wollte kaum noch richtig«). Die Nachteile bestehen vor allem darin,
aufstehen, wurde inkontinent und zeigte sich bei dass von den Mitbewohnern nicht erwartet wer-
den Besuchen der Nichte oft desorientiert und den kann, typische Symptome von Demenz zu ver-
verwirrt. Ärztliche Untersuchen brachten keine Be- stehen und adäquat mit ihnen umzugehen. Einige
funde zu Tage, die diese massive Veränderung bei Pflegeheime bieten spezielle Betreuungsangebote
Frau H. rechtfertigten. Traurig musste ihre Familie für demente Bewohnerinnen und Bewohner oder
30 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
schaffen Wohn- und Pflegebereiche für Demenz- durch unterschiedliche Medien (gesprochenes
kranke, in denen ganz speziell auf deren Bedürf- Wort, Führungen, Infoblätter-Folder, Kontaktmög-
nisse eingegangen werden kann. lichkeiten mit Pflegepersonen/Mitarbeitern und
2 Bewohnern) nahe zu bringen. Manchmal ist es hilf-
Beispiel reich, sich selbst in die Lage hineinzuversetzen, in
Frau M., 75 Jahre, lebt allein in ihrer Wohnung. Im der sich die betroffenen Menschen befinden.
Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung kommen
auch die in den letzten Monaten immer häufiger zz Selbsterfahrungsimpulse
werdenden Orientierungsprobleme und »Vergess- Impulse für eine aktive Auseinandersetzung mit
lichkeiten« zu Sprache. Auf Drängen des Arztes wird Fragen rund um das Thema »Pflege«:
ein Demenztest durchgeführt. Das Ergebnis ist für 55 »Welche Worte bringe ich mit »Pflege« in Zu-
alle Familienmitglieder ein Schock: Demenz! Eine sammenhang? …«
alte und pflegebedürftige Mutter zu haben, damit 55 »Welche Wünsche habe ich persönlich, wenn
haben sich die Familienmitglieder bereits ausein- ich daran denke, selbst pflegebedürftig zu wer-
andergesetzt, und auch das Thema Pflegeheim kam den? … Was ist mir besonders wichtig?«
öfter zu Sprache. Aber eine Mutter mit Demenz zu 55 »Pflege ist für mich wie …«
begleiten – damit fühlten sich alle überfordert. Im 55 »Wenn ich an »Pflege« denke, habe ich Angst
Rückblick mussten sie sich eingestehen, dass viele vor …«
Vorkommnisse der letzten Wochen auf die Krank- 55 »Wie soll die Einrichtung aussehen, die
heit Demenz hingewiesen haben. Da gab es z. B. »mein« Altenpflegeheim sein könnte?«
»Erinnerungslisten«, die Frau M. geschrieben hatte 55 »Was dürfte in »meinem« Altenpflegeheim
und in ihrem Nachtkästchen verborgen hielt, oder unter keinen Umständen passieren?«
Ereignisse, bei denen der Hausschlüssel im Blumen- 55 »Was könnte mein Leben in einem Alten-
topf und die Zahnbürste im Wäschekorb gefunden pflegeheim als Bewohnerin/Bewohner schön
wurden. All diese Geschehnisse entschuldigten die machen?«
Familienmitglieder nur zu bereitwillig und wollten
auf den geistigen Zustand ihrer Mutter gar nicht
so genau hinsehen. Mit der Diagnose Demenz in 2.5.2 Trauer als mögliche Reaktion auf
der Hand mussten sie der Wahrheit ins Gesicht se- Fremdunterbringung
hen. Bald kam die Familie zum Entschluss, für ihre
Mutter einen Platz in einem Pflegeheim zu suchen. Der Schritt von den gewohnten eigenen vier Wän-
Die Übersiedlung ins Heim verlief problemlos und den in eine Altenpflegeeinrichtung stellt für alle
alle hatten den Eindruck, dass Frau M. in gewisser alten Menschen eine große Herausforderung dar,
Weise erleichtert war. Im Heim fanden die Familien- unabhängig davon, ob sie diesen Schritt aus eige-
mitglieder auch Ansprechpersonen, mit denen sie nen Stücken setzen oder mehr oder weniger fremd-
über ihre Sorgen reden konnten und die ihnen An- bestimmt wurden. Beim Einzug in ein Heim wer-
regungen für den Umgang mit ihrer Mutter gaben. den die Anpassungsanforderungen meist in den
Das Pflegeheim wurde so nicht nur für Frau M. zu Vordergrund gerückt. Viele Unterstützungsange-
einer neuen Heimat, sondern ermöglichte es den bote beziehen sich auf das Vertrautmachen mit den
einzelnen Familienmitgliedern, ihre Mutter auch neuen Räumlichkeiten, Informationen über den
weiterhin zu begleiten und trotz veränderter Be- Tagesablauf und die Beschäftigungsangebote sowie
dingungen immer wieder nah zu sein. therapeutische Möglichkeiten oder das Bekannt-
machen mit Bewohnern und Bewohnerinnen, die
So unterschiedlich die Ausgangssituationen für sich schon gut eingelebt haben. Der Fokus der Auf-
den Wechsel von »zu Haus« in ein Heim auch sein merksamkeit liegt gewissermaßen im Gestalten der
mögen, wichtig ist es, auf die Betroffenen und ihre Zukunft. Die Bemühungen von Heimleitung und
Angehörigen zuzugehen, ihnen gewünschte Infor- Mitarbeitern bzw. Mitarbeiterinnen der jeweiligen
mationen wiederholt (»einmal ist zu wenig«) und Einrichtung sollen dem alten Menschen helfen,
2.5 • Fremdunterbringung: zwischen Verlust und Entlastung
31 2
sich rasch in seinem neuen Zuhause – das ja auch
sein letztes Zuhause ist – wohl zu fühlen oder zu- 55 Verlust der gewohnten Geräuschkulisse als
mindest »gut anzukommen«. Wie lange es dauert, zeitlich-räumliche Orientierung (»Die Kir-
bis jemand sich an die neue Situation gewöhnt und chenglocken werden mir fehlen!«)
mit den vielfältigen Veränderungen arrangiert hat, 55 Wegfall der spezifischen Geruchskulisse
ist schwer vorhersehbar. Es wird sowohl von per- (»Die Landluft fehlt mir.«)
sönlichen Merkmalen abhängen als auch von der 55 Verlust vertrauter und Sicherheit gebender
konkreten »Einbegleitung«, dem Maß an Toleranz Gegenstände (»Der Stuhl neben der Tür
gegenüber dem individuellen Tempo der Betroffe- hat mich schon oft aufgefangen … wie
nen seitens der Heimmitarbeiter und -mitarbeite- wird das jetzt werden?«)
rinnen sowie vom Betreuungs- und Pflegesetting. 55 Verlust des gewohnten Tagesrhythmus
Wie sich dieser Prozess auch immer gestaltet, wich- (»Ich kann nicht mehr so schlafen und
tig ist es, auch die emotionalen Reaktionsweisen essen, wie ich es gewohnt bin.«)
der alten Menschen im Blick zu behalten. 55 Wegfall der vertrauten sozialen Bezüge
Ein zentrales Thema ist und bleibt gerade zu (»Hier kann ich meinen Nachbarn nicht
Beginn von Fremdunterbringungen der große Be- mehr zum Nachmittagskaffe treffen.«)
reich »Abschied« mit allen dazugehörigen Gefüh- 55 Abschied von gewohnten sozialen Ritualen
len. Menschen, die in eine Altenpflegeeinrichtung (»Mit den wöchentlichen Besuchen meiner
kommen, müssen von all dem Abschied nehmen, Enkel wird es jetzt wohl vorbei sein …«)
was in den letzten Jahren als äußere Gegebenheiten
Lebensrealität war: Abschied von der vertrauten
Umgebung, von den selbst gestalteten Wohn- und Pflegekräfte sind sehr oft mit den seelischen Re-
Lebensräumen, von den alt vertrauten Möbeln, aktionen und deren Auswirkungen auf das Sozial-
Geschirr, Vorhängen, Pflanzen …, Abschied von verhalten der Bewohner und Bewohnerinnen kon-
bekannten Gerüchen und Geräuschen, von den frontiert, die als Reaktion auf eine Fremdunterbrin-
Menschen in der unmittelbaren Nachbarschaft, gung zu sehen sind. Diesen Gefühlen angemessen
Abschied von alten Gewohnheiten, vertrauten Ta- zu begegnen und sie nicht als Bagatelle abzutun
gesabläufen und Beschäftigungen … Um den Neu- bzw. als persönlichen Angriff zu erleben (»Ich gebe
ankömmlingen in einer Pflegeinrichtung diesen mein Bestes und trotzdem klagt Herr S. immer
Übergang von Altem zu Neuem, von Vertrautem zu noch, dass er bei uns ist«, »Ich bemühe mich so
Noch-Ungewohntem zu erleichtern, ist es wichtig, und verstehe überhaupt nicht, warum Frau K. mich
sich die unterschiedlichen Abschiedssituationen immer wieder beschimpft«…), ist eine große Her-
vor Augen zu führen und diese bei den Unterstüt- ausforderung. Um einen besseren Zugang zu den
zungsangeboten für die Eingewöhnungsphase zu vielfältigen seelischen Reaktionen der Bewohner
bedenken. und Bewohnerinnen zu bekommen, kann es hilf-
reich sein, sich auf einer theoretischen Ebene den
unterschiedlichen Gefühlsäußerungen zu nähern
Beispiele für Abschiedssituationen als Fol- und Anregungen für einen geeigneten Umgang zu
ge notwendiger Übersiedlung in ein Heim bekommen.
55 Verlust der eigenen Wohnung (»Geschich- Gibt es eine gemeinsame Klammer, unter der
te der eigenen vier Wände«) man die vielen Gefühlsäußerungen und Reaktionen
55 Verlust der gewohnten Raumaufteilung von Bewohnern und Bewohnerinnen zusammen-
und die damit verbundene Sicherheit für fassen kann? Gibt es Erklärungsansätze und daraus
die Orientierung (»Wie werde ich mich abgeleitete Maßnahmenvorschläge? Auf den ersten
wohl zurecht finden?«) Blick scheinen viele Gefühlsregungen wenig mitein-
55 Abschied vom vertrauen Ausblick (»Mein ander zu tun zu haben – einmal steht Wut und Zorn
Blick aus dem Fenster«) im Vordergrund, dann wieder Jammern, Klagen
oder tiefe Traurigkeit. Wenn man die Frage nach
32 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
einer gemeinsamen Klammer beantworten will und seelischer Zustandsbilder erleichtert nicht nur das
dabei auf Trauerprozesse hinweist, ist das für man- Erkennen von Trauerprozessen, sondern verweist
chen verwirrend. Trauer wird in erster Linie mit auch auf wichtige Begleitmöglichkeiten.
2 der Reaktion auf einen Todesfall assoziiert. Doch
Trauer ist eine viel umfassendere Reaktion, sie ist
die Antwort der Seele auf jede Form von Abschied, Schematische Darstellung der Trauersta-
Trennung oder Verlust (Freud 2014, Kast 2013, Wor- tionen nach den Phasenmodellen
den 2010). Wie oben bereits skizziert, müssen sich Stationen der Trauer:
Menschen bei ihrem Eintritt in eine Pflegeeinrich- 55 1. Station: Ablehnung (Nicht-Wahrhaben-
tung von vielem verabschieden. Diese Abschiede Wollen, Schock, Wegschieben, Verleugnen,
sind weit mehr als äußere Randerscheinungen, sie Verdrängen …)
treffen vielmehr den inneren Kern der Betroffenen. 55 2. Station: Ausbruch der Emotionen (Wut,
Die Trauerreaktionen können dabei gleichsam als Zorn, Aggression, Klagen-Anklagen …)
Hilfsprogramm der Seele verstanden werden, um 55 3. Station: Auseinandersetzung (Traurig-
dem Menschen einen Weg für eine Neuorientie- sein, Regression, Suchen, Verhandeln …)
rung zu ebnen. Für Begleiter und Begleiterinnen ist 55 4. Station: Annahme (Wandlung, Zustim-
es hilfreich, wenn sie über diesen innerseelischen mung, Integration des Verlustes, Neuorien-
Prozess Bescheid wissen, um dieses Wissen auch tierung, neuer Bezug zu sich selbst und der
in ihre bedürfnisorientierte Pflege und Begleitung Welt …)
einfließen lassen zu können – und einen bewussten
Zugang zu den eigenen Gefühlen zu finden.
Andere Arbeiten setzen sich verstärkt mit der Fra-
»» Abschied ge auseinander, welche »Aufgaben« Trauernde be-
Wie hab ich das gefühlt was Abschied heißt. wältigen müssen, um mit der Verlustsituation gut
Wie weiß ichs noch: ein dunkles unverwundnes umgehen zu können. Es werden einzelne Aspekte
Grausames Etwas, das ein Schönverbundnes der Trauerarbeit beschrieben, die Menschen nach
Noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt. Abschieds- und Verlustsituationen zu bewältigen
(Rainer Maria Rilke) haben.
Beide Ansätze lassen sich dann miteinander verbin- zu einer Vermischung von internen und externen
den, wenn man die einzelnen Phasen nicht in einer Auslösern, die in erster Linie bei den pflegebedürf-
linearen Abfolge sieht, sondern gleichsam als Zu- tigen Menschen selbst zu beobachten sind: Trauer
standsbeschreibungen versteht und sich vor Augen über das Nachlassen von körperlichen und geisti-
hält, dass die einzelnen Stationen unterschiedlich gen Kräften oder Trauer, dass »vieles nicht mehr
rasch und auch in unterschiedlicher Reihenfolge – so ist wie früher«, trifft beispielsweise auf Trauer
etwa in einem Wechsel von Vorwärts- und Rück- über den Umzug in ein Altenheim oder auf Trauer
wärtsbewegungen – durchlebt werden (. Abb. 2.6). über den Verlust geliebter Menschen im engeren
Verbunden mit dem Durchleben einzelner seeli- sozialen Umfeld. In solchen Fällen kann man auch
scher Zustandsbilder sind jeweils spezielle Aufga- eine Potenzierung der Trauer beobachten und eine
ben, die der Trauernde bewältigen sollte, um den drastische Verschlechterung der biopsychosozialen
Verlust in seine Lebensgeschichte zu integrieren Gesamtsituation. Dies bedarf einer besonders ein-
und gestärkt wieder in die Zukunft zu blicken. fühlsamen Begleitung auf dem Hintergrund des
Entwicklungspsychologisch kann man für jedes Wissens, dass Trauer als elementares Lebensgefühl
Lebensalter typische Verlustsituationen benennen, den Menschen letztlich hilft, die Schattenseiten des
die Trauerreaktionen nach sich ziehen können. Lebens anzunehmen.
Einige Ereignisse sind eng mit inneren Entwick- Ohne Trauer könnten schmerzhafte Abschiede,
lungsschritten verbunden und werden auch als notwendige Veränderungen und Trennungen nur
interne Auslöser für Trauer bezeichnet. Andere schwer verkraftet und bewältigt werden. Deshalb
wiederum treffen Menschen als Schicksalsschlag ist es hilfreich, das Gefühl der Trauer als positive
von außen und werden als externe Auslöser be- Kraft zu sehen und zu akzeptieren. Berichte aus
zeichnet. In Pflegesituationen kommt es sehr oft der psychologischen Beratung und Therapie ver-
34 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
weisen darauf, dass Menschen, die sich bewusst Angst Chaos Erleichte- Zorn
mit ihrer Trauersituation auseinander setzen, einen rung
Verlust besser verarbeiten und leichter eine Neu- Innere Rastlo- Wut Dankbar-
Leere sigkeit keit
2 orientierung einleiten können (Canacakis 2013, Re-
Hass Schock Einsamkeit Starre
chenberg-Winter und Fischinger 2010, Witt-Loers
Erschöp- Schmerz Verzweif- Gleichgül-
2010). Dies scheint in Hinblick auf mögliche Be- fung lung tigkeit
gleitangebote in Pflegeeinrichtungen von großer Selbst- Schuld Ohnmacht Desinter-
Bedeutung. Gerade in Pflegesituationen kommen mitleid esse
alle Beteiligten immer wieder mit dem Gefühl der Müdig- Erlö- Minder- Verwirrung
Trauer in Berührung. Diesem Gefühl adäquat zu keit sung wertigkeit
begegnen, ihm Raum zu geben und auch länger- Beklem- Zerris- Orientie- Unruhe
mung senheit rungslo-
fristig zu berücksichtigen, ist ein Qualitätszeichen
sigkeit
einer Einrichtung. Dort, wo Trauer weggeschoben,
Bei mir tauchte zusätzlich noch auf…
verdrängt oder nicht zugelassen wird, entsteht die
Gefahr einer seelischen Abwärtsbewegung, die die
Betroffenen immer weiter »nach unten« zieht, wo 55 Was hilft Ihnen, wenn Sie traurig sind? Was
die Hoffnung auf Freude und ein positives Ein- kann Sie trösten? Menschen (wer?), Natur,
gewöhnen an die neuen Lebensumstände allmäh- Musik, mit sich alleine sein, »Jammern und
lich schwindet und nur mehr die Belastungen im Klagen«, Aussprachemöglichkeit, in den Arm
Vordergrund stehen. Ein achtsamer Umgang mit genommen werden, in Ruhe gelassen werden,
Trauergefühlen und eine behutsame Trauerbeglei- Meditieren, Bewegung, Schlaf, Ablenkung,
tung stellen wichtige Eckpfeiler dar in der Bekämp- Arbeit, »den Kummer von der Seele schrei-
fung innerer Vereinsamung von Pflegebedürftigen ben«, Schreien, Weinen, Beten …
aber auch und von Burnout bei Pflegenden und Be-
gleitern (Lexa 2013; Müller und Pfister 2014). Wie erkennen Pflegepersonen, dass Bewohner oder
Bewohnerinnen traurig sind? Auf der Landkarte
zz Selbsterfahrungsimpulse der Trauer finden sich viele zum Teil recht unter-
Trauererfahrungen schiedliche Bezeichnungen von Gefühlszuständen,
55 Denken Sie zurück an Ihre Kindheit, an Ihre Gedankeninhalten und körperlichen Befindlich-
Jugend… welche Verluste und Abschiede (z. B. keiten, die zusammengenommen als Trauerreak-
Freunde, vertraute Umgebung, unerfüllte tionen bezeichnet werden. Prinzipiell unterscheidet
Liebe, wichtige Menschen, körperliche Ein- man drei Bereiche, in denen es zu Trauerreaktionen
brüche und deren Folgen …) haben Sie traurig kommen kann. Es handelt sich dabei um
gemacht? Wie haben Sie auf Verluste und 55 den Aspekt der Gefühle (emotionale Ebene),
Abschiede reagiert? Was oder wer hat Ihnen 55 körperliche Empfindungen (körperliche Ebe-
geholfen? ne) und
55 Von welchen Zukunftsplänen, Vorstellungen 55 Gedanken und Phantasien (kognitive Ebene).
und Wünschen haben Sie sich im Laufe Ihres
Lebens verabschiedet und von welchen haben Wie stark die einzelnen Symptome auftreten und
Sie sich verabschieden müssen? Hatte der As- welche im Vordergrund stehen, ist nicht bei allen
pekt »freiwillig«–»unfreiwillig« Auswirkungen Menschen gleich. Es wird immer ein stückweit da-
auf Art und Dauer der Verarbeitung? von abhängen, um welche Person es sich handelt
55 Welche der nachfolgenden Gefühle sind Ihnen und welche Art von Abschied, Verlust oder Tren-
im Zusammenhang mit Ihrer eigenen Trauer nung bewältigt werden muss. Trotz der eben an-
bekannt (unterstreichen Sie drei, die Sie be- gesprochenen großen individuellen Breite an Re-
sonders gut kennen): aktionen gibt es besonders häufig vorkommende
Symptome, die auf das Vorhandensein von Trauer
schließen lassen. In der nachfolgenden Aufzählung
2.5 • Fremdunterbringung: zwischen Verlust und Entlastung
35 2
werden jene Aspekte zusammengenommen, die Suchverhalten verbunden mit inneren Zwiegesprä-
oft zeitlich nahe auftreten und mehr oder weniger chen, verändertes Zeitgefühl, Müdigkeit, intensives
deutlich einer Station auf dem Trauerweg zuzuord- Träumen, Vermischen von Traum und Wirklich-
nen sind – wissend, dass es sich nicht um eine rein keit, Durchschlafstörungen …
chronologische Abfolge handelt. Zusätzlich werden
mögliche Hilfestellungen angeführt, die Begleite- Anregungen für die Begleitung:
rinnen und Begleitern Handlungsspielräume er- 55 »Ich spreche mit Ihnen über alles, was Sie be-
öffnen und erste Orientierungshilfen sein können. schäftigt und was Sie gerne loswerden wollen.«
55 »Ich höre Ihnen immer wieder aufs Neue zu,
zz Trauerreaktionen, die häufig auftreten können auch wenn ich die Geschichte schon oft gehört
1. Ablehnung/Nichtwahrhaben: habe.«
55 »Ich versuche, Ihre »dünne« Haut zu verstehen.«
Schock, Leere, Realitätsverweigerung, Nichtglau- 55 »Ich übe mich in Geduld.«
benkönnen, Starre, inneres Chaos, Gefühl der Un-
wirklichkeit, Sprachlosigkeit, Verwirrung, verzö- 4. Annahme
gerte körperliche Reaktionen, Übelkeit, Schweiß-
ausbrüche, starkes Herzklopfen … Gefühle der Befreiung und Erleichterung, größere
Selbstständigkeit, neue Sinnfindung, Dankbarkeit,
Anregungen für die Begleitung: Ruhe, wiederkehrende Orientierungsprobleme,
55 »Ich bin einfach bei Ihnen und lasse Sie nicht Anfälligkeit für Rückfälle, sensibles Reagieren auf
allein.« jede Form neuer Verluste, allmähliche Normalisie-
55 »Ich frage nicht viel und gebe Ihnen Zeit.« rung der Körperfunktionen…
55 »Ich helfe Ihnen, sich im Alltag zurecht zu
finden.« Anregungen für die Begleitung:
55 »Ich nehme Ihre Gefühle ernst und beschwich- 55 »Ich unterstütze Sie dabei, sich neu zu
tige nicht.« orientieren.«
55 »Ich bleibe Ihre Ansprechperson, wenn Sie es
2. Ausbruch der Emotionen: möchten – dränge mich aber nicht auf.«
55 »Ich bleibe aufmerksam für mögliche
Wut, Zorn, Angst, Aggression, Anklagen, Panikat- Rückfälle.«
tacken, Weinen, Jammern, Klagen, Schuldgefühle, 55 »Ich freue mich mit Ihnen.«
Ohnmacht, Stimmungslabilität (reizbar-depressiv-
aggressiv), Konzentrationsstörungen, Antriebsschwä- Denkt man an die Situation in Pflegeheimen, wird
che, Schlafstörungen, Appetitmangel, Apathie … deutlich, wie stark das Thema Trauer mitschwingt.
Die Inhalte, worüber getrauert wird, verändern sich
Anregungen für die Begleitung: laufend. Stehen zu Beginn die Abschiedssituationen
55 »Ich versuche, Ihre Wut und Ihren Zorn zu von zu Hause und die geforderte Neuanpassung im
verstehen und nicht persönlich zu nehmen.« Vordergrund der Trauerbewältigung, so kommen
55 »Ich rede Ihnen nichts ein oder aus.« im Laufe des Heimaufenthaltes immer wieder neue
55 »Ich halte Ihre Angst und Verzweiflung aus Situationen hinzu, die das Gefühl der Trauer auslö-
und laufe nicht weg.« sen können. Zu denken ist beispielsweise an die Ver-
55 »Ich vertröste nicht, sondern versuche, mit schlechterung der körperlich-geistigen Kapazitäten,
Ihnen ins Gespräch zu kommen.« an Schwierigkeiten mit einzelnen Pflegepersonen, an
das Wegsterben von Mitbewohnern oder -bewohne-
3. Auseinandersetzung rinnen, an Schmerzsituationen (7 Abschn. 3.2), an
seltener werdende Besuche der Familie, an Schwie-
Gefühle der Einsamkeit und Verzweiflung, Hilflo- rigkeiten mit Kindern bzw. anderen Verwandten
sigkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Unruhe, Rast- oder das Ausscheiden lieb gewonnener Pflegekräfte
losigkeit, depressive Zustände, Suizidgedanken, oder anderer Betreuer und Betreuerinnen.
36 Kapitel 2 • Alter – eine besondere Lebenszeit
len, Wut, Zorn, tiefe Verstimmung sind nur Canacakis J (2013) Ich begleite dich durch deine Trauer:
Lebensfördernde Wege aus dem Trauerlabyrinth. Kreuz/
einige der typischen Trauergefühle. Gerade in
Herder, Freiburg
Pflegesituationen sind unterstützende Angebo- Clemens W (2014) Zu früh oder wieder später in die »Späte
2 te für eine erfolgreiche Trauerarbeit besonders Freiheit«? – Ältere Arbeitnehmer im gesellschaftlichen
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41 3
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, liche Betreuungsarbeit« bilden Ausführungen zur
die sich über die Dinge ziehn. Sterbebegleitung. Es ist ein wichtiges Ziel bedürf-
Ich werden den letzten vielleicht nicht vollbringen, nisorientierter Altenpflege, Hospizkultur und Pal-
aber versuchen will ich ihn. (…) (Rainer Maria liativbegleitungen in Altenpflegeeinrichtungen zu
Rilke) etablieren und den alten Menschen ein Verbleiben
im Heim – ihrer letzten »Heimat« – bis zum Tod zu
3 Nachdem in den ersten beiden Abschnitten die ermöglichen.
Situation alter Menschen im Allgemeinen und die
von Menschen zu Beginn einer Fremdunterbrin-
gung im Besonderen skizziert wurde, sollen in den 3.1 Der erste Schritt ins Heim
nachfolgenden Ausführungen unterschiedliche
Aspekte einer ganzheitlichen Betreuungsarbeit für Es gibt ganz unterschiedliche Ausgangssituatio-
alte Menschen dargestellt und praxisnah beleuchtet nen für Menschen, die vor dem Eintritt in eine
werden. Als Ausgangspunkt dient der zeitliche Ab- Altenpflegeeinrichtung stehen (7 Abschn. 2.5). Die
schnitt, in dem sich im Leben eines alten Menschen Bandbreite reicht von einer eigenständig getroffe-
mehr oder weniger deutlich abzeichnet, dass kein nen und von langer Hand geplanten Übersiedlung
Weg an einer Fremdunterbringung vorbei führt. in eine entsprechende Betreuungsinstitution bis
Der Leser soll die Möglichkeit bekommen, Infor- hin zu einer Situation, die plötzlich eintritt und
mationen und Anregungen über jene Bereiche zu den Betroffenen und/oder den Angehörigen keine
bekommen, die für die Begleitung alter Menschen andere Wahl lässt. Hinzu kommt noch die Frage,
relevant sind. Im Mittelpunkt der Überlegungen welche Angebote den Betroffenen überhaupt zur
stehen immer die Bedürfnisse der Bewohner und Verfügung stehen. Nicht alle Betroffenen sind in
Bewohnerinnen und die Suche nach optimalen der komfortablen Lage, sich für eine bestimmte
Pflege- und Betreuungsangeboten. Besonderes Au- Altenpflegeeinrichtung mit einem klar umrisse-
genmerk wird auf den Beginn einer Fremdunter- nen Leitbild entscheiden zu können. Dies hängt
bringung gelegt, da hier bereits wichtige Weichen u. a. vom regionalen Angebot und von den finan-
für eine bedürfnisorientierte Altenpflege und -be- ziellen Ressourcen der künftigen Bewohnerinnen
treuung gestellt werden. Zentrales Thema dabei ist und Bewohner ab. Aus der Praxis ist bekannt, dass
die Kommunikation und so wird den Fragen nach- es sich als sehr vorteilhaft erweist, wenn sich der
gegangen, wie Kommunikation gelingen kann, wel- alte Mensch selbst oder/und seine Angehörigen
che Modelle zur Verfügung stehen und über den über die vorhandenen Möglichkeiten bei Zeiten
Zeitraum des Erstkontakts hinaus von tragender informieren, die finanzielle Situation abklären
Bedeutung bleiben. und Kontakt zu den in Frage kommenden Häu-
Bedürfnisorientierte Altenpflege befasst sich sern herstellen. Manche Einrichtungen bieten auch
intensiv mit jenen Zustandsbildern, die bei alten Schnuppernachmittage oder -tage an, die den Be-
Menschen häufig anzutreffen sind und die einer troffenen einen ersten Einblick in die Atmosphäre
besonderen Begleitung bedürfen. Zum einen sind und die Angebote bieten können. So gut wie alle
das unterschiedliche Formen von Schmerzen, zum Einrichtungen stellen ihren potenziellen Bewoh-
anderen geht es um die Krankheit Demenz. In den nerinnen und Bewohnern Informationsmaterial zu
entsprechenden Abschnitten werden Erfassungs- Verfügung (Folder mit »Hausporträts« und Pflege-
instrumente und Beobachtungsrichtlinien ebenso leitbild, entsprechende Internetseiten oder »Ken-
angesprochen wie Möglichkeiten der Therapie, nenlernveranstaltungen«). Hier lohnt es sich, das
Symptomlinderung und einfühlsamen Begleitung. jeweilige Angebot kritisch zu sichten und in Bezug
Spezielle Hinweise für den Umgang mit an De- zu den eigenen Wünschen und Vorstellungen zu
menz Erkrankten sollen zu einem tieferen Verste- setzen, aber auch die Relevanz der Angebote auf
hen dieser Menschen seitens des gesamten Betreu- dem Hintergrund des körperlich-geistigen Zustan-
ungsteams führen. Den Abschluss des Abschnittes des des alten Menschen zu prüfen (z. B. »Was be-
»Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheit- deutet dieses Angebot konkret? Wer ist dafür ver-
3.1 • Der erste Schritt ins Heim
43 3
antwortlich? Wie schaut das Setting aus? Wer ist die einheitlich gestalteten Aufnahmeverfahren. Einige
Ansprechperson, wenn etwas nicht so klappt? Kann Häuser arbeiten mit Aufnahmebögen, die wichtige
jeder die Angebote in Anspruch nehmen oder gibt Eckdaten erheben und dem Heim erste Orientie-
es zusätzliche Kosten? Was bedeuten spezielle Be- rungsmöglichkeiten liefern sollen. Andere Heime
griffe wie …?«). stellen wiederum beim Erstkontakt allein die per-
Mit der Übersiedlung in ein Heim bricht für die sönliche Begegnung in den Vordergrund und las-
Betroffenen und deren Angehörige eine aufregende sen sich für das Erfassen relevanter Daten Zeit bzw.
Zeit an. Es ist eine Zeit, die viele neue Situationen greifen auf vorliegende Informationen (Arztbrief,
bringt und viele Begegnungen mit noch unbekann- Pflegestufenerhebung, Angehörigenbefragung, bio-
ten Menschen. Am Beginn einer Fremdunterbrin- grafisches Stammblatt u. Ä.) zurück. Unabhängig
gung steht das Erstaufnahmegespräch, das mit den davon, für welches Setting sich ein Haus entschei-
Betroffenen selbst und in aller Regel mit einem det, wichtig und hilfreich ist es, dass die Person oder
Familienmitglied geführt wird. Es ist der Anfang die Personen, die das Gespräch führen, sich die
eines individuell abgestimmten Pflegeprozesses grundlegenden Ziele des Erstaufnahmegesprächs
und einer kontinuierlich zu ergänzenden Pflegea- ins Gedächtnis rufen: »Was kann dieses Gespräch
namnese. Dieser Beginn, dieses erste intensivere leisten und was soll damit erreicht werden?« In
In-Kontakt-Kommen zwischen den Vertretern der einem zweiten Schritt geht es darum, eine konkrete
Pflegeeinrichtung und dem künftigen Bewohner Zielformulierung vorzunehmen, die mit dem Leit-
bzw. der künftigen Bewohnerin und deren Angehö- bild der jeweiligen Institution übereinstimmt: »Was
rigen ist von nachhaltiger Bedeutung (Kähler und wollen wir in diesem ersten, wichtigen Kontakt der
Gregusch 2014). Gelingt es, in diesem Erstgespräch neuen Bewohnerin bzw. dem neuen Bewohner ver-
eine Vertrauensbasis aufzubauen, bleiben Traurig- mitteln? Worauf wollen wir in diesem Gespräch be-
keit, Resignation, Angst, Widerstand oder Miss- sonderen Wert legen? Wie wollen wir das Gespräch
trauen der alten Menschen in einem der Situation gestalten?«
angemessenen Ausmaß und der Anpassungspro-
zess an die neue Lebensrealität kann positiv gestar-
tet werden. Gelingt dies nicht, wird die Eingewöh- Zielformulierungen für ein Erstaufnahme-
nungsphase deutlich länger sein und die subjektive gespräch
Befindlichkeit stark belastet. Dies hat nicht nur ne- 55 Gestaltung der Situation »Ankommen in
gative Auswirkungen für die Betroffenen und de- der neuen Heimat« – Entlastung negativer
ren Angehörigen, sondern stellt auch für die Pflege, Gefühle
Begleitung und Betreuung gewissermaßen einen 55 Basisinformationen über die Einrichtung
Risikofaktor dar, da Angebote und Maßnahmen oft im Allgemeinen
gegen Widerstände oder Apathie umgesetzt wer- 55 Informationen zum Mitarbeiterteam und
den müssen und einen hohen »Mehraufwand« an zu Organisatorischem
Zeit und persönlichem Einsatz abverlangen. 55 Klärung von Erwartungen
55 Erfassen derzeit artikulierbarer Bedürfnisse
55 Erhebung pflegerelevanter Informationen
3.1.1 Das Erstaufnahmegespräch 55 Erste Situationseinschätzung seitens der
Vertreter des Heims
Das Wissen um die große Bedeutung eines guten 55 Erster Schritt zum Aufbau einer Beziehung
Starts in den Lebensabschnitt »Leben im Alten- zum künftigen Bewohner bzw. zur künfti-
heim« führte dazu, dass im Rahmen praxisbezo- gen Bewohnerin
gener Arbeiten aus dem Bereich der Pflegewissen-
schaften unterschiedliche Konzepte für effiziente
Aufnahme- und Begleitgespräche sowie relevante Worauf ist nun bei dem Erstaufnahmegespräch be-
Rahmenbedingungen ausgearbeitet wurden. Der- sonders zu achten? Zwei Bereiche gilt es mit gro-
zeit gibt es im deutschsprachigen Raum noch keine ßer Aufmerksamkeit zu gestalten: die Inhalte, die
44 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
transportiert werden sollen, und die Räumlichkei- bis zum Sterben im Heim bleiben? Kommt mein
ten, in denen das Gespräch stattfindet. Zusätzlich Hausarzt auch ins Heim? Was passiert, wenn ich
müssen drei Interessengruppen bedacht werden: mich mit meiner Zimmernachbarin nicht verste-
der »künftige Bewohner«, die »Angehörigen« und he? Bekomme ich ein Einzelzimmer? Wann sind
das »Heim«. Jede der drei Gruppen hat etwas an- die Essenszeiten? Kann ich mir manchmal etwas
ders gelagerte Interessen und Fragestellungen. Die wünschen, was ich besonders gern esse?…« In an-
3 gemeinsame Schnittmenge ist, alle Informationen deren Häusern stehen wiederum formale Dinge
zusammenzutragen, die den Eingliederungspro- stärker im Vordergrund (z. B. Checklisten zur Er-
zess des alten Menschen in die neue Lebensrealität fassung des gesundheitlichen Zustandes) oder die
erleichtern kann. Dies wird durch einen offenen Betonung liegt auf einem Vertrautwerden mit den
und ehrlichen Informationsaustausch erleichtert, häuslichen Gegebenheiten und Angeboten.
dessen Ausgangspunkt im Erstaufnahmegespräch Nachfolgend werden wichtige inhaltliche Be-
liegt und in der Folge als bedürfnisorientierte reiche zusammengefasst, die es zu bedenken gilt.
