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Fachwissen Pflege

Diese Reihe bietet neuen Kollegen und Wiedereinsteigern Unterstützung bei der schnellen
Einarbeitung in einen neuen Bereich oder auf einer neuen Station. Motto: „Keine Angst vor
einem Stationswechsel“ Ziel ist es, die Pflegekraft auf Station optimal für ihren Stationsalltag
auszustatten und die Qualität der Versorgung zu sichern. Die Spezialisierung der Krankenhäuser
in Deutschland nimmt zu. Die Stationen in Kliniken konzentrieren sich auf spezielle Krank-
heits- und Fachbereiche. Das Pflegepersonal braucht umfangreiches Wissen und praktische
Anleitung zu speziellen Pflegemaßnahmen für ihren Stationsalltag. Außerdem kommt es immer
wieder zu Personalwechsel und neue Kollegen müssen meist sehr schnell eingearbeitet werden.

Mehr Informationen zu dieser Reihe auf http://www.springer.com/series/14168


Jutta Busch
Birgit Trierweiler-Hauke
Hrsg.

Pflegewissen
­Intermediate Care
Für die Weiterbildung und die Praxis

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

Mit 82 Abbildungen
Herausgeber
Jutta Busch Birgit Trierweiler-Hauke
UKSH Akademie Universitätsklinik Heidelberg
Kiel Chirurgische Klinik
Deutschland Heidelberg
Deutschland

ISBN 978-3-662-49510-0 ISBN 978-3-662-49511-7 (ebook)


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7
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V

Geleitwort

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit dem Geleitwort zur ersten Auflage im Jahr 2012 wurde dieses Fachbuch „Pflegewissen In-
termediate Care“ (IMC) nicht nur herzlich willkommen geheißen, sondern auch prognostiziert,
dass dieses Buch mit seiner Struktur die Lernenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses
Fachbereichs erobern und eine Lücke schließen werde.

Da die erste Ausgabe nach nur gut zwei Jahren inzwischen vergriffen ist, lässt sich ablesen, dass
die Herausgeberinnen Birgit Trierweiler-Hauke und Jutta Busch mit ihrem Autorenteam den
Zeitgeist getroffen und einen spezifischen Bedarf gedeckt haben.

Dieser Bedarf erklärt sich dadurch, dass sich IMC-Stationen als Bindeglied zwischen dem OP,
der Intensivstation und der Allgemeinpflegestation eines Krankenhauses verstehen und sich
einer immer größeren Beliebtheit erfreuen. Sie sorgen mit ihren Mitarbeitern für eine enorme
Entlastung von Allgemein- und Intensivstationen durch die Übernahme von pflege- und über-
wachungsbedürftigen Patienten. Diesen Patienten wird damit deutlich mehr an Betreuungs-
qualität im Sinne einer hohen Patientenorientierung zuteil. Damit bildet dieses Tätigkeitsfeld
einen Spannungsbogen zwischen den Extremen „high-tech“ und „high-touch“, die vom dort
tätigen Personal vereint werden müssen.

Die Herausgeberinnen halten in dieser neuen Auflage an ihrem Konzept und der gewählten
Struktur fest und bieten für alle im Tätigkeitsfeld der IMC beschäftigten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter kompaktes Grundlagenwissen aus allen relevanten Fachdisziplinen an. Dazu
gehören die Themengebiete
55 Grundlagenwissen,
55 fallorientierte Pflege und Überwachung,
55 Organisation, Konzepte und Weiterbildung.

Erweitert worden ist das Buch um die wichtigen Themen „Sepsis und Sepsisfrüherkennung“,
„innerklinischer Transport von Risikopatienten“ sowie „Entlassungsmanagement“.

Ergänzt mit Fallbeispielen, die Berufsanfängern und auch Fortgeschrittenen helfen, ihre beruf-
liche Handlungskompetenz zu entwickeln, bieten die Autorinnen und Autoren unverändert
Fragen zur eigenen Wissensüberprüfung und Anregungen für den Unterricht an. Das Thema
„Anleitung neuer Mitarbeiter“ rundet das Buch schließlich ab.

Damit bleibt es das Buch für alle Pflegenden auf IMC-Stationen und für Teilnehmer der Qua-
lifizierungsmaßnahme Intermediate Care, die abschließend noch eine Übersicht zu Weiter-
bildungsangeboten erhalten. Hier haben einige Kolleginnen und Kollegen der Deutschen Ge-
sellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste (DGF) aus diversen Bundesländern
geholfen, wesentliche Informationen zusammenzustellen.

Dietmar Stolecki
Referat Fort- und Weiterbildung, Kath. St.-Johannes-Gesellschaft Dortmund
2. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste e.V.
Vorwort

Ein Lehrbuch für die Intermediate-Care-Pflege schreiben – keine einfache Aufgabe. Denn:
Was ist Intermediate Care (IMC)? Die Praxis ist geprägt durch eine Vielfalt von unterschiedlich
organisierten und ausgestatteten Einrichtungen, von einem weiten Spektrum an Erkrankun-
gen und therapeutischen Interventionen sowie einer großen Variation im Tätigkeitprofil und
Verantwortungsbereich der Pflegenden – alles im Rahmen von und unter der Bezeichnung
IMC. Auch in der Theorie fehlen eindeutige Definitionen und Abgrenzungskriterien für das,
was IMC bedeutet.

Ein Lehrbuch muss aber Festlegungen treffen. Ein Lehrbuch soll Standards schaffen und stellt
gewissermaßen „geronnenes Wissen“ zu einem Gebiet dar. Die Herausgeberinnen sind sich der
Herausforderung bewusst, dass sie den Stand der Dinge in einem Bereich erfassen, der keinen
definierten Stand hat, der sich dynamisch entwickelt und je nach Disziplin, nach Einrichtungs-
typ und vielleicht auch regional ganz unterschiedlich verstanden und gestaltet wird.

So entstand die Idee, dass zwei Herausgeberinnen mit unterschiedlichem beruflichem Hin-
tergrund dieses Buch gemeinsam mit einer Reihe von Autoren konzipieren. Und es zeigt sich,
dass zwischen Heidelberg und Kiel – den Arbeitsorten der beiden Herausgeberinnen – doch
ein breiter Konsens darüber besteht, was das notwendige Wissen für die IMC-Pflege ausmacht.

Nachdem das Buch 2013 erschienen war, stellten wir aufgrund der direkten Rückmeldungen
fest, dass es als notwendig und wichtig wahrgenommen wird. Es stellt eine Verbindung und
Ergänzung pflegerischen Wissens zwischen Intensivstation und Allgemeinstation her. Daher
freuen wir uns über die Gelegenheit, das Buch in diesem Sinne mit einer neuen Auflage wei-
terzuentwickeln.

Wir danken an dieser Stelle allen, die das Buch ermöglicht haben: Die Mitarbeiterinnen vom
Springer-Verlag haben uns ermutigt und kompetent begleitet – Susanne Moritz als Initiatorin
des Projektes, Sarah Busch und Ulrike Niesel als Wegbereiterinnen der 2. Auflage sowie Annette
Allée als sorgfältige Lektorin unserer Texte. Die Autorinnen und Autoren der einzelnen Kapitel,
die wie wir selbst im Hauptberuf Pflege bzw. Pflegebildung betreiben, haben viel Wissen, Ener-
gie und Freizeit in die Arbeit an den Texten investiert und dafür gilt ihnen unser besonderer
Dank. Nicht zuletzt danken wir allen Kolleginnen, Kollegen und Freunden, die uns beraten
und unterstützt haben.

Wir wünschen nun unseren Leserinnen und Lesern eine interessante Lektüre, viele Anregungen
für die Auseinandersetzung mit dem Stoff sowie für die praktische Arbeit und freuen uns auf
einen kritisch-konstruktiven Austausch mit Ihnen.

Birgit Trierweiler-Hauke und Jutta Busch


Heidelberg und Kiel, im Januar 2016
VII

Inhaltsverzeichnis

I Wissen für die IMC-Pflege

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke

2 Überwachung und Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7


A. Motzkus
2.1 Bewusstsein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.2 Apparatives Monitoring. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.3 Überwachung von Herzfrequenz und Herzrhythmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.4 Überwachung der Hämodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.5 Überwachung der Atemfunktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.6 Überwachung der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.7 Überwachung der Körpertemperatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.8 Überwachung der Nierenfunktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

3 Unterstützung und Förderung der Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25


J. Wohlgehagen, J. Busch
3.1 Respiratorische Insuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.2 Apparative Überwachung der Atmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3.3 Atemfördernde und unterstützende Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

4 Akut- und Grenzsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51


D. Wengert
4.1 Allgemeine Handlungsstrategien in Akutsituationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.2 Sicherung der Atemwege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.3 Störungen der Herz- Kreislauf-Situation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.4 Störungen des Stoffwechsels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.5 Grenzsituationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

5 Schmerzmanagement auf einer IMC-Station. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75


C. Löwe
5.1 Was ist Schmerz und wie entsteht er?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
5.2 Schmerzerfassung und Dokumentation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
5.3 Medikamentöse Schmerztherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
5.4 Prophylaxe und Behandlung der schmerzmittelbedingten Nebenwirkungen. . . . . . . . . . . 90
5.5 Nichtmedikamentöse Möglichkeiten der Schmerztherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
5.6 Beratung und Schulung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
VIII Inhaltsverzeichnis

6 Ernährung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
T. Thorhauer
6.1 Ernährungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
6.2 Phasenmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
6.3 Bedarfsberechnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
6.4 Refeeding-Syndrom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
6.5 Orale Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
6.6 Enterale Ernährung via Sonde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
6.7 Parenterale Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

7 Wahrnehmungsstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
P. Nydahl
7.1 Wahrnehmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
7.2 Wahrnehmungsveränderungen und -störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

8 Hygiene auf der IMC-Station. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115


B. Trierweiler-Hauke
8.1 Hygiene benötigt Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
8.2 Standard-Hygienemaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
8.3 Prävention gefäßkatheterassoziierter Infektionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
8.4 Prävention von Harnwegsinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
8.5 Prävention postoperativer Wundinfektion, Umgang mit Drainagen
und allgemeine Wundpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
8.6 Hygienemaßnahmen bei multiresistenten Erregern (MRE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

9 Mobilitätsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
B. Trierweiler-Hauke
9.1 Definitionen von Mobilisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
9.2 Warum bewegen wir Patienten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
9.3 Was verhindert eine frühzeitige Mobilisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
9.4 Phasen der Bewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
9.5 Bewegungssprache und Pflegefachsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

10 Schnittstellen der IMC-Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159


D. Heinze, A. Korinth
10.1 Innerklinischer Transport von IMC-Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
10.2 Übergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
10.3 Entlassungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

11 Kommunikation auf einer IMC-Station . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169


A. König
11.1 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
11.2 Kommunikation im Setting Krankenhaus/IMC-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
IX
Inhaltsverzeichnis

11.3 Zielführende Kommunikation in Belastungssituationen/Unterstützungssysteme. . . . . 174


11.4 Klinisch-ethische Fallbesprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

II Lernen an Fallbeispielen aus der Praxis

12 Fallbeispiel Sepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183


B. Trierweiler-Hauke
12.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
12.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
12.3 Überlegungen zum Patientenerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

13 Fallbeispiel Kardiologie – Herzinsuffizienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195


A. Noll
13.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
13.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
13.3 Überlegungen zum Patientenerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

14 Fallbeispiel Kardiochirurgie – Aortenaneurysma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207


B. Meier
14.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
14.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
14.3 Überlegungen zum Patientenerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

15 Fallbeispiel Neurologie – Myasthenia gravis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215


I. Meyer
15.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
15.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
15.3 Überlegungen zum Patientenerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

16 Fallbeispiel Stroke Unit – Schlaganfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227


N. Moritz
16.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
16.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
16.3 Überlegungen zum Patientenerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

17 Fallbeispiel Viszeralchirurgie – Pankreasresektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235


M. Wüsten
17.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
17.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
17.3 Überlegungen zum Patientenerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
X Inhaltsverzeichnis

18 Fallbeispiel Pulmologie – COPD. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245


J. Busch
18.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
18.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
18.3 Überlegungen zum Patientenerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

19 Fallbeispiel Transplantation – Lebertransplantation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251


K. Siegel
19.1 Medizinische Grundlagen zur Lebertransplantation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
19.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
19.3 Überlegungen zum Patientenerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

20 Fallbeispiel Neurochirurgie – Hirndruck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263


K. Kleem
20.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
20.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
20.3 Überlegungen zum Patientenerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

21 Fallbeispiel Gynäkologie – Präeklampsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277


D. Wengert
21.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
21.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
21.3 Überlegungen zum Patientenerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

III Organisation, Konzepte und Weiterbildung

22 Intermediate Care – Zielsetzungen, Definitionen und


Zuweisungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke
22.1 Zielsetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
22.2 Definition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
22.3 Zuweisungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

23 Organisationsstrukturen und Rahmenbedingungen von


Intermediate Care . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke
23.1 Organisationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
23.2 Rahmenbedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
23.3 Einarbeitungskonzepte und Integrationsprogramme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
XI
Inhaltsverzeichnis

24 Bildungsangebote für die Qualifikation im IMC-Bereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305


J. Busch, B. Trierweiler-Hauke
24.1 IMC-Weiterbildung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
24.2 Beispiel: Qualifikation zur Pflegefachkraft im Intermediate Care Bereich /
Akademie für Gesundheitsberufe Heidelberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
24.3 Beispiel: Weiterbildung Intermediate Care (IMC) / UKSH Akademie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
24.4 Weitere Bildungsangebote. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
Die Autorinnen und Autoren

Jutta Busch Bettina Meier


Fachkrankenschwester für Intensiv- und Fachkrankenschwester für Intensiv- und
Anästhesiepflege, Erziehungswissenschaftlerin Anästhesiepflege, Praxisanleiterin und
(M.A.), hauptamtliche Lehrkraft im Bereich zertifizierte Wundexpertin, tätig auf der
pflegefachliche Fort- und Weiterbildung an der kardiochirurgischen Intensivstation am UKSH,
UKSH Akademie. Campus Kiel.

Dirk Heinze Ingo Meyer


Fachkrankenpfleger für Intensiv- und Fachkrankenpfleger für Intensiv- und
Anästhesiepflege, hauptamtliche Lehrkraft an der Anästhesiepflege am Universitätsklinikum
UKSH Akademie im Bereich pflegefachliche Fort- Heidelberg. Bis Juni 2014 stellvertretende
und Weiterbildung. Stationsleitung der Neurologischen
Intensivstation des Universitätsklinikums
Heidelberg.
Kerstin Kleem
Fachkrankenschwester für Intensiv- und
Anästhesiepflege, Praxisanleiterin, tätig Nadine Moritz
in der Anästhesiologischen Abteilung des Fachkrankenschwester für Intensiv- und
Kreiskrankenhauses Frankenberg. Anästhesiepflege, Praxisanleiterin,
hauptamtliche Lehrkraft an der UKSH
Akademie im Bereich pflegefachliche
Anja König Fort- und Weiterbildung.
Krankenschwester, Lehrerin für Pflegeberufe und
Dipl.-Pflegewirtin (FH), Leitung der Beratung,
Projekte, Öffentlichkeitsarbeit an der Akademie Andreas Motzkus
für Gesundheitsberufe Heidelberg. Fachkrankenpfleger für Intensiv- und
Anästhesiepflege, Dipl.-Pflegepädagoge (FH),
Leiter der Weiterbildung Anästhesie
Anja Korinth und Intensivpflege und IMC-Pflege an der
Gesundheits- und Krankenpflegerin, zertifizierte Akademie für Gesundheitsfachberufe
Case Managerin, zertifizierte pädagogisch-­ Heidelberg.
psychologische Beraterin, Tätigkeitsbereich
Sozialdienst und Pflegeüberleitung, UKSH,
Campus Kiel. Alexandra Noll
Fachkrankenschwester für Intensiv- und
Anästhesiepflege, zertifizierte Wundexpertin
Corinna Löwe und stellvertretende Stationsleitung
Fachkrankenschwester für Intensiv- und der Kardiologischen Intensivstation,
Anästhesiepflege, Algesiologische Fachassistenz, IMC- und HI-Station des Universitätsklinikums
MediClin Herzzentrum Coswig, Intensivstation. Heidelberg.
XIII
Die Autorinnen und Autoren

Peter Nydahl Doris Wengert


Krankenpfleger, BScN, Praxisanleiter, Kurs- und Fachkrankenschwester für Intensiv- und
Weiterbildungsleiter für Basale Stimulation, Anästhesiepflege, Pflegepädagogin, tätig
tätig auf der neurologischen Intensivstation an der Akademie für Gesundheitsberufe des
und Stroke Unit am UKSH, Campus Kiel, und im Universitätsklinikums Heidelberg im Bereich der
Bereich Pflegeforschung UKSH. Weiterbildung für Anästhesie und Intensivpflege
und IMC-Pflege.

Katja Siegel
Fachkrankenschwester für Intensiv- und Jan Wohlgehagen
Anästhesiepflege, Algesiologische Fachassistenz, Fachkrankenpfleger für Intensiv- und
tätig als Pflegekraft in der Anästhesiologischen Anästhesiepflege, M.Sc. Critical Care, Dipl.-
Abteilung der Berufsgenossenschaftlichen Berufspädagoge für die Fachrichtung Gesundheit
Unfallklinik Ludwigshafen. und Pflege, hauptamtliche Lehrkraft an der
UKSH Akademie im Bereich pflegefachliche Fort-,
Weiterbildung und Ausbildung.
Thomas Thorhauer
Fachkrankenpfleger für Intensivpflege,
Trainer für Basale Stimulation, Dozent Michaela Wüsten
an der UKSH Akademie und im Fachkrankenschwester für Intensiv- und
Ökumenischen Bildungszentrum für Anästhesiepflege, B.A., stellvertretende
Berufe im Gesundheitswesen (ÖBiZ), tätig Stationsleitung der Intermediate Care und
auf der chirurgischen Intensivstation am Transplantationsstation der Chirurgischen Klinik
Diakonissenkrankenhaus in Flensburg. am Universitätsklinikum Heidelberg.

Birgit Trierweiler-Hauke
Fachkrankenschwester für Intensiv- und
Anästhesiepflege, BBA, Stationsleitung mehrerer
Stationen unter anderem der Intermediate Care
und Transplantationsstation der Chirurgischen
Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg.
Mitarbeiterverzeichnis

Busch, Jutta Moritz, Nadine


UKSH Akademie gemeinnützige GmbH, UKSH Akademie gemeinnützige GmbH,
Campus Kiel Campus Kiel
Burgstraße 3 Burgstraße 3
24103 Kiel 24103 Kiel

Heinze, Dirk Motzkus, Andreas


UKSH Akademie gemeinnützige GmbH, Akademie für Gesundheitsberufe des
Campus Lübeck Universitätsklinikums Heidelberg
Ratzeburger Allee 160 Wieblinger Weg 19
23538 Lübeck 69123 Heidelberg

Kleem, Kerstin Noll, Alexandra


Kreiskrankenhaus Frankenberg Kardiologische Klinik am Universitätsklinikum
Forststraße 9 Heidelberg
35066 Frankenberg Im Neuenheimer Feld 410
69120 Heidelberg
König, Anja
Akademie für Gesundheitsberufe des Nydahl, Peter
Universitätsklinikums Heidelberg Pflegeforschung UKSH, Haus 31
Wieblinger Weg 19 Brunswiker Straße 10
69123 Heidelberg 24105 Kiel

Korinth, Anja Siegel, Katja


UKSH Kiel, I. Medizinische Klinik, Sozialdienst Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik
Arnold-Heller-Straße 3 Ludwigshafen
24105 Kiel Ludwig-Guttmann-Straße 13
67071 Ludwigshafen
Löwe, Corinna
MediClin Herzzentrum Coswig Thorhauer, Thomas
Lerchenfeld 1 Chirurgische Intensivstation,
06869 Coswig Diakonissenkrankenhaus Flensburg
Knuthstraße 1
Meier, Bettina 24939 Flensburg
Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie, Haus 18
Arnold-Heller-Straße 3 Trierweiler-Hauke, Birgit
24105 Kiel Chirurgische Klinik am Universitätsklinikum
Heidelberg
Meyer, Ingo Im Neuenheimer Feld 110
Neurologische Klinik des Universitätsklinikums 69120 Heidelberg
Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 400
69120 Heidelberg
XV
Mitarbeiterverzeichnis

Wengert, Doris Wüsten, Michaela


Akademie für Gesundheitsberufe des Chirurgische Klinik am Universitätsklinikum
Universitätsklinikums Heidelberg Heidelberg
Wieblinger Weg 19 Im Neuenheimer Feld 110
69123 Heidelberg 69120 Heidelberg

Wohlgehagen, Jan
UKSH Akademie gemeinnützige GmbH, Campus
Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
1 I

Wissen für die


IMC-Pflege
Kapitel 1 Einleitung – 3
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke

Kapitel 2 Überwachung und Monitoring – 7


A. Motzkus

Kapitel 3 Unterstützung und Förderung der Atmung – 25


J. Wohlgehagen, J. Busch

Kapitel 4 Akut- und Grenzsituationen – 51


D. Wengert

Kapitel 5 Schmerzmanagement auf einer IMC-Station – 75


C. Löwe

Kapitel 6 Ernährung – 93
T. Thorhauer

Kapitel 7 Wahrnehmungsstörungen – 103


P. Nydahl

Kapitel 8 Hygiene auf der IMC-Station – 115


B. Trierweiler-Hauke

Kapitel 9 Mobilitätsförderung – 147


B. Trierweiler-Hauke

Kapitel 10 Schnittstellen der IMC-Versorgung – 159


D. Heinze, A. Korinth

Kapitel 11 Kommunikation auf einer IMC-Station – 169


A. König
3 1

Einleitung
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_1
4 Kapitel 1 · Einleitung

Die Versorgungslandschaft in den deutschen Klini- bei der klinischen und apparativen Überwachung
1 ken hat sich in den letzten Jahren gravierend ver- von IMC-Patienten, was ist wichtig in Bezug auf die
ändert. Durch kürzere Verweildauer bei gleichzei- Atmung der Patienten, mit welchen Notfallsituatio-
tig zunehmender Komplexität der Krankheits- und nen ist zu rechnen und wie ist zu reagieren? Daneben
Behandlungsverläufe wird die Pflege und Überwa- geht es hier um so wichtige Aspekte wie die Ernäh-
chung der Patienten im stationären Bereich zu einer rung der Patienten, das Schmerzmanagement, die
immer größeren Herausforderung. Multimorbidität, Förderung der Mobilität und die Wahrung hygieni-
Hochaltrigkeit und Chronifizierung von Erkrankun- scher Bedingungen. Dass es in dieser ersten Sektion
gen sind einige Schlagworte, die im Zusammenhang auch immer um die Frage geht, wie Patienten ihre
mit diesen Veränderungen zu nennen sind. Situation unter den Bedingungen einer existenziellen
Diese Entwicklung ist mit Risiken für unsere Gefährdung erleben, wird besonders deutlich in den
Patienten verbunden und darauf muss reagiert Kapiteln zu Wahrnehmungsstörungen und Kommu-
werden. Eine solche Reaktion ist die Einrichtung nikation (7 Kap. 7 und 11). Auch ethische Erwägun-
stationärer Organisationformen, die eine intensive gen fließen in diese Kapitel mit ein, insbesondere im
Überwachung von Risikopatienten zur Aufgabe Kapitel Akut- und Grenzsituationen (7 Kap. 4), aber
haben: Die Einrichtung von Intermediate-Care-Sta- auch in den anderen Kapiteln, denn:
tionen. Intermediate Care (IMC) versteht sich – wie
im Verlaufe dieses Buches noch deutlich herausge- > Verantwortungsbewusste Pflege und
arbeitet wird – als eine Zwischenstufe zwischen der Überwachung ist ohne eine ethische
„Normalstation“ und der Intensivstation, wie wir sie Dimension nicht möglich.
seit Jahrzehnten kennen. Kaum ein Haus der Regel-
versorgung, und schon gar keines der Maximalver- In der zweiten Sektion werden exemplarisch Pati-
sorgung, wird heute ohne IMC auskommen. Auf entenfälle vorgestellt und besprochen, wie sie für
den IMC-Stationen können die gefährdeten Patien- die verschiedenen Ausrichtungen von IMC typisch
ten mit Hilfe medizin-technischer Geräte kontinu- sind. Dabei wird das fachliche Regelwissen – wie in
ierlich überwacht werden. der ersten Sektion dargelegt – auf den konkreten Fall
Mit der Eröffnung von IMC-Stationen und deren bezogen und zugleich das Besondere des Einzelfalls
angemessener apparativer Ausstattung ist es allein betrachtet.
jedoch nicht getan. IMC benötigt gut geschultes, Wir Herausgeberinnen haben uns entschlossen,
erfahrenes und verantwortungsbewusstes Personal. diese zweite Sektion entlang der Systematik medi-
Das gilt z. B. für Ärzte, Physiotherapeuten, Station- zinischer Disziplinen zu ordnen. Dies mag Kritik
sassistenten und nicht zuletzt für das Reinigungs- hervorrufen, da es keiner pflegerischen oder pflege-
personal. Das gilt im Besonderen aber für das Pfle- wissenschaftlichen Theorie folgt. Viele IMC-Statio-
gepersonal, das die kontinuierliche Überwachung nen – vor allem in den Kliniken der Schwerpunkt-
gewährleistet. Dafür ist Wissen erforderlich, das sich versorgung – sind jedoch bestimmten medizinischen
zwar mit den Wissensbeständen aus der Pflegeaus- Disziplinen zugeordnet. Auch bei interdisziplinären
bildung und aus der Weiterbildung für den Inten- Stationen sind die Patientenfälle entsprechend ihrer
sivbereich überschneidet, das aber auch eine ganz Hauptdiagnose Disziplinen zuzurechnen.
spezifische Ausprägung für die Arbeit Pflegender in Mit den Fällen kann naturgemäß nicht das
diesem Bereich aufweist. Aus diesem Grunde ist ein ganze Spektrum von Krankheitsbildern abgedeckt
Lehrbuch entstanden mit dem Pflegewissen für die werden, das auf IMC-Stationen vorkommt. Kein
IMC-Station. Lehrbuch kann heute noch universelles Wissen
erfassen, auch nicht für ein begrenztes Gebiet, da
z Aufbau des Buches die Wissensbestände in allen Bereichen viel zu
Das Buch gliedert sich in drei große Abschnitte. umfangreich sind. Exemplarisches Lernen ist daher
In dieser nun beginnenden ersten Sektion notwendig. Und es ist darüber hinaus sinnvoll, denn
wird Regelwissen über die wichtigsten Aspekte der die Wirklichkeit ist immer vielschichtiger als jedes
IMC-Versorgung vermittelt. Was ist zu beachten Regelwissen.
Kapitel 1 · Einleitung
5 1
> Pflegende müssen – wie andere Professionen Praxistipp
auch – ihr Wissen immer wieder auf neue
konkrete Situationen übertragen können. Die Fallbeispiele eignen sich gut für die
Bearbeitung im Unterricht. Am Ende jedes
Die einzelnen Fallbeispiele in diesem Buch sind Kapitels werden Anregungen gegeben, wie
einheitlich gegliedert (7 Übersicht unten). Dieser diese Bearbeitung gestaltet werden kann.
analoge Aufbau umfasst jeweils eine kurze Falldar-
stellung, medizinische Grundlagen zum Krankheits-
bild und die wichtigsten Pflege- und Überwachungs- In der dritten Sektion werden Konzepte, Rahmenbe-
schwerpunkte. Auch hierbei wurde exemplarisch dingungen und Organisationsstrukturen von IMC
vorgegangen und eine Auswahl der Schwerpunkte dargestellt. Besonderes Augenmerk richtet sich im
getroffen, die im Setting der IMC-Versorgung Rahmen dieses Lehrbuchs auf die Fort- und Wei-
höchste Priorität besitzen. Ein Schwerpunkt richtet terbildung. Die drei Kapitel in dieser Sektion geben
sich dabei in jedem Fall auf das Patientenerleben. einen Einblick in den aktuellen Stand der Entwick-
Dieser Aspekt war uns besonders wichtig, da pflege- lung von IMC und zeigen zugleich auf, wie vielfäl-
risches Handeln sich immer als Interaktion zwischen tig IMC in der Theorie verstanden und in der Praxis
Individuen gestaltet, die ihre Lebens- und Umwelt gestaltet wird. Das gilt auch und gerade für die Bil-
„erleben“. Für den Krankheitsverlauf und den Gene- dungsangebote dieses Arbeitsbereichs.
sungsprozess ist es von größter Bedeutung, dass wir
unsere Patienten nicht nur behandeln, sondern mit z Lernen gestalten und Wissen überprüfen
ihnen handeln und sie verstehen. Da dieses Buch auf Lernen abzielt und sich an Ler-
nende und Lehrende richtet, enthält es auch eine
> Alle Fallbeispiele sind fiktiv, alle Namen Reihe von didaktischen Elementen. Vorange-
in den Fallbeispielen frei erfunden und stellt haben wir „10 Tipps fürs Lernen“, die keinen
die Namensähnlichkeit mit tatsächlichen Anspruch auf Vollständigkeit haben, sondern sich
Personen wäre reiner Zufall. als Anregungen verstehen. Jede und jeder Lernende
wird für sich ihre bzw. seine eigene Strategie entwi-
ckeln, wie sie bzw. er am besten lernt. Übereinstim-
Gliederung der Fallbeispiele in Sektion 2 mend lässt sich aber sagen, dass Lernen ein aktiver
des Lehrbuchs Prozess ist, bei dem nicht Wissen „eingetrichtert“,
44 Kurze Falldarstellung sondern angeeignet wird. Daher ist es sinnvoll, sich
44 Medizinische Grundlagen zum Gedanken darüber zu machen, wie der Lernprozess
Krankheitsbild optimal selbstbestimmt zu gestalten ist.
44 Vorrangige Pflege- und Als zweites Element finden Sie am Ende jedes
Überwachungsschwerpunkte Kapitels in der ersten Sektion Fragen und Aufgaben
44 Überlegungen zum Patientenerleben zur Wissensüberprüfung, die im Sinne des selbstor-
ganisierten Lernens bearbeitet werden können. Und
als drittes Element sind den Fallbeispielen Hinweise
Anhand der Fälle kann veranschaulicht werden, wie angefügt, wie sie im Unterricht, also beim gemeinsa-
komplex die Situation von vital bedrohten Patienten men Lernen, eingesetzt werden könnten.
im klinischen Alltag aussieht. Meist ist es nicht ein Eine grundlegende Entscheidung der Herausge-
isoliertes Gesundheitsproblem, das berücksichtigt berinnen soll an dieser Stelle noch begründet werden:
werden muss, sondern eine Kombination aus meh- Schon früh im Verlauf der Planung dieses Lehrbu-
reren problematischen Aspekten. Für die Pflege und ches entstand die Idee, eine Vielfalt von Autoren mit
Überwachung im konkreten Fall fließt fundiertes unterschiedlicher Fachexpertise einzubeziehen. Tat-
Regelwissen zu einzelnen Aspekten zusammen mit sächlich konnten wir für dieses Projekt eine Reihe
einer differenzierten Betrachtung der Gesamtsitua- von Autoren begeistern, die im IMC-Bereich tätig
tion des erkrankten Menschen. sind und das Buch mitgestaltet haben. So ist ein
6 Kapitel 1 · Einleitung

großer Fundus an theoretischem Wissen und prak-


1 tischen Erfahrungen zusammengeflossen und ein – 44 Verknüpfen Sie das Gelernte mit eigenen
wie wir meinen – abwechslungsreiches Lehrwerk Erfahrungen.
entstanden. Unsere Leserinnen und Leser werden 44 Stecken Sie sich eigene Lernziele, die Sie
viele Fakten und Anregungen erhalten. Sie werden erreichen wollen.
dabei aber auch immer wieder die ganz individuelle 44 Machen Sie zu interessanten Aspekten
Handschrift der einzelnen Verfasser erkennen. eigene Recherchen.
44 Nehmen Sie sich Zeit und schaffen Sie sich
Raum zum konzentrierten Lernen.
10 Tipps zum Lernen 44 Planen Sie bei längeren Lernphasen
44 Wiederholen Sie das Gelesene in eigenen Pausen ein, in denen Sie sich bewegen.
Worten. 44 Fertigen Sie vor Prüfungen Notizzettel an
44 Erklären Sie komplexe Inhalte einer mit Stichworten zu den Lerninhalten.
anderen Person. 44 Geben Sie Ihr Wissen weiter, dabei entsteht
44 Diskutieren Sie unklare Aspekte mit immer ein Lerngewinn für Sie!
anderen Personen.
7 2

Überwachung und Monitoring


A. Motzkus

2.1 Bewusstsein – 8

2.2 Apparatives Monitoring – 8

2.3 Überwachung von Herzfrequenz und Herzrhythmus – 9


2.3.1 Palpation – 9
2.3.2 EKG – 10

2.4 Überwachung der Hämodynamik – 12


2.4.1 Nichtinvasive Blutdrucküberwachung – 12
2.4.2 Invasive Blutdrucküberwachung – 13
2.4.3 Zentraler Venenkatheter und zentraler Venendruck – 16
2.4.4 PiCCO – 18
2.4.5 Echokardiographie – 19

2.5 Überwachung der Atemfunktion – 19


2.5.1 Pulsoxymetrie – 21

2.6 Überwachung der Haut – 22

2.7 Überwachung der Körpertemperatur – 22


2.7.1 Hypothermie – 22
2.7.2 Hyperthermie – 23

2.8 Überwachung der Nierenfunktion – 23

Literatur – 24

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_2
8 Kapitel 2 · Überwachung und Monitoring

Bei der Betreuung von Patienten auf der Interme-


. Tab. 2.1 Glasgow-Koma-Skala
diate-Care-Station kommt der Überwachung eine
zentrale Rolle zu. Das apparative Monitoring ist Kategorie Reaktion Punktwert
2 hierbei unentbehrlich. In Bezug auf eine ganzheit-
Augenöffnen Spontan 4
liche Betreuung müssen die apparativen Überwa-
chungsmöglichkeiten aber durch klinische Kran- Auf Aufforderung 3
kenbeobachtung ergänzt und in Zusammenhang Auf Schmerzreize 2
gebracht werden. Anhand dieser Informationen Keine 1
kann dann eine individuelle Therapie und Pflege
Motorische Befolgt Aufforderungen 6
geplant werden. Reaktion
Lokalisiert Reize 5
Die Sinne Sehen, Fühlen, Hören, und Riechen
kommen hierbei gezielt zum Einsatz und ergänzen Zieht die Extremitäten 4
die apparativ ermittelten Parameter. zurück

Die Überwachung soll zielgerichtet und geplant Flexionshaltung 3


erfolgen, um Störungen frühzeitig erkennen zu können. Extensionshaltung 2
Auch sollten die Maßnahmen der Überwachung den Keine Bewegung 1
Patienten so wenig wie möglich einschränken.
Sprachliche Orientiert 5
Im Folgenden soll ein Überblick über verschie- Reaktion Verwirrt 4
dene Maßnahmen und Möglichkeiten des appara-
tiven und klinischen Monitorings gegeben werden. Einzelne Wörter 3
Unartikulierte Laute 2
Keine 1
2.1 Bewusstsein

Die Beobachtung der Bewusstseinslage steht ganz Zur Einschätzung einer Bewusstseinsstörung
im Vordergrund der Überwachung kritisch kranker kann die Glasgow Coma Scale (GCS, Glasgow-Ko-
Menschen. Es geht um die Aspekte ma-Skala) eingesetzt werden. Sie wird häufig bei
55 Aufmerksamkeit/Vigilanz einer Schädel-Hirn-Verletzung verwendet, kann
55 Wahrnehmungsfähigkeit aber auch genutzt werden, um allgemeine Bewusst-
55 Denkvermögen seinsstörungen zu quantifizieren.
55 Erinnerungsvermögen Durch die Glasgow-Koma-Skala lässt sich der
55 Orientiertheit Schweregrad einer quantitativen Bewusstseinsstö-
55 Handlungs- und Reaktionsfähigkeit rung exakt einstufen. Sie berücksichtigt Wachheit,
Motorik und Sprache. Die Summe aller Punkte
Die Möglichkeiten der apparativen Überwachung spiegelt den Schweregrad der Bewusstseinsstörung
sind dabei sehr begrenzt (z. B. durch EEG, BIS-Mo- wider. Hier sei erwähnt, dass es durchaus methodi-
nitoring o. Ä.) und für die Regelversorgung in der sche Mängel der Skala gibt, z. B. ist die Sprache bei
Intermediate Care (IMC) ungeeignet. So kommt der einem intubierten Patienten schwer zu beurteilen,
klinischen Überwachung höchste Priorität zu. Da (unbekannte) Hörbehinderungen führen zu einem
den Wahrnehmungsstörungen ein eigenes Kapitel falsch niedrigen Wert (. Tab. 2.1).
gewidmet ist und die Einschätzung der Bewusst-
seinslage im Fallbeispiel ( 7 Kap. 20) ausführlich
behandelt wird, soll an dieser Stelle nur der Hinweis 2.2 Apparatives Monitoring
gegeben werden, dass bei den vitalen Funktionen
nicht nur an Herz-Kreislauf, Atmung und Nieren- Die auf IMC-Stationen eingesetzten Patienten-
funktion gedacht wird, sondern auch an die Funk- monitore ermöglichen eine kontinuierliche Über-
tion des Gehirns und das für das menschliche Dasein wachung des Patienten in Bezug auf verschiedene
essenzielle Phänomen des Bewusstseins. Vitalparameter.
2.3 · Überwachung von Herzfrequenz und Herzrhythmus
9 2

. Abb. 2.2 Alarmierung auf Großanzeige

angeschlossen sind und Alarmierungen an die Zen-


trale und andere Monitore durchgestellt werden.
So ist sichergestellt, dass auch bei Nichtanwesen-
heit im Patientenzimmer keine Alarme unerkannt
bleiben.
Die Geräte gibt es von verschiedenen Her-
stellern und diese sind in der Regel multifunktio-
nal, d. h. sie erlauben die Überwachung mehrerer
Parameter. Diese Parameter werden durch entspre-
chende Alarmgrenzen überwacht. Bei Über- oder
Unterschreiten der eingestellten Grenzen findet
. Abb. 2.1 Monitor. (Aus Larsen 2012)
eine akustische und optische Alarmierung statt.
Durch eine Alarmhierarchie ist sichergestellt, dass
Nachfolgend aufgeführte Maßnahmen des vital bedrohliche Rhythmusstörungen gesondert
hämodynamischen Basismonitorings sollten an alarmiert werden.
jedem Bettplatz möglich sein: Besonders große Stationen oder Stationen, die
55 EKG-Monitoring, etwas verwinkelt gebaut sind, können von einer auf
55 Nichtinvasive Blutdrucküberwachung. dem Flur einsehbaren Großanzeige der Alarmierun-
gen profitieren (. Abb. 2.2).
Folgende Parameter des erweiterten hämodynami-
schen Monitorings sollten möglich sein:
55 Überwachung des arteriellen 2.3 Überwachung von Herzfrequenz
Blutdrucks, und Herzrhythmus
55 Überwachung des zentralvenösen
Drucks, 2.3.1 Palpation
55 PiCCO-Monitoring.
Der apparativen Überwachung der Herzfrequenz
Ein weiterer Schwerpunkt sollte auf die Überwa- kommt auf der IMC-Station eine besondere Bedeu-
chung der pulmonalen und respiratorischen Situa- tung zu. Herzfrequenz und Herzrhythmus können
tion gelegt werden: hiermit kontinuierlich überwacht werden.
55 Pulsoxymetrie, Die Palpation des Pulses darf deswegen aber
55 Respirationsüberwachung. nicht in Vergessenheit geraten. Durch das Fühlen des
Pulses an der A. radialis, A. femoralis oder A. carotis
Patientenmonitore verfügen in der Regel über einen lassen sich Aussagen über Frequenz, Rhythmus und
Speicher, sodass alle Ereignisse zurückverfolgt Pulsqualität treffen. Auch ein Pulsdefizit kann hier-
werden können. Sie können alleine genutzt werden, durch erkannt werden. Hierunter versteht man die
z. B. als mobiler Monitor, der dort angebracht wird, Differenz zwischen der Herzfrequenz (per Auskulta-
wo er benötigt wird (. Abb. 2.1). tion oder EKG gemessen) und der peripher messba-
Auf einer IMC-Station ist es aber auch möglich, ren Pulsfrequenz. Häufig sind Extrasystolen hierfür
dass die Monitore an eine Zentralüberwachung die Ursache.
10 Kapitel 2 · Überwachung und Monitoring

2.3.2 EKG
P PQ QRS ST T U
Welle Strecke Komplex Strecke Welle Welle
Über die Ableitung des EKG am Patientenmonitor
2 kann eine kontinuierliche Überwachung der elekt-
rischen Herzaktivität erfolgen. Hierdurch wird eine
Überwachung der Frequenz und des Herzrhythmus
ermöglicht. Hierbei werden elektrische Impulse, die
bei der Aktivität des Herzmuskels entstehen, abge-
leitet und dargestellt.
Der EKG-Zyklus beginnt mit der P-Welle, die
der elektrischen Erregung des Vorhofes entspricht. PQ QT
Daran schließt sich das PQ-Intervall an, welches dem Dauer Dauer

Abstand vom Beginn der P-Welle bis zum Beginn der


Q-Zacke entspricht. Der anschließende QRS-Kom-
. Abb. 2.3 EKG-Zyklus
plex entspricht der Kammererregung und entsteht
durch die vollständige Erregung der Ventrikel. Auf
diesen erfolgt ein Intervall ohne elektrische Erre-
gung. Diese ST-Strecke zeigt den Beginn der Erre- z Anlage der Elektroden
gungsrückbildung der Kammern an. Die T-Welle Bei vielen Patientenmonitoren ist eine 3-adrige
entspricht der Erregungsrückbildung der Kammer Ableitung Standard. Hierzu werden die Elektro-
(. Abb. 2.3). den im Bereich des rechten und linken Schlüssel-
Am Monitor sind die Alarmgrenzen an die indi- beines sowie oberhalb des linken Rippenbogens
viduelle hämodynamische Situation des Patienten aufgeklebt.
anzupassen. In der Regel ist auch eine Arrhythmie- Die Ableitung des EKGs erfolgt entweder zwi-
überwachung voreingestellt, die Rhythmusstörun- schen Elektrode 1 und 2 (Ableitung I), Elektrode 1
gen und Überleitungsstörungen erkennt und anzeigt. und 3 (Ableitung II) oder Elektrode 2 und 3 (Ablei-
Am Monitor werden Herzfrequenz und EKG tung III). Ableitung II ist häufig die beste, weil die
fortlaufend visuell dargestellt. Des Weiteren besteht Position der Elektroden dem Verlauf der Herzachse
die Möglichkeit, die Herzfrequenz auch akustisch von oben rechts nach unten links entspricht.
darzustellen. Hierzu wird am Patientenmonitor der Die Farben variieren hierbei je nach Hersteller:
QRS-Ton aktiviert. Somit ist neben der visuellen 55 Unterhalb des linken Schlüsselbeines
Überwachung auch eine akustische Überwachung rot
möglich. Diese Möglichkeit kann bei der Durchfüh- 55 Unterhalb des rechten Schlüsselbeines
rung von diagnostischen und invasiven Eingriffen gelb
genutzt werden, bei denen der Patientenmonitor 55 Oberhalb des linken Rippenbogens grün
nicht immer im Blickfeld des betreuenden Teams ist. 55 Unterhalb des linken Schlüsselbeines
Zur Ableitung des EKG werden Klebeelektro- schwarz
den verwendet. Diese sollten aus hautfreundlichem 55 Unterhalb des rechten Schlüsselbeines rot
Material hergestellt sein, um Hautreizungen zu ver- 55 Oberhalb des linken Rippenbogens gelb
meiden. Die Elektroden sollten alle 24 h gewech-
selt werden, um immer eine optimale Ableitung zu Mit dieser Art der Ableitung lassen sich Informa-
gewährleisten. Bei längerer Anwendungsdauer kann tionen zu Frequenz und Rhythmus erhalten. Für
das Elektrodengel austrocknen und es häufen sich eine genauere Überwachung ist die Ableitung über
Artefakte. Auch ein Wechsel der Klebestellen sollte 5 Elektroden möglich. Die Elektroden rot/gelb/grün
beachtet werden, um Hautreizungen zu vermeiden. werden hierzu wie oben erläutert aufgeklebt. Die
Um eine exakte Ableitung zu ermöglichen, sollte die schwarze Elektrode wird oberhalb des rechten Rip-
Haut, auf die die Elektroden aufgebracht werden, penbogens geklebt und die weiße Elektrode unter-
trocken, fettfrei und frei von Haaren sein. halb des Sternums.
2.3 · Überwachung von Herzfrequenz und Herzrhythmus
11 2

. Tab. 2.2 Mögliche Fehlerquellen der


EKG-Überwachung

Störung Ursache

Kein EKG-Bild Monitorlinie nicht aktiviert


Elektroden falsch platziert
Elektrodenklemme entfernt
Patientenkabel defekt
Monitor defekt oder fehlender
Stecker
. Abb. 2.4 Ventrikuläre Tachykardie. (Aus: Larsen 2012.
Wandernde – Elektroden locker oder Springer. Berlin)
unregelmäßige ausgetrocknet
Grundlinie Ungenügende Hautreinigung
Elektroden falsch platziert z Formen von Rhythmusstörungen
Bewegung oder Muskelzittern Ventrikuläre Tachykardie Die ventrikuläre Tachy-
des Patienten kardie (VT) ist eine anfallsweise auftretende tachy-
Einfluss von Wechselstrom karde Arrhythmie des Herzens mit einer Frequenz
(. Abb. 2.3) von 100–250/min. Selbstlimitierende VTs sind nicht
Patienten- und Stromkabel anhaltend und dauern bis zu ca. 30 s, anhaltende VTs
berühren sich
dauern länger als 30 s. Eine ventrikuläre Tachykardie
EKG-Amplitude Elektroden ausgetrocknet ist stets als Notfall zu betrachten, da ein Übergang in
zu klein Elektroden falsch platziert ein Kammerflattern oder Kammerflimmern möglich
Amplitude am Monitor zu klein ist (. Abb. 2.4).
eingestellt 55 Symptome: Herzrasen, Schwindel,
Permanente Alarmeinstellung zu nah an der AP-Beschwerden, Schwäche, Hypotonie,
Alarmierung der Patientenherzfrequenz eingestellt Lungenödem, Dyspnoe.
Herzfrequenz Elektroden falsch platziert – zu 55 Therapie: Bei Pulslosigkeit/Herz-
niedrige R-Zacke Kreislauf-Stillstand sofortige
Patientenkabel defekt Reanimation, Kardioversion,
Instabile Grundlinie Oberkörperhochlagerung, Sauerstoffgabe
über Maske (5–10 l/min). Gabe von
Antiarrhythmika.
Die EKG-Überwachung über den Patientenmo-
nitor dient der Erkennung von Rhythmusstörungen Kammerflimmern Beim Kammerflimmern kommt
und der Überwachung der Herzfrequenz. Aufgrund es zu einer stark erhöhten Kammerfrequenz (>320/
von Artefakten und technischen Störungen können min). Es geht häufig aus einer VT oder einem
Rhythmusstörungen vom Monitor auch falsch ange- Kammerflattern hervor, kann durchaus aber auch
zeigt werden. Für die Beurteilung ist es dabei wichtig, spontan auftreten. Die mechanische Pumpfunktion
dass nicht nur die Darstellungen des Monitors inter- des Herzens kommt zum Erliegen und es liegt ein
pretiert werden, sondern dass diese Darstellungen funktioneller Herz-Kreislauf-Stillstand vor. Es sind
mit dem klinischen Zustand des Patienten in Zusam- unverzüglich Reanimationsmaßnahmen einzulei-
menhang gebracht werden (. Tab. 2.2). ten (. Abb. 2.5).

> Vital bedrohliche Rhythmusstörungen Asystolie Das Herz zeigt keine mechanische und
müssen auf der IMC-Station schnell erkannt elektrische Aktivität mehr. Es ist eine sofortige kar-
werden, um eine Gefährdung des Patienten diopulmonale Reanimation erforderlich. Im EKG ist
zu vermeiden. eine Nulllinie zu erkennen (. Abb. 2.6).
12 Kapitel 2 · Überwachung und Monitoring

2.4.1 Nichtinvasive
Blutdrucküberwachung

2 Aufgrund der einfachen Durchführung und der


raschen Verfügbarkeit ermöglicht die nichtinvasive/
indirekte Blutdruckmessung eine rasche Aussage
über den hämodynamischen Zustand des Patien-
ten. Anhand der ermittelten Blutdruckwerte werden
dann eventuelle therapeutische Maßnahmen einge-
leitet (z. B. die Verabreichung von kreislaufwirksa-
. Abb. 2.5 Kammerflimmern. (Aus Larsen 2012) men Medikamenten bei hypotonen oder hypertonen
Werten) (Graf u. Roeb 2009).
Im Rahmen des Basismonitorings wird aufgrund
der schnellen Verfügbarkeit zunächst die nichtinva-
sive oszillometrische Methode angewendet. Häufig
z Überwachung der Respiration wird diese mit NIBP („non invasive blood pressure“)
Als Zusatzinformation kann über die EKG-Elektro- abgekürzt.
den die Respiration des Patienten überwacht werden. Bevorzugter Ort der Messung ist der Oberarm
Die Atemfrequenz wird durch Veränderungen des (A. brachialis), es kann aber auch am Oberschenkel
elektrischen Widerstandes bei der Einatmung vom (A. poplitea) gemessen werden.
Patientenmonitor errechnet. Bei besonders unru- Auf eine angepasste Manschettengröße muss geach-
higen Patienten ist die Respirationsüberwachung tet werden, um Messfehler zu vermeiden (Graf u. Roeb
häufig nicht zu verwerten, da durch die Bewegung 2009). Die Manschettenlänge sollte dem Umfang der
Artefakte entstehen. Extremität angepasst werden. Die Blutdruckmanschette
sollte 70% des Oberarms umschließen. Eine zu schmal
gewählte Manschette wird falsch hohe Werte ermitteln,
2.4 Überwachung der da sie einen zu hohen Druck benötigt, um die Arterie
Hämodynamik zu verschließen. Falls keine passenden Manschetten zur
Hand sind, sollte eine breitere der zu schmalen Man-
Die Messung der elektrischen Aktivität des Herzens schette vorgezogen werden (Bolanz et al. 2008).
gibt noch keine Information über die Kreislauffunk- Ein Nachteil der Methode ist, dass die Messung
tion (Hämodynamik). immer nur diskontinuierlich durchgeführt werden
Zur Einschätzung der Hämodynamik ist kann und keine kontinuierlichen Aussagen über
zunächst der klinische Blick wichtig. Gravierende die hämodynamische Situation möglich sind (keine
Störungen wie ein Kreislaufschock und die damit „Schlag-für-Schlag-Überwachung“). Die Methode
einhergehende Zentralisation fallen bei der Kranken- der nichtinvasiven Blutdruckmessung wird bevor-
beobachtung sofort ins Auge. Gesichtsblässe, livide zugt bei kreislaufstabilen Patienten angewendet, bei
Verfärbungen der Peripherie und kalte Extremitäten denen die reine Überwachung im Vordergrund steht.
sind Anzeichen eines Volumenmangels. Auch eine Falls über einen längeren Zeitraum kontinuierlich
Hypervolämie ist an klinischen Zeichen erkennbar kreislaufwirksame Medikamente (z. B. Katechola-
(Ödeme, gestaute Halsvenen, Rasselgeräusche beim mine) infundiert werden, sollte eine invasive Blut-
Atmen). drucküberwachung erwogen werden.
Eine große Hilfestellung zur Überwachung Die nichtinvasive Blutdruckmessung erfolgt in
der Hämodynamik bietet daneben das appara- der Regel automatisiert über einen Patientenmonitor.
tive Monitoring, da es bereits frühzeitig Warn- Die Häufigkeit der Messung muss dabei immer an die
symptome anzeigen kann und je nach Verfahren individuelle Situation des Patienten angepasst werden.
eine kontinuierliche Kontrolle der Messparameter Entsprechende Alarmgrenzen sind am Monitor
gewährleistet. zu aktivieren, sodass eine akustische und optische
2.4 · Überwachung der Hämodynamik
13 2

. Abb. 2.6 Asystolie

Alarmierung bei zu hohen oder zu niedrigen Blut- (. Abb. 2.7). Über eine oszillometrische Messung am
druckwerten erfolgen kann. Oberarm werden die Ergebnisse kalibriert, sodass
der zentrale arterielle Blutdruck bestimmt und an
>4 D ie Alarmgrenzen am Monitor sind unter einem Monitor dargestellt werden kann.
Berücksichtigung der Grunderkrankung
und des hämodynamischen Zustandes des
Patienten auszuwählen. Nach Möglichkeit 2.4.2 Invasive Blutdrucküberwachung
sollte die Manschette nicht an dem Arm
angebracht werden, an dem eine periphere Zur Ergänzung des hämodynamischen Basismo-
Venenverweilkanüle liegt, über die nitorings für die Blutdrucküberwachung besteht
kontinuierlich Medikamente und Infusionen die Möglichkeit der invasiven Blutdruckmessung.
appliziert werden. Hierzu wird eine Verweilkanüle in Seldinger-Tech-
44 Bei dialysepflichtigen Patienten darf die nik in eine Arterie etabliert, am häufigsten in die
Manschette nicht am Shuntarm angelegt A. radialis (7 Kap. 8). Eine Insertion des Katheters
werden. Auch bei Patienten, bei denen in die A. femoralis ist auch möglich, sollte aber ver-
eine axilläre Lymphknotenentfernung mieden werden, da hier ein erhöhtes Infektionsri-
durchgeführt wurde (z. B. im Rahmen einer siko besteht. Wenn sich der Patient aber im Schock
Mamma-Ablatio) sollte der betroffene Arm befindet, ist es aufgrund der Kreislaufzentralisation
nicht für die Messung verwendet werden. nur schwer möglich, die A. radialis zu punktieren.
Dann wird die A. femoralis ausgewählt.
Sobald die Kreislaufsituation des Patienten eine Mittels der invasiven Blutdruckmessung ist eine
häufigere Überwachung des Blutdrucks notwendig kontinuierliche Messung des systolischen, diastoli-
macht, sollte die invasive Überwachung des Blut- schen und des Mitteldrucks möglich. Schwankun-
drucks angedacht werden. Gerade in der Nacht kann gen des Blutdrucks können somit „Schlag für Schlag“
es für einen Patienten als sehr störend empfunden verfolgt werden (. Abb. 2.8).
werden, wenn mittels der nichtinvasiven Methode
der Blutdruck alle 15 min kontrolliert wird.
Eine weitere Möglichkeit, den arteriellen Blut-
druck jeden Herzschlags zu überwachen, steht mit Indikationen
dem Blutdruckmessgerät CNAP zur Verfügung 44 Hämodynamisch instabile Patienten
(kontinuierlicher nichtinvasiver arterieller Druck). 44 Patienten mit Schockzuständen
Ohne das Einbringen eines arteriellen Katheters 44 Patienten mit hypertensiven Entgleisungen
kann hier eine kontinuierliche nichtinvasive Blut- 44 Kontinuierliche Applikation von kreislauf-
drucküberwachung gewährleistet werden. Hierzu wirksamen Medikamenten (z. B. Katechola-
wird eine Fingermanschette verwendet, die bei mintherapie, Antihypertensiva)
jedem Herzschlag die Blutdruckkurve aufgezeichnet
14 Kapitel 2 · Überwachung und Monitoring

EKG

2
arterielle Druckkurve

. Abb. 2.8 Invasive Blutdruckmessung. (Aus Larsen 2012)


. Abb. 2.7 Nichtinvasive Blutdrucküberwachung.
(Mit freundlicher Genehmigung der Fa. CNSystems
Medizintechnik AG) Die Höhe des Transducers ist eine wichtige Vor-
aussetzung für eine fehlerfreie Messung. Dieser muss
in Herzhöhe positioniert werden, um verwertbare
44 Patienten nach größeren chirurgischen Blutdruckwerte ableiten zu können (. Tab. 2.3).
Eingriffen
44 Entnahme von Blutproben Nullabgleich bzw. Kalibration des Transducers
44 Durchführung von Blutgasanalysen durchführen
55 Öffnen des 3-Wege-Hahns am Transducer
zur Atmosphäre und zum Patienten schließen
> Der arterielle Zugang (. Abb. 2.9) sollte (. Abb. 2.10)
sich farblich von Venenverweilkanülen 55 Nullabgleichstaste am Monitor aktivieren
unterscheiden, um eine versehentliche 55 Atmosphärendruck auf 0 mmHg eichen
intraarterielle Injektion zu vermeiden. In der 55 3-Wege-Hahn zur Atmosphäre schließen und
Regel sind bei einer arteriellen Kanüle die zum Patienten öffnen (. Abb. 2.11)
3-Wege-Hähne rot gekennzeichnet.
> Mindestens einmal pro Schicht muss ein
Um über die in der Arterie einliegende Kanüle Werte Nullabgleich durchgeführt werden, um
ableiten zu können, muss die Kanüle mit einer Trans- genaue Messwerte zu erhalten.
ducereinheit (Druckmesseinheit) verbunden sein,
über die sich auf dem Patientenmonitor eine Druck- Um eine fehlerfreie Überwachung zu gewährleisten
kurve darstellen lässt. und Komplikationen zu vermeiden, sollten folgende
Aspekte beachtet werden:
z Vorbereitung der Messung
Nach Anlage der arteriellen Kanüle wird das vorbe- Praxistipp
reitete Messsystem mit der Kanüle verbunden. Hier
werden häufig Komplettsets zum Einsatz gebracht. 44 Die Konnektionsstellen müssen regelmäßig
Sämtliche Elemente des Drucksystems sind hier auf festen Sitz überprüft werden. Auch die
bereits konnektiert. Bevor das System mit NaCl 0,9% Menge der Spülflüssigkeit und der Druck
luftfrei befüllt wird, sind die Konnektionsstellen auf im Druckbeutel sollten in diese Kontrollen
festen Halt zu überprüfen. Nach dem Füllen des einbezogen werden.
Systems nach dem Schwerkraftprinzip wird der Infu- 44 Die Alarmgrenzen am Patientenmonitor sind
sionsbeutel in einen Druckbeutel eingespannt und an die individuelle hämodynamische Situation
dieser bis auf ca. 300 mmHg aufgepumpt. So wird des Patienten anzupassen, um Veränderungen
gewährleistet, dass die arterielle Kanüle mit 3 ml/h des Blutdrucks rechtzeitig zu erkennen.
kontinuierlich gespült wird und nicht thrombosiert.
2.4 · Überwachung der Hämodynamik
15 2

. Tab. 2.3 Mögliche Fehlerquellen der invasiven


Blutdrucküberwachung

Störung Ursache

Gedämpfte Spülflüssigkeit zu gering –


Kurve Spülflüssigkeit leer?
(. Abb. 2.12) Druck im Druckbeutel zu gering
Luftblase oder Gerinnsel im System
Nachgiebige, zu weiche Messleinen
Abknickungen im System
Schleuderzacken Blutreste im Transducer
. Abb. 2.9 Arterielle Blutdruckmessung
Überlange Zuleitung
Druckanzeige zu Transducer unter Herzhöhe
> Eine arterielle Kanüle muss zur Erkennung hoch positioniert
von Diskonnektionen immer mit mindestens Blutreste im Transducer
einem aktivierten Alarm überwacht werden. Druckanzeige zu Transducer über Herzhöhe
niedrig positioniert
z Pflege der Punktionsstelle Fehlposition der Kanülenspitze –
Direkt nach Anlage sollte die arterielle Kanüle mit liegt z. B. an Gefäßwand an
einem Pflasterverband versorgt werden. Nach 24 h Nullabgleich nicht korrekt
kann dieser durch einen Folienverband ersetzt Messwerte Falsche Transducerposition
werden. Folienverbände können bis zu 96 h belas- invasiv und Beachte: Es ist nur eine bedingte
sen werden und haben den Vorteil, dass die Punkti- nichtinvasiv Übereinstimmung möglich, da die
onsstelle kontinuierlich inspiziert werden kann. stimmen nicht invasive Messung bei instabilen
überein
Beim Verbandwechsel ist eine aseptische Vorge- und schwachen Herz-Kreislauf-
hensweise zu beachten. Verhältnissen genauer ist
Keine Kurve auf Fehlerhafte Verbindung der Kabel
z Pflege des arteriellen Systems dem Patienten­ Druckmesseinheit defekt
monitor
Druckaufnehmer, Schlauchsystem und Spüllösung
sollten mindestens alle 96 h gewechselt werden.
Die Liegedauer der Kanüle richtet sich nach dem Die Alarme des Patientenmonitors sind im Vorfeld
Zustand des Patienten. Bei sichtbaren Entzündungs- zu überbrücken, um unnötige akustische Alarme zu
zeichen an der Punktionsstelle sollte an anderer Stelle minimieren.
eine Neuanlage erfolgen. Zunächst werden mit einer sterilen Spritze 2 ml
Blut aspiriert. Diese Probe wird verworfen, um durch
z Blutentnahme aus dem arteriellen System die Beimischung von Infusionslösung keine verfälsch-
Vor der Abnahme von Blut aus der arteriellen Kanüle ten Werte zu erhalten. Anschließend wird erneut eine
muss eine hygienische Händedesinfektion erfolgen. 2-ml-Spritze (heparinisiert) oder BGA-Monovette
Das Tragen von Schutzhandschuhen ist obligat. aufgesetzt und eine Probe luftfrei aspiriert. Nachdem
Folgende Materialien sind notwendig: die Spritze verschlossen wurde, wird der Konus des
55 Handschuhe 3-Wege-Hahnes blutfrei durchgespült und mit einem
55 Desinfektionsmittel sterilen Verschlussstopfen verschlossen. Das Spülen
55 2-ml-Spritze des gesamten Systems findet im Anschluss statt.
55 BGA-Monovette oder heparinisierte Bevor die Probe zur Analyse in das BGA-Gerät
2-ml-Spritze eingespritzt wird, müssen die Alarmgrenzen wieder
55 Sterile Mullkompressen aktiviert werden. Auch die Druckkurve am Monitor
55 Steriler Verschlussstopfen muss visuell überprüft werden.
16 Kapitel 2 · Überwachung und Monitoring

. Abb. 2.10 Öffnen des 3-Wege-Hahns. (Aus Larsen 2012)

> Die Blutgaswerte werden verfälscht, 4–10 cm H2O/3–8 mmHg und entspricht in etwa
wenn die Messung nicht unmittelbar nach dem Druck des rechten Vorhofs.
Entnahme erfolgt. Der ZVD entspricht etwa dem Druck der Hohlve-
nen und folglich dem Druck im rechten Vorhof und
z Komplikationen kann deshalb als Indikator für die Vorlast des rechten
55 Thrombose der Arteria radialis Herzens verwendet werden. Als Verlaufsparameter
55 Embolien ermöglicht er Aussagen über die Arbeit des rechten
55 Hämatome Herzens und den Volumenstatus des Patienten.
55 Fingernekrosen Im klinischen Alltag kann der ZVD als Verlauf-
55 Blutungen durch Diskonnektion sparameter verwendet werden, um eine Hyper- oder
Hypovolämie zu erkennen:
> Eine gefürchtete Komplikation und 55 Erhöhter ZVD: Hypervolämie
einen schweren Kunstfehler stellt die 55 Erniedrigter ZVD: Hypovolämie
versehentliche intraarterielle Injektion
dar. Sie kann den Verlust von Teilen der Die Messung des ZVD kann regelmäßig zur Überwa-
betroffenen Extremität zur Folge haben. chung der Herz-Kreislauf-Situation erfolgen. In der
ZVD-Kurve sind atemabhängige Schwankungen zu
erkennen, die durch unterschiedliche intrathorakale
2.4.3 Zentraler Venenkatheter und Drücke bei der Ein- und Ausatmung hervorgerufen
zentraler Venendruck werden. Voraussetzung für die Messung ist, dass die
Spitze des Venenkatheters in der oberen Hohlvene
Den am zentralen Venenkatheter (ZVK) gemesse- platziert ist (. Abb. 2.13).
nen venösen Blutdruck bezeichnet man als zentra- Der ZVK wird standardmäßig in die V. jugularis
len Venendruck (ZVD). Der Normalwert beträgt interna oder V. subclavia gelegt. Es ist aber auch ein
2.4 · Überwachung der Hämodynamik
17 2

mm Hg

100

a 0

100

b 0
. Abb. 2.11 Schließen des 3-Wege-Hahns. (Aus Larsen
2012)

Zugang über die V. basilica und V. femoralis möglich. 100


Letztere Möglichkeit sollte aber nur in Notfallsitua-
tionen zur Anwendung kommen, da in der Leisten-
region ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht. Sobald
c 0
der Patient stabil ist, sollte an anderer Stelle ein zen-
traler Zugang etabliert werden. Auch kann über den
in der Femoralvene einliegenden Katheter kein ZVD . Abb. 2.12a–c Störungen der arteriellen Druckmessung.
bestimmt werden. a Normaler Kurvenlauf, b Kurve verschleudert, c Kurve
Der zentrale Venendruck kann über zwei Metho- gedämpft. (Aus Larsen 2012)

den ermittelt werden:

Hydrostatische Methode Bei der hydrostatischen Infusionsständer befindliche Messlatte muss nun
Methode wird der Katheter mit einem ZVD-Mess- mit dem Nullpunkt in einer Ebene justiert werden
system verbunden, das vorher luftblasenfrei mit (. Abb. 2.15).
Kochsalzlösung befüllt wurde. An dem ZVD-Mess-
system befindet sich eine Wassersäule, die an einem Elektrische Methode Bei der elektrischen Methode
linealähnlichen Manometer befestigt wird. Der Null- erfolgt die Messung über einen Transducer (Druck-
punkt dieses Manometers muss bei der Messung aufnehmer). Das Druckmesssystem wird in glei-
des ZVD in Höhe des rechten Vorhofes angebracht cher Weise wie das System zur Messung des inva-
werden. Bei der hydrostatischen Methode wird der siven Blutdrucks gefüllt. Von verschiedenen Her-
gemessene Wert in cm Wassersäule (cm H2O) ange- stellern gibt es auch hier vorgefertigte Sets. Die Sets
geben (. Abb. 2.14). Die Höhe des rechten Vorho- zur Messung des arteriellen Drucks sind rot gefärbt,
fes kann mit einer Thoraxschublehre bestimmt die Sets zur Messung des zentralen Venendrucks
werden. Hierzu wird der Patient flach gelagert und blau. Das befüllte System wird mit dem proxima-
die Thoraxschublehre in Höhe des Sternums unter len Schenkel des ZVK verbunden. Bei einem mehr-
den Patienten geschoben. Der obere Schenkel der lumigen ZVK kann ein Schenkel zur kontinuierli-
Schublehre wird bis auf die Thoraxwand herunterge- chen Messung und Darstellung des ZVD genutzt
drückt und dabei die Wasserwaage ins Lot gebracht. werden, sodass der ZVD fortlaufend überwacht
Der an der Schublehre befindliche Metalldorn zeigt werden kann. Wie beim arteriellen System muss hier
nun den Nullpunkt an. Dieser wird an der seitlichen eine Kalibrierung auf Herzhöhe durch einen Null-
Thoraxwand mit einem Filzstift markiert. Die am abgleich erfolgen. Vor Messung des ZVD muss am
18 Kapitel 2 · Überwachung und Monitoring

V. cava superior
2
2/5
Katheterspitze im
rechten Vorhof

3/5

. Abb. 2.13 ZVD-Messung. (Aus Larsen 2012)

. Abb. 2.14 Hydrostatische Methode


Patientenmonitor das Menü für die ZVD-Messung
aktiviert werden. Der gemessene ZVD besteht im
Gegensatz zum arteriellen Blutdruck nur aus einem
Wert, dem Mitteldruck. Er wird bei der elektrischen 55 Polytrauma
Methode in mmHg angegeben. 55 Großflächige Verbrennungen
55 Kontrolle der Volumen- und
Katecholamintherapie
2.4.4 PiCCO 55 Große chirurgische Eingriffe (Kardiochirurgie,
Viszeralchirurgie)
Mit der PiCCO-Technologie („pulse contour cardiac
output“) steht eine minimalinvasive Technologie zur Voraussetzung für die Messungen ist ein zentraler
Verfügung, mit der die hämodynamische Situation Venenkatheter und ein arterieller Katheter, an dessen
von Patienten intensiv überwacht werden kann. Im Spitze sich ein Thermistor befindet. Der arterielle
PiCCO-System sind zwei unterschiedliche Messver- Katheter kann in die A. femoralis, A. radialis, A. bra-
fahren integriert, zum einen die Thermodilution, chialis oder die A. axillaris gelegt werden (. Abb. 2.17).
zum anderen die Pulskonturanalyse.
Mit dem PiCCO-Katheter werden eine kontinu- z Messtechnik
ierliche und diskontinuierliche Messung des Herz- Thermodilution Das Herzzeitvolumen wird durch
zeitvolumens und die Bestimmung des extravasku- die transpulmonale Thermodilutionstechnik ermit-
lären Lungenwassers ermöglicht. Es können somit telt. Gleichzeitig dient diese Technologie der Kalib-
Informationen über die kardiale Vor- und Nach- rierung der Pulskonturanalyse. Bei der Thermodi-
last ohne Einsatz eines Pulmonalarterienkatheters lution werden 20 ml gekühlte Kochsalzlösung (6°C)
gewonnen werden (. Abb. 2.16). zügig zentralvenös injiziert. Die kalte Flüssigkeit
durchläuft dann den Vorhof und die Kammer des
z Indikationen rechten Herzens, die pulmonalarterielle Strombahn,
Der Einsatz des PiCCO-Monitorings ist bei Patien- den Vorhof und die Kammer des linken Herzens,
ten indiziert, bei denen ein erweitertes hämodynami- vermischt sich dabei mit dem arteriellen Blutstrom
sches und volumetrisches Monitoring notwendig ist: und gelangt schließlich in den großen Kreislauf.
55 Myokardinfarkt Von dem an der arteriellen Kanüle befindlichen
55 Schwere Herzinsuffizienz Thermistor wird dann die Temperatur des vorbei-
55 Schwere Schockzustände, insbesondere strömenden Blutes gemessen und eine Thermo-
bei Sepsis dilutionskurve aufgezeichnet. Diese ist abhängig
2.5 · Überwachung der Atemfunktion
19 2

I M

K
. Abb. 2.16 PiCCO-Messung. (Mit freundlicher
Genehmigung der Fa. Pulsion)

. Abb. 2.15 Thoraxschublehre nach Burri. (Aus Schummer


2009)

vom aktuellen Herzminutenvolumen des Patien- Man unterscheidet hierbei das transthorakale
ten und erlaubt somit eine Aussage über dessen und das transösophageale Echo.
Herztätigkeit. 55 Das transthorakale Echo (TTE) ist eine
nichtinvasive patientenschonende Unter-
Pulskonturanalyse Nach der Kalibrierung durch die suchung, bei der durch Aufsetzen eines
Thermodilution kann das Herzzeitvolumen kontinu- Ultraschallkopfes auf den Brustkorb das Herz
ierlich Schlag für Schlag verfolgt werden. Das konti- sonographiert wird.
nuierliche Herzzeitvolumen wird ermittelt durch die 55 Das transösophageale Echo (TEE) wird von der
Herzfrequenz und die Fläche unter der arteriellen Speiseröhre aus durchgeführt (Schluckecho).
Druckkurve (. Abb. 2.18). Hierzu muss der Patient einen Schlauch
Bei der Pflege des zentralvenösen und arteriel- schlucken, an dessen Ende sich eine Ultra-
len Zuganges sind die üblichen Vorgehensweisen bei schallsonde befindet. Diese Variante ermöglicht
Versorgung und Verbandwechsel zu beachten. eine bessere Darstellung bestimmter Teile
Komplikationen durch die PiCCO-Technolo- des Herzens.
gie selbst treten nicht auf. Es können die üblichen
Komplikationen bei arteriellem und zentralvenösem Zusammen mit dem klinischen Bild des Patien-
Zugang entstehen. ten lassen sich durch diese Untersuchung wichtige
Erkenntnisse zum kardiovaskulären Zustand des
Patienten gewinnen.
2.4.5 Echokardiographie

Auf vielen IMC-Stationen wird zur Beurtei- 2.5 Überwachung der Atemfunktion
lung der hämodynamischen Situation eine Echo-
kardiographie durchgeführt. Mittels Ultraschall Die Atmung kann nach Rhythmus, Frequenz und
werden dabei die Größe der einzelnen Herz- Atemtiefe beurteilt werden.
kammern, die Pumpfunktion und die Funk- Die Atemfrequenz beschreibt die Anzahl der
tion der einzelnen Herzklappen sonographisch Atemzyklen pro Minute. Ein Atemzyklus besteht
dargestellt. aus Inspiration und Exspiration.
20 Kapitel 2 · Überwachung und Monitoring

2
arterieller
Spülbeutel

zum
Monitor

Stecker zur
Rückseite

PiCCO
PiCCO Katheter
Monitoring Kit

. Abb. 2.17 Infinity PiCCO-SmartPod. (Mit freundlicher Genehmigung der Fa. Pulsion)

z Hyperventilation und Hypoventilation


Normwerte Unter Hyperventilation versteht man eine unphysio-
44 Erwachsener: 12–18 Atemzüge/min logisch vertiefte und beschleunigte Atmung, durch
44 Kind: 16–25 Atemzüge/min die zu viel CO2 abgeatmet wird. In der Folge kommt
44 Kleinkind: 20–30 Atemzüge/min es zu einer Verminderung des alveolären und arte-
44 Säugling: 35–40 Atemzüge/min riellen CO2-Partialdrucks. Als Ursachen kommen
44 Neugeborenes: 40–45 Atemzüge/min Lungenerkrankungen, Schädel-Hirn-Traumen, neu-
rologische Erkrankungen oder Stress und Angstge-
fühle in Frage.
Bei der Hypoventilation kommt es zu einer
z Veränderungen der normalen Atmung pathologischen Minderbelüftung der Lunge. Ver-
Ist die Atemfrequenz langsamer (<10 Atemzüge/min ursacht werden kann diese durch eine Parese der
in Ruhe), spricht man von einer Bradypnoe, ist sie Atemmuskulatur, eine respiratorische Erschöpfung
wesentlich schneller als normal (>20 Atemzüge/min oder durch atemdepressive Medikamente (z. B.
in Ruhe), spricht man von einer Tachypnoe. Opioide).
2.5 · Überwachung der Atemfunktion
21 2

P
Injektion

Thermodilution Pulskonturanalyse
Kalibrierung

. Abb. 2.18 Pulskonturanalyse. (Mit freundlicher Genehmigung der Fa. Pulsion)

z Dyspnoe und Orthopnoe Die Sonde besteht aus einer Lichtquelle, von der
Das Gefühl der subjektiv empfundenen Atemnot im raschen Wechsel Lichtwellen im roten und infra-
wird als Dyspnoe bezeichnet. roten Bereich (660 und 940 nm) aus gesendet werden,
Die Orthopnoe ist eine sehr ausgeprägte und und einem Fotosensor. Durch die Färbung des mit
schwere Dyspnoe, bei der es dem Patienten nur Sauerstoff gesättigten Hämoglobins entsteht für die
schwer möglich ist, Luft zu bekommen. Häufig sitzen durchstrahlenden Lichtwellen eine unterschiedli-
Patienten mit Orthopnoe in aufrechter Position und che Absorption, die vom Fotosensor gemessen und
setzen ihre gesamte Atemhilfsmuskulatur ein. in elektrische Signale umgewandelt wird. Anhand
Weitere Störungen des Atemrhythmus sind in dieser Signale ermittelt der Patientenmonitor Werte
7 Abschn. 20.2.4 aufgeführt. für Sättigung und peripheren Puls (. Tab. 2.4).
Die Sättigung wird in Prozent gemessen. Bei
gesunden Menschen liegt der Wert nahe 100%, im
2.5.1 Pulsoxymetrie Alter sinkt er etwas ab.

Mit der Pulsoxymetrie kann auf einfache Art und > Mit sinkender Sauerstoffsättigung nimmt
Weise der Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes kon- die Hypoxie exponentiell zu und damit die
tinuierlich überwacht werden. Ergänzend hierzu Sauerstoffversorgung der lebenswichtigen
lässt sich die periphere Pulsfrequenz ableiten. Organe rapide ab. Werte unter 94% sollten
Es stehen hierzu verschiedene Sättigungsaufneh- unbedingt abgeklärt werden! Bevorzugte
mer zur Verfügung: Messorte sind Finger und Ohrläppchen, die
55 Fingerclip Sättigung kann aber auch an den Zehen oder
55 Klebesensor der Stirn abgeleitet werden.
55 Ohrclip (. Abb. 2.19)
55 Stirnsensor Vorteile der Methode
55 Sofort einsatzbereite Überwachung
Die SpO2 ist die pulsoxymetrisch gemessene Sauer- 55 Kontinuierliche Überwachung der respiratori-
stoffsättigung des arteriellen Blutes. Die SaO2 ist schen Situation
die am BGA-Gerät ermittelte Sauerstoffsättigung 55 Überwachung des peripheren Pulses möglich
des arteriellen Blutes. Der Interpretation sind
aber auch Grenzen gesetzt, denn über die Venti- Die Alarmgrenzen sollten in Abhängigkeit vom Aus-
lation (CO2) und den direkten Sauerstoffpartial- gangswert eingestellt werden. Wegen der Gefahr von
druck können keine Aussagen getroffen werden. Druckstellen sollte bei der Verwendung von Sätti-
Die Pulsoxymetrie misst den prozentualen Anteil gungsclips die Messstelle häufiger gewechselt werden.
des oxygenierten Hämoglobins am gesamten Bei der Durchführung invasiver und diagnos-
Hämoglobingehalt. tischer Eingriffe kann die Sättigung auch akustisch
22 Kapitel 2 · Überwachung und Monitoring

. Tab. 2.4 Mögliche Fehlerquellen der


Pulsoxymetrie-Überwachung

2 Störung Ursache

Artefakte Unruhige Patienten – hier sollte ein


Klebesensor verwendet werden.
Keine Patienten mit zentralisierten
Ableitung Kreislaufverhältnissen
(→ geringere Durchblutung
der Peripherie)
Patienten mit Hypothermie
. Abb. 2.19 Sättigungsaufnehmer/Ohrclip Unterbrechung Gleichzeitige Messung von RR
der Messung und Pulsoxymetrie an einem
Arm des Patienten – dies führt
überwacht werden. Der Sättigungswert wird dann zu Messunterbrechungen und
Fehlalarmierung
über einen Signalton dargestellt. Je höher der
Ton hierbei ist, desto größer ist die gemessene Messfehler Künstliche Fingernägel aus Acryl
Sauerstoffsättigung. können ebenfalls zu Messfehlern
führen. (Hinkelbein et al. 2007b)
Bei blau, grün und schwarz
lackierten Fingernägeln wird
Praxistipp Licht durch den Lack absorbiert
und erreicht den Fotosensor nur
Die Funktion des Fingerclips bei Patienten abgeschwächt. Dies trifft nicht auf
mit einer arteriellen Verschlusskrankheit oder roten und purpurfarbenen Lack zu
(Hinkelbein et al. 2007a)
einer Hypothermie kann mit wärmenden
Wattehandschuhen positiv beeinflusst werden.

2.7.1 Hypothermie

2.6 Überwachung der Haut Folgende Stadien der Hypothermie werden


unterschieden:
Die Haut des Patienten sollte regelmäßig beobachtet 55 Milde Hypothermie = 35–32°C
werden. Bei der Durchführung der Körperpflege lässt 55 Mäßige Hypothermie = 32–28°C
sich die Hautbeobachtung gut in die pflegerischen 55 Schwere Hypothermie = <28°C
Maßnahmen integrieren.
Gesunde Haut ist blassrosa, gut durchblutet, elas- Folgende Patientengruppen sind besonders
tisch und trocken (. Tab. 2.5). gefährdet:
55 Ältere Menschen
> Bei der Beobachtung der Haut werden 55 Kinder,
die Schleimhäute immer mit in die 55 Mangelernährte Menschen
Beobachtungen einbezogen (7 Kap. 8). 55 Patienten im Schock
55 Immobile Patienten
55 Patienten nach längeren chirurgi-
2.7 Überwachung der schen Eingriffen mit hohen Blut- und
Körpertemperatur Flüssigkeitsverlusten

Bei Abweichungen der normalen Körpertemperatur Bei bestehender Hypothermie oder bei drohender
wird zwischen Hyperthermie (>37,5°C) und Hypo- Auskühlung werden die Patienten warm zugedeckt
thermie (<35°C) unterschieden. oder mittels eines Patientenwärmesystems gewärmt.
2.8 · Überwachung der Nierenfunktion
23 2

. Tab. 2.5 Beschreibung des Hautzustandes . Tab. 2.6 Bilanzstatus

Blasse Haut Anämie Ausgeglichene Die Menge der Einfuhr ist


Schock und Zentralisation Bilanz ungefähr genauso hoch wie die
Ausfuhrmenge
Katecholaminzufuhr
Negative Die Ausfuhrmenge ist höher als die
Rötung Aufregung
Bilanz Einfuhrmenge
Fieber
Positive Bilanz Die Einfuhrmenge ist höher als die
Allergische Reaktionen Ausfuhrmenge
Hypertonus
Entzündung und überwärmte Haut, eine erhöhte Atemfrequenz,
Ikterus Erkrankungen der Gallenwege eine Tachykardie und eventuell Fieberkrämpfe.
und der Leber Die Therapie des Fiebers sollte sich an der Grun-
Zyanose Verminderte Sauerstoffsättigung derkrankung des Patienten orientieren. Neben medi-
des Blutes; Kann peripher kamentösen Möglichkeiten der Fiebersenkung
(z. B. an Fingerspitzen und Zehen)
werden physikalische Maßnahmen wie z. B. Wadenwi-
oder zentral (z. B. Lippen oder
Körperstamm) auftreten ckel angewendet. Des Weiteren muss auf eine ausrei-
chende Flüssigkeitszufuhr unbedingt geachtet werden.
Hautturgor Gespannt bei Ödemen,
Hämatomen oder Entzündungen
Vermindert bei Exsikkose oder
2.8 Überwachung der
Mangelernährung
Nierenfunktion
Hautfeuchtigkeit Trockene, raue Haut bei
Hauterkrankungen wie
Neurodermitis oder Psoriasis Die Überwachung der Urinausscheidung dient
Starke Schweißsekretion bei Fieber der Beurteilung der Nierenfunktion und des
oder vegetativen Störungen Volumenhaushaltes.
Sobald bei einem Patienten schwerwiegende
Einschränkungen der Herz-Kreislauf- und Nieren-
funktion vorliegen, wird die Ausscheidung regel-
2.7.2 Hyperthermie mäßig kontrolliert und mit der Flüssigkeitseinfuhr
abgeglichen. Durch diese regelmäßig erstellten Bilan-
Die erhöhte Körpertemperatur lässt sich wie folgt zen kann abgeschätzt werden, ob ein Volumenman-
unterteilen: gel (Hypovolämie) oder eine Volumenerhöhung
(Hypervolämie) im Herz-Kreislauf-System vor-
liegt. Bei der Flüssigkeitseinfuhr sollten alle Flüs-
Erhöhte Körpertemperatur sigkeiten, die der Patient enteral oder parenteral
44 Subfebrile Temperatur: 37,5–38,0°C zugeführt bekommt, eingerechnet werden. Bei der
44 Febrile Temperatur (leichtes Fieber): Ausfuhr sind alle Flüssigkeitsverluste über Katheter
38,0–38,5°C und Drainagen zu berücksichtigen (. Tab. 2.6).
44 Fieber: 38,6–39,0°C Um die Bilanzierung zu erleichtern, kann ein Bla-
44 Hohes Fieber: 39,1–39,9°C senkatheter gelegt werden. Die Urinmenge ist immer
44 Sehr hohes Fieber: >40,0°C abhängig von der Flüssigkeitsaufnahme, beträgt aber
in der Regel 1,5–2 l/Tag.
55 Polyurie = eine krankhafte Vermehrung der
Die Ursachen für eine Hyperthermie sind sehr viel- Urinmenge über 2000 ml/24 h
fältig (erhöhter Stoffwechsel, Entzündungen, Infek- 55 Oligurie = eine krankhafte Erniedrigung
tionen, Nebenwirkungen von Medikamenten). weniger als 500 ml/24 h
Neben der messbaren erhöhten Körpertempera- 55 Anurie = wenn weniger als 100 ml Urin in 24 h
tur des Patienten zeigt dieser zusätzlich eine gerötete produziert werden
24 Kapitel 2 · Überwachung und Monitoring

Literatur
Fragen zur Wissensüberprüfung
Bolanz H, Oswald P, Ritsert H (2008) Pflege in der Kardiologie/
1. Welche Formen des Monitorings werden
Kardiochirurgie. Urban & Fischer, München
2 unterschieden? Graf J, Roeb E (2009) Basismonitoring in der Intensivmedizin –
2. Welche Informationen zur Herz-Kreislauf-­ Nutzen und Risiken. Dtsch Med Wochenschr 134: 29–34
Situation eines Patienten erhalten Sie über Grünewald M, Bieker C (2012) Basics – Arterielle Blutdruck-
das EKG-Monitoring und welche nicht? messung. Thieme Intensiv 20(1):19–20
Hinkelbein J, Genzwuerker HV, Sogl R, Fiedler F (2007a) Effect
3. Welche Risiken birgt die invasive
of nail polish on oxygen saturation determined by pulse
Blutdruckmessung? oximetry in critically ill patients. Resuscitation 72(1):
4. Welche klinischen Symptome und 82–91
Messwerte sprechen für eine Hypervolämie Hinkelbein J, Koehler H, Genzwuerker HV, Fiedler F (2007b)
bei einem Patienten? Artificial acrylic finger nails may alter pulse oximetry mea-
surement. Resuscitation 74(1): 75–82
5. Welche Herzrhythmusstörungen
Larsen R (2012) Anästhesie und Intensivmedizin für die Fach-
sind gleichbedeutend mit einem pflege, 8. Aufl. Springer, Berlin
Kreislaufstillstand? Schummer W (2009) Zentraler Venendruck. Anaesthesist 58(5):
6. Welche Bedeutung kommt dem arteriellen 499–505
Mitteldruck zu? Teising D, Jipp H (2012) Neonatologische und pädiatrische
Intensivpflege, 5. Aufl. Springer, Heidelberg
7. In welcher Höhe muss bei der invasiven
arteriellen Blutdruckmessung der
Transducer/Druckaufnehmer positioniert
werden, um verwertbare Blutdruckwerte
ermitteln zu können?
8. Mit welchen Messmethoden kann der
zentrale Venendruck ermittelt werden?
9. Erläutern Sie den Unterschied zwischen
Hyperventilation und Hypoventilation.
Welche Auswirkungen haben diese
Störungen auf das paCO2?
10. Welche Informationen erhalten Sie durch
die Pulsoxymetrie?
25 3

Unterstützung und Förderung


der Atmung
J. Wohlgehagen, J. Busch

3.1 Respiratorische Insuffizienz – 26


3.1.1 Diffusionsstörungen – 26
3.1.2 Restriktive und obstruktive Ventilationsstörungen – 27

3.2 Apparative Überwachung der Atmung – 29


3.2.1 Impedanzmessung – 29
3.2.2 Pulsoxymetrie – 30
3.2.3 Auskultation – 32

3.3 Atemfördernde und unterstützende Maßnahmen – 34


3.3.1 Atemerleichternde Positionierung und Mobilitätsförderung – 34
3.3.2 Atemtrainer – 35
3.3.3 Inhalationstherapie – 35
3.3.4 Sauerstoffinsufflation – 36
3.3.5 High-Flow-Sauerstoff-Insufflation – 36
3.3.6 CPAP – 37
3.3.7 Nichtinvasive ventilatorische Atemtherapie (NIV) – 37
3.3.8 Wann darf die NIV-Therapie nicht zur Anwendung kommen? – 45
3.3.9 Überwachung und Analyse arterieller Blutgasanalysen – 45

Literatur – 50

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_3
26 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

Funktionsstörungen der Atmung (und des Kreis-


laufs) sind bei IMC-Patienten häufig und werden 44 Chronische Hyperkapnie: Bekannte
als ein Kernelement pflegerischer Interventionen in chronische Atemwegserkrankung
diesem Bereich angesehen. Ziel dieses Kapitels ist es, PaCO2 >45 mmHg, pH >7,35, Bikarbonat
die Komplexität der atemtherapeutischen Interven- >26 mmol/l
tionsmöglichkeiten zu erläutern und dabei auch die
3 theoretischen Zusammenhänge von pathophysiolo-
gischen Phänomenen zu erörtern, damit der Pflege- Die Symptome der respiratorischen Insuffizienz sind
bedarf von respiratorisch insuffizienten IMC-Patien- je nach Schweregrad:
ten abgeleitet und geplant werden kann. An einem 55 Dyspnoe bzw. Orthopnoe (7 Abschn. 2.5)
Patientenbeispiel wird abschließend die nichtinva- 55 Tachypnoe
sive Beatmung veranschaulicht sowie die Interpre- 55 Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz
tation von Blutgasanalysen (BGA) erläutert. 55 Angst, Unruhe
55 Zyanose (bei schwerer Hypoxämie)
55 Bewusstseinseintrübung bis hin zur Bewusstlo-
3.1 Respiratorische Insuffizienz sigkeit (bei ausgeprägter Hyperkapnie)

Generell wird bei der respiratorischen Insuffizienz


unterschieden zwischen Ventilations- und Diffusions- 3.1.1 Diffusionsstörungen
störungen, d. h. zwischen Beeinträchtigung der Atem-
mechanik (Atempumpe) und Störung des Lungenge- Die Diffusion, also der Gasaustausch von Sauer-
webes (. Abb. 3.1). Ventilationsstörungen umfassen stoff und Kohlendioxid, findet in den Alveolen statt.
die Funktion der Atemsteuerung, der Atemwege, Die Strecke, die die Atemgase überbrücken müssen,
des knöchernen Thorax sowie die Atemmuskulatur um aus den Alveolen ins Blut der Kapillaren oder
(Zwerchfell und Intercostalmuskulatur). Diffusions- umgekehrt zu gelangen, bezeichnet man als Blut-
störungen betreffen die Funktion der Alveolen und Luft-Schranke. Die Blut-Luft-Schranke ist nur etwa
der sie umgebenden Kapillaren sowie des Zwischen- 0,1–1,5 µm dick. Diese dünne Wand ermöglicht
zellbereichs (Interstitium) des Lungenparenchyms. einen raschen Durchtritt der Atemgase.
Berger und Gust (2008) unterscheiden weiter in Störungen der Diffusion treten auf,
eine partiale sowie eine globale respiratorische Insuf- 55 wenn die Diffusionsstrecke vergrößert ist durch
fizienz unter Bezugnahme auf die Messwerte in der Veränderung des Lungengewebes (Fibrose),
arteriellen BGA (7 Abschn. 3.3.9). Ein zu niedriger durch Sekretablagerung (Pneumonie) oder
CO2-Wert wird als Hypokapnie und ein erhöhtes Flüssigkeitseinlagerung (Lungenödem),
CO2 als Hyperkapnie bezeichnet. Unter Hypoxämie 55 wenn die Fläche für den Gasaustausch
versteht man den Sauerstoffmangel im Blut, der zur verringert ist durch nicht belüftete
Hypoxie, dem Mangel an O2 im Gewebe führt. Lungenareale (Atelektasen, Shuntbildung,
7 Abschn. 3.2.3),
55 wenn Lungenareale, die belüftet sind, nicht gut
Formen der respiratorischen Insuffizienz. durchblutet werden (Verteilungsstörung).
(Mod. nach Berger u. Gust 2008)
44 Respiratorische Partialinsuffizienz PaO2 Bei einer Diffusionsstörung ist also der Durch-
<60 mmHg; pCO2 <45 mmHg tritt der Atemgase durch die Blut-Luft-Schranke
44 Respiratorische Globalinsuffizienz PaO2 erschwert. Das betrifft die Diffusion des Kohlendi-
<60 mmHg; pCO2 >45 mmHg oxids aus der Lungenkapillare in die Alveole. Das
44 Akute Hyperkapnie: Keine vorbekannte gilt aber vor allem für die Diffusion von Sauerstoff
Atemwegserkrankung, PaCO2 >45 mmHg, aus der Alveole in die Kapillare, da die Diffusions-
pH <7,35, normales Bikarbonat eigenschaften der O2-Moleküle bei Weitem nicht so
gut sind wie für das CO2. Sauerstoffmangel im Blut
3.1 · Respiratorische Insuffizienz
27 3
Respiratorische Insuffizienz

Lungengewebsversagen Atempumpversagen

PaO2-Abfall (Verlust an
funktionstüchtigem PaCO2-Anstieg (zu geringe
Lungenparenchym) Elimination von Kohlendioxid)

Störungen von Diffusion oder Störungen von Atemantrieb, Kraft


Perfusion im alveolären oder der Atemmuskulatur oder
kapillären Bereich atemmechanische Störung

Ursachen: Ursachen:

• Sekret- oder Flüssigkeitsstau in den Alveolen • Störungen im Atemzentrum bei z.B. Opioidgaben oder
(Pneumonie, Lungenödem, Statt Acute Respiratory bei Schädel-Him- Traumata
Distress Syndrome: ARDS)
• Verletzungen im zervikalen oder thorakalen Rückenmark
z.B. Querschnittslähmung
• Keine Belüftung der Alveolen (Atelektasen)
• Neuromuskuläre Erkrankungen z.B. Muskeldystrophien,
• Gewebsumbau in Bindegewebe (Fibrose oder ARDS) amyotrophe Lateralsklerose, Critical-IIIness-
Polyneuropathie und -Myopathie, Langzeitbeatmung mit
atrophierter Muskelmasse
• Gewebsveränderungen durch Alveolarschäden mit
Umstrukturierung in größere (Emphysem-) Blasen • Verletzungen mit gestörter Atemmechanik
(COPD/Lungenemphysem) (Rippenserienfraktur, Zwerchfellruptur)

. Abb. 3.1 Respiratorische Insuffizienz. ARDS „acute respiratory distress syndrome“, COPD „chronic obstructive pulmonary
disease“

stellt daher das Hauptproblem bei einer Diffusions- z Chronisch obstruktive Lungenerkrankung
störung dar. Unter der Bezeichnung „chronisch obstruktive Lun-
So erklärt sich, dass die Hypoxämie im Vorder- generkrankung“ (COPD) werden Erkrankungen
grund steht bei einer Pneumonie, bei der sich in den zusammengefasst, die auf einer dauerhaften Veren-
Alveolen entzündliches Sekret und Eiter befindet, gung der Atemwege beruhen. Das Krankheitsbild
oder beim akuten Lungenversagen (ARDS = „acute wird in 7 Kap. 18 näher beschrieben.
respiratory distress syndrome“), bei dem es zu einem Pathophysiologisch kann ein jahrelanger Nikoti-
Umbau des Lungengewebes bis hin zur Lungenfi- nabusus für die Entstehung der COPD verantwort-
brose kommen kann. lich sein. Weitere Faktoren, die zur COPD führen
können, sind häufige virale oder bakterielle Infekte
der Atemwege sowie ein genetisch bedingter Mangel
3.1.2 Restriktive und obstruktive an Enzymen (Antiproteasen) als auch Umweltnoxen
Ventilationsstörungen (Mutschler et al. 2007).
Auffällig bei den betroffenen Patienten ist die
Um die Begriffe obstruktive und restriktive Ventilati- permanente Erhöhung des CO2. Sie können auf-
onsstörungen (und Mischformen) besser zu verstehen, grund der verengten Atemwege das Kohlendioxid
sind entsprechende Beispiele in . Abb. 3.2 dargestellt. nicht mehr in ausreichendem Maße abatmen. Ein
28 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

Ventilationsstörungen:

Ventilationsstörungen: Ventilationsstörungen:

3 Obstruktive Lungenerkrankungen,
bei denen die Verengung bzw.
Restriktive Lungenerkrankungen,
die Entfaltung der Lunge ist
Verlegung der Atemwege die behindert
Atmung behindert

• Thoraxdeformitäten
• Asthma bronchiale • Lungenfibrose
• COPD • Asbestose
• Sekretretention • Pneu
• Pneumonie • Rippenfrakturen
• Lungenemphysem • Pleuraerguss
• Chronische Bronchitis • Kyphose, Skoliose

Restriktive und obstruktive Behinderung bei:


• ARDS (Sekretansammlung in Alveolen und interstitielles Ödem durch das »Capillary leak«)
• Lungenödem

. Abb. 3.2 Obstruktive, restriktive sowie Mischformen an Ventilationsstörungen. ARDS „acute respiratory distress syndrome“,
COPD „chronic obstructive pulmonary disease“

Fortbestehen der COPD kann im weiteren Verlauf 55 Fieber, Tachykardie


in eine Überblähung der Lunge übergehen. Die zer- 55 Somnolenz und Zyanose
störten Alveolen formieren sich zu größeren Ein-
heiten (Blasen), deren Oberfläche sich dadurch ver- Bei der exarzerbierten COPD liegt somit eine Kom-
kleinert und den Gasaustausch weiter behindern bination von Ventilations- und Diffusionsstörung
kann. vor, die in eine globale respiratorische Insuffizi-
Überwachungs- und atemunterstützungspflich- enz mündet. Typisch für die Patientengruppe sind
tig werden die Patienten häufig dann, wenn sich auf häufige Krankenhausaufenthalte in relativ kurzen
die Grunderkrankung ein bakterieller oder viraler Abständen, weil die chronische Erkrankung nicht
Infekt setzt. Dann wird die COPD als „exazer- mehr vollständig ausheilen kann. Es resultiert ein
biert“ bezeichnet. Die Exazerbation einer COPD ist sogenannter Circulus vitiosus (Teufelskreis), wie in
durch eine akute und persistierende (anhaltende) . Abb. 3.3 dargestellt.
Zustandsverschlimmerung charakterisiert, die über
die normale Variation der Erkrankung hinausgeht z Lungenemphysem
und eine Intensivierung der Behandlung erfor- Das Lungenemphysem wird als irreversible Erwei-
dert. Unter „persistierend“ wird ein Zeitraum von terung und Destruktion der Lufträume distal
>24 h verstanden. Der Begriff „Zustandsverschlim- (hinter) den terminalen Bronchiolen definiert. Es
merung“ berücksichtigt folgende Merkmale (Gar- geht häufig mit einer funktionell relevanten Atem-
cia-Aymerich et al. 2000, AWMF 2012): wegsobstruktion einher. Beim Lungenemphysem
55 Zunahme der Sputummenge und/oder ist die Gasaustauschfläche verringert bzw. ein-
Sputumpurulenz (= Eitrigkeit) geschränkt (AWMF 2012). O 2 -Aufnahme und
55 Dyspnoe, Husten, Tachypnoe CO 2 -Abgabe sind eingeschränkt ( . Abb. 3.4 ).
3.2 · Apparative Überwachung der Atmung
29 3

Infektion mit z.B.


Bakterien, die auf dem
Nährboden wachsen

COPD mit vermindertem


produktiven Husten und
Anhäufung von Infektexazerbation mit
verbleibendem Schleim Dyspnoe und
in den Bronchiolen Tachypnoe, Husten
(Nährboden)

Respiratorische
Mehrproduktion von
Insuffizienz (global oder
Bronchialsekret durch
partial). Intensiv- und
entzündlichen Prozess
/oder IMC −Therapie
(Hyperkrinie), zähes
ohne reversible
Sekret (Dyskrinie)
Wiederherstellung

. Abb. 3.3 Circulus vitiosus beim COPD-Patienten

Infolge chronischen Hustens und ständiger Über- die respiratorische Frequenzüberwachung (Impe-
blähung der Lungen wird der knöcherne Brustkorb danzmessung) am Monitor eingegangen werden.
in Einatmungsstellung fixiert, die Beweglichkeit des
Thorax eingeschränkt und es entsteht ein sogenann-
ter Fassthorax. 3.2.1 Impedanzmessung

Die Messung der Atmung wird am Monitor als kon-


3.2 Apparative Überwachung tinuierliche Kurve und als numerische Respirati-
der Atmung onsrate (RESP) angezeigt. Da für die EKG- und die
Atmungsüberwachung dieselben Elektroden ver-
Kontinuierlich überwacht werden neben dem EKG wendet werden, ist die Platzierung der Elektroden
und dem Blutdruck die Atemfrequenz und die Sau- entscheidend.
erstoffsättigung über die Pulsoxymetrie (SpO2). Die respiratorische Impedanz ist ein Widerstand,
Daneben geben arterielle Blutgasanalysen sowie die der als Rechnergröße zur Darstellung und Berech-
Auskultation entscheidende Hinweise über die respi- nung des atemmechanischen Widerstandes und
ratorische Situation der Patienten. Zunächst soll auf seiner Komponenten benutzt wird. Der Widerstand
30 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

Genetischer Mangel an Rauchen


Bakterielle Infektionen der
Antiproteasen (Alpha-1- Reizgase
Atemwege
Antitrypsin) (Umweltnoxen)

3
Zerstörung von elastischen Gewebszerstörung durch Verengung der
Fasern (halten Ungleichgewicht an Bronchiolen
normalerweise die kleinen Proteasen und (Bronchiokonstriktion),
Bronchiolen offen) Antiproteasen Sekretretention, Ödeme

Verminderte Elastizität Destruktion (Zerstörung) Verengung der Atemwege


mit des (Obstruktion)
Entspannungsobstruktion Lungenfunktionsgewebes Therapierbar und
der Bronchiolen (Kollaps) (zerstörte Alveolen) reversibel

. Abb. 3.4 Pathogenese und Pathophysiologie des Lungenemphysems

steigt bei der Inspiration und fällt bei der Exspiration. den oberen und 6 Atemzügen/min für den unteren
Normalerweise erfolgt die Berechnung aus der EKG- Grenzwert. Die Einstellung der Grenzen erfolgt aber
Ableitung I (7Abschn. 2.3.2). bei jedem Patienten individuell, weil die Atemfre-
Wichtig ist, dass die beiden Elektroden so geklebt quenz je nach Alter und Körperkerntemperatur vari-
werden, dass die größtmögliche Thoraxexkursion ieren kann. Je höher die Körpertemperatur, desto
(d. h. Bewegungsausdehnung des Brustraums) schneller die Atmung (es fällt mehr Kohlendioxid
erfasst wird. Gerade COPD- und Emphysempati- an, das abgeatmet werden soll).
enten mit einem Fassthorax neigen zu unphysiolo-
gischen Thoraxbewegungen, da das Lungengerüst
starr und rigide wird. Dann ist es besser, die Ablei- 3.2.2 Pulsoxymetrie
tung zwischen den zwei Elektroden im Bereich der
rechten, mittleren Axillarlinie und im linken seit- Die Pulsoxymetrie besteht aus einem Sensor, der am
lichen Brustbereich an den Stellen der maximalen Finger oder Ohrläppchen des Patienten fixiert wird,
Atmungsbewegung zu wählen (EKG-Ableitung II), und einem Display oder Monitor für die gemesse-
um die Respirationskurve besser darstellen (Bene- nen Werte (7 Abschn. 2.5.1). Der Detektor (Sensor)
view 2012) und valide numerische Werte ablesen zu nimmt zum einen die Pulswellen (Pulsintensität)
können (. Abb. 3.5). und zum anderen die Sauerstoffsättigung, d. h. die
Ein weiteres, häufiges Problem sind Artefakte Aufsättigung des Hämoglobins (Hb) im periphe-
oder falsch gemessene Atemfrequenzwerte, die ren Blut ab (SpO2). Der SpO2-Normwert bei Gesun-
ursächlich darin begründet sein können, dass die den unter Raumluftatmung liegt normalerweise bei
Elektroden zu nahe an den Herzkammern platziert >95% (van Gestel u. Teschler 2010).
sind oder dass das Kontaktgel an der Klebefläche der Patienten mit einer chronischen respirato-
Elektrode vertrocknet ist (Elektrode wechseln). rischen Insuffizienz erreichen diese Normwerte
Im Monitor muss der Apnoe-Alarm aktiviert unter Raumluft nicht immer. Bei chirurgischen
sein. Alarmgrenzen für die Atemfrequenz bei Patienten ist es daher sinnvoll, sich im Narkosepro-
Erwachsenen liegen z. B. bei 28 Atemzügen/min für tokoll den SpO2-Ausgangswert anzusehen, um zu
3.2 · Apparative Überwachung der Atmung
31 3

Ableitung I Ableitung II

. Abb. 3.5 Monitoring der spontanen Atmung (Impedanzmessung)

wissen, was den Patienten präoperativ überhaupt > Bei der SpO2-Überwachung sind
noch möglich war. Fehlmessungen möglich! Es sollen nur
Auch Gesunde erreichen nur unter bestimmten Werte als richtig anerkannt werden, die bei
Bedingungen z. B. beim Sport eine SpO2 von 100% einer gut sichtbaren Kurve auf dem Monitor
(. Abb. 3.6). Im Sitzen oder Liegen (im Schlaf) sind ablesbar sind. Ist keine Kurve erkennbar,
nicht alle Bezirke der Lunge voll belüftet, sodass auch kann kein valider Wert angenommen werden.
bei Gesunden Atelektasen bestehen. Es entsteht ein
Shunt, d. h. das sauerstoffarme, venöse Blut wird
nicht oder nur teilweise mit O2-Molekülen beladen Mögliche Fehlerquellen bei der
(Hudak u. Gallo 1994). Dieser Effekt wird durch den SpO2-Messung. (Mod. nach
sogenannten Euler-Liljestrand-Reflex vermindert, da Oczienski 2008)
sich die Lungenkapillaren in nicht belüfteten Berei- 44 Unzureichende periphere Durchblutung
chen reflektorisch zusammenziehen (. Abb. 3.7). Es (Vasokonstriktion)
bleibt aber ein gewisses Shuntvolumen, sodass die 44 Unzureichende pulsatile
SpO2 auch bei gesunden Menschen nur noch z. B. Signalstärke (Zentralisation, Schock,
97% erreicht, was dem Normwert entspricht. Vasopressorentherapie)
Bei Kranken, die nicht mobilisiert werden, ist 44 Bewegungsartefakte (postoperatives
die Neigung zur Atelektasenbildung jedoch erhöht, Shivering)
und Sekret in den Alveolen (schraffierter Bereich in 44 Interferenzen von Farbstoffen
. Abb. 3.7) z. B. bei einer Pneumonie verschlechtert (Methylenblau)
die Situation weiter. Durch Mobilisation und eine 44 Nagellack (Lichtabsorption gestört)
überwiegend sitzende Positionierung im Bett ist 44 Kohlenmonoxidvergiftungen
weiteren Atelektasen vorzubeugen, durch atemunter- 44 Applikation von Lokalanästhetika
stützende Maßnahmen wie EzPAP (7 Abschn. 3.3.6)
oder eine intermittierende ASB/CPAP-Therapie
(7 Abschn. 3.3.7) können schlecht belüftete Bezirke Zu jedem gemessenen SpO2-Wert korrespondiert ein
wieder eröffnet werden, und eine medikamentöse intraarterieller paO2-Sauerstoffpartialdruck.
Therapie (Aerosole und Inhalationen) ermöglicht Ab einem SpO2-Wert von <94% sinkt der paO2
eine verbesserte Sekretmobilisation und damit das rapide, sodass die O2-Versorgung im Gewebe und
Abhusten. an den zentralen Organen nicht mehr hoch genug
32 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

Atelektase
der Alveole
100% ventilierte
Alveole

100% perfundierte
Kapillare Reflexartige
Konstriktion
der Kapillare
. Abb. 3.6 Perfusion-Ventilation unter idealen
Bedingungen
. Abb. 3.7 Atelektase, Shuntblut und reflektorische
Vasokonstriktion
ist, um diese zu versorgen. Es droht eine Hypoxä-
mie (Gewebemangelversorgung von O2), die lebens-
bedrohlich werden kann. Für die Alarmeinstellung 3.2.3 Auskultation
am Monitor bedeutet das, dass nur in Ausnahme-
fällen der untere SpO2-Alarm kleiner als 94% ein- Die Auskultation der Lunge ist wesentlicher
gestellt werden sollte, wie aus der . Tab. 3.1 mit den Bestandteil der Atmungsüberwachung. Gene-
Schätzwerten von der am Fingerclip gemessenen rell wird dabei von dorsal über lateral und ventral
Sättigung und den dazugehörigen Partialdrücken symmetrisch und seitenvergleichend auskultiert
im arteriellen Blut zu entnehmen ist (ISICEM 2012). (Gahl u. Holldack 2009). Im IMC-Bereich ist von
In der klinischen Pflegepraxis hat sich fol- Bedeutung, dass die seitengleichen Belüftung fest-
gende Formel für Erwachsene bewährt, um gestellt und Sekretverhalt sowie Bronchospasmen
altersbedingte Schätzwerte für akzeptable untere erkannt werden. Eine Auskultation der lateralen
paO 2-Werte schnell „im Kopf “ abzuleiten: 80– und ventralen Bezirke ist beim liegenden Patien-
(Alter–60). Beispiel einer 67-jährigen Patientin: ten zur Einschätzung der Atmungssituation daher
80–(67–60)=73 mmHg. Bei sehr alten Patienten ausreichend.
(>90 Jahre) stößt diese Faustformel allerdings an ihre Mögliche Störfaktoren oder Fehlerquellen:
Grenzen (GLOBALRPh 2012). 55 Das Reiben von Kleidungsstücken an der
Einen Anhaltspunkt für zu erwartende paO2- Haut, auch wenn die Kleidung in der Nähe der
Werte bei einer gesunden Lunge in Abhängigkeit Membran ist, kann Töne erzeugen, die den
von der insufflierten FiO2 („fraction of inspired auskultatorischen Befund stören (Oberkörper
oxygen“, inspiratorische Sauerstofffraktion) geben frei machen)
Heck und Fresenius (2010) wie in . Tab. 3.2 aufge- 55 Die Berührung der Hände oder der Unterarme
führt. Diese Werte werden nur bei einer hohen FiO2 auf dem Thorax des Patienten (aus demselben
von Patienten mit einer gesunden Lunge erreicht! Grund)
Die Werte dienen als Orientierungspunkt, um zu 55 Sehr behaarte Stellen am Stethoskop-Rand
verdeutlichen, dass bei paO2-Werten >150 mmHg können Knistergeräusche erzeugen, die von
eine Reduktion des verabreichten O2 möglich bzw. intrapulmonalen Geräuschen schwer zu
nötig ist. unterscheiden sind.
3.2 · Apparative Überwachung der Atmung
33 3

. Tab. 3.1 Relation von O2-Partialdruck (paO2) zur . Tab. 3.2 Anstieg des Sauerstoffpartialdrucks
Sättigung (SpO2) (Schätzwerte) (paO2) beim Lungengesunden in Relation zur
inspiratorischen Sauerstoffkonzenztration (FiO2)
SpO2 (%) paO2 (mmHg)
FiO2 (%) paO2 (mmHg)
99 145
21 100
98 112
40 235
97 96
60 378
96 86
80 520
95 79
94 73 100 663

93 69
92 65
91 62 55 Zu geringer Druck der Membran auf dem
90 60 Thorax bzw. der Haut des Patienten (zu
zaghaftes Aufdrücken des Stethoskops)
89 57
88 55
Bei der Atmung entstehen unterschiedliche Fluss-
87 53 geschwindigkeiten der Luft, die auf die unterschied-
86 52 lichen Größen der Bronchien und deren Verzwei-
85 50 gungen zurückzuführen sind. Das dabei entstehende
84 49
Vesikuläratemgeräusch (alveoläre Atemgeräusch)
als sogenanntes Crescendo-Decrescendo-Geräusch
83 47
ist normal (Gahl u. Holldack 2009). „Crescere“ ist
82 46
lateinisch und bedeutet anwachsen oder zuneh-
81 45 men. Der Fluss der Luft in die Lunge ist bei der Ins-
80 44 piration anfangs schnell anwachsend (oder „cre-
scendo“) und nimmt gegen Ende ab, weil die Lunge
ja schon zu großen Teilen mit Luft gefüllt ist („decre-
scendo“). Dieses Vesikuläratmen kann über den peri-
55 Shivernde, d. h. zitternde Patienten erzeugen pheren Anteilen der Lunge gehört werden. Auch am
ein brummendes Geräusch durch das Muskel- Anfang der Exspiration ist es hörbar, da der Fluss
zittern, welches die auskultatorische Untersu- (Flow) dann am größten ist.
chung negativ beeinflusst Ein sogenanntes Bronchialatmen (zentra-
55 Wärmedecken (Warmtouch, Bearhugger etc.) les Atmen) ist ein lautes, scharfes Atemgeräusch,
können durch Nebengeräusche die Auskultati- welches eher bei Auskultation der zentralen Atem-
onsqualität stören wege vernehmbar ist (Hauptbronchien), weil der
55 Das Reden des Patienten (oder von Flow dort schnell (turbulent) ist. Dieses Geräusch
Angehörigen, Teamkollegen) während des ist normal und kann auch direkt an der Trachea aus-
Abhörvorgangs kultiert werden.
55 Schlecht positionierte Oliven in den Ohren Rasselgeräusche sind ein Zeichen für krankhafte
(vor Beginn vorsichtig mit der Fingerspitze auf Atemgeräusche und können als grobblasig (zent-
die Membran des Stethoskops tippen und die rale Atemwege) oder feinblasig (periphere Atem-
seitengleiche Weiterleitung prüfen) wege) wahrgenommen werden. Die in . Tab. 3.3
34 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

. Tab. 3.3 Beurteilung von Atemgeräuschen bei Auskultation

Geräusch Mögliche Störung

Trockene Rasselgeräusche (häufig grobblasig) Typisch bei obstruktiven Erkrankungen (COPD,


Schleimfäden in den Bronchien, zähes Sekret füllt den chronische Bronchitis oder Asthma)
3 Bronchus nicht vollständig aus und wird durch den
Luftstrom in Schwingungen versetzt. Sie klingen wie ein
Brummen (niederfrequent) oder Pfeifen und Giemen
(hochfrequent)
Feuchte Rasselgeräusche (häufig feinblasig) Erkrankungen mit Infiltrationen ins Lungengewebe, z. B.
Luft strömt durch einen Bronchus, der mit dünnflüssigem Pneumonie (entzündliches Exsudat, dünnflüssiger Eiter,
Sekret gefüllt ist Ödemflüssigkeit)

Abgeschwächtes oder leises Atemgeräusch Atelektasen, Emphysem oder Pleuraerguss


Abgeschwächtes oder aufgehobenes (also gar kein) Pneumothorax, manchmal auch durch dislozierte (falsch
Atemgeräusch positionierte) Trachealkanülen oder Endotrachealtuben

aufgeführten Geräusche geben Hinweise auf Störun- Lungenareale verbessern. Zu beachten ist, dass die
gen im Respirationstrakt (Gahl u. Holldack 2009). Positionierung im Bett oder Stuhl nicht die Zwerch-
fellbeweglichkeit einengt, da das Zwerchfell einen
Praxistipp erheblichen Teil der Atemmuskulatur darstellt.
Durch Unterpolsterung der Arme kann zudem die
Das Auskultieren erfordert Übung, das Beweglichkeit der Atem- und Atemhilfsmuskulatur
Lehrbuch von Gahl u. Holldack (2009) bietet unterstützt werden.
auf einer CD Audiobeispiele dazu (in der
Nachauflage von 2015 mit Auskultations- z Mobilisation
beispielen online). Die Ausführung bei Grundsätzlich ist die Mobilitätsförderung eine der
IMC-Patienten sollte wenigstens einmal pro effektivsten Maßnahmen zur Unterstützung der
Schicht stattfinden. Atmung. Sobald die Patienten auf die Bettkante oder
in den Stuhl mobilisiert werden, trainieren sie ihre
komplette Muskulatur (und damit auch die Atem-
und Atemhilfsmuskulatur). Mobilisation ist deshalb
sehr pflegerelevant und wichtig (7 Kap. 9).
3.3 Atemfördernde und Bedacht werden muss dabei, dass Patienten mit
unterstützende Maßnahmen Dyspnoe nur sehr begrenzt belastbar sind. Deswegen
sind die Grenzen des Mobilisationstrainings immer
3.3.1 Atemerleichternde individuell abzuwägen. Zudem sind vor jeder Mobi-
Positionierung und lisationsmaßnahme – gerade für postoperative Pati-
Mobilitätsförderung enten – ein Schmerzassessment und eine adäquate
Schmerztherapie notwendig, damit nicht Motiva-
z Positionierung tionsverluste oder eine zu flache Schonatmung aus
Die sitzende Position sowie die Oberkörperhoch- dem Mobilisationsversuch resultieren.
lagerung beim liegenden Patienten erleichtern
die Einatmung und verbessern somit die Ventila- > Ein gutes Schmerzmanagement ist ein
tion. Spezielle Lagerungen (V-Lagerung, A-Lage- bedeutsamer Faktor bei der Atemförderung
rung) können zusätzlich die Belüftung bestimmter (7 Kap. 5).
3.3 · Atemfördernde und unterstützende Maßnahmen
35 3
3.3.2 Atemtrainer VRP1-Flutter) erzeugen zusätzlich eine Vibration,
die das Sekret in den Atemwegen mobilisiert.
Atemtrainer sind wichtige Hilfsmittel bei der Atem-
therapie, sofern sie korrekt eingesetzt und für die > Die Produktbeschreibungen müssen
Patientensituation passend ausgewählt werden. Eine sorgfältig durchgelesen und beachtet
Fülle an Produkten erschwert es dem Pflegepersonal werden, um den Patienten die richtige
und den Patienten, diese richtig anzuwenden. Anwendung zu ermöglichen.

> Bei einigen Trainern wird die Exspiration, bei In der Praxis wird häufig beobachtet, dass Patien-
anderen jedoch die Inspiration geschult und ten das Funktionsprinzip nicht verstehen (sie atmen
verbessert. Je nach Krankheitsbild ist das aus statt ein oder umgekehrt). Dann sollte versucht
eine sinnvoll oder das andere vielleicht sogar werden, den Atemtrainertyp zu wechseln. Ein wei-
kontraindiziert. teres Problem ist, dass Patienten das Training ver-
gessen (motivieren!) oder aber zu eifrig trainieren
Geräte, welche die Inspiration trainieren, bezeich- und sich dadurch entweder hyperventilieren oder
net man als SMI-Trainer. SMI steht für „sustained erschöpfen (Trainer dann nur stündlich für einige
maximal inspiration“, also eine langsame und tiefe Minuten anbieten!).
Einatmung. Die vertiefte Atmung verhindert, dass
Atelektasen entstehen, also Lungenareale, die nicht
belüftet werden. Sie verbessert die Oxygenierung 3.3.3 Inhalationstherapie
und fördert das Abhusten von Sekret. Damit dient
das Training der Atelektasenprophylaxe und Pneu- Bei der Inhalationstherapie handelt es sich um eine
monieprävention. Bestehende Atelektasen können topische Medikamentenapplikation. In die Atem-
durch SMI-Trainer jedoch nicht eröffnet werden wege werden vor allem Sekretolytika und Bron-
(Klarmann u. Filipovic 2015). cholytika, aber auch Kortikosteroide verabreicht.
Wichtig ist, dass die Inspiration mit einer mög- Die Wirkstoffe lassen sich in der Regel nicht ver-
lichst geringen Flussgeschwindigkeit (Flow) erfolgt, dampfen (Verdampfung setzt einen niedrigen Sie-
damit die Atemluft Zeit hat, sich gleichmäßig in der depunkt voraus, wie er z. B. bei ätherischen Ölen vor-
Lunge zu verteilen. Daher ist bei der Anleitung der liegt). Daher erfolgt die Applikation als Aerosol bzw.
Patienten darauf zu achten, dass sie langsam einat- durch Verneblung. Aerosole sind kleinste mit Gas
men (beispielsweise bei dem Triflo nur zwei Bälle oder Flüssigkeit vermischte Schwebeteilchen, Nebel
bewegen und nicht alle drei). Um die Motivation der besteht aus feinen Tröpfchen. Je nach Größe gelan-
Patienten anzuregen, sind einige Geräte zusätzlich gen die Partikel/Tröpfchen mehr oder weniger tief in
volumenorientiert, d. h., sie zeigen das Atemhubvo- den Respirationstrakt.
lumen an. Der Vorteil der Inhalationstherapie liegt darin,
Bei Patienten mit obstruktiven Ventilations- dass die Substanzen gezielt dosiert und direkt am
störungen kommen Geräte zum Einsatz, die einen Zielorgan zur Wirkung kommen und so systemische
Effekt auf die Exspiration haben. Diese sogenannten Nebenwirkungen reduziert werden. Als Nachteil ist
PEP-Systeme lassen die Patienten gegen einen geziel- das Hygieneproblem zu nennen, da mit den Partikeln
ten Atemwegswiderstand langsam ausatmen (die auch Mikroorganismen inhaliert werden können.
Abkürzung PEP steht für „positive expiratory pres-
sure“). Die langsame Exspiration gegen einen Wider- > Die Zubereitung der Medikamente und das
stand verhindert den Bronchialkollaps und hilft, Handling der Materialen für die Inhalation
das CO2 abzuatmen. Mit einem Inspirationstrai- erfordert größte Sorgfalt. Insbesondere bei
ner könnten diese Patienten sich dagegen erschöp- Patienten, die mit (inhalativen) Steroiden
fen und ihre respiratorische Insuffizienz könnte sich therapiert werden, ist die Infektionsgefahr
verschlimmern. Oszillierende PEP-Trainer (z. B. der hoch.
36 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

werden können. Einige Hersteller haben deswegen


. Tab. 3.4 Sauerstoffkonzentration unter
Sauerstoffinsufflation (Schätzwerte) größere, seitliche Austrittsöffnungen für die exspi-
rierte Luft angebracht.
Applikationsmethode O2 Geschätzte
(Liter) FiO2 (Prozent)
Praxistipp

3 Nasensonde 1 24
Bei der Materialbestellung sollte ein
2 28
Augenmerk darauf gerichtet sein, ob auf
3 32 Ihrer IMC-Station O2-Masken mit erweiterten
4 36 Austrittsöffnungen zur Anwendung kommen.
5 40
6 44
Umgekehrt kommt O 2 bei Patienten, die nur
O2-Maske 5 40
durch den Mund atmen, bei reiner Nasenapplika-
6–7 50 tion schlechter an. Dann sind die O2-Masken von
7–8 60 Vorteil.
O2-Maske mit 6 60
Reservoirbeutel 7 70 > Bei der Aufnahme und vor Anwendung der
O2-Therapie muss darauf geachtet werden,
8 80
ob der Patient eher ein Mund- oder ein
9 90
Nasenatmer ist.
10 95
Außerdem sollte es für respiratorische Notfälle
auch O2-Masken mit einem Reservoirbeutel auf der
Zur Prävention sind die Empfehlungen der Kommis- Station geben, weil damit eine bessere Aufsättigung
sion für Krankenhaushygiene und Infektionspräven- des Patienten vor einer potenziellen Intubation (und
tion (KRINKO 2013) zu beachten: nachfolgender Verlegung auf die Intensivstation)
55 Medikamente nur aus sterilen Einmalgebinden ermöglicht wird.
entnehmen Einige Hersteller liefern einen Regulator mit
55 Medikamentenvernebler unter sterilen (Drehrädchen, das am Aqua-Befeuchtungspack
Kautelen befüllen aufschraubbar ist), an dem man ablesen kann, wie
55 Verneblersysteme und Medikamente groß der Anteil an inspiriertem O2 in Prozent ist. Die
ausschließlich patientenbezogen einsetzen Umrechnung von insuffliertem O2 in Prozent kann
55 möglichst Einmalmaterial verwenden und aber auch geschätzt werden (. Tab. 3.4). Da Atem-
täglich wechseln muster und anatomische Verhältnisse des oberen
Respirationstraktes bei Patienten variieren, können
die Angaben nur Schätzwerte sein (ISICEM 2012).
3.3.4 Sauerstoffinsufflation

Die Sauerstoffinsufflation ist indiziert bei Patien- 3.3.5 High-Flow-Sauerstoff-


ten mit einer manifesten Hypoxämie. In der Praxis Insufflation
haben sich Nasenbrillen, Nasensonden und Sauer-
stoffmasken bewährt. Für Patienten, die zugleich eine Als Alternative zur herkömmlichen Sauerstoffinsuff-
Hyperkapnie haben, ist die Verabreichung von O2 lation wird den Patienten bei der High-Flow-Insuff-
über eine Maske nicht immer die optimale Lösung, lation über eine spezielle Nasensonde ein Luft-Sau-
weil (gerade bei niedriger Insufflation <5 l, bei der ein erstoff-Gemisch mit hohem Fluss verabreicht (z. B.
geringer Gasfluss die „Auswaschung“ der Maske ver- 10–15 l/min). Das Atemgas wird angewärmt und
hindern kann) Teile der Ausatemluft zurückgeatmet befeuchtet, sodass die Atemwege nicht austrocknen
3.3 · Atemfördernde und unterstützende Maßnahmen
37 3
und die mukoziliäre Clearance, als die Selbstreini- 3.3.7 Nichtinvasive ventilatorische
gung der Atemwege, gefördert wird. Atemtherapie (NIV)
Bei Patienten mit partieller, also hypoxämischer
Ateminsuffizienz kann über dieses Verfahren die Das Verfahren der nichtinvasiven Ventilation
Oxygenation verbessert werden (Frat et al. 2015). („non-invasive ventilation“, NIV) wird im Folgen-
Bei einigen Patienten mit globaler Ateminsuffizienz den anhand eines Fallbeispiels veranschaulicht.
lässt zudem eine Reduktion des PaCO2 nachweisen Dabei spielen Befunde aus den Blutgasanalysen
(Cleven et al. 2012). (BGA) eine wichtige Rolle. Eine ausführliche Erläu-
Als Erklärung für den positiven Effekt wird ange- terung zur Interpretation von Blutgasanalysen folgt –
nommen, dass der hohe Frischgasfluss die oberen ebenfalls mit Bezug auf diesen Patientenfall – im
Atemwege durchspült und dadurch die Kohlen- 7 Abschn. 3.3.8.
dioxidkonzentration im anatomischen Totraum
reduziert (Roca et al. 2010). Als Totraumvolumen Beispiel
bezeichnet man die Luftmenge, die an der Ventilation Die Patientin Frau Brandenburg ist 67 Jahre alt und
teilnimmt, aber nicht am Gasaustausch. wird zunächst auf der internistischen Intensivstati-
on mit einer infektexazerbierten COPD und daraus
resultierender respiratorischer Insuffizienz aufge-
3.3.6 CPAP nommen. Am 1. Behandlungstag gelingt es der un-
ter einer persistierenden Dyspnoe leidenden Pati-
Die bisher genannten Maßnahmen können den entin nicht, ihren Gasaustausch so aufrechtzuerhal-
Gasaustausch verbessern, sind aber nicht in der ten, dass eine adäquate Oxygenierung ihrer Organe
Lage, bereits vorhandene Atelektasen zu eröffnen. und eine Elimination des anfallenden Kohlendioxids
Dies ist jedoch möglich durch Verabreichen eines stattfinden können. Die Patientin hat Angst. Bei Ein-
kontinuierlichen positiven Atemwegsdrucks, der treffen in der Notaufnahme ist Frau Brandenburg
als CPAP („continuous positive airway pressure“) bereits somnolent und entwickelte eine sogenann-
bezeichnet wird. Die Patienten atmen dabei spontan te CO2-Narkose. Die 75 kg schwere und 165 cm gro-
auf einem erhöhten Druckniveau, das dem PEEP ße Frau leidet zusätzlich an einer Herzinsuffizienz
(positiver endexspiratorischer Druck) unter Beat- (NYHA II) sowie an einer arteriellen Hypertonie. Frau
mung entspricht. Die Lunge bleibt auch am Ende Brandenburg hat grünlichen Auswurf und auskul-
der Exspiration in einem stärker geblähten Zustand. tatorisch vesikuläre Atemgeräusche, die auf der
Daraus resultiert eine Verbesserung der funkti- linken Lungenseite in feinblasige Rasselgeräusche
onellen Residualkapazität, das ist das Volumen, übergehen. Ihre Lunge ist dabei beidseitig belüftet.
das am Ende der Exspiration noch in der Lunge Das Thoraxröntgenbild zeigt typische, emphysema-
verbleibt (Residualvolumen plus exspiratorisches tische Veränderungen des Lungengerüsts (Fasstho-
Reservevolumen). rax) ohne frische Infiltrate oder Hinweise auf Ergüsse
Mit dem EzPAP-System steht ein kompaktes im Pleuraraum. Frau Brandenburg ist tachykard und
Gerät zur Verfügung, das den CPAP-Druck ohne tachypnoeisch. Ihr EKG zeigt einen Sinusrhythmus
maschinelle Unterstützung aufgebaut. Es besteht aus (Sinustachykardie). Am 1. Tag hat Frau Brandenburg
einer Kunststoffröhre, der über ein Flowmeter Sauer- eine Körperkerntemperatur von 37,9°C, die sich am
stoff zugeführt wird. Durch die spezielle Formung 2. Tag subfebril fortsetzt (37,6°C). Die Leukozyten
des Innenlumens wird der Flow verstärkt (sogenann- und das zellreaktive Protein (CRP) sind an beiden
ter Coanda-Effekt) und es baut sich ein Druck auf. Tagen im Normbereich geblieben. Die Patientin
Der Patient atmet über ein Mundstück oder eine wird wegen des hochgradigen Verdachts auf eine
Maske und bei einem eingestellten Flow von 5–8 l/ Infektexazerbation (beginnende Pneumonie) sofort
min liegt die O2-Konzentration bei ca. 35% und der mit Clarithromycin und Ceftriaxon (kalkulierte an-
PEEP bei ca. 6–10 mbar (Von den Hoff 2011). Das tibiotische Therapie) behandelt. Ihre Atmung wird
EzPAP-System kann mit einem Medikamentenver- kontinuierlich mit einem nichtinvasiven (ohne In-
nebler kombiniert werden. tubation) „Full-face-Masken-Beatmungsverfahren“
38 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

unterstützt. Dabei verbessert sich ihr Zustand so,


. Tab. 3.5 Blutgaswerte von Frau Brandenburg am
dass sie eine größere Vigilanz zeigt und ihre gemes- 1. und 2. Behandlungstag
senen Blutgaswerte sich verbessern.
Am Folgetag wird Frau Brandenburg auf die Blutgasanalyseanalyse A: Aufnahme Tag 1 (kapilläre BGA
IMC-Station verlegt. Frau Brandenburg wird mit ei- aus dem Ohr bei 8 l O2 über Nasensonde)
nem liegenden arteriellen Zugang (A. radialis links) pH 7,12
3 und zentralvenösen Katheter (V. jugularis rechts) paO2 49 mmHg
sowie einem transurethralen Blasenkatheter an die paCO2 69 mmHg
zuständige IMC-Pflegefachkraft übergeben. Am
BE –5,9 mmol/l
2. Behandlungstag auf IMC erhält die Patientin 3 l
HCO3 28,8 mmol/l
O2 über die Nasensonde und wird intermittierend
1-mal pro Schicht für 15 min mit der NIV-Therapie SaO2 88%
unterstützt. Blutgasanalyseanalyse B: Tag 1 (arterielle BGA,
Intensivstation, NIV-Beatmung FiO2 0,5)
In . Tab. 3.5 sind vier Blutgasanalysen während der pH 7,11
Behandlung aufgeführt, die im Verlauf des Kapitels paO2 100 mmHg
weiter erklärt werden (Normalwerte für die BGA
paCO2 83 mmHg
zeigt . Tab. 3.7).
BE –6,3 mmol/l
Im Fall von Frau Brandenburg lässt sich eine
respiratorische Globalinsuffizienz diagnostizieren HCO3 28,9 mmol/l
(7 BGA „A“). Auffällig ist die permanente Erhö- SaO2 94%
hung des CO2 (7 BGA „A–D“). Der Grund dafür Blutgasanalyse C: Tag 2 morgens (arterielle BGA,
ist ihre chronisch obstruktive pulmonale Erkran- Intensivstation, NIV-Beatmung FiO2 0,35)
kung. Da die Patientin schon länger an einer COPD pH 7,28
leidet, kann von einer chronischen Hyperkapnie aus- paO2 73 mmHg
gegangen werden. Patienten mit einer COPD adap-
paCO2 50 mmHg
tieren ihren Organismus gewöhnlich an erhöhte
CO2-Werte. BE –4,1 mmol/l

Die Therapie der respiratorischen Insuffizienz HCO3 23,5 mmol/l


erfolgt durch nichtinvasive Ventilation. Das Atmen SaO2 96,8%
unter einer NIV-Maske ist nicht physiologisch, weil Blutgasanalyse D: Tag 2 mittags (4 l O2 über Nasensonde,
im Gegensatz zum spontanen Atmen der intratho- Verlegung auf IMC)
rakale Druck erhöht wird. Das heißt, Frau Branden- pH 7,31
burg atmet unter der Maskentherapie sowohl auf
paO2 70 mmHg
einem erhöhten Druckniveau in der Inspiration als
paCO2 48 mmHg
auch auf einem erhöhten Druckniveau in der Exspi-
ration (. Abb. 3.8). BE –3,2 mmol/l
Wenn das Zwerchfell kontrahiert (sich zusam- HCO3 23,0 mmol/l
menzieht), entsteht Platz im thorakalen Raum. Die SaO2 96,6%
Lunge kann sich jetzt ausdehnen und es kommt zur
Einatmung (Inspiration). Dadurch entsteht (gegen- BE Basenüberschuss („base excess“),
über dem atmosphärischen Druck) ein Unterdruck. BGA Blutgasanalyse, FiO2 inspiratorische
Der Druck im Pleuraraum und in der Lunge negati- Sauerstoffkonzentration, HCO3 Bikarbonat,
viert sich (Inspirationsphase). Die Exspiration ent- NIV nichtinvasive Ventilation, paCO2 arterieller
Kohlendioxidpartialdruck, paO2 arterieller
steht durch die Erschlaffung des Zwerchfells (es wölbt
Sauerstoffpartialdruck, pH pH-Wert, SaO2 arterielle
sich wieder nach oben) und durch die elastischen Sauerstoffsättigung.
Retraktionskräfte von Thorax und Lungengewebe.
3.3 · Atemfördernde und unterstützende Maßnahmen
39 3

Druck [mbar]

0 intrapulmonaler Druck

intrapleuraler Druck

–10

I E I E Zeit [sec]

I = Inspiration (1 sec)
E = Exspiration (2 sec)

. Abb. 3.8 Intrathorakale Druckverhältnisse unter Spontanatmung

Sie ist bei Gesunden ein passiver Vorgang und dauert Exspiration besser entfalten. Das klappt natürlich
etwa doppelt so lange wie die Inspirationsphase. nur, wenn die Maske dicht sitzt und keine Luft an den
In Ruhe beträgt die Inspirationszeit beim Wangen oder der Nase entweichen kann (Leckage).
Erwachsenen ca. 2 s und die Exspirationszeit ca. 4 s. . Abb. 3.9 veranschaulicht, dass die Druckver-
Lediglich in der Exspirationsphase kommt es in der hältnisse im thorakalen Raum und in der Lunge
Lunge zu positiven Druckverhältnissen (. Abb. 3.8). unter NIV-Beatmung angestiegen sind (unphysio-
Die Atemfrequenz (AF) pro Minute errechnet logische Atmung). Selbst in der Phase der Endex-
sich durch die Anzahl der sogenannten Atemzyk- spiration verbleibt Frau Brandenburg auf einem
len (= eine Inspirations- plus eine Exspirationsphase) Druckniveau von 5 mbar (= PEEP oder „positive
innerhalb von 60 s. Ein Atemzyklus dauert hier 3 s e nd e xpiratory p ressure“), in der Abbildung als
(1 s Inspiration und 2 s Exspiration). 20 Atemzyklen dunklerer Balken gekennzeichnet. Aber auch inspi-
ergeben somit eine AF von 20/min. ratorisch sind die pulmonalen Druckverhältnisse in
Bei der NIV-Maskenbeatmung lassen wir Frau den positiven Bereich verschoben worden. Dadurch
Brandenburg jetzt aber nicht mehr physiologisch bleibt ihre Lunge besser entfaltet. Die Alveolen
atmen (darunter hat sie sich ja auch erschöpft), sind weiter und haben in beiden Respirationspha-
sondern erhöhen den intrathorakalen Druck, indem sen einen engeren Kontakt zu den Kapillaren, von
wir sie nicht mehr gegen den atmosphärischen, denen sie umgeben sind. Die O2-Moleküle können
sondern gegen einen – durch das Gerät erzeugten – jetzt besser in die Kapillaren diffundieren und die
höheren Druck atmen lassen. Dadurch kann ihre pO2-Werte in der BGA sowie die am Monitor ables-
Lunge sich sowohl in der Inspiration als auch in der baren SpO2-Werte verbessern sich, ohne dass der
40 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

Druck [mbar]

20

15
3
10

intrapulmonaler Druck
5
PEEP
0

–5 intrapleuraler Druck

–10

–15

I E I E Zeit [sec]
I = Inspiration (1 sec)
E = Exspiration (2 sec)

. Abb. 3.9 Intrathorakale Druckverhältnisse unter NIV-Beatmung. PEEP „positive endexpiratory pressure“

Anteil des beigemischten Sauerstoffs (FiO2) erhöht er ASB (= „assisted spontaneous breathing“ oder
werden musste (7 BGA „B“). assistierte Spontanatmung), bei Siemens wird er DU
Gleichzeitig führt eine dauerhafte Drucker- oder PSV (= Druckunterstützung/„pressure support
höhung in der Lunge dazu, dass sich Atelektasen ventilation“) und bei Herstellern von Heimbeat-
wieder belüften lassen und weniger leicht wieder mungsgeräten häufig auch PS („pressure support“),
zusammenfallen (kollabieren), da sie ja auch in der IPS („inspiratory pressure support“) genannt. Weil
Ausatmung noch durch einen 5 mbar hohen Druck Frau Brandenburg mit einem ASB unterstützt wurde,
sozusagen geschient werden (Bein u. Pfeifer 2007). konnte ihr Tidalvolumen oder auch Atemzugvolu-
Daraus kann dann auch eine bessere Elimination von men (TV/AZV) und damit auch ihr Minutenvolu-
CO2 erfolgen, weil das kohlendioxidreiche, venöse men (MV) erhöht werden. Das MV errechnet sich
Blut aus der Pulmonalarterie neu eröffnete Bezirke aus der Atemfrequenz multipliziert mit dem AZV
erreicht, in denen es aus den Kapillaren in die Alveo- (MV=AF×AZV). Dass die Patientin von der ASB-
len abgegeben und ausgeatmet werden kann. Mit der Einstellung profitieren konnte, ist durch den Abfall
PEEP-Beatmung wird auch eine Erhöhung des Tidal- des pCO2 von BGA „B“ auf BGA „C“ ersichtlich.
volumens (Atemzugvolumen) möglich, wenn man Durch die Erhöhung ihres Minutenvolumens war
Frau Brandenburg jetzt noch hilft, ihr die Inspiration sie in der Lage, das „Zuviel“ an CO2 abzuatmen.
zu erleichtern. Dazu stellt man am Gerät einen Hilfs- . Abb. 3.9 verdeutlicht, dass Frau Branden-
druck ein, der dann aktiv wird, wenn die Patientin burg in der Inspiration eine Druckunterstützung
sich um eine Einatmung bemüht. Dieser Druck wird vom Gerät bekommt (hier 13 mbar auf einen PEEP
(je nach Hersteller der NIV-Geräte) leider nicht ein- von 5 mbar = 18 mbar), wenn sie einatmen möchte.
heitlich benannt. Bei Geräten der Firma Dräger heißt Dazu muss sie „triggern“ (Englisch = etwas auslösen).
3.3 · Atemfördernde und unterstützende Maßnahmen
41 3

Druck [mbar]

= Druck in den Atemwegen


ohne Trigger
ohne ASB

PEEP = 5mbar

I E I E

0
Zeit [sec]

I = Inspiration E = Exspiration

. Abb. 3.10 CPAP („continuous positive airway pressure“)

Den Trigger kann man an den Ventilatoren einstel- Um der Patientin einen positiven endexspirato-
len. Bei der COPD-Patientin war ein Flowtrigger rischen Druck zu ermöglichen, muss das Gerät auch
(das Gerät reagiert auf eine Atemflussverschiebung dann einen Fluss im Schlauchsystem aufrechterhal-
im Schlauchsystem) von 5 l/min eingestellt. Andere ten, wenn sie nicht einatmet. Dadurch läuft kontinu-
Ventilatoren können über sogenannte Drucktrig- ierlich („continuous“) ein Luftstrom im Schlauch-
ger (das Gerät reagiert auf eine Druckdifferenz im system, der dann zu dem Begriff CPAP führt. Das
Schlauchsystem) den Patienten die Inspirations- heißt aber im Prinzip soviel wie: „die Patientin atmet
unterstützung zukommen lassen. auf einem PEEP-Niveau“. Das wiederum heißt, dass
Der assistierende ASB/CPAP-Modus funktio- der Modus nicht assistieren bzw. unterstützen kann,
niert nur bei Patienten, die wach sind und einen sondern lediglich die Spontanatmung auf ein höheres
eigenen Atemantrieb haben. Dasselbe gilt für die Druckniveau anhebt. In . Abb. 3.10 und auch bei
reine Spontanatmung auf einem PEEP-Niveau. Der Frau Brandenburg am 1. Behandlungstag beträgt
Patient hätte dann keine zusätzliche Druckunter- der PEEP 5 mbar.
stützung eingestellt, sondern würde auf einem kon- Bevor nun sowohl die Blutgase als auch die dazu-
tinuierlichen positiven Druck (CPAP = „continuous gehörigen Respiratoreinstellungen genauer erklärt
positive airway pressure“) atmen. Das hilft allerdings werden sollen, wird ein weiterer Modus erklärt, der
eher die Oxygenierung zu verbessern als das Koh- sich insofern von den vorherigen unterscheidet, als er
lendioxid zu senken, ist aber auch an vielen Geräten Frau Brandenburg sowohl unterstützen als auch kon-
als reiner Spontanatemmodus unter NIV-Maske ein- trolliert beatmen kann. Frau Brandenburg müsste
stellbar und sähe dann etwa aus wie in . Abb. 3.10. dann im Falle der Einstellung ihres Atemantriebes
42 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

Druck [mbar] Pinsp = 20 mbar


PEEP = 7 mbar
25 I : E = 2 sec : 2 sec = 1 : 1
AF = 15/min
3
20

15

10

5
I E I E I

0
0 2 4 6 8 Zeit [sec]

I = Inspiration E = Exspiration

. Abb. 3.11 BIPAP („biphasic positive airway pressure“). AF Atemfrequenz, PEEP positiver endexspiratorischer Druck,
Pinsp Inspirationsdruck

nicht mehr triggern und würde trotzdem beatmet (PEEP). Dadurch belüftet sich die Lunge während
werden. Dieser Modus war am ersten Behandlungs- der Einatmungsphase (bei einigen Geräten auch
tag auf der Intensivstation aktiv und wird (je nach „P-hoch“ also hoher Druck genannt) und entlüftet
Hersteller) BIPAP, Bilevel oder auch Bivent genannt. sich (passiv) in der Ausatmungsphase (bei einigen
„Biphasic positive airway pressure“ bzw. BIPAP fällt Geräten auch „P-niedrig“ statt PEEP genannt).
in die Rubrik der druckkontrollierten Beatmungs- Beide Phasen lassen sich auch bezüglich ihrer Dauer
verfahren, die auch „pressure-controlled ventilation“ (also wie lange ein hoher bzw. ein niedriger Fluss
(PCV) oder druckkontrollierte Beatmung genannt im Schlauchsystem aufrechterhalten werden soll)
werden, weil das Gerät die Beatmung über von uns einstellen.
eingestellte Drücke verabreicht. Der Patient kann . Abb. 3.11 zeigt einen Patienten, der überhaupt
(muss aber nicht) den Inspirationsdruck auslösen nicht spontan atmet (z. B. nach Opioidverabreichung
(triggern), wenn er ihn braucht. Tut er das nicht, oder in Vollnarkose) und sich im BIPAP-Modus
gibt das Gerät den Inspirationsdruck (Pinsp) trotz- befindet. Seine Inspirationszeit (Pinsp oder P-hoch)
dem ab. Dadurch ist eine mandatorische (ganz sicher ist genauso lang wie die Exspirationszeit (PEEP oder
festgelegte und in jedem Fall verabreichte) Beatmung P-niedrig). Der eingestellte Inspirationsdruck beträgt
sichergestellt. 20 mbar und der eingestellte Exspirationsdruck ist
Das Gerät gibt sozusagen zwei verschieden der PEEP von 7 mbar. Daraus resultiert eine Druck-
starke Flussgeschwindigkeiten („Flow“) ab: einen differenz von 13 mbar. Diese Druckdifferenz ermög-
starken Luftstrom in der Inspiration (Pinsp) und licht, dass dem Patienten ein Tidalvolumen (Atem-
einen weniger starken Luftstrom in der Exspiration zugvolumen oder Hubvolumen, obwohl der Patient
3.3 · Atemfördernde und unterstützende Maßnahmen
43 3

tinsp = 2 sec
Druck [mbar] I : E = 2 sec : 4 sec = 1 : 2
AF = 10/min (am Gerät eingestellt)
= Pinsp oder P-hoch
25 = Eigenatmung
= PEEP oder P-tief

20

15

10

5
I E E

0
0 2 4 6 8 10 12
I = Inspiration E = Exspiration Zeit [sec]

. Abb. 3.12 BIPAP mit vorhandener Spontanatmung (Einstellung von Frau Brandenburg am 1. Therapietag). AF
Atemfrequenz, PEEP positiver endexspiratorischer Druck, Pinsp Inspirationsdruck, tinsp Inspirationszeit

ja nicht selber „zieht“, sondern das Gerät das über- direkt über die Einstellungsoption tinsp („inspira-
nimmt) von z. B. 500 ml verabreicht wird. Multi- tion time“) oder zweitens indirekt über die Einstel-
pliziert mit der eingestellten Atemfrequenz von 15, lungsoption AF (Atemfrequenz). Würde die AF in
kommt der Patient auf ein Minutenvolumen von 7,5 l . Abb. 3.12 von 15 auf 10 reduziert werden, die Ins-
(was nur wirklich große Menschen oder Kranke mit pirationszeit (tinsp) aber nicht nachreguliert werden,
einem hohen CO2-Anfall bzw. Menschen in aktiver dann resultierte aus der vorgenommenen Verände-
Bewegung benötigen). rung ein I:E von 1:2 oder eine Inspirationszeit von
Das Verhältnis von der Inspirations- zur Exspi- 2 s (wurde ja nicht verändert) zu einer Exspirations-
rationszeit ist hier 1:1, d. h. die Einatemphase ist zeit von 4 s. Bei einigen Geräten lässt sich die AF gar
genauso lang wie die Ausatemphase. Bei Gesunden nicht einstellen, sondern resultiert aus der eingestell-
(in Ruhe) beträgt das Verhältnis 1:2 und bei COPD- ten Inspirationszeit (tinsp).
Patienten muss darauf geachtet werden, dass die Aus- Unter dieser Einstellung hatte Frau Brandenburg
atemphase auch etwa diesem Verhältnis entspricht, sich nicht verbessert, denn wie an der BGA „B“ zu
damit sie ihr CO2 „loswerden“ können (sie haben sehen ist, hatte sich ihr pCO2 noch weiter erhöht und
häufig eine verlängerte Exspirationsphase). Frau der pH wurde entsprechend niedriger (Azidose). Mit
Brandenburg war deshalb etwas anders eingestellt der eingestellten AF wurde ein MV von 4,5 l appli-
(. Abb. 3.12). ziert und zusätzlich hat sie 2 l dazugeatmet (untere
Die Inspirationszeit am Gerät kann durch zwei Bereiche = E), sodass sie auf ein MV von insge-
Einstellungsmöglichkeiten verändert werden, erstens samt 6,5 l kam (maschinell plus spontan). Weil ihr
44 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

Druck [mbar]

tinsp = 2 sec 25
I:E=1:2
3 AF = 10/min
ASB = 12mbar 20
= Pinsp oder P-hoch
= Eigenatmung
15
= PEEP oder P-tief
= ASB
10
= Trigger

0
0 2 4 6 8 10 12 Zeit [sec]

. Abb. 3.13 BIPAP/ASB mit vorhandener Spontanatmung (Einstellung von Frau Brandenburg am 1. Therapietag um
BGA „B“ zu verbessern). AF Atemfrequenz, ASB assistierte Spontanatmung, PEEP positiver endexspiratorischer Druck,
tinsp Inspirationszeit

das nicht ausreichte, um das CO2 zu eliminieren, und zusätzlich hat sie 3,9 l dazugeatmet (mittlere
wurden zwei Veränderungen am Gerät vorgenom- Bereiche), sodass sie auf ein MV von insgesamt
men. Der Inspirationsdruck (P-hoch) wurde um 9,9 l kam (maschinell plus spontan). Ihre Blutga-
4 mbar von 18 auf 22 erhöht und die BIPAP-Funk- sanalyse (BGA „C“) weist jetzt einen Kohlendi-
tion wurde mit der ASB(= DU oder PS)-Funktion oxidwert (pCO2) von 50 mmHg auf und hat sich
kombiniert. Dadurch ist es der Patientin möglich, damit verbessert. Der pH ist folglich angestiegen
die eigenen Atembemühungen in den Exspirations- und die Patientin ist nicht mehr ganz so übersäu-
phasen durch den Respirator unterstützt zu bekom- ert. Sie wurde zunehmend wacher und orientierter
men. Der ASB wurde auf 12 mbar gestellt und wird (= Heraustreten aus der CO2-Narkose). Allerdings
jedes Mal vom Gerät gegeben, wenn sie den Trigger weist die BGA „C“ noch immer eine respiratorische
auslöst (. Abb. 3.13). Azidose auf.
In der Abbildung ist erkennbar, dass Frau Bran- Zu bedenken ist, dass Frau Brandenburg mit
denburg jedes Mal, wenn sie einatmen will („trig- Beatmungsdrücken von >20 mbar Gefahr läuft, dass
gert“), einen Hilfsdruck von 12 mbar erhält, der auch Luft in den Magen gelangen kann (Rossaint et
auf ihr PEEP-Niveau (+7) „draufgesetzt“ wird al. 2008). Auf Dauer kann das zum Erbrechen führen
(insgesamt erreicht sie einen Druck von 19 mbar und würde die Gefahr einer zusätzlichen Aspira-
(PEEP+ASB). Sie kann jetzt ein höheres AZV errei- tionspneumonie provozieren. NIV-Patienten sollen
chen, da sie diesen Hintergrunddruck bekommt. deswegen mit dem Oberkörper hoch gelagert werden
Auch der Inspirationsdruck der vorgegebenen und in Sichtweite bleiben. Zu Beginn einer NIV-The-
maschinellen Atemhübe erreicht jetzt 22 mbar und rapie werden folgende Grundeinstellungen empfoh-
somit ein größeres Hubvolumen (Tidalvolumen). len (Roberts et al. 2008):
Dadurch kann sie zusätzlich mehr CO2 abatmen. 55 Pinsp ca. 10 mbar
Mit der eingestellten AF (10) wurde ein MV von 55 PEEP ca. 4–5 mbar oder
6 l appliziert (schraffierte AZV durch das Gerät) 55 ASB ca. 10 mbar/CPAP ca. 4–5 mbar
3.3 · Atemfördernde und unterstützende Maßnahmen
45 3
Diese Einstellungen werden von den meisten Pati-
. Tab. 3.6 Kontraindikationen zur nichtinvasiven
enten toleriert und müssen nach BGA-Kontrollen Ventilation
adaptiert werden (Plant et al. 2000).
Absolute Relative

3.3.8 Wann darf die NIV-Therapie Nicht existente Koma


Spontanatmung
nicht zur Anwendung kommen?
Schnappatmung Erhöhte Agitation/Unruhe

Maheshwari et al. (2006) haben in ihrer Studie zeigen Gastrointestinale Schwerer Sekretverhalt trotz
Blutung Bronchoskopie
können, dass ein Großteil des medizinischen Perso-
nals in der Akutversorgung unzureichendes Wissen Fehlende Kreislaufinstabilität
Schutzreflexe (kardiogener Schock,
zur NIV hat. Schulungen und Einweisungen für das
(Aspirationsgefahr) Myokardinfarkt)
Personal sind deswegen obligat.
Schwere Hypoxämie oder
Die in . Tab. 3.6 aufgeführten Kontraindikatio-
Azidose (pH <7,1)
nen gilt es zu beachten (BTS 2002).
Ileus Anatomische oder subjektive
(Aspirationsgefahr) Maskeninkompatibilität
(Ablehnung des Patienten)
3.3.9 Überwachung und Analyse
arterieller Blutgasanalysen Frische obere
gastrointestinale Operation

Um die Grundprinzipien des Säure-Basen-Haushal-


tes besser zu verstehen, sollen die Blutgasanalysen
von Frau Brandenburg in diesem Abschnitt mit den hydrogenii oder die Konzentration an Wasserstoff-
Referenzwerten (. Tab. 3.7).verglichen und analy- bzw. an H+-Ionen). Der Organismus funktioniert
siert werden. dann am besten, wenn der Anteil an sauren und basi-
Die Referenzbereiche (Erwachsene) einer BGA schen (= alkalischen) Stoffen in einem Gleichgewicht
bei gesunder Funktion des Organismus zeigt die steht (pH=7,35–7,45). Die BGA „C“ von Frau Bran-
. Tab. 3.7. denburg zeigt eindeutig, dass sie zu viele H+-Ionen
hat, weil ihr pH auf 7,28 gesunken ist (. Tab. 3.8). Sie
z Woher kommen Säuren und Basen und wie ist azidotisch (übersäuert).
werden sie gemessen?
Dem Organismus wird täglich Nahrung zugeführt. z Wann wird ein Organismus sauer
Diese besteht aus Zucker (Kohlenhydraten), Fetten (azidotisch)?
(Lipiden) und Eiweißen (Proteine). Außerdem Immer wenn der Körper zu viele Säuren hat, kann
werden Mineralwasser, Milch, Fruchtsäfte, Alkoho- dies verschiedene Ursachen haben.
lika usw. getrunken. Nahrung und Getränke bestehen
u. a. aus Säuren und Basen. Damit eine Temperatur Fett und Kohlenhydratabbau (Energie) Unter gesun-
von ca. 37°C und eine Bewegungs- und Aktivitäts- den Bedingungen werden durch den Stoffwechsel
fähigkeit im Körper zustande kommt und aufrecht- (Metabolismus) dieser Nährstoffe etwa 13.000 mmol
erhalten werden kann, werden die aufgenommenen an CO2 pro Tag gebildet (je nach Kalorienmenge).
Stoffe zur Energieproduktion und Wärmeregula- Das CO2 fällt dann als „Abfallprodukt“ an, wenn
tion ständig abgebaut (Katabolismus), umgebaut der Nährstoff (z. B. Zucker bzw. Kohlenhydrate)
oder aufgebaut (Anabolismus). Bei diesen Vorgän- mit Hilfe von O2 in einer Gewebs- oder Organzelle
gen entstehen Säuren und Basen. „verbrannt“ wurde. Dadurch ist das Organ oder z. B.
Ist der Körper zu sauer, gibt es einen Überschuss auch ein Muskel ernährt worden und kann funktio-
an Wasserstoffionen (H+-Ionen), ist er zu alkalisch nieren. Der Körper muss allerdings zusehen, dass er
(basisch), mangelt es dem Organismus an H+-Ionen. das anfallende CO2 wieder „loswird“, damit der pH
Gemessen wird das mit dem pH-Wert (= potentia im Normbereich bleibt.
46 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

. Tab. 3.7 BGA-Normwerte. (Mod. nach Meyfeldt 2004)

Parameter Erläuterung Referenz Geschlecht

pH Potentia hydrogenii = Konzentration an 7,35–7,45 ♀♂


Wasserstoffionen oder H+-Ionen
3 paO2 Partieller arterieller Sauerstoffdruck 83–108 mmHg ♀♂
paCO2 Partieller arterieller Kohlendioxiddruck 32–45 mmHg ♀
35–48 mmHg ♂
BE Base excess = Basenüberschuss –3 bis +2 mmol/l ♀
–2 bis +3 mmol/l ♂
HCO3 Bikarbonat 20–26 mmol/l ♀
22–27 mmol/l ♂
SaO2 Arterielle Sauerstoffsättigung >93%

CO2 geht eine chemische Reaktion mit Wasser Milchsäure (Laktat) kann übrigens auch in der BGA
(H2O) ein und reagiert zur Kohlensäure (H2CO3). abgelesen werden.
Diese Kohlensäure kann sich dann in „saure Anteile“ Ursachen für eine Übersäuerung (Azidose)
(H+-Ionen) und in „basische Anteile“ wie das Bikar- können also stoffwechselbedingt (metabolisch) oder
bonat (HCO3–) auflösen. Chemisch ist das mit fol- atmungsbedingt (respiratorisch) sein:
gender Gleichung darstellbar: 55 Diabetisches Koma (metabolisch)
55 Nierenversagen (metabolisch)
CO2 + H2O = H2CO3 = H+ + HCO3– 55 Schock (metabolisch)
55 Hohes Fieber (metabolisch)
Wichtig ist, dass die Kohlensäure (in der Mitte der 55 Marathonlauf eines Untrainierten
Gleichung) sich sowohl nach links als auch nach (metabolisch)
rechts auflösen kann! Dass heißt für den Körper, 55 Falsch eingestelltes NIV-Gerät (respiratorisch)
dass er im Falle einer Übersäuerung mit Hilfe der 55 Respiratorische Insuffizienz bei COPD wie bei
Lunge CO 2 abatmen kann (linke Seite der Glei- Frau Brandenburg (respiratorisch)
chung). Er kann aber auch mit Hilfe der Niere die 55 Störung des Atemantriebs (Schädelverlet-
Wasserstoffionen über den Urin ausscheiden und zungen, Opioidgabe) (respiratorisch)
das Bikarbonat zurückbehalten (rechte Seite der 55 Störungen der Atempumpe (neuromuskuläre
Gleichung). Krankheitsbilder) (respiratorisch)
55 Emphysem, Asthma, Pneumonie
> Die Lunge kann den Anteil an überschüssigen (respiratorisch)
Wasserstoffionen sehr schnell regulieren. Die
Niere gleicht hingegen eher langsam aus. Respiratorische Azidose Mit Blick auf die BGA „B“
von unserer Patientin können wir jetzt eine tiefere
Im Körper können auch noch andere Säuren auftre- Analyse betreiben, indem der pH und das paCO2 ein-
ten. Wenn z. B. aus Fettsäuren Acetessigsäuren und deutig zeigen, dass die Störung respiratorisch bedingt
β-Hydroxybuttersäuren entstehen, fallen H+-Ionen ist. Es liegt eine respiratorische Azidose vor (. Tab. 3.9).
an. Auch beim Proteinabbau (Aminosäuren) pas-
siert das, allerdings in geringerem Maße. Im Falle CO2 + H2O = H2CO3 = H+ + HCO3–
einer anaeroben Glykolyse (Glukosestoffwechsel, bei
dem nicht genug O2 zur Verfügung steht) fallen saure Frau Brandenburg wird das CO2 (linke Seite der
Valenzen in Form von Milchsäure an. Das Salz der Gleichung) nicht los und in ihrem Körper häuft sich
3.3 · Atemfördernde und unterstützende Maßnahmen
47 3

. Tab. 3.8 Blutgasanalyse C: Tag 2 morgens . Tab. 3.9 Blutgasanalyseanalyse B: Tag 1


(arterielle BGA, Intensivstation, NIV-Beatmung (arterielle BGA, Intensivstation, NIV-Beatmung
FiO2 0,35) FiO2 0,5)

pH 7,28 pH 7,11
paO2 73 mmHg paO2 100 mmHg
paCO2 50 mmHg paCO2 83 mmHg
BE –4,1 mmol/l BE –6,3 mmol/l
HCO3 23,5 mmol/l HCO3 28,9 mmol/l

Kohlensäure an (pH ist zu niedrig). Um ihr zu helfen, scheidet in dem sauren Zustand (BGA „B“) vermehrt
wird mittels des NIV-Verfahrens der Pinsp und der H+-Ionen aus und hält Bikarbonat zurück (rechte
ASB erhöht, wodurch sich das Tidal- und folglich Seite der Gleichung).
auch das Atemminutenvolumen erhöhen. Dadurch
kann sie das CO2 besser eliminieren (. Abb. 3.9). CO2 + H2O = H2CO3 = H+ + HCO3–
Dass diese Maßnahme richtig war, zeigt die BGA,
die einige Stunden später (Folgetag) abgenommen Dadurch versucht die Patientin über ihre Niere, den
wurde (BGA „C“) (. Tab. 3.10). sauren Zustand des Körpers zu kompensieren (aus-
Der pH reguliert sich durch das abgeatmete CO2 zugleichen). Erkennbar ist das in der BGA „B“ am
(der Anteil an Kohlensäure in ihrem Körper hat sich erhöhten HCO3–. In BGA „C“ hat dieser Kompen-
verringert und es liegen weniger Wasserstoffionen sationsmechanismus bereits etwas nachgelassen, was
(H+) vor. Weil diese BGA aber immer noch einen am normwertigen Bikarbonatwert (23,5 mmol/l)
niedrigen pH und ein erhöhtes paCO2 aufweist, liegt abzulesen ist.
weiterhin eine respiratorische Azidose vor. Um das Wenn beispielsweise die Nieren versagen
Verhalten der Basen näher zu analysieren, gibt es die und nicht mehr an der Regulation des Säure-Ba-
beiden Messwerte für den Basenüberschuss oder sen-Gleichgewichtes teilhaben können, kann eine
„base excess“ (BE) und das Bikarbonat HCO3–. An stoffwechselbedingte (metabolische) Übersäuerung
den beiden BGAs ist zu erkennen, dass Frau Bran- auftreten. Auch diese Störung ist mit der Analyse der
denburg insgesamt zu wenig Basen im Organismus Blutgase erkennbar.
hat (BE ist zu negativ). Das liegt daran, dass alle im
Körper zur Verfügung stehenden Basen „verpuffert“ Metabolische Azidose Ein Patient auf der IMC
worden sind. Gemeint sind bestimmte Proteine oder scheidet keinen Urin mehr aus, weil er in ein Nie-
Phosphorverbindungen, die eher basisch als sauer renversagen geraten ist. Dann könnte die BGA wie
sind. Diese wurden verwendet, um das „Zuviel“ an in . Tab. 3.13 aussehen.
H+-Ionen zu binden und so dem Übersäuerungspro- Dieser Patient kann weder H+-Ionen über die
zess entgegenzuwirken (= Puffer). Nieren ausscheiden noch HCO3– mittels der Niere
Beim Rückgang von CO2 (BGA „B“ im Vergleich zurückhalten. Sein renales Puffersystem versagt.
zu BGA „C“) nimmt auch der negative BE einen Die Wasserstoffionen steigen an (pH nimmt ab), das
Verlauf in Richtung einer stattfindenden Regulation Bikarbonat ist verpuffert und kann nicht zurückge-
zur Ausgeglichenheit des Säure-Basen-Status (von halten werden (HCO3– sinkt ab). Die Differenz der
–6,3 zu –4,1 mmol/l) (. Tab. 3.11, . Tab. 3.12). nachweisbaren Pufferbasen gegenüber dem norma-
Allerdings hat Frau Brandenburg es noch nicht len Pufferbasengehalt (= BE) nimmt zu, sodass der
geschafft, sich wieder in den normalen Referenzwert BE negativer wird.
zu regulieren (–3 bis +2 mmol/l). Diesem Patienten kann mit einer Blutreinigung
Eine Analyse des Bikarbonats lässt folgende (Dialyse) geholfen werden. Die BGA allein reicht
Überlegung zu: Die Niere von Frau Brandenburg zu einer nierenspezifischen Diagnose nicht aus. Es
48 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

. Tab. 3.10 Blutgasanalyse C: Tag 2 morgens . Tab. 3.11 Blutgasanalyseanalyse B: Tag 1


(arterielle BGA, Intensivstation, NIV-Beatmung (arterielle BGA, Intensivstation, NIV-Beatmung
FiO2 0,35) FiO2 0,5)

pH 7,28 pH 7,11
paO2 73 mmHg paO2 100 mmHg
3 paCO2 50 mmHg paCO2 83 mmHg
BE –4,1 mmol/l BE –6,3 mmol/l
HCO3 23,5 mmol/l HCO3 28,9 mmol/l

müssen zusätzliche Parameter (z. B. Harnstoff, Kre- die Hyperventilation). Der Organismus hat einen
atinin, Elektrolyte) und das klinische Gesamtbild positiven Basenüberschuss, weil alle Säuren bereits
beurteilt werden. Zum Verständnis einer metaboli- verpuffert sind und weil die Verluste von Kohlen-
schen Azidose ist diese fiktive BGA aber hilfreich. säure durch die falsche Geräteeinstellung anhalten
(Verluste über die Abatmung/Lunge). Das Bikarbo-
z Wann wird ein Organismus basisch nat (was auch eine Base ist) ist ebenfalls zu hoch. Bei
(alkalisch)? diesem Patientenbeispiel muss der ASB reduziert
Eine Alkalose (egal, ob respiratorisch oder meta- bzw. das Atemminutenvolumen gesenkt werden!
bolisch verursacht) ist eine Störung des Säure-­ Verliert der Körper aber Säuren über andere
Basen-Haushaltes, die ein Ansteigen des pH im Blut Organe (stoffwechselbedingt und nicht respirato-
bewirkt. Liegt der pH-Wert im Blut über 7,45, spricht risch verursacht), dann kann daraus eine metaboli-
man von einer Alkalose. Ursache dafür sind Verluste sche Alkalose resultieren.
von Säuren (H+-Ionen), die iatrogen oder krank-
heitsbedingt begründet sein können. Wird z. B. eine Metabolische Alkalose Wir nehmen an, ein IMC-
NIV-Beatmung nicht patientengerecht eingestellt, Patient nach einem abdominellen chirurgischen
kann es vorkommen, dass der Patient eine respira- Eingriff und liegender Magensonde wird postope-
torische Alkalose entwickelt. rativ auf der Abteilung überwacht. Bei der Flüssig-
Ein Blick auf die Gleichung macht deutlich, dass keitsbilanz stellt die Pflegekraft fest, dass er 2,5 l an
Kohlensäure sowohl über die Lunge als auch über Magensekreten in den letzten 24 h über die Magen-
die Niere durch ihre Dissoziation (ihren chemischen sonde verloren hat. Damit hat er Säuren verloren,
„Zerfall“) als CO2 (Lunge) oder H+-Ionen (Niere) eli- die ihn in den Status einer metabolischen Alkalose
miniert werden kann. gebracht haben können. Die BGA könnte dann wie
in . Tab. 3.15 aussehen.
CO2 + H2O = H2CO3 = H+ + HCO3– Der pH ist zu hoch (zu wenig H+-Ionen) und der
pCO2 im oberen Normbereich (die Ursache ist also
Respiratorische Alkalose Wird bei der NIV-Beat- nicht respiratorisch bedingt). Der Organismus hat
mung der ASB beispielsweise so hoch eingestellt, dass einen positiven Basenüberschuss, weil alle Säuren
der Patient Tidalvolumina von 1000 ml atmet und bereits verpuffert sind und weil die Verluste von
dabei eine AF von 16 hat, dann käme er auf ein Atem- Magensäuren über die Magensonde anhalten. Das
minutenvolumen von 16 l (AZV×AF=AMV). Das wäre Bikarbonat (das auch eine Base ist) ist ebenfalls zu
erstens zu viel und zweitens würden bei derart hohen hoch. Diesem Patienten kann nicht über die Atmung,
Zugvolumina auch sogenannte Volutraumen (Lungen- sondern z. B. durch die Verbesserung der Magen-
schädigungen) entstehen (Bein u. Pfeifer 2007). Darm-Passage (besserer Transport) geholfen werden.
Eine BGA bei dieser falschen Einstellung könnte Ähnliche Blutgasveränderungen lassen sich
etwa so wie in . Tab. 3.14 aussehen. nicht selten dann finden, wenn Patienten mehrfach
Der pH ist zu hoch (zu wenig H+-Ionen) und mit Diuretika (z. B. Furosemid) therapiert wurden.
der pCO2 zu niedrig (Kohlendioxidverluste durch Durch die vermehrte Urinproduktion scheidet die
3.3 · Atemfördernde und unterstützende Maßnahmen
49 3

. Tab. 3.12 Blutgasanalyse C: Tag 2 morgens . Tab. 3.14 BGA: Respiratorische Alkalose
(arterielle BGA, Intensivstation, NIV-Beatmung FiO2
0,35) pH 7,51
paO2 90 mmHg
pH 7,28
paCO2 26 mmHg
paO2 73 mmHg
BE 4,2 mmol/l
paCO2 50 mmHg
HCO3 29,9 mmol/l
BE –4,1 mmol/l
HCO3 23,5 mmol/l

. Tab. 3.15 Blutgasanalyse: Metabolische


. Tab. 3.13 Blutgasanalyse: Nierenversagen Alkalose

pH 7,31 pH 7,49
paO2 83 mmHg paO2 90 mmHg
paCO2 37 mmHg paCO2 45 mmHg
BE –5,1 mmol/l BE 3,8 mmol/l

HCO3 19,5 mmol/l HCO3 26,9 mmol/l

Niere dann auch viele H+-Ionen aus. Das kann dann


zu leichten metabolischen Alkalosen (ähnlich wie im 3. Was versteht man unter der funktionellen
dargestellten BGA-Beispiel) führen. Residualkapazität?
Es gibt noch weitere, komplexere Mechanismen 4. Wofür stehen die Buchstaben CPAP und
und Ursachen von Gleichgewichtsstörungen im Säu- PEEP? Worin besteht der Unterschied
re-Basen-Haushalt, die hier aber nicht näher erklärt zwischen beiden?
werden sollen. Kompensationsmechanismen und 5. Wie hoch ist der intrapleurale Druck bei der
Beteiligungen von anderen Puffersystemen (Pro- Inspiration unter Spontanatmung?
teine, Phosphate und andere) spielen dabei eine 6. Begründen Sie, warum für Patienten
Rolle. Vertiefungen und Beispiele sind in der Blutgas- unterschiedliche Atemtrainer eingesetzt
fibel (Meyfeldt 2004) sehr verständlich und anschau- werden müssen.
lich dargestellt. Eine ausführliche und gut erklärte 7. Ein 50-jähriger Patient (a) hat einen
Darstellung des Säure-Basen-Haushaltes ist auch auf paO2 von 85 mmHg; der gleichaltrige
der Homepage von Radiometer abrufbar (Radiome- Nachbarpatient (b) eine SaO2 von 85%. Bei
ter 2012). welchem Patienten besteht dringender
Interventionsbedarf? Begründung?
8. Welche Sauerstoffkonzentration lässt sich
Fragen zur Wissensüberprüfung bei der O2-Insufflation maximal erreichen,
1. Erläutern Sie den Unterschied zwischen mit welchen Hilfsmitteln?
einer partiellen und einer globalen 9. Interpretieren Sie die folgende Gasanalyse:
respiratorischen Insuffizienz. pH 7,22, paO2 95 mmHg, pCO2 63 mmHg,
2. Wie lässt sich pathophysiologisch erklären, BE –3, HCO3 27,7 mmol/l.
dass Patienten mit einer COPD einen 10. Recherchieren Sie, welchen Einfluss
erhöhten Kohlendioxidgehalt im Blut Kohlenmonoxid (CO) auf die Pulsoxymetrie
haben? haben kann.
50 Kapitel 3 · Unterstützung und Förderung der Atmung

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51 4

Akut- und Grenzsituationen


D. Wengert

4.1 Allgemeine Handlungsstrategien in Akutsituationen – 52

4.2 Sicherung der Atemwege – 52

4.3 Störungen der Herz-Kreislauf-Situation – 54


4.3.1 Schock und Schockformen – 55
4.3.2 Akutes Koronarsyndrom/Myokardinfarkt – 59
4.3.3 Herzinsuffizienz – 60
4.3.4 Hypertensive Krise/Hypertensiver Notfall – 61
4.3.5 Lungenembolie – 62
4.3.6 Lungenödem – 63
4.3.7 Kardiopulmonale Reanimation – 63

4.4 Störungen des Stoffwechsels – 66


4.4.1 Hypo- und Hyperglykämie – 67
4.4.2 Akutes Abdomen – 68

4.5 Grenzsituationen – 68
4.5.1 Akutsituationen als existenzielle Bedrohung – 69
4.5.2 Aspekte von Palliative Care – 70

Literatur – 72

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_4
52 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

Bei der Betreuung von Patienten auf einer Inter- Bedürfnisse der Station angepasste Notfallausrüs-
mediate-Care-Station werden wir häufig mit tung, die schnell griffbereit ist und mit deren Inhalt
Akutsituationen konfrontiert, die für den Patien- jeder Mitarbeiter vertraut ist, ermöglicht ein schnel-
ten mit einer lebensbedrohlichen vitalen Gefähr- les und sicheres Handeln.
dung einhergehen. Im ersten Teil dieses Kapitel
sollen neben allgemeinen Handlungsstrategien in Schulung und Fortbildung Schulungen und Fortbil-
Akutsituationen die Atemwegssicherung und die dungen im Team fördern fachlich kompetente Hand-
relevantesten Krankheitsbilder in Bezug auf die lungsabläufe. Sie geben Sicherheit im Umgang mit
4 Herz-Kreislauf-Funktion und den Stoffwechsel, den Akutsituationen. Bestehende Handlungsstrate-
die eine solche akute Situation hervorrufen, darge- gien können eingeübt, reflektiert und ggf. aktuali-
stellt und Handlungsstrategien aufgezeigt werden. siert werden.
Akutsituationen führen jedoch auch immer zu
Grenzerfahrungen und werden von Patienten und
deren Angehörigen häufig als existenzielle Bedro- 4.2 Sicherung der Atemwege
hung wahrgenommen. Des Weiteren müssen wir
uns in kritischen Grenzsituationen auch mit dem Die Sicherung der Atemwege ist im Rahmen der
Thema Tod und Sterben auseinandersetzen. Diese Notfallmedizin eine elementare Maßnahme. In den
Aspekte sollen in einem zweiten Teil aufgezeigt S1-Leitlinien zum Atemwegsmanagement werden
werden. 4 Ebenen der Atemwegssicherung unterschieden,
wobei die endotracheale Intubation bei maschinel-
ler Beatmung als Goldstandard gilt:
4.1 Allgemeine Handlungsstrategien 55 Unterstützte oder kontrollierte Beatmung
in Akutsituationen mittels einer Gesichtsmaske
55 Verwendung extraglottischer Atemwegshilfen
Hilfe anfordern Akute Notfälle erfordern ein wie z. B. Larynxmaske, Larynxtubus
schnelles, koordiniertes Handeln. Viele Maßnahmen 55 Endotracheale Intubation
müssen parallel durchgeführt werden (Information 55 Translaryngealer/transtrachealer Zugang
des Arztes, Patientenüberwachung, Vorbereitung (Piepho et al. 2015)
von Medikamenten). Je schneller und früher ein-
zelne Maßnahmen eingeleitet werden, desto gerin- Die wichtigsten Indikationen für eine Intubation
ger ist die Morbiditäts- und Mortalitätsrate. In jeder in der Notfallmedizin sind die zunehmende res-
Akutsituation muss von daher sofort Unterstützung piratorische Insuffizienz (7 Kap. 3), der Schutz vor
angefordert werden. Ebenso wichtig ist die sofortige Aspiration bei fehlenden und/oder eingeschränk-
Benachrichtigung des Arztes. ten Schutzreflexen z. B. im Rahmen einer neurolo-
gischen Eintrübung, das Freihalten der Atemwege
Koordination der Tätigkeiten Alle durchzuführen- bei zunehmender Schwellung im Larynxbereich bei
den Tätigkeiten müssen gut koordiniert werden. Auf- z. B. ausgeprägter Anaphylaxie und der Herz-Kreis-
gaben müssen in Notfallsituationen klar aufgeteilt lauf-Stillstand (Schäfer et al. 2011). Dabei unter-
werden, um einen reibungslosen Ablauf zu gewähr- scheidet sich die Notfallintubation in vielerlei Hin-
leisten. Hilfreich hierfür kann die Erarbeitung von sicht von einer geplanten Intubation. Viele Patienten
Algorithmen sein. weisen bei Indikationsstellung „Intubation“ bereits
respiratorische und kardiale Probleme in Form einer
Algorithmen/Notfallmanagement Algorithmen für Hypoxämie und/oder Hyperkapnie sowie Hypoto-
die verschiedenen Notfallsituationen bieten jedem nie und Tachykardie auf. Eine Notfallintubation birgt
Mitarbeiter im Team eine klare Handlungsstruk- auch immer die Gefahr der Aspiration und gilt als
tur. Dadurch können Unsicherheiten vermieden Indikation für eine „rapid sequence intubation“, auch
werden. Die Fehlerquellen können durch ein struk- Ileuseinleitung oder Blitzintubation genannt (Kill u.
turiertes Vorgehen minimiert werden. Eine auf die Kratz 2010).
4.2 · Sicherung der Atemwege
53 4
z Vorbereitung des Patienten Führungsstab In den meisten Fällen erfolgt die
Trotz Akutsituation sollte der Patient über die bevor- Notfallintubation mit einem Führungsstab, welcher
stehende Maßnahme informiert werden. Um die vor der Intubation in den Tubus eingeführt wird.
Hypoxiegefahr zu vermeiden und die Apnoetole- Vor Einführen des Führungsstabs muss die Tubus-
ranz zu optimieren, erfolgt eine Präoxygenierung. innenwand mit einem Gleitmittel versehen werden.
Bei einer nichtinvasiven Ventilations(NIV)-The- Der Führungsstab darf nicht über die Tubusspitze
rapie wird diese mit 100% Sauerstoff fortgeführt. hinweg eingeführt werden, um Verletzungen zu
Alternativ erhält der Patient eine Sauerstoffmaske vermeiden.
(mit Reservoirbeutel und einem Flow von10 l/min).
Eine SpO2 (Sauerstoffsättigung im peripheren Blut) Laryngoskop Millerspatel (gebogener Spatel) in der
von >90% ist anzustreben. Sollte dies nicht mit den Regel in Größe 3 bei normalen Erwachsenen. Für
oben genannten Maßnahmen möglich sein, muss einen eventuellen schwierigen Atemweg ggf. McCoy-
der Patient mittels Handbeatmungsbeutel manuell Spatel. Dieser Spatel verfügt über eine bewegliche
beatmet werden. Hierbei ist zum einen darauf zu Spitze, welche über einen Hebel angehoben werden
achten, dass der Handbeatmungsbeutel mit einem kann (. Abb. 4.1). Das Laryngoskop muss vor der
Reservoirbeutel versehen und an den Sauerstoff Intubation auf Funktionstüchtigkeit hin überprüft
angeschlossen ist, zum anderen, dass der Beat- werden.
mungsdruck möglichst niedrig gehalten wird, um
eine Aspiration zu vermeiden. Optimalerweise Weitere Materialien Weiterhin werden benötigt:
erfolgt die Präoxygenierung in Oberkörperhochla- eine Blockerspritze (10 ml), ein Gleitmittel, ein Ste-
gerung. Bei liegender Magensonde sollte der Mage- thoskop und Fixiermaterialien (. Abb. 4.2). Um im
ninhalt abgesaugt werden. Die Überwachung des Falle einer Aspiration oder bei eingeschränkter Sicht
Patienten erfolgt monitorgesteuert und umfasst die durch Sekretverlegung schnell handeln zu können,
Herzfrequenz, den Blutdruck (invasiv oder nich- muss eine laufende, funktionstüchtige Absaugung
tinvasiv) und die Sauerstoffsättigung. Bei nichtin- mit konnektiertem Absaugkatheter bereitstehen.
vasiver Blutdruckmessung muss das Messintervall Zur manuellen Maskenbeatmung werden eine Beat-
angepasst werden, um einen Blutdruckabfall nach mungsmaske, ein Handbeatmungsbeutel sowie ein
Narkoseinduktion frühzeitig zu erkennen und zu Güdeltubus bereitgehalten (. Abb. 4.3).
behandeln. Um eventuelle Intubationsschwierigkei-
ten vorherzusehen, sollten folgende Faktoren begut- z Medikamente zur Intubation
achtet werden: 55 Analgosedierung:
55 Verletzungen, krankheitsbedingte Verän- 44Opioid (Sufentanil, Alfentanil, Fentanyl)
derungen oder Voroperationen im Mund-, 44Schnell wirksames Hypnotikum, z. B.
Nasen- und Rachenbereich (Tumoren, Propofol oder Thiopental
Bestrahlung, Struma, hoher gewölbter 44Schnell wirksames Muskelrelaxans, z. B.
Gaumen) Rocuronium
55 Vorstehende Schneidezähne 55 Notfallmedikamente:
55 Verminderte Mundöffnung 44Adrenalin, Noradrenalin (1:10, 1:100)
55 Kurzer dicker Hals 44Atropin
55 Eingeschränkte Reklination (Piepho et al. 2015) 44Ggf. Antiarrhythmikum

z Vorbereitung der Materialien z Durchführung der Intubation


Endotrachealtubus In der ermittelten Größe plus 55 Optimierung der Patientenlagerung und
jeweils eine Nummer größer und kleiner. Die Größe der Sichtverhältnisse (ggf. Absaugen, Kopf
des Endotrachealtubus wird in ID angegeben und in Schnüffelposition bei nicht nüchternen
beträgt bei Frauen 7,0–8,0 und bei Männern 7,5–8,5. Patienten ggf. Oberkörperhochlagerung)
Der Tubuscuff wird vor der Intubation auf Dichtig- 55 Verabreichung der Medikamente nach
keit überprüft. Arztangaben
54 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

a b

. Abb. 4.1a,b McCoy-Spatel

55 Bei nicht nüchternen Patienten keine Zwischen- Die Larynxmaske besteht aus einem flexib-
beatmung (nur wenn SpO2-Abfall <90%) len, transparenten Kunststoffschlauch, an dessen
55 Durchführung der Laryngoskopie: unterem Ende sich ein ovales Luftkissen zur Blo-
44Öffnen des Mundes im Kreuz- oder ckung befindet. Die Auswahl der Größe erfolgt nach
Spreizgriff Gewicht und beträgt bei Frauen 3–4, bei Männern
44Übergabe des Laryngoskops (Spatel 4–5. Das Einführen der Larynxmaske erfolgt ohne
eingerastet) Laryngoskopie. Die Patientenlagerung erfolgt wie bei
44Visualisierung der Glottis der Intubation. Nach Öffnen des Mundes wird die
44Bei Problemen: Larynxmaske blind am harten Gaumen entlang vor-
–– Optimierung der Lagerung geschoben, wobei die Spitze im Bereich des oberen
–– Ggf. Lippe „weghalten“ ösophagealen Sphinkters zu liegen kommt. Nach
–– BURP („backward, upward and rightward erfolgreicher Platzierung der Larynxmaske wird
pressure“): Kehlkopf mit leichtem Druck diese der Größe entsprechend geblockt (Größe 3 bis
zur rechten Seite nach oben/unten zu 20 ml, Größe 4 bis zu 30 ml, Größe 5 bis zu 40 ml)
bewegen (Hildebrand u. Motsch 2007).
–– Wechsel des Laryngoskopspatels (McCoy) Der Larynxtubus und der Kombitubus werden
–– Ggf. alternative Atemwegshilfen (Larynx- ebenfalls blind am harten Gaumen entlang eingeführt.
tubus, Larynxmaske, Videolaryngoskop) Beide Tuben haben jeweils 2 Blockmanschetten, wobei
55 Anreichen des Tubus die untere im Ösophagus und die obere im Rachen-
55 Wenn der Tubus eingeführt ist, raum zu liegen kommt. Zwischen den beiden Block-
44Führungsstab entfernen manschetten befindet sich eine Öffnung, worüber
44Tubus blocken der Patient ventiliert werden kann. Nach regelhafter
44Überprüfung der korrekten Tubuslage Positionierung erfolgt die Blockung entsprechend der
44Auskultation (im Notfall immer erst über Größe. Der Larynxtubus darf während des Blockens
der Magengegend) nicht festgehalten werden, da er sich im Rachen noch
44Fixierung des Tubus einmal positioniert (Knipfler u. Kochs 2012)

z Extraglottische Atemwegshilfen
Die Larynxmaske, der Larynxtubus und der Kom- 4.3 Störungen der Herz-
bitubus sind im Rahmen der notfallmäßigen Atem- Kreislauf-Situation
wegshilfe bei Intubationsschwierigkeiten Hilfsmittel
von hoher Priorität (Larsen 2012). Alle genannten Eine akute Beeinträchtigung der Herz-Kreislaufsitu-
Atemwegshilfen sind in verschiedenen Größen ation stellt eine häufige Notfallsituation dar. Sie führt,
erhältlich. bedingt durch Einschränkung der Herzfunktion
4.3 · Störungen der Herz-Kreislauf-Situation
55 4

. Abb. 4.2 Materialien zur Intubation

auch immer zu einer Minderperfusion der Organe. Zu Beginn eines Schockgeschehens reagiert der
In der Folge kommt es zu einem eingeschränkten Körper mit einer Reihe von Kompensationsme-
Sauerstoff- und Substratangebot sowie einer Anhäu- chanismen mit dem Ziel, die Durchblutung der
fung von Metaboliten. Ursachen von Störungen der lebenswichtigen Organe (Herz, Lunge und Gehirn)
Herz-Kreislauf-Funktion sind Schock, Herzinsuf- aufrechtzuerhalten. Durch Aktivierung des sympa-
fizienz, das akute Koronarsyndrom, die hyperten- thischen Nervensystems und der damit verbundenen
sive Krise, Lungenödem und Lungenembolie sowie Ausschüttung endogener Katecholamine kommt es
Herzrhythmusstörungen. anfangs zu einer Stimulierung der Atmung und der
Herz-Kreislauf-Funktion. Das Herzminutenvolu-
men wird durch den Anstieg der Herzfrequenz und
4.3.1 Schock und Schockformen die Zunahme der Kontraktionskraft gesteigert. Die
afferenten Arteriolen in den weniger lebenswichti-
Der Schock ist immer eine lebensbedrohliche Situ- gen Gefäßgebieten kontrahieren, ebenso die venösen
ation für den Patienten. Auf der Basis unterschied- Gefäße, wodurch es zu einer Steigerung des periphe-
licher Ursachen kommt es zu einer kritischen ren Gefäßwiderstandes, des arteriellen Blutdrucks
Abnahme der Organdurchblutung und somit zu und des venösen Rückstroms kommt. Durch die Zen-
einem schweren Sauerstoffmangel der Gewebe tralisation wird das intravaskuläre Volumen durch
(Larsen 2012). den Einstrom von interstitieller Flüssigkeit aus den
Je nach auslösender Ursache werden folgende Geweben gesteigert. Bedingt durch die Zentralisation
Schockformen unterschieden: kommt es jedoch auch zu einer Gewebehypoxie mit
55 Hypovolämer Schock vermehrtem Anfall saurer Substanzen (Larsen 2012).
55 Kardialer Schock Im späteren Verlauf kommt es zu einer Dekompen-
55 Septischer Schock sation mit Hypotonie, Tachykardie, kaltschweißiger,
55 Neurogener Schock blasser Haut, Bewusstseinseintrübung und vermin-
55 Anaphylaktischer Schock derter Urinproduktion (Ziegenfuß 2014).
56 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

. Abb. 4.3 Handbeatmungsbeutel mit Maske und Güdeltubus

z Hypovolämer Schock 55 Stabilisierung der Herz-Kreislauf-Situation


Beim hypovolämen Schock wird die verminderte 55 Blutstillung
Organperfusion durch einen intravasalen Volumen- 55 Volumentherapie
mangel hervorgerufen. Ursachen hierfür können 55 Ggf. Katecholamine zur Unterstützung der
sein: Kreislaufstabilisierung
55 Blutverluste (Traumen, Operationen, gastroin- 55 Ggf. Intubation und Beatmung
testinale Blutungen) 55 Ggf. Azidosekorrektur (im Schock liegt fast
55 Plasmaverluste (Verbrennungen) immer eine metabolische Azidose vor 7 Kap. 3)
55 Pankreatitis
55 Wundhöhlen, Drainageverluste z Kardialer Schock
55 Wasserverluste (Erbrechen, Aszites, Diarrhö, Der kardiogene Schock wird durch eine Funktions-
Diabetes) störung des Herzens ausgelöst. Die Ursachen können
sein:
Symptome 55 Myokardial (Herzinfarkt, Ischämie, Kardi-
55 Hypotonie omyopathie, Myokarditis)
55 Tachykardie 55 Mechanisch (Funktionsstörung der Klappen,
55 Feuchte, kalte, blasse Haut Spannungspneumothorax, Lungenembolie)
55 Agitiertheit 55 Rhythmogen (ventrikuläre Tachykardien,
55 Tachypnoe bradykarde Rhythmusstörungen)
55 Hyperventilation
55 Ggf. Exsikkosezeichen Symptome
55 Hypotonie
Therapie 55 Meist Tachykardie
55 Sauerstoffgabe 55 Evtl. Halsvenenstauung
4.3 · Störungen der Herz-Kreislauf-Situation
57 4
55 Bewusstseinseintrübung oder Agitiertheit z Anaphylaktischer Schock
55 Kaltschweißige, blasse Haut, Zyanose Die Ursache des anaphylaktischen Schocks ist eine
55 Oligurie ausgeprägte allergische Reaktion.
55 Evtl. Thoraxschmerzen Durch Freisetzung von Mediatorensubstanzen
55 Todesangst (Histamin, Serotonin, SRS-A [„slow reacting subs-
tance of anaphylaxis“]) kommt es zu einer Steigerung
Therapie der Kapillarpermeabilität und einer Flüssigkeitsver-
55 Sauerstoffgabe schiebung nach extrazellulär, mit Abfall des Herz-
55 Kreislaufstabilisierung zeitvolumens und des arteriellen Blutdrucks. Durch
55 Ggf. Intubation schnelles Auftreten eines Ödems im Hypopharynx
55 Analgesie (Morphin) und Larynx kommt es zu einer akuten Erstickungs-
55 Sedierung und Anxiolyse gefahr (Larsen 2012).
55 Korrektur der Elektrolyt- und Säure-Basen-Stö- Zu den wichtigsten auslösenden Ursachen
rungen (Fresenius u. Heck 2007) gehören Medikamente wie Antibiotika, Hypno-
tika, Opioide, Benzodiazepine, aber auch kolloidale
z Septischer Schock Lösungen und Latex.
Sepsis und septischer Schock sind komplexe Gesche-
hen auf der Grundlage einer generalisierten systemi- Symptome
schen Entzündungsreaktion mit einer hohen Mor- 55 Blutdruckabfall
talitätsrate. Im Zusammenhang mit der Sepsis steht 55 Tachykardie
eine Vielzahl von Begrifflichkeiten, die zum besseren 55 Hauterscheinungen wie Flush oder Erythem
Verständnis kurz erörtert werden sollten (. Tab. 4.1). 55 Luftnot, Atemwegsobstruktionen
Die frühzeitige Erkennung der Sepsis und die 55 Übelkeit, Erbrechen, Durchfall
sofortige Einleitung der Therapie sind die wichtigs- 55 Schwindel, Verwirrtheit
ten Faktoren zur Reduzierung der sepsisbeding-
ten Mortalitätsrate. Dabei geben folgende klinische Therapie
Zeichen einen wichtigen Hinweis auf die Entstehung 55 Sauerstoffgabe
einer Sepsis: 55 Zufuhr der Triggersubstanz sofort beenden
55 Tachykardie 55 Adrenalin
55 Hypotonie 55 Volumentherapie
55 Heiße, trockene oder kühle, blasse, livide Haut 55 Atemwege freihalten und sichern, ggf.
55 Tachypnoe Intubation
55 Fieber 55 Kortikosteroide (Fresenius u. Heck 2007)
55 Ödembildung
55 Abgeschlagenheit z Neurogener Schock
55 Vigilanzminderung Der neurogene Schock wird durch funktionelle oder
55 Verwirrtheit (Knipfler u. Kochs 2008) organische Störungen im zentralen Nervensystem
ausgelöst, hierbei kommt es zu einer Störung der
Therapie Die Basistherapie besteht in: nervalen Kontrolle der Kreislaufregulation, welche
55 Kreislaufstabilisierung (Volumen als zu einer generalisierten Vasodilatation führt. Der
Erstmaßnahme, Katecholamine nur, wenn die neurogene Schock tritt bei schweren neurologi-
Volumentherapie nicht ausreicht) schen oder neurochirurgischen Krankheitsbildern
55 Sauerstofftherapie und Sicherstellung der auf (Larsen 2012). Hauptursachen können sein:
Atmung 55 Hirnstammischämie
55 Blutkulturen 55 Intoxikation mit zentral wirksamen Substanzen
55 Antibiotikatherapie 55 Entzündliche Hirnstammprozesse
55 Herdsanierung (7 Kap. 8) 55 Stark erhöhter Hirndruck
58 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

. Tab. 4.1 SIRS, Sepsis, septischer Schock. (Aus Larsen 2012)

Schnelles Erkennen • Verwirrtheit


der Sepsis → • systolischer Blutdruck ≤100 mmHg
Sepsisverdacht / • Atemfrequenz >22/min
Quick SOFA (qSOFA)
Sepsis Eine Sepsis ist eine lebensbedrohliche Organdysfunktion aufgrund einer fehlregulierten
Körperantwort auf eine Infektion, die dabei den körpereigenen Geweben und Organen schadet.

4 Organdysfunktion Eine Organdysfunktion kann durch eine Zunahme von ≥2 Punkten im SOFA-Score aufgrund
einer Infektion erkannt werden.
SOFA-Score • paO2/FiO2 ratio (Horowitz index)
(Sequential [Sepsis • Glasgow Coma Skala
related] Organ • Mittlerer arterieller Blutdruck
Failure Assessment • Gabe von Vasopressoren
Score) • Serumkreatinin oder Urinausscheidung
• Bilirubin
• Thrombozytenzahl
Septischer Kreislaufreaktion +zelluläre und metabolische Veränderungen sind so tiefgreifend, dass das
Schock Sterberisiko deutlich erhöht ist.
Klinische Kriterien
→ persistierende Hypotension, bei der Vasopressoren eingesetzt werden müssen,
um einen mittleren arteriellen Druck von ≥65 mmHg zu erreichen
→ Anstieg der Laktatkonzentration >2 mmol/l trotz ausreichender Flüssigkeitszufuhr

Symptome Patient intubiert werden. Die Überwachung der


55 Plötzlicher Blutdruckabfall Atmung erfolgt mittels
55 Bradykardie 55 Krankenbeobachtung (Atemfrequenz,
55 Blasse, warme und trockene Haut Atemrhythmus, Atemtiefe, Atemtyp)
55 Bewusstseinseintrübung 55 Pulsoxymetrie
55 Verlust von spinalen Reflexen 55 Blutgasanalyse

Therapie Aufgrund der Gewebehypoxie und der dadurch


55 Sauerstoffgabe, ggf. Intubation und Beatmung bedingten anaeroben Stoffwechselsituation entwi-
55 Stabilisierung der Herz-Kreislauf-Funktion ckeln fast alle Patienten im Schock eine metaboli-
durch Volumensubstitution und Katecholamine sche Azidose, welche der Körper respiratorisch zu
55 Osmotherapie zur Hirndrucksenkung kompensieren versucht. Je nach Ausmaß der Azidose
(Fresenius u. Heck 2007) erfolgt ein medikamentöser Ausgleich, um eine res-
piratorische Erschöpfung und Dekompensation zu
z Pflege- und Überwachungsschwerpunkte vermeiden (7 Kap. 3).
Der Schock stellt für den Patienten eine lebensbe- Eine atemunterstützende Lagerung und die
drohliche Situation dar. Um eine frühzeitige und effi- Durchführung atemtherapeutischer Maßnahmen
ziente Behandlung des Schocks einzuleiten, ist eine sind bei spontan atmenden Patienten obligat.
Früherkennung von existenzieller Bedeutung. Die
gezielte Überwachung der Patienten hat höchste Pri- Mobilität Vasokonstriktion, Gewebehypoxie
orität. Neben der Akuttherapie und der kontinuier- und Ödemneigung begünstigen in einem starken
lichen Überwachung stehen folgende pflegerische Maße die Entstehung eines Dekubitus und einer
Schwerpunkte im Vordergrund. Thrombose. Eine gezielte, regelmäßige Positio-
nierung, Druckentlastung und Hautpflege sind
Atmung Jeder Patient im Schock erhält Sauer- von essenzieller Bedeutung. Erhält der Patient
stoff. Bei unzureichender Spontanatmung muss der zur Kreislaufunterstützung Katecholamine, so
4.3 · Störungen der Herz-Kreislauf-Situation
59 4
wird die Vasokonstriktion verstärkt. Jeder Patient Veränderungen der Gefäße kommt es zu Verengung
im Schock erhält eine gezielte Beobachtung und und Versteifung der Koronararterien, zu einer Min-
Pflege der Haut (Temperatur, Farbe, Durchblu- derperfusion des Myokards und somit zu einem
tung). Hände und Füße werden ggf. durch Watte- Sauerstoffmangel.
handschuhe/Socken gewärmt, die Fußpulse über- Die Symptome äußern sich charakteristischer-
prüft. Die Durchführung der Thromboseprophy- weise in thorakalen Schmerzen, mit Ausstrahlung
laxe beinhaltet die medikamentösen und die pfle- in den linken Arm, krampfartigem Engegefühl in
gerischen Aspekte ( 7 Kap. 9), besonders die der der Brust, Dyspnoe, Todesangst, Schwitzen, Übel-
Mobilisation. keit und Erbrechen.

Körperpflege Immobilität und Ödembildung Differenzierung des akuten Koronarsyndroms


beeinflussen das Körperbild des Patienten. Die Kör- 55 Instabile Angina pectoris: typische klinische
perpflege erfolgt wahrnehmungsfördernd. Beson- Symptome des ACS ohne EKG-Veränderungen
ders bei Sepsispatienten ist auf mögliche Einblu- und ohne positive Nekrosemarker (Troponin I
tungen zu achten. Durch die Ödembildung kann oder T)
es zu Lidödemen und Chemosis kommen, von 55 NSTEMI: typische klinische Symptome des
daher sollte der Augenpflege eine besondere Beach- ACS ohne EKG-Veränderungen, positive
tung geschenkt werden (Kellenhausen et al. 2000) Nekrosemarker
(7 Kap. 8). 55 STEMI: typische klinische Symptome des ACS,
ST-Strecken-Hebung, signifikante Erhöhung
Ernährung Die Ernährung des Patienten wird an der Nekrosemarker
die Stoffwechselsituation angepasst. In der Akut-
phase, während der ersten Stunden, kommt es zu Komplikationen Die aktuellen Leitlinien Reani-
einer erhöhten Katecholaminausschüttung und mation (2015) weisen darauf hin, dass das ACS die
einer Insulinresistenz, der Organismus ist auf Abbau häufigste Ursache maligner Rhythmusstörungen ist,
eingestellt, es ist keine Ernährung indiziert. In der die zum plötzlichen Herztod führen können. Hierzu
darauf folgenden Flowphase (2–4 Tage, bei schwerem zählen Kammerflimmern, extreme Bradykardien
Verlauf auch länger) werden weiterhin Eigensubst- und Asystolie. Weitere Komplikationen sind das
rate bereitgestellt, hier ist jedoch eine Steigerung der Lungenödem, die akute Herzinsuffizienz und der
Syntheseleistung durch die Zufuhr von Nährstoffen kardiogene Schock (GRC 2015).
möglich, die Ernährung erfolgt hypokalorisch. In der
letzten Phase, der Reparationsphase, wird die Ernäh- Therapie Die Therapie richtet sich nach der Diag-
rung wieder voll aufgebaut (7 Kap. 6). Die Überprü- nosestellung NSTEMI oder STEMI. Parallel zur Dia-
fung der Magen-Darm-Passage erfolgt regelmäßig gnosestellung erfolgen bei allen Formen des ACS fol-
(Fresenius u. Heck 2007). gende Sofortmaßnahmen:
55 Patienten nicht alleine lassen und beruhigen
55 Oberkörperhochlagerung (45°)
4.3.2 Akutes Koronarsyndrom/ 55 Nitrate (Nitroglycerin) zur Senkung des
Myokardinfarkt myokardialen Sauerstoffbedarfs, wenn
keine Kontraindikationen wie Hypotonie
Unter dem Begriff „akutes Koronarsyndrom“ (>90 mmHg syst.), Bradykardie (<50/min) oder
(ACS) werden die instabile Angina pectoris, der ausgeprägte Tachykardie vorliegen und der
ST-Strecken-Hebungsinfarkt (STEMI) und der Patient unter ischämischen Brustschmerzen
Infarkt ohne ST-Strecken-Hebung (Non-STEMI) leidet
zusammengefasst. Ein akutes Koronarsyndrom 55 Verabreichung von 4–6 l O2 nur bei Zeichen
geht immer mit einer kritische Minderperfusion der Hypoxie und oder Atemnot (Zielwerte
und myokardialen Sauerstoffversorgung einher der arteriellen Sauerstoffsättigung 94–98%,
und entsteht auf der Basis einer koronaren Herzer- bei chronisch-obstruktiver Lungenkrankheit
krankung. Durch zunehmende arteriosklerotische (COPD) 88–92%)
60 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

55 Opiate, Morphin, als Analgetikum der Wahl. Bei Sätzen wie „Sie brauchen keine Angst zu haben!“
Piritramid bei kardiozirkulatorisch instabilen oder „Es wird nicht wehtun“ wird der Patient auf-
Patienten grund eingeschränkter Abstraktion lediglich die
55 Beginn der gerinnungshemmenden Therapie Signalworte „Angst“ und/oder „wehtun“ wahrneh-
zur Vermeidung einer zunehmenden Throm- men. Alternative Formulierungen wie „Wir werden
bosierung mit Acetylsalicylsäure (ASS) und gut auf Sie aufpassen und alles tun, damit es Ihnen
Heparin gut geht“ oder „Es kann sein, dass Sie es spüren, das
55 Bei Diagnosestellung STEMI sollte die Rekana- wäre ganz normal“ können dem Patienten Sicher-
4 lisierung schnellstmöglich erfolgen (Ziegenfuß heit und Vertrauen vermitteln. Eine weitere Mög-
2014, Brock et al. 2014; GRC 2015). lichkeit, dem Patienten Sicherheit und Vertrauen zu
vermitteln, bietet der „safe place“, ein Ort des Rück-
z Pflege- und Überwachungsschwerpunkte zugs, der inneren Ruhe. Fragen wie „Sicherlich gibt
55 In der Akutphase des ACS stehen die Überwa- es einen Ort, an dem Sie jetzt lieber wären als hier?“
chung und die psychische Betreuung des oder „An welchen Ort denken Sie besonders gerne?“
Patienten im Vordergrund. können dem Patienten helfen, diesen Ort für sich als
Möglichkeit der Entspannung zu entdecken. Hierbei
Monitoring sollte die Vorstellungskraft des Patienten mit weite-
55 Herzfrequenz und Herzrhythmus ren Fragen nach z. B. Geruch oder Farben des Lieb-
55 Blutdruck nicht invasiv/invasiv lingsortes gefördert werden. Je intensiver der Patient
55 Pulsoxymetrie/Atmung seinen Lieblingsort spürt, desto intensiver ist die Ent-
55 Temperatur spannung (Hansen u. Bejenke 2010).
55 Neurologie: Bewusstsein, Pupillen, Motorik:
Insbesondere bei Lysetherapie besteht eine Körperpflege und Prophylaxen In der Akutphase
akute Blutungsgefahr haben die Patienten absolute Bettruhe. Die Körper-
55 Schmerzen pflege erfolgt durch das Pflegepersonal, eine beruhi-
55 Magen-Darm-Passage: Der Patient darf gende Ganzkörperwaschung kann Vertrauen auf-
sich auf keinen Fall bei der Defäkation bauen und für den Patienten entspannend wirken,
anstrengen. ebenso die Verwendung eigener Pflegeartikel und die
Berücksichtigung der Patientengewohnheiten und
Psychische Betreuung/Kommunikation Patienten -wünsche. Generell gilt es auch bei der Körperpflege
mit einem ACS befinden sich in einem Ausnahme- jegliche Art von Stress zu vermeiden. Bei auftreten-
zustand. Das Krankheitsbild ist geprägt von Todes- den Beschwerden oder Aufregung im Rahmen der
angst. Eine solche Extremsituation führt zu einer Pflegemaßnahmen werden diese sofort unterbro-
erhöhten Aufmerksamkeit und Empfänglichkeit chen. Bedingt durch die Immobilisierung müssen
für Suggestionen. Patienten nehmen ihre Umge- insbesondere folgende Prophylaxen durchgeführt
bung und alles, was für sie von Bedeutung ist, kon- werden: Pneumonie-, Thrombose-, Dekubitus- und
zentrierter wahr. Negativsuggestionen wie z. B. die Obstipationsprophylaxe (Bolanz et al. 2008; Knipfer
Aussage „Es kann wehtun“, können in dieser Situ- u. Kochs 2012).
ation Schmerzen und Angst verstärken und somit
Stress hervorrufen, welcher wiederum negative Aus-
wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System hat. Der 4.3.3 Herzinsuffizienz
hypnotische Kommunikationsansatz kann ein hilf-
reiches Instrument sein, den Patienten vor Angst, Als Herzinsuffizienz wird ein Zustand bezeichnet, in
Stress, Schmerzen und Nebenwirkungen zu schüt- dem das Herz nicht mehr in der Lage ist, den Orga-
zen. Bei dieser Art der Kommunikation geht es nismus mit Blut zu versorgen. Die auslösenden Ursa-
darum, dem Patienten durch Positivsätze Angst zu chen sind vielfältig, wobei kardiale Erkrankungen bei
nehmen und negative Suggestionen zu vermeiden. der Entstehung eine wesentliche Rolle spielen.
4.3 · Störungen der Herz-Kreislauf-Situation
61 4
Das klinische Bild der Linksherzinsuffizienz zeigt 4.3.4 Hypertensive Krise/
sich anfangs in einer Belastungsdyspnoe, die später Hypertensiver Notfall
in eine Ruhedyspnoe übergehen kann. Grund hierfür
ist das durch die eingeschränkte linksventrikuläre Definition Als hypertensive Krise wird ein plötz-
Funktion entstehende interstitielle Lungenödem. lich auftretender kritischer Blutdruckanstieg
(>230/120 mmHg) ohne Zeichen einer hypertensi-
Symptome Weitere Symptome sind: ven Organschädigung bezeichnet. Bei einem hyper-
55 Stauungsbronchitis tensiven Notfall treten im Zusammenhang mit dem
55 Auskultatorische basale Rasselgeräusche des kritisch erhöhten Blutdruck immer Zeichen einer
Thorax und Tachykardie Organschädigung auf (Ziegenfuß 2014).

Bei Dekompensation kommt es zu: Symptome Siehe . Tab. 4.2.


55 Lungenödem mit Abfall des HZV
55 Hypotonie Therapie Allgemeine Maßnahmen:
55 Oligurie 55 Sauerstoffgabe
55 Später zu kardiogenem Schock 55 Oberkörperhochlagerung
55 Ggf. leichte Sedierung
Bei der Rechtsherzinsuffizienz treten auf:
55 Periphere Ödeme Bei der hypertensiven Krise erfolgt die Therapie
55 Stauungsleber mit oralen Antihypertensiva. Der Blutdruck wird
55 Stauungsgastritis langsam gesenkt, unkontrollierte Blutdruckabfälle
55 Aszites können zu einer kardialen oder zerebralen Ischämie
55 Pleuraergüsse führen.
55 Perikardergüsse Der hypertensive Notfall stellt für den Patienten
aufgrund der Organbeteiligung immer eine lebens-
Die Therapie erfolgt in Form der Beseitigung der aus- bedrohliche Situation dar. Die Blutdrucksenkung
lösenden Ursache und symptomatisch. erfolgt auch hier langsam kontrolliert mit
55 Nitroglyzerin (Nitrolingual)
> Ein Patient mit akuter Herzinsuffizienz kann 55 Nifidipin (Adalat)
jederzeit trotz Therapie dekompensieren 55 Urapidil (Ebrantil)
und dies kann zu einem kardiogenen 55 Clonidin (Paracefan)
Lungenödem oder einem kardiogenen 55 Dehydralazin (Nepresol) (Brockmann u.
Schock führen. Rossaint 2008)

Bei einem akuten kardiogenen Lungenödem kommt z Pflege- und Überwachungsschwerpunkte


es zu einer schweren respiratorischen Insuffizienz. Im Vordergrund steht die gezielte Überwachung des
Patienten, wobei neben der kardialen Situation ein
Therapie großes Augenmerk auf die Organmanifestationen
55 Sauerstoffgabe sowie mögliche Komplikationen der medikamentö-
55 Nichtinvasive Beatmung (NIV) sen Therapie gerichtet sein muss.
55 Intubation und Beatmung bei schwerster 55 Monitoring: Blutdruck, Pulsfrequenz
respiratorischer Insuffizienz und -rhythmus
55 Atemunterstützende Lagerung 55 Atmung: Atemfrequenz, Atemtiefe,
55 Volumenentzug Atemrhythmus, Pulsoxymetrie
55 Nitrate 55 Neurologie: Bewusstsein, Motorik,
55 Kreislaufstabilisierung ggf. Katecholaminthe- Pupillen
rapie (Knipfer u. Kochs 2012) 55 Bilanzierung
62 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

Symptome Die klinischen Symptome variie-


. Tab. 4.2 Hypertensive Krise. (Nach Brockmann u.
Rossaint 2008) ren sehr stark und werden in der Regel durch
den Schweregrad des embolischen Geschehens
Organmanifestation Symptome bestimmt. Klinisch können Dyspnoe und Tachy-
pnoe sowie thorakale Schmerzen, Husten und
Zerebral
Hämoptysen auftreten. Aufgrund der Verlegung der
Enzephalopathie Kopfschmerzen Lungenstrombahn kommt es zu Oxygenierungsstö-
Blutungen Sehstörungen
rungen. Kardiozirkulatorisch können Tachykardie
4 Infarkt Schwindel
Übelkeit, Erbrechen und Hypotension beobachtet werden (Ziegenfuß
Vigilanzstörungen 2014).
Krampfanfälle, In der Blutgasanalyse findet sich in der Regel ein
Paresen nicht erklärbarer Abfall des arteriellen Sauerstoff-
Kardial partialdrucks (paO2) und Anstieg des arteriellen
Angina pectoris Thoraxschmerzen Kohlendioxidpartialdrucks (paCO2). Bei spontan
Akutes Koronarsyndrom Herzrhythmusstörungen atmenden Patienten kann es zu einem starken Abfall
Herzinsuffizienz Atemnot der pulsoxymetrisch gemessenen Sauerstoffsätti-
Lungenödem Schocksymptomatik
gung kommen. Der zentrale Venendruck (ZVD)
Renal kann abrupt ansteigen, die Halsvenen sind gestaut
Niereninsuffizienz Oligurie (Walther et al. 2009).
Anurie
Proteinurie > Die häufigste Ursache einer plötzlich
Hämaturie
auftretenden Dyspnoe mit Thoraxschmerzen,
Okulär
insbesondere im Zusammenhang mit einer
Retinopathie Papillenödem Mobilisation oder körperlichen Anstrengung,
Netzhautblutungen ist eine Lungenembolie.
Schwangerschaft
Präeklampsie, Eklampsie, Vigilanzstörungen Zur Eruierung der Wahrscheinlichkeit einer Lun-
HELLP-Syndrom Proteinurie genembolie eignet sich der Well-Score (Deutsche
Ödeme Gesellschaft für Kardiologie 2014) (. Tab. 4.3).
Krampfanfälle

Therapie Die Sofortmaßnahmen und die Therapie


orientieren sich an dem Schweregrad der Embolie.
Pflegerische Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, Bei Hochrisiko-Lungenembolien (Schock oder
jegliche Art von Stress zu vermeiden und entspre- persistierende Hypotension) erfolgt die Therapie,
chen im Wesentlichen denen des ACS. nach Diagnosesicherung und neben der Herz-Kreis-
lauf-Stabilisierung, mittels Thrombolyse oder Embo-
lektomie. Bei normotensiven Patienten erfolgt die
4.3.5 Lungenembolie Antikoagulation mit einem niedermolekularen
Heparin (Ziegenfuß 2014).
Bei einer Lungenembolie kommt es zu einem teil-
weisen oder kompletten Verschluss der Lungen- z Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
strombahn mit Thromben und dadurch bedingt in der Akutphase
zu Störungen des Gasaustausches und der Hämo- 55 Sauerstoffgabe, bei starker respiratorischer
dynamik. Die Lungenembolie wird meist durch Insuffizienz Intubation und Beatmung
Phlebothrombosen der tiefen Bein- und Becken- 55 Immobilisierung des Patienten und
venen hervorgerufen. Die Risikofaktoren entspre- Oberkörperhochlagerung
chen denen einer Thrombose (Brockmann u. Ros- 55 Intensive Überwachung der Atmung und der
saint 2008). Herz-Kreislauf-Situation
4.3 · Störungen der Herz-Kreislauf-Situation
63 4
Das nichtkardiogene Lungenödem kann durch
. Tab. 4.3 Well-Score
bakterielle oder virale Infektionen der Lunge, als
Kriterium Punkte Folge von Inhalationstraumen, Lungenkontusion
oder Aspiration hervorgerufen werden. Weitere
Frühere Lungenembolie oder tiefe 1 Ursachen können Sepsis, Verbrennungen, Fettem-
Venenthrombose
bolie, Pankreatitis oder Polytrauma sein. Bei einem
Herzfrequenz über 100/min 1 nichtkardiogenen Lungenödem kommt es zu einer
Immobilität oder Operation in den 1 direkten Schädigung der Lungenkapillaren, dadurch
vorangegangenen 4 Wochen bedingt zu Permeabilitätsstörungen mit den Folgen
Hämoptysen 1 des Flüssigkeitsübertritts in das Interstitium und die
Aktive Krebserkrankung 1 Alveolaren (Ziegenfuß 2014).
Klinische Zeichen einer tiefen 1
Venenthrombose Symptome
Alternative Diagnose unwahrscheinlicher 1
55 Tachypnoe
als Lungenembolie 55 Husten
Auswertung
55 Zunehmende Luftnot
55 Brodelndes/rasselndes Atemgeräusch
Lungenembolie unwahrscheinlich 0–1
55 Tachykardie
Lungenembolie wahrscheinlich >2 55 Unruhe, Schweißigkeit
55 Angst
55 ggf. gestaute Halsvenen beim kardiogenen
55 Neurologische Überwachung: Motorik, Lungenödem
Vigilanz, Pupillen, Blutungsgefahr bei
Lysetherapie z Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
55 Beruhigung des Patienten (Knipfer u. Kochs in der Akutphase
2012) 55 Sauerstoffgabe
55 Oberkörperhochlagerung
Die präventiven Maßnahmen der Lungenembo- 55 Patienten beruhigen, nicht alleine
lie gleichen denen der Thromboseprophylaxe. Bei lassen
Immobilisierung sind die Übernahme der Kör- 55 Ggf. Absaugen
perpflege und die Durchführung der Prophylaxen 55 Kontinuierliche Überwachung der
obligat (7 Abschn. 4.3.2). Atmung und der Herz-Kreislauf-
Situation
55 Bilanzierung
4.3.6 Lungenödem 55 Ggf. leichte Analgesie
55 Atemtherapeutische Unterstützung, ggf.
Das Lungenödem ist durch eine Ansammlung inters- NIV (Knipfer u. Kochs 2012)
titieller und alveolärer Flüssigkeit gekennzeichnet
und geht immer mit Gasaustauschstörungen einher.
Entsprechend des Entstehungsmechanismus werden 4.3.7 Kardiopulmonale Reanimation
zwei Formen des Lungenödems unterschieden.
Das kardiogene Lungenödem entsteht auf der Der Herz-Kreislauf-Stillstand ist die schwerste
Basis einer myokardialen Insuffizienz, z. B. bei Links- Form einer vitalen Störung und erfordert immer die
herzinsuffizienz. Als Folge der Insuffizienz kommt Durchführung einer kardiopulmonalen Reanima-
es zu einem Druckanstieg im linken Vorhof und den tion. Die häufigsten Ursachen für einen Herz-Kreis-
pulmonalen Kapillaren, was wiederum dazu führt, lauf-Stillstand sind kardiovaskulär, wie:
dass vermehrt Flüssigkeit in das Lungengewebe und 55 Herzrhythmusstörungen
später in die Alveolen abgegeben wird. 55 Myokardinsuffizienz
64 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

55 Myokardinfarkt
55 Lungenembolie
55 Schock

Daneben können auch die folgenden Situationen zu


einem Herz-Kreislauf-Stillstand führen:
55 Hypoxämie
55 Hypothermie
4 55 Hypovolämie
55 Hyper- und Hypokaliämie
55 Hypokalzämie
55 Herzbeuteltamponade
55 Intoxikation
55 Thrombose
55 Spannungspneumothorax

Diese Ursachen sind reversibel und leicht


einzuprägen.
55 „4 H“: Hypoxämie, Hypothermie,
. Abb. 4.4 Lucas 2. (Mit freundlicher Genehmigung der Fa.
Hypovolämie, Hyper- und Hypokaliämie,
Physio Control)
Hypokalzämie
55 „4 HITS“: Herzbeuteltamponade, Intoxikation,
Thrombose oder Spannungspneumothorax Unterlage und mit einer hohen Qualität durchgeführt
werden. Der Druckpunkt ist in der Mitte des Brust-
Klinisch kommt es innerhalb von 10–15 s nach dem beins. Die Kompression wird mit übereinanderge-
Herzstillstand zu: legten Handballen, gestreckten Ellenbogengelenken
55 Bewusstlosigkeit und angehobenen Fingerspitzen senkrecht von oben
55 Evtl. zerebralen Krämpfen durchgeführt. Die Kompressionstiefe beträgt mindes-
tens 5 cm, die Frequenz 100–120 min, wobei darauf
Weitere Symptome sind: zu achten ist, dass es zu einer vollständigen Entlas-
55 Schnappatmung tung des Thorax nach jeder Kompression kommt. Um
55 Atemstillstand eine qualitativ hochwertige Thoraxkompression über
55 Weite, nicht reagible Pupillen einen längeren Zeitraum durchführen zu können,
55 Verändertes Hautkolorid sollte ein regelmäßiger Wechsel der Helfer erfolgen.
Mechanische Geräte zur Thoraxkompression
z Durchführung der Reanimation nach (. Abb. 4.4) sollen nicht routinemäßig angewandt
den aktuellen Leitlinien 2015 werden, können jedoch eine sinnvolle Alternative
Nach Diagnosestellung: sein, wenn die Durchführung einer hochwertigen
55 Kollabierter Patient manuellen Kompression nicht gewährleistet werden
55 Keine Reaktion kann oder die Sicherheit der Helfer einschränkt
55 Keine Atmung oder Schnappatmung (Beispiel: Fahrten während der Reanimation, lange
andauernde Reanimation). Eine Unterbrechung der
Sofort Hilfe anfordern und mit der kardiopulmona- Reanimation zur Anlage des Gerätes soll vermieden
len Reanimation im Rhythmus 30:2 beginnen. werden (GRC 2015).
Defibrillator/EKG-Monitor anschließen und
Unterbrechung minimieren. Atemspende Die Atemspende erfolgt nach den
ersten 30 Thoraxkompressionen und kann anfangs
Thoraxkompression Die Thoraxkompression mit einer Maske und einem Beatmungsbeutel durch-
soll ohne große Unterbrechungen auf einer festen geführt werden. Zur Maskenbeatmung wird der Kopf
4.3 · Störungen der Herz-Kreislauf-Situation
65 4
des Patienten überstreckt, die Maske wird fest auf
die Mund-Nasen-Partie des Patienten aufgesetzt und 44 Ggf. intravenösen Zugang legen,
mit dem C-Griff gehalten. Um in dieser Situation die bei liegendem Zugang diesen
bestmögliche Oxygenierung zu gewährleisten, sollte überprüfen
der Beatmungsbeutel mit einem Reservoirbeutel ver- 44 Atemweg/Sauerstoff sichern/überprüfen
sehen und an die Sauerstoffversorgung angeschlos- 44 Herzdruckmassage ohne Unterbrechung,
sen werden. Die Verwendung eines Guedel-Tubus wenn die Atemwege gesichert sind
kann die Maskenbeatmung erleichtern. Alternativ 44 Adrenalin alle 3–5 min verabreichen
können supraglottische Atemwegshilfen wie z. B. 44 Medikamente während der
eine Larynxmaske oder ein Larynxtubus verwendet Reanimation
werden (7 Abschn. 4.2). Die Inspiration erfolgt über
den Zeitraum von 1 s. Die Thoraxkompression soll
so wenig wie möglich unterbrochen werden. Zeichen Die Verabreichung von Sauerstoff in einer hohen
einer effektiven Ventilation ist das Heben und Senken Konzentration kann die Gefahr der Hypoxie ver-
des Thorax. mindern und sollte daher so früh wie möglich
erfolgen.
Defibrillation Die Defibrillation erfolgt nach Die anderen Medikamente werden intravenös
Beurteilung des Herzrhythmus. Bei pulsloser elektri- (i.v.) verabreicht. Sollte kein Zugang vorhanden bzw.
scher Aktivität oder Asystolie wird weiter im Rhyth- die Anlage unmöglich sein, so wird die intraossäre
mus von 30:2 reanimiert. Bei Kammerflimmern und Gabe der Medikamente empfohlen.
ventrikulärer Tachykardie erfolgt eine einmalige Adrenalin (Suprarenin) 1 mg (+9 ml 0,9% NaCl)
Defibrillation. wird bei Asystolie und pulsloser elektrischer Aktivi-
Bei der Defibrillation soll die Thoraxkompression tät oder bei defibrillierbarem Rhythmus nach dem
nicht länger als 5 s unterbrochen werden. Das bedeu- dritten Schock verabreicht. Solange die ventrikuläre
tet, dass der Defibrillator während der Kompression Tachykardie oder das Kammerflimmern fortbesteht,
geladen wird. Während der Auslösung des Schocks erfolgt eine Wiederholung alle 3–5 min.
darf niemand den Patienten oder das Bett berüh- Amioderon (Cordarex) 300 mg wird nach 3
ren, d. h., die Thoraxkompression wird in dieser Zeit erfolglosen Defibrillationen empfohlen. Wieder-
unterbrochen und alle an der Reanimation beteilig- holte Gabe von 150 mg i.v. bei wiederauftretenden
ten Personen treten vom Bett. Nach der Schockgabe oder schockrefraktären ventrikulären Tachykardien
(150–360 Joule biphasisch oder 360 Joule mono- oder beim Kammerflimmern.
phasisch) wird sofort wieder für 2 min mit der Tho-
raxkompression begonnen. Erst danach erfolgt eine > Atropin wird in den neuen Leitlinien nicht
erneute Rhythmuskontrolle und ggf. Defibrillation. mehr empfohlen.

Maßnahmen der kardiopulmonalen Reanima- z Atemwegssicherung


tion Während der kardiopulmonalen Reanimation Mittel der ersten Wahl im Rahmen der Atemwegssi-
werden folgende Maßnahmen durchgeführt: cherung ist der Endotrachealtubus. Für die Intuba-
tion sollte die Thoraxkompression nicht länger als
30 s unterbrochen werden. Alternativ zur endotra-
Kardiopulmonale Reanimation chealen Intubation können eine Larynxmaske, ein
44 Alle Maßnahmen vor einer notwendigen Larynxtubus oder ein Kombitubus eingesetzt werden
Unterbrechung der Kompression sind gut (Ziegenfuß 2014; GRC 2015).
zu planen
44 Reversible Ursachen des Herz-Kreis- z Exkurs Herzrhythmusstörungen
lauf-Stillstandes beheben Herzrhythmusstörungen treten bei schwerkranken
44 Elektrodenposition und Kontakte Patienten häufig auf. Die Ursachen sind vielfältig und
überprüfen stehen nicht immer im Zusammenhang mit einer
kardialen Erkrankung.
66 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

Störungen, die unterhalb des AV-Knotens Adrenalin, alternative Pharmaka oder transkutaner
liegen, werden als ventrikuläre Rhythmusstörungen Schrittmacher.
bezeichnet wie z. B.: Eine medikamentöse Therapie erfolgt ebenfalls
55 Ventrikuläre Extrasystolen bei Gefahr einer Asystolie, AV-Block II. Grades,
55 Kammertachykardie (ventrikuläre totalem AV-Block mit einem breiten QRS-Komplex
Tachykardie) oder ventrikulären Pausen >3 min.
55 Kammerflimmern Bestehen keine lebensbedrohlichen Zeichen,
55 Kammerflattern erfolgt die weitere engmaschige Beobachtung.
4
Liegt die Störung oberhalb des AV-Knotens, bezeich- z Vorgehen bei Tachykardien mit
net man sie als supraventrikulär wie z. B.: tastbarem Puls
55 Sinusbradykardie 55 Sauerstoffgabe
55 Sinustachykardie 55 EKG
55 Supraventrikuläre Extrasystolen 55 Blutdrucküberwachung
55 Vorhofflattern 55 Überwachung der Sauerstoffsättigung
55 Vorhofflimmern 55 Abklärung und Behandlung reversibler
Ursachen (z. B. Elektrolytstörungen)
Nicht alle Herzrhythmusstörungen gehen mit einer
vitalen Gefährdung einher. Bei bedrohlichen Zeichen einer Instabilität wie
Kammertachykardie, Kammerflattern, Kam- 55 Schock,
merflimmern, Kammerasystolie, elektromechani- 55 Synkope,
sche Entkopplung und ein AV-Block III. Grades ohne 55 myokardiale Ischämie oder
effizienten Kammerersatzrhythmus gelten als absolut 55 Herzinsuffizienz
lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen.
Potenziell gefährliche Herzrhythmusstörungen synchronisierte Kardioversion mit bis zu 3 Versu-
sind Vorhoftachykardie, Vorhofflattern, Vorhofflim- chen, Amiodaron (Cordarex) 300 mg i.v., ggf. weitere
mern, AV-Block II. und III. Grades. Kardioversion und Amiodaron 900 mg/24 h.
Bei stabilen Kreislaufverhältnissen erfolgt eine
z Vorgehen bei Bradykardien mit medikamentöse Therapie und fortlaufende Über-
tastbarem Puls wachung. Häufig verwendete Medikamente sind
55 Sauerstoffgabe Amiodaron, Adenosin, β-Blocker und Kalziuman-
55 EKG tagonisten wie Diltiazem, z. B. Dilzem (Ziegenfuß
55 Blutdrucküberwachung 2014).
55 Überwachung der Sauerstoffsättigung
55 Abklärung und Behandlung
reversibler Ursachen (z. B. 4.4 Störungen des Stoffwechsels
Elektrolytstörungen)
Der Stoffwechsel der Patienten wird durch vielfältige
Bei bedrohlichen Zeichen einer Instabilität wie Faktoren beeinflusst.
55 Schock, Neben den Grunderkrankungen sind zu nennen:
55 Synkope, 55 Immobilität
55 myokardiale Ischämie oder 55 Medikamente/Multipharmazie
55 Herzinsuffizienz 55 Künstliche Ernährung
55 Stress
Atropin (0,5 mg i.v.).
Sollte keine ausreichende Reaktion eintre- Die meisten Stoffwechselentgleisungen treten nicht
ten: Atropingabe bis maximal 3 mg, Isoprenalin, plötzlich auf. Durch eine adäquate laborchemische
4.4 · Störungen des Stoffwechsels
67 4
Überwachung können beginnende Störungen meist Die Letalitätsrate ist bei der zweiten Form dreimal so
frühzeitig erkannt und behoben werden. hoch wie bei Diabetes Typ 1.
Zur schnellen Diagnosesicherung bieten sich
> Massive Stoffwechselentgleisungen gehen die kapilläre Blutzuckerbestimmung und ein Urin-
nicht selten mit einer vitalen Gefahr für den schnelltest (Harnglukose stark positiv, spezifisches
Patienten einher. Uringewicht erniedrigt) an. Bei liegender arteriel-
ler Kanüle sollte die Abnahme einer Blutgasanalyse
erfolgen (metabolische Azidose, Hyperkapnie).
4.4.1 Hypo- und Hyperglykämie
Therapie
Während eine Hypoglykämie plötzlich auftritt, 55 Volumen, da sich bei einer Hyperglykämie
entwickelt sich eine Hyperglykämie in der Regel auch immer ein Volumenmangel entwickelt.
langsam. Beide gehen jedoch mit einer Veränderung 55 Blutzuckerausgleich unter strenger Überwa-
des Bewusstseins bis hin zum Koma einher. chung des Patienten. Der Blutzucker sollte
langsam gesenkt werden, da ansonsten die
z Hyperglykämie Entwicklung eines Hirnödems droht.
Die Ursachen einer Hyperglykämie liegen in einem 55 Ausgleich der Azidose und respiratorische
erhöhten Insulinbedarf (übermäßige Glukosezufuhr) Überwachung, um eine Dekompensation
oder einer fehlenden/verminderten Insulinzufuhr. frühzeitig zu erkennen.
Die Symptome der Hyperglykämie sind vielfäl- 55 Im Verlauf der Therapie kann es immer zu
tig. Neben den eher unspezifischen Symptomen wie einer Hypokaliämie kommen, eine regelmäßige
55 Verwirrtheit, Überwachung des Kaliumwertes ist daher von
55 Tachypnoe, besonderer Bedeutung.
55 Exsikkose
z Hypoglykämie
treten zusätzlich Bei der Hypoglykämie sinkt die Blutglukosekonzen-
55 Polydipsie, tration auf Werte unter 40–50 mg/dl ab.
55 Polyurie Häufige Ursachen sind
55 Überdosierung von Insulin oder oralen
und eine Kussmaul-Atmung zur Kompensation der Antidiabetika
metabolischen Azidose auf. 55 Unzureichende Nahrungsaufnahme
Bei einem hyperglykämen Koma unterscheidet 55 Nebenwirkungen von Arzneimitteln
man zwei Formen. 55 Hypokaliämie
Typisch für Diabetes mellitus Typ 1 ist das Auf-
treten von: > Bei Patienten mit parenteraler Ernährung
55 Ketoazidose (typisch fruchtiger Ausatemgeruch) (PE) mit parallel laufendem Insulinperfusor
55 Mäßig erhöhter Blutzucker muss bei Unterbrechung der PE auch sofort
55 Starkes Durstgefühl die Insulinzufuhr unterbrochen werden.
55 Ketonurie
55 Übelkeit Symptome Die Hypoglykämie äußert sich klinisch
55 Erbrechen in
55 Unruhe
Bei Diabetes mellitus Typ 2 kommt es hingegen zu: 55 Angstgefühl
55 Stark erhöhtem Blutzucker bei normaler 55 Herzklopfen
Atmung mit einem eher altersbedingt 55 Tachykardie
gestörtem Durstempfinden 55 Blutdruckanstieg
55 Schock mit Exikkose 55 Schweißausbrüchen
68 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

55 Kopfschmerzen Zu 34% liegen dem akuten Abdomen nichtchirurgi-


55 Heißhunger sche Ursachen zugrunde, z. B.:
55 Verwirrtheit 55 Myokardinfarkt
55 Starker Unruhe, Angst 55 Perikarditis
55 Bewusstseinseintrübung bis hin zu Koma und 55 Pneumonie
Krampfanfällen 55 Diabetische Ketoazidose

Therapie Die Therapie besteht in der Anhebung Symptome


4 des Blutzuckerwertes. Bei schwerer Hypoglykämie 55 Schmerzen als Hauptsymptom
erfolgt die Substitution von 20–50 ml 20–50% Gluko- 55 Erbrechen
selösung. Die Verabreichung hochprozentiger Glu- 55 Evtl. Fieber
koselösung (ab 20%) darf wegen der hohen Osmola- 55 Schonhaltung
rität nur über einen zentralvenösen Zugang erfolgen 55 Ruhelosigkeit
(Knipfer u. Kochs 2012).
Therapie
z Pflege- und Überwachungsschwerpunkte 55 Kreislaufstabilisierung
Im Mittelpunkt steht eine gezielte Krankenbeob- 55 Stabilisierung der Atmung
achtung. Neben der engmaschigen Blutzuckerkon- 55 Spezifische Therapie
trolle erfolgt eine gezielte Überwachung der Vital-
parameter und der Atmung. Die Bewusstseinslage z Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
der Patienten wird regelmäßig überprüft. Bei einer Schwerpunkt ist die frühzeitige Erkennung des
Bewusstseinseintrübung oder Zeichen von Kramp- akuten Abdomens, von daher wird der Krankenbe-
fanfällen erfolgt eine sofortige Benachrichtigung obachtung auch hier ein hoher Stellenwert beige-
des Arztes und eine Blutzuckerkontrolle. Ein wei- messen. Besonders im Zusammenhang mit mögli-
terer Schwerpunkt der Überwachung liegt in der chen Anastomoseninsuffizienzen, Nachblutungen
Infusionstherapie und der Bilanzierung. Bezüglich oder mesenterialen Durchblutungsstörungen im
der Spätfolgen wird der Hautpflege und der Durch- Rahmen einer Katecholamintherapie oder eines
führung der Präventionen ein besonderer Stellen- Schocks.
wert beigemessen.
Schmerzerkennung und Schmerzüberwachung
55 Überwachung der Magen-Darm-Tätigkeit
4.4.2 Akutes Abdomen (regelmäßige Kontrolle der Darmgeräusche
und des Abführverhaltens)
Das akute Abdomen ist gekennzeichnet durch: 55 Kontrolle des gastralen Residualvolumens
55 Starke akute Bauchschmerzen (Reflux) bei enteraler Ernährung
55 Abdominelle Abwehrspannung 55 Beurteilung des Abdomens (weich, Abwehr-
55 Kreislaufdekompensation bis hin zum spannung) (Brockmann u. Rossaint 2008;
Schock Classen et al. 2004)

Die Ursachen sind vielfältig. Zu 66% sind sie chirur-


gisch bedingt durch z. B.: 4.5 Grenzsituationen
55 Akute Appendizitis
55 Cholezystitis Akutsituationen gehen für Patienten und Angehö-
55 Pankreatitis rige auch immer mit dem Erleben einer existenziel-
55 Mesenteriale Perfusionsstörungen len Grenzerfahrung einher. Ein Ausfall oder eine
55 Akute gynäkologische starke Einschränkung der Organfunktion verursacht
Erkrankungen nicht nur Schmerzen oder Luftnot, sondern auch
55 Ulkusperforation das Empfinden einer akuten Lebensgefahr, die mit
4.5 · Grenzsituationen
69 4
stärksten Ängsten verbunden ist. Trotz modernster Ziel der IMC-Pflege muss es also sein, neben der
Technik und der enormen Fortschritte der Medizin akuten Versorgung der Patienten deren Ängste früh-
können nicht alle Patienten von ihrem Leid geheilt zeitig wahrzunehmen, den Patienten im Erleben des
werden. Der palliativmedizinische Aspekt gewinnt Traumas zu begleiten, posttraumatische Störungen
auch auf den IMC-Stationen einen immer größeren frühzeitig zu erkennen und Handlungsstrategien in
Stellenwert. Die Betreuung von schwerst chronisch Bezug auf die psychische Unterstützung des Patien-
kranken Patienten, Tumorpatienten und Patien- ten zu entwickeln.
ten mit Mehrfacherkrankungen sind auch auf einer
IMC-Station längst keine Seltenheit mehr. Die Palli- z Pflegeschwerpunkt Angst
ativpflege und -medizin bietet gerade bei diesen Pati- Angst ist für den Patienten nicht nur ein belasten-
enten eine sinnvolle Ergänzung (Lenz u. Hofmann-­ der psychischer Faktor. Angst bedeutet auch immer
Bichler 2014). Stress und kann mit Blutdruckanstieg, Tachykar-
die, Schweißigkeit, erhöhter Atemarbeit und einem
erhöhtem Sauerstoffverbrauch einhergehen. Die aus-
4.5.1 Akutsituationen als existenzielle lösenden Ursachen der Angst können vielfältig sein.
Bedrohung
Möglichkeiten der pflegerischen Unterstützung
Wie bereits einleitend erwähnt, führen Akutsituati- 55 Wiederholte, gezielte und einheitliche Informa-
onen und Grenzerfahrungen auch immer zu einer tionen, sie geben Sicherheit und können helfen,
existenziellen Bedrohung für den Patienten, die bestimmte Dinge besser zu verstehen, dabei
mit schwersten Ängsten einhergeht. Angst vor der positive Suggestion einsetzen (7 Abschn. 4.3.2)
Zukunft, dem Tod und vor Schmerzen. In vielen 55 Sicheres und kompetentes Auftreten der
Untersuchungen wurden das Erleben und das Befin- Pflegekräfte
den von Patienten auf einer Intensivstation unter- 55 Den Patienten in seiner Angst ernst nehmen,
sucht, also das Erleben der Patienten in einer Extrem- bei Teilnahmslosigkeit oder anderen
situation. Neben der Angst werden unter anderem Symptomen der posttraumatischen Belas-
Erschöpfung und Schwächegefühl, Verlust der Ori- tungsstörung evtl. nach Erlebnissen in der
entierung, Verlust des Tag-Nacht-Rhythmus und Akutsituation oder auf einer Intensivstation
das Angewiesensein auf Hilfe als Belastungsfaktoren fragen („Einige Patienten berichten, dass sie
angegeben. Nicht selten mündet diese massiv emp- Dinge, die sie gesehen oder erlebt haben, nicht
fundene Bedrohung in eine posttraumatische Belas- richtig verstehen oder einordnen können, geht
tungsstörung (Junginger et al. 2008). Das Erleben es Ihnen auch so?“)
eines Herzinfarktes, einer hypertensiven Krise oder 55 Beruhigende Pflegeangebote wie atemstimulie-
einer Lungenembolie und die damit verbundenen rende Einreibungen, Massagen, Verwendung
Sofortmaßnahmen gehen für den Patienten oftmals von Aromaölen
mit einer extremen psychischen und physischen 55 Anbieten von Entspannungsübungen („safe
Belastung einher. So berichten Patienten nach Aku- place“)
tereignissen und/oder Intensivaufenthalt häufig über 55 Verwendung von persönlichen Gegenständen
traumatische Erinnerungen und stressassoziierte 55 Einbeziehung der Angehörigen, sie sind
Folgeerkrankungen, welche sie in Angst, Atemnot, Vertrauenspersonen und stellen einen Bezug
Schmerzen oder Albträumen äußern. Typische Sym- zum Alltag dar
ptome einer posttraumatischen Belastungsstörung 55 Dem Patienten und oder den Angehö-
sind das wiederholte Erleben der Situation oder rigen die Möglichkeit geben, ihre
Träume, emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit Erlebnisse, Gefühle und oder Emotionen
gegenüber anderen Personen, Teilnahmslosigkeit, aufzuschreiben (Intensivtagebuch/
Vermeidung von Aktivitäten, vegetative Übererregt- Krankenhauserlebnistagebuch)
heit mit Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit, Angst 55 Berücksichtigung der zentralen Ziele der
und Depressionen (Schelling 2015). basalen Stimulation (7 Abschn. 4.5.2)
70 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

4.5.2 Aspekte von Palliative Care Das Konzept der Basalen Stimulation bietet viel-
fältige Möglichkeiten in der palliativen Pflege von
Nach der Definition der WHO bedeutet Palliativme- Patienten. In Anlehnung an die zentralen Ziele des
dizin die Verbesserung der Lebensqualität von Pati- Konzeptes sollen einige Anregungen zur Organi-
enten und ihren Angehörigen, die mit einer lebens- sation der pflegerischen Versorgung der Patienten
bedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind. Dies gegeben werden.
geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden 55 Leben erhalten und Entwicklung erfahren
und dem frühzeitigen Erkennen, Einschätzen und 55 Sicherheit erleben und Vertrauen aufbauen
4 Behandeln von Schmerzen und anderen körperli- 55 Beziehung aufnehmen und Begegnung
chen und psychosozialen Beschwerden. Die Pallia- gestalten
tivpflege zeichnet sich durch einen ganzheitlichen 55 Das eigene Leben spüren
Ansatz aus, in dessen Mittelpunkt die Lebensquali- 55 Den eigenen Rhythmus entwickeln
tät der Patienten steht. Sie soll im Krankheitsverlauf 55 Die Außenwelt erfahren
frühzeitig zur Anwendung kommen. Um belastende 55 Sinn und Bedeutung geben
Komplikationen besser erkennen und behandeln zu 55 Sein Leben gestalten
können, schließt sie lebensverlängernde Therapie- 55 Autonomie und Verantwortung
maßnahmen wie Chemotherapie oder Bestrahlung
sowie notwenige Untersuchungen nicht aus. Ziel Leben erhalten und Entwicklung erfahren Dieses
der Palliativpflege ist es, die Leiden der Patienten zu Ziel verdeutlicht wohl am ehesten, dass Interme-
lindern und die Lebensqualität zu fördern. Die pfle- diate Care und Palliative Care zwei Konzepte sind,
gerische Versorgung der Patienten sollte von daher die fließend ineinander übergehen. Primär ist es
individuell gestaltet werden (Kränzle et al. 2011). Fol- wohl das Bedürfnis eines jeden Patienten, dass sein
gende Fragen bieten hier eine gute Hilfestellung zur Leben erhalten wird, dass ihm in seiner Akutsitua-
individuellen Pflegeplanung: tion geholfen wird. Die vorangegangenen Themen-
55 Was tut dem Patienten aus seiner Sicht gut? schwerpunkte dieses Kapitels zeigen dies deutlich
55 Was verbessert die Situation aus seiner Sicht? auf. Krankheit führt jedoch auch immer zu einer
55 Was möchte der Patient? Entwicklung. Die erste Mobilisation nach einem
55 Was ist aus fachlicher Sicht hilfreich und akuten Herzinfarkt, die erste Aufnahme oraler Kost
unterstützend? nach einer längeren Zeit der enteralen oder paren-
teralen Ernährung, die erste eigenständig durchge-
z Pflegeschwerpunkte führte Körperpflege. Entwicklungsschritte, die für
Biographiepflege Die Auseinandersetzung mit der den Patienten von elementarer Bedeutung sind.
Biographie lässt den Patienten zur Persönlichkeit Nicht jede Krankheit entwickelt sich jedoch hin zur
werden. Biographische Informationen können von Gesundheit. Bei schwerst chronisch kranken Patien-
Patienten und Angehörigen gewonnen werden. Die ten kann Entwicklung auch im Sinne des Erlernens
pflegerischen Maßnahmen werden unter Berück- von Strategien z. B. zur Symptomlinderung oder Ver-
sichtigung der Gewohnheiten und Vorleiben des haltensänderung verstanden werden. Betrachten wir
Patienten gestaltet. die Gesamtspanne unseres Lebens, so gehören auch
Tod und Sterben zur Entwicklung. Die eigene Gestal-
Symptomlinderung Die Linderung unangeneh- tung des Sterbeprozesses, das aktive Abschiedneh-
mer Symptome ist wesentlicher Bestandteil zur men kann für viele Patienten einen elementaren Ent-
Erhöhung der Lebensqualität. Hierzu gehören eine wicklungsschritt bedeuten. Das Ziel der basal stimu-
angemessene Schmerztherapie, pflegerische und lierenden Pflege liegt also sowohl in der Erhaltung
medikamentöse Maßnahmen zur Erleichterung der des Lebens als auch in der Unterstützung des Patien-
Atemnot, Linderung gastrointestinaler Symptome ten in Bezug auf seine individuelle Entwicklung.
wie Übelkeit, Erbrechen, Obstipation und Diarrhö,
Hilfe bei Unruhezuständen in der Sterbephase und Sicherheit erleben und Vertrauen aufbauen Sicher-
die Behandlung von Juckreiz. heit erleben wir, wenn wir uns wahrgenommen
4.5 · Grenzsituationen
71 4
fühlen, wenn Handlungen nachvollziehbar und Geräuschen und Geräten umgeben. Das Blickfeld
verständlich sind. Pflegemaßnahmen, die in einem ist aufgrund der Lagerung und/oder Immobilität
immer wiederkehrenden Rhythmus erfolgen, ein des Patienten häufig eingeschränkt – Aspekte, die
strukturierter Tagesrhythmus, die kontinuierliche zu Unsicherheit, Angst oder gar zu einer verzerrten
Information des Patienten, die Beachtung der Auto- Wahrnehmung führen können und damit Belas-
nomie geben Sicherheit und Vertrauen. Die sugges- tungsfaktoren für den Patienten darstellen. Eine
tive Kommunikation (7 Abschn. 4.3.2) bietet auch an aufrechte Körperposition kann helfen, das Blickfeld
dieser Stelle eine sehr gute Möglichkeit, dem Patien- des Patienten zu verändern, Geräte wie Monitore
ten Sicherheit zu vermitteln. oder Infusionspumpen können gezeigt und erklärt
werden, das gibt dem Patienten zusätzlich Sicher-
Beziehung aufnehmen und Begegnung gestal- heit. Eine Uhr und persönliche Gegenstände schaf-
ten Um den Patienten in seiner Ganzheit betrach- fen Vertrauen.
ten zu können, müssen wir uns mit ihm als indivi-
duellem Menschen auseinandersetzen. Zum einen Sinn und Bedeutung geben Pflegehandlungen
kann dies durch die Biographiearbeit geschehen, sollten für den Patienten sinnhaft und nachvoll-
zum anderen durch nonverbale Signale des Patien- ziehbar sein. Nicht immer mag der Patient in einer
ten (Körperspannung, Tachykardie, Atemrhythmus), palliativen Situation die Notwendigkeit verschiede-
Durch die Gestaltung der individuellen Pflege unter ner Maßnahmen verstehen. Regelmäßige Aufklä-
Einbezug der Patientenbedürfnisse und einer geziel- rung und Information können helfen, den Sinn in
ten Reaktion auf die Signale des Patienten können bestimmten Handlungen zu finden.
wir Begegnung gestalten.
Autonomie und Verantwortung Hier geht es darum,
Das eigene Leben spüren Hier bietet sich die Inte- dem Patienten die Möglichkeit zu geben, in Entschei-
gration eigener Hygieneartikel an. Aber auch Lieb- dungen mit einbezogen zu werden. Bei Erschöpfung
lingsspeisen (kontextabhängig), bekannte Musik, eventuell belastende Tätigkeiten zu verschieben.
Stimmen oder Geräusche, Fotos aus dem „echten“ Palliativpflege bezieht jedoch auch die Ange-
Leben, Bademantel auf der Bettdecke, Schmusede- hörigen in den Pflegeprozess mit ein. Für sie ist es
cke, ein Lieblingskissen oder ein Talisman knüpfen manchmal sehr schwer, die Tatsache zu akzeptieren,
an das eigene individuelle Leben zu Hause an. Das dass keine „Hilfe“ mehr möglich ist. Sie brauchen
eigene Leben spüren bedeutet, auch sich selbst zu Verständnis, ein offenes Ohr und wiederholte Erklä-
spüren. Somatische Anregungen wie basal stimulie- rungen. Auch eine Einbindung in die Pflege kann
rende Körperwaschungen oder Massagen und die ihnen helfen und das Gefühl vermitteln, etwas tun
regelmäßige Positionierung bieten hier gute Mög- zu können. Hier bieten sich, gerade im Zusammen-
lichkeiten. Eine gute Möglichkeit bietet auch die Inte- hang mit dem Konzept der Basalen Stimulation, viele
gration der Aromatherapie. Möglichkeiten, z. B.:
55 Mitbringen von persönlichen Gegenständen
Den eigenen Rhythmus entwickeln In Bezug auf die 55 Vorlesen der Tageszeitung
Atmung bietet sich eine atemstimulierende Einrei- 55 Massagen mit Aromaölen
bung oder eine Kontaktatmung an. Ein rhythmischer 55 Mitbringen von Lieblingsspeisen
Tagesablauf kann Orientierung vermitteln, hierbei 55 Gestalten und Mitbringen von Bildern (Nydahl
sollte versucht werden, den gewohnten Tagesab- u. Bartoszek 2008).
lauf des Patienten zu berücksichtigen. Den eigenen
Rhythmus entwickeln bedeutet auch, Aktivität und Intermediate Care und Palliative Pflege sind zwei
Ruhe und die Gestaltung des Tag-Nacht-Rhythmus Konzepte mit teils unterschiedlichem Ansatz, die
einzuplanen. sich jedoch bei genauer Betrachtung sinnvoll ergän-
zen. Die vorangegangenen Ausführungen haben
Die Außenwelt erfahren Gerade auf einer IMC-­ gezeigt, dass wir uns bei schwerstkranken Menschen
Station wird der Patient von vielen ihm unbekannten nicht nur auf die Organsysteme beziehen dürfen, ja
72 Kapitel 4 · Akut- und Grenzsituationen

dass die psychische Belastung und das Erleben der


Patienten eine wesentliche Rolle in der Qualität 7. Erläutern Sie das Vorgehen bei einer
der IMC-Pflege einnimmt. Nach Stabilisierung des kardiopulmonalen Reanimation.
Patienten und Beendigung der Akutsituation ist es 8. Welche klinischen Zeichen können auf eine
unumgänglich, sich mit den Folgen auseinanderzu- Hypoglykämie hindeuten?
setzen, um weitere Komplikationen zu vermeiden 9. Angst ist ein ernstzunehmendes
und die Lebensqualität der Patienten nach Akutsi- Pflegephänomen in der Betreuung
tuationen zu verbessern. schwerstkranker Menschen. Welche
4 Möglichkeiten der pflegerischen
Unterstützung bieten sich in dieser
Fragen zur Wissensüberprüfung Situation an?
1. Durch welche Kompensationsme- 10. Nennen Sie die wichtigsten
chanismen versucht der Körper, die Pflegeschwerpunkte bei Patienten in einer
Durchblutung lebenswichtiger Organe im Palliativsituation.
Schock aufrechtzuerhalten?
2. Welche klinischen Zeichen können einen
Hinweis auf die Entstehung einer Sepsis
geben?
Literatur
3. Erläutern Sie den Unterschied zwischen
einem Sepsisverdacht und einer Sepsis: Bolanz H, Oßwald P, Rister H (2008) Pflege in der Kardiologie/
Sie betreuen eine 87-jährige Patientin nach Kardiochirurgie. Urban & Fischer, München
einer Knie-TEP und komplikationslosem Brock A, Kany A, Knipfer E (2014) Handbuch Intensivpflege
Medizinische und pflegerische Grundlagen. Urban &
operativem Verlauf. Aus der Vorgeschichte
Fischer, München
sind eine Herzinsuffizienz, ein arterieller Brockmann J, Rossaint R (2008) Repetitorium Notfallmedizin.
Hypertonus sowie ein Diabetes mellitus Springer, Heidelberg
bekannt. Die Patientin ist kreislaufstabil Classen M, Diehl V, Kochsik K (2004) Repetitorium Innere Medi-
(Blutdruck 140/80 mmHg, Pulsfrequenz zin. Urban & Fischer, München
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislauffor-
80/min im Sinusrhythmus) und spontan
schung e. V. (2014) ESC Pocket Guidelines Management
atmend. Nach erfolgter Schmerztherapie der akuten Lungenembolie. DGK, Düsseldorf
mit 7,5 mg Piritramid i.v. möchten Sie Fresenius M, Heck M (2007) Repetitorium Intensivmedizin. 3.
die Patientin in den Stuhl mobilisieren. Aufl. Springer, Heidelberg
Als diese an der Bettkante sitzt, klagt GRC – German Resuscitation Council, Deutscher Rat für Wie-
derbelegung (2015) Reanimation 2015 Leitlinien Kom-
sie plötzlich über Luftnot und starke
pakt. GRC, Ulm
Thoraxschmerzen. Am Monitor fällt Ihnen Hansen E, Bejenke C (2010) Negative und positive Suggestio-
ein Abfall der Sauerstoffsättigung auf nen in der Anästhesie. Anästhesist 59: 199–209
92% auf. Die Kontrolle des Blutdruckes Hillebrand H, Motsch J (2007) Larynxmaske: Möglichkeiten
gibt einen Wert von 100/50 mmHg an, die und Grenzen. Anästhesist 56: 617–632
Junginger et al. (2008) Grenzsituationen in der Intensivmedi-
Pulsfrequenz beträgt 120/min.
zin. Springer, Berlin
4. Welche Verdachtsdiagnose stellen Sie? Kellenhausen et al. (2000) Thiemes Pflege, entdecken, erle-
Begründen Sie Ihre Antwort. ben, verstehen, professionell handeln, 9. Aufl. Thieme,
5. Mit der Beteiligung welcher Organe Stuttgart
müssen Sie bei einem hypertensiven Kill C, Kratz T (2010) Schwieriger Atemweg in der Notfall- und
Intensivmedizin. Intensivmed 47: 530–538
Notfall rechnen? Welche Überwachungs-
Knipfer E, Kochs E (2012) Klinikleitfaden Intensivpflege, 5. Aufl.
schwerpunkte ergeben sich daraus? Urban & Fischer, München
6. Welche Herzrhythmusstörungen gelten als Kränzle S, Schmid U, Seeger C (2011) Palliative Care, 4. Aufl.
absolut lebensgefährlich? Begründen Sie Springer, Heidelberg
Ihre Aussage. Larsen R (2012) Anästhesie und Intensivmedizin für die Fach-
pflege, 8. Aufl. Springer, Berlin
Literatur
73 4
Lenz K, Hofmann-Bichler B (2014) Palliative Care auf der Inten- Schelling G (2015) Lebensqualität nach Intensivtherapie.
sivstation. Intensiv 22(1): 39–42 Traumland Intensivstation. http://www.traumland-­
Nydahl P, Bartoszek G (2008) Basale Stimulation. Neue Wege intensivstation.de. Zugegriffen: 29.09.2015
in der Pflege Schwerstkranker, 5 Aufl. Urban & Fischer, Singer et al. (2016) The Third International Consensus
München Definitions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3). JAMA
Piepho et al. (2015) S1 Leitlinien Atemwegsmanagement. 315(8): 801–810. doi:10.1001/jama.2016.0287.
AWMF-Register Nr. 001/028. http://www.awmf.org/ Walther A et al. (2009) Diagnose, Therapie und Sekundär-
uploads/tx_szleitlinien/001-028l_S1_Atemwegsmanage- prophylaxe der akuten Lungenembolie. Anästhesist 58:
ment_2015-04_01.pdf. Zugegriffen: 08.12.2015 1048–1054
Schäfer S et al. (2011) Fachpflege Beatmung, 6. Aufl. Urban & Ziegenfuß T (2014) Notfallmedizin. Springer, Heidelberg
Fischer, München
75 5

Schmerzmanagement auf
einer IMC-Station
C. Löwe

5.1 Was ist Schmerz und wie entsteht er? – 76


5.1.1 Schmerzentstehung und Schmerzleitung – 76
5.1.2 Schmerzarten – 76

5.2 Schmerzerfassung und Dokumentation – 78


5.2.1 Wie erfasse ich Schmerzen? – 78

5.3 Medikamentöse Schmerztherapie – 81


5.3.1 Besonderheiten im IMC-Bereich – 83
5.3.2 Nichtopioidanalgetika – 84
5.3.3 Opioide – 84
5.3.4 Koanalgetika – 89
5.3.5 Adjuvanzien – 89
5.3.6 Placeboeffekt – 89

5.4 Prophylaxe und Behandlung der schmerzmittelbedingten


Nebenwirkungen – 90

5.5 Nichtmedikamentöse Möglichkeiten der


Schmerztherapie – 90

5.6 Beratung und Schulung – 90

Literatur – 92

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_5
76 Kapitel 5 · Schmerzmanagement auf einer IMC-Station

„Wie geht es Dir?“ – ist die erste Frage, die Sie Ihrem Bereich, oder Schutz des Körpers vor
Angehörigen stellen, wenn Sie ihn auf einer IMC-Sta- weiterer Schädigung durch Schonung des
tion besuchen. „Nicht so gut … ich habe Schmerzen“ verletzten Bereiches.
ist eine häufige Antwort. 3. Affektiv-motivationale Komponente
Stellen Sie sich vor, dass es Ihre Mutter/Ihr Kind/ a. Emotionale Bewertung des Schmerzereig-
Ihr Ehepartner ist, der Patient ist. Wie möchten Sie nisses – Wie schlimm ist die Verletzung/der
ihn oder sie behandelt wissen? Schmerz für mich?
Ihrem Angehörigen soll es gut gehen. Die 4. Kognitive Komponente
Behandlung soll in erster Linie erfolgreich sein, er a. Frühere Schmerzerfahrungen – habe ich
soll gesund entlassen werden – während der Behand- bereits Vorerfahrungen mit Schmerzen,
an was erinnert mich dieser Schmerz?
5 lung sollte er möglichst wenig bis keine Schmerzen
(Schmerzgedächtnisaktivierung)
haben. Wie können wir dies erreichen?
Zunächst einmal stellt sich die Frage: b. Bewertung der Situation (bedrohlich,
gefährlich, aussichtslos) – Wie muss ich
mich jetzt verhalten?
5.1 Was ist Schmerz und wie 5. Vegetative Komponente
entsteht er? a. Entspricht der Aktivierung des autonomen
Nervensystems – RR und HF-Anstieg,
» Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Atmung schneller und flacher, Übelkeit und
Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder Erbrechen
potenzieller Gewebsschädigung verknüpft ist
oder mit Begriffen einer solchen beschrieben
wird (IASP 1979). 5.1.2 Schmerzarten

Der Schmerz ist jetzt also wahrgenommen und ver-


5.1.1 Schmerzentstehung arbeitet, jetzt müssen wir unterscheiden, um welche
und Schmerzleitung Schmerzart es sich handelt.
Hierfür haben wir zwei Möglichkeiten der Ein-
55 Nozizeption = Detektion von Schmerz, teilung – zeitlich und qualitativ.
Nozizeptoren = Schmerzrezeptoren
55 Schmerz = Verarbeitung noxischer Reize durch z Zeitlich
das nozizeptive System Akuter Schmerz
55 Biologisch sinnvoll
Die Verarbeitung von Schmerz findet auf verschiede- 55 Begrenzter Zeitraum, solange auslösender
nen Ebenen des nozizeptiven Systems statt. Reiz vorhanden (OP-Wunde, Fraktur,
1. Sensorisch-diskriminative Komponente: Entzündungsprozess)
a. Identifikation des Ortes der Schmerzent- 55 Lokalisation klar bestimmbar
stehung – Wo im Körper tut es weh? 55 Intensität korreliert mit auslösendem Reiz
b. Identifikation der Stärke des auslösenden 55 Diagnosehilfe
Reizes – Wie stark ist der Schmerz? Wie
gefährlich ist die Situation? Beispiele für akute Schmerzereignisse:
2. Motorische Komponente 55 Kontralateraler Loslassschmerz: akute
a. (Schutz)Reflexe – z. B. das Wegziehen Appendizitis
der Hand von der heißen 55 Retrosternaler Schmerz in den linken
Herdplatte Arm ausstrahlend: akutes kardiales
b. Komplexe Reaktionen – Flucht oder Geschehen
Schonhaltung – Erhaltung der körperlichen 55 Gürtelförmiger Schmerz mit neuropathischer
Integrität durch Flucht aus dem gefährdeten Komponente: Pankreatitis
5.1 · Was ist Schmerz und wie entsteht er?
77 5
55 Postprandiale Schmerzen: Duoden- Viszeraler Schmerz
alulkus, Cholecystitis, Cholecystolithiasis, 55 Eingeweideschmerz
Choledocholithiasis 55 Dumpf, krampfartig
55 Chronifizierender Schmerz 55 Schwer lokalisierbar
55 Durch Kontraktion, Spannung,
Minderperfusion
Stadien der Chronifizierung bei 55 Weniger opioidsensibel
­Schmerzsyndromen
(http://www.medhost.de/schmerzen/ Neuropathischer Schmerz
stadien-chronifizierung.html) 55 Wenn Nerven selbst geschädigt sind:
44 Stadium I: Akuter/subakuter und 44Kompression (Karpaltunnel, Bandscheiben-
remittierender Schmerz, wenig vorfall – NPP)
komplizierende Faktoren 44Durchtrennung (Amputation)
44 Stadium II: Chronischer Schmerz, 44Metabolisch (Diabetes mellitus)
mehrere komplizierende Faktoren 44Infektiös (Zoster-Neuralgie)
(z. B. Multilokalisation, Polytherapien, 44Toxisch (Chemo-, Strahlentherapie)
Medikamentenabusus) 44Zentrale Läsionen (Thalamusläsionen)
44 Stadium III: Lang andauernder chronischer 55 Einschießend, elektrisierend, brennend,
Schmerz, viele komplizierende Faktoren Phantomschmerz
(z. B. unklare Schmerzlokalisationen,
langjährige Schmerzmittelabhängigkeit, Die Grundbegriffe des Schmerzes sind geklärt – wie
schwere psychosoziale Veränderungen) kann nun therapiert werden?

Hierfür bietet sich die Einteilung des Expertenstan-


> Häufig kommt die Kraft, Schmerzen zu dards Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten
ertragen, aus der Hoffnung, dass sie Schmerzen an. Diese gliedert die Schmerztherapie
bald vorübergehen mögen. Finden wir in fünf einfache Punkte.
keine Linderung, werden selbst kurze
Schmerzattacken unerträglich. Chronische Praxistipp
Schmerzen und die damit fehlende
Aussicht auf Linderung und Heilung lässt Etablieren Sie auf Ihrer Station den Experten-
Schmerzpatienten in einen Teufelskreis aus standard Schmerzmanagement in der Pflege
Schmerz und Leiden eintreten, Schmerz bei akuten Schmerzen. Mit fünf einfachen
verstärkt Leiden und Leiden wiederum den Kriterien haben Sie die Schmerztherapie
Schmerz. Auf diese Weise können Schmerzen komplett abgedeckt und können Ihre
ungewollt zum Lebensmittelpunkt werden Patienten gut behandeln.
(Schmid 2010).

z Schmerzqualität Der Expertenstandard gliedert sich in folgende


Somatischer Schmerz Bereiche:
55 Aufgeteilt in:
44Oberflächenschmerz: Haut- und
Schleimhautverletzungen Expertenstandard Schmerzmanagement
44Tiefenschmerz: Muskelschädigungen, 44 Schmerzerfassung und Dokumentation
Verletzungen an Knochen und Gelenken 44 Medikamentöse Schmerztherapie
55 i.d.R. opioidsensibel 44 Prophylaxe und Behandlung der
55 Charakter: hell, stechend, brennend schmerzmittelbedingten Nebenwirkungen
(Oberfläche), dumpf, bohrend (Tiefe)
78 Kapitel 5 · Schmerzmanagement auf einer IMC-Station

z Ermittlung der Schmerzstärke


44 Nichtmedikamentöse Möglichkeiten der Mittels Schmerzskalen sollen subjektiv erlebte
Schmerztherapie Schmerzen objektiviert und dokumentierbar
44 Beratung und Schulung gemacht werden. Wichtig ist in diesem Zusammen-
hang, dass Sie sich klinikintern auf einige wenige
Schmerzskalen einigen (. Abb. 5.1).
5.2 Schmerzerfassung Un t e r s c h i e d e n w e r d e n S e l b s t - u n d
und Dokumentation Fremdbeobachtungsskalen.

> Schmerzerfassung muss Bestandteil der > Die Selbsteinschätzung des Patienten ist
5 pflegerischen Routine sein und sollte einer Fremdeinschätzung in jedem Fall
vorzuziehen.
44 mindestens einmal pro Schicht gemessen
werden,
Praxistipp
44 vor jeder pflegerischen Intervention
überprüft werden,
Sollte Ihr Patient mit der vorgegebenen
44 nach jeder schmerztherapeutischen
Skala nicht zurechtkommen, bieten Sie ihm
Maßnahme kontrolliert werden.
Alternativen an. Wenn einem Patienten eine
Skala „aufgezwungen“ wird, so wird auch
seine Kooperationswilligkeit sinken. Seine
5.2.1 Wie erfasse ich Schmerzen? Schmerzen in eine Skala einzuordnen, ist gar
nicht so einfach – probieren Sie es doch bei
Zunächst erheben Sie ein sogenanntes initiales sich selbst einmal aus.
Assessment, d. h. Sie fragen Ihren Patienten, ob er
Schmerzen hat und wie stark die Schmerzen sind.
Äußert der Patient keine Schmerzen, dann wieder- Die im Folgenden aufgezählten Skalen sind nur als
holen Sie die Befragung in regelmäßigen Abständen Beispiel aufgeführt, und erheben keinen Anspruch
oder bei den oben genannten Interventionen. auf Vollständigkeit.
Äußert der Patient Schmerzen, muss ein diffe-
renziertes Assessment durchgeführt werden, um die
Schmerzen adäquat behandeln zu können. Skalen zur Selbsteinschätzung
44 Verbale Analogskala: 0 = keine – 2 = leicht
z Differenziertes Assessment – 4 = mäßig – 6 = stark – 8 = sehr stark
55 Einschätzung in Ruhe und in Belastung – 10 = unerträglich
55 Lokalisation 44 Numerische Ratingskala: Einteilung
55 Qualität (Unterscheidung der von 0 = kein Schmerz bis 10 = stärkster
Schmerzarten) vorstellbarer Schmerz (diese Skala
55 Beginn, Dauer, Frequenz besitzt die höchste Reliabilität, ist am
55 Verstärkende/lindernde Faktoren einfachsten abfragbar und besitzt eine
55 Auswirkungen auf Alltag hohe Akzeptanz bei den Fragenden und
55 Schmerzmedikamentengebrauch den Befragten)
55 Stimmungslage 44 Visuelle Analogskala: Meist eine
55 Kognitiver Status (dieser ist wichtig, um die beidseitig verwendbare Schubskala, die
Selbsteinschätzungsfähigkeit der Patienten auf der einen Seite eine reine Farbskala
beurteilen zu können)
5.2 · Schmerzerfassung und Dokumentation
79 5

. Abb. 5.1 Einschätzungsskala Heidelberg

z Skalen zur Fremdeinschätzung


anzeigt, auf der der Patient seine
Schmerzen einordnen soll, auf der anderen > Fremdbeobachtungsskalen sind
Seite sind dem Zahlen von 1 bis 10 anzuwenden, wenn eine Selbsteinschätzung
zugeordnet. nicht möglich ist (kognitiver Status).
44 Smiley-Analogskala: Schmerzstärkedar-
stellung durch weinende oder lachende Kommt eine solche Skala zum Einsatz, müssen fol-
Smileys – Anwendung eher bei Kindern gende Punkte beachtet werden:
(. Abb. 5.1).
Praxistipp

Praxistipp 44 Einigen Sie sich auf eine Skala –


implementieren Sie auf Ihrer Station nicht
44 Thermometer-Skala:Wird von älteren mehr als ein bis zwei Fremdbeobach-
Patienten präferiert. Halten Sie die tungsskalen (mehr werden selten benötigt
Schmerzskala einfach senkrecht und und verwirren nur).
sagen Sie den Patienten, sie sollen 44 Legen Sie einen Punktwert fest, ab dem
ihre Schmerzstärke ähnlich einem eine Intervention erfolgen soll.
Thermometer zuordnen: 44 Eruieren Sie auch andere Gründe für
–– viel Schmerz = heiß angegebene Verhaltensweisen, da Skalen
–– wenig oder kein Schmerz = kalt fehlerhaft interpretiert werden können.
80 Kapitel 5 · Schmerzmanagement auf einer IMC-Station

Fremdeinschätzungsskalen sind notwendig bei:


. Tab. 5.1 KUSS – Kindliche Unbehagens- und
55 Kindern unter dem 4. Lebensjahr – Schmerzskala
KUSS
55 Kognitiven Beeinträchtigungen Beobachtung Bewertung Punkte
44Bewusstseinsminderung (Sedierung) –
Weinen Gar nicht 0
CPOT
44Demenz – BISAD, ZOPA Stöhnen, Jammern, 1
Wimmern
44Delir – BESD, ZOPA
44Geistige Retardierung – KUSS Schreien 2
Gesichtsausdruck Entspannt, lächelnd 0

5 KUSS – kindliche Unbehagens- und Schmerzskala Mund verzerrt 1


(. Tab. 5.1) Mund und Augen 2
55 Kind sollte dem Beobachter bekannt grimassieren
sein Rumpfhaltung Neutral 0
55 Ausschluss anderer Ursachen für Verhalten
Unstet 1
wenn möglich (Hunger o. Ä.)
55 Kein Schmerz 0, max. 10; Interventionsgrenze Aufbäumen, 2
Krümmen
bereits ab 1
Beinhaltung Neutral 0

CPOT – Critical Care Pain Observation Tool Der Strampelnd, tretend 1


CPOT beurteilt Gesichtsausdruck, Körperbewegun- An den Körper 2
gen, Muskelspannung, Adaption an die Beatmung gezogen
und Sprache (nicht beatmeter Patient) (. Tab. 5.2). Motorische Nicht vorhanden 0
Unruhe
Mäßig 1
BESD – Beurteilung der Schmerzen bei Demenz
Ruhelos 2
(. Tab. 5.3)
55 Anwendung setzt einen minimalen Beobach-
tungszeitraum von 2 min voraus
55 In Ruhe und in Belastung separate 55 Setzt einen längeren Beobachtungszeitraum
Beurteilung voraus, der Patient/Bewohner sollte dem
55 Interventionsgrenze: unterschiedliche Beurteilenden längere Zeit bekannt sein
Angaben in Literatur – schwankend von 2 55 Setzt Übung des Anwenders voraus
(in Ruhe) bis 6 in Bewegung
55 Maximale Punktzahl 10 Zusätzlich muss eine Dokumentation der Mobilisa-
tionsart erfolgen (Fischer 2012).
BISAD – BeobachtungsInstrument für das Schmerzas-
sessment bei alten Menschen mit Demenz ZOPA – Zurich Observation Pain Assessment
55 Beobachtung vor der Mobilisation von: 55 Keine Ermittlung von Punktwerten, sondern
44Gesichtsausdruck, spontaner Ruhehaltung, 13 Punkte, die bewertet werden mit:
Bewegung/Mobilität, Beziehung zu anderen 44Liegt vor
(. Tab. 5.4) 44Liegt nicht vor
55 Beobachtung während der Mobilisation: 55 Ermittelt werden:
44Ängstliche Erwartung, Reaktion während 44Stöhnen/Klagen
Mobilisation, Reaktion während Pflege der 44Brummen
schmerzenden Bereiche, während der Pflege 44Verzerrter/gequälter Gesichtsausdruck
vorgebrachte Klagen 44Starrer Blick
55 Keine Interventionsempfehlung, eher 44Zähne zusammenpressen
Verlaufsbeobachtung 44Augen zusammenkneifen
5.3 · Medikamentöse Schmerztherapie
81 5

. Tab. 5.2 CPOT – Critical Care Pain Observation Tool. (Mod. nach Sessler et al. 2008)

Indikator Beschreibung Zustand Punkte

Gesichtsausdruck Keine Muskelspannung Entspannt/neutral 0


Stirnrunzeln, Augenbrauen hochziehen, Augen Angespannt 1
zukneifen
Alle oben genannten Bewegungen und Augen fest Grimassieren 2
zugekniffen
Körperbewegungen Keinerlei Bewegung Bewegungslosigkeit 0
Langsame vorsichtige Bewegung, Berührung der Schutzverhalten 1
schmerzhaften Stelle
Ziehen am Tubus, Aufsitzen, Bewegungen der Unruhe 2
Extremitäten, nach dem Personal schlagen, aus
dem Bett steigen
Muskelanspannung Keine Gegenwehr bei passiven Bewegungen Entspannt 0
Gegenwehr bei passiven Bewegungen Angespannt, steif 1
Starke Gegenwehr bei passiver Bewegung, Sehr angespannt 2
Unmöglichkeit der Ausführung oder steif
Adaption an Beatmung Keine Alarme, problemlose Beatmung Toleranz 0
(beatmeter Patient)
Wenige Alarme Toleranz, 1
gelegentliches
Husten
Ständige Alarme, Pressen Kampf gegen 2
Beatmung
Sprache Normale Stimme/Tonfall 0
(nicht beatmeter Patient) Seufzen, Stöhnen 1
Schreien, Schluchzen 2

Addition der Punktzahl für jede Kategorie – von 0 bis 8. Je höher der Punktwert, umso wahrscheinlicher ist eine
Schmerzmedikation erforderlich.
Bitte beachten: CPOT ist für den deutschen Sprachraum noch nicht validiert.

44Tränenfluss 44Keine Interventionsgrenze festlegbar, bzw. ist


44Ruhelosigkeit schon bei einem positiven Punkt festgelegt
44Massieren oder Berühren eines 44Setzt ein etwas längeres Kennen des
Körperteils Patienten voraus
44Angespannte Muskeln
44Änderungen in den Vitalzeichen
(Blutdruck, Puls, Atmung) 5.3 Medikamentöse
44Veränderung der Gesichtsfarbe Schmerztherapie
44Schwitzen/Röte
55 Dadurch bedingt schwierige Schmerzen werden nur bedingt nach dem WHO-Stu-
Dokumentationsmöglichkeit fenschema therapiert. Zusätzlich muss immer die
44Verlaufs-/Erfolgskontrolle schwierig Schmerzursache Berücksichtigung finden.
82 Kapitel 5 · Schmerzmanagement auf einer IMC-Station

. Tab. 5.3 BESD – Beurteilung der Schmerzen bei Demenz

Atmung unabhängig von Lautäußerung Normal 0


Gelegentlich angestrengt, kurze Hyperventilation 1
Angestrengt, lange Hyperventilation, Cheyne-Stokes 2
Negative Lautäußerung Keine 0
Gelegentliches Stöhnen, leise missbilligend äußern 1
Beunruhigt rufen, laut Stöhnen, ächzen, weinen 2
Gesichtsausdruck Lächelnd, nichts sagend 0
5 Traurig, ängstlich, sorgenvoller Blick 1
Grimassieren 2
Körpersprache Entspannt 0
Angespannt, nervös, auf- und ablaufend, nesteln 1
Starr, geballte Fäuste, angezogene Knie, wegstoßen 2
Trost Trösten nicht notwendig 0
Ablenken oder beruhigen möglich 1
Trösten, ablenken, beruhigen nicht möglich 2

. Tab. 5.4 BISAD – Erhebung bezieht sich auf die Beobachtung vor der Mobilisation

Blick und Mimik Spontane Ruhehaltung Bewegung der Person Über die Beziehung zu
anderen

Entspanntes Gesicht Keine Schonhaltung Person bewegt sich wie Gleiche Art des Kontakts
gewohnt wie gewohnt
Sorgenvolles Gesicht Person vermeidet eine Person bewegt sich Kontakt ist schwerer
bestimmte Position wie gewohnt, vermeidet herzustellen als
aber bestimmte gewohnt
Bewegungen
Person verzieht von Zeit Person nimmt eine schmerzfreie Langsamkeit, Seltenheit Vermeidet die
zu Zeit das Gesicht Schonhaltung ein der Bewegungen Beziehung im
Gegensatz zur
Gewohnheit
Ängstlicher Blick und/ Person sucht ohne Erfolg Immobilität im Fehlen jeglichen
oder verkrampftes nach einer schmerzfreien Gegensatz zur Kontakts im Gegensatz
Gesicht Schonhaltung Gewohnheit zur Gewohnheit
Vollkommen erstarrter Person bleibt unbeweglich, Reglosigkeit oder Totale Teilnahmslosigkeit
Ausdruck wie von Schmerzen gelähmt starke Unruhe im im Gegensatz zur
Gegensatz zur Gewohnheit
Gewohnheit
5.3 · Medikamentöse Schmerztherapie
83 5
z WHO-Stufenschema
. Tab. 5.5 WHO-Stufenschema
55 Anwendung in aufsteigender Reihenfolge bei
Tumorschmerzen und chronischen Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4
Schmerzzuständen
55 Anwendung in absteigender Folge bei akuten Invasive
Verfahren
(starken) Schmerzen
55 Die Stufe 1 (bestehend aus Nicht-Opioidanal- Stark wirksame Opioide
getika, Koanalgetika und Adjuvanzien) Schwache Opioide
bleibt über alle 4 Stufen bestehen Nichtopioidanalgetika
(. Tab. 5.5) Koanalgetika und Adjuvanzien

Einige Grundsätze der Schmerztherapie Vorerkrankungen


44 Bei opioidnaiven und älteren Patienten gilt 55 Nieren-, Leberinsuffizienz, Polymorbidität und
die Regel: „start low go slow“ Alter sind Kontraindikationen für viele (vor
44 Retardierte Präparate vorziehen, allem Nichtopioid-) Analgetika.
unretardierte zum Kupieren von
Schmerzspitzen (Belastungs- oder Kardiozirkulatorische Instabilität
Durchbruchschmerzen) 55 Kardiologische Instabilität gilt für
44 Orale Einnahme, wenn möglich einige invasive Verfahren, z. B. PDK als
44 Einnahme der Medikamente zu festen Kontraindikationen.
Zeiten
44 Eine Mischung aus mehreren Präparaten Praxistipp
einer Stufe sollte unterbleiben
44 Keine Kombination von Stufe 2 Die Schmerztherapie sollte innerhalb der
und 3 jeweiligen Einrichtung über eine interdis-
44 Bei Opioidrotation (Wechsel auf ein ziplinär festgelegte Verfahrensregelung
anderes Opioid) ist eine Dosisanpas- verfügen. Wichtig ist, dass diese von allen
sung/-reduktion durch eine Behandlern erarbeitet und unterzeichnet wird.
Äquivalenzumrechnung zu beachten
(mit ca. 30% unter der errechneten
Dosierung beginnen) Festgelegt sein muss (DNQP Expertenstandard
Schmerzmanagement bei akuten Schmerzen 2011):
55 Wer der verantwortliche Ansprechpartner ist
55 Wer das Schmerzschema angeordnet hat
5.3.1 Besonderheiten im IMC-Bereich 55 Wie das Vorgehen bei Bedarfsmedikation und
einmaligen Anordnungen medikamentöser
Neurologie der Patienten Therapien festgeschrieben ist, sofern kein
55 Einschränkung der Anwendbarkeit von Schmerzschema vorliegt
patientenkontrollierten Verfahren, da der 55 Wie die Dokumentation erfolgt
Patient diese evtl. nicht versteht (Einlaufzeit/ 55 Wie die Notfallnummern lauten
Sperrzeit etc. 7 Patient-Controlled-Analgesia, 55 Wer welche Aufgaben bei der PCA/PDK-The-
PCA) rapie übernimmt
55 Einschränkung bei invasiven Verfahren 55 Welche Aufgaben pflegerische Schmerzex-
(Periduralkatheter, PDK), da das Erfragen der perten übernehmen, sofern vorhanden
Neurologie erschwert sein kann (Motorik und
Sensibilität der Beine, Äußern von systemi- Zentraler Bestandteil ist hier ein Schmerzschema –
schen Intoxikationserscheinungen) dies sollte folgende Punkte beinhalten (DNQP
84 Kapitel 5 · Schmerzmanagement auf einer IMC-Station

Expertenstandard Schmerzmanagement bei akuten ihrer Wirkstärke an Morphin gemessen


Schmerzen 2011): und entsprechend eingeteilt. (Beispiel:
55 Zu verabreichende Medikamente eine Potenz von 0,2 bedeutet also ein
55 Dosierungen Fünftel der Wirkstärke von Morphin,
55 Applikationsarten eine Potenz von 5–10 gibt eine 5-
55 Bedarfsmedikation bei Erreichen der Interven- bis 10-fache Wirkstärke von
tionsgrenzen (Interventionsgrenzen = analog Morphin an).
VAS/NRS – in Ruhe 3 in Belastung 5)
z Opioide machen süchtig …
… ist ein immer noch sehr weit verbreitetes Vor-
5.3.2 Nichtopioidanalgetika
5 urteil. Pflegende müssen den Unterschied zwi-
schen pharmakologischer Toleranz, körperlicher
Abhängigkeit und Sucht kennen (Expertenstan-
Praxistipp dard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten
Schmerzen, DNQP 2011, S. 93).
Die Applikation von Nichtopioidanalgetika
senkt den Verbrauch von Opioiden in der Pharmakologische Toleranz
postoperativen Schmerztherapie. Dabei ist die 55 Zustand der Anpassung
Potenz mit der von niedrigpotenten Opioiden 55 Abschwächung der Wirkung einer
vergleichbar (Brack et al. 2004). Substanz
55 Maßnahme: Dosisanpassung

> Nichtopioide (. Tab. 5.6) sollen nicht Körperliche Abhängigkeit Zeigt sich durch subs-
über die empfohlenen Tageshöchstdo- tanzklassenspezifische Entzugserscheinungen bei:
sierungen hinweg gesteigert werden, 55 Wegfall der Substanz
da es sonst zu einem sog. Ceiling-Effekt 55 Antagonisierung
kommt (Zunahme unerwünschter 55 Rapider Dosisreduktion
Nebenwirkungen ohne Steigerung der
erwünschten Wirkung; AIDKLINIK, Sucht
Arzneimittelportal des Universitätsklinikums 55 Primäre, chronische und neurobiologische
Heidelberg 2012). Erkrankung
55 Entwicklung und Manifestation durch
genetische, psychosoziale und
5.3.3 Opioide Umweltfaktoren
55 Verhalten des Patienten:
55 Erwünschte Wirkung: 44Beeinträchtigte Kontrolle über den
44Analgesie Konsum
55 Nebenwirkungen: 44Steigerndes Verlangen
44Sedierung, Darmatonie, Mundtrockenheit 44Zwanghafter oder andauernder
44Übelkeit (bei chronischer Einstellung nur Konsum trotz verursachtem
die ersten ca. 14 Tage), Euphorie, Schwitzen Schaden
44Kontraktion der glatten Muskulatur (Cave
bei Koliken!) z Opioide der WHO-Stufe 2
44Atemdepression Verlieren zunehmend an Bedeutung, da der Einsatz
55 Potenz: von WHO-Stufe-3-Opioiden eine höhere Potenz
44Morphin gilt als Referenzsubstanz, alle bei einer geringeren Nebenwirkungsinzidenz hat
anderen Opioide werden hinsichtlich (. Tab. 5.7).
. Tab. 5.6 Nichtopioide

Präparat Gruppe Niere Leber PUBs Antiphl Antipyr Spas- Tageshöchst- Cave
molyt dosis
Erwachsene

Acetylsalicylsäure Salicylat Keine Kontra Erhöhtes + + 0 1500–3000 mg Morbus Crohn, Colitis,


5.3 · Medikamentöse Schmerztherapie

Risiko Asthma, Reye-Syndrom,


Thrombozyten­
aggregationshemmung
Diclofenac NSAR Dosisanpassung Kontra Stark + + 0 150 mg Morbus Crohn, Colitis,
erhöhtes Asthma,
Risiko Thrombozyten­
aggregationshemmung
Ibuprofen NSAR Dosisanpassung Kontra Risiko + + + 2400 mg Morbus Crohn,
Colitis, Thrombozy­
tenaggregationshemmung
Metamizol Pyrozolderivat Keine Kontra keine 0 + + 4g Agranulozytose (sehr
(bei hep Selten und nach absetzen
Porphyrie) reversibel)
Paracetamol Anilinderivat Keine Kontra Keine 0 + 0 4g Lebertoxisch in höheren
Dosierungen
Parecoxib COX2-Hemmer Dosisanpassung Kontra Erhöhtes + 0 0 Max 80 mg Nur zur Kurzzeitbehandlung
Risiko zugelassen – dann
umsetzen auf p.o. Coxibe
85

Flupirtin Muskelrelaxierendes Dosisanpassung Eingeschränkt Keine 0 + + 600 mg Müdigkeit, Vorsicht in


Analgetikum Kombination mit Sedativa
5
86 Kapitel 5 · Schmerzmanagement auf einer IMC-Station

. Tab. 5.7 Opioide der WHO-Stufe 2

Präparat Tilidin/Naloxon Tramdol Codein

Indikation Schmerztherapie Schmerztherapie Antitussivum,


Schmerztherapie
Potenz 0,2 0,2 0,1–0,2
Maximaldosis 600 mg Empfohlen bis 400 mg, bei Bedarf auch 150–240 mg
höher
Besonderheiten Naloxonzusatz, bei höheren Noradrenalinwiederaufnahmehemmung, Meist in

5 Dosierungen antagonistischer
Effekt, Wirkungsabnahme
dadurch Einsatz bei neuropathischen
Schmerzen
Kombination mit
Paracetamol
oder Verlust bei
Leberfunktionsstörungen
Generika Valoron Tramal Gelonida

z Opioide der WHO-Stufe 3 z PCA (Patient-Controlled-Analgesia)


Patient-Controlled-Analgesia – die patientenkont-
> Für Präparate der WHO-Stufe 3 (. Tab. 5.8) sind rollierte Analgesie ist eine der gebräuchlichsten und
selten Maximaldosierungen angegeben, da es zuverlässigsten Methoden, um postoperative/akute
hier weniger zu dem sog. Ceiling-Effekt kommt Schmerzen wirksam zu therapieren.
(Nichtopioide: 7 Abschn. 5.3.2). Die Dosierung
ist abhängig von der erlangten oder Indikationen
angestrebten Schmerzreduktion und differiert 55 Nichtstabile Schmerzen (akute Entzündungs-
individuell je nach Patient, Vorgeschichte prozesse, Verletzungen, Frakturen …)
und Erkrankung. Vorsicht ist jedoch generell 55 Postoperativ
bei Leber- und Niereninsuffizienz geboten, 55 Dosisfindung (bei chronischer
ein Auftitrieren sollte hier unter sorgfältiger Schmerztherapie)
Überwachung erfolgen. 55 Palliativbereich, wenn eine orale Applikation
nicht möglich und der Schmerz für eine
z TTS (Transdermale Therapeutische Systeme) transdermale Medikation nicht stabil genug ist
Die Applikation von sog. Schmerzpflastern ist
bei Patienten sehr beliebt, da keine Medikamente Kontraindikationen
geschluckt werden müssen. Bei der Applikation von 55 Starke kognitive Einschränkung des Patienten,
TTS sollten jedoch folgende Punkte beachtet werden: die diesen daran hindert, die PCA adäquat zu
55 Nur bei stabilen Schmerzen anzuwenden. bedienen
55 Nur wenn eine orale Applikation nicht möglich 55 Kinder unter dem 5. Lebensjahr
ist. 55 Relative Kontraindikation – Patienten mit
55 Trägheit: 12–22 h bis zum Erreichen Suchtanamnese (i.v. Drogenabusus)
des maximalen Wirkstoffspiegels, 17 h
Halbwertszeit. Praxistipp
55 Cave: Bei verminderter Mikrozirkulation kann
die Resorptionsrate stark vermindert sein. Einem Patienten mit positiver Suchtanamnese
55 Fiebernder Patient – evtl. erhöhte Resorpti- sollte eher eine kontinuierliche Schmerzmit-
onsrate (Achtung bei Wärmeapplikation, nicht telapplikation empfohlen werden (Peridural-
auf oder in der Nähe der TTS). katheter, 7 PDK) mit gleichbleibender
55 Nicht auf verletzte Haut (evtl. vorhandene Laufrate), im Verlauf Retardpräparate.
Haare nicht wegrasieren, sondern schneiden).
. Tab. 5.8 Opioide der WHO-Stufe 3
5.3 · Medikamentöse Schmerztherapie

Präparat Pethidin Piritramid Morphin Oxycodon Hydromorphon Fentanyl Sufentanyl Buprenorphin

Potenz 0,1 0,7 1 1,2–2 5–10 125 1000 30


Kumulation bei Dosisanpassung Nein Ja Nein Nein Nein Nein Nein
Niereninsuffizienz erforderlich
Applikationsformen intravenös intravenös oral, intravenös, oral, mukosal, oral, intravenös transdermal, intravenös, transdermal, intravenös
lokal, intrathekal, intravenös intravenös epidural und mukosal
epidural und mukosal
Besonderheiten – – – Orale Form – – – Fraglich schlechte
mit Naloxon Kombinierbarkeit mit
anderen Opioiden
Umrechnung 1:3 1:2 1:4
intravenös:oral
Generika Dolantin Dipidolor MSI 100 mg Oxygesic Palladon injekt Fentanyl Sufenta Temgesic
(intravenös) Mundipharma injekt
5 87
88 Kapitel 5 · Schmerzmanagement auf einer IMC-Station

Einstellungsmöglichkeiten einer PCA-Pumpe 55 Relativ:


55 Dosis in mg (schwankt in der Regel zwischen 44Generalisierte Infekte, Sepsis
1–4 mg Morphinäquivalent) 44Manifeste Gerinnungsstörungen
55 Applikationszeit (zwischen 2–6 min), Verlän- 44Neurologische Vorerkrankungen
gerung der Applikationszeit zur Reduktion der 44Wirbeldeformitäten
opioidbedingten Nebenwirkungen 44Hypovolämie/Schock
55 Sperrzeit (8–20 min), dient der Sicherheit der 44Signifikante Aortenstenose
Patienten
55 Höchstdosisgrenze (4-Stunden-Höchstdo- Komplikationen
sierung: je nach Patient 10–20 mg Morphinäqui- 55 Sympathikusblockade:
5 valent – im Palliativbereich oder bei opioidge- 44Vasodilatation: RR-Abfall → Volumengabe,
wöhnten Patienten auch wesentlich mehr) evtl. Vasopressoren
55 Kontinuierliche Laufrate (nur bei Patienten 44Respiratorische Insuffizienz, Dyspnoe:
die bereits eine vorbestehende Opioidmedi- durch hohe Spinalanästhesie, Lähmung der
kation haben – oder in der chronischen und Interkostalmuskulatur
Palliativversorgung) 44Hyperperistaltik des Darmes: durch
55 Bestückung: sämtliche i.v. verfügbaren Opioide Überwiegen des Parasympathikus
(Piritramid, Oxycodon, Morphin, Hydro- 55 Fehllage:
morphon …) 44Spinal: Prophylaxe: vorherige Aspirations-
kontrolle und Injektion einer Testdosis mit
z PDK (Periduralkatheter) 2% Lidocain
Der Periduralkatheter vereint eine effektive Möglich- 44Intravasal: systemische Intoxi-
keit der Schmerzreduktion ohne die Nebenwirkun- kationserscheinungen bis hin zu
gen einer systemischen Opioidtherapie. generalisierten Krampfanfällen und
Reanimationspflichtigkeit
Indikation 55 Epidurales Hämatom: Inzidenz: 1:200.000
55 Schmerzausschaltung bei Operation 55 Infektion/Nervenläsion
55 Möglichkeit der Nachinjektion bei länger 55 Motorische Blockaden, fehlende
dauernden Eingriffen Sensorik
55 Kombination mit Intubationsnarkose bei 55 Katheterdislokation, Katheterdiskonnektion
großen gefäß- und abdominalchirurgischen 55 Katheterabriss
Eingriffen 55 Harnverhalt (überwiegend bei lumbalem
55 Postoperative, posttraumatische PDK)
Schmerztherapie 55 Rückenschmerzen (vor allem nach Mehrfach-
55 Therapie akuter oder chronischer Schmerzen punktionen, Periostverletzung)
55 Diagnostische oder therapeutische
Sympathikolyse (Zu Indikationen, Kontraindikationen, Komplikati-
55 Geburtshilfe onen: Heck u. Fresenius 2007)
55 Peristaltikanregung
> Die Betreuung von Patienten mit Epiduralan-
Kontraindikationen ästhesie benötigt geschultes Personal, um
55 Absolut: eventuelle Komplikationen schnell erkennen
44Ablehnung durch Patienten und beheben zu können. „Zwei Besuche
44Lokale Infektion an der Punktionsstelle täglich durch geschultes Fachpersonal
44Allergie auf Lokalanästhetika sind für eine adäquate Überwachung
44Geburtshilfliche Notfälle (Blutungen, erforderlich“ (S3-Leitlinie Behandlung
schwere fetale Depression, Asphyxie, akuter perioperativer und posttraumatischer
Verdacht auf Plazentalösung) Schmerzen, AWMF 2009, S. 82).
5.3 · Medikamentöse Schmerztherapie
89 5

. Tab. 5.9 Beispiele Koanalgetika . Tab. 5.10 Beispiele Adjuvanzien

Präparatgruppe Einsatzgebiet Präparatgruppe Einsatzgebiet

Antidepressiva Neuropathische Antazida, Protonen­ Vor allem in Kombination


(vor allem Trizyklika) Schmerzen, begleitende pumpeninhibitoren zu nichtsteroidalen
depressive Komponente Antirheumatika (NSAID)
(chronifizierter Schmerz) zur Vermeidung
gastrointestinaler Ulzera
Bisphosphonate Tumorerkrankungen
Antiemetika In Kombination mit einer
Kortikoide Abschwellende
Opioidtherapie
Komponente
α2-Agonisten (Clonidin) Opioidspareffekt durch Laxanzien, Prokinetika Zur Vermeidung von
Wirkverstärkung und Obstipationen im
Wirkverlängerung Zusammenhang mit einer
Opioidtherapie
Anxiolytika Bei begleitender
„Angstkomponente“
Antikonvulsiva Neuropathische
Schmerzen
Beispiele Siehe . Tab. 5.9.

5.3.5 Adjuvanzien
Lokalanästhetika
55 In lokaler Form – Lidocainpflaster (Versatis) – 55 Sind Medikamente, welche die analgetikabe-
enge Indikationsstellung (neuropathische dingten Nebenwirkungen minimieren.
Schmerzen, z. B. Post-Zoster-Neuralgien)
55 Epidural – Ropivacain (Naropin) – gebräuch- Beispiele Siehe . Tab. 5.10.
liche Konzentration von 0,2%, bei Bedarf auch
höher oder niedriger konzentriert
55 Nebenwirkung: Hypotonie (PDK) 5.3.6 Placeboeffekt

Lokale Wundinfiltration Placebo: lat. „ich werde gefallen“.


55 Einlage eines Katheters am Ende der OP, direkt
in das Operationsgebiet > 4 „Sofern eine aktive Schmerztherapie
55 Kontinuierliche Abgabe eines Lokalanästhe- möglich ist, sind medikamentöse
tikums direkt in das Gebiet der Schmerzent- Placeboverabreichungen, über die der
stehung – kaum Nebenwirkungen, da keine Patient nicht informiert und aufgeklärt
systemische Therapie wurde, ethisch nicht vertretbar. Sie
sollen außerhalb von Studien nicht zur
postoperativen Schmerztherapie genutzt
5.3.4 Koanalgetika werden“ (S3-Leitlinie, AWMF 2009, S. 17).
44 „Die Art und Weise, wie über ein Analgetikum
55 Sind Medikamente, die die analgetische informiert wird, kann einerseits die Wirkung
Potenz von Schmerzmitteln unterstützen des Präparates um seinen Placeboeffekt
und verstärken, ohne selbst Schmerzmittel erhöhen (im Falle positiver Informationen),
zu sein. oder aber seine Wirksamkeit reduzieren
55 Können eingesetzt werden, um durch eine und Nebenwirkungen (im Falle negativer
Dosisreduktion der Analgetika schmerzmittel- Informationen) steigern (Nozeboeffekt)“
bedingte Nebenwirkungen zu reduzieren. (S3-Leitlinie, AWMF 2009, S. 17).
90 Kapitel 5 · Schmerzmanagement auf einer IMC-Station

5.4 Prophylaxe und Behandlung


. Tab. 5.11 Schmerzmittelbedingte
der schmerzmittelbedingten
Nebenwirkungen
Nebenwirkungen
Nebenwirkung Maßnahmen
Medikamentös Adjuvanzien: 7 Abschn. 5.3.5
Obstipation Mobilisation, enterale
Ernährung, Darmmassage,
Pflegetherapeutisch ausreichend Flüssigkeit,
Ballaststoffe
> Schmerzmittelbedingte Nebenwirkungen Übelkeit/Erbrechen/ Wunschkost, kleine
pflegetherapeutisch zu behandeln, setzt Inappetenz Portionen, Gerüche
5 eine konsequente Patientenbeobachtung eliminieren, Getränke, Eis(-
würfel)
voraus. Keinem Patienten darf es mit einer
Schmerztherapie schlechter gehen als ohne Schwitzen Kühlende Waschungen
(. Tab. 5.11). (Minze)

Praxistipp

Sogenannte Energie- oder Eiweißdrinks


schmecken auch im gefrorenen Zustand und
5.6 Beratung und Schulung
bieten dem Patienten eine willkommene
Abwechslung und Erfrischung. Wer wird geschult?
55 Patienten
55 Begleitpersonen
5.5 Nichtmedikamentöse 55 Eltern
Möglichkeiten der 55 Kinder
Schmerztherapie
Wann wird geschult?
Für viele nichtmedikamentöse schmerzlindernde 55 Präoperativ
Maßnahmen sind eine spezielle Ausbildung und/ 55 Immer wieder im klinischen
oder besondere Gerätschaften notwendig (Tens, Alltag
Massagen, Akupunktur, Akupressur …). 55 Vor der Entlassung
Die transkutane elektrische Nervenstimulation
(TENS) ist, von all den vorgenannten Methoden, am Was wird geschult?
einfachsten umsetzbar. Die Geräte sind nicht mehr 55 Möglichkeiten der Einflussnahme auf
teuer (80–120 Euro/Stück) und bieten in der Regel Schmerzen
eine Vielzahl voreingestellter Programme. Die Schu- 55 Schmerzmessung/Umgang mit
lung der Mitarbeiter ist unkompliziert durchführ- Schmerzskalen
bar – am wichtigsten hierbei: Die Kollegen sollten 55 Erkennen von schmerzmittelbedingten
über Wirkung/Nebenwirkung und Kontraindikati- Nebenwirkungen und die Möglichkeiten der
onen Bescheid wissen. Dies beugt einer Verunsiche- Einflussnahme
rung der Patienten vor. 55 Schmerzarmes Mobilisieren
Es existieren jedoch mindestens genauso viele 55 Nebenwirkungen des Schmerzes – Einfluss
Maßnahmen, die täglich und schnell umsetzbar bzw. auf Bewegung, Atmung, postoperativen
in den täglichen Ablauf implementierbar sind. Diese Heilungsverlauf
Maßnahmen sind in der Regel schlecht oder gar nicht
validiert bzw. haben einen geringen Evidenzgrad. Auch eine adäquate anästhesiologische und chirur-
Einige sind in . Tab. 5.12 mit ihren Anwendungs- gische Aufklärung ist Bestandteil der präoperativen
gebieten benannt. Patientenedukation.
5.6 · Beratung und Schulung
91 5

. Tab. 5.12 Nichtmedikamentöse Schmerztherapie

Maßnahme Anwendungsform Einsatzgebiet Kontraindikation

Kälteapplikation Kühle Kompressen (nicht Schwellungen, frische Minderperfundierte Haut


gefroren), kühlende Gele, Traumata, orthopädische
feuchte Tücher und kieferchirurgische
OPs, Blutungen,
Mukositisschmerzen
Wärmeapplikation WarmTouch, Wärmeflasche, Schmerzen des Bewegungs- Frisches OP-Gebiet,
Kirschkernkissen, heiße und Halteapparates akute Blutungen oder
Rolle Entzündungsprozesse
Mobilisation und 7 Kap. 9 Nacken- und Höhergradige
Transfer Rückenschmerzen, Kreislaufinstabilität,
Kontrakturenprophylaxe instabile Frakturen
Ablenkung (Fernsehen, Bei akuten und chronischen Keine
Musik, Gebete, Schmerzen jeder Art, bei
Gespräche, Singen, Interventionen
Taktile Reize)
Lagerung Entlastungslagerung Dekubitus, Schmerzhaftes Keine
Abdomen, Verletzungen
Ruhigstellung Frakturen
Tieflagerung Ischämieschmerz
Gegenirritation Z. B. bei Entfernen des Bei jeglichen Interventionen Keine
Pflasters, Druck auf eine
andere Körperstelle
ausüben

Fragen zur Wissensüberprüfung vom Betroffenen selbst


Fragen: besser eingeschätzt werden
1. Welche Aussagen zur Schmerzerfassung können.
treffen zu? c. Wie eine Fremdbeurteilungsskala
a. Die Art der Therapie richtet sich allein zu interpretieren ist unterliegt der
nach der Schmerzstärke und dem individuellen Einschätzung des
WHO-Stufenschema. Anwenders.
b. Die Unterscheidung der einzelnen Antwort: b
Schmerzarten ist richtungsweisend für 3. Welche Aussagen zur Schmerzerfassung
die Art der Schmerztherapie. treffen zu?
Antwort: b a. Schmerzerfassung findet höchstens
2. Welche Aussagen zur Schmerzerfassung einmal am Tag statt.
treffen zu? b. Im differenzierten Assessment wird
a. Fremdbeurteilungsskalen sind lediglich die genaue Schmerzstärke
bevorzugt einzusetzen, da Patienten erfasst.
sich häufig nicht richtig selbst c. Es darf auf einer Station nur eine
einschätzen können. Eigeneinschätzungsskala eingesetzt
b. Eigenbeurteilungsskalen sind werden. Der Patient muss lernen mir
bevorzugt einzusetzen, da Schmerzen dieser Skala umzugehen.
92 Kapitel 5 · Schmerzmanagement auf einer IMC-Station

Literatur
Antwort: keine
AWMF – Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medi-
4. In welcher Schmerzqualität kann sich
zinischen Fachgesellschaften (2009) Behandlung akuter
neuropathischer Schmerz äußern? perioperativer und posttraumatischer Schmerzen. Regis-
a. Dumpf, krampfartig ternr. 001-025. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/
b. Elektrisierend, brennend ll/001-025.html. Zugegriffen: 10.12.2015
c. Einschießend Basler HD, Hüger D, Kunz R, Luckmann J, Lukas A, Nikolaus T,
Schuler MS (2006) Beurteilung von Schmerz bei Demenz
Antwort: b, c
(BESD) Untersuchung zur Validität eines Verfahrens
5. Auf das WHO-Stufenschema treffen zur Beobachtung des Schmerzverhaltens. Schmerz 20:
folgende Aussagen zu: 519–526
5 a. Adjuvanzien und Koanalgetika können Deutsches Netzwerk zur Qualitätsentwicklung in der Pflege
DNQP (2011) Expertenstandard Schmerzmanagement in
Bestandteil aller 4 Stufen sein.
der Pflege bei akuten Schmerzen, Osnabrück, Dezember
b. Sobald Opioide appliziert werden,
2011. http://dnqp.de. Zugegriffen: 10.12.2015
sollten alle Nichtopioidanalgetika Heck M, Fresenius M (2007) Repetitorium Anästhesiologie, 5.
abgesetzt werden. Aufl. Springer, Heidelberg
c. Stufe 2 und 3 werden miteinander Heck M, Fresenius M (2008) Klinikmanual Anästhesie. Springer,
kombiniert. Heidelberg
Kränzle S, Schmid U, Seeger C (2011) Palliative Care, 4. Aufl.
d. Stufe 1 und 4 miteinander zu
Springer, Heidelberg
kombinieren ist obsolet. Medhost (o.J.) Stadien der Chronifizierung. http://www.med-
Antwort: a host.de/schmerzen/stadien-chronifizierung.html. Zuge-
6. Was ist der Unterschied zwischen griffen: 10.12.2015
Koanalgetika und Adjuvanzien? Pogatzki-Zahn E, van Aken H, Zahn P (2008) Postoperative
Schmerztherapie (Pathophysiologie, Pharmakologie und
7. Was ist der Unterschied zwischen
Therapie). Thieme, Stuttgart
Placeboeffekt und Noceboeffekt? Sessler et al. (2008) Evaluating and monitoring analgesia
8. Warum ist ein akuter Schmerz biologisch and sedation in the intensive care unit. Critical Care 12
sinnvoll? (Suppl 3): S2. doi:10.1186/cc6148
9. Sogenannte Schmerzpflaster Thomas F (2012) Schmerzeinschätzung bei Menschen mit
schwerer Demenz. Das Beobachtungsinstrument für das
(Transdermale Therapeutische Systeme =
Schmerzassessment bei alten Menschen mit schwerer
TTS) sind Demenz (BISAD). Hans Huber, Bern
a. Sinnvoll für den Einsatz im akuten
postoperativen Bereich, weil viele
Patienten noch nicht zu oralisieren sind.
b. Nur für chronische, stabile Schmerzen
geeignet.
c. Sinnvoll zum Okkludieren offener
Wunden.
Antwort: b
10. Die Schmerztherapie beim IMC-Patienten
kann erschwert sein aufgrund …
a. Der evtl. eingeschränkten Neurologie
des Patienten
b. Den begleitenden Vorerkrankungen
(Polymorbidität)
c. Evtl. eingeschränkter Leber- und
Nierenfunktion
d. Kardiozirkulatorischer Instabilität
Antwort: a, b, c, d
93 6

Ernährung
T. Thorhauer

6.1 Ernährungsstatus – 94

6.2 Phasenmodell – 95

6.3 Bedarfsberechnung – 96

6.4 Refeeding-Syndrom – 97

6.5 Orale Ernährung – 97

6.6 Enterale Ernährung via Sonde – 98


6.6.1 Allgemeine Sondenpflege – 100
6.6.2 Nährstoffsubstrate – 100

6.7 Parenterale Ernährung – 101

Literatur – 102

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_6
94 Kapitel 6 · Ernährung

Gemäß einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Qualitätsentwicklung in der Pflege präzisiert, dass
Ernährungsmedizin (DGEM) von 2006 hat jeder zur Vermeidung einer Malnutrition zu „Beginn des
vierte Krankenhauspatient bis zum 70. Lebensjahr pflegerischen Auftrags im Rahmen der Pflegeanam-
und fast jeder zweite ab dem 70. Lebensjahr eine nese, bei akuten Veränderungen und in regelmäßigen
Mangelernährung (Malnutrition). Eine Malnutri- Abständen Risiken und Anzeichen einer Mangeler-
tion definiert sich als signifikanter Gewichtsverlust nährung“ (DNQP 2010) erfasst werden sollen, das
mit pathologischer Ursache, einer Abnahme des Kör- heißt z. B. auch Informationen über einen vorange-
pereiweißes in bedenkliche Grenzbereiche oder aber gangen Gewichtsverslust.
als Defizit von bestimmten essenziellen Nährstoffen. Zur Einschätzung des EZ dienen verschiedene
Diese Formen der Mangelernährung können unter- gezielte Laborparameter und diverse Berechnun-
schiedliche Gründe haben, auf die an dieser Stelle gen. Zu dieser Aufnahme des Ist-Zustandes eines
nur hingewiesen werden kann. Fakt ist aber, dass der Menschen zählt der Body-Mass-Index (BMI), die
Ernährung innerhalb der Therapie kritisch kranker momentane Befindlichkeit des Patienten in Bezug
6 Menschen eine große Bedeutung zukommt. In den auf Hunger und Durst, der allgemeine körperliche
Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Klini- Zustand und die Körpertemperatur.
sche Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN 2006) Der BMI berechnet sich wie folgt:
wurde festgestellt, dass jeder Tag, der ohne adäquate BMI = Körpergewicht (kg) geteilt durch die Kör-
Ernährung stattfindet, die Krankenhausverweildauer pergröße zum Quadrat (m²)
im Mittel um 1,42 Tage verlängert! Der BMI ist die momentan einfachste und all-
Die möglichen Folgen einer Malnutrition sind gemein akzeptierte Interpretation zur Einstufung
eine verminderte Immunkompetenz und Immu- des Gewichts nach der WHO-Klassifizierung. Die
nabwehr des Organismus. Daraus ergibt sich eine Formel hat ihre Schwächen bei der Betrachtung von
höhere Infektionsrate (z. B. Pneumonien) mit einer Ausnahmesportlern, z. B. Bodybuildern, Gewicht-
damit einhergehenden ansteigenden Komplikations- hebern etc., oder bei Kindern. Bei diesen Patien-
rate (z. B. durch Wundheilungsstörungen) sowie im tengruppen ist der Wert nur eingeschränkt bis gar
schlimmsten Fall eine erhöhte Mortalität. nicht verwertbar (National Research Council 1989).
Natürlich spielt das Geschlecht des Patienten eine
> Der Zustand einer Mangelernährung ist in wichtige Rolle. Männer haben in Relation zur Frau
jeder Phase eines Genesungsprozesses zu eine andere Muskelmasse/Fett-Verteilung. Somit dif-
vermeiden! ferieren die Normbereiche. Männer befinden sich bei
einem BMI von 20–25 kg/m² im Normbereich. Bei
Ziel ist es also, dem Organismus in seinen Bedürf- Frauen beträgt dieser 19 –24 kg/m². Zur Einteilung
nissen gerecht zu werden. Die Ernährung setzt sich dient die nachfolgende . Tab. 6.1.
aus folgenden Bausteinen zusammen: Aminosäu- Aufgrund der oben angeführten Schwächen des
ren, Kohlenhydrate, Fette, Spurenelemente, Vita- BMI wird dieser Index immer wieder kritisch disku-
mine, Ballaststoffe und Wasser. Alle diese Substanzen tiert. Perspektivisch scheint auch eine Abkehr statt
dienen dem Metabolismus (Stoffwechsel). Der Meta- zu finden. Denn seit 2014 ist der Body Shape Index
bolismus setzt sich aus den beiden Aspekten Aufbau- (ABSI) im Fokus der Ernährungswissenschaftler.
stoffwechsel (Anabolismus) und Abbaustoffwechsel ABSI bezieht sich zu der Größe und dem Gewicht
(Katabolismus) zusammen, die im Regelfall in einem eines Menschen auch auf den Hüftumfang. Dieser
ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Index wurde bereits in den 80er Jahren des vergan-
genen Jahrhunderts von Krakauer et al. erforscht und
erlebt derzeit scheinbar eine Renaissance. Ergebnisse
6.1 Ernährungsstatus zur Validation dieses Score-Systems stehen allerdings
noch aus (Krakauer u. Krakauer 2012).
Der aktuelle Ernährungszustand (EZ) eines kritisch Neben den ernst (!) zu nehmenden Meinun-
kranken Patienten muss zu Beginn der Behand- gen des Patienten in puncto Hunger und Durst
lung erhoben werden. Das Deutsche Netzwerk zur gilt es nun, den allgemeinen körperlichen Zustand
6.2 · Phasenmodell
95 6

. Tab. 6.1 Einstufung des Körpergewichts . Tab. 6.2 Empfohlene Laborkontrollen

Kategorie BMI (kg/m²) Einteilung Parameter Intervall

Starkes <16 Untergewicht Natrium, Kalium, Calcium Alle 1–3 Tage


Untergewicht
Phosphat, Magnesium Wöchentlich
Mäßiges 16–17
Harnstoff, Kreatinin 2-mal pro Woche
Untergewicht
Triglyzeride Wöchentlich
Leichtes 17–18,5
Untergewicht Gesamt Eiweiß/Albumin Wöchentlich

Normalgewicht 19–25 Normgewicht Leberwerte, alkalische Wöchentlich


Phosphatase
Präadipositas 25–30 Übergewicht
Lipase Wöchentlich
Adipositas 30–40+
Blutzucker Mind. täglich

zu erfassen. In die Betrachtung sollte der Hautzu-


stand (trockene, evtl. rissige Haut, die Erscheinung erhoben werden. Angeführt werden auch die aktu-
der Schleimhäute, Ödeme etc.) einfließen. Danach ellen Empfehlungen hinsichtlich des Überwa-
sollte die Körpertemperatur, noch besser deren bis- chungsintervalls. In Einzelfällen oder bei starken
heriger Verlauf, die Temperaturkurve, betrachtet Abweichungen außerhalb der Normbereiche sollten
werden. Patienten mit häufigen Fieberschüben oder Laborkontrollen häufiger erfolgen.
einer konstant subfebrilen Temperatur benötigen
eine deutlich höhere Kalorien- und Flüssigkeitszu-
fuhr als diejenigen mit einer eher normalen bis hypo- 6.2 Phasenmodell
thermen. Eine exakte Berechnungsgrundlage für die
Kalorienzufuhr im Zusammenhang mit der Tempe- Es existieren verschiedene Modelle für die Phasen
ratur gibt es momentan allerdings nicht. Näherungs- einer schweren Erkrankung aus der Sicht des Nähr-
weise wird die Harris-Benedict-Formel diesem Para- stoffbedarfs während eines Krankenhausaufenthalts.
meter gerecht (7 unten). Die aktuell gültige Version (Goeters et al. 2011) wird
Das metabolische Monitoring eines Patienten in drei Phasen unterteilt:
bildet sich in den verschiedenen Laborwerten ab.
Dabei kommen der Blutzuckermessung und der Akutphase/Ebbphase Am Anfang steht die Akut-
Bestimmung des Serumharnstoffes besondere Bedeu- phase, auch Ebbphase genannt. Sie dauert meist 24 h.
tung zu. Aktuell ist ein Grenzwert von 150–160 mg/dl Sie ist dominiert durch den sog. Postaggressionsstoff-
der Glukose erstrebenswert (Kreymann et al. 2008). wechsel, der einhergeht mit einer Ausschüttung anti-
Hypoglykämien (weniger als 70 mg/dl) sind in jedem insulinärer Hormone, einer relativen Insulinresistenz
Fall zu vermeiden. Der Harnstoffwert wiederum ist gepaart mit einem temporären Insulinmangel. Charak-
ein relativ träge reagierender Marker zur Bestim- teristisch hierfür sind die abnormal erhöhten Glukose-
mung einer Katabolie (Katabolismus = Abbau von werte, ohne dass ein Diabetes mellitus vorliegt. In dieser
körpereigenen Stoffen zur Energiegewinnung). Die Phase sollten dem Patienten keine Nährstoffe, expli-
katabole Stoffwechsellage ist ein Zustand, der für eine zit Fett, Kohlenhydrate und Eiweiß zugeführt werden.
Heilungsphase kontraproduktiv ist.
Katabole Flowphase Nach Abklingen der Ebb-
> Ein isolierter Anstieg des Harnstoffwertes ist phase kommt es zu einer katabolen Flowphase. Sie
ein Anzeichen für eine Katabolie! hat meist eine Dauer von 1 Tag bis hin zu 6 Tagen. In
dieser Phase besteht ein normaler bis erhöhter Ener-
Die in . Tab. 6.2 aufgeführten Parameter sollten bei giebedarf. Der Patient benötigt jetzt eine Energiezu-
kritisch Kranken mindestens einmal pro Woche fuhr entsprechend seinem Normalbedarf.
96 Kapitel 6 · Ernährung

. Tab. 6.3 Brennwert der Nährstoffe . Tab. 6.4 Altersabhängiger Energiebedarf

Baustein Kilojoule (kJ) a Kilokalorie Alter (Jahre) Basisenergieverbrauch


(kcal) (kcal/kg KG/Tag)

Protein 17,2 4,1 20–30 25


Kohlenhydrate 17,2 4,1 30–70 22,5
Fett 36,9 9,3 70 20

a 4,186 kJ = 1 kcal.

Bedside-Formel (Schätzwert) zur Bestimmung des


Basisenergieverbrauchs Der durchschnittliche
Standard für den Energiebedarf eines erwachsenen
6 Anabole Flowphase Danach kommt es zu einer Menschen beträgt 24 kcal/kg KG/Tag. Man könnte
anabolen Flowphase (Anabolismus = Aufbau von auch sagen ca. 1 kcal/kg KG/h! . Tab. 6.4 zeigt auf,
körpereigenen Stoffen). Innerhalb dieser Phase wie sich der Energiebedarf mit dem Lebensalter
sollte es zu einer Angleichung des Energieumsat- verändert.
zes mit der Energiezufuhr kommen. Der Orga-
nismus benötigt in dieser Phase in jedem Falle ein Harris-Benedict-Formel Die Harris-Benedict-For-
höheres Angebot von Nährstoffen im Vergleich zum mel soll hier exemplarisch für komplexere Instru-
Grundumsatz. mente zur Bedarfsberechnung angeführt werden.
Bei sehr komplexen oder schwierigen Heilungs- Die Berechnung des Gesamtenergieumsatzes mit
verläufen können sich diese Phasen auch immer Hilfe der Formel von Harris und Benedict erfolgt in
wieder abwechseln, bzw. der Patient gleitet aus einer drei Schritten.
Phase in eine andere. Als Beispiel sei der Patient 1. Bestimmung des Basis-Energieverbrauchs
genannt, der nach einem erfolgreich überstandenen (BEE)
Aufenthalt auf der Intensivstation eine Sepsis auf der a. BEE Männer (kcal/Tag): 66,57 +
IMC-Station erleidet. Dieser Patient befindet sich (13,75 × kg KG) + (5 × Größe cm) –
durch die Sepsis wieder in einer „neuen“ Ebbphase (6,76 × Alter)
und wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine b. BEE Frauen (kcal/Tag): 65,51 +
katabole Flowphase durchleben, bis er dann wieder (9,56 × kg KG) + (1,85 × Größe cm) –
in einer anabolen Flowphase ist. (4,68 × Alter)
2. Berücksichtigung der körperlichen Aktivität:
> Der Verlauf der Phasen ist dynamisch und Der im ersten Schritt errechnete Wert
keinesfalls ein fester Ablauf! wird dann noch mit dem sog. PAL-Wert
multipliziert. Hierbei wird der physische
Aktivitätslevel (PAL) des Menschen mit
6.3 Bedarfsberechnung eingebracht.
a. Immobil, bettlägerig: BEE × 0,8
Die Bedarfsberechnung, um eine näherungsweise b. Teilmobil, kurze/passive Mobilisation:
Betrachtung der erforderlichen Menge an Nahrungs- BEE × 1,0
zufuhr zu erreichen, definiert sich über die Berech- c. Mobil, aktive Mobilisation: BEE × 1,2
nung des Kalorienbedarfs. Dafür gibt es Bedside-For- 3. Nach diesem Rechenschritt fließen noch unter-
meln, aber auch komplexere Formeln, in welche die schiedliche Erkrankungsfaktoren (. Tab. 6.5)
verschiedenen Faktoren, die ausschlaggebend sind mit ein. Der bisher errechnete Wert wird
für eine individuelle Lösung, einfließen. Grundle- nun nochmals mit dem Erkrankungsfaktor
gend ist die Kenntnis über den Kaloriengehalt der multipliziert und man erhält den Zielbedarf
Nährstoffe (. Tab. 6.3). eines Patienten.
6.5 · Orale Ernährung
97 6
6.4 Refeeding-Syndrom
. Tab. 6.5 Für den Energieumsatz relevante
Erkrankungsfaktoren
Das Refeeding-Syndrom (Zauner et al. 2005) ist ein
Erkrankung Erkrankungsfaktor Komplex von Symptomen, der bei Menschen auftritt,
die nach einer schweren Mangelernährung ein Über-
Dekubitus <50 cm² 1,4
angebot an Kohlenhydraten erfahren.
Dekubitus >50 cm² 1,7 Bei länger andauernder Unterversorgung mit
Fraktur langer Röhrenknochen 1,3 Kohlenhydraten beginnt der Organismus mit einer
Mehrfachfrakturen 1,25 gesteigerten Lipolyse, um seinen Energiebedarf zu
Herzinfarkt 1,1
decken. Erfolgt nun eine zu stark gesteigerte Zufuhr,
reagiert der Körper mit einer vermehrten Insulinaus-
Hyperthyreose 1,7
schüttung und einem Verzicht auf Lipolyse. Dadurch
Pankreatitis 1,2 kommt es zu einem lebensbedrohlichen Zustand.
Polytrauma 1,4 Denn mit der erhöhten Einfuhr von Glukose in die
Polytrauma mit septischen 1,6 Zellen, steigt dort auch die Kalium-, Magnesium-
Komplikationen und Phosphatkonzentration. Zeitgleich sinkt der ext-
Rekonvaleszenz mit septischen 1,6 razelluläre Anteil dieser Ionen. Es kann zu Ödembil-
Komplikationen dungen, muskulären Krämpfen, Arrhythmien bis hin
Rekonvaleszenz nach großer OP 1,2 zum Herzstillstand und Blutbildstörungen kommen.
Schweres Schädel-Hirn-Trauma 1,4 In einigen Fällen wird auch ein schwerer Leberscha-
den beobachtet. Diese Komplikationen können
Sepsis 1,6
lebensbedrohlich werden.
Tumorerkrankungen 1,3
Verbrennungen ~10% 1,25
Verbrennungen ~20% 1,5 6.5 Orale Ernährung
Verbrennungen ~30% 1,7
Verbrennungen ~40% 1,85
Patienten, die auf normalem, physiologischem Wege
ihre Nahrung oral aufnehmen können, sollten über
Verbrennungen ~50% 2,0
eine ausreichende Vigilanz und einen vollständig
Kleinere Operation 1,1 erhaltenen Schluckreflex verfügen. Jegliche Form
der Dysphagie ist eine Kontraindikation für die orale
Ernährung. In jedem Fall kann mit Hilfe von Basaler
Diese Formel ist nur ein Beispiel dafür, wie versucht Stimulation oder Facio-Oraler Therapie, seitens eines
wird, die komplexen Zusammenhänge im Stoffwech- Logopäden oder von anderweitig geschultem Perso-
sel von Patienten zu erfassen und „berechenbar“ zu nal, eine orale Nahrungsaufnahme trainiert werden.
machen. Es gibt weitere Formeln, die zusätzlich Sollte die Menge an zugeführter Nahrung nicht aus-
dynamische, d. h. ständigen Veränderungen unter- reichend sein und dadurch eine Gefahr der Malnu-
liegende Größen wie Herzfrequenz, Atemfrequenz trition entstehen, so stehen adjuvant viele Nahrungs-
und Temperatur einbeziehen und deswegen für die ergänzungsmittel, sogenannte „Supplementals“ zur
Berechnung des Ruheenergieumsatzes noch genauer Verfügung. Diese sind meist hochkalorische Trink-
sind (Schulman u. Mechanick 2012). nahrungen oder halbfeste Speisen. Es gibt hier von
Seiten der Industrie vielfältige Produkte, die eine
> Für jedwede Berechnung des Energiebedarfs nährstoffbilanzierte Diät in der Regel ermöglichen.
ist das Normalgewicht (Körpergröße Neben Schluckstörungen stellen auch Probleme
in cm–100 cm) zu benutzen! Nicht das wie Appetitlosigkeit, körperliche Schwäche, kog-
aktuelle Gewicht! Von diesem Grundsatz wird nitive oder motorische Einschränkungen immer
nur bei extremem Untergewicht (BMI <17) wieder Faktoren dar, die eine ausreichende Nah-
abgewichen. rungszufuhr über den natürlichen Weg behindern.
98 Kapitel 6 · Ernährung

Bevor aber auf künstliche Ernährung umgestellt bei gleichzeitiger antimikrobieller Therapie, sollte
wird, gilt es die Ressourcen der Patienten zu fördern eine eventuelle verstärkte Besiedelung des Darms
und den Aktivitäten Essen und Trinken besondere mit Clostridium-difficile-Erregern ausgeschlossen
Aufmerksamkeit zu schenken. werden. Man kann solchen Phänomenen vorbeu-
gen, in dem täglich „Platzhalter“ für die dezimierte
> Oral vor künstlicher enteraler Ernährung vor natürliche Flora des Darms mit appliziert werden.
parenteraler Ernährung! Die Vorgehensweise hierbei ist im Augenblick noch
Diskussionspunkt. Einige Kliniken verwenden Prä-
Praxistipp parate der Nahrungsmittelindustrie wie z. B. Actimel,
andere benutzen pharmazeutische Ansätze wie z. B.
Für IMC-Patienten mit einem Risiko für Perocur-Kapseln.
Mangelernährung ist es sinnvoll, Ess- und Darüber hinaus sei gesagt, dass sich der Stuhl
Trinkmengen in Form eines Ernährungs- eines Patienten in seiner Konsistenz bei einer ente-
6 protokolls zu dokumentieren und z. B. ralen Ernährung via Sonde doch deutlich von einem
ein Tellermonitoring zu implementieren. normalen homogen geformten Stuhl bei normaler
Pflegende können so ihrer Aufsichtspflicht oraler Nahrungsaufnahme unterscheidet.
nachkommen, auch dann, wenn die Ein weiteres Problem ist der Meteorismus, meist
Essensversorgung zunehmend von einhergehend mit einem geblähten Abdomen. Auch
Serviceassistenten übernommen wird. hier kann die Ursache bei der Sondenkost liegen. Ein
„Zuviel“ an Ballaststoffen oder eine Laktoseintole-
ranz können hier der Grund sein. Natürlich verur-
sachen auch viele Medikamente, z. B. Laktulose oder
6.6 Enterale Ernährung via Sonde ähnliche Präparate, solch ein Symptom.
Die Gefahr des Erbrechens mit eventueller Aspi-
Die Vorteile einer enteralen Ernährung über eine rationsgefahr ist nicht zu verharmlosen. Es kann
Sonde gegenüber der reinen parenteralen Ernäh- im Falle einer o. g. Aspiration zu schwerwiegen-
rung sind mittlerweile eindeutig bewiesen: Sie beugt den Komplikationen wie Pneumonie, Sepsis etc.
der Zottenatrophie vor, regt die Magen- und Darm- führen. Doch auch diese Gefahr kann man mini-
motilität an, birgt weniger Infektionsgefahr und ist mieren, indem man regelmäßig die Magenfüllung,
kostengünstiger. Die Gefahr der Zottenatrophie und die Darmtätigkeit und die Lage der Sonde kont-
der damit verbundenen bakteriellen Translokation rolliert sowie eine konsequente Oberkörperhoch-
wurde erstmals von Wilmore et al. 1989 beschrie- lagerung von mindestens 30° einhält, wenn keine
ben, und ist Gegenstand vieler Untersuchungen. medizinischen Gründe dagegen sprechen. Dazu
Generelle Voraussetzung ist eine existierende und wird empfohlen, dass in jeder Einrichtung Stan-
funktionstüchtige Mukosa des Darms. Insbeson- dards vorliegen. Empfohlen wird eine Reduktion der
dere die deutlich niedrigere Infektionsrate gegen- Sondenkost bei einem gastralen Residualvolumen
über der unphysiologischen Ernährung über einen („Reflux“) von mehr als 500 ml in 8 h. Empfohlen
Venenweg ist vor dem Hintergrund einer deutli- wird außerdem, dass diese Kontrolle passiv erfolgt
chen Zunahme von katheterassoziierten Sepsisfäl- und bei kleineren Mengen der Mageninhalt wieder
len in den letzten Jahren ein gewichtiges Argument dem Patienten zugeführt wird. Bei einem komplett
(7 Kap. 8). atonen Magen sollte rechtzeitig an eine jejunale
An dieser Stelle sollten natürlich auch die Nach- Applikationsform gedacht werden. Auch der Ansatz
teile benannt werden: Übelkeit, Erbrechen, Meteoris- von verschiedenen Prokinetika, z. B. MCP, sollte mit
mus, Diarrhö, Stoffwechselstörungen und die Aspi- verfolgt werden.
ration. All das kann geschehen mit unterschiedli- Neben den bereits erwähnten Problemen kommt
cher Häufigkeit und unterschiedlicher Schwere. Was es auch immer wieder zu Stoffwechselstörungen im
man in der Praxis immer wieder beobachtet, ist die Bereich des Blutglukosespiegels. Aus diesem Grunde
intermittierend auftretende Diarrhö. Geschieht dies empfiehlt sich momentan eine kontinuierliche
6.6 · Enterale Ernährung via Sonde
99 6
Applikationsform (Stein 2003). Dadurch erfolgt
eine langsamere und ausgewogenere Nährstoffzu-
fuhr. Auch hochdosierte Gaben von Ballaststoffen
(Löser 2001) können hier hilfreich sein.
Der Kostaufbau sollte auf jeden Fall stufen-
weise erfolgen. Insbesondere beim Wechsel von der
parenteralen zur enteralen Ernährung und beim
Übergang von der Ebb- in die Flowphase empfiehlt
sich ein schrittweiser Aufbau nach einem festen
Plan (einem sogenannten Protokoll, das Schritt für
Schritt festlegt, wann die Zufuhr gesteigert und bei a
welchen Nebenwirkungen sie reduziert werden soll).
Die meisten Intensiv- und IMC-Stationen verfügen
über entsprechende Standards.

Nasogastrale/Orogastrale Sonde Der wohl am


häufigsten gewählte Applikationsweg ist die relativ
einfach zu legende und kostengünstige Sonde über
den nasalen oder oralen Zugang. Die Industrie bietet
auch hier unterschiedliche Formen und Materialien
an. Bewährt im klinischen Einsatz haben sich Sonden b
aus Polyurethan (PU) und Silikon. Sonden aus Poly-
. Abb. 6.1a,b Jejunalsonden mit Stahlmandrin: a zum
vinylchlorid (PVC) sollten nur noch als kurzfristige
transnasalen Einführen bzw. b zum Einführen via Gastroskop.
postoperative Ableitungssonden ihre Daseinsberech- (Aus Rittler et al. 2006)
tigung finden, da sich die darin enthaltenen Weich-
macher nach bereits kurzer Zeit, ca. 48 h, verflüch- Ernährung, da es sich doch um eine sehr invasive
tigen und die Gefahr von Druckulzera im Nasen-­ Methode handelt.
Rachen-Ösophagus-Bereich, eine generelle Gefahr
bei dieser Sondenlage, sich drastisch erhöht. Darüber Nasoduodenale/Nasojejunale Sonden Diese Sonden
hinaus bestehen eine allgemein höhere Aspirations- sehen äußerlich den normalen nasogastralen Sonden
gefahr und eine Möglichkeit von aufsteigenden ähnlich. Diese Sondenform findet Anwendung bei
Keimen aus dem Darmbereich bedingt durch die Krankheitsbildern, in denen ein deutlich erhöhtes
Lage der Sonde. gastrales Residualvolumen auftritt, das mit einer
hohen Aspirationsgefahr einhergeht, oder in denen
PEG (perkutane endoskopische Gastrostomie) Diese die Funktion des Magens in seiner Gesamtheit gestört
auch sehr verbreitete Form des Zugangs zum Magen- bzw. nicht vorhanden (z. B. Z. n. Magenresektion) ist.
Darm-Trakt ist ein mittlerweile genau standardisier- Meist handelt es sich um Bi- bzw. Trilumensonden.
tes Verfahren, bei dem durch die Bauchdecke eine Seltener sieht man Sonden mit nur einem Lumen
Sonde unter endoskopischer Kontrolle und Betei- in diesem Bereich. Diese Sonden werden fast aus-
ligung eingebracht wird. Eine sehr empfohlene nahmslos endoskopisch platziert (. Abb. 6.1). Eine
Sondenlage bei Patienten mit anhaltenden neuro- Ausnahme sind die selbstplatzierenden Sonden, z. B.
logischen Störungen oder nicht existentem bzw. Tiger-Tube (. Abb. 6.2). Diese können bei minima-
unzureichendem Schluckreflex sowie anderweiti- ler Restperistaltik auf nasalem Zugang eingebracht
gen Kontraindikationen, z. B. Ösophagusstenosen, werden und „wandern“ bis zu ihrem Endpunkt in
für eine nasogastrale Zugangsart. Komplikationen duodenaler Lage innerhalb von 24–48 h. Der Vorteil
hierbei sind der Häufigkeit geordnet: Dislokation, hierbei ist, dass man sie ohne endoskopische Sicht
Blutung und Infektion der Insertionsstelle. Diese Art legen kann. Es erfordert aber Übung und Erfahrung
des Zugangs ist nicht gedacht für eine kurzfristige beim Einbringen der Sonde.
100 Kapitel 6 · Ernährung

(Verstopfung) sowie die Dislokation (Fehllage) dazu.


Um einer Okklusion vorzubeugen, empfiehlt es sich,
die Sonde regelmäßig mit stillem Wasser oder kei-
marmem, speziell gefiltertem Leitungswasser (z. B.
a PAL) zu spülen, insbesondere vor und nach jeder
Medikamentengabe. Tees sind, bis auf Fenchel-
und Kamillentee, in jeder anderen Form obsolet
(Früchte- und Schwarzteesorten enthalten Säuren,
die das Material der Sonde angreifen).
Der hygienische Umgang ist auch bei der Appli-
kation von Sondenkost in all ihren Variationen
unumgänglich. Nährstoffsubstrate sind potenziell
günstige Lebensbereiche für Mikroorgansimen. Ein
6 besonderes hygienisches Augenmerk sollte auf die
Zugangsform der jejunalen Sondenlage gerichtet
b werden. Hierbei wird das Substrat ja unter Umge-
hung der natürlichen Schutzbarriere des Magens
. Abb. 6.2a,b Tiger-Tube-Sonde von COOK (b), in der gegenüber krankmachenden Keimen in den Orga-
Vergrößerung (a) sind die seitlichen „flaps“ sowie die Auslässe
nismus eingebracht. Aus diesem Grund ist bei jejuna-
für Nahrung und Medikamente zu sehen. (Aus Schröder et al.
2007) ler Sondenlage ein absolut keimarmes Vorgehen
erforderlich.
Bei der Medikamentenapplikation ist zu beachten,
PEJ (perkutane endoskopische Jejunostomie) dass die jeweiligen Medikamente einzeln (!) aufbereitet
Ähnlich der PEG ist die PEJ-Anlage. Sollte es Kon- werden und auch separat verabreicht werden sollten.
traindikationen gegen eine gastrale Sondenlage Je dünner das Innenlumen einer Sonde, desto sorgfäl-
geben und gleichzeitig eine nasale Applikation einer tiger sollte auch gespült werden. Bei strittigen Medi-
jejunalen Sonde nicht indiziert sein, so kommen kamenten oder einer unklaren Datenlage, sollte der
diese Sonden zum Einsatz. Auch hier ist es eine Apotheker oder Hersteller befragt werden, ob dieses
Lösung für eine längere Zeit. Medikament zerkleinert und gelöst werden darf.
Die Sonden werden möglichst mit hautfreundli-
FKJ (Feinnadel-Katheter-Jejunostomie) In einigen chem Material verbunden. Der Einsatz von jodhal-
Kliniken wird dieses Verfahren routinemäßig einge- tigen Salben oder Desinfektionsmitteln wird nicht
setzt. Intraoperativ wird bei größeren abdominalen empfohlen. Bei nasalen Zugängen ist die Position
Eingriffen diese Sonde direkt in den Dünndarm ein- täglich zu verändern, um Druckulzerationen pro-
gebracht, durch die Bauchdecke ausgeleitet und mit phylaktisch zu begegnen.
einer kleinen Halteplatte dort auf der Haut fixiert.
Die FKJ ist in der Regel eine sehr dünne Silikonsonde > Bei allen jejunalen Sonden ist auf ein
und somit ist das Okklusionsrisiko dieser Sonde absolut keimarmes Arbeiten zu achten,
enorm hoch. Es empfiehlt sich die Sonde regelmä- ebenso das genaue Einhalten der
ßig zu spülen. empfohlenen Standzeiten der verwendeten
Überleitsysteme!

6.6.1 Allgemeine Sondenpflege


6.6.2 Nährstoffsubstrate
Die Komplikationen bei einer künstlichen entera-
len Ernährung sind vielfältig. Im praktischen Alltag Die Industrie bietet eine breite Palette an verschiede-
gehören neben den bereits erwähnten Diarrhöen nen Substraten an. Man unterscheidet folgende ver-
und dem Erbrechen auch die Sondenokklusion schiedene Formen:
6.7 · Parenterale Ernährung
101 6
Vollbilanzierte Diäten Diese Sondenkostformen Anteil im Laufe der Therapie, so minimiert sich der
beinhalten immer einen genau definierten Anteil von parenterale und umgekehrt.
Proteinen, Fett, Kohlenhydraten, Vitaminen, Spu- Es bieten sich fertige Drei-Kammer-Sys-
renelementen, Ballaststoffen und Elektrolyten. Alle teme, z. B. Olimel, an. Diese Fertigbeutel enthal-
diese Diäten sind natriumarm. Beispiele: Nutrison ten einen ausgewogenen Aminosäuren-, Fett- und
Standard oder Multi Fibre, Biosorbin etc. Kohlenhydratanteil.

Nährstoffmodifizierte Diäten Diese dienen der > Wenn nicht mit Mischlösungen
Deckung eines eventuellen Mangels an bestimmten gearbeitet wird, muss darauf geachtet
Nahrungsbausteinen. Als Beispiel sei hier eine deut- werden, dass Aminosäurelösungen nie
lich proteinhaltigere Kost bei einer entsprechenden allein, sondern immer gleichzeitig mit
Malnutrition genannt, z. B. Nutrison Protein plus. Glukoselösungen laufen. Sie werden sonst
zur Energiegewinnung verbraucht und nicht
Krankheitsbezogene Substrate Diese Sondenkost- für den Aufbaustoffwechsel (Aufbau von
formen finden ihren Einsatz bei speziellen Erkran- Körpereiweiß).
kungen oder aber speziellen Unverträglichkeits-
reaktionen. Dazu zählen beispielsweise die Spe- Die Infusionslösungen werden mit unterschiedli-
zialnahrungen bei Niereninsuffizienz oder aber cher Osmolarität angeboten. Zu beachten ist, dass
bei Laktoseintoleranz. Darüber hinaus gibt es in eine Gabe von hochosmolaren Lösungen, sprich
diesem Bereich ein breites Angebot an verschiede- über 800 mosm/l, über einen peripheren Venenweg
nen Arten. kontraindiziert ist. Für Lösungen über 800 mosm/l
benötigt man einen zentralen Venenzugang in die
> Bei einer jejunalen Sondenlage ist eine V. cava. Die meisten dieser Fertiglösungen sind che-
niedermolekulare Substratform zu wählen. misch genau definiert. Daraus ergibt sich, dass man
auf Zusätze zumeist verzichten muss. Im Einzelfall
sollte dies mit einem Apotheker oder dem Hersteller
6.7 Parenterale Ernährung in Absprache geschehen.

Eine vollständige parenterale Ernährung erfolgt, > Ernährungslösungen sollten immer konstant
wenn eine enterale Ernährung über einen Zeitraum verabreicht werden. Die Bolusapplikation
von mehr als drei Tagen nicht möglich erscheint birgt zu viele Risiken, z. B. Hypoglykämie
(Singer et al. 2009) bzw. Hyperglykämie.
Die Nachteile einer Umgehung des Magen-
Darm-Trakts bei der Ernährung sind vielfältig. Zum Eine zusätzliche Gabe von wasserlöslichen und fett-
einen ist da die stets erhöhte Gefahr einer Infektion löslichen Vitaminen sowie Spurenelementen wird
oder Blutung durch die Invasivität des Zugangs vom ersten Tag an empfohlen. Auch eine eventu-
sowie der Keimeinschleppung durch unsachgemäße elle Substitution mit Elektrolyten kann im Einzel-
Handhabung des Zugangs, zum anderen die Mög- fall erforderlich sein. Maßgebend hierfür sind regel-
lichkeit einer bakteriellen Translokation aus dem mäßige Laborkontrollen, um mögliche Defizite zu
Darmlumen in das umgebende Gewebe, da sich erkennen. Doch auch hier ist Vorsicht mit einer
die Darmzotten bei Inaktivität konstant und zügig möglichen Inkompatibilität der Ernährungslösung
zurückbilden. geboten, z. B. bei kalziumhaltigen Lösungen. Erfolgt
Eine elegante Methode ist in jedem Falle die die Applikation von inkompatiblen Lösungen zeit-
duale Ernährung (Kreymann et al. 2006). Hierbei gleich zur parenteralen Ernährung, so muss dies über
wird zumindest mit einer geringen Menge Sonden- ein zweites Lumen geschehen. Ist dies aus irgendwel-
kost eine „Zottenernährung“ auf enteralem Wege chen Gründen nicht möglich, so muss die laufende
verabreicht. Die Defizite werden mit parenteraler Ernährungslösung gestoppt werden, das Lumen mit
Ernährungslösung substituiert. Steigt der enterale einer neutralen Lösung gespült, das Medikament
102 Kapitel 6 · Ernährung

appliziert und anschließend erneut mit einer neu- Literatur


tralen Lösung gespült werden.
DGEM-Leitlinie (2007) Parenterale Ernährung. Aktuel Ernaehr
Als Fazit bleibt zu sagen, dass die Ernährung
Med 32 (Suppl 1)
einen immer größeren Stellenwert in den Thera- DNQP (2010) Expertenstandard Ernährungsmanagement zur
pieformen einnimmt, und somit ist es eine logische Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung in
Konsequenz, dass die Rolle der Pflegenden eine hohe der Pflege. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung
Wichtigkeit hat! in der Pflege, Osnabrück
Europäische Leitlinie der ESPEN für Enterale Ernährung (2006)
Aktuel Ernaehr Med 31: 196–197
Goeters C (2011) Ernährungstherapie des kritisch Kranken –
Fragen zur Wissensüberprüfung Update 2010. Intensivmed.up2date 7:9–11
1. Erläutern Sie das Problem der Malnutrition Goeters C, Wempe C (2007) Grundsätze der Ernährungsthe-
bei kritisch kranken Menschen. rapie. In: Aken VH, Reinhard K, Zimpfer M, Welte T (Hrsg)
Intensivmedizin, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart New York
2. Bitte begründen Sie, warum die enterale
6 Ernährung Vorrang vor der parenteralen
Krakauer N Y, Krakauer J. (2012) A new body shape index
predicts mortality hazzard independently of body mass
haben sollte. index. PLOS one. http://journals.plos.org/plosone/­
3. Welche Möglichkeiten gibt es, die article?id=10.1371/journal.pone.0039504. Zugegriffen:
orale Ernährung auf der IMC-Station zu 10. 2015
Kreymann G, Schütz T, Weimann A (2008) DGEM-Leitlinien
überwachen und zu dokumentieren?
Enterale und Parenterale Ernährung – Kurzfassung. Thie-
4. Berechnen Sie den Kalorienbedarf eines me, Stuttgart
60-jährigen, männlichen Patienten mit Löser C (2001) Praxis der enteralen Ernährung. Indikationen,
einer Tumorerkrankung, der teilweise Technik, Nachsorge. Thieme, Stuttgart
immobil ist, nach der Bedside-Formel National Research Council (1989) Diet and health. National
Academy Press, Washington D.C.
(Schätzformel) und nach der
Rittler P et al. (2006) Enterale Ernährung. Chirurg 77: 1063–
Harris-Benedict-Formel. 1080. DOI 10.1007/s00104-006-1251–y
5. In welcher Phase eines schweren Schröder S et al. (2007) Nasojejunale Ernährungssonden bei
Krankheitsverlaufs sollten keine Kalorien Intensivpatienten. Anaesthesist 56: 1217–1222. DOI
zugeführt werden? Wie lange dauert diese 10.1007/s00101-007-1260–3
Schulman RC, Mechanick JI (2012) Metabolic and nutrition
Phase etwa?
support in the chronic critical illness syndrome. Respira-
6. Welche Faktoren spielen eine Rolle bei tory Care 57(6): 958–978
der Gefahr der Aspiration von Nahrung? Singer P, Berger MM, Van den Berghe G et al (2009) ESPEN Gui-
Nennen Sie Präventionsmaßnahmen. delines on parenteral nutrition: Intensive care. Clin Nutr
7. Erläutern Sie die Besonderheiten der 28: 387–400
Stein J, Jauch KW (2003) Praxishandbuch Klinische Ernährung
jejunalen Applikation von Sondenkost, was
und Infusionstherapie. Springer, Heidelberg
müssen Sie beachten? Zauner C, Kneidinger N, Lindner G, Schneeweiß B, Zauner A
8. Sowohl die parenterale als auch die (2005) Das Refeeding-Syndrom. J Gastroenterol Hepatole
enterale Ernährung sollte möglichst Erkrank 4: 7–11
kontinuierlich über den Tag verteilt
erfolgen. Begründen Sie dies.
103 7

Wahrnehmungsstörungen
P. Nydahl

7.1 Wahrnehmung – 104

7.2 Wahrnehmungsveränderungen und -störungen – 105


7.2.1 Wahrnehmungsveränderungen durch Medikamente – 105
7.2.2 Wahrnehmungsveränderungen im Alter – 106
7.2.3 Wahrnehmungsveränderungen durch Immobilität – 107
7.2.4 Delir – 107
7.2.5 Prävention von Wahrnehmungsstörungen und Delir – 109
7.2.6 Pflegerische Interventionen bei Wahrnehmungsstörungen – 111
7.2.7 Pflegerische Interventionen beim Delir – 111
7.2.8 Erleben eines Delirs aus Sicht der Patienten – 113

Literatur – 114

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_7
104 Kapitel 7 · Wahrnehmungsstörungen

In diesem Kapitel werden Wahrnehmung sowie konnte mich nicht an mein zu Hause erinnern, wie
Wirklichkeits- und Wahrnehmungsstörungen es war. Ich wusste nicht, ob ich einen Job hatte oder
behandelt. Hierbei werden Veränderungen der nicht. Ich konnte mich wirklich an nichts erinnern,
Wahrnehmung im Alter und durch Medikamente wer ich war. Und das war sehr, sehr beängstigend.“
vorgestellt. Eine besondere Bedeutung kommt dabei (Nydahl u. Papengut 2011)
dem Delir und dessen Erkennen und Behandeln zu.
Besonders relevant sind hier die pflegerischen Inter- Was löst dieser authentische Bericht beim Lesen aus?
ventionen zur Prävention des Delirs. Was können Pflegende aus dieser Schilderung über
die Wahrnehmung und Wahrnehmungsstörungen
Beispiel kritisch kranker Patienten lernen und ableiten?
Eine Patientin, 47 Jahre, berichtet: „Ich erinnere
mich, dass die Schwestern sagten: „Dein Mann“.
Und ich sagte: „Oh.“ Ich deutete: „Oh, er wird nicht 7.1 Wahrnehmung
kommen, weil er keine Krankenhäuser mag.“ Und
sie sagte: „Eigentlich ist er die ganze Zeit hier. Er ist Der Begriff Wahrnehmung entstammt dem althoch-
7 die meiste Zeit hier gewesen“. Und wenn er kam, deutschen waraneman und bedeutet „einer Sache
konnte ich mich nicht an seinen Namen erinnern. Aufmerksamkeit schenken“ (Duden 1997), es ist also
Und ich konnte mich nicht erinnern, und meinen ein gezielter und willkürlicher Prozess. Wir schauen
eigenen Namen auch nicht. Und ich erinnere mich, irgendwo hin, wir hören zu, wir erspüren etwas.
mit meiner Mutter gesprochen zu haben, ich wuss- Ohne diesen gerichteten Prozess wäre unser Gehirn
te, es war meine Mama, ich wusste, wer meine mit der Vielzahl an Informationen überfordert, wir
Mama und Papa waren und ich wusste, wer mein müssen unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte
Mann war, aber ich wusste nicht ihre Namen. Und Inhalte richten. Fröhlich definiert Wahrnehmung
ich kann mich erinnern, zu fragen, wer ich war, und als die sinngebende Verarbeitung von Informatio-
die Menschen nicht wirklich verstanden, was ich nen, die durch die Sinne zu unserem Gehirn gelei-
meinte. Und ich kann mich erinnern, meine Mutter tet werden (Fröhlich 1997). Wahrnehmung basiert
zu fragen: „Ich weiß nicht, wie ich aussehe?“ Und sie also auf den verschiedenen Sinnen und hängt von der
sagte: „Oh, du siehst in Ordnung aus, meine Liebe.“ Verarbeitung ab. Beide – Sinne und Verarbeitung –
Ich dachte, ich war besorgt, wie ich aussah. Was ich können individuell variieren und hängen wiederum
meinte war: „Ich weiß wirklich nicht, wie ich ausse- von verschiedenen Faktoren ab.
he“. Ich hatte keine Ahnung. Weil die Schwestern
dauernd zu mir sagten: „Dein Haar ist so schön.“ Und > Die persönliche Wirklichkeit ist nie ein
ich dachte: „Ich habe keine Ahnung, weil ich nicht Eins-zu-eins-Abbild der Realität, sondern
weiß, welche Farbe es hat, wie lang es ist.“ Und weil, immer eine subjektive Interpretation.
ich konnte mich nicht bewegen, es berühren und
ich hatte keine Erinnerung daran, wie ich aussah. Um unseren Körper und unsere Umwelt wahrnehmen
Ich fand das sehr beunruhigend. Ich wusste nicht, zu können, verfügen wir über verschiedene Rezepto-
wie alt ich war. Ich war 58. Und ich denke, der Grund ren. Wir haben Druck-, Temperatur-, Lage-, Bewe-
dafür war, dass, als ich die Operation hatte, der Anäs- gungs-, Schmerz-, Vibrations-, Licht- und Chemo-
thesist und der Arzt und alle, die mich sahen, immer rezeptoren. Alle Rezeptoren wandeln ihre Impulse
wieder nach meinem Geburtsdatum gefragt haben, in elektrische Signale um, die weitergeleitet werden
und das ist 1958. Also ich glaube, das war etwas, was können. Die Reiz-Reaktions-Geschwindigkeiten wie
ich in meinem Kopf drin hatte. Ich erkannte meine auch die Geschwindigkeit, mit der die Informationen
Tochter, aber ich wusste nicht, wie alt sie war, und an das Gehirn gesendet werden, sind unterschied-
ich konnte mich nicht erinnern, wann ihr Geburts- lich intensiv und verschieden schnell. Erst im Gehirn
tag war. Ich kann mich erinnern, darüber gerätselt werden sie synchronisiert und ggf. durch das Gehirn
zu haben und versuchte mich zu erinnern, wann vervollständigt. Beispielsweise haben wir dort, wo
sie geboren wurde. Und ich konnte mich nicht er- die Nervenfasern des Sehnervs in den Augenhinter-
innern. Ich konnte mich nicht an sie erinnern. Ich grund gehen, einen blinden Fleck, der uns im Alltag
7.2 · Wahrnehmungsveränderungen und -störungen
105 7
nicht auffällt – unser Gehirn berechnet zum Ausgleich Gedächtnis verändert. Wenn die Informationen, die
automatisch die wahrscheinlichste Oberfläche. Die unsere Sinne weiterleiten, missverständlich sind,
Informationen über die uns umgebende Wirklichkeit wird es schwierig, die Informationen eindeutig zu
hängen also von der Qualität und Quantität der Sin- interpretieren. Ein Vorhang, der sich am geöffneten
nesinformation ab, die unserem Gehirn zur Verfügung Fenster leicht hin und her bewegt, kann nachts even-
gestellt werden. Erst im Gehirn verarbeiten wir die tuell als Einbrecher wahrgenommen werden. Wenn
Informationen und nehmen wahr. Wir werden sehen, eine Person schlecht sehen kann und die Brille nicht
dass Medikamente, Alterungsprozesse und Immobili- dabei hat, kann eine andere Person, die plötzlich
tät die Wahrnehmung erheblich beeinflussen können. ins Zimmer kommt, zunächst nur schwer erkannt
Die Verarbeitung der Sinnesinformationen werden. Ebenso können starke Gefühle wie Liebe,
erfolgt im Gehirn. Hier werden die einzelnen Infor- Angst oder Schmerzen die Wahrnehmung sehr ein-
mationen nach Bedeutung gefiltert. Wir nehmen nur seitig werden lassen, und wenn das Gedächtnis stark
ca. 10% der möglichen Informationen bewusst wahr, nachlässt, werden bestimmte Bedeutungen nicht
sonst wäre unser Gehirn mit der Vielzahl an Informa- mehr erkannt. Wirklichkeit ist subjektiv und hängt
tionen überfordert (Schmidt u. Schaible 2006). Diese von unserer Wahrnehmung ab. Wir machen unsere
Filterung hängt u. a. davon ab, wem oder was wir Wirklichkeit von der Wahrnehmung abhängig, und
unsere Aufmerksamkeit schenken. Mal ist das eine wenn diese sich verändert, orientieren wir uns in
interessant, mal das andere. Unsere Aufmerksam- unserer Wirklichkeit an den Informationen, die uns
keit wird gelenkt durch Gedanken und Stimmungen. am glaubwürdigsten erscheinen.
Beispiel: Auf einem Tisch liegt eine aufgezogene
Spritze mit langer Kanüle. Sie wird von einer Pfle-
genden, die die Spritze verabreicht, anders wahr- 7.2.1 Wahrnehmungsveränderungen
genommen als von dem Menschen, der die Spritze durch Medikamente
erhalten soll – obwohl die objektive Information die
gleiche ist. Übliche Dosierungsangaben für Medikamente bezie-
Gleichzeitig erkennen wir Informationen wieder, hen sich auf einen 20-jährigen, 70 kg schweren Men-
die wir in unserer Entwicklung gelernt haben. Einen schen. Ältere Menschen verarbeiten Medikamente
Tisch erkennen wir wieder und selbst, wenn es ein anders, bauen sie z. B. langsamer ab, wodurch die
neuer Tisch ist, erkennen wir darin die Grundidee Gefahr einer Kumulation wesentlich stärker gegeben
eines Tisches wieder. Wir gleichen die Informationen ist. Zudem haben viele Standardmedikamente wahr-
der Sinne an dem ab, was wir in unserem Gedächtnis nehmungsstörende Nebenwirkungen:
abgespeichert haben. Neues wird mitunter interes-
siert wahrgenommen, Bekanntes vielleicht nur am
Rande betrachtet.
Wahrnehmungsstörende Nebenwirkungen
> Wir filtern also die Sinnesinformationen von Standardmedikamenten
und die Wirklichkeit, die wir erleben. Dies 44 Nifidepin kann neben Schwindelgefühlen
hängt davon ab, wie zuverlässig wir unsere einen feinschlägigen Tremor auslösen.
Sinnesinformationen wahrnehmen können 44 Acetylsalicylsäure kann Unruhezustände
und wie unsere Aufmerksamkeit und oder Parästhesien bewirken.
Erinnerungen die Wahrnehmungen filtern. 44 Atropinsulfat kann zu Pupillenerweiterung
und Lichtempfindlichkeit führen.
44 Diazepam kann die körperliche
7.2 Wahrnehmungsveränderungen Koordination beeinträchtigen.
und -störungen 44 Digitoxin kann visuelle Halluzinationen
hervorrufen.
Unsere Wahrnehmung kann sich verändern, wenn 44 Metronidazol kann einen bitteren,
die Sinne bzw. deren Informationen sich verän- metallischen Geschmack auslösen.
dern oder sich unsere Aufmerksamkeit bzw. unser
106 Kapitel 7 · Wahrnehmungsstörungen

Gerade für ältere Menschen wurden übliche Medi- 55 sich schlechter an Helligkeit gewöhnen können
kamente auf Verträglichkeit und Kumulationen (z. B. nach Pupillenkontrolle einige Zeit
geprüft. Im Internet findet sich unter http://priscus. geblendet sind).
net die sog. Priscus-Liste mit angepassten Dosierun-
gen und Verträglichkeiten, auch auf Wechselwirkun- Hören Das Hören lässt im Alter nach. 50% der
gen wird hingewiesen. Männer und 30% der Frauen über 65 Jahre hören
schwer. Auch hier können das Richtungshören,
Beispiel hohe Töne und das Verstehen der Worte verzö-
Eine ältere Dame bekam morgens um acht Uhr ihre gert bzw. verändert sein. Dies bedeutet, dass alte
Antibiotikagabe Metronidazol intravenös verab- Menschen
reicht. 30 min später erhielt sie ihr Frühstück. Sie 55 mitunter – aber nicht immer – lauter
biss nur einmal von ihrem Brötchen ab und verwei- angesprochen werden müssen,
gerte dann das Frühstück. Sie fürchtete, vergiftet 55 Entfernungen und Richtungen von Stimmen
zu werden. Metronidazol kann als Nebenwirkung bzw. Geräuschen falsch einschätzen,
einen bitteren, metallischen Geschmack im Mund 55 durch Störgeräusche wie eine Matratzenbe-
7 auslösen. Es war im Verlauf einfach, ihr die Antibio- lüftung oder Geräte nicht mehr gut hören,
tikagabe zeitlich versetzt zu geben, ohne dass die 55 länger benötigen für Antworten,
geschmacklichen Nebenwirkungen während der 55 besser hören bei langsam und akzentuiert
Mahlzeiten relevant waren. gesprochenen Worten,
55 die Identität von Geräuschen nicht immer
zweifelsfrei einschätzen können.
7.2.2 Wahrnehmungsveränderungen
im Alter Beispiel
Eine ältere Patientin mit Hörgerät wurde zu Schicht-
Im Alter lässt die Wahrnehmungsfähigkeit nach, weil beginn als verwirrt eingestuft, weil sie auf Fragen
im Allgemeinen die Anzahl der für die einzelnen inadäquat antwortete. Nachdem etwas später das
Sinne zuständigen Rezeptoren abnimmt. Dies führt Radio im Zimmer ausgeschaltet wurde, antwortete
dazu, dass im Alter (>65 Jahre) die Sinne nachlassen. sie adäquat – das Gedudel überlagerte die Frequen-
zen des Gesprächs, gleichzeitig mochte die Dame
Sehen Das Sehen wird schlechter. Viele Menschen ihre Schwerhörigkeit nicht zugeben. Gleiche Prob-
kompensieren dies durch eine Brille, die in der Regel leme wurden auch im Zusammenhang mit lauten
nur die Sehschärfe korrigiert. Aber auch die Tie- Matratzenkompressoren berichtet.
fenwahrnehmung, das Farbensehen, das gesamte
Gesichtsfeld (Tunnelblick) wie die Hell-Dunkel-An- Spüren Das Spüren lässt im Alter nach. Dies bezieht
passung können verändert sein. Dies hat zur Folge, sich auf die Temperatur, aber auch das Tasten und
dass alte Menschen je nach Ausprägung der Störung Greifen. Menschen zeigen im Alter
(Grond 1992) 55 häufiger ein Kältegefühl,
55 Entfernungen schlechter einschätzen können 55 ein intensiveres Nachtasten und -greifen, was
(z. B. zu kurz greifen), mitunter als aggressives Grabschen empfunden
55 Gegenstände an ihrem Gesichtsfeldrand nicht wird,
wahrnehmen (z. B. den Mülleimer neben 55 eine ungenauere Lokalisation von Berüh-
dem Bett), rungen, Schmerzen.
55 Kontraste zwischen Beige- und Grautönen
nicht erkennen (z. B. einen Teller auf dem Vibrationssinn Der Vibrationssinn nimmt ab. Dies
Nachtschrank), hat – nach Grond (1992) als Hypothese formuliert –
55 sich schlechter an Dunkelheit gewöhnen zur Folge, dass alte Menschen
können (z. B. nach dem Licht ausschalten 55 unsicherer gehen und sich bewegen,
länger blind sind), 55 eine geringere Tiefensensibilität haben.
7.2 · Wahrnehmungsveränderungen und -störungen
107 7
Gleichgewichtssinn/Propriozeption Der Gleichge- Gewöhnung und damit uneindeutigen Wahrneh-
wichtssinn und damit verbunden die Propriozeption mung führen.
(Bewegungssinn) können sich im Alter nicht mehr Bei Immobilität und fortbestehender Bettläge-
so gut an Beschleunigungen anpassen. Dies hat zur rigkeit kann der eigene Körper undeutlich bis taub
Folge, dass alte Menschen erlebt werden, man kann das Gefühl haben, mit der
55 auch bei geringen Bewegungen Schwindel Matratze zu verschmelzen oder Zu- und Ableitungen
erleben, in das eigene Körperbild zu integrieren (Smith 1989).
55 sich langsamer bewegen oder bewegt werden Das ständige An-die-Decke-Starren führt dazu, dass
möchten, dort Flecken erscheinen oder Objekte wie Lampen
55 mehr Zeit zum Drehen oder Aufstehen oder Klimaanlagen anfangen sich zu bewegen. Es
benötigen. wird für die Betroffenen dann schwierig, ihre Wirk-
lichkeit eindeutig bestimmen zu können. Bewegt sich
Geschmacks- und Geruchssinn Die Geschmacks- die Lampe oder bewegt sie sich nicht? Versteckt sich
und Geruchssinne lassen ebenso ab. Dies hat zur jemand hinter dem Vorhang oder nicht? Habe ich
Folge, dass ein Hemd an?
55 Speisen nicht mehr so gut schmecken – es
schmeckt alles fade, Beispiel
55 alte Menschen nicht mehr so intensiv und diffe- Ein Patient sagte: „Es war nur mein Kopf, den ich
renziert Aromen riechen können – es riecht bewegen konnte. Die anderen Teile meines Körpers
nicht so gut – dafür riechen unangenehme waren irgendwo. Ich wusste nicht, wo meine Arme
Düfte auch nicht so schlecht. und Beine waren, sie waren weg“ (Johansson u.
­Fjellman-­Wiklund 2005).
Zusätzlich zu diesen physiologisch auftretenden
Alterungsprozessen können weitere Erkrankungen Die Orientierung in Raum und auch Zeit kann
wie z. B. ein Schlaganfall oder Grauer Star usw. die außerordentlich schwierig werden. Beatmete Patien-
Wahrnehmung verändern. Im eigenen, häuslichen ten berichten davon, dass sie sich wie in einer Zeitlu-
Umfeld können diese Veränderungen sicherlich penblase erleben, während die Umwelt im Zeitraffer
gut kompensiert werden. Schwierig wird dies aber vorbeifliegt. Sie können nur – eben wie in Zeitlupe –
in einem fremden Umfeld, wenn zusätzlich noch antworten oder sich bewegen (Carroll 2007). Es ist
eine ernste Erkrankung hinzukommt. Dann kann sehr wahrscheinlich, dass dies auch ohne Beatmung,
die Situation in einer als unsicher wahrgenomme- aber nach einer Operation oder in einer schweren
nen Wirklichkeit verängstigend oder bedrohlich Krankheit ähnlich erlebt wird.
wirken.

7.2.4 Delir
7.2.3 Wahrnehmungsveränderungen
durch Immobilität Die englische Leitlinie des National Institute for
Health and Clinical Excellence (NICE) zum Delir
Um etwas wahrnehmen zu können, benötigen unsere gibt für das Auftreten des Delirs für allgemeine Sta-
sinnlichen Rezeptoren einen Input, eine Verände- tionen 25%, für den Intensivbereich 36–71% der
rung im Aktionspotenzial. Ohne Anregung erfolgt gesamten Patienten an (2010). Die deutsche Leitlinie
keine Reizweiterleitung. Erhalten die Sinneszellen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und
über längere Zeit keine Anregung, so schalten sie in Intensivmedizin (DGAI) und der Deutschen Inter-
einen undifferenzierten „Standby-Modus“ um, der disziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfall-
vom Gehirn als bedeutungslos eingestuft wird. Wenn medizin (DIVI) gibt für Intensivpatienten 50%, für
man an einer Verkehrsstraße wohnt, nimmt man den beatmete Intensivpatienten 80% an (2009). Unab-
Verkehrslärm irgendwann nicht mehr bewusst wahr. hängig von den leicht abweichenden Zahlen gilt für
Immobilität kann hier in allen Sinnesbereichen zur Intensivpatienten ein sehr hohes Risiko, ein Delir zu
108 Kapitel 7 · Wahrnehmungsstörungen

erleiden. Für IMC-Patienten wurde eine beachtliche deliranten, dementen Patienten mit Enzephalitis
Delir-Rate von 41% angegeben, davon 46% bei Auf- (Nydahl u. Papengut 2011).
nahme (González 2000). Dies mag zunächst hoch Die Angaben zur Häufigkeit eines Delirs sind
scheinen, liegt aber auch daran, dass zwei Drittel aller abhängig von den diagnostischen Tests und den
Delirien übersehen und nicht behandelt werden. Beobachtern, daher variieren die Angaben zum Auf-
Daher ist hier die Empfehlung der englischen Leit- treten eines Delirs. Nach Ely et al. (2004) entwickelt
linie eindeutig: Denke ans Delir! sich ein Delir meist am 2. Intensivtag (+/–1,7 Tage)
Der Begriff „Delir“ ist ein Synonym für postope- und dauert 4,2 Tage (+/–1,7 Tage). Wenn es nicht
rative Verwirrtheit, Intensivpsychose, Durchgangs- erkannt und behandelt wird, dauert es 10–12 Tage.
syndrom u. a. Der heute auch international ver- Dies ist insofern wichtig, als ein Delir das Risiko
wendete Begriff ist „das Delir“ bzw. der „delirante einer Demenz 6-fach, Komplikationen wie Stürze
Patient“. oder Dekubitus 2,3-fach und die Mortalität 3-fach
Die Leitsymptome des Delirs sind laut Diagnostic erhöht. Das Delir ist der entscheidende Vorhersage-
and Statistical Manual 5 (DSM-5, American Psychi- wert für die Dauer der Beatmung, des Aufenthaltes
atric Association 2013) wie folgt: auf der Intensivstation und im Krankenhaus. Patel et
7 al. (2015) sprechen auch von einem sedierungsbezo-
genen Delir, das während der Aufwachphase kurz (2
Leitsymptome des Delirs Stunden) auftreten und auch in ein persistierendes
44 Aufmerksamkeits- und Delir übertreten kann.
Konzentrationsstörung Die Formen eines Delirs können in der Praxis
44 Zusätzliche kognitive Störung (Gedächtnis, sehr unterschiedlich sein:
Orientierung, Sprache, Wahrnehmung) 55 Hyperaktives Delir: Halluzinationen,
44 Störungen können nicht durch Verwechslungen, Unruhe, Desorientierung
neurokognitive Ursachen erklärt werden 55 Hypoaktives Delir: Schläfrigkeit, Desinte-
44 Störung entwickelt sich rasch (Stunden/ resse an Aktivitäten des täglichen Lebens,
Tage) und fluktuiert im Tagesverlauf Zurückgezogenheit
44 Störung ist eine direkte Folge einer 55 Gemischtes Delir: Wechsel zwischen hyper-
körperlichen Störung bzw. eines Eingriffs und hypoaktivem Delir

Bei deliranten Patienten wird meist an hyperaktive


Das Delir ist eine direkte physiologische Folge einer Patienten gedacht, die lediglich eine Minderheit dar-
körperlichen Erkrankung und hat mehrere Ursa- stellen. Häufiger sind die hypoaktiven Patienten, die
chen. Dabei müssen differenzialdiagnostisch u. a. kooperativ, freundlich bzw. zurückgezogen wirken
Infektionen, Hypoxie, Entzugssymptome, Durchblu- und damit unkompliziert erscheinen, aber denken,
tungsstörungen, endokrine oder metabolische Ent- sie wären auf einem Flughafen oder anderes (7 Pati-
gleisungen ausgeschlossen werden (National Insti- entenberichte am Beginn und am Ende des Kapitels).
tute for Health and Clinical Excellence 2010).
Ein Delir ist in der Praxis mitunter schwer abzu- z Risikofaktoren
grenzen, z. B. zeigen demente Patienten ein ähnli- Die Risikofaktoren für ein Delir können sehr viel-
ches Bild, wobei der wesentliche Unterschied zum fältig sein. Laut der englischen Leitlinie (2010)
Delir darin besteht, dass die dementen Symptome können patientenbezogene Faktoren wie Geschlecht,
gleichbleibend sind und nicht im Tagesverlauf fluk- Demenz, sensorische Beeinträchtigungen (Sehen,
tuieren. Allerdings haben demente Patienten auch Hören), Polypharmazie, Dehydratation, Elekt-
ein höheres Risiko, ein Delir zu entwickeln. Bei einer rolytstörung, Inkontinenz, Hypoxie, Immobili-
Enzephalitis nimmt die Symptomatik zu, in der Psy- tät/Bettlägerigkeit, Infektion, Mangelernährung
chose sind sie eher gleich bleibend, bei einer Intoxi- oder Schlafentzug zu einem Delir beitragen. Auch
kation klingt sie ab, wobei es natürlich auch zu über- Umgebungsfaktoren wie die Intensivstation oder
schneidenden Diagnosen kommen kann, wie beim der IMC-Bereich an sich, Zimmerwechsel, ständige
7.2 · Wahrnehmungsveränderungen und -störungen
109 7
Beleuchtung oder permanente Reizüberflutung sind zu fragen und den Patienten um seine
relevant. Und schließlich können Blasenkatheter, Mitarbeit zu bitten. Sobald ein Patient ein
Fixierung sowie Bettgitter und letztendlich jede iat- entsprechendes verändertes Verhalten zeigt
rogene Intervention Risikofaktoren darstellen. Die oder bejaht, sollte ein ausführlicher Test
genannten Faktoren haben eine mäßige bis wider- durchgeführt werden.
sprüchliche Evidenz. Nicht jeder Patient mit Seh-
beeinträchtigungen auf jeder Station wird delirant. z Delir erkennen
Eine gesicherte Evidenz gibt es hingegen für folgende Auf chirurgischen Intensivstationen wurden ver-
Faktoren: schiedene praktikable Tests entwickelt und auch
55 Alter >65 Jahre geprüft, u. a. CAM (Confusion Assessment Method),
55 Hüftfraktur CAM-ICU (Confusion Assessment Method for the
55 Kognitive Störungen Intensive Care Unit) und ICDSC (Intensive Care
55 Schwere Erkrankungen mit Delirium Screening Checklist).
44Risiko der Verschlechterung Für den Intensivbereich zeigt der CAM-ICU
44Fortbestand der Verschlechterung eine Sensitivität von 75% (erfasst die Betroffenen)
44Engmaschiger Überwachung und Spezifität von 95% (schließt die Nichtbetrof-
44≥1 Organinsuffizienz oder Versagen fenen aus) und wird daher für den Intensivbereich
44Beatmung wie auch den Aufwachraum empfohlen. Der ICDSC
hat eine Sensitivität von 80% und Spezifität von 74%
Patienten mit diesen Faktoren haben ein hohes (Neto et al. 2012). Der CAM-ICU gilt heute als Gold-
Risiko, delirant zu werden. Was tatsächlich ursäch- standard, da er am besten untersucht worden ist. Die
lich für die Entstehung eines Delirs ist, ist immer kurze Version des CAM eignet sich für allgemeine
noch unklar. Die englische Leitlinie stellt dazu die Stationen.
Hypothese auf, dass verschiedene Faktoren zusam- Nach Leitlinienempfehlung sollte ein Delir-
men auftreten müssen: Prädisponierende Faktoren Screening alle 8 h umgesetzt werden.
wie ein hohes Alter und beispielsweise eine schwere Allen Tests gemeinsam ist, dass sie nach Training
Erkrankung und ein auslösender Faktor wie eine per- und Schulung auch von Pflegenden durchgeführt
manente Reizüberflutung und engmaschige Über- werden können. Sobald ein Delir oder der Verdacht
wachung können sehr wahrscheinlich zum Delir auf ein Delir erkannt worden ist, müssen weitere
führen. Schritte eingeleitet werden, u. a. muss der ärztliche
Es wird empfohlen, alle Risikopatienten (dazu Dienst informiert werden.
gehören IMC-Patienten) einmal am Tag auf Verän- Der CAM-ICU ist auf der Website http://www.
derungen hin zu beobachten und hierbei auch die icudelirium.org auch in deutscher Sprache down-
Patienten selbst oder ihre Angehörigen zu beteiligen. loadbar, außerdem sind dort Anleitungen und Trai-
Die Veränderungen umfassen: ningsvideos zu finden (. Abb. 7.1). Der ICDSC ist in
55 Kognition: Konzentrationsstörungen, langsame der deutschen Leitlinie zu finden und erklärt (http://
Antworten, Verwirrtheit www.leitlinien.de).
55 Wahrnehmung: visuelle oder auditive
Halluzinationen
55 Physis: Immobilität, Unruhe, Appetitverände- 7.2.5 Prävention von
rungen, Schlafstörungen Wahrnehmungsstörungen
55 Sozialverhalten: Kooperation, Rückzug, und Delir
veränderte Kommunikation, Stimmung oder
Haltung Die einfachste und effektivste Prävention von Wahr-
nehmungsstörungen und Delir besteht darin, daran
> Gerade hypoaktive Patienten sind zu denken: Denke ans Delir! Die englische Leitlinie
„pflegeleicht“ und werden oft übersehen. Es (2010) vergleicht den Umgang mit einem Delir mit
ist also relevant, aktiv nach Halluzinationen dem Umgang des Dekubitus in den 1980er Jahren.
7
110

Confusion Assessment Method für Intensivstation


CAM-ICU
RASS größer als - 4 Ein Delir liegt vor, wenn: 1, 2 und 3 oder 1, 2 und 4 positiv sind
(-3 bis +4)
1 Akuter Beginn oder schwankender Verlauf NEIN STOP
Akute psychische Veränderung (z.B. im Vergleich zu prä-OP) ?
weiter zur nächsten Stufe Kein Delir
Ändert sich das Verhalten im Tagesverlauf ?

JA
Kapitel 7 · Wahrnehmungsstörungen

RASS ist -4 oder -5


Aufmerksamkeitsstörung
STOP 2 Lesen Sie dem Pat. folgende Buchstaben vor : A N A N A S B A U M STOP
Fehler: Pat. drückt beim “A” nicht die Hand < 3 Fehler Kein Delir
Pat. später erneut untersuchen Fehler: Patient drückt bei einem anderen Buchstaben als “A”

≥3 Fehler
Richmond-Scale
Ausdruck Beschreibung
+4 Streitlustig gewalttätig, unmittelbare Gefahr
für Personal
+3 Sehr agitiert Zieht an Schläuche oder Katheter;
3 Bewusstseinsveränderung (“akuteller” RASS) Falls RASS nicht 0 ist Delir
Falls RASS = 0, weiter zur nächsten Stufe
aggressiv
+2 Agitiert Häufige ungezielte Bewegung,
atmet gegen das Beatmungsgerät 0 RASS
+1 Unruhig Ängstlich aber Bewegungen nicht
aggressiv oder lebhaft
0 Aufmerksam, ruhig
Denken
–1 Schläfrig Nicht ganz aurfmerksam, erwacht
4 1.Unorganisiertes
Schwimmt ein Stein auf dem Wasser? (Schwimmt ein Blatt auf dem Wasser?)
anhaltend durch Stimme (>10s) ≥ 2 Fehler Delir
–2 Leichte Sedierung Erwacht kurz mit Augenkontakt 2. Gibt es Fische im Meer? (Gibt es Elefanten im Meer?)
durch Stime (<10s) 3. Wiegt ein Kilo mehr als zwei Kilo? (Wiegen zwei Kilo mehr als ein Kilo?)
–3 Mäßige Sedierung Bewegung oder Augenöffnung 4. Kann man mit einem Hammer einen (Kann man mit einem Hammer Holz sägen?)
durch Stimme (aber kein
Augenkontakt) Nagel in die Wand schlagen?
–4 Tiefe Sedierung Keine Reaktion auf Stimme, aber 5. Anweisung: < 2 Fehler STOP
Augenöffnung durch Bewegung Sagen Sie dem Pat.: “Halten Sie soviele Finger hoch” (Untersucher hält zwei Finger hoch) Kein Delir
–5 Nicht erweckbar Keine Reaktion auf Stimme oder “Nun machen Sie dasselbe mit der anderen Hand” (Wiederholen Sie nicht die Anzahl der Finger).
körperlichen Reiz
Falls Pat. nicht beide Arme bewegen kann, sagen Sie: “Fügen Sie einen Finger hinzu.”

. Abb. 7.1 CAM-ICU. (Copyright © 2013, E. Wesley Ely, MD, MPH and Vanderbilt University, all rights reserved)
7.2 · Wahrnehmungsveränderungen und -störungen
111 7
Es wurde damals hingenommen, dass bettlägerige 7.2.6 Pflegerische Interventionen bei
Patienten einen Dekubitus bekommen und man hat Wahrnehmungsstörungen
mehr Aufmerksamkeit in die Behandlung statt in
die Prävention investiert. Heute ist die Prävention Die Behandlung von Wahrnehmungsstörungen
des Dekubitus eine zentrale Aufgabe der Pflegen- hängt von den Ursachen ab. Wahrnehmungsstörun-
den und ein entstandener Dekubitus ein Pflegefeh- gen können relativ leicht behandelt werden durch:
ler. Demgegenüber gilt ein Delir heute immer noch 55 Geben einer Brille oder Hörgeräten des
als normal, Intensivpatienten werden eben delirant Patienten
und müssen erst dann behandelt werden. Dass einem 55 Aufhängen einer Uhr bzw. Geben der
Delir auch präventiv begegnet werden kann, ist vielen Armbanduhr
nicht bewusst. 55 Aufhängen eines Kalenders
Die englische Leitlinie empfiehlt zur Prävention 55 Anpassen der Beleuchtung bzw. Erklärung der
keine einzelnen Maßnahmen, da es zu diesen kaum Lichtverhältnisse
eine Evidenz gibt. Sehr hilfreich scheinen hingegen 55 Reduzierung der Lautstärke bzw. Erklärung der
Maßnahmenbündel zu sein, die an den jeweiligen Geräusche
Arbeitsbereich angepasst werden und die die Delir- 55 Wiederholtes Erklären der Situation
rate um bis auf ein Drittel reduzieren konnten (NICE
2010). Wichtig ist dabei, dass dieses Bündel nicht nur Einfaches Nachfragen („Tragen Sie sonst eine
von einer Disziplin implementiert wird, sondern dass Brille?“) kann schnell umgesetzt werden.
das gesamte Team involviert ist. Komplexere bzw. schwierige Wahrnehmungs-
Diese Bündel beinhalten in verschiedenster störungen können sehr individuelle Vorgehenswei-
Kombination: sen erfordern. Bei einem Neglect nach Schlaganfall
55 Schulung und Training (Ausfall der linken oder rechten Gesichtshälfte) ist es
55 Setzen von Pflegeprioritäten (z. B. individuelle heute nicht mehr sinnvoll, sich von der mehr betrof-
Pflege, aufgabenorientierte Pflege u. a.) fenen Seite anzunähern, weil der Patient die Pflege-
55 Patientenassessment (Screenen auf Risikofak- person nicht sehen kann, vielleicht aber nahe Schritte
toren, Screenen auf Delir u. a.) hört und sich dadurch erheblich verunsichert fühlen
55 Orientierungshilfen (Kalender, Uhr, Brillen, kann. Eine Annäherung über die weniger betroffene
Hörgeräte) Seite kann viel eher Sicherheit vermitteln. Erst im
55 Dehydratationsprotokoll rehabilitativen Verlauf kann der Patient dazu ange-
55 Ernährungsplan leitet werden, seine Aufmerksamkeit auf die mehr
55 Schlafprotokoll betroffene Seite zu lenken (Lay 2006).
55 Schmerzprotokoll Bei Patienten mit erheblichen Wahrnehmungs-
55 Frühe Mobilisierung störungen haben sich auch Begrüßungsrituale
55 Umgebungsfaktoren anpassen (Lautstärkere- bewährt, beispielsweise die Initialberührung aus
duzierung, Lichtanpassung) der Basalen Stimulation, bei der ein Patient zunächst
55 Medikation prüfen angesprochen und dann an einem angemessenen,
55 Weitere Möglichkeiten (Besprechungen, definierten Bereich berührt wird. Dies ermöglicht
kognitive Stimulation, Verlegungsplanung usw.) eher Sicherheit und Stressreduzierung.

Zur Prävention kann auch gehören, dass Patien-


ten und Angehörige bereits bei Aufnahme auf ein 7.2.7 Pflegerische Interventionen
Delir hingewiesen werden, beispielsweise durch beim Delir
Informationsflyer oder Gespräche. Im Idealfall sagt
der Patient selbst Bescheid, dass er unklare Gedan- Wenn tatsächlich ein Delir festgestellt worden ist,
ken oder Halluzinationen bemerkt. Informations- müssen in Frage kommende Ursachen wie Elekt-
flyer sind unter http://www.icusteps.org in englischer rolytentgleisungen, Fieber u. a. interdisziplinär
Sprache verfügbar. behandelt werden (7 Abschn. 7.2.4). Hierzu gehört
112 Kapitel 7 · Wahrnehmungsstörungen

auch die Zusammenarbeit mit einem Apotheker, um Biographische Trigger vermeiden Biographische
Wechselwirkungen oder Überdosierungen ggf. zu Trigger sind Verhaltensweisen oder auch Objekte,
vermeiden. die einen Patienten besonders aufregen können, bei-
Die englische Leitlinie empfiehlt zum Delirma- spielsweise Kanülen oder eine Ansprache von oben
nagement einen mehrstufigen Plan, abhängig davon, herab. Hier ist die Kommunikation mit den Ange-
ob ein Patient gestresst ist oder nicht. Zunächst wird hörigen wichtig.
damit begonnen
55 interdisziplinäre Teams zu bilden, Erfahrungen des Delirs beschreiben und Verständnis
55 Ursachen zu finden, zeigen Die Beschreibung des Delirs ist außeror-
55 Patienten wiederholt zu informieren: dentlich wichtig. Der Patient ist sich selbst fremd,
44Warum ist der Patient im Krankenhaus? verunsichert, verängstigt und evtl. fühlt er sich
44Wer ist der Patient, wer ist die Person selbst? bedroht. Wenn andere Menschen da sind, die diese
44Was für eine Funktion/Rolle hat die Erfahrungen beschreiben können, kann er sich ver-
Person? standen fühlen, die Bedrohung wird nachlassen,
55 Familie und Freunde zu integrieren und zu außerdem deeskaliert die Situation. Eine beispiel-
7 informieren. hafte Information könnte sein:

Viele Patienten müssen sich postoperativ erst orien- Beispiel


tieren, sind gleichzeitig wegen der Anästhesie aber „Herr Meyer, ich weiß, dass das ein ganz seltsamer
auch kognitiv eingeschränkt. Sie können sich Infor- Zustand ist. Man fühlt sich getrieben, kann keinen
mationen schlecht merken und sie nur langsam ver- klaren Gedanken fassen, kann sich nicht konzentrie-
arbeiten. Deshalb ist die wiederholte Information ren oder hat fixe Ideen. Es geht alles viel zu schnell.
wichtig: Manche fühlen sich bedroht, weil sie nicht verstehen,
was passiert. Andere sehen oder hören Dinge, die
Beispiel nicht normal sind und die einen auch ängstigen kön-
„Guten Tag, Herr Meyer, Sie sind hier im Kranken- nen. Man will nur weg und nach Hause.“ Evtl. weiter:
haus. Sie sind operiert worden und Sie wachen lang- „Herr Meyer, Sie haben ein Delir, eine Art Kranken-
sam wieder auf. Wir haben heute den <<Datum>>, hauskoller, eine vorübergehende Verwirrtheit. Das
es ist <<Uhrzeit>>.“ kann jedem passieren, daran tragen Sie keine Schuld.
Ein Delir tritt oft auf und ist eine Komplikation, so wie
Weiterhin werden die Familie und Freunde, die zu Fieber nach einer Operation. Wichtig ist, das zu er-
Besuch kommen, über das Delir informiert. Es kann kennen, damit wir das gut behandeln können.“
hierbei die Befürchtung der Angehörigen entstehen,
dass die Symptomatik des Delirs auf einem Schlag- Etwas weiter weg stehen als üblich Ebenso ist es
anfall o. Ä. beruhen könne, deshalb müssen sie über empfehlenswert, etwas weiter weg zu stehen als
ein Delir aufgeklärt werden. Ggf. können sie durch üblich. Zum einen fühlt sich der Patient dadurch nicht
ihre Gegenwart auch den Patienten in der Orientie- bedroht, gleichzeitig läuft man selbst nicht Gefahr,
rung unterstützen. einem aggressiven Verhalten ausgesetzt zu werden.
Wenn der Patient gestresst wirkt, werden laut
englischer Leitlinie deeskalierende verbale und Realistische Optionen geben Weiter werden realisti-
nonverbale Techniken empfohlen. Hierzu sind eine sche Optionen gegeben. Es ist nicht empfehlenswert,
entsprechende Schulung und ein Training notwen- ggf. mit einem Besen die Spinnen an der Decke weg-
dig. Die Verantwortung für die weitere Eskalation zuwischen o. ä. Dennoch ist es wichtig, dem Patien-
wird hierbei eindeutig bei dem Team verortet. Ein ten zu glauben, dass er Spinnen wahrnimmt. Eine
Patient, der halluziniert und gleichzeitig kognitiv beispielhafte Information könnte sein:
eingeschränkt ist, sich ggf. bedroht fühlt, kann die
Situation nicht kontrollieren und auch keine Ver- Beispiel
antwortung dafür tragen. Die Deeskalation ist damit „Herr Meyer, ich glaube Ihnen, dass Sie Spinnen an
Aufgabe des Teams. Dies umfasst: der Decke sehen und Ihnen das Angst macht. Ich
7.2 · Wahrnehmungsveränderungen und -störungen
113 7
sehe dort keine Spinnen. Herr Meyer, Sie sind hier im Weihnachten. Wegen Weihnachten habe ich das
Krankenhaus, Sie müssen hier noch drei Tage blei- mit einer glücklichen Zeit assoziiert, und ich habe
ben. Das ist so und da geht kein Weg dran vorbei. geglaubt, wieder bin ich wirklich beruhigt, dass es
Es soll Ihnen dabei aber auch gut gehen und wir durchaus vorkommt, ich dachte, ich sei Opfer einer
werden jetzt das Beste daraus machen“ Vergewaltigung geworden und offenbar, worüber
wir gesprochen haben, ich und die Ärzte, wir den-
Reorientierende Pflege und Umgebung und Reevalua- ken, es sei wegen der persönlichen Betreuung, wis-
tion: Ursachen/Demenz Weiter können die Inter- sen Sie, mich in wirklich intimen Stellen zu berüh-
ventionen genutzt werden, die unter Prävention ren. Und ich bin eine sehr private Person, sodass ich
(7 Abschn. 7.2.5) bereits aufgeführt worden sind. glaube, das war die Ursache und das machte Sinn.
Wenn es unklar ist, ob eine Demenz und/oder ein Und ich hörte auch, so dachte ich, es wäre ein Flug-
Delir vorliegen, wird laut englischer Leitlinie zuerst zeug, es war wie ein wusch, wusch, wusch Geräusch
das Delir behandelt, da dadurch die Komplikationen und das war offenbar das Beatmungsgerät. Und es
eher verringert werden können. Wenn keine Besse- ist einfach, es war so toll, als ich aufwachte, und es
rung eintritt, sollten spätestens nach einer Woche die war nicht sofort, aber ich begann zu sagen, was ich
Diagnose und die Therapie reevaluiert und weitere fühlte, konnte das wirklich passieren? Und sie sag-
Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. ten das Rauschen, das Wusch-Geräusch, könnte Ihr
Wenn die pflegerischen nichtpharmakologi- Beatmungsgerät gewesen sein.“
schen Interventionen keine Besserung bringen, so
empfiehlt die englische Leitlinie als letztes Level der Die Beispiele illustrieren die Perspektive der Pati-
Therapie Haloperidol bzw. Olanzepin auf ärztliche enten und können für Pflegende eine Hilfe sein, die
Anordnung. Für beide Medikamente gibt es eine gute Erlebniswelt eines deliranten Patienten zu verste-
Evidenz, daneben sind auch andere Medikamente hen und diese Erfahrungen dann auch schildern zu
verfügbar, für die aber keine ausreichende Evidenz können.
vorliegt.

