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ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG

DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN

GEISTESWISSENSCHAFTEN

Sitzung
am 16. März 1955
in Düsseldorf
ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN

GEISTESWI SSE NSCHAFTEN

HEFT 43

ABHANDLUNG

Theodor Schieder
Die Probleme des Rapallo -Vertrags
Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen 1922-1926

SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH


ISBN 978-3-663-00298-7 ISBN 978-3-663-02211-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-02211-4

Copyright 1956 by Springer Fachmedien Wiesbaden


Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag 1956

Gesamtherstellung: Westdeutscher Verlag


Die Probleme des Rapallo-Vertrags
Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen 1922 bis 1926

Professor Dr. phil. Theodor Schieder, Köln

I
Karl Radek, einer der Wegbereiter deutsch-russischer Beziehungen nach
dem ersten Weltkrieg, schrieb gegen Ende des Jahres 1919 in einem Artikel
über die auswärtige Politik des deutschen Kommunismus 1 folgende Sätze,
in denen die ganze Problematik r,evolutionärer Außenpolitik in nuce enthal-
ten ist: "Es ist das Kennzeichen aller konterrevolutionären, nationalistischen
Politik, daß sie von dem sogenannten Primat der auswärtigen Politik aus-
geht, d. h. von der durch Ranke formulierten Auffassung, die Aufgaben
der auswärtigen Politik müßten die der inneren bestimmen. Das Konter-
revolutionäre dieser Lehre besteht darin, daß, weil die Klasseninteressen
in der auswärtigen Politik viel schwieriger aufzuweisen sind als in der
inneren, weil dem Volke viel leichter einzureden ist, daß dem Auslande
gegenüber alle Klassen der Gesellschaft gemeinsame Interessen haben, aus
dieser ang,eblichen Gemeinsamkeit der auswärtigen Interessen dann die ge-
meinsamen inneren Aufgaben leichter abgeleitet, d. h. hervorgeschwindelt
werden können. Es war eine der Lebensleistungen von Marx und besonders
Engels, daß er zeigte, wie sich umgekehrt das Verhältnis zum Auslande aus
den inneren Klassenverhältnissen einer Nation ergibt, wie die Außenauf-
gaben aus den inneren heranwachsen, um sie natürlich ihrerseits zu beein-
flussen. Wenn man also irgendein Primat aufzustellen hat, dann besteht
für uns Marxisten ein Primat der inneren Verhältnisse."
Was wird hier unter "inneren Verhältnissen" verstanden? Offenbar etwas
wesentlich anderes als im 19. Jahrhundert: Radek faßt darin den in seine
revolutionäre Phase eingetretenen proletarischen Klassenkampf zusammen;
ihm bleibt in scheinbar dogmatischer Strenge alles außenpolitische Handeln
untergeordnet, Außenpolitik ist immer zuerst Klassenkampf, und sie ist es
1 Die auswärtige Politik des deutschen Kommunismus und der Hamburger nationale
Bolschewismus. In: Die Entwicklung der deutschen Revolution und die Aufgaben der
Kommullistismen Partei, Hamburg 1920 2, S. 83 H.
6 Theodor Schieder

vor allem auch auf bürgerlicher Seite 2. Damit schien sie auf geradlinige
ideologische Bahnen festgelegt, von denen keine Abweichung gestattet war,
aber in Wirklichkeit stellte der stockende Verlauf der weltrevolutionären
Bewegung die AußenpoLitik des Sowjetstaats vor ganz unerwartete Lagen,
die dazu zwangen, das eindeutige ideologische Konzept umzuschreiben.
Dies begann schon mit dem Augenblick, in dem die russischen Revo-
lutionäre einsehen mußten, daß dem ersten - russischen - Akt der Welt-
revolution nicht unmittelbar die nächsten in den anderen Ländern folgen
würden. Die Vorstellung einer alle nationalen und staatlichen Grenzen
überflutenden weltrevolutionären Erhebung stand im Winter 1917/18 noch
im Vordergrund; sie führte zu einer revolutionären Strategie und Propa-
ganda ohne Außenpolitik, d. h. ohne Politik zwischen Staaten und Mäch-
ten. Trotzki, der erste Leiter des Außenkommissariats, konnte damals die
Erwartung aussprechen, daß sich seine Tätigkeit auf den Erlaß einiger revo-
lutionärer Proklamationen beschränken werde und man dann "die Bude
schließen könne" 3. Die große Entscheidung über die Annahme des Brest-
Litowsker Friedens, wie sie Lenin durchsetzte, enthielt dann im Keim schon
den übergang zu einer neuen revolutionären Taktik; sie gab den revolutio-
nären Internationalismus im dogmatischen Sinne preis .und führte den
Kampf um die Weltrevolution aufzweiEbenen weiter: auf der gesellschafts-
politischen des Klassenkampfes und auf der machtpolitischen der Staaten-
politik, in deren Mitte das sozialistische Vaterland stand, dessen Vertei-
digung und Erhaltung überhaupt erst den künftigen Sieg des Proletariats
und des Kommunismus ermöglichte. Beide Ebenen können sich überschnei-
den: die Gesellschaftspolitik, d. h. das Zusammenspiel mit der Arbeiter-
klasse in anderen Ländern kann als Druckmittel für die staatliche Außen-
politik eingesetzt werden und die Außenpolitik der Sowjetmacht kann
durch ihre Entscheidungen die politische Richtung und Lage des Proletariats
in den kapitalistischen Ländern zu steuern versuchen. Außenpolitik, von
Trotzki in den Anfängen der bolschewistischen Revolution noch gering-
2 So wird der "nationale Bolschewismus" der Hamburger Gruppe um Lauf/enberg und
Wolf/heim als im Widerspruch mit den Interessen des deutschen Proletariats stehend ent-
larvt: "Während das Proletariat gewillt ist, die deutsche Bourgeoisie und die Junker voll-
kommen zu expropriieren, will ihnen die Entente nur einen Teil ihres Eigentums weg-
nehmen und sie als Hunde des kapitalistischen Ausbeutungsprozesses in Deutschland be-
halten. " Die deutsche Bourgeoisie würde zweifelsohne sogar eine offene Okkupation
Deutschlands durch ,die Entente einer Rätediktatur vorziehen. Daraus ergibt sich, daß die
Arbeiterklasse Deutschlands unter keinen Umständen auf die Hilfe der deutschen Bour-
geoisie in ihrem Kampfe gegen das Ententekapital rechnen kann." (a. a. 0., S. 97 f.)
3 Trotzki, Mein Leben, Berlin 1930, S. 327.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 7

geschätzt als Instrument bürgerlicher Klassen- und Staatenpolitik, erhält


dann wieder einen Sinn, eine Funktion innerhalb des revolutionären Pro-
zesses. Lenin war es, der schon sehr früh ihre Bedeutung erkannt und sie
bereits im November 1918 als die "allerwichtigste Frage" bezeichnet hatte,
"nicht nur deshalb, weil der Imperialismus nunmehr die starke und feste
Verkettung aller Staaten der Welt zu einem einzigen System - um nicht zu
sagen, zu einem schmutzigen, blutigen Knäuel - bedeutet, sondern weil der
volle Sieg der sozialistischen Revolution in einem Lande undenkbar ist,
weil er die aktivste Zusammenarbeit mindestens einiger fortgeschrittener
Länder erfordert, zu denen wir Rußland nicht zählen können" 4. Außen-
politik ist für Lenin das Mittel, um in anderen Ländern eine Ausdehnung der
Revolution zu erreichen und bis zu diesem Zeitpunkt dem Impel'ialismus
Widerstand zu leisten, die Konflikte und Gegensätze zwischen den Imperia-
listen zu benutzen, um die "Oase der Sowjetmacht inmitten des tobenden
imperialistischen Meeres 5" zu erhalten. Die kapitalistischen Länder gewin-
nen damit für die Sowjetpolitik eine doppelte Bedeutung: sie sind Partner
oder Gegner im Kampfe um die staatliche Selbstbehauptung des sozialisti-
schen Vaterlands und möglicher oder wirklicher Schauplatz proletarischer
Erhebungen. Man muß mit ihnen, wie es zuerst schon 1919 Kar! Radek
ausgesprochen hat, zu einem "modus vivendi" kommen, um dem Aufbau
Sowjetrußlands eine Atempause zu geben. - Diese Anschauung von den
außenpolitischen Aufgaben der revolutionären Sowjetmacht hat sich in ver-
schiedenen Etappen ausgebildet, unter denen der Friede von Brest-Litowsk
und die Beendigung der Interventionskriege einschließlich des polnischen von
1920 sich am deutlichsten herausheben. Sie bleibt nicht unwidersprochen, son-
dern setzt sich unter dem bestimmenden Einfluß der überragenden Intelligenz
und Willenskraft LIenins gegen viele Widersacher durch, bis sie zuletzt noch
einmal in äußerster Zuspitzung von Stalin gegen Trotzki hehauptet wird.
Als Kerngedanke praktischer Außenpolitik des Sowjetstaates ergibt sich aus
ihr die These von dem unüberwindlichen Antagonismus der imperialisti-
schen Mächte, den es zu benutzen, und das hieß gleichermaßen, zu erhalten
galt; von einem "Gegeneinanderhetzen" sprach Lenin ganz unverblümt 6 •
Hier war der Ansatzpunkt der sowjetischen Nachkriegspolitik gegen-
über Deutschland: sie durfte Deutschland nicht in die Hand des Westens
4 W. I. Lenin, Sämtliche Werke XXIII, 331 (Rede über die internationale Lage vom
8. November 1918).
5 W. I. Lenin in seinem Bericht über die Außenpolitik vom 14. Mai 1918. Sämtliche
Werke XXIII, 18.
6 W. I. Lenin am 26. November 1920. Sämtliche Werke XXV, S. 623.
8 Theodor Schied er

fallen lassen, gleich ob dies dadurch geschah, daß die Ententemächte in einem
Bürgerkrieg von der deutschen Bourgeoisie zu Hilfe gerufen wurden und
das Reich als Ganzes militärisch besetzten, oder daß sich Deutschland von
sich aus politisch und wirtschaftlich dem Westen auslieferte. In der Abwehr
solcher Möglichkeiten mußten die Sowjets in Deutschland nicht nur die
revolutionäre Karte, sondern ebenso die nationale ausspielen.
Das Bündnis zwischen der kommunistischen Sowjetmacht und dem deut-
schen nationalen Revisionismus, dessen geschicktester und eifrigster Anwalt
Kar! Radek gewesen ist, entsprach daher vorübergehend durchaus den poli-
tischen Intentionen auch Lenins, der im November 1920 in einer bedeut-
samen Rede den nationalen, gegen Versailles gerichteten Stimmungen sehr
entgegenkam und dabei Worte fand, die als ein Bündnisangebot aufgefaßt
werden mußten: "Deutschland ist besiegt, vom Versailler Vertrag erdrückt,
verfügt aber über ungeheure wirtschaftliche Möglichkeiten. Deutschland ist,
seiner wirtschaftlichen Entwicklung nach, das zweite Land der Welt, wenn
man Amerika für das erste hält ... Und einem solchen Lande hat man den
Versailler Frieden aufgezwungen, der ihm die Existenz unmöglich macht.
Deutschland ist eines der stärksten und fortgeschrittensten kapitalistischen
Länder; es kann den Versailler Vertrag nicht ertragen und muß Verbündete
gegen den Weltimperialismus suchen, obwohl es selbst ein imperialistisches
- wenn auch besiegtes - Land ist 7."
Aber ließ die innere und äußere Lage Deutschlands es wirklich zu, auf
diesen unüberhörbaren Appell zu reagieren? Von einer wirklichen Hand-
lungsfreiheit der Reichspolitik kann angesichts des Zusammenhangs wirt-
schaftlicher und militärischer Sanktionspolitik, der Teilbesetzung, Entwaff-
nung und territorialen Beschneidung des Reiches nicht gesprochen werden.
Freilich schienen selbst in dieser Bedrängnis Ansatzpunkte für ein selb-
ständiges außenpolitisches Handeln nicht zu fehlen. Es sind vor allem zwei,
die zwei entgegengesetzte Möglichkeiten einer West- und Ostorientierung
verkörpern: Englands Widerstand gegen eine uneingeschränkte Kontinen-
talvorherrschaft Frankreichs und die vorerst undurchsichtige Haltung des
revolutionären Rußlands im Hintergrund der europäischen Politik, der
Macht, die von Anfang an außer halb des Systems von Versailles gestan-
den und bei seiner Entstehung nicht mitgewirkt hatte.
Die Alternative, die mit diesen beiden Möglichkeiten gegeben war, zeigte
noch die Grundstellung des Kaiser-Reiches seit seiner Begründung, nur er-
schien sie jetzt unter ganz neuen Aspekten: der durch Flottenbau und
7 Lenin am 26. November 1920. Sämtliche Werke XXV, S. 636.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 9

"Weltpolitik" hervorgerufene Gegensatz zu England war seit 1918 gegen-


standslos geworden, und als reine Kontinentalmacht konnte Deutschland für
die englische Politik unter Umständen höhere Bedeutung gewinnen als
zuvor, ein Gedanke, der bereits in dem bekannten Memorandum Lloyd
Georges auf der Pariser Friedenskonferenz vom 26. März 1919 angedeutet
warB.
Das Verhältnis zu Rußland war in anderer Weise verändert: gegenüber
dem Jahrhundert zwischen dem Wien er Kongreß und dem Ersten Weltkrieg
waren beide Mächte der Vorteile und Nachteile gemeinsamer Grenzen be-
raubt, zwischen sie war der "Stacheldrahtverhau" (Clemenceau) der ost-
mitteleuropäischen Staaten, vor allem Polen gestellt. Das war bewußte Pla-
nung der Friedensschöpfer von Versailles gewesen, die nicht nur zu ihren
Gunsten ausschlug: für England war zwar der Druck Rußlands auf Europa
und die nördlichen und südlichen Meerengen gemildert, aber durch die
Schwächung Deutschlands im Osten die Gleichgewichtsor,dnung in diesem
Raum erheblich verschlechtert. Frankreich gewann an Stelle des alten Zaren-
reichs in den neuen Staaten Partner für sein Deutschland umgreifendes
Bündnissystem, jedoch banden die politische Zerstückelung Ostmitteleuro-
pas und ,die Rivalitäten seiner Staaten auf die Dauer die französischen
Kräfte mehr, als daß sie sie entlasteten. Man hat die alte preußisch-russische
Freundschaft immer wieder auf die Interessengemeinschaft in der polnischen
Frage, d. h. auf das gemeinsame Bedürfnis, Polen niederzuhalten, zurück-
geführt. Spätestens seit dem Ende des polnisch-russischen Krieges von 1920
und dem Vorschieben der polnischen Grenze nach Osten stellte sieb eine
neue Interessengemeinschaft gegen das neue Polen her, von der in kom-
menden diplomatischen Verhandlungen noch ,des öfteren die Rede sein
sollte, längst bevor schließlich im Jahre 1939 die Ereignisse der polnischen
Teilung sich wiederholten.
Setzt man noch. in die Rechnung ein, daß Deutschlands Verhältnis zu
Rußland nicht mehr wie in der Zeit vor 1914 durch die russisch-österreichi-
sche Balkanrivalität belastet war 9, so schien unter dem Aspekt des Mächte-
8 Abgedru<.kt in: Das Diktat von Versailles, hrsg. von Fritz Berber, Essen 1939, Bd. I,
S. 35 H.
g Diese Tatsame wird, soweit im sehe, allein in einer Denksmrift des Grafen Brock-
dorfj-Rantzau vom 8. Juli 1922 hervorgehoben, die von Herbert Helbig, Die Moskauer
Mission des Grafen Brockdorfj-Rantzau (Forsmungen zur osteuropäismen Gesmimte
Band 2, 1955 S. 329 ff.) veröffentlimt wurde. Hier heißt es S. 331: "Ein enges Zusam-
mengehen mit Rußland wird uns heute in hohem Maße durm den Umstand erleimtert,
daß der Panslavismus nach der Auflösung österreich-Ungarns und dem Zerfall der Türkei
für uns kein Hindernis mehr bildet.«
10 Theodor Schieder

gleichgewichts schon im vorhinein ,die Waage zugunsten künftiger deutsch-


russischer Beziehungen gesenkt zu sein, wobei auch die in ihrer Dauer nicht
vorauszusehende erhebliche Schwächung Rußlands für Deutschland mit ins
Gewicht fiel.
Doch ließ sich seit 1918 das deutsch-russische Verhältnis nicht mehr nur
außenpolitisch bestimmen, dazu war das Schicksal der deutschen Revolution
von 1918 zu sehr mit der russischen Revolution verknüpft. Für den in seiner
Grundstruktur bürgerlichen Weimarer Staat mit seinen vom Ergebnis des
Umsturzes von 1918/19 unbefriedigten radikalen proletarischen Kräften,
seiner wirtschaftlichen und sozialen Instabilität war die bolschewistische
Macht im Osten nicht in erster Linie ein lockender Bundesgenosse für eine
"aktive Politik", sondern eine sozialrevolutionäre Bedrohung. Dieser Staat,
vor allem die ihn zuerst tragende Sozialdemokratie war westlich orien-
tiert 10; seine politischen Ideen waren westeuropäischen, liberal-demokra-
tischen Ursprungs, der in ihm vollzogene soziale Komprorniß zwischen
Bürgertum und der Masse ,der Arbeiterschaft deutete auf angelsächsische
Vorbilder. Nicht nur die räumliche Nähe zum russischen Bolschewismus,
die lediglich durch die neue ostmitteleuropäische Staatenzone unterbrochen
war, sondern vor allem der Vorrang, den Deutschland in der weltrevolutio-
nären Planung des Kommunismus einnahm, stellte die politische Führung
des Weimarer Reiches vor eine lebensbedrohende Gefahr. Die Forderungen
innerer und äußerer Sicherheit 11 überschnitten sich, das Pendel schwang
zwischen bei,den hin und her, ohne in eine Ruhelage zu kommen.
Niemals zuvor sind sich in der deutschen Rußlandpolitik so radikal ver-
schiedene Richtungen aufeinander gefolgt wie in den knapp fünf Jahren
von der russischen Oktoberrevolution von 1917 bis zum Rapallo-Vertrag
von 1922: die Möglichkeiten, Rußland auf politisch-diplomatischem Wege
aus dem Ring der Kriegsgegner des Reiches herauszulösen, die mindestens
bis zum Tode Graf Wittes im Frühjahr 1915 nicht ganz ohne Aussicht ge-
wesen waren, waren trotz der Initiative einiger Wirtschafts- und Finanz-

10 Zur Haltung der Sozialdemokratie vgl. die Schrift von Erich Matthias, Die Deutsche
Sozialdemokratie und der Osten 1914-1945. (Arbeitsgemeinschaft für Osteuropafor-
schung, Forschungsberichte und Untersuchungen zur Zeitgeschichte) Tübingen 1954, die
allel'1dings zu sehr von den vordergründigen Erklärungen der sozialdemokratischen Partei-
führer und zu wenig von den wirklichen außenpolitischen Entscheidungen und dem sozial-
demokratischen Anteil daran ausgeht.
11 Karl Dietrich Erdmann spricht in seinem Aufsatz "Das Problem der Ost- oder West-
orientierung in der Locarno-Politik Stresemanns" (Geschichte in Wissenschaft und Unter-
richt, 6, 1955, S. 133 ff.) sehr treffend" von den Interessen der inneren und äußeren Staats-
räson", die in entgegengesetzte Richtungen weisen können.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 11

kreise - unter ihnen Stinnes - nicht voll ausgeschöpft worden 12. Die Pro-
klamation eines von Rußland losgelösten polnischen Staates vom Oktober
1916 setzte ihnen ein Ende, ohne daß an ihre Stelle ein klares Programm,
die östliche Front auch politisch zu entlasten, getreten wäre. Der schließ-
lich im März 1918 geschlossene Brest-Litowsker Friede, der die neuen bol-
schewistischen Machthaber zu Partnern hatte, schien den Vorteil eines rus-
sischen Sonderfriedens mit der "Randstaatenpolitik" .cl. h. der Zurückdrän-
gung der russischen Macht aus Ostmitteleuropa verbinden zu können, aber
er war im Prinzip gegenüber den russischen Revolutionären eine unklare
Verbindung von Intervention und Kollaboration und hat im Endergebnis
den Sowjets die von Lenin erstrebte "Atempause" gewährt und den Bol-
schewismus gerettet. Die Ansätze einer Politik des militanten Antibolsche-
wismus im Sommer 1918, wie sie sich an die Namen der ersten deutschen
Vertreter in Moskau, des Grafen Mirbach und Karl Helfferichs, knüpften 13,
hätten Deutschland im Augenblick wachsender Bedrängnis im Westen eben-
so in uferlose militärische und politische Unternehmungen verwickelt wie
das bolschewistische Angebot einer gewissen militärischen Kooperation
gegen die alliierten Interventionsheere in Rußland, das Tschitscherin im
Auftrage Lenins Helfferich am 1. August 1918 überbrachte 14. Lassen die
Zusatzverträge zum Brester Frieden vom 27. August 1918 noch den Ver-
such erkennen, wenigstens die wirtschaftlichen Verbindungen mit den
Sowjets zu intensivieren 15, so drängen die Ereignisse an der Westfront die
deutsche Politik im ganzen immer mehr auf die Linie, den erstrebten Kon-
takt mit den Westmächten über einen Waffenstillstand nicht durch poli-
tische Transaktionen im Osten zu gefährden. So kam es zur Ausweisung
des russischen Botschafters aus Berlin am Vorabend der inneren Umwäl-
zung im Reiche, die Lenin vielleicht nicht ganz mit Unrecht als einen An-
näherungsversuch an die Westmächte gedeutet hat: "Wenn Deutschland
unseren Botschafter aus Deutschland vertrieben hat, so hat es so gehandelt,
wenn nicht in direktem Einvernehmen mit der englisch-französischen Politik,

12 Zu diesem Problem vgl. die Arbeiten von Rudolf Stadelmann, Friedensversuche im er-
sten Jahr des Weltkrieges, H. Z. 156, 1937, und Erwin Hölzle, Deutschland und Rußland,
in: Der Osten im Ersten Weltkrieg (Lpg. 1944), S. 13 H.
13 Dazu Kurt 'V. Raslmer, Zwischen Brest-Litowsk und Compiegne, die deutsche Ost-
politik vom Sommer 1918 (Baltische Lande IV, 1939).
14 Edward Hallet Carr, The Bolshevic Revolution 1917-1923, London 1953, III, 83 f.
über die Sache selbst hat Karl Helfferich, Der Weltkrieg (Berlin 1922, 11, S. 466 f.) be-
richtet.
15 Dazu neuerdings die Dokumentation von W. Gatzke, Zu den deutsch-russischen Be-
ziehungen im Sommer 1918. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3, 1955, S. 67 H.
12 Theodor Sdlieder

dann aus dem Wunsche heraus, den Engländern und Franzosen gefällig
zu sein, damit sie Deutschland gegenüber Großmut üben. Wir, sagten sie,
erfüllen auch die Pflichten eines Henkers gegenüber euren Feinden, den
Bolschewiki 16. «
Es gehört zu den Paradoxien der Geschichte, daß das Reich in der Tat im
Augenblick seiner Niederlage von seinen westlichen Gegnern mittelbar
gegen das bolschewistische Rußland eingesetzt wurde; so verpflichtete es das
Waffenstillstandsabkommen, die deutschen Truppen aus den vor dem
Kriege zu Rußland gehörigen Gebieten zurückzuziehen, »sobald die Alli-
ierten, unter Berücksichtigung der inneren Lage dieser Gebiete, den Augen-
blick für gekommen erachten 17". Praktisch ergab sich daraus die militärische
Abschirmung des Baltikums durch deutsche Verbände. Der gleichzeitig von
den Alliierten geforderte Verzicht auf .den Brester Frieden konnte damit
keineswegs als ein westliches Entgegenkommen an das revolutionäre russische
Regime aufgefaßt werden, sondern sicherte den Westmächten nur Hand-
lungsfreiheit für ihre politischen Ziele innerhalb der Randstaatenzone.
Nur für einen kurzen Moment erschien das deutsche Einschwenken in die
alliierte Interventionsfront gegen das bolschewistische Rußland als politische
Möglichkeit; sie vermochte sich aber gegenüber den großen allgemeinen
Gegensätzen der Siegermächte zu den Besiegten nicht durchzusetzen. Schon
im Herbst 1919 tat die Reichsregierung die ersten Schritte, um ihre Ruß-
landpolitik unabhängiger vom Westen zu gestalten: am 31. Oktober be-
antwortete sie eine Note der Entente, deren Forderungen auf eine Teil-
nahme an der Blockade gegen den Sowjetstaat hinausliefen, ablehnend, und
im Juli 1920, als im russisch-polnischen Krieg die Rote Armee mit ihren
vorgeschobenen Spitzen die alte Reichsgrenze von 1914 in Westpreußen
erreicht hatte, wahrte sie strikte Neutralität.
Hinter diesen wie ein Film mit raschem Szenenwechsel abrollenden Er-
eignissen spielte sich meist im geheimnisvollen Zwielicht halboffizieller oder
Lenin, S. W. XXIII, S. 343.
16
Fritz Klein, Die diplomatisdlen Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion, Berlin
11
1952, S. 67 berichtet von einer .Äußerung des sowjetisdlen Historikers Stein, der seiner-
seits einer Behauptung Kautsk'ys auf dem Luzerner Kongreß der H. Internationale folgte,
es habe eine Geheimklausel des Waffenstillstandsvertrages existiert, in der Deutschland
sidl verpflichtete, im Osten gegen Sowjetrußland zu kämpfen bis zur Ankunft der Entente.
Klein räumt ein, daß die Existenz dieser Geheimbestimmung nidlt exakt nachgewiesen
werden kann, hält sie aber im Hinblick ,auf die auf den November 1918 folgenden Ereig-
nisse für äußerst wahrscheinlich. "Was in den folgenden Monaten tatsädllich gesdlah, ist
nidlt nur vereinbar mit einer soldlen Bestimmung, sondern ersdleint als ihre notwendige
Folge." Wenn dies audl sidler über das Ziel hinausgesdlossen ist, so bleibt dodl abzuwarten,
ob die Quellen etwas Neues über diese Frage ergeben werden.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 13

gar privater Diplomatie, aber auch in der öffentlichkeit der Reichstags-


debatten das Ringen um die künftigen Beziehungen Deutschlands zum
neuen Rußland ab. Die Fronten der Anhänger und Gegner einer Politik,
die auf die Wiederaufnahme der Beziehungen zu Rußland zielte, sind dabei
außerordentlich verzahnt und fallen keineswegs mit dem innenpolitischen
Gegensatz der Linken und Rechten zusammen, wenn man von der dogma-
tischen Haltung der Kommunisten und eines Teils der Unabhängigen
Sozialisten absieht, für die die Annäherung an den Sowjetstaat kein Pro-
blem der auswärtigen Politik im traditionellen Sinne, sondern ein Moment
der weltrevolutionären Entwicklung gewesen ist. Sicher gab es auf der
Gegenseite, bei den Rechtsparteien, eine ebenso ideologisch begründete Geg-
nerschaft gegen jedes Paktieren mit den Bolschewisten, der einmal Helffe-
rich mit dem Wort von der Revolution als dem einzigen Exportartikel
Rußlands Ausdruck verlieh, aber eine einheitliche Meinung über die einzu-
schlagende Rußlandpolitik herrschte im Grunde bei keiner Partei vor. Viel
eher kann man von einem durchgehenden Gefühl der Ratlosigkeit angesichts
eines revolutionären Regimes sprechen, das sich an keine Spielregeln bis-
heriger Politik hielt und dem man gerade deshalb am ehesten mit forcierter
Interessenpolitik und Staatsräson begegnen zu müssen glaubte, weil die
normalen Mittel zu versagen schienen. Am stärksten war die Unsicherheit
zweifellos bei den Mittelparteien von der Sozialdemokratie bis zum Zen-
trum und den Demokraten, die hinter dem Schleier realistischer Argumente
oft ihre Gespaltenheit zu verbergen versuchten 18. Dies traf vor allem auf
die Sozialdemokratie zu: in der Masse widerstrebte sie dem Gedanken, sich
mit einem System einzulassen, dem man Verrat am wirklichen Sozialismus
vorwarf. Einzelne ihrer Führer setzten sich nachdrücklich für die Wieder-
aufnahme der Beziehungen mit der Sowjetregierung ein 19, während niemand
später seiner tiefen Abneigung gegen jedes Paktieren mit den sowjetischen

18 Aufschlußreich dafür sind die Debatten im Reichstag über die Aufnahme diplomati-
scher Beziehungen mit Sowjetrußland vom 28. Juli 1920 und vom 21.-24. Januar 1921.
19 Helbig, Moskauer Mission, S. 295 nennt als Anhänger einer Politik, die auf eine
Wiederaufnahme der Beziehungen mit der Sowjetunion zielte, Gustav Bauer, Otto Braun,
Hermann Müller, Philipp Scheidemann und Otto Wels. Erich Matthias, Sozialdemokratie
und Osten, a. a. O. S. 56 ff. betont, daß die offizielle SPD nichts gefordert habe, "was
über die Herstellung normaler Beziehungen zu Sowjetrußland hinausgeht, keine gegen die
Entente gerichtete spezielle politische lind wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Unter-
stützung der deutschen Revisionsbestrebungen und erst recht kein Bündnis." Die sozial-
demokratische Außenpolitik der Jahre 1919-1923 sei weder westlich noch östlich orien-
tiert gewesen. "Sie läßt sich als pazifistische Defensivpolitik nach beiden Seiten hin charak-
terisieren" .
14 Theodor Schieder

Machth3lbern offener Ausdruck geben sollte als Friedrich Ebert in den Tagen
und Wochen nach dem Abschluß des Rapallo-Vertrags.
Die Reichstagsdebatten geben von diesem Zwiespalt innerhalb der deut-
schen Parteien nur ein sehr undeutliches Bild; die Fürsprecher einer Auf-
nahme politischer und wirtschaftlicher Beziehungen traten sehr vorsichtig
auf. Selbst auf der Höhe der militärischen Erfolge der Roten Armee gegen
Polen, im Juli 1920, als der Außenminister Simons sehr entgegenkommende
Worte für den Sowjetstaat fand und die Gefahr bestritt, daß es im Interesse
der Sowjetrepublik liege, Deutschland mit mordenden und brennenden
Hor,den zu überziehen 20, war das Echo im Reichstag nur gedämpft. Bei
aller spürbaren Wirkung der bolschewistischen Siege über Polen herrschte
doch das Gefühl für die unheimliche Doppelpoligkeit der sowjetischen
Politik und darum die Befürchtung vor, daß auch die Niederwerfung
Polens von den Sowjets nur "als Etappe auf dem Wege zurWeltrevolution"
betrachtet werden könne 21. Es trifft ,daher nur teilweise zu, daß die deut-
sche öffentlichkeit die russischen Siege mit freudiger Erregung begrüßt 22
und ein deutsch-russisches Bündnis unmittelbar vor der Tür gestanden habe.
Man kann viel eher gerade in diesem Augenblick von einer weitverbreiteten
Kopflosigkeit sprechen angesichts des Näherrückens einer Macht, die zwar
die Versailler Ostgrenzen Deutschlands aufzurollen imstande schien, aber
sich doch andererseits an keine Spielregeln der bisherigen Politik hielt und
den revolutionären Kräften in Deutschland selbst Auftrieb zu geben drohte.
Man muß sich überhaupt von der Vorstellung lösen, ,daß die Annäherung
an Sowjetrußland im Nachkriegsdeutschland zwischen 1920 und 1922 von
einer breiten und starken Bewegung in der öffentlichkeit getragen wurde.
Sie war vielmehr das Werk kleinerer, wenn auch einflußreicher Kreise,
schon deshalb, weil die geistigen Voraussetzungen einer solchen Politik
schwierig genug waren und nur von wenigen ganz verstanden wurden. Es
Steno Ber. d. Verhdlg. d. Reichstgs. Bd. 344, S. 264.
20
So der Deutschnationale Abgeordnete Prof. Hoetzsch am 27. Juli 1920, der vorher
21
als bolschewistische Kriegsziele zwei Punkte genannt hatte: 1. "Zurückdrängung Polens
auf seine ethnographische Basis" und 2. "die Gewinnung einer direkten Grenze mit
Deutschland". (Stenogr. Ber. d. Verhandlg. d. Reichstags Bd. 344, S. 301). Das Wort von
der Zurückdrängung Polens auf seine ethnographische Basis wird uns in den nächsten
Jahren immer wieder begegnen.
22 Carr, The Bolshevic Revolution III, 326, schreibt: "A wave of popular enthusiasm
for Soviet Russia swept over Germany". Dies ist eine übertreibung, die in keiner Weise
belegt werden kann. Fr. Stampfer, Die ersten vierzehn Jahre der deutschen Republik
(Offenburg 1947) schränkt die Wirkung auf "weite Arbeiterkreise" ein, in denen sich die
Sympathie für das "Vaterland der Arbeiter" mit einer außerordentlichen Bewunderung
für die Tüchtigkeit und Stärke der russischen Armee vereinigt habe.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 15

war in erster Linie der Gedanke von der "permanenten Identität" des Staa-
tes und seiner ökonomischen und politischen Interessen, trotz aller inneren
Umwälzungen, der hierbei im Mittelpunkt stand, ein Gedanke, den die
deutsche historische Schule früher am Beispiel der französischen Revolution
aufgewiesen hatte und der dann von Bismarck in seiner Auseinandersetzung
mit Leopold von Gerlach weiterentwickelt wurde.

II
Ganz zweifellos haben wirtschaftliche Interessen zuerst auf eine Zu-
sammenarbeit mit dem neuen Rußland hingewiesen. Das galt schon für das
letzte Jahr des Krieges, nachdem der Br,ester Friede abgeschlossen war, noch
mehr für die Zeit nach dem Versailler Frieden mit ihren vielfältigen Stö-
rungen und Hemmungen des deutschen Handels, der Verquickung aller
wirtschaftlichen Probleme mit der Reparationsfrage. Die Hoffnungen und
Erwartungen, den früheren hochintensiven Güteraustausch zwischen Deutsch-
land und Rußland wiederzubeleben, drängten sich geradezu auf, nachdem
der russische Warenbedarf nach den Kriegs- und Revolutionsereignissen ins
Ungemessene gestiegen zu sein schien. Es ist noch nicht völlig aufgeklärt,
welche Männer sich zuerst um die Wiederanknüpfung wirtschaftlicher Be-
ziehungen mit Rußland bemüht haben und ob man dabei von den Interes-
sen bestimmter Wirtschafts gruppen ausgehen muß 23. Es gab ältere wirt-
schaftliche Organisationen, die sich der Förderung des deutsch-russischen
Handels w~dmeten, wie der seit 1899 bestehende "Deutsch-Russische Ver-
ein zur Pflege und Förderung der gegenseitigen Handelsbeziehungen" 24,
aber die eigentliche Schwierigkeit bestand vor allem darin, daß die russische
23 E. H. Carr, Berlin - Moskau. Deutschland und Rußland zwischen den beiden Welt-
kriegen, Stuttgart 1954, S. 71 f. unterscheidet das Interesse der Schwerindustrie an dem
Russengeschäft, da sie weitgehend unabhängig von eingeführten Rohstoffen gewesen sei
und über keine wichtigen Märkte im Westen vertügt habe, von den verarbeitenden In-
dustrien, die durch ihre Abhängigkeit von übersee-Einfuhren stärker mit Industrie·
Interessen Amerikas verknüpft gewesen seien. "Sie teilten das Bedürfnis der Schwerindustrie,
den russischen Markt zu entwickeln, aber sie hätten es lieber in übereinstimmung mit dem
Westen, als in Opposition zu ihm getan". Mir scheint dies vorläufig eine hypothetische
Annahme, für die sicher manches spricht, die bis jetzt aber noch nicht hinreichend im
Einzelnen überprüft worden ist. Richtig ist sicher, daß Carr Stinnes als Hauptvertreter
der ein Russengeschäft begünstigenden Industrierichtung bezeichnet, wenn auch der USP-Ab-
geordnete Crispin im Reichstag am 21. Januar 1921 erklärte: "Auch der Stinnes-Konzern
macht seinen unheilvollen Einfluß geltend gegen Handelsbeziehungen mit Rußland."
(Stenogr. Ber. d. Verhdlg. d. Reichstages., Bd. 346, S. 1986.
24 Sein Organ war die Zeitschrift "Die Ostwirtschaft". Dem Verein gehörte auch Gustav
Stresemann an.
16 Theodor Schieder

Revolution sowohl wegen der VemichtJung der alten russischen Oberschicht


wie infolge der Beseitigung des privaten Handels und der Errichtung eines
staatlichen Handelsmonopols nur geringe Möglichkeiten ließ, an alte han-
delspolitische Verbindungen anzuknüpfen. So betrat man eigentlich wirt-
schaftliches Neuland mit lauter Unbekannten, denen gegenüber auch der
alte Fachmann versagen mußte, und ein systematischer Aufbau handels-
politischer Beziehungen setzte eine genaue Erkundung des Geländes
voraus. Es scheint, daß dies zuerst von dem spekulativen Geist Walter
Rathenaus erkannt worden ist, der, wie er selbst berichtet, "gegen-
über bedeutenden Schwierigkeiten" die Bildung einer wirtschaftlichen Stu-
dienkommission durchsetzte, die Rußland bereisen und sich ein Bild von
seiner wirtschaftlichen Lage machen sollte, um die Aufnahme von Handels-
beziehungen vorzubereiten 25. Daß diese Kommission schließlich doch nicht
entsandt werden konnte, mag auf russisches Mißtrauen zurückzuführen
sein oder sich damit begründen lassen, daß inzwischen auf ganz anderen
Wegen wirtschaftliche Verbindungen zustande gekommen waren, die einen
Umweg in den Augen der Sowjets unnötig machten. Es gehört zu dem
Stil, in dem sich die deutsch-russischen Kontakte nach 1919 anbahnten,
daß die wirtschaftlichen, militärischen und diplomatischen Fühler anfangs
voneinander getrennt ausgestreckt wurden, daß sie aber schließlich doch
alle ungefähr am gleichen Punkt zusammentrafen, wenn sie auch nie ganz
zu einer einheitlichen politischen Aktion zusammengefaßt werden konnten.
Das läßt sich deutlich verfolgen an dem anfänglichen Nebeneinander
wirtschaftlicher und diplomatischer Fühlungnahmen, die sehr bald inein-
ander übergehen sollten. Nach dem kurzen Besuch Helfferichs im Sommer
1918 und der Ausweisung des russischen Botschafters Joffe aus Berlin
Anfang November 1918 bestanden zwischen dem Deutschen Reich und dem
Sowjetstaat praktisch keine ,diplomatischen Beziehungen mehr. Die Annul-
lierung des Fri,edensvertrags von Brest-Litowsk durch das Waffenstillstands-
abkommen zwischen den Westmächten und Deutschland und dann auch
durch die Sowjetregierung selbst entzogen der Wiederaufnahme zunächst
die Grundlage, wenn auch die deutsche Regierung stets daran festgehalten
hat, daß durch die Aufhebung der Verträge von 1918 nicht etwa auch die

Walther Rathenau, Briefe, 2. Bd. (1926) Brief vom 10.3.1920 S. 229.


25
über die Vorgänge u. a. auch Fritz Klein, a. a. 0., S. 78 f., der zwar auf Grund von
nicht näher bezeichneten Ausschußakten des Reichstags einige interessante Einzelheiten
zu Tage fördert, in seinen tendenziösen Deutungen aber wenig überzeugt. Vgl. auch
die Rede des Außenministers Dr. Simons im Reichstag am 21. 1. 1921 (Stenogr. Ber. d.
Verhdlg. d. Reichstages, B& 346, S. 1992).
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 17

Tatsache des Friedensschlusses und der Anerkennung der Sowjetregierung in


Frage gestellt worden sei 26. Die sehr dünnen Verbindungsfäden, die zwischen
bei den Staaten noch bestanden, liefen über Fürsorgestellen für Kriegs-
gefangene, die sich sowohl in Moskau wie in Berlin gebildet hatten: in
Moskau zunächst aus einem "Deutschen Arbeiter- und Soldatenzentralrat" ,
in Berlin seit Januar 1920 durch die politische Initiative der Sowjetpolitiker,
die einen ihrer Ag,enten, Viktor Kopp, nach Berlin schickten, der ursprüng-
lich schon zum Stab der Sowjetbotschaft unter Joffe gehört hatte. Er war
eine der undurchsichtigen Gestalten, im Zwielicht einer halb diplomatischen,
halb revolutionär-propagandistischen Rolle stehend, nicht vom Format
und der Bedeutung Karl Radeks, der wirklich große Politik treiben wollte,
aber für seine Aufgabe geeignet, und auch schon als Vermittler von Ge-
schäftsabschlüssen tätig 27 • Daß diese Fürsorgestellen die Ansatzpunkte poli-
tischer und wirtschaftlicher Unternehmungen werden konnten, ist nun in
erster Linie das Verdienst eines Mannes, der, was charakteristisch ist, gar
nicht zur zünftigen Diplomatie gehörte: Moritz Schlesingers, des Leiters
der "Allgemeinen Reichszentralstelle für Kriegs- und Zivilgefangene" in
Berlin. Schlesinger kam aus der Sozialdemokratischen Partei, war ursprüng-
lich Kaufmann und war als solcher von Persien aus vor dem Kriege nach
Rußland gekommen 28. Er wirkte unablässig dahin, daß nach und nach der
Status der Fürsorgestellen - die deutsche in Moskau stand seit Juni 1920
unter Gustav HiIger, dem späteren Mitarbeiter der Moskauer deutschen
Botschafter von Graf Brockdorff-Rantzau bis zu Graf Schulenburg - ver-
bessert wurde. In einem Abkommen vom 19. April 1920 wurden sie von
heiden Seiten anerkannt und ihre Befugnisse festgesetzt; weitere Zusatz-
bestimmungen vom 7. Juli und 20. September gaben ihnen Kurier- und
26 Eine offizielle Stellungnahme des Auswärtigen Amtes findet sich in der Denkschrift,
mit der der »Entwurf eines Gesetzes über den deutsch-russischen Vertrag von Rapallo"
dem Reichstag vorgelegt wurde. (Anlage Nr. 4546 zu den Stenographischen Berichten,
Verhandlungen des Reichstags, Bd. 374). In dieser heißt es: »Nachdem der Friedens-
zustand einmal eingetreten war, konnte er durch die bioße Aufhebung der erwähnten
Verträge nicht wieder in den Kriegszustand umgewandelt werden. Ebensowenig haben
die Bestimmungen des WaffenstiHstandsabkommens und Versailler Vertrags die Wirkung
gehabt, die in den Verträgen von Brest-Litowsk liegende Anerkennung der Sowjetregie-
rung rückgängig zu machen. Die Anerkennung einer fremden Regierung ist ein völker-
rechtlicher Akt, der seiner Natur nach überhaupt nicht rückgängig gemacht werden kann."
27 Viktor Kopp ist nach Ruth Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, Frank-
furt, S. 240, 1925 sowjetrussischer Botschafter in Japan geworden und hat später eine
Mission nach Schweden übernommen. Ruth Fischer stützt sich dabei auf Grigorij Besse-
dowskij, Revelations of a Soviet Diplomat, London 1931.
über Kopp auch Paul Schelfer, Die Lehren von Rapallo, Merkur 7, 1953, S. 374.
28 Diese Mitteilung verdanke ich Herrn Botschaftsrat a. D. Gustav Bilger.
18 Theodor Schieder

Chiffrierhefugnisse und konsularische Funktionen; das vorläufige Abkom-


men zwischen dem Deutschen Reiche und dem Sowj!etstaat "über die
Erweiterung des Täügkeitsgebiets der beiderseitigen Delegationen für
Kriegsgefangenenfürsorge" vom 6. Mai 1921 ,erweiterte sie zu diplomati-
schen " Vertretungen", denen Handelsvertretungen angegliedert wurden 29.
Mit diesem Abkommen ist die Phase einer nur durch Agenten und un-
mittelbare Anknüpfungen mit einzelnen Firmen gekennzeichneten Handels-
politik beendet. Die Wirtschaftsbeziehungen wurden jetzt in diplomatische
Form gebracht; sie zu beleben, wurde das Hauptanliegen der deutschen
Außenpolitik, die nicht zuletzt durch die Sorge vor einem Vorsprung Eng-
lands bestimmt war, das mit einem ähnlichenAbkommen vorangegangen war.
Daß sie sich zunächst darauf beschränken wollte, kam auch in der Ernennung
nicht eines Berufsdiplomaten, sondern eines Nationalökonomen, des Leip-
ziger Professors Wiedenfeld, zum Ausdruck 30. Diese Beschränkung auf Han-
delspolitik war aber andererseits selbst ein Stück Diplomatie: nach außen
darauf zielend, durch ein begrenztes Maß politischer Beziehungen einen
möglichst großen wirtschaftlichen Nutzeffekt erreichen zu können; nach
innen mit der Tendenz, "die Rettung von dem Bolschewismus durch die
Bolschewiken" 31, d. h. durch ihre wirtschaftlichen Aufträge geschehen zu
lassen. Freilich war es den bolschewistischen Unterhändlern gelungen, sich
dafür einen eminent politischen Preis, nämlich die Anerkennung der Ver-
tretung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik als der
einzigen Vertretung des russischen Staates in Deutschland, zahlen zu lassen;
damit war einer doppelpoligen deutschen Rußlandpolitik, die neben ihren
Beziehungen zur Sowjetregierung Verbindungen mit gegenrevolutionären
Gruppen aufrechterhalten konnte, offiziell ein Ende gesetzt.
Der Gang der Ereignisse, der langsame, aber kontinuierliche Ausbau der
deutsch-russischen Beziehungen könnte den Eindruck einer von Anfang an
planvollen deutschen Politik erwecken, die Schritt für Schritt sich einen
Weg von gelegentlichen Berührungen über wirtschaftliche Verflechtung zu
politischer Annäherung bahnte; doch täuscht der äußere Ablauf über die
innere Zwiespältigkeit und die oft mangelnde Folgerichtigkeit des deut-
schen Handeins hinweg. Im vollen Sinne des Worts gibt es keinen einglei-
sigen "Weg nach Rapallo", wenn auch der Kreis derer immer größer wird,
die mit einer auf engeren Anschluß an Rußland gerichteten Politik weiter-
29 Dazu Wipert von Blücher, Deutschlands Weg nach Rapallo, Wiesbaden 1951, S. 146
und Paul Scheffer, Die Lehren von Rapallo, a. a. 0., S. 374.
::0 über die näheren Umstände dieser Ernennung Blücher a. a. O. 149 f.
31 Blücher a. a. O. S. 151.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 19

reichende Ziele verbinden. Der stärkste Exponent dieser Richtung in der


deutschen Diplomatie war seit 1919 Ago Freiherr von Maltzan, der zunächst
als Vortragender Rat in die seitdem Umbau des Auswärtigen Amtes nach dem
Kriege bestehende Ostabteilung eingetreten war, aber tatsächlich sofort als
ihr bester Kopf und ihre stärkste Kraft erschien. Maltzan beschränkte sich
nicht darauf, seine Pläne einer deutschen Ostorientierung mit routinemäßigen
Mitteln zu verwirklichen, er .warb für sie vor allem auch unter den Parla-
mentariern aller Parteien und gewann für seine Interessen allmählich einen
Kreis von Männern, die aus allen innenpolitischen Lagern kamen und im
Reichstag oft mit sehr verschiedenen Begründungen für einen rußland-
freundlichen Kurs eintraten. Innerhalb des Auswärtigen Amtes kam es
seiner aUe taktischen Möglichkeiten ausnutzenden Politik sehr zugute, daß
die Ostabteilung eine eigenartige Sonderstellung einnahm und, wie Herbert
von Dirksen berichtet, "mit einem Schleier des Geheimnisses" 32 umgeben
war. Sie konnte unbeachteter wirken als andere Abteilungen ,des Amtes, da
das Schwergewicht der Außenpolitik zunächst auf den Beziehungen zu den
westlichen Siegermächten lag und außerdem für die normale diplomatische
Karriere der Osten mit seinen neuen Staaten von ungewisser Zukunft,
seinen revolutionären Krisen, ungdösten Territorialfragen und nicht zuletzt
wegen seiner vielen in der großen Diplomatie bisher nicht heimischen Spra-
chen wenig Anreiz bot. Während früher für den Dienst in Petersburg die
Kenntnis der französischen und russischen Sprache genügte, wurden jetzt
die sprachkundigen Experten und Sachkenner der verwickelten östlichen
Probleme gebraucht, die meist selbst aus dem Osten, aus den Kreisen des
baltischen und russischen Deutschtums herkamen. Maltzan, vorübergehend
nach Athen verbannt und im Oktober 1921 zum Leiter der Ostabteilung
berufen, hat solchen Tendenzen gegenüber immer die Gesichtspunkte der
allgemeinen Politik gewahrt. Ihm hat Lord D' Abernon einen Platz neben
Poincare und Churchill in ,den biographischen Skizzen seiner Memoiren
gegönnt und von ihm als dem "vielleicht Klügsten unter den Männern"
gesprochen, die seit ,dem Kriege in der Wilhelmstraße tätig waren 33. Malt-
zan kam aus der Tradition der deutschen Vorkriegsdiplomatie, und wenn
er sich gern als Schüler Kiderlen-Wächters bezeichnete, so war dies höch-
stens in dem sehr allgemeinen Sinne eines außenpolitischen Realismus richtig.
Die von ihm geforderte Ostorientierung der Reichspolitik war jedenfalls
als solche kein Kiderlensches Erbe. Maltzan wollte die Zusammenarbeit mit

32 H. v. Dirksen, Moskau-Tokio-London (Stuttgart o. ].), S. 58.


33 Viscount d'Abernon, Ein Botschafter der Zeitenwende II, S. 56 H.
20 Theodor Schieder

den Sowjets aus politischer Kalkulation, weder aus Sympathie noch aus
romantischer Ideologie.
Neben dem wirtschaftlichen und diplomatischen gab es nun noch ein
dritt,es Gleis, auf dem die deutsch-russischen Beziehungen in den Jahren nach
dem ersten Weltkrieg in Gang kamen: das militärische. Wir stoßen damit
auf das umstrittenste und in den letzten Jahren am lebhaftesten d.iskutierte
Kapitel der deutschen Rußlandpolitik in ,der Weimarer Zeit, sicher auch
auf eine ungewöhnliche Form politischer Zusammenarbeit zwischen zwei
Staaten in der neuesten Geschichte überhaupt. Nicht darin lag nun eigent-
lich das überraschende, daß militärpolitische und militärtechnische Ver-
einbarungen und Abreden formellen politischen Verträgen zweier Mächte
vorausgingen; dies hatte es schon des öfteren gerade in der Geschichte der
preußisch-russischen und deutsch-russischen Beziehungen gegeben - man
braucht nur an die Alvenslebensche Konvention von 1863 oder die Abkom-
men von 1873 zu denken -, aber ungewöhnlich war es, daß hier die mili-
tärische Führung ohne Kontakt mit der politischen vorging und Abreden
von höchster politischer Tragweite traf. Der Nachdruck der militärischen
Zusammenarbeit lag auf einer geheimen Rüstungspolitik zweier in ihrer
politischen und sozialen Struktur sehr verschiedener und zudem noch gar
nicht ganz konsolidierter Mächte. über den ers~en Anknüpfungen zwischen
deutschen Militärs und den Sowjets liegt noch der Schleier ,des Geheimnisses.
Als erstes Anzeichen dafür, ,daß in der deutschen Armee Fühler zu den
Bolschewisten ausgestreckt wurden, mag man die Tatsache ansehen, daß das
Kriegsministerium den im Februar 1919 verhafteten Karl Radek, den bol-
schewistischen Delegierten heim Gründungskongreß der Deutschen Kom-
munistischen Partei, im Laufe des Jahres unter seinen Schutz nahm und in
eine Art Ehrenhaft überführte 34. Es ist hinreichend bekannt, daß Radek in
seiner Zelle die verschiedensten Persönlichkeiten empfing, neben Rathenau
auch einige dem Rechtsradikalismus zuneigende Offiziere, und daß hier zum
ersten Male ein nationalbolschewistisches Programm diskutiert wurde, in dem
das Zusammenwirken eines nationalrevolutionär:en Deutschlands mit dem
Sowjetstaat im Mittelpunkt stand. Daß Radek in diesen Monaten auch mit
Seeckt zusammengetroffen ist, der entscheidenden Persönlichkeit der neuen
deutschen Armee, ist nicht nachzuweisen, scheint aber auch bei der von
Seeckt noch später gewahrten äußeren Zurückhaltung nicht sehr wahrschein-
lich. Das bedeutet nicht, daß ihm die mit Radek geführten Gespräche un-
bekannt geblieben sein müssen, befand sich doch unter dessen Gästen auch
34 Zum Datum vgl. CaTT, Berlin-Moskau S. 28.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 21

der frühere türkische Kriegsminister Enver Pascha, der nachher Seeckt erste
Informationen aus dem neuen Rußland geben sollte. Doch waren die Zeit
und die Umstände, in denen sich alle Gesprächspartner in Radeks "politi-
schem Salon" einschließlich Radek selbst befanden, noch nicht reif für
politische Entscheidungen: Radek hatte in seiner Berliner Haft kaum Ver-
bindung zu Lenin und Trotzki und damit also höchstwahrscheinlich keine
Autorisierung durch die Führer des Sowjetstaats 35.
Wie standes aber um die Ziele der deutschen militärischen Führung? Es
führt in die Irre, ihr Verhältnis zu Rußland nur unter dem Aspekt der tradi-
tionellen Freundschaft zu dem großen Nachbarn im Osten zu betrachten, für
die die Erinnerungen an Tauroggen und die Bismarckische Epoche bestimmend
waren. Sowenig das Rußlandbild und die Rußlandpolitik des deutschen Gene-
ralstabs im einzelnen schon untersucht sind, so läßt sich doch sagen, daß sich
von Graf Waldersees Präventivkriegsplänen am Ausgang der 80er Jahre des
19. Jahrhunderts bis zu Ludendorffs Randstaatenpolitik im Ersten Weltkrieg
auch eine andere Linie verfolgen läßt. Es besteht kein Zweifel daran, daß die
bolschewistische Umwälzung das Konzept einer prorussischen Politik gerade
in den konservativen militärischen Kreisen noch schwieriger gemacht hat;
eher war für sie die Verlockung gegeben, sich an gegenrevolutionären Unter-
nehmungen zu beteiligen und die russische Freundschaft über eine Restau-
ration der Monarchie wiederherzustellen. In dem einzigen Raume, in dem
nach dem Waffenstillstand noch auß·erhalb der Reichsgrenzen deutsche
Verbände operierten, im Baltikum, sind die verschiedenen Richtungen einer
deutschen Rußlandpolitik auf militärischem Felde aufeinandergeprallt:
während der Oberkommandierende, Graf v. d. GOltz, auf die Niederwer-
fung des Bolschewismus und auf eine deutsch-russische Politik auf gegen-
revolutionärer Basis hinarbeitete, stieß er auf den wachsenden Widerstand
Seeckts bei seinen militärischen Aktionen. Seeckt handelte dem äußeren
Anscheine nach unter dem Druck der Alliierten, als er die Zurücknahme der
deutschen Truppen und Freikorps erzwang, tatsächlich aber verbarg sich
dahinter auch das Bestreben, den Bolschewisten ein Tor zur baltischen
Küste zu öffnen 36. Seeckt war während des Krieges wohl kein Anhänger
35 Ruth Fischer a. a. O. S. 251 meint allerdings: »Er hatte einen Sekretär und man
gestand ihm sogar zu, mit der Moskauer Regierung in Verbindung zu treten. Seine Ver-
bindung zur Außenwelt war Kar! Moor". Dagegen Carr, The Bolshevie Revolution III,
S. 321: "On the Soviet side Radek was playing a lone hand; in so far as it was possible
to speak of any reeognized Soviet foreign poliey at this time, he was eertainly not its
authorized exponent."
36 Darüber auch der Bericht von Major Tschunke vom 15. Februar 1939, veröffentlicht
in Der Monat I, November 1948, S. 48 H.
22 Theodor Schieder

der Randstaatenpolitik der Obersten Heeresleitung gewesen, sondern hatte


"eine frühzeitige oder rechtzeitige, aber vollständige Verständigung im Osten
für erstrebenswert" gehalten 37. Die Nachbarschaft einer russischen Republik
an unserer Grenze schien ihm 1917 "bei der schwachen monarchischen
Festigkeit unserer obersten Leitung" nicht vorteilhaft 38. In der unmittel-
baren Nachkriegszeit muß sich dann die Meinung in ihm befestigt haben,
daß das bolschewistische Regime nicht mehr aus dem Sattel zu heben sei
und man mit ihm mindestens für absehbare Zeit rechnen müsse. Deutsche
Rußlandpolitik hieß dann aber für die nächste Zukunft Politik mit den
Sowjets. In einem Briefe vom 31. Januar 1920 hat Seeckt seiner Ansicht
vom "Problem Rußland" in diesem Sinne Ausdruck gegeben: "Aktiven Ein-
fluß auf die innere Entwicklung dort können wir nicht nehmen, übrigens auch
die Entente auf direktem Wege nicht oder doch nur an den äußeren Grenzen.
Da ich die zukünftige politische und wirtschaftliche Einigung mit Groß-
rußland als unverrückbares Ziel unserer Politik ansehe, müssen wir ver-
suchen, uns Rußland wenigstens nicht zum Feind zu machen 39." Aber sofort
taucht damit die Frage auf, ob es überhaupt möglich sein konnte, mit einer
Macht als fester politischer Größe zu rechnen, die sich selbst nur als Vehikel
für die Weltrevolution verstand: "Sollte der Bolschewismus", lesen wir im
gleichen Briefe Seeckts, "nicht auf die Weltrevolution verzichten, dann muß
ihm an unseren eigenen Grenzen Widerstand geleistet werden. Vielleicht
versucht er zunächst, sein Ziel auf dem Propagandaweg zu erreichen,
Deutschland erst ,reif' zu machen. Dagegen helfen nur eine verständige
Politik und die zu ihrer Unterstützung nötigen staatlichen Machtmittel.
Wir sind bereit, den Wall gegen den Bolschewismus zu bilden, im eigenen
Interesse, das in diesem Fall das der Entente ist. Hierfür sollte sie uns die
nötigen Waffen lassen .... "
Dieser Brief zeigt an, wie früh Seeckts Auffassungen von der dem
sowjetischen Rußland gegenüber einzuschlagenden deutschen Politik sich
geklärt haben. Sie haben von Anfang an nichts zu tun mit der nationalbol-
schewistischen Konzeption und sind innenpolitisch grundsätzlich antibolsche-
wistisch, sie halten aber mit diesem inneren Antikommunismus eine pro-
sowjetische Außenpolitik nicht nur für vereinbar, sondern beide sind
untrennbare Bestandteile eines einheitlichen politischen Plans. Sowenig
der Bolschewismus innenpolitisch "etwas Bündnisfähiges" war, sosehr

37 Seeckt an Arnold Rechberg am 3. 10. 18 (Nachlaß Seeckt, Mikrofilm Rolle 19).


38 Seeckt an seine Frau am 5. 4. 17 (Nachlaß Seeckt, Mikrofilm Rolle 27).
39 Teilweise abgedruckt bei Rabenau, Seeckt. Aus seinem Leben 1918-1936, S. 252.
Die Probleme des RapaIlo-Vertrags 23

konnte er es außenpolitisch werden. Der Mann, unter dessen Oberbefehl


im Jahre 1923 die kommunistischen Aufstandsversuche in Sachsen, Thürin-
gen und Hamburg niedergeworfen wurden, leugnet nach anfänglichem
Zögern .die revolutionäre Gefahr, die aus ·einer äußeren Verbindung mit
der Sowjetmacht entstehen könnte. "Deutschland wird nicht bolschewisiert",
schreibt er zweieinhalb Jahre später, als der Rapallo-Vertrag bereits abge-
schlossen und die militärische Zusammenarbeit mit den Sowjets schon im
Gange war, entschiedener als früher in einer Denkschrift, "auch nicht durch
eine Verständigung mit Rußland in äußeren Fragen 40". Seeckt lebt ganz
in den Vorstellungen ,eines fast abstrakten, zeitlosen, aus den konkreten
politischen Verhältnissen gelösten Machtgedankens: die Idee von der per-
manenten Identität des Staates galt für ihn nicht nur auf dem innerpoli-
tischen FeLde, sie galt auch für das Staatenverhältnis in der Außenpolitik.
Das generalstabsmäßige Denken Seeckts in bestimmten politischen und
militärischen Lag.en und Konstellationen setzt Staaten, ihre Anziehungs- und
Abstoßungskraft gegenüber ihren Nachbarn als gleichsam absolute Größen
ein. Der Staat ist es schließlich auch, der auf ,dem Felde der sozialen Bewe-
gungen ,die eigentliche Souveränität besitzt. Militärisch gesicherte Staats-
macht ist darum für Seeckt ein ausreichendes Mittel zur Niederhaltung
sozialer Revolutionen, sie ist ein sicherer Boden, auf dem die Begegnung
mit jedem anderen, in seiner ,gesellschaftlichen Struktur noch so verschie-
denen Staatswesen möglich ist.
Man kann bei dieser so begründeten Politik von einem absoluten Primat
der Politik, und zwar der auf Macht gestellten und sie erstrebenden Politik
vor jeder wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Aktion sprechen; in die-
sem Sinne hat Seeckt bereits im Dezember 1918 den Vorrang der politischen
Macht, die ,darauf .ausgehen müsse, bündnis fähig zu werden, vor wirtschaft-
licher Erstarkung verteidigt. Bündnisfähig zu werden, bleibt ihm das Haupt-
ziel ,einer "aktiven" Außenpolitik; in dieser For.derung wird man den ent-
scheidenden Punkt seiner Rußland politik sehen müssen.
Zu ihr gehört aber von Anfang an als konkretes Einzelziel Seeckts dezi-
dierte Anschauung von der Unv,ereinbarkeit ,der Existenz Polens mit den
Lebensbedingungen Deutschlands. Das wiedererstandene Polen war für ihn
der Faktor, der das Verhältnis zwisch.en Deutschland und Rußland gegen-
über der Vorkriegszeit entscheidend verändert hatte. Ließ sich darauf eine
neue Interessengemeinschaft bauen? Schon im Anfang des Jahres 1920, vor
40 Denkschrift vom 11. 9. 1922, teilweise abgedruckt bei v. Rabenau, Seeckt, S. 315 H.,
vollständiger Text in: Der Monat I, November 1948, S. 44 H.
24 Theodor Schieder

dem Ausbruch des russisch-polnischen Krieges, den Seeckt richtig für den
folgenden Sommer voraussagte, meinte ,er, es sollte unbezweifelt fest-
stehen, daß Deutschland Polen jede Hilfe gegen Rußland versage. "Sieht
man von der Notwendigkeit der anzustrebenden Verständigung mit Ruß-
land ganz ab, so ergibt sich doch für uns die zwingende Pflicht, jedes An-
zeichen zu begrüßen, das uns eine Schädigung oder gar Vernichtung unseres
unerträglichsten Nachbarn v,erspricht. Polen ist Frankreichs Geschöpf und
zuverlässiger Bundesgenosse, damit also unser dauernder Feind." Aber wie
sollte man sich gegen einen russischen Angriff verhalten, der über Polens
Grenzen hinaus auf Deutschland zielte? Hier steht Seeckt vor einemDilem-
ma; denn gegenüber einem aggressiven Rußland bot Polen Schutz. "Die
Abwehr eines russischen Angriffs kann nach dem vorher Gesagten nicht
indirekt durch Unterstützung Polens, sondern nur direkt an der eigenen
Grenze erfolgen. Ob ein solcher Angriff als wahrscheinlich, als sicher oder
nicht, anzusehen ist, kann ununtersucht bleiben 41." Zwei Jahre später, in
seiner Denkschrift vom September 1922, ist seine Sprache noch entschie-
dener geworden; jetzt fordert er nicht mehr, Polen gegen Rußland die Hilfe
zu versagen, sondern deutsche Hilfe für Polens Verschwinden zu geben:
Polen "muß verschwinden und wird verschwinden durch eigene, innere
Schwäche und durch Rußland - mit unserer Hilfe. Polen ist für Rußland
noch unerträglicher als für uns; kein Rußland findet sich mit Polen ab ...
Rußland und Deutschland in den Grenzen von 1914 sollte die Grundlage
von der Verständigung zwischen beiden sein .•. "
Man muß sich vor Augen halten, daß es sich hier um die Gedanken
eines Soldaten handelt, der zwar als Chef der Heeresleitung die entschei-
dende militärpolitische Position im Weimarer Staate innehatte, aber doch
primär nicht mit Außenpolitik befaßt war. Wenn er daran ging, seine
Politik, der unüberlegte Abenteuer fernlagen und die mit langen Fristen
rechnete, im militärpolitischen und rüstungspolitischen Bereich zu realisie-
ren, so war das in jedem Falle ein Politicum ersten Ranges, das der Autori-
sierung durch die politische Reichsleitung bedurfte. Es ist so gut wie sicher,
daß Seeckt diese nicht eingeholt hat, daß vielmehr die ,ersten Anknüpfun-
gen zwischen den deutschen Militärs und Trotzki im Jahre '1920 unmittel-
bar über Enver Pascha hergestellt wurden 42 und im späteren Verlauf der
Chef der Heeresleitung sich nur eine persönliche Rückendeckung beim
Reichskanzler Wirth hat geben lassen, ohne daß der dem Rußlandkurs
U Brief SeecJus vom 26. 2. 1920 (Nachlaß Seeckt, Mikrofilm Rolle 21).
~2 Rabenau, Seeckt, S. 307.
Die Probleme des Rapal1o-Vertrags 25

widerstrebende Reichspräsident und das Reichskabinett in die Pläne einge-


weiht waren. Dies scheint erst in den Monaten nach Abschluß des Rapallo-
Vertrags geschehen zu sein, so daß man mindestens bis dahin von einer
gegen die eigene Regierung abgeschirmten Geheimpolitik sprechen muß 43.
Die Version, daß dies auf russischer Seite ähnlich gewesen sei und Trotzki
ohne Wissen des Politbüros gehandelt habe, läßt sich nicht mehr aufrecht-
erhalten, seitdem Edward Hallet earr aus den Trotzki-Papieren Belege für
die Mitwisserschaft Lenins und Tschitscherins beigebracht hat 44.
Damit ist das Problem gestellt, welches Interesse die sowjetische Politik
und Staatsleitung an einer Zusammenarbeit mit der deutschen Armee auch
ohne formelle politische Beziehungen und Bindungen gehabt haben kann.
Hier kommt dem Ereignis des russisch-polnischen Krieges von 1920 ent-
scheidende Bedeutung zu: er führt zum erstenmal seit der Beendigung der
Baltikumkämpfe wieder zu einer unmittelbaren deutsch-russischen Berüh-
rung und wirft in der Phase der großen Erfolge der Roten Armee die Frage
nach einer Verständigung über die polnische Frage auf. Soweit die bisher
bekanntgewordenen Dokumente ein Urteil gestatten 45, muß man jedoch
annehmen, daß erst nach der Wende in der Schlacht von Warschau auf
sowjetischer Seite das Interesse an einer Verbindung mit der deutschen
Armee gewachsen ist; vielleicht hat man in Moskau vorher während des
Vormarsches nach Westen eher an eine revolutionäre überrumpelung
Deutschlands gedacht und begann sich erst dann auf eine militärisch-macht-
politische Entscheidung umzustellen. Während noch am 2. August Tschi-
tscherin den deutschen Vorschlag, die diplomatischen Beziehungen unter ge-
wissen Bedingungen wieder aufzunehmen, praktisch ablehnend beantwor-
tete 46 , ließ Trotzki zwölf Tage nach dem Wendepunkt des Krieges vor
Warschau ein Angebot, sich mit Deutschland über die Grenzen von 1914
zu verständigen, durch Enver Pascha an Seeckt gelangen 41. Nicht nur die
Tatsache, daß der polnische Krieg weniger als revolutionär-ideologischer
denn als nationaler Krieg empfunden wurde, hat die Annäherung an
Deutschland begünstigt, sondern sein negativer Ausgang und die in seinem
43 Zu diesem Problem hat neuerdings H. Helbig, Die Moskauer Mission Brockdorff-
Rantzaus, Forschungen zur osteuropäischen Geschichte II 1955, S. 306 H. neues Material
beigebracht.
44 Carr, Berlin-Moskau, S. 74 und 76.
45 Sie sind von Carr, Bolshevic Revolution III, S. 324 ausgewertet.
46 Carr, Bolsh. Rev. III, S. 325.
47 Roth/els koordiniert in seinem Vorwort zu H. SpeideI (Vjh. f. Zg. I, 1953 S. 13)
das Angebot Trotzkis mit der Entscheidung vor Warschau nicht ganz richtig. Die Schlacht
von Warschau fand am 14. August 1920 statt; Envers Brief ist am 26. August geschrieben.
26 Theodor Schieder

Verlauf zutage getretenen Mängel der Roten Armee verstärkten auch das
Bedürfnis, die Rüstung der Sowjetrnacht zu verbessern, wozu man gerne
die deutsche Hilfe in Anspruch nehmen wollte.
Man wird aber die momentanen Zwecke von den größeren politischen
Konzeptionen unterscheiden müssen, in die sie hingestellt sind und die Lenin
in seiner Rede vom Dezember 1920 zum erstenmal voll anklingen ließ.
Für Trotzki hatte den Ausgangspunkt der Verhandlungen mit der Reichs-
wehr zweifellos das Bedürfnis gebildet, beim Aufbau der Roten Armee
deutsche technische und organisatorische Hilfe zu gewinnen; die folgenden
rüstungswirtschaftlichen Verhandlungen, für die das Dekret über die Pacht-
konzessionen die Voraussetzungen geschaffen hatte, machen dies deutlich.
Deutschland sollte dabei der Gebende sein und dafür wirtschaftliche und
kommerzielle Vorteile gewinnen. Doch ließen sich auf einem so gefähr-
lichen Terrain wie dem rüstungswirtschaftlichen ohnehin die politischen
Gesichtspunkte von vornherein nicht ausschließen. Zweifellos sahen die
Sowjets in der militärischen Zusammenarbeit von Anfang an ein Mittel,
Deutschland an die Sowjetrnacht zu binden, seine Aufrüstung unter Kon-
trolle zu halten, seine wirtschaftlichen und militärischen Interessen nach
dem Osten zu lenken und die Kluft zwischen den Alliierten und Deutsch-
land zu vertiefen, wie dies Lenin im Dezember 1920 offen aussprach.
Es liegt auf der Hand, daß auch für Seeckt und seine Mitarbeiter die
Niederlage der Roten Armee im polnischen Krieg einen entscheidenden
Moment bildete 48; die Möglichkeit schneller, allzu schneller Entscheidun-
gen war vorüber, was für das vorsichtige Temperament Seeckts nicht nur
eine Enttäuschung gewesen sein mag; an Stelle dramatischer Entschlüsse,
wie sie noch Trotzkis Angebot von August 1920 andeutete, trat der Gedanke
rüstungspolitischer Zusammenarbeit auf lange Sicht in den Vordergrund.
Die wirtschaftlichen und die militärischen Kontakte beginnen sich jetzt zu
treffen: im gleichen Winter 1920/21, in den Schlesingers Bemühungen um
den Ausbau der Fürsorgestellen und die Intensivierung des wirtschaftlichen
Austauschs zwischen Deutschland und Sowjetrußland fallen, scheinen die
ersten Anknüpfungen der Militärs vor sich zu gehen. Damals wurde die
sog. "Sondergruppe R" im Reichswehrministerium begründet, die die Ver-
bindung mit Rußland bearbeitete 49. Eine Delegation deutscher Offiziere

48 Georges Castellall, Reichswehr et Armee Rouge, in: Les Relations Germano-


a
Sovietiques de 1933 1939, Paris 1954, S. 150.
49 Dazu Carr, Berlin-Moskau, S. 76 f. und G. Castellan a. a. o. S. 151, sowie der im
Monat, November 1948 S. 40 f. veröffentlichte Brief von Tschunke.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 27

nahm die militärische Verbindung in Moskau auf; im September 1921 wur-


den die Geheimverhandlungen in Berlin zwischen Krassin, dem späteren
Volkskommissar für Handel und Industrie und Seeckts Nachfolger im
Truppenamt, General Hasse fortgesetzt. Erst im Dezember 1921 trat Seeckt
selbst aus der Reserve heraus und verhandelte persönlich mit den Russen,
zuletzt im Februar 1922 mit Karl Radek, dessen Politik nun ihre Früchte
erntete, wenn sich auch Seeckt einem formellen Abkommen versagt zu haben
scheint.
Das Ergebnis aller dieser Bemühungen war vielmehr ein Geflecht verschie-
denartiger Einzelabmachungen, von denen bisher noch lange nicht genü-
gend und vor allem nur der Anteil des deutschen Partners bekanntge-
worden ist. Für ihn standen im wesentlichen zwei Ziele im Vordergrund:
einmal der Versuch, die Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrags
durch Waffenproduktion in Rußland zu durchbrechen, und dann die Mög-
lichkeit, durch die Erprobung von Material und Ausbildung kleiner Stamm-
kader in der Panzerwaffe und Flieg,erei den Anschluß an die militär-
technische Entwicklung der anderen Armeen nicht zu verlieren und die
technischen und personellen Voraussetzungen für eine spätere Aufrüstung
zu schaffen. Was die wirtsdlaftlich'e Seite anlangt, so muß man zwischen
den ,gemischten deutsch-russischen Gesellschaften, den Pachtkonzessionen,
von ,denen eine auch Krupp besaß, und den getarnten rüstungswirtschaft-
lichen Unternehmungen unterscheiden. Diese waren den ersteren in der
Form angepaßt und wurden unter dem Tarnnamen "Gesellschaft zur För-
derung gewerblicher Unternehmungen" (GEFU) unter dem Major Fritz
Tschunke geführt, tatsächlich aber verfolgten sie ganz andere Ziele 50. Im
einzelnen handelte es sich um ein von Junkers betriebenes Flugzeugwerk in
Fili bei Moskau, um eine Fabrik für Giftgase in Bersol bei Samara und
um die Herstellung von Artilleriemunition in verschiedenen russischen
Werken "unter deutscher technischer Hilfeleistung". Von diesen Unter-
nehmungen hat anscheinend nur das dritte zu wirklichen Erfolgen geführt,
wenn wir einer Aussage Tschunkes glauben dürfen. Daß auch noch über
andere Rüstungsfabriken verhandelt wurde, geht aus einem Bericht Viktor
Kopps an Trotzki vom 7. April 1921 hervor, in dem unter anderem auch
von einer Konzession für die Herstellung von Unterseebooten durch Blohm
und Voß ,die Rede war.
Wenn auch heute. ein abschließendes Urteil über diese Zusammenhänge
noch kaum möglich ist, so gewinnt man aus den bisher zur Verfügung
50 Vgl. den Bericht Tschunkes a. a. o.
28 Theodor Schieder

stehenden Nachrichten doch den Eindruck, daß für die deutsche Auf-
rüstungspolitik der späteren Zukunft die unmittelbaren rüstungswirtschaft-
lichen Vorteile geringer waren als die Möglichkeiten, die sich für Ausbildung
und Erprobung in Rußland boten. Das Bild, daß Helm Speidei vom deut-
schen Flugplatz Lipezk bei Woronesch jüngst gezeichnet hat 5t, läßt diesen
Schluß bereits zu. Noch nicht im gleichen Maße aufgehellt ist die Entwick-
lung der Schule für Ausbildung und Technik des Gaskampfes bei Saratow
und der Kampfwagenschule in Kasan 52. Allerdings wird man nach den
Zahlenangaben von Speidei die Breitenwirkung ,dieser Ausbildungsstätten
nicht zu hodl ansetzen dürfen, wenn sie auch, gemessen an der Größe des
Offizierskorps der Reichswehr, nicht unerheblich ist 53.
Die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee ist bisher
fast ausschließlich unter dem Aspekt der deutschen Militärpolitik gesehen
worden, und nur selten wurden die Ergebnisse überdacht, die sie für die
Sowjets hatte. Aber nur sie machen überhaupt das russische Entgegen-
kommen an die deutsche Armee, die ungewöhnliche Bereitstellung von
Ubungs- und Produktionsplätzen an eine fremde Macht im eigenen Lande
verständlich. Ihrer Aufklärung sind naturgemäß Grenzen gesetzt, solange
sowjetische Quellen vollständig fehlen. Eine neue französische Arbeit
hat auf Grund von Material des sog. 2. Büros des Französischen Geheim-
dienstes einige unbestätigte Nachrichten über die Mitwirkung deutscher
Offiziere und Ingenieure bei der Wiederherstellung der russischen Flotte
gebracht 64, kann aber die Anwesenheit und Tätigkeit deutscher Instruk-
tionsoffiziere in der Roten Armee und ihrem Generalstab nicht sicher nach-
weisen 56. Dagegen fällt einiges Licht auf die Ausbildung von Truppen-
führern der Roten Armee an deutschen Militärschulen und an der getarnten
Generalstabsausbildung des Reichswehrministeriums. Helm Speidel hebt
die Einseitigkeit des Austausches der geistigen Grundlagen auf dem Gebiet
der Kriegführung hervor: niemals sei es deutschen Offizieren gelungen, an
sowjetischen Generalstabsreisen und ähnlichen Schulungs- und Forschungs-
vorhaben teilzunehmen: "Die Deutschen gaben, die Russen nahmen. Sämt-
51Vjh. f. Zg. I, 1953, S. 24 H.
5BDarüber neuerdings G. Castellan a. a. 0., 5., 180 f.
53 Speidei spricht für die Zeit von 1925-33 von der Ausbildung von 120 Jagdfliegern
und für die Zeit von 1928-30 von 100 Offiziersflugzeugbeobachtern.
fit G. Castellan a. a. O. S. 158.
55 Die von Castellan herangezogenen Meldungen des französischen und polnischen

Nachrichtendienstes (a. a. O. S. 159) gehen auseinander. Von polnischer Seite wurde die
Anwesenheit deutscher Instruktionsoffiziere in der Roten Armee behauptet. Speidei a. a. O.
S. 35 verneint sie eindeutig.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 29

liche Vorschriften, alle taktischen und operativen Studien, ,die Richtlinien


für Ausbildung und Einsatz, selbst die organisatorischen Planungen der
illegalen Aufrüstung, kurz ein Material, das in der Reichswehr selbst streng-
ster Geheimhaltung unterlag, wurde Moskau zur Verfügung gestellt. Dies
geschah ohne Vorbehalt und ohne Gegenleistung 56." Kein Zweifel, daß es
sich hier um die große Gegenrechnung handelt, die die Sowjets Seeckt für
die der Reichswehr gewährten Konzessionen präsentierten und :daß sie
dabei kein schlechtes Geschäft machten: sie hatten ihren Partner, mehr als
diesem lieb sein konnte, unter ihre Kontrolle gebracht.
Man wird sich bei dem Urteil über die deutsch-russische militärische Zu-
sammenarbeit zwischen 1921 und 1933 ebensosehr vor einer Unter- wie
überschätzung der Maßstäbe und tatsächlichen Vorgänge hüten müssen.
Ihre unmittelbare militärtechnische und militärpolitische Bedeutung ist
sicher nur eine beschränkte gewesen. Eine deutsche Aufrüstung im großen
Stile verbot sich schon durch die ungewöhnlichen Umstände der wenigen
deutschen Stützpunkte in einem Lande, dessen System mißtrauisch gegen
alles Fremde war, noch dazu wenn es sich um eine kapitalistische Macht
handelte. Das sicherlich interessante Problem aufzurollen, mit welchen
Mitteln und Gründen die Führung der Roten Armee das System der deut-
schen Stützpunkte gegen Kritik und Gegnerschaft iin eigenen Lande ver-
teidigt haben wird, wird uns wohl kaum jemals vergönnt sein. Auf der
anderen Seite wird man Schlüsse auf die Einschätzung der deutsch-russi-
schen Militärpolitik durch die Westmächte aus der Intensität ziehen dürfen,
mit der sie auf Informationen über die streng gehüteten Geheimnisse der
deutsch-russischen Zusammenarbeit reagiert haben. Daß sie im Besitze sol-
cher Informationen waren, ist nicht nur an den Vorgängen nachzuweisen,
die sich im Zusammenhang der enthüllenden Reichstagsrede Philipp Scheide-
manns im Dezember 1926 abgespielt haben, sondern wird neuerdings auch
durch die Untersuchung von Georges Castellan bestätigt, die sich auf Unter-
lagen des französischen Geheimdienstes stützen kann. Bis heute wissen wir
erstaunlicherweise nichts über scharfe Reaktionen der alliierten Politik.
Auch wenn man sie vom sensationellen Beiwerk befreit, bleibt die
Rußlandpolitik der Seecktschen Reichswehr ihrer politischen Gesamtziele
wegen außergewöhnlich genug. In ihrer historischen Bedeutung geht sie
weit über militärisches Ressorthandeln hinaus und wird ihrer mittelbaren

56 Speidel a. a. O. S. 36. Das neue Werk des Amerikaners Raymond L. Garthoff, Die
Sowjetarmee. Wesen und Lehre (deutsche Ausgabe Köln 1955) bringt zu dieser Frage
nichts Neues (vgl. S. 84 f.).
30 Theodor Schieder

Wirkungen wegen, wie sie u.a. aus der Einweihung sowjetischer Militär-
steHen in die Arcana der deutschen Wehrpolitik sich ergaben, zu einem Akt
der Gesamtpolitik. Niemand hat das schärfer erkannt als der erste deutsche
Botschafter in Moskau nach dem Kriege, Graf Brockdorff-Rantzau, als er
vor seiner Ernennung die Forderung aufstellte, daß ohne sein Wissen keine
Verbindung mit der russischen Regierung oder der Roten Armee angeknüpft
werden dürfe 57. Da das Reichswehrministerium in Moskau seit 1923/24
eine eigene Dienststelle - die sog. "Zentrale Moskau", genannt "Z. Mo." -
neben der Botschaft unterhielt, hätte dies zwangsläufig zu einem Konflikt
zwischen der politischen und militärischen Vertretung führen müssen 58,
wenn es nicht schließlich doch zu einer Annäherung der politischen an
die Heerführung in den letzten Zielen der Rußlandpolitik gekommen
wäre.

III
Davon war in den Anfängen, selbst in den Tagen des auch Seeckt über-
raschenden Vertragsabschlusses von Rapallo noch keineswegs die Rede. Die
Militärs handeln selbständig, sie sind den Diplomaten oft um eine Länge
voraus. Dabei fiel es sehr ins Gewicht, daß in der neuen Reichswehr der
von ihrem Schöpfer Seeckt gesteuerte Rußlandkurs sich allem Anschein nach
uneingeschränkt durchsetzte, während alle politisch-diplomatischen Ent-
scheidungen das Ergebnis der verschiedensten Richtungen und Anschauun-
gen gewesen sind, wie sie in der deutschen Politik hervortraten. Während
General von Seeckt die innenpolitischen Gefahren eines Zusammengehens
mit den Sowjets ohne Schwierigkeiten überwinden zu können glaubte, ver-
hinderten gerade die unberechenbaren Wirkungen im Innern, die eine
Außenpolitik Hand in Hand mit den Protagonisten der Weltrevolution
haben konnte, ein Mitgehen vieler Politiker verschiedener Lager.
Die Stimmungen in Deutschland waren hierbei nur das Spiegelbild derer
im Sowjetreich: hier trat gerade im Winter 1920/21 die von Sinowjew ge-
führte Gruppe der Komintern, für die Deutschland das nächste und ent-
scheidende Schlachtfeld der Welt revolution war und blieb, in Widerstreit
57 Dazu H. Helbig, Moskauer Mission S. 312.
53 Speidei (a. a. 0., S. 20) verharmlost den Konflikt etwas, wenn er schreibt: "Di~
Z. Mo. arbeitete mit der Deutschen Botschaft zusammen, deren Unterstützung sie in
Fragen der Politik in Anspruch nahm. Z. Mo. trieb keine eigene Politik, sondern war
ausführendes Organ des Reichswehrministeriums auf der einen Seite, der Deutschen Bot-
schaft in Moskau auf der anderen." Richtig daran ist, daß in der späteren Zeit Brockdorff-
Rantzaus eine engere Zusammenarbeit zustande gekommen zu sein scheint.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 31

zu dem wachsenden Machtrealismus, wie ihn vor allem Lenin vertrat. Für
diesen verwandelte sich die Weltrevolution mehr und mehr in ein Spiel,
in dem die großen Mächte, voran die russisch-bolschewistische, zu den
eigentlichen Aktionsträ.gern wurden. Das war nicht Gleichgewichts- oder
Machtpolitik im alten Stil, sondern die Verwendung ihres alten Arsenals
für :ganz neue Kampfziele, wie sie Lenin in mehreren Reden, vor allem in
der großen vom 21. Dezember 1920 vor dem VIII. Allrussischen Sowjet-
kongreß 59 umrissen hat. In ihr werden zwei Grundsätze ausgesprochen:
einmal der von der Abhängigkeit, in der sich die Sowjetmacht von der
"grundlegenden Differenz zwischen den imperialistischen Staaten" befinde,
die es auszunutzen gelte ("alle imperialistischen Mächte zu besiegen, wäre
natürlich das angenehmste, aber wir werden noch ziemlich lange nicht im-
stande sein, das zu tun"). Sodann "die zweite Hauptsäule unserer inter-
nationalen, unserer Außenpolitik: den Völkern, die sich der kapitalisti-
schen Unterdrückung bewußt werden, zu beweisen, daß für sie keine andere
Rettung besteht als die Sowjetrepublik. Und da die Sowjetrepublik drei
Jahre lang dem Ansturm der Imperialisten standgehalten hat, so spricht
das davon, daß es ein Land auf der Welt gibt, nur ein Land, das diese
Unterjochung durch den Imperialismus erfolgreich abwehrt." Hinter dieser
Außenpolitik steht also immer noch eine verborgene "revolutionäre" Stra-
tegie: die Völker, vor allem das durch den Versailler Vertrag um seine
Existenzgrundlagen gebrachte deutsche Volk, gewöhnen sich daran, "die
wirtschaftliche Notwendigkeit eines Bündnisses mit Sowjetrußland gegen
den internationalen Imperialismus anzuerkennen". "Unsere Politik grup-
piert um die Sowjetrepublik die kapitalistischen Länder, die der Imperialis-
mus würgt." Es mag sein, daß vieles an den Angumentationen Lenins in
dieser bedeutsamen Rede darauf berechnet war, die eigene Partei für die
dem strengen Dogma des Kommunismus widerstreitenden Konzessionen an
kapitalistische Mächte und Konzerne zu gewinnen, grundsätzlich aber ist
hier doch der Kern der Leninschen Deutschlandpolitik enthalten: sie speku-
lierte auf die Ausnahmelage, in der sich Deutschland innerhalb der kapita-
listischen Welt als Paria, als Proletarier unter den Mächten befand. Die Bin-
dung an die Sowjetrnacht sollte dem deutschen Volk das Bewußtsein seiner
proletarischen Existenz wecken und damit auf dem Wege über die äußere
Politik die innere Politik revolutionieren. Mit diesem Fernziel ließen sich
konkrete Nahziele wie das der Ausklammerung Deutschlands aus dem
westlichen Einflußbereich, ohne daß daraus zunächst innenpolitische Rück-
59 Lenin S. W. XXVI S. 3 H.
32 Theodor Schieder

wirkungen hervorgingen, ohne weiteres vereinbaren. Nicht weniger hatten


die Sowjets es auf die Nutzung des deutschen Wirtschaftspotentials für den
Aufbau Rußlands abgesehen, wobei hier die allgemein-wirtschaftlichen mit
den rüstungspolitischen Interessen Hand in Hand gingen.
Rußlands taktischer Vorsprung vor dem Reiche bestand in erster Linie
in der politischen Handlungsfreiheit, die es zu besitzen schien, indem es
zwischen zwei Lagern frei wählen konnte. Lenin hatte während der Inter-
ventionskriege für diese Handlungsfreiheit allerdings das Prinzip ausge-
bildet, daß die Sowjetmacht im Konflikt der imperialistischen Mächte sich
jeweils für den schwächeren, Rußland weniger gefährlichen Teil entschei-
den solle; auch dies wies auf Deutschland. Aber es bleibt doch bis in die
Tage der Verhandlungen über den deutsch-russischen Neutralitätsvertrag
von 1925 ein fester Bestandteil der sowjetischen Taktik, Deutschland gegen-
über die Möglichkeit einer Verständigung mit den westlichen Alliierten,
vor allem mit Frankreich, auszuspielen.
In eingeschränktem Maße bestand auch für Deutschland Handlungsfrei-
heit, doch lag bei ihm das Problem sehr viel komplizierter. Es spitzte sich
auf die Frage zu, wie stark man die Risse im Lager der Westmächte bewer-
tete, genauer gesagt, wie hoch man die Chancen dafür einsetzte, daß sich
der englische Widerstand gegen die wachsende Hegemonialpolitik Frank-
reichs auf dem Kontinent regte. Im Grunde lebte die westlich orientierte
deutsche Außenpolitik nach Versailles von dieser Hoffnung, aber eben da-
durch erschwerte sie sich eine »Ostorientierung" nach Sowjetrußland hin,
sobald sich einmal der russisch-englische Gegensatz erneut als eine Domi-
nante der Weltpolitik erweisen sollt-e. Die Abstimmung der Rußlandpolitik
auf das Verhältnis zu England stellte sich immer mehr als die zentrale Frage
der deutschen Nachkriegspolitik heraus, die sehr verschieden beantwortet
wurde. Während etwa Walther Rathenau jeden Schritt nach Osten vorsichtig
abwägen wollte, um keine Möglichkeiten im Westen zu verschütten, hielt
Seeckt die Rücksicht auf England bei der Knüpfung der deutsch-russischen
Beziehungen für unwesentlich, wohl nicht, weil er den russisch-englischen
Gegensatz unterschätzte, sondern eher, weil er hoffte, durch ihn den von
bei den Teilen an Deutschland zu zahlenden Preis steigern zu können.
Eine eigentümliche Variante stellt die Politik von Josef Wirth dar: sie
wollte offenbar, soweit sich heute ihre Züge schon erkennen lassen, sich
Handlungsfreiheit durch vollständige »Erfüllung" aller Vertragsverpflich-
tungen gegenüber dem Westen verschaffen, um dann an der Ostgrenze,
gedeckt durch militärische Verbindung mit den Sowjets, revisionistisch wer-
Die Probleme des RapaIIo -Vertrags 33

den zu können. Jedenfalls ist der Begriff der "Erfüllungspolitik" durch


neuere Quellen für Wirths östliche Ziele in ein anderes Licht getreten 60.
Es ergibt sich schon aus dieser überschau über die Positionen, von der die
beiden Mächte ausgingen, daß ihrer Annäherung manche Hindernisse im
Wege standen, größere in Deutschland, aber doch auch nicht unerhebliche
in Sowjetrußland. Das Jahr 1921 hat sie in einigen dramatischen Entschei-
dungen und Ereignissen beiseite gesetzt und in beiden Ländern die Gruppen
gestärkt, die die Bahn für eine Annäherungspolitik freimachen wollten. Auf
russischer Seite war es vor allem das Scheitern der kommunistischen Auf-
stände in einigen deutschen Gebi,eten im März 1921, was dem Leninschen
außenpolitischen Konzept zum Durchbruch gegen die um Sinowjew gesam-
melten Führungskreise der Komintern verhalf 61. Ohne daß die Sowjets
jemals die Zweigleisigkeit ihrer staatlichen und weltrevolutionären Politik
aufzugeben brauchten, trat doch jetzt bis zum Abschluß des Vertrages von
Rapallo der Gedanke, Deutschland außenpolitisch zu gewinnen, es nicht
mehr auf revolutionärem Wege für den Bolschewismus reif zu machen, be-
herrschend in den Mittelpunkt ihrer Politik.
Unzweifelhaft sind es auch die Sowjetpolitiker, bei denen die Initiative
zu der diplomatischen Offensive liegt, die in Rapallo endet 62. Nur unter
dem schweren Druck der zu neuen Schlägen ausholenden westlichen Politik
stieg der Kurswert der Rußlandpolitik und ihrer Anhänger in Deutschland:
im März 1921 waren die SanktiOll!en im Ruhrgebi,et eingeleitet worden, es
folgte am 5. Mai das Londoner Ultimatum in der Reparationsfrage. An die
Abstimmung in Oberschlesien im März 1921 schloß sich im Oktober der
Teilungsbeschluß des Völkerbunds, der den wertvollsten Teil des Industrie-
gebiets an Polen gab. Alle diese Ereignisse blieben nicht ohne Einfluß auf
die deutsche Innenpolitik; in welchem Maße sie dann dazu beitrugen,
die Konstellation für eine nach Rußland gerichtete Außenpolitik herzustel-
len, läßt sich jetzt schon genauer überblicken. Ago von Maltzan, der im
Frühjahr 1921 zum Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amts ernannt
worden war und in dieser Stellung eine ungewöhnliche Aktivität entfaltet
hatte, wurde bei der Bildung des ersten Kabinetts Wirth im Mai 1921 dem

60 Für Wirths Haltung bringt Helbig a. a. O. eine Reihe neuer überraschender Gesichts-
punkte und Belege.
61 Carr, The Bolsh. Rev. III S. 336 f. bezeichnet die Niederlage der Kommunisten als
"a turning-point in the history both of Gel'man eommunism and of Soviet poliey".
62 Vgl. dazu auch die von Kochan a. a. O. (deutsche Ausgabe S. 43) mitgeteilte Rede
Krestinskis bei der überreichung seines Beglaubigungsschreibens an Reichskanzler Josef
Wirth am 15. November 1921.
34 Theodor Sdtieder

Außenminister Rosen, einem Gegner der Annäherungspolitik an Sowjetruß-


land, geopfert und als Gesandter nach Athen geschickt. Als die Teilung
Oberschlesiens Zum Sturze des ersten Kabinetts Wirth geführt hatte, ging
der Kampf um die Neubildung zugleich um die Person Maltzans, der
unter dem zweiten Kabinett Wirth und seinem Außenminister Rathenau
wieder in die Leitung der Ostabteilung zurückgeholt wurde 63. Alles deutet
darauf hin, daß hier nicht um kleinliche personalpolitische Lösungen gerun-
gen wurde, sondern um die große Orientierung der deutschen Außenpolitik.
Denn diese sah sich jetzt in einem Augenblick, in dem die Oberschlesien-
Entscheidung der Alliierten einen Tiefpunkt in den Beziehungen zu den
Westmächten setzte, dem gesteigerten Liebeswerben der großen östlichen
Macht gegenüber. Im November 1921 sprach Krestinski die Hoffnung aus,
daß die deutsch-russischen Beziehungen nicht durch den Rahmen des Ver-
trags vom 6. Mai des gleichen Jahres begrenzt bleiben mögen, sondern zu
einer engeren Zusammenarbeit zwischen Rußland und Deutsdlland führen
werden. Sei~ dem Januar 1922 verdichten sich die Nachrichten von Besu-
chern halboffizieller und offizieller sowjetischer Delegierter in Berlin 64,
unter denen Radek wiederum die Vorhut führt. Die Russen verhandelten
über wirtschaftliche Konzessionen, rüstungs- und militärpolitische Abma-
chungen, die noch ganz im Geheimnis der militärischen Stellen blieben, und
schließlich auch über einen politischen Vertrag, der das Verhältnis der beiden
Mächte nach jahrelanger Ungesichertheit und Improvisation wieder norma-
lisieren sollte. Um welche Ziele es in diesem Augenblick für die russische
Politik ging, läßt sidt aus der weltpolitischen Situation ablesen: im Winter
1921122 war vor allem durch die Initiative und Phantasie Lloyd Georges
der Gedanke einer allgemeinen Wirtschaftskonferenz sämtlicher Länder
einschließlich Rußlands und Deutschlands aufgetaucht, als ,dessen Kern sich
eine Verknüpfung der Reparationsfrage mit dem Versuch eines wirtschaft-
lichen Wiederaufbaus Rußlands herausschälte. Dazu hatten die russischen
Einladungen an das westliche Kapital, sich an Konzessionen zu beteiligen,
den Anreiz gegeben. Schon wurde der Plan eines internationalen Konsor-
tiums zum Wiederaufbau Europas ventiliert, das vor allem in Rußland
Investitionen vornehmen sollte. Rathenau, der deutsche Wiederaufbau-
minister, seit Januar 1922 Reichsaußenminister, begann sich sehr für dieses
Projekt zu erwärmen, das in besonderem Maße seinem Grundsatz entgegen-
kam, politisch und wirtschaftlich im Osten nur mit Unterstützung der west-

63 Interessante Einzelheiten bei Helbig a. a. O. S. 295 f.


84 Die Einzelheiten sind dargestellt bei Carr, The Bolsh. Rev. III S. 368 ff.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 35

lichen Mächte aktiv zu werden 65. Die Sowjets erkannten wohl in dem Kon-
ferenzgedanken die Chance, ihre Rückkehr als Macht auf das internationale
Parkett vorzubereiten, möglicherweise haben sie sogar selbst diesen Plan
mitlanciert 66. Jedoch mußten sie sehr bald erkennen, daß die politische
Taktik des Ausspielens der kapitalistischen Mächte gegeneinander Schiff-
bruch erleiden könnte, sobald sich Deutschland an dem internationalen
Finanzkonsortium mitzuwirken bereit erklärte. Überdies versteifte sich der
Westen auf die Bedingung, vor wirtschaftlichen und politischen Verhand-
lungen die Anerkennung der russischen Vorkriegsschulden und der sowje-
tischen Rückerstattungs- oder Entschädigungspflicht für ausländisches Eigen-
tum zu verlangen, das im Zuge der Sozialisierung enteignet worden war.
Wenn es je im Laufe des Winters 1921/22 einen Moment gegeben haben
sollte, in dem eine Verständigung zwischen Sowjetrußland und den West-
mächten vor der Tür stand, so begann sich diese Möglichkeit sehr bald wie-
der zu verflüchtigen. Die russische Politik mußte vielmehr dazu übergehen,
möglichst noch vor Beginn der Konferenz den Ring der Mächte und Finanz-
gruppen zu sprengen, Deutschland aus ihm auszubrechen und die an sich
gewünschte ausländische Investitionshilfe von vornherein mit einzelnen
Partnern auszuhandeln 67. Dafür gab ein Abkommen mit Deutschland unter
Umständen ein geeignetes Modell ab, ebenso wie ein vertraglich ausgespro-
chener Verzicht auf die gegenseitigen finanziellen Forderungen aus dem
Kriege und der Nachkriegszeit das Vorbild für Vereinbarungen über die
Schulden aus der zaristischen Ära bilden konnte. Man muß sich vergegen-
wärtigen, daß für das am historischen Materialismus geschulte Denken der
sowjetischen Staatsführer alle diese ökonomischen Probleme eine eminent
politische Bedeutung hatten. Es mußte geradezu als eine Bestätigung der
ökonomischen Imperialismus-Theorie empfunden werden, daß der Westen
einen Versuch zu unternehmen schien, Rußland nach den gescheiterten
militärischen Interventionen nun wirtschaftlich auszubeuten und zu unter-
jochen.
So hat man den russischen Vorstoß zu verstehen, noch vor der allgemei-
nen Konferenz zu einem Vertragsabschluß mit Deutschland zu kommen,
wie ihn nach der Vorbereitung durch Radek der Außenkommissar Tschi-
tscherin, begleitet von Litwinow, Krassin, Radek, Joffe und Rakovsky auf

65 Ober Rathenaus Haltung vor allem Graf Kessler, Walther Rathenau, sein Leben und
sein Werk, Berlin 1928, S. 344 H.
66 Diese Meinung vertritt Carr, The Bolsh. Rev. III S. 356.
67 Carr, The Bolsh. Rev. III S. 371.
36 Theodor Schieder

der Reise nach Genua in Berlin unternahm. Die Russen trafen in der Reichs-
hauptstadt offenbar keineswegs eine klare Lage an: im Auswärtigen Amt
arbeitete Ago von Maltzan mit allem Nachdruck auf einen verstärkten Ruß-
landkurs und einen sofortigen Vertragsabschluß hin, unterstützt wohl von
Kreisen der Schwerindustrie, vor allem von der mächtigen Gestalt Hugo
Stinnes'. Er wurde dabei sehr von Strömungen der öffentlichen Meinung
getragen, seitdem nach Briands Sturz und Poincares Regierungsantritt im
Januar 1922 Frankreich immer stärker den Weg der Repressalien und Ge-
walt gegen Deutschland einschlug. Das Argument, wenn Deutschland die
Hand Rußlands nicht ergreife, drohe eine Verbindung zwischen Frankreich
und den Sowjets, das Maltzan ins Feld führte, mußte unter diesen Um-
ständen besonders durchschlagen 68. Die Anhänger einer Ostorientierung
wandten sich in erster Linie auch gegen Rathenaus Idee einer "Kontinental-
politik" 69, d. h. einer deutsch-französischen Verständigung, für die das
Wiesbadener Abkommen mit Loucheur über direkte deutsche Reparations-
lieferungen an französische Kriegsgeschädigte vom Oktober 1921 die Grund-
lage schaffen sollte. Seit Poincarcs verschärfter Rheinpolitik hing diese
Politik in der Luft, auch der Versuch, durch ein Zusammenwirken mit
Lloyd George einen Ausgleich dafür zu schaffen, schlug im letzten fehl. So
war die Lage Rathenaus vor dem Zusammentritt der Konferenz von Genua
unsicher, das Fundament seiner Politik gefährdet. So sehr er innerlich
der von Maltzan verfochtenen Ostorientierung widerstrebte, so hat er
daher doch das russische Angebot nicht a Emine ablehnen können, da es
eine Aussicht eröffnete, in der Reparationsfrage eine drohende Gefahr ab-
zuwenden.
In Artikel 116 des VersaiUer Vertrags hatten die Alliierten Rußland
das Recht vorbehalten, "von Deutschland alle Entschädigungen und Wie-
dergutmachungen zu erhalten, die auf den Grundsätzen des gegenwärtigen
Vertrags beruhen"; das bedeutete unter Umständen Ausdehnung der Repa-
rationspflicht des Reiches auf Rußland und die bedrohliche Möglichkeit, die
Alliierten könnten selbst im Zuge der Ablösung ,der russischen Vorkriegs-
und Kriegsschulden durch ein Abkommen mit Rußland in diese Forderun-
gen eintreten.
Ober den Verlauf und das Ergebnis der deutsch-russischen Verhandlungen
in den ersten Apriltagen des Jahres 1922 sind wir noch nicht ausreichend
unterrichtet, doch scheint es sicher zu sein, daß der Text des späteren Ra-

68 über Xußerungen Maltzans in dieser Richtung d' Abernon a. a. 0., II S. 266 und 286.
6U D' Abernon a. a. 0., II S. 339.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 37

pallo-Vertrags bis auf wenige Punkte in Berlin entworfen wurde 70. Zu


den offenen Fragen gehörte wohl der deutsche Verzicht auf ,das sozialisierte
deutsche Eigentum in Rußland, in dessen Formulierung ,die deutschen Unter-
händler gewisse Garantien einbauen wollten für ,den Fall, daß es zu gün-
stigeren Abmachungen der Russen mit anderen Mächten kommen sollte,
und die Meistbegünstigungsklausel für den deutsch-russischen Handelsver-
kehr. Einem endgültigen Vertrags abschluß vor der Konferenz, wie ihn
anscheinend Maltzan mit allen Mitteln herbeizuführen suchte, widerstrebte
Rathenau, im Hintergrund unterstützt von dem der russischen Politik völ-
lig abgeneigten Reichspräsidenten Ebert; sie erreichten schließlich, daß die
Unterzeichnung zurückgestellt wurde. Ob irgendwelche Abreden über die
Wiederaufnahme der Verhandlungen oder über ein gemeinsames Vorgehen
in Genua getroffen worden sind, läßt sich noch nicht übersehen.
Der Verlauf der Konferenz hat dann aber sehr schnell die Entscheidung
über ,den deutsch-russischen Vertrag gebracht. Man muß seine Entstehung
im Rahmen der weltpolitischen Konstellation sehen, wie sie sich in Genua
herausgebildet hat. Ihr bestimmender Faktor war zunächst der englisch-
französische Gegensatz, hervorgerufen durch Poincares unverhüllte Absicht,
die Konferenz, der er ferngeblieben war, von vornherein zu torpedieren,
sie unter keinen Umständen zu einem Instrument der englischen Politik
werden zu lassen, mit dem s,einer Rheinpolitik etwa durch ein Entgegenkom-
men inder Reparationsfrage die Zähne ausgebrochen wurden. Dieser Kon-
flikt schien unverhofft den Sowjets eine Chance zu bieten, den Plan eines
internationalen Wiederaufbaukonsortiums zum Scheitern zu bringen und
durch Einzelabmachungen mit den verschiedenen Mächten die gewünschte

70 Am meisten über die Berliner Verhandlungen teilt Louis Fischer, The Soviets in thc
World Affairs (London 1930, 2. Aufl. Princeton 1951) I, S. 332 f. mit. Er benutzt dabei
Aussagen Tschitscherins, Lztwinows und Gaus'. L. Kochan, Rußland und die Weimarer
Republik (Düsseldorf 1955), S. 49, stützt sich auf L. Fischer, zieht aber außerdem noch die
mir nicht zugängliche Schrift von A. loffe, Ot Genui do Gaagi (Moskau 1923) S. 16
heran. D' Abernon a. a. O. I S. 326 f. zitiert Kußerungen "von deutscher Seite, nach denen
die Auffassung, der Rapallo-Vertrag sei eine Kopie eines ähnlichen schon in Berlin ent-
worfenen Abkommens", als "vollkommen unzutreffend" bezeichnet wird. Daraus geht
zweifellos hervor, daß die Verhandlungen gegenüber den Alliierten streng geheim gehal-
ten wurden. W. P. Pontjomkin, Geschichte ,der Diplomatie (Moskau 1947) Bd. III, S. 206 f.
berichtet Einzelheiten über die Verhandlungen ohne jede Quellenangabe. Vgl. auch
H. Graf Kessler a. a. O. S. 133 H. und H. Helbig a. a.O. S. 297, vor allem Anmerkung 14,
der auch noch eine schriftliche Kußerung von Moritz Schlesinger verwertet, wonach eine
Verständigung über den bereits im Text vorliegenden Vertrag bei einem vom Reichskanzler
Wirth gegebenen Frühstück anläßlich der Durchreise von Tschitscherin und Litwinow er-
folgt sei.
38 Theodor Schieder

wirtschaftliche Hilfe zu erlangen. Es sollte sich jedoch bald herausstellen,


daß diese Hoffnung trog: in den wesentlichen Punkten, wie bei dem Versuch,
gegen die Anerkennung der zaristischen Vorkriegsschulden Kredite einzu-
handeln, oder in der Frage der Abgeltung der Ansprüche, die aus dem ver-
staatlichten Privateigentum ausländischer Personen erhoben wurden, gelang
es den Russen nicht, die englisch-französische Einheitsfront zu erschüttern.
Die Verhandlungen darüber fanden im Quartier Lloyd Georges, der
Villa de Albertis, als "Privatbesprechungen" statt; an ihnen nahm die deut-
sche Delegation nicht teil. Sie sah sich vielmehr schon in den ersten Tagen
völlig isoliert und stand unter dem Druck von Gerüchten, eine Einigung
zwischen der Sowjetrnacht und den Westmächten auf Kosten Deutschlands
stehe vor der Tür und könne dazu führen, daß Frankreich die russischen
Forderungen aus Art. 116 des Versailler Friedens zur Sicherung seiner eige-
nen Ansprüche als Gläubigermacht der Vorkriegszeit verwende. Es ist bis
heute nicht geklärt, ob die mit dem Art. 116 zusammenhängenden Probleme
überhaupt bei den Besprechungen in der Villa de Albertis eingehend disku-
tiert worden sind; jedenfalls waren sie in dem von den Engländern als
Diskussionsgrundlage ausgearbeiteten Londoner Memorandum angedeutet 71.
Doch gleich wie es sich damit verhielt, es genügte schon die unglückliche Lage
der deutschen Delegation, die sich von den wichtigsten Verhandlungen aus-
geschlossen sah, ihre Besorgnis zu wecken, daß sich eine Lösung auf ihre
Kosten anbahne. Wieweit Maltzan diese Lage benutzte, um den wider-
strebenden Rathenau durch pessimistische Färbung seiner Informationen zu
sich herüberzuziehen - er soll später davon gesprochen haben, er habe
Rathenau damals "vergewaltigt" - sei dahingestellt. Jedenfalls war es Malt-
zan, der in einer verzweifelt erscheinenden Situation alles tat, um das Schiff
der Verhandlungen mit den Russen, das in Berlin festgefahren war, wieder
flottzumachen. So hat er am 15. April Joffe und Rakowsky vorsichtig wegen
der eventuellen Wiederaufnahme der Berliner Besprechungen sondiert, um
dann in der Nacht zum Ostersonntag (16. April) von Joffe die Einladung
zu neuen Verhandlungen in Rapallo zu erhalten 72. Es war die entscheidende
Stunde für Maltzan, der nun die Zustimmung von Rathenau zu einem Son-
derabkommen erlangen mußte und sie auch in der berühmten "Pyjama-
Konferenz" in Rathenaus Schlafzimmer erhielt. Der deutsche Außenmini-
11 Graf Kessler a. a. O. S. 334 H. vertritt nachdrücklichst die Meinung, daß ein Tausch-
geschäft über Artikel 116 gedroht habe. Louis Fischer a. a. o. S. 337 H. leugnet es ebenso
wie neuerdings Carr, The Bolsh. Rev. III S. 375.
12 Wir besitzen darüber vorläufig nur Mitteilungen von H. Graf Kessler a. a. O. S. 338
und 341 f.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 39

ster, der keine isolierte Rußlandpolitik treiben, sondern wirtschaftliche


Aktivität im Osten mit einer tragbaren Lösung der Reparationsfrage im
Westen verbinden wollte, sah sich nun völlig in die Enge getrieben. Die
einzige Karte, die er noch im Spiele hatte, waren die von dem Staatssekretär
Bergmann mit dem Chef der Handelsabteilung im französischen Außen-
ministerium Seydoux eingeleiteten Verhandlungen über eine vom Ausland
an Deutschland zu gewährende Anleihe, mit der die ersten Jahreszahlungen
der Reparationen bezahlt werden sollten, um dem Reich eine Atempause zu
gewähren 73. Wenn es auch scheint, daß sich Finanzkreise neutraler Länder
mit diesem Projekt ernsthaft beschäftigt haben '4, so stand es doch so sehr
im Kontrast zu den Zielen, die Poincare mit seiner verschärften Reparations-
politik verfolgte, daß Rathenau im Moment darauf nicht bauen konnte. So
unterließ er auch in der entscheidenden Nacht unter Maltzans Einfluß die
beabsichtigte Informierung Lloyd Georges über die deutsch-russischen Ver-
handlungen. Die Würfel waren gefallen.
Am 16. April 1922 wurde von Rathenau und Tschitscherin der seither
nach seinem Unterzeichnungsort Rapallo benannte deutsch-sowjetische Ver-
trag geschlossen. Er schlug nicht nur im Augenblick seiner Veröffentlichung
wie eine Bombe ein, sondern ist auch seither immer als ein Symbol einer von
Geheimnis umwitterten deutsch-russisch,en Freundschaftspolitik verstanden
und mißverstanden worden. Was enthielt er tatsächlich? Ein Teil der Ver-
einbarungen betraf die schrittweise Normalisierung des deutsch-russischen
Verhältnisses, die jetzt durch die volle Wiederherstellung der diplomatischen
und konsularischen Beziehungen abgeschlossen wurde (Art. IU). Das Schwer-
gewicht bg aber auf der Liquidation der "Fragen aus der Zeit des Kriegs-
zustandes zwischen Deutschland und Rußland". Hier erzielte die deutsche
Politik ihr,en wohl wesenüichsten Erfolg, indem durch den gegenseitigen

73 Dazu H. Graf Kessler a. a. O. S.332.


74 In diesen Zusammenhang gehört wohl die von W. von Blücher, Deutschlands Weg
nach Rapa[,[o (Wiesbwen 1951) S. 164 Anmerkung, mitgeteilte Nachricht des schwedischen
Finanzmanns Marcus Wiallenberg, er habe als schwedischer Sachverständiger an der Genua-
Konferenz teilgenommen. Dort sei von englischen, holländischen, schweizer Sachverständi-
gen und ihm ein Plan zur Sanierung der deutsdlen Finanzen ausgearbeitet worden. Dieser
Plan habe vorgesehen, daß Deutschland eine internationale Anleihe von einigen Milliar-
den gewährt werden solle. Dies habe nur die Einleitung zu einer abschließenden Regelung
der Reparationsfmge bieten sollen, die man ebenfalls auf der Konferenz zu finden
hoffte. Der englisme Finanzmann Sir Robert Horne sei mit den Vorschlägen einverstan-
den gewesen. Diese Pläne seien aber durch den plötzlichen Abschluß des Rapallo-Vertrages
durchkreuzt worden. Der RapaJ.1o-Vertrag sei die größte Torheit, die von der deutschen
Politik nach Kriegsende begangen sei.
40 Theodor SdJ.ieder

Verzicht der heiden Mächte auf Ersatz ihrer K6egskosten und Kriegs-
schulden aIle etwaigen Konsequenzen aus dem Artikel 116 V. V. von vorn-
herein ausgeschaltet wurden (Art. 1 a). Wenn Deutschland darüber hinaus
in Art. 2 alle Ansprüche preisgab, "die sich aus der bisherigen Anwen-
dung der Gesetze und Maßnahmen der Russischen Sozialistischen Föde-
rativen Sowjetrepublik auf deutsche Reichsangehör~ge oder ihre Privat-
rechte sowie auf die Rechte des Deutschen Reiches und der Länder gegen
Rußland sowie aus den von der RSFSR oder ihren Organen sonst gegen
Reichsangehärige oder ihre Privatrechte getroffenen Maßnahmen ergeben",
so erhielten die Sowjets hier das, was ihnen die westlichen Mächte in den
vorausgehenden Verhandlungs tagen vorenthalten hatten. Der deutsche Vor-
behalt "vorausgesetzt, daß die Regierung der RSFSR auch ähnliche An-
sprüche dritter Staaten nicht befriedigt", über den man sich in Berlin noch
nicht geeinigt hatte, schob russischen Sonderabmachungen mit dem Westen
einen Riegel vor. Dem Gedanken des internationalen Konsortiums war für
die Sowjets durch Artikel 5, der für den Fall einer grundsätzlichen Regelung
der wirtschaftlichen Fragen auf internationaler Basis einen" vorherigen Ge-
dankenaustausch" vorsah, das Rückgrat gebrochen. Der Grundsatz der
Meistbegünstigung sollte allgemein für die beiderseitigen Handels- und
Wirtschaftsbeziehungen gelten (Art. 4). Auf die eigenartigen Formen des
Handelsverkehrs mit der Sowjetrnacht, bei dem einem staatlichen Handels-
und Wirtschaftsmonopol auf der einen Seite private Unternehmungen oft
ohne Kenntnis der Regierung auf der anderen gegenüberstanden, wirft der
letzte Satz des Art. 5 ein Schlaglicht, durch den sich die deutsche Regierung
bereit erklärt, "die ihr neuerdings mitgeteilten, von Privatfirmen beab-
sichtigten Vereinbarungen nach Möglichkeit zu unterstützen und ihre Durch-
führung zu erleichtern". Es ist im übrigen die einzige Stelle des Vertrags,
von der man sagen könnte, daß sie die im Gange befindlichen rüstungswirt-
schaftlichen Unternehmungen berührte.
Dies ist im wesentlichen der Inhalt des Rapallo-Vertrags, der mehr Liqui-
dation der Vergangenheit, nachgeholter Friedensvertrag war als Übernahme
politischer Verpflichtungen für die Zukunft, mehr eine der Stunde an-
gepaßte Fixierung eines bestehenden oder sich aus mehrjähriger Entwick-
lung notwendig ergebenden Zustands als das Programm einer weitreichen-
den Politik. Auffällig an seinem Text ist das Fehlen aller Klauseln gewich-
tigen politischen Inhalts wie irgendwelcher Neutralitäts- oder Konsul-
tationsverpflichtungen, wenn auch das Ganze des Vertrags als ein Politicum
ersten Ranges angesehen werden mußte. Das Problem der de-jure-Anerken-
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 41

nung der Sowjetregierung durch die deutsche Regierung wurde nicht berührt,
was auf der Linie wiederholter deutscher Erklärungen lag, ,die Aufhebung
des Brester Friedens habe die Anerkennung der Sowjets durch Deutschland
nicht rückgängig gemacht. Aber es überrascht doch, daß nicht einmal die
Agitation und Propaganda der beiden Staaten gegeneinander ausdrücklich
im Vertrage unterbunden wurde, wie dies im Vorläufigen Abkommen vom
6. Mai 1921 wenigstens für das Personal der diplomatischen Vertretungen
geschehen war. Dies fällt um so mehr auf, als das spätere Abkommen vom
5. November 1922, das die Geltung des Rapallo-Vertrags auch auf die mit
der RSFSR verbündeten Staaten (Ukraine, Weiß rußland usw.) ausdehnte,
einen solchen Passus wieder enthielt. (Art. VII: "Die beiderseitigen Ver-
tretungen und die bei ihnen beschäftigten Personen sind verpflichtet, sich
jeder Agitation oder Propaganda gegen die Regierung oder die staatlichen
Einrichtungen des Aufenthaltslandes zu enthalten. ")
Es macht oft die politische Wirkung mancher zwischenstaatlicher Verträge
aus, daß hinter ihnen mehr vermutet wird, als sie tatsächlich enthalten. So
ist für den Rapallo-Vertrag der Ver,dacht militärischer Geheimklauseln
sofort aufgetaucht und eigentlich nie mehr ganz verstummt 75 • Den Anfang
damit machte die englische Zeitung Daily Mai!, die schon im April 1922
den Text eines angeblich in Rapallo geschlossenen militärischen Geheim-
abkommens veröffentlichte 76 • Seeckt, der es wissen müßte, bezeugte in einem
Privatbrief ausdrücklich, daß keinerlei politisch-militärische Abmachungen
bestünden 77, aber eben der Anschein »militärischer Folgen" genü,gte ihm, um
z. B. die polnische Politik im günstigen Sinne zu beeinflussen 78. Faktische
militärische Zusammenarbeit ohne unter Umständen kompromittierende
schriftliche Abmachungen oder höchstens solche technischen Inhalts und ohne
die Teilnahme, ja sogar ohne offizielle Kenntnis der deutschen Regierung,
konnte ,dann sogar allen anderen Lösungen vorgezogen werden. Das heißt
nicht, daß Seeckt nicht an die Möglichkeit gedacht hat, den Rapallo-Vertrag
durch ein militärisches Abkommen zu ergänzen, doch hat er wahrscheinlich
schon aus innenpolitischen Gründen diesen Plan nicht allzu nachdrücklich
verfolgt. Von Wirth wissen wir neuerdings, daß er solche Absichten unter-
stützte; im Sommer 1922 sprach er von der Notwendigkeit, den Rapallo-
75 Dazu vgl. zuletzt J. W. Wheeler-Bennett, Nemesis of Power, 1953 S. 127 H. Deutsche
Ausgabe S. 151.
76 Daily Mail vom 22. 4. 1922, zitiert bei L. Farnbacher, Deutschland, Rußland und die
Sicherheitsfrage (Diss. Würzburg 1927) S. 39.
77 Teilabdruck, Rabenau, Seeckt S.313.
78 So in der Denkschrift vom 11. 9. 1922, abgedruckt in Der Monat.
42 Theodor Schieder

Vertrag auszubauen, wobei in besonderem Hinblick auf Polen auch mili-


tärische Probleme zu erörtern seien 79. Diese Äußerung war im übrigen
wenige Tage nach dem Abschluß eines Abkommens gefallen, das am 29. Juli
1922 zwischen deutschen und sowjetischen Vertretern geheim getroffen
worden war und wahrscheinlich die rüstungswirtschaftliche Zusammen-
arbeit behandelte 80.
Doch dies gehört eigentlich schon unter die Auswirkungen des Vertrags
und betrifft nicht die Beachtung, die er im Moment seines Abschlusses
beanspruchen mußte. Dieser Moment und die näheren Umstände, unter
denen sich die Verhandlungen nicht gerade im Geheimnis, aber doch als
überraschende Sonderaktion zweier Mächte im Rahmen einer allgemeinen
Konferenz abspielten, gaben dem Ereignis eine politische Akzentuierung,
die noch über seine wirkliche Bedeutung hinausging. Nach dem Widerhall,
den das Abkommen in der Presse und öffentlichen Meinung der Westmächte
fand, mußte es so scheinen, als ob eine völlige Veränderung des politischen
Systems in Europa und in der Welt eingetreten sei, eine politische Situation,
wie Poincare in einer Rede in Bar-le-Duc am 24. April sagte, die geeignet
erscheine, das europäische Gleichgewicht zu gefährden und vielleicht umzu-
stürzen, und der man nicht einfach mit wirtschaftlichen oder finanziellen
Formeln, selbst nicht durch große internationale Verhandlungen begegnen
könne s1 • Hinter solchen drohenden Worten, die ein vielfaches Echo vor
allem inder französischen Presse fanden, stand die bestürzende Erkenntnis,
daß die Rückkehr Rußlands in die Weltpolitik das Mächtesystem von 1919
völlig umzugestalten drohte und daß sich automatisch damit Deutschlands
Stellung ändern mußte. " Wenn man das Europa von heute betrachtet",
schrieb damals der französische Publizist Wladimir d'Ormesson, "darf man

79 Neue Mitteilungen darüber bei H. Helbig a. a. O. S.307 nach einer Niederschrift


Brockdorff-Rantzaus über eine Unterredung mit Reichskanzler Wirth vom 1. August 1922.
80 Ober diesen Vertrag berichtet Carr, The Bolsh. Rev. III S. 436 und bezieht sich dabei
auf das zuerst von G. W. Hallgarten, General H. von Seeckt and Russia 1920-22 (Jour-
nal of Modern History 21, 1949 S. 32) herangezogene Tagebuch des Generals Hasse, das
sich in den Seeckt-Papieren befinden soll. Nach Auskunft des Instituts für Zeitgeschichte
in München ist in dem Mikrofilm des Nachlasses Seeckt dieses Tagebuch Hasses nicht ent-
halten. Wie ich durch freundliche Vermittlung von Gerhard Ritter erfahre, handelt es sich
bei dem von G. W. Hallgarten benutzten Material um Notizen aus dem Tagebuch des
Generalmajors Ernst Hasse, die vermutlich auf Generalleutnant Liebert zurückgehen. Die
Mitteilung Scheidemanns vom Dezember 1926 - auf die Carr hinweist - , daß das
genannte Abkommen durch die russischen Volkskommissare erst im Februar 1923 ratifiziert
worden sei, bezieht sich eindeutig auf ganz andere Dinge, so auf Verträge mit der Firma
Junkers. (Stenogr. Ber. d. Verhdlg. d. Reichstgs. Bd. 391, 1926 S. 8584).
81 Auszug in Schulthess, Europäischer Geschichtskalender 1922 S.299.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 43

zweierlei nicht aus dem Auge verlieren. Erstens Deutschland, das vorläufig
durch den Vertrag von Versailles gebunden ist, und zweitens Rußland, das
sich vorerst noch den Augen des übrigen Europa verborgen hält und dessen
Wiederaufbau nicht ohne große Erschütterungen abgehen wird. An dem Tag,
an dem diese beiden Faktoren, Deutschland und Rußland, wieder auferstehen,
wird für uns eine sehr heikle Zeit anbrechen ... und da dies unweigerlich
eintreten wird, so müssen wir Maßnahmen treffen, daß sich dieses Wieder-
erstehen nicht zu unserem Nachteil auswächst 82 ."
Wir wissen noch zu wenig darüber, wie die deutsche Delegation auf den
Sturm reagierte, dem sie sich plötzlich nach der Unterzeichnung ausgesetzt
sah 83. Es scheint nicht, daß alle ihre Mitglieder Standfestigkeit zeigten, als
von Lloyd George die Zumutung kam, den eben getanen Schritt wieder
rückgängig zu machen 84. Maltzan, der von härterem Holze war als Wirth
und Rathenau, hatte, wenn wir einer Nachricht glauben dürfen, schon vor-
her den stärksten Widerstand im eigenen Hause ausgeschaltet, indem er
Ebert gerade so rechtzeitig von der beabsichtigten Unterzeichnung unter-
richtete, daß ein Eingreifen nichts mehr ändern konnte 85.
Hatte er, den seine unbeirrbare Hartnäckigkeit nun zum Ziele geführt
hatte, mit seinen Kalkulationen recht behalten? Hatte sich Deutschland
durch die übereinkunft mit den Sowjets Erleichterung, ja Handlungsfreiheit
verschafft, seine weltpolitische Lage verbessert, oder war der Vertrag, wie
Lloyd George in seiner Unterhausrede vom 25. Mai 1922 meinte, ein Fehler
und einem Irrtum entsprungen? Nur eine sorgfältige Analyse der deutschen
Lage von 1922 läßt eine Antwort auf diese Frage zu. Man wird, um mit
dem Konkretesten zu beginnen, nicht sagen können, daß durch den Akt
von Rapallo Chancen der deutschen Politik auf der Konferenz von Genua
selbst verspielt worden sind: dies gilt auch wohl, soweit wir das schon über-
sehen können, für die von Bergmann eingeleiteten Reparations- und An-
leiheverhandlungen; sie hätten niemals in das Konzept Poincan~s gepaßt,
die Waffe der Reparationen im Kampf um den Rhein einzusetzen. Gra-
vierender ist schon der Einwand, daß Lloyd George das deutsche Vorgehen
als schwere Illoyalität empfunden habe und di,e deutsche Rückendeckung
82 Zitat nach Farnbacher a. a. O. S.42.
83 Carr, Berlin-Moskau S. 87 berichtet über ein Gerücht, daß Rathenau, geängstigt
durch das Mißfallen der Westmächte, der Sowjetregierung vorgeschlagen habe, den Ver-
trag wieder rückgängig zu machen.
84 über das Ansinnen von Lloyd George in der Sache übereinstimmend Scheffer a. a. O.
S. 377 und H. Graf Kessler S. 347. Kessler spricht davon, daß die Ansichten der deutschen
Delegation geteilt waren.
85 Scheffer a. a. O. S. 377.
44 Theodor Schieder

an England gegen Poincares Rheinpolitik empfindlich geschwächt worden


sei. Diese These wird aber durch Lloyd Georges Verhalten in der letzten
Phase der Konferenz von Genua und in den darauffolgenden Wochen
erschüttert. Wenn .die Regierung Poincare mit dem Gedanken gespielt haben
mag, einen Verzicht Deutschlands auf den Vertrag mit der Sowjetrnacht
durch Waffengewalt zu erzwingen, wie es die Rede des französischen
Regierungschefs in Bar-Ie-Duc am 24. April vermuten läßt, so ist die Aus-
führung dieses Gedankens aller Wahrscheinlichkeit nach an dem englischen
Widerstand gescheitert. Dafür spricht Lloyd Georges Unterhausrede vom
25. Mai. Rapallo hat nicht genügt, den el1iglisch-französischen Gegensatz in
der Rheinfrage und ,den englischen Widerstand gegen die forcierte kontinen-
tale Hegemonialpolitik Frankreichs aufzuheben, vielmehr war England
nicht ganz an einer Stärkung Deutschlands uninteressiert und konnte daher
den ,deutsch-russischen Vertrag durchaus stillschweigend passieren lassen. Es
scheint LJoyd George nicht entgangen zu sein, daß für Poincare der deutsch-
russische Vertrag nur ein willkommener Vorwand war, seine Rhein- und
Ruhrpolitik weiter zu verschärfen. Diese ist sicher nicht eine Folge des deut-
schen Schrittes gewesen, sondern sehr viel eher kann man sagen, daß eben
das politische Programm Poincares die auf Verständigung mit dem Westen
gerichtete Politik Rathenaus nicht zum Zuge kommen ließ, sondern sie mit
unheimlicher Konsequenz in die Arme des großen Nachbarn im Osten
drängte. - In diesen Zusammenhang gehören auch zwei weitere grundsätzliche
Einwände gegen die 1922 eingeleitete deutsch-russische Politik. Der eine be-
trifft die gleichgewichtspolitischen Grundlagen der Rapallo-Politik. Sie be-
standen bei ihrer Eröffnung darin, daß sich zwei relativ Schwache mitein-
ander verbanden und den Bund des Lahmen und des Blinden schlossen, wie
man gesagt hat, oder wie es eine amerikanische Karikatur noch dr:astischer
darstellte, als sie die beiden Partner als zwei ruppige Proleten zeigte, die
sich nichts weiter als alte geborstene Heringsfässer umgebunden hatten und
sich vor dem zu ihren Füßen liegenden Vertrag die Hände schüttelten 86.
Solange dies Verhältnis andauerte, hatte kein Partner, auch der von Natur
schwächere, d. h. Deutschland, vom anderen etwas zu fürchten. Beide konn-
ten durch eine Verbindung nur gewinnen, indem sie zusammen mehr er-
reichten als jeder für sich. Dies mußte vor allem die Lage Deutschlands
gegenüber den Westmächten verstärken. Aber in den Nachkriegsjahren
handelte es sich um eine einmalige, immer mehr schwindende Ausnahme-
situation: je mehr das bolschewistische Rußland erstarkte und bei seinem
86 Europäische Gespräche 1923 Nr. 1, Asecretis, Der Rapallo-Vertrag S. 26.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 45

Kräftigungsprozeß selbst dals alte Zarenreich hinter sich ließ, indem es das
ungeheur,e technische und mumpolitische Potential des russischen Reiches
entwickelte, desto mehr verschoben sich die Grundlagen der Rapallo-Poli-
tik zuungunsten des kleineren Partners, der in Gefahr kam, ohne genü-
gendes Gegengewicht an die Wand gedrückt zu werden. Seeckts Rechnung
von der Stärkung Rußlands, die indirekt eine Stärkung Deutschlands sein
werde, wie ,er es in seiner Denkschrift vom Sept,ember 1922 formulierte,
ging daher im letzten nicht auf. Es konnte eines Tages nach einem Wort
Brockdorff-Rantzaus die Gefahr entstehen, "Rußland durch unsere Freund-
schaft großzufüttern, um uns dann von ihm auffressen zu lassen 87". Der
Aufstieg Sowjetrußlands war ein Vorgang, der die europäischen Maße
sprengte und nicht mehr nur im Rahmen des kontinentaleuropäischen
Gleichgewichts gesehen werden durfte, ein Fehler, der sehr oft durch die
Berufung auf die "Bismarck-Politik" gemacht wurde.
Ein weiterer Einwand l1ichtet sich gegen die Politik des sozial und politisch
ungefestigten Weimarer Staats mit der Sowjetrnacht als dem Protagonisten
der Weltrevolution, dem Stützpunkt der kommunistischen Internationale.
Wurde hierdurch nicht die innere Sicherheit der äußeren geopfert? Es wurde
schon auf die auffällige Tatsache hingewiesen, daß der Rapallo-Vertrag im
Gegensatz zu den vorläufigen Abkommen vom Mai 1921 keine Bestimmung
enthielt, durch die eine subversive Tätigkeit der diplomatischen Vertretungen
gegen die Regierungen, bei denen sie beglaubigt waren, ausgeschlossen wurde.
Dies ist um so auffälliger, als die diplomatische Anerkennung des Sowjet-
regimes durch den ersten großen europäischen Staat, wie sie durch den Ra-
pallo-Vertrag seitens des Deutschen Reiches erneuert wurde, einen ungeheu-
ren moralischen und politischen Erfolg der Moskauer Regierung darstellte,
der eine russische Gegenleistung in Gestalt einer Garantie gegen bolschewisti-
sche Umsturzversuche wohl wert gewesen wäre. Wir wissen nicht, ob diese
Unterlassung, die in den Reichstagsdebatten von dem deutsch-nationalen
Abgeordneten Hoetzsch gerügt wurde 8s , eine zufällige war oder ob um sie
87 Stresemann- Vermächtnis II S. 534 f.
88 Stenogr. Ber. d. Verhdlg. d. Reichstgs. Bd. 355 S. 7711: "Wir verlangen vor allem
aber Klarheit im Verzicht auf die bolschewistische Propaganda. Wir sind uns gänzlich klar
darüber, daß eine solche Aufnahme der diplomatischen und konsularischen Beziehungen
unzweifelhaft größere Möglichkeiten eröffnet für die bolschewistisch-kommunistische Agi-
tation in unserem Lande. Daß sich selbst Herr Radek nicht unbedingt an diese Verpflich-
tungen hält, darüber liegen ja bereits Beweise vor. Wir verlangen, daß ana-log und in
Fortsetzung des Art. 15 im vorläufigen Wirtschafts abkommen vom 6. Mai v. J. das, wie
ich gleichfalls ausdJ'ücklich feststellen möchte, heute noch in Kraft ist, Sowjet rußland auf
die Fortführung der kommunistischen Propaganda verzichtet."
46 Theodor Schieder

im Zuge der Verhandlungen gerungen wurde. Auf jeden Fall hat sich Mos-
kau auch nach dem Rapallo-Vertrag, ohne Rücksicht auf den Vertragstext,
alle Wege einer Politik mit doppeltem Boden in Deutschland offengehalten,
d. h. es verfügte weiterhin über verschiedene Mittel, um das letzte Ziel seiner
Deutschland-Politik, die Ausklammerung des Reiches aus dem westlichen
System zu erreichen.
Das Für und Wider, das hier in der Form einer historischen Analyse ge-
geben wurde, trat unmittelbar nach dem Vertragsschluß weniger in dem
Gegensatz seiner Befürworter und Gegner hervor als in der verschiedenen
Auslegung des Abkommens und der Möglichkeiten seiner Fortentwicklung 89 •
Offene Ablehnung des Vertrags ist in der öffentlichkeit, auch in den
Reichstagsverhandlungen über die Ratifizierung kaum ausgesprochen wor-
den, schon mit Rücksicht auf die taktische Lage der Reichspolitik - daß sie
im Hintergrund sehr nachdrücklich vertreten wurde, zeigt das Beispiel des
Reichspräsidenten Ebert -, aber die voneinander abweichenden Begrün-
dungen der Zustimmung lassen ein höchst uneinheitliches Bild erkennen,
das man sich von diesem ersten Versuch einer unabhängigeren deutschen
Außenpolitik gemacht hat. Die Verwirrung war vielleicht am größten auf
der äußersten Linken, den Unabhängigen Sozialisten und Kommunisten,
deren Vertreter im Reichstag sehr gewundene Reden hielten. Die Wochen-
schrift "Die Internationale" verteidigte den Vertrag der sowjetischen Diplo-
matie mit dem bürgerlichen Deutschland etwa im Sinne von Lenins Theorie
von der Atempause: "Solange die Arbeiterklasse der Westläncler gegenüber
dem Angriff des Weltkapitals, der seit 1919 systematisch vorgetrieben wird,
noch nicht einmal zum Stehen gekommen ist, kann Sowjetrußland nicht
mehr als eine bestimmte RückzugsteIlung verteidigen, sich eingraben und
befestigen in dieser Stellung. Niemand kann erwarten, daß das westliche
Proletariat von heute auf morgen durch einen Angriff auf "seine Bour-
geoisie" Sowjetrußland ermöglichen wird, rasch vorzurücken. Aber es kann
und es muß schnellstens wenigstens seine Verteidigung organisieren und
das schließt ein die Verteidigung der Stellung, die Sowjetrußland unbedingt
halten muß, damit es als Reservestellung der westeuropäischen proletarischen
Revolution erhalten bleibt, wenn diese wieder vorrücken kann 90." Aber es
scheint, daß diese Theorie von der Sowjetmacht als "Hindenburglinie"

89 Vgl. die Zeitungsschau in Schulthess, Europäischer Geschichtskalender, S. 255 f. und


die Reichstagsverhandlungen im Mai 1922.
90 Jahrgang 4, Heft 19 vom 30. 4. 1922: »Neurussische und Neudeutsche Diplomatie in
Genua."
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 47

des revolutionären Proletariats im deutschen Kommunismus großenteils mit


Unbehagen aufgenommen wurde, wenn er sich auch nicht offen dagegen
stellen konnte 91.
Auch bei den bürgerlichen Parteien war die Zustimmung nicht ganz frei
von unbehaglichen Nebengefühlen, denen im Reichstag die meisten Redner
Ausdruck gaben. Der deutsch-nationale Abgeordnete Professor Hoetzsch,
eine der stärksten Stützen der Politik Maltzans im Parlament, dürfte mit
der Formel vom "Rahmen vertrag" am präzisesten die allgemeine Stimmung
getroffen haben 92. Unter der Ausfüllung dieses Rahmens wurde allerdings
etwas sehr Verschiedenes verstanden, aber jedenfalls ist es nicht gerecht-
fertigt generell zu sagen, der Vertrag sei für Deutschland eine "Angriffs-
waffe" gewesen, wie dies jüngst in einer englischen Darstellung geschehen
ist 93 • Das träfe nur zu, wenn man von vornherein jeden Versuch Deutsch-
lands, seine Lebensbedingungen gegenüber dem Versailler Vertrag mit diplo-
matischen Mitteln zu verbessern, als einen Angriffsakt bezeichnete. Unter
dieses Urteil fielen dann alle diejenigen, die die Annäherung an Rußland
vorwiegend oder ausschließlich unter dem Aspekt wirtschaftlichen Atem-
holens gesehen haben. Zu ihnen zählte wenigstens anfangs auch der erste
Botschafter des Weimarer Reiches in Moskau, Graf Brockdorff-Rantzau 94,
dessen Auseinandersetzung mit General von Seeckt und der von ihm inaugu-
rierten deutsch-russischen Militärpolitik im Sommer und Herbst 1922 weit
über ihren persönlichen Anlaß und Charakter hinaus den erregendsten Dia-
log über die Gestaltung und Fortentwicklung der Rapallo-Politik darstellt.
Beide stehen sich in ihren Zielen sehr viel näher, als sie wahrhaben wollen:
sie wollen den Wiederaufstieg Deutschlands zu Weltgeltung und die Annul-
lierung von Versailles. Aber Brockdorff verstand darunter zuerst wirtschaft-
lichen Aufstieg und er lehnte jede Politik ab, die das Risiko des Krieges in
sich barg. Er hielt es für einen schweren politischen Fehler und ein Verbre-
chen an der Menschheit, "auch die geringste Aussicht auf friedliche Gesun-
dung der Welt vorzeitig durch militärische Bindungen zu stören". Viel mehr
als der Soldat Seeckt, der seine Rußlandpolitik außerhalb des innenpolitischen
Spannungsfeldes betrieb, sah Brockdorff unter dem Eindruck der eigenen
Erfahrungen während der Pariser Friedensverhandlungen die Schwierigkeit,

91 Dazu Ruth Fischer a. a. O. S.235.


92 Stenogr. Ber. d. Verhdlg. d. Reichstgs. Bd. 355 S. 7712 am 30. 5. 1922.
93 Kochan a. a. O. S. 59.
94 Dazu die Aufzeichnungen Brockdorfj-Rantzaus vom 3. August 1922, mitgeteilt bei
H. Helbig S. 335 H.
48 Theodor Schieder

eine innere Einheitsfront für eine Ostorientierung zu schaffen. "Ist schon an


dieser Voraussetzung, als es noch Zeit war, die Ablehnung des Diktates von
Versailles gescheitert, um wieviel schwerer würde es heute sein, für ein mili-
tärisches Zusammengehen mit Sowjetrußland die geschlossene innere Front
herzustellen? 95" Brockdorff hat trotz aller aristokratischen Distanz mehr
von dem sozialen Umbruch der Zeit gespürt als Seeckt, sein Denken bezieht
jederzeit auch das Außerste, den Untergang, in seine Berechnungen ein. Dar-
um ist für ihn, wenigstens vor den Moskauer Jahren, in denen der Bolsche-
wismus für ihn offenbar mehr und mehr zur politisch-staatlichen Macht
wurde und der soziale Aspekt zurücktrat, die Gefahr des Bolschewismus
näher und konkreter, so wenig er das deutsche Volk "in seiner gesunden
Mehrheit" als für den russisch-asiatischen Bolschewismus empfänglich hält.
Um so gefährlicher erscheint ihm eine militärische Hilfe dieser "roten
Bundesgenossen": "Sie kommen nicht zu unserer Hilfe in dem Befreiungs-
kampfe gegen die Entente, sondern sie kommen, um die Grenzen Asiens an
den Rhein vorzuschieben". Es ist der Satz, den Seeckt in seiner Antwort
mit den Worten wegfegt: "Der Krieg zwischen Frankreich und Rußland
am Rhein ist ein politischer Kinderschreck. Deutschland wird nicht bolsche-
wisiert, auch nicht durch eine Verständigung mit Rußland in äußeren Fragen."
In diesem Zwiegespräch wird der ganze Bereich der deutsch-russischen
Politik der nächsten Zukunft abgehandelt; kaum etwas bleibt unberührt,
auch nicht die außenpolitische Grundfrage nach den Rückwirkungen eines
deutschen Rußlandkurses auf das Verhältnis zu England. Wenn Seeckt mit
seinem Ziel, die Kandidatur Brockdorffs für den Botschafterposten in Mos-
kau zu verhindern, in dieser Auseinandersetzung auch untedegen ist, so war
er schließlich doch der eigentliche Sieger in diesem Grundsatzkampf der
Rapallo-Politik. Er war es insofern, als sich die tatsächliche Politik des Bot-
schafters Brockdorff-Rantzau mehr und mehr dem Konzept des Generals
von Seeckt näherte, wie wir noch sehen werden.
In der sowjetischen Politik ist der Grundsatzkampf um die Auslegung des
Rapallo-Vertr<lJgs zwar nach außen kaum in Erscheinung getreten, aber,
wenn nicht manche Zeichen trügen, nicht weniger heftig ausgetragen worden
als in Deutschland. Es ging dabei um die Fortführung der neuen revolutio-
nären Strategie, wie sie Lenin schon frühzeitig eingeleitet hatte, um den zu-
nächst nur vorübergehend-taktisch verstandenen Gegensatz zwischen der
Weltrevolution mit den Mitteln lediglich des internationalen Klassenkampfes
und der Weltrevolution, die die Sowjetmacht und ihre staatlich-politische
95 Bei Helbig a. a. O. S. 335.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 49

Existenz und Unabhängigkeit als ihr wichtigstes Instrument ansah. Soweit


jtußerungen von Sowjetpolitikern über den Abschluß des Rapallo-Vertrags
aus dem Jahre 1922 bisher überhaupt bekannt geworden sind, lassen sie auf
diesen Gegensatz nur mittelbar, d. h. durch die Art, wie sie ihre Zustimmung
begründen, schließen 96. Wichtig ist, daß von Lenin selbst, der Anfang Mai
1922 schwer erkrankte, keine direkte Stellungnahme mehr bekannt ge-
worden ist 97. So ist auch die Formel, die das Zentralexekutivkomitee
der Kommunistischen Partei am 17. Mai über Genua und Rapallo in seiner Re-
solution gefunden hat, ohne seine Mitwirkung entstanden. Sie bezeichnet den
Rapallo-Vertrag als den einzigen normalen Typ eines Abkommens, das die
Beziehungen zwischen dem Sowjetstaat und kapitalistischen Staaten regeln
will, also als eine Art Modell für künftige Vertl,"äge mit anderen Ländern,
wie dies auch Trotzki ausgesprochen hat. Diese Formel deckte nun sowohl
den revolutionären Realismus in der Außenpolitik, wie ihn Lenin vertrat,
als auch das Bestreben der Revolutionäre der Kominternrichtung, das Ge-
wicht des Abkommens möglichst herabzusetzen; sie war also wie geschaf-
fen, um nach außen einen Gegensatz zu verschleiern.
In der Leninschen Konzeption war auch ein gleichgewichtspolitisches
Element enthalten - soweit sie nämlich das Prinzip der Erhaltung und
Stärkung der Sowjetmacht einschloß -, dieses Element wurde von ein-
zelnen Sowjetpolitikern bei der Bewertung des Rapallo-Vertrags stärker
isoliert, als dies jemals vorher in der Sowjetpublizistik geschehen war. So
sprach Tschitscherin davon, daß Rußland einen Stütz- und Haltepunkt in
der kapitalistischen Welt gewonnen und Deutschland die Möglichkeit er-
halten habe, seine politische Unabhängigkeit trotz des Drucks der Nliierten
zu sichern. "Die reale Stärke Deutschlands und Sowjetrußlands konnte
durch den Abschluß eines Vertrages nur gewinnen 98.« Und Kar! Radek
sa:gte auf dem 4. Weltkongreß der Komintern im November 1922 noch
deutlicher, daß die Politik, die darauf ausgehe, Deutschland zu ersticken,
tatsächlich die Vernichtung Rußlands als einer Großmacht einschließe:
"Denn was immer Rußland für eine Regierung hat, es hat immer ein Interesse
an der Existenz Deutschlands. Das durch den Krieg tief geschwächte Ruß-
land hätte weder als Großmacht fortbestanden noch die wirtschaftlichen
96 Vgl. dazu die interessanten Stimmen, die Kochan a. a. o. S. 52 f. heranzieht, deren
Interpretation mir allerdings zweifelhaft erscheint.
97 über Lenins Schlaganfall und seine anschließende lange Erkrankung Leo Trotzki,
Mein Leben (Berlin 1930) S. 454 f. Hier wird auch bestätigt, daß Lenin bis Oktober 1924
seine Arbeit nicht mehr aufgenommen habe.
98 Dieses Zitat aus der Iswestja vom 16. April 1924 bringt Kochan a. a. o. S. 53.
50 Theodor Schieder

und technischen Mittel für den industriellen Wiederaufhau aufbringen


können, hätte es nicht in der Existenz Deutschlands ein Gegengewicht
gegen die Suprematie der Alliierten besessen 99." Rum Fischer verdanken
wir eine interessante Analyse ,dieser außenpolitischen Anschauung Radeks,
die bei der Bedeutung dieses Mannes ,als des wichtigsten Promotors deutsch-
russischer Annähemng nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur Theorie
geblieben ist. Die Grundlage der Radekschen Politik war - nach Ruth
Fischer - die Lehre von der Entwicklung Deutschlands zur "Industriekolo-
nie" im englischen Industriesystem, die die deutsche Bourgeoisie aus dem
Klassenfeind ,in ein fast ebensosehr wie die deutschen Arbeiter leidendes
Opfer verwandle 100. Damit war im Grunde der Klassenkampfgedanke auf
die Staatenpolitik übertragen, während er in der Innenpolitik zurücktrat.
Für dies,e war vielmehr die Forderung nach der nationalen Einheitsfront
aller Klassen gegen die Entente gestellt, das bedeutete aber praktisch: die
Ergänzung der Außenpolitik von Rapallo durch eine nationalrevolutionäre
Innenpolitik, durch ,das Bündnis zwischen Kommunisten und Nationalisten 101:
"Das Bündnis zwischen Rußland und der deutschen Bourgeoisie wurde den
Kommunisten als eine Notwendigkeit der Verteidigung Rußlands gegen
künftige Angriffe des Westens aufgedrängt; und für den Kriegsfall wurde
ein solches Bündnis für realistischer gehalten als das Bündnis zwischen rus-
sischen und deutschen Arbeitern. So galt die Abkehr von der Idee der
Arbeiterrevolution in Deutschland nicht nur für den Augenblick, sondern
tatsächlich für die gesamte Periode nach Versailles, und damit war der Kern
der Leninschen Analyse des Verhältnisses der Klassenkräfte in Deutschland
fallengelassen worden 102. "
Es gab im Grunde also nach 1922 mindestens ,drei Richtungen in der rus-
sischen Deutschland-Politik: die Grundrichtung Lenins, die mit dem bürger-
lichen Deutschland vorübergehend paktierte, ohne auf die Dauer auf seine
Revolutionierung zu verzichten; die Richtung der Komintern, die das Bünd-
nis mit dem deutschen revolutionären Proletariat allem anderen voranstellte,
und die Politik Radeks, die auf den Bund von Kommunismus und Nationa-
lismus in Deutschland zusteuerte. Man muß festhalten, daß alle drei Rich-
tungen darin einiggingen, das Reich aus der Verbindung mit dem Westen
herauszuhalten, es zum neutralen Vorfeld oder kommunistischen Freund
89 Kochan a. a. o. S.53.
Ruth Fischer a. a. o. S. 240 H.
100
101 Dazu zitiert Ruth Fischer a. a. O. S. 325 Ernst Troeltsch, Spectator-Briefe (1924)
S. 269 f.
102 Ruth Fis..her a. a. O. S. 2-13 f.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 51

der Sowjetmacht zu machen. In allen erscheint auch der Gedanke der Revo-
lutionierung Deutschlands zu irgendeinem Zeitpunkt und in irgendeiner
Form.
Die sowjetische Politik in den Jahren n.ach dem Rapallo-Vertrag, in denen
die ausgleichende Führung Lenins immer mehr ausfiel, wird daher auch
dadurch gekennzeichnet, daß in ihr mehrere Tendenzen nebeneinander und
nacheinan.der wirksam werden, daß sie den Versuch, Deutschland in ihren
Bannkreis zu ziehen, auf verschiedenen Wegen unternimmt. Sie behält sich
auch nach Rapallo stets den übergang von politischer Diplomatie in revolu-
tionäre Aktion vor. Das gilt einmal für Radeks nationalbolschewistische
Vorstöße, die im Herbst 1923 in einer Huldigung an Albert Leo Schlageter
gipfelten ("Schlageter, der mutige Soldat der Konterrevolution, verdient es,
von uns, den Soldaten der Revolution, aufrichtig verehrt zu werden !P3") und
im Augenblick größter nationaler Erregung in Deutschland während des
R'llhrkampfes den Gedanken eines gemeinsamen deutsch-russischen Revolu-
tionskrieges am Rhein als Lockmittel verwendeten. Wenn aum der Rückhalt
dieser Politik am Kreml umstritten, seine Wirkungen in Deutschland über
kleine Kreise hinaus bei der antikommunistischen Haltung des deutschen
nationalen Bürgertums zweifelhaft sind, so kann Radeks Unternehmen
dom eine ,gewisse politische Bedeutung nicht abgespromen werden. Ob es
tatsämÜch mit der zunehmenden englisch-russischen Spannung in Zusam-
menhang gebracht werden kann, wie Ruth Fischer es tut, mag dahin-
gestellt bleiben 104.
Sicher aber scheint es zu sein, daß das Ausspielen der zweiten Karte, der
kommunistischen Revolution, durch ,die Sowjets nicht unbeeinflußt gewesen
ist von Rücksichten auf die englische Politik. Noch einmal nach Rapallo
vollzieht die Sowjetmacht in ihrem Verhältnis zu Deutschland den Wemse1
von Staatenpolitik und Diplomatie zur revolutionären Strategie und zwar
in dem Augenblick, in dem sim nam dem Abbruch des passiven Widerstands
unter Stresemanns Kanzlersmaft die Möglichkeit einer deutsm-englischen
Annäherung abzeichnet. Während Stalin, in dem sich vorbereitenden Kampf
um die Nachfolge des todkranken Lenin damals schon eine entscheidende
Figur, noch im Sommer 1923 die Meinung vertrat, die deutschen Genossen
müßten gebremst und nicht angespornt werden, unterstützte er unter dem
Eindruck der Stresemannschen Versuche, England näher zu kommen, den
Gedanken einer revolutionären Erhebung des deutschen Kommunismus.
103 Zitiert bei Ruth Fischer a. a. O. S. 329.
104 Ruth Fischer a. ,a. O. S. 332.
52 Theodor Schieder

Eine Geheimsitzung des Exekutivkomitees der Komintern in Moskau, das


bis Anfang Oktober 1923 tagte, setzte über die Köpfe der am ErfoLg
zweifelnden deutschen Kommunisten hinweg den Entschluß zu einem Auf-
stand durch, der ,dann im Oktober 1923 in Sachsen, Thüringen und Hamburg
versucht wurde 105.
Es ist dies die Schicksalsstunde nicht nur der Rapallo-Politik, sondern
vor allem auch der russischen Politik Seeckts gewesen. Wir wissen nichts,
was darauf schJießen läßt, daß er in den Stürmen des Herbstes 1923, die
ihn als Chef der Reichswehr und Inhaber der vollziehenden Gewalt zu der
entscheidenden Figur im Spiel um Deutschland gemacht haben, an seinem
Rußland-Kurs irre geworden ist 106• Gerade jetzt schien seine Politik nach
der Niederlage der Kommunisten vollkommen gerechfertigt; er hatte das
erreicht, was er von Anfang an gewollt hatte: die Verbindung eines strengen
und radikalen Antikommunismus im Innern mit einer prosowjetischen
Außen- und Militärpolitik. Dem kam die Reaktion der Moskauer Politik
auf die deutschen Ereignisse entgegen, die - nach Ruth Fischer - in der deut-
schen Niederlage einen entscheidenden Wendepunkt im Nachkriegseuropa
erkannte und einsehen lernte, »daß Lenins Vision eines europäischen Ok-
tober endgültig und unwiderruflich gescheitert" und die Komintern »ein
Leichnam" war 107 • Das Pendel ,der russischen Deutschland-Politik schwang
nun wieder auf die staatenpolitische Linie zurück. Der Sowjetstaat war
gezwungen, den Kampf um Deutschland mit diplomatisch-politischen Mitteln
fortzus'etzen. Dazu genügt ihm aber die schmale Basis des Rapallo-Vertrags
nicht mehr; denn inzwischen waren bedeutsame Veränderungen in der Welt-
politik vor sich gegangen.

IV
Es ist für die Beurteilung der verschiedenen Tendenzen in der deutschen
Politik nicht ohne Interesse, daß das J.ahr 1924 auf der einen Seite durch
eine Verstärkung der militärischen Kontakte mit Rußland gekennzeichnet
wird: damals spätestens wurde die »Zentrale Moskau" als ständige Ver-
tretung der Reichswehr eingerichtet; damals begann der Aufbau des deutschen
Flugzentrums Lipezk bei Woronesch 108. In der gleichen Zeit machte aber die
deutsche Außenpolitik unter Gustav Stresemann die ersten Schritte auf neuen
105 Darüber eingehend Ruth Fischer a. a. O. S. 378 H.
108 Eine Andeutung bei Ruth Fischer a. a. O. S. 401 bleibt ohne Quellenangabe.
107 Ruth Fischer a. a. O. S. 444 f.
108 Speidel a. a. O. S. 20 u. 24 und G. Castellan a. a. o. S. 173.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 53

Wegen, die weit vom Osten weg zu führ,en schtienen. Sie stand unter dem
Eindruck einer seit 1922 verstärkten Bewegungsfreiheit, seitdem die Ver-
einigten Staaten sich in die Rep.ar,ationsfrage einzuschalten begonnen hatten
und die ,englische Politik den Willen zeigte, ,die Lage in Westeuropa zu
stabilisieren und die französische Ruhrpolitik zu liquidieren. In dieser Lage
konnten die deutschen Staatsmänner andererseits auch nicht übersehen, daß
der Partner von Rapallo nicht mehr derselbe war wie 1922: er hatte die
Krise nach Lenins Tod rasch überwunden und sich weiter konsolidiert;
sein machtpolitisches Gewicht drückte schon weit stärker auf Europa und
auf Deutschland als noch 1920 oder 1922; ihm ungedeckt und ungestützt
gegenüberzutreten, war bereits mit einem größeren Risiko verbunden als
in den Jahren zuvor.
Ein grundsätzlicher Wandel deutete sich jetzt vielleicht zum erstenmal
an: gegenüher dem seine Macht zusammenballenden Sowjetstaat, der das
zaristische Rußland in der Entwicklung seiner technischen und machtmäßigen
Möglichkeiten weit hinter sich zu lassen hegann, gingen die Vorteile der
deutschen Mittellage allmählich verloren und wurde Deutschland in die
europäische Randlage gedrängt; eine Veränderung, die in den zwanziger
Jahren, vor allem infolge der in den alten Geleisen v,erharrenden fran-
zösischen Kontinentalpolitik, noch kaum ins Bewußtsein treten konnte. In
dieser Situation wird die Außenpolitik des Reiches trotz seiner Machtlosig-
keit, ja vielleicht gerade wegen seiner Machtlosigkeit zu einer nur mit den
subtilsten Mitteln zu lösenden Aufgabe. Die Bismarckische Politik in der
Mitte Europas konnte die Sicherheit Deutschlands primär auf die eigene
Macht stellen und diese in ihrer geographischen Gefährdung bündnis-
politisch abstützen. Die Reichspolitik von 1924/25 mußte von ihrer mili-
tärischen Ohnmacht ausgehen, sie konnte von sich selbst nichts und nur
alles von den anderen Mächten erwarten, d. h. sie mußte ihre Sicher-
heit in erster Linie von der Eingliederung in das mächtepolitische Gleich-
gewichtssystem erwarten und gleich2Jeitig durch außenpolitisches Handeln
Schritt für Schritt die eigenen Sicherheitskoeffizienten vergrößern.
Den absoluten zeitlichen Vorrang vor aUen andern Problemen nahm in
diesen überlegungen für die deutsche Politik die Rhein- und Ruhrfrageein:
von hier kam die stärkste Bedrohung und hier gab juristisch der Versailler
Vertrag, politisch das englische Interesse die Chance, die Einschnürung zu
lockern. Das sind kurz umrissen die Fragen, vor die sich der deutsche Außen-
minister Gustav Stresemann gestellt sah und an die er mit dem ihm eigenen
geistigen Elan und großer Beweglichkeit heranging. Daß der Schwerpunkt
54 Theodor Schieder

seiner diplomatischen Aktivität fürs erste eindeutig im Westen und nicht im


Osten lag, ergab sich dabei mehr aus der politischen Situation als aus ein-
seitigen Neigungen. Stresemann hatte vielmehr schon vor dem ersten Welt-
krieg dem großen östlichen Nachbarn des Reiches ein vornehmlich wirt-
schaftlich orientiertes Interesse zugewandt: als Mitglied des Deutsch:-Russi-
schen Vereins zur Pflege und Förderung der gegenseitigen Handelsbeziehun-
gen sind wir ihm schon früher begegnet. Im Sommer 1918 tritt er als Teil-
nehmer der deutschen Delegation hervor, die die Wirtschaftsverhandlungen
mit den Sowjets führte und die Verträge vom 27. August abschloß. Damals
glaubte er, daß "wir alle Veranlassung hätten, zu einer weitgehenden wirt-
schaftlichen und politischen Verständigung mit der heutig,en sowjetrussischen
Regierung zu kommen, die jedenfalls unter keinen Umstä,nden imperialistisch
ist und die niemals mit der Entente zusammengehen kann, schon weil sie
durch die Kraftloserklärung der Ententeanleihen einen unüberbrückbaren
Wall zwischen sich und der Entente errichtet hat 109." Sosehr solche Auße-
rungen vom Moment bestimmt sind, sosehr lassen sie doch für später den
Schluß zu, daß Stresemann aus dem Erbe der nationalstaatlichen Macht-
idee die Vorstellung von Deutschlands doppelpoliger Außenpolitik in seine
Nachkriegspolitik des nationalen und europäischen Realismus übernommen
hat. Freilich wollte er die russische Karte nie als Haupttrumpf im politischen
Spiel ausspielen und hat z. B. schon früh (Februar 1918) als Anhänger der
Randstaatenpolitik die Konzeption eines Kontinentalbündnisses mit "einem
großen, einheitlich in sich geschlossenen Rußland" gegen England entschieden
abgelehnt 109'. Auch mögen die Erfahrungen mit den Sowjets seit 1918, zu-
letzt seine eigenen als Reichskanzler im Jahre 1923, seine mißtrauische
Zurückhaltung gegenüber der doppelzüngigen bolschewistischen Politik
genährt haben, vielleicht bestimmte ihn auch schon eine Ahnung von
der sich verändernden Lage Deutschlands gegenüber dem russischen Macht-
koloß, der eine Gleichgewichtspolitik zwi,schen Ost und West im alten
Stile nicHt mehr zuließ. Ganz gewiß war es ,der Staatssekretär von Schubert
in Str,esemanns nächster Umgebung, der, "westlicher"eingestellt als der
Minister, vor allem mit Rücksicht auf Engl.and Bindungen nach dem Osten
vermeiden wollte und den engsten Kontakt mit dem britischen Botschafter

109 Zitiert aus einem Brief Stresemanns an Oberstleutnant Bauer vom 8. August 1918,
gedruckt bei W. Gatzke, Zu den deutsch-russischen Beziehungen im Sommer 1918.
Vjh. f. Zg. 3, 1955 S. 94.
109a Reichs~agsrede vom 20. Februar 1918. Gedruckt in: Macht und Freiheit. Vorträge,
Reden und Aufsätze von Gustav Stresemann (Halle 1918, S. 156 H.).
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 55

Lord d' Ahernon hielt 110. Derjenige, der innerhalb des Auswärtigen Amts
eine Ostorientierung mit Nachdruck solchen Einflüssen gegenüber hätte ver-
treten können, Ago von Maltzan, war inzwischen .an ·die Botschaft in
Washington versetzt worden; mit ihm hätte es kein Locamo gegeben,
schreibt Lord d' Aibernon in seinen Memoiren.
So blieb .als Anwalt einer verstärkten Rapallo-Politik der deutsche Bot-
schafter in Moskau, Graf Brockdorff-Rantzau, wohl die profiilierteste Er-
scheinung der deutschen Diplomatie der Weimarer Zeit, der Mann, dessen
innere Paradoxie darin bestand, daß er als der Trä:ger fortschrittlicher Ge-
sinnung und Politik galt und doch zugleich am stärksten inden Lebensformen
und überzeugungen der alten Aristokratie wurzelte, wie ein einsamer Fels,
"der von Urz·eiten her in einer gänzlich veränderten Welt stehengeblieben
ist 111 ." Brockdorffs Grundedebnis war die Demütigung von Vers.ailles, die
er höchst persönlich empfand und die in ihm einen brennenden Haß vor
allem gegen Frankreich geweckt hatte. Doch: ist er nicht etwa mit Vorstellun-
gen einer antiwesdichen Revanchepolitik auf seinen Moskauer Posten ge-
gangen; er scheint - im Geg.ensatz zu Seeckt -das Verhältnis zu Rußland an-
fangs mehr in einem rein diplomatischen Sinne auszugestalten entschlossen
gewesen zu sein, ohne zu starkes, vor allem ohne militärisches Engagement
mit den Sowjets, ohne "aktive Bündnispolitik". Das Verhältnis zu Rußland
für die auswärtige Politik und die Weltstel:lung Deutschlands, schrieb er in
einer Denkschrift vom 8. Juli 1922 112 , könne nur der Faiktor werden, "der
uns nottut, wenn di.e EntentJe spürt, daß eine Verbindung zwischen Deutsch-
land und Rußland besteht, nicht auf Revanche berechnet, aber eine Macht,
die dem Wiederaufbau dienen und Respekt einflößen soll". Der politische
Sinn dieses außenpolitischen Programms kann nur in der Rücksicht auf Eng-
land gefunden werden: England, so meint Brockdorff wenig.e Wochen
später, muß Bundesgenossen sumen, "und eines steht fest, es wird diesen
Bundesgenossen immer gegen Frankreich suchen, solange sich nicht Kombi-
nationen entwickeln, die England und Frankreich zusammenhalten oder er-
neut zusammentreiben. Eine solche Kombination würde ein deutsch-russisches
Bündnis da·rstellen 113." Die Möglichkeiten einer Politik, die in Mächte-
kombinationen dachte, ohne Machtpolitik treiben zu wollen, waren, anders
als die radikalere und einseitige Konzeption Seeckts, nich:t bis in ihre letzten
110 Dirksen a. a. O. S. 55 f.
111 Dirksen a. a. O. S. 59.
111 Gedruckt bei Helbig a. a. O. S. 329 H.
113 Denkschrift vom 15. August 1922: zum erstenma,l vollständig gedruckt bei Helbig
a. ,a. O. S. 331 H.
56 Theodor Schieder

Kons,equenzen durchdacht und es ist offenkundig, daß Brockdorff immer


mehr davon abgerückt ist, je länger er in Moskau weilte. Schließlich wurde
er zum beredtesten Anwalt einer verstärkten deutsch-russischen Zusammen-
arbeit gegen den Westen, die ,er aus der "Schicksalsgemeinschaft der beiden
großen, im Kriege besiegten Nationen" 114 ableitete und die sich auf sein
nahes persönliches Verhältnis zu Tschitscherin gründete. Nur von Moskau
aus, so glaubte er, könnten die Folgen des Diktats von Versailles erfolgreich
bekämpft werden 115. Vor seiner Ernennung noch ein entschiedener Gegner
einer militärischen Rußland-Politik, hat er sich mit dieser und ihren Mos-
kauer Vertretern, wie dem Oberst von Thomsen, mehr und mehr abge-
funden 116. Man könnte mit leichter Pointierung sagen: er habe schheßlich im
Effekt Seeckt-Politik gegen Stresemann getrieben, nachdem er noch 1922
Stresemann-Politik gegen Seeckt befürwortet hatte.
Es würde in diesem Zusammenhang interessieren, welche Haltung Seedn
in diesen Jahren zu Stresemanns Außenpolitik eingenommen hat, doch läßt
sich diese im einzelnen noch nicht ganz deutlich bestimmen. Zweifellos ge-
hörte auch Seeckt wie Brockdorff zu den schroffsten Gegnern des Reichs-
außenministers, der den Locarno-Pakt geschlossen hat, aber offenbar hat
er bei aller Kritik die positiven Rückwirkungen der Locarno-Politik auf
das Verhältnis zu Polen nicht ganz übersehen und darum, wie sein erster
Biograph meint, seinen Widerstand nicht bis zur letzten Konsequenz ge-
trieben 117. Dem entsprach auf der Gegenseite, daß Stresemann, soweit wir
bisher wissen, die Rußland-Politik der Reichswehr ungestört ließ.

114 Das Wort von der "Schicksalsgemeinschaft" hatte Stresemann schon 1922 bei der
Reichstagsdebatte über den Rapallo-Vertrag gebraucht. (Stenogr. Ber. d. Verhdlg. d.
Reichstgs. Bd. 354 S. 6648.)
115 Äußerung von Brockdorff-Rantzau an Maltzan vom 27. März 1923, mitgeteilt von
Helbig a. a. O. S. 324.
116 Helbig a. a. o. S. 324 schränkt dies dahin ein, daß Brockdorff-Rantzau mit Thomsen

vertrauensvoll, ja freundschaftlich zusammengearbeitet habe, "weil dieser den Standpunkt


Brockdorff-Rantzaus beim Reichswehrministerium vertrat. Vielleicht war das der Grund
für die Ablösung dieses Offiziers 1928". Nach einer mündlichen Mitteilung von Botschafts-
rat a. D. Gustav Hilger an den Vf. scheint es mir wahrscheinlich, daß Brockdorff-Rantzau
sich auch innerlich der Seecktschen Linie einer aktiven Bündnispolitik mehr und mehr
genähert hat. W. von Blücher a. a. o. S. 172 bezeichnet es als eine offene Frage, ob Brock-
dorff-Rantzau seine Einstellung zu der deutsch-russischen militärischen Zusammenarbeit
geändert habe. "An sich möchte ich dies nicht annehmen, da er vom 1. Weltkriege her eine
ausgesprochene Antipathie gegen die deutschen Militärs hegte und außerdem alles be-
kämpfte, was in seinem Zuständigkeitsgebiet ihm nicht direkt unterstellt war. Immerhin
scheint sich doch bei ihm eine gewisse Sinnesänderung bezüglich der militärischen Bedeu-
tung Rußlands im europäischen Kräftespiel vollzogen zu haben."
117 Rabenau, Seeckt S. 417 und 422.
Die Probleme des RapaJlo-Vertrags 57

Wenden wir uns nun den Ereignissen zu, durch die Gustav Stresemann
die deutsche Außenpolitik zwischen Westen und Osten zu steuern suchte. Es
ist an dieser Stelle unmöglich, das verwickelte Geflecht der diplomatischen
Verhandlungen darzustellen, deren Ergebnis der Locarno-Pakt von 1925
gewesen ist; wir müssen unsere Aufmerksamkeit auf die Punkte konzen-
trieren, durch die die Rapallo-Politik und die weitere Gestaltung der deutsch-
russischen Beziehungen betroffen wurden. Es war die deutsche, wenn auch
von Lord d'Abernon mitausgelöste Initiative, die die Verhandlungen über
den Sicherheitspakt einleitete; die deutsche Diplomatie wollte damit einem
einseitigen englisch-französischen Garantiepakt im Westen zuvorkommen,
und sie hat an seiner Stelle bei freiwilliger Anerkennung des territorialen
Status quo an der deutschen Westgrenze die Garantien Englands und Italiens
für beide Seiten, also auch für Deutschland bei einem französischen Angriff
erreicht. Die Rückwirkungen dieses Abkommens auf Deutschlands Verhältnis
zu den Mächten im Osten ergaben sich einmal aus der einfachen Tatsache,
daß das Reich an seiner Ostgrenze, für die es eine ähnliche freiwillige Sank-
tionierung kategorisch ablehnte, durch die Konsolidierung der Verhältnisse
am Rhein stärkere politische Handlungsfreiheit im allgemeinsten Sinne ge-
wann. Davon war in erster Linie Polen betroffen. Ihm brachte zwar der
gleichzeitig mit Deutschland abgeschlossene Schiedsvertrag Schutz gegen eine
gewaltsame Veränderung seiner Grenzen 118; seine bündnispolitische Lage
hatte sich aber sicher gegenüber den Vorteilen, die aus den vollen
Allianzverpflichtungen des Bündnisses mit Frankreich vom 19. Februar 1921
zum Schutze nicht nur des Staatsgebiets, sondern auch der »beiderseitigen
wirtschaftlichen und politischen Interessen" der Bündnispartner erwuchsen,
verschlechtert. Frankreich und Polen konnten seit dem Abschluß des deutsch-
polnischen Schiedsvertrages nicht mehr ohne Einschaltung des Völkerbundes,
an dem künftighin Deutschland beteiligt sein sollte und ohnehin England
beteiligt war, ihr Bündnis praktizieren.
Wo aber wurde das deutsch-russische Verhältnis von der Locarno-Poiitik
Stresemanns tangIert? Hier müssen die formal-juristischen und die allgemein-
politischen Gesichtspunkte auseinandergehalten werden. Was diese anlangt,
so sahen die Russen in der Locarno-Politik und mehr noch, wenn nicht aus-
schließlich, in dem durch sie vorbereiteten Eintritt Deutschlands in den
Vökerbund anfangs nicht mehr und nicht weniger als den Zusammenbruch

118 Karl Dietrich Erdmann hat dies in seinem Aufsatz über das Problem der Ost- oder

Westorientierung in der Locarno-Politik Stresemanns (Gcsdtidtte in Wissensdtaft und


Unterridtt 6, 1955, S. 70) besonders herausgearbeitet.
58 Theodor Schieder

der Rapallo-Politik. Es war der "Alpdruck des gegen Rußland zusammen-


gefaßten Kontinents", der sie bedrückte, wie Stresemann einmal über ein
Gespräch mit Tschitscherin notiert 119, der Verlust des deutschen Sicherheits-
glacis, das sie durch den Vertrag von 1922 und die militärpolitische Zu-
sammenarbeit praktisch geschaffen hatten. Die Frage für das russische Polit-
büro war, wie es Ruth Fischer formuliert: "Wird Deutschland zu einem
gegen Moskau gerichteten Schwert in britischen Händen werden 120?"
Hier fallen nun die formal-juristischen Einwände mit den politischen zu-
',lmmen: durch die in Artikel 16 der Völkerbundssatzung für jedes Bundes-
mitglied festgelegten Verpflichtungen sahen die Sowjetpolitiker die Gefahr
eines am Sanktionskrieg gegen Rußland beteiligten Deutschlands oder min-
destens eines Deutschlands, das sein Territorium zum Durchmarsch freigab,
heraufbeschworen. Der stimmungsmäßige Hintergrund solcher Befürchtun-
gen ist die im Sowjetstaat damals herrschende Anschauung vom Völkerbund
als einer unter englischer Führung zusammengeschlossenen imperialistischen
Angriffsmacht, eines, Rußlands damaligen Hauptgegner England zur Vcr-
fügung stehenden Allianzsystems mit einer eindeutigen Spitze gegen den
Sowjetstaat. Der Kreml hat daher einen erbitterten Kampf gegen den
Locarno-Kurs Stresemanns und seiner Mitarbeiter geführt und ihn mit allen
Mitteln zu durchkreuzen versucht; er steht dabei unter dem Druck der sich
seit dem konservativen Wahlsieg vom Oktober 1924 dauernd verschlechtern-
den englisch-russischen Beziehungen.
Das deutsch-russische diplomatische Ringen in der Ära der Locarno-Ver-
handlungen ist eines der reizvollsten Kapitel in der Geschichte der modernen
Diplomatie. Das läßt sich schon aus den allgemeinen Umrissen erkennen, die
uns bis jetzt bekannt sind. Der besondere Reiz dieser Auseinandersetzungen
liegt in ihrer zeitlichen und politischen Verschränkung mit den deutsch-
alliierten Locarno-Gesprächen und andererseits in dem doppelten Sinn der
deutsch-russischen Verhandlungen, die von russischer Seite zugleich Inter-
vention gegen eine deutsche Westorientierung wie Initiative für eine Ver-
stärkung der Ostorientierung gewesen sind. Stresemann mußte jene ab-
wehren und aus dieser, der er ohne Wärme gegenüberstand, das Beste für
seine Politik zwischen West und Ost herauszuholen versuchen.
Man muß die russische Initiative zu politischen Verhandlungen mit dem
Reiche als den dritten Versuch in wenigen Jahren - nach Rapallo von 1922
und nach dem Oktoberaufstand von 1923 - verstehen, das Reich aus den
119 S tresemann, Vermächtnis 11 S. 536.
I~O Ruth Fischer a. a. O. S. 476.
Die Probleme des RapaIIo-Vertrags 59

Bindungen an die westliche Politik herauszulösen, zugleich als ein Anzeichen


dafür, daß die Sowjetmacht wieder auf die staatenpolitisch-diplomatische
Linie einschwenkte. Angesichts des Eingreifens amerikanischer Kapitalkräfte
seit dem Dawes-Plan und den erhöhten Bemühungen der britischen Europa-
Politik erkannten die russisch/en Staatsmänner, daß diesmal der Einsatz im
politischen Spiel größer sein mußte als jemals zuvor.
Die Störungsversuche der sowjetischen Politiker gegen einen etwaigen Ein-
tritt Deutschlands in den Völkerbund setzten bereits im Herbst 1924 ein 121,
aber erst am Ende des Jahres - in der Zeit, als die Reichsregierung in direkte
Verhandlungen mit dem Völkerbund eintrat - rückten sie mit dem Angebot
eines Neutralitätsvertrages heraus, der von vornherein alle Gefahren aus-
schalten sollte, die Rußland aus einem deutschen Beitritt zum Völkerbund
für sich befürchtete, ja im Grunde darauf ausging, diesen zu verhindern.
Stresemann hat diese Anregung anfangs offensichtlich dilatorisch
behandelt, worüber sich Brockdorff-Rantzau beklagte, und übermittelte
erst nach einigen Monaten seine Stellungnahme zu dem russischen Vor-
schlage. Indem diese die Frage der künftigen Gestaltung der deutsch-
russischen Beziehungen "nicht allgemein oder abstrakt" ,sondern unter dem
konkreten Gesichtspunkt von Deutschlands etwaigem Eintritt in den Völker-
bund behandelt wissen wollte, lief sie gerade dem russischen W,unsch zu-
wider, eben diesen Eintritt von vornherein unmöglich zu machen 122. Ruß-
land, so heißt es in ihr, müsse selbst ein Interesse daran haben, daß Deutsch-
land seinen politisch,en Schwächezustand überwinde und wieder zu einem
beachtenswerten Faktor in der europäischen Politik erstarke. Das sei aber
nicht anders möglich, als daß das deutsche Gebiet aus der französischen Um-
klammerung befreit werde. Erst mit dem Aufwerfen der Völkerbundsfrage
sei in die Situation ein Moment hineingetragen worden, das das Verhältnis
Deutschlands zu Rußland unmittelbar berühre. Mit großer Offenheit wer-
den die Vorzüge und Nachteile einer deutschen Mitgliedschaft im Völker-
bund erörtert. Wenn es auch "keineswegs als feststehend" bezeichnet wird,
daß die Verpflichtungen aus den Artikeln 16 und 17 ein unüberwindliches

121 Belege dafür im Strescmann-Nachlaß, Mikrofilm Rolle 3120/7178! 157420 H.,


157445 H., 157522 H. Dieses Material wird von W. Gatzke in seinem Aufsatz: Von RapaIlo
nach Berlin. Stresemann und die deutsche Rußland politik, Vjh. f. Zg. 4 1956, S. 1 H. der
mir erst nach Fertigstellung meiner Arbeit bekannt wurde, herangezogen.
122 "Zusammenfassung der von dem deutschen Botschafter in Moskau am 7. 4. 1925 im
Namen der Reichsregierung dem Herrn Volkskommissar Litwinow gemachten Mitteilung."
(Stresemann-Nachlaß, Mikrofilm Rolle 3165! 7415! 175570 H.) Text in Anlage I zu dieser
Untersuchung.
60 Theodor Schied er

Hindernis für die Aufrechterhaltung der deutsch-russischen Beziehungen dar-


stellen würden, so wird doch zugegeben, daß die Zugehörigkeit Deutsch-
lands zum Völkerbund seine allgemeine politische Bewegungsfreiheit unter
Umständen einschränken könnte. Das deutsche Memorandum steuert auf
einen der entscheidenden Punkte zu, indem es die Rückwirkungen eines
Völkerbundseintritts am Beispiel eines russisch-polnischen Konflikts er-
örtert: "Wenn man z.B. den Fall annehmen wollte, das Ereignisse eintreten,
die eine Zurückdrängung Polens in seine ethnographischen Grenzen unmittel-
bar in den Bereich der Möglichkeiten rücken, so würde ein aktives Eingreifen
Deutschlands durch seine Zugehörigkeit zum Völkerbund zum mindesten
stark gehemmt werden. Das ist fraglos ein Moment von großer Tragweite.
Andererseits wird diese Tragweite aber doch durch die Erwägung einge-
schränkt, daß Deutschland in einem solchen Falle auch als Nichtmitglied des
Bundes mit der sicheren Gegnerschaft der Ententemächte, zum mindesten
Frankreichs, Belgiens und der Tschechoslowakei, zu rechnen hätte und dem-
nach praktisch für absehbare Zeit an einem aktiven Vorgehen gegen Polen
ohnehin gehindert wäre."
Diese deutliche Anspielung bezieht sich wohl auf Vorgänge, die im
Zusammenhang mit der ersten Initiativ,e der Russen standen. Aus den im
Stres.emann-Nachlaß vorhandenen Niederschriften über di,e Gespräche des
deutschen Außenministers m~t dem russischen Außenkommissar Tschitscherin
in den Tagen unmittelbar vor der Locarno-Konferenz 123 können wir ent-
nehmen, daß die russische Diplomatie im Dezember 1924 - bezeichnender-
weise nicht durch den Außenkommissar selbst, sondern durch einen nach-
geordneten Beamten des Kommissariats (Viktor Kopp) - einen Versuchs-
ballon steigen ließ, indem sie Brockdorff-Rantzau eine deutsch-,russische Ver-
ständigung über die polnische Frage vorschlug. "Wenn Deutschland weder
auf seine Ansprüche in Oberschlesien noch auf den Korridor verzichte, könnte
ein gemeinsamer deutsch-russischer Druck a:uf Polen ausgeübt werden." Das
hieß mit unverblümten Worten die Einladung zu einer gemeinsamen Aktion
gegen den polnischen Staat, zu seiner "Zurückdrängung" auf seine ethno-
graphischen Grenzen, wie es dann ~enannt wurde. Es fragt sich, ob dieses
Angebot eines militärischen Offensivbündnisses ernstgemeint war. Dafür
scheint zu sprechen, daß Tschitscherin im Herbst 1925 noch einmal darauf
zurückkommt und in fast erpresserischer Taktik den Vorschlag zur Teilung
der polnischen Beute Brockdorff-Rantzau und damit der deutschen Regierung

123 Sie sind jetzt vollständig gedruckt im Anhang zu dem Aufsatz von K. D. Erdmann
a. a.O
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 61

in die Schuhe zu schieben sucht, was Stresemann nach eiligen nächtlichen


Recherchen energisch von sich weist. Sicher ist ein Offensivbündnis gegen
Polen, das in Seeckts Plänen für die Zukunft eine entscheidende RoUe spielte,
das Maximum dessen gewesen, was die Sowjets angesichts der drohenden
Westwendung Deutschlands anzubieten bereit gewesen sind. Dieser Gedanke
verliert etwas von seinem irrealen Charakter, wenn man sich die prekäre
innere Lage Polens in diesen Jahren vor Augen hält, die eine erhebliche
Schwächung des polnischen Staates nicht unmöglich erscheinen ließ. Man
braucht nur an den im Dezember 1922 unterdrückten Aufstand in Ost-
galizien zu denken. Doch hat Tschitscherin sich anscheinend niemals selbst so
weit vorgewagt, daß er die Idee eines Angriffsbundes als seinen eigenen
Vorschlag deklariert hätte, er hat nur die deutsche Politik abtasten wollen.
Daß diese selbst, wie Tschitscherin im folgenden Jahre Stresemann gegen-
über behauptete, mit einem solchen Vorschlag vorgebrescht sein sollte, ist
nach Lage der Dinge so gut wie ausgeschlossen. Im Dezember 1924 waren
es die Sowjets, die an Verhandlungen mit dem Reich interessiert waren und
die spätere Darstellung Tschitscherins, erst Brockdorffs polnisches Angebot
habe die russische Regierung zu ihrem Angebot eines Neutralitätspaktes
veranlaßt, wird durch eine Analyse der allgemeinen Situation nicht bestä-
tigt. Die Akten müssen jedoch hier auch die letzte Aufklärung geben.
Mit der deutschen Ablehnung eines formellen Neutralitätsvertrags hat-
ten die Sowjets ihr erstes Ziel verfehlt, Deutschland noch von den ersten
Schritten auf dem Wege zum Völkerbund abzuhalten. Aber sie verstärkten
nach ihrem Fehlschlag nur ihren Druck: Tschitscherin bezeichnete auf dem
Sowjetkongreß am 16. Mai 1925 einen etwaigen Eintritt Deutschlands in
den Völkerbund als das Ende der Rapallo-Beziehungen. Die vom russischen
Botschafter Krestinski nach dessen Rückkehr aus Moskau oder von Litwi-
now, dem stellvertretenden russischen Außenkommissar, im Juni 1925 in
Berlin überbrachte sowjetische Antwort auf die deutschen Gesichtspunkte
unterstreicht diese Feststellung und bezeichnet nicht nur den vorbehaltlosen,
sondern jeglichen Eintritt in den Völkerbund überhaupt als »erheblichen
Schritt auf dem Wege zur tatsächlichen Vernichtung des Vertrages von Ra-
pallo" 123'. In seinen Gesprächen mit Stresemann spielte Litwinow die pol-
nische Karte sozusagen mit ihrer Kehrseite aus; er (Litwinow) glaube zwar
nicht, daß England sich praktisch für eine .Knderung der Ostgrenzen ein-
setzen werde, aber Polen sage sich jedenfalls, daß der Versailler Vertrag in
bezug auf die Ostgrenzen nicht mehr die unbedingte Garantierung seitens
123a Anlage 11.
62 Theodor Smieder

der Mächte des Versailler Vertrags fände und werde deshalb anderwärts
Anschluß suchen. Er halte es nicht für ausgeschlossen, daß Polen versuchen
werde, mit Rußland engere Fühlung zu nehmen 124. - Jetzt erst entschloß sich
die deutsche Regierung, in die bisher dilatorisch geführten Verhandlungen
ihrerseits mit einem Gegenvorschlag einzugreifen. Er sollte den Russen den
Eindruck nehmen, daß di.e deutsche Politik ihren Angeboten nur negativ
gegenüberstände, ohne daß er aMerdings die Verhandlungen mit dem Westen
irgendwie präokkupieren durf~e. Ende Juni kehrte der deutsche Botschafter,
der monatelang in Berlin für die Annahme der russischen Vorschläge gewirkt
hatte und nach dem Scheitern seiner Bemühungen mit Mühe davon abgehal-
ten werden konnte, sein Rücktrittsgesuch zu vertagen, nach Moskau zurück.
Er wurde begleitet von Herbert von Dirksen, dem Leiter der Osrabteilung
des Auswärtigen Amts seit Februar 1925, von dem man sagen konnte, daß er
der Politik des Außenministers näherstand als der Botsch'after, der "in seiner
Sprachführung eher ein Vertreter des russischen Standpunktes" genannt wer-
den konnte 125. Dirksen sollte nicht nur die seit Monaten festgefahr.enen
Handelsvertr.agsverhandlungen wieder in Gang bringen, sondern den So-
wjetsta-atsmännern auch den deutschen Entwurf für die Neuordnung der
politischen Beziehungen überbringen und erläutern. Di'eser Entwurf stammte
von Gaus, dem Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts, der
glaubte, mit ihm die neue Formel gefunden zu haben, "von der er eine ma-
gische Wirkung ·auf die ,russisme Psyche erwartete" 126. Die Idee war dabei,
diese Formel -als eine Art grundsätzliche Präarnbel in den Wirtsmaftsver-
trag aufzunehmen, über den schon lange verhandelt wurde, ein Verfahren,
für das offensich1llic.'I der tschechoslowakisch-russische Handelsvertrag vom
4. Juli 1922 ,a,ls Muster genommen war, dessen Bräambel sogar eine ausdrück-
liche Neutralitätsverpflichtung enthielt 127. Die Gaussche Präambel 128 war
124 Die im Stresemann-Vermämtnis 11. S. 516 H. gedruckte Aufzeimnung Stresemanns
über sein Gespräm mit Litwinow ist, wie die meisten Dokumente, die sim auf die Ruß-
land-Politik beziehen, unvollständig. Der vollständige Text im Namlaß, Mikrofilm
Rolle 3165/7415/175580 H.
125 Dirksen ,a. a. O. S. 66 H.
126 Dirksen a. a. O. S. 67.
121 Inhaltsangabe des tsmemoslowakism-russismen Vertrages bei Schulthess, Europäi-
smer Gesmimtskalender 1922 S. 423. Zum ersten Mal wird in den Stresemann-Papieren
der russism-tsmemoslowakisme Vertrag am 25. 4. 1925 erwähnt. Stresemann kommt auf
diesen Vertrag immer wieder zurück, so vor allem in seinem Gespräm mit dem russismen
Botsmafter Krestinski am 11. Dezember 1925, Strcsemann-Vermämtnis 11 S. 531 f.
128 Der Wortlaut nam den Stresemann-Papieren, Mikrofilm Rolle 3165/7415/
175594 H. in: "Rimtlinien für die Fortsetzung der politismen Verhandlungen mit Ruß-
land", Anlage 111.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 63

von betonter Unverbindlichkeit, wenn sie auch vor allem den Grundsatz
der Konsultation und der Neutralität andeutete und wenigstens die Kern-
punkte des späteren Berliner Vortrags im Keime enthielt.
Es war klar, worauf es der deutschen Diplomatie ankam: während die
Sowjets ihre Bemühungen darauf konzentrierten, einen Vertrag zu schließen,
der eine Verständigung über Deutschlands Völkerbundeintritt ausschloß,
wollte sie eine Formel, .die unverfänglich genug war, um andere Verpflich-
tungen nicht von vornherein unmöglich zu machen. Stresemann hat später
noch im Dezember an dem Grundsatz festgehalten, kein Neutralitäts-
abkommen, das sich auf den Kriegsfall beziehe, mit Rußland abzuschließen.
Er wollte den Eindruck vermeiden, daß Deutschland der Ansicht sei, ein-
mal mit Aussicht auf Erfolg Krieg führen zu können, und daß es sich
jedenfalls mit der Möglichkeit der Führung eines Krieges beschäftige.
Als Tschitscherin der Zauberformel von Gaus nicht erlag 129, die er später
einmal "Bekenntnisse einer schönen Seele" nannte, und Dirksen unverrich-
teter Dinge aus Moskau zurückkehrte, spitzten sich die Ereignisse drama-
tisch zu. Noch. im Juli versuchte Tschitscherin die deutsche Formel im Sinne
einer klaren Neutralitätsverpflichtung zu modifizieren und dahin auszu-
weiten, daß er Deutschlands Völkerbundseintritt an die Einwilligung Ruß-
lands band 130. Unmittelbar vor Beginn der Locarno-Konferenz setzte der
russische Außenkommissar dann persönlich zum letzten Stoß an; er reiste
über Warschau nach Berlin und machte alle Anstrengungen, in mehreren bis
in die tiefe Nacht geführten Gesprächen Stresemann in letzter Minute von
seinem Wege zurückzureißen. Die polnische Frage taucht hi.er noch einmal
in ihrer doppelten Funktion auf: als Lockmitt-el für die deutschen Revisions-
ansprüche und als Drohung einer russisch-polnischen Verständigung, der sich
schließlich noch Frankreich anschließen könnte. Stresemann ließ sich jedoch
durch nichts dazu bestimmen, vor Beendigung der westeuropäischen Ver-
handlungen Bindungen im Osten einzugehen; das einzige, was Tschitscherin
erreichte, war der lang verschleppte Abschluß des deutsch-russischen Han-
delsvertrags, über den das Reichskabinett am 2. Oktober, also drei Tage
vor Beginn der Locarno-Konferenz Beschluß faßte.
Wenn auf deutscher Seite in den früheren Stadien der Verhandlungen die
Möglichkeit eines vorbehaltlosen Völkerbundeintritts nicht ausgeschlossen
wurde, so mußte es aber immerhin als ein weiterer Erfolg der russischen
Politik betrachtet werden, daß unmittelbar vor -dem Beginn der Locarno-
129 Dirksena. a. O. S. 67.
130 Hilger, The Incompatible Allies (New York 1953) S. 145.
64 Theodor Schieder

Konferenz in einem wohl von Gaus v·erfaßten Memorandum des Auswärtigen


Amts 131 nun mit aller Deutlichkeit die Vorbehalte hinsichtlich des Arti-
kels 16 präziser formuliert wurden. Hier bereits findet sich der entschei-
dende Vorschlag, den § 11 des unwirksam gebliebenen Genfer Protokolls als
Richtlinie für die deutsche Auslegung des Artikels 16 zu verwenden. In ihm
werden alle Signatarstaaten angehalten, "loyal und effektiv mitzuwirken,
um der Völkerbunds atzung Achtung zu verschaffen und um jeder Angriffs-
handlung zu begegnen, und zwar in dem Maße, wie es ihnen ihre geogra-
phische Lage und die besonderen Verhältnisse ihres Rüstungsstands erlaube".
Diese neue "Zauberformel", die nur auf alle in Artikel 16 vorgesehenen
Möglichkeiten ausgedehnt werden mußte, ist dann wirklich die Grundlage
des deutschen Vorbehalts geworden.
Der Verlauf der Verhandlungen in Locarno läßt verfolgen, in welchem
Umfange die Frage der deutschen Beteiligung an Völkerbundssanktionen
im Mittelpunkt der Debatten stand. Die Alliierten ließen nichts unversucht,
Stresemann zum vorbehaltlosen Eintritt des Reichs in den Völkerbund zu
bewegen. Daß es sich dabei nicht lediglich um theoretische Erörterungen
handelte, zeigt die Zuspitzung der Diskussion auf die polnische Frage.
Das deutsche Verhalten in einem polnisch-russischen Krieg wurde von
Briand als der Angelpunkt (pivot) der ganzen Debatte über Sicherheitspakt
und Völkerbund bezeichnet 132. Wenn Deutschland forderte, mit Rücksicht
auf seine Entwaffnung und seine geographische Lage eine Einschränkung
seiner Sanktionsverpflichtungen bis zur Verweigerung des Durchmarsch-
rechts bewilligt zu erhalten, so konnte sich dies, daran hat niemand in
Locarno gezweifelt, nur auf den Fall eines polnisch-russischen Krieges be-
ziehen, in dem die Westmächte Polen zu Hilfe eilen würden. Die Staatsmän-
ner in Locarno verfehlten nicht, Stresemann vor die Entscheidung zu stellen,
ob die von Deutschland geforderte bedingte Anwendung des Artikels 16
auch für den Fall eines klaren russischen Angriffs auf Polen gelten sollte.
Briand malte für diesen Fall den Ausbruch eines Bürgerkriegs, das sollte
heißen, eines kommunistischen Aufstands in Deutschland, an die Wand.
Chamberlain ging so weit, der deutschen Delegation zu erklären: für den
Fall, daß Deutschland als Völkerbundsmitglied in Konflikt mit Rußland
geriete, wäre England "zum Beistand mit allen seinen Kräften verpflichtet".

Es wird von Erdmann a. a. o. S. 144 f. und W. Gatzke a. a. o. S. 18 herangezogen.


131
Dazu und zum folgenden Erdmann a. a. 0., S. 143 nach der von H. von Dirksen
132
ver faßten Niederschrift der Verhandlungen in Locarno.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 65

" Diejenigen, die Deutschland entwaffnet haben, würden die ersten sein,
die Deutschland wieder bewaffnen." Aber Stresemann blieb auch einer
solchen überraschenden Aussicht gegenüber, die man ganz ,auf dem Hinter-
grund der englisch-russischen Spannung sehen muß, in diesem Punkte fest;
er setzte eine Formulierung durch, die Deutschlands Sanktionsverpflich-
tungen auf ein Maß beschränkte, das, wie der vereinbarte Text nun sagte,
»mit seiner militärischen Lage verträglich sei und das seiner geographischen
Lage Rechnung trage". Damit war für den entscheidenden Fall, für einen
russisch-polnischen Krieg die deutsche Handlungsfreiheit zwar nicht voll-
ständig, aber doch in weitem Maße gewahrt und Deutschland ohne Bruch
seiner Völkerbundsverpflichtungen von der lastenden Verpflichtung befreit,
gegen seine realen Machtmöglichkeiten und seine letzten nationalen Exi-
stenzfragen handeln zu müssen.
Auf welche Fälle sich überhaupt der vertragliche Zwang zu einem deut-
schen Handeln auf Grund des Artikels 16 einengte, war schon in der deut-
schenDenkschrift vor der Konferenz zusammengefaßt: nach ihr bestand eine
Verpflichtung zum Vorgehen gegen Rußland nur, »wenn folgende Voraus-
setzungen erfüllt sind: Rußland muß als Nichtmitglied des Völkerbundes
durch einstimmigen Beschluß des Völkerbundsrats aufgefordert worden sein,
sich den Bestimmungen der Völkerbundsatzung über das Schiedsverfahren
zu unterwerfen, und zwar unter Bedingungen, die wiederum einstimmig
vom Rat zu beschließen sind. Ferner muß Rußland kriegerische Maßnahmen
gegen Polen ergriffen haben, nachdem es entweder die Aufforderung des
Völkerbundrats abgelehnt oder sie zwar angenommen, aber die Satzungs-
bestimmungen über das Schiedsverfahren verletzt hat. Endlich muß Deutsch-
land anerkannt haben, daß Rußland als Angreifer vorgegangen ist. Deutsch-
land könnte als Ratsmitglied die vorerwähnten Entscheidungen des Rats
verhindern und damit eine Völkerbundsaktion überhaupt unmöglich
machen. Praktisch wird es sich allerdings dem Antrag, an Rußland die er-
wähnte Aufforderung zu richten, kaum widersetzen können. Dagegen bieten
die Erwägungen über die vom Rat zu beschließenden Modalitäten dieser
Aufforderung Deutschland schon eine Gelegenheit, seine besonderen poli-
tischen Interessen wahrzunehmen. In der weiteren Frage, ob Rußland An-
greifer ist, kann Deutschland anerkanntermaßen ganz nach freiem Ermessen
handeln, ohne an irgendwelche Feststellungen des Rats gebunden zu sein.
Allerdings könnte es den Angriff Rußlands nicht leugnen, wenn dieser
offen zutage liegt. Deutschland würde sich sonst in den Augen der Welt der
Konnivenz schuldig oder wenigstens verdächtig machen. Dagegen kann sich
66 Theodor Schieder

Deutschland, wenn die Angriffsfrage tatsächlich zweifelhaft ist, bei der


Bundesexekutive seine volle Handlungsfreiheit wahren." Damit ist also
gesagt, daß zwar für den einzigen Fall eines klaren russischen Angriffs auf
Polen, Deutschland an seine Völkerbundsverpflichtungen gebunden sei, so-
weit diese die Feststellung des Angreifers betreffen. Jedoch besitzt es immer
noch die Freiheit, nur die ihm möglich erscheinenden realen Konsequenzen
daraus zu ziehen, d. h. eine selbständige Entscheidung über seine ~eilnahme
an Sanktionen oder die Gewährung des Durchmarschrechts zu fällen.
Die Frage ist berechtigt, was die Westmächte, vor allem Frankreich, ver-
anlaßt haben kann, den deutschen Wünschen soweit entgegenzukommen,
obwohl damit die polnische Position stark geschwächt wurde. Es gibt kaum
eine andere Erklärung dafür als die, ,daß dies aus der Furcht vor einer
deutsch-russischen Verständigung geschah, die man bei einem Beitritt
Deutschlands zum Völkerbund wenigstens noch unter Kontrolle zu halten
hoffte. Stresemanns hinhaltende Taktik gegenüber den russischen Verhand-
lungsangeboten trug jetzt ihre Früchte. Sie trug sie aber auch auf der anderen
Seite: die Russen machten nach dem Abschluß des Locarno-Pakts ihre Dro-
hung nicht wahr und brachen die Verhandlungen nicht ab. Diese über-
raschende Reaktion, die im Widerspruch zu manchen Erklärungen sowje-
tischer Staatsmänner in den vorausgehenden Wochen stand, war zweifellos
vor allem der deutschen Standfestigkeit in Locarno hinsichtlich der Anwen-
dung des Artikels 16 des Völkerbundpakts zu danken. Sie hat den Russen
den Fortgang der Gespräche nicht nur vom Standpunkt ihres Prestiges, son-
dern auch substantiell ermöglicht. Es ist nun von höchstem Interesse, daß mit
geradezu logischer Konsequenz der Punkt in den Mittelpunkt der Verhand-
lungen tritt, der nach der Entscheidung von Locarno noch Bewegungsfrei-
heit ließ: das deutsche Verhalten in einem russisch-polnischen Krieg. In dem
neuen russischen Vertragsentwurf, den der russische Botschafter Krestinski
am 11. Dezember 1925 Stresemann überreichte und der nach Stresemanns
Urteil "über den von uns seinerzeit als bedenklich abgelehnten Tschitsche-
rinschen Vorschlag (wohl den vom Dezember 1924) noch weit hinaus-
ging 133", muß auf dem Gedanken einer absoluten und unbedingten Neutra-
litätsverpflichtung der Nachdruck gelegen sein, die Deutschland auch für
den Fall eines russischen Angriffs auf Polen gebunden hätte. Die deutschen
Verhandlungspartner, Stresemann und von Schubert lehnten dies entschie-
den ab mit der Begründung, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, daß
133 Stresemann, Vermächtnis II S. 532. Der vollständige Text der Aufzeichnung Strese-
mann-Mikrofilm Rolle 3165.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 67

Deutschland sich überhaupt mit der Möglichkeit der Führung eines Krieges
beschäfigte, was schon infolge seiner Abrüstung ausscheide. Es war das
gleiche Argument, das auf der Locarno-Konferenz gegen die vorbehaltlose
Anwendung des Artikels 16 des Völkerbundpakts vorgebracht worden war,
und das man in der Tat als realen Ausdruck der wirklichen Machtlage des
Reichs ansehen muß. Krestinski insistierte auf seinem Vorschlag, da Ruß-
land nur der Kriegsfall interessiere rund es immerhin mit einer Einkreisung
rechnen müsse. Und schon taucht, sicher nicht zufällig, in diesem Zusam-
menhang das zum erstenmal in Locarno beschworene Gesperrst einer deut-
schen Aufrüstung auf, durch das Stresemanns taktischer Rückzug auf die
deutsche Entwaffnung hinfällig werden konnte: Was werde geschehen, fragt
Krestinski, "wenn im Fall eines Konflikts der Westmächte mit Rußland
die Westmächte uns plötzlich die Erlaubnis geben würden, 500 000 Manri
unter die Waffen zu rufen ... ?" Gegen eine solche Gefahr könne Rußland
nur durch einen Neutralitätsvertrag mit Deutschland geschützt werden.
Der russische Vorstoß hatte immerhin die Wirkung, daß nun die deutsche
Politik ohne die eigenen Positionen preiszugeben und ohne in dem entschei-
denden Punkt, nämlich der Ablehnung eines formellen Neutralitätsvertrags
nachzugeben, die eigenen Formulierungen etwas geschmeidiger an die rus-
sischen Wünsche anzupassen suchte. Am 22. Dezember machte Stresemann
Tschitscherin mit einem neuen deutschen Protokoll-Entwurf bekannt 134.
Er stipulierte in 8 Punkten ein Abkommen, das die russischen Besorgnisse
vor einer Teilnahme Deutschlands an einem gegen Rußland gerichteten
Krieg zerstreuen soll. Der wesentliche Inhalt dieses Protokolls, das die
erste Gaussche Formel vom Sommer weiterentwickelt, ist in den Berliner
Vertrag eingegangen: so die Berufung auf den Rapallo-Vertrag als Grund-
lage der deutsch-russischen Beziehungen, die auf dieser Basis in freund-
schaftlicher Zusammenarbeit weiterentwickelt werden sollen; sodann die
Verpflichtung zu ständiger Konsultation und der Verzicht auf wirtschaftliche
Boykottmaßnahmen. Die deutsche Versicherung, der Eintritt Deutschlands
in den Völkerbund werde das Verhältnis zu Rußland nicht beeinträch-
tigen, sowie die Notifizierung des deutschen Standpunkts hinsichtlich der
Sanktionsartikel 16 und 17 und der Hinweis auf einen abzuschließenden
Schiedsvertrag erscheinen in der dem Berliner Vertragswerk angehängten
134 Vgl. Stresemann, Vermächtnis 1I, 535 H. Der Text des 1. Protokoll-Entwurfs.
Mikrofilm Rolle 3165. Anlage IV dieser Arbeit bringt den nebeneinandergestell-
ten Text zweier Entwürfe (3165/7415/175553 H.), von denen der zweite vom
Januar/Februar 1926 stammen muß. Welche Rolle er in den Verhandlungen gespielt hat,
ist noch nicht bekannt.
68 Theodor Schieder

Note Stresemanns an den Sowjetbotschafter in Berlin. Lediglich in einem


Punkte besteht eine auffallende Divergenz: ,der Artikel 6 des von Strese-
mann Ende Dezember 1925 mit Tschitscherin diskutierten Protokoll-Ent-
wurfs bezeichnet den Fall, daß Deutschland in seiner Eigenschaft als Völker-
bundsmitglied zuungunsten Rußlands in einen bewaffneten Konflikt hin-
eingezogen werden könnte, den Rußland durch seinen Angriff gegen eine
dritte Macht herbeigeführt hätte, "als eine bloß theoretische Möglichkeit
ohne real politische Bedeutung" 134a und stellt ihm den umgekehrten Fall
gleich, daß Rußland sich zuungunsten Deutschlands an einem bewaffneten
Konflikt beteiligte, den Deutschland durch seinen Angriff gegen eine dritte
Macht entfesseln könnte. Ja, in der späteren Fassung dieses Protokoll-Ent-
wurfs werden auch alle sonstigen Kategorien von Fällen erwogen, in denen
kriegerische Verwicklungen zwischen Deutschland und Rußland theoretisch
denkbar wären, "nämlich der Fall, daß Deutschland etwa seinerseits zum
Angriff gegen einen dritten Staat schritte, ferner der Fall, daß Deutschland
oder Rußland von einer dritten Macht angegriffen würde, und endlich der
Fall, daß unmittelbar zwischen den beiden Ländern ein Konflikt entstünde."
Für alle diese Möglichkeiten erkennen die bei den Mächte die Verpflichtung
an, nicht zu kriegerischen Maßnahmen gegeneinander zu schreiten, oder,
soweit eine dritte Macht beteiligt ist, diese nicht sonstwie zu unterstützen.
Dieser tour d'horizon mächtepolitischer Konstellationen kommt im End-
ergebnis zu einer generellen Neutralitätserklärung, wie sie sich weder im
Berliner Vertrag noch in dem ihm angefügten Notenaustausch findet. Dies
ist umso auffälliger, als es offenbar gerade diese Formulierungen gewesen
sind, die auf Tschitscherin besonderen Eindruck gemacht haben, als sie ihm
zuerst von Stresemann eröffnet wurden. Der deutsche Außenminister glaubt
nach seiner Unterredung mit dem sowjetischen Außenkommissar von einer
entspannten Lage sprechen zu können und meint, "daß Tschitscherin von
seinen Berliner Eindrücken sehr befriedigt war und daß der Alpdruck des
gegen Rußland zusammengefaßten Kontinents von ihm geschwunden ist 135".

134a Der Protokoll entwurf motiviert dies mit der Feststellung, "daß die Frage, ob Ruß-
land bei einem bewaffneten Konflikt mit einem dritten Staat der Angreifer ist, mit binden-
der Wirkung für Deutschland nur mit dessen eigener Zustimmung entschieden werden
kann". Er setzt allerdings interessanterweise folgende Unterstellung voran: "Da ein der-
artiger Angriffskrieg nicht in den Absichten der Politik der UdSSR liegt, scheidet die
Möglichkeit eines Sanktionsverfahrens gegen Rußland von vornherein aus." Die Friedens-
liebe der Sowjets bleibt also Voraussetzung.
135 Aufzeichnungen Stresemanns über seine Verhandlungen mit Tschitscherin vom
22.12.1925. Mikrofilm Rolle 3165. Teilabdrutk Vermächtnis 11 S. 35 H.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 69

Leider sind wir noch zu wenig über den Fortgang der Verhandlungen
unterrichtet, um die Umwandlung des Protokoll-Entwurfs in den schließlich
unterzeichneten Wortlaut des Berliner Vertrags im einzelnen verfolgen und
beleuchten zu können. Die 8 Punkte vom Dezember 1925 haben noch ein-
mal eine Umformung erfahren, in der bereits der Wille zu einer Betonung
verpflichtender Bindungen zu spüren ist. Doch bleibt immer noch die Diskre-
panz zwischen dem Gedanken eines freieren Protokolls, wie ihn die deutsche
Regierung vertrat, und einem formellen Vertrag nach der Intention der
sowjetischen Politik bestehen. Sie wird erst unter noch unbekannten poli-
tischen Voraussetzungen im Sinne der russischen Forderungen überwunden,
als auf einer Sitzung des Reichskabinetts vom 26. Februar 1926 die Entschei-
dung für einen formellen Vertrag mit der Sowjetunion fällt 136, kurze Zeit
nachdem Deutschland am 8. Februar den formellen Aufnahmeantrag in
den Völkerbund gestellt hatte. Am Tage der Kabinettssitzung noch ging
dem deutschen Botschafer in Moskau der Entwurf eines deutsch-russischen
Neutralitätsvertrags mit einem beigefügten Protokoll zu, das aber nun
bereits in die Form des Notenwechsels umgegossen war, wie er nachher dem
Berliner Vertrag angehängt wur,de 137.
Dieser Entwurf entsprach im wesentlichen schon dem Wortlaut des end-
gültigen Vertrags. Die einzige Änderung von einiger Bedeutung betraf den
Artikel2, dessen Entwurf von Neutralitätswahrung dervertragschließenden
Teile »im Falle eines unprovozierten Angriffs auf eine der beiden Mächte
durch eine dritte" gesprochen hatte. Hier verlangten die Russen eine Ab-
änderung, die schließlich in der den Defensivcharakter ,des Vertrags abschwä-
chenden Formel »trotz friedlichen Verhaltens" gefunden wurde.
Es war ein großes, in seinen Motiven noch nicht aufgeklärtes Zugeständ-
nis der deutschen Regierung, daß sie am Ende sich doch zu einem formellen
Neutralitätsvertrag bereitfand. Stresemann brachte dies in seinem Erlaß
an Brockdorff-Rantzau nachdrücklich zum Ausdruck und bemerkte, daß
nach deutscher Ansicht die bisher vorgeschlagene Protokollform den beider-
seitigen Interessen dienlicher gewesen wäre, weil sie eine freiere Darstellung
der politischen Gedankengänge ermöglicht hätte. Mit Rücksicht auf die
Wünsche Tschitscherins habe die Deutsche Reichsregierung jedoch von einer
136 G. Hilger a. a. O. S. 146. Interessant ist, daß die von Rabenau a. a. O. vorgelegten
Seeckt-Briefe für die entscheidende Zeit zwischen Januar und März 1926 eine intensive
Verhandlungstätigkeit Seeckts mit den Russen erkennen lassen (S. 429 f.).
137 G. Hilger a. a. 0 S. 147. Diesen Hinweis übersieht Gatzke, a. a. O. S. 23, wenn er
sagt, daß dem Vertragsentwurf "das Protokoll, d. h. der Gaussche Entwurf" als Anhang
beigegeben war. Eben dies trifft nicht zu.
70 Theodor Schieder

weiteren Erörterung des Protokoll gedankens Abstand genommen und ver-


sucht, den bisherigen Protokollentwurf in die Form bindender Vertrags-
klauseln zu kleiden 138. Durch diesen Hinweis wird auch jede Vermutung
unwahrscheinlich gemacht, wenn nicht ausgeschlossen, daß neben dem offi-
ziellen Vertragswerk etwa noch ein geheimes Protokoll mit der weitergehen-
den Erklärung des früheren Entwurfs, der Kriegsfall zwischen Deutschland
und der Sowjetunion sei nur eine theoretische Möglichkeit ohne realpoli-
tische Bedeutung, existiert haben sollte 139. Eine solche Erklärung hätte ohne-
dies viel von ihrer realen Bedeutung eingebüßt, seitdem ein formeller Neu-
tralitätsvertrag bestand, der allerdings nicht für den Fall gelten sollte, daß
die Sowjetunion oder auch Deutschland selbst zum Angriff schritt. Doch gab
die Reichsregierung in ihrer .dem Vertrag beigegebenen Note Versicherun-
gen, daß sie auch für diesen Fall durch eine Mitgliedschaft im Völkerbund
sich ihrer Handlungsfreiheit nicht begeben, d. h. ihre Neutralität nicht von
vornherein preisgeben wollte. Das war weniger, als das, was die Sowjet-
union ursprünglich gefordert hatte, aber mehr, als sie nach dem Abschluß
des Locarno-Pakts und dem damit grundsätzlich entschiedenen Völker-
bundseintritt Deutschlands erwarten konnte. Möglicherweise war der Ver-
zicht auf eine generelle Neutralitätsverpflichtung der Preis, den die Sowjet-
politiker für das Entgegenkommen Deutschlands in der Vertrags frage
bezahlten. "Bindende Vertragsklauseln" mußten ihrer Natur nach präziser,
aber auch eingeschränkter sein als die in einem Protokoll mögliche "freiere
Darstellung der politischen Gedankengänge", schon deshalb weil die not-
wendige Registrierung des Vertrags beim Völkerbund Stipulationen aus-
schloß, die offenkundig Deutschlands Völkerbundsverpflichtungen ver-
letzten.
Doch damit sind wir den Tatsachen schon vorausgeeilt. Noch bis zuletzt
wird der Verhandlungs gang durch die nach Ost und West gerichtete Politik
Stresemanns bestimmt: die zitierte Anweisung des Außenministers an Brock-
dorff-Rantzau enthält auch die Verfügung, daß der Vertrag erst unterzeich-
net werden könne, wenn die bevorstehende Tagung in Genf eine endgültige
Entscheidung über den Eintritt bzw. Nichteintritt Deutschlands in den
Völkerbund gebracht habe 140. Erfolge die Unterzeichnung vor Genf, so

138 Aus dem Erlaß Stresemanns an Brockdorff-Rantzau vom 26. Februar 1926 nach
einem Exzerpt von Botschaftsrat a. D. G. Hilger aus den Akten des auswärtigen Amtes,
das mir freundlicherweise von Herrn Hilger zur Verfügung gestellt wurde.
189 Diese Möglichkeit wird von W. Gatzke a. a. 0., S. 24 angedeutet.
140 Hilger a. a. 0., S. 147.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 71

würde dies den Eindruck erwecken, "als ob wir den Eintritt als feststehende
Tatsache ansehen, was den diplomatischen Kampf in der Frage des Rats-
sitzes zu unserem Nachteil präjudizieren könnte". Hieraus kann man wohl
schließen, daß die Rücksicht auf die Ereignisse im Völkerbund, auf die sich
schon vor seiner Sitzung abzeichnenden Schwierigkeiten, den deutschen
Wunsch nach einem ständigen Ratssitz zu erfüllen, schließlich den Ausschlag
dafür gegeben hat, daß die deutsche Regierung die Verhandlungen mit der
Sowjetunion nicht an einer starren Haltung in der Neutralitätsfrage schei-
tern lassen wollte.
Der Berliner Vertrag in dem Wortlaut, in dem er schließlich am 24. April
1926 ans Licht der öffentlichkeit getreten ist, läßt äußerlich kaum Spuren
davon erkennen, daß er das Ergebnis langer Verhandlungen mit sehr ver-
schiedenen Unterhandlungszielen gewesen ist, höchstens die Teilung in einen
in präzisen Artikeln festgelegten Text und einen zum Vertragswerk gehö-
renden, aber vom Haupttext abgesetzten Norenaustausch zwischen Strese-
mann und dem Sowjetbotschafter deutet darauf hin. Inhaltlich unterschei-
Jen sich die beiden Teile dadurch, daß nur die Annexe von der Tatsache
Kenntnis nehmen, daß Deutschland Völkerbundsverpflichtungen auf sich zu
nehmen im Begriffe war. Sie stellen gleichsam die Nahtstelle dar, an der
die beiden Vertragswerke im Westen und Osten miteinander verknüpft
sind. Juristisch ist in dieser Naht kein Bruch; denn alle Vorbehalte, die
Stresemann hinsichtlich der Sanktions artikel in seiner Note an Krestinski
formulierte, standen formell im Einklang mit Deutschlands künftigen Ver-
pflichtungen als Völkerbundsmitglied: Die Feststellung sowohl, daß die
Frage, ob die UdSSR bei einem bewaffneten Konflikt mit einem dritten
Staate der Angreifer sei, mit hindender Wirkung für Deutschland nur mit
dessen eigener Zustimmung entschieden werden könne, und die dadurch ge-
gebene Einschränkung, "an irgendwelchen auf Grund des Art. 16 eingelei-
teten Maßnahmen teilzunehmen", wie schließlich die durch das V ertmgs-
werk von Locarno selhst geschaffene Auslegung des Artikels 16.
Die politische Realisierung dieser doppelten Verpflichtungen - hier Neu-
tralität, dort, wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen, Teilnahme an
Sanktionen - mußte hingegen als eine weit kompliziertere Aufgabe erschei-
nen. Es kann nicht bestritten werden, daß Stresemann an die Möglichkeit
dieser Realisierung ernsthaft geglaubt hat; er war ehrlich bestrebt, nur Ver-
pflichtungen zu übernehmen, die Deutschland mit seinen politischen und
militärischen Gegebenheiten nach Versailles tatsächlich erfüllen konnte. Er
wollte aber auch andererseits keine Bindungen eingehen, die dem Deutschen
72 Theodor Schieder

Reiche den Weg versperrten, seine nationalen Interessen auf friedlichem


Wege zu wahren. Dies galt in erster Linie für die deutschen Grenzen im
Osten, deren Revision zweifellos ein Fernziel der Stresemannschen Politik
blieb, worüber er sich mit Seeckt, Brockdorff-Rantzau und Josef Wirth
einig war. Fraglos hat diese prinzipiell antipolnische Richtung die deutsche
Außenpolitik nach Versailles unelastischer auch in ihren großen Entschei-
dungen gemacht, als von der späteren Entwicklung her gesehen gerecht-
fertigt erscheint. Stresemann allerdings zu unterstellen, er habe seine west-
liche, "europäische" Politik ausschließlich zu dem Zweck betreiben wollen,
um machiavellistisch-doppelzüngig hinter ihrem Schleier nationale Macht-
politik im Osten aufzubauen, läßt sich durch nichts beweisen. Rückblickend
muß eher sein Versuch gewürdigt werden, europäische und nationale Po-
litik nicht im Sinne späterer Entscheidungen und Ereignisse als sich aus-
schließende Gegensätze zu verstehen. Im übrigen darf kaum übersehen wer-
den, daß der unmittelbare Sinn seiner auf Polen gerichteten Ostpolitik fürs
nächste zweifellos defensiv gewesen ist: er wollte mit den diplomatischen
Mitteln des West- und Ostpakts Polen, dessen ausgreifende Territorial-
wünsche durch die Grenzziehung von 1919 teilweise unbefriedigt geblieben
waren, die Möglichkeit nehmen, eigenmächtige Korrekturen vorzunehmen.
Der Berliner Vertrag ist Bestandteil einer Sicherheits- und Gleichgewichts-
politik, wie sie eine Macht treiben konnte, deren potentielle Bedeutung
allgemein hoch eingeschätzt, vielleicht sogar überschätzt wurde, deren reale
Stärke aber weit hinter dieser zurückblieb. Dieses Rechnen mit Deutsch-
land als einer potentiellen Macht setzte Stresemann in seine Überlegungen
ein; es unterscheidet etwa auch den Berliner Vertrag von 1926 vom Rück-
versicherungsvertrag von 1887, wo noch zwei vergleichsweise gleichstarke
Mächte miteinander verhandelt hatten. Vielleicht mag sich aus solchen Im-
ponderabilien das Übergewicht der juristischen Formeln im Stresemannschen
Vertragswerk erklären, die überdifferenzierte Unterscheidung rechtlicher
Möglichkeiten, die politisch gesehen stets einen viel komplexeren Charakter
haben mußten.
Im Verhältnis zu Rußland wird zwar 1926 der Rapallo-Vertrag als
"Grundlage" der deutsch-rus,sischen Beziehungen beibehalten, indessen tritt
doch eine Verschiebung der Akzente ein: das Prinzip des Rapallo-Vertrags,
Ostpolitik mit nicht fixierten Verpflichtungen sozusagen auf wirtschaft-
lichen und militärischen Nebengeleisen zu treiben, wird durch einen poli-
tischen Neutralitätspakt mit präzisen Verpflichtungen ersetzt. Das war
zweifellos ein Fortschritt über den 1922 erreichten Punkt hinaus und es traf
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 73

im buchstäblichen Sinne nicht zu, wenn Stresemann am 26. April 1926 vor
der Presse erklärte, im Grunde bringe der Vertrag politisch nichts Neues 141.
Das konnte man höchstens insofern sagen, als auch im Rapallo-Vertrag ein
faktischer Neutralitätswille sich kundgab. Entscheidend ist aber etwas an-
deres: der Vertrag von Rapallo war ein Abkommen mit der größten Ost-
macht ohne Ausgleich im Westen, ein taktischer Schachzug gegen die west-
liche Welt. Der Vertrag von Berlin versucht der deutschen Politik in der
Mitte zwischen Ost und West nach beiden Seiten Sicherheit und Luft zum
Atemholen zu verschaffen, am Rheine durch den Abzug der Besatzung und
an den östlichen Grenzen, indem er die Weichen diplomatisch so stellte, daß
die Hoffnung auf eine territoriale Revision auf friedlichem Wege genährt
wurde, so problematisch diese Hoffnung gewesen sein mag. Man kann ge-
gen di'ese Politik einwenden, daß sie zu kleinräumig-europäisch im tradi-
tionellen Sinnangel.egt war, und zwar die aufsteigende sowjetische Welt-
macht miteinbezog, nicht aber die Vereinigten Staaten von Amerika auf der
Gegenseite. Als der Locarno-Vertrag 1936 auf seine Probe gestellt wurde,
wirkte sich die Abwesenheit der USA zweifellos dahin aus, daß das Garan-
tiesystem nicht funktionierte, noch dazu da es sich durch den politischen Ge-
gensatz der beiden europäischen Garantiernächte gegeneinander in der Abes-
sinien-Krise sozus.agen selbst aufhob. Zu einer ähnlichen Bewährungsprobe
des Berliner Vertrags ist es nicht gekommen; seine gleichgewichtspolitische
Bedeutung in der kurzen Spanne der sieben Jahre, in denen er überhaupt
wirkliches Gewicht hatte, lag mehr in den indirekten Einflüssen, die von
ihm etwa auf das deutsch-polnische Verhältnis ausgingen.
Die Gründe dafür, daß das Sicherheitssystem von 1925/26 nach kaum
einem Jahrzehnt seiner Geltung zusammengebrochen ist, müssen jedoch
weniger in seinem gleichgewichtspolitischen Versagen als in der Unangemes-
senheit seiner Mittel und Möglichkeiten angesichts der Gefahren eines Zeit-
alters der entfesselten revolutionären Kräfte im Innern der Staaten und in
ihren gesellschaftlichen Ordnungen gesucht werden. Man denkt an das Wort
Jakob Burckhardts: "Seitdem die Politik auf innere Gärungen der Völker
gegründet ist, hat alle Sicherheit ein Ende." Im deutsch-russischen Verhält-
nis war dieser Instabilitätsfaktor schon 1923 in erschreckendem Maße her-
vorgetreten. Rapallo bot damals keine "Sicherheit" gegen einen durch die
Komintern gesteuerten Aufstand. Im Jahre 1926 schienen die Fluten der
sowjetischen Politik in das geordnete Bett zwischenstaatlicher Diplomatie

141 Stresemann, Vermächtnis II 510.


74 Theodor Schieder

und Gleichgewichtspolitik zurückzutreten 142. Die Frage der Sicherheit gegen


kommunistische Pmpaganda und Infiltration ist daher offensichtlich in den
Verhandlungen von 1926 nicht erörtert worden. Aber in dem Moment, in
dem dann die deutsche Politik durch revolutionäre Maßlosigkeit entartete,
geriet auch die Sowjetpolitik wieder in das Fahrwasser expansiver Strö-
mungen. Als den sowjetischen Staatsmännern im Kreml im August 1939 als
deutsche Verhandlungspartner Revolutionäre ohne die Hemmungen und
Rücksichten eines Stresemann gegenübertraten, zögerten sie keinen Augen-
blick, den Kriegsbund gegen Polen zu schließen, der in ihren Plänen oft
angedeutet, aber nie zuvor verwirklicht worden war. Er hat den zweiten
Weltkrieg erst möglich gemacht, durch den dann das Verhältnis Deutsch-
lands und Europas zur Sowjetmacht von Grund auf verändert wurde. Als
am Ende dieses Krieges die Sowjets im Herzen Deutschlands standen, war
jener Prozeß der überflü,gelung der europäischen Dimensionen durch die
russische Kolossalmacht auf ihrem Höhepunkt angelangt. Deutschland war
in den Strudel dieser Bewegung hineingerissen, aus seiner Mittellage war
endgültig eine Randlage im europäischen Vorland der eurasischen Welt-
macht geworden. Die Rede von einer neuen Rapallo-Politik im gegenwär-
tigen Augenblick hat damit ihre Voraussetzungen eingebüßt, es sei denn,
sie wäre nur noch ein Spiel mit Worten oder mit Illusionen.

142 VgI. die Rede Stalins vom 9. 6. 1925, in der er ausspricht, die Politik der Sowjet-
union müsse von der Annahme ausgehen, daß sie in den nächsten 15 Jahren keine Stütze
in einer Revolution des westeuropäischen Proletariats finden werde. Zitiert von I. Deut-
scher, Stalin (Stuttgart 1951) S. 409.
Anlagen

Die folgenden Dokumente sind dem Nachlaß Stresemann (Mikrofilm


Rolle 3165) entnommen. Es handelt sich durchweg offensichtlich um Ab-
schriften, die sich Stresemann für seinen eigenen Gebrauch von den amt-
lichen Schriftstücken herstellen ließ.

1. Zusammenfassung der von dem Deutschen Botschafter in Moskau


am 7. April 1925 im Namen der Reichsregierung dem Herrn
Volkskommissar Litwinow gemachten Mitteilungen.
(Streng vertraulich)

Bei der Beurteilung der außenpolitischen Situation, in der sich Deutsch-


land gegenwärtig befindet, muß mit der Erörterung der F~age begonnen
werden, die historisch und sachlich den Ausgangspunkt dieser Situation
bildet, nämlich der Frage der Räumung der nördlichen Rheinlandzone. Die
Deutsche Regierung hat von vornherein damit gerechnet, daß die Franzö-
sische Regierung nicht zur Räumung zu bringen sein wird, wenn nicht in
irgendeiner Form das sogenannte Sicherheitsbedürfnis Frankreichs befrie-
digt wird. Frankreich ist durch das Fälligwerden des Termins vom 10. Januar
vor die Frage gestellt worden, ob es sich mit der s. Zt. in VersaiIles von
England und Amerika gegen die französische Militärpartei durchgesetzten
Lösung der Rheinlandfrage abfinden oder aber die Möglichkeit zur Weiter-
verfolgung der Pläne jener Militärpartei in der Hand behalten will. Die
gegenwärtige Französische Regierung scheint an sich nicht abgeneigt zu sein,
sich für die erste Alternative zu entscheiden. Sie ist aber nicht gewillt oder
jedenfalls nicht imstande, ,diese Entscheidung zu treffen und zu verwirk-
lichen, wenn sie Frankreich dabei nicht einen Ersatz verschafft für die 1919
in Versailles projektierten und dann hinfällig gewordenen Garantiever-
träge mit Amerika und England, die das von Wilson und Lloyd George
zugestandene Ergänzungsstück zu der [Regelung] der Rheinlandfrage im
Versailler Vertrag darstellten. Das gilt um so mehr, nachdem Herr Cham-
berlain jetzt das Genfer Protokoll zu Fall gebracht hat, das unter Umstän-
76 Theodor Smieder

den ein geeignetes Mittel gewesen wäre, die Machtmittel der Völkerbunds-
staaten in ein System zur Niederhaltung Deutschlands einzuspannen.
Frankreich würde es natürlich am meisten begrüßen, wenn als Ersatz der
früheren Garantieverträge und des Genfer Protokolls ein französisch-eng-
lisch-belgischer Pakt zustandekäme, dessen Wirksamkeit noch durch präzise
militärische Bindungen Englands verstärkt wäre. Vom deutschen Stand-
punkt aus hätte an sich wohl erwogen werden können, ob es nicht das Beste
für Deutschland sei, diesen französischen Wünschen freie Bahn zu lassen.
Aber abgesehen davon, daß ein Pakt zwischen den Alliierten sich direkt
gegen Deutschland gerichtet und die Entente verewigt hätte, war diese
Möglichkeit deshalb von vornherein auszuscheiden, weil England den Drei-
mächtepakt kategorisch ablehnt. Unter diesen Umständen war für die
Reichsregierung die aktive Beteiligung an der Lösung der Sich,erheitsfrage,
die nach den gegebenen Verhältnissen nun einmal die Voraussetzung für die
Befreiung des Rheinlandes bildet, ein Gebot der Notwendigkeit. Gelingt
auch auf diesem Wege die Lösung des Sicherheitsproblems nicht, so wird
Frankreich zweifellos für eine derartige überspannung der an Deutschland
gestellten Entwaffnungsforderungen sorgen, daß es in absehbarer Zeit nicht
zu einer Bereinigung der Entwaffnungsfrage, nicht zu einer Beseitigung der
interalliierten Militärkontrolle und nicht zu einer Räumung der Kölner
Zone kommt. Selbst wenn sich aber Frankreich unter dem Drucke Englands
und vielleicht auch Amerikas schließlich doch zur Räumung der Kölner Zone
gezwungen sehen sollte, würde es alles daran setzen, dann wenigstens unter
Ausnutzung der im Artikel 213 des Versailler Vertrags vorgesehenen Völ-
kerbundskontrolle permanente militärische Kontrollorgane in den geräum-
ten Gebieten zu stationieren. Diese Kontrollorgane würden nicht nur eine
Verewigung der Militärkontrolle bedeuten, sondern auch stets einen geeig-
neten Ansatzpunkt für die Weiterverfolgung der französischen Rheinland-
pläne darstellen.
Aus diesen Erwägungen ist die deutsche Aktion in der Sicherheitsfrage
hervorgegangen. Es lag auf der Hand, daß sie, wenn überhaupt, nur dann
einen Effekt haben würde, wenn sie die Garantierung der Rheingrenzen in
sich schloß. Der darin liegende Verzicht kann nicht als ein realpolitisches
sondern nur als ein gefühlsmäßiges Opfer bewertet werden. Daß dies auch
die Ansicht aller sachlich denkenden deutschen Politiker von rechts nach
links ist, wird durch die kritischen Bemerkungen der extremen deutschen
Presseorgane nicht widerlegt. Die politische Aufgabe Deutschlands im
Westen ist eben auf unabsehbare Zeit hinaus nicht die Revision des Ver-
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 77

sailler Vertrages, sondern die Zurückweisung Frankreichs in die in diesem


Vertrag festgelegten Grenzen, das heißt die Sicherung des Rheinlandes.
Auf der anderen Seite ist deutscherseits von der ersten diplomatischen
Unterhaltung an für die Mitarbeit an dem Sicherheitsproblem ganz klar die
conditio sine qua non gestellt worden, daß es nicht zu einer Lösung kom-
men dürfe, die in irgendeiner Form auf die Anerkennung unserer Grenzen
im Osten abgestellt sei. Lediglich um der Französischen Regierung einen
Ersatz für die in früheren Stadien der Sicherheitsfrage stets verlangte Ein-
beziehung Polens in den Sicherheitspakt zu bieten, ist mit den deutschen
Anregungen die Erklärung verbunden worden, daß die Reichsregierung
zum Abschluß von Schiedsverträgen mit allen ihren Nachbarstaaten bereit
sei. In der Tat sind derartige Schiedsverträge zwar eine Bekundung des
Friedenswillens, aber kein Verzicht auf die politischen Ziele, die Deutsch-
land hinsichtlich seiner Ostgrenzen verfolgen muß. Der polnische Ansturm
gegen die deutsche Aktion zeigt denn auch, daß man in Warschau in einem
Schiedsvertrag nicht etwa nur eine im Vergleich mit einem Garantiepakt
ungenügende Sicherung der polnischen Grenzen, sondern umgekehrt eine
direkte Bedrohung dieser Grenzen sieht. Wenn das Letztere auch eine Ent-
stellung der ,deutschen Absichten ist, so erbringt es doch jedenfalls den Beweis
dafür, daß das Angebot eines Schiedsvertrages nirgends als Verzicht auf die
politischen Forderungen Deutschlands gegenüber Polen aufgefaßt werden
konnte und aufgefaßt worden ist.
Nun ist nicht zu leugnen, daß die vorteilhafte Wirkung, die die Sicher-
heitsaktion im ersten Stadium zeitigte, durch das Hineinziehen der Völker-
bundsfrageeine ernste Belastung erfahren hat. Die Herren Chamberlain
und Herriot haben neuerdings ganz eindeutig in der öffentlichkeit erklärt,
daß der Eintritt Deutschlands die Vorbedingung für das Zustandekommen
eines Sicherheitspaktes auf der deutscherseits angebotenen Grundlage sei.
Das wird verständlich, wenn man bedenkt, daß die Alliierten die Zugehörig-
keit Deutschlands zum Völkerbund in höherem Maße als einen bloßen
Schiedsvertrag als geeignet ansehen würden, die polnischen Aspirationen zu
beruhigen und Frankreich über das Begräbnis des Genfer Protokolls zu
trösten. England möchte den kontinentalen Verwicklungen ein Ende
machen, um freie Hand für die Verfolgung seiner anderweitigen Ziele zu
gewinnen. Da es sich Frankreich gegenüber in ,der Sicherheitsfrage stark
engagiert fühlt, da es jedoch einen alliierten Dreimächtepakt und ebenso die
Beteiligung an einem Pakte zugunsten Polens ablehnt, sieht es die gegebene
Lösung in der Benutzung des deutschen Angebots. Andererseits glaubt man
78 Theodor Schieder

in London, die Französische Regierung für einen Sicherheitspakt mit Deutsch -


land ohne Beteiligung Polens und ohne den Zusatz einer französisch-eng-
lischen Militärkonvention nur dann gewinnen zu können, wenn ein solcher
Pakt wenigstens mit dem Anschluß Deutschlands an den Völkerbund ver-
bunden wird.
Es ist indes, wie nicht verkannt werden soll, sehr wohl möglich, daß zu
diesen nächstliegenden Gründen noch andere, tiefere hinzukommen. Viel-
leicht sieht man sowohl in London wie in Paris trotz oder gerade wegen
der Schwäche der Genfer Institution in ihr ein geeignetes Mittel, um
Deutschland fester an das Versailler Diktat zu binden und ihm den Weg
nach dem Osten zu verbauen. Es ist bemerkenswert, wie deutlich und nach-
drücklich vor kurzem z. B. Balfour auf die Gefahr hingewiesen hat, daß
Deutschland durch die Gefährdung des Rheinlandes schließlich in die Arme
Rußlands getrieben werden müsse.
Damit sieht sich die Reichsregierung unmittelbar vor die russische Frage
gestellt. Aus den Erklärungen Herrn Krestinskis und den Ausführungen des
kommunistischen Wortführers Rosenberg im Reichstag schien hervorzu-
gehen, daß man in Moskau in unseren bisherigen Schritten keinerlei Beein-
trächtigung der deutsch-russischen Beziehungen sieht. Tatsächlich würde die
Reichsregierung auch für eine andere Auffassung kein Verständnis haben.
Wenn die Sowjet-Regierung ein Interesse an einer Vertiefung der deutsch-
russischen Beziehungen hat, muß sie zugleich ein Interesse daran haben, daß
Deutschland seinen politischen Schwächezustand überwindet und wieder zu
einem beachtenswerten Faktor in der europäischen Politik erstarkt. Das ist
nicht anders möglich, als daß das deutsche Gebiet aus der französischen Um-
klammerung befreit wird. Die Politik der Reichsregierung im Westen ist
nichts anderes als die Abwehr derjenigen Bestrebungen des französischen
Imperialismus, welche die Existenz Deutschlands unmittelbar bedrohen.
Erst mit dem Aufwerfen der Völkerbundsfrage ist in die Situation ein
Moment hineingetragen worden, das das Verhältnis Deutschlands zu Ruß-
land unmittelbar berührt. Von dem ersten Augenblick an, wo ,das Bestreben
der Alliierten erkennbar wurde, bei dieser Gelegenheit den Eintritt Deutsch-
lands in den Völkerbund herbeizuführen, ist von deutscher Seite in den
diplomatisch,en Unterhaltungen offen zum Ausdruck gebracht worden, daß
die Reichsregierung nicht in der Lage und nicht gewillt sei, dem Völker-
bunde das deutsche Verhältnis zu Rußland zu opfern. Auch die bekannten
Vorstellungen gegen die uneingeschränkte Anwendung des Artikels 16 der
Völkerbundssatzung auf Deutschland waren im Grunde nichts anderes als
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 79

die Betonung des Standpunktes, daß Deutschland sich nicht in einen gegen
Rußland gerichteten Mächteblock hineinziehen lassen kann.
Nachdem jetzt die Antwort des Völkerbundsrates auf die deutsche Note
vom 12. Dezember v. J. eingegangen ist, muß sich die Reichsregierung dar-
über klar werden, welche reale Bedeutung ihre bisherigen Bedenken haben,
insbesondere ob und inwieweit die Folgen der Artikel 16 und 17 eine nicht
zu beseitigende Belastung der ,deutsch-russischen Beziehungen darstellen. Es
läßt sich im Augenblick nicht übersehen, ob die Alliierten von der Reichs-
regierung schon in nächster Zeit eine präzise Stellungnahme zu der Eintritts-
frage verlangen werden. Da jedoch die ganze Einstellung der deutschen
Politik bei der bevorstehenden Diskussion von dieser Frage abhängt, darf
ihre Prüfung nicht länger hinausgeschoben werden.
Bei der Abwägung der verschiedenen Argumente und Gegenargumente
soll auf die realen Vorteile, die der deutsche Anschluß an den Völkerbund,
abgesehen von der Rheinlandfrage, mit sich bringen würde, kein besonderes
Gewicht gelegt werden. Die sich für Deutschland als Bundesmitglied bie-
tende Möglichkeit, wirksamer als bisher für die deutschen Minoritäten, für
die Interessen des Saargebietes und Danzigs und für die Gewinnung von
kolonialen Mandaten einzutreten, ist zwar sehr wertvoll, im Rahmen der
großen Politik jedoch nicht von primärer Bedeutung. Auf der anderen Seite
können aber auch die mehr gefühlsmäßigen allgemeinen Gründe, die man
gegen den Eintritt geltend zu machen pflegt, nicht als ausschlaggebend an-
gesehen werden. Gewiß, Deutschland würde sich einer Organisation an-
schließen, die allein von den Siegermächten geschaffen und von ihnen bisher
in erster Linie als Instrument gegen Deutschland benutzt worden ist. Man
könnte den Eintritt ferner so auffassen, als ob er eine nochmalige Bestäti-
gung der bestehenden Verträge, einschließlich des Versailler Vertrages, in
sich schlösse. Alles das sind aber doch Dinge, die keine unmittelbare real-
politische Bedeutung haben, zumal der Nachteil der Anerk1ennung der Ver-
träge wesentlich verringert werden würde durch die Erklärung zur Schuld-
frage, die in das an die Ratsregierungen gerichtete Memorandum vom
September v. J. aufg,enommen wurde, und die nötigenfalls in dem Eintritts-
gesuch wiederholt werden könnte. Ebensowenig brauchte die Reichsregierung
sich durch die Tatsache beirren zu lassen, daß sich die Vereinigten Staaten
vom Völkerbunde fernhalten. Es besteht Grund zu der Annahme, daß man
in Washington den deutschen Eintritt nicht unfreundlich aufnehmen würde.
Von ausschlaggebender Bedeutung für die Reichsregierung ist dagegen die
Frage, ob die Zugehörigkeit Deutschlands zum Völkerbund die Aufrecht-
80 Theodor Schieder

erhaltung der deutsch-russischen Beziehungen notwendig erschweren oder


gar unmöglich machen würde. Es wäre nicht richtig, diese Frage einfach mit
der allgemeinen Antwort abzutun, daß der Eintritt eine endgültige Resig-
nation gegenüber dem Versailler Vertrag oder eine Schwenkung der deut-
schen Politik nach dem Westen bedeute. Es ist vielmehr unumgänglich, die
einzelnen Folgen, die der Eintritt mit Beziehung auf Rußland haben würde,
ganz konkret ins Auge zu fassen und so den richtigen Maßstab für die
Beurteilung jener Frage zu gewinnen. Dabei ist vor allem zu beachten, daß
die Einräumung eines ständigen Sitzes im Völkerbundsrat nach den Ant-
worten der Ratsmächte auf das deutsche Memorandum und nach der jetzt
vorliegenden Antwort des Völkerbundsrates selbst als gesichert angesehen
werden muß. Diese Tatsache stellt gegenüber der Situation, wie sie im
Herbste v. J. zur Zeit der Absendung des deutschen Memorandums bestand,
ein wesentliches Novum dar. Da nach der Satzung alle irgendwie wichtigen
Beschlüsse des Rates, insbesondere alle Beschlüsse über die in den Artikeln
16 und 17 vorgesehenen Exekutionsmaßnahmen, einstimmig gefaßt werden
müssen, würde Deutschland als Ratsmitglied über jede gegen Rußland
geplante Aktion des Bundes mitzuentscheiden haben. Das deutsche Veto
könnte jede derartige Aktion verhindern. Eine Abänderung dieser Satzungs-
bestimmung braucht praktisch nicht befürchtet zu werden, da sie nach der
Satzung wiederum die Zustimmung aller Ratsmächte voraussetzt.
Ferner ist zu berücksichtigen, daß Deutschland selbst bei einer mit seiner
Zustimmung beschlossenen Bundesexekution noch nicht ohne weiteres zur
Teilnahme daran verpflichtet wäre. Auch die Durchführung der Exekution
im einzelnen hängt stets von den Entschließungen des Völkerbundsrats ab,
so daß Deutschland auch in dieser Hinsicht weiten Spielraum für seine eigene
Stellungnahme behielte.
Hiernach kann keineswegs als feststehend angesehen werden, daß die
Verpflichtungen aus den Artikeln 16 und 17 ein unüberwindliches Hinder-
nis für die Aufrechterhaltung der deutsch-russischen Beziehungen darstellen
würden. Man wird unbedenklich sagen können, daß Deutschland, rein prak-
tisch genommen, durch diese Artikel in den meisten denkbaren Fällen die
Möglichkeit der Neutralität gegenüber Rußland nicht verliert. Es ist aber
zuzugeben, daß damit die Frage noch nicht erledigt ist. Denn es ist offen-
sichtlich, daß die Zugehörigkeit Deutschlands zum Völkerbund seine all-
gemeine politische Bewegungsfreiheit unter Umständen einschränken könnte.
Wenn man z. B. den Fall annehmen wollte, daß Ereignisse eintreten, die
eine Zurückdrängung Polens in seine ethnographischen Grenzen unmittelbar
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 81

in den Bereich der Möglichkeit rücken, so würde ein aktives Eingreifen


Deutschlands durch seine Zugehörigkeit zum Völkerbunde zum mindesten
stark gehemmt werden. Das ist fraglos ein Moment von großer Tragweite.
Andererseits wird diese Tragweite aber durch die Erwägung eingeschränkt,
daß Deutschland in einem solchen Falle auch als Nichtmitglied des Bundes
mit der sicheren Gegnerschaft der Ententemächte, zum mindesten Frank-
reichs, Belgiens und der Tschechoslovakei, zu rechnen hätte und demnach
praktisch für absehbare Zeit an einem aktiven Vorgehen gegen Polen ohne-
hin gehindert wäre.
Bei Berücksichtigung aller dieser Umstände dürfte es das Richtige sein,
die Frage der künftigen Gestaltung der deutsch-russischen Beziehungen jetzt
nicht allgemein oder abstrakt, sondern in der konkreten Form anzuschnei-
den, daß mit der Regierung der U.d.S.S.R. offen und aufrichtig die vor-
stehend in großen Zügen angedeuteten Verhältnisse erörtert werden, die
sich aus einem etwaigen Eintritt Deutschlands in den Völkerbund ergeben
würden. Die Regierung der U.d.S.S.R. müßte sich davon überzeugen, daß
dieser Eintritt nicht eine grundsätzliche Schwenkung der deutschen Politik
bedeuten würde, daß er vielmehr, ebenso wie die Londoner Vereinbarungen
über das Dawes-Gutachten oder das Angebot eines regionalen westlichen
Garantiepaktes, nichts anderes wäre als eine Defensive gegen die drohenden
übergriffe der französischen Politik. Die Regierung der U.d.S.S.R. müßte
sich ferner klarmachen, daß eine etwaige Einschränkung der deutschen Ak-
tionsfreiheit, gerade vom russischen Standpunkt aus, doch vielleicht auf-
gewogen würde durch die für Deutschland bestehende Möglichkeit, innerhalb
des Völkerbundes als Ratsmitglied allen antirussischen Tendenzen entgegen-
zuwirken. Wenn die Regierung der U.d.S.S.R. auf diese Gedankengänge
eingeht, würde damit zugleich die Klärung der Frage angebahnt werden,
ob und in welcher Weise etwa eine positive Verständigung über allgemeine
politische Ziele möglich wäre.
Bei alledem bleibt zu berücksichtigen, daß der Eintritt in den Völker-
bund für die Reichsregierung keineswegs etwa eine schon beschlossene Sache
ist. Auf keinen Fall wird sie eine endgültige Entscheidung treffen, bevor
sichergestellt ist, daß der ganze akute Problemenkomplex, also die Entwaff-
nungs- und Räumungsfrage, die Sicherheitsfrage und die Frage der Ein-
richtung ständiger Kontrollinstanzen im Rheinland, im Sinne der deutschen
Wünsche geregelt wird. Dabei kann unter einer Regelung der Sicherheits-
frage im deutschen Sinne niemals eine Regelung verstanden werden, die in
irgendeiner Form die Anerkennung oder Garantierung der deutschen Ost-
82 Theodor Sdlieder

grenzen in sich schlösse. Auch eine weitere Klärung der nach der Note des
Völkerbundsrats noch bestehenden Zweifel hinsichtlich der deutscherseits
gemachten Vorbehalte wird notwendig sein.
Obwohl es also, schon wegen der Ungewißheit aller dieser Vorausset-
zungen, noch sehr zweifelhaft ist, ob es zu einem Eintritt Deutschlands in
den Völkerbund kommt, legt die Reichsregierung doch großen Wert darauf,
die Gesamtsituation und die sich daraus möglicherweise ergebenden Even-
tualitäten mit der Regierung der U.d.S.S.R. in vertrauensvoller Aussprache
zu erörtern. Die Reichsregierung hat bisher den alliierten Regierungen
gegenüber noch keinerlei Erklärungen über die letzte Note des Völker-
bundsrats abgegeben. Sie wÜl'de es begrüßen, wenn die Aussprache mit der
Regierung der U.d.S.S.R. zu einer Klärung führte, bevor die Angelegenheit
durch Schritte der alliierten Regierungen in eine neues Stadium gebracht wird.

2. Russisches Memorandum vom Juni 1925


(Streng vertraulich)

Am 7. April 1925 hat der Deutsche Botschafter, Herr Graf Brockdorff-


Rantzau, im Auftrage seiner Regierung dem stellvertretenden Volkskom-
missar für Auswärtige Angelegenheiten der U.d.S.S.R., Herrn Litwinow,
Mitteilung gemacht über den Stand der Verhandlungen zwischen Deutsch-
land und den Ententemächten über die Frage des Abschlusses eines Garan-
tiepaktes mit diesen Mächten und des Eintritts Deutschlands in den Völker-
bund. Am 25. April überreichte der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes
in Berlin, Herr von Schubert, dem Botschafter der U.d.S.S.R. in Deutsch-
land, Herrn Krestinski, eine schriftliche "Zusammenfassung der von dem
Deutschen Botschafter in Moskau am 7. April 1925 im Namen der Reichs-
regierung dem Herrn Volkskommissar Litwinow gemachten Mitteilungen".
Sowohl die mündliche Mitteilung als auch die schriftliche Zusammenfassung
enthielten das Ansuchen der Deutschen Regierung an die Regierung der
U.d.S.S.R., die Stellungnahme der letzteren zu dem eventuellen Eintritt
Deutschlands in den Völkerbund darzulegen.
Der Standpunkt der Regierung der U.d.S.S.R. zur Frage des Eintritts
Deutschlands in den Völkerbund ist bereits von dem stellvertretenden
Volkskommissar, Herrn Litwinow, und von dem Volkskommissar, Herrn
Tschitscherin, in den Besprechungen mit dem Herrn Grafen Brockdorff-
Rantzau am 7. und 8. April und ebenso in den mündlichen Vorstellungen,
die der Botschafter der U.d.S.S.R. in Deutschland, Herr Krestinski, dem
Reichsminister ,des Kußern, Herrn Dr. Stresemann, sowie dem Staatssekre-
Die Probleme des Rapal1o-Vertrags 83

tär, Herrn von Schubert, gemacht hat, dargelegt worden. Das gegenwärtige
Memorandum enthält eine Zusammenstellung derjenigen Erwägungen und
Argumente geg.en den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund, welche in
den erwähnten Besprechungen angezogen wurden.
Der Völkerbund, welcher nach dem Siege der Ententemächte im imperiali-
stischen Kriege gegründet worden ist, stellt ein Instrument dar, mit dessen
Hilfe die großen Siegerstaaten ihren politischen Willen den schwächeren in
ihm vertretenen Staaten aufzwingen.
Als im April 1922 die Regierung der U.d.S.S.R. und die Deutsche Reichs-
regierung den Vertrag von Rapallo abgeschlossen haben, der sämtliche
Streitfragen der Nachkriegszeit zwischen beiden Staaten beseitigt hatte,
schien es der Regierung der U.d.S.S.R., daß beide Teile hierbei von der
stillschweigenden Nichtanerkennungdes Regimes ausgingen, das in Europa
nach dem Kriege als Folge einer Reihe von Friedensverträgen des Jahres
1919 eingesetzt worden ist und somit auch von der stillschweigenden Vor-
aussetzung, daß beide Staaten dem Völkerbund als einer Organisation,
der·en Hauptziel die Aufrechterhaltung der durch diese Verträge entstan-
denen Situation ist, nicht beitreten werden.
Im Hinblick auf die angeführte Voraussetzung war und bleibt der Ra-
pallo-Vertrag einer der bedeutsamsten Akt·e der internationalen Politik.
In diesem Vertrage sind die freundschaftlichen Beziehungen zwischen
Deutschland und der U.d.S.S.R. festgelegt worden. Dieser Vertrag hat nicht
allein die Entwicklung des wirtschaftlichen Verkehrs zwischen beiden Län-
dern gefördert, sondern er hat auch die normalen politischen Beziehungen
zwischen ihnen hergestellt. Dieser Vertrag stellte das Gegenstück zu den
von der Entente gewaltsam aufgezwungenen Diktatverträgen, darunter zu
dem Vertrag von Versailles dar. Dieser Vertrag dient nach wie vor als Vor-
bild für freiwillige friedliche Abkommen zur Sicherung normaler freund-
schaftlicher Beziehungen zwischen den vertragschließenden Teilen.
Der Eintritt in den Völkerbund und die damit verbundene wiederholte,
diesmal freiwillige Anerkennung des in Versailles geschaffenen Regimes, ist
ein erheblicher Schritt auf dem Wege zur tatsächlichen Vernichtung des
Vertrages von Rapallo. Dies,e Tatsache wird überall und ebenso in der
U.d.S.S.R. so bewertet werden. Die öffentliche Meinung der U.d.S.S.R.
sowie die öffentliche Meinung anderer Länder werden den Eintritt Deutsch-
lands in den Völkerbund unvermeidlich als eine Tatsache ansehen, die einen
neuen politischen Kurs eröffnet und eine neue politische Orientierung der
Deutschen Regierung bedeutet.
84 Theodor Schieder

In der Tat hat Deutschland gegenwärtig, außerhalb des Völkerbundes


stehend, die Möglichkeit, seine eigene Position in den internationalen Fra-
gen selbständig zu behaupten. Mögen in Europa die verschiedenartigsten
Kombinationen entstehen, Deutschland behält immer das Recht, seine Teil-
nahme an solchen Plänen zuzugestehen oder abzulehnen, indem es sich zu-
nächst von seinen eigenen Interessen leiten läßt, dann von seinen Beziehun-
gen zu denjenigen Ländern, die dem Völkerbund nicht angehören, sowie
von den Aufgaben, die es gemeinsam mit diesen Ländern verfolgt.
Anders werden sich die Dinge gestalten, wenn Deutschland in den Völker-
bund eintreten wird. Angenommen den Fall, daß Deutschland in der einen
oder anderen Form von den Verpflichtungen der §§ 16 und 17 des Völker-
bundsstatuts entbunden wer.den sollte, so wird Deutschland unter allen
Umständen in den Vollversammlungen des Völkerbundes sowie in den
Sitzungen des Völkerbundsrats zu allen Maßnahmen des Völkerbundes
täglich Stellung nehmen müssen. Die Lage Deutschlands im Völkerbunde
wird es ihm nicht gestatten, eine völlig selbständige, von England und den
übrigen Mächten der Entente unabhängige Politik zu treiben, und sein Ver-
treter würde gezwungen sein, in vielen Fällen seine Stimme dem allgemei-
nen Chorus anzuschließen, denn widrigenfalls werden die Großmächte der
Entente außer den gegenwärtig angewandten Druckmitteln gegen Deutsch-
land noch diejenigen Zwangsmaßnahmen zur Anwendung bringen, die dem
Völkerbund seinen Mitgliedern gegenüber zur Verfügung stehen.
Der Völkerbund wird außerordenlich bestrebt sein, auf eine 1\nderung
der bestehenden Beziehungen zwischen Deutschland und der U.d.S.S.R. hin-
zuwirken. Deutschlands Lage wird eine ganz erhebliche Belastung erfahren
im Falle eines Konfliktes zwischen der Union und einem dritten Staate.
Wenn beispielsweis,e die U.d.S.S.R. zu den Waffen greifen müßte zwecks
Verteidigung ihres Gebietes gegen den überfall eines der kriegerischen
Nachbarstaaten der Sowjetunion, so würde dieser Nachbarstaat - wenn er
Völkerbundmitglied ist - selbstverständlich den Völkerbundsrat um Hilfe
anrufen und behaupten, daß die U.d.S.S.R. der angreifende Teil ist. Da der
Völkerbund für sich das Recht in Anspruch nimmt, nicht allein in Streit-
fällen zwischen seinen Mitgliedern als Richter aufzutreten, sondern auch
bei Zusammenstößen von Staaten, die nicht zum Völkerbunde gehören, so
wird der Völkerbundsrat nicht unterlassen, die Beschwerde wegen des Frie-
densbruches seitens der U.d.S.S.R. zu prüfen. Deutschland als Mitglied des
Völkerbundsrates wird seine Meinung bekanntgeben müssen. Es ist natürlich
unleugbar, daß, wenn der ,deutsche Vertreter seine Stimme zugunsten der
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 85

U.d.S.S.R. abgeben wird, die Anwendung der Sanktionen gegen die


U.d.S.S.R. gewissermaßen erschwert sein würde, weil hierfür dereinstimmige
Beschluß des Rates erforderlich ist. Wird indessen der deutsche Vertreter
allein imstande sein, gegen die einmütige Auffassung aller übrigen Mitglieder
des Völkerbundsrats aufzutreten, da er den Vorwürfen ausgesetzt sein wird,
daß Deutschland sich der Wiederherstellung des europäischen Friedens
widers,etze? Leichter ist es, einmalig von dem Eintritt in den Völkerbund
sich loszusagen, als nach ,dem vollzogenen Anschluß fortwährend in den
Sitzungen seines Rates mit besonderen Meinungen in den wichtigsten Fragen
isoliert aufzutreten. Diesem Gedanken gab selbst der Reichsminister des
Außeren, Herr Dr. Stresemann, Ausdruck, als er im Reichstagsausschuß für
Auswärtige Angelegenheiten auseinandersetzte, daß ein vorbehaltloser An-
schluß Deutschlands an den Völkerbund sowie die vorbehaltlose Annahme
der §§ 16 und 17 des Völkerbundsstatuts unmöglich seien. Diese Erwägun-
gen jedoch sprechen, wie oben ausgeführt, nicht allein gegen den vorbehalt-
losen Eintritt in den Völkerbund, sondern gegen jeglichen Eintritt über-
haupt. Verhängnisvoll für die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und
Deutschland müßte wirken nicht allein die Teilnahme Deutschlands an den
militärischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen die U.d.S.S.R., sondern
auch die Tatsache, daß Deutschland, sollte es selbst an diesen Sanktionen
sich nicht beteilig,en, durch die bloße Stimmabgabe in dem einen oder an-
deren Falle sich für die Anwendung von Sanktionen durch die übrigen
Völkerbundsmitglieder ausgesprochen hat.
Vielleicht ist aber der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund dazu
angetan, die politische und wirtschaftliche Lage Deutschlands dermaßen zu
heben und ein Gegengewicht zu den Ententemächten zu schaffen, so daß
sein Eintritt in den Völkerbund für die U.d.S.S.R. doch als wünschenswert
erscheinen könnte?
Es sei gestattet, auf diese Frage kategorisch eine negative Antwort zu
geben. Die Versprechungen, die Deutschland gemacht werden seitens der
Ententemächte, und vor allem seitens Englands, sind darauf zurückzu-
führen, daß Deutschland noch keine endgültige Entscheidung in der Frage
des Eintritts in den Völkerbund getroffen hat und die daran interessierten
Siegerstaaten durch ihre Versprechen in dem für sie erwünschten Sinne auf
Deutschland einzuwirken suchen. Wenn aber die Ententemächte die direkten
Bestimmungen des Versailler Vertrages mißachten und sogar diejenigen des
neuerlichen Londoner Abkommens nicht erfüllen, so ist bei einem veränder-
ten Kräfteverhältnis um so weniger Grund vorhanden zu der Annahme, daß
86 Theodor Sdlieder

die unbestimmten halben Versprechen, die gegenwärtig von dem einen oder
dem anderen der Alliierten in Zusammenhang mit der Erörterung der Frage
des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund gemacht werden, jemals er-
füllt werden. Innerhalb des Völkerbundes muß Deutschland mit einem
feindlichen Verhalten der Mehrheit s,einer Mitglieder ihm gegenüber rechnen.
In allen Fragen, die Deutschland interessieren, wird es genötigt sein, die
Unterstützung einer der Großmächte der Entente, hauptsächlich Englands,
zu erlangen. Letzteres wird aber nur dann Deutschland die gewünschte
Unterstützung in den ihm wichtigen Fragen gewähren, wenn Deutschland
in allen übrigen internationalen Fragen sich vorbehaltlos dem Willen Groß-
britanniens fügen wird. Auf diese Weis:e vermag der Eintritt in den Völker-
bund Deutschland nicht politisch zu stärken, er wird vidmehr dazu führen,
daß Deutschland seine Selbständigkeit in der Außenpolitik einbüßen wird.
Schließlich wird Deutschland, gebunden durch die Unterwerfung unter das
Statut und die Beschlüsse des Völkerbundes, viel eher an seinem spezifischen
Gewicht als Machtfaktor der internationalen Politik verlieren.
Noch eine Erwägung gegen den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund
muß hinzugefügt werden. Die Nichtbeteiligung Deutschlands, der Union
der S.S.R., der Türkei und der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika am
Völkerbund unterstreicht vollkommen klar den Charakter des Völkerbundes
als eines Instrumentes in den Händen der Großmächte der Entente zur
legalen Unterdrückung der Interessen der kleinen Staaten. Die Aufnahme
Deutschlands in den Völkerbund kann diesen Charakter faktisch nicht
ändern, wi1"d aber den Ententemächten die Möglichkeit biet,en, ihre Politik
der Gewalt bezüglich der schwächeren Staaten zu verschleiern unter Aus-
nutzung der moralischen Autorität Deutschlands.
Nach den am 7. April von Herrn Grafen Brockdorff-Rantzau Herrn
Litwinow gemachten Erklärungen sowie nach den Versicherungen, die Herr
Krestinski mehrmals in den letzten Tagen des Monats April seitens des
Herrn Reichskanzlers Dr. Luther, des Reichsministers Herrn Dr. Strese-
mann und des Staatssekretärs, Herrn von Schubert, erhalten hat, kann nicht
gezweifelt werden an dem aufrichtigen Willen der Deutschen Regierung,
zugleich mit dem Abschluß eines Garantiepaktes mit den Ententemächten
die guten Beziehungen mit der U.d.S.S.R. aufrechtzuerhalten und weiter-
zuentwickeln.
Indes wird die Logik der politischen Entwicklung entgegen den guten
Absichten der Deutschen Regierung allmählich zu einer völligen Umorien-
tierung nach Westen führen und zur Einbezi,ehung Deutschlands in Kombi-
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 87

nationen dieser oder jener Ententemächte gegen die U.d.S.S.R. Die Richtig-
keit dieser Beurteilung der objektiven Tendenzen der deutschen Außen-
politik wird zum Teil dadurch bestätigt, daß di1e Deutsche Regierung Ver-
handlungen mit den Ententemächten über den Abschluß von schriftlichen
Verträgen, die Deutschland binden sollen, führt und gegenüber der
U.d.S.S.R. sich auf mündliche freundschaftliche Versicherungen beschränkt,
während der Beginn der Verhandlungen über die Einkleidung dieser Ver-
sicherungen in die Form eines für beide Teile verbindlichen Abkommens
aufgeschoben wird.
Dieselbe Logik der politischen Entwicklung, die Deutschland stetig von
der in Rapallo festgelegten Linie abdrängen wird, kann eine Situation her-
beiführen, bei welcher die Union in den mündlich abgegebenen freundschaft-
lichen, aber durchaus formalen und unverbindlichen Versicherungen der
Deutschen Regierung keine genügenden Garantien für ihre internationale
Lage erblicken wird, was die Sowjetunion zwingen wird, andere Wege zu
suchen, wie fern ihr auch im gegebenen Augenblick derartige Absichten und
Wünsche liegen. Die Logik der Tatsachen kann somit nicht allein Deutsch-
land, sondern auch die U.d.S.S.R. auf solche Wege führen, die für die
Regierungen beider Länder gegenwärtig absolut unerwünscht sind.
Es erscheint somit unzweifelhaft, daß der Deutschland vorgeschlagene
Eintritt in den Völkerbund die Aufrechterhaltung und die weitere Be-
festigung der in Rapallo geschaffenen Grundlagen der freundschaftlichen,
politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwisrhen der U.d.5.S.R. und
Deutschland erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen wird.

3. Richtlinien für die Fortsetzung


der politischen Verhandlungen mit Rußland (etwa Ende Juni 1925)

1. Das letzte russische Memorandum wird nicht schriftlich, sondern nach


Maßgabe der nachstehenden Ausführungen mündlich beantwortet.
2. Wenn die Russische Regierung es als eine stillschweigende Voraus-
s·etzung des Vertrages von Rapallo bezeichnet, daß beide Teile das in Europa
durch, die Friedensverträge von 1919 geschaffene Regime nicht anerkennen
und ein Gegenstück zu diesen gewaltsam aufgezwungenen Diktatverträgen
schaffen wollten, so kann die Deutsche :&egierung dies1em Gedanken nur
zustimmen. Sie möchte insofern noch über ihn hinausgehen, als sie den Ver-
trag von Rapallo nicht nur als das Erzeugnis einer durch zeitweilig.e Ver-
88 Theodor Schieder

hältnisse begründeten Schicksalsgemeinschaft von zwei unterdrück~en Völ-


kern,sondern als Bekundung der überzeugung ansieht, ,daß Deutschland
und Rußland unter allen Verhältnissen das größte Interesse an der Auf-
rechterhaltung enger und freundschaftlicher Beziehungen haben, also auch
dann, wenn jene zeitweiligen Verhältnisse ganz oder teilweise überwunden
sind und hei.de Länder die Möglichkeit freier politischer Betätigung wieder-
gewonnen haben. In dieser Richtung sind sowohl auf russischer als auch auf
deutscher Seite seit Rapallo Fortschritte erzielt worden, die es nach Ansicht
der Deutschien Regierung wünschenswert erscheinen lass,en, die damals ge-
troffenen Vereinbarungen in Anpassung an die gegenwärtige politische Ge-
samtlage auszubauen und zu ergänzen.
3. Nach Ansicht der Russischen Rcegierung wäre es mit dem gekenn-
zeichneten Geiste des V,ertrages von Rapallo nicht vereinbar, wenn Deutsch-
land dem Völkerbund -beiträte, da dieser nur ein Instrument der Sieger-
staaten sei, um ihren politischen Willen den schwächeren Bundesmitgliedern
aufzuzwing,en. Die Russische Regierung meint, daß Deutschiland im Völker-
bund unteraHen Umständen in völlige Abhängigkeit von den Entente-
Großmächten und dadurch in Konflikt mit seinem eigenen Wunsche nach
Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Rußland geraten müsse. Zu diesen
Darlegungen ist zunächst zu bemerken, daß sie ,eine wesentliche Verände-
rung der bisherigen Diskussionsbasis darstellen. Nach den bisherigen Unter-
haltungen mußte die Deutsch,e Rcegierung annehmen, daß sich die Bedenken
der Russi'schlen Regierung nicht gegen den Eintritt Deutschlands in den
Völkerbund überhaupt, sondern nur dagegen richtet'en, daß Deutschland
im Falle einer Bundesexekution gegen Rußland auf Grund des Artikels 16
des Völkerbundsstatuts zur Beteiligung gezwungen werden könnte. Die
Deutsche Rcegierung hält es für notwendig und für aUein der Sachlage ent-
sprechend, ,daß die deutsch-russischen Unterhaltungen über die Völker-
bundsfrage auf ihre ursprüngliche Basis zurückgeführt werden. Die Russische
R,egierung wird es der Deutschen Regierung überlassen müssen, zu beurteilen,
ob sie durch eine Entschiließung wie den Eintritt in den Völkerbund die Lage
Deutschlands allgemein verschlechtern und Deutschland womöglich zum
Vas,allen anderer Mächt'edegradieren würde. Gegenstand der Diskussion,
soweit der Völkerbund in Betracht kommt, kann deshalb nach wie vor nur
die Sonderfrage sein, ob die etwaigen deutschen Verpflichtungen aus dem
Artikel 16 die fmchtbar,e Auswirkung enger deutsch-russischer Beziehungen
unmöglich machen und somit Deutschland von der in Rapallo festgelegten
politischen Linie abdrängen könnten.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 89

4. Auf der anderen Seite nimmt .die Deutsche Regierung aber an, ,daß die
Russische Regierung jetzt nicht nur die Völkerbundsfrage erörtern will, auf
die sich das russische Memorandum ausschließlich bezieht, sondern daß sie
her'eit ist, .die allgemeinen politischen Gedanken weiter zu verfolgen, die
ihren Dezember-Vorschlägen zugrunde lagen. Daß die Deutsche Regierung
ihrerseits hierzu bereit ist, hat sie schon bei ihren früheren Mitteilungen
zum Ausdruck gebracht. In dieser Hinsicht ist insbesondere auf die Stelle
der Aufzeichnung vom 7. April hinzuweisen, wo es heißt: »Wenn die
Regierung der U.d.S.S.R. auf diesen Gedankengang eingeht, würde damit
zugleich die Klärung der Frage angebahnt werden, ob und in welcher Weise
etwa eine positive Verständigung über allgemeine politische Ziele möglich
wäre."
5. Es ist deshalb ein Mißverständnis, wenn die Russische Regierung meint,
daß die Deutsche Regierung zwar mit den Entente-Mächten Verhandlungen
über den Abschlluß besonder,er schriftlicher Verträge führen, daß sie sich
aber gegenüber Rußland einstweilen auf moodliche freundschaftliche Ver-
sicherungen beschränken wolle. Es ist richtig, daß die Deutsche Regierung
die Dezember-Vorschläge nicht sofort in ihrer Gesamtheit aufgenommen,
sondern zunächst das Einzelproblem des deutschen Eintritts in den Völker-
bund angeschlnitten hat. Das ergab sich aus der Tatsache, daß, als :die
Dezember-Vorschläge in Berlin der Prüfung unterlagen, bei den gleich-
zeitigen Verhandlungen mit den Westmächten über einen regionalen Sich,er-
heitspakt die Völkerbundsfrage schnell in den VOfldergrund trat und daß
die Reichsregierung Wert darauf legte, sich über dieses akute Pmblem vor-
erst mit der Russischen Regierung zu verständigen. Nachdem .in dem bis-
herigen Meinungsaustausch die beiderseitigen Standpunkte in großen Um-
rissen einigermaßen geklärt word,en sind, würde die Deutsche Regierung es
für zweckmäßig halten, das ganze Problem der deutsch~russischen Beziehun-
g:en nunmehr in konkreter Form anzuschneiden und zu diesem Zwecke ,die
Frage zu prüfen, ob und in welcher Weise der den Dezember-Vorschlägen
:mgrunde liegende Gedanke verwirklicht werden kann und wie eine solche
Verwirklichung in dem besonderen Falle denkbar wäre, wenn sich Deutsch-
land tatsächlich zum Eintritt in den Völkerbund entschlösse.
6. Der Grundgedanke der Dezember-Vorsdiläge war ,di,e gegenseitige Zu-
sicherung einer allgemeinen Neutralität für Krieg und Frieden. In eine
Formel gebracht, würde diese Zusicherung etwa ,dahin lauten können, daß
Deutschland und Rußland einander nicht angreifen werden, und ,daß keines
der heiden Länder in ,eine politische oder wirtschaftliche Verbindung mit
90 Theodor Schieder

dritten Mächten eintreten wird, wenn diese Verbindung gegen den anderen
Teil gerichtet ist. Die Deutsche Regierung stimmt diesem Grundgedanken an
sich durchaus zu. Es wäre indes erwünscht, wenn die Russische Regierung
dafür gewünnen würde, den gleichen Gedanken durch Abmachungen mehr
positiver Art zum Ausdruck zu bringen, z. B. Abmachungen des Inhalts,
daß beide Regierungen sich in aUen die beid'en Länder gemeinsam berühren-
den pülitischen und wirtschaftlichen Fragen in dauernder freundschaftlicher
Fühlung miteinander halten werden.
7. Bei der Erörterung einer derartigen Grundfürmel wäre zugleich die
Frage z;u klären, in welch'em Verhältnis die dadurch begründeten Verpflich-
tungen im Falle des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund zu den Be-
stimmungen des Artikels 16 st,ehen würden. In dieser Hinsicht muß deut-
schers,eits die Bemerkung vorangestellt werden, daß die Frage des Eintritts
oder Nichteintritts nüch eine vüllkommen üffene ist, und daß die Deutsche
Regierung ihrerseits den Wunsch hat, die Verhandlungen mit der Russischen
Regierung ganz unabhängig von der Entscheidung dieser Frage weiterzu-
führen. Andererseits muß sie in aller Offenheit erklären, daß si,e sich, wie
auch die Verhandlungen mit den W,estmäcllten weiter verlaufen mögen,
nicht der Möglichkeit begeben kann, die Eintrittsfrage gegebenenfalls nach
freiem Ermessen zu entscheiden. Nach sürgsamer Prüfung der Tragweite des
Artikels 16 ist sie der überzeugung, daß vün diesem Artikel eine Beeinträch-
tigung der deutsch-russischen Beziehungen, insbesündere eine Beeinträchti-
gung der deutschen Verpflichtungen aus einer Grundfürmel der vürstehend
erwähnten Art, selbst dann nicht befürchtet zu werden braucht, wenn der
deutsche Vürbehalt wegen des Artikels nicht fürmell vün den Alliierten an-
erkannt wird. Deutschland wird auch ühne eine derartige fürmelle Anerken-
nung seines Vürbehalts in den praktisch denkbaren Fällen stets in der Lage
sein, nicht nur seine Beteiligung an einer Bundesexekutiün gegen Rußland
abzulehnen, sondern überhaupt eine sülche Bundesexekutiün unmöglich zu
machen. Wenn das russische Memürandum Zweifel darüber äußert, üb für
Deutschland ,eine dementsprechende Haltung im Völkerbund praktisch
möglich sein werde, So' kann die Deutsche Regierung demgegenüber nur das
Eine betünen, daß die praktischen Auswirkungen des Artikels 16 stets
lediglich eine Frage des Vertrauens sein werden, das die Deutsche und die
Russische Regierung hinsichtlich ihres Zusammengehens in pülitischen Fra-
gen zueinander haben. Ohne ein sülches Vertrauen würde jede deutsch-
russische Vertragsfürmel, welchen Inhalt sie auch haben mag, hühl und
wertlos sein.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 91

8. Der gegebene Weg für die Festlegung der vorstehen.d skizzierten Ge-
danken wäre nach Ansicht der Deutschen Regierung wohl der folgende: Die
allg,emeinen Grundsätze für die Ausgestaltung der deutsch-russischen Be-
ziehungen könnten bei einer unter Berücksichtigung der allgemeinen poli-
tischen Lage zu wählenden Gelegenheit in einen der mit Rußland abzu-
schließenden Spezialverträge hineingearbeitet werden. Zur Ergänzung
könnte die Auswirkung [dieser Grundsätze auf den konkreten Fall ,des
Artikels 16, soweit erforderlich, durch formulierte mündliche Erklärungen
klargestellt werden. Für die schriftlichen Abmachungen käme etwa nach-
stehende Fassung in Betracht:
Beide Regierungen sind von der Erkenntnis durchdrungen, daß das Wohl
des deutschen und des russischen Volkes eine freundschaftlime, friedliche
Zusammenarheit bei der Länder erfordert. Sie sind deshalb entschlossen,
die ,gegenseitigen Beziehungen im Geiste des Vertrages von Rapallo
weiter zu pflegen und in allen die beiden Länder gemeinsam berührenden
politischen wie wirtschaftlichen Fragen in dauernder freundschaftlicher
Fühlung gegenseitige Verständigung anzustreben, unter dem Gesichts-
punkte, für den allgemeinen Frieden Europas zu wirken und sich von
aUen etwa hervortI'etenden Bestrebungen fernzuhalten, die diesen Frieden
gefährden könnten.
Die Anwendung dieser Abmachungen auf den Völkerbundsfall könnte
durch mündliche Erklärungen nachstehenden Inhalts erläutert wel1den:
a) Wenn Deutschland es im Hinblick auf seine hesonderen politischen Inter-
essen für notwendig halten sollte, in den Völkerbund einzutreten, wird
es dabei an ,dem Grundgedanken festhalten, der seinen Vorbehalt wegen
des Artikels 16 veranlaßt hat. Sollte sich eine formeHe Befreiung von
den Verpflichtungen aus Artikel 16 nicht erreichbar erweisen, so wird
Deutschland seinen Standpunkt in d~eser Hinsicht nach außenhin unzwei-
deutig zur Geltung bringen und wird als Mitglied des Völkerbunds und
des Völkerbundsrats diesem Standpunkt entspr,echend handeln.
b) Falls Rußland sich zum Eintritt inden Völkerbund entschließt, wird es
Deutsdtland verständigen, bevor es anderen Mächten oder dem Völker-
bund ge~enüher irgendwelche dahin zielenden Schritt[e] tut. Als Mitglied
des Völkerbunds wir:d Rußland gegenüber Deutschland handeln, wie dies
unter Ziffer a) für Deutschland gegenüber Rußland vorgesehen ist.
92 Theodor Schied er

4. Gegenüberstellung zweier Entwürfe eines deutsch-russischen Protokolls


aus den Jahren 1925/26 (Dezember 1925 bis Februar 1926)':'

Alte Fassung N eue Fassung


Da die Deutsche Regierung und Da die Deutsche Regierung und
die Regierung der U.d.S.S.R. ,den die Regie'rung der U.d.S.S.R. den
Wunsch haben, das Ergebnis des Wunsch haben, das Ergebnis des
zwischen ihnen im Laufe des letzten zwischen ihnen im Laufe des letzten
Jahres gepflogenen politischen Mei- Jahres gepflogenen politischen Mei-
nungsaustausches überleinstimmend nungsaustausches übereinstimmend
festzustellen, haben die beiden Un- und in bindender Form festzus1Jellen,
terzeichneten dieses Ergebnis namens haben die bei den Unterzeichlneten
und im Auftrage ihrer Regierungen dieses Ergebnis namens und im Auf-
wie folgt zusammen:gefaßt: trage ihrer Regierungen wie folgt
zusammengefaßt:
1. Ausgangspunkt und Grundlage 1. Ausgangspunkt und Grundlage
der deutsch- russischen Beziehungen der deutsch-l'Ussischen Beziehungen
ist und bleibt der Vertrag von Ra- ist und bleibt der Vertrag von Ra-
pallo, der den Wehkrieg im Ver- pallo, der für diese Beziehungen den
hältnis zwischen Deutschland und Grundsatz der Gegenseitigkeit und
Rußland nicht durch einen Gewalt- Gleichberechtigung aufgestellt und die
frieden, sondern nach den Grund- Voraussetzung für ein gedeihliches
sätzen der Gegenseitigkeit und Zusammenarbeiten und eine dauernde
Gleichberechtigung liquidierte, der Freundschaft zwischen beiden Län-
ferner den allgemeinen Grundsatz dern geschaffen hat.
der Meistbegünstigung aufstellte
und der so die Voraussetzung für
ein gedeihliches Zusammenarbeiten
zwischen den beiden Ländern
zum Zwecke ihres Wiederaufbaues
schaffte.
2. Die mit dem Vertlfag von Ra- 2. Die mit dem Vertrag von Ra-
pallo gegebene Grundlag,e hat sich pallo gegebene Grundlage hat sich
zum Nutzen beider Länder bewährt. zum Nutzen beider Länder bewährt.
Seit dem Abschluß des Vertrages ist Seit dem Abschluß des Vertrages ist

". Die Abweichungen der neuen Fassung von der alten sind in der zugrunde liegenden
Abschrift des Stresemann-Nachlasses unterstrichen und werden hier kursiv gedruckt.
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 93

in Deutschland und in Rußland die in Deutschland und in Rußland die


Erkenntnis immer lebendicger ge- Erkenntnis immer lebendiger ge-
worden, daß das beiders,eiticge Inter- worden, daß das beiderseitige Inter-
esse über die konkr,eten Vereinbarun- esse über die konkreten Vel'ein-
gen des Vertrages hinaus eine stetige ba rungen des Vertrages hinaus eine
freundschaftliche Zusammenarbeit stetige freundschaftliche Zusammen-
erfordert. Die Deutsche Regierung arbeit erfordert. Die Deutsche Re-
und die Regierung der U.d.S.S.R. gierung und die Regierung der
halten es übereinsümm,end für ihre U.d.S.S.R. halten es übereinstim-
Aufgabe, diese Erkenntnis zur vol- mend für ihre Aufgabe, diese Er-
len Auswirkung gelangen zu lassen. kenntnis zur vollen Auswirkung ge-
langen zu lassen.
3. Demgemäß sind die beiden Re- 3. Demgemäß haben die beiden
gierungen ,entschlossen, nach wie vor Regierungen vereinbart, nach wie
in freundschaftlicher Fühlung mit- vor in freundschaftlicher Fühlung
einander zu bleiben, um über alle ihre miteinander zu bleiben, um über alle
beiden Länder gemeinsam berühren- ihre heiden Länder :gemeinsam be-
den Fragen politischer und wirtschaft- rührenden Fragen politischer und
licher Art eine Verständigung her- wirtschaftlicher Art eine Verständi-
beizuführen. Sie sind überzeugt, daß gung herbeizuführen. Sie sind über-
das nicht nur ohne Beeinträchtigung zeugt, daß das nicht nur ohne Beein-
ihrer Beziehungen zu dritten Mäch- trächtigung ihrer Beziehungen zu
ten geschehen kann, sondern daß es dritten Mächten geschehen kann, son-
eine wesentliche Bedingung für die dern daß es eine wesentliche Bedin-
Erhaltung des allgemeinen Friedens gung für die Erhaltung des allge-
darstellen wird. Jedenfalls werden meinen Friedens darstellen wird.
sie sich bei ihren Auseinandersetzun- Jedenfalls werden sie sich bei ihren
gen in erster Linie von dem Gesichts- Auseinandersetzungen in erster Linie
punkte der Notwendigkeit der Br- von dem Gesichtspunkte der Not-
haltung des allgemeinen Fri,edens wendigkeit der Erhaltung des all-
leit,en lassen. gemeinen Friedens leiten lassen.
4. In dies'em Sinne haben die bei- 4. In diesem Sinne haben die bei-
den Regierungen letzthin auch ihre den Regierungen letzthin auch ihr
übereinstimmende Auffassung über Einverständnis über diejenigengrund-
diejenigen grundsätzlich.en Fragen sätzlichen Fragen feststellen können,
feststeHen können, dice mit dem be- die mit dem bevorstehenden Eintritt
vorstehenden Eintritt Deutschlands Deutschlands in den Völk,erbund zu-
in den Völkerbund zusammenhän- sammenhängen. Die Deutsche Re-
94 Theodor Schieder

gen. Der Völkerbund soll semer gierung hat sich zu dem Eintritt nur
grundlegenden Idee nach eine Or- in der Absicht entschlossen, dadurch
ganisation zur Erhaltung des Frie- sowohl im Interesse Deutschlands als
dens sein. Nur um zur Verwirk- auch im Interesse Europas zur Siche-
lichung der Friedensidee sowohl im rungdes Friedens beizutragen. Dieser
Interesse Deutschlands wie auch im Entschluß kann daher nach den Ab-
Interesse Europas beizutragen, hat sichten der Deutschen Regierung nicht
sich die Deutsche Regierung zum dazu führen, daß die deutsche Politik
Eintritt in den Völkerbund ent- mit einer freundschaftlichen Ent-
schlossen. Dieser Entschiluß wird des- wicklung ,der ,deutsch-russischen Be-
halb nicht dazu führ,en, daß Idie deut- ziehungen in Widerstreit gerät.
sche Politik mit einer freundschaft- Sollten sich, was die Deutsche Re-
lichen Entwiddung der deutsch- gierung nicht annimmt, im Rahmen
russischen Beziehungen in Wider- des Völkerbundes irgendwann etwa
streit gerät. Sollten sich, was die Bestrebungen geltend machen, die,
Deutsche Regierung nicht annimmt, im Widerspruch mit jeder grund-
im Rahmen des Völkerhundes ir- legenden Friedensidee, gegen Ruß-
gendwann etwa Bestrebungen ~el­ land gerichtet wären, so würde
tend machen, die, im Widerspruch Deutschland sich derartigen Bestre-
mit jeder grundlegenden Friedens- bung,en nicht nur nicht anschließen,
idee, gegen Rußland gerichtet wären, sondern ihnen entgegenwirken.
so würde Deutschland sich derartigen
Bestrebungen nicht nur nicht an-
schließen, sondern ihnen ,entgegen-
wirken.
5. Diese grundsätzliche Einstellung 5. Diese grundsä tzliche Einstellung
der deutschen Politik gegenüher Ruß- der deutschen Politik gegenüber Ruß-
land kann auch nicht durch die land kann auch nicht durch ,die
loyale Beobachitung der V,erpflich- loyale BeobachJtung der V:erpflich-
tungen beeinträchtigt werden, die sich tungen beeinträchtigt werden, die sich
für Deutschland aus den Artikeln 16 für Deutschland aus den Artikeln 16
und 17 der Völkerbundssatzung über und 17 der Völkerhunds:satzung über
,das Sanktionsverfahren ergeben. ,das Sanktionsv,erfahren ergeben.
Nach ,diesen Artikeln käme ein Sank- Nach diesen Artikeln käme ein Sank-
tionsverfahrengegen Rußland, ab- tionsverfahren gegen Rußland, ab-
gesehen von weiteren Voraussetzun- gesehen von weiteren Voraussetzun-
gen, nur dann in Betracht, wenn gen, nur ,dann in Betracht, wenn
Rußland einen Angriffskrieg gegen Rußland einen Angriffskrieg gegen
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 95

einen dritten Staat eröffnete. Da ein einen dritten Staat eröffnete. Da ein
derartiger Angriffskrieg nicht in den derartiger Angriffskrieg nicht in dlen
Absichten der Politik der U.d.S.S.R. Absichten der Politik der U.d.S.S.R.
liegt, scheidet die Möglichk'eit eines liegt, scheidet die Möglichk,eit eines
Sanktionsverfahrens gegen Rußland Sanktionsverfahrens gegen Rußland
von vornherein aus. Dabei ist zu be- von vornherein aus. Dabei ist zu be-
rücksichtigen, daß die Frage, ob Ruß- rücksichtigen, daß die Frage, ob Ruß-
land bei einem bewaffneten Kon- land bei einem bewaffneten Kon-
flikt mit einem dritten Staat der An- flikt mit ,einem dritten Staat der An-
greifer ist, mit bindender Wirkung greifer ist, mit bindender Wirkung
für Deutschland nur mit dessen eige- für Deutschland nur mit dess'en eige-
ner Zustimmung entschieden werden ner Zustimmung entschJieden werden
kann und daß somit eine in dieser kann und daß somit eine in dieser
Hinsicht etwa von anderen Mächi- Hinsicht etwa von .anderen Mäch-
ten gegen Rußland erhobene, nach ten gegen Rußland 'erhobene, nach
deutscher Ansicht nicht her,echtigte deutsch'er Ansicht nicht berechtigte
Beschuldigung Deutschland nicht Beschuldigung Deutschland nicht
zwingt, an iDgendwelchen auf Grund zwingt, an iDgendwelchen auf Grund
des Artikels 16 eingeleiteten Maß- des Artikels 16 eingeleiteten Maß-
nahmen teilzunehmen. Weg,en der nahmen teilzunehmen. Wegen der
Frage, ob und in welchem Maße Frage, ob und in welchem Maße
Deutschland im konkr'eten Falle Deutschland im konkreten Falle
überhaupt imstande ist, an einem überhaupt imstande ist, an einem
Sanktionsv,erfahren teilzunehmen, Sanktionsverfahren teilzunehmen,
wird auf die bei Gelegenheit der wird auf di,e bei Gelegenheit der
Unterzeichnung des Vertragswerkes Unterzeichnung des Vertragswerkes
von Locarno an d~e Deutsche Dele- von Locarno an die Deutsche Dele-
gation gerichtete Note über die Aus- gation gerichtete Note über die Aus-
legung des Artikels 16 sowie ferner legungdes Artikels 16 sowie ferner
auf die Erklärungen Bezug genom- auf die Erklärungen Bezug genom-
men, die der Reichskanzler Dr. Luther men, die der Reichskanzler Dr. Luther
am 23. November d. J. im Reichstag am 23. November v. J. im Reichstag
über den gleichen Gegenstand abge- über den gleichen Gegenstand abge-
geben hat. geben hat. Hiernach kann der Falt,
daß Deutschland in seiner Eigen-
scha ft als Völkerbundsmitglied zu
Ungunsten Rußlands in einen be-
waffneten Konflikt hineingezogen
96 Theodor Schieder

werden könnte, den Rußland durch


seinenAngri/f gegen eine dritte Macht
herbeigeführt hätte, als eine bloß
theoretische Möglichkeit ohne real-
politische Bedeutung angesehen
werden.
6. Nach den vorstehenden Ausfüh- 6. Im Zusammenhang mit dem
rungen muß der Fall, daß Deutsch- vorstehend erörterten Falle haben
land in seiner Eigenschaft als Völker- die beiden Regierungen auch die
bundsmitglied zu Ungunsten Ruß- sonstigen Kategorien von Fällen er-
lands in einen bewaffneten Konflikt wogen, in denen kriegerische Ver-
hineingezogen wenden könnte, den wicklungen zwischen Deutschland
Rußland durch seinen Angriff gegen und Rußland theoretisch denkbar
eine dritte Macht herbei~eführt hätte, wären, nämlich den Fall, daß Deutsch-
als eine bloß theoretische Möglich- land etwa seinerseits zum Angriff
keit ohne realpolitische Bedeutung gegen einen dritten Staat schritte,
angesehen werden. In gleicher Weise ferner den Fall, daß Deutschland
liegt auch der umgekehrte Fall, daß oder Rußland von einer dritten
Rußland sich zu Ungunsten Deutsch- Macht angegriffen würde, und end-
lands an einem bewaffneten Kon- lich den Fall, daß unmittelbar zwi-
flikte beteiligte, den Deutschland schen den beiden Ländern ein Kon-
durch seinen Angriff gegen ·eine flikt entstünde. Beide Regierungen
dritte Macht ·entfess·elt hätte, außer- erkennen als eine selbstverständliche
halb des Bereichs der praktischen Folge des oben festgestellten Grund-
Möglichkeiten. Unter diesen Um- satzes freundschaftlicher Verständi-
ständen können daher die Deutsche gung die Verpflichtung an, in keinem
Regierung und die Regierung der dieser Fälle zu kriegerischen Maß-
U.d.S.S.R. in ihrer Außenpolitik nahmen gegeneinander zu schreiten
beiderseits ganz allgemein von der oder, soweit dabei eine dritte Macht
sicheren Tatsache ausgehen, daß in beteiligt ist, diese sonstwie zu unter-
der politischen Entwicklung keine stützen.
Situation entstehen wird, die zu
kriegerischen Verwicklungen zwi-
schen ihren Ländern führen könnte.
Denn der vorstehend ausgesprochene
Grundsatz der fr,eundschaftlichen
Verständigung in allen gemeinsamen
Fragen politischer und wirtschaft-
Die Probleme des Rapallo-Vertrags 97

licher Art schließt den Verzicht der


Anwendung militärischer Gewalt sei-
tens des einen Landes gegen ,das an-
dere 2'Jum Zwecke der Austragung der
unmittelbar zwischen ihnen ent-
stehenden Differenzen ohne weiteres
in sich. Ebenso selbstverständlich
folgt aus jenem Grundsatz, daß kei-
nes der beiden Länder ,eine dritte
Macht in irgend einer Art unter-
stützen wÜl'de, dLe ihrerseits etwa
angriffsweise gegen eines von ihnen
vorgehen sollte.
7. Die Deutsche Regierung und die 7. Die Deutsche Regierung und ,die
Regierung der U.d.5.S.R. haben auch Regierung der U.d.S.S.R. haben
den FaUerwogen, daß in Friedens- außerdem auch den Fall erwogen,
zeiten zwischen dritten Mächten eine daß in Friedenszeiten zwischen drit-
Koali tion zu dem Zwecke .geschlossen ten Mächten eine Koalition zu dem
würde, über Deutschland ode'r Ruß- Zwecke geschlossen würde, über
land einen wirtschaftlichen oder Deutschland oder Rußland einen
finanziellen Boykott 2'JU verhängen. wirtschaftlichen oder finanziellen
In einem derartigen Falle würde es Boykott zu verhängen. In einem der-
dem freundschaftlichen Charakter artigen Falle wird keine der beiden
der deutsch - russischen Beziehungen Regierungen sich der gegen das an-
entsprechen, ,daß keine der beiden dere Land gerichteten Koalition an-
Regierungen sich der gegen das an- schließen.
dere Land gerichlteten Koalition an-
schließt.
8. Um für die reibungslose Erledi- 8. Um für die reibungslose Erledi-
gung aller zwischen ihnen auftau- gung aller zwischen ihnen auftau-
chenden Fragen eine sicher,e Grund- chenden Fragen eine sichere Grund-
lage zu schaffen, halten die beiden lage zu schaffen, halten ,die beiden
Regierungen es für zweckmäßig, als- Regierungen es für zweckmäßig, als-
bald in Erörterungen über den Ab- bald in Erörterungen über den Ab-
schluß eines allgemeinen Schiedsver- schluß eines allgemeinen Schiedsver-
trages einzutreten, der für Rechts- trages einzutreten, der für Rechts-
fragen eine schiedsgerichtliche Ent- fragen eine schiedsgerichtliche Ent-
scheidung, für andere Fragen ein Ver- schei,dung, für andere Fragen 'ein Ver-
gleichsverfahren vorsieht. gleichsverfahren vorsieht.
98 Theodor Schieder

9. Beide Regierungen sind der Auf-


fassung,daß in absehbarer Zeit keine
politische Entwicklung eintreten
wird, die es für eine von ihnen zur
Notwendigkeit machen könnte, im
Interesse ihres Landes die in diesem
Protokoll festgelegten Grundsätze
und Vereinbarungen zu ändern.
Gleichwohl sind sie, um die Gestal-
tung der deutsch - russischen Be-
ziehungen gegebenenfalls neuen poli-
tischen Tatsachen anpassen zu kön-
nen, einig darüber, daß diese Grund-
sätze und Vereinbarungen zunächst
für die Dauer von drei Jahren gelten
sollen.
Nachwort

Die vorstehende Untersuchung behandelt einen Gegenstand, der in den


letzten Jahren vielfach, vor allem von Historikern außerhalb Deutschlands,
unter verschiedenen Gesichtspunkten bearbeitet wor.den ist. Die Zurück-
haltung der deutschen Geschichtswissenschaft gegenüber den außenpolitischen
Ereignissen der Weimarer Epoche lag und liegt wohl hauptsächlich in der
Schwierigkeit begründet, Zugang zu den einschlägigen Quellen zu bekom-
men, doch läßt sie sich auf die Dauer nicht dadurch l'echtfertigen. Die Er-
forschung eines so zentralen Themas unserer nationalen Geschichte darf
nicht vernachlässigt werden, selbst wenn sie das Risiko eingehen muß, ,daß
ihre Ergebnisse im einzdnen durch neue Aktenv,eröffentlidlUngen ,in Kürze
überholt werden. Vielleicht war die Stunde für das Durchdenken grund-
sätzlicher Probleme nie so .günstig wie jetzt, wo die Gefahr eines Ertrinkens
in den Stoff- und Quellenmassen noch nicht g,egeben ist.
In diesem Sinne soll der hier vorgelegte Versuch als eine Anregung zum
Durchdenken der Fragestellungen vIerstanden werden. Nur in seinem letzten
Teile verfolgt er das Ziel, die bisher aus dem Stresemann-Nachlaß bekannt-
gewordenen Dokumente neu einzuarbeiten, während die übrigen Abschnitte
vorwiegend auf einer kritischen Verwendung des schon bekanntgewordenen
Materials beruhen.
Für Hilfe und Unterstützung habe ich dem Friedrich-Meinecke-Institut
der Freien Universität Berlin, das mir eine Reihe von Filmrollen des Strese-
mann-Nachlasses zur Verfügung stellte, und dem Institut für Zeitgeschichte
in München zu danken. Herr Botschafter a. D. Herbert von Dirksen, der
in diesen Tag,en verstorben ist, und vor allem Herr Botschaftsrat a. D.
Gustav Hilger haben mich durch wertvolle Mitteilungen zu besonderem
Dank verpflichtet. Mein Kollege und Freund, Professor Kar! Dietrich Erd-
mann, Kiel, stellte mir seine Auszüge aus den Stresemann-Papieren zur Ver-
fügung, die ich später noch durch die Benutzung des Mikrofilms ergänzen
konnte.
Als im am 16. März 1955 einen ersten Entwurf dieser Untersuchung
der Arbeitsgemeinsmaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen in
einem Vortrag vorlegte, haben sim die Herren Kultusminister Werner
Schütz, Staatssekretär Prof. Loo Brandt, Prälat Prof. Dr. Georg Schreiber,
Ministerialrat Dr. Erich Kor.dt, Professor Dr. Peter Rassow, Prof. Dr.
Günther Jammann mit wertvollen Beiträgen an der Diskussion beteiligt,
deren Anregungen im für ,den endgültigen Text verwertet habe.
VERÖFFENTLICHUNGEN DER
ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN

NATURWI~ENSCHAFTEN

HEFT 1 HEFT 6
P,of. D,.-In$' F,iedrich Seewald, Aachen Prof. Dr. Wil/ter Wtizel, Bonn
Neue EntwIcklungen auf dem Gebiet der An- Die geJenwärtige Situation der Grundlagenfor-
criebsmasminen sdtung In der Physik
P,of. Dr.-Ing. Fried,ich A. F. Schmidt, Aachen Prof. Dr. Siegfritd Strug,er, Münster
Tedtni.dter Stand und Zukunftsaussidtten der Ver- Das Duplikantenproblem In der Biologie
brennungsmasdtinen, insbesondere der Gasturbinen Direktor Dr. Fritz Gummert, Esstn
Dr.-Ing. RMdolf Friedrich, Millheim (R ..hr) Uberlegungen zu den Faktoren Raum und Zeit im
Möglidtkeiten und Voraussetzungen der industriel- biologi.dten Gesdtehen und Möglidtkeiten einer
len Verwertung der Gasturbine Nutzanwendung
19S1, 12 Seiten, 15 Abb., kartoniert, DM 2,n 1952, 64 Stiten, 20 Abb., kartoniert. DM J.-

HEFT 7
HEFT 2 Prof. Dr.-Ing. AllgllSt Gölte, Aachell
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Riezler, BOlln Steinkohle ab Rohstoff und Energiequelle
Probleme der Kernphysik Prof. Dr. Dr. E. h. Karl Ziegler, Millheim (RMhr)
Prof. Dr. Fritz Micheel, Münster Uber Arbeiten des Max-Planck-Institutes für Koh-
Isotope als Forsdtungsmittel in der Chemie und lenforsdtung
Biodtemie 1913, 66 Seiten, 4 Abb., kartoniert, DM 3,60
1951, 40 Seiten, 10 Abb., kartoniert, DM 2,40
HEFTS
HEFT 3 Prof. Dr.-lng. Wilhelm Fllcks, Allcbell
Prof. Dr. Emil Lehnartz, Münster Die Naturwissensdtaft, die Tedtnik und der Mensdt
Der Chemismus der Muskelmaldtine Prof. Dr. Walther HoffmaIlII, Milnster
Prof. Dr. G ..nther Lehmann, Dortmllnd Wirtldtaftlidte und .oziologisdte Probleme des
Phy.iologisdte Forsdtung als Voraussetzung der tedtni.dten Fortsdtritts
Be.tgestaltung der mensdtlidten Arbeit 1912, 84 Stiten, 12 Abb., kartoniert, DM 4,80
Prof. Dr. Heinrich Kraut, Dortmllnd
Ernährung und Leistung.fähigkeit HEFT 9
19S1, 60 Seiten, 31 Abb., kartoniert, DM 3,10 Prof. Dr.-Ing. Franz Bol/enrllth, Aacben
Zur Entwicklung warmfester Werkstoffe
Prof. Dr. Htillricb Kai"r, Dortmlllld
HEFT 4 Stand spektralanalytisdter Prüfverfahren und Fol-
Prof. Dr. Franz Wever, Dilsst/dorf gerung für deutsdte Verhältnisse
Aufgaben der Eisenforsdtung 1912, 100 Seietn, 62 Abb., kartoniert, DM 6,-
Prof. Dr.-Ing. Hermann Schenck, Aacben
Entwicklungslinien des deutsdten Eisenhüttenwesens HEFT 10
Prof. Dr.-Ing. Ma" Haas, Aachtn Prof. Dr. Hans BraIIn, Bonn
Wittsdtaftlidte Bedeutung der Leidttmetalle und Möglidtkeiten und Grenzen der Resistenzzüdttung
ihre Entwicklungsmöglidtkeiten
Prof. Dr.-Ing. Carl Heinricb Dellcker, Bonll
1952, 60 Seiten, 20 Abb., kartoniert, DM 3,50 Der Weg der Landwirt.dtaft von der Energie-
autarkie zur Fremdenergie
HEFT 5 1912, 74 Seiltn, 23 Abb., kartoni"t, DM 4,30
P,of. Dr. Walter Kikllth, DillStldorf
Virusfor.dtung HEFT 11
Prof. Dr. Rolf Danneel, Bonn Prof. Dr.-lng. Herwart Opitz, A.cbell
Fortsdtritte der Krebsforsdtung Entwicklungslinien der Fertigungstedtnik ia der
Prof. Dr. Dr. Werner Schllitmann, Bonn Metallbearbeitung
Wirtsdtaftlidte und organilatorisdte Gesidtts- Prof. Dr.-Ing. Karl Krekeler, Aacb,"
punkte für die Verbesserung un.erer Hodtsdtul- Stand und Aussidlten der sdtweißtedtnisdten Fer-
forsdtung tigung.verfahren
1912,'0 Seiten, 2 Abb., kllrtoni.,t, DM 2,75 1912, 72 Seitell, 49 Ab"., k"rtolliert, DM 1,-
HEFT 12 HEFT 21
Dr. H.,mann Rathert, Wuppertal-Elberfeld Prof. Dr. Robert Schwarz, Aachen
Entwicklung auf dem Gebiet der Chemiefaser- Wesen und Bedeutung der Silicium-Chemie
Herstellung Prof. Dr. Dr. h. c. Kurt Alder, Köln
Prof. Dr. Wilhelm Weltzien, Krefeld Fortschritte in der Synthese von Kohlenstoff-
Rohstoff und Veredlung in der Textilwirtschaft verbindungen
1952, 84 Seiten, 29 Abb., kartoniert, DM 4,80 1954, 76 Seiten, 49 Abb., kartoniert, DM 4,-

HEFT 13 HEFT 21a


Dr.-Ing. E. h. Karl Herz, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Dr. h. c. Ouo Hahn, Göttingen
Die technischen Entwicklungstendenzen im elek- Die Bedeutung der Grundlagenforschung für die
trischen Nachrichtenwesen Wirtschaft
Staatssekretär Prof. Leo Brandt, Düsstldorf Prof. Dr. Siegfried Strugg." Münst.,
Navigation und Luftsicherung Die Erforschung des Wasser- und Nährsalztran.-
portes im Pflanzen körper mit Hilfe der fluoreszenz-
1952, 102 Seiten, 97 Abb., kartoniert, DM 7,25 mikroskopischen Kinematographie
HEFT 14 1953, 74 Seiten, 26 Abb., kartoniert, DM 5,-
Prof. Dr. Burckhardt Helferich, Bonn HEFT 22
Stand der Enzymchemie und ihre Bedeutung Prof. Dr. Johannet von Allesd>, Göttingen
Prof. Dr. Hugo Wilhelm Knipping, Köln Die Bedeutung der Psychologie im öffentlichen
Ausschnitt aus der klinischen Carcinomforschung Leben
am Beispiel des Lungenkrebses Prof. Dr. Otto Graf, Dortmund
1952, 72 Seiten, 12 Abb., kartoniert, DM 4,30 Triebfedern mensdtlicher Leistung
1953, 80 Seiten, 19 Abb., kartoniert, DM 4,-
HEFT 15
Prof. Dr. Abraham Esau t, Aad>en HEFT 23
Ortung mit elektrischen und Ultrasmallwellen in Prof. Dr. Dr. h. c. Bruno Kuske, Köln
Technik und Natur Zur Problematik der wirtschaftswissenschaftlichen
Prof. Dr.-Ing. Eugen Flegler, Aad>en Raumforschung
Die ferromagnetischen Werkstoffe der Elektro- Prof. Dr. Dr.-Ing. E. h. Stephan Prager, Diisseldorj
technik und ihre neueste Entwicklung Städtebau und Landesplanung
1953, 84 Seiten, 25 Abb., kartoniert, DM 4,80 1954, 84 Seiten, kartoniert, DM 3,50
HEFT 24
HEFT 16 Prof. Dr. Rolf Danneel, Bann
Prof. Dr. Rudolf Se:yff.,t, Köln Ober die Wirkungsweise der Erbfaktoren
Die Problematik der Distribution Prof. Dr. Kurt Herzog, Krefeld
Prof. Dr. Theodor Beste, Köln Bewegungsbedarf der menschlichen Gliedmaßen-
Der Leistungslohn gelenke bei der Berufsarbeit
1952, 70 Seiten, 1 Abb., kartoniert, DM 3,50 1953, 76 Seiten, 18 Abb., kartoniert, DM 4,-
HEFT 25
HEFT 17 Prof. Dr. OUo Haxel, Heide/berg
Prof. Dr.-Ing. Friedrich Seewald, Aad>en Energiegewiunung aus Kernprozessen
Luftfahrtforschung in Deutschland und ihre Be- Dr.-Ing. Dr. Max Wolf, Düsstldor!
deutung für die allgemeine Technik Gegenwartsprobleme der energtewirtschaftlichen
Prof. Dr.-Ing. Edouard Houdremont, Essen Forschung
Art und Organisation der Forschung in einem 1953, 98 Seiten, 27 Abb., kartoniert, DM 5,25
Industrieforschungsinstitut der Eisenindustrie
HEFT 26
1953, 90 Seiten, 4 Abb., kartoniert, DM 4,20
Prof. Dr. Friedrich Becker, Bonn
HEFT 18 Ultrakurzwellenstrahlung aus dem Weltraum
Prof. Dr. Dr. Wern., Sd>ulemann, Bann Dr. Hans StraßI, Bann
Theorie und Praxis pharmakologischer Forschung Bemerkenswerte Doppelsterne und das Problem
der Sterne nt wicklung
Prof. Dr. Wilhelm Groth, Bann
Technische Verfahren zur Isotopentrennung 1954, 70 Seiten, 8 Abb., kartoniert, DM 3,60
1953, 72 Seiten, 17 Abb., kartoniert, DM 4,- HEFT 27
Prof. Dr. Heinrid> Behnke, Münster
HEFT 19 Der Strukturwandel der Mathematik in der ersten
Dipl.-Ing. Kurt Traenckner, Essen Hälfte des 20. Jahrhundem
Entwiddungstendenzen der Gaserzeugung Prof. Dr. Emanuel Sperner, Hamburg
Eine mathematische Analyse der Luftdruc:kvertei-
1953, 26 Seiten, 12 Abb., kartoniert, DM 1,60 lungen in großen Gebieten
1956, 96 Seiten, 12 Abb, S Tab., kartoniert, DM S,-
HEFT 20
M. Zvegintzow, London HEFT 28
Wissenschaftliche Forschung und die Auswertung Prof. Dr. Oskar Niemcz:yk, Aad>tn
ihrer Ergebnisse Die Problematik gebirgsmechanischer Vorgänge im
Ziel und Tätigkeit der National Research Steinkohlenbergbau
Development Corporation
Prof. Dr. Wilhelm Ahrens, Krefeld
Dr. Alexand., King, London Die Bedeutung geologischer Forschung für die
Wissenschaft und internationale Beziehungen WirtSchaft, besonders in Nordrhein-Westfalen
1954, 88 Stiten, kartoniert, DM 4,20 1955, 96 Stiten, 12 Abb., kartonitrt, DM S,25
HEFT 29 HEFT 38
Prof. Dr. Bernhard Renseh, Münster Dr. E. Colin Cherry, London
Das Problem der Residuen bei Lernleistungen Kybernetik
Prof. Dr. Hermann Fink, Köln Prof. Dr. Erich Pietseh, Clausthal-Zellerfeld
Uber Leberschäden bei der Bestimmung des bio- Dokumentation und mechanisches Gedächtnis
logischen Wertes verschiedener Eiweiße von Mikro- zur Frage der Okonomie der geistigen Arbeit
organismen 1954, 108 Seiten, 31 Abb., kartoniert, DM 5,25
1954, 96 Seiten, 23 Abb., kartoniert, DM 5,25
HEFT 39
HEFT 30
Dr. Heinz Haase, Hamburg
Prof. Dr.-Ing. Friedrich Seewald, Aaehen Infrarot und seine tedtnischen Anwendungen
Forsmungen auf dem Gebiete der Aerodynamik
Prof. Dr. Abraham Esau t, Aachen
Prof. Dr.-lng. Karl Leist, Aachen Ultraschall und seine temnischen Anwendungen
Einige Forschungsarbeiten aus der Gasturbinen-
temnik 1955, 80 Seiten, 25 Abb., kartoniert, DM 4,80
1955, 98 Seiten, 45 Abb., kartoniert, DM 7,-
HEFT 40
HEFT 3\ Bergassessor Fritz Lange, Bochum-Hordel
Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Fritz Mietzseh, Wuppertal Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der
Chemie und wirtsmaftliche Bedeutung der Sulfon- Silikose im Bergbau
amide Prof. Dr. Walter Kikuth, Düsseldorf
Prof. Dr. Dr. h. c. Gerhard Domagk, Wuppertal Die Entstehung der Silikose und ihre Verhütungs-
Die experimentellen Grundlagen der bakteriellen maßnahmen
Infektionen 1954, 120 Seiten, 40 Abb., kartoniert, DM 7,25
1954, 82 Seiten, 2 Abb., kartoniert, DM 4,-
HEFT 40a
HEFT 32 Prof. Dr. Eberhard Gross, Bann
Prof. Dr. Hans Braun, Bann Berufskrebs und Krebsforsmung
Die Verschleppung von Pflanzenkrankheiten und Prof. Dr. Hugo Wilhelm Knipping, Köln
-schädigungen über die Welt Die Situation der Krebsforschung vom Standpunkt
Prof. Dr. Wilhelm Rudorf, Voldagsen der Klinik
Der Beitrag von Genetik und Zümtung zur Be- 1955, 88 Seiten, 31 Abb., kartoniert, DM 5,-
kämpfung von Viruskrankheiten der Nutzpflanzen
1953, 88 Seiten, 36 Abb., kartoniert, DM 5,- HEFT 4\
Direktor Dr.-Ing. Gustav-Victor Lachmann, London
HEFT 33 An einer neuen Entwicklungssmwelle im Flugzeugbau
Prof. Dr.-Ing. Volker Aschoff, Aaehen Direktor Dr.-lng. A. Gerber, Zürieh-Oerlikon
Probleme der elektroakustismen Einkanalübertra- Stand der Entwicklung der Raketen- und Lenk-
gung tedlnik
Prof. Dr.-Ing. Herbert Döring, Aaehen 1955, 88 Seiten, 44 Abb., kartoniert, DM 6,-
Erzeugung und Verstärkung von Mikrowellen
1954, 74 Seiten, 23 Abb., kartoniert, DM 4,30 HEFT 42
Prof. Dr. Theodor Kraus, Köln
HEFT 34 Lokalisationsphänomene und Raumordnung vom
Geheimrat PrOf. Dr. Dr. Rudolf Sehende, Aachen Standpunkt der geographischen Wissenschaft
Bedingungen und Gang der Kohlenhydratsynthese Direktor D,. Fritz Gummert, Essen
im Limt Vom Ernährungsversumsfeld der Kohlenstoffbio-
Prof. Dr. Emil Lehnartz, Münster logismen Forsmungsstation Essen
Die Endstufen des Stoff abbaues im Organismus in Vorbereitung
1954, 80 Seiten, 11 Abb., kartoniert, DM 4,20
HEFT 42a
HEFT 35 Prof. Dr. Dr. h. c. Gerhard Domagk, Wuppertal
Prof. Dr.-Ing. Hermann Sehenck, Aachen Fortschritte auf dem G~biet der experimentellen
Gegenwartsprobleme der Eisenindustrie in Deutsch- Krebsforsmung
land 1954, 46 Seiten, kartoniert, DM 2,-
Prof. Dr.-lng. Eugen Piwowarsky t, Aachen HEFT 43
Gelöste und ungelöste Probleme im Gießereiwesen
1954, 110 Seiten, 67 Abb., kartoniert, DM 6,50 Prof. Giovanni Lampariello, Rom
Ober Leben und Werk von Heinrim Hertz
HEFT 36 Prof. Dr. Walter Weizel, Bann
Prof. Dr. Wolfgang Riezler, Bonn Ober das Problem der Kausalität in der Physik
Teilmenbesmleuniger 1955, 76 Seiten kartoniert, DM 3,30
Prof. Dr. Gerhard Sehubert, Hamburg
Anwendung neuer Strahlenquellen in der Krebs- HEFT 43a
therapie Prof. Dr. lose Ma Albareda, Madrid
1954, 104 Seiten, 43 Abb., kartoniert, DM 7,- Die Entwicklung der Forsmung in Spanien
in Vorbereitung
HEFT 37
Prof. Dr. Franz Latze, Münster HEFT 44
Probleme der Gebirgsbildung Prof. Dr. Burdehardt Hel/erieh, Bann
Bergwerksdirektor Bergassessor a.D. G. Rausehenbaeh, Ober Glykoside
Essen Prof. Dr. Fritz Micheei, Münster
Die Erhaltung der Förderung,kapazität des Ruhr- Kohlenhydrat-Ei weiß- Verbindungen und ihre bio-
bergbaues auf lange Simt memisme Bedeutung
in VorbereitJm, in Vorbereitun,
HEfT 4S JAHRESFEIER 1955
Prof. Dr. lohn "on Ne"mann, Princeton, USA Prof. Dr. losef Pieper, Münsttr
Entwicklung und Ausnutzung neuerer mathemati- Ober den Philosophie-Begriff Platons
smer Masminen
Prof. Dr. Walter Weizei, Bann
Prof. Dr. E. Stiefel, Zürich Die Mathematik und die physikalisme Realität
Remenautomaten im Dienste der Temnik mit Bei- 1955. 62 Seiten, kartoniert, DM 2,ge
.pielen aus dem Zürimer Institut für angewandte
Mathematik
HEFT 52a
1955, 74 Seiten, 6 Abb., kartoniert, DM 3,50 Dr. D. C. Martin, London
Gesmimte und Organisation der Royal Sodety
HEfT 46 Dr. Roux, Südafrika
Prof. Dr. Wilhe/rn Weltzien, Kreleld Probleme der wissensmaftlimen Forsmung in der
Ausblick auf die Entwicklung synthetismer Fasern Südafrikanismen Union
in Vorbereitung
Prof. Dr. Walther Hoffmann, Münster
Wamsturnsformen der Industriewirtsmaft
HEFT 53
in Vorbereitung Prof. Dr.-Ing. Georg Schnadd, Hamburg
Forsmungsaufgaben zur Untersumung der Festig·
18 NEUE fORSCHUNGSSTELLEN keitsprobleme im Smiffsbau
im Land Nordrhein-Westfalen Prof. Dipl.-Ing. Wilhelm Sturtzel, Dui,bNrg
1954, 176 Seiten, 70 Abb., k.rtoniert, DM 10,- Forsmungsaufgaben Zur Untersumung der Wider-
standsprobleme im Smiffsbau
in Vorbereitung
HEfT 47
Staatssekretär Prof. Leo Brandt, Düsseldorf
Die praktisme Förderung der Forsmung in Nord- HEFT 53a
rhein- Westfalen Prof. Giovanni Lampariello, Rom
Prof. Dr. Ludwig Raiser, Bad Godesberg Von Galilei zu Einstein
Die Förderung der angewandten Forsmung durm 1956, 92 Seiten, kartoniert, DM 4,20
die Deutsme Forsmungsgemeinsmaft
HEFT 54
in Vorbereitung
Prof. Dr'lulius Bartei" Göttingen
HEFT 48 Sonne un Erde - das Thema des internationalen
geophysikalismen Jahres
Dr. Hermann Tramp, Rom Direktor Dr. Walter Dieminger, LindaulHarz
Bestand.aufnahme der Wälder der Welt als inter- lonosphäre und drahtloser Weitverkehr
nationale und wissensmaftlime Aufgabe in Vorbueitung
Prof. Dr. Franz Heske, Schloß Reinbek
Die Wohlfahrtswirkungen des Waldes als inter- HEFT 54a
nationales Problem
in Vorbereitung Sir lohn Cockcroft, London .
Die friedlime Anwendung der KernenergIe
in Vorbereitung
HEFT 49
Präsident Dr. G. Böhnecke, Hamburg
Zeitfragen der Ozeanographie HEFT 55
Reg.-Direktor Dr. H. Gabler, Hamburg Prof. Dr.-lng. Fritz Schultz-Grunow, Aachen
Nautisme Temnik und Smiffssimerheit Das Kriemen und Fließen homzäher und plastismer
1955, 120 Seiten, 49 Abb., kartoniert, DM 7,50 Stoffe
Prof. Dr.-Ing. Hans Ebner, Aachen
HEFT 50 Wege und Ziele der Festigkeitsforsmung besonders
Prof. Dr.-Ing. Friedrich A. F. Schmidt, Aachen im Hinblick auf den Leimtbau
Probleme der Selbstzündung und Verbrennung bei in Vorbtrtitung
der Entwicklung der Homleistungskraftmasminen
Prof. Dr.-Ing. A. W. Quick, Aachen HEFT 56
Ein Verfahren zur Untersumung des Au"ausmvor- Prof. Dr. Ern't Derra, Düsseldorf
ganges in verwirbelten Strömungen hinter Körpern Der Entwicklungsstand der Herzmirurgie
mit abgelöster Strömung Prof. Dr. Gunther Lehmann, Dortmund
1956, 88 Seiten, 38 Abb., kartoniert Muskelarbeit und Muskelermüdung in Theorie und
Praxis
HEFT 51 in Vorbereitllnt
Prof. Dr. Siegfried Strugger, Münster
Struktur, Entwicklungsgesmimte und Physiologie
der Chloroplasten HEFT 57
Direktor Dr. 1. Pätzold, Erlangen Prof. Dr. Theodor von Karman, Pasadena
Therapeutisme Anwendung memanismer und elek- Freiheit und Organisation in der Luftfahrtfor-
trischer Energie schung
in Vorbereitung in VorbereItung

HEFT 52 HEFT 58
MT. Patmore, London
Lufttümtigkeit und tedlnisme Prüfung der Flug- Prof. Dr. Fritz Schröter, Ulm
zeuge in England Neue Forsdtungs- und Entwicklungsrichtungen im
Fernsehen
Prol. A. D. Young, Cranfield
Die Ausbildung des Ingenieurnamwumses auf dem Prof. Dr. Albert Narath, Berlin
Luftfahrtgebiet in Engl.nd Der gegenwärtige Stand der Filmtechnik
in Vorbereitung in Vorbereitung
HEFT 59 HEFT 60
Prof. Dr. Richard Courant, New York Prof· Dr. Wolfgang Flai!, Braunschwei~
Die Bedeutung der modernen mathematischen Grundlagenforschung au dem Gebiet des Humus
Rechenmaschinen für mathematische Probleme der und der Bodenfruchtbarkeit
Hydrodynamik und Reaktortechnik Prof. Dr. Dr. Eduard Mückenhausen, Bann
Prof. Dr. Ernst Peschi, Bann Typologische Bodenentwicklung und Bodenfrucht-
Die Rolle der komplexen Zahlen in der Mathe- barkeit
matik und die Bedeutung der komplexen Analysis in Vorbereitung
in Vorbtreitunz

GEISTESWISSENSCHAFTEN

HEFT 1 HEFT 10
Prof. Dr. Wern., Richter, Bann Prof. Dr. Peter Rassow, Köln
Die Bedeutung der Geisteswissenschaften für die Forschungen zur Reichsidee im 16. und 17. Jahr-
Bildung unserer Zeit hundert
Prof. Dr. Joachim Ritter, Münster 1955, 32 Seiten, kartoniert, DM 1,50
Die aristotelische Lehre vom Ursprung und Sinn
der Theorie HEFT 11
1953, 64 Seiten, kartoniert, DM 2,90 Prof. Dr. Hans Erich Stier, Münster
Roms Aufstieg zur Weltherrschaft
HEFT 2 in Vorbertitung
Prof. Dr. Josef Kroll, Köln
Elysium HEFT 12
Prof. Dr. Günther Jachmann, Köln Prof. D. Karl Heinrich Rengstorf, Münster
Die vierte Ekloge Vergils Mann und Frau im Urchristentum
1953, 72 Seiten, kartoniert, DM 2,90 Prof. Dr. Hermann Conrad, Bonn
Grundprobleme einer Reform des Familienrechts
HEFT 3
1954, 106 Seiten, kartoniert, DM 4,50
Prof. Dr. Hans Erich Stier, Münster
Die klassische Demokratie
HEFT 13
1954, 100 Seiten, kartoniert, DM 4,50
Pro f. Dr. M ax Braubach , Bann
HEFT 4 Der Weg zum 20. Juli 1944
Prof. Dr. Werner Caskel, Köln 1953, 48 Seiten, kartoniert, DM 2,20
Lihyan und Lihyanisch. Sprache und Kultur eines
früharabischen Königreiches HEFT 14
1954, 168 Seiten, 6 Abb., kartoniert, DM 8,25 Prof. Dr. Paul Hübinger, Münster
Das deutsch - französische Verhältnis und seine
HEFT 5 mittelalterlichen Grundlagen
Prof. Dr. Thomas Ohm, Münster in Vorbereitung
Stammesreligionen im südlichen Tanganyika-
Territorium HEFT 15
1953, 80 Seiten, 25 Abb., kartoniert, DM 8,- Prof. Dr. Franz Steinbach, Bann
Der geschichtliche Weg des wirtschaftenden Men-
HEFT 6 schen in die soziale Freiheit und politische Ver~
Prälat Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Schreiber, Münster antwortung
Deutsche Wissenschaftspolitik von Bismarck bis zum 1954, 76 Seiten, kartoniert, DM 2,90
Atomwissenschaftler Otto Hahn
1954, 102 Seiten, 7 Abb., kartoniert, DM 5,- HEFT 16
Prof. Dr. Josef Koch, Köln
HEFT 7 Die Ars coniecturalis des Nikolaus von Cues
Prof. Dr. Walter Holtzmann, Bonn 1956, 56 Seiten, 2 Abb., kartoniert, DM 2,90
Das mittelalterlidte Imperium und die werdenden
Nationen HEFT 17
1953, 28 Seiten, kartoniert, DM 1,30
Prof. Dr. James Conant,
HEFT 8 US-Hochkommissar für Deutschland
Prof. Dr. Werner Caskel, Köln Staatsbürger und Wissenschaftler
Die Bedeutung der Beduinen in der Geschichte der Prof. D. Karl Heinrich Rengstorf, Münster
Araber Antike und Christentum
1954, 44 Seiten, kartoniert, DM 2,- 1953, 48 Seiten, 2 Abb., kartoniert, DM 2,90
HEFT 9
Prälat Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Schreiber, Münster HEFT 18
trland im deutschen und abendländischen Sakral- Prof. Dr. Richard Alewyn, Köln
raum Klopstocks Publikum
1956, 128 Seiten, 20 Abb., kartoniert, DM 9,- in Vorbereitung
HEFT 19 HEFT 32
Prof. Dr. Fritz Schalk. Köln Prof. Dr. Fritz Schalk, Köln
Das Lächerliche in der französischen Literatur des Somnium und verwandte Wörter in den romam·
Ancien Regime schen Sprachen
1954. 42 Seiten. kartoniert. DM 2.- 1955, 48 Seiten, 3 Abb., kartoniert, DM 2,j0
HEFT 33
HEFT 20
Prof. Dr. Friedrich Dessauer. Frankfurt a. M.
Prof. Dr. Ludwig Raiser. Bad Godesberg Erbe und Zukunft des Abendlandes
Rechtsfragen der Mitbestimmung in Vorbereitl4ng
1954. 48 Seiten. kartoniert. DM 2.-
HEFT 34
HEFT 21 Prof. Dr. Thomas Ohm, Münster
Ruhe und Frömmigkeit
Prof. D. Martin Noth. Bann
Das Gesmimtsverständnis der alttestamentlichen 1955. 128 Seiten, 30 Abb .• kartoniert. DM 8,-
Apokalyptik HEFT 35
1953.36 Seiten. kartoniert. DM 1,60
Prof. Dr. H~rmann Conrad, Bann
Die mittelalterliche Besiedlung des deutschen Ostem
HEFT 22 und das Deutsche Recht
Prof. Dr. Walter F. Schirmer. Bann 1955, 40 Seiten, kartoniert, DM 2,-
Glück und Ende des Könige in Shakespeares
Historien HEFT 36
1954. 32 Seiten. kartoniert. DM 1.50 Prof. Dr. Hans Sckommodau, Köln
Die religiösen Dichtungen Margaretes von Navarra
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Der homerische Schiffskatalog und die !lias
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Der Mainzer Kopf mit der Binde
HEFT 24 1955, 88 Seiten, 40 Abb., kartoniert, DM 6,-
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neuen Ausgrabungen unter der Peterskirche Prof. Dr. Joseph Hö//ner, Münster
Statik und Dynamik in der scholastischen Wirt-
in Vorbereitung schaftsethik
1955, 48 Seiten. kartoniert, DM 2,20
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1955. 48 Seiten. kartoniert. DM 2,20 Diderots Essai über Claudius und Nero
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Prof. Dr. Fritz Schalk. Köln HEFT 40
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Währungsrechts
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Vom Leben geflügelter Worte HEFT 41
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Prof. Dr. Thomas Ohm, Münster 1955, 72 Seiten, kartoniert, DM 3,25
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1954,50 Seiten, 4 Abb., kartoniert, DM 5,- HEFT 42
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HEFT 29 Von der Empfindsamkeit zur Romantik
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Die Ordnung der Sprache im persönlichen und
öffentlichen Leben HEFT 43
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Die Probleme des Rapallo- Vertrages
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1954, 44 Seiten, kartoniert, DM 2,- Stilphasen der spätantiken Kunst
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Entstehung und Entwicklung der landesgeschicht- Dr. Vlrich Luck, Münster
lichen Bestrebungen und historischen Vereine im Kerygma und Tradition in der Hermeneutik Adolt
Rheinland Schlatters
1955, 32 Seiten, kartoniert, DM 1,60 1955. 136 Seiten, kartoniert. DM 6,15
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Die Bibliothec. Hertziana und der Palazzo Zuccari
1955, 68 Seiten, 7 Abb., kartoniert, DM 3,50 HEFT 54
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JAHRESFEIER 19S5 Der Einmarsch der deutschen Truppen in die ent-
Prof. Dr. Josef Pieper, Münster militarisierte Zone am Rhein im März 1936. Ein
Ober den Philosophie-Begriff Platons Beitrag zur Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges
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1955, 62 Seiten, kartoniert, DM 2,90 Prof. Dr. Herbert von Einem, Bonn
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