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GEISTESWISSENSCHAFTEN
Sitzung
am 16. März 1955
in Düsseldorf
ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
HEFT 43
ABHANDLUNG
Theodor Schieder
Die Probleme des Rapallo -Vertrags
Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen 1922-1926
I
Karl Radek, einer der Wegbereiter deutsch-russischer Beziehungen nach
dem ersten Weltkrieg, schrieb gegen Ende des Jahres 1919 in einem Artikel
über die auswärtige Politik des deutschen Kommunismus 1 folgende Sätze,
in denen die ganze Problematik r,evolutionärer Außenpolitik in nuce enthal-
ten ist: "Es ist das Kennzeichen aller konterrevolutionären, nationalistischen
Politik, daß sie von dem sogenannten Primat der auswärtigen Politik aus-
geht, d. h. von der durch Ranke formulierten Auffassung, die Aufgaben
der auswärtigen Politik müßten die der inneren bestimmen. Das Konter-
revolutionäre dieser Lehre besteht darin, daß, weil die Klasseninteressen
in der auswärtigen Politik viel schwieriger aufzuweisen sind als in der
inneren, weil dem Volke viel leichter einzureden ist, daß dem Auslande
gegenüber alle Klassen der Gesellschaft gemeinsame Interessen haben, aus
dieser ang,eblichen Gemeinsamkeit der auswärtigen Interessen dann die ge-
meinsamen inneren Aufgaben leichter abgeleitet, d. h. hervorgeschwindelt
werden können. Es war eine der Lebensleistungen von Marx und besonders
Engels, daß er zeigte, wie sich umgekehrt das Verhältnis zum Auslande aus
den inneren Klassenverhältnissen einer Nation ergibt, wie die Außenauf-
gaben aus den inneren heranwachsen, um sie natürlich ihrerseits zu beein-
flussen. Wenn man also irgendein Primat aufzustellen hat, dann besteht
für uns Marxisten ein Primat der inneren Verhältnisse."
Was wird hier unter "inneren Verhältnissen" verstanden? Offenbar etwas
wesentlich anderes als im 19. Jahrhundert: Radek faßt darin den in seine
revolutionäre Phase eingetretenen proletarischen Klassenkampf zusammen;
ihm bleibt in scheinbar dogmatischer Strenge alles außenpolitische Handeln
untergeordnet, Außenpolitik ist immer zuerst Klassenkampf, und sie ist es
1 Die auswärtige Politik des deutschen Kommunismus und der Hamburger nationale
Bolschewismus. In: Die Entwicklung der deutschen Revolution und die Aufgaben der
Kommullistismen Partei, Hamburg 1920 2, S. 83 H.
6 Theodor Schieder
vor allem auch auf bürgerlicher Seite 2. Damit schien sie auf geradlinige
ideologische Bahnen festgelegt, von denen keine Abweichung gestattet war,
aber in Wirklichkeit stellte der stockende Verlauf der weltrevolutionären
Bewegung die AußenpoLitik des Sowjetstaats vor ganz unerwartete Lagen,
die dazu zwangen, das eindeutige ideologische Konzept umzuschreiben.
Dies begann schon mit dem Augenblick, in dem die russischen Revo-
lutionäre einsehen mußten, daß dem ersten - russischen - Akt der Welt-
revolution nicht unmittelbar die nächsten in den anderen Ländern folgen
würden. Die Vorstellung einer alle nationalen und staatlichen Grenzen
überflutenden weltrevolutionären Erhebung stand im Winter 1917/18 noch
im Vordergrund; sie führte zu einer revolutionären Strategie und Propa-
ganda ohne Außenpolitik, d. h. ohne Politik zwischen Staaten und Mäch-
ten. Trotzki, der erste Leiter des Außenkommissariats, konnte damals die
Erwartung aussprechen, daß sich seine Tätigkeit auf den Erlaß einiger revo-
lutionärer Proklamationen beschränken werde und man dann "die Bude
schließen könne" 3. Die große Entscheidung über die Annahme des Brest-
Litowsker Friedens, wie sie Lenin durchsetzte, enthielt dann im Keim schon
den übergang zu einer neuen revolutionären Taktik; sie gab den revolutio-
nären Internationalismus im dogmatischen Sinne preis .und führte den
Kampf um die Weltrevolution aufzweiEbenen weiter: auf der gesellschafts-
politischen des Klassenkampfes und auf der machtpolitischen der Staaten-
politik, in deren Mitte das sozialistische Vaterland stand, dessen Vertei-
digung und Erhaltung überhaupt erst den künftigen Sieg des Proletariats
und des Kommunismus ermöglichte. Beide Ebenen können sich überschnei-
den: die Gesellschaftspolitik, d. h. das Zusammenspiel mit der Arbeiter-
klasse in anderen Ländern kann als Druckmittel für die staatliche Außen-
politik eingesetzt werden und die Außenpolitik der Sowjetmacht kann
durch ihre Entscheidungen die politische Richtung und Lage des Proletariats
in den kapitalistischen Ländern zu steuern versuchen. Außenpolitik, von
Trotzki in den Anfängen der bolschewistischen Revolution noch gering-
2 So wird der "nationale Bolschewismus" der Hamburger Gruppe um Lauf/enberg und
Wolf/heim als im Widerspruch mit den Interessen des deutschen Proletariats stehend ent-
larvt: "Während das Proletariat gewillt ist, die deutsche Bourgeoisie und die Junker voll-
kommen zu expropriieren, will ihnen die Entente nur einen Teil ihres Eigentums weg-
nehmen und sie als Hunde des kapitalistischen Ausbeutungsprozesses in Deutschland be-
halten. " Die deutsche Bourgeoisie würde zweifelsohne sogar eine offene Okkupation
Deutschlands durch ,die Entente einer Rätediktatur vorziehen. Daraus ergibt sich, daß die
Arbeiterklasse Deutschlands unter keinen Umständen auf die Hilfe der deutschen Bour-
geoisie in ihrem Kampfe gegen das Ententekapital rechnen kann." (a. a. 0., S. 97 f.)
3 Trotzki, Mein Leben, Berlin 1930, S. 327.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 7
fallen lassen, gleich ob dies dadurch geschah, daß die Ententemächte in einem
Bürgerkrieg von der deutschen Bourgeoisie zu Hilfe gerufen wurden und
das Reich als Ganzes militärisch besetzten, oder daß sich Deutschland von
sich aus politisch und wirtschaftlich dem Westen auslieferte. In der Abwehr
solcher Möglichkeiten mußten die Sowjets in Deutschland nicht nur die
revolutionäre Karte, sondern ebenso die nationale ausspielen.
Das Bündnis zwischen der kommunistischen Sowjetmacht und dem deut-
schen nationalen Revisionismus, dessen geschicktester und eifrigster Anwalt
Kar! Radek gewesen ist, entsprach daher vorübergehend durchaus den poli-
tischen Intentionen auch Lenins, der im November 1920 in einer bedeut-
samen Rede den nationalen, gegen Versailles gerichteten Stimmungen sehr
entgegenkam und dabei Worte fand, die als ein Bündnisangebot aufgefaßt
werden mußten: "Deutschland ist besiegt, vom Versailler Vertrag erdrückt,
verfügt aber über ungeheure wirtschaftliche Möglichkeiten. Deutschland ist,
seiner wirtschaftlichen Entwicklung nach, das zweite Land der Welt, wenn
man Amerika für das erste hält ... Und einem solchen Lande hat man den
Versailler Frieden aufgezwungen, der ihm die Existenz unmöglich macht.
Deutschland ist eines der stärksten und fortgeschrittensten kapitalistischen
Länder; es kann den Versailler Vertrag nicht ertragen und muß Verbündete
gegen den Weltimperialismus suchen, obwohl es selbst ein imperialistisches
- wenn auch besiegtes - Land ist 7."
Aber ließ die innere und äußere Lage Deutschlands es wirklich zu, auf
diesen unüberhörbaren Appell zu reagieren? Von einer wirklichen Hand-
lungsfreiheit der Reichspolitik kann angesichts des Zusammenhangs wirt-
schaftlicher und militärischer Sanktionspolitik, der Teilbesetzung, Entwaff-
nung und territorialen Beschneidung des Reiches nicht gesprochen werden.
Freilich schienen selbst in dieser Bedrängnis Ansatzpunkte für ein selb-
ständiges außenpolitisches Handeln nicht zu fehlen. Es sind vor allem zwei,
die zwei entgegengesetzte Möglichkeiten einer West- und Ostorientierung
verkörpern: Englands Widerstand gegen eine uneingeschränkte Kontinen-
talvorherrschaft Frankreichs und die vorerst undurchsichtige Haltung des
revolutionären Rußlands im Hintergrund der europäischen Politik, der
Macht, die von Anfang an außer halb des Systems von Versailles gestan-
den und bei seiner Entstehung nicht mitgewirkt hatte.
Die Alternative, die mit diesen beiden Möglichkeiten gegeben war, zeigte
noch die Grundstellung des Kaiser-Reiches seit seiner Begründung, nur er-
schien sie jetzt unter ganz neuen Aspekten: der durch Flottenbau und
7 Lenin am 26. November 1920. Sämtliche Werke XXV, S. 636.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 9
10 Zur Haltung der Sozialdemokratie vgl. die Schrift von Erich Matthias, Die Deutsche
Sozialdemokratie und der Osten 1914-1945. (Arbeitsgemeinschaft für Osteuropafor-
schung, Forschungsberichte und Untersuchungen zur Zeitgeschichte) Tübingen 1954, die
allel'1dings zu sehr von den vordergründigen Erklärungen der sozialdemokratischen Partei-
führer und zu wenig von den wirklichen außenpolitischen Entscheidungen und dem sozial-
demokratischen Anteil daran ausgeht.
11 Karl Dietrich Erdmann spricht in seinem Aufsatz "Das Problem der Ost- oder West-
orientierung in der Locarno-Politik Stresemanns" (Geschichte in Wissenschaft und Unter-
richt, 6, 1955, S. 133 ff.) sehr treffend" von den Interessen der inneren und äußeren Staats-
räson", die in entgegengesetzte Richtungen weisen können.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 11
kreise - unter ihnen Stinnes - nicht voll ausgeschöpft worden 12. Die Pro-
klamation eines von Rußland losgelösten polnischen Staates vom Oktober
1916 setzte ihnen ein Ende, ohne daß an ihre Stelle ein klares Programm,
die östliche Front auch politisch zu entlasten, getreten wäre. Der schließ-
lich im März 1918 geschlossene Brest-Litowsker Friede, der die neuen bol-
schewistischen Machthaber zu Partnern hatte, schien den Vorteil eines rus-
sischen Sonderfriedens mit der "Randstaatenpolitik" .cl. h. der Zurückdrän-
gung der russischen Macht aus Ostmitteleuropa verbinden zu können, aber
er war im Prinzip gegenüber den russischen Revolutionären eine unklare
Verbindung von Intervention und Kollaboration und hat im Endergebnis
den Sowjets die von Lenin erstrebte "Atempause" gewährt und den Bol-
schewismus gerettet. Die Ansätze einer Politik des militanten Antibolsche-
wismus im Sommer 1918, wie sie sich an die Namen der ersten deutschen
Vertreter in Moskau, des Grafen Mirbach und Karl Helfferichs, knüpften 13,
hätten Deutschland im Augenblick wachsender Bedrängnis im Westen eben-
so in uferlose militärische und politische Unternehmungen verwickelt wie
das bolschewistische Angebot einer gewissen militärischen Kooperation
gegen die alliierten Interventionsheere in Rußland, das Tschitscherin im
Auftrage Lenins Helfferich am 1. August 1918 überbrachte 14. Lassen die
Zusatzverträge zum Brester Frieden vom 27. August 1918 noch den Ver-
such erkennen, wenigstens die wirtschaftlichen Verbindungen mit den
Sowjets zu intensivieren 15, so drängen die Ereignisse an der Westfront die
deutsche Politik im ganzen immer mehr auf die Linie, den erstrebten Kon-
takt mit den Westmächten über einen Waffenstillstand nicht durch poli-
tische Transaktionen im Osten zu gefährden. So kam es zur Ausweisung
des russischen Botschafters aus Berlin am Vorabend der inneren Umwäl-
zung im Reiche, die Lenin vielleicht nicht ganz mit Unrecht als einen An-
näherungsversuch an die Westmächte gedeutet hat: "Wenn Deutschland
unseren Botschafter aus Deutschland vertrieben hat, so hat es so gehandelt,
wenn nicht in direktem Einvernehmen mit der englisch-französischen Politik,
12 Zu diesem Problem vgl. die Arbeiten von Rudolf Stadelmann, Friedensversuche im er-
sten Jahr des Weltkrieges, H. Z. 156, 1937, und Erwin Hölzle, Deutschland und Rußland,
in: Der Osten im Ersten Weltkrieg (Lpg. 1944), S. 13 H.
13 Dazu Kurt 'V. Raslmer, Zwischen Brest-Litowsk und Compiegne, die deutsche Ost-
politik vom Sommer 1918 (Baltische Lande IV, 1939).
14 Edward Hallet Carr, The Bolshevic Revolution 1917-1923, London 1953, III, 83 f.
über die Sache selbst hat Karl Helfferich, Der Weltkrieg (Berlin 1922, 11, S. 466 f.) be-
richtet.
15 Dazu neuerdings die Dokumentation von W. Gatzke, Zu den deutsch-russischen Be-
ziehungen im Sommer 1918. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3, 1955, S. 67 H.
12 Theodor Sdlieder
dann aus dem Wunsche heraus, den Engländern und Franzosen gefällig
zu sein, damit sie Deutschland gegenüber Großmut üben. Wir, sagten sie,
erfüllen auch die Pflichten eines Henkers gegenüber euren Feinden, den
Bolschewiki 16. «
Es gehört zu den Paradoxien der Geschichte, daß das Reich in der Tat im
Augenblick seiner Niederlage von seinen westlichen Gegnern mittelbar
gegen das bolschewistische Rußland eingesetzt wurde; so verpflichtete es das
Waffenstillstandsabkommen, die deutschen Truppen aus den vor dem
Kriege zu Rußland gehörigen Gebieten zurückzuziehen, »sobald die Alli-
ierten, unter Berücksichtigung der inneren Lage dieser Gebiete, den Augen-
blick für gekommen erachten 17". Praktisch ergab sich daraus die militärische
Abschirmung des Baltikums durch deutsche Verbände. Der gleichzeitig von
den Alliierten geforderte Verzicht auf .den Brester Frieden konnte damit
keineswegs als ein westliches Entgegenkommen an das revolutionäre russische
Regime aufgefaßt werden, sondern sicherte den Westmächten nur Hand-
lungsfreiheit für ihre politischen Ziele innerhalb der Randstaatenzone.
Nur für einen kurzen Moment erschien das deutsche Einschwenken in die
alliierte Interventionsfront gegen das bolschewistische Rußland als politische
Möglichkeit; sie vermochte sich aber gegenüber den großen allgemeinen
Gegensätzen der Siegermächte zu den Besiegten nicht durchzusetzen. Schon
im Herbst 1919 tat die Reichsregierung die ersten Schritte, um ihre Ruß-
landpolitik unabhängiger vom Westen zu gestalten: am 31. Oktober be-
antwortete sie eine Note der Entente, deren Forderungen auf eine Teil-
nahme an der Blockade gegen den Sowjetstaat hinausliefen, ablehnend, und
im Juli 1920, als im russisch-polnischen Krieg die Rote Armee mit ihren
vorgeschobenen Spitzen die alte Reichsgrenze von 1914 in Westpreußen
erreicht hatte, wahrte sie strikte Neutralität.
Hinter diesen wie ein Film mit raschem Szenenwechsel abrollenden Er-
eignissen spielte sich meist im geheimnisvollen Zwielicht halboffizieller oder
Lenin, S. W. XXIII, S. 343.
16
Fritz Klein, Die diplomatisdlen Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion, Berlin
11
1952, S. 67 berichtet von einer .Äußerung des sowjetisdlen Historikers Stein, der seiner-
seits einer Behauptung Kautsk'ys auf dem Luzerner Kongreß der H. Internationale folgte,
es habe eine Geheimklausel des Waffenstillstandsvertrages existiert, in der Deutschland
sidl verpflichtete, im Osten gegen Sowjetrußland zu kämpfen bis zur Ankunft der Entente.
Klein räumt ein, daß die Existenz dieser Geheimbestimmung nidlt exakt nachgewiesen
werden kann, hält sie aber im Hinblick ,auf die auf den November 1918 folgenden Ereig-
nisse für äußerst wahrscheinlich. "Was in den folgenden Monaten tatsädllich gesdlah, ist
nidlt nur vereinbar mit einer soldlen Bestimmung, sondern ersdleint als ihre notwendige
Folge." Wenn dies audl sidler über das Ziel hinausgesdlossen ist, so bleibt dodl abzuwarten,
ob die Quellen etwas Neues über diese Frage ergeben werden.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 13
18 Aufschlußreich dafür sind die Debatten im Reichstag über die Aufnahme diplomati-
scher Beziehungen mit Sowjetrußland vom 28. Juli 1920 und vom 21.-24. Januar 1921.
19 Helbig, Moskauer Mission, S. 295 nennt als Anhänger einer Politik, die auf eine
Wiederaufnahme der Beziehungen mit der Sowjetunion zielte, Gustav Bauer, Otto Braun,
Hermann Müller, Philipp Scheidemann und Otto Wels. Erich Matthias, Sozialdemokratie
und Osten, a. a. O. S. 56 ff. betont, daß die offizielle SPD nichts gefordert habe, "was
über die Herstellung normaler Beziehungen zu Sowjetrußland hinausgeht, keine gegen die
Entente gerichtete spezielle politische lind wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Unter-
stützung der deutschen Revisionsbestrebungen und erst recht kein Bündnis." Die sozial-
demokratische Außenpolitik der Jahre 1919-1923 sei weder westlich noch östlich orien-
tiert gewesen. "Sie läßt sich als pazifistische Defensivpolitik nach beiden Seiten hin charak-
terisieren" .
14 Theodor Schieder
Machth3lbern offener Ausdruck geben sollte als Friedrich Ebert in den Tagen
und Wochen nach dem Abschluß des Rapallo-Vertrags.
Die Reichstagsdebatten geben von diesem Zwiespalt innerhalb der deut-
schen Parteien nur ein sehr undeutliches Bild; die Fürsprecher einer Auf-
nahme politischer und wirtschaftlicher Beziehungen traten sehr vorsichtig
auf. Selbst auf der Höhe der militärischen Erfolge der Roten Armee gegen
Polen, im Juli 1920, als der Außenminister Simons sehr entgegenkommende
Worte für den Sowjetstaat fand und die Gefahr bestritt, daß es im Interesse
der Sowjetrepublik liege, Deutschland mit mordenden und brennenden
Hor,den zu überziehen 20, war das Echo im Reichstag nur gedämpft. Bei
aller spürbaren Wirkung der bolschewistischen Siege über Polen herrschte
doch das Gefühl für die unheimliche Doppelpoligkeit der sowjetischen
Politik und darum die Befürchtung vor, daß auch die Niederwerfung
Polens von den Sowjets nur "als Etappe auf dem Wege zurWeltrevolution"
betrachtet werden könne 21. Es trifft ,daher nur teilweise zu, daß die deut-
sche öffentlichkeit die russischen Siege mit freudiger Erregung begrüßt 22
und ein deutsch-russisches Bündnis unmittelbar vor der Tür gestanden habe.
Man kann viel eher gerade in diesem Augenblick von einer weitverbreiteten
Kopflosigkeit sprechen angesichts des Näherrückens einer Macht, die zwar
die Versailler Ostgrenzen Deutschlands aufzurollen imstande schien, aber
sich doch andererseits an keine Spielregeln der bisherigen Politik hielt und
den revolutionären Kräften in Deutschland selbst Auftrieb zu geben drohte.
