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Ulrich Albrecht · Randolph Nikutta

Die sowjetische Rüstungsindustrie


Ulrich Albrecht · Randolph Nikutta

Die sowjetische
Rüstungsindustrie

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH


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Foto: "Man beating sword into plowshave"- Geschenk der UdSSR für die UNO, New York

ISBN 978-3-663-20103-8 ISBN 978-3-663-20464-0 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-663-20464-0
Inhalt

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . 9
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1. Abhängigkeit von ausländischer Technologie? . . . . . . 25


1.1 Die Luftfahrtindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.2 Sowjetische Panzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
1.3 Giftgas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
1.4 Raketen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
1.5 Ergebnisse . . . . . . . 83

2. Die sowjetische Bombe 98


Die Entwicklung der ersten Nuklearwaffe in der UdSSR . . . 98
2.1 Die ,,Laborphase" des Bombenprojekts. . . . . . . . . . . . . . . 100
2.2 Der NKWD übernimmt das Bombenprojekt . . . . . . . . . . . . . 105
2.3 Die deutschen Atomforscher in der UdSSR . . . . . . . . . . . . . 109
2.4 Der sowjetische Kampf um die Bombentechnologie . . . . . . . . . 112
2.5 Technologietransfer aus dem Westen? . . . . . . . . . . . . . . . . 117
2.6 Der letzte Schritt zur Bombe . 120

3. Exkurs: Die Rolle Stalins . . 122

4. Die Beziehunge"J. zwischen Partei und Rüstungsindustrie . 131


4.1 Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungs-
strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4 .1.1 Die Ministerien der rüstungsindustriellen Gruppe . . . . . . . . . . 13 3
4.1.2 Die Militärisch-Industrielle Kommission . . . . . . . . . . . . . . 141
4.1.3 GOSPLAN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
4.1.4 Die Abteilung Rüstungsindustrie des ZK-Sekretariats . . . . . . . . 152
4.1.5 Der Verteidigungsrat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
4.1.6 Das Politbüro . . . . . • . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
4.2 Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als
bürokratische Interessengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
4.2.1 Akteure, Interessen und Einflußmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . 173
4.2.2 Das rüstungsindustrielle Ministerium . . . . . . . . . . . . . . . . 175
4.2.3 Die Waffenkonstrukteure. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
4.2.4 Die Manager von Rüstungsbetrieben . . . . . . . . . . . . . . . . 208
4.2.5 Die Ministerien der Rüstungsindustrie und das Militär . . . . . . . . 212
4.2.6 Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
6 Inhalt

5. Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit


Nuklearantrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
5.1 Ein sowjetisches Programm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
5.2 Das amerikaDisehe Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
5.3 Endkampf um den Bomber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
5.4 Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

6. Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten


und ihr Bezug auf die sowjetische Rüstungsindustrie . . . . . . . 253

7. Einzelstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
7.1 Eine MiG im Westen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
7.2 Sowjetische Seekriegsrüstung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
7.3 Waffenexporte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

8. Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung . . . . . . . . . . . . 281


8.1 Neuere Totalitarismuskonzepte . . . . . . . . . . . . . . 281
8.2 Die UdSSR als bürokratisches Herrschaftssystem . . . . . . . . . . 283
8.3 Theoreme von Interessengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
8.3.1 Der Interessengruppenansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
8.3.2 Mischansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
8.4 Ein militärisch-industrieller Komplex? . . . . . . . . . . . . . . . 297
8.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
8.6 Perspektiven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

9. Exkurs: Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute-


ein Querschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

10. Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
A) Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion . . . . . . . . . . . . . . . 332
B) Die geographische Lage sowjetischer Rüstungsbetriebe . . . . . . . . . 349
C) Auswahlbibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Tupolews dreifacher Anlauf, den amerikanischen Bomber


B-29 zu kopieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Abb.2: Tupolews vorsichtiger Übergang zum Düsenbomber: Austausch
der beiden Sternmotoren (ASch-82) durch zwei britische Rolls-
Royce "Derwent" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Abb.3: Sowjetische Kopien amerikanischer Sikorsky-Hubschrauber. 43
Abb.4: Die Rückführung des ersten Raketenjägers des MiG-Teams
auf deutsche Projekte . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Abb.5: Jakowlews vorsichtiger Übergang zum Düsenjäger: Austausch
des Kolbenmotors (Klimow WK-107) durch einen deutschen
Jumo004B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Abb.6: Suchojs Kopie eines deutschen Düsenflugzeuges . . . . . . 63
Abb. 7: Der Weg zu Iljuschins erstem viermotorigen Düsenbomber
über die deutschen Vorgaben Ar-234 und He 343 . . . . . . . . 66
Abb. 8: Prinzipskizze (annähernd maßstäblich) der vom Gröttrup-Team
in der UdSSR entworfenen Kegelrakete "R-24" . . . . . . . . . 81
Abb.9: Entwürfe für den ersten einmotorigen (links) und den ersten
zweimotorigen Strahljäger von Jakowlew, Mikojan-Gurewitsch,
Suchoj und Lawotschkin . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Abb.10: Neueres Beispiel von Kopierverhalten: Transporter mit
Höchstauftriebshilfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
Abb. 11: Modellzeichnung des US-Bombers Northrop B-2 . . . 222
Abb. 12: Sowjetische Wahrnehmung eines US-Flugzeuges mit
Nuklearantrieb, 1984 . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Abb. 13: Prinzipienskizze eines geschlossenen Kreislaufes für einen
nuklearen Flugzeugmotor . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Abb. 14: Sowjetische Darstellung eines Flugmotors mit Kernreaktor
(offener Kreislauf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
Abb. 15: Amerikanische Darstellung eines Flugmotors mit Kernreaktor
(offener Kreislauf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
Abb. 16: Amerikanische Fehlwahrnehmung eines sowjetischen nuklear
angetriebenen Bombers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
8 Abbildungsverzeichnis

Abb. 17: Amerikanische Nuklearflugmotoren im Idaho National


Engineering Laboratory, Idaho Falls, Idaho • . . • . . . 245
Abb. 18: Ein polnisches Kampfflugzeug im Vergleich . . . . . . . . . . . 260
Abb. 19: Frühere Kartenfälschungen in der UdSSR als Beispiel für
Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . · . . . . . . . . . . . . . . 327
Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Transfers von Luftfahrttechnologie in die UdSSR . . 27


Tabelle 2: US-Flugzeugtransfers in die UdSSR im 2.Weltkrieg. 37
Tabelle 3: Nachbauten/Adaptionen ausländischer Flugmotoren . 45
Tabelle4: Konzept der Akquisition des Düsenantriebes im
sowjetischen Jägerbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . ·. . 87
Tabelle 5: Organisatorische Entwicklung der Ministerien der
sowjetischen Rüstungsindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Tabelle 6: Karriereverläufe von leitenden Rüstungsmanagern . . . . . . 181
Tabelle 7: Generationsfolgen in den Konstruktionsbüros der
Flugzeugindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Tabelle 8: Militärausgaben der CSSR, DDR und Polen. . . . . . 254
Tabelle 9: Die Rüstungstransfers der kleineren Sowjetalliierten . . . . . 256
Tabelle 10: Das V-Boot-Bauprogramm von 1948 . . . . . . . . . . . . . 268
Tabelle 11: Schrittfolge im sowjetischen Trägerbau . . . . . . . . . . . . 271
Tabelle 12: Sowjetische Rüstungsaußenwirtschaft . . . . . . . . . . . . , 274
Abkürzungsverzeichnis

GAS Gosudarstwennyi aviatzionnyi sawod = Staatliches Flugzeugwerk


GOSPLAN Gosudarstwennyi planowyi komitet Soweta Ministrow SSSR =
Staatliches Plankomitee
GOSSNAB Gosudarstwennyi komitet Soweta Ministrow SSSR po matrialno-
technitscheskomu snabscheniju = Staatliches Komitee für die mate-
rial-technische Versorgung
I Istrebitel = Jäger
MIK Militärisch-Industrielle Kommission
NKWD Narodnyi kommissariat wnutrennyk del = Staatskommission für In-
nere Angelegenheiten
NPO Nautschno-proiswodstwennoje Obyedinenije = Wissenschaftlich-
Technische Vereinigung
OKB Opytno konstruktorskoje bjuro= Büro/Konstrukteursgruppe für ex-
perimentelle Konstruktion
OTR Operativ-taktische Rakete
R Raketa = Rakete
RD Reaktiwnyi Dwigatel =Reaktionstriebwerk, Düsentaotrieb
RSFSR Russische Solzailistische Föderative Sowjetrepublik
ZAGI Zentralnuij Aero-Gidrodinamitscheskij Institut = Zentrales Aero-
und Hydrodynamisches Institut
Einleitung

Die sowjetische Rüstung hält in der sogenannten Nachkriegszeit den Westen in


Atem. Doch während über die Politik der Kommunistischen Partei oder auch die
Strategie der Sowjets zahlreiche Schriften erschienen sind, fehlt es besonders im
deutschen Sprachraum an wissenschaftlich gestützten, detaillierteren Untersuchun-
gen über den materiellen Kern, die Industrie, die die Rüstung für die Supermacht
Sowjetunion erzeugt. In der Forschungsbibliographie von Meyer etwa, die dem po-
litisch-administrativen System sowie der theoretischen Diskussion über die UdSSR
gewidmet ist, tauchen unter 1091 Einträgen ganze sechs Titel über Rüstung auf-
und die sind zumeist den Beziehungen zwischen Partei und Streitkräften gewid-
met) Zwar gibt es genügend Vormeinungen über die sowjetische Rüstungsindu-
strie. Sie bekomme bevorzugt Materialien und die besten Gehirne, sie sei der größ-
te Sektor in der Volkswirtschaft der UdSSR. Solche Vormeinungen können sich
auf amtliche Darstellungen im Westen stützen. "Die Sowjets sind der Welt größter
Waffenhersteller," äußern die Regierungen der NATO-Staaten.2 In einem Bericht
der "Defense Intelligence Agency", dem Geheimdienst des US-Verteidigungsmini-
steriums, heißt es im Jahre 1983:
"Die sowjetische Rüstungsindustrie ist in den vergangenen 20 bis 25 Jahren beständig
und konsequent gewachsen. Ihre militärische-industrielle Basis ist, was die Anzahl der
Eimichtungen und den physischen Umfang anbelangt, bei weitem die größte der Welt
und produziert mehr Einzelsysteme in größeren Mengen als jede andere Nation. Ihr
physisches Wachstum und die Bereitstellung großer Mengen an finanziellen und
menschlichen Mitteln ist ihr dynamischster Aspekt. Die Produktionsstätten scheinen
ständig zu arbeiten und erwecken den Eindruck, daß, noch während alte Waffenpro-
granune auslaufen, bereits neue begonnen werden, ein System, das keine Ausfallzeiten
oder lange Perioden des Stillstands und der Inaktivität zuläßt. Der zyklische Prozeß, die
ständige Erweiterung der Einrichtungen und die hohen Produktionsraten halten die
Waffenindustrie in einem hohen Bereitschaftsstand, um allen Eventualitäten gewachsen
zu sein."3
Die Urheber solcher Analysen sind offenbar von dem Eindruck bedrängt, eine un-
ablässige Produktion hochmoderner Waffen und die beständige Ausweitung der in-
dustriellen Basis für ihre Herstellung sei eine dem sowjetischen Herrschaftssystem
innewohnende Eigenschaft. Sie gehen aus vom Bild einer durchmilitarisierten so-
wjetischen Volkswirtschaft, die schon in sogenannten Friedenszeiten als "Kriegs-
wirtschaft" fungiert. Diese sowjetische Kriegsindustrie stellt den sowjetischen
Führungseliten die technischen Mittel bereit, um das angebliche Streben nach stra-
tegischer Überlegenheit umzusetzen und die Fähigkeit zur globalen Machtaus-
übung zu verleihen. Nicht nur in ihrer auswärtigen Politik, in ihrem Verhalten in

1 Meyer 1977
2 NATO 1982, S. 42; vgl. auch SIPRI Yearbook 1987, S. 186
3 Dt. Übersetzung zitiert nach: Nikutta 1986, S. 7 (es handelt sich um eine Vorstudie zu
diesem Band).
12 Einleitung

Afghanistan oder Mittelamerika, sondern auch in der Rüstungswirtschaft, so das


Gesamtbild, sei die Sowjetunion aggressiv.
Auf der anderen Seite weiß man auch im Pentagon, daß neuere, modernere
Waffen komplizierter und kostspieliger ausfallen als die Vorgängermuster, daß
mithin weniger Einheiten hergestellt werden. In Mikrostudien wird dieser Effekt
auch für die UdSSR gesehen. In einer Sonderausgabe "Soviet Threat Assessment"
der in diesem Zusammenhang gewiß unverdächtigen US-Publikation "Aviation
Week & Space Technology" (des führenden Blattes im amerikanischen Luftfahrt-
sektor) heißt es:
"Die Produktionsraten für sowjetische taktische Kampfflugzeuge sind jedoch seit den
frühen achtziger Jahren als Ergebnis des zügigen Auslaufens von Jägerproduktionspro-
grammen einfacherer Bauweise, die in langen Serien gefertigt wurden, zurückgegan-
gen. Als Folge werden die Sowjets ältere Militärflugzeuge auf einer geringeren Basis
als ein zu eins ersetzen."4
Wie die nachstehenden Untersuchungen zeigen, handelt es sich um ein durchgän-
giges Phänomen: In der UdSSR werden heute im Durchschnitt weniger Tanks oder
U-Boote hergestellt als ein Jahrzehnt zuvor. Und in eben diesem Jahrzehnt läßt
sich aufgrunddes qualitativen Wettrüstens feststellen, daß damals schon weniger
schwere Waffen ins sowjetische Arsenal genommen wurden als weitere zehn Jahre
zuvor. Mit anderen Worten, die Aussagen über die bloß quantitative Ausweitung
sowjetischer Rüstung sind hinfallig, zu erörtern sind qualitative Merkmale. Das
stellt eine neue Art von Herausforderung für Sozialwissenschaftler dar, die sich mit
Rüstung beschäftigen. Bislang genügte es zu zählen, nunmehr soll gewertet werden
-nach welchen Maßstäben, mit welchen Hilfsmitteln? Diese Studie muß also auch
methodisch in der Untersuchung der sowjetischen Rüstung Neuland betreten.
Aufgrund der jahrelangen Schweigsamkeit der Sowjets besonders in Rüstungs-
dingen, ja einer Politik strikter Geheimhaltung, läßt sich ein solches Vorhaben
nicht leicht ausführen. Schon das Zarenreich war von einer übertriebenen Furcht
vor der Ausforschung durch Fremde beherrscht, auch beim Militär. Generalsekre-
tär Gorbatschow hat zwar weitgehende Änderungen besonders in bezug auf die
Geheimhaltung militärischer Einzelheiten angekündigt. Glasnost mag in diesem
Bereich am schwierigsten durchzusetzen sein und die Ergebnisse stehen hier zu-
meist noch aus. Es mag aber gut sein, daß derzeit ein Wendepunkt erreicht ist, und
daß die zahlreichen Details, welche etwa beim Vertrag über die Beseitigung von
Mittelstreckenraketen freigegeben wurden, die Vorboten von sehr viel mehr Infor-
mationen über die sowjetische Rüstung sind. Mit diesem Band soll nicht lediglich
Bilanz gezogen werden über das, was man neben und gegen das Pentagon an Infor-
mationen über die sowjetische Rüstungsindustrie und ihre Stellung in der Sowjet-
gesellschaft sagen kann. Aufgrund solcher Kenntnisse ist es auch möglich, den ein-
setzenden Wandel und die Reichweite dessen, was er erfassen kann, zu bestimmen.
Über die Geheimhaltung bis in die jüngste Vergangenheit macht man sich im
Westen kaum eine Vorstellung. Im amerikanischen Kongreß wurde 1982 festge-
stellt, daß sogar Mitglieder des höchsten Führungsorgans, des Politbüros, keine
Einzelheiten von Rüstungsprogrammen oder des Militärhaushaltes erfahren, wenn
sie nicht zugleich Mitglieder des Verteidigungsrates sind.5 Auch wird allgemein

4 Morocco 1988, S. 16
5 Andersen 1983, S. 53
Einleitung 13

angenommen, daß das Plenum des Politbüros kaum Vorschläge des Verteidigungs-
rates je zurückgewiesen hat. Im Militärbereich und in der Rüstung scheint es somit
über das Politbüro hinaus noch eine Art Überregierung zu geben, die in ihren Ei-
genschaften kennenzulernen ganz allgemein unsere Kenntnis des Sowjetsystems
bereichern muß.
"Auch in den sowjetischen Streitkräften ist die Umgestaltung in vollem Gan-
ge," stellte Michail Gorbatschow in seinem mittlerweile berühmten Bericht vor
dem ZK-Plenum am 27. Februar 1987 fest.6 Marschall Achromejew, derranghöch-
ste Soldat seines Landes, sekundierte und wiederholte diese Feststellung wörtlich
bei seinem Amerikabesuch im Juli 1988. Im Westen bleibt man größtenteils in be-
zog auf die Wirkungen der Perestrojka skeptisch, besonders mit Blick auf den Mi-
litärsektor. US-Verteidigungsminister Carlucci, gewiß kein unparteiischer Zeuge,
meinte nach einer Reise in die UdSSR:
,,Zweifelsohne versuchten die Sowjets, mit der Offenheit und dem ungehinderten Zu-
gang, von denen mein Besuch gekennzeichnet war, zu beweisen, daß Glasnost auch ins
sowjetische Militär Einzug hält ... Die Sowjetunion mag im Hinblick auf Reformen zö-
gernde Schritte unternehmen, aber im Umfang oder beim Einsatzkonzept ihres Militärs
ist immer noch keine nennenswerte Veränderung zu verzeichnen."7
Einzelne Analytiker meinen gar, die Streitkräfte und die sie tragende Industrie
seien von der perestrojka ausgenommen, sozusagen um einen Schutzschirm für
diese abzugeben.s Auch bleibt bedenklich, daß Gorbatschow in seinem Buch zur
Perestrojka auf den Rüstungsbereich kaum eingeht.9
Was läßt sich über Veränderungen, die das Projekt Perestrojka ja zeitigen soll,
im Rüstungswesen bislang ausmachen? Recktenwald und SchröderlO betonen in
einer aktuellen Durchsicht sowjetischer Texte vor allem drei Aspekte. Spätestens
seit der Plenartagung des ZK im Februar 1987 sei die Umgestaltung ein herausra-
gendes Thema in sowjetischen Militärzeitschriften geworden. Nun ist Propaganda
für Veränderungen wichtig- nur bleibt sie kein stichhaltiger Beweis dafür, daß
sich im Alltag der Offiziere und Soldaten oder in der Rüstungsindustrie tatsächlich
viel geändert hat. - Zweitens wird Perestrojka für die Truppe mit Parolen wie
"Verstärkte Gefechtsbereitschaft'', "Kampf dem Müßiggang" und ähnlichem über-
setzt. Da die Politoffiziere solche Slogans seit langem predigen, kann auch diese
möglicherweise neue Beweglichkeit als Nachweis für etwas Neues nicht gelten.
Drittens verweisen die beiden Autoren auf den neuen Rang der Kritik im sowjeti-
schen Militärbereich. Das ist tatsächlich für den Sowjetforscher neu: Die Streit-
kräfte, bestimmte Zustände bei der Truppe werden, auch und gerade in der Militär-
presse, offen kritisiert. So bemerkenswert dieser drastische Wandel bleibt - für
Veränderungen in der Rüstungspolitik selbst reicht er als Nachweis nicht aus.
Für den westlichen Beobachter eindrucksvoller ist das Abweichen von der bis-
lang vorherrschenden Geheimniskrämerei. Diese setzte bislang beim Militäretat
ein. Jahr für Jahr veröffentlichten die sowjetischen Behörden eine einzige Zahl als

6 Gorbatschow 1987, zit. nach der dt. Ausgabe durch Nowosti, Moskau (APN) 1987, S.
73
7 Carlucci 1988
8 Segbers 1988
9 Gorbatschow 1987
10 Recktenwald/Schröder 1987, S. A411-A419
14 Einleitung

Militärhaushalt, für 1987 werden 20,2 Milliarden Rubel angegeben. Diese Zahl
liegt unglaubhaft niedrig - umgerechnet entspricht sie den Militärausgaben der
Mittelmacht Bundesrepublik Auch wird die Zahl nicht aufgegliedert. "Sowjetische
Haushaltsangaben gehören zu den am wenigsten transparenten," stöhnt das schwe-
dische Friedensforschungsinstitut SIPRI in seinem Jahrbuch 1987.11 Glasnost
brachte hier Wandel: Vizeaußenminister Wladimir Petrowsky gab im Herbst 1987
erste Hinweise, was nicht unter diese 20 Milliarden Rubel an Militäraufwand fallt.
IMEMO, das bekannte Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen,
faßt diese Hinweise in seinem jüngsten Jahrbuch zusammen:
"Die Verteidigung kostet die Sowjetunion eine Menge. Die Zahlen zum Verteidigungs-
haushalt, die im Lande veröffentlicht werden (20,2 Milliarden Rubel für 1987) geben
an, was die Sowjetregierung für Dinge wie die Bezüge des aktiven Personals und Pen-
sionen ehemaliger Soldaten ausgibt, was die Auffüllung der Vorräte, Beihilfen für Be-
rufsqualiflkationen und so weiter kosten. Ausgaben für Forschung und Entwicklung
und die Beschaffung von Ausrüstung und Kampfgerät fmden sich unter anderen Kapi-
teln im Staatshaushalt.
Wenn die Sowjetunion eine umfassende Preisreform hinter sich hat, die für die näch-
sten zwei oder drei Jahre ansteht, wird es möglich sein, realistische Vergleiehe ihrer mi-
litärischen Gesamtaufwendungen mit denen anderer Länder vorzunehmen."l2
Verglichen mit dem Kenntnisstand bleiben solche Aussagen sensationell. Einzel-
heiten finden sich in den folgenden Kapiteln, etwa über die Höhe der sowjetischen
Waffenaus fuhr.
Der INF-Vertrag von Washington birgt weitere Sensationen: Er gibt präzise
Eigenbezeichnungen sowjetischer Rüstungsgüter. Die in der Auseinandersetzung
um die sogenannte NATO-Nachrüstung berühmt gewordene Sowjet-Rakete mit
dem West-Namen SS-20, so weiß man nunmehr, heißt eigentlich RSD-10. Photos
des nie gezeigten Objekts wurden bislang weder von den Sowjets noch von den
Amerikanern gezeigt - nunmehr gibt es sie vielfach. Anband des Vertrages läßt
sich ein ganzes Wörterbuch zusammenstellen, mit dem die NATO-Namen sowjeti-
scher Geschosse russiflziert werden können (SS-4 = R-12; SS-5 = R-14; SS-12 =
OTR-22 usf.), selbst für im Versuchsstadium befindliche Waffen (SSC-X-4 = RK-
55 zum Beispiel). Freimütig identifizierten die Sowjets wichtige Rüstungswerke:
Die Mittelstreckenrakete RSD-10 alias SS-20 wird in der Maschinenfabrik Wot-
kinsk in der Udmurtischen ASSR hergestellt, Kurzstreckenraketen OTR-23, wie
sie in der DDR stehen, kommen aus dem Werk für Schwermaschinenbau "W.I. Le-
nin" in Petropawlowsk. Für Versuchsflugkörper ist das Experimentalwerk der
"M.I. Kalinin Maschinenfabriken", eine Produktionsvereinigung, zuständig, usf.
Solche Details werden das Publikum rasch ermüden. Weitaus wichtiger als der
Informationsregen, mit dem sich die Sowjetotogen künftig auseinanderzusetzen
haben, ist diese neue Offenheit für die Sowjetgesellschaft selber. Die auch in der
sowjetischen Fachliteratur bis dato übliche Bezeichnung eigener Produkte mit
westlichen Codenamen, bei Raketen mit den geschichtsbelasteten Initialen "SS",
stellte ein höchstes Maß an innerer Unfreiheit dar. Wie in dem Kapitel über die er-

11 SIPRI Yearbook 1987, S. 128


12 Borisova/Kalyadin, 1988, S. 538. Die Prawda bestätigt dem Jahrbuch in einem Kom-
mentar, daß es ,,in keiner Weise in Bezug auf vergleichbare westliche Publikationen un-
terlegen ist, ziehtman die Breite der Informationen oder den Nachdruck der Recherche
in Betracht", Schukow 1988, S. 4.
Einleitung 15

ste sowjetische Kernwaffe geschildert, mußten im Westen nicht bekannte Entwick-


lungen mit verfremdenden Bezeichnungen angeführt werden (Uran hieß "Metall
Nr. 9", aus welchen Gründen auch immer, und alles, was mit Uran zu tun hatte, be-
kam diese Nummer, einschließlich des zuständigen Ministeriums). Dieser Entfrem-
dung, diesem Spuk will Glasnost offenkundig ein Ende bereiten. Die Emanzipation
des Menschen begann damit, folgt man der Bibel (Genesis 2), daß er den Dingen
Bezeichnungen gab. Der unscheinbare Schritt, Waffen mit den Namen zu benen-
nen, mit denen sie insgeheim bislang geführt wurden, stellt in der UdSSR von heu-
te, nimmt man die absurde Geheimnistuerei bis in die jüngsten Tage, einen ver-
~leichbar emanzipatorischen Schritt dar. Ein weiteres Anzeichen für tatsächliche
Anderungsabsichten: Urplötzlich ist in akademischen Kreisen und bei sowjetischen
Politikplanem ein Interesse an "Konversion", der Umstellung der Rüstungsindu-
strie auf andere Zwecke, ausgebrochen. Weitgehende Abrüstungsschritte würden
tatsächlich die Umsetzung des Ecksteins des sowjetischen Wirtschaftsgebäudes,
der Rüstungsindustrie, erfordern.l3
Auch die kritische Literatur, etwa aus dem Bereich der Friedensforschung, hat
bisher wenig zur genaueren Kenntnis des sowjetischen Rüstungsbereiches beige-
tragen. Zwar ist in den vergangeneo beiden Jahrzehnten ein fulminantes Aufleben
der Debatte über die Eigenarten des sowjetischen Herrschaftssystems zu beobach-
ten, und auch die Anwendung der Aussage, es gäbe einen Militär-Industrie-Kom-
plex, auf die Sowjetunion, hat deutlich zu theoretischen Auseinandersetzungen bei-
getragen. Trotz verdienstlicher einzelner Veröffentlichungen ist aber diese Diskus-
sion weitgehend abstrakt geblieben. Mit diesem Band wird, nach gründlichen em-
pirischen Studien zur sowjetischen Rüstung, am Schluß eine Bewertung versucht,
die auch die theoretische Frage nach der Eigenart des Rüstungselements im So-
wjetsystem, dessen möglichem Beitrag zur Rüstungssteigerung und Wettrüsten,
dessen Orientierungsabhängigkeit nach außen und ähnliche Fragen beantworten
soll.
Die Frage, wie nötig denn Hochrüstung für den Erhalt des Sowjetsystems sei,
läßt sich nur beantworten, wenn man die Beziehung zwischen Rüstung und Gesell-
schaftssystem in Teilfragen aufgliedert. So soll auf den folgenden Seiten intensiv
betrachtet werden, welche Führungsleistungen das politische System in bezog auf
die Rüstung erbracht hat, in welcher Weise die Rüstungsindustrie und vor allem
Konstruktionsbüros Impulse in die Rüstungsentwicklung gegeben haben, und wel-
che Wechselwirkungen sich verzeichnen lassen. Durch das Studium von Karriere-
mustern von Führungspersonal, durch den Vergleich des Qualifikationsniveaus
von Ingenieuren und Wissenschaftlern, die in der Rüstung oder anderen Sektoren
tätig sind, wird zugleich Verallgemeinerbares über das Sowjetsystem sichtbar. So
ist ein eher amüsanter Aspekt, daß innerhalb der ,,Nomenklatura", der Führungs-

13 Zu der neuen Priorität Konversion heißt es in dem erwähnten !MEMO-Jahrbuch 1987


(S. 537): "Was das Problem Militärhaushalt betrifft, würde die Sowjetunion es vorzie-
hen, die Mittel, die nunmehr in den unproduktiven Militärsektor gehen, so bald wie
möglich freizusetzen. Bei ihren Bemt!hungen, das weitaus umfassendere Problem zu lö-
sen, einen die gesamte Nation betreffenden Konversionsplan zu entwerfen, mißt die So-
wjetunion dem Studium der politischen, wirtschafdichen und technischen Aspekte der
Minderung der Militärausgaben große Bedeutung zu und ist bereit, mit ausländischen
Experten auf diesem Gebiet zusammenzuarbeiten." Besonders in der Zeitschrift Nowo-
je Wremja findet sich eine Anzahl von Beiträgen zur Konversionsproblematik.
16 Einleitung

klasse, in der Breschnew-Ära durchaus Söhne die Posten von Vätern erbten - im
parteipolitischen Bereich ein fast unbekanntes Muster.
Zu fragen wird besonders sein nach den Beziehungen zwischen Partei und Rü-
stung. Wird der große Rüstungsbereich mit eben denselben Mitteln und Methoden
unter Kontrolle gehalten wie die Sowjetgesellschaft sonst, oder welche Besonder-
heiten lassen sich feststellen? Wie ist die Rolle führender Parteigremien bei Ent-
scheidungen über Rüstungsprojekte zu bestimmen? Gilt die Rüstungsindustrie in
der Sicht der Parteiführung als Vorreiter allgemeinerer Entwicklungen im Sozialis-
mus, oder handelt es sich eher, trotz aller Größe, um einen Sonderbereich?
Wie bei allen Sowjetstudien ist neben der Partei der Staat in seiner wohl auch
hier sekundären Rolle zu betrachten. In welcher Weise ist der Staatsapparat organi-
siert, um Rüstung zu betreiben? Welchen Stellenwert haben Rüstungsprojekte, wie
verknüpft die Partei Staat und Wirtschaft in diesem Bereich? Welchen Einfluß ha-
ben Planinstitutionen, besonders Gosplan?
Als Kernfrage stellt sich regelmäßig heraus, wie der Rüstungsbereich, aber
über diesen hinaus das Gesamtsystem mit Anfragen an Modernisierung, an die
Einführung neuer Technologien zu Rande kommt. Durch das Wettrüsten ist kein
anderer Technologiebereich im Spektrum der sowjetischen Industrie so nachdrück-
lich auf Produktvergleiche verwiesen gewesen wie gerade die W affenindustrie,
und hier haben sich Bemühungen von Partei und Staat konzentriert, neue Lösungen
in einem bis heute anhaltenden aufholenden Wettlauf zu finden. Die Auffassung,
daß die Rüstung in der, wie es dort heißt, "wissenschaftlich-technischen Revolu-
tion", der Modernisierung, an der Spitze steht, ist weit verbreitet. So vergleicht
zum Beispiel Jürgen Kuczynski, Senior der DDR-Sozialwissenschaften, den so-
wjetischen Rüstungsstand mit dem allgemeinen Technologieniveau seines Landes.
Er schreibt in einem Grundsatzartikel über die "wissenschaftlich-technische Revo-
lution":
,,In unserer Deutschen Demokratischen Republik, wo sie (die wissenschaftlich-techni-
sche Revolution, U.A.) weiter fortgeschritten ist als in irgendeinem anderen sozialisti-
schen Land- mit Ausnahme der sowjetischen Rüstungsindustrie ..."14
Wie besonders die folgenden Einzelstudien ergeben, ist in der Tat eine zunehmen-
de Betonung der Qualität in der Rüstung zu verzeichnen. Alte Konstruktionsprinzi-
pien, Grundsätze über Massenfertigung werden abgelöst durch Hochtechnologie-
konzepte. Bis heute, in überraschendem Ausmaß, bleibt die Technologieentwick-
lung freilich auf westliche Vorbilder ausgerichtet. Besondere Bemühungen sind
deshalb der Abklärung zu widmen, inwiefern Technologietransfers, legal oder ille-
gal, die sowjetische Entwicklung bestimmen.
Die Studie ist zum einen historisch-deskriptiv angelegt. Im Studium der Ent-
wicklung der verschiedenen Rüstungszweige wird versucht, Antworten auf die an-
gegebenen Fragen zu finden. Zum anderen geht in der zweiten Hälfte die Methode
auf institutionelle Untersuchungen über, wie dies in der Sowjetforschung weithin
üblich ist.
Die folgenden Einzelstudien zu Entwicklungen in der sowjetischen Waffen-
technik, beim Jägerbau, der Konstruktion von Panzern, der Fertigung chemischer
Waffen und beim Raketenbau nutzen ein in der Forschungsliteratur nicht übliches
Verfahren. In der Erarbeitung solcher Dimensionen weicht diese Untersuchung er-

14 Kuczynski 1988, S. 61
Einleitung 17

heblieh von dem ab, was an sowjetalogischer Literatur greifbar ist. Industriege-
schichtlichen Beobachtungen sowie der Reflexion technologischer Entwicklungsli-
nien, der Behandlung durch politische Instanzen und den Folgen wird hier breiter
Raum gegeben -in der Erwartung, mit dieser Methode nähere Kenntnis der Eigen-
arten der Rüstung sowie des sowjetischen Systems zu erlangen, als dies ansonsten
hierzulande üblich ist.
Mit dieser methodischen Orientierung ist ein Gegensatz zu den vorherrschen-
den Strömungen in der Beschäftigung mit der Sowjetunion und ihrem Rüstungs-
komplex angegeben. Zu sehr scheinen diese von der Trennung der akademischen
Disziplinen beherrscht. Die Politologenl5 orientieren sich vor allem an den Institu-
tionen und beschäftigen sich etwa mit den neun Ministerien, die für die Rüstung
relevante Kompetenzen haben. Oder sie untersuchen den Einfluß von engagierten
Interessenvertretern (Stichwort "Militärisch-Industrieller Komplex") auf die Poli-
tikbildung im Sowjetbereich. Allgemeiner ausgedrückt: Die Politologie, soweit sie
sich empirisch mit der UdSSR befaßt, beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Teil-
systemen und beansprucht gar nicht, "den Bezug zu Problemen der Gesamtgesell-
schaft bei(zu)behalten" oder auch nur "die Veränderungen der sozialen Integra-
tion"l6 in der UdSSR vertieft zu untersuchen. Die Ökonomen hingegen konzentrie-
ren sich vorrangig auf die Wirtschaftspläne als die wichtigste Evidenz aus dem So-
wjetreich. Für sie scheint es in ihren Tabellen einen Rüstungssektor nicht zu geben.
Auch die Ökonomie des Sowjetsystems als Fachwissenschaft stellt kaum mehr
Fragen in bezog auf das Ganze- dann müßte sie eine Politische Ökonomie werden.
Die Antwort auf die Frage, wie sich die Dynamik (oder ihr Mangel) des sowjeti-
schen Wirtschaftssystems auf den Beitrag der UdSSR zum Wettrüsten auswirkt,
wird man von Fachökonomen nicht erwarten können. Dies bleibt bemerkenswert,
weil die Ökonomie, wie Habermas formuliert, "die Eigenständigkeit eines über
Funktionen, nicht primär über Normen zusammengehaltenen Handlungssystems
herausgearbeitet hat",l7 Wenn andererseits Finanzwissenschaftler die Größe des
sowjetischen Militäraufwandes zu bestimmen versuchen, bewegen sie sich auf kal-
kulatorischen Ebenen, die sehr weit vom Alltag entfernt sind, der die sowjetische
Rüstung prägt. Theoretisch ambitionierte Analytiker, die die Sowjetunion als
Übergangsgesellschaft thematisieren, oder die auf andere Weise ein umfassendes
analytisches Konzept für das Verständnis dieser Gesellschaft zu entwickeln su-
chen, scheinen andererseits mit dem Militärsektor in der UdSSR am wenigsten an-
fangen zu können - Namen wie Kalaschnikow oder MiG sagen ihnen überhaupt
nichts.
Diese kritischen Sätze über verschiedene Teildisziplinen sprechen solchen An-
sätzen nicht die Berechtigung ab. Die Andeutungen sollen besagen, daß die Polito-
logen mit institutionellen Analysen, die Ökonomen mit Makroaussagen und die Fi-
nanzwissenschaftler mit Budgetberechnungen durchaus einzelne Aspekte des so-
wjetischen Rüstungskomplexes erfassen mögen, wenngleich häufig anband indi-
rekter Indikatoren, und daß den angestammten Ansätzen gegenüber weitere, viel-
leicht gar aussagefähigere, zumindest mikroanalytisch ergiebigere Verfahren mög-

15 Eine hübsche Typisierung dieser Art hat Habennas vorgelegt; vgl. Habennas 1987, S.
18 f.
16 Habermas 1987, S. 19 und 20
17 Habermas 1987, S. 19
18 Einleitung

lieh sind. Einschränkend ist allerdings festzuhalten, daß unsere methodische Erwei-
terung im wesentlichen darin besteht, eine hierzulande wenig beachtete, besonders
aber im angelsächsischen Sprachraum gepflegte Technikhistorie politologisch auf-
zuarbeiten.
Beim Studium der sowjetischen Rüstung über die Jahrzehnte ist der pralle All-
tag hier zugegebenermaßen unter dem Aspekt studiert worden, welche verallge-
meinerungsfähigen Entwicklungslinien sich ausmachen lassen. Die großen Linien
der allgemeinen politischen Entwicklung wurden - und hier setzen erste Brüche
ein - daraufhin betrachtet, wie sie sich im Rüstungssektor spiegeln.
Zunächst ist zu konstatieren, daß die gängigen Militärfachbücher mit ihrer lau-
fenden Berichterstattung in historischer Sicht bemerkenswert wenig über tatsächli-
che sowjetische Rüstungsentwicklungen enthalten. Das soll an dem unumstrittenen
Standardwerk über Luftrüstungen, dem Jane' s (der Bibel der LuftwaffenattacMs
aller Herren Länder) illustriert werden. Eine ähnliche Aussage ließe sich über die
womöglich noch renommierteren Flottenhandbücher und ihre Kapitel über die so-
wjetische Kriegsmarine treffen. Bill Gunston etwa zieht in seinem Standardwerk
über die Flugzeugentwicklung der UdSSR eine vernichtende Bilanz. Er vergleicht
die Zahl der von ihm verfolgten sowjetischen Flugzeugentwicklungen mit der ak-
tuellen Berichterstattung im Jahrbuch von Jane' s:
,,In diesem Buch werden rund 850 verschiedene Typen behandelt. Rund 710 davon tau-
chen nie auf den Seiten von Jane's All the World's Aircraft auf. Das ist keine Aussage
über das Jane's-Handbuch, weil dieses einzigartige Jahrbuch nur das drucken kann, was
ihm im laufenden Jahr bekannt geworden ist."18
Das bleibt in der Tat eine bemerkenswerte Relation. Nur ein Siebtel der Flugzeug-
technologie, die in der UdSSR in der Vergangenheit erzeugt wurde, ist dieser Zu-
sammenstellung nach im Westen aktuell wahrgenommen worden. Die Relation
mag heute anders aussehen. Sie verweist jedoch mit Nachdruck erneut auf ein
grundsätzliches Problem, das der angemessenen Information.
Die Luftrüstung und das Marinewesen gehören andererseits zu den noch am
detailliertesten beobachteten sowjetischen Technologieentwicklungen, schon weil
sie der amerikanischen Aufklärung am einfachsten zugänglich sind. Im Bereich der
Heeresrüstung und bei den Fernraketen fallen ein Mangel an vergleichbarer Einzel-
information und an analytischer Begleitung zusammen, was Michael MccGwuire,
eine Autorität auf dem Gebiet der sowjetischen Kriegsmarine, zu dem klagenden
Diktum an die Sowjetologie führte: ,,Nobody does tanks" - niemand beschäftigt
sich mit der sowjetischen Panzerausrüstung. Ein solcher Satz mag angesichts der
Übersättigung der Medien mit Nachrichten über sowjetische Panzerzahlen überra-
schen. Mit dem Blick auf sozialwissenschaftliche Mindestansprüche erfüllende
Untersuchungen trifft sie den Kern. Von Untersuchungen über die sowjetische
Chemiewaffenherstellung oder die Raketenindustrie ist erst recht zu schweigen.
Eine ähnlich komplizierte Quellenvorgabe wie bei der Verfolgung einzelner
Technologielinien im sowjetischen Kontext ist bei dem zweiten hier gewählten
Verfahren zu beobachten, welches freilich Routineinstrument der Sowjetologie ist,
der sogenannten biographischen Methode. Diese biographische Methode wird bis-
lang vorrangig auf politische, wirtschaftliche und militärische Führungskräfte an-
gewendet. Sie erweist sich aber auch als ausgesprochen nützlich bei der Untersu-

18 Gunston 1983, S. 8
Einleitung 19

chung technischer Eliten, sogar im Rüstungswesen.


Die These läßt sich an einem Beispiel rasch illustrieren. Der Georgier Georgi
Michailowitsch Berijew etwa, später führender Konstrukteur sowjetischer Flug-
boote, begann als einer von 20 Ingenieuren in einem Konstruktionsbüro des aus
dem Ausland angeworbenen Teamchefs Richard. Im Jahre 1929 wurde Berijew
aufgefordert, eine Abteilung für Seeflugzeuge in Moskau zu übernehmen. In der
Folgezeit baute er sein eigenes Konstruktionsbüro in Taganrog auf. Als Grundlage
für diesen Erfolg diente die Russifizierung eines ausländischen Flugzeuges, des
italienischen Flugbootes Typ 62 von Savoia-Marchetti. Später nahm Berijew mit
seiner Gruppe so etwas wie eine Monopolstellung bei der Versorgung der sowjeti-
schen Seefliegerkräfte mit Flugbooten ein.
Die nähere Betrachtung eines solchen ansonsten recht beliebigen Werdegangs
ergibt eine Anzahl interessanter Hinweise. Die Rekrutierung technischer Eliten pri-
vilegiert keineswegs Russen - unter den führenden Konstrukteuren ist eine Anzahl
von anderen Ethnien vertreten. Wie viele spätere Rüstungsfachleute wurde Berijew
zu Beginn seiner Laufbahn von Ausländern geprägt, hier dem Franzosen Richard.
Im Gegensatz zu einem gängigen Klischee haben die führenden sowjetischen Rü-
stungsfachleute durchwegs zumindest gelegentlich Westkontakte (am bemerkens-
wertesten erscheint nach wie vor die Vortragsreise von Akademiemitglied Igor
Kurtschatow, dem wissenschaftlichen Leiter des Atom-und Wasserstoffbomben-
projekts, 1956 ins englische Nuklearforschungszentrum Harwich, siehe Kap. 2).
Die Generalkonstrukteure der Flugzeugbüros kann man inkognito auf westlichen
Flugmeetings wie dem Pariser Aerosalon oder der Airshow von Farnborough tref-
fen. Andere Rüstungspezialisten nehmen an den in der UdSSR sehr begehrten Aus-
landsreisen zu Pugwash-Konferenzen und dergleichen teil (so etwa regelmäßig der
ehemalige stellvertretende Minister für das Nuklearwaffenprojekt, der Metallurge
Wassili S. Jemeljanow). Als biographische Methode läßt sich das hier verwendete
Verfahren empirisch substanziieren, indem sowjetische Rüstungsfachleute bei
Auslandsaufenthalten angesprochen und über Angaben in ihren Biographien hin-
aus Auskünfte eingeholt wurden.
Die Kurzbiographie von Berijew enthält weitere informative Details: Ein Kon-
struktionsbüro erhält man, indem man dazu aufgefordert wird. Verglichen beson-
ders mit amerikanischen Maßstäben fällt die geringe Mitarbeiterzahl von (Ri-
chards) Team auf. Der Einstieg in selbständige Projektierungsaufgaben erfolgt
über die erfolgreiche Absolvierung einer Teilaufgabe, hier der Sowjetisierung einer
ausländischen Konstruktion. Was immer die Biographieschreiber führender Tech-
niker wie hier Berijews für Kriterien bei der Auswahl ihrer Mitteilungen haben
mögen - wichtig ist ihnen augenscheinlich die ethnische Identifizierung ihres Sub-
jekts, seine Erfahrung mit Ausländern oder ausländischen Konstruktionen sowie
sein förmlicher Aufstieg zu Leitungsaufgaben (der genau datiert wird). Zu ergän-
zen ist, daß weitere den sowjetischen Biographen wichtige Detailinformationen
wie das Datum des Parteieintritts (oft überraschend spät) oder Auszeichnungen
hier im Regelfall nicht aufgenommen werden.
Der Personalismus des sowjetischen Systems wird sicher nicht durch die Ver-
öffentlichung von Biographien so weit getrieben, um Ausländern Einblicke in an-
sonsten für geheimhaltungsbedürftig erachtete Bereiche zu gestatten. Bestimmte
Rüstungsprojekte, allen voran der Bau der ersten sowjetischen Atombombe, haben
vielmehr eine solche Schlüsselbedeutung für die Entwicklung des Sowjetsystems,
20 Einleitung

daß ihr Erfolg neben allen anderen Gratiftkationsmöglichkeiten auch zur Publika-
tion der Biographie der leitenden Persönlichkeiten, zu Pressenotizen über den Tod
solcher Würdenträger, gar ihrer Bestattung in der Kremlmauer führte. Aus dem
Studium der Grabplaketten ergeben sich überraschende, im Sinne des Systems ge-
legentlich konterproduktive Detailinformationen. Die erste Atombombe zum Bei-
spiel war ein so großartiger Erfolg, daß der ansonsten nie genannte KGB-General,
der neben dem Chefwissenschaftler und dem zuständigen Minister das Projekt lei-
tete, selbstverständlich seinen Anteil an den folgenden öffentlichen Ehrungen be-
kommen mußte ( Kapitel 2). Dieser Personalismus bleibt, wie rasch überprüfbar
ist, auf leitende Kader beschränkt - schon stellvertretende Konstruktionsleiter und
andere für das Funktionieren des Systems unverzichtbare Spitzenleute werden in
den üblichen biographischen Referenzwerken übergangen. Von rangniederen Mit-
arbeitern, die etwa im angelsächsischen Bereich in professionellen Branchenver-
zeichnissen durchaus angeführt werden, ist überhaupt nicht die Rede. Mit der Nut-
zung der biographischen Methode folgt mithin auch diese Studie einem Mythos-
als ob ein Chefkonstrukteur selber ein technisches Gerät erzeugt, welches seinen
Namen trägt. Aber ebensowenig wie der deutsche Flugpionier Professor Messer-
schmitt alle Flugzeuge gezeichnet hat, die seinen Namen tragen, oder Vater und
Sohn Porsche mit jedem Sportwagen dieser Firma in Verbindung gebracht werden
können, den das gleichnamige Unternehmen herstellt, ist eine Iljuschin oder Tupo-
lew-Maschine mit Bestimmtheit das Werk des berühmten Chefkonstrukteurs. Die
namenlosen Heere von Mitarbeitern, die die zahlreichen kniffligen Detailfragen er-
kennen, lösen und umsetzen, wie sie vielfach bei der Konstruktion eines modernen
Waffensystems auftauchen, werden besonders im sowjetischen Fall durch die bio-
graphische Methode nicht erfaßt.

Quellen und Quellenauswahl

Die Quellenwahl wird von der Absicht bestimmt, die sozio-ökonomischen Dimen-
sionen und die Determinanten des Rüstungswesens in der Sowjetunion zu studie-
ren.l9 Im Vordergrund stehen bei der Auswertung von Quellen mithin nicht gängi-
ge sowjetologische Werke, sondern zumeist Spezialliteratur. Die angeführten Ma-
terialien sollen ein besseres Verständnis charakteristischer Merkmale und Proble-
me des Rüstungssektors und seiner Stellung im Industriesystem der UdSSR ermög-
lichen. Besonders geachtet wurde auf Materialien, die etwas zu den Beziehungs-
verhältnissen zwischen Waffenfertigung und allgemeiner Wirtschafts- und Gesell-
schaftsentwicklung hergeben. Spezifische Unterschiede in der Rüstungsfertigung
sowie der Rolle der Rüstungswirtschaft im sowjetischen System sollen, wo dies
möglich ist, im Vergleich mit westlichen Verhältnissen deutlich gemacht werden.
Zentraler Bezugspunkt auch bei der Quellenwahl ist das Studium der gesell-
schaftspolitischen Dimension von Rüstung. Ist gemäß den Quellen die sowjetische
Rüstung im wesentlichen außenbestimmt, um eine von dem Soziologen David
Riesman20 übernommene, weitgehend in der Analyse des Wettrüstens benutzte

19 Mit der Quellensammlung "Rüstungswirtschaft in der Sowjetunion" haben wir eine Zu-
sammenstellung derjenigen Materialien gegeben, die unserer Ansicht nach am besten
Informationen zum Thema geben; vgl. Nikutta 1986
20 Riesman 1958, bes. Kap.l.5 und 1.6.
Einleitung 21

Analysefigur zu benutzen, oder ist sie im wesentlichen innengeleitet, Ergebnis des


Verteilungskampfes um Ressourcen, in denen sich in der Rüstung engagierte
Gruppen gegenüber anderen Akteuren in der ,,Nomenklatura" durchsetzen?
Für diese Untersuchung wurden hauptsächlich, neben sowjetischen Materia-
lien, anglo-amerikanische Quellen benutzt. Das ist zugleich ein massiver Hinweis
auf Forschungsdefizite zum Thema in der Bundesrepublik, vor allem in der deut-
schen Osteuropa-Forschung.
Von der Quellensammlung her, die diesem Bande zugrunde liegt, läßt sich
festhalten, daß durchaus ein beachtlicher Erkenntnisstand vorhanden ist, daß sich
aber die Ergrundung sowjetischer Rüstungsprobleme und ihres Wandels sowie der
diese tragenden Politik auf schwankendem Boden bewegt. Ausgehend von weni-
gen, vermeintlich gewissen Sachverhalten, hat sich der Analytiker im wenig be-
kannten Gelände, unter Prüfung kaum nachrecherchierbarer Hinweise voranzuta-
sten.
Die von amerikanischen Dienststellen meist in selektiver Weise veröffentlich-
ten Angaben zur sowjetischen Rüstungsproduktion stellen eine außerordentlich
wichtige Informationsquelle dar. Aber selbst so verbreiteten Texten wie "Soviet
Military Power", einer Darstellung des Pentagon, ist von amerikanischen Kritikern
nachgewiesen worden, daß sie von Fehlern nur so wimmeln.21 Amerikanische Dar-
stellungen sind mithin mit Vorsicht zu nutzen. Auch läßt sich, wie im Text im ein-
zelnen belegt wird, hin und wieder eine von politische Interessen geleitete Beein-
flussung von Angaben zur sowjetischen Rüstung nachweisen. Diese generellen Da-
ten- und Informationsbeschränkungen erschweren die Beschäftigung mit der so-
wjetischen Rüstung ungemein. Jede Studie ist daher mit einem beträchtlichen Maß
an Unsicherheit behaftet. Vom Umfang und der Qualität der zugänglichen Quellen
her bleiben die Fragestellungen, auf die Antworten mit einem gewissen Zuverläs-
sigkeitsgrad erhofft werden können, beschränkt.
Das Literaturfeld, auf das sich diese Studie stützt, läßt sich in fünf Teilbereiche
einteilen:
- Primär an der theoretischen Debatte orientierte Beiträge, etwa zum "sowjeti-
scher Militär-Industrie-Komplex";
- Untersuchungen von spezialisierten Analytikern, die sich längerfristig mit Ein-
zelfragen der sowjetischen Militär- und Rüstungspolitik beschäftigt haben. Im
allgemeinen gehen sie nicht auf den erstgenannten Literaturstrang ein, sondern
arbeiten empirisch und historisch, auch mit Blick auf Rüstungskontrollproble-
me;
- Studien zu Entscheidungsprozessen der sowjetischen Rüstungspolitik, dem
Konzept von ,,Entscheidungsprozeßanalyse" verhaftet. Derartige Untersuchun-
gen gehen in der Regel über den Kernbereich ihres Untersuchungsgegenstandes
nicht hinaus. In empirischer Hinsicht erweisen sich solche Materialien häufig
als ergiebig und informativ;
- Texte von Individuen, die in der sowjetischen Rüstung beschäftigt waren, von
den Memoiren führender Wissenschaftler und Politiker, Berichten von Auslän-
dern, die zu Zeiten in der Sowjetunion tätig waren, bis hin zu Aussagen jüdi-
scher Emigranten in neuester Zeit;

21 Gervasi 1988
22 Einleitung

- amerikaDisehe Amtspublikationen und Protokolle von Anhörungen vor Kon-


greßausschüssen, die häufig als Primärquellen für die zuvor genannten Materia-
lien dienen, oder in denen auch Fachleute der vorgenannten Gruppen Stellung
nehmen.
Besonders bei der vorletzten Gruppe, Berichten von Ausländern, die eine Zeitlang
in der sowjetischen Rüstung tätig waren, betritt diese Studie Neuland. Die rund
5000 deutschen Rüstungsfachleute (so die zweimalige Aussage des für die Rü-
stungsproduktion zuständigen Ministers Boris L. Wannikow)22, die bei Kriegsende
in die Sowjetunion gingen, sind nach einhelliger Aussage nach ihrer Rückkehr nie
sozialwissenschaftlich ausgiebig befragt worden. Die alliierten Nachrichtendienste
wollten einige technische Details aktueller Art über die Waffenprojekte wissen, an
denen sie gearbeitet hatten - das war alles. In den Kapiteln 1 bis 3 ist ausführlich
von den Ergebnissen der Interviews mit einigen solcher deutschen Fachleute Ge-
brauch gemacht worden. Diese Studie beabsichtigt allerdings nicht, ein Gesamtbild
der deutschen Nachkriegsmigration von Wissenschaftlern und Technikern in die
UdSSR zu geben.
Das Literaturfeld ist somit vielschichtig, es bleibt im theoretischen Vorver-
ständnis, der Analysereichweite, der benutzten Methode sowie der Benutzung von
Empirie höchst unterschiedlich. Das gilt auch inhaltlich, im Ausmaß der Behand-
lung der verschiedenen Sektoren der sowjetischen Rüstung. Zur Luft- und Raurn-
fahrtindustrie gibt es ein relativ breites Literaturfeld, die Informationsbasis für die-
sen Bereich ist günstig. Die sowjetische Marinerüstung wird von einem kleinen,
hochspezialisierten Kreis von Analytikern seit Beginn der siebziger Jahre intensiv
beobachtet. Der Heeresrüstungssektor, die Panzerindustrie, wird von sehr wenigen
Einzelautoren thematisiert - obgleich die sowjetischen Landstreitkräfte und ihre
Waffen in der Wahrnehmung der sowjetischen Bedrohung enormen Stellenwert
einnehmen.
Bei der Verwendung einer Anzahl von Quellen, sowohl östlicher wie westli-
cher Herkunft, bleibt Vorsicht geboten. Manfred von Ardenne etwa (er wirkte nach
1945 an der sowjetischen Atombombe mit) erweist sich in eigener Sache als noto-
risch unzuverlässiger Zeuge. Von wichtigen Autoren, die angeblich Überläufer
sind, wie dem Militäringenieur Tokajew oder dem Offizier der Roten Armee Su-
worow, ist nicht bekannt, ob sie wirklich gelebt haben oder ob sich hinter diesen
russischen Namen die Leistung eines Teams amerikanischer Analytiker verbirgt.
Sehr viel wahrscheinlicher ist, daß es tatsächlich Überläufer mit diesen Namen
gibt, deren beschränkte Erfahrungen in den Büros um Washington vor der Publika-
tion der Bücher angereichert wurden. Der Leser findet sich mithin vor einem wis-
senschaftlich wenig befriedigenden Elaborat, welches in der Sicht aller Beteiligten,
sowohl des Überläufers wie seiner Ghostwriter, ja auch nicht wissenschaftlichen,
sondern vor allem propagandistischen Zwecken dienen soll. Epstein hat23 jüngst in
einem lesenswerten Beitrag am Beispiel der ansonsten weitgehend für authentisch
erachteten Penkowski-Papiere vorgeführt, in welcher Weise sich nachrichten-
dienstliche Übermittlungen, persönliche Aufzeichnungen und einem Autor zuge-
schriebene Äußerungen zu einem scheinbar authentischen Buch verdichten. Das
Problem für den an klaren Faktenaussagen über sowjetische Verhältnisse interes-

22 Angabe nach Gröttrup, 1958, S. 35


23 Epstein 1987, S. 33-41
Einleitung 23

sierten Analytiker (und nicht den Interessenten an dem, was man in Washington
glaubt, über die UdSSR aussagen zu können) bleibt selbst bei solchen Texten wie
Chruschtschows Erinnerungen, daß sich die Frage nach der Authentizität des Mate-
rials nicht wirklich befriedigend klären läßt Auf durchgehende quellenkritische
Anmerkungen ist im folgenden Haupttext verzichtet worden. Nur an spektakulären
Punkten wird auf die Frage nach der Authentizität gewisser Belege eingegangen.
In der derzeitigen Phase des Umbruchs enthüllt zusätzlich die Anwendung der
biographischen Methode besondere Probleme, die mit der Einführung von "Glas-
nost", mehr Transparenz im Sowjetreich, verbunden sind. Es mehren sich die Hin-
weise (etwa Kapitel 1.4), daß die Biographien führender Rüstungsfachleute gerade
in den Jahren der Stalinzeit Unwahrheiten, zumeist Vertuschungen, enthalten. Zu
diesen sahen sich die Autoren gezwungen. Heute gibt es wiederholt Beiträge in so-
wjetischen Organen, solche Fälschungen zu beseitigen. Die Autoren hielten es für
richtig, solche Korrekturschritte mit in die Darlegungen einzubeziehen, um den
Wandel a la Gorbatschow auch im Rüstungswesen anzuzeigen, anstatt heute als
falsch erkannte Aussagen einfach auszublenden. Die Bewältigung des Aufstieges
der sowjetischen Rüstung zur Supermachtgeltung ist nicht nur für den Westen ein
Problem- sie ist dies umso vielschichtiger für die UdSSR selber.
Dieneueren Entwicklungen in der Sowjetunion provozieren die Frage (die an-
sonsten in jedem wissenschaftlichen Text zu beantworten ist) nach dem Standort
des Analytikers. Bei der Masse der verwendeten westlichen Quellen handelt es
sich um kein Problem -sie sind mit klarem Blick auf die Sowjetunion als politi-
scher Rivale des Westens verfaßt Bei sowjetischen Materialien überrascht nicht,
besonders bei älteren Texten, daß sie deutlich prosowjetisch ausfallen. Unser eige-
ner Standpunkt bei der Auswertung kann so schon aufgrund der Unterschiedlich-
keit der Quellen nicht einfach pro oder contra sein. Die Verwendung bestimmter
Materialien und Verfahren entzieht sich einem solchen Schema.
Das Kapitel über die sowjetische Atombombenentwicklung zum Beispiel ist
zum einen - so ein populärer Vortragstitel über das amerikaDisehe Vergleichspro-
jekt, ,,Los Alamos von unten"24 - aus einer underdog-Sieht heraus gearbeitet. Die
an dem Projekt beschäftigten Deutschen wußten kaum über Zusammenhänge Be-
scheid. Andererseits profitiert dasselbe Kapitel von heroisierenden sowjetischen
Materialien, die (um eine Kategorie von Johan Gattung zu bemühen) aus der Per-
spektive von "topdogs" heraus geschrieben sind. Hin und wieder wirken diese he-
roisierenden Sowjetdarstellungen in ihrer Wirklichkeitsverkürzung provozierend,
daß es einem den Atem nimmt. Selbst in nunmehr "aufgeklärten", von Glasnost in-
spirierten Darstellungen gewiß bemerkenswerter Taten wie etwa der Konstruktio-
nen des sowjetischen Raketenpioniers Sergej Koroljow wird anläßtich seiner Auf-
spürung deutscher Raketenfachleute und ihrer avantgardistischen Projekte in unter-
irdischen Fabrikationsanlagen im Harz mit keiner Silbe erwähnt, daß die Masse der
dort Beschäftigten KZ-Häftlinge waren. Warum ein solches Detail, von dem er-
wartbar ist, daß sowjetische Publikationen es mit Nachdruck aufgreifen, nicht ver-
merkt wird, läßt sich aufgrund der Ergebnisse der Studie mit Begründung vermu-
ten: Die Sowjets ließen die Fertigung der V-Waffen des Dritten Reiches in den von
ihnen vorgefundenen Stollen bis Oktober 1946 weiterlaufen, entgegen allen Ab-

24 Richard P. Feynman, ,,Los Alamos von unten", ursprünglich Vortrag im Jahre 1975 an
der University of California in Santa Barbara. dt. nunmehr in Feynman 1987, S. 141 ff.
24 Einleitung

sprachen über Rüstungsproduktionsverbote in Deutschland, und augenscheinlich


ohne Ansehung der Deutschen, die an dieser Fertigung beteiligt waren (was aus
den Häftlingsarbeiten geworden ist, bleibt in diesen Quellen offen, Kapitel1.4).
Die Antwort auf die Frage nach dem Standort der Verfasser fällt somit kompli-
ziert aus. Sie kann weder in einer Apologie bestehen, auch wenn wiederholt imma-
nent interpretiert wird. Abstoßend wirkt andererseits die strikt kritische Haltung
vieler prowestlicher Autoren. Unserem Verständnis von einer angemessenen ana-
lytischen Haltung bei der Untersuchung sowjetischer Rüstungsprozesse am näch-
sten kommt die Position, welche Peter Christian Ludz mit seiner Gruppe vor ge-
raumer Zeit für die DDR-Forschung in der Bundesrepublik entwickelt hat.25 Dem-
nach ist eine Untersuchung des sowjetischen Rüstungskomplexes zunächst an des-
sen Selbstverständnis zu orientieren (was keineswegs heißt, daß der Analytiker die-
ses einfach reproduziert):
"Die Aufforderung, die Immanenz eines politisch/sozialen Phänomens zu berücksichti-
gen, heißt zunächst, dieses Phänomen aus seinen eigenen Bedingungen, Wirkungswei-
sen, strukturellen und funktionalen Zusammenhängen - Zusammenhängen mit anderen
Phänomenen- heraus zu begreifen ... Jede immanente Analyse, die diesen Namen ver-
dient, verlangt sowohl Deskription wie Analyse und kritisches Erfassen eines Gegen-
standes."26
Diese Untersuchung ist das Ergebnis eines von der Stiftung Volkswagenwerk ge-
förderten gleichnamigen Projektes. Der Stiftung gebührt Dank für ihre großzügige
Unterstützung. Die beiden Autoren haben das Projekt gemeinsam ausgeführt. Ob-
wohl sie für das hiermit vorgelegte Ergebnis gemeinsame Verantwortung tragen
und auch alle Textteile dieser Untersuchung wechselseitig durchgearbeitet haben,
sei darauf verwiesen, daß die Erstfassungen der Kapitell - 3, 5-7 sowie 10 von
Ulrich Albrecht und diejenigen der Kapitel 4 und 9 von Randolph Nikutta verfaßt
wurden, während das Theoriekapitel 8 auf Vorgaben beider Autoren zurückgeht.
Bei der Transkription russischer Wörter folgt dieser Text nicht der in der So-
wjetologie üblichen wissenschaftlichen Zitierweise (z.B. Gorbacev statt Gorbat-
schow), weil dem Durchschnittsleser, auch Politikwissenschaftlem, so die Lektüre
eher erschwert wird. Statt dessen wird versucht, möglichst eng umgangssprachlich
im Deutschen russische Begriffe wiederzugeben.
Erfolgt bei der Wiedergabe von Äußerungen sowjetischer Fachleute keine
Quellenangabe, so handelt es sich regelmäßig um mündliche Reaktionen auf die
vorangehende Tatsachenaussage, welche die Verfasser der angegebenen Persön-
lichkeit mit der Bitte um einen Kommentar vorgetragen haben.
Der vorliegende Text, besonders das Kernwaffenkapitel Nr. 2, ist einigen so-
wjetischen Fachleuten (und westlichen Analytikern) vorgelegt worden. Bemer-
kenswerterweise ist es im Zeichen des "Neuen Denkens" nunmehr möglich, zu
solch einem Manuskript in der UdSSR ergänzende Hinweise, Einzelkommentare
und Detailkritik zu erhalten. Verständlicherweise überwiegt die Kritik am Gesamt-
ansatz. Die Autoren danken allen, die zu diesem Buch beigetragen haben. Alle Irr-
tümer oder möglichen anderen Fehler sind den Autoren anzulasten.

25 Dazu die Ausgabe 9/1976 des Deutschland-Archiv


26 P.C. Ludz und J. Kuppe (Hervorhebung im Original)
1. Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

1.1 Die Luftfahrtindustrie

Die Geschichte der Sowjetunion wird begleitet von Auseinandersetzungen wegen


Einfuhren ausländischer moderner Technik, besonders im Rüstungssektor. Die In-
dustrialisierung in den letzten Jahrzehnten der Zarenzeit erfolgte vor allem durch
westeuropäisches Kapital und westliche Technologie. Die großen Unternehmen der
Epoche (man würde sie heute als multinationale Konzerne bezeichnen) betätigten
sich im zaristischen, kaum industrialisierten Rußland ähnlich der Art und Weise,
wie dies heute in Ländern der sogenannten Dritten Welt zu beobachten ist. Das läßt
sich gut illustrieren am Beispiel der modernsten Technikentwicklung zu Beginn
dieses Jahrhunderts, der Fliegerei. Hernach werden die Panzer-Entwicklung und
die Chemiewaffenrüstung genutzt, um das Argument zu verallgemeinern.
Die militärische Führung der russischen Streitkräfte erkannte früh die Bedeu-
tung der Flugzeuge für ihre Zwecke und richtete 1910 bei Gatschina eine Flug-
zeugführerschute ein. Die Kriegsmarine folgte im gleichen Jahr mit einer gleichen
Einrichtung in Sebastopol- ziemlich genau zur gleichen Zeit begann man in Eng-
land und in der deutschen kaiserlichen Armee mit der Pilotenausbildung.I Im Jahre
1912 fand ein erstes, mit Mitteln aus dem Militäretat gefördertes Flugmeeting in
Rußland statt. Die kaiserliche Regierung erwarb geringe Stückzahlen von Flugzeu-
gen in Frankreich (Produkte der Firmen Farman, Morane und Nieuport) und Groß-
britannien (Bristol). Die Kriegsmarine bekam neun Flugboote der amerikanischen
Firma Curtiss, neben anderen Flugzeugen aus Deutschland, Frankreich und den
USA. In Frankreich wurden Lizenzen zum Nachbau einiger Flugzeugtypen erwor-
ben. Einige russische Firmen fanden Interesse am Bau des neuartigen Gerätes. Die
Russisch-Baltische Waggonfabrik in St. Petersburg sowie der Schtschetinin-Kon-
zern nahmen die Produktion auf. Bei Kriegsbeginn waren in Rußland immerhin
329 Flugzeuge gefertigt worden. Russische Konstrukteure begannen mit eigenen
Entwürfen, unter ihnen der später in Amerika sehr bekannt gewordene Hubschrau-
berexperte Igor T. Sikorsky.2 Im allgemeinen wurde Luftfahrttechnologie unsyste-
matisch rundum gekauft.
In der Phase der Industrialisierung, die mehrere Jahrzehnte umfaßte, blieb der
Import auswärtiger Technologie, gerade im Rüstungsbereich, im alten Rußland und
in der jungen Sowjetunion eine Selbstverständlichkeit. Nach der Oktober-Revolu-
tion verfügten die Sowjets über einige hundert Schulflugzeuge aus der Lizenzpro-
duktion (Typen der französischen Firmen Parman und Morane) sowie eine Anzahl

1 Als durchaus noch heute brauchbare Übersicht zu den Anfängen der russischen Militär-
fliegerei vgl.: Reichsluftfahrtministerium (Bearb.), Kriegswissenschaftliche Abteilung
der Luftwaffe, Die Militärluftfahrt bis zum Beginn des Weltkrieges 1914, 1941, S. 553
-567
2 Finne 1987
26 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Kampfflugzeuge vom Typ Spad S. 7. Dieser Typ wurde ab 1918 in der Dux-Fabrik
in Moskau in Lizenz gebaut Es lohnt sich, diesem ersten Hochtechnologietransfer
an die neue Sowjetunion nachzugehen. Obwohl Frankreich als Interventionsmacht
an der Bekämpfung des neuen Regimes beteiligt war, gewährte die Sociere pour
Production les Apparailles Deperdussin (= S.P.A.D.) dem neuen Regimes die
Nachbaurechte und gab die notwendige technische Hilfe. Diese Auffanggesell-
schaft baute die Konstruktionen des bei Kriegsende pleite gegangenen Flugpio-
niers Deperdussin weiter und war augenscheinlich bereit, politische Erwägungen
gegenüber kommerziellen Aspekten hintanzustellen. Ihr Modell Spad 7 war damals
ein technologischer Trumpf. Über diesen Doppeldecker heißt es in einer renom-
mierten britischen Luftfahrtgeschichte:
,,Mit der Einführung der Spad S.7C-1 begann die Aviation Militaire ein gewisses Maß
an Parität in der Luft über der Westfront wieder herzustellen."3
Das Motiv der französischen Firma war handfest: Nach dem Ende des Weltkrieges
kämpfte sie ums Überleben. Die Sowjets konnten andererseits die modernen fran-
zösischen Kampfflugzeuge gut gebrauchen und setzten die in Moskau gefertigten
Maschinen umweglos im Bürgerkrieg bei der Besetzung Kasans und gegen die
Truppen General Wrangeis bei der Eroberung der Krim ein.
Regionale Kriege geben stets dem internationalen Rüstungshandel Auftrieb,
und im russischen Bürgerkrieg war dies nicht anders. Auch andere Flugzeugprodu-
zenten neben Spad standen nach Ende des Weltkrieges vor dem Ruin und waren
sofort bereit, den Waffenwünschen der Sowjets nachzukommen. Aus den Nieder-
landen wurden erhebliche Quantitäten von Fokker-Flugzeugen gekauft (Aufklärer
und Jäger).4 In Italien beschafften die Sowjets mehrere hundert Ansaldo-Aufklärer
(nach dem Ende der Feindseligkeiten 1918 erteilte das italienische Corpo Aeronau-
tico Militare keinerlei Aufträge, bis Mussolini Ministerpräsident wurde). Ferner
wurde das im Weltkrieg breit bekannte Modell D.H.9 der britischen Firma DeHa-
villand ohne Genehmigung nachgebaut (sowjetische Bezeichnung R-1, ,,R" steht
als Abkürzung für raswedschik =Aufklärer).
Diese Erwerbungen eröffnen einen zunächst kontinuierlichen Technologie-
strom. Mit der in Tabelle 1 gegebenen Zusammenstellung wird illustriert, daß die
Sowjetregierung in der ersten Hälfte der siebzig Jahre der Existenz der UdSSR in
der Lage war, augenscheinlich ohne besondere Mühe Jahr für Jahr militärisches
Fluggerät im Ausland zu erwerben. Die ununterbrochene Kette von Technologie-
transfers, die offiziell konzedierten neben den regierungsamtlich nicht autorisier-
ten, steht neben sowjetischen Bemühungen, eine eigenständige Technologiekom-
petenz aufzubauen.
Die Zusammenstellung mit ihren Jahr für Jahr angegebenen Anführungen soll
zunächst einmal angeben, daß trotz aller bemerkenswerten Eigenanstrengungen der
sowjetische Militär-Flugzeugbau, zumindest in der Sicht der Entscheidungsträger,
wesentlich von ausländischen Infusionen an moderner Technologie abhängig blieb.
Im zweiten Schritt bleibt zu fragen, wie dieser Transferstrom zu untergliedern ist,
welche politischen und technischen Schlüsse er gestattet.

3 Green/Fricker 1958, S. 97. Die Bedeutung der Spad wird im gleichen Text wiederholt
unterstrichen.
4 Die verzweifelte Auftragslage Fokkers schildern Green/Fricker 1958 aufS. 200.
Die Luftfahrtindustrie 27

Tabelle 1:
Transfers von Luftwaffentechnologie in die UdSSR

Jahr Kategorie Bezeichnung/Hersteller Her- Bemelkungen


kunfts-
land

1918 Jäger Spad VII F Lizenzbau, Dux-Welke Moskau


1919 Jäger Martinside/Hispano F.4 F
Bristol/Hispano F.2B
Morane-Saulnier
1920 Kampfflug- GB Von den Interventionsstreit-
zeug kräften zumindest in 9 Typen
zurückgelassen
1921 Jäger FokkerD.XI N
Fokker D.XIII N
Aufklärer FokkerC.IV N
Ansaldound I mehrere hundert
SVY.10
1922 Truppen- Junkers F 13 25, davon 5 bei Dobroljet nachgebaut
transporter Vickers Vernon und
Viking
Kampfflug- Hanriot HD.14 F
zeug
Flugboot Nonnan Thompson N.T.2B GB
1923 Kampfflug- Junkers D diverse Typen (vgl. Text) im Welk Fili
zeug Savoia S.l bis I
1924 Bomber Fannan Goliath F
Transporter Junkers W33 D Nachbau (vgl. Text) in Moskau
1925 Flugboot DornierWal D bis 1931 wiederholt gekauft
Savoia S.lter I
1926 Bomber Fannan Goliath F 62 F Serienauslieferung des Modells von 1924
Jäger Heinkel He 5 D
Flugboot Savoia-Marchetti S.55 I
1927 Bomber Junkers K-30 D insgesamt 23
1928 Jäger Junkers K-47 D Nur 2 Prototypen gekauft
1930 Flugboot Heinkel HD 55 D Lizenzbau bei OMOS/Leningrad
(vgl. Text)
1932 Jäger Heinkel HD 37 D Als Polikarpow I-7 nachgebaut
Seeauf- Savoia-Marchetti S.62 I russ. Bezeichnung MBR-4
klärer
1935 Northrop 2-E USA
Seversky SEV -3M
1936 Jäger Dewoitine D.510 F
moteur canon
Vultee V-1 und V-11 USA
28 Abhängigkeit von ausländischer Techrwlogie?

Jahr Kategorie Bezeichnung/Hersteller Her- Bemerkungen


kunfts-
land

1937 Jäger Seversky 2PA USA


Transporter Donglas DC-3 USA Nachbau als Lisunow Li-2,
insgesamt 2930
Flugboot ConvairPBY USA Nach als GST durch Amtorg, 400-100
1938 Verbin- Fieseier Fi 156 Storch D
dungsflug-
zeug
Trainer Bückner Bü-131, Bü 133 D
1940 Jäger Heinkel He 100 D 5
Messerschmin Me 109 D 5
Messerschmin M2 110 D 5
Bomber Junkers Ju 88 D
Domier Do 215B D 2
Nakajima J
Kampffiug- 26 diverse Typen aus Frankreich, Polen
zeug und Finnland infolge der Kriegs-
ereignisse
1941 Mehr als 14.000 Kampfflugzeuge aus
bis den USA und Großbritannien
1945
1945 Deutsche Technologie erobert (vgl. Text)
1947 Düsentrieb- Rolls Royce Nene GB 25
werke Rolls Royce Derwent GB 30
1960 Hubschrau- Sikorsky S-58 USA
ber Vertol44 USA

Abkürzungen: I Italien; F Frankreich; GB Großbritannien; N Niederlande; J Japan; D Deutschland

Quellen: Sowjetische Eigendarstellungen sowie ausländische (technische) Referenzmaterialien, v.a.


Jane's World Aircraft, das überragende britische Handbuch von Bill Gunston, Aircraft of
the Soviet Union, The encyclopedie of Soviet aircrat since 1917, Lmdon 1983, neben-
größtenteils nicht gedruckten - Erinnerungen deutscher Konstrukeure. Unter den sowjeti-
schen Quellen sind vor allem W. B. Schawrow (der ja selbst als Konstrukteurhervorgetre-
ten ist), A. N. Ponomarjew; N. Gordjukow, I. Rodionow und W. Klischin anzuführen. Von
der- luftfahrthistorisch überragenden- tschechischen Literatur wurden Vaclav Nemecek
sowie Jiri Hornat ausgewertet. Zur Junkers-Betätigung in der UdSSR wurde die Darstel-
lung von G. Schmin, Junkers und seine Flugzeuge, Berlin (Ost) 1986 benutzt.

Schon kurz vor dem Rapallo-Vertrag vom 16. April1922 setzt zügig eine besonde-
re Rüstungskooperation zwischen der Weimarer Republik und der Sowjetunion
ein, die in der ansonsten gut informierenden historischen Forschung verkürzt und
als Betätigung der Reichswehr bewertet wird. In der Moskauer Vorstadt Fili errich-
tet die Dessauer Firma Junkers aufgrund einer Vereinbarung vom 6. Februar 1922
eine Flugzeugfabrik. In Umgehung der Bestimmungen des Versailler Vertrages
fertigte Junkers in der UdSSR eine Anzahl Militärflugzeuge, so den dreimotorigen
Bomber K-30 und den bewaffneten Aufklärer A-20 (sowjetische Bezeichnung Ju-
Die Luftfahrtindustrie 29

20 oder R-2,5 als Nachfolgemodell der DeHavilland-Maschine). Von sowjetischer


Seite erhält Junkers die "Russisch-Baltischen Automobilwerke" zur Nutzung. Am
15. März 1922 (mithin nach der Vergabe der Junkers-Konzession) schließt das
Reichswehrministerium mit der Firma Junkers einen Geheimvertrag, demzufolge
über die unter Mitwirkung des RWM gegründete "Gesellschaft zur Förderung ge-
werblicher Unternehmen im Ausland" mindestens 140 Millionen Reichsmark als
rückerstattungsfreie Unterstützung zugesichert wurden (zum Vergleich: Junkers
setzte 500 bis 600 Millionen Mark Kapital als Betriebssumme in Moskau ein, zu-
züglich der Sachwerte wie der Bauvorrichtungen, Konstruktionsunterlagen und
Baupläne, die von der sich selber bewertenden Firmenleitung nochmals in gleicher
Höhe veranschlagt wurden). In den Folgejahren erreichte die gemischt deutsch-rus-
sische Belegschaft des Junkerswerkes zeitweilig eine Stärke von 1350 Mann.6
Insgesamt wurden in den fünf Junkers-Jahren in der UdSSR 170 Flugzeuge-
damals eine beachtliche Zahl - montiert. In Umgehung der Auflagen zur Rüstungs-
beschränkung Deutschlands entwickelte Junkers in Dessau heimlich Militärflug-
zeuge, so den bewaffneten Aufklärer Ju-20, von dem in der UdSSR 40 Exemplare
aufgelegt wurden, den dreimotorigen Bomber K-30 und besonders (122 Exempla-
re) die Maschine Ju/H-21. Besonders das Kampfflugzeug H-21, von dem bis 1925
rund 100 Exemplare gefertigt wurden, genoß in der UdSSR als ,,Junkers" bald eine
gewisse traurige Berühmtheit. Mit seinen Vickers-Maschinengewehren wurde das
Flugzeug in großem Umfang zur Niederhaltung von Bauern eingesetzt, die sich der
Kollektivierung ihrer Höfe widersetzten, besonders in Turkmenistan.
1927 verstaatlichte die Sowjetregierung das Junkerswerk (es trägt fortan an die
Bezeichnung ,,Fabrik Nr. 22"; die Junkers-Konzession erlischt am 1. März 1927)
und setzte Junkers' Schüler Andrei N. Tupolew als Chefkonstrukteur ein. Für die
folgenden sechzig Jahre sollte Tupolew die Junkerstradition mit ihrer Orientierung
auf schwere Transportmaschinen und Bomber fortsetzen.
Die Fertigung von Junkers-Maschinen in der Sowjetunion diente auch den Ex-
portinteressen der Firma. Von Fili aus wurden Muster des Modells Ju-20 unter an-
derem nach Spanien veräußert (wo sie später gegen die Legion Condor eingesetzt
wurden), sowie an die Türkei. Andere Typen (Ju 13) gingen nach Persien. Das
Türkei-Geschäft sollte sich für die Firma Junkers als besonders zukunftswichtig er-
weisen. Nach dem Hinauswurf aus der UdSSR bemühte sich das Unternehmen er-
folgreich um die Fortführung seiner Militärflugzeug-Projekte in einem vom Ver-
sailler Vertrag nicht mit Verboten belegten Land, wie der Türkei. Im Frühjahr
gründet Junkers im türkischen Kayseri ein Zweigwerk.7 Von dem berüchtigten
Muster Ju-20 werden zunächst 64 Exemplare an die türkischen Streitkräfte ausge-
liefert.- Neben Produkten aus dem Junkerswerk transferieren die Sowjets auch an-
dere Produkte ihrer Kleinstindustrie. Der Iran erhält eine Anzahl R -1-Aufklärer,

5 Schmitt 1986, S. 130 ff.- Die alten einstöckigen Werkhallen sind heute noch auf dem
Fabrikationsgelände zu besichtigen. Ansonsten handelt es sich um einen Komplex mo-
derner Hallen entlang der Straße- der Name besagt es schon - Nowosawodskowo,
Neuwerk, mit angeschlossenem Luftfahrttechnikum, einem Denkmal des Luftfahrtmini-
sters Chrunitschew usf.
6 Schmitt 1986, S. 135. Weitere Details, etwa die Haltung Hindenburgs zu diesen Vor-
gängen, in den Erinnerungen des Dessauer Oberbürgermeisters Fritz Hesse; vgl. Hesse
1963
7 Green/Fricker 1958, S. 280
30 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

nach Afghanistan geht eine Staffel Junkers-Aufklärer/Bomber vom Typ R-2 als
Geschenk der Sowjetregierung an König Amanullah. Die Flugzeuge treffen 1924
auf dem Scherpur-Flughafenbei Kabul ein. 50 Afghanen werden in der UdSSR als
Piloten und Flugzeugmechaniker ausgebildet. Sowjetische Techniker entwerfen die
Pläne für neue Militärflughäfen bei Herat, Kandahar, Jalalabad und Mazar-i-Scha-
rif.S
Bezeichnend für die sowjetische Akquisition ausländischer Technologie
scheint zu sein, daß man sich nicht mit dem sklavischen Nachbau erfolgreicher
Muster begnügte, sondern früh mit Variationen experimentierte (bei Junkers ein-
setzend mit Variierungen beim Triebwerk der Ju-20).
Nicht alle Versuche zum Technologietransfer führten zum Erfolg. Teil der
Junkers gewährten Konzession war die Verpflichtung, dem Flugzeugwerk eine Fa-
brik zum Bau von Flugmotoren folgen zu lassen. Junkers hielt diese Verpflichtung
nicht ein, und die Triebwerke aller in der UdSSR gebauten Junkers-Flugmaschinen
mußten aus Deutschland importiert werden. Außerdem war vereinbart worden, daß
Junkers bei der Entwicklung des wichtigsten Materials für den Flugzeugbau, des
neuartigen Duraluminiums, Hilfe leisten sollte. Auch hier mußten die Sowjets
schließlich zur Kopie greifen.
Neben der Übertragung von Know-how in Form von Flugzeugkonstruktionen
erhielt die sowjetische Technologie vielfältige Anregungen in Teilbereichen wie
Werkstoffen und Bauteilen, vor allem bei Flugmotoren.
Im Zarenreich hatte es z.B. keine Aluminiumproduktion gegeben. Im August
1922 wurden die ersten größeren Posten sowjetischen Duraluminiums, ein für den
Leichtbau im Flugwesen unverzichtbares Material, ausgeliefert. Die Sowjets hatten
mitten im Bürgerkrieg 1920 eine Arbeitsgruppe unter Iwan lwanowitsch Sidorin
gebildet, die die verschiedenen Möglichkeiten zur Gewinnung des Leichtbaume-
talls erkunden sollte. Diese empfahl vernünftigerweise, das deutsche Patent für
Duraluminium zu plündern und den Stoff im Lande zu fertigen. Unter dem Namen
"Koltschugalumin" wurde das neue Material (die Bezeichnung stammt von dem
Herstellungsort, der nordwestlich Moskaus gelegenen Stadt Koltschugino) als Er-
rungenschaft des Sowjetsystems gepriesen. Chrom-Nickel-Stähle, für hochbelaste-
te Bauteile im Flugzeugbau gleichfalls unverzichtbar, wurden bis 1936 importiert,
ehe. eigene Kapazitäten für solche Hochleistungsstähle verfügbar wurden.
Die Sowjets begannen zugleich zielstrebig, das Technologiepotential des Jun-
kerswerkes zur Verbreiterung ihrer eigenen Technologiekompetenz zu nutzen. So-
wjetische Konstrukteure erhielten durch die Mitarbeit im Werk eine gewichtige
Förderung. Neben Tupolew sind hier zum Beispiel die im Westen weniger bekannt
gewordenen W.M. Petljakov und W.B. Schawrow zu nennen. Das vielgenutzte
Muster W 33 wurde nach dem Abzug der Deutschen nicht im ehemaligen Junkers-
werk Fili, sondern in einem Reparaturwerk in Irkutsk sowie einem ähnlichen Be-
trieb in Moskau ("ZARB", Zentralnaja aviaremontnaja basa) aus von Deutschland
importierten Teilen zusammengebaut. Ein solches Verfahren ist im Hochtechnolo-
giebereich bis heute in Entwicklungsländern üblich. - Neben der Ausbildung von
Führungskräften und dem "farming out" von Technologieimporten kauften die So-
wjets wiederholt Prototypen von Junkersflugzeugen aus Deutschland, um beson-

8 Der kundige Leser erkennt sogleich, daß dies 55 Jahre später die wichtigsten Basen für
die sowjetischen Luftstreitkräfte im langjährigen Krieg in Afghanistan sind.
Die Luftfahrtindustrie 31

ders den Bau schwerer Bomber in der UdSSR voranzubringen. Als Junkers sein
Verkehrsflugzeug G 23 (ein Vorläufer der bekannten Ju-52) auf dem Weltmarkt
anbot, bestellte die Sowjetregierung eine als Bomber einsetzbare Variante. Zum
Serienbau kam es zwar nicht, aber die Sowjets orderten danach einen schweren
dreimotorigen Bomber, der später unter der Bezeichnung JuG-1 bekannt wurde. Da
die Internationale Überwachungskommission für das Reich die Entwicklung eines
so großen und so stark motorisierten Flugzeuges kaum geduldet haben würde, ver-
fiel die FirmaJunkers auf einen Ausweg. In Dessau wurde der Prototyp des unbe-
waffneten Bombers entwickelt und erprobt sowie die Fertigung von Bauteilen be-
trieben; der Zusammenbau und die Auslieferung der voll ausgerüsteten Bomber an
die UdSSR erfolgte in einem schwedischen Tochterunternehmen in Limhamn. In
den Jahren 1926/27 erwarben die Sowjets auf diesem Wege 23 Bomber.
Die Sowjetregierung war auch an Jägern interessiert, und Junkers setzte mehr-
fach an, parallel wie beim Bomberbau mit den Russen ins Geschäft zu kommen.
Allerdings fehlte es dem Unternehmen in diesem Bereich, wie sich herausstellen
sollte, an Kompetenz. In Dessau war, erneut unter Umgehung der Bestimmungen
des Versailler Vertrages, ein Versuchsflugzeug unter der Typenbezeichnung T-22
konzipiert worden, welches zu einem Jagdeinsitzer weiterentwickelt werden sollte.
Die Sowjetregierung kaufte die Konstruktion und orderte den Serienbau des nun-
mehr Ju-22 benannten Flugzeuges in Fili. Die Junkers-Maschine bestand jedoch
nicht die sowjetische Musterprüfung, augenscheinlich aus triftigen Gründen. Einer
der beteiligten deutschen Ingenieure berichtet zum Beispiel über unerwünschte
Flugbewegungen:
,,Bei kräftigem Höhenrudergeben aus dem Vollgashorizontalflug drehte sie von selbst
die schönsten überzogenen Rollen, und ehe die Piloten sich versahen, hatten sie sich
ein- oder auch zweimal mit dem Flugzeug um die Längsachse gedreht."9
Nach diesem Mißerfolg versuchte Junkers einen zweiten Anlauf. 1927 wurde in
Dessau heimlich ein Jagdzweisitzer gebaut und im schwedischen Limhamn militä-
risch ausgerüstet. Die Sowjets, nunmehr vorsichtiger geworden, kauften zwei Ex-
emplare, die "im Jahre 1930 im Forschungsinstitut der Luftstreitkräfte getestet"
wurden.lO Ein sowjetischer Auftrag erfolgte nicht, das Muster wurde gleichwohl
"an zahlreiche Luftwaffen geliefert".ll
Obwohl die Kooperation von Junkers mit den Sowjets keineswegs der einzige
Fall einer intimen Zusammenarbeit eines ausländischen Privatunternehmens mit
den Sowjets zu Rüstungszwecken und entgegen den politischen Intentionen verant-
wortlicher Regierungen darstellt, hat doch dieser Vorgang ungewöhnlich scharfe
Kritik gefunden. Der konservative englische Historiker Gunston entwickelt sich
wegen dieses Vorgangs zum Kapitalismuskritiker. Der renommierte Luftfahrtex-
perte leitete voller Zorn sein Standardwerk über die Sowjetflugrüstung mit einer
Abrechnung mit Junkers ein:

9 Ernst Zindel: "Junkers-Flugzeugbau von der F 13 bis zur G 38", in: Mitarbeiter berich-
ten aus gemeinsamer Tätigkeit, Dessau 1940, S. 106, zit. nach Schmitt 1986, S. 137
10 W.B. Schawrow, Die Geschichte der Konstruktion von Flugzeugen in der UdSSR bis
1938, Moskau (Verlag für Maschinenbau) 1978, S. 302 (russ.), zit. nach Schmitt 1986
11 Kens/Nowarra 1961, S. 342
32 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