Fragen zur Wissensüberprüfung


7.2.8 Erleben eines Delirs aus Sicht 1. Selbsterfahrung: Begeben Sie sich in eine
der Patienten bequeme Position und suchen Sie sich
einen Punkt an der Decke des Raumes aus.
Der folgende Erlebnisbericht ist ebenso wie das Bei- Starren Sie diesen Punkt 10 min lang an.
spiel am Anfang dieses Textes eine Übersetzung von Blinzeln ist erwünscht, damit die Augen
der englischen Website http://www.healttalkonline.org, nicht trocken werden, aber bitte nicht
die Videos und deren Transkriptionen zur Verfügung umherschauen. Wie verändert sich das
stellt. Beide Beispiele sind bereits im Thieme Verlag Sehen? Wie sicher sind Sie in dem, was Sie
veröffentlicht worden (Nydahl u. Papengut 2011): sehen? Wie verändern sich Ihre Gedanken
und Gefühle?
Beispiel 2. Befragen Sie ehemalige delirante
Patientin, 46 Jahre: „Anscheinend war ich sehr auf- Patienten, wie sie die Situation erlebt
geregt, obwohl ich betäubt war, ich meine, und du haben, und sammeln Sie die Erfahrungen.
(der Lebensgefährte) wirst mehr darüber wissen als Ggf. ist es möglich, einen Patienten zum
ich, weil ich mich nicht erinnere, es hatte etwas mit Unterricht einzuladen und ihn berichten zu
der Sedierung zu tun. Ich erinnere mich, ich wusste, lassen.
dass etwas nicht stimmte, als ich sediert war, aber 3. Halten Sie sich eine Klarsichthülle vor die
ich wusste nicht recht, was es war, und ich wuss- Augen, mit der Sie nur noch Schatten
te, ich konnte spüren, ich konnte Geräusche hören erkennen können. Nutzen Sie ggf. Oropax.
und ich konnte warm spüren und ich konnte kalt Versuchen Sie nun, Aktivitäten des
fühlen, weil ich aus irgendeinem Grund dachte, ich täglichen Lebens durchzuführen.
wäre in einem Flughafen, und ich dachte, es war
114 Kapitel 7 · Wahrnehmungsstörungen

Ely EW, Shintani A, Truman B et al. (2004) Delirium as a predic-


tor of mortality in mechanically ventilated patients in the
4. Nutzen Sie die folgenden
intensive care unit. JAMA 291(17): 1753–1762
Patientenbeispiele Fröhlich A (1997) Basale Stimulation. Selbstbestimmtes Leben,
a. Eine Patientin sagt im Nachtdienst: Düsseldorf
„Du, ich muss dir mal was sagen!“ „Was González J, Barros J (2000) Delirium in patients of an interme-
gibt’s denn?“ „Ich seh‘ hier andauernd diate care unit: prospective study. Rev Med Chil. 128(1):
75–79
Elefanten durchs Zimmer laufen!“
Grond E (1992) Die Pflege verwirrter alter Menschen. Lamber-
„Elefanten?“ „Ja, und ich find das so tus, Freiburg i. Br
komisch … “ „Wo sehen Sie denn die ICU Delirium and Cognitive Impairment Study Group (2013)
Elefanten?“ „Da hinter dem Vorhang … Confusion Assessment Method for the Intensive Care
ich werd‘ doch nicht verrückt, oder?“ Unit (CAM-ICU). http://www.icudelirium.org. Zugegriffen:
12.02.15
Was tun Sie?
Johannson L, Fjellmann-Wiklund A (2005) Ventilated patients
b. Ein postoperativer Patient stöhnt experiences of body awareness at an intensive care unit.
und versucht wiederholt, sich den Advances in Physiotherapy 7: 154–161
Blasenverweilkatheter zu ziehen. Was Lay R (2006) Was gibt es Neues im Bobathkonzept? Die
7 tun Sie? Schwester/Der Pfleger 46 (12): 488–494
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie
c. Ein Patient kann nachts um drei nicht
und Intensivmedizin (DGAI) und der Deutschen
schlafen. Er ist unruhig und möchte ­Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Not-
aufstehen. Was tun Sie? fallmedizin (DIVI) (2009) Analgesie, Sedierung und
d. Beschreiben Sie in kleinen Gruppen Delirmanagement in der Intensivmedizin. http://www.
weitere eigene Erfahrungen mit uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/001-012l.htm. Zugegriffen:
20.12.2010
deliranten bzw. wahrnehmungs-
National Institute for Health and Clinical Excellence (2010)
gestörten Patienten. Entwickeln Sie Delirium: diagnosis, prevention and management. http://
Lösungsmöglichkeiten, ggf. spielen Sie guidance.nice.org.uk/CG103. Zugegriffen: 20.12.2010
diese verschiedenen Möglichkeiten in Neto AS, Nassar AP, Cardaso SO et al. (2012) Delirium scree-
kleinen Rollenspielen durch. ning in critically ill patients: a systematic review and
meta-analysis. Crit Care Med 40: 1946–1951
Nydahl P, Papengut F (2011) Denke ans Delir! Erkennen
und Behandeln von Delirpatienten. Intensiv 19(5):
237–245
Literatur Patel SB, Jason TP, Pohlman A, Hall J, Kress JP (2014) Rapidly
reversible, sedation-related delirium versus persistent
American Psychiatric Association (2013) Diagnostic and Statis- delirium in the ICU. Am J Respir Crit Care Med 189(6):
tical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition. American 658–665
Psychiatric Publishing, Arlington, VA, US Schmidt RF, Schaible H-G (2006) Neuro- und Sinnesphysiolo-
Carroll SM (2007) Silent, slow lifeworld: the communication gie, 5. Aufl. Springer, Heidelberg
experience of nonvocal ventilated patients. Qual Health Smith SA (1989) Extended body image in the ventilated
Res 17(9): 1165–1177 patient. Intensive Care Nursing. Longman, London
Duden (1997) Etymologie. Brockhaus, Mannheim
115 8

Hygiene auf der IMC-Station


B. Trierweiler-Hauke

8.1 Hygiene benötigt Rahmenbedingungen – 116

8.2 Standard-Hygienemaßnahmen – 119


8.2.1 Flächen- und Umgebungshygiene – 119
8.2.2 Körperpflege – 124

8.3 Prävention gefäßkatheterassoziierter Infektionen – 128


8.3.1 Periphere Verweilkanülen – 130
8.3.2 Zentrale Venenkatheter/Shaldon-Katheter – 130
8.3.3 Infusionen und Injektionen – 131
8.3.4 Verabreichung von Blut und Blutkomponenten – 133
8.3.5 Arterielle Katheter – 133
8.3.6 Pflege der Katheter – 133
8.3.7 Dialysekatheter – 135

8.4 Prävention von Harnwegsinfektionen – 136

8.5 Prävention postoperativer Wundinfektion, Umgang mit


Drainagenund allgemeine Wundpflege – 138

8.6 Hygienemaßnahmen bei multiresistenten Erregern


(MRE) – 142

Literatur – 144

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_8
116 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

Laut Aussage des Bundesgesundheitsministeriums es ist keine automatische Schuldzuweisung


im Juli 2011 erkranken in Deutschland jährlich gegenüber dem medizinisch-pflegerischen
400.000–600.000 Menschen an einer Krankenhaus- Personal.
infektion. Schätzungsweise zwischen 7.500 und
15.000 Menschen sterben jährlich an einer Kran- Frühdienst auf der IMC-Station – stellen Sie sich fol-
kenhausinfektion. 20–30% der Infektionen könnten gendes Szenario vor:
durch die Einhaltung von Hygienemaßnahmen ver-
mieden werden (BMG 2012). Beispiel
Im Juli 2011 wurde eine Änderung des Infekti- Sie haben in Ihrer Frühschicht drei Patienten zu be-
onsschutzgesetzes (IfSG) durch den Bundesrat gebil- treuen. Sie begrüßen Ihren ersten Patienten, fragen
ligt. Ziel der Novellierung des Gesetzes ist es, die ihn nach Schmerzen, überprüfen seine Katheter
Hygienequalität in Krankenhäusern und während und Ableitungen, hören seine Lunge und den Darm
der medizinischen Eingriffe zu verbessern. ab, dokumentieren dies, bereiten seine Medikation
Eine große Herausforderung stellen die auf vor und verabreichen diese über einen zentralen
hohem Niveau stagnierenden Infektionsraten mit Venenkatheter. Zeitgleich möchte einer Ihrer ande-
resistenten Erregern dar. Infektionen mit resisten- ren Patienten beim Abführen unterstützt werden.
ten und multiresistenten Erregern (MRE) verlän- Sie eilen zu ihm, organisieren den Toilettenstuhl,
8 gern die Behandlungsdauer, verstärken Schmerzen,
erhöhen die Sterblichkeit und die Behandlungskos-
helfen ihm bei der Mobilisation und – der Patient
versichert Ihnen, auf keinen Fall auf einem Stuhl im
ten. Aus diesem Grund sind zwei Schwerpunktziele Zimmer Stuhlgang machen zu können. Sie befreien
des IfSG ihn vom Monitor, befestigen Infusomaten und Per-
55 die konsequente Anwendung infektionspräven- fusoren am Infusionsständer und begleiten ihn ins
tiver Maßnahmen und Bad. Ihr dritter Patient benötigt Unterstützung beim
55 die Zunahme der Antibiotikaresistenz Abhusten. Und er kann wirklich gut und produktiv
durch unsachgemäß verordnete abhusten …
Antibiotika zu reduzieren
(BMG 2012). All diese Tätigkeiten benötigen Ihre maximale Kon-
zentration, viel Empathie, Geschick, Können und
Patienten auf einer IMC-Station sind besonders Schnelligkeit. Und es wird eine weitere Kernkompetenz
gefährdet, eine nosokomiale Infektion zu erwerben. von Ihnen erwartet. Sie sollen und müssen mit einem
Ihre Grunderkrankung, operative, diagnostische und hohen Hygieneverständnis agieren, damit Sie keine
therapeutische Eingriffe sowie das Vorhandensein Übertragung einer Infektion verantworten müssen.
von unterschiedlichen Kathetern und Drainagen Wie häufig müssen Sie sich während dieses Sze-
erhöhen ihr Risiko. Nicht zu unterschätzen ist die narios die Hände desinfizieren?
hohe Anzahl der Kontakte mit medizinisch-pflege-
rischem Personal, da für den Patienten jeder Hände-
kontakt ohne vorherige Desinfektion ein Übertra- 8.1 Hygiene benötigt
gungsrisiko ist. Rahmenbedingungen

> Man spricht nur dann von einer Gute Hygienestandards können nicht nur durch eine
nosokomialen Infektion, also einer im einzelne Maßnahme erreicht werden, sondern benö-
Krankenhaus erworbenen Infektion, wenn tigen sog. Maßnahmenbündel.
diese bei Aufnahme weder bestand noch in Der Deutsche Pflegerat weist schon im Jahr 2010
der Inkubationsphase war. Das Vorliegen darauf hin, dass die konsequente Umsetzung von
einer nosokomialen Infektion bedeutet Hygieneregeln, eine bessere Personalausstattung
nicht, dass ein kausaler Zusammenhang und verbesserte räumliche Ausstattungen Hauptur-
zwischen dem Auftreten der Infektion und sachen für die niedrigen Infektionsraten in den Nie-
der medizinischen Behandlung besteht und derlanden seien.
8.1 · Hygiene benötigt Rahmenbedingungen
117 8
Wer kann Hygienebeauftragter werden und welche
Rahmenbedingungen, die ein gutes Qualifikation benötigt er? Grundsätzlich kann jeder
Hygieneverhalten bei Mitarbeitern fördern Mitarbeiter diese Aufgabe bekleiden. Wichtigste Vor-
44 Hygiene benötigt Personal. aussetzung ist das Interesse und die Freude am Thema
44 Hygiene benötigt Experten. Hygiene, ein sehr gutes eigenes Hygieneverhalten und
44 Hygiene benötigt Fortbildungszeit. eine sehr gute kommunikative Kompetenz. Die Hygi-
44 Hygiene benötigt Raum und Zeit. enebeauftragten der einzelnen Stationen gehören dem
44 Hygiene benötigt Vorbilder. Hygienebeauftragtenkreis der Klinik an und treffen
44 Hygiene muss einfach in den pflegerischen sich alle 2 Monate. Die Treffen dienen dem Austausch
Alltag zu integrieren sein. und der Analyse von Hygienebelangen, der Abstim-
mung gemeinsamer Ziele, der Koordination von Fort-
bildungen und der aktuellen Einschätzung des Hygie-
Hygiene benötigt Personal Kontinuierlich sicher neverhaltens bei MRE-Patienten. Hygienebeauftragte
durchgeführte Hygienemaßnahmen benötigen aus- Ärzte haben die Möglichkeit, eine einwöchige Fortbil-
reichend Personal für die direkte Patientenversor- dung zu absolvieren. Mittlerweile werden auch schon
gung. Schon 2002 publizierte Needleman im New Kurse für Link Nurses angeboten.
England Journal of Medicine, dass eine Erhöhung der
Betreuungsstunden durch qualifiziertes Pflegeperso- Praxistipp
nal Harnwegsinfektionen und Pneumonien deutlich
reduziert. Für die indirekten Hygienemaßnahmen wie Nutzen Sie auch den Austausch und das
Reinigung, Versorgung oder Speisenversorgung benö- Wissen anderer Fachexperten für Ihre
tigen die Kliniken nicht nur ausreichend, sondern Hygienevorhaben. So können Sie sich mit
auch gut ausgebildetes und motiviertes Personal. Wundexperten, Schmerzexperten oder
Stomabeauftragten vernetzen, um aktuelle
Hygiene benötigt Experten Neben Hygienefachärz- Hygieneprobleme zu diskutieren und
ten und Hygienefachpersonal (fest angestellt oder gemeinsame Ziele festzulegen.
beratend tätig) und hygienebeauftragten Ärzten soll
laut KRINKO-Empfehlung (Kommission für Kran-
kenhaushygiene und Infektionsprävention) pro Beispiel
Station eine sog. Link Nurse/Hygienebeauftragte in Der Heidelberger Wundexpertenkreis, der aus den
der Pflege benannt sein. Sie soll dafür sorgen, dass Pflege-Wundexperten der einzelnen Stationen
die Regelungen und Vorgaben zur Vermeidung von des Gesamtklinikums Heidelberg besteht, hatte
Keimübertragungen und der Entstehung nosoko- als Ziel für das Jahr 2009 formuliert, ihre Kollegen
mialer Infektionen allen Mitarbeitern bekannt sind, durch stetige Aufklärung und Diskussion während
und darauf achten, dass diese auch konsequent ange- Übergaben und Besprechungen nachhaltig davon
wendet werden. überzeugen zu wollen, auf das Tragen von Ringen,
In der der Chirurgischen Klinik Heidelberg Unterarmschmuck und Nagellack im Berufsalltag
stellt jede Station eine Hygienebeauftragte, deren zu verzichten. Das stetige Nicht-Hinnehmen und
Aufgabe es ist, den „Hygiene-Alltag“ zu beobach- das Verweisen auf Hygienerichtlinien und die TRBA
ten, Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten und im (TRBA 250 = Technische Regeln für Biologische
steten Dialog mit den Kollegen zu sein. Im Rahmen Arbeitsstoffe) findet besonders bei den hygiene-
der Teambesprechung werden Informationen, Neu- bewussten und hygieneverantwortlichen Kollegen
erungen und Anregungen weitergegeben. sehr guten Anklang und wird intensiv unterstützt.

> Die Funktion von Hygienebeauftragten in Um die Mitarbeiter in einer Klinik auf den unsachge-
der Pflege ist in den Niederlanden und in den mäßen Umgang mit benutzten Instrumenten hinzu-
angelsächsischen Ländern etabliert, befindet weisen, der sich immer wieder im Alltag einschleicht,
sich in Deutschland aber noch im Aufbau. hatte das Hygieneteam eine kreative Idee:
118 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

Praxistipp . Tab. 8.1 Kategorien in der Richtlinie für


Krankenhaushygiene und Infektionsprävention.
Sobald die Hygienebeauftragten oder die (Mod. nach Bundesgesundheitsblatt 2010)
Wundexperten ein unkorrektes Versorgen
entdeckten, wurde ein Foto gemacht und Kategorie 1A Diese Empfehlung basiert auf gut
dies im Stationsstützpunkt und Arztzimmer konzipierten systematischen Reviews
oder einzelnen hochwertigen
nur mit dem Titel „Risikomanagement“
randomisierten kontrollierten Studien.
aufgehängt. Damit wurden die Mitarbeiter
Kategorie 1B Diese Empfehlung basiert auf klinischen
auf Fehlerquellen aufmerksam gemacht
oder hochwertigen epidemiologischen
ohne einzelne bloßzustellen. Gleichzeitig Studien und strengen, plausiblen
wurde auf die Gefahr der Verletzung und und nachvollziehbaren theoretischen
Kontamination für alle Kollegen hingewiesen. Ableitungen.
Der Erfolg der Maßnahme ließ nicht lange auf Kategorie II Diese Empfehlung basiert
sich warten. Durch diese Veröffentlichung des auf hinweisenden Studien/
Missstandes haben auch andere Kollegen Mut Untersuchungen und strengen,
plausiblen und nachvollziehbaren
gefasst, an Vorschlägen zur Verbesserung des
theoretischen Ableitungen.
Hygieneverhaltens mitzuarbeiten.
Kategorie III Maßnahmen, über deren
8 Wirksamkeit nur unzureichende oder
widersprüchliche Hinweise vorliegen,
Hygiene benötigt Fortbildungszeit Neben spezi- deshalb ist eine Empfehlung nicht
fischen Fortbildungen zum Thema Hygiene kann möglich.
jede Fortbildung so gestaltet werden, dass das Thema Kategorie IV Anforderungen, Maßnahmen
Hygiene und insbesondere Händehygiene immer mit und Verfahrensweisen, die
angesprochen wird. durch allgemein geltende
Rechtsvorschriften zu beachten sind.

Praxistipp

Die Hygienebeauftragten gestalten jährlich hygienischer Sicht sinnvollen Ablauf ad absurdum


einen Hygienetag. Die 20 Mitglieder führen.
organisieren Informationsstände zu den
unterschiedlichsten Themen und stehen den Hygiene benötigt Vorbilder Führungskräfte, Praxis-
gesamten Tag für alle Mitarbeiter der Klinik anleiter, Lehrer für Pflegeberufe sind ohne Zweifel
Rede und Antwort. Damit die Diskussion und die wichtigsten Vorbilder. Im Alltag stellt sich häufig
das Nachfragen vor Ort angeregt werden, wird die Frage, wer Führungskräfte auf ein nicht hygiene-
ein Quiz mit 20 Fragen ausgerichtet. Selbstver- konformes Verhalten hinweisen soll, kann und darf.
ständlich mit Gewinnchance.
Praxistipp

Hygiene benötigt Raum und Zeit Ein- und Zweibett- Wenn Sie jemanden auf das Einhalten von
zimmer, Nasszellen und Toiletten in jedem Zimmer Hygienevorgaben hinweisen wollen oder
und ausreichend Raum zwischen den Patientenbet- müssen, dann tun Sie dies im Sinne von „Sie
ten sind Garanten für eine bessere Hygiene. Arbeits- wollten dies sicher auch beachten … “, nicht in
materialien müssen ausreichend vorhanden sein, einem angreifenden oder maßregelnden Stil
damit keine Zeit für die Organisation und die Vor- (7 Kap. 11).
bereitung verloren geht, sondern diese Zeit sinnvoll
für Hygienemaßnahmen genutzt werden kann. Auf-
gaben und Zuständigkeiten im Stationsalltag sind Hygienemaßnahmen müssen einfach in den pflegeri-
stetig zu evaluieren, zu diskutieren und anzupas- schen Alltag zu integrieren sein Alle Maßnahmen,
sen, da nicht selten antiquierte Prozesse jeden aus die dazu führen, dass Stationsabläufe strukturiert
8.2 · Standard-Hygienemaßnahmen
119 8

. Tab. 8.2 Ausschnitt Desinfektionsplan Intensivstationen. Mit freundlicher Genehmigung der Uni-Klinik Heidelberg

Was Wann Wie Womit Wer

Med.-techn.-Geräte Täglich bei Wischdesinfektion Incidin Pflegepersonal


Gebrauch Desinfektionsmittel Plus 0,5% Versorgungspersonal
Nach antrocknen lassen,
Patientenwechsel nicht trocken wischen
RR-Geräte Täglich Wischdesinfektion Bacillol Plus Ärzte
Stethoskop Nach Gebrauch Desinfektionsmittel Pflegepersonal
antrocknen lassen, Versorgungspersonal
nicht trocken wischen
Röntgenplatte Nach Gebrauch Wischdesinfektion Bacillol Plus Röntgenassistenten
Desinfektionsmittel
antrocknen lassen,
nicht trocken wischen
Mundpflegetablett Täglich Tablett, Salben etc.: Bacillol Plus Pflegepersonal
Wischdesinfektion Incidin Versorgungspersonal
Pflegelösungen erneuern Plus 0,5%
Laryngoskopspatel Nach Gebrauch Validiertes RDG (Reinigungs- Pflegepersonal
Desinfektions-gerät)
Verband-, Material-, Nach Gebrauch Außen Wischdesinfektion. Bacillol Plus Pflegepersonal
Kurvenwagen etc. Mind. monatlich Desinfektionsmittel Incidin Versorgungspersonal
antrocknen lassen, nicht Plus 0,5%
trocken wischen
Wischdesinfektion.
Desinfektionsmittel
antrocknen lassen, nicht
trocken wischen (außen
und innen)

und einfach gestaltet werden können, helfen – direkt Die Standardhygiene beinhaltet alle Maßnah-
und indirekt –, die Hygiene und insbesondere die men, die bei der Pflege und Behandlung jedes Pati-
Händehygiene zu verbessern. enten einzuhalten sind.
Alle aufgeführten Empfehlungen basieren auf
Einige Beispiele: den aktuellen Kategorien der Richtlinie für Kran-
55 Händedesinfektionsmittelspender an jedem kenhaushygiene und Infektionsprävention aus dem
Patientenbett und im Eingangs- bzw. Ausgangs- Jahr 2010 und sind ihrem Evidenzgrad entsprechend
bereich jedes Zimmers gekennzeichnet (. Tab. 8.1).
55 Hygienecenter mit allem erforderlichen
Equipment bei Patienten mit MRE (multiresis-
tenten Erregern) 8.2.1 Flächen- und
55 Desinfektionstücherspender in unterschied- Umgebungshygiene
lichen Ausführungen
> Für alle Flächen, eingesetzte
Materialien/Instrumentarien und
8.2 Standard-Hygienemaßnahmen Verfahren muss für den jeweiligen
Bereich ein angepasster Hygieneplan mit
(Prävention der nosokomialen Pneumonie, Hygie- konkreter Vorgehensweise vorliegen
nemaßnahmen bei enteraler Ernährung 7 Kap. 6.) (. Tab. 8.2).
120 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

. Tab. 8.3 Handhabung Flächendesinfektion. (Mod. nach Bundesgesundheitsblatt 2004)

Bereich Was ist zu tun?

Bereiche mit hochinfektiösen Erregern und Gefahr der Flächen mit häufigem Hand- bzw.
Weiterverbreitung (MRSA, VRE, MRE) z. B. Hautkontakt: Desinfektion (Kat. IB)
Isolierbereiche/-pflegerische Funktionsbereiche, in denen die o. g. Fußböden: Desinfektion (Kat. II)
Patienten behandelt werden Sonstige Flächen: Reinigung
Bereiche mit besonderem Infektionsrisiko (ohne MRE-Nachweis) z. B. Flächen mit häufigem Hand- bzw.
OP-Abteilungen, Eingriffsräume, Einheiten für besondere Hautkontakt: Desinfektion (Kat. IB)
Intensivtherapie, Schwerstbrandverletzte, Transplantationen Fußböden: Desinfektion (Kat. II → OP)
(z. B. KMT), hämat.-onkologische (Chemotherapie), Frühgeborene Sonstige Flächen: Reinigung
Bereiche mit potentiellem Infektionsrisiko z. B. Flächen mit häufigem Hand- bzw.
Ambulanzbereiche, Allgemeinstationen, Radiologie, physikalische Hautkontakt: Reinigung (ggf. Desinfektion,
Therapie, Sanitärräume, Dialyse, Entbindung, Intensivtherapie, Kat. II → ITS)
-überwachung Sonstige Flächen und Fußböden: Reinigung
Bereiche ohne Infektionsrisiko z. B. Alle Flächen: Reinigung

8 Treppenhäuser, Flure, Verwaltung, Büros, Speiseräume, Hörsäle,


Unterrichtsräume, technische Bereiche

ITS Intensivtherapiestation, KMT Knochenmarktransplantation, MRE multiresistente Erreger, MRSA Methicillin-


resistente Staphylococcus aureus, VRE Vancomycin-resistente Staphylococcus aureus.

Kontaminierte Flächen sind ein potenzielles Risiko 55 Zur Dosierung werden automatische
sowohl für Patienten als auch für das Personal. Eine dezentrale Desinfektionsmittel-Dosiergeräte
mangelhafte Flächenhygiene kann Ursache der Wei- empfohlen (Kat. 1B).
terverbreitung von Erregern sein (. Tab. 8.3). 55 Die zu desinfizierende Oberfläche muss mit
einer ausreichenden Menge des Mittels unter
Praxistipp leichtem Druck abgerieben werden (Nass-­
Wischen) (Kat. 1B).
Als ein einfaches und sehr effektives Entschei- 55 Putzeimer und andere Behältnisse
dungsmuster kann folgende Regel gelten: müssen nach Abschluss der Reinigungs-/­
Je näher eine Fläche am Patienten ist Desinfektionstätigkeit gründlich desinfizierend
und je näher ein Gegenstand an den gereinigt werden und vor Wiederverwendung
Patienten kommt, umso häufiger muss komplett austrocknen (Kat. 1B).
desinfizierend gereinigt werden. Es werden 55 Gebrauchslösungen von Desinfektionsmitteln
keine Materialien ins Bett des Patienten gelegt, dürfen maximal einen Arbeitstag lang
da das Bett als kontaminiert gilt. Flächen verwendet werden (Kat. 1B) (Bundesgesund-
und Gegenstände, die sichtbar kontaminiert heitsblatt 2004).
sind, müssen sofort desinfizierend gereinigt
werden. Praxistipp

44 Zu empfehlen sind Vliestuchspen-


z Flächendesinfektion der-Eimer, die eine Standzeit von 28 Tagen
55 Flächen, auf denen aseptische Arbeiten ausge- haben, vorausgesetzt, die Behältnisse sind
führt werden, sind grundsätzlich desinfizierend immer ordnungsgemäß verschlossen. Nach
zu reinigen (Kat. 1B).
8.2 · Standard-Hygienemaßnahmen
121 8
semikritische und kritische Produkte werden in der
der Standphase sollen die Eimer gründlich Zentralsterilisation aufbereitet (Bundesgesundheits-
mit einem mit Desinfektionsmittel blatt 2001).
getränkten Lappen gereinigt werden
und vor Wiederverwendung komplett z Wasserhygiene
austrocknen. Weitaus besser ist eine Mittler weile wird in vielen B ereichen mit
maschinelle Aufbereitung bis 70°C. immunsupprimierten, abwehrgeschwächten und
44 Bei Kontamination mit organischem besonders infektionsgefährdeten Patienten zur Pflege
Material (Blut, Sekrete, Faeces etc.) von Haut- und Schleimhaut steril gefiltertes Wasser
sollte bei der Desinfektion zunächst das mit Hilfe endständiger Bakterienfilter bereitgestellt.
sichtbare Material mit einem in Desinfekti-
onsmittel getränkten Einwegtuch, Zellstoff z Händehygiene
o. Ä. aufgenommen (Einmalhandschuhe Die Vermeidung und Bekämpfung nosokomialer
tragen) und das Tuch verworfen werden. Infektionen kann nur erfolgreich sein, wenn sog.
Anschließend ist die Fläche wie üblich zu Maßnahmenbündel etabliert werden.
desinfizieren. (Kat. IB) Einer der einfachsten, günstigsten und zugleich
44 Auf Sprühdesinfektionen soll verzichtet wichtigsten Bausteine solch eines Maßnahmenbün-
werden, da diese Methode nicht die dels zur Vermeidung nosokomialer Infektionen ist
erwartete Wirkung erreicht und personal- die Händedesinfektion.
gefährdend ist. (Kat. IB) (Bundesgesund- Händehygiene beinhaltet:
heitsblatt 2004) 55 Händewaschung mit einer schwach
sauren (pH 5,5) oder pH-neutralen
Waschlotion
55 Händedesinfektion
Wie häufig soll desinfizierend gereinigt werden? 55 Hautpflege
55 Nach jedem Patientenwechsel
55 Bei sichtbarer Kontamination Anleitung zur Händedesinfektion Sie benötigen
55 Patientennahe Fläche 1-mal pro Schicht 3 ml Händedesinfektionsmittel (2–3 Hübe) – farb-
stoff- und parfümfrei –, das auf die gesamte Hand-
z Umgang mit Medizinprodukten fläche reibend verteilt wird, d. h., die Hände müssen
und Material nass sein. Desinfiziert werden beide Handflächen –
Medizinprodukte werden je nach Art der Anwen- innen und außen –, alle Finger inklusive der beiden
dung und Aufbereitung in verschiedene Gruppen Daumen und abschließend alle Fingerkuppen und
eingeteilt: Fingernägel. Die Mindesteinwirkzeit beträgt 30 s.
55 Unkritische – kommen i.d.R. nur mit intakter Die sehr strikte 6-Punkte-Regel der Händedesin-
Haut in Kontakt, z. B. Stethoskop, Wasch- fektion weicht immer mehr der eigenverantwortli-
schüssel, EKG-Elektroden chen Methode, d. h. mittels individueller Technik
55 Semikritische – kommen mit Schleimhaut oder selbst auf vollständige Benetzung zu achten, da diese
krankhaft veränderter Haut in Berührung, z. B. Methode in vergleichenden Tests die besseren Ergeb-
Spekula, Endoskope nisse erzielte. Bei bestimmten Erregern, z. B. Noro-
55 Kritische – durchdringen Haut oder Viren, müssen viruzide Desinfektionsmittel verwen-
Schleimhaut, kommen in Anwendung mit Blut, det werden, die eine längere Einwirkzeit benötigen,
Blutprodukten oder sterilen Arzneimitteln, z. B. 2-mal 30 s (Kampf 2009).
z. B. OP-Instrumente Während der Arbeit auf der Station werden
weder Ringe noch Unterarmschmuck, auch keine
Wiederverwendbare unkritische Medizinpro- Uhren, getragen. Die Fingernägel sind, mit den Fin-
dukte können in der Regel laut einem Hygiene- gerkuppen abschließend, kurz geschnitten zu halten
plan auf Station desinfizierend gereinigt werden; und unlackiert.
122 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

Sollten Sie sich mit Sekreten, Ausscheidun-


gen oder Exsudat kontaminiert haben, so waschen Kontamination mit Clostridium difficile.
Sie zuerst Ihre Hände und führen erst nach einem Desinfizieren Sie Ihre Hände nach dem
gründlichen und vollständigen Abtrocknen die Hän- Waschen nur, wenn diese vollständig
dedesinfektion durch. getrocknet sind.
44 Vermeiden Sie Staunässe in Handschuhen.
Praxistipp Sollten Sie Handschuhe länger tragen
müssen, dann gönnen Sie Ihren Händen
Die Gefahr der Sensibilisierung der Haut bis zur vorher eine Hautschutzcreme.
Ausbildung einer manifestierten Händedesin- 44 Eine Hautpflege mit einer speziellen
fektionsmittelunverträglichkeit steigt mit dem Handcreme sollten Sie nach dem
Nichteinhalten der korrekten Trocknung der Händewaschen, vor Pausen, vor
Hände nach dem Händewaschen. Schwitzen Besprechungen und nach Dienstschluss
Ihre Hände nach dem längeren Tragen von durchführen.
Handschuhen, so ist es sinnvoll, diese mit
einem Papiertuch zuerst zu trocknen und dann
erst zu desinfizieren. Verbesserung der Händehygiene-Compliance Mit

8 diesen Maßnahmen können Sie die Compliance der


Händehygiene auf Ihrer Station verbessern:
55 Um die Hautverträglichkeit von Händedes-
infektionsmittel zu verbessern, sollten diese
Die fünf Momente der Händehygiene – farbstoff- und parfümfrei sein.
Wann desinfiziere ich meine Hände? 55 Unterschiedliche Handschutzcremes sollten
(http://www.aktion-sauberehaende.de) zur Verfügung gestellt werden.
44 Vor Patientenkontakt
44 Vor jeder aseptischen Tätigkeit Es ist sinnvoll, eine Auswahl unterschiedlicher Des-
44 Nach Kontakt mit Körperflüssigkeiten infektionsmittel bereitzustellen, damit jeder Anwen-
und nach dem Ausziehen von der ein Produkt seiner Wahl verwenden kann.
Handschuhen Auf einer IMC-Station sollte wie auf einer Inten-
44 Nach Kontakt mit dem Patienten sivstation ein Spender pro Patientenbett und ein
44 Nach Kontakt mit der Patientenumgebung Spender im Ausgangsbereich vorhanden sein, damit
die Händedesinfektion erleichtert wird und sich
der Desinfektionsmittelverbrauch dadurch erhöht.
Messen Sie Ihren Händedesinfektionsmittelver-
> Die Hände werden gewaschen und brauch, damit alle Kollegen den Erfolg der Optimie-
­desinfiziert: rungsbestrebungen mitverfolgen können.
44 Vor Dienstbeginn Das gesamte Personal sollte regelmäßig in der
44 Nach Dienstschluss Technik der Händehygiene geschult werden – am güns-
44 Nach Toilettengang tigen mittels Unterstützung einer Schwarzlichtlampe.
44 Vor einer Pause
44 Nach dem Naseputzen werden die Hände Das Tragen von Handschuhen Handschuhe redu-
immer desinfiziert zieren das Übertragungsrisiko von Erregern, bieten
aber keinen absoluten Schutz vor Kontamination, da
Praxistipp stets eine Perforationsgefahr besteht. Schutz- oder
OP-Handschuhe nur anziehen, wenn die Hände
44 Waschen Sie Ihre Hände mit Wasser und trocken sind. Bei Feuchtigkeits- und Desinfek-
Seife nur bei sichtbarer Verschmutzung tionsarbeiten sollten immer Handschuhe getragen
und nach möglicher oder stattgefundener werden. Nach dem Ablegen der Handschuhe sind
die Hände immer zu desinfizieren.
8.2 · Standard-Hygienemaßnahmen
123 8
Nicht sterilisierte Handschuhe werden getragen: z Persönliche Schutzausrüstung (PSA)
55 Zum Waschen des Patienten, Unterstützung Zu den persönlichen Schutzmaßnahmen zählen alle
und Durchführung der Mundpflege Maßnahmen, die dem Eigenschutz dienen und das
55 Zur Blutentnahme und zum Anlegen von Übertragungsrisiko reduzieren. Neben der zwei-
peripheren Verweilkanülen felslos wichtigsten Maßnahme der Händehygiene
55 Bei Kontaktgefahr mit potenziell oder sichtbar gehören Kleidung, Schutzkittel, Mundschutz und
kontaminiertem Material (Urin, Stuhl, Schutzbrillen dazu.
AP-Beutel)
55 Vor jedem Kontakt mit Kleidung In der Regel wird auf IMC-Statio-
Flächendesinfektionsmittel nen Bereichskleidung getragen, die der sichtbaren
Abgrenzung zu anderen Bereichen dient. Bereichs-
Sterile Handschuhe werden getragen: kleidung ist keine Schutzkleidung, wird mittels
55 Zum Verbandwechsel von Wunden, Kathetern, Schutzkleidung (Schutzkittel) bei zu erwartender
Drainagen Kontamination geschützt und mindestens täglich,
55 Zum Trachealkanülenwechsel aber sofort bei stattgefundener oder sichtbarer Kon-
55 Zum endotrachealen Absaugen tamination gewechselt. Mitbehandler ohne Bereichs-
55 Bei invasiven Maßnahmen wie z. B. kleidung, wie Physiotherapeuten und Konsiliarärzte,
ZVK-Anlage, Einschwemmen von Rechts- tragen während des direkten Patientenkontakts
herzkathetern, Bronchoskopien, Einlegen von Schutzkittel.
Thoraxdrainagen
Schutzkleidung (z. B. Schutzkittel) Schutzkittel
werden bei allen Patientenkontakten mit möglicher
Tipps zur Händehygiene Kontamination eingesetzt z. B.
44 Desinfizieren Sie Ihre Hände nur, wenn 55 Bei der Unterstützung von Ausscheidungen
diese trocken sind. (Stuhl, Urin, Blut, Sekrete, Erbrechen)
44 Beachten Sie, dass Ihre Hände, nachdem 55 zum Schutz vor Nässe bei der Körperpflege
Sie Handschuhe ausgezogen haben, auch (ggf. Plastikschürzen)
feucht sein können. 55 Bei Verbandwechseln
44 Nutzen Sie jede Gelegenheit, Ihre Hände 55 Bei Mobilisationen und jedem nahen Kontakt
mit einer Handpflegecreme zu versorgen. mit dem Patienten (Pflege)
44 Gönnen Sie Ihren Händen eine
regelmäßige Kur, z. B. indem Sie die Hände Mundschutz-Nasen-Schutz Unterschieden wird
vor dem Zubettgehen intensiv eincremen zwischen chirurgischen Masken und sog. FFP („face
und ggf. Baumwollhandschuhe anziehen, filtering piece“) Typ 2 oder 3.
damit die Creme intensiv einwirken kann. Alle Masken (. Abb. 8.1)
44 Nehmen Sie regelmäßig an Schulungen 55 müssen gut sitzen und dicht am Gesicht
zur Händehygiene teil. Nur wer Prozesse anliegen.
immer wieder übt, bleibt ein Profi. 55 werden nicht „herunterhängend“ getragen,
sondern nach Beendigung der Maßnahme
sofort entsorgt.
Praxistipp 55 sind kontaminiert. Deshalb müssen die Hände,
nachdem die Maske angefasst wurde, desinfi-
Am 05.05. eines jeden Jahres ist Welt- ziert werden.
Händehygienetag. Der Tag ist eine
hervorragende Gelegenheit für die Chirurgische Masken
Hygienebeauftragten der Stationen, mit den 55 Verhindern die Übertragung von aerogen
Hygienefachkräften gemeinsame Aktionen übertragenen Infektionen vom Behandler zum
innerhalb der Klinik zu starten. Patienten und vom Patienten zum Behandler
(Influenza, Meningokokken, Noro-Virus).
124 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

. Abb. 8.1 Maske . Abb. 8.2 Schutzbrille

FFP Typ 2 oder 3 Vor und während jeder pflegerischen oder therapeuti-
55 Sind partikelfiltrierende Atemschutzmasken schen Maßnahme sind folgende Vorgaben zu erfüllen:
zum Eigenschutz bei der Behandlung 1. Aufklärung und Information des
8 von Patienten mit z. B. Tuberkulose oder
SARS (schweres akutes respiratorisches
Patienten
2. Gewährleistung einer permanenten
Syndrom). Beobachtung der Patientenreaktion, z. B.
Schmerz oder Unwohlsein
Schutzbrillen (. Abb. 8.2) Sind zum Kontamina- 3. Laufende Inspektion, d. h., während der
tionsschutz der Augen gedacht mit potenziell infek- Körperpflege werden Haut und Schleimhäute
tiösem Material oder bei bestehenden Infektionen, überprüft, während der Augenpflege werden
z. B. Influenza, Hepatitis B und C, während die Pupillen kontrolliert
55 Punktionen 4. Beobachtung der Eigenaktivität, Mobilität und
55 Bronchoskopien Reaktionsfähigkeit
55 Intubationen 5. Sicherstellung der Intimsphäre
6. Schließen von Fenstern und Türen
z Angehörige auf IMC-Stationen 7. Keine zeitgleichen Reinigungsmaßnahmen
55 Werden immer in die Händehygiene
eingewiesen.
55 Benötigen nur spezielle Schutzkittel, wenn ihre
Angehörigen MRE besiedelt oder umkehriso- Prinzipien der reinigenden
liert sind. Ganzkörperwäsche beim IMC-Patienten
55 Benötigen eine Mund-Nasen-Maske, wenn sie 44 Möglichst nicht mit heißem Wasser
oder ihre Angehörigen eine Infektion haben. durchführen, um den Säureschutzmantel
der Haut nicht zu schädigen
(Patientenwunsch berücksichtigen)
8.2.2 Körperpflege 44 Mit patienteneigenen Pflegeprodukten
durchführen zur Steigerung des
Die täglich durchzuführende Körperpflege unserer Wohlbefindens und zur Förderung der
Patienten verfolgt drei Ziele: Wahrnehmung
1. Wohlbefinden des Patienten 44 pH-neutrale Pflegeprodukte bevorzugen
2. Hygiene/Keimreduktion 44 Mit klinikeigenen Waschlappen und
3. Förderung der Körperwahrnehmung und Handtüchern waschen, damit diese sicher
demzufolge Delirprävention (7 Kap. 7) täglich ausgetauscht werden
4. Mobilitätsförderung (7 Kap. 9)
8.2 · Standard-Hygienemaßnahmen
125 8
> Bei Patienten, bei denen mit Verletzungen
44 Waschlappen nur einmal ins Waschwasser zu rechnen ist, z. B. bei Lysetherapie oder mit
eintauchen, um eine Kontamination des Immunsuppression, ist eine Trockenrasur
Wassers zu vermeiden möglichst mit dem patienteneigenen
44 Intensivste Pflege von Bauchnabel und Rasierapparat (nach Gebrauch reinigen)
Intimbereich (Vorhaut, Klitoris, Analregion), durchzuführen, da jede Läsion der Haut eine
um Keimreservoire zu eliminieren ideale Eintrittspforte für Keime ist.
44 Kompletter Wäschewechsel – die
gesamte Wäsche des Patienten gilt als
kontaminiert, d. h. sofortige Entsorgung Praxistipp
in den Wäschesack und, bevor neue
Wäsche angefasst wird, Händedesinfektion Patienten mit Jugulariskathetern und
durchführen Trachealkanülen profitieren von der täglichen
44 Keimreduzierende Produkte, Rasur, da die Haarentfernung des Bartes
z. B. Stelliscrup oder Octenisan, eine Keimreduktion der Umgebung
bei MRSA-Trägern anwenden gewährleistet.
(Sanierungsphase)

> Für andere multiresistente Erreger wie VRE z Augenpflege


und MRGN liegen keine Sanierungsemp- Neben der routinemäßigen Pflege der Augen
fehlungen vor. während der Körperpflege muss bei Patienten mit
fehlendem Lidreflex, bei inkomplettem Lidschluss,
z Allgemeine Pflegemaßnahmen im Rahmen z. B. bei Bewusstlosigkeit oder bei ausgeprägter
der Grundpflege Chemosis, eine spezielle Augenpflege durchgeführt
55 Finger- und Fußnägel kurz geschnitten halten werden.
55 Feuchte Reinigung der Analregion und ggf. des 55 Reinigung des geschlossenen Augenlids vom
Intimbereichs nach Defäkation äußeren zum inneren Lidwinkel mit klarem
55 Nach der Ganzkörperpflege Bettwäsche Wasser
komplett wechseln 55 Trockene Augen mit feuchtigkeitsspendenden
55 Anschließende Hautpflege zum Erhalt Augengels, z. B. Vidisic-Gel, oder
des Säureschutzmantels der Haut und zur künstlicher Tränenflüssigkeit, z. B. Liquifilm,
Feuchtigkeitsversorgung je nach Hautzustand pflegen
(7 Kap. 19) 55 Hornhautläsionen oder Konjunktividen mit
Dexpanthenol-Salbe, z. B. Bepanthen AS,
z Haar- und Bartpflege pflegen
Neben dem täglichen Kämmen der Kopfhaare
werden diese nach Bedarf (alle 2 Tage) und nach z Nasenpflege
Wunsch des Patienten gewaschen, wenn sein Trockene Krankenhausluft, die relativ trockene
Zustand dies zulässt. Lange Haare werden möglichst Atemluft bei Sauerstoffinsufflation und Fremdkörper
geflochten. Bei Patienten mit MRSA wird die tägli- wie Sauerstoffsonden und Magensonden stören die
che Haarwäsche empfohlen, da Haare und Ohren ein empfindlichen Nasenschleimhäute und begünstigen
bevorzugtes Reservoir für den MRSA-Erreger sind. Verkrustungen, Läsionen, Druckgeschwüre, Blutun-
Mittlerweile gibt es auch spezielle antibakterielle gen und Schmerzen. Aus diesem Grund werden pfle-
Haarwaschhauben, die eingesetzt werden können. gerische Maßnahmen zur Feuchthaltung und zum
Die Nassrasur ist aus hygienischen Gründen vor- Erhalt der Integrität der Schleimhaut und zur Pro-
zuziehen, da das Equipment leichter desinfizierend phylaxe von Hautirritationen und Druckgeschwüren
zu reinigen ist. durchgeführt (. Tab. 8.4).
126 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

. Tab. 8.4 Nasenpflege

Erhalt der Schleimhautfeuchtigkeit und Integrität Erhalt der Hautintegrität des Nasenrückens und
der Schleimhäute Vermeidung von Druckgeschwüren

Regelmäßige Inhalationen oder diskontinuierliche und Tägliche Neufixierung der Magensonde ohne Kontakt
kontinuierliche Warmverneblung, z. B. Fisher&Paykel zwischen Naseneingang und Sonde entstehen zu lassen
durchführen
Vorsichtige Befeuchtung der Nasenschleimhäute im Pflasterfixierungsstelle täglich wechseln und Haut
Naseneingangsbereich mit steril filtriertem Wasser nach dem Lösen des Pflasters pflegen und schützen,
z. B. Benzoetinktur oder Cutimed Protect, Cavilon oder
Sensicare
Vorsichtiges Absaugen mit einem dünnen Verwendung eines dünnen Hydrokolloidpflasters, z. B.
Absaugkatheter, damit überschüssiges Sekret nicht Varihesive, dünn zur Unterpolsterung bzw. als Hautschutz
verborkt vor Anbringen des Fixierungspflasters bei beginnenden
Bestehende Borken mit NaCl 0,9% aufweichen oder bestehenden Hautläsionen

Sorgfältiges Einbringen von Dexpanthenolsalbe,


z. B. Bepanthen Salbe, in den vorderen

8 Naseneingangsbereich

Praxistipp Leitlinie zur Mundpflege nach IPA


(Inspektion, Pflege, Anleitung)
Pflegeprodukte wie Salben nach Anbruch Ziele:
mit Datum beschriften, immer sorgfältig 44 Reduktion der Pneumonie
verschließen und nur für einen Patienten 44 Feucht halten der Mundschleimhaut
verwenden. Werden Salben, z. B. Bepanthen, 44 Verhinderung der Neubildung von Plaque
sowohl für die Augen-, Nasen- als auch und Reduktion von Plaque
Lippenpflege verwendet, so wird für die 44 Vermeidung der Infektion der
Augenpflege immer eine separate Tube Mundschleimhaut und des Zahnfleisches
(beschriftet) verwendet, für die Pflege von 44 Verhinderung trockener, rissiger Lippen
Nase oder Lippen wird der Salbenstrang und Mundwinkel
immer erst auf einen Watteträger appliziert, 44 Aufrechterhaltung der Prothesenhygiene
um Kontaminationen zu vermeiden. Kann und Vermeidung Prothesen-induzierter
dies nicht gewährleistet werden, da auch Erkrankungen
der Patient z. B. selber aktiv Lippen- oder 44 Beweglichkeit des Kiefergelenkes erhalten
Nasenpflege mittels einer Salbe durchführt, und fördern
sind auch hier jeweils separate Tuben 44 Förderung von Wohlbefinden und Appetit
bereitzustellen. 44 Anregung der Speichelproduktion

z Mundpflege (am Beispiel der Uni-Klinik Inspektion (Assessment)


Heidelberg) 55 Häufigkeit:
445-mal/Tag (6/10/14/18/22 h) auf Intensiv-
> Vor der Mundpflege Schluckakt durchführen und IMC-Station
lassen oder Mundhöhle absaugen. 442-mal/Tag auf peripherer Station
8.2 · Standard-Hygienemaßnahmen
127 8
44Mehrmals pro Schicht bei Patienten, die
. Tab. 8.5 Assessment „Brushed“
im Lippen-, Mund- und Rachenbereich
erkrankt sind, davon 2-mal/Tag (10/22 h) Bleeding Blutung Zahnfleisch,
44Plaqueentfernung mittels Zahnbürste. Schleimhaut, Heparin
Assessment mittels „Brushed“ Redness Rötung, Stomatitis, Zunge,
44Oropharynx mind. alle 6 h bei beatmeten Entzündung Zahnfleisch
Patienten absaugen Ulceration Geschwür Größe, Ausprägung,
55 Durchführung der Inspektion: Herpes, Infektion
44Patient über den Vorgang informieren Salvia Speichel Mundtrockenheit,
–– Bei wachen Patienten ohne Menge, Merkmale
Einschränkung der Kiefergelenke: Mund Halitosis Mundgeruch Merkmal, Azidose,
weit öffnen und Zunge weit heraus- Infektion
strecken lassen External Extreme Z. B. orale Intubation
–– Bei motorisch bzw. neurologisch defizi- Factors Faktoren
tären Patienten: Mund passiv öffnen Debris Beläge Merkmale,
–– Bei Patienten mit Kieferverdrahtungen: Fremdkörper
Lippen aktiv oder passiv öffnen lassen
44Durchführung der Inspektion mit Licht-
quelle und Spatel in alle Winkel der Mundhöhle mittels
–– Assessment „Brushed“ durchführen Tupfer verteilen. Überschüssiges Fluid
(. Tab. 8.5) absaugen.
–– Zahnstatus natürlicher und künstlicher –– Ggf. Spezielle Therapeutika anwenden
Zähne beurteilen –– Mund mehrmals hintereinander öffnen
–– Schluckfunktion beurteilen und schließen
–– Lippenpflege durchführen
Pflege 44Passive Pflege bei Verdrahtungen
55 Durchführung –– Ggf. Cuffdruck erhöhen
44Aktive Pflege: 7 unten, Anleitung –– Natürliche Zähne 3 min in kleinen
44Passive Pflege: Auf- und Abwärtsbewegungen (von
–– Künstliche Zähne entfernen und Rot nach Weiß) mit einer Zahnbürste
bruchsicher pflegen (7 Leitlinie reinigen
Zahnprothesenpflege) –– Spülen der Mundhöhle mit
–– Morgens und abends (10 und 22 Uhr) zur ­desinfizierende Spüllösung
Plaqueentfernung die natürlichen Zähne –– Nach kurzem Einwirken Mundhöhle
3 min in kleinen Auf- und Abwärtsbewe- absaugen
gungen (von Rot nach Weiß) mit einer –– Ggf. Cuffdruck reduzieren
Zahnbürste reinigen (Evidenzgrad I)
–– Sanftes Reinigen der Zunge mit einer Anleitung und Beratung der Pflege
Zahnbürste 2-mal/Tag 55 Patient über Notwendigkeit der Mundhygiene
–– Reinigung von Schleimhäuten, aufklären (besondere Schulung von therapiebe-
Zahnfleisch und Zunge mit einem Swab dingten Risikogruppen)
alle 4 h Mundboden mit Swab massieren, 55 Beratung des Patienten und der Angehörigen
zur Anregung der Speichelbildung über eine ausreichende Aufnahme von
–– Danach Mundhöhle ausspülen und/oder Flüssigkeit
absaugen 55 Anpassung der Nahrungskonsistenz an
–– 2-mal/Tag (6/18 h) 10 ml desinfizierende die jeweilige Mundsituation und
Lösung (ggf. mit Spritze) einbringen und Schlucksituation
128 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

55 Anleitung zur korrekten Pflege natürlicher 55 Wohlbefinden ist erreicht und Appetit ist
und/oder künstlicher Zähne/Mund angeregt
55 Anleitung von Prophylaxen (desinfizierende 55 Patient/Angehörige sind informiert
Lösung) 55 Eine Pflegeplanung ist erstellt worden
55 Anleitung bezüglich Frequenz und Dauer der (. Tab. 8.6)
Mundhygiene

Nachsorge 8.3 Prävention


55 Entsorgung des benutzten Materials gefäßkatheterassoziierter
55 Händedesinfektion und Wischdesinfektion Infektionen
55 Dokumentation von Inspektion, Pflege und
Anleitung (Beratung) Patienten haben aufgrund unterschiedlicher Indika-
55 Bei Veränderungen und Anwendung von tionen Gefäßzugänge.
Therapeutika wird eine Pflegeplanung erstellt Die Indikationen für venöse Zugänge sind:
bzw. abgeändert 55 Infusionstherapie bis zu einer Osmolarität von
800 mosmol/l
Ergebniskriterien 55 Volumengabe
8 55 Bei Transplantierten hat die Zahnpflege
wiederholt stattgefunden
55 Medikamentengabe
55 Transfusion und Blutentnahme
55 Feuchtigkeitszustand der Mundschleimhaut ist
erkannt Die Indikationen für zentralvenöse Zugänge werden
55 Konsistenz des Speichels ist beurteilt ergänzt durch
und Speichelproduktion ist angeregt 55 Messung des zentralen Venendrucks,
worden 55 Verabreichung von Infusionslösungen mit
55 Sensibilität von Zahnfleisch, Zähnen und einer Osmolarität über 800 mosmol/l,
Mundhöhle ist festgestellt 55 Verabreichung von venenreizenden
55 Schwellungen, Verhärtungen, Läsionen, Infusionen oder Medikamenten (Kalium,
Entzündungen, Beläge und Blutungsneigungen Natriumbikarbonat).
von Schleimhaut und Zahnfleisch sind
beurteilt, therapiert und dokumentiert Arterielle Zugänge dienen der
55 Ein Assessment („Brushed“) hat stattgefunden 55 invasiven RR-Messung, z. B. bei Katechola-
und ist dokumentiert mintherapie, hypertensiven Krisen, instabilem
55 Zahnstatus natürlicher und künstlicher Zähne Kreislauf,
ist beurteilt und dokumentiert 55 und der Ermittlung arterieller Blutgasanalysen
55 Schluckfunktion ist beurteilt und z. B. bei NIV, Weaning.
dokumentiert
55 Eine Pflegehäufigkeit von: Warum kommt es zu venenkatheterassoziierten
445-mal/Tag auf Intensiv- und IMC-Station Infektionen?
442-mal/Tag auf Allgemeinstation 1. Extraluminal – die Hautkeime gelangen über
44Mehrmals pro Schicht bei Patienten, die Einstichstelle entlang der Außenseite des
die im Lippen-, Mund- und Katheters in die Tiefe
Rachenbereich erkrankt sind, ist 2. Luminal – die Keime gelangen über Manipula-
erreicht worden tionen an den Konnektionsstücken z. B. durch
55 Tubus ist nicht disloziert Diskonnektionen oder durch kontaminierte
55 Kieferbeweglichkeit und Speichelfluss Infusionslösungen in das Katheterlumen
werden durch mehrmaliges Öffnen des 3. Katheterfern – katheterferne Infektionen
Mundes gefördert und durch Stimulation des führen über eine Bakteriämie zur Infektion
Mundbodens angeregt (Bundesgesundheitsblatt 2002)
8.3 · Prävention gefäßkatheterassoziierter Infektionen
129 8

. Tab. 8.6 Hilfsmittel zur Mundpflege. (Mit freundlicher Genehmigung der Uni-Klinik Heidelberg)

Hilfsmittel zur Mundpflege Anwendung/Effektivität Evidenzgrad

Zahnbürste Putzfrequenz 2-mal/Tag sanftes Putzen der Zunge integrieren I


Elektrische Zahnbürste Bei eingeschränkter Geschicklichkeit I
Zahnseide 1-mal/Tag zur Reinigung der Zahnzwischenräume I
Interdentalbürste 1-mal/Tag zur Reinigung der Zahnzwischenräume I
(Plaqueentfernung)
Glycerinstäbchen Kurzfristige Verwendung, wenn Zahnpflege nicht möglich ist. Zur I
Plaquebeseitigung an den Zähnen ungeeignet. Ggf. ergänzend
verwenden; trocknet aus
Kaugummi Kaugummi nur ergänzend verwenden. II
Unterschiedliche Wirkungsweisen je nach Inhaltsstoff
Weiche Prothesenbürste Zur Reinigung der Zahnprothese (von den Angehörigen I
mitbringen lassen)
Mundtherapeutika bei Entzündungen
Glandomed Anwendung 2-mal/Tag (8 und 20 Uhr); bei Bedarf bis zu II
2-stündlich
Stomatitislösung Einwirkzeit nach Möglichkeit erhöhen (z. B. Kompressen einlegen) V
(Dexpanthenol/Lidocain/
Glycerol/Kamillosan) (pur)
Panthenollösung (pur) Einwirkzeit nach Möglichkeit erhöhen (z. B. Kompressen einlegen)
Salviathymol/Salvidex nach Einwirkzeit nach Möglichkeit erhöhen (z. B. Kompressen einlegen) V
Backhaus
Tannolact 0,4 g Auf 100 NaCl; Einwirkzeit nach Möglichkeit erhöhen V
Adamin 250 NaCl + 5 g Adamin V
Orale Cryotherapie Verminderung der Inzidenz u. Schwere der Mukositis (wenn I
Chemo in Bolusform verabreicht wird); Dauer 30 min
Mundtherapeutika bei Pilzerkrankungen und zur Prophylaxe (TPL, VAP und Pneumonie)
Ampho moronal /Candio hermal
Mundtherapeutika bei Infektionen und als Prophylaxe bei TPL
Chlorhexamed (CHX) Antiseptisch, hemmt die Plaquebildung I
Intensives Ausspülen nach dem Zähneputzen da ein
Wirkungsverlust von CHX durch Zahnpasta möglich ist.
Empfehlung für beatmete Patienten: Gabe 18 und 6 Uhr
Lippenpflegetherapeutika
Panthenolsalbe 1 Streifen nach jeder Mundpflege I
Tannolact 0,4 0,4 g auf 1 l Aqua
Aciclovir Bei Herpes

TPL Transplantation, VAP ventilatorassoziierte Pneumonie.


130 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

. Tab. 8.7 Einwirkzeit von Desinfektionsmitteln. (Mod. nach Hansis 2000)

Injektionen und Punktionen Punktionen von Körperhöhlen, Gelenken und Hohlorganen

Talgdrüsenarme Haut Talgdrüsenreiche Haut Talgdrüsenarme Haut Talgdrüsenreiche Haut


Mindestens 15 s Mindestens 1 min Mindestens 1 min Mindestens 10 min

Die Haut ist über die gesamte Einwirkzeit feucht zu halten.

8.3.1 Periphere Verweilkanülen 55 Nachfixierung des Katheters – werden unsterile


Pflaster verwendet werden, so erfolgt die
30% der peripheren Verweilkatheter zeigen eine Fixierung auf dem sterilen Verband – soll eine
Phlebitis nach 5-tägiger Liegedauer und 50% nach punktionsnahe Fixierung durchgeführt werden,
10-tägiger Liegedauer. Bei peripheren Kathetern, die so sind sterile Pflaster zu verwenden (Kat. 1B)
am Unterarm angelegt sind, tritt eine Phlebitis häu- 55 Nachsorge des Materials, Händedesinfektion und
figer auf als bei Kathetern auf dem Handrücken, bei Dokumentation (Bundesgesundheitsblatt 2002)
8 Letzteren kommt es aber häufiger zu Obstruktionen
des Katheters (Bundesgesundheitsblatt 2002).
8.3.2 Zentrale Venenkatheter/
Legen einer peripheren Verweilkanüle (Blutentnahme) Shaldon-Katheter
55 Stauen der Vene – Puls muss noch tastbar sein
55 Händedesinfektion (Kat. 1A) Für mehr als 90% aller durch Gefäßzugänge verur-
55 Desinfektion der Einstichstelle unter sachten Katheterinfektionen sind zentrale Venenka-
Beachtung der Einwirkzeit (Kat. 1B) theter verantwortlich. In unterschiedlichen Studien
wird die zusätzliche Letalitätsrate durch Venenkathe-
Einwirkzeit von Desinfektionsmitteln Siehe terinfektionen zwischen 4 und 25% angegeben (Bun-
. Tab. 8.7, . Abb. 8.3. desgesundheitsblatt 2002).

Anlegen von Schutzhandschuhen zur Vermeidung Legen eines zentralen Venenkatheters Es wird eine
einer Kontamination mit Blut (Eigenschutz) ausreichend große, freie Arbeitsfläche für die Bereit-
55 Keine erneute Palpation der Einstichstelle nach stellung und Vorbereitung des Materials benötigt, die
der Hautdesinfektion (Kat. 1B) leicht zu reinigen und zu desinfizieren ist (. Tab. 8.8).
55 Punktion der Vene – eine Abdeckung des
Areals um die Einstichstelle ist nicht erfor- > Die Anlage eines zentralen Venenkatheters
derlich (Kat. 1B) wird immer unter laufendem EKG-Monitoring
55 Bis hierher entspricht die Vorgehensweise mit akustischem EKG-Ton und durchgeführt.
der venösen Blutentnahme, sofern vorher
eine Butterfly-Nadel verwendet wurde – Blut > Bei Unsicherheiten nach der Punktion, wenn
entnehmen, entstauen, Nadel entfernen und nicht eindeutig geklärt werden kann, ob die
Punktionsstelle abdrücken Punktion venös oder arteriell ist, immer eine
55 Aspiration und Lösen der Stauung Blutgasanalyse durchführen.
55 Spülen der Venenverweilkanüle mit
steriler 0,9% NaCl-Lösung – Anlegen eines Komplikationen der zentralen Venenkatheter
3-Wege-Hahns mit Verlängerungsleine oder 55 Arterielle Fehlpunktion
Einlegen eines Mandrins 55 Pneumothorax – eine Komplikation, die nach
55 Säuberung der Einstichumgebung von Blut mit einer Subklaviapunktion mittels Röntgen-
einem sterilen Tupfer Thorax ausgeschlossen werden muss. Eine
55 Anlegen eines sterilen Verbandes (Kat. 1B) erneute Punktion der Subklavia auf der
8.3 · Prävention gefäßkatheterassoziierter Infektionen
131 8
einer Infusion alle Manipulationen auf ein Minimum
zu beschränken.
55 Flächendesinfektion der Arbeitsfläche vor dem
Zubereiten einer Infusionslösung oder einer
Perfusorspritze
55 Händehygiene vor und nach jeder
Manipulation an Infusionssystemen und
Kathetern
55 Desinfektion des Gummistopfens der Infusi-
onsflasche, auch wenn diese von der Firma
steril mit einer Schutzkappe abgedeckt ist,
wenn eine Kontamination oder eine Beschä-
digung der Schutzkappe nicht auszuschließen
ist. Nur bei Ausschluss einer Beschädigung und
bei sofortigem Durchstechen des Gummis-
topfens nach Entfernen der Schutzkappe
kann auf eine Desinfektion verzichtet werden
(Kat. IV)
55 Desinfektion der Katheteröffnung vor Appli-
kation von Medikamenten (CDC Guideline
2011)
55 Nach Diskonnektion eines Infusionssystems
ist immer ein neuer steriler Verschlussstopfen
Talgdrüsenarme Haut (z. B. Arme, Beine) anzubringen
Talgdrüsenreiche Haut (z. B. Kopf, vordere 55 Infusionslösungen dürfen maximal eine
und hintere Schwe/Brinne) Stunde vor Verabreichung vorbereitet werden
(BGH, Urteil vom 03.11.1981 – VI ZR 119/80
(Frankfurt))
. Abb. 8.3 Einwirkzeit von Desinfektionsmitteln. (Mit
freundlicher Genehmigung der Fa. Bode) 55 Es gibt noch keine Aussage für den Einsatz von
Ventilmembran-Konnektoren (Kat. III)
55 „In-line“-Filter werden eingesetzt, um
anderen Seite ohne vorherigen Komplikations- Fremdpartikel, Endotoxine und Luft
ausschluss ist nicht erlaubt. zurückzuhalten und um Arzneimittelinkom-
55 Hämatothorax patibilitäten durch Filterblockade zu erkennen,
55 Nachblutung, Hämatombildung nicht als infektionspräventive Maßnahme
55 Luftembolie (Kat. 1B)
55 Thrombose, Thrombophlebitis, 55 Blut, Blutkomponenten, Fettlösungen,
Thromboembolien Immunglobuline dürfen nicht über In-line-
55 Herzrhythmusstörungen Filter appliziert werden
55 Perforation der Vene durch den 55 Infusionssysteme für reine Fettinfusionen oder
Seldinger-Draht lipidhaltige TPN sollen spätestens nach 24 h
55 Katheterabriss gewechselt werden – Infusionssysteme für alle
anderen Infusionen sollen spätestens nach 72 h
gewechselt werden
8.3.3 Infusionen und Injektionen 55 Luer-Ansatz und Katheterlumen müssen
immer blutfrei sein – nach Blutaspiration z. B.
Die Infusionstherapie ist eine häufige Quelle noso- vor einer Injektion werden diese mit steriler
komialer Infektionen. Aus diesem Grund sind nach 0,9% NaCl-Lösung gespült ggf. ist der 3-Wege-
dem sterilen Vorbereiten und dem sterilen Anhängen Hahn auszutauschen
132 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

. Tab. 8.8 Wer macht was beim ZVK-Legen?

Arzt Pflegeperson

Auswahl der Punktionsstelle (V. jugularis, V. subclavia; selten Durchführung einer Reinigung bei
V. femoralis, da hohe Infektionsgefahr CDC 2011) Verschmutzung und Rasur bei Haarwuchs
Händedesinfektion (Kat. 1A) Händedesinfektion (Kat. 1A)
Desinfektion der Einstichstelle unter Beachtung
der Einwirkzeit (Kat. 1B)
Anlegen von Nasen-Mund-Schutz, Haube (Kat. 1A) Anlegen von Nasen-Mund-Schutz, Haube
(Kat. 1A)
Händedesinfektion vor Anlegen der sterilen Schutzkleidung
(langärmelig und Bündchen) (Kat. 1A)
Anlegen der sterilen Handschuhen (Kat. 1A)
Abdeckung mit einem großen sterilen Tuch (Kat. 1A) Anreichen steriles Material:
– Tupfer, 2 ml und 10 ml Spritzen, steriles NaCl
0,9%, Kanüle für die Lokalanästhesie,
– 3-Wege-Hahn

8 Lokalanästhesie Steriles Anreichen des Katheters


Punktion und Insertion des Katheters (ggf. vorherige Laufende Überwachung von EKG und
Lokalanästhesie und sonographische Überprüfung mittels Sauerstoffsättigung über Pulsoxymetrie
sterilem Schallkopf ) mittels Seldinger-Technik: (punktieren, fließt Beruhigendes Einwirken auf den Patienten, da
Blut, Seldinger-Draht über Kanüle einführen, Kanüle entfernen der Kopf mittels sterilem Tuch abgedeckt ist
und den Katheter über den Draht weit genug vorschieben)
Bei unruhigen Patienten eine zweite
Bei einem mehrlumigen Katheter ist eine Dilatation der Pflegeperson ggf. hinzuziehen, damit jeweils
Einstichstelle notwendig eine Hand des Patienten beruhigend gehalten
Nach dem Einführen des Katheters Draht entfernen, alle Lumina werden kann
aspirieren und komplett blutfrei spülen
Sichere Fixierung des Katheters mittels sterilem Annähen Oder sichere Fixierung des Katheters mit sterilen
(Kat. 1B) Pflastern (Kat. 1B)
Desinfizierende Reinigung der Punktionsstelle Anlage eines sterilen Verbandes
(wasserdampfdurchlässiger Transparent-
Desinfizierende Reinigung des Katheters von außen
Verband oder Gazeverband)

Punktionskanülen in den Kanülenabwurf abwerfen, Material entsorgen


Dokumentation Lage, Komplikationen, Besonderheiten
Röntgen-Thorax-Kontrolle, sofern der Katheter nicht Alphacard geprüft angelegt wurde

55 Die Applikation der Infusion am Patienten 55 Bei Verwendung von Mehrfachentnah-


erfolgt unmittelbar, d. h. ohne Zwischenla- mekanülen muss für jede Entnahme aus
gerung an einem anderen Ort dem Mehrdosenbehältnis eine neue Spritze
55 Die Füllung der Tropfkammer und die verwendet werden (Kat. II)
Belüftung des Systems erfolgt erst unmittelbar 55 Datum und Verwendungsdauer sind auf
vor der Applikation angebrochenen Mehrdosenbehältnissen zu
55 Die Membran von Mehrdosenbehältnissen dokumentieren (Kat. IV)
muss vor der Entnahme desinfiziert, die 55 Offene ZVD-Systeme sollen alle 24 h,
Einwirkzeit von 15 s beachtet und für jede geschlossene ZVD-Transducer-Systeme alle
Entnahme muss eine neue Kanüle genommen 96 h gewechselt werden (Kat. 1B) (Bundesge-
werden (Kat. II) sundheitsblatt 2002, O'Grady 2011)
8.3 · Prävention gefäßkatheterassoziierter Infektionen
133 8
8.3.4 Verabreichung von Blut etabliert, die die Anlage und Pflege der i.v. Kathe-
und Blutkomponenten ter durchführen. In Studien konnte eine deutliche
Reduktion der Infektionen nachgewiesen werden.
> Das Anhängen von Blutkonserven ist eine Basierend auf dieser Erkenntnis wird eine regelmä-
nicht delegierbare ärztliche Aufgabe. ßige Schulung von Ärzten und Pflegenden bezüglich
Indikation, Anlage und Pflege zentralvenöser Kathe-
Wenn möglich sollten Blutkonserven und Blutkom- ter empfohlen (Kat. 1A).
ponenten über einen eigenen venösen Zugang erfol- 55 Hygienische Händedesinfektion
gen, um ein Durchmischen mit anderen Infusions- 44Vor und nach jeder Manipulation am
bestandteilen zu vermeiden, und innerhalb von 6 h Katheter (Kat. 1B)
erfolgen (Kat. IV). 44Vor und nach jedem Verbandwechsel
Nach erfolgter Applikation wird der Zugang mit (Kat. 1B)
steriler Kochsalzlösung komplett blutfrei gespült 55 Tägliche Inspektion der Verbände
(Kat. 1B). und Palpation der Insertionsstelle
(Kat. 1B)
55 Kein routinemäßiger Verbandwechsel von
8.3.5 Arterielle Katheter Gaze- oder Transparentverbänden, aber
sofortiger Verbandwechsel bei durchnässten,
Das Auftreten einer Infektion arterieller Katheter durchgebluteten und verschmutzten
wird je nach Studie zwischen 4 und 35% beschrie- Verbänden oder wenn der Verband sich löst
ben. Die Auswahl der Insertionsstelle – ob obere (Kat. 1B)
oder untere Extremität – spielt keine Rolle für die 55 Täglicher Verbandwechsel bei eingeschränkt
Infektionshäufigkeit. kooperativen Patienten, wenn der Verband
keine Inspektion der Einstichstelle ermöglicht
>4 E in Einmaldruck-Messsystem ist (Kat. 1B)
gegenüber einem Mehrweg-System zu 55 Sofortige Inspektion der Insertionsstelle
bevorzugen (Kat. 1B). bei Zeichen einer Infektion wie
44 Manipulationen am Messsystem werden Druckschmerz, Rötung, Schwellung,
immer aseptisch gehandhabt und sollten auf Verhärtung, Fieber, Leukozyten- oder
ein Minimum beschränkt bleiben (Kat. 1B). CRP-Anstieg
44 Als Spülflüssigkeit sollten keine glukosehal- 55 Verbandwechsel mittels Non-Touch-Technik
tigen Lösungen gewählt werden, da diese (Pinzette oder Watteträger, steril) oder mittels
eine Verkeimung begünstigen (Kat. 1B) sterilen Kompressen und sterilen Handschuhen
(Bundesgesundheitsblatt 2002). (Kat. 1B)
55 Sterile Reinigung der Einstichstelle mit
Legen eines arteriellen Katheters Siehe . Tab. 8.9. steriler 0,9% NaCl-Lösung und Desinfektion
der Einstichstelle unter Beachtung der
> Bei Unsicherheiten nach der Punktion, wenn Einwirkzeit (Bundesgesundheitsblatt 2002,
nicht eindeutig geklärt werden kann, ob die O'Grady 2011)
Punktion venös oder arteriell ist, immer eine
Blutgasanalyse durchführen.
Paxistipp

8.3.6 Pflege der Katheter Klären Sie Ihre Patienten über die Symptome
einer beginnenden Katheterinfektion auf
Die Pflege der Katheter darf nur von geschultem und und bitten Sie ihn, Veränderungen, die er
regelmäßig nachgeschultem Personal übernommen wahrnimmt, sofort zu berichten.
werden. In den USA wurden spezielle Katheterteams
134 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

. Tab. 8.9 Wer macht was beim Legen einer arteriellen Kanüle?

Arzt Pflegeperson

Auswahl der Punktionsstelle (A. radialis, A. femoralis; selten: Durchführung einer Reinigung bei Verschmutzung
A. axillaris, A. dorsalis pedis, A. brachialis) und Rasur bei Haarwuchs
Durchführung des Allen-Tests (Überprüfung ob A. ulnaris Vorbereiten des Druckmesssystems:
alleinig die Durchblutung der Hand gewährleisten kann – vor – System mit Spülbeutel verbinden und blasenfrei
Punktion der A. radialis füllen
– Druckmanschette auf 300 mmHg
aufpumpen
– Transducer mittels Kabel mit Monitor
verbinden
– Transducerhalterung auf Herzhöhe
des Patienten am Bett oder Bettplatz
befestigen
Händedesinfektion (Kat. 1A) Händedesinfektion (Kat. 1A)
Desinfektion der Einstichstelle unter Beachtung
8 Anlegen von Nasen-Mund-Schutz, Haube (Kat. 1A)
der Einwirkzeit (Kat. 1B)
Händedesinfektion vor Anlegen der sterilen Handschuhen
(Kat. 1A) – Steriler Schutzkittel für das Legen von „langen“
arteriellen Kathetern (A. femoralis) verwenden
Abdeckung mit einem sterilen Tuch (Kat. 1A) Anreichen des sterilen Materials:
Lokalanästhesie ggf. Tupfer, 2 ml Spritzen, steriles NaCl 0,9%, Kanüle für
die Lokalanästhesie
Arterie palpieren
Arm überstrecken
Punktion der Arterie unter leichtem Sog – Winkel bei A. radialis Laufende Überwachung von EKG und
30–45°, bei A. femoralis 90° Sauerstoffsättigung über Pulsoxymetrie
Punktieren Beruhigendes Einwirken auf den Patienten
Fließt Blut: Bei unruhigen Patienten kann es notwendig sein,
– Seldinger-Draht über Kanüle einführen den Arm, dessen Arterie punktiert wird, zu halten

– Kanüle entfernen und den Katheter über den Draht weit


genug vorschieben
Sichere Fixierung des Katheters mittels sterilem
Annähen (Kat. 1B)
Desinfizierende Reinigung der Punktionsstelle
Desinfizierende Reinigung des Katheters von außen Spezielle Kennzeichnung der Arterie, z. B. rotes
Pflaster, Aufkleber „Arterie“

Punktionskanülen in den Kanülenabwurf abwerfen, Material entsorgen


Dokumentation Lage, Komplikationen, Besonderheiten
8.3 · Prävention gefäßkatheterassoziierter Infektionen
135 8
8.3.7 Dialysekatheter
Tipps zur Pflege von Kathetern
44 Periphere Verweilkanülen nach der Zur Dialysebehandlung werden großlumige Kathe-
Verabreichung einer Infusion immer mit ter angewendet. Für eine kurzzeitige Dialysebehand-
einer 0,9% NaCl-Lösung durchspülen, um lung kommt der Shaldon-Katheter in Betracht, der
eine Phlebitis zu verzögern bettseitig wie ein zentraler Venenkatheter eingeführt
44 Für das „Ruhen“ von peripheren werden kann. Wenn absehbar ist, dass die Behand-
Verweilkanülen kann entweder ein lung länger andauert, wird in der Regel ein getunnel-
steriler Katheterstopfen oder ein steriler ter Katheter gelegt. Getunnelte Katheter müssen
Mandrin verwendet werden. Das vorherige in einem Eingriffsraum unter Einhaltung aller für
Durchspülen mit einer heparinhaltigen eine OP geltenden Hygienevorgaben gelegt werden
Lösung ist nicht notwendig (Kat. 1B) (Kat. 1B).
44 Es gibt keine Aussage zum Stilllegen 55 Blutentnahmen oder Infusionen über
von einzelnen Lumina von zentralen diese Dialysekatheter außerhalb der
Venenkathetern oder zum „Ruhen“ von Dialyse sollten vermieden werden
Lumina zwischen Medikamentengaben (Kat. 1B).
(Kat. III) 55 Shaldon-Katheter werden zwischen zwei
44 Doppel- und Triple-Lumen-Katheter Behandlungen mit einer heparinhaltigen
sind bei strikter Einhaltung der sterilen Lösung „geblockt“ – vor einer erneuten
Hygienerichtlinien ebenso sicher wie Nutzung des Shaldon-Katheters wird die
Ein-Lumen-Katheter (Kat. 1B) Blockung aspiriert (Kat. 1B).
44 Aus infektiologischer Sicht ist zur
ZVK-Anlage die Punktion der V. subclavia z Probenentnahme für bakteriologische
vorzuziehen – ein V.-femoralis-Katheter Untersuchung – Entfernen von Kathetern
zieht die höchsten Infektionsraten nach und Gewinnen der Katheterspitze
sich (Kat. 1B) Täglich und bei Infektionszeichen muss jeder Kathe-
44 Keine antibakteriellen Cremes oder Salben ter seitens Indikation und Liegedauer überprüft
auf die Insertionsstelle aufbringen (Kat. 1B) werden. Katheter, die nicht unter aseptischen Bedin-
44 Kein routinemäßiger Wechsel von gungen gelegt wurden (Notfall), werden entfernt und
Kathetern nach bestimmten Zeitintervallen an anderer Stelle neu gelegt.
(Kat. 1A) Ein Katheter wird sofort entfernt bei:
44 Katheter, die notfallmäßig unter 55 Sichtbaren Entzündungszeichen der
eingeschränkten aseptischen Bedingungen Eintrittsstelle
gelegt wurden, sollen baldmöglichst 55 Fehllage
gewechselt werden (Kat. 1B) 55 Fehlender Indikation
44 Tägliche Prüfung der Indikation eines 55 Materialdefekt
Katheters (Kat. 1B)
44 Entfernung und Neuanlage des Katheters Vorgehen
bei Infektionszeichen (Kat. 1B) 55 Abstöpseln von Infusionen oder
44 Die Spülung mit heparinverdünnten Spülsystem
Lösungen bietet keinen Vorteil zu steriler 55 Entfernen des Verbandes
0,9% NaCl-Lösung (Kat. III) (Bundesgesund- 55 Hautdesinfektion
heitsblatt 2002, O'Grady 2011) 55 Entfernen des Katheters ohne mit der Haut
in Berührung zu kommen und sofortiges
136 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

Abschneiden der Katheterspitze – durch eine 2. Hämatogene oder lymphogene Invasion


zweite Person – über einem sterilen Auffang- durch Mikroorganismen durch
gefäß mit einer sterilen Schere Schleimhautläsionen
55 Die andere Hand komprimiert die Eintritts-
stelle sofort mittels steriler Kompresse – Welche Katheter sind zu verwenden? Aufgrund der
Anlegen einer Pflasters nach Sistieren der höchsten Biokompatibilität und -stabilität von Voll-
Nachblutung silikon sind diese Katheter für die transurethrale und
suprapubische Langzeitdrainage sehr gut geeignet
>4 D as Entfernen eines Katheters bei und sie tragen zur Inkrustationsvermeidung bei
Patienten mit Heparintherapie oder in (KRINKO 2015).
einer Hypertension muss gut abgewogen 55 Alternativ kann zur Langzeitdrainage und nach
werden. größeren chirurgischen Eingriffen ein suprapu-
44 Unter einer Lysetherapie sollte eine Kathe- bischer Katheter angelegt werden.
terentfernung nicht durchgeführt werden. 55 Zur Spülung der Blase, z. B. bei Blutungen,
Sogenannte getunnelte Katheter wie z. B. werden großlumigere Spülkatheter mit einem
Hickmann-Katheter können nicht bettseitig Ein- und Ausgangskanal gelegt.
entfernt werden.
8 44 Nach dem Ziehen großlumiger Katheter
und arterieller Kanülen ist ein Abdrücken
Indikation
55 Blasenentleerungsstörungen
deutlich länger als bei dünnlumigeren oder 55 Exakte Überwachung der Harnausscheidung
venösen Katheter notwendig.
44 Nach Entfernen des Katheters wird der Ein Blasenkatheter soll erst nach strenger Indikati-
Körperbereich nicht zugedeckt und laufend onsstellung und Überprüfung aller Alternativen ver-
kontrolliert. wendet werden (Kat. 1B). Katheter sollten so früh wie
44 In Einzelfällen kann es sinnvoll sein, die möglich entfernt werden.
Kompression mittels eines Sandsacks zu
unterstützen. >4 Z ur Wahrung der Intimsphäre
sollte die Katheterisierung einer
Frau eine weibliche Person und die
8.4 Prävention von Katheterisierung beim Mann eine
Harnwegsinfektionen männliche Person durchführen oder
anwesend sein.
Im Krankenhaus zählen Harnwegsinfektionen mit 44 Katheterisierungen dürfen nur von
einem Anteil von 23,2% neben den postoperativen Personen durchgeführt werden, die mit
Wundinfektionen (24,3%) und den unteren Atem- der korrekten Indikationsstellung, Technik
wegsinfektionen (21,7%) zu den häufigsten noso- und den Erfordernissen der Aseptik und
komialen Infektionen (Behnke 2013, Gastmeier u. Antiseptik sowie der Katheterhygiene
Geffers 2008). Bei 80% der Harnwegsinfektionen hat vertraut sind (Kat. 1B).
oder hatte der Patient einen Katheter. 44 Um Urothelschäden zu minimieren, sollte
Bei transurethral katheterisierten Patienten liegt der transurethrale Katheter so dünn wie
die tägliche Inzidenz einer neu erworbenen Bakte- möglich gewählt werden.
riurie zwischen3% und 10% (Chenoweth u. Saint 44 Eine adäquate Drainage muss jedoch
2013). gewährleistet sein (Kat. 1B).

Warum kommt es zu Harnwegsinfektionen? Legen einen Urinverweilkatheters


1. Intrakanuläre Besiedelung durch die 55 Intimpflege durchführen
Einführung eines Katheters oder Instrumentes 55 Den Patienten situationsgerecht lagern
8.4 · Prävention von Harnwegsinfektionen
137 8
55 Atraumatisches Legen des Katheters unter
aseptischen Bedingungen Luftausgleichsventil, den Ablassstutzen
44Sterile Handschuhe und Abdeckmaterial, sowie an das Ablassventil erfüllen (Kat. 1B)
sterile Tupfer, ggf. sterile Pinzette 44 Ist eine Diskonnektion erforderlich, so ist
55 Einwirkzeit des Desinfektionsmittels eine Desinfektion mit einem alkoholischen
(60 s) und des Gleitmittels (5–10 min) Präparat durchzuführen (Kat. 1B)
einhalten 44 Das Auffanggefäß muss immer unter
55 Die Ballonfüllung eines Blasenverweil- Blasenniveau – ohne Bodenkontakt –
katheters erfolgt mit sterilem Aqua dest., aufgehängt sein
vorzugsweise mit einer sterilen 8- bis 10%igen 44 Ein Durchhängen oder Abknicken der
Glycerin-Wasser-Lösung Schläuche ist zu vermeiden (Kat. 1B)
55 Es dürfen nur sterile, geschlossene Ableitungs- 44 Zum Entleeren des Auffanggefäßes
systeme eingesetzt werden (Kat. 1A) müssen Einmalhandschuhe getragen
55 Reinigung des Intimbereiches nach der Anlage werden und der Ablassstutzen darf nicht
mit dem Auffanggefäß in Berührung
Entfernen des transurethralen Blasenverweilkathe- kommen – abschließend wird der
ters (DK) Ablassstutzen desinfizierend gereinigt
55 Material richten, Entblockung des DK mittels (Kat. 1B)
10-ml-Spritze, vorsichtiges Herausziehen
des DK

Pflege von suprapubischen Kathetern


Pflege von transurethralen Kathetern 55 Der Verbandwechsel suprapubischer Katheter
44 Hygienische Händedesinfektion erfolgt analog zum Verbandwechsel zentraler
–– Vor und nach jeder Manipulation an Katheter.
einem Blasenkatheter
–– Vor und nach jeder Manipulation am Komplikationen eines Urinverweilkatheters
Drainagensystem 55 Harnwegsinfekt
44 1-mal täglich Inspektion der 55 Prostatitis, Epididymitis
Urethraöffnung 55 Paraphimose
44 Zur Genitalpflege sind Schutzhandschuhe 55 Harnröhrenstriktur
zu tragen, die Pflege wird mit Wasser und
Seife durchgeführt – Zug auf dem Katheter Spülungen Spülungen und Instillationen sind nur
wird vermieden (Kat. 1B) bei spezieller urologischer Indikation, aber nicht zur
44 Inkrustationen am Katheter können mit Infektionsprophylaxe durchzuführen (Kat. 1B).
Wasserstoffperoxid 3% getränkten Tupfern
schonend entfernt werden (Kat. II) Nieren- und Ureterfisteln Dauerhaft oder vorüber-
44 Gute perianale Pflege (Kat. 1B) gehend angelegte Fisteln zur Harnableitung.
44 Nur geschlossene und sterile 55 Kennzeichnung jedes Katheters und getrennte
Ableitungssysteme verwenden und Ableitung und Dokumentation des
Katheter und Ableitungssystem nicht Urins
diskonnektieren (Kat. 1A) 55 Fixierung ohne Zug
44 Systeme sollen die hygienischen 55 Vorsichtiges Anspülen unter sterilen
Anforderungen an die Probenentnah- Kautelen nur mit 2 ml NaCl 0,9% (spezielle
mestelle für bakteriologische Harnunter- Aufsätze), da das Nierenbecken nur bis
suchungen, an die Rückflusssperre, das max. 5 ml fasst – kontinuierlichen Abfluss
gewährleisten!
138 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

> Ureterkatheter sind gekennzeichnet:


. Tab. 8.10 Wundkontaminationsklassen nach
44 Rechts – gerade geschnitten Operationen
44 Links – schräg geschnitten
Wundkontaminationsklasse WI-Risiko

8.5 Prävention postoperativer I Aseptische Eingriffe, z. B. <1–5%


Wundinfektion, Umgang mit Schilddrüse

Drainagenund allgemeine II Bedingt aseptische Eingriffe, z. B. 5–10%


Wundpflege Respirationstrakt
III Kontaminierte Eingriffe, z. B. Colon 10–15%

Postoperative Wundinfektionen gehören mit einem IV Septische Eingriffe, z. B. alte >25%


Anteil von 15–20% zu den dritthäufigsten nosoko- Verletzungen, Infektionen bereits
vorhanden
mialen Infektionen.
In diesem Abschnitt werden vorrangig die hygi-
enischen Aspekte der Wundbehandlung beleuch- 44Nicht sachgemäß entfernte
tet. Die allgemeine Wundpflege erfolgt nach dem Körperbehaarung
Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chro- 44Nicht sachgemäß durchgeführte

8 nischen Wunden“ (DNQP Pflege von Menschen


mit Chronischen Wunden 2008/1. Aktualisierung
Hautreinigung/Hautdesinfektion
44Nicht striktes Einhalten des Asepsis durch
2015). alle Beteiligten im OP
44Nicht sachgemäß durchgeführte periope-
z Wundinfektionen rative Antibiotikaprophylaxe
Gründe für Wundinfektionen 44Abweichungen von der physiologischen
1. Keime gelangen von außen an die Wunde. Körpertemperatur des Patienten
2. Keime gelangen von der Haut oder 44Hypoxie
Schleimhaut des Patienten an die Wunde. 55 Organspezifische Faktoren
3. Ansammlungen von Transudat und Exsudat, 44Dauer der Eingriffe
avitales Gewebe, Minderdurchblutungen und 44Operationstechnik einschließlich
alle Fremdkörper erhöhen die Gefahr einer Blutstillung
Wundinfektion. 44Art des Eingriffs (Notfalleingriff, Elektiv)
44Implantate, Fremdkörper
Risikofaktoren für eine Wundinfektion 55 Postoperative Risikofaktoren
55 Patienteneigene Risikofaktoren 44Drainage – Art und Dauer
44Diabetes mellitus 44Postoperative invasive Maßnahmen
44Rauchen 44Unsachgemäße postoperative
44Adipositas Wundversorgung
44Mangelernährung 44Art der postoperativen Ernährung
44Bestehende Infektion an anderer
Körperstelle Prävention der postoperativen Wundinfektion Das
44Nasale Besiedlung mit S. aureus Entstehungsrisiko von Wundinfektionen ist von der
44Maligne Grunderkrankung Operationsart abhängig und wird in vier Wundkon-
44Zytostatikatherapie/Immunsuppression taminationsklassen unterteilt (. Tab. 8.10).
44Anämie (prä- und postoperativ)
55 Perioperative Risikofaktoren Ziele der Wund- und Drainagenpflege
44Erhöhte Dauer des präoperativen 55 Verhinderung einer Keimverschleppung und
Krankenaufenthaltes Infektion
44Verzögerung des Operationszeitpunkt bei 55 Optimierung der Wundheilung
Verletzungen 55 Infektionsschutz von Patient und Personal
8.5 · Prävention postoperativer Wundinfektion, Umgang mit Drainagen
139 8

. Tab. 8.11 Infektionsstatus einer Wunde. (Mod. nach Protz 2010)

Aseptische Wunden Nach aseptischem Eingriff oder Verletzung entstandene Wunde


Keine Zeichen einer Infektion
Wundränder glatt, liegen dicht beieinander
Können mittels Naht oder Steristrip verschlossen werden
Kontaminierte Wunden Keime vorhanden, z. B. sekundär heilende Wunden oder chronische Wunden
Kolonisierte Wunden Keime vorhanden
Vermehren sich – es erfolgt jedoch keine klinisch relevante Wirtsreaktion
Wundheilung wird noch nicht nachhaltig beeinflusst
Kritisch kolonisierte Wunden Keime vorhanden
sog. Übergangsstadium Vermehren sich – es besteht die Gefahr der klinisch relevanten Wirtsreaktion
Wundheilung wird beeinflusst
Infizierte Wunden Keime vorhanden und vermehren sich – massive immunologische Wirtsreaktion
Signifikante Entzündung (Rötung, Schwellung, Schmerz, Überwärmung,
Funktionseinschränkung)
Hohe Exsudatmengen, Geruchsentwicklung, Eiter
KBE (kolonienbildende Einheiten) über 106 pro Gramm Gewebe

Wundpflege 55 Während eines Verbandwechsels werden weder


55 Zur Wundpflege kann ein Verbandwagen Reinigungs-, Aufräumarbeiten oder Wäsche-
oder ein Tablettsystem genutzt werden – wechsel im Zimmer durchgeführt.
wichtig ist nur, dass die Umgebung nicht 55 Wunden werden immer von innen nach
kontaminiert wird. außen mit sterilen Kompresse gereinigt
55 Verbandwechsel, Drainagen-, Klammer- oder – unabhängig davon, ob diese aseptisch,
Nahtentfernung erfolgt immer unter asepti- kontaminiert, kolonisiert oder infiziert
schen Bedingungen (Kat. 1B). sind.
55 Der 1. Verbandwechsel wird erst 24–48 h 55 Drainagenbeutel nicht routinemäßig wechseln
postoperativ durchgeführt (Kat. 1B). (Kat. 1B).
55 Durchgeblutete oder durchnässte Verbände 55 Drainagenbeutel dürfen nicht über das Niveau
werden sofort gewechselt (Kat. 1B). der Austrittsstelle gehängt werden, damit ein
55 Bei Verdacht auf eine Infektion wird der Rückfluss kontaminierter Flüssigkeit ausge-
Verband sofort gewechselt (Kat. 1B). schlossen werden kann (Kat. 1B).
55 Verbandmaterialien sind Einmalsterilprodukte 55 Materialien, die in unmittelbarer Patientennähe
und dürfen auch nur einmalig verwendet (Bett, Nachttisch) lagen, werden nicht mehr in
werden – Herstellerangaben beachten. den Verbandwagen zurückgelegt.
55 Sterile Materialien werden erst unmittelbar vor 55 Aufwendige Verbandwechsel werden zu zweit
dem Verwenden geöffnet. durchgeführt.
55 Drainagen sollen so früh als möglich entfernt 55 Für sekundär heilende und chronische
werden (Kat. 1B). Wunden sollte eine klinikeigene, für alle
55 Bei Patienten mit aseptischen, kontaminierten, Behandler geltende Vorgehensweise
kolonisierten und infizierten Wunden werden definiert sein.
zuerst die aseptischen Wunden, dann die konta-
minierten und kolonisierten und dann erst die Wundreinigung – Wundantiseptik Die Wund-
infizierten Wunden verbunden (. Tab. 8.11). reinigung, mit dem Ziel der Keimreduktion, der
140 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

Entfernung von avitalem Gewebe und der konse- z Umgang mit Drainagen
quenten Behandlung von Entzündungen, spielt die Indikation
entscheidende Rolle im Rahmen der Wundpflege. 55 Ableitung von Sekreten aus Körperhöhlen,
55 Wunden werden mit möglichst körperwarmen Wunden und Organen
sterilen Lösungen (NaCl 0,9% oder Desinfek- 55 Applikation von Medikamenten,
tionslösungen wie Octenisept oder Prontosan) Infusionen
gereinigt oder gespült – Auffangmanagement 55 Frühindikator für Nachblutung und
der Spülflüssigkeit entweder durch perma- Anastomosenproblematik
nentes Absaugen oder durch stark saugende
Kompressen. Definitionen
55 Wundtaschen und große Wundflächen 55 Redon-Drainage: geschlossenes System aus
sind mit einer Wundspülung ausgiebig zu festem Kunststoff mit zahlreichen Löchern am
spülen. Ende und starkem Sog
55 Die Entfernung von Zelltrümmern, Fremd- 55 EasyFlow: halbgeschlossenes System
körpern, verletztem und infiziertem Gewebe aus flacher innenseitig geriffelter
kann mit der Nass-Trocken-Phase unterstützt Silikondrainage mit Dochtwirkung –
werden. Dazu wird die Wunde mit einer Drainagebeutel wird über die Drainage auf die
8 feuchten Gaze (NaCl 0,9% oder antiseptische
Lösung) für 10–15 min vollständig (bei
Haut geklebt
55 Robinson-Drainage: geschlossenes System
ausgeprägten Entzündungen länger) aus Silikondrainage und direkt aufgebrachtem
abgedeckt. Die verdunstende Flüssigkeit Drainagebeutel
reinigt und kühlt die Wunde und reduziert die 55 Saug-Spül-Drainage: zweilumige Drainage,
Entzündung. Die anschließende Trockenphase welche eine gleichzeitige Spülung und
(ca. 15 min) mit sterilen trockenen Kompressen Ableitung von Sekret und Flüssigkeit
trocknet die wundumgebende Haut (Kammer- erlaubt
lander 2005). 55 Bülau-Drainage: geschlossenes System mit Sog
55 Soll die Wunde mit Trinkwasser gespült und Wasserschloss (Sogeinstellung i.d.R. auf
werden, so wird die Verwendung von Steril- 10–15 cmH2O)
filtern empfohlen. 55 Interventionelle Drainage: kleinlumige,
55 Zur Reduktion des Biofilms sollten kontami- harte Drainage, die radiologisch eingelegt
nierte, kolonisierte und infizierte Wunden mit werden
einer desinfizierenden Wundspülung gereinigt 55 Heyer-Schulte-Drainage: sogenannte
werden. Eidrainage mit geringem Sog und geringer
Füllmenge
Exkurs Biofilm „Biofilme sind Gemeinschaften von 55 Substernal-Drainage: dicke, weiche Drainagen
mikrobiellen Zellen, die an Oberflächen haften und i.d.R. mit blauem Streifen
in Schleim eingehüllt sind. Dies bietet Schutz gegen 55 Perikarddrainage: dünne, weiche Drainagen
Phagozytose, Antibiotika und antimikrobielle Subs- i.d.R. mit blauem Streifen
tanzen“ (EWMA 2005, S. 3).
Überwachung einer Drainage
Probenentnahme für die bakteriologische Untersu- 55 Dokumentation der Lage und des
chung – Durchführung Wundabstrich Die korrekte Anlagedatums
Durchführung des Wundabstrichs erfolgt seit 2008 55 Sichere Fixierung der Drainage
nach der sog. Levine-Methode (Essener Kreisel). Der 55 Zusätzliche Fixierung der Konnektionsstellen
Abstrich wird aus einem 1 cm großen Areal in dem bei Bülau-Drainagen – nicht zirkulär
Zentrum der Wunde unter leichtem Druck entnom- 55 Bereithalten einer Klemme am Bett (je nach
men (Al Ghazal u. Dissemond 2009). Klinikstandard)
8.5 · Prävention postoperativer Wundinfektion, Umgang mit Drainagen
141 8
55 Ableitungssystem nicht über Körperniveau z Umgang mit Stomata
anbringen Durchführung der Stomapflege
55 Abknicken, Abklemmen und Durchhängen 55 Handschuhe anziehen
vermeiden 55 Ablösen des Stoma-Gürtels bei Bedarf
55 Keine Flüssigkeit im Schlauch stehen lassen 55 Vorsichtiges Ablösen der zu entfernenden
55 Sicherstellung des verordneten Sogs bei Versorgung: Haut vom Hautschutz wegdrücken
Sogdrainagen 55 Reinigung der Haut und des Stomas mittels
55 Überwachen der Drainagelage und des Kompressen: zirkulär von außen nach innen
Verbandes auf Durchbluten und Durchnässen zum Stoma hin (falls Seife benutzt wurde, muss
55 Messen und Bilanzieren der Drainageflüssigkeit diese rückstandslos entfernt werden)
55 Beobachten, Beurteilen und Dokumentieren 55 Besonderheit bei Urostomien: Reinigung der
der Sekretqualität (serös, blutig, gallig, eitrig, Haut von innen vom Stoma nach außen
stuhlig, chylös) 55 Bei Behaarung des peristomalen Hautbereichs,
55 Beobachtung der Drainageaustrittsstelle auf rasieren der Stomaumgebung
Infektionszeichen 55 (Cave: Stomaverletzung)
55 Abtrocknen der Haut, ebenfalls von außen zum
Pflege der Drainage Stoma hin
55 Verbandwechsel nach sterilen Kautelen 55 Einmalhandschuhe wechseln oder ausziehen
postoperativ am 2. Tag oder bei Verwendung 55 Abmessen der Stomagröße, Hautschutz muss
von Folienverbänden am 7. Tag das Stoma dicht umschließen
55 Sofortiger Verbandwechsel bei Durchbluten, 55 Wenn kein vorgefertigter, passender
Durchnässen und Verschmutzen Hautschutz verwendet wird: gemessene Größe
55 Unnötige Manipulationen vermeiden auf Schutzfolie des Hautschutzes einzeichnen
und ausschneiden
Entfernung der Drainage 55 Schutzfolie abziehen
55 Material richten 55 Abdichtpaste direkt ums Stoma oder auf
55 Schutzvorrichtung unterlegen und lösen des Hautschutzmaterial auftragen
Verbandes 55 Anbringen der Stomaversorgung
55 Entfernen der Fäden 55 Bei Bedarf: Stoma-Gürtel anbringen
55 Erneute Information des Patienten 55 Entsorgung des Abfallbeutels: per Knotenver-
55 Vorsichtiges Ziehen der Drainage schließen und in den Restmüll geben
55 Anlage eines neuen Verbandes oder eines 55 Hände desinfizieren
Drainagebeutels 55 Angeleitete Personen Hände waschen oder
desinfizieren lassen
Bülau-Drainagen werden unter Sog und bei angehal- 55 Besonderheit bei Splintversorgung:
tenem Atem des Patienten entfernt und die Wunde 44Postoperativ sind die Splints an der Haut
wird sofort abdichtend verklebt (Braunol, Dachzie- fixiert, die Versorgung muss trotzdem genau
gelverband oder die vorliegende Tabaksbeutelnaht passen.
wird zugezogen). 44Postoperativ liegende Splints werden
oberhalb der Rücklaufsperre des Beutels
Kontrolle nach Entfernung der Drainage abgeleitet.
55 Regelmäßige Kontrolle auf Nachblutung oder
Sekretabgang Ist eine getrennte Bilanzierung der rechten und
55 Überwachung der Atmung nach Entfernen von linken Niere erwünscht, erfolgt die Ausleitung der
Bülau-Drainagen Splints über die Beutelvorderseite.
55 3–6 h nach Entfernen von Bülau-Drainagen 55 Rechte Niere: Splintende: gerader Schnitt
Röntgen-Thorax auf Anordnung 55 Linke Niere: Splintende: schräger Schnitt
142 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

Praxistipp Patienten aber während einer Notoperation ein


Stoma angelegt, dann muss die Erstkonfrontation
55 Für die weitere Versorgung ist es je nach mit dem Stoma gut vorbereitet werden. Nach einer
Mobilität des Patienten sinnvoll, diese im behutsamen Aufklärung, die in der Regel auch eine
Sitzen oder Stehen durchzuführen. Rückverlagerung des Stomas in Aussicht stellen
55 Wenn möglich, sollte eine größere kann, erfolgen die Schritte der Kontaktaufnahme
Zeitspanne zwischen letzter Nahrungsauf- mit dem Stoma.
nahme und dem Stomaversorgungswechsel Folgende Vorgehensweise hat sich bewährt:
liegen, um die Versorgung während eines 55 Anfassen des Stomas
möglichst, ausscheidungsarmen Intervalls 55 Beobachten des Stomas – wann arbeitet mein
vornehmen zu können. Darm?
55 Bei Undichtigkeit muss ein Wechsel 55 Zuschauen, wenn das Stoma geleert wird
der Versorgung zur Vermeidung von 55 Mithilfe beim Leeren, z. B. halten des
Hautschäden sofort erfolgen. Auffanggefäßes

Die nächsten Schritte, die zu einer Selbstversorgung


des Stomas durch den Patienten führen, werden
8 Umgang mit Instrumenten und Material
55 Instrumente, die für den Verbandwechsel
in der Regel im allgemeinstationären Aufenthalt
geschult.
verwendet wurden, sind direkt in eine
geschlossene Entsorgungsbox zu entsorgen –
eine Zwischenlagerung oder „Vordesinfektion“ 8.6 Hygienemaßnahmen bei
wird nicht durchgeführt multiresistenten
55 Einmalpapiermessstreifen für das Wundas- Erregern (MRE)
sessment sind direkt nach der Anwendung
sofort zu entsorgen Die steigende Zahl von MRE zieht mannigfaltige
55 Entfernte Verbände werden direkt in einen Probleme nach sich. Neben den höheren Kosten und
Abwurf abgeworfen, der unmittelbar nach der den eingeschränkten Therapieoptionen kommt es bei
Behandlung verschlossen wird und entspre- den Trägern von MRE zu
chend entsorgt wird 55 Angst, Verunsicherung, Wut, Aggressivität
55 Isolation durch Isolierungsmaßnahmen
Stomapflege Bei jedem Stoma, ob neu angelegt 55 Eingeschränkten Behandlungskontakten
oder schon vor bestehend, wird Folgendes inspiziert: 55 Verzögerungen im Behandlungsablauf, da
55 Durchblutung der Darmschleimhaut Untersuchungen oder Operationen oft erst am
55 Ödementwicklung der Darmschleimhaut Ende des Tages geplant werden
55 Sekretion aus dem Darm (blutig – alt oder 55 Längerem Warten auf eine Verlegung oder
frisch, schleimig, stuhlig) Rehabilitation
55 Beim Wechsel der Stomaversorgung die
parastomale Haut > Isolationen haben eingeschränkte
Behandlungskontakte zur Folge.
Die Versorgung eines Patienten auf einer IMC-Sta- Eingeschränkte Behandlungskontakte,
tion mit einem Stoma kann eine Besonderheit dar- z. B. seltener stattfindende Visiten
stellen. Ist der Patient elektiv operiert worden und oder Pflegetherapien, sind eine Gefahr
wurde er vor der Operation über die bevorstehende für den Patienten. Dies muss sich ein
Anlage eines Stomas aufgeklärt, kann der Erstkon- Behandlungsteam immer wieder bewusst
takt mit dem Stoma leichter gelingen. Wurde dem machen und konkret dagegen ansteuern.
8.6 · Hygienemaßnahmen bei multiresistenten Erregern (MRE)
143 8
Für alle Behandler bedeutet jeder Patient mit einem Infektion sein, die einen schweren Verlauf nimmt,
MRE mehr Arbeits- und Zeitaufwand durch: da die Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika
55 Ein- und Ausschleusen aus den Zimmern oder begrenzt sind.
Durchführung der Kittelpflege
55 Stationsinterne Umschiebeaktionen bei Exkurs VRE Vankomycin-resistente Enterokokken
Bekanntwerden eines Trägers sind Verursacher von Kolonisationen und seltenen
55 Erhöhten Kommunikationsaufwand gegenüber Infektionen. Betroffen sind häufig immunsuppri-
den MRE-Trägern, Angehörigen und den mierte und multimorbide Patienten. Der normaler-
anderen Patienten der Station z. B. bei weise im Darm vorkommende Keim breitet sich über
Kontaktsituationen Hände, kontaminierte Gegenstände und patienten-
55 Erhöhten Kommunikationsaufwand gegenüber nahe Flächen aus.
stationsfremden Mitbehandlern
55 Nochmaliges Intensivieren der Exkurs MRGN MRGN sind gramnegative Stäb-
Standardhygienemaßnahmen chenbakterien, zu denen die Enterobacteriaceen
55 Erhöhten Aufwand bei Transporten zu (z. B. Escherichia coli oder Klebsiella pneumoniae)
Untersuchungen oder die Nonfermenter (z. B. Pseudomonas aeru-
55 Sanierungsmaßnahmen, Schlussdesinfek- ginosa oder Acinetobacter baumannii) zählen. Sie
tionen, Materialmanagement weisen eine zunehmende Resistenz gegenüber Anti-
biotika auf und sind in der Regel im Magen-Darm-
Die vier wichtigsten Vertreter der MRE sind: Trakt ansässig. Über ihre Ausbreitung ist noch wenig
1. MRSA (Methicillin-resistenter Staphylokokkus bekannt, einige Ausbrüche lassen aber auf die Über-
aureus) tragung durch Hände schließen.
2. VRE (Vancomycin-resistenter Enterokokkus) Von einem 3MRGN spricht man, wenn das
3. MRGN (Multiresistenter gramnegativer Keim) gramnegative Stäbchen gegen drei der Hauptanti-
4. Clostridium difficile biotikagruppen (Penicilline, Cephalosporine, Carba-
peneme, Fluorchinolone) resistent ist. Von einem
> Die konsequente Durchführung der 4MRGN, wenn der Keim auf keines der vier Gruppen
Standardhygiene ist die wichtigste mehr sensibel ist (KRINKO 2011).
Maßnahme in der Behandlung der
MRE-Träger. Exkurs Clostridium difficile Das Clostridium diffi-
cile ist ein Bakterium, das nur unter Luftabschluss
Ein sogenanntes Maßnahmenbündel („bundle stra- (anaerob) lebt und sehr widerstandsfähige Dauer-
tegy“) aus formen (Sporen) ausbilden kann. Bedingt durch eine
55 konsequenter Standardhygiene, Vorschädigung des Wirtsorganismus, meist durch
55 Isolierung oder Kittelpflege oder eine Antibiotikatherapie, entfaltet es seine patho-
Kohortenisolierung, gene Potenz durch die Bildung pathogener Keime.
55 Aufnahmescreenings zur Früherkennung, Das Symptomspektrum einer Infektion reicht von
55 angepassten bzw. veränderten Antibiotikare- milden wässrigen Durchfällen (mindestens 3 unge-
gimen und formt abgesetzte Stühle täglich), einer pseudomem-
55 Schulungen, Fortbildungen, Weiterbildungen branösen Kolitis bis zum toxischen Megakolon und
kann die Problematik der MRE eindämmen. Darmperforation.
Therapie (außer bei kolonisierten Patienten und
Exkurs MRSA Ein MRSA ist ein gegen Antibio- Patienten mit milder Erkrankung):
tika resistenter Staphylococcus aureus. Dieser kann 55 Absetzen der verursachenden Antibiotika
einen Organismus nur kolonisieren, ohne eine Infek- 55 Metronidazol oral; bei schweren Verläufen
tion hervorzurufen, aber auch ursächlich für eine zusätzlich Vancomycin oral; bei sehr schweren
144 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

Fällen Verabreichung von Vancomycin über ein


Darmrohr und Metronidazol i. v. 11. Welche Maßnahmen können die MRE
55 Alle Maßnahmen der Standardhygiene eindämmen?
55 Grundsätzlich werden vor dem Betreten 12. Was sind Maßnahmenbündel bei der
des Zimmers Handschuhe angezogen, Pflege von MRE-Patienten?
um eine Kontamination mit Sporen zu 13. Benennen Sie die Besonderheiten der
vermeiden Händehygiene bei Clostridium difficile.
55 Einzelzimmerisolierung und Kittelpflege
55 Nach Kontakt mit Stuhl Handschuhe
ausziehen, Hände desinfizieren, obwohl
Literatur
Desinfektionsmittel nicht gegen Sporen
wirksam sind, sichern sie das Abtöten anderer Aktion saubere Hände: http://www.aktion-sauberehaende.de.
enteraler Keime, dann Hände waschen und (Zugegriffen: 16.01.16)
erneut desinfizieren Al Ghazal P, Dissemond J (2009) Bakteriologische Abstrichent-
nahmetechniken in chronischen Wunden: Essener Kreisel
Patienten können endisoliert werden, wenn sie an als neuer Goldstandard? Dermatologische Klinik und
­Poliklinik, Universitätsklinikum Essen, WundForum 3: 16
drei aufeinanderfolgenden Tagen keine Diarrhö Baum H von et al. (2010) Konsensusempfehlung Baden-
8 haben (Martin et al. 2012).
Bei Diarrhö unklarer Ursache wird mit einem
Württemberg: Umgang mit Patienten mit hochresisten-
ten Enterobakterien inklusive ESBL-Bildnern. Hyg
speziellen Stuhlröhrchen eine erbsengroße Probe Med 35:½
von frischem Stuhlgang entnommen, sofort ins Behnke M et al. (2013) Nosocomial infection and antibiotic
use – a second national prevalence study in Germany.
Labor geschickt oder bis zum Transport im Kühl- Dtsches Ärztebl Int 110(38): 627–633
schrank gelagert. Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.11.1981-VI ZR 119/80
(Frankfurt)
Bundesministerium für Gesundheit (2011) Pressemitteilung:
Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und
weiterer Gesetze passiert Bundesrat. http://www.bmg.
Fragen zur Wissensüberprüfung bund.de/presse/pressemitteilungen/2011-03/infektions-
1. Benennen Sie die fünf Momente der schutzgesetz.html. Zugegriffen: 16.01.2016
Händehygiene. CDC Centers for Disease Control and Prevention (2011) Guide-
2. Wie viele Händedesinfektionsmit- lines for the prevention of intravascular catheter-related
Infections. http://www.cdc.gov/hicpac/pdf/guidelines/
telspender benötigen Sie auf einer
bsi-guidelines-2011.pdf. ZUgegriffen: 14.12.2015
IMC-Station pro Patient? Chenoweth C, Saint S (2013) Preventing catheter-associated
3. Was kann eine korrekte und regelmäßig urinary tract infections in the intensive care unit. Crit Care
durchgeführte Mundpflege vermeiden? Clin 29(1): 19–32
4. Warum werden „In-line-Filter“ eingesetzt? DNQP (2008) Expertenstandard Pflege von Menschen mit
Chronischen Wunden, Osnabrück 3/2008.
5. Wie lange vor der Applikation dürfen Sie
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eine Infusion richten? arztebl.2011.0087
6. Wie lange muss ein Desinfektionsmittel vor European Wound Management Association (EWMA) (2005)
einer Injektion einwirken? Position document: Identifying criteria for wound infec-
7. Wann verwenden Sie einen tion. MEP, London
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Vollsilikon-Blasenkatheter?
spatienten in belgischen Krankenhäusern. Pflege 15:
8. Mit wie viel ml Flüssigkeit dürfen Sie einen 163–167
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9. Nennen Sie die postoperativen Deutschland: Wie viele gibt es wirklich? Eine Schätzung für
Risikofaktoren für eine Wundinfektion das Jahr 2006. Dtsch Med Wochenschr 133(21):1111–1115
Gastmeier P, Rüden H et al. (2010) Repetitorium Hygiene.
10. Was zählt zur entscheidenden Maßnahme
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146 Kapitel 8 · Hygiene auf der IMC-Station

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8
147 9

Mobilitätsförderung
B. Trierweiler-Hauke

9.1 Definitionen von Mobilisation – 148

9.2 Warum bewegen wir Patienten? – 149

9.3 Was verhindert eine frühzeitige Mobilisierung? – 150

9.4 Phasen der Bewegung – 150


9.4.1 Kinästhetisches Warm-up – 151
9.4.2 Kinästhetisches Funktionstraining – 152
9.4.3 Kinästhetisches Cool-down – 156

9.5 Bewegungssprache und Pflegefachsprache – 157

Literatur – 158

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_9
148 Kapitel 9 · Mobilitätsförderung

Nur in der Bewegung, so schmerzlich sie sei, ist 9.1 Definitionen von Mobilisation
Leben. (Jacob Burckhardt 1818–1897, Schweizer
Historiker) Sofortmobilisation Die Mobilisierung erfolgt sofort
nach der Operation – auf jeden Fall am OP-Tag –
Bewegung beeinflusst unsere Organe und unsere oder die Mobilisierung des Patienten wird nicht
Sinne. Alle Körperfunktionen sind von Bewegung unterbrochen bzw. benötigt keine Unterbrechung.
abhängig. Unsere Sinne benötigen Bewegung, um
wahrnehmen zu können. Bewegung steigert Lebens- Frühmobilisation Die Mobilisierung erfolgt am 1.
qualität. Unser Alltag wird aber immer mehr von postoperativen Tag.
Bewegungsmangel und monotonen Bewegungsab-
läufen durchdrungen. Rehabilitierende Mobilisation Die Mobilisierung
Auch Pflegende, die den Stellenwert der Bewe- erfolgt nach einem Apoplex schnellstmöglich. In der
gung kennen, mobilisieren ihre Patienten immer AVERT-Studie konnte nachgewiesen werden, dass
noch zu wenig, zu ineffektiv und zu kurz. der Anteil der Patienten nach Apoplex mit einem
Mobilisation, also Bewegung, verhindert Sekun- klinisch guten Ergebnis in der VEM-Gruppe („very
därkomplikationen wie z. B. tiefe Beinvenenthrom- early mobilisation“) zum Teil signifikant höher war
bosen oder Atemwegsinfektionen. Weniger Sekun- als in der Kontrollgruppe (Bernhardt et al. 2008).
därkomplikationen erhöhen die Überlebenschancen
unserer Patienten. Mikromobilisation (auch Mikrolagerung) Unter
Auf einer IMC-Station sind Patienten mit unter- Mikromobilisation versteht man kleine Schwer-
9 schiedlichen Bewegungseinschränkungen und punktverlagerungen, die dem physiologischen
Bewegungsressourcen: Bewegungsmuster folgen und kleinste Positions-
55 Patienten nach einem längeren veränderungen bewirken. Daraus resultieren
­Intensivaufenthalt mit einer CIP oder mit Druckentlastung, Entspannung, Schmerzreduk-
einer CIM tion und Orientierung. Werden diese Mikrobewe-
55 Patienten, die primär keine Bewegungsein- gungen aktiv oder aktiv-unterstützt angeboten, so
schränkung haben, z. B. direkt nach einer sprechen wir von Mikromobilisation. Lagerverän-
Operation derungen z. B. mittels Handtüchern unter wech-
55 Patienten mit vorbestehenden selnden Körperteilen werden Mikrolagerungen
Bewegungseinschränkungen genannt.
55 Patienten mit neu aufgetretenen
­Bewegungseinschränkungen, z. B. nach > Die Mobilisierung ist einer der am häufigsten
Apoplex durchgeführten Pflegehandlungen. Sie
dient der Förderung und Erhaltung der
Exkurs CIP Die Critical-illness-Polyneuropathie Bewegungsfähigkeit.
ist eine Form der Polyneuropathie, die als häufige
Erkrankung bei Intensivpatienten auftritt und Mobilisierung beinhaltet jede Bewegung, jede Lage-
durch akute und primäre Schädigung meist veränderung und jeden Transfer.
motorischer, aber auch sensorischer Axone verur- Wir können in fast alle Pflegemaßnahmen mobi-
sacht wird. lisierende Elemente integrieren.
Im Pflegealltag sollten wir Patienten, die über
Exkurs CIM Als Critical-illness-Myopathie bezeich- längere Zeit regungslos im Stuhl sitzen, abgesehen
net man eine akute und primäre Muskelerkrankung von dem Bewegungsprozess in den Stuhl, nicht als
bei Intensivpatienten, die zu einer Muskelschwäche mobilisiert betrachten. Auf diese Erkenntnis gestützt
und zu Paralysen führt (Weiterer et al. 2012). wird im Pflegealltag die Aussage „Patient noch nicht
All diesen Patienten müssen wir mit unseren mobilisiert, aber er dreht sich im Bett von einer Seite
Mobilisierungskonzepten gerecht werden. zur anderen“ hoffentlich immer seltener vorkommen.
9.2 · Warum bewegen wir Patienten?
149 9
> Ein Transfer bedeutet, einen Die Muskelatrophie beginnt schon 4–6 h nach
Positionswechsel vorzunehmen, also Beginn der Immobilisation.
auch die Lageveränderung von rechts nach
links. Bewegung verbessert Beweglichkeit und Koordina-
tion Bewegung im Sinne eines Dehn- und Kraft-
Praxisaufgabe Notieren Sie an einem Tag alle trainings verbessert Beweglichkeit und Koordina-
Bewegungsaktivitäten ausgewählter Patienten Ihrer tion – besonders bei alten Menschen (Rütten et al.
Station. Am besten bereiten Sie Aktivitätsformulare 2006). Kontrakturen wird aktiv vorgebeugt. Einwir-
vor, damit eine Maßnahme nur angekreuzt werden kende Muskelkraft auf den Knochen beugt Osteo-
muss. Diskutieren Sie Ihre Ergebnisse in der nächs- porose vor.
ten Stationsbesprechung mit der Fragestellung:
„Werden unsere Patienten ausreichend bewegt und Bewegung entlastet druckbelastete Hautareale Und
mobilisiert?“ verhindert somit Druckulzerationen.

Bewegung beugt dem Gefühl von Hilflosigkeit


9.2 Warum bewegen wir Patienten? vor Ein Mensch erlebt ein Gefühl von Hilflosig-
keit, wenn er bewegt wird, ohne sich selber an der
Bewegung ist aktives Kreislauftraining Bewegung Anstrengung beteiligen zu können. Daraus resul-
erhöht Herzfrequenz und Blutdruck. Dadurch tiert, dass er nicht erfährt, welche Fähigkeiten er
kommt es zu einer Durchblutungssteigerung des noch besitzt. Hilflosigkeit führt zur Resignation,
Herzens und nachfolgend zu einer besseren Versor- kann aber auch wütend machen (Hatch u. Schmidt
gung mit Sauerstoff. Die bewegungsbedingte Blut- 1994).
druckerhöhung trainiert die Elastizität der Venen-
wände und trägt durch die Herz-Kreislauf-Anpas- Bewegung erhält Selbstkontrolle Bewegung, die
sung zur Blutdruckregulierung bei (Westhoff et al. langsam und nachvollziehbar durchgeführt wird,
2008). Thrombosen wird vorgebeugt. Kehlet und erhält Selbstkontrolle oder unterstützt das Wieder-
Wilmore konnten schon vor 10 Jahren zeigen, dass erlangen von Selbstkontrolle. Selbstkontrolle und
im Rahmen des Fast-Track-Konzeptes bei Patien- Selbstständigkeit über das eigene Leben können
ten nach Kolonresektion neben anderen Maßnah- Verwirrtheit, Unruhe und Aggressivität reduzieren
men die postoperative Frühmobilisation den Kreis- (Burgio et al. 1988).
lauf der Patienten nachhaltig stabilisiert (Kehlet u.
Wilmore 2002). Bewegung gibt Orientierung Durch regelmäßige
und nachvollziehbare Bewegung wird die innere und
Atmung ist Bewegung Und Bewegung erhöht äußere Orientierung erhöht, d. h. der Mensch kann
Atemfrequenz und Lungenzugvolumen und verbes- seinen Körper „empfinden“, er kann aber auch seine
sert die Lungendurchblutung. Dadurch wird Atelek- Umgebung einordnen. Orientierung im und außer-
tasen aktiv vorgebeugt und Lungensekret gelöst. halb des Körpers ist aktive Delirprävention.

Bewegung erhält die Muskelkraft und Muskelfunktion Bewegung unterstützt Ausscheidungsfunktio-


» Frühmobilisation bei schwerstkranken nen Darmmotilität, Magensekretion und Magen-
Überlebenden der Intensivstation fördert peristaltik werden durch Bewegung gesteigert. Der
die Regeneration funktionaler Belastbarkeit, Appetit verbessert sich.
verbessert die subjektive allgemeine
körperliche Funktionsfähigkeit und Bewegung vermindert die Insulinresistenz Neben
verbessert die Muskelkraft bis zum Zeitpunkt genetischen Faktoren, Fettleibigkeit, Infektionen
der Krankenhausentlassung. (Burtin et al. sowie akuten Stresssituationen führt der Bewegungs-
2009) mangel zur Insulinresistenz.
150 Kapitel 9 · Mobilitätsförderung

Bewegung stärkt die Intelligenz Lehrl et al. konnten Praxistipp


1986 zeigen, dass sich die mentalen Leistungen von
Gesunden und Kranken in Bewegung deutlich Stellen Sie jeden Tag immer wieder folgende
erhöhten (Lehrl et al. 1986). Fragen: Warum liegt der Patient noch im Bett?
Wann und wie oft sitzt er an der Bettkante oder
Bewegung aktiviert die geistige Leistungsfähigkeit im Stuhl? Wann und wie oft steht er? Wann
> Muskeln, die nicht benutzt werden, werden oder wie oft läuft er?
abgebaut.

Eine Frühmobilisierung ist nur möglich, wenn auch


9.3 Was verhindert eine frühzeitige die personellen und materiellen Voraussetzungen
Mobilisierung? erfüllt sind. Eine erforderliche höhere Personalaus-
stattung reduziert die Sterblichkeit der Patienten
Patientenbedingte Gründe (Herridge et al. 2003).
55 Hämodynamische Instabilität (Tachykardie, Ein hoher Body-Mass-Index (BMI) der Patienten
Hypotonie) wird sehr häufig als Grund für eine Mobilisations-
55 Verletzungen (Kopf, Wirbelsäule, Becken, pause angeführt. Dieser patientenbedingte Grund
Extremitäten) fordert aber auch im besonderen Maße die Rahmen-
55 Blutungen, Lysetherapie bedingungen der Organisation, da Mobilisierungen
55 Schmerzen von adipösen Patienten weitaus höhere Sicherheits-
9 anforderungen erfüllen müssen als Bewegungsunter-
Patientenbedingte Hinderungsgründe für eine Mobi- stützungen von Patienten, die normalgewichtig sind.
lisierung sind in den vergangenen Jahren rückläufig.
Kann der Patient einer Komplettmobilisierung nicht > Patienten mit einem hohen BMI benötigen
zugeführt werden, so werden die Möglichkeiten der mehr Personal, mehr Raum und ein sehr
Teilmobilisierung oder der Mikromobilisierung gutes Equipment.
genutzt. Weitere patientenbedingte Gründe, die nicht
selten auch im Zusammenhang mit der Mobilisation Mobilisation – was fördert und was verhindert Mobili-
hervorgerufen werden oder die keine ausreichende tät? Siehe . Tab. 9.1.
Beachtung während der Mobilisation finden, sind:
55 Angst, Anspannung und Abwehr
55 Scham 9.4 Phasen der Bewegung
55 Ungenügende Wahrung der Intimsphäre
55 Stuhl- oder Harndrang Von Pflegenden durchgeführte Bewegung wurde
55 Unwohlsein mit dem Einführen der Kinästhetik revolutioniert.
55 Eingeschränkte Beweglichkeit Mobilisation wurde nicht nur mehr als notwendige,
aber anstrengende und bisweilen nicht ungefährli-
Personalbedingte Gründe che (z. B. Rückenprobleme von Pflegenden) Pflege-
55 Mangelnde Kenntnisse – direkter Nutzen der maßnahme angesehen. Bewegung wird seitdem noch
Mobilisierung nicht bekannt einmal mehr als eine Pflegehandlung verstanden, die
55 Mangelndes Können/Technik in ihrer Komplexität faszinierend und stetig heraus-
55 Angst vor Sturz oder Lebenslinienverlust fordernd ist.
Eine der wichtigsten Schulungsmaßnahmen der
Organisationsbedingte Gründe Kinästhetik ist z. B. die bewusste Verlangsamung des
55 Zuständigkeiten sind nicht geklärt – wer Pflegealltags während jeder Bewegungsarbeit. Jede
mobilisiert wann? zu schnell durchgeführte Bewegung führt beim Pati-
55 Ressourcen nicht vorhanden (Personal, enten zu einer Erhöhung der Körperspannung. Dies
Material) führt oft zu einer erschwerten Bewegungsarbeit,
55 Mobilisationskonzept fehlt da ein angespannter Patient wesentlich mehr Kraft
9.4 · Phasen der Bewegung
151 9

. Tab. 9.1 Mobilisationsfördernde und -behindernde Faktoren

Mobilisationsfördernd Mobilisationsbehindernd

Patient hat die Möglichkeit, den Zeitplan Tagesablauf wird ohne den Patienten geplant
aktiv mitzugestalten
Besuch Kein Kontakt zu Angehörigen
Langsame, nachvollziehbare Bewegungen Schnelle, hektische Bewegungen
Schmerzarme – schmerzfreie Bewegungen Schmerzen während der Bewegung, schmerzauslösende Bewegung
Zähne, Brille, Hörgerät Unsicherheit durch fehlende Brille, Hörgerät, z. B. sprechen einige
Patienten nicht, wenn sie ihre Zähne nicht haben
Inkontinenzschutz, Kleidung Harn- oder Stuhldrang
Umgebung, an der sich ein Patienten Umgebung, die keinen Halt gibt, z. B. Füße aufstellen im Bett durch
festhalten kann, z. B. Nachttisch, der nicht das glatte Laken und MTS (medizinischer Thromboseprophylaxe-
wegrollt Strumpf ) erschwert – keine Antirutschhilfe vorhanden
Schuhe Kein sicherer Stand – Schuhe fehlen, Patient soll auf MTS laufen
Sprache – Patient und Pflegeperson Sprachbarrieren
sprechen die gleiche Sprache
Attraktive Umgebung – Uhr, Bilder, Reizarme Umgebung – leere Wände, kein Fenster
Fenster, Gerüche, z. B. appetitanregende
Speisen
Tag-Nacht-Rhythmus wird eingehalten Fehlender Tag-Nacht-Rhythmus – Patient ist am Tag sehr müde
Bettgitter Bettgitter

vom Bewegenden fordert. Nicht selten benötigen zu Mobilisierung aus dem „Kalten“ heraus hat unnötige
schnell bewegte Patienten mehr Schmerzmittel. Komplikationen wie orthostatische Hypotension mit
Schwindel, Schweißigkeit und Übelkeit, aber auch
> Die bewusste Verlangsamung des Schmerzen der Gelenke zur Folge.
Pflegealltags während der Bewegungsarbeit Das kinästhetische Warm-up kann passiv, aber
führt zu einer Erniedrigung der auch aktiv erfolgen.
Körperspannung beim Patienten
und erleichtert demzufolge die
Bewegungsmaßnahme. Vorgehensweise bei Patienten, die sich
nicht selber bewegen können
Bauder-Mißbach hat die verschiedenen Phasen der 44 Langsames Drehen des Kopfes auf die
Bewegung beschrieben (Bauder-Mißbach 2000): verschiedenen Seiten, Wiederholung.
44 Die Hände werden öffnend gestreckt und
schließend gebeugt.
9.4.1 Kinästhetisches Warm-up 44 Die Arme werden in der Ellenbeuge
mehrmals langsam gebeugt und der
Unter Warm-up wird analog zum Warm-up vor Oberarm nach vorheriger leichter
sportlichen Tätigkeiten die Bewegungsvorbereitung Mobilisierung der Schulter auf den
verstanden. Ein gesunder Mensch verändert seine Brustkorb gelegt. (Cave: Bei Patienten
Lage alle 11,6 min (Rubin 1988). Daraus resultiert die mit Apoplex und schlaffer Lähmung
Empfehlung, möglichst viele Lagewechsel vorzuneh- darf kein Zug aufs Schultergelenk
men. Vor jeder Mobilisierung sollte ein Aufwärmen erfolgen.)
der Muskeln und Gelenke ermöglicht werden. Eine
152 Kapitel 9 · Mobilitätsförderung

. Tab. 9.2 Vorgehensweise bei Patienten, die sich


44 Das Bein des Patienten wird leicht nach selber bewegen können – Anleitung
außen gedreht (nicht bei Hüfterkrankungen)
und dann Richtung Becken geschoben. Die Kopf drehen Der Kopf wird langsam von einer
Fußsohle wird auf die Unterstützungsfläche Seite auf die andere gedreht.
Wird dem Patienten nicht
aufgestellt und der Druck auf die Matratze
schwindelig, dann kann er den
soll – ohne Schmerz auszulösen – dreimal Kopf auch leicht beugen und
konzentriert wiederholt werden. Die so strecken
angestellten Beine werden jeweils dreimal Hände öffnen Schnelles Öffnen und Schließen
leicht parallel nach vorne unten gedehnt und und schließen der Hände
dreimal leicht nach innen diagonal gedehnt Hände drücken Beide Hände werden ineinander
(Cave: Einschränkungen in der Hüfte). gelegt und drücken sich
gegenseitig
Arme gerade Arme auf Schulterhöhe gerade
Während der Maßnahmen wird der Patient inten- ausstrecken ausstrecken, Hände ausstrecken
siv beobachtet. Reaktionen seinerseits, die sich und Handfläche nach oben und
unten drehen. Alternativ können
oft in nur kleinen Bewegungsäußerungen zeigen,
die Hände im Wechsel geöffnet
werden erkannt und dokumentiert. Diese vorberei- und geschlossen werden
tenden Bewegungen erleichtern den Aufbau und die
Fußwippen Füße werden abwechselnd zur
Planung weiterer Bewegungen (. Tab. 9.2).
9 Diese Übungen sind nicht nur als Warm-up-
Nasenspitze hochgezogen –
gehalten für einige Sekunden
Übungen zu verstehen. Sie können mit dem Patien- und dann wieder in Richtung
ten trainiert werden, damit er diese mehrmals am Tag Bettende ausgestreckt
selber ausführen kann. Zehenkrallen Zehen werden eingekrallt, einige
Sekunden gehalten und dann
gespreizt
9.4.2 Kinästhetisches Füße kreisen Beide Füße werden kreisförmig
Funktionstraining gedreht – die Richtung wird
nach einigen Durchgängen
gewechselt
Jede Bewegung, jede Lageveränderung, jeder Trans-
Füße aufstellen Anstellen beider Beine,
fer ist ein Training für Kreislauf, Atmung, Muskeln
und Becken Aufstellen der Füße auf die
und Koordination. bewegen Matratze und das Becken leicht
Eine berufsgruppenübergreifende Verständi- anheben
gung, was für welchen Patienten zu welchem Zeit-
punkt notwendig ist, ist dringend erforderlich.
Neben einer täglichen Übergabe und Zielbespre-
chung ist ein „Mobilisierungsstandard“ notwendig, 55 Jede passive Bewegung, die aktivierend
der festlegt, was unter Bewegung, Mobilisierung angeleitet wird
und Transfer verstanden wird. Ein solcher Mobili-
sierungsstandard gibt im Alltag Orientierung und Mobilisation ist das Werkzeug jeglicher pflegerischen
bietet auch gezielte Dokumentationshilfen an. Tätigkeit und unterstützt alle Aktivitäten des tägli-
chen Lebens. Jede Mobilisation dient der Orientie-
z Beispiel eines Mobilisierungsstandards rungsförderung. Jede Mobilisationsform hat das Ziel,
(Universitätsklinikum Heidelberg Chirurgie) die Mobilisationsstufe 0 und die Transferklasse 1 zu
Definition der Mobilisierung Unter Mobilisation erreichen, sofern dies, bedingt durch Erkrankung
verstehen wir: und Ausgangssituation der Patienten, möglich ist.
55 Jede aktive Bewegung
55 Jede aktive Bewegung, die partiell unterstützt Mobilisationsstufen In der Dokumentation wird
wird die bislang erreichte Stufe, nicht die momentan zu
9.4 · Phasen der Bewegung
153 9
beobachtende Stufe dokumentiert. Sitzt der Patient Voraussetzungen zur Mobilisation
tagsüber im Stuhl und geht einige Schritte, so wird 55 Schmerzfreiheit
er in die Mobilisationsstufe 1 eingeteilt, auch wenn 55 Lebenslinien schützen, z. B. Katheter sichern,
er die ganze Nacht im Bett geschlafen hat. verlängern, fixieren
55 Stufe 4: Patient ist im Bett mobil oder kann im 55 Motivation für die Mobilisation, z. B.
Bett mobilisiert werden, z. B. mobilisierende Essen, Fernsehen, Besuch, Atemtherapie,
Lagerung Wahrnehmung fördern
55 Stufe 3: Patient ist bis Pilotsitz und/oder 55 Für Sicherheit sorgen, z. B. Schuhe, Zähne,
Bettkante mobil Brille, Hörgerät, MTS, Inkontinenzschutz
55 Stufe 2: Patient kann bis in den Stuhl mobili- 55 Umgebungsanpassung, z. B. Veränderung des
siert werden oder lernt kleine Schritte zu gehen Bettes im Raum
55 Stufe 1: Patient kann bis in den Stuhl mobili-
siert werden und geht einige Schritte Stressbeobachtung
55 Stufe 0: Patient geht selbstständig 55 Beobachtungsparameter: Frequenz, RR,
Atmung, Hautreaktion, Vigilanz, Belastung:
Unterscheidung der Transferklassen (analog der Kin- 44Normal
ästhetiktransferklassen) Transfers sind Positions- 44Angestrengt
oder Ortswechsel. 44Sehr angestrengt
55 Klasse 1: Der Patient macht eigene Anstren- 55 Aktivität vorzeitig beendet wegen: …. ….
gungen, um sich von einem Ort an den anderen (Begründung)
zu bewegen, je nachdem mit Anleitung einer
Pflegeperson. Gewicht bleibt beim Patienten. Dokumentation
55 Klasse 2: Die Pflegeperson übernimmt einen 55 Mobilisationsstufe/Transferklasse
Teil der Anstrengung, um den Patienten 55 Position – wie bleibt der Patient in seiner
von einem Ort an den anderen zu bewegen. Position, z. B. im Sitzen
Gewicht bleibt trotzdem beim Patienten. 55 Stressbeobachtung
55 Klasse 3: Ein Teil des Gewichts des Patienten 55 Eigenmotorik und Muskeltonus =
wird von der Pflegeperson übernommen, ­Eigenbewegungen des Patienten, Kopfhaltung,
wobei die Anstrengung, je nachdem, durch Rumpfhaltung, Armbewegungen, z. B. im
beide übernommen werden kann. Sitzen
55 Zeit
Phasen der Mobilisation
1. Phase: Vorbereitung der Körperteile am Ort Leistungserfassung Inpuls
2. Phase: Ortsveränderung/Fortbewegung = 55 Transferklasse 2 = Pflegekategorie 3
Belastungsphase 55 Transferklasse 3 = Pflegekategorie 4
3. Phase: Wieder ankommen in der neuen 55 Aktivitäten benötigen >2 Pflegekräfte =
Position und Anpassung an die neue Position Pflegekategorie 5

Die Phasen der Mobilisation sind vergleichbar mit Leistungserfassung PPR


einer sportlichen Aktivität, die sich unterteilt in: 55 Aktive Hilfe und passive Unterstützung = A2
55 Warm machen („warm-up“) 55 Häufiges Mobilisieren (Körperlagern)
55 Belasten (Trainingsphase) mindestens 2-mal pro Schicht/alle 4 h = A3
55 Ankommen und stretchen („cool-down“)
Leistungserfassung PKMS Siehe . Tab. 9.3.
Positionen
55 Rückenlage, Seitenlage rechts oder z Aufbau der Bewegungsaktivität – ein
links, 135° Seitenlage rechts oder links, Beispiel
Oberkörperhochlage, Mobilisationsstufe 4 In dieser Mobilisierungsstufe
55 Pilotsitz, Bettkante, Stuhl, Stehen, Gehen (. Tab. 9.4) wird nach der Bewegungsvorbereitung
154 Kapitel 9 · Mobilitätsförderung

. Tab. 9.3 Leistungserfassung PKMS

Immobilität (G5) + beeinträchtigte Geh- und Transferfähigkeit (G6) + beeinträchtigte Mobilität/körperliche


Einschränkung (G7)
Verlust der Fähigkeit, den Positionswechsel im Bett durchzuführen, und ein vorliegender Erschwernisfaktor … G5
Unfähigkeit, das Gesäß zum Unterschieben der Bettschüssel/des Steckbeckens anzuheben, und ein G5
vorliegender Erschwernisfaktor …
Unfähigkeit, eine Sitzposition bei der Nahrungsaufnahme einzunehmen G5
Fehlende Fähigkeit, sich zur Nahrungsaufnahme an den Tisch zu setzen G6
Kennzeichen: schwere Beeinträchtigung, von liegender Körperposition zum Sitzen zu gelangen und vom
Sitzen zum Stand zu gelangen, und erhebliche Beeinträchtigung des Gehens auf ebener Fläche: Unfähigkeit/
Unsicherheit, das Körpergewicht im Stand selbstständig zu tragen, Veränderungen des Gangbildes
Fehlende Fähigkeit, selbstständig auf die Toilette zu gehen oder mit dem Rollstuhl zur Toilette zu fahren G6
Fehlende Fähigkeit, einen Transfer durchzuführen und/oder zu gehen G6
Prothesen-Orthesen-Versorgung der unteren Extremität vor der Nahrungsaufnahme oder Stützkorsagen G7
anlegen
Beeinträchtigte Fähigkeit, Kompetenzen im Rahmen der Selbstpflegefähigkeit zu erwerben G7

9 Bewegungshandeln durchgeführt. Für Patienten auf des Sitzens eines Patienten mit einer CIP/CIM an
einer IMC-Station bedeutet dies: der Bettkante. Da kinästhetisches Bewegen das
55 Jede Bewegung, die sie selber durchführen Heben und Tragen von Patienten vermeidet, wird
können, führen sie durch, besonders Hygie- der Patient nicht an die Bettkante gehoben, sondern
neaktivitäten wie: in einer spiraligen Bewegung über seine eigenen
44Gesicht selber waschen Knochen an die Bettkante geführt. Sitzt der Patient,
44Haare selber kämmen wird die Stabilisierung des Rumpfes nicht vom Kopf
44Zähne selber putzen her aufgebaut, sondern vielmehr erst das Becken und
44Hemd selber zuknöpfen dann der Rumpf stabilisiert. Damit Bewegungs- und
44Gesicht selber eincremen Haltestabilität des Kopfes früh trainiert werden, kann
55 Das Drehen auf die Seite kann erleichtert der Kopf eines Patienten mit einer CIP/CIM schon
werden, wenn eine zweite Pflegeperson an während des Waschens sowohl gedreht als auch
der Bettseite steht und der Patient sich sicher gebeugt und gestreckt werden.
fühlen kann oder wenn die Bettgitter erhöht
werden, damit er sich an diesen festhalten kann Mobilisationsstufe 2 Die beste Voraussetzung, die
und keine Angst haben muss, aus dem Bett nächste Stufe einnehmen zu können, ist das freie Sitzen
herauszufallen. des Patienten ohne Unterstützung. Auch ohne diese
55 Antirutschmatten, die unter die Fußsohlen Voraussetzung kann man den Patienten für 30–60 min
gelegt werden, helfen Sicherheit zu erlangen. in den Stuhl setzen. Dies sollte über seine eigenen
Knochenstrukturen, also ohne ihn zu heben, durch-
Mobilisationsstufe 3 Stufe 3 strebt den Pilotsitz geführt werden. Jeder Schritt soll mit ihm vorbereitet
oder den Sitz an der Bettkante an. Sitzt der Patient und für ihn nachvollziehbar sein. Dann wird er Schritt
im Pilotsitz, dann ist es wichtig zu beobachten, ob er für Schritt von der Bettkante mittels eines Oberschen-
diese Position ohne seitliche Unterstützung halten keldrucktransfers auf den Stuhl bewegt. Während
kann. Günstig ist es, wenn der Patient – sofern er dieser Phase sollte der Patient immer festen Boden-
keine neurologische Problematik hat – für diese Posi- kontakt haben und sein Gewicht deutlich spüren
tion Schuhe angezogen bekommt, damit er sein Kör- können. Die Pflegeperson, die ihn bewegt, führt die
perende besser wahrnehmen kann. Deutlich mehr Bewegung gemeinsam mit ihm durch. Gelingt dies,
Vorbereitung und Kraft benötigt die Durchführung dann gewinnt der Patient in doppelter Hinsicht.
9.4 · Phasen der Bewegung
155 9

. Tab. 9.4 Hilfsmittel- und Geräteeinsatz

Gerät/Hilfsmittel Ziel

Kamm Gezieltes Training der Handgriffstärke


Intensives Training der Schulter-Arm-Partie (anfangs vorsichtig führen – Patient benötigt viel
Zeit – Übung kann stark frustrieren)
Zahnbürste Gezieltes Training der Handgriffstärke
Intensives Training der Schulter-Arm-Partie (anfangs vorsichtig führen – Patient benötigt viel
Zeit – Übung kann stark frustrieren)
Igelball Wahrnehmungsförderung – kann auch sehr gut von Angehörigen angewendet werden
Gezieltes Training der Handgriffstärke (kleine Bälle verwenden)
Gezieltes Training des Fußdrucks (kleine Bälle verwenden)
Durchblutungsfördernd
Knautschball Gezieltes Training der Handgriffstärke (kleine Bälle verwenden)
Gezieltes Training des Fußdrucks
Durchblutungsfördernd
Thera-Band Gezieltes Training der Handgriffstärke – Halten der Bänder
(unterschiedliche Gezieltes Training der Muskulatur durch Dehnung des Bandes – Wiederholungen planen
Stufen)
Bettfahrrad passiv Durchbewegen der Gelenke zur Erhaltung der Gelenkbeweglichkeit
(motorbetrieben) Lockerung der Muskulatur
Durchblutungsfördernd
Bettfahrrad Geringe, auch nur impulsartige Aktivität der Beine oder Arme wird durch die Funktion
passiv + aktiv „ServoTreten“ erkannt und verstärkt
(motorunterstützt) Durchbewegen der Gelenke zur Erhaltung der Gelenkbeweglichkeit
Lockerung der Muskulatur
Durchblutungsfördernd
Kräftigung der Muskulatur
Bettfahrrad aktiv Aktive Bewegung gegen 20 fein dosierbare Bremswiderstände – von ganz leicht bis schwer
– mit eigener Kräftigung der Muskulatur
Muskelkraft

Erstens, weil die Schritte bei dieser Vorgehensweise intensiveres mimisches Spiel, was wir mit einer erhöh-
nachvollziehbar sind und ihm Orientierung geben. ten kognitiven Regung assoziieren. Andere Patienten
Zweitens, weil er seine Körperarbeit wahrnimmt, dies entwickeln richtig Ehrgeiz, um ihre Strecken täglich zu
als Erfolg wertet und seine Zufriedenheit steigt. Neben verlängern. Zudem wird das Bettfahrrad von Angehö-
dem stufenorientierten Mobilisierungsplan werden rigen sehr geschätzt. Mit dem Fahrrad wird ein Vor-
auch noch muskelkräftigende, taktil fördernde wärtskommen verbunden. Die Gespräche der Ange-
und motivierende Bewegungselemente eingeplant hörigen nach Beendigung der Therapie gegenüber dem
(. Tab. 9.4). Patienten sind sehr motivierend, lobend, begeisternd
und hoffnungsvoll. Stellt doch ein einfaches Fahrrad,
Übungen mit dem Bettfahrrad Die Übung mit dem auch wenn es als Bettfahrrad fungiert, etwas sehr
Bettfahrrad (. Abb. 9.1) in allen möglichen Stufen ist Vertrautes dar.
ein wesentlicher Baustein im Bewegungslernen des
Patienten. Neben der Verbesserung der Beweglich- Mobilisationsstufe 1 In dieser Mobilisationsstufe
keit sehen wir bei noch nicht adäquaten Patienten ein spielt die Umgebung eine sehr wichtige Rolle. Neben
156 Kapitel 9 · Mobilitätsförderung

. Abb. 9.1 Bettfahrrad

passenden und rutschfesten Schuhen benötigt der 9.4.3 Kinästhetisches Cool-down


Patient Möglichkeiten, sich in der Umgebung festzu-
halten. Ein festgestellter Nachttisch, ein feststehen- Das Cool-down berücksichtigt folgende Punkte:
des Bett, ein Rollator oder Gehwagen mit Bremse 55 Einrichten einer bequemen Position
oder ein Handlauf auf dem Flur unterstützen ihn in 55 Gleichmäßiges Verteilen des Gewichts
dieser Phase. 55 Entspannen in der Ruheposition (Bauder-
Mißbach 2000)

Praxistipp Ziel dieser entschleunigenden Bewegungsmaß-


nahmen ist es, das Wohlbefinden des Patienten zu
Im Rahmen der Sturzprävention stellen wir unterstützen. Eine Mobilisationsphase ist anstren-
dem Patienten geeignetes Schuhwerk zur gend und kann für den Patienten enttäuschend sein,
Verfügung. Da die patienteneigenen Schuhe weil er größere Ziele verfolgte oder seine Kraft und
oft nicht da sind oder diese aufgrund von Ausdauer anders eingeschätzt hat. Die Cool-down-
Gewebeeinlagerungen nicht passen, ist es Phase gibt ihm die Möglichkeit, mitzuentscheiden,
günstig, wenn jede Station eigene waschbare welche Position gefunden werden muss, damit er ent-
Schuhe in unterschiedlichen Größen zur spannen kann.
Verfügung stellt. Auf keinen Fall darf der
Patient in Schuhen laufen, die zu groß oder zu > Der Patient spürt sein Gewicht als größer
klein sind, da dies unsicher macht bzw. weh tut verteilt, wenn die Hand der Pflegenden unter
(. Abb. 9.2). ein gewichtstragendes Körperteil gelegt
wird, die Hand dort verbleibt und diese nach
9.5 · Bewegungssprache und Pflegefachsprache
157 9
Patienten zu, dass er sich doch bitte nicht so
„steif “ machen soll.
55 Wir spannen unsere Muskeln sehr stark an,
weil Bewegung für uns häufig eine enorme
Kraftanstrengung ist – auch deshalb, weil wir
uns zu sehr anspannen.

Praxistipp

Wir schränken unsere Bewegungsmög-


lichkeiten durch unsere eigene Anspannung
zu sehr ein. Dies ist leicht mit folgender
. Abb. 9.2 Schuhe in verschiedenen Größen – waschbar
Übung zu erfahren. Setzen Sie sich auf einen
Stuhl, spannen Sie alle Ihre Muskeln an
einiger Zeit wieder z. B. mittels Zug entfernt und versuchen Sie dann, sich zu bewegen.
wird. In dieser Phase hat der Patient seine Sie werden sehen, dass Sie bewegungs-
Aufmerksamkeit auf diese Körperregion un­fähig sind.
gelenkt, sein Gewicht intensiver gespürt
und nun empfindet er die Auflage größer
und satter. Dieses Szenario kann endlos fortgeführt werden.
Erfahrungslernen bedeutet, dass wir
55 uns Zeit nehmen,
9.5 Bewegungssprache und 55 die Bewegung des Patienten beobachten,
Pflegefachsprache 55 ihn auffordern, uns ein Bewegungsangebot
zu machen, oder ihn fragen, wie er zu Hause
Die Mobilisationsgestaltung mit Patienten gibt uns aufsteht,
die Möglichkeit, gemeinsam mit dem Patienten 55 keine Bewegung, die er selber tun kann, für ihn
Bewegung zu erlernen und neue Zusammenhänge übernehmen,
zu verstehen. Bewegung darf nicht zu einer techni- 55 ihn unterstützen, aber sobald wir merken,
schen Maßnahme werden, sondern zu einem – für dass wir Gewicht von ihm übernehmen, wir
Patient und Pflegeperson – Erfahrungslernen. uns sehr anstrengen müssen, die Bewegung
Leider gelingt uns dieses Erfahrungslernen noch unterbrechen.
nicht.
55 Wir starten zu schnell mit der Bewegung, In der Interaktion mit dem Patienten erfahren wir
sodass es auch einem Gesunden schwindelig sehr viel übereinander.
werden würde. 55 Der Patient spürt unsere Schnelligkeit
55 Wir nehmen an, dass der Patient nicht und unsere Muskelanstrengung. Will er
ausreichend helfen kann. sich schützen, dann bleiben ihm nur zwei
55 Wir denken viel zu oft, dass wir wissen, Möglichkeiten. Entweder die Schnelligkeit und
wie sich ein Patient bewegen muss. Muskelanstrengung aufgreifen und mitmachen
55 Wir unterbinden seine eigenen Bewegungen, oder sich aber verweigern. Die Rufe aus dem
weil diese nicht in unser Muster von Bewegung Zimmer wie „Machen Sie sich nicht so steif “
passen. sprechen für sich.
55 Eine begonnene Bewegung wird weitergeführt, 55 Entscheiden wir uns für langsame Bewegungen
egal ob diese extrem schwer wird oder ob sie und achten intensiv auf unsere Muskelan-
weh tut. Wir erhöhen einfach unsere Muskel- spannung, dann kann der Patient von unserer
anstrengung. Und dann rufen wir unserem Bewegung lernen und sie mit uns gestalten.
158 Kapitel 9 · Mobilitätsförderung

Praxistipp Literatur

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Beobachten Sie sich in den nächsten Wochen
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(Visuellen Analog-Skala). Null bedeutet, Sie Schlütersche, Hannover
würden keine Muskelanspannung aufwenden Bernhardt J, Dewey H, Thrift A, Collier J, Donnan G (2008) A
very early rehabilitation trial for stroke (AVERT) Phase II
müssen (dies geht selbstverständlich nicht)
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und zehn wäre die für Sie höchstmögliche Burgio LD, Jones LT, Butler F, Engel BT (1988) Behaviour pro-
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3. Aufl. Deutscher Berufsband für Pflegeberufe, Eschborn
es auch besser beschreiben. Und wenn wir Bewegung Herridge MS, Cheung AM, Tansey CM et al. (2003) One-year
besser beschreiben können, dann kann sich unsere
9
outcomes in survivors of the acute respiratory distress
Fachsprache weiter entwickeln. syndrome. N Engl J Med 348: 683–693
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2. Zeigen Sie den Unterschied zwischen 50–55
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Mobilisation und Transfer auf.
Aktivität. Gesundheitsberichterstattung Bund 26
3. Warum bewegen wir unsere Patienten? Schiersching W, Wihs H-J (2002) Bewegungstherapie und
Nennen Sie mindestens acht Frühmobilisation polytraumatisierter Patienten mit dem
Themengruppen. Reherollstuhl Thekla. Intensivpflege 10: 161–164
4. Welche patientenbedingten Weiterer S et al. (2012) Frühmobilisierung des chirurgischen
Intensivpatienten. Intensivmedizin up2date 8
Hinderungsgründe für eine Mobilisation
Westhoff TH, Schmidt S, Gross V, Joppke M, Zidek W, van der
kennen Sie? Giet, M, Dimeo F (2008) The cardiovascular effects of
5. Welche Faktoren sind mobilisa- upper-limb aerobic exercise in hypertensive patients. J
tionsfördernd, welche sind Hypertension 26:7
mobilisationsbehindernd?
6. Wie können Sie das kinästhetische
Warm-up bei Patienten, die sich selber
bewegen können, gestalten?
7. Nennen Sie zwei Alltagstätigkeiten, die Ihr
Patient selber durchführen kann.
8. Wann gelingt uns Bewegungslernen?
9. Was können wir erfahren, wenn wir
einen Patienten bewegen oder ihm beim
Bewegen helfen?
10. Welche Auswirkungen haben schnelle
Bewegungsfolgen?
159 10

Schnittstellen der
­IMC-Versorgung
D. Heinze, A. Korinth

10.1 Innerklinischer Transport von IMC-Patienten – 161

10.2 Übergabe – 162


10.2.1 Phänomene aus der Praxis der mündlichen Übergabe – 162
10.2.2 Vorschläge zur Verbesserung der mündlichen Übergabe – 164

10.3 Entlassungsmanagement – 165

Literatur – 167

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_10
160 Kapitel 10 · Schnittstellen der I­ MC-Versorgung

Dieses Kapitel betrachtet die Schnittstellenpro- Herr Maurer 1 l Kochsalzlösung und 20 mg Furose-
blematik zwischen den und innerhalb der Ver- mid infundiert. Eine halbe Stunde später klingelt er
sorgungseinrichtungen (ICU – IMC – periphere und äußert einen starken Harndrang und Schmer-
Station – nachversorgende Einrichtungen), die im zen im Unterbauch. Die Nachtdienstschwester un-
Versorgungsverlauf der Patienten auftreten. Die Ver- tersucht daraufhin den Dauerkatheter und stellt
legung der Patienten zwischen Intensivstation und fest, dass dieser abgeklemmt ist. Es entleeren sich
IMC-Einheit, die Informationsweitergabe zwischen nach Öffnung fast 1200 ml Urin und die Beschwer-
Pflegenden und die frühzeitige Planung der weiter- den sind augenblicklich verschwunden. Am nächs-
führenden Versorgung nach dem IMC-Aufenthalt ten Tag kann rekonstruiert werden, dass der Kathe-
stehen im Fokus. In den Abschnitten zu innerklini- ter auf der Intensivstation abgeklemmt und dies der
schem Transport, Übergabe und Entlassungsma- IMC-Mitarbeiterin im Übergabegespräch mitgeteilt
nagement geht es besonders um die Frage, wie die wurde. Der Patient übersteht den Zwischenfall
möglichst lückenlose und sichere Betreuung von kri- schadlos und wird am darauffolgenden Tag auf eine
tisch kranken Patienten gewährleistet werden kann. Normalstation verlegt.
Eine herausragende Bedeutung hat dabei die
Kommunikation zwischen den professionellen IMC-Einheiten können als ein zusätzlicher Schritt
Akteuren ebenso wie mit den Patienten. zwischen der Überwachung und Behandlung von
Zur Veranschaulichung der Thematik ist ein Fall- Patienten im Intensivbereich und der anschließen-
beispiel vorangestellt. den Weiterversorgung auf peripheren Stationen ein
Vorteil sein. Sie entlasten beispielsweise die Inten-
Beispiel sivstationen, wodurch dort eine größere Zahl vital
Herr Maurer wird wegen eines Myokardinfarktes auf bedrohter Menschen versorgt werden kann, und ver-
10 die Intensivstation eines Universitätskrankenhau- bessern die Überwachung von Patienten, die andern-
ses eingeliefert. Das verschlossene Herzkranzgefäß falls, eventuell zu früh, auf eine Normalstation verlegt
wird umgehend im Rahmen einer Koronarangiogra- worden wären (DGAI 2002; 7 Abschn. 22.1).
phie wiedereröffnet und durch einen sogenannten Das Beispiel verdeutlicht aber, dass auch Risiken
Stent versorgt. Für die Behandlung werden große mit der zusätzlichen Verlegung verbunden sind. Die
Mengen Kontrastmittel injiziert. Weil Herr Maurer durchschnittliche Verweildauer in einer IMC-Ein-
unter einer eingeschränkten Nierenfunktion leidet, heit liegt idealerweise zwischen 24 und 48 h (Eikamp
soll er anschließend, zur weiteren Beobachtung, auf 2008). Dadurch müssen Patienten häufiger als in
die Intensivstation verlegt werden. Dort erhält er den meisten anderen Bereichen des Krankenhauses
einen Blasenkatheter und wird – wegen einer an- verlegt bzw. aufgenommen werden. Für die Kontinu-
gekündigten Neuaufnahme eines weiteren Patien- ität der Versorgung ist die Kommunikation in Inten-
ten – von der Intensivstation auf eine IMC-Einheit sivbereichen und IMC-Stationen also ein wesentli-
verlegt. Herr Maurer wird gegen 20.00 Uhr von ei- cher Faktor (Graf et al. 2009). Gerade diese Kom-
ner Intensivkrankenschwester und dem Dienstarzt munikation und die mit ihr verbundenen Schwie-
auf die IMC-Station gebracht. Er wird dort von der rigkeiten, wie falsch oder unvollständig übertragene
Krankenschwester des Spätdienstes in Empfang Informationen (7 Beispiel), tragen aber auch maß-
genommen und an die Überwachungsanlage an- geblich zu Fehlern und Zwischenfällen im Intensiv-
geschlossen. Die Nachtschwester tritt kurz danach bereich bei (Graf et al. 2009). Die mündliche Über-
ihren Dienst an. Es erfolgt eine mündliche Übergabe gabe kann daher, als eine Form der Informationswei-
und anschließend beginnt die Nachtschwester ihre tergabe, die Kontinuität der Versorgung der Patien-
Antrittskontrolle. Sie hat in dieser Nacht 6 Patienten ten mit beeinflussen.
zu betreuen und ist gegen 21.00 Uhr bei Herrn Mau- Ein weiteres Problem bei einer Verlegung ist der
rer. Sie stellt fest, dass Herr Maurer zwar einen gut damit verbundene Stress für den Patienten. Die ver-
gefüllten Urinsammelbeutel hat, sich aber im Stun- glichen zur Intensivstation reduzierte personelle und
denurometer lediglich 30 ml Urin befinden. Nach apparative Überwachung kann Verlegungsangst und
telefonischer Rücksprache mit dem Arzt bekommt damit Stress auslösen (Mayer 2004). Stress und Angst
10.1 · Innerklinischer Transport von IMC-Patienten
161 10
wiederum können zum Teil schwerwiegende Folgen zu ängstigen. Um diese Störungen möglichst gering
für den Heilungsverlauf haben. So ist Angst nach zu halten, sollten besondere Anforderungen an das
einem Herzinfarkt, wie ihn Herr Maurer im Beispiel transportierende Personal und Equipment gestellt
erlitten hat, mit einem Anstieg der Morbidität und werden. Es gibt zwar keine einheitliche Richtlinie für
Mortalität assoziiert (Kyungeh 2004). den Transport von Intensiv/IMC-Patienten, aber es
Treten Probleme, wie die im Beispiel beschriebe- gibt unterschiedliche Empfehlungen.
nen, im Rahmen der Verlegung auf, erhöhen diese Warren et al. fassen 2014 alle diese Empfehlun-
womöglich den Stress und die Angst vor der neuen gen zusammen, indem sie sagen, dass jedes einzelne
Situation. Eine Begleitung des Patienten und dessen Krankenhaus für den innerklinischen Transport
Vorstellung auf der nachversorgenden Station durch von kritisch kranken Patienten Standards definie-
den Mitarbeiter der Intensivstation wird hingegen ren sollte. Diese Standards sollen die Vorbereitung,
als Maßnahme zur Reduktion des Verlegungsstres- das notwendige Personal und die technische Ausstat-
ses empfohlen (Leith 1998, zit. in Mayer 2004). Der tung definieren, sie müssen außerdem regelmäßig
Transport von der Intensivstation in den IMC-Be- überprüft und angepasst werden. Bei der Erarbei-
reich und die anschließende mündliche Übergabe tung eines solchen Standards können Kliniken hier-
des Patienten von Pflegekraft zu Pflegkraft in dessen zulande auch auf die Expertise nationaler Fachgesell-
Anwesenheit können demnach auch hier eine wich- schaften zurückgreifen.
tige Funktion erfüllen. Die deutsche interdisziplinäre Vereinigung für
Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat im Jahr
2004 einige Empfehlungen für den Intensivtrans-
10.1 Innerklinischer Transport von port formuliert. Für einen solchen Transport kri-
IMC-Patienten tisch Kranker sollten demnach mindestens ein
intensivmedizinisch erfahrener Arzt und eine ent-
Die Verlegung von kritisch kranken Patienten von sprechende Pflegekraft bereitgestellt werden, idealer-
einer Abteilung oder Station auf eine andere erfor- weise die betreuende Pflegekraft. Ein akkubetriebe-
dert besondere Aufmerksamkeit. Der Transport ner Monitor mit EKG und Pulsoxymetrie sind für die
eines IMC-Patienten unterscheidet sich dabei kaum kontinuierlich Überwachung zwingend mitzuführen
von innerklinischen Transporten nichtbeatmeter sowie ausreichendes Notfallequipment. Natürlich
Intensivpatienten. Es gibt vergleichbare Risiken, müssen Akkukapazität sowie Menge der notwendi-
weshalb für diese Transporte die gleichen Normen gen Medikamente vor Transportbeginn überprüft
zur Vorbereitung und Durchführung angelegt werden.
werden können. Welche Risiken mit dem Transport Diese Empfehlungen decken sich mit denen der
verbunden sein können, zeigen Almeida et al. (2014). Autoren von „Patientensicherheit Schweiz“ (Frank
Sie fassen die Ergebnisse zahlreicher Studien zusam- 2014). Auch hier wird Fachpersonal und geeignetes
men und weisen damit nach, dass folgende Aspekte Material detailliert empfohlen, dabei wird das Kol-
regelmäßig zu Komplikationen und Zwischenfällen lektiv der besonders gefährdeten Patientengrup-
während des Transportes von überwachungspflich- pen definiert. Unter anderen werden Patienten,
tigen Patienten führen: die Rhythmusstörungen haben, trotz Sauerstoff-
55 technische Störungen, gabe eine Sättigung von unter 97% aufweisen bzw.
55 Dislokationen von Zu- und Ableitungen, vasoaktive und/oder inotrope Medikamente benö-
55 inadäquate Medikation, tigen, als besondere Risikogruppe genannt. Das sind
55 plötzliche und unvorhersehbare Änderungen durchaus Patienten, wie sie auch im IMC-Bereich zu
des Zustands des Patienten sowie finden sind, wenngleich die genannten Empfehlun-
55 fehlerhafte Abstimmung und Kommunikation gen von Intensivpatienten sprechen. Ein ganz wich-
der beteiligten Fachkräfte. tiger Punkt der Schweizer Empfehlung ist die Forde-
rung nach klarer und kritischer Indikationsstellung
Diese Zwischenfälle gefährden die Sicherheit des für den Transport, um eine unnötige Gefährdung des
Patienten und sind vermutlich auch geeignet, diesen Patienten zu vermeiden. Wenn diese Indikation klar
162 Kapitel 10 · Schnittstellen der I­ MC-Versorgung

gestellt ist, empfehlen die Autoren Checklisten und sich entwickelnden Pflegewissenschaft Gegenstand
ergänzend zur DIVI-Empfehlung wird die Kommu- empirischer Untersuchungen, deren Ergebnisse der
nikation aller Beteiligten besonders betont. An erster Pflegepraxis Impulse geben können – auch für eine
Stelle sollte demnach der Patient genauestens über kritische Auseinandersetzung. Obwohl die münd-
den bevorstehenden Transport informiert sein, aber liche Übergabe in der Pflege regelmäßig prakti-
auch die diagnostische Abteilung bzw. die empfan- ziert wird und sie – jedenfalls in Deutschland – zur
gende Station sollten im Vorfeld kontaktiert und über pflegerischen Routine gehört, zeigen zahlreiche
Ablauf und Zeitpunkt des Transportes in Kenntnis Untersuchungen ein sehr durchwachsenes Bild,
gesetzt werden. was Qualität, Inhalt und Nutzen mündlicher Über-
Almeida et al. (2014) empfehlen regelmäßiges gaben im Bereich der Pflege angeht. Dies belegen
Training bzw. Schulung der Fachkräfte und auch hier vier Publikationen, die im Folgenden beschrieben
wird die Notwendigkeit eines erfahrenen Arztes und werden.
einer entsprechenden Pflegekraft für den Transport
betont.
Wie oben erwähnt, existiert kein verbindli- 10.2.1 Phänomene aus der Praxis der
cher Standard oder eine allgemeingültige Check- mündlichen Übergabe
liste für den innerklinischen Transport. Doch aus
den genannten Empfehlungen lassen sich einige Der Informationsverlust während der Übergabe war
zentrale Fragen ableiten, welche wie eine Check- Untersuchungsgegenstand von Parthum und Wein-
liste vor jedem Transport abgearbeitet werden zierl (2004). Ihre These war, dass viele Informationen
müssten. bei Verlegung eines Patienten von Intensiv- auf Allge-
55 Ist der Transport wirklich notwendig oder gibt meinstation verloren gehen. Es sollte geklärt werden,
10 es vielleicht Alternativen? ob es den Verlust tatsächlich gibt und wie hoch er ist.
55 Ist der Patient informiert? Durchgeführt wurde das Projekt auf einer interdis-
55 Ist die empfangende Abteilung in Kenntnis ziplinären Intensivstation und der nachversorgen-
gesetzt und ist auch dort eine kontinuierliche den Allgemeinstation an einem Universitätsklini-
Überwachung gewährleistet (wie ist es z. B. im kum. Anhand eines Schemas wurden die mündlich
MRT?) übermittelten Informationen während der Über-
55 Sind die Mitglieder des Transportteams gabe zunächst mit einem MP3-Player aufgezeichnet.
ausreichend qualifiziert? Ein Übergaberaster aus der Herzchirurgie, das die
55 Ist mindestens einem Mitglied des Transport- Autoren als allgemeingültig auch für andere Berei-
teams der Weg bekannt? che einschätzen, wurde für den Versuch benutzt.
55 Ist das Equipment für den Transport vorhanden Die Informationsempfänger wurden in einem
und geeignet (Akku, Gasreserve, etc.)? späteren Interview nach den behaltenen Fakten
55 Sind ausreichende Medikamente vorhanden? befragt.
55 Wie steht es um das Notfallequipment? Die Ergebnisse wurden verglichen und der
Verlust untersucht. Das Ergebnis stützt die These:
Die Kommunikation und die mündliche Informati- 42% der nachweislich übermittelten Informationen
onsweitergabe aller Beteiligten spielen immer eine wurden nach der Weitergabe nicht behalten und
zentrale Rolle. konnten nicht wiedergegeben werden. Dieses Ergeb-
nis wird von den Untersuchern noch weiter differen-
ziert und nach qualitativen und quantitativen Inhal-
10.2 Übergabe ten unterschieden. Demnach waren 68% der verlore-
nen Fakten quantitativer und 32% qualitativer Natur.
Die Informationsweitergabe zwischen Pflegenden Zwar wurden nur 14 Übergaben beobachtet, aber die
bei der Verlegung von Patienten und bei Schicht- Ergebnisse sind deutlich und aussagekräftig in Bezug
wechsel erfolgt nicht selten in mündlicher Form. auf die Qualität mündlicher Übergaben (Parthum u.
Diese sogenannten Übergaben sind im Zuge der Weinzierl 2004, S. 81–86).
10.2 · Übergabe
163 10
„Im Mittelpunkt der Patient?“ von Sabine Walther
These 1 (1997) verrät seine Intention schon im Titel. Walther
Der überwiegende Teil an Informationen – stellt in ihrem Buch unter anderem die Frage, ob die
vor allem quantitative Angaben wie etwa Übergabe ausschließlich den Patienten zum Thema
Laborwerte, Daten und Vitalparameter – kann hat, und falls nicht, wem sie dann nützt. Sie zitiert
bei einer mündlichen Übergabe verloren gehen. in diesem Zusammenhang einen Arzt, der während
ihrer aktiven Zeit in der Pflegepraxis einmal behaup-
tet hatte, ein Großteil der pflegerischen Gespräche
Eine Studie von Sexton et al. (2004) untersucht die während des Schichtwechsels bestehe aus Privatun-
Beschaffenheit der übermittelten Informationen. terhaltungen. Diesen Fragen geht die Autorin anhand
Mit der Fragestellung, ob eine pflegerische Über- von Gesprächsanalysen nach.
gabe überhaupt von Nöten sei, untersuchten sie Zunächst erläutert sie aber die übliche Form der
selbige in einem australischen Krankenhaus. Metho- Übergabe, jedenfalls so, wie sie sie während ihrer Zeit
disch wurden auch hier 23 Dienstübergaben mittels als Krankenschwester im stationären Setting erlebte.
eines Aufnahmegeräts aufgezeichnet. Anschließend Sie beschreibt dabei, welche äußeren Bedingungen
wurden die Aufzeichnungen mit den Dokumentati- schon grundsätzlich den reibungslosen Ablauf der
onssystemen verglichen. Dabei sollte geklärt werden, Übergaben stören. Dabei spielen vor allem Störun-
inwieweit sich die mündlich übermittelten Infor- gen wie Telefonanrufe oder Patientenalarme eine
mationen in der Dokumentation wiederfinden bzw. Rolle. Aber auch atmosphärische Störungen, die von
belegen lassen und ob sie die Qualität der Patienten- den anwesenden Personen selbst verursacht werden
versorgung verbessern. können, bleiben nicht unerwähnt (Walther 1997).
Im Ergebnis wurde festgestellt, dass 84,6% der Die Analyse selbst besteht aus drei Übergabege-
kommunizierten Daten auch in der Dokumentation sprächen, die von Walther beispielhaft aufgezeichnet
zu finden waren, 9,5% der gemachten Angaben waren und analysiert werden. Diese Beobachtungen werden
für die Patientenversorgung nicht relevant. Lediglich auf einer internistischen Station mit 30 Betten unter
die verbleibenden 5,9% des Inhalts der Übergabege- realen Bedingungen durchgeführt. Es wird deutlich,
spräche waren wertvoll für die Fortführung der Pflege dass der Patient durchaus nicht immer im Mittel-
und nicht in den schriftlichen Datensammlungen punkt der Gespräche steht. Es werden, im Zusam-
enthalten. In ihrer Zusammenfassung ziehen Sexton menhang mit der Übergabe, viele andere Sachver-
et al. deshalb den Schluss, dass eine Rationalisierung halte geklärt, so sind z. B. Konflikte untereinander
sowie Strukturierung der Schichtübergabe nötig und oder mit anderen Berufsgruppen ein großes Thema
damit die Verbesserung der Übergabequalität und die (Walther 1997). Wenn sich die Berichte mit dem
Verbesserung der Pflege möglich sei. Außerdem kann Patienten und seiner Krankheit auseinandersetzten,
durch diese Maßnahmen der Zeitaufwand für den dann fällt auf, dass
Schichtwechsel nach Auffassung der Autoren ver-
kürzt werden (Sexton et al. 2004, S. 37–42). » … ärztlich-medizinische Maßnahmen sehr
viel umfassender dargestellt werden als
pflegerische. Die Schwere der Krankheit hat
These 2 kaum Einfluss auf die Sprache – auch wenn über
Der überwiegende Teil von mündlichen sterbende Menschen geredet wird, überwiegt
Übergaben ist deckungsgleich mit Angaben die medizinisch-naturwissenschaftliche Sprache.
aus der schriftlichen Dokumentation. Die (…) Weicht man von dieser technischen Sprache
Übergabezeit könnte demnach sinnvoller ab, dann steht oft nicht mehr die Krankheit
strukturiert und genutzt werden. der Patienten im Vordergrund. Das ist der Fall
bei kritischen Äußerungen über die Patienten
und ihre Angehörigen, die besonders dann
Die Funktion der Übergabe wird auch von einer auftauchen, wenn von deren Seite Forderungen
deutschsprachigen Arbeit in Frage gestellt. Das Buch gestellt werden. (Walther 1997, S. 143)
164 Kapitel 10 · Schnittstellen der I­ MC-Versorgung

Lauterbach 2008b). Das ist Zeit, die in der Patien-


These 3 tenversorgung fehlt, wenn sie nicht in diesem Sinne
Die Übergabe dient unterschiedlichen genutzt wird. Die Ergebnisse könnten auch einer
Zwecken und Interessen, wobei die Informati- Argumentation Vorschub leisten, die Übergabe der
onsweitergabe über die Patienten nicht immer Patienten von Pflegekraft zu Pflegekraft bei der Verle-
im Vordergrund steht. gung sei unnötig, auch Risikopatienten wie im IMC-
Bereich könnten von Servicepersonal verlegt werden.

Ein ähnliches, aktuelleres Buch zum Thema stammt


von Andreas Lauterbach (2008a). Auch er unter- 10.2.2 Vorschläge zur Verbesserung der
sucht reale Übergaben auf einer chirurgisch-gynä- mündlichen Übergabe
kologischen Station, indem er diese aufzeichnet und
anschließend analysiert. Des Weiteren benutzt er das Verbesserungsmöglichkeiten sehen Parthum und
Material von Walther (1997) und vergleicht es mit Weinzierl (2004) darin, den häufig anzutreffenden
der eigenen Analyse. Berichtscharakter der Übergabe zu überdenken.
Seine Zusammenfassung der qualitativen Ergeb- Das Bemühen des Übergebenden, bei einem solchen
nisse ähnelt den entsprechenden Ausführungen von Bericht möglichst alle Informationen an den über-
Walther (1997). Auch Lauterbach stellt fest, dass vor nehmenden Kollegen weiterzugeben, führt zu einem
allem medizinische Fakten ausgetauscht werden. Es regelmäßigen „information overload“ (Hardey 2000,
werden viele subjektive und zumeist negative Bemer- zit. in Lauterbach 2008b). Es wird empfohlen, aus der
kungen über den Patienten und seine Angehörigen Übergabe ein Gespräch zu machen, indem der Über-
getätigt. Viele der Entscheidungen in den analysier- gebende dem Empfänger der Übergabe keinen Vortrag
10 ten Gesprächen basieren auf einer unzureichenden hält, sondern der übernehmende Kollege durch Fragen
Informationsgrundlage. So werden falsche Aussagen die benötigten Informationen aktiv fordert.
zu Medikamenten, Dosierungen oder pflegerischen Ein weiterer Ansatz besteht darin, die Übergabe
Notwendigkeiten beobachtet. Lauterbach untersucht am Patientenbett durchzuführen. Zahlreiche Veröf-
auch die Unterschiede zwischen der mündlichen fentlichungen zum Thema Pflegevisite im deutsch-
Übergabe und der schriftlichen Dokumentation. Die sprachigen Raum weisen darauf hin, dass in dieser
Datenlage hierbei ist sehr unterschiedlich, bei der Form der Übergabe eine Verbesserungsmöglich-
Hälfte der Beobachtungen gelten die Extreme: Völlige keit gesehen wird (Lauterbach 2008b). Eine ent-
Übereinstimmung (39%) und Übergabe widerspre- sprechende Literaturstudie von McKenna (1997)
chen der Dokumentation (11%). Die andere Hälfte hat zwar keinen Nachweis dafür erbracht, dass eine
liegt verschieden akzentuiert zwischen diesen Posi- Verlagerung der Informationsweitergabe ans Pati-
tionen. Nachfragen während der Übergabe sind von entenbett mit einer qualitativen Verbesserung der
Lauterbach kaum beobachtet worden, selbst bei ext- Übergabe selbst einhergeht, er verweist aber auch
remen Ungereimtheiten in der Informationsweiter- auf die Notwendigkeit weiterer Untersuchun-
gabe wird selten nachgefragt (Lauterbach 2008a). gen (McKenna 1997). Es gibt andere Arbeiten, die
Die dargestellten Untersuchungsergebnisse sind zumindest belegen, dass Patienten und Pflegende die
ernüchternd. Fehlende oder fehlerhafte Informatio- Übergabe am Bett subjektiv als Gewinn empfinden
nen, Doppelungen und nicht relevante Inhalte schei- (McFetridge et al. 2007).
nen die im ersten Abschnitt formulierten Potenziale Dem Verlust von Informationen im Rahmen der
und die tatsächlichen Ergebnisse der mündlichen Übergabe kann eventuell durch eine bessere Struk-
Übergabe im Pflegealltag zu schmälern. Selbst unter turierung begegnet werden. In einer Studie in einem
Pflegenden sind bis zu 50% der Befragten mit der österreichischen Krankenhaus wurde die Übergabe
Qualität der Informationsweitergabe nicht zufrie- der Ärzte mit der sogenannten 5-Finger-Regel struk-
den (Meißner et al. 2006). Dabei werden auf einer turiert. Dabei wurde jedem Finger einer Hand eine
30-Betten-Station bis zu 2400 h/Jahr in die münd- Kernfrage zum Patienten zugeordnet. Im Ergebnis
lichen Übergaben investiert (Gratias 2005, zit. in konnten die so geschulten Mitarbeiter signifikant
10.3 · Entlassungsmanagement
165 10
mehr Informationen erfolgreich weitergeben bzw. Festschreibung der Dauer des stationären Aufent-
behalten als eine entsprechende Kontrollgruppe haltes (Grenzverweildauer), hat die Frage nach der
(Schmidt et al. 2008). Adaptiert an die pflegerischen Planung von Entlassung und Überleitung eine hohe
Anforderungen könnte eine solche Struktur mög- Brisanz erhalten.
licherweise auch zur Qualität der Übergaben im
IMC-Bereich beitragen. » Das klassische Krankenhaus wandelt sich zu
Die mangelhafte inhaltliche Qualität der unter- einem Ort der intensiven Behandlung, Heilung
suchten Übergabegespräche kann ein Hinweis dafür und Pflege verbleiben für die Phase nach der
sein, dass auch in Bezug auf die Ausbildung Verbes- Entlassung. (Schneider 2006)
serungspotenzial überprüft werden muss. Um die
Prioritäten in einem Übergabegespräch richtig zu Das Entlassungsmanagement ist keine solitäre Maß-
setzen, braucht es ein komplexes Fallverstehen und nahme, sondern ein Prozess, der sich von der Auf-
kommunikative Kompetenz. Damit verbunden sind nahme bis zur Entlassung erstreckt und der sich auf
hohe Anforderungen an Eigenschaften und Qualifi- dem rechtlichen Anspruch der Patienten gründet,
kationen von Pflegenden (Cassier-Woidasky 2012). denn
Die unter dem Eindruck des aktuellen Personalnot-
stands in der Pflege immer wieder diskutierte Forde- » … Die Krankenhausbehandlung umfasst
rung nach Herabsetzung der Zugangsvoraussetzun- auch ein Entlassmanagement zur Lösung von
gen für den Pflegeberuf scheint vor diesem Hinter- Problemen beim Übergang in die Versorgung
grund jedenfalls fragwürdig. nach der Krankenhausbehandlung. (SGB V
Allen hier angeführten Vorschlägen gemein ist § 39; vgl. auch § 11)
die Notwendigkeit, dass sie ihr Potenzial, die Quali-
tät der Übergabe zu verbessern, noch unter Beweis Das Entlassungsmanagement versteht sich heute als
stellen müssen. Insgesamt gibt es in diesem Bereich, interdisziplinäre Aufgabe, in der Pflegenden eine tra-
nach Meinung des Verfassers, noch viel Untersu- gende Rolle zugeschrieben wird, für die der Exper-
chungsbedarf. Die Ergebnisse der Untersuchun- tenstandard Entlassungsmanagement des Deut-
gen zur mündlichen Übergabe verweisen darauf, schen Netzwerks der Qualitätsentwicklung in der
dass die schriftliche Dokumentation (Pflegebe- Pflege (DNQP) die Grundlage des Handelns darstellt
richte sowie Verlegungsberichte bzw. -protokolle) (DNQP 2004/2009).
einen hohen Stellenwert haben bei der sicheren
Informationsübermittlung. z Entlassungsmanagement im IMC-Bereich
Abschließend ist zu erwähnen, dass die Überlei- Die Voraussetzungen für ein gelingendes Entlas-
tung von einer stationären Einrichtung zur nächsten sungsmanagement bilden die Kenntnisse über die
immer auch den gesamten Pflegeverlauf berücksich- möglichen Versorgungseinrichtungen und deren
tigen muss, von der Pflegeanamnese über die Ver- Aufnahmekriterien, die Berücksichtigung des
laufsdokumentation bis hin zum Entlassungsma- aktuellen Zustands des Patienten und des Behand-
nagement. Auch für den IMC-Patienten, der sich lungsplans sowie das Wissen über die vorgesehene
auf einer Zwischenstufe der stationären Versorgung Verweildauer dar. Ein von der Pflegefachkraft begon-
befindet, ist die Frage von existenzieller Bedeutung, nenes initiales Assessment und ein von dem mit
wie seine Versorgung über die IMC-Station hinaus dem Entlassungsmanagement beauftragten Mitar-
gestaltet sein wird. beiter weitergeführtes differenziertes Assessment
zur bisherigen Lebenssituation des Patienten sind
erforderlich.
10.3 Entlassungsmanagement Für den IMC-Bereich rückt ein besonderer Aus-
schnitt des Entlassungsmanagements, die Verlegung
Mit der Einführung der Fallpauschalen (diagno- oder Entlassung in eine hochspezialisierte Rehabi-
sebezogene Fallgruppen – DRG) in der statio- litations- oder Pflegeeinrichtung in den Fokus. Im
nären Behandlung und der damit verbundenen Folgenden soll nur dieser Berücksichtigung finden,
166 Kapitel 10 · Schnittstellen der I­ MC-Versorgung

obwohl der Alltag ebenfalls andere Lösungen in Ein-


. Tab. 10.1 Frühreha-Barthel-Index (FRB) nach
zelfällen vorsehen kann. Eine Auswahl an weiterfüh- Schönle (1995)
renden Wegen:
55 in eine neurologische Frührehabilitation FRB-Index-Kriterien Punkte
(Phase B oder C)
Intensivmedizinisch –50
55 in ein spezialisiertes Pflegeheim (Phase F)
überwachungspflichtiger Zustand
55 in ein spezialisiertes ambulantes Pflegesetting
Absaugpflichtiges Tracheostoma –50
(Wohngemeinschaft)
55 zur Rückkehr nach Hause mit einer Intermittierende Beatmung –50
24-Stunden-Intensivpflege Beaufsichtigungspflichtige –50
Orientierungsstörung
(Verwirrtheit)
Neurologische Frürehabilitation (Phase B oder C) In
einer Einrichtung der neurologischen Frührehabili- Beaufsichtigungspflichtige –50
Verhaltensstörung
tation ist die Aufnahme von Patienten in einem akut-
(mit Eigen- und/oder Fremdgefährdung)
medizinisch stabilen und pflegerisch intensiv betreu-
Schwere Verständigungsstörung –25
ungsbedürftigen Zustand mit erkennbarem neuro-
logischen Verbesserungspotenzial direkt von einer Beaufsichtigungspflichtige –50
Intensiv- oder IMC-Station möglich. Schluckstörung
Zur Kategorisierung in Phase B (bis 30 Punkte)
oder C (ab 35 Punkten) wird der „Barthel-Index“,
eine nach Punkten definierte Einschätzung der aktu- vorhandenen räumlichen Kapazitäten 1–2 Wochen
ellen Fähig- und Fertigkeiten, eingesetzt (Mahoney in Anspruch.
10 u. Barthel 1965). Zusätzlich wird der differenzie-
rende Frühreha-Barthel-Index (FRB) nach Schönle Spezialisiertes ambulantes Pflegesettimg (Wohnge-
erhoben, um die Details des Zustands des Patienten meinschaft) Die Voraussetzungen sind mit denen
und der notwendigen, ggf. apparativen Unterstüt- der Entscheidung für eine Unterbringung in einem
zung in der Phase B zu definieren (. Tab. 10.1). spezialisierten Pflegeheim identisch. Ein ambulanter
Intensivpflegedienst leistet in einer Wohnung oder
Spezialisiertes Pflegeheim Zeigt sich im Verlauf der einem Haus, in dem eine unterschiedliche Anzahl
akuten Erkrankung unter Einbeziehung der bisheri- von Patienten jeweils ihr eigenes Zimmer angemie-
gen Lebens- und evtl. Pflegesituation ein eher gerin- tet hat, 24-Stunden-Pflege, meist mit einer Betreuung
ges oder gar kein erkennbares Verbesserungspoten- von 1:3 oder 1:2. Die Struktur innerhalb einer WG
zial, wird es notwendig, über eine Verlegung direkt ist meist flexibler und persönlicher als die einer sta-
in eine Pflegeeinrichtung nachzudenken. Aufgrund tionären Einrichtung.
der Schwere des zu erwartenden Pflegebedarfs und Die privaten Kosten umfassen die Miete und die
des Maßes an erforderlicher spezialisierter Behand- Ernährung, der Hauptteil der Finanzierung generiert
lungspflege (z. B. invasive Beatmung), wird nur ein sich über die von der Krankenkasse zu tragende „spe-
Phase-F-Bereich (= aktivierende, zustandserhaltende zialisierte Behandlungspflege“ und ein Anteil über
Langzeitpflege bei anhaltend hohem Pflegebedarf) die Pflegekasse. In den letzten Jahren hat sich der
den Anforderungen gewachsen sein. Dort können Markt der WGs für technologieabhängige Menschen
Patienten mit z. B. Beatmungspflicht (invasiv) und/ ausgeweitet. Bei vorhandenen Kapazitäten beträgt
oder wechselnder Vigilanz bis hin zum Wachkoma die Wartezeit ca. 2–3 Wochen bis zur abschließenden
adäquat gepflegt werden. Vorbereitung inklusive der Klärung der Kostenüber-
Von großer Bedeutung ist bei dieser Art der Ver- nahme durch die Krankenkasse.
sorgung die finanzielle Belastung der Angehörigen.
Nicht selten bewirkt dies langfristig eine deutliche Rückkehr nach Hause mit einer 24-Stunden-Intensiv-
Veränderung der Lebensumstände (z. B. Umzug in pflege Bei manchen Patienten, gerade wenn sie bei
kleinere Wohnung etc.). Die Vorbereitungszeit für Bewusstsein und noch jünger sind, ist der Wunsch
die Verlegung in die Pflegeeinrichtung nimmt bei der Rückkehr in die Häuslichkeit stark vorhanden.
Literatur
167 10
Die Pflege eines Intensivpatienten zuhause ist mit
ausreichendem Personal und bewilligter Kosten- 3. Welche Erfahrungen mit mündlichen
übernahme durchaus zu realisieren, allerdings schei- Übergaben und der Verlegung von
tert es als direkte Lösung nach Entlassung aus der Patienten im IMC-Bereich haben Sie
Klinik meist an dem nicht unmittelbar vorhandenen gemacht?
Fachpflegepersonal. 4. Versuchen Sie Ihre eigene
Häufig müssen Lösungen zur Überbrückung „Übergabe-Technik“ zu reflektieren! Gibt
gefunden werden, die z. B. erst einmal eine Ent- es Verbesserungsmöglichkeiten? Welche
lassung in ein spezialisiertes Pflegeheim oder eine Hilfsmittel stehen zur Verfügung?
spezialisierte WG bedeuten. Parallel wird ein aus- 5. Welchen Stellenwert in Ihrer pflegerischen
gewählter Intensivpflegedienst Personalakquise Tätigkeit nimmt die mündliche
betreiben, um ein Team (mind. 5 Mitarbeiter) für Übergabe ein?
die zukünftige 24-Stunden-Pflege zuhause zu bilden. 6. Überlegen Sie, wie im Fallbeispiel der
Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass Fehler bei der Patientenversorgung hätte
eine Wartezeit von mindestens 3–6 Monaten rea- vermieden werden können. Welche
listisch ist. Ursachen sehen Sie für den Fehler und wer
Darüber hinaus bleibt zu überdenken, ob es für ist verantwortlich zu machen?
den Patienten, den Partner/die Familie vorstellbar 7. Überlegen Sie anhand von konkreten
ist, ständig in Gesellschaft einer Pflegekraft in seinem Fallbeispielen aus Ihrer Praxis, welche
privaten Umfeld zu sein. weiterführende Einrichtung jeweils
geeignet ist und welche Schritte Sie zur
z Herausforderung für die Zukunft Überleitung dorthin einleiten.
55 Schon heute ist deutlich erkennbar, dass
sowohl bei ambulanten Intensivpflegediensten
als auch in spezialisierten Pflegeeinrich- Literatur
tungen und Rehakliniken das ausgebildete
­Pflegepersonal fehlt. Almeida AC, Neves AL, Souza CL, Garcia JH, Lopes JL, Barros
55 Gleichzeitig steigt der Bedarf an adäquaten AL (2014) Intra-hospital transport of critically ill adult
Versorgungsmöglichkeiten für ein Patienten- patients: complications related to staff, equipment and
physiological factors. Acta Paul Enferm 25(3): 471–476
klientel, das durch Zunahme an Multimorbi-
Cassier-Woidasky A-K (2012) Pflege eine Berufung, der Lohn
dität, Abhängigkeit von technischen Geräten Naturalien – Zurück nach vorgestern? Die Schwester/Der
und Zunahme von Infektionen mit resistenten Pfleger 51(9): 900–902
„Krankenhauskeimen“ gekennzeichnet ist. Dangel B (2004) Pflegerische Entlassungsplanung – Ansatz
55 Für Menschen mit komplexem Krankheitsbild und Umsetzung mit dem Expertenstandard. Urban &
Fischer, München
und erschwerenden Zusatzfaktoren sind kaum
Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin e.V.
Plätze in der Frührehabilitation zu bekommen, (DGAI) (2002) Intermediate Care: Entwicklung, Definition,
da ausreichende Kapazitäten fehlen. Ausstattung, Organisation und mögliche Lösungen.
http://www.dgai.de/eev/EEV_2011_S_337–344.pdf.
Für die Zukunft stellt dementsprechend das Ent- Zugegriffen: 09.2012
Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege
lassungsmanagement aus einem IMC-Bereich eine
(DNQP) (2004/1. Aktualisierung 2009) Expertenstandard
besondere Herausforderung dar. Entlassungsmanagement in der Pflege. Hochschule
Osnabrück, Osnabrück
DIVI – Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Inten-
Fragen zur Wissensüberprüfung siv- und Notfallmedizin e.V. (2004) Empfehlung der
DIVI zum innerklinischen Transport kritisch kranker,
1. Erstellen Sie eine Checkliste zum Transport
erwachsener Patienten. DIVI – Deutsche Interdisziplinäre
kritisch kranker Patienten für Ihre Praxis. Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. http://
2. Diskutieren Sie die Thesen zur mündlichen www.divi.de/images/Dokumente/Empfehlungen/­
Übergabe in diesem Kapitel. Intensivtransport/2004_Empf_innerklinischerTransport.
pdf. Zugegriffen: 15.12.2015
168 Kapitel 10 · Schnittstellen der I­ MC-Versorgung

Eikamp J (2008) Abgrenzung von Intermediate Care (IMC) ­ etween nursing staff from the emergency department
b
zu Intensivtherapiepatienten und Patienten auf einer and the intensive care unit. Nursing Crit Care 12: 261–269
Normalpflegestation durch „Medical-Scores“ – unter McKenna L (1997) Improving the nursing handover report.
­qualitativen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten am Professional Nurse 12(9): 637–639
Beispiel eines Universitätsklinikums. Pflegwissenschaft Meißner A, Hasselhorn H M, Estryn-Behar M, Nézet O, Pokorski
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http://www.patientensicherheit.ch/dms/de/themen/ Parthum A, Weinzierl A (2004) Analyse von Informationsver-
Innerklinische_Transporte_D_WEB/Empfehlungen%20 lusten bei mündlichen Patientenübergaben – eine Pilot-
Innerklinische%20Transporte%20kritisch%20kranker%20 studie. Intensiv 12: 81–86
Patienten.pdf. Zugegriffen: 15.12.2015 Schmidt C, Ramsauer B, Witzel K (2008) Risikomanagement zur
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ständnis?! Intensivmedizin 46: 313–317 Procedures aus der Luftfahrt als Vorbild für eine struk-
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169 11

Kommunikation auf einer


IMC-Station
A. König

11.1 Theoretische Grundlagen – 170


11.1.1 Schulz von Thun – 170
11.1.2 Carl Rogers – 171
11.1.3 Verbale/nonverbale Kommunikation – 172

11.2 Kommunikation im Setting Krankenhaus/IMC-Bereich – 173


11.2.1 Pflege-Patienten-Kommunikation – 173
11.2.2 Situation der Angehörigen – 174

11.3 Zielführende Kommunikation in Belastungssituationen/


Unterstützungssysteme – 174
11.3.1 Kollegiale Fallberatung – 175
11.3.2 Supervision – 176

11.4 Klinisch-ethische Fallbesprechung – 177


11.4.1 Nimwegener Methode – 177

Literatur – 179

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_11
170 Kapitel 11 · Kommunikation auf einer IMC-Station

Kommunikation ist ein unverzichtbarer Bestandteil 11.1 Theoretische Grundlagen


pflegerischen Tuns. Die Fähigkeit, in unterschiedli-
chen Situationen mit unterschiedlichen Menschen Der Begriff „Kommunikation“ geht auf das lateini-
Gespräche zu führen, zählt zu den Kernkompeten- sche „communicare“ zurück und bedeutet so viel wie
zen der Pflege. „mitteilen“.
Kommunikation im Setting Krankenhaus ist
gekennzeichnet durch Gesprächspartner mit unter- » Kommunikation bezeichnet den Austausch
schiedlichen Bedürfnissen und Ad-hoc-Gesprächs- von Informationen zwischen zwei oder
situationen ohne Vorbereitung. Die Pflegekraft mehreren Personen, wobei die Mitteilung
gestaltet diese mit Patienten, mit Angehörigen, mit sprachlich (verbal) oder/und nichtsprachlich
anderen Berufsgruppen und im Pflegeteam selbst. (nonverbal) erfolgen kann. (Köck 2008)
Bereits hier wird deutlich, dass die Bedürfnislagen
different sind und unterschiedliche Anforderungen Das Grundprinzip der Kommunikation wird verein-
an die Kommunikationsfähigkeit gestellt werden. facht so beschrieben:
Unzählige Gesprächsanlässe begleiten den Pfle-
gealltag. Der „Dienst“ beginnt mit einer mündlichen » Ein Sender übermittelt einem Empfänger
Übergabe, jeder Patientenkontakt wird begleitet von eine Nachricht und erhält über die Wirkung
einem Gespräch, Angehörige werden informiert und seiner Nachricht (teilweise) eine Rückmeldung.
beraten, Informationen werden an Ärzte und andere (Schulz von Thun in Fittkau et al. 1987)
Berufsgruppen weitergegeben – die Aufzählung ist
beliebig erweiterbar. Stellvertretend für eine Vielzahl von Kommunikati-
onsmodellen wurden zwei ausgewählt, die im Pfle-
> Gesprächssituationen auf einer gebereich einen hohen Bekanntheitsgrad aufweisen
IMC-Einheit finden in einer „Welt“ zwischen und im Arbeitsalltag vielfältig angewendet werden
können.
11 Intensivbereich und Allgemeinstation
statt. Diese Besonderheit hat vielfältige
Auswirkungen. Patienten sind in einer
Ausnahmesituation, die von Angst geprägt 11.1.1 Schulz von Thun
ist; Angehörige sind verunsichert; die
Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun wurde
erfordert gezielte und genaue Informations- 1944 geboren und war bis 2009 an der Universität
weitergabe, und das Aufgehobensein Hamburg als Psychologe tätig. Er hat viele Klassi-
im Pflegeteam trägt idealerweise zum ker zum Thema Kommunikation veröffentlicht. Sein
Stressabbau und zur Burn-out-Prophylaxe bei. Buch Miteinander reden – Störungen und Klärungen
aus dem Jahre 1981 gilt noch heute als Basisliteratur
Kommunikation rückt jedoch meist erst in unser für Menschen, die sich mit Kommunikation beschäf-
Bewusstsein, wenn Störungen auftreten. Sich unver- tigen. Er hat in dieser Reihe weitere Bände veröffent-
standen fühlen im Pflegeteam, Patienten kommen licht (Miteinander reden 2, Miteinander reden 3, Mit-
Anweisungen nicht nach oder Angehörige fühlen einander reden – Praxis, Miteinander reden – Fragen
sich nicht wahrgenommen – diese Störungen und Antworten u. a.).
erschweren den Pflegealltag, kosten Energie und Bekannt geworden ist Schulz von Thun durch
Kraft. sein Kommunikationsquadrat, welches an Aktua-
In diesem Kapitel wird ein Einblick in theoreti- lität bis heute nichts eingebüßt hat. Viele Kommu-
sche Grundlagen und die Besonderheiten der Kom- nikationsstörungen können durch Analyse mittels
munikation im Setting Krankenhaus/IMC-Bereich Kommunikationsquadrat gut sichtbar gemacht
vorgestellt. Ebenso wird dargestellt, welche Kommu- werden.
nikationsforen zur Belastungsreduktion im pflegeri- Das Kommunikationsquadrat wird heute meist
schen Alltag beitragen können. als Vier-Ohren-Modell bezeichnet. Schulz von
11.1 · Theoretische Grundlagen
171 11
Thun hat dieses Modell entwickelt als Antwort auf » Für diese Seite der Nachricht hat der
die Frage: Empfänger ein besonders empfindliches Ohr;
denn hier fühlt er sich als Person in bestimmter
» … wie können wir die verschiedenen Ansätze Weise behandelt. (Schulz von Thun, in Fittkau
der Psychologie, (…) unter einen Hut bringen, 1987)
dass sie für die praktischen Kommunikations-
probleme in einer Zusammenschau dienlich Die Beziehung wird vor allem durch das gesamte
würden? Mit der Zeit schälten sich vier Spektrum der nonverbalen Kommunikation zum
Problemgruppen heraus, die den Vorgang Ausdruck gebracht. Wie gestaltet sich Mimik und
der zwischenmenschlichen Kommunikation Gestik, in welchem Tonfall wird gesprochen, wie ist
gleichsam von vier Seiten her beleuchten. meine Körperhaltung – all dies sagt etwas über die
(Schulz von Thun 2006) Beziehung aus. Sicher ist Ihnen der Ausspruch „Der
Ton macht die Musik“ geläufig, eine typische Rück-
Ein einfaches Beispiel soll die unterschiedlichen meldung in unseren Kommunikationsseminaren
Aspekte verdeutlichen. ist „Wie etwas gesagt wird, ist wichtiger als das, was
gesagt wird“.
Beispiel Aus unserem Beispiel geht nicht hervor, wie die
Eine Pflegekraft betritt zu Dienstbeginn morgens Information übermittelt wird. Es kann von Seiten
das Patientenzimmer. Nach einer kurzen Begrüßung der Patientin ein Aufruf sein „Bitte kümmere dich
sagt eine Patientin zur Pflegekraft: „Ich habe keine um mich“, es kann ein leichter Vorwurf mitschwin-
Sekunde geschlafen von diesem ständigen Gepiep- gen „Soll ich hier noch kränker werden, weil ich nicht
se der Geräte.“ schlafen kann?“ – sicher ist, dass eine Aussage über
die Beziehung getroffen wird.
Sachinhalt Jede Nachricht enthält gewisse Infor-
mationen, diese gilt es zu verstehen. Im beruflichen Appell Mit einer Information soll etwas erreicht
Kontext wird sehr gerne auf die Sachebene hingewie- werden, wir wollen den Empfänger zu etwas
sen. „Kommen Sie auf die Arbeitsebene“ steht in Dis- bewegen.
kussionen für die Aufforderung, den Inhaltsaspekt in In unserem Beispiel würden Menschen mit aus-
den Vordergrund zu stellen. geprägtem „Appellohr“ eine starke Tendenz haben,
In unserem Beispiel wird der Sachinhalt kein die Alarme möglichst leise zu stellen.
Schlafen durch Gerätegeräusche transportiert. Den vier Ohren des Empfängers, die eine Nach-
richt aufnehmen, stehen vier „Schnäbel“ des Senders
Selbstoffenbarung Mit jeder gesendeten Nachricht gegenüber, die eine Nachricht entsenden. Diese
werden Informationen über den Sender gegeben. Schnäbel und Ohren stehen für die unterschiedli-
Sein Weltbild, seine Wertigkeiten schwingen in der chen Aspekte einer Nachricht.
Weitergabe der Sachinformation mit. Schulz von Das Modell führt eindrucksvoll vor Augen, dass
Thun bezeichnet diesen Aspekt als „kleine Kost- Kommunizieren viel mehr ist als reiner Informa-
probe der Persönlichkeit“ (Schulz von Thun 2006) tionsaustausch. Erst in Betrachtung aller Aspekte
und stellt die Verbindung von Selbstoffenbarung und können Kommunikationsprobleme verstanden
Authentizität her. werden.
In unserem Beispiel könnte die Selbstoffen-
barung darin bestehen, dass die Patientin davon
ausgeht, dass ihr Wohlbefinden und damit ein guter 11.1.2 Carl Rogers
Schlaf in den Aufgabenbereich der Pflegekraft fallen.
Carl Ramson Rogers wurde 1902 in Oak Park in Illi-
Beziehung Mit jeder Informationsweitergabe wird nois, USA geboren und starb 1987 in Kalifornien.
auch eine Aussage über die Beziehung von Sender Als Psychologe und Psychotherapeut hat er die
und Empfänger übermittelt. klientenzentrierte Gesprächsführung entwickelt,
172 Kapitel 11 · Kommunikation auf einer IMC-Station

Veröffentlichungen dazu gehen bis ins Jahr 1942


zurück. Seine Bekanntheit in Deutschland geht u. a. Erlebens desjenigen, der mit dem
auf Anne Marie Tausch zurück, die in den 1960er Patienten in Beziehung steht. Dieses
Jahren die Gedanken von Carl Rogers und seinen Offen-Sein schließt auch Echtheit in
Therapieansatz anwendete. Frau Tausch war Psy- dem Sinn ein, dass Pflegekräfte nicht
chologieprofessorin in Hamburg und hat dort unter nur als Fachpersonen in Erscheinung
anderem mit Prof. Dr. Schulz von Thun gearbeitet. treten, sondern auch und besonders
Das Konzept der klientenzentrierten Gesprächs- als Person sich dem Patienten in der
führung hat drei Elemente, die losgelöst vom Begegnung zu erkennen geben (Finke
therapeutischen Ansatz eine hohe Bekanntheit 2010).
haben.

Elemente der klientenzentrierten Die Umsetzung der theoretischen Erkenntnisse


Gesprächsführung sehen wir laut Büker „im wertschätzenden Gegen-
1. Bedingungslose positive Wertschätzung übertreten und Vermeiden von Vorurteilen, im
gegenüber der Person mit ihren bewussten Einfühlen in die subjektive Welt des
Schwierigkeiten und Eigenheiten. Patienten, in der Aufrichtigkeit in den eigenen Äuße-
Das Bedürfnis nach bedingungsloser rungen“ (Büker 2011).
positiver Wertschätzung gehört auch Nach der Annäherung über zwei Kommunikati-
zu den Grundannahmen über die onsmodelle werden nun die Besonderheiten der non-
Natur des Menschen. Beispiele sind verbalen Kommunikation vorgestellt.
das vorbehaltlose Annehmen des vom
Patienten Ausgedrückten, das Ermutigen
11.1.3 Verbale/nonverbale
11 der ratsuchenden oder leidenden Person
oder das Ausdrücken von Solidarität Kommunikation
mit dem Patienten (Finke 2010). Die
Wertschätzung und das Annehmen des Die verbale Kommunikation steht laut Duden für
Gesagten gehören zur kommunikativen die Mitteilung von Informationen mit Hilfe von
Kompetenz von Pflegekräften. Sprache. Das gesagte Wort steht im Zentrum der
2. Empathie bedeutet einfühlsames verbalen Kommunikation. Demnach ist klar, dass
Verstehen der Probleme aus der Sicht sich „die nonverbale Kommunikation (lat.: „non/
des Patienten und die Fähigkeit, verbal“: „nicht mit Hilfe der Lautsprache“) auf die
diese Empathie dem Patienten zu zwischenmenschliche Verständigung durch Gestik,
kommunizieren. Grundformen der Mimik oder andere optische Zeichen“ bezieht.
Empathie sind beispielsweise die Laut Niven und Robinson wird geschätzt, dass
Wiederholung des Mitgeteilten, die 65–70% der sozialen Bedeutung einer Unterhal-
Empathie als Konkretisierung des tung nonverbal vermittelt wird (Niven u. Robinson
Gesagten sowie auch Empathie mit Bezug 2001).
auf das organismische (haltungsprägende) Nonverbale Kommunikation findet ihren Aus-
Erleben des Patienten (Finke 2010). druck unter anderem in der Mimik, dem Blickkon-
Empathie oder einfühlsames Verstehen takt, der Berührung, der Körperhaltung, der Gestik
wird als Schlüsselqualifikation in der Pflege und der Stimme. Exemplarisch werden die Mimik,
betrachtet. Blickkontakt und Berührung hier beleuchtet.
3. Kongruenz in seiner Haltung (Echtheit,
Wahrhaftigkeit gegenüber dem Klienten): Mimik Experimente zeigen, dass der Gesichts-
Offenes Wahrnehmen des eigenen ausdruck das wichtigste nonverbale Element dar-
stellt (Niven u. Robinson 2001). Die Mimik liefert
11.2 · Kommunikation im Setting Krankenhaus/IMC-Bereich
173 11
Hinweise auf die Gefühle und interpersonalen 11.2 Kommunikation im Setting
Einstellungen. Es lassen sich 7 Hauptgruppen von Krankenhaus/IMC-Bereich
Gesichtsausdrücken für Gefühle unterscheiden:
Freude, Angst, Traurigkeit, Wut, Überraschung, Ekel 11.2.1 Pflege-Patienten-
und Interesse. Kommunikation
Hier wird deutlich, dass die genannten Gefühle
im Pflegealltag oft vorkommen und deshalb die In Leitbildern oder in den Pflegezielen einer Klinik
Kommunikation über Mimik bedeutsam ist. finden sich häufig Aussagen zum Patientenverständ-
nis bzw. zum Umgang mit Patienten. Beide dienen
Blickkontakt Das Auge ist das Fenster zur Seele, so „der Verschriftlichung gemeinsamer Werte und Ziel-
eine Alltagsweisheit. Im beruflichen Kontext suchen setzung als Orientierung in der Innen- und Außen-
wir den Blickkontakt zum Patienten und transportie- darstellung der Einrichtung“ (Schewior-Popp et al.
ren über dieses Anblicken einige Botschaften. Sicher- 2009). Hierbei stellen das Wohlbefinden und die
heit soll vermittelt werden, Verständnis, Angenom- Zuwendung wichtige Elemente der Pflege-Patien-
mensein – Pflegekräfte schaffen mit dem Blickkon- tenkommunikation dar.
takt eine Beziehungsebene zum Patienten. Men- Wohlergehen und Zuwendung werden geprägt
schen, die einem nicht in die Augen sehen können, durch eine empfindsame, bedürfnisorientierte, pati-
irritieren ebenso wie Menschen, die uns anstarren. entennahe Kommunikation. Diese ist im Klinikbe-
Wichtig ist hierbei, dass diese Verhaltensweisen kul- reich von verschiedenen Faktoren abhängig:
turell geprägt sind und Gültigkeit in den meisten 55 Person der Pflegekraft mit ihrem Alter, dem
westlichen Ländern haben – arabische Länder haben Geschlecht, dem beruflichen Werdegang,
einen anderen Umgang. der biografischen Elemente und dem
Für unsere kongruente Kommunikation ist ent- Berufsverständnis
scheidend, dass es ungut ist, „einem Patienten etwas 55 Person des Patienten mit seinem Alter,
zu sagen und gleichzeitig mit den Augen zu wider- dem Geschlecht, dem Bildungsgrad, mit
sprechen“ (Niven u. Robinson 2001). Art, Verlauf und Schweregrad seiner
Erkrankung, der Dauer des Krankenhausauf-
Berührung Berührungen sind elementarer enthaltes und den gemachten Erfahrungen im
Bestandteil vieler Pflegehandlungen. Im Kontext Krankenhaus
der Kommunikation sei betont, dass die Art und 55 Institutionellen Rahmenbedingungen
das Ausmaß der Berührung dem Empfänger wich- mit Fachdisziplin, Arbeitsorganisation,
tige Beziehungsinformationen geben. Beispiel- Unternehmens- und Pflegeethik,
haft sei auf die Initialberührung in der Basalen Sti- Stationsbesetzung
mulation hingewiesen. Basale Stimulation ist ein 55 Situativen Bedingungen mit Tageszeit, Phase
Konzept zur Förderung, Pflege und Begleitung der Krankheitsverarbeitung, zu verrichtende
schwerstbeeinträchtigter Menschen, das 1975 von Pflegehandlung, Schmerz- und Bewusst-
Andreas Fröhlich, Professor für Sonderpädago- seinslage (in Anlehnung an Darmann 2000)
gik, in der Zusammenarbeit mit geistig/körperlich
mehrfach behinderten Kindern entwickelt wurde. Weiterhin ist die Pflegekraft-Patienten-Beziehung
In den 1980er Jahren wurde das Konzept zusam- gekennzeichnet durch eine ungewohnte körperli-
men mit der Krankenschwester Christel Bienstein che Nähe, die Reaktionen auf beiden Seiten hervor-
in die Erwachsenenpflege erfolgreich übertragen. rufen kann.
Der Begriff Basale Stimulation meint hier eine dem In diesem Spannungsfeld entwickeln Pflegekräfte
Patienten angebotene, angenehm und eindeutig ihre kommunikative Kompetenz. Sie ist laut Menche
wahrnehmbare Information (Stimulation) über sich (2011) gekennzeichnet durch:
oder die Umwelt, die an bekannte und elementare 55 Ausbalancieren von Nähe und Distanz
(basale) Erfahrungen anknüpft (Nydahl u. Bartoszek 55 Trennen von Inhalts-/Sachebene und
2012). Beziehungsebene
174 Kapitel 11 · Kommunikation auf einer IMC-Station

55 Erkennen der eigenen Interpretationen und 55 Fragen offen und ehrlich beantwortet zu
Gefühle bekommen
55 Einstellen auf den Gesprächspartner 55 In der Nähe des Patienten sein zu können
55 Beherrschen verschiedener Gesprächssitua- 55 Das Gefühl zu haben, dass die Pflegenden für
tionen (Menche 2011) den Patienten da sind (Kean 2010)

Für Pflegekräfte bleibt die große Herausforderung,


11.2.2 Situation der Angehörigen einerseits professionell zu agieren, ihr ganzes Fachwis-
sen in die pflegerische Arbeit einzubringen und gleich-
Angehörige gehören zum Alltagsbild einer Pflege- zeitig darauf zu achten, dass Personen, wenn sie krank
station. Aus einer Studie des Instituts für Pflegewis- sind, sich in einem Ausnahmegeschehen befinden.
senschaft der Universität Wien zum Thema Angehö-
rige auf Intensivstationen (Nalg-Cupal 2011) können > Für die Pflegenden im IMC-Bereich ist es
wichtige Informationen auch für die Arbeit im IMC- elementar, dass sie die professionelle Distanz
Bereich gewonnen werden. einerseits und die emotionale Anteilnahme
Die Situation von Angehörigen ist geprägt von an der Situation der Patienten sowie der
Angst, Unsicherheit, Ungewissheit für die Zukunft, Angehörigen andererseits miteinander
sie sind abhängig von Informationen des medizini- vereinbaren.
schen und pflegerischen Personals. Sie erleben sich
als Mittelsperson zwischen ihrem erkrankten Fami- Um diese widersprüchlichen Anforderungen und
lienmitglied und dem Personal. Nicht selten sind der Erwartungen an die Rolle der Pflegenden zu bewäl-
Anblick der auf Station gängigen Gerätschaften, die tigen, bieten Verfahren der Beratung und Supervi-
Monitor- und Alarmgeräusche sowie das veränderte sion Hilfestellung, die im nächsten Abschnitt vor-
Aussehen ihres erkrankten Familienmitgliedes neu gestellt werden.
und beängstigend. Auch für Angehörige, die medi-
11 zinische Bildung haben und den „Anblick gewöhnt“
sind, stellt die Erkrankung nicht selten eine große 11.3 Zielführende Kommunikation
Belastung dar, die sonst professionelle Distanz zum in Belastungssituationen/
Patienten ist aufgehoben. Unterstützungssysteme
Laut Studienergebnis ist für Angehörige wichtig:
55 Den eigenen Beitrag zum Überleben und am Die Ausgestaltung pflegerischer Arbeit hat sich in
Genesungsprozess zu leisten den letzten Jahren deutlich gewandelt.
55 Immer da zu sein, um Sorge zu tragen und zu Waren davor die Ergonomie und physischen
beschützen Belastungen stark im Fokus, nehmen die psychischen
55 Schutz des Kranken, wenn das, was deren Belastungen aktuell einen großen Raum ein. Gerin-
Identität ausmacht, bedroht ist, oder die Würde ger Einfluss auf die Arbeitsabläufe und Zeitdruck
und die körperliche Integrität drohen, verletzt sind Risikofaktoren für psychische Erkrankungen
zu werden am Arbeitsplatz. Finden Pflegekräfte keinen Weg
55 Das Familienmitglied vor sich selber zu zur Veränderung dieser Situationen oder Möglich-
schützen keiten, ihre Pflegeideale mit den Anforderungen des
55 Alles außerhalb der Erkrankung zurückzu- Arbeitsalltags in Einklang zu bringen, ist die Gefahr
stellen (Nagl-Cupal 2011) einer psychischen Dekompensation gegeben.

Internationale Forschungen zum Critical Care » Unter Belastung versteht man objektive,
Family Needs Inventory zeigen folgende Bedürfnisse von außen auf den Menschen einwirkende
Angehöriger intensiv erkrankter Menschen: Faktoren wie z. B. Lärm, Zeitdruck oder
55 Hoffnung haben widersprüchliche Erwartungen an Mitarbeiter.
55 Jeden Tag Informationen zu erhalten (Gabler Wirtschaftslexikon 2012)
11.3 · Zielführende Kommunikation in Belastungssituationen/Unterstützungssysteme
175 11
Es gibt viele Instrumente, die aktiv eingesetzt werden, Unterstützt werden er und der Fallerzähler durch den
um diesen Belastungen zu begegnen. Einige ausge- Sekretär, der die wichtigsten Punkte im Beratungs-
wählte sollen hier vorgestellt werden. prozess schriftlich festhält. Weiterhin gibt es einen
Fallerzähler, der seine Geschichte in die Gruppe ein-
bringt und die Kollegialen Berater.
11.3.1 Kollegiale Fallberatung Mit der Phase 2 beginnt die inhaltliche Arbeit,
Tietze nennt sie Spontanerzählung. Hier berichtet
Laut Herwig-Lempp ist kollegiale Beratung der Fallerzähler in 5–10 Minuten, welche Situation,
Problemstellung aufgetreten ist. Es werden alle Infor-
» … eine wechselseitige Reflexion unter mationen gegeben, die zum Verständnis für die Kol-
Kolleginnen und Kollegen mit dem Ziel, legialen Berater notwendig sind. Am Ende dürfen
Anregungen für die berufliche Praxis zu Verständnisfragen gestellt werden.
erhalten. (Herwig-Lempp 2004) Die Phase 3, die Schlüsselfrage, wird durch den
Moderator eingeleitet. Er hinterfragt beim Fallerzäh-
» Laut Tietze ist kollegiale Beratung … eine ler, welche Schlüsselfrage er an die Berater in Bezug
wirksame Beratungsform in Gruppen, bei auf sein Thema hat. Diese Frage macht deutlich,
der sich die Teilnehmer wechselseitig zu welche Zielrichtung der Fallerzähler verfolgt – der
schwierigen Fällen ihres Berufsalltags beraten, Moderator kann unterstützend eingreifen.
um Lösungen für problematische Situationen In Phase 4, der Methodenwahl, geht es darum,
mit Mitarbeitern oder Kunden zu entwerfen. aus einem Instrumentenbaukasten ein Tool aus-
Auf diese Weise lernen sie, berufliche Probleme zuwählen, mit dem die Beratung stattfinden soll.
besser zu bewältigen, Kooperations- und Es gibt verschiedene Methoden, die zum Einsatz
Führungsverhalten zu entwickeln, fundiertere kommen können, eine der bekanntesten ist das
Entscheidungen zu treffen, Belastungen zu Brainstorming.
vermindern und erfolgreicher zu handeln. Nun beginnt die „eigentliche Beratung “ –
(Tietze 2003) Phase 5. Die Kollegialen Berater verbalisieren ihre
Ideen, der in Phase 1 benannte Sekretär schreibt
Aus beiden Definitionen wird deutlich, dass diese die Ideen mit, der Moderator koordiniert die Wort-
Methode einen hohen Praxisbezug hat. Pflegekräfte meldungen. Der Fallerzähler hört nur zu und lässt
bringen ihre Fragestellungen, ihre Probleme in die das Gesagte auf sich wirken. Diese Phase sollte
Runde ein. Bedeutsam ist, dass in diesem Ansatz 10 Minuten nicht überschreiten.
jeder das Repertoire zur Lösung von schwierigen Die Phase 6, der Abschluss, wird vom Modera-
Situationen bereits in sich trägt. Es braucht nicht tor eingeleitet, indem er dem Fallerzähler die Frage
zwingend Menschen mit einer speziellen Ausbil- stellt, welche Ideen er hilfreich findet in Bezug auf
dung oder Weiterbildung, die zur Lösung beitragen. seine Schlüsselfrage. Der Fallerzähler gibt den Bera-
Es findet ein moderierter Gedankenaustausch auf tern eine Rückmeldung und bedankt sich für die
gleichberechtigter Ebene statt. Beratung. Der Moderator schließt die Beratungs-
Es gibt unterschiedliche Abläufe der Kollegialen runde, es kann nun ein neuer Fall besprochen
Beratung. Tietze hat ein Sechs-Phasen-­Modell ent- werden oder die Kollegiale Beratung findet ihren
wickelt, welches als Grundgerüst genutzt werden Abschluss.
kann. Eines der übergeordneten Ziele der Kollegia-
len Beratung ist die Verbesserung der beruflichen
z Phasen der Kollegialen Beratung Praxis. Tietze spricht von einer „Praxisberatung
Der Beginn wird von Tietze als Casting bezeichnet. near the job: Lösungen für konkrete Praxisprobleme,
Hier werden die Rollen festgelegt. Es ist notwendig, Reflexion der beruflichen Tätigkeit und der Berufs-
dass ein Moderator die Sequenz leitet, die Gruppe rolle sowie der Qualifizierung durch den Ausbau
durch die einzelnen Phasen führt und beachtet, von praktischen Beratungskompetenzen“ (Tietze
dass nicht „gesprungen wird“ während der Phasen. 2003).
176 Kapitel 11 · Kommunikation auf einer IMC-Station

11.3.2 Supervision
realisieren sich in konkreten
Die Beschreibungen und Definitionen zum Begriff supervisorischen Beziehungen.
Supervision sind vielfältig. Der Begriff wird hier 44 Themen und durch den Kontext geprägte
näher beleuchtet, da außer Frage steht, Beziehungen charakterisieren die jeweilige
supervisorische Situation“ (Schreyögg
» … dass Supervision eine sozialwissenschaftlich 2010).
fundierte Praxeologie sein muss, da sie in
gesellschaftlich wichtigen Bereichen (z. B.
Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen) und
Institutionen (z. B. Krankenhäuser, Altenheime, Supervision kann als Einzel-, Gruppen- und Team-
Schulen, Verwaltungen) und hier in sensiblen supervision erfolgen. Im Klinikbereich kommt eine
Diskretionsräumen zum Einsatz kommt. besondere Form der Gruppensupervision, die Balint-
(Petzold et al. 2003) Gruppe, häufiger zum Einsatz.

z Integratives Modell der Supervision z Balint-Gruppe


In Bezug auf das Handlungsfeld Pflege wurde das Michael Balint war ein ungarischer Psychoanalytiker,
integrative Modell der Supervision von Schreyögg der in London praktiziert hat.
ausgewählt. Sie unterscheidet zwischen der admi-
nistrativen und der Clinical Supervision (Schreyögg » Das gruppensupervisorische Setting ist so
2010). Zur Anwendung kommt im Pflegebereich vor- angelegt, dass sich 6 bis 10 Personen gleicher
rangig die Clinical Supervision, die durch fünf basale Berufsgruppenzugehörigkeit wöchentlich
Charakteristika gekennzeichnet ist: einmal mit einem Psychoanalytiker treffen.
(…) Diese als Fallseminare angelegten

11 Integratives Modell der Supervision


Supervisionsgruppen sollen sich möglichst
ganz ausschließlich der inhaltlichen Arbeit
44 „Inhaltlich ist sie auf deine widmen, sodass spontane Beziehungs-
­Auseinandersetzung mit sozialen phänomene innerhalb der Gruppe eher
Handlungsvollzügen von Praktikern unerwünscht sind. (Schreyögg 2010)
zentriert und soll diese unterstützen,
ihre Praxis im weitesten Sinne besser als An vielen Kliniken kommt die Balint-Gruppe in
bisher zu tun. Dabei sind deren personale modifizierter Form zum Einsatz. Abweichungen zu
Muster sowie die Kontextmuster zu oben genannter Ausführung stellen die Gruppen-
beachten. größe (diese kann mehr als 10 Personen umfassen –
44 Sie realisiert dies über drei potenzielle meist ganze Stationsteams) und die Berufsgruppen-
Beratungsaufgaben: eine kognitiv-­ zugehörigkeit (meist multiprofessionelle Teams – mit
orientierte Fachberatung, eine Ärzten, Krankengymnasten, Ergotherapeuten …) dar.
­psychotherapie-ähnliche Beratung oder
die Organisationsberatung. > Kollegiale Beratung ist ein Instrument, um
44 Diese thematischen Auseinander- schwierige Situationen aus dem Pflegealltag
setzungen mit ihren potenziellen in Gruppen von Pflegenden selbst zu
Beratungsaufgaben stehen jeweils in bearbeiten.
einem kontextuellen Rahmen. (…)
44 Diese thematischen Auseinander- Ein weiteres Instrument zur Bewältigung des
setzungen mit ihren jeweiligen Arbeitsalltages stellt die Klinisch-Ethische Fallbe-
kontextbezogenen Beratungsaufgaben sprechung dar. Dieses Instrument wird im folgen-
den Abschnitt dargestellt.
11.4 · Klinisch-ethische Fallbesprechung
177 11
11.4 Klinisch-ethische beschreiben. Dies ist wichtig, um die verschiedenen
Fallbesprechung Fragestellungen der einzelnen Beteiligten sichtbar
zu machen. Hierin kann schon ein Konfliktpotenzial
Die ethische Fallbesprechung ist begründet sein. Zudem knüpft diese Vorgehensweise
bei der ärztlichen Sichtweise an, nach der es zunächst
» der systematische Versuch, im Rahmen um einen Patienten mit einer konkreten Lebens- und
eines strukturierten, von einem Moderator Krankengeschichte geht, bevor klinisch-chemische
geleiteten Gesprächs mit einem multidiszi- Aufnahmebefunde oder Ergebnisse apparativer
plinären Team innerhalb eines begrenzten Untersuchungen in den Blick kommen.
Zeitraums zu der ethisch am besten Um Situationen bewerten zu können, muss es
begründbaren Entscheidung zu gelangen. ein geteiltes Verständnis geben, was „der Fall ist“.
(Steinkamp u. Gordijn 2003) Deshalb steht in einem zweiten Schritt die Fakten-
sammlung an. Hier kommen vor allem die pflegeri-
Aufgrund der rasanten Entwicklung der Medizin mit schen Aspekte und die mögliche Weltanschauung des
all ihren technischen und medikamentösen Möglich- Patienten zum Tragen. Diese komplettieren die ärzt-
keiten entstehen Konfliktsituationen, in denen die lich-medizinischen Aspekte. In dieser Phase darf und
Interessen der Patientinnen und Patienten und des muss alles gesagt werden dürfen, was für die jeweilige
therapeutischen Teams kollidieren können. Auch im Patientensituation relevant erscheint.
IMC-Bereich gibt es diese Situationen, die sich als In der Phase der Bewertung geht es um die Auto-
enorme Belastung für das Pflegepersonal darstellen. nomie des Patienten, sein Wohlbefinden und die
Die ethische Fallbesprechung ist eine klärende Verantwortlichkeit aller an der Versorgung Beteilig-
Verständigung über die Normen und Werte, die in ten. Eine angstfreie Diskussion über Normen und
einer klinischen Situation zu beachten sind. Dabei Werte hilft bei einer Annäherung an eine „Lösung“.
ist eine wichtige Zielsetzung die Minimierung der Nur durch das Abwägen unterschiedlicher Positi-
rechtlichen und moralischen Unsicherheit. Erreicht onen kann ein ethisches Problem einer Entschei-
wird dies durch einen moderierten Dialog von allen dung zugeführt werden. Diese Diskussion und sys-
an der Versorgung des Patienten Beteiligten. Das tematische Besprechung einer Fallsituation wird
Einbringen der jeweiligen Fachkompetenz und der vom Moderator dann in die Beschlussfassung
u. U. jeweiligen berufsbezogenen Perspektive eröff- übergeführt. Es kann vorkommen, dass im Verlauf
net die Möglichkeit, eine erarbeitete Entscheidung der ethischen Fallbesprechung ein anderes als das
auf eine breite Basis der Akzeptanz zu stellen. anfangs benannte ethische Problem als Hauptprob-
Die bekannteste Methode zur Durchfüh- lem erkannt wird. Deshalb wird bei der Beschluss-
rung ist die Nimwegener Methode für ethische fassung zunächst die Eingangsfrage wiederholt: „Wie
Fallbesprechungen. lautet nun das ethische Problem?“
Entscheidend ist, dass eine möglichst hohe
Transparenz für alle an der Versorgung Beteiligten
11.4.1 Nimwegener Methode geschaffen wird.
Es empfiehlt sich, die Fallbesprechung und die
Die Methode ist praxisorientiert und umfasst vier Beschlussfassung schriftlich zu fixieren. Hierzu ent-
Schritte: wickeln viele Kliniken eigene Formulare (. Abb. 11.1).
55 Problembeschreibung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die
55 Faktenerhebung Kommunikation und Interaktion auch im IMC-Be-
55 Bewertung reich eine große Bedeutung hat. Patienten sind durch
55 Beschlussfassung ihre Ängste und Unsicherheiten darauf angewie-
sen, dass Pflegekräfte ein hohes Maß an Sicherheit
Im Rahmen der Problembeschreibung wird ver- geben, ohne die Individualität außer Acht zu lassen.
sucht, das ethische Problem möglichst konkret zu Angehörige vertrauen darauf, dass die professionell
178 Kapitel 11 · Kommunikation auf einer IMC-Station

Muster Seite1
von 1
Ethische Fallbesprechung Formular
Nr.

Name: geb.: __________________________


____________________________________________
Datum: ________________________

Teilnehmer:
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_____________________________________________________________________________

Situation:
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_____________________________________________________________________________

_____________________________________________________________________________

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Meinungen:
_____________________________________________________________________________
11 _____________________________________________________________________________

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_____________________________________________________________________________

_____________________________________________________________________________

Konsens möglich? ❑ Ja ❑ Nein

Ergebnis:
_____________________________________________________________________________

Unterschrift der Teilnehmer mit Funktion:


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_____________________________________________________________________________

_____________________________________________________________________________

erstellt: Änderungsstatus Freigabe: Datum


0

. Abb. 11.1 Beispiel Fallbesprechung. (Aus Schmidt 2012)


11.4 · Klinisch-ethische Fallbesprechung
179 11
Pflegenden sie behutsam an die Patientensituation Literatur
heranführen.
Arnold R (2001) Kompetenz. In: Arnold R, Nolda S, Nuissl E:
Wörterbuch Erwachsenenpädagogik, 9. Aufl. Klinkhardt,
Praxistipp Regensburg
Bobbert M (2012) Ärztliches Urteilen bei entscheidungsfähi-
Die Pflegekräfte selbst sollten Wege finden, gen Schwerkranken. Mentis, Münster
um im Team und berufsgruppenübergreifend Büker C, Dir A (2011) Kommunikation im Pflegealltag. Überra-
schende Reaktionen. Pflegezeitschrift 11: 684–686
nie „sprachlos“ zu werden. Der Austausch
Darmann I (2000) Kommunikative Kompetenz in der Pflege.
mit anderen und die Verbalisierung von Kohlhammer, Stuttgart
belastenden und beanspruchenden Situation Finke J (2010) Gesprächspsychotherapie. Grundlagen und
stellt eine wichtige Burn-out-Prophylaxe dar. spezifische Anwendungen, 4. Aufl. Thieme, Stuttgart
Fittkau B, Müller-Wolf HM, Schulz von Thun F (1987) Kommu-
nizieren lernen und umlernen (5). Hahner Verlagsgesell-
schaft, Aachen-Hahn
Gabler Wirtschaftslexikon (2012) Beanspruchung und Belas-
Fragen zur Wissensüberprüfung: tung. Gabler, Wiesbaden.http://wirtschaftslexikon.gabler.
1. Beschreiben Sie in Ihren Worten die de/Definition/beanspruchung-und-belastung.html.
vier Seiten einer Nachricht, auch Zugegriffen: 16.12.2015
Geißler-Piltz (2005) Klinische Sozialarbeit. Reinhard, München
Vier-Ohren-Modell genannt.
Herwig-Lempp J (2004) Ressourcenorientierte Teamarbeit.
2. Was kennzeichnet die Kommunikation im Systemische Praxis der kollegialen Beratung. Vandenho-
Krankenhaus? eck & Ruprecht, Göttingen
3. Welche Bedeutung haben nach Ihrer Hillmann KH (1994) Wörterbuch der Soziologie, 5. Aufl. Kröner,
Einschätzung die Elemente Wertschätzung, Stuttgart
Köck P (2008) Wörterbuch für Erziehung und Unterricht. Brigg
Empathie und Kongruenz in der
Pädagogik, Augsburg
Begegnung mit Patienten? Kean S (2010) Wissen wollen – Informationsbedürfnisse der
4. Wenn Sie „in sich hineinhören“ – wie Angehörigen von Intensivpatienten. Pflege 2010: 67–68
viel Bedeutung messen Sie nonverbaler Menche N (2011) Pflege heute, 5. Aufl. Elsevier, München
Kommunikation bei? Nagl-Cupal M (2011) Funktion und Gestaltung familiärer Hil-
fen im Angesicht existenzieller Erfahrungen von Angehö-
5. Wie beeinflusst die körperliche Nähe der
rigen auf der Intensivstation. PR Internet 5: 289–298
Pflegeaufgaben die Kommunikation? Niven N, Robinson J (2001) Psychologie für Pflegende.
6. Was ist nach Ihrer Einschätzung in Huber, Bern
der Begegnung mit Angehörigen im Nydahl P, Bartoszek S (2012) Basale Stimulation, 6. Aufl.
IMC-Bereich wichtig? Decken sich Ihre Urban & Fischer, Elsevier, München
Petzold H, Schigl B, Fischer M, Höfer C (2003) Supervision auf
Aussagen mit den Studienergebnissen von
dem Prüfstand. Wirksamkeit, Forschung, Anwendungsfel-
Nagl-Cupal? der, Innovation. Leske und Budrich, Obladen
7. Welche belastenden Momente treten Schewior-Popp S, Sitzmann F, Ullrich L (2009) Thiemes Pflege.
im Pflegealltag auf einer IMC-Station Thieme, Stuttgart
auf? Schreyögg A (2010) Supervision – ein integratives Modell. VS
Verlagsgruppe für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
8. Geben Sie in Ihren Worten die Phasen der
Schulz von Thun F (2006) Miteinander reden 1. Störungen und
Kollegialen Beratung wieder. Klärungen, 44. Aufl. Rowohlt, Hamburg
9. Welchen Stellenwert hat das Thema Schwarz R (2009) Supervision und professionelles Handeln
Entscheidungsfindung im IMC-Bereich? Pflegender. VS Verlagsgruppe für Sozialwissenschaften,
10. Die Nimwegener Methode zur Wiesbaden
Stefan H, Eberl J, Allmer F (2009) POP Praxisorientierte Pflege-
ethischen Fallbesprechung umfasst
diagnostik. Springer, Wien
vier Schritte, um zu einer tragfähigen Steinkamp N, Gordijn B (2003) Ethik in der Klinik – ein Arbeits-
ethischen Entscheidung zu kommen. buch. Luchterhand, Neuwied
Mit welchen ethischen Dilemmata Schmidt S (2012) Achtsamkeit und Wahrnehmung in Gesund-
waren Sie schon im Arbeitsalltag heitsfachberufen. Springer, Heidelberg
Tietze K-O (2003) Kollegiale Beratung. Problemlösungen
konfrontiert?
gemeinsam entwickeln. Rowohlt, Hamburg
181 II

Lernen an Fallbeispielen
aus der Praxis
Kapitel 12 Fallbeispiel Sepsis – 183
B. Trierweiler-Hauke

Kapitel 13 Fallbeispiel Kardiologie – Herzinsuffizienz – 195


A. Noll

Kapitel 14 Fallbeispiel Kardiochirurgie – Aortenaneurysma – 207


B. Meier

Kapitel 15 Fallbeispiel Neurologie – Myasthenia gravis – 215


I. Meyer

Kapitel 16 Fallbeispiel Stroke Unit – Schlaganfall – 227


N. Moritz

Kapitel 17 Fallbeispiel Viszeralchirurgie –


Pankreasresektion – 235
M. Wüsten

Kapitel 18 Fallbeispiel Pulmologie – COPD – 245


J. Busch

Kapitel 19 Fallbeispiel Transplantation –


Lebertransplantation – 251
K. Siegel

Kapitel 20 Fallbeispiel Neurochirurgie – Hirndruck – 263


K. Kleem

Kapitel 21 Fallbeispiel Gynäkologie – Präeklampsie – 277


D. Wengert
183 12

Fallbeispiel Sepsis
B. Trierweiler-Hauke

12.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild – 184


12.1.1 Einteilung der Sepsis – 185
12.1.2 Diagnose – 185
12.1.3 Prävention – 186
12.1.4 Therapie – 187

12.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte – 188


12.2.1 Desorientiertheit – 188
12.2.2 Initialtherapie und Fokussuche – 190
12.2.3 Ausscheidung und Kapillarleck – 191
12.2.4 Verhütung von Folgeschäden – 191

12.3 Überlegungen zum Patientenerleben – 192

Literatur – 193

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_12
184 Kapitel 12 · Fallbeispiel Sepsis

Beispiel 44 Laborwerte: unauffällig – CRP rückläufig nach


Bei Herrn Feld, 88 Jahre alt, der vor 3 Wochen regel- postoperativem Anstieg, jedoch Abfall der
mäßig Blut im Stuhl bemerkte, unter Appetitlosigkeit Leukozyten von 10,95/nl auf 3,64/nl
leidet und innerhalb von 2 Jahren 13 kg Gewicht ver-
loren hat, wurde eine 4 cm große blumenkohlartige Herr Feld wird mit dem Verdacht auf Sepsis auf die
Raumforderung 8 cm ab ano festgestellt. Anamnes- IMC-Station verlegt.
tisch ist neben einem arteriellen Hypertonus noch
eine Hitatushernie bekannt. Herr Feld versorgt sich
selbstständig und ist laut Aussage seiner Familie 12.1 Medizinische Grundlagen
manchmal etwas vergesslich. Bei dem bei ihm dia- zum Krankheitsbild
gnostizierten Rektumkarzinom (TxNxG2L1) wird
eine TAR (tiefe anteriore Resektion) und TME (totale Der Sepsis geht eine Inflammation = Entzündung
mesorektale Exzision) mit Anlage einer transversen voran. Die Entzündungsreaktionen sind:
Coloplastie und protektiver Ileostomaanlage durch- 55 Dolor („Schmerz“)
geführt. Nach einer 4-stündigen Operation wird Herr 55 Calor („Hitze“)
Feld 6 ½ Stunden im Aufwachraum überwacht und 55 Rubor („Rötung“)
dann wach, ansprechbar, kreislaufstabil und schmerz- 55 Tumor („Schwellung“)
kompensiert mittels einer PCA-Pumpe auf die Allge- 55 Functio laesa („Funktionsverlust“)
meinstation verlegt. Die erste Nacht und der erste
Tag auf der Allgemeinstation verlaufen für Herrn Feld Die Inflammation kann durch thermische, chemi-
vollkommen unauffällig. Herr Feld wird sofort mobi- sche und physikalische Schädigungen, durch Infek-
lisiert, er absolviert seine Atemtherapie und er darf tionen oder ein Trauma ausgelöst werden. Eine
trinken (Fast-Track-Surgery-Konzept). In der zweiten inflammatorische Reaktion des Körpers hat das Ziel,
Nacht bittet er darum, dass das Licht an bleiben soll, das schädigende Agens und die Folgen zu beseitigen.
er möchte häufiger aufstehen und beginnt, an seinem Die Inflammation kann akut oder chronisch, lokal
zentralen Venenkatheter zu manipulieren. Erklärt man und systemisch ablaufen.
ihm die Situation, dann ist er einsichtig und stoppt die Als Sepsis wird eine Invasion von Mikroorganis-
12 Manipulation kurzfristig. Der Tag verläuft, auch weil men und/oder ihrer Toxine in den Blutstrom zusam-
seine Familie den ganzen Tag anwesend ist, sehr ruhig, men mit der Reaktion des Organismus auf diese Inva-
Darmgeräusche sind vorhanden, der Bauch ist weich, sion beschrieben (Bone 1989). Es ist unerheblich, ob die
Kreislauf und Atmung normal. Alle Überwachungs- Infektion bakteriell, viral, fungal oder parasitär ist, da
und Laborparameter sind normwertig. In der dritten alle Erreger eine Sepsis auslösen können. Im Folgenden
postoperativen Nacht schläft Herr Feld überhaupt kommt es nun zu einer Aktivierung immunkompeten-
nicht. Da er nun eine Sitzwache wegen der Manipu- ter Zellen und zur Ausschüttung primärer Inflamma-
lationsversuche in der vergangenen Nacht hat, kann tionsmediatoren wie TNF-α (Tumornekrosefaktor α)
er mit dem Studenten ständig spazieren gehen. Am und IL-1 (Interleukin 1). Durch das Freisetzen von
nächsten Morgen ist er klar und fühlt sich nach eige- weiteren Mediatoren wird die primäre Immunantwort
ner Aussage gut. Er erhält ein Klysma, da sein Stoma weiter verstärkt und es kommt zu einem sogenannten
noch nicht fördert und bei einem überblähten Abdo- Zytokinsturm. Neben der Hyperinflammation kommt
men wird ihm eine Magensonde gelegt, die auch über es auch zu einer antiinflammatorischen Reaktion, die
1800 ml fördert. Innerhalb der nächsten 4 Stunden durch die antiinflammatorischen Substanzen (wie lös-
verschlechtert sich sein Zustand sehr schnell. liche TNF-α-Rezeptoren, IL-1-­Rezeptorantagonisten,
44 Leichte Verwirrtheit wechselt in komplette IL-4, IL-10) und durch einen programmierten Zelltod
(persönlich, zeitlich, örtlich) Desorientierung (Apothose) immunkompetenter Zellen (DSG 2015).
44 Abfall des Blutdrucks von 140/70 mmHg auf Schnelle Atmung + niedriger Blutdruck + veränderter
80/50 mmHg Bewusstseinszustand = Sepsisverdacht.
44 Tachykardie bis 110/min In der neuen Sepsis-3 Leitlinie wird mit diesem
44 Sauerstoffsättigungsabfall bis 86% – nach Gabe von treffsicheren Satz das Erkennen der Sepsis erleichtert
6 l Sauerstoff über eine Maske Anstieg bis auf 93% (Singer et al, 2016).
12.1 · Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild
185 12

. Tab. 12.1 The Third International Consensus Definitions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3)

Schnelles Erkennen • Verwirrtheit


der Sepsis → • systolischer Blutdruck ≤100 mmHg
Sepsisverdacht / • Atemfrequenz >22/min
Quick SOFA (qSOFA)
Sepsis Eine Sepsis ist eine lebensbedrohliche Organdysfunktion aufgrund einer fehlregulierten
Körperantwort auf eine Infektion, die dabei den körpereigenen Geweben und Organen schadet.
Organdysfunktion Eine Organdysfunktion kann durch eine Zunahme von ≥2 Punkten im SOFA-Score aufgrund
einer Infektion erkannt werden.
SOFA-Score • PaO2/FiO2 ratio (Horowitz index)
(Sequential [Sepsis • Glasgow Coma Skala
related] Organ • Mittlerer arterieller Blutdruck
Failure Assessment • Gabe von Vasopressoren
Score) • Serumkreatinin oder Urinausscheidung
• Bilirubin
• Thrombozytenzahl
Septischer Kreislaufreaktion +zelluläre und metabolische Veränderungen sind so tiefgreifend, dass das
Schock Sterberisiko deutlich erhöht ist.
Klinische Kriterien
→p  ersistierende Hypotension, bei der Vasopressoren eingesetzt werden müssen, um einen
mittleren arteriellen Druck von ≥65 mmHg zu erreichen
→ Anstieg der Laktatkonzentration >2 mmol/l trotz ausreichender Flüssigkeitszufuhr

– Renale Eine Diurese von ≤0,5 ml/kg/h


12.1.1 Einteilung der Sepsis
Dysfunktion für wenigstens 2 Stunden trotz
ausreichender Volumensubs-
Der Verlauf bzw. der Schweregrad der Sepsis wird titution und/oder ein Anstieg
unterteilt wie in . Tab. 12.1 dargestellt. des Serumkreatinins >2-fach
oberhalb des lokal üblichen
Die möglichen Organdysfunktionen (MODS =
Referenzbereiches
„multiple organ dysfunction syndrome“) (ACCP/
– Metabolische Base Excess ≤–5 mmol/l oder
SCCM 1992): Azidose eine Laktatkonzentration >1,5-
fach oberhalb des lokal übli-
– Akute Eingeschränkte Vigilanz, Desori-
chen Referenzbereiches
Enzephalopathie entiertheit, Unruhe, Delirium
– Relative oder Abfall der Thrombozyten um
absolute mehr als 30% innerhalb von
12.1.2 Diagnose
Thrombozytopenie 24 Stunden oder Thrombo-
zytenzahl ≤100.000/mm3. Eine
Thrombozytopenie durch akute Die Diagnose der Sepsis kann eine Herausforderung
Blutung oder immunologische sein, da es derzeit keinen Parameter gibt, der allein
Ursachen muss ausgeschlossen
sein
zur Diagnose der Sepsis führt (. Tab. 12.2, DSG 2015).
– Arterielle PaO 2 ≤10 kPa (≤75 mmHg)
Hypoxämie unter Raumluft oder ein
> Eine Bakteriämie findet sich in Abhängigkeit
PaO 2/FiO 2-Verhältnis von von einer antibiotischen Vorbehandlung nur
≤33 kPa (≤250 mmHg) unter bei durchschnittlich 30% der Patienten mit
Sauerstoffapplikation. Eine schwerer Sepsis oder septischem Schock.
manifeste Herz- oder Lungen-
Bei ebenfalls 30% der Patienten liegt kein
erkrankung muss als Ursache
der Hypoxämie ausgeschlos- mikrobiologisch gesicherter Infektionsnachweis
sen sein trotz klinisch wahrscheinlicher Infektion vor.
186 Kapitel 12 · Fallbeispiel Sepsis

. Tab. 12.2 Diagnosemöglichkeiten

Verdacht Was und wie?

V.a. Sepsis – Blutkulturen (BK): 2–3 BK-Paare (aerob und anaerob) vor antimikrobieller Therapie (bei
bestehender Antibiotikatherapie unmittelbar vor der nächsten Antibiotikagabe)
V.a. Pneumonie – Röntgen-Thorax (keine, diffuse oder lokalisierte Infiltrate)
– Trachealsekret – Gewinnung vor antimikrobieller Therapie
V.a. Katheter- und – Bei V.a. auf Kathetersepsis: Katheter entfernen und mikrobiologisch untersuchen
Fremdkörpersepsis – Blutkulturen vor Entfernung des ZVK über den liegenden Katheter und zeitgleich über
eine periphere Vene abzunehmen
– Bei Vorliegen einer eitrigen Sekretion aus dem Stichkanal wird empfohlen, Abstriche
abzunehmen und eine Katheterneuanlage durchzuführen, wobei die neue Punktion
fern von der infizierten Punktionsstelle erfolgen sollte
Chirurgische Infektionen – Gewinnung Nativmaterial (Gewebe) oder Wundabstriche und eine Gramfärbung
und intraabdomineller – Sonographie, dann erst CT
Fokus
– Punktion verdächtiger Areale unter sonographischer bzw. radiologischer Kontrolle und
das Punktat mikrobiologisch untersuchen
V.a. invasive Candida- – Bei neutropenischen, immunsupprimierten und bei Patienten nach abdominal
Infektion chirurgischen Eingriffen und solchen nach prolongierter antibiotischer Vorbehandlung
Abnahme von Blutkulturen zum Nachweis einer Candida-Infektion
V.a. akute bakterielle – CCT vor Lumbalpunktion, um einen erhöhten intrakraniellen Druck auszuschließen
Meningitis – Zur Sicherung der Diagnose wird eine sofortige Gramfärbung im Liquor empfohlen

> Für einen routinemäßigen Wechsel > Erste und einfachste Maßnahme =
12 intravasaler Katheter, um das Risiko einer Händedesinfektion. Vor und nach jedem
Bakteriämie zu vermindern, gibt es keinen Patientenkontakt und vor jeder Maßnahme
Hinweis. Deshalb werden intravasale an Kathetern und Drainagen.
Katheter nur bei Anzeichen einer Infektion
gewechselt. 55 Konsequente Einhaltung der Hygieneleitlinien
(7 Kap. 8)
55 Frühmobilisation (7 Kap. 9) und Atemtherapie
12.1.3 Prävention (7 Kap. 3)
55 Spezielle Schulungsprogramme zur Infektions-
Laut Aussage der Global Sepsis Alliance, die auch prävention für das Intensivpersonal sollen
den jährlich stattfindenden Welt-Sepsis-Tag initi- das Auftreten von -ventilatorassoziierten
iert, nehmen ungeachtet aller medizinischen Fort- Pneumonien (VAP), ZVK-assoziierten Bakte-
schritte Sepsiserkrankungen in besorgniserregendem riämien und katheterassoziierten Harnweg-
Ausmaß zu. Die im Krankenhaus behandelten Sep- infektionen reduzieren (Babcock et al. 2004;
sisfälle haben sich im Laufe der letzten 10 Jahre ver- Pronovost et al. 2006; Stephan et al. 2006).
doppelt. In Deutschland erkranken jährlich 180.000 55 Eine Infektionserfassung von VAPs und
Menschen an einer Sepsis und nur 120.000 Menschen ZVKs, die Analyse der Veränderungen und
überleben. Zwischen 15.000 und 20.000 Sepsis-To- ein Vergleich mit anderen Stationen sind
desfälle sind vermeidbar (World Sepsis Day 2015). zu empfehlen. Der Umgang mit Kathetern,
Welche Maßnahmen helfen, eine Sepsis zu Sonden und Ableitungen erfolgt nach hygieni-
verhindern? schen Richtlinien (7 Kap. 8)
12.1 · Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild
187 12
55 Frühe orale bzw. enterale Ernährung bei
. Tab. 12.3 Tarragona-Strategie (Sandiumenge
chirurgischen Patienten mit Operationen am 2003)
Gastrointestinaltrakt (7 Kap. 6)
55 Orale Antiseptika zur Mundpflege (7 Kap. 8) Hit hart and – So früh wie möglich eine adäquate
55 Impfungen gegen Pneumokokken von early empirische Antibiotikatherapie einleiten
Patienten mit anatomischer oder funktioneller Look at your – Erkennen, welches Organ am ehesten
Asplenie (http://www.asplenie-net.org/) patient betroffen ist
55 Quantitativ und qualitativ ausreichende – Individuelle Risikofaktoren
Personalausstattung berücksichtigen
Listen to – Resistenzstatistik des eigenen
> Tägliche Überprüfung der Indikation von your hospital Krankenhauses kennen

Kathetern und Drainagen. Entferne jeden Get to the – Ausreichende Dosierung, um effektive
Katheter und jede Drainage, die nicht point Gewebespiegel zu erreichen

notwendig sind. Focus, focus, –P


 ermanente Evaluation des Verlaufs
focus – Deeskalieren
– Therapiedauer begrenzen
12.1.4 Therapie

z Sepsis Bundle = Sepsisbündel 44Wunderöffnung und Nekrektomie,


Ein Sepsisbündel umfasst die zielgerichtete Therapie Amputation und Fasziotomie
innerhalb der ersten Stunden nach Diagnosestellung. 44Behandlung von Peritonitis, Anastomo-
Die Einführung solcher Behandlungsbündel konso- seninsuffizienz und Ileus durch Peritoneal-
lidiert das Verhalten der Mitarbeiter und verbessert lavage, Drainage oder Enterostomie (AWMF
die Therapieergebnisse (Kortgen et al. 2006). Leitlinie Sepsis 2010)
Feedback zur Weiterbildung und Ergebnisver- 55 Antimikrobielle Therapie nach Abnahme von
besserung hat sich als geeignet erwiesen, das Ver- Blutkulturen (7 Abschn. 12.1.2) – innerhalb
halten von Klinikern zu verändern, und wird in einer Stunde nach Diagnosestellung der Sepsis
Zusammenhang gebracht mit verbesserten Ergeb-
nissen und einer gesteigerten Kosteneffizienz bei Anwendung der Tarragona-Strategie Siehe . Tab. 12.3.
schwerer Sepsis.
> Jede Stunde Verzögerung bei der Gabe
Praxistipp einer effektiven kalkulierten Antibiotika-
therapie im septischen Schock erhöht die
Erstellen Sie einen Sepsis-Pathway, der alle Mortalitätsrate um 7% (Kumar et al. 2006).
notwendigen Behandlungsschritte aufzeigt
und der interprofessionell genutzt wird. z Supportive Therapie
Hämodynamische Stabilisierung Ziel: Erreichen
eines adäquaten zellulären O2-Angebotes unmittel-
bar nach Diagnosestellung der schweren Sepsis bzw.
z Kausale Therapie des septischen Schocks (Rivers et al. 2001).
55 Fokussanierung – zeitnah! Die Fokussanierung
zählt zu der wichtigsten Maßnahme zur Welche Zielwerte werden angestrebt?
Behandlung der Sepsis: 55 Zentraler Venendruck (ZVD): 8–12(15) mmHg
44Entfernung von Implantaten, Kathetern, 55 Mittlerer arterieller Druck (MAP): >65(75)
Gefäßprothesen, Osteosynthesematerial, <95 mmHg
Gelenkersatz 55 Gemischt-venöse Sauerstoffsättigung
44Inzision bzw. CT-gestützte Drainage von (ScvO2):>70%
Abszessen 55 Basenüberschuss (BE): <–6
188 Kapitel 12 · Fallbeispiel Sepsis

55 Laktat: <4 mmol/l Prophylaxe der tiefen Beinvenenthrombose und


55 Hämoglobin (Hb): >7 g/dl Stressulcusprophylaxe nur bei Blutungsrisiko.

Zur hämodynamischen Stabilisierung werden kristal- Ernährung Früher B eginn (innerhalb von
loide Infusionslösungen (Kat. 1B) initial 30 ml/kg Kör- 48 Stunden) der enteralen Ernährung und schritt-
pergewicht (KG) (Kat. 1 C) verabreicht. Die Diagnose weise Erhöhung der Kalorienzufuhr binnen 7 Tagen,
des Volumenmangels kann mittels einfachen Anhe- bis der kalorische Bedarf gedeckt ist.
bens der Beine, ohne den Druckaufnehmer der arte-
riellen Messung zu verändern (Autotransfusion), z Adjunktive Therapie
gestellt werden (Huschak et al. 2015). Bei hohem Volu- Im therapierefraktärem septischen Schock kann
menbedarf, wenn ein Kolloid gegeben werden soll, Hydrokortison (Anstieg des systemvaskulären
kann Humanalbumin verabreicht werden (Kat. 2B). Widerstandes) mit einer Dosierung von 200 mg/
Die Überwachung der Stabilisierung wird mittels Tag als kontinuierliche Infusion angewendet werden
direkter arterieller Blutdruckmessung empfohlen. (Kat. 2 C und 2D) (Briegel 2013).
Wird die Anhebung des MAP >65 mmHg nicht
erreicht, werden Vasopressoren wie Noradrenalin
eingesetzt. Adrenalin ggf. additiv und Dobutamin 12.2 Pflege- und
bis 20 μg/kg/KG/min, wenn ein „low cardiac output“ Überwachungsschwerpunkte
vorliegt und der ein MAP >65 mmHg noch nicht
erreicht ist. Hierzu sollte ein erweitertes Monitoring > Die Sepsis kommt auf leisen Sohlen, beginnt
mittels PICCO („pulse contour cardiac output“) und dann zu laufen und galoppiert uns schnell
Echokardiographie genutzt werden (Briegel 2013). davon.