Man muß sich überhaupt von der Vorstellung lösen, ,daß die Annäherung
an Sowjetrußland im Nachkriegsdeutschland zwischen 1920 und 1922 von
einer breiten und starken Bewegung in der öffentlichkeit getragen wurde.
Sie war vielmehr das Werk kleinerer, wenn auch einflußreicher Kreise,
schon deshalb, weil die geistigen Voraussetzungen einer solchen Politik
schwierig genug waren und nur von wenigen ganz verstanden wurden. Es
Steno Ber. d. Verhdlg. d. Reichstgs. Bd. 344, S. 264.
20
So der Deutschnationale Abgeordnete Prof. Hoetzsch am 27. Juli 1920, der vorher
21
als bolschewistische Kriegsziele zwei Punkte genannt hatte: 1. "Zurückdrängung Polens
auf seine ethnographische Basis" und 2. "die Gewinnung einer direkten Grenze mit
Deutschland". (Stenogr. Ber. d. Verhandlg. d. Reichstags Bd. 344, S. 301). Das Wort von
der Zurückdrängung Polens auf seine ethnographische Basis wird uns in den nächsten
Jahren immer wieder begegnen.
22 Carr, The Bolshevic Revolution III, 326, schreibt: "A wave of popular enthusiasm
for Soviet Russia swept over Germany". Dies ist eine übertreibung, die in keiner Weise
belegt werden kann. Fr. Stampfer, Die ersten vierzehn Jahre der deutschen Republik
(Offenburg 1947) schränkt die Wirkung auf "weite Arbeiterkreise" ein, in denen sich die
Sympathie für das "Vaterland der Arbeiter" mit einer außerordentlichen Bewunderung
für die Tüchtigkeit und Stärke der russischen Armee vereinigt habe.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 15
war in erster Linie der Gedanke von der "permanenten Identität" des Staa-
tes und seiner ökonomischen und politischen Interessen, trotz aller inneren
Umwälzungen, der hierbei im Mittelpunkt stand, ein Gedanke, den die
deutsche historische Schule früher am Beispiel der französischen Revolution
aufgewiesen hatte und der dann von Bismarck in seiner Auseinandersetzung
mit Leopold von Gerlach weiterentwickelt wurde.
II
Ganz zweifellos haben wirtschaftliche Interessen zuerst auf eine Zu-
sammenarbeit mit dem neuen Rußland hingewiesen. Das galt schon für das
letzte Jahr des Krieges, nachdem der Br,ester Friede abgeschlossen war, noch
mehr für die Zeit nach dem Versailler Frieden mit ihren vielfältigen Stö-
rungen und Hemmungen des deutschen Handels, der Verquickung aller
wirtschaftlichen Probleme mit der Reparationsfrage. Die Hoffnungen und
Erwartungen, den früheren hochintensiven Güteraustausch zwischen Deutsch-
land und Rußland wiederzubeleben, drängten sich geradezu auf, nachdem
der russische Warenbedarf nach den Kriegs- und Revolutionsereignissen ins
Ungemessene gestiegen zu sein schien. Es ist noch nicht völlig aufgeklärt,
welche Männer sich zuerst um die Wiederanknüpfung wirtschaftlicher Be-
ziehungen mit Rußland bemüht haben und ob man dabei von den Interes-
sen bestimmter Wirtschafts gruppen ausgehen muß 23. Es gab ältere wirt-
schaftliche Organisationen, die sich der Förderung des deutsch-russischen
Handels w~dmeten, wie der seit 1899 bestehende "Deutsch-Russische Ver-
ein zur Pflege und Förderung der gegenseitigen Handelsbeziehungen" 24,
aber die eigentliche Schwierigkeit bestand vor allem darin, daß die russische
23 E. H. Carr, Berlin - Moskau. Deutschland und Rußland zwischen den beiden Welt-
kriegen, Stuttgart 1954, S. 71 f. unterscheidet das Interesse der Schwerindustrie an dem
Russengeschäft, da sie weitgehend unabhängig von eingeführten Rohstoffen gewesen sei
und über keine wichtigen Märkte im Westen vertügt habe, von den verarbeitenden In-
dustrien, die durch ihre Abhängigkeit von übersee-Einfuhren stärker mit Industrie·
Interessen Amerikas verknüpft gewesen seien. "Sie teilten das Bedürfnis der Schwerindustrie,
den russischen Markt zu entwickeln, aber sie hätten es lieber in übereinstimmung mit dem
Westen, als in Opposition zu ihm getan". Mir scheint dies vorläufig eine hypothetische
Annahme, für die sicher manches spricht, die bis jetzt aber noch nicht hinreichend im
Einzelnen überprüft worden ist. Richtig ist sicher, daß Carr Stinnes als Hauptvertreter
der ein Russengeschäft begünstigenden Industrierichtung bezeichnet, wenn auch der USP-Ab-
geordnete Crispin im Reichstag am 21. Januar 1921 erklärte: "Auch der Stinnes-Konzern
macht seinen unheilvollen Einfluß geltend gegen Handelsbeziehungen mit Rußland."
(Stenogr. Ber. d. Verhdlg. d. Reichstages., Bd. 346, S. 1986.
24 Sein Organ war die Zeitschrift "Die Ostwirtschaft". Dem Verein gehörte auch Gustav
Stresemann an.
16 Theodor Schieder
den Sowjets aus politischer Kalkulation, weder aus Sympathie noch aus
romantischer Ideologie.
Neben dem wirtschaftlichen und diplomatischen gab es nun noch ein
dritt,es Gleis, auf dem die deutsch-russischen Beziehungen in den Jahren nach
dem ersten Weltkrieg in Gang kamen: das militärische. Wir stoßen damit
auf das umstrittenste und in den letzten Jahren am lebhaftesten d.iskutierte
Kapitel der deutschen Rußlandpolitik in ,der Weimarer Zeit, sicher auch
auf eine ungewöhnliche Form politischer Zusammenarbeit zwischen zwei
Staaten in der neuesten Geschichte überhaupt. Nicht darin lag nun eigent-
lich das überraschende, daß militärpolitische und militärtechnische Ver-
einbarungen und Abreden formellen politischen Verträgen zweier Mächte
vorausgingen; dies hatte es schon des öfteren gerade in der Geschichte der
preußisch-russischen und deutsch-russischen Beziehungen gegeben - man
braucht nur an die Alvenslebensche Konvention von 1863 oder die Abkom-
men von 1873 zu denken -, aber ungewöhnlich war es, daß hier die mili-
tärische Führung ohne Kontakt mit der politischen vorging und Abreden
von höchster politischer Tragweite traf. Der Nachdruck der militärischen
Zusammenarbeit lag auf einer geheimen Rüstungspolitik zweier in ihrer
politischen und sozialen Struktur sehr verschiedener und zudem noch gar
nicht ganz konsolidierter Mächte. über den ers~en Anknüpfungen zwischen
deutschen Militärs und den Sowjets liegt noch der Schleier ,des Geheimnisses.
Als erstes Anzeichen dafür, ,daß in der deutschen Armee Fühler zu den
Bolschewisten ausgestreckt wurden, mag man die Tatsache ansehen, daß das
Kriegsministerium den im Februar 1919 verhafteten Karl Radek, den bol-
schewistischen Delegierten heim Gründungskongreß der Deutschen Kom-
munistischen Partei, im Laufe des Jahres unter seinen Schutz nahm und in
eine Art Ehrenhaft überführte 34. Es ist hinreichend bekannt, daß Radek in
seiner Zelle die verschiedensten Persönlichkeiten empfing, neben Rathenau
auch einige dem Rechtsradikalismus zuneigende Offiziere, und daß hier zum
ersten Male ein nationalbolschewistisches Programm diskutiert wurde, in dem
das Zusammenwirken eines nationalrevolutionär:en Deutschlands mit dem
Sowjetstaat im Mittelpunkt stand. Daß Radek in diesen Monaten auch mit
Seeckt zusammengetroffen ist, der entscheidenden Persönlichkeit der neuen
deutschen Armee, ist nicht nachzuweisen, scheint aber auch bei der von
Seeckt noch später gewahrten äußeren Zurückhaltung nicht sehr wahrschein-
lich. Das bedeutet nicht, daß ihm die mit Radek geführten Gespräche un-
bekannt geblieben sein müssen, befand sich doch unter dessen Gästen auch
34 Zum Datum vgl. CaTT, Berlin-Moskau S. 28.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 21
der frühere türkische Kriegsminister Enver Pascha, der nachher Seeckt erste
Informationen aus dem neuen Rußland geben sollte. Doch waren die Zeit
und die Umstände, in denen sich alle Gesprächspartner in Radeks "politi-
schem Salon" einschließlich Radek selbst befanden, noch nicht reif für
politische Entscheidungen: Radek hatte in seiner Berliner Haft kaum Ver-
bindung zu Lenin und Trotzki und damit also höchstwahrscheinlich keine
Autorisierung durch die Führer des Sowjetstaats 35.
Wie standes aber um die Ziele der deutschen militärischen Führung? Es
führt in die Irre, ihr Verhältnis zu Rußland nur unter dem Aspekt der tradi-
tionellen Freundschaft zu dem großen Nachbarn im Osten zu betrachten, für
die die Erinnerungen an Tauroggen und die Bismarckische Epoche bestimmend
waren. Sowenig das Rußlandbild und die Rußlandpolitik des deutschen Gene-
ralstabs im einzelnen schon untersucht sind, so läßt sich doch sagen, daß sich
von Graf Waldersees Präventivkriegsplänen am Ausgang der 80er Jahre des
19. Jahrhunderts bis zu Ludendorffs Randstaatenpolitik im Ersten Weltkrieg
auch eine andere Linie verfolgen läßt. Es besteht kein Zweifel daran, daß die
bolschewistische Umwälzung das Konzept einer prorussischen Politik gerade
in den konservativen militärischen Kreisen noch schwieriger gemacht hat;
eher war für sie die Verlockung gegeben, sich an gegenrevolutionären Unter-
nehmungen zu beteiligen und die russische Freundschaft über eine Restau-
ration der Monarchie wiederherzustellen. In dem einzigen Raume, in dem
nach dem Waffenstillstand noch auß·erhalb der Reichsgrenzen deutsche
Verbände operierten, im Baltikum, sind die verschiedenen Richtungen einer
deutschen Rußlandpolitik auf militärischem Felde aufeinandergeprallt:
während der Oberkommandierende, Graf v. d. GOltz, auf die Niederwer-
fung des Bolschewismus und auf eine deutsch-russische Politik auf gegen-
revolutionärer Basis hinarbeitete, stieß er auf den wachsenden Widerstand
Seeckts bei seinen militärischen Aktionen. Seeckt handelte dem äußeren
Anscheine nach unter dem Druck der Alliierten, als er die Zurücknahme der
deutschen Truppen und Freikorps erzwang, tatsächlich aber verbarg sich
dahinter auch das Bestreben, den Bolschewisten ein Tor zur baltischen
Küste zu öffnen 36. Seeckt war während des Krieges wohl kein Anhänger
35 Ruth Fischer a. a. O. S. 251 meint allerdings: »Er hatte einen Sekretär und man
gestand ihm sogar zu, mit der Moskauer Regierung in Verbindung zu treten. Seine Ver-
bindung zur Außenwelt war Kar! Moor". Dagegen Carr, The Bolshevie Revolution III,
S. 321: "On the Soviet side Radek was playing a lone hand; in so far as it was possible
to speak of any reeognized Soviet foreign poliey at this time, he was eertainly not its
authorized exponent."
36 Darüber auch der Bericht von Major Tschunke vom 15. Februar 1939, veröffentlicht
in Der Monat I, November 1948, S. 48 H.
22 Theodor Schieder
dem Ausbruch des russisch-polnischen Krieges, den Seeckt richtig für den
folgenden Sommer voraussagte, meinte ,er, es sollte unbezweifelt fest-
stehen, daß Deutschland Polen jede Hilfe gegen Rußland versage. "Sieht
man von der Notwendigkeit der anzustrebenden Verständigung mit Ruß-
land ganz ab, so ergibt sich doch für uns die zwingende Pflicht, jedes An-
zeichen zu begrüßen, das uns eine Schädigung oder gar Vernichtung unseres
unerträglichsten Nachbarn v,erspricht. Polen ist Frankreichs Geschöpf und
zuverlässiger Bundesgenosse, damit also unser dauernder Feind." Aber wie
sollte man sich gegen einen russischen Angriff verhalten, der über Polens
Grenzen hinaus auf Deutschland zielte? Hier steht Seeckt vor einemDilem-
ma; denn gegenüber einem aggressiven Rußland bot Polen Schutz. "Die
Abwehr eines russischen Angriffs kann nach dem vorher Gesagten nicht
indirekt durch Unterstützung Polens, sondern nur direkt an der eigenen
Grenze erfolgen. Ob ein solcher Angriff als wahrscheinlich, als sicher oder
nicht, anzusehen ist, kann ununtersucht bleiben 41." Zwei Jahre später, in
seiner Denkschrift vom September 1922, ist seine Sprache noch entschie-
dener geworden; jetzt fordert er nicht mehr, Polen gegen Rußland die Hilfe
zu versagen, sondern deutsche Hilfe für Polens Verschwinden zu geben:
Polen "muß verschwinden und wird verschwinden durch eigene, innere
Schwäche und durch Rußland - mit unserer Hilfe. Polen ist für Rußland
noch unerträglicher als für uns; kein Rußland findet sich mit Polen ab ...
Rußland und Deutschland in den Grenzen von 1914 sollte die Grundlage
von der Verständigung zwischen beiden sein .•. "
Man muß sich vor Augen halten, daß es sich hier um die Gedanken
eines Soldaten handelt, der zwar als Chef der Heeresleitung die entschei-
dende militärpolitische Position im Weimarer Staate innehatte, aber doch
primär nicht mit Außenpolitik befaßt war. Wenn er daran ging, seine
Politik, der unüberlegte Abenteuer fernlagen und die mit langen Fristen
rechnete, im militärpolitischen und rüstungspolitischen Bereich zu realisie-
ren, so war das in jedem Falle ein Politicum ersten Ranges, das der Autori-
sierung durch die politische Reichsleitung bedurfte. Es ist so gut wie sicher,
daß Seeckt diese nicht eingeholt hat, daß vielmehr die ,ersten Anknüpfun-
gen zwischen den deutschen Militärs und Trotzki im Jahre '1920 unmittel-
bar über Enver Pascha hergestellt wurden 42 und im späteren Verlauf der
Chef der Heeresleitung sich nur eine persönliche Rückendeckung beim
Reichskanzler Wirth hat geben lassen, ohne daß der dem Rußlandkurs
U Brief SeecJus vom 26. 2. 1920 (Nachlaß Seeckt, Mikrofilm Rolle 21).
~2 Rabenau, Seeckt, S. 307.
Die Probleme des Rapal1o-Vertrags 25
Verlauf zutage getretenen Mängel der Roten Armee verstärkten auch das
Bedürfnis, die Rüstung der Sowjetrnacht zu verbessern, wozu man gerne
die deutsche Hilfe in Anspruch nehmen wollte.
Man wird aber die momentanen Zwecke von den größeren politischen
Konzeptionen unterscheiden müssen, in die sie hingestellt sind und die Lenin
in seiner Rede vom Dezember 1920 zum erstenmal voll anklingen ließ.
Für Trotzki hatte den Ausgangspunkt der Verhandlungen mit der Reichs-
wehr zweifellos das Bedürfnis gebildet, beim Aufbau der Roten Armee
deutsche technische und organisatorische Hilfe zu gewinnen; die folgenden
rüstungswirtschaftlichen Verhandlungen, für die das Dekret über die Pacht-
konzessionen die Voraussetzungen geschaffen hatte, machen dies deutlich.
Deutschland sollte dabei der Gebende sein und dafür wirtschaftliche und
kommerzielle Vorteile gewinnen. Doch ließen sich auf einem so gefähr-
lichen Terrain wie dem rüstungswirtschaftlichen ohnehin die politischen
Gesichtspunkte von vornherein nicht ausschließen. Zweifellos sahen die
Sowjets in der militärischen Zusammenarbeit von Anfang an ein Mittel,
Deutschland an die Sowjetrnacht zu binden, seine Aufrüstung unter Kon-
trolle zu halten, seine wirtschaftlichen und militärischen Interessen nach
dem Osten zu lenken und die Kluft zwischen den Alliierten und Deutsch-
land zu vertiefen, wie dies Lenin im Dezember 1920 offen aussprach.
Es liegt auf der Hand, daß auch für Seeckt und seine Mitarbeiter die
Niederlage der Roten Armee im polnischen Krieg einen entscheidenden
Moment bildete 48; die Möglichkeit schneller, allzu schneller Entscheidun-
gen war vorüber, was für das vorsichtige Temperament Seeckts nicht nur
eine Enttäuschung gewesen sein mag; an Stelle dramatischer Entschlüsse,
wie sie noch Trotzkis Angebot von August 1920 andeutete, trat der Gedanke
rüstungspolitischer Zusammenarbeit auf lange Sicht in den Vordergrund.
Die wirtschaftlichen und die militärischen Kontakte beginnen sich jetzt zu
treffen: im gleichen Winter 1920/21, in den Schlesingers Bemühungen um
den Ausbau der Fürsorgestellen und die Intensivierung des wirtschaftlichen
Austauschs zwischen Deutschland und Sowjetrußland fallen, scheinen die
ersten Anknüpfungen der Militärs vor sich zu gehen. Damals wurde die
sog. "Sondergruppe R" im Reichswehrministerium begründet, die die Ver-
bindung mit Rußland bearbeitete 49. Eine Delegation deutscher Offiziere
stehenden Nachrichten doch den Eindruck, daß für die deutsche Auf-
rüstungspolitik der späteren Zukunft die unmittelbaren rüstungswirtschaft-
lichen Vorteile geringer waren als die Möglichkeiten, die sich für Ausbildung
und Erprobung in Rußland boten. Das Bild, daß Helm Speidei vom deut-
schen Flugplatz Lipezk bei Woronesch jüngst gezeichnet hat 5t, läßt diesen
Schluß bereits zu. Noch nicht im gleichen Maße aufgehellt ist die Entwick-
lung der Schule für Ausbildung und Technik des Gaskampfes bei Saratow
und der Kampfwagenschule in Kasan 52. Allerdings wird man nach den
Zahlenangaben von Speidei die Breitenwirkung ,dieser Ausbildungsstätten
nicht zu hodl ansetzen dürfen, wenn sie auch, gemessen an der Größe des
Offizierskorps der Reichswehr, nicht unerheblich ist 53.
Die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee ist bisher
fast ausschließlich unter dem Aspekt der deutschen Militärpolitik gesehen
worden, und nur selten wurden die Ergebnisse überdacht, die sie für die
Sowjets hatte. Aber nur sie machen überhaupt das russische Entgegen-
kommen an die deutsche Armee, die ungewöhnliche Bereitstellung von
Ubungs- und Produktionsplätzen an eine fremde Macht im eigenen Lande
verständlich. Ihrer Aufklärung sind naturgemäß Grenzen gesetzt, solange
sowjetische Quellen vollständig fehlen. Eine neue französische Arbeit
hat auf Grund von Material des sog. 2. Büros des Französischen Geheim-
dienstes einige unbestätigte Nachrichten über die Mitwirkung deutscher
Offiziere und Ingenieure bei der Wiederherstellung der russischen Flotte
gebracht 64, kann aber die Anwesenheit und Tätigkeit deutscher Instruk-
tionsoffiziere in der Roten Armee und ihrem Generalstab nicht sicher nach-
weisen 56. Dagegen fällt einiges Licht auf die Ausbildung von Truppen-
führern der Roten Armee an deutschen Militärschulen und an der getarnten
Generalstabsausbildung des Reichswehrministeriums. Helm Speidel hebt
die Einseitigkeit des Austausches der geistigen Grundlagen auf dem Gebiet
der Kriegführung hervor: niemals sei es deutschen Offizieren gelungen, an
sowjetischen Generalstabsreisen und ähnlichen Schulungs- und Forschungs-
vorhaben teilzunehmen: "Die Deutschen gaben, die Russen nahmen. Sämt-
51Vjh. f. Zg. I, 1953, S. 24 H.