Maßnahme den Lebensalltag der Bewohner und Sie sollen eine Orientierungshilfe bei Überlegun-
Bewohnerinnen stets begleiten sollte. Viele der gen zur Gestaltung des Erstaufnahmegesprächs in
Erstinformationen können in ihrer Bedeutung der jeweiligen Institution sein und gegebenenfalls
erst im nachfolgenden Alltag erfasst und mit In- ein Überdenken der bisherigen Praxis erleichtern.
halt gefüllt werden. Wie gut es jedoch gelingt, die
Brücke vom Gehörten hin zur Umsetzung in den zz Welche Themen können ein
neuen Lebenskontext zu bauen, hängt oft von at- Erstaufnahmegespräch beinhalten? Worauf
mosphärischen Größen im Erstkontakt ab. Dieser ist besonders zu achten?
erste längere und inhaltlich gefüllte Kontakt – das Anregungen und Impulse:
Erstaufnahmegespräch – ist der Beginn eines 55 »Wer sind wir?« Kurze Informationen über das
neuen Lebensabschnittes für die alten Menschen Haus: Schwerpunkte (nicht zu viel!), Vorstellen
selbst und auch für deren Angehörige. Dement- des Hauses anhand des Leitbildes/Pflegemo-
sprechend wichtig ist es, dass dieser Start gut ver- dells/Betreuungskonzepts, Vorstellung der für
läuft. Neben dem wichtigen Stellenwert in der den neuen Bewohner oder die neue Bewohne-
individuellen Biografie künftiger Bewohner und rin wichtigen Mitarbeiter und Mitarbeiterin-
Bewohnerinnen stellt das Erstaufnahmegespräch nen, Tagesablauf vorstellen und erklären (»fix
auch den Beginn der bedürfnisorientierten Pflege versus variabel«), Zuständigkeiten im Haus
und Begleitung dar. Es ist die erste und wichtige (Pflegedienstleitung/Heimleitung/relevante
Pflegeaufgabe in einer ganzen Reihe von Maßnah- Bezugsbetreuung u. Ä.), Eingehen auf häusli-
men, die den individuell abgestimmten Pflegepro- che Besonderheiten (z. B. Lift, Glocke, Kapelle,
zess einleiten. Medikamentenstützpunkt), Hausordnung,
Um welche Inhalte geht es bei diesem wichtigen Organisatorisches (z. B. Erreichbarkeit) …
Erstgespräch? Die Praxis in den unterschiedlichen 55 »Wichtige Grundhaltung und daraus abgelei-
Häusern lässt sich nicht über einen Kamm sche- tetes Verhalten«: ausreichend Zeit für Fragen
ren. Manche Heimleitungen haben entschieden, zu der künftigen Bewohner und Bewohnerinnen
Beginn die atmosphärischen Elemente stärker zu einplanen, dem zukünftigen Bewohner/der zu-
betonen und sich in erster Linie auf die Fragen und künftigen Bewohnerin mit Würde und Respekt
Sorgen sowie auf angesprochene Bedürfnisse und begegnen, Sicherheit vermitteln, Zeit lassen,
Wünsche einzulassen, z. B. »Wie lange muss ich ruhige Atmosphäre schaffen, Intimsphäre
da bleiben? Was passiert mit den Tieren zu Hau- wahren (für einen separaten Raum ohne »Zu-
se? Wer zahlt das alles? Kommt ein Pfarrer? Wo hörer« sorgen), Zuhören, auf Wünsche einge-
ist mein Zimmer? Wie schaut es mit Besuchszeiten hen, Fragen/Sorgen ernst nehmen, dem künf-
aus? Kann ich das Heim manchmal für Besuche tigen Bewohner vermitteln, etwas Besonderes
Zuhause verlassen? Wie oft bekomme ich etwas zu zu sein, auf Fragen bzw. Sorgen der Angehö-
essen? Kann ich auf dem Zimmer essen? Kann ich rigen eingehen (z. B. Hilfe bei Körperpflege,
3.1 • Der erste Schritt ins Heim
45 3
Mobilisierung, Gewichtskontrolle, Blutzucker- platzes beim Essen und ggf. Vorstellen der Sitz-
kontrolle, Nachtlicht), ausreichend Zeit für die nachbarn, soziale Kontakte ermöglichen, Anre-
Angehörigen, Zeit zum Durchatmen … gungen für ein Mitgestalten des Zimmers …
55 »Was wünschen Sie sich?«: Erwartungen erfra-
gen, Wünsche erheben, tägliche Gewohnheiten Aus der Kommunikationsforschung ist bekannt,
erfragen, biografische Informationen einholen dass neben Empathie (sich in die Situation des
(Ziel: Biografie-Anamnese-Planung anhand Gegenübers einfühlen), Dialogfähigkeit (sich auf
von Erfassungsbögen), Gewohnheiten von das Gegenüber einstellen und in Beziehung treten)
»früher« ansprechen, Vorlieben/Abneigungen und einer dem Gegenüber positiven inneren Ein-
gegenüber Speisen und Getränken, Klärung stellung (Wertschätzung, Respekt, Akzeptanz von
der Frage: Wer von den Angehörigen wird als »Anderssein«) die äußeren Rahmenbedingungen
primäre Ansprechperson bestellt? Frage nach einen wichtigen Beitrag zum Gelingen eines Ge-
Sachwalterschaft, Frage nach Patientenver- sprächs liefern (Schulz von Thun 2014). Wie schaut
fügung, Klärung der Arztsituation (Mitnahme der Raum aus, in dem das Gespräch stattfindet?
des eigenen Hausarztes/Heimarzt/neuer Arzt Welche Elemente können ein »Willkommen«
vor Ort), finanzielle Regelung abklären … signalisieren? Was sollte unbedingt vermieden
55 »Was ist möglich?«: Auskünfte über Angebote, werden? In der nachfolgenden Übersicht werden
z. B. Mitnahme persönlicher Sachen, Tiere, wichtige Punkte angeführt, die die Entscheidung
Ausgänge, »Schnupperstunden«, Begleitperson für einen bestimmten Besprechungsraum erleich-
bei externen Untersuchungen, Wäschever- tern können. Nicht immer und überall werden alle
sorgung, Einkaufsmöglichkeiten, Tagesaus- angeführten Aspekte realisierbar sein. Doch ange-
flüge, Kirchgang, Taschengeld, eigene Möbel, sichts der großen Bedeutung eines guten Starts soll-
Mitarbeit (z. B. Garten, Wäscherei, Küche), te möglichst wenig dem Zufall überlassen werden.
inkludierte und zusätzliche Therapieangebote Die Räumlichkeit, in denen das Erstaufnahmege-
(z. B. Physiotherapie, Ergotherapie, Logo- spräch geführt wird, kann gleichsam als Visiten-
pädie, Gedächtnistraining, psychologische karte der Institution angesehen werden und kann
Begleitung), »außer Haus gehen«, Möglich- vielfältige Gefühle aktualisieren. Wie der Raum ge-
keiten gelegentlichen externen Übernachtens, staltet ist, den eine Einrichtung zum Empfang des
Besuchszeiten, Übernachtungsmöglichkeiten neuen Bewohners oder der neuen Bewohnerin be-
von Angehörigen in krisenhaften Zeiten, Sitz- reit hält, sollte bereits einiges von dem ausstrahlen,
wache/Nachtbetreuung, Sicherung der Wertsa- was in weiterer Folge in einer bedürfnisorientierten
chen, Info über Heilbehelfe und Medikamente, Pflege aufgegriffen wird (7 Abschn. 2.4).
Hilfsangebote, Feste im Jahreskreis, Geburts-
tagsfeiern, Seelsorge, ehrenamtliche Mitarbei-
ter als Besuchsdienste, Mahlzeiten wahlweise Hinweise für eine das Gespräch fördernde
im Speisesaal oder im Zimmer … Raumgestaltung
55 »Erfassen des Gesamtzustandes«: Kranken- 55 Von den übrigen Räumlichkeiten getrenn-
geschichte, Ist-Stand, Mobilität, aktueller Ge- ter Raum (Wahrung der Intimsphäre, un-
fühlszustand, psychosoziale Aspekte, auf den gestörter Ablauf )
Gesamteindruck achten, Sammeln von Infor- 55 Ansprechender »Ausblick« (worauf fällt der
mationen, um die künftigen Angebote auf den Blick durchs Fenster?) und »Einblick« (wo-
körperlich-geistigen Zustand abzustimmen … rauf fällt der Blick beim Umherschweifen
55 »Erste Schritte in der neuen Heimat«: Rund- im Raum?)
gang durchs Haus bzw. relevante Räume, Zim- 55 Freundliche und einladende Atmosphäre
merbesichtigung, Kontakte zu Mitbewohnern, vermittelt durch:
Hilfestellung beim Einräumen und Gestalten –– Helligkeit und sorgfältiger Umgang mit
des Zimmers, Akzente setzen gegen das Gefühl Lichtquellen (kein zu grelles Licht)
»ich bin hier fremd und allein«, Zeigen des Sitz-
46 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
Erna Paula
Körperhaltung
Mimik
Gestik
nonverbal
Verbal
Sprache
Schrift
Sender Empfänger
Kommunikationsfilter
Wie Botschaften aufgenommen werden und welche »Reine Nachricht«
Informationen im Gedächtnis haften bleiben, hängt
von vielen Faktoren ab. An erster Stelle sei auf den
sogenannten Kommunikationsfilter hingewiesen.
Man kann sich dieses Phänomen tatsächlich in Sachebene - Beziehungsebene
Form eines Filters vorstellen, in den viele Botschaf- Indirekte Bedeutung des Themas
ten einfließen und dort auf unterschiedlich starke Art des Themas / Art des Anliegens
Vorinformation
Filtermechanismen – Widerstände – treffen. Dies Verständlichkeit der Darstellung
Art der Präsentation
führt dazu, dass aus einer »reinen« eine »gefilterte« Sprache - Tonfall - Lautstärke
Gestik - Mimik
Nachricht wird (. Abb. 3.2). An welche Filterme- Begleitumstände (äußere und innere)
chanismen ist zu denken? Wenn man sich bewusst Tagesverfassung / Zustand
Sympathie / Antipathie
in die Situation eines Menschen hineinversetzt, Beziehungsqualität / - hierarchie
der mit dem Erstaufnahmegespräch seinen ersten
Schritt in eine neue und noch fremde Lebenswelt
setzt, lassen sich eine Reihe möglicher Filter iden-
tifizieren: persönliche Einstellung zur Situation
und den dazugehörigen Menschen, Unsicherheit,
Angst, Aufgeregtheit, Aggression, schlechte kör- »Gefilterte Nachricht«
perliche Verfassung, eingeschränkte Seh- und/
oder Hörfähigkeit, unangenehm wahrgenommene
Atmosphäre, Irritation durch fremde Geräusche, . Abb. 3.2 Kommunikationsfilter
Angespanntheit, Schmerzen, Sorgen, Vorinforma-
tionen, Befürchtungen, Erwartungen …
Viele der genannten »Filter« lenken die ge- gen, Therapieangebote, Essenszeiten u. Ä. – so
gebenen Informationen – beispielsweise über das ab, dass sie entweder gar nicht ankommen oder
Heim, den Tagesablauf, die finanziellen Regelun- mit persönlichen Erwartungen und Ängsten bzw.
48 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
Inhalts- und Beziehungsaspekt wohnerin herangetragen wird, muss auf der Bezie-
Um Gespräche zu optimieren und für alle Betei- hungsebene agiert werden. Das oftmals belächelte
ligten zu einem positiven Ausgang zu führen, ist zwischenmenschliche »Klima« ist also durchaus
es hilfreich, gleichsam auf einer Metaebene die kein Nebenschauplatz, es ist vielmehr als Weichen-
Kommunikationsabläufe zu betrachten. Dabei steller für den Gesprächsausgang und daraus ab-
sind Modelle hilfreich, die das komplexe Gesche- zuleitende Bewältigungsstrategien zu verstehen.
3 hen »Gespräch« aufbereiten und so den Blick auf Positiv gestaltete Beziehungen im Rahmen eines
Chancen und Gefahrenquellen in der Gesprächs- Betreuungs- und Begleitungssettings haben nach-
führung weiten. Dadurch kann man beispielsweise gewiesener Maßen einen positiven Effekt auf die
leichter sehen, warum manchmal Gesagtes ganz Bearbeitung von Trauer und Schmerz und leisten
anders verstanden wird, als man es gemeint hat. zur Bewältigung notwendiger Anpassungsleis-
Auch wichtige Zusatzinformationen lassen sich tungen einen wesentlichen Beitrag. Und so ist die
leichter identifizieren, wenn man weiß, worauf zu Arbeit an einer guten Gesprächskultur also nicht
achten ist. nur ein bewusstes Gestalten der Beziehungen (»Be-
Bei jedem Gespräch kann man zwischen einem ziehungsarbeit«), sondern auch ein wichtiger Bau-
Inhalts- und einem Beziehungsaspekt unterschei- stein einer bedürfnisorientierten Altenpflege und
den. Gerade beim Erstaufnahmegespräch spielt der -begleitung vom Erstkontakt bis zuletzt.
Inhaltsaspekt eine große Rolle, steht er doch für
alles, was im Sinne einer Informationsweitergabe >> Jede Kommunikation enthält einen Inhaltsas-
(Sachinformationen) wichtig ist. Im Beziehungs- pekt und einen Beziehungsaspekt. Erst wenn
aspekt kommt das Verhältnis der Gesprächspart- der Beziehungsaspekt zumindest neutral ist,
ner zueinander zum Ausdruck. Dabei ist sowohl können inhaltliche Aspekte aufgenommen
an die emotionale Beziehungsqualität zu denken werden.
als auch an Rollenvorgaben oder Hierarchiestruk-
turen, die darüber bestimmen, wie Inhalte zu ver- Vier Seiten einer Nachricht
stehen, zu deuten oder zu interpretieren sind. Der Um die unterschiedlichsten Anteile einer Aussage,
österreichische Kommunikationswissenschaftler einer Information oder – allgemein gesprochen –
Paul Watzlawick (Watzlawick et al. 2011), der mit einer Botschaft besser herausfiltern zu können und
dem Satz »Man kann nicht nicht kommunizieren« so auch versteckte Hinweise auf subjektive Filter,
weit über die Grenzen seines Fachgebietes hin- Deutungsmuster oder Bedürfnislagen zu bekom-
aus bekannt wurde, hat in seinen Arbeiten immer men, hat sich ein vom deutschen Psychologen und
wieder darauf hingewiesen, dass Inhalte erst dann Kommunikationswissenschaftler Schulz von Thun
wirklich gehört und aufgenommen werden, wenn entwickeltes Modell bewährt (Schulz von Thun
die Beziehungsebene zumindest neutral ist. Da- 2014). In diesem Modell werden vier Ebenen (»vier
rüber hinaus sei zu bedenken, dass überall dort, Seiten einer Nachricht«) dargestellt (. Abb. 3.3): die
wo Beziehungs- und Inhaltsaspekt nicht überein- Ebene des Sachinhalts (»worüber ich Sie informie-
stimmen (fehlende »Kongruenz«), den über den re«), die Ebene des Appells (»wozu ich Sie veranlas-
Beziehungsaspekt transportierten Botschaften sen möchte«), die Ebene der Beziehung (»was ich
mehr Glauben geschenkt wird. Für die Gestal- von Ihnen halte bzw. wie wir zueinander stehen«)
tung des Erstaufnahmegesprächs bedeutet dieser und die Ebene der Selbstoffenbarung (»was ich von
Hinweis, dass man sich nicht nur über das »Was« mir selbst kundtue«). Diesen vier Ebenen auf Seite
Gedanken machen muss (»Welche Informationen des »Senders« stehen gleichsam »vier Ohren« auf
sind wichtig und müssen gleich zu Beginn ange- Seite des »Empfängers« gegenüber (. Abb. 3.4),
sprochen werden?«, 7 Abschn. 3.1.1), sondern be- mit denen der Gesprächspartner oder die -partne-
sonders auch um das »Wie« (z. B. atmosphärische rin das Gesagte aufnimmt: das »Sachohr« (»Was
Größen, Emotionalität, Körpersprache). Bevor in ist der sachliche Inhalt?«), das »Appellohr« (»Was
einem Erstkontakt eine Fülle an Informationen an wird von mir erwartet/Was soll ich tun?«), das »Be-
den künftigen Bewohner oder an die künftige Be- ziehungsohr« (»Wie steht dieser Mensch zu mir?/
3.1 • Der erste Schritt ins Heim
51 3
Selbst-
offen- Appell:
barung: Wozu ich
Was ich NACHRICHT dich ver-
von mir anlassen
selbst möchte
kundtue
Beziehung: Was ich von dir halte, wie wir zueinander stehen
. Abb. 3.3 Vier Seiten einer Nachricht (nach Schulz von Thun)
SELBST-
OFFENBARUNGSOHR:
»Was sagt mir
jemand über sich? SACHOHR:
Welche Gefühle hat »Was ist der
er?« sachliche
Inhalt?«
BEZIEHUNGS-
OHR:
APPELLOHR:
»Wie steht
dieser Mensch »Was wird
zu mir? von mir
Wie schätzt er erwartet?
mich ein?« Was soll ich
tun?«
Wie schätzt er mich ein?«) und das »Selbstoffen- >> Jede Botschaft enthält eine Sachebene,
barungsohr« (»Was sagt mir jemand über sich?/ eine Appellebene, eine Beziehungsebe-
Welche Gefühle hat er?«). Diese unterschiedlichen ne und eine Selbstoffenbarungsebene.
Bereiche einer Information oder Botschaft wurden Entsprechend diesen vier Aspekten kann
zum besseren Verständnis isoliert dargestellt. man auf Seite der Empfänger auch von
52 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
einem Sachohr, einem Appellohr, einem vor allen anderen Möglichkeiten der Aufnahme,
Beziehungsohr und einem Selbstoffenba- entsteht bei den Kommunikationspartnerinnen
rungsohr sprechen. und -partnern der Eindruck, das Gegenüber sei
distanziert, kühl und könne so gar nicht auf die ge-
Wie kann man sich das konkret vorstellen? Wel- äußerten Wünsche eingehen. Bei einer deutlichen
che Anteile lassen sich beispielsweise im folgen- Präferenz des Selbstoffenbarungsohrs steht die Ge-
3 den Satz erkennen? »Ich möchte Ihnen jetzt etwas fahr eines »Psychologisierens« im Raum, was bei
über unseren Tagesablauf und die Hausregeln den meisten Menschen Widerstand auslöst und
erzählen.« Die Sachebene wird klar und deutlich nicht selten zu einer Kommunikationsreduktion
angesprochen: »Ich informiere über den Tages- führt. Was man aus einer Botschaft jeweils heraus-
ablauf und die Hausregeln«; auf der Appellebene hört, hängt also auch von den persönlichen Präfe-
schwingt mit: »Ich möchte Sie veranlassen, sich mit renzen ab. Weiß man darüber Bescheid, so besteht
den Regeln des Hauses und den Ablauf im Heim die Möglichkeit der Korrektur und der bewussten
auseinanderzusetzen«; auf der Beziehungsebene Kontrolle.
kommt bei einem Erstaufnahmegespräch in aller
Regel der Rollenaspekt zum tragen: »Ich spreche in Aktives Zuhören
der Rolle als Heimleiterin/Heimleiter zu Ihnen als Jeder kennt aus eigener Erfahrung, dass es unter-
künftigem Bewohner, als künftiger Bewohnerin«; schiedliche Formen des Zuhörens gibt, angefangen
auf der Selbstoffenbarungsebene schwingt in der von einem flüchtigen Hinhören bis hin zu einem
Situation eines Erstaufnahmegesprächs häufig die hoch konzentrierten Prozess, bei dem alle Neben-
innere Haltung mit: »Mir ist ein guter Kontakt zu reize gleichsam ausgeschaltet sind. Ebenso hat je-
den Bewohnern und Bewohnerinnen von Anfang der unterschiedliche Erfahrungen damit, wie sich
an wichtig; ich vertrete mit Begeisterung das Leit- die Art und Weise des Zuhörens auf die eigene Be-
bild unseres Hauses.« findlichkeit auswirkt. Bei einem intensiven Zuhö-
Umgekehrt kann man sich in der Situation des ren kommt es zu einer komplexen Verbindung von
Erstaufnahmegesprächs natürlich auch Gedanken Wahrnehmungen, Einschätzungen, Interpretatio-
machen, welche Aussagen der künftigen Bewohne- nen und nachfolgender Suche nach einer geeigne-
rin oder des künftigen Bewohners mit welchem der ten Antwort. Der wohltuende und bisweilen sogar
eigenen »vier Ohren« aufgenommen werden. Höre heilsame Effekt von gutem Zuhören macht diesen
ich beispielsweise aus jeder Aussage einen Appell Aspekt zwischenmenschlicher Kommunikation
heraus, der mich zu einer bestimmten Handlung auch zu einem wichtigen Baustein therapeutischer
aufzufordern meint? Fühle ich mich rasch in mei- Interventionen.
ner professionellen Rolle angesprochen? Ziehe ich Der Psychotherapeut Carl Rogers, Begründer
oft Rückschlüsse auf bestimmte Problemlagen oder der klientenzentrierten Psychotherapie, räumt dem
Persönlichkeitsmerkmale der künftigen Bewohne- Zuhören einen ganz besonderen Platz im Rahmen
rin bzw. Bewohners? Oder dominiert mein Sachohr zwischenmenschlicher Begegnungen und thera-
jede Gesprächssituation? Eine sorgfältige Reflexion peutischer Settings ein (Rogers 1985, Rogers und
über das bevorzugte »Ohr« in der Kommunika- Rosenberg 2005). Rogers spricht vom aktiven Zu-
tion kann wesentlich dazu beitragen, Konfliktsi- hören und beschreibt diese spezielle Form als die
tuationen zu entschärfen. Wenn eine Pflegekraft Verbindung einer besonderen Grundhaltung mit
beispielsweise bevorzugt mit dem Appellohr hört, konkreten Kommunikationsverhalten. Zum einen
wird sie jede Äußerung der Bewohner und Bewoh- geht es beim aktiven Zuhören darum, dem Ge-
nerinnen mehr oder weniger als Auftrag verstehen. sprächsgegenüber die volle Aufmerksamkeit zu
Dies führt in weiterer Folge oft zu dem Gefühl der schenken und sich ganz auf das Gespräch einzu-
Überforderung oder zur Einschätzung der Bewoh- lassen. Zum anderen soll das Gehörte mit eigenen
ner und Bewohnerinnen als Menschen, die »immer Worten wiedergegeben (»paraphrasieren«) und die
was von mir wollen!«. Steht hingegen das Sachohr wahrgenommenen Gefühle angesprochen (»verba-
3.1 • Der erste Schritt ins Heim
53 3
lisieren«) werden. Der Effekt dieses ganz auf den professionellen Werkzeug von Altenheimmitarbei-
Gesprächspartner abgestimmten Zuhörens liegt in terinnen und -mitarbeitern gehören.
der Möglichkeit, die eigenen Worte und Gefühle
gleichsam durch einen Spiegel nochmals zu be- >> Beim aktiven Zuhören schenkt der Zuhörer
trachten und hinsichtlich ihrer persönlichen Gül- seinem Gesprächspartner die ungeteilte
tigkeit zu prüfen. Aktives Zuhören kann helfen, Aufmerksamkeit, gibt das Gehörte mit
Missverständnisse zu minimieren, Korrekturen eigenen Worten wieder (paraphrasieren)
persönlicher Sichtweisen einzuleiten und die Bezie- und spricht die wahrgenommen Gefühle an
hung zwischen den Gesprächspartnern zu vertiefen (verbalisieren).
oder zu verbessern. Als Grundvoraussetzungen für
das aktive Zuhören nennt Rogers eine empathische Viele der oben angesprochenen Punkte fließen
und offene Grundhaltung des Zuhörers, ein authen- aufgrund einer professionellen Herangehensweise
tisches Verhalten und eine wertschätzende, akzep- fast automatisch in Gespräche und Begegnungen
tierende Haltung dem Gesprächspartner gegenüber. zwischen Bewohnern bzw. Bewohnerinnen und
Worauf ist besonders zu achten, wenn man diese Pflegepersonen ein. Dennoch lohnt es sich immer
besondere Form der Kommunikation verwendet? wieder, einzelne Aspekte genauer zu hinterfragen
Zunächst ist es wichtig, sich bewusst zu machen, und die eigenen kommunikativen Fähigkeiten und
dass es sich um eine Gesprächssituation handelt, die des gesamten Teams hinsichtlich spezieller Situ-
die die volle Aufmerksamkeit verlangt. Man muss ationen zu schulen (7 Abschn. 3.3, 7 Abschn. 3.4) –
sich ganz auf das Gegenüber einlassen und diesen zum Wohl der Bewohner und Bewohnerinnen aber
Menschen in den Mittelpunkt seiner Aufmerk- auch hinsichtlich einer Burnout-Prophylaxe (Tans-
samkeit stellen: »Im Moment bist nur Du wichtig!« ki 2014). Mit sich und mit anderen in gutem Kon-
Ausgedrückt wird diese Haltung auch auf der kör- takt sein zu können, zählt zu den einflussreichsten
persprachlichen Ebene durch eine dem Gesprächs- Faktoren psychischer und physischer Gesundheit.
partner zugewandte Körperhaltung und durch
Blickkontakt sowie durch parasprachliche Elemen- zz Wissenswertes aus der Kommunikation in
te (»Hm«, »aha« …). Ein weiterer Aspekt liegt in der seiner Bedeutung für die Pflegesituation
Fähigkeit, das Gegenüber nach seinem Erzähl- und 55 Kommunikation ist lebensnotwendig – auch in
Redetempo sprechen zu lassen und Pausen auszu- Situationen, in denen Menschen nicht direkt
halten. Auch sollten keine Ergänzungen, Korrektu- ansprechbar sind.
ren oder Interpretationen vorgenommen werden. 55 Kommunikation umfasst das gesprochene
All dies bedeutet nicht, dass der Zuhörer mit allem, Wort (verbal) ebenso wie die Sprache der
was er hört, übereinstimmt oder das Gehörte so- Mimik und Gestik sowie der Berührung (non-
gar gutheißt. Es geht einfach nur darum, einen Ge- verbal). Im Pflegealltag muss sowohl aktiv wie
sprächsraum zu schaffen, in dem alles Platz hat, in auch passiv auf beide Aspekte geachtet werden.
dem alles angesprochen werden kann und in dem 55 Stimmungen, unbewusste Botschaften und
der Sprecher durch die behutsame Führung des Zu- Gefühle werden besonders über die Körper-
hörers mit seinen eigenen Meinungen, seiner eige- sprache ausgedrückt und übernehmen oftmals
nen Sichtweise und seinen eigenen Gefühlen kon- Signalfunktion.
frontiert wird. Das aktive Zuhören ist eine sanfte 55 Wenn verbale und nonverbale Botschaften
Form kommunikativer Begleitung und kann helfen, übereinstimmen, spricht man von kongruenter
sich an Missverständnisse heranzutasten, nach ge- Kommunikation, die auch als »echt« erlebt
eigneten Problemlösungen zu suchen oder sanfte wird. Bei einem Auseinanderklaffen von ver-
Verhaltenskorrekturen einzuleiten. In jedem Fall ist balen und nonverbalen Anteilen wird dem
diese Kommunikationsform als vertrauensbildende nonverbalen Bereich mehr Glaube geschenkt.
Maßnahme in der Begleitung von Menschen nicht 55 Auch die Verweigerung von direkter Kommu-
mehr wegzudenken und sollte demnach auch zum nikation ist eine Botschaft (»Man kann nicht
54 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
Geburt
Lebensmitte
Mittlere Lebenserwartung
. Abb. 3.5 Zeitleisten
jeweils im Vordergrund. Während es sich zu Beginn (7 Abschn. 3.3) und einen Zugang zu ansonsten nur
eher um das Sammeln und Festhalten von Eckdaten schwer verständlichen Verhaltensweisen erschlie-
des Lebens handelt, die am ehesten mit Hilfe von ßen. Schließlich kann durch den biografischen Zu-
Zeitleisten geordnet und in eine Chronologie ge- gang in der Begleitung eine Lebensrückschau er-
bracht werden können (. Abb. 3.5), wendet sich das möglicht werden, die am Lebensende zu einer so
biografische Arbeiten nach einer gewissen Einge- wichtigen »Aussöhnung mit dem eigenen Leben«
wöhnungsphase verstärkt dem Erfassen von Vorlie- führt. Biografiearbeit ist nie mit einem Gespräch
ben, Gewohnheiten, sozialen Orientierungspunk- abgehackt. Biografiearbeit ist als ein Prozess zu
ten und »Weltzugängen« zu und kann bei Bedarf verstehen, in dem durch das Führen vieler lebens-
auch zum Erstellen von Teilaspekten der Biografie geschichtlicher Gespräche nach und nach ein fa-
wie z. B. der Schmerzbiografie (7 Abschn. 3.2.3) oder cettenreiches Bild eines Menschen entstehen kann.
der Sensobiografie (7 Abschn. 3.3.1.2) führen. Zu- Die Informationen aus diesem »Bild« können dazu
dem kann sie im Umgang mit an Demenz erkrank- beitragen, die Individualität des jeweiligen Bewoh-
ten Personen entscheidende Hilfestellungen liefern ners bzw. der jeweiligen Bewohnerin in den Fokus
56 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
der Begleit- und Betreuungsangebote zu stellen und zurechtzufinden. Es kann Menschen auch dabei
eine bedürfnisorientierte Pflege an den tatsächlich unterstützen, sich konstruktiv mit notwendigen
erhobenen Bedürfnissen und Wünschen der Be- Anpassungsprozessen auseinanderzusetzen und
troffenen zu orientieren. Ausnahmesituationen gut zu bewältigen.
Durch das Eintauchen in die eigene Lebens-
>> Biografiearbeit ist kein punktuelles Verfah- geschichte können vorhandene Ressourcen wieder
3 ren, sondern ein Prozess, der sich von der bewusst angeschaut und für eine neue Situation
Aufnahme eines Bewohners/einer Bewohne- genutzt werden. Schließlich spielt gerade am Le-
rin in ein Heim bis zu seinem/ihrem Ableben bensende die Lebensbilanz eine wesentliche Rolle.
erstreckt. Gelingt es, rückblickend dem eigenen Leben ein
Motto zu geben? Wie lassen sich die Glücksmo-
Was verbirgt sich hinter dem Begriff Biografie- mente des Lebens beschreiben, wie die Momente,
arbeit? Unter dem Begriff der Biografiearbeit wer- in denen »Ernte« eingefahren werden konnte? In
den all jene Ansätze zusammengefasst, die »Ge- welchem Licht erscheinen die einzelnen Lebenssta-
schichten und Daten« eines Lebens aufzeigen und tionen aus der Sicht eines gelebten Lebens? Was hat
festhalten. Dabei kann der Schwerpunkt einmal dem eigenen Leben Sinn und Hoffnung und Wert
stärker auf der Außenansicht liegen, ein anderes gegeben? Diese und ähnliche Fragen werden von
Mal wiederum die subjektive Sichtweise in den alten Menschen häufig thematisiert. Im Rahmen
Mittelpunkt rücken. Im einen Fall werden objek- einer gezielt eingesetzten Biografiearbeit können
tive Lebensdaten und Lebensereignisse berichtet, die Erzählsplitter gesammelt und zu einem Ganzen
festgehalten oder erfasst, während im anderen die zusammengefügt werden.
persönlich gefärbte Erzähl- und Betrachtungswei- Für die Anwendung im Kontext von Altenpfle-
se besondere Beachtung erfährt. Im Idealfall kön- geeinrichtungen ist zu erwähnen, dass keine neuen
nen die beiden Zugänge einander ergänzen und Techniken erlernt werden müssen. Erzählende wie
erweitern. Die Möglichkeit, sich mit den unter- deren Begleiter können auf die alt bewährte Form
schiedlichsten Stationen der eigenen Geschichte des Gesprächs zurückgreifen. Das Besondere an
zu befassen und das Reich der Erinnerungen zu der Art der Gespräche ist lediglich der Inhalt, der
betreten, stellt für viele Menschen eine besondere sich auf die verschiedenen Facetten der Lebensge-
Erfahrung dar. schichte bezieht. Erinnerungen an vergangene Tage
Neben dem subjektiven Gewinn, den eine Be- können ebenso erzählt werden wie die Erfahrun-
schäftigung mit den Lebensstationen, mit den gen der Gegenwart oder Wünsche und Vorstellun-
Licht- und Schattenseiten der eigenen Geschichte gen für die Zukunft – auch wenn diese nur noch
oder mit der »Ernte des Lebens« mit sich bringt, eine vergleichsweise kurze Zeitspanne betrifft.
stellt die Biografiearbeit auch eine wichtige Quelle
dar, um den alten Menschen und seine Bedürfnisse
auf dem Hintergrund seiner gelebten Jahre besser Funktionen der Biografiearbeit im Kontext
verstehen und begleiten zu können. Und so gehört einer bedürfnisorientierten Altenpflege
eine einfühlsam durchgeführte Biografiearbeit zu aus der Sicht alter Menschen
den sanften Helfern in der Begleitung, Pflege und 55 Verarbeiten von neuen Erfahrungen (Inte-
Betreuung alter Menschen. Wirft man einen Blick gration von Neuem, Vertrautmachen, neue
auf die häufig genannten Funktionen eines lebens- Identitätsaspekte erkennen)
geschichtlichen Gesprächs – dem Kernstück jeder 55 Unterstützung bei notwendigen Anpas-
Biografiearbeit – wird deutlich, wie wichtig die- sungsprozessen, die die biopsychosozialen
ser Ansatz für eine bedürfnisorientierte Altenbe- Veränderungen im Alter betreffen
treuung und -pflege ist. Das lebensgeschichtliche 55 Konstruktive Auseinandersetzung mit be-
Gespräch erleichtert beispielsweise das Verarbei- lastenden Momenten und Entwicklungen
ten von Erfahrungen des Alltags und hilft, sich
mit unbekannten und neuen Situationen besser
3.1 • Der erste Schritt ins Heim
57 3
und Entwicklungsstufen gut bewältigt und kriti-
55 Bewusstwerden des Lebenskontinuums sche Lebensereignisse leichter überwunden wer-
und Herausfiltern von Ressourcen den können und die persönliche Lebensgestaltung
55 Zugang zur Fülle der eigenen Lebensge- auf Basis gelebter Erfahrungen bewusst stattfinden
schichte und Finden eines »roten Fadens« kann.