Nierenersatzverfahren Die Gabe von Diuretika Die Überwachungskompetenz der Pflegenden spielt
führen nicht zu einer Verbesserung des akuten Nie- hier eine extrem wichtige Rolle. Kleine Verhalten-
renversagens (ANV). Die Behandlung des ANV sänderungen, z. B. dass der Patient plötzlich sehr viel
erfolgt mittels kontinuierlicher oder intermittieren- mehr redet als vorher oder dass der Patient sich plötz-
12 der Nierenersatzverfahren. Kontinuierliche Verfah- lich falsch herum ins Bett legt, können ein Hinweis
ren erleichtern die Steuerung der Flüssigkeitsbilanz. auf eine beginnende Sepsis sein. Das Beobachten und
Beschreiben von Verhaltensänderungen wird hoch
Airway Management – oxymetrische Sauerstoffsätti- gewertet und permanent evaluiert genauso wie eine
gung über 90% Gelingt eine initiale Stabilisierung Veränderung des Blutdrucks.
des Patienten nicht, so ist der Patient frühzeitig zu Ist der Patient plötzlich schläfrig, teilnahms-
beatmen und zur weiteren Therapie auf eine Intensiv- los, unruhig, verwirrt, euphorisch oder aggres-
station zu verlegen. Dort erfolgt eine lungenprotektive siv, dann wird ein Sepsis-Früherkennungsbogen
Beatmung mit niedrigen Zugvolumina, Plateaudrü- ausgefüllt (. Abb. 12.1). Dieser Erhebungsbogen
cken <30 cmH2O, immer mit einem PEEP (positiver erleichtert die Evaluation der Patientensituation
endexspiratorischer Druck) und bei einem schweren und verbessert die Kommunikation im therapeu-
ARDS („adult respiratory distress syndrome“) werden tischen Team.
Bauchlagerung und Rekrutierungsmanöver empfoh-
len. Die minimal mögliche Analgosedierung wird
nach Stabilisierung mit täglichen Aufwachversuchen 12.2.1 Desorientiertheit
gestaltet. (AWMF Leitlinie Sepsis 2010) (7 Kap. 3).
Die Einschätzung der postoperativen neurologischen
Blutprodukte Zurückhaltendes Transfusionsregime Situation von Herr Feld ist eine große Herausforde-
mit Zielwerten zwischen 7 und 9 g/dl. rung. Die von den Angehörigen beschriebene Ver-
gesslichkeit kann nicht klar von einer mutmaßlichen
Stationsinternes Protokoll Etablierung eines sta- septisch bedingten Enzephalopathie unterschieden
tionsinternen Protokolls zur Glukosekontrolle, werden. Vor allem auch deshalb, weil Herr Feld im
12.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
189 12
SIRS-/Sepsisverdacht-Checkliste
Sepsiszeichen

Bewusstsein schläfrig □
Neurologie
teilnahmslos □

unruhig □

verwirrt □

euphorisch □

aggressiv (auch verbal) □

Herz-Kreislauf Herzfrequenz ≥ 90 Schläge/min erhöht □

RR < 90 mmHg □

Atemfrequenz ≥ 20/min □

Temperatur > 38°C □

≤ 36°C □

Leukozyten ≥ 12000/mm³ □

≤ 4000/mm³ □

Organdysfunktion deutliche Abnahme der Urinmenge bei adäquater □


Flüssigkeitssubstitution

Kreatinin ↑ (Ausgangskreatinin) □

Thrombozytopenie ≤ 150.000 mm³ □

AT III ↓, Quick ↓ □

Leberenzymwerte erhöht □

Metabolische Azidose pH-Wert erniedrigt (<7,3) □

Laktat ↑ □

Infektionsherd? Zentraler Venenkatheter □

Urinkatheter □

Peritonitiszeichen/Abdomen auffällig □

Wundinfektion oder auffällige □


Drainagenverluste

Vermehrte pulmonale Sekretion mit □


subjektiver und objektiver
Verschlechterung der Atmung

Datum:__________________
Pflegende:_______________

. Abb. 12.1 Sepsisverdacht-Checkliste


190 Kapitel 12 · Fallbeispiel Sepsis

Beisein seiner Angehörigen ruhig und kooperativ ist


. Tab. 12.4 „I watch death“ (Wise 1996)
und nicht an seinen Ableitungen manipuliert.
Infektion „infections“ I
> Zur Beurteilung einer akut auftretenden Entzug „withdrawal“ W
Desorientiertheit ist differenzialdiagnostisch
Akute metabolische „acute metabolic“ A
so lange von einer Sepsis auszugehen, bis Störungen
das Gegenteil bewiesen ist. Die septische
Trauma „trauma“ T
Enzephalopathie bleibt eine Ausschluss-
Pathologische „CNS pathology“ C
diagnose, die jedoch mit einer Mortalität von
Erkrankungen des ZNS
16–63% einhergeht (Eidelmann 1996).
Hypoxie „hypoxia“ H

Die septische Enzephalopathie oder das sepsisasso- Mangelerkrankungen „deficiencies“ D


ziierte Delir ist charakterisiert durch eine potenziell Endokrinopathien „endocrinopathies“ E
reversible und generalisierte Einschränkung zerebra- Akute vaskuläre „acute vascular“ A
ler Funktionen. Die Symptome können von geringen Erkrankungen/Ischämie
Störungen der Wahrnehmung, über Desorientierung, Toxine/Drogen „toxins/drugs“ T
Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, bis hin
Schwermetallver­ „heavy metals“ H
zum vollständigen Verlust des Bewusstseins reichen giftungen
Eine einfache Einschätzung des kognitiven Status
erfolgt auf einer Allgemeinstation mittels des Uhren-
tests (Thalmann et al. 1996), der überprüft, ob der
Patient 12 Zahlen aufmalt, ob die Zahl 12 oben ist, ob z Maßnahmen
zwei unterschiedliche Zeiger vorhanden sind und ob Die ruhige Führung eines Patienten mit Desorien-
die gezeichnete Uhr mit der vorgegebenen Fahrplan- tiertheit, sei es septisch oder nicht septisch bedingt,
zeit übereinstimmt. Dieser Test wurde bei Herrn Feld folgt immer den gleichen Regeln (7 Kap. 7).
nicht durchgeführt, da bei ihm vor der Operation In unserem Beispielfall bleiben die Angehöri-
nicht der Eindruck einer kognitiven Einschränkung gen den ganzen Tag bei Herrn Feld und während der
12 bestand, er das Anamnesegespräch mit der Pflegen- Nacht unterstützt ein Student, der viel mit Herrn Feld
den selber führte und seine Familie nur von einer auf dem Flur läuft (7 Kap. 7).
leichten Vergesslichkeit sprach. Die Einschätzung des Jedoch zeigte Herr Feld außer der Desorientiert-
kognitiven Status eines 88-Jährigen nach einer Ope- heit keine weiteren Symptome, die auf eine Sepsis
ration ist schon etwas komplizierter, da viele Risiko- schließen ließen.
faktoren, die ein Delir auslösen können, wie Schmer-
zen, Hör- und Sehbehinderung, fremde Umgebung
(häufige Raumwechsel, aber auch Katheter) und kör- 12.2.2 Initialtherapie und Fokussuche
perliche Beschränkung, vorliegen.
Weitere Ursachen, die ein Delir bedingen Ausschlaggebend für die Verlegung auf die IMC-Sta-
können, zeigt das Schema „I watch death“ (Wise tion war der starke Blutdruckabfall auf 80/50 mmHg,
1996, . Tab. 12.4). die Tachykardie, der Sättigungsabfall und der Leu-
Unterschieden werden zwei Formen des Delirs: kozytensturz auf 3,64/nl. Die Verwirrtheit wird jetzt
das hyperaktive Delir, das sich durch psychomoto- erst in Zusammenhang mit dem vermuteten septi-
rische Unruhe bis zum Erregungszustand, lautes schen Verlauf gebracht.
Halluzinieren, Angst und starke vegetative Zeichen Der massive Blutdruckabfall erklärt sich über
(Schwitzen, Zittern, Herzrasen, Bluthochdruck) eine starke Vasodilatation, die durch den Mediator
zeigt, und das hypoaktive Delir, bei dem der Patient NO (Stickstoffmonoxid) ausgelöst wird. Die Vasodi-
keinen Kontakt aufnimmt, scheinbar bewegungsarm latation verringert zudem die kardiale Vorlast.
ist und wenig vegetative Zeichen hat. Halluzinatio- Mit der Sepsis kommt es zu einer Kardiomyopa-
nen und Desorientiertheit werden erst durch genaue thie, deren Resultat eine reduzierte Ejektionsfraktion
Befragung deutlich. und eine diastolische Dilatation des linken Ventrikels
12.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
191 12
ist. Ein ausreichendes Schlagvolumen kann aufrecht- 12.2.3 Ausscheidung und Kapillarleck
erhalten werden, weil das linksventrikuläre enddia-
stolische Volumen erhöht ist. Die Urinausscheidung von Herrn Feld beträgt nur
Herr Feld benötigt nun eine schnelle Diagnostik noch 50 ml/h, ein ZVD von 2 mmHg wurde gemes-
und Therapie. Neben der Erstversorgung mit sen und das Lactat beträgt 2,7 mml/l.
55 Anschließen an das Monitoring, Im Rahmen der initialen Stabilisierung von
55 Weiterführung der Sauerstofftherapie mit 6 l O2, Patienten im septischen Schock bis zum Erreichen
55 Abnahme von zwei Blutkulturpaaren (aerob eines ZVD von 8–12 mmHg wird die Messung des
und anaerob), ZVD zur Diagnose des Volumenmangels empfoh-
55 Volumentherapie mittels Kristalloiden, len. Das erforderliche Volumen wird in Form von
Messung des ZVD (Siegler et al. 2015) und Kristalloiden verabreicht. Endothelzellen werden
Start eines Noradrenalin-Perfusors (Appli- durch zytotoxische Substanzen geschädigt und
kation über einen sogenannten daraus resultiert eine Störung der Mikrozirkula-
Katecholaminschenkel, der eine tion. Dies bewirkt die Ausbildung eines Kapillar-
unterbrechungsfreie Gabe gewährleistet) lecks, das den Austritt intravasaler Flüssigkeit in das
sowie Interstitium erlaubt. Dieses sepsisbedingte Kapil-
55 Abnahme einer gemischt-venösen Sauerstoff- larleck („capillary leak“) führt dazu, dass das ver-
sättigung (ScvO2) (ScvO2 beträgt 64% und abreichte Volumen nicht intravasal bleibt und so
Lactat ist 2,8 mmol/l) den schon vasodilatativ bedingten Flüssigkeitsver-
lust verstärkt.
erfolgt die Kausaltherapie mit: Auf die Gabe von Diuretika wird verzichtet, da
55 Gabe des verordneten Breitbandantibiotikums, die Urinproduktion mit der Volumengabe wieder
starten dürfte. Sollte die Urinausscheidung weiter
dann die Fokussuche: abnehmen bzw. ganz versiegen, wird nach einer Shal-
55 Anlage einer arteriellen Kanüle und don-Anlage eine kontinuierliche Nierenersatzthera-
Bestimmung der arteriellen Blutgase, pie durchgeführt.
55 Sonographie des Abdomens, Die Sepsis ist die häufigste Ursache des akuten
55 Röntgen-Thorax zum Ausschluss einer Nierenversagens (ANV) auf der Intensivstation
Pneumonie (Schmidt et al. 2010). Die Hypotonie führt zu einer
55 und nach Stabilisierung der Transport Verringerung des renalen Blutflusses und diese Min-
zum CT, derperfusion führt dann zu einem Abfall der glome-
55 Procalcitonin(PCT)-Bestimmung zur rulären Filtrationsrate.
besseren Steuerung der Antibiotikatherapie Kommt es bei septischen Patienten im Rahmen
mit dem Ziel, die Dauer der Antibiotikathe- einer Multiorgandysfunktion zu einem ANV, dann
rapie zu verkürzen (Hochreither u. Schröder steigt trotz eingesetzter Nierenersatztherapie die
2011). Letalitätsrate auf bis zu 75% (ACCP 1992).
Die Verluste über die Magensonde, die auf der
> Alle Maßnahmen bei der Aufnahme eines Allgemeinstation schon 1800 ml betrugen, können
Patienten mit Verdacht auf eine Sepsis zu einer metabolischen Alkalose (7 Abschn. 3.3.9)
erfolgen parallel. Wichtig ist, dass wann führen. Die hohen Volumenverluste müssen in die
immer es geht, Blutkulturen vor der Bilanz eingerechnet und ersetzt werden.
Verabreichung der verordneten Antibiose
abgenommen werden.
12.2.4 Verhütung von Folgeschäden
Im CT wird eine Anastomoseninsuffizienz erkannt.
Dies erklärt die bislang ausgebliebene Stomaförde- Ein Multiorgandysfunktionssyndrom (MODS)
rung und den hohen Reflux über die Magensonde. oder auch MOV (Multiorganversagen) wird durch
Die Angehörigen von Herrn Feld werden informiert, die ausgeprägten kardiozirkulatorischen Störungen,
weil er sofort revidiert werden soll. die auch die Organperfusion und Mikrozirkulation
192 Kapitel 12 · Fallbeispiel Sepsis

betreffen, begünstigt und ist die häufigste Todesur- 12.3 Überlegungen zum
sache der Sepsis. Patientenerleben

z DIC – Disseminierte intravasale Gerinnung Neben der großen Operation, die schon ein alleiniges
Das Gerinnungssystem wird einerseits aktiviert hohes Risiko für den 88-jährigen Herrn Feld darstellt,
und gleichzeitig kommt es zu einer Hemmung der ist das Auftreten der Sepsis ein Extremrisiko. Herr
Antikoagulation. Feld spürt, dass der Blutdruckabfall lebensbedroh-
Die Folgen sind eine verstärkte Blutungsneigung, lich ist, denn er äußert immer wieder Sätze wie „Oje,
z. B. aus allen Stichkanälen oder von Schleimhäu- wenn ich das nur überlebe“. Der erneute Wechsel von
ten in Mund und Nase, und zeitgleich eine höhere der Allgemeinstation auf die IMC-Station verunsi-
Gerinnbarkeit mit dem Auftreten von septischen chert ihn stark. Die Hypotonie erfordert, dass Herr
Thrombosen. Feld im Bett liegen bleiben soll. Neben dem vorange-
55 Prophylaxe einer tiefen Venenthrombose gangen Schlafentzug zählen eine fremde Umgebung
(Kat. 1B) medikamentös und mechanisch und die Immobilisation zu den delirogenen Noxen.
(medizinischer Thromboseprophylaxe- Die neu gelegten Katheter und die vielen und unge-
Strumpf [MTS] und pneumatische wohnten Geräusche verstärken dies noch mehr.
Kompression) Innerhalb kürzester Zeit wird aus einem Men-
55 Monitoring der Gerinnung, Beobachtung schen, der über sein Leben selber bestimmt und
und Dokumentation der Blutungen, Entscheidungen trifft, ein Mensch, der vollkommen
Manipulationsreduktion abhängig ist.
Herr Feld hat Angst.
z Durchblutungsstörungen der Akren Andererseits kann sich Herr Feld auch durch die
Die Mikrozirkulation von Händen und Zehen, sofort eingeleitete Intensivbetreuung sicher fühlen,
auch Ohren und Nase (Akren) der Patienten da die Anhebung des Blutdrucks und die Behand-
kann bei schlechter Hämodynamik stark verrin- lung der Tachykardie für ihn spürbare Erleichterung
gert sein, sodass sich trockene Gangräne entwi- bringen und ihn ruhiger werden lassen.
ckeln können. Seine Angehörigen begleiten ihn mit dem
12 55 Verbesserung der Hämodynamik und Behandlungsteam zur CT-Untersuchung und erklä-
Mikrozirkulation durch eine ren ihm dann mit ihren Worten, warum er noch
adäquate Volumensubstitution und einmal operiert wird. Die Angehörigen bleiben bis
Katecholamintherapie zur Operation bei Herrn Feld.
Wer eine Sepsis überlebt, hat ein hohes Risiko,
z CIP und CIM neurokognitive Langzeitdefekte zu entwickeln. Neben
Die Critical-Illness-Polyneuropathie (CIP) ist eine allen Maßnahmen zur Delirprävention und zum
Erkrankung des peripheren Nervensystems, die auf- Umgang mit Patienten im Delir ist eine ruhige und
grund der septischen Entzündungsreaktion auftritt. wertschätzende Kommunikation eine wichtige Säule.
Es kann sich auch eine Critical-Illness-Myopathie Sätze, die Aussagen „Sie müssen“ oder „Sie sollen“
(CIM) entwickeln. Auftretende muskuläre Schwä- oder „Sie dürfen nicht“ enthalten, sind zu vermeiden.
chen und Atrophien können zu einer verzögerten
Entwöhnung vom Respirator und weiteren Sekun- > Pflegende, die mit ihren Patienten im
därkomplikationen führen. Beide Erkrankungen Imperativ sprechen, erleben sehr viel
sind nur schwer voneinander abzugrenzen. Die Pati- häufiger Widerstand und Unwillen.
enten benötigen oft eine neuromuskuläre Rehabilita-
tion. Bei leichten Verläufen ist die Prognose der CIP
gut, lebenslange neuromuskuläre Defizite können Anregungen für den Unterricht
nach schweren Verläufen bleiben (Judemann et al. 1. Das Fallbeispiel wird vorgegeben. Die
2011). Teilnehmer stellen eigene Überlegungen
55 Frühe Mobilisation von Intensivpatienten zum Krankheitsbild an.
55 Frühe Physiotherapie
Literatur
193 12
Judemann K et al. (2011) Erworbene Muskelschwäche beim
2. Das Fallbeispiel und die medizinischen kritisch Kranken: Critical-Illness-Polyneuropathie und
Critical-Illness-Myopathie. Anaesthesist 60: 887–901. DOI
Grundlagen werden vorgegeben. Die
10.1007/s00101-011-1951–7
Teilnehmer erarbeiten die medizinischen Kortgen A, Niederprüm P, Bauer M (2006) Implementation
und pflegerischen Maßnahmen und of an evidence-based „standard operating procedure”
diskutieren diese in der Gruppe. and outcome in septic shock. Crit Care Med 34(4):
3. Die Teilnehmer recherchieren im Internet 943–949
Kumar A et al. (2006) Duration of hypotension before initiation
den Zusammenhang zwischen Sepsis und
of effective antimicrobial therapy is the critical determin-
Asplenie. ant of survival in human septic shock. Crit Care Med 34:
4. Ein Poster für den Welt-Sepsis-Tag soll 1589–1596
kreiert werden. Pronovost P, Needham D, Berenholtz S et al. (2006) An inter-
5. Einige Teilnehmer versetzen sich in die vention to decrease catheter related bloodstream infecti-
ons in the ICU. N Engl J Med 355(26): 2725–2732
Rolle eines Angehörigen und stellen ihren
Rivers E, Nguyen B, Havstad S et al. (2001) Early goal-directed
Kollegen Fragen zur Sepsis. Die Aufgabe therapy in the treatment of severe sepsis and septic
für die befragten Kollegen besteht darin, shock. N Engl J Med 345(19): 1368–1377
die Fragen verständlich zu beantworten. Sandiumenge A, Diaz E, Bodi M et al. (2003) Therapy of venti-
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Zugegriffen: 18.12.2015
195 13

Fallbeispiel Kardiologie –
Herzinsuffizienz
A. Noll

13.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild – 196


13.1.1 Herzinsuffizienz – 196
13.1.2 Akute Linksherzinsuffizienz – Lungenödem – 198

13.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte – 200


13.2.1 Ausscheiden – 200
13.2.2 Atmung – 201
13.2.3 Bewegung – 201
13.2.4 Nahrungsaufnahme – 202

13.3 Überlegungen zum Patientenerleben – 204

Literatur – 205

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_13
196 Kapitel 13 · Fallbeispiel Kardiologie – Herzinsuffizienz

Beispiel die Leistungsminderung, Müdigkeit, Belastungs-


Herr Wiese, 50 Jahre alt, leidet seit seinem Myo- dyspnoe. In der weiterführenden Diagnostik:
kardinfarkt mit ST-Streckenhebung (STEMI), den 55 EKG: Tachykardie
er vor einem Jahr erlitten hat, an einer Linksherz- 55 Körperliche Untersuchung: Leistungsmin-
insuffizienz. In den frühen Morgenstunden war es derung; Ödeme; Hepatomegalie
plötzlich zu starker Atemnot gekommen, weshalb 55 Sonographie: Kardiomegalie
der Notarzt durch seine Frau verständigt wurde. 55 Auskultatorisch: Pulmonal feuchte
Bei Eintreffen des Notarztes saß Herr Wiese schwer Rasselgeräusche
atmend bei offenem Fenster im Sessel. Die Atem-
hilfsmuskulatur wurde eingesetzt. Die Aufnahme Hinzu kommt der Nachweis einer zugrunde liegen-
auf unsere IMC-Station erfolgte durch den Notarzt den Herzerkrankung, wie sie in den Ursachen näher
aufgrund kardialer Dekompensation mit schwerster benannt werden (Busch 2011).
Dyspnoe. Herr Wiese erhielt insgesamt 10 mg Mor-
phin und 80 mg Furosemid intravenös sowie Sauer- z Ursachen
stoff über eine Sauerstoffmaske. Bei Aufnahme war 55 Myokardiale Ursachen:
Herr Wiese tachykard mit einer Herzfrequenz von 44Koronare Herzkrankheit (KHK)
140 Schlägen pro Minute. Des Weiteren wurde eine 44Hypertensive Erkrankung
Hypertonie (190/100 mmHg) diagnostiziert. Der 44Kardiomyopathie
Patient war kaltschweißig und agitiert. Die Sauer- 44Myokarditis
stoffsättigung lag, trotz einer Sauerstoffgabe von 55 Angeborene und erworbene Herzfehler
12 l/min, bei 82%. Aufgrund der ermittelten Werte 55 Tachy- und Bradyarrhythmien
wurde Herr Wiese mit einem zentraler Venenka- 55 Intoxikationen
theter, einer arteriellen Verweilkanüle und einem
transurethralen Blasendauerkatheter ausgestattet. Die Formen der Herzinsuffizienz werden nach der
Unter der Verdachtsdiagnose der hypertensiven betroffenen Herzseite, dem zeitlichen Verlauf der
Entgleisung mit konsekutivem Lungenödem erhielt klinischen Symptome sowie der Auswirkung auf die
er nochmals 80 mg Furosemid fraktioniert intrave- Leistungsfähigkeit unterschieden.
nös und zur Analgosedierung erfolgsadaptiert bis Von einer Linksherzinsuffizienz spricht man,
zu 5 mg Morphin, kombiniert mit Dimenhydrinat wenn die linksventrikuläre Pumpfunktion einge-
13 zur Verhinderung von morphinbedingter Übelkeit. schränkt ist. Ist der rechte Ventrikel geschädigt,
Zur Verbesserung der Oxygenierung wurde eine spricht man von einer Rechtsherzinsuffizienz. Sind
CPAP-Therapie eingeleitet. beide Ventrikel betroffen, so handelt es sich um eine
Globalinsuffizienz.
Die akute Herzinsuffizienz kann sich in wenigen
Minuten bis Stunden entwickeln. Meist geht ihr ein
13.1 Medizinische Grundlagen zum akutes Ereignis voraus wie z. B. ein Herzinfarkt, eine
Krankheitsbild hypertensive Krise oder eine Myokarditis. Die chro-
nische Herzinsuffizienz entwickelt sich über Monate
13.1.1 Herzinsuffizienz oder Jahre, z. B. durch arterielle Hypertonie, KHK oder
Kardiomyopathien. Um eine kompensierte Herz-
Bei der Herzinsuffizienz handelt es sich um das insuffizienz handelt es sich, wenn nur unter Belas-
Unvermögen des Herzens, den Organismus mit aus- tung Beschwerden, wie beispielsweise eine Dyspnoe,
reichend Blut und letztendlich mit ausreichend Sau- auftreten. Treten bei fortschreitender Herzinsuffizienz
erstoff zu versorgen. Damit kommt es zu einer ver- bereits in Ruhe Symptome wie z. B. Dyspnoe auf oder
minderten körperlichen Belastbarkeit. es verschlechtert sich die Belastbarkeit, so spricht man
Die Sicherung der Diagnose erfolgt im Wesent- von einer dekompensierten Herzinsuffizienz.
lichen aus einer Kombination der typischen klini- Eine weitere Klassifikation der Herzinsuffi-
schen Symptomatik. Dazu gehören beispielsweise zienz wurde von der New York Heart Association
13.1 · Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild
197 13
Mortalität. Die Auswurffraktion oder Ejektionsfrak-
. Tab. 13.1 New York Heart Association
Classification (NYHA) tion (EF) ist ein Maß für die Funktionsfähigkeit des
Herzens. Sie bezieht sich auf den Anteil des durch das
NYHA- Herzerkrankung bekannt, aber keine Herz, bei jedem Schlag, ausgeworfene Blutvolumen
Stadium I Einschränkung der körperlichen im Vergleich zum diastolischen Füllungszustand.
Leistungsfähigkeit
Ein implantierbarer Kardiovertierer-Defibrilla-
NYHA- Körperliche Leistungsfähigkeit leicht tor (ICD) kann durch die Abgabe eines Schocks oder
Stadium II eingeschränkt, keine Beschwerden in
„Antitachycardia Pacing“ den plötzlichen Herztod
Ruhe, Beschwerden bei alltäglicher
körperlicher Belastung verhindern.
Die Empfehlungen für eine ICD-Implantation
NYHA- Körperliche Leistungsfähigkeit stark
Stadium III eingeschränkt, Beschwerden bereits bei sind:
geringer körperlicher Belastung, noch 55 Reduzierte Ejektionsfraktion (≤35%)
keine Beschwerden in Ruhe 55 Linksventrikuläre Dilatation
NYHA- Beschwerden bei allen körperlichen 55 QRS-Komplex ≥120 ms
Stadium IV Aktivitäten und auch in Ruhe, 55 Lebenserwartung >1 Jahr
Bettlägerigkeit
Die genannten Empfehlungen zur ICD-Implantation
dienen der Primär- bzw. Sekundärprophylaxe malig-
vorgenommen. Die Zuordnung orientiert sich aus- ner Rhythmusstörungen und somit der Vermeidung
schließlich an der Leistungsfähigkeit der Patienten. des plötzlichen Herztods.
Je nach Therapieerfolg ist ein Wechsel zwischen den
Stadien möglich (. Tab. 13.1; AWMF Leitlinie Chro- z Medikamentöse Therapie
nische Herzinsuffizienz Version 7). Zur Therapie der Herzinsuffizienz werden folgende
Medikamente eingesetzt:
z Komplikationen 55 Betablocker
55 Rhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und 44Reduktion des myokardialen
-flattern, ventrikuläre Arrhythmien Sauerstoffverbrauchs
55 Thrombenbildung durch die verminderte 44Steigerung der Herzleistung
Auswurfleistung des Herzens oder lokale 44Verminderung kardiovaskulärer
Wandbewegungsstörungen Komplikationen
55 Knöchelödeme (besonders bei 55 ACE-Hemmer bzw. AT1- Antagonisten bei
Rechtsherzinsuffizienz) Unverträglichkeiten von ACE-Hemmern
55 Pleuraerguss (bei Linksherzinsuffizienz) 44Senkung der Vor- und Nachlast
55 Lungenödem 44Steigerung der Herzleistung
55 Kardiogener Schock 55 Diuretika
44Flüssigkeitsausscheidung
> Der kardiogene Schock ist die schwerste Form 44Kaliumsparende Diuretika verwenden
der Herzinsuffizienz und muss umgehend 55 Antikoagulanzien
intensivmedizinisch behandelt werden. 44Indikation: Vorhofflimmern, intrakavitäre
Thromben, Ventrikelaneurysmata (BÄK 2012)
Der plötzliche Herztod bedingt durch Rhyth- 55 Digitalisglykoside
musstörungen (hämodynamisch instabile ventri- 44Indikation (ausschließlich bei Tachyar-
kuläre Tachykardien oder Kammerflimmern) ist rhythmia absoluta zur Optimierung
eine der häufigsten Todesursachen von Patienten der Frequenzkontrolle, vgl. SOP Akute
mit Herzinsuffizienz. Etwa ein Drittel aller Patien- Herzinsuffizienz 2012)
ten mit geringer Auswurffraktion (Ejektionsfraktion)
des Herzens, im Stadium NYHA III–IV, entwickeln Versagen nun alle medikamentösen Maßnah-
ventrikuläre Herzrhythmusstörungen mit hoher men und verschlechtert sich die Pumpleistung des
198 Kapitel 13 · Fallbeispiel Kardiologie – Herzinsuffizienz

Herzens weiter, besteht akute Lebensgefahr. Dann den Alveolen ist ursächlich für die Verminderung
bleibt noch die Therapie der Herztransplantation. des Sauerstoffgehaltes des Blutes. Somit kommt es zu
Wenn kein Spenderherz zur Verfügung steht, kann einer inadäquaten Sauerstoffversorgung der Organe.
die Wartezeit mit Ventrikel-Unterstützungssystemen Die auftretende akute Dyspnoe führt zu einer
(VAD) überbrückt werden. Panikreaktion des Patienten. Dies wiederum ver-
VAD unterstützen die Pumpfunktion des stärkt die Symptomatik (Tachykardie und Hyperto-
Herzens. Eingesetzt werden sie: nus), was zur weiteren Belastung des Herzens führt.
55 zur Überbrückung bis zur Erholung („bridge to Die Sauerstoffversorgung der Herzmuskulatur ver-
recover“) schlechtert sich zusehends und einer Dekompensa-
55 zur Überbrückung zur Überbrückung („bridge tion wird Vorschub geleistet.
to bridge“)
55 zur Überbrückung zur Herztransplantation z Klinisches Erscheinungsbild
(„bridge to transplant“) Herr Wiese sitzt mit höchster Atemnot im Sessel,
55 als Alternative zur Transplantation(„desti- die Atemhilfsmuskulatur wird eingesetzt. Er ist
nation therapy“) kaltschweißig, blass, motorisch unruhig und emp-
findet Todesangst. Laute feinblasige Rasselgeräusche
Kontraindikationen für ein VAD können sein: Sepsis, können ohne Hilfsmittel gehört werden. Begleitend
Multiorganversagen, letale Begleiterkrankungen besteht ein exspiratorischer Stridor, Pfeifen und
sowie Gerinnungsstörungen und Lungenversagen. Giemen. Schaumig, blutiges Sputum wird abgehustet.
VAD-Systeme lassen sich nach ihren technischen
Funktion einteilen: > Vermittlung von Ruhe und Sicherheit haben,
55 Pneumatische Verdrängerpumpen (Excor, trotz der Notfallsituation, höchste Priorität.
Berlin Heart) Lärm und Hektik müssen vermieden werden.
55 Rotationspumpen: Axial- und Zentrifugal-
pumpe (Heart Mate II, Thoratec) Überwacht werden:
55 Herzfrequenz
Oder nach Art der Unterstützung, die das Gerät 55 Blutdruck
bietet: 55 Atemfrequenz
55 LVAD: „left ventricular assist device“ 55 Sauerstoffsättigung
13 55 RVAD: „right ventricular assist device“ 55 Bewusstseinszustand.
55 BIVAD: „biventricular assist device“
z Therapie der akuten Linksherzinsuffizienz
Welches System implantiert wird, entscheidet sich Bei der Aufnahme von Herrn Wiese auf die
nach der Art der Herzinsuffizienz. Häufig ist es aus- IMC-­Station werden folgende Schritte eingeleitet
reichend, die Funktion des linken Ventrikels zu (. Abb. 13.1):
unterstützen (Hecker et al. 2015). 55 Lagerung des Patienten im Pilotsitz (Herzbe-
ttlagerung), um den venösen Rückfluss zum
Herzen zu vermindern und damit das Herz zu
13.1.2 Akute Linksherzinsuffizienz – entlasten
Lungenödem 55 Merke: Herr Wiese wird im Rahmen der
Dyspnoe und der damit verbundenen Todes-
Durch die Kombination aus Volumenüberlastung angst nur mit erhöhtem Oberkörper liegen
und Drucksteigerung im linken Ventrikel (wie sie können.
für die links Herzinsuffizienz typisch sind) und die 55 Endotracheales Absaugen (Flüssigkeitsan-
Nachlasterhöhung bei hypertensiver Entgleisung sammlung im Nasen-Rachen-Raum und in den
entwickelte Herr Wiese ein Lungenödem. Dieses Hauptbronchien)
Krankheitsbild kann innerhalb kürzester Zeit auf- 55 Lose Zahnprothesen und Teilprothesen
treten. Die interstitielle Flüssigkeitsansammlung in entfernen (Aspirationsgefahr)
13.1 · Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild
199 13

O2, NIV
Diuretikum ± Vasodilatator
Klinische Evaluation

SBP > 100mmHg SBP 90-100mmHg SBP < 90mmHg

Vasodilatator und/oder Korrektion Vorlast,


Vasodilatator (NTG,
inotrope Substanz inotrope Substanz
Nitroprussid, Nesiritid)
(Dobutamin) (Dobutamin)

Schlechtes Ansprechen:
Gutes Ansprechen: Inotrope Substanz
Stabilisieren und initiiere Vasopressor
Diuretikum, Hämofiltration
ACEI/ARB, Betablocker Mechanische
Kreislaufunterstützung

. Abb. 13.1 Therapie der akuten Linksherzinsuffizienz. ACEI Angiotensin-Converting-Enzym-Inhibitoren, ARB Angiotensin-
Rezeptorenblocker, NIV nichtinvasive Beatmung, NTG Nitroglycerin, SBP systolischer Blutdruck

55 Gabe von Sauerstoff über eine Sauerstoffmaske Effekt auf die Dyspnoe des Patienten. Morphin
(Vorsicht bei Patienten mit COPD! Eine senkt
Hyperkapnie ist zu vermeiden) 44die Vorlast (venöses Pooling),
55 Inhalation mit Salbutamol/Ipratropiumbromid 44wirkt euphorisierend und
zur Bronchodilatation 44senkt Blutdruck und Herzfrequenz (in
55 Im weiteren Verlauf Einleiten einer patientenadaptierter Gabe minimale
CPAP-Therapie atemdepressive Wirkung).
55 Zur Vermeidung einer durch Opioide
> Die Nichtinvasive Beatmungs(NIV)-Therapie bedingten Übelkeit zu Beginn der Therapie,
erhöht den intrathorakalen Druck, verringert empfiehlt es sich, ein Antiemetikum begleitend
den venösen Rückfluss und senkt die kardiale zu verabreichen.
Vorlast sowie die linksventrikuläre Nachlast 55 Zur Senkung der Vorlast werden Nitrate als
(Schönhofer et al. 2008). Sie führt zur Vasodilatatoren gegeben. Dies geschieht immer
effektiven Entlastung der Atemmuskulatur in Abhängigkeit vom Blutdruck (. Tab. 13.2).
und zu einer Reduktion der Hyperkapnie. Das Prinzip ist, das Herz zu entlasten.
Zusätzlich wird der intrapulmonale Druck
erhöht, sodass dem stauungsbedingten > Vorsicht bei hochgradiger Aortenstenose.
erhöhten Druck in den Kapillaren entgegen Bei einer obstruktiven Klappener-
gewirkt wird. krankung kann eine Senkung der Vorlast
zu einem Low output führen. Der linke
55 Intravenöse Gabe von Morphin zur Sedierung Ventrikel muss bei einer höhergradigen
und Anxiolyse. Morphin hat einen positiven Aortenstenose deutlich mehr Druck zur
200 Kapitel 13 · Fallbeispiel Kardiologie – Herzinsuffizienz

. Tab. 13.2 Vasodilatatoren in der Herzinsuffizienztherapie

Vasodilatator Indikation Dosis Nebenwirkung Bemerkung

Nitro Lungenstauung/-ödem 10–20 µg/min, Hypotension, Toleranzentwicklung


RR >90 mmHg bis 200 µg/min Kopfschmerz
ISDN Lungenstauung/-ödem 1 mg/h, bis Hypotension, Toleranzentwicklung
RR >90 mmHg 10 mg/h Kopfschmerz

Nitroprussid-Na Hypertensive HI, 0,3 µg/kg/min, Hypotension, Lichtsensitiv


Lungenstauung/-ödem bis 5 µg/kg/min Isozyanat-Intoxikation
RR >90 mmHg

Überwindung des Hindernisses aufbauen. 13.2 Pflege- und


Um einen ausreichenden Druck in der Aorta Überwachungsschwerpunkte
(poststenotisch) gewährleisten zu können, ist
eine ausreichende Vorlast von Nöten. Nach kardialer Rekompensation stehen die Über-
wachung der Diurese und die Überwachung der
55 Diuretika (Furosemid) werden bei einer Atmung sowie der Sauerstoffsättigung weiterhin im
Flüssigkeitsretention zur Steigerung der Diurese Vordergrund.
im Akutereignis verabreicht (. Tab. 13.3).

> Das Schleifendiuretikum Furosemid senkt 13.2.1 Ausscheiden


den Kaliumspiegel. Kaliumwert kontrollieren!
Ein wichtiges Augenmerk fällt in den ersten 24 h
Im Falle eines Versagens der medikamentösen Thera- auf die Diurese. Die Urinmenge wird stündlich
pie oder einer schlechten Nierenfunktion wird zum dokumentiert und die Einfuhr von Infusionen und
Flüssigkeitsentzug die Hämofiltration in Erwägung Getränken bilanziert. Bei Rückgang der Diurese
gezogen. Um eine genaue Stundenbilanz durchfüh- wird der Arzt informiert und ggf., wenn es der Volu-
13 ren zu können und um den Patienten zu entlasten, menstatus des Patienten erfordert, wird die Diurese
wird ein transurethraler Blasendauerkatheter gelegt. weiter mit Furosemid stimuliert. Der ZVD erlaubt
Sollten die Ersttherapiemaßnahmen nicht ausrei- Rückschlüsse auf den Volumenstatus.
chen, muss die Therapie erweitert werden. Dabei ist zu beachten, dass das flache Liegen
Die invasive Überwachung und Therapie Atemnot und Panik verursachen kann. Entspre-
beinhaltet: chende Informationen über den Sinn und Zweck
55 Arterielle Verweilkanüle zur Überwachung von der Messung werden an den Patienten weitergege-
Blutdruck, Säure-Basen-Haushalt und paO2 ben. Die Messung ist so vorzubereiten, dass die Lie-
55 Zentraler Venenkatheter zur ZVD-Messung gedauer in flacher Position so kurz wie möglich ist.
und Infusionstherapie Für die exakte Bilanzierung und zur Vermeidung
55 Pulmonalis-Katheter (nur bei ausgewählten zusätzlicher Belastungen (beispielsweise der Toilet-
Patienten zur Differenzierung des septischen tengang als Folge der Diurese) wird ein transurethra-
vs. kardiogenen Schocks) ler Blasenkatheter gelegt. Die Verweildauer des Bla-
55 Koronarangiographie bei akutem Koronar- senkatheters wird, zur Vermeidung von Blasenent-
syndrom (ACS) zündungen, so schnell wie möglich wieder entfernt.

> Zur Koronarangiographie bei akutem z Patientenedukation


Koronarsyndrom muss der Patient flach Herr Wiese wird im Hinblick auf seine Entlassung in
liegen. Eine Intubation zur Intervention die häusliche Umgebung zur täglichen Gewichtskon-
sollte dann in Erwägung gezogen werden. trolle sowie dem Führen eines Gewichts-Tagebuchs
13.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
201 13

. Tab. 13.3 Diuretika in der Herzinsuffizienztherapie

Flüssigkeitsretention Diuretikum Tagesdosis (mg) Kommentare

Moderat Furosemid 20–40 Oral oder i.v.


Torasemid 10–20 Cave K, Na, Crea, RR
Schwer Furosemid 40–100 i.v.
Furosemid-Perf. 5–40 mg/h i.v.
Torasemid 20–100 Oral
Refraktär ggf. + HCT 50–100 –
Schleifendiuretikum
Oder Metolazon 2,5–10 Potenter bei GFR <30 ml/min
Oder Spironolacton 25–50 Cave K, Crea (nicht bei >2 mg/dl)
Mit Alkalose Azetazolamid 500 i.v.
Refraktär + Dobutamin – Ggf. CVVH bei ANV oder Hyponatriämie

ANV akutes Nierenversagen, CVVH kontinuierliche venovenöse Hämofiltration, GFR glomeruläre Filtrationsrate,
HCT Hydrochlorothiazid.

angeleitet. Er wird darüber informiert, dass er bei werden. Gegebenenfalls kann auch noch nach
rascher Gewichtszunahme den Hausarzt sofort infor- Rekompensation die CPAP-Therapie zur Pneumo-
mieren muss. Schwellungen an Knöcheln, Unter- nie- und Atelektasenprophylaxe fortgeführt werden.
schenkeln oder das Einschnüren der Socken sind ein Eine erhöhte Sauerstoffgabe über Maske oder
Hinweis auf Wassereinlagerungen im Körper. Brille kann zum Austrocknen der Schleimhäute im
Aufgrund der Trinkmengenbeschränkung und Nasen-Rachen-Raum führen. Um durch Trocken-
der Gabe von Diuretika kann es zu einer Obstipa- heit bedingtes Nasenbluten vorzubeugen, wird eine
tion kommen. Von einer zusätzlichen Einnahme von Nasenpflege mit einer Nasensalbe oder einem Nasenöl
Ballaststoffen wie Flohsamen oder Leinsamen wird regelmäßig durchgeführt bzw. der Patient hierzu ange-
abgeraten, da hierbei – um einer Verstopfung vor- leitet. Gelegentliches Ausspülen des Mundes führt zu
zubeugen – genügend getrunken werden muss. Dies einer Befeuchtung der Mundschleimhaut und einem
wiederum steht konträr zur Einfuhrkontrolle bzw. erhöhten Wohlbefinden. Eine gut befeuchtete Mund-
-beschränkung. schleimhaut verhindert Rhagaden und Infektionen
In der Klinik werden medikamentöse Maßnah- im Nasen-Rachen-Raum (7 Kap. 8).
men wie Suppositorien oder die Gabe von Movicol Nach Rekompensation benötigt Herr Wiese eine
durchgeführt. Hierbei kann es zu einem Gewöh- Erholungsphase. Die Lagerung des Patienten erfolgt
nungseffekt kommen. Herr Wiese wird entsprechend weiterhin mit erhöhtem Oberkörper, um das Herz zu
zu einer Anpassung seiner Ernährungs- und Bewe- entlasten und für eine gute Belüftung aller Lungen-
gungsgewohnheiten beraten. areale zu sorgen. Je nach Sauerstoffsättigung kann
die Sauerstoffmaske durch eine Sauerstoffbrille aus-
getauscht werden.
13.2.2 Atmung

Nicht zu unterschätzen und zu beachten sind stau- 13.2.3 Bewegung


ungsbedingte Pneumonien. Herr Wiese wird zu
bewussten und tiefen Atemzügen angeregt. Hilfs- Zeit, Druck und Scherkräfte sind die Ursachen für
mittel wie Triflo oder andere Übungen, wie z. B. das das Entstehen eines Dekubitus. Durch die atem-
Wegblasen eines Taschentuches, können eingesetzt notbedingte Immobilität steigt das Dekubitusrisiko
202 Kapitel 13 · Fallbeispiel Kardiologie – Herzinsuffizienz

zusätzlich. Die Herzbettlagerung, die Herz und teilzunehmen. Dies erfolgt nach Rücksprache mit
Lunge entlastet, führt ebenfalls zu einer erhöhten dem niedergelassenen Kardiologen. Neben der
Druckbelastung des Gesäßes. Um Druckstellen an gemeinsamen sportlichen Betätigung, die unter
prominenten Körperstellen zu vermeiden, wird Herr ärztlicher Leitung stattfindet, kann Kontakt und
Wiese kurz auf die Seite gedreht und nach Wunsch Austausch mit anderen Betroffenen gepflegt werden.
evtl. mit einer erfrischenden Rückenwaschung ver-
sorgt. Dabei wird eine Hautinspektion von Rücken,
Steiß und Fersen durchgeführt. Bei Auftreten einer 13.2.4 Nahrungsaufnahme
Dyspnoe ist die Belastungsgrenze erreicht und die
Pflegehandlung ist zu beenden. Herr Wiese darf essen, was ihm schmeckt. Ihm
Sobald es Herrn Wieses Zustand erlaubt, wird werden mehrere kleine Mahlzeiten am Tag angebo-
eine regelmäßige Lagerung vorgenommen, wenn ten, um ein Völlegefühl zu vermeiden. Frisches Obst
er selbst es nicht kann. Es genügen auch Mikrolage- und Gemüse sind zu empfehlen. Fettreiche, schwer
rungen oder ein Freilagern der Fersen durch Kissen verdauliche und blähende Speisen sind zu vermei-
oder andere Hilfsmittel, um Druckstellen vorzubeu- den. Auch scharfe Speisen welche den Durst anregen,
gen. Geeignete Matratzensysteme können eingesetzt sollten vermieden werden. Die Trinkmenge richtet
werden (7 Kap. 9). sich nach der Diurese. Bei eingeschränkter Diurese
Die erweiterte Mobilisation erfolgt dann, wenn erfolgt eine Trinkmengenbeschränkung. Die emp-
sich Herr Wiese vollständig erholt hat. Alle Maßnah- fohlene Trinkmenge bei Herzinsuffizienz beträgt
men werden mit ihm abgesprochen. 1,5 l am Tag. Eine tägliche Gewichtskontrolle wird
55 Zu Beginn genügt das Aufsetzen an die durchgeführt, um eine rasche Gewichtsverände-
Bettkante. Herzfrequenz und Blutdruck rung durch Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe
müssen beachtet werden. Setzen Zeichen zeitnah zu erkennen. Trinkprotokolle können in
der Erschöpfung ein (Dyspnoe, Anstieg der Form eines Tagebuches selbstständig geführt werden,
Herzfrequenz, Hypotonie oder Hypertonie), um sich selbst täglich zu reflektieren und kontrol-
wird die Mobilisation abgebrochen. lieren. Frisch gepresster Zitronensaft oder gefro-
55 Ist die Leistungsfähigkeit wiederhergestellt, rene Himbeeren im Trinkwasser können das Durst-
kann Herr Wiese vorsichtig in den Mobilisa- gefühl ebenso reduzieren wie das Lutschen von
tionsstuhl mobilisiert werden und dort ggf. Bonbons.
13 seine Mahlzeiten einnehmen. Die Ruhezeiten Beispiele für die Protokollierung der Nahrungs-
sind einzuhalten. Die Mobilisation erfolgt in aufnahme und der Trinkmenge zeigen . Abb. 13.2
Absprache mit der Physiotherapie und ein und . Tab. 13.4.
gemeinsamer Mobilisationsplan wird erarbeitet.
z Patientenedukation
Sport und körperliche Aktivitäten wirken sich lang- Eine genaue Information und Beratung des Pati-
fristig positiv auf Psyche und Körper aus. Im statio- enten über die empfohlene Trinkmenge und deren
nären Bereich der Herzinsuffizienz-Wachstation hat Einteilung ist wichtig. Angehörige sollten zur Unter-
die Physiotherapie aus diesem Grund einen hohen stützung mit einbezogen werden. Alkohol soll nur
Stellenwert. Hometrainer, Hanteln, Bettfahrräder in geringem Maße getrunken werden. Ist von einer
sowie Rollatoren werden erfahrungsgemäß gerne alkoholbedingten Herzinsuffizienz auszugehen,
von den Patienten genutzt. Der Einsatz von Überwa- sollte ganz auf Alkohol verzichtet werden.
chungsmonitoren mit WLAN-Funktion ermöglicht Herr Wiese benötigt ein Beratungsgespräch zur
den Patienten mehr Bewegungsfreiheit und sichert Medikamenteneinnahme. Um die Medikamenten-
die Überwachung der Vitalzeichen. einnahme übersichtlich zu gestalten, sind Medika-
mentendispenser, welche einmal die Woche gerichtet
z Patientenedukation werden und auch gut bei Reisen oder Tagesausflügen
Herr Wiese wird auf die Möglichkeit hingewiesen, mitgenommen werden können, hilfreich (Schewi-
nach seiner Entlassung an einer Koronarsportgruppe or-Popp et al. 2009).
Datum Portionsgröße Trinknahrung kcal Patientenaufkleber

Frühstück
Mittag
Abend
Gesamtkalorien
Frühstück kcal :
Mittag Frühstück 500
Abend Mittagessen komplett 800
Gesamtkalorien Abendessen 500
Frühstück
13.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte

Mittag Brötchen 130


Abend Brotscheibe 110
Gesamtkalorien Käse-/Wurstscheibe 80 - 90
Frühstück Konfitüre 70
Mittag Butter 110
Abend
Gesamtkalorien Pck Zucker 40
Frühstück Joghurt ca 100
Mittag Suppe / Brühe 100
Abend Reisbrei 250
Gesamtkalorien Pudding Kliniktopf 300
Frühstück Griesbrei 340
Mittag
Abend Obst 60 - 100
Gesamtkalorien
203

Frühstück Fortimel Cubitan 250


Mittag Fortimel Compact 300
Abend Fortimel Yoghurt+Jucy 300
Gesamtkalorien YO Creme 190

. Abb. 13.2 Essensübersicht – Wochenprotokoll


13
204 Kapitel 13 · Fallbeispiel Kardiologie – Herzinsuffizienz

. Tab. 13.4 Trinkmengentabelle

Name:

Datum:

Trinkmenge 6:00–12:00 12:00–18:00 18:00–6:00 Gesamt 24 h Gewicht:

Glas/Tasse (200 ml)


Flaschen (500 ml)
Saftpäckchen (200 ml)
Fortimel klein (125 ml)
Fortimel groß (200 ml)
Dose (330 ml)
Eiswürfel 20 ml
Sonstiges
Urin Ausscheidung

13.3 Überlegungen zum Die Anwesenheit von Angehörigen wirkt sich positiv
Patientenerleben auf den Heilungsverlauf des Patienten aus.
Zudem sind Angehörige für Patienten und das
In der Akutsituation „Lungenödem“ muss rasch interprofessionelle Team wichtige Partner in der
gehandelt werden. Beruhigendes Zureden und Erklä- Lebensgestaltung. Aus diesem Grund hat die Kar-
ren aller Handlungen sowie ein ruhiges Auftreten des diologische ICU/IMC/HI-Wach-Station der Uni-
interprofessionellen Teams sind wichtig und vermit- versitätsklinik Heidelberg offene Besuchszeiten.
teln Sicherheit. Das bedeutet, dass die Angehörigen sich mit den
Die Aufnahmesituation von Herrn Wiese erlaubt Gesundheits- und Krankenpflegekräften über die
13 es nicht, sich Zeit für ein Anamnesegespräch zu Besuchszeiten individuell absprechen. Der emp-
nehmen. Dies schließt die Betreuung der Angehö- fohlene Zeitraum für Besuche ist von 12.00 Uhr bis
rigen mit ein. 20.00 Uhr. Ruhezeiten für die Patienten sind indivi-
Nach der Stabilisation des Patienten, sollten duell mit allen Beteiligten einzuhalten. Die Angehö-
er und seine Angehörigen betreut und informiert rigen werden darüber informiert, dass sie mit Warte-
werden. Eine Möglichkeit, dieser Situation zu zeiten zu rechnen haben, da es aufgrund von Unter-
begegnen, ist es, einen speziellen Warteraum für suchungen oder pflegerischen Handlungen zu Verzö-
die Angehörigen einzurichten. Hier können Infor- gerungen der Besuchszeiten kommen kann.
mationsbroschüren ausgelegt werden, die aber kei- Um den Patienten ein Höchstmaß an Autonomie
nesfalls das persönliche Gespräch ersetzen. Wieder- und selbstständiger Lebensführung zu ermöglichen,
holte Informationen über den aktuellen Zustand und ist die Patientenedukation von größter Wichtigkeit.
die momentanen Interventionen schaffen ein Ver- Durch die demographische Entwicklung werden
trauensverhältnis und unterstützen die Betroffenen zukünftig immer mehr Menschen an Herzinsuffizi-
emotional. enz erkranken. Die Herzinsuffizienz betrifft nicht nur
Sobald Herr Wiese außer Lebensgefahr ist, ältere Patienten, sondern auch Patienten in jüngerem
werden die Angehörigen von einem Arzt über die Alter, welche berufstätig sind und deren Lebenspla-
Situation aufgeklärt. Die Angehörigen dürfen den nung von einer gelingenden Therapie abhängt. Die
Patienten sobald wie möglich besuchen. Dies ist für Patienten müssen sich auf ihre Erkrankung langfris-
beide Seiten beruhigend und entspannt die Situation. tig einstellen. Die medikamentöse Therapie muss wie
Literatur
205 13
verordnet eingenommen werden, die Lebensweise Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) (2012) Natio-
nale Versorgungsleitlinie Chronische Herzinsuffizienz.
verändert sich gravierend. Durch Aufklärung und
Kurzfassung. http://www.herzinsuffizienz.versorgungs-
Anleitung bezüglich der Medikation, Beschränkung leitlinien.de
der Trinkmenge, angepasste Nahrungsaufnahme zur Busch S (2011) Fbxl22 – Charakterisierung eines neuen herz-
Verhinderung von Fehlernährung und eigene Symp- spezifischen F-box Proteins, Inauguraldissertation zur
tomüberwachung können häufige Klinikeinweisun- Erlangung des medizinischen Doktorgrades der Medizini-
schen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
gen infolge kardialer Dekompensationen verringert
El-Banayosy A, Körfer R (2006) Empfehlungen zum Einsatz und
werden (Strömberg 2004). zur Verwendung der Herz-Lungen-Maschine. Steinkopff.
Darmstadt
Genzwürker H, Hinkelbein J (2014) Fallbuch Anästhesie, Inten-
Anregungen für den Unterricht sivmedizin und Notfallmedizin, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart
Hecker U, Tremmel A, Schmack B (2015) Takt- und kraftlos –
1. Schreiben Sie sich unklare Begriffe heraus
Wenn das Herz Unterstützung braucht. retten! 4: 54–59
und recherchieren Sie deren Bedeutung. Hoppe U, Böhm M, Drexler H, Hasenfuß G, Lemke B, Osterspey
2. Fassen Sie den Text mit eigenen A, Pauschinger M, Böhm M (2009) Pocket-Leitlinien,
Worten zusammen und erklären Sie die Therapie der chronischen und akuten Herzinsuffizienz.
Schwerpunkte der Versorgung eines UPDATE 2009. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie –
Herz- und Kreislaufforschung e.V.
Patienten im akuten Lungenödem.
Schewior-Popp S, Sitzmann F, Ullrich L (2009) Thiemes Pflege.
3. Welchen therapeutischen Nutzen Das Lehrbuch für Pflegende in Ausbildung, 11. Aufl. Thie-
hat der Patient durch den Einsatz der me, Stuttgart
CPAP-Beatmung? Schönhofer B, Kuhlen R. et al (2008) S3-Leitlinie Nichtinvasive
4. Das akute Lungenödem kann an drei Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuf-
fizient. Kurzfassung. Thieme, Stuttgart, S. 7
Symptomen erkannt werden. Nennen und
Schönhofer B et al. S3 – Leitlinie NIV bei akuter respiratorischer
erklären Sie diese drei Symptome. Insuffizienz
5. Der Einsatz von Morphin hat neben SOP Akute Herzinsuffizienz/Akutes Herzinsuffizienzsyn-
der Schmerzbekämpfung noch weitere drom Universitätsklinikum Heidelberg Innere Medizin
positive Effekte. Beschreiben Sie die III Kardiologie Herzinsuffizienzstation (Erstellungsjahr
2012). Modifiziert von: ESC-Leitlinie zur Behandlung und
Effekte.
Diagnose der akuten und chronischen Herzinsuffizienz,
European Heart Journal 2008, 29:2388-2442._ESC-Leit-
linie zur Behandlung und Diagnose der akuten und chro-
nischen Herzinsuffizienz, European Heart Journal 2012,
Literatur 33: 1787–1847
Strömberg A (2004) Von Pflegepersonen geleitete Herzin-
Bolanz H, Oßwald P, Ritsert H (2007) Pflege in der Kardiologie/ suffizienzambulanzen: Die zehnjährigen Erfahrungen in
Kardiochirurgie, Ausgabe 21. Urban & Fischer, München Schweden. Huber, Hogrefe, Bern. Pflege 17: 237–242
Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereini- Ullrich L, Stolecki D, Grünewald M (2010) Intensivpflege und
gung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Anästhesie. Thieme, Stuttgart
207 14

Fallbeispiel Kardiochirurgie –
Aortenaneurysma
B. Meier

14.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild – 208

14.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte – 208


14.2.1 Regulation des Blutdrucks – 208
14.2.2 Überwachung der Thoraxdrainage – 210
14.2.3 Überwachung der Liquordrainage – 211

14.3 Überlegungen zum Patientenerleben – 212

Literatur – 214

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_14
208 Kapitel 14 · Fallbeispiel Kardiochirurgie – Aortenaneurysma

Beispiel Erweiterung führen können. Die Erweiterung des


Herr Bogner, 77 Jahre alt, 178 cm groß und 89 kg Aortenlumens geht mit einer erhöhten Gefäßwand-
schwer, hat ein bekanntes symptomloses thora- spannung einher, was, entsprechend einem Circulus
koabdominelles Aortenaneurysma (TAAA). Bei vitiosus, den Gefäßwandstress weiter erhöht und eine
der letzten routinemäßigen Kontrolle zeigte sich progressive Aortendilatation zur Folge hat (Koeppel
eine Zunahme des mittleren Querdurchmessers u. Jacobs 2012, S. 492f).
auf 6,5 cm. Aufgrund der Rupturgefahr wurde die Weniger als 3% aller Patienten mit Aortena-
Indikation zur operativen Versorgung gestellt. In neurysmen haben ein TAAA. Das arteriosklerotische
der Vorgeschichte hatte der Patient vor 6 Jahren TAAA ist bedingt durch Nikotinabusus, Hypertonus,
eine Karotisoperation auf der linken Seite und vor Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Entzündungen,
2 Jahren eine Schrittmacherimplantation. In den Antigen-Antikörper(AG-AK)-Reaktionen und
Laborwerten zeigt sich eine Hyperlipoproteinämie. Erbgut. Die Letalität bei asymptomatischen, kreis-
Des Weiteren sind bei dem Patienten ein arteriel- laufstabilen TAAA ist kleiner als 10%. Die TAAA
ler Hypertonus sowie ein Nikotinabusus bekannt. stellen eine relative Operationsindikation dar, wenn
Postoperativ wird der Patient intubiert und beatmet ihr Durchmesser größer als 6 cm ist (Halter u. Orend
auf die Intensivstation verlegt. An weiteren Zu- und 2007, S. 126f).
Ableitungen hat er einen zentralen Venen-, einen Die Überlebensrate nach offener Rekonstruktion
arteriellen und einen Blasenverweilkatheter sowie bei TAAA liegt bei über 94%. Respiratorische Insuffi-
eine Thoraxdrainage linksseitig, eine Lumbal- und zienz, kardiologische Ereignisse, Nierenversagen mit
eine Redondrainage. Am darauffolgenden Morgen Nierenersatztherapie, Paraplegie/Paraparese, Nach-
kann er extubiert werden. Am 2. postoperativen Tag blutung und Apoplex sind mögliche Komplikatio-
werden der arterielle Katheter und die Redondrai- nen (. Abb. 14.1). Patienten, die sich einer Rekonst-
nage gezogen. Der Patient kann mit 6 l Sauerstoff, ruktion der gesamten Aorta (Ausmaß/Ausdehnung
über eine Maske verabreicht, und einer peripheren II nach Crawford, . Tab. 14.1) unterziehen müssen,
Sättigung von 98% in eine IMC-Einheit zur weiteren haben das höchste Risiko, zu versterben, ein Rücken-
Überwachung verlegt werden. Während des Trans- markdefizit oder ein Nierenversagen zu bekommen
fers in das Bett der IMC-Station disloziert der zentra- (Coselli et al. 2007, S. 126).
le Venenkatheter. Der Patient erhält eine ZVK-Neu-
anlage in die V. subclavia rechts, da die linke Karotis
voroperiert ist und der interne Schrittmacher sub- 14.2 Pflege- und
klavikulär links liegt. Kurz darauf leidet der Patient Überwachungsschwerpunkte
unter einem Schweißausbruch, er ist tachykard und
14 weist eine Tachypnoe auf bei einer peripheren Sät- Pflege und Überwachung dieses Patienten erfordern
tigung von 91%. Auf Nachfrage gibt er Dyspnoe an größte Sorgfalt. Besonderes Augenmerk ist auf die
und die Sauerstoffsättigung sinkt auf 89%. Regulation des Blutdrucks zu richten, wobei Blut-
druckspitzen und Blutdruckabfall gleichermaßen
vermieden werden müssen. Weitere Schwerpunkte
14.1 Medizinische Grundlagen zum liegen bei der Überwachung der Thoraxdrainage
Krankheitsbild sowie der Liquordrainage, da beide mit gravieren-
den Risiken behaftet sind.
Die häufigste Ursache für die Ausbildung einer
TAAA sind degenerative Gefäßwandprozesse, die
überwiegend bei älteren Menschen auftreten. Im 14.2.1 Regulation des Blutdrucks
Rahmen des Alterungsprozesses der Gefäßwand
treten Veränderungen des Kollagen- und Elastinge- Eine kontinuierliche Monitorüberwachung, insbe-
haltes auf, die mit einer Schwäche der Aortenwand sondere die Überwachung des Blutdrucks, ist bei
verbunden sein und zu einer aneurysmatischen Herrn Bogner notwendig.
14.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
209 14

6.IC
R

I II III IV

. Abb. 14.1 Modifizierte Klassifikation der thorakoabdominellen Aortenaneurysmen nach Crawford. Befundausdehnung:
I kaudal der linken A. subclavia bis kranial der Nierenarterien, II kaudal der linken A. subclavia bis zur Aortenbifurkation, III vom
6. Interkostalraum bis zur Aortenbifurkation, IV vom Diaphragma bis zur Aortenbifurkation. (Aus Luther 2011)

Patienten nach dieser Operation können auch Abdomen durch Husten sowie Pressen beim Stuhl-
postoperativ (sekundär) neurologische Defizite als gang könnte eine Nahtinsuffizienz bzw. eine Nach-
Folge einer spinalen Minderperfusion entwickeln. blutung hervorrufen.
Die Wahrscheinlichkeit für solche Ereignisse ist Starkes Husten ist auch zu vermeiden, da dies die
deutlich erhöht, wenn sich der Patient in einer kreis- Bauchpresse aktiviert, ggf. ist die Verabreichung von
laufinstabilen Situation befindet. In diesem Fall ist Bronchospasmolytika zur Inhalation nach ärztlicher
eine (prophylaktische) Anhebung des mittleren arte- Anordnung indiziert.
riellen Druckes durch z. B. Volumengabe und vaso-
konstriktive Substanzen erforderlich (Koeppel u. Praxistipp
Jacobs 2012, S. 502).
Um das Risiko einer sekundären Spinalischämie Es ist sinnvoll, den Patienten anzuleiten, beim
zu vermeiden, ist in den ersten 48 h auf einen aus- Husten mit den Händen einen Gegendruck auf
reichenden Perfusionsdruck zu achten. Der mittlere den Bauch auszuüben.
arterielle Blutdruck sollte zwischen 75 und 80 mmHg
liegen (Huber u. Bolanz 2008, S. 415). Der systolische
Blutdruck sollte nicht über 130 mmHg steigen, um Eine ballaststoffreiche Ernährung, die Unterstützung
einen Einriss der Prothese oder eine Nahtinsuffizienz bei der Flüssigkeitsaufnahme und ggf. die Verabrei-
zu vermeiden. Auch ein Druckaufbau in Thorax und chung von Laxanzien nach ärztlicher Anordnung zur
210 Kapitel 14 · Fallbeispiel Kardiochirurgie – Aortenaneurysma

Lungenverletzung können verschiedene Eingriffe


. Tab. 14.1 Einteilung nach Crawford. (Mod. nach
Halter u. Orend 2007) sein, wie z. B. Pleurapunktion oder Legen eines zen-
tralen Venenkatheters, insbesondere bei Zugang über
Typ Befund die Subklaviavene. Auch eine unsachgemäße Hand-
habung der Thoraxdrainage kann die Ursache sein.
I Veränderungen von der A. subclavia
bis zum Tr. coeliacus bzw. zur
A. mesenterica superior. Ende oberhalb der > Der auffällige Sättigungsabfall bei Herrn
Nierenarterienabgänge Bogner könnte Folge eines solchen
II Veränderungen von der A. subclavia Pneumothorax nach der Neuanlage des
über die Viszeralarterien bis zur Subklaviakatherters sein. Auf jeden Fall ist
Aortenbifurkation der dramatische Abfall der SpO2 abklärungs-
III Veränderungen von der mittleren Aorta bedürftig und darf nicht unbeachtet bleiben!
descendens bis zur Aortenbifurkation
IV Veränderungen reichen von Als gravierende Komplikation eines Pneumotho-
Zwerchfellhöhe bis zur Aortenbifurkation rax droht ein Spannungspneumothorax. Dieser
tritt ein, wenn sich Luft in dem Pleuraspalt sammelt
und durch einen Ventilmechanismus nicht genauso
Obstipationsprophylaxe verhindern Anstrengungen schnell wieder abgeleitet werden kann. Es entsteht ein
durch die Bauchpresse bei der Defäkation. Druck in dem Pleuraspalt, der nicht nur zum Kolla-
bieren der Lunge führen kann, sondern auch zu einer
> Im Hinblick auf das große chirurgische Mediastinalverlagerung und einer deutlichen Behin-
Trauma einer Thorakolaparotomie können derung des venösen Blutrückflusses sowie des Herz-
die Patienten nicht ausreichend abhusten auswurfes. Ein Spannungspneumothorax ist lebens-
und sich schwerlich mobilisieren, da bedrohlich und muss unverzüglich behoben werden.
ihnen dies große Schmerzen bereitet. Im Folgenden sollen nun die wichtigsten Aspekte
Schmerzbedingte Blutdruckspitzen sollten bei der Überwachung von Thoraxdrainagen ange-
aber mit einer effektiven Schmerzlinderung führt werden (Kuhlmann 2002, Kuhlmann 2009,
in Form von angemessener Analgetikagabe Mört u. Ullrich 2011):
nach ärztlicher Anordnung vermieden 55 Während und nach der Anlage einer Thorax-
werden. drainage muss für eine ausreichende Analgesie
beim Patienten gesorgt werden.
55 Es sollte einmal täglich ein aseptischer
14 14.2.2 Überwachung der Verbandwechsel mit Inspektion der
Thoraxdrainage Drainageneinstichstelle stattfinden. In
regelmäßigen Abständen muss der Verband
Der Begriff Pneumothorax bedeutet ein Vorliegen auf Unversehrtheit kontrolliert werden, z. B.
von Luft in der Pleurahöhle. Luft in diesem norma- könnte sich der Verband gelöst haben oder er
lerweise geschlossenen Raum hebt den Unterdruck ist durchgenässt. Es besteht die Möglichkeit,
auf, der ein Kollabieren der Lunge verhindert. Somit sehr stark nässende Einstichstellen mit einem
kann eine Einleitung von Luft in die Pleurahöhle zu Superabsorberpad als Exsudatmanagement
einem Lungenkollaps führen. zu versorgen. Das Schlauchsystem kann ggf.
Ein offener Pneumothorax tritt ein, wenn eine mit einer Drainagefixationsklammer gesichert
Öffnung in der äußeren Brustkorbwand den Ein- werden.
tritt von Außenluft in die Pleurahöhle ermöglicht. 55 Die Anschlüsse der Drainage und des
Dies kann durch eine Beschädigung entweder der Schlauchsystems können mit Klebeband
Parietalpleura allein oder beider Membranen, also umwickelt werden, um eine Diskonnektion
der Pleura parietalis und der Pleura viszeralis, ver- oder ein Ansaugen von Umgebungsluft zu
ursacht werden. Ursache für eine unbeabsichtigte verhindern.
14.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
211 14
55 Das Schlauchsystem darf keine sog. Siphon- 55 Die betreuende Pflegekraft sollte die Atmung
schlinge bilden, in den durchhängenden des Patienten überwachen und bei Anzeichen
Abschnitten kann man sich verfangen einer Atemnot (Tachypnoe, Dyspnoe,
und das Sekret kann nicht ablaufen. Ein Orthopnoe, Zyanose) umgehend den Arzt
flüssigkeitsgefülltes Schlauchsystem muss verständigen.
regelmäßig in die Sekretsammelkammer
entleert werden, ansonsten wird der eingestellte Abklemmen der Drainage:
Sog dazu verwendet, die Flüssigkeitssäule zu 55 Die Saugleitung zwischen Wasserschloss und
überwinden, somit kommt weniger Sog im Wandanschluss darf weder abgeklemmt noch
Pleuraspalt an. verschlossen sein oder an der Ansaugvor-
55 Das Steigrohr wirkt als Einwegventil und muss richtung bleiben, wenn der Sog abgestellt ist.
2–3 cm ins Wasser reichen. Ein Wasserschloss 55 Wenn ein Wasserschloss vorhanden ist, ist
ermöglicht der Luft, den Pleuraspalt zu ein Abklemmen der Thoraxdrainage nicht
verlassen, verhindert jedoch, dass sie wieder notwendig.
dahin zurückströmt. 55 Ist ein „Fisteln“ zu erkennen, darf die Drainage
55 Das Schlauchsystem und die Sammelkammer nicht abgeklemmt werden, durch die Luftan-
müssen unterhalb des Patientenniveaus in einer sammlung in der Pleurahöhle droht dann ein
Halterung angebracht werden, damit wird Spannungspneumothorax.
eine Schwerkraftdrainage ermöglicht und ein 55 Wenn eine sehr starke Sekretion vorliegt, darf
Sekretrückfluss vermieden. ebenfalls nicht abgeklemmt werden. Ist das
55 Ein atemsynchrones Schwanken der Flüssigkeit Wechseln einer Sammelkammer notwendig,
im Schlauchsystem deutet auf eine Durchgän- wird die Thoraxdrainage kurzfristig mit
gigkeit der Drainage hin. Sollte die Thorax- zwei entgegengesetzten Schlauchklemmen
drainage oder das Schlauchsystem verstopft abgeklemmt. Sind keine speziellen Klemmen
sein, dann die Schläuche durchdrücken und vorhanden, können herkömmliche Klemmen
wieder loslassen: „melken“. In hartnäckigen mit geriffelten Backen mit Polsterung (z. B.
Fällen kann das Schlauchsystem mit der Kompresse) verwendet werden.
Rollzange von einem erfahrenen Arzt ausge- 55 Falls die Thoraxdrainage ohne Sog belassen
strichen oder mit einem Absaugkatheter unter wird und noch fördert, wird der Unterdruck
sterilen Bedingungen freigesaugt werden. geringer, ist irgendwann aufgebraucht und der
55 Es sollten täglich Menge und Aussehen (serös, Patient hat nur noch eine Schwerkraftdrainage.
blutig, eitrig, chylös) der Drainageflüssigkeit Wie schnell der Unterdruck aufgehoben ist,
beobachtet und dokumentiert werden. Der hängt von der Sekretmenge ab.
steigende Flüssigkeitsspiegel in der Sammel-
kammer bzw. im Steigrohr verringert den Sog
an der eingestellten Saugung, somit kommt 14.2.3 Überwachung der
weniger Sog im Pleuraspalt an. Ebenso muss Liquordrainage
der eingestellte Sog an der Wandsaugung
(normal: –20 mmH2O) oder am mobilen Insbesondere Patienten mit einem extensiven Aorte-
Niedervakuumsystem (normal: –0,07 bar) naneurysma (Typ-II-TAAA) haben ein hohes Risiko,
regelmäßig geprüft werden. postoperativ eine Paraplegie zu entwickeln. Während
55 Sollten atemsynchron Blasen in der Sammel- und nach der Aneurysmaausschaltung kann durch
kammer aufsteigen (man bezeichnet dies eine spinale Durchblutungsstörung ein Ödem des
auch als „Fisteln“), dann ist sicherzustellen, Rückenmarks auftreten. Folge ist eine Druckerhö-
dass eine Drainageöffnung am vorderen Ende hung im Spinalkanal mit Herabsetzung des intras-
des Thoraxkatheters nicht außerhalb der pinalen Perfusionsdruckes. Aufgrund dieser patho-
Thoraxwand liegt oder Anschlüsse diskonnek- physiologischen Veränderungen wurde das Konzept
tiert sind. der Liquordrainage entwickelt und in die klinische
212 Kapitel 14 · Fallbeispiel Kardiochirurgie – Aortenaneurysma

Praxis eingeführt. In der Regel wird die Liquordrai- Eine engmaschige Sichtkontrolle des Systems
nage unmittelbar vor der Operation eingebracht. ist notwendig. Der Liquor ist auf Menge und Farbe
Dadurch kann bereits während der Operation mit (serös, blutig, xanthochrom, trübe, normal: wasser-
der Überwachung des Drucks im Spinalkanal begon- klar) hin zu überprüfen. Während des Patienten-
nen werden. Diese Messung wird routinemäßig bis transportes kann die Höhendifferenz nicht gewähr-
zum 3. postoperativen Tag fortgeführt. Die Drainage leistet werden. Daher müssen die 3-Wege-Hähne
wird auf Ablauf gestellt und somit der Druck inner- zum Patienten hin und die Absperrclips am Bakteri-
halb des Spinalkanals <10 mmHg gehalten (Koeppel enfilter geschlossen werden. Motorik und Sensibili-
u. Jacobs 2012, S. 503). tät beider Beine sollten in regelmäßigen Abständen –
Die Ursachen für eine Rückenmarkverletzung mindestens 1-mal pro Schicht – untersucht werden.
sind multifaktoriell. Auslösende Faktoren sind z. B. In der thorakoabdominellen Aortenchirurgie
die Minderperfusion des Rückenmarks, Unterbre- hilft das geschlossene Drainagesystem LiquoGu-
chung des Blutflusses, nicht ausreichende Revasku- ard7 (. Abb. 14.2). in der lumbalen Anwendung, die
larisation der Spinalarterien während der Rekonst- Perfusion des Rückenmarks besser zu kontrollieren
ruktion der Aorta, Spasmen in der Mikrozirkulation und ischämisch assoziierte postoperative neurologi-
und ansteigender Liquordruck. Eine Maßnahme, um sche Defizite zu vermeiden. Durch die Messung des
die Gefahr der Rückenmarkverletzung zu reduzieren, Liquordrucks mittels eines Drucksensors, der direkt
ist die Liquordrainage (Cinà 2004). am Patienten auf Höhe des Foramen Monroe ange-
bracht ist, ist eine erneute Nullpunktbestimmung
z Liquordrainage nach Positionsveränderung des Patienten nicht
Der Lumbaldrainagekatheter sollte mit einem Foli- erforderlich.
enverband versehen werden, um somit die Einstich- LiquoGuard ist das erste Liquormanagementsys-
stelle hinsichtlich Infektion und Liquoraustritt kon- tem, das gleichzeitig den Druck misst und Liquor
trollieren zu können. drainiert, sobald der eingestellte Solldruck über-
Ein Abknicken von Lumbaldrainagekatheter schritten wird. Das System ist es mit einem Alarm-
oder Ablaufsystem verhindert den freien Liquor- konzept ausgestattet, das unter anderem auf Okklusi-
abfluss und somit die Druckentlastung des Rücken- onen, Blutungen oder Dekonnektierungen aufmerk-
marks. Bei einem Drainagesystem ohne Refluxventil sam macht (. Abb. 14.3).
wird die Funktionsfähigkeit durch eine pulsierende
Liquorsäule visuell angezeigt. Ein puls- und atem-
synchrones Schwanken des Liquorspiegels deutet auf 14.3 Überlegungen zum
eine Durchgängigkeit der Drainage hin. Zur sicheren Patientenerleben
14 Kontrolle kann die Messkammer kurz unter Ventri-
kelhöhe gehalten werden. Die Flüssigkeit tropft dann Es ist zu bedenken, dass der Patient nach der Auf-
in die Messkammer. Dieser Effekt ist bei Systemen klärung über die Operation und insbesondere deren
mit einem Refluxventil nicht zu beobachten. hohe Risiken, große Ängste erfährt. Schon der Ein-
Der intrathekale Druck kann durch die Höhe griff selbst ist nicht ohne Risiko. Darüber hinaus wird
der Messkammer im Verhältnis zum Spinalkanal der Patient auf mögliche postoperative Komplikatio-
reguliert werden. Es ist wichtig, dass die Höhendif- nen wie Lähmungen oder Nierenversagen hingewie-
ferenz beibehalten wird. Ist die Überlaufposition der sen, die erhebliche Auswirkungen auf sein weiteres
Messkammer zu niedrig, kann eine lebensbedroh- Leben, seine Lebensqualität und seine Lebenserwar-
liche Hirndruckreduktion durch Überdrainage die tung, haben könnten.
Folge sein. Die Messkammer sollte daher in einem Die Paraplegie ist die meistgefürchtetste Kom-
Stativ mit Fixierklaue am Mittelteil des Bettes fixiert plikation nach TAAA-Operationen, da sich die
werden. Es ist dabei auf eine entsprechende Zugent- Lebensqualität der Patienten dramatisch verändert.
lastung zu achten. Eine Paraparese oder -plegie tritt in 6–40% nach
14.3 · Überlegungen zum Patientenerleben
213 14

. Abb. 14.2 LiquoGard7-System. (Mit freundl. Genehmigung der Fa. Möller Medical)

Operationen an Thorax- oder thorakoabdominellen tiefen Durchatmen, bei der Defäkation und bei der
Aneurysmen auf. Sie sind mit einer um 20% erhöhten Mobilisierung.
Mortalitätsrate vergesellschaftet sowie einer ressour-
cenintensiven Rehabilitation und Pflegebedürftig-
keit. Das bedeutet eine große Belastung für die Pati- Anregungen für den Unterricht
enten und ihre Familien (Cinà 2004). 1. Anhand der Falldarstellung wird im
Angstauslösend kann auch die Verlegungssitua- Plenum überlegt, worin die Ursache
tion sein, bei der ein Gefäßkatheter akzidentiell ent- für den Sättigungsabfall liegen könnte.
fernt wurde, sowie die nachfolgende Neuanlage und Verschiedene Möglichkeiten werden
die Beunruhigung durch den Sättigungsabfall. Dieses diskutiert: Was ist plausibel?
Fallbeispiel zeigt einen besonders kritischen Verlauf 2. Für eine Anleitungssituation (neuer
der Verlegungssituation, die den Patienten nachhal- Mitarbeiter) werden die Risiken einer
tig verunsichern könnte (7 Kap. 10). Thoraxdrainage herausgearbeitet:
Wie bereits erwähnt, ist das Schmerzmanage- Worauf muss geachtet werden? Wie
ment bei diesem Patienten von größter Bedeu- würde man bei der Anleitung
tung. Der umfangreiche Eingriff in zwei Körper- vorgehen?
höhlen (Thorax und Abdomen) ist in der Regel 3. Zum Umgang mit der Liquordrainage
mit starken Schmerzen verknüpft, die den Patien- werden Hygieneaspekte zusammengestellt
ten besonders quälen können beim Abhusten, beim
214 Kapitel 14 · Fallbeispiel Kardiochirurgie – Aortenaneurysma

. Abb. 14.3 LiquoGard-Monitor. (Mit freundl. Genehmigung der Fa. Möller Medical)

Halter G, Orend K-H (2007) Thorakale und thorakoabdominelle


(Erstellung eines Hygieneplans analog zu Aortenprozesse. In: Luther BLP (Hrsg) Kompaktwissen
Gefäßchirurgie, Differenzierte Diagnostik und Therapie.
7 Kap. 8).
14 4. In Gruppen wird die kritische Verlegungs-
Springer, Heidelberg
Huber J, Bolanz H (2008) Aortenaneurysmen. In: Bolanz H,
situation bearbeitet: Wie könnte das Oßwald P, Ritsert H (Hrsg) Pflege in der Kardiologie/Kar-
Gespräch mit den Patienten danach diochirurgie. Urban & Fischer, München, S 415
verlaufen? Unterschiedliche Szenarien Koeppel TA, Jacobs MJ (2012) Klinik und konventionelle The-
rapie. In: Debus ES, Gross-Fengels W (Hrsg) Operative und
werden durchgespielt (Rollenspiel).
interventionelle Gefäßmedizin. Springer, Berlin Heidel-
berg
Kuhlmann B (2002) Was sie schon immer über Thoraxdrai-
nagen wissen wollten. Intensiv 10: 154–160
Literatur Kuhlmann B (2009) Verstanden: Thoraxdrainagen. CNE 3 Mai
2009
Luther BLP (Hrsg.) (2011) Kompaktwissen Gefäßchirurgie,
Cinà CS et al. (2004) Cerebrospinal fluid drainage to prevent
Differenzierte Diagnostik und Therapie, 2. Aufl. Springer,
paraplegia during thoracic a thoracoabdominal aortic
Heidelberg
aneurysm surgery: A systematic review and meta-analy-
Mört D, Ullrich L (2011) Basics-Thoraxdrainage. Intensiv 19:
sis. In: Journal of vascular surgery, 40(1): 36–44
246–248
Coselli J S et al. (2007) Open surgical repair of 2286 thoracoab-
dominal aortic aneurysms. Ann Thorac Surg 83: 862–864
215 15

Fallbeispiel Neurologie –
Myasthenia gravis
I. Meyer

15.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild – 216

15.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte – 218


15.2.1 Beurteilung der neurologischen Symptomatik – 218
15.2.2 Atmung – 219
15.2.3 Ernährung – 221
15.2.4 Patientensicherheit – 223

15.3 Überlegungen zum Patientenerleben – 224

Literatur – 225

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_15
216 Kapitel 15 · Fallbeispiel Neurologie – Myasthenia gravis

Beispiel als paraneoplastisches Syndrom bei Thymomen bzw.


Herr Aytekin, 36 Jahre alt, beruflich stark einge- Thymuskarzinomen manifestiert.
spannt, Vater zweier Kinder im Grundschulalter, Das Leitsymptom der Myasthenia gravis ist eine
begeisterter Breitensportler, hat sich am Freitag, abnorme Ermüdbarkeit der Willkürmuskulatur, die
vor 4 Tagen, im Krankenhaus der benachbarten sich unter Belastung einstellt oder rasch zunimmt.
Kleinstadt vorgestellt. Bereits seit einiger Zeit fielen Die Symptome sind belastungsabhängig, schmerzlos,
ihm Doppelbilder beim abendlichen Lesen oder nehmen im Tagesverlauf zu und bessern sich nach
Fernsehen auf. Er sah dies zunächst als Folge der Ruhephasen.
Anstrengung im Beruf. Beunruhigt ist er seit letz- In 80–90% der Fälle wird die Myasthenia gravis
ter Woche. Anstatt sich von einem abklingenden durch Autoantikörper gegen die nikotinischen Ace-
Magen-Darm-Infekt zu erholen, fühlte er sich jeden tylcholinrezeptoren der motorischen Endplatte (Ner-
Tag ein wenig schwächer. Auf der Allgemeinstation venende-Synapse-Muskelzelle) hervorgerufen. Trifft
verbesserte sich sein Zustand über das Wochenen- ein Aktionspotenzial ein, wird präsynaptisch der
de nicht. Das Heben der Arme fiel ihm sogar immer Transmitter Acetylcholin ausgeschüttet, der postsy-
schwerer. Gestern wurde Herr Aytekin mit dem naptisch an der Muskelzelle andockt und das Signal
Verdacht einer Myasthenia gravis in die neurolo- überträgt. Die Autoantikörper binden an die Acetyl-
gischer Abteilung Ihres Hauses überwiesen. Seit cholinrezeptoren der Muskelzellen und blockieren
heute ist die Diagnose gesichert und die Therapie diese. Unterschreitet die Dichte der nicht blockierten
eingeleitet. Trotzdem verschlechterte sich sein Zu- Rezeptoren ein kritisches Maß, kann das Endplatten-
stand plötzlich rasch. Die Lähmungserscheinungen potenzial nicht mehr impulsgerecht die Schwelle zur
nahmen zu und breiteten sich entlang der Extremi- Depolarisation der Muskelmembran erreichen. Der
täten aus. Beim Essen einer von der Gattin mitge- Muskel wird also nicht ausreichend aktiviert.
brachten Suppe wurde Herr Aytekin abgelenkt und Bei der Mehrzahl der Myastheniepatienten lassen
verschluckte sich heftig. Nach schwachen Husten- sich Veränderungen im Thymus nachweisen, der
stößen brach Herr Aytekin das Essen ab. Er klagt Drüse, die sich bei den meisten Menschen ansons-
seither zunehmend über Probleme mit dem Atmen. ten bis zur fast völligen Funktionslosigkeit zurück-
Daher wird er zu Ihnen auf die IMC verlegt. Aktuell bildet. Bei Myastheniepatienten kann sich z. B. eine
benötigt Herr Aytekin 8 l Sauerstoff pro Minute, die Thymushypertrophie, ein Thymom oder sogar ein
über eine Maske appliziert werden. Die periphere Thymuskarzinom ausbilden. Vermutlich wird im
Sauerstoffsättigung beträgt 95%, die Herzfrequenz Thymus die initiale Immunreaktion gegen die Ace-
116 Schläge pro Minute, der Blutdruck ist stabil bei tylcholinrezeptoren vermittelt (Schröder u. Kley
130/80 mmHg. Die Vitalkapazität betrug zuletzt 2015; DGN 2014).
1200 ml (vor ca. 2 h gemessen). Die Atemfrequenz
liegt bei 35–40. Herr Aytekin atmet flach und wirkt z Verlauf und Prognose
15 angestrengt. Arterielle Blutgaswerte liegen noch Klinisch kann zwischen den Formen der rein okulä-
nicht vor. Er ist nicht mehr in der Lage, selbstständig ren und der generalisierten Myasthenia gravis unter-
stabil an der Bettkante zu sitzen. Es fällt ihm schwer, schieden werden, wobei Letztere unterschiedlich
seinen Kopf zu heben. Arme und Beine kann er ge- stark ausgeprägt sein kann. Die rein okuläre Form
gen Schwerkraft anheben, aber keine 10 s in einer betrifft nur die äußeren Augenmuskeln einschließ-
45°-Position halten. lich der Lidheber und äußert sich mit einer Ptose des
Augenlids und Doppelbildern. In gut der Hälfte der
Fälle beginnt die Erkrankung zunächst mit okulären
15.1 Medizinische Grundlagen zum Symptomen, aber nur selten bleibt die Symptoma-
Krankheitsbild tik auf die Augen begrenzt. Bei anderen Patienten
beginnt die Erkrankung bereits mit einer leichten,
Die Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkran- generalisierten Muskelschwäche an den proxima-
kung, die sich bei prädisponierten Personen mit len Muskeln (Becken, Schultern). Eine Tendenz zur
bestimmten immungenetischen Merkmalen oder Generalisierung ist fast immer zu erkennen. Die
15.1 · Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild
217 15
Ausbreitung erfolgt nach distal und in die Gesichts-, gegen Acetylcholinrezeptoren. Bei etwa 5% der Pati-
pharyngeale und Atemmuskulatur. Ausmaß und enten können Autoantikörper gegen die muskel-
Geschwindigkeit der Ausbreitung sind sehr unter- spezifische Tyrosinkinase (MuSK) nachgewiesen
schiedlich, Wechsel zwischen Verschlechterung und werden. Bei einem Teil der Patienten, die sehr wahr-
partieller Remission typisch (Hacke 2010). scheinlich an einer Myasthenia gravis leiden, gelingt
Eine Exazerbation der Erkrankung (myasthene kein Antikörpernachweis. Eine Thorax-CT ist nötig,
Krise) kann lebensbedrohlich werden, weil meist um Veränderungen an der Thymusdrüse nachzuwei-
die Schluck- und Atemmuskulatur mitbeteiligt sind. sen. Die Therapie erfolgt unabhängig vom Antikörp-
Zum einen steigt das Risiko einer Aspirationspneu- erstatus (Schröder u. Kley 2015; DGN 2014).
monie, zum anderen droht ein Ventilationsversagen. Bestätigend sind pharmakologische Tests. Die
Die vor allem durch myasthene Krisen bedingte Gabe von Cholinesterasehemmern (Edrophonium,
Letalität der Myasthenia gravis konnte inzwischen Neostigmin) führt zu einer kurzfristigen Verbesse-
dank intensivmedizinischer Therapie auf unter 5% rung der Symptomatik und der elektrophysiologi-
gesenkt werden. Die Prognose ist besonders bei schen Befunde. Wegen der parasympathikomimeti-
jungen Patienten gut. Die meisten bleiben arbeits- schen Nebenwirkungen (7 Therapie) sollte bei den
fähig und können ein normales Leben führen und Tests Atropin bereitliegen und parallel ein EKG abge-
Sport treiben. Die Lebenserwartung ist nicht ver- leitet werden.
kürzt. Menschen, die nach dem 60. Lebensjahr
erkranken, sterben jedoch nicht selten an Krisen z Therapie
oder Komplikationen (Hacke 2010; Schröder u. Kley Die Therapie lässt sich einteilen in spezifische und
2015). unspezifische immunsuppressive Therapie sowie in
symptomatische Maßnahmen:
z Diagnostik 1. Spezifische immunsuppressive Therapie:
Aufbauend auf die Anamnese (Doppelbilder, tages- Thymektomie
zeitabhängige Ermüdung, Verschlechterung infolge 2. Unspezifische immunsuppressive Therapie:
Infekten/Menstruation) lässt sich die Verdachtsdi- 44Gabe von Immunsuppressiva
agnose in der Regel mit einfachen Belastungstests 44Plasmapharese bzw. Immunadsorption oder
bei der körperlichen Untersuchung erhärten. Cha- i.v.-Immunglobuline
rakteristisch ist die deutliche Abnahme der Kraft 3. Symptomatische Therapie: Gabe von
der betroffenen Muskeln, u. U. bis zur kompletten Cholinesterasehemmern
Lähmung, bei der Wiederholung bestimmter Bewe-
gungen. Beim lauten Zählen wird die Stimme inner- Die Thymektomie ist bei Thymomen bzw. Thymus-
halb kurzer Zeit nasal und die Artikulation lässt nach. karzinomen indiziert. Darüber hinaus profitieren
Wiederholtes Öffnen und Schließen der Augen führt auch unabhängig von der Größe des Thymus beson-
zu einer Ptose der Augenlider. Gleichfalls führt län- ders 15- bis 50-Jährige mit einer Erkrankungsdauer
gerer Aufwärtsblick zu einer Ermüdung der Augenli- unter 2 Jahren von der Operation. Zur Basistherapie
der oder der Ausbildung bzw. Verstärkung von Dop- gehören darüber hinaus Kortikosteroide und Azathi-
pelbildern. Wiederholtes Anheben eines Armes führt oprin als Immunsuppressiva der ersten Wahl sowie
zur Erschöpfung der Muskeln, bis es am Ende gar Cholinesterasehemmer. Die intravenöse Gabe von
nicht mehr geht. Immunglobulinen, Plasmapharese oder Immunad-
Die Diagnose lässt sich mit Hilfe elektrophysiolo- sorption werden nur zur Eskalation, z. B. bei einer
gischer Untersuchungen, insbesondere dem Dekre- myasthenen Krise, eingesetzt (DGN 2014).
ment-Test, durch den die Abnahme von Muskelak- Cholinesterasehemmer verlangsamen den Abbau
tionspotenzialamplituden bei wiederholter Stimula- von Acetylcholin durch das Enzym Cholinesterase
tion gezeigt wird, weiter absichern. im synaptischen Spalt. Dadurch steigt die Acetylcho-
Bei etwa der Hälfte der Patienten mit okulärer linkonzentration und Acetylcholin kann sich im Ver-
Myasthenie und bei 90% der Patienten mit generali- drängungswettbewerb mit den Antikörpern an den
sierter Myasthenie finden sich im Serum Antikörper verbleibenden Acetylcholinrezeptoren durchsetzen,
218 Kapitel 15 · Fallbeispiel Neurologie – Myasthenia gravis

sodass die Übertragung der Nervenimpulse auf den engsten Patientenkontakt ist das Pflegepersonal in
Muskel wieder besser funktioniert. der Verantwortung, wichtige Veränderungen zeitnah
Edrophonium wird wegen seiner kurzen Halb- zu erkennen.
wertszeit nur zu diagnostischen Zwecken einge- Herr Aytekin beklagt zunehmende Lähmungser-
setzt. Durchgesetzt hat sich zur Langzeittherapie die scheinungen, die sich auf die Extremitäten ausgebrei-
Gabe von Pyridostigmin (Mestinon, Kalymin), da tet haben. Diese sind belastungsabhängig. Schwan-
der Wirkstoff nicht nur intravenös, sondern auch kungen im Verlauf des Tages sind daher zu erwar-
in Tablettenform erhältlich ist. Beim Umsetzen der ten. Trotzdem kann eine Zunahme der Symptome auf
oralen Therapie auf einen Pyridostigmin-Perfusor ein Fortschreiten des Krankheitsbildes hindeuten.
und umgekehrt ist zu bedenken, dass aufgrund der Außerdem kann sich der Zustand des Patienten wie
pharmakokinetischen Eigenschaften von Pyridos- im Falle Herrn Aytekins bei einer myasthenen Krise
tigmin die orale Tagesdosis das 30-Fache der intra- sprunghaft verschlechtern. Es ist daher wichtig, den
venösen Tagesdosis beträgt. Zustand des Patienten systematisch und interdiszi-
Cholinesterasehemmer wirken systemisch und plinär mehrmals am Tag zu erfassen, ohne den Pati-
nicht nur an der motorischen Endplatte. Acetyl- enten durch Belastungstests zu überfordern oder zu
cholin wirkt auch als Transmitter zwischen erstem beunruhigen. Aussagen wie „Herr Aytekin hat eine
und zweitem Neuron im vegetativen Nervensystem Parese der Arme“ sind dabei wenig hilfreich, da das
und – wichtiger für die Herleitung der Nebenwir- Ausmaß der Lähmung nicht wiedergegeben wird.
kungen – bei der Übertragung der Information vom Eine umfassende neurologische Untersuchung
zweiten Neuron zum Erfolgsorgan im Parasympa- der Willkürkraft, bei der Muskel für Muskel betrach-
thikus. Cholinesterasehemmer bewirken folglich tet wird, erfolgt sicherlich im Rahmen der Visite.
eine gesteigerte Parasympathikusaktivität. Wichtige Darüber hinaus ist es sinnvoll, sich auf wenige ein-
Nebenwirkungen sind: Bradykardie, Hypotonie, Ver- fache, aber aussagekräftige Tests zu einigen, um Ver-
engung der Bronchien, allgemein gesteigerte Sekret- besserungen und Verschlechterungen zu dokumen-
produktion bis hin zu Verschleimung und Durchfäl- tieren. Die Tests müssen natürlich auf die indivi-
len (abführende Wirkung der Cholinesterasehem- duelle Klinik abgestimmt sein (7 Diagnostik). Bei
mer), gesteigerte Hautdurchblutung (warm und Herrn Aytekin bietet sich an, festzuhalten, ob er in
rosig). der Lage ist, im Liegen seinen Kopf anzuheben und
welches Ausmaß die Paresen der Arme und Beine
haben. Hierbei kann man sich auf die proximale
15.2 Pflege- und Kraft konzentrieren und erfassen, ob Herr Aytekin
Überwachungsschwerpunkte Arme und Beine gegen Schwerkraft anheben kann,
ob die Arme eine 45°-Stellung erreichen bzw. die
Die Pflege und Überwachung des oben geschilder- Beine eine 30°-Stellung und wie lange es dauert, bis
15 ten, schwer kranken Patienten bringt eine Vielzahl die jeweilige Extremität wieder auf die Bettoberflä-
von Herausforderungen mit sich. Im Folgenden wird che absinkt. Üblich ist auch die Unterteilung der
auf die Pflegeschwerpunkte Beurteilung der neurolo- Muskelkraft nach folgendem Schema in . Tab. 15.1
gischen Symptomatik, Atmung, Ernährung und Pati- in „Fünftel“.
entensicherheit näher eingegangen. Außerdem muss beobachtet werden, wie weit
nach distal sich die Lähmungserscheinungen aus-
gebreitet haben. Ist z. B. die Fingermuskulatur
15.2.1 Beurteilung der neurologischen mitbetroffen?
Symptomatik Herr Aytekin sieht weiterhin Doppelbilder, wenn
er sich beim Lesen anstrengt, jedoch nicht in Ruhe.
Zur Überwachung der neurologischen Symptoma- Bei der neurologischen Untersuchung lassen sich
tik stehen keine apparativen Hilfsmittel zur Verfü- die Doppelbilder provozieren, indem Herr Aytekin
gung, die wie z. B. ein EKG-Monitor das Behand- gebeten wird, maximal nach rechts, nach links
lungsteam alarmiert. Als Berufsgruppe mit dem bzw. maximal nach oben zu blicken. Die stärker
15.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
219 15
Die Schwäche der Atemmuskulatur zeigt sich
. Tab. 15.1 Kraftgrade nach einer Skala des British
Medical Research Council bei Herrn Aytekin durch die stark erniedrigte Vital-
kapazität von 1200 ml. Bei sportlichen Männern
0 Keinerlei Muskelaktivität in seinem Alter sollte die Vitalkapazität um die 3 l
1 Sichtbare Muskelkontraktion ohne betragen. Typische klinische Zeichen des drohen-
Bewegungseffekt den neuromuskulären Atemversagens sind Unruhe,
2 Bewegungseffekt unter Ausschaltung der Angst, Blässe, Kaltschweißigkeit, flache Tachypnoe,
Eigenschwere (Untersucher übernimmt Gewicht) der Einsatz der Atemhilfsmuskulatur im aufrechten
3 Bewegung auch gegen die Eigenschwere Sitzen und ein schwacher Hustenstoß.
möglich Unser normales Atemzugvolumen in Ruhe
4 Bewegungen gegen mäßigen Widerstand beträgt – grob geschätzt – 500 ml. Dieses Zugvo-
möglich (ausgeübt durch Untersucher) lumen kann Herr Aytekin noch erreichen. Er muss
5 Normale Muskelkraft dazu aber bereits knapp die Hälfte der verbleibenden
Kraft seiner Atemmuskulatur einsetzen. Da die Läh-
mungserscheinungen unter Belastung zunehmen,
betroffenen Augenmuskeln sind nicht mehr in der droht ein Ventilationsversagen. Die flache Atmung
Lage, den Bulbus in vollem Ausmaß zu bewegen, und die hohe Atemfrequenz lassen vermuten, dass
sodass der Patient zu schielen beginnt und – weil er die Vitalkapazität seit der letzten Messung weiter
dies nicht gewohnt ist – doppelt sieht. Bei längerem abgenommen hat.
Blick nach oben (Simpson-Test) zeigt sich zudem Aus der Information, dass sich Herr Aytekin
eine Zunahme des Ptosis. verschluckt hat, können wir vermuten, dass sich
Zur umfassenden neurologischen Untersu- das Ventilationsproblem durch ein Oxygenierungs-
chung gehört auch eine Beurteilung der Schluck- problem infolge der Aspiration von Nahrung weiter
fähigkeit. Herr Aytekin hat sich kurz vor der Ver- zuspitzt. Herr Aytekin versucht durch eine hohe
legung verschluckt. Deshalb und aufgrund seiner Atemfrequenz, an mehr Sauerstoff zu kommen. Mit
akuten Atemnot bleibt Herr Aytekin zunächst nüch- dieser zusätzlichen Anstrengung ist seine Atemmus-
tern. Sobald die Atmung stabilisiert ist, kann mit der kulatur aber momentan überfordert.
nötigen Konzentration ein Schluckversuch durchge-
führt werden (7 Abschn. 15.2.3). z Maßnahmen
Erste Maßnahmen sind die Fortführung der Sauer-
stoffinsufflation, eine atemerleichternde Körperstel-
15.2.2 Atmung lung und beruhigende Einwirkung auf den Patienten.
Auf Sedativa sollte verzichtet werden (Pflegeschwer-
Herr Aytekin leidet an einer Schwäche der Atemmus- punkt Patientensicherheit: 7 Abschn. 15.2.4).
kulatur und es besteht der Verdacht auf eine Aspi- Die Überwachung des Patienten erfolgt eng-
rationspneumonie. Die Schwerpunkte Ernährung maschig. Neben der Krankenbeobachtung und der
und Atmung sind daher eng miteinander verknüpft. Pulsoxymetrie sollte möglichst schnell – und danach
Sowohl eine schwere neurogene Dysphagie als auch regelmäßig – eine arterielle, kapilläre oder zentral-
die Erschöpfung der Atemmuskulatur können eine venöse Blutgasanalyse durchgeführt werden. Außer-
Intubation und/ oder Anlage einer Magensonde dem muss die Vitalkapazität engmaschig überprüft
indizieren. werden.
Die Bedeutung des Atemversagens bei Zuspit-
zung der Myasthenia gravis kann nicht genug betont > Kann die Vitalkapazität bettseitig nicht
werden. Nicht wenige Patienten sind gestorben, gemessen werden (kein Messgerät, fehlender
weil das drohende Atemversagen nicht früh genug Lippenschluss), kann deren Veränderung
erkannt und behandelt wurde, meist auch, weil sich abgeschätzt werden. Der Patient wird
diese Patienten nicht auf einer Überwachungsstation aufgefordert, so tief wie möglich einzuatmen
befunden haben. und laut zu zählen, ohne ein zweites Mal
220 Kapitel 15 · Fallbeispiel Neurologie – Myasthenia gravis

einzuatmen. Je weiter der Patient kommt, sind kontraindiziert. Selbst wenn der PEEP
desto größer die Vitalkapazität. Kommen durch das Offenhalten der Atemwege die
Patienten bis 20, droht in der Regel Atemarbeit erleichtert, wird der zusätzliche
kurzfristig kein Atemversagen. Dies ist jedoch Totraum der Interfaces (Gesichtsmasken,
als Faustregel zu verstehen, die keinesfalls Helme) bei flacher Atmung zu einem
der apparativen Messung ebenbürtig ist. Problem, das über kurz oder lang in eine
CO2-Narkose führen kann.
Betrachten wir isoliert das Ventilationsversagen,
ist eine nichtinvasive Unterstützung der Atmung Da die Symptome unter Belastung zunehmen, sind
das Mittel der Wahl. Bestätigt sich der Verdacht der anstrengende Atemübungen wie das Aufblasen eines
Dysphagie, besteht allerdings eine relative Kontrain- Luftballons oder Atemtraining mit Triflo oder ähnli-
dikation (z. B. Fresenius et al. 2011). Jedoch wurden chen Atemtrainern in der Akutphase kontraindiziert.
die ursprünglich im Rahmen von Studien sehr weit Hilfreich sind sekretlösende Maßnahmen (Pyridos-
gefassten Kontraindikationen mit dem Erfahrungs- tigmin fördert die Sekretproduktion!) und Abhust-
gewinn durch die Verbreitung nichtinvasiver Ver- hilfen, um Atelektasen vorzubeugen: z. B. Vibra-
fahren nach und nach aufgegeben. In der aktuellen tion, Perkussion, Inhalation. Fehlt es Herrn Aytekin
S3-Leitlinie „Nichtinvasive Beatmung zur Thera- trotz Unterstützung an der Kraft für einen adäquaten
pie der akuten respiratorischen Insuffizienz“ wird Hustenstoß, muss er regelmäßig endotracheal abge-
Dysphagie nur noch bei Kindern als relative Kon- saugt werden. Hierbei sind die Hygienevorschriften
traindikation gewertet. Selbst bei Patienten im hyper- streng zu beachten, um eine (Super-)Infektion zu
kapnischen Koma ist ein NIV-Versuch gerechtfertigt. vermeiden (Kommission für Krankenhaushygiene
Dieser sollte aber rasch zu einer Verbesserung der und Infektionsprävention am Robert-Koch-Institut
Vigilanz führen (DGP 2015). 2013, 7 Kap. 8).
Im Gegensatz zur Studienlage bei COPD ist Können Ventilation und Oxygenierung trotz
der Einsatz von nichtinvasiver Beatmung bei selte- allem nicht stabilisiert werden, ist eine Intubation
nen Grunderkrankungen jedoch nicht ausreichend unvermeidlich. Häufig geht eine Schwäche der Atem-
untersucht. Zu nichtinvasiver Beatmung bei myas- muskulatur mit Schlucklähmung einher. Die Pati-
thener Krise liegen Einzelfallberichte und retrospek- enten aspirieren ihren eigenen Speichel still, sodass
tive Kohortenstudien vor (Seneviratne et al. 2008, selbst bei ausreichender Ventilation eine Schutzin-
Agarwal et al. 2006, Saeed u. Patel 2011). Ein niedri- tubation nötig ist. Die Alternative besteht in der
ger APACHE-II-Score und das Fehlen einer ausge- frühen Tracheotomie. Die Vorteile einer Tracheal-
prägten kompensatorischen metabolischen Alkalose kanüle im Vergleich zur endobronchialen Intubation
sprechen für einen erfolgreichen Einsatz nichtinva- sind aus Sicht der Pflege die Möglichkeit der effekti-
siver Beatmung (Wu et al. 2009). Einer kleinen, aber ven Mundpflege, der höhere Patientenkomfort, die
15 prospektiven Studie zufolge senkt nichtinvasive Beat- leichtere Entwöhnung und die leichtere Mobilisa-
mung bei Patienten mit neuromuskulären Erkran- tion. Trachealkanülen haben im Vergleich zu endot-
kungen die Notwendigkeit der Re-Intubation und rachealen Tuben einen geringeren Atemwegswider-
Tracheotomie nach erfolgter Extubation (Vianello stand, sodass schneller auf eine Beatmung verzich-
et al. 2011). tet werden kann (größeres Innenlumen und kürzer).
Kann die respiratorische Situation schnell stabilisiert
> Im Vordergrund steht die Erschöpfung werden, ist kein Aufenthalt auf einer Intensivstation
der Atempumpe. Eine ausreichende notwendig. Durch das Einsparen von Analgoseda-
Ventilation ist nur durch ausreichend tiva bleibt die neurologische Beurteilbarkeit erhal-
hohe inspiratorische Spitzendrücke zu ten. Nebenwirkungen der Analgosedativa können
gewährleisten (bis zu 25 cmH2O) (DGP umgangen werden. Andererseits fallen Patienten
2015). Eine reine CPAP-Therapie (PEEP ohne mit Myasthenia gravis durch eine hohe Tubustole-
Druckunterstützung) – z. B. mit klassischen ranz auf. Der Verzicht auf jegliche Analgosedierung
Continuous-Flow-Systemen – sowie EzPAP trotz Tubus ist keine Seltenheit. Gegen eine frühe
15.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
221 15
Tracheotomie spricht auch die reelle Chance rascher Warnzeichen für eine neurogene Schluckstörung
Besserung nach Therapiebeginn. sind im SSA ein fehlender oder schwacher Husten-
stoß auf Aufforderung, Speichelfluss aus dem Mund,
> Mit dem Anschlagen der Therapie sind die Unfähigkeit, seine Ober- oder Unterlippe abzu-
Patienten mit Myasthenia gravis in der Regel lecken, eine feucht oder heiser klingende Stimme
leicht von der Beatmung zu entwöhnen. In und eine erniedrigte Sättigung bei Raumluft. Mit
der Literatur sind aber auch Beispiele von Patienten, die eines dieser Kriterien erfüllen, erfolgt
Respiratorabhängigkeit beschrieben (Pögelt keine weitere Abklärung der Schluckfähigkeit durch
et al. 2011, 7 Kap. 3), nicht wenige Patienten Pflegekräfte.
bedürfen erheblicher Motivationsbe- Bei allen anderen Patienten erfolgt ein Schluck-
mühungen, um im Weaning auf ihre eigene test, sofern der Patient für 15 Minuten wach und
Spontanatmungsfähigkeit zu vertrauen. kooperativ ist sowie aufrecht sitzen kann. Der
Patient bekommt dreimal löffelweise stilles Wasser
zu trinken und beim vierten Mal ein halbes Glas.
15.2.3 Ernährung Abbruchkriterien sind:
55 Keine erkennbare Schluckaktivität
z Schluckdiagnostik 55 Wasser läuft aus dem Mund
Die Tatsache, dass Herr Aytekin sich verschluckt hat, 55 Husten oder Räuspern
spricht dafür, dass seine pharyngeale Muskulatur 55 Zunahme der Atemfrequenz
bereits mitbetroffen ist. Eine Schluckuntersuchung 55 Nasse oder gurgelige Stimme bis 1 min direkt
ist notwendig, um die Indikation einer Intubation nach dem Schlucken
zu stellen oder um zu entscheiden, ob und was Herr 55 Zweifel beim Untersucher
Aytekin essen und trinken darf.
Eine Schluckuntersuchung erfolgt am besten Wasser zum Testen zu verwenden hat den Vorteil,
videoendoskopisch oder per Videofluroskopie dass eine Dysphagie schnell auffällt. Flüssigkeiten
(Breischluck unter Durchleuchtung). Da dies nicht sind schwer zu schlucken, da sie den Rachenraum
in jeder Wachstation zeitnah möglich ist, besteht schnell erreichen und der Schluckakt prompt erfol-
natürlich der Wunsch nach einfachen bettseitigen gen muss. Wasser verursacht zudem natürlich viel
Screening-Methoden zur Bestimmung des Aspira- weniger Probleme bei einer Aspiration als Speisen.
tionsrisikos. Hierzu gibt es eine Vielzahl von Metho- Ein Test mit Wasser lässt jedoch keine Aussage zu, ob
den, die jedoch in der Regel – wenn überhaupt – nur eine spezielle, individuell abgestimmte Dysphagie-
für Schlaganfallpatienten evaluiert wurden. Fast alle kost ausreicht oder ob der Patient komplett auf Essen
Screening-Instrumente und Schlucktests sind zudem und Trinken verzichten muss. Neben Wasser sind
für Logopäden oder spezialisierte Ärzte entwickelt auch inhomogene, körnige, faserige und sehr harte
und erfordern Fachwissen sowie viel Erfahrung Speisen ungeeignet für Patienten mit einer Schluck-
(Simon et al. 2009). störung. Gut lassen sich homogene Speisen mit brei-
Trotzdem gehört eine Schluckuntersuchung iger Konsistenz schlucken. Sinnvoll ist daher, dem
bei neurologischen Patienten zur Pflegeanamnese. Schluckversuch mit Wasser einen Schluckversuch
Dabei ist das Ziel, Patienten mit hohem Risiko einer mit Wackelpudding vorzuschalten. Wackelpudding
logopädischen Diagnostik oder einer technikba- hat eine angenehme Konsistenz und ist im Falle einer
sierten Schluckuntersuchung zuzuführen und mit Aspiration nicht wesentlich gefährlicher als Wasser.
den übrigen Patienten einen einfachen Schlucktest Inzwischen wird auch angedicktes gefärbtes Wasser
durchzuführen. Die Deutsche Gesellschaft für Neu- auf dem Markt angeboten.
rologie empfiehlt u. a. das Standardized Swallowing Eine Alternative zum SSA ist der als Gugging
Assessment (SSA) (Perry et al. 2001, DGN 2012). Swallowing Screen (GUSS) veröffentlichte Multi-
Das SSA ist das einzige Instrument, das speziell für ple-Consistency-Test (DGN 2012; DGEM 2013).
Pflegende entwickelt und validiert ist (Simon et al. Dieser ist als schrittweises Verfahren konzipiert.
2009). Zunächst wird überprüft, ob der Patient seinen
222 Kapitel 15 · Fallbeispiel Neurologie – Myasthenia gravis

Speichel schlucken kann, danach in festgelegter Rei- Dysphagiekost kann über die Krankenhausküche
henfolge die Konsistenzen halbfest, flüssig und fest. bestellt werden. Dabei werden in der Regel verschie-
Nach jedem der vier Schritte wird der Test bei klini- dene Stufen unterschieden. Die gelieferten Speisen
schen Aspirationszeichen abgebrochen. Der GUSS lassen sich nachjustieren:
ermöglicht damit eine differenziertere Einteilung der 55 Zerkleinern
Dysphagie und folglich auch Empfehlungen zur Diät 55 Einweichen von Speisen
(Trapl et al. 2007). Eine ausführliche Darstellung des 55 Andicken von Suppen und Flüssigkeiten mit
Tests findet sich in der Leitlinie „Klinische Ernäh- Speisestärke (oder entsprechenden Produkten
rung in der Neurologie“ (DGEM 2013). aus der Apotheke z. B. Thick and Easy)

z Therapeutische Maßnahmen und Ernährung Betroffene sollen gut kauen und die Nahrung ordent-
bei Dysphagie lich einspeicheln. Sehr süße Kost und Milchspei-
Die therapeutischen Maßnahmen lassen sich sen wirken auf die Speichelbildung reduzierend.
untergliedern in restituierende, kompensatorische Sie führen zu zähem Speichel und erschweren das
und adaptive Maßnahmen. Restituierende Ver- Runterschlucken.
fahren obliegen im Wesentlichen der Logopädie In der Regel lässt sich durch sorgfältige Schluck-
und spielen bei Herrn Aytekin eine untergeord- diagnostik eine Kostform finden, die aspirations-
nete Rolle, da keine bleibende Schlucklähmung zu freies Schlucken erlaubt (DGN 2012). Zur Evalua-
erwarten ist. tion, ob die gewählte Kostform der Situation des Pati-
Kompensatorische Maßnahmen bestehen vor enten entspricht, muss der Patient beim Essen beob-
allem darin, sich auf das Essen und Trinken gut vor- achtet werden. Speisereste im Mund, eine verlängerte
zubereiten und Ablenkung zu vermeiden. Wichtig Essdauer, das Vermeiden von schlecht rutschenden
sind besonders ein aufrechter Sitz mit Rückenunter- Speisekomponenten, häufiges Husten oder Trinken
stützung und eine gut sitzende Zahnprothese. bei jedem Bissen sind Anzeichen, dass der Patient
Bei verzögerter Auslösung des Schluckrefle- mit dem Schlucken der Speisen überfordert ist. Bei
xes oder reduzierter oraler Boluskontrolle wird das Zweifeln sollte mit dem Patienten eine „Stimmprobe“
Schlucken leichter und das Aspirationsrisiko sinkt, gemacht werden. Wenn die Stimme feucht und gur-
wenn der Patient den Kopf nach vorne neigt. Das gelnd klingt, bedarf es besserer kompensatorischer
Aspirationsrisiko lässt sich auch durch Räuspern Maßnahmen oder das Essen und Trinken muss zur
nach jedem Schlucken, bewusstes Nachschlucken erneuten Diagnostik ganz abgebrochen werden.
und durch supraglottisches Schlucken senken: Bei schwerer Dysphagie – und dieser Befund
bewusstes Atemanhalten unmittelbar vor und würde bei Herrn Aytekin nicht überraschen – muss
während des Schluckens (u. a. DGN 2012). der Patient komplett künstlich ernährt werden. Dabei
Die adaptiven Interventionen umfassen die diäte- ist der enteralen Ernährung in Form von Sondenkost
15 tische Anpassung sowie spezielle Ess- und Trinkhil- grundsätzlich der Vorzug gegenüber der parentera-
fen. Eine einfache Maßnahme ist das Kontrollieren len Zufuhr zu geben (ESPEN 2006; DGEM 2007a,
der zu schluckenden Menge durch die Verwendung 2013, 7 Kap. 5).
von Teelöffeln oder Strohhalmen. Schnabelbecher Der Kostaufbau stellt in der Regel kein Problem
erweisen sich als schwierig, da durch sie eine unna- dar. Herr Aytekin hat bis zum Vortag noch normal
türliche Trinksituation entsteht. Vergleichbar mit dem gegessen und die Gabe von Pyridostigmin fördert die
Trinken aus Flaschen muss der Kopf in den Nacken Peristaltik im Magen-Darm-Trakt. Allerdings sind
genommen werden, was das Schlucken erschwert. Durchfälle nicht nur ein häufiges Problem bei entera-
Bei der individuell angepassten Dysphagie- ler Ernährung, sondern auch eine mögliche Neben-
kost ist die Nahrungskonsistenz die entscheidende wirkung von Pyridostigmin.
Größe. Breiige Nahrung und angedickte Flüssig- Bei der Berechnung des Energiebedarfs für
keiten sind zu bevorzugen. In anderen Fällen, z. B. Herrn Aytekin muss auf seinen Krankheitsverlauf
bei pharyngealer Parese, kann eine gute Fließfähig- Rücksicht genommen werden. Falls sich der Zustand
keit den Bolustransport und das Schlucken auch von Herrn Aytekin rasch stabilisiert, ist der Ruheum-
erleichtern. satz von 20–25 kcal/kg KG/Tag eine Zielgröße für
15.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
223 15
die ersten Tage. Solange er immobil ist und keine
Zeichen der Mangelernährung hat, besteht keine
Notwendigkeit, über den Ruheumsatz hinauszuge-
hen (ESPEN 2006; DGEM 2007a). Eine Indikation
zur ergänzenden parenteralen Ernährung besteht
erst ab dem 5. Tag (ESPEN 2006; DGEM 2007a).
Verschlechtert sich hingegen der Zustand von Herrn
Aytekin weiter im Rahmen einer schweren Pneu-
monie oder Sepsis, sollte die Energiezufuhr in der
Ebbphase sogar unterhalb des Ruheumsatzes liegen
(DGEM 2007b). In diesem Fall kann der Kostaufbau
langsam über 5 Tage gestreckt erfolgen. . Abb. 15.1 Patientenklingel zum Anblasen
Zur Indikation einer PEG-Anlage bei Myas-
thenia gravis liegen keine Daten vor. Zur Orientie-
rung können aber Studien bei Schlaganfallpatien- infolge der Grunderkrankung muss eine Aspirations-
ten mit Dysphagie dienen, die ergaben, dass in den pneumonie befürchtet werden. Entwickelt sich diese
ersten 2 Wochen eine einfache Magensonde einer fulminant, sind auch kardiozirkulatorische Probleme
PEG-Anlage vorzuziehen ist (DGN 2012; DGEM wahrscheinlich.
2013; Dennis et al. 2005). Darüber hinaus hat eine Überdosierung von
Pyridostigmin eine cholinerge Krise zur Folge.
z Mundhygiene und Pneumonieprophylaxe Die Überstimulation des Parasympathikus führt
Unabhängig davon, wie Patienten mit Schluckstö- zu Akkommodationsstörungen des Auges, Durch-
rungen ernährt werden, kommt im Rahmen der fall, Bauchkrämpfen, Erbrechen, Übelkeit, Spei-
Pneumonieprophylaxe der regelmäßigen Mundhygi- chelfluss, Bradykardien und Überleitungsstörun-
ene und dem Absaugen des Mund-Rachen-Raumes gen am Herzen. Ein Überangebot an Acetylcho-
große Bedeutung zu (z. B. Schulz-Stübner et al. 2010). lin bewirkt zudem Muskelzittern, Muskelkrämpfe
Neben der Schwierigkeit, den Speichel zu schlucken, und eine Verstärkung der Muskelschwäche (Hacke
kommt hinzu, dass Pyridostigmin die Speichelpro- 2010; DGN 2014). Wird Pyridostigmin neu ange-
duktion fördert. Je größer der Speichelsee im Mun- setzt, höher dosiert oder umgesetzt auf eine intra-
draum, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer venöse Gabe (orale Tagesdosis muss durch 30 geteilt
stillen Aspiration. Bei tracheotomierten Patienten werden!), ist ein kontinuierliches Monitoring der
mit Schluckstörungen bieten sich Trachealkanülen Vitalzeichen notwendig.
mit der Möglichkeit einer subglottischen Absaugung Natürlich muss trotz Monitoring sichergestellt
an. Mit ihnen kann das Sekret, das sich über dem Cuff sein, dass Herr Aytekin die Ruftaste der Patien-
der Kanüle sammelt und ein großes Keimreservoir tenklingel betätigen kann. Reicht die Kraft in den
darstellt, regelmäßig oder kontinuierlich abgesaugt Fingern nicht mehr aus, gibt es als Alternative sehr
werden (u. a. Muscedere et al. 2011; Kommission für sensibel reagierende Patientenklingeln zum Anbla-
Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am sen (. Abb. 15.1).
Robert-Koch-Institut 2013). Bei guter Compliance
können Patienten lernen, sich selber den Mundraum z Medikamente
auszusaugen. Neben den Gefahren beim Aufdosieren und Anpas-
sen der Cholinesterasehemmer ist hinsichtlich der
medikamentösen Therapie bei Patienten mit Myast-
15.2.4 Patientensicherheit henia gravis von besonderer Bedeutung, dass viele
Medikamente kontraindiziert sind, da sie die Sym-
z Überwachung und Patientenklingel ptomatik verschlechtern. Darunter ist eine ganze
Die Überwachung der Vitalzeichen bei Herrn Reihe an Medikamenten, die im Krankenhausall-
Aytekin ist aus mehreren Gründen von Bedeutung. tag häufig eingesetzt werden und sonst als „unge-
Neben der drohenden respiratorischen Erschöpfung fährlich“ gelten, sodass Anordnungen nicht selten
224 Kapitel 15 · Fallbeispiel Neurologie – Myasthenia gravis

mündlich und der Form halber eingeholt werden. Effekt haben und daher überflüssig sind, hingegen
Beispielhaft genannt seien: Magnesium in hohen intermittierende pneumatische Kompression das
Dosen als Laxans, Nifedipin und andere Ca-Anta- Risiko einer tiefen Beinvenenthrombose reduziert
gonisten, viele Schlafmittel und Psychopharmaka, (CLOTS Trial Collaboration 2009, 2013).
viele Betablocker (auch als Augentropfen), Mor- Im Allgemeinen ist Bewegung ein „Allheilmittel“.
phinpräparate oder Nikotinpflaster. Es empfiehlt Der Patient soll gefordert und aktiviert werden. Bei
sich für alle Berufsgruppen, eine Liste mit kontra- Patienten mit belastungsabhängigen Lähmungser-
indizierten Medikamenten auszudrucken und diese scheinungen ist eine Überanstrengung kontraindi-
bettseitig gut einsehbar zu platzieren. Eine solche ziert. Passive Bewegungsübungen, regelmäßige Lage-
Liste findet sich z. B. in der Leitlinie der Deutschen rung und schonende Mobilisation in einen Rollstuhl
Gesellschaft für Neurologie (DGN 2012). Offensicht- mit anpassbaren Seiten- und Nackenstützen sind
lich ist, dass die Dosis an Muskelrelaxanzien (Gegen- in der Akutphase Bausteine vorbeugender Pflege.
spieler der Cholinesterasehemmer) bei einer Intu- Sobald sich der Zustand von Herrn Aytekin bessert,
bation reduziert werden muss. Initial sollten nur kann in Zusammenarbeit mit der Physiotherapie ein
10–50% der normalen Dosierung appliziert werden Bewegungsprogramm entwickelt werden.
(DGN 2012).

z Aufklärung von Patient und Angehörigen 15.3 Überlegungen zum


über Dysphagie Patientenerleben
Für Angehörige schwer vorstellbar ist, dass etwas
Einfaches wie Schlucken nicht mehr funktioniert Herrn Aytekins Gesundheitszustand verschlech-
und die Patienten nichts essen und trinken dürfen. tert sich langsam und stetig. Bei vollem Bewusstsein
Hinzu kommt, dass viele Menschen Essen und nehmen die Lähmungen zu. Seinen Speichel nicht
Trinken als grundlegend für die Genesung betrach- schlucken zu können, Sprachunfähigkeit aufgrund
ten oder als hoffnungsvolles Zeichen für eine Bes- einer Trachealkanüle, all dies sind Gründe für Angst
serung des Zustandes. Auch Frau Aytekin brachte und Frustration. Die Kommunikationsmöglichkei-
ihrem Mann eine selbstgekochte Suppe mit, weil sie ten sind eingeschränkt. Die Patienten fühlen sich uns
Angst hatte, dass ihrem Gatten das Krankenhauses- ausgeliefert.
sen nicht schmeckt. Besonders groß ist das Unver- Von den Ärzten erwarten Patienten Heilung, von
ständnis, wenn der Patient zugleich über Hunger Pflegenden Fürsorge, Aufmerksamkeit und Hilfe-
oder Durst klagt. Sowohl der Patient als auch die stellung. Sehr ängstliche oder verzweifelte Patien-
Angehörigen müssen daher rechtzeitig über die ten fühlen sich nicht unbedingt durch eine konti-
Dysphagie und die möglichen Folgen einer Aspira- nuierliche Überwachung von Herzrhythmus und
tion informiert werden. Verständnis und Mitarbeit Sauerstoffsättigung sicherer. Oft sind wir es, die sich
15 können natürlich nur erwartet werden, wenn die sicherer fühlen durch die Überwachung. Manchen
Klagen über Hunger und Durst ernst genommen Patienten hilft es weit mehr, wenn wir Kommunika-
werden und zeitnah reagiert wird. tionsformen finden, die bei allen Einschränkungen
funktionieren, wenn wir ihre Ängste ernst nehmen
z Prophylaxe oder einfach bloß anwesend sind. Dass kein Schwer-
Die Bedeutung – und andererseits eingeschränk- punkt „Kommunikation“ oder „Umgang mit Angst
ten Möglichkeiten – der Pneumonieprophylaxe und und Frustration“ gesetzt wurde, bedeutet nicht, dass
Atemgymnastik wurde bereits erwähnt. Das Deku- dies nachrangig ist, sondern liegt allein daran, dass
bitusrisiko ist überschaubar, solange Herr Aytekin zu sich die Schwerpunkte auch an der Zielsetzung des
Mikrobewegungen und zur selbstständigen Verla- Buches orientieren: die Angst eines Myasthenie-Pa-
gerung seines Gewichts in der Lage ist. Zum Einsatz tienten auf einer Überwachungsstation unterschei-
von Antithrombosestrümpfen kann keine Aussage det sich erst einmal nicht von der Angst eines Patien-
gemacht werden. Bei Schlaganfallpatienten konnte ten mit bösartigem Tumor auf einer onkologischen
gezeigt werden, dass Antithrombosestrümpfe keinen Allgemeinstation.
Literatur
225 15
CLOTS Trials Collaboration (2009) Effectiveness of thigh-length
graduated compression stockings to reduce the risk of
Anregungen für den Unterricht
deep vein thrombosis after stroke (CLOTS 1) a multicentre
1. Das Fallbeispiel und die medizinischen randomised controlled trial. Lancet 373: 1958–1965
Grundlagen zum Krankheitsbild werden CLOTS Trials Collaboration (2013) Effectiveness of intermittent
vorgegeben. Die Teilnehmer erarbeiten pneumatic compression in reduction of risk of deep vein
Pflege- und Überwachungsschwerpunkte thrombosis in patients who have had a stroke (CLOTS 3):
a multicentre randomised controlled trial. Lancet 382:
selbst. Am Ende erfolgt ein Abgleich
516–524
zwischen den Ergebnissen der Teilnehmer Dennis MS, Lewis SC, Warlow C; FOOD Trial Collaboration
und der Darstellung in diesem Text. (2005) Effect of timing and method of enteral tube fee-
Dabei können sich Erarbeitung und Text ding for dysphagic stroke patients (FOOD) a multicentre
wechselseitig ergänzen. randomised controlled trial. Lancet 365: 764–772
Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) (2007a)
2. Das Fallbeispiel und die Informationen
Leitlinie Parenterale Ernährung: Intensivmedizin. http://
zur Pathogenese werden vorgegeben. Die www.dgem.de/material/pdfs/14%20Intensivmedizin.pdf.
Teilnehmer bekommen ferner mitgeteilt, Zugegriffen: 01.06.2011
dass die symptomatische Therapie in Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) (2007b)
der Gabe von Cholinesterasehemmern Leitlinie Parenterale Ernährung: Energieumsatz und
Energiezufuhr. http://www.dgem.de/material/pdfs/3%20
besteht. Die Teilnehmer erarbeiten in
Energieumsatz.pdf. Zugegriffen: 01.06.2011
Kleingruppen Wirkungen der Cholinestera- Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) (2013)
sehemmer und leiten daraus Indikationen Leitlinie Klinische Ernährung in der Neurologie. http://
ab. Voraussetzung: Verschiedene www.dgem.de/material/pdfs/Neurologie.pdf. Zugegrif-
Quellen zur Recherche (z. B. Fachbücher, fen: 01.09.2015
Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) (2014) Leitlinie
Internet) stehen zur Verfügung. Vorteil:
Diagnostik und Therapie der Myasthenia gravis und
Die Teilnehmer lernen nicht nur ein der Lambert-Eaton-Syndroms. Letzte Aktualisierung
seltenes Krankheitsbild zu verstehen, 29.06.2015. http://www.dgn.org/images/red_leitlinien/
sondern erarbeiten sich ausgehend von LL_2014/PDFs_Download/030087_LL_68_Myasthenia_
einem einzelnen Medikament Wissen gravis.pdf. Zugegriffen: 01.09.2015
Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) (2012) Leitlinie
zur Signalübertragung, zum vegetativen
Neurogene Dysphagie. Letzte Ergänzung 08.2014. http://
Nervensystem und zu Muskelrelaxanzien. www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2014/PDFs_
3. Nur das Fallbeispiel wird vorgegeben, Download/030111_DGN_LL_neurogene_­dysphagien_
die Teilnehmer tragen selbst die final.pdf. Zugegriffen: 01.09.2015
Informationen zum Krankheitsbild, zu Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsme-
dizin (DGP) (2015) Nichtinvasive Beatmung als Therapie
Schweregraden und zu Therapiemög-
der akuten respiratorischen Insuffizienz. http://www.
lichkeiten zusammen und beziehen awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-004.html. Zugegriffen:
dieses Wissen auf den Fall. Voraussetzung: 23.09.2015
Verschiedene Quellen zur Literatur- European Society for Clinical Nutrition and Metabolism
recherche (z. B. Fachbücher, Fachzeit- (ESPEN) (2006) Leitlinie Enterale Ernährung. Übersetzung
und Zusammenfassung. http://www.dgem.de/material/
schriften, Internet) stehen zur Verfügung.
pdfs/ESPEN _LL_deutsch.pdf. Zugegriffen: 01.06.2011
Abschließend erfolgt ein Abgleich mit Fresenius M, Heck A, Zink W (2011) Repetitorium Intensivme-
dem Text. dizin, 4. Aufl. Springer, Berlin
Hacke W (2010) Neurologie, 13. Aufl. Springer, Berlin
Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionspräven-
tion am Robert-Koch-Institut (2013) Prävention der noso-
Literatur komialen beatmungsassoziierten Pneumonie. http://
www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/
Agarwal R, Reddy C, Gupta D (2006) Noninvasive ventilation Kommission/Downloads/Pneumo_Rili.pdf;jsessionid=
in acute neuromuscular respiratory failure due to myast- C23997E811800CF154030A57C7E2FF41.2_cid290?__
henic crisis: case report and review of literature. Emerg blob=publicationFile. Zugegriffen: 01.09.2015
Med J 23: e6. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/ Muscedere J, Rewa O, McKechnie K, Jiang X, Laporta D,
PMC2564151/pdf/e06.pdf. Zugegriffen: 01.06.2012 Heyland DK (2011) Subglottic secretion drainage for
226 Kapitel 15 · Fallbeispiel Neurologie – Myasthenia gravis

the prevention of ventilator-associated pneumonia: a Pneumonien. Krankenhaushygiene up2date, http://www.


systematic review and meta-analysis. Crit Care Med 39: klinik-hygiene.de/tl_files/files/content/pdf/RKI–
1985–1991 Empfehlungen/Mundpflege.pdf. Zugegriffen: 01.06.2011
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Pögelt C, Kraus V, Müllges W (2011) Psychische A ­ bhängigkeit Screening-Verfahren zur Identifikation einer Dysphagie
vom Respirator bei Myasthenia gravis. Vortrag auf bei älteren Menschen – Ein systematischer Literaturüber-
der 28. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für blick. Pflege 22: 193–206
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http://registration.akm.ch/einsicht.php?XNABSTRACT_ sen A, Brainin M (2007) Dysphagia bedside screening for
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Saeed T, Patel S (2011) Use of non invasive ventilation to avoid Vianello A, Arcaro G, Braccioni F et al. (2011) Prevention of
re-intubation in myasthenia gravis; a case report and extubation failure in high-risk patients with neuromuscu-
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(Hrsg) Neurologie, 14. Aufl. Springer, Berlin, S 827–859 role of non-invasive ventilation and factors predicting
Schulz-Stübner S, Kniehl E, Sitzmann F (2010) Die Rolle der extubation outcome in myasthenic crisis. Neurocrit Care
Mundpflege bei der Prävention beatmungsassoziierter 10: 35–42

15
227 16

Fallbeispiel Stroke
Unit – Schlaganfall
N. Moritz

16.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild – 228

16.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte – 229


16.2.1 Überwachungsgrößen – 229
16.2.2 Kommunikative Aufgaben der Pflege – 231
16.2.3 Verhütung von Sekundärschäden – 231
16.2.4 Ressourcenförderung – 232

16.3 Überlegungen zum Patientenerleben – 232

Literatur – 233

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_16
228 Kapitel 16 · Fallbeispiel Stroke Unit – Schlaganfall

Beispiel Eine Hypoxie entsteht als Folge einer Minderdurch-


Frau Kurz, eine 56 Jahre alte Frau, 171 cm groß und blutung (Ischämie) ausgelöst durch einen Verschluss
65 kg schwer, stürzt auf ihrem Arbeitsplatz nach innerhalb oder außerhalb eines Gefäßes. Möglich
einer plötzlichen Schwindelattacke und einem auf- ist auch, dass eine Gefäßwand beschädigt ist, sodass
getretenen Taubheitsgefühl in ihrem rechten Bein. es zu einer Blutung kommen könnte, wodurch die
Nachdem sie sich auch nicht mehr eindeutig in ihrer Sauerstoffversorgung des nachstehenden Gewebes
Sprache ausdrücken kann, rufen ihre Kollegen direkt beeinträchtigt wäre. Unterschiedliche Vorerkran-
den Notarzt. Frau Kurz wird in eine neurologische kungen, wie ein Tumor oder ein Aneurysma können
Ambulanz gebracht und erhält eine kraniale Com- genauso wie traumatische Verletzungen diese Blu-
putertomographie (cCT). Die Ärzte stellen bei ihr tungen verursachen.
eine zerebrale Ischämie als Folge einer Thromboem-
bolie der Arteria cerebri anterior fest. Nach stationä- z Epidemiologie
rer Aufnahme auf der hausinternen Stroke Unit wird Der Schlaganfall ist also eine Folgeproblematik auf-
Frau Kurz schnellstmöglich mit Gefäßzugängen und grund ganz verschiedener Ursachen und Kompli-
einem dauerhaften Harnableitungskatheter ver- kationen. Das Ereignis kann einmalig auftreten,
sorgt. Anschließend erhält sie eine thrombolytische nicht selten gibt es aber auch Rezidive, also wieder-
Behandlung nach therapeutischen Einschlusskrite- holte Schlaganfälle. Dies alles erschwert die Date-
rien der National Institutes of Health Stroke Scale nerfassung über die Prävalenz und Inzidenz. Mar-
(NIHSS) (Ringleb et. al. 2014). In der weiteren Diag- quart verweist auf erhobene Zahlen, in denen der
nostik wird offensichtlich, dass Frau Kurz zusätzlich Schlaganfall als die dritthäufigste Ursache der Todes-
an einem kardialen Vorhofflimmern leidet. fälle in Deutschland gilt. Da der Schlaganfall als
Die Vitalparameter zum Zeitpunkt der Aufnahme eine „Erkrankung des alten Menschen“ (Marquart
betragen: 2013) gilt, gehen Statistiker in einer Zukunftsprog-
44 Herzfrequenz: 101/min nose davon aus, dass sich die Fallzahlen, parallel zur
44 Blutdruck: 180/110 mmHg steigenden Altersgrenze, noch umfassend erhöhen
44 Peripher gemessene Sauerstoffsättigung: 94% werden (Marquart 2013).
44 Blutzucker: 86 mg/dl Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für All-
44 Körpertemperatur: 36,8°C gemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
beschreibt, dass ca. 150.000 neue Schlaganfälle pro
Jahr auftreten. 40% der Betroffenen versterben inner-
16.1 Medizinische Grundlagen zum halb des ersten Jahres. 65% der Überlebenden behal-
Krankheitsbild ten Defizite und bedürfen der Hilfe durch Andere
(Hensler et al. 2012). Jedoch können Betroffene nach
Bei einem Schlaganfall (engl.: „stroke“) oder einer einem Schlaganfall wieder völlig genesen oder sich
transitorisch ischämischen Attacke (TIA)besteht eine erholen, auch wenn in den ersten Tagen starke Defi-
Sauerstoffunterversorgung (Hypoxie) betroffener zite auftreten. Ebenso können bei schwerwiegen-
16 Hirnareale, wodurch folgend die zum Körper führen- den Einschränkungen wichtige Funktionsverbesse-
den Nervenbahnen in ihrer Funktion eingeschränkt rungen wieder erzielt werden. Der Heilungsprozess
oder vollständig erloschen sein können. kann durch frühzeitige und gezielte Rehabilitations-
maßnahmen unterstützt und beschleunigt werden
» Die WHO definiert einen Schlaganfall (Kiechl et al. 2006).
als ein sich rasch entwickelndes Zeichen
einer fokalen oder globalen Störung der z Symptome
zerebralen Funktion, woran sich Symptome Typische einzelne oder in Kombination auftretende
anschließen, die 24 Stunden oder länger Symptome nach einem Schlaganfall sind:
dauern oder gar zum Tode führen, ohne 55 Gestörtes Sprech- (Dysarthrie), Sprach-
scheinbare Ursachen außer einer vaskulären. (Aphasie) und/ oder Schluckvermögen
(Hensler et al. 2012) (Dysphagie)
16.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
229 16
55 Lähmungs- (Plegie), Erschlaffungs- und/oder oder in der Bildgebung nachgewiesene Hirn-
Gefühlsstörungen (Paresen) einzelner oder infarkt-Demarkierungen (Audebert 2011). Bei
bepaarter Gliedmaßen, ganzer Körperhälften einer bestehenden Blutung, einem vorhandenem
und/ oder Gesichtsbereiche Aneurysma oder einer Raumforderung des Hirn-
55 Sehkraftschwäche oder -verlust auf einem oder gewebes erfolgt ein spezieller neurochirurgischer
beiden Auge(n) Eingriff. Rehabilitierende Maßnahmen beginnen
55 Benommenheit (Somnolenz), tiefer Schlaf im Falle eines Schlaganfalls so schnell wie möglich.
(Sopor) oder Koma Lalouschek (o.J.) beschreibt die Folgetherapie als
55 Gleichgewichtsstörungen des die Zusammenarbeit eines interdisziplinären
Betroffenen Teams (. Tab. 16.1).
55 Pupillenveränderungen in Größe und
Form, beidseitig oder different
16.2 Pflege- und
Mögliche Komplikationen sind im frühen oder späte- Überwachungsschwerpunkte
ren Verlauf ein Hirnödem und/oder Krampfanfälle.
Detailliert ergänzend zu . Tab. 16.1 beinhalten die
z Diagnostik und Therapie Aufgaben der Pflegenden vorrangig das Sorgetragen
Die erste Erkennung erfolgt, an Hand der auftreten- um die Sicherheit von Frau Kurz. Dieses impliziert:
den Symptome, durch den Betroffenen selbst bzw. 55 Engmaschige klinische und apparative
durch Menschen, die sich in seinem unmittelbaren Überwachung
Umfeld aufhalten. Die Notrufalarmierung ist zwin- 55 Aufklärende und zugleich für die möglichen
gend notwendig. Der Notarzt leistet erste internis- Sprachbarrieren sensible Kommunikation
tische und neurologische Untersuchungen vor Ort. 55 Verhütung von Sekundärschäden
Die Symptomerkennung und Erstdiagnose ist ent- 55 Ressourcenförderung
scheidend für die Wahl der weiter behandelnden
Klinik. Im idealen Fall erfolgt eine Aufnahme in Für die Überwachung werden die vitalen Parameter
einer nächstgelegenen Stroke Unit. Nach Aufnahme der Patientin kontinuierlich über eine Monitoranlage
findet direkt eine Bildgebungsdiagnostik über eine kontrolliert. Der Blick richtet sich hierbei besonders
cCT oder eine MRT des Gehirns statt. Eine zusätz- auf die Ziele, hämodynamische Veränderungen früh-
liche Möglichkeit der Untersuchung ist die sono- zeitig zu erkennen und das neurologische Outcome
graphische Darstellung der Blutflussströmungen zu verbessern.
im und zum hirnorganischen Gewebe. Wurde die
Ursache des Schlaganfalls lokalisiert, erfolgt die
Therapie je nach Auslöser. Liegt ein Verschluss des 16.2.1 Überwachungsgrößen
Gefäßes vor, kann dieser durch eine medikamen-
töse Thrombolyse oder unter Sicht lokal umgan- Blutdruck Die eigene Regulation des Blutdrucks
gen oder entfernt werden. Die Entscheidung, eine kann nach einem Schlaganfall gestört sein und muss
thrombolytische Therapie zu wählen, unterliegt gegebenenfalls medikamentös unterstützt werden.
verschiedenen Einschlusskriterien. Das Zeitfens- Höhere Blutdruckwerte verbessern die Durchblu-
ter zwischen Auftreten der Erstsymptome bis zu tung der Hirnareale, während niedrigere Maße zu
Beginn dieser Therapiemaßnahme ist entschei- einer Minderversorgung führen können.
dend für die Lyse-Effizienz und die Risikoreduk-
tion des zu behandelnden Patienten. Audebert > Bei Patienten nach einem Schlaganfall wird in
weist auf Studien hin, die belegen, dass ein einge- der Akut- und Frühphase ein hochnormaler
haltener Zeitrahmen von 3 h, maximal 4–4,5 h, den Blutdruck angestrebt.
größten Wirksamkeitseffekt hat. Ausschlusskrite-
rien einer derartigen Behandlung sind eine vorhan- Ferrari empfiehlt hierbei eine Senkung des Blutdru-
dene Blutung, eine intrakranielle Raumforderung ckes erst ab Werten ≥220/110 mmHg.
230 Kapitel 16 · Fallbeispiel Stroke Unit – Schlaganfall

. Tab. 16.1 Aufgaben des interdisziplinärenn Teams in der Behandlung eines Schlaganfalls. (In Anlehnung an
Lalouschek o.J.)

Neurologen Pflege
– Koordination zwischen einzelnen Berufsgruppen – Unterstützende, beratende und direkte
– Einleitung der patientenindividuellen Therapiemaßnahemn Kommunikation zwischen den einzelnen
– Festlegung des therapeutischen Ziels Berufsgruppen, dem Patienten und den
– Organisation von Konsiliarärzten, zur behandlung Angehörigen
bestehender Vor- und Begleiterkrankungen – Mit- und Absprache sowie Umsetzung der
patientenindividuellen Therapiemaßnahmen, nach
Physiotherapeuten
gesetzten Plänen und Anordnungen innerhalb des
Diagnostik und Förderung von
interdisziplinären Teams
– Gleichgewicht
– Informationssammlung, -vermittlung und
– Koordination
Evaluation zu der Erreichbarkeit der
– Bewegungsapparat
therapeutischen Ziele (Fern- und Nahziele)
Logopäden – Ganzheitliche Überwachung und Beobachtung der
Diagnostik und Förderung des Wiedererlangens der Patientensituation, mit dem Ziel, Veränderungen
Fähigkeiten bei frühzeitig zu erkennen und Folgekomplikationen
– Schluckstörungen sowie Sekundärschäden zu vermeiden
– Sprachstörungen – Individuelle prophylaktische Pflegemaßnahmen
– Atemstörungen planen und zielgerichtet umsetzen
Ergotherapeuten – Ressourcen der Patienten ermitteln, diese fördern
– Unterstützung in der Erlernung von Alltagsfähigkeiten und einbeziehen
– An- und Begleiten der Patienten und Angehörigen
Weitere therapeutische und medizinische Berufsgruppen
Bedarfsgerechte, individuelle Behandlung einzelner oder
mehrerer
– Ursachen
– Symptome
– Folgekomplikationen
– Sekundäre Schädigungen

» Eine umgehende Blutdrucksenkung wird Atmung Eine Hypoxämie oder eine Hyperkapnie,
lediglich empfohlen bei: Myokardinfarkt, als Folge einer pathologischen Atmung, ermögli-
Lungenödem, akuter hypertensiver chen eine Vergrößerung der durch die Hypoxie ver-
Enzephalopathie, Aortendissektion und (Prä) ursachten Schädigungen im Hirngewebe. Um eine
Eklampsie. (…) Bei Thrombolysepatienten Verringerung der Sauerstoffsättigung rechtzeitig
sollte der Blutdruck vor Initiierung der Therapie erkennen zu können, werden die Betroffenen kon-
auf Werte ≤185/110 mmHg gesenkt werden. tinuierlich über eine peripher gemessene Pulsoxy-
16 (Ferrari 2012) metrie und ergänzend durch Blutgasanalysen über-
wacht. Des Weiteren könnte das Atemzentrum durch
Herzfrequenz Die Kontrolle der Herzfrequenz den Schlaganfall betroffen sein und unter Umstän-
kann unterschiedliche Ziele verfolgen. Ein Hirn- den komplett in seiner Funktion ausfallen. Ein wei-
ödem, als Komplikation, kann u. a. durch eine ein- teres Überwachungskriterium ist das Atemmuster
setzende Bradykardie erkannt werden. Im Falle der Patienten.
von Frau Kurz ist das bestehende Vorhofflimmern
der Hauptrisikofaktor als Auslöser eines erneuten Körpertemperatur Hohe Körpertemperaturen ver-
Schlaganfalls. Die medikamentöse Therapie des Vor- schlechtern das vorgeschädigte Hirngewebe nach-
hofflimmerns muss konstant überwacht werden, haltig. Zusätzlich steigert Fieber den Sauerstoff-
damit unerwünschte Nebenwirkungen frühzeitig verbrauch im Körper. Es müssen rechtzeitig thera-
erkannt werden können. peutische Maßnahmen bei erhöhten Temperaturen
16.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
231 16
ergriffen werden. Eine stetige Überwachung der Kör-
pertemperatur ist somit notwendig.
Patient
Blutzuckerspiegel Abweichungen des Blutzucker-
spiegels können zur Folge haben, dass der anabole
und katabole Metabolismus verändert wird und es
zu einem Laktatanstieg kommt. Dies hat zur Folge,
dass der gesamte Ernährungsstoffwechsel betroffen
ist und unphysiologisch reagiert.
Pflege
Vigilanz Die Bewusstseinslage kann sich jederzeit
vermindern. Bei der Bildung eines Hirnödems oder Therapeuten Angehörige
eines wiederholt auftretenden Schlaganfalls kann der
Patient eintrüben oder gar in einen komatösen Zustand
fallen. Auch ein Wandel der Gemütslage ist oftmals
ein Zeichen für eine Veränderung im hirnorganischen
Bereich. Im Falle von Frau Kurz könnten sich Verstim- . Abb. 16.1 Rolle der Pflegenden als Sprachvermittler
mungen, Aggressionen oder Enthemmungen bilden,
als Folge der Lokalisation ihres betroffenen Hirngebiets.
Die verbale Verständigung mit der Patientin ist
Pupillen Die Pupillen geben eine Aussage, ob es durch die aufgetretene Aphasie (hier nicht näher
zu einer erneuten oder ausgedehnten Ischämie im klassifiziert) erschwert. Jeder aus den versorgenden
Gehirn gekommen ist. Ist ein Auge oder sind beide Teams sowie Angehörige werden in knapp gehalte-
Augen minderdurchblutet, erschlafft die Muskultur nen Sätzen mit Frau Kurz reden, Schlüsselbegriffe
der Pupille. Diese stellt sich weit und reagiert nicht betonen und den Blickkontakt halten. Frau Kurz darf
mehr auf Lichteinfall. Dadurch ist es zwingend not- nicht das Gefühl der Überforderung oder der Unge-
wendig, eine sehr engmaschige Kontrolle bezüglich duld vermittelt bekommen (Winterholler 2013).
der Größe und Reaktion durchzuführen und den
Verlauf zu dokumentieren. Praxistipp

Um Frau Kurz in der verbalen Verständigung zu


16.2.2 Kommunikative Aufgaben unterstützen, könnten spezielle Kommunika-
der Pflege tionstafeln eingesetzt werden, die bildlich
die menschlichen Grundbedürfnisse und
Nicht unüblich übernimmt die Pflege die Aufgabe Gegenstände für den täglichen Bedarf
des Sprachvermittlers in der Patientenversorgung darstellen.
(. Abb. 16.1). Positive, wie auch negative Abweichun-
gen werden von der Pflege registriert und Informa-
tionen zu Veränderungen an den Patienten, an die
Angehörigen und das weitere behandelnden Team 16.2.3 Verhütung von
weitergeleitet. Sekundärschäden
Aufgaben der Pflege:
55 Allgemeine Informationen sammeln, durch Da bei Frau Kurz ein Vorhofflimmern diagnosti-
aktives Sehen, Fühlen und (Zu-)Hören, ziert wurde, kommt noch eine kardiale Therapie
Dokumentieren und Vermitteln hinzu. Sie wird, auch auf längere Zeit, mit antikoa-
55 Detaillierte, differenzierte oder spezialisierte gulativ wirkenden Medikamenten eingestellt werden.
Informationsweitergabe an die weiteren Diese und die zuvor erhaltene Lysetherapie setzen die
Beteiligten in der Fallversorgung Blutgerinnung stark herab. Es besteht jederzeit die
232 Kapitel 16 · Fallbeispiel Stroke Unit – Schlaganfall

Gefahr, dass es zu auftretenden starken Blutungen 16.2.4 Ressourcenförderung


bei scheinbar kleinsten Verletzungen kommen kann.
Um die eingeschränkten Ressourcen fördern zu
Praxistipp können, müssen die vorhandenen Fähigkeiten von
Frau Kurz stets geprüft und evaluiert werden. Die
Bei pflegerischen Maßnahmen muss darauf Patientin darf nicht leichtsinnig überfordert werden,
geachtet werden, dass weiche Materialien z. B. bei der Mobilisation, indem die behandelnden
genutzt werden, um kleinere Verletzungen Personen die Handlungsabläufe erklären und gleich-
zu vermeiden. Zum Beispiel erleichtern zeitig versuchen, Frau Kurz in den Stand zu bringen.
weiche Bürsten oder spezielle Schwämme das Sie muss die Möglichkeit bekommen, das Erklärte
Zähneputzen. zu verarbeiten und anschließend das Gefühl (z. B.
den Boden unter den Füssen) zu erfassen. Das Affol-
ter-Modell beschreibt, dass es besonders nach neu-
Sturzprophylaktisches Handeln ist eine der wich- rologischen Erkrankungen möglich ist, dass Patien-
tigsten Maßnahmen der unterstützenden Personen. ten die Fragestellungen „Was?“ (Was soll geschehen?)
Die Patienten und Angehörigen werden diesbezüg- und „Wo?“ (Wo befinde ich mich?) nicht mehr gleich-
lich von Pflegekräften aufgeklärt und angeleitet. Da zeitig verarbeiten können. Die Betroffenen können
Frau Kurz eine Parese im rechten Bein hat, wird sie ihre Umwelt nur erschwert wahrnehmen und das
besonders in ihrer Mobilität gefördert. Sie muss Gehirn reagiert mit unerwünschter erhöhter Kör-
mehrmals täglich, mit Hilfestellung und Stützkraft, perspannung (Söll 2013).
in den Stand gebracht werden und von der Phy-
siotherapie das Gehen mit beiden Beinen wieder
erlernen. 16.3 Überlegungen zum
Patientenerleben
Praxistipp
Bei einem aufgetretenen Ereignis wie im Falle von
Als Hilfsmittel kann ein stabiler Gehwagen Frau Kurz lässt sich annehmen, dass plötzliche
eingesetzt werden, auf den sich Frau Kurz Lebenseinschnitte bei Betroffenen schwerwiegende
mit ihrem Oberkörper abstützen darf. Dieser Emotionen hervorrufen können, die man in der Fol-
vermittelt ihr ein Gefühl der Sicherheit beim getherapie nicht außer Acht lassen darf. Das Auftre-
Laufen. ten der Angst, als Beispiel, ist jedoch ein subjektives
Gefühl eines jeden Menschen und lässt sich schwer
erfassen.
Die Pflegenden haben Sorge zu tragen, dass das Eine Notfallversorgung bringt den Betroffenen
betroffene Bein in einer physiologischen Haltung in eine Situation, mit der er sich möglicherweise bis
positioniert wird, um Kontrakturen und andere Fol- dahin nicht auseinandergesetzt hat und mag trau-
16 geschäden, z. B. Hautdefekte, zu verhindern (Lorenz matisch wirken. Die cCt ist ein Ereignis, bei dem sich
u. Lunz 2013). der Patient alleine in einem fremden Raum befindet,
Um eine Aspiration, und dadurch eine Pneumo- in eine enge „Röhre“ gefahren wird und still liegen
nie als Folgekomplikation, zu vermeiden, muss das bleiben muss. Gerade in akuten Situationen, wenn
Schluckvermögen von Frau Kurz durch Logopäden diese noch nicht vollkommen realisiert wurden,
erhoben werden. kann dieses Erlebnis verstörend wirken.

> Orale Flüssigkeits- und Nahrungszufuhren > Im Gegenteil dazu könnte der gesamte
sind zu unterlassen, solange Ablauf, beginnend vom Eintreffen des
ein Schluckvermögen nicht eindeutig Rettungsdienstes, Frau Kurz allerdings auch
positiv erhoben wurde (Bäuerlein die Furcht nehmen, da sie das Gefühl „ich
u. Lunz 2013). erhalte jetzt Hilfe“ vermittelt bekommt.
Literatur
233 16
In der frühen Phase eines akuten Krankheitserle-
bens ist oftmals das Angstgefühl bei den Betroffe- Anregungen für den Unterricht
nen präsent, ob sie je wieder gesund oder gar ver- 1. Verteilen Sie in Ihrem Unterricht lediglich
sterben werden. In späteren Phasen des Verlaufs den Patientenfall sowie die Unterpunkte
zeigen sich Zukunftsängste wie z. B. „Bleibt man aus 7 Abschn. 16.1.
dauerhaft unterstützungsbedürftig?“, „Ist und bleibt 2. Erarbeiten Sie in kleinen Gruppen, welche
man eine Belastung für die Angehörigen?“ und besondere Rolle die Gesundheits- und
„Kann man jemals wieder seinen Beruf ausüben?“. Krankenpflege innerhalb des interdiszi-
In den unterschiedlichen Phasen muss das behan- plinären Teams in der Therapie von Frau
delnde Team stets sensibel auf den Patienten ein- Kurz spielt.
gehen und die Ängste ernst nehmen. Ratsam ist 3. Erarbeiten Sie in kleinen Gruppen
es, frühzeitig eine psychologische Unterstützung symptomorientiert die speziellen
hinzuzuziehen. Maßnahmen der
a. allgemeinen Ressourcen-Förderung bei
> Da bei Frau Kurz eine nicht näher Patienten mit einem Schlaganfall und
klassifizierte Aphasie-Form vorliegt, ist sie b. die fallbezogenen
aktuell noch nicht in der Lage, ihre Bedenken, Förderungsmaßnahmen.
Fragen und Ängste klar verbal zu äußern.
4. Lassen Sie die Gruppe das mögliche
Krankheitserleben selbstständig erarbeiten
Möglich ist, dass die Anlage des Harnableitungska-
und diskutieren Sie dieses im Anschluss
theters von Frau Kurz als besonders unangenehm
im Plenum. Richten Sie Ihren Schwerpunkt
empfunden wird, da dies einen speziellen Eingriff in
ggf. auf die möglichen Gefühlser-
ihre Intimsphäre durch eine fremde Person bedeutet.
lebnisse „Angst“, „Stress“, „Hilflosigkeit“,
Viele Patienten verlieren das Gefühl der Selbststän-
„Schamgefühl“ und „Dankbarkeit“.
digkeit, wenn diese nicht mehr eigenständig auf die
5. Besprechen Sie mit Ihrem Plenum oder
Toilette gehen können.
in kleinen Gruppen, welche besonderen
Die kontinuierliche Monitorüberwachung
prophylaktischen Maßnahmen im Falle von
zwingt Frau Kurz eine Einschränkung ihrer freien
Frau Kurz getätigt werden sollten, welche
Bewegung auf.
Ziele erreicht werden möchten und welche
Probleme sich ergeben könnten.
> Ob ein Patient bettlägerig oder mobil ist, der
kontinuierliche Anschluss an einen Monitor
bedeutet einen dauerhaften vorsichtigen
Umgang mit den entsprechenden Kabeln.
Literatur
Die wiederkehrend auftretende Lärmbelästigung Audebert HJ (2011) Schlaganfallbehandlung 2011. Notfall
durch die Alarmtöne des Monitors, nicht nur die Rettungsmed 5: 415–416
Lautstärke, kann störend für den Betroffenen sein. Bäuerlein S, Lunz N (2013) Pflegerische Überwachung. In:
Der Signalton an sich kann zu erneuten Ängsten Fiedler C, Köhrmann M, Kollmar R (Hrsg) Pflegewissen
Stroke Unit. Springer, Heidelberg, S 124
vor einer Verschlechterung des eigenen Zustandes
Ferrari J (2012), Ischämischer Insult. In: Meyer G, Friesacher H,
führen. Lange R (Hrsg) Handbuch der Intensivpflege, Kap. VIII-3.3.
Die Pupillen werden anfangs noch sehr engma- Ecomed., Landsberg am Lech, S 2
schig kontrolliert und dokumentiert. Dieses und Haupt W F, Jochheim K-A, Remschmidt H (Hrsg) (2002) Krank-
eine stetige Kontrolle der Bewusstseinslage mag von heitslehre Neurologie und Psychiatrie für Pflegeberufe, 9.
Aufl. Thieme, Stuttgart
Frau Kurz als zusätzlicher Stress empfunden werden.
Hensler S, Barzel A, Koneczny N (2012) Schlaganfall – DEGAM-
Besonders nachts werden Patienten für diese Maß- Leitlinie Nr. 8. Stand: 16.02.2012; geplante Überarbeitung:
nahmen oftmals in einem mindestens stündlichen Februar 2016. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedi-
Rhythmus geweckt. zin und Familienmedizin (DEGAM). Omikron publishing,
234 Kapitel 16 · Fallbeispiel Stroke Unit – Schlaganfall

Düsseldorf, S 9, 27. http://www.awmf.org/uploads/ Ringleb P, Nagel S; Purrucker J, Bösel J (2014) (SOP) Thrombo-
tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf. lyse und Rekanalisation Neurologische Universitätsklinik
Zugegriffen: 21.09.2015 Heidelberg Behandlungsstandard. https://www.klinikum.
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Marquardt L (2013) Epidemiologie und Bedeutung der Stroke
Unit. In: Fiedler C, Köhrmann M, Kollmar R (Hrsg) Pflege-
wissen Stroke Unit. Springer, Heidelberg, S 4

16
235 17

Fallbeispiel Viszeralchirurgie –
Pankreasresektion
M. Wüsten

17.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild – 236


17.1.1 Pankreastumoren – 236

17.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte – 238


17.2.1 Postoperative Überwachung – 238
17.2.2 Früherkennung einer Magen-Darm-Atonie und
­Aspirationsprophylaxe – 240
17.2.3 Blutzuckerkontrollen – 242
17.2.4 Verdauung der Nahrung – 242

17.3 Überlegungen zum Patientenerleben – 242

Literatur – 243

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_17
236 Kapitel 17 · Fallbeispiel Viszeralchirurgie – Pankreasresektion

Beispiel
Herr Müller, 55-jähriger Lehrer, verheiratet, 2 Kinder,
leidet seit mehreren Wochen unter nächtlichem
Schweißausbruch. In den letzten 4 Wochen hat er
zunehmend Schmerzen im Oberbauch, die in den
Rücken ausstrahlen, und er hat Gewicht verloren.
Der Hausarzt von Herrn Müller stellte mit der ersten
Laboruntersuchung erhöhte Leberwerte fest. Zur
weiteren Diagnostik wurde Herr Müller zum Radio-
logen überwiesen, der eine Sonographie durchführ-
te und eine unklare Raumforderung im Bereich des
Pankreaskopfes diagnostizierte. Herr Müller unter- . Abb. 17.1 Pankreaskopftumor
zog sich weiteren diagnostischen Maßnahmen. Es
wurde eine ERCP (endoskopisch retrograde Cho-
langiopankreatikographie), d. h. eine fiberoptische Als zweites Funktionssystem enthält das
Darstellung des Gallen- und Pankreasgangs, durch- Pankreas hormonbereitende Zellen, die in den
geführt. Die Papilla vateri, als Ausgang des Gallen- Langerhans-Inseln zusammengelagert sind. Unter
und Pankreasganges in das Duodenum war öde- anderem werden die Hormone Insulin und Gluka-
matös aufgetrieben und der Ductus choledochus gon produziert, die direkt in den Blutstrom abgege-
(Gallengang) erweitert. Eine Biopsie (Zellentnahme) ben werden und damit in alle Körperteile gelangen.
der Papille wurde gemacht und ein Geschwür der Diese beiden Hormone sind für die Regulation des
Pankreaszellen diagnostiziert. Die folgende Compu- Blutzuckerspiegels verantwortlich (v. Brandis Schön-
tertomographie wies ebenfalls eine Raumforderung berger 1988).
in diesem Bereich auf, ohne Nachweis von Metas-
tasen. Herr Müller stellt sich in einer chirurgischen
Klinik zur operativen Entfernung des Tumors vor. 17.1.1 Pankreastumoren
Es soll eine Operation nach Whipple durchgeführt
werden. Zur postoperativen Überwachung kommt Der Bauchspeicheldrüsentumor kann sowohl
Herr Müller auf die IMC-Station benigne (gutartig) als auch maligne (bösartig) sein.
Die malignen Tumoren können in andere Organe
infiltrieren oder Tochtergeschwülste im Körper aus-
17.1 Medizinische Grundlagen zum bilden (Metastasen) (. Abb. 17.1). Das Pankreaskarz-
Krankheitsbild inom ist nach dem Dickdarm- und Magenkarzinom
der dritthäufigste gastrointestinale Tumor. Männer
Das Pankreas liegt im Retroperitoneum in der sind häufiger betroffen als Frauen (Henne-Bruns
Höhe des 1. und 2. Lendenwirbelkörpers. Es wird 2001). Die Ursachen beim Adenokarzinom sind
in Pankreaskopf, Körper und Schwanz unterteilt. noch unklar.
Der Pankreaskopf liegt an dem hufeisenförmigen Zu den Risikofaktoren gehören:
Bogen des Zwölffingerdarms (Duodenum) an. Das 55 Erhöhter Alkoholkonsum
17 Schwanzende erstreckt sich in Richtung Milz. Das 55 Nikotinabusus
Pankreas ist eine Drüse mit zwei unterschiedlichen 55 Adipositas
Funktionen. Es stellt sowohl mehrere Enzyme als 55 Genetische Faktoren
auch Hormone her. 55 Zystische Veränderungen
Die Verdauungsenzyme sind für die Spaltung der 55 Berufliche Exposition
Eiweißkörper, Kohlenhydrate und Fette notwendig
und werden über ein oder zwei Ausführungsgänge Die Symptome bei Pankreastumoren sind je nach
in das Duodenum abgegeben. Lage des Tumors unterschiedlich. Befindet sich der
17.1 · Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild
237 17

. Abb. 17.2 Präoperativer Situs. (Mit freundlicher


Genehmigung der Universitätsklinik Heidelberg)

Tumor im Pankreaskopf, leiden Patienten unter


Übelkeit, abdominellen Schmerzen, Gewichtsver-
lust, sowie dem Auftreten eines Ikterus (Gelbverfär-
bung der Haut durch Aufstau der Gallenflüssigkeit).
Befindet sich der Tumor im Korpus-/Schwanzbe-
reich, sind starke Rückenschmerzen in Verbindung . Abb. 17.3 Klassische Whipple-Operation. (Mit
freundlicher Genehmigung der Universitätsklinik Heidelberg)
mit starker Gewichtabnahme häufig.
Zur Labordiagnostik wird im Blut Amylase, Lipase,
direktes Bilirubin und γ-GT(γ-Glutamyltransferase) werden meist erst im fortgeschrittenen Stadium
bestimmt. entdeckt. Je nach Ausdehnung des Tumors kann die
Der Nachweis des Tumors und die Bestimmung Operation von einer Entfernung des Schwanzes bis
seiner Ausdehnung erfolgt mittels: fast zur kompletten Entfernung der Bauchspeichel-
55 Sonographie drüse ausgedehnt werden. Nur ca. 10–20% aller dia-
55 Computertomographie gnostizierten Pankreaskarzinome sind operativ ent-
55 ERCP fernbar (Henne-Bruns 2001).
55 Ggf. Magnetresonanztomographie Die verschiedenen Techniken werden hier
55 Ggf. Angiographie aufgelistet.
55 Ggf. Feinnadelpunktion
Whipple-Operation Entfernung von Pankreaskopf,
z Prinzipielle Operationstechniken Duodenum, ein Teil des Magens und Teile der Gal-
Die Entfernung der Tumoren im Pankreaskopfbe- lenwege (mit Gallenblase) (. Abb. 17.2, . Abb. 17.3).
reich erfolgt durch eine teilweise Entfernung des
Duodenums und des Pankreas (partielle Duodeno- pp-Whipple (pp = „pylorus preserving”) Pyloruser-
pankreatektomie) Die Entfernung der Tumoren haltende Whipple-Operation: Mit einer Dünndarm-
des Korpus-/Schwanzbereichs erfolgt durch eine schlinge werden neue Verbindungen zu (1) Pank-
Pankreaslinksresektion unter Erhalt des Duode- reas, (2) Gallenweg und (3) Magenausgang angelegt
nums. Diese Tumoren sind deutlich seltener und (. Abb. 17.4).
238 Kapitel 17 · Fallbeispiel Viszeralchirurgie – Pankreasresektion

. Abb. 17.5 Pankreaslinksresektion. (Mit freundlicher


Genehmigung der Universitätsklinik Heidelberg)

müssen auf den Bedarf des Patienten abgestimmt


sein, da invasive Überwachungsmaßnahmen
mit Gefährdungen des Patienten verbunden sein
können.
Diese patientenbezogene Auswahl der Maßnah-
men ist eine große Herausforderung für das Pflege-
personal. Sie umfasst die Beobachtung von:
55 Herz-Kreislauf-Funktion
. Abb. 17.4 Pyloruserhaltende Whipple-Operation. (Mit 55 Atmung
freundlicher Genehmigung der Universitätsklinik Heidelberg) 55 Sauerstofftransport (Säure-Basen-Haushalt)
55 Urinausscheidung
Duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion (DEPKR) 55 Ausscheidungen über Magen-Darm-Trakt
55 Pankreaskopf wird teilweise entfernt 55 Neurologischem Status
55 Duodenum bleibt erhalten 55 Laborparametern
55 Mit einer Dünndarmschlinge wird eine neue
Verbindung zum Pankreas angelegt Weitere zusätzliche Überwachungskriterien sind
nach einer viszeralchirurgischen Operation von
Pankreaslinksresektion/Pankreasschwanzresektion besonderer Bedeutung.
Entfernung des hinteren Pankreasteils (. Abb. 17.5). Da die Nachblutungsgefahr in den ersten
Stunden nach der Operation am größten ist, liegt ein
besonderes Augenmerk auf der Kontrolle von
17 17.2 Pflege- und 55 Kathetern
Überwachungsschwerpunkte 55 Drainagen
55 Wunden (. Abb. 17.6).
17.2.1 Postoperative Überwachung
Zusätzlich wird in einem engen zeitlichen Intervall
Die Überwachung des Patienten mit einem abdo- der Gehalt des Hämoglobins im Blut bestimmt. Das
minell-chirurgischen Eingriff ist in der ersten Bereithalten von Erythrozytenkonzentraten vor Ort
postoperativen Phase die wichtigste Funktion in muss permanent gewährleistet sein (stationseigener
der IMC-Pflege. Alle Überwachungsmaßnahmen Standard: 4 EKs).
17.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
239 17

. Abb. 17.6 Blutung nach Whipple

Bei Herrn Müller wurde eine Entfernung des . Abb. 17.7 Abdomenspülung

Pankreastumors in der Technik nach Whipple durch-


geführt. Er hatte einen problemlosen postoperativen
Verlauf. Atmung und Kreislauf waren jederzeit stabil > Pankreassekret, das in den Bauchraum
und die Mobilisation verlief am 1. postoperativen dringt, kann an den abdominellen
Tag ohne Probleme. Über seine Drainagen verlor er Gefäßen zu Arrosionen führen und es kann
jedoch trübes, gelbes Sekret. In der Laborkontrolle infolgedessen zu einer bedrohlichen Blutung
des Drainagesekrets konnte eine erhöhte Menge der kommen.
Pankreasenzyme Amylase und Lipase im Bauchraum
nachgewiesen werden. Die Verdünnung und Ausschwemmung des aggressi-
Am 4. postoperativen Tag zeigte sich gallig ven Pankreassekrets im Abdomen werden durch die
grünes Sekret in der Drainage. Die Blutanalysen Einlage einer Spüldrainage und der dadurch mög-
von Herrn Müller ergaben eine steigende Anzahl der lichen kontinuierlichen Spülung mit steriler Elekt-
Leukozyten und eine Erhöhung des CRP. Nach einer rolytlösung erzielt (. Abb. 17.7). Eine Bilanzierung
CT-Kontrolle wurde der Verdacht auf eine Nahtde- der Elektrolytlösung ist erforderlich. Dies bedeutet,
hiszenz an der Anastomose diagnostiziert und Herr dass
Müller nochmals operiert. 55 die Spülung mit einem 3000 ml Elektrolytlö-
sungsbeutel durchgeführt wird;
z Frühe operativ bedingte Probleme 55 die Ausfuhr über die Spüldrainage stündlich
Als wesentliche postoperative Probleme ergeben gemessen und dokumentiert wird;
sich Fisteln und Gallengangsleckagen. Dies führt 55 alle 4 h die Differenz zwischen der Spüllösung
zu einem Austritt von Pankreassekret in den und der Ausscheidung über die Spüldrainage
Bauchraum. bilanziert und dokumentiert wird;
240 Kapitel 17 · Fallbeispiel Viszeralchirurgie – Pankreasresektion

Stressreaktionen und der damit verbundenen


Ausschüttung körpereigener Katecholaminen
zu einer Hypoaktivität des Darms kommen.
55 Die Gabe von Opioiden verstärkt die
Hypoaktivität.
55 Verstärkte intravenöse Flüssigkeitsgaben
können zu Elektrolytstörungen führen, die
ebenfalls die Darmmuskulatur beeinträchtigen.
Es kommt
44zur Dehnung der Darmwand,
44zur Abnahme der Darmdurchblutung,
44zum Darmwandödem,
44zum Verlust der Barrierefunktion des
Darms durch Untergang der Schleimhaut-
zellen. (Dies begünstigt die Translokation
von Bakterien und Endotoxinen in den
Blutkreislauf und kann eine Sepsis triggern).

Als zusätzliche Faktoren für eine Magen-Darm-Ato-


nie kommen in Betracht:
55 Intraabdominelle Blutung
55 Peritonitis
55 Dünndarmfistel und daraus folgende
Hypokaliämie
55 Medikamente (Opioide!)
. Abb. 17.8 Federwaage 55 Mesenterialvenenthrombose

> Erstes Warnzeichen kann ein saures


55 zur exakten Bilanzierung die verbliebene Elekt- Aufstoßen sein.
rolytlösung mit einer Federwaage gewogen und
die ermittelte Menge von der Drainagenaus- Klinisch zeigen sich:
scheidung subtrahiert wird (. Abb. 17.8). 55 Aufgetriebenes Abdomen (. Abb. 17.9)
55 Stuhlverhalt
Scheidet der Patient mehr über die Spüldrainage aus, 55 Blähungen
als ihm über die Einfuhr zugeführt wurde, dann sub- 55 Übelkeit
trahiert man die Ausfuhr von der Einfuhr und doku- 55 Erbrechen
mentiert dies als Wundsekret. 55 Völlegefühl mit Bauchschmerzen
55 Auskultatorisch eine vollkommende Stille im
Bauchraum als Zeichen fehlender Peristaltik
17 17.2.2 Früherkennung einer
Magen-Darm-Atonie und z Pflegeintervention
Aspirationsprophylaxe 55 Beim Auftreten dieser Symptome wird der
Patient sofort aufrecht im Bett hingesetzt oder
Die Darmatonie/Darmdystonie ist durch einen feh- der Oberkörper maximal hochgelagert.
lenden oder herabgesetzten Tonus der glatten Mus- 55 Die dauerhafte oder zur Entlastung mindestens
kulatur des Darms gekennzeichnet. kurzfristige Anlage einer Magensonde ist bei
55 Durch abdominell-chirurgische Eingriffe diesem Krankheitsverlauf unverzichtbar. Bei
kann es infolge von intra- und postoperativen nicht-liegender Magensonde besteht für den
17.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
241 17

. Abb. 17.9 Geblähtes Abdomen

Patient eine erhöhte Aspirationsgefahr. Der


Aspiration kann eine Pneumonie folgen, die
eine Re-Intubation mit möglicher Langzeit-
beatmung und langem Aufenthalt in einer
Intensivstation notwendig macht.

Diese massiven Komplikationen können durch eine


. Abb. 17.10 Gefüllter Magen mit zu tief liegender
Früherkennung der Erstprobleme und ein frühzei-
Magensonde
tiges Anlegen einer Magensonde verhindert werden.

> Bei Symptomen einer Magen-Darm-Atonie 55 Zum Ausgleich des Flüssigkeits- und Elekt-
entlastet die sofort angelegte Magensonde. rolythaushalts erhält Herr Müller Infusionen
Ein aufgeblähtes Abdomen bedeutet eine über einen Venenkatheter.
erhöhte Aspirationsgefahr. 55 Windabgang kann mit dem Einlegen eines
Darmrohrs unterstützt und forciert werden
Die korrekte Lage der Magensonde wird regelmäßig und das Abdomen entlasten.
kontrolliert. Fehllagen können im Thoraxröntgenbild 55 Die weitere Darmmotilitätsförderung kann
erkannt werden (. Abb. 17.10). Sie sollten aber mög- entweder mit Klysmen, einem Hebe-Schwenk-
lichst sofort erkannt (nicht auf die nächste Röntgenun- Einlauf oder mit dem Einsatz chemisch oder
tersuchung warten) und behoben werden, damit die osmotisch wirkender Laxanzien durchgeführt
Magensonde die Funktion der Aspirationsprophylaxe werden.
auch erfüllt. Deshalb ist es wichtig, die korrekte Lage
zu kontrollieren. Die Lagekontrolle wird durch eine Stellen Sie sich folgendes Szenario vor:
zügige Insufflation von 20 ml Luft bei gleichzeitigem 55 Sie konnten mehrere Tage nicht abführen.
Auskultieren mit dem Stethoskop über dem Epigas- 55 Ihr Bauch ist hart gespannt, aufgebläht und
trum durchgeführt. Bei korrekter Lage ist ein Luft- selbst das Atmen fällt Ihnen schwer.
blubbern zu hören. Ist kein Luftblubbern zu hören, 55 Das Zwerchfell wird nach kranial gedrückt,
55 kann die Magensonde im Mund aufgerollt sein, Ihre Lunge kann sich nicht richtig ausdehnen.
55 kann die Sonde in der Speiseröhre 55 Sie spüren keinerlei Erregung im Darm.
umgeschlagen sein 55 Kein Windabgang und das seit Tagen.
55 oder sie liegt in der Trachea. 55 Ihr Zustand wird zusätzlich durch Übelkeit und
Völlegefühl geplagt.
In diesem Fall muss die Sonde zurückgezogen und 55 Sie haben keinen Appetit und die Beweglichkeit
ein neuer Versuch gestartet werden. ist ebenfalls erschwert.
242 Kapitel 17 · Fallbeispiel Viszeralchirurgie – Pankreasresektion

> Das Abführen verschafft in solch einer Hauptmahlzeit und ca. 10.000–20.000 IE pro Zwi-
Situation nicht nur extreme Erleichterung, schenmahlzeit empfohlen.
sondern verhindert auch schwerwiegende
Komplikationen. > Die Einnahme von Enzympräparaten
erfolgt immer zu den Mahlzeiten. Nur
wenn die Enzyme mit der Nahrung
17.2.3 Blutzuckerkontrollen zusammenkommen, können sie wirken.

Bei Patienten mit einer Teil- oder Totalentfernung Bei den Zwischenmahlzeiten muss auch auf eine
des Pankreas kann es je nach Ausdehnung der Resek- Einnahme der Enzyme geachtet werden. Wurde
tion zu einer Einschränkung der Pankreasfunktion der Magen teilweise oder ganz entfernt, müssen
kommen: die Kapseln geöffnet und das Granulat mit weicher
55 Verdauungsprobleme aufgrund des Mangels an Nahrung eingenommen werden. Vermischt sich
Pankreasenzymen das Granulat mit Lebensmitteln, kann sich der
55 Hyperglykämien durch einen Insulinmangel Geschmack negativ verändern. In neueren Enzym-
präparaten sind die Enzyme in kleinen Kugeln, die in
Die klinische Überwachung in Bezug auf Blutzucke- Kapseln zusammengefasst sind, enthalten. Hierbei ist
rentgleisungen und engmaschige Blutzuckerkontrol- es wichtig, dass die Kugeln besonders klein sind, um
len sind laufend durchzuführen (7 Kap. 3). eine optimale Durchmischung mit der Nahrung und
einen schnellen Durchtritt durch den weiten Magen-
Procedere totale Pankreatektomie Nach einer pförtner zu gewährleisten.
totalen Pankreatektomie wird der Patient für die Für Patienten mit metastasiertem Pankreaskarz-
ersten 24 h mit einem Insulinperfusor zur Steuerung inom gibt es keine spezifischen Ernährungsempfeh-
des Blutzuckerspiegels versorgt. Die minimale Ein- lungen. Es sollte auf den Gewichtsverlust mit ener-
stellung des Perfusors liegt bei 0,2–0,3 IE und der giereicher Nahrung geachtet werden. Bei unzurei-
Zielbereich des Blutzuckerspiegels sollte zwischen chender oraler Nahrungsaufnahme muss auf eine
150–180 mg/dl liegen. total parenterale Ernährung umgestellt werden, um
eine Minimierung des Gewichtsverlustes anzustre-
ben. Der Patient sollte bis zu 6 kleine Mahlzeiten zu
17.2.4 Verdauung der Nahrung sich nehmen. Die Nahrung wird besser vertragen als
bei 3 großen Mahlzeiten, besonders wenn ein Teil des
Durch den Verlust des Pankreaskopfes und der Magens entfernt wurde. Wenn ein Sättigungsgefühl
Gallenblase kommt es zu einer mangelnden Aus- eintritt, sollte eine Pause eingehalten werden. Zur
schüttung von Verdauungsenzymen, was vor Ernährungsberatung der Patienten stellen Selbst-
allem eine Beeinträchtigung der Fettverdauung hilfegruppen umfangreiche Informationen zur Ver-
zur Folge hat. So können unverdaute Bestand- fügung (AdP e.V.).
teile des Essens im Darm verbleiben. Als Resul-
tat treten Blähungen, Fettstühle und Durchfälle
auf. Als Spätfolge kommt es zu einer ungewollten 17.3 Überlegungen zum
17 Gewichtabnahme. Patientenerleben
Die Einnahme von Enzympräparaten kann
diesen Mangel, der sowohl die Kohlenhydrat- als Herr Müller konnte nach mehreren Tagen auf der
auch die Eiweiß- und besonders die Fettverdauung IMC-Station im stabilen Zustand auf die Allgemein-
betrifft, beheben. Die nötige Dosis ist patientenori- station verlegt werden. Mit der Diagnose Krebs hatte
entiert und richtet sich nach dem Fettgehalt der auf- Herr Müller nicht gerechnet, als er vor ca. 10 Tagen
genommenen Nahrung und nach dem Beschwer- seinen Hausarzt aufsuchte. Warum gerade ich?
debild des Patienten. Als Anhaltspunkt werden als Welche Therapie muss ich über mich ergehen lassen?
tägliche Dosis 15.000–25.000 IE bis 40.000 IE pro Werde ich wieder gesund und wann kann ich wieder
Literatur
243 17
arbeiten? Werde ich bald sterben oder wie viel Zeit Literatur
bleibt mir noch? Muss ich schlimme Schmerzen
Arbeitskreis der Pankreatektomierten (AdP e.V.) Ernährung
ertragen?
bei Bauchspeicheldrüsenkrebs. http://www.bauchspei-
Für Patienten sind Selbsthilfegruppen nach der cheldruese-pankreas-selbsthilfe.de/bauchspeicheldrue-
Akutbehandlung wichtige Anlaufstellen. Aus dem se-pankreas/adp-seit1976/index.php
Erfahrungs- und Gedankenaustausch mit anderen Brandis v J, Schönberger W (1988) Anatomie und Physiologie
Patienten bzw. Gleichbetroffenen können sie Mut für Krankenschwestern und andere Medizinalfachberufe,
7. Aufl. Fischer, Stuttgart
und Zuversicht schöpfen. Mitglieder der Selbsthilfe-
Henne-Bruns D, Dürig M, Kremer B (2001) Chirurgie, Duale
gruppe können aus ihrer eigenen Erfahrung berich- Reihe, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart
ten und auf die praktischen und emotionalen Bedürf-
nisse von Krebskranken eingehen. In der Gruppe
erfahren Betroffene, wie andere Krebskranke ihren
Alltag bewältigen. Sie bekommen Hilfestellung in der
Ernährungsberatung und wie der Einsatz von Hilfs-
mitteln organisiert wird.

Anregungen für den Unterricht


1. Die Lernenden können im Zusammenhang
mit den postoperativen Komplikationen
die Möglichkeiten der Sepsisprävention
thematisieren.
2. Nach Bearbeitung dieses Falls können
die Lernenden analog Material zu einem
anderen großen viszeralchirurgischen
Eingriff zusammenstellen (z. B. Dünndarm-
resektion/Kurzdarmproblematik oder
Ösophagusresektion.
245 18

Fallbeispiel
Pulmologie – COPD
J. Busch

18.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild – 246


18.1.1 Stadien der COPD – 246

18.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte – 247


18.2.1 Atmung – 247
18.2.2 Ernährung – 248
18.2.3 Mobilität – 248
18.2.4 Infektionsprophylaxe – 249

18.3 Überlegungen zum Patientenerleben – 249

Literatur – 250

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_18
246 Kapitel 18 · Fallbeispiel Pulmologie – COPD

Beispiel und/oder eines Lungenemphysems.


Herr Winter, 86 Jahre alt, 172 cm groß und 48 kg Hauptsymptome sind chronischer Husten,
schwer, leidet unter einer exarzerbierten COPD. Er Auswurf und Atemnot, anfangs nur unter
lebt bereits seit einigen Jahren im Pflegeheim und Belastung. (BÄK et al. 2012)
befindet sich in einem schlechten Allgemein- sowie
Ernährungszustand. Zur Behandlung der COPD be- Bei der Entstehung gilt die Inhalation von Schad-
kommt Herr Winter bereits seit Längerem eine in- stoffen (Rauchen, Exposition am Arbeitsplatz) als
halative Steroidtherapie. Aus der Vorgeschichte des Hauptrisikofaktor.
Patienten ist ein Schlaganfall bekannt mit der Folge
einer Parese im linken Bein. Herr Winter hat in einer
Patientenverfügung festgelegt, dass er nicht mehr 18.1.1 Stadien der COPD
intubiert und beatmet werden will. Aufgrund der all-
gemeinen Schwäche ist Herr Winter komplett immo- Im Fortschreiten der Krankheit unterscheidet man
bil, er ist kaum in der Lage abzuhusten und hat auch vier Schweregrade (. Tab. 18.1), die durch die zuneh-
bereits wiederholt Nahrung aspiriert. Der Patient mende Unfähigkeit gekennzeichnet sind, die Atem-
wird mit akuter Luftnot auf die IMC-Station verlegt. luft gegen den erhöhten Atemwegswiderstand rasch
Eine erste Blutgasanalyse ergibt folgende Werte: auszuatmen Als weitere Kriterien gelten die subjek-
44 pH: 7,25 tive Beeinträchtigung und das Exazerbationsrisiko
44 paO2: 52 mmHg (GOLD 2016).
44 paCO2: 86 mmHg
44 BE: +7 z Therapie
44 HCO3–: 41 mmol/l Die medikamentöse Therapie richtet sich nach dem
jeweiligen Schweregrad der Erkrankung:
55 Bei leichter COPD werden raschwirksame
18.1 Medizinische Grundlagen zum Bronchodilatatoren nach Bedarf eingesetzt.
Krankheitsbild 55 Bei mittelgradiger COPD werden
raschwirksame mit langwirksamen Bronchodi-
Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung latatoren als Dauermedikation kombiniert.
(„chronic obstructive pulmonary disease“, abge- 55 Beim Schweregrad 3 kommt eine inhalative
kürzt COPD oder auch COLD) ist eine der häufigs- Kortikosteroid-Gabe hinzu.
ten chronischen Erkrankungen der Gegenwart und 55 Bei sehr schwerer COPD wird zusätzlich die
die vierthäufigste Todesursache weltweit (Herth u. respiratorische Insuffizienz mit einer Sauer-
Kreuter 2011). Der Beginn der Krankheit verläuft stofftherapie behandelt.
schleichend mit den Leitsymptomen chronischer
Husten, Auswurf und zunehmende Atemnot. In den Stadien 2 bis 4 dieser chronischen Erkrankung
Definitionsgemäß ist die COPD eine fortschrei- kann es zu einer akuten Verschlechterung kommen,
tende Lungenkrankheit auf dem Boden einer chro- der sog. Exarzerbation. Ursache ist meistens ein
nischen Bronchitis und/oder eines Lungenemphy- viraler oder bakterieller Atemwegsinfekt. Kommt es
sems mit einer Verengung der Atemwege, die durch bei der Exazerbation zur respiratorischen Insuffizi-
Medikamente nicht vollständig aufgehoben werden enz, wird eine stationäre Behandlung erforderlich.
kann (BÄK et al. 2012). Je nach Befund ist dann auch eine Antibiotikathe-
18 In den nationalen Versorgungsleitlinien COPD rapie angezeigt.
von 2012 heißt es wörtlich:
z Nichtmedikamentöse Therapie
» Die COPD ist eine chronische Lungenkrankheit Neben der medikamentösen Therapie besteht die
mit progredienter, nach Gabe von Bronchodi- Behandlung aus einer Reihe von nichtmedikamen-
latatoren und/oder Corticosteroiden nicht tösen Maßnahmen. Patientenschulung (Raucherent-
vollständig reversibler Atemwegsobstruktion wöhnung), ausreichende Ernährung und körperli-
auf dem Boden einer chronischen Bronchitis ches Training sind Maßnahmen der Langzeittherapie.
18.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
247 18
Bei Patienten mit einer sehr schweren COPD
. Tab. 18.1 Schweregrade der COPD (Mod. nach
BÄK et al. 2012) stellt die akute Dyspnoe das hervorstechende
Problem dar. Die Atemnot geht einher mit der Angst
0 (Risikogruppe) FEV1 normal, vor Erstickung.
chronische Symptome (Husten,
Auswurf )
z Maßnahmen
1 (Leicht) FEV1 >80% Wichtigste Maßnahmen neben der konsequen-
2 (Mittelgradig) FEV1 80–50% ten Fortführung der medikamentösen Therapie,
3 (Schwer) FEV1 50–30% der Sauerstoffinsufflation und einer atemerleich-
4 (Sehr schwer) FEV1 <30%, respiratorische
ternden Körperstellung ist daher eine einfühl-
Insuffizienz (paO2 <60 mmHg) same, beruhigende Begleitung des Patienten. Unter
Umständen muss eine Sedierung erwogen werden,
FEV1 forciertes exspiratorisches Volumen in 1 s wobei man das Risiko in Kauf nimmt, dass sich
(Einsekundenkapazität), gemessen nach Gabe eines die respiratorische Situation dadurch weiter
Bronchodilatators, Werte in% vom Soll. verschlechtert.
Die Überwachung des Patienten unter Sauer-
stofftherapie und ggf. Sedierung muss engmaschig
Zur Erleichterung der erschwerten Atmung sollten erfolgen durch Krankenbeobachtung, Pulsoxymet-
bereits in beschwerdearmen Krankheitsphasen effek- rie und arterielle Blutgasanalysen.
tive Atem- und Hustentechniken erlernt werden. Das
Atmen kann durch eine entlastende Körperhaltung > Als Zielwert wird ein paO2 angestrebt,
(Abstützen der Arme, sog. Kutschersitz) und eine der über 60 mmHg liegt, aber nicht über
dosierte Lippenbremse erleichtert werden. Durch 80 mmHg, da die Patienten mit COPD an
gezielte Physiotherapie z. B. durch „Huffing“ oder einen erniedrigten arteriellen Sauerstoffpar-
die „forcierte Lippenbremse“ kann das Abhusten von tialdruck gewöhnt sind und ihr Atemantrieb –
Sekret gefördert werden. Als Atemtrainer kommen anders als beim Lungengesunden – über den
PEP-Systeme (7 Kap. 3) zum Tragen, die ähnlich wie Sauerstoff- und nicht über den Kohlendi-
die Lippenbremse einen gezielten Atemwegswider- oxidwert gesteuert wird (Schäfer et al.
stand leisten (BÄK et al. 2011). 2005, S. 171).

Zu bedenken ist bei der Überwachung allerdings,


18.2 Pflege- und dass Sauerstoffsättigung und Sauerstoffpartialdruck
Überwachungsschwerpunkte keinen hinreichenden Aufschluss über den tatsäch-
lichen Sauerstoffgehalt des Blutes geben. Dieser ist
Die Pflege und Überwachung des oben geschilderten, vor allem abhängig von der Anzahl der Sauerstoffträ-
schwer kranken Patienten bringt eine Vielzahl von ger, den Erythrozyten. Bei Herrn Winter sollte daher
Herausforderungen mit sich. Im Folgenden werden über die Bestimmung des Blutbildes der Hämatokrit
die Pflegeschwerpunkte Atmung, Ernährung, Mobi- (Hkt) bestimmt werden. Bei COPD-Patienten sind
lität und Infektionsprophylaxe betrachtet, die im Fall Werte für Hb und Hkt im normalen bis hochnorma-
von Herrn Winter höchste Priorität haben. len Bereich wünschenswert. Bei niedrigen Werten
kann die Gabe von Erythrozytenkonzentraten indi-
ziert sein, allerdings unter Abwägung der Risiken von
18.2.1 Atmung Transfusionen (7 Kap. 8).
Durch den erhöhten Atemwegswiderstand
Bei Herrn Winter liegt eine COPD vom Schwere- ist die Atemarbeit für Herrn Winter permanent
grad 4 vor. Die Blutgasanalyse zeigt – neben der erschwert. Die Hypoxämie kann als Anzeichen der
für eine obstruktive Lungenerkrankung typischen Erschöpfung der Atemmuskulatur gewertet werden.
Hyperkapnie – bereits eine ausgeprägte Hypoxämie Hiergegen hilft eine Sauerstoffinsufflation nicht.
und eine beginnende Azidose an (7 Kap. 3). Eine sinnvolle Maßnahme stellt die intermittierende
248 Kapitel 18 · Fallbeispiel Pulmologie – COPD

nichtinvasive Beatmung dar (7 Kap. 3). In vielen man daher bei einem so stark untergewichtigen
Fällen einer akut exazerbierten COPD erweist sich Patienten nicht das Normalgewicht, sondern das
die nichtinvasive Beatmung als effektiv (Schönhofer tatsächliche Gewicht zur Berechnung heranziehen.
et al. 2011). Diese Form der Beatmung umgeht den Das entspricht für Herrn Winter etwa einer tägli-
Eingriff der Intubation, den Herr Winter ja für sich chen Zufuhr von 1200–1440 kcal. Der Blutzucker-
ablehnt. Allerdings müsste der Patient der Beat- wert des Patienten soll darunter 180 mg/dl nicht
mung zustimmen und die apparativen sowie per- überschreiten.
sonellen Ressourcen für die Therapie müssen vor-
handen sein. > Zu bedenken ist die Information, der Patient
Es ist zu prüfen, ob dies auf der IMC-Station habe mehrfach Nahrung aspiriert.
gewährleistet ist oder eine Verlegung auf die Inten-
sivstation notwendig wäre. Nach Möglichkeit wird Eine sinnvolle Möglichkeit wäre die Applikation
man dem schwerkranken Patienten eine Verlegung von Sondenkost über eine Dünndarmsonde oder –
ersparen, da dies mit zusätzlichen Belastungen und da mit einer längerfristigen künstlichen Ernährung
Risiken für ihn verbunden sein kann (7 Kap. 10). gerechnet werden muss – eine perkutane postpylo-
rische Sonde (PEJ). Durch eine Ernährung direkt in
den Dünndarm wird das Aspirationsrisiko verrin-
18.2.2 Ernährung gert. Voraussetzung ist dabei das Einverständnis des
Patienten in diesen invasiven Eingriff.
Herr Winter ist stark untergewichtig. Bei einem BMI
von 16,2 kg/m2 liegt die Vermutung nahe, dass bereits
seit Längerem eine Mangelernährung vorliegt. Unte- 18.2.3 Mobilität
rernährung bei COPD-Patienten ist prognostisch ein
schlechtes Zeichen. In der akuten Situation und auf- Aufgrund der Immobilität des Patienten kommt
grund der allgemeinen körperlichen Schwäche des den Prophylaxen eine große Bedeutung zu. Kache-
Patienten wird eine künstliche Ernährung notwen- xie und Gewebshypoxie steigern das Dekubitusrisiko
dig sein. (DNQP 2010). Der Apoplex in der Anamnese bringt
ein zusätzliches Risiko mit sich für die Entstehung
> Der enteralen Ernährung in Form von einer venösen Thromboembolie (Gogarten u. van
Sondenkost ist grundsätzlich der Vorzug Aken 2009).
gegenüber der parenteralen zu geben
(Goeters 2011). z Prophylaxen
Das Spektrum der nichtmedikamentösen Maß-
Die Berechnung des Energiebedarfs für Herrn nahmen zur Prophylaxe ist durch den schlechten
Winter bringt einige Schwierigkeiten mit sich. Eine Allgemeinzustand des Patienten begrenzt. Aktive
Kalorienzufuhr von 20–25 kcal/kg KG/Tag deckt Mobilisation und körperliches Training sind kon-
den Ruhebedarf eines Patienten. Neben dem Ruhe- traindiziert, solange sie die Ateminsuffizienz ver-
umsatz ist die Aktivität des Patienten zu berücksich- stärken. Passive Bewegungsübungen und wech-
tigen. Einerseits ist Herr Winter komplett immobil, selnde Positionierung (Mikrolagerung) des Patienten
anderseits erfordert die erschwerte Atemarbeit sind in dem akut bedrohlichen Zustand die wich-
Energie. Schwer mangelernährte Patienten sollten tigsten Bausteine der Dekubitus-, Thrombose- und
18 bei enteraler Ernährung eine Zufuhr von 25–30 kcal/ Kontrakturenprophylaxe.
kg KG/Tag erhalten (Espen-Leitlinien 2006). Dabei Mit zunehmender Besserung des Gesundheits-
darf die Energiezufuhr nur langsam aufgebaut und zustands wird dann ein vorsichtiges, stufenweise auf-
gesteigert werden, um Komplikationen wie das gebautes Bewegungs- und Mobilisationsprogramm
Refeeding-Syndrom zu vermeiden (7 Kap. 6). Abwei- für Herrn Winter zu entwickeln sein. Hierbei sind
chend von den Empfehlungen für den Regelfall wird die Möglichkeiten und Bedürfnisse des Patienten
18.3 · Überlegungen zum Patientenerleben
249 18
leitend sowie die Kooperation mit den Physiothe- Herr Winter hat durch seine Patientenverfü-
rapeuten sinnvoll. gung klargestellt, dass er keine Therapie „um jeden
Preis wünscht“. Sein Recht auf Selbstbestimmung
ist zwingend zu respektieren, eine Intubation ohne
18.2.4 Infektionsprophylaxe seine Einwilligung ist somit nicht zulässig. Zudem
hat er aber auch einen Anspruch darauf, dass sein
Nicht zu unterschätzen ist die Dringlichkeit der Leiden gelindert und die bestmögliche Lebens-
Pneumonie- und Infektionsprophylaxe bei Herrn qualität für ihn erhalten wird. In ethisch proble-
Winter. Eine Superinfektion der Atemwege, womög- matischen Situationen wie dieser stehen in typi-
lich mit Hospitalismuskeimen, bei bereits beste- scher Weise gleichrangige Werte wie Autonomie
hender Atemwegsinfektion wäre ebenso riskant und Fürsorge nebeneinander und können in Kon-
wie die Einschleppung von Erregern über andere flikt zueinander geraten (Großklaus-Seidel 2002,
Wege (Gefäßkatheter, Blasenkatheter, Dünndarm- S. 109f).
sonde). Auch vor diesem Hintergrund ist jeder inva- Im Fall von Herrn Winter gilt es abzuwägen,
sive Eingriff bei dem Patienten sorgfältig abzuwägen welche Maßnahmen dem Patienten helfen, ohne
(7 Kap. 8). gegen seinen Willen zu verstoßen. So wäre zu prüfen,
Besondere Aufmerksamkeit ist der Mundpflege wie gut er über die Möglichkeiten und Effekte der
des Patienten zu widmen. Unter inhalativer Therapie nichtinvasiven Beatmung aufgeklärt ist. Eine ent-
mit Kortikoiden steigt das Risiko von Infektionen des lastende Beatmung, z. B. während der Ruhepha-
Rachenraums, insbesondere Pilzinfektionen, die als sen nachts, könnte den Krankheitsverlauf günstig
absteigende Infektionen im Respirationstrakt lebens- beeinflussen und die Lebensqualität von Herrn
bedrohlich werden können. Es wird empfohlen, dem Winter wieder steigern. Eine Rückverlegung in
Patienten – zusätzlich zur regelmäßigen Mund- und ein Pflegeheim, das Heimbeatmung anbietet, wäre
Zahnpflege (7 Abschn. 8.2.2) – nach jeder Inhalation denkbar und sollte frühzeitig im Sinne eines Case
eine Mundspülung zu ermöglichen. Managements in die Planung einbezogen werden.
Die künstliche Ernährung ggf. über eine PEJ könnte
seinen Ernährungs- und Allgemeinzustand verbes-
18.3 Überlegungen zum sern bei Minimierung der Aspirationsgefahr. Bei
Patientenerleben allen prophylaktischen Maßnahmen muss der aktu-
elle Zustand des Patienten bedacht werden: Er darf
Aus der Perspektive des Patienten ist die Lebenssitua- durch sie nicht zusätzlich angestrengt oder erschöpft
tion höchst problematisch. Im Vordergrund steht die werden.
existenzielle Bedrohung durch die Atemnot. Vermut- Das Gespräch mit dem Patienten erfordert ein
lich weiß der Patient um die Unheilbarkeit und Pro- hohes Maß an Einfühlungsvermögen. In der Akut-
gredienz seiner Erkrankung. Die Angaben in seiner situation könnte ihm selbst das Sprechen schwerfal-
Patientenverfügung können ein Indiz dafür sein, dass len und Entscheidungen über seinen Behandlungs-
er bereits ungute Erfahrungen mit Intubation und und Pflegeprozess könnten ihn zusätzlich belasten.
Beatmung gemacht hat, aber vielleicht auch, dass er Von besonderer Bedeutung ist es, dass ein Vertrau-
sich bereits mit dem Endstadium der Krankheit aus- ensverhältnis zwischen Patient und Behandlungs-
einandergesetzt hat. team besteht und er erkennt, dass alle Entscheidun-
Die Patientenautonomie gilt als der wichtigste gen und Maßnahmen auf sein Wohlergehen abzie-
ethische Wert bei der Behandlung von Patienten. len. Um die psychosoziale Situation des Patienten
Eine Patientenverfügung ist daher – auch in juristi- besser zu verstehen, wäre unterstützend der Kontakt
scher Hinsicht – absolut bindend (BÄK 2013). Frag- zu Angehörigen bzw. Vertrauenspersonen hilfreich,
lich bleibt es dennoch immer wieder, wie konkret mit denen er vielleicht auch über seine Zukunftsper-
die Willensbekundungen eines Patienten sich auf die spektiven und Wünsche gesprochen hat bzw. spre-
jeweilige Krankheitssituation beziehen. chen kann.
250 Kapitel 18 · Fallbeispiel Pulmologie – COPD

Literatur
Anregungen für den Unterricht
Bundesärztekammer BÄK, Kassenärztliche Bundesvereinigung
1. Das Fallbeispiel und die medizinischen
KBV, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medi-
Grundlagen zum Krankheitsbild werden zinischen Fachgesellschaften AWMF (2012) Nationale
vorgegeben. Die Teilnehmer erarbeiten Versorgungsleitlinien COPD. http://www.versorgungsleit-
Pflege- und Überwachungsschwerpunkte linien.de/themen/copd. Zugegriffen: 15.10.2015; Leitlinie
selbst. Am Ende erfolgt ein Abgleich derzeit in Überarbeitung
Bundesärztekammer BÄK (2013) Empfehlungen der Bundes-
zwischen den Ergebnissen der Teilnehmer
ärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der
und der Darstellung in diesem Text. Bundesärztekammer Umgang mit Vorsorgevollmacht
Dabei können sich Erarbeitung und Text und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis. http://
wechselseitig ergänzen. www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/
2. Der gesamte Abschnitt wird vorgegeben downloads/Empfehlungen_BAeK-ZEKO_Vorsorgevoll-
macht_Patientenverfuegung_19082013l.pdf. Zugegrif-
bis auf den letzten Unterpunkt (Patiente-
fen: 10.10.2015
nerleben). Die Teilnehmer erarbeiten Deutsches Netzwerk zur Qualitätsentwicklung in der Pflege
zu diesem Fall Kommentare zum (2010) Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der
mutmaßlichen Erleben des Patienten (in Pflege – 1. Aktualisierung. DNQP Osnabrück
Einzel- oder Kleingruppenarbeit), stellen ESPEN (2006) Europäische Leitlinie der ESPEN für Enterale
Ernährung. Aktuel Ernaehr Med 31: 196–197
sich die Kommentare gegenseitig vor und
Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD)
diskutieren darüber. Global Strategy for the Diagnosis, Management, and
3. Nur das Fallbeispiel wird vorgegeben, Prevention of Chronic Obstructive Pulmonary Disease.
die Teilnehmer tragen selbst die Updated 2016
Informationen zum Krankheitsbild, zu Goeters C (2011) Ernährungstherapie des kritisch Kranken.
Intensivmed.up2date 7: 9–11
Schweregraden und zu Therapiemög-
Gogarten W, van Aken H (2009) Die neue S3-Leitlinie zur
lichkeiten zusammen und beziehen Thromboembolieprophylaxe – Bedeutung für unser Fach-
dieses Wissen auf den Fall. Voraussetzung: gebiet. Anästh Intensivmed 50: 316–323
Verschiedene Quellen zur Literatur- Großklaus-Seidel M (2002) Ethik im Pflegealltag. Wie Pflegen-
recherche (z. B. Fachbücher, Fachzeit- de ihr Handeln reflektieren und begründen können. Kohl-
hammer, Stuttgart
schriften, Internet) stehen zur Verfügung.
Herth FJF, Kreuter M (2011) COPD – eine Volkskrankheit des 21.
Abschließend erfolgt ein Abgleich mit Jahrhunderts. Klinikarzt 40 (5): 231
dem Text. Kreymann KG et al. (2006) ESPEN-Leitlinien Enterale Ernäh-
4. Die Teilnehmer nehmen das Fallbeispiel rung: Intensivmedizin. Clin Nutr 25 (2): 210–223
zum Ausgangspunkt für eine Diskussion Schäfer S, Kirsch F, Scheuermann G, Wagner R (2005) Fachpfle-
ge Beatmung. Überwachung und Pflege des Beatmeten
über die Möglichkeiten und Grenzen
Patienten, 5. Aufl. Fischer, München
der nichtinvasiven Beatmung auf ihren Schönhofer B, Neumann P, Westhoff M (2011) Nichtinvasive
IMC-Stationen. Sie erarbeiten einen Plan Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuf-
zu den apparativen und personellen fizienz. Intensiv up2date 7(4): 277–288
Voraussetzungen.

18
251 19

Fallbeispiel Transplantation –
Lebertransplantation
K. Siegel

19.1 Medizinische Grundlagen zur Lebertransplantation – 252


19.1.1 Warum ist die Leber für unseren Organismus so wichtig? – 252
19.1.2 Indikationen zur Lebertransplantation – 253
19.1.3 Transplantationsallokation – 253
19.1.4 Komplikation Leberabstoßungsreaktion – 255

19.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte – 255


19.2.1 Patientenedukation – 255
19.2.2 Allgemeine Verhaltensregeln nach Lebertransplantation – 257
19.2.3 Ernährung und Flüssigkeitsbilanz – 257
19.2.4 Hepatorenales Syndrom (HRS) – 258
19.2.5 Verhütung und Früherkennung von Blutungen – 258
19.2.6 Pruritus (Juckreiz) – Schwer zu behandelndes Symptom einer Leber-
funktionsstörung – 260

19.3 Überlegungen zum Patientenerleben – 260

Literatur – 261

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_19
252 Kapitel 19 · Fallbeispiel Transplantation – Lebertransplantation

Beispiel
. Tab. 19.1 Laborwerte (in Klammern Zielwerte)
Herr Beck, 45 Jahre alt, litt an einer Leberzirrhose
ausgelöst durch eine Hepatitis C. Nach nur kurzer Kreatinin 1,4 mg/dl (<1,2 mg/dl)
Wartezeit erhielt er vor 4 Monaten eine neue Leber. Harnstoff 79 mg/dl (10–50 mg/dl)
Da sein Allgemeinzustand vor der Operation sehr
Gesamteiweiß 44,9 g/l (66–83 g/l)
gut war und die Krankheit kaum Symptome zeigte,
Albumin 16,1 g/l (35–53 g/l)
konnte er nach komplikationslosem Verlauf schon
3 Wochen später nach Hause entlassen werden. Bilirubin ges. 16,4 mg/dl (0,1–1,2 mg/dl)
Herr Beck geht noch nicht wieder arbeiten und ge- Bilirubin dir. 14,0 mg/dl (<0,2 mg/dl)
nießt es, morgens lange auszuschlafen. Die Tablet- GOT 64 U/l (10–50 U/l)
ten nimmt er, wenn er wach ist, was aber jeden Tag
GPT 287 U/l (10–50 U/l)
variiert. In seiner Freizeit arbeitet er im Garten und
γ-GT 1223 U/l (<64 U/l)
kümmert sich um sein selbst angebautes Gemüse.
Seit einigen Tagen fällt ihm das aber zunehmend LDH 212 U/l (<225 U/l)

schwerer, weil er schon bei kleinen Anstrengungen Amylase 84 U/l (<53 U/l)
schlecht durchatmen kann. Ständiger Juckreiz am Lipase 31 U/l (<60 U/l)
ganzen Körper, Schmerzen im Bauch und das Ge- Ammoniak 21 mmol (<20 mmol)
fühl, dass dieser immer mehr an Umfang zunimmt,
Leukozyten 14,6 109/l (4,4–11,3 10E)/l)
beeinträchtigen ihn zusätzlich. Seine Frau stellt
Hb 9,6 g/dl (14–17,5 g/dl)
mittlerweile häufiger fest, dass seine Vergesslich-
keit zunimmt. Eines Tages fällt Herr Beck im Garten Hämatokrit 0,38 l/l (0,38–0,49 l/l)
hin und zieht sich eine Platzwunde zu. Da die Blu- Thrombozyten 90 × 109/l (201–379 × 109/l)
tung nicht aufhören will, verständigt seine Frau den Quick 40% (70–130%)
Rettungswagen.
PTT 29 s (26–36 s)
Herr Beck wird auf Ihre IMC-Station eingeliefert.
CRP 101 mg/l (<5 mg/l)
Das erste Labor auf Station zeigt folgende Werte
(. Tab. 19.1).

19.1.1 Warum ist die Leber für unseren


19.1 Medizinische Grundlagen zur Organismus so wichtig?
Lebertransplantation
Um die enorme Relevanz der Leber für unseren
Am 1. März 1963 erfolgte die erste Lebertrans- Organismus und die damit verbundenen Probleme
plantation durch E.T. Starzl in Denver (Colorado/ bei eingeschränkter Lebersynthese zu verdeutlichen,
USA). Der Patient starb noch intraoperativ nach werden im Folgenden die Aufgaben dieses Organs
3 h. Auch alle nachfolgenden Transplantationsver- aufgelistet.
suche scheiterten, da die Überlebenszeit zwischen
0 und 23 Tagen lag. Erst als die Arbeitsgruppe von Stoffwechselfunktion
R.Y. Calne 1968 in Cambridge/England die Entwick- 55 Bildung von 95% aller Bluteiweiße, z. B.
lung neuer immunsuppressiver Konzepte vorantrieb Albumin, Prothrombin,
und speziell den klinischen Einsatz von Ciclosporin Fibrinogen
erprobte, verbesserte sich die Überlebensrate. 1969 55 Speicherung von Vitamin K zur
führte Alfred Gütgemann die erste Lebertransplanta- Herstellung von Prothrombin
19 tion in Deutschland durch. Der Empfänger überlebte
7 Monate. Erst 1983 wurde Ciclosporin in Deutsch-
55 Abbau von Stickstoff, der durch den
Aminosäurestoffwechsel anfällt, in
land zugelassen. Fortan konnte sich die Organtrans- Harnstoff
plantation als klassische Behandlungsmethode eta- 55 Umbau von Glukose in Glykogen und
blieren (Homburg u. Hecker 2010). dessen Speicherung
19.1 · Medizinische Grundlagen zur Lebertransplantation
253 19
55 Glukoneogenese: Bildung von Glukose aus eine High-urgency-Listung (hohe Dringlichkeit)
Eiweißen und Fetten bei Glukosemangel auslösen.
55 Umbau von Fetten zu Cholesterin, welches für Daneben gibt es Patienten mit malignen Leberer-
die Gallensaftproduktion genutzt wird krankungen, ohne extrahepatisches Tumorwachs-
tum, die ebenfalls auf die Warteliste kommen:
Entgiftungsfunktion 55 Primäres Leberzellkarzinom (HCC) mit oder
55 Körpereigene Giftstoffe, z. B. Ammoniak in ohne Zirrhose
Harnstoff, Östrogene 55 Lebermetastasen endokriner Tumoren ohne
55 Körperfremde Giftstoffe, z. B. Medikamente, extrahepatisches Wachstum
Nahrungsmittelzusätze 55 Hepatoblastom
55 Blutzuckerregulierung durch Auf- und Abbau
von Glukose Zur dritten Gruppe zählen Patienten mit bestimm-
55 Speicherung des beim Abbau überalterter ten Formen des akuten Leberversagens, Gendefekten
Erythrozyten anfallenden Eisens und dessen oder Anlagestörungen, die aufgrund des Schwere-
Freisetzung für die Bildung neuer Erythrozyten grads der Leberfunktionsstörung ebenfalls trans-
55 Freisetzung von Wärme und damit Beitrag zur plantiert werden. Dazu gehören:
Aufrechterhaltung der Körpertemperatur 55 Fulminantes Leberversagen (Medikamen-
55 Umbau von Bilirubin, damit dieses über Darm tentoxizität, Vergiftung, Hepatitis, nach
und Niere ausgeschieden werden kann Transplantation)
55 Morbus Wilson
55 Mukoviszidose
19.1.2 Indikationen zur 55 Glykogenspeicherkrankheit
Lebertransplantation 55 Kongenitale Zystenleber

Es gibt verschiedene Erkrankungen der Leber, die Hervorzuheben ist, dass nur Patienten transplantiert
eine Transplantation notwendig machen. Zum einen werden, die durch die Transplantation eine erheblich
gibt es Patienten mit einer fortschreitenden, irre- bessere Heilungs- und Langzeitüberlebenschance als
versiblen oder terminalen Lebererkrankung. Dazu ohne Transplantation bzw. unter Einsatz alternativer
gehören z. B.: Therapien haben werden.
55 Leberzirrhose bei Hepatitis B, C, D
55 Primäre (PSC) und sekundäre sklerosierende
Cholangitis (SSC) 19.1.3 Transplantationsallokation
55 Äthyltoxische Leberzirrhose (wenn man
mindestens 6 Monate trocken ist) Die in Leiden (Niederlande) sitzende Organisation
Eurotransplant ist die Zentralstelle für die Vermitt-
Die Dynamik der Erkrankung und das Auftreten von lung von Spenderorganen in Deutschland, den Bene-
Beschwerdesymptomen sind entscheidende Krite- lux-Ländern, Österreich, Slowenien und Kroatien.
rien, wann eine Transplantation notwendig wird. Sie koordiniert zusammen mit der Deutschen Stif-
Symptome wie tung für Organtransplantation (DSO) die Zuteilung
55 Hepatische Enzephalopathie von Spenderorganen nach einem Wartelistenprinzip.
55 Bakterielle Peritonitis Am Beispiel der Lebertransplantation erfolgt
55 Hepatorenales Syndrom die Zuteilung auf der Warteliste nach dem MELD
55 Gastrointestinale Blutungen Score (Model of End Stage Liver Disease), welcher
55 Rezidivierende biliäre Sepsis 2006 eingeführt wurde. Der MELD ist ein Sco-
55 Diagnose eines hepatozellulären Karzinoms ring-System zur Erfassung der Leberfunktion und
Prognose. Anhand der drei Kriterien Serumbiliru-
können die Meldung auf die Warteliste notwen- bin, Serumkreatinin und Prothrombinzeit (INR:
dig machen oder bei terminaler Lebererkrankung International Normalized Ratio) wird mittels einer
254 Kapitel 19 · Fallbeispiel Transplantation – Lebertransplantation

festgelegten Formel ein Wert (labMELD) ermittelt, oftmals nur einen niedrigen Score und warten sehr
welcher eine Aussage über die Drei-Monats-Mortali- lange auf ein passendes Organ. Daraus resultiert, dass
tät des Lebererkrankten macht. Das Serumkreatinin sie mit den Begleitsymptomen leben müssen. Das
wird hierbei maximal mit 4,0 mg/dl angegeben, was beinhaltet zum einen regelmäßige Arztbesuche, um
auch dem Wert entspricht, der einem Dialysepatien- 55 Laborwerte,
ten zugeschrieben wird. Der maximale Punktwert 55 Hautzustand,
beträgt 40 und entspricht einer 100%igen Mortali- 55 Flüssigkeitshaushalt,
tät innerhalb von 3 Monaten. Da dieser Wert allein 55 Ernährungszustand und
aber nicht die reale Mortalität einiger Lebererkran- 55 Allgemeinzustand
kungen widerspiegeln kann, wurden Erkrankungen kontrollieren zu lassen.
durch die Bundesärztekammer definiert, die zusätz-
lich einen festgelegten Punktwert („match MELD“) Außerdem werden auch Interventionen nötig, die
erhalten und dadurch den MELD-Wert erhöhen. einen Krankenhausaufenthalt mit sich bringen
Der matchMELD entspricht einem MELD Score, (z. B. Anlage einer Aszitesdrainage). Die ständige
wie er sich hinsichtlich Dringlichkeit und Erfolgs- Erreichbarkeit gehört ebenfalls zum Leben eines
aussicht für vergleichbare Patienten mit anderen Patienten auf der Warteliste. In der ständigen Erwar-
Lebererkrankungen berechnet (BÄK 2015, S. 8 ff.). tung, einen Anruf vom Transplantationszentrum zu
Dazu zählen beispielsweise das hepatozelluläre Karz- erhalten, fahren viele Patienten oft nicht mehr in den
inom, eine persistierende Dysfunktion nach Leber- Urlaub oder machen keine größeren Ausflüge mehr.
transplantation, Mukoviszidose, Cholangiokarzi- (Wenn Patienten in Urlaub fahren möchten, dann
nom oder die billiäre Sepsis. Erfüllt in Ausnahme- könnten sie sich für diese Zeit NT = nicht transpan-
fällen die Erkrankung eines Patienten kein Kriterium tabel melden, ohne ihren Platz auf der Warteliste ein-
für einen matchMELD, kann ein Antrag des Trans- zubüßen.) Auch die richtige Ernährung zur Infek-
plantationszentrums gestellt werden und in einem tionsprophylaxe sowie der Schutz vor Verletzungen
Auditverfahren geklärt werden, ob ein abweichender spielt bei eingeschränkter Lebersynthese eine große
matchMELD genehmigt wird. So erhalten auch Pati- Rolle.
enten mit fortschreitenden Erkrankungen und noch Kurzum, die Patienten haben eine hohe psycho-
relativ guten Laborparametern eine Chance, zügig soziale Belastung. Das Warten auf ein Spenderorgan
ein Organ zu erhalten. Neben dem MELD Score geht oft einher mit Substanzmissbrauch, psychischer
spielt auch die Dringlichkeit eine entscheidende Komorbidität, beruflicher und familiärer Belastung
Rolle. Es ist möglich, einen Patienten, dem innerhalb sowie ungenügender sozialer Unterstützung.
weniger Tage der Tod droht, „high urgency“ (HU)
zu listen, sodass er vorrangig ein Organ erhält. Eine z Möglichkeiten der Lebertransplantation
HU-Listung ist jedoch zeitlich auf 14 Tage begrenzt und Operationsverfahren
und muss danach jeweils neu evaluiert werden (HD Es gibt vier Möglichkeiten, eine Transplantation
Manual LTPL 2009). durchzuführen. Erstens die orthotope Lebertrans-
plantation durch ein Kadaverorgan. Hierbei wird die
z Ein Leben auf der Warteliste für eine Leber des Empfängers komplett entfernt und durch
Transplantation ein Spenderorgan an gleicher Stelle komplett ersetzt.
Viele Lebererkrankte stehen über Jahre auf der War- Als zweite Möglichkeit kommt die Leberle-
teliste für ein neues Organ. Zum einen ist dies durch bendspende immer öfter zum Einsatz. Ein Ange-
den Organmangel in Deutschland verschuldet, höriger oder im Ausnahmefall ein Freund spendet
zum anderen stellt man fest, dass seit der Einfüh- einen Teil seiner eigenen Leber, und dieses Leberteil
19 rung des MELD Score immer mehr Patienten trans-
plantiert werden, deren Allgemeinzustand schon
wird an Stelle der erkrankten Leber beim Empfänger
eingesetzt. Die Erlaubnis einer Lebendspende unter-
sehr reduziert ist. Dies reduziert die Langzeitüberle- liegt strengen ethischen Prüfungen. Da die Leber ein
benschance erheblich. Patienten mit einer langsam Organ mit der Fähigkeit zum Wachsen ist, kann die
fortschreitenden Lebererkrankung haben dagegen gespendete Teilleber mit der Zeit alle Funktionen
19.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
255 19
einer vollständigen Leber sowohl beim Empfänger 55 Müdigkeit und Abgeschlagenheit
als auch beim Spender übernehmen. 55 Verwirrtheitszustände (hepatische
Die dritte Möglichkeit ist die Transplantation Enzephalopathie) oder Somnolenz (Cave!
einer Splitleber. Hierbei wird ein Spenderorgan Ammoniakerhöhung)
geteilt und kann so zwei oder mehr Empfängern 55 Akutes Nierenversagen/hepatorenales
transplantiert werden. Vorwiegend wird diese bei Syndrom
Kindern angewendet, da die Leber eines Erwachse-
nen zu groß wäre und Spenderorgane von Kindern Um einen Verdacht zur Abstoßungsreaktion stellen
sehr selten sind. zu können, sollten die Symptome postoperativ neu
Als vierte Möglichkeit ist die Domino-Transplan- auftreten. Das heißt, die Leberwerte waren bereits
tation zu nennen. In diesem Fall wird das explantierte gefallen, die Gerinnung stabilisiert, der Patient wach
Organ des Leberempfängers einem weiteren Emp- und orientiert und die Diurese war im Normbereich.
fänger eingesetzt. Dies ist bei Lebererkrankungen wie
z. B. der Amyloidose möglich, da diese Erkrankung
von der Leber ausgeht. Der Empfänger ist geheilt, 19.2 Pflege- und
sobald seine Leber ersetzt wurde, ein anderer Emp- Überwachungsschwerpunkte
fänger kann mit der amyloidose-erkrankten Leber
gerettet werden, da erste Krankheitsfolgen erst nach Aufgrund der unterschiedlichen Aufgaben der
20–30 Jahren auftreten. Leber wird einem schnell bewusst, wie viele Pro-
Während der Operation wird in allen Fällen die bleme auftreten können, wenn die Lebersynthese
alte Leber vollständig entnommen und das Spender- postoperativ noch eingeschränkt ist oder das Trans-
organ an die gleiche Stelle transplantiert. Wichtig ist plantat versagt. Daraus ergibt sich für uns Pflegende
hierbei zu wissen, dass es bei der Lebertransplantation die Aufgabe, mögliche Komplikationen schnell zu
4 Anastomosen gibt. Diese sind an der unteren Hohl- erkennen bzw. diese durch optimale Pflege auch zu
vene, der Pfortader, der Leberarterie und dem Gallen- vermeiden.
gang. Die Möglichkeit einer Anastomoseninsuffienz
ist daher sehr hoch (HD Manual LTPL 2009). > Der Erhalt der Organfunktion und das
frühzeitige Erkennen von Begleitkom-
plikationen sind höchste Ziele der
19.1.4 Komplikation Pflegebeobachtung.
Leberabstoßungsreaktion
Dauer und Ausmaß des operativen Eingriffs bringen
Die Abstoßungsreaktion kann zu jedem Zeitpunkt viele mögliche Pflegeprobleme mit sich. Im Folgen-
auftreten. Dies kann bereits kurz nach der Transplan- den werden einige wichtige Pflegeschwerpunkte
tation sein, da die Körperabwehr sich direkt gegen näher erläutert, welche auch in Herrn Beck Falle von
das fremde Gewebe richtet, oder erst später, wenn Bedeutung sind.
Verhaltensregeln und Medikamenteneinnahmen
nicht richtig durchgeführt werden und Infektionen
und Immunreaktionen das Organ bedrohen. Eine 19.2.1 Patientenedukation
Abstoßungsreaktion kann nur mit einer Leberbiop-
sie definitiv bestätigt werden. Das klinische Bild, das Um die Notwendigkeit der regelmäßigen Einnahme
eine Biopsie notwendig macht, entspricht dem klini- der Immunsuppressiva und die selbstständige
schen Bild des akuten Leberversagens und kann fol- Durchführung der nötigen Prophylaxen zu verste-
gende Symptome beinhalten: hen und richtig anzuwenden, ist die Schulung des
55 Ikterus/Anstieg der Leberwerte (Bilirubin, Patienten nach Transplantation obligat. Immunsup-
GOT, GPT; γ-GT steigend) pressiva sind Medikamente, die das Immunsystem
55 Blutungen/eingeschränkte Gerinnung (Quick, des Empfängers unterdrücken und somit verhindern,
PTT, Thrombozyten fallend) dass sich dieses gegen das fremde Spenderorgan
256 Kapitel 19 · Fallbeispiel Transplantation – Lebertransplantation

richtet. Zu den wichtigsten Immunsuppressiva den Patienten besonders belastende Nebenwirkun-


zählen Ciclosporin (Sandimmun) und Tacrolimus gen sind
(Prograf). Die Dosierung richtet sich nach dem Ser- 55 Tremor
umspiegel im Blut, welcher konstant in einem defi- 55 Müdigkeit
nierten Bereich gehalten werden muss. Für jedes 55 Nervliche Missempfindungen
Medikament gibt es festgelegte Spiegel. Diese richten
sich nach Resorptionsrate, Verteilungsvolumen des > Die in der ersten postoperativen Phase
Medikaments im Körper, die Geschwindigkeit der durchgeführte tägliche Serumspiegel-
Verstoffwechselung, möglichen Interaktionen mit kontrolle der Immunsuppressiva und
anderen Medikamenten, Ausscheidungsrate, Zei- korrekte Einnahme der Medikamente
tintervall seit der letzten Medikamenteneinnahme zählen zu den wesentlichen Säulen der
(deswegen immer alle 12 h), Darreichungsform Nachbehandlung. Die unregelmäßige
sowie Dosis. Einnahme der Immunsuppressiva kann zu
Beispiele für Zielspiegel der zwei am meisten einer Abstoßung des Organs führen.
verwendeten Immunsuppressiva Ciclosporin und
Tacrolimus sowie der Kortikoide (Marx et al. 2014). Begleitend zur Einnahme von Immunsuppressiva
sollten Patienten außerdem Folgendes beachten:
Ciclosporin (Sandimmun) 55 Einnahme von Antimykotika, da postope-
55 Initialer Spiegel: 100–375 ng/ml (Talspiegel) rativ ein Risiko zwischen 4–50% besteht,
800–1700 ng/ml (C2-Spiegel = 2 h nach eine invasive Pilzinfektion zu entwickeln
Einnahme gemessene Wirkstoffkonzentration) (Lichtenstern 2010).
55 Erhaltungsspiegel: 75–250 ng/ml (Talspiegel) 55 Intensive und regelmäßige Zahn- und
500–800 ng/ml (C2-Spiegel) Zahnfleischhygiene mit einer weichen
Zahnbürste und antiseptischen Mundspüllö-
Tacrolimus (Prograf) sungen, da bereits durch kleine Risse in
55 Initialdosis: 5–18 ng/ml (Talspiegel) der Schleimhaut Bakterien in die Blutbahn
55 Erhaltungsspiegel: 3–15 ng/ml (Talspiegel) eindringen und zu einer Infektion führen
können.
Kortikoide (Methylprednisolon, Prednison) 55 Bei Eingriffen beim Zahnarzt ist das Risiko der
55 Methylprednisolon: 3- bis 5-mal 500 mg i.v. bakteriellen Kontamination des Zahnfleisches
Stoßtherapie bei Abstoßung ebenso erhöht. Zudem können die Immunsup-
55 Prednison: initial bis 1,5 mg/kg Körpergewicht, pressiva die Blutungszeit verlängern. Aus
anschließend Reduktion nach Schema des diesem Grund erhalten die Patienten ein
Transplantationszentrums Breitbandantibiotikum nach der Behandlung.
55 Die Beschaffenheit der Haare und der Haut
> Die Kontrolle des Serummedikamen- (z. B. Akne) kann sich durch die kortisonhal-
ten-Spiegels (C0-Spiegel) erfolgt immer vor tigen Medikamente verändern, Haarsprays
der ersten morgendlichen Einnahme. und Kosmetika können diesen Effekt noch
verstärken und sollten daher gemieden
Wird der Medikamentenspiegel nicht im Dosisbe- werden. Die Körperbehaarung kann sich unter
reich gehalten, kann es zur körpereigenen Abstoß- Ciclosporin verstärken (Klinikum der Univer-
ung des Organs oder zur Nierentoxizität kommen. sität München 2015).
Um einen stabilen Spiegel zu erreichen, müssen
19 diese Medikamente regelmäßig alle 12 h eingenom-
men werden. Die Patienten sollten vor der Opera-
Viele Lebererkrankte erhalten erst ein Organ im fort-
geschrittenen Krankheitsverlauf. Daher ist es nicht
tion schon über mögliche Nebenwirkungen aufge- selten, dass sie bereits unter einer Enzephalopathie
klärt werden, da das Auftreten von Nebenwirkungen leiden. In diesem Fall sind die Angehörigen eine
die Compliance erheblich einschränken kann. Für wichtige Stütze in der Nachbehandlung und werden
19.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
257 19
ebenfalls geschult, da diese die Betreuung zu Hause und Drainagen stellen immer mögliche Eintritts-
weiterführen. pforten für Krankheitserreger dar und sollten somit
Im Fall von Herrn Beck kommt die fehlende schnellstmöglich, wenn es die Therapie zulässt,
Compliance oder eine mangelnde oder nicht ver- wieder entfernt werden. Sofort- und Frühmobili-
standene Schulung besonders im Zusammenhang sation und eine adäquate Schmerztherapie senken
mit der Einnahme der Tabletten zum Tragen. das Risiko von Pneumonie und Obstipation (siehe
Die Leberwerte im Labor sind erhöht. Der Ver- Kapitel 5 und Kapitel 9).
gleich mit früheren Laborwerten muss stattfinden, um Isst ein Transplantierter Gemüse aus dem
den Verlauf der Leberwerte einschätzen zu können. Garten, ohne es vorher richtig abzuwaschen oder
Sind diese steigend, kann dies der erste Hinweis auf abzukochen, können Krankheitserreger in den
eine Abstoßungsreaktion sein. Die verminderte Körper gelangen und Infekte auslösen. Eine gute
Gerinnung, der Juckreiz sowie die zunehmende Hygiene und Aufklärung über die Ernährung sind
Aszites erhärten diesen Verdacht. Im schlimmsten hier wichtig.
Fall wird eine erneute Listung notwendig. Herr Beck klagt über Luftnot, was auf einen
Infekt der Atemwege hindeuten kann. In den Labor-
werten sind Leukozyten und CRP erhöht. Es werden
19.2.2 Allgemeine Verhaltensregeln atemtherapeutische Maßnahmen wie z. B. Cliniflo,
nach Lebertransplantation VRP-Flutter oder die nichtinvasive Beatmung
(NIV) eingesetzt. Neben der erwähnten Mobilisa-
Zu den Verhaltensregeln siehe die Internetseite des tion können atemerleichternde Lagerungen durch-
Transplantationszentrums der LMU München (Kli- geführt werden. Eine antibiotische Abdeckung ist in
nikum der Universität München 2015, http://www. dieser Situation obligat.
klinikum.uni-muenchen.de/Transplantationszentrum/
de/patienten/lebertransplantation/verhaltensregeln/
index.html). 19.2.3 Ernährung und
Flüssigkeitsbilanz
z Infektionsprophylaxe
Ein transplantierter Patient ist vielen Infektionsge- Während einer Lebertransplantation wird oft die
fahren ausgesetzt. Zudem werden auf einer IMC-Sta- Substitution großer Mengen von Blutprodukten
tion viele Patienten mit unterschiedlichen Erkran- und Flüssigkeit notwendig. Infolgedessen leiden die
kungen, Infekten oder multiresistenten Erregern Patienten oft an starken Ödemen, die den gesamten
behandelt. Deshalb ist immer darauf zu achten, mit Körper betreffen können. Durch die eingeschränkte
wem sich ein transplantierter Patient das Zimmer Lebersynthese und den damit einhergehenden
teilt. Durch die Immunsuppression ist das Immun- Eiweißmangel kommt es zu einer Flüssigkeitsver-
system bereits stark abgeschwächt und ein vermeint- schiebung aus dem Blutplasma in den extrazellulären
lich harmloser Infekt kann einen tödlichen Ausgang Raum. Durch das dadurch abnehmende intravasale
nehmen. Volumen wird aber auch eine erneute Flüssigkeitszu-
fuhr nötig, um weiterhin eine Kreislaufstabilität und
> Die Vermeidung von Pneumonie, Harnwegs- die Nierenfunktion zu erhalten.
und Katheterinfektionen sowie Infektionen Es kann zur Bildung von großen Mengen Aszites
der Haut und Schleimhäute ist essenziell. kommen, was wiederum die Substitution von Flüs-
sigkeit, auch in Form von Eiweißen notwendig
Alle Hygienemaßnahmen und eine umfassende macht. Eine genaue Flüssigkeitsbilanz ist somit
Krankenbeobachtung mit dem Schwerpunkt Infek- obligat. Es kann notwendig sein, eine Aszitespunk-
tionszeichen müssen konsequent durchgeführt tion vorzunehmen, weil der große Bauchumfang
werden. Die Notwendigkeit und Liegedauer von Appetitlosigkeit und Atembeschwerden verursachen
Kathetern und ableitenden Drainagesystemen muss kann. Bedrohlich wird es, wenn es zu einer Infek-
täglich evaluiert werden (siehe Kapitel 8). Katheter tion des Aszites kommt. Eine Aszitespunktion kann
258 Kapitel 19 · Fallbeispiel Transplantation – Lebertransplantation

zu diagnostischen sowie therapeutischen Zwecken parenteralen Ernährung vorzuziehen, da die einge-


durchgeführt werden. schränkt leistungsfähige Leber diese oftmals nicht
verarbeiten kann und man somit die sich regenerie-
> Die genaue Flüssigkeitsbilanz beinhaltet die rende Leber überfordert (Marx et al. 2014).
Überwachung und Dokumentation von
44 Diurese, > Eine enterale Ernährung ist immer einer
44 Drainageverlusten, parenteralen Ernährung vorzuziehen!
44 Respiration,
44 Trinkmenge und Der vermehrte Bauchumfang von Herrn Beck lässt
44 zugeführten Infusionen. einen Aszites annehmen. Der Umfang des Abdo-
44 Das Gewicht muss täglich bestimmt werden! mens wird gemessen, die Ausfuhr überwacht und
ein Flüssigkeitsverlust subsituiert.
Die Diurese wird stündlich bis 2-stündlich gemes-
sen. Nach einer Lebertransplantation kommt es nicht z Durchführung einer therapeutischen
selten aufgrund der Flüssigkeitsverschiebung inner- Aszitespunktion
halb des Körpers zu einer Niereninsuffizienz oder zu (. Tab. 19.2)
einem hepatorenalen Syndrom.
z Komplikation
55 Hypovolämischer Schock → Cave: zu viel und
19.2.4 Hepatorenales Syndrom (HRS) zu schnelles Ablassen der Aszites führt zu
einem Nachstrom von Flüssigkeit aus dem
Das HRS kann für einen lebertransplantierten Pati- Gefäßsystem in den Bauchraum, nach 1–2 l
enten schwerwiegende Folgen haben. Das HRS ist Pause und später wieder weiter ablassen
eine funktionelle, progrediente und irreversible 55 Blutung
Abnahme der Nierenfunktion mit der Folge eines 55 Bakterielle Peritonitis
Nierenversagens. Dabei spielt die Kombination der 55 Verschlechterung der Leber- und
portalen Hypertension und systemischen Vasodi- Nierenfunktion
latation eine Rolle. Durch eine Veränderung des
Kapillardruckes kommt es zur Gefäßpermeabilität Zur Vermeidung eines hypovolämischen Schocks
und dadurch zur Bildung von Aszites. Da aber die kann nach dem Ablassen der Aszites pro 4–6 l Aszites
Flüssigkeit im intravasalen Raum fehlt, resultiert eine 40–60 g Albumin oder 6–8 g/l Aszites Dextran 70
Abnahme der renalen Ausscheidung und somit eine verabreicht werden.
langfristige Organfunktionsabnahme. Bei Herrn Beck liegt das Albumin nur bei 16 g/l.
Typische Symptome sind Dies kann auf einen schlechten Ernährungszustand
55 Aszites hindeuten, aber auch auf eine gestörte Lebersynthe-
55 Ödeme seleistung. Das Risiko der Flüssigkeitsverschiebung
55 Ikterus von intravasal zu extravasal steigt. Daher sollte das
55 Hepatische Enzephalopathie Albumin ausgeglichen und Herrn Beck eine aus-
reichende Ernährung zugeführt werden (Gerbes
Therapeutisch wird versucht, die systemische Vaso- et al. 2011).
dilatation mit einem Vasokonstriktor (Vasopressin,
Noradrenalin) oder einem Plasmavolumenexpander
(humanes Albumin) zu durchbrechen. Oftmals wird 19.2.5 Verhütung und Früherkennung
von Blutungen
19 vorübergehend auch eine Hämodialyse notwendig.
Da die Lebersynthese postoperativ noch ein-
geschränkt ist, ist es wichtig, den Körper mit allen Da die Leber an der Bildung von Gerinnungsfakto-
nötigen Nährstoffen ausreichend zu versorgen. ren beteiligt ist, ist es normal, dass diese bei einge-
Eine enterale Ernährung ist hierbei immer der schränkter Syntheseleistung vermindert sind. Die
19.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
259 19

. Tab. 19.2 Aszitespunktion – Wer macht was?

Arzt Pflegeperson

Überwachung der Vitalparameter während und nach der Punktion


Aufklärung des Patienten Lagerung des Patienten in Rückenlage
Sonographie und Markierung der Punktionsstelle (Filzstift)
Händedesinfektion (Kat. 1A) Händedesinfektion (Kat. 1A)
Desinfektion der Einstichstelle unter
Beachtung der Einwirkzeit (Kat. 1B)
Anlegen von Nasen-Mund-Schutz, Haube (Kat. 1A) Anlegen von Nasen-Mund-Schutz, Haube
(Kat. 1A)
Händedesinfektion vor Anlegen der sterilen Schutzkleidung
(langärmelig und Bündchen) (Kat. 1A)
Anlegen der sterilen Handschuhe (Kat. 1A)
Abdeckung mit einem großen sterilen Tuch (Kat. 1A) Anreichen steriles Material:
Anästhesie der zu punktierenden Stelle senkrecht zur Haut mit – Großlumige, periphere Verweilkanüle
abwechselnder Injektion und Aspiration, bis sich Aszites aspirieren – Sterile Kompressen
lässt – 20-ml-Spritzen und Kanülen
– Kanüle für die Lokalanästhesie
Punktion der gleichen Stelle mit großlumiger Verweilkanüle und
– 3-Wege-Hahn
aufgesetztem Dreiwegehahn und Spritze bis zur sicheren Aspiration
– Auffanggefäß oder Sekretbeutel mit
von Aszites
Volumenskalierung
Rückzug des Stahlmadrins und Vorschieben des Kunststoffröhrchens
Fixierung der Kanüle
Anschluss des Ablaufsystems an den 3-Wege-Hahn
Ablassen der gewünschten Aszitesmenge
Entfernung der Kanüle VW mit sterilen Kompressen und Pflaster

Substitution von Gerinnungsfaktoren kann somit immer abgeklärt werden. Die Gerinnungswerte von
notwendig werden. Herrn Beck deuten auf eine schlechte Lebersynthese,
Eine Blutungsneigung wird wie folgt überwacht: da der Quick nur noch bei 40% ist und die Thrombo-
55 Drainagensekrete auf Aussehen und Konsistenz zyten auf 90 × 109/l abgefallen sind. Die Substitution
55 Wunden von Gerinnungsfaktoren und Blutkonserven kann
55 Kathetereintrittsstellen notwendig werden.
55 Hautbeobachtung auf Blutung, Petechien
55 Beobachtung der Schleimhäute und Augen > Das Anhängen von Blutkonserven ist
55 Gerinnungsparameter eine nicht delegierbare ärztliche
Aufgabe.
Um schnell intervenieren zu können, ist es wichtig,
Blutungen frühzeitig zu erkennen. Die Überwachung der Bluttransfusion auf uner-
Durch die Lebersynthesestörung bildet Herr wünschte Reaktionen und Nebenwirkungen wird
Beck nicht genügend Gerinnungsfaktoren und es durch uns Pflegende gewährleistet.
kommt zu anhaltenden Blutungen. Diese können Die wichtigsten akut auftretenden Symptome bei
überall im Körper auftreten. Schleimhäute, Skleren, einer Transfusionsreaktion sind
Wundnähte und Hautdefekte sowie innere Anas- 55 Fieber
tomosen können betroffen sein. Hämatome sind 55 Schüttelfrost
äußere Anzeichen von Blutungen und sollten daher 55 Urtikaria
260 Kapitel 19 · Fallbeispiel Transplantation – Lebertransplantation

Verschiedene akute Transfusionsreaktionen können verschiedener Substanzen, die Symptome wie Ikterus
diese Symptome auslösen: und Juckreiz auslösen. Eines der unangenehmsten
55 Hämolytische Transfusionreaktion vom Symptome der Cholestase ist der Pruritus. Der von
Soforttyp durch das Vorliegen von Allogenan- den meisten Patienten als quälend empfundene Juck-
tikörpern im Empfängerserum gegen Antigene reiz am ganzen Körper wird durch die fehlende Aus-
auf den transfundierten Erythrozyten (vor scheidung von Gallensalzen und deren Anreiche-
allem bei AB0-inkompatiblen Transfusionen) rung in den Geweben ausgelöst. Helfen können hier
55 Nichthämolytische Transfusionsreaktionen rückfettende Salben, leichte Kleidung und Kühlung.
durch die Freisetzung leukozytärer Bestand- Ursodeoxycholsäure kann den Juckreiz vermindern,
teile in der Konserve (ca. 30 min nach aber manchmal auch verstärken. Behandlungserfolge
Transfusionsbeginn) wurden weiterhin unter Ondansetron, Opiatantago-
55 Allergische Transfusionsreaktionen nisten, Plasmapherese oder Albumindialyseverfah-
55 Transfusionsreaktionen aufgrund bakterieller ren beschrieben (Ballauff 2014).
Verunreinigungen Das Sklerosierungsmittel Polidocanol, das in
55 Transfusionsassoziierte Lungeninsuffizienz einer 1- bis 3%igen O/W- oder W/O-Emulsion
(TRALI) durch leukozytenreaktive Antikörper gemischt wird, führt über eine reversible Blockade
im Spenderplasma, die Leukozyten aktivieren, der Nozizeptoren zu einer lokalanästhesierenden
die die Mikrozirkulation in der Lunge stören und antipruritischen Wirkung.
und zum Lungenödem führen Zudem ist es wichtig, juckreizauslösende bzw.
55 Transfusionsassoziierte zirkulatorische -verstärkende Medikamente zu kennen:
Überladung durch hohe Transfusionsgeschwin- 55 Opioide (Codein, Fentanyl, Morphin)
digkeiten und große Transfusionsvolumina 55 Antihypertensiva (Clonidin, Doxazosin)
55 Weitere akute Nebenwirkungen können sein: 55 Antibiotika (Amoxicillin, Ceftriaxon,
44Hypothermie bei Massivtransfusion mit Erythromycin, Penicillin)
kalten Konzentraten 55 Antidepressiva (Amitryptylin, Doxepin,
44Hyperkaliämie bei schneller Massivtrans- Mirtazepin)
fusion von Erythrozytenkonzentraten 55 Antiphlogistika (ACC, Diclofenac, Ibuprofen,
44Citratreaktionen/-intoxikation bei rascher Naproxen)
Transfusion gefrorenen Frischplasmas 55 Antikonvulsiva (Carbamazepin, Lamotrigin,
44Transfusion hämolytischer Erythrozyten- Phenobarbital)
konzentrate bei unsachgemäßer Lagerung, 55 Betablocker (Bisoprolol, Metoprolol)
Erwärmung oder unzulässiger Beimischung 55 Diuretika (Furosemid)
von Medikamenten 55 Kalziumantagonisten (Amlodipin, Diltiazem,
Nifedipin)
Beim Auftreten einer dieser Symptome wird die 55 Immunsuppressiva (Ciclosporin, Tacrolimus)
Transfusion sofort gestoppt, der zuständige Arzt (Ständer et al. 2011)
informiert und die Erstmaßnahmen eingeleitet (BÄK
2014 7 Kap. 11).
19.3 Überlegungen zum
Patientenerleben
19.2.6 Pruritus (Juckreiz) – Schwer zu
behandelndes Symptom einer Ein Lebererkrankter, der über eine lange Zeit auf ein
Leberfunktionsstörung neues Organ wartet, muss lernen, mit seiner Erkran-
19 Die Cholestase ist definiert als eine Störung der
kung zu leben. Oftmals ist es für die Betroffenen nicht
mehr möglich, einen Beruf auszuüben oder freizeitli-
Bildung und Exkretion von Galle und Gallen- chen Beschäftigungen nachzugehen. Ständige Arzt-
bestandteilen mit der Folge der Akkumulation besuche und Krankenhausaufenthalte erfordern eine
Literatur
261 19
hohe Flexibilität des Betroffenen und seiner Familie.
Die Angst, nicht rechtzeitig ein Organ zu erhalten, Anregungen für den Unterricht
das Fortschreiten der eigenen Krankheit und die 1. Die Lernenden erhalten den Auftrag,
daraus entstehenden Einschränkungen belasten den Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur
Patienten sowie dessen Familie. Ein Betroffener ent- Pflege und Überwachung von Lebertrans-
wickelt seine eigenen Bewältigungsstrategien oder plantierten im Vergleich zu Patienten mit
gibt sich selbst auf. Wenn die Erkrankung weit fort- anderen Organtransplantationen (Niere,
geschritten ist und bereits die Unterstützung im tägli- Lunge, Herz …) herauszufinden.
chen Leben von anderen übernommen werden muss, 2. Die Lernenden recherchieren
kann dies zu einer sozialen und familiären Überfor- Verhaltensregeln für lebertransplantierte
derung führen. Patienten, arbeiten heraus, welche
Nun erhält dieser Patient ein neues Organ. Und Regeln für eine Schulung von Herrn Beck
alles ist plötzlich anders. Die Krankheit und deren besonders wichtig wären und entwickeln
Symptome, die bisher das Leben bestimmten, sind Ideen für ein Schulungsprogramm.
nicht mehr da. Man kann wieder arbeiten gehen 3. Die Lernenden setzen sich auseinander mit
und vielleicht wird das auch vom Umfeld erwar- den rechtlichen und politischen Aspekten
tet. Man kann wieder in den Urlaub fahren, Aus- der Transplantationsmedizin (aktuelles
flüge machen und die eigene Freizeit selbst bestim- Transplantationsgesetz, Regelungen in
men. Man muss nicht ständig ins Krankenhaus und verschiedenen Ländern, Allokations-
schmerzhafte Interventionen überstehen. Es kann kampagnen). Als Material könnten aktuelle
eine Erwartungshaltung von Seiten der Angehöri- Zeitungs-/Zeitschriftenartikel mitgebracht
gen und des persönlichen Umfelds entstehen, dass oder gestellt werden.
jetzt alles wieder wie vor der Erkrankung wird. All 4. Die Lernenden erörtern ethische
dies zeigt, dass sich ein Transplantierter erst einmal Aspekte der Transplantationsmedizin,
vielen Ängsten und auch Erwartungen gegenüber- Ausgangspunkt könnten Erfahrungs-
sieht. Daher ist es wichtig, Gespräche anzubieten, berichte oder „Skandalmeldungen“ sein,
denn oftmals sind Pflegekräfte die Personen, denen z. B. zur Vergabe von Organen oder zur
man als außenstehende Personen von diesen Ängsten Hirntoddiskussion.
erzählen kann, ohne dass dies direkte Auswirkun-
gen auf die soziale und familiäre Situation hat. Auch
die Möglichkeit der Transplantatabstoßung bzw.
Literatur
des Transplantatversagens schürt Ängste, die Pfle-
gekräfte durch Fachwissen mildern können. Gege- BÄK (2014) Querschnitts-Leitlinien (BÄK) zur Therapie mit
benenfalls muss für diese Gespräche auch ein Psy- Blutkomponenten und Plasmaderivaten. http://www.
chologe hinzugezogen werden. bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/down-
Für Herrn Beck wird möglicherweise ein länge- loads/QLL_Haemotherapie_2014.pdf (Abruf 02.09.2015)
rer Krankenhausaufenthalt mit Interventionen oder BÄK (2015) Richtlinien zur Organtransplantation gem. § 16
TPG Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG
sogar eine Re-Transplantation notwendig. Da er vor für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur
der Transplantation nur wenige Symptome hatte Lebertransplantation (vom 23.04.2015). Dtsches Ärztebl
und die derzeitigen vielleicht nicht versteht oder sich DOI: 10.3238/arztebl.2015.rili_baek_ OrgaWlOvLe-
auch nicht bewusst ist, dass sein eigenes Verhalten berTx2015042 http://www.bundesaerztekammer.de/
mit dazu geführt haben kann, muss man wertschät- fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/RL/RiliOr-
gaWlOvLeberTx20150424.pdf. Zugegriffen: 02.09.2015
zend und mitfühlend mit ihm umgehen. Herr Beck Ballauff A (2014) Cholestase. In: Hoffmann GF, Lentz MJ, Spran-
ist in einer Ausnahmesituation und braucht keine ger J, Zepp F (Hrsg) Pädiatrie, 4.Aufl. Springer, Berlin,
Belehrung darüber, was er alles falsch gemacht hat, S 1171–1175
sondern professionelle Unterstützung und Beratung, Gerbes L, Gülberg V, Sauerbruch T et al. (2011) AWMF: S3 Leitli-
wie er es in Zukunft besser machen kann. nie Aszites, spontan bakterielle Peritonitis, hepatorenales
262 Kapitel 19 · Fallbeispiel Transplantation – Lebertransplantation

Syndrom. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlini- Marx G, Muhl E, Schölmerich J (Hrsg) (2014) Die Intensivmedi-


en/021-017l_S3_Aszites_2011.pdf, gültig bis 2016. Zuge- zin, 12. Aufl. Springer, Berlin
griffen: 02.09.2015 Schmidt J, Sauer P, Büchler MW (2006) Heidelberger Manual
Homburg E, Hecker P (2010) Transplantationspflege. Pabst, der Lebertransplantation, 2. Aufl. Universitätsklinikum
Lengerich Heidelberg
Klinikum der Universität München (2015) Allgemeine Verhal- Ständer S, Darsow U, Mettang Th et al. (2011) Leitlinie chro-
tensregeln nach einer Lebertransplantation. http://www. nischer Pruritus, AWMF-Reg.Nr.: 013-048; red. überarbei-
klinikum.uni-muenchen.de/Transplantationszentrum/de/ tete Version 2.2/2012. http://www.awmf.org/uploads/
patienten/lebertransplantation/verhaltensregeln/index. tx_szleitlinien/013-048k_S2k_Chronischer_Pruri-
html. Zugegriffen: 02.09.2015 tus_092012_1.pdf. Zugegriffen: Abruf 09.11.2015)
Lichtenstern C, Müller M, Schmidt J, Mayer K, Weigand MA Thiele C (2007) Mensch Körper. Börm Bruckmeier, Grünwald
(2010) Intensivtherapie nach Transplantation solider
Organe. Anaesthesist 12: 1135–1152

19
263 20

Fallbeispiel Neurochirurgie –
Hirndruck
K. Kleem

20.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild – 264

20.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte – 266


20.2.1 Bewusstsein – 267
20.2.2 Kommunikation – 268
20.2.3 Pupillenstörungen – 269
20.2.4 Atemstörungen – 270
20.2.5 Elektrolyt- und Blutzuckerstörungen – 271
20.2.6 Mobilität – 272
20.2.7 Externe Ventrikeldrainage – 272

20.3 Überlegungen zum Patientenerleben – 274

Literatur – 275

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_20
264 Kapitel 20 · Fallbeispiel Neurochirurgie – Hirndruck

Beispiel 2. Seitenventrikel; 3. und 4. Ventrikel sind durch einen


Frau Koch, 56 Jahre alt, 174 cm groß, 65 kg schwer, gu- schmalen Kanal (Aquädukt) verbunden). Der Suba-
ter Allgemein- und Ernährungszustand. In den letz- rachnoidalraum, welcher sich zwischen den beiden
ten Wochen klagt die Patientin vermehrt über Übel- weichen Hirnhäuten (Pia mater und Arachnoidea)
keit und Schwindelgefühl. Des Weiteren beschreibt befindet und sich bis ins Rückenmark erstreckt,
sie Konzentrationsprobleme, eine stetige Müdigkeit wird als äußerer Liquorraum bezeichnet. Der Liquor
und leichte Gangunsicherheit. Im durchgeführten ist eine klare, geruchslose und farblose Flüssigkeit.
CCT ist ein Tumor im Bereich des III. Ventrikels zu Täglich werden beim Erwachsenen ca. 500 ml im
erkennen, welcher einen Verschluss des Aquädukts Bereich der Ventrikel (Plexus choroidei) gebildet
aufweist und einen Hydrocephalus occlusus nach (ca. 20 ml/h), bei Neugeborenen ca. 25 ml/Tag. Der
sich zieht. Die Patientin wird mit einer externen Vent- gesamte Liquor erneuert sich 4- bis 5-mal/Tag. Die
rikeldrainage (EVD) versorgt und bis zur Tumorexstir- Resorption erfolgt überwiegend in den Arachnoidal-
pation am nächsten Tag auf die IMC-Station verlegt. zotten und in den Scheiden der Rückenmarksnerven.
Kurz nach der Anlage der Drainage werden 15 ml Li- Ca. 150 ml Liquor füllen die Hohlräume des Gehirns
quor abgelassen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme auf sowie den Subarachnoidalraum und zirkulieren um
der Station ist das Drainagesystem geschlossen, es Gehirn und Rückenmark wie ein Wasserkissen (natür-
wird kein Liquor drainiert. Eine kontinuierliche Mes- licher Airbag). Neben dieser mechanisch, puffernden
sung des intrakraniellen Drucks (ICP) ist über das Ab- Funktion versorgt der Liquor das Gehirn und Rücken-
leitesystem gewährleistet (7 Vitalparameter). Frau mark mit Nährstoffen und Elektrolyten aus dem Blut
Koch ist wach, ansprechbar und zu allen Qualitäten und sorgt für den Abtransport von Abfallstoffen,
orientiert. Die Anordnungen der diensthabenden Metaboliten sowie Neurotransmittern (. Abb. 20.1).
Neurochirurgin lauten: ICP <15 mmHg, zerebraler
Perfusionsdruck (CPP) >60 mmHg; EVD öffnen bei z Hydrozephalus
ICP >15 mmHg und 5 ml Liquor ablaufen lassen. Im Wenn in der Liquorzirkulation ein Missverhält-
Laufe der Nacht ist zu beobachten, dass die Patien- nis zwischen Produktion und Abfluss bzw. Pro-
tin in flacher Seitenlage sofort Übelkeit und leichte duktion und Resorption vorliegt, hat dies meist die
Kopfschmerzen angibt. Diese Empfindungen de- Entstehung eines Hydrozephalus zur Folge. In der
cken sich mit einer deutlichen Erhöhung des ICP auf bildgebenden Diagnostik, z. B. einem CCT, wäre
17 mmHg. In einer leichten Oberkörperhochlage ca. eine Erweiterung der inneren und/oder äußeren
15° sinkt der ICP sofort auf <15 mmHg und der kli- Liquorräume erkennbar. Eine Liquorabflussstö-
nische Befund bessert sich deutlich. Ein Öffnen der rung (Hydrocephalus occlusus) ist z. B. bei Frau
EVD ist nicht notwendig. Die gemessenen Vitalpara- Koch zu erkennen. Ein Tumor verhindert die Zir-
meter sind im Normbereich und stabil: kulation zwischen 3. und 4. Ventrikel und es kommt
44 HF 52 zu einem Liquoraufstau. Eine verzögerte Liquorre-
44 RR 127/74 (91) mmHg sorption (Hydrocephalus communicans) kann z. B.
44 ICP 6 mmHg nach einer Subarachnoidalblutung (SAB) erkennbar
44 CPP 85 mmHg sein. In diesem Fall sind die Arachnoidalzotten durch
44 AF 16 Blutauflagen verklebt und die natürliche Resorption
44 SaO2 94% (unter Raumluft) ist gestört. Eher selten ist eine vermehrte Liquorpro-
44 Pupillen isokor, mittelweit, prompte Reaktion duktion (Hydrocephalus hypersecretorius) nach-
weisbar. Die Entstehung eines Hydrozephalus zeigt
einen akuten, subakuten oder auch chronischen
20.1 Medizinische Grundlagen zum Verlauf. Je nach Ursache, Ort und Kompensations-
Krankheitsbild möglichkeiten kann es bis zu einer akuten Dekom-
pensation mit plötzlicher Todesfolge kommen.
z Liquorraum
20 Der Liquorraum ist ein Hohlraumsystem, welches > Die Symptome eines Hydrozephalus sind:
sich um Hirn und Rückenmark herum schmiegt. Die Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen,
4 Ventrikel bilden den inneren Liquorraum (1. und Störungen der Gedächtnisleistung,
20.1 · Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild
265 20

. Abb. 20.2 Folgen des Hydrozephalus. (Aus Hacke 2010)

Der Körper kann eine Erhöhung des ICP in unter-


schiedlicher Weise kompensieren.
Den Schädelinhalt kann man in drei Komparti-
mente aufteilen:
55 Hirnmasse (1400 ml) 85%
. Abb. 20.1 Liquorraum. (Aus Grunst u. Sure 2006, mit 55 Liquor (150 ml) 7,5%
freundl. Genehmigung des Elsevier-Verlags)
55 Blut (150 ml) 7,5%

Vigilanzminderung und Sehstörungen durch Die Monro-Kellie-Doktrin besagt, dass alle drei
Stauungspapille. Bei Kindern kommt es vor intrakraniellen Kompartimente in ihrer Summe
der Verknöcherung des Schädels zu einem konstant sind. Die Volumenzunahme von einem Teil
überproportionalen Schädelwachstum. muss durch die Abnahme eines anderen Teilstückes
ausgeglichen werden. Trifft dies nicht zu, kommt es
Folgen des Hydrozephalus Durch die Liquorzirku- zu einem Anstieg des ICP (. Abb. 20.3).
lationsstörung kann es zu einer Volumenzunahme Natürliche Kompensationsmöglichkeiten bietet
im intrakraniellen Raum kommen. Dies führt einmal der Liquorraum. Hier können ca. 6% des
zwangsläufig zu einer Erhöhung des ICP. Bei einem Volumens (Liquor) in den Spinalkanal umverteilt
gesunden Erwachsenen ist ein ICP zwischen 5 und werden. Das Blutvolumen im intrakraniellen Raum
15 mmHg je nach Körperposition als normal anzuse- kann durch eine Oberkörperhochlage herabgesetzt
hen. Durch einen ICP-Anstieg über die Normalwerte werden, der venöse Rückfluss wird gefördert.
hinaus kann das Hirngewebe durch Ischämie und Wenn alle Kompensationsmöglichkeiten ausge-
Gewebeverlagerung geschädigt werden. Der zereb- schöpft sind und der Gehirnschädel keinerlei Mög-
rale Perfusionsdruck (CPP) muss stets gewährleis- lichkeiten des Ausdehnens hergibt, können schon
tet sein, sonst könnten Spätfolgen resultieren (Hacke kleinste Volumenzunahmen zu vital bedrohlichen
2010). Zuständen führen.

Normwerte: z Therapie
55 ICP 5–15 mmHg Als erste Therapieoption eines akuten Hydro-
55 CPP >50 mmHg <70 mmHg (errechnet aus zephalus ist die Liquorableitung nach außen zu
mittlerem arteriellem Blutdruck MAP–ICP=CPP) sehen. Steht eine chirurgische Entfernung des
266 Kapitel 20 · Fallbeispiel Neurochirurgie – Hirndruck

ICP Intrakranielles Blut


CSF

ICP

volumen

Hirngewebe

Volumen

. Abb. 20.3 Verhältnis von intrakraniellem Druck zu intrakraniellem Volumen. CSF zerebrospinale Flüssigkeit,
ICP intrakranieller Druck. (Aus Schwab et al. 2012)

Liquorabflussproblems zur Verfügung, ist dies die zu gewährleisten, sollte an eine O2-Gabe gedacht
nächste Option; wie bei Frau Kochs Erstversorgung werden (SpO2-Werte ≥94%) (. Abb. 20.4).
mit einer EVD und dann geplante Tumorextirpa- Konservative Therapieoptionen werden an dieser
tion. Wenn die Resorptionsstörung des Liquors die Stelle nicht berücksichtigt, da sie im medikamentö-
Ursache des Hydrozephalus ist, muss beobachtet sen Bereich zu finden sind.
werden, ob es zu einer Chronifizierung kommt. Dann
ist eine „interne Liquordrainage“, eine Shuntanlage,
notwendig. Der überschüssige Liquor findet seinen 20.2 Pflege- und
Weg durch einen Ventrikelkatheter verbunden mit Überwachungsschwerpunkte
einem Ventil, über einen Ableitungsschlauch entwe-
der in die Bauchhöhle (VP-Shunt/ventrikuloperito- In der Pflege von neurologischen und neurochirur-
nealer Shunt) oder in den rechten Vorhof (VA-Shunt/ gischen Patienten haben eine genaue Patientenbe-
ventrikuloatrialer Shunt). Der VP-Shunt ist die am obachtung und eine schnelle Reaktion auf Verände-
häufigsten angewandte Methode. Der VA-Shunt rungen höchste Priorität. Kleinste Veränderungen
kommt bei abdominellen Pathologien zum Einsatz. wie z. B. Wortfindungsstörungen, Gangunsicherhei-
Ergänzend zur chirurgischen Versorgung des ten oder Unruhe können auf einen ICP-Anstieg/eine
Hydrozephalus sollten unterstützende Möglich- Minderung des CPP hinweisen.
keiten zur Senkung des ICP durchgeführt werden. Eine regelmäßige Kontrolle von Vigilanz, Koor-
Eine Oberkörperhochlage verbessert den Liquor- dination, Motorik sowie Pupillen ist bei solchen
abfluss Richtung Spinalkanal. Zusätzlich wird der Patienten obligat. Durch die Volumenzunahme des
venöse Abfluss optimiert und dadurch das intrak- Liquors bzw. Liquorzirkulationsstörungen kann es
ranielle Blutvolumen reduziert. Ein starkes Abkni- zu einer Drucksteigerung im Schädel kommen. Sind
cken des Kopfes muss vermieden werden. Dieser die natürlichen Kompensationsmechanismen des
sollte stets in einer Neutralposition gehalten werden, Körpers vollständig ausgenutzt, treten beim Patien-
20 um die Blutzirkulation nicht zu beeinträchtigen. Um ten klassische Symptome eines gesteigerten intrakra-
eine ausreichende Oxygenierung des Hirngewebes niellen Druckes auf. Der berühmte Tropfen, der das
20.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
267 20
Veränderungen der Bewusstseinslage oder der Kom-
VP Shunt munikationsfähigkeit sind oftmals feine Anzei-
chen und zugleich Vorboten für den oben erwähn-
Kammer ten „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“.
Der Bewusstseinszustand kann in folgende Stadien
unterteilt werden. Oft sind die Übergänge fließend.

Bewusstseinseintrübung
55 Benommenheit leichteste Form, verlangsamtes
Denken und Handeln, Patient ist noch relativ
wach und zu allen Qualitäten (Ort, Zeit,
Peritonealhöhle
Person, Situation) orientiert
55 Somnolenz: Abnorme Schlafneigung, der
Patient kann jedoch durch Außenreize jederzeit
. Abb. 20.4 VP-Shunt. (Aus Emam et al. 2008)
erweckt und zu bestimmten Reaktionen
veranlasst werden, er ist gerade noch zu Ort,
Zeit und Person orientiert, einfache Fragen
Fass zum Überlaufen bringt, muss durch eine kom- können beantwortet werden
petente Patientenbeobachtung/-überwachung unbe- 55 Sopor: schlafähnlicher Zustand, durch
dingt erkannt und vermieden werden. Ansprache ist der Patient nicht mehr
Unter den Pflegeschwerpunkten Bewusstsein, erweckbar, reagiert aber auf Schmerzreiz gezielt
Kommunikation, Überwachung und Mobilität und mit kurzzeitigem Orientierungsversuch
werden allgemeingültige Besonderheiten in Bezug
auf Patienten mit gesteigertem Hirndruck vorge- Bewusstlosigkeit
stellt. Intrakranielle Druckveränderungen können 55 Koma/Bewusstlosigkeit, der Patient ist nicht
durch Tumoren, Blutungen oder infektiöse Verän- mehr erweckbar
derungen mit Bildung eines Hirnödems entstehen, 44Koma 1: Bewusstlosigkeit ohne sonstige
diese Krankheitsbilder werden hier nicht näher neurologische Störungen, mit ungezielter
beschrieben. Reaktion auf Schmerzreize
44Koma 2: Bewusstlosigkeit mit zusätzlichen
neurologischen Auffälligkeiten, z. B.
20.2.1 Bewusstsein Lähmungen, Anfällen, Pupillenstörungen
44Koma 3: Bewusstlosigkeit mit Streck- und
Erhöhter intrakranieller Druck stört das Hirn in Beugesynergien
seiner Funktion und in seiner Struktur. Bewusst- 44Koma 4: Bewusstlosigkeit mit Tonusverlust,
seinsstörungen werden in zwei verschiedene Formen weite lichtstarre Pupillen, aber erhaltender
unterteilt: Spontanatmung
55 Qualitative Störung (Störungen des inhalt-
lichen Bewusstseins) Durch die Glasgow-Koma-Skala lässt sich der
55 Quantitative Störung (Einschränkungen des Schweregrad einer quantitativen Bewusstseinsstö-
Wachbewusstseins und der Reaktionsfähigkeit) rung exakt einstufen. Sie berücksichtigt Wachheit,
Motorik und Sprache. Die Summe aller Punkte
Mit einfachen Fragen zu Ort, Zeit und Situation kann spiegelt den Schweregrad der Bewusstseinsstörung
die Bewusstseinslage in qualitativer und anhand der wider. Hier sei erwähnt, dass es durchaus methodi-
Reaktion in quantitativer Weise kontrolliert werden. sche Mängel der Skala gibt, z. B. ist die Sprache bei
Genaue Erklärungen zu oft gestellten Fragen sollten einem intubierten Patienten schwer zu beurteilen,
dem Patienten mitgeteilt werden. So entsteht eine (unbekannte) Hörbehinderungen führen zu einem
bessere Akzeptanz und Zusammenarbeit. Kleinste falsch niedrigen Wert (. Tab. 20.1).
268 Kapitel 20 · Fallbeispiel Neurochirurgie – Hirndruck

des Sprachorgans, spricht man von einer zentra-


. Tab. 20.1 Glasgow-Koma-Skala
len Sprachstörung, einer Aphasie. Diese kann nicht
Kategorie Reaktion Punktwert nur das Sprechen, sondern auch das Lesen, Verste-
hen, Schreiben und die nonverbale Kommunika-
Augenöffnen Spontan 4 tion betreffen. Sprachverständnis und sprachnahe
Auf Aufforderung 3 Fähigkeiten sind je nach Aphasieform in unter-
Auf Schmerzreize 2 schiedlichem Ausmaß mitbetroffen. Die Aphasie
Keine 1 lässt sich in vier verschiedene Formen unterschei-
den (. Tab. 20.2).
Motorische Befolgt 6
Reaktion Aufforderungen
Motorische Aphasie (Broca-Aphasie) Das Sprach-
Lokalisiert Reize 5
verständnis ist im Wesentlichen erhalten, mündli-
Zieht die Extremitäten 4
che Aufforderungen werden verstanden und können
zurück
ausgeführt werden. Der Patient selbst kann keinen
Flexionshaltung 3 normalen Satz bilden. Wörter werden im sogenann-
Extensionshaltung 2 ten Telegrammstil aneinandergereiht. Oft sind ein
Keine Bewegung 1 Ringen um Wörter sowie ein gequälter Gesichtsaus-
Sprachliche Orientiert 5 druck erkennbar.
Reaktion Verwirrt 4
Sensorische Aphasie (Wernicke-Aphasie) Das
Einzelne Wörter 3
Sprachverständnis ist gestört, bei gleichzeitig flüs-
Unartikulierte Laute 2 siger Sprache. Gesprochene Sätze und einzelne
Keine 1 Wörter sind verständlich, ergeben aber keinen Sinn.
Oft werden die Patienten zornig, wenn ihre Umwelt
sie nicht versteht, weil sie ihre Fehler selbst nicht
> Eine angemessene Kommunikation erkennen.
mit dem Patienten sowie eine korrekte
Pflegefachsprache über den bewusstsein- Amnestische Aphasie Typisch für diese Aphasie-
seingeschränkten Patienten sind von form sind Wortfindungsstörungen. Das Sprachver-
besonderer Bedeutung. Klare und einfache ständnis ist nur leicht gestört und die Sprachpro-
Worte kann der Patient besser verstehen. duktion ist flüssig. Es kann schnell passieren, dass in
Veränderungen der Bewusstseinslage einem kurzen Gespräch eine amnestische Aphasie
können kleine Vorboten für dramatische unerkannt bleibt. Viele Patienten verstehen es gut,
Zustandsänderungen des Patienten sein. die ihnen fehlenden Wörter durch Umschreibungen
Bewusstseinseintrübende Medikamente (z. B. zu ersetzen.
Opiate, Dimenhydrinat, z. B. Vomex A) sollten
mit besonderer Vorsicht verabreicht werden. Globale Aphasie Sprachverständnis und Sprachpro-
duktion sind erheblich gestört. Wörter oder Silben
werden vom Patienten aneinandergereiht, die sie evtl.
20.2.2 Kommunikation ständig wiederholen.
Zusätzlich können sog. Werkzeugstörungen
Die Kommunikation steht im engen Zusammenhang auftreten. Auch wenn die ausführenden Organe
mit der Bewusstseinslage. Sie wird durch eine quanti- intakt sind, können komplexere Handlungen und
tative Bewusstseinsstörung deutlich verändert. Wie- Gedankengänge (z. B. schreiben) nicht vollzogen
derum kann eine Kommunikationsstörung fälschli- werden.
cherweise als eine qualitative Bewusstseinsstörung 55 Agraphie: Unfähigkeit zu schreiben
20 diagnostiziert werden. Kommt es durch die intrak- 55 Alexie: Unfähigkeit zu lesen
ranielle Druckerhöhung zu einer Beeinträchtigung 55 Akalkulie: Unfähigkeit zu rechnen
20.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
269 20

. Tab. 20.2 Klassifikation und Leitsymptome der aphasischen Syndrome. (Aus Hacke 2010)

Amnestische Aphasie Wernicke-Aphasie Broca-Aphasie Globale Aphasie

Sprachproduktion Meist flüssig Flüssig Erheblich Spärlich bis 0, auch


verlangsamt Sprachautomatismen
Artikulation Meist nicht gestört Meist nicht gestört Oft Meist
dysarthrophonisch dysarthrophonisch
Prosodie (Sprach- Meist gut erhalten Meist gut erhalten Oft nivelliert, auch Oft nivelliert, bei
melodie, - skandierend Automatismen meist
rhythmus) gut erhalten
Satzbau Kaum gestört Paragrammatismus Agrammatismus Nur Einzelwörter,
(Verdoppelungen (nur einfache Floskeln,
und Verschränkungen Satzstrukturen, Sprachautomatismen
von Sätzen und Fehlen von
Satzteilen) Funktionswörtern)
Wortwahl Ersatzstrategien bei Viele semantische Relativ eng Äußerst begrenztes
Wortfindungsstörungen, Paraphasien, oft begrenztes Vokabular, grob
einige semantische grob vom Zielwort Vokabular, kaum abweichende
Paraphasien abweichend, semantische semantische
semantische Paraphasien Paraphasien
Neologismen; in
der stärksten Form
semantischer Jargon
Lautstruktur Einige phonematische Viele Viele Sehr viele
Paraphasien phonematische phonematische phonematische
Paraphasien bis zu Paraphasien Paraphasien und
Neologismen, auch Neologismen
phonematischer
Jargon
Verstehen Leicht gestört Stark gestört Leicht gestört Stark gestört

55 Apraxie: Unfähigkeit, willkürliche, gezielte therapeutische oder diagnostische Maßnahme zur


Handlungen durchzuführen, obwohl die Folge haben. Bis zum Beweis des Gegenteils sollte
Koordination und Motorik intakt sind, z. B. von einer bedrohlichen Mittellinienverlagerung des
Unfähigkeit, sich zu kämmen, obwohl keine Gehirns mit Komprimierung des N. oculomotorius
Lähmungen vorliegen zwischen Tentoriumrand und Hirnschenkel aus-
gegangen werden. Vorsicht: Bei Raumforderungen
der hinteren Schädelgrube sowie supratentoriell
20.2.3 Pupillenstörungen tritt die Pupillenerweiterung erst in der Spätphase
auf und ist oft schon Zeichen einer Einklemmung
Neben der Überwachung der Bewusstseinslage (. Abb. 20.5).
und der Kommunikation ist eine regelmäßige Folgende Qualitäten werden überwacht:
Pupillenkontrolle zwingend notwendig. Gerade 55 Größe (Mydriasis – Erweiterung und
bei bewusstseinseingeschränkten Patienten sollte Miosis – Verengung)
halbstündlich bis stündlich eine korrekte Kont- 55 Rundung/Form
rolle durchgeführt werden. Akute Pupillenverän- 55 Reaktion auf Lichteinfall
derungen sind oft ein Hinweis auf eine Verschlech- 55 Seitengleichheit (isokor/anisokor)
terung des Patientenzustandes und sollten eine 55 Pupillendivergenz
270 Kapitel 20 · Fallbeispiel Neurochirurgie – Hirndruck

Fehler in der Beurteilung der Pupillen ausgeschlos-


sen werden, z. B.
55 Pupillotonie → stark verzögerte Reaktion
55 Glasauge → keine Reaktion
55 Medikamentöse Pupillenerweiterung
zur Augenhinterwanddiagnostik →
Mydriasis
55 Opiatgabe → Miosis

> Akute Pupillenveränderungen bedürfen


einer sofortigen therapeutischen oder
diagnostischen Maßnahme → Info an Arzt.
. Abb. 20.5 Pupillenkontrolle. (Aus Hacke 2010)
Bei einer Raumforderung in der hinteren
Schädelgrube sowie supratentoriell kann die
Veränderung der Pupille bereits ein Zeichen
Während der Übergabe sollten beide Pflegekräfte für eine Einklemmung sein.
gemeinsam die Pupillen kontrollieren, damit ein ein-
heitlicher Status erhoben wird. Die Dokumentation
erfolgt nach einer stationsüblichen Weise. 20.2.4 Atemstörungen
Beispiel:
Intrakranielle Druckerhöhungen können zu Atem-
Größe nach Zahlen 1 = Klein störungen führen. Ein direkter Zusammenhang zwi-
beurteilen 2 = Mittelweit schen pathologischem Atemmuster und möglichen
3 = Groß
Oder die Pupillen werden eingezeichnet, damit auch
Ursachen ist nur schwer zu bestimmen. Jeglichen
die Form ersichtlich wird Veränderungen sollte Beachtung geschenkt werden
Die Reaktion kann mit + + = Schnell (. Abb. 20.6).
und – gekennzeichnet (+) = Verlangsamt Mögliche zentral bedingte Atemstörungen sind:
werden – = Keine Reaktion 55 Cheyne-Stokes-Atmung → bilaterale Hirnin-
farkte, hypertensive Enzephalopathie
55 Zentrale Hyperventilation/Maschinen-
Durchführung der Pupillenkontrolle atmung → Läsionen des zentralen Hirnstamms
1. Augenöffnen bei normalem Lichteinfall 55 Biot-Atmung/ataktische Atmung → Läsionen in
2. Alle Qualitäten kontrollieren der Formatio reticularis der dorsalen Medulla
3. Augen wieder schließen 55 Schnappatmung → Läsionen des unteren
4. Direkte Lichtreaktionskontrolle bei Hirnstamms
verstärktem Lichteinfall (Pupillenleuchte)
beidseitig überprüfen (auf seitlichen Eine ausreichende Oxygenierung muss immer
Lichteinfall achten) gewährleistet sein, um dem evtl. sogar schon geschä-
5. Augen wieder schließen digten Hirngewebe ein ausreichendes Sauerstoffan-
6. Konsensuelle Lichtreaktionskontrolle, bei gebot anbieten zu können. Von genauso großer
Lichteinfall in eine Pupille verengt sich die Bedeutung ist die Vermeidung einer Hyper- oder
andere ebenfalls Hypokapnie. Ein durch Hypoventilation indu-
zierter CO2-Anstieg führt zu einer Vasodilatation
der arteriellen Hirngefäße und hat eine Zunahme
Von großer Bedeutung sind im Rahmen der Anam- des intrakraniellen Blutvolumens zur Folge. Dies
nese des Patienten eine vorherige Überprüfung auf kann wiederum eine Erhöhung des intrakraniellen
20 Augenerkrankungen, stattgefundene OPs oder medi- Druckes nach sich ziehen. Vorsicht ist geboten bei
kamentöse Veränderungen. So können mögliche einer CO2-Reduktion durch eine Hyperventilation.
20.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
271 20

I. Normales Atemmuster 2. Lokalisatorisch verwertbar


a) Apneustische Atmung: pontine Schädigung

II. Pathologische Atemmuster


1. Nicht lokalisatorisch verwertbar
a) Hyperventilation: psychogen, Hypoxämie, b) Cluster-Atmung: pontine oder zerebelläre Schädigung
metabolische Azidose, Mittelhirnläsion

b) Cheyne-Stokes-Atmung: diffuse kortikale c) Ataktische Atmung (Biot-Atmung): Schädigung der


Hemisphärenschädigung, metabolisch Medulla oblongata

. Abb. 20.6 Normale und pathologische Atemstörungen. (Aus Schorl et al. 2010)

Niedrige paCO2-Werte führen zu einer Vasokon- 20.2.5 Elektrolyt- und


striktion der Gefäße. Es kommt auf der einen Seite Blutzuckerstörungen
zu einer Abnahme des Blutvolumens und somit zur
Reduktion des ICP. Auf der anderen Seite besteht die Unter dem Pflegeschwerpunkt Überwachung darf
Gefahr bei paCO2-Werte <28 mmHg einer vasokon- die regelmäßige Kontrolle der Elektrolyte nicht
striktorisch bedingten Hypoxämie mit Entstehung fehlen. Es ist auffällig, dass viele Patienten an einer
einer Ischämie. Hyponatriämie leiden. Die Ursache kann in einem
272 Kapitel 20 · Fallbeispiel Neurochirurgie – Hirndruck

zerebralen Salzverlustsyndrom oder aber auch in


einem Diabetes insipidus (ADH-Mangel) zu finden 44 Rigor: gesteigerter Tonus der
sein. Die Therapie der Hyponatriämie ist unum- Skelettmuskulatur (Agonisten und
gänglich. Eine akute, schwere Hyponatriämie geht Antagonisten) mit typischer Steifigkeit
mit einer Mortalität von 50% einher. bei passiver Bewegung (teigiger,
nicht federnder Widerstand, oft mit
> Eine Serumnatriumkonzentration <120–125 Zahnradphänomen) bei Erkrankungen des
mmol/l ist ein lebensbedrohlicher Zustand, extrapyramidalmotorischen Systems
der einer sofortigen Behandlung bedarf. 44 Hypotonie: verminderter Tonus der
Muskulatur
Weiteres Augenmerk muss auf die Vermeidung einer
Hypo- und Hyperglykämie gelegt werden. Zu 95%
wird der Energiebedarf des Gehirns von Glukose Unterschieden werden Störungen der Motorik, Sen-
abgedeckt, sie ist der Hauptenergieträger der Hirn- sibilität und der Koordination.
zelle. Eine Hyperglykämie kann wiederum zu einer Unter einer motorischen Lähmung ist eine Bewe-
sekundären Hirnschädigung führen. gungsminderung oder -unfähigkeit zu verstehen. Je
nach Ursache können sowohl einzelne Muskeln als
auch Muskelgruppen und damit ganze Körperregi-
20.2.6 Mobilität onen betroffen sein. Ein deutliches Zeichen für eine
vorliegende zentrale Lähmung ist eine ausgeprägte
Störungen im Gleichgewichtssinn, im Gangbild oder Beeinträchtigung oder der Verlust der Feinmotorik
Lähmungen können Symptome einer intrakraniel- und das Auftreten von Massenbewegungen beim
len Drucksteigerung sein. Die chronische Form des Versuch differenzierte Bewegungen auszuführen.
Hydrozephalus beim Erwachsenen kann durch ein Störungen der Sensibilität entstehen meist durch
breitbasiges, kleinschrittiges Gangbild, gekoppelt Querschnittlähmungen oder Läsionen der periphe-
mit einer progredienten Demenz und einer Urinin- ren Nerven. Folgende Empfindungen können verän-
kontinenz, auffällig werden (Hakim- bzw. Adam- dert sein: Berührung, Schmerz, Temperatur, Bewe-
Trias). Dies verdeutlicht, wie wichtig die Überwa- gung und Vibration.
chung der Mobilität aber auch der Koordination ist Ein gestörter Bewegungsablauf (Ataxie) kann als
(7 Übersicht). Folge einer Schädigung von Kleinhirn, Rückenmark
oder peripheren Nerven erkennbar sein. Eine klini-
sche Orientierung zur Koordination kann der Fin-
Lähmungen: Begriffe und Definitionen ger-Nase-Versuch geben (. Abb. 20.7).
(Larsen 2012)
44 Parese: unvollständige Lähmung, d. h.
verminderte Kraft 20.2.7 Externe Ventrikeldrainage
44 Plegie oder Paralyse: vollständige
Lähmung Überwachung und Pflege Eine externe Ventri-
44 Monoparese: Lähmung einer Extremität keldrainage (EVD) ist die wichtigste Methode zur
44 Paraparese: Lähmung beider Behandlung des akuten Hydrozephalus (. Abb. 20.8).
Extremitäten Zusätzlich gibt sie die Möglichkeit, den intrakraniel-
44 Hemiparese: Halbseitenlähmung len Druck zu überwachen. Im Umgang mit der EVD
44 Tetraplegie: vollständige Lähmung aller sind folgende Punkte zu beachten:
4 Extremitäten 55 Druckaufnehmer wird auf Höhe des Foramen
44 Spastische Lähmung: Zunahme des Monroi angebracht (äußerer Gehörgang oder
Muskeltonus bei Ausfall kortikospinaler Augenhöhe)
20 Systeme 55 Fixierung der Tropfenkammer am beweglichen
Teil des Bettes (Vorsicht ist geboten bei der
20.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
273 20

. Abb. 20.7 Finger-Nase-Versuch. (Aus Hacke 2010)

Verwendung von Infusionsständern als seitlicher Kopftieflage beschrieben. Passend dazu


Fixiermöglichkeit) werden ICP-Werte >15 mmHg angezeigt. Pflegethe-
55 Höhe (Arztanordnung) der Tropfkammer und rapeutisch wurde diese Situation durch eine Ober-
des Druckaufnehmers regelmäßig überprüfen körperhochlage beeinflusst. Wie bereits beschrie-
und ggf. korrigieren (immer nach Mobilisation ben, verhilft die Verbesserung des venösen Abflus-
und Betten) ses, „Platz zu schaffen“.
55 Um die Höhe der Tropfenkammer Das Kompartiment-Liquor hatte zugenommen
genau einstellen zu können, bieten (bekannte Abflussstörung im Bereich des Aquä-
manche Hersteller eine integrierte dukts + geschlossene EVD). Dies muss eine Abnahme
Messeinheit an einer der beiden anderen Kompartimente zur Folge
55 Drainagesystem muss durchgängig, dicht und haben (Blutvolumen oder Hirnmasse). Die Opti-
frei von Luft sein mierung des venösen Rückflusses und eine bessere
55 Beobachtung des Liquors auf Menge Abflussmöglichkeit des Liquors (Schwerkraftprin-
(<20 ml/h), Farbe, Beimengungen und zip) in einer leichten Oberkörperhochlage ermög-
Ablaufgeschwindigkeit → alles lichten eine schnelle und gut wirksame Senkung des
dokumentieren! intrakraniellen Druckes.
55 (Liquor ist beim Gesunden klar, farblos, Der Behandlung eines erhöhten intrakraniellen
eiweißarm und fast zellfrei) Druckes muss immer die Frage nach der Ursache
55 Einstichstelle auf Infektzeichen überprüfen, vorausgehen. Aus pflegerischer Sicht sollte:
Liquoraustritt neben dem Katheter erhöht die 55 Der venöse Abfluss optimiert sein (z. B.
Infektionsquote um ein Fünffaches, je länger keine starke Bauchpresse beim Abführen,
die subkutane Tunnelung des Katheters, desto Oberkörperhochlage)
geringer die Infektionsquote 55 Der Säure-Basen- sowie Elektrolythaushalt
44Dunkler Pfeil: Beim Ablassen des Liquors ausgeglichen sein
aus dem Stundenglas, System zum Patienten 55 Der O2-Verbrauch gesenkt werden
schließen 55 Anstrengungen vermeiden werden →
44Heller Pfeil: Auf Funktionstüchtigkeit der Bettruhe
Filter achten, beim Transport, Klemme 55 Erhöhter Hirnstoffwechsel vermieden
schließen werden → Normothermie
55 Bei Lageveränderungen, System verschließen,
besonders bei Kopftieflage z Komplikationen
55 Liquorabnahme und das Durch- bzw. 55 Verschluss (Hirndruckzeichen)
Freispülen der Drainage bei Verstopfungen 55 Überdrainage (Unterdrucksymptomatik →
sind Arztaufgaben (. Abb. 20.9) Kopfschmerzen, Übelkeit)
55 Infektionsgefahr (auf hygienisches Vorgehen
Im Fallbeispiel sind das Auftreten von leichten achten, Händedesinfektion vor Umgang mit
Kopfschmerzen und eine Zunahme der Übelkeit in dem Drainagesystem)
274 Kapitel 20 · Fallbeispiel Neurochirurgie – Hirndruck

. Abb. 20.9 Drainagesystem

Die Symptome bei Frau Koch sind zwar noch


leicht, deuten aber mit Schmerz und Übelkeit schon
darauf hin, welche Beeinträchtigungen Veränderun-
gen der Hirnfunktion mit sich bringen. Die engma-
schigen Überwachungsmaßnahmen wie die Pupil-
lenkontrolle, das Überprüfen von Wachheit und
Motorik wird die Patientin vielleicht stören, da sie
Ruhe braucht, vielleicht aber auch beruhigen, da sie
. Abb. 20.8 Externe Ventrikeldrainage. (Aus Schwab et al.
2012)
sich „in guten Händen fühlt“, auf jeden Fall machen
sie ihr bewusst, dass sie sich in einer absoluten Aus-
nahmesituation befindet.
Die Liegedauer einer externen Ventrikeldrainage Frau Koch sollte durch eine ruhige Umgebungs-
kann 2–3 Wochen betragen, von einem routinemä- gestaltung vor Stressfaktoren geschützt werden.
ßigen Wechsel zur Prophylaxe einer Infektion ist Kompetentes Handeln vermittelt ihr ein Gefühl
abzusehen. der Sicherheit. Das Konzept der Basalen Stimula-
tion in Bezug auf die zentralen Ziele – Sicherheit
erleben und Vertrauen schaffen – kommt hier zum
20.3 Überlegungen zum Tragen.
Patientenerleben

Die Situation während der präoperativen Phase Überlegungen für den Unterricht
auf der IMC-Station dürfte für die Patientin eine 1. Patienten, deren Kommunikation
erhebliche Belastung darstellen. Die Gesprächs- geschwächt ist, aber deren intellektuelle
führung mit der Patientin erfordert großes Ein- Fähigkeiten vollständig erhalten sind,
fühlungsvermögen. Möglicherweise hat sie die benötigen ein besonderes Feingefühl in
Schwere der Erkrankung noch gar nicht erfasst. Sie der Betreuung. Das Buch oder der Film
ist aber ansprechbar und orientiert, weiß also, dass „Schmetterlinge und Taucherglocke“
ein großer operativer Eingriff bevorsteht. Eine Ope- verdeutlicht die Patientensituation
ration am Gehirn und die Diagnose „Hirntumor", sehr gut.
selbst wenn es sich um einen gutartigen Prozess 2. Das Konzept der Basalen Stimulation
20 handelt, kann schockierend wirken und existen- hilft, mit wahrnehmungseingeschränkten
zielle Ängste auslösen.
Literatur
275 20
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Patienten in Kontakt zu treten und sie München
Hacke W (2010) Neurologie, 13. Aufl. Springer, Berlin
individuell zu begleiten.
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verlieren, sind praktische Übungen 398–404
in Kleingruppen ratsam. Rosenthal et al. (2012) Der erhöhte intrakranielle Druck. Anäs-
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371–378
277 21

Fallbeispiel Gynäkologie –
Präeklampsie
D. Wengert

21.1 Medizinische Grundlagen zum Krankheitsbild – 278

21.2 Pflege- und Überwachungsschwerpunkte – 279


21.2.1 Mobilität – 279
21.2.2 Herz-Kreislauf-Funktion – 280
21.2.3 Neurologie – 280
21.2.4 Ausscheidung – 281
21.2.5 Atmung – 281

21.3 Überlegungen zum Patientenerleben – 281

Literatur – 282

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_21
278 Kapitel 21 · Fallbeispiel Gynäkologie – Präeklampsie

Beispiel 20. SSW. Die Pathophysiologie ist nicht vollständig


21 Ihnen wird im Spätdienst eine 36-jährige Patientin geklärt. Angenommen wird eine Adaptationsstö-
in der 24. Schwangerschaftswoche (SSW) mit der rung des mütterlichen Immunsystems an die fetalen
Diagnose Präeklampsie angekündigt. Während Sie Zellen und ein daraus resultierendes Ungleichge-
Frau Ahler an das Monitoring anschließen, berichtet wicht des Prostacyclin-Thrombexan-Haushalts. Es
sie, mit zittriger Stimme und Tränen in den Augen, kommt zu ausgeprägten Vasospasmen, Störung der
dass die Schwangerschaft bis zur 20. SSW kompli- Mikrozirkulation, einer erhöhten Thrombozyten-
kationslos verlaufen sei. Nach zwei Fehlgeburten aggregation, einer Steigerung der Gefäßpermeabi-
konnten ihr Mann und sie ihr Glück kaum fassen, lität und Ödembildung. Je nach Ausmaß der Organ-
und nun das. Vor ca. 4 Wochen habe die Gynäko- beteiligungen, welche maßgeblich durch die Mik-
login einen leichten Bluthochdruck festgestellt. In rozirkulationsstörungen beeinflusst werden, kann
den letzten 2 Wochen kamen dann die Wasserein- die Präeklampsie in zwei Schweregrade unterteilt
lagerungen hinzu und sie habe seither 3 kg zuge- werden (. Tab. 21.1).
nommen. Manchmal habe sie auch Kopfschmerzen Bei einer Eklampsie kommt es zu tonisch-kloni-
und Schmerzen im Oberbauch. Bei der heutigen Un- schen Krampfanfällen, die nachweislich keine neu-
tersuchung betrug der Blutdruck 180/110 mmHg, rologische Ursache haben. Die Eklampsie kann im
des Weiteren habe man Eiweiß im Urin festgestellt. Rahmen einer Präeklampsie, in manchen Fällen
Auch sei das Kind seit der letzten Ultraschallunter- jedoch auch ohne die Symptome der Präeklampsie
suchung nicht mehr so stark gewachsen. Gerade als auftreten.
Sie die Hand von Frau Ahler nehmen und sie beru- Das HELLP-Syndrom definiert sich über das
higen wollen, gibt der Monitor Alarm. Der Blutdruck Auftreten einer Hämolyse, erhöhter Leberwerte und
zeigt einen Wert von 90/60 mmHg an, die Herzfre- einer Thrombozytopenie und tritt meist in Verbin-
quenz beträgt 140/min. Sie bemerken, dass die Pa- dung mit einer Präeklampsie auf.
tientin eine kaltschweißige Haut hat. Die Aufnahme in die Klinik und die intensive
Überwachung erfolgen bei einer manifesten oder
schweren Präeklampsie, bei fetalen Wachstumsstö-
21.1 Medizinische Grundlagen rungen oder Gefährdungen, bei Verdacht auf ein
zum Krankheitsbild HELPP-Syndrom, bei drohender Eklampsie und bei
weiteren Risikofaktoren wie z. B. Mehrlingsschwan-
Die Präeklampsie zählt neben der Eklampsie und gerschaft und Diabetes mellitus.
dem HELLP-Syndrom (H = Hämolyse, EL = „eleva- Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
ted liver enzymes“ [erhöhte Leberwerte], LP = „low stellen für Mutter und Kind ein hohes Risiko dar
platelets“ [erniedrigte Thrombozytenzahl]) zu den und sind mit einer Reihe lebensbedrohlicher Kom-
hypertonen Schwangerschaftserkrankungen. Die plikationen wie Nierenversagen, Leberversagen,
Inzidenz beträgt 6–8%. Die perinatale Mortalitäts- disseminierte intravasale Gerinnung, Herz-Kreis-
rate bei hypertonen Schwangerschaftserkrankungen lauf-Versagen, Hirnödem, Status epilepticus, vorzei-
liegt bei 20–25%, in Bezug auf die mütterliche Mor- tige Plazentaablösung und erhöhter Blutverlust bei
talität stehen sie an erster bis dritter Stelle. der Entbindung behaftet. Eine gezielte, die Kompli-
Die Präeklampsie ist gekennzeichnet durch kationen berücksichtigende, kontinuierliche Über-
einen Gestationshypertonus in Verbindung mit wachung stellt daher einen wichtigen Schwerpunkt
einer Proteinurie (>300 mg/24 h) und Ödemen der Pflege dar.
(Gewichtszunahme >1 kg/Woche), wobei die
Ödembildung als unspezifisch gilt. Eine Präeklamp- z Medikamentöse Therapie
sie liegt auch bei fehlender Proteinurie vor, wenn Die Therapie der Präeklampsie erfolgt symptoma-
der Hypertonus zusammen mit fetalen Wachs- tisch, da das Krankheitsbild nur durch die Geburt des
tumsstörungen, Nierenfunktionsstörungen, einer Kindes unterbrochen werden kann. Das Ziel der The-
Leberbeteiligung, neurologischen oder hämatologi- rapie ist eine Verminderung der Gefahren für Mutter
schen Störungen auftritt. Sie manifestiert sich ab der und Kind bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Kind
21.2 · Pflege- und Überwachungsschwerpunkte
279 21

. Tab. 21.1 Schweregrade der Präeklampsie

Präeklampsie Schwere Präeklampsie

Blutdruck >140/90 mmHg Blutdruck >160/110 mmHg


Ödeme (Gewichtszunahme >1 kg/Woche) Leberfunktionsstörungen mit erhöhten Transaminasen,
Schwindel, Übelkeit, Oberbauchschmerzen

Oberbauchschmerzen Lungenödem, Zyanose

Grippegefühl Hämatologische Störungen (Thrombozytopenie, Hämolyse)

Thrombozytopenie Fetale Wachstumsstörungen


Neurologische Symptome mit schweren Kopfschmerzen
Nierenfunktionseinschränkungen (Kreatinin ≥79,6 µmol/l oder Oligurie
<500 ml/24 h)

mit einer größeren Überlebenswahrscheinlichkeit 21.2 Pflege- und


geboren werden kann. Überwachungsschwerpunkte
Antihypertensiva werden bei anhaltend hohen
Blutdruckwerten (>150/100 mmHg) oder Blutdruck- Die Präeklampsie kann, wie bereits erwähnt, eine
werten >160/110 mmHg verabreicht. Der Zielwert lebensbedrohliche Situation für Mutter und Kind
des Blutdrucks liegt bei <150/80–100 mmHg. Als darstellen. Daher ist die Krankenbeobachtung gerade
Akuttherapie wird Nifedipin, Uralipid oder Alpha in Hinblick auf die Entwicklung einer Zustandsver-
Methyldopa empfohlen. Mittel der ersten Wahl bei schlechterung und möglicher Komplikationen, mit
Langzeitbehandlung ist α-Methyldopa, da bei der äußerster Sorgfalt durchzuführen. Um in Notfällen
Gabe von Betablockern ein erhöhtes Risiko für fetale schnell und effizient handeln zu können, empfiehlt
Wachstumsstörungen vorliegt. Eine zu rasche Blut- es sich, eine Notfallausrüstung mit folgendem Equip-
drucksenkung kann mit einer akuten Gefährdung ment bereitzuhalten:
des ungeborenen Kindes einhergehen. Aus diesem 55 Notfallmedikamente
Grunde erfolgt die Blutdrucksenkung langsam und 55 Antikonvulsiva (Diazepam, Magnesium)
unter engmaschiger Überwachung. Auch sollte der 55 Anästhetika
Blutdruck nicht zu stark gesenkt werden, um die Per- 55 Intubationsmaterialien
fusion der Plazenta aufrecht zu erhalten. In Kombina-
tion mit Magnesium, welches zur Anfallsprophylaxe
verabreicht wird, kann es bei Gabe von Nifidipin zu 21.2.1 Mobilität
einer ausgeprägten Hypotonie kommen. Eine weitere
Komplikation der Antihypertensiva sind starke Kopf- Mit zunehmendem Gewicht des Uterus kann es
schmerzen. Diese können jedoch auch als Vorzeichen ab der 20. SSW zu einer Kompression der V. cava
einer Eklampsie auftreten, sodass eine gezielte neu- kommen (Vena-cava-Kompressionssyndrom). Aus
rologische Überwachung unabdingbar ist. Bei Lun- diesem Grund soll die Hohlvene durch Oberkör-
genödem und Oligurie erfolgt die Gabe von Diure- perhochlagerung und leichte Linksseitenlage ent-
tika, in diesem Zusammenhang muss ein Augenmerk lastet werden. Die Symptome eines Kompressions-
auf mögliche Elektrolytentgleisungen gelegt werden. syndroms sind Hypotonie und Synkopenneigung
mit Tachykardie, Kaltschweißigkeit und Atemnot.
z Nichtmedikamentöse Therapie Treten bei einer flachen Rückenlage die genannten
Zur nichtmedikamentösen Therapie zählen zum Symptome auf, muss bei der Patientin die Lagerung
einen die Stressreduktion, die Immobilisierung der sofort korrigiert werden und eine engmaschige Blut-
Patienten, Ausschwemmung der Ödeme und eine druckkontrolle erfolgen, außerdem ggf. Volumen-
eiweißreiche Diät. gabe, Akrinor.
280 Kapitel 21 · Fallbeispiel Gynäkologie – Präeklampsie

21.2.2 Herz-Kreislauf-Funktion
21 . Tab. 21.2 Mögliche neurologische Symptome bei
Präeklampsie
Die gezielte Überwachung der Herz-Kreislauf-Funk-
Vorboten eines Klinische Zeichen eines tion leitet sich aus den Symptomen und möglichen
epileptischen Anfalls erhöhten Hirndrucks Komplikationen des Krankheitsbildes ab. Neben der
regelmäßigen Blutdruckkontrolle (alle 10–15 min)
Kopfschmerzen Kopfschmerzen
erfolgt eine kontinuierliche EKG-Ableitung zur
Unruhe Unruhe und Verwirrtheit
Überwachung von Herzfrequenz und -rhythmus.
Sehstörungen Störung der Der Blutdruck unterliegt bei einer Präeklampsie
Pupillenmotorik
extremen Schwankungen. Aufgrund der gestei-
Augenflimmern Pupillendifferenz gerten Gefäßpermeabilität und des erniedrigten
Doppelbilder Übelkeit und Erbrechen osmotischen Drucks kommt es zu einem relativen
Übelkeit, Erbrechen Bewusstseinseintrübung Volumenmangel.
Hyperreflexie Insuffiziente Atmung,
Cheyne-Stoke-Atmung > Eine Schocksymptomatik mit Blutdruckabfall,
Tachykardie und Schweißigkeit kann
Bradykardie
zum einen auf einen Volumenmangel,
Hypertonie
eine akute Blutung im Rahmen einer
vorzeitigen Plazentaablösung oder auf
ein Vena-cava-Kompressionssyndrom
Die eingeschränkte Möglichkeit der Positi- hinweisen.
onswechsel und die Immobilisierung können von
den Patientinnen als sehr unangenehm empfun-
den werden. Häufig treten Rückenbeschwerden in 21.2.3 Neurologie
dieser Situation auf. Die Verwendung eines Stillkis-
sens bietet gute Möglichkeiten für kleine Positions- Neben der Gefahr eines epileptischen Anfalls kann
wechsel, zudem unterstützt es das Patientenerleben es bei Frau Ahler zu einem Hirnödem oder zu einer
auf eine positive Weise (Basale Stimulation). Die intrazerebralen Blutung aufgrund möglicher Gerin-
Bettruhe ist bei Frau Ahler eine wichtige, nichtme- nungsstörungen kommen. Vorboten eines epilepti-
dikamentöse therapeutische Maßnahme, deshalb schen Anfalls und Symptome eines erhöhten Hirn-
ist die Durchführung der Prophylaxen obligat. drucks sind in . Tab. 21.2 zusammengefasst.
Einen besonderen Stellenwert hat die Thrombose- Epilepsieauslösende Reize wie Lärm, grelles
prophylaxe. Nach den S3-Leitlinien liegt bei einer Licht, Hitze, Stress sollten vermieden werden.
Präeklampsie ein mittleres Thromboserisiko vor. Das Auftreten eines Krampfanfalls ist ein abso-
Hier wird, neben den Basismaßnahmen (Physio- luter Notfall. Krämpfe müssen sofort unterbrochen
therapie und Antithrombosestrümpfe), eine Pro- werden. Neben der sofortigen Verständigung des
phylaxe mit niedermolekularem Heparin empfoh- Arztes und dem Anfordern von Hilfe müssen fol-
len. Bei Frau Ahler ist die Durchführung der nicht- gende Maßnahmen durchgeführt werden:
medikamentösen Maßnahmen zur Thrombosepro- 55 Vorbereitung der Medikamente
phylaxe eingeschränkt. Eine aktive Mobilisierung 44Magnesiumsulfat und Benzodiazepine
ist kontraindiziert, die Möglichkeiten der Positio- (Diazepam)
nierung eingeschränkt. Leichte aktive Bewegungs- 55 Sicherung und Freihalten der Atemwege, ggf.
übungen im Bett wie z. B. das Kreisen der Füße oder Güdeltubus oder Intubation
das Einkrallen und Spreizen der Zehen sind jedoch 55 Sobald wie möglich stabile Seitenlage links
möglich. 55 Verletzungsgefahr minimieren
21.3 · Überlegungen zum Patientenerleben
281 21
Treten klinische Zeichen eines erhöhten Hirndrucks Insuffizienz erfolgt die Intubation und Beatmung.
auf, ist unverzüglich ein Arzt zu benachrichtigen und Hier ergeben sich aufgrund der Schwangerschaft
eine weitere Diagnostik einzuleiten. folgende Probleme:
55 Geringe Hypoxietoleranz aufgrund veränderter
atemmechanischer Eigenschaften der Lunge
21.2.4 Ausscheidung 55 Aspirationsgefahr
55 Schwierige Intubation
Nierendurchblutung und glomeruläre Filtrations- (Schleimhautschwellung)
rate nehmen bei einer Präeklampsie ab, sodass
es zu einer Oligurie bis hin zu einem Nierenver-
sagen kommen kann. Daneben treten erhöhte 21.3 Überlegungen zum
Eiweißverluste im Urin, bedingt durch eine Schä- Patientenerleben
digung der Glomerulusendothelien, und genera-
lisierte Ödembildung, bedingt durch eine Kapil- Frau Ahler fühlt sich in ihrer Schwangerschaft
larwandschädigung, auf. Bei Frau Ahler sind aus stark verunsichert. Nach zwei Fehlgeburten und
diesem Grund eine gezielte Bilanzierung, ZVD- den plötzlich auftretenden Symptomen sowie der
und Gewichtskontrollen sowie regelmäßige Labor- Diagnose erlebt sie ausgeprägte Ängste um die
kontrollen des Urins und der Elektrolyte durchzu- Gesundheit ihres Kindes, was eine starke psy-
führen. Die Messung der Eiweißverluste erfolgt im chische Belastung darstellt. Zudem befindet sich
24-Stunden-Sammelurin. Frau Ahler plötzlich in einer starken Abhängig-
keit, nichts ist mehr normal, die Vorbereitung auf
die Geburt und das „Mutterwerden" treten plötz-
21.2.5 Atmung lich in den Hintergrund. Die Angst um das unge-
borene Kind bestimmt von nun an alles Denken
Die Beeinträchtigung der Atmung begründet sich und Handeln. Gleichzeitig muss Frau Ahler aller-
zum einen durch die pathophysiologischen Verände- dings versuchen, ruhig zu bleiben, da jegliche
rungen im Rahmen der Schwangerschaft (Abnahme Form von Stress die Symptome verstärken und
der funktionalen Residualkapazität und des Residu- Komplikationen hervorrufen kann. Ein Kreis-
alvolumens, Zwerchfellhochstand, Steigerung des lauf, der nur schwer zu durchbrechen ist. Ein wei-
Atemminutenvolumens und Hyperventilation), zum teres Problem ist die Störung des Körpergefühls
anderen durch die gesteigerte Gefäßpermeabilität durch die Ödembildung und die Immobilität. Das
und den erniedrigten osmotischen Druck, welche Konzept der Basalen Stimulation bietet auch hier
die Entstehung eines Lungenödems begünstigen. Bei viele pflegerische Ansätze, Frau Ahler in ihrem
Frau Ahler wird zudem eine Kortikosteroidtherapie Patientenleben zu unterstützen. Zentrale Ziele in
mit Betametason zur Förderung der Lungenreife des der pflegerischen Versorgung der Patientin sind:
Kindes durchgeführt, welche ebenfalls die Bildung Leben erhalten und Entwicklung erfahren, Sicher-
eines Lungenödems begünstigt. Auch eine übermä- heit erleben und Vertrauen aufbauen, das eigene
ßige Sedierung kann eine respiratorische Insuffizienz Leben spüren.
hervorrufen. Die Beobachtung der pulmonalen Situ- Frau Ahlers wichtigstes Ziel wird es sein, das
ation von Frau Ahler erfolgt über eine Pulsoxymetrie, Leben ihres Kindes und ihr eigenes zu erhalten.
eine regelmäßige Evaluation von paO2-, paCO2- und Die bereits genannten Überwachungs- und The-
ph-Wert mittels Blutgasanalyse und der klinischen rapiemaßnahmen können dieses Ziel aus Sicht
Beurteilung der Atmung. von Frau Ahler unterstützen. Daneben erfolgt
Je nach Oxygenierung erhält Frau Ahler eine die Überwachung des Kindes durch regelmäßige
Sauerstofftherapie. Bei schwerer respiratorischer CTG-Kontrollen und Dopplersonographien zur
282 Kapitel 21 · Fallbeispiel Gynäkologie – Präeklampsie

Wachstumskontrolle des Kindes. Es wird für Frau


21 Ahler jedoch auch wichtig sein, Entwicklung zu Anregungen für den Unterricht
erfahren, denn das gehört zu einer Schwangerschaft 1. Der Unterricht könnte als problemori-
dazu. Das Spüren, die Entwicklung des Kindes, berei- entierte Lerneinheit gestaltet werden.
tet uns auf die Geburt vor und lässt so auch eine Ent- Der Fall wird wie oben beschrieben
wicklung in uns selbst erleben, die Entwicklung vorgegeben. In Kleingruppen wird
zu einer Mutter. Trotz der Bettruhe und der Ver- dann nach dem Siebensprung
meidung von Anstrengung kann es für Frau Ahler (Klärung der Fachbegriffe, Definition
wichtig sein, diese Entwicklung weiterhin zu erleben, der Probleme, Analyse der Probleme,
denn sie kann auch Zuversicht, Sicherheit und Ver- systematische Ordnung, Lernziel-
trauen geben. Folgende Angebote können die Errei- formulierung, Informationssuche,
chung der Ziele unterstützen: Bearbeitung der Lernziele) gearbeitet.
55 Da Frau Ahler sich nicht belasten darf, Mögliche Lernschwerpunkte können
muss die Körperpflege unterstützt werden, eine sein: Präeklampsie, Eklampsie, Epilepsie,
basal stimulierende Körperwaschung unter HELLP-Syndrom, Vena-cava-Kompressi-
Berücksichtigung der Berührungsqualitäten onssyndrom, Medikamente während der
und die Integration des Ehemannes bieten Schwangerschaft, Überwachungs-
sich an. und Pflegeschwerpunkte bei
55 Massagen und das Einreiben des Bauches mit Präeklampsie, Auswirkungen von
einem Aromaöl können entspannend wirken Angst auf die Schwangerschaft.
und die Mutter-Kind-Beziehung stärken, auch (Weiterführende Literatur zum Thema:
hier bietet sich die Integration des Ehemannes Fischer 2004)
zur Stärkung der Vater-Kind-Beziehung an. 2. Eine andere Möglichkeit wäre die
55 Die Verwendung des eigenen Stillkissens zur Erarbeitung des Themas an Lernstationen.
Lagerung kann Sicherheit und Geborgenheit Es wird wieder in Kleingruppen gearbeitet.
vermitteln. Jede Gruppe bearbeitet eine Fragestellung
55 Eine Spieluhr kann im Sinne der Basalen zu dem Fall. Die Kleingruppenarbeit
Stimulation zur frühkindlichen Förderung auf könnte auch in Form eines Gruppenpuzzles
den Bauch gelegt werden. gestaltet werden. Bei einem
55 Entspannungsübungen können Ängste lösen Gruppenpuzzle werden Stammgruppen
und im Rahmen einer Geburtsvorbereitung mit gleicher Teilnehmerzahl gebildet.
angeboten werden. Aus jeder Stammgruppe findet sich
55 Informationsgespräche mit einer Hebamme ein Experte zu einem Thema. Die
zur Vorbereitung der Geburt können Sicherheit jeweiligen Expertengruppen bearbeiten
und ein Stück weit „normales“ Schwanger- das Thema nach einer vorgegebenen
schaftserleben fördern. Fragestellung und tragen ihr Wissen in der
55 Ein kompetentes, sicheres Auftreten der Stammgruppe vor.
Pflegekräfte sowie eine verständliche klare
Information an die Patientin geben ebenfalls
Sicherheit und mindern Ängste. Literatur

> Alle Maßnahmen sind lediglich Angebote AWMF (2014) S1 Leitlinie Diagnose und Therapie hyperten-
an Frau Ahler, über deren Annahme sie siver Schwangerschaftserkrankungen. AWMF-Register
entscheidet. Jede Maßnahme, die bei Frau Nr. 015/018. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleit-
linien/015-018l_S1_Diagnostik_Therapie_hyperten-
Ahler Stress auslöst, muss unmittelbar
siver_Schwangerschaftserkrankungen_2014-01.pdf.
beendet werden. Deshalb ist auch bei der ­Zugegriffen: 22.12.2015
pflegerischen Unterstützung eine gezielte Brockmann J, Rossaint R (2008) Repetitorium Notfallmedizin.
Patientenbeobachtung essenziell. Springer, Heidelberg
Literatur
283 21
Fischer R (2004) Problemorientiertes Lernen in Theorie und Larsen R (2007) Anästhesie und Intensivmedizin für die Fach-
Praxis. Kohlhammer, Stuttgart pflege, 7. Aufl. Springer, Heidelberg
Kellenhausen E et al. (2000) Thiemes Pflege: entdecken, erle- Maass N, Schiessl B (2012) Gynäkologie und Geburtshilfe.
ben, verstehen, professionell handeln, 9. Aufl. Thieme, Springer, Heidelberg
Stuttgart Strass A (2009) Klinikmanual Gynäkologie und Geburtshilfe.
Knipfler E, Kochs E (2008) Klinikleitfaden Intensivpflege, 4. Springer, Heidelberg
Aufl. Urban & Fischer, München
285 III

Organisation, Konzepte
und Weiterbildung
Kapitel 22 Intermediate Care – Zielsetzungen, Definitionen und
Zuweisungskriterien – 287
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke

Kapitel 23 Organisationsstrukturen und Rahmenbedingungen


von Intermediate Care – 297
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke

Kapitel 24 Bildungsangebote für die Qualifikation im


IMC-Bereich – 305
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke
287 22

Intermediate Care –
Zielsetzungen, Definitionen
und Zuweisungskriterien
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke

22.1 Zielsetzungen – 288

22.2 Definition – 289

22.3 Zuweisungskriterien – 290

Literatur – 295

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_22
288 Kapitel 22 · Intermediate Care – Zielsetzungen, Definitionen und Zuweisungskriterien

Neue Behandlungsverfahren und gesellschaftliche


Veränderungen bringen es mit sich, dass immer Intensivstation
mehr Patienten in der akut-stationären Versorgung
22 ein erhöhtes Risiko aufweisen. Um eine sichere Ver-
sorgung zu gewährleisten, steigt bei diesen Risikopa- Intermediate Care
tienten der Bedarf an intensiver Überwachung der
Vitalfunktionen. Dies erfordert die notwendigen
technischen, räumlichen und nicht zuletzt perso-
nellen Voraussetzungen, damit bei Komplikationen Normalstation
eine rasche Intervention sichergestellt werden kann.
Eine Reaktion auf das veränderte Aufgabenspek-
. Abb. 22.1 IMC im Stufenmodell
trum in der akut-stationären Versorgung besteht in
der Einrichtung von Intermediate-Care-Stationen.
Intermediate Care (IMC) versteht sich als eine Zwi- > Zielsetzung von IMC ist die Steigerung von
schenstufe zwischen der Intensivbehandlung und der Qualität und Effektivität in der Patienten-
allgemeinen stationären Versorgung (. Abb. 22.1). versorgung. Dabei sollen Intensiv- und
Was bedeutet Intermediate Care? Intermediate Allgemeinstationen entlastet werden.
heißt übersetzt „dazwischenliegend“ oder „Zwi-
schen-“. Das englische Wort „care“ hat einen großen Die Entlastung der Intensivstationen besteht darin,
Bedeutungsumfang; es steht u. a. für „Sorge“, „Sorg- dass sie Patienten frühzeitig verlegen können, ohne
falt“, „Obhut“, „Fürsorge“ und „Betreuung“. „Care“ dass deren Sicherheit gefährdet wird. Waydhas
ist also nicht deckungsgleich mit dem, was im deut- (2005) verweist mit Bezug auf drei englischspra-
schen Sprachraum unter Pflege verstanden wird. chige Publikationen darauf, dass die Krankenhaus-
Übersetzen kann man den englischen Begriff sterblichkeit von Patienten nach der Verlegung von
Intermediate Care also annäherungsweise mit der Intensivstation auf eine periphere Station bis zu
„Zwischenbetreuung“. 13% betrage, wobei neben Pneumonien, Schlagan-
Im angloamerikanischen Sprachraum ist für ver- fällen, hypoxischer Hirnschädigung und Herzin-
gleichbare Einrichtungen die Bezeichnung „High farkten auch die Sepsis eine mögliche Todesursache
Dependency Unit“ (HDU) üblich. In Deutschland nach zu früher Verlegung darstellt. Zielsetzung von
hat sich der Begriff Intermediate Care als Terminus IMC ist hier, drohende Komplikationen, wie z. B. eine
technicus durchgesetzt (Eikamp 2008). beginnende Sepsis, im Frühstadium zu erkennen
und zu bekämpfen. Auch das Risiko einer Rückver-
legung soll durch die Einrichtung von IMC-Statio-
22.1 Zielsetzungen nen vermindert werden, gemeint ist, wenn ehemalige
Intensivpatienten von der peripheren Station wegen
Primäre Zielsetzung von Intermediate Care (IMC) einer Komplikation zurück auf die Intensivstation
ist es, die Sicherheit kritisch kranker Patienten zu kommen.
gewährleisten und deren erhöhten Behandlungs- Durch die Entlastung können Intensivstatio-
und Pflegebedarf zu decken (DGF 2010). Mit der nen ihre Bettenkapazitäten gezielt für Patienten mit
Zwischenstufe zwischen Intensiv- und Allgemein- hohem Interventionsbedarf (u. a. Beatmung, Nie-
station sollen sowohl die Intensivstationen als auch renersatzverfahren) vorhalten. Allerdings darf nicht
die Allgemeinstationen entlastet werden. Dabei spielt übersehen werden, dass damit auch eine Arbeitsver-
als weiteres Ziel die Steigerung der Effektivität der dichtung für diese hochspezialisierten Einrichtun-
stationären Versorgung, d. h. auch die „Erhöhung des gen einhergeht.
Durchsatzes“ (Waydhas 2005), eine Rolle. Die Ziel- Die peripheren Stationen werden dadurch ent-
perspektiven für IMC bewegen sich also im Span- lastet, dass sie Risikopatienten auf die IMC-Statio-
nungsfeld von Qualitätsentwicklung und Effektivi- nen verlegen können (Markewitz et al. 2012). Patien-
täts- bzw. Effizienzsteigerung. ten mit erhöhtem Pflege- und Überwachungsbedarf
22.2 · Definition
289 22
werden so auf Einrichtungen mit höherem Personal- und die personelle Ausstattung, d. h. vor allem über
schlüssel und entsprechender Ausstattung versorgt. das EKG-Monitoring und den Personalschlüssel
Zudem ist es möglich, das Personal für IMC-Berei- für das Pflegepersonal. Sie hält eine Beschreibung
che gezielt zu schulen und zu qualifizieren, was wie- über Zuweisungsdiagnosen der Patienten nicht für
derum der Qualitätssicherung und der Patientensi- sinnvoll.
cherheit dient. Die Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege
Bei der Umgestaltung der stationären Versor- und Funktionsdienste e.V. (DGF) beschreibt IMC-
gungskonzepte spielen ökonomische Aspekte eine Stationen wie oben erwähnt als Einrichtungen mit
erhebliche Rolle. Die DGAI spricht 2002 davon, der Zielsetzung, die Sicherheit von kritisch Kranken
dass bei der Einrichtung von IMC als weiterer Stufe mit deren erhöhtem Pflegebedarf zu gewährleisten,
im Behandlungskonzept „Einsparung durch Ver- und sie bestimmt IMC „negativ“, d. h. über das, was
weildauerreduktion und Verzicht auf Überkapazi- damit nicht gemeint ist. Als Abgrenzungskriterien
täten nicht aus den Augen verloren werden“ sollen. zur Intensivstation führt sie an, „dass unter anderem
Nicht jeder Patient auf einer Intensivstation benö- bei Patienten auf IMC-Station keine Beatmungsthe-
tigt den vollen Umfang einer Maximalversorgung. rapie, keine extrakorporalen Therapien und nicht
Es kann zu „Fehlbelegungen“ kommen und mögli- mehr als ein Katecholamin Anwendung finden“
cherweise sogar zu Abweisungen von schwerstkran- (DGF 2010).
ken Patienten oder verschobenen Operationen auf- Bei dieser Bestimmung beruft sich die DGF
grund der knappen Bettenkapazitäten. Durch eine ihrerseits auf eine Untersuchung von Eikamp (2008).
frühzeitige Verlegungsmöglichkeit von der Inten- Eikamp hat auf der Basis von Scores – also Beurtei-
sivstation können dagegen die Behandlungsplätze lungssystemen der Schweregrade von Erkrankun-
optimal genutzt und z. B. mehr große operative Ein- gen wie z. B. TISS oder APACHE II (7 unten) – und
griffe durchgeführt werden. Guidelines – also Leitlinien von Fachgesellschaften –
folgende Definition von IMC entwickelt:
> Die Notwendigkeit, die Zwischenstufe IMC
zur Versorgung kritisch Kranker einzurichten, » Die Intermediäre Versorgungsstation
ergibt sich nicht zuletzt aufgrund knapper (IMCU) ist eine Organisationseinheit
Ressourcen. Intensivbehandlungsplätze zur Überwachung und Behandlung von
sind begrenzt und wegen der baulichen, Frischoperierten nach ausgedehnten
apparativen und personellen Eingriffen sowie für prä- und nichtoperative
Ausstattung teuer. Schwerkranke. Eine derartige Überwachung
ist bei Patienten erforderlich, deren
Vitalfunktionen gefährdet sind. (…) Die
22.2 Definition Intermediäre Überwachungsstation ist nicht
für die Behandlung schwerer organischer
In der Praxis sieht die konkrete Grenzziehung von Dysfunktionen, beispielsweise mittels
dem, was IMC-Einrichtungen ausmacht und sie von mechanischer Atemhilfe, Hämofiltration etc.
der Intensivstation einerseits sowie der Allgemein- zu strukturieren. (…) (Eikamp 2008)
station andererseits abgrenzt, ganz unterschiedlich
aus. Und auch in der Theorie fehlen bislang eindeu- In diesem Definitionsversuch kommt wieder die
tige Begriffsbestimmungen und Abgrenzungskrite- Abgrenzung zu dem, was IMC nicht ist, zum Tragen.
rien von IMC. „Es handelt sich noch nicht um einen „Positiv“ ist die Benennung von Patientengruppen,
exakt definierten allgemein oder international ein- die als IMC-Patienten gelten. Diese Gruppen sind
deutigen Begriff.“ (Waydhas 2005) aber nur vage definiert (Frischoperierte, Schwer-
Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesio- kranke). Am ehesten einer Definition gleich kommt
logie und Intensivmedizin (DGAI) hat 2002 den die Formulierung, IMC sei eine Überwachungssta-
Begriff IMC nicht definiert, sondern beschrieben, tion für Patienten, „deren Vitalfunktionen gefähr-
und zwar über die Überwachungsfunktionalität det sind“.
290 Kapitel 22 · Intermediate Care – Zielsetzungen, Definitionen und Zuweisungskriterien

Auch Markewitz et al. (2012) stellen fest: „Klare kreislaufwirksame Substanz als i.v.-Dauermedika-
Definitionen und Stellungnahmen, welche Behand- tion läuft)? Welche Maßnahmen zur Unterstützung
lungsintensität die IMC-Station kennzeichnet, sind der Vitalfunktionen sind „nichtinvasiv“, welche
22 gegenwärtig nicht verfügbar.“ Sie bestimmen IMC „invasiv“ (z. B. BIPAP über Maske = nichtinvasiv,
daher aus der praktischen Erfahrung heraus durch CPAP über Tubus = invasiv)?
das Aufgabenspektrum bestehender IMC-Statio- Unstrittig ist, dass EKG-Monitoring, Pulsoxy-
nen und legen einen Katalog dieser Aufgaben vor. metrie und NIBP zu den Standardmaßnahmen
Dabei verweisen sie darauf, dass das Aufgabenspek- einer IMC-Station gehören, aber bereits bei invasi-
trum abhängig sei von der jeweiligen medizinischen ver Blutdruckmessung und nichtinvasiver Ventila-
(Teil-)Disziplin, in ihrem Fall der Herzchirurgie, der tion (NIV) scheiden sich die Meinungen. Und nicht
eine IMC-Einheit zugerechnet wird. jede IMC-Station wird heute bereits in der Lage
In Großbritannien werden bei der stationären sein, im Notfall auch Patienten bis zu 12 h invasiv
Versorgung Levels definiert: Level 1 beschreibt die zu beatmen (Eikamp 2008). Bei der Variationsbreite
Versorgung auf den Allgemeinstationen, Level 2 auf von IMC-Einrichtungen ist es schwierig, generali-
den High Dependency Units, Level 3 auf den Inten- sierbare Grenzen festzulegen. Rechnet man die sog.
sivstationen. Level 2 ist vorgesehen für Patienten, die Weaning-Stationen den IMC-Stationen zu, dann
gründlichere Beobachtung oder Intervention benöti- ist für diese Einrichtungen NIV selbstverständlich
gen einschließlich der basalen Unterstützung einzel- einbegriffen. Und auch wenn extrakorporale The-
ner gestörter Organfunktionen (Atmung, Herzkreis- rapien grundsätzlich nicht zum Aufgabenfeld einer
lauf, Niere). Basale Unterstützung schließt nichtinva- IMC-Station gehören, wird man auf kardiovaskulä-
sive Beatmung (NIV) und invasive Blutdrucküber- ren IMC-Stationen durchaus Patienten mit extra-
wachung ein (Prin et al. 2015). korporalen Langzeit-Herzunterstützungs-Systemen
Eine Gruppe von Mitarbeiterinnen und Mitar- betreuen können, mit denen die Patienten ja sogar
beitern der UKSH Akademie hat im Rahmen von nach Hause entlassen werden.
Curriculumentwicklung ebenfalls 2012 einen unver-
öffentlichten Definitionsversuch formuliert, der dem > Der Begriff Intermediate Care (IMC) lässt
von Eikamp nahe kommt: sich derzeit eher „negativ“ definieren, d. h.
über das, was es nicht ist. Alternativ lässt
» IMC umfasst die Betreuung von Patienten, sich IMC „faktisch“ beschreiben, über das
die in ihren vitalen Funktionen bedroht Aufgabenspektrum, das eine IMC-Station
sind und daher einer intensiven in der Praxis leisten kann. Eine eindeutige
klinischen und apparativen Überwachung Definition für IMC gibt es nicht.
(Intensivüberwachung) bedürfen. Das
Tätigkeitfeld der Intensivstation grenzt sich
dadurch ab, dass dort Patienten versorgt 22.3 Zuweisungskriterien
werden, die über die Intensivüberwachung
hinaus intensivtherapeutische Interventionen Es kann erforderlich sein, dass ein Patient im Laufe
benötigen, das heißt die invasive seines Krankenhausaufenthaltes aufgrund einer Ver-
Unterstützung bzw. den vollständigen Ersatz schlechterung schrittweise von der sog. „peripheren“
vitaler Funktionen (Atmung, Herz-Kreislauf- Station in den IMC-Bereich und bei einer weiteren
und/ oder Nierenfunktion) bei akuten krisenhaften Entwicklung seines Zustands auf die
Störungen. (UKSH Akademie, unveröffentlicht) Intensivstation verlegt werden muss. Diesen Verlauf
bezeichnet man als Step-Up-Modus. Im für den Pati-
Auch diese Definition lässt viel Spielraum für Inter- enten günstigeren Verlauf kann er im Step-Down-
pretationen offen: Welche Überwachungsmaß- Modus von der Intensiv- auf die IMC-Station verlegt
nahmen gehören ins Spektrum von IMC (z. B. und von dort weiter in weniger überwachungsinten-
PiCCO ja; PAK nein)? Ab wann ist eine Interven- sive Einrichtungen verlegt bzw. entlassen werden
tion intensivtherapeutisch (z. B. wenn mehr als eine (. Abb. 22.2).
22.3 · Zuweisungskriterien
291 22
verstanden werden. Die Problematik eines solchen
Intensivstation Stufenmodells bei der Übertragung auf die Praxis
us liegt nun aber darin, dass sich Krankheitsverläufe
od nicht in Form von exakt bestimmbaren Stufen voll-
M
Intermediate Care n-
w ziehen, sondern eher in einem Kontinuum bewegen
- Do
us ep und dabei auch nicht immer nur eine Richtung ein-
Normalstation od St
-M halten. Das macht die Zuordnung von Patienten zu
-Up einer Versorgungsstufe schwierig.
ep
St Welche Kriterien gibt es nun für die Entschei-
dung, einen Patienten auf die IMC-Station zu ver-
legen? Während die DGAI Zuweisungsdiagnosen
. Abb. 22.2 Step-Up- und Step-Down-Modus nicht für sinnvoll hält, führt Waydhas eine Reihe von
Krankheitszuständen an, die als Aufnahmekriterien
an seiner Klinik gelten, z. B.:
Der für den betroffenen Patienten hoch bedeut- 55 Große operative Eingriffe mit möglichem
same Unterschied zwischen Step-Up- und Step- Volumen- und Transfusionsbedarf
Down-Modus erscheint aus Sicht des Personals 55 Herzinfarkt oder Herzrhythmusstörungen mit
zunächst nur von theoretischer Bedeutung. Tatsäch- stabiler Hämodynamik
lich ist es natürlich für die Kommunikation mit den 55 Störungen der Atmung, die intensives
Patienten wichtig, sich den Verlegungsweg bewusst Atemtraining oder endotracheales Absaugen
zu machen, denn sowohl die Verlegung in die eine erfordern
als auch in die andere Richtung kann als positiv oder 55 Schädel-Hirn-Traumata mit Werten
als Belastung erlebt werden (7 Kap. 10). auf der Glasgow Coma Scale
Auch unter hygienischen Aspekten ist es nicht (GCS) >9
unerheblich, über welchen Weg ein Patient auf die 55 Abklingende Sepsis ohne Schock und
Station kommt, da sich die Keimbesiedelung in typi- Organfunktionsstörungen
scher Weise unterscheidet. Gerade die im Kranken- 55 Hoher Pflegeaufwand, z. B. durch extensive
haus erworbenen Infektionen mit multiresisten- und/oder häufige Verbandwechsel u. Ä.
ten Erregern stellen ein großes Risiko für IMC-Pa- (Waidhas 2005)
tienten dar, denn die Schwere ihrer Erkrankungen
geht zumeist einher mit einer geschwächten Immu- Dies ist nur ein Ausschnitt aus einer Kriterienliste,
nabwehr (7 Kap. 8). Die Wahrscheinlichkeit einer die für verschiedene IMC-Stationen ganz unter-
solchen Infektion erhöht sich mit jedem invasiven schiedlich aussehen könnte und entsprechend sta-
Eingriff, und bei Patienten, die auf der Intensivstation tionsspezifisch modifiziert bzw. ergänzt werden
längere Zeit intubiert und beatmet waren, treten ven- müsste.
tilatorassoziierte Pneumonien mit hoher Inzidenz So stellt sich noch einmal die Frage, ob es nicht
auf. Bei intensivmedizinisch betreuten Patienten allgemeingültige Argumente für die Zuweisung zur
steht die Pneumonie an der Spitze aller nosokomia- IMC-Station gibt. Welche Hilfsmittel könnten objek-
len Infektionen (RKI 2010). tivierbare Kriterien dafür liefern? Über Einschät-
zungsskalen, wie sie in der Intensivmedizin üblich
> Die Zuweisung zur IMC-Station kann sowohl sind, lassen sich Schweregrade der Erkrankungen
im Step-Up- als auch im Step-Down-Modus bewerten. Zwei solche Scoring-Systeme liegen mit
erfolgen. Dies ist für das Patientenerleben, APACHE II und TISS-28 vor.
aber auch für hygienische Erwägungen
relevant. z APACHE II
Die Abkürzung APACHE steht für „Acute Physio-
IMC kann also theoretisch als eine Stufe in einem logy And Chronic Health“. APACHE II ist ein Instru-
Modell zur stationären Patientenversorgung ment, mit dem 11 aktuelle physiologische Parameter
292 Kapitel 22 · Intermediate Care – Zielsetzungen, Definitionen und Zuweisungskriterien

. Tab. 22.1 Risikoeinschätzung nach APACHE II – vereinfachte Darstellung

Parameter Punkte
22 Rektale Temperatur 0 Punkte bei Normalwerten,
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
Arterieller Mitteldruck (MAD) 0 Punkte bei Normalwerten,
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
Herzfrequenz 0 Punkte bei Normalwerten,
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
Atemfrequenz 0 Punkte bei Normalwerten,
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
Oxygenierung 0 Punkte bei Normalwerten,
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
pH 0 Punkte bei Normalwerten,
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
Natriumwert 0 Punkte bei Normalwerten,
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
Kaliumwert 0 Punkte bei Normalwerten
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
Kreatinin 0 Punkte bei Normalwerten,
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
Hämatokrit 0 Punkte bei Normalwerten,
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
Leukozytenzahl 0 Punkte bei Normalwerten,
bis zu 4 Punkten je nach Schwere der Abweichung
Glasgow Coma Scale Anzahl der Punkte = 15 – aktueller Wert
Alter 0 Punkte bis 44 Jahre
2–6 Punkte je nach höherem Alter
Gesundheitsstatus 0 Punkte bei intakter Organfunktion und Immunkompetenz
(Immunkompetenz und Organfunktion) Bei Immunschwäche oder Organinsuffizienz je nach
– operativem Status
– nicht operiert → 5 Punkte
– elektivem Eingriff → 2 Punkte
– Notfalloperation → 5 Punkte

eines Patienten erfasst werden (jeweils der schlech- Erkrankungsschwere zu vergleichen oder z. B. um
teste Wert in 24 h), zusätzlich werden der neurolo- statistische Daten über die durchschnittliche Erkran-
gische Status mittel GCS-Wert, das Alter und der kungsschwere auf Intensiv- oder IMC-Station zu
Gesundheitszustand erhoben und mit Punkten ermitteln. Für die Zuweisung einzelner Patienten
bewertet (. Tab. 22.1). Dieses Instrument wurde zur IMC ist dieser Score nicht gebräuchlich und, da
entwickelt, um das Risiko schwerkranker Patien- er lediglich den Zustand des Patienten, nicht aber den
ten abzuschätzen. Es eignet sich vor allem für Stu- Behandlungs-, Pflege- und Überwachungsaufwand
dienzwecke, um Patientengruppen bezüglich der erfasst, auch nicht sinnvoll.
22.3 · Zuweisungskriterien
293 22

. Tab. 22.2 Therapeutic Intervention Score System (TISS-28)

Maßnahme Punkte

Basismaßnahmen
Standardmonitoring 5
Laboruntersuchungen 1
Einfache Medikation 2
Mehrfache intravenöse Medikation 3
Routineverbandwechsel 1
Häufiger Verbandwechsel 1
Drainagen 3
Atmung/Beatmung
Mechanische Beatmung 5
Atemunterstützung 2
Künstlicher Atemweg 1
Behandlung zur Verbesserung der Lungenfunktion 1
Kardiovaskuläres System
Einfache vasoaktive Medikation 3
Mehrfache vasoaktive Medikation 4
Intravenöser Ersatz großer Flüssigkeitsverluste 4
Peripherer arterieller Zugang 5
Pulmonalarterienkatheter 8
Zentralvenöser Katheter 2
Kardiopulmonale Wiederbelebung 3
Niere
Hämofiltration 3
Messung des Harnvolumens 2
Aktive Diurese 3
ZNS
Messung des intrakraniellen Drucks 4
Metabolismus
Behandlung einer komplizierten Azidose/Alkalose 4
Parenterale Ernährung 3
Enterale Ernährung 2
Spezifische Maßnahmen
Einzelne spezielle Interventionen innerhalb der Station 3
Mehrere spezielle Interventionen innerhalb der Station 5
Spezielle Interventionen außerhalb der Station 5
294 Kapitel 22 · Intermediate Care – Zielsetzungen, Definitionen und Zuweisungskriterien

z TISS-28
. Tab. 22.3 Nine Equivalents of Nursing Manpower
Während APACHE und ähnliche in der Intensi- Use Score (NEMS)
vmedizin häufig verwendete Scores überwiegend
22 physiologische Parameter wie Herzfrequenz, Blut- Nr. Maßnahme Punkte
druck und verschiedene Laborparameter einbezie-
1 Standard-Monitoring 9
hen, ist das Therapeutic Intervention Scoring System
(TISS) ein Interventionsscore, bei dem therapeuti- 2 Medikamentengabe intravenös 6
sche und diagnostische Maßnahmen zur Berechnung 3 Beatmung 12
eines Scorewertes herangezogen werden. Bei der 4 Zusätzliche Atemhilfe 3
ursprünglichen Fassung dieses Instrumentes wurden 5 Ein vasoaktives Medikament 7
76 Kriterien einbezogen, die heute übliche Version
6 Mehrere Vasoaktiva gleichzeitig 12
wurde auf 28 reduziert und wird TISS-28 genannt. In
7 Nierenersatzverfahren 6
. Tab. 22.2 werden die bewerteten Maßnahmen und
die Punktvergabe dargestellt. Nach Eikamp (2008) 8 Spezifische Interventionen auf 5
gibt es die Empfehlung, Patienten mit TISS-28-Wer- der Station (z. B. Kardioversion,
Endoskopie …)
ten von 10–22 Punkten der IMC-Station zuzuweisen,
bei Werten darüber der Intensivstation. 9 Spezifische Interventionen 6
außerhalb der Station (z. B.
TISS-28 hat also den Vorteil, dass der Behand- aufwendige Diagnostik …)
lungs- und Überwachungsaufwand eines Patien-
NEMS total
ten darin abgebildet wird. Das System ist allerdings
mit 28 zu bewertenden Maßnahmen immer noch
recht aufwendig für eine rasche Einschätzung der
Patientensituation. werden niemals die subjektive Beurteilung des Ein-
zelfalls mit seinen komplexen Besonderheiten erset-
z NEMS zen können. Die Situation eines individuellen Patien-
Mit dem Instrument NEMS liegt schließlich eine ten lässt sich nicht auf mathematische Berechnungen
„abgespeckte Version“ des TISS-28 vor (. Tab. 22.3). reduzieren.
Für NEMS gilt ein ähnlicher Punktwert für die Aufnahmekriterien und Scores können aber
Zuweisung zur IMC-Station wie bei TISS-28. Ob durchaus Argumentationshilfen liefern, wenn Ver-
dieser Anhaltswert in der Praxis vieler IMC-Station legung oder Nicht-Verlegung in einem Team zur
eingehalten wird oder werden kann, ist zu bezweifeln. Diskussion ansteht. Hier wären aus Sicht der Pfle-
genden einfache Regeln oder Kriterien wünschens-
z MEWS wert, wie z. B. für die Entscheidung, ob ein Patient
Ein vereinfachtes Scoring-System stellt schließlich von der IMC- auf die Allgemeinstation verlegt wird,
der „Modified Early Warning Score (MEWS)“ dar oder das Kriterium, dass er die Patientenklingel betä-
(. Tab. 22.4). Er erfasst lediglich 6 Parameter und tigen kann.
eignet sich für die rasche Einschätzung des Risikos
eines Patienten bei der Aufnahme oder auf der All- > Derzeit gibt es keine allgemeingültigen
gemeinstation. Bei einem Score-Wert ab 2 Punkten Kriterien für die Aufnahme auf oder die
gilt ein Patient als gefährdet und eine Zuweisung zur Entlassung von einer IMC-Station.
IMC als ratsam. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn
ein Patient trotz Sauerstoffinsufflation eine periphere Es bleibt eine offene Frage für die Forschung, ob
Sättigung unter 95% aufweist oder wenn die Herzfre- Scoring-Systeme zukünftig klare Zuweisungskrite-
quenz höher ist als der systolische Blutdruck. rien für IMC-Patienten liefern werden. Nach Prin
Allen Scoring-Systemen ist gemeinsam, dass über et al. (2015) kann bislang kein Score valide Aussa-
sie versucht wird, objektive Daten über Patienten und gen über das Outcome der Patienten geben. Letzt-
ihre Krankheitsverläufe zu erheben. Sie können aber lich hängt es derzeit von der apparativen und perso-
bestenfalls Hilfsmittel sein bei der Einschätzung und nellen Ausstattung einer IMC-Station ab (7 Kap. 23),
Literatur
295 22

. Tab. 22.4 Modified Early Warning Score (MEWS)

Score 3 2 1 0 1 2 3

Herzfrequenz – <40 41–50 51–100 101–110 111–130 >130


Syst. Blutdruck <70 71–80 81–100 101–179 180–199 200–220 >220
Urin/h (in ml) <20 20–30 30–50 50–200 >200 – –
ZNS – – Verwirrt Wach Reaktion auf Reaktion auf Keine Reaktion
Ansprache Schmerzreiz
SpO2 (in%) <85 86–89 90–94 >94 – – –
Atmung BIPAP CPAP O2 – – – –

qualitativen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten am


was vor dem Hintergrund einer sicheren Patienten- Beispiel eines Universitätsklinikums. Pflegwissenschaft
versorgung möglich ist. Mit Letzterem ist nicht nur 01(08): 25–32
der Personalschlüssel des Pflegepersonals gemeint, Markewitz A, Haake N, Trummer G, Markgraf G, Beckmann
sondern vor allem die Qualifikation des gesamten A (2012) Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für
Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie zur personellen, infra-
Teams (7 Kap. 24).
strukturellen und apparativen Ausstattung einer herz-
chirurgischen Intermediate-Care-Station. Z Herz-Thorax-
Gefäßchir 26: 48–55
Literatur Prin M, Harrison D, Rowan K, Wunsch H (2015) Epidemiology
of admissions to 11 stand-alone high-dependency care
DGAI (2002) Intermediate Care: Entwicklung, Definition, Aus- units in the UK. Intensive Care Med 41: 1903–1910
stattung, Organisation und mögliche Lösungen. Anästh Robert-Koch-Institut (RKI) (2010) Prävention der nosokomia-
Intensivmed 43: 536–541 len Pneumonie. Mitteilung der Kommission für Kran-
DGF (2010) Intermediate Care. Ein Beitrag zur Qualitätssiche- kenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert
rung in der pflegerischen Versorgung im Krankenhaus. Koch-Institut. http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Kran-
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Fachkran- kenhaushygiene/Kommission/Downloads/Pneumo_Rili.
kenpflege und Funktionsdienste e.V. Berlin pdf?__blob=publicationFile. Zugegriffen: 15.06.2012
Eikamp J (2008) Abgrenzung von Intermediate Care (IMC) Waydhas C (2005) Bedeutung der Intermediate Care Station.
zu Intensivtherapiepatienten und Patienten auf einer Viszeralchirurgie 40: 123–127
Normalpflegestation durch „Medical-Scores“ – unter
297 23

Organisationsstrukturen
und Rahmenbedingungen
von Intermediate Care
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke

23.1 Organisationsstrukturen – 298

23.2 Rahmenbedingungen – 298

23.3 Einarbeitungskonzepte und Integrationsprogramme – 300

Literatur – 303

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_23
298 Kapitel 23 · Organisationsstrukturen und Rahmenbedingungen von Intermediate Care

23.1 Organisationsstrukturen personellen Betreuung ist möglich, die Gefahr von


Informationsverlusten (7 Kap. 10) wird minimiert.
Idealtypisch können drei Modelle unterschieden Für die Personalplanung – sowohl unter dem
werden, nach denen IMC-Einrichtungen in die Aspekt des Ausfallmanagements als auch unter dem
Organisationsstruktur eines Krankenhauses einge- Aspekt der Personalentwicklung sowie der prakti-
bunden werden (DGAI 2002): schen Aus- und Weiterbildung – ist dieses Modell
23 55 Das Integrationsmodell: Bei diesem Modell ebenfalls günstig. Im Personalpool einer solchen
sind die Bettenplätze bzw. Patientenzimmer kombinierten IMC-/Intensivstation bestehen Rota-
der IMC-Patienten Teilbereiche der Inten- tionsmöglichkeiten. Neue Mitarbeiter können über
sivstation. Diese Bereiche können mehr oder die Betreuung von IMC-Patienten langsam an die
weniger räumlich abgegrenzt sein. Es gibt ein komplexeren Aufgaben der Intensivpflege herange-
gemeinsames Pflegeteam, das sowohl Intensiv- führt werden. Für Mitarbeiter mit hoher Expertise
als auch IMC-Patienten betreut. kann es eine Entlastung und sinnvolle Erfahrung
55 Das Parallelmodell: Hier sind Intensivstation sein, nicht immer nur Patienten mit Maximalthe-
und IMC voneinander abgegrenzt, liegen aber rapie zu betreuen. Patienten, die langsam wieder in
unmittelbar nebeneinander. Das Pflegepersonal die „Normalität zurückkommen“, sich ungehindert
aus einem gemeinsamen Team ist entweder im mitteilen können und Freude an Genesungsfort-
IMC- oder im Intensivbereich eingeteilt. schritten erleben, verändern auch immer wieder die
55 Das Modell der eigenständigen IMC-Station: Sichtweise. Das Integrationsmodell kann auch dem
Die Station ist räumlich von der Intensivstation Schubladendenken („Ich bin Intensivpflegende“/„Du
getrennt und verfügt über ein eigenes bist IMC-ler“) entgegenwirken.
Pflegeteam. Das Parallelmodell und die eigenständige
IMC-Station sind Alternativen, wenn eine Integra-
Neben diesen idealtypischen Modellen bestehen tion in die Intensivstation, z. B. aus baulichen Erwä-
faktisch weitere Organisationsformen, bei denen gungen, nicht möglich ist.
der IMC-Bereich einer peripheren Station parallel
(Parallelmodell B) oder integriert (Integrationsmo-
del B) zugeordnet ist. Markewitz et al. sprechen sich 23.2 Rahmenbedingungen
im Namen der Deutschen Gesellschaft für Thorax-,
Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) für die Anbin- z Personelle Ausstattung
dung von IMC an eine periphere Station aus, „da Während von den Fachgesellschaften die DGAI
dies zu einer Flexibilisierung der Handlungsfähig- 2002 noch von einem Stellenschlüssel für das Pfle-
keit herzchirurgischer Einheiten führen soll“ (Mar- gepersonal von 1:4 bis 1:6 ausging, stellt die DGF
kewitz et al. 2012). Auch logistisch und aufgrund die Forderung, der Pflegepersonalschlüssel müsse
baulicher Gegebenheiten könnte es problematisch 1:3 betragen. Das bedeutet, dass eine Pflegekraft
sein, wenn große herzchirurgische Intensivstatio- 3 IMC-Patienten betreut.
nen mit hohem Patientendurchlauf und 20–30 Bet- Auch Markewitz et al. (2012) gehen für die herz-
tenplätzen zusätzliche IMC-Kapazitäten vorhalten chirurgische IMC-Station von einem Schlüssel von
müssten. 1:3 aus, in Fällen, bei denen eine Organersatzthe-
Eine Reihe von Argumenten spricht allerdings rapie gerade erst abgeschlossen wurde, sogar von
für die Organisationsform nach dem „klassischen“ 1:2 (gemeint ist z. B., dass die invasive Beatmung
Integrationsmodell (Eikamp 2008): Patienten, die vor weniger als 2 h beendet wurde). Gerade bei der
aufgrund ihres Krankheitsverlaufs von der Kategorie personellen Ausstattung kommen natürlich ökono-
IMC zu Intensivtherapie – oder umgekehrt – wech- mische Erwägungen ins Spiel. Die Autoren halten
seln, müssen nicht auf eine andere Station verlegt dem entgegen, „dass dem Hinweis auf die ökonomi-
werden. Ihnen bleibt der häufig mit einer Verle- sche Machbarkeit Studien entgegengehalten werden
gung verbundene Stress erspart, Kontinuität in der können, … die deutliche Hinweise darauf geben, dass
23.2 · Rahmenbedingungen
299 23

. Abb. 23.1 Zentralmonitoring


. Abb. 23.2 Bettenplatz

eine inadäquate Personalausstattung unteroptimale dringender sind Zweibettzimmer erforderlich. Die


Resultate bedingt“ (Markewitz et al. 2012). Größe der Behandlungseinheiten und die Anzahl
Eikamp verweist auf eine Einschätzung des ITA des Personals generieren Betriebsamkeit und demzu-
(Institut für Technologiefolgen-Abschätzung der folge auch einen erheblichen Geräuschpegel, sodass
Österreichischen Akademie der Wissenschaften), eine ruhige und sichere Versorgung in kleineren Ein-
wonach eine Orientierung des Personalschlüssels heiten sichergestellt werden muss. Auch für die Iso-
an der Bettenzahl wenig sinnvoll ist, da die Struk- lation von Patienten mit multiresistenten Erregern
turen und Anforderungen auf IMC-Stationen sehr (Quellenisolation) oder mit geschwächter Immunab-
unterschiedlich sind. Umgekehrt ist aber sowohl die wehr (Schutzisolation) werden räumlich abgegrenzte
pflegerische als auch die ärztliche Besetzung – quan- Bereiche benötigt. Kleinere Einheiten erfordern
titativ und qualitativ – entscheidend dafür, welche aber wiederum mehr logistischen und personellen
Behandlungsdichte und -schwere eine IMC-Station Aufwand, damit die Patientenüberwachung gewähr-
leisten kann. leistet werden kann. Als Lösung kann eine Schiebetür
Einigkeit besteht darüber, dass Leitung und Stell- zwischen zwei kleineren Einheiten eingebaut sein,
vertretung sowie die Praxisanleiter einer IMC-Sta- die situativ geöffnet oder geschlossen werden kann.
tion über die Ausbildung in der Gesundheits- und Von Seiten der apparativen Ausstattung am Bet-
Krankenpflege hinaus über eine besondere Qualifi- tenplatz ist Folgendes obligat:
kation verfügen müssen, gemeint ist die Fachweiter- 55 Monitoring zur Frequenz-, NIP-, Sättigung-,
bildung für Intensiv- und Anästhesiepflege. Atemfrequenzüberwachung inklusive der
Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesie 55 Möglichkeit zur invasiven Blutdruckmessung
fordert, dass die IMC-Station von einem ausgewie- (arterielle Druckmessung und ZVD-Messung)
senen Intensivmediziner geleitet wird. Eine perma- 55 Ein Zentralmonitoring unterstützt die Überwa-
nente Arztanwesenheit wird nicht gefordert (DGAI chungsarbeit der Pflegenden (. Abb. 23.1).
2002). Wichtig ist jedoch, dass ein intensivmedizi-
nisch erfahrener Arzt innerhalb kürzester Zeit ver- Zudem wird ausreichendes Equipment für die Infu-
fügbar ist. sionstherapie sowie ein Absaugsystem benötigt, das
ergonomisch und hygienisch sinnvoll angeordnet ist.
z Bauliche und apparative Ausstattung Die Gerätschaften am Bettenplatz sind an Decken-
Die Organisationsstruktur und die geplante Größe ampeln oder Wandschiene anzubringen (. Abb.
sind mit entscheidend für die angestrebte oder vor- 23.2). Der Infusionsständer auf Rollen sollte der Ver-
handene bauliche Lösung. Je größer die Station – gangenheit angehören. Die Beleuchtung muss einer-
man denke an eine 24-Betten-Station –, umso seits geeignet sein für eine gute Krankenbeobachtung
300 Kapitel 23 · Organisationsstrukturen und Rahmenbedingungen von Intermediate Care

23

. Abb. 23.3 Notfalllabor

(ausreichend hell, kein Farbstich), andererseits soll Neustart eines neuen Kollegen vorbereitet sind. Es
sie dimbar und blendfrei sein, sodass der Tag-Nacht- muss einen dann aber nicht wundern, wenn in der
Rhythmus der Patienten nicht durch grelles Licht gleichen Untersuchung 15% der Neuangestellten
gestört wird. nach solch einem schlechten Start schon wieder über
Die weitere Ausstattung der Station ist u. a. abhän- eine Kündigung nachdenken (Stengel 2012).
gig von den Versorgungsschwerpunkten (z. B. die Zudem werden aufgrund des Fachpersonal-
Anzahl der Geräte für die Atemtherapie/nichtinva- mangels immer öfter Pflegende mit nicht ausrei-
sive Beatmung) und von der Organisationsstruktur. chend intensivpflegerischen Kompetenzen einge-
Beim Integrations- und Parallelmodell können Geräte setzt (Vollmer et al. 2011). Ein Einarbeitungskon-
mit der Intensivstation gemeinsam genutzt werden, zept inklusive eines Integrationsprogramms kann
während es für die eigenständige IMC-Station sinn- dieser möglichen Fehlentwicklung entgegenwirken.
voll ist, über eigene Geräte zu verfügen (z. B. ein fahr-
bares Röntgengerät, ein kleines Notfalllabor mit Blut- z Welche Ziele verfolgt ein strukturiertes
gasanalysegerät; . Abb. 23.3). In jedem Fall muss ein Einarbeitungskonzept?
Notfallwagen mit Defibrillator, Intubationszube- Der Neubeginn an einem neuen Arbeitsplatz stellt
hör, Notfallmedikamenten jederzeit verfügbar sein für den Mitarbeiter eine hohe psychische Belas-
(. Abb. 23.4). Für die Thoraxkompression während tung dar. Neben der fachlichen Einarbeitung ist
einer Reanimation kann ein Gerät zur automatischen die Integration des Mitarbeiters ins Team und das
Herzdruckmassage hilfreich sein (. Abb. 23.5). frühe Aufzeigen von Abläufen und Zuständig-
keiten essenziell. Strukturierte Einarbeitung und
gute Integration ins Arbeitsteam können Stress
23.3 Einarbeitungskonzepte abbauen und stellen somit Aspekte der betriebli-
und Integrationsprogramme chen Gesundheitsförderung dar. Der israelische
Wissenschaftler Antonovsky sagt, dass als Basis
Es mag verwundern, dass das Human Capital Ins- menschlicher Gesundheit und für das Erhalten der
titute in einer Befragung feststellt, dass drei Viertel Gesundheit gute Erfahrungen durch verstehbare,
aller Unternehmen nicht ausreichend auf den handhabbare und sinnhafte Aufgaben gegeben sein
23.3 · Einarbeitungskonzepte und Integrationsprogramme
301 23

. Abb. 23.5 Gerät zur automatischen Herzdruckmassage.


(Mit freundl. Genehmigung der Fa. Physio Control)

zufällig und unerklärlich sind – ist wichtig (Anton-


ovsky 1997). Solch ein Konzept benötigt
55 eine angemessene Einarbeitungsdauer,
. Abb. 23.4 Notfallwagen 55 die Bereitstellung eines fachlich versierten
Kollegen (Mentors),
müssen. Damit gemeint sind gut organisierte, klare, 55 praktische und theoretische Schulungen,
nachvollziehbare und zu bewältigende Arbeitsauf- 55 Arbeitsaufträge für die Einzuarbeitenden,
gaben. Gelingt dies, dann kann sich das sogenannte 55 Workshops und
Kohärenzgefühl entwickeln. Und Menschen, die ein 55 Reflexions- oder Praxisanleitertage.
starkes Kohärenzgefühl entwickeln, besitzen eine
ausgeprägtere Widerstandsfähigkeit (Antonovsky Die Unterteilung der Einarbeitung in eine Basis-
1997, S. 36). und eine Aufbauphase ermöglicht ein intensiveres
Einarbeitung bedeutet fachliche Anleitung und Lernen. In einem Konzept der erweiterten Einarbei-
Einweisung des neuen Kollegen, beinhaltet aber tung von bis zu 2 Jahren werden die Lernschritte in
auch dessen Integration ins Team und Stärkung der unterschiedliche Abschnitte gegliedert. Dem neuen
Selbstorganisationskompetenz. Kollegen wird der Entwicklungsplan von Beginn an
aufgezeigt. Er kann sich selber immer wieder eva-
Fachliche Einarbeitung Die Einarbeitung im fach- luieren und seine Pflegekompetenz einschätzen.
lichen Sinne ist unumgänglich. Wenn Wissen einer Die Kompetenzeinstufung nach Benner eignet sich
der größten stressreduzierenden Faktoren ist, dann hierfür sehr gut. Benner zeigt den Entwicklungsweg
muss der konsequenten Vermittlung von Fachwis- in fünf Stufen auf (. Abb. 23.6). Die Entwicklung
sen und der permanenten Fortführung der fachli- startet beim Anfänger, geht weiter zum fortgeschrit-
chen Entwicklung ein sehr hoher Stellenwert einge- tenen Anfänger, dann zum kompetenten Pflegenden,
räumt werden. Das Gefühl von Verstehbarkeit – also um sich über den erfahrenen Pflegenden zum Pfle-
Stimuli als verstehbare, geordnete und strukturierte geexperten zu entwickeln (Benner 1994, S. 35ff). Der
Informationen verarbeiten zu können und sich nicht Einzuarbeitende kann mit Hilfe dieses Stufenplans
Reizen ausgesetzt zu sehen, die chaotisch, willkürlich, und der Möglichkeit, sich selber einzuschätzen, seine
302 Kapitel 23 · Organisationsstrukturen und Rahmenbedingungen von Intermediate Care

Entwicklung zu formulieren und somit die Selbst-


Stufen zur Pflegekompetenz 5. Ebene: Pflegeexperte organisation des Kollegen zu stärken.
In der folgenden 7 Übersicht finden Sie einen
4. Ebene: erfahrener Pflegender
Entwurf zur Planung einer strukturierten Einarbeitung.
3. Ebene: kompetenter Pflegender

23 Praxistipp
2. Ebene: fortgeschrittener Anfänger
Den vollständigen Einarbeitungsplan einer
1. Ebene: Anfänger IMC-Station können Sie als PDF-Datei bei Birgit.
Trierweiler-Hauke@med.uni-heidelberg.de
anfordern.
. Abb. 23.6 Stufen zur Pflegekompetenz. (Mod. nach
Benner 1994)

berufliche Entwicklung mit etwas mehr Gelassenheit


betrachten. Dadurch kann dem Problem vorgebeugt Planung einer strukturierten Einarbeitung
werden, dass junge Kollegen glauben, sie müssten A. Vorplanung
binnen kürzester Zeit alles wissen und können. Das Dieser Teil der Einarbeitung findet vor dem
„Nicht-mehr-Fragen“ und der daraus entstehende Neustart des Mitarbeiters statt.
Verzicht auf Entwicklungsressourcen sowie ein Resi- 44 Dossier über den neuen Mitarbeiter
gnieren, weil man glaubt, sich nicht schnell genug zu –– Welche Informationen über den neuen
entwickeln, können verhindert werden. Kollegen werden vom Führungsteam
und Praxisanleiterteam benötigt?
Integration des neuen Kollegen ins Team Die Team- –– Examen wann?
integration unterstützt das Gefühl der Bewältigbar- –– Berufliche Erfahrung?
keit und Handhabbarkeit. Sich in einem Team ange- –– Spezialkenntnisse z. B. Kinästhetik,
kommen und aufgehoben zu fühlen, kann einen Basale Stimulation
erkennen lassen, dass man geeignete Ressourcen 44 Informationen für den neuen
hat, um den Anforderungen zu begegnen. Aber Mitarbeiter
nicht nur die eigenen Ressourcen und Kompeten- –– Welche Informationen benötigt der
zen sind wichtig, sondern auch der Glaube, dass neue Mitarbeiter, bevor er anfängt?
andere Personen helfen. Gewinnt der neue Kollege –– Informationsflyer zum
diesen Glauben ans Team, dass er nicht alleine alles Einstellungsprocedere
bewältigen muss und dass Schwierigkeiten lösbar –– Informationen über den Betriebsarzt
sind, dann hat dies einen direkten Einfluss auf seine –– Basiswissen über das Unternehmen und
Arbeitszufriedenheit. die neue Station
–– Dienstbeginn, Plan für die nächsten
Stärkung der Selbstorganisationskompetenz Vor Wochen, Dienstzeiten
jedem Kompetenzaufbau steht immer die Analyse. –– Mentor oder PA
Deshalb ist die Bereitschaft des neuen Kollegen, sich 44 Auswahl und Vorbereitung des Mentors
immer wieder selber zu hinterfragen und zu evalu- –– Wie wird der Anleiter ausgewählt
ieren und sich auf Feedbackgespräche einzulassen, und welche Informationen
der erste Schritt in Richtung Kompetenzaufbau. benötigt er?
Führungskräfte und Praxisanleiter, die Feedbackge- –– Berufserfahrung
spräche durchführen, müssen mit den Feedbackre- –– Theoretische Fortbildung
geln vertraut sein. Ein Ziel des Feedbackgespräches –– Erfahrung
ist es, Wünsche und Anregungen für die weitere
Literatur
303 23

–– Dienstplangestaltung des Anleiters E. Karriereplanung


(Urlaub?) –– Eine Karriereplanung sollte von Beginn
–– Informationsgespräch mit dem an durchgeführt werden. Wo sieht sich
Mentor der Kollege in 5 Jahren? Möchte er eine
B. Einarbeitungskonzept Fachweiterbildung machen und wenn
–– Der erste Tag: Ein Mitarbeiter, der an ja, welche? Ist die Planung der Zukunft
der Klinik ganz neu anfängt, hat in bekannt, dann kann auch zielführend
der Regel am ersten Tag einen sog. unterstützt werden.
Einführungstag. Der erste Tag auf der
neuen Station wird so gestaltet, dass
der neue Kollege die Gelegenheit hat,
sich zu orientieren und Kollegen und
Literatur
Räumlichkeiten kennenzulernen.
–– Das Konzept in Schritten: Der Einarbei- Antonovsky A (1997) Salutogenese – Zur Entmystifizierung
tungskatalog ist stationsspezifisch der Gesundheit. dgvt, Tübingen
angepasst und wird in unterschiedliche Benner P (1994) Stufen zur Pflegekompetenz – From Novice to
Stufen gegliedert. Es ist wichtig, Expert. Huber, Berlin
DGAI (2002) Intermediate Care: Entwicklung, Definition, Aus-
dem neuen Kollegen aufzuzeigen,
stattung, Organisation und mögliche Lösungen. Anästh
dass die Einarbeitung in Schritten Intensivmed 43: 536–541
und Stufen erfolgt. Anhand eines DGF (2010) Intermediate Care. Ein Beitrag zur Qualitätssiche-
Anforderungsprofils kann der Kollege rung in der pflegerischen Versorgung im Krankenhaus.
erkennen, was von ihm in welcher Zeit Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Fachkran-
kenpflege und Funktionsdienste e.V. Berlin
erwartet wird.
Eikamp J (2008) Abgrenzung von Intermediate Care (IMC) zu
–– Die Theorietage: Zur Unterstützung Intensivtherapiepatienten und Patienten auf einer Nor-
der praktischen Einarbeitung werden malpflegestation durch „Medical-Scores“ - unter qualita-
Theorietage eingeflochten. Die tiven und wirtschaftlichen Gesichtspunkten am Beispiel
Praxisanleiter führen theoretisch in eines Universitätsklinikums. Pflegwissenschaft 1: 25–32
Markewitz A, Haake N, Trummer G, Markgraf G, Beckmann
das Thema ein und vertiefen es mit
A (2012) Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für
praktischen Übungen. Die Lernenden Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie zur personellen, infra-
werden nach den Theorietagen mit der strukturellen und apparativen Ausstattung einer herz-
praktischen, aber auch theoretischen chirurgischen Intermediate-Care-Station. Z Herz-Thorax-
Vertiefung des Lernstoffs beauftragt. Gefäßchir 26: 48–55
Stengel K (2012) Zehn Tipps zur Einarbeitung neuer Mitarbei-
C. Feedbackgespräche
ter. http://www.computerwoche.de/karriere/hp-young-
–– Planung der Feedbackgespräche mit professional/2516786. Zugegriffen: 22.11.2015
der Stationsleitung und den Mentoren Vollmer A-M, Leibig A (2011) Berufsanfänger in der Intensiv-
und Praxisanleitern pflege – Spezialbereich ohne Spezialisten? Schwester
D. Arbeitsaufträge und Praxisanleitertage Pfleger 6
–– Regelmäßig stattfindende Praxisan-
leitertage innerhalb des 1. Jahres
helfen den Wissensstoff zu festigen.
Die Praxisanleiter vereinbaren mit
den Lernenden vor dem Tag deren
Lernwunsch und können dies noch
mit einem vorherigen Arbeitsauftrag
intensivieren.
305 24

Bildungsangebote für die


Qualifikation im IMC-Bereich
J. Busch, B. Trierweiler-Hauke

24.1 IMC-Weiterbildung in Deutschland – 306

24.2 Beispiel: Qualifikation zur Pflegefachkraft im


Intermediate Care Bereich / Akademie für
Gesundheitsberufe Heidelberg – 306

24.3 Beispiel: Weiterbildung Intermediate Care (IMC) / UKSH


Akademie – 309

24.4 Weitere Bildungsangebote – 311

Literatur – 313

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7_24
306 Kapitel 24 · Bildungsangebote für die Qualifikation im IMC-Bereich

An das Pflegepersonal auf IMC-Stationen werden den theoretischen Unterricht, die Dauer der Maß-
hohe Anforderungen in Bezug auf das fachliche nahme und Hinweise zur praktischen Weiterbildung
Wissen und die Handlungskompetenz gestellt. Die aufgeführt. Wie . Tab. 24.1 zeigt, sind die Weiter-
DGF fordert, dass 40% des Personals über eine bildungsangebote nur bedingt vergleichbar. Einen
Zusatzqualifikation IMC verfügen sollten. Für den bundesweit einheitlichen Standard gibt es nicht. Hier
Rahmen dieser Bildungsmaßnahme sieht die Fach- sind Empfehlungen, wie sie die DGF formuliert hat,
gesellschaft theoretischen Unterricht im Umfang von richtungweisend.
360 h und eine berufspraktische Weiterbildung im
24 Umfang von 1250 h vor (DGF 2010).
Eine Reihe von Bildungseinrichtungen im Praxistipp
Gesundheitswesen hat den Bedarf an solchen Weiter-
bildungsangeboten erkannt und richtet Zusatzqua- Da die Weiterbildungslandschaft ständig
lifikationen aus. Allerdings gibt es keine rechtlichen im Wandel ist, können Interessenten
Vorgaben für diese Qualifizierung. So haben viele Informationen zu den aktuellen Angeboten
staatlich anerkannte Weiterbildungsstätten für den auch bei den Landesbeauftragten der
Bereich Intensiv- und Anästhesiepflege dem Bedarf Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege
folgend Qualifizierungsmaßnahmen aufgelegt, die und Funktionsdienste erfragen (Kontakt:
mit einem Zertifikat der Institution abschließen. http://www.dgf-online.de).
Diese Zertifikatslehrgänge ermöglichen z. T. eine
Verkürzung der Fachweiterbildung zur Anästhesie-
und Intensivpflege.
Zwei der Weiterbildungsangebote für den IMC-Be-
reich sollen im Folgenden exemplarisch mit ihren
24.1 IMC-Weiterbildung Besonderheiten vorgestellt werden.
in Deutschland

Die konkrete Ausgestaltung der IMC-Qualifikatio- 24.2 Beispiel: Qualifikation zur


nen ist dabei uneinheitlich, sowohl im Hinblick auf Pflegefachkraft im Intermediate
den Umfang als auch in curricularer Hinsicht. Selbst Care Bereich / Akademie
die Bezeichnungen für die Qualifikationsmaßnah- für Gesundheitsberufe
men sind ganz unterschiedlich, es sind Kurse, Lehr- Heidelberg
gänge, (Zusatz-)Qualifikationen oder Weiterbildun-
gen – je nachdem, was das Weiterbildungsgesetz des Die „Qualifikation zur Pflegefachkraft im Intermedi-
jeweiligen Bundeslandes für Vorgaben macht. Da ate Care Bereich“ wird an der Akademie für Gesund-
es bislang für die Pflegeberufe keine Instanzen der heitsberufe Heidelberg in einer modularen Form
Selbstverwaltung (Pflegekammern) gab und die Bil- angeboten. Module sind abgeschlossene Lernein-
dungshoheit in der Bundesrepublik Deutschland bei heiten. Sie enden mit einem Leistungsnachweis, der
den Bundesländern liegt, ist die Weiterbildungsland- sich an den komplexen Anforderungen des berufli-
schaft in diesem Bereich bunt, vielfältig und damit chen Alltags orientiert (Muijsers 1999, S. 5).
auch unübersichtlich (. Tab. 24.1). Die einzelnen Module unterliegen einer fächer-
Die Tabelle zeigt eine Reihe von Bildungsange- übergreifenden Unterrichtskonzeption. Jedes Modul
boten für Pflegende auf IMC-Stationen. Die Liste ist berücksichtigt die Entwicklung beruflicher Hand-
nach Bundesländern sortiert und als Eckdaten sind lungskompetenz und die zugrunde liegenden Ziele
in dieser Zusammenstellung der Stundenumfang für des Gesamtcurriculums.
. Tab. 24.1 Weiterbildungsangebote einzelner Bundesländer

Bundesland Institut Theorieanteil Praxis/Lernbegleitung Dauer

Baden- Akademie für Gesundheitsberufe 290 h Praxisanleitungen 10 Monate


Württemberg Heidelberg modularisiert
Robert Bosch Krankenhaus Etwa 290 h Praxisanleitungen Praxisbegleitungen Berufsbegleitend
Stuttgart modularisiert Hospitationen 13 Monate
Uniklinikum Tübingen 280 h Einsatz auf 2 unterschiedlichen IMC-Stationen 11 Monate
modularisiert
Universitätsklinikum Ulm 250 h Praxis 600 h Berufsbegleitend
modularisiert Einsatz auf 2 unterschiedlichen IMC-Stationen
Städtisches Klinikum Karlsruhe 258 h Weiterbildung Intermediate Care/Notaufnahme; Berufsbegleitend
modularisiert Hospitation 3 Tage im anderem Bereich, 1 auf
einer ITS
Klinikum Stuttgart 200 h Präsenzphasen + Blended- Praxisphasen 3–12 Monate
Learning-Module
Bayern Schwesternschaft München 300 h Präsenz + 60 h selbstorganisiertes Mind. 600 h in drei verschiedenen Bereichen 1 Jahr
Bayerisches Rotes Kreuz e.V. Lernen (IMC/ITS, Anästhesie + Wahleinsatz
Universitätsklinikum Regensburg 240 h Theorie + 180 h fachpraktischer 1160 h 1 Jahr
Unterricht IMC-Station mit mind. 6 ITS-Betten
Klinikum Nürnberg 300 h inkl. Fernlehrgang Pain Nurse 800 h 18 Monate
24.2 · Beispiel: Qualifikation zur Pflegefachkraft im Intermediate Care Bereich / Akademie

und Wundtherapeut
Universitätsklinikum Würzburg 120 h Präsenz + Lehr-/Lernbriefe Tätigkeit in IMC, ITS, Stroke Unit, Notaufnahme Berufsbegleitend
oder ambulanter Intensivpflege 1 Jahr
Klinikum Augsburg 240 h Mind. 460 h (davon je 200 h operative und 1 Jahr
307

konservative ITS + 1 Woche Schmerzambulanz)


Berlin- Akademie der Gesundheit 320 h 80 h Praktika 10 Monate
Brandenburg Berlin/Branden-burg e.V.
Bremen Klinikum Links der Weser 320 h 20 Wochen, davon 10% Anleitungszeit Berufsbegleitend
davon 248 h analog zur Weiterbildung
I+A
24
24
308

. Tab. 24.1 Fortsetzung

Bundesland Institut Theorieanteil Praxis/Lernbegleitung Dauer

Hamburg UKE Mind. 314 h Berufsbegleitend


4 Module der Weiterbildung I+A
Asklepios Kliniken Hamburg 360 h in Modulform an insgesamt 790 h
45 Tagen ITS, IMC und AWR
Nordrhein- Universitätsklinikum Bonn Grund- und Aufbaukurs je 40 h Praxistag
Westfalen
Rheinland-Pfalz Klinikum Ludwigshafen 240 h Mind. 1250 h 12 Monate
Einsatz auf zwei IMC-Stationen + 1 Woche ITS
Sachsen Universitätsklinikum Dresden 300 h 1000 h, davon mind. jeweils 64 in der 1 Jahr
Anästhesiologie, Intensivpflege + in einem
IMC-Bereich außerhalb des ständigen
Tätigkeitsfeldes
Schleswig- UKSH Akademie 240 h, davon 40 h selbstorganisiertes Mind. 308 h Praktikum auf der ITS Berufsbegleitend
Holstein Lernen zum IMC-, AWR-
oder ITS-Einsatz;
mind. 9 Monate
Kapitel 24 · Bildungsangebote für die Qualifikation im IMC-Bereich

AWR Aufwachraum, I+A Intensivpflege und Anästhesie, IMC Intermediate Care, ITS Intensivstation.
24.3 · Beispiel: Weiterbildung Intermediate Care (IMC) / UKSH Akademie
309 24
2. Eine einschlägige berufliche Tätigkeit
Exkurs zum Begriff Handlungskompetenz im IMC-Bereich (Wachstation,
Unter Handlungskompetenz versteht man „die IMC-Bereich, Aufwachraum,
Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, Intensivstation)
sich in beruflichen, gesellschaftlichen und 3. Motivation und Lernbereitschaft
privaten Situationen sachgerecht durchdacht
sowie individuell und sozial verantwortlich zu Der Kurs beginnt am 1. Mai eines jeden Jahres.
verhalten“ (KMK 2011, S. 15).
Als Dimensionen der Handlungs-
kompetenz werden die Fachkompetenz, die 24.3 Beispiel: Weiterbildung
Selbstkompetenz und die Sozialkompetenz Intermediate Care (IMC) / UKSH
unterschieden. Akademie
Methodenkompetenz, kommunikative
Kompetenz und Lernkompetenz sind An der UKSH Akademie, der Bildungseinrichtung
wiederum Bestandteile von Fachkompetenz, des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, wird
Selbstkompetenz und Sozialkompetenz. die „Zertifizierte Weiterbildung Intermediate Care
(IMC)“ angeboten.
Die Weiterbildung erfolgt berufsbegleitend zu
Die theoretischen Inhalte mit insgesamt 290 h sind einer Tätigkeit auf der IMC-Station, im Aufwach-
auf 5 Basismodule verteilt: raum oder auf einer Intensivstation und dauert min-
1. Für sich selbst Verantwortung übernehmen destens 9 Monate. Sie umfasst 240 h theoretischen
2. Pflegesituation von Patienten mit beeinträch- Unterricht, davon 40 h in Form von selbstorgani-
tigter Atmung siertem Lernen (E-Learning), sowie ein 8-wöchiges
3. Pflegesituation von Patienten mit beeinträch- Praktikum auf einer Intensivstation. Die IMC-Wei-
tigter Herz-Kreislauf-Situation terbildung an der UKSH Akademie beginnt zweimal
4. Pflegesituation von Patienten mit beeinträch- jährlich im Wechsel am Campus Lübeck (Frühjahr)
tigter Wahrnehmung und am Campus Kiel (Herbst).
5. Pflegesituation von Patienten mit beeinträch- Der theoretische Unterricht erfolgt – wie im
tigter Stoffwechsel-Situation Heidelberger Beispiel – in modularisierter Form.
Die Module stellen thematisch in sich geschlossene
Der zeitliche Rahmen der Qualifikation umfasst 10 Einheiten dar und schließen jeweils mit einem Leis-
Monate. Eine Verlängerung auf maximal 1,5 Jahre ist tungsnachweis ab (Klausur, Lernaufgaben im E-Le-
möglich. Der theoretische Unterricht findet an Stu- arning, Fallbericht).
dientagen in der Akademie für Gesundheitsberufe in Der Unterricht gliedert sich in vier Module:
Heidelberg statt. Es besteht die Möglichkeit, Anteile 55 Grundmodul 1: Überwachung vital gefährdeter
der Qualifikationsinhalte auf die Weiterbildung für Patienten (56 h)
Anästhesie und Intensivpflege anzuerkennen. Die 55 Grundmodul 2: Atemförderung und Beatmung
Anerkennung obliegt der Weiterbildungsleitung. (40 h)
Die Qualifizierung regelt die theoretischen 55 Grundmodul 3: Akut- und Grenzsituationen
Anteile. Vorgaben für Praxiseinsätze werden (64 h)
nicht gemacht. Ein Zertifikat erhält, wer an den 55 Fachmodul IMC: Spezifische Aspekte des
Modulen erfolgreich teilgenommen hat sowie eine Handlungsfeldes IMC (80 h)
Abschlusspräsentation erstellt und vorgetragen hat.
Als Teilnahmevoraussetzungen sind definiert: Die drei Grundmodule sind analog aufgebaut zur
1. Eine abgeschlossene Ausbildung zum/r Fachweiterbildung Intensivpflege bzw. Anästhe-
Gesundheits- und Krankenpfleger/in oder siepflege und werden innerhalb eines Zeitrahmens
Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/in von insgesamt 5 Jahren in vollem Umfang darauf
oder Altenpfleger/in anerkannt.
310 Kapitel 24 · Bildungsangebote für die Qualifikation im IMC-Bereich

die erkrankte Lunge steht dabei im Vorder-


Exkurs zur Modularisierung grund, sondern der Betroffene mit seinem
Neben der inhaltlichen Zentrierung Unterstützungsbedarf.
auf Themenschwerpunkte bringt die 3. Das dritte Modul konzentriert sich auf
Modularisierung den formalen Vorteil Akut- und Grenzsituationen, es zielt ab auf
mit sich, dass einzelne „Bausteine“ auf kompetentes Handeln in Notfallsituationen
andere Bildungsmaßnahmen angerechnet und nutzt zugleich den handlungsentlasteten
werden können. Mit der Anrechnung von Spielraum im Unterricht für die Reflexion des
24 Modulen wird der Gedanke verfolgt, dass Handelns in einem Arbeitsfeld, das primär
Modularisierung eine Synergie von Bildungs- auf Lebenserhaltung ausrichtet ist, aber auch
maßnahmen ermöglicht. Schleswig-Holstein die Lebensbegrenzung erkennen muss. Hier
ist bislang das einzige Bundesland, in werden ethische Fragen ebenso behandelt wie
dem neben der Kombination der Module Ansätze von Palliative Care und Fragen
zur Fachweiterbildung Intensivpflege der beruflichen Belastung der Pflegenden
und Anästhesie, ein landesrechtlich selbst.
anerkannter Weiterbildungsabschluss für die 4. Im vierten Modul werden fallorientiert
Anästhesiepflege oder für die Intensivpflege Aspekte der IMC-Stationen behandelt, die
möglich ist. . Abb. 24.1 zeigt, wie die verschiedenen Disziplinen zugeordnet werden
IMC-Weiterbildung in dieses Modulsystem (z. B. Kardiochirurgie, Viszeralchirurgie,
integriert ist. Neurochirurgie, Stroke Unit usw.). Das Modul
enthält daneben disziplinübergreifende
Themen wie Ernährung, Schmerzmanagement,
Wahrnehmungsstörungen, Wundmanagement
Das Curriculum dieser Weiterbildung ist ausgerich- und Hygiene.
tet auf die Entwicklung beruflicher Handlungskom-
petenz, die ersten drei Module orientieren sich dabei z Nachweis der praktischen Weiterbildung
an Schlüsselproblemen des beruflichen Handlungs- im Rahmen der zertifizierten Weiterbildung
feldes, die gleichermaßen im IMC-Bereich wie auf Intermediate Care (IMC) an der UKSH
der Intensivstation oder in der Anästhesiepflege zum Akademie
Tragen kommen: Im Rahmen der berufsgleitenden Tätigkeit absol-
1. Das erste Grundmodul zielt ab auf den Kompe- vieren die Teilnehmenden ein Praktikum von
tenzerwerb der sicheren und zugleich angemes- mindestens 8 Wochen Gesamtdauer (308 h Net-
senen Überwachung von Patienten, die in ihren toarbeitszeit) auf einer Intensivstation. Für das
vitalen Funktionen bedroht sind. Neben dem Praktikum wird den Teilnehmenden ein Tätigkeits-
sicheren Umgang mit medizintechnischen katalog zur praktischen Weiterbildung an die Hand
Geräten geht es – als unerlässliche Ergänzung gegeben (7 Übersicht „Tätigkeitskatalog“). Ein ein-
der Gerätemedizin – um den „klinischen führender Hospitationstag mit Hospitationsaufga-
Blick“, den reflektierten, auf den Patientenfall ben bereitet die Teilnehmenden auf dieses Prakti-
zugeschnittenen Einsatz apparativer Überwa- kum vor.
chungsmaßnahmen und nicht zuletzt um
das Patientenerleben in einer Hightech-
Umgebung. Praxistipp
2. Das zweite Modul fokussiert auf die Atemför-
derung. Hier geht es darum, dass die Teilneh- Den kompletten Tätigkeitskatalog der UKSH
menden das grundlegende Wissen und Akademie sowie das Hospitationsprotokoll
die Kompetenz erwerben, Patienten mit können Sie als PDF-Datei bei Jutta.Busch@
Störungen der Atemfunktion zu unterstützen uksh.de anfordern.
bis hin zur nichtinvasiven Beatmung. Nicht
24.4 · Weitere Bildungsangebote
311 24

Grundmodul 1

Grundmodul 2

Grundmodul 3 Fachmodul IMC

Kemmodul

Fachmodul Intensivpflege I Fachmodul Anästhesiepflege I

Fachmodul Intensivpflege II Fachmodul Anästhesiepflege II

Fachmodul Intensivpflege III Fachmodul Anästhesiepflege III

. Abb. 24.1 Modularisierung

24.4 Weitere Bildungsangebote


Tätigkeitskatalog
1. Klinische und apparative Überwachung Neben den zertifizierten Weiterbildungen spielen
(. Tab. 24.2) Fortbildungsangebote für IMC eine wichtige Rolle.
2. Atemförderung/Beatmung Fortbildungen helfen, Unsicherheit abzubauen und
3. Notfallmanagement zu begründeten Entscheidungen zu kommen. Unsi-
4. Drainagen und Verbände cherheit stellt einen hohen Belastungsfaktor in einer
5. Künstliche Ernährung IMC-Einheit dar. Die Verunsicherung kann auf fachli-
6. Pflege und Überwachung bei speziellen cher, aber auch auf sozialer, methodischer oder perso-
Patientengruppen/spezifischen naler Kompetenzebene liegen. Über gezielte kompe-
Krankheitsbildern tenzorientierte Fortbildungsveranstaltungen können
7. Scores und Assessmentskalen Wissen und Handlungskompetenz gestärkt werden.
Kompetenzen können in vielfältiger Form
erworben und vertieft werden. Kompetenzerweite-
Der Tätigkeitskatalog dient als Orientierung für die rung kann im Selbststudium mittels Fachliteratur
Teilnehmenden, die Mentoren oder Praxisanleiter. und Fachzeitschriften geschaffen werden. Aktuell
Ziel ist es, dass möglichst alle angeführten Punkte werden Themen der IMC in den pflegebezogenen
nicht nur gesehen bzw. selbstständig oder unter Fachzeitschriften oder in den Fachzeitschriften für
Anleitung durchgeführt, sondern auch besprochen die Intensivpflege behandelt. Exemplarisch sind die
werden, wie als Beispiel der Abschnitt zur klinischen Zeitschriften „Intensiv“ (Thieme) oder „Pflegeinten-
und apparativen Überwachung zeigt (. Tab. 24.2). siv“ (Bibliomed) zu nennen.
312 Kapitel 24 · Bildungsangebote für die Qualifikation im IMC-Bereich

. Tab. 24.2 Klinische und apparative Überwachung

Thema Gesehen? Besprochen? (z. B. Normwerte/ Unterschrift


Fehlerquellen/Kurveninterpretation)

SpO2
Respiration/Impedanzmessung
Auskultation
24 Herzfrequenz/Herzrhythmus
NIBP
IBP
ZVD
Intravesikale/Intravasale
Temperaturmessung
Wärmemanagement
Urinausscheidung/Bilanz

Präsenzfortbildungen werden klinikintern und Flankiert werden diese klinikumsweiten Angebote


klinikübergreifend angeboten. Exemplarisch wird durch klinikinterne Fortbildungen, die am speziellen
in der 7 Übersicht das Angebot der Akademie für Bedarf einzelner Stationen ausgerichtet sind.
Gesundheitsberufe (AfG) Heidelberg vorgestellt.
Dort werden u. a. Themen wie Kommunikation und z IMC integriert in Ausbildung
Sprache, Selbstpflege und Recht als Fortbildungen und Fachweiterbildung
angeboten, die auch im IMC-Bereich notwendig sind. Zukünftig könnten Pflege und Überwachung von
vital gefährdeten Patienten, wie sie für IMC-Stati-
onen typisch sind, auch zunehmend ein Thema der
Fortbildungsangebot der Akademie für Pflegeausbildung werden. Vor dem Hintergrund,
Gesundheitsberufe (AfG) Heidelberg dass im stationären Setting immer mehr Risiko-
44 Unsachliche Angriffe erfolgreich abwehren patienten zu betreuen sind und IMC eine immer
44 Wundmanagement größere Bedeutung gewinnt, muss auch frühzeitig
44 Umgang mit Problemkeimen im der „Nachwuchs“ auf dieses Aufgabenfeld vorbe-
Krankenhaus reitet werden. So wird beispielweise an der UKSH
44 Mega-Code-Training Akademie derzeit ein Modellcurriculum für die
44 Basale Stimulation Pflegeausbildung entwickelt, in dem IMC einen der
44 Endotracheales Absaugen Schwerpunkte zum Ende der Ausbildungszeit bildet.
44 Umgang mit Aggression in der Die Schüler der Gesundheits- und Krankenpflege
Pflegebeziehung wählen zu Beginn des 3. Ausbildungsjahres unter
44 Umgang mit Sterben und Tod den Schwerpunktsetzungen:
44 Belastungssituationen meistern 55 Onkologische Pflege
44 Arbeitsplatzorganisation und 55 Geriatrische Pflege oder
Selbstmanagement 55 Intermediate Care
44 Sichere Arzneimittelverabreichung
44 Rechtsfragen im Pflegealltag Im Sinne der Theorie-Praxis-Verzahnung werden sie
44 Stress- und Zeitmanagement in diesem Jahr auch in entsprechenden Praxisgebie-
ten eingesetzt.
Literatur
313 24
Ein Schwerpunkt IMC kann der exemplari- Gesetz zur Umsetzung der Pflegeversicherung in Baden-
Württemberg (Landespflegegesetz – LPflG) vom
schen Vertiefung des Pflegewissens in der Ausbil-
11.09.1995. http://www.landesrecht-bw.de. Zugegriffen:
dung dienen und die Auszubildenden an die spezi- 31.05.2012
fischen Aufgaben und Problemstellungen einer aus- KMK (2011) Handreichung für die Erarbeitung von Rah-
gewählten Patientengruppe heranführen. Dadurch menlehrplänen der Kultusministerkonferenz für den
wird jedoch die berufsbegleitende Weiterbildung berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und
ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bun-
nicht überflüssig.
des für anerkannte Ausbildungsberufe. http://www.
Eine enge Anknüpfung der IMC-Qualifikation kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschlues-
an die Fachweiterbildungen in der Intensiv- und se/2011/2011_09_23_GEP-Handreichung.pdf. Zugegrif-
Anästhesiepflege erscheint zweckmäßig, aber die fen: 31.05.2012
Angebote für den IMC-Bereich müssen auch die Muijsers P (1999) Modularisierung des Pflegeunterrichts.
Ullstein Medical, Wiesbaden
ganz besondere Stellung und Funktion von IMC als
UKSH Akademie: Zusatzqualifikation Intermediate Care.
Zwischenstufe berücksichtigen, sodass eigens für http://www.uksh.de/Akademie_Zusatzqualifikation/
diese Zielgruppe konzipierte Bildungsangebote sinn- Intermediate±Care.html. Zugegriffen: 31.10.2015
voll und erforderlich sind. Universitätsklinikum Heidelberg: Qualifikation zur Pflegefach-
kraft im Intermediate Care Bereich: http://afg-heidelberg.
de/fileadmin/fortbildung/langzeit/2014/Infoflyer_
Literatur Qualifikation_zur_Pflegefachkraft_im_Intermediate_
Care_Bereich.pdf. Zugegriffen: 31.10.2015

DGF (2010) Intermediate Care. Ein Beitrag zur Qualitätssiche-


rung in der pflegerischen Versorgung im Krankenhaus.
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Fachkran-
kenpflege und Funktionsdienste e.V. Berlin
315

Serviceteil
Stichwortverzeichnis – 316

J. Busch, B. Trierweiler-Hauke (Hrsg.), Pflegewissen Intermediate Care, Fachwissen Pflege


DOI 10.1007/978-3-662-49511-7
316

Stichwortverzeichnis

A Auskultation 32
Autoimmunerkrankung 216
Bradypnoe 20
Broca-Aphasie 268
Abdomen, akutes 68 AV-Knoten 66 Bronchodilatator 246
Adjuvanzien 89 Azidose 43, 247 bundle strategy 143
Akren 192 –– metabolische 47
–– respiratorische 46
Aktivität, pulslose elektrische 65
Alarmgrenze 10 C
Algorithmen 52
Alkalose 48 B C-Griff 65
Cholinesterasehemmer 218
–– metabolische 48
Balint-Gruppe 176 chronic obstructive pulmonary disease
–– respiratorische 48
Barthel-Index 166 (COPD) 246
Allen-Test 134
Basale Stimulation 173 chronisch obstruktive
Alterungsprozess 107
Basismonitoring Lungenerkrankung 246
Anabolismus 45, 94
–– hämodynamisches 9 Ciclosporin (Sandimmun) 256
Anamnesegespräch 204
Beatmung CIM (Critical-Illness-Myopathie) 192
Aneurysma 228
–– nichtinvasive 248 CIP (Critical-Illness-
Angehörige 174, 204
BeobachtungsInstrument für das Polyneuropathie) 192
Angst 69
Schmerzassessment bei alten Clostridium difficile 122
Ängste 212
Menschen mit Demenz (BISAD) 80 Confusion Assessment Method for the
Antibiotikaresistenz 116
Berührung 173 Intensive Care Unit (CAM-ICU) 109
antimikrobielle Therapie 187
Besuchszeiten 204 continuous positive airway pressure
Antimykotika 256
Bettfahrrad 155 (CPAP) 41
Anurie 23
Beurteilung der Schmerzen bei CPAP 37
Aortenaneurysma 208
Demenz (BESD) 80 Curriculum 310
APACHE II 291
Bewegung 148
Aphasie 228
–– Phasen 150
–– amnestische 268
–– globale 268
Bewegungsaktivität 153
–– Aufbau 153
D
–– motorische 268 Darm
Bewegungssprache 157
–– sensorische 268 –– Barrierefunktion 240
Bewusstlosigkeit 267
Artefakte 22 Das eigene Leben spüren 71
Bewusstsein
Arteria cerebri anterior 228 Defibrillation 65
–– Störung, qualitative 267
Arzneimittelinkompatibilität 131 Defizit
–– Störung, quantitative 267
Arztanwesenheit 299 –– neurologisches 209
Bewusstseinseintrübung 267
Aspiration 220, 232 Dekubitus 201
Bewusstseinslage 8
Aspirationsgefahr 99 Delir 107
Bilanzstatus 23
Aspirationspneumonie 44 –– gemischtes 108
Biographiepflege 70
Assessment 78, 165 –– hyperaktives 108
biphasic positive airway pressure
assisted spontaneous breathing –– hypoaktives 108
(BIPAP) 42
(ASB) 40 Delir-Screening 109
Blickkontakt 173
Asystolie 11, 65 Dialysekatheter 135
Blutdrucküberwachung
Aszitespunktion 257 DIC (disseminierte intravasale
–– invasive 13
Atelektasen 40 Gerinnung) 192
–– invasive, Fehlerquellen 15
Atemnot 198 Diskonnektion 128
–– nichtinvasive 12
Atemspende 64 Diuretika 201
Blutentnahme 15
Atemtrainer 35, 247 Dokumentation 163–164
Blutung
–– SMI-Trainer 35 Domino-Transplantation 255
–– intrazerebrale 280
Atemwegssicherung 65 Doppelbilder 218
Body Shape Index 94
Atemwegswiderstand 247 Drainagen 140
Body-Mass-Index 94
Aufmerksamkeit 104–105 Drainagenbeutel 139
Bolusapplikation 101
Aufnahmekriterien 291 DRG 165
Bradykardie
Augenpflege 125 Dysarthrie 228
–– mit tastbarem Puls 66
Stichwortverzeichnis
317 A– K

Dysphagie 219, 228 Gerinnung, disseminierte intravasale –– nosokomiale 116


–– neurogene 219 (DIC) 192 Infektionsschutzgesetz 116
Dyspnoe 198, 247 Gesprächsanlass 170 Influenza 123
–– akute 198 Gesprächsführung 171 Informationsverlust 162, 298
–– klientenzentrierte 171 information overload 164
Glasgow-Koma-Skala 267 Infusionslösung 128
E Globalinsuffizienz 38 Inhalationstherapie 35
Initialberührung 111
Ebbphase 95 In-line-Filter 131
Echokardiographie 19
Effizienzsteigerung 288
H innerklinischer Transport 160–161
Insulinmangel 242
Einarbeitungskonzept 300 Halluzinationen 109 Integrationsmodell 298
Eklampsie 278 Händehygiene 121 Intensive Care Delirium Screening
Energiebedarf 96 –– eigenverantwortliche Methode 121 Checklist (ICDSC) 109
Entlassungsmanagement 160, 165 Handlungskompetenz 306 Intensivtransport 161
Erfahrungslernen 157 Haut interdisziplinäres Team 233
Ernährung –– blasse 23 Intermediate Care
–– parenterale 101 –– talgdrüsenarme 130 –– Aufgabenspektrum 290
Ernährung enterale 98 –– talgdrüsenreiche 130 –– Definition 289
Esshilfe 222 Hautfeuchtigkeit 23 intrakranieller Druck (ICP) 265
Exarzerbation 246 Hautturgor 23
Exazerbation 28 HELLP-Syndrom 278
Expertenstandard
Schmerzmanagement 77
Hepatitis
–– B 124
J
Exsudatmanagement 210 –– C 124 Juckreiz 260
externe Ventrikeldrainage (EVD) 272 Hepatorenales Syndrom (HRS) 258
EzPAP 37 Herzbettlagerung 198
Herzinsuffizienz 196
–– akute 196
K
F –– chronische 196
–– dekompensierte 196
Kalibration 14
Kammerflimmern 11
Fachkompetenz 309 –– kompensierte 196 Kapillarleck 191
Fallberatung, kollegiale 175 high urgency (HU) 254 Kapillarwandschädigung 281
Fallbesprechung, klinisch- High-Flow-Sauerstoff-Insufflation 36 Kardiovertierer-Defibrillator (ICD) 197
ethische 177 Hirnödem 229 Katabolismus 45, 94
Fallpauschalen 165 Hydrozephalus 264 Katheter
Feedback 302 Hygiene –– arterieller 133
Fehlbelegung 289 –– Kategorien 119 –– Doppel-Lumen 135
Fettinfusion 131 –– Ringe 121 –– Triple-Lumen 135
Finger-Nase-Versuch 273 –– Uhren 121 Ketoazidose 67
Fläche, patientennahe 143 –– Unterarmschmuck 121 kinästhetisches Cool-down 156
Flächenhygiene 119 Hygienebeauftragter 117 kinästhetisches Funktionstraining 152
Flowphase 95 Hyperglykämie 67 kinästhetisches Warm-up 151
Fokussanierung 187 Hyperkapnie 26 Kindliche Unbehagens- und
Fokussuche 190 Hyperthermie 23 Schmerzskala (KUSS) 80
Fortbildung 311 Hyperventilation 20 Knautschball 155
Fremdbeobachtungsskala 78 Hypoglykämie 67 Koanalgetika 89
Frühmobilisation 148 Hypokapnie 26 Kohärenzgefühl 301
Frührehabilitation 166 Hypoventilation 20 Kommunikation 170
Frustration 224 –– nonverbale 172
–– verbale 172

G I Kommunikationskompetenz 309
Kompressionssyndrom 279
Igelball 155 Kontrakturen 232
Gallengangsleckage 239 Ikterus 23 Kostaufbau 99
Gazeverband 133 Immobilität 107, 248 Krampfanfall 229
Gedächtnis 105 Impedanzmessung 29 Krise, hypertensive 61
Gefäßwiderstand 55 Infektion
318 Stichwortverzeichnis

L MRE 120
MRSA 120
–– Operationstechniken 237
Pankreatektomie 242
Lähmung 272 MRSA-Träger 125 –– totale 242
Lähmungserscheinung 218 mukoziliäre Clearance 37 Parallelmodell 298
Leber 252 Mundpflege 126 Paraparese 208
–– Abstoßungsreaktion 255 Mundschleimhaut 201 Paraplegie 208, 212
–– Entgiftungsfunktion 253 Mundschutz-Nasen-Schutz 123 Patient-Controlled-Analgesia (PCA) 86
–– Stoffwechselfunktion 252 Muskelatrophie 149 Patientenautonomie 249
Leberlebendspende 254 Myasthenia gravis 216 Patientenklingel 223
Lebertransplantation 254 Mydriasis 269 Patientensicherheit 161
–– orthotope 254 Patientenverfügung 249
PEG-Anlage 223
Lernkompetenz 309
Link Nurse 117 N PEP-System 35, 247
Periduralkatheter (PDK) 88
Lippenbremse 247
Nahtinsuffizienz 209 perkutane endoskopische
Liquor 212
Nasenpflege 125 Gastrostomie (PEG) 99
Liquorabflussstörung 264
Nass-Trocken-Phase 140 Personalausstattung 116
Liquorableitung 265
Nebenwirkungen Persönliche Schutzausrüstung
Liquordrainage 212
–– schmerzmittelbedingte 90 (PSA) 123
Liquormanagementsystem 212
–– wahrnehmungsstörende 105 Pflegefachsprache 157
Liquorproduktion 264
Neglect 111 Placeboeffekt 89
Liquorraum 264
NEMS 294 Pneumothorax 130, 210
Lokalanästhetika 89
nichtinvasive ventilatorische Polyurie 23
Lungenembolie 62
Atemtherapie (NIV) 37 positive endexpiratory pressure
Lungenemphysem 28, 246
Nichtopioide 84 (PEEP) 39
Lungenödem 61, 198
Niedervakuumsystem, mobiles 211 Präeklampsie 278
Lymphknotenentfernung
Nierenfistel 137 Primäres Leberzellkarzinom
–– axilläre 13
Nierenversagen 208 (HCC) 253
Nimwegener Methode 177 Probenentnahme 135

M NIV-Maske 38
Noro-Virus 123
Pruritus 260
pulse contour cardiac output
Magensonde 240 Notfall, hypertensiver 61 (PiCCO) 18
Malnutrition 94 Notfallequipment 162 Pulsoxymetrie 21, 30, 230
Mangelernährung 94, 248 Nozizeption 76 Pupillenstörung 269
Maßnahmenbündel 143 Nozizeptoren 76
Medikamentenspiegel 256 Nullabgleich 14
Mehrdosenbehältnis 132 Q
MELD Score 253
Meningokokken 123 O QRS-Komplex 10
Qualifikation 299
metabolisches Monitoring 95
Oberkörperhochlagerung 34, 98 Qualifizierung 306
Metabolismus 45
Obstipation 90 Qualitätsentwicklung 288
Methodenkompetenz 309
Obstipationsprophylaxe 210
MEWS 294
Oligurie 23
Mikrolagerung 148
Mikromobilisation 148
Opioide 84
–– körperliche Abhängigkeit 84
R
Mimik 172
–– pharmakologische Toleranz 84 Rasselgeräusch 33
Minderperfusion, spinale 209
–– Sucht 84 Reanimation 63
Miosis 269
Orientierung 112, 149 Rechtsherzinsuffizienz 61
Mobilisation 148
Osmolarität 101, 128 Refeeding-Syndrom 97, 248
–– rehabilitierende 148
Rehabilitation 228
Mobilisationsbehinderung 151
Reservoirbeutel 65
Mobilisationsförderung 151
Mobilisationsstufen 152 P Residualkapazität, funktionelle 37
Residualvolumen, gastrales 98
Mobilitätsförderung 34 Palpation 9 Rezeptoren 104
Modularisierung 310 Pankreasresektion Risikomanagement 118
Module 306 –– postoperative Überwachung 238 Risikopatienten 288
Monitoring, metabolisches 95 Pankreastumor 236 Rotation 298
Stichwortverzeichnis
319 L– Z

Rötung 23
Rückenmarkdefizit 208
–– hämodynamische 187
Staphylococcus aureus 143 V
Staunässe 122 Vasodilatation 190
Stellenschlüssel 298
S Step-Down-Modus 290
Step-Up-Modus 290
Vasodilatatoren 200
Venenkatheter
–– zentraler 130
Sanierungsphase 125 Stomapflege 142 –– zentraler, Komplikationen 130
Sauerstoffinsufflation 36, 247 Stroke Unit 229 Venenperforation 131
Sauerstofftherapie 246 Subarachnoidalraum 264 Ventilationsstörung 27
Säure-Basen-Haushalt 49 Symptomlinderung 70 Ventrikuläre Tachykardie (VT) 11
Schlaganfall 228
Verdampfung 35
Schluckdiagnostik 221
Schlucklähmung 220
Schluckreflex 222
T Verdauungsenzyme 236
Verlegung 160, 213
Verlegungsangst 160
Schmerz 76 Tachykardie
Verlegungsbericht 165
–– akuter 76 –– mit tastbarem Puls 66
Verneblung 35
–– Chronifizierung 77 Tachypnoe 20
Verweildauer 160
–– neuropathischer 77 Tacrolimus (Prograf ) 256
Verwirrtheit 109
–– somatischer 77 Tarragona-Strategie 187
Vorhofflimmern 228
–– viszeraler 77 Teamintegration 302
VRE 120
–– WHO-Stufenschema 83 Technische Regeln für Biologische
Schmerzerfassung 78 Arbeitsstoffe (TRBA) 117
Schmerzgedächtnisaktivierung 76
Schmerzstärke 78
Thera-Band 155
Therapie W
Schock 55, 197 –– immunsuppressive 217 Wasserhygiene 121
–– anaphylaktischer 57 Thermometer-Skala 79 Weiterbildung 306
–– hypovolämer 56 Thoraxdrainage 210 Wernicke-Aphasie 268
–– kardialer 56 Thoraxkompression 64 WHO-Stufenschema 83
–– kardiogener 197 Thromboembolie 228 Wunde 139
–– neurogener 57 Thrombolyse 229 –– aseptische 139
–– septischer 57 Thromboseprophylaxe 280 –– infizierte 139
Schutzkleidung 123 Tiger-Tube 99 –– kolonisierte 139
Schwangerschaftserkrankung, TISS-28 294 –– kontaminierte 139
hypertone 278 Todesangst 198 –– kritisch kolonisierte 139
Scoring-System 291 Totraum 37 Wundinfektion 138
sekretlösende Maßnahmen 220 Transdermale Therapeutische Systeme –– Risikofaktoren 138
Selbstbeobachtungsskala 78 (TTS) 86 Wundinfiltration, lokale 89
Selbsthilfegruppen 243 Transducer Wundpflege 138
Selbstkompetenz 309 –– Kalibration 14 Wundreinigung 139
Selbstkontrolle 149 Transferklassen 153
Selbstorganisation 302 transistorisch ischämische Attacke
Sepsis 58
Shaldon-Katheter 130
(TIA) 228
Transparentverband 133
Z
Shunt Transplantation 254 zentraler Venendruck (ZVD) 16
–– ventrikuloatrialer 266 –– Warteliste 254 Zentralmonitoring 299
–– ventrikuloperitonealer 266 Trigger 41 zerebraler Perfusionsdruck (CPP) 265
SIRS 58, 185 Trilumensonde 99 Zielspiegel 256
Sofortmobilisation 148 Trinkhilfe 222 Zottenatrophie 98
Sozialkompetenz 309 Zurich Observation Pain Assessment
Spannungspneumothorax 210 (ZOPA) 80
Speichelproduktion 223
Spinalischämie 209
U Zyanose 23

Splitleber 255 Übergabe 160, 162


Sprühdesinfektion 121 –– mündliche 160
Spüldrainage 239 Übergabe am Patientenbett 164
Spülkatheter 136 Umgebungshygiene 119
Stabilisierung Ureterfistel 137

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