5BDarüber neuerdings G. Castellan a. a. 0., 5., 180 f.
53 Speidei spricht für die Zeit von 1925-33 von der Ausbildung von 120 Jagdfliegern
und für die Zeit von 1928-30 von 100 Offiziersflugzeugbeobachtern.
fit G. Castellan a. a. O. S. 158.
55 Die von Castellan herangezogenen Meldungen des französischen und polnischen
Nachrichtendienstes (a. a. O. S. 159) gehen auseinander. Von polnischer Seite wurde die
Anwesenheit deutscher Instruktionsoffiziere in der Roten Armee behauptet. Speidei a. a. O.
S. 35 verneint sie eindeutig.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 29
56 Speidel a. a. O. S. 36. Das neue Werk des Amerikaners Raymond L. Garthoff, Die
Sowjetarmee. Wesen und Lehre (deutsche Ausgabe Köln 1955) bringt zu dieser Frage
nichts Neues (vgl. S. 84 f.).
30 Theodor Schieder
Wirkungen wegen, wie sie u.a. aus der Einweihung sowjetischer Militär-
steHen in die Arcana der deutschen Wehrpolitik sich ergaben, zu einem Akt
der Gesamtpolitik. Niemand hat das schärfer erkannt als der erste deutsche
Botschafter in Moskau nach dem Kriege, Graf Brockdorff-Rantzau, als er
vor seiner Ernennung die Forderung aufstellte, daß ohne sein Wissen keine
Verbindung mit der russischen Regierung oder der Roten Armee angeknüpft
werden dürfe 57. Da das Reichswehrministerium in Moskau seit 1923/24
eine eigene Dienststelle - die sog. "Zentrale Moskau", genannt "Z. Mo." -
neben der Botschaft unterhielt, hätte dies zwangsläufig zu einem Konflikt
zwischen der politischen und militärischen Vertretung führen müssen 58,
wenn es nicht schließlich doch zu einer Annäherung der politischen an
die Heerführung in den letzten Zielen der Rußlandpolitik gekommen
wäre.
III
Davon war in den Anfängen, selbst in den Tagen des auch Seeckt über-
raschenden Vertragsabschlusses von Rapallo noch keineswegs die Rede. Die
Militärs handeln selbständig, sie sind den Diplomaten oft um eine Länge
voraus. Dabei fiel es sehr ins Gewicht, daß in der neuen Reichswehr der
von ihrem Schöpfer Seeckt gesteuerte Rußlandkurs sich allem Anschein nach
uneingeschränkt durchsetzte, während alle politisch-diplomatischen Ent-
scheidungen das Ergebnis der verschiedensten Richtungen und Anschauun-
gen gewesen sind, wie sie in der deutschen Politik hervortraten. Während
General von Seeckt die innenpolitischen Gefahren eines Zusammengehens
mit den Sowjets ohne Schwierigkeiten überwinden zu können glaubte, ver-
hinderten gerade die unberechenbaren Wirkungen im Innern, die eine
Außenpolitik Hand in Hand mit den Protagonisten der Weltrevolution
haben konnte, ein Mitgehen vieler Politiker verschiedener Lager.
Die Stimmungen in Deutschland waren hierbei nur das Spiegelbild derer
im Sowjetreich: hier trat gerade im Winter 1920/21 die von Sinowjew ge-
führte Gruppe der Komintern, für die Deutschland das nächste und ent-
scheidende Schlachtfeld der Welt revolution war und blieb, in Widerstreit
57 Dazu H. Helbig, Moskauer Mission S. 312.
53 Speidei (a. a. 0., S. 20) verharmlost den Konflikt etwas, wenn er schreibt: "Di~
Z. Mo. arbeitete mit der Deutschen Botschaft zusammen, deren Unterstützung sie in
Fragen der Politik in Anspruch nahm. Z. Mo. trieb keine eigene Politik, sondern war
ausführendes Organ des Reichswehrministeriums auf der einen Seite, der Deutschen Bot-
schaft in Moskau auf der anderen." Richtig daran ist, daß in der späteren Zeit Brockdorff-
Rantzaus eine engere Zusammenarbeit zustande gekommen zu sein scheint.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 31
zu dem wachsenden Machtrealismus, wie ihn vor allem Lenin vertrat. Für
diesen verwandelte sich die Weltrevolution mehr und mehr in ein Spiel,
in dem die großen Mächte, voran die russisch-bolschewistische, zu den
eigentlichen Aktionsträ.gern wurden. Das war nicht Gleichgewichts- oder
Machtpolitik im alten Stil, sondern die Verwendung ihres alten Arsenals
für :ganz neue Kampfziele, wie sie Lenin in mehreren Reden, vor allem in
der großen vom 21. Dezember 1920 vor dem VIII. Allrussischen Sowjet-
kongreß 59 umrissen hat. In ihr werden zwei Grundsätze ausgesprochen:
einmal der von der Abhängigkeit, in der sich die Sowjetmacht von der
"grundlegenden Differenz zwischen den imperialistischen Staaten" befinde,
die es auszunutzen gelte ("alle imperialistischen Mächte zu besiegen, wäre
natürlich das angenehmste, aber wir werden noch ziemlich lange nicht im-
stande sein, das zu tun"). Sodann "die zweite Hauptsäule unserer inter-
nationalen, unserer Außenpolitik: den Völkern, die sich der kapitalisti-
schen Unterdrückung bewußt werden, zu beweisen, daß für sie keine andere
Rettung besteht als die Sowjetrepublik. Und da die Sowjetrepublik drei
Jahre lang dem Ansturm der Imperialisten standgehalten hat, so spricht
das davon, daß es ein Land auf der Welt gibt, nur ein Land, das diese
Unterjochung durch den Imperialismus erfolgreich abwehrt." Hinter dieser
Außenpolitik steht also immer noch eine verborgene "revolutionäre" Stra-
tegie: die Völker, vor allem das durch den Versailler Vertrag um seine
Existenzgrundlagen gebrachte deutsche Volk, gewöhnen sich daran, "die
wirtschaftliche Notwendigkeit eines Bündnisses mit Sowjetrußland gegen
den internationalen Imperialismus anzuerkennen". "Unsere Politik grup-
piert um die Sowjetrepublik die kapitalistischen Länder, die der Imperialis-
mus würgt." Es mag sein, daß vieles an den Angumentationen Lenins in
dieser bedeutsamen Rede darauf berechnet war, die eigene Partei für die
dem strengen Dogma des Kommunismus widerstreitenden Konzessionen an
kapitalistische Mächte und Konzerne zu gewinnen, grundsätzlich aber ist
hier doch der Kern der Leninschen Deutschlandpolitik enthalten: sie speku-
lierte auf die Ausnahmelage, in der sich Deutschland innerhalb der kapita-
listischen Welt als Paria, als Proletarier unter den Mächten befand. Die Bin-
dung an die Sowjetrnacht sollte dem deutschen Volk das Bewußtsein seiner
proletarischen Existenz wecken und damit auf dem Wege über die äußere
Politik die innere Politik revolutionieren. Mit diesem Fernziel ließen sich
konkrete Nahziele wie das der Ausklammerung Deutschlands aus dem
westlichen Einflußbereich, ohne daß daraus zunächst innenpolitische Rück-
59 Lenin S. W. XXVI S. 3 H.
32 Theodor Schieder
60 Für Wirths Haltung bringt Helbig a. a. O. eine Reihe neuer überraschender Gesichts-
punkte und Belege.
61 Carr, The Bolsh. Rev. III S. 336 f. bezeichnet die Niederlage der Kommunisten als
"a turning-point in the history both of Gel'man eommunism and of Soviet poliey".
62 Vgl. dazu auch die von Kochan a. a. O. (deutsche Ausgabe S. 43) mitgeteilte Rede
Krestinskis bei der überreichung seines Beglaubigungsschreibens an Reichskanzler Josef
Wirth am 15. November 1921.
34 Theodor Sdtieder
lichen Mächte aktiv zu werden 65. Die Sowjets erkannten wohl in dem Kon-
ferenzgedanken die Chance, ihre Rückkehr als Macht auf das internationale
Parkett vorzubereiten, möglicherweise haben sie sogar selbst diesen Plan
mitlanciert 66. Jedoch mußten sie sehr bald erkennen, daß die politische
Taktik des Ausspielens der kapitalistischen Mächte gegeneinander Schiff-
bruch erleiden könnte, sobald sich Deutschland an dem internationalen
Finanzkonsortium mitzuwirken bereit erklärte. Überdies versteifte sich der
Westen auf die Bedingung, vor wirtschaftlichen und politischen Verhand-
lungen die Anerkennung der russischen Vorkriegsschulden und der sowje-
tischen Rückerstattungs- oder Entschädigungspflicht für ausländisches Eigen-
tum zu verlangen, das im Zuge der Sozialisierung enteignet worden war.
Wenn es je im Laufe des Winters 1921/22 einen Moment gegeben haben
sollte, in dem eine Verständigung zwischen Sowjetrußland und den West-
mächten vor der Tür stand, so begann sich diese Möglichkeit sehr bald wie-
der zu verflüchtigen. Die russische Politik mußte vielmehr dazu übergehen,
möglichst noch vor Beginn der Konferenz den Ring der Mächte und Finanz-
gruppen zu sprengen, Deutschland aus ihm auszubrechen und die an sich
gewünschte ausländische Investitionshilfe von vornherein mit einzelnen
Partnern auszuhandeln 67. Dafür gab ein Abkommen mit Deutschland unter
Umständen ein geeignetes Modell ab, ebenso wie ein vertraglich ausgespro-
chener Verzicht auf die gegenseitigen finanziellen Forderungen aus dem
Kriege und der Nachkriegszeit das Vorbild für Vereinbarungen über die
Schulden aus der zaristischen Ära bilden konnte. Man muß sich vergegen-
wärtigen, daß für das am historischen Materialismus geschulte Denken der
sowjetischen Staatsführer alle diese ökonomischen Probleme eine eminent
politische Bedeutung hatten. Es mußte geradezu als eine Bestätigung der
ökonomischen Imperialismus-Theorie empfunden werden, daß der Westen
einen Versuch zu unternehmen schien, Rußland nach den gescheiterten
militärischen Interventionen nun wirtschaftlich auszubeuten und zu unter-
jochen.
So hat man den russischen Vorstoß zu verstehen, noch vor der allgemei-
nen Konferenz zu einem Vertragsabschluß mit Deutschland zu kommen,
wie ihn nach der Vorbereitung durch Radek der Außenkommissar Tschi-
tscherin, begleitet von Litwinow, Krassin, Radek, Joffe und Rakovsky auf
65 Ober Rathenaus Haltung vor allem Graf Kessler, Walther Rathenau, sein Leben und
sein Werk, Berlin 1928, S. 344 H.
66 Diese Meinung vertritt Carr, The Bolsh. Rev. III S. 356.
67 Carr, The Bolsh. Rev. III S. 371.
36 Theodor Schieder
der Reise nach Genua in Berlin unternahm. Die Russen trafen in der Reichs-
hauptstadt offenbar keineswegs eine klare Lage an: im Auswärtigen Amt
arbeitete Ago von Maltzan mit allem Nachdruck auf einen verstärkten Ruß-
landkurs und einen sofortigen Vertragsabschluß hin, unterstützt wohl von
Kreisen der Schwerindustrie, vor allem von der mächtigen Gestalt Hugo
Stinnes'. Er wurde dabei sehr von Strömungen der öffentlichen Meinung
getragen, seitdem nach Briands Sturz und Poincares Regierungsantritt im
Januar 1922 Frankreich immer stärker den Weg der Repressalien und Ge-
walt gegen Deutschland einschlug. Das Argument, wenn Deutschland die
Hand Rußlands nicht ergreife, drohe eine Verbindung zwischen Frankreich
und den Sowjets, das Maltzan ins Feld führte, mußte unter diesen Um-
ständen besonders durchschlagen 68. Die Anhänger einer Ostorientierung
wandten sich in erster Linie auch gegen Rathenaus Idee einer "Kontinental-
politik" 69, d. h. einer deutsch-französischen Verständigung, für die das
Wiesbadener Abkommen mit Loucheur über direkte deutsche Reparations-
lieferungen an französische Kriegsgeschädigte vom Oktober 1921 die Grund-
lage schaffen sollte. Seit Poincarcs verschärfter Rheinpolitik hing diese
Politik in der Luft, auch der Versuch, durch ein Zusammenwirken mit
Lloyd George einen Ausgleich dafür zu schaffen, schlug im letzten fehl. So
war die Lage Rathenaus vor dem Zusammentritt der Konferenz von Genua
unsicher, das Fundament seiner Politik gefährdet. So sehr er innerlich
der von Maltzan verfochtenen Ostorientierung widerstrebte, so hat er
daher doch das russische Angebot nicht a Emine ablehnen können, da es
eine Aussicht eröffnete, in der Reparationsfrage eine drohende Gefahr ab-
zuwenden.
In Artikel 116 des VersaiUer Vertrags hatten die Alliierten Rußland
das Recht vorbehalten, "von Deutschland alle Entschädigungen und Wie-
dergutmachungen zu erhalten, die auf den Grundsätzen des gegenwärtigen
Vertrags beruhen"; das bedeutete unter Umständen Ausdehnung der Repa-
rationspflicht des Reiches auf Rußland und die bedrohliche Möglichkeit, die
Alliierten könnten selbst im Zuge der Ablösung ,der russischen Vorkriegs-
und Kriegsschulden durch ein Abkommen mit Rußland in diese Forderun-
gen eintreten.
Ober den Verlauf und das Ergebnis der deutsch-russischen Verhandlungen
in den ersten Apriltagen des Jahres 1922 sind wir noch nicht ausreichend
unterrichtet, doch scheint es sicher zu sein, daß der Text des späteren Ra-
68 über Xußerungen Maltzans in dieser Richtung d' Abernon a. a. 0., II S. 266 und 286.
6U D' Abernon a. a. 0., II S. 339.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 37
70 Am meisten über die Berliner Verhandlungen teilt Louis Fischer, The Soviets in thc
World Affairs (London 1930, 2. Aufl. Princeton 1951) I, S. 332 f. mit. Er benutzt dabei
Aussagen Tschitscherins, Lztwinows und Gaus'. L. Kochan, Rußland und die Weimarer
Republik (Düsseldorf 1955), S. 49, stützt sich auf L. Fischer, zieht aber außerdem noch die
mir nicht zugängliche Schrift von A. loffe, Ot Genui do Gaagi (Moskau 1923) S. 16
heran. D' Abernon a. a. O. I S. 326 f. zitiert Kußerungen "von deutscher Seite, nach denen
die Auffassung, der Rapallo-Vertrag sei eine Kopie eines ähnlichen schon in Berlin ent-
worfenen Abkommens", als "vollkommen unzutreffend" bezeichnet wird. Daraus geht
zweifellos hervor, daß die Verhandlungen gegenüber den Alliierten streng geheim gehal-
ten wurden. W. P. Pontjomkin, Geschichte ,der Diplomatie (Moskau 1947) Bd. III, S. 206 f.
berichtet Einzelheiten über die Verhandlungen ohne jede Quellenangabe. Vgl. auch
H. Graf Kessler a. a. O. S. 133 H. und H. Helbig a. a.O. S. 297, vor allem Anmerkung 14,
der auch noch eine schriftliche Kußerung von Moritz Schlesinger verwertet, wonach eine
Verständigung über den bereits im Text vorliegenden Vertrag bei einem vom Reichskanzler
Wirth gegebenen Frühstück anläßlich der Durchreise von Tschitscherin und Litwinow er-
folgt sei.
38 Theodor Schieder
Verzicht der heiden Mächte auf Ersatz ihrer K6egskosten und Kriegs-
schulden aIle etwaigen Konsequenzen aus dem Artikel 116 V. V. von vorn-
herein ausgeschaltet wurden (Art. 1 a). Wenn Deutschland darüber hinaus
in Art. 2 alle Ansprüche preisgab, "die sich aus der bisherigen Anwen-
dung der Gesetze und Maßnahmen der Russischen Sozialistischen Föde-
rativen Sowjetrepublik auf deutsche Reichsangehör~ge oder ihre Privat-
rechte sowie auf die Rechte des Deutschen Reiches und der Länder gegen
Rußland sowie aus den von der RSFSR oder ihren Organen sonst gegen
Reichsangehärige oder ihre Privatrechte getroffenen Maßnahmen ergeben",
so erhielten die Sowjets hier das, was ihnen die westlichen Mächte in den
vorausgehenden Verhandlungs tagen vorenthalten hatten. Der deutsche Vor-
behalt "vorausgesetzt, daß die Regierung der RSFSR auch ähnliche An-
sprüche dritter Staaten nicht befriedigt", über den man sich in Berlin noch
nicht geeinigt hatte, schob russischen Sonderabmachungen mit dem Westen
einen Riegel vor. Dem Gedanken des internationalen Konsortiums war für
die Sowjets durch Artikel 5, der für den Fall einer grundsätzlichen Regelung
der wirtschaftlichen Fragen auf internationaler Basis einen" vorherigen Ge-
dankenaustausch" vorsah, das Rückgrat gebrochen. Der Grundsatz der
Meistbegünstigung sollte allgemein für die beiderseitigen Handels- und
Wirtschaftsbeziehungen gelten (Art. 4). Auf die eigenartigen Formen des
Handelsverkehrs mit der Sowjetrnacht, bei dem einem staatlichen Handels-
und Wirtschaftsmonopol auf der einen Seite private Unternehmungen oft
ohne Kenntnis der Regierung auf der anderen gegenüberstanden, wirft der
letzte Satz des Art. 5 ein Schlaglicht, durch den sich die deutsche Regierung
bereit erklärt, "die ihr neuerdings mitgeteilten, von Privatfirmen beab-
sichtigten Vereinbarungen nach Möglichkeit zu unterstützen und ihre Durch-
führung zu erleichtern". Es ist im übrigen die einzige Stelle des Vertrags,
von der man sagen könnte, daß sie die im Gange befindlichen rüstungswirt-
schaftlichen Unternehmungen berührte.