"(Junkers) beendete seine ungewöhnliche ,Russian connection', in welcher der erste


kommunistische Staat sich in bezug auf technologische Unterstützung schwerpunkt-
mäßig auf einen extrem kapitalistischen Privatbetrieb verließ."l2
In der Sicht von Gunston schieden hier zwei Akteure, die einander weidlich ausge-
nutzt hatten, jeweils zum eigenen Vorteil:
"Die Trennung beider Wege geschah im wechselseitigen Einvernehmen. Die Zusam-
menarbeit hätte kaum für immer weitergehen können, und Junkers war an das Ende sei-
ner Nützlichkeit gekommen. Auf der anderen Seite hatte das deutsche Unternehmen
seine Furcht vor der alliierten Kontrollkommission verloren und meinte, nunmehr sel-
ber im eigenen Land den Arm zwecks Verletzung des Versailler Vertrages anspannen
zu können."13
Die Verwendung westlicher Technologieimporte in der UdSSR führte gelegentlich
zu heftigen Auseinandersetzungen.
Junkers verklagte 1926 Tupolew persönlich sowie das aerodynamische For-
schungsinstitut ZAGI, weil Tupolew sich bei der Konstruktion seines ersten mehr-
motorigen Flugzeuges, des Bombers ANT-4, zu frei bei Junkers-Patenten bedient
habe.14 Der dicke Ganzmetallflügel des Bombers, zu jener Zeit eine Pioniertat,
wies in der Tat unzweideutig die Handschrift von Hugo Junkers auf. Auch in der
Fertigungstechnologie zeigte sich Tupolew von den Deutschen abhängig: Seine
Maschine konnte einzig im ehemaligen Junkerswerk in Moskau produziert werden,
weil nur dort eine Gruppe von 40 im Metallleichtbau erfahrenen Fachkräften ver-
fügbar war. Die sowjetische Behauptung, bei dieser bis 1945 mit erheblichem Er-
folg geflogenen Maschine handele es sich um das erste Ganzmetall-Großflugzeug
der Welt, ist nicht zu widersprechen, nur basierte diese Pionierleistung im wesent-
lichen auf ausländischer Technologie.
Aufgrund der geringen Leistungsfahigkeit der heimischen Industrie (die mit
einem Ausstoß von 137 Maschinen im Jahre 1919 einen Tiefstand erreichte) waren
die Sowjets gezwungen, bis 1925 die Hälfte ihres Militärflugzeugbedarfs zu im-
portieren. So überrascht nicht, daß die sowjetischen Luftstreitkräfte bis zum Be-
ginn des ersten Fünfjahresplanes im Jahre 1928 für Kampfaufgaben hauptsächlich
mit ausländischem Gerät ausgerüstet sind.
In den Folgejahren entstehen, die in der Kooperation mit dem Ausland gewon-
nenen Erfahrungen nutzend, sowjetische Eigenbauten. Tupolew entwirft einen
zweisitzigen Aufklärer, der als R-3 im ehemaligen Junkerswerk in Moskau in Pro-
duktion geht.
Die Motoren mußten im Ausland gekauft werden. Die sparsamen Sowjets ver-
zichteten auf den an sich geeigneteren britischen Napier-Motor, mit dem der Proto-
typ flog, und wählten für die Serie lieber das billigere amerikanische Liberty-
Triebwerk.
Es wäre übertrieben, in den Lizenzbauten die ausschließliche Wurzel des so-
wjetischen Militärflugzeugbaus zu sehen. Wissenschaftlich hatte die russische
Luftfahrtforschung von Anbeginn Beachtenswertes zu bieten, vor allem durch die
Arbeiten N.J. Schukowskis. Noch vor Kriegsbeginn flog der Prototyp eines schwe-
ren Bombers (genannt "Ilja Mourometz"), den Sikorsky konstruiert hatte. 1923

12 Gunston 1983, S. 9
13 Gunston 1983, S. 9
14 Der Verweis auf diesen Prozeß findet sich bei Gunston 1983, S. 287
Die Luftfahrtindustrie 33

startete der erste Prototyp eines sowjetischen Kampfflugzeuges, eine Konstruktion


von Polikarpow. 1926 wurde die Fertigung verbesserter Varianten in Moskau in
der Fabrik GAS-I aufgenommen. Ferner sind in kleiner Serie gefertigte Kampf-
flugzeuge des Konstrukteurs Grigorowitsch zu erwähnen. Die mit ausländischer
Hilfe eingerichteten Werke behielten jedoch eine gewisse Führungsposition (so
wurden in Fili zwischen 1929 und 1932 im ehemaligen Junkerswerk 242 Tupolew-
Jäger der damals neuartigen Ganzmetallkonstruktion I-4 ("Istrebitel" ist das russi-
sche Wort für Jäger) gebaut.
Im Jahre 1930 waren die sowjetischen Luftstreitkräfte zumeist mit sowjeti-
schen Konstruktionen ausgerüstet. Der spanische Bürgerkrieg bot den Sowjets
(ähnlich wie der Einsatz der Legion Condor den Nazis) wertvolle Erfahrungen. Die
schweren Verluste an sowjetischen Flugzeugen in Spanien zwangen die Sowjetfüh-
rung zu der Einsicht, daß verschiedene Mängel in der Bewaffnung und im passiven
Schutz zu überwinden wären, und man wandte sich erneut ans Ausland, um moder-
ne Technologie einzuführen. Die Sowjets erwarben in den USA einige Kampfflug-
zeuge der Firma Vultee (später Convair, heute unter dem Namen General Dy-
namics bekannt) vom Typ V-11 und der Firma Seversky (später Republic) vom
Typ 2PA. Für den Technologietransfer bedeutsamer wurde jedoch ein Ende 1938
zwischen dem Dritten Reich und der UdSSR geschlossenes Geheimabkommen. Im
Tausch gegen kriegswichtige Rohstoffe erklärte sich die Reichsregierung mit dem
Besuch sowjetischer technischer Delegationen einverstanden, die alle modernen
deutschen Waffen und deren Fertigungsstätten ausgiebig inspizieren durften.15 Die
deutsche Flugzeugindustrie war gehalten, Exemplare jedes Militärflugzeugtyps
auszuhändigen, welchen die Russen wünschten. In der Folge bekamen die Sowjets
fünf der neuen Hochleistungsjäger Heinkel He IOOV, fünf Exemplare des Konkur-
renzmusters Messerschmitt Bf 109C, fünf Zerstörer Me llOC, dazu im Winter
1939/40 zwei Bomber Do 215B16 und weitere Einzelstücke modernster deutscher
Kampfflugzeuge. Mit der Bf 109 hatte Tupolew zuvor Unannehmlichkeiten: Er
wurde im Zuge der Säuberungen 1936 mit der Beschuldigung verhaftet, die Bau-
pläne den Deutschen verraten zu haben, und gelangte in die gefürchtete Lubjanka.
Die Kooperation mit den Deutschen setzte sich bis zum Überfall auf die
UdSSR im Juni 1941 fort. Noch 1940 schenkte der Reichsmarschall Hermann
Goering der Sowjetunion ein Exemplar des Fieseier "Storch" (die Fertigung war
1939 in Deutschland angelaufen). Die Sowjets zeigten sich von den KurzstaTtei-
genschaften der Maschine beeindruckt und beauftragten Antonow, eine vergleich-
bare Maschine zu entwerfen oder aber die deutsche Konstruktion zu kopieren. An-
tonow wählte die zweite Möglichkeit, Er hatte zwar Schwierigkeiten mit der ihm
ungewohnten Rumpfkonstruktion aus geschweißten Stahlrohren, weshalb der Pro-
totyp zu schwer ausfiel und "abgemagert" werden mußte. Noch 1940 ging jedoch
der nunmehr OKA-38 benannte "Storch", der diesen Vogelnamen auch auf rus-
sisch trug ("Aist"), in die Flugerprobung. Die Serienfertigung im Baltikum wurde
durch den Vormarsch der Deutschen unterbrochen.17

15 Einzelheiten bei Jak:owlew 1972, S. 113 ff.


16 Der Transfer der Dornier- und Heinkel-Maschinen wird in dem Handbuch von Kens/
Nowarra 1961, S. 144 u. S. 269 verzeichnet.
17 Gunston 1983, S. 40/41
34 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Know-how-Transfer durch Personalpolitik

Jahrzehntelang haben die sowjetischen Verantwortlichen durch eine intensive Per-


sonalpolitik gezielt versucht, das Niveau des Know-how in der sowjetischen Rü-
stungsindustrie westlichen Standards näher zu bringen. Man lud zum einen Fach-
leute wie Junkers und seine Mitarbeiter in die UdSSR ein. Zum anderen schickten
die Sowjets ihre führenden Konstrukteure wiederholt in den Westen, um dort Rü-
stungswerke zu besuchen. Die bizarrsteReise dieser Art fand wohl im Jahre 1939
statt, als Sowjetteams die Rüstung des Dritten Reiches inspizierten- eben die Waf-
fen, mit denen sie bald selber bekriegt werden sollten.
Großer Wert wird und wurde darauf gelegt, daß sowjetische Konstrukteure
sich mit vergleichbaren Konstruktionen im Westen vertraut machen, ehe sie an ihr
eigenes Projekt gehen. Aus Kosten- und Konkurrenzgründen ist dies zumindest bei
Privatunternehmen auch im Westen gängige Praxis. In der UdSSR scheint jedoch
dieses Vergleichsstudium besonders intensiv betrieben zu werden.
Das genaue Studium ausländischer Konstruktionen wurde geradezu ritualisiert
erwartet. So wird von Berijew, mittlerweile etabliertem OKB-Chef, berichtet, daß
er vor der Konstruktion seines Flugbootes MDR-5 sorgfältig den amerikanischen
Entwurf Sikorsky S-43 analysierte. Gunston hält fest, "daß bis zu diesem Tag so-
wjetische Triebwerkskonstrukteure ausländische Triebwerke mit größerer Zuwen-
dung studierten als die Flugzeugkonstrukteure ausländische Flugzeuge analysier-
ten" .IR
Neben dem obligaten Besuch von Waffenschauen wie den Traditionsveranstal-
tungen im englischen Famborough oder im Pariser Le Bourget und der Teilnahme
an internationalen Fachkongressen wurden von den Sowjets hin und wieder gezielt
Gruppenreisen ins Ausland organisiert, um die sowjetischen Waffenkonstrukteure
vor Ort zu informieren. Tupolew und sein Team unternahm 1932 eine erste solche
Gruppenreise. Besonders ergiebig waren Nachbauprogramme. Auch amerikaDisehe
Lizenzgeber kooperierten damals durchaus großzügig mit den Russen. Nach dem
Kauf der Nachbaurechte der Douglas DC-3 weilte Chefkonstrukteur Lisunow mit
einem Team von November 1936 bis April1939 im kaliforniseben Santa Monica,
wo er ,jedes Bauteil der DC-3 sowie die Vorrichtungen und Werkzeuge Stück für
Stück durchging, ebenso die für den Betrieb notwendigen Gegenstände".19
Lisunow hatte in seinem Team die Elite des künftigen Militärflugzeugbaus der
UdSSR mitgebracht: Neben dem später als Jagdflugzeugkonstrukteur berühmten
A.I. Mikojan unter anderen W.M. Miasyschtschew, später der Heros der sowjeti-
schen Langstreckenbomberkonstrukteure. Alle diese Koryphäen begannen beschei-
den 1937 bei Douglas, die Konstruktionspläne der DC-3 für sowjetische Umstände
umzuarbeiten.
Beachtlich sind auch Delegationsreisen sowjetischer Fachleute ins nationalso-
zialistische Deutschland. Einzelne Mitglieder dieser Kommissionen blieben länge-
re Zeit im Reich. Der Prominenteste dürfte Alexandr S. Jakowlew gewesen sein.
Am 30. Oktober 1939 reiste er mit einer Gruppe Fachleute zu den Heinkel-Werken
in Rostock-Marienehe und blieb dort als Abnahme-Ingenieurfür die fünf von den
Sowjets gekauften Heinkel-Jäger He-100. Das Muster hatte im März 1939 den

18 Gunston 1983, S. 10
19 Gunston 1983, S. 165
Die Luftfahrtindustrie 35

Weltgeschwindigkeitsrekord geflogen, und Jakowlew hatte Versuchsmaschinen


abzunehmen - angesichts der strengen sowjetischen Bestimmungen sicher eine
Zeitaufwand erfordernde Aufgabe.20
Jakowlew gibt an, außer in Deutschland beruflich in Italien und wiederholt in
Großbritannien und Frankreich tätig gewesen zu sein.21 Besonders seine atmosphä-
risch dichten Beobachtungen eines Russen vom Alltag im Nationalsozialismus ver-
dienten eine breitere Leserschaft. Neben Jakowlew sind von den bekannteren so-
wjetischen Flugzeugkonstrukteuren N.N. Polikarpow (Reisen nach Italien und
Deutschland) und P.O. Suchoj (vermerkt wird eine Italienreise) im Ausland gewe-
sen. An der Deutschlandreise waren unter anderen A.I. Gusew, N.N. Polikarpow,
W.P. Kusnetzow und P.W. Dementjew beteiligt. Auf der Flugschau von Farnho-
rough im Jahre 1960 waren Antonow und Jakowlew, der Triebwerkkonstrukteur
Solowjew und der Instrumentenspezialist Tschadschikjan anzutreffen; den Pariser
Aerosalon 1965 besuchten Tupolew, Mikojan, Antonow, Mil, Dementjew und Ja-
kowlew. Führende sowjetische Konstrukteure besuchten die Flugschauen von
Farnborough 1966 und den Aerosalon 1967. Seither ist die Kette solcher Delegati-
onsreisen ununterbrochen bis in die jüngste Zeit (1988 besuchte unter andeen der
Chefkonstrukteur des MiG-Teams die Flugschau in Farnborough).
Nicht zu unterschätzen ist der Ausbildungseffekt, den ausländische Konstruk-
teure in der sich technologisch rasch entwickelnden UdSSR bewirkten. Außer den
Junkers-Leuten wurden wiederholt ausländische Fachleute zu längeren Aufenthal-
ten in der UdSSR und zur Mitwirkung in der Rüstung eingeladen. Die staatliche
Aviatrust rekrutierte wiederholt ausländische Konstrukteure, so in Frankreich Paul
Aime Richard, der 1928 unter anderen mit seinen Landsleuten Auge und Laville
ein Konstruktionsteam für die nicht recht florierende Flugbooterzeugung aufbaute.
Zu Richards Mitarbeitern gehörten einige der später bekanntesten Konstrukteure;
neben Berijew (Flugboote) vor allem die Jägerspezialisten Gurewitsch und La-
wotschkin sowie der Hubschrauberexperte Kamow. Richard konstruierte einen
Torpedobomber, der allerdings nicht in Serie gebaut wurde. 1931 ging er nach
Frankreich zurück, nachdem er "in politische Schwierigkeiten" geraten war.
Sein Landsmann Andre Laville war klug genug, aus Richards Team rechtzeitig
auszuscheiden und 1930 in Moskau eine eigene Gruppe zu bilden. Laville nutzte
seine Erfahrungen in der französischen Jägerfirma Nieuport-Delage und stellte
1933 den Prototyp eines zweisitzigen Jägers vor, der ersten sowjetischen Maschine
mit dem damals neuartigen Mövenknick im Flügelaufbau. Zum Serienbau kam es
nicht, weil Laville auf einen amerikanischen Flugmotor zurückgreifen mußte. - La-
ville entwarf hernach ein recht erfolgreiches Verkehrsflugzeug (PS-89) und kehrte
1939 nach Frankreich zurück.

20 Ernst Heinkel beschreibt in seiner Autobiographie (vgl. Heinkel 1963, S. 396) den Be-
such in seinem Werk. Als wichtigste sowjetische Fachleute nennt er (so seine Schreib-
weise der Namen) A1exander Gussew, Vladimir Schewtschenko und Wassily Kuzne-
zow (offenbar nicht identisch mit dem Triebswerkkonstrukteur N.D. Kuznezow). -Ein
konstruktiver Niederschlag der Erfahrung mit der He-100 läßt sich bei Jakolews Ent-
würfen nicht nachweisen (mit 37.000 Exemplaren seiner Jäger Jak-1 bis Jak-9 war er
der erfolgreichste sowjetische Konstrukteur im 2.Weltkrieg).
21 Jakowlew 1972, S. 49, S. 52 f. Ferner war Jakolew gelegentlich in Wien. Die Erinne-
rungen Heinkels, in denen sein Aufenthalt in Rostock beschrieben wird, kennt und zi-
tiert Jakolew, ohne freilich auf diese Partien einzugehen.
36 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Hin und wieder erhielten die Sowjets technische Unterstützung von Indivi-
duen, die ihrer parteipolitischen Haltung wegen mit dem System sympathisierten.
Der Herausragendste dürfte der italienische Flugzeugkonstrukteur Roberto L. Bar-
tini gewesen sein. 1921 war er Mitbegründer der KPI und organisierte in Mailand
kommunistische Zellen. Als Mussolini zwei Jahre später die KP verbot, emigrierte
Bartini in die Sowjetunion. 1924 bis 1928 diente er der Roten Armee als Ingenieur,
fiel durch seine Begabung auf und erhielt ein eigenes Konstruktionsbüro. In der
Folgezeit entwarf Bartini eine Reihe höchst ungewöhnlicher Konstruktionen, die
zwar nicht in den Serienbau gingen, aber doch zur Verbreiterung der technischen
Basis der sowjetischen Flugzeugindustrie beitrugen (so wirkte er an Stahlkonstruk-
tionen mit, etwa beim ModellStal 7). Seine Senkrechtstarter und Düsenjäger wur-
den in der UdSSR breit beachtet. Des ungeachtet wurde er während der Säuberun-
gen ins Gefängnis geworfen. Die letzte Nachricht über ihn stammt vom Jahr 1967:
Er erhielt den Lenin-Orden für seine Verdienste in der sowjetischen Luftfahrtfor-
schung.
Gleichfalls aus Italien kam der Drehflüglerspezialist Vittorio Isacco, der von
1932 bis 1936 in der UdSSR an einem Hubschrauber "Gjelikogyr" oder Isacco-4
arbeitete. Platterprobleme und andere Schwächen führten dazu, daß die Entwick-
lung abgebrochen und Isacco gleichfalls ins Gefängnis geworfen wurde (wo er
weiter als Konstrukteur arbeitete).
Einen mutmaßlich letzten und in seiner Bedeutung schwer abschätzbaren Zu-
fluß an technischen Informationen, die ihnen über zuwandernde Personen zugin-
gen, erhielten die Sowjets Ende der vierziger Jahre. Im Zusammenhang mit dem
sogenannten Rosenberg-Prozeß, der Anklage und Hinrichtung des Ehepaares Ro-
senberg wegen Atomspionage zugunsten der UdSSR, verließ eine Anzahl von vor-
mals mit den Sowjets sympathisierenden oder solcher Sympathien verdächtigter
Amerikaner die Vereinigten Staaten. Die Literatur über die Verratstätigkeit von
Klaus Fuchs22 und andere "Atomspione" füllt inzwischen Regale. In den USA,
etwa am renommierten Russian Research Center der Harvard Universität, werden
noch heute jüdische Emigranten aus der UdSSR ausgefragt, ob sie über den Ver-
bleib und die spätere Tätigkeit einzelner amerikanischer Fachleute etwas wüßten.
Womöglich bedeutsamer als der Transfer von Nukleargeheimnissen (den die
weiland in der UdSSR tätigen Deutschen als nicht wichtig bezeichnen, vgl. Kapitel
2) dürfte der Seitenwechsel einzelner Elektronikingenieure zu Buche schlagen. In
dem erw~nten Harvard-Projekt wurde so zum Beispiel die Flucht der beiden
Elektroniker Alfred Sarant und Joel Barr (als Sowjetbürger nunmehr Filip Georgje-
witsch S taros und J osef Weniaminowitsch Berg) und ihre seitherige Tätigkeit in
der UdSSR rekonstruiert. Die beiden waren in den USA in der Radarforschung tä-
tig gewesen. In den UdSSR nahmen sie Führungspositionen in der Halbleiterfor-
schung und bei der Konzipierung von Computern ein.23

22 Neuere Beiträge enthalten durchaus Wissenswertes. Die Verbindung zwischen Klaus


Fuchs und dem sowjetischen Geheimdienst z.B. hat Jürgen Kuczynski, der Senior der
Sozialwissenschaften der DDR, hergestellt (nach West 1983, S. 38).
23 Einzelheiten bei Kuchment 1985, S. 44-50. V gl. auch: Reppert 1983, S. 6
Die Luftfahrtindustrie 37

Technologieimport durch Militärhilfe

Zu Beginn des 2. Weltkrieges mußten sich die Sowjets bis zur Bildung der Anti-
Hitler-Koalition bei Kampfflugzeugen auf Eigenkonstruktionen verlassen und er-
warben nur für Nebenlinien der Luftfahrttechnologie ausländisches Know-how. So
wurde von den amerikanischen Convair-Werken eine Lizenz für das herausragende
Flugboot PBY-5 vergeben, und der Nachbau der DC-3liefweiter. In beiden Fällen
ist den sowjetischen Auswahlteams zu bescheinigen, daß sie auch im historischen
Rückblick die jeweils beste verfügbare Technologie gewählt haben (vgl. Tabelle
2).

Tabelle 2:
US-Flugzeugtransfers in die UdSSR im 2. Weltkrieg
Typ Lieferant Bezeichnung Zahl

Bell P-39 4.743


Curtiss P-63 2.400
Jäger
Curtiss P-40 2.091
Republic P-47 195

Douglas A-20 2.901


Bomber
North American B-25 826
Transporter Douglas C-47 707

Trainer North American AT-6 81


Flugboot Consolidated PBY-6 185

Quelle: Zusammengestellt nach Green/Fricker, a.a.O., S. 253


Die Zahlenangaben beziehen sich auf tatsächlich in der SU eingetroffene Maschinen. In
Folge z. T. hoher Transferverluste differieren diese Daten mit anderen Quellenangaben, die
sich auf die Auslieferung ab Fabrik beziehen.

Allein aus den USA erhielt die Sowjetunion im Krieg mehr als 14.000 Militärflug-
zeuge- was in Bezug zu sehen ist zu einer Kampfstärke von 17.500 Flugzeugen
bei Kriegsende. Ferner sind britische Lieferungen kleineren Ausmaßes zu erwäh-
nen: zwei Staffeln Hawker Hurricane Jäger, eine geringe Anzahl Spitfire-Jäger
und Mosquito-Bomber sowie einige Albemarle-Aufklärer. Festzuhalten ist somit,
daß die sowjetische Flugzeugindustrie während der Kriegsjahre Technologie-Infu-
sionen modernster Art von beiden Seiten erhielt, wobei freilich der US-Beitrag do-
miniert.
In Sondertechnologien wie etwa dem Bau von Flugbooten erreichten sowjeti-
sche Entwürfe im Regelfall nicht den auf dem Weltmarkt angebotenen Standard.
Außer dem Flugboot MBR-2 von Berijew (dieses wiederum war eine Verbesse-
rung des importierten italienischen Flugbootes S. 62) erwiesen sich alle Konstruk-
38 Abhängigkeit von auslärulischer Technologie?

tionen als enttäuschend, und die Sowjets bauten statteigener Modelle ausländische
Muster in Großserie wie das Boot PBY von Consolidated (heute General Dyna-
mics). Sogleich nach der Exportfreigabe erwarb Amtorg, die für US-Importe zu-
ständige staatliche Einrichtung, die Nachbaurechte sowie drei Maschinen. Die rus-
sischen Ingenieure erwiesen sich vom Stand der US-Technologie beeindruckt. Da
schwieriger zu fertigende Bauteile die Kompetenz der Facharbeiter überstiegen
oder eine Anzahl von Spezialwerkzeugen nicht vorhanden waren, konnte das Flug-
zeug jedoch nicht einfach nach den amerikanischen Zeichnungen gebaut werden.
Es waren vielmehr mehr als 600 Konstruktionsänderungen erforderlich, um das
Muster an sowjetische Verhältnisse anzupassen. - Die Convair blieb bis nach
Kriegsende in Serienproduktion.

Vorausschauende Akquisition ausländischer Technologie

Das Kopieren eines zeitgenössischen Großsystems ist entgegen laienhaften Vor-


stellungen keine leichte Aufgabe, und sie erfordert generalstabsmäßige Präzision.
Das läßt sich nunmehr gut an der während des Krieges erfolgenden sowjetischen
Kopie von Amerikas erstem Atombomber, Boeings B-29, darstellen.
Die Sowjets waren fest entschlossen, selber über die B-29 zu verfügen. Würde
ein Exemplar dieses gegen Kriegsende modernsten Bombers mit der größten
Reichweite aller Vergleichsmuster in sowjetische Hände fallen, etwa durch eine
Notlandung, so sollte Tupolew die Maschine direkt kopieren. Da man auf sowjeti-
scher Seite jedoch nicht sicher sein konnte, einer der Maschinen habhaft zu wer-
den, wurde das Tupolew-Team zugleich mit dem ,,Projekt 64" betraut. Hinter der
Chiffre verbarg sich das Vorhaben, Ersatzlösungen bereit zu halten. ,,Projekt 64"
wirkte somit als Rückfallversicherung, falls die direkte Kopie der Boeing nicht
möglich sein würde.
Die sowjetische Spionage informierte augenscheinlich hinreichend zuverlässig
über Amerikas neuen Superbomber, der im Dezember 1942 erstmals flog. Das Mo-
toren-Konstruktionsbüro Schwetsow begann 1943 mit den Vorbereitungen der
Nachkonstruktion der Wright R-335a Sternmotoren sowie der Höhenlader von Ge-
neral Electric.
Am 29. Juli 1944 trat der ersehnte Glücksfall ein und eine B-29 fiel in russi-
sche Hände. Der Glücksfall wiederholte sich in kurzen Abständen: Am 20. August
mußte eine zweite B-29 auf russischem Areal notlanden, im November eine dritte.
Es fallt schwer zu akzeptieren, daß man in den USA bis 1946 dem Gerücht nicht
Glauben schenken wollte, daß der sowjetische Allüerte die Boeing kopierte. Über
das Verschwinden der drei Bomber und ihrer Besatzungen hätten sich die Verant-
wortlichen augenscheinlich gründlicher wundem sollen.
Tupolew wechselte sofort vom "Projekt 64" zu den Boeings über. Er hatte eine
völlig neue Aufgabe zu meisten: 105.000 Einzelteile waren zu vermessen, auf das
verwendete Material hin zu prüfen, ihre Funktion war nachzuvollziehen, das für sie
geeignete Fertigungsverfahren war zu ermitteln, und Toleranzmaße für die Ferti-
gung mußten bestimmt werden. Mehr als 1.000 technische Zeichner waren damit
beschäftigt, die B-29 auf sowjetische Blaupausen zu kopieren. Viele Bauteile und
Subsysteme waren den Sowjets bis dahin unbekannt. Andere wie die Druckkabine
und die Steuerung der Bewaffnung des Bombers waren anders gemacht, als die
Russen dies kannten. Mit der Entscheidung, der eigenen Atombombe die höchste
Die Luftfahrtindustrie 39

Prioritätsstufe zu geben, beschleunigte sich in der ersten Januarwochen 1945 auch


das Kopierprogramm. Die Maschine sollte unter dem Namen Tupolew Tu-4 gleich
in drei Werken in den Serienbau gehen.
Im Ergebnis blieben nur wenige Bauteile der Tu-4 mit der B-29 identisch, ob-
wohl beide Flugzeuge äußerlich vom Nichtfachmann nicht zu unterscheiden sind.
Auch verwendeten die Russen größtenteils andere Rohstoffe. Als vorsichtige Kopi-
sten legten sie die vielfachen Hydraulikschläuche bei der Umrechnung ins metri-
sche System stets etwas stärker aus als im Original. Bei den Passungen der An-
schlußbolzen für die Tragflächen quälte die Konstrukteure lange Zeit ein Fehlmaß
von Millimeterbruchteilen. Mit den Integraltanks im Flügel des Bombers kamen
die Fertigungstechniker nicht zu Rande, und man entschloß sich, auf Kosten der
Reichweite herkömmliche Gummitanks einzubauen. Ferner versuchte man, aller-
dings ohne Erfolg, Verschleißteile wie Räder, Ersatzreifen und Bremsbeläge für
die Boeing/Tupolew direkt in den USA zu kaufen. Kein Wunder, daß die sowjeti-
sche Kopie erheblich schwerer ausfiel als das amerikaDisehe Vorbild, obwohl Tu-
polew versucht hatte, den Bomber abzuspecken. So wurde auf den druckbelüfteten
Tunnel, der in der B-29 zum Komfort der Besatzung das Cockpit mit dem im Mit-
telrumpfgelegenen Raum für Bombenwarte und Bordschützen verband, in der so-
wjetischen Version verzichtet.
Am 3. Juli 1947, ziemlich genau drei Jahre nach dem Eintreffen der ersten Ori-
ginalmaschine, startete die sowjetische Kopie erstmals. Die Sowjets hatten sicher
erheblich Zeit und Kosten gespart. An der Kopie sollten sie jedoch keine rechte
Freude haben. Mit fast allen Systemen des Bombers gab es ernste Probleme. Die
ungewohnten Höhenlader und Verstellpropeller funktionierten nicht zufriedenstel-
lend. Es gab häufig Triebwerkbrände, weil die Kühlung der achtzehnzylindrigen
Motoren unzureichend kopiert worden war. Der Bombenschütze und die Piloten
hatten Sichtprobleme, weil es fertigungstechnisch zunächst nicht gelang, das Plexi-
glas für die Pilotenkanzel schlierenfrei zu gießen. Mit dem Ausbügeln dieser Kin-
derkrankheiten vergingen zwei weitere Jahre, ehe der Serienbau voll anlaufen
konnte. Ende 1950 standen dann gleich mehr als 300 Tu-4-Bomber zur Verfügung.
Da war die Maschine jedoch schon technisch überholt - Boeing produzierte längst
Düsenbomber mit Pfeilflügeln, die beinahe doppelt so schnell wie das sowjetische
Modell flogen. Tupolew konstruierte aufgrund der Erfahrung mit der B-29 zwei
weitere Folgemodelle, benannt Tu-80 und Tu-85, die technisch gelungener ausfie-
len (vgl. Abbildung 1). Angesichts der Überlegenheit des Düsenantriebs erwies
sich dieser Weg jedoch bald als Sackgasse.
Indirekt hat die Kopie jedoch nach Expertenaussage den sowjetischen Flug-
zeugbau nachhaltig beeinflußt: Gunston will Spuren in dem bis heute verwendeten
Düsenbomber Tu-16 und der Passagiermaschine Tu-154 ausgemacht haben:
"Eine Menge Technologie vom Stil der B-29 fliegt heute in Tu-16s, und einige Frag-
mente haben sich bis zur Tu-154 durchgeftltert, mehr als 40 Jahre, nachdem der US-
Bomber auf den Zeichentischen in Seattle entstand."24
Das Manöver vorausschauender Akquisition modernster ausländischer Technolo-
gie, wie sie mit der Kaperung und Kopie der B-29 gelang, versuchten die Sowjets
später zu wiederholen. Zwar verfügte die UdSSR gegen Ende 1945 über eine Erst-
ausstattung an Düsenjägern, neben dem weitreichenden Bomber erkennbar die

24 Gunston 1983, S. 13
40 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Amerikanischer Bomber Boeing B-29 "Superfortress"

Tu-80

Abbildung 1: Tupolews dreifacher Anlauf, den amerikanischen Bomber B-29


zu kopieren
Die Luftfahrtindustrie 41

Trumpfkarte einer modernen Luftstreitmacht Mit ihren veraltenden deutschen


Turbinen waren diese Erstlinge der westlichen Nachkriegsluftrüstung erkennbar
unterlegen. Ein signifikanter Vorstoß im Flugmotorenbau war in der kriegsge-
schwächten UdSSR nicht zu erwarten. So konzentrierte man sich auf den Erwerb
modernster Flugantriebe aus dem Westen.
Die Geschichte ist noch unglaublicher als im Falle der B-29, aber tatsächlich
antizipierten die sowjetischen Behörden, der Geheimdienst und die Konstrukteure,
daß ihnen früher oder später die modernen Jets von Rolls Royce zugänglich wür-
den. Man muß sich vor Augen halten, daß sich im Winter und Frühjahr 1947 die
Anti-Hitler-Koalition endgültig auflöste und mit Trumans bekannter Rede im März
1947 ("Truman-Doktrin") der Kalte Krieg offen eskalierte. Im Zuge eines Han-
delsabkommens hatte jedoch die neue Labour-Regierung im September 1946 den
Verkauf einer Anzahl von Rolls-Royce-Triebwerken der Muster "Nene" und "Der-
went" zugesagt. Die britisch-sowjetische Zusammenarbeit muß recht eng gewesen
sein, denn noch im Februar, bevor die ersten britischen Aggregate eintrafen, erhiel-
ten die sowjetischen Jägerkonstrukteure aus England exakte Bauzeichnungen mit
den Angaben der Aufhängepunkte der Triebwerke sowie der erforderlichen Stärke
dieser Konstruktionspunkte.
Der Altmeister des sowjetischen Flugzeugbaus, Tupolew, konzipierte seinen
ersten Düsenbomber Tu-12 in Erwartung der britischen Motoren (Projektbeginn
Mitte 1946). Ein Baulos des ansonsten mit Kolbenmotoren angetriebenen älteren
Serienbombers Tu-2 wurde bereit gehalten, um sogleich bei Eintreffen eines briti-
schen Düsenmotors mit dem neuen Antrieb ausgerüstet zu werden (vgl. Abbildung
2). Schon aufgrund seines Seniorats war es selbstverständlich, daß Tupolew die er-
ste Zuteilung der im Winter 1947 eintreffenden Motoren erhielt. Als Tu-2N ("N"
war zunächst die Abkürzung für den britischen Typennamen ,,Nene", mit dem
Rolls Royce sein Produkt benannt hatte) ging diese Kombination unmittelbar in die
Flugerprobung. Das Serienmuster der Tu-12 konnte schon am 23. Juni 1947 die
Flugerprobung aufnehmen, zwei Maschinen wurden am 3. August in Tuschino in
einer Luftparade vorgeführt. Im September war eine erste Serie der Maschinen
ausgeliefert.
Diese Geschwindigkeit war nur möglich, weil Tupolew als Routinier jedes Ri-
siko vermieden hatte und den Rumpf, obwohl das Fahrwerk und der Flügel zur
Aufnahme der Düsentriebwerke neu konstruiert werden mußten, weitgehend nach
dem Vorbild seines älteren Bombers Tu-2 konzipiert hatte. So erfüllte Tupolew so-
wohl Stalins Terminwünsche und konnte aufgrund der Erfahrungen mit diesem In-
terimsbomber auch in kurzer Folge eine Anzahl mittlerer Düsenbomber für den
Großserienbau vorführen.
Besonders bei gänzlich neuartigen Technologielinien wie dem Hubschrauber-
bau orientierten sich die Sowjets intensiv an ausländischen Vorgaben. Jakowlews
erster Serien-Hubschrauber, von einer Untergruppe seines Büros unter Jerlik ent-
worfen, sah dem etwas älteren amerikanischen Sikorsky S-51 verblüffend ähnlich.
Mil, von Stalin mit exakt einem Jahr Zeitvorgabe für einen neuartigen Hubschrau-
ber versehen, ließ sich beim Entwurf des Mi-4 stark von dem Nachfolgemodell Si-
korsky S-55 inspirieren (vgl. Abbildung 3).
In all diesen Vorgänge, welche hier "vorausschauende Technologieakquisition"
genannt werden, wird ein Grundmuster sichtbar. Dieses scheint bis heute Gül-
tigkeit zu haben, obwohl zugestandenermaßen Einzelzüge, etwa von Stalin per-
42 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

~=
J! II _o_ II

Tu-12

Abbildung 2: Tupolews vorsichtiger Übergang zum Düsenbomber: Austausch


der beiden Sternmotoren (ASch-82) durch zwei britische Strahl-
triebwerke Rolls-Royce ,.Derwen/ 11
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Abbildung 3: Sowjetische Kopien amerikanisclzer Sikorsky-Hubsclzrauber tl


44 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

sönlich diktierte enge Terminvorgaben, nunmehr entfallen. -Zuerst anzuführen ist


die informationeile Kompetenz auf sowjetischer Seite. Was im bunten Angebot der
militärtechnischen Neuerungen im Westen zukunftsweisend ist, wird von ihnen si-
cher erkannt- auch wenn es sich um wenig bekannte Allbieter handelt. Westliche
Technologie wird hernach mit erheblichem Aufwand "russifiziert", wobei durch-
aus westliche technische Unterstützung gesucht wird. Trotz rascher Anfangserfol-
ge führt die Russiftzierung zu so großem Zeitbedarf, daß so entstehende Waffensy-
steme im Produktionsstadium in der Vergangenheit veraltet waren, weil im Westen
schon fortgeschrittenere Technologie in Serie erzeugt wurde.
Mit der Auswertung der Beute nach der Niederlage einer der führenden Tech-
nologiemächte, des Dritten Reiches, hoffte man auf sowjetischer Seite augen-
scheinlich, dieses Defizit ein für allemal zu überwinden. Das Studium dieser Phase
des Technologietransfers zeigt bald, daß trotz erneuter rascher Anfangserfolge die-
se Hoffnung erneut trog.

DerEnverb von Antriebstechnologie

Flugmotoren oder Düsentriebwerke mögen dem Laien als möglicherweise relevan-


te, ansonsten nicht weiter Beachtung verdienende Details der Luftrüstung erschei-
nen. In der Realität ist es genau umgekehrt. Der Mangel an leistungsfähigen und
zuverlässigen Antrieben hat die sowjetische Luftfahrt von Anbeginn behindert.
Stets war sie hier nachholend tätig. Der schon mehrfach zitierte britische Fachhi-
storiker Gunston stellt mit Blick auf die UdSSR bündig fest:
•.Bei Flugantrieben hat es nie eine nationale Kompetenz in der Konstruktion gegeben,
und obwohl es seit 1927 Konstruktionsbüros für Motoren gibt, stützen diese ihre Tätig-
keit mit Vorrang auf ausländische Entwürfe. "25
Tabelle 3 illustriert die Berechtigung dieser Aussage zumindest für die Phase bis
zum Ende des Zweiten Weltkrieges. In die Zusammenstellung wurden auch die
von sowjetischen Konstrukteuren vorgenommenen Ableitungen mit aufgenommen.
Sie zeigen an, wie wichtig die Technologieinfusionen aus dem Ausland gerade im
Motorenbau gewesen sind.
Diese prekäre Situation hält bis in diese Tage an. Die Schwächen sowjetischer
Triebwerke erklären vor allem, warum sowjetische Verkehrsflugzeuge auf dem
Weltmarkt so wenig konkurrenzfähig sind (und selbst einmal verkaufte Exemplare,
so einige Jak-40 an einen westdeutschen Fluguntemehmer, nach kurzer Zeit wegen
Unwirtschaftlichkeit zurückgegeben werden müssen). Mit dieser Schwäche stehen
die Sowjets zumindest im historischen Rückblick nicht allein: Vor 1945 gelang es
auch den Deutschen nicht, wirklich Anschluß an die führenden Motorenbauer in
den USA, England oder Frankreich zu erlangen.26 Das Dritte Reich errang eine
Führungsrolle bei den neuartigen Strahlantrieben, sowohl beim Raketenantrieb wie
bei dem sich in der Folge als ungleich wichtiger erweisenden Turbotriebwerk mit
Luftverbrennung, gemeinhin als Düsenantrieb bekannt. Es leuchtet ein, wenn die
sowjetische Führung bei Kriegsende besonders auf den Erwerb der deutschen Dü-
sentechnik setzte, um einen über Jahrzehnte schmerzlich empfundenen, oft thema-

25 Gunston 1983, S. 10
26 Vgl. beispielsweise die Aussagen von Dornier und Heinkel in: Heinkel1963, S. 104
Die Luftfahrtindustrie 45

Tabelle 3:
Nachbauten!Adaptionen ausländischer Flugmotoren
Ersüauf Charakeristika Sowjetische Ersüauf
Original Beze1chnunll
LCRh6ne 1. WClikrieg M-2
Liberty 1. weltkrieg M-5
Hispano-Suiza 8Fb 1. weltkrieg M-6
Bristol Jupiter VI 1925 9-Zyl Stern Mikulin M-13
Bril!.M-18
M-22 1930
M-32
Bristol GR Titan Schwets. M-15 1928
M-26
BMWVI 1928 12-Zyl V-Motor Mikulin AM-30 1931
mit Flüssig- M/AM-34 1932
kühlung M/AM-35 1939
M/AM-37 1940
AM-38 1941
AM-39 1942
AM-41 1942
M/AM-42 1944
AM-43 1944
AM-47 1946
M-17
M-27
Junkers Jumo 204/6 1930 6-Zyl Diesel ED-1 1935-40
Hispano-Suiza 12Y 12-Zyl.mit Klimow WK-100 1934
Wasserkühlung WK-103 1937
WK-105 1941
WK-106 1939
WK-107 1942
WK-108 1945
WK-109 1945
Gnome-Rhone 14-Zyl Trumanski M-85 1934
K14Mistral M-86 1936
M-87 1938
M-88 1938
Renault 4-Zyl Reihen- MV-4 1936
motor
Renault 6-Zyl. Reihen- MV-6 1936
motor
W~tR-1820 Schwetsow M-25 1934
Cycone ASch-62/M-62 1937
ASch-63/M-63 1939
ASch-71/M-71 1941
ASch-72 1943
ASch-73/M-73 1944
ASch-82/M-82 1940
ASch-83
ASch-90/M-90 1941
M-25
M-62
BMW Motorradmotor 2Zyl M-76
WritR-3350 18-Zyl.Stem Schwetsow ASch-73 1944
Cyc one
AigusAs014 1942 Pulsrohr RD-13
Junkers Jumo 004 1940 TL-Triebwerk RD-10 1945
BMW003 1943 TL-Triebwerk RD-20 1945
RD-21
Rolls-Royce Nene 1944 TL-Triebwerk Klimow RD-45
WK-1 1948
Moebius WK-5 1953
Rolls-Ro:!:ce Derwent 1943 TL-Triebwerk Jakowlew RD-500 1949

Anmerkungen: Reine Importe ohne folgenden Nachbau in der UdSSR sind in dieser Zu-
sammenstellung ebensowenig aufgenommen worden wie Adaptionen zu
indirekter Art (so ist der schwere Motor WD-4 von W.A. Dobrynin aus
dem Jahre 1951 sicherlich im Zusammenhang mit dem in der UdSSR
durch Brandner nachkonstruierten Jumo-222 zu sehen, schon bei der Zahl
und Anordnung der Zylinder -aber um einen Nachbau handelt es sich
eben nicht).
Quelle: Zusammengestellt nach Bill Gunston, Aircraft of the Soviet Union, Lon-
don (Osprey) 1983, S. 25-28
46 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

tisierten Rückstand mit einem Schlage auszugleichen. Die sowjetischen Greif-


trupps, welche in den letzten Kriegsmonaten der kämpfenden Truppe folgten,
scheinen besonders in bezug auf Düsenantriebsfachleute glänzend instruiert gewe-
sen zu sein, betrachtet man ihre Erfolge.
Der im Westen unbekannte Betriebsleiter eines Zweigwerkes der Firma Jun-
kers, dem Betrieb Muldenstein bei Leipzig (in welchem im Dezember 1944 die
Fertigung des Düsentriebwerkes Jumo 004 angelaufen war), wurde im Frühjahr
1945 von den Sowjets unterwegs bei dem Versuch aufgegriffen, sich ins damals
noch nicht befreite Prag abzusetzen. Obwohl dieser "Spezialist", wie ihn die Rus-
sen nannten, Ferdinand Brandner, keine prominente Funktion ausübte (er hatte
zum Beispiel nie an einer der sogenannten Industrieführerkonferenzen in der
Reichshauptstadt teilgenommen) und er auch keinen ehrfurchteinflößenden Titel
trug (es handelte sich um einen simplen Diplom-Ingenieur), waren doch die sowje-
tischen Offiziere so gut über die Interna bei Junkers informiert, daß sie Brandner
auf den Kopf zusagen konnten, daß er nicht nur die Seele der Entwicklung des lei-
stungsfähigsten Kolbenmotors der Firma, sondern obendrein noch der wichtigste
Ausbügler von Fertigungspannen bei den neuen Düsenmotoren sei. In anderen
Worten, Brandner und Leute seines Schlages waren die optimale Beute für die So-
wjets. Es handelt sich keinesfalls um einen Einzelfall. Auch in anderen Bereichen
griffen die Russen gern nach der Nr. 3 oder 4 in einer deutschen Betriebshierarchie
und machten keine schlechten Erfahrungen.27
Jedenfalls fiel es den Sowjets nicht schwer, wichtige Akteure wie Brandner zu
enttarnen, ihre in der Umgebung vergrabenen technischen Unterlagen ausfmdig zu
machen und in der Zeichnungsausgabe der besetzten Rüstungswerke weitere zu-
rückgelassene Unterlagen aufzuspüren. Brandner wirkte gar dabei mit (im Ge-
spräch bezeichnet er diese Haltung heute als naiv), gemeinsam mit den Sowjets
seine wichtigsten Mitarbeiter aufzuspüren. Während die Fängertrupps der Westal-
lüerten vor allem nach prominenten Wissenschaftlern und Cheftechnikern Aus-
schau hielten, legten die Russen mit Erfolg den Nachdruck darauf, ganze Teams in
ihre Hände zu bekommen. Bei BMW mißlang ihnen dies, so daß sich die folgende
Skizze auf die Junkers-Gruppe konzentriert.
Am 1. Juli 1945 wurde Brandner nach Moskau geflogen und nach einer Reihe
von Verhören durch den NKWD (bei denen es ausgiebig um seine nationalsoziali-
stische Vergangenheit ging) mit der führenden Figur im sowjetischen Flugmoto-
renbau, Wladimir J. Klimow, bekannt gemacht. Brandner mußte vor einer größeren
Runde über die Junkers-Entwicklungsarbeiten Vortrag halten und wurde hernach
von Klimow eingeladen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Zwischen diesem Ge-
spräch und dem tatsächlichen Projektbeginn verging mehr als ein Jahr, was schwer
erklärlich bleibt. Statt Klimow, der die Leitung des Konstruktionsbüros in Tscher-
nikow~k abgab und nach Leningrad ging, wurde Brandner dem Konstrukteur Ni-
kolai D. Kusnetzow, im Kriege Stellvertreter Klimows, unterstellt. Unter dessen

27 Der neben Brandner wohl spetakulärste Fall ist in Heinkels ehemaligem Konstrukteur
Dipl.-Ing. Siegfried Günter zu sehen. Von Heinkel als der beste deutsche Konstrukteur
bewertet (auf Günter gehen Heinkels Raketenflugzeug He-178, der erste zweimotorige
Düsenjäger sowie der "Volksjäger" zurück), blieb Günter nach vergeblichen Versu-
chen, sich den Westmächten anzudienen, in seiner Sicht nichts anderes übrig, als in die
UdSSR zu gehen, wo man seine Fähigkeiten gebührend anerkannte. Vgl. Heinkel1963,
s. 530/531
Die Luftfahrtindustrie 47

Namen liefen künftig die Konstruktionen des Brandner-Teams.


Neben dem Aufsammeln verwendeten die Sowjets ein Täuschungsmanöver,
um möglichst komplette Rüstungsteams in die UdSSR zu bekommen. Entgegen
den Beschlüssen des Potsdamer Abkommens ließen sie in Schlüsselbetrieben der
Hochtechnologie, so bei Junkers in Dessau oder bei den Zentralwerken in Thürin-
gen, die Entwicklungs- und Produktionsarbeiten fast anderthalb Jahre weiterlau-
fen.28 Bei den beteiligten Deutschen wuchs die Hoffnung, daß es unter der sowjeti-
schen Besatzungsmacht für sie nicht nur eine Zukunft, sondernangesichtsdes all-
gemeinen Nachkriegselends gar eine privilegierte Weiterarbeit an den angestamm-
ten Projekten geben würde. Am 22. Oktober 1946 war es für das Junkers-Team mit
dieser Illusion vorbei.
Brandner spricht von einer "Blitzentführung vieler Tausender von Speziali-
sten", die zum Stichtag mit ihren Familien und ihren Arbeitsausrüstungen gen
Osten verladen wurden. Hunderte von Zügen sollen bei dieser augenscheinlich ge-
neralstabsmäßig angelegten Operationper Bahn in die UdSSR gefahren sein.
Das Dessauer Junkers-Stammwerk wurde in einen Ort nördlich von Kujby-
schew, Uprawlentscheski, verlagert. Als die Deutschen ankamen, prangten bereits
ihre Namen an den Türen der ihnen zugewiesenen Wohnungen.
Die Sowjets hatten im Oktober 1946 alle Anlagen des Junkers-Motorenwerkes
Köthen nach Tschernikowsk verlagert.29 In Absprache mit Kusnetzow russifizierte
hier Brandner zunächst ein im Krieg nicht fertig gewordenes herkömmliches Pro-
jekt, den schwersten deutschen wassergekühlten Reihen-Sternmotor mit einer Lei-
stung von 2500 PS. Diese Verbindung der beiden traditionellen Zylinderanordnun-
gen- Stern- und Reihenmotor- sollte im 3. Reich als Jumo 222 eine neue Genera-
tion von Bombern antreiben. Die ersten beiden Exemplare dieses monströsen Ag-
gregats hatte Brandnervorden heranrückenden Alliierten 1945 "in aller Hast ... in
eine nahe Felshöhle einmauern" lassen.30
Brandner schildert, welchen Eindruck es in der Sowjetunion machte, daß ein
Chef, ein Natschalnik, nicht eine vorhandene Konstruktion lediglich vergrößerte
oder sich sonstwie abstützte, sondern frei konstruierte:
"Daß ein Natschalnik selbst konstruieren konnte, ohne dazu eine Vorlage zu benützen,
so aus dem Kopf heraus, das umgab mich mit einer Aura, der ich viel Gutes zu verdan-
ken habe. Es kamen immer mehr Leute in mein Zimmer, wallfahrten, um zu sehen, was
da auf dem Papier entstünde. Als ich dann einenQuerschnitt nach dem anderen auf das
Zeichenpapier bannte, die Einspritzpumpen im Schnitt zeigte, so wie sie bei uns in Des-
sau verwendet wurden, kamen sie aus einer Art ehrfürchtigem Staunen nicht mehr her-
aus."31

28 Ein solches Verhalten ist nicht nur bei den Sowjets zu beobachten. Die Amerikaner
ließen in dem Heinkel-Werk Stuttgart-Zuffenhausen nach Kriegsende ein Dutzend
Strahltriebwerke produzieren (vgl. Heinkel 1963, S. 333), die Franzosen ließen das
BMW-Team unter Gestreich weiter arbeiten, und in der englischen Zone wurde bei-
spielsweise der Bau kleinerer Kriegsschiffe als Reparation an kleinere Alliierte tole-
riert.
29 Die Demontage und den Abtransport der Junkers-Anlagen beschreibt anschaulich Hes-
se 1963, S. 140
30 Brandner 1976, S. 83. -Die Darstellung in diesem Abschnitt stützt sich auf diese Auto-
biographie sowie zwei Interviews mit Brandner.
31 Brandner 1976, S. 160
48 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Am 30. August 1946 gab es für soviel Kooperation eine erste Prämie, ein Schreib-
zeug aus Marmor. Brandner war vor allem durch Vorschläge zur Verbesserung der
erbeuteten deutschen Düsentriebwerke auffällig geworden, mit denen er zunächst
nichts zu tun hatte. Auf ihren Prüfständen sahen sich die sowjetischen Tester mit
einem leidigen Problem konfrontiert, dem Anbrennen der einzelnen Brennkam-
mern. Der Vorgang ist erheblich abhängig vom Schwefelgehalt des Treibstoffs,
und der sowjetische Kraftstoff wies augenscheinlich genug Schwefelverunreini-
gungen auf. Brandner schlug vor, die einzelnen Brennkammern zu einer Ring-
brennkammer zu vereinen, was weniger Ansätze für Verbrennungen bot.32
Der Erfolg blieb nicht aus. Am 10. Dezember 1946 bemühte sich der stellver-
tretende Minister für Luftfahrt, Pallandin, persönlich zu Brandner, um ihm den
Vorschlag zu unterbreiten, in Kujbyschew im Werk Nr. 10 zusammen mit einem
anderen Deutschen, einem Dr. Scheibe, die Leitung des Jumo-Düsennachbaus zu
übernehmen.
Vornan stehen künftig die Projekte für Düsentriebwerke. Die Typenbezeich-
nungen für Flugmotoren (BMW 003 oder Jumo 004) werden im folgenden als Kür-
zel für ein ganzes Bündel an Technologietransfers verwendet. Neben den Ingenieu-
ren und Facharbeitern, die diese Motoren herstellten, wurden 1946 zahlreiche Fer-
tigungs- und Hilfsteile in die Sowjetunion geschafft. Besonders geschmerzt haben
wird die Amerikaner die Verlagerung der beiden großen Schmiedepressen in Des-
sau (Kapazität 33000 und 15000 Tonnen), die sie bei ihrem Abzug aus Sachsen-
Anhalt im Juni 1945 hinterließen.
Ähnlich wie an Atomwaffen war vor Kriegsende in der UdSSR auch an Dü-
sentriebwerken experimentiert worden. Zu nennen wären die Konstrukteure Boris
Stechkin und Ariehip Ljulka.33 In der Düsenentwicklung waren die Deutschen bei
Kriegsende aller Welt voraus. Dies wußte die sowjetische Führung, und den auf
deutsches Reichsgebiet vordringenden sowjetischen Truppen folgten Spezialein-
heiten, welche die Aufgabe hatten, aller technischen Unterlagen sowie der Exper-
ten habhaft zu werden, die in der Entwicklung von Hochgeschwindigkeitsflugzeu-
gen und deren Antrieben tätig waren. Diese Deutschen wurden gesammelt und spä-
ter in die UdSSR verfrachtet. Diese Technologieinfusion sollte sich von unschätz-
barem Wert beim Nachholen der kriegszerstörten UdSSR im einsetzenden Ost-
West-Wettrüsten erweisen.
Am 2. April 1946 wurden Chrunitschew und Jakowlew zu Stalin geladen, um
die weitere Entwicklung des Luftfahrtsektors zu erörtern. Jakowlew gab dabei Be-
richt über eine Inspektionsreise in die sowjetische Besatzungszone. Er empfahl be-
sonders die Nutzung der deutschen Düsentriebwerke,34
Die Sowjets gelangten in den Besitz beider deutscher Entwicklungsreihen von

32 So originell war der Vorschlag nicht: Bei der Auslegung des Jumo 004 hatte seinerzeit
in Dessau eine Ringbrennkammer zur Diskussion gestanden. - Tatsächlich wurde unter
der Bezeichnung WK-3 ein Düsentriebwerk mit Ringbrennkammer unter der Leitung
von Sergej W. Ljunewitsch gebaut und im Werk GAS-117 Mitte 1952 in die Fertigung
genommen.
33 Die erste Fachveröffentlichung über ein Strahltriebwerk von Stechkin datiert aus dem
Jahre 1929. -Gasturbinen wurden nicht nur in England und Deutschland entwickelt.
Neben den sowjetischen Arbeiten ist etwa auf den Bau eines Triebwerkes durch Gyorgy
Jendrassik in Ungarn zu verweisen, das 1937 erprobt wurde.
34 Jakowlew 1972, S. 326
Die Luftfahrtindustrie 49

Düsenmotoren,35 des Triebwerks BMW 003 der Bayerischen Motorenwerke sowie


des Junkers Jumo 004. Fertigungsunterlagen des BMW-Triebwerkes fanden sie bei
der Besetzung des Werkes Balsdorf-Zülsdorf in der Nähe von Berlin sowie des so-
genannten Zentralwerkes bei Nordhausen im Harz. Die Entwicklungsstelle für
BMW-Düsentriebwerke befand sich in Berlin-Spandau. Gleichfalls in die Hände
der sowjetischen Truppen fiel das Junkers-Entwicklungszentrum für Düsenmoto-
ren in Magdeburg und die Fertigung in Dessau.
Aus Berlin-Spandau war die Produktion der BMW-Turbine 003 in das Werk
"Roter Oktober" nach Leningrad verlagert worden. Der Motor wurde dort ab 1947
unter der Bezeichnung RD-20 in Serie gebaut (RD = Reaktiwnuij Dwigatel, Reak-
tionsmotor). Der technisch weniger anspruchsvolle Junkers-Motor 004 ging unter
der Bezeichnung RD-10 in der staatlichen Flugzeugfabrik Nr. 10 in Kasan in Serie.
Wie geschildert, spielten diese Nachbauten beim Übergang der sowjetischen Streit-
kräfte zum Düsenantrieb eine entscheidende Rolle, auch weil heimische Konstruk-
tionen, vor allem von Ljulka, sich eindeutig nicht als gleichwertig erwiesen.
Brandner und Scheibe erhielten bald einen anspruchsvolleren Auftrag. Bei
Junkers in Dessau war zum Kriegsende eine neuere Propellerturbine (Jumo 012)
fertig konstruiert, aber nicht mehr gebaut worden, mit einem für damalige Verhält-
nisse bemerkenswerten llstufigen Lader, einer zweistufigen Turbine und 3000 kp
Schub. Die Sowjets wünschten nun den Bau des Jumo in Kujbyschew. Binnen
zwei Jahren war die Aufgabe gelöst, im Blick auf die Zeitumstände eine beachtli-
che Leistung.
Das deutsche Team bekam fast keine technische Unterstützung von sowjeti-
scher Seite. Außer den gängigen Handbüchern wie dem "Dubbel" und der "Hütte"
(noch heute jedem Ingenieur wohlvertraute Handbücher) und einzelnen Unterlagen
aus Dessau gab es keinerlei Informationen. Alle Werkstoffe und Werkzeuge, Ble-
che, Schaufelmaterial, Kugellager waren als Beutegut aus Deutschland mitgenom-
men worden. Die Deutschen achteten darauf, vorrangig Schweißkonstruktionen zu
wählen, weil die unter eigener Regie ausführbar waren. (An der merkwürdigen
Schweißkonstruktion sind diese Motoren bis heute einfach erkennbar.) Leichtme-
tallteile für die neue Düse wurden in einer eigens eingerichteten Gießerei gegossen.
Die Metallurgie für die höchstbelasteten Teile, die Schaufeln von Verdichter und
Turbine, verblieb auf Kriegsniveau (Material Krupp "Tinidur''). Die Prüfstände für
die ersten Triebwerke wurden aus Holz aufgebaut (erst als es beim Personal zu
Quecksilbervergiftungen wegen der primitiven Arbeitsbedingungen an den selbst-
gefertigten Thermometern kam, wurden Betonprüfstände gebaut).Die Produktions-
vorbereitung wurde Alexandr G. Iwtschenko im Werk Saporosche übertragen. Der
entwickelte das nunmehr AI-20 ("1" steht für Iwtschenko) benannte Turboprop-
triebwerk in verschiedenen Varianten weiter. Die Aggregate dienten vor allem zum
Antrieb von Antonows schweren Militärtransportern sowie Iljuschins Passagier-
flugzeug Il-18. Die Sowjets hatten für ihren ersten Turbotransporter, die An-8, zu-
nächst ein heimisches Triebwerk gewählt, Kusnetzows Turbine NK-6. Die Adap-
tion der Junkers-Konstruktion erwies sich aber als überlegen, so daß für die Serie
und nachfolgende Antonow-Konstruktionen der Motor NK-4 benutzt wurde.

35 Neben der BMW- und der Junkerslinie gab es bei Kriegsende weitere Baureihen von
Strahltriebwerken, vor allem bei Heinkel und Daimler-Benz. Die beiden hier benannten
Reihen waren jedoch die militärisch nutzbarsten, und sie standen den Sowjets voll zur
Verfügung.
50 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

1948 war Jumo 012 alias Kusnetzow NK.-4 (später bekannt als AI 20) für die
staatliche Abnahme fertig. Das war in jedem Fall ein rituell abzuwickelndes Ereig-
nis, bei welchem staatliche Prüfkommissionen und eine Anzahl Würdenträger ze-
remoniell das Funktionieren des neuen Triebwerkes beobachten würden.
Die erste Abnahme 1948 gestaltete sich zu einem Reinfall. In der 94. Stunde
des üblichen 100-Stunden-Dauerversuches (eine im Flugalltag nie vorkommende
Belastung) flog eine Turbinenschaufel davon, der Test mußte abgebrochen werden.
Die Würdenträger reisten ab, und es kostete das deutsche Team harte Arbeit, durch
Festsetzung einer Mindestkomgrößengrenze beim Turbinenmaterial und deren Ein-
haltung einer Wiederholung einer solchen Panne vorzubeugen.
Die Nachricht über das Versagen des Jumo 012 wurde selbst Stalin vorgetra-
gen (s.u.).
1950 erfolgte- diesmal ohne Panne- die staatliche Abnahme. Die Konkur-
renzentwicklung des Klimow-Teams, bezeichnet WK-2, in Leningrad wurde 1952
angesichts der Leistungen der deutschen Axialturbine eingestellt.
Neu für das Junkers-Team waren die Technik des Verstellpropellers, das Pla-
netengetriebe und die gesamte Regelung. Für diese Teilaufgaben fanden sich aller-
dings noch immer Spezialisten aus Deutschland - der Technologieimpuls aus der
Endzeit des Dritten Reiches sollte für mehr als fünf Jahre nach der Niederlage
1945 hinreichen. Brandner, der verständlicherweise über die Verwendung seiner
Propellerturbine in sowjetischen Militärflugzeugen keine Informationen erhielt,
stieß zu seiner Überraschung zehn Jahre später, nunmehr in ägyptischem Sold, auf
einen sowjetischen Militärtransporter Antonow An-10, der mit seinem Motor aus-
gestattet war.36
Mit der Russifizierung des im Dritten Reich in Serie produzierten Junker-
striebwerks Jumo 012 sowie der Vorlage der starken Propellerturbine hatte das
Brandnerteam seine Aufgabe in der Sowjetunion noch nicht erfüllt. Die Sowjets
verlangten nunmehr, ganz im Stil der Schock-Methode, Brandner solle eine Pro-
pellerturbine mit der doppelten Leistung, 12.000 Wellen-PS, entwickeln.
Brandner stand wie am Ende des Dritten Reiches vor der Forderung, den stärk-
sten Motor der Welt zu bauen. Beim Jumo 222 bestand das Konzept in der Verbin-
dungzweier Bauprinzipien, dem Stern- und dem Reihenmotor. Zunächst suchte
das Brandner-Team seine neue Aufgabe durch eine vergleichbare Idee zu lösen:
der Kopplung zweier der 6.000 PS-Triebwerke zu einem Doppeltriebwerk. Das
führte zu einer Fehllösung, schon das Schwingungsverhalten der Antriebsanlage
ließ sich nicht meistem.
Nach dem Fehlschlag mußte sich das Brandner-Team voll der Aufgabe stellen,
die stärkste Turbine der Welt in Serie zu erzeugen. Die Einrichtung der Produktion
von Junkers-Motoren in der kriegszerstörten UdSSR blieb eine beachtliche Lei-
stung. Die Konzipierung des unter der Bezeichnung NK.-12 (die beiden Buchstaben
verweisen auf Kusnetzow) in den Dienst gestellten leistungsfähigstem Motor sei-
ner Zeit stellte nicht nur einen sowjetischen, sondern einen Weltrekord dar.- Die
NK.-12 sollten zu viert über jeweils zwei gegenläufige Luftschrauben den ersten
echten Atomwaffenträger der UdSSR antreiben, den Tupolew-Bomber Tu-20. Eine
Anzahl dieser Maschinen fliegt noch heute, nunmehr zumeist als Femaufklärer.
Mit diesem Konstruktionsauftrag war Brandner in die erste Reihe der sowjeti-

36 Brandner 1976, S. 198


Die Luftfahrtindustrie 51

sehen Rüstungsprojekte aufgeschlossen. Die Konstruktion des Flugzeuges warf


keine Probleme auf, das Tupolew-Team konnte auf den Nachbau der B-29 sowie
daraus abgeleitete Modelle zurückgreifen (der Rumpfquerschnitt von Tupolews er-
stem richtigen Interkontinentalbomber, dieser Tu-20, blieb exakt der des Boeing-
Flugzeuges, eine fast mystische Fortschreibung). Der Erfolg des gesamten Kon-
zeptes hing von Brandners Turbinen und den gegenläufigen Propellern ab - beides
in der UdSSR völlig unerprobte Technologien.
Die neue allererste Priorität brachte eindeutig Verbesserungen. Das läßt sich
ablesen an den Materialzuweisungen, dem fortwährenden Engpaß im Triebwerk-
bau. Statt mit "Tinidur" aus Weltkrieg-li-Beständen konnte man nunmehr mit dem
modernen Nimonik arbeiten. Die primitive Kontrollsituation, in der schon verspä-
tetes Erscheinen bei der Arbeit mit Haftstrafen geahndet wurde, war beendet. Rus-
sisch war nicht mehr verbindlich, bei Projekten solcher Priorität konnten die Betei-
ligten in jedem Idiom reden, welches ihnen lag. Zwar war bei Beginn der Arbeiten
an dem Großtriebwerk, als es um die Festsetzung der unweigerlich bei Testläufen
zu opfernden Zahl an Musterexemplaren ging, die angegebene Mindestzahl noch
halbiert worden mit dem Bemerken, beim Überschreiten dieses Maximums setzte
es Kriegsgericht. Das Limit wurde ebenso wie die Zeitgrenze überschritten, ohne
negative Folgen. Anfang 1953 kam die Turbine auf den Prüfstand.
Der Einsatz (wie man wohl im besten Deutsch sagt) Brandners und seines
Teams für den Motor des ersten sowjetischen Fernbombers bleibt beeindruckend.
Von ihnen wurde erwartet, daß sie Tag und Nacht wenige Dutzend Meter von den
Prüfständen entfernt blieben - schon wegen der Schwingungen und des Lärms eine
infernalische Zumutung. Brandner berichtet:
,,Ich wohnte 50 Meter entfernt von unseren Prüfständen und gewöhnte mich wie alle
anderen Mitbewohner des Hauses an die sehr lauten Propellergeräusche, die durch das
Abbremsen der 12.000 PS entstanden. Das Fensterglas zitterte Tag und Nacht."37
1953 konnte Brandner mit seinem Team nach Deutschland zurückkehren. Seine
Konstruktionen blieben bis heute für den Bau schwerer Propellerturbinen in der
UdSSR grundlegend. Die deutschen Düsentriebwerke stellten zweifelsohne nützli-
che Beiträge für die sowjetische Luftrüstung. Durch den Erwerb noch modernerer
britischer Düsenmotore verloren sie jedoch bald an Bedeutung.
Erneut mit Erfolg spekulierten die Sowjets auf eine westliche Technologiein-
fusion. Jakowlew berichtet: "Wir schlugen ferner den Ankauf der Düsenmotoren
Derwent und Nene vor."38 Jakowlew vermerkt, daß Stalin skeptisch blieb:
"Unser Vorschlag überraschte Stalin, der ihn naiv nannte. Er fragte uns, welche Art von
Narren unserer Annahme zufolge ihre technischen Geheimnisse verkaufen würden."
Im September 1946 gab die britische Regierung grünes Licht für den Export ihrer
damals den Weltstandard führenden Rolls-Royce-Turbinen. Eine sowjetische Han-
delsmission schloß einen Vertrag über die Lieferung von 30 Düsenaggregaten des
Typs "Derwent"39 (Konstruktionsbeginn 1943, erreichte mehr als doppelt soviel
Schub wie die deutschen Aggregate) und 25 Triebwerken des noch moderneren

37 Brandner 1976, S. 205


38 Jakowlew 1972, S. 327
39 Die Firma Rolls-Royce verwendet für die Bezeichnung ihrer Düsenmotoren traditionell
die Namen englischer Flüsse.
52 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Baumusters ,,Nene" (Erstlauf 1944). Die Lieferungen begannen im März 1947 und
dauerten bis ins Jahr 1948 an.
Von den wertvollen importierten Triebwerken wurden die meisten sogleich
den Flugzeugkonstrukteuren übergeben. Einige wurden jedoch, ähnlich wie zuvor
Boeings B-29, in ihre Einzelteile zerlegt, vermessen, die Werkstoffe wurden ge-
prüft, und mögliche Verfahren zur Herstellung dieser Komponenten wurden konzi-
piert. Die Russifizierung der beiden Motoren leitete Chefkonstrukteur W.Ja. Kli-
mow. Er war für die Erledigung dieser Aufgabe mit seinem Team extra im Sep-
tember 1947 von seinem Stammsitz Leningrad nach Moskau verlegt worden. Am
30. Oktober 1947 wurden die ersten Produktionszeichnungen für den Nachbau der
britischen Triebwerke ausgegeben. Der ältere Rolls Royce "Derwent"-Motor wur-
de unter der Bezeichnung RD-500 in der Flugzeugfabrik Nr. 500 in Tuschino bei
Moskau nachgebaut, während die stärkere und modernere ,,Nene"-Turbine im
größten sowjetischen Flugmotorenwerk, der Fabrik Nr. 45 in Moskau, in Großserie
ging. Wie zuvor bei den nachgebauten Jumos und BMWs wurde offenkundig auch
für die Rolls-Royce-Triebwerke die Werknummer zur Bezeichnung des Motors be-
nutzt (obwohl diese Fabriken nicht nur dieses eine Aggregatfertigten).
Klimow war verständlicherweise nach seiner Arbeit mit den britischen Trieb-
werken glänzend gerüstet, das erste sowjetische Hochleistungstriebwerk zu ent-
werfen. Unter der Bezeichnung WK-1 entwickelte er aus der ,,Nene" ein moderne-
res Triebwerk, welches in den Fabriken Nr. 16 in Ufa, Nr. 19 in Kuibyschew und
der erwähnten Großfabrik Nr. 45 in Moskau in Serie ging. 40.000 Flugmotoren
dieses Baumusters wurden hergestellt.40 Die sowjetischen Flugzeugkonstrukteure
waren mit Klimows Rolls-Royce-Adaption von einer ihrer Hauptsorgen, dem Man-
gel an zuverlässigen und leistungsstarken Triebwerken, endgültig befreit. Das MiG-
Team erhielt schon im Februar 1947, ehe die ersten Britenjets eintrafen, exakte
Zeichnungen für den Einbau der Motoren, Die Verbindung zwischen britischem
Motor und der konstruktiven Begabung des MiG-Teams, später MiG-15 benannt,
erwies sich rasch als herausragender Erfolg, der Stalins Forderungen mühelos ein-
löste. Mindestens 5.000 dieser Jäger wurden in der Folge in der UdSSR gefertigt.
Sie sollten im Koreakrieg der US Air Force gehörigen Respekt einjagen.

Beute-Know-how

Einen weiteren Technologieschub (neben dem durch die interalliierte Kooperation


mit den Westmächten) erhielt die sowjetische Rüstung infolge der Besetzung Nazi-
deutschlands. In Berlin, der größten Industriestadt Europas und zugleich einem
Zentrum der Rüstungsproduktion und -Forschung und in einzelnen Orten ihres Be-
satzungsgebietes fielen den Russen wichtige Unterlagen, vor allem aber Mitarbei-
ter an Rüstungsprojekten in die Hände. Anzuführen sind an erster Stelle die Rak:e-
tenanlagen in Peenemünde sowie die unterirdischen Fertigungsanlagen für diese
Raketen im Harz, die Uranprojekte in und um Berlin und die Düsentriebwerksent-
wicklung in Spandau und Dessau. Zwar nahmen die Westalliierten mit dem Ruhr-
gebiet sowie Schwaben die herkömmlichen Zentren der deutschen Rüstungsindu-

40 V gl. Sutton 1973, S. 278: "Sowjetische Düserunotoren und Propellerturbinen der ersten
Hälfte der 60er jahrestellten Ableitungen ... deutscher und britischer Triebwerke dar."
Die Luftfahrtindustrie 53

strie ein. Auch gilt, daß die erste Garnitur von rüstungstechnischen Experten im
Dritten Reich sich so einzurichten verstand, daß sie am Stichtag in westliche und
nicht in sowjetische Gefangenschaft geriet. Es gilt aber auch, daß hinter dieser er-
sten Garnitur eine zweite und dritte stand, mit der ersten häufig in Rivalität, die de-
zidiert für den Osten optierte, nachdem die Marschrichtung ihrer Vormänner deut-
lich wurde. Vom Direktor der V-2-Fertigung angefangen bis zum Leiter der Her-
stellung von reaktorfähigem Uran standen den sowjetischen Siegern versierte Rü-
stungsfachleute zur Verfügung, die allem Anschein nach für den Nachkriegserfolg
der sowjetischen Rüstungsanstrengungen große Bedeutung erlangen sollten.
Das Dritte Reich hatte in einer gewaltigen Kraftanstrengung gegen Kriegsende
eine Anzahl von Pioniertaten auf dem Gebiet der Rüstungstechnik erbracht. Fast
scheint es, daß mit dem Schwinden der Ressourcen und den zunehmenden Zerstö-
rungen infolge alliierter Bombardements eine Verlagerung der Energien hin auf
technologische Durchbrüche, ja auf Parforce-Ritte in Höchsttechnologie statt-
fand.41 Warum die deutschen Wissenschaftler mit geradezu frenetischer Arbeits-
wut sich der Erfüllung der immer exotischer ausfallenden Anforderungen der poli-
tischen und militärischen Instanzen hingaben und dabei, ohne auch nur die absur-
den Umstände dieser Technologieerzeugung in Rechnung zu stellen, wahre Groß-
taten vollbrachten, muß einer eigenen Erhellung überlassen bleiben. Ebenso der
Umstand, daß auch dem politischen Laien erkennbar werden mußte, daß die Nazi-
führung mit ihren Waffenwünschen moralisch deutliche Grenzen der Kriegstech-
nik überschritt.
Einiges an der sowjetischen Technologiebeute war von den Nazis für so ma-
kabre Zwecke vorgesehen, daß die Sowjets sie nicht nutzen mochten (so sehr ihnen
dies im Westen unterstellt wird). Mit Abstand an erster Stelle ist hier die Ausrü-
stung der sogenannten SO-Truppe der Luftwaffe anzuführen. Im SO (Selbstopfe-
rungs-Einsatz42) sollten zum Beispiel der Flieger Messerschmitt Me 328 verwen-
det werden. Da gemäß dem Einsatzzweck eine Landung des Piloten nicht vorgese-
hen war, wiesen diese Messerschmitts keine Fahrwerke auf. Hanna Reitsch führte
die ersten Flugversuche in Hörsching bei Linz aus, wo die Russen im April 1945
einige Unterlagen vorgefunden haben sollen. - Sicher ist, daß sie einer anderen
SO-Ausrüstung, des sogenannten "Reichenberg-Geräts" (einer besonderen Varian-
te der Flugbombe Fieselers) in Peenemünde habhaft wurden. Diese Version der V-
1 sollte von der SO-Truppe als Rammjäger eingesetzt werden.
Für die V-Waffen des Dritten Reiches interessierten sich alle Hauptsieger-
mächte. In den USA rivalisierten die Luftwaffe und die Navy um die fliegende
Bombe V-1. Die Flugzeugfirma Republic, gemeinsam mit Ford am Projekt betei-
ligt, hatte ihre Kopie der V-1 unter der Bezeichnung JB-2 im Oktober 1944 fertig.
Die Navy hatte mit einer Parallelentwicklung, auf den Namen "Loon" (Lümmel,
Bengel) getauft, große Pläne: Was die Nazis nicht geschafft hatten, sollte Wirklich-

41 Auch das japanische Regime erzeugte bei Kriegsende, was hierzulande wenig bekannt
ist, einzelne technische Höchstleistungen, etwa Düsenkampfflugzeuge. Am Vorabend
des Atombombeneinsatzes gegen Hiroshima startete etwa am 7. August 1945 der zwei-
motorige Jäger "Kikk:a" des Nakajima-Konzerns zum Erstflug, trotz mancher Älmlich-
keiten mit der Messerschmitt 262 eine vollständige Eigenentwicklung, mit Strahlen-
triebwerken von Osamu Nagano (nach Unterlagen des National Aerospace Museum der
Smithsonian Institution, Washington, D.C.).
42 Vgl. dazu Kens/Nowarra 1961, S. 468 f.
54 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

keit werden,· und die V-1 sollte durch die Kombination mit einem Kemsprengsatz
eine wirkliche Vergeltungswaffe werden.43 DerEinsatz sollte von Ubooten aus er-
folgen- ein kühner Vorgriff auf die Technologie moderner Unterwasserkreuzer
mit Atomraketen.44 In Frankreich baute das staatliche "Arsenal de 1' Aeronautique"
noch bis Beginn der fünfziger Jahre V-I-Flugkörper, obwohl rasch sichtbar wurde,
daß mangels einer Vergeltungsstrategie für diese NS-Waffe im Nachkriegsfrank-
reich kein Bedarf bestand.45
Im August 1944 wurden von Heinkel, Junkers, Messerschmitt und dem frühe-
ren Fieseier-Mitarbeiter Bachern Selbstopferflugzeuge mit Raketenantrieb konzi-
piert (als die militärische Lage des Dritten Reiches sich noch verzweifelter entwik-
kelte, wurde die Wiederverwendung teurer Bauteile sowie der Piloten per Pali-
schirmlandung verfügt). Eine Bachern-Maschine fiel den Russen unversehrt in die
Hände, und in Rostock stießen sie auf die fast fertigen ersten beiden Heinkel-Ma-
schinen für solche Einsätze.
Als kultivierte Leute erwarteten die Sowjets auch unter künftigen Kriegsbedin-
gungen keine Selbstmordeinsätze, so daß die Holzflugzeuge der SO-Truppe mit ih-
ren unfallträchtigen Raketenmotoren46 für sie von keinem Nutzen waren. Auch an-
deres Kampfgerät, welches die Nazis zurückließen, dürfte wegen sonderbarer Bela-
stungen für die Piloten nicht weiter verfolgt worden sein. So verträgt der menschli-
che Körper Beschleunigungen im Liegen besser als im Sitzen, was die Konstruk-
teure der Henschel-Werke in Schönefeld bei Berlin gegen Kriegsende zu dem
Konzept führte, statt der üblichen Sitzhaltung in ihrem neuen Turbo-Schlachtflug-
zeug den Flugzeugführer liegend anzuordnen. Der erste Stuka Hs 132 war bei
Kriegsende fast fertig und gelangte bei der Einnahme Berlins unzerstört in den Be-
sitz der Sowjets. Die Henschel-Konstruktion wurde bei der Sichtung der Beute au-
genscheinlich als wenig nutzbringend ausgesondert.
Mit dem Aufruf des "Volkssturms" am 18.10.1944 durch Adolf Hitler leitete
das Dritte Reich vor seinem Untergang eine letzte große Mobilisierung ein, die den
Älteren als die übereilte Rekrutierung der 16- bis 60-jährigen unter dem Komman-
do von Parteifunktionären in Erinnerung geblieben ist. Praktisch unbekannt sind
die technischen Begleiterscheinungen der Proklamierung des Volkssturms geblie-
ben. Am 8.9.1944 wurde für die deutsche Flugzeugindustrie ein "Volksjägerpro-
gramm" ausgeschrieben. Das Projekt war im höchsten Maß phantastisch: Für die
Projektvorlage blieben den Firmen 12 Tage, am 20.9.1944 mußten die Bauzeich-
nungen abgegeben werden, am 1. Januar 1945 sollte der Serienbau beginnen. Be-
merkenswert bleibt, daß die Industrie diesen atemberaubenden Terminplan einhielt
und die aufgrunddes Metallmangels großenteils aus Sperrholz zu bauenden Düsen-
jäger pünktlich fertigstellte. (Noch atemberaubender sollte vielleicht der Umstand
ausfallen, daß nicht nur Firmensprecher, sondern auch der Lobbyjournalismus der
Industrie heute noch allergisch auf die Frage reagiert, ob nicht der Satz der Aus-

43 Hansen1988,S.216
44 Hansen 1988, S. 203
45 Ich habe die französischen Bemühungen kurz behandelt in dem erwähnten Beitrag in:
o.A., Frankreich und Deutschland. Forschung, Technologie und industrielle Entwick-
lung im 19. und 20.Jahrhunderl Akten des internationalen Kolloqiums, München 1988
46 Kens/Nowarra 1961 geben in ihrem Standardwerk eine nüchterne Unfallchronik. dieses
Sondergerätes.
Die Luftfahrtindustrie 55

schreibung: "Hitler-Jungen sollen diesen ,Volksjäger' im Masseneinsatz gegen die


allüerten Bomberströme fliegen", die beteiligten Konstrukteure zum Innehalten
hätte veranlassen sollen, zumindest zu einem go-slow bei ihren Einfällen).47 Diese
kurzen Striche sollen zur Markierung des Tatbestandes ausreichen, daß in einer
Anzahl von Rüstungsbereichen das Nazireich im Todeskampf bizarre, das allge-
meine Technologieniveau überschreitende Projekte hervorbrachte, die der Nach-
kriegsrüstung für mehr als ein Jahrzehnt Anregungen zu geben vermochten, und
die der Siegermacht, welcher diese Projekte in die Hände fielen, eine womöglich
vorrangige Stellung in der Rüstung eingebracht hätten.
Dies gilt am wenigsten für die eigentliche Wunderwaffe des 2. Weltkrieges,
die Atombombe. Hier lag Amerika vom. Die deutsche Forschung und -was weni-
ger bekannt ist- industrielle Vorbereitung der Bombenproduktion, so wie sie den
Russen in die Hände fiel, ist zwar für den raschen Fortschritt des sowjetischen
Bombenprojektes von unschätzbarem Vorteil gewesen. Wir widmen ihr deswegen
ein eigenes Kapitel. Im Vergleich mit den USA hinkten aber die deutschen For-
schungen hinterher. Neben der Atomtechnologie sind als Spezialitäten der Rüstung
des Dritten Reiches, gemessen an ihrer technologischen Brillanz, vor allem die
Luftrüstung und die Uboot-Technologie anzuführen. Dies nicht zufällig, stand
doch die Abwehr der alliierten Bombardements gegen das Reichsgebiet sowie die
Unterbindung von Zulieferungen besonders aus den USA über den Atlantik an er-
ster Stelle der Prioritäten der Reichskriegsführung. Aus geographischen Gründen
gelang es der UdSSR nicht, von den Technologiesprüngen in der Uboot-Technolo-
gie48 zu profitieren, im Gegensatz zur Luftrüstung. Diese steht deshalb in der fol-
genden Skizze im Vordergrund.
Studiert man das Endjahr des Dritten Reiches unter dem -mit Blick auf die
Faschismusforschung zugegebenermaßen exotischen Aspekt -,was an Höchsttech-
nologie dort plötzlich erblühte, und was davon den Russen hernach in die Hände

47 Lesenswert sind hier Heink:els Erinnerungen (Heink:el1963, S. 509): "Saurs Vorstellun-


gen, daß dieses Flugzeug sozusagen ein 'Volksjäger' werden müsse, in dem Hitlerjun-
gen nach kurzer Zeit zur 'Verteidigung Deutschlands' aufsteigen könnten, ging selbst-
verständlich weit über die Realitäten hinaus und entsprach dem fehlgeleiteten Fanatis-
mus jener Tage. Aber die Grundidee der radikalen Vereinfachung hätte viele deutsche
Engpässe schließen können, wenn man sie rechtzeitig angewandt hätte." - Diese Äuße-
rung eines der führenden Konstrukteure bedarf der Rückfrage: Es ging nicht um "sozu-
sagen" einen Volksjäger, sondern dies war der Schlüsselbegriff der amtlichen Aus-
schreibung (zu deren Grundidee ,,radikale Vereinfachung" sich Heink:el ja im zweiten
Satz bekennt). ,,Fehlgeleiteter Fanatismus" bleibt ein bemerkenswerter Ausdruck zur
Kennzeichnung der enormen Anstrengungen in der Apokalypse des NS-Regimes, und
wenn, so Heink:el, dieses Projekt "selbstverständlich weit über die Realitäten hinaus"
ging, warum beteiligte er sich mit seiner "Schnellkonstruktion" (erneut Heinkel) an die-
ser Ausschreibung überhaupt? Der von ihm angegebene Grund, wieder an der Strahl-
flugzeugentwicklung beteiligt sein zu wollen, kann nicht die Teilnalune an einem "weit
über die Realitäten hinausgehenden" Projekt begründen, und eine solche Rechtfertigung
muß mit dem Zeitpunkt, dem Herbst 1944 und dem sich abzeichnendem Zusammen-
bruch des Dritten Reiches gesehen werden.
48 Gegenteilig äußert sich das autoritative Jane's Fighting Ships, etwa die Ausgabe 1987/
88, S. 561, in einem mehrfach über die Jahre wiederholten Statement: ,,Bei Kriegsende
gerieten der UdSSR deutsche Konzepte und Konstruktionen in die Hände. Diese Er-
kenntnisse wurden in das Bauprogramm von 1948 integriert."
56 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

fiel, ergibt sich eine eindrucksvolle Zusammenstellung. Im Vordergrund steht die


Verwendung des Düsenantriebes und die Verwendung von Raketenantrieben für
Fernwaffen, die bis nach Amerika reichen sollten, sowie das Projekt eines Hochge-
schwindigkeitsbombers. Am weitreichendsten sollte sich das Bomberprojekt des
Professor Eugen Sänger erweisen, dessen technische Ideen über Jahrzehnte hinweg
für Anregung sorgten - vom amerikanischen Projekt "Dyna Soar" der siebziger
Jahre bis hin zu Eureka-Projekten der Westeuropäer in jüngster Zeit. Stalin selber
befahl, diesen Professor Sänger zu fangen (was nicht gelang).49
Vom Westen her wurde unterstellt, eben weil das Sowjetsystem moralisch mit
weniger Skrupeln belastet sei als man selber, daß besonders die technologisch und
humanitär problematischen Entwicklungen im Dritten Reich von der Sowjetseite
aufgegriffen worden seien, die mit dem Verzicht auf ein Weiterleben der Piloten
verbundenen Einwegeinsatz-Geräte. Diese besonders in Amerika gepflegte Auffas-
sung läßt sich bis in die neueste Zeit nachweisen.50
Mit dem sowjetischen Erwerb von moderner Technologie ist weniger her-
kömmliche Luftwaffentechnologie gemeint (auch wenn diese zunächst im Vorder-
grund des Interesses stand)- etwa der langnasigen ,,D"-Version des Pocke-Wolf-
Jägers 190, die ob ihrer überlegenen Geschwindigkeit gefürchtet war, oder der
dreimotorigen Großtransporter Junkers 352, der technischen Enkel der Ju 52 (von
denen einer von den stolzen Siegern Stalin als persönliches Präsent überreicht wur-
de). Weniger Aufmerksamkeit erregten zunächst- zumindest offiziell - Geräte wie
eine Anzahl Raketenjäger Messerschmitt 163S, die in Stargard bei Stettin den So-
wjets in die Hände fielen, die Düsentriebwerke von Junkers in Dessau und BMW
in Berlin-Spandau, die Junkers von Messerschmitt übertragene Weiterentwicklung
eines Raketenjägers (Bezeichnung Ju 248), der sogenannte Objektschutzjäger Ju
EF 127 sowie weitere Junkers-Zukunftsprojekte (neben dem Volksjäger-Beitrag
EF 126). Alles wurde zunächst von den Sowjets sorgfältig gesammelt, ausgewer-
tet, erprobt und nachgeflogen. Die Übernahme verschiedener Hochtechnologiepro-
jekte aus der Beute zeigte jedoch rasch, daß die Hinterlassenschaft des Dritten Rei-
ches zum Teil einen recht geringen Gebrauchswert hatte. Der Raketenjäger Ju 248,
vom MiG-Team unter der Bezeichnung ,,Jäger 270" weiterentwickelt (vgl. Abbil-
dung 4), mochte aufgrund seines raschen Steigvermögens zum Objektschutz bei
intensiver Luftbedrohung geeignet sein. Die geringe Reichweite der Maschine
machte die Konstruktion für russische Verhältnisse jedoch wenig interessant, und
die explosive Treibstoffmischung aus Wasserstoffsuperoxyd und einem Methanol-
gemisch ließ schon eine Routinebetankoog zum Himmelfahrtskommando geraten.
Die Sowjets verzichteten auf den Serienbau dieser wie anderer deutscher Kon-
struktionen.
Auch am "Volksjäger" verloren die Sowjets bald jedes Interesse. Der Beitrag
von Junkers zu Hitlers "Jäger-Notprogramm" fiel ihnen bei der Eroberung Dessaus
in die Hände. Nach Kriegsende ließ die Besatzungsmacht ein Muster von der deut-
schen Stammbelegschaft bauen (obgleich in Potsdam zuvor die Einstellung der
deutschen Rüstungsproduktion proklamiert worden war). Auch für die deutschen
Werkspiloten bei Junkers war der Krieg noch nicht zu Ende: Die mißtrauischen

49 Dazu ausführlich (und wenig glaubwürdig) Tokaev o.J.


50 Vgl. meine Untersuchung zum Bomber mit Nuklearantrieb, Kap. 5 in diesem Band, als
wohl makaberste Unterstellung dieser Art.
Die Luftfahrtindustrie 57

Junkers EF 127

Messerschmitt Me 263

MiGI-270

Abbildung 4: Die Rückführung des ersten Raketenjägers des MiG-Teams auf


deutsche Projekte
58 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Russen ließen sie die merkwürdige Holzkonstruktion mit dem ungewöhnlichen


Triebwerk auf dem Rücken einfliegen. Werkspilot Mathies, der mit diesem
"Volksjäger" während der Flugerprobung tödlich verunglückte, dürfte das letzte
Opfer dieser Wahntechnologie des Dritten Reiches geworden sein. Auch wenn
Junkers "Volksjäger" von Hitlerjungs geflogen werden konnte- Mangel an Piloten
hatten die Sowjets nicht, und sie ließen die Konstruktionsunterlagen dieses Pro-
jekts nicht einmal in die UdSSR schaffen.
Besonders die angelsächsische Fachliteratur hebt die "windfall profits" hervor,
die Russen beim Vormarsch in Peenemünde, bei der Eroberung Berlins als Rü-
stungszentrum und zuvor bei der Besetzung Schlesiens machten. Einzelne dieser
Angaben werden von deutscher Seite bestritten (so schreiben Kens/Nowarra, u.a.
gegen Gunston, über einen von der Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug ent-
wickelten Raketenjäger DFS 346, der bei den hallischen Siebelwerken in Bau ge-
gangen war: "Sie (die erste Maschine) wurde beim Anmarsch der Amerikaner zer-
stört. Da die Russen erst zwei Monate später Schkeuditz besetzten, ist die vielfach
behauptete Nachricht vom Abtransport dieser Maschine in die UdSSR gegen-
standslos.")51
Auch wenn somit nicht bei jedem Rüstungswerk, welches die Russen einnah-
men, ihnen die dort entwickelten Produkte in die Hände fielen, so bleibt doch ein-
drucksvoll, was an militärischer High-tech bei Kriegsende in die Siegerhände ge-
riet. Wenn vieles davon die amerikanischen und britischen Militärtechniker beein-
druckte, um wieviel mehr mußte die technisch ungleich rückständigere Sowjet-
union von dieser Kriegsbeute profitieren! Auch wenn die Rote Armee nur einen re-
lativ bescheidenen Teil des Rüstungserbes des Dritten Reiches beschlagnahmen
konnte, so sollten doch diese Technologieinfusionen einen bei weitem überragen-
den Rang für die weitere Entwicklung der sowjetischen Rüstung einnehmen.
Zunächst (bevor die deutsche Triebwerkstechnologie zur Verfügung stand)
mußten sich die Sowjets auf eine eigene Entwicklung von Düsenflugzeugen stüt-
zen. Das MiG-Team (Projektbezeichnung "Jäger 300", später MiG-9) sowie das
Suchoj-Team (Su-9) bekamen Anfang 1944 parallel den Auftrag, den ersten sowje-
tischen Düsenjäger zu bauen. Der Schwachpunkt waren von Projektbeginn an die
sowjetischen Ljulka-Triebwerke. Die Motoren waren unzuverlässig (weshalb jeder
Jäger zwei Motoren erhielt), ihre Entwicklung hinkte mindestens um ein Jahr
hinter der Arbeit der Zellenkonstrukteure hinterher.
Bei einem später berühmt gewordenen Februarmeeting 1945 im Kreml zeigte
die sowjetische Führung Systematik in der Technologieakquisition. Stalin ließ die
Chefs aller Jägerkonstruktionsteams antreten und äußerte sich ungehalten über den
Stand der sowjetischen Düsenjägerentwicklung. In England und in Nazideutsch-
land hatte die Serienfabrikation dieser revolutionären Flugmaschinen begonnen, in
Amerika flogen immerhin Testmaschinen, während in der UdSSR nur von Verzö-
gerungen besonders bei den Motoren zu berichten war. Stalin verfügte, daß statt
der noch immer nicht hinreichend arbeitenden Sowjetkonstruktionen die erste Se-
rie sowjetischer Düsenjäger mit deutschen Motoren auszustatten sei. Lawotschkin
und Jakowlew erhielten Order, Maschinen mit je einem Düsentriebwerk und zwei
Nudelman-Kanonen NS-23 zu bauen; das MiG-Team und Suchoj hatten ihre zwei-
motorigen Jäger den deutschen Triebwerken anzupassen und zusätzlich eine

51 Kens/Nowarra 1961, S. 130


Die Luftfahrtindustrie 59

schwerere Flugzeugkanone NS-37 vorzusehen. Alle vier Jäger sollten mit je drei
Testmaschinen zum frühest möglichen Zeitpunkt zur Verfügung stehen.
Bei der Kreml-Konferenz Ende Februar 1945 hatte Jakowlew gemeinsam mit
Lawotschkin die Instruktion erhalten, für den Entwurf eines ersten Düsenjägers auf
der Grundlage vorhandener Technologie (=deutscher Düsentriebwerke) vorzuge-
hen. Während Lawotschkin eine neuartige Maschine entwarf, entschloß sich Ja-
kowlew zur herkömmlichsten aller Lösungen: Er verband seinen erfolgreichen
Kolbenmotorjäger Jak-3 einfach mit dem neuartigen Düsenantrieb von Junkers
(vgl. Abbildung 5).52 Aufgrund der konservativen Vorgabe konnte Jakowlew kür-
zeste Umsetzungszeiten für seine Projektideen reklamieren. Schon drei Tage nach
der Sitzung waren die Drei-Seiten-Risse des neuen Jägers verfügbar. Ende Mai
1945, drei Monate nach der Kreml-Konferenz, konnte das Jakowlew-Team die er-
sten Produktionszeichnungen aushändigen. Ausgestattet mit erbeuteten Junkers-
Düsentriebwerken, hätte die Jakowlew-Maschine eigentlich das Ringen um den er-
sten sowjetischen Düsenstart mit Leichtigkeit, mit einem Zeitvorsprung von einem
halben Jahr, für sich entscheiden können. In der ersten Oktoberwoche 1945 war
der Jak-Düsenjäger fertig. Die neue Maschine hätte die Flugerprobung aufnehmen
können. Aus heute schwer verständlichen Gründen beschlossen Chefkonstrukteur
Jakowlew53 sowie die sowjetische Führung, diesen Schnellstarter zu ausgiebigen
Sicherheitstests zu nutzen, und die Flugerprobung erst im April 1946 zu beginnen,
gemeinsam mit dem Konkurrenzentwurf des MiG-Teams. Im Westen wäre eine
solche politisch verantwortete Verzögerung infolge der Rivalität von Rüstungsfir-
men schwer vorstellbar.
Aus irgendwelchen Gründen bekam das MiG-Team die BMW-Turbinen zuge-
wiesen. Zunächst mußte der erste MiG-Düsenjäger den Maßen der deutschen Mo-
toren angepaßt werden. Da die BMW-Aggregate kleinere Dimensionen aufwiesen
als die ursprünglich vorgesehenen sowjetischen Ljulkas, wurde der Rumpf des Jä-
gers schlanker ausgeführt. Die erste Testmaschine MiG-9 traf im Frühjahr 1946
auf dem Erprobungsgelände in Tschk:alowskaja ein, gleichzeitig mit der zuvor fer-
tiggestellten Konkurrenzmaschine des Jakowlew-Teams. Man warf eine Münze,
wem die Ehre des ersten sowjetischen Düsenstarts in der Geschichte gebühre. Zu-
fällig gewann die MiG und der Teampilot A.N. ,,Lescha" Griutschik flog am 24.
April1946 als erster.
Man kann nichtsagen, daß die Sowjets ihre neuen Düsenjäger sonderlich ge-
heim hielten. Beide Prototypen wurden am 18. August 1946 in der Luftparade von
Tuschino vorgeflogen (auch im Westen gilt es als riskant, Prototypenunerprobter
Technologien wenige Monate nach dem Erstflug international vorzuführen). Stalin
zeigte sich beeindruckt und verfügte, daß je zwölf Maschinen der beiden Düsenjä-
germuster bei der Parade zur Oktoberrevolution 1946 vorzuführen wären. 54
Das war eine abenteuerliche Instruktion, unter allen Umständen, in jedem
Land der Erde. Von fast unerprobten Flugzeugen, welche obendrein eine vollstän-
dig neue Technologie darstellten, sollten binnen drei Monaten jeweils Staffeln flie-
gen! Und dies von Produkten, für die nicht einmal die Werkstattzeichnungen für

52 Vgl. Jakowlew 1972, S. 316 f.


53 Vgl. Jakowlew 1972, S. 319
54 Vgl. Jakowlew 1972, S. 323
60 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Yak-3NK-107A

Abbildung 5: Jakowlews vorsichtiger Übergang zum Düsenjäger: Austausch


des Kolbenmotors (Klimow WK-107) durch einen deutschen
Jumo004B
Die Luftfahrtindustrie 61

die Serie existierten. Diese Stalinsche Verfügung muß ein Alptraum für alle Betei-
ligten gewesen sein.
Doch Stalins Order war damals ein absoluter Befehl, so unsinnig er sein moch-
te. Mikojan bekam Minister P.Ju. Dementjew als Mitorganisator zugeteilt, und un-
ter Versprechung attraktiver Prämien wurden tatsächlich kurzfristig 60.000 Blatt
Zeichnungen erstellt sowie die 15 MiG-9-Jäger frei von Hand, ohne Bauvorrich-
tungen oder eine geordnete Bauplanung, in der geforderten Frist hergestellt. Diese
phantastische Anstrengung erwies sich freilich als vordergründig vergeblich: We-
gen Nebel mußte die Flugparade anläßtich des Jahrestages der Oktoberrevolution
1946 abgesagt werden.
Mit dem Eintritt in die neue Technologie hatten die Sowjets umweglos Tribute
zu zahlen. Da damals das Problem der Materialermüdung unbekannt war, löste
sich beim 20. Probeflug am 11. Juni 1946 ein Höhenruder beim Schnellflug des
MiG-Jägers, und die Maschine schlug geradewegs auf den Boden auf. Im August
wurden jedoch die Exemplare zwei und drei fertig und nahmen die Flugerprobung
auf.
Dem von Stalin ansonsten begünstigten Jakolew und seinem Team ging es
nicht besser als der MiG-Konkurrenz. Jakowlew bekam als Sekundanten aus dem
Regierungsapparat den Vizeminister A. Kusnetzow zugewiesen, und beide wurden
mit der Instruktion in eine ausgewählte Fabrik entsandt, diese persönlich nicht zu
verlassen, bis ihre zwölf Jak-15 fertig waren. Jakowlew berichtet, daß er
"alle Kopiereinrichtungen der Stadt mobilisierte und arbeiten ließ, um während der fol-
genden Tage unsere Blaupausen reproduzieren zu lassen, um 20 Sätze von Zeichnungen
oder 50-60 000 Einzelkopien zu erhalten."55
Über den Baufortschritt der ersten Serie sowjetischer Düsenjäger schreibt der so-
wjetische Konstrukteur, augenscheinlich von der ungewöhnlichen Erfahrung rapi-
den Fortschritts beeindruckt:
"Jedermann arbeitete mit beispiellosem Enthusiasmus, so daß unsere Düsenjäger Tag
für Tag in strikter Übereinstimmung mit dem Plan sichtbare Fortschritte zeigten ... Wir
sollten dies ein Wunder nennen, aber wir glauben nicht an Wunder. Wir glauben an die
Macht menschlichen Engagements, welche in diesem Falle das anscheinend Unmögli-
che zustande brachte- fast ein Wunder."56
Wie bei den MiGs entstanden die Jak-Düsenjäger in Handarbeit, zunächst gleich-
falls ohne die Nutzung von Vorrichtungen. Hernach wurden die Jaks mitsamt ihren
Jumo-Triebwerken zerlegt, in Kisten verpackt und per Bahn zum Testgelände ver-
frachtet - trotz des aberwitzigen Termindrucks erschien dem vorsichtigen Jakow-
lew die Flugüberführung als zu riskant. Die letzten Maschinen dieses verzweifelten
Dutzend verließen pünktlich am 5. Oktober 1946 die Fabrik, zwei Wochen vor
dem Schlußtermin. Auch ihre Flugvorführung anläßtich des Jahrestages der Okto-
berrevolution entfiel mitsamt der gesamten Flugparade.57
Es lohnt sich, beim Studium der sowjetischen Technologieakquisition auch die
gegenüber den beiden prominenten Teams, Jakowlew und MiG, weniger bekann-
ten Rivalen Suchoj und Lawotschkin zu betrachten. Beide wählten andere Wege-
und mußten dafür empfindliche Strafen hinnehmen.