55 Tieferes Verstehen eigener Verhaltenswei- Kinder beispielsweise erzählen ihren Eltern,
sen (z. B. Umgang mit Schmerz) Freunden oder anderen nahestehenden Personen,
55 Rückschau auf die verschiedenen Lebens- wie sie die Welt sehen, was sie erleben, hören, se-
stationen unter dem Aspekt »Ernte meines hen, riechen und schmecken. Durch die Mitteilung
Lebens« und durch die Aufmerksamkeit eines liebevollen
55 Sinnfindung Zuhörers und dessen Reaktionen wird aus der Fül-
le von Erfahrungen dann jenes Bild geformt, das
»meine Welt« ausmacht. Auf diese Art und Weise
formt sich langsam über die Jahre hin die persön-
Funktionen der Biografiearbeit im Kontext liche Sichtweise von Ereignissen und deren Inter-
einer bedürfnisorientierten Altenpflege pretation, die Art und Weise mit Erfolg oder Miss-
aus der Sicht der Heimmitarbeiter und erfolg umzugehen und sich einen »Ressourcenkof-
Heimmitarbeiterinnen fer« anzulegen. Mögen sich die Themen und Inhal-
55 Systematisches Erfassen wichtiger Eck- te lebensgeschichtlicher Gespräche über die Jahre
daten der Lebensgeschichte hin auch verändern, bleibt ihre Funktion jedoch er-
55 Zusammenschau von Einzelinformationen halten: Lebensgeschichtliche Gespräche dienen der
55 Erkennen von Zusammenhängen zwischen Verarbeitung von alltäglichen Erfahrungen, ma-
aktuellem Verhalten und Aspekten der chen die Bewältigung von Ausnahmesituationen
Lebensgeschichte möglich, zeigen Wege für notwendige Anpassungs-
55 Hinweise auf individuelle Ressourcen für leistungen an unterschiedlichste Lebenssituationen
die Bewältigung veränderter Lebenssitu- auf und öffnen Türen zu einer ganz persönlichen
ationen Sinngestaltung.
55 Herausfiltern persönlicher Eigenschaften, Gerade am Ende des Lebens bietet die Biogra-
Bedürfnisse, Vorlieben fiearbeit viele verschiedene Möglichkeiten, die Si-
55 Orientierungshilfen bei der Erstellung tuation sowohl für die Pflegebedürftigen selbst wie
bedürfnisorientierter Begleit- und Betreu- für deren Begleiter zu erleichtern und zu entlasten.
ungsangebote Sie kann dem Gefühl der Vereinsamung entgegen-
55 Hilfestellungen im Prozess positiver Bezie- wirken, das nur zu oft zum ständigen Begleiter
hungsgestaltung pflegebedürftiger Menschen wird und Pflegeperso-
nen, Angehörige und Begleiter vor große Probleme
stellt. Lebensgeschichtliche Gespräche erleichtern
Warum nehmen lebensgeschichtliche Gespräche ein Eingehen auf individuelle Wünsche, ermögli-
einen besonderen Platz in einer bedürfnisorien- chen ein größeres Verständnis für das aktuelle Ver-
tierten Pflege und Begleitung ein? Und warum geht halten und tragen dazu bei, die Einzigartigkeit des
man davon aus, dass sie positive Auswirkungen auf pflegebedürftigen Menschen – seine Individualität
die Lebenssituation pflegebedürftiger Menschen und Identität – möglichst lange aufrechtzuerhal-
haben? Um diese Fragen zu beantworten, lohnt es ten. Durch das Eingehen auf die Lebensgeschichte
sich, einen Blick auf die entwicklungspsychologi- eines pflegebedürftiger Menschen im Sinne einer
sche Bedeutung dieses Zugangs zu werfen (Szagun »Erinnerungspflege« wird der Begriff Pflege erwei-
2013). Lebensgeschichtliche Gespräche begleiten tert und sinnvoll ergänzt. Momente der Begegnung
jeden Menschen von Kindheit an und sind dem- und der Anteilnahme können so leichter Wirklich-
nach als Gesprächs- und Interaktionsform jedem keit werden und schaffen jenes Klima emotionaler
vertraut. Sie führen dazu, dass einzelne Lebens- Wärme, die allen Beteiligten gut tut.
58 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
nachträglich einzutragen. Zur leichteren zeitlichen innerungen aus. Seelische Ausgeglichenheit und
Orientierung kann man z. B. in Fünf-Jahresschrit- positive Gefühle führen eher dazu, positive Er-
ten vorgehen. Manche Menschen werden sich mit fahrungen zu berichten. Anderseits können trau-
großer Freude immer wieder mit der zeitlichen Ab- rige Verstimmtheit, Schmerzen oder Gefühle der
folge ihrer Lebensereignisse befassen, für andere Einsamkeit die Erinnerungen ins Negative leiten.
dient dieses Zeitraster nur als grobe Orientierung Wenn Pflegekräften und anderen Begleiterinnen
3 was sich in ihrem Leben »früher« oder »später« er- und Begleitern auffällt, dass der pflegebedürftige
eignet hat. Mensch in erster Linie schweren Gedanken und
Zeitleisten haben den Vorteil, dass sie etwas Erinnerungen nachhängt, sollten sie an diese Zu-
»zum Anfassen«, etwas Konkretes, sind und ganz sammenhänge denken und sanfte Hilfestellungen
unterschiedlich bearbeitet werden können – alleine anbieten, die eine positive Erinnerung oder ein
oder gemeinsam mit einem interessierten Zuhörer. positives Gefühl ermöglichen. Dabei spielt »Atmo-
Man kann sie auch immer wieder hervorholen, er- sphärisches« eine große Rolle, angefangen von der
gänzen, korrigieren – oder unter verschiedenen Gestaltung des Zimmers bis hin zu kleinen Ges-
Aspekten immer wieder neue Zeitleisten anlegen. ten, die signalisieren: »Sie sind willkommen«, »Wir
So kann gerade im Zusammenhang mit Schmerz- möchten, dass Sie sich bei uns wohl fühlen!« Aus
situationen eine Zusammenschau aller bereits er- einem Gefühl heraus, akzeptiert und angenommen
lebten Schmerzerfahrungen helfen, die persönlich zu werden, fällt die Beschäftigung mit den vielen
präferierte Coping-Strategie zu erkennen und für Facetten des gelebten Lebens leichter, die insgesamt
die neue Situation zu adaptieren. Über die vielfäl- zu einer versöhnlichen und friedlichen Stimmung
tigen Einsatzmöglichkeiten von Zeitleisten kann beitragen kann.
man sich in der einschlägigen Literatur ausführlich
informieren (Kerkhoff und Halbach 2011, Miethe Beispiel
2014, Osborn et al. 2012, Ruhe 2014, Specht-To- Anna R. ist eine zarte, weißhaarige Frau. Sie hat fünf
mann 2012). Kinder geboren und großgezogen. Nach dem Tod
Neben zeitlichen Ordnungsmöglichkeiten ihres Mannes lebt sie allein in dem einst mit so viel
wichtiger Lebensereignisse kann man lebensge- Leben und Lachen erfüllten Haus. Die Kinder leben
schichtliche Gespräche aber auch stärker unter weit weg, zum Teil sogar im Ausland. Anna R. reist
einem inhaltlichen Aspekt führen. Im Vorfeld soll- viel. Sie fährt von einem Kind zum anderen und
te man sich darüber klar werden, dass durch das verwöhnt die Enkel. Ein Schlaganfall verändert al-
Eintauchen in die Vergangenheit alte Gefühle re- les. Anna R. kommt nach langer Rehabilitationszeit
aktiviert werden. In aller Regel kann man davon in ein Heim. Sie wird als unauffällig, bescheiden,
ausgehen, dass das Wiederbeleben alter Erlebnisse zurückgezogen beschrieben. Manche meinen, sie
und Gefühle heilsam und positiv auf den seelischen sei unzugänglich. Ihr Zustand ist stabil, doch sie
Zustand der Erzählerin bzw. des Erzählers wirkt. Es wirkt geknickt. Niemals kommt ihr ein Lächeln über
bietet die Chance, sich in einem geschützten Rah- das Gesicht. Am Leben ihrer Zimmernachbarinnen
men noch einmal der Vergangenheit zu stellen. Ein nimmt sie nicht Anteil. Als eine junge Altenhelferin
wichtiges Ziel lebensgeschichtlicher Gespräche ist eines Tages ein Foto auf ihrem Nachtkästchen be-
es, den pflegebedürftigen Menschen dabei zu be- merkt, fragt sie interessiert nach.
gleiten, in einer Rückschau das eigene Leben noch Das war der Anfang einer Reihe von Gesprächen,
einmal Revue passieren zu lassen und die »Lebens- die sich mehr beiläufig als gezielt ergaben. Anna
ernte« zu betrachten. R. spricht zuerst zaghaft, dann immer mutiger über
Begleiter sollten wissen, dass es dabei nicht so ihre große Familie, die in allen Herren Länder ver-
sehr um eine historisch »wahre« Rekonstruktion streut ist. Langsam, Schritt für Schritt, weiht sie die
geht, sondern um eine sehr persönliche Auswahl, junge Altenhelferin in die Geschichten ihrer Kinder
Zusammensetzung und Interpretation der einzel- ein, die man auf dem Foto sehen kann. Und mit
nen Lebensabschnitte mit ihren Erlebnissen. Auch einem Mal kommt Glanz in die Augen von Anna
die momentane Gefühlslage wirkt sich auf die Er- R. Vom Bild ihrer Familie führen viele Wege zu Sta-
3.1 • Der erste Schritt ins Heim
61 3
tionen ihres eigenen Lebens. So wandert Anna R. 55 »Heile, heile Segen«: Rituale der Kindheit
in Gedanken von Kind zu Kind, von Jahrzehnt zu 55 »Sprichwörtlich«: Leitsätze für´s Leben
Jahrzehnt. Einmal führen sie ihre Erinnerungen 55 »Kerzenduft und Lichterglanz«: Weih-
weit zurück zu ihren eigenen Eltern, dann wieder nachtsgeschichten
fragt sie sich, wie ihr Begräbnis wohl gestaltet wer- 2. Dorfleben – Stadtleben
den soll. Bei all ihren Erzählungen, die manchmal 55 »Jahreszeiten – Lebenszeiten«: Brauchtum
knappe Episoden, dann wieder ausufernde Be- und Tradition
schreibungen, einmal lapidare Sätze, dann wieder 55 »Heimat-Klänge«: Wortspiele und »Sprach-
humorvolle Vergleiche sind, kehrt sie zum Foto auf schätze«
ihrem Nachtkästchen zurück. Es dient ihr als Anker, 55 »Festliches«: große und kleine Ereignisse
als Griff zum Festhalten ihrer Gedanken und Erin- 55 »Es tönen die Lieder«: musikalischer Bil-
nerungen. Anna R. blüht im Laufe der Monate auf. derbogen
Sie wird aktiv, beginnt sich auch für die Geschich- 55 »Rosen, Veilchen, Nelken«: der Duft der
ten ihrer Mitbewohner zu interessieren. Durch das Heimat
Interesse der jungen Altenhelferin und ihre ge- 3. Glaubensbilder – Wertstrukturen
duldige Art des Zuhörens ist es Anna R. gelungen, 55 »Himmel und Hölle«: Glaubensbilder der
wieder Anschluss an das Leben zu bekommen. In Kindheit
Gelassenheit kann sie sich den letzten Seiten ihres 55 »Als das Wünschen noch geholfen hat«:
Lebensbuches widmen. Märchenbilder
55 »Lieber Herr Jesus, sei unser Gast«: Stun-
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebens- den des Gebetes
geschichte ist mit dem Verfassen eines Lebensbu- 55 »Meine Wahrheit«: verschobene Bilder der
ches zu vergleichen, bei dem unter dem Titel »Mein Erinnerung
Leben« Positives und Negatives, Erfolg und Miss- 55 »Weil nicht sein kann, was nicht sein darf«:
erfolg, Höhen und Tiefen beleuchtet und in Kapi- Denk-Traditionen
teln zusammengefügt werden. Dabei werden Kopf 4. Lehr- und Wanderjahre
und Herz gleichermaßen gefordert. Im Mittelpunkt 55 »Schritte in die Ferne«: Ablösungsprozesse
dieser Form von Arbeit – der Biografiearbeit – steht 55 »Einer von vielen …?«: Suche nach der
jene Frage, die Menschen schon in ihrer Jugend be- eigenen Identität
schäftigt und die sich ein Leben lang immer wieder 55 »Extrawurst und Hochhinaus«: Fremd- und
neu stellt: »Wer bin ich?« Nicht jedem Menschen Selbstbilder
gelingt es leicht, sich an die vielen Details und Ein- 55 »Sag zum Abschied …«: Verlust- und Ab-
zelheiten zu erinnern, die das Leben einst so bunt schiedsgeschichten
und lebendig machte. Da sind Anregungen hilf- 5. Schätze des Lebens
reich, die jene Themen aufzeigen, die auf die eine 55 »Schatzkiste des Lebens«: biografische Hö-
oder andere Weise in jedem Leben vorkommen hepunkte
und einen Bogen von der Kindheit bis ins hohe Al- 55 »Was ich noch gerne sagen möchte …«:
ter spannen. Die nachfolgende Zusammenstellung Gedanken zu Nie-Gesagtem
gibt eine Übersicht möglicher Gesprächsimpulse, 55 »Lebens-Wege«: Strategien zum Überleben
die auch als Vorlage zum Verfassen von Geschich- 55 »Und wenn sie nicht gestorben sind …«:
ten dienen und der Reise in das Land der Erinne- Zukunftsvisionen.
rungen eine Orientierung geben können.
Bäume, fröhliche Menschen, Farben, bunte dann schließ ich froh die Augen zu
Bilder. Ich rieche den Frühling, den Winter, es wacht der Engel wenn ich ruh.
den Herbst und den Sommer. Ich spüre
Moos unter meinen Füßen und höre den 55 Und das war jeden Abend so. Auch die
Gesang der Vögel, die vertrauten, beruhi- Eltern haben gemeinsam gebetet auf dem
genden Stimmen meiner Familie. Ich höre Weg von der Stube ins Schlafzimmer. Die-
3 meinen eigenen Gesang und fühle unbe- ses Gebet und dann noch ein Vaterunser
schwertes Glück. Wenn ich die Augen öffne, für die Verstorbenen und eines für eine
schaue ich auch auf traurige Zeiten, auf gute Sterbestunde.
Streit und Tränen. Ich spüre die Angst vor d. Weihnachten
den Musikstunden, ich spüre das Bauchweh 55 Den Kindern hat das Christkind den Weih-
und die Panik, nicht den richtigen Ton auf nachtsbaum und die Geschenke gebracht.
meiner Flöte zu finden. Ich höre das Zer- Manchmal hat es sich »anschauen« lassen,
springen von Glas auf dem kalten Steinbo- wie das geheißen hat. Wenn ich mich rich-
den und die harten Worte meiner Mutter. tig erinnere, war es eigentlich ja nicht das
Ich sehe die fratzenhaften Gesichter meiner Christkind sondern ein Engel, der mit dem
Fieberträume – wie sie aus der Wand grin- Baum in Händen zur Stubentür herein-
sen! Ich spüre die Einsamkeit nach einem kam. Es war die ältere Cousine im weißen
Streit mit meiner Schwester, Wut und Zorn wallenden Nachthemd. Das Gesicht weiß-
steigen in mir hoch … Doch wenn ich die bemehlt. Ich habe mir diese Technik später
Augen wieder schließe, kommt sie wieder – auch zu eigen gemacht, als ich der weiße
»meine Wahrheit«, mein wunderschöner König unter den Sternsingern war. Der
Traum einer unbeschwerten Kindheit. Ich schwarze ging zur Ofentür und schwärzte
werde ihn nie vergessen! sich mit Ruß. Womit sich der rote – oder
b. »Orientierungshilfe« war es ein gelber? – bemalt hat, ist mir ent-
55 Ich habe nie verstanden, was ich getan fallen. Die Heiligkeit solcher Augenblicke,
habe, nur an das geglaubt, wofür ich mich wie das Erscheinen des Weihnachtsengels,
entschieden habe, es zu tun, am allermeis- wird mir immer bleiben. Da hat sich eine
ten an das, was mir, ohne mein Zutun, wi- andere Welt für mich geöffnet und es war
derfahren ist oder in das ich hineingeraten auch kein Bruch, als ich später dahinter
bin, ohne dass es ein Mittel gab dafür oder kam, dass es eine Aufführung zur Erbauung
dagegen. der Kinder war.
c. Abendgebet e. Festliches: Hochzeit in Schwarz
55 Im Sommer sind wir immer barfuß herum- 55 In meiner Kindheit, da hat´s nur »schwarze
gelaufen. Am Abend hat Mutter dann eine Bräute« gegeben. Das Hochzeitskleid war
kleine Wanne hingestellt. Wir sind auf der schwarz, nur der Schleier war weiß. Und
Treppe gesessen und haben uns die Füße einen schönen Brautkranz haben die Frau-
gewaschen. Und dann hinauf ins Bett. Das en gehabt. Die Männer haben einen Geh-
war jeden Abend so. Auf dem Weg ins Bett rock und einen Zylinder getragen … Bei
haben wir schon angefangen zu beten. Ich meinen Eltern war das auch so. Auf dem
kann es noch heute, das Gebet: Hochzeitsfoto meiner Eltern schaut der
Vater ganz würdig aus. Ein schöner Mann.
»» Bevor ich mich zur Ruh begebe Die Mutter ist mir fast fremd. Ich kenne
zu Dir o Gott mein Herz ich hebe sie ja nur dick und kuschelig. Bei mir war
und sage Dank für jede Gabe sie schon alt, ich bin das siebente Kind von
die ich von dir empfangen habe 10, die überlebt haben. Insgesamt waren es
und habe ich beleidigt dich 13 Geburten … Ja, sie selbst hat schon früh
verzeih’ es mir so gnädiglich ihre Mutter verloren, mit 17. Da hat sie ins
3.1 • Der erste Schritt ins Heim
63 3
Nachbardorf müssen. Sie hat so Heimweh wundert sich, wie ich alles im Griff habe
gehabt, dass sie immer auf einen Hügel vor und dabei zittern die Hände. Einem kum-
dem Dorf gelaufen ist, denn dort hat sie mervollen Herzen weicht der Mitmensch
wenigstens die Kirchturmspitze von ihrem aus als wäre es ein grippaler Infekt …
Dorf sehen können … Der Vater war um g. Kornrade im Roggen
einiges älter als die Mutter. Er hat sich sehr 55 Bei uns im Dorf sind alle Kinder in eine
für sie interessiert und ist immer ins Haus Klasse gegangen. Da waren alle von der
vom künftigen Schwiegervater gegangen. Klasse eins bis sieben zusammen. Für die
Da sind sie dann gesessen, am Abend, um Schule haben wir die guten Kleider angezo-
den Tisch. Und wenn´s dann 10 Uhr war, gen. Im Sommer war es schön. Auch einen
hat der Opa »Hm« gemacht. Dieses »Hm« Turnunterricht hat es gegeben. Wir sind auf
war das Zeichen zum Aufbruch. Einmal der Straße gewesen und haben »marschie-
hat der Opa gesagt: »Aber sie ist doch ren« gelernt. Tja, der Lehrer war dann wohl
noch so jung!« Mein Vater hat geantwortet: Gruppenleiter in der Nazizeit – ich weiß gar
»Die wird schon noch älter!« Damit war nicht so genau … Im Winter – oh Gott –
die Hochzeit beschlossene Sache … Ja, die war es da kalt. Einen Mantel gab es nicht …
Hochzeit. Im schwarzen langen Kleid. Und und der Klassenraum war auch noch kalt,
den ganzen Tag ist gefeiert worden. In der als wir in der Früh hinein gekommen sind.
Kirche. Und in allen Gasthäusern. Feste Ganz verfroren waren wir. In der Schule
waren immer Kirchenfeste. Das hat alles haben wir viele Gedichte gelernt. Ich weiß
seinen geregelten Ablauf gehabt, das Essen, auch nicht, warum mir die Geschichte von
der Tanz … Der Brautkranz meiner Mutter der Kornrade so im Kopf geblieben ist:
ist in einer Glasvitrine im Schlafzimmer der
Eltern gelegen – das weiß ich noch genau! »» Der Bauer steht vor seinem Feld
f. Obst und zieht die Stirne kraus in Falten.
55 Auf meinem Tisch steht eine große blaue Ich hab’ den Acker wohlbestellt,
Schale, in bunter Mischung liegt das Obst auf reine Aussaat streng gehalten.
drinnen, Bananen, Mandarinen, Äpfel Jetzt seh’ mir ein’s das Unkraut an,
und Nüsse. Früher wurde aufgeteilt, jeder das hat der böse Feind getan!
eine Mandarine, der große Luxus, weil es Da kommt sein Knabe hochbeglückt
ja genügend Äpfel gab. Zuerst musste man mit bunten Blumen reich beladen.
die angefaulten essen, das dauerte meistens Im Felde hat er sie gepflückt,
solange, bis die schönen schon wieder brau- Kornblumen sind es, Mohn und Raden.
ne Flecken hatten. Die Kinder bekamen das Er jauchzt: sieh’ Vater nur die Pracht,
Beste, sie mussten wachsen. Nun bin ich alt, die hat der liebe Gott gemacht!
ich soll gesund bleiben, obwohl mich alle
pflegen wollen. Auch bin ich zu dick, Obst 55 Wenn ich heute ein Unkraut sehe, dann
stillt den Hunger ohne Kalorien zu erzeu- muss ich immer an dieses Gedicht denken!
gen. Wenn ich allein bin, packt mich die h . Otto: Meine erste Liebe
Sehnsucht nach dem Verlorenen, der Hun- 55 Er war aus dem gleichen Dorf wie ich und
ger nach Leben wird durch den Biss in den war der Liebling von allen – so ein Lustiger!
sauren Apfel gestillt. Mein Leben war erfüllt Ich seh’ ihn noch heute auf seinem Fahr-
mit den süßen Früchten der Liebe und auch rad von der Arbeit nach Haus fahren. Er
mit Kummer, mit den harten Nüssen, die pfiff immer vor sich hin und lachte. Das
es zu knacken galt. Ich höre Musik, laut, war der Otto. Er gefiel mir sehr. Jung war
denn es stört niemanden mehr. Dann weint ich und er viel älter. Aber seine Mutter
meine Seele und wird erlöst von Wehmut. wollte ein reiches Mädel für ihn haben.
Gehe ich auf die Straße, lache ich oft, man »Der Otto braucht eine mit Geld, der will
64 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
ja ein eigenes Geschäft aufmachen«, hat Ereignisse gegeben, die mich verändert
sie immer gesagt. Ein reiches Mädel war haben. Das erste war, als ich mit 17 Jahren
ich nicht – aber der Otto hat mir so ge- als Krankenschwester in ein Kriegslazarett
fallen. Ja …, Sommer ist es geworden und kam. Ich bekam eine Ahnung davon, was
ich hab’ meine ältere Schwester ins Nach- menschliche Zuwendung bewirken kann.
bardorf begleiten müssen. Sie hat all ihr Das nächste war die Geburt meiner Toch-
3 Gepäck nicht allein schleppen können. So ter, ungeplant, unerwünscht und doch so
sind wir los. Arg geschwitzt haben wir. Die wunderbar. Dann war mein Beruf und
Räder waren so vollbepackt! Wir haben die das Gefühl der Unabhängigkeit, das Ge-
Räder den Berg hinauf geschoben … Bei fühl auf eigenen Beinen stehen zu können,
der Rückfahrt haben mich zwei Burschen niemanden um materielle Unterstützung
eingeholt – der eine davon war Otto! Er bitten zu müssen. Das vierte war die Liebe
hat mich ein Stück begleitet, der andere ist und Ehe mit Hubert. Kurz. Zu kurz. Sein
schnell weiter gefahren. Und dann ist es Tod hat lange Zeit mein Lachen mit sich
ganz schwarz geworden, der Wind ist auf- genommen. Alles, was sich zwischen diesen
gekommen und geregnet hat es – furchtbar. einschneidenden Erfahrungen abspielte,
Wir haben uns unterstellen müssen. Unter war ein ganz normales Frauenleben. Un-
den Bäumen war es wunderbar und ich hab sicherheit, Unruhe, Freuden, Leid, Kampf,
gedacht »Ach, würd’ das Gewitter doch nie Sieg und Niederlage. Und immer wieder
aufhören!« die Traurigkeit über die vielen Abschiede –
i. Mutters Bluse und die Freude an Neuem. Tränen – und
55 Ich trage eine Bluse, die ich von Emma Lachen.
geschenkt bekommen habe. Sie hat sie
abgelegt oder wollte sie einfach nicht mehr Altersbedingte Vergesslichkeiten bis hin zu Alters-
tragen. Dann lag die Bluse lange bei mir demenzen stehen oft einem systematischen Erin-
im Schrank, bis ich begann, sie manchmal nern entgegen. Doch selbst wenn die Erinnerungs-
zu tragen. Es ist eine Bluse, die sich gut an- fähigkeit noch gut erhalten ist, können sich die
fühlt beim Tragen, weich, hat lange Ärmel meisten alten Menschen zwar gut an das erinnern,
und einen runden Ausschnitt. Der Stoff was weit, weit zurückliegt, doch die unmittelbare
ist leicht, ist blau und hat weiße Punkte. Vergangenheit verblasst sehr rasch. Auch die mitt-
Irgendwie berührt er mich, nicht nur mei- leren Lebensjahre, in denen sich meistens sehr viel
nen Körper, auch meine Erinnerungen ereignet – von der Familiengründung über wesent-
an alte Zeiten. Dies Muster ist nicht mehr liche Erfahrungen in Berufs- und Familienleben
modern. Meine Mutter hatte Kleider, die bis hin zu vielfältigen Tätigkeiten im sozialen Um-
auch so ein Muster hatten, getupft, mit feld – werden im Detail schwer erinnert. Hier kön-
Punkten. So fühle ich mich meiner Mutter nen konkrete Hinweise auf bedeutsame Ereignisse
nahe, wenn ich diese Bluse anhabe. Ich der Zeitgeschichte ebenso wichtige Orientierungs-
befrage mich manchmal: Wer war meine hilfen geben wie beispielsweise das Blättern in Fa-
Mutter? Wie war ihr Leben? Ich habe sie milienalben oder das Betrachten von Fotografien
immer als selbstverständlich genommen. aus alten Zeiten, auf denen sich vielleicht die eine
Sie hat mich immer bedient, etwas für oder andere Jahreszahl finden lässt.
mich getan. Was konnte ich für sie tun? Auch wenn Menschen durch verschiedene al-
Was ich jetzt tue, ist, dass ich manchmal tersbedingte Einbrüche viel von »sich« verloren
diese Bluse anziehe. haben, bleiben einige Erinnerungsmomente erhal-
j. Wichtige Ereignisse ten. Durch einfühlsame Begleiter kann es möglich
55 Höhepunkte meines Lebens? Da war die werden, das eine oder andere aus dem Reich des
Kindheit – eine Zeit für sich! Dann, als das Vergessens zurückzuholen. Dabei werden Signale
Erwachsensein anfing, hat es vier große wichtig, die in gewissem Sinn alte Ordnungen wie-
3.2 • Schmerzzustände alter Menschen: Verstehen und Lindern
65 3
derherstellen (»Wiederherstellungssignale«) wie Bevor ich sterbe
beispielsweise Gegenständen von »damals« – die noch einmal sprechen
Uhr des Vaters, eine alte Milchkanne, ein Stopf- von Liebe
holz, eine Sense u. Ä. Es wird nicht immer möglich damit doch einige sagen:
sein, die geeigneten Gegenstände wirklich aufzu- Das gab es
treiben, doch auch das Anschauen von Fotografien das muß es geben
und Abbildungen ebnen den Weg zurück in längst Noch einmal sprechen
vergangene Tage. Dasselbe gilt für die Orte der Ver- vom Glück der Hoffnung auf Glück
gangenheit. Da sind die Erinnerungen an die Plätze damit doch einige fragen:
der Kindheit und Jugend, an den blühenden Apfel- Was war das
baum vor dem elterlichen Haus, die erste Arbeits- wann kommt es wieder?
stelle, der Ort der alljährlichen »Sommerfrische«. (Erich Fried)
Auch wenn diese Reisen in den allermeisten Fäl-
len nur im Kopf möglich sind, werden sie meist
sehr bereichernd erlebt und können wieder Leben 3.2 Schmerzzustände alter
in erstarrte Gefühle bringen. Manchmal kann es Menschen: Verstehen und
hilfreich sein, wenn aufmerksame Zuhörer einige Lindern
Orientierungshilfen anbieten. Diese Hilfestellun-
gen können sich auf die örtlich-räumliche Dimen- Für eine gute und an den Bedürfnissen alter Men-
sion beziehen, auf die zeitliche Ebene und auf den schen orientierte Begleitung ist es wichtig, sich mit
Inhalt. möglichst vielen Aspekten des Alterns und des Al-
ters bewusst auseinanderzusetzen. Ein wesentlicher
>> Im Laufe eines lebensgeschichtlichen Ge- Punkt hierbei ist das Thema Schmerz. Zwar han-
sprächs ist es hilfreich, Orientierungshilfen delt es sich beim Phänomen Schmerz um eine uni-
anzubieten. Sie betreffen die zeitliche verselle Erfahrung, die in jedem Lebensalter mehr
(»Wann war das?«), die räumliche (»Wo war oder weniger präsent ist, doch im Alter zeigt sich
das?«) und die inhaltliche (»Wie/wer … war häufig eine Kumulation von Schmerzzuständen.
das?«) Dimension. Diese umfassen in vielen Fällen die ganze Band-
breite an Schmerzformen (7 Abschn. 3.2.1) und zei-
Wie wichtig es gerade auch in der schwierigen und gen sich sowohl in akuten wie auch in chronischen
belastenden Pflegesituation sein kann, sich an »da- Schmerzgeschehen.
mals« zu erinnern, fasst der portugiesische Dichter Alte Menschen zu begleiten, ist eine verantwor-
Fernando Pessoa in dem Satz zusammen: »Jawohl, tungsvolle Aufgabe, die nicht nur viel Wissen und
was ich bin, wäre unerträglich, könnte ich mich Können verlangt, sondern auch die Bereitschaft,
nicht erinnern, was ich war.« Und so liegt in der sich in diffizile Zustände einzufühlen. Schmer-
Biografiearbeit oftmals auch ein Schlüssel zu einem zen gehören neben demenziellen Veränderungen
größeren subjektiven Wohlbefinden der Pflegebe- (7 Abschn. 3.3) zu den komplexesten Zustands-
dürftigen. Noch einmal als Mensch mit Geschichte bildern, mit denen Begleiter alter Menschen kon-
wahr- und ernstgenommen zu werden, kann die frontiert sind. Leider bleiben viele alte Menschen
seelischen Schmerzen lindern helfen und ein Los- ohne ausreichende Schmerztherapie. Besonders
lassen erleichtern. drastisch ist – folgt man Berichten internationa-
ler Schmerzgesellschaften (7 http://www.dgss.org,
»» Bevor ich sterbe 7 http://www.oesg.at/) – die schmerztherapeuti-
Noch einmal sprechen sche Unterversorgung in Altenpflegeeinrichtungen
von der Wärme des Lebens und bei dementen Menschen. Um dies im Ansatz
damit doch einige wissen: zu verändern, sollten Begleiter und Betreuer über
Es ist nicht warm ein schmerzbezogenes Basiswissen verfügen, sowie
aber es könnte warm sein über die Fähigkeit, auch indirekte Schmerzzeichen
66 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
richtig einzuschätzen (7 Abschn. 3.2.3.2) und ihre Neben dem Reiz-Reaktions-Modell (zeichnet die
Informationen an einen schmerztherapeutischen Spur des schmerzauslösenden Reizes vom Ent-
Arzt weiterzugeben, sowie über eine breite Palette stehungsort bis zum Gehirn nach und erklärt die
von nichtmedikamentösen Linderungsmöglich- Schutzreaktionen des Körpers) und dem Gate-Con-
keiten (7 Abschn. 3.2.4) Bescheid wissen. Oftmals trol-Modell (hier wird auf die Tatsache verwiesen,
ist auch eine enge Zusammenarbeit mit den An- dass eine Fülle von Informationen zur Verarbeitung
3 gehörigen hilfreich, die hinsichtlich der Schmerz- ins Gehirn gelangen müssen und Schmerzinforma-
geschichte und des persönlichen Umgangs mit tionen durch rascher weitergeleitete Empfindungen
Schmerzzuständen Auskunft geben können. zurückgedrängt werden können) hat das biopsy-
Im Folgenden sollen einige grundsätzliche chosoziale Schmerzmodell in den letzten Jahren
Wissenselemente aus dem Bereich der Schmerz- zunehmend an Einfluss gewonnen.
forschung kurz dargestellt werden, um eine diffe- Während die ersten beiden Modelle für ein
renzierte Betrachtung und ein tieferes Verstehen Verständnis des akuten somatischen Schmerzes ge-
individuell auftretender Schmerzsymptomatik bei eignet sind, eröffnet das biopsychosoziale Modell
alten Menschen zu erleichtern und adäquate Linde- vielfältige Erklärungsansätze für das Gesamtphä-
rungsangebote setzen zu können (Bernatzky 2012, nomen Schmerz, das als multidimensionales Syn-
Butler und Moseley 2009, Specht-Tomann und drom beschrieben wird. Schmerz spielt sich dem-
Sandner-Kiesling 2014). nach nicht nur auf einer körperlichen Ebene ab,
sondern weist immer auch emotionale, kognitive
und verhaltensbezogene Elemente auf. Gerade in
3.2.1 Unterschiedliche der Begleitung alter Menschen, die meist von ver-
Schmerzformen schiedenen Schmerzen betroffen sind, wird diese
Verschränkung deutlich sichtbar. Einerseits mani-
Was ist Schmerz? Auch wenn jeder Mensch »weiß«, festieren sich Schmerzen immer im Bereich phy-
was Schmerz ist, so kann man nicht davon ausge- sischer Zustandsbilder (z. B. Dauer, Intensität, Lo-
hen, dass Person A das gleiche unter Schmerz ver- kalisation), andererseits ist jeder Schmerzzustand
steht, wie Person B. »Der gleiche Schmerz tut jedem mit bestimmten Gefühlen verbunden (Trauer, Ent-
anders weh«, sagt der Volksmund. Verantwort- täuschung, Wut, Angst), löst Gedankenverbindun-
lich dafür sind nicht nur verschiedene Arten von gen zu anderen Schmerzerfahrungen aus, die sich
Schmerz, sondern vor allem ein individuell sehr im Laufe des Lebens ereignet haben (»emotionales
unterschiedlich ausgeprägtes Schmerzerleben und Schmerzgedächtnis«) und stehen in direkter Ver-
persönlich stark variierende Zugänge im Umgang bindung mit bestimmten Verhaltensstrategien im
mit Schmerzzuständen. Die bislang einzige allge- Umgang mit dem Schmerz (z. B. Wahl der Thera-
mein anerkannte Schmerzdefinition wurde in den pie, Medikamente, Vermeidungsverhalten).
1980er Jahren von Forschern der IASP (Internatio- Im Laufe des Lebens bilden sich im Umgang
nal Association for the Study of Pain, 7 http://www. mit Schmerz meist personentypische Muster her-
iasp-pain.org/) formuliert. Sie lautet: »Schmerz ist aus. Der eine Mensch wird versuchen, den Schmerz
ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, so gut es geht zu verdrängen und so lange es geht
das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädi- ein »normales« Leben zu führen – ein anderer wie-
gung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen derum beschäftigt sich intensiv mit dieser oft so
Schädigung beschrieben wird.« einschneidenden »Erfahrung Schmerz« und hinter-
Etwas aussagekräftiger als diese allgemein ge- fragt alle Therapieschritte genau. Gerade die Bewäl-
haltene Definition sind jene Forschungsarbeiten, tigungsstrategien (»Coping«) im Zusammenhang
die sich damit befassen, Modelle zu entwickeln, das mit Schmerz werden schon in frühen Jahren gelernt
komplexe Phänomen Schmerz verstehbar zu ma- und nach und nach ausgebaut, ergänzt und erwei-
chen und jene Zusammenhänge aufzuzeigen, die in tert. In der Begleitung von alten Menschen ist es
der Begleitung von Menschen mit Schmerzen aus besonders wichtig und hilfreich, sich gleichsam auf
therapeutischer Sicht besondere Bedeutung haben. Spurensuche nach hilfreichen Bewältigungsmög-
3.2 • Schmerzzustände alter Menschen: Verstehen und Lindern
67 3
lichkeiten von Schmerzsituationen zu begeben. Oft
sind es die Strategien der Kindheit im Umgang mit
Schmerz, die im Alter wieder deutlicher zum Vor-
Körper
schein kommen und auf Linderungsmaßnahmen
verweisen, die den engen Rahmen medikamentöser
Therapieansätze erweitern und ergänzen können.
Verhalten Gedanken
Schmerz als multidimensionales Syndrom
(. Abb. 3.6)
55 Sensorischer Aspekt: Schmerzen können
nach Charakter, Dauer, Intensität und Ort
des Auftretens unterschieden werden.
55 Emotionaler Aspekt: Schmerzen werden Gefühle
von unterschiedlichen Gefühlen begleitet,
wie z. B. Angst, Niedergeschlagenheit,
Hilflosigkeit, Traurigkeit, Ärger; Schmerzen
gehen mit einer Reihe von Gefühlsquali- . Abb. 3.6 Das Ineinandergreifen einzelner Schmerz-
täten einher, wie z. B. unangenehm, ein- aspekte
schränkend, belastend.
55 Kognitiver Aspekt: Bei Auftreten von mitberücksichtigt. Diese sind gerade in der Beglei-
Schmerzen stellen sich bestimmte Gedan- tung von alten Menschen besonders zu beachten.
kenverbindungen und Erinnerungen ein Bei der psychologischen Dimension ist etwa an die
(Schmerzerinnerung); Situationen werden Persönlichkeit von Schmerzpatienten mit all den
unter dem Eindruck von Schmerzen oft Facetten zu denken, die sich im Laufe eines langen
»verzerrt« bewertet; bestimmte Deutungs- Lebens herausgeformt haben. Konkret stellt sich
muster gewinnen an Bedeutung (z. B. beispielsweise die Frage, ob es sich eher um einen
»Katastrophisierung«, Mythenbildung). introvertierten Menschen handelt, der sich keinem
55 Verhaltensbezogener Aspekt: Schmer- anderen anvertraut und seine Schmerzen in sich hi-
zen gehen mit bestimmten sprachlichen, neinfrisst oder um einen eher extrovertierten, der
parasprachlichen und nichtsprachlichen sich durch Äußerungen Luft machen kann und sei-
Verhaltensweisen einher; Schmerzen lösen nen Schmerz durch Mitteilung zu lindern versteht.
eine Reihe von Handlungen aus (z. B. Wahl Die Art und Weise, wie Menschen mit ihren
der Therapie, Umgang mit Medikamenten, Schmerzen umgehen und wie sie diese äußern sagt
Arztwahl). in aller Regel nichts über die Intensität des Schmer-
zes aus! Deshalb ist es wichtig, sich intensiv mit den
Menschen, mit ihrer Persönlichkeit und mit ihrer
Die genannten Bereiche dienen nicht nur der Be- Schmerzlerngeschichte auseinanderzusetzen. Im
schreibung komplexer Schmerzgeschehen, sie sind Umgang mit einer so elementaren Erfahrung, wie
auch von großer Bedeutung für schmerztherapeuti- es der Schmerz ist, spielen zudem noch kulturell
sche Interventionen. Eine Zusammenschau senso- bestimmte Verhaltensweisen und ökosoziale Fak-
rischer, emotionaler, kognitiver und verhaltensre- toren eine Rolle. Bei kulturellen Überformungen ist
levanter Aspekte eines Schmerzgeschehens erleich- etwa an religiöse Sichtweisen oder geschlechtstypi-
tert das Eingehen auf unterschiedliche Schmerzsi- sche Verhaltensweisen zu denken, die in verschie-
tuationen und die Wahl wirksamer schmerzthera- denen Kulturen unterschiedlich an ihre Mitglieder
peutischer Ansätze. Neben den erwähnten Aspek- weitergegeben werden. So sind beispielsweise die
ten werden in der modernen Schmerztherapie auch Sprüche »Ein Indianer kennt keinen Schmerz«
psychologische, ethnische und ökosoziale Bereiche oder »Buben weinen doch nicht« Ausdruck sozial
68 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
ordnet und bewertet. Das aktuelle Schmerzerlebnis Das Schmerzerleben wird neben der individuellen
steht gleichsam an der Schnittstelle von Vergangen- Schmerzgeschichte, die sich im Schmerzgedächt-
heit und Gegenwart. Bei diesem Prozess kann es nis niederschlägt, auch noch von der Schmerz-
zu deutlichen Verzerrungen kommen – sowohl zu schwelle beeinflusst. Die Schmerzschwelle – auch
negativen wie auch zu positiven, etwa: »Wenn man als Schmerzempfindungsschwelle oder Schmerz-
mich SO am Oberarm anfasst, tut das immer weh grenze bezeichnet – meint die niedrigste Stärke
3 …« versus »Wenn ich beim Verbandwechsel mit- eines Reizes, der zu einer entsprechenden Wahr-
helfe, tut es mir viel weniger weh …«; »Wenn mor- nehmung führt.
gen Schwester A. bei der Untersuchung bei mir ist, Klinische Studien weisen darauf hin, dass körper-
wird es nicht weh tun.« versus »Schwester A. kann eigene Substanzen einen Einfluss auf die Schmerz-
morgen nicht bei der Untersuchung dabei sein – schwelle haben. Genannt werden beispielsweise
das wird furchtbar weh tun.«). Hormone (z. B. Östrogen) oder vom Körper selbst
produzierte Morphine (Endorphin: "Glückshor-
>> Aktuelle Schmerzen stehen an der Schnitt- mon"). Bei einem Anstieg des Östrogenspiegels bzw.
stelle von »Gestern« (Erfahrungen der Ver- des Endorphinspiegels sinkt die Schmerzschwelle
gangenheit) und »Morgen« (Erwartungen für und somit das subjektiv erlebte Schmerzempfinden.
die Zukunft). Darüber hinaus konnten auch Schwankungen der
Schmerzschwelle über den Tag hinweg festgestellt
Je länger Menschen auf die für sie typische Art werden. Ob und in welchem Maße die Schmerz-
und Weise mit ihren Schmerzen umgehen, desto schwelle durch altersbedingte Faktoren beeinflusst
schwieriger wird es, dieses Muster aufzubrechen – wird, ist noch nicht ausreichend erforscht. In diesem
was bei negativem Coping-Verhalten jedoch hilf- Zusammenhang sei auf jene Arbeiten hingewiesen,
reich wäre. In der Begleitung alter Menschen ist es die sich speziell mit dem Schmerzempfinden von
sinnvoll, sich vor Augen zu halten, dass man nicht demenziell veränderten Menschen befassen. Man
nur mit einer langen allgemeinen Lebensgeschichte muss davon ausgehen, dass durch die speziellen ko-
konfrontiert wird, sondern auch mit einer für je- gnitiven Veränderungen auch die Fähigkeit verloren
den Menschen typischen Geschichte von Schmerz- geht, Schmerzen zu lokalisieren bzw. zu artikulieren,
erfahrungen und Schmerzbewältigungsstrategien. was aber nicht bedeutet, dass die Betroffenen keine
Auf der Suche nach wirkungsvollen schmerzlin- Schmerzen haben! Hier ist ein besonders sensibler
dernden Maßnahmen sollte dies immer mitbe- Umgang angezeigt (7 Abschn. 3.3.2) (Specht-To-
dacht werden. Was dem einzelnen Bewohner, der mann und Sandner-Kiesling 2014).
einzelnen Bewohnerin ein Leben lang in Schmerz-
situationen geholfen hat, sollte auch in der neuen
Faktoren, die das Schmerzerleben beein-
Situation im Altenpflegeheim in die schmerzthe-
flussen (. Abb. 3.7)
rapeutischen Überlegungen hereingenommen wer-
55 Körperliche Aspekte, z. B. Ort und Dauer
den. Schmerzen werden subjektiv unterschiedlich
des Schmerzreizes; Schmerzschwelle und
empfunden, wobei eine große individuelle Band-
Stoffe, die diese beeinflussen
breite zu beobachten ist, die es in der konkreten
55 Soziale Aspekte, z. B. Schmerzbewälti-
Begleitung zu berücksichtigen gilt. Schmerzen von
gungsstrategien der Herkunftsfamilie,
außen zu beurteilen und gleichsam zu objektivie-
Erfahrungen in der Peergroup, Umgang
ren, bringt dem Schmerzgeplagten keine Linde-
mit Schmerz im sozialen Umfeld
rung: Schmerzen sind immer subjektiv.
55 Seelisch/kognitive Aspekte: Gefühls- und
Stimmungslage (z. B. Depression), Lernge-
>> In der Begleitung von Menschen, die Schmer-
schichte und Schmerzassoziationen, Situa-
zen haben, sollte man sich an der Aussage
tionsbewertung, Deutungsmuster
orientieren: »Wahr ist das, was der Betroffene
55 Kulturelle Aspekte, z. B. religiöse Vorga-
sagt. Nur er weiß, wo es schmerzt, wann es
ben; Mann/Frau-Aspekte
schmerzt und wie stark es schmerzt.«
3.2 • Schmerzzustände alter Menschen: Verstehen und Lindern
71 3
es kommt zu einer sozialen Vereinsamung gepaart
Religion: mit Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Angst.
Strafe
Sühne Diese Angst wiederum verstärkt das Schmerzemp-
Erlösung
finden und die Schmerzspirale beginnt sich in einer
Art Teufelskreis zu drehen.
Sozialsystem:
Strafe
>> Schmerzzustände werden vermindert durch
Erziehung
Kommunika-
Freude, Hoffnung, Heiterkeit, entspannte At-
tion
mosphäre, Zuwendung, Anteilnahme, soziale
Kontakte, Verständnis, Vorhersagbarkeit,
positives Lebensgefühl.
. Abb. 3.7 Faktoren, die das Schmerzerleben beein-
flussen
. Abb. 3.8 Körperlandkarten zur Erfassung der Schmerzlokalisation (aus dem Deutschen Schmerzfragebogen, Muster-
bogen, 7 http://www.dgss.org/fileadmin/pdf/12_DSF_Anamnese_Muster_2012.2.pdf )
3.2 • Schmerzzustände alter Menschen: Verstehen und Lindern
75 3
Stadt und Land, in dem man lebt), Merkfähigkeit klopfen, erhöhter Blutdruck, veränderte Pupil-
(drei Gegenstände werden benannt und sollen ge- lengröße, verändertes Atembild)
merkt werden), Aufmerksamkeit und Rechnen 55 Motorische Reaktionen (z. B. Mimik: verzerr-
(z. B. ein Wort mit 5 Buchstaben soll rückwärts ter Gesichtsausdruck, »finsterer Blick«, Blin-
buchstabiert werden) sowie Sprachvermögen und zeln, zusammengepresste Lippen; Gestik: Hin-
Verständnis (z. B. Benennen von Gegenständen, und Herschaukeln, Wippen, Zucken, Schlagen;
Nachsprechen, Nachzeichnen) erfasst. Die maxi- Bewegungseinschränkung, Einschränkungen
mal erreichbare Punktezahl liegt bei 30 Punkten beim Waschen/Anziehen; verminderte Mobili-
(Kessler et al. 2000). tät und Aktivität; Benützen von Hilfsmitteln;
erhöhter Muskeltonus: verkrampfte Körper-
Indirekte Schmerzzeichen haltung und Mimik; verändertes Bewegungs-
Wie lassen sich indirekte Schmerzzeichen beschrei- verhalten)
ben? Welche Dimensionen müssen berücksichtigt 55 Psychosoziale Reaktionen (z. B. Verhaltensän-
werden? Und welche körperlichen, seelischen und derungen: Veränderungen täglicher Gewohn-
sozialen Aspekte können erste wichtige Hinweise heiten, Veränderungen der sozialen Gewohn-
auf das Vorliegen einer Schmerzthematik liefern? heiten; sozialer Rückzug, Gleichgültigkeit
Viele einzelne Bausteine tragen dazu bei, sich ein gegenüber sozialen Ereignissen, Abschotten,
umfassendes Bild über den Schmerzzustand eines Besuchsverweigerung; verändertes Kommuni-
Menschen zu machen. Dabei ist es hilfreich, sich kationsverhalten zwischen »Verstummen« und
vor Augen zu halten, dass es nie ein einziges Ele- Jammern, Klagen, Schreien, Wimmern, Wei-
ment ist, das aussagekräftig ist. Vielmehr geht es nen; verbale Schmerzäußerungen: Zornesaus-
um eine möglichst umfassende Bestandsaufnahme brüche, Wut, Schimpfen, Stöhnen; Wortwie-
und um ein regelmäßiges Überprüfen der Beob- derholungen, Ungeduld, Äußern von Unmut,
achtungsergebnisse hinsichtlich auftretender Ver- sich unverstanden fühlen, gereizte Stimmung;
änderungen. Speziell bei Menschen, die sich kaum Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit, Traurigkeit,
oder gar nicht mehr äußern oder auf gezielte Fra- Aggressivität, Depression, Suizidgedanken)
gen reagieren können, lässt sich jede Veränderung
oder Abweichung vom »gewohnten Erscheinungs-
bild« als mögliches Indiz für einen Schmerzzustand Schmerztherapeutische Interventionen
heranziehen. Für eine adäquate Einschätzung der Der nächste wichtige Schritt führt von der Diagnose
Schmerzsituation und der darauf aufbauenden und Dokumentation der individuellen Schmerzsi-
Schmerztherapie kann jedes einzelne Element tuation eines Bewohners oder einer Bewohnerin hin
wichtig sein, gewinnt allerdings erst in der Zu- zu Überlegungen, wie man dem Schmerz begegnen
sammenschau an Eindeutigkeit. Im Wesentlichen kann. Bei chronischen Schmerzen – und bei alten
lassen sich die Beobachtungskategorien in soma- Menschen sind diese häufig – ist es aus schmerz-
tische, motorische und psychosoziale Reaktionen therapeutischer Sicht schwer, eine Schmerzfreiheit
einteilen. zu erreichen. Doch in den meisten Fällen kann man
eine deutliche Linderung der Schmerzen erreichen
zz Beispiele für indirekte Schmerzzeichen und so eine erhebliche Verbesserung der Gesamt-
55 Somatische Reaktionen (z. B. Schlafstörungen: situation erzielen. Mit diesen Bemühungen um
Einschlaf- und Durchschlafstörungen; Ab- Symptomkontrolle und Schmerzlinderung rücken
wehrreaktionen bei Berührung schmerzender jene palliativen Maßnahmen in den Mittelpunkt
Körperstellen; Schonhaltung; Gewichtsreduk- medizinischer und pflegerische Aufgaben, die mit
tion, Erbrechen, Übelkeit, Schluckbeschwer- zu den Kernaufgaben in Altenpflegeeinrichtungen
den, Appetitlosigkeit, Verdauungsprobleme; zählen sollten (7 Kap. 4).
vegetative Zustandsbilder: erhöhte Tempera- Schmerztherapeutische Interventionen be-
tur, veränderte Hautfarbe, Schwitzen, Herz- stehen in aller Regel nicht aus einer einzelnen
76 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
PATIENT
Schmerztherapie
3
Komplementäre -
Medikamentöse -
therapeutische -
therapeutische -
Unterstützung
Invasive -
Psycho-
Physio -
Soziale
. Abb. 3.9 Säulen der Schmerztherapie
Maßnahme, sondern stellen gleichsam ein An- und Sorgen hinsichtlich eingesetzter Substanzen
gebotpaket bereit, das auf den Schmerz als multi- aufzufangen und auszuräumen.
dimensionales Syndrom (7 Abschn. 3.2.1) Bezug Dies gilt vor allem dann, wenn Opiate zum Ein-
nimmt (. Abb. 3.9). Das bedeutet aber auch, dass satz kommen. Hier bestehen noch viele Vorurteile,
das Thema Schmerztherapie nicht mehr allein in beispielsweise, dass Opiate nur bei Sterbenden ver-
Händen von Ärzten und Ärztinnen liegt, sondern wendet werden oder lebensverkürzend sind. Dass
von einem multiprofessionellem Team umgesetzt dem nicht so ist, muss mit einfachen und einfühl-
wird (Baron und Koppert (Hrsg.) 2013). Gerade in samen Worten angesprochen werden. Auch auf-
Altenpflegeeinrichtungen kann dieser multiprofes- tauchenden Ängsten und Sorgen von Betroffenen
sionelle Zugang gut umgesetzt werden, unter der wie Angehörigen, Opiumpräparate würden süchtig
Voraussetzung einer entsprechenden Mitarbeiter- machen, muss aufklärend begegnet werden. Hier
schulung und einer Bewusstseinsbildung innerhalb ist in erster Linie auf den Unterschied zwischen
des Pflege- und Betreuungsteams (7 Kap. 4). der Verabreichungsform und der Intention bei der
Welche Aspekte spielen bei einer umfassenden Opiumanwendung hingewiesen werden. Opiate,
Schmerztherapie eine Rolle? Zu nennen sind Me- die im Rahmen schmerztherapeutischer Ansätze
dikamente (Analgetika und Co-Analgetika), der verabreicht werden, dienen nicht dem Entstehen
Bereich von »Berührungen« im weitesten Sinn, eines »High-Gefühls« und werden demnach auch
Entspannung und Bewegung, psychologische/ nicht »nach Bedarf« verabreicht. Ein entscheiden-
psychotherapeutische und spirituelle sowie soziale der Faktor in der Anwendung von Opiaten ist die
Hilfestellungen. Beim Einsatz von Medikamenten Verabreichungsform. Durch die Gabe von Retard-
kommt der Pflege die wichtige Rolle der exakten tabletten verteilt sich der Wirkstoff über die Zeit
Verabreichung und genauen Dokumentation zu. und die Konzentration der Substanz bleibt relativ
Diese sollte nicht nur über Art und Dosierung des konstant. Auf der körperlichen Ebene kommt es
verordneten Medikamentes Auskunft geben, son- allerdings oft zu einer Abhängigkeit. Im Wissen
dern auch über beobachtete oder berichtete Reak- um diesen Mechanismus muss ein abruptes Ab-
tionen auf das jeweilige Medikament. Zudem über- setzen von Opiaten vermieden und ein vorsichti-
nehmen Pflegekräften oftmals die wichtige Funk- ges »Ausschleichen« des Medikaments eingeleitet
tion, in Gesprächen mit den Angehörigen Ängste werden.
3.2 • Schmerzzustände alter Menschen: Verstehen und Lindern
77 3
Mit zunehmender
Schmerzstärke
Invasive
Therapie-
Starke Opioide formen
Schwache Opioide
Nicht-Opioide
Begleitmedikamente
Co-Analgetika
(traditionelle chinesische Medizin), bei denen Beim Einsatz von Berührungen als Therapeutikum
an Energiebahnen und -punkten behandelt greift man auf ein Medium zurück, das Menschen
wird seit ihrer Geburt – und bereits zuvor – vertraut ist
55 Shiatsu (Wortbedeutung: »Fingerdruck«; (. Abb. 3.11). Berührungen, wie sie durch jede Form
energetische Körperarbeit wird mit manuellen von Körperkontakt entstehen, stellen eine Form der
Behandlungsmethoden verbunden) Kommunikation dar (»Sprache der Berührung«),
55 Reiki (Wortbedeutung: rei = Geist, Seele; die weit vor dem Erwerb der Sprache anzusiedeln
ki = Lebensenergie; Energiearbeit durch Hand- und ein wichtiger Garant für eine gesunde Ent-
auflegen) wicklung ist. Als »Elementarerfahrung« sichert sie
55 Kraniosakraltherapie viele wichtige Körperfunktionen und trägt ganz
55 Schröpfen wesentlich zu deren Regulierung bei (z. B. Wär-
55 Basale Stimulation (umfassende Methode mit mehaushalt, Immunsystem, Herz-Kreislaufsystem,
elementaren Wahrnehmungsangeboten und Hormonhaushalt).
gezielte Stimulation durch Berührung) Die frühe Verwurzelung von Berührungen im
55 Stromtherapie/TENS (transkutane elektrische seelischen Erleben von Menschen bleibt über die
Nervenstimulation) Jahre hin erhalten und gewinnt in Ausnahmesi-
80 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
tuationen, wie etwa bei Krankheit, traumatischen 55 Sind Sie ein »berührungsfreudiger« Mensch?
Erfahrungen oder Schmerzsituationen, besonde- Fällt es Ihnen leicht, andere Menschen zu be-
re Bedeutung: Über Berührungen kann man bei- rühren?
spielsweise regulative Prozesse beeinflussen, über 55 Gibt es Körperbereiche, an denen Sie beson-
Berührungen kann man mit Menschen in Kontakt ders gern berührt werden?
treten, die verbal kaum erreichbar sind, über Be- 55 An welchen Körperstellen sind Ihnen Berüh-
3 rührungen können vielfältige Stressoren reduziert rungen unangenehm? Und wie können Sie
und positive Gefühle aktiviert werden. Somit stel- dies anderen Menschen vermitteln?
len Berührungen gerade auch für viele alte Men- 55 Haben Sie persönlich Erfahrungen mit
schen eine wichtige Möglichkeit dar, mit der »Welt« der »Heilkraft Berührung« gemacht (z. B.
in Kontakt zu treten, getröstet, beruhigt oder ak- schmerzlindernd, stresslösend, beruhigend,
tiviert zu werden. Berührungen machen es auch entspannend, angstreduzierend …)
möglich, die eigenen Körpergrenzen deutlicher 55 Stellen Sie sich vor, selbst alt und auf die Pflege
wahrzunehmen, äußeren Halt zu erfahren, körper- durch andere angewiesen zu sein: Welche Ge-
liche Veränderungen zu begreifen und notwendige fühle löst es bei Ihnen aus, unterschiedlichen
Anpassungen an die veränderte Situation zu beglei- Berührungen durch fremde Menschen ausge-
ten. Körper, Seele und Geist können gleichermaßen setzt zu sein? Was würden Sie sich wünschen?
von Berührungsangeboten profitieren. Was könnte helfen, mit den notwendigen
Prinzipiell lässt sich zwischen einer Bezie- Berufsberührungen im Pflegealltag positiv
hungs- und einer Berufsberührung unterscheiden umzugehen? Auf welche Erfahrungen über die
(Specht-Tomann und Tropper 2011). Im Pflegealltag schmerzlindernde Wirkung von Berührungen
wird die Berufsberührung meist im Vordergrund könnten Sie Pflegepersonen hinweisen?
stehen, etwa bei der Durchführung der Grundpfle-
ge und anderen pflegerischen Tätigkeiten. Auch Was macht Berührungen zu wichtigen Helfern im
beim Einsatz von Berührungen zur Reduktion Kampf gegen Schmerzen? Berührungen haben eine
von Schmerzen ist der Aspekt »professionelles Be- Fülle positiver Auswirkungen auf den Gesamtorga-
rühren« im Vordergrund. Dennoch schwingen bei nismus und auf seelische Bereiche. Dabei kommt
jeder Art von Berührung auch Emotionen, Gedan- es natürlich auf die jeweilige Berührungsqualität
ken und Einstellung mit und können die Wirkung an. Ein wichtiges Kriterium, ob Berührungen eher
der Berührungsintervention beeinflussen. Umso beruhigend oder eher stimulierend wirken, ist der
wichtiger ist ein reflektierter und achtsamer Um- Bewegungsrhythmus, in dem Berührungen durch-
gang mit dem so sensiblen Instrument Berührung. geführt werden. Langsame und gleichmäßig aus-
Im Vorfeld schmerztherapeutischer Interventio- geführte Bewegungen wirken im körperlichen Be-
nen kann eine persönliche Auseinandersetzung reich besonders entspannend und krampflösend,
mit diesem Thema sehr hilfreich sein. Dabei geht zeigen aber auch im seelischen Bereich Wirkung.
es vor allem darum, die eigenen Berührungserfah- Sie können Angst reduzieren und ein Gefühl von
rungen im Laufe der persönlichen Geschichte zu Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Die so
reflektieren und hinsichtlich der Dimension »an- ausgelöste größere innere Gelassenheit wiederum
genehm – unangenehm« zu hinterfragen sowie sich ist in der Lage, den Muskeltonus zu reduzieren und
mit persönlich erlebten Wirkweisen von Berührun- den oft als sehr belastend empfundenen Angst-
gen auseinanderzusetzen. Schmerz-Spannungskreislauf zu durchbrechen,
der häufig eine zusätzliche Schmerzquelle zur vor-
zz Fragen zur Selbstreflexion handenen Schmerzproblematik darstellt. Wichtig
55 Welche Erfahrungen haben Sie im Laufe ist es, jede kutane Stimulation – so wie auch jede
Ihres Lebens mit Berührungen gemacht (Be- andere schmerztherapeutische Intervention – in
rührungserfahrungen in der Kindheit und vertrauensbildende Gespräche einzubetten. Diese
Jugend)? Gespräche sollten vorbereitend und erklärend jede
Intervention begleiten.
3.3 • Das Syndrom Demenz: auf der Suche nach geeigneten Begleitmöglichkeiten
81 3
>> Das begleitende und erklärende Gespräch Maßnahmen begleitet sie immer mit Schmerzens-
gehört als wichtiges therapeutisches Ele- äußerungen. Auf die Frage, seit wann ihr denn al-
ment zu jeder schmerztherapeutischen Inter- les weh tue, meint sie: »Seit die Margret gestorben
vention. ist – seit damals tut einfach alles weh. Ich werd be-
stimmt bald nicht mehr gehen können …« Durch
Ergänzend sei noch auf den engen Zusammenhang diese Aussage wird deutlich, dass Elisabeth M. den
zwischen Schmerzzuständen und (Trauer-)Gefüh- Tod ihrer Schwiegertochter tief betrauert, der ja
len hingewiesen. Diese Verbindung ist besonders auch ihre Übersiedlung ins Heim nach sich zog.
bei chronischen Schmerzzuständen zu beobachten, Erste Schritte in Richtung schmerztherapeutischer
wie sie für viele Bewohner und Bewohnerinnen Interventionen werden demnach in einer aktiven
von Altenpflegeeinrichtungen typisch sind: Chro- Trauerbegleitung zu suchen sein. Erst wenn Eli-
nische Schmerzen machen traurig, andererseits sabeth M. in ihrer Trauer ernst und angenommen
können Trauergefühle das Schmerzerleben be- wird, wenn es Menschen gibt, die sie in ihrer Trauer-
einflussen, was oftmals zu einer Verschärfung der situation verstehen und ihrer Trauer auch einen ge-
vorhandenen Schmerzsituation führt. Hält man wissen Platz in den Begegnungen einräumen, wird
sich die Situation von Altenheimbewohnerinnen es möglich sein, sich ihrem Schmerzerleben selek-
und -bewohnern vor Augen und denkt dabei an tiv zu nähern und nach geeigneten Linderungs-
die vielfältigen Traueranlässe (z. B. Eintritt in den möglichkeiten auf körperlicher Ebene zu suchen.
letzten Lebensabschnitt, Fremdunterbringung mit
den damit verbundenen Abschieden) wird deut-
lich, wie wichtig ein professioneller Umgang mit
dem Thema Schmerz UND Trauer ist. Vom Stand- 3.3 Das Syndrom Demenz: auf der
punkt einer multidimensionalen und multiprofes- Suche nach geeigneten
sionellen Schmerztherapie heraus sollte eine effi- Begleitmöglichkeiten
ziente Trauerbegleitung ein integraler Bestandteil
schmerztherapeutischer Bemühungen sein. Für Viele Krankheiten treten im Alter gehäuft auf und
Pflegekräfte ist es daher sehr hilfreich, sich mit dem haben massive Auswirkungen für die Betroffenen
Thema Trauer intensiver zu befassen und Aspekte selbst, deren Angehörigen und die Menschen,
der Trauerbegleitung mit in das Betreuungsange- die eine professionelle Betreuung oder Beglei-
bot aufzunehmen (7 Abschn. 2.5.2). tung übernehmen. Zu denken ist beispielsweise
an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Alters-Diabe-
Beispiel tes, rheumatische Erkrankungen, Arthrosen oder
Die 83-jährige Elisabeth kommt nach dem Tod ihrer Krebs (7 Abschn. 2.1.1). An prominenter Stelle al-
Schwiegertochter, die sie bisher gepflegt hatte, in tersbedingter Zustandsbilder steht aber die De-
eine Pflegeeinrichtung. Sie macht einen niederge- menz (Förstl 2011, Jahn und Werheid 2014). Sie
schlagenen Eindruck und jammert oft still vor sich kann als »die« Alterskrankheit bezeichnet werden.
hin. Ihr körperlicher Zustand ist zwar relativ gut, Bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind etwa
doch sie ist kaum zu motivieren, sich selbststän- eine Million alter Menschen in Deutschland von
dig im Haus zu bewegen, zu Hausveranstaltungen einer Demenzerkrankung betroffen. Durch den zu
zu kommen oder die Gartenanlage zu nützen. Bei erwartenden drastischen Anstieg der Anzahl alter
einer ausführlichen Anamnese kommt auch das Menschen in den künftigen Jahren ist mit einer
Thema Schmerzen zur Sprache. Ja, sie habe große weiteren Zunahme der Demenzerkrankungen
Schmerzen, meint Elisabeth M. Auf die Frage, wo zu rechnen. Auch bei den Gründen, die im Alter
sie Schmerzen habe, meint sie: »Überall!!!« Weder zu Pflegebedürftigkeit und in der Folge häufig zu
dem begleitenden Arzt, noch den Pflegekräften ist Fremdunterbringung in Altenpflegeeinrichtungen
es möglich, Auskünfte über eine Lokalisation der führen, steht die Demenz an erster Stelle. Weit
Schmerzen zu bekommen. Vorsichtiges Bewegen über die Hälfte aller neu aufgenommenen Bewoh-
von Armen und Beinen im Rahmen mobilisierender ner und Bewohnerinnen von Heimen leiden unter
82 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
einer demenziellen Erkrankung, wie einschlägigen Für die meisten medizinisch nicht versierten Men-
Berichten beispielsweise der Caritas zu entnehmen schen steht der Begriff Demenz synonym mit der
ist, aber auch der primären Erfahrung vieler Pflege- Alzheimerkrankheit. Klinisch betrachtet lassen
kräfte entspricht. sich jedoch unterschiedliche Formen beschreiben
Das Syndrom Demenz (»Syndrom« = es liegen (Jahn und Werheid 2014, Maier et al. 2011). Grund-
gleichzeitig verschiedene Krankheitszeichen, Sym- sätzlich unterscheidet man zwischen primären De-
3 ptome, vor) hebt sich von vielen anderen altersbe- menzerkrankungen und sekundären. Während im
dingten Veränderungen deutlich ab und ist auch Bereich der primären Formen die Ursachen hirn-
nicht zu verwechseln mit einer »normalen« Abnah- organisch bedingt sind und der Zustand irrever-
me der Gedächtnis- und Merkfunktionen im Alter. sibel ist, liegen die Ursachen für die sekundären
Demenz ist eine chronisch fortschreitende, unheil- Formen in unterschiedlichsten Organerkrankun-
bare Krankheit, deren Verlauf bestenfalls leicht gen. Statistiken sprechen davon, dass ca. 90 % al-
verzögert werden kann. Bereits der Wortstamm ler Demenzerkrankungen primär sind, wobei etwa
(»mens« = Verstand, »de« = abnehmend) weist auf zwei Drittel der primären Demenzen dem degene-
das zentrale Leitsymptom der Demenzerkrankung rativen Bereich zuzurechnen sind, bei dem es zum
hin: Gedächtnisstörungen, die zunächst das Kurz- Absterben von Nervenzellen im Gehirn kommt. Zu
zeitgedächtnis betreffen und allmählich auf das diesem Krankheitsbild zählt eben auch der »Mor-
Langzeitgedächtnis übergreifen. Diese Verluste bus Alzheimer«, der im Alltagsverständnis für De-
sind unwiederbringlich und führen dazu, dass die menz schlechthin steht.
Betroffenen sich im Hier und Jetzt schlecht bis gar
nicht orientieren und schließlich kein selbststän-
diges Leben mehr führen können. Hinzu kommen Grobe Einteilung der Demenzformen
emotionale und soziale Beeinträchtigungen (z. B. 55 Primäre Demenz (Ursachen: hirnorga-
mangelnde Stimmungskontrolle, Rückzug, inad- nisch; irreversibel)
äquate Sozialreaktionen), der Verlust der Sprache –– Degenerative Demenz (z. B. Demenz
und des Sprechens sowie des Urteilsvermögens im vom Alzheimer-Typ)
Sinne einer selbstständigen Entscheidungsfindung. –– Vaskuläre Demenz (z. B. »Multiinfarkt-
Ungeordnet aufkeimende Erinnerungen über- Demenz«)
schwemmen das gegenwärtige Erleben und stehen –– Mischformen
meist nur punktuell mit der erlebten Realität in Zu- 55 Sekundäre Demenz (Ursachen: unter-
sammenhang. Für die Begleitung von großer Rele- schiedliche Organerkrankungen, wie
vanz ist die Tatsache, dass bei Demenzerkrankten z. B. Stoffwechselerkrankungen, Schild-
das Bewusstsein – das Wissen von der einen um- drüsenerkrankungen, Leber- bzw. Nieren-
gebenden Welt und von der eigenen Person – erhal- versagen, Vergiftungserscheinungen,
ten bleibt, wenngleich es gegenüber von Demenz Hirntumore, Parkinson, langjähriger
nicht betroffenen Menschen deutlich verändert ist. Alkoholabusus, Nebenwirkungen von
Für die Begleitung und Betreuung bedeutet dies, Medikamenten; eine Rückbildung der
sich intensiv mit der Welt der Demenzerkrankten Demenzsymptomatik ist je nach Behand-
zu beschäftigen und zu versuchen, gleichsam aus lungsmöglichkeit der Grunderkrankung
ihrer Sicht und Wahrnehmung die Welt zu begrei- teilweise möglich)
fen (7 Abschn. 3.3.1.1).
>> Demenz ist eine unheilbare, chronisch Eine ausführliche Beschreibung des vielschichtigen
fortschreitende Krankheit. Zentrales Leit- Krankheitsbildes Demenz würde den Rahmen der
symptom sind Gedächtnisstörungen (Kurz- Ausführungen sprengen. Hier sei auf die umfassen-
zeitgedächtnis und in der Folge auch das de Fachliteratur verwiesen, die dem Literaturver-
Langzeitgedächtnis). Das Bewusstsein ist zeichnis im Anhang zu entnehmen ist.
nicht getrübt.
3.3 • Das Syndrom Demenz: auf der Suche nach geeigneten Begleitmöglichkeiten
83 3
3.3.1 Psychosoziale Begleitmöglich- existieren) aber auch im Hin- und Hergleiten auf
keiten bei Demenz einer imaginären Zeitschiene, wodurch jeweils an-
dere Bedürfnisstrukturen in den Vordergrund rü-
Die Begleitung und Pflege alter Menschen, die an cken (z. B. »heute Bahnvorstand mit Anspruch auf
Demenz erkrankt sind, stellen immer eine große Respekt, morgen der kleine Junge, der dem Vater
Herausforderung dar. Dies nicht nur für Pflegekräf- am Hof bei der Arbeit hilft«).
te, sondern auch für alle anderen Personen, die in
einer Altenpflegeeinrichtung beschäftigt sind und
oft mit den Bewohnern und Bewohnerinnen in Was man an dementen Menschen häufig
Kontakt kommen, etwa das Reinigungs- und Kü- beobachten kann
chenpersonal oder Mitarbeiter und Mitarbeiterin- 55 Alle »gelebten« Zeiten existieren in Schich-
nen aus der Verwaltung und den therapeutischen ten des Bewusstseins gleichzeitig bzw.
Diensten. Demenziell veränderte Menschen brau- nebeneinander
chen einen spezielleren Umgang als andere pflege- 55 »Äußere« und »innere« Bilder überlappen
bedürftige alte Menschen. Dies liegt zum einen im sich
chronisch fortschreitenden Charakter der Erkran- 55 Zunehmende räumliche und zeitliche Des-
kung, zum anderen in der Symptomvielfalt, von orientiertheit
der alle Lebens- und Erlebensbereiche betroffen 55 Körperwahrnehmungen verändern sich in
sind. Langjährige Erfahrungen in der Betreuung Richtung Kopf (Wahrnehmung der Beine
Demenzkranker einerseits und wissenschaftliche geht als erstes verloren, . Abb. 3.12)
Erkenntnisse aus der medizinischen Forschung 55 Das Erkennen von Menschen wird immer
andererseits haben zur Entwicklung von Modellen unschärfer; häufig werden Personen »um-
geführt, die einen würdevollen und respektvollen gefühlt« (z. B. die Tochter wird als Mutter
Umgang gewährleisten und eine bedürfnisorien- erlebt und angesprochen; der Sohn wird
tierte Pflege erleichtern sollen. zum Vater oder Ehepartner)
Im 7 Abschn. 2.4 wurde auf die vielfältigen 55 Bei Gegenständen/Äußerungen steht der
Bedürfnisse von Menschen eingegangen, deren Symbolgehalt im Vordergrund (z. B. steht
Befriedigung maßgeblich zu einem subjektiven die Handtasche oft für persönliche Identi-
Wohlbefinden beiträgt und in gewisser Weise den tät, der Gehstock für das Bedürfnis nach
Kern einer bedürfnisorientierten Pflege darstellt. Kontrolle, Stofftiere für die Sehnsucht nach
Genannt wurden die physiologischen Bedürfnisse, Geborgenheit, Wärme und Nähe oder der
das Bedürfnis nach Sicherheit, soziale Bedürfnis- Ruf nach der Mutter als Ausdruck des Be-
se, Individualbedürfnisse und das Bedürfnis nach dürfnisses nach Sicherheit und Geborgen-
Selbstverwirklichung. Gesunde Menschen sind heit)
bestrebt, diesen Bedürfnissen selbstständig nach-
zukommen. Dort, wo dies nicht mehr möglich ist,
müssen andere dafür sorgen, um einen Zustand des Das spezielle Krankheitsbild Demenz braucht auch
Wohlbefindens und der inneren Zufriedenheit zu spezielle Konzepte für die Begleitung, in die be-
erreichen. Die Schwierigkeiten, dies einem demen- stimmte Kommunikationsformen einfließen, mit
ten Menschen angedeihen zu lassen, sind vielfältig. denen man Zugang zu den Kranken findet und
Sie liegen u. a. im Verlust der Gedächtnisfunktio- sich so behutsam auf die Suche nach Möglichkei-
nen (z. B. »Verlernen« von Grundkompetenzen, ten persongerechter Bedürfnisbefriedung machen
die Bedürfnisse befriedigen können: »Was ist Es- kann. Nachfolgend wird das Konzept der Valida-
sen und wie macht man das?«), den vielfältigen tion (Feil und Klerk-Rubin 2013, Feil et al. 2014)
emotionalen und sozialen Veränderungen (z. B. vorgestellt und auf Begleitmodelle hingewiesen, in
Unfähigkeit, Neues zu verstehen; Orientierung an denen ein biografischer Zugang im Vordergrund
Beziehungsmustern, deren Grundlagen nicht mehr stehen (Böhm 2009, Schneberger et al. 2013).
84 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
. Abb. 3.13 Bilder von früher überlagern das aktuelle Erleben. (Quelle: 7 © www.spechtarts.com)
Dabei tritt das Erinnerte in aller Gefühlsdichte an Begleitern jedoch Orientierungshilfen geben, um
die Oberfläche und kann nicht als »Vergangenheit« selbst ein wenig mehr Klarheit über das Lebens-
wahrgenommen werden (. Abb. 3.13). Auf dem gefüge der jeweils Betroffenen zu bekommen. Den-
Hintergrund der vielfältigen Erinnerungen aus noch muss die Grundregel für einen validierenden
den unterschiedlichsten Zeitepochen des gelebten Umgang auch und gerade in diesem Abschnitt der
Lebens drohen die Erfahrungen der Gegenwart als Krankheit eingehalten werden: Das Gesagte soll-
bedeutungslose Teilchen im Erleben unterzugehen. te nie im Sinne einer Realitätsanpassung in Frage
Die Erinnerungsinhalte werden oft für das kon- gestellt werden (z. B. »Aber Ihre Tochter ist doch
krete Verhalten von großer Bedeutung und führen schon lange erwachsen«, »Ihr Vater ist bereits ver-
zu dem häufig beschriebenen »Drängen« der De- storben« oder »Ihre Mutter ist vor 30 Jahren ge-
menzkranken: »Lassen Sie mich jetzt sofort gehen, storben.«). Die zentrale Herausforderung an Be-
meine Tochter kommt gleich von der Schule nach gleiter und Begleiterinnen in diesem Stadium der
Hause …«; »Mein Vater wird böse, wenn ich zu spät Erkrankung ist das emotionale Mitschwingen und
komme, ich muss nach Hause.«; »Ich geh jetzt zum Eingehen auf die unterschiedlichen Berichte, ohne
Begräbnis meiner Mutter – da können Sie mich sich dabei in die (Fehl-)Wahrnehmungen mit hin-
auch nicht aufhalten!« Da auf der Ebene des seeli- einziehen zu lassen: Auch wenn die Pflegeperson
schen Erlebens die Bilder der Vergangenheit ohne beispielsweise durch ihr Äußeres den erkrankten
chronologische Anordnung nebeneinander stehen, Menschen auf die Erinnerungsspur »Schule« bringt
gelingt es Begleitern nur schwer, sich einen Über- (z. B. Aussage einer Bewohnerin: »Wir beide ha-
blick zu verschaffen. ben ja gemeinsam die Schulbank gedrückt!«), ist
Das Wissen um biografische Eckdaten und bleibt sie die Pflegeperson und nicht die Schul-
(7 Abschn. 3.1.3 und 7 Abschn. 3.3.1.2) kann den kameradin von früher. Die Kunst der Begleitung
3.3 • Das Syndrom Demenz: auf der Suche nach geeigneten Begleitmöglichkeiten
87 3
liegt nun in der Fähigkeit, die Gefühle des kranken die Frage, wie man zumindest die Grundbedürf-
Menschen zu erkennen, aufzugreifen und auf die- nisse nach Sicherheit, Schutz und Geborgenheit
se – und nicht auf die sachliche Ebene – einzuge- (7 Abschn. 2.4) stillen kann. Zunächst sollte über
hen. Im konkreten Fall könnte die sichtlich positive nonverbale Signale versucht werden, Kontakt her-
Stimmung aufgegriffen und ins Allgemeine geho- zustellen. Dies kann über Blickkontakt, eine offe-
ben werden, etwa: »Ja, die Schulzeit …!« ne Körperhaltung und Berührungen geschehen.
Im zweiten Stadium der Demenzerkrankung Bei Berührungen ist zu bedenken, dass sich das
spielt das richtige Wahrnehmen und Ansprechen Körperempfinden im Laufe der Erkrankung ver-
der jeweils vorhandenen Gefühlslage der Erkrank- ändert und die unteren Körperpartien meist nicht
ten eine besonders große Rolle. Auch die Berüh- zum eigenen Körper gehörend empfunden werden
rung sollte ab dem zweiten Stadium als wichtiges (. Abb. 3.12). Eine weitere Möglichkeit, den de-
Kommunikationsmittel berücksichtigt und in die menten Menschen wenigstens punktuell zu errei-
Begleitung eingebaut werden. chen, besteht im Aufgreifen der gezeigten Bewe-
gung (»Spiegeln«) und einer nachfolgend langsam
durchgeführten Rhythmusveränderung (z. B. vom
Kommunikationshinweise für die zweite raschen, heftigen Klopfen hin zu einer ruhigeren
Stufe der Demenz (»Zeitverwirrtheit«) Bewegung). Begleitendes Summen oder leises Sin-
55 Einsatz von W-Fragen (wer? wie? was? gen kann ebenso beruhigend wirken wie Gesten,
wann? wo? … niemals WARUM) die Nähe und Mitgefühl signalisieren.
55 Kommunikation auf »gleicher Augenhö-
he«, offene Körperhaltung
55 Blickkontakt suchen Kommunikationshinweise für die dritte
55 Aussagen nicht korrigieren, sondern wört- Stufe der Demenz (»sich wiederholende
liches Wiederholen des Gehörten Bewegungen«)
55 Aussagen nicht durch Lügen bestätigen 55 »Offene« Körperhaltung und Kommunika-
55 Die eigene Stimme den wahrgenomme- tion auf »gleicher Augenhöhe«
nen Emotionen anpassen 55 Blickkontakt suchen
55 Gefühle ansprechen 55 »Spiegeln« der gezeigten Bewegungen
55 Berührungen als kommunikatives Element 55 Sprachliche und parasprachliche Signale
verwenden der wahrgenommenen Emotion anpassen
55 Berührungen/Nähe anbieten
55 Leises Singen oder Summen
Wenn die Krankheit weiter fortschreitet, treten
anstelle von Worten oft Bewegungen, die auf die
immer gleiche Art und Weise wiederholt wer- Das letzte Stadium der Demenz wird mit dem
den. Man spricht auch vom Stadium der »sich Wort »Vegetieren« umschrieben und verweist auf
wiederholenden Bewegungen«. Häufig kommt den Zustand des Dahindämmerns. Am Ende der
es vor, dass »unsichtbare Tücher« in der Luft ge- Krankheit steht ein totaler Rückzug in eine Welt,
faltet werden, mit dem Gehstock auf den Boden die kaum mehr von außen erreichbar ist. Die Men-
geschlagen, in immer gleichen Bewegungen der schen zeigen meist keine sichtbaren Reaktionen
Tisch abgewischt oder auf die Lehne des Stuhles auf Ansprache oder Berührung. Hier stellt sich die
geklopft wird. Doch auch ausgiebiges Wippen und besonders schwierige Aufgabe, auch diesen Men-
Schaukeln begleitet von Lauten, Rufen (»Hallo, schen Angebote zu geben, die vielleicht Gefühle
hallo«) oder unverständlichem »Buchstabensalat« wie Sicherheit und Geborgenheit vermitteln und
lässt sich in dieser Krankheitsphase beobachten. das Grundbedürfnis nach Annahme und Geliebt-
Menschen in diesem Krankheitsstadium sind werden zumindest ansatzweise befriedigen kön-
nur mehr schwer zu erreichen und es stellt sich nen.
88 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
prägend für diesen Menschen waren z. B. Krank- Frau S. eine Frau, die sich in ihrer Pfarre engagierte
heiten, Kriegserfahrungen, bestimmte Menschen. Frau S. ein Mensch, für den der Glaube sehr wichtig
war und noch immer wichtig ist
Eine Erweiterung erfährt das so gewonnene Bild
durch Informationen über besondere Vorlieben
oder Abneigungen, beispielsweise in Bezug auf Ge- Biografisches Arbeiten stellt eine ganz wichtige
rüche, Essen, Musik u. Ä. Nach und nach ergibt Möglichkeit dar, die individuell unterschiedlichen
sich so das facettenreiche Bild eines Menschen- Verhaltens- und Reaktionsweisen auf dem Hinter-
lebens. Hilfreich ist es, ein Informationsblatt an- grund der jeweiligen Lebens- und Erfahrungsge-
zulegen, in dem man die für die Begleitung und schichte besser zu verstehen und eine individuell
Pflege sowie gezielte Aktivitätsangebote besonders geeignete Begleitung anzubieten.
relevanten Aspekte festhält, wie das nachfolgende
Beispiel zeigt. »» Ich vergesse nicht
das Elternhaus
zz Beispiel für Orientierungsbilder einer die Mutterstimme
biografiegeleiteten Pflege und Betreuung den ersten Kuss
von Frau S. die Berge der Bukowina
die Flucht im Ersten Weltkrieg
Frau S. eine von Krankheit (Demenz, Bluthochdruck, das Darben in Wien
eingeschränkte Mobilität) gezeichnete, dennoch sehr
die Bomben im zweiten Weltkrieg
lebendig wirkende Frau
Frau S. Ehefrau eines Bahnbediensteten, der zurzeit in
den Einmarsch der Nazis
der Familie eines der beiden Söhne lebt und von der das Angstbeben im Keller
Schwiegertochter betreut wird den Arzt, der unser Leben rettete
Frau S. Mutter von drei Söhnen das bittersüße Amerika
Frau S. Großmutter von sechs Enkelkindern mit be-
Hölderlin Trackl Celan
sonderem Kontakt zur ältesten Enkelin
meine Schreibqual
Frau S. ältestes Kind einer Handwerkerfamilie den Schreibzwang
Frau S. Schwester von zwei Brüdern und einer
noch immer
Schwester
Frau S. schon als Kind sehr gewissenhaft, musste früh (Rose Ausländer)
zu Hause mithelfen
Frau S. hat oft bei den jüngeren Geschwistern die Die weiter oben angesprochene Methode der Vali-
Mutterrolle übernommen dation nach Naomi Feil (7 Abschn. 3.3.1.1), bei der
Frau S. jung geheiratet und früh Mutter geworden biografische Elemente für eine adäquate Beglei-
Frau S. eine Frau mit einer schönen Stimme und Freu- tung mit bedacht werden, ist im Laufe der Jahre
de am Singen: »Wo man singt, da lass dich nieder!« weiter entwickelt, ergänzt bzw. erweitert worden.
Frau S. in der Kriegszeit immer in Sorge um die Män- In diesem Zusammenhang sei auf die integrative
ner der Familie Validation nach Nicole Richard (Richard 2014) hin-
Frau S. eine Frau, die als Putzfrau die Familienkasse gewiesen, deren Ansatz weniger psychoanalytisch
aufbesserte
(»Aufarbeiten der Vergangenheit«) ist, sondern
Frau S. eine Frau, die Hilfe immer schwer annahm
sich stärker am Hier und Jetzt orientiert, Angebote
92 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
zur Stärkung der Ich-Identität bereit hält und be- Reaktionen der Dementen auf bestimmte Klänge,
sonders das Bedürfnis nach Zugehörigsein befrie- Gerüche, Worte) dazu, »richtige« kommunikative
digen möchte. Die integrative Validation bezieht Impulse für alle Lebenssituationen (z. B. Essen,
sich explizit auf die Biografiearbeit als Möglichkeit, Wohnen, tägliche Körperpflege, Aktivitätsangebo-
der Welt dementer Menschen besser begegnen zu te) zu setzen, um häufig vorkommende, belastende
können. Begleiterscheinungen der Demenz (z. B. Agitation,
3 Auch im mäeutischen Pflege- und Betreuungs- Schreien, Angstzustände, Aggressivität) zu lindern.
modell von Cora van der Kooij (»erlebnisorientier- Böhm hat im Laufe seiner Arbeit Erreichbar-
te Pflege«) spielen biografische Elemente eine wich- keitsstufen beschrieben und damit auf einen Pro-
tig Rolle (Kooij 2012). Der Begriff Mäeutik wird mit zess hingewiesen, der im Laufe einer Demenz-
»Hebammenkunst« umschrieben und verweist auf erkrankung häufig zu beobachten ist und auch als
das spezielle Vorgehen im Kontakt mit dementen Umkehrphänomen bezeichnet wird: Durch die
Menschen: Durch einfühlsame Kommunikation Erkrankung stoppt die Entwicklung gleichsam und
und entsprechende Fragen soll nach und nach der die Menschen gehen Schritt für Schritt die Ent-
in den Dementen schlummernde Erfahrungsschatz wicklungsleiter wieder zurück. Als Ausgangs- und
ans Tageslicht gebracht – »geboren« – werden. Das Orientierungspunkt dieser »Rückwärtsreise« wird
Aufeinandertreffen zweier Welten – hier die Welt die frühe Erwachsenenstufe genommen, dann
der Betreuer, dort die Welt der Demenzkranken – folgt die Entwicklungsstufe von Jugendlichen,
kann dann positiv genutzt werden, wenn man sich Grundschulkindern, Kindergartenkindern und
der gefühlsmäßigen Wechselwirkung bewusst ist. Kleinkindern. Am Schluss steht das Stadium eines
Eine besondere Bedeutung kommt demnach der Säuglings, für den die Sprache der Berührung als
intensiven Auseinandersetzung von Pflegekräften Urkommunikation (. Abb. 3.12) unverzichtbar ist.
mit ihrer eigenen Geschichte aber auch mit ihren
intuitiven und kommunikativen Fähigkeiten zu.
Hinweise auf entsprechende weiterführende Lite- Erreichbarkeitsstufen nach Böhm
ratur ist dem Literaturverzeichnis im Anhang zu 55 Erwachsenenstufe: »Sozialisation«; Fähig-
entnehmen. keit, sich an die gesellschaftlichen Normen
Eine ganz besonders große Rolle spielen bio- anzupassen; Lernfähigkeit; Interaktions-
grafische Aspekte bei der »reaktivierenden Pflege möglichkeit: Menschen sind kognitiv gut
nach Böhm« (Böhm 2009), die im Folgenden etwas zu erreichen
ausführlicher dargestellt wird. Böhm geht davon 55 Entwicklungsstufe von Jugendlichen:
aus, dass die Jahre zwischen der Geburt bis etwa »Sprechen wie einem der Schnabel ge-
zum 30. Lebensjahr jeden Menschen auf ganz be- wachsen ist – Mutterwitz«; Interaktions-
sondere Art und Weise prägen. Die in diesen Jah- möglichkeit: Menschen sind über ein Ge-
ren gemachten Erfahrungen bestimmen sehr oft spräch noch zu erreichen; Bedeutung von
das Leben und Erleben dementer Menschen. Der Humor
Schlüssel für eine bedürfnisorientierte Pflege an 55 Entwicklungsstufe von Grundschulkindern:
Demenz Erkrankter kann demnach auch im aus- seelische und soziale Grundbedürfnisse
giebigen Erkunden biografischer Elemente der ers- sind von großer Bedeutung
ten drei Lebensjahrzehnte liegen. Die Schwierigkeit 55 Entwicklungsstufe von Kindergartenkin-
liegt oft darin, dass die dementen Personen selbst dern: Verhalten wird geprägt durch Ver-
je nach Stand der Erkrankung nur unzureichend haltensnormen und Rituale (Prägungen);
Auskunft geben können. Manchmal sind Angehö- Kommunikation wird durch klare Vorgaben
rige in der Lage, entscheidende Hinweise zu geben. und Rituale erleichtert
Meistens aber führt ein fundiertes entwicklungs- 55 Entwicklungsstufe von etwas älteren
psychologisches Basiswissen, großes Einfühlungs- Kleinkindern: Aktivierung durch »Sinn-
vermögen und die Fähigkeit zur kreativen Zusam- gebendes« (»höhere Antriebe«); wichtiges
menschau einzelner Wahrnehmungssplitter (z. B.
3.3 • Das Syndrom Demenz: auf der Suche nach geeigneten Begleitmöglichkeiten
93 3
wickelnden mehr oder weniger ausgeprägten
Kommunikationselement: Loben, positives Leistungsbereitschaft, das soziale Leben wird
Verstärken bestimmt von der Großfamilie, der erweiterten
55 Entwicklungsstufe von Kleinkindern: Intui- Nachbarschaft, Schulfreunden oder Freunden
tionen bestimmen Reaktionen, Bedeutung aus anderen Gruppen
oraler Stimulation; Menschen können über 55 In der Pubertät spielt die Suche nach der eige-
Märchen, Lieder, Reime … noch erreicht nen Identität eine besonders große Rolle, was
werden sich oft im Ausprobieren unterschiedlicher
55 Entwicklungsstufe von Säuglingen: Ur- Rollen niederschlägt, die wichtigsten sozialen
kommunikation Bezüge sind Altersgleiche (Peers) und Freun-
de, Treue spielt eine große Rolle
55 Im frühen Erwachsenenalter folgt die tiefe
Für den praktischen Umgang mit dementen Men- Auseinandersetzung mit anderen Menschen,
schen bedeutet eine Orientierung an den Erreich- wobei die Fähigkeit zu Lieben und Nähe
barkeitsstufen, sich die jeweils alters- und entwick- zu teilen wichtige Schlüsselerfahrungen im
lungstypischen Merkmale einer Altersstufe vor Au- Kampf gegen Isolation und Einsamkeit sind,
gen zu führen, etwa: »Wie kommt man mit Puber- der wichtige soziale Umkreis wird von Perso-
tierenden in Kontakt?«, »Welche Rituale sind für nen des eigenen Lebensumfeldes bestimmt,
kleine Kinder wichtig?«, »Was können Kinder im von Partnern/Partnerinnen und Menschen aus
Kindergartenalter und wie kann ich sie zu einem dem Berufsleben
Mithelfen aktivieren?« oder »Welche Bedürfnisse
haben Säuglinge und wie kann ich sie stillen?« Eine
Möglichkeit, sich an die Besonderheiten bestimm- Altersbezogene zentrale Themen der psy-
ter Altersstufen heranzutasten, besteht in der Aus- chosozialen Entwicklung von der Geburt
einandersetzung mit entwicklungspsychologischen bis ins junge Erwachsenenalter
Modellen. Hier sei einmal mehr auf die Arbeiten Hauptaufgabe:
von Erik Erikson (7 Abb. 2.1) hingewiesen (Erik- 55 Aufbau von Vertrauen
son 2008). Für die in der reaktivierenden Pflege 55 Entfaltung des eigenen Willens, Kontroll-
besonders relevanten Jahre ergibt sich folgende Zu- möglichkeit
sammenschau: 55 Zielstrebigkeit, Initiative
55 Zu Beginn des Lebens steht der Erwerb von 55 Erleben individueller Kompetenz, Leis-
Vertrauen im Mittelpunkt und die wichtigsten tungsbereitschaft
Bezugspersonen sind »Eltern« 55 Identitätssuche
55 Das zweite Lebensjahr steht für die Entfaltung 55 Auseinandersetzung mit anderen, Entwick-
des eigenen Willens und erster Kontroll- lung stabiler Beziehungen
möglichkeiten über sich selbst, wobei sich der
Altersbezogene relevante Bezugspersonen:
soziale Kreis erweitert und auch Menschen des
55 Eltern
näheren Umfeldes bedeutsam werden (Oma,
55 Erweiterung durch Oma, Opa, enge Ver-
Opa, Tanten …)
wandte
55 Im Kindergartenalter entwickeln Kinder eine
55 Erweiterung durch Nachbarschaft, Kinder-
bestimmte Zielstrebigkeit und übernehmen
gartenfreunde
öfter die Initiative, was sich auch in ihrer wich-
55 Erweiterung durch Freunde, Schulkolle-
tigen sozialen Bezugsgruppe – Kindergarten,
gen, Gruppen
Nachbarschaft – bemerkbar macht
55 Erweiterung durch Peers
55 Das frühe Schulalter wird geprägt von Leis-
55 Erweiterung durch Partner, Freunde, Be-
tungsanforderungen bzw. dem Erleben der
rufskollege
eigenen Kompetenz und der sich daraus ent-
94 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
Der Einsatz biografischer Elemente in der Be- handene Schmerzen in den nicht mehr gut wahrge-
gleitung von dementen Menschen erleichtert eine nommen Körperteilen aussagt. Andererseits treten
Optimierung der Abstimmung zwischen den Pfle- die nichtsomatischen Schmerzen (7 Abschn. 3.2.1)
ge- und Betreuungsangeboten einerseits und den oft stärker in den Vordergrund und ziehen entspre-
jeweils sehr persönlichen Bedürfnissen und Mög- chende Schmerzreaktionen nach sich. Zu denken
lichkeiten der Erkrankten andererseits. Durch die ist in diesem Zusammenhang an Angst, Unsicher-
3 Informationen aus der Biografiearbeit können die heit oder Gefühle des Fremdseins.
verbleibenden Ressourcen der dementen Men- Um dementen Menschen eine gute Schmerz-
schen gestärkt und ihr Identitätsgefühl gefestigt therapie zukommen zu lassen, müssen die Schmer-
werden. Auch die Bedürfnisse nach Schutz und zen erst einmal als solche erkannt und beurteilt
Geborgenheit, nach Wohlfühlen und Akzeptanz werden, was bei zunehmender Verschlechterung
lassen sich durch Kenntnis biografischer Zusam- des Zustandsbildes eine große Herausforderung
menhänge leichter befriedigen. Die Anwendung darstellt. Wichtig ist es, sich vor Augen zu halten,
dieses Ansatzes verlangt allerdings nicht nur ein dass sich das Schmerzempfinden im Laufe der De-
großes Methodenwissen, sondern auch ein großes menzerkrankung verändert und demnach auch die
Engagement für die zu begleitenden Menschen Methoden zur Schmerzerkennung den jeweiligen
und die Gabe einfühlsamer Beobachtung und Ge- Gegebenheiten angepasst werden müssen (Brand-
sprächsführung. Dadurch entstehen nach und nach stetter 2014).
besondere Beziehungen, die so manche verschlos- An erster Stelle der Schmerzerfassung steht im-
sene Tür zu öffnen vermögen. Viele als anstrengend mer die Eigenauskunft der Betroffenen – dies ist bei
empfundene Verhaltensweisen oder unverständli- allen Schmerzpatienten das erste Mittel der Wahl,
che Reaktionen lassen sich auf dem Hintergrund da das Schmerzempfinden eine subjektive Angele-
des biografischen Wissens leichter einordnen oder genheit ist (7 Abschn. 3.2.2). Im Frühstadium einer
im Vorfeld sogar abfangen. Dies kann entscheidend Demenzerkrankung können die notwendigen In-
zur Entlastung der oft schwierigen Begleit- und formationen im Rahmen von Gesprächen gesam-
Pflegesituation beitragen und dies sowohl für die melt werden. Dabei ist es sehr wichtig, dem an
dementen Menschen wie deren Begleiterinnen und Demenz erkrankten Menschen ausreichend Zeit zu
Begleiter. geben, sich mit den Leitfragen zur Schmerzerfas-
sung (7 Abschn. 3.2.3.1) genau zu beschäftigen: »Wo
genau tut es weh? Wie lässt sich der Schmerz be-
3.3.2 Vom Umgang mit Schmerzen bei schreiben – eher stechend, pochend, bohrend oder
dementen Menschen …? Wie lange hält der Schmerz an? Wie stark ist er
und tut es immer gleich weh? …«
Bei den Ausführungen zum Thema Schmerz wur- Alle Auskünfte müssen genau festgehalten
de bereits darauf hingewiesen, dass die Schmerz- werden, wobei man auf verschiedene Schmerz-
situation dementer Menschen oft nicht richtig erfassungsmethoden zurückgreifen kann
eingeschätzt und entsprechend behandelt wird (7 Abschn. 3.2.3.1), wie z. B. Körperlandkarten zur
(7 Abschn. 3.2). Ein Grund dafür liegt in der Tatsa- genauen Lokalisierung oder numerische Rating-
che, dass die Betroffenen in fortgeschrittenen Sta- skala zur besseren Einschätzung von Intensität und
dien der Erkrankung keine eindeutigen Auskünfte Ausmaß der Schmerzen. Die verbale Ratingskala
über ihre Schmerzen geben können. Mit dem Fort- mit den Schmerzstärken »keine, schwache, mäßige
schreiten der Erkrankung geht Schritt für Schritt und starke Schmerzen« lässt sich auch dann noch
auch die Fähigkeit verloren, einen Zusammenhang relativ gut einsetzen, wenn sich das Krankheitsbild
zwischen einer Schmerzempfindung und dem eige- verschlechtert und eine feinere Differenzierung
nen Körper herzustellen. Die Empfindungsfähig- (0 = keine Schmerzen/10 = stärkster vorstellbarer
keit beschränkt sich nach und nach nur mehr auf Schmerz) nicht mehr so gut gelingt.
den Kopf-, Schulter- und oberen Brustkorbbereich Eine wichtige Informationsquelle stellt auch die
(. Abb. 3.12), was jedoch nichts über mögliche vor- Schmerzbiografie dar. Je nach Ausmaß der demen-
3.3 • Das Syndrom Demenz: auf der Suche nach geeigneten Begleitmöglichkeiten
95 3
ziellen Veränderungen kann man die Betroffenen zukommen zu lassen, sind besonders die indi-
selbst um Auskünfte bitten (besteht eine Schmerz- rekten Schmerzzeichen zu berücksichtigen, die
problematik – z. B. Rückenschmerzen – und wenn psychosoziale, psychomotorische und somatische
ja: seit wann?) oder aber die Angehörigen mit ein- Reaktionen beinhalten (7 Abschn. 3.2.3.2). Oft
beziehen. Eine umfassende Schmerzbiografie ist fa- sind auch Auskünfte von Angehörigen hilfreich,
cettenreich und verlangt wie alle anderen lebensge- um Abweichungen von einem eher bekannten
schichtlichen Auskünfte einen Gesprächspartner, Verhalten leichter einordnen zu können. Die Be-
der Geduld hat und gut zuhören kann. Als Einstieg obachtungsinstrumente, die speziell zur Erfassung
bieten sich Fragen nach Vorerkrankungen im Lau- von Schmerzzuständen bei dementen Menschen
fe des Lebens an, nach Schmerzerfahrungen und entwickelt wurden, greifen ebenfalls die genannten
dem persönlichen Umgang damit (Medikamente, Dimensionen auf. Die bekanntesten Verfahren sind
Hausmittel, persönliche Strategien, wie z. B. »igno- die BESD-Skala (»BEurteilung von Schmerz bei
rieren«) sowie über die aktuelle Schmerzsituation Demenz«), die Doloplus-2-Skala und das BISAD-
und mögliche Medikamente. Nach und nach kann Beobachtungsinstrument, die in der nachfolgen-
man dann weiter in die Schmerzgeschichte vor- den Übersicht kurz beschrieben werden (Fischer
dringen und beispielsweise nach dem »schlimms- und Sramek 2012, Pinter et al. (Hrsg.) 2013).
ten je erlebten Schmerz« fragen in Kombination
mit »was hat geholfen oder was hätte geholfen?«
Aus medizinischer Sicht ist es besonders wichtig, Methoden der Schmerzerfassung bei
den Umgang mit Medikamenten im Allgemeinen dementen Menschen
(vom Arzt verschriebene ebenso wie freiverkäuf- 55 Eigenauskunft und Übertragung in her-
liche Medikamente) und den mit Schmerzmitteln kömmliche Instrumente (z. B. numerische
im Besonderen zu erfassen. bzw. verbale Ratingskala, Körperlandkar-
In einem fortgeschrittenem Stadium der De- ten)
menzerkrankung können die Betroffenen sich oft 55 Erfassen der Schmerzbiografie
nur schwer mitteilen. Durch die speziellen Verän- 55 Beobachtung von Verhaltens- und Bewe-
derungen, die mit einer Demenzerkrankung ver- gungsänderungen
bunden sind, ist es in einem späten Stadium der 55 Beobachtung mit Unterstützung von
Demenz oft recht schwierig, Schmerzen als solche Schmerzerhebungsbögen (BESD-Skala,
zu diagnostizieren. Konkrete Fragen werden von Doloplus-2-Skala, BISAD-Skala)
den Demenzkranken meist nicht mehr verstanden
oder können mit dem eigenen Leben und Emp-
finden nicht in Zusammenhang gebracht werden.
Ab diesem Zeitpunkt müssen Verhaltensbeobach- Verhaltensdimensionen zur Erfassung von
tungen (»indirekte Schmerzzeichen«) verstärkt als Schmerzen bei Demenz
Schmerzerkennungsinstrument in den Vorder- 55 BESD-Skala: Dokumentation von fünf
grund rücken. Verhaltensäußerungen: Atmung, negative
Lautäußerungen, Körperhaltung, Mimik,
>> Bei Demenzkranken in einem fortgeschrit- Reaktion auf Trost. Jede Äußerung kann
tenen Stadium kann fast jede Verhaltens- mit einem Wert zwischen 0 ( = keine Ver-
änderung darauf hindeuten, dass Schmerzen haltensreaktion) und 2 ( = stärkste Verhal-
vorhanden sind. Indirekte Schmerzzeichen tensreaktion) eingestuft werden. Bei einem
gewinnen an Bedeutung. Punktewert ab 2 (max. 10 Punkte) kann
man davon ausgehen, dass Schmerzen
Demente Menschen drücken Schmerzen häufig vorhanden sind. Empfohlen wird der Ein-
durch Verhaltensveränderungen oder -auffällig- satz in einer Ruhesituation und bei einer
keiten aus. Um Fehleinschätzungen zu vermeiden Aktivität.
und den Betroffenen eine gute Schmerztherapie
96 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
Die medikamentöse Schmerztherapie bei Demenz portieren, können beruhigen, entspannen, Sicher-
folgt den gleichen Prinzipien wie die Therapie bei heit, Geborgenheit und Halt vermitteln (Specht-
Menschen, die nicht an Demenz erkrankt sind. Da Tomann und Tropper 2011). Sie sind aber auch in
die Betroffenen selbst in aller Regel nicht in der der Lage, Assoziationen freizusetzen. Deshalb ist
Lage sind, die Medikamente nach dem erstellten ein behutsamer Einsatz wichtig mit dem Augen-
Therapieplan zu nehmen, muss diese Aufgabe von merk auf auftretende Reaktionen. Als Orte von
den Pflegekräften verlässlich übernommen und do- Freundschaftsberührungen werden Berührungen
kumentiert werden. Dies gilt ebenso für Beobach- im Schulter- und Rückenbereich meistens akzep-
tungen über Wirkung oder Nebenwirkungen der tiert und als angenehm empfunden. Berührungen
verordneten Therapien. im Wangenbereich werden als Mutterberührungen
Auch im Bereich der nichtmedikamentösen (. Abb. 3.15) bezeichnet und stellen im letzten Sta-
Therapie können die in 7 Abschn. 3.2.4 beschriebe- dium der Demenz oft die einzige Möglichkeit einer
nen Methoden eingesetzt werden. Ganz besonders Kontaktaufnahme dar (7 Abschn. 3.3.1.1).
wichtig ist in der Begleitung von an Demenz er- Demente Menschen zu begleiten stellt, wie aus
krankter Menschen jedoch die seelische Unterstüt- den vorangegangenen Ausführungen hervorgeht,
zung. Im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit eine ganz besondere Herausforderung dar. Belas-
kann so vieles nicht mehr verstanden, eingeordnet tende Momente lassen sich in allen pflege- und be-
und begriffen werden. Da können Kommunika- gleitrelevanten Bereichen nennen. Folgt man dem
tion und Zuwendung Trost spenden und auf alle Gedanken, dass eine Unterbringung in einer Pfle-
Schmerzdimensionen lindernd wirken. Ein beson- geeinrichtung gleich bedeutend mit dem Umzug
ders wichtiges Medium dabei sind Berührungen. in ein »letztes Zuhause« anzusehen ist, wird auch
Berührungen ermöglichen eine Kommunikation deutlich, dass viele Elemente im Umfeld eine große
ohne Worte, sind in der Lage, Gefühle zu trans- Bedeutung erlangen. Die umgebende Wirklichkeit
98 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
kann Schutz, Anregung und Rückzugsmöglich- öfter über andere Erinnerungsbilder legte. Und so
keit zugleich bieten. Die spezielle Situation der an kam es, dass Magda R. jeden Tag zwischen 12 und
Demenz erkrankten Menschen ist für das gesamte 15 Uhr das Heim verlassen wollte, um ihre Kinder zu
Umfeld eine besondere Herausforderung (Georg Hause in Empfang zu nehmen. Dieser Wunsch, ihre
et al. (Hrsg.) 2011). Demnach betreffen betreuende Rolle als Mutter gut zu erfüllen, war so drängend,
und begleitende Aufgaben nicht nur das Pflege- dass sie zunächst niemand von ihrem Vorhaben ab-
3 personal oder die medizinisch geschulten Beglei- halten konnte: Mit entschiedenen Gesten schickte
ter. Alle in einer Pflegeeinrichtung Beschäftigten sie betroffene Pflegehelfer weg, stieß Mitbewohner
kommen mit den dementen Bewohnerinnen und beiseite, die ihr den Weg verstellten, und wehrte
Bewohnern in Berührung. Und alle in einer Pflege- sich heftig gegen Versuche, sie beim Verlassen des
einrichtung Beschäftigten haben die Möglichkeit, Hauses zu hindern. Einmal brach sie in Tränen aus
so zu reagieren, dass die Situation nicht eskaliert und jammerte: »Oh, meine armen Kinder, meine ar-
und dass die dementen Menschen sich aufgehoben men Kinder!«, dann wieder ging sie mit erhobener
und gut begleitet fühlen. Faust auf diejenigen zu, die sie im Sinne einer Reali-
tätsanpassung korrigieren wollten.
Beispiel Die Verantwortlichen im Pflegeheim reagierten
Magda R. ist mit ihren 76 Jahren eine körperlich sofort und in einer Teambesprechung wurde be-
agile und rüstige Frau. Als sie in ihrer eigenen Woh- schlossen, möglichst viele Mitarbeiter und Mit-
nung immer öfter vergessen hatte, die Herdplatte arbeiterinnen des Pflegeheims über die aktuelle
auszuschalten, den Weg auf die Toilette nicht mehr Situation bei Magda R. zu informieren. Um Magda
zuverlässig finden konnte und auch Wochentage R. dort abzuholen, wohin sie ihr drängendes Be-
und Monate durcheinander brachte, hatte sich ihre dürfnis führte – nämlich »nach Hause zu den Kin-
Familie schweren Herzens dazu entschlossen, Mag- dern« –, wurden die Gesprächsthemen »Kinder«,
da R. in ein Heim zu geben. Erstaunlicherweise und »gute Mutter«, »verlässliche Mutter« als zentrale
zur großen Erleichterung ihrer Familienangehöri- Anker festgelegt. Dadurch gelang es relativ gut,
gen verlief die Eingewöhnungsphase gut. Wenn sie eine Eskalation der Situation zu vermeiden und
von ihrer Tochter und Enkeltochter Besuch bekam, es kam immer häufiger vor, dass Magda R. sich bei
fanden diese Magda R. meist zufrieden auf einem einer Mitarbeiterin einhängte und ihr von »den Kin-
Stuhl sitzend vor dem Fenster. Sie schaute dem dern« erzählte. Gutes Zuhören und das Verstärken
Treiben im angrenzenden Garten zu und drückte der Bedeutung ihres Verhaltens aus den Tagen ihrer
in regelmäßigen Abständen ihre alte Handtasche aktiven Mutterschaft erleichterte den Umgang mit
an die Brust. Die mitgebrachten Früchte stellte sie Magda R.
sorgsam auf den Tisch, rührte sie aber nicht weiter
an. Auf Fragen nach ihrem Befinden, gab Magda Da demente Menschen in ihren Aktivitäten auf
R. keine Antwort, stattdessen lächelte sie still vor viele verschiedene Mitarbeiter und Mitarbeiterin-
sich hin und fuhr ihrer Enkeltochter durchs Haar. nen einer Pflegeeinrichtung treffen, sollten mög-
Wochen vergingen und die Familie hoffte, dass sich lichst viele Beschäftigte über das Zustandsbild
der Zustand ihrer Mutter, Schwiegermutter und Demenz im Allgemeinen und über den jeweiligen
Oma stabilisieren könnte und das Schreckgespenst Zustand jener Bewohner, die ein »auffälliges« Ver-
Demenz doch zu bannen sei. Doch dem war nicht halten zeigen, informiert werden. Personen vom
so. Magda R. schien immer mehr in ihre eigene Reinigungsdienst oder aus der Küche sollten bei-
Welt einzutauchen. In ihrer Zeitverwirrtheit tauch- spielsweise über den Zustand von Magda R. aus
ten längst vergangene Jahre wieder auf: Magda R. dem oben genannten Beispiel ebenso informiert
war einmal das junge Mädchen, das bei der Ernte sein wie Personen aus der Verwaltung oder ande-
half, dann wieder die besorgte Ehefrau und Mutter. ren Diensten. Wie man mit Menschen umgeht, die
Nach und nach folgte sie einem nur schwer nach- so drängende Anliegen äußern, wie Magda R., hat
zuvollziehenden Tagesrhythmus, der nahelegte, nachhaltige Wirkung auf ihr nachfolgendes Verhal-
dass sich die Bedeutung ihrer Mutterrolle immer ten und ihr subjektives Empfinden. Gelingt es, wie
3.4 • Sterbebegleitung im Heim: Herausforderung und Chance
99 3
im vorliegenden Beispiel, in Gespräche über ihre vor mir selbst,
Kinder einzutreten und ihre Eigenschaften als ver- welcher Engel,
antwortungsvolle Mutter zu würdigen, wird Magda welcher Dämon
R. meistens recht gut dazu zu bewegen sein, ge- lauert in mir.
meinsam mit ihrer Begleiterin oder ihrem Begleiter (Urte Beijk)
Blumen zu gießen oder andere kleine »Dienste« zu
übernehmen. Anderseits kann es sehr rasch zu Es-
kalationen kommen, wenn Magda R. auf Menschen 3.4 Sterbebegleitung im Heim:
trifft, die sich ihrem drängenden Wunsch, nach Herausforderung und Chance
Hause zu gehen und ihre Kinder zu versorgen, ent-
gegenstellen. Heftige Reaktionen bis hin zu deut- Mit dem Einzug in eine Altenpflegeeinrichtung be-
lich abwehrendem Verhalten machen in so einer ginnt sowohl für die Betroffenen selbst wie auch für
Situation deutlich, wie Magda R. ihre Wirklichkeit deren Angehörigen ein neuer Lebensabschnitt. Im
erlebt. Erfahrungen aus der Praxis von Heimen, Vordergrund vieler Überlegungen stehen Fragen
deren gesamtes Personal an spezifischen Weiter- einer adäquaten Betreuung und der Gestaltung des
bildungen teilgenommen hat (7 Kap. 4), machen Lebensraums unter Berücksichtigung individueller
deutlich, wie wichtig es ist, dass alle in einer Pfle- Bedürfnisse. Wird es möglich sein, die vielfältigen
geeinrichtung Beschäftigten Informationen über Veränderungen auf körperlicher und seelischer
bestimmte Krankheitsbilder bekommen und Hilfe- Ebene aufmerksam und kompetent zu begleiten?
stellungen für den konkreten Umgang mit diesen Wie kann im Rahmen institutioneller Bedingun-
Menschen. Nur in einem offenen Miteinander aller gen auf persönliche Lebensgewohnheiten einge-
Berufsgruppen und durch ein gut vermitteltes Wis- gangen werden? Auf welche Aspekte muss man
sen um bestimme Zustandsbilder von Bewohnern besonders achten, damit das Leben im Altenheim
und Bewohnerinnen und daraus ableitbaren Hand- zu einer schönen Erfahrung wird? Diese und ähn-
lungsmöglichkeiten kann es gelingen, ein mehr an liche Fragen beschäftigen sich mit dem »Leben« in
Lebensqualität für alle Menschen im Heim zu ge- einer neuen Lebenssituation. Das Thema Sterben
währleisten. und Tod wird meistens ausgeklammert und weg-
geschoben und dies, obwohl sich die Anzeichen
»» Nachtgedanken des nahenden Endes bei vielen Bewohnern und Be-
Jaga P. stahl vor Hunger wohnerinnen bereits deutlich bemerkbar machen
einmal ein Huhn und das Lebensende zur Realität jeder Einrichtung
und glaubte nicht an den Sieg. gehört. Betroffenen, Angehörigen und Begleitern
Seitdem trägt sie auftätowiert fällt es in aller Regel schwer, sich dem Tabuthema
eine Nummer am Arm. Sterben zu nähern. Damit stehen sie in einer Rei-
Im Alter die Krankheit he mit all den anderen Menschen, die eine Aus-
zieht alle Register einandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und
heraus, möglichen Verlustsituationen durch den Tod nahe-
wirft die Tagebuchseiten stehender Menschen möglichst lange ausklammern
in den Fluss, da ist und auf »später« verschieben. Um alte Menschen
Jaga schön und acht Jahre, und ihre Familien gut und bedürfnisorientiert zu
singt auf der Bank im üppig blühenden Garten. begleiten, ist eine Hinführung zu diesem Thema
Andere im selben Haus jedoch unumgänglich.
haben an den Endsieg geglaubt
oder auch nicht, zz Selbsterfahrungsimpulse
das Vergessen steht gleichgültig still, Impulse für eine persönliche Auseinandersetzung
sie suchen ihre verschütteten Kinder mit dem Thema Sterben:
treppauf und treppab. 55 Welche Gedanken gehen Ihnen durch den
Ich habe Angst Kopf, wenn Sie ans Sterben denken?
100 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
55 Welche Wünsche haben Sie für den allerletzten sterben können und respektvoll verabschiedet wer-
Lebensabschnitt? Wollen Sie diese Wünsche den. Menschen die Möglichkeit zu geben, an ihrer
festhalten (z. B. Patientenverfügung, Brief)? letzten Lebensstätte auch sterben zu können, bringt
55 Wovor haben Sie Angst, wenn Sie ans Sterben den Betroffenen ein Stück Lebensqualität und den
denken, und was könnten Sie tun, um diese Begleitern oftmals ein hohes Maß an beruflicher
Angst zu lindern? Zufriedenheit. Durch die intensive Beschäftigung
3 55 Wo möchten Sie sterben? mit den alten Menschen entsteht zwischen den Be-
55 Soll jemand bei Ihnen sein, wenn Sie sterben? gleitern und den Bewohnern oft eine Beziehung,
Wenn ja: Wer soll das sein? die über das reine Erfüllen pflegerischer Handlun-
55 Was wünsche ich mir am Ende meines Lebens gen hinausgeht. Vielen Pflegepersonen und ande-
von meiner Familie und meinen Freunden? ren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von Alten-
55 Wenn Sie an Ihr eigenes Ende denken: Gibt es heimen ist es ein Anliegen, die alten Menschen bis
Dinge, die Sie regeln, klären, machen, erledi- zuletzt begleiten zu können. Somit sollten Fragen
gen, mitteilen, richtigstellen … wollen? der Sterbevorbereitung, Sterbebegleitung und Ver-
abschiedung einen hohen Stellenwert bei Überle-
Die Altersstruktur in den Altenpflegeheimen ver- gungen rund um die Optimierung von Pflege- und
ändert sich laufend in Richtung eines höheren Ein- Betreuungsangeboten einschlägiger Institutionen
trittalters und einer kürzeren Verweildauer. Da- haben. Nachfolgend werden einige Bausteine mit
durch verlagern sich auch Betreuungsschwerpunk- dem Schwerpunkt im psychosozialen Bereich be-
te und Aufgabenbereiche für die in den Heimen sprochen, die eine Begleitung bis in den Tod auch
Tätigen. Anstelle von Langzeitbegleitungen rüsti- in Altenpflegeeinrichtungen ermöglichen können.
ger alter Menschen tritt zunehmend die Pflege und
Betreuung von schwer Pflegebedürftigen. Für diese
Menschen ist es eine wichtige Perspektive, auch den 3.4.1 Wenn das Leben zu Ende geht:
allerletzten Lebensabschnitt im Heim verbringen Sterbeprozess
zu können und zum Sterben nicht in ein Kranken-
haus verlegt zu werden. Eine umfassende Sterbebe- Nimmt man den Auftrag ernst, alte Menschen be-
gleitung muss demnach zu den Kernkompetenzen dürfnisorientiert bis zu ihrem Lebensende zu be-
von Pflegefachkräften und dem interdisziplinären gleiten, ist eine intensive Auseinandersetzung mit
Team einer Altenpflegeeinrichtung gezählt werden dem Sterbeprozess notwendig. Was geschieht,
und sollte in den entsprechenden Aus- und Wei- wenn der Lebensbogen sich zur Gänze neigt? Wel-
terbildungen einen wichtigen Platz einnehmen che Veränderungen leiten den Prozess ein? Welche
(7 Kap. 4). Gefühle und Bedürfnisse stehen im Vordergrund?
Um eine gute, bedürfnisorientierte Sterbebe- Der Übergang von der Betreuung und Pflege eines
gleitung in Heimen garantieren zu können, müssen alten Menschen hin zu einer Sterbebegleitung ist
medizinische und pflegerische Standards berück- sowohl für Angehörige als auch für das ganze Be-
sichtigt werden, die für den Umgang mit sterbenden treuungs- und Pflegeteam nicht immer leicht zu er-
Menschen entwickelt wurden. Zudem geht es auch kennen. Manchmal deuten nur einige kleine Verän-
um eine innere Haltung und um die Bereitschaft, derungen auf den Eintritt in den Sterbeprozess hin,
sich mit Fragen rund um die Endlichkeit menschli- dann wiederum verändert sich die Welt des alten
chen Lebens zu befassen und die eigene Einstellung Menschen auf drastische Art und Weise und lässt
dazu zu hinterfragen. Für die »Institution Alten- keinen Zweifel, dass der Tod vor der Türe steht.
heim« geht es darum, sich bewusst mit den viel- Die Sterbezeichen – jene Merkmale, die in
schichtigen Aspekten einer Sterbebegleitung ausei- Summe darauf hindeuten, dass der Mensch in den
nanderzusetzen und Rahmenbedingungen für eine Sterbeprozess eingetreten ist – lassen sich auf der
optimale Umsetzung palliativer Ansätze zu schaf- körperlichen Ebene, auf der seelischen und auf der
fen. Es geht auch darum, eine Form von Abschieds- verhaltensbezogenen Ebene identifizieren (Bora-
kultur zu entwickeln, in der Menschen in Würde sio 2013, Kübler-Ross 2012, Specht-Tomann und
3.4 • Sterbebegleitung im Heim: Herausforderung und Chance
101 3
Tropper 2013). In den körperlichen Bereich fallen 2004) ist es zu verdanken, dass sich Menschen aus
beispielsweise Veränderungen der Atmung (Atem- den Arbeitsbereichen Medizin, Pflege und psycho-
pausen, flaches Atembild, »Rasseln«), Verände- sozialer Begleitung intensiver mit dem Sterben als
rung des Kreislaufs (Puls, Durchblutung, Körper- Lebensprozess beschäftigen und ganz besonders
temperatur), Nachlassen von Hunger und Durst das psychische Erleben in den Vordergrund rücken
sowie Veränderung des Stoffwechsels (Geruch). und darauf eingehen. Aufgrund zahlreicher Beob-
Ein gesteigertes Ruhebedürfnis, der Rückzug von achtungen sterbender Menschen und durch einen
sozialen Aktivitäten, zunehmendes Desinteresse an intensiven Begleitkontakt mit ihnen entwickelte
der Umgebung und am eigenen Leben, Gefühls- Kübler-Ross ein Modell, das unterschiedliche Sta-
schwankungen sowie eine gewisse Innenschau ver- tionen – Sterbephasen – beschreibt (Kübler-Ross
weisen auf Veränderungen im seelischen Erleben. 2014). Der letzte Lebensweg führt diesem Ansatz
Auf der Verhaltensebene sind deutliche Abwei- folgend über die Stationen des Nicht-Wahrhaben-
chungen von dem für eine Person jeweils typischen Wollens, der Auflehnung, des Verhandelns und der
Verhalten zu nennen. Viele Anzeichen deuten dar- Depression schließlich zur Annahme. Neuere For-
auf hin, dass die innere Bilderwelt das Erleben und schungsarbeiten weisen immer wieder darauf hin,
Verhalten stärker beeinflusst als äußere Faktoren. dass es sich bei dieser Beschreibung des Sterbepro-
zesses nicht um einen linearen Vorgang handelt,
sondern dass einzelne Stationen mehrmals durch-
Beispiele für Veränderungen am Lebens- lebt werden können (»Gefühlsrad«). Auch die Dau-
ende: Sterbezeichen er des Verweilens ist unterschiedlich und wird von
55 Atmung (flach, Atempausen, rasselnd) Persönlichkeitsmerkmalen und sozialen Rahmen-
55 Hautbild (grau, marmoriert) bedingungen beeinflusst.
55 Tonus (schlaff ) Ohne auf die theoretische Diskussion über
55 Körpertemperatur (Fieber/Kalt) Phasenmodelle im Allgemeinen und das Phasen-
55 Stoffwechsel (»Geruch«) modell des Sterbens im Besonderen einzugehen,
55 Hunger, Durst (stark reduziert) sei hier nur festgehalten, dass in der Beschreibung
55 Äußeres Erscheinungsbild (eingefallene der einzelnen Sterbeabschnitte wichtige Hinweise
Gesichtszüge, »spitze Nase«) geliefert werden, Sterbende besser verstehen und
55 Augen, Blick (glanzlose Augen, »leerer begleiten zu können. Dabei ist immer zu beden-
Blick«, Blick ist in die Ferne gerichtet, »et- ken, dass jeder Mensch die einzelnen Phasen auf
was« wird gesehen) seine ihm eigene Art und Weise durchlebt und ge-
55 Motorisches Verhalten (Greifen nach Un- staltet: Sterben kann auch als letzter großer Aus-
fassbaren, Unruhe, »Zupfen«) druck gelebter Individualität begriffen werden. Er-
55 (Soziales) Verhalten (Rückzug, Leistungsab- gänzend sei noch angeführt, dass das Modell von
fall, geringes Mitteilungsbedürfnis, innere Kübler-Ross auch auf andere gravierende Verlust-
Bilder werden wichtiger, verstärktes Ruhe- erfahrungen anzuwenden und somit auch für eine
bedürfnis, Verständigungsschwierigkeiten) sensible Begleitung der Angehörigen hilfreich ist.
55 Wahrnehmungsfähigkeit (zeitliche und Der Sterbeprozess kann auch als großes Abschied-
räumliche Orientierungsschwierigkeiten, nehmen beschrieben werden und rückt damit in
verzögerte Reaktionsfähigkeit) die Nähe von Trauerarbeit und Trauerprozessen
55 Kurzfristige Verbesserung des Zustandes (7 Abschn. 2.5.2).
kurz vor dem Tod
Menschen, die in eine Altenpflegeeinrichtung kom- Bei der Frage nach einer bedürfnisorientierten Be-
men, stehen am Ende ihres Lebens. Einige der oben gleitung und Pflege bis zuletzt ist es wichtig, sich
beschriebenen Aspekte und Verhaltensweisen zei- mit der veränderten Gesamtsituation des sterben-
gen sich mehr oder weniger deutlich während der den Menschen auseinanderzusetzen und genau
gesamten Verweildauer. Vieles muss verabschiedet hinzusehen, wie sich die Bedürfnislage verändert.
werden, von vielem muss man sich endgültig tren- Es geht auch darum, einzelne prozessbegleitende
nen und so mancher »kleine Tod« muss verkraftet Symptome hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die
werden. In diesem Zusammenhang sei nochmals Bedürfnisse zu hinterfragen und das Begleitange-
auf die enge Verschränkung mit Trauerprozessen bot entsprechend anzupassen. Wenn der Wunsch
hingewiesen (7 Abschn. 2.5.2). Abschiednehmen nach Ruhe beispielsweise immer stärker in den
kann als DAS Thema in Altenpflegeeinrichtungen Vordergrund tritt, müssen mobilisierende bzw. ak-
genannt werden. Für die einen wird es leichter sein, tivierende Angebote neu überdacht werden. Der
sich mit den Gegebenheiten abzufinden, für andere wachsame Blick auf Veränderungen muss immer
wiederum stehen Resignation oder Auflehnung im auf die gesamte Bedürfnispalette gerichtet sein,
Vordergrund – so wie es sich auch beim letzten Ab- angefangen von den physiologisch-biologische Be-
schied, beim Sterben, zeigt. dürfnissen, über Sicherheitsbedürfnisse, soziale
3.4 • Sterbebegleitung im Heim: Herausforderung und Chance
103 3
Bedürfnisse, seelische Grundbedürfnisse, Indivi- begleitung eines nahen Angehörigen auf die Erfah-
dualbedürfnisse und die Bedürfnisse nach Selbst- rung von Fachkräften zurück. Als Experten für eine
verwirklichung (7 Abschn. 2.4). respektvolle und würdevolle Begleitung sterbender
Menschen sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
von Hospiz- und Palliativeinrichtungen zu nennen.
Unterschiedlichste Bedürfnisse: Beispiele Dieser Begleitansatz ist auch für viele Pflegeheime
von Ich-Aussagen Sterbender von großer Relevanz.
55 »Liebe mich, so wie ich bin.« (Bedürfnis Der Trend in der Begleitung alter Menschen
nach Liebe) in Heimen geht dahin, dass sie ihr letztes Zuhause
55 »Unterstütze mich.« (Bedürfnis nach nicht verlassen müssen, um in Klinikeinrichtungen
Selbstregulierung) zu sterben. Nach einer geglückten Eingliederung
55 »Lass mich nicht allein.« (Bedürfnis nach und Eingewöhnung an das »neue Zuhause Heim«
Sicherheit) entspricht der Heimverbleib der Bewohner und Be-
55 »Sprich mit mir.« (Bedürfnis nach Orientie- wohnerinnen bis zu ihrem letzten Atemzug dem
rung) Wunsch der allermeisten Menschen, Zuhause zu
55 »Höre mir zu.« (Bedürfnis nach Anteilnah- sterben (Specht-Tomann 2014). Für die Mitarbei-
me) ter und Mitarbeiterinnen von Pflegeeinrichtungen
55 »Schenke mir deine ungeteilte Aufmerk- bedeutet die Erweiterung ihrer Aufgabenbereiche
samkeit.« (Bedürfnis nach Zuwendung) neben inhaltlicher Weiterbildung auch die Bereit-
55 »Gehe auf meine Besonderheiten ein.« (Be- schaft, sich mit Fragen rund um das Sterben auf
dürfnis nach Beachtung) einer persönlichen Ebene auseinanderzusetzen, um
55 »Schiebe mich nicht ab.« (Bedürfnis nach sich in die Situation sterbender Menschen emotio-
Gemeinschaft) nal besser einfühlen zu können.
55 »Schenke mir Nähe.« (Bedürfnis nach Ge- Welche Begleitansätze stehen für eine »gute«
borgenheit) Sterbebegleitung zu Verfügung? Hier ist in ers-
55 »Bleibe nah bei mir.« (Bedürfnis nach Be- ter Linie an die Grundsätze der Hospizbewegung
rührung) (Fink 2012, Heller et al. 2012) zu denken und an den
55 »Lindere meine Schmerzen.« (Bedürfnis Bereich palliativer Maßnahmen (Jaspers (Hrsg.)
nach Schmerzfreiheit) 2009). Doch obwohl der Hospizgedanke, die pal-
55 »Lass mir meine Rückzugsmöglichkeit.« liative Medizin sowie Palliative Care in den letzten
(Bedürfnis nach Ruhe) Jahrzehnten gerade in der Sterbebegleitung immer
55 »Gib mir zu trinken.« (Bedürfnis nach Flüs- mehr an Bedeutung gewonnen haben, können viele
sigkeit) Pflegepersonen mit den Inhalten hinter den Begrif-
55 »Lindere meine Atemnot.« (Bedürfnis nach fen oft nicht viel Konkretes verbinden. Die nachfol-
Luft) genden Ausführungen sind als Orientierungsmög-
lichkeit zu verstehen, die den Weg zu vertiefenden
Informationen ebnen soll.
Die Begleitung von Menschen am Lebensende war
über eine lange Zeit Aufgabe der Familien und >> Der wichtigste Ansatz für eine an den Be-
Großfamilien. Mit dem gesellschaftlichen Wandel dürfnissen und Wünschen Sterbender orien-
und dem Wandel der Beschäftigungs- und Fami- tierten Sterbebegleitung ist der Hospiz- und
lienstrukturen hat sich auch diese Kernaufgabe Palliativgedanke.
sozialer Fürsorge verändert. Sterben und die Be-
gleitung dieses letzten Lebensabschnittes ist in aller Hospiz und Palliative Care
Regel ein aus dem familiären Alltag ausgeklammer- Der moderne Hospizgedanke nimmt seinen Aus-
tes Ereignis. Dadurch fehlt vielen Menschen ein gangspunkt im London der 1960er Jahre. Die engli-
natürlicher Umgang mit dem Thema Sterben und sche Ärztin Cicely Saunders (1918–2005) eröffnete
sie greifen im Falle einer bevorstehenden Sterbe- nach langen Vorarbeiten 1967 das erste Hospiz, das
104 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
St. Christopher Hospice. Die Leitidee, der man sich tion schlägt nachfolgende Definition von Palliative
in diesem »Mutterhaus« der modernen Hospizbe- Care vor:
wegung verpflichtet fühlte, war das Bemühen, die
Bedürfnisse sterbender Menschen in den Mittel- »» Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung
punkt aller Aktivitäten zu stellen. Auftretendes Lei- der Lebensqualität von Patienten und deren
den sollte durch optimale medizinische Betreuung Familien, die mit Problemen konfrontiert sind,
3 im Sinne einer Kontrolle belastender Krankheits- die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung
symptome und auftretender Schmerzen gelindert einhergehen: durch Vorbeugen und Lindern
werden. Hinzu kam noch das Bemühen, die seeli- von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen, un-
schen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse ster- tadelige Einschätzung und Behandlung von
bender Menschen wahrzunehmen und sie best- Schmerzen sowie anderen belastenden Be-
möglich zu begleiten (Holder-Franz (Hrsg.) 2009, schwerden körperlicher, psychosozialer und
Saunders 1999). spiritueller Art. (7 http://www.who.int/cancer/
Dieser Begleitgedanke ist ein ganzheitlicher palliative/definition/en/)
Ansatz, der Sterben wieder stärker als Lebenspro-
zess sieht und nicht nur als Krankheit, die solange Um den Hospizgedanken gut umsetzen zu kön-
als möglich massiv bekämpft werden soll. Heu- nen und eine umfassende palliative Versorgung zu
te wird unter dem Begriff Hospiz ein umfassen- gewährleisten, müssen unterschiedlichste Berufs-
des Konzept zur Begleitung von sterbenskranken gruppen zusammenarbeiten. Neben den ehren-
Menschen und deren Angehörigen in der letzten amtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
Lebensphase verstanden. Dabei geht es zum einen die Hospizgruppen angehören, in denen sie eine
um Organisationsformen, in denen der Gedanke entsprechende Ausbildung erhalten und laufend
Hospiz realisiert wird, zum anderen steht der Be- Supervisionen in Anspruch nehmen können,
griff Hospiz immer auch für eine bestimmte innere wirken noch viele andere Berufsgruppen zusam-
Einstellung der Menschen, die sich dieser Bewe- men, um Sterbenden einen »Mantel der Gebor-
gung verpflichtet fühlen. Die Angebote umfassen genheit« anzubieten. In einem multidisziplinären
Besuchsdienste zu Hause (ambulant), können in Team arbeiten Ärzte, Pflegekräfte, Psychologen,
Krankenhäusern und Pflegeheimen in Anspruch Therapeuten, Sozialarbeiter, Seelsorger und eh-
genommen werden (teilstationär) oder in eigens renamtliche Hospizmitarbeiter gemeinsam dar-
errichten Hospizhäusern (stationär). Die ehren- an, körperliche, seelische, soziale und spirituelle
amtlichen Helfer, die eine zentrale Rolle in der Bedürfnisse des letzten Lebensabschnittes glei-
Hospizarbeit spielen, werden für die besondere chermaßen zu berücksichtigen (. Abb. 3.16). Im
Aufgabe der Sterbebegleitung eigens geschult. Sie Vordergrund palliativer Maßnahmen (»pallium«
stehen mit besonderer Achtsamkeit den sterbenden kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel
Menschen und deren Angehörigen zur Verfügung. wie »Mantel, Umhang, Umhüllung«), die durch
Für viele Menschen, die in der Hospizbewegung die palliative Medizin und durch palliative Pflege,
tätig sind, wurde der Satz von Cicely Saunders: »Es Betreuung und Begleitung (Palliative Care) umge-
geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu ge- setzt werden, steht eine bestmögliche Linderung
ben, sondern den Tagen mehr Leben« zum Motto der Beschwerden sowie die Unterstützung der Be-
ihrer Arbeit. Er unterstreicht das Bemühen um eine troffenen, bis zuletzt in Würde leben zu können,
ganzheitliche Begleitung, in deren Mittelpunkt die und nicht das Bekämpfen der Krankheit oder des
Bedürfnisse und persönlichen Wünsche des Ster- altersbedingten Zustandes. Die folgende Zusam-
benden stehen. menstellung gibt einen Überblick über Unterstüt-
Aus der Hospizbewegung heraus hat sich der zungsangebote im Palliativbereich (Bausewein et
palliative Ansatz in der Betreuung, Begleitung und al. (Hrsg.) 2010, Husebø et al. 22007, Kränzle et al.
Pflege unheilbarkranker und sterbender Men- (Hrsg.) 2014).
schen entwickelt. Die Weltgesundheitsorganisa-
3.4 • Sterbebegleitung im Heim: Herausforderung und Chance
105 3
vielen Fällen ist es hilfreich, auf extrafamiliäre Be- nahe Vertraute auf besondere Art und Weise mit
gleitangebote (Hospizteams, mobile Palliativteams) den Geschehnissen verwoben. Zum einen sind sie
zurückzugreifen. Manche Heime sind dazu überge- Teil des »Mantels der Geborgenheit«, den man im
gangen, interessierten Mitarbeiterinnen und Mit- Sinne palliativer Bemühungen für den sterbenden
arbeitern eine Hospizgrundausbildung zu ermög- Menschen schaffen möchte. Zum anderen sind sie
lichen. Diese Personen sind dann in den jeweiligen selbst betroffen und müssen Wege und Formen
3 Heimen die ersten Ansprechpartner in wichtigen finden, sich vom sterbenden Menschen zu ver-
Fragen einer bedürfnisorientierten Sterbebeglei- abschieden und ihn innerlich »loszulassen«. Viele
tung. Sie können wichtige Anregungen an ihre brauchen dafür ein verständnisvolles Umfeld und
Kolleginnen und Kollegen weitergeben, das Hinzu- Unterstützung.
ziehen externer Begleiter anregen und für geeignete Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Alten-
Rahmenbedingungen sorgen. Es ist zu hoffen, dass pflegeeinrichtungen sind also nicht nur mit dem
sich immer mehr Heime dazu entschließen, Ster- sterbenden Menschen selbst konfrontiert, sondern
bebegleitung in ihr Betreuungsangebot aufzuneh- auch mit dessen sozialem Umfeld, mit Ehepart-
men und Hospiz- und Palliativansätze als tragende nern, Kindern, Enkelkindern, nahen Verwandten
Säulen kompetenter Begleitung am Lebensende in oder langjährigen Weggefährten. Oft sind es gera-
ihren Aufgabenbereich integrieren. de Angehörige, die in dieser Zeit eines »zu Ende
gehenden Lebens« viel Aufmerksamkeit beanspru-
chen und für Unterstützung dankbar sind. In den
3.4.3 Angehörigenbegleitung meisten Fällen sind es zwei Themen, die bei An-
gehörigen im Vordergrund stehen: Zum einen ist
In den vorangegangenen Abschnitten wurde be- es die persönliche Trauer um den bevorstehenden
reits mehrfach auf die besondere Bedeutung der Verlust, zum anderen ist es die Sorge, ob wohl al-
Angehörigen hingewiesen. Angefangen von den les für den Sterbenden getan wird. Gespeist wird
ersten Schritten in ein Heim bis hin zu den letzten diese Sorge von der Angst um den Sterbenden
Atemzügen können sie einen wesentlichen Bei- und der Angst, sich selbst vorwerfen zu müssen,
trag für eine bedürfnisorientierte Begleitung und in den letzten Tagen und Stunden nicht »alles« für
Betreuung ihrer Lieben leisten. Ihre Berichte und diesen Menschen getan bzw. entsprechende Maß-
Erzählungen über Gewohnheiten, Vorlieben oder nahmen eingefordert zu haben. Diese seelische Si-
Abneigungen erleichtern oft den Zugang zum neu- tuation macht aus vielen Angehörigen sogenannte
en Bewohner, zur neuen Bewohnerin. Ihre Rück- »schwierige Angehörige«. Führt man sich deren
meldungen über das, was sie im Kontakt mit ihren Situation vor Augen, dann wird meist recht rasch
Angehörigen erleben, wahrnehmen und erzählt deutlich, dass es sich nicht so sehr um »schwieri-
bekommen, sind oft hilfreiche Hinweise, was in ge Menschen« handelt, sondern um »Menschen in
der täglichen Begleitung und Betreuung verbes- einer schwierigen Lebenssituation«. Die Tatsache,
sert oder beibehalten werden kann. Auch Verän- in absehbarer Zeit einen nahestehenden Menschen
derungen im psychischen Bereich oder im Sozial- zu verlieren, bringt viele in eine seelische Ausnah-
verhalten können auf dem Hintergrund gelebter mesituation, die von einer Fülle an Gefühlen be-
Erfahrungen von Angehörigen meist leichter ein- stimmt wird. Der Gedanke an eine Zukunft ohne
geschätzt werden als von Menschen, die sich erst den Ehepartner oder ohne den Vater, Großvater,
langsam an die Lebensgeschichte eines Bewohners besten Freund … löst sehr oft tiefe Betroffenheit
oder einer Bewohnerin herantasten müssen. An- und Trauer aus. Die Gedanken wandern vielleicht
gehörige gehören von Beginn an »ins Boot« geholt zurück in Zeiten des Streits und Konflikts und
– darüber sind sich die meisten Pflegekräfte einig. es entsteht der Wunsch nach Aussöhnung. Doch
Dies bedeutet aber, dass man sich bewusst Zeit für auch das Verweilen an positiven Stationen der ge-
sie nimmt und kontinuierlich in den Pflege- und meinsamen Beziehung kann die Stimmungslage
Begleitprozess einbezieht. Gerade in der letzten prägen und ein inneres Pendeln zwischen großer
Lebenszeit eines Menschen sind Verwandte oder Dankbarkeit und Bedauern auslösen, dass dies in
3.4 • Sterbebegleitung im Heim: Herausforderung und Chance
113 3
Zukunft nicht mehr möglich sein wird. Das, was wusst einzusetzen, genügend Zeit zu veranschlagen
Menschen am Sterbebett eines nahen Angehörigen und ein Gesprächsprotokoll anzulegen, in dem die
oder Freundes erleben, wird auch als vorbereitende Namen der Anwesenden ebenso notiert werden wie
Trauer beschrieben – ein Prozess, der das gesamte die Gesprächsinhalte oder Absprachen. Im Idealfall
Gefühlsspektrum (z. B. Schock, Wut, Angst, Ver- steht dieses aufklärende Gespräch am Beginn einer
zweiflung, Dankbarkeit) beinhalten kann, das dann Reihe von anderen Gesprächen, in denen Angehö-
in der Trauerzeit intensiver und länger durchlebt rige bestmöglich begleitet werden und in denen auf
wird (7 Abschn. 2.5.2). ihre Ängste, Sorgen und Fragen eingegangen wird.
Welche Aspekte haben in der Begleitung von
>> Angehörige und nahe Vertraute von Sterben- Angehörigen sterbender Menschen im Allge-
den sind gleichzeitig Begleiter in der letzten meinen und bei Angehörigengesprächen im Be-
Lebensphase und selbst Betroffene im Sinne sonderen große Bedeutung? Zunächst geht es um
der Trauer um den bevorstehenden Verlust. die Aufklärung über den momentanen Zustand
des Bewohners oder der Bewohnerin und um die
Eine Sterbebegleitung, die sich den Grundsätzen Beschreibung des zu erwartenden Verlaufs des
der Hospiz- und Palliativkultur verpflichtet fühlt, Prozesses. Wichtig ist es auch, den Angehörigen
bezieht das soziale Umfeld eines Sterbenden mit ein mitzuteilen, dass mit dem Tod des betreffenden
(Bausewein et al. (Hrsg.) 2010, Holder-Franz (Hrsg) Menschen in absehbarer Zeit zu rechnen ist, ohne
2009, Husebø et al. 2007). Damit auch dieser Aspekt jedoch einen konkreten Zeitraum vorzugeben. Oft
der Sterbebegleitung in Altenpflegeeinrichtungen ermöglicht erst diese Klarheit in der Informations-
gut umgesetzt werden kann, ist es wichtig, sich über vermittlung den Angehörigen, wichtige »letzte«
die seelischen Prozesse im Klaren zu sein, die bei Dinge anzusprechen oder dem sterbenden Men-
Angehörigen ausgelöst werden und klare Struktu- schen noch einmal ganz nahe zu sein. Der auf-
ren für Begleit- und Informationsangebote zu ent- klärende Charakter dieser Gespräche öffnet vielen
wickeln. Dabei kann ein über die Zeit hin aufgebau- Angehörigen die Türen hin zu einer aktiven Betei-
tes Vertrauensverhältnis von großem Vorteil sein. ligung an der Begleitung im Sterben.
Wo dies nicht möglich war, gilt es durch einfühlsa- Welche Themen gehören noch angesprochen?
me Kommunikation (7 Abschn. 3.1.2) Bedingungen Wichtig ist es, dass von den Angehörigen eine An-
zu schaffen, die nicht nur eine Informationsaufnah- sprechperson benannt wird, auf die die Heimver-
me ermöglichen, sondern in denen auch Gefühle tretung im Fall einer raschen Verschlechterung
und Gefühlsäußerungen einen Platz haben. des Zustandes zugehen kann. Auch die Frage der
Im Vorfeld gilt es abzuklären, welche Inhalte in Informationsweiterleitung ist zu klären (z. B. Infor-
den Gesprächen mit den Angehörigen unbedingt mationen rund um die Uhr versus nur bei Tag; Be-
thematisiert werden sollen und wer bei diesen Ge- nennen der Hauptansprechperson). Neben diesen
sprächen anwesend sein wird (Vertreter des mul- eher organisatorischen Fragen sollte das Hauptau-
tiprofessionellen Teams; Personen, die bereits ein genmerk auf der Erklärung der medizinischen und
Vertrauensverhältnis aufbauen konnten). Auch pflegerischen Vorgehensweise gerichtet sein. Was
geht es darum, sich darüber klar zu werden, mit ist eine palliative Begleitung? Welche Maßnahmen
welchen Worten man Inhalte transportiert, die werden eingesetzt, um bestmöglich zu begleiten?
einen hohen emotionalen Charakter haben bzw. Welche Ziele verfolgt der palliative Ansatz? Die
nachhaltige Konsequenzen nach sich ziehen. In Antwort auf diese und ähnliche Fragen hilft meist,
aller Regel sind klare und offene Worte hilfrei- den sehr oft vorhandenen Vorurteilen entgegenzu-
cher als kritische Dinge nicht anzusprechen oder wirken, es werde am Lebensende »nichts« getan. Es
zu umschreiben. Zusätzlich ist zu bedenken, dass gilt in einer einfühlsamen Sprache und unter Rück-
Menschen in Ausnahmesituationen nicht so gut in sichtnahme auf die seelische Ausnahmesituation
der Lage sind, Gehörtes »objektiv« aufzunehmen der Betroffenen palliative Grundsätze zu erläutern
oder rasch gut zu behalten. Aus diesem Grund ist es und darauf hinzuweisen, dass die gesamte Maß-
hilfreich, das aktive Zuhören (7 Abschn. 3.1.2.6) be- nahmenpalette unter dem Aspekt steht, auftretende
114 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
um eine Pflanze gelegt, senden ebenso wichtige Si- 55 Möglichkeit geben, persönliche Rituale
gnale, nicht vergessen zu werden, wie das Gestalten durchzuführen (z. B. Fenster öffnen, »Hin-
eines Erinnerungsbuches mit Texten, Fotos oder ty- ausbeten«)
pischen Erlebnissen mit den verstorbenen Bewoh- 55 Bei Bedarf Gespräche mit Seelsorger orga-
nern und Bewohnerinnen. Gedenkgottesdienste nisieren
oder Gedenkfeiern (unmittelbar nach einem To- 55 Hinweis auf den Verabschiedungsraum als
3 desfall oder einmal im Jahr für alle in diesem Jahr Ort der Stille und Erinnerung
Verstorbene) sind durch ihren rituellen Charakter c. Eingehen auf Mitbewohner/Mitbewohnerin-
und die Möglichkeit, einen größeren Personenkreis nen und Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen
miteinzubeziehen, besonders hilfreich und geben 55 Einfühlsame Information über den Tod der
dem Thema Tod und Abschied einen Platz im (Mit-)Bewohnerin/des (Mit-)Bewohners
Heimalltag (Jettenberger 2013, Küpper-Popp und 55 Gespräche anbieten
Lamp (Hrsg.) 2010). 55 Gemeinsames Erinnern
55 Erinnerungsecke einrichten
zz Aspekte gelebter Erinnerungskultur 55 Zettel der Todesanzeige aufhängen
a. Umgang mit den Verstorbenen 55 Bild der Verstorbenen/des Verstorbenen
55 Bewusster Umgang mit sogenannten letzten aufstellen
Maßnahmen 55 Kerze anzünden
55 Entfernen aller medizinischer Gegenstände 55 Kondulenzbuch auflegen
(z. B. Katheder, Sonden) 55 Erinnerungsbuch anlegen
55 Waschen 55 Erinnerungssteine gestalten
55 Anziehen (Lieblingskleider oder Kleider, 55 Gemeinsame Erinnerungsstunde (»Höhen
die die Angehörigen bringen; Schmuck an- und Tiefen der Begleitung«, »Wie bleibt mir
legen oder aber abnehmen) der verstorbene Mensch in Erinnerung?«)
55 »Richten« der verstorbenen Person nach 55 Gedenkgottesdienst
individuellen Wünschen z. B. Blumen, Ro- 55 Erinnernde Worte bei Zusammenkünften
senkranz, Handhaltung … bzw. Festen des laufenden Jahres
55 Wegräumen der persönlichen Gegenstände 55 Klärung der Frage einer Teilnahme am
im Zimmer in Erinnerung an den Verstor- Begräbnis
benen
55 Sich bei all diesen Aktivitäten ausreichend Für das Mitarbeiterteam und besonders für jene,
Zeit nehmen die in einem besonderen Naheverhältnis zum ver-
55 Überstellung in den Verabschiedungsraum storbenen Menschen gestanden haben, ist es hilf-
b. Zugehen auf die Angehörigen reich, nach einem Todesfall miteinander im Ge-
55 Angehörige einladen, bei den letzten Akti- spräch zu bleiben. Es ist wichtig, über die Gefühle
vitäten mitzumachen oder dabei zu sein zu sprechen, die durch das Miterleben eines Ster-
55 Zeit geben beprozesses ausgelöst werden, sich gemeinsam zu
55 Hilfestellungen bei organisatorischen Fra- erinnern, Positives oder auch weniger Gelungenes
gen anzusprechen, eigene Ängste zu benennen und bei
55 Gespräch über den verstorbenen Menschen Bedarf auch ein Gespräch mit einem professionel-
(gemeinsames Erinnern) len Begleiter einzufordern (Supervision, Seelsorge,
55 Fragen beantworten Psychologe). Für welche Form der Abschiedskultur
55 Anerkennende Worte sich ein Heim entscheidet, wie die unterschiedli-
55 Information über Erinnerungsaspekte im chen Zugänge und Möglichkeiten aufgegriffen, ge-
Heim (z. B. Todesanzeige, Kerze, Gedenk- staltet und in den Heimalltag implementiert wer-
gottesdienst) den, wird von Heim zu Heim stark variieren und
55 Trost spenden sich sowohl an persönlichen wie lokalen Zugängen
3.5 • Fazit
119 3
Stellenwert nimmt die Biografiearbeit, ein be- Demenz ist eine chronisch fortschreitende
sonders praxisrelevantes Beispiel angewandter Erkrankung mit dem Leitsymptom der Ge-
Kommunikation, im Rahmen bedürfnisorien- dächtnisstörungen. Die jeweiligen Begleitange-
tierter Pflegeansätze ein. bote richten sich nach den jeweiligen Leitsym-
55 Schmerzen gehören zu den zentralen Belas- ptomen der Erkrankung, die sich im Laufe der
tungsfaktoren im Leben von Menschen. Alte Zeit verändern.
3 Menschen sind besonders oft von unterschied- 55 Es wurden spezielle Kommunikationsformen
lichen Schmerzformen betroffen. In diesem entwickelt, die die jeweiligen typischen Merk-
Zusammenhang sollte Schmerz auch als multi- male der Erkrankung aufgreifen und Demenz-
dimensionales Syndrom diskutiert, diagnosti- kranke dort abholen, wo sie im Prozess der
ziert und behandelt werden. Veränderung gerade stehen. Die bekannteste
55 Das aktuelle Schmerzerleben steht immer an Form im Umgang mit Dementen ist die Va-
der Schnittstelle von Gestern (Erfahrungen im lidation. Es wurden Anregungen entwickelt
Laufe des Lebens) und Morgen (Befürchtun- für die Begleitung in den Stufen »mangelhafte
gen). Unabhängig von der Einschätzung durch Orientierung«, »Zeitverwirrtheit, »sich wie-
Außenstehende ist und bleibt das Schmerzer- derholende Bewegungen« und »Vegetieren«.
leben subjektiv: »Wahr ist immer das, was der 55 Auch eine Reihe psycho-biografischer Begleit-
Schmerzgeplagte äußert.« Schmerzzustände möglichkeiten dementer Menschen können in
können durch eine Reihe von Faktoren (z. B. einer bedürfnisorientierten Altenpflege einge-
seelische oder umweltbedingte) verstärkt oder setzt werden und orientieren sich in erster Li-
gelindert werden. Auch ist auf die Verschrän- nie an den biografischen Bausteinen der jewei-
kung von körperlichem Schmerz und psychi- ligen Lebensgeschichte. Berücksichtigt werden
schen Schmerz hinzuweisen. die Normalbiografie, die Biografie kritischer
55 Zur Schmerzerfassung liegen eine Reihe von Lebensereignisse und die Sensobiografie.
Leitfragen vor, die Bezug nehmen auf die 55 In der Begleitung an Demenz Erkrankter hat
Schmerzlokalisation, die Schmerzintensität, sich auch die »reaktivierende Pflege nach
die Schmerzqualität, die Schmerzhäufigkeit, Böhm« bewährt. Hier geht man von der Be-
die Schmerzdauer, die Schmerzmodulatoren obachtung eines Umkehrphänomens bei den
und auf Begleiterscheinungen mit Einfluss Erkrankten aus, die sich Schritt für Schritt in
auf das Schmerzgeschehen. Zusätzlich gibt ihrer Entwicklung zurückbewegen. Der kon-
es Schmerzfragebogen und die Möglichkeit, krete Umgang und die Begleitangebote orien-
indirekte Schmerzzeichen (somatische, mo- tieren sich an den Erreichbarkeitsstufen.
torische und psychosoziale Reaktionen) als 55 Befragungen zeigen, dass die meisten Men-
Orientierungshilfe heranzuziehen, was speziell schen zu Hause sterben wollen. Für alte Men-
bei Menschen mit Demenz eine wichtige Hil- schen, die in einem Heim leben, ist dieses
festellung ist. Heim ihr letztes Zuhause. Ziel einer bedürfnis-
55 Als Basis einer effizienten Schmerztherapie orientierten Pflege und Begleitung ist es, die
dienen Medikamente, die nach dem von der Wünsche der Menschen zu respektieren. Dies
WHO entwickelten Stufenschema verabreicht bedeutet, eine Sterbebegleitung unter Bezug-
werden. Zusätzliche gibt es eine Reihe wirksa- nahme auf palliative Grundsätze und eine
mer komplementärer Ansätze in der Schmerz- gelebte Hospizkultur in den jeweiligen Heimen
therapie. Der große Bereich »heilsamer Berüh- umzusetzen.
rungen« spielt speziell in der Altenpflege eine 55 Palliative Unterstützungsangebote beziehen
große Rolle. sich auf die körperliche, die seelische, die so-
55 Das Thema Demenz nimmt in Altenpflegeein- ziale und die spirituelle Ebene. Im Zentrum
richtungen einen besonderen Platz ein, da die der Bemühungen stehen eine bestmögliche
an Demenz erkrankten Menschen eine be- Schmerzlinderung und eine Symptomkont-
sondere Begleitung und Betreuung brauchen. rolle. Darüber hinaus wird bei diesem Ansatz
Verwendete und weiterführende Literatur
121 3
auch auf das Einbeziehen der Angehörigen Brandstetter K (2014) Schmerzerfassung bei Menschen mit
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einbezogen, andererseits erhalten sie selbst ers- Braune G et al. (2013) Schmerztherapie: Ein Leitfaden für
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55 Eine gelebte Erinnerungskultur sollte als wich-
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124 Kapitel 3 • Alte Menschen verstehen und begleiten: ganzheitliche Betreuungsarbeit
Interdisziplinäre
Weiterbildungen am Beispiel
Hospizkultur und Palliative
Care in der Altenpflege:
ein Ausblick
Monika Specht-Tomann
»Auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Unterschiedliche Strömungen in der Pflege-
Schritt.« (Laotse) landschaft und die unterschiedliche Gewichtung
relevanter Themenbereiche haben dazu geführt,
Eingangs wurde darauf verwiesen, dass in naher dass es unzählige Pflege- und Betreuungskonzepte
Zukunft mit einem drastischen Wandel der Al- gibt, mit denen Heime an ihre potenziellen Inter-
tersstruktur unserer Gesellschaft zu rechnen ist essenten herantreten. Dies schafft bei Betroffenen
(7 Kap. 2). Die deutliche Zunahme des Anteils alter wie bei deren Angehörigen oft Verwirrung und
Menschen wird die soziale Landschaft nachhaltig erschwert die so folgenschwere Entscheidung für
4 verändern und zahlreiche Herausforderungen im oder gegen ein bestimmtes Heim. Auch stellt sich
sozialen und sozialpolitischen Bereich nach sich die Frage, wie Betroffene oder deren Angehörige
ziehen. Schon jetzt taucht die Frage nach der Fi- die Fülle an Begrifflichkeiten und »Überschriften«
nanzierbarkeit der Altenbetreuung auf und erste der Betreuungsangebote mit konkreten Verhaltens-
Anzeichen einer »Zweiklassenversorgung« füh- weisen, Beschäftigungsmöglichkeiten oder Förder-
ren zu hitzigen Diskussionen über unterschiedli- maßnahmen in Verbindung bringen können. Was
che Zukunftsszenarien. Dabei geht es sowohl um bedeutet es beispielsweise konkret für den Tages-
finanzielle wie auch um inhaltliche Aspekte. Wie ablauf der Bewohner und Bewohnerinnen, wenn
wird eine altengerechte Betreuung in Zukunft zu fi- sich ein Heim der Pflege nach Böhm verschrieben
nanzieren sein? Wie können Qualitätsstandards ge- hat? Wer kommt in den Genuss von Basaler Stimu-
halten werden in Zeiten, in denen Personalknapp- lation oder Aromatherapie und was bedeuten diese
heit herrscht? Wie können Arbeitskräfte gewonnen Begriffe? Ziehen die Maßnahmen, die in Foldern
werden, die sich der kräfteraubenden Tätigkeit von von Altenpflegeeinrichtungen als Spezialangebote
Langzeitbegleitungen widmen? Was kann getan angeführt werden, erhöhte Kosten nach sich?
werden, um Überbelastung und Burnout mit all Einige der auftauchenden Fragen können in
den negativen Auswirkungen für die Betroffenen Gesprächen mit der Heimleitung abgeklärt werden.
entgegenzuwirken? Welche Ansätze können dazu Andere Aspekte werden erst im Laufe der Zeit sicht-
beitragen, eine Heimsituation so zu gestalten, dass bar und lassen sich im Vorfeld schwer einschätzen.
es zu einer Balance der jeweiligen Bedürfnisse und In jedem Fall scheint es sinnvoll, hinter die Schlag-
Anliegen zwischen Heim, Bewohner und Bewoh- worte zu schauen, mit denen sich Heime an ihre po-
nerinnen sowie den Angehörigen kommen kann? tenziellen Kunden richten. Was bedeutet es, wenn
Und welche Leitbilder können einen Beitrag dazu Heime ihre Philosophie etwa mit den Worten »Der
leisten, dass alten Menschen ein würdiges Leben im Mensch im Mittelpunkt«, »Pflege mit Herz«, »Son-
Altenheim bis zuletzt möglich gemacht wird? nenheim« oder »Nah am Menschen« zu konkreti-
Zahlreiche Entwicklungen in der Pflegeland- sieren versuchen? Stehen die eigenen Wünsche und
schaft haben dazu geführt, dass man sich von der Prioritäten hinsichtlich einer Fremdunterbringung
»Satt- und Sauberideologie« verabschiedet und mit den Möglichkeiten eines in Betracht gezogenen
den Fokus stärker auf die psychosoziale Begleitung Heims in Einklang oder müssen drastische Abstri-
gerichtet hat. Spezielle Schulungskonzepte liefern che gemacht werden? Und worauf ist besonders zu
Pflegekräften wichtige Instrumente zu einer ad- achten bei der Suche nach einem geeigneten Heim
äquaten Altenbegleitung (Haberstroh und Pantel für sich selbst oder einen Angehörigen? Im Mittel-
2011, Kostrzewa und Gerhard 2010). Erkenntnisse punkt des Interesses von künftigen Bewohnerinnen
aus der Gerontologie (der Alterswissenschaft) und und Bewohnern sowie deren Verwandten steht oft
Geriatrie (Altersmedizin) sowie der Gerontopsy- die Frage nach dem »Wie« der Begleitung.
chiatrie (einem Teilgebiet der Psychiatrie mit dem Bei der Suche nach geeigneten Begleitansätzen
Schwerpunkt »Alter«) sollen den persönlichen Zu- ist es hilfreich, nicht so sehr auf Einzelmaßnahmen
gang von Pflegekräften zu den alten Menschen, die zu schauen als vielmehr der Frage nachzugehen,
sie pflegen, betreuen und begleiten, erleichtern und welche Werte in einer Einrichtung gelebt werden
für ein besseres Verständnis sorgen. und wie sich dies an der jeweiligen Haltung der
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ablesen lässt.
Interdisziplinäre Weiterbildungen am Beispiel Hospizkultur …
127 4
Das ist nicht immer leicht zu erkennen, da es sich Betreuung zur Verfügung steht, können im zwei-
neben konkreten Verhaltensaspekten in der Pfle- ten Fall die Bewohner und Bewohnerinnen darauf
ge, Begleitung und Betreuung um den so wichtigen vertrauen, dass das gesamte Team sowohl über
Faktor des sozialen »Klimas« und der spürbaren fachspezifische Kenntnisse als auch über übergrei-
Atmosphäre handelt. Wie gehen Mitarbeiter und fendes Wissen verfügt und so gleichsam »an einem
Mitarbeiterinnen – und nicht nur die Pflegefach- Strang« ziehen kann.
kräfte! – mit den Bewohnern und Bewohnerinnen In Zeiten immer knapper werdender finan-
um? Entsteht der Eindruck, dass Menschen eher zieller aber auch personeller Ressourcen stellt sich
»verwaltet« als begleitet werden? Spürt man im die Frage, wie können Mitarbeiter und Mitarbeite-
Umgang mit den Bewohnern und Bewohnerin- rinnen von Altenpflegeeinrichtungen ausreichend
nen eine wertschätzende Grundhaltung oder sind geschult werden, um einerseits den festgelegten
»entindividualisierende« Worte und Handlungen Standards gerecht zu werden und andererseits eine
an der Tagesordnung? Kann man Bemühungen er- Anpassung der Pflege- und Begleitmaßnahmen an
kennen, die alten Menschen dabei zu unterstützen, die sich verändernde Klientenstruktur zu gewähr-
ihr letztes Zuhause gemäß ihrer Wünsche und Vor- leisten. Laufende Fort- und Weiterbildungen sind
stellungen zu gestalten? Wie oft und unter welchen unumgänglich. Auf dem Hintergrund der bereits
Bedingungen kommt es zu Krankenhauseinwei- mehrfach angesprochenen ganzheitlichen Pflege-
sungen? Werden Rahmenbedingungen geschaffen, und Begleitansätze gilt es jedoch die Frage zu klä-
die einen Verbleib in der Altenpflegeeinrichtung ren, welchen Weg man dabei einschlagen möchte.
bis zum Tod ermöglichen? Umfangreiche Vorinfor- Geht es – ausgehend von einer Basisausbildung
mationen und Gespräche mit den jeweiligen Heim- entsprechend berufsspezifischer Standards – um
leitungen können wichtige Entscheidungshilfen bei eine immer breiter werdende Streuung der Quali-
der Frage nach einer geeigneten Fremdunterbrin- tätsbereiche innerhalb der Institution Altenpflege-
gung sein (7 Abschn. 3.1.1). einrichtung oder eher um eine Zusammenführung
Ein Blick auf die derzeitige Heimlandschaft im unterschiedlicher Weiterbildungsmaßnahmen
deutschsprachigen Raum macht deutlich, dass es mit Blick auf eine ganz bestimmte Vorstellung
sehr viele unterschiedliche Ansätze für eine Be- von Begleitung, Pflege und Betreuung des letzten
treuung, Pflege und Begleitung alter Menschen Lebensabschnittes von Menschen?
gibt. Dies hängt zum einen mit den verschiedenen Partikuläre Schritte führen zu einem Anwach-
Betreiberorganisationen zusammen, die durch sen von Experten und Spezialisten in den jeweiligen
bestimmte ideologische Vorgaben die Schwer- Einrichtungen, die mehr oder weniger isoliert »am
punktsetzung und Richtung der Betreuung ange- Klienten« ihre Fähigkeiten einsetzen und die Mög-
ben. Zum anderen wird jeder Heimbetreiber vor lichkeit einer interdisziplinären Herangehensweise
die schwierige Entscheidung gestellt, sich für be- oft außer Betracht lassen. Gelingt es jedoch durch
stimmte Weiterbildungskonzepte zu entscheiden gezielte Maßnahmen, den Fokus der Aufmerksam-
und somit die Weichen für den konkreten Umgang keit aller in einer Altenheiminstitution arbeitenden
mit den Bewohnern und Bewohnerinnen zu stel- Menschen auf die Bewohner und Bewohnerinnen
len. Es geht auch darum, aus der Vielfalt von be- in ihrer Individualität zu richten, kann Spezialis-
rufsspezifischen Fortbildungsmaßnahmen jene für tenwissen in ein umfassendes bedürfnisorientiertes
das Personal auszuwählen, die mit der Philosophie Pflege-, Begleit- und Betreuungskonzept einflie-
des Hauses am besten harmonieren. Dabei geht es ßen. So entsteht aus vielen Einzelmaßnahmen ein
um prinzipielle Entscheidungen, ob man eher an »Gesamtpaket Begleitung«, in dem alle Mitarbeiter
berufsfeldorientierte vertiefende Weiterbildungen und Mitarbeiterinnen sowohl ihre berufsspezifi-
denkt oder dem ganzen Team einschlägige Fort- schen als auch ihre persönlichen Kompetenzen
bildungen ermöglicht. Während im ersten Fall den zum Wohl der Bewohner und Bewohnerinnen
Bewohnern und Bewohnerinnen eine Reihe gut einbringen können. Disziplinübergreifende Schu-
ausgebildeter Spezialisten für ihre Begleitung und lungen sind die Voraussetzung für diesen Weg.
128 Kapitel 4 • Interdisziplinäre Weiterbildungen am Beispiel Hospizkultur …
positiven Haltung und ihrem sonnigen Gemüt kann Im Mittelpunkt aller Überlegungen muss der
sie meist rasch in ein Gespräch eintauchen. Sie er- alte Mensch in seiner ihm eigenen Individualität
fährt viel über die aktuelle Befindlichkeit der alten stehen mit für ihn typischen Bedürfnissen und
Menschen, über ihre Wünsche, ihre Freuden und Wünschen. Das Hauptaugenmerk ist auf das »halb
Sorgen aber auch so manches aus der Lebensge- volle Glas« zu richten und nicht so sehr auf das
schichte. Manchmal ist es ein Foto, das auf einem »halb leere Glas«, in dem Defizite und Einschrän-
Nachtkästchen steht und Anlass zu Fragen gibt: kungen dominieren. Um diesem Aspekt entspre-
»Wer lacht denn da so freundlich vom Foto?!«, ein chend Rechnung tragen zu können, ist eine be-
4 anderes Mal ein Buchtitel, ein Kleidungsstück, der
Blick aus dem Fenster oder Blumen auf dem Tisch
stimmte Grundhaltung bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern einer Altenpflegeinstitution von
… Franziska R. findet fast immer Möglichkeiten, Beginn der Fremdunterbringung bis zum Tod not-
einen Kontakt herzustellen und ihn nach und nach wendig, die sich auch als palliative Grundhaltung
auszubauen. Für sie sind Informationen der Pflege- bezeichnen lässt. Die Begleitung und Betreuung
fachkräfte zu aktuellen Entwicklungen des physi- alter Menschen im Heim stellt sich diesem Modell
schen und psychischen Zustandes der Bewohner folgend als Summe unterschiedlicher Angebote
und Bewohnerinnen sehr wichtig. Besonders bei dar, die nicht nur einem verwahrenden oder kura-
Menschen, die an Demenz erkrankt sind, helfen ihr tiven Ansatz folgen, sondern immer auch palliative
Hinweise für einen geeigneten Umgang sehr und Aspekte beinhalten. So wird aus vielen kleinen Teil-
sie wünscht sich, eine Fortbildung in Validation zu aspekten ein »Mantel der Geborgenheit« gewoben,
besuchen. Andererseits sind die Beobachtungen, der Menschen über die gesamte Zeit eines Heim-
die Franziska R. macht, oft wichtige Zusatzinfor- aufenthaltes umhüllt. Dabei sind alle Mitarbeiter
mationen für eine gut abgestimmte Pflege- und und Mitarbeiterinnen eines Heims gefordert und
Begleitplanung. Zu denken ist in diesem Zusam- können ihre Ideen und Fertigkeiten einbringen.
menhang an die Einschätzung der seelischen Be- Schulungen, die dieses Ziel verfolgen, müssen für
findlichkeit, an Wahrnehmungen in den Bereichen alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen Basisinfor-
Aktivität und Mobilität oder an Hinweise auf mög- mationen zu besonders relevanten Themen be-
licherweise vorhandene Schmerzen. inhalten. Die Kernthemen sind Schmerz, Trauer,
Demenz, Sterbebegleitung und Angehörigenarbeit
Wie kann es gelingen, die vielen Einzelkompe- sowie Kommunikation.
tenzen wirksam zusammenzuführen und einen
Prozess einzuleiten, der zu einer bedürfnisorien- Beispiel
tierten und wertschätzenden Grundhaltung aller Elisabeth M. ist 77 Jahre alt und lebt seit einigen
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einer Institution Monaten in einer Altenpflegeeinrichtung. Sie ist an
gegenüber den Bewohnern und Bewohnerinnen Demenz erkrankt. In den ersten Wochen in ihrem
führt? Eine wichtige Voraussetzung ist, dass alle neuen zu Hause wollte sie sich kaum aus ihrem
am Pflege- und Begleitprozess Beteiligten eine ge- Zimmer bewegen. Sie fühlte sich durch den einen
meinsame Wissensbasis haben und sich an einer oder anderen »sonderbaren« Auftritt eines anderen
klar definierten Zielvorgabe orientierten. Eine Bewohners irritiert und äußerte sich immer wieder
Möglichkeit, das Basiswissen auf einen gemeinsa- recht abfällig über diesen »Verrückten«. Doch auch
men Informations- und Wissensstand zu bringen bei Elisabeth M. stellten sich immer häufiger Anzei-
und so in der Begleitung und Betreuung gleichsam chen der fortschreitenden Krankheit ein. Zunächst
an einem Strang zu ziehen, besteht in gemeinsamen kam es zu massiven Orientierungsschwierigkeiten,
Schulungen aller in einer Altenpflegeeinrichtung die bei Elisabeth M. besonders auf der zeitlichen Di-
Tätigen (Hospiz Österreich (Hrsg.) 2012). Dieser mension zu bemerken waren. Das Thema Zeit und
Ansatz unterscheidet sich durch seinen ganzheitli- Uhren war psychisch hoch besetzt und sie fragte
chen Anspruch und die begleitenden Maßnahmen jeden, dem sie begegnete: »Wie spät ist es bei Ih-
deutlich von anderen partikulären Fortbildungs- nen? Bei mir ist es jetzt …« Gab man ihr dann zur
modellen im Altenpflegebereich. Antwort: »Ja, Frau M., bei mir ist es auch …«, dann
Interdisziplinäre Weiterbildungen am Beispiel Hospizkultur …
131 4
rief sie freudig aus: »So ein schöner Zufall!!« Da Eli-
sabeth M. in diesem Stadium ihrer Erkrankung ihre schiedlichen Gruppen: Bewohner, Angehö-
selbst gewählte Isolation in ihrem Zimmer nach rige, Betreuer)
und nach aufgab, kamen viele Menschen mit ihr in 55 Schmerz als multidimensionales Gesche-
Kontakt und wurden zu Auskunftspersonen über hen verstehen lernen (u. a. Erweiterung
die Zeit. Da alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des rein körperlichen Schmerzverständnis-
über die Krankheit Demenz Bescheid wussten, ses auf die Dimensionen des spirituellen,
musste Elisabeth M. nur selten erleben, dass man des emotionalen und des sozialen Schmer-
sie auf die »Normalität« von übereinstimmenden zes; Optimierung der Schmerzversorgung)
Zeitangaben hinwies. Einmal passierte es, dass eine 55 Demenz und Möglichkeiten der Beglei-
Mitbewohnerin ihr deutlich zu verstehen gab, dass tung (u. a. Hinführen zu einem besseren
sie sich nicht so »dumm« aufführen solle und dass Verstehen der krankheitstypischen Ver-
sie mit ihrer ewigen Fragerei nach der Zeit allen auf änderungen; Erarbeiten geeigneter Um-
die Nerven gehe. Elisabeth M. reagierte zunächst gangsweisen)
betroffen, doch schon bald darauf fragte sie eine 55 Sterbeprozess und Sterbebegleitung (u. a.
Pflegerin: »Wie spät ist es bei Ihnen …?« Vermittlung von Sterben als prozesshaf-
tem Geschehen mit typischen Verlaufs-
Neben der Vermittlung von Basiswissen sollten formen; Schulung der Wahrnehmung: »Wo
Gelegenheiten geschaffen werden, interkollegial steht der Bewohner, die Bewohnerin in
und über alle Berufsgruppen hinweg über Um- ihrem persönlichen Abschiedsprozess?«;
setzungsmöglichkeiten diskutieren zu können und Gedanken zur Unterstützung: »Was wird im
sich in Selbstreflexionen der eigenen Einstellung Moment gebraucht?«)
und Haltung bewusst zu werden. Dadurch werden 55 Spiritualität und Ethik (u. a. Reflexion der
Prozesse eingeleitet, die ein größeres Verständnis eigenen Haltung; Bearbeiten von Entschei-
unterschiedlicher Gruppierungen in der Institu- dungssituationen)
tion Altenheim füreinander erleichtern und jenes 55 Angehörigenarbeit (u. a. Angehörige in
Maß an Basiswissen gut verständlich transportie- das Begleitkonzept einbeziehen; hilfreiche
ren soll, das für eine ganzheitliche Begleitung alter Kommunikationselemente für die Beglei-
Menschen unumgänglich ist und für ein Mehr an tung von Angehörigen)
Lebensqualität sorgt (Althoff et al. 2014, Gatterer 55 Psychohygiene für Mitarbeiter und Mit-
2007, Kostrzewa und Gerhard 2010). arbeiterinnen (u. a. achtsamer Umgang mit
der eigenen Gefühlslage und der von Kol-
leginnen und Kollegen; Team als Ressource
bewusst machen)
Hospizkultur und Palliative Care in Alten-
pflegeeinrichtungen: Schulungsschwer-
punkte
55 Begriffsklärungen (u. a. Was versteht man Ein weiterer wichtiger Punkt bei dem Modell
unter Hospiz? Was sind palliative Maßnah- »Interdisziplinäre Weiterbildungen« ist die Aus-
men?) einandersetzung mit der eigenen Einstellung zu
55 Kommunikation: »Wie kann Kommunika- Fragen von Alter, Krankheit und Sterben und die
tion gelingen?« (u. a. Basisinformationen Arbeit an einer inneren Haltung, die es jedem Mit-
und Bausteine angewandter Kommunika- arbeiter und jeder Mitarbeiterin möglich macht,
tion für den Umgang mit Bewohnern und auf Bewohner und Bewohnerinnen zuzugehen und
Bewohnerinnen; Teamkommunikation) ihnen Respekt und Wertschätzung entgegenzu-
55 Trauerprozesse (u. a. theoretische Impulse bringen. Dadurch wird auch ein Rahmen geschaf-
und Begleitansätze; Sensibilisierung für fen, in dem offen überlegt und diskutiert werden
unterschiedliche Gefühlslagen bei unter- kann, welche Beiträge für eine bedürfnisorientier-
te Begleitung und Betreuung alter Menschen aus
132 Kapitel 4 • Interdisziplinäre Weiterbildungen am Beispiel Hospizkultur …
dem jeweiligen Berufsfeld kommen können. Das nen in aller Regel jedoch nicht ohne begleitenden
gemeinsame Arbeiten an der Idee, den Bewoh- Organisationsentwicklungsprozess nachhaltig Fuß
nern und Bewohnerinnen ein lebenswertes Leben fassen. Wie ist das zu verstehen? Menschen von
bis zuletzt zu ermöglichen und palliative Ansätze Beginn ihrer Heimunterbringung ganzheitlich zu
in das Denken und Handeln zu integrieren, trägt begleiten, palliative Ansätze zu realisieren und
ganz wesentlich zum Entstehen eines Teamgeistes ein Verbleiben bis zum Tod hin zu gewährleisten,
bei. Selbsterfahrungsimpulse können helfen, sich weicht sehr stark von den bisher praktizierten Vor-
in die Situation alter Menschen in Heimen besser gehensweisen von Altenpflegeeinrichtungen ab.
4 einfühlen zu können. Mit einem Mal rücken Begleitmöglichkeiten in den
Vordergrund, die sonst eher dem Klinikbetrieb
zz Selbsterfahrungsimpulse oder Hospizstationen vorbehalten blieben. »Wenn
Thema Fremdunterbringung nichts mehr zu machen ist, ist noch viel zu tun«
1. Stellen Sie sich vor, Sie müssen innerhalb einer – ein Schlüsselsatz palliativer Vorgehensweise –
Woche Ihre Wohnung aufgeben und in eine macht deutlich, dass es zu einem Umdenken von
Altenpflegeeinrichtung übersiedeln: einer reinen Versorgung hin zu einer umfassenden
55 Welche Gefühle und Gedanken sind damit bedürfnisorientierten biopsychosozialen Beglei-
verbunden? tung kommen muss. Auch das Hereinnehmen der
55 Welche Dinge möchten Sie unbedingt noch Angehörigen und wichtiger sozialer Bezugsperso-
regeln? nen in die Begleitung im Sinne einer gleichwerti-
55 Von welchen Menschen möchten Sie be- gen Partnerschaft verlangt ein Umdenken in der
gleitet werden? Betreuungsszene.
2. Stellen Sie sich vor, Sie können bei Ihrer Über- Da es sich bei dem Konzept Hospizkultur und
siedlung ins Heim drei Gegenstände mitneh- Palliative Care in Altenpflegeeinrichtungen nicht
men: Welche Gegenstände sind das? um eine Einzelmaßnahme handelt oder eine wei-
3. Stellen Sie sich vor, Sie können sich im Alten- tere Zusatzqualifikation in einem Teilbereich pfle-
pflegeheim ein Zimmer aussuchen und nach gerischen Tuns, muss die Grundidee in der Gesam-
Ihren Vorstellungen gestalten: Was ist Ihnen torganisation gut verwurzelt und implementiert
besonders wichtig? werden. Der begleitende Organisationsentwick-
55 Einzelzimmer versus Mehrbettzimmer lungsprozess (Warnken 2007) soll zunächst einen
55 Raumfarbe bzw. Farbe der Vorhänge, des Rahmen für einen angstfreien Austausch über In-
Bodens, der Türen … halte und Konsequenzen der Schulung bieten und
55 Platz des Bettes: am Fenster versus neben die Motivation für Veränderungsprozesse schaffen.
der Tür oder in der Mitte des Raumes Gemeinsam mit Vertretern des Heims und des
55 Möglichkeit, die Tür von innen zu versper- Projektteams werden Ziele festgelegt (Zielformu-
ren versus prinzipiell immer zugängliches lierung), der zeitliche Rahmen abgesteckt und Per-
Zimmer sonen genannt, die in weiterer Folge als Ansprech-
55 Platz für eigene Möbel versus fixe Möblie- partner dienen sollen (Verteilung von Arbeitsauf-
rung vom Heim gaben und Festlegen von Entscheidungsstruktu-
55 Gestaltungsmöglichkeit versus vorgegebene ren). Ein Ergebnis der angesprochenen organisa-
Dekoration tionsentwicklungsbezogenen Maßnahmen könnte
55 Medienangebote sein, in dem jeweiligen Heim eine Hospiz- und Pal-
4. Wenn Sie die freie Wahl hätten: Wie sollte der liativgruppe einzurichten, deren Mitglieder für alle
»Blick aus Ihrem Zimmerfenster« im Heim Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Ansprech-
sein? personen bei einschlägigen Fragen zur Verfügung
stehen. In einem letzten Schritt des Organisations-
Die angeführten Maßnahmen sind wichtige Bau- entwicklungsprozesses geht es schließlich darum,
steine einer bedürfnisorientierten Begleitung im das gesamte Projekt zu evaluieren und zu prüfen,
Sinne von Hospizkultur und Palliative Care, kön- was sich im Heim durch und nach der Schulung
Interdisziplinäre Weiterbildungen am Beispiel Hospizkultur …
133 4
verändert hat. Relevante Fragen beziehen sich z. B. es vergleichbare Entwicklungen. So wurde 2010 von
auf die Einschätzung der Begleitarbeit oder auf die Hospiz Österreich das »Curriculum Palliative Ger-
Beurteilung des Wohlbefindens der Bewohner und iatrie« (entwickelt von M. Kojer und U. Schwänke.
Bewohnerinnen. Auch die Frage nach der Zahl der Kojer und Schwänke 2009) herausgegeben und für
Klinikeinweisungen am Lebensende und der As- eine österreichweite Umsetzung im Rahmen eines
pekt der Angehörigenarbeit (z. B. Angehörigenrun- Organisationsentwicklungsprozesses empfohlen.
den, Trauergruppen) müssen bei der Evaluierung Als Orientierungswert für den Anteil der Perso-
berücksichtigt werden. In diesem letzten Schritt nen, die an einer Schulung teilnehmen, wurde 80 %
geht es nicht nur um eine evaluierende Qualitäts- des Gesamtpersonals festgelegt (Hospiz Österreich
überprüfung sondern auch um die so wichtige Sta- (Hrsg) 2012).
bilisierung der eingeleiteten Entwicklungen. Wie bei allen anderen Fort- und Weiterbildun-
gen stellt sich natürlich auch bei diesem innova-
>> Neue Ansätze in der Altenbetreuung wie bei-
tiven Projekt die Frage, wie diese Art von Schu-
spielsweise das Konzept »Hospizkultur und
lungen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
Palliative Care in Altenpflegeeinrichtungen«
ankommen und ob die Bemühungen auch nachhal-
müssen durch begleitende Organisationsent-
tig etwas in der Pflege- und Versorgungslandschaft
wicklungsprozesse abgesichert werden.
verändern. Dies wird durch die Einbettung der
Dass die oben ausgeführten Ansätze einer inter- Weiterbildungen in Organisationsentwicklungs-
disziplinären Weiterbildung im Bereich der Alten- prozesse überprüft. Stellvertretend für die vielen
pflege nicht nur auf dem Papier existieren, zeigen positiven und mit Zahlen belegbaren Auswirkun-
konkrete Projekte. Seit ungefähr zwei Jahrzehnten gen der Schulungen »Hospizkultur und Palliative
stößt man im deutschsprachigen Raum bei der Su- Care in Altenpflegeheimen (HPCPH)« kommen
che nach innovativen Entwicklungen im Bereich nachfolgend einige Personen zu Wort, die an einer
der Altenpflege immer wieder auf die Idee, den dieser Weiterbildung teilgenommen haben, bei de-
Hospizgedanken und eine Palliativkultur in Pflege- nen die Autorin als Referentin tätig war.
heimen zu implementieren und sie zu einem neuen
Qualitätskriterium in der Angebotvielfalt von Pfle- Beispiel
gekonzepten zu benennen. An prominenter Stelle 1. Vertreterin aus dem Bereich Küche
steht in diesem Zusammenhang in Deutschland die Astrid W. war sehr skeptisch, als sie davon erfuhr,
Robert Bosch Stiftung, die innovative Projekte im mit den Pflegefachkräften gemeinsam an einer
Bereich der Palliativversorgung für alte Menschen Schulung teilnehmen zu müssen. Und als sie dann
im stationären Rahmen fördert (7 www.bosch-stif- auch noch über die Inhalte informiert wurde, ließ
tung.de). Um eine nachhaltige Verbesserung im sie ihren Ärger freien Lauf: »Warum soll ich mich mit
Sinne einer Erweiterung der Pflege- und Betreu- dem Sterben beschäftigen? Was bringt es mir, wenn
ungsangebote durch das Element »Palliative Care« über Krankheiten gesprochen wird, vor denen ich
zu gewährleisten, wurden Curricula (»Curriculum mich eh nur fürchte?!« … Astrid W. fand es schon
Palliative Praxis«) für entsprechende Schulungen schlimm genug, wenn sie miterleben musste, wie
entwickelt (Müller 2012). sich Menschen immer stärker veränderten und ir-
In der Praxis ist es wichtig, dass die Schulungen gendwann nicht mehr in den Speiseraum kamen.
von Personen durchgeführt werden, die nicht zum Sie gab auch unumwunden zu, dass ihr das Verhal-
Mitarbeiterstab einer Einrichtung gehören (»exter- ten von dementen Menschen oft Angst mache und
ne Moderatoren«) und die die Schulungsinhalte auf sie bei jeder Begegnung froh ist, wenn sie sich rasch
einheitliche Weise in den unterschiedlichen Hei- in die Küche zurückziehen kann. Gesprächen mit
men durchführen. Dazu werden Moderatorinnen- Vertretern und Vertreterinnen anderer Berufsgrup-
und Moderatorenschulungen angeboten. Wissen- pen stand sie ablehnend gegenüber: »Die machen
schaftliche Begleitstudien widmen sich Fragen der ihre Sachen, ich meine!« Im Laufe der Schulung
Nachhaltigkeit von Hospizkultur und Palliative legte sie ihre skeptische Haltung nach und nach ab.
Care im Pflegeheim und im Alter. In Österreich gibt Besonders die Anleitungen, sich über die eigenen
134 Kapitel 4 • Interdisziplinäre Weiterbildungen am Beispiel Hospizkultur …
Wünsche und Vorstellungen hinsichtlich einer mög- Kollegen aus anderen Berufsgruppen waren: »Das
lichen Fremdunterbringung im Alter Gedanken zu hat mich wirklich weitergebracht und ich habe ge-
machen, beschäftigten sie sehr. Astrid W. begann lernt, über meinen eigenen Tellerrand zu blicken!«
offen über die Situation der alten Menschen zu
sprechen und zeigte großes Interesse an den Aus- Beispiel
führungen über eine Sterbebegleitung im Heim. 3. Vertreterinnen aus dem Reinigungsteam
Sie dachte laut über Möglichkeiten nach, welche Marianna M. freute sich schon auf die Schulung
Rolle die Küche im letzten Lebensabschnitt eines und nahm gemeinsam mit ihrer Freundin und Kol-
dass man bereits an der Schwelle des Heims etwas Verwendete und weiterführende Literatur
von gelebter Hospizkultur spüren kann und spüren
muss. Dafür fühle er sich ab sofort verstärkt verant- Althoff I et al. (2014) Palliative Care in der Altenpflege: Orien-
wortlich. tierung für die Praxis. Vincentz Network, Hannover
Aulbert E et al. (Hrsg.) (2011) Lehrbuch der Palliativmedizin.
Schattauer, Stuttgart
Beispiel Ausländer R (2012) Gedichte. Fischer TB, Frankfurt/Main
7. Vertreter der Heimleitung und Pflegedienstlei- Behrens C et al. (2012) Palliative Care in Pflegeheimen:
tung Wissen und Handeln für Altenpflegekräfte. Schlütersche
Verlagsgesellschaft, Hannover
4 Roland B. nahm als Heimleiter bei der Schulung teil,
die ihm Heim selbst stattfand. Die anfänglich spür- Bollig G (2010) Palliative Care für alte und demente Men-
schen lernen und lehren. LIT, Berlin
bare Distanz zwischen ihm und seinen Mitarbei- Buchmann K P (2010) Pflegen in Würde – Hospizkultur
terinnen und Mitarbeitern konnte im Laufe der und Palliativ Care in der Altenpflege. Hospizverlag,
Schulung abgebaut werden. Wesentlich dafür wa- Wuppertal
ren die gemeinsamen Gruppenarbeiten, Übungen Gatterer G (2007) Multiprofessionelle Altenbetreuung. Ein
praxisbezogenes Handbuch. Springer, Berlin
und Anleitungen für die Praxis. Erstaunt und positiv
Haberstroh J, Pantel J (2011) Kommunikation bei Demenz –
überrascht nahm er das große Wissen und Engage- TANDEM Trainingsmanual. Springer, Berlin
ment seines Teams wahr und konnte das auf wert- Hospiz Österreich (Hrsg.) (2012) Hospizkultur und Palliative
schätzende Art auch ausdrücken. Für die anderen Care im Pflegeheim. Hospizverlag, Ludwigsburg
Schulungsteilnehmerinnen und -teilnehmer war Höfler A E (2012) Führen und Leiten in Hospizarbeit und
Palliative Care. Mabuse-Verlag, Frankfurt/Main
es eine schöne Erfahrung, dass sie sich gemeinsam
Kojer M, Schwänke U (2009) Curriculum Palliative Geriatrie.
mit dem Heimleiter auf den Weg machen konnten, Dachverband Hospiz Österreich, Wien
nach geeigneten Möglichkeiten einer Begleitung Kostrzewa S, Gerhard C (2010) Hospizliche Altenpflege.
bis zuletzt zu suchen. Palliative Versorgungskonzepte in Altenpflegeheimen
entwickeln, etablieren und evaluieren. Huber, Bern
Laotse (2010) Tao te king: das Buch vom Sinn und Leben.
Die oben angeführten Beispiele machen deutlich, Anaconda, Köln
dass durch gemeinsame Schulungen von Mitarbei- Lexa N (2014) Fallbesprechungen in der Palliative Care:
terinnen und Mitarbeitern eines Heimes Kräfte Praxiswissen für kompetentes Handeln. Schlütersche
mobilisiert werden können, die zum Wohl aller Verlagsgesellschaft, Hannover
Löser A P (2014) Pflegeplanung in der Palliativpflege: Sicher
Beteiligten beitragen. Den Auftrag, gemeinsam
und kompetent handeln.
am Ziel einer Implementierung des Hospizgedan- Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover
kens und einer palliativen Versorgung am Lebens- Müller M, Pfister D (Hrsg.) (2014) Wie viel Tod verträgt das
ende zu arbeiten, stärkt das Wir-Gefühl und regt Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospiz-
dazu an, die Grenzen berufsspezifischer Sicht- und arbeit und Palliativmedizin. Vandenhoeck & Ruprecht,
Göttingen
Handlungsweisen zu erweitern.
Müller D (2012) Netzwerk Palliative Geriatrie. Hospizkultur
»» Möge Dir Deine Reise kein Ausstieg, und Palliative Care Kompetenz in der Altenpflege: Ab-
schlussbericht. 7 www.bosch-stiftung.de
sondern ein Einstieg in ein Neues sein,
Spies R (2014) Palliativpflege in der stationären Altenhilfe:
indem du auf deiner Reise Möglichkeiten und Grenzen. Diplomica Verlag, Ham-
gute Schritte finden magst burg
für den einen Weg, Rabemann R (2015) Der Segen der Worte, Eigenverlag, Post-
den du schon gehst straße 57, D-71032 Böblingen, 7 http://www.rabemann.
de
und für alle Wege,
Warnken C (2007) Palliativpflege in der stationären Alten-
die dir noch sind zu gehen. pflege: Organisationsentwicklung, Qualitätsmanage-
(Ralf Rabemann) ment und Sterbebegleitung drei Bausteine einer
modernen Unternehmenskultur. Schlütersche Verlags-
gesellschaft, Hannover
137
Serviceteil
Stichwortverzeichnis – 138
Stichwortverzeichnis
B
aktivierende Pflege 16 biopsychosozial 2
Aktivitäten des täglichen Lebens 27 BISAD-Instrument 96
Aktivitätsmodell 16 Blickkontakt 53
Basale Stimulation 78, 79, 126
Akupressur 78 Burnout 34, 126
Bedürfnis
Akupunktur 78 Burnout-Gefährdung 25
–– nach Selbstverwirklichung 22
Akzeptanz 21 Burnoutprophyla 128
–– nach Sicherheit 22, 23
Altenarbeit 2 Bedürfnis, individuelles 24
Altenbetreuung
–– Finanzierbarkeit 126
Bedürfnis, physiologisches 22, 23
Bedürfnis, soziales 22, 23
C
Altenforscher 17 Bedürfnisorientierung Chronifizierung
Altenheim Bedürfnispyramide 22 –– vermeiden 10
–– als Lebensraum 2 Bedürfnisse Co-Analgetikum 76
Altenmodell, defizitäres 15 –– im Alter 22 Coping 66, 69
Altenpflege, ganzheitliche 3 Begleiten, einfühlsames 3 Curriculum Palliative Geriatrie 133
Altenpflegeeinrichtung Begleitgespräch 43
–– Eintritt 42
D
Begleitmöglichkeit 32
Alter Begleitmöglichkeiten
–– Definition 6 –– bei Demenz 83
–– Veränderungen 8 Dankbarkeit 14
Begleitung, bedürfnisorientierte
Altersgliederung Defizitmodell 15
Begleitung, palliative 108
–– WHO 6 Dehydration 109
Berufsberührung 80
Alterspyramide 7 Dekubitusprophyla 96
Berufszufriedenheit 25
Altersschwerhörigkeit 10 Demenz 29, 81
Berührung 85, 97, 111
Altersstruktur –– Begleitmöglichkeiten 83
–– Wirkung 80
–– Wandel 126 –– Biografiearbeit 88
Berührung, heilsame 78
Altersverteilung 7 –– Kommunikationshinweise 85
Berührungsängste 28
Altersweitsichtigkeit 10 –– Körperwahrnehmung 83
Berührungsqualität 80
Alzheimer 82 –– Schmerz 94
Beschuldigung 85
Analgetikum 76 –– Stufen nach Feil 84
BESD-Skala 95
Analogskala, visuelle 73 Demenz, primäre 82
Besprechung, ethische 107
Angehörigenbegleitung 112 Demenz, sekundäre 82
Betreuung
Angehörigengespräch 111, 113 Demenzerkrankung 26
–– zu Hause 8
Angst 22 Demenzstation 29
Betreuung, bedürfnisorientierte
Angst-Schmerz-Spannungskreislauf 80 Demografie 7
Betreuungskonzept, individuelles 8
Annäherung 25 Depression 22
Betreuungskonzepte, palliative 116
Annahme 35 Dialogfähigkeit 45
Betreuungslandschaft 8
Anpassung 14 disengagement-theorie 15
Bewältigungsstrategien 69
Anpassungsprozess 27 Doloplus-2-Skala 96
–– Schmerz 66
Appell 50 Düfte 110
Arbeitsgedächtniskapazität 10
Stichwortverzeichnis
139 A–K
G
Einreibung 78 Hochbetagte 6
Einsamkeit 20, 21 Hormone
Einschränkung, kognitive 71 –– Veränderungen im Alter 10
Gate-Control-Modell 66
Einzug ins Pflegeheim 25 Hörsinn 110
Gebete 111
Emotionen Hospiz 103, 128
Geborgenheit 109
–– Ausbruch 32, 35 Hospizbewegung 104
Gebrechlichkeit 20, 21
Empathie 45, 49 Hospizkultur 116, 131
Gedächtnisstörung 82
Empfänger 46 Hospizkultur und Palliative Care in
Gedenkfeier 118
End-of-Life Care Altenpflegeeinrichtungen 132
Gedichte 111
Endorphin 70 Hydrolat 110
Geduld 36
Energiestoffwechsel Gefühlsäußerung 31
–– Veränderungen im Alter 9
Entspannung 80
Gefühlsrad 101
Gehirn
I
Entwicklung, psychosoziale 93 –– Veränderungen im Alter 10 ICD (internationale Klassifikation von
Entwicklungsabschnitt 11 Gehör Krankheiten) 68
Entwicklungspsychologie 57, 93 –– Veränderungen im Alter 10 Identität
Erinnerungen 61 Gelassenheit, innere 18 –– Säulen 18
–– Demenz 86 Gelenkapparat Identitätsfrage 12
Erinnerungen, sinneskanalspezifi- –– Veränderungen im Alter 9 Immunsystem
sche 89 Geräusche 110 –– Veränderungen im Alter 9
Erinnerungsbuch 118 Geriatrie 126 Individualbedürfnis 22, 23
Erinnerungsfähigkeit 64 Gerontologie 126 Information
Erinnerungskultur 117 Gerontopsychiatrie 126 –– der Angehörigen 30
Erinnerungspflege 57 Geruchssinn Informationsblatt 27
Ernährung –– Veränderungen im Alter 10 informierter Konsens 106
–– Hilfebedarf 28 Geschmacksempfindung 109 Inhaltsaspekt 50
Erreichbarkeitsstufe 92 Geschmackssinn interdisziplinäre Weiterbildung 131
Erstaufnahmegespräch 43 –– Veränderungen im Alter 10 interdisziplinäre Zusammenarbeit 128
–– Inhalte 44 Gespräch, gutes 54 interdisziplinäres Team 129
–– Ziele 43 Gespräch, lebensgeschichtliches 56 internationale Klassifikation von Krank-
Erstkontakt 28 Gesprächsführung 46 heiten (ICD) 68
Erwachsenenalter, spätes 13 Gesprächsimpulse 61 Interventionen, schmerztherapeuti-
Erwachsenenstufe 92 Gesprächsprotokoll 48 sche 75
Erwerbstätigkeit Gestik 75 Isolation, psychosoziale 18
–– Ende 6, 13 Greisenalter 14 Isolation, soziale 21
Essen Grundbedürfnis, seelisches 22
–– im Sterbeprozess 109
J
Grundbedürfnisse 22
Euthanasie 106 Grundhaltung, palliative 3
Grundumsatz, sinkender 9
Jammern 31
F Jugenderfahrungen 59
Familienalbum 64 H Jugendliche 114
Feil, N. 84
K
Handmassage 110
Feuchtigkeitszufuhr 109 Hausporträt 42
Fieber 109 Haut
Filtermechanismus 47 Kälte-Wärmebehandlungen 78
–– Veränderungen im Alter 9
Fotografie 64 Katastrophisierung 67
heilsame Berührung 78
Fremdunterbringung 8, 25, 43, 126, 132 Kinder 114
Heim
–– Auszug 13
–– Eintritt 42
Kindheitserfahrungen 59
140 Stichwortverzeichnis
O
Knochen Lebensraum, letzter 2
–– Veränderungen im Alter 9 Lebensrückschau 37
Kommunikation 46, 53 Lebensumstände, veränderte 21
Oberflächenschmerz 68
Kommunikation, kongruente 48 Leiblichkeit 19
Oberschenkelhalsbruch 29
Kommunikationsfilter 47 Leistungsfähigkeit, nachlassende 9, 26
Obstipation 77
Kommunikationshinweise Leitbild 43, 126
Ohren
–– Demenz 85
–– vier 50
M
–– mangelhafte Orientierung 85
Öl, ätherisches 110
–– sich wiederholende Bewegungen 87
Opiat 76
–– Vegetieren 88
Mäeutik 92 –– Verabreichungsform 76
–– Zeitverwirrtheit 87
Mantel der Geborgenheit 104, 112, 130 Opioid 77
Kommunikationsverhalten 46
Massage 78, 110 Opiumpräparat 76
Kompensation 17
Medikament Optimierung 17
Kompetenz, soziale 36
–– im Sterbeprozess 108 Orientierung, mangelhafte 84, 85
Kondolenzecke 117
Medikamentennebenwirkung 77 Orientierungsbild 91
Kongruenz 48
Medikamentenreaktion 76 Orientierungshilfe 22, 64
Konsens, informierter 106
Medikamentenverabreichung 77 Orientierungsproblem 30
Konzentrationsfähigkeit, sinkende 10
Mimik 75 Osteoporose 69
Körperbereich
Mini-Mental-Status-Test (MMST) 73 Östrogen 70
–– kutane Schmerzlinderung 78
Misstrauen 22
Körperhaltung, zugewandte 53, 54
P
Mitbewohner 117
Körperlandkarte 73, 94
Mitmenschlichkeit 129
Körperpflege
Mobilität
–– Hilfebedarf 28 Palliativbereich 128
–– Hilfebedarf 28
Körperwahrnehmung 83 Palliativblatt 107
Moderator, externer 133
Kraniosakraltherapie 79 Palliative Care 103, 131
Morbus Alzheimer 82
Krankensalbung 111 palliative Grundhaltung 130
Morbus Parkinson 69
Kränkung 21 palliative Pflege 10
Morphin 70
Kübler-Ross, E. 101 Palliativeinrichtung 103
Morphium 109
kurativer Ansatz 129 palliativer Ansatz 129
Moxibustion 78
Kurzzeitgedächtnis 82 Palliativmaßnahmen
Multiinfarkt-Demenz 82
Kuscheltier 111 –– Unterstützungsangebote 105
Multimorbidität 69, 71, 129
Palliativmedizin 10
Multiple Sklerose 69
L multiprofessionelles Team 76
Mundbefeuchtung 110
Palliativplan 108
Paraphrasieren 52
Parkinson 69
Lagerung 111 Mundpflege 109, 115
Patientenverfügung 106
Langeweile 20, 21 Musik 110
Patientenverfügung, beachtliche 106
Langlebige 6 Muskulatur
Patientenverfügung, verbindliche 106
Langzeitgedächtnis 82 –– Veränderungen im Alter 9
PEG-Sonde 114
Lautäußerung 96 Mutterberührung 97
Pentatonik 110
Lebensabschnitt 11
Personalknappheit 126
N
Lebensalter 11
Persönlichkeit 25
Lebensbilanz, negative 15
Persönlichkeitsrecht 128
Lebensbilanz, positive 18
Nachricht Pflege nach Böhm 92, 126
Lebensbogen 19
–– vier Seiten 50 Pflege, aktivierende 16, 96
Lebensende
Nähe/Distanz-Verhältnis 54 Pflege, bedürfnisorientierte 2
–– Maßnahmen 108
Nebenwirkungen von Medikamen- Pflege, erlebnisorientierte 92
Lebenserfülltheit 14
ten 77 Pflege, ganzheitliche 2
Lebensernte 60
Negativspirale 21 Pflege, mäeutische 92
Lebenserwartung, durchschnittliche 7
Nervenschmerz 68 Pflege, palliative 10
Lebensgestaltung 18
Nestchenlagerung 111 Pflege, reaktivierende 92
Lebenslandkarte 59
Neuorientierung 14, 32 Pflegeanamnese 43
Lebenslauf 88
Nichtwahrhaben 35 Pflegebedürftigkeit 27
Lebensphase 11
Stichwortverzeichnis
141 K–T
Q
Schmerzerfahrungen 69 Speichelsekretion, verminderte 109
Schmerzerfassung 71 Spiegeln 87
–– Demenz 94 Sprachstörung 71
Qualitätsstandard 126
–– Leitfragen 73 St. Christopher Hospice 104
Quartärprävention 10
Schmerzerinnerung 67 Sterbeanzeichen 107
Schmerzerleben 69, 70 Sterbebegleitung 3, 99, 106, 119
R –– beeinflussende Faktoren 70
Schmerzformen 68
Sterbehilfe, aktive 106
Sterben, friedliches 108
Rasseln 114 Schmerzgedächtnis 70 Sterbende
Ratingskala 94 Schmerzgedächtnis, emotionales 66 –– Bedürfnisse 103
Ratingskala, numerische 73 Schmerzgeschichte 66 Sterbephasen
Ratingskala, verbale 73 Schmerzgeschichte, individuelle 70 –– Kübler-Ross 101
Raumgestaltung, Gespräch Schmerzintensität 67, 73 Sterbeprozess 100
fördernde 45 Schmerzkrankheit, chronische 68 Sterbezeichen 100
Reaktivierung 26 Schmerzlinderung 75 Stimulation, kutane 78
Realitätsorientierungstraining (ROT) 84 Schmerzlinderung, kutane Stromtherapie 79
Reflexzonenmassage 78 –– Körperbereiche 78 Summen 110
Regression 32 Schmerzlokalisation 73 Symptomkontrolle 75
Reiki 79 Schmerzmedikament Syndrom, multidimensionales 66
Reiz-Reaktions-Modell 66 –– im Sterbeprozess 108
T
Resignation 21 Schmerzmedikamente 76
Ressourcenkoffer 57 Schmerzmodell, biopsychosoziales 66
Ressourcenoptimierung 128 Schmerzpflaster 108
Tag der offenen Tür 28
rheumatische Erkrankung 69 Schmerzprophyla 96
TCM 78
Rhythmus Schmerzpumpe 108
TENS 78
–– Atmung 110 Schmerzqualität 73
Tertiärprävention 10
roleless role 15 Schmerzreduktion, nachhaltige 77
Toleranz 31
ROT (Realitätsorientierungstraining) 84 Schmerzschwelle 70
traditionelle chinesische Medizin
Rückzug 21 Schmerzspirale 71
(TCM) 79
Ruhe 109 Schmerzspitzen 109
transkutane elektrische Nervenstimula-
Ruhestand 6 Schmerztherapie 75
tion (TENS) 78
–– Demenz 96
Trauer 30
Schmerztherapie, ganzheitliche 109
S Schmerztherapie, komplementäre 78
Schmerztherapie, unzureichende 65
–– Schmerzerleben 81
Trauer, vorbereitende 113
Sachinformationen 50 Trauerarbeit 101
Schmerztherapie-Stufenleiter 77
Sachinhalt 50 Traueraufgaben 32
Schmerzzeichen, direkte 73
Schlaganfall 26–28 Trauerbegleitung 34, 37
Schmerzzeichen, indirekte 75, 95
Schlüsselwort 85 Trauerbewältigung 35
Schmerzzustand, chronischer 77
Schmerz 65 Trauerkreis 36
Schröpfen 79
–– Bewältigungsstrategien 66 Trauermodell 32
142 Stichwortverzeichnis
W
Trost 97
Tumorerkrankung 69
Wärmebehandlungen 78
U Wasseranwendung 78
Weiterbildung, interdisziplinäre 131
Übergang 31 Wertschätzung 21
Umkehrphänomen 92 W-Fragen 85
Umorientierung 25 WHO-Stufenschema 77
Unterstützung, finanzielle 27 Wickel 78
Unterstützungsangebot 31 Wohlbefinden 17
Unterversorgung schmerztherapeuti- Wohlbefinden, subjektives 18
sche 65 Wut 31
V Z
VAKOG-Schema 89 Zeitleiste 59
Validation 84 Zeitraster 59
Validation, integrative 91 Zeitverschränkung 85
Vegetieren 84, 88 Zeitverwirrtheit 84, 87
Verabreichungsform, adäquate medika- Ziellosigkeit 21
mentöse 108 Zorn 31
Verabschiedungsraum 117 Zufriedenheit 14, 15, 17, 18
Veränderungen Zugang, biografischer 88
–– im Alter 8 Zuhören, aktives 20, 52, 72, 85
Veränderungen, biologische Zukunftsüberlegung, aktive 17
–– im Alter 9 Zusammenarbeit, interdisziplinäre 128
Veränderungen, psychosoziale Zuwendung 97
–– im Alter 11
verbale Ratingskala (VRS) 73
Verbalisieren 53
Verbitterung 15
Verdrängung 18
Vereinsamung 22, 34
Vergänglichkeit 117
Vergesslichkeit 30
Verhaltensveränderung
–– Schmerz 95
Verlust 32