Dies ist im wesentlichen der Inhalt des Rapallo-Vertrags, der mehr Liqui-
dation der Vergangenheit, nachgeholter Friedensvertrag war als Übernahme
politischer Verpflichtungen für die Zukunft, mehr eine der Stunde an-
gepaßte Fixierung eines bestehenden oder sich aus mehrjähriger Entwick-
lung notwendig ergebenden Zustands als das Programm einer weitreichen-
den Politik. Auffällig an seinem Text ist das Fehlen aller Klauseln gewich-
tigen politischen Inhalts wie irgendwelcher Neutralitäts- oder Konsul-
tationsverpflichtungen, wenn auch das Ganze des Vertrags als ein Politicum
ersten Ranges angesehen werden mußte. Das Problem der de-jure-Anerken-
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 41
nung der Sowjetregierung durch die deutsche Regierung wurde nicht berührt,
was auf der Linie wiederholter deutscher Erklärungen lag, ,die Aufhebung
des Brester Friedens habe die Anerkennung der Sowjets durch Deutschland
nicht rückgängig gemacht. Aber es überrascht doch, daß nicht einmal die
Agitation und Propaganda der beiden Staaten gegeneinander ausdrücklich
im Vertrage unterbunden wurde, wie dies im Vorläufigen Abkommen vom
6. Mai 1921 wenigstens für das Personal der diplomatischen Vertretungen
geschehen war. Dies fällt um so mehr auf, als das spätere Abkommen vom
5. November 1922, das die Geltung des Rapallo-Vertrags auch auf die mit
der RSFSR verbündeten Staaten (Ukraine, Weiß rußland usw.) ausdehnte,
einen solchen Passus wieder enthielt. (Art. VII: "Die beiderseitigen Ver-
tretungen und die bei ihnen beschäftigten Personen sind verpflichtet, sich
jeder Agitation oder Propaganda gegen die Regierung oder die staatlichen
Einrichtungen des Aufenthaltslandes zu enthalten. ")
Es macht oft die politische Wirkung mancher zwischenstaatlicher Verträge
aus, daß hinter ihnen mehr vermutet wird, als sie tatsächlich enthalten. So
ist für den Rapallo-Vertrag der Ver,dacht militärischer Geheimklauseln
sofort aufgetaucht und eigentlich nie mehr ganz verstummt 75 • Den Anfang
damit machte die englische Zeitung Daily Mai!, die schon im April 1922
den Text eines angeblich in Rapallo geschlossenen militärischen Geheim-
abkommens veröffentlichte 76 • Seeckt, der es wissen müßte, bezeugte in einem
Privatbrief ausdrücklich, daß keinerlei politisch-militärische Abmachungen
bestünden 77, aber eben der Anschein »militärischer Folgen" genü,gte ihm, um
z. B. die polnische Politik im günstigen Sinne zu beeinflussen 78. Faktische
militärische Zusammenarbeit ohne unter Umständen kompromittierende
schriftliche Abmachungen oder höchstens solche technischen Inhalts und ohne
die Teilnahme, ja sogar ohne offizielle Kenntnis der deutschen Regierung,
konnte ,dann sogar allen anderen Lösungen vorgezogen werden. Das heißt
nicht, daß Seeckt nicht an die Möglichkeit gedacht hat, den Rapallo-Vertrag
durch ein militärisches Abkommen zu ergänzen, doch hat er wahrscheinlich
schon aus innenpolitischen Gründen diesen Plan nicht allzu nachdrücklich
verfolgt. Von Wirth wissen wir neuerdings, daß er solche Absichten unter-
stützte; im Sommer 1922 sprach er von der Notwendigkeit, den Rapallo-
75 Dazu vgl. zuletzt J. W. Wheeler-Bennett, Nemesis of Power, 1953 S. 127 H. Deutsche
Ausgabe S. 151.
76 Daily Mail vom 22. 4. 1922, zitiert bei L. Farnbacher, Deutschland, Rußland und die
Sicherheitsfrage (Diss. Würzburg 1927) S. 39.
77 Teilabdruck, Rabenau, Seeckt S.313.
78 So in der Denkschrift vom 11. 9. 1922, abgedruckt in Der Monat.
42 Theodor Schieder
zweierlei nicht aus dem Auge verlieren. Erstens Deutschland, das vorläufig
durch den Vertrag von Versailles gebunden ist, und zweitens Rußland, das
sich vorerst noch den Augen des übrigen Europa verborgen hält und dessen
Wiederaufbau nicht ohne große Erschütterungen abgehen wird. An dem Tag,
an dem diese beiden Faktoren, Deutschland und Rußland, wieder auferstehen,
wird für uns eine sehr heikle Zeit anbrechen ... und da dies unweigerlich
eintreten wird, so müssen wir Maßnahmen treffen, daß sich dieses Wieder-
erstehen nicht zu unserem Nachteil auswächst 82 ."
Wir wissen noch zu wenig darüber, wie die deutsche Delegation auf den
Sturm reagierte, dem sie sich plötzlich nach der Unterzeichnung ausgesetzt
sah 83. Es scheint nicht, daß alle ihre Mitglieder Standfestigkeit zeigten, als
von Lloyd George die Zumutung kam, den eben getanen Schritt wieder
rückgängig zu machen 84. Maltzan, der von härterem Holze war als Wirth
und Rathenau, hatte, wenn wir einer Nachricht glauben dürfen, schon vor-
her den stärksten Widerstand im eigenen Hause ausgeschaltet, indem er
Ebert gerade so rechtzeitig von der beabsichtigten Unterzeichnung unter-
richtete, daß ein Eingreifen nichts mehr ändern konnte 85.
Hatte er, den seine unbeirrbare Hartnäckigkeit nun zum Ziele geführt
hatte, mit seinen Kalkulationen recht behalten? Hatte sich Deutschland
durch die übereinkunft mit den Sowjets Erleichterung, ja Handlungsfreiheit
verschafft, seine weltpolitische Lage verbessert, oder war der Vertrag, wie
Lloyd George in seiner Unterhausrede vom 25. Mai 1922 meinte, ein Fehler
und einem Irrtum entsprungen? Nur eine sorgfältige Analyse der deutschen
Lage von 1922 läßt eine Antwort auf diese Frage zu. Man wird, um mit
dem Konkretesten zu beginnen, nicht sagen können, daß durch den Akt
von Rapallo Chancen der deutschen Politik auf der Konferenz von Genua
selbst verspielt worden sind: dies gilt auch wohl, soweit wir das schon über-
sehen können, für die von Bergmann eingeleiteten Reparations- und An-
leiheverhandlungen; sie hätten niemals in das Konzept Poincan~s gepaßt,
die Waffe der Reparationen im Kampf um den Rhein einzusetzen. Gra-
vierender ist schon der Einwand, daß Lloyd George das deutsche Vorgehen
als schwere Illoyalität empfunden habe und di,e deutsche Rückendeckung
82 Zitat nach Farnbacher a. a. O. S.42.
83 Carr, Berlin-Moskau S. 87 berichtet über ein Gerücht, daß Rathenau, geängstigt
durch das Mißfallen der Westmächte, der Sowjetregierung vorgeschlagen habe, den Ver-
trag wieder rückgängig zu machen.
84 über das Ansinnen von Lloyd George in der Sache übereinstimmend Scheffer a. a. O.
S. 377 und H. Graf Kessler S. 347. Kessler spricht davon, daß die Ansichten der deutschen
Delegation geteilt waren.
85 Scheffer a. a. O. S. 377.
44 Theodor Schieder
Kräftigungsprozeß selbst dals alte Zarenreich hinter sich ließ, indem es das
ungeheur,e technische und mumpolitische Potential des russischen Reiches
entwickelte, desto mehr verschoben sich die Grundlagen der Rapallo-Poli-
tik zuungunsten des kleineren Partners, der in Gefahr kam, ohne genü-
gendes Gegengewicht an die Wand gedrückt zu werden. Seeckts Rechnung
von der Stärkung Rußlands, die indirekt eine Stärkung Deutschlands sein
werde, wie ,er es in seiner Denkschrift vom Sept,ember 1922 formulierte,
ging daher im letzten nicht auf. Es konnte eines Tages nach einem Wort
Brockdorff-Rantzaus die Gefahr entstehen, "Rußland durch unsere Freund-
schaft großzufüttern, um uns dann von ihm auffressen zu lassen 87". Der
Aufstieg Sowjetrußlands war ein Vorgang, der die europäischen Maße
sprengte und nicht mehr nur im Rahmen des kontinentaleuropäischen
Gleichgewichts gesehen werden durfte, ein Fehler, der sehr oft durch die
Berufung auf die "Bismarck-Politik" gemacht wurde.
Ein weiterer Einwand l1ichtet sich gegen die Politik des sozial und politisch
ungefestigten Weimarer Staats mit der Sowjetrnacht als dem Protagonisten
der Weltrevolution, dem Stützpunkt der kommunistischen Internationale.
Wurde hierdurch nicht die innere Sicherheit der äußeren geopfert? Es wurde
schon auf die auffällige Tatsache hingewiesen, daß der Rapallo-Vertrag im
Gegensatz zu den vorläufigen Abkommen vom Mai 1921 keine Bestimmung
enthielt, durch die eine subversive Tätigkeit der diplomatischen Vertretungen
gegen die Regierungen, bei denen sie beglaubigt waren, ausgeschlossen wurde.
Dies ist um so auffälliger, als die diplomatische Anerkennung des Sowjet-
regimes durch den ersten großen europäischen Staat, wie sie durch den Ra-
pallo-Vertrag seitens des Deutschen Reiches erneuert wurde, einen ungeheu-
ren moralischen und politischen Erfolg der Moskauer Regierung darstellte,
der eine russische Gegenleistung in Gestalt einer Garantie gegen bolschewisti-
sche Umsturzversuche wohl wert gewesen wäre. Wir wissen nicht, ob diese
Unterlassung, die in den Reichstagsdebatten von dem deutsch-nationalen
Abgeordneten Hoetzsch gerügt wurde 8s , eine zufällige war oder ob um sie
87 Stresemann- Vermächtnis II S. 534 f.
88 Stenogr. Ber. d. Verhdlg. d. Reichstgs. Bd. 355 S. 7711: "Wir verlangen vor allem
aber Klarheit im Verzicht auf die bolschewistische Propaganda. Wir sind uns gänzlich klar
darüber, daß eine solche Aufnahme der diplomatischen und konsularischen Beziehungen
unzweifelhaft größere Möglichkeiten eröffnet für die bolschewistisch-kommunistische Agi-
tation in unserem Lande. Daß sich selbst Herr Radek nicht unbedingt an diese Verpflich-
tungen hält, darüber liegen ja bereits Beweise vor. Wir verlangen, daß ana-log und in
Fortsetzung des Art. 15 im vorläufigen Wirtschafts abkommen vom 6. Mai v. J. das, wie
ich gleichfalls ausdJ'ücklich feststellen möchte, heute noch in Kraft ist, Sowjet rußland auf
die Fortführung der kommunistischen Propaganda verzichtet."
46 Theodor Schieder
im Zuge der Verhandlungen gerungen wurde. Auf jeden Fall hat sich Mos-
kau auch nach dem Rapallo-Vertrag, ohne Rücksicht auf den Vertragstext,
alle Wege einer Politik mit doppeltem Boden in Deutschland offengehalten,
d. h. es verfügte weiterhin über verschiedene Mittel, um das letzte Ziel seiner
Deutschland-Politik, die Ausklammerung des Reiches aus dem westlichen
System zu erreichen.
Das Für und Wider, das hier in der Form einer historischen Analyse ge-
geben wurde, trat unmittelbar nach dem Vertragsschluß weniger in dem
Gegensatz seiner Befürworter und Gegner hervor als in der verschiedenen
Auslegung des Abkommens und der Möglichkeiten seiner Fortentwicklung 89 •
Offene Ablehnung des Vertrags ist in der öffentlichkeit, auch in den
Reichstagsverhandlungen über die Ratifizierung kaum ausgesprochen wor-
den, schon mit Rücksicht auf die taktische Lage der Reichspolitik - daß sie
im Hintergrund sehr nachdrücklich vertreten wurde, zeigt das Beispiel des
Reichspräsidenten Ebert -, aber die voneinander abweichenden Begrün-
dungen der Zustimmung lassen ein höchst uneinheitliches Bild erkennen,
das man sich von diesem ersten Versuch einer unabhängigeren deutschen
Außenpolitik gemacht hat. Die Verwirrung war vielleicht am größten auf
der äußersten Linken, den Unabhängigen Sozialisten und Kommunisten,
deren Vertreter im Reichstag sehr gewundene Reden hielten. Die Wochen-
schrift "Die Internationale" verteidigte den Vertrag der sowjetischen Diplo-
matie mit dem bürgerlichen Deutschland etwa im Sinne von Lenins Theorie
von der Atempause: "Solange die Arbeiterklasse der Westläncler gegenüber
dem Angriff des Weltkapitals, der seit 1919 systematisch vorgetrieben wird,
noch nicht einmal zum Stehen gekommen ist, kann Sowjetrußland nicht
mehr als eine bestimmte RückzugsteIlung verteidigen, sich eingraben und
befestigen in dieser Stellung. Niemand kann erwarten, daß das westliche
Proletariat von heute auf morgen durch einen Angriff auf "seine Bour-
geoisie" Sowjetrußland ermöglichen wird, rasch vorzurücken. Aber es kann
und es muß schnellstens wenigstens seine Verteidigung organisieren und
das schließt ein die Verteidigung der Stellung, die Sowjetrußland unbedingt
halten muß, damit es als Reservestellung der westeuropäischen proletarischen
Revolution erhalten bleibt, wenn diese wieder vorrücken kann 90." Aber es
scheint, daß diese Theorie von der Sowjetmacht als "Hindenburglinie"
der Sowjetmacht zu machen. In allen erscheint auch der Gedanke der Revo-
lutionierung Deutschlands zu irgendeinem Zeitpunkt und in irgendeiner
Form.
Die sowjetische Politik in den Jahren n.ach dem Rapallo-Vertrag, in denen
die ausgleichende Führung Lenins immer mehr ausfiel, wird daher auch
dadurch gekennzeichnet, daß in ihr mehrere Tendenzen nebeneinander und
nacheinan.der wirksam werden, daß sie den Versuch, Deutschland in ihren
Bannkreis zu ziehen, auf verschiedenen Wegen unternimmt. Sie behält sich
auch nach Rapallo stets den übergang von politischer Diplomatie in revolu-
tionäre Aktion vor. Das gilt einmal für Radeks nationalbolschewistische
Vorstöße, die im Herbst 1923 in einer Huldigung an Albert Leo Schlageter
gipfelten ("Schlageter, der mutige Soldat der Konterrevolution, verdient es,
von uns, den Soldaten der Revolution, aufrichtig verehrt zu werden !P3") und
im Augenblick größter nationaler Erregung in Deutschland während des
R'llhrkampfes den Gedanken eines gemeinsamen deutsch-russischen Revolu-
tionskrieges am Rhein als Lockmittel verwendeten. Wenn aum der Rückhalt
dieser Politik am Kreml umstritten, seine Wirkungen in Deutschland über
kleine Kreise hinaus bei der antikommunistischen Haltung des deutschen
nationalen Bürgertums zweifelhaft sind, so kann Radeks Unternehmen
dom eine ,gewisse politische Bedeutung nicht abgespromen werden. Ob es
tatsämÜch mit der zunehmenden englisch-russischen Spannung in Zusam-
menhang gebracht werden kann, wie Ruth Fischer es tut, mag dahin-
gestellt bleiben 104.
Sicher aber scheint es zu sein, daß das Ausspielen der zweiten Karte, der
kommunistischen Revolution, durch ,die Sowjets nicht unbeeinflußt gewesen
ist von Rücksichten auf die englische Politik. Noch einmal nach Rapallo
vollzieht die Sowjetmacht in ihrem Verhältnis zu Deutschland den Wemse1
von Staatenpolitik und Diplomatie zur revolutionären Strategie und zwar
in dem Augenblick, in dem sim nam dem Abbruch des passiven Widerstands
unter Stresemanns Kanzlersmaft die Möglichkeit einer deutsm-englischen
Annäherung abzeichnet. Während Stalin, in dem sich vorbereitenden Kampf
um die Nachfolge des todkranken Lenin damals schon eine entscheidende
Figur, noch im Sommer 1923 die Meinung vertrat, die deutschen Genossen
müßten gebremst und nicht angespornt werden, unterstützte er unter dem
Eindruck der Stresemannschen Versuche, England näher zu kommen, den
Gedanken einer revolutionären Erhebung des deutschen Kommunismus.
103 Zitiert bei Ruth Fischer a. a. O. S. 329.
104 Ruth Fischer a. ,a. O. S. 332.
52 Theodor Schieder
IV
Es ist für die Beurteilung der verschiedenen Tendenzen in der deutschen
Politik nicht ohne Interesse, daß das J.ahr 1924 auf der einen Seite durch
eine Verstärkung der militärischen Kontakte mit Rußland gekennzeichnet
wird: damals spätestens wurde die »Zentrale Moskau" als ständige Ver-
tretung der Reichswehr eingerichtet; damals begann der Aufbau des deutschen
Flugzentrums Lipezk bei Woronesch 108. In der gleichen Zeit machte aber die
deutsche Außenpolitik unter Gustav Stresemann die ersten Schritte auf neuen
105 Darüber eingehend Ruth Fischer a. a. O. S. 378 H.
108 Eine Andeutung bei Ruth Fischer a. a. O. S. 401 bleibt ohne Quellenangabe.
107 Ruth Fischer a. a. O. S. 444 f.
108 Speidel a. a. O. S. 20 u. 24 und G. Castellan a. a. o. S. 173.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 53
Wegen, die weit vom Osten weg zu führ,en schtienen. Sie stand unter dem
Eindruck einer seit 1922 verstärkten Bewegungsfreiheit, seitdem die Ver-
einigten Staaten sich in die Rep.ar,ationsfrage einzuschalten begonnen hatten
und die ,englische Politik den Willen zeigte, ,die Lage in Westeuropa zu
stabilisieren und die französische Ruhrpolitik zu liquidieren. In dieser Lage
konnten die deutschen Staatsmänner andererseits auch nicht übersehen, daß
der Partner von Rapallo nicht mehr derselbe war wie 1922: er hatte die
Krise nach Lenins Tod rasch überwunden und sich weiter konsolidiert;
sein machtpolitisches Gewicht drückte schon weit stärker auf Europa und
auf Deutschland als noch 1920 oder 1922; ihm ungedeckt und ungestützt
gegenüberzutreten, war bereits mit einem größeren Risiko verbunden als
in den Jahren zuvor.
Ein grundsätzlicher Wandel deutete sich jetzt vielleicht zum erstenmal
an: gegenüher dem seine Macht zusammenballenden Sowjetstaat, der das
zaristische Rußland in der Entwicklung seiner technischen und machtmäßigen
Möglichkeiten weit hinter sich zu lassen hegann, gingen die Vorteile der
deutschen Mittellage allmählich verloren und wurde Deutschland in die
europäische Randlage gedrängt; eine Veränderung, die in den zwanziger
Jahren, vor allem infolge der in den alten Geleisen v,erharrenden fran-
zösischen Kontinentalpolitik, noch kaum ins Bewußtsein treten konnte. In
dieser Situation wird die Außenpolitik des Reiches trotz seiner Machtlosig-
keit, ja vielleicht gerade wegen seiner Machtlosigkeit zu einer nur mit den
subtilsten Mitteln zu lösenden Aufgabe. Die Bismarckische Politik in der
Mitte Europas konnte die Sicherheit Deutschlands primär auf die eigene
Macht stellen und diese in ihrer geographischen Gefährdung bündnis-
politisch abstützen. Die Reichspolitik von 1924/25 mußte von ihrer mili-
tärischen Ohnmacht ausgehen, sie konnte von sich selbst nichts und nur
alles von den anderen Mächten erwarten, d. h. sie mußte ihre Sicher-
heit in erster Linie von der Eingliederung in das mächtepolitische Gleich-
gewichtssystem erwarten und gleich2Jeitig durch außenpolitisches Handeln
Schritt für Schritt die eigenen Sicherheitskoeffizienten vergrößern.
Den absoluten zeitlichen Vorrang vor aUen andern Problemen nahm in
diesen überlegungen für die deutsche Politik die Rhein- und Ruhrfrageein:
von hier kam die stärkste Bedrohung und hier gab juristisch der Versailler
Vertrag, politisch das englische Interesse die Chance, die Einschnürung zu
lockern. Das sind kurz umrissen die Fragen, vor die sich der deutsche Außen-
minister Gustav Stresemann gestellt sah und an die er mit dem ihm eigenen
geistigen Elan und großer Beweglichkeit heranging. Daß der Schwerpunkt
54 Theodor Schieder
109 Zitiert aus einem Brief Stresemanns an Oberstleutnant Bauer vom 8. August 1918,
gedruckt bei W. Gatzke, Zu den deutsch-russischen Beziehungen im Sommer 1918.
Vjh. f. Zg. 3, 1955 S. 94.
109a Reichs~agsrede vom 20. Februar 1918. Gedruckt in: Macht und Freiheit. Vorträge,
Reden und Aufsätze von Gustav Stresemann (Halle 1918, S. 156 H.).
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 55
Lord d' Ahernon hielt 110. Derjenige, der innerhalb des Auswärtigen Amts
eine Ostorientierung mit Nachdruck solchen Einflüssen gegenüber hätte ver-
treten können, Ago von Maltzan, war inzwischen .an ·die Botschaft in
Washington versetzt worden; mit ihm hätte es kein Locamo gegeben,
schreibt Lord d' Aibernon in seinen Memoiren.
So blieb .als Anwalt einer verstärkten Rapallo-Politik der deutsche Bot-
schafter in Moskau, Graf Brockdorff-Rantzau, wohl die profiilierteste Er-
scheinung der deutschen Diplomatie der Weimarer Zeit, der Mann, dessen
innere Paradoxie darin bestand, daß er als der Trä:ger fortschrittlicher Ge-
sinnung und Politik galt und doch zugleich am stärksten inden Lebensformen
und überzeugungen der alten Aristokratie wurzelte, wie ein einsamer Fels,
"der von Urz·eiten her in einer gänzlich veränderten Welt stehengeblieben
ist 111 ." Brockdorffs Grundedebnis war die Demütigung von Vers.ailles, die
er höchst persönlich empfand und die in ihm einen brennenden Haß vor
allem gegen Frankreich geweckt hatte. Doch: ist er nicht etwa mit Vorstellun-
gen einer antiwesdichen Revanchepolitik auf seinen Moskauer Posten ge-
gangen; er scheint - im Geg.ensatz zu Seeckt -das Verhältnis zu Rußland an-
fangs mehr in einem rein diplomatischen Sinne auszugestalten entschlossen
gewesen zu sein, ohne zu starkes, vor allem ohne militärisches Engagement
mit den Sowjets, ohne "aktive Bündnispolitik". Das Verhältnis zu Rußland
für die auswärtige Politik und die Weltstel:lung Deutschlands, schrieb er in
einer Denkschrift vom 8. Juli 1922 112 , könne nur der Faiktor werden, "der
uns nottut, wenn di.e EntentJe spürt, daß eine Verbindung zwischen Deutsch-
land und Rußland besteht, nicht auf Revanche berechnet, aber eine Macht,
die dem Wiederaufbau dienen und Respekt einflößen soll". Der politische
Sinn dieses außenpolitischen Programms kann nur in der Rücksicht auf Eng-
land gefunden werden: England, so meint Brockdorff wenig.e Wochen
später, muß Bundesgenossen sumen, "und eines steht fest, es wird diesen
Bundesgenossen immer gegen Frankreich suchen, solange sich nicht Kombi-
nationen entwickeln, die England und Frankreich zusammenhalten oder er-
neut zusammentreiben. Eine solche Kombination würde ein deutsch-russisches
Bündnis da·rstellen 113." Die Möglichkeiten einer Politik, die in Mächte-
kombinationen dachte, ohne Machtpolitik treiben zu wollen, waren, anders
als die radikalere und einseitige Konzeption Seeckts, nich:t bis in ihre letzten
110 Dirksen a. a. O. S. 55 f.
111 Dirksen a. a. O. S. 59.
111 Gedruckt bei Helbig a. a. O. S. 329 H.
113 Denkschrift vom 15. August 1922: zum erstenma,l vollständig gedruckt bei Helbig
a. ,a. O. S. 331 H.
56 Theodor Schieder
114 Das Wort von der "Schicksalsgemeinschaft" hatte Stresemann schon 1922 bei der
Reichstagsdebatte über den Rapallo-Vertrag gebraucht. (Stenogr. Ber. d. Verhdlg. d.
Reichstgs. Bd. 354 S. 6648.)
115 Äußerung von Brockdorff-Rantzau an Maltzan vom 27. März 1923, mitgeteilt von
Helbig a. a. O. S. 324.
116 Helbig a. a. o. S. 324 schränkt dies dahin ein, daß Brockdorff-Rantzau mit Thomsen
Wenden wir uns nun den Ereignissen zu, durch die Gustav Stresemann
die deutsche Außenpolitik zwischen Westen und Osten zu steuern suchte. Es
ist an dieser Stelle unmöglich, das verwickelte Geflecht der diplomatischen
Verhandlungen darzustellen, deren Ergebnis der Locarno-Pakt von 1925
gewesen ist; wir müssen unsere Aufmerksamkeit auf die Punkte konzen-
trieren, durch die die Rapallo-Politik und die weitere Gestaltung der deutsch-
russischen Beziehungen betroffen wurden. Es war die deutsche, wenn auch
von Lord d'Abernon mitausgelöste Initiative, die die Verhandlungen über
den Sicherheitspakt einleitete; die deutsche Diplomatie wollte damit einem
einseitigen englisch-französischen Garantiepakt im Westen zuvorkommen,
und sie hat an seiner Stelle bei freiwilliger Anerkennung des territorialen
Status quo an der deutschen Westgrenze die Garantien Englands und Italiens
für beide Seiten, also auch für Deutschland bei einem französischen Angriff
erreicht. Die Rückwirkungen dieses Abkommens auf Deutschlands Verhältnis
zu den Mächten im Osten ergaben sich einmal aus der einfachen Tatsache,
daß das Reich an seiner Ostgrenze, für die es eine ähnliche freiwillige Sank-
tionierung kategorisch ablehnte, durch die Konsolidierung der Verhältnisse
am Rhein stärkere politische Handlungsfreiheit im allgemeinsten Sinne ge-
wann. Davon war in erster Linie Polen betroffen. Ihm brachte zwar der
gleichzeitig mit Deutschland abgeschlossene Schiedsvertrag Schutz gegen eine
gewaltsame Veränderung seiner Grenzen 118; seine bündnispolitische Lage
hatte sich aber sicher gegenüber den Vorteilen, die aus den vollen
Allianzverpflichtungen des Bündnisses mit Frankreich vom 19. Februar 1921
zum Schutze nicht nur des Staatsgebiets, sondern auch der »beiderseitigen
wirtschaftlichen und politischen Interessen" der Bündnispartner erwuchsen,
verschlechtert. Frankreich und Polen konnten seit dem Abschluß des deutsch-
polnischen Schiedsvertrages nicht mehr ohne Einschaltung des Völkerbundes,
an dem künftighin Deutschland beteiligt sein sollte und ohnehin England
beteiligt war, ihr Bündnis praktizieren.
Wo aber wurde das deutsch-russische Verhältnis von der Locarno-Poiitik
Stresemanns tangIert? Hier müssen die formal-juristischen und die allgemein-
politischen Gesichtspunkte auseinandergehalten werden. Was diese anlangt,
so sahen die Russen in der Locarno-Politik und mehr noch, wenn nicht aus-
schließlich, in dem durch sie vorbereiteten Eintritt Deutschlands in den
Vökerbund anfangs nicht mehr und nicht weniger als den Zusammenbruch
118 Karl Dietrich Erdmann hat dies in seinem Aufsatz über das Problem der Ost- oder
123 Sie sind jetzt vollständig gedruckt im Anhang zu dem Aufsatz von K. D. Erdmann
a. a.O
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 61
der Mächte des Versailler Vertrags fände und werde deshalb anderwärts
Anschluß suchen. Er halte es nicht für ausgeschlossen, daß Polen versuchen
werde, mit Rußland engere Fühlung zu nehmen 124. - Jetzt erst entschloß sich
die deutsche Regierung, in die bisher dilatorisch geführten Verhandlungen
ihrerseits mit einem Gegenvorschlag einzugreifen. Er sollte den Russen den
Eindruck nehmen, daß di.e deutsche Politik ihren Angeboten nur negativ
gegenüberstände, ohne daß er aMerdings die Verhandlungen mit dem Westen
irgendwie präokkupieren durf~e. Ende Juni kehrte der deutsche Botschafter,
der monatelang in Berlin für die Annahme der russischen Vorschläge gewirkt
hatte und nach dem Scheitern seiner Bemühungen mit Mühe davon abgehal-
ten werden konnte, sein Rücktrittsgesuch zu vertagen, nach Moskau zurück.
Er wurde begleitet von Herbert von Dirksen, dem Leiter der Osrabteilung
des Auswärtigen Amts seit Februar 1925, von dem man sagen konnte, daß er
der Politik des Außenministers näherstand als der Botsch'after, der "in seiner
Sprachführung eher ein Vertreter des russischen Standpunktes" genannt wer-
den konnte 125. Dirksen sollte nicht nur die seit Monaten festgefahr.enen
Handelsvertr.agsverhandlungen wieder in Gang bringen, sondern den So-
wjetsta-atsmännern auch den deutschen Entwurf für die Neuordnung der
politischen Beziehungen überbringen und erläutern. Di'eser Entwurf stammte
von Gaus, dem Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts, der
glaubte, mit ihm die neue Formel gefunden zu haben, "von der er eine ma-
gische Wirkung ·auf die ,russisme Psyche erwartete" 126. Die Idee war dabei,
diese Formel -als eine Art grundsätzliche Präarnbel in den Wirtsmaftsver-
trag aufzunehmen, über den schon lange verhandelt wurde, ein Verfahren,
für das offensich1llic.'I der tschechoslowakisch-russische Handelsvertrag vom
4. Juli 1922 ,a,ls Muster genommen war, dessen Bräambel sogar eine ausdrück-
liche Neutralitätsverpflichtung enthielt 127. Die Gaussche Präambel 128 war
124 Die im Stresemann-Vermämtnis 11. S. 516 H. gedruckte Aufzeimnung Stresemanns
über sein Gespräm mit Litwinow ist, wie die meisten Dokumente, die sim auf die Ruß-
land-Politik beziehen, unvollständig. Der vollständige Text im Namlaß, Mikrofilm
Rolle 3165/7415/175580 H.
125 Dirksen ,a. a. O. S. 66 H.
126 Dirksen a. a. O. S. 67.
121 Inhaltsangabe des tsmemoslowakism-russismen Vertrages bei Schulthess, Europäi-
smer Gesmimtskalender 1922 S. 423. Zum ersten Mal wird in den Stresemann-Papieren
der russism-tsmemoslowakisme Vertrag am 25. 4. 1925 erwähnt. Stresemann kommt auf
diesen Vertrag immer wieder zurück, so vor allem in seinem Gespräm mit dem russismen
Botsmafter Krestinski am 11. Dezember 1925, Strcsemann-Vermämtnis 11 S. 531 f.
128 Der Wortlaut nam den Stresemann-Papieren, Mikrofilm Rolle 3165/7415/
175594 H. in: "Rimtlinien für die Fortsetzung der politismen Verhandlungen mit Ruß-
land", Anlage 111.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 63
von betonter Unverbindlichkeit, wenn sie auch vor allem den Grundsatz
der Konsultation und der Neutralität andeutete und wenigstens die Kern-
punkte des späteren Berliner Vortrags im Keime enthielt.
Es war klar, worauf es der deutschen Diplomatie ankam: während die
Sowjets ihre Bemühungen darauf konzentrierten, einen Vertrag zu schließen,
der eine Verständigung über Deutschlands Völkerbundeintritt ausschloß,
wollte sie eine Formel, .die unverfänglich genug war, um andere Verpflich-
tungen nicht von vornherein unmöglich zu machen. Stresemann hat später
noch im Dezember an dem Grundsatz festgehalten, kein Neutralitäts-
abkommen, das sich auf den Kriegsfall beziehe, mit Rußland abzuschließen.
Er wollte den Eindruck vermeiden, daß Deutschland der Ansicht sei, ein-
mal mit Aussicht auf Erfolg Krieg führen zu können, und daß es sich
jedenfalls mit der Möglichkeit der Führung eines Krieges beschäftige.
Als Tschitscherin der Zauberformel von Gaus nicht erlag 129, die er später
einmal "Bekenntnisse einer schönen Seele" nannte, und Dirksen unverrich-
teter Dinge aus Moskau zurückkehrte, spitzten sich die Ereignisse drama-
tisch zu. Noch. im Juli versuchte Tschitscherin die deutsche Formel im Sinne
einer klaren Neutralitätsverpflichtung zu modifizieren und dahin auszu-
weiten, daß er Deutschlands Völkerbundseintritt an die Einwilligung Ruß-
lands band 130. Unmittelbar vor Beginn der Locarno-Konferenz setzte der
russische Außenkommissar dann persönlich zum letzten Stoß an; er reiste
über Warschau nach Berlin und machte alle Anstrengungen, in mehreren bis
in die tiefe Nacht geführten Gesprächen Stresemann in letzter Minute von
seinem Wege zurückzureißen. Die polnische Frage taucht hi.er noch einmal
in ihrer doppelten Funktion auf: als Lockmitt-el für die deutschen Revisions-
ansprüche und als Drohung einer russisch-polnischen Verständigung, der sich
schließlich noch Frankreich anschließen könnte. Stresemann ließ sich jedoch
durch nichts dazu bestimmen, vor Beendigung der westeuropäischen Ver-
handlungen Bindungen im Osten einzugehen; das einzige, was Tschitscherin
erreichte, war der lang verschleppte Abschluß des deutsch-russischen Han-
delsvertrags, über den das Reichskabinett am 2. Oktober, also drei Tage
vor Beginn der Locarno-Konferenz Beschluß faßte.
Wenn auf deutscher Seite in den früheren Stadien der Verhandlungen die
Möglichkeit eines vorbehaltlosen Völkerbundeintritts nicht ausgeschlossen
wurde, so mußte es aber immerhin als ein weiterer Erfolg der russischen
Politik betrachtet werden, daß unmittelbar vor -dem Beginn der Locarno-
129 Dirksena. a. O. S. 67.
130 Hilger, The Incompatible Allies (New York 1953) S. 145.
64 Theodor Schieder
" Diejenigen, die Deutschland entwaffnet haben, würden die ersten sein,
die Deutschland wieder bewaffnen." Aber Stresemann blieb auch einer
solchen überraschenden Aussicht gegenüber, die man ganz ,auf dem Hinter-
grund der englisch-russischen Spannung sehen muß, in diesem Punkte fest;
er setzte eine Formulierung durch, die Deutschlands Sanktionsverpflich-
tungen auf ein Maß beschränkte, das, wie der vereinbarte Text nun sagte,
»mit seiner militärischen Lage verträglich sei und das seiner geographischen
Lage Rechnung trage". Damit war für den entscheidenden Fall, für einen
russisch-polnischen Krieg die deutsche Handlungsfreiheit zwar nicht voll-
ständig, aber doch in weitem Maße gewahrt und Deutschland ohne Bruch
seiner Völkerbundsverpflichtungen von der lastenden Verpflichtung befreit,
gegen seine realen Machtmöglichkeiten und seine letzten nationalen Exi-
stenzfragen handeln zu müssen.
Auf welche Fälle sich überhaupt der vertragliche Zwang zu einem deut-
schen Handeln auf Grund des Artikels 16 einengte, war schon in der deut-
schenDenkschrift vor der Konferenz zusammengefaßt: nach ihr bestand eine
Verpflichtung zum Vorgehen gegen Rußland nur, »wenn folgende Voraus-
setzungen erfüllt sind: Rußland muß als Nichtmitglied des Völkerbundes
durch einstimmigen Beschluß des Völkerbundsrats aufgefordert worden sein,
sich den Bestimmungen der Völkerbundsatzung über das Schiedsverfahren
zu unterwerfen, und zwar unter Bedingungen, die wiederum einstimmig
vom Rat zu beschließen sind. Ferner muß Rußland kriegerische Maßnahmen
gegen Polen ergriffen haben, nachdem es entweder die Aufforderung des
Völkerbundrats abgelehnt oder sie zwar angenommen, aber die Satzungs-
bestimmungen über das Schiedsverfahren verletzt hat. Endlich muß Deutsch-
land anerkannt haben, daß Rußland als Angreifer vorgegangen ist. Deutsch-
land könnte als Ratsmitglied die vorerwähnten Entscheidungen des Rats
verhindern und damit eine Völkerbundsaktion überhaupt unmöglich
machen. Praktisch wird es sich allerdings dem Antrag, an Rußland die er-
wähnte Aufforderung zu richten, kaum widersetzen können. Dagegen bieten
die Erwägungen über die vom Rat zu beschließenden Modalitäten dieser
Aufforderung Deutschland schon eine Gelegenheit, seine besonderen poli-
tischen Interessen wahrzunehmen. In der weiteren Frage, ob Rußland An-
greifer ist, kann Deutschland anerkanntermaßen ganz nach freiem Ermessen
handeln, ohne an irgendwelche Feststellungen des Rats gebunden zu sein.
Allerdings könnte es den Angriff Rußlands nicht leugnen, wenn dieser
offen zutage liegt. Deutschland würde sich sonst in den Augen der Welt der
Konnivenz schuldig oder wenigstens verdächtig machen. Dagegen kann sich
66 Theodor Schieder
Deutschland sich überhaupt mit der Möglichkeit der Führung eines Krieges
beschäfigte, was schon infolge seiner Abrüstung ausscheide. Es war das
gleiche Argument, das auf der Locarno-Konferenz gegen die vorbehaltlose
Anwendung des Artikels 16 des Völkerbundpakts vorgebracht worden war,
und das man in der Tat als realen Ausdruck der wirklichen Machtlage des
Reichs ansehen muß. Krestinski insistierte auf seinem Vorschlag, da Ruß-
land nur der Kriegsfall interessiere rund es immerhin mit einer Einkreisung
rechnen müsse. Und schon taucht, sicher nicht zufällig, in diesem Zusam-
menhang das zum erstenmal in Locarno beschworene Gesperrst einer deut-
schen Aufrüstung auf, durch das Stresemanns taktischer Rückzug auf die
deutsche Entwaffnung hinfällig werden konnte: Was werde geschehen, fragt
Krestinski, "wenn im Fall eines Konflikts der Westmächte mit Rußland
die Westmächte uns plötzlich die Erlaubnis geben würden, 500 000 Manri
unter die Waffen zu rufen ... ?" Gegen eine solche Gefahr könne Rußland
nur durch einen Neutralitätsvertrag mit Deutschland geschützt werden.
Der russische Vorstoß hatte immerhin die Wirkung, daß nun die deutsche
Politik ohne die eigenen Positionen preiszugeben und ohne in dem entschei-
denden Punkt, nämlich der Ablehnung eines formellen Neutralitätsvertrags
nachzugeben, die eigenen Formulierungen etwas geschmeidiger an die rus-
sischen Wünsche anzupassen suchte. Am 22. Dezember machte Stresemann
Tschitscherin mit einem neuen deutschen Protokoll-Entwurf bekannt 134.
Er stipulierte in 8 Punkten ein Abkommen, das die russischen Besorgnisse
vor einer Teilnahme Deutschlands an einem gegen Rußland gerichteten
Krieg zerstreuen soll. Der wesentliche Inhalt dieses Protokolls, das die
erste Gaussche Formel vom Sommer weiterentwickelt, ist in den Berliner
Vertrag eingegangen: so die Berufung auf den Rapallo-Vertrag als Grund-
lage der deutsch-russischen Beziehungen, die auf dieser Basis in freund-
schaftlicher Zusammenarbeit weiterentwickelt werden sollen; sodann die
Verpflichtung zu ständiger Konsultation und der Verzicht auf wirtschaftliche
Boykottmaßnahmen. Die deutsche Versicherung, der Eintritt Deutschlands
in den Völkerbund werde das Verhältnis zu Rußland nicht beeinträch-
tigen, sowie die Notifizierung des deutschen Standpunkts hinsichtlich der
Sanktionsartikel 16 und 17 und der Hinweis auf einen abzuschließenden
Schiedsvertrag erscheinen in der dem Berliner Vertragswerk angehängten
134 Vgl. Stresemann, Vermächtnis 1I, 535 H. Der Text des 1. Protokoll-Entwurfs.
Mikrofilm Rolle 3165. Anlage IV dieser Arbeit bringt den nebeneinandergestell-
ten Text zweier Entwürfe (3165/7415/175553 H.), von denen der zweite vom
Januar/Februar 1926 stammen muß. Welche Rolle er in den Verhandlungen gespielt hat,
ist noch nicht bekannt.
68 Theodor Schieder
134a Der Protokoll entwurf motiviert dies mit der Feststellung, "daß die Frage, ob Ruß-
land bei einem bewaffneten Konflikt mit einem dritten Staat der Angreifer ist, mit binden-
der Wirkung für Deutschland nur mit dessen eigener Zustimmung entschieden werden
kann". Er setzt allerdings interessanterweise folgende Unterstellung voran: "Da ein der-
artiger Angriffskrieg nicht in den Absichten der Politik der UdSSR liegt, scheidet die
Möglichkeit eines Sanktionsverfahrens gegen Rußland von vornherein aus." Die Friedens-
liebe der Sowjets bleibt also Voraussetzung.
135 Aufzeichnungen Stresemanns über seine Verhandlungen mit Tschitscherin vom
22.12.1925. Mikrofilm Rolle 3165. Teilabdrutk Vermächtnis 11 S. 35 H.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 69
Leider sind wir noch zu wenig über den Fortgang der Verhandlungen
unterrichtet, um die Umwandlung des Protokoll-Entwurfs in den schließlich
unterzeichneten Wortlaut des Berliner Vertrags im einzelnen verfolgen und
beleuchten zu können. Die 8 Punkte vom Dezember 1925 haben noch ein-
mal eine Umformung erfahren, in der bereits der Wille zu einer Betonung
verpflichtender Bindungen zu spüren ist. Doch bleibt immer noch die Diskre-
panz zwischen dem Gedanken eines freieren Protokolls, wie ihn die deutsche
Regierung vertrat, und einem formellen Vertrag nach der Intention der
sowjetischen Politik bestehen. Sie wird erst unter noch unbekannten poli-
tischen Voraussetzungen im Sinne der russischen Forderungen überwunden,
als auf einer Sitzung des Reichskabinetts vom 26. Februar 1926 die Entschei-
dung für einen formellen Vertrag mit der Sowjetunion fällt 136, kurze Zeit
nachdem Deutschland am 8. Februar den formellen Aufnahmeantrag in
den Völkerbund gestellt hatte. Am Tage der Kabinettssitzung noch ging
dem deutschen Botschafer in Moskau der Entwurf eines deutsch-russischen
Neutralitätsvertrags mit einem beigefügten Protokoll zu, das aber nun
bereits in die Form des Notenwechsels umgegossen war, wie er nachher dem
Berliner Vertrag angehängt wur,de 137.
Dieser Entwurf entsprach im wesentlichen schon dem Wortlaut des end-
gültigen Vertrags. Die einzige Änderung von einiger Bedeutung betraf den
Artikel2, dessen Entwurf von Neutralitätswahrung dervertragschließenden
Teile »im Falle eines unprovozierten Angriffs auf eine der beiden Mächte
durch eine dritte" gesprochen hatte. Hier verlangten die Russen eine Ab-
änderung, die schließlich in der den Defensivcharakter ,des Vertrags abschwä-
chenden Formel »trotz friedlichen Verhaltens" gefunden wurde.
Es war ein großes, in seinen Motiven noch nicht aufgeklärtes Zugeständ-
nis der deutschen Regierung, daß sie am Ende sich doch zu einem formellen
Neutralitätsvertrag bereitfand. Stresemann brachte dies in seinem Erlaß
an Brockdorff-Rantzau nachdrücklich zum Ausdruck und bemerkte, daß
nach deutscher Ansicht die bisher vorgeschlagene Protokollform den beider-
seitigen Interessen dienlicher gewesen wäre, weil sie eine freiere Darstellung
der politischen Gedankengänge ermöglicht hätte. Mit Rücksicht auf die
Wünsche Tschitscherins habe die Deutsche Reichsregierung jedoch von einer
136 G. Hilger a. a. O. S. 146. Interessant ist, daß die von Rabenau a. a. O. vorgelegten
Seeckt-Briefe für die entscheidende Zeit zwischen Januar und März 1926 eine intensive
Verhandlungstätigkeit Seeckts mit den Russen erkennen lassen (S. 429 f.).
137 G. Hilger a. a. 0 S. 147. Diesen Hinweis übersieht Gatzke, a. a. O. S. 23, wenn er
sagt, daß dem Vertragsentwurf "das Protokoll, d. h. der Gaussche Entwurf" als Anhang
beigegeben war. Eben dies trifft nicht zu.
70 Theodor Schieder
138 Aus dem Erlaß Stresemanns an Brockdorff-Rantzau vom 26. Februar 1926 nach
einem Exzerpt von Botschaftsrat a. D. G. Hilger aus den Akten des auswärtigen Amtes,
das mir freundlicherweise von Herrn Hilger zur Verfügung gestellt wurde.
189 Diese Möglichkeit wird von W. Gatzke a. a. 0., S. 24 angedeutet.
140 Hilger a. a. 0., S. 147.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 71
würde dies den Eindruck erwecken, "als ob wir den Eintritt als feststehende
Tatsache ansehen, was den diplomatischen Kampf in der Frage des Rats-
sitzes zu unserem Nachteil präjudizieren könnte". Hieraus kann man wohl
schließen, daß die Rücksicht auf die Ereignisse im Völkerbund, auf die sich
schon vor seiner Sitzung abzeichnenden Schwierigkeiten, den deutschen
Wunsch nach einem ständigen Ratssitz zu erfüllen, schließlich den Ausschlag
dafür gegeben hat, daß die deutsche Regierung die Verhandlungen mit der
Sowjetunion nicht an einer starren Haltung in der Neutralitätsfrage schei-
tern lassen wollte.
Der Berliner Vertrag in dem Wortlaut, in dem er schließlich am 24. April
1926 ans Licht der öffentlichkeit getreten ist, läßt äußerlich kaum Spuren
davon erkennen, daß er das Ergebnis langer Verhandlungen mit sehr ver-
schiedenen Unterhandlungszielen gewesen ist, höchstens die Teilung in einen
in präzisen Artikeln festgelegten Text und einen zum Vertragswerk gehö-
renden, aber vom Haupttext abgesetzten Norenaustausch zwischen Strese-
mann und dem Sowjetbotschafter deutet darauf hin. Inhaltlich unterschei-
Jen sich die beiden Teile dadurch, daß nur die Annexe von der Tatsache
Kenntnis nehmen, daß Deutschland Völkerbundsverpflichtungen auf sich zu
nehmen im Begriffe war. Sie stellen gleichsam die Nahtstelle dar, an der
die beiden Vertragswerke im Westen und Osten miteinander verknüpft
sind. Juristisch ist in dieser Naht kein Bruch; denn alle Vorbehalte, die
Stresemann hinsichtlich der Sanktions artikel in seiner Note an Krestinski
formulierte, standen formell im Einklang mit Deutschlands künftigen Ver-
pflichtungen als Völkerbundsmitglied: Die Feststellung sowohl, daß die
Frage, ob die UdSSR bei einem bewaffneten Konflikt mit einem dritten
Staate der Angreifer sei, mit hindender Wirkung für Deutschland nur mit
dessen eigener Zustimmung entschieden werden könne, und die dadurch ge-
gebene Einschränkung, "an irgendwelchen auf Grund des Art. 16 eingelei-
teten Maßnahmen teilzunehmen", wie schließlich die durch das V ertmgs-
werk von Locarno selhst geschaffene Auslegung des Artikels 16.
Die politische Realisierung dieser doppelten Verpflichtungen - hier Neu-
tralität, dort, wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen, Teilnahme an
Sanktionen - mußte hingegen als eine weit kompliziertere Aufgabe erschei-
nen. Es kann nicht bestritten werden, daß Stresemann an die Möglichkeit
dieser Realisierung ernsthaft geglaubt hat; er war ehrlich bestrebt, nur Ver-
pflichtungen zu übernehmen, die Deutschland mit seinen politischen und
militärischen Gegebenheiten nach Versailles tatsächlich erfüllen konnte. Er
wollte aber auch andererseits keine Bindungen eingehen, die dem Deutschen
72 Theodor Schieder
im buchstäblichen Sinne nicht zu, wenn Stresemann am 26. April 1926 vor
der Presse erklärte, im Grunde bringe der Vertrag politisch nichts Neues 141.
Das konnte man höchstens insofern sagen, als auch im Rapallo-Vertrag ein
faktischer Neutralitätswille sich kundgab. Entscheidend ist aber etwas an-
deres: der Vertrag von Rapallo war ein Abkommen mit der größten Ost-
macht ohne Ausgleich im Westen, ein taktischer Schachzug gegen die west-
liche Welt. Der Vertrag von Berlin versucht der deutschen Politik in der
Mitte zwischen Ost und West nach beiden Seiten Sicherheit und Luft zum
Atemholen zu verschaffen, am Rheine durch den Abzug der Besatzung und
an den östlichen Grenzen, indem er die Weichen diplomatisch so stellte, daß
die Hoffnung auf eine territoriale Revision auf friedlichem Wege genährt
wurde, so problematisch diese Hoffnung gewesen sein mag. Man kann ge-
gen di'ese Politik einwenden, daß sie zu kleinräumig-europäisch im tradi-
tionellen Sinnangel.egt war, und zwar die aufsteigende sowjetische Welt-
macht miteinbezog, nicht aber die Vereinigten Staaten von Amerika auf der
Gegenseite. Als der Locarno-Vertrag 1936 auf seine Probe gestellt wurde,
wirkte sich die Abwesenheit der USA zweifellos dahin aus, daß das Garan-
tiesystem nicht funktionierte, noch dazu da es sich durch den politischen Ge-
gensatz der beiden europäischen Garantiernächte gegeneinander in der Abes-
sinien-Krise sozus.agen selbst aufhob. Zu einer ähnlichen Bewährungsprobe
des Berliner Vertrags ist es nicht gekommen; seine gleichgewichtspolitische
Bedeutung in der kurzen Spanne der sieben Jahre, in denen er überhaupt
wirkliches Gewicht hatte, lag mehr in den indirekten Einflüssen, die von
ihm etwa auf das deutsch-polnische Verhältnis ausgingen.
Die Gründe dafür, daß das Sicherheitssystem von 1925/26 nach kaum
einem Jahrzehnt seiner Geltung zusammengebrochen ist, müssen jedoch
weniger in seinem gleichgewichtspolitischen Versagen als in der Unangemes-
senheit seiner Mittel und Möglichkeiten angesichts der Gefahren eines Zeit-
alters der entfesselten revolutionären Kräfte im Innern der Staaten und in
ihren gesellschaftlichen Ordnungen gesucht werden. Man denkt an das Wort
Jakob Burckhardts: "Seitdem die Politik auf innere Gärungen der Völker
gegründet ist, hat alle Sicherheit ein Ende." Im deutsch-russischen Verhält-
nis war dieser Instabilitätsfaktor schon 1923 in erschreckendem Maße her-
vorgetreten. Rapallo bot damals keine "Sicherheit" gegen einen durch die
Komintern gesteuerten Aufstand. Im Jahre 1926 schienen die Fluten der
sowjetischen Politik in das geordnete Bett zwischenstaatlicher Diplomatie
142 VgI. die Rede Stalins vom 9. 6. 1925, in der er ausspricht, die Politik der Sowjet-
union müsse von der Annahme ausgehen, daß sie in den nächsten 15 Jahren keine Stütze
in einer Revolution des westeuropäischen Proletariats finden werde. Zitiert von I. Deut-
scher, Stalin (Stuttgart 1951) S. 409.
Anlagen
den ein geeignetes Mittel gewesen wäre, die Machtmittel der Völkerbunds-
staaten in ein System zur Niederhaltung Deutschlands einzuspannen.
Frankreich würde es natürlich am meisten begrüßen, wenn als Ersatz der
früheren Garantieverträge und des Genfer Protokolls ein französisch-eng-
lisch-belgischer Pakt zustandekäme, dessen Wirksamkeit noch durch präzise
militärische Bindungen Englands verstärkt wäre. Vom deutschen Stand-
punkt aus hätte an sich wohl erwogen werden können, ob es nicht das Beste
für Deutschland sei, diesen französischen Wünschen freie Bahn zu lassen.
Aber abgesehen davon, daß ein Pakt zwischen den Alliierten sich direkt
gegen Deutschland gerichtet und die Entente verewigt hätte, war diese
Möglichkeit deshalb von vornherein auszuscheiden, weil England den Drei-
mächtepakt kategorisch ablehnt. Unter diesen Umständen war für die
Reichsregierung die aktive Beteiligung an der Lösung der Sich,erheitsfrage,
die nach den gegebenen Verhältnissen nun einmal die Voraussetzung für die
Befreiung des Rheinlandes bildet, ein Gebot der Notwendigkeit. Gelingt
auch auf diesem Wege die Lösung des Sicherheitsproblems nicht, so wird
Frankreich zweifellos für eine derartige überspannung der an Deutschland
gestellten Entwaffnungsforderungen sorgen, daß es in absehbarer Zeit nicht
zu einer Bereinigung der Entwaffnungsfrage, nicht zu einer Beseitigung der
interalliierten Militärkontrolle und nicht zu einer Räumung der Kölner
Zone kommt. Selbst wenn sich aber Frankreich unter dem Drucke Englands
und vielleicht auch Amerikas schließlich doch zur Räumung der Kölner Zone
gezwungen sehen sollte, würde es alles daran setzen, dann wenigstens unter
Ausnutzung der im Artikel 213 des Versailler Vertrags vorgesehenen Völ-
kerbundskontrolle permanente militärische Kontrollorgane in den geräum-
ten Gebieten zu stationieren. Diese Kontrollorgane würden nicht nur eine
Verewigung der Militärkontrolle bedeuten, sondern auch stets einen geeig-
neten Ansatzpunkt für die Weiterverfolgung der französischen Rheinland-
pläne darstellen.
Aus diesen Erwägungen ist die deutsche Aktion in der Sicherheitsfrage
hervorgegangen. Es lag auf der Hand, daß sie, wenn überhaupt, nur dann
einen Effekt haben würde, wenn sie die Garantierung der Rheingrenzen in
sich schloß. Der darin liegende Verzicht kann nicht als ein realpolitisches
sondern nur als ein gefühlsmäßiges Opfer bewertet werden. Daß dies auch
die Ansicht aller sachlich denkenden deutschen Politiker von rechts nach
links ist, wird durch die kritischen Bemerkungen der extremen deutschen
Presseorgane nicht widerlegt. Die politische Aufgabe Deutschlands im
Westen ist eben auf unabsehbare Zeit hinaus nicht die Revision des Ver-
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 77
die Betonung des Standpunktes, daß Deutschland sich nicht in einen gegen
Rußland gerichteten Mächteblock hineinziehen lassen kann.
Nachdem jetzt die Antwort des Völkerbundsrates auf die deutsche Note
vom 12. Dezember v. J. eingegangen ist, muß sich die Reichsregierung dar-
über klar werden, welche reale Bedeutung ihre bisherigen Bedenken haben,
insbesondere ob und inwieweit die Folgen der Artikel 16 und 17 eine nicht
zu beseitigende Belastung der ,deutsch-russischen Beziehungen darstellen. Es
läßt sich im Augenblick nicht übersehen, ob die Alliierten von der Reichs-
regierung schon in nächster Zeit eine präzise Stellungnahme zu der Eintritts-
frage verlangen werden. Da jedoch die ganze Einstellung der deutschen
Politik bei der bevorstehenden Diskussion von dieser Frage abhängt, darf
ihre Prüfung nicht länger hinausgeschoben werden.
Bei der Abwägung der verschiedenen Argumente und Gegenargumente
soll auf die realen Vorteile, die der deutsche Anschluß an den Völkerbund,
abgesehen von der Rheinlandfrage, mit sich bringen würde, kein besonderes
Gewicht gelegt werden. Die sich für Deutschland als Bundesmitglied bie-
tende Möglichkeit, wirksamer als bisher für die deutschen Minoritäten, für
die Interessen des Saargebietes und Danzigs und für die Gewinnung von
kolonialen Mandaten einzutreten, ist zwar sehr wertvoll, im Rahmen der
großen Politik jedoch nicht von primärer Bedeutung. Auf der anderen Seite
können aber auch die mehr gefühlsmäßigen allgemeinen Gründe, die man
gegen den Eintritt geltend zu machen pflegt, nicht als ausschlaggebend an-
gesehen werden. Gewiß, Deutschland würde sich einer Organisation an-
schließen, die allein von den Siegermächten geschaffen und von ihnen bisher
in erster Linie als Instrument gegen Deutschland benutzt worden ist. Man
könnte den Eintritt ferner so auffassen, als ob er eine nochmalige Bestäti-
gung der bestehenden Verträge, einschließlich des Versailler Vertrages, in
sich schlösse. Alles das sind aber doch Dinge, die keine unmittelbare real-
politische Bedeutung haben, zumal der Nachteil der Anerk1ennung der Ver-
träge wesentlich verringert werden würde durch die Erklärung zur Schuld-
frage, die in das an die Ratsregierungen gerichtete Memorandum vom
September v. J. aufg,enommen wurde, und die nötigenfalls in dem Eintritts-
gesuch wiederholt werden könnte. Ebensowenig brauchte die Reichsregierung
sich durch die Tatsache beirren zu lassen, daß sich die Vereinigten Staaten
vom Völkerbunde fernhalten. Es besteht Grund zu der Annahme, daß man
in Washington den deutschen Eintritt nicht unfreundlich aufnehmen würde.
Von ausschlaggebender Bedeutung für die Reichsregierung ist dagegen die
Frage, ob die Zugehörigkeit Deutschlands zum Völkerbund die Aufrecht-
80 Theodor Schieder
grenzen in sich schlösse. Auch eine weitere Klärung der nach der Note des
Völkerbundsrats noch bestehenden Zweifel hinsichtlich der deutscherseits
gemachten Vorbehalte wird notwendig sein.
Obwohl es also, schon wegen der Ungewißheit aller dieser Vorausset-
zungen, noch sehr zweifelhaft ist, ob es zu einem Eintritt Deutschlands in
den Völkerbund kommt, legt die Reichsregierung doch großen Wert darauf,
die Gesamtsituation und die sich daraus möglicherweise ergebenden Even-
tualitäten mit der Regierung der U.d.S.S.R. in vertrauensvoller Aussprache
zu erörtern. Die Reichsregierung hat bisher den alliierten Regierungen
gegenüber noch keinerlei Erklärungen über die letzte Note des Völker-
bundsrats abgegeben. Sie wÜl'de es begrüßen, wenn die Aussprache mit der
Regierung der U.d.S.S.R. zu einer Klärung führte, bevor die Angelegenheit
durch Schritte der alliierten Regierungen in eine neues Stadium gebracht wird.
tär, Herrn von Schubert, gemacht hat, dargelegt worden. Das gegenwärtige
Memorandum enthält eine Zusammenstellung derjenigen Erwägungen und
Argumente geg.en den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund, welche in
den erwähnten Besprechungen angezogen wurden.
Der Völkerbund, welcher nach dem Siege der Ententemächte im imperiali-
stischen Kriege gegründet worden ist, stellt ein Instrument dar, mit dessen
Hilfe die großen Siegerstaaten ihren politischen Willen den schwächeren in
ihm vertretenen Staaten aufzwingen.
Als im April 1922 die Regierung der U.d.S.S.R. und die Deutsche Reichs-
regierung den Vertrag von Rapallo abgeschlossen haben, der sämtliche
Streitfragen der Nachkriegszeit zwischen beiden Staaten beseitigt hatte,
schien es der Regierung der U.d.S.S.R., daß beide Teile hierbei von der
stillschweigenden Nichtanerkennungdes Regimes ausgingen, das in Europa
nach dem Kriege als Folge einer Reihe von Friedensverträgen des Jahres
1919 eingesetzt worden ist und somit auch von der stillschweigenden Vor-
aussetzung, daß beide Staaten dem Völkerbund als einer Organisation,
der·en Hauptziel die Aufrechterhaltung der durch diese Verträge entstan-
denen Situation ist, nicht beitreten werden.
Im Hinblick auf die angeführte Voraussetzung war und bleibt der Ra-
pallo-Vertrag einer der bedeutsamsten Akt·e der internationalen Politik.
In diesem Vertrage sind die freundschaftlichen Beziehungen zwischen
Deutschland und der U.d.S.S.R. festgelegt worden. Dieser Vertrag hat nicht
allein die Entwicklung des wirtschaftlichen Verkehrs zwischen beiden Län-
dern gefördert, sondern er hat auch die normalen politischen Beziehungen
zwischen ihnen hergestellt. Dieser Vertrag stellte das Gegenstück zu den
von der Entente gewaltsam aufgezwungenen Diktatverträgen, darunter zu
dem Vertrag von Versailles dar. Dieser Vertrag dient nach wie vor als Vor-
bild für freiwillige friedliche Abkommen zur Sicherung normaler freund-
schaftlicher Beziehungen zwischen den vertragschließenden Teilen.
Der Eintritt in den Völkerbund und die damit verbundene wiederholte,
diesmal freiwillige Anerkennung des in Versailles geschaffenen Regimes, ist
ein erheblicher Schritt auf dem Wege zur tatsächlichen Vernichtung des
Vertrages von Rapallo. Dies,e Tatsache wird überall und ebenso in der
U.d.S.S.R. so bewertet werden. Die öffentliche Meinung der U.d.S.S.R.
sowie die öffentliche Meinung anderer Länder werden den Eintritt Deutsch-
lands in den Völkerbund unvermeidlich als eine Tatsache ansehen, die einen
neuen politischen Kurs eröffnet und eine neue politische Orientierung der
Deutschen Regierung bedeutet.
84 Theodor Schieder
die unbestimmten halben Versprechen, die gegenwärtig von dem einen oder
dem anderen der Alliierten in Zusammenhang mit der Erörterung der Frage
des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund gemacht werden, jemals er-
füllt werden. Innerhalb des Völkerbundes muß Deutschland mit einem
feindlichen Verhalten der Mehrheit s,einer Mitglieder ihm gegenüber rechnen.
In allen Fragen, die Deutschland interessieren, wird es genötigt sein, die
Unterstützung einer der Großmächte der Entente, hauptsächlich Englands,
zu erlangen. Letzteres wird aber nur dann Deutschland die gewünschte
Unterstützung in den ihm wichtigen Fragen gewähren, wenn Deutschland
in allen übrigen internationalen Fragen sich vorbehaltlos dem Willen Groß-
britanniens fügen wird. Auf diese Weis:e vermag der Eintritt in den Völker-
bund Deutschland nicht politisch zu stärken, er wird vidmehr dazu führen,
daß Deutschland seine Selbständigkeit in der Außenpolitik einbüßen wird.
Schließlich wird Deutschland, gebunden durch die Unterwerfung unter das
Statut und die Beschlüsse des Völkerbundes, viel eher an seinem spezifischen
Gewicht als Machtfaktor der internationalen Politik verlieren.
Noch eine Erwägung gegen den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund
muß hinzugefügt werden. Die Nichtbeteiligung Deutschlands, der Union
der S.S.R., der Türkei und der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika am
Völkerbund unterstreicht vollkommen klar den Charakter des Völkerbundes
als eines Instrumentes in den Händen der Großmächte der Entente zur
legalen Unterdrückung der Interessen der kleinen Staaten. Die Aufnahme
Deutschlands in den Völkerbund kann diesen Charakter faktisch nicht
ändern, wi1"d aber den Ententemächten die Möglichkeit biet,en, ihre Politik
der Gewalt bezüglich der schwächeren Staaten zu verschleiern unter Aus-
nutzung der moralischen Autorität Deutschlands.
Nach den am 7. April von Herrn Grafen Brockdorff-Rantzau Herrn
Litwinow gemachten Erklärungen sowie nach den Versicherungen, die Herr
Krestinski mehrmals in den letzten Tagen des Monats April seitens des
Herrn Reichskanzlers Dr. Luther, des Reichsministers Herrn Dr. Strese-
mann und des Staatssekretärs, Herrn von Schubert, erhalten hat, kann nicht
gezweifelt werden an dem aufrichtigen Willen der Deutschen Regierung,
zugleich mit dem Abschluß eines Garantiepaktes mit den Ententemächten
die guten Beziehungen mit der U.d.S.S.R. aufrechtzuerhalten und weiter-
zuentwickeln.
Indes wird die Logik der politischen Entwicklung entgegen den guten
Absichten der Deutschen Regierung allmählich zu einer völligen Umorien-
tierung nach Westen führen und zur Einbezi,ehung Deutschlands in Kombi-
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 87
nationen dieser oder jener Ententemächte gegen die U.d.S.S.R. Die Richtig-
keit dieser Beurteilung der objektiven Tendenzen der deutschen Außen-
politik wird zum Teil dadurch bestätigt, daß di1e Deutsche Regierung Ver-
handlungen mit den Ententemächten über den Abschluß von schriftlichen
Verträgen, die Deutschland binden sollen, führt und gegenüber der
U.d.S.S.R. sich auf mündliche freundschaftliche Versicherungen beschränkt,
während der Beginn der Verhandlungen über die Einkleidung dieser Ver-
sicherungen in die Form eines für beide Teile verbindlichen Abkommens
aufgeschoben wird.
Dieselbe Logik der politischen Entwicklung, die Deutschland stetig von
der in Rapallo festgelegten Linie abdrängen wird, kann eine Situation her-
beiführen, bei welcher die Union in den mündlich abgegebenen freundschaft-
lichen, aber durchaus formalen und unverbindlichen Versicherungen der
Deutschen Regierung keine genügenden Garantien für ihre internationale
Lage erblicken wird, was die Sowjetunion zwingen wird, andere Wege zu
suchen, wie fern ihr auch im gegebenen Augenblick derartige Absichten und
Wünsche liegen. Die Logik der Tatsachen kann somit nicht allein Deutsch-
land, sondern auch die U.d.S.S.R. auf solche Wege führen, die für die
Regierungen beider Länder gegenwärtig absolut unerwünscht sind.
Es erscheint somit unzweifelhaft, daß der Deutschland vorgeschlagene
Eintritt in den Völkerbund die Aufrechterhaltung und die weitere Be-
festigung der in Rapallo geschaffenen Grundlagen der freundschaftlichen,
politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwisrhen der U.d.5.S.R. und
Deutschland erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen wird.
4. Auf der anderen Seite nimmt .die Deutsche Regierung aber an, ,daß die
Russische Regierung jetzt nicht nur die Völkerbundsfrage erörtern will, auf
die sich das russische Memorandum ausschließlich bezieht, sondern daß sie
her'eit ist, .die allgemeinen politischen Gedanken weiter zu verfolgen, die
ihren Dezember-Vorschlägen zugrunde lagen. Daß die Deutsche Regierung
ihrerseits hierzu bereit ist, hat sie schon bei ihren früheren Mitteilungen
zum Ausdruck gebracht. In dieser Hinsicht ist insbesondere auf die Stelle
der Aufzeichnung vom 7. April hinzuweisen, wo es heißt: »Wenn die
Regierung der U.d.S.S.R. auf diesen Gedankengang eingeht, würde damit
zugleich die Klärung der Frage angebahnt werden, ob und in welcher Weise
etwa eine positive Verständigung über allgemeine politische Ziele möglich
wäre."
5. Es ist deshalb ein Mißverständnis, wenn die Russische Regierung meint,
daß die Deutsche Regierung zwar mit den Entente-Mächten Verhandlungen
über den Abschlluß besonder,er schriftlicher Verträge führen, daß sie sich
aber gegenüber Rußland einstweilen auf moodliche freundschaftliche Ver-
sicherungen beschränken wolle. Es ist richtig, daß die Deutsche Regierung
die Dezember-Vorschläge nicht sofort in ihrer Gesamtheit aufgenommen,
sondern zunächst das Einzelproblem des deutschen Eintritts in den Völker-
bund angeschlnitten hat. Das ergab sich aus der Tatsache, daß, als :die
Dezember-Vorschläge in Berlin der Prüfung unterlagen, bei den gleich-
zeitigen Verhandlungen mit den Westmächten über einen regionalen Sich,er-
heitspakt die Völkerbundsfrage schnell in den VOfldergrund trat und daß
die Reichsregierung Wert darauf legte, sich über dieses akute Pmblem vor-
erst mit der Russischen Regierung zu verständigen. Nachdem .in dem bis-
herigen Meinungsaustausch die beiderseitigen Standpunkte in großen Um-
rissen einigermaßen geklärt word,en sind, würde die Deutsche Regierung es
für zweckmäßig halten, das ganze Problem der deutsch~russischen Beziehun-
g:en nunmehr in konkreter Form anzuschneiden und zu diesem Zwecke ,die
Frage zu prüfen, ob und in welcher Weise der den Dezember-Vorschlägen
:mgrunde liegende Gedanke verwirklicht werden kann und wie eine solche
Verwirklichung in dem besonderen Falle denkbar wäre, wenn sich Deutsch-
land tatsächlich zum Eintritt in den Völkerbund entschlösse.
6. Der Grundgedanke der Dezember-Vorsdiläge war ,di,e gegenseitige Zu-
sicherung einer allgemeinen Neutralität für Krieg und Frieden. In eine
Formel gebracht, würde diese Zusicherung etwa ,dahin lauten können, daß
Deutschland und Rußland einander nicht angreifen werden, und ,daß keines
der heiden Länder in ,eine politische oder wirtschaftliche Verbindung mit
90 Theodor Schieder
dritten Mächten eintreten wird, wenn diese Verbindung gegen den anderen
Teil gerichtet ist. Die Deutsche Regierung stimmt diesem Grundgedanken an
sich durchaus zu. Es wäre indes erwünscht, wenn die Russische Regierung
dafür gewünnen würde, den gleichen Gedanken durch Abmachungen mehr
positiver Art zum Ausdruck zu bringen, z. B. Abmachungen des Inhalts,
daß beide Regierungen sich in aUen die beid'en Länder gemeinsam berühren-
den pülitischen und wirtschaftlichen Fragen in dauernder freundschaftlicher
Fühlung miteinander halten werden.
7. Bei der Erörterung einer derartigen Grundfürmel wäre zugleich die
Frage z;u klären, in welch'em Verhältnis die dadurch begründeten Verpflich-
tungen im Falle des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund zu den Be-
stimmungen des Artikels 16 st,ehen würden. In dieser Hinsicht muß deut-
schers,eits die Bemerkung vorangestellt werden, daß die Frage des Eintritts
oder Nichteintritts nüch eine vüllkommen üffene ist, und daß die Deutsche
Regierung ihrerseits den Wunsch hat, die Verhandlungen mit der Russischen
Regierung ganz unabhängig von der Entscheidung dieser Frage weiterzu-
führen. Andererseits muß sie in aller Offenheit erklären, daß si,e sich, wie
auch die Verhandlungen mit den W,estmäcllten weiter verlaufen mögen,
nicht der Möglichkeit begeben kann, die Eintrittsfrage gegebenenfalls nach
freiem Ermessen zu entscheiden. Nach sürgsamer Prüfung der Tragweite des
Artikels 16 ist sie der überzeugung, daß vün diesem Artikel eine Beeinträch-
tigung der deutsch-russischen Beziehungen, insbesündere eine Beeinträchti-
gung der deutschen Verpflichtungen aus einer Grundfürmel der vürstehend
erwähnten Art, selbst dann nicht befürchtet zu werden braucht, wenn der
deutsche Vürbehalt wegen des Artikels nicht fürmell vün den Alliierten an-
erkannt wird. Deutschland wird auch ühne eine derartige fürmelle Anerken-
nung seines Vürbehalts in den praktisch denkbaren Fällen stets in der Lage
sein, nicht nur seine Beteiligung an einer Bundesexekutiün gegen Rußland
abzulehnen, sondern überhaupt eine sülche Bundesexekutiün unmöglich zu
machen. Wenn das russische Memürandum Zweifel darüber äußert, üb für
Deutschland ,eine dementsprechende Haltung im Völkerbund praktisch
möglich sein werde, So' kann die Deutsche Regierung demgegenüber nur das
Eine betünen, daß die praktischen Auswirkungen des Artikels 16 stets
lediglich eine Frage des Vertrauens sein werden, das die Deutsche und die
Russische Regierung hinsichtlich ihres Zusammengehens in pülitischen Fra-
gen zueinander haben. Ohne ein sülches Vertrauen würde jede deutsch-
russische Vertragsfürmel, welchen Inhalt sie auch haben mag, hühl und
wertlos sein.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 91
8. Der gegebene Weg für die Festlegung der vorstehen.d skizzierten Ge-
danken wäre nach Ansicht der Deutschen Regierung wohl der folgende: Die
allg,emeinen Grundsätze für die Ausgestaltung der deutsch-russischen Be-
ziehungen könnten bei einer unter Berücksichtigung der allgemeinen poli-
tischen Lage zu wählenden Gelegenheit in einen der mit Rußland abzu-
schließenden Spezialverträge hineingearbeitet werden. Zur Ergänzung
könnte die Auswirkung [dieser Grundsätze auf den konkreten Fall ,des
Artikels 16, soweit erforderlich, durch formulierte mündliche Erklärungen
klargestellt werden. Für die schriftlichen Abmachungen käme etwa nach-
stehende Fassung in Betracht:
Beide Regierungen sind von der Erkenntnis durchdrungen, daß das Wohl
des deutschen und des russischen Volkes eine freundschaftlime, friedliche
Zusammenarheit bei der Länder erfordert. Sie sind deshalb entschlossen,
die ,gegenseitigen Beziehungen im Geiste des Vertrages von Rapallo
weiter zu pflegen und in allen die beiden Länder gemeinsam berührenden
politischen wie wirtschaftlichen Fragen in dauernder freundschaftlicher
Fühlung gegenseitige Verständigung anzustreben, unter dem Gesichts-
punkte, für den allgemeinen Frieden Europas zu wirken und sich von
aUen etwa hervortI'etenden Bestrebungen fernzuhalten, die diesen Frieden
gefährden könnten.
Die Anwendung dieser Abmachungen auf den Völkerbundsfall könnte
durch mündliche Erklärungen nachstehenden Inhalts erläutert wel1den:
a) Wenn Deutschland es im Hinblick auf seine hesonderen politischen Inter-
essen für notwendig halten sollte, in den Völkerbund einzutreten, wird
es dabei an ,dem Grundgedanken festhalten, der seinen Vorbehalt wegen
des Artikels 16 veranlaßt hat. Sollte sich eine formeHe Befreiung von
den Verpflichtungen aus Artikel 16 nicht erreichbar erweisen, so wird
Deutschland seinen Standpunkt in d~eser Hinsicht nach außenhin unzwei-
deutig zur Geltung bringen und wird als Mitglied des Völkerbunds und
des Völkerbundsrats diesem Standpunkt entspr,echend handeln.
b) Falls Rußland sich zum Eintritt inden Völkerbund entschließt, wird es
Deutsdtland verständigen, bevor es anderen Mächten oder dem Völker-
bund ge~enüher irgendwelche dahin zielenden Schritt[e] tut. Als Mitglied
des Völkerbunds wir:d Rußland gegenüber Deutschland handeln, wie dies
unter Ziffer a) für Deutschland gegenüber Rußland vorgesehen ist.
92 Theodor Schied er
". Die Abweichungen der neuen Fassung von der alten sind in der zugrunde liegenden
Abschrift des Stresemann-Nachlasses unterstrichen und werden hier kursiv gedruckt.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 93
gen. Der Völkerbund soll semer gierung hat sich zu dem Eintritt nur
grundlegenden Idee nach eine Or- in der Absicht entschlossen, dadurch
ganisation zur Erhaltung des Frie- sowohl im Interesse Deutschlands als
dens sein. Nur um zur Verwirk- auch im Interesse Europas zur Siche-
lichung der Friedensidee sowohl im rungdes Friedens beizutragen. Dieser
Interesse Deutschlands wie auch im Entschluß kann daher nach den Ab-
Interesse Europas beizutragen, hat sichten der Deutschen Regierung nicht
sich die Deutsche Regierung zum dazu führen, daß die deutsche Politik
Eintritt in den Völkerbund ent- mit einer freundschaftlichen Ent-
schlossen. Dieser Entschiluß wird des- wicklung ,der ,deutsch-russischen Be-
halb nicht dazu führ,en, daß Idie deut- ziehungen in Widerstreit gerät.
sche Politik mit einer freundschaft- Sollten sich, was die Deutsche Re-
lichen Entwiddung der deutsch- gierung nicht annimmt, im Rahmen
russischen Beziehungen in Wider- des Völkerbundes irgendwann etwa
streit gerät. Sollten sich, was die Bestrebungen geltend machen, die,
Deutsche Regierung nicht annimmt, im Widerspruch mit jeder grund-
im Rahmen des Völkerhundes ir- legenden Friedensidee, gegen Ruß-
gendwann etwa Bestrebungen ~el land gerichtet wären, so würde
tend machen, die, im Widerspruch Deutschland sich derartigen Bestre-
mit jeder grundlegenden Friedens- bung,en nicht nur nicht anschließen,
idee, gegen Rußland gerichtet wären, sondern ihnen entgegenwirken.
so würde Deutschland sich derartigen
Bestrebungen nicht nur nicht an-
schließen, sondern ihnen ,entgegen-
wirken.
5. Diese grundsätzliche Einstellung 5. Diese grundsä tzliche Einstellung
der deutschen Politik gegenüher Ruß- der deutschen Politik gegenüber Ruß-
land kann auch nicht durch die land kann auch nicht durch ,die
loyale Beobachitung der V,erpflich- loyale BeobachJtung der V:erpflich-
tungen beeinträchtigt werden, die sich tungen beeinträchtigt werden, die sich
für Deutschland aus den Artikeln 16 für Deutschland aus den Artikeln 16
und 17 der Völkerbundssatzung über und 17 der Völkerhunds:satzung über
,das Sanktionsverfahren ergeben. ,das Sanktionsv,erfahren ergeben.
Nach ,diesen Artikeln käme ein Sank- Nach diesen Artikeln käme ein Sank-
tionsverfahrengegen Rußland, ab- tionsverfahren gegen Rußland, ab-
gesehen von weiteren Voraussetzun- gesehen von weiteren Voraussetzun-
gen, nur dann in Betracht, wenn gen, nur ,dann in Betracht, wenn
Rußland einen Angriffskrieg gegen Rußland einen Angriffskrieg gegen
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 95
einen dritten Staat eröffnete. Da ein einen dritten Staat eröffnete. Da ein
derartiger Angriffskrieg nicht in den derartiger Angriffskrieg nicht in dlen
Absichten der Politik der U.d.S.S.R. Absichten der Politik der U.d.S.S.R.
liegt, scheidet die Möglichk'eit eines liegt, scheidet die Möglichk,eit eines
Sanktionsverfahrens gegen Rußland Sanktionsverfahrens gegen Rußland
von vornherein aus. Dabei ist zu be- von vornherein aus. Dabei ist zu be-
rücksichtigen, daß die Frage, ob Ruß- rücksichtigen, daß die Frage, ob Ruß-
land bei einem bewaffneten Kon- land bei einem bewaffneten Kon-
flikt mit einem dritten Staat der An- flikt mit ,einem dritten Staat der An-
greifer ist, mit bindender Wirkung greifer ist, mit bindender Wirkung
für Deutschland nur mit dessen eige- für Deutschland nur mit dess'en eige-
ner Zustimmung entschieden werden ner Zustimmung entschJieden werden
kann und daß somit eine in dieser kann und daß somit eine in dieser
Hinsicht etwa von anderen Mächi- Hinsicht etwa von .anderen Mäch-
ten gegen Rußland erhobene, nach ten gegen Rußland 'erhobene, nach
deutscher Ansicht nicht her,echtigte deutsch'er Ansicht nicht berechtigte
Beschuldigung Deutschland nicht Beschuldigung Deutschland nicht
zwingt, an iDgendwelchen auf Grund zwingt, an iDgendwelchen auf Grund
des Artikels 16 eingeleiteten Maß- des Artikels 16 eingeleiteten Maß-
nahmen teilzunehmen. Weg,en der nahmen teilzunehmen. Wegen der
Frage, ob und in welchem Maße Frage, ob und in welchem Maße
Deutschland im konkr'eten Falle Deutschland im konkreten Falle
überhaupt imstande ist, an einem überhaupt imstande ist, an einem
Sanktionsv,erfahren teilzunehmen, Sanktionsverfahren teilzunehmen,
wird auf die bei Gelegenheit der wird auf di,e bei Gelegenheit der
Unterzeichnung des Vertragswerkes Unterzeichnung des Vertragswerkes
von Locarno an d~e Deutsche Dele- von Locarno an die Deutsche Dele-
gation gerichtete Note über die Aus- gation gerichtete Note über die Aus-
legung des Artikels 16 sowie ferner legungdes Artikels 16 sowie ferner
auf die Erklärungen Bezug genom- auf die Erklärungen Bezug genom-
men, die der Reichskanzler Dr. Luther men, die der Reichskanzler Dr. Luther
am 23. November d. J. im Reichstag am 23. November v. J. im Reichstag
über den gleichen Gegenstand abge- über den gleichen Gegenstand abge-
geben hat. geben hat. Hiernach kann der Falt,
daß Deutschland in seiner Eigen-
scha ft als Völkerbundsmitglied zu
Ungunsten Rußlands in einen be-
waffneten Konflikt hineingezogen
96 Theodor Schieder
NATURWI~ENSCHAFTEN
HEFT 1 HEFT 6
P,of. D,.-In$' F,iedrich Seewald, Aachen Prof. Dr. Wil/ter Wtizel, Bonn
Neue EntwIcklungen auf dem Gebiet der An- Die geJenwärtige Situation der Grundlagenfor-
criebsmasminen sdtung In der Physik
P,of. Dr.-Ing. Fried,ich A. F. Schmidt, Aachen Prof. Dr. Siegfritd Strug,er, Münster
Tedtni.dter Stand und Zukunftsaussidtten der Ver- Das Duplikantenproblem In der Biologie
brennungsmasdtinen, insbesondere der Gasturbinen Direktor Dr. Fritz Gummert, Esstn
Dr.-Ing. RMdolf Friedrich, Millheim (R ..hr) Uberlegungen zu den Faktoren Raum und Zeit im
Möglidtkeiten und Voraussetzungen der industriel- biologi.dten Gesdtehen und Möglidtkeiten einer
len Verwertung der Gasturbine Nutzanwendung
19S1, 12 Seiten, 15 Abb., kartoniert, DM 2,n 1952, 64 Stiten, 20 Abb., kartoniert. DM J.-
HEFT 7
HEFT 2 Prof. Dr.-Ing. AllgllSt Gölte, Aachell
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Riezler, BOlln Steinkohle ab Rohstoff und Energiequelle
Probleme der Kernphysik Prof. Dr. Dr. E. h. Karl Ziegler, Millheim (RMhr)
Prof. Dr. Fritz Micheel, Münster Uber Arbeiten des Max-Planck-Institutes für Koh-
Isotope als Forsdtungsmittel in der Chemie und lenforsdtung
Biodtemie 1913, 66 Seiten, 4 Abb., kartoniert, DM 3,60
1951, 40 Seiten, 10 Abb., kartoniert, DM 2,40
HEFTS
HEFT 3 Prof. Dr.-lng. Wilhelm Fllcks, Allcbell
Prof. Dr. Emil Lehnartz, Münster Die Naturwissensdtaft, die Tedtnik und der Mensdt
Der Chemismus der Muskelmaldtine Prof. Dr. Walther HoffmaIlII, Milnster
Prof. Dr. G ..nther Lehmann, Dortmllnd Wirtldtaftlidte und .oziologisdte Probleme des
Phy.iologisdte Forsdtung als Voraussetzung der tedtni.dten Fortsdtritts
Be.tgestaltung der mensdtlidten Arbeit 1912, 84 Stiten, 12 Abb., kartoniert, DM 4,80
Prof. Dr. Heinrich Kraut, Dortmllnd
Ernährung und Leistung.fähigkeit HEFT 9
19S1, 60 Seiten, 31 Abb., kartoniert, DM 3,10 Prof. Dr.-Ing. Franz Bol/enrllth, Aacben
Zur Entwicklung warmfester Werkstoffe
Prof. Dr. Htillricb Kai"r, Dortmlllld
HEFT 4 Stand spektralanalytisdter Prüfverfahren und Fol-
Prof. Dr. Franz Wever, Dilsst/dorf gerung für deutsdte Verhältnisse
Aufgaben der Eisenforsdtung 1912, 100 Seietn, 62 Abb., kartoniert, DM 6,-
Prof. Dr.-Ing. Hermann Schenck, Aacben
Entwicklungslinien des deutsdten Eisenhüttenwesens HEFT 10
Prof. Dr.-Ing. Ma" Haas, Aachtn Prof. Dr. Hans BraIIn, Bonn
Wittsdtaftlidte Bedeutung der Leidttmetalle und Möglidtkeiten und Grenzen der Resistenzzüdttung
ihre Entwicklungsmöglidtkeiten
Prof. Dr.-Ing. Carl Heinricb Dellcker, Bonll
1952, 60 Seiten, 20 Abb., kartoniert, DM 3,50 Der Weg der Landwirt.dtaft von der Energie-
autarkie zur Fremdenergie
HEFT 5 1912, 74 Seiltn, 23 Abb., kartoni"t, DM 4,30
P,of. Dr. Walter Kikllth, DillStldorf
Virusfor.dtung HEFT 11
Prof. Dr. Rolf Danneel, Bonn Prof. Dr.-lng. Herwart Opitz, A.cbell
Fortsdtritte der Krebsforsdtung Entwicklungslinien der Fertigungstedtnik ia der
Prof. Dr. Dr. Werner Schllitmann, Bonn Metallbearbeitung
Wirtsdtaftlidte und organilatorisdte Gesidtts- Prof. Dr.-Ing. Karl Krekeler, Aacb,"
punkte für die Verbesserung un.erer Hodtsdtul- Stand und Aussidlten der sdtweißtedtnisdten Fer-
forsdtung tigung.verfahren
1912,'0 Seiten, 2 Abb., kllrtoni.,t, DM 2,75 1912, 72 Seitell, 49 Ab"., k"rtolliert, DM 1,-
HEFT 12 HEFT 21
Dr. H.,mann Rathert, Wuppertal-Elberfeld Prof. Dr. Robert Schwarz, Aachen
Entwicklung auf dem Gebiet der Chemiefaser- Wesen und Bedeutung der Silicium-Chemie
Herstellung Prof. Dr. Dr. h. c. Kurt Alder, Köln
Prof. Dr. Wilhelm Weltzien, Krefeld Fortschritte in der Synthese von Kohlenstoff-
Rohstoff und Veredlung in der Textilwirtschaft verbindungen
1952, 84 Seiten, 29 Abb., kartoniert, DM 4,80 1954, 76 Seiten, 49 Abb., kartoniert, DM 4,-
HEFT 52 HEFT 58
MT. Patmore, London
Lufttümtigkeit und tedlnisme Prüfung der Flug- Prof. Dr. Fritz Schröter, Ulm
zeuge in England Neue Forsdtungs- und Entwicklungsrichtungen im
Fernsehen
Prol. A. D. Young, Cranfield
Die Ausbildung des Ingenieurnamwumses auf dem Prof. Dr. Albert Narath, Berlin
Luftfahrtgebiet in Engl.nd Der gegenwärtige Stand der Filmtechnik
in Vorbereitung in Vorbereitung
HEFT 59 HEFT 60
Prof. Dr. Richard Courant, New York Prof· Dr. Wolfgang Flai!, Braunschwei~
Die Bedeutung der modernen mathematischen Grundlagenforschung au dem Gebiet des Humus
Rechenmaschinen für mathematische Probleme der und der Bodenfruchtbarkeit
Hydrodynamik und Reaktortechnik Prof. Dr. Dr. Eduard Mückenhausen, Bann
Prof. Dr. Ernst Peschi, Bann Typologische Bodenentwicklung und Bodenfrucht-
Die Rolle der komplexen Zahlen in der Mathe- barkeit
matik und die Bedeutung der komplexen Analysis in Vorbereitung
in Vorbtreitunz
GEISTESWISSENSCHAFTEN
HEFT 1 HEFT 10
Prof. Dr. Wern., Richter, Bann Prof. Dr. Peter Rassow, Köln
Die Bedeutung der Geisteswissenschaften für die Forschungen zur Reichsidee im 16. und 17. Jahr-
Bildung unserer Zeit hundert
Prof. Dr. Joachim Ritter, Münster 1955, 32 Seiten, kartoniert, DM 1,50
Die aristotelische Lehre vom Ursprung und Sinn
der Theorie HEFT 11
1953, 64 Seiten, kartoniert, DM 2,90 Prof. Dr. Hans Erich Stier, Münster
Roms Aufstieg zur Weltherrschaft
HEFT 2 in Vorbertitung
Prof. Dr. Josef Kroll, Köln
Elysium HEFT 12
Prof. Dr. Günther Jachmann, Köln Prof. D. Karl Heinrich Rengstorf, Münster
Die vierte Ekloge Vergils Mann und Frau im Urchristentum
1953, 72 Seiten, kartoniert, DM 2,90 Prof. Dr. Hermann Conrad, Bonn
Grundprobleme einer Reform des Familienrechts
HEFT 3
1954, 106 Seiten, kartoniert, DM 4,50
Prof. Dr. Hans Erich Stier, Münster
Die klassische Demokratie
HEFT 13
1954, 100 Seiten, kartoniert, DM 4,50
Pro f. Dr. M ax Braubach , Bann
HEFT 4 Der Weg zum 20. Juli 1944
Prof. Dr. Werner Caskel, Köln 1953, 48 Seiten, kartoniert, DM 2,20
Lihyan und Lihyanisch. Sprache und Kultur eines
früharabischen Königreiches HEFT 14
1954, 168 Seiten, 6 Abb., kartoniert, DM 8,25 Prof. Dr. Paul Hübinger, Münster
Das deutsch - französische Verhältnis und seine
HEFT 5 mittelalterlichen Grundlagen
Prof. Dr. Thomas Ohm, Münster in Vorbereitung
Stammesreligionen im südlichen Tanganyika-
Territorium HEFT 15
1953, 80 Seiten, 25 Abb., kartoniert, DM 8,- Prof. Dr. Franz Steinbach, Bann
Der geschichtliche Weg des wirtschaftenden Men-
HEFT 6 schen in die soziale Freiheit und politische Ver~
Prälat Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Schreiber, Münster antwortung
Deutsche Wissenschaftspolitik von Bismarck bis zum 1954, 76 Seiten, kartoniert, DM 2,90
Atomwissenschaftler Otto Hahn
1954, 102 Seiten, 7 Abb., kartoniert, DM 5,- HEFT 16
Prof. Dr. Josef Koch, Köln
HEFT 7 Die Ars coniecturalis des Nikolaus von Cues
Prof. Dr. Walter Holtzmann, Bonn 1956, 56 Seiten, 2 Abb., kartoniert, DM 2,90
Das mittelalterlidte Imperium und die werdenden
Nationen HEFT 17
1953, 28 Seiten, kartoniert, DM 1,30
Prof. Dr. James Conant,
HEFT 8 US-Hochkommissar für Deutschland
Prof. Dr. Werner Caskel, Köln Staatsbürger und Wissenschaftler
Die Bedeutung der Beduinen in der Geschichte der Prof. D. Karl Heinrich Rengstorf, Münster
Araber Antike und Christentum
1954, 44 Seiten, kartoniert, DM 2,- 1953, 48 Seiten, 2 Abb., kartoniert, DM 2,90
HEFT 9
Prälat Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Schreiber, Münster HEFT 18
trland im deutschen und abendländischen Sakral- Prof. Dr. Richard Alewyn, Köln
raum Klopstocks Publikum
1956, 128 Seiten, 20 Abb., kartoniert, DM 9,- in Vorbereitung
HEFT 19 HEFT 32
Prof. Dr. Fritz Schalk. Köln Prof. Dr. Fritz Schalk, Köln
Das Lächerliche in der französischen Literatur des Somnium und verwandte Wörter in den romam·
Ancien Regime schen Sprachen
1954. 42 Seiten. kartoniert. DM 2.- 1955, 48 Seiten, 3 Abb., kartoniert, DM 2,j0
HEFT 33
HEFT 20
Prof. Dr. Friedrich Dessauer. Frankfurt a. M.
Prof. Dr. Ludwig Raiser. Bad Godesberg Erbe und Zukunft des Abendlandes
Rechtsfragen der Mitbestimmung in Vorbereitl4ng
1954. 48 Seiten. kartoniert. DM 2.-
HEFT 34
HEFT 21 Prof. Dr. Thomas Ohm, Münster
Ruhe und Frömmigkeit
Prof. D. Martin Noth. Bann
Das Gesmimtsverständnis der alttestamentlichen 1955. 128 Seiten, 30 Abb .• kartoniert. DM 8,-
Apokalyptik HEFT 35
1953.36 Seiten. kartoniert. DM 1,60
Prof. Dr. H~rmann Conrad, Bann
Die mittelalterliche Besiedlung des deutschen Ostem
HEFT 22 und das Deutsche Recht
Prof. Dr. Walter F. Schirmer. Bann 1955, 40 Seiten, kartoniert, DM 2,-
Glück und Ende des Könige in Shakespeares
Historien HEFT 36
1954. 32 Seiten. kartoniert. DM 1.50 Prof. Dr. Hans Sckommodau, Köln
Die religiösen Dichtungen Margaretes von Navarra
HEFT 23 1955. 172 Seiten, kartoniert, DM 7.20
Prof. Dr. Günther Jachmann. Köln HEFT 37
Der homerische Schiffskatalog und die !lias
in Vorbereitung Prof. Dr. Herbert von Einem, Bann
Der Mainzer Kopf mit der Binde
HEFT 24 1955, 88 Seiten, 40 Abb., kartoniert, DM 6,-
Prof. Dr. Theodor Klauser. Bann HEFT 38
Die römismen Petrustraditionen im Lidlte der
neuen Ausgrabungen unter der Peterskirche Prof. Dr. Joseph Hö//ner, Münster
Statik und Dynamik in der scholastischen Wirt-
in Vorbereitung schaftsethik
1955, 48 Seiten. kartoniert, DM 2,20
HEFT 25
Prof. Dr. Hans Peters. Köln HEFT 39
Die Gewaltentrennung in moderner Sicht Prof. Dr. Fritz Schalk, Köln
1955. 48 Seiten. kartoniert. DM 2,20 Diderots Essai über Claudius und Nero
in Vorbereitung
HEFT 26
Prof. Dr. Fritz Schalk. Köln HEFT 40
Calderon und die Mythologie Prof. Dr. Gerhard Kegel, Köln
in Vorbereitung Probleme des internationalen Enteignungs- und
Währungsrechts
HEFT 27 in Vorbereitung
Prof. Dr. Josef Kroll. Köln
Vom Leben geflügelter Worte HEFT 41
in Vorbereitung Prof. Dr. Johann Leo Weisgerber, Bann
Die Grenzen der Schrift - Der Kern der Redlt-
HEFT 28 smreibreform
Prof. Dr. Thomas Ohm, Münster 1955, 72 Seiten, kartoniert, DM 3,25
Die Religionen in Asien
1954,50 Seiten, 4 Abb., kartoniert, DM 5,- HEFT 42
Prof. Dr. Richard Alewyn, Köln
HEFT 29 Von der Empfindsamkeit zur Romantik
Prof. Dr. Johann Leo Weisgerber, Bann in Vorbereitung
Die Ordnung der Sprache im persönlichen und
öffentlichen Leben HEFT 43
1955, 64 Seiten, kartoniert, DM 2,90 Prof. Dr. Theodor Schieder, Köln
Die Probleme des Rapallo- Vertrages
HEFT 30
Prof. Dr. Wem er Caskel, Köln HEFT 44
Entdeckungen in Arabien Prof. Dr. Andreas Rumpf, Köln
1954, 44 Seiten, kartoniert, DM 2,- Stilphasen der spätantiken Kunst
in Vorbereitung
HEFT 31
Prof. Dr. Max Braubach. Bann HEFT 45
Entstehung und Entwicklung der landesgeschicht- Dr. Vlrich Luck, Münster
lichen Bestrebungen und historischen Vereine im Kerygma und Tradition in der Hermeneutik Adolt
Rheinland Schlatters
1955, 32 Seiten, kartoniert, DM 1,60 1955. 136 Seiten, kartoniert. DM 6,15
HEFT 46 HEFT 53
Prof. Dr. Walther Holtzmann, Rom Prof. Dr. Heinrich Vogt, Bonn
Das Deutsche Historisme Institut in Rom Schadenersatzprobleme im Verhältnis von Haftungs-
grund und Schaden
Prof. Dr. Graf Wolff Mettemich, Rom in Vorbereitung
Die Bibliothec. Hertziana und der Palazzo Zuccari
1955, 68 Seiten, 7 Abb., kartoniert, DM 3,50 HEFT 54
Prof. Dr. Max Braubach, Bonn
JAHRESFEIER 19S5 Der Einmarsch der deutschen Truppen in die ent-
Prof. Dr. Josef Pieper, Münster militarisierte Zone am Rhein im März 1936. Ein
Ober den Philosophie-Begriff Platons Beitrag zur Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges
Prof. Dr. Walter Weizei, Bonn in Vorbereitung
Die Mathematik und die physikalische Realität HEFT 55
1955, 62 Seiten, kartoniert, DM 2,90 Prof. Dr. Herbert von Einem, Bonn
Die Menschwerdung Christi des !senheimer Altars
HEFT 47
in VorbereitunK
Prof. Dr. Harry Westermann, Münster
Person und Persönlichkeit im Zivilrecht HEFT 56
Prof. Dr. E. J. Cohn, London
in Vorbereitung Der englische Gerichtstag
HEFT 48 in Vorbereitung
Prof. Dr. Johann Leo Weisgerber, Bonn HEFT 57
Die Namen der Ubier Dr. Albert Woopen, Aachen
in Vorbereitung Die Zivilehe und der Grundsatz der Unauflöslich-
keit der Ehe in der Entwicklung des italienischen
HEFT 49 Zivilrechts
Prof. Dr. Friedrich Karl Schumann, Münster 1956, 88 Seiten, kartoniert, DM 4,-
Mythos und Technik
in Vorbereitung HEFT 58
Prof. Dr. Karl Kcrenyi, Ascona
HEFT 50
Die Herkunft der Dionysos-Religion nach dem
Prof. Dr. Wolfgang Schöne, Hamburg heutigen Stand der Forschung
Raffaels Sixtinische Madonna und die Sixtuskirche in Vorbereituns:
in Piacenza
in Vorbereitung HEFT 59
HEFT 51 Prof. Dr. Herbert Jankuhn, Kiel
Prälat Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Schreiber, Münster Haithabu und der abendländische Handel nach
Der Bergbau in Geschichte, Ethos und Sakralkultur Nordeuropa im frühen Mittelalter
in Vorbereitunt. in Vorbereitung
HEFT 52 HEFT 60
Prof. Dr. Hans J. Wolff, Münster Dr. Stephan Skalweit, Bonn
Die Rechtsgestalt der Universität Edmund Burke und Frankreich
in Vorbereitung in Vorbereitung