55 Jakowlew 1972, S. 323


56 Jakowlew 1972, S. 324
57 Die Vorführung erfolgte dann zum 1. Mai 1947, im Westen wenig beachtet.
62 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Pawel Suchoj und sein Team hatten die einleuchtende Idee, ihren Jäger nicht
nur um deutsche Flugmotoren herum zu bauen, sondern einfacherweise auch die
dazu gehörige Flugzeugzelle nachzuempfinden. Mit der Wahl der Konstruktion Me
262 von Willy Messerschmitt traf Suchoj bei seiner Su-9 zwar ins Schwarze. Diese
Messerschmitt-Adaption (Abbildung 6) absolvierte pünktlich im Sommer 1946 ih-
ren Erstflug und erbrachte, kaum überraschend, im Vergleich mit der rivalisieren-
den anderen Zweimotorigen, der MiG-Konstruktion, überlegene Flugleistungen.58
Pawel Suchoj wurde trotz dieses Erfolges gegen die Prominenz nicht glück-
lich. Seine Maschine wurde abgelehnt, er selber landete im Gefängnis. Jakowlew59
denunzierte Suchoj bei Stalin: Die ganze Konzeption der Su-9/Messerschmitt sei
wenig wünschenswert und das Flugzeug obendrein schwierig zu fliegen. Stalin
scheint solchen angesichts der Erprobungsergebnisse nicht haltbaren Äußerungen
Glauben geschenkt zu haben. Es half dem Suchoj-Team nicht, daß der Entwurf
schleunigst russifiziert wurde (Typenbezeichnung der Umkonstruktion Su-11) -
mit der unautorisierten Kopie des Messerschmittjägers war ein Tabu verletzt wor-
den.
Das Lawotschkin-Team schließlich, durch Großserienproduktion seiner Kol-
benmotorjäger trotz diverser technischer Mängel verführt, meinte mit eben dersel-
ben Strategie auch bei seinem ersten Düsenjäger durchzukommen: Hauptsache, der
Entwurf stand, das Ausmerzen von Kinderkrankheiten hatte später Zeit. So gelang
es auch dieser Gruppe, im geforderten Rekordtempo um das deutsche Triebwerk
Jumo 004 herum eine Jagdmaschine zu bauen. Für die Parade zur Oktoberrevolu-
tion hatte man allerdings nur fünf Maschinen fertig. Dem Produkt La-150 merkte
man die Hast an, in der es konzipiert worden war. Das Flugzeug war ungenügend
durchkonstruiert und daher zu schwer. Die Startbeschleunigung ließ sehr zu wün-
schen übrig. Im Flug kam es zu unerwünschten Schwingungen des Hecks mit dem
Leitwerk, weil hier die Konstruktion zu wenig steif ausgeführt worden war. Ferner
zeigte dieser erste Lawotschkin-Jäger ein recht instabiles Verhalten im Flug.
Das Team konstruierte seinen erfolglosen Jäger mehrfach um, wobei zum Teil
wichtige Neuerungen eingeführt wurden. Um die Beschleunigung zu verbessern,
wurde hinter die Junkers-Turbine ein einfacher Nachbrenner eingebaut, eine der
ersten Konstruktionen dieser Art überhaupt. Von den Deutschen griff man die Idee
des gepfeilten Flügels auf. Der erste sowjetische Jäger mit dieser wichtigen Neue-
rung absolvierte im Juni 1947 seinen Erstflug.
Im März 1946 wiederholte Stalin seine Schockbehandlung der Jägerkonstruk-
teure. Wiederum hatten die Teamchefs im Kreml anzutreten, und Stalin diktierte
die technischen Vorgaben für eine neue Generation von sowjetischen Hochlei-
stungsjägern - nicht einmal ein Jahr nach dem ersten sowjetischen Düsenstart
überhaupt. Das Thema war diesmal Höhenjäger. Gefordert wurde in Kenntnis der

58 Die Messerschrnitt-Kopie ist ganz unstreitig, vgl. Alexander 1975, S. 336; Gunston
1983, S. 266 f.; Jakowlew 1972, S. 317
59 Es handelte sich augenscheinlich nicht um die einzigste Denunziation Jakowlews. Der
junge sowjetische Konstrukteur Semjon Michailowitsch Alexejew, 1946 soeben mit ei-
nem eigenen OKB selbstständig geworden, legte gleichfalls einen Entwurf für einen
zweimotorigen Jäger vor (Projektbezeichnung 1-211, Weiterentwicklungen 1-212 und 1-
215), dessen Prototyp durchaus mit Erfolg getestet wurde. Jakowlew befand jedoch, es
handele sich lediglich um ,,eine weitere Kopie der Me 262" von Messerschmitt. Alexe-
jew fiel in Ungnade, sein OKB wurde 1948 geschlossen. Vgl. Gunston 1983, S. 37
Die Luftfahrtindustrie 63

MesserschmittMe 262 (1941)

m_
~.----A=.-~

Suchoj Su-9 (1944)

Abbildung 6: Suchojs Kopie eines deutschen Düsenflugzeuges


64 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

von den Deutschen erbeuteten Unterlagen eine Höchstgeschwindigkeit von Mach


0,9, d.h. fast Schallgeschwindigkeit, gutes Manövriervennögen auch in Höhen
über 11 km und eine Mindestflugdauer von einer Stunde. Das waren Leistungsan-
forderungen, die denen an die modernsten westlichen Gegenstücke entsprachen.
Mit sowjetischen oder den deutschen Triebwerken waren sie nicht zu erreichen.
Im Westen wurde hinter dem Erfolgsmuster MiG-15 erneut deutsches Know-
how vennutet. Angeblich ging die Konzeption der MiG auf den Heinkel-Konstruk-
teur Siegfried Günter zurück, der nach dem Kriege in die UdSSR gegangen war.60
Da Günter nach seiner Rückkehr in den Westen diese Mitwirkung an der Jägerkon-
struktion energisch in Abrede stellte, ist dieser Ansicht nicht zu folgen. - Auch La-
wotschkin und sein Team erhielten eine der begehrten britischen Turbinen. Wegen
dieser Neuerung wurde der Jäger der Gruppe, die La-150, erneut umkonstruiert.-
Ohne staatliche Anforderung ging Lawotschkin schließlich nochmals an seinen
Entwurf und kombinierte seine Trümpfe: das britische Triebwerk, versehen mit
einem verbesserten Nachbrenner, den dünnen Pfeilflügel und einen nunmehr voll
durchkonstruierten Rumpf. Als das Produkt in einer Testvariante sogar als erstes
sowjetisches Flugzeug am 26. Dezember 1946 im Sturzflug die Schallmauer
durchstieß, hatte Lawotschkin gewonnen. Sein gar nicht in der Produktionsplanung
vorgesehener Jäger wurde als La-15 sofort in mehreren Fabriken in den Serienbau
genommen. Schon im Februar 1949 erfolgten die ersten Auslieferungen.
Angespornt von diesem Erfolg machte sich das Lawotschkin-Team an eine
neue Herausforderung, die Konstruktion eines schweren Jägers mit einem der neu-
artigen Radargeräte, der auch nachts und bei schlechter Sicht kämpfen konnte.
Dem Ergebnis wird auch von westlichen Fachleuten eindeutiges Lob zuteil.61 Fer-
tigungstechnisch beeindruckte dieser Jäger durch die Verwendung gezogener
Stahlbleche und die gelungene Kopie moderner westlicher Nietverfahren. Die In-
strumentierung entsprach nach Gunstons Urteil damaligem westlichen Standard,
ansonsten sei die Maschine ihren westlichen Gegenstücken sogar überlegen gewe-
sen. Am 11. März 1951 durchbrach ein Testmuster als erstes sowjetisches Flug-
zeug die Schallmauer im Horizontalflug, vom MiG-Team sehr um diesen Rekord
beneidet. Das Abnahmeprotokoll vom April 1951 empfahl die Serienproduktion,
doch da hatten politische Umstände das Projekt schon blockiert. Die sowjetische
Führung entschied sich, das so erfolgreiche Lawotschkin-Team durch erneute
"Schockbehandlung" zu noch höherer Leistung anzuspornen, und befahl im No-
vember 1950, die Reichweite des Jägers auf 3500 km zu verdoppeln.
Dies war eine Forderung, die jenseits aller technischen Möglichkeiten lag.
Dem Lawotschkin-Team blieb in der Stalinschen Sowjetunion jedoch nichts ande-
res übrig, als an die Zeichentische zurückzukehren und ein nicht mögliches Flug-
zeug zu bauen. Die Fehlentscheidung des Kreml zeitigte weitreichende Folgen.
Außer dem Pfeiljäger La-15 hatten die Streitkräfte nichts von den Leistungen des
Lawotschkin-Teams, weil dessen Konstruktionen nicht in Serie gebaut, sondern
durch stets höher gesetzte Leistungsanforderungen überzüchtet wurden. Während

60 So etwa Wemer Keller (,,Die Bibel hat doch recht'') in seinem reißerisch geschriebenen
Buch: Ost minus West= Null. Der Aufbau Rußlands durch den Westen, München/Zü-
rich 1960, S. 378{379. Keller gibt anhand damals verfügbarer Quellen Darstellungen zu
weiteren in diesem Band behandelten Transfers.
61 Vgl. Gunston 1983, S. 161
Die Luftfahrtindustrie 65

der gesamten fünfziger Jahre laborierte das Team an gewagten Neuerungen. Eine
neuartige Steuerung ("Jäger 250") war jedoch so schwierig zu handhaben, daß
selbst die erfahrendsten Testpiloten aufgaben. Es gab Abstürze, und am Ende wur-
de das glücklose Konstruktionsteam aufgelöst. Auch in sowjetischer Literatur62
wird der frühe Tod von Chefkonstrukteur Lawotschkin im Juni 1960 mit seiner
Verbitterung über das widersprüchliche Schicksal seiner Flugzeuge in Verbindung
gebracht. Einzelne dieser merkwürdigen Apparate mit ihren ,,Elefantenohren" be-
nannten großen Lufteinläufen kann man noch heute im Museumsgelände von Mo-
nino bewundern.
Die leistungsstarken britischen Flugmotoren bzw. ihre sowjetischen Nachbau-
ten suchte auch das gegen die Prominententeams Jakowlew und MiG in der ersten
Runde unterlegene Suchoj-Team für einen spektakulären Erfolg zu nutzen. Im Ja-
nuar 1948 erfolgte die Ausschreibung des Entwurfs für einen ersten schweren All-
wetterjäger. Darunter war die Verbindung zwischen einem zweimotorigen Jäger
mit einem der für die Sowjets neuartigen Radargeräte zu verstehen. Neben der er-
wähnten Lawotschkin-Konstruktion legten die erfolgsgewohnten Gruppen MiG
und Jakowlew Entwürfe vor. Das Suchoj-Team suchte die Konkurrenz mit ihrem
Inkrementalismus, der schrittweisen Erweiterung der Leistungsfahigkeit von Waf-
fensystemen, durch einen großen Sprung nach vom zu schlagen. Das Team stellte
den ersten sowjetischen Überschalljäger (benannt Su-17) in Aussicht. Die Arbeiten
begannen 1948.
Soviel Ambition führte zum abrupten Ende. Am 3. Juni 1949 stürzte das Test-
exemplar von Suchojs Allwetterjäger ab, und es wurde absehbar, daß der neue
Überschalljäger so rasch wie versprochen nicht verfügbar würde. Auf persönliche
Empfehlung Stalins wurde das Konstruktionsbüro des unglücklichen Pawel Suchoj
am 1. November 1949 geschlossen, der Chefkonstrukteur wurde degradiert und der
Großteil seines Teams Tupolew zugeordnet. Es sollte knapp zehn Jahre dauern, ehe
Suchoj (der nach Stalins Tod eine entsprechende Bittschrift verfaßt hatte) wieder
ein Konstruktionsbüro leiten konnte. Nach der offiziellen Bestätigung entfaltete er
dort den gewohnten Schwung. Eine seiner Konstruktionen hemach, einer Suchoj
Su-15, gebührt der Verweis auf den Abschuß eines Jumbos der Korean Airlines im
Jahre 1983.
Auch der Bau sowjetischer Bomber profitierte von den beiden Technologie-
schüben aus dem Ausland, die mit der Besetzung Deutschlands und im Frühjahr
mit der Lieferung britischer Düsenaggregate ausgelöst wurden. Im Bomberbau ri-
valisierten nur zwei Teams, das von Iljuschin und das von Tupolew.63
Die deutsche Luftwaffe war die erste gewesen, die mehrmotorige Düsenbom-
ber einsetzte. Die Arada-Flugzeugwerke in Babelsberg bei Berlin hatten bis
Kriegsende 214 zweimotorige Bomber Ar 234 ausgeliefert. Noch im April 1945
wurde die jüngste Variante in die Flugerprobung gegeben. Es ist nicht bekannt,
was an Unterlagen der Firma Arado in die Hände der Russen fiel. Iljuschin konzi-
pierte jedoch seinen ersten Düsenbomber, die II-24, deutlich aufgrundvon Erfah-
rungen der Deutschen (vgl. Abbildung 7). In der Literatur wird die II-22 ferner mit

62 Schawrow 1978, S. 165


63 Ein Entwurf des von Ungunst verfolgten Suchoj-Teams für einen vierrnotorigen Düsen-
bomber (Bezeichnung Su-10) wurde trotz einer Anzahl interessanter Neuerungen im
Verlaufe des Jahres 1948 wie die anderen Suchoj-Entwicklungen aufgegeben.
66 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Arado Ar-234
(Erstflug 1943)

Heinkel He 343
(1945, Projekt)

Iljuschin ll-22
(Erstflug 1947)

Abbildung 7: Der Weg zu l/juschins erstem viermotorigen Düsenbomber über


die deutschen VorgabenAr-234 und He 343
Sowjetische Panzer 67

dem Heinkel-Bomber He 343 in Zusammenhang gebracht. Bei der Eroberung


Wiens fielen den Sowjets augenscheinlich Pläne des Heinkel-Entwicklungswerkes
in Schwechat in die Hände. Iljuschins neue Konstruktion, wenige Wochen nach
dem Erstflug am 3. August 1947 in der Flugparade von Tuschino neben den Proto-
typen der ersten sowjetischen Düsenjäger öffentlich vorgeführt, überzeugte als
Bomber nicht sonderlich. Besonders wegen der Verwendung schwacher und unzu-
verlässiger russischer Ljulka-Triebwerke wurden eine zu lange Startstrecke, zu ge-
ringe Geschwindigkeit und eine zu geringe Reichweite moniert.
Mit dem Eintreffen der britischen Flugmotoren im Jahre 1947 änderte sich die
Situation schlagartig. 11juschin konstruierte seinen viermotorigen Bomber auf die
russifizierte Variante des Rolls-Royce "Derwent"-Motors um (Projektbezeichnung
11-24). Zum Serienbau kam es nicht, mit ihren ungepfeilten Tragflügeln erwies sich
diese Konzeption als aerodynamisch veraltet. Die Kombination des britischen Mo-
tors mit einem neuen Trapezflügel (Il-28) und hernach mit einem Pfeilflügel (Il-
30) erwies sich jedoch als überzeugende Konzeption für eine Reihe mittlerer Dü-
senbomber.
11juschins Rivale Tupolew hatte vorsichtig wie J akow lew mit seinem Jäger den
Übergang zum Düsenantrieb bewältigt, indem er seinen im Kriege erfolgreichen
leichten Bomber Tu-2 anstelle der Kolbemotoren mit zwei britischen "Derwent"-
Triebwerken ausrüstete. Mit den Nachbauten deutscher Strahltriebwerke war das
Bomberteam unter Konstrukteur A.A. Archangelskij nicht gut zu Rande gekom-
men, es gab Probleme bei der Zuverlässigkeit.
Bei der Wahl eines Bombers für die Großserie ordnete Luftmarschall Werschi-
nin an, daß drei Testbesatzungen unabhängig voneinander sowohl die 11-28 sowie
die Konkurrenzentwicklung Tu-78 erproben und eine Empfehlung geben sollten.
Nach Ende der Testflüge sprachen sich die Mannschaften einhellig für die 11ju-
schin aus. Nach dem Vergleichsfliegen im Oktober 1948 agierte Stalin wie weiland
bei den Jägern: Er verfügte, daß 25 Maschinen an der Parade zum 1. Mai 1950 teil-
zunehmen hätten. (Im September 1950 wurde das erste Regiment der Luftwaffe
mit dem Iljuschin-Bomber als einsatzfähig gemeldet.)
Iljuschins Bomber wurde ein Welterfolg: Dreitausend Exemplare wurden in
der Sowjetunion montiert (die Hälfte wurde exportiert), in China und in der CSSR
wurde der Nachbau aufgenommen. Neben dem Warschauer Pakt erhielten die
Luftstreitkräfte von 15 verschiedenen Ländern der Dritten Welt den Bomber, den
sie zum Teil (Nigeria, Ägypten, Vietnam, Nordkorea, Irak, Jemen, Syrien) für
Bombardements kriegerisch einsetzten.

1.2 Sowjetische Panzer

Ähnlich wie bei der Flugwaffe erweist sich die sowjetische Panzerwaffe, studiert
man ihre Entwicklung unter technologischem Aspekt, in ihren Anfängen und in ge-
wissen Aspekten hernach als hochgradig von westlichen Technologietransfers ab-
hängig.
In der zaristischen Armee gab es keine Tanks. Auch in den Bürgerkriegsjahren
gab es keine Panzerfahrzeuge in Rußland. Die neuen sowjetischen Streitkräfte be-
obachteten jedoch mit Aufmerksamkeit die Entwicklung im Ausland. Die führte
zunächst zur Betonung einer Nebenlinie, der Leichtpanzer oder Tanketten.
In den zwanziger Jahren wurden verschiedentlich von sowjetischen Militärs
68 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Leichtpanzer zur Infanterieunterstützung vorgeschlagen. Eine Entwicklungslinie,


die rasch die Aufmerksamkeit sowjetischer Militärs fand, bildete die Produktserie
von John (hernach Sir John) Carden. Im Verbund mit der britischen Rüstungsfirma
Vickers erzeugte Carden in Serien von einigen hundert Fahrzeugen verschiedene
Modelle seiner Tanketten, von denen die UdSSR neben anderen Ländern eine An-
zahl erwarb. Unter der Bezeichnung T-27 wurden Ende der zwanziger Jahre eine
Anzahl dieser Tanketten in der UdSSR nachgebaut (die "T"-Bezeichnung gibt bis
heute an, daß es sich um einen Panzer oder Tank handelt; der Beginn der Ferti-
gung, in diesem Fall das Jahr 1927, liefert die Ziffer).
Die Sowjets zeigten sich verschiedentlich offen für neue Konstruktionsideen.
So erwarben sie nach der Freigabe der Lizenzen die Nachbaurechte für einen von
den britischen Vickers-Armstrong-Werken angebotenen 6-Tonnen-Leichtpanzer,
für den sich die britische Armee zunächst nicht interessierte. Unter der Typenbe-
zeichnung T-26 wurde dieses Gefährt in großen Zahlen hergestellt. Ähnlich klar-
sichtig erwiesen sich sowjetische Technologie-Einkäufer in den USA. Der später
als Panzerkonstrukteur berühmte J.W. Christie entwickelte, um möglichst schnelle
Tanks zu erzeugen, neuartige Laufwerke, und baute in den dreißiger Jahren einige
erfolgversprechende Prototypen. Die US Army kaufte die Entwürfe nicht, schon
aus Budgetgründen (ihr Forschungsetat war in jenen Jahren geringer als der des
Landwirtschaftsministeriums). Die UdSSR erwarb von Christie zwei Fahrgestelle,
der augenscheinlich als Erfinder befriedigt war, mit seinen Ideen überhaupt kom-
merziellen Erfolg zu haben. - Christies Konstruktionsprinzipien, eine unabhängige
Federung für jedes Laufrad eines Panzers sowie ein hohes Leistungsgewicht, wur-
de für den sowjetischen Panzer "BT'' übernommen, den unmittelbaren Vorgänger
des bis heute eingesetzten Erfolgspanzers T-34. Eine britische Panzerhistorie be-
zeichnet den BT als "wahrscheinlich den wirksamsten Panzer in der Mitte der drei-
ßiger Jahre", den es damals auf dem Globus gab.64 -Dieser sowjetische Panzer
diente- erstmals in der Geschichte der sowjetischen Rüstung- als Vorbild für aus-
ländische Konstrukteure im kapitalistischen Westen. Wenigstens wird in der Fach-
literatur der britische Panzer Crui~er Mk. III als "teilweise durch den russischen
BT-Panzer inspiriert" bezeichnet. Diese Wertung läßt sich durch die Prüfung tech-
nischer Details wie des Laufwerks leicht verifizieren, obgleich die sowjetischen
Konstrukteure wenig mehr getan hatten, als die neuen Ideen des amerikanischen
Konstrukteurs Christie in ein Serienfahrzeug umzusetzen.
Neben der Adaption ausländischer Technologie betrieben die Sowjets auch im
Panzerbau Eigenentwicklungen (damals die Typen T-28 und T-35), waren jedoch
klug genug, deren Fertigung angesichtsder Stärken der ausländischen Importe zu
unterlassen. Vielmehr entschied man sich - was der Kompetenz der Entschei-
dungsträger erneut ein außerordentliches Zeugnis ausstellt - durch die Kombina-
tion der Vorzüge der verschiedenen ausländischen Modelle ein optimales Produkt
zu erstellen, und dies in großen Zahlen. Mit Beginn der dreißiger Jahre steigt die
UdSSR zum größten Panzerhersteller überhaupt auf. In dem angeführten britischen
Panzerhandbuch wird das Land als nach 1929 wichtigster Produzent benannt.65
Adolf Hitler soll sich bei seinen Tischgesprächen irritiert über die Quantität der so-
wjetischen Panzerrüstung gezeigt haben (zu Göring: "Sie wissen, daß ich bei die-

64 Ogorkiewicz 1967, S. 31
65 Ogorkiewicz 1967, S. 31
Sowjetische Panzer 69

sem Feldzug zum erstenmal starke Hemmungen wegen der Unsicherheit über die
Stärke des Gegners gehabt habe und ich weiß nicht, ob ich den Entschluß gefaßt
hätte, wenn mir die gesamte Stärke des Sowjetheeres und besonders die gewaltige
Ausrüstung mit Panzern bekannt gewesen wäre"66).
Im Jahr 1939 verfügte die UdSSR mit 20.000 Fahrzeugen über ebensoviele
Kampfwagen wie der Rest der Welt, das Dritte Reich eingeschlossen. Von der rü-
stungsindustriellen Seite her hätte die Sowjetunion nicht besser auf die Schlachten
des Zweiten Weltkrieges vorbereitet werden können. Die Überlegenheit der Deut-
schen bestand einzig im überlegenen taktischen Konzept zum Einsatz der Kampf-
wagen.
Mit dem T-34 gewinnt die sowjetische Panzerentwicklung eigene Kompetenz.
In der Metallurgie der Stähle für Panzertürme kommen entscheidende Hinweise
von Wassili Emeljanow, die Auslegung der Tanks bestimmt seit 1940 Alexandr A.
Morosow, usf.67 Die sowjetischen Konstrukteure definieren im Rüstungswettlauf
ähnlich wie ihre westlichen Konkurrenten, was die Standards der Technologie
sind. Somit entfällt die Möglichkeit, nachholend westliche Entwürfe zu "beerben".
Der Glaube an westliche Prinzipien bleibt allenfalls in dogmenhaft fortgeschriebe-
nen Einzelentscheidungen aufzeigbar, wie etwa dem Festhalten an Christies großen
Panzerlaufrädern, die erst in den siebziger Jahren aufgegeben werden.
Die Panzertechnologie stellte sich, was im Vergleich mit anderen Rüstungswa-
ren überrascht, sehr früh und dann sehr starr auf ein Grundkonzept ein. Im Grunde
besteht seit dem F.T.-Fahrzeug von Renault aus dem Jahre 1918 bis heute- d.h.
seit 70 Jahren- ein Tank aus einem Bugteil, in dem der Fahrer mit den erforderli-
chen Ausrüstungen untergebracht ist, einem Kampfsegment im Mittelteil, welches
von einem rotierbaren Turm bestimmt wird, sowie dem Antriebsblock im HeckteiL
Alle Variierungen dieser Anordnung erwiesen sich als Fehlschläge, ebenso Modifi-
kationen wie Leichtpanzer (die in der sowjetischen Rüstung in den zwanziger Jah-
ren große Beachtung fanden) oder Schwerstpanzer. In dieser Richtung hatten die
Sowjets in den dreißiger Jahren einiges investiert, wie die Modelle Josef Stalin 1
bis 3 und KW anzeigen. Seither hat sich die mögliche Bandbreite der Technologie-
entwicklung bemerkenswerterweise auf ein Standardmodell verengt. Dessen Wei-
terentwicklung in bezugauf passiven Schutz, Beweglichkeit, Verstärkung der Lei-
stungsfähigkeit der Kanone fügte sich geschmeidig ein in Anforderungen des so-
wjetischen Industriesystems, welches eher inkrementale Verbesserungen als rapide
Innovationen zu absorbieren vermag. Im Westen verzeichnete Schritte wie der Ein-
bau von Flugmotoren in Panzern oder gar die Verwendung von Gasturbinen für
den Antrieb sind dem sowjetischen Panzerbau fremd geblieben.
Anhänger einer auf Personen bezogenen Geschichtsschreibung würden für die-
sen Konservatismus mutmaßlich den Tatbestand anführen, daß das Hauptkonstruk-
tionsteam für den Kampfpanzerbau von 1940 bis 1979 von ein und derselben Per-
son geleitet wurde, von Alexandr A. Morosow. Wie bis zur Wahl Gorbatschows

66 Zit. nach dem Kriegstagebuch des Dr. jur. Otto Bräutigam, hier Eintrag für den 16.7.
1941, veröff. von Götz Ali u.a., Biedermann und Schreibtischtäter, Materialien zur
deutschen Täter-Biographie, Berlin 1987, S. 137.
67 Emeljanow spielt später eine gewisse Rolle als stellvertretender Minister für den Atom-
bombenbau, vgl. Kap. 2. Seine Rolle bei der Entwicklung des T-34 wurde in Nachrufen
anläßlich seines Todes im August 1988 hervorgehoben. Der Turm des T-34 wurde un-
konventionellerweise in Schmiedestahl mit einem hohen Magnesiumanteil ausgeführt.
70 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

auf der höchsten politischen Ebene üblich, gab Morosow seine führende Stellung
erst mit dem Tode auf. Sein Team war für alleneueren sowjetischen Panzermodel-
le, vom T-34 über den T-44, T-54, T-55 bis zum T-62 federführend.- Andere füh-
rende Panzerkonstrukteure zeigten ein ähnlich ausdauerndes Verhalten. Josef J.
Kotin, neben dem für mittelschwere Tanks verantwortlichen Morosow für den Ent-
wurf schwerer Panzer zeichnend, wirkte gleichfalls seit Kriegszeiten bis 1979. Alle
sowjetischen Panzerkanonen vom T-54 bis zum modernen T-72 stammen von ei-
nem Team, welches Fjodor F. Petrow leitete, usf.68
Das führende deutsche Panzerhandbuch befindet über den T-54/55, daß er
"in idealer Weise die Forderungen nach Einfachheit, Robustheil und Massenprodukti-
onsfähigkeit mit den von einem neuzeitlichen (Kampfpanzer) zu erwartenden Leistun-
gen vereint."69
Beim Nachfolgemodell T-62 befindet derselbe Fachautor, daß es in den Grundbau-
gruppen nach wie vor mit dem Erfolgsmuster T-34 identisch sei.70 Aufgrund eige-
ner Kompetenz erwarteten die sowjetischen Panzerbauer aus der Hinterlassen-
schaft des Dritten Reiches wenig für sie Neues. Allenfalls einzelne Nebengeräte
wie der deutsche 5,7 cm-Flakpanzer fanden Interesse bei den sowjetischen Fach-
leuten (das im Dritten Reich auch unter der Bezeichnung "Gerät 58" bekannte
Fahrzeug wurde als Panzerflak ZSU 57 nachgebaut und in der zweiten Hälfte der
siebziger Jahre auch an Verbündete wie die NVA, Polen, die CSSR und Ägypten
ausgeliefert).71
Im Westen wird vielfach behauptet, sowjetische Panzer auch modernster Bau-
art seien westlichen Gegenstücken nicht gleichwertig, sondern technisch unterle-
gen. Friedensforscher und andere nutzen diese Aussage für die These, die zahlen-
mäßige Unterlegenheit der NATO bei den Tanks würde durch die überlegene Qua-
lität der Westkampfwagen ausgeglichen. Wenn die These von der allgemeinen Un-
terlegenheit sowjetischer Panzerfahrzeuge zutrifft, ist dann auch in diesem Sektor
die sowjetische Industrie nach wie vor im Aufholen begriffen?
Bei einem rein technischen Vergleich trifft zu, daß sowjetische Fahrzeuge we-
niger elektronische Hilfsausrüstungen aufweisen, mit einfacheren Visiereinrichtun-
gen ausgestattet oder für die Besatzung weniger komfortabel eingerichtet sind. Ob
dies allerdings die den Ausschlag gebenden Merkmale für Panzer als Kampfma-
schinen sind, bleibt zumindest strittig. Die Auffassungen sowjetischer Panzerkon-
strukteure über die Optimierung ihrer Fahrzeuge richten sich deutlich auf militäri-
sche Gebrauchseigenschaften wie Eignung unter rauben Einsatzbedingungen oder
einfache Bedienung, Wartungsfreundlichkeit und einfache Reparaturmöglichkei-
ten. Es mag sein, daß grundsätzliche Neuerungen im Bau von Tanks wie die soge-

68 Daten nach Zaloga/Loop 1987, S. 22.- Erneut ist zu unterstreichen, daß der Chefkon-
strukteur nicht notwendig selber die Produkte erzeugt hat, die mit seinem Namen ver-
bunden werden. So hat nicht Teamchef Kotin, sondern sein Untergebener Schasclunu-
rin den bekarmtesten Leichtpanzer der Sowjets in der Nachkriegszeit, das Modell PT-
76, konzipiert, usf.
69 Senger-Etterlin 1969, S. 287
70 Senger-Etterlin 1969, S. 298
71 Vgl. Senger-Etterlin 1969, S. 350
Giftgas 71

nannte Chobham-Schichtpanzerung72 in der UdSSR später als im Westen und in


Reaktion auf westliche Entwicklungen eingeführt werden. Angesichts der langen
Innovationszyklen im Panzerbau bleibt ein solcher Tatbestand von geringem Ein-
fluß auf die Position der UdSSR im Wettrüsten. Durch gezielte Einführung an-
scheinend entscheidender Neuerungen gelingt es den sowjetischen Panzerkräften
gar, die USA hin und wieder auf die Plätze zu verweisen. Die zügige Einführung
sogenannter "Sprengpanzerungen" (Pakete von Sprengstoff, am Panzerturm ver-
teilt, die beim Aufschlag eines Geschosses explodieren und so die Zerstörung des
Tanks verhindern) bei modernen sowjetischen Panzern veranlaßte 1988 das Penta-
gon, schleunigst drei Viertel seiner modernen, in Europa stationierten Panzer nach
Amerika zurückzuziehen. Sie sollen dort mit Milliardenaufwand nachgerüstet wer-
den.73

1.3 Giftgas

Die deutsch-sowjetische Rüstungskooperation zu Zeiten der Weimarer Republik


umfaßte auch die inhumanste Waffentechnologie, die im 1. Weltkrieg angewendet
worden war - Giftgas. Erneut lagen die Interessen der Reichswehr und die der So-
wjets parallel. Den Deutschen waren chemische Kampfstoffe mit dem Vertrag von
Versailles verboten worden. Die Reichswehrführung suchte dennoch nach Wegen,
diese damals für kriegsentscheidend erachtete Waffe weiter zu entwickeln und
auch praktisch zu erproben. Das war nur im Ausland möglich. Die Sowjets ande-
rerseits zeigten ein großes Interesse an den neuen Kampfstoffen, die im Zarenreich
nicht entwickelt worden waren, und bei denen die UdSSR mit ihrer wenig entwik-
kelten Chemieindustrie autbolen mußte (genauer gesagt, gegenüber den kapitalisti-
schen Ländern autbolen zu müssen glaubte).
Bei den Verhandlungen über die wechselseitigen Interessen an den Chemie-
waffen nach dem Rapallo-Vertrag konnten die Sowjets eine erste Runde für sich
verbuchen: In einem der geheimen Militärverträge wurde die Auslieferung des Be-
standes an deutschem Know-how in der Chemiekriegsführung zur Vorbedingung
gemacht. Dr. Hugo Stoltzenberg, der es schon im Kriege verstanden hatte, als ehe-
maliger Assistent des berühmten Chemikers Haber Kapital aus dieser neuen Tech-
nologie zu schlagen, bereiste im Frühjahr 1923 die Sowjetunion, um Fachgesprä-
che zu führen, und um einen geeigneten Produktionsstandort für die künftige Che-
miewaffenproduktion ausfindig zu machen (solche Erkundungsreisen deutscher
"Spezialisten" sollten besonders nach dem 2. Weltkrieg bei der Verlagerung deut-
scher Rüstungswerke in die UdSSR Routine werden). Die sogenannte Gefu, eine
Tarnfirma der Reichswehr für die illegalen Rüstungsgeschäfte mit dem Ausland,
stellte offenbar aus Mitteln des Reichshaushaltes 1,665 Millionen Goldrubel für
das Chemiewaffenprojekt zur Verfügung. Die sowjetische Seite beteiligte sich mit
5,67 Millionen Goldrubel an dieser "JointVenture". Gemäß dem Vorschlag von
Stoltzenberg wurde der Ort Trock bei Samara an der unteren Wolga zum Standort
der gemeinsamen Giftgasfirma ,,Rusk Germanskaja Fabrika Bersol" erkoren. Im

72 Über das qualitative Wettrüsten im Panzerbau vgl. im einzelnen etwa meinen Beitrag
"Trends in the Improvement ofConventional Offensive Weapons: The Tank and Boun-
daries in the Technological Arms Race", in: Gutteridge{faylor 1983
73 Vgl. Barry 1988, S. 29.
72 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Laufe des Jahres 1925 wurde die Fabrik erbaut


Für zehn Jahre, von 1923 bis zum Abbruch dieser Kooperation 1933 auf aus-
drückliche Weisung Hitlers,74 wurde diese intime Zusammenarbeit zwischen der
Reichswehr und den sowjetischen Streitkräften fortgesetzt. 1927 nahmen deutsche
Fachleute gemeinsam mit sowjetischen Experten Abregnungsversuche mit chemi-
schen Kampfstoffen vor. Brauch berichtet:
,,Ab 1928 wurden in dem neu errichteten Gasversuchsplatz Tomka in jährlichen Ver-
suchsperioden von 9 Monaten das Abblasen von Giftgas, der Einsatz von chemischen
Feldhaubitzen und das Abregneo von chemischen Kampfstoffen geübt. Bei den Versu-
chen mit dem chemischen Kampfstoff Lost (Gelbkreuz) wurde u.a die Errichtung von
wirksamen Geländesperren durch chemische Vergifumg erprobt. Im Jahr 1931 kamen
auch Blaukreuz und Grünkreuz zum Einsatz."75
1932 verlangte die sowjetische Seite, folgt man den Aktenstudien Rolf Dieter Mül-
lers, Großeinsätze von chemischen Waffen zu erproben. Die Sowjets gingen da-
mals allem Anschein nach von einer längerfristigen Kooperation mit den deutschen
Giftgasexperten aus:
"Sie forderten daher die Reichswehr auf, jetzt auch in Deutschland selbst chemische
Kampfstoffe zu produzieren, und zwar durch ein leistungsfähiges Unternehmen, wobei
die Russen vor allem an den IG-Farben-Konzern dachten. Der Leiter der sowjetischen
Verhandhmgsdelegation für das Tomka-Programm des Jahres 1933 erklärte dazu, ohne
die Großchemie könnte Deutschland keinen Krieg führen. ... Die Russen ... forderten
für einen Vertragsabschluß vielmehr, daß der Konzern der Roten Armee technische Hil-
fe bei der Herstellung chemischer Vorprodukte leisten und für beide Armeen einen
Kampfstoff entwickeln sollte, der stärker und schneller wirksam sein sollte als Lost."76
Lost, im Landserjargon nach den Markierungen auf den Behältern "Gelbkreuz" be-
nannt, war ein Augen und Lungen angreifender Kampfstoff (ein Lost-Spritzer ins
Auge kann zur Erblindung führen, der Niederschlag auf schweißfeuchte Stellen
wie um die Geschlechtsorgane oder unter den Achselhöhlen ruft schwere Entzün-
dungen hervor. Knapp die Hälfte aller von den verschiedenen Staaten erworbenen
Giftwaffen bestehen aus Lost-Varianten).- Die Sowjets wollten damals ein Groß-
programm, welches solche Wirkungen übertraf, und welches von den wirklichen
Anführern der Chemiebranche getragen wurde. Der Bruch des Versailler Vertra-
ges, folgt man dieser Quelle, rief nicht die geringsten Bedenken hervor.
Im Frühjahr 1933legten die Unterhändler von Reichswehr und Roter Armee
ein unterschriftsreifes Abkommen über die Fortsetzung des Giftgasprojektes in
Tomka im erweiterten Umfang vor. Die Herren werden sich sehr gewundert haben,
daß der neue Reichskanzler Adolf Hitler im Sommer 1933 brüsk die Zusammenar-
beit mit der Roten Armee einzustellen befahl und den Rücktransport aller deut-
schen Einrichtungen anordnete.
Über die weitere Chemiewaffenentwicklung in der UdSSR nach 1933 ist we-

74 Der DDR-Militärhistoriker Olaf Groehler sagt in seiner materialreichen Studie, nach-


dem er die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Sowjets auf etwas mehr als einer
halben Seite eher angedeutet als behandelt hat, daß das Aufkündigungsschreiben des
Reichswehrministers von Biomberg vom 21.7.1933 ,,nachträglich einen Schlußpunkt
unter die längst von der UdSSR getroffene Entscheidung setzte" (Groehler 1987, S.
104). Das ist wenig plausibel. Auch sagt Groehler nicht, woher er diese Kenntnis hat.
75 Brauch 1982, S. 79 f.
76 Brauch/Müller 1982
Giftgas 73

nig bekannt. Zu der von den Nazis befürchteten überwältigenden Chemierüstung


wird es kaum gekommen sein - sonst hätte Stalin Premierminister Churchill nicht
um Hilfe gebeten:
"Die Sowjetregierung wäre sehr dankbar, wenn die britische Regierung die UdSSR dar-
in unterstützte, aus England einige ihr fehlende chemische Verteidigungswaffen sowie
chemische Mittel für einen Vergeltungsschlag zu erhalten für den Fall eines mit chemi-
schen Waffen geführten deutschen Angriffs auf die UdSSR."77
Mit dem Einmarsch ins Reichsgebiet bei Kriegsende eroberten die Russen auch
Forschungslabors (allen voran die Heereslabors in der Spandauer Zitadelle in Ber-
lin) und Lagerbestände der von ihnen so begehrten GaskriegsmitteL
Bis heute ist unter Experten streitig, was den Sowjets bei der Besetzung
Deutschlands an Chemiewaffenbeständen in die Hände fiel, und was sie an Neu-
entwicklungen fanden. Nach Groehler hinterließen die Nazis 69.000 Tonnen
Kampfstoffe, davon die knappe Hälfte (31.650 Tonnen) Lost.78 Eine andere Quelle
gibt eine Gesamttonnage von 70.000 Tonnen an.79 Die damalige sowjetische Jah-
resproduktion wurde von der deutschen Aufklärung hingegen auf lediglich 8.000
Tonnen geschätzt. SO
Bei Kriegsende wurden die deutschen Giftwaffenbestände kraft Führerbefehl
in der sogenannten Alpenfestung, im Thüringer Raum und in Nordwestdeutschland
konzentriert. In den USA sorgten die Chemiewaffeneroberungen der sowjetischen
Streitkräfte kurzfristig für helle Aufregung. Die Rote Armee hatte mit Dyhemfurth
(in der Nähe Breslaus in Schlesien) und Falkenhagen (in der Nähe von Fürstenberg
an der Oder) die beiden wichtigsten Produktionsstätten des Dritten Reiches für die
neuen Nervengifte Tabun und Sarin erobert. Allein in Dyhemfurth hätten die So-
wjets - so Geheimdienstberichte - 12.000 Tonnen Tabun vorgefunden, die so-
gleich abtransportiert worden seien. Groehler berichtet von einem deutschen Stoß-
truppunternehmen gegen das schon besetzte Dyhemfurth am 5. Februar 1945, das
aber nur den Tabunvorräten gegolten und nicht zur Zerstörung der Fertigungsan-
lage geführt haben soll.Sl Bei Verhören deutscher Chemiker durch amerikanische

77 Brief J.W. Stalins an Churchill vom 29.3.1942, in: Briefwechsel Stalins mit Churchill,
Attlee, Roosevelt und Truman, 1941-1945, Kommission für die Herausgabe diplomati-
scher Dokumente beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, dt.
Berlin 1961, S. 53.- Churchill antwortet am 10.4.1942, daß die Engländer "bestimmt ...
wenigstens 1000 Tonnen Senfgas und 1000 Tonnen Chlorgas mit dem ersten verfügba-
ren Schiff liefern" könnten (1961, S. 54). Stalin antwortet (am 22.4.42, ebd., S. 54 f.):
,,Ich danke für Ihre Bereitschaft, 1000 Tonnen Senfgas und 1000 Tonnen Chlorgas zu
liefern. Da aber die UdSSR andere chemische Produkte dringender benötigt, hätte die
Sowjetregierung dafür lieber 1000 Tonnen Kalziumhypochlorid und 1000 Tonnen
Chloramin oder, falls die Lieferung dieser Produkte unmöglich ist, 2000 Tonnen flüssi-
gen Chlors in Ballons. Die Sowjetregierung beabsichtigt, den Stellvertreter des Volks-
kommissariats für die chemische Industrie, Andrei Georgiewitsch Kasatkin, als ihren
Experten für chemische Waffen für Verteidigung und Gegenangriff nach London zu
entsenden."
78 Nach Groehler 1980
79 So der "Stern" lt. Brauch 1982, S. 93
80 SIPRI1971, S. 305
81 Groehler 1980, S. 10 f. Auch Groehler betont nach der Prüfung von Quellen, daß die
Anlagen eher unversehrt geblieben sein werden.
74 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Offiziere wurde betont, daß die Werksanlagen erhalten geblieben seien:


"Der rasche Vorstoß der Russen verhinderte die Zerstörung der Fabrik, bevor sie verla-
gert werden konnte."82
Ernstzunehmenden Quellen zufolge haben die sowjetischen Behörden in Dyhern-
furth die Produktionsanlage für Nervengas wieder in Gang gesetzt. Ab September
1946 hätte das Werk erneut gearbeitet. Hernach sei die gesamte Anlage in die
UdSSR verfrachtet worden. Ähnlich seien die Anlagen von Falkenhagen ab- und in
der Sowjetunion wiederaufgebaut worden.
Diese auf Sterling Seagrave83 zurückgehenden Angaben stehen jedoch im Wi-
derspruch zu anderen Aussagen. Harris und Paxman, die im Gegensatz zu Sea-
grave nicht amerikanisches, sondern britisches Geheimdienstmaterial auswerten,
kommen zu dem Ergebnis, daß den Sowjets bei Kriegsende Chemiewaffen nicht in
nennenswertem Umfang in die Hände fielen. Solchen britischen Berichten zufolge
(sie stimmen erheblich mit östlichen Darstellungen überein und können somit
möglicherweise größere Authentizität beanspruchen) hat der sowjetische Chemiker
Kargin, als Oberst der sowjetischen Streitkräfte auftretend, alle Unterlagen über
Soman aus den verfügbaren Unterlagen des Oberkommandos der Wehrmacht aus-
gewertet und mit in die UdSSR genommen. Die Anlagen der Nervengasfabrik in
Dyhernfurth seien im Jahre 1946 demontiert und in einen Ort an der Wolga (nicht
in den Ural, wie Seagrave zu berichten weiß) verbracht worden.
Zu betonen ist, daß die Quellenlage in bezug auf die Hinterlassenschaft an
Chemiewaffen des Dritten Reiches besonders schwierig ist. Der Führerbefehl vom
4. Februar 1945, die Kampfstoffe nicht in Feindeshand geraten zu lassen, konnte
unter den damaligen Umständen nur bedingt erfüllt werden. Eine Übersicht des
Generalquartiermeisters des Heeres nennt als zwischen Februar und April1945 ge-
räumte Giftgaswerke "Döverden, Hahnenberg, Seelze, Haselhorst, Staßfurt, Wol-
fen, Ammendorf und Gendorf',84 nicht aber Falkenhagen und Dyhemfurth- so
daß diese beiden Werke tatsächlich den Russen in die Hände gefallen sein könnten.
Folgt man Hitlers Sonderbeauftragten für Gaskampffragen, dem SS-Gruppenführer
Professor Karl Brandt, so wurden Anfang April die wichtigsten Kampfstoffe in
großem Umfang in Flüssen und in der Nord- und Ostsee versenkt.
Besonders die im Dritten Reich erfolgten Neuentwicklungen von chemischen
Kampfstoffen dürften das Interesse der sowjetischen Eroberer gefunden haben - so
nahmen dies jedenfalls in den Nachkriegsjahren hohe US-Offiziere und Kongreß-
abgeordnete an. Die Potenz der deutschen chemischen Industrie in der Forschung
und Entwicklung war von den Nationalsozialisten gezielt auch zur Herstellung
neuer chemischer Massenvernichtungsmittel genutzt worden. Darüber ist einiges in
der engeren waffentechnischen Fachliteratur bekannt geworden, auch wenn es als
Tatbestand das Bewußtsein auch informierter deutscher Zeitgenossen kaum er-

82 Nach Akten des Imperial War Museum, London (hier No. CXXIII-7 vom 29.5.45, S. 5
f., zit. nach Groehler 1980), S. 323. Ebenso der bekannte Chemiker Otto Ambros, da-
mals Leiter der Kampfmittelentwicklung im Rüstungsministerium: Er "betonte mit
großem Nachdruck, daß das Werk Dyhemfurth von den Russen völlig intakt übernom-
men wurde" (IWM, CXXII-34 v. 25.7.1945).
83 Sterling Seagrave, Yellow Rain. A Journey through the terror of chemical warfare, New
York 1981, zit. nachBrauch 1982, S. 95. Dort auch die folgenden Angaben.
84 Nach Brauch 1982, S. 96
Giftgas 75

reicht hat. Gegenüber diesen neuen Kampfstoffen nehmen sich die Tötungsverfah-
ren in den Vernichtungslagern als chemisch primitiv aus.
Die Leitung des IG-Farbenkonzerns zeigte aufgrund ihres Interesses am Aus-
landsgeschäft zunächst- wie auch Fachhistoriker aus der DDR hervorheben - we-
nig Neigung, sich erneut in der Herstellung von Kampfstoffen zu betätigen. Mit
der offenen Aufrüstung des Dritten Reiches ändert sich jedoch diese Haltung. 1936
erfindet ein IG-Farben-Chemiker den Kampfstoff Tabun (bekannt geworden als
"Grünkreuz"). Die Herstellung im Großenwird dem Werk Dyhernfurth übertragen,
welches die Sowjets bei Kriegsende augenscheinlich unzerstört erobert haben. Im
Dezember 1941 wird Hitler die Entdeckung eines weiteren Nervengiftes gemeldet,
welches später Sarin genannt wurde. Die Wirkung ist gleichartig der des Tabun, je-
doch sechsmal stärker. 1942 setzt die Fertigung ein. 1944 entdeckte der Nobel-
preisträger Richard Kuhn ein Nervengas, benannt Soman, das die Wirkung des Sa-
rin um das Dreifache übertrifft.
Zu unterstreichen ist, daß es sich nicht ausschließlich um deutsche Erfindungen
handelt. Die SIPRI-Studie über Chemiewaffen hebt hervor, daß im Reich zur Her-
stellung von Sarin ein Reaktionsablauf verwendet wurde, den der sowjetische Che-
miker Arbusow entwickelt hatte.85
Ähnlich wie bei den Flugzeugwerken, Raketenforschungseinrichtungen oder
Waffenfabriken haben die Sowjets beim Einmarsch ins Reichsgebiet mutmaßlich
auch deutsche Chemiker aufgegriffen, nicht nur aus den erwähnten Giftgaswerken,
sondern auch aus den großen mitteldeutschen Chemiewerken. Welche prominenten
deutschen Chemiker in die UdSSR verbracht wurden und dort an Kampfstoffen ar-
beiteten, ist bislang nicht bekannt geworden. Befragungen von in der UdSSR einst
tätigen Chemikern ergaben, daß die älteren Fachkollegen im 1. Weltkrieg mit gro-
ßer Selbstverständlichkeit an der Vervollkommnung der Gaswaffe mitgewirkt hät-
ten und sich im 2. Weltkrieg entsprechenden Aufforderungen nicht hätten entzie-
hen können. So wird auf Max Vollmer verwiesen, der sich besonders mit Chlor
und Schutzmitteln gegen Kampfstoffe auf Chlorbasis befaßt habe.86 Angesichts
des großen Interesses der sowjetischen Seite an Chemiewaffen und der nach dem
Kriege einsetzenden umfangreichen Herstellung solcher Kampfmittel erscheint die
Spekulation triftig, daß mit den von den Sowjets abmontierten deutschen Giftgas-
werken auch das spezialisierte Personal in die UdSSR wanderte und in der Sowjet-
union entsprechende Aufbauhilfe leistete. Biographische Referenzwerke über deut-
sche Chemiker, die nach dem Kriege eine Zeitlang in der UdSSR gearbeitet haben,
weisen verständlicherweise nicht darauf hin, ob jemand an Waffenentwicklungen
teilgenommen hat.Groehler berichtet ausfühlich über die Behandlung führender
Kampfstoffchemiker durch die Westmächte- daß wie in anderen rüstungstechni-
schen Bereichen niedrigrangiges, gleichwohl wichtiges Forschungspersonal in die
UdSSR abwanderte, ist auch von seinem Material her nicht auszuschließen.S7
Über die neuere sowjetische Chemiewaffenentwicklung ist bis in die jüngste
Zeit wenig bekannt geworden. Die sowjetischen Bestände sind amerikanischen
Angaben zufolge die größten der Welt. Übungen mit chemischen Waffen und

85 SIPRI 1971, S. 309


86 Den Hinweis verdanke ich dem ChemikerN. Riehl, in einem Gespräch am 31.5.1985
(vgl. zu Vollmer auch Kap. 2).
87 Groehler 1980, S. 326
76 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Schutzvorrichtungen gegen diese verbotenen Kampfmittel werden regelmäßig ge-


meldet.
Im Februar 1987 räumten sowjetische Diplomaten bei den Genfer UN-Ver-
handlungen über chemische Waffen das Vorhandensein sowjetischer Bestände of-
fiziell ein. Das war eine Sensation, liegt doch eine vergleichbare sowjetische Äuße-
rung fast 50 Jahre zurück (nämlich 1938). 1987 wurden gar Vertreter aus 45 Staa-
ten eingeladen, eine streng geheime Kampfmittelanlage an der südlichen Wolga zu
inspizieren. Die offizielle sowjetische Ortsangabe für das (relativ große, 30 Kilo-
meter im Durchschnitt messende) Areallautet nunmehr Schichany. Es scheint sich
aber um das gleiche Gelände zu handeln, welches seinerzeit Dr. Stolzenberg für
die Kooperation der Reichswehr mit der Roten Armee ausgesucht hatte.
Vom 3.-4. Oktober 1987 stellten die Sowjets ihre Chemiewaffen auf dem Mili-
tärgelände bei Schichany vor. Außenminister Schewardnadse hatte am 6. August
1987 zu dieser ungewöhnlichen Waffenschau eingeladen:
"Um eine Atmosphäre des Vertrauens aufzubauen ... lädt die sowjetische Seite ... zum
Besuch von Schichany ein, um Standardmodelle unserer chemischen Waffen zu besich-
tigen und die Technologie der Vernichtung von Chemiewaffen in einer mobilen Anlage
zu beobachten. Später werden wir die Experten zu dem speziellen Werk zur Vernich-
tung von Chemiewaffen einladen, welches derzeit in der Nähe der Stadt Tschapajewsk
errichtet wird. "88
In Schichany wurden 19 Arten chemischer Waffen des sowjetischen Arsenals vor-
geflihrt: zehn Geschosse für Kanonen oder Raketen, zwei Gefechtsköpfe für takti-
sche Raketen, sechs Arten chemischer Fliegermunition sowie eine chemische
Handgranate. Gemäß den Beistelltafeln handelte es sich um Waffen aus den
Kampfstoffen Senfgas, Lewesit (auch beidein Mischung oder verdickt), Sarin, So-
man, VX (auch verdickt) sowie das Nervengas CS. Generalleutnant Anatoli D.
Kunzewitsch, stellvertretender Kommandeur der Chemietruppen, versicherte, daß
bis auf geringfügige Modifikationen das gesamte sowjetische Arsenal vorgeführt
worden sei. Sein Vorgesetzter, Wladimir K. Pikalow, ergänzte bald darauf, daß bis
in die jüngste Zeit in der UdSSR Chemiewaffen entwickelt worden seien ("Diese
Waffen wurden in denfünfzigerund achtziger Jahren konstruiert").
Dieses Arsenal enthält in der Tat keine Überraschung (der neueste Stoff, VX,
wurde in den sechziger Jahren bekannt).
Mitte November 1987 besuchen sowjetische Chemiewaffenexperten, unter ih-
nen der Bauleiter des neuen Denaturierungswerkes bei Tschapajewsk, Wsewolod
Sokolow, die bundesdeutsche Vernichtungsanlage für Chemiewaffen bei Mun-
ster.S9
Wie verschiedentlich nachlesbar,90 schwanken die unabhängigen Schätzungen
über die sowjetischen Chemiewaffenbestände zwischen 30.000 und 700.000 Ton-
nen. Die breiter akzeptierte Mittelwertschätzung, es gäbe 350.000 Tonnen sowjeti-

88 Die Berichterstattung über die Vorführung in Schichany stützt sich auf eine Auswer-
tung der Nullausgabe von "Chemical Weapons Convention Bulletin", i.V. durch die
Federation of American Scientists, Washington, D.C. 1988, S. 5. -Die Aussage von
Pikalow erfolgte dieser Quelle zufolge im sowjetischen Fernsehen am 10. November
1987.
89 dpa, 16. Nov. 1987
90 Brauch 1982, S. 137
Raketen 77

scher Kampfstoffe, kann in etwa die Aussagefähigkeit einer Wetterprognose bean-


spruchen. Weihnachten 1987 gab das sowjetische Außenministerium die eigenen
Bestände an chemischen Kampfstoffen bekannt:
"Das sowjetische Außenministerhun ist autorisiert festzustellen, daß der Vorrat der
UdSSR an chemischen Waffen nicht mehr als 50.000 Tonnen an chemischen Kampf-
stoffen umfaßl Dies entspricht, gemäß Schätzungen sowjetischer Experten, ungefähr
den von dem USA unterhaltenen Vorräten. Hinzugefügt sei, daß alle sowjetischen Che-
miewaffen innerhalb des Territoriums der UdSSR gelagert werden."91
Übereinstimmend wird hingegen berichtet, daß die UdSSR ihre Chemiewaffenbe-
stände nicht verändert habe. Es wurden allenfalls die Methoden der Verbringung
"verbessert": Neben Giftgasgranaten für Mörser und Haubitzen wurden die Ge-
fechtsköpfe verschiedener Raketentypen auch für den Transport von Kampfstoffen
eingerichtet. Es ist anzunehmen, daß die sowjetischen Behörden in die einschlägige
Forschung erheblich investiert haben. Zu größeren Produktionsprogrammen
scheint es jedoch nicht gekommen zu sein.
Diese sowjetischen Schritte signalisieren nicht nur die Ernsthaftigkeit der Gor-
batschowschen Politik von "Glasnost". Mit Blick auf die Entwicklung der Genfer
Verhandlungen über ein Verbot von Chemiewaffen besteht Grund zu der Annah-
me, daß die Bedrohung Westeuropas mit 50.000 Tonnen sowjetischer Chemie-
kampfstoffe bald der Vergangenheit angehört.

1.4 Raketen

Zu den spektakulärsten Entwicklungen, die in der sowjetischen Rüstung zu ver-


zeichnen sind, gehört neben die Kernwaffenproduktion die erfolgreiche Konstruk-
tion von Femraketen. Einen wichtigen Beitrag zur sowjetischen Kompetenz im Ra-
ketenbau bilden deutsche Entwicklungen im Zweiten Weltkrieg.
Vor dem Einmarsch ins Reichsgebiet war in bezug auf Fernraketen in der So-
wjetunion kaum etwas vorzufmden. M.K. Tikonrawow konzipierte auf der Basis
der erfolgreichen "Katjuscha"-Feststoffraketen (in Deutschland eher als "Stalin-
Orgeln" bekannt) eine vierstufige Rakete, die aber nie über das Entwurfsstadium
hinauskam. W.P. Gluschko baute einige kleinere Raketenmotoren für diverse Flug-
zeuge. WN. Tschelomej, dessen Spezialität später Schiffsraketen werden sollten,
erhielt 1944 den Auftrag, ein Gegenstück zur V-1 (Vergeltungswaffe 1, Fieselers
fliegende Bombe) zu entwerfen.92 Kurz, im sowjetischen Arsenal (wie auch bei
den anderen Siegermächten) fand sich nichts, was es mit Wemher von Brauns V-2-
Rakete mit ihren 283 km Reichweite hätte aufnehmen können.
Im Vergleich zu den Flugzeugkonstrukteuren bleibt festzuhalten, daß aus ver-
ständlichen Gründen die Szenerie der sowjetischen Raketenfachleute besonders
wenig transparent bleibt. Wegen der herausragenden Bedeutung einzelner Kon-
strukteure und der von ihnen verfolgten Konstruktionsprinzipien (oder auch deren

91 Prawda, Krasnaja Swesda, Tass am 27. Dez. 1987. Einen Monat später, am 27. Januar
1988, fordert der sowjetische Chemiewaffenunterhändler Nikita Smidowitsch auf einer
Pressekonferenz in Genf, die Westmächte sollten ihrerseits die Chemiewaffenbestände
offenlegen.
92 Das im Westen wenig bekannte Ergebnis, benannt "10K", wurde zur Bewaffnung von
mittleren Bombern Tu-2 eingesetzt
78 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Mißerfolgen), der damit verbundenen ehrenden Anführung in der sowjetischen Öf-


fentlichkeit, nicht zuletzt bei den Staatspreisen, ist es augenscheinlich dennoch
möglich, eine grobe Skizze zur sowjetischen Fernraketenindustrie vorzulegen.
Ein solches Unternehmen muß unweigerlich mit Sergej P. Koroljow einsetzen,
dem Schöpfer der Rakete, die den ersten "Sputnik" in eine Erdumlautbahn hob. In
den dreißiger Jahren war Koroljow an Segelflugzeugen interessiert gewesen und
fiel durch die Konstruktion eines Flugzeuges mit Raketenantrieb auf (Typenbe-
zeichnung RP-315). An Koroljow erinnern sich die deutschen Raketenfachleute,
die eine Zeitlang in der UdSSR arbeiteten, mit Wärme. Im Zuge der neuen Trans-
parenz ("Glasnost") brach die populäre sowjetische Illustrierte "Ogonjok" im De-
zember 1987 ein Tabu, als sie bestimmte Koroljow-Fotos aus dem Jahre 1946
druckte. Auf ihnen wird gezeigt, wie der später berühmte93 Chefkonstrukteur an
Bemühungen teilnimmt, im besetzten Deutschland Raketentechnologie der Nazis
aufzuspüren. Das Blatt kolportiert, was Koroljow angesichts der unterirdischen
Fertigungsstätten im Harz äußerte:
"Koroljow versetzte die Lösung des konstruktiven Aufbaus der 'V', sagen wir mal,
nicht gerade in Erstaunen ... Doch das Ausmaß der Produktionsbasis für den Raketen-
bau in Deutschland machte auf ihn großen Eindruck. Er überzeugte sich mehr als ein-
mal, daß die Lösung rein wissenschaftlicher Aufgaben auf dem Gebiet der Raketentech-
nik ohne entsprechende Vorarbeiten im Experimentalversuch und in der Produktions-
vorbereitung nicht möglich ist."94
Amerikanische Truppen hatten die deutschen Raketenanlagen als erste besetzt und
bei ihrem Abzug aus Thüringen und Sachen-Anhalt alle Zeichnungen und Doku-
mente mitgenommen - in der irrigen Meinung, daß die nachrückenden Sowjets mit
den verbleibenden halbfertigen Raketen wenig würden anfangen können.
Die leitenden Konstrukteure hatten zumeist vorgezogen, in amerikanische
Hände zu fallen, allen voran Wemher von Braun. Einzelne leitende Mitarbeiter, so
der Produktionsleiter der Zentral werke, Helmut Gröttrup - folgt man seiner Frau95
- entschlossen sich jedoch, in die sowjetische Zone zurückzukehren und mit den
Sowjets zusammenzuarbeiten, weil dort die angebotenen Vertragsbedingungen un-
gleich besser ausgefallen seien. Die sowjetische "Technische Spezialkommission"
(russ. "STK") unter General Gaidukow ließ die Deutschen ihre Tätigkeit an ihren
alten Arbeitsplätzen wieder aufnehmen und verlangte von ihnen als erstes, Zeich-
nungen von jenen Teilen der V-2 anzufertigen, mit welchen der Betreffende unmit-
telbar zu tun hatte. So gelang es den Sowjets binnen kurzem, die von den Amerika-
nern abtransportierten Unterlagen rekonstruieren zu lassen, und die Fertigung von
Hitlers Vergeltungswaffe konnte wieder anlaufen. Wichtigster sowjetischer Exper-

93 Als Beleg seien einige neuere sowjetische Veröffentlichungen angeführt: Feoktistow


1984, der Raumfahrer German Titow mit seinem Buch: Mein Blauer Planet (1977),
oder der Bericht eines anderen Kosmonauten, des Generalleutnants W.A. Schatalow
1981.
94 OgonjokNr. 49, Dezember 1987, S. 22
95 Dem Bericht von Irmgard Gröttrup (1958) sind einige der folgenden Details entnom-
men. Sie wurden durch Interviews, besonders mit anderen Mitgliedern der Gröttrup-
Gruppe, vor allem Dr. Kurt Magnus, geprüft. Helmut Gröttrup hat eine kurze techni-
sche Beschreibung seiner Arbeit veröffentlicht: "Aus den Arbeiten des deutschen Ra-
keten-Kollektivs in der Sowjet-Union", in: Raketentechnik und Raurnfahrtforschung,
H. 2/1958.
Raketen 79

te im Team des Generals Gaidukow war Koroljow, der den Rang eines Obersten
innehatte.96
Aufwestalliierter Seite war man sich der Bedeutung dieser sowjetischen Ak-
quisition bald bewußt. In einer britischen Historie zur Geheimwaffenentwicklung
wird mit Bezug auf die Sowjets geklagt:
"Sie erhielten den gesamten Komplex Nordhausen, mit den Windtunnels und Labors,
sowie den verbliebenen deutschen Wissenschaftlern unter der Leitung von Helmut
Gröttrup. "97
Die Produktion der V-2 lief auf diese Weise bis in den Oktober 1946. In einer dra-
matischen Aktion wurden dann (zum gleichen Zeitpunkt wie der Düsentriebwerk-
bau bei Junkers oder die Flugzeugfertigung in der sowjetisch besetzten Zone) am
22. Oktober die 200 wichtigsten Mitarbeiter mit ihren Familien und ihrer Habe, im
Falle Gröttrup samt Boxerhündin und BMW, vor allem aber mitsamt allen abmon-
tierbaren Fabrikationsanlagen, auf Eisenbahnzüge verladen und in die UdSSR ver-
frachtet. Die übrigen der 5000 damals in den Zentralwerken Beschäftigten wurden
entlassen. Zeitgenössischen Berichten zufolge kam in der fraglichen Oktoberwo-
che dergesamte zivile Eisenbahn- und Telefonverkehr in der SBZ zum Erliegen.
Das V -2-Team wurde in Moskau in einem Vorort untergebracht und erhielt die
Aufgabe, die Raketenfertigung neu einzurichten. Das gelang binnen eines Jahres.
Am 30. Oktober erfolgte in der kasachischen Steppe, rund 200 km von Stalingrad
entfernt, der erste scharfe Start der nunmehr R 1benannten V-2. Selbst der Start-
turm war aus Peenemünde importiert worden. Was fehlte, mußte improvisiert wer-
den. Russische Infanteriepioniere waren kurzfristig zu Meßtechnikern umgeschult
worden, die die deutschen Kinotheodoliten zur Flugbahnvermessung zu bedienen
hatten. - Beim zweiten Startversuch versagte die Steuerung, hernach erfolgten je-
doch täglich Schießversuche mit den in der UdSSR montierten oder nachgebauten
V-2.
Ungewiß bleibt, was den Russen bei ihrem Einmarsch sonst noch an Raketen-
technologie in die Hände fiel, etwa bei Rheinmetall in Berlin (hinter Krupp die
größte Waffenschmiede im Dritten Reich). Die Rheinmetall-Borsig AG hatte schon
vor dem Kriege mit der Entwicklung einer Folge von Artillerieraketen begonnen.
Militärische Bedeutung erlangte die Flakrakete ,,Rheintochter'' und vor allem das
über 220 Kilometer Reichweite verschießbare Folgemuster "Rheinbote" (im No-
vember 1944 wurden 220 "Rheinboten" gegen Antwerpen eingesetzt). Aus Mangel
an Informationen läßt sich das weitere Schicksal dieser "Rhein"-Geschosse nicht
verfolgen.
Die überragende Bedeutung der V-2 für das sowjetische Raketenprogramm ist
schon äußerlich daran sichtbar, daß die amtliche Typen-Nummerierung von Fernra-
keten in der UdSSR mit ihr als "R 1" (Raketa 1) einsetzt. Bemerkenswerterweise
fängt auch die amerikanische Aufklärung an, die sowjetische Raketenrüstung mit
der V-2 zu chiffrieren. Mit der durch die Mittelstreckenwaffe SS-20 allgemein be-
kannt gewordenen Kategorisierung ("SS" heißt nichts weiter als "surface-to-sur-

96 In seinem "Offiziellen formellen Protest gegen den Abtransport von Betriebsangehöri-


gen der Zentralwerke nach Rußland" vom 29.10.1946 benennt Gröttrup als einzigen
sowjetischen Verantwortlichen neben Gaidukow namentlich Koroljow (der Text findet
sich im Anhang zu dem Buch von Gröttrup 1958).
97 Brian Johnson 1978, S. 186
80 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

face", Boden-Boden, wobei "Rakete" zu ergänzen ist) wird das deutsche Fernge-
schoß als erstes klassifiZiert und erhält den Code-Namen SS-1.
Im Dezember 1947 bekam das Gröttrup-Team von den Sowjets eine neue Auf-
gabe gestellt In dem "Wissenschaftlichen Sowjet", der hierfür einberufen wurde,
trafen die Deutschen auf den in unseren Tagen als Verteidigungsminister und Mar-
schall bekannt gewordenen Dimitrij Ustinow. Gefordert wurde nunmehr eine neue
Rakete mit einer Reichweite von 910 km, dem Dreüachen der Leistung der V-2.
Die sowjetische Bezeichnung lautete wahrscheinlich ,,R-10". Die amerikanische
Aufklärung klassifizierte später das Gröttrup-Geschoß als "SS-2" und gab ihm,
wohl wegen der Ähnlichkeit mit dem Vorgängermuster, den Code-Namen "Sib-
ling", "Geschwister''.
Das deutsche Team wurde, nachdem die Nagelprobe bestanden war und die
grundsätzliche Gangbarkeit dieses Weges zur Raketenfertigung erwiesen war, auf
eine Insel in den Wolga-Quellen, im Seliger See, in die Nähe des Ortes Ostasch-
kow verlegt. Die 200 Raketenfachleute, mit ihren Angehörigen insgesamt 500
Deutsche, sollten hier knapp fünf Jahre verbringen, ehe sie in Schüben Ende 1953
nach Deutschland zurückkehren durften.
Im Dezember 1948 wurden die ersten Brennversuche mit einer neuartigen Ra-
ketenbrennkammer durchgeführt und im gleichen Monat einem "Wissenschaftli-
chen Sowjet" vorgetragen. Dort stellten die Deutschen zu ihrem Mißvergnügen
fest, daß ein sowjetisches Parallelteam unter Korgoljowski zum Teil die gleichen
Problemlösungen bei der Steuerung verwendete wie sie selber. Die SS-2 wurde
fristgerecht fertig, aber entgegen allen Hoffnungen bedeutete dies nicht das Ende
des Exils der Raketentruppe. (Das Projekt wurde im Laufe des Jahres 1952 einge-
stellt.)
Am 9.4. 1949 erhielt das Gröttrup-Team die Aufgabe, eine Interkontinentalra-
kete zu konzipieren, die aufgrundder geforderten Nutzlast von drei Tonnen augen-
scheinlich eine Kernwaffe transportieren können sollte. Die Reichweite dieser als
"R-14" bezeichneten Rakete98 sollte 3000 km betragen. Die ungewöhn14;he Lö-
sung dieser überaus anspruchsvollen Aufgabe erfolgte nach gründlichen Studien,
bei denen zehn verschiedene Varianten durchgerechnet wurden. Es entstand eine
Kegelrakete (vgl. Abbildung 8). Die ungewöhnliche Form sollte der westlichen
Spionage viel Kopfzerbrechen bereiten. - Die Deutschen legten am 22.10.1949
einen detaillierten Entwurf für die R-14 vor. Der einstufige Flugkörper sollte bei
einem Startgewicht von 73 Tonnen mit flüssigem Sauerstoff und einem gleichfalls
flüssigen Brennstoff 100 Tonnen Schub entfalten.
Ziemlich genau am dritten Jahrestag ihres Sowjetunion-Aufenthaltes erhielten
die Deutschen an diesem Oktober-Sowjet grünes Licht für die Durchkonstruktion
ihrer Rakete und deren Fertigungsvorbereitung, erneut in Anwesenheit von Mini-
ster Ustinow. Über das weitere Schicksal ihrer Konstruktion erfuhren die Deut-
schen nichts. Bis zu ihrer Heimkehr wurden sie in einer so von den Sowjets ge-
nannten ,,Abkühlperiode" mit wenig anspruchsvollen anderen Aufgaben betraut.
Der Brennstoffexperte Dr. Jochen Umpfenbach zum Beispiel, im Kriege bei der
Physikalisch-Technischen Reichsanstalt tätig, führte verschiedene Brennversuche

98 Die Nomenklatur bereitet Schwierigkeiten. Die US-Aufklärung registriert diese Rakete


nicht Es bleibt unklar, ob sie je gebaut und erprobt wurde. In der Sowjetunion wird die
Bezeichnung ,,R-14" für eine Mittelstreckenrakete verwendet, die unter der Bezeich-
nung SS-5 "Skean" im Westen bekannt ist und die auf M.K. Jangel zurückgeht
Raketen 81

aus. Gröttrup hatte zunächst ein Statoskop, hernach ab September 1953 eine elek-
tronische Rechenmaschine zu entwerfen.

Vorspritze
..- Sprengring
- Nutzlust
.·;· ' Sprengring
'•

Abbildung 8: Prinzipskizze (annähernd maßstäblich) der vom Gröttrup-Team


in der UdSSR entworfenen Kegelrakete .. R-24"
Technische Daten: Reichweite 3000 km; Nutzlast 3 Tonnen,;
Schub 100 t; Startgewicht 73 t; Gewicht bei Brennschluß
(mit Nutzlast) 7 t.

Koroljow, unter dessen förmlicher Leitung die deutsche Gruppe wirkte, sollte mit
seinen nachfolgenden Flüssigkeitsraketen für die Raumfahrt Weltruhm gewinnen,
besonders für die Trägerrakete des ersten Erdtrabanten "Sputnik". Die Führung der
Streitkräfte war mit seinen militärischen Entwicklungen weitaus weniger zufrie-
den. Zwar schuf Koroljow mit dem Typ R-7/"SS-6" die erste serienmäßig aufge-
stellte Interkontinentalrakete der UdSSR. Als Waffe war diese Rakete aber einiger-
maßen unpraktisch. Sie geriet mit rund 30 Metern Länge und mehr als 4 Metern
Durchmesser und einem Leergewicht um 80 Tonnen so unhandlich,99 daß sie über
längere Strecken nur per Schiene befördert und daher nur in der Nähe von Eisen-
bahnstrecken stationiert werden konnte.lOO Koroljow hatte bei der Wahl des Treib-
stoffs auf einen von dem Gröttrup-Team im Herbst 1950 vorgelegten Vorschlag
zurückgegriffen und statt Sauerstoff Salpetersäure als Oxydator und Alkohol als
Brennstoff vorgesehen. Die Auftankzeit mit der gefährlichen Treibstoffkombina-

99 Daten nach: Wright 1986


100 Diese Bewertung folgt Andrew Cockburn 1983, S. 243. Cockburn wiederum beruft
sich auf die CIA.
82 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

tion betrug 20 Stunden, und eine mit diesen flüchtigen Stoffen aufgetankte Rakete
konnte nur kurze Zeit startbereit gehalten werden.- Von Koroljows erster Militär-
rakete wurden lediglich ein Dutzend Exemplare aufgestellt)Ol Der von den NA-
TO-Aufk11!rern vergebene Code-Name "Sapwood", "Grünholz", deutet möglicher-
weise an, daß man auf der anderen Seite die Schwächen dieses Geschosses durch-
auskannte.
Für die künftige Entwicklung sowjetischer militärischer Raketen ungleich
wichtiger wurden die Konstruktionen von Michail K. Jangel. Dieser war deutscher
Abstammung, hatte als Flugzeugkonstrukteur in den Teams von MiG und Mia-
sischtschew gearbeitet (und soll nach Cockbum "im Zweiten Weltkrieg als Agent
der Roten Armee das deutsche V-1 Programm ausspioniert" haben).102 Jangel war
nach dem Kriege als Stellvertreter Koroljows tätig. Unter seiner Leitung wurden
die ersten einsatzfaltigen Mittelstreckenraketen fertiggestellt, das Geschoß R -12 im
Jahre 1957 und der technisch ähnliche Flugkörper R-14 im Jahre 1959. Als SS-4
und SS-5 sind diese beiden Raketen von großer Bedeutung für die europäische Si-
cherheit gewesen. Thre Ablösung durch die RSD-10/SS-20 führte zu einer größeren
Kontroverse im Westen und zum Aufstieg der neuen Friedensbewegung.
Jangel wurde 1954 zum Konstruktionsleiter in Dnepropetrowsk befördert. Der
Ort war damals wichtig - es handelte sich um die Heimatstadt Leonid Breschn-
jews. Ähnlich wie amerikaDisehe Präsidenten dafür Sorge trugen, daß ihre Heimat
vom Raumfahrtboom profitierte (Texas wurde ein wichtiger Raketenstaat, weil
Lyndon B. Johnson dort geboren worden war), setzte sich Breschnjew schon als
für die Rüstungsindustrie zuständiges Mitglied des Politbüros so für seine Vater-
stadt ein, daß diese heute mit 185.800 Quadratmetern überdachter Hallenfläche das
größte Raketenwerk der Welt beherbergt. - Nach der SS-7, der ersten wirklich er-
folgreichen sowjetischen Interkontinentalrakete, leitete Jangel die Entwicklungsar-
beiten für die Projekte RS-16 (SS-17) und RS-20 (SS-18), bevor er 1971 starb.
Um die Technologie-Basis ihrer Raketenrüstung zu verbreitern, beförderten
die Sowjetbehörden Mitte der fünfziger Jahre Tschelomej an die Spitze eines eige-
nen Konstruktionsbüros. 1958 wurde Alexandr D. Nadiradzel03 in gleicher Weise
an die Spitze eines selbständigen Teams in Bisk gestellt. Nadiradze erhielt die
schwierige und von vielen Fehlschlägen begleitete Aufgabe, sowjetische Fernrake-
ten mit Feststoffantrieb zu entwickeln. Das scheint, nach problematischen Zwi-
schenschritten mit den Flugkörpern RS-12 (SS-13, nur 60 aufgestellt) und RS-14
(SS-16) mit der RSD-10 (SS-20) nunmehr gelungen.- Mit diesen drei Namen-
Jangel, Tschelomej und Nadiradze- sind die wichtigsten sowjetischen Konstrukti-
onsbüros für Militärraketen angegeben.

101 Auf Koroljows Konstruktionstätigkeit gehen neben der auch von der Nationalen
Volksarmee der DDR verwendeten SS-lB "Scud" die- möglicherweise an das deut-
sche Projekt ,,R-14" angelehnte -erste Mittelstreckenrakete R-5 ,,Pobjeda"/SS-3 als
Vormodell der SS-4 und SS-5 sowie die Konzeptionen der Fernwaffen SS-8 und SS-
10 zurück.
102 Cockburn 1983, S. 161
103 Alexandr Davidowitsch Nadiradze wurde erstmals 1939 bekannt, als er gemeinsam
mit Nikolai lwanowitsch Jefremow die Gruppe SJeN bildete (S steht für Samoljot
oder Flugzeug). Mit sogenannten Luftkissen, aufgepumpten Gummipolstern, sollten
Flugzeuge leichter auf Wasser, Eis oder Schnee landen können. Die deutsche Invasion
beendete diese Versuche.
Ergebnisse 83

Auch wenn die sowjetischen Raketenkonstrukteure längst aus eigener Kompe-


tenz wirken, so bleibt doch bemerkenswert, daß die meisten Teamleiter sich mit
oder gegen deutsche Entwürfe aus der Zeit des Dritten Reiches die Sporen verdien-
ten.
Auch bleiben Widerstände gegen neue Technologielinien bemerkenswert.
Sehröder berichtet, wie der Elektroniker A.S. Koratschkow gegen konservative
Vorstellungen, wie Panzer zu bekämpfen seien, die über Draht lenkbare Panzerab-
wehrrakete durchsetzte: Koratschkow arbeitete
,.trotz Gegenvorstellungen von Militärs, die eine Panzerabwehrkanone haben wollten,
über Jahre hinweg hartnäckig an der Entwicklung einer lenkbaren Panzerabwehrrakete,
bis die Erfahrungen der Nahostkriege ihm endlich recht gaben. "1 04
In einer sowjetischen Quelle heißt es:
,,Nach einer gewissen Zeit wurde Koratschkow der führende Wissenschaftler auf dem
Gebiet lenkbarer Panzerabwehrwaffen und brachte gemeinsam mit einer Gruppe von
Mitstreitern viele Muster von Panzerabwehrraketen auf den Weg, die durch den Wohl-
klang der Bezeichnung und die überraschend konstruktive Lösung erstaunte, aber, was
die Hauptsache ist, sie erhöhten wesentlich die Panzerabwehrfeuerkraft der Motschüt-
zeneinheiten und -verbände.
Heute vereint A:s. Koratschkow, der einen weiten wissenschaftlichen Gesichtskreis
besitzt, um sich ein großes Forscherkollektiv, und erzieht sorgfaltig wissenschaftliche
Kader. Als Initiator der Forschung auf einem der wichtigsten Gebiete der modernen
Kriegswissenschaft, hat er eine Schule von Spezialisten höchster Qualifikation geschaf-
fen."105

1.5 Ergebnisse

Das Studium der sowjetischen Rüstungsimporte über die Jahrzehnte läßt eine Rei-
he von wichtigen Schlußfolgerungen zu, die z.T. noch heute für das Rüstungsver-
halten der Sowjetunion Gültigkeit haben. Auf die Frage, wie abhängig die UdSSR
von Zufuhren moderner Rüstungstechnologie ist, wie das Verhältnis legaler (von
staatlichen Stellen im Ausland legitimierter) zu politisch nicht legitimierter Aus-
fuhr ist, sowie auf die Frage, in welchem Verhältnis Technologietransfer und so-
wjetisches Innovationsverhalten stehen, lassen sich Antworten formulieren. Diese
Antworten gestatten zugleich Aussagen über den Stellenwert der Problematik in
der sowjetischen Politik und die routinemäßige Befassung mit solchen Fragen im
politischen System der UdSSR heute und in der Zukunft.
Läßt man die vorstehenden Einzelstudien Revue passieren, so fallen gravieren-
de Sektorenunterschiede ins Auge. In der Panzerrüstung und bei den Chemiewaf-
fen ist, soviel sich mit Sicherheit konstatieren läßt, die Phase nachholenden Korn-
pelenzerwerbs auf sowjetischer Seite abgeschlossen. In diesen Rüstungsbereichen
handelt die UdSSR eigenständig und folgt eigenständigen Konzepten. Dies schließt
nicht aus, daß von sowjetischer Seite Entwicklungen anderswo intensiv beobachtet
werden (vulgär spricht man von Spionage), aber diese Beobachtung dient anderen
Zwecken als dem Ziel, hier sowjetische Rückstände auszugleichen. Im Ergebnis

104 Sehröder 1988, S. 14


105 Aus: Woennuij Westnik, No. 2/1986, S. 13, dt. Übersetzung nach Sehröder 1988, S.
14 f. (dem d. Verf. diesen Hinweis verdanken).
84 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

ähnliche Aussagen lassen sich bei der Rüstung mit Fernraketen treffen, einem Feld
hochgradig bilateraler Rivalität mit den USA. Die Vereinigten Staaten schützen
ihre Raketentechnologie dermaßen und gehen hier auch schwer prognostizierbare
Wege (wie den der Entwicklung von Marschflugkörpern), daß die Sowjetunion
schwerlich die herkömmlichen Mittel der Informationsbeschaffung hätte nutzen
können, um im Wettrüsten ihre Position zu halten. Anders nimmt sich die Situation
in der Luftrüstung und anderen konventionellen Feldern des Wettrüstens aus. Die-
se Bereiche werden deswegen in diesem Schlußabschnitt besonders betrachtet.
Das knappe Porträt gibt vor allem eines wieder: den lebhaften Import von
Flugtechnik über Jahrzehnte. Das ist für eine führende Militärmacht ein ganz unge-
wöhnlicher Tatbestand. Weder die USA noch Großbritannien oder das Großdeut-
sche Reich waren in diesem Maße von ausländischer Technologie abhängig. Syste-
matische Schwierigkeiten scheinen die Sowjets dabei, besonders bis 1947, beim
Import nicht gehabt zu haben. Kampfflugzeuge wurden als Muster oder in großer
Stückzahl erworben. Im Alltag der sowjetischen Flugzeugindustrie wurden fort-
während anspruchsvolle Bauteile wie ausländische Motoren oder Propeller ver-
wendet. Auch die Bewaffnung der Flugzeuge stammte hin und wieder aus dem
Ausland, wie sich technischen Handbüchern entnehmen läßt.
Systematischer gefaßt, ist eine erste Phase seit der Gründung der UdSSR bis
zum Ausbruch des Kalten Krieges (in der relativ frei ausländische Rüstungsgüter
erworben werden konnten) zu trennen von einer zweiten Phase scharfer Ost-West-
Konfrontation (hier von 1947 bis 1967 angesetzt), gefolgt von einer dritten Phase
dominant indigener Technologiekonzeptionen. Obwohl die Gewichte des auswärti-
gen Beitrages zur sowjetischen Rüstung unterschiedlich zu bestimmen sind, bilden
internationale Transfers in allen Phasen einen durchgängigen Aspekt.
Für die zweite Phase spielt der Erwerb deutscher Technologie nach 1945 eine
maßgebliche Rolle. Die Beteiligung der deutschen "Spezialisten" an der Konstruk-
tion der ersten sowjetischen Kernwaffe sowie deren Trägermitteln, beim Übergang
der sowjetischen Flugwaffe auf den Strahlantrieb und in der Raketentechnik er-
weist sich in einzelnen Schlüsselbereichen doch größer, als gemeinhin angenom-
men wurde.
Nach 1967 setzt eine dritte Phase ein, in der die Funktionsmechanismen und
die Bedeutung ausländischer Militärtechnologie erneut anders zu bestimmen sind.
Diese bis in die jüngste Zeit anhalten Phase soll sogleich differenziert betrachtet
werden. Zur Charakteristik der Vergangenheit sei festgehalten:

Phase 1 (1917 -1947)

Unmittelbar nach Ausrufung der Revolution durch die Bolschewiki setzen signifi-
kante Rüstungstransfers ein, provozierenderweise aus eben jenen Ländern, die In-
terventionsstreitkräfte zur Bekämpfung der ,,Roten" nach Rußland entsenden. Fast
Jahr für Jahr lassen sich Transfers von Militärgerät bei Kapitalgütern (vor allem in
der Luftrüstung, Tanks, Chemiewaffen) nachweisen. Obwohl eine Anzahl von
Konstruktionen russischer Herkunft zu verzeichnen ist, dominieren in der Ferti-
gung ausländische Konzepte, besonders nach der Einrichtung des Junkers-Werkes
inMoskau.
Überzeugte Kommunisten unter westlichen Konstrukteuren tragen zum Auf-
bau sowjetischer Rüstungskapazitäten bei.
Ergebnisse 85

Kurz vor Ausbruch des Krieges mit dem Deutschen Reich kommt es zu signi-
fikanten Technologietransfers mit den Nationalsozialisten, hernach mit den West-
mächten. Im Krieg sichert das Leih- und Pachtgesetz einen fortwährenden Zustrom
westlicher Technologie. - Am Ende dieser kooperativen, von politischen Gegen-
sätzen wenig geprägten Phase steht der Transfer von britischen Düsentriebwerken
im Jahre 1947.

Phase 2 (1947 -1967)

Zunächst stand die Integration der durch den Sieg über Nazideutschland erworbe-
nen Spitzentechnologien (Raketen, Düsenantrieb für Jäger und Bomber, Raketen,
Urantechnologie) im Vordergrund. Andere Technologietransfers (Kopie des Bom-
benträgers Boeing B-29 und dergleichen) erreichten nicht die gleiche Bedeutung.
Daß die kriegszerstörte UdSSR schon (und nicht: erst) 1949 mit der Zündung
einer Atombombe mit den USA in einen nuklearen Rüstungswettlauf eintreten
konnte, ist auch dem Einsatz und der Improvisation der beteiligten deutschen Wis-
senschaftler zu danken (Beispiel: Erzeugung der entscheidend wichtigen Dia-
phragmen für die Isotopentrennung). Illegale Technologietransfers aus den USA
(bestätigte Beispiele: Uranhexafluorid-Technologie, Proben von waffenfähigem
Uran) scheinen eine begrenzte Rolle gespielt zu haben.
In der Breite und der Tiefe der sowjetischen Rüstung verlieren internationale
Technologietransfersaufgrund konstruktiver Prioritäten (fertigungstechnische Ein-
fachheit, etwa Vorrang von Regelflächen im Leichtbau; Inkrementalismus in der
Typenentwicklung) an Bedeutung. An die Stelle einer "catch-up"-Haltung tritt die
Betonung alternativer technischer Konzepte.

Phase 3 (1967-)

In der dritten Phase verschieben sich die Technologietransfers vom Import von
Fertigprodukten und deren Nachbau (=Phase 1) oder der Adaption von know-how
(=Phase 2) auf subsidiäre Komponenten. Besonders in der Elektronik scheint auch
der sowjetische Rüstungssektor nach wie vor von Transfusionen westlicher Tech-
nologie entscheidend abhängig. Gegenwärtige Waffensysteme entsprechen techno-
logisch in einer Anzahl von Parametern weitgehend westlichen Gegenstücken,
bleiben jedoch in den Leistungsspitzen (Nachtkampffähigkeit, "look-down/shoot
down"-Fähigkeiten, elektronisches Aufklärungspotential, Systemintegration) au-
genscheinlich unterlegen. Aus Gründen dürfte es bei dieser Unterlegenheit bleiben.
Zwar hat die sowjetische Führung über Jahrzehnte Erfolg bei dem Bemühen ge-
habt, die Basistechnologien des Wettrüstens im eigenen Lande (nachholend) zu er-
zeugen. Die entscheidenden Leistungsspitzen, auch wenn sie "nur" die Funktions-
fähigkeit von Technik unter Allwetterbedingungen betreffen, sind jedoch bis heute
nur mit Hilfe von Technologietransfers aus dem Westen kompetitiv erreichbar.
Dieser Tatbestand deutet auf ein systemisches Defizit.
Bei einer Betrachtung der fortwährenden ausländischen Technologieinfusionen
im historischen Längsschnitt bleibt somit eine Zäsur auffällig. Bis etwa 1945 ha-
ben ausländische Importe die Rolle von Aushilfen, Ergänzungen gespielt. Ihr
Nachbau bestimmte nicht den Kern der eigenen sowjetischen Technologieentwick-
86 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

Jung. In der nachholenden Industrialisierung und der damit verbundenen Differen-


zierung industrieller Strukturen blieben etwa die high-tech-Gaben Hitlers am Vor-
abend des Überfalls auf die Sowjetunion wirkungslos - keine der damals hochmo-
dernen deutschen Konstruktionen, die bis ins Jahr 1941 in die UdSSR geliefert
wurden, hinterließ in der Sowjetrüstung ausmachbare Spuren. Auch die massive
Militärhilfe besonders der Amerikaner im Weltkrieg verhalf der sowjetischen Rü-
stungsindustrie nicht zu einem Modernisierungsschub. Erst die systematische Nut-
zung der Siegesbeute sowie die gezielte Akquisition zeitgenössisch modernster
Technologie wie britischer Düsenaggregate oder amerikanischer Fernbomber führ-
te, in einer bemerkenswerten Modernisierungsanstrengung unmittelbar nach der
enormen Schwächung durch den Krieg, zu so nachhaltigen Impulsen, daß hernach
eine leistungsfähige, für einen Rüstungswettlauf bereite Sowjetunion auf dem Plan
stand. Diese entscheidende Wende in der unmittelbaren Nachkriegszeit hat augen-
scheinlich für Jahrzehnte Technologiestile, Problemlösungsverhalten und Innova-
tionspolitik in der sowjetischen Rüstung geprägt. Aus diesen Gründen soll diese
Schlüsselphase unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg im folgenden nochmals näher
beleuchtet werden.
Die Bedeutung des Erwerbs ausländischen Know-hows kann trotz eindrucks-
voller sowjetischer Eigenkonstruktionen anscheinend nicht überschätzt werden.
Besonders augenfällig bleibt die Orientierung auf die Technologieentwicklung in
Hitlers Deutschem Reich. Die Sowjets erwiesen sich so beeindruckt von den deut-
schen Konstruktionen, daß sie in der Folge die deutsche Sitte übernahmen, Flug-
zeuge nach den Konstrukteuren zu benennen, also Tupolews, MiGs und Antonows
zu bauen, anstatt wie bislang ,)äger" oder "Bomber''.
Auffällig ist die Systematik, mit der die sowjetische Führung ihre Entschei-
dungen traf, augenscheinlich in der Erwartung, daß der Großanstrengung des Zwei-
ten Weltkrieges alsbald ein neues, vergleichbares Kräftemessen folgen würde.
Während die Fachliteratur als Zeichen sowjetischer Vorbereitungen auf den Kalten
Krieg.vornehmlich die begrenzte Demobilisierung nach 1945 thematisiert, werden
die zügigen Modemisierungsmaßnahmen augenscheinlich zu wenig erkannt.
Der Übergang zum Düsenantrieb, die einschneidendste Neuerung der Militär-
luftfahrt seit ihrem Bestehen, kann diese These gut illustrieren.
Jakowlew berichtet, daß in der Sitzung in Stalins Dienstzimmer am 2. April
1946 ein Dreistufenplan für die Entwicklung der sowjetischen Düsenluftfahrt fest-
gelegt wurde:
"Erste, transitionale Stufe: Nutzung der deutschen Jumo und BMW Triebwerke, um
weitere Erfahrungen zu gewinnen.
Zweite Stufe: Studium und Gebrauch des Derwent-Motors mit 1600 kg Schub sowie
der Nene mit 2200 kg Schub.
Dritte Stufe: Dringende Großentwicklung von Düsentriebwerken durch die von W.J.
Klimow, A.A. Mikulin und A.M.Ljulka geleiteten Konstruktionsbüros( ...)
Ein nationales Programm für die Entwicklung von Düsenflugzeugen wurde ebenfalls
auf dieser Konferenz in den Grundzügen festgelegt."l06
Wie die nebenstehende Kreuztabelle nochmals verdeutlicht, ging die sowjetische
Führung bei dem Erwerb der Düsenjägertechnologie für die sowjetische Rüstung
sehr systematisch vor. Vier Entwurfsteams hatten alternativ ein- und zweimotorige

106 Jakowlew 1972, S. 327


Ergebnisse 87

Jäger zu konzipieren und alternativ eines der beiden deutschen Beutetriebwerke zu


nutzen (die Nichtbeachtung des BMW-Triebwerkes für den einmotorigen Jäger
schien spezielle Gründe zu haben).107 Nach Probeflügen wurden zwei Jäger, er-
neut die Alternative in der Zahl der Motoren zugrunde legend, ausgewählt. Das Er-
gebnis dieser Wahl sollte Bedeutung haben nicht nur für den gewiß kompliziert ge-
nug erfolgenden Übergang zu einem neuen Antriebsprinzip, einer Revolutionie-
rung der Militärluftfahrt Es charakterisiert vielmehr grundsätzlich die künftigen
Technologiestile in der weiteren Rüstungspolitik der Sowjetunion in dem anhalten-
den nachholenden Wettlauf mit dem technisch überlegenen Westen. Daher lohnt es
sich, die Lösungsversuche der sowjetischen Jägerkonstrukteure, die diese Stalin
persönlich zu präsentieren hatten, genauer nachzuzeichnen.

Tabelle 4:
Konzept der Akquisition des Düsenantriebs im sowjetischen Jägerbau
deutsches Triebwerk 1-motorig 2-motorig
BMW003 MiG-9*)
Lawotschin
La-150 Suchoj
Jumo004 Su-9
Jakowlew
Jak-15*)
*) Später für die Großserienproduktion ausgewählt

Die sowjetischen Konstrukteure antworteten mit unterschiedlichen Verhaltenswei-


sen auf die Herausforderung (vgl. Abbildung 9). Der mit den Namen MiG und Ja-
kowlew zum Zuge kommende Technologiestil sollte nicht nur die Wahl der Erst-
ausstattung mit Düsenflugzeugen bestimmen, er erwies sich hernach als Grund-
orientierung der flugtechnischen Entwicklung.
Jakowlew (und Tupolew beim Bomberbau) zeigte beim Herangehen an die
neuen Strahltriebwerke bemerkenswerten Konservatismus und ersetzte bei seinem
ersten Entwurf auf dem neuen Gebiet einfach die Kolbenmotoren bewährter Kon-
struktionen durch den Düsenantrieb. Auf diese Weise vermieden diese Konstruk-
teure zusätzliche Risiken, die der Bau unerprobter Flugzeuge mit sich gebracht hät-
te. In Deutschland und England, später in den USA und auch noch im Kriege in Ja-
pan war ein solches Verfahren gänzlich unüblich. Die neuartigen Antriebe wurden
in eigens konstruierten Flugzeugen erprobt und weiterentwickelt.
Das MiG-Team hatte mit der Überlegung angesetzt, daß ein neues Antriebs-
verfahren neuartige Lösungen auch in anderen Bereichen erfordere, diese aber mit

107 Kens/Nowarra 1961 beschreiben die Vor- und Nachteile der beiden deutschen Strahl-
antriebe ausführlich. Wegen der einfacheren Herstellung sowie der Verwendung we-
niger anspruchsvoller Werkstoffe beim Jumo 004 leuchtet die sowjetische Präferenz
ein. Auch war ihnen das gesamte Junkers-Triebwerksteam unter Dipl.-Ing. Brandner
in die Hände gefallen, während die BMW-Entwicklungsgruppe unter Dr. Oestrich
nach Kriegsende für die Franzosen arbeitete (siehe dazu meinen Beitrag in dem er-
wähnten Band Frankreich und Deutschland. Forschung, Technologie und industrielle
Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, 1988).
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Mikojan-Gurewitsch, Suchoj und Lawotschkin (im Uhrzeigersinn) .."
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Ergebnisse 89

den Mitteln erprobter Technologie zu bewerkstelligen seien. Das bislang übliche


Heckrad verschwand bei der MiG-9, weil die heißen Düsenabgase sonst die Start-
bahn versengt hätten. Es wurde durch ein Bugfahrwerk ersetzt (Willy Messer-
schmitt war bei seinem ersten Düsenjäger nicht so konsequent gewesen und hatte
zunächst am Heckrad festgehalten, ein gleiches gilt für Jakowlew). Dem Piloten
des Jägers sollten gute Rundumsichtmöglichkeiten haben, weswegen das Cockpit
möglichst nach vom verlegt wurde. Bei den Tragflächen wurden keine Experimen-
te gemacht: Der Flügel wurde von dem Kolbenmotorjäger 1-250 des MiG-Teams
übernommen. Die MiG-9 sollte mit rund 550 produzierten Exemplaren zwar nicht
so erfolgreich sein wie die parallel ausgewählte Jak-15, ihre Konstruktionsauffas-
sungen sollten sich jedoch langfristig durchsetzen.
Das Verhalten von Suchoj, unautorisiert ausländische Entwürfe zu kopieren,
wurde mit strengen Sanktionen bestraft. Die Verantwortlichen waren nicht grund-
sätzlich gegen die Nachahmung ausländischer Waffen eingestellt, wie besonders
das Bomberprojekt Boeing B-29/Tupolew Tu-4 belegt. Bei Eigenentwicklungen
wurde aber der unerlaubte Rückgriff auf ausländische Lösungen von Technologie-
problemen nicht geduldet.
Nicht akzeptiert wurde künftig auch das bislang in Rußland typischste Lö-
sungsverhalten bei Technologieproblemen, hier mit der Lawotschkin-Gruppe ver-
bunden - erst einmal planmäßig ein Produkt zu erstellen und die Ausmerzung von
konstruktiven Mängeln hernach Schritt für Schritt später anzugehen. Obwohl mit
diesem Verfahren durchaus respektable Ergebnisse erzielt wurden, war ein solcher
Technologiestil für das sich abzeichnende Wettrüsten mit dem Westen sicher we-
nig geeignet. Im Hochtechnologiebereich Rüstung ward es fürderhin nicht mehr
verwendet.
Bei der Behandlung von Kopierungen westlicher Waffensysteme ist unter-
schieden worden zwischen nicht autorisierten Nachbauten (sie sind seit Suchojs
Versuch nicht mehr verzeichnet worden) und dem gezielten Versuch des Techno-
logieerwerbs durch Nachahmung. Da der Vorwurf weiterhin geäußert wird, die
Russen hätten bis in die jüngste Zeit durch gezieltes Abkupfern die Wirksamkeit
ihrer Rüstungsbemühungen zu steigern versucht, soll diesem Muster des Technolo-
gieerwerbs näher nachgegangen werden.

Über Kopieren

Kopieren bleibt ein bis in die jüngste Zeit geübtes sowjetisches Verfahren, beson-
ders bei Neuerungen, die im eigenen Land keinen technischen Vorlauf haben. Nun
wird in seriöser und unseriöser Literatur den Sowjets sehr häufig der Vorwurf ge-
macht, ausländische Entwürfe weitgehend nachzubauen. Die meisten dieser Pole-
miken basieren auf ungenauen Wertungen und urteilen erkennbar- technisch we-
nig aussagefähig - von äußerlichen Ähnlichkeiten her. Nun hat aber das Studium
sowjetischer Nachbauten im Lizenzverfahren ergeben, daß bei der Russifizierung
westlicher Technologie traditionell große Schwierigkeiten auftraten und erhebliche
Umkonstruktionen erforderlich waren. "Kopieren" ist, wenn überhaupt im Wort-
sinn, nur als erhebliche Ingenieurleistung und nicht als völliger Ausschluß dersel-
ben zu werten.
Eine Reihe von Konstruktionen läßt sich nicht leicht in eine solche Interpreta-
tion einordnen. Einer der ersten Hubschrauber des Jakowlew-OKB, der von Jerlik
90 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

konzipierte Jak-100, sieht der älteren amerikanischen Maschine Sikorsky S-51 ver-
blüffend ähnlich, bis hin zu der neuartigen vertikalen Triebwerkaufhängung. Auch
wenn die sowjetischen Konstrukteure betonen, daß sie angesichts einer gleicharti-
gen Aufgabenstellung ähnliche technische Lösungen gefunden hätten, so bleibt
eher die Vermutung, daß es sich um eine Imitation handelte (die Jak-100 wurde
nicht in Serie gebaut, weil eine originär russische Konstruktion von Mil, die Mi-1,
sich als überlegen erwies). Das Schicksal des ansonsten erfolgsgewohnten Jakow-
lew-Teams mit seinem ersten Hubschrauberentwurf verweist auf ein grundsätzli-
ches Problem. Selbst die kühnsten Übertragungsversuche geraten ins Abseits,
wenn die industrielle Infrastruktur nicht entsprechend differenziert und leistungsfä-
hig ist, wenn Spezialwerkstoffe nicht im Lande erzeugt werden, oder wenn an-
spruchsvolle Fertigungsverfahren mit engen Toteranzen für Fehlmaße im Lande
nicht bekannt sind. Besonders gründlich mußten dies die Sowjets bei dem Versuch
lernen (der sicherlich mit allerhöchster Autorisierung erfolgte), sich durch Kopie in
den Besitz des amerikanischen Atomwaffenträgers, der Boeing B-29, zu versetzen.
Wie geschildert, führte die direkte Kopie durch den besten sowjetischen Experten,
Tupolew, nicht zu einem akzeptablen Ergebnis. Eine Reihe von Nachkonstruktio-
nen, von Verbesserungen in Einzelheiten, nachfolgende Russiftzierungen und Ent-
feinerungen führten nicht zu einem unter militärischen Bedingungen einsetzbaren
Bomber. Die Lektion, die die Sowjets mit den sogenannten verbesserten Versionen
der Tu-4-Kopie der Boeing, über signifikante Modifikationen zu den Mustern Tu-
80 und Tu-85, zu akzeptieren hatten, war kostspielig und enttäuschend. Auch Ver-
suche, die Kopie als Passagiermaschine für die Aeroflot (Tu-70) oder als Militär-
frachter (Tu-75) zu nutzen, führten nicht zu befriedigenden Ergebnissen. Nach
langjährigen Entwicklungsarbeiten verfügten die Sowjets über einen Bomber, wel-
cher doppelt so schwer wie die B-29 geraten war, aber mit seiner Überfeinerung
(28-Zylinder-Sternmotoren gegenüber den 18 Zylindern beim US-Vorbild) zehn
Jahre nach dem Erstflug seiner Vorlage technisch restlos veraltet war. Gegen die
Düsenjäger des Westens hatten Tupolews überschwere Propellerbomber keine
Chance. 1950 wurde der erfolglose Versuch, die B-29 als einsatzfähiges Waffensy-
stem zu kopieren, ohne Produktionsauftrag abgebrochen. Wieviele Millionen Inge-
nieurstunden vergeblich aufgewendet wurden, welche anderen Anstrengungen
gleichermaßen in Frustration endeten, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.
Seither haben die Sowjets sich nicht mehr an einer Totalkopie eines westlichen
Großwaffensystems versucht.
Auf neuartigen Technologiefeldern und bei der Verwendung von Schlüssel-
komponenten neuer Technologien greifen sowjetische Konstrukteure freilich nach
wie vor zu Kopien. Diese erscheinen heute im Risiko freilich als sehr viel genauer
kalkuliert. So folgte beim Hubschrauberbau, wo die Sowjets wenig eigenen For-
schungsvorlauf hatten, der Kopie von Sikorskys MusterS-51 (wie erwähnt, durch
das Jakowlew-Team) die ,,Nachahmung" des Nachfolgemusters S-55, diesmal
durch das Mil-Team (vgl. Abbildung 3). Trotz der schlagenden Ähnlichkeiten der
beiden letztgenannten Muster handelt es sich freilich nicht um eine direkte Kopie:
Die sowjetische Maschine ist ungleich größer als das amerikaDisehe Vorbild ausge-
legt. Durch die Übernahme von Grundsatzentscheidungen des Sikorsky-Teams
wird aber versucht, Entwicklungsrisiken auf einem wenig bekannten Technologie-
gebiet zu minimieren- was sich beim Aufbau in äußerlichen Ähnlichkeiten nieder-
schlägt.
Ergebnisse 91

Ein solches Verhalten läßt sich bei sowjetischen Konstrukteuren bis in die
jüngste Zeit nachweisen.
Als in den USA die Konstrukteure von schweren Transportmaschinen die
Triebwerke plötzlich in ungewohnter Manier direkt über dem Flügel plazierten, um
die Abgase zu einer neuartigen Beströmung der Klappen für die Verkürzung der
Start- und Landestrecken zu nutzen, imitierten die Sowjets einfach diese ihnen
nicht bekannte Technologie. Antonows An-72 stellt sich somit als russiftzierte Va-
riante der amerikanischen Boeing YC-14 dar (vgl. Abbildung 10). Trotz der geo-
metrischen Ähnlichkeit mit der US-Vorgabe betont Antonow wenig überzeugend,
er habe die merkwürdige Triebwerkanordnung nur gewählt, um das Ansaugen von
Abfall und anderen Objekten auf der Rollbahn zu minimieren) OS
Bei näherer Überlegung erweist sich solches Kopieren als Anzeichen eines ex-
tremen Konservatismus. Was in den Köpfen hochqualifizierter sowjetischer Inge-
nieure und Techniker vorgeht, die die Aufgabe zu vollziehen haben, westliche
Technologielösungen noch heute nachzukupfem, muß hier außer Betracht bleiben.
Aber ein jeder solcher Schritt stellt Orthodoxie im extremen Ausmaß dar: Westli-
che Lösungen werden, womöglich halb oder gar nicht verstanden, nachgeahmt,
bloß weil es sich eben um westliche Produkte handelt.
Dieser sowjetische Konservatismus, vorrangig Lösungen zu nutzen, die ander-
wärts schon zum Erfolg geführt haben, durch ihre Imitierung eigene Anstrengun-
gen zu ersparen, zeitigt freilich gelegentlich unerwartete Erfolge. Im Westen wer-
den bestimmte Techniklösungen für zeitgebunden erachtet, obwohl sie ihrer Funk-
tion nach durchaus weiterhin Gültigkeit beanspruchen können, wie etwa das Dop-
peldeckerprinzip im Flugzeugbau.
Als Antonow 1947 seinen schweren Doppeldecker An-2 vorstellte, wurde die-
ses Arbeitsflugzeug im Westen schon damals als Anachronismus bewertet. Das
Muster wird in China und Polen jedoch heute noch gebaut. Mit knapp 20.000 Ex-
emplaren handelt es sich bei diesem für mittlerweile 40 Einsatzzwecke verwende-
ten Flugzeug um das nach Zahl und Zeit langlebigste Flugzeug der Luftfahrtge-
schichte überhaupt.
Dem extremen Konservatismus, wie ihn nicht zuletzt die Imitationsversuche
charakterisieren, gegenüber steht ein Sowjetsystem, welches in der Rüstung gele-
gentlich technische Pioniertaten hervorbrachte. Es lassen sich eine ganze Reihe so-
wjetische Erstleistungen anführen, in denen das Land des "wissenschaftlichen So-
zialismus" technologisch tatsächlich dem Westen die nächsten Schritte wies. Die
Liste dieser Ersttaten im sowjetischen Flugzeugbau weist interessante Prioritäten
auf. Sie verdeutlicht zugleich, daß es ingenieurtechnisch nicht an Kompetenz und
Begabungen fehlte, so daß in der Tat die hier vertretene These gilt, daß die man-
gelnde industrielle Basis sowie soziostrukturelle Faktoren für die langanhaltende
Abhängigkeit von Auslands-Know-how verantwortlich zu machen ist.
Die Liste von Neuerungen setzt früh ein. 1923 wird in der jungen UdSSR das
erste speziell für die Landwirtschaft konzipierte Flugzeug, Modell Nr. 5 von Was-
sili N. Khioni, mit Sprüheinrichtungen in Serie gebaut. 1930 fliegt Tupolews weg-
weisender Bomber ANT-6, in dem Fachautoren den Urvater der "Fliegenden Fe-

108 Vgl. Gunston 1983, S. 53


92 Abhängigkeit von auslärulischer Technologie?

Abbildung 10: Neueres Beispiel von Kopierverhalten: Transporter mit Höchst-


auftriebshilfen. Oben: Boeing YC-14 (Erstflug 1974),
unten Antonow An72 (Erstflug 1977)
Ergebnisse 93

stungen" des Zweiten Weltkrieges sehen.109 Wegen des Mangels an Aluminium


beginnt 1931 die Gruppe für die Konstruktion von Experimentalflugzeugen des be-
rühmten Zentralen Aero- und Hydrodynamischen Institutes Zagi (OOS, Otdel
Opytnowo Samoljetostroenija) mit dem Bau von Flugzeugen, die alternativ in den
tragenden Teilen aus rostfreiem Stahl erzeugt werden (noch heute im Jägerbau ein
bevorzugtes Material, nachgewiesen bei der MiG-25). Jakowlew experimentierte
bei der Versuchsmaschine Jak E-3 mit einem Hochauftriebsflügel, der über die ge-
samte Spannweite mit Auftriebsklappen versehen war, und an den Flächenenden
drehbare Höhenruder aufwies. 1933 konstruierte Boris I. Tschjeranowsky das erste
Raketenflugzeug, von einer Flüssigkeitsrakete angetrieben.llO (Im Jahr 1941 wur-
de eine Probeserie von Raketenjägern gebaut, eine Konstruktion von Beresnjak
und lsajew.)
1933 führte Polikarpow als einer der ersten bei Jagdmaschinen Einziehfahr-
werke ein, im gleichen Jahr wird erstmalig auf der Welt ein schweres Flugzeug
(ein Tupolew-Bomber) mit Hilfe von Startraketen in die Luft geschickt. 1934 wird,
gleichfalls wegen des Aluminiummangels, ein Flugzeug aus Magnesiumlegierun-
gen vorgeführt. Im gleichen Jahr bot Grokowskij ein aufblasbares Flugzeug aus
Gummi an (für das in den fünfziger Jahren die US-Firma Goodyear und das briti-
sche Unternehmen ML Aviation sich um die Urheberrechte stritten). Raketen zur
Flugzeugbewaffnung werden mit den sowjetischen Jägern 1-15 und 1-16 im Jahre
1936 eingeführt. Selbst im Weltkrieg gab es eine Anzahl Neuerungen. Die Sub-
stanziierung der These von der grundsätzlichen Innovationsfähigkeit der sowjeti-
schen Flugzeugindustrie sei mit Hinweisen auf einige Neuerungen der Nachkriegs-
zeit abgerundet. Suchojs wenig erfolgreiche Kopie der Messerschmitt Me 262
wurde erstmals mit dem heute weithin üblichen Bremsfallschirm ausgerüstet.
Schtscherbakow schlägt 1946- der Entwicklung um Jahrzehnte voraus- die Ver-
wendung von Düsentriebwerken in schwenkbaren Gondeln für den Senkrechtstart
vor (Projekt VSI, welches immerhin bis zu Versuchen im Fesselflug gedieh). 1947
werden Grenzschichtzäune zur Verbesserung der Flugleistungen im schnellen Flug
unterhalb der Schallmauer von Lawotschkin bei seinem Jäger La-160 eingeführt.
Im gleichen Jahr versieht dieses Team einen Jäger mit einem Nachbrenner hinter
dem Junkers-Triebwerk (La-150F). Lawotschkin beschritt ferner einen zukunfts-
weisenden Weg mit der Verwendung extrem dünner Flügel (6 Prozent Dicke beim
Projekt La-174TK von 1948). Mit seiner Konstruktion La-190 erfolgte 1951 der
erste Überschallflug der Welt, der im Horizontalflug von einer Jagdmaschine aus-
geführt wurde (vor der amerikanischen Konkurrenz). Suchoj entwickelte 1949 (Su-
17) den ersten Jäger, bei dem der Pilot nicht lediglich durch einen Schleudersitz,

109 Gunston 1983, S. 290, gibt enthusiastische Kommentare über die Führungsrolle dieser
Konstruktion, die seiner Meinung nach aufgrund der Stalinschen Säuberungspolitik
nicht zum Zuge kam.
110 Bezeichnung RP-1 (Raketnui Planer- Raketensegler). Der deutsche Anspruch, die
Heinkel He 176 von 1939 sei "das erste Raketenflugzeug der Welt" gewesen (u.a. in:
Heinkel1966, S. 459 ff.) läßt sich so nicht halten. Allein in der UdSSR gab es in den
dreißiger Jahren mehrere Konstrukteure, die mit Raketenantrieben für Flugzeuge ex-
perimentierten, darunter auch eine Maschine, an der derspäter sehr bekannte Raketen-
konstrukteur Sergej P. Koroljow mitgewirkt hatte (Gunston 1983, S. 148/9). Die Hein-
kel-Maschine hat allerdings möglicherweise den ersten längeren Flug absolviert. -
Weitere Hinweise bei Eyermann 1967, S. 163 f.
94 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

sondern durch Abstoßen der gesamten Pilotenkanzel gerettet werden kann. Tupo-
lew verbindet 1954 den Pfeilflügel mit dem Turboantrieb (des Deutschen Brand-
ner) in einer sehr erfolgreichen Konstruktion, die bis heute verwendet wird. 1956
machen die Sowjets erstmals durch superschwere Helikopter von sich reden, die
zudem mit Stummelflügeln versehen werden (etwa Mils Mi-6). 1956 nimmt das er-
ste sowjetische Düsenverkehrsflugzeug den Dienst auf (Tu-104), zwar Jahre nach
dem britischen Erstmodell DeHavilland Comet, aber vor der amerikanischen Kon-
kurrenz (Boeing 707), und mit gepfeilten Flächen und schneller als die britische
Maschine. Die Transportmaschine Tu-124 war das erste Flugzeug der Welt, in der
der Turbofan-Antrieb in ein Kurzstreckenflugzeug eingebaut wurde. Auf sowjeti-
scher Seite wird auf zwei Neuerungen mit Stolz verwiesen, die im Westen schon
eher wieder als Imitationen gelten: das Überschall-Verkehrsflugzeug Tu-144, 1968
zum ersten Male geflogen, und die schweren Bomber mit schwenkbaren Tragflä-
chen, Tu-22M sowie der unter dem NATO-Codenamen "Blackjack" bekannt ge-
wordene Interkontinentalbomber von Tupolew. Im historischen Rückblick freilich
erweisen sich diese Pioniertaten, unbeschadet ihres wissenschaftlich-technischen
Ranges, zumeist als politisch bedeutungslos. Überragend sollte die Offenheit des
Sowjetsystems für militär-technische Innovationen nur einmal durchschlagen: bei
der Entwicklung von Fernraketen und dem ersten Satellitenstart im Jahre 1957.
Aus einer Reihe von Gründen ist es im Sowjetsystem nicht möglich gewesen,
technische Neuerungen so zielstrebig durchzusetzen, daß sie dem Lande im Wett-
rüsten eine anhaltende Führungsrolle gesichert hätten. Die mangelnde Leistungsfä-
higkeit der Industrie, die nicht hinreichende Differenzierung von Infrastrukturen
oder der allgemeine Mangel an Ressourcen sind hierfür nicht die Hauptgründe.
Von größerem Einfluß scheinen soziostrukturelle Momente wie die übergroße Bü-
rokratisierung, der damit verbundene Konservatismus, der Unwille von Amtsträ-
gern, sich durch ungewöhnliche Entscheidungen zu exponieren, sowie die starke,
Jüngere behindernde Altershierarchie.
Das Ergebnis ist eine komplizierte Struktur, die zumindest doppelbödig wirkt.
Zum einen gehören die Rüstungswerke zu den, wie es allgemein im sozialistischen
Bereich heißt,lll "unantastbaren Betrieben", deren Subventionsbedarf klaglos an-
gewiesen wird. Zum anderen erfolgen die Eingriffe der politischen Spitzen regel-
mäßig und so direkt, daß kaum von dem für Planbürokratien üblichen Handlungs-
mustern gesprochen werden kann. Auch gibt es Wettbewerb zwischen einzelnen
Konstruktionsteams.
Der britische Fachmann Gunston sieht gleichfalls in der sowjetischen Luft-
fahrtindustrie eine Doppelstruktur wirksam. Er betont die Rivalität der verschiede-
nen Konstruktionsbüros, und setzt dieser deren Professionalität entgegen:
,,Im sowjetischen Flugzeugbau hat eine Kombination von Professionalismus und Wett-
bewerb über die Jahre hinweg ... zu einem Beschaffungsprozeß geführt, der zumindest
ebenso gut wie der beste erreichte Zustand im Westen funktioniert."ll2
Die Zahl der Konstruktionsbüros ist freilich über Jahre stark zurückgegangen.
Wurden im Militärflugzeugbau 1945 fünfzehn selbständige Konstruktionsbüros

111 In Polen z.B. wurden Mitte der achtziger Jahre 1.300 Produktionsstätten zu den "Un-
antastbaren" gezählt. Im Zuge von Reformen soll ihre Zahl auf 400 verringert werden.
V gl. Friedensbericht 88
112 Gunston 1983, S. 14. Zur Rivalität verschiedentlich Hinweise bei Jakowlew 1972
Ergebnisse 95

gezählt, so ist diese Zahl trotz des Auftretens neuer Konstruktionsbereiche wie der
Hubschrauber auf neun gesunken. Einzelne Teams nehmen mittlerweile mangels
Konkurrenz auf ihrem Gebiet eine Monopolstellung ein: Die Berijew-Gruppe ist
für alle Flugboote verantwortlich, bei Mil werden sämtliche größeren Hubschrau-
ber konstruiert, die Typenbezeichnung Antonow ist zum Synonym für Transport-
flugzeuge geworden, bei MiG werden ausschließlich Hochleistungskampfflugzeu-
ge konzipiert, usf.
Über die jüngste Phase sowjetischer Technologieeinfuhren lassen sich am
schwierigsten deutliche Aussagen treffen. Wie in den Phase zuvor werden viele
Transfers erst mit erheblicher Verzögerung bekannt Die verstärkten Transferüber-
wachungen durch amerikanische Dienststellen bewirken nicht automatisch drasti-
sche Importbeschränkungen. Zeitungsmeldungen zufolge stellt die breit bekannt
gewordene Toshiba-Affäre (die Lieferung von Präzisionsanlagen, mit denen ex-
trem leise laufende Schiffsschrauben für U-Boote gefertigt werden können) noch
nicht einmal den gravierendsten Vorgang dar. So wird nunmehr von französischen
Lieferungen von Ausrüstungen für den Flugzeugbau sowie die Fertigung von Tur-
binenschaufeln in den siebziger Jahren berichtet,113
In einem nicht näher genannten Stichjahr in der ersten Hälfte der siebziger
Jahre hätten, so amtliche US-Quellen, die Sowjets ungehindert in den USA 30
komplizierte Geräte zur Herstellung von Spezialkristallen, 99 Diffusionsöfen, 3
Testanlagen für integrierte Schaltkreise sowie 10 Ausriebtanlagen für Sichtschirm-
masken erworben,l14 Rund 100.000 technische Dokumente würden Jahr für Jahr
von der UdSSR erworben. Im wesentlichen würde dieser Technologieimport durch
die Militärische-Industrielle Kommission über den Geheimdienst sowie das
Außenhandelsministerium (besonders für militärisch und zivil nutzbare Güter) be-
werkstelligt. Die Akademie der Wissenschaften, das Staatskomitee für Wissen-
schaft und Technik (GKNT) und das Staatskomitee für Außenhandelsbeziehungen
(GKES) leisten der gleichen Quelle zufolge Hilfsdienste. So sei durch den Transfer
von 2.500 verschiedenen Geräten die Grundlage für die sowjetische Mikroelektro-
nik geschaffen worden. Der Technologievorsprung des Westens sei von 10 bis 12
Jahren- so die Situation Mitte der Siebziger Jahre- auf nunmehr 4 bis 6 Jahre ge-
schrumpft. Überdies würden jährlich 3.000 bis 5.000 Anforderungen bezüglich des
Erwerbs westlicher Hochtechnologieprodukte ausgegeben, die zu einem Drittel,
bei Prioritätsgegenständen gar zu 90 Prozent auch tatsächlich zum Erfolg führen
würden,115
Solche Angaben sind allenfalls in Einzelfallen von Dritten nachprüfbar. Die
Vielzahl von Details, welche amerikaDisehe Dienststellen vorlegen, scheint jedoch
die These vom anhaltenden massiven Technologieerwerb zu bestätigen. So wird
vorgeführt, daß die digitalen Radarsätze neuer sowjetischer Kampfflugzeuge tech-
nisch auf dem Radar AN/APG-65 der amerikanischen Firma Hughes basieren, daß
neue Leichtmetallegierungen und neue Fertigungsverfahren der Pulvermetallurgie
augenscheinlich ihren Weg von den USA in die UdSSR fanden usf.
Dieter Senghaas geht in einer grundsätzlichen Aussage zur geringen Innova-

113 Washington Post, 25.8.88, S. A3


114 Greeley 1985, S. 86-90
115 Greeley 1985, S. 86-90
96 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?

tionsdynamik in der derzeitigen Sowjetökonomie (vgl. Kapitel 8) kategorisch von


einem anhaltenden Importbedarf der UdSSR an Hochtechnologie aus:
"Für die forcierte Dynamisierung von Teilsektoren sind solche Ökonomien auf den Im-
port fortgeschrittener Technologie aus dem westlichen Ausland angewiesen. Erfah-
rungsgemäß entsprechen die tatsächlichen Effekte des Technologietransfers jedoch kei-
neswegs den oft euphorischen Erwartungen."116
Auf die Frage nach der Zukunft ausländischer Technologie in der sowjetischen Rü-
stung läßt sich abschließend eine bedingte Prognose abgeben. Es wird weiterhin
signifikante Infusionen westlicher Hochtechnologie geben, jedoch auf anderen
Technologiefeldern und auf anderen Wegen als dies für die Vergangenheit charak-
teristisch war.
Zum Verständnis der Kooperation zwischen westlichen Waffenproduzenten
auf der einen Seite, den sie kontrollierenden Regierungen auf der anderen Seite
und schließlich dem Sowjetsystem ist es förderlich, eine von Kurt Tudyka vorge-
schlagene Differenzierung zu verwenden. Mit Blick auf die internationale Kontrol-
le von Technologietransfers schlägt er vor, drei Möglichkeiten zu unterscheiden:
- die Regulierung politischer Systeme durch politische Akteure,
- die Regulierung ökonomischer Probleme durch politische Akteure,
- die Regulierung ökonomischer Probleme durch ökonomische Akteure.
Der Sinn der Verwendung dieses abstrakten Schemas bei der Untersuchung von
Rüstungstransfers liegt darin, daß zwar alle internationalen Waffentransfers ökono-
mische Vorgänge darstellen, der politische Akteur sich aber in unterschiedlicher
Weise bemerkbar macht. Während auf sowjetischer Seite die Differenzierung zwi-
schen ökonomischem und politischem Entscheidungsprozeß ausfällt, ist sie für das
Verständnis des Gebarens der Lieferantenländer wichtig. In der ersten Phase der
Rüstungstransfers war der Waffenhandel extrem kommerzialisiert. Die sowjeti-
schen Aufkäufer konnten frei etwa moderne amerikanische Tanktechnologie er-
werben, oder schon in der Phase der Intervention der Entente deren Rüstungstech-
nologie kaufen. Politische Koordination und kommerzieller Entschluß zum Ver-
kauf von Rüstungstechnologie haben im Westen offenbar nach der Oktober-Revo-
lution oder auch beim Verkauf britischer Düsentriebwerke 1947 extrem weit aus-
einander gelegen. Umgekehrt ist die Veräußerung der Luftfahrtspitzentechnologie
des Dritten Reiches im Winter 1940/41 nur als wohlkalkulierter politische Akt der
Nazis verständlich, dem kommerzielle Motive abgehen.
Nach 1947 versuchten die politischen Akteure im Westen, Rüstungstransfers
als politisches Problem zu regulieren, besonders entschieden nach dem Amtsantritt
der Reagan-Administration. Da viele der ökonomischen Akteure erkennbar die
Zielvorstellungen der politischen Akteure nicht teilen, gelingt es der Sowjetfüh-
rung nach wie vor, im erheblichen Umfang rüstungsrelevante Technologie zu im-
portieren.
Betrachtet man die Technologiezufuhren über die Jahrzehnte im einzelnen, so
ist sichtbar, daß verständlicherweise die Sowjetführung stets bestrebt war, die
Quellen ihrer Technologieschöpfung zu diversifizieren. Die Tabelle zur Luftrü-
stung weist aus, daß modernste Technologie überall dort erworben wurde, wo sie
erwerbbar war. Die informationeile Kompetenz, mit welcher sowjetische Techno-

116 Senghaas 1985, S. 310


Ergebnisse 97

logiekäufer in der Vergangenheit tätig waren, wurde für hervorragend befunden,


und sie ist es mit großer Sicherheit geblieben.
Die sowjetische Grundansicht über den Nutzen des Abkupferns hat niemand
geringerer als Generalissimus Stalin formuliert:
"Kopieren heißt hintanstehen. Manchmal ist Kopieren nützlich, wenn es dazu verhilft,
Erfahrungen zu bekommen. Aber die Lösung irgendeines grundsätzlichen Problems
muß unabhängig gefunden werden. Man muß schon sehr engstirnig und kurzfristig ori-
entiert sein, um das nicht zu begreifen."117
Auf westlicher Seite sieht dies, nimmt man die US-Administration aus, auf staatli-
cher Seite anders aus. Dem Kooperationswillen der Privatindustrie, auch an die So-
wjets sensitive Artikel und das nötige Know-how zu liefern, steht in Westeuropa
und in Japan eine im für ihre Zielsetzung und ihren Kontrollwillen hinreichenden
Maß informationeHe Kompetenz staatlicher Stellen, wie sie schon aus Systemgrün-
den in der UdSSR zu finden ist, nicht gegenüber. Gerade das, was die sowjetischen
Rüstungstechniker heute auf dem Weltmarkt suchen, elektronische Komponen-
ten,118 Know-how in der Fertigungstechnologie, militärisch wie zivil verwendbare
Bauteile verschiedenster Art, läßt sich von Zollverwaltungen und anderen Hoheits-
organen ungleich schwerer kontrollieren als zuvor der Transfer von Kampfflugzeu-
gen oder Panzern. In der jüngsten Ausgabe der Pentagon-Broschüre "Soviet Milit-
ary Power" werden zwei solcher Komponenten-Kopien im Detail belegt und
hervorgehoben. Dieamerikanische Horchboje SSQ-41B, ein zum Aufspüren von
U-Booten entwickeltes Spezialgerät, ist- wie aufgefischte Einzelstücke beweisen
-in der UdSSR direkt nachgebaut worden (Typenbezeichnung 75). Mit Teppichen
solcher Horchbojen, die unter der Wasseroberfläche verankert werden, suchen bei-
de Supermächte die Bewegungen der U-Boote der anderen Seite zu überwachen.
Der hochempfindliche Infrarotsucher einer modernen Version der amerikanische
"Sidewinder''-Rakete zur Bekämpfung von Flugzeugen, Bezeichnung AIM-90, fin-
det sich detailgetreu nachgemacht in einer der Hauptwaffen sowjetischer Jagdflie-
ger, dem Raketentyp AA-2D.119 Wenn von politischer Seite an den Handelsre-
striktionen für rüstungsrelevante Güter festgehalten wird, kann man mit einem An-
halten der sowjetischen Bemühungen rechnen, die politischen Akteure im Westen
zu umgehen und ihre rüstungsökonomischen und rüstungstechnischen Probleme
mit Firmen und Fachleuten aus dem Westen direkt zu lösen.

117 Zitatnach Jakowlew 1972, S. 348


118 Zum Rückstand der sowjetischen Forschung auf den Gebieten militärische Elektronik,
Sensortechnik, Laser, militärische Computer vgl., sowjetische Quellen einbeziehend,
Sehröder 1988, bes. S. 7
119 Soviet Military Power 1988, S. 142
2. Die sowjetische Bombe

Die Entwicklung der ersten Nuklearwaffe in der UdSSR I

Die Entwicklung von Kernwaffen in der vom Zweiten Weltkrieg schwer gezeich-
neten Sowjetunion ist nunmehr rekonstruierbar. Nur vier Jahre nach dem "Manhat-
tan-Projekt" der Amerikaner, einer technischen und organisatorischen Großtat,
zündeten die Sowjets eine Atombombe. Ihre Leistung, das sowjetische Gegenstück
zum Manhattan-Projekt, bleibt womöglich noch eindrucksvoller als das amerikani-
sche Vorbild. Wie abhängig war die sowjetische Bombe von der Spionage? Wie
war es möglich, in einem industriell wenig entwickelten, obendrein im Kriege so
zerstörten Land ein solches Projekt erfolgreich durchzuziehen? Wie wurde die so-
wjetische Planwirtschaft mit den durch das Bombenprojekt verursachten Zusatzan-
forderungen fertig? Alle diese Fragen lassen sich heute beantworten.
Die Mosaiksteinehen zum Gesamtbild der sowjetischen Bombenentwicklung
liegen groBteils schon seit längerem herum, nur wurden sie bisher kaum zusam-
mengefügt Längst gibt es z.B. eine offiziöse Biographie des sowjetischen "Oppen-
heimer". Sein Name ist nicht Pjotr L. Kapiza (an der Bezeichnung ,,Roter Atom-
zar" und der Unterstellung, er sei der Chef des Bombenprojektes gewesen, hatte

1 Die Informationsgrundlage für diesen Abschnitt bilden Zlllll einen die ungedruckten
Erinnerungen des Leiters des Uranprojektes in der UdSSR, Professor Nikolaus Riehl
(,,Zehn Jahre im Goldenen Käfig", im Text als ,,Riehl-Memoiren" zitiert), wiederholte
Gespräche mit ihm und Mitgliedern seiner früheren Arbeitsgruppe, und zum anderen
I.N. Golowins Biographie von lgor W. Kurtschatow (Original bei Atomisdat 1972,
deutsche Übersetzung bei Urania in Leipzig u.a. 1976). Zu verweisen ist ferner auf den
von A.P. Alexandrow als "verantwortlichen Redakteur" vorgelegten Band: Erinnerun-
gen an Igor Wassiljewitsch Kurtschatow Moskau (Nauka) 1988. Erste Fassungen dieses
Kapitels sind sowjetischen Teilnehmern am Uranprojekt, allen voran Kapiza und Fle-
row, zugesandt und in Antwortbriefen und mUndliehen Reaktionen im Sachgehalt nicht
in Frage gestellt worden. Neben verschiedenen Einzelhinweisen erfolgte verständlicher-
weise Kritik an den Wertungen und Schlußfolgerungen. Ein Akademiemitglied reagier-
te mit der Ankilndigung, daß nunmehr eine sowjetische Darstellung des Bombenpro-
jekts öffentlich vorgelegt werden sollte, und er sich für eine solche einsetzen werde. -
Außerdem haben westliche Kernwaffenfachleute, vor allem Theodore Taylor, den Text
auf einzelne technische Fragen hin geprüft, etwa die Versuche zur Erzeugung kritischer
Massen.
Die bisher besten westlichen Beschreibungen des sowjetischen Nuklearprojekts stam-
men von David Holloway 1981b, S. 159-197, sowie der entsprechende Abschnitt in
Holloways Buch: The Soviet Union and the Arms Race (1983b). Die informativste
DDR-Veröffentlichung ist Max Steenbeck (o.J.). Dem Wahrheitsgehalt der Erinnerun-
gen des bekannteren Baron Manfred von Ardenne (1972) stehe ich aus im Text angege-
benenGrUnden zum Teil sehr kritisch gegenüber.
99

dieser als Schüler Rutherfords im Westen bekannte Physiker lange zu tragen).


1934 war er bei einem Besuch in seiner Heimat nicht mehr nach England zurück-
gelassen worden -was Kapiza in der Stalinschen Sowjetunion gerade nicht zum
Leiter des wichtigsten militärischen Forschungsvorhabens qualifizierte. Ausländi-
sche Fachleute gewannen 1945 bei Kontakten mit Kapiza gar den Eindruck, daß
dieser "sein Desinteresse an der ganzen Uran-Angelegenheit ausdrücklich betonen
wollte". Die wirkliche Gegenfigur zu Oppenheimer, Igor W. Kurtschatow, ist zwar
in wissenschaftlichen Nachschlagwerken zu finden, bis hin zur Anführung einer
Vortragsreise in den Westen (1956 ins englische Atomforschungszentrum Rar-
weil). Die Lebensleistung Kurtschatows, eben die sowjetische Atom- und die Was-
serstoffbombe, wird in solchen Biographien aber nicht einmal erwähnt. Dabei ha-
ben die Sowjets zum Ruhme dieses Mannes alles Erdenkliche getan, denkt man
nur an die Ehrungen nach seinem Tode. Die Leiche wurde wie die eines hohen
Kreml-Führers im Säulensaal des Hauses der Gewerkschaften aufgebahrt. Seine
Urne wurde an der Kremlmauer auf dem Roten Platz beigesetzt, eine schwarze Ta-
fel mit goldener Inschrift erinnert an ihn. Sein Wohnhaus wurde zum Museum ein-
gerichtet, vor seinem ehemaligen Institut steht er als Denkmal. Element 104 im pe-
riodischen System, eines der künstlichen Transurane, wurde nach ihm "Kurtscha-
towium" genannt. Kein Physiker ist je in seinem Lande mehr geehrt worden, und
doch ist der Mann im Westen so gut wie unbekannt.
Zu den Widersprüchlichkeiten, die allerdings in sowjetischer Sicht keine sind,
gehört schließlich, daß Kurtschatow als Chef der höchstgeheimen Atom- und Was-
serstoffbombenentwicklung "für seine Verdienste um die atomare Abrüstung und
die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernforschung mit der Me-
daille des Weltfriedensrates ausgezeichnet" wurde (sowjetischer Text).2
Mit Mythen ist besonders die Rolle des sowjetischen Physikers und Menschen-
rechtiers Sacharow verbunden. Noch 1985 machte ihn "Die Zeit" anstelle Kurt-
schatows zum Chefwissenschaftler des sowjetischen H-Bombenprojektes ("Nur
zwei Jahre später zündeten die Sowjets ihre Wasserstoffbombe: Entwickelt hatte
sie Andrej Sacharow").3 Die deutschen Wissenschaftler, welche ab 1945 mehr
oder minder unfreiwillig am sowjetischen Bombenprojekt mitgewirkt hatten, sind
verschiedentlich gefragt worden, ob sie je Sacharow über den Weg gelaufen seien.
Bejahen konnte das keiner, obwohl sie mit einer Vielzahl von sowjetischen Physi-
kern zum Teil eng zusammenarbeiteten. Ausschließen mochten diese Deutschen
Kontakte mit dem späteren Friedensnobelpreisträger andererseits auch nicht. Sa-
charaow selbst wiederum vermag sich seinerseits nicht an einzelne deutsche Wis-
senschaftler aus jener Zeit erinnern. So bleibt die Schlußfolgerung, daß Sacharow
an den Arbeiten zur Entwicklung der sowjetischen Wasserstoffbombe beteiligt
war, möglicherweise führend - "geleitet" hat er das Projekt, wie eine Prüfung der
Quellen ergibt, nachweislich nicht.
Neben sowjetischen Darstellungen sind als solche Quellen vor allem diejeni-
gen deutschen Wissenschaftler und Techniker verfügbar, die in zumindest zwölf
Gruppen an der sowjetischen Nachkriegsrüstung beteiligt waren, darunter einige in
prominenter Position. Sie sind längst in ihre Heimat zurückgekehrt. Für ihre Be-
richte, gar ihre autobiographischen Manuskripte interessierte sich augenscheinlich

2 Zit. nach Golowin 1976, S. 113


3 "Dossier" der ZEIT Nr. 29 vom 12.7.1985, S. 26
100 Die sowjetische Bombe

niemand. In neuererZeittreten als weitere Quelle von Informationen zum sowjeti-


schen Bombenprojekt Berichte jüdischer Emigranten. Diese haben offenkundig zu-
meist in niedrigrangiger Position gearbeitet, so daß ihre Darstellungen zumeist we-
nig ergiebig ausfallen.
Durch das Zusammentragen der Fakten, der Berichte von Deutschen, die aus
der Sowjetunion zurückgekehrt sind, und jüdischer Emigranten sowie den Ver-
gleich mit sowjetischen Eigendarstellungen läßt sich die Geschichte der Bombe ei-
nigermaßen nachzeichnen.

2.1 Die "Laborphase" des Bombenprojektes

Sowjetische Darstellungen legen großen Wert darauf, daß die Idee zum Bau der
Bombe von den eigenen Naturwissenschaftlern stammt Über die Frühphase des
Projektes wird recht freimütig informiert, schon um nachzuweisen, daß man mit
einer solchen Arbeit begonnen hatte, bevor Amerikaner und Deutsche die ersten
Schritte in eine solche Richtung taten.
In der sowjetischen Literatur wird der Beginn des Bombenprojektes mit einer
Eingabe des jungen Physikers Georgi Nikolajewitsch Flerow vom Mai 1942 an das
Staatliche Verteidigungskomitee,4 "unverzüglich mit der Herstellung der Uran-
bombe zu beginnen", angesetzt Das Datum ist wichtig: Im Dezember des gleichen
Jahres gelang den Amerikanern der erste praktische Schritt auf dem Wege zur
Bombe, die Erzeugung einer Kettenreaktion. Bedeutend ist auch die Person, die
den Vorschlag macht: Flerow wurde einer der bedeutendsten sowjetischen Physi-
ker, später war er Direktor des bekannten Labors für Kernreaktionen in Dubna.
Wie andere führende sowjetische Kernphysiker mußte Flerow gegen Kriegsende
aufgrund des von ihm angeregten Bombenprojektes einer berufsfremden Tätigkeit
nachgehen: In der Uniform eines Obristen hatte er für das NKWD deutsche Uran-
experten ausfindig zu machen.
Flerow war in der Sowjetunion nicht der einzige Physiker, der die Idee der
Nutzung einer Kettenreaktion für militärische Zwecke verfolgte, vielleicht war er
auch nicht der erste. So wird von einem Schreiben des Akademiemitgliedes Niko-
lai Nikolajewitsch Semjonow an das Volkskommissariat (Ministerium) für
Schwerindustrie noch vor dem deutschen Angriff im Juni 1941 berichtet, in dem
"die Möglichkeiten für die Schaffung einer Waffe dar(gelegt wurden), deren
Sprengkraft alles übertraf, was die Menschheit bisher kannte".S Flerow ist aller-
dings vorrangig anzuführen, weil er wiederholt und nachdrücklich für ein sowjeti-
sches Bombenprojekt plädiert hatte. Dem im Verteidigungskomitee für Wissen-
schaft und Forschung zuständigen Kaftanow schickte Flerow nicht weniger als
fünf Telegramme, und als dies nichts fruchtete, wandte er sich an Stalin persönlich:
"Sehr geehrter Josef Wissiarionowitsch,
Nun sind schon zehn Monate seit Kriegsbeginn verstrichen, und die gesamte Zeit habe
ich mich wie der besagte Mensch gefühlt, der mit dem Kopf durch die Wand will ...
Das ist jene Mauer des Schweigens, von der ich hoffe, Sie werden mir helfen, sie zu
durchbrechen. Dies ist mein letzter Brief in dieser Angelegenheit, hernach werde ich

4 Nach Golowin 1976, S. 56


5 Golowin 1976, S. 51
Die "Laborphase" des Bombenprojektes 101

die Hände in den Schoß legen und abwarten, bis das Problem in Deutschland, England
oder den USA gelöst worden ist. Die Ergebnisse werden so durchschlagend sein, daß es
unnötig sein wird zu bestimmen, wer die Schuld daran hat, daß diese Arbeiten in unse-
rem Lande, der Sowjetunion, vernachlässigt wurden.
All diese Obstinenz erfolgt so geschickt, daß wir dann nicht einmal über formale
Handhaben gegen irgendjemand verfügen werden. Nie hat jemand gesagt, daß die
Uranbombe nicht ausgeführt werden könnte, und dennoch ergibt sich die Meinung, daß
diese Aufgabe in den Bereich von science fiction gehört."6
Flerow bedient bemerkentswert geschickt die Klaviatur, mit der man inStalins So-
wjetunion höchstes Gehör findet. Er deutet an, daß möglicherweise bald ein Ver-
säumnis entscheidender Art zu beklagen sein wird, daß Schuldige zu suchen sein
werden, daß mögliche Verantwortliche vorbeugend tätig werden.
Tatsächlich kommt es 1942 zu ersten Schritten, weniger, weil Flerow Druck zu
machen suchte, sondern aufgrund von Geheimdienstinformationen. In einem so-
wjetischen Text heißt es recht offen in bezug auf Spionageergebnisse:
"Die Sowjetunion verfügte zu dieser Zeit (Mitte 1942, U.A.) bereits über Informatio-
nen, daß im faschistischen Deutschland und in den USA unter strengster Geheimhal-
tung intensiv an einerneuen Waffe mit gewaltiger Wirkung gearbeitet wurde. "7
Der kleinen Schar sowjetischer Kernphysiker war seit Kriegsbeginn Ungewöhnli-
ches im Publikationsverhalten ihrer amerikanischen Kollegen aufgefallen. Dies
ließ auf eine militärische Bedeutung der Teilchenphysik schließen. Der nachher be-
rühmte Brief Einsteins an Präsident F.D. Roosevelt vom 2. August 1939, daß die
Bombe machbar sei, war ihnen zwar nicht bekannt. Sie bemerkten aber, daß das
Fachblatt der Physikergemeinde, der amerikanische ,,Physical Review", in dem die
meisten Berichte über Uranforschung veröffentlicht wurden, plötzlich nichts mehr
aus der US-Forschung berichtete. (Tatsächlich hatten sich die amerikanischen Phy-
siker unter Szilards Führung von 1941 an zu einem freiwilligen Publikationsstop
entschlossen, allerdings mit Blick auf die Kernforschung in Hitlers Deutschland.)
Andererseits wurde auch in der UdSSR die militärische Bedeutung der Uran-
forschung immer offenkundiger. In dieser Periode schrieb Semjonow seinen Brief
an das Ministerium.
Die deutsche Invasio'l führte zunächst zur Einstellung aller Atomprojekte.
Kurtschatow entwickelte zum Beispiel nunmehr Mittel zum Einsatz gegen deut-
sche Seeminen und wechselte 1942 in ein Labor für die Entwicklung von Panze-
rungen für neue Tanks. Mit dem Memorandum Flerows, nachdem die Blitzkrieg-
strategie Hitlers gescheitert war, änderte sich im Sommer 1942 die Situation (zum
gleichen Zeitpunkt übernimmt in den USA die Army das Atomprogramm; im Sep-
tember 1942 wird Oberst Groves zu dessen militärischem Leiter ernannt). Ende
Dezember 1941 hatte Flerow in einem Vortrag vor Fachkollegen nachdrücklich für
Versuche zu, wie er den Vorgang damals nannte, "Dynamit-Kettenreaktionen" mit
schnellen Elektronen plädiert. Flerow meinte, über das leichte Isotop des Uran (U
235) und Protaktinium (eines der neuen radioaktiven Elemente) zu seiner "Dyna-

6 Handschriftliche Eingabe des Leutnants Flerow, versehen mit dem Hinweis "an den Se-
kretär des Genossen Stalin": ,,Bitte korrigieren Sie Orthographie und Stil meines Brie-
fes und lassen diesen abtippen, bevor er an Genossen Stalin gelangt." Abdruck in: Mos-
cow News, No. 16, 17.4.88, S. 16
7 Golowin 1976, S. 58
102 Die sowjetische Bombe

mitreaktion" gelangen zu können.


Unter Kriegsbedingungen kam es erst 1942 zu gezielten Vorarbeiten für die
sowjetische Bombe. Im November 1942 wird Kurtschatow förmlich zum Leiter
des Bombenprojektes ernannt.
Der damals 39 Jahre alte Physiker muß ein bemerkenswerter Physiker und Or-
ganisator gewesen sein. Seine Mitarbeiter rühmen seine Fähigkeit, in komplizierte
Formeln gefaßte Vorgänge physikalisch anschaulich zu erklären. Andererseits un-
terstrich Kurtschatow regelmäßig die Bedeutung der Theorie gegenüber hilflosem
Herumexperimentieren. "Das ist alles zu empirisch! So kriecht ihr nur auf dem
Bauch wie die Asiaten!" wird als sein Markspruch in solchen Situationen kolpor-
tiert. Vor allem wird Kurtschatows Führungsvermögen zu seiner Ernennung beige-
tragen haben: Schon im berühmten Leningrader "Phystech", der Hohen Schule der
sowjetischen Kernphysik, "nannte man ihn ,General', weil er in jeder ihn interes-
sierenden Sache die Initiative ergriff und das Kommando übernahm" (so sein Bio-
graph Golowin).S- Unter Kurtschatow Federführung wurde in Labors in den östli-
chen Gebieten der UdSSR, in Kasan, Ufa und Alma-Ata, sowie in Moskau und Le-
ningrad damit begonnen, "die Bedingungen zur Auslösung einer Kettenreaktion,
die ökonomische Herstellung von schwerem Wasser und die Isotopentrennung zu
erörtern". Die Namen der in der Frühphase des Bombenprojektes beteiligten Physi-
ker sind heute gut bekannt Neben Kurtschatow und Flerow waren dies Abram
Isaakowitsch Alichanow (hernach für die Entwicklung von Schwerwasserreaktoren
verantwortlich), der später auch in der Raketenentwicklung tätige Jakow Borisso-
witsch Seldowitsch und Isaak K. Kikoin. Kurtschatow hielt die Bombengruppe zu-
nächst klein - zu allererst ging es darum, zu klären, in welcher Richtung voranzu-
gehen war, welche Untersuchungen und welche Experimente in welcher Folge aus-
zuführen waren. (Später sollte sich diese wissenschaftlich umständliche Vorge-
hensweise als großes Manko der Projektführung herausstellen.) Ergebnis dieser Er-
örterungen bleib, mit einem Atommeiler auf der Basis der Kernspaltung durch
thermische Neutronen zu beginnen und gleichzeitig sich um ein Verfahren für die
Trennung der Isotope des Urans zu bemühen. Nach Ansicht der sowjetischen Phy-
siker kamen dafür zwei Verfahren in Betracht: das Diffusionsverfahren, bei dem
die beiden zu trennenden Substanzen durch poröse Trennwände diffundieren, oder
das Verfahren der Hitzetrennung. Die zweite Methode wurde nach ersten Berech-
nungen als energetisch unvorteilhaft verworfen.
Dasamerikanische Bombenteam verfolgte zunächst gleichfalls zwei Konzepte:
die Diffusionstrennung sowie ein elektromagnetisches Trennverfahren. Die So-
wjets schwenkten im Laufe der Zeit - vielleicht aufgrund von Hinweisen ihrer
Spionage - gleichfalls auf das elektromagnetische Verfahren als Ersatzmethode
um. Ironie des Schicksals- zu diesem Zeitpunkt hatte die US-Entwicklung dieses
Verfahren bereits aufgegeben und sich voll auf das Diffusionsverfahren konzen-
triert.
Die eigentliche Berechnung der Bombe wurde von Kurtschatow vorgenom-
men. Die Umstände, unter denen diese völlig neuartige Arbeit erfolgte, waren
abenteuerlich. Aus Veröffentlichungen von Niels Bohr und Wheeler wußte Kurt-
schatow, daß U 235 und das neue Element Plutonium für eine Explosion geeignet
sein mußten. Im Sommer 1940 hatten die beiden amerikanischen Physiker McMil-

8 Golowin 1976, S. 33
Die "Laborphase" des Bombenprojektes 103

lan und Abelson eine kurze Notiz über die Darstellung von Plutonium veröffent-
licht Während die Amerikaner beide Bombentypen parallel entwickelten (auf Hi-
roshima fiel eine Uran-Bombe, auf Nagasaki eine Plutoniumbombe), entschieden
sich die Sowjets für die Plutoniumbombe. Das neue Element konnte im Uranmeiler
hergestellt und chemisch rein abgetrennt werden. Uran 235 wäre zwar aus Natur-
uran gewinnbar, jedoch würde die Technik der Isotopentrennung im Großen die so-
wjetische Industrie überfordern. Im Frühjahr 1943 waren die Grundrichtungen der
anstehenden Arbeiten klar, und Kurtschatow vergrößerte seinen Stab. Für amerika-
nische Maßstäbe war die sowjetische Bombentruppe nach wie vor winzig. Es han-
delte sich um nicht mehr als zwei Dutzend Physiker, die aus der Armee oder
kriegswichtigen Betrieben abkommandiert wurden. Ein einziger Mechaniker half
den Physikern bei ihren Experimenten. Die neu zu der Bombentruppe stoßenden
Wissenschaftler spiegelten den Zustand des Landes, welches als zweites die Kern-
waffe erzeugen sollte, nur allzu getreu wider: Oft genug brachten sie lediglich das,
was sie auf dem Körper trugen, aber nicht wohlausgerüstete Institute in das Projekt
ein.
Im vormaligen Seismologischen Institut der Akademie der Wissenschaften be-
gannen Alichanow, Isaak Jakowlewitsch Pomeranschuk, K.J. Stschepkin und 1.1.
Gurewitsch mit ihren Arbeiten und bestellten zunächst einmal nach ihren Zeich-
nungen Bauteile bei verschiedenen Betrieben. Sie sollten ein nach damaligen Vor-
stellungen großes Zyklotron von anderthalb Metern Durchmesser bauen. Damit
sollten schnelle Protonen erzeugt werden, mit denen im zweiten Schritt Uran be-
strahlt und später so Plutonium erzeugt werden könnte. Im ehemaligen Institut für
Anorganische Chemie in der Straße Bolschaja Kaluschskaja begannen Flerow und
Dawidenko mit Experimenten mit Neutronen, die ja für den Spaltungsvorgang und
die Kettenreaktion wichtig waren.
Im Seminarstil erarbeiteten sich diese zwei Dutzend sowjetischer Physiker die
Veröffentlichungen von Joliot, Szilard, Bohr und allem, was an Veröffentlichun-
gen westlicher Fachkollegen über die Uranspaltung greifbar war. Während dieser
Seminare gelangte man zu der Einsicht, daß das Uran nicht homogen in der Brems-
substanz zu verteilen, sondern besser konzentriert in Abständen anzuordnen sei
(die deutsche Uranforschung hatte eben dieses Stadium bei Kriegsende erreicht).
Die Arbeiten der kleinen Forschergruppe ergaben, daß die Bombe realisierbar
war. Die Bombenforschung konzentrierte sich neben den Moskauer Instituten auf
zwei Plätze: ab Juni 1943 in dem wiedereroberten Charkow, wo augenscheinlich
noch nutzbare Labors für Elektrostatik von Kurtschatows Studienfreund und
Schwager Sinelnikow genutzt wurden (Kodename: ,,Laboratorium 1"). Auf einem
alten Schießplatz am Rande Moskaus, jenseits des die Hauptstadt umgebenden Ei-
senbahnringes, wurde "Laboratorium 2" errichtet. Es sollte entscheidende Bedeu-
tung für die Bombe bekommen. Für Kurtschatow war es selbstverständlich, daß er
mit seiner Frau auf das Gelände übersiedelte, um in der "Waldhütte", wie er sein
Domizil scherzhaft nannte, unter gefängnisähnlichen Bedingungen zu arbeiten. Im
Herbst 1943 wird der 40 Jahre ,junge" Kurtschatow zum Mitglied der Sowjeti-
schen Akademie der Wissenschaften gewählt. Seine Mannschaft im "Labor 2"
zählt- vom Direktor bis zum Heizer - bescheidene fünfzig Mann.
Im Sommer 1944 versammelten sich die führend am Bombenprojekt beteilig-
ten Wissenschaftler zu einer gemeinsamen Seminarveranstaltung und versuchten
ein Resümee. Pjotr Kapiza leitete eine Vortragsreihe zu allgemeinen kernphysikali-
104 Die sowjetische Bombe

sehen Themen (was aufgrund von Wahrnehmungen westlicher Geheimdienste zu


dem Eindruck beigetragen haben mag, er sei der Chef des Bombenprojektes). In
einer zweiten Vortragsreihe ließ Kurtschatow in einem ausgewählten Teilnehmer-
kreis Kernspaltung und Kettenreaktion erörtern.
Die Sowjets entwickelten recht rasch ein Verfahren, zwei Uranmassen zu einer
"kritischen Masse" für eine Kettenreaktion zusammenzuführen. In einer zweiten
Etage des ,,Labors 2" wurden zwei Gewehre so gegeneinander aufgebaut, daß ihre
Geschosse aufeinander prallten. Die Vereinigung der beiden Patronen wurde mit-
tels Hochgeschwindigkeitsphotographie beobachtet. Als die Forscher zwei Kano-
nen benötigten, um ihre Studien über die Physik zweier aufeinander treffender
Massen fortzusetzen, wandte sich Kurtschatow an den Volkskommissar (Minister)
für Munition, Boris L. Wannikow. Die Atomforscher bekamen zwei 76 mm-Ge-
schütze, die in einem Schuppen neben dem Institut gegeneinander aufgeprotzt wur-
den. - Die Spektraluntersuchungen des Reinheitsgrades des Graphits, welches zur
Neutronenbremsung im Meiler dienen sollte, fanden in zwei Armeezelten statt, die
auf der Wiese vor Kurtschatows Institut aufgebaut wurden. V.S. Panasjuk, der mit
seiner Gruppe die beiden Zelte bezog, hat sich wohl nicht räumen lassen, daß er in
dieser dürftigen Unterkunft jahrelang, auch im strengsten Winter, experimentieren
würde.
Bis 1945 war das sowjetische Bombenprojekt allem Anschein nach kein be-
sonders kriegswichtiges Vorhaben. Zwar gab es einen ZK-Beschluß, mit den Uran-
arbeiten "auf breitester Basis vorzugehen", aber das bedeutete praktisch nicht viel.
Stalin, der sich regelmäßig mit Rüstungstechnikern traf, Einzelentscheidungen wie
die Beförderung des Flugzeugingenieurs Alexander S. Jakowlew zum stellvertre-
tenden Minister traf und ein besonderes Faible für artilleristische Neuerungen zeig-
te, hat augenscheinlich bis zu diesem Zeitpunkt ebenso wie andere Mitglieder des
Politbüros die tatsächliche Bedeutung des Bombenprojektes nicht erkannt. Der
englische Sowjetexperte David Holloway berichtet zwar, daß Molotow Anfang
1942 Perwuchin, dem Volkskommissar für die chemische Industrie, auf Weisung
Stalins Berichte des Geheimdienstes über die amerikanische, deutsche und briti-
sche Bombenforschung zukommen ließ und Empfehlungen verlangte, wie sich die
Sowjetführung verhalten solle.9 Auch habe Stalin, so Holloway, mit Kurtschatow
und seinen Kernforschern im Laufe des Jahres 1942 Beratungen abgehalten und
verfügt, daß trotz aller Kriegsanstrengungen das Bombenprojekt weiter verfolgt
werden solle. Ansonsten blieb die Uranforschung aber während der Kriegsjahre
Angelegenheit der im sowjetischen Herrschaftssystem zweitrangigen Regierung.
Sowjetische Quellen berichten lediglich von Aktivitäten des Regierungsapparates:
S.W. Kaftanow, der Regierungsverantwortliche für Hochschulen und Wissen-
schaft, bestellte den auf das Bombenprojekt drängenden Flerow zum Rapport zu
sich. Neben dem Ministerium für Schwerindustrie, das Semjonow angeschrieben
hatte, interessierte sich das von Kurtschatow angesprochene Ministerium für Muni-
tion für die Bombe - aber das waren zweitrangige Institutionen im sowjetischen
Herrschaftsgefüge.

9 Holloway 1983b, S. 17
Das NKWD übernimmt das Bombenprojekt 105

2.2 Das NKWD übernimmt das Bombenprojekt

Augenscheinlich erkannten die Russen in der ersten Hälfte des Jahres 1945, daß sie
den Aufwand für den Weg zur Bombe drastisch unterschätzt hatten. Mutmaßlich
aufgrund von Informationen ihrer Spionage war die Sowjetführung hellhörig ge-
worden. Kurtschatow mit seinem 50-Mann-Institut, dem Schuppen für die beiden
Geschütze und Panasjuks Zelten, Sinelnikow mit dem anderen Labor sowie die
umfunktionierten Institute in Moskau und Leningrad waren einfach mit dem US-
Projekt "Manhattan" nicht zu vergleichen (das amerikanische Bombenprojekt be-
schäftigte zu seinen Spitzenzeiten im Jahre 1944 rund 200.000 Leute).
Während der Reorganisation des Bombenprojektes wurde Kurtschatow ge-
fragt: "In welcher Zeit kann die Atombombe geschaffen werden, wenn Sie alle er-
denkliche Unterstützung erhalten?"lO Kurtschatow meinte in fünf Jahren. Tatsäch-
lich brauchte er ziemlich genau vier Jahre.
Um das Atomprojekt nunmehr wirklich voranzubringen, wurde es völlig neu
organisiert. Die Angelegenheit wurde der wirksamsten Einrichtung anvertraut,
über die die UdSSR verfügt, dem NKWD. Marschall der Sowjetunion Lawrenti
Berija, Stellvertreter Stalins und Mitglied des Politbüros, einer der mächtigsten
Männer des Landes, wurde zum für die Bombe Verantwortlichen ernannt. Berija
verfolgte die Fortschritte des Bombenbaus persönlich, reiste in die Labors und Fa-
briken, ließ die Wissenschaftler Vortrag halten. Die am Projekt beteiligten deut-
schen Wissenschaftler haben den gefürchteten Chef der sowjetischen Staatssicher-
heit in angenehmer Erinnerung. Der Uranexperte Nikolaus Riehl schreibt: "Berija
empfing uns äußerst liebenswürdig. Sein Auftreten war ausgesprochen char-
mant."ll
Der Physiker Heinz Barwich berichtet allgemein über die Nachtsitzungen im
Gebäude der Staatssicherheit: "Fast alle Moskauer Sitzungen dieser Art sind mir in
angenehmer Erinnerung geblieben. "12
Die tagtägliche Verfolgung des Projektes übertrug Berija seinem Stellvertreter,
Generalleutnant Abram Pawlowitsch Sawenjagin. Sawenjagin war trotz seines
NKWD-Ranges einschlägig vorqualifiziert: Seiner Herkunft nach war er Metall-
urge. Zuvor hatte er sich Verdienste mit dem Aufbau eines großen Nickel-Kombi-
nats auf der Halbinsel Taimyr erworben. Der NKWD hatte auch dieses kriegswich-
tige Projekt gemanagt.
Die Aufgaben des NKWD (die Bezeichnung des sowjetischen Staatssicher-
heitsdienstes wurde 1946 und später geändert, der Einfachheit halber sei die alte
Titulierung beibehalten) gingen weit über die eines klassischen Sicherheitsdienstes
hinaus, und die Abwicklung des Uranbombenprojektes bildete für diese Institution
keine neuartige Herausforderung. Riehl, als Leiter des Projektes zur Gewinnung
reinen, waffenfahigen Urans wiederholt mit der NKWD-Spitze in Kontakt, be-
schreibt die Unternehmertätigkeit des Innenministeriums unter Berija:
"Die Funktionen des MWD (= Nachfolgeinstitution des NKWD), in die wir deutsche
,Spezialisten' unmittelbar einbezogen waren, können als das Wirken eines riesigen
staatlichen Unternehmens dargestellt werden, in dem- vom Bewachungspersonal abge-

10 Golowin 1976, S. 68
11 Riehl-Memoiren, S. 37
12 Barwich 1967, S. 94
106 Die sowjetische Bombe

sehen- überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, Strafgefangene arbeiteten, Straf-


gefangene aller Kategorien, vom gewöhnlichen Mörder bis zum politisch suspekten
Universitätsprofessor. Das Unternehmen betätigte sich zu unserer Zeit auf den verschie-
densten Gebieten, vom Erbauen von Kanälen bis zum Betrieb technischer Entwick-
lungsstellen und wissenschaftlicher Laboratorien. Zu einem solchen Unternehmen ge-
hören natürlich auch Fachleute und Verwaltungsbeamte, die keine Sträflinge sind."13
Bemerkenswert bleibt, bis zu welchen Details die offiZiellen sowjetischen Darstel-
lungen gehen. Generalleutnant A.P. Sawenjagin wird in sowjetischen Darstellun-
gen bei der Aufzählung der um die Bombe verdienten Spitze nicht übergangen:
"Von großer Verantwortung getragen, gaben alle ihr Bestes. Das Beispiel selbstloser
Hingabe im Dienste an die Heimat, das durch Kurtschatow, Sawenjagin und Wannikow
gegeben wurde, spornte viele an."14
Wer dieser Sawenjagin war, der so ehrenvoll neben den beiden ausführlicher ge-
würdigten Protagonisten Kurtschatow und Wannikow angeführt ist, kann der Leser
dem amtlichen Text nicht entnehmen, Daß der Name des NKWD-Genemls über-
haupt angeführt wird, hat mutmaßlich mit den Eigenheiten des Sowjetsystems zu
tun: Bei Ehrungslisten muß auch dem ansonsten nicht zitierbaren mächtigen Si-
cherheitsdienst Tribut gezollt werden.
Auf der Ebene des Regierungsapparates wurde eine Hauptverwaltung der be-
teiligten Ministerien am Atomprojekt gebildet (sowjetische Abkürzung: "Glawa-
tom"). Am bedeutendsten war das aus Tarngründen so bezeichnete ,,Ministerium
für mittleren Maschinenbau" für die Abwicklung des Bombenprojektes auf Regie-
rungsseite. Glawatom richtete eine Art "task force", einen "Großen Technischen
Rat" (Sowjet) ein. Die Leitung übernahm Munitonsminister Wannikow. Kurtscha-
tow wurde als Chefwissenschaftler sein Stellvertreter, zusammen mit dem Volks-
kommissar (Minister) für die chemische Industrie, M.G. Perwuchin.
Mitglieder dieses Bombensowjets waren neben der NKWD-Genemlität und
der Verwaltung führende Physiker. Einige Angehörige dieser wichtigen Regie-
rungseinrichtung waren nicht einmal Parteimitglieder (Kurtschatow z.B. wurde erst
im August 1948 Mitglied der Kommunistischen Partei).
Die für das sowjetische Herrschaftssystem charakteristische Parallelstruktur
zwischen formal zuständiger Regierung und entscheidender Partei- und Sicher-
heitsebene führte auch beim Bombenprojekt zu einer Reihe von Spannungen. Das
begann bei der wechselseitigen Zu- und Unterordnung der Protagonisten. In der
militärischen Hierarchie rangierte zwar Wannikow als Generaloberst vor dem
NKWD-Generalleutnant Sawenjagin. Dennoch war klar, daß der ,,Leutnant" und
nicht der "Oberst" die Entscheidungen tmf (es wird nur ein einziges Mal davon be-
richtet, daß Wannikow eine Entscheidung fällte, als Sawenjagin abwesend war-
die Freigabe der sogenannten "Äther-Methode" zur Uranreinigung).
Das NKWD war wirkungsvoll in der Lage, den Regierungsapparat zu durch-
setzen. Sawenjagin wurde z.B. 1945 förmlich zum Minister für Atomwaffen beför-
dert. Angesichts seiner Machtfülle als Stellvertreter Berijas war dies eine eher
förmliche Ernennung, eben um den Zugriff auf die Regierungsebene abzusichern.
Die Rollenteilung zwischen Minister Wannikow als Vertreter des Staatsappa-
rates und Kurtschatow als wissenschaftlichem Leiter zeitigte gleichfalls Spannun-

13 Riehl-Memoiren, S. 37
14 Golowin 1976, S. 71
Das NKWD übernimmt das Bombenprojekt 107

gen. Wannikow warf Fragen auf, ob der Bau dieser oder jener aufwendigen Anlage
vertretbar sei, ohne daß man wüßte, daß praktisch verwertbare Resultate herauskä-
men. So opponierte er gegen den Bau des neuen großen Beschleunigers (Magnet-
durchmesser fünf Meter) bei Nowo Iwankowo an der Wolga. Dieser wurde binnen
eines halben Jahres durchgezogen. Großes Gewicht scheinen folglich solche Inter-
ventionen der mit der sparsamen Verwendung der Ressourcen betrauten Staatsseite
nicht gehabt zu haben.
Das neue Komitee, vor allem aber Berija und sein Vize Sawenjagin, brachten
das Bombenprojekt rasch auf Touren. Das sowjetische Gegenstück nahm bald die
Dimensionen des amerikanischen Manhattao-Projektes an: In unbesiedelten Gebie-
ten wurden Werkanlagen und Fabriken gebaut. Um wissenschaftliche Mitarbeiter
heranzuziehen, wurden zwei Ausbildungsinstitute und mehrere technische Fach-
schulen neu geschaffen. Die Industrie wurde auf geeignetes Personal hin durchge-
kämmt (sowjetische Eigendarstellung: "Auf Beschluß der Rayon- und Stadtkomi-
tees der Partei schickten viele Betriebe ihre besten Arbeiter, Ingenieure, Konstruk-
teure und leitenden Funktionäre in die neu entstehenden Städte, Werke und Institu-
te").
Für Rüstungsprojekte rekrutierte das NKWD augenscheinlich Spitzenkräfte.
Die in der UdSSR ehemals tätigen deutschen Wissenschaftler heben die Kompe-
tenz und Largesse ihrer NKWD-counterparts hervor. Sie berichten auch von den
Hilfsmitteln, die der NKWD zur Verfügung standen, bis hin zu eigenen Salonwa-
gen der sowjetischen Staatsbahn. Riehl berichtet über das neue Tempo:
,,Ein ganz andere Wind wehte, als wir in die Sowjetunion kamen. Dort gerieten wir so-
fort in den Sog der vom Staat geradezu brutal angetriebenen Bemühungen um das
Uranprojekt, und zwar noch vor der Explosion der Hiroshima-Bombe. Alle erforderli-
chen personellen und materiellen Mittel, über die das Land verfügte, wurden für das
Projekt eingesetzt, wahrscheinlich sehr oft auf Kosten der sonstigen Bedürfnisse des
Landes."15
In dem neuen Projekt erfolgte die Abkehr von der bislang von den sowjetischen
Wissenschaftlern gepflegten ,,Laboratoriumsideologie" - der Grundvorstellung, für
die Erzeugung der Bombe die Laboreinrichtungen einfach in großtechnische Maß-
stäbe zu übersetzen. Aufgrund von Hinweisen der Spionage verstärkte sich der
Eindruck, daß für die Gewinnung von reinem Uran im Großverfahren gänzlich an-
dere Methoden zu suchen waren, als sie die experimentierenden Physiker kannten.
Das Arbeitstempo beim Bombenprojekt war unmenschlich, besonders für Füh-
rungskräfte. Die Projektleiter kämpften mit Herzkrankheiten. Riehl berichtet als
Augenzeuge: "Sie alle standen während des Krieges und in den ersten Nachkriegs-
jahren unter ungeheurem Streß. Fast alle waren herzkrank."16 Sawenjagin und
Kurtschatow verstarben später während der Arbeit an Infarkten (Kurtschatow erlitt
zwei Herzattacken, die Ärzte diagnostizierten hernach ein "Spasma der Gehimge-
fäße"; 1960 erlag er einem dritten Herzschlag). Wannikow erlitt während der
Hochphase des Bombenprojektes im kalten Winter 1947/48 gleichfalls einen In-
farkt und leitete die Bauarbeiten für das sowjetische Gegenstück zu Oak Ridge
fortan von einem Waggon aus, der in der Nähe des Bauplatzes aufgestellt wurde.
Da ihm die Autofahrt in die zehn Kilometer entfernte nächste Stadt zu beschwer-

15 Riehl-Memoiren, S. 18
16 Riehl-Memoiren, S. 36
108 Die sowjetische Bombe

lieh war, übernachtete der Minister auch in dem Waggon. Kurtschatow als seinem
Vertreter blieb nichts anderes übrig, als gleichfalls in einen Waggon einzuziehen.
Wannikow starb 1962 im Alter von 65 Jahren, Sawenjagin schon 1956 im Alter
von nur 55 Jahren, wie sich ihren Gräbern an der Kremlmauer entnehmen läßt.-
Der Streß hielt nach Ende des Bombenprojektes aß: Silvester 1950, das sowjetische
Programm für die Entwicklung der H-Bombe war gerade angelaufen, wird berich-
tet, daß Kurtschatow selbst zu Silvester (dem russischen Weihnachten) erst abends
gegen elf Uhr sein Arbeitszimmer verließ. Für alle führenden Mitarbeiter am Bom-
benprojekt gab es zudem keinerlei Urlaub.
Die drastische Geheimhaltung erzeugte zusätzliche Spannungen und Probleme.
Auch die führenden sowjetischen Physiker, nicht nur die Minister, verfügten
über eine Leibwache von zumindest drei jeweils tätigen ,,Experten". Bei internen
Besprechungen wurde stets nur vom "Metall Nr. 9" gesprochen (allenfalls die am
Projekt beteiligten zwangsrekrutierten deutschen Wissenschaftler sprachen unter-
einander von "Uran"). General Sawenjagin war innerhalb der Staatssicherheit
"Chef der 9. Verwaltung". Die Abteilung des Ministeriums für Allgemeinen Ma-
schinenbau, die staatlicherseits für das Projekt zuständig war, trug die Ziffer "Ab-
teilung 9" und ebenso wurde das zentrale Forschungslabor für das Projekt bezif-
fert. Die Zahl "9" war gleichsam zum geheimen Kodewort für Uran geworden. Die
Wahl ausgerechnet dieser Ziffer kann mit einer Verschlüsselung des Endziels Plu-
tonium zusammenhängen- Atomgewicht 23"9".
Ein sowjetischer Emigrant berichtet über die Wirkungen der extremen Ge-
heimhaltung im Alltag:
"Forschungsberichte wurden bei den sogenannten 1. Abteilungen aufbewahrt (den Si-
cherheitsabteilung), zu denen jüngere Wissenschaftler keinen Zutritt hatten. Diese Zu-
gangsbeschränkung galt für alle Arten von Forschung, nicht nur für jene, die praktische
Bedeutung hatten. Nur mit Genehmigung eines Forschungsgruppenleiters konnte ein
junger Forscher die Erlaubnis erhalten, sich mit den Ergebnissen eines Experiments
vertraut zu machen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, daß in den späten vierziger und
fünfzig er Jahren ein junger sowjetischer Physiker mehr über den Zustand der Kernphy-
sik aus der amerikanischen Zeitschrift Physical Review erfahren konnte als aus Arbei-
ten in der Sowjetunion, da sowjetische Forschungsergebnisse ausschließlich in Geheim-
berichten gesammelt wurden."17
Die Berichte der ehemals in der Sowjetunion tätigen deutschen Wissenschaftler
sind voll von bizarren Einzelheiten, die der absolute Geheimschutz bewirkte und
die die Projektabwicklung noch streßhafter ablaufen ließ, als sie dies ohnehin
schon war. Um nur ein Beispiel zu geben: Professor Wassily S. Emeljanow, da-
mals Stellvertreter Sawenjagins als Atomminister (hernach regelmäßiger Teilneh-
mer an den internationalen Pugwash-Konferenzen), reiste einmal zwecks Eröff-
nung eines kleinen Werkes an, in dem das erste in der UdSSR angereicherte Uran
weiter behandelt werden sollte. Das bedeutende Objekt war durch zwei Stachel-
drahtzäune mit zwei Posten gesichert Ein Zeuge berichtet, was dem stellvertreten-
den Minister passierte:
,,Der erste Soldat ließ ihn durch. Doch der zweite Soldat fand den Passierschein unzu-
reichend und ließ ihn nicht durch. Darauf bekam der erste Soldat kalte Füße und ließ ihn
nicht wieder heraus. Emeljanow war zwischen den beiden Soldaten auf einer Fläche

17 Schrütliche Aussage eines jüngeren emigrierten Physikers aus dem Fundus des Harvard
Emigration Research Project (Name auf Wunsch des Interviewten nicht mitgeteilt).
Die deutschen Atomforscher in der UdSSR 109

von anderthalb Quadratmetern eingesperrt ... Es dauerte über eine Stunde, bis Emelja-
now freikam."18
Als der deutsche Leiter des späteren Uranprojektes sich bei Sawenjagin einmal we-
gen einer neuerlichen Verschärfung der Geheimhaltungsvorschriften beschwerte,
stellte sich heraus, daß der Geheimschutz wenig steuerbar war und auch dem
NKWD zu schaffen machte. "Ihre Geheimnishüter drücken uns die Kehle zu," trug
Riehl Sawenjagin vor, worauf dieser lakonisch erwiderte: "Uns auch!"
Die scharfe Geheimhaltung wurde auch von anderen beteiligten Russen als ex-
trem empfunden. Michail Perwuchin, damals stellvertretender Vorsitzender des
Rates der Volkskommissare (des Ministerrates), erinnerte sich jüngst:
"Wir machten damals nicht einmal von uns selber Fotos. Bedauerlicherweise gibt es
keine Aufnahme davon, wie nach dem Anlaufen des Reaktors alle Beteiligten neben der
Bedienungskonsole stehen. Es gibt kein solches Foto."19
Die Erörterung von technischen Sachfragen über das öffentliche Telefonnetz blieb
aus Furcht vor Spionage verboten- für solche Zwecke gibt es spezielle Leitungen,
auch in die Privatwohnungen von Führungskräften.20
Die Russen weiteten das Projekt zügig aus, gründeten weitere Institute, gingen
an den Bau eines größeren Zyklotrons. Vor allem aber holten sie deutsche Wissen-
schaftler ins Land. Die Russen handelten, lange bevor die erste Nuklearsprengung
der Amerikaner (am 16. Juli 1945) erfolgte oder die Bomben auf Hiroshima und
Nagasaki (am 6. bzw. 9. August 1945) fielen. Anfang Juni 1945 wurden die wich-
tigsten Deutschen in die Sowjetunion ausgeflogen.

2.3 Die deutschen Atomforscher in der UdSSR

Die Sowjets hatten schon früh versucht, ausländische Experten für ihr Bombenpro-
jekt zu gewinnen. In der ersten Jahreshälfte 1944 erhielt der in den Westen emi-
grierte Doyen der Kernphysiker, Niels Bohr, von Pjotr Kapiza eine Einladung,
nach Moskau zu kommen. Der britische Geheimdienst "half Bohr, einen Ableh-
nungsbrief zu schreiben".21 Chorchili äußerte sich im September 1944 höchst be-
unruhigt über die sowjetische Einladung an Bohr- zumindest er begriff, daß in der
UdSSR gleichfalls an der Nutzung der Kernspaltung gearbeitet wurde.22
Wilcox verweist ferner darauf, daß den Sowjetes bei der ERobergung Koreas
die japanischen Labors zur Bombenforschung in Honan mitsamt dem Personal in
die Hände gefallen sein werden.23
In einer systematisch angelegten Operation holte der NKWD bei Kriegsende
sich deutsche Physiker, die in der UdSSR am Bombenprojekt mitzuwirken hatten.
NKWD-Sawenjagin bezog in Berlin Friedrichshagen Quartier, um der für das

18 Riehl-Memoiren, S. 73
19 Nach Moscow News, 17.4.1988 (No. 16), S. 16. Perwuchin bezieht sich auf das Kri-
tischwerden des ersten Reaktors, der, so der Hinweis in der sowjetischen Quelle, "Plu-
tonium für die ersten A-Bomben erzeugte".
20 Jakowlew 1972, S. 349
21 Kramish 1982, S.13
22 Churchill, S. 177
23 Vgl. den Kommentar von lriye 1985 zu Wilcox 1984.
110 Die sowjetische Bombe

Uranprojekt wichtigen Deutschen habhaft zu werden.


Das NKWD ging bei der Ergreifung der deutschen Kernpyhsiker keinerlei Ri-
siko ein. Die erste Garnitur sowjetischer Physiker wurde in Armeeuniformen ge-
steckt, um die wertvollen Deutschen zu finden. Nikolaus Riehl, später Leiter des
sowjetischen Uranherstellungsprojektes, wurde z.B. von zwei bedeutenden Wis-
senschaftlern aufgespürt Der eine war Kurtschatows Schüler Flerow (er entdeckte
die Transurane 104, 105, 106 und 107 aufgrund seiner Arbeiten über schwere Io-
nen), der frühe Enthusiast für eine eigene sowjetische Bombe. Der andere war der
womöglich noch bedeutendere Professor Lew Andrejewitsch Arzimowitsch (dieser
gleichfalls aus dem berühmten Leningrader ,,Phystech" unter Joffe hervorgegange-
ne Physiker hatte besonders über das elektromagnetische Verfahren der Isotopen-
trennung gearbeitet und später zur Plasmaphysik der Kernfusion publiziert). Die
sowjetischen Gelehrten waren in Obristenuniform gesteckt worden, wie Zeugen
meinen, gar Uniformen des NKWD. Riehl erinnert sich besonders an die Verklei-
dung des bekannten sowjetischen Professors Juri Borissowitsch Chariton (seit
1953 Mitglied der Akademie, verdient durch Beiträge zur Theorie der Kettenreak-
tion):
,,Manche wirkten in der Verkleidung recht drollig. Besonders amüsant fand ich in die-
. ser Beziehung den ansonsten sehr angesehenen Physiker J.B. Chariton, dem die Militär-
mütze viel zu groß war. Zum Glück besaß er sehr abstehende große Ohren, die es ver-
hinderten, daß ihm die Mütze über seinen schmalen Gelehrtenkopf rutschte. "24
Der NKWD zeigte sich präzise informiert: Rieb! z.B. war genau der richtige Mann
für das sowjetische Uranprojekt Nach seiner Doktorarbeit im Dahlemer Institut
von Otto Hahn und Lise Meitner war Rieb! Mitarbeiter der angesehenen Berliner
Firma Auer geworden, einer Tochter des Degussa-Konzerns. In dieser militärisch
nicht auffälligen Firma hatte Riehl über radioaktive Substanzen gearbeitet und sich
.nach der Entdeckung der Kernspaltung der Herstellung reinsten Urans zugewandt,
wie es für das Bombenprojekt unerläßlich war. (Später entstand aus dieser Firma
die bekannte NUKEM, welche heute in Hessen für Schlagzeilen sorgt). Riehl hatte
für das deutsche Uranprojekt während des Krieges mit einer Labor-Methode, der
sogenannten "fraktionierten Kristallisation", einige wenige Tonnen von einiger-
maßen reinen Uranblöcken erzeugen können.
Gleichfalls als gut informiert über die Bedeutung Riehls und seiner Uranar-
beiten erwiesen sich die Amerikaner. Kurz vor Kriegsende wurde das Omnienbur-
ger Werk im Norden von Berlin, wo sich die Anlagen zur Herstellung reinsten
Uranoxyds befanden, durch amerikanische Luftangriffe fast völlig zerstört. Am 15.
März 1945 legten mehr als 600 ,,Fliegende Festungen" auf Empfehlung von Gene-
ral Groves Bombenteppiche auf die Fabrik. Riehl beschreibt in seinen Erinnerun-
gen: "Die mich begleitenden Russen wußten offenbar schon, daß die Luftangriffe
auf unser Werk nicht mehr uns, sondern ihnen gegolten haben."25
Am Bau der sowjetischen Atombombe waren drei Gruppen zwangsverbrachter
deutscher Wissenschaftler und Techniker direkt beteiligt: die Gruppe Riehl (mit
der Herstellung reinen Urans betraut), die Gruppe von Gustav Hertz (eines Neffen
des noch bekannteren Physikers Heinrich Hertz) und schließlich die Gruppe von
Manfred von Ardenne, des später in der DDR weithin bekannten Elektronikers.

24 Riehl-Memoiren, S. 6
25 Riehl-Memoiren, S. 8
Die deutschen Atomforscher in der UdSSR 111

Hertz hatte sich schon früh mit Methoden zur Trennung von Gasen durch Dif-
fusion befaßt und diese Methode mit Erfolg auf die Isotopentrennung des Urans
angewandt. Über Ardenne liegen verschiedene Materialien vor, vorrangig Eigen-
darstellungen, die angesichts ihrer Widersprüche mit anderen Quellen bei der Be-
handlung des sowjetischen Bombenprojektes mit Vorsicht zu verwenden sind. -
Insgesamt sollen zwölf Gruppen deutscher Wissenschaftler an sowjetischen Rü-
stungsprojekten beteiligt gewesen sein, neben Einzelwissenschaftlern wie dem be-
deutenden Physiko-Chemiker Max Volmer (nach dem später die TU Berlin eines
ihrer Institute benannte), dem Physiker R. Döpel oder dem Physiko-Chemiker P.
Thiessen (einem Fachmann für Kunststoff- und Sprengstoffchemie).
Die meisten dieser Wissenschaftler und Techniker sind unfreiwillig in die
UdSSR übergesiedelt. Manche protestierten förmlich, wie der Leiter der Weiter-
entwicklung der V -2-Rakete, Helmut Gröttrup,26 vormals Generaldirektor der
deutschen ,,Zentralwerke". Verschiedene Deutsche hatten aber durchaus eigene
Motive, die Zusammenarbeit mit den Russen zu suchen. Volmer zum Beispiel
glaubte angesichts der Zerstörungen in Deutschland im Jahre 1945, nie mehr wis-
senschaftlich in diesem Lande arbeiten zu können, und suchte um Beschäftigung
bei den Sowjets nach (u.a. betrieb er in der UdSSR ein Projekt zur Erzeugung
schweren Wassers). Andere hatten noch direktere Motive, wie der Physiker Bar-
wich: "Am 10. Juni 1945 entschloß ich mich nämlich, in die Sowjetunion zu ge-
hen. Ich war 33 Jahre alt, verheiratet, hatte drei kleine Kinder, das vierte wurde er-
wartet. Auch war ich arbeitslos."27
Besondere Motive, die Zusammenarbeit mit den Sowjets (und nicht etwa mit
den Amerikanern) zu suchen, hatten ferner die ehemaligen Nationalsozialisten un-
ter den deutschen Rüstungsexperten. Dies gilt zum Beispiel für den Träger des
"Goldenen Parteiabzeichens" der NSDAP, Professor Thiessen, dem Fachkollegen
ein besonderes Engagement bei der ,,Entjudung" der deutschen Universität nachsa-
gen.- Der vormalige Führer der NS-Studentenschaft der Universität Wien, Dr. Ba-
roni, bei der Vorbereitung seiner Rückkehr nach Österreich mit der Möglichkeit ei-
nes Verfahrens wegen seiner Vergangenheit konfrontiert, zog es vor, in der UdSSR
zu bleiben (er wurde später Chefredakteur des sowjetischen "Journals für analyti-
sche Chemie").
Die Entscheidung der Sowjets zur Beschäftigung deutscher Spezialisten fiel
vollkommen rational aus. Für die Bearbeitung von für das Projekt unabdingbaren
Hilfs- und Nebengebieten setzten sie Ausländer ein. Für den Zentralvorgang, den
Bau eines Reaktors für die Plutonium-Gewinnung und die Konstruktion der Bom-
be selber, griffen sie auf eigene Ressourcen zurück.
In sowjetischen Darstellungen liest man über die Tätigkeiten der Deutschen
nichts. Sätze wie, daß "nun die Industrie Uran und Graphit in erforderlichen Ton-
nen lieferte", "die Industrie begonnen (hatte), Graphit in der erforderlichen Rein-
heit und metallisches Uran im notwendigen Umfang zu liefern", geben den veröf-
fentlichten Niederschlag von langjährigem Zwangsaufenthalt der Deutschen, von
einem für sie und ihre Familien entsagungsvollen Leben. Nikolaus Riehl, dessen
Arbeitsergebnisse von zehn Jahren Zwangsaufenthalt in der UdSSR als Leiter des
Uranherstellungsprogramms hier beispielhaft "der Industrie" zugerechnet werden,

26 Vgl. Abschnitt 1.4 in diesem Band


27 Barwich 1967, S. 19
112 Die sowjetische Bombe

bemerkt zur Exaktheit solcher sowjetischer Angaben: "Alle Angaben entsprechen


der Wahrheit, doch von einer kompletten Darstellung des sowjetischen Atompro-
jektes kann keine Rede sein."28
Strittig bleibt die Antwort auf die Frage, wie entscheidend die Mitwirkung der
in der Sowjetunion tätigen deutschen Wissenschaftler und Techniker für den Er-
folg des Bombenprojektes war. Riehl selber wertet überaus bescheiden:
"Es wäre naiv zu glauben, daß die Mitarbeit der deutschen 'Spezialisten' wirklich ent-
scheidende Bedeutung für den Aufbau der sowjetischen Atomkern-Industrie und ande-
rer wichtiger Technologien hatte. Auf dem Kernenergie-Gebiet hätten die Sowjets ihr
Ziel ohne die Deutschen ein Jahr oder höchstens zwei Jahre später selbst erreicht."29
Angesichts der Kriegszerstörungen und des bescheidenen Standes der sowjetischen
Forschungen sind jedoch auch gänzlich andere Wertungen möglich. Durch ihren
Ideenreichtum, ihre ungenierte Improvisation und ihre geringe Achtung vor dem
sowjetischen Herrschaftsapparat haben die deutschen Wissenschaftler wirksam
zum Erfolg des sowjetischen Bombenprojektes beigetragen. Sie haben dessen Zeit-
bedarf nicht nur um Jahre verkürzt, sondern sie waren in der Stalinschen Sowjet-
union ein entscheidendes Zwischenstück, um die mannigfaltigen Lücken des Indu-
striesystems dieser Gesellschaft zu überbrücken - ohne das es nicht zur Bombe ge-
reicht hätte.

2.4 Der sowjetische Kampf um die Bombentechnologie

Die Sowjets begannen fertigungstechnisch ihr Uranbombenprojekt 1945 am Null-


punkt. Für reines Uran hatte sich bislang niemand interessiert. Uranerze wurden
aufgearbeitet, um daraus Radium zu holen. Allenfalls Uranyl-Ione wurden für be-
stimmte Email-Glasuren verwendet. Es spricht für die Informiertheil des sowjeti-
schen Geheimdienstes, daß diesem die Arbeiten Riehls bei der Auer-Gesellschaft
zur Reduktion von Uranoxyd aufs Metall mittels Calcium bekannt waren. Riehl be-
schreibt die vor ihm liegende Aufgabe in der Sowjetunion:
,,Bei der Herstellung von Uran für Reaktoren ging es darum, zunächst das aus den Er-
zen (z.B. Uranpechblende) gewonnene Uran durch geeignete chemische Operationen in
einem extrem reinen Zustand zu erhalten. Hierbei kommt es besonders darauf an, ge-
wisse Elemente, nämlich solche, die im Reaktor die Neutronen einfangen und dadurch
die Kettemeaktion der Uranspaltung stoppen, weitestgehend zu entfernen ... Danach
mußte das Uran in metallische Form überführt (reduziert) werden und schließlich durch
Schmelzen in Stücke der geometrischen Form gebracht werden, die für eine Verwen-
dung im Reaktor geeignet ist."30
War die Herstellung metallischen Urans gelungen, so standen zwei die Phantasie
der Fertigungstechniker nicht minder beanspruchende Probleme an, um zum Bom-
benzündstoffzu gelangen. Das allein spaltfähige Isotop 235, welches im Natururan
lediglich in einer Konzentration von 0,7 Prozent zu finden ist, mußte gegenüber
den nicht spaltbaren anderen Isotopen herausgelöst (im Fachjargon: "getrennt")
werden. Oder aber das überwiegende Isotop 238, selber nicht spaltfähig, konnte

28 Riehl-Memoiren, S. 131
29 Riehl-Memoiren, S. 14
30 Riehl-Memoiren, S. 15
Der sowjetische Kampf um die Bombentechnologie 113

durch Bestrahlung mit Neutronen im Reaktor in das künstliche "Transuran" Pluto-


nium überführt werden. Dieses wiederum war spaltfähig.
Nach Aussage von Riehl "gab es 1945 keinerlei Ansätze einer Uranfabrikation
für Reaktorzwecke. Wir waren die ersten, die die Aufgabe in Angriff zu nehmen
hatten".31 Die deutsche Expertengruppe begann im Sommer 1945, mitgebrachtes
pulverförmiges Uranmetall in den in Deutschland demontierten Öfen zu schmelzen
und zu vergießen. Die Sowjets verfolgten ihrerseits mit gespanntester Aufmerk-
samkeit, wie die gekaperten Deutschen und ihr Uranprojekt tatsächlich funktionier-
ten: Der das Werk leitende General telefonierte während des Anfahrens der Uran-
produktion ständig mit dem NKWD und erstattete Bericht Berija erhielt diese Be-
richte unmittelbar und gab sie augenscheinlich unmittelbar an Stalin selber weiter.
Da die Deutschen ihre Versuche auf die Nächte konzentrierten, um ungestört arbei-
ten zu können, liefen diese Rapports gleichfalls nachts ab. ,,Es tut mir heute noch
leid", merkt der deutsche Projektleiter an, "daß wir einer so hohen Persönlichkeit
Schlafstörungen verschafft haben."32 Zunächst funktionierte die Urangewinnung
schlecht, aber Anfang 1946 brachte die Riehl-Gruppe binnen weniger Tage einige
Tonnen reaktorfähiges Urandyoxyd zustande (welches in der Form von kogeiför-
migen Preßlingen von sowjetischen Physikern sogleich für einen Großversuch be-
nötigt wurde). ·
Zum Zeitpunkt der Explosion der ersten US-Bombe im Juli 1945 lagen die So-
wjets weit zurück. Anfang des Jahres hatten sie das 1,5 m-Zyklotron in Betrieb ge-
nommen, mit dem schnelle Protonen zur Anreicherung von Uran zwecks Gewin-
nung von Plutonium erzeugt werden konnten. Bei Kriegsende hatte man das Sta-
dium der Protonenerzeugung erreicht und experimentierte mit der Trennung der
Uranisotope. In seinen beiden Zelten experimentierte Panasjuk mit der Neutronen-
vervielfältigung in Stapeln aus Granit und Uran, den Vorformen des ersten Atom-
meilers. In Charkow (,,Labor 1") werkelte Sinelnikow mit seinem Team.
Die Nachricht vom ersten erfolgreichen Atomtest der Amerikaner in der Wü-
ste von New Mexiko überraschte die Russen. Bei der Lektüre der folgenden sowje-
tischen Darstellung sollte man sich vor Augen halten, daß die Amerikaner ihren er-
sten Bombentest vom 16. Juli 1945 21 Tage lang geheim hielten:
,,Mitte Juli 1945 traf die Nachricht von einer Explosion ungeheuren Ausmaßes auf dem
Versuchsgelände von Alamogordo in den USA ein. Kurtschatow und seine Mitarbeiter
nahmen diese Meldung mit gemischten Gefühlen auf. Sie empfanden Verdruß darüber,
daß es die Amerikaner früher als sie geschafft hatten."33
Auf westlicher Seite war man gespannt, wie die Sowjets auf die Mitteilung des
amerikanischen Erfolges reagieren würden. Truman und Churchill waren überein-
gekommen, Stalin während der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 über den erfolg-
reichen ersten Atombombentest beiläufig zu unterrichten. Am 24. Juli, eine Woche
nach Konferenzbeginn, erwähnte Truman gegenüber dem Generalissimus (dessen
Reaktion mit Spannung beobachtet wurde), man habe gerade eine neue, extrem
starke Waffe ausprobiert. Stalin tat seinen Beobachtern nicht den Gefallen, eine
bestimmte Reaktion zu zeigen, sondern griff- ohne irgendein besonderes Interesse
an den Tag zu legen - zu der Floskel, er höre das gern und hoffe, Amerika werde

31 Riehl-Memoiren, S. 21
32 Riehl-Memoiren, S. 22
33 Golowin 1976, S. 68
114 Die sowjetische Bombe

guten Gebrauch davon gegen die Japaner machen (was nun nicht ein sowjetisches
Ja zur Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki zwei Wochen später darstellt).
Die Amerikaner waren enttäuscht Truman meinte hinterher zu seiner Umgebung,
Stalin hätte mutmaßlich gar nicht verstanden, worum es ging.
Mit dieser Ansicht hatte er sich gründlich getäuscht. Wie Marschall Schukow
in seinen Memoiren berichtet, gab Stalin unmittelbar nach der Sitzung Kurtscha-
tow einen Tritt, das sowjetische Bombenprogramm sei zu beschleunigen. ("Wir
müssen Kurtschatow sagen, er soll die Arbeiten beschleunigen."34) In einer sowje-
tischen Darstellung wird Stalins Manöver diskreter umschrieben: Hernach ging es
"im Institut mit neuem Schwung weiter."35
Für die Sowjets gab es neben den physikalischen Problemen eine zweite Front
(mit der pathetischen Bedeutung, die dieser Ausdruck für die Etablierung einer
Front im Westen angenommen hatte): die geringe Leistungsfahigkeit ihrer Indu-
strie. Graphit in der für einen Reaktor erforderlichen Reinheit und metallisches
Uran waren in den USA ohne weiteres beschaffbar, nicht aber in der Sowjetunion.
Als die sowjetischen Physiker endlich die beiden Elemente in genügender Menge
und Reinheit für ihre Versuche erhielten, feierten sie dies zu Recht als einen "zwei-
ten Sieg" (neben der Inbetriebnahme des Zyklotronszur Urananreicherung).
Es fehlte an allem, zum Beispiel an Geigerzählern zur Messung der gefahrli-
ehen Röntgenstrahlung. B.G. Dubowski, für den Schutz vor Gammastrahlen zu-
ständig, baute sich seine Zähler eigenhändig. Der deutsche Fachmann Dr. Schütze
entwickelte ein Massenspektrometer für schwere Atome, mit dem das Verhältnis
der Isotope im angereicherten Uran präzise gemessen werden konnte. Da metalli-
sches Uran nicht ausreichend vorhanden war (für den ersten Reaktor wurden Dut-
zende von Tonnen Uran und Hunderte Tonnen Graphit benötigt), entschlossen sich
die Russen, nur im Reaktorkern, dem Ort der Kettenreaktion, reines Uran zu ver-
wenden und sich in den Randschichten mit Uranoxyd zu begnügen. Diese Spar-
samkeit erstreckte sich später gar auf die Bombe selber: Der Mantel des Spreng-
körpers wurde mit Uran ausgeführt, welches lediglich auf ein Prozent des Spaltiso-
tops 235 angereichert war, und diente als Reflektor für die Neutronen.
Eine Vielzahl von Mängeln war ausz~~leichen: Die dritte Uranlieferung für
den ersten Reaktor, so stellte sich bei der Uberprüfung der mangelhaften Neutro-
nenausbeute heraus, war ungenügend rein. Im Betrieb stellten sich die unterschied-
lichsten Probleme ein: Der Reaktor erhitzte sich zu schnell, um voll gefahren wer-
den zu können, es gab Probleme mit dem Strahlenschutz. Beim ersten Großreaktor
kam es im Betrieb bald zu unerwarteten Korrosionserscheinungen, und unter dem
Einfluß der Strahlung vergrößerte sich überraschend das Volumen der Uran- und
Graphitbauteile.
Die eigentliche sowjetische Uranfabrik entstand schließlich nach erheblichem
Suchen für ein geeignetes Gelände in einer ehemaligen Munitionsfabrik in dem In-
dustrieort Elektrostal bei der Stadt Noginsk, etwa 70 Kilometer östlich von Mos-
kau (der NKWD hätte eine ländlich-abgeschiedenere Lage bevorzugt).
Die entscheidende fertigungstechnische Barriere für den Erfolg des Uranpro-
jektes bildete die Entwicklung der Membranen und der Diffusionsanlage. In den
USA hatte die Lösung dieser Probleme fast drei Jahre beansprucht. Die ersten so-

34 Zitat nach Schukow 1969, S. 653


35 Golowin 1976, S. 68
Der sowjetische Kampf um die Bombentechnologie 115

wjetischen Versuche zur Herstellung der Metalltrennwände waren geradezu atem-


beraubend einfach: Eine Maschine wurde entwickelt, die mit feinen Nadeln freilich
viel zu große Löcher in ein dünnes Nickelblech stanzte. Zur Isotopentrennung hätte
man mit so geringen Drucken des Urangases arbeiten müssen, daß die gesamte
Weltproduktion für Nickel für die Herstellung eines Kilogrammes Uran erforder-
lich gewesen wäre. Weitere sowjetische Versuche mit aus Nickelpulver gepreßten
Trennwänden ließen sich nur für die ersten Trennstufen gebrauchen, weil auch sie
nicht feinporig genug ausfielen. So wandte man sich an die Deutschen im Lande.
Die von den deutschen Wissenschaftlern entwickelte originelle Lösung des
Problems: Die Nickelverbindung Dimethylglyoxin wurde mit Tragant und Nelken-
öl zu einer Paste gemischt, aus der die Nickelrohre "gebacken" wurden. Es entstan-
den die gewünschten Rohremit feiner Porösität.
Die absolute Priorität, die dem Bombenprojekt mit Hilfe des NKWD gesichert
war, bedeutete keineswegs, daß alle Beteiligten aus dem Vollen schöpfen konnten.
Panasjuk zum Beispiel gelang es über Jahre hinaus nicht, aus seinen beiden Ar-
meezelten herauszukommen. Als andernorts neue Anlagen und Städte entstanden
und der Bau des ersten Reaktors angegangen wurde, wandte sich seine Gruppe
Einzelfragen wie der Erhöhung der Neutronenausbeute zu.
Die Hauptlast der ingenieurtechnischen Entwicklung des Uranverfahrens tru-
gen auf sowjetischer Seite die Professoren I. Kikoin und S. Sobolew. Erneut beein-
druckte der geringe Aufwand, mit dem die zahlreichen Probleme angegangen wur-
den, welche beim Anfahren der Trennanlage für die Isotopengewinnung auftraten.
Die Differentialgleichungen, mit welchen die Regelvorgänge an der "Kaska-
de" während der Isotopentrennung behandelt wurden, beschäftigten beim sowjeti-
schen Bombenprojekt zwei Fachleute (den deutschen Physiker Heinz Barwich und
den sowjetischen Mathematiker Krutkow), mit gelegentlicher Einhilfe des Akade-
miemitgliedes Sobolew und dessen Gruppe. In den USA wurden für die gleiche
Aufgabe einige dreißig Mathematiker eingesetzt.
Die Deutschen wurden herbeigeholt, wenn man auf sowjetischer Seite nicht
weiterkam. Eines Tages war die Frage zu beantworten, wie der Urangasstrom in
der "Kaskade", der Hintereinanderschaltung einer Vielzahl von Metallmembranen
zur Isotopentrennung, geregelt werden könnte. Der Bau besonderer Regler, von de-
nen mehrere tausend Stück benötigt würden, würde zumindest ein bis zwei Jahre
erfordern. Der Physiker Heinz Barwich konnte dem "Großen Sowjet" von Glawa-
tom eine Methode aufzeigen, wie man ohne die Regler auskommen konnte.
Selbstverständlich nahmen an einer so wichtigen Sitzung, wo es um die mögli-
che Einsparung von Tausenden von Reglern und einen Zeitgewinn von Jahren
ging, alle Spitzen des Bombenprojektes teil, Wannikow und Kurtschatow, daneben
drei NKWD-Generäle in Uniform, unter ihnen Sawenjagin. Der Aufwand bleibt im
Vergleich beeindruckend: Vom militärischen Leiter des US-Bombenprojektes, Ge-
neral Groves, wird nicht berichtet, daß er je einen komplizierten naturwissenschaft-
lichen Vortrag über Regler über zwei Stunden lang anhörte, wie dies bei dieser Ge-
legenheit der Fall war. Barwich setzte sich mit seinem theoretisch gewonnenen Er-
gebnis durch: Die Kaskade wurde ohne Regler betrieben.
In amerikanischen Fachkreisen meinte man, die Sowjets würden schon an dem
Problem der Korrosion einer Trennanlage scheitern - Uranhexafluorid ist ein ex-
trem reaktionsfreudiges korrodierendes Gas. Tatsächlich hatten die Sowjets bei In-
betriebnahme ihrer ersten Urangroßanlage im sibirischen "Kefirstadt" (wie die
116 Die sowjetische Bombe

Deutschen die Anlage benannten) erhebliche Probleme und konnten sich große
Schwundmassen an Uran nicht erklären.
Man griff erneut auf die "tüchtigen" Deutschen zurück. Thiessen und Barwich
wurden an der Fehlersuche beteiligt und erhielten so Zugang zum allergeheimsten
Teil des Bombenprojektes, der Kaskadenanlage zur Urangewinnung. Bald wurde
entdeckt, daß das Urangas das Innere der Rotoren der Pumpanlage korrodiert hatte
und die verschwundenen Uranteile dort zu finden waren.
Der starke Arm der NKWD wurde sichtbar, wenn die Industrie Anforderungen
des Uranprojektes, sicher ist sicher, in grotesker Weise übererfüllte. Als man
zwecks Reduktion von Uranhexafluorid zu Uran mit Dimethylglyoxin zu experi-
mentieren begann, wurde den überraschten Forschern eine ganze Tonne, die Jah-
resproduktion dieses Stoffes in der UdSSR, auf den Hof gefahren. Der mit spektro-
graphischen Untersuchungen zur Reinheit der Bombenbaustoffe beauftragte Dr.
Krüger brauchte eines Tages zwei Elektroden aus reinem Graphit als Ersatzteile
für sein Spektrometer. Auf seine Anforderung hin wurden zwei Tonnen Graphit im
Hof des Labors abgeladen. Der deutsche Wissenschaftler ließ aus einem der Blök-
ke seine beiden Ersatzelektroden herausschneiden, der Rest an Graphit wurde ab-
gelagert Ein weiteres Beispiel: Als die während der gesamten Laufzeit des sowje-
tischen Atomprojektes von der britischen Firma Ilford bezogenen hochempfindli-
chen Photoplatten für die Spektrometer knapp wurden und eine Zusatzbestellung
erfolgte, kam es zu der Anlieferung einer LKW-Ladung. Das Labor im subtropi-
schen Suchumi hatte weder Verwendung für diesen Überschuß, noch konnte es die
Platten angemessen lagern. Die teure Devisenware verrottete.
In Einzelheiten weist das sowjetische Bombenprojekt hin und wieder durchaus
Züge auf, die ein Licht auf den Byzantinismus dieser Gesellschaft liefern. Kurt-
schatow, als wissenschaftlicher Gesamtverantwortlicher permanent auf Sitzungen
unterwegs, ständig reisend, experimentierte hin und wieder ein wenig nach alter
Manier und - was für ein Zufall - erzeugte während eines seiner Kurzaufenthalte
in seinem alten Institut zusammen mit seinem Bruder Boris am Uran-Graphit-Re-
aktor die erste wägbare Menge Plutonium in der UdSSR, des so sehnsüchtig erwar-
teten Spaltmaterials für die Bombe. Als der Reaktor in der ersten Großanlage fertig
wurde, schob Kurtschatow ferner höchstpersönlich die Uranblöcke in die Kanäle
zwischen das Graphit "und veranlaßte durch sein Beispiel auch Wannikow, die
Uranblöcke selbst in die Kanäle einzubringen," heißt es in einer sowjetischen Dar-
stellung. Im Westen wäre ein Minister nicht vorstellbar, der rituell bei einem Ge-
heimprojekt selbst Hand anlegt. Ein drittes Beispiel: Nach dem ersten erfolgrei-
chen Test einer sowjetischen Wasserstoffbombe am 12. August 1953 begaben sich
Kurtschatow und sein NKWD-Gegenpart General Sawenjagin persönlich in den
Krater, um nach dem Abklingen der radioaktiven Strahlung "die notwendigen
Messungen vorzunehmen" (sowjetischer 0-Ton). In den USA wurden vergleichba-
re Messungen von einem Gefreiten und einem wissenschaftlichen Assistenten vor-
genommen.
Bei Störungen im Betriebsablauf entfaltete das NKWD seine vollen Dimensio-
nen. Den verschiedenen Quellen läßt sich gelegentlich Aufregung über zu hohe
Konzentrationen von Bor entnehmen. Dieses Element hatte die Eigenschaft, Ket-
tenreaktionen im Reaktor schlicht auszusetzen. Der stellvertretende Chefingenieur
des Bombenteams wurde direkt befragt, ob er schon in der Lubjanka (dem berüch-
tigten Moskauer NKWD-Gefängnis) gesessen hätte. Als dieser die Frage erblei-
Technologietransfer aus dem Westen? 117

chend bejahte, wurde er nur gefragt: "Wollen Sie wieder hin?" Schließlich fand
man die Bor-Quelle im Linoleum des Labors.
Der für das Uranprojekt entscheidende technologische Durchbruch erfolgte im
Laufe des Jahres 1946 mit der Umstellung auf eine Fluorverbindung (Uranhexa-
fluorid) als Grundstoff der Urananreicherung. In der Nacht vom ersten zum zwei-
ten Weihnachtsfeiertag 1946 konnte der erste sowjetische Reaktor erstmals in die
kritische Phase, in der die Kettenreaktion einsetzt, hochgefahren werden. Die erste
amerikanische Kettenreaktion war ziemlich genau vier Jahre zuvor am 2. Dezem-
ber 1942 von Fermi in Chicago eingeleitet worden. Mißt man den Zeitbedarf von
der ersten erfolgreichen Kettenreaktion bis zur Testexplosion einer Bombe, so lie-
gen die USA mit dem "Manhattan-Projekt" und das sowjetische Programm gleich-
auf: In beiden "Fällen" vergingen 32 Monate.

2.5 Technologietransfer aus dem Westen?

Einen Teil ihrer Informationen über Einzelheiten der amerikanischen Forschung


entnahmen die am sowjetischen Bombenprojekt Beteiligten Veröffentlichungen.
Im Herbst 1945 erschien ein Buch von H.D. Smyth, "Atomic Energy for Military
Purposes",36 dessen russische Übersetzung z.B. von Riehl "innerhalb einer Nacht"
verschlungen wurde. In dem Buch von Smyth wurde kurz erwähnt, daß man in den
USA zur Reinigung des Urans die sogenannte "Äthermethode" verwendet habe.
Riehl war die Methode aus dem Labor bekannt: Eine wäßrige Uranylnitratlösung
wurde mit Äther überschichtet oder geschüttelt, wobei das Uranylnitrat zum größ-
ten Teil in den Äther übergeht, während fast alle Verunreinigungen in der wäßri-
gen Phase verbleiben. Trotz der Feuergefährlichkeit von Äther waren die Amerika-
ner zu diesem Verfahren geschritten. "Was die Amerikaner können, können wir
auch", sagten sich die Deutschen im Uranprojekt und kopierten das Verfahren. Die
erforderlichen keramischen Gefaße, Rohre und Flaschen lieferten in angesichts der
Zeitumstände erstaunlich kurzer Zeit die keramischen Werke in Hermsdorf in Thü-
ringen. Mitte 1946 stand der "Äther-Betrieb".
Mit dem amerikanischen Äther-Verfahren erreichte die sowjetische Uranpro-
duktion sprungartig einen höheren Durchsatz von nahezu einer Tonne Uran pro
Tag. Mit dem gefährlichen Äther-Verfahren arbeiteten die Sowjets mehrere Jahre,
bevor sie die Methode durch eine ungefährlichere Substanz, das Tributylphosphat,
ersetzten.
Brisanter als die Frage, in welchem Ausmaß das sowjetische Bombenprojekt
von der Veröffentlichung von Details der amerikanischen Uranentwicklung profi-
tiert haben mag, stellt sich die Frage nach illegalen Technologietransfers, zu
deutsch: Spionage.37 Nachweise dafür, daß amerikanisches know-how in die so-
wjetische Bombe eingegangen ist, sind naturgemäß in der UdSSR nicht zu erhal-
ten. Nach den Berichten deutscher Wissenschaftler sind wiederholt Spionageergeb-
nisse in ihre Arbeit eingebracht worden. Ferner gibt es bemerkenswerte Kursände-
rungen im sowjetischen Projekt, die die Vermutung von Spionage nahelegen. So
hatten die Russen zunächstlediglich an die Hitzetrennung oder die Diffusionsme-

36 Smyth 1945
37 Die These von der extremen Spionageabhängigkeit der sowjetischen Bombenentwick-
lung sucht besonders Kramish (1982) zu belegen, Abschnitt: "Stalin's Bomb".
118 Die sowjetische Bombe

thode zur Scheidung der Uranisotope gedacht. Nach dem Kriege schwenkten sie
um und probierten auch ein elektromagnetisches Verfahren wie die Amerikaner -
nur war dies in den USA damals streng geheim.
Eine Schlüsselrolle bei der Antwort auf die Frage, inwiefern die Sowjets von
Spionage profitiert haben, nimmt Klaus Fuchs ein. Obwohl Fuchs seine Tätigkeit
voll eingestanden und in Einzelheiten angegeben hat, welche Details der amerika-
nischen Entwicklung er weitergegeben hat, dauert die Kontroverse über die Bedeu-
tung seines Verrats für die sowjetische Bombenentwicklung bis heute an.38 Sir Ru-
dolf Peierls, auf dessen Empfehlung hin Fuchs am "Projekt Manhattan", der Ent-
wicklung der ersten amerikanischen Bombe, beteiligt worden war, faßt das Ergeb-
nis vielfacher Erörterungen zu diesem Thema so zusammen, daß die Sowjets zwar
auch ohne Fuchs zur Bombe gelangt wären, daß sie so aber ein bis zwei Jahre frü-
her die erste Bombe zünden konnten. Akademiemitglied Andrej Sacharow hält
eine indirekte Wirkung der Tätigkeit von Fuchs für die wichtigste: Die Sowjetfüh-
rung und Stalin persönlich hätten nunmehr begriffen, daß in Amerika ein Großpro-
jekt in Gang sei, und daß es eines gewaltigen Aufwandes bedurfte, in der Atom-
bombenentwicklung nachzuziehen.
Fuchs hatte keineswegs Zugang zu allen amerikanischen und britischen Atom-
geheimnissen. So wurde ihm der Zugang zu der Gasdiffusionsanlage, dem Kern-
stück der Plutoniumfabrik, verwehrt.39 Verständlicherweise war Fuchs hingegen
kompetent auf Teilgebieten, besonders jenen, in denen er selber originelle Lösun-
gen beitrug. Das gilt besonders für die Theorie der sogenannten Kaskaden. Die Re-
gelung der Kaskade geht auf Fuchs zurück. Für die Zündungsvorgänge bei der Im-
plosionsbombe lieferte Fuchs die Berechnungen.- Weniger die zahlreichen techni-
schen Details (die man, so das freimütige Eingeständnis, auf sowjetischer Seite
nicht immer sogleich verstanden habe), sondern die Intensität der amerikanischen
Forschung habe die Verantwortlichen beeindruckt, so daß das eigene Projekt völlig
umorganisiert und im Großmaßstab fortgesetzt wurde. - Akademiemitglied Jurij
Kagan, an Kurtschatows Institut in Moskau tätig, ergänzt, daß die wichtigste, an-
spornende Information von Klaus Fuchs die war, daß die Bombe gebaut werden
kann. Bedeutsamer als die Details, die Fuchs referiert habe, sei der Smyth-Bericht
von 1945 gewesen. Ähnlich äußern sich die damals in der Sowjetunion arbeitenden
deutschen Wissenschaftler. Nicht die Kenntnis der einzelnen technischen und kon-
struktiven Schritte bei der Urananreicherung und beim Bombenbau, sondern der
Hinweis, daß bestimmte Konzepte zum Ziel führen, sei entscheidend gewesen.
Im Ergebnis überzeugen eher diejenigen Bewertungen, die die indirekte Wir-
kung der Spionagetätigkeit von Klaus Fuchs betonen. Seine Berichte belehrten die
Sowjets, daß grundsätzlich der eingeschlagene Weg gangbar war, daß sie aber den
Aufwand gewaltig unterschätzt hatten.
Der erste Vorgang von Spionage, auf den Deutsche stießen, betrifft die Gewin-
nung von möglichst reinem Uran. Die an der Urangewinnung Beteiligten wurden
vom NKWD mit der Frage konfrontiert, ob nicht Urantetrafluorid durch Calzium-
oxyd in einem geeigneten Behälter, der eine Ausnehmung am Boden zur Samm-

38 Vgl. als neue Beiträge: Moss/Fuchs 1987; Williams/Fuchs 1987; Glees 1988. Die bei-
den erstgenannten Bücher bringen im Anhang den Nachdruck den Text des Schuldbe--
kenntnisses von Fuchs.
39 Einzelheiten nach Kramish 1982, S. 8 f.
Technologietransfer aus dem Westen? 119

lung des reduzierten Uran enthalten sollte, wirksam reduziert werden könnte. Ne-
ben dem reinen Uran würde sich bei dieser Reaktion Calziumfluorid bilden. Die
befragten Experten gaben an, durchaus an diese Möglichkeit gedacht zu haben, ihr
aber keine besondere Priorität zuerkannt haben. Der deutsche Leiter des Projektes
fonnulierten den Vorgang so:
,Jch antwortete erst mißmutig, daß ich mir (das Alternativverfahren) auch vorstellen
kann, daß wir aber nun einmal ganz auf das Oxydverfahren eingerichtet sind. Allmäh-
lich merke ich aber, daß (mein sowjetischer Gesprächspartner) mehr wußte als ich, und
wurde hellhörig. Aus der sehr merkwürdigen, vorsichtig tastenden Art der Äußerungen
... merkte ich, daß er mich auf den richtigen Weg bringen wollte, ohne konkret angeben
zu müssen, woher er seine Information hat. "40
Andere Berichte nennen nicht Tetra-, sondern Hexafluorid als Grundstoff der so-
wjetischen Isotopentrennung (wie es tatsächlich auch in den USA genutzt wurde).
Möglicherweise ist hier die Spionage einem Übennittlungsfehler erlegen, oder ei-
ner der Berichterstatter über das sowjetische Programm irrte sich.
Das NKWD befahl keineswegs die Kopie des amerikanischen Verfahrens -
dessen "Beachtung" wurde "nahegelegt". Es versteht sich, daß einem solchen Hin-
weis des NKWD gefolgt wurde.
Neben dem Grundstoff Uranfluorid erhielten die Sowjets aufgrund von Spio-
nageergebnissen Kenntnis davon, daß die Amerikaner zur Trennung des Uran-
isotops metallische "Diaphragma" (oder Membranen) benutzten. Allerdings war
man sich auf sowjetischer Seite unsicher, ob einzelne dieser Infonnationen nicht
bewußte Fehlspuren waren. So lag es nahe, die deutschen Wissenschaftler mit den
brandneuen Infonnationen zu konfrontieren, um den Tatsachengehalt der Nach-
richten besser abschätzen zu können.
Ein weiterer Hinweis auf die Ergebnisse der sowjetischen Spionage bezieht
sich auf den Reinheitsgrad des gewonnenen Urans. Fertigungstechnisch gesehen,
gibt es reine Substanzen gar nicht- jedes Metall, welches die Schmelzöfen verläßt,
enthält Beimengungen, auch wenn deren Anteil noch so gering ist. Die Mitarbeiter
am Uran-Projekt erhielten eines Tages die Mitteilung, daß "ihr" Uran reiner sei als
das amerikanische "weapons grade" Uran, was nur als Hinweis darauf verständlich
war, daß das NKWD eine Probe amerikanischen Waffen-Urans besaß und dessen
Reinheit mit dem eigenen Produkt vergleichen konnte.
Gelegentlich erweckt die Verwendung von Spionageerkenntnissen den Ein-
druck, daß die Sowjets nicht so recht verstanden hatten, was der Sinn der amerika-
nischen Entscheidung gewesen war, daß aber im Glauben an die Rationalität einer
solchen Entscheidung der Vorrang gegeben wurde. Das sowjetische Gegenstück
zur amerikanischen Kaskadenanlage in Oak Ridge, welches im Herbst 1947 in der
Nähe von Swerdlowsk hochgezogen wurde, erhielt als architektone Grundfonn ei-
nes großes "U" - was auch immer die Planer im amerikanischen Tennessee dabei
gedacht haben mochten.
Die Mitarbeiter am Uran-Projekt bewerten den Ertrag der sowjetischen Spio-
nagetätigkeit für die Bombenproduktion gering. Zu technischen Lösungen, gemäß
amerikanischen Konzepten oder nicht, wäre man so oder so gelangt. Wichtiger als
der Transfer von Blaupausen sei die Infonnation gewesen, daß ein bestimmtes Ver-
fahren zum Ziele führt, wie etwa die Uranfluoridreduzierung durch Calziumoxyd.

40 Riehl-Memoiren, S. 27
120 Die sowjetische Bombe

2.6 Der letzte Schritt zur Bombe

1947 waren die Russen so weit, vom Laborreaktor zur industriellen Erzeugung von
Plutonium in der für eine Bombe genügenden Menge überzugehen. Der Grundstein
für die neue Anlage wurde im Januar 1947 gelegt. Im Herbst 1947 waren die Bau-
arbeiten so weit fortgeschritten, daß Tausende von Arbeitern, Technikern, Inge-
nieuren, Wissenschaftlern, Verwaltungsfachleuten und Sicherheitskräften ihre Ar-
beit aufnehmen konnten.
Mitte August 1949 waren die Sowjets am Ziel. Die Sowjetführung beschloß
förmlich, Kurtschatow die Leitung der ersten Testexplosion zu übertragen. Das be-
deutete unter anderem, daß die am Experiment beteiligten Einheiten der sowjeti-
schen Streitkräfte einem Zivilisten unterstellt wurden.
In den Tagen vor dem Test nennen sowjetische Quellen lediglich zwei Namen
als Projektleiter: Kurtschatow und seinen NKWD-Schatten Sawenjagin. Minister
Wannikow, der für die Regierung Verantwortliche, spielte augenscheinlich keine
Rolle mehr.
Die Szene des Bombentests auf dem mit dem Codenamen "Zitronenland" be-
legten Gelände41 glich dem Arrangement, welches vier Jahre zuvor im amerikani-
schen Alamogordo vorgenommen worden war. Im Umkreis des Metallturms, auf
dem der Sprengsatz ruhte, wurden Häuser errichtet, Panzer und Geschütze aufge-
fahren. Tiere verschiedener Arten wurden ins Gelände gebracht - um die Wirkun-
gen der Atomexplosion studieren zu können. Über den Testverlauf heißt es in einer
sowjetischen Darstellung: "Am 29. August 1949, bei Tagesanbruch, wurde der
Test in Anwesenheit des Oberkommandierenden der Sowjetarmee und der führen-
den Persönlichkeiten von Partei und Regierung erfolgreich durchgeführt."42 Mit
der Formel "führende Persönlichkeiten von Partei und Regierung" wird in sowjeti-
schen Mitteilungen gemeinhin das Politbüro umschrieben.
Die Erfolgsnachricht blieb streng geheim. Die deutschen Wissenschaftler er-
fuhren von dem Test lediglich aus den internationalen Nachrichten der BBC. Die
Zeugen der ersten sowjetischen Atomexplosion wurden eine Woche am Ort des
Geschehens festgehalten. Es hieß, man wolle "ihre Erregung abklingen"43 lassen.
Kurtschatow soll diese Zwangspause genutzt haben, um die in amerikanischen
Presseberichten angesprochene Möglichkeit einer die Wirkungen der Atombombe
übersteigenden Superbombe, der Wasserstoffbombe, zu erörtern. Die Sowjetfüh-
rung hatte Kurtschatow und andere Physiker förmlich beauftragt, diesen Meldun-
gen auf den Grund zu gehen.
Zwei Monate nach dem erfolgreichen Atombombenversuch in Sibirien war
Kurtschatow Leiter des sowjetischen Projektes zur Erzeugung einer Wasserstoff-
bombe. Nunmehr traten die Russen gegen die Amerikaner unter vergleichbareren
Bedingungen als beim Bau der Atombombe an: Sie verfügten über eine einschlägi-
ge Industrie als Unterbau, über Erfahrungen im Management solcher Großprojekte,
über eingespielte Teams von Physikern und Ingenieuren. Nochmals entschieden
die Amerikaner das Rennen für sich: Im November 1952 ließen die USA auf dem
Eniwetok-Atoll im Stillen Ozean eine Wasserstoffexplosion ablaufen. In sowjeti-

41 Vgl. Prawda v. 28.11.1987


42 Golowin 1976, S. 87
43 Golowin 1976, S. 87
Der letzte Schritt zur Bombe 121

scher Sicht handelte es sich nicht um eine Bombe, sondern "um eine nicht trans-
portable, sperrige Anlage, die als Waffe nicht anwendbar war" (sowjetischer 0-
Ton). Woher diese präzisen Infonnationen stammen, wird wohl nur die sowjeti-
sche Spionage sagen können. Am 12. August 1953, aus Meßgründen erneut im
Morgengrauen, weniger als ein Jahr nach dem amerikanischen Test, waren die
Russen so weit und testeten die nach ihrer Ansicht erste wirkliche Wasserstoff-
bombe der Welt. Das Szenario gleicht exakt dem vom Jahre 1949: Kurtschatow
(nicht etwa Sacharow) und NKWD-Sawenjagin leiten den Versuch, "führende Per-
sönlichkeiten von Partei und Regierung" erscheinen in der frühen Morgenstunde
am Explosionsort, dazu diesmal "die Kommandostäbe aller Waffengattungen".
3. Exkurs: Die Rolle Stalins

Ein angemessenes Verständnis der Entwicklung der sowjetischen Rüstung in den


entscheidenden Entwicklungsjahrzehnten ist nur zu erlangen, wenn man die Rolle
studiert, die der Diktator persönlich bei Rüstungsentscheidungen übernahm. Vor
Stalin hatten sich die Führungspersönlichkeiten der Sowjetunion mit solchen Fra-
gen nicht im Detail befaßt. Stalin engagierte sich jedoch zunehmend in Einzelfra-
gen der Waffenfertigung und drückte so für Jahrzehnte der sowjetischen Entwick-
lung seinen höchst persönlichen Stempel auf.
Stalin verfügte über recht unterschiedliche Führungsmittel, mit denen er in die
Rüstungspolitik eingriff. Zunächst standen Terror, aber auch überschwengliche Be-
lohnungen für außerordentliche Leistungen im Vordergrund. Später dominierten
große Sammelkonferenzen, auf denen alle Chefkonstrukteure eines Rüstungszwei-
ges im Kreml zu erscheinen hatten und bei denen Stalin auf dem Wege der später
so benannten "Schockmethode" überzogene Leistungsanforderungen für verschie-
dene Waffen diktierte. Das zuletztgenannte Verfahren ist in milderer Form von
Stalins Nachfolgern übernommen worden. Im Unterschied zu westlichen Kabinet-
ten haben sich die Mitglieder des Politbüros regelmäßig und ausgiebig mit Details
der Rüstungstechnik befaßt.
Im allgemeinen hatte der technische Laie Stalin kaum eine andere Möglich-
keit, als nach der Darlegung technischer Einzelheiten sein O.K. zu geben:
,,Nun gut, daß sieht so aus, als ob es in Ordnung ist!"l
In seinen Steuerungsmitteln war der Diktator beschränkt. Zum einen konnte er po-
sitive Sanktionen erteilen, etwa Beförderungen oder Prämien. Im Vordergrund
standen jedoch negative Sanktionen.
Das in der ersten Phase meistgebrauchte Terrormittel auch gegen die Elite der
Waffenkonstrukteure blieb die willkürlich begründete Verhaftung. 1929 mußte als
erstes prominentes Opfer einer der Pioniere der sowjetischen Militärluftfahrt, Ni-
kolaj N. Polikarpow, ins Gefängnis (Polikarpow hatte 1918 im berühmten Flug-
zeugwerk Nr. 1, dem vorherigen Dux-Werk, als Chefingenieur den Nachbau der
französischen Spadjäger geleitet und hernach in dem wichtigen R-1-Programm die
Russifizierung des britischen Militärflugzeuges D.H.9A besorgt). Im Dezember
1929 leistete Polikarpow unfreiwillig eine weitere Pioniertat Im Hangar 7 der
Flugzeugfabrik Nr. 39 in Moskau, die zum Gefängnis umgerüstet worden war,
führte er mit seinem Team seine Konstruktionen nunmehr als Zwangsarbeiter fort.
Polikarpow wurde erst 1933 freigelassen.
1930 folgte als zweiter prominenter Konstrukteur Dimitrij P. Grigorowitsch
ins Hangar 7. Auch er wurde 1933 entlassen (er starb wenige Jahre später). 1936
wurde der Senior des sowjetischen Flugzeugbaus, Tupolew, angeklagt wegen sei-
ner Verbindungen zu den Deutschen und in die gefürchtete Lubjanka, das Gefäng-
nis des Staatssicherheitsdienstes, abgeführt. Nach einem Zwischenaufenthalt im

1 Zit. nach Jakowlew 1972, S. 234


Exkurs: Die Rolle Stalins 123

nicht minder gefürchteten Butyrkij-Gefängnis arbeitete Tupolew im Gewahrsam


des NKWD als Gefangener an Rüstungsprojekten weiter. Er kam 1943 frei.- 1937
folgte der gleichfalls bei Junkers geschulte führende Konstrukteur Petljakow. 1938
gesellten sich Miasischtschew (später als Düsenbomberkonstrukteur bekannt) und
Tschischewskij zu den unter Gefangnisbedingungen arbeitenden Fachleuten.
Hin und wieder ließ die Willkür Methode erkennen. Stürzte ein Prototyp eines
Flugzeugmusters ab, wanderte der Konstrukteur ins Gefängnis.2 Rüstungstechniker
wurden verhaftet, wenn sie zu eng mit in Ungnade fallenden wichtigen Persönlich-
keiten liiert waren, oder wenn einem der Proteges des Diktators ein Unfall ge-
schah.
Als der Nationalheld und Polarflieger Walerij P. Tschkalow am 15. Dezember
1938 mit dem Prototyp des Jägers 1-180 tödlich verunglückte, wurden der verant-
wortliche Konstrukteur Dimitrij Ludwigowitsch Tomaschewitsch, der Direktor der
Werkstatt, die den Unglücksvogel gebaut hatte, Usatschjew, sowie der Leiter des
Staatskomitees für die Luftfahrtindustrie, Beljaikin, verhaftet.3 Tomaschewitsch
wurde im Sondergefängnis KB-29 im Januar mit dem Entwurf des Jägers 101 be-
traut und 1941 nach Sibirien "entsandt", um weiter im GAS-266 zu konstruieren.-
Der Flugzeugkanonenspezialist Leonid B. Kurchjewskij, Konstrukteur der soge-
nannten APK-Serie (Automatitscheskaja Pushka Kurchjewskowo), rückstoßfreier
Geschütze mit Kalibern 7,6 und 10,2 cm, war von Marschall Tuchatschewskij ein-
gesetzt worden, ein Spezialbüro (VSP) einzurichten, und wurde 1936 nach dem
Fall Tuchatschewskijs verhaftet. Er arbeitete als gefangener Konstrukteur weiter.
Dieser Ausdruck ist wörtlich gemeint: Die Angeklagten hatten im Gefängnis
weiterhin im Team zu konstruieren. Petljakow und Miasischtschew arbeiteten ge-
meinsam im sogenannten ZKB (Zentralkonstrukteursbüro) Nr. 29, welches in der
Moskauer Flugzeugfabrik Nr. 166 eingerichtet worden war. Legte man erfolgrei-
che Entwürfe vor, kam der Delinquent wieder frei (Petljakow im Juli 1940, Tupo-
lew 1943) und erhielt gar einen Stalinpreis (so Tupolew) für seine Leistungen.
Gunston gibt an, daß zu Zeiten mehrere hundert sowjetische Flugzeugkonstrukteu-
re im Gefängnis arbeiteten.4 Unter den prominenteren Konstrukteuren gibt es nur
wenige, die nicht ins Gefangnis geworfen wurden. Diese wenigen sind Sergej W.
Iljuschin (den womöglich eine schwere Verletzung bei einem Flugunfall 1938 vor
Schlimmerem bewahrte) und der als Opportunist geltende Alexander S. Jakowlew.
Diese Bewertung mag ungerecht sein und der Tüchtigkeit dieses Konstrukteurs
widersprechen, nach dessen Entwürfen im 2. Weltkrieg die meisten Flugzeuge
(37.000) vor allen Konkurrenten gebaut wurden. (Die Ursache dafür wiederum
mag zum einen in dem Tatbestand begründet sein, daß die Konkurrenten einige
Zeit im Gefängnis saßen, und zum anderen, daß Stalin ungewöhnlicherweise einen
Konstrukteur, eben Jakowlew, zum Vizeminister für die Flugzeugindustrie machte
- die Antwort auf die Frage, was Ursache und was Wirkung eines Erfolges in der
Stalinschen Sowjetunion ist, verliert sich im Nebel). - Gefangnisstrafen für man-

2 So erging es auch Ausländern, etwa dem erwähnten Bartini (als sein Modell Stal7 1937
verunglückte).
3 Die Unschuld der Verhafteten lag auf der Hand, war doch Tschkalow wider alle Ver-
nunft mit einem neuen Flugzeug gestartet, das die Nacht zuvor bei -24 oc im Freien ge-
standen hatte. Vgl. auch Jakowlew 1972, S. 80.
4 Gunston 1983, S. 10
124 Exkurs: Die Rolle Stalins

gelnden Erfolg gab es auch in der Nachkriegszeit. Pawel Suchoj verschwand Be-
richten zufolge noch in den fünfzigerJahrenmonatelang im Gefängnis, bloß weil
sein auf Überschallgeschwindigkeit konzipierter Jäger eben diese bei Probeflügen
nicht erreichte. Heute ist dies alles Vergangenheit, und Gunston stellt zu Recht
fest, daß "sowjetische Konstrukteure heute selten ans Gefängnis denken" .5
Am schlimmsten war es in dieser Phase dem renommierten Flugzeugkonstruk-
teur Konstantin Alexejewitsch Kalinin ergangen. Als sein ansonsten erfolgreicher
Bomber K-12, als Nurflügelmodell mit Stabilitätsproblemen und einer überlangen
Startrollstrecke geplagt, sich nicht als sogleich verbesserungsfähig erwies, wurde
der bedauernswerte Konstrukteur zum abschreckenden Beispiel erschossen und
sein Team aufgelöst.
Im Gegensatz zu den Reihenerschießungen in der sowjetischen Generalität
scheinen die Waffenkonstrukteure von Stalin glimpflicher behandelt worden zu
sein. Einige bekamen Berufsverbot, etwa Alexandr S. Moskaljew. 1946 wurde sein
OKB nach zehnjähriger Existenz geschlossen, Moskaljew arbeitete hernach als
Hochschullehrer.
Ein weiteres Beispiel bietet der Flugzeugkonstrukteur Michail I. Gudkow. Er
war als Mitkonstrukteur einer Reihe von Jagdflugzeugen im Verein mit Lawotsch-
kin (,,LaGG"-Serie) so erfolgreich, daß er ein eigenes Entwurfsteam bekam und
unter seinem Namen ein Büro einrichtete. Verständlicherweise suchte sich die
neue Gruppe durch eine unorthodoxe Konstruktion hervorzutun. Wie bei einem da-
mals neuartigen amerikanischen Kampfflugzeug (Bell P-39 "Airacobra") wurde
der Motor hinter und nicht vor dem Piloten angeordnet. - Der Prototyp dieser un-
gewöhnlichen Konstruktion machte eine Bruchlandung. Das Gudkow-Büro wurde
sogleich aufgelöst.
Stalin formulierte gelegentlich höchstpersönlich Anklagen wegen Sabotage,
gegen die niemand, auch seine engste Umgebung nicht, gefeit war. Als bestimmte
Baulose eines Jagdflugzeuges von Jakowlew infolge der Verwendung unzurei-
chender Ersatzstoffe beim Fronteinsatz Schwierigkeiten mit der Flächenbeplan-
kung zeigten, griff der Diktator den Vizeminister für Flugzeugbau, P.W. Dement-
jew, und A. Jakowlew direkt an:
"Haben Sie vor Augen, daß Sie unsere Jagdfliegerkräfte unbrauchbar gemacht haben?
Können Sie sich vorstellen, welchen Dienst Sie Hitler geleistet haben? Sie sind Na-
zis!"6
Die zu Tode erschrockenen Angeklagten gelobten, den Mangel binnen zwei Wo-
chen abzustellen- ein illusionäres Versprechen, welches aber den wütenden Stalin
besänftigte. Dieser gab dem Militärstaatsanwalt Order, unverzüglich eine Untersu-
chung einzuleiten. - Jakowlew fragte, nachdem sie Stalins Büro verlassen hatten,
Minister Dementjew, wie um alles in der Welt er binnen zwei Wochen den Scha-
den beheben wolle. Der Minister wußte keine andere Antwort als:
"Wir werden einen Ausweg finden, und diesen müssen wir einfach finden. "7
Bleibt zu berichten, daß die Mängel bei den Jak-Jägern tatsächlich binnen vierzehn
Tagen abgestellt wurden, auch zur Zufriedenheit des Militärstaatsanwalts.

5 Gunston 1983, S. 14
6 Zit nach Jakowlew 1972, S. 223
7 Zit. nach Jakowlew 1972,S. 224
Exkurs: Die Rolle Stalins 125

Der Leidensweg auch hervorragender Konstrukteure wird neuerdings in sowje-


tischen Medien mit großer Offenheit wiedergegeben. Über den führenden sowjeti-
schen Raketenkonstrukteur Sergej P. Koroljow (vgl. den Abschnitt zur sowjeti-
schen Flugkörperentwicklung) wird zum Beispiel berichtet, daß er als junger Inge-
nieur im sogenannten Forschungsinstitut Nr. 3 des Ministeriums für die Verteidi-
gungsindustrie gearbeitet habe, bis er am 27.6.1938 durch den NKWD verhaftet
wurde. Seine Arbeiten über Raketen hatten das Interesse Marschall Tuchatschew-
skis gefunden - des prominentesten Opfers der Säuberungen im militärischen Be-
reich. Im Herbst wurde Koroljow zu zehn Jahren Gefangnis verurteilt. 1939 wurde
die Strafe in acht Jahre Arbeitsbesserungslager umgewandelt. Koroljow wird in
Kolyma in der Jakutischen Sowjetrepublik, im kältesten Sibirien, bei Erdarbeiten
eingesetzt. Er bekommt Skorbut und verliert die Hälfte seiner Zähne. Zum Schluß
ist Koroljow in Kasan. 1944 wird er vorzeitig aus der Haft entlassen.s
"Glasnost" geht heute in der Sowjetunion weiter als lediglich harte Wahrheiten
zu enthüllen. Die Zeitschrift "Ogonjok" stellt im Dezember 1987 dar, wie promi-
nente Sowjetbürger wie Koroljow ihre Lebensläufe später zu fälschen hatten, um
die schlimme Zeit zu vertuschen (so hatte Koroljow die fragliche Zeitspanne, seine
Haftjahre, beschrieben mit: "1938 - 1942: Konstrukteur in einem Experimental-
konstruktionsbüro; 1942 - 1945: Stellvertreter des Chefkonstrukteurs im Experi-
mentalkonstruktionsbüro" - für einen sibirischen Erdarbeiter tatsächlich kühne Be-
hauptungen). - "Ogonjok" geht noch einen Schritt weiter und spießt die Helden-
verehrer aufs Korn, die bis in die Gegenwart Legenden wie die vom stellvertreten-
den Chefkonstrukteur imKriege verbreiten, wo der als kranker Häftling in Sibirien
schaufelte (es geht um das in der Sowjetunion vielfach aufgelegte Buch des Wis-
senschaftsautors A. Romanow, der Koroljow als "Konstrukteur von Raumschiffen"
-so der Buchtitel -porträtiert, ohne den Leidensweg des Helden seiner Story auch
nur zu erwähnen).
Die ältere Generation der sowjetischen Rüstungsfachleute, die in der Entfal-
tung des Wettrüstens gegen die Amerikaner antrat, war mithin von der persönli-
chen Erfahrung des Terrors geprägt, hatte eigene Erfahrungen in der Verschleie-
rung von Vergangenheit und trat mit unzureichenden Mitteln in einem ausgeblute-
ten Lande an, der Technologiemacht Nr. 1, den Vereinigten Staaten, Paroli zu bie-
ten.
Langfristige Bedeutung als den Terror ablösendes Führungsmittel Stalins soll-
ten Sitzungen im Kreml bekommen, auf denen ausgiebig Probleme einzelner Rü-
stungssparten erörtert wurden. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit sowjeti-
schen Waffen, besonders Kampfflugzeugen, im Spanienkrieg scheint Stalin erst-
mals im Juli 1937 eine der üblichen Sitzungen mit den Führungsspitzen der Streit-
kräfte benutzt zu haben, auch leitende Konstrukteure heranzuziehen. Man kam
1937 überein, Polikarpow seine erfolgreichen Doppeldecker (Jäger I-153) weiter
vervollkommnen zu lassen - angesichts der Hochleistungseindecker der Achsen-
mächte eine völlige Fehlentscheidung.
Im Frühjahr 1938 bestand erneut Anlaß, zu einer "Jäger-Konferenz" in den
Kreml einzuladen. Diesmal waren augenscheinlich alle Jäger-Konstrukteure prä-
sent, um sich Stalins Kritik an den im spanischen Bürgerkrieg sichtbar gewordenen

8 Nach: Pastuchowa 1987. Diesem Artikel sind alle Informationen dieses Abschnittes
über Koroljow entnommen.
126 Exkurs: Die Rolle Stalins

Mängeln anzuhören. Zu Beginn des Jahres 1939 wurde erneut eine solche ,,Jäger-
Konferenz" oder, wie dies gemeinhin im Russischen genannt wird, "Beschim-
pfung", in den Kreml einberufen. Die Übung, zu solchen seminarähnlichen Sitzun-
gen einzuladen, sollte Stalin von Fall zu Fall bis zu seinem Tode fortsetzen. Der
Stil der Sitzungen wandelte sich jedoch rasch. Bei den ersten Sitzungen waren
noch Vorschläge der Eingeladenen möglich (so offerierte Suchoj bei dieser Gele-
genheit 1939 eine innovative Konstruktion, seinen "Jäger 330"). Später veränderte
Stalin dem Charakter der Sitzungen und ging zu dem über, was die britische Ana-
lytikerin Mary Kaldor "Schockbehandlung" der Eingeladenen genannt hat.9 Den
konsternierten Konstrukteuren wurden überzogene Vorgaben für ihre Entwürfe ge-
macht, und die Nichteinhaltung wurde mit Drohungen verbunden. Nach dem Sieg
erhöhten sich in der späten Stalinzeit die Anstrengungen dieser Schockbehandlung,
wie sich zeigen sollte, mit bemerkenswerten Resultaten. Für die eingeladenen Kon-
strukteure müssen diese Sitzungen eine enorme Belastung gewesen sein. Nach Sta-
lins Vortrag hatten sie einzeln zu antworten und ihre Lösung eines rüstungstechni-
schen Pr<?jektes mit der konkreten Angabe von Parametern vorzulegen, das heißt,
aus dem Armel zu schütteln.
Die Kreml-Sitzungen während des Krieges nahmen einen forcierteren Verlauf.
Im Januar 1942, unter dem Ansturm der Deutschen, ergriff Stalin erneut die Initia-
tive, um persönlich der desorganisierten Rüstungsproduktion entscheidende Wei-
sungen zu geben. Das Sitzungsthema hieß "Sturmowiks". Mit der dem Außenseiter
eigenen Intuition hatte Stalin aufgenommen, daß gepanzerte Schlachtflugzeuge, die
nicht bei jeder Gegenwehr sogleich abdrehen mußten, versehen mit Hochleistungs-
kanonen, einen Trumpf bei künftigen Schlachten des Weltkrieges bilden könnten.
Außer dem Deutschen Reich verfügte keine der führenden Mächte über derartige
Schlachtflugzeuge.
Stalin war so weitsichtig, bei der Sitzung im Januar 1942 nach den Determi-
nanten für die Wahl der nächsten Generation von Sturmowiks zu fragen. Eine sol-
che war in der Tat vonnöten, denn 1944 sollten sich die deutschen Truppen mit ei-
nem Tempo zurückziehen, welches die Einsatzmöglichkeiten der sowjetischen
Schlachtflugzeuge wegen deren geringer Reichweite überstieg. Die Ergebnisse die-
ser Sitzung (verbesserte "Sturmowiks" wie Suchojs Su-8 und vor allem Iljuschins
Il-10) wurden jedoch, als die Fluggeräte 1944 verfügbar wurden, als nicht mehr
kriegsentscheidend angesehen.lO
Wenn eine Kreml-Sitzung nicht zum gewünschten Resultat führte, griff Stalin
höchstpersönlich zu Ersatzvornahmen. Dies erwies sich als besonders erforderlich
im Bomberbau. 1949 verfügte die UdSSR über die Atombombe, aber kein geeigne-
tes Flugzeug, welches die Bombe transportieren konnte. So beorderte Stalin Ende
1949 den zum Hochschullehrer degradierten Miasischtschew zu sich und instruier-
te ihn, einen Düsenbomber zu bauen, der die USA erreichen könnte. Tupolews
Boeing-Kopie war zu rasch veraltet, und schon aus Mangel an geeigneten Trieb-
werken hielten sich die etablierten Konstrukteure bedecktll und drängten nicht

9 Kaldor 1981, Kap. 4, bes. S. 89


10 Von der ll-10 wurden bis 1950 4966 Exemplare gefertigt, in der CSSR wurde die Pro-
duktion hernach mit 1.200 weiteren Exemplaren fortgesetzt.
11 Tupolew legte sich auf die einzig aussichtsreich erscheinende Lösung, einen Bomber
mit Propellerturbinen, fest. Ergebnis war die Tu-85, ausgerüstet mit dem von Brandner
Exkurs: Die Rolle Stalins 127

nach diesem Projekt. Der Professor erhielt wiederum ein eigenes Konstruktions-
team, dem Stalin die gewiß symbolische Zahl von 1000 Ingenieuren zuweisen ließ,
und etablierte seine Gruppe in Moskau in der berühmten Fabrik Nr. 23, einem der
beiden ehemaligen Junkerswerke. Sein viermotoriger Düsenbomber M-4, in der
Sowjetunion unter dem Namen "Molot" (=Hammer) populär, bei der NATO "Bi-
son" benannt, erwies sich als "eine der größten ingenieurmäßigen Errungenschaf-
ten der frühen fünfziger Jahre".l2
Überhaupt schien Stalin gern mit symbolischen Zahlen wie der runden Eintau-
send zu arbeiten. Als ihm von einem neuen Lawotschkin-Jäger mit stärkerem An-
trieb und besseren Flugleistungen vorgetragen wurde, reagierte der Diktator:
"Sagen sie Lawotschkin, daß die Reichweite seines Jägers ungenügend bleibt. Sie muß
nicht weniger als 1000 Kilometer betragen."13
Solche Sitzungen im Kreml waren beileibe nicht auf Flugzeugfragen beschränkt.
Vom 11. Februar 1943 wird zum Beispiel von einer Sitzung über Panzerprobleme
berichtet, an der neben Stalin mehrere Mitglieder des Politbüros und Panzerfach-
leute teilnahmen.14 Im Januar 1944 fand eine Kreml-Konferenz über schnelle Pas-
sagierflugzeuge statt,15 usf.
Gleichfalls im Dezember 1949 verfügte Stalin selber die Schließung des Kon-
struktionsbüros von Suchoj. Der Teamchef erhielt "vollständige Arbeitsbefreiung",
vulgo Gefängnis. Seine Mitarbeiter wurden dem Team von Tupolew zugewiesen.
Die Eingriffe des Diktators beschränkten sich nicht nur auf Verfügungen über
Großprojekte oder Entscheidungen über Konstruktionsbüros. Die Ubung, Lei-
stungsanforderungen modernster sowjetischer Düsenjäger höchstpersönlich in Ein-
zelheiten festzusetzen, behielt Stalin bis zu seinem Lebensende bei. Da aufgrund
mangelnder Grundlagenforschung in der Hochgeschwindigkeitsaerodynamik so-
wjetische Bemühungen für den Überschallflug zunächst in Sackgassen endeten
(Lawotschkin La-190 und Jak-1000), verfügte Stalin im Herbst 1950 eine neue
Ausschreibung unter den Jägerkonstrukteuren. Das MiG-Team als Hauptkandidat
mußte bald auf seinen Theoretiker Gurjewitsch verzichten, dem seine Gesundheit
zunehmend zu schaffen machte, aber mit einem Flügel mit der extremen Pfeilung
von 55 Grad schien die Stalinsche Forderung erfüllbar. Am 30. Juli 1951 akzep-
tierte Stalin die Konstruktion. -Tatsächlich sollte sich das Produkt, die MiG-19,
nach langwierigen Anfangsschwierigkeiten, bei deren Lösung ein beträchtlicher
Teil der Grundlagenforschung nachgeholt werden mußte, als erster echter europäi-

entwickelten Hochleistungstriebwerk.
12 Gunston 1983, S. 209. -Der Triebwerkskonstrukteur Mikulin schlug Miasischtschew
zunächst vor, acht seiner AM-3-Aggregate in eine superschwere Maschine von 250
Tonnen Gewicht einzubauen, um so auf die geforderten 16.000 km Reichweite zu kom-
men. Nach Projektstudien schlug Miasischtschew diesen Weg aus und setzte darauf,
daß im Laufe der Jahre stärkere Triebwerke verfügbar würden, Dies trat ein. Dennoch
mußte an dem M-4-Bomber jahrelang verbessert werden, ehe die letzte Baureihe die
Reichweitenforderung erfüllte. -Wie Tupolews Konkurrenzmaschine fliegt auch dieser
Bomber heute noch und ist Gegenstand von Rüstungskontrollverhandlungen.
13 Jakowlew 1972, S. 213
14 Jakowlew 1972, S. 209
15 Jakowlew 1972, S. 363
128 Exkurs: Die Rolle Stalins

scher Überschalljäger erweisen.16 Briten und Franzosen hatten die sowjetischen


Flugzeugbauer im Jägerbau nunmehr auf die Plätze verwiesen. Sie konkurrierten
nunmehr direkt mit der Nr. 1 in der Technologie des Wettrüstens, den USA.
Bis zu seinem Tode griff Stalin in die Rüstungsentwicklung ein. Im September
195117 befand er, offenkundig beeindruckt von der massiven Verwendung von
Hubschraubern durch die amerikanischen Streitkräfte im Koreakrieg, daß der so-
wjetische Hubschrauberbau sehr zu wünschen übrig ließe. Wiederum versammelte
Stalin alle Flugzeugkonstrukteure im Kreml und forderte ultimativ rasche und
große Fortschritte bei den Vertikalflüglern. Außer Mil und Jakowlew zeigte jedoch
niemand Neigung, sich auf diese Aufgabe einzulassen. Die beiden wurden für den
folgenden Tag erneut in den Kreml beordert und erhielten genau ein Jahr Zeit,
einen neuartigen Hubschrauber zu entwerfen und eine Mustermaschine zu bauen
und vorzufliegen. Mil sollte eine einmotorige Maschine mit 1,2 Tonnen militäri-
scher Zuladung bauen, während Jakowlews Hubschrauber die doppelte Last tragen
sollte. Auch wurde Jakowlew gestattet, sich auf Mils Entwurf zu stützen. Mils Ma-
schine, die Mi-4, wurde Mitte April 1952 fertig, während Jakowlew seinen ersten
Hubschrauber Jak-24 etwa zur gleichen Zeit vorstellte. Mil hatte freilich lediglich
eine erfolgreiche amerikani~che Konzeption "nachempfunden", Sikorskys S-55
(vgl. Abbildung 3). Jakowlew, dessen Büro zwar gleichfalls zuvor einen Sikorsky-
Hubschrauber kopiert hatte, entschied sich für einen anderen Weg. Aufgrund sei-
ner herausragenden Stellung holte er rasch ein übergroßes Team von Fachleuten
zusammen (u.a. Jerlik, Skrschinskij, Samsonow, Scheckter, Wildgrub) und sicherte
sich obendrein die Zuarbeit der wichtigsten Forschungsinstitute (des Zentralinstitu-
tes für Flugmotoren, des Zentralinstitutes für Aero- und Hydrodynamik, des All-
Unioninstitutes für Flugwerkstoffe usf.). Die Erfahrungen mit dem Projekt ließen
Jakowlew hernach aufweitere Hubschrauberentwürfe verzichten.
Noch Stalins letzte regierungsamtliche Unterschrift galt einer Rüstungsent-
scheidung, wenn auch einer eher nebensächlichen. Der Triebwerkkonstrukteur
W.M. Jakowlew (nicht verwandt mit dem Flugzeugkonstrukteur) hatte nach langer
Entwicklungsarbeit einen überschweren Dieselmotor mit 42 Zylindern und Abgas-
turbolader fertiggestellt, der eigentlich für die Luftwaffe gedacht war. Diese hatten
angesichts der neuartigen Strahltriebwerke das Interesse an dieser Entwicklung
verloren. Am 28. Februar 1953, weniger als eine Woche vor seinem Tode, wies
Stalin den überflüssig gewordenen Motor der Marine zur weiteren Nutzung zu.18
Verständlicherweise beschäftigte sich Stalin auch persönlich mit den in die
UdSSR verbrachten deutschen "Spezialisten". An erster Stelle stand die Kontrolle.
Vom Kemprojekt, der Urangewinnung für die Bombe, ließ sich der Generalissimus
nach Zeugnis der beteiligten Deutschen während der ersten bedeutenden Schritte
nachts stündlich, und zwar durch Marschall Berija, berichten.
Die technischen Zeichnungen zur Weiterentwicklung der V-2, dem Projekt

16 Wegen der anhaltenden Geheimhaltung in bezugauf den Erstflug der MiG-19 hält Gun-
ston 1983, S. 178, diese Maschine ,,möglicherweise für den ersten echten Überschall-
jäger überhaupt". Das US-Gegenstück, die North American F-100, flog erstmals am
15.5.1953.
17 Jakowlew 1972, S. 330, datiert dieses Treffen auf noch später, auf "Ende Sommer
1952". Dort weitere Einzelheiten zur Hubschrauberentwicklung.
18 Gunston 1983, S. 27
Exkurs: Die Rolle Stalins 129

"Raketa 10", ließ sich Stalin vorlegen, noch ehe die Deutschen mit den Arbeiten
fertig waren. Auch von Problemen nahm Stalin Kenntnis. Als dem Brandner-Team
die Staatsabnahme mit dem neuen Jumo 012 /NK-4 mißlang, ließ sich der Diktator
vernehmen, die Deutschen hätten eben "eine Lokomotive gebaut". Dieser wort-
wörtlich übermittelte Ausspruch mag Außenstehenden rätselhaft erscheinen, für
die Beteiligten enthielt er verschiedene gezielte Hinweise. Zum einen annonciert
dieser merkwürdige Spruch, daß Stalin mit dem persönlichen Hintergrund des
Teamleiters bei den Österreichischen Bundesbahnen, vermutlich gar mit dessen
NS-Parteiaufträgen und -anfragen ("Entjudung" der Simmeringer Waggonwerke)
vertraut war. Zweitens schien dieser Spruch auf die groben Vorgaben zu verwei-
sen, mit denen bei Junkers im Gegensatz zur Konkurrenz Turbostrahltriebwerke
konzipiert worden waren.19 Auf jeden Fall wurde der Satz des Diktators gebührend
ernst genommen.
Die Deutschen lernten wie die Russen auch die andere Seite Stalinscher Steue-
rungspolitik kennen, überreichliche Geschenke. In den Berichten ehemals in der
Sowjetunion tätiger Deutscher werden ausführlich die verschiedenen Prämien be-
schrieben, welche es für erfolgreiche Leistungen in der Rüstung gab. Selbst Stalin-
Preise gingen an einzelne Deutsche, versehen mit der eigenhändigen Unterschrift
des Diktators.
Gegenüber seinem Intimus Jakowlew ließ sich Stalin über sein Verständnis der
Aufgaben der Waffenkonstrukteure aus:
"Ein Konstrukteur ist mit schöpferischen Aufgaben befaßt. Was ein Konstrukteur oder
ein Wissenschaftler zustande bringt, mag sich als gut oder schlecht erweisen, ebenso
wie die Leinwand eines Malers oder das Buch eines Autors gut oder schlecht sein mag.
Der einzige Unterschied liegt darin, daß man das Talent des Malers oder das des
Schriftstellers sofort ermessen kann, an seinem Bild oder an seinen Versen. Ein Blick
auf ein bizarres Bild langt, um zu dem Schluß zu gelangen, daß der Maler einen Knick
im Gehirn hat. Bei einem Konstrukteur ist dies nicht so einfach: Auf dem Papier mag
sein Projekt recht interessant aussehen, aber ob es wirklich gut oder schlecht ist, wird
sich nur erheblich später herausstellen, nachdem ein großes Kollektiv seine Leistungen
erbracht hat und nachdem beträchtliche Geldmittel eingesetzt worden sind ... Und ein
Konstrukteur hat eben nicht immer Erfolg. "20
Anschließend enthüllt Stalin seine Führungsmittel gegenüber Waffenkonstrukteu-
ren mit ambitiösen Projekten. Intiutiv geht er von einer Voreingenommenheit sei-
ner Besprechungsgäste für ihre technischen Vorlieben aus:
"Die meisten Konstrukteure sind zu begeistert, zu überzeugt, daß sie und sie allein
Recht haben; ihre überaus entwickelte Eitelkeit und das Mißtrauen, welches man bei
kreativen Persönlichkeiten häufig findet, veranlassen sie dazu, ihr Versagen als Vorur-
teile gegen sie und ihre Konstruktionen zu werten."21
In der Sicht Stalins waren mehr oder minder alle Waffenkonstrukteure so zu wer-
ten - und seine Aufgabe bestand vor allem darin, diese Verrückten in geeigneter
Weise einzusetzen.22
Es fällt schwer, zur Wirkung Stalins in der sowjetischen Rüstung eine Bilanz

19 Vgl. Kens/Nowarra 1961, S. 614


20 Jakowlew 1972, S. 441
21 Jakowlew 1972, S. 441
22 Vgl. Jakowlew 1972, S. 441
130 Exkurs: Die Rolle Stalins

aufzumachen. Sicher wären ohne seine rabiaten, zum Teil infernalischen Füh-
rungsmethoden die meisten technischen Höchstleistungen in der Sowjetunion nicht
erreichbar gewesen. Andererseits stehen da die Opfer, auch unter führenden Fach-
leuten. Von deren Leiden ganz abgesehen, kostete der Stalinsche Terror das Land
eine enorme Einbuße an kreativem Ingenieurpotential. Für den Luftfahrtsektor, das
high-tech-Gebiet jener Jahre, schätzt Gunston, daß die Hälfte der führenden Kon-
strukteure vorzeitig den Tod fand oder dem Lande durch die Emigration verloren
ging.23

23 Gunston 1983, S. 10
4. Die Beziehungen zwischen Partei
und Rüstungsindustrie

4.1 Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen

Wie in westlichen Gesellschaften existiert auch im sowjetischen Herrschaftssystem


zwischen den Intentionen und Zielvorgaben der politischen Entscheidungsträger
und der Art und Weise, wie deren Beschlüsse real in die Praxis umgesetzt werden,
eine nicht geringe Kluft. Für das sowjetische System können vor allem für die Ära
nach Stalin Gruppeninteressen und -konflikte, die insbesondere in den stark ge-
wachsenen Bürokratien des Staats- und Parteiapparates angesiedelt sind, und ihr
Einfluß auf die politische Entscheidungsfindung und Implementation nicht ausge-
schlossen werden. Aufgrund des Vorhandenseins bürokratischer Eigeninteressen
wird auch die politische Kontrolle seitens der Führung nicht vollkommen ausfal-
len. Die bis zur Gorbatschow-Wende anzutreffende Vorstellung von der Sowjet-
union als einem totalitären Gesellschaftssystem, in dem die untergeordneten Re-
gierungsbehörden passiv und verzuglos die von der obersten politischen Führung
beschlossenen Direktiven und Programme umsetzen, deckt sich kaum mit der Re-
alität.
Das Gesellschaftssystem der UdSSR ist in seinen Herrschaftsdimensionen
durch eine Zweiteilung charakterisiert. Die führende politische Kraft der sowjeti-
schen Gesellschaft und den Kern ihres politischen Systems bildet - wie in der ge-
genwärtig gültigen Verfassung dieses Staates von 1977 niedergelegt- die KPdSU.
Die KPdSU leitet die staatlichen und gesellschaftlichen Organe politisch an und
lenkt und koordiniert deren Tätigkeiten. Die obersten Organe der Partei (ZK und
Politbüro) legen die grundlegenden Richtlinien für die Innen- und Außenpolitik
fest und entscheiden über Initiativen und Programme. Sie üben zugleich die ober-
ste Kontrolle über sämtliche administrative Funktionen auf allen Ebenen der so-
wjetischen Gesellschaft aus. Demgegenüber soll sich die Rolle der Regierungsin-
stitutionen formal auf die Implementation der von den leitenden Parteiorganen vor-
gegebenen politischen Direktiven beschränken, die durch Gesetze und Verordnun-
gen ratifiziert werden. Ihrem Selbstverständnis nach strebt die KPdSU keine Über-
schneidungen der Funktionen der Parteiorganisationen mit denen der staatlichen
Organe an. In der Praxis hat es jedoch in der Geschichte des Sowjetstaates des öf-
teren solche Aufgabenüberschneidungen gegeben, die teilweise zu heftigen Kon-
flikten zwischen Partei- und Staatsapparat geführt haben (vgl. z.B. die Chruscht-
schow-Periode). Gorbatschow scheint nun bemüht zu sein, jetzt auch eine klare
Trennung der Funktionen von Partei- und Staatsorganen herbeizuführen.
In dem für die nationale Sicherheit zentralen Bereich der Militär- und Rü-
stungspolitik war es das Bestreben der Parteiführung, die Entscheidungsstrukturen
und -prozesse so zu gestalten, daß diese den zweifelsohne vorhandenen bürokrati-
schen Einflußdruck so weit wie möglich zu vermindern helfen und gleichzeitig
132 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

eine möglichst maximale Kontrolle über die zu verfolgenden politischen Prioritä-


ten sowie über die Implementation der beschlossenen Programme seitens des
Staatsapparates sicherzustellen.
Die politische Priorität, welche die sowjetische Führung der Rüstung und ihrer
Produktion langfristig eingeräumt hat, führte zu relativen ökonomischen Privile-
gien des rüstungsindustriellen Sektors im Vergleich zu seinem zivilen Gegenstück.
Eine wesentliche Folge dieses bevorzugten Status der Rüstungsindustrie war aber
zugleich ein hohes Maß an direkter Einmischung und Beteiligung sowie enger
Überwachung der politischen Führung bei der Waffenentwicklung und -produk-
tion. Dies trifft nicht nur auf die politisch besonders bedeutsamen großen Rü-
stungsprogramme (A- und H-Bombe, Interkontinentalraketen) zu, sondern offen-
sichtlich auch für die "normalen" Alltags-Betriebsabläufe des rüstungsindustriellen
Sektors.
Mit Hilfe eines institutionalisierten ausgedehnten Netzwerks von Kontroll-
und Überwachungsmechanismen auf Partei- und Staatsapparatsebene, in das auch
das Militär als Endverbraucher der hergestellten Rüstungsgüter einbezogen ist, ver-
sucht das Politbüro sicherzustellen, daß die Ministerien der rüstungsindustriellen
Gruppe, die ihnen unterstellten Forschungsinstitute und Konstruktionsbüros sowie
Fertigungsbetriebe den von der Parteiführung beschlossenen rüstungspolitischen
Direktiven nachkommen. Die organisatorischen Prozeduren, durch welche die Par-
teiführung die Kontrolle über die Implementation ihrer Rüstungspolitik befördern
will, spiegeln als Folge zugleich einen sehr hohen Grad von Zentralisation der Ent-
scheidungsfindung über Waffenprogramme wider. Das administrative System in
der UdSSR ist so angelegt, daß es verschiedene Stufen von Entscheidungszentrali-
sation erlaubt, die sich nach der Wichtigkeit des Politikbereichs bemessen.
Im Rahmen dieses Kapitels sollen zuerst der institutionelle Aufbau des rü-
stungsindustriellen Sektors, seine wichtigsten Repräsentanten sowie die relevanten
übergeordneten Organe des Staats- und Parteiapparats bei Entscheidungen über
Rüstungsprogramme näher beschrieben und analysiert werden.
In einem zweiten Schritt soll unter Verwendung des Paradigmas der Interes-
sengruppenpolitik ausführlicher erörtert werden, in welchem Maße sich die ver-
schiedenen Gruppenelemente der sowjetischen Rüstungsindustrie als geschlossene
bürokratische Interessengruppe konstituieren und Entscheidungen der Parteifüh-
rung über Rüstungsprogramme beeinflussen können. Wenn von "Gruppen" die Re-
de ist, so muß sogleich hervorgehoben werden, daß es sich allenfalls um informelle
Zuordnungen, um eine Anzahl von Personen handelt, die in einer bestimmten An-
gelegenheit bestimmte Auffassungen teilen. In anderen Fragen mag der gleiche
Personenkreis unterschiedliche Meinungen vertreten. Es läßt sich aber doch, auf-
grund der beruflichen Stellung der Individuen, ihrer gemeinsamen Herkunft oder
gemeinsamen Ausbildung, ihrer gemeinsamen oder gegenläufigen Aufstiegsinter-
essen ein Grundmuster von Gruppenhaftigkeit ausmachen, so informell dieses auch
bleibt.
Die Bestimmung von informellen Gruppen und die Untersuchung ihres Ver-
haltens ist sozialwissenschaftlich eine schwierige Aufgabe, zumal in der wenig in-
formationsfreudigen Sowjetgesellschaft Wenn im folgenden zur Bestimmung von
Gruppen auf ihre institutionelle Verankerung oder ihre Stellung im Produktions-
prozeß zurückgegriffen wird, so stellt dies ein Hilfsverfahren dar. Weder ist anzu-
setzen, daß jeder Angehörige einer Institution die seiner Gruppe zugeschriebenen
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 133

Haltungen bruchlos teilt, noch kann diese Orientierung von Gruppenzugehörigkeit


alle informellen Gruppenprozesse erfassen, besonders nicht im Bereich der politi-
schen Meinungs- und Machtbildungsprozesse. Berechtigung hat das Verfahren
aber auch, weil sowjetische Akteure ihre Gegenspieler im Lande gruppenhaft
wahrnehmen und sich durch Gruppenbündnisse gegen diese durchzusetzen suchen.
So beschreibt etwa Vizeaußenminister Wladimir Petrowskij Widerstände "be-
stimmter Gruppen" gegen weitere Konzessionen der UdSSR im Abrüstungsdialog
mit dem Westen, und in der sowjetischen Presse wird diese Chiffre oft als Hinweis
auf interne Auseinandersetzungen benutzt.
Der Interessengruppenansatz selber sowie andere theoretische Vorgaben zum
Verständnis des sowjetischen Gesellschaftssystems werden im KapitelS ausführli-
cher behandelt. Die Nutzung des Paradigmas von der Existenz von Interessengrup-
pen erfolgt hier nicht, weil dieser Ansatz als überzeugendster bewertet wird, wie in
Kapitel 8 dargelegt wird. Für die empirische Untersuchung von Handlungsstruktu-
ren bei Rüstungsprozessen bleibt aber dieses Paradigma aufgrund seiner Konzep-
tion der ergiebigste Ansatz.

4.1.1 Die Ministerien der rüstungsindustriellen Gruppe

Die institutionelle Struktur des Rüstungssektors in der UdSSR hat im Verlauf der
Zeit mehrere, zum Teil erhebliche Modifikationen erfahren, die hauptsächlich auf
umfangreichere Reorganisationen des sowjetischen Systems der Ministerien zu-
rückgehen. In der Zeit vor 1957 wurden die meisten Produktionsbetriebe ein-
schließlich der rüstungsindustriellen durch Ministerien geleitet. Die Ministerien
selber waren auf der Grundlage des Branchenprinzips organisiert.
Von 1957 bis 1965 wurde die sowjetische Wirtschaft einschließlich des rü-
stungsindustriellen Sektors unter Chruschtschow tiefgreifend reorganisatiert. Aller-
dings wurde der Rüstungssektor dabei im Vergleich zu anderen Bereichen organi-
satorisch unterschiedlich behandelt. Völlig ausgenommen von der institutionellen
Reorganisation waren die "klassischen" Ministerien (Inneres, Äußeres, Verteidi-
gung, Justiz). Der Großteil der industriellen Ministerien wurde aufgelöst und die
Leitung der ihnen unterstellten Betriebe sowie anderen Einrichtungen neu geschaf-
fenen, nach regionalen Gesichtspunkten gegliederten Wirtschaftsräten übertragen.
Jedoch weitete Chruschtschow diese regionale Dezentralisierung nicht auf den Rü-
stungssektor aus. Zwar fielen auch die rüstungsindustriellen Ministerien (als letzte)
Chruschtschows Wirtschaftsreformen zum Opfer, aber sie wurden in Staatskomi-
tees umgewandelt, die direkt dem Ministerrat der UdSSR unterstanden und der
Kontrolle durch die regionalen Wirtschaftsräte entzogen blieben. Diese Staatsko-
mitees behielten die Kontrolle über die militärischen Forschungs- und Entwick-
lungseinrichtungen in ihrem Zuständigkeitsbereich (wahrscheinlich auch über
einen Teil der Rüstungsproduktion).
Diese organisatorischen Reformen der sowjetischen Volkswirtschaft führten
nicht zu befriedigenden Ergebnissen, woran der Widerstand der Bürokratien im
Staatsapparat seinen gewichtigen Anteil hatte. Daher wurde 1963 der Oberste
Wirtschaftsrat der UdSSR geschaffen, zu dessen Leiter man den späteren Verteidi-
gungsminister Ustinow ernannte. Die Leitung und Koordination der Staatskomi-
tees für die Rüstungsindustrie wurden von GOSPLAN auf den Obersten Wirt-
schaftsrat verlagert. Im Zuge dieser organisatorischen Veränderungen haben die
134 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Staatskomitees anscheinend auch Verantwortlichkeiten für die Verwaltung der Be-


triebe und die Produktion wiedererhalten. Nach dem Scheitern von Chruscht-
schows Wirtschaftsreformen wurde das System der Ministerien für die administra-
tive Verwaltung der sowjetischen Ökonomie 1965 wieder in seiner alten Form ein-
gerichtet und die Staatskomitees der Rüstungsindustrie wurden entsprechend um-
gewandelt!
Die Anzahl der für Rüstungsproduktion zuständigen Ministerien hat sich im
Verlauf der Zeit erhöht. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren bis zum Beginn der
50er Jahre für die Rüstungsindustrie vier, mit "traditioneller" Waffenproduktion
beschäftigte Ministerien verantwortlich (die Ministerien für Luftfahrt, Maschinen-
bau, Schiffbau und Rüstung). Seit Stalins Tod im Jahre 1953 hat sich die Zahl der
rüstungsindustriellen Ministerien bis Mitte der 70er Jahre erhöht. Die Einrichtung
neuer Ministerien ist hauptsächlich auf die wachsenden entwicklungstechnologi-
schen und produktionstechnischen Anforderungen und Differenzierungen moder-
ner Waffensysteme zurückzuführen. So schuf man z.B. neue Ministerien für die
Entwicklung und Produktion von Nuklearwaffen und Elektronik. Für die Herstel-
lung strategischer Raketen wurde 1965 ein weiteres Ministerium eingerichtet (vgl.
Tabelle 5 über den Verlauf der organisatorischen Entwicklung des ministeriellen
Systems für die Rüstungsindustrie).

Tabelle 5:
Organisatorische Entwicklung der Ministerien der sowjetischen Rüstungsindustrie

1950 1955 19ro 1965 1970 1975 1980

Rüstungsindustrie
Luf~ahrtindustrie 1 r-------,---------- Luf~ahrtindustrie

- ~
Maschinenbau Allgemeiner Maschinenbau
Allgemeiner ''-----------
Rüstung
- - - - - ' Trans._po_rt_·_.un_d.------.,~r---------- Rüstungsindustrie

n+
I Schwermaschinenbau ' - - - - - - - - - Maschinenbau
Schiffbau-
industrie
-----' ' - - - - - - - - - - - - - - - - - Schiffbauindustrie

- - - - - - - - - - - - - - - - - - Mittlerer Maschinenbau

, - - - - - - - - - - - - - - Elektronikindustrie

----'----------r------ Radioindustrie

' - - - - - - - - Fernmeldegeräteindustrie

aus: David Holloway: Innovation in the defence sector, in: Ronald Amann/Julian Cooper:
Industrial Innovation in the Soviet Union, New Haven/London 1982, S. 306

1 Vgl. zur historischen Entwicklung der ministeriellen Struktur und Organisation des rü-
stungsindustriellen Sektors ausführlicher Alexander 1978a, S. 21/22; Cooper 1986;
Holloway 1982a, S. 303-314; Holloway 1983a, S. 51-56 u. 63-65; Rough 1984, S. 87-
91; McDonnell 1975, S. 88-91; Morozow 1982, S. 197-217; Scott/Scott 1984, S. 302-
319; Sheren 1970, S. 123-132
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 135

Nach westlichen Erkenntnissen sind gegenwärtig neun Ministerien für den


Hauptteil der sowjetischen Rüstungsproduktion verantwortlich. Identifiziert wer-
den diese Ministerien durch ihr Fehlen in den von der sowjetischen Regierung ver-
öffentlichten Wirtschaftsstatistiken über die Planerfüllungs-Ziffern. Im Zuständig-
keitshereich der zur Rüstungsindustrie gezählten Ministerien wird allerdings auch
ein nicht unbeträchtlicher Anteil an Produktion von Zivilgütern abgewickelt.2
Folgende neun Ministerien gelten 1987 als primär zuständig für die Entwick-
lung und Produktion von Rüstungsgütern in der UdSSR3:

1. Ministeriumfür Rüstungsindustrie
Diese Behörde wurde 1936 geschaffen. Sie war zwischen 1939 und 1953 zunächst
als Volkskommissariat4, dann als Ministerium für Rüstung bekannt (1939 teilte
man das Volkskommissariat für die Verteidigungsindustrie in vier einzelne Behör-
den auf: Munition, Rüstung, Schiffbau, Flugzeugbau). Dieses Ministerium ist
hauptsächlich zuständig für die Entwicklung und Produktion konventioneller Rü-
stung.
Rüstungsprodukte: Kampfpanzer, Schützenpanzer, Artillerie, Handwaffen, Muni-
tion, kleinere mobile ballistische Raketen, optische Geräte, Laser, Panzerabwehr-
lenkrak:eten, taktische Luft-Boden-Raketen und anderes Gerät für die Landstreit-
kräfte
Zivile Produkte: Traktoren und anderes landwirtschaftliche Gerät, Fischerei-Aus-
rüstungen, Photoapparate, Güterwaggons, Personenwaggons, Motorräder und -rol-
ler, Stahl, Kühlschränke, Waschmaschinen, optische Geräte für industrielle und
wissenschaftliche Zwecke u.a.
Minister: B.L. Wannikow5 (1939-41); D.F. Ustinow (1941-57); A.D. Domraschew
(1957-58); K.N. Rudnew (1958-61); L.W. Smirnow (1961-63); S.A. Swerew
(1963-1979); P.W. Finogenow (1979-).
Volkskommissar für Munition: I.P. Sergejew {1939-??); P.N. Goremykin
(??-1942); B.L. Wannikow (1942-46).
Volkskommissar für die Panzerindustrie: W.A. Malyschew (1941-46)
Volkskommissar für Mörser: unbekannt
Volkskommissar für Mittleren Maschinenbau: S.A. Akopow (1941-46).

2. Ministeriumfür Luftfahrtindustrie:
Das Ministerium wurde 1939 eingerichtet und wurde 1953 für eine kurze Zeit mit
dem Ministerium für Verteidigungsindustrie fusioniert. Der langjährige Minister

2 Vgl. ausführlicher Cooper 1986


3 Aufstellung und Angaben nach F.W.K. 1984, S. 141; McDonnell 1975, S. 114-117;
McDonne111977a, S. 94-96; Sheren 1970, S. 128-131; Sowjetunion 1984/85; U.S. CIA
1986; Cooper 1986
4 Bis zum März 1946 bezeichnete man die Ministerien als Volkskommissariate
5 Boris L.W annikow ist einer der wenigen Minister, die sich schriftlich zu ihrem Aufga-
benbereich geäußert haben, wenn auch nur historisch ("Oberonnaja promyschlenost
SSSR nakanune wojny", in: historii, 43, No.10/1968, S. 116-123)
136 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Dementjew hat im Gegensatz zu den meisten anderen Ministern der sowjetischen


Rüstungsindustrie ausgiebig westliche Länder bereist.
Rüstungsprodukte: militärische Flugzeuge und Hubschrauber, Luft-Luft-Raketen,
taktische Luft-Boden-Raketen, taktische und strategische Abwehrraketen, Anti-
UBoot-Raketen u.a.
Zivile Produkte: zivile Flugzeuge und Hubschrauber, Werkzeugmaschinen, Kühl-
schränke, Waschmaschinen, Staubsauger, medizinische Ausrüstung, Videorecor-
der, Kameras u.a.
Minister: M.M. Kaganowitsch (1939-40); A.I. Schachurin (1940-46); M.W. Chru-
nitschew (1946-53); P.W. Dementjew (1953-1977); W.A. Kasakow (1977-81); I.S.
Silajew (1981-1985); A.S. Syszow (1985-).

3. Ministeriumfür die Schiffsbauindustrie:


Diese Behörde besteht seit 1939 und war zwischen 1953-54 dem Ministerium für
Transportwesen und Schweren Maschinenbau einverleibt worden.
Rüstungsprodukte: Kriegsschiffe und deren Bewaffnung, Systeme zum Aufspüren
von UBooten, akustische Horchgeräte, Radarsysteme.
Zivile Produkte: zivile Schiffe und Boote aller Typen, Bohrplattformen, Bewässe-
rungsausrüstungen, Werkzeugmaschinen, Waschmaschinen, Tonbandgeräte, Ra-
dios; Videorecorder u.a.
Minister: I.T. Tewossjan (1939-40); 1.1. Nossenko (1940-46); A.A. Goregljad
(1946-50); W.A. Malyschew (1950-1953); 1.1. Nossenko (1953-57); B.Je. Butoma
(1957-76); M.W. Jegorow (1976-84); I.S. Beloussow (seit 1984).

4. Ministeriumfür Mittleren Maschinenbau


Diese Behörde wurde 1953 geschaffen. In dem Zeitraum von 1946-1953 übte die
erste Hauptverwaltung des sowjetischen Ministerrats ähnliche Funktionen aus.
Dieses Ministerium soll primär für das militärische und zivile sowjetische Nu-
klearenergieprogramm verantwortlich sein (vgl. Kapitel 2).
Rüstungspro(j.ukte: Nuklearsprengköpfe, nukleare Antriebsreaktoren, Hochenergie-
laser.
Zivile Produkte: Abbau und Verfeinerung von Uran und anderen nuklearen Brenn-
stoffen, industrielle Nuklearreaktoren, Herstellung von Radioisotopen usw.
Minister: B.L. Wannikow (1946-53); W.A. Malyschew (1953-55); A.P. Sawenja-
gin (1955-56); M.G. Perwuchin (April-Juli 1957); Je.P. Slawskij (1957-1986);
L.D. Ryabew (1986-).

5. Ministeriumfür die Radioindustrie


In seiner jetzigen Form mit vorrangig rüstungsorientierter Produktion existiert die-
ses Ministerium seit 1957 (Vorläufer: Ministerium für die Femmeldegeräteindu-
strie, 1946-53 und Ministerium für Radio-technische Produktion,l954-57).
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 137

Rüstungsprodukte: Radargeräte, Fernmeldegeräte-Ausrüstungen, Spezial-Compu-


ter, Lenk- und Kontrollsysteme. Laser.
Zivile Produkte: Fernsehgeräte, Radios, Tonbandgeräte, Computer, Telefon-Ausrü-
stungen, Kühlschränke u.a.
Minister: I.G. Subowitsch (1946-47); G.W. Alexenko (1947-53); W.D. Kalmykow
(1954-74); P.S. Pleschakow (1974-).

6. Ministeriumfür Elektronikindustrie
1961 geschaffen, als man das Ministerium für die Radioindustrie in zwei Ministe-
rien aufteilte.
Rüstungsprodukte: Elektronische Bauteile und Komponenten, Computer.
Zivile Produkte: Radios, Fernsehgeräte, Tonbandgeräte, Telefon-Ausrüstung, Uh-
ren, Computer, Laser u.a.
Minister: A.I. Schokin (1961-1986); W.G. Kolesnikow (1986-).

7. Ministeriumfür Allgemeinen Maschinenbau


Ein Ministerium mit diesem Namen existierte zwischen 1955-57 und war primär
mit der Produktion traditioneller Rüstung befaßt. 1965 wurde es in seiner heutigen
Form neu gegründet, allerdings mit einer unterschiedlichen Aufgabenstellung für
den Bereich der Rüstungsproduktion.
Rüstungsprodukte: ballistische Raketen mit Flüssigkeits- und Feststoffantrieb (ein-
schließlich UBoot-Raketen), Feuerleitsysteme für strategische UBoot-gestützte
ballistische Raketen, Marschflugkörper, Weltraumfahrzeuge u.a.
Zivile Produkte: Traktoren, Straßenbahnwaggons, Werkzeugmaschinen, Kühl-
schränke, Fernseher u.a.
Minister: P.N. Goremykin (1955-57); S.A. Afanasjew (1965-83); O.D. Baklanow
(1983-).

8. Ministeriumfür Maschinenbau
Eine 1968 neu eingerichtete Behörde. Der immer noch amtierende erste Minister
war zuvor Stellvertretender Minister im Ministerium für Verteidigungsindustrie
gewesen.
Rüstungsprodukte: konventionelle Munition für Geschütze, Sprengstoff, Zünder,
Festtreibstoff.
Zivile Produkte: Fahrräder, Kühlschränke, Tonbandgeräte, Video-recorder, Uhren,
Haushaltschemie, Mopedsu.a.
Minister: W.W. Bachirew (1968-).
138 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

9. Ministeriumfür Fernmeldegeräteindustrie
1974 als jüngstes Ministerium der rüstungsindustriellen Gruppe geschaffen. Ging
aus dem Ministerium für die Radioindustrie hervor.
Rüstungsprodukte: Fernmeldeausrüstungen, Komponenten für Radaranlagen, Ge-
räte für elektronische Kriegsführung, Computer, Vervielfältigungsgeräte u.a.
Zivile Produkte: Fernseher, Radios, Tonbandgeräte, (wahrscheinlich auch Compu-
ter).
Minister: E.K. Perwyschin (1974-).

Über diese neun Ministerien hinaus tragen eine Reihe von weiteren industriellen
Allunions-Ministerien, obgleich vorrangig zivil orientiert, zur sowjetischen Rü-
stungsproduktion bei. Nach amerikanischen Geheimdienst-Angaben sollen folgen-
de Ministerien auch mit Rüstungsproduktion befaßt sein6:
Ministerium für Automobilindustrie: LKW, gepanzerte Mannschaftstransportwa-
gen u.a.
Ministeriumfür Chemie- und Erdölmaschinenbau: Brennstoffe, Sprengstoffe u.a.
Ministeriumfür Bau, Straßen- und kommunalen Maschinenbau: Militärische Un-
terstützungsausrüstung (Anhänger und Rak:eten-S tartgestelle).
Ministeriumfür Elektrotechnische Industrie: elektrische Systeme für den Marine-
und Luftfahrtbereich.
Ministeriumfür Schwer- und Transportmaschinenbau: gepanzerte Fahrzeuge, Ab-
schußgestelle, Turbinen und Pumpen für U-Boote, Dieselmotoren, Generatoren
u.a.
Ministeriumfür Werkzeugmaschinen- und Gerätebauindustrie: Werkzeugmaschi-
nen für die Rüstungsindustrie.
Ministeriumfür Energiemaschinenbau: Generatoren.
Ministerium für Traktoren- und Landwirtschaftsmaschinenbau: Panzer, Ketten-
fahrzeuge, Geländefahrzeuge.
Ministerium für Gerätebau, Automatisierung und Steuerungssysteme: Computer
und Arrnaturenkontrollsysteme.
Ministeriumfür Chemische Industrie: Treibstoffe, Fiberglaskomponenten für Ra-
ketenmotoren.
Ministeriumfür Petrachemische Industrie: Treib- und Schmierstoffe, Reifen u.a.

Die neun zum Kern der sowjetischen Rüstungsindustrie gerechneten Ministerien


sind in gleicher Weise organisiert wie die anderen industriellen Ministerien. In ei-
nem Ministerium existieren mehrere Hauptverwaltungen, von denen eine für die
Forschung und Entwicklung und die anderen für die verschiedenen Produktgrup-

6 Vgl. U.S. DoD 1983, S. 76 und U.S. CIA 1986, S. viii


Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 139

pen verantwortlich sind. Das Ministerium für Allgemeinen Maschinenbau soll z.B.
vier Hauptverwaltungen für die Produktion von Rüstungsgütern für die Landstreit-
kräfte, Raketenmotoren, Kontrollinstrumenten und von Raketen haben. Weiter sind
spezielle Abteilungen für solche Gebiete wie Beschaffung, Finanzen, wissenschaft-
liche und technische Informationen usw. vorhanden. Außerdem besteht in den mei-
sten Ministerien ein wissenschaftlich-technisches Beratungsgremium, dessen Mit-
glieder neue Projektvorschläge begutachten und Empfehlungen für die Ausrich-
tung der Forschung aussprechen. Die Leiter der Hauptabteilungen, die Stellvertre-
tenden Minister und andere Personen der oberen Management-Hierarchie bilden
ein ministerielles Kollegium, welches den Minister, der zugleich den Vorsitz führt,
in der Leitung seiner Behörde berät.?
Die in der Rüstungsfertigung tätigen Produktionsstätten werden von den ein-
zelnen Ministerien direkt verwaltet und in ihren Aktivitäten eng kontrolliert. Be-
triebe in der Rüstungsindustrie und der Zivilwirtschaft werden oft in sogenannten
Produktionsvereinigungen zusammengefaßt. 8
Die Ministerien der Rüstungsindustrie kontrollieren nicht nur die Rüstungspro-
duktion, sondern auch ein eigenes institutionelles Netzwerk von Forschungs- und
Entwicklungseinrichtungen. Diese Einrichtungen sind entweder in der Form von
Forschungsinstituten, die sich auf augewandte Forschung in bestimmten Bereichen
von Waffen- und Produktionstechnologien spezialisieren, oder von Konstruktions-
büros organisiert, die an der Konstruktion neuer Rüstungsprodukte und Entwick-
lung neuer Fertigungsstechnologien arbeiten.9 Einer Studie von Alexander aus dem
Jahre 1973 zufolge unterstanden dem Ministerium für Luftfahrtindustrie zu diesem
Zeitpunkt sechs Forschungsinstitute, elf Konstruktionsbüros für die Entwicklung
von Flugzeugen, Hubschraubern und Raketen, fünf Konstruktionsbüros für Trieb-
werke und 30-40 Endfertigungsstätten.lO
In der Praxis kann es vorkommen, daß sich die Aufgabenbereiche und Funktio-
nen zwischen diesen beiden Organisationstypen nicht so eindeutig auseinanderhal-
ten lassen, da die Forschungsinstitute und Konstruktionsbüros in der Rüstungsin-
dustrie häufig organisatorisch kombiniert und auch örtlich zusammengelegt wer-
den. Generell besteht die Funktion der Forschungsinstitute darin, die Konstrukti-
onsbüros mit angewandter Forschung zu unterstützen. Dies geschieht in der Form
technischer Handbücher, die den Konstruktionsbüros genaue Richtlinien und Pro-
zeduren für die Konstruktion von Waffenkomponenten und -Subsystemen sowie
Instruktionen für die anzuwendenden Fertigungstechniken erteilen. Die sowjeti-
sche Waffenkonstrukteure sind gehalten, innerhalb der in diesen Handbüchern vor-
gegebenen technischen Richtlinien zu arbeiten und haben nur einen gewissen
Spielraum bei der Auswahl von Komponenten. Bei den Konstruktionsbüros gibt es
Unterschiede: einige fertigen nur "Papierkonstruktionen" an, andere verfügen über
eigene Produktionseinrichtungen zum Bau von Prototypen (Experimental-Kon-
struktionsbüros). Außerdem sind einige Konstruktionsbüros verantwortlich für die
Entwicklung eines gesamten Waffensystems, während andere nur an bestimmten

7 Vgl. Alexander 1978a, S. 22 und Holloway 1982a, S. 311


8 Vgl. F.W.K. 1984, S. 140 und U.S. CIA 1986, S. 11
9 Vgl. Holloway 1982a, S. 316
10 Vgl. Alexander 1973, S. 2
140 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Komponenten, wie Triebwerken oder Raketenmotoren, arbeiten) 1


Die institutionelle Position und Autonomie von Konstruktionsbüros gegenüber
den Ministerien der Rüstungsindustrie fallt recht verschieden aus. In Bereichen
"niedriger Technologie" wie bei Panzern, Artillerie und Kleinwaffen sind die Kon-
struktionsbüros in der Regel an die Rüstungsbetriebe angegliedert und diesen un-
terstellt. In der Luftfahrtindustrie sind die Experimental-Konstruktionsbüros von
den Forschungsinstituten und Betrieben relativ unabhängige Organisationen mit ei-
genen Produktionseinrichtungen. Schiffswerften haben ihre eigenen Konstrukti-
onsbüros, obwohl einige Anzeichen für die Existenz eines zentralen Konstruktions-
büros sprechen. Im Bereich des Ministeriums für Allgemeinen Maschinenbau sind
ballistische Raketen anfänglich von Forschungsinstituten entwickelt worden. Somit
scheint die organisatorische Position eines Konstruktionsbüros mit der Höhe des
involvierten technologischen Niveaus zu variieren: je fortgeschrittener die Techno-
logie, um so unabhängiger ist die Stellung des Konstruktionsteams.l2 Jedoch weist
Holloway darauf hin, daß diese organisatorischen Differenzierungen in der Rü-
stungsindustrie "may now be breaking down with the formation of science-pro-
duction and production-technical associations, which are bringing R & D closer to
production."l3
Umfang und Komplexität der Rüstungsproduktion erforderten spezielle For-
men der Leitung, Koordination und Aufsicht für die zuständigen Ministerien. Vor
dem Zweiten Weltkrieg übten eine "Militärisch-Industrielle Kommission" und ein
"Wirtschaftsrat" diese Funktionen aus. Während des Zweiten Weltkrieges unter-
stand die sowjetische Rüstungsindustrie direkt dem von Stalin geleiteten staatli-
chen Verteidigungskomitee.l4 Für die unmittelbare Nachkriegszeit merkt Hollo-
way an, daß
"augenscheinlich die Übung fortgesetzt wurde, einzelne Führungspersönlichkeiten für
die gesamte Rüstungsindustrie oder für einzelne ihrer Zweige verantwortlich zu ma-
chen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es unter dem Ministerrat besondere Be-
hörden, die das Kernwaffen- und das Fernraketenprogramm betreuen."l5
Im Kapitel 2 zum sowjetischen Atomprogramm sind diese Sondereinrichtungen
("Glawatom" sowie ein besonderer "Technischer Sowjet") bereits ausführlicher
behandelt worden.
Gegen Mitte oder Ende der 50er Jahre hat offensichtlich ein Prozeß eingesetzt,
in dem diese speziellen Organisationsformen durch allgemein übergreifende Lei-
tungs- und Kontrollmechanismen auf Partei- und Staatsapparatebene abgelöst wur-
den.
Geht man von den einzelnen Ministerien der rüstungsindustriellen Gruppe zu
den höheren Leitungs- und Kontrollebenen im Partei- und Staatsapparat über, so
muß bei deren Beschreibung beachtet werden, daß hier über die spezifischen orga-
nisatorischen Strukturen und Entscheidungsabläufe aufgrund der spärlichen sowje-
tischen Quellenlage nur wenig bekannt ist. Mit einiger Sicherheit läßt sich aber
festhalten, daß die neun rüstungsindustriellen Ministerien direkt einem stellvertre-

11 Vgl. Holloway 1982a, S. 316 und Kehoe/Brower 1982


12 Vgl. Alexander 1978a, S. 23 und Holloway 1982a, S. 317
13 Holloway 1982a, S. 317
14 Vgl. ausführlicher McDonnell1975, S. 92/93
15 Holloway 1982a, S. 310
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 141

tenden Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR unterstehen. Als Instrument des
Ministerrats zur Koordination der Aktivitäten der Rüstungsindustrie fungiert die
"Militärisch-Industrielle Kommission". Ihre Funktionen sollen nachfolgend näher
erläutert werden.

4.1.2 Die Militärisch-Industrielle Kommission

Der Ministerrat der UdSSR ist- so die Verfassung- das höchste exekutive und ad-
ministrative Organ der Regierung und damit staatlicher Autorität.16 Er beaufsich-
tigt und dirigiert die bürokratische Maschinerie des sowjetischen Staatsapparates.
Die Aufgaben und Kompetenzen des Ministerrats umfassen u.a.:
"1. Die Richtung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwickhmg sicherzu-
stellen ... 2. Lang- und kurzfristige Staatspläne für die wirtschaftliche und soziale Ent-
wicklung der UdSSR zu entwerfen ... 3. Maßnalunen zu ergreifen, um die Interessen
des Staates zu verteidigen ... 4. Maßmalunen in die Wege zu leiten, um die Sicherheit
des Staates zu gewährleisten; 5. Allgemeine Vorgaben für die weitere Entwicklung der
Streitkräfte der UdSSR zu machen ... 6. Allgmeine Richtlinien für die Beziehungen mit
anderen Staaten vorzulegen ... 7. Erforderlichenfalls Ausschüsse und Gremien des Mi-
nisterrates der UdSSR für Angelegenheiten der Wirtschaftsentwicklung ... und der Ver-
teidigung einzusetzen. "17
Das ständige Exekutivgremium ist das Präsidium des Ministerats, dessen Mitglied-
schaft auch den für die Rüstungsindustrie zuständigen Stellvertretenden Vorsitzen-
den des Ministerrats einschließt.
Formale Kompetenzen zur Formulierung allgemeiner politischer Direktiven
besitzt der Ministerrat offensichtlich nicht. Nach den Verfassungsbestimmungen
übt die KPdSU das Prärogativ aus, die allgemeinen politischen Richtlinien für die
Entwicklung der Gesellschaft und die Innen- und Außenpolitik festzulegenlS. Doch
kann daraus nicht ohne weiteres die umgekehrte Schlußfolgerung gezogen werden,
die Organe und Akteure der staatlichen Ebene könnten überhaupt nicht politische
Entscheidungen beeinflussen. Dies ist für die nachfolgende Erörterung der Funk-
tionen und des Einflusses eines leitenden Organs des Staatsapparates für die Rü-
stungsindustrie von grundlegender Bedeutung. Wolfe merkt prinzipiell an:
"Sicher können die Mitglieder des Ministerrates, als Regierungspspitzen, die die Mini-
sterialbürokratieunter sich haben, sowohl das Verfahren beeinflussen, über das politi-
sche Vorgänge die Entscheidungsebene im Politbüro erreichen, als auch die Art und
Weise, wie Beschlüsse ausgeführt werden."19
Der Ministerrat hat mehrere spezielle Kommissionen geschaffen, die für bestimm-
te wichtige Sektoren der sowjetischen Wirtschaft zuständig sind. Für den Bereich
der sowjetischen Rüstungsindustrie ist dies die Militärisch-Industrielle Kommis-
sion, die als ein Arbeitsgremium des Ministerrats fungiert. Als entscheidene Koor-
dinations- und Vermittlungsinstanz überwacht die Militärisch-Industrielle Korn-

16 Vgl. Artikel128 -136 der sowjetischen Verfassung vom 7.10.1977


17 Aus Artikel 131 der sowjetischen Verfassung vom 7.10.1977 (Constitution [Funda-
mental Law] of the Union of Soviet Socialist Republics, Novosti, Moscow 1977)
18 Vgl. Artikel6 der sowjetischen Verfassung vom 7.10.1977
19 Wolfe 1977, S. 14
142 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

mission das sich aus mehreren Ministerien zusammensetzende rüstungsindustrielle


Gefüge. Sie stellt für die Rüstungsproduktion das wichtigste Bindeglied zwischen
den bürokratischen Großbereichen Politik, Militär und staatlichen Institutionen dar.
Die Militärisch-Industrielle Kommission kann man als eine Art bürokratisches
"Interface" zwischen der politischen Führung und den rüstungsindustriellen Mini-
sterialbürokratien charakterisieren.
Dieses Organ des sowjetischen Staatsapparates hat in der Geschichte der
UdSSR entsprechende institutionelle Vorläufer mit ähnlichen Funktionen gehabt.
Hinweise auf die Existenz einer Militärisch-Industriellen Kommission tauchen in
der westlichen Literatur erst gegen Ende der 60er Jahre auf.20 Aufgrund der in der
UdSSR extrem ausgeprägten Geheimhaltung über alles, was den militärischen und
rüstungsindustriellen Bereich tangiert, sind kaum detaillierte Informationen über
die Geschichte, Zuständigkeiten und Arbeitsweise der Militärisch-Industriellen
Kommission greifbar. Die westliche Literatur kann sich daher bei der Beschrei-
bung und Analyse von sowjetischen Institutionen in diesem sensitiven Bereich
größtenteils nur auf begründete Vermutungen oder Spekulationen stützen.
Zu welchem Zeitpunkt die Militärisch-Industrielle Kommission als Organ ihre
Arbeit in ihrer heutigen Organisationsform aufnahm ist ungewiß. Alexander be-
merkt:
"Sie wird ihre Funktion zu dem Zeitpunkt wieder aufgenommen haben, als es in den
sechziger Jahren auf politischer Seite Unzufriedenheit mit der Effizienz der Rüstungs-
produktion gab. In der Phase, als Chruschtschow die Industriebranchen auflöste, wird
zusätzlich das Militär eine wirksamere Koordination der Industrie angestrebt haben."21
Ein anderer Autor trifft eine konkretere Aussage und taxiert die Einrichtung der
Militärisch-Industriellen Kommission auf den Dezember 1957. Mit Blick auf die
Situation nach dem ersten Sputnik-Start erscheint eine solche Datierung als durch-
aus plausibel. Dieser Angabe zufolge soll im Zuge der Reform der Ministerien
1957 auch ein eigener ministerieller Koordinationsausschuß für die Rüstungsindu-
strie unter der Leitung von Ustinow als stellvertretendem Vorsitzenden des Mini-
sterrats für diesen Bereich gebildet worden sein. Smirnow löste Ustinow in dieser
Funktion 1963 ab, da letzterer Leiter des Obersten Wirtschaftsrats wurde. 1965 soll
eine organisatorische Reform der Militärisch-Industriellen Kommission erfolgt
sein, die mit der Auflösung des Obersten Wirtschaftsrats zusammenhänge.22
Die personelle Zusammensetzung der Militärisch-Industriellen Kommission ist
niemals offtziell bekannt gegeben worden. Man nimmt allgemein an, daß die Mit-
gliedschaft dieses Gremiums Repräsentanten aus den rüstungsindustriellen Mini-
sterien (vermutlich die Minister selber), dem Verteidigungsministerium, GOS-
PLAN und höchstwahrscheinlich dem Parteiapparat (Leiter der Abteilung Rü-
stungsindustrie im ZK) umfaßt. Weitere Mitglieder könnten noch Repräsentanten
von GOSSNAß sowie fallweise Vertreter von mit militärischer Forschung und
Entwicklung und Erprobung befaßter Organisationen sein. Die Militärisch-Indu-
strielle Kommission verfügt vermutlich über einen großen permanenten Arbeits-

20 Vgl. Sheren 1970, S. 124; Holloway 1971, S. 6, 23, 38; Erickson 1973, S. 21; New-
house 1973, S. 251; McDonnell1975, S. 92/93; Alexander 1978a, S. 21
21 Alexander 1978a, S. 21
22 Vgl. F.W.K. 1984, S. 140/141
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 143

stab.23 Langjähriger Vorsitzender der Militärisch-Industriellen Kommission ist von


1963 bis 1985 L.W. Smirnow gewesen, ein ausgebildeter Ingenieur und Manager
mit einem Berufshintergrund in der Rüstungsindustrie. Beim Personalrevirement
unter Gorbatschow wurde er im Alter von 69 Jahren von Ju.D. Masljukow abge-
löst, ebenfalls einem Ingenieur mit einer Karriere in der Rüstungsindustrie.24
Obgleich die Militärisch-Industrielle Kommission formal ein Organ des Mini-
sterrats ist und dem Ministerpräsidenten untersteht, spekulieren westliche Analyti-
ker, daß dieses Gremium in der Praxis in enger Verbindung mit dem ZK-Sekretär
für die Rüstungsindustrie steht und diesem vielleicht auch direkt verantwortlich
ist.25 Als Indiz in dieser Richtung könnte der Hinweis eines Autors gelten, daß bei
den Tagungen der Militärisch-Industriellen Kommission üblicherweise der Leiter
der Abteilung Rüstungsindustrie im ZK den Vorsitz führen soll. Auch sollen in
früheren Jahren an den Sitzungen der Militärisch-Industriellen Kommission öfters
Breschnew und nach ihm Andropow teilgenommen haben.26
Die exakten Aufgaben der Militärisch-Industriellen Kommission sind nicht be-
kannt. In der Literatur gibt es unterschiedliche Aussagen zu den Funktionen und
Zuständigkeiten, die man diesem Organ zuschreibt. Allgemein wird die Aufgabe
der Militärisch-Industriellen Kommission in der Überwachung und Koordination
von militärischer Forschung, Entwicklung und Produktion gesehen, insbesondere
für Rüstungsprojekte, die mehr als ein einzelnes Ministerium involvieren.27 Dar-
über hinaus soll die Militärisch-Industrielle Kommission als "vorrangige Steuer-
einrichtung für Beschaffungen der Rüstungsindustrie und des Einbezugs ausländi-
scher Technologie" dienen.28
Einige Autoren schreiben der Militärisch-Industriellen Kommission auch de-
taillierte Planungskompetenzen für die Rüstungsproduktion zu. Dabei soll die Mili-
tärisch-Industrielle Kommission u.a. dafür verantwortlich sein, Vorschläge für
neue Rüstungsprojekte bezüglich ihrer technischen Durchführbarkeit und Produk-
tionserfordernisse zu überprüfen und auch den ökonomischen Einfluß von Rü-
stungsprogrammen auf andere Sektoren der Volkswirtschaft abzuschätzen.29 Für
den Bereich der Rüstungsproduktion schreibt ein Autor der Militärisch-Industriel-
len Kommission Plankompetenzen für folgende einzelne Aufgaben zu:
,,Maßnahmen einzuleiten, wie die festgelegte Rüstungsproduktion erreicht werden
kann.
Wie und wo der Einsatz von Material, Arbeitskräften und Energie erfolgen soll.
Neubauten von Rüstungsbetrieben.
Verlagerung von Produktionen und Produktionsstätten.

23 Vgl. Alexander 1978a, S. 21; Holloway 1982a, S. 301; Wolfe 1977, S. 17; McDonnell
1977a, S. 96/97; F.W.K. 1984, S. 141; R. 1982, S. 470
24 Vgl. für nähere biographische Informationen Rahr 1984 und Rahr 1986a
25 Vgl. Alexander 1978a, S. 21; R. 1982, S. 470; McDonnell1977a, S. 97
26 Vgl. F.W.K. 1984, S. 141
27 Vgl. Alexander 1978a, S. 21; Wolfe 1977; S. 17/18; R.1982, S. 470; F.W.K. 1984, S.
141; Holloway 1982a, S. 301; Woods 1982, S. 25; McDonnell 1977a, S. 96; Spielman
1976,S.64
28 U.S. CIA 1986, S. 11
29 Alexander 1978a, S. 20/21 u. F.W.K. 1984, S. 141
144 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Ersatzteilfertigungsprogramme.
Koordination von Industrien für die Instandsetzung von Rüstungsgütem. "30
In welchem Maß so unterstellte Planzuständigkeiten der Militärisch-Industriellen
Kommission bei der Rüstungsproduktion sich mit Aufgaben und Funktionen von
GOSPLAN überschneiden oder doppeln, bleibt mangels fehlender Evidenz schwie-
rig zu bestimmen. Zwar sind im politischen System der UdSSR angesichts der auf-
geblähten bürokratischen Apparate solche Überlappungen von institutionellen Zu-
ständigkeiten durchaus üblich, jedoch ist zu vermuten, daß die politische Führung
danach strebt, eine Duplizierung der Funktionen der Militärisch-Industriellen
Kommission und von GOSPLAN weitgehend zu unterbinden. Ansonsten wären
größere institutionelle Kompetenzkonflikte zwischen zwei zentralen Organisatio-
nen automatisch vorprogrammiert, welche die Durchführung von wichtigen Rü-
stungsprogrammen deutlich verzögern könnten (vgl. dazu näher den nachfolgen-
den Abschnitt über GOSPLAN).
Die Entscheidungsprozeduren und die Verbindlichkeit von Beschlußfassungen
der Militärisch-Industriellen Kommission für Rüstungsprogramme beschreibt
Alexander folgendermaßen:
"Die MIK stellt für das Projekt ein konkretes Arbeitsprogramm in Form eines ,Ent-
wurfs einer Maßnahme der MIK' auf, einschließlich der Aufgaben, die verschiedene
Einrichtungen auszuführen haben, mit Zeitplänen, Finanzierungskonzepten und detail-
lierten Pflichtenheften für die Konstruktion. Wenn die Führung der Kommission und
der Ministerrat (was höchstwahrscheinlich ein pro-forma-Vorgang ist) zugestimmt ha-
ben, wird aus dem Entwurfstext eine ,Entscheidung der MIK ', die für alle Beteiligten
gesetzlich bindende Kraft hat."31
Da der Rüstungsindustrie in der sowjetischen Wirtschaft eine politisch bestimmte
Vorrangstellung eingeräumt wird, liegt die Vermutung nahe, daß die Militärisch-
Industrielle Kommission auch die Prioritäten der Rüstungsproduktionsprogramme
in der Volkswirtschaft gemäß den vom Politbüro oder Verteidigungsrat vorgegebe-
nen rüstungspolitischen Direktiven festsetzt. Zu dieser Aufgabe könnte die Alloka-
tion von knappen Ressourcen unter mit Priorität versehenen konkurrierenden Pro-
grammen, die Milderung von Engpässen und die Beschleunigung von Lieferungen
für die Rüstungsindustrie gehören, obgleich erneut die Abgrenzung zu den Aufga-
ben von GOSPLAN unklar bleibt. Weiter könnte die Militärisch-Industrielle Kom-
mission darüber befmden, welche verfügbaren Technologien für die effiziente Um-
setzung eines beschlossenen Rüstungsprogramms am besten geeignet sind.32
Koordinationskompetenzen werden der Militärisch-Industriellen Kommission
auch bei größeren technologischen Programmen mit möglichem militärischen Nut-
zen (z.B. bei der Entwicklung integrierter Schaltkreise und deren Produktion) und
bei den militärisch bezogenen Forschungsaktivitäten der Akademie der Wissen-
schaften nachgesagt. Unklar ist aber für diesen Bereich die genaue Aufgabentei-
lung zwischen der Militärisch-Industriellen Kommission und den verschiedenen
wissenschaftlich-technischen Komitees des Verteidigungsministeriums und des

30 F.W.K. 1984, S. 141


31 Alexander 1978, S. 21
32 Vgl. Alexander 1978a, S. 21; F.W.K. 1984, S. 141; Woods 1982, S. 25; Wolfe 1977, S.
18
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 145

Staatskomitees für Wissenschaft und Forschung.33


Eine weitere wichtige Funktion der Militärisch-Industriellen Kommission liegt
vermutlich in der Bereitstellung von Informationen, Analysen und Bewertungen
für die politische Führung. Shulman und Alexander schreiben diesem Gremium
eine Schlüsselrolle bei der technischen Evaluierung von neu vorgeschlagenen Rü-
stungsprojekten zu. Entsprechende, von der Militärisch-Industriellen Kommission
erstellte Gutachten könnten dem Politbüro oder Verteidigungsrat als wichtige In-
formationsgrundlage bei der Entscheidungsfindung über Fragen neuer militärischer
Technologien dienen.34
Neben diesen koordinierenden, überwachenden und gutachterliehen Primär-
funktionen könnte die Militärisch-Industrielle Kommission nach Angaben von
Rolloway und Wolfe auch für die Aufgabe zuständig sein, als eine Art "Clearing-
Stelle" für Konflikte zwischen den Streitkräften, Wirtschaftsplanem und Ministe-
rien der rüstungsindustriellen Gruppe zu fungieren. Streitigkeiten über Prioritäten
und Planungsoptionen von Rüstungsproduktionsprogrammen könnten auf diese
Weise im Vorgriff unter den beteiligten institutionellen Akteuren selber und nicht
erst von der politischen Führung gelöst werden.35 Rough argumentiert auf der an-
deren Seite dagegen, der Militärisch-Industriellen Kommission sowohl konfliktre-
gulierende als auch koordinierende Aufgaben und Kompetenzen zuzuschreiben:
"Die Auffassung, daß die Koordination zwischen dem Militär, der Rüstungsindustrie
und den Wissenschaftlern durch die Militärisch-Industrielle Kommission ausgeführt
wird, schlägt aller Logik von Bürokratie ins Gesicht. Der Aufsichtsführende über die
Rüstungsindusrie, der nicht einmal Mitglied des Politbüros ist, sollte nicht in eine Posi-
tion gebracht werden, in der er zwischen Rüstungsindustrie und Streitkräften vermitteln
soll. Es ist weitaus wahrscheinlicher, daß die Militärisch-Industrielle Kommission die
gleiche Funktion bei der Prioritätensetzung von Produktion und Angebot ausführt, wie
sie dies in den dreißiger Jahren tat ... und daß die der Kommission unterstellte Rolle
dem Verteidigungsrat vorbehalten ist."36
Das Bild eines mehr passiven, politisch einflußlosen Instruments in den Händen
der Parteiführung, welches Rough von der Militärisch-Industriellen Kommission
zeichnet, dürfte nicht der politischen Realität entsprechen. So kann man mit einiger
Sicherheit vermuten, daß die Militärisch-Industrielle Kommission durchaus ein
nicht unbeträchtliches Maß an koordinierenden und auch konfliktregulierenden
Funktionen wahrnimmt. Dies verweist auf das Eigeninteresse der politischen Füh-
rung an größerer Entlastung von Management-Aufgaben gegenüber der Rüstungs-
industrie. Darauf macht ebenfalls Wolfe aufmerksam:
,Jm Gegensatz zu der politisch orientierten, von Routinemanagement freien Aufgabe,
die dem Verteidigungsrat unterstellt wird, kann die Militärisch-Industrielle Kommis-
sion auch wichtige Verantwortung für das Management von Vorgängen haben, und sie
könnte möglicherweise der Lösung von Problemen, die bei Programmen der Waffen-
entwicklung und -fertigung anfallen, tagtäglich mehr Beachtung einräumen, als dies der
politischen Führungsspitze möglich wäre."37

33 Alexander 1982b, S. 8; Alexander 1978a, S. 21; F.W.K. 1984, S. 141


34 Vgl. Shulman 1974, S. 113 u. Alexander 1978a, S. 21
35 Vgl. Holloway 1982a, S. 301 u. Wolfe 1979, S. 59
36 Hough 1985, S. 106
37 Wolfe 1979, S. 59
146 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Allerdings wird die Militärisch-Industrielle Kommission und deren Vorsitzender


nicht über die administrativen Kompetenzen verfügen, sämtliche Konflikte zwi-
schen den rüstungsindustriellen Ministerialbürokratien und der militärischen Füh~
rung zu lösen und definitiv zu entscheiden. Dafür können letztendlich nur die ent-
sprechenden oberen Parteiorgane zuständig sein, welche die staatlichen Organisa-
tionen und die bürokratische Gruppierungen in ihnen politisch bestimmend über-
wölben. In diesem Zusammenhang liegt es nahe, der Militärisch-Industriellen
Kommission eine Art Filterfunktion beizumessen und sie als einen bürokratischen
Mechanismus zur Konsensfmdung aufzufassen, wo nur diejenigen Konflikte nach
oben zur Entscheidung gelangen, die auf der Ebene der Militärisch-Industriellen
Kommission zwischen den an einem Rüstungsprogramm beteiligten Akteuren
nicht mehr zu lösen sind.
Verfehlt wäre es ebenso, der Militärisch-Industriellen Kommission eine gänz-
lich politisch einflußlose Rolle zuzuschreiben. Zwar ist zutreffend, daß die Militä-
risch-Industrielle Kommission von ihrer formalen Rolle her primär ein Politik im-
plementierendes Organ im sowjetischen Regierungsapparat ist. In ihre Zuständig-
keit fällt es nicht, z.B. die relative politische Priorität eines großen Rüstungspro-
gramms gegenüber einem anderen zu bestimmen. Dies wird auf der Ebene des Po-
litbüros oder Verteidigungsrats entschieden. Die Militärisch-Industrielle Kommis-
sion sorgt dafür, daß die dort gefaßten Beschlüsse ausgeführt werden. Andererseits
wird die Militärisch-Industrielle Kommissionaufgrund der von ihr wahrgenomme-
nen Aufgaben sowie der in ihr vertretenen Institutionen wahrscheinlich ein be-
stimmtes Maß an politischem Einfluß ausüben. Die folgende Feststellung von Ale-
xander dürfte zutreffend sein:
"Weil die Militärisch-Industrielle Kommission Informationen bereitstellt, technische
Evaluierungen ausführt und früher getroffene Empfehlungen nachprüft, muß sie mehr
als einen marginalen Einfluß auf Type und Anzahl der gefertigten Waffen haben. "38
Ein möglicher Indikator für das politische Gewicht der Militärisch-Industriellen
Kommission und ihren Vorsitzenden im sowjetischen Rüstungsbeschaffungsprozeß
wäre die Rolle, die Smimow von amerikanischer Regierungsseite bei den SALT-I
Verhandlungen nachgesagt wird. Nach westlichen Darstellungen war Smimow mit
der Aufgabe betraut, zusammen mit Henry Kissinger eine Reihe von noch stritti-
gen Verhandlungspunkten zu klären, "was er mit beträchtlicher Autorität bes-
tritt".39 Der Vorsitzende der Militärisch-Industriellen Kommission "übte offenkun-
dig einen erheblichen Einfluß auf die sowjetische Verhandlungsposition bei SALT
aus", lautet die Einschätzung eines anderen Autors.40 Hingegen argumentiert Got-
temoeller einschränkend, daß Smimow seine bedeutsame Rolle bei den SALT-I
Verhandlungen nicht so sehr dem institutionellen Gewicht seiner Kommission und
der von ihr ausgeübten Funktionen verdanke, sondern eher seinen engen Beziehun-
gen zur politischen Führung, speziell zu Ustinow, der zu dieser Zeit im Parteiappa-
rat der für die sowjetische Rüstungsindustrie zuständige ZK-Sekretär war.41 Sol-
che persönlichen Beziehungen haben in der UdSSR durchaus Bedeutung und stel-
len eine wichtige Quelle von politischem Einfluß dar. Unabhängig von solchen

38 Alexander 1978a, S. 21
39 Shulman 1974, S. 113
40 Newhouse 1973, S. 251
41 Gottemoeller 1983, S. 66
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 147

persönlichen Querbeziehungen dürfte die Militärisch-Industrielle Kommission als


Organisation in jedem Fall wegen der von ihr wahrgenommenen Funktionen eine
wichtige, mit politischen Einflußmöglichkeiten verbundene institutionelle Stellung
bei Rüstungsentscheidungen einnehmen.
In dem politischen Beziehungsgeflecht zwischen Parteiführung und Rüstungs-
industrie spielt die Militärisch-Industrielle Kommission eine äußerst bedeutsame
Rolle. Spielman weist auf den dualen politischen Charakter der Militärisch-Indu-
striellen Kommission hin:
"Sie könnte für die Rüstungsmanager ein Forum bilden, auf dem sie ihre Übereinstim-
mung zu Schaustellen. Ungeachtet der Möglichkeit dieses Organs für die Führungsspit-
ze, den Rüstungsmanagern ihren Willen beizubringen, dürften die letztgenannten die
Militärisch-Industrielle Kommission auch in ihrer Sicht als politischen Vorteil betrach-
ten, indem diese nämlich ihren Bemühungen entgegen kommt, das gemeinsame Anlie-
gen der rüstungswirtschaftlichen (Bereiche) insgesamt voranzubringen."42
Andererseits macht Spielman gleichzeitig auch auf folgenden möglichen Sachver-
halt aufmerksam:
"Die wahrscheinliche Aufgabe der Militärisch-Industriellen Kommission als das wich-
tigste Koordinierungsgremium für Rüstungsforschung und -produktion dürften sie zur
Stätte der schärfsten Verhandlungen zwischen den führenden Rüstungsmanagern ma-
chen. Die Militärisch-Industrielle Kommission wird so von den Differenzen unter den
Rüstungsmanagern geprägt sein. "43
Solche in der Militärisch-Industriellen Kommission nicht zu lösende Konflikte
zwischen den rüstungsindustriellen Ministerien würden aus der Sicht der politi-
schen Führung vermutlich eher die eigenen Kontroll- und Überwachungsmöglich-
keiten befördern. Ob nun die Militärisch-Industrielle Kommission für die rüstungs-
industriellen Ministerien mehr als Organ politischer Einflußnahme dient oder mehr
als Kontrollinstrument für die Parteiführung fungiert, ist abhängig von dem je kon-
kreten Entscheidungsverlauf über ein spezifisches Rüstungsprogramm und den da-
mit verbundenen Konstellationen von bürokratischen Interessengruppen und deren
möglichen Einfluß.

4.1.3 GOSPLAN

Das 1921 gegründete Staatliche Plankomitee der UdSSR (GOSPLAN) untersteht


dem Ministerrat und ist wie ein Ministerium gegliedert. Es umfaßt gleichfalls meh-
rere Hauptverwaltungen, die für die verschiedenen Produktionsbereiche der sowje-
tischen Wirtschaft zuständig sind. Darüber hinaus existieren Unterabteilungen von
GOSPLAN in jedem Ministerium der UdSSR und in allen Ministerien der 15
Unionsrepubliken sowie in den Rayons- und Stadtverwaltungen und in den Pro-
duktionsbetrieben. GOSPLAN stellt für die politische Führung das wichtigste In-
strument für die Koordination und Planung der sowjetischen Wirtschaft dar:
"GOSPLAN sucht ... die zentrale Leitung der Koordinierung wichtiger Wirtschaftsvor-
gänge mittels spezifischer Direktiven auszuüben, wie sie in Jahres-, Vierteljahres- und
Monatsplänen ihren Niederschlag fmden. Der Jahresplan selber ist Bestandteil von

42 Spielman 1976, S. 64
43 Spielman 1976, S. 64
148 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Langfristplänen oder einem Langfristplan. Mit wenigen Ausnahmen ist Langfristpla-


nung in der Sowjetunion seit 1928 auf der Basis von Fünfjahres-Intervallen vorgenom-
men worden."44
GOSPLAN arbeitet dabei mit den verschiedenen Ministerien zusammen, um die
Produktion und die Zuteilung von begrenzten oder anderen zentral administrierten
Ressourcen zu planen, zu verwalten und zu kontrollieren. Die grundlegenden öko-
nomischen Parameter, wie z.B. der Investitionsanteil am Nationaleinkommen, die
Höhe der Militärausgaben im Staatsbudget oder die relative ökonomische Priorität
des Konsumgüter- und Landwirtschaftssektors, werden jedoch weder von den Pla-
nem bei GOSPLAN oder vom Ministerrat, sondern von der höchsten politischen
Autorität in der UdSSR, dem Politbüro, festgelegt.45
In der westlichen Literatur schreiben einige Autoren GOSPLAN eine substan-
tielle Rolle im sowjetischen Entscheidungsprozeß über Rüstungsproduktion zu.46
Hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang insbesondere die Rolle von GOS-
PLAN in Verbindung mit dem Staatskomitee für Rohstoffe und Materialtechnische
Versorgung als wichtige Informations- und Beratungsquelle für die politische Füh-
rung über die für zivile und militärische Produktionsprogramme vorhandenen und
zusätzlich benötigten Ressourcen.47
Bei GOSPLAN soll seit Mitte der 50er Jahre ein eigene Hauptverwaltung für
die Rüstungsindustrie existieren, die der Koordination der Aktivitäten zwischen
dem zivilen und rüstungsindustriellen Sektor der Wirtschaft dient. Die Aufsicht
über die entsprechende Hauptverwaltung soll zwischen 1961 und 1974 einer der
ersten stellvertretenden Vorsitzenden von GOSPLAN, W.M. Riabikow, inne ge-
habt haben, der wahrscheinlich in dieser Zeit auch der Repräsentant von GOS-
PLAN bei der Militärisch-Industriellen Kommission gewesen ist. Riabikow war
zuvor für längere Zeit als Manager in der Rüstungsindustrie tätig gewesen.48 Als
sein Nachfolger wird G.A. Titow genannt.49 Von 1979 bis 1982 soll N.I. Rysch-
kow, der unter Gorbatschow 1985 zum Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR
ernannt sowie zum Mitglied des Politbüros berufen wurde, bei GOSPLAN für die
Rüstungsindustrie zuständig gewesen sein. Ihm soll Ju.P. Masljukow nachgefolgt
sein, der 1985 wiederum auf den Posten des Vorsitzenden der Militärisch-Industri-
ellen Kommission wechselte. Sowohl Ryschkow als auch Masljukow kommen aus
der Rüstungsindustrie.so Wer dieser Hauptverwaltung gegenwärtig vorsteht, ist
den Quellen nicht zu entnehmen.
Bei einer Betrachtung der Aufgabenteilung und Zuständigkeiten zwischen der
Militärisch-Industriellen Kommission und GOSPLAN ist es wenig wahrscheinlich
und auch kaum plausibel, daß das eine Gremium die Arbeit des anderen dupliziert.
In einem Bericht der CIA wird die Funktion von GOSPLAN bei der Rüstungspro-
duktion allgemein so beschrieben:

44 Miliar 1981, S. 66
45 Vgl. Miliar 1981, S. 66/67
46 Vgl. Checinski 1981, S. 52-53, 56-58, 60, 71; F.W.K. 1984, S. 139; Wolfe 1977, S.
26/27; Wolfe 1979, S. 65; Gottemoeller 1983, S. 66/67
47 Vgl. Wolfe 1977, S. 27; Wolfe 1979, S. 65
48 Vgl. McDonnell1977a. S. 96/97; Wolfe 1977, S. 27; Checinski 1981, S. 52
49 Vgl. McDonnell1978, S. 245
50 Vgl. die Angaben bei Rahr 1986a
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 149

"Die staatliche Planungskommission ... dient als zentrales Koordinationsgremium für


die Aufstellung von Produktionszielen und der Bereitstellung von Ressourcen für die
Rüstungsindustrie."51
Danach bestände die Hauptrolle von GOSPLAN in der planerischen Koordination
der militärischen Produktionsprogramme der verschiedenen rüstungsindustriellen
Ministerien. In ähnlicher Richtung argumentiert Alexander, wenn er schreibt, daß
die für die Rüstungsproduktion zuständige Abteilung bei GOSPLAN "entwickelt
den Plan für die militärische Produktion und integriert ihn in die Volkswirt-
schaft."52 Holloway betont zwar ebenfalls die koordinierenden Funktionen von
GOSPLAN, doch vermutet er in der Abgrenzung zur Militärisch-Industriellen
Kommission nur eine beschränkte Zuständigkeit für die Planung der Rüstungspro-
duktion:
"Die Militärisch-Industrielle Kommission dupliziert augenscheinlich keineswegs die
Aktivitäten von GOSPLAN, die sich ... möglicherweise eher auf die Koordinierung um-
fassender Rüstungsprogramme und nicht auf Einzelplanung konzentrieren. "53
Fragt man sowjetische Fachleute, erhält man verständlicherweise Antworten, die
die Rolle der förmlich legitimierten Institutionen bei Rüstungsentscheidungen be-
tonen. Akademiemitglied Alexij A. Wassiljew hebt die Rolle von GOSPLAN und
darüber den Ministerrat as die sowjetische Rüstungsplanung gestaltend hervor.
Demgegenüber unterstreicht Checinski, daß die Militärisch-Industrielle Kom-
mission wahrscheinlich in der Lage ist, zwar die Richtung und Ziele der rüstungs-
industriellen Planung vorzugeben, daß sie aber vermutlich nicht über einen eigenen
Apparat verfügen wird, um die eigentlichen Planungsarbeiten auszuführen. Diese
könnten höchstwahrscheinlich nur im organisatorischen Rahmen des Planungsap-
parates von GOSPLAN vorgenommen werden.54 Diese Hypothese von Checinski
über die Aufgabenteilung zwischen der Militärisch-Industriellen Kommission und
GOSPLAN erscheint als plausibel.
Da GOSPLAN die militärisch bezogene Produktion mit der zivilen in Einklang
bringen muß, wird angenommen, daß die Rüstungsproduktionsplanung in den all-
gemeinen Fünfjahresplan-Zyklus der UdSSR über die Erstellung eines parallelen
Fünfjahres-Rüstungsplans integriert wird. Dieser unterliegt ebenso wie der allge-
meine Wirtschaftsplan jährlichen oder mittelfristigen Modifikationen. Darüber hin-
aus soll es langfristige Perspektiv-Pläne geben, die einen Zeitraum von 15 Jahren
oder länger umfassen.55
Damit GOSPLAN in der Lage ist, den Rüstungsbetrieben Produktionsziele zu-
zuweisen, die Ressourcenallokation für militärische Zwecke zu planen und mit den

51 U.S. CIA 1986, S. 11


52 Alexander 1978a, S. 20; allerdings begiebt sich Alexander in gewisse Widersprüchlich-
keiten bei der Abgrenzung der Funktionen zwischen GOSPLAN und Militärisch-Indu-
strieller Kommission, wenn er auf derselben Seite folgendes schreibt: "The Military-ln-
dustrial Commission ... is ... responsible for supervising, co-ordinating, and planning
defence R&D and production, and for asssuring the smooth meshing of military requi-
rements with the rest of the economy." (Unterstreichungen v. Vf.)
53 Holloway 1983b, S. 111
54 Vgl. Checinski 1981, S. 57
55 Vgl. F.W.K. 1984, S. 139; Spielmann 1978, S. 54; Wolfe 1977, S. 27; U.S. CIA 1986,
S.l3
150 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

zivilen Produktionsaktivitäten zu koordinieren, sollen laut Checinski in den für die


Rüstungsproduktion primär zuständigen Ministerien rüstungsindustrielle Planungs-
abteilungen existieren, die offenbar den Weisungen von GOSPLAN unterstehen.
Deren Aufgaben beschreibt er in Ableitung seiner internen Kenntnisse über militä-
risch-ökonomische Entscheidungsstrukturen in Polen folgendermaßen:
"Die Umsetzung einer koordinierten Politik der Ressourcenzuweisung wäre unmöglich,
wenn die rüstungsindustriellen Ministerien einer unabhängigen Behörde unterständen,
die GOSPLAN nicht untergeordnet wäre ... Die militärischen Abteilungen der ,rein mi-
litärischen' rüstungsindustriellen Ministerien sind für den militärischen Plan zuständig,
der integraler Bestandteil des gesamten Wirtschaftsplans des Ministeriums ist. Dieser
wiederum unterliegt der Verantwortung der Ministerialbürokratie und diese schließt alle
Festlegungen der Produktion, der Investitionen, der Zuweisung von Arbeitskräften,
über Löhne, Fertigungsorganisation, Sozialleistungen und andere Aspekte des Wirt-
schaftsplans ein. Die Militärabteilung von GOSPLAN überläßt den militärischen Abtei-
lungen dieser Ministerien nur denjenigen Teil im Plan, der ausschließlich der Herstel-
lung des Endproduktes oder Halbfabrikates eines Projektes zur Auslieferung an den
Kunden Militär dient. Die militärischen Abteilungen überblicken den wichtigsten ...
Teil des Produktionsplans, den die Ministerien gemäß den Zeitvorgaben ausführen wer-
den."56
Zusätzlich zu diesen genannten Aufgaben sollen die rüstungsindustriellen Pla-
nungsabteilungen in den Ministerien auch schlichtende Funktionen wahrnehmen,
wenn z.B. ein Konflikt zwischen dem Abnahmeoffizier und dem Manager eines
Rüstungsbetriebs entsteht57
Die institutionelle Stellung von GOSPLAN gegenüber den Ministerien und
Betrieben scheint nicht nur - wie von Checinski dargelegt - in der Rüstungsindu-
strie, sondern auch in den anderen Wirtschaftssektoren stark zu sein. Mit den Wirt-
schaftsreformen von 1965 war ursprünglich die Absicht verbunden, die Funktionen
von GOSPLAN mehr auf die langfristige Wirtschaftsplanung zu konzentrieren und
den Ministerien die Aufgabe der jährlichen Planung zuzuweisen. Nach der Ein-
schätzung eines sowjetischen Emigranten, der in der UdSSR als Abteilungsleiter
und Direktor ökonometrischer Projekte im wissenschaftlichen Forschungsinstitut
für Planung und Normen beim staatlichen Plankomitee in Kiew tätig gewesen war,
ist jedoch der institutionelle Einfluß von GOSPLAN gegenüber den Ministerien
während der 70er Jahre beträchtlich angewachsen:
.Jn dieser Periode hat [GOSPLAN] seinen Einfluß auf den Jahresplan, wo die meisten
inputs und Finanzzuweisungen erfolgen, ausgeweitet ... Weit davon entfernt, die Kon-
trolle über die Ressourcen den Ministerien zu überlassen, hat im Effekt GOSPLAN sei-
ne Überwachungsrolle verstärkt ... Ferner sind die Aufgaben von GOSPLAN von der
Planung hin zur direkten Überwachung der Leistungen der Ministerien, der Produkti-
onsvereinigungen und der Betriebe bei der Erfüllung von Planzielen ausgeweitet wor-
den."58
Als ein Beispiel für die relative institutionelle Stärke von GOSPLAN und der Mi-
nisterien führt Kushnirsky die Auseinandersetzungen über ein Projekt zur Einfüh-
rung eines "Automatisierten Systems der Plankalkulierung" in der Ära Breschnew
an. Bei der Diskussion um die zukünftige Rolle von GOSPLAN in diesem compu-

56 Checinski 1981, S. 52/53


57 Vgl. Checinski 1981, S. 53
58 Kushnirsky 1984, S. 38
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 151

terisierten Planungssystem hätten Spezialisten aus den Ministerien dafür argumen-


tiert, daß ihre Behörden die von den Betrieben bereitgestellten Informationen zu-
erst bearbeiten und dann anschließend die aufbereiteten Daten in das System von
GOSPLAN einspeisen sollten. Dagegen hätten sich die Konstrukteure dieses auto-
matisierten Planungssystems dafür ausgesprochen, daß GOSPLAN seine Daten di-
rekt von den Betrieben erhalten sollte. Nur so sei eine größere Zuverlässigkeit der
Daten zu gewährleisten und eine bessere Kontrolle über die von den Ministerien
getroffenen Entscheidungen sicherzustellen. Der zweite Ansatz hätte gewonnen,
wodurch GOSPLANs institutionelle Autorität signifikant erhöht worden sei.59
Sind die Informationen von Kushnirsky zutreffend, dann erhält die zuständige
Hauptverwaltung bei GOSPLAN offensichtlich die für die Planung der Rüstungs-
produktion benötigten Informationen und Daten direkt von den Rüstungsbetrieben.
Dieser direkte Informationskanal dürfte im bürokratischen Verhandlungsprozeß
mit den rüstungsindustriellen Ministerien über die Zuweisung von Produktionszie-
len und Ressourcen von einiger Bedeutung sein.
Die institutionelle Machtstellung und damit verbundene Einflußmöglichkeiten
der Leiter von GOSPLAN und der Militärisch-Industriellen Kommission auf Be-
lange der Rüstungsproduktion bewertet Checinski anhand der 1980/81 gegebenen
personellen Konstellation folgendermaßen:
"Wahrscheinlich sind drei Stellvertreter von Kossygin direkt mit Planung für die Rü-
stungsindustrie befaßt: N.N. Baibakow, der Vorsitzende von GOSPLAN; W.N. Nowi-
kow, von dem man weiß, daß er Chef der Militärabteilung von GOSPLAN ist; und
L.W. Smimow, dem Vorsitzenden (oder Leiter) der Militärisch-Industriellen Kommis-
sion. Bei Nowikow und Smimow ist die Stellung des letzteren wahrscheinlich stärker,
da Nowikow nur Mitglied der Militärisch-Industriellen Kommission, Smimow aber ihr
Vorsitzender ist. Nowikow ist jedoch Chef des riesigen Apparats der Militärabteilung
von GOSPLAN und der Ministerien und als stellvertretender Ministerpräsident in einer
gleichen Position wie Smimow. Diese beiden hochrangigen Funktionäre befinden sich
in einer stärkeren Position als Baibakow, der Vorsitzende von GOSPLAN. Der Unter-
schied zwischen Baibakow und ilmen liegt darin, daß sie für rüstungsindustrielle Vor-
gänge zuständig sind und Baibakow dies für den zivilen Plan ist. Der Förderer von Bai-
bakow ist der Ministerpräsident, aber der Förderer von Smimow und Nowikow ist der
ZK-Sekretär der Partei, der für die Rüstungsindustrie zuständig ist. Als Boß der Militä-
risch-Industriellen Kommission steht Smimow in fortwährendem Kontakt mit dem
Vorsitzenden des Verteidigungsrates ... und nimmt an den Sitzungen des Verteidi-
gungsrates teil, wenn rüstungsindustrielle Dinge besprochen werden."60
Allerdings argumentiert Checinski einschränkend, daß man die Stellung des Vor-
sitzenden der Militärisch-Industriellen Kommission im Westen bislang eher über-
trieben und dagegen die Rolle der für die Rüstungsindustrie zuständigen Abteilung
bei GOSPLAN unterbewertet habe. Der Einfluß des Vorsitzenden der Militärisch-
Industriellen Kommission als Koordinator der sowjetischen Rüstungsindustrie ge-
genüber den beteiligten Ministerien hängt seiner Meinung nach nicht unwesentlich
von den Informationen des Leiters der Hauptverwaltung für die Rüstungsindustrie
bei GOSPLAN ab, "da nur ... (er) kompetent ist, die tatsächlichen Kapazitäten der
Betriebe und Forschungsstätten einzuschätzen."61 Die Vermutung von Checinski,

59 Kushnirsky 1984, S. 38
60 Checinski 1981, S. 64/65
61 Checinski 1981, S. 73
152 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

daß GOSPLAN im Besitz von Informationen und Daten über die vorhandenen Rü-
stungsproduktionskapazitäten ist, wird durch die Ausführungen von Kushnirsky
über die in den 70er Jahren gewachsenen Zuständigkeiten von GOSPLAN gestützt.
Der Leiter der Militärisch-Industriellen Kommission wird vermutlich nur mit der
Bereitstellung entsprechender Informationen seitens GOSPLAN in der Lage sein,
mögliche Widerstände der rüstungsindustriellen Ministerien und der ihnen unter-
stehenden Rüstungsbetriebe und F&E-Einrichtungen zu überwinden.
Sollte sich ein nicht lösbarer Konflikt zwischen dem Vorsitzenden von GOS-
PLAN und dem Leiter der für die Rüstungsindustrie verantwortlichen Hauptver-
waltung dieser Behörde ergeben, werden diese Differenzen vermutlich auf der Par-
teiebene von den zuständigen Stellen im ZK (ZK-Sekretär für die Rüstungsindu-
strie und Leiter der Abteilung Rüstungsindustrie im ZK) entschieden, die gemäß
den vom Politbüro vorgegebenen rüstungspolitischen Direktiven handeln.62
Für die politische Führung stellt GOSPLAN ein wichtiges Instrument zur Kon-
trolle des rüstungsindustriellen Sektors dar. Die angenommene Erstellung von
langfristigen Fünfjahres-Rüstungsplänen seitens GOSPLAN betrachtet Spielmann
als ein Mittel der Führungsspitze, die Einflußmöglichkeiten bürokratischer Interes-
sengruppen innerhalb des Rüstungssektors zu begrenzen, wenn diese nicht einge-
plante Rüstungsvorhaben durchsetzen wollen. Andererseits bedeutet das Vorhan-
densein solcher langfristigen Pläne nicht, daß Möglichkeiten für bürokratische In-
teressengruppen, Einfluß in diesem Bereich geltend zu machen, generell ausge-
schlossen sind, wie Spielmann korrekt anmerkt:
"Die Existenz des sowjetischen Fünfjahres-Verteidigungsplans bedeutet grundsätzlich
nicht, daß die Möglichkeit von Aktivitäten von Interessengruppen zumeist ausgeschlos-
sen ist, sondern daß diese am wahrscheinlichsten in bestimmten Phasen des Planzyklus
zu erwarten sind- besonders in den Monaten unmittelbar vor der förmlichen Annalnne
des nächsten Fünfjahresplans, wenn Prioritäten und künftige Programme heftig umstrit-
ten sind."63
Zu bedenken ist abschließend, daß auch GOSPLAN Teil des schwerfälligen und
konservativen bürokratischen Apparates im sowjetischen System ist. Aus der Sicht
der politischen Führung dürfte GOSPLAN nicht gerade ein effizientes Instrument
für den Fall bilden, wenn unvorhergesehene Änderungen von Rüstungsprodukti-
onsplänen oder schnelle, nicht im voraus eingeplante Entwicklungen neuer W af-
fentechnologien notwendig werden. Hier muß die politische Führung selber zuwei-
len massiv dirigierend in die institutionelle Struktur eingreifen, um die gewünsch-
ten Resultate zu erzielen.

4.1.4 Die Abteilung Rüstungsindustrie des ZK-Sekretariats

Das Zentralkomitee (ZK) der KPdSU, welches vom höchsten Organ der Partei,
dem Parteitag, gewählt wird, leitet nach dem Statut der Kommunistischen Partei in
der Zeit zwischen den Parteitagen die gesamte Tätigkeit der Partei und der örtli-
chen Parteiorgane. Das Zentralkomitee wiederum wählt neben seinem Generalse-
kretär und den Mitgliedern des Politbüros auch ein Sekretariat zur Leitung der lau-

62 Vgl. R. 1982, S. 470; Checinski 1981, S. 6


63 Spielmann 1978, S. 54/55
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 153

fenden Arbeit der Partei, die nach dem Statut hauptsächlich in der Kaderauswahl
und der Organisierung der Beschlußfassung besteht.64
Das Sekretariat des ZK der KPdSU ist als eines der wichtigsten und auch ein-
flußreichsten Organe der Partei zu werten, da dieses Gremium mit seinen Abteilun-
gen die Entscheidungsfmdung des Politbüros wesentlich vorbereitet. In den Wor-
ten von Lane besitzt das ZK-Sekretariat
"innerhalb der Partei beträchtliche faktische Macht. Die verschiedenen Abteilungen
nehmen eine Schlüsselrolle ein, weil sie für das Politbüro und das ZK der KPdSU In-
formationen zusammenstellen und Politikempfehlungen vorbereiten."65
Außerdem sind die Sekretäre und die ihnen unterstehenden Abteilungen des ZK-
Sekretariats für die Überwachung der Umsetzung der von der Parteiführung im Po-
litbüro beschlossenen Direktiven und Programme verantwortlich.
Das ZK-Sekretariat war 1987 organisatorisch in 23 Abteilungen gegliedert, de-
ren Leiter unter der Oberaufsicht der Sekretäre des ZK arbeiten.66 Jeder Sekretär
ist für einen spezifischen Aufgabenbereich verantwortlich, worin ihn die entspre-
chenden Abteilungen administrativ unterstützen. Die Sekretäre nehmen diese Auf-
gaben unter der Führung des Generalsekretärs im ZK-Sekretariat wahr. Elf ZK-Se-
kretäre sind unter Gorbatschow tätig (Stand Juni 1987), von denen fünf Mitglieder
des Politbüros sind (J.K. Ligatschow, N.I. Ryschkow, L.N. Saikow, A.N. Jakolew,
N.N. Sljunkow)) und ein weiterer die Position eines Kandidaten für das Politbüro
(W.I. Dolgich) einnimmt.67
Einige Anzeichen deuten auf Änderungen des institutionellen Gewichts und
damit der politischen Stellung des ZK-Sekretariats im sowjetischen Herrschaftssy-
stem im Verlauf der Zeit hin. Alexander verweist darauf, daß sich nach dem Sturz
von Chruschtschow die zentrale Rolle dieses Gremiums vermindert habe. Unter
Chruschtschow hatten noch alle Sekretäre des ZK einen Sitz im Politbüro. Kurz
nach seinem Fall wurde die Mitgliedschaft von Sekretären im Politbüro deutlich
begrenzt und so die politische Bedeutung des ZK-Sekretariats als Organ gegenüber
dem Politbüro verringert.
In der Zeit unter Breschnew wurde die Rolle des Generalsekretärs verstärkt:
seine Richtlinienkompetenz gegenüber dem Apparat des ZK wurde befestigt, wäh-
rend man dem Sekretariat primär die Verantwortung für die Überwachung der
Durchführung der Politbüro-Entscheidungen auf der Staatsapparat-Ebene zu-
wies.68 Breschnew soll über ein eigenes stark ausgebautes persönliches Sekretariat
verfügt haben, was als ein Indiz für die gewichtige Stellung des Generalsekretärs
gelten könnte. Es soll aus 20-25 Experten bestanden haben, die auf außen- und mi-
litärpolitische als auch wirtschaftliche Fragen spezialisiert waren. Einige Autoren
schreiben diesem Sekretariat einen gewichtigen Einfluß zu, da es vermutlich den
Informationsfluß vom ZK-Sekretariat über den Generalsekretär hin zum Politbüro
kontrolliert sowie auch bedeutsame Vorschläge begutachtet hat und bei Bedarf
auch Studien über zusätzliche Optionen und ihre Konsequenzen anfordern konn-

64 Vgl. Statut der Kommunistischen Partei der Sowjetunion 1986, Abschnitt 35-38
65 Lane 1985, S. 150
66 Sowjetunion 1986/87, S. 321-324
67 Sowjetunion 1986/87, S. 319
68 Alexander 1978a, S. 11
154 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

te.69 Andererseits benennt Alexander eine gegenläufige Tendenz, durch die seiner
Ansicht nach der Einfluß des ZK-Sekretariats generell verstärkt wurde:
"Die Neufassung der Entscheidungsprozeduren unter Breschnew hat die Machtstellung
des Sekretariats gestärkt, da es nunmehr mit klareren Befehlswegen und weniger Quer-
schüssen als zuvor tätig sein konnte."70
Das wichtigste Parteiorgan, das für die Kontrolle und Überwachung der sowjeti-
schen Rüstungsindustrie zuständig ist, stellt zweifellos die ZK-Abteilung für die
Rüstungsindustrie dar. Sie ist einem ZK-Sekretär verantwortlich und arbeitet die-
sem mit ihrem Stab zu.
Von 1957 bis 1960 war Breschnew der für die Schwerindustrie und Rüstungs-
produktion verantwortliche Sekreti,lr. Sein Nachfolger wurde nach einigen Jahren
unbekannter Zuständigkeit 1965 Ustinow. Ihm wird von westlicher Seite ein be-
trächtliches Maß an persönlichem Einfluß über die Richtung sowjetischer Rü-
stungspolitik nachgesagt. Ustinow gilt als einer der bedeutendsten ,,Rüstungsbos-
se" in der sowjetischen Geschichte. Seine langjährige Karriere in der sowjetischen
Rüstungsindustrie und seine engen persönlichen Verbindungen mit den Leitern der
rüstungsindustriellen Ministerien werden als wichtige Faktoren für seine einfluß-
reiche Stellung angesehen. Zwischen 1938 und 1941 war Ustinow, der über eine
Ausbildung als Ingenieur verfügte, Direktor des Rüstungsbetriebs "Bolschewik" in
Leningrad gewesen. 1941 wurde er im Alter von nur 33 Jahren zum Volkskommis-
sar für die Rüstung ernannt. Diesen Posten behielt er bis zum Jahre 1957. Im De-
zember desselben Jahres berief man Ustinow zum Stellvertretenden Vorsitzenden
des Ministerrats und übertrug ihm die gesamte Aufsicht über den rüstungsindu-
striellen Sektor.
Zu Beginn der 60er Jahre stand Ustinow den mehr konservativ orientierten
Opponenten von Chruschtschows Militär- und Wirtschaftspolitik nahe. Beim Sturz
von Chruschtschow hat er vermutlich Breschnew und seine Fraktion unterstützt.
Diese Unterstützung dürfte ausschlaggebend für seine Berufung zum ZK-Sekretlir
für die Rüstungsindustrie und zum Kandidaten für das Politbüro im März 1965 ge-
wesen sein. Im Frühjahr 1976 trat Ustinow die Nachfolge des verstorbenen Vertei-
digungsministers Gretschko an und wurde gleichzeitig als Vollmitglied in den in-
nersten Machtzirkel, das Politbüro, aufgenommen.?!
Ustinows Funktion als ZK-Sekretär soll im Oktober 1976 J.P. Riabow über-
nommen haben. Sein Werdegang unterscheidet sich von dem Ustinows. Während
Ustinow bis 1965 zuerst in der Rüstungsindustrie als Manager und dann in leiten-
der Funktion im Staatsapparat tätig war, verlief die Karriere des wie Ustinow ge-
lernten Ingenieurs Riabow von Beginn an im Rahmen der Parteiorganisation. Bis
zu seiner Ernennung als ZK-Sekretär nahm Riabow Aufgaben als Parteifunktionär
in einem Gebiet wahr, das eine Konzentration von Schwerindustrie einschließlich
etlicher Rüstungsbetriebe aufweist (Swerdlowsk). Die von ihm aufgenommenen
und repräsentierten Werte sollen primär die eines Partei-Apparatschik, nicht die
eines Industrie-Managers sein.

69 Vgl. Alexander 1978a, S. 13; Wolfe 1977, S. 10/11; Wolfe 1979, S. 53; Richelson
1982, s. 13/14
70 Alexander 1978a, S. 11
71 Vgl. ausführlicher zum Werdegang von Ustinow McDonnel11975; McDonnell1977a,
S. 97/98; Morozow 1982, Kap.21
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 155

McDonnell interpretiert die Ernennung von Riabow als Bestreben der Partei-
führung, ihre Kontrolle über die Ministerien der rüstungsindustriellen Gruppe zu
intensivieren und damit Tendenzen hin zur Bildung bürokratischer Interessengrup-
pierungen zu begrenzen. Zwar wird Riabow nach McDonnells Einschätzung von
Zeit zu Zeit in den Parteigremien auch als Fürsprecher für die sowjetische Rü-
stungsindustrie auftreten, aber sein Selbstverständnis wird vermutlich primär das
des Parteikontrolleurs über diesen Industriesektor gewesen sein.72 Den personellen
Wechsel von Ustinow zu Riabow bewertet McDonnell abschließend folgender-
maßen:
"Es wäre eine natürliche Folgenmg aus der Interpretation, die hier zur Ernennung von
Riabow vorgetragen wird, daß die Sowjetführung die Erfüllung von Produktionszahlen
in der Rüstungsindustrie für weniger dringlich hält als ein Dutzend Jahre früher. Das
Schnellprogramm zwecks Überbietung der quantitativen Überlegenheit der USA hat
zumindest die Minimalziele erreicht. Nun mochte es an der Zeit sein, die politische
Kontrolle über diesen Bereich des sowjetischen militärisch-industriellen Komplexes zu
verschärfen."73
Im Frühjahr 1979 übernahm Riabow einen neuen Posten als Erster Stellvertreten-
der Vorsitzender von GOSPLAN. Wer seine unmittelbare Nachfolge als für die
Rüstungsindustrie verantwortlicher ZK-Sekretär antrat, ist derzeit unbekannt.
Eventuell sind die Zuständigkeiten für diesen Bereich auf den ZK-Sekretär Dol-
gich (Schwerindustrie) übergegangen.74
Westlichen Angaben zufolge soll im Sommer 1983 das Politbüro-Mitglied
G.W. Romanow zum ZK-Sekretär für die gesamte Industrie, auch die Rüstungsin-
dustrie, berufen worden sein.75 Romanow kommt aus der Schiffbauindustrie, ein
Industriezweig, der stark von Rüstungsproduktion geprägt ist. Von 1946 bis 1953
arbeitete er als Konstrukteur beim zentralen Konstruktionsbüro im A.A.-Schda-
now-Werk in Leningrad. 1953 schloß er sein Studium am Leningrader Schiffbauin-
stitut mit dem Grad eines Dipl.-Ing. ab. 1954 war er Sektionschef im Schiffbaumi-
nisterium der RSFR. Danach vollzog sich Romanows weitere Karriere im Rahmen
des Parteiapparates. Seine Aufnahme ins Politbüro im März 1976 soll er wesent-
lich Breschnew verdankt haben.76 Rough interpretiert die Ernennung von Roma-
now zum ZK-Sekretär mit Aufsicht über die Rüstungsindustrie als Schritt des da-
maligen Generalsekretärs Andropow, der darauf zielte, die Autorität von Ustinow
im Politbüro einzuschränken. Ustinow war zwar seit 1976 als Verteidigungsmini-
ster formal nur für das Militär zuständig, aber er soll aufgrund seiner vorherigen
Funktionen weiterhin einen dominanten Einfluß auf den rüstungsindustriellen Sek-
tor ausgeübt haben.77
Im Zuge der Neubesetzungen der Spitzenpositionen im Partei- und Staatsappa-
rat unter dem neuen Generalsekretär Gorbatschow mußte Romanow im Juli 1985
seinen Platz sowohl als Politbüro-Mitglied als auch als ZK-Sekretär räumen. Seine

72 McDonnell1978, S. 244-246
73 McDonnell1978, S. 246
74 Vgl. R. 1982, S. 470
75 Vgl. Staar 1985, S. 22; Rough 1985, S. 86; Schneider 1986b, S. 31
76 Vgl. Munzinger-Archiv/Intemationales Biographisches Archiv (12/86 P 013904-5 Ro-
NOE)
77 Vgl. Rough 1985, S. 86
156 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Funktion als ZK-Sekretär für die Rüstungsindustrie übernahm L.N. Saikow, der
über ein Ingenieurs-Diplom des Leningraders Instituts für Wirtschaftsingenieurwe-
sen verfügt. Saikow war zuvor lange als Manager in der Rüstungsindustrie tätig
gewesen. Von 1944 bis 1961 hatte er sich bis zum Produktionsleiter eines Rü-
stungsbetriebs in Leningrad hochgearbeitet. Von 1961 bis 1971 war er Betriebsdi-
rektor, anschließend bis 1974 Generaldirektor einer produktionstechnischen Verei-
nigung und von 1974 bis 1976 einer Wissenschafts-Produktionsvereinigung, in der
auch Rüstung hergestellt wurde. Im März 1986 rückte Saikow schließlich als Voll-
Mitglied ins Politbüro auf.78
Die Abteilung für die Rüstungsindustrie im ZK-Sekretariat ist wahrscheinlich
in den späten 50er Jahren geschaffen worden. Die Funktionen dieserneuen Abtei-
lung könnten zuvor die Abteilungen für Schwerindustrie oder Maschinenbau im
ZK-Sekretariat wahrgenommen haben.79 Ausschlaggebend für die Einrichtung ei-
ner eigenen Abteilung im ZK-Sekretariats mit Zuständigkeit für die Rüstungsindu-
strie dürfte nicht nur ein erhöhter Management-Bedarfaufgrund des gewachsenen
Umfangs und der zunehmenden Komplexität von Rüstung gewesen sein. Es ging
zugleich um eine Festigung und Verstärkung der Parteikontrolle über den Staats-
apparat in dem sensitiven und mit Priorität versebeben Bereich Rüstungspolitik.
Dabei stand insbesondere eine festere Kontrolle der Ministerien im Vordergrund,
die sich allgemein zu mächtigen Institutionen im politischen System der UdSSR
entwickelt hatten. Ein wesentlicher Ansatzpunkt der Wirtschaftsreformen von
Chruschtschow war der Versuch, den gewachsenen Einfluß der Ministerialbürokra-
tien einzudämmen. Zwar scheiterte Chruschtschow mit seinen Reformen, doch
wurden von seinen Nachfolgern die Ministerien der Rüstungsindustrie als auch die
der Zivilwirtschaft unter einer stärkeren Parteikontrolle reorganisiert. Gleiches gilt
auch für die Rüstungsbetriebe. 80
Langjähriger Leiter der Abteilung für Rüstungsindustrie im ZK-Sekretariat ist
zwischen 1958 und 1981 (!) I.D. Serbin gewesen. Nach seinem Tode übernahm
I.F. Dmitrijew diese Funktion, zuvor stellvertretender Leiter der Abteilung.81 Seine
Ernennung schreibt Rough dem starken Einfluß von Ustinow zu. Dmitrijew ist auf
der Universität Ustinows Jahrgangskamerad und für längere Zeit persönlicher As-
sistent bei ihm gewesen.S2 Unter dem neuen Generalsekretär Gorbatschow wurde
er jedoch abgelöst. Seine Funktion übernahm 1985 O.S. Beljakow, der zuvor wie-
derum vermutlich der Stellvertretende ZK-Abteilungsleiter für Rüstungsindustrie
gewesen ist. 83
Die Abteilung für Rüstungsindustrie im ZK-Sekretariat koordiniert und über-
wacht sämtliche die sowjetische Rüstungsproduktion betreffenden Angelegenhei-
ten. Ihr Gegenstück auf der Staatsapparatebene ist die Militärisch-Industrielle
Kommission, deren Tätigkeit allerdings von diesem Parteiorgan bestimmend über-

78 Vgl. Schneider 1986a, S. 516; Schneider 1987a, S. 125; Munzinger-Archiv I Internatio-


nales Biographisches Archiv (8/86 P 017768 Sa-NOE)
79 Vgl. Holloway 1982a, S. 300
80 Vgl. näher F.W.K. 1984, S. 140 und 142
81 Vgl. R. 1982, S. 470
82 Vgl. Rough 1985, S. 86
83 Vgl. Schneider 1986b, S. 40; Radio Free Europe I Radio Liberty, Radio Liberty Re-
search Bulletin RL 136187
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 157

schattet wird. Der Leiter der Abteilung Rüstungsindustrie ist Mchstwahrscheinlich


zugleich auch Mitglied in der Militärisch-Industriellen Kommission und achtet
dort auf die Einhaltung der Interessen der Parteiführung.84
Über die Tätigkeit der Abteilung Rüstungsindustrie gibt es angesichts der so-
wjetischen Geheimhaltung nur wenige direkte Informationen. Neben den politikbe-
ratenden Funktionen mit Analysen und Gutachten übt die Abteilung mit ihrem
Stab wahrscheinlich weitreichende exekutive Funktionen für die politische Füh-
rung aus. Die Abteilung bereitet die Rüstungsentscheidungen für die politische
Führung vor: über sie läuft die Vorlage von Rüstungsprojekten an das Politbüro.
Ihre weiteren Hauptaufgaben bestehen offensichtlich in der Überwachung der Ein-
haltung der Direktiven der Parteiführung in den rüstungsindustriellen Ministerien
und der Implementation der beschlossenen militärischen Programme in Forschung,
Entwicklung und Produktion. Bei Bedarf schließt dies auch direkte Interventionen
in die Tätigkeit des Regierungsapparates ein.85
Zugleich soll dieses Parteiorgan bei der Lösung von Konflikten zwischen der
Hauptverwaltung Rüstungsindustrie und dem übrigen Management bei GOSPLAN
tätig sein.86 Darüber hinaus dürfte die Abteilung für Rüstungsindustrie generell als
konfliktregulierender Filter bei Rüstungsprogrammen fungieren, bevor diese zur
Entscheidung an das Politbüro gelangen.
Die Abteilung Rüstungsindustrie ist dasjenige Organ im Parteiapparat, welches
regelmäßigen Kontakt zu allen Elementen des Rüstungssektors hat: dem Militär,
den rüstungsindustriellen Ministerien sowie anderen in die Rüstungsproduktion in-
volvierten Ministerien. Zur Wahrnehmung ihrer Überwachungs- und Kontrollauf-
gaben soll sie laut Checinski ähnlich organisiert sein wie die Hauptverwaltung Rü-
stungsindustrie von GOSPLAN.87 Der Stab der Abteilung für Rüstungsindustrie
umfaßt vielleicht 90-100 Mitarbeiter. SB Für jeden Rüstungsbereich soll ein eigenes
Hauptreferat existieren: Wissenschaft, Technik und Erfindungen, militärisches
Bauwesen, Leichtmaschinenbau, Maschinenbau, Schwermaschinenbau, Montage,
Flugzeugindustrie, Fernmeldewesen, Elektronik, Schiffbau, Elektrotechnik, Zivil-
luftfahrt.89
Nach Angaben von Rough sollen auch Abteilungen für die Rüstungsindustrie
innerhalb der regionalen Parteiorganisationen bestehen,90 durch die auf Parteiebe-
ne das differenzierte Überwachungs- und Kontrollnetzwerk der Militärisch-Indu-
striellen Kommission und des Verteidigungsministeriums ergänzt wird. Deren Exi-
stenz versetzt die Abteilung für Rüstungsindustrie im ZK-Sekretariat in die Lage,
unabhängige Überprüfungen über den Fortschritt oder die Probleme von Rüstungs-
projekten auf der lokalen Ebene von ihren Parteirepräsentanten vornehmen zu las-
sen. Checinski beschreibt dieses regionale Überwachungs- und Kontrollsystem fol-
gendermaßen:

84 Vgl. McDonne111977a, S. 97
85 Vgl. Alexander 1978a. S. 11; Jones 1984, S. 127
86 Vgl. Checinski 1981, S. 67
87 Vgl. Checinski 1981, S. 67
88 Vgl. Alexander 1978a, S. 12
89 F.W.K. 1984, S. 137
90 Vgl. Hough 1969, S. 17
158 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

"Der Machtfaktor, der die Stärke der Abteilung Rüstungsindustrie ausmacht, liegt in
der großen Zahl von Parteisekretären, die in den rüstungsindustriellen Ministerien, Pro-
duktionsvereinigungen, Betrieben, Instituten und anderen Einrichtungen tätig sind. Die
in den Parteizellen, -abteilungen oder -sektionen in den Rüstungsbetrieben oder in Re-
gionen, wo es solche Betriebe gibt, tätigen Sekretäre sind die ,Augen und Ohren' der
Abteilung Rüstungsindustrie. Da die Rüstungsproduktion in den Industriebetrieben eine
Vorrangstellung zugewiesen bekommt, haben die Weisungen der Abteilung Rüstungs-
industrie gleichfalls Vorrang. Kein Parteisekretär auf Provinzebene, auf der Ebene einer
Stadt oder eines Betriebes wird je offiziell den Produktionsplan für Rüstungsgüter hint-
anstellen. In der Praxis können die Parteisekretäre in ihrem Verhalten flexibler agieren,
aber offiziell bleiben sie dem Netz der Abteilung Rüstungsindustrie nachgeordnet."91
Zwar ist der Apparat des ZK-Sekretariats im Vergleich zur Regierungsbürokratie
nicht so umfangreich, aber die Stäbe der einzelnen Abteilungen verfügen offenbar
aufgrund der von ihnen wahrgenommenen exekutiven Funktionen für die Partei-
führung über ein großes Maß an Autorität und Einfluß. Alexander weiß zu berich-
ten, daß selbst die jüngsten Stabs-Mitarbeiter z.B. dem Ersten Sekretär des ZK ei-
ner Unions-Republik, dem Stellvertretenden Minister eines Produktionsministe-
riums oder dem Direktor eines Forschungsinstituts telephonisch Instruktionen er-
teilen können.92 Sie können jede Institution und jedes Individuum in der UdSSR
zur Beratung und Unterstützung heranziehen. So soll die Abteilung für Rüstungs-
industrie über die Autorität verfügen, jegliche Information von dem Generalstab
der Streitkräfte, den Stellvertretenden Verteidigungsministem, der Hauptverwal-
tung Rüstungsindustrie bei GOSPLAN und den übrigen Abteilungen des ZK-Se-
kretariats, die für weitere rüstungsrelevante Branchen verantwortlich sind, anzufor-
dem.93
Man kann daher vermuten, daß dieses Parteiorgan aufgrund seiner institutio-
nellen Kompetenzen über das Entwicklungs- und Produktionspotential in den ein-
zelnen rüstungsindustriellen Ministerien relativ gut informiert ist. Aufgrund dieses
Wissens dürften auch mögliche Beschränkungen bekannt sein, welche die Ent-
wicklung und Serienproduktion eines Waffensystems behindern könnten. Umfang
und Qualität der diesem Parteiorgan zur Verfügung stehenden Informationen sind
für die Entscheidungsfindung der politischen Führung von entscheidender Bedeu-
tung.
In der Geschichte sowjetischer Rüstungspolitik hat es jedoch eine Reihe von
Fehlentscheidungen gegeben, die offensichtlich auch auf falsche Vorentscheidun-
gen des ZK-Sekretariats zurückgehen. Von westlichen Fachleuten wird in diesem
Zusammenhang u.a. der Fall des vom Konstruktionsbüro Mjasischtschew entwik-
kelten Überschallbombers vom Typ M-50/52 BOUNDER angeführt:
"Der Überschallbomberentwurf M-50 (von vielen als Fehlentwurf erachtet, aber offene
Kritik unterblieb, da eine ZK-Entscheidung vorlag) wurde in einigen Exemplaren ge-
baut und erwies sich als totale Fehlentwicklung (zu groß, zu schwer, Vibration, Trieb-
werke aerodynamisch unverträglich), und das Büro in Fili wurde aufgelöst."94

91 Checinski 1981, S. 68
92 Vgl. Alexander 1978a, S. 12
93 Vgl. Gottemoeller 1983, S. 61
94 F.W.K. 1983, S. 526. Vgl. zu diesem Flugzeug Kap. 5
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 159

Als eine ähnliche Fehlentscheidung aus der Zivilluftfahrt ist das Überschallpassa-
gierflugzeug Tu-144 zu nennen: hier faßten die Entscheidungsgremien den Be-
schluß zur Produktion, noch ehe die Planungsphase abgeschlossen war.95 Die
Aeroflot hat ihre Flotte von Überschalljets mittlerweile aus dem Verkehr ziehen
müssen.
Für das Beziehungsverhältnis zwischen ZK-Sekretariat und Staatsapparat als
einem Unterordnungsverhältnis mit Dominanz der Partei gibt Simes jedoch folgen-
des allgemein einschränkend zu bedenken:
"Es wäre eine zu starke Vereinfachung, davon auszugehen, daß das ZK-Sekretariat Ent-
scheidungen formuliert, die die Regierungsstellen auszuführen haben. Die tatsächliche
Beziehung zwischen Partei und Regierungsapparat im Prozeß der Artikulation der Si-
cherheitspolitik wird mehr und mehr eine Zweibahnstraße, mittels Arbeitsteilung anstel-
le einer klaren Vorhand der Partei in Gestalt des Sekretariats."96
Angewendet auf das Verhältnis zwischen Partei und Rüstungsindustrie würde die-
se Aussage bedeuten, daß die Beziehungen zwischen der Abteilung für Rüstungsin-
dustrie im ZK-Sekretariat und den rüstungsindustriellen Ministerien in der politi-
schen Realität eher durch einen Prozeß wechselseitiger Beeinflussung und Abhän-
gigkeit charakterisiert sind, der im Endresultat zu einem bestimmten Grad an Kon-
gruenz von Sichtweisen und Interessen der beteiligten Akteure führt, als durch ein
eindeutiges Vorherrschen des ZK-Sekretariats als Kontroll- und Überwachungsin-
stanz der Partei. Ähnliche Mutmaßungen äußert Alexander. Allerdings weist er ex-
plizit auf spezifische Grenzen gemeinsamer Sichtweisen und Interessen hin, die
aus unterschiedlichen institutionellen Stellungen und Verankerungen zwischen
ZK-Sekretariat und den Ministerien im politischen System der UdSSR herrühren:
,,Erstens ist es wahrscheinlich, daß sich die Abteilungen des ZK-Sekretariats den Mini-
sterien, die sie beaufsichtigen, verbünden, ja in großem Maße abhängig von ihnen wer-
den. Zweitens verfügen die Abteilungen über einen Überblick, der weiter als der jedes
einzelnen Ministeriums reicht, sowie eine Wahrnehmung ihrer eigenen Rolle, die die
Aufgaben von Ministerien oder Betrieben übersteigt. Folglich sollte man im allgemei-
nen eine Interessenkongruenz zwischen dem Sekretariat und dem Sektor Rüstungspro-
duktion erwarten; allerdings gibt es weniger Grund für die Annahme, daß es gemeinsa-
me Interessen innerhalb der Ministerien sowie unter ihnen gibt. Häufige und enge Kon-
takte zwischen Parteifunktionären und Regierungsbeamten, Personalrotation zwischen
Partei und Regierung, Zuammenarbeit bei der Abfassung und Ausarbeitung größerer
Vorlagen und viele weitere Vorgänge bringen die Mitarbeiter der Partei und diejenigen,
die sie überwachen, in anhaltenden Kontakt, was zu einer allgemeinen Ähnlichkeit der
Sichtweisen führt."97
Aus seinen Überlegungen zieht Alexander die naheliegende Schlußfolgerung, daß
aufgrund dieser personellen Verknüpfungen und Verschränkungen die Abteilung
für Rüstungsindustrie mit ihrem Stab im ZK-Sekretariat wahrscheinlich keine In-
formationsquelle für die Parteiführung ist, von der eine Analyse zu Fragen der Rü-
stungsentwicklung und -produktion zu erwarten ist, die wesentlich von den Sicht-
weisen der durch diese Abteilung beaufsichtigten rüstungsindustriellen Ministerien
abweicht. Differenzen über Detailfragen zwischen diesen beiden institutionellen

95 F.W.K. 1984, S. 137


96 Simes 1985, S. 78
97 Alexander 1978a, S. 12
160 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Akteursgruppen könnten allerdings auftreten.98 In welchem Maße diese Konklu-


sion tatsächlich zutreffend ist, kann aufgrund mangelnder Evidenz kaum abgewo-
gen werden.
Es ist zu vermuten, daß der politischen Führung Tendenzen möglicher Interes-
sensüberschneidungen zwischen ihren Partei-Kontrolleuren und den von ihnen
kontrollierten Ministerien bewußt sind und sie nach Mitteln und Wegen sucht, sich
eine möglichst umfassende und unabhängige Beurteilungsgrundlage zu verschaf-
fen. Eine von Spielmann beschriebene hypothetische Möglichkeit könnte für die
politische Führung darin bestehen, mögliche Widersprüche zwischen ihren drei
primären Aufsichtsführenden über die Rüstungsindustrie (ZK-Sekretär für die Rü-
stungsindustrie, Leiter der Abteilung für die Rüstungsindustrie im ZK, Vorsitzen-
der der Militärisch-Industriellen Kommission), die durch Einflußversuche derlei-
tenden Manager aus den rüstungsindustriellen Ministerien bestärkt werden, aus-
nutzt:
"Hypothetisch läßt sich annehmen ... , daß in dem Maße, wie die höchsten Rüstungskon-
trolleure sich nicht persönlich sehen, die Rüstungsmanager und die ihnen Nachgeordne-
ten, deren Bemühungen in der Forschung und Produktion diese drei an sich kontrollie-
ren sollen, versucht haben könnten, Smirnow, Ustinow und Serbin gegeneinander aus-
zuspielen, um ihre eigene Selbständigkeit zu erweitern. Ferner läßt sich hypothetisch
annehmen, daß die sowjetische Führungsspitze insgesamt eine solche Situation nicht
notwendig als unangenehm empfunden haben mag. Wenn zum Beispiel eine grobe
Form von ,checks and balances' die Rüstungsgewaltigen zur Bescheidenheit anhält,
dann würde dies den Mitgliedern des Politbüros geholfen haben, alternative Informati-
onsquellen über Waffenprogramme zu sichern, die erhebliche Kosten zeitigen und die
selbst für informierte Laien schwer faßbar sind. "99
Die Annahme, daß die sowjetische Führungsspitze solche Widersprüche bewußt
fördert, um die letztendliche politische Kontrolle über ihre Rüstungsindustrie
durch die Partei sicherzustellen, erscheint durchaus plausibel. Im amerikanischen
politischen System sind z.B. die Rivalität der Teilstreitkräfte und die sich daraus
ergebenden Widersprüche im US-Militär eine vom US-Kongreß bewußt geförderte
Entwicklung, hinter der die Absicht steht, über das gegenseitige Ausspielen von
Interessen in einem System von "checks and balances" die zivile politische Kon-
trolle über das Militär zu sichern.

4.1.5 Der Verteidigungsrat

Ein leitendes Gremium in den Beziehungen zwischen politischer Führung und Rü-
stungsindustrie stellt vermutlich der Verteidigungsrat dar. Über dieses Organ sind
besonders wenig Informationen verfügbar. Unter den westlichen Sowjetexperten
wird aufgrund dieses ausgeprägten InformationsdefiZits eine recht spekulative und
teilweise divergierende Debatte über die genauen Aufgaben sowie die exakte
Größe, Struktur und Zusammensetzung des Verteidigungsrates geführt. Seine Tä-
tigkeit und Bedeutung im sicherheitspolitischen Entscheidungsgefüge der Sowjet-
union werden daher unterschiedlich beurteilt.
Offiziell bekannt geworden ist die Existenz eines Verteidigungsrates der

98 Alexander 1978a, S. 12
99 Spielmann 1976, S. 62
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 161

UdSSR im Mai 1976 im Zusammenhang mit der Beförderung von Breschnew zum
Marschall der Sowjetunion,lOO In der sowjetischen Verfassung von 1977 wird der
Verteidigungsrat kurz erwähnt. Danach ist diese Institution dem Präsidium des
Obersten Sowjet untergeordnet,lOl Obgleich der Verteidigungsrat laut Verfassung
formal gesehen eine Staats- und keine Parteiinstitution ist, stufen Autoren wie Ale-
xander und Warner dieses Gremium de facto als einen Ausschuß des Politbüros
ein.l02 Organisatorische Vorläufer des Verteidigungsrates haben in der Geschichte
der UdSSR seit 1918 unter verschiedenen Namen und mit unterschiedlich abge-
stuften Zuständigkeiten bestanden: 103
Über die allgemeine institutionelle Stellung und wahrscheinlichen Aufgaben
des Verteidigungsrates äußert sich Jones folgendermaßen:
"Der Verteidigungsrat, in der juristischen Sowjetliteratur beschrieben als ,Kollegialor-
gan der Staatsverwaltung, welches verschiedene Ministerien umfaßt', und welches 'die
grundsätzlichen Weisungen zur Rüstungsentwicklung der UdSSR' erteilt, überprüft au-
genscheinlich regelmäßig Empfehlungen zur Militärpolitik der KPdSU und zur sowjeti-
schen Militärdoktrin, wobei das Verteidigungsministerium, der Generalstab sowie lei-
tende Persönlichkeiten aus dem Bereich der Rüstungsindustrie wichtige und gehaltvolle
Vorgaben einbringen."l 04
Über diese zugeschriebenen Aufgaben hinaus dürfte der Verteidigungsrat auch be-
deutende allgemeine Krisen- und Konfliktsteuerungsfunktionen im sicherheitspoli-
tischen Bereich wahrnehmen. Dafür spricht die institutionelle Verankerung dieses
Organs in der obersten Hierachie des Staatsapparates.
Die genaue Zusammensetzung der Mitgliedschaft im Verteidigungsrat ist nicht
bekannt Aufgrund seiner Stellung wird sich dieses Gremium vermutlich aus füh-
renden Mitgliedern der Partei, der Regierung und des Militärs zusammensetzen.
Breschnew, Andropow und Tschernenko sind offiziell als Vorsitzende des Vertei-
digungsrates benannt worden. Am 28.2.1987 identifizierte sich Generalsekretär
Gorbatschow in einem Statement, bei dem es hauptsächlich um einen neuen Rü-
stungskontrollvorschlag über die amerikanischen und sowjetischen landgestützten
Mittelstreckenwaffen ging, selber ebenfalls als Vorsitzender dieses Gremiums:
,,Die Sowjetführung und der Verteidigungsrat des Landes, denen vorzustehen meine
Pflicht ist, bewahren fortwährend die Sicherheit des Landes und die unserer Verbünde-
ten sowie die Sicherheit allgemein im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit."l05
Aus diesen Informationen kann geschlossen werden, daß die Funktion des Vorsit-
zenden offensichtlich generell dem Generalsekretär der KPdSU vorbehalten ist.
Für die Amtszeit von Generalsekretär Andropow vermutet Jones als ständige
und stimmberechtigte Mitglieder des Verteidigungsrates aus dem Kreis der Partei-
und Staatsführung neben Andropow Verteidigungsminister Ustinow, den Vorsit-
zenden des Ministerrates, Tichonow, Außenminister Gromyko, d.h. insgesamt vier
Politbüro-Mitglieder, sowie den Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates,

100 Vgl. Wolfe 1979, S. 57


101 Vgl. Artikel121, Paragraph 14 der Verfassung der UdSSR von 1977; vgl. auch Hollo-
way 1983b, S. 109; Alexander 1978a, S.14
102 Vgl. Alexander 1978a, S. 14; Warner 1977, S. 46; R. 1982, S. 470
103 Vgl. dazu ausführlicher Scott/Scott 1984, S. 105-106; Alexander 1978a, S. 14/15
104 Jones 1984, S. 123
105 Radio Moskau, 28.2.1987 zitiert nach Rahr 1987a
162 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Smimow (gleichzeitig Vorsitzender der Militärisch-Industriellen Kommission).


Generalstabschef Ogarkow sowie einige andere führende Militärs werden von Jo-
nes als wahrscheinliche militärische Repräsentanten genannt106
In einer Analyse von 1986 spekuliert ein Autor über die personelle Zusam-
mensetzung des Verteidigungsrates unter Gorbatschow wie folgt:
Vorsitzender: GORBATSCHOW, Generalsekretär und zugleich Oberster Befehlsha-
ber der sowjetischen Streitkräfte
Stellvertreter: RYSCHKOW, Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR und Politbü-
ro-Mitglied;
SOKOLOW, Verteidigungsminister und Politbüro-Kandidat;
Sekretär: ACHROMEJEW, Chef des sowjetischen Generalstabes und 1. Stellvertre-
tender Verteidigungsminister;
Mitglieder (ständige und stimmberechtigt):
LIGATSCHOW, ZK-Sekretär und Politbüro-Mitglied;
SAIKOW, ZK-Sekretär und Politbüro-Mitglied;
TSCHEBRIKOW, KGB-Chef und Politbüro-Mitglied;
GROMYKO, Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjet und Politbüro-Mit-
glied;
SCHEWARDNADSE, Außenminister und Politbüro-Mitglied;
MASUUKOW, Stellvertretender Vorsitzender und Vorsitzender der Militärisch-In-
dustriellen Kommission des Ministerrates;
KULIKOW, Oberbefehlshaber der Streitkräfte der WVO und 1. Stellvertretender
Verteidigungsminister.l 07
Sollte diese Auflistung zutreffen, dann gehören dem Verteidigungsrat ständig sie-
ben Politbüro-Mitglieder an, wodurch quantitativ eine klare Dominanz der Partei-
führung über dieses ansonsten dem Präsidium des Obersten Sowjet untergeordnete
Staatsorgan sichergestellt wäre.
Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben soll der Verteidigungsrat der Beschrei-
bung eines sowjetischen Emigranten zufolge über einen eigenen, beratende Funk-
tionen ausübenden Apparat verfügen, dessen Aufbau von ihm näher beschrieben
wird.108 Ob diese Beschreibung zutreffend ist, kann von einem Außenstehenden
kaum beurteilt werden.
Der Verteidigungsrat ist vermutlich die letzte institutionelle "Haltestelle" vor
einer endgültigen Entscheidung wichtiger sicherheits- und militärpolitischer Fra-
gen sowie von Rüstungsprogrammen im Politbüro. Seine Aufgaben und Zuständig-
keiten scheinen einem von Richelson zitierten offenen Geheimdienst-Bericht zu-
folge recht umfassend sein:
,,Die Beantwortung größerer Problemanfragen, die die nationale Sicherheit, die
Verstärkung der Verteidigungsbereitschaft und die weitere Entwicklung des natio-
nalen Rüstungspotentials betreffen.

106 Vgl. Jones 1984, S. 123; vgl. zur Frage der Mitgliedschaft des Verteidigungsrates
auch Alexander 1978a, S. 15; Richelson 1982, S. 17; Woods 1982, S. 15/16; F.W.K.
1984, S. 142; Schulz-Torge 1985, S. 111-120
107 Vgl. Parwiek 1986, S. 341
108 Vgl. Freidzon 1981a
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 163

Die Zustimmung zu Planungen und zur Entwicklung im Militärwesen, in den Ein-


richtungen des staatlichen Sicherheitssystems sowie den Grundzügen der Verteidi-
gungsorganisation in der UdSSR.
Die Koordination des sowjetischen Staatsapparates, um sicherzustellen, daß militä-
rische Belange in allen Entscheidungen der Staatsverwaltung gebührend berück-
sichtigt werden."l09
Trotz dieses möglichen breiten Spektrums formaler Zuständigkeiten vermutet Ale-
xander hingegen, daß sich der Verteidigungsrat in Friedenszeiten hauptsächlich mit
rüstungspolitischen Angelegenheiten befaßt:
"Dem Vernehmen nach soll er (der Verteidigungsrat, d.Verf.) hauptsächlich mit der
Entwicklung und Beschaffung größerer W affensysteme, mit der Truppenstärke und der
Budgetgestaltung befaßt sein. Gemäß seiner Verantwortung für das Budget setzt der
Verteidigungsrat bei Beginn des Planungsprozesses die Richtlinien fest und gibt dem
Politbüro in bezug auf die Planfeststellung für das Verteidigungsministerium und die
Ministerien für Rüstungsproduktion Empfehlungen."llO
Eine derartige Einschätzung der Hauptaufgaben des Verteidigungsrates würde die
Bewertung von Rough unterstützen, der dieser Instanz die primäre Funktion zu-
schreibt, als ein von der politischen Führung eingerichteter bürokratischer Mecha-
nismus auf höchster Ebene zur Lösung von institutionellen Konflikten zwischen
dem Militär und der Rüstungsindustrie zu dienen.lll Ähnlich urteilt auch Spiel-
mann:
"Die Existenz des Obersten Verteidigungsrates verhilft wahrscheinlich dazu, Umfang
und Schärfe der Auseinandersetzungen über Rüstungsprogramme in der Führungsspitze
innerhalb hinnehmbarer Grenzen zu halten."112
Nähere und ausführlichere Evidenz über tiefgreifendere Konflikte zwischen Militär
und Rüstungsindustrie über die Richtung und Ausgestaltung von Rüstungspro-
grammen, die einer Lösung "von oben" bedurft haben, ist allerdings nur für die
Zeit zwischen 1939 und 1941 vorhanden.l13
Ist die von Hough und Spielmann vertretene Beurteilung korrekt, dann nimmt
der formal als ein Organ des Staatsapparates fungierende Verteidigungsrat in den
Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie eine essentielle Rolle als ein
zentraler politischer Kontroll- und Überwachungsmechanismus für die Parteifüh-
rung wahr. Als eine weitere, mehr spezialisierte institutionelle "Klammer" zur
Kontrolle und Überwachung des rüstungsindustriellen Bereichs fungiert unterhalb
des Verteidigungsrates im Staatsapparat die zuvor schon beschriebene Militärisch-
Industriellen Kommission. Die Erstellung von Richtlinien für die Arbeit der Mili-
tärisch-Industriellen Kommission dürfte daher vor allem vom Verteidigungsrat
ausgehen, da dort wahrscheinlich alle wichtigen Militär und Rüstung betreffenden
Vorentscheidungen fallen.ll4
Den Verteidigungsrat als ein auf hoher institutioneller Ebene angesiedeltes In-
strument zur Koordination (Konfliktlösung) und Gestaltung von Militär- Rüstungs-

109 Richelson 1981, S. 16


110 Alexander 1978a, S. 15
111 Vgl. Hough 1985, S. 85
112 Spielmann 1976, S. 63
113 Vgl. ausführlicher Rough 1984
114 Vgl. F.W.K. 1984, S. 141
164 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

politikkann man nach Becker als den kritischen Schnittpunkt zwischen den mili-
tär-politischen, militär-ökonomischen und militär-technologischen Entscheidungs-
systemen betrachten.115 Er wurde offenbar nicht nur als eine obere Instanz zur
Konfliktregulierung geschaffen, sondern auch zu dem Zweck, die letzte Kontrolle
durch die Parteiführung über das Militär und die Rüstungsindustrie sicherzustellen:
Seine Einrichtung "brachte führende Nichtmilitärs (und zivile Mitarbeiter) im
größtmöglichen Umfang in den Politikbildungsprozeß bei Verteidigungsfragen hin-
ein" )16
Wenn der Verteidigungsrat einmal seine Zustimmung zu einem Rüstungspro-
jekt gegeben hat, ist offenbar ein Durchbruch erreicht - vom Reißbrett bis zur In-
dienstnahme durch die Truppe ist der Weg für eine spezifische Konstruktion frei.
Freilich entfällt auch die weitere Verbesserung beim Anlaufen der Produktionsse-
rie, wie dies im Westen üblich ist. Das willkürliche "Einfrieren" von Konstruktio-
nen, um sie gegen immer neu kommende Verbesserungsvorschläge zu immunisie-
ren, ist in der Sowjetunion nicht nötig. Niemand würde es wagen, einer Lösung ei-
nes Rüstungsproblems, der der Verteidigungsrat seine Zustimmung erteilt hat, Ver-
besserungen hinzufügen.
Große Ungewißheit herrscht bei westlichen Experten darüber, wie das reale
Machtverhältnis zwischen dem Verteidigungsrat und dem Politbüro genau beschaf-
fen ist. Eine extreme Position verkörpert Checinski: Er faßt den Verteidigungsrat
als Herrschaftsinstrument des Generalsekretärs und des Verteidigungsministers
(die als höchste Repräsentanten eines militärisch-industriellen Komplexes agieren)
über das Politbüro auf.ll7 Diese Bewertung erscheint zu vereinfachend und auch
überzogen. Der reale politische Entscheidungsprozeß und das sich in ihm wider-
spiegelnde institutionelle und bürokratische Einflußgefüge dürfte mit einiger Si-
cherheit komplexer und widersprüchlicher ausfallen. Formal gesehen soll der Ver-
teidigungsrat zwar nur eine beratende Rolle ausüben, indem er die wesentlichen Si-
cherheits-, militär- und rüstungspolitischen Entscheidungen für das Politbüro vor-
bereitet. Aber der Verteidigungsrat nimmt offenbar gegenüber dem Politbüro eine
Schlüsselstellung in der Politikvorformulierung für militärische und rüstungsbezo-
gene Angelegenheiten ein:
"Der Verteidigungsrat ... ist in der Sowjetunion potentiell das wichtigste Politik ma-
chende Gremium für Militärfragen. Er versorgt das gesamte Politbüro mit Empfehlun-
gen und erhält umgekehrt von diesem sehr allgemeine Richtlinien für die Festsetzung
von Prioritäten und Haushaltszuweisungen. Der Verteidigungsrat stimmt den Ausfor-
mulierungen von Militärdoktrin und -Strategie zu, setzt den Rahmen des Militärhaushal-
tes fest, überprüft Planfeststellungen und stimmt Beschaffungsvorgängen zu."ll8
Wegen der personellen Zusammensetzung des Verteidigungsrates, welche die Spit-
zen von Partei, Staat und Streitkräften umfaßt, dürften dessen Empfehlungen in der
Regel ein solches Gewicht haben, daß sie die endgültigen, formal vom Politbüro zu
treffenden Entscheidungen im wesentlichen vorwegnehmen, zumal die Mehrheit
der Mitglieder dieses Gremiums eh dem Politbüro angehören.

115 Vgl. Becker 1982, S. 68


116 Rough 1985, S. 85
117 Checinski 1981, S. 69
118 Alexander 1978a, S. 15
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 165

4.1.6 Das Politbüro

Das institutionell in der obersten Parteihierarchie angesiedelte Politbüro hat eine


starke Machtstellung im politischen System der UdSSR. Seine Mitglieder werden
vom Zentralkomitee der KPdSU zur Leitung der Arbeit der Partei zwischen den
Plenartagungen des ZK gewählt.ll9 Die einzige Institution- die abgesehen vom
Parteitag als dem höchsten Organ der KPdSU- vom Willen des Politbüros abwei-
chende Entscheidungen treffen kann, ist das ZK, welches diesem nach dem Partei-
statut übergeordnet ist. Solche Fälle sind jedoch bislang äußerst selten eingetreten.
Beispiel dafür sind u.a. das Juni-Plenum des ZK von 1957, bei dem Chruschtschow
einen Beschluß des Politbüros (damals ZK-Präsidium), ihn vom Posten des Ersten
Sekretärs zu entheben, revidieren und sich gleichzeitig erfolgreich seiner Opponen-
ten in diesem Gremium entledigen konnte, sowie das Januar-Plenum von 1955 und
das März-Plenum von 1962 des ZK, bei denen Auseinandersetzungen über die
Priorität von Schwer- und Rüstungsindustrie eine wesentliche Rolle spielten.120
Das Politbüro ist ebenso wenig wie die Partei eine monolithische Handlungs-
einheit. So hilft die allgemeine Feststellung von der führenden Rolle der Partei im
sowjetischen Herrschaftssystem analytisch wenig weiter. Als ein selbstständiger
Handlungsträger ist die Partei -zugespitzt formuliert- nicht vorhanden. Vielmehr
stellt die Partei hauptsächlich einen institutionellen Mechanismus für die Artikula-
tion und Aggregation gesellschaftlicher und individueller Interessen dar. Über die-
sen erfolgen die Auseinandersetzungen und Verständigungen der verschiedenen
Interessengruppen und Eliten über die anstehenden "Issues" auf der jeweiligen
funktionalen oder regionalen Ebene (z.B. Konflikte über die Verteilung der Inve-
stitionsmittel).l21
Auf der oberen Ebene des Parteiapparates werden die politischen Inputs "von
unten" zu verbindlichen Entscheidungen aggregiert und Differenzen zwischen ver-
schiedenen Fraktionen in der Regel beigelegt. Das Politbüro ist bei diesem Prozeß
das entscheidende Organ. Lane beschreibt die Struktur des politischen Entschei-
dungsprozesses und die Stellung des Politbüros dabei folgendermaßen:
"Es hat auf der Führungsebene des politischen Systems der Sowjetunion die Interessen-
artikulation zusammenzuführen. Das Politbüro ist institutionell mit dem Sekretariat,
dem ZK und den Ministerien verwoben zu sehen ... Interessen werden im ZK der Partei,
im Regierungsapparat und im Sekretariat artikuliert und gebündelt. Sie werden dem Po-
litbüro zur Entscheidungsfindung vorgetragen. Im Politbüro erfolgen endgültig binden-
de Entscheidungen, und diese werden von der Regierung und dem Parteisekretariat aus-
geführt."l22
Das Politbüro selber ist ebenfalls kein monolithischer Akteur. Es kann in gewisser
Weise als Koalition der in ihm vertretenen Segmente aus dem Partei- und Staats-
apparat aufgefaßt werden. Auf diese Weise wird eine starke Einbindung der wich-
tigsten Institutionen in das Herrschaftssystem gewährleistet.
Im Gegensatz zu früheren Perioden war unter Breschnew die Entscheidungs-
findung des Politbüros offenbar stark durch das Konsensprinzip und einen kollekti-

119 V gl. Statut der Kommunistischen Partei der Sowjetunion 1986, Paragraph 38
120 Vgl. näher Heller/Nekrich 1985, Bd.II
121 Vgl. Segbers 1984, S. 55!56; Lane 1978, S. 213/214
122 Lane 1985, S. 216
166 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

ven Führungsstil geprägt. W.M. Falin, von 1971-1978 sowjetischer Botschafter in


der Bundesrepublik und anschließend Erster Stellvertreter von Samjatin in der ZK-
Abteilung für Internationale Information bis zum Führungswechsel zu Andropow,
beschrieb den Entscheidungsfindungsprozeß im Politbüro in einem Zeitungsinter-
view aus dem Jahre 1979 folgendermaßen:
,,Breschnew führt bei den Sitzungen des Politbüros den Vorsitz. Ist er abwesend, über-
nimmt ein ZK.-Sekretär diese Funktion. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß der Gene-
ralsekretär zunächst jedes Mitglied zu Wort kommen läßt und diese dann einzeln ihre
Ansicht mitteilen. Dann faßt er den Ver lauf der Debatte zusammen und verteidigt dieje-
nige Sichtweise, die er für die zutreffende hält. Probleme oder Meinungsverschieden-
heiten werden nicht durch Abstimmung entschieden; es wird ein Konsens angestrebt.
Wenn mehrere Mitglieder zum gleichen Vorgang unterschiedliche Auffassungen haben,
faßt Breschnew diese Differenzen zusammen und schlägt vor, eine Entscheidung
zwecks weiterer Prüfung zu vertagen. Wenn jedoch ein Politbüromitglied meint, daß es
noch offene Fragen gebe, dann wird die Vorlage dem Gremium, welches sie einge-
bracht hat, zur weiteren Klärung zurückgereicht und eine Woche später, oder bei dring-
liehen Angelegenheiten am nächsten Tag, erneut im Politbüro erörtert."123
Zwar besitzt der Generalsekretär der KPdSU eine starke politische Stellung, aber
durch den Übergang zu einer "kollektiven Führung" sind zugleich die Möglichkei-
ten des Generalsekretärs, gestützt auf das ZK-Sekretariat etwa das Politbüro bei si-
cherheitspolitischen Entscheidungen zu umgehen, so gut wie chancenlos.
Stimmberechtigt sind nur die Vollmitglieder des Politbüros, die Kandidaten
können aber in beratender Funktion die Entscheidungen beeinflussen. Im Juni
1987 bestand das Politbüro der KPdSU aus 14 Vollmitgliedern und 6 Kandidaten.
Zu den Sitzungen können noch diejenigen ZK-Sekretäre, die weder Vollmitglied
noch Kandidat sind, andere hohe Funktionäre sowie Experten herangezogen wer-
den.
Unter Breschnew sind anscheinend mehrere Kommissionen oder Arbeitsgrup-
pen aus Mitgliedern des Politbüros gebildet worden, die sich mit der Problematik
bestimmter Politikbereiche befassen. Die zunehmende Komplexität und ausgepräg-
te Zentralisation des politischen Systems der UdSSR bewirken zwangsläufig eine
deutliche Erschwerung der Entscheidungsfindung für das Politbüro. Ohne ein ge-
wisses Maß an interner Arbeitsteilung in diesem Organ wären seine Aufgaben
kaum noch zu bewältigen. Von westlichen Experten wird vermutet, daß es auch für
den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik eine eigene Kommission oder Ar-
beitsgruppe gibt.124
In der Sicherheitspolitik, die Militär- und Rüstungspolitik miteinschließt, sind
die formalen Entscheidungsstrukturen und -prozeduren so gestaltet worden, daß
sie die höchstmögliche Kontrolle durch die politischen Führung sicherstellen sol-
len. Ein wesentliches Merkmal dieses Prozesses ist dabei der sehr hohe Grad von
Zentralisation der Entscheidungsfindung. Beim Politbüro liegt die letzte Entschei-
dungsgewalt über die Richtung der Rüstungspolitik und die Beschlußfassung ent-
sprechender Entwicklungs- und Produktionsprogramme. Diese Eigenart von Ent-
scheidungstindung im politischen System der Sowjetunion wird von Falin in einem
Vergleich mit dem amerikaDisehern System hervorgehoben:

123 Washington Star vom 16.7.1979 zitiert nach Lane 1985, S. 213
124 Vgl. Wolfe 1979, S. 51/52; Starr 1985, S. 24
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 167

"Unser System der Entscheidungstindung unterscheidet sich vom amerikanischen dar-


in, daß es stärker zentralisiert ist. In Fragen der nationalen oder internationalen Sicher-
heit können amerikanische Außen- und Verteidigungsminister eine erhebliche Zahl von
Entscheidungen in eigener Verantwortung treffen. In unserem Lande müssen alle Fra-
gen der auswärtigen Politik und der nationalen Sicherheit im Politbüro erörtert und ent-
schieden werden. Der Prozeß läuft ungef:i.hr so ab: Das Außenministerium erstellt ein
Papier, welches sich auf der Grundlage konkreter Fakten mit dem in Frage stehenden
Vorgang befaßt. Wenn der Vorgang Aspekte der nationalen Sicherheit berührt, werden
das Verteidigungsministerium und möglicherweise weitere Ministerien in die Vorberei-
tung der Vorlage einbezogen, und eine Zusammenfassung der verschiedenen Sichtwei-
sen wird angefertigt. Diese Zusammenfassung geht dann dem betroffenen ZK-Sekreta-
riat zu, welches einen eigenen Stab von Experten und Beratern heranzieht, um die Tat-
sachen nachzuprüfen, bevor die Vorlage an das Politbüro geht."125
Diese hochgradig zentralisierten Entscheidungsstrukturen führten in Verbindung
mit dem ausgeprägten institutionellen und technologischen Konservatismus der
Bürokratien im Partei- und Staatsapparat oftmals zu direkten Interventionen des
Politbüros in den Prozeß der Entwicklung und Produktion von Rüstung. Die Stimu-
lierung neuartiger technologischer Entwicklungslinien, entscheidende Unterstüt-
zung bei der Lösung technologischer, organisatorischer und ökonomischer Proble-
me sowie die Auflösung von rüstungspolitischen und -technologischen Kontrover-
sen etwa zwischen dem Verteidigungsministerium und den rüstungsindustriellen
Ministerien sind typische Formen dieser kontinuierlichen Interventionen des Polit-
büros gewesen.126
Holloway merkt an, daß sich zwar die formale Struktur des militär- und rü-
stungspolitischen Entscheidungsprozesses in der UdSSR seit Stalin nicht wesent-
lich geändert habe. Dafür hätten aber bedeutsame Wandlungen im informellen Pro-
zeß stattgefunden, die durch das Verhalten und den unterschiedlichen Einfluß der
Spitzenpersönlichkeiten des Politbüros in Gestalt der Generalsekretäre geprägt wa-
ren. Stalin dominierte in einzigartiger Weise die Partei- und Staatsbürokratie und
war Autorität ohne Widerspruch bei sämtlichen militärischen Problemen und Rü-
stungsfragen. Er intervenierte, wie die Fallstudien gezeigt haben, bis in einzelne
rüstungstechnische Details, wobei er allerdings auch Ratschläge aus dem Apparat
suchte, die er nach Gutdünken berücksichtigte oder verwarf.
Führungsstil und Einfluß von Chruschtschow weisen dagegen einen erhebli-
chen Unterschied zu Stalin auf. Selbst auf dem Höhepunkt seiner Macht war
Chruschtschow offenbar nicht in der Lage, die Partei- und Staatsbürokratie voll-
ständig unter seine Kontrolle zu bekommen. Sein Vorgehen, Ansichten und Inter-
essen der verschiedenen Elemente der bürokratischen Apparate bei seinen tiefgrei-
fenden Wirtschaftsreformen und seiner Neuorientierung in der Außen- und Sicher-
heitspolitik weitgehend zu ignorieren, brachten ihn schließlich in beträchtliche po-
litische Schwierigkeiten. Den Sturz von Chruschtschow führt Holloway nicht so
sehr auf die Opposition zu seinen politischen Zielsetzungen, sondern mehr auf den
Widerstand gegenüber seinen Methoden zurück.l27 Diese Wertung erscheint als
nicht ganz zutreffend. Jutta Tiedtke führt in einer überzeugenden Untersuchung

125 Washington Star vom 16.7.1979, zitiert nach Lane 1985, S. 213
126 Vgl. ausführlicher Alexander 1978b, S. 18- 20; Holloway 1982a, S. 302/303; Kaldor
1981, S. 94; Hough 1984
127 Holloway 1979, S. 27
168 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

das Scheitern von Chruschtschow hauptsächlich darauf zurück, daß es ihm nicht
gelungen sei, sein Wirtschaftsprogramm und seine Abrüstungsinteressen in eine in-
haltlich konsistente Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik einzubetten, die nach in-
nen wie außen hinreichend widerspruchsfrei war. Auch gelang es ihm nicht, einen
neuen breiten Sicherheitskonsens innerhalb der Bürokratie herzustellen. Jedoch be-
tont Tiedtke, daß erst die massive Aufrüstung des Westens, die dem Konzept der
sowjetischen Minimalrüstung den Boden entzog, zu der entscheidenden innenpoli-
tischen Stärkung der Position seiner Gegner geführt hat,l28
Das Politbüro unter Breschnew entwickelte einen politischen Führungs- und
Entscheidungsstil, der in größerem Maße den Vorstellungen und Interessen der bü-
rokratischen Apparate von Partei und Staat entgegenkam, aber zugleich auch Aus-
druck einer größer gewordenen Abhängigkeit der Führungsspitze von der Bürokra-
tie bei der Herrschaftsausübung in dem komplexer gewordenen System ist:
,,Keine der zentralisierten Leitungseinheiten verfügt über die Zeit und die Informatio-
nen, um alle wichtigen Entscheidungen für das System zu treffen. Die Führungsspitze
muß sich auf inputs, auf Informationen und technische Bewertungen stützen, die von
nachgeordneten Einrichtungen nach oben fließen. "129
Die Delegation von mehr Entscheidungsverantwortung an untergeordnete Ebenen
der Bürokratie, ohne dabei jedoch die Autorität der Parteiführung über die endgül-
tige Festlegung der politischen Zielsetzungen anzutasten, wird von Hough als eines
der wesentlichsten Merkmale der sich seit Breschnew herausgebildeten Entschei-
dungsstrukturen beschrieben. Nach Hough hat sich ein Prozeß zu einer mehr "wis-
senschaftlich fundierten politischen Entscheidungsfindung" der Parteiführung
durchgesetzt, bei der professionelles Expertenturn und technisches Spezialwissen
gesucht und berücksichtigt werden,l30
Vor allem in der Militär- und Rüstungspolitik ist für das Politbüro die Aufgabe
der Entscheidungstindung zusehends erheblich schwieriger geworden. Aufgrund
der zunehmenden Diversifikation und Komplexität von Rüstung hat die Anzahl der
zu berücksichtigenden und zu entscheidenden Sachpunkte, insbesondere in techni-
scher Hinsicht, sehr zugenommen. So dürfte selbst Generalsekretär Breschnew, der
ein Ingenieurs-Diplom besaß und über langjährige Management-Erfahrungen in
der sowjetischen Rüstungsindustrie verfügte,131 kaum in der Lage gewesen sein
und die Zeit gehabt haben, die z.B. bei Entscheidungen über strategische Raketen-
rüstungsprogramme anfallenden vielfältigen Sachverhalte angemessen zu analysie-
ren und zu beurteilen. Richelson illustriert dies näher:
,,Jn der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es relativ wenige Vorgänge, die den Aufbau
eines strategischen Arsenals betrafen- die Atom- oder Wasserstoffbombe zu bauen
oder nicht zu bauen. Bei den Trägersystemen gab es keine Wahl (obwohl die Raketen-
forschung früh einsetzte), und es gab nur sehr wenige Optionsmöglichkeiten. In der
heutigen Zeit hängt die endgültige Größe und Struktur des Kernwaffenarsenals eines
Staates von Entscheidungen ab, die von einer Vielzahl von Vorgängen beeinflußt wer-
den - angefangen mit den Leitzielen nationaler Politik und der Militärstrategie bis hin
zu den Alternativen boden- oder seegestützte Raketen, Zielbestimmungen, V erknüpfun-

128 Vgl. ausführlicher Tiedtke 1985


129 Wolfe/Emrath 1973, zitiert nach Richelson 1982, S. 15
130 Vgl. ausführlicher Hough 1976
131 Vgl. dazu ausführlicher Morozow 1982, Kapitel35 und 36
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 169

gen zwischen Sprengkraft, Zielgenauigkeit und der Zahl der Sprengköpfe. Sogar solche
technischen Fragen wie die, ob eine Rakete kaltstartfähig ist oder ob sie mit flüssigem
oder Festtreibstoff angetrieben werden soll, können wichtige strategische Folgen haben.
Mit Blick auf ihre Verantwortung für andere Bereiche und der Erfordernis, die Ausfüh-
rung ihrer Beschlüsse zu verfolgen, wäre es für die Mitglieder des Politbüros unmög-
lich, allen Aspekten bei solchen Fragen im Detail nachzugehen."132
Um das mit Rüstungspolitik verbundene komplexe Entscheidungsgefüge über sol-
che Angelegenheiten wie Grundlagenforschung, die verschiedenen Stufen militäri-
scher Forschung undEntwicklung, Serienproduktion, Streitkräftestrukturen etc. zu
bewältigen und in den Griff zu bekommen, muß das Politbüro daher vieles delegie-
ren. Dies bedeutet zugleich ein vermehrtes Öffnen von Einflußkanälen für Interes-
sen der am Waffenbeschaffungsprozeß beteiligten Akteure. Unterhalb der Ebene
des Politbüros existiert eine komplexe Organisationsstruktur, die den bürokrati-
schen Apparaten prinzipiell einen Einfluß auf die Richtung und Ausgestaltung von
Rüstungsprogrammen eröffnet. Das Politbüro wird sich im Rahmen solcher Ent-
scheidungsstrukturen vermutlich darauf konzentrieren, die allgemeinen rüstungs-
politischen Zielsetzungen festzulegen und die wichtigsten Programme näher zu
überwachen, und nur direkt bei den anderen Waffenprojekten eingreifen, wenn es
als absolut notwendig erscheint. Alexander entwirft folgende plausibel erscheinen-
de Skizze der Struktur des Entscheidungsprozesses im Politbüro über Rüstungspro-
gramme:
,,Man könnte sich vorstellen, daß es einen Prozeß routinemäßiger Zustimmung zu den
meisten Vorgängen gibt, daneben eingehendere Erörterungen zu den kostspieligsten
oder politisch heikelsten Projekten, und Wiedervorlagen bei jenen Projekten, die zu Ko-
stenüberschreitungen führen, die zuvor per Abstimmung beschlossene Pläne und Baus-
haltsansätze durcheinander bringen würden. Aus diesen Punkten lassen sich zwei
Schlußfolgerungen ziehen: (1) Die größte Aufmerksamkeit dürfte den politischen
Aspekten des Haushalts und der Verteilung von Anteilen gelten; (2) die internationale
Politik konzentriert die Aufmerksamkeit auf eine wichtige Teilmenge von strategischen
und anderen Waffen; (3) die meisten Programminhalte werden von Bürokraten und
Technikern vorgegeben. Inhalt und Kosten der sehr aufwendigen Hauptprojekte können
jedoch nicht außer Acht gelassen werden, da sie die internen Abläufe des Prozesses der
Haushaltsfestlegung direkt tangieren."133
Trotz der wahrscheinlichen Delegation eines größeren Teils von Entscheidungsver-
antwortung über mehr technische Belange an Bürokraten und Techniker weist Ale-
xander darauf hin, daß das Politbüro gelegentlich Entscheidungen zwischen ver-
schiedenen rüstungspolitischen Alternativen treffen muß. In einem solchen Fall
könnten z.B. einzelne Politbüro-Mitglieder gezielt die Kooperation mit solchen
Segmenten der Bürokratie suchen, die nicht direkt in das zur Diskussion stehende
Entwicklungs- oder Beschaffungsvorhaben involviert sind und daher eine nicht so
stark interessengebundene Expertise bereitstellen könnten:
"Angesichts der erheblichen Autorität der einzelnen Mitglieder des Politbüros scheint
es möglich, daß diese sich mit Teilen der Bürokratie verbünden (zum Beispiel mit einer
Teilstreitkraft oder einem Forschungsinstitut), und so unabhängige Politikanalysen be-
kommen."134

132 Richelson 1982, S. 14


133 Alexander 1978a, S. 9/10
134 Alexander 1978a, S. 10
170 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Diese starke Verregulierung und Verbürokratisierung des Entscheidungsprozesses


erschwert zugleich die Möglichkeiten für einzelne Personen, die vorgezeichneten
Kanäle der Entscheidungsprozeduren zu umgehen, was offensichtlich unter Stalin
und Chruschtschow noch möglich war. Ein prominenter Fall ist z.B. der Flugzeug-
konstrukteur Alexander Jakowlew, der sich mit innovativen Konstruktionsideen
verschiedentlich direkt an Stalin wandte, da er befürchtete, daß seine Vorschläge
ansonsten in den konservativ eingestellten Bürokratien hängen geblieben wären
(vgl. näher Kapitell).
Abschließend läßt sich festhalten, daß die politische Führung die Entschei-
dungsstrukturen und -prozeduren für die Rüstungspolitik so auszugestalten sucht,
daß ihr ein Höchstmaß an Kontrolle und Überwachung sichergestellt ist. Ellen zieht
daraus folgende Schlußfolgerungen:
"Das hohe Maß an Zentralisation bewirkt, daß die Regierungsbürokratie, welche die mi-
litärischen Entscheidungen der Partei ausführt, auf Veränderungen in der Politik der
Führungsspitze weitaus empfmdlicher reagiert als in Bereichen von geringerer Priorität
und niedrigerem Zentralisierungsgrad ... Die vielfältigen, einander überdeckenden
Überwachungsstrukturen sind bewußt so angelegt, daß sie der Führungsspitze eine recht
detaillierte Prüfung der militärischen Investitionsprogramme gestatten, und daß sie in
Vorrangbereichen die Beachtung militärischer Anforderungen bei der Waffenentwick-
lung und -produktion verstärken. Solch eine intensive Beachtung auf höchster Ebene
hat die Wirkung, daß Ansprüche und Druckversuche von dritter Seite abgeschwächt
werden, da finanzielle und technische Ressourcen konzentriert werden, um höchsten
Ansprüchen zu genügen. Die hohe Priorität, welche die Sowjetführung Rüstungspro-
grammen einräumt, hat eine damit zusammenhängende Minderung von Organisations-
und Planungsmängeln zur Folge."135
Diese Einschätzung ist allgemein sicherlich zutreffend. Das Gewicht des Einflus-
ses bürokratischer Interessen des Militärs und der rüstungsindustriellen Ministerien
ist jedoch als Faktor bei Entscheidungen des Politbüros über Waffenprogramme
höher anzusetzen, als Ellen dies tut. Ausführlicher wird dieser Aspekt in dem nach-
folgenden Abschnitt über die sowjetische Rüstungsindustrie als Interessengruppe
im politischen Entscheidungsprozeß erörtert.
Zu relativieren bleibt auch die Bewertung von Ellen, die hohe Priorität, welche
die politische Führung dem Rüstungssektor beimißt, habe dort zu einer entspre-
chenden Verminderung von Ineffizienzen bei Organisation und Management ge-
führt. Vielmehr gibt es Anzeichen dafür, daß zumindest einige Branchen der so-
wjetischen Rüstungsindustrie im Vergleich zur Zivilindustrie nicht deutlich effi-
zienter arbeiten,136 Das deutet Grenzen für die politische Führung an, ihre Zielvor-
gaben trotz der hohen Priorität gegenüber den rüstungsindustriellen Ministerialbü-
rokratien wirksam durchzusetzen und zu überwachen.

135 Jones 1984, S. 130/131


136 Vgl. näher Sehröder 1987, S. 613/614
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 171

4.2 Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie


als bürokratische Interessengruppe

Die nachfolgenden Erörterungen stützen sich auf die Prämisse, daß das politische
System der UdSSR nicht durch die Herrschaft einer einheitlichen Machtelite cha-
rakterisiert ist, sondern vielmehr durch Interaktionsprozesse zwischen verschiede-
nen Eliten sowohl untereinander als auch mit anderen Gruppen. Anstatt die sowje-
tische Partei- und Staatsbürokratie als monolithischen Akteur anzusehen, ist es re-
alitätsangemessener, beide als einen Apparat und eine Struktur zu begreifen, über
die Interessen artikuliert, aggregiert und verbindlich umgesetzt werden. Skilling/
Griffiths haben überzeugend dargelegt, daß bei der Analyse des sowjetischen Ge-
sellschaftssystems Gruppeninteressen und Gruppenkonflikte nicht ausgeschlossen
werden können (vgl. für eine ausführliche Erörterung des Interessengruppenansat-
zes und seiner Varianten Kapitel8).137
Das sich seit dem TodeStalins herausbildende politische System der Sowjet-
union zeichnet sich durch eine Ausweitung der Teilhabe von Akteuren am Herr-
schaftsprozeß (Diffusion of Power) aus. Es kann durchaus mit dem von Rough ein-
geführten Begriff "institutioneller Pluralismus"138 in dem Sinne gekennzeichnet
werden, daß politische Entscheidungen nunmehr durch den Wettbewerb verschie-
dener bürokratischer Institutionen und Interessen innerhalb des Partei- und Staats-
apparates mitbestimmt werden. Zwar liegt einer derartigen Betrachtungsweise im-
plizit die zentrale Prämisse zugrunde, daß das politische System der UdSSR in
ähnlicher Weise funktioniert wie das westlicher Industriegesellschaften. Jedoch
sind bedeutungsvolle Unterschiede zu dem Pluralismus von Gruppen in westlichen
demokratisch geprägten Gesellschaften zu beachten. Divergenzen bestehen hin-
sichtlich des Ausmasses an Unterdrückung politischer Forderungen, der Möglich-
keiten formaler Organisationen von politischen Interessengruppen oder des Grades
an Durchdringung der gesellschaftlichen Lebensbereiche seitens des Staates. Dar-
über hinaus bleibt "institutioneller Pluralismus" wie jede andere Form von Plura-
lismus unvollkommen, da in der politischen Realität einige Institutionen oder
Gruppen über mehr Macht verfügen als andere. Dieser Sachverhalt trifft für die
Sowjetunion besonders ausgeprägt zu.
Im politischen System der UdSSR nehmen das Militär und die Rüstungsindu-
strie eine deutlich privilegiertere und damit auch mächtigere Position ein als ande-
re Institutionen, weil die politische Führung der militärischen Basis ihrer Macht
eine hohe Priorität eingeräumt hat. Jedoch gibt es seit dem Führungswechsel zu
Gorbatschow starke Anzeichen für eine Verschiebung der bislang herrschenden
Prioritäten. Geht man davon das, daß der Prozeß politischer Entscheidungsfindung
und Implementation trotz hoher Zentralisation in Fragen der Militär- und Rü-
stungspolitik Einflußmöglichkeiten von Interessenvertretern der Rüstungsindustrie
prinzipiell nicht ausschließt, dann stellt sich die Frage, über welche Möglichkeiten
oder Fähigkeiten die sowjetische Rüstungsindustrie als bürokratische Interessen-
gruppe verfügt, Entscheidungen und deren Durchführung zu verhindern, denen sie
ablehnend gegenübersteht, oder gar selber Programme konträr zu den Interessen

137 Vgl. Skilling/Griffiths 1974


137 Vgl. Skilling/Griffiths 1974
138 Vgl. Rough 1983
172 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

anderer Akteure durchzusetzen. Kurz gesagt, wie konstitutiert sich die sowjetische
Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe und in welchen Bereichen
liegen ihre prinzipiellen Einflußmöglichkeiten?
Eine Behandlung der sowjetischen Rüstungsindustrie als Interessengruppe be-
rührt zwangsläufig die weitere Frage, ob in der UdSSR nicht in vergleichbarer
Weise ein ,,Militärisch-Industrieller-Komplex" existiert, wie er von auswärtigen
Analytikern in kapitalistischen Industriestaaten gesehen wird. Eine Beantwortung
dieser Frage setzt Abklärungen voraus, ob die Interessen der sowjetischen Rü-
stungsindustrie parallel oder weitgehend kongruent zu denen des sowjetischen Mi-
litärs verlaufen, ob die Rüstungsindustrie aus der spezifischen Gütemachfrage des
Militärs besondere Vorteile zieht und ob sie, im Fall eines positiven Befunds für
die erstgenannten beiden Aspekte, mit dem Militär zusammenarbeitet, um die poli-
tische Entscheidungsfmdung auf den verschiedenen Ebenen zu beeinflussen.
Jegliche Erörterung von Interessengruppenaktivitäten und Einflußnahmeversu-
chen im sensitiven Bereich der Militär- und Rüstungspolitik für die UdSSR steht
unweigerlich vor dem Problem der recht spärlichen Informations- und Datengrund-
lage. Diese Restrikion läßt sich deutlich daran ablesen, daß in der westlichen Lite-
ratur nur eine Handvoll von Abhandlungen aufzufinden sind, die sich detaillierter
mit der sowjetischen Rüstungsindustrie als Interessengruppe oder ,,Pressure
Group" beschäftigen.l39 Holloway beschreibt das empirische Problem für den aus-
wärtigen Analytiker näher: Zwar ist im Westen einiges über den institutionellen
und organisatorischen Aufbau für den Bereich rüstungspolitischer Entscheidungs-
tindung in der UdSSR bekannt, doch sind es gerade die informellen Allianzen und
das Netzwerk persönlicher Beziehungen, die sich größtenteils der Kenntnis des
Analytikers entziehen. Diese informellen Aktivitäten und Beziehungen spielen
Holloways Einschätzung zufolge in Anbetracht bisheriger Kenntnisse über histori-
sche Abläufe eine gleichgewichtige Rolle, auch wenn unter Breschnew der politi-
sche Entscheidungsprozeß sichtlich formalisierter und institutionalisierter gestaltet
worden ist als unter Stalin und Chruschtschow.l40
Mitglieder der politischen Elite lancieren bei ihrem Aufstieg in den inneren
Machtzirkel eine Reihe von "Klienten" auf wichtige Positionen. Dabei handelt es
sich in der Regel um Personen, die vor ihrem Aufstieg dem jeweiligen "Patron"
schon länger persönlich bekannt sind. Beispiele für solche ,,Patron-Klient"-Bezie-
hungen sind die Dnepropetrowsk-Gruppe von Breschnew oder der Stawropol-
Kreis von Gorbatschow. Solchen Personen dürfte jederzeit ein direkter informeller
Zugangskanal offenstehen, falls sie politische Unterstützung benötigen, auch wenn
sie oft nicht direkt für ihren Patron arbeiten. Informelle Beziehungen können sich
auch aus längeren Arbeitsbeziehungen in der Vergangenheit ergeben. Denkbar ist
z.B., daß ein führender Rüstungsingenieur eine nähere Bekanntschaft mit Bresch-
new während dessen Funktion als ZK-Sekretär für die Rüstungsindustrie entwik-
kelt haben könnte, die später den informellen Zugang zum Generalsekretär erleich-
tert hat.
Zwischen den formalen Entscheidungsstrukturen und den informellen Bezie-
hungen sind Wechselbeziehungen möglich, an deren einem Pol Personen mit Fach-

139 Vgl. Aspaturian 1975; McDonnell1975; Spielmann 1976; Spielmann 1978; Holloway
1983b
140 Vgl. Holloway 1979, S. 26
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 173

wissen und -kompetenzen stehen, die für die politischen Entscheidungsträger von
großer Bedeutung sind. Unter Breschnew wurde eine stärker wissenschaftlich be-
gründete Form der Entscheidungsfindung gefördert, die professionellem Experten-
turn größeres Gewicht einräumt. Auch in der UdSSR ist die politische Führungseli-
te zunehmend gezwungen, ihren Herrschaftsanspruch über die Resultate ihrer Poli-
tik, insbesondere im ökonomischen Bereich, gegenüber der Bevölkerung zu legiti-
mieren. Die zunehmend komplexer gewordenen Strukturen des sowjetischen Ge-
sellschaftssystems lassen die Annahme unrealistisch erscheinen, die Kontrolle über
einige wenige Schlüsselentscheidungen reiche zur Absicherung von Herrschaft
aus. Eine politische Legitimation sichemde Entscheidungsfindung setzt Kompe-
tenz, Fachwissen und die Erörterung möglicher Alternativen voraus, alles Fähig-
keiten, über die nur Spezialisten verfügen.
Führende Wissenschaftler oder Ingenieure in der UdSSR haben etwa bei Ent-
scheidungen über rüstungs- oder rüstungskontrollpolitische Probleme als Speziali-
sten eine sichtbar gewichtige Rolle gespielt. Diese Personen haben offenbar so-
wohl auf formellem Wege als auch auf informeller Basis direkten Zugang zu den
wichtigsten politischen Entscheidungsträgem, sind jedoch selbst in der Regel nicht
Mitglieder der obersten Organe der Partei. Von der politischen Führungselite wird
ihr Rat gesucht, weil die Empfehlungen solcher Spezialisten nicht zwangsläufig an
die institutionelle Perspektive z.B. des Verteidigungsministeriums oder eines Mini-
steriums der rüstungsindustriellen Gruppe gebunden sind. Ein markantes Beispiel
für derartig politisch bedeutende Spezialisten gibt der Konstrukteur S.P.Koroljew
(vgl. Kapitel 1.4). Seine Stellung als herausragender Konstrukteur verschaffte ihm
als kompetenten Ratgeber direkten Zugang zu Chruschtschow und auch zu Bresch-
new.141
Als Ausgangspunkt für eine Interessengruppenanalyse läßt sich festhalten, daß
in der UdSSR die Organisation und Vermittlung von Interessen größeren Be-
schränkungen unterworfen ist als in liberal-demokratischen Systemen. Daher ist
der Prozeß politischer Interessengruppenaktivitäten im sowjetischen System ver-
schwiegener, informell weniger organisiert und fmdet gewöhnlich hinter geschlos-
senen Türen innerhalb der Bürokratie statt. Jeder Versuch, außerhalb des offiziell
zugelassenen Rahmens offen Interessen zu organisieren und zu aggregieren, die
über die Formulierung einer alternativen Politik direkt die politische Autorität der
Führung (Partei) angreifen, würde bislang zwangsläufig schwere Sanktionen nach
sich ziehen, wie es die Geschichte des Sowjetstaats oft genug gezeigt hat.

4.2.1 Akteure, Interessen und Einflußmöglichkeiten

Eine Analyse der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengrup-


pe erfordert drei Schritte: erstens ist zu klären, wie die Gruppenstruktur beschaffen
ist, zweitens ist eine Definition und Spezifizierung derjenigen Sichtweisen, Ziele
und Prioritäten notwendig, welche die Gruppe einigen und zur Artikulierung politi-
scher Ansprüche an oder politischen Interventionen im System führen, und drittens
sind die prinzipiellen Ebenen und Möglichkeiten einer Einflußnahme im politi-
schen Entscheidungsprozeß zu betrachten.

141 Vgl. Holloway 1982b, S. 395,407


174 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Die sowjetische Rüstungsindustrie setzt sich aus drei primären Sub-Gruppen


zusammen:
- die Ministerien (Minister/Ministerialbürokratie) der rüstungsindustriellen Grup-
pe,
- Konstrukteure und Wissenschaftler, die mit Rüstungsforschung und -entwick-
lung befaßt sind und
- Manager oder Direktoren sowie anderes Führungspersonal von Rüstungsbetrie-
ben.
Wie die übrigen Institutionen in der sowjetischen Wirtschaft verfolgt auch die Rü-
stungsindustrie allgemein die Ziele, die Zuweisungen für Arbeitskräfte, Kapital
und Rohstoffe zu maximieren, die Plankennziffern für den Produktionsausstoß so
niedrig wie möglich zu halten sowie eine größere Handlungsautonomie zu erhal-
ten. Jedoch stellt die sowjetische Rüstungsindustrie nicht a priori eine homogen
agierende Interessengruppe dar. Die Ministerien, Waffenkonstrukteure und Mana-
ger der Rüstungsbetriebe haben sich höchstwahrscheinlich eine jeweils eigene spe-
zifisch berufsbezogene und sektoral bestimmte Sichtweise angeeignet, auf deren
Grundlage sie Programme initiieren oder unterstützen oder sie als in ihrem Interes-
se liegend sehen. Daher sind Interessengruppenaktivitäten und somit Konflikte
über Ziele und Prioritäten zwischen den verschiedenen Gruppensegmenten der so-
wjetischen Rüstungsindustrie nicht auszuschließen. So konkurrieren die einzelnen
Ministerien der rüstungsindustriellen Gruppe zweifelsohne untereinander um Zu-
ständigkeiten und eine höhere Ressourcenallokation. Denkbar ist weiter, daß sich
das Interesse eines Waffenkonstrukteurs an einem bestimmten Rüstungsvorhaben
nicht ohne weiteres mit den Präferenzen seiner ihm übergeordneten Ministerialbü-
rokratie decken muß.
Die Art und Weise der Einflußnahme auf Entscheidungen kann prinzipiell in
zwei Richtungen verlaufen: sie kann auf die Durchsetzung von Entscheidungen
zielen (z.B. durch verdeckten Lobbyismus) oder auf die Verzögerung oder gar
Verhinderung von Entscheidungen ausgerichtet sein (z.B. durch aktive Opposition
bei der Politikformulierung oder durch passiven Widerstand während der Imple-
mentation einer bereits getroffenen Entscheidung). Neben der Beachtung der Ent-
scheidungsprozesse, d.h. der typischen organisatorischen Ablaufmuster von Ent-
scheidungen in einem gegebenen System, ist es für eine Analyse bürokratischer In-
teressengruppenpolitik hilfreich, die Entscheidungsebenen zu differenzieren. Prin-
zipiell sind drei hauptsächliche Ebenen vorhanden, auf denen die sowjetische Rü-
stungsindustrie als Interessengruppe Einflußversuche nehmen könnte:
- die politische Entscheidungsebene, welche die Politikformulierung in den ober-
sten Organen des Partei- und Staatsapparates umfaßt;
- die Ebene der Implementation, auf der es um strategische Entscheidungen über
Pläne oder Vorgehensweisen geht, wie die von der Politik gemachten Vorgaben
optimal umzusetzen sind;
- technische Entscheidungen, bei denen es primär um die Wahl zwischen ver-
schiedenen technischen Alternativen oder Problemlösungsansätzen geht.
Diese Differenzierung ist wichtig, weil der potentielle Grad von Einflußnahme ei-
nes Akteurs mit den unterschiedlichen Stufen des Entscheidungsprozesses und den
damit verbundenen Ebenen variiert. So dürfte z.B. der Direktor eines Rüstungsbe-
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 175

triebs kaum einen direkten Einfluß auf die Entscheidungsfindung über Rüstungs-
programme auf der obersten politischen Ebene haben, jedoch könnte er sehr wohl
Einfluß hinsichtlich der Implementierung einer Entscheidung über die Produktion
eines bestimmten Waffensystems ausüben. Im Politbüro könnte zwar ein allgemei-
nes Interesse an Entscheidungen über die Implementation seiner Direktiven auf der
Produktionsebene vorhanden sein, doch wird eine direkte Intervention in diesen
Bereich nur unter besonderen Umständen erfolgen, z.B. bei Produktionsschwierig-
keiten eines für die nationale Sicherheit als wichtig erachteten Rüstungspro-
gramms.142

4.2.2 Das rüstungsindustrielle Ministerium

Die wichtigste und in der Hierarchie oben stehende Sub-Gruppe innerhalb der so-
wjetischen Rüstungsindustrie sind das Führungs- und Verwaltungspersonal der
neun verschiedenen Ministerien, die zur rüstungsindustriellen Gruppe gerechnet
werden. Diese Personen sind verantwortlich für die Koordination der Arbeit der
ihnen unterstehenden Rüstungsbetriebsdirektoren und Waffenkonstrukteure sowie
die Sicherstellung der Finanzierung für die über das Ministerium abgewickelte
Forschung, Entwicklung und Produktion. Sie bestimmen die "Verhandlungspoli-
tik" des Ministeriums und vertreten es nach außen gegenüber ihrem wichtigsten
Kunden (dem Militär), GOSPLAN sowie den übergeordneten Institutionen (Mini-
sterrat und Politbüro). Wie die beiden anderen Sub-Gruppen werden auch der Mi-
nister und die ihm unterstehende Ministerialbürokratie nach mehr Ressourcenzu-
weisungen und größerer Autonomie streben.

Institutionelle Position des Ministeriums


Nach Ansicht westlicher Analytiker ist das Ministerium wahrscheinlich die mäch-
tigste administrative Körperschaft und damit gleichzeitig auch ein potentiell be-
deutender politischer Akteur. Dies gilt in besonderem Maße für die sowjetischen
industriellen Ministerien. Letztere sind mit bewußter Absicht als mächtige Organe
eingerichtet worden, weil die Konzentration von Ressourcen und Zuständigkeiten
in ihren Händen als ein wichtiger Faktor für die schnelle Industrialisierung und Er-
richtung einer modernen Produktionsbasis für Rüstungsgüter der UdSSR erachtet
wurde, welche dem jungen Sowjetstaat das Überleben in einer feindlich eingestell-
ten internationalen Umwelt garantieren sollte. Die Einzelstudien bestätigen diese
These.
Gegen Ende der 50er Jahre sind die Ministerien der politischen Führung wohl
zu mächtig geworden. Mit seinen auf eine regionale Dezentralisierung zielenden
Wirtschaftsreformen versuchte Chruschtschow, die Macht der ministeriellen Büro-
kratien zu deutlich zu reduzieren. Zwar wurden nach Chruschtschows Sturz diese
Ministerien wieder eingerichtet, aber die neue Führung versuchte, über eine Reihe

142 Vgl. zu ausführlicheren methodologischen Erörterungen bezüglich der Analyse von


Entscheidungen in der UdSSR speziell für den Bereich von Sicherheits-, Militär- und
Rüstungspolitik Meyer 1984 und Potter 1984
176 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

von kontinuierlichen Reformen die wachsende Macht der Ministerien zu beschrän-


ken.143
Institutionell gesehen besitzen die industriellen Ministerien nicht nur viel
Macht in den Beziehungen zu den ihnen unterstellten Einrichtungen, sondern sie
befinden sich auch in einer starken Position gegenüber den übergeordneten Staats-
und Parteiorganen. Sie verfügen über die organisatorische Erfahrung und das ent-
sprechende ,,know how" für die ihrer Zuständigkeit unterstehenden Produktionsbe-
reiche und sind zugleich diejenigen Institutionen, die legal für die Ausführung der
Pläne verantwortlich sind. Die potentiell einflußreiche Stellung der industriellen
Ministerien im politischen System der UdSSR charakterisiert Lane folgender-
maßen:
"Die Industrieministerien verfügen über eigene Befehlsstränge. Sie haben spezifische
Aufgaben zu erfüllen, an denen die Kriterien für ihren Erfolg gebildet werden. Um ih-
ren Arbeitswillen aufrecht zu erhalten und die Leistung zu verbessern, muß den Mini-
sterien und im wachsenden Maße auch den Betrieben beträchtliche Unabhängigkeit zu-
gestanden werden. Thre spezialisierte technische Expertise verleiht ihnen gegenüber rein
,politischen' Interessenträgern (etwa Parteisekretären), die in anderen Strukturen veror-
tet sind, eine starke Position. Auf der höchsten Politikebene sehen sich die Ministerien
den spezialisierten Stäben des ZK gegenüber, deren Stimme wahrscheinlich erhebliches
Gewicht bei der abschließenden Formulierung der Politik hat ... In der Artikulation
ihrer Eigeninteressen und in der Planausführung sind die Ministerien aller W ahrschein-
lichkeit nach von Parteieinflüssen sehr unabhängig. Auch muß die Führungsspitze auf-
grund von Informationen und Vorschlägen handeln, die ihr von den Ministerien vorge-
legt werden."144
Insbesondere der von Lane betonte letzte Aspekt, die Kontrolle über ein Großteil
der Informationen und Daten, die als Input für eine begründete Entscheidung und
effiziente Planerstellung benötigt werden, stellt einen wichtigen Faktor in der Stel-
lung des Ministeriums gegenüber GOSPLAN und der politischen Führung dar.
Ein anderer Indikator für die Machtstellung der Ministerien ist deren Einfluß
auf die Implementierung einer Entscheidung. Zwietracht zwischen Abteilungen in-
nerhalb eines Ministeriums oder Konflikte zwischen einzelnen Ministerien selber
haben Berichten zufolge häufiger die Durchftihrung eines Projekts regelrecht para-
lysiert. Dies kann soweit gehen, daß z.B. der Bau neuer Produktionsstätten 15 Jah-
re lang verzögert wird.l45
Ein weiteres Beispiel für den Einfluß der Ministerien sind die "objedinenie"-
Reformen, deren erfolgreiche Implementierung sie einem gemeinsamen Interesse
folgend offensichtlich über Jahre hinaus blockiert haben. Diese Reformen zielen
auf die Verschmelzung einzelner Produktionseinrichtungen und auch Forschungs-
stätten in größere industrielle Forschungs- und Produktionsvereinigungen, die zu-
gleich die entsprechenden Hauptabteilungen in den Ministerien ersetzen. Von den
Reformen erhoffte sich die Partei- und Staatsführung eine Beschränkung der
,,kleinlichen Bevormundung" seitens der Ministerien über die ihnen unterstellten
Einrichtungen, die als ein Hindernis für das Ziel einer effizienteren Verbindung
von Forschung und Produktion zum Zweck der Produktivitätssteigerung galt. Wie
zu erwarten war, stieß eine derartige Abgabe von Zuständigkeiten auf wenigEn-

143 Vgl. ausführlicherNove 1980, Kap.3


144 Lane1985,S.227
145 Vgl. Gorlin 1985
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 177

thusiasmus der Ministerien. Hintertrieben wurden die Reformen von den Ministe-
rien z.B. dadurch, daß ministerielle Hauptabteilungen schlicht in All-Unions "obje-
dinenija" umbenannt und mit demselben Personal wie zuvor weitergeführt wur-
den,l46
Allerdings ist zu beachten, daß die neun zum Kern der Rüstungsindustrie ge-
zählten Ministerien einer wesentlich stärkeren politischen Kontrolle unterliegen als
die übrigen Ministerien. Behindern Konflikte zwischen Abteilungen oder Ministe-
rien die Durchführung eines wichtigen Rüstungsprogramms oder einer rüstungs-
technologischer Innovation, dann hat die sowjetische Führung des öfteren selber
massiv direkt interveniert, um in einer Art organisatorischer Schockbehandlung die
vorhandenen institutionellen Barrieren zu beseitigen,147
Aufgrund der hohen politischen Priorität von Rüstung und der daraus resultie-
renden Bereitschaft der Führung, auch direkt in die Belange der rüstungsindustriel-
len Ministerien einzugreifen, dürften die Einflußmöglichkeiten letzterer, die
Durchführung von Entscheidungen des Ministerrats und Politbüros zu verzögern
oder zu blockieren, beschränkt sein. Ein möglicher Beleg für die größere Begren-
zung ministeriellen Einflusses im Rüstungssektor durch vermehrte Interventionen
"von oben" sind die Forschungs- und Produktionsvereinigungen. Wie erwähnt ist
die Schaffung solcher Einrichtungen aufgrund der ministeriellen Blockaden bis-
lang ein recht langsam voranschreitender Prozeß gewesen: seit 1973 sind lediglich
rund 300 solcher Vereinigungen gegründet worden. Angaben des amerikanischen
Geheimdienstes DIA zufolge soll jedoch die sowjetische Rüstungsindustrie eine
führende Stellung bei dem Aufbau von "Wissenschaftlichen Produktionsvereini-
gungen" einnehmen. Als äußerst erfolgreiches Beispiel wird das NPO Positron in
Leningrad des Ministeriums für Elektronikindustrie erwähnt. Die Zeitspanne der
Nutzbarmachung von Forschungsergebnissen für die Produktion soll sich im Rü-
stungssektor durch den Abbau bürokratischer Hindernisse mit Hilfe solcher Verei-
nigungen erheblich verbessert haben,l48 Augenscheinlich ist die politische Füh-
rung in der Lage, im Rüstungsproduktionssektor den ministeriellen Einfluß bei der
Implementation von Entscheidungen zu begrenzen.
Ein wichtiges Merkmal für das Potential der Rüstungsindustrie als bürokrati-
sche Interessengruppe ist die bemerkenswerte organisatorische Kontinuität ihres
ministeriellen Verwaltungsapparates:
"Seit Ende der dreißiger Jahre, als eine eigene Gruppe von Rüstungswerken und sie un-
terstützenden Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen geschaffen wurde, zeigen
diese Betriebe die Tendenz, trotz aller industriellen Umstellungen einschließlich der
wirtschaftlichen Dezentralisierung der Periode 1957-65 ihre zentralisierte oder ,vertika-
le' Organisationsstruktur beizubehalten. Im Ergebnis sind die grundsätzlichen Gruppie-
rungen der Betriebe und die ministeriellen Weisungssträngetrotz des Wachstums und
der Veränderungen im Rüstungssektor relativ stabiler als in anderen Wirtschaftssekto-
ren geblieben."149

146 Vgl. ausführlicherNove 1980, S. 81-87; Gorlin 1985


147 Vgl. Holloway 1982a, S. 343/344; Kaldor 1981, S. 94
148 Vgl. U.S. CIA 1986, S. 21
149 Wolfe 1973, S. 37
178 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Minister und Ministerialbürokratie


Eine Erörterung des möglichen Einflusses der rüstungsindustriellen Ministerien
setzt voraus, die Personen und das Ausmaß ihrer gemeinsamen Sichtweisen, Werte
und Interessen zu betrachten, welche die Grundlagen für eine Interessengruppen-
politik bilden. Aufgrund der bislang restriktiven Informationspolitik in der UdSSR
sind häufig nur Einzelheiten über den Minister und partiell seine Stellvertreter be-
kannt, die durch eine "gesichts- und namenslose" Bürokratie unterstützt werden.
Diese an der Spitze eines Ministeriums stehenden Individuen sind speziell ausge-
suchte Männer und Frauen (in den primär für die Rüstungsproduktion zuständigen
Ministerien sind in der obersten Hierarchie augenscheinlich keine Frauen zu fin-
den), die die politischen Direktiven der obersten Partei- und Staatsorgane erfüllen
und umsetzen sollen. Stärker als im Westen ist die politische Führung bei der Aus-
wahl der Minister und seiner Stellvertreter offensichtlich auf Fachkompetenz be-
dacht und zieht die Minister in höherem Grade zur persönlichen Verantwortung für
die Aktivitäten ihres Ministeriums heran. Andererseits werden Minister und ihre
Stellvertreter zur Erfüllung der Aufgaben in ihrem Zuständigkeitsbereich anschei-
nend mit einem beträchtlichen Maß an Autorität und Handlungsautonomie ausge-
stattet.
Die in einem Ministerium tätigen Personen sind nicht nur passive Beobachter
der Politikformulierung und der Implementation ihrer Resultate, sondern eignen
sich im Verlauf ihrer Tätigkeit spezifische organisations-gebundene Sichtweisen
und Interessen an. Die insbesondere im sowjetischen System starke Bürokratisie-
rung der Administration verstärkt solche Tendenzen und führt darüber zur Etablie-
rung spezieller Formen von Machtbeziehungen, in denen die politische Führung
gewöhnlich als "Laie" dem mit Fachwissen ausgestatteten Minister als einem in
der Verwaltung verankerten Experten gegenübertritt.
Die Entwicklung des ministeriellen Managements der sowjetischen Rüstungs-
industrie läßt sich in drei Phasen einteilen. Die Zusammensetzung und Beschaffen-
heit der Gruppe der Minister und ihrer Stellvertreter weist für die ersten beiden
Phasen spezifische Merkmale und Unterschiede auf.
In der Phase von Mitte der 30er bis Mitte der 50er Jahre war die Leitung und
Verwaltung der sowjetischen Rüstungsindustrie gekennzeichnet durch einen
Wechsel des Führungspersonals zwischen zivilen und rüstungsindustriellen Mini-
sterien. Dieses Personal-"Karussell" ist offenbar auf einen Mangel an qualifizier-
ten Industrie-Managern in der sowjetischen Ökonomie in dieser Zeit zurückzufüh-
ren, so daß geeignete Individuen jeweils in den kritischsten Bereichen eingesetzt
wurden. An den Karriereabläufen solcher Personen wie Malyschew, Transportin-
genieur und wichtigster Repräsentant der rüstungsindustriellen Führungscrew in
dieser Phase, oder Chrunitschow, Wannikow, Parsehin und Sawenjagin läßt sich
dieses Muster gut ablesen) SO Allerdings ist der Austausch der Minister in der Rü-
stungsindustrie auch durch die spezifischen Herrschaftspraktiken von Stalin beein-
flußt gewesen. So verschwand der erste Minister für Flugzeugbau, Kaganowitsch,
nach einer Ahmahnung durch die 18. Parteikonferenz spurlos. Über sein Schicksal
ist nichts Genaues bekannt. Der erste Rüstungsminister Wannikow wurde Anfang

150 Vgl. McDonnell 1975, S. 91 sowie die Biographien in Anhang B seines Aufsatzes;
vgl. auch die Biographien bei Morozow 1982, S. 203-214; vgl. auch den Abschnitt
über das Bombenprojekt
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 179

1941 schlicht für einige Monate inhaftiert, weil er sich mit Marschall Kulik über
die Notwendigkeit der Produktion von Granatwerfern gestritten hatte) 51 Zwar hat-
te die "Malyschew-Gruppe" nach Stalins Tod direkten Zugang zu wichtigen Ent-
scheidungsträgern, doch verlor sie diesen Einflußkana11957 größtenteils durch den
Tod von Gruppen-Mitgliedern und die politischen Führungskämpfe.152
Eine zweite Generation der rüstungsindustriellen Führungsmannschaft for-
mierte sich während der Zeit der Wirtschaftsreformen unter Chruschtschow. Des-
sen Experimente in dem Bereich der Wirtschaftsleitung eröffneten neue Positionen
für Personen, die über entsprechende Management-Erfahrungen verfügten. Die
nächste Generation von leitenden Rüstungsmanagern kann als "Ustinow-Gruppe"
bezeichnet werden, da zahlreiche Gruppenmitglieder im Ministerium für Rüstung
(später umbenannt in M. f. Verteidigungsproduktion) beschäftigt waren, welches
von 1941 bis 1957 von Ustinow geleitet worden war.
Ihren Aufstieg begann die "Ustinow-Gruppe" im Zusammenhang mit der Ein-
richtung der regionalen Wirtschaftsräte im Mai 1957. So wurden z.B. W.N. Nowi-
kow und K.M. Gerassimow, die leitende Funktionen (ersterer Vizeminister, letzte-
rer Chef einer Hauptabteilung) im Ministerium von Ustinow während des "Großen
Vaterländischen Krieges" und darüber hinaus einnahmen, Leiter der Wirtschaftsrä-
te für Leningrad und Gorki, zwei Gebiete, in denen sich Rüstungsbetriebe konzen-
trieren. Als ,,Patron" der "Ustinow-Gruppe" galt in den späten 50er und frühen
60er Jahren Frol R. Koslow, ein in die Parteiarbeit gewechselter Metallingenieur,
der 1961 als für die Aufsicht über die Rüstungsindustrie verantwortlicher ZK-Se-
kretär bestellt wurde. Diese Stellung hatte nach einem kurzen Zwischenspiel von
Ignatow zuvor Breschnew für mehrere Jahre innegehabt) 53
Die Mannschaft um Ustinow herum entwickelte sich zur kontinuierlichsten
und auch beharrlichsten Gruppe im sowjetischen Partei- und Staatsapparat. Partei-
und Regierungschefs wechselten, zahlreiche Parteisekretäre stiegen auf und fielen,
aber die leitenden Rüstungsindustrie-Manager blieben. Etliche Mitglieder der
Gruppe rückten auch in führende Wirtschaftspositionen im Staatsapparat auf.154
Ihr wichtigster Repräsentant, Ustinow, erreichte im Verlauf seiner Karriere als er-
ster Techniker 1976 das Amt des Verteidigungsministers und auch die Mitglied-
schaft im Politbüro.
Betrachtet man das ministerielle Management der sowjetischen Rüstungsindu-
strie für die zweite Phase, welche die Chruschtschow- und Breschnew-Ära sowie
die Zeit bis zum Übergang zu Gorbatschow umfaßt, dann fällt als ein hervorste-
chendes Merkmal die personelle Beständigkeit ihrer leitenden Administratoren auf.
Im Gegensatz zu ihren Kollegen in der Zivilwirtschaft weisen die Minister der Rü-
stungsindustrie während dieser Phase ungewöhnlich lange Amtsdauern auf. Mitte
der 70er Jahre betrug das durchschnittliche Alter der Minister in der Rüstungsindu-
strie 65 Jahre und die durchschnittliche Verweildauer auf den Posten überschritt 12
Jahre.155 Zwar war ab Mitte der 70er Jahre eine gewisse Verjüngung des Rü-

151 Vgl. Morozow 1982, S. 202


152 Vgl. ausführlicher McDonnell 1975, S. 95-98; vgl. auch den Abschnitt über Stalins
Rolle
153 vgl. ausführlicher McDonnell1975, S. 98-101
154 Vgl. ausführlicher McDonnell1975, S. 99-101
155 Vgl. McDonnell1975, S. 91
180 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

stungsmanagements aus biologischen Gründen unvermeidlich, doch blieb in der


Leitung und Verwaltung der Rüstungsindustrie die bemerkenswerte personelle
Kontinuität erhalten, da den ausgeschiedenen Ministern, die teilweise fast an ihren
Schreibtischen verstarben, in der Regel ihre Stellvertreter folgten.
In Jahreszahlen ausgedrückt stellt sich diese Stabilität folgendermaßen dar:
W.D. Kalmikow war über 20 Jahre bis zu seinem Tod im Jahre 1974 Minister für
Radioindustrie; S.A. Afanasjew war von 1965-1983 Minister für Allgemeinen Ma-
schinenbau; B.Je. Botoma leitete das Ministerium für Schiffbauindustrie fast 19
Jahre lang bis zu seinem Tod im Juli 1976, ihm folgte M. Jegorew, der seit 1958
sein stellvertretender Minister gewesen war; S.A. Swerew war bis zu seinem Able-
ben 16 Jahre lang Minister für Verteidigungsindustrie, P.W. Finogenew, sein Stell-
vertreter für 13 Jahre, übernahm dann sein Amt; P.W. Dementjew führte das Mini-
sterium für Flugzeugindustrie für 24 Jahre, bis er 1977 verstarb, seinen Posten be-
setzte bis zu seinem Tod im Februar 1981 W.A. Kasakow, dem wiederum sein
Stellvertreter Silajew nachfolgte; W.W. Bachirew steht immer noch an der Spitze
des Ministeriums für Maschinenbau seit dessen Gründung im Jahre 1968; gleiches
gilt für E.K. Perwyschin, der das 1974 neu geschaffene Ministerium für Fernmel-
degeräteindustrie als erster Minister bis heute noch leitet; die längsten Amtsdauern
in der Leitung der sowjetischen Rüstungsindustrie sind mit den Namen A.I. Scho-
kin, 25 Jahre lang Minister für Elektronikindustrie, und E.P. Slawski, der 29 (!)
Jahre dem Ministerium für Mittleren Maschinenbau vorstand, verbunden; da Scho-
kin als auch Slawski erst 1986 abgelöst worden sind, haben beide immerhin vier
bzw. fünf(!) Führungswechsel von Generalsekretären mitgemacht und überstan-
den.156
Im Gegensatz zu ersten Gruppe verlief die Karriere der meisten Minister und
ihrer Stellvertreter in dieser Periode innerhalb derselben Branche der Rüstungsin-
dustrie. Aus den Biographien dieser Personen läßt sich ein typisches Muster für
den Karriereablauf entnehmen. Auffallend ist, daß die Minister und ihre Stellver-
treter sich in der Regel nicht von den unteren oder mittleren Ebenen der bürokrati-
schen Hierarchie des Ministeriums an dessen Spitze hochgearbeitet haben. Viel-
mehr übernahmen sie ihre Positionen in einem der rüstungsindustriellen Ministe-
rien nach oft recht langen Karrieren in Betrieben oder Instituten ihrer Branche. Vor
ihrer Beförderung in ein Ministerium haben sie in einem typischen Verlaufsmuster
die Stelle eines Chefingenieurs oder Werksdirektors oder beides in Folge einge-
nommen (vgl. Tabelle 6). Einige der Minister der Rüstungsindustrie begannen bei
ihrem Wechsel ins Ministerium ihre Karriere dort mit der Zwischenposition des
Leiters einer Hauptverwaltung. Dieser Aspekt legt die Vermutung nahe, daß neben
den zu Ministerwürden aufgestiegenen Personen zumindest ein Teil des ministeri-
ellen Verwaltungspersonals in den oberen Rängen ähnliche Karriereabläufe auf-
weisen könnte) 57

156 Angaben nach U.S. CIA, National Foreign Assessment Center, Directory of Soviet
Officials: National Organizations, Ausgaben für die Jahre 1975, 1979 und 1981; U.S.
CIA 1986
157 Für ausführlichere Angaben hinsichtlich der Karriereabläufe der leitenden Rüstungs-
manager vgl. McDonnell1975, S. 116-121 und Morozow 1982, S. 203-214, 526/527
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 181

Tabelle 6:
Karriereverläufe von leitenden Rüstungsmanagern
Name Berufs- Partei- Chef- Werks- Ministerium
eintritt eintritt ingenieur direktor

Manasjew, S.A. 1941 1943 1941 1946


(Alter) (23) (25) (23) (28)
Bachirew, W.W. 1941 1951 <1941-60> 1960 1965
(25) (35) (49)
Butoma, B.Je. 1928 <1937- 1948> 1948
(21) (41)
Dementjew, P.W. 1931 1938 <1933- 1941> 1941
(24) (31) (34)
Finogenow, P.W. 1941 1943 <1953- 1960> 1965
(22) (24) (46)
Kalmykow, W.D. 1934 1942 <1934- 1939> 1949
(26) (34) (49)
Perwyschin, E.K. 1955 1959 <1957-69> 1969 1970
(23) (27) (37) (38)
Pleschakow, P.S. 1945 1944 <1945-64> 1964
(23) (22) (42)
Schokin, A.l. 1926 1936 1938 1949
(17) (27) (29) (40)
Silajew, L.S. 1954 1959 <1965-71> 1971 1974
(24) (28) (41) (44)
Slawski, Je.P. 1918 1918 <1933- 1940> 1945
(20) (20) (47)
Ustinow, D.F. 1927 1927 1937 1938 1941
(19) (19) (29) (30) (33)

Zusammengestellt nach: McDonnell1975, Anhang B; Morozow 1982, S. 203-214,


526/527; Lewytzkyi 1984; Rahr 1986a

Fast alle Mitglieder der rüstungsindustriellen Führungsmannschaft verfügen über


eine höhere technische Ausbildung, ein weiteres wichtiges Merkmal dieser Grup-
pe. Viele der leitenden Rüstungsmanager der zweiten Generation kamen - teilwei-
se vom gleichen Abschlußlehrgang des Jahres 1931- von der "Moskauer Techni-
sehen Höheren Lehranstalt", die in der UdSSR allgemein auch als "Baumanhoch-
schule" bekannt ist (Nikolai Bauman war ein 1905 in Moskau ermorderter Bol-
schewik deutscher Herkunft). Im Laufe der Zeit ist jedoch die Streuung der Ausbil-
dungsstätten für die Rüstungsmanager breiter geworden. Erstklassige technische
Hochschulen waren nunmehr auch in der Provinz eingerichtet worden)58 Aus die-
sem Sachverhalt kann man die Schlußfolgerung ziehen, daß die politische Führung
anscheinend ein Ingenieurstudium oder eine Ausbildung in technischen Wissen-

158 Vgl. Morozow 1982, S. 205 und 525


182 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

schaften in der Rüstungsindustrie als Qualifikationsvoraussetzung für die Beförde-


rung zum Chefmgenieur oder Werksdirektor betrachtet, die dann als ein erster Fil-
ter für den Aufstieg in ein Ministerium fungiert. Die nächsten Beförderungsstufen
im Ministerium verlaufen in der Regel über die Position des Leiters einer Haupt-
verwaltung und/oder eines Stellvertretenden Ministers, des Ersten Stellvertreten-
den Ministers hin zum Ministeramt selber.
Sämtliche Minister der Rüstungsindustrie dieser zweiten Phase haben zudem
die Position eines Vollmitglieds des ZK der Partei erreicht. Aber keiner von ihnen,
bis auf die einmalige Ausnahme von Ustinow, stieg in das Politbüro oder zum
Kandidaten auf. Dieser Sachverhalt steht in deutlichem Kontrast zu der Situation
zu Beginn der 50er Jahre, wo Ministerposten in der Rüstungsindustrie auch von
Politbüro-Mitgliedern, in diesem Fall M.G.Perwuchin und M.S.Saburow, bekleidet
wurden.
Die langen Amtsdauern der Minister und auch ihrer Stellvertreter in der Rü-
stungsindustrie sind nicht nur ein wichtiges Element für die Kontinuität in diesem
Wirtschaftssektor, sondern haben mit Sicherheit auch dazu beigetragen, ein Netz-
werk dauerhafter persönlicher Beziehungen entstehen zu lassen, welches vermut-
lich einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Verstärkung gemeinsamer In-
teressen der obersten Repräsentanten der Rüstungsindustrie ausgeübt hat. Diese
Gruppe professioneller und erfahrener Manager dürfte über ihre zweifelsohne in-
tensiveren persönlichen Beziehungen, die zumindest über die koordinierenden Sit-
zungen der Militärisch-Industriellen Kommission gegeben sind, mit den von jedem
Gruppenmitglied präferierten Mustern in der Organisation seines Zuständigkeits-
bereichs untereinander vertraut sein.
Die langen persönlichen Kontakte der rüstungsindustriellen Minister erstrek-
ken sich darüber hinaus auch auf ebenso dauerhafte Arbeitsbeziehungen mit den
für die Aufsicht über diesen Industriezweig zuständigen Hauptpersonen im Partei-
und Staatsapparat Diese sind wiederum aus der Gruppe von Rüstungsmanagern
rekrutiert worden. Vor seiner Ernennung zum Verteidigungsminister war von der
Parteiseite Ustinow zwischen 1965 und 1976 der für die Rüstungsindustrie verant-
wortliche ZK-Sekretär. L.W.Smimow, von 1961-1963 selber Minister für Verteidi-
gungsindustrie, kontrollierte zwischen 1963 und 1985 von der Staatsapparatseite
her als Leiter der Militärisch-Industriellen Kommission des Ministerrats diese In-
dustriebranche. Aufgrund mangelnder Evidenz sind diese informellen Beziehungen
der Minister untereinander als auch zwischen ihnen und ihren "Aufsehern" und der
daraus möglicherweise resultierende Einfluß jedoch kaum einzuschätzen und zu
gewichten.
Aus der geringen Rate der Amtswechsel in den ministeriellen Rängen der Rü-
stungsmanager läßt sich die Hypothese ableiten, daß die politische Führung deren
Fähigkeiten als kompetente Administratoren offenbar relativ hoch einschätzt. Für
den hohen Grad an in der Rüstungsindustrie vorhandenem professionellem Mana-
gerturn spricht auch, daß die Parteispitze diese Branche als ein nachzuahmendes
Modell für die übrige sowjetische Volkswirtschaft hingestellt hat. Auf dem 24.
Parteitag der KPdSU von 1971 erklärte Breschnew die Berücksichtigung des ho-
hen wissenschaftlich-technischen Niveaus der sowjetischen Rüstungsindustrie in
der sowie die Übertragung ihrer Erfahrungen und Erfmdungen auf die übrigen
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 183

Sektoren der Ökonomie im Lande zu einem Vorgang von höchster Wichtigkeit.159


In den 70er Jahren hat man in der sowjetischen Wirtschaft verstärkt versucht, be-
stimmte organisatorische Merkmale und Managementtechniken, vor allem auf dem
Gebiet technologischer Innovationsprozesse, vom Rüstungssektor auf die Zivilin-
dustrie zu übertragen, allerdings mit wechselhaftem Erfolg.160
Mit dem Amtsantritt von Gorbatschow begann auch für das Management der
sowjetischen Rüstungsindustrie eine neue Phase. Nach einer beispiellosen Stabili-
tät von 20 Jahren erlebt die bürokratische Elite der sowjetischen Wirtschaft einen
signifikanten Wandel. Gorbatschow führt einen bereits schon von Generalsekretär
Andropow initiierten Prozeß der Verjüngung der Bürokratie von Partei- und Staats-
apparat fort, allerdings mit erheblich größerem Nachdruck und auch größerer Ge-
schwindigkeit. Im Rahmen ihrer neuen Wirtschaftsreformpolitik, die vor allem auf
eine deutliche Verbesserung der technologischen Innovationsfähigkeit zielt, zieht
die sowjetische Führung verstärkt Manager aus der Rüstungsindustrie für allgemei-
ne Führungsaufgaben heran. Durch einen vermehrten Transfer dieser Personen in
leitende Wirtschaftspositionen im Staats- und Parteiapparat erhofft man sich offen-
sichtlich eine Verbreitung ihrer Erfahrungen und Manager-Talente in der Ökono-
mie allgemein sowie eine schnellere und effizientere Umsetzung der in Aussicht
genommenen Reformmaßnahmen (vgl. dazu näher Kapitel 9).
Ein Auftreten der Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe setzt
gemeinsame Sichtweisen und Werthaltungen der dominanten Gruppe- in diesem
Fall der Minister - dieses Organisationsverbunds voraus. Zu einer Einschätzung
der Kohärenz der Gruppe der rüstungsindustriellen Minister, die ihren potentiellen
Stellenwert als politischer Akteur mitbestimmt, gehört nicht nur die Frage nach
dem Ausmaß gemeinsamer Ansichten der organisatorischen Rolle und Ziele ihrer
Ministerien. Von Bedeutung sind auch untereinander geteilte Perzeptionen über
politische "Issues" wie z.B. die Höhe der Militärausgaben oder die Richtung von
Wirtschaftsreformen.
Aufschluß über den Grad gemeinsamer Auffassungen und Werthaltungen wür-
den in erster Linie Veröffentlichungen der Minister oder ihrer Stellvertreter geben.
In dieser Hinsicht scheint allerdings für den hier vorrangig betrachteten Zeitraum
der Breschnew-Ära ein ziemliches Defizit zu bestehen. Westlichen Abhandlungen
über die sowjetische Rüstungsindustrie kann entnommen werden, daß deren Mini-
ster bis auf eine markante Ausnahme zumindest bis Anfang der 80er Jahre offenbar
nichts öffentlich Zugängliches publiziert haben. Aber auch die in der Literatur er-
wähnten und teilweise referierten "Ausnahme"-Artikel von Ministern aus der Rü-
stungsindustrie geben von ihrem Inhalt her anscheinend kaum etwas für den hier
interessierenden Aspekt her,161 so daß man fast ausschließlich auf Spekulationen

159 Vgl. Holloway 1984, S. 373


160 vgl. Holloway 1984, S. 373; ausführlicher Campbell 1972; Cooper 1982; Holloway
1982, insb. S. 354
161 Die Ausnahme bezieht sich auf die Zeit des 24.Parteitags der KPdSU im März 1971
und die Auseinandersetzungen um Investitionsprioritäten im Rahmen des 9. Fünfjah-
resplans zwischen den Konsumgüter (Gruppe B) und Produktionsmittel (Gruppe A)
erzeugenden Wirtschaftssektoren. Dabei ging es u.a. um eine größere Beteiligung der
sowjetischen Rüstungsindustrie an der Zivilgüterproduktion und eine verstärkte Diffu-
sion ihres technologischen know-hows in die Zivilindustrie. Auf dem Parteitag wies
Breschnew zwar darauf hin, daß 42% der Produktion der Rüstungsindustrie bislang in
184 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

und Plausibiliätsvennutungen über mögliche gemeinsame Standpunkte dieser


Gruppe zurückgeworfen ist.
Spielmann hat nähere Vennutungen darüber angestellt, welche besondere In-
teressen und gemeinsame Standpunkte die Gruppe der leitenden Rüstungsmanager
während der Phase der Entspannungspolitik in den 70er Jahren zwei bestimmten
außenpolitischen Gegenstandsbereichen gegenüber vertreten haben könnte: SALT
und Technologie-Transfers aus dem Westen)62 An der Politik der politischen Füh-
rung unter Breschnew in den 70er Jahren, verstärkt Technologie aus dem Westen
zur Hebung des Niveaus der sowjetischen Volkswirtschaft zu importieren,163 sieht
Spielmann ein besonderes Interesse der Minister aus der Rüstungsindustrie gege-
ben, weil der Vorgang sie als Gruppe insgesamt tangiert Ein mögliches von den
Ministern geteiltes Gruppeninteresse an diesem Politikgegenstand ist rückgebun-
den an die Auseinandersetzungen und Forderungen einer größeren Beteiligung der
Rüstungsindustrie an der Zivilgüterproduktion zu dieser Zeit. Über den Inhalt ge-
meinsamer Auffassungen der leitenden Rüstungsmanager zur Frage der Nützlich-
keit von Technologieimporten aus dem Westen stellt Spielmann folgende Yennu-
tungen an:
"Obwohl es keine näheren Aussagen der Rüstungsmanager zur Frage der Technologie-
einfuhr gibt, besteht Grund für die Annahme, daß sie die Bemühungen des Regimes um
Technologie und Kapital aus dem Westen wärrnstens begrüßen. Während sie zweifels-
ohne direkte Vorteileaus dem Technologietransfer für ihre Aufgaben in der Rüstungs-
produktion zu gewinnen bestrebt sind, könnten sie durchaus den größten möglichen
Vorteil für einen indirekten halten. In dem Maße, in welchem diese Transfers die Aus-
sicht einlösen, die Stärke der Zivilwirtschaft zu verbessern, dürften die Rüstungsmana-
ger hoffen, daß der auf ihnen lastende Druck, ihren Anteil an der Zivilproduktion aus-
zuweiten, sich in Grenzen hält."l64

den zivilen Sektor gegangen sei (vgl. dazu Cooper 1986), forderte diesen Industrie-
zweig jedoch zu größeren Anstrengungen insbesondere beim Technologietransfer auf.
Kurze Zeit darauf publizierten Swerew, Minister für Verteidigungsindustrie, und De-
rnentjew, Minister für Flugzeugindustrie, in offensichtlicher Reaktion auf diese Auf-
forderung Artikel in der Presse. Die Botschaft der Minister lief darauf hinaus, daß die
sowjetische Rüstungsindustrie eigentlich schon eine imposante Anzahl qualitativ
hochwertiger Zivilgüter produziert, sie aber die Forderung anerkennen, noch mehr in
diesem Bereich zu tun. (Vgl. Spielmann 1976, S. 57 und Volten 1982, S. 164) Die
Tatsache der Veröffentlichung dieser Artikel und ihr offenbar mehr defensiver Cha-
rakter deuten darauf hin, daß hinter Breschnews Ansinnen, der technologischen Ent-
wicklung der zivilen Sektoren solle mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, wohl
mehr als nur bloße Rhetorik stand, obgleich er früher unterschiedliche Ansichten ver-
treten hatte. (vgl. ausführlicher Volten 1982, S. 161-165; Parrott 1983, S. 247-255;
Wolfe 1973, S. 24-28) Die Minister der Rüstungsindustrie fürchteten offensichtlich
eine Neuordnung der Prioritäten in der Wirtschaft. Eine Ausweitung der zivilen Pro-
duktion im Rahmen ihrer Ministerien dürfte für sie in dem vorhandenen wirtschaftli-
chen Planungssystem wenig attraktiv gewesen sein, weil sich dann der über die Rü-
stungsproduktion gewohnte vorrangige Zugriff auf Ressourcen verschiedener Art ver-
rnindem würde.
162 Vgl. Spielmann 1976, S. 65-69
163 Vgl. dazu ausführlicher Parrott 1983, S. 265-278
164 Spielmann 1976, S. 67
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 185

Aufgrund der relativ größeren Fähigkeit der sowjetischen Rüstungsindustrie, die


Zeitspanne zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion in erträglichen
Grenzen zu halten, scheint dieser Zweig im Vergleich zur Zivilindustrie besser ge-
eignet, eine vermehrte Infusion westlicher Technologie auch effizienter zu nutzen.
Diese Fähigkeit legt Spielmanns Erörterungen zufolge die weitere Vermutung
nahe, daß die Ansichten der Minister aus der Rüstungsindustrie über Technologie-
transfers aus dem Westen sich von denen ihrer Kollegen aus der Zivilwirtschaft
unterscheiden könnten. Denn ein vermehrter Import neuer westlicher Technologien
könnte für die Minister der Zivilwirtschaft aufgrund der im Vergleich zur Rü-
stungsindustrie schlechteren Assimilationsfähigkeit neuer Technologien ihres Sek-
tors ein größeres Maß an Unberechenbarkeit und organisatorischem Wandel in der
Produktion bedeuten)65 Zwar erscheinen die Überlegungen von Spielmann durch-
aus einleuchtend, doch an vorhandener Empirie verifizieren oder falsifizieren las-
sen sie sich nicht. Solche Konstrukte ließen sich ebenfalls zu vielen anderen politi-
schen "Issues" erstellen, vergrößern aber den Erkenntnisertrag nicht.
Demgegenüber lassen sich für den Grad gemeinsamer Sichtweisen und Wert-
haltungen der leitenden Rüstungsmanager hinsichtlich der organisatorischen Rolle,
Aufgabenstellung und Ziele ihrer Ministerien konkretere Anhaltspunkte benennen.
Die langen Amtsdauern der Minister in der Rüstungsindustrie und ihre Kriegser-
fahrung sowie die Tatsache, daß der Erfolg eines Ministeriums fast ausschließlich
an der Erfüllung der Plankennziffern gemessen wird, haben zu einer spezifischen
Organisation und Handhabung von Rüstungsentwicklung und -produktion sowie
einem speziellen Manager-,,Ethos" geführt. Alexander faßt diese Sichtweisen und
Werthaltungen gut zusammen:
"Die langen Amtszeiten und die Erfahnmgen der Rüstungsmanager in Kriegszeiten ha-
ben mutmaßlich zu einer Betonung der Werte von Kontinuität in Konstruktion und Pro-
duktion geführt. Der außerordentliche Nachdruck auf den Produktionsausstoß im Krieg
und Stalins Beharren darauf, daß konstruktive Änderungen auf ein Minimum be-
schränkt blieben, um die Fertigungslinien nicht zu unterbrechen, beeinflußte Organisa-
tion und Prozeduren, mit denen Waffen konstruiert und gefertigt werden. Trotz der pri-
vilegierten Stellung der Rüstungsindustrie haben die Manager begriffen, daß Kontinui-
tät die beste Garantie für die Planerfüllung ist. Während solche Wertvorstellungen be-
sonders für traditionellere und herkömmliche Waffen wie Panzer und Flugzeuge gelten,
sind sie doch Teil jenes Ethos von Management, welches in der sowjetischen Rüstungs-
erzeugung weiterhin stilbildend wirkt."166
Bei einer Erörterung des möglichen Einflusses der rüstungsindustriellen Minister
als Interessengruppe ist jedoch prinzipiell zu beachten, daß das Aufzeigen gemein-
samer Auffassungen und Werthaltungen nicht ausreichend für einen Nachweis von
Einfluß auf Entscheidungen ist. Zu zeigen ist vielmehr, daß die Ansichten der Mi-
nister auf den verschiedenen Entscheidungsbenen von den entsprechenden Akteu-
ren berücksichtigt, akzeptiert, modifiziert oder zurückgewiesen worden sind. Die
spärliche Evidenz setzt hier allerdings erneut gewichtige Restriktionen.

165 Vgl. Spielmann 1976, S. 67/68


166 Alexander 1978a, S. 23
186 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Die technische Entscheidungsebene


Der Minister, seine Stellvertreter und die ihnen unterstehende Ministerialbürokra-
tie besitzen nicht nur ein großes Maß an Zuständigkeiten für mehr routinemäßige
technische Entscheidungen bei der Produktion von Waffen, um sicherzustellen,
daß alles nach "Plan" verläuft. Sie haben auch beträchtliche Kompetenzen bei Ent-
scheidungen über Vorschläge für neue Rüstungsprojekte oder Programme zur Mo-
demisierung bestehender Systeme. Zwar ist es den Konstruktionsbüros oder For-
schungsinstitute in der Rüstungsindustrie möglich, teilweise erste Schritte für neue
Ideen aus ihren zugeteilten Budgets zu fmanzieren, jedoch können sie mit einem
Projekt prinzipiell nicht sehr weit kommen, solange sie es ihrem alleinigen Kunden
(Militär) sowie dem eigenen Industrie-Ministerium nicht erfolgreich "verkaufen",
da die Konstruktion von Prototypen und ihre Erprobung zumeist beträchtliche Res-
sourcen erfordert.
Der Entscheidungsvorgang über einen neuen Projektvorschlag eines Konstruk-
tionsbüros oder Forschungsinstituts verläuft auf zwei parallelen Wegen: zum einen
über das zuständige Ministerium und die diesem übergeordneten Staatsorgane,
zum anderen über die militärische Hierarchie. Im Ministerium selber erfolgt der
Entscheidungsweg in der Regel über folgende Stufen:
,,Im Ministerium würde ein Vorschlag zunächst von einem wissenschaftlich-techni-
schen Expertenkomitee auf die technische Ausführbarkeit der Konstruktion hin geprüft.
Danach geht er hinauf an dasjenige Direktorat, welches die Einrichtung beaufsichtigt,
welche den Vorschlag vorgelegt hat, und dann geht es weiter ins Ministerbüro. Eine
Ministerialrunde von Stellvertretenden Ministern und anderen führenden Verwaltungs-
leuten würde vermutlich den Vorschlag gleichfalls prüfen."167
Der wichtigste Aspekt in Bezug auf die Rolle des Ministeriums bei technischen
Entscheidungen ist wohl, daß die obere Ebene des ministeriellen Managements -
d.h. der Minister und die Stellvertretenden Minister- in einer Position ist, entwe-
der Vorschläge für neue Rüstungsprojekte noch vor deren Anlauf über die Verwei-
gerung von Finanzmitteln zu blockieren oder sie alternativ mit erhöhten Ressour-
cenzuweisungen auszustatten und für ihre endgültige Realisierung in einer Serien-
produktion als Fürsprecher gegenüber den militärischen und politischen Entschei-
dungsträgem auf der höchsten Ebene tätig zu werden.
Im Falle einer ablehnenden Einstellung seines vorgesetzten Ministeriums
könnte ein Waffenkonstrukteur versuchen, über die an seinemProjekt eventuell in-
teressierte Teilstreitkraft den ministeriellen Widerstand mittels des institutionellen
"Einflußkanals" Militär zu überwinden. Jedoch so dabei die Unterstützung eines
Projekts, welches das Interesse einer Teilstreitkraft gewonnen hat, auf der obersten
Entscheidungsbene des Verteidigungsministeriums keineswegs zwangsläufig gege-
ben. Dort können aufgrund divergierender Interessenlagen ähnliche Hindernisse
auftauchen wie im rüstungsindustriellen Ministerium.
Die Unterstützung für ein neues Rüstungsprojekt in einem Ministerium der
Rüstungsindustrie dtirfte entscheidend von dem Faktor abhängen, welches Maß an
technologischem "Abenteurertum" in der Sicht der oberen Ministerialränge damit
verbunden ist. Die langen Amtsdauern sowie die Kriegserfahrung der leitenden
Rüstungsmanager haben erheblich zur Begünstigung eines technologischen Kon-
servatismus beigetragen, der Kontinuität bei der Entwicklung und Produktion von

167 Alexander 1978a, S. 32


Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 187

Waffen betont. Diese Grundeinstellung bedeutet für die Entscheidung über neue
Waffenprojekte in Hinsicht auf ihren technischen Gehalt in der Regel folgendes:
,,Die Zustimmung erfolgt am wahrscheinlichsten, wenn eine Konstruktion Merkmale
eines früher akzeptierten Entwurfs widerspiegelt. Tiefsitzende Neigungen beeinflussen
Entscheidungen zugunsten jener Waffen, die in der Produktion eingeführt sind, die von
den Kommandierenden angenommen sind und die sich im Truppendienst befinden."168
Ein wesentlicher Grund für das Zögern oder die Weigerung des Ministerialperso-
nals, sich auf technologisch ambitionierte Projekte einzulassen, liegt in der Furcht
begründet, daß solche Unternehmungen zu einer erheblichen Erschwerung und
Komplizierung der Managementaufgaben führen könnten sowie das Risiko eines
Scheiteros in sich tragen, was unangenehme Konsequenzen für die eigene Karriere
eintragen könnte. Darüber hinaus könnte aus dem Blickwinkel der leitenden Rü-
stungsmanager die Akzeptanz technologisch ehrgeiziger Rüstungsprojekte nicht
erwünschte neue Abhängigkeiten bedeuten. Komplexe und technologisch fortge-
schrittene Waffensysteme würden zweifelsohne ein größeres Ausmaß an Abhän-
gigkeit für entsprechend benötigte Sub-Systeme und -Komponenten von anderen
Ministerien innerhalb und außerhalb der rüstungsindustriellen Gruppe zur Folge
haben, wodurch die Produktionsrisiken ungemein steigen könnten, die wiederum
potentiell nachteilige Folgen für eine rechtzeitige Erfüllung des Plans in sich ber-
gen. Aus diesen Gründen dürften der Minister und seine Ministerialfunktionäre
wohl eher eine Präferenz für die mit partiellen Modifikationen fortgesetzte Produk-
tion bestimmter "alter" Waffensysteme haben.l69
In Anbetracht der Produktionsverantwortlichkeiten eines rüstungsindustriellen
Ministeriums, die an der Einhaltung der Planvorgaben orientiert sind, wird vermut-
lich in vielen Fällen die Unterstützung für ein Rüstungsprogramm, wenn es eine
bestimmte technologische Schwelle überschreitet, auf der ministeriellen Ebene be-
trächtlich niedriger ausfallen im Vergleich zu dem besonderen Interesse des jewei-
Iigen Konstruktionsbüros an dem vorgeschlagenen Projekt. Tritt eine Situation ein,
wo z.B. verschiedene Konstruktionsbüros um die Entwicklung und Herstellung ei-
nes neuen Flugzeugs konkurrieren, kann der Minister für Flugzeugindustrie in je-
dem Fall damit rechnen, daß ein Projekt in seinem Ministerium abgewickelt wird,
unabhängig davon, wer den Auftrag erhält.170
ZusammengefaSt scheint das Bild so zu sein, daß der Minister und seine Stell-
vertreter, aber auch die mittlere und untere Ebene der Ministerialbürokratie, auf
der technischen Entscheidungsebene sozusagen alle wichtigen Karten in der Hand
halten und der Waffenkonstrukteur oder Wissenschaftler nur wenig dagegen aus-
richten kann, sieht man von den Ausnahmen eines erfolgreichen Lobbyismus pro-
minenter Rüstungsingenieure bei Stalin und Chruschtschow ab. Im Westen veröf-
fentlichte Memoiren eines sowjetischen Rüstungsingenieurs, der 18 Jahre in dem
Konstruktionsbüro von Mil tätig war, welches sich auf die Entwicklung von Hub-
schraubern spezialisiert hat, scheinen die Machtfülle der Ministerien auf der hier
behandelten Ebene zu bestätigen. Tschaiko beschreibt die Probleme für den Kon-
strukteur, die bei der Beantragung von Finanzmitteln für neue Projektideen im Mi-

168 Alexander 1978a, S. 33


169 Vgl. Spielmann 1978, Fußnote 12 aufS. 161
170 Vgl. Spielmann 1978, S. 65
188 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

nisterium auftauchen, sowie die spezifischen Befürchtungen der Ministerialfunk-


tionäre näher:
"Die Leitung eines Konstruktionsbüros ermutigt kreative Untersuchungen, die Ausar-
beitung neuer Ideen, den Erwerb zusätzlicher Daten, wechselseitige Konsultationen usf.
... Die Probleme häufen sich, wenn die Entwiclung das Erprobungsstadium erreicht, die
intensive inputs an Arbeitskraft, den Erwerb von Ausrüstungen sowie den Bau von
Prüfständen und Außeneinrichtungen erfordern. Zu diesem Zeitpunkt muß sich das
Konstruktionsbüro an das Ministerium für die Luftfahrtindustrie wenden, um Mittel für
die Erprobung zu erhalten. Mit anderen Worten, die Arbeit betrifft nicht mehr lediglich
das Konstruktionsbüro, welches alle ihm zugehenden Zuweisungen mit positiven Er-
gebnissen zu rechtfertigen hat. Diese positiven Ergebnisse wiederum erfordern, daß das
Management sich mit dem Fertigungsanlauf für die Neuerung herumschlagen und lau-
fende Fertigungsgänge unterberchen muß, was zu einer Situation führt, die die meisten
Sowjetfunktionäre zu vermeiden suchen. Es ist ja nicht nur berechtigt zu erwarten, daß
Ausgleichszahlungen weit unter den tatsächlichen Ausgaben erfolgen, auch wenn posi-
tive Ergebnisse bei der Umstellung erzielt werden- die anstehenden Verluste bei Fehl-
schlägen sind einfach zu groß, als daß man sie riskieren könnte. Dies hat ein Klima er-
zeugt, in welchem schöpferische Initiative nur in gewissem Umfang ermutigt wird, ein
Zustand, der weithin zugegeben wird. Für den Forscher, der sich mit großem Einsatz
seinem Projekt gewidmet hat, bleibt es frustrierend, weitere Schritte zurückzustellen,
bis auf den oberen Etagen Interesse an seiner Arbeit bekundet wird."171
Die Ausführungen von Tschaiko stützen die Vermutung, daß das ministerielle Rü-
stungsmanagement seine Rolle nicht so sehr in der Generierung waffentechnologi-
scher Innovation sieht, sondern hauptsächlich an der Erfüllung der Pläne interes-
siert ist. Aufgrund seiner unmittelbaren Kontrolle über die Allokation von Res-
sourcen ist das Ministerium auch in der Lage, in seinem Organisationsbereich die
technische Ausrichtung von Forschung und Entwicklung bei der Rüstung stark zu
formen. An den militärischen Endprodukten und ihren typischen Konstruktions-
merkmalen läßt sich dieser ministerielle Einfluß gut ablesen. Westliche Rüstungs-
experten haben sowjetische Waffensysteme häufig als "einfach, belastbar und
leicht wartbar" charakterisiert, alles Eigenschaften, die zugleich ihre Produktion
deutlich vereinfachen.172 Allerdings steht die sowjetische Rüstungsindustrie und
damit auch deren Ministerienangesichts erheblicher rüstungstechnologischer Ent-
wicklungssprünge im Westen künftig vor der Herausforderung, sich vermehrt auf
die Entwicklung und Herstellung von technologisch anspruchsvolleren Waffensy-
stemen einlassen zu müssen. Das wird sicherlich auch Konsequenzen für die Orga-
nisation des ministeriellen Entscheidungsgefüges in technischer Hinsicht haben.

Die Entscheidungsebene der Implementation


Das Ministerium hat im sowjetischen System großen Einfluß auf die Implementie-
rung einer Entscheidung der politischen Führung. Die Ministerialfunktionäre üben
Kontrolle über die interne Verteilung der zugeteilten Finanzmittel und Materialres-
sourcen aus. Die Einrichtung eines neuen Konstruktionsbüros oder die Zuweisung
von Produktionskapazitäten für ein neues Waffensystem erfordert auch die mini-
sterielle Zustimmung. Das Ministerium ist legal für die Umsetzung und Durchfüh-
rung der beschlossenen Rüstungsprogramme zuständig und verantwortlich. Auf-

171 Chaiko 1985, S. 69


172 Vgl. ausführlicher Holloway 1977 und 1982; Alexander 1978b; U.S. CIA 1986
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 189

grund der Kontrolle über einen großen Teil relevanter Informationen und Daten
sowie ihres organisatorischen Fachwissens ist das rüstungsindustrielle Ministerial-
management hypothetisch in der Position, die Richtung mehr strategischer Ent-
scheidungen, d.h. die zweckmäßigste Umsetzung der Planvorgaben in technischer
und administrativer Hinsicht, sowohl gegenüber den ihnen unterstehenden Institu-
tionen als auch gegenüber den übergeordneten Staats-und Parteiorganen stark vor-
zustrukturieren und dadurch zu beeinflussen. Eine beliebte Technik sowjetischer
Ministerien, ihren Organisationsinteressen zuwiderlaufende Entscheidungen zu-
mindest abzuschwächen, besteht in der teilweise zeitlich extrem verzögerten Im-
plementation der politischen Vorgaben, die zugleich auch negative Konsequenzen
für den Prozeß technologischer Innovation beinhaltet.
Die stark zentralisierten, bürokratischen und hierarchischen Strukturen sowje-
tischer Organisationen führen bislang zu einem technologischen Wandel, der pri-
mär Ergebnis eines Prozesses kumulativer Produktverbesserungen und evolutionä-
rer Entwicklung ist, und in Anbetracht des rigiden und relativ unflexiblen wirt-
schaftlichen Planungssystems zu einer Betonung von Kontinuität in der Produk-
tion.173 Jedoch scheinen die Ministerien der rüstungsindustriellen Gruppe dazu be-
reit zu sein, von Zeit zu Zeit Versuche zur Verbesserung von Managementtechni-
ken in einem größeren Rahmen zu unternehmen, um dadurch die Effizienz von
Forschung und Produktion zu steigern. Diese Bereitschaft zur Erprobung und Im-
plementation neuer Managementverfahren ist sicherlich zu einem großen Teil
durch die direktere Einmischung der politischen Führung in die Belange dieses In-
dustriesektors aufgrund seines hohen Prioritätsstatus mitbedingt Dadurch werden
zugleich die Handlungsmöglichkeiten für passiven Widerstand bei der Umsetzung
von Programmen seitens der rüstungsindustriellen Ministerien eingeschränkt.
Rüstungspolitische Entscheidungen können auch das System der Ministerien,
aus denen sich die sowjetische Rüstungsindustrie zusammensetzt, selber berühren.
Trotz der langen Amtsdauern der leitenden Rüstungsmanager und der beschriebe-
nen Machtfülle ihrer Ministerien bei der technischen und administrativen Umset-
zung von Entscheidungen der politischen Führung hat das ministerielle System
dieser Branche doch einige organisatorische Wandlungen erfahren. Sieht man von
der Chruschtschow-Periode ab, in der die bürokratische Struktur des Systems
durch sprunghafte und tiefgreifende organisatorische Veränderungen kräftig
"durchgeschüttelt" worden war, um vor allem den Primat der Politik wiederherzu-
stellen, ist der in den 60er und 70er Jahren beobachtbare Wandel im ministeriellen
System der Rüstungsindustrie zu einem wesentlichen Teil auf die Notwendigkeit
zurückzuführen, mit der raschen Entwicklung von Rüstungstechnologie Schritt zu
halten. Dies führte zur Etablierung neuer rüstungsindustrieller Ministerien. Da die
existierenden Ministerien kaum daran interessiert gewesen sein dürften, Zuständig-
keiten und damit Ressourcen sowie Einfluß zu verlieren, ist in Verbindung mit
dem ausgeprägten technologischen Konservatismus sowjetischer Institutionen häu-
fig eine Intervention "von oben" erforderlich, um eine effizientere Durchführung
neuer Programme zu realisieren:
"Da für neue Technologien oder Produkte kaum institutionelle Vorkehrungen getroffen
werden, wenn diese nicht die natilrliche Fortentwicklung vorhandener Konstruktionen
darstellen, erfordert die Einbringung eines neuartigen Produktes entweder, mit Unter-

173 Vgl. ausführlicher Alexander 1978b und Alexander 1982b


190 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

stützung übergeordneter Autoritäten das System aufzubrechen, oder aber außerhalb der
üblichen Kanäle neue Einrichtungen zu schaffen."174
Neue militärische Anforderungen haben mit Sicherheit die Gründung der Ministe-
rien für Allgemeinen Maschinenbau (u.a. ballistische Raketen), für Maschinenbau
(u.a. Nuklearwaffen) und für Elektronikindustrie während der 60er Jahre sowie des
Ministeriums für Fernmeldegeräteindustrie im Jahre 1974 maßgeblich beein-
flußt.l75
Jedoch gibt es indirekte Hinweise darauf, daß auch persönliche Interessen von
Gruppenmitgliedern der oberen Managementhierarchie eines alten rüstungsindu-
striellen Ministerium an der Neugründung der genannten Ministerien beteiligt ge-
wesen sein könnten, was zumindest zeitweise die Kohärenz dieser wichtigen Sub-
Gruppe der sowjetischen Rüstungsindustrie beeinträchtigt haben dürfte. So ist z.B.
durchaus denkbar, daß ein Stellvertretender Minister in einem bestehenden Mini-
sterium für die Schaffung eines neuen Ministeriums eintreten könnte, um dadurch
seine Chancen für die Erlangung des Rangs eines Ministers zu verbessern. Schokin
war z.B. Erster Stellvertretender Vorsitzender des Staatskomitees für die Radioin-
dustrie, bevor er Vorsitzender des 1961 neu geschaffenen Staatskomitees für Elek-
troniktechnologie wurde, welches dann 1965 in Ministerium für Elektronikindu-
strie mit Schokin als Minister umbenannt wurde. Ähnlich verhält es sich mit Ba-
chirew, der vor seiner Ernennung zum Minister des 1968 neu eingerichteten Mini-
steriums für Maschinenbau Stellvertretender Minister im Ministerium für Verteidi-
gungsindustrie gewesen war. Perwyschin ist seit 1974 Minister für Fernmeldegerä-
teindustrie. Zuvor war er von 1970- 1974 Stellvertretender Minister im Ministe-
rium für Radioindustrie,176 Obgleich sich Lobbyismus für diese Fälle empirisch
nicht nachweisen läßt, ist die Hypothese nicht unbegründet, daß die genannten Per-
sonen die Etablierung der neuen Ministerien favorisiert und sich dementsprechend
gegenüber den politischen Entscheidungsträgern positiv zur Wort gemeldet haben,
da sie einen vorzeitigen Karrieresprung gemacht und das Management einer wich-
tigen rüstungstechnologischen Bedarfslücke übernommen haben, die auch in der
Sicht der Führungsspitze existierte.

Die politische Entscheidungsebene


Der für die Minister der sowjetischen Rüstungsindustrie vermutlich relevante In-
terventionspunkt für den Versuch einer Einflußnahme auf die Politikformulierung
der obersten Staats- und Parteiorgane betrifft die Frage, wie das Verhältnis zwi-
schen ziviler und militärischer Produktion in der Wirtschaft insgesamt sowie in der
Rüstungsindustrie selber beschaffen sein soll. Fehlende Empirie läßt hier wiederum
nur Mutmaßungen zu, über welches Maß an politischem Einfluß die Minister als
wichtigste Sub-Gruppe und zugleich oberste Repräsentanten der Rüstungsindustrie
tatsächlich auf Entscheidungen der Führungsspitze verfügen.
Alexander und McDonnell haben versucht, den potentiellen politischen Ein-
fluß der Rüstungsindustrie an dem Ausmaß der personellen Vertretung ihrer Reprä-
sentanten in den oberen Staats- und Parteiorganen zu messen. So sieht Alexander

174 Alexander 1978a, S. 24


175 Vgl. Spielmann 1976, S. 60
176 Vgl. die biographischen Angaben bei McDonnell 1975 und Morozow 1982
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 191

für den Zeitraum der frühen 60er Jahre einen großen Einfluß der leitenden Rü-
stungsmanager auf die Belange der sowjetischen Volkswirtschaft als gegeben an:
,,In den frühen sechziger Jahren hatten die Rüstungsmanager praktisch die Steuerung
der Wirtschaft übernommen. Im Präsidium des Ministerrates besetzten sie drei der acht
Positionen, die Stellvertreterposten in den Stäben für mittelfristige und Langfristpla-
nung sowie die Führungspositionen in den Wirtschaftsorganen der Russischen Sowjet-
republik:."l77
Für McDonnell stellt jedoch die Repräsentation der Rüstungsindustrie im Präsi-
dium des Ministerrats der UdSSR einen nicht so geeigneten Indikator dar, um den
möglichen politischen Einfluß dieser bürokratischen Interessengruppe zu fassen:
"Das ist bestenfalls ein unvollständiger Indikator. Das Präsidium als Gremium der Re-
gierungsebene ist im politischen System der UdSSR keineswegs das oberste Entschei-
dungsorgan. Diese Führungsrolle ist formal dem ZK der Kommunistischen Partei und
faktisch dem Politbüro vorbehalten."178
Für den Zeitraum zwischen 1952 und 1976 hat McDonnell die Entwicklung der
Mitgliedschaft von Repräsentanten aus der Rüstungsindustrie im ZK der KPdSU
näher untersucht.179 Zählt man die Vollmitglieder und Kandidaten des ZK zusam-
men, dann haben die Vertreter der Rüstungsindustrie prozentual gesehen 1961 ih-
ren größten Anteil gehabt. Seitdem ist ihr prozentualer Anteil bis 1976 leicht ge-
sunken. Die Vertretung der Rüstungsindustrie im ZK der KPdSU zeichnet sich
nach McDonnells Einschätzung durch das besondere Merkmal aus, daß es der ein-
zige Wirtschaftssektor ist, dessen Minister im Verlauf der Zeit sämtlich die Voll-
mitgliedschaft im ZK erreicht haben. Zieht man den prozentualen Anteil im ZK als
Indikator heran, dann erscheinen die Möglichkeiten der sowjetischen Rüstungsin-
dustrie, als politische "Pressure Group" für sie wichtige Entscheidungen des Polit-
büros zu beeinflußen, eher eingeschränkt. Zu dieser Schlußfolgerung gelangt auch
McDonnell:
"Selbst wenn man die Schaubilder mit den Prozentanteilen zusammen nimmt, bilden
die Kontingente aus dem Militär und der Rüstungsindustrie nur eine kleine Minderheit
im ZK, was die Erfordernis anzeigt, sich besonders im Parteiapparat nach Bündnispart-
nern umzusehen, um die Zustimmung zu denjenigen Strategien zu sichern, welche sie
favorisieren."180
Allerdings ist prinzipiell zu beachten, daß der generelle Aussagewert solcher stati-
stischer Indikatoren wie die in absoluten Zahlen oder prozentualen Anteilen ausge-
drückte Vertretung von institutionellen Interessengruppen im ZK als eine Art
"Lackmus-Test" für den relativen politischen Einfluß etwa der sowjetischen Rü-
stungsindustrie nicht zu hoch angesetzt werden sollte. Derartige Indikatoren besa-
gen noch nichts darüber, ob eine identifizierte Interessengruppe tatsächlich in der
Lage gewesen ist, für sie relevante Entscheidungen der politischen Führung teil-
weise oder ganz in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die genannten Meßgrößen be-
zeichnen eher die Ausgangsposition einer möglichen Akteursgruppe für den Ver-
such einer Einflußnahme im politischen Machtgefüge sowjetischer Institutionen.

177 Alexander 1978a, S. 20


178 McDonnell1975, S. 102
179 McDonne111975, S. 102-106 und McDonne111977b, S. 155-163
180 McDonne111975, S. 105
192 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

McDonnell hat zutreffend auf die Notwendigkeit von politischen Verbündeten


im Staats- und insbesondere im Parteiapparat für die Gruppe der leitenden Rü-
stungsadministratoren hingewiesen. Bei der Beantwortung der Frage, wer diese
Bundesgenossen sein könnten, fällt ein besonderes Merkmal im Rekrutierungspro-
zeß der sowjetischen Führungsspitze ins Auge. Unter Stalin, Chruschtschow und
Breschnew hat sich eine kontinuierliche Praxis entwickelt, Personen mit einem Be-
rufshintergrund in der Rüstungs- oder Schwerindustrie im Gegensatz zu Individuen
aus dem Militär in den Kreis der .politischen Elite aufzunehmen und auf hohe Po-
sten zu befördern. Stalin war der Uberzeugung, daß eine Ingenieursausbildung eine
geeignete Qualifikation und Vorbereitung für den Aufstieg in die politische Elite
darstellt. Mit entsprechenden Förderungsmaßnahmen und Anreizen versuchte er,
solch einen Personen-,,Pool" qualifizierter junger Männer zu schaffen. Im Zuge der
"Großen Säuberungen" rückten Personen aus diesem Umkreis bald auf hohe politi-
sche Positionen vor. So wurde z.B. Ustinow 1941 im Alter von nur 33 Jahren
Volkskommissar (Minister) für die Rüstungsindustrie)Sl
Unter Chruschtschow stieg Breschnew, der eine Ausbildung als Metallurgie-
Ingenieur hatte, zum ZK-Sekretär mit Aufsicht über die Rüstungsindustrie auf.
Ustinow schaffte in den letzten Jahren der Chruschtschow-Periode den Sprung auf
die Position des Leiters des Obersten Wirtschaftsrats. Breschnew wiederum beför-
derte während seiner Amtszeit als Generalsekretär Andrej Kirilenko, einen ausge-
bildeten Flugzeugingenieur, auf den Posten des ZK-Sekretärs für Personalangele-
genheiten. Ustinow wurde in dieser Zeit erst ZK-Sekretär für die Rüstungsindustrie
und dann Verteidigungsminister. Grigorij W. Romanow, ein graduierter Ingenieur
aus der Schiffbauindustrie, die mit zum Kern des Rüstungssektors gerechnet wird,
wurde 1976 als Vollmitglied des Politbüros berufen.182
In Anbetracht dieser personellen Rekrutierungsmuster erscheint die Vermu-
tung gerechtfertigt, daß Mitglieder der politischen Elite mit dem genannten Berufs-
hintergrund dazu neigen dürften, bei Auseinandersetzungen über militärische und
zivile Prioritäten bei der Ressourcenallokation den vorgetragenen Belangen der
Minister aus der Rüstungsindustrie tendenziell positiv gegenüberzustehen und zu-
mindest partiell ähnliche Sichtweisen sowie Werthaltungen einzunehmen.
Betrachtet man das Einflußverhältnis zwischen den Ministern der Rüstungsin-
dustrie und Mitgliedern der politischen Führung während der Breschnew-Periode,
dann sind vor allem die Beziehungen zu drei Schlüsselpersonen von Interesse:
Ustinow, I.D. Smirnow (Vorsitzender der Militärisch-Industriellen Kommission)
und Serbin (Leiter der Abteilung Rüstungsindustrie im ZK-Sekretariat), die für die
obersten politischen Entscheidungsträger die Kontrolle über den Rüstungssektor
ausübten. Alle drei Personen befanden sich in der institutionellen Position, sowohl
für die Durchsetzung und Einhaltung der rüstungspolitischen Direktiven der ober-
sten Führungsspitze zu sorgen als auch in fürsprechender Weise für die Minister
der Rüstungsindustrie bei wichtigen politischen Entscheidungen des Politbüros tä-
tig zu werden. Spielmann charakterisiert das Verhältnis zwischen den rüstungsin-
dustriellen Ministern und den drei politischen Oberaufsehern folgendermaßen:
"Die Beziehungen zwischen diesen Kontrolleuren der Rüstungsindustrie und der Waf-
fenindusrtie sind wahrscheinlich von der Art des Arbeitsbezuges dieser drei Schlüssel-

181 Vgl. Hough 1985, S. 86


182 Vgl. Hough 1985, S. 86
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 193

personenuntereinander stark bestimmt gewesen, ebenso durch ihre Beziehungen zu be-


stimmten Rüstungsmanagern. Im großen und ganzen liegt die Annahme nahe, daß diese
wichtigsten Oberkontrolleure der Rüstungsindustrie über die Jahre hinweg ein aus-
kömmliches dienstliches Verhältnis miteinander pflegten, und daß dies dazu beitrug,
das Rüstungsmanagement in den Betrieben geschmeidig auf die Führungsspitze zu
orientieren und so signifikant zu der erfolgreichen Bewältigung der Produktionsaufga-
ben dieses Sektors beizutragen."183
Jedoch weist Spielmann darauf hin, daß ein gewisses Maß an Meinungsverschie-
denheiten zwischen diesen drei Repräsentanten der politischen Elite von Zeit zu
Zeit nicht ausgeschlossen werden kann, da sie prinzipiell dieselbe Funktion wahr-
nehmen und jeder von ihnen über einen beträchtlichen politischen Status sowie
über einen eigenen Management-Apparat verfügt. Mögliche Widersprüche in die-
sem Kreis dürften den Ministern und den beiden anderen Sub-Gruppen der Rü-
stungsindustrie nicht verborgen geblieben sein. Ein Ausnutzen solcher möglicher
Differenzen zwischen Ustinow, Smirnow und Serbin durch die ministeriellen Rü-
stungsmanager zur Vergrößerung ihrer Handlungsautonomie ist naheliegend.184
Auf der anderen Seite kann man nicht uneingeschränkt von der Annahme ausge-
hen, daß die Gruppe der Minister aus der Rüstungsindustrie immer als ein einheitli-
cher Akteur aufgetreten ist:
,,Einfach schon aufgrundihrer unterschiedlichen Verantwortung für Waffenentwicklun-
gen und Produktion läßt sich von den führenden Rüstungsmanagern annehmen, daß sie
von Zeit zu Zeit schwerwiegende Meinungsunterschiede darüber haben, welche Waf-
fensysteme ins sowjetische Arsenal aufgenommen werden sollen. Weiche Auffassung
sich in solch einer Situation durchzusetzen vermag, hängt zweifelsohne von einer Viel-
zahl von Faktoren ab- Ansichten der Beamten im Verteidigungsministerium darüber,
welchen Systemen Priorität gebührt, Meinungen in der politischen Führungsspitze usf.
Informelle Kontakte zwischen bestimmten Ministern von Rüstungsministerien und
wichtigen politischen Entscheidungstägern dürften gleichfalls mitwirken. Es wäre nur
vernünftig davon auszugehen, daß diese Minister, die große und reiche Industriebezirke
über lange Jahre hinweg zu verteidigen hatten, nicht vergaßen, ihre persönlichen Bezie-
hungen zum Politbüro zu pflegen."l85
Die Kongruenz gemeinsamer Sichtweisen und Interessen zwischen den Ministern
der Rüstungsindustrie und ihren politischen Kontrolleuren insbesondere im Partei-
apparats (ZK-Sekretilr für Rüstungsindustrie sowie Personal der Abteilung Rü-
stungsindustrie im ZK-Sekretariat), die wesentlich durch langjährige Arbeitskon-
takte und durch einen oftmals gleichen Berufshintergrund bedingt ist, dürfte da
eine Schranke fmden, wo es um inter- und intra-ministerielle Fragen geht. Letztere
Akteure haben aufgrund ihrer Verankerung in der oberen Hierarchie der politi-
schen Führung (Partei) höchstwahrscheinlich eine Perzeption ihrer Rolle, die über
die jeweiligen spezifischen Sichtweisen und organisatorischen Ziele eines einzel-
nen Ministeriums hinausgeht)86
Konkrete Belege für ein Agieren der Minister der Rüstungsindustrie als büro-
kratische Interessengruppe und eine Einflußnahme auf Rüstungsentscheidungen
der politischen Führung im System der UdSSR sind so gut wie nicht beschaffbar.

183 Spielmann 1976, S. 61


184 Vgl. Spielmann 1976, S. 61/62
185 Spielmann 1976, S. 63
186 Vgl. auch Alexander 1978a, S. 12
194 Dk Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Vieles verbleibt hier wieder zwangsweise auf der Ebene der Vermutungen und
Spekulationen.
Spielmann hat im Rahmen einer Fallstudie über das SS-6 Programm mit Hilfe
der Kombination von zwei Ansätzen, dem ,,Rational Strategie Actor Decision-
Making Approach" und dem ,,Pluralistic Decision-Making Approach", versucht,
auch die Interessen der rüstungsindustriellen Ministerien sowie ihr Gewicht als in-
stitutioneller Akteur im Entscheidungsprozeß näher herauszuflltem.187 Da die SS-6
die erste sowjetische ICBM gewesen ist, muß die Entscheidung über dieses Pro-
gramm von beträchtlicher politischer Bedeutung sowohl für die Rüstungsindustrie
als auch die Streitkräfte gewesen sein: ,,Das Programm SS-6 darf als repräsentativ
für jene Rüstungsentscheidungen gelten, die wahrscheinlich verschiedenen organi-
satorische und persönliche Beziehungsstrukturen im Militärestablishment erheb-
lich durcheinander gebracht haben."188
Die Antizipation möglicher Gewinne oder Verluste in Bezug auf Produktions-
zuständigkeiten und Ressourcenallokation hat nach Spielmanns Einschätzung mit
Sicherheit auch Interessengruppenaktivitäten der einzelnen rüstungsindustriellen
Ministerien entfaltet
,,Die Sowjets richteten Ende 1959 eine eigene Teilstreitkraft (die Strategischen Rak:e-
tentruppen) ein, mn Interkontinentalraketen einzugliedern, aber sie warteten fast sechs
Jahre, ehe sie das Auftauchen dieser neuartigen Waffenkategorie in Organisationsmaß-
nahmen im Rüstungsindustriesektor mnsetzten ... Dieses Zögern bei der Einrichtung
des Ministeriums für allgemeinen Maschinenbau legt den Eindruck nahe, daß Wider-
stände auf Seiten der vorfmdlichen Rüstungsindustrieministerien zu überwinden waren.
Das neue Ministerimn wurde Zweifelsolme nicht aus dem hohlen Ärmel geschüttelt ...
Es wird Ressourcen für Raketenfertigung von dem oder den Ministerien abgezogen ha-
ben, die ursprünglich die Kompetenz fUr diese Fertigungen hatten. "189
Äußerungen von Chruschtschow deuten darauf hin, daß anfänglich wahrscheinlich
das Ministerium für die Flugzeugindustrie für die Entwicklung und Herstellung
von Raketen zuständig war. Nach Spielmanns Einschätzung werden die oberen Re-
präsentanten dieses Ministeriums, falls das SS-6 Programm in ihren Zuständig-
keitshereich gefallen ist, nur wenig Interesse daran gehabt haben, dieses Projekt
stark zu fördern, weil sie dann befürchten mußten, daß das effiziente Management
eines größeren ICBM-Produktionsprogramms für die politische Führung bald die
Notwendigkeit der Einrichtung eines separaten Ministeriums auf die Tagesordnung
bringen würde.190 Die geringe Stückzahl dislozierter SS-6 (vgl. Kapitel1.4) sowie
die relative lange Zeitspanne zur Etablierung des Ministeriums für Allgemeinen
Maschinenbau könnten ein Indikator für den zeitweise erfolgreichen retardierenden
Einfluß der leitenden Rüstungsmanager des Ministeriums ftir Flugzeugindustrie
sein. Zwar stellt Spielmann noch Erwägungen über andere hypothetisch mögliche
ministerielle Zuständigkeitskonstellationen und deren Konsequenzen für die politi-
sche Entscheidungstindung an, doch irgendwelche konkreteren Anhaltspunkte für
den tatsächlichen Entscheidungsablauf und Einfluß der rüstungsindustriellen Mini-
sterien beim SS-6 Programm sind offensichtlich nicht beizubringen.

187 Vgl. Spielmann 1978, S. 119-123


188 Spielmann 1978, S.116
189 Spielmann 1978, S. 120
190 Vgl. Spielmann 1978, S. 120/121
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 195

Eine Periode, in der nach Ansicht westlicher Analytiker die Minister der so-
wjetischen Rüstungsindustrie als einheitliche Interessengruppe agierend erfolg-
reich politischen Einfluß ausgeübt haben, bildet ihre Beteiligung am Widerstand
gegenüber den Wirtschaftsreformen von Chruschtschow,191 Chruschtschows Ver-
such, die Ministerien über die Verwaltungsreformen zu entmachten sowie gleich-
zeitig eine signifikante Verschiebung der Prioritäten vom Rüstungssektor zugun-
sten der Entwicklung der Zivilwirtschaft vorzunehmen, rief zwangsläufig organi-
sierte Aktivitäten der beiden im politischen System der UdSSR bedeutsamsten bü-
rokratischen Interessengruppen, Militär und Rüstungsindustrie, auf den Plan,l92
Über die Gefahrdung der Prioritätsstellung und die Sicherung ihrer "organizational
empires" hinaus könnte nach Einschätzung westlicher Beobachter ein weiterer we-
sentlicher Antriebsgrund für die Opposition der ministeriellen Führungscrew in der
Befürchtung gelegen haben, daß durch die Neuorganisation der Wirtschaftsverwal-
tung die Volkswirtschaft geschwächt und die Erfüllung der grundlegenden indu-
striellen Produktionsaufgaben des Rüstungssektors infrage gestellt werden könn-
ten.193 Dieser Aspekt deutet darauf hin, daß in dieser Phase für die Minister der
Rüstungsindustrie über die enger definierten politischen "Issues" wie die Höhe der
Militärausgaben oder die Entscheidung gegen oder zugunsten spezifischer Rü-
stungsprogramme hinaus vermutlich auch breiter gefaßte Interessen auf dem Spiele
standen, welche die Organisation der Ökonomie allgemein und der Industrie im be-
sonderen betrafen.
In den siebziger Jahren läßt sich ein weiterer Entscheidungsvorgang von größe-
rer politischer Bedeutung angeben, in den die Minister der Rüstungsindustrie mit
Sicherheit involviert waren und entsprechende Inputs in die Diskussion des politi-
schen Führungszirkels gaben. Einem gemeinsam verfaßten Bericht der beiden US-
amerikanischen Geheimdienste CIA und DIA läßt sich bezüglich der Entwicklung
militärischer Beschaffungen in der Sowjetunion folgende Einschätzung entneh-
men:
"Die Zuwachsrate für Rüstungsbeschaffungen ging in der Periode 1974-85 signifikant
zurück und ließ das Gesamtwachstum der gesamten Verteidigungsausgaben auf durch-
schnittlich (gemessen in Dollars) 2 Prozent pro Jahr zurückfallen ... , ungefähr die halbe
Rate der vorangehenden Dekade."l94
Eine Halbierung der Wachstumsraten bei militärischen Beschaffungen über einen
derartig langen Zeitraum fällt aus dem Rahmen der üblichen Dauer bei den Be-
schaffungszyklen von Rüstungsgütem. Sie läßt sich mit nur temporären Proble-
men, wie z.B. technischen Schwierigkeiten, Produktions- oder Versorgungseng-
pässen, kaum hinreichend erklären. Die politische Führung hätte in dieser Zeit-
spanne eine entsprechend erhöhte Ressourcenzuweisung zur Behebung dervorhan-
denen Kalamitäten vornehmen können. So läßt sich die begründete Vermutung
aufstellen, daß die beobachtete Verlangsamung der Beschaffung militärischer
Hardware zu einem beträchtlichen Teil das Resultat einer zielgerichteten politi-
schen Entscheidung gewesen ist. Einen Erklärungsansatz in dieser Richtung offe-

191 Vgl. Alexander 1978a, S. 23; Holloway 1983b, S. 159; Holloway 1984, S. 372
192 Vgl. für eine nähere chronologische Schilderung der Auseinandersetzungen zwischen
Chruschtschow und den Militärs sowie Rüstungsmanagern Morozow 1982, Kap.34
193 Vgl. Alexander 1978a, S. 23 und Holloway 1984, S. 372
194 U.S. CIA/DIA 1986, S. 5
196 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

riert auch Robert Gates von der CIA in einem Hearing vor dem ,,Joint Economic
Committee" des US-Kongresses:
"Der Rückgang an Beschaffungen hielt zu lange an, um ausschließlich Ergebnis von
Engpässen und technischen Problemen zu sein. Wir gehen davon aus, daß, wenn dies
der Fall gewesen wäre, wir Anzeichen dafür verzeichnet hätten, daß die politische Füh-
rung die zusätzlichen Mittel freigegeben hätte, die erforderlich gewesen wären, um die
wirtschaftlichen Schranken für Rüstungsbeschaffungen zu überwinden. Das Ausbleiben
solcher Anhaltspunkte verweist auf eine Entscheidung der Führung, entweder die Zu-
wachsraten für Beschaffungen knapp zu halten oder keine zusätzlichen Mittel bereitzu-
stellen, die für die Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten benötigt werden,
die sie bedrängen. Mit Sicherheit werden Bewertungen sowohl der Entwicklung der So-
wjetwirtschaft wie auch des Kräfteverhältnisses mit den Vereinigten Staaten in jener
Periode in jene Entscheidungen eingegangen sein."l95
Jedoch gibt die CIA keine Einschätzung des relativen Gewichts der drei von ihr
benannten Faktoren (ökonomische Schwierigkeiten, technische Probleme und poli-
tische Erwägungen), die beim Entscheidungsprozeß der sowjetischen Führung
unter Breschnew eine Rolle gespielt haben sollen.l96 Kaufman hebt neben den
SALT-Vereinbarungen in den 70er Jahren die zunehmenden wirtschaftlichen
Schwierigkeiten als einen wesentlichen Antriebsgrund für eine bewußte politische
Entscheidung hervor, die Wachstumsrate insbesondere beim investiven Teil der
Militärausgaben zu reduzieren, um über die Verminderung oder zeitliche Strec-
kung von Waffenbeschaffungen die militärisch bedingten Belastungen und die dar-
aus resultierenden Probleme für die Volkswirtschaft abzumildem.l97
Eine Verlangsamung der Wachstumsrate bei den Militärausgaben, vor allem
im Bereich der Waffenbeschaffung, und die Investition der eingesparten Ressour-
cen in der Zivilwirtschaft als Resultat zielgerichteter politischer Entscheidungen
der Führung hat für die Rüstungsindustrie und das Militär zwangsläufig zu ver-
schärften Auseinandersetzungen um knappe Ressourcen im System geführt. Re-
becca Strode hat dies für die Gruppe der Militärs näher nachgezeichnet. So waren
ab Mitte der 70er Jahre deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen der ober-
sten politischen Spitze und der militärischen Führung über die Höhe der Militär-
ausgaben auch in der Öffentlichkeit sichtbar. Weiter gab es offensichtlich im Ver-

195 U.S. Congress, JEC, Allocation 1985, S. 7!8


196 Vgl. ausführlicher für eine Erörterung des Problems der Gewichtung der von der CIA
genannten drei Faktoren für die Verlangsamung der Wachstumsrate bei den militäri-
schen Beschaffungen Kaufman 1985
197 Vgl. Kaufman 1985, S. 183; Die möglichen Entlastungseffekte für die sowjetische
Volkswirtschaft beschreibt Robert Gates von der CIA in einer schriftlichen Stellung-
nalune vor dem Joint Economic Committee folgendermaßen: ,,Die anhaltende Ein-
schränkung von militärischen Beschaffungen ... gab der Volkswirtschaft etwas Atem-
luft. Die Fortschreibung des Wachstums für Beschaffungen gemäß der früheren Rate
nach 1976 hätte das Volumen für Rüstungskäufe um 25 Prozenterweitert und die Ver-
teidigungsbelastung um mindestens einen Prozentpunkt erhöht. Die für Investitionen
verwendeten Ressourcen sind diejenigen, welche am ehesten für Rüstungsbeschaffun-
gen im betracht kommen. Wenn alle Investitionen entfielen, wäre die Zuwachsrate für
Investitionen um fast zwei Prozent pro Jahr gefallen. Die Stagnation bei den Rü-
stungskäufen gestattete es der Führung, die Investitionen über das Niveau hinaus zu
steigern, welches ursprünglich für 1981-85 geplant war." in: U.S. Congress, JEC, Al-
location 1985, S. 65
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 197

teidigungsministerium heftige Debatten zwischen den Teilstreitkräften um den


Verteilungsschlüssel der knapper gewordenen Rüstungs-Rubel. Zwar waren alle
fünf Teilstreitkräfte des sowjetischen Militärs von dem verminderten Wachstum
bei den Militärausgaben betroffen, doch traf es sie in unterschiedlichem Ausmaß.
So mußten die Strategischen Raketenstreitkräfte und die Luftverteidigungsstreit-
kräfte absolute Reduzierungen ihrer Budgets hinnehmen)98
Vergleichsweise konkrete Evidenz gibt es für das Verhalten der Minister der
sowjetischen Rüstungsindustrie leider nicht. Eine Entscheidung über die Änderung
der militärischen Investitionsprioritäten, die nach 1976 eingetreten ist, muß wäh-
rend der Zeit des 9. Fünfjahresplans (1971-1975) gefallen sein. Zu dieser Zeit war
der für die Rüstungsindustrie zuständige ZK-Sekretär Ustinow, der Breschnew po-
litisch nahe stand. Aufgrund seiner Funktion wird Ustinow mit Sicherheit in den
Entscheidungsprozeß zur Reduzierung der zuvor üblichen Zuwächse bei den Mili-
tärausgaben einbezogen worden sein und es bleibt unwahrscheinlich, daß eine Kür-
zung der Beschaffungsraten militärischer Hardware ohne sein Einverständnis er-
folgt ist. Darüber hinaus hat Ustinow im Gegensatz zu den Militärs in dieser Zeit
auch die SALT-I Vereinbarung und die Weiterführung des Rüstungskontrollpro-
zesses unterstützt.l99
Dem ZK-Sekretär dürfte das innige Wechselverhältnis zwischen militärischer
und ökonomischer Stärke und die Problemlage bewußt gewesen sein, daß die
gleichzeitige Steigerung der Militärausgaben in der gewohnten Höhe und die allge-
meine Entwicklung der Volkswirtschaft, deren Zustand wiederum entscheidend für
eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit ist, zunehmend schwieriger zu integrierende
und teilweise auch konfligierende Ziele darstellen. Die Ausführungen eines sowje-
tischen Ökonomen aus dem Jahre 1981 könnten durchaus repräsentativ für die
Auffassung und Einstellung von Ustinow zu diesem Themenkomplex sein:
"Die Verschärfung der internationalen Lage zwingt den sozialistischen Staat, Rüstungs-
produktion und -verbrauch zu steigern, während die Einsparung von Spannungen Min-
derungen gestattet, neben einer gezielten Nutzung des Wirtschaftspotentials für die He-
bung des Lebensstandards der Werktätigen und der Entwicklung der Volkswirtschaft.
Es bleibt einerseits unmöglich, eine Minderung der militärisch-industriellen Macht hin-
zunehmen, weil in diesem Fall die Verteidigungsfähigkeit des Landes bedroht wäre.
Andererseits kann ein exzessiver Anstieg des rüstungswirtschaftlichen Potentials nicht
zugestanden werden, weil dieser letztendlich die Entfaltung eben der Grundlage der mi-
litärischen Fähigkeiten - die Ökonomie - behindern könnte und so irreparable Schäden
bei der Verteidigungsfahigkeit bewirken könnte ... Das Interesse, unsere Verteidigungs-
fähigkeit zu stärken, ist in allen Phasen der Entwicklung unseres Gemeinwesens bei der
Wirtschaftspolitik der Partei berücksichtigt worden. Mit dem Aufbau des entwickelten
Sozialismus und dem Erreichen moderner Leistungsformen des Wirtschaftspotentials
sind günstigere Bedingungen für die harmonische Verbindung der Interessen an der
Hebung der Volkswohlfahrt, der weiteren Entwicklung der Volkswirtschaft und der
Stärkung des Rüstungspotentials des Landes gebildet worden."200

198 Vgl. ausführlicherStrode 1986


199 Vgl. Weickhardt 1985, S. 78
200 A.l. Pozharov, The Economic Foundations of the Defense Might of the Socialist
State, Moscow 1981, S. 116 und 120 zitiert nach: U.S. Congress, JEC, Allocation
1982, S. 131/132 und Holloway 1985, S. 39 (Hervorhebung d. Verf.)
198 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Die Stärkung der industriellen und technologischen Basis der UdSSR durch eine
temporäre Verminderung des Zuwachses bei militärischen Beschaffungen sowie
durch eine stärkere Verknüpfung der Rüstungsindustrie als dem technologisch fort-
geschrittensten Sektor mit der Zivilwirtschaft könnten das Kalkül gewesen sein,
das Ustinow zu einer Zustimmung einer für die Beschneidung militärischer Belan-
ge bewogen hat.
Für die Minister der Rüstungsindustrie sind die Änderung der Investitionsprio-
ritäten mit der Zuweisung vermehrter Vemntwortlichkeiten für die zivile Produk-
tion verbunden gewesen. Diese Maßnahme ist vermutlich als eine gewisse Bedro-
hung ihrer Interessen aufgefaßt worden. Längerfristige Abschwächungen der mili-
tärischen Prioritäten dürften die Minister eher als Bürde denn als Gelegenheit zur
Verbesserung ihrer Position sehen, bleibt doch die Zivilproduktion größeren Un-
wägbarkeiten ausgesetzt Die Vermutung liegt nahe, daß die ministeriellen Füh-
rungscrews den Versuch unternommen haben, die Auswirkungen solcher politi-
schen Entscheidungen für ihren Bereich zu minimieren. Ihr Widerstand könnte je-
doch unterschiedlich ausgefallen sein. Ein CIA-Repräsentant hat zu der Verlangsa-
mung der Indienstnahme neuer Waffensysteme seit 1976 folgende Einschätzung
abgegeben:
"Praktisch sind alle Arten von Sowjetwaffen betroffen- Raketen, Kampfflugzeuge und
Schiffe. Dieser Vorgang ist nur teilweise durch den Übergang auf neuere, komplexere
Waffensysteme ausgeglichen worden, die mehr kosten."201
Sind aber sämtliche Rüstungskategorien gleich betroffen gewesen? Kaufman hat
anband einer Analyse öffentlich zugänglicher Daten der US-amerikanischen Ge-
heimdienste zur Produktion und Dislozierung sowjetischer Waffensysteme in die-
sem Zeitraum herausgefunden, daß bei den meisten Waffenkategorien in der Pro-
duktion entweder gleichbleibende oder fallende Raten festzustellen sind, sich aber
bei bestimmten Kategorien doch Differenzen zeigen. Das deutet auf eine Änderung
von Prioritäten beim Waffenmix hin. Kaufman kommt zu folgendem Ergebnis:
"Die Produktionszahlen legen den Schluß nahe, daß die Programmausdünnungen nicht
wahllos oder überall erfolgten. Anscheinend konzentrierten sie sich auf strategische
Waffen. Teile der herkömmlichen Rüstung hielten das vorige Niveau oder gingen leicht
zurück, aber der allgemeine Trend wies nach oben."202
Dieser Einschätzung zufolge sind einige Ministerien der Rüstungsindustrie stark,
andere nur wenig von der allgemeinen Reduzierung der Zuwächse im militärischen
Produktionsbereich betroffen gewesen. Somit dürfte vermutlich die Haltung und
mögliche Opposition der Minister zu dieser politischen Entscheidung unterschied-
lich ausgefallen sein. Generell könnte die potentielle Opposition der Minister je-
doch durch die Gegebenheit abgeschwächt worden sein, daß sie im Gegensatz zum
Militär eine gewisse Kompensation durch vermehrte Verantwortung für Zivilpro-
duktion erhielten. So stellt die Rüstungsindustrie in der sowjetischen Volkswirt-
schaft die technologisch fortgeschrittensten und qualitativ hochwertigsten Kon-
sumgüter her, was ihr eigentlich prinzipiell eine gute Ausgangsposition bei der
Ressourcenallokation verschaffen sollte.203

201 U.S. Congress, JEC, Allocation 1984, S. 230


202 Kaufrnan1985,S.189
203 Vgl. ausführlicher Cooper 1986
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 199

Insgesamt gesehen spricht der lange Zeitraum, über den sich die Reduzierung
des Wachstums bei den militärischen Beschaffungen erstreckt hat, für die Durch-
setzungsfahigkeit der politischen Führung und Ustinows gegenüber den Ministern
der Rüstungsindustrie. Die auch nach 1976 weiterbestehende personelle Kontinui-
tät bei den leitenden ministeriellen Administratoren in der Rüstungsindustrie, sieht
man von den aus Altersgründen erforderlich gewesenen Wechseln ab, könnte als
ein Hinweis auf ihre Fügsamkeit gewertet werden.

4.2.3 Die Waffenkonstrukteure

Die Unterteilung in die vorgenannten drei Interessengruppen und die mit diesem
Schritt verbundene These von Interessenkonflikten läßt sich empirisch auf zwei
Arten untermauern. Die Memoirenliteratur (besonders Jakowlew) bringt zahlreiche
Hinweise auf Reibungen zwischen den die Nachfrageseite verkörpernden Rü-
stungsministerien auf der einen Seite und den diese Nachfrage erfüllenden Grup-
pen der Konstrukteure und Betriebsleiter auf der anderen Seite. Zugestandener-
maßen haben die Konflikte um Termine und ihre Nichteinhaltung oder um Lei-
stungsanforderungen an Produkte sachliche Wurzeln. Es läßt sich aber leicht zei-
gen, daß über die in der Sache liegenden Anlässe hinaus die Beteiligten sich grup-
penhaft verhalten, gemeinsame Wahrnehmungen des Gegenübers entwickeln, par-
allele Reaktionsmuster an den Tag legen, und dieses alles an ihre Nachfolger wei-
terreichen. In einem vom Mangel geplagten und staatlich gelenkten System führt
gerade der Konflikt zwischen Nachfrage nach Prioritätsprodukten und der stets als
nicht zureichend gewertete Versuch, solchen Begehren nachzukommen, zu stabilen
Fronten der Auseinandersetzung, die durch das in der UdSSR etablierte System
von Sanktionen, nämlich der persönlichen Haftbarmachung bei einer Schuldzuwei-
sung, verstärkt wird. Gruppenhafte Aktionsweisen als Verhaltensmuster und nicht
nur gemeinsame Anliegen von einer Gruppe Zugehörigen charakterisieren das so-
wjetische System augenscheinlich wesentlich stärker als andere Industriesysteme.
Auch zwischen der zweitgenannten Gruppierung der führenden Konstrukteure,
Wissenschaftler und Techniker auf der einen Seite und den Managern und anderem
Führungspersonal gibt es eine Grundlinie von Gegensätzen, die für permanente
Spannungen sorgt, obwohl beide Gruppen gemeinsam die Sorge haben, gebührend
auf die staatliche Nachfrage mit dem gemeinsamen Produkt zu reagieren.
Diese Grundspannungen sind rasch skizziert. Für die Konstrukteure und ihre
Teams ist nichts natürlicher als die Auffassung, sich einem neuen, noch moderne-
ren Waffensystem zuzuwenden, sobald die letzten Werkzeichnungen des Vorgän-
germusters die Zeichenräume verlassen haben. Eine kontinuierliche Proliferation
von Innovation gehört zu ihrem Berufsethos. Natürlich wissen diese Konstrukteu-
re, daß die Streitkräfte nur in Zyklen neues Gerät bekommen können, und daß die
Serienherstellung ihrer Entwürfe eigenen Regeln folgt. Aber ihnen kann und darf
(aufgrund ihrer Aussagen) das Bestreben unterstellt werden, ohne Unterbrechung
rüstungstechnische Fortschritte zu bewerkstelligen, und die Innovationszyklen im
sowjetischen Rüstungswesen möglichst zu verkürzen.
Genau das gegenteilige Bestreben gilt für die Betriebsmanager. Jede Ände-
rungsverfügung der Konstruktionsbüros, und sei es nur die geringfügigste, unter-
bricht zunächst einmal die möglichst routinierte Abwicklung der Produktion.
Äußerungen sowjetischer Rüstungsmanager läßt sich die - ja überzeugend wirken-
200 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

de- Grundauffassung entnehmen, am besten wäre es, die Konstrukteure ließen sie
mit ihren Werkstätten nach der Übergabe der Baupläne in Ruhe. Dann könnten sie
frei die Fertigung organisieren und ungehindert große Stückzahlen der verlangten
Waffen herstellen.
Natürlich stellt dieses Bild eine Simpliftzierung dar. Der Produktionsanlauf ei-
nes modernen Waffensystems stellt in West und Ost ein Großmanöver dar, bei dem
es hüben und drüben nicht ohne engen wechselseitigen Kontakt zwischen Kon-
struktion und Fertigung geht. In der Phase des Prototypen- und Vorserienlaufes fal-
len zahllose fertigungstechnische Probleme, aber auch Notwendigkeiten zur Kon-
struktionsanpassung an, die eben diese Phase zur kostenaufwendigsten in der ge-
samten Entwicklungsgeschichte eines Waffensystems oder wichtiger Komponen-
ten machen.204 Auch melden in späteren Phasen der "Biographie" einer Waffe die
Streitkräfte Änderungswünsche an, die die Rüstungsmanager nicht gut abschlagen
können. Die Truppentauglichkeit neuer Waffen läßt häufig zu wünschen übrig, im
Dauerbetrieb stellen sich Schwachstellen von Konstruktionen heraus, die zuvor
nicht erkannt wurden, rasche Fortschritte in der Elektronik zwingen zu Anpasson-
gen gesamter Waffenkonzepte. Bei so komplexen Produktionsgütern wie z.B.
Kampfflugzeugen sind während des Produktionslaufes in der Serie fortlaufend
Nachhesserungen erforderlich, wie Jakowlew beschreibt:
"Über die Zeit, wenn ein Flugzeug im Truppendienst benutzt wird, kommen alle Män-
gel, die es haben mag, ans Tageslicht und werden beseitigt; aber ein Kampfflugzeug
kann eigentlich nur als frei von Mängeln zu dem Zeitpunkt eingestuft werden, wenn die
Serienproduktion eingestellt wird und dann neue und bessere Maschinen fertig kon-
struiert sind, mn es zu ersetzen- welche wiedermn zunächst mit ihren ,Kinderkrankhei-
ten' behandelt werden müssen."205
Die Rüstungsmanager sehen sich mithin in einem Dauerkonflikt zwischen zwei
Feuern: Konstrukteure und Generäle, freilich mit unterschiedlichen Zeit- und Än-
derungsvorstellungen, drängen fortwährend auf Produktwandel, während die ge-
plagten Produktionsleiter eben auf die Kontinuität ihrer Produktion aus sein müs-
sen.
Für das Konfliktpotential zwischen Konstrukteuren und Militärs mag eine Epi-
sode aus der Stalinzeit charakteristisch sein - auch wenn die damalige Lösung heu-
te nicht mehr möglich ist:
"Der staatliche Verteidigungsrat hatte Berichte erhalten, daß der Panzer KW, der ge-
bührend getestet worden war, an Kampfkraft eingebüßt hatte. Offenbar war er zu
schwer geworden und hatte an Zuverlässigkeit verloren.
Stalin wünschte Kotin, den Konstrukteur, zu sprechen. (...) Wie sich herausstellte,
hatten die Militärs mn eine Anzahl nicht erforderlicher Verbesserungen nachgesucht,
und der Konstrukteur, in einer abhängigen Position (vor der Annahme seiner Konstruk-
tion, d. Verf.) hatte zugestimmt, diese zu übernehmen."

204 Nach A. Parthasarathi (einem indischen Experten, der Nachbauten sowjetischer Rü-
stungsgüter in Indien betreut) entfallen auf das ,,manufacturing, engineering and too-
Iing" in der Elektronik 40 bis 60 Prozent der Forschungsvorkosten, zuzüglich 5 bis 15
Prozentfür "experimental manufacturing". Vgl. Economic and Political Weekly, vol.
V, 28. Nov. 1978.
205 Jakowlew, a.a.O., S. 175
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 201

Stalin bezichtigte die Panzerkonstrukteure der Unverantwortlichkeil


"Sie müssen schon Ihren Grips bemühen," äußerte er, "wenn Sie beginnen, ein Kampf-
fahrzeug zu verbessern. Sie müssen alle Leistungsparameter im Blick haben, bevor Sie
die Panzerung verstärken oder den Tankinhalt vergrößern ... Sagen Sie dem Konstruk-
teur, daß er nicht so weich sein soll. Ein Konstrukteur darf es sich nicht gestatten, von
anderen geführt zu werden, er bleibt derjenige, der zuallererst für seine Fahrzeuge ver-
antwortlich ist, und wenn ihm unbegründete und unverantwortliche Forderungen ge-
stellt werden, dann muß er protestieren."206
Die Gewichte in diesem Konfliktdreieck sind nun nicht stabil, sondern haben sich
in der Nachkriegszeit deutlich verschoben. Schon aufgrund der Kriegserfahrung
stand zunächst die Produktion mit ihren Wünschen im Vordergrund. Amerikani-
sche Fachleute, die als erstes die Fertigung sowjetischer Transportflugzeuge stu-
dieren durften, zeigten sich überrascht, welche Produktionsimperien sich einzelne
Rüstungsmanager erkämpft hatten. Die Betriebsleitung des Werkes Nr. 402 in By-
kow mit der Großserienproduktion der viermotorigen Iljuschin 11-18 beschäftigt,
erzeugten möglichst alle für das Flugzeug benötigten Einzelteile im eigenen Werk,
bis hin zu Schrauben und Muttern oder gar den Gummidichtungen für die Hydrau-
likschläuche (gemeinhin gilt es als wirtschaftlicher, solche besonderen Produkte
bei Fachfirmen zu kaufen). Der Widerstand der Rüstungsmanager gegen Ände-
rungswünsche von Konstrukteuren und Militärs rührte überflüssigerweise zum Teil
daher, welche Modifikationen des Flugzeuges die bescheidene gummitechnische
Abteilung des Werkes ausführen konnte oder nicht. -Das Gewicht der Betriebs-
perspektive läßt sich ferner daran studieren, in welcher Welse fertigungstechnische
Auflagen die Lösungen der Konstrukteure bestimmten. Aus Mangel an moderne-
ren Werkzeugmaschinen galt für sowjetische Düsenjäger lange der Imperativ, daß
die Flugzeugzelle in Regelflächen auszuführen sei (d.h. Änderungen der Konturen
nur in zwei Dimensionen für die Blechbeplankungen zugelassen wurden). Dreidi-
mensional zu fertigende Teile bedurften besonderer Begründung und durften nur
im Notfall vorgesehen werden. Komplizierte Teile, die in Metall nur mit größer
Mühe herstellbar waren, wurden mitunter bis zu modernsten Überschalljägern -
wenn dies ging- in Holzbauweise ausgeführt (etwa Außenkanten von Höhenleit-
werken- ein beim MRCA Tornado auch im Westen bis heute geübten Verfahren).
Einfachheit von Konstruktionen, eine auch von den Militärs geteilte Priorität, be-
stimmte lange den Aufbau sowjetischer Waffensysteme, im Gegensatz zu den
high-tech-Lösungen für dieselbe Aufgabe im Westen.
Mittlerweile haben die Konstrukteure eine ungleich stärkere Stellung, die
Grundsätze der Massenproduktion bestimmen nicht mehr in dem Maße wie zuvor
ihre Entwürfe. Die Ausführung der Zellen sowjetischer Kampfflugzeuge erweist
sich heute bei näherem Studium als stärker von Leistungsgesichtspunkten be-
stimmt- die Militärs haben augenscheinlich den Koalitionspartner gewechselt und
verbünden sich heute eher mit den Konstrukteuren, um Hochleistungsgerät zu er-
halten, welches westlichen Waffenparoli bieten kann.
Widerspruch löst in der UdSSR die These aus, daß die Fachleute in der Rü-
stungstechnik die Elite ihrer jeweiligen Hochschuljahrgänge bilden, ebenso wie die
Gegenthese, daß ins Ghetto der Rüstungsindustrie mit ihren scharfen Geheimhal-
tungszwängen eher wissenschaftlich weniger motivierte Absolventen gelangen.

206 Wiedergegeben nach Jakowlew, a.a.O., S. 214 f. (der so Stalin wörtlich wiedergibt).
202 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Der damals in einem der Rüstungsministerien tätigeM. Agursky, heute im Westen,


verweist darauf, daß das höhere Gehalt in der Rüstungsforschung durchaus einen
Anreiz bewirke. Andererseits schrecken, so Agursky, die Aussichten von einer Rü-
stungskarriere ab, nie eine Auslandsreise antreten zu können, auch nicht ins sozia-
listische Ausland, nicht wissenschaftlich publizieren zu können, keine der einträg-
lichen Nebenaufgaben im beruflichen Weiterbildungswesen oder bei populären
Sendungen oder Vortragsreihen übernehmen zu dürfen- alles bekannte Aspekte,
die das Leben eines sowjetischen Naturwissenschaftlers oder wissenschaftlich am-
bitionierten Ingenieurs attraktiv machen.207
Professor Nikolaj Karlow, Rektor des Moskauer PhysTech (einer Art Techni-
scher Hochschule, 1946 von Stalin per Dekret gegründet, um dem Mangel an
Fachleuten in der Rüstung abzuhelfen), hält diese Sicht für zu vereinfacht und zu-
mindest für veraltet. In den späten vierziger Jahren und bis in die sechziger Jahre
hätten verständlicherweise große militärische Projekte im Vordergrund gestanden.
Die besten Köpfe jedes Jahrgangs hätten jedoch regelmäßig eine klassische wissen-.
schaftliehe Motivation entwickelt und seien, wie er, Karlow, selber, im Hochschul-
bereich verblieben. Als Schlußfolgerung ergibt sich, daß ähnlich wie im Westen
keine kategorischen Aussagen möglich sind, wie der Intelligenzquotient von Ab-
solventen und Rekrutierungsmuster des Rüstungssektors miteinander korrelieren.

Die Generationsfolge in den Konstruktionsbüros


In den vorstehenden Kapiteln ist verschiedentlich die sogenannte biographische
Methode als eines der wenigen Hilfsmittel benutzt worden, welches detaillierte
Einzelinformationen über Alltagsgeschehen in der Sowjetunion erheben hilft Mit
der "biographischen Methode", dem Verfolgen der Biographie von Männem (sehr
wenigen Frauen), die im Sowjetsystem eine herausragende Rolle einnehmen, soll
gewiß nicht der Tendenz zur Heroisierung gefolgt werden, welcher wir diese aus-
führlichen Darstellungen von Lebensläufen verdanken. Diese Lebensläufe lassen
sich auch systematisch auswerten, indem etwa die Biographien aller Flugzeugkon-
strukteure, oder die Lebensläufe von Fachleuten in der Panzerindustrie nebenein-
andergestellt und ausgewertet werden. Ein solches Verfahren bietet interessante
Aufschlüsse besonders für die Antwort auf solche Fragen, wie Nachfolgerproble-
me gelöst werden.
Allgemein bekannt ist, daß das Sowjetsystem bis heute für den Machtwechsel
an der Führungsspitze kein Regelverhalten kennt - vor Gorbatschow sind alle Ge-
neralsekretäre bis zurück auf Chruschtschow, der abgesetzt wurde, buchstäblich
am Schreibtisch gestorben. Ähnliche Muster lassen sich, wie gleich gezeigt wird,
auf wenig niedrigeren Führungsebenen verfolgen. Völlig abweichend von den Pen-
sionierungsgewohnheiten im Westen, oder auch dem Mißtrauen gegenüber älteren
Managern in der Privatwirtschaft, sind hin und wieder bei den Fallstudien steinalte
Verantwortliche auffällig gewesen. Durch die Auswertung von Biographien soll in
diesem Abschnitt untersucht werden, anband welcher Kriterien Nachfolger in
wichtigen Positionen der sowjetischen Rüstungsindustrie bestimmt werden. Dabei
wird man gar auf Züge von Nepotismus stoßen - Söhne erben Positionen von Vä-

207 Vgl. M. Agursky/H. Adomeit 1979, S. 114 ff. (Agursky hat diese Aussage mehrfach
publiziert, hier wird eine einfach greifbare Quelle angegeben.)
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 203

tern, zumindest in der Vergangenheit.208


Im Hochtechnologiesektor Rüstung ist das Problem freilich komplizierter. In-
novative Talente müssen gefördert werden, müssen Verantwortung bekommen.
Dazu genügt nicht eine allgemeine Aufgeschlossenheit gegenüber jüngeren Fach-
leuten, was in einem gerontokratischen System schwer durchsetzbar ist. Gerade in
der Rüstung stellt somit die Auswahl geeigneter Nachfolger ein Schlüsselproblem
dar, an dem das System insgesamt krankt. Die Leiter der großen Konstruktionsbü-
ros, die den Zweiten Weltkrieg überlebten, wurden weithin bekannte Persönlich-
keiten, mit den höchsten Orden ausgezeichnet und mit hohen militärischen Titeln
geehrt (dem Leiter eines Konstruktionsbüros wurde üblicherweise der Titel eines
Generalmajors verliehen). Sie gehörten zur sowjetischen Elite, welche offen als
"Nomenklatura", die herrschende Klasse, bezeichnet wurde. Es könnte sein, daß
diese etablierten Persönlichkeitentrotzall ihrer Verdienste bei ihren Neukonstruk-
tionen zu sehr konventionellen Ansätzen den Vorzug geben beziehungsweise zu
häufig Zuflucht zu einer Schritt-für-Schritt-Verbesserung in der Waffenentwick-
lung nehmen. Alexander und Kaldor haben besonders auf diese Vorliebe für gra-
duelle Verbesserungen bei der sowjetischen Waffenkonstruktion hingewiesen.209
Die große Frage bleibt, wie dieses System von großen Konstruktionsbüros, von
autokratischen Mitgliedern der Nomenklatura geführt, die einschneidenden militär-
technischen Innovationen gemeistert hat, den Schritt zu Düsentriebwerken und
Überschallgeschwindigkeit für Flugzeuge, die Anwendung hochentwikkelter Ver-
fahrenstechniken in der militärischen Produktion, zum Beispiel numerisch gesteu-
erte Maschinen, und insbesondere die zunehmende Bedeutung der elektronischen
Kriegsführung. Die Einführung neuer Mittel zur Kriegsführung, insbesondere weit-
reichender Raketen, wirft weitere Fragen dahingehend auf, wie das sowjetische Sy-
stem diese Herausforderungen bewältigt. Da bei der Bezeichnung sowjetischer
Kampfflugzeuge immer noch die großen alten Namen benutzt werden (es gibt eine
Folge von MiGs, Tupolews, Suchojs und so weiter), neigen selbst informierte Be-
obachter dazu, anzunehmen, daß es kaum irgendeinen Wechsel in der Industrie-
struktur gegeben hat, der zu moderner Luftfahrttechnik führt. Offensichtlich be-
steht hierüber in den jüngsten zugänglichen Quellen Unklarheit.
Spezielle Faktoren tragen zu dieser Unklarheit bei. Wie andere "Gerontokra-
ten" in der Nomenklatura sind die alten Konstrukteure bestrebt, bis zum letztmög-
lichen Augenblick an der Spitze ihrer Konstruktionsbüros zu bleiben. Pawel 0. Su-
choj, der berühmte Konstrukteur einer Reihe von Jagdflugzeugen, behielt die Ver-
antwortung für sein Team bis zu seinem Tode im September 1975, nachdem er es
seit Ende der 20er Jahre geleitet hatte. Er starb praktisch in vorderster Linie. Ein
Gleiches läßt sich bei anderen Chefkonstrukteuren beobachten. Allenfalls Krank-
heit veranlaßte sie, ihre Funktionen aufzugeben. Das Abtreten führender Konstruk-
teure ist offensichtlich ein objektives Datum, welches einen Wechsel in der Kon-
struktionsleitung anzeigt. Mit Ausnahme des Antonow-Konstruktionsbüros haben
alle aeronautischen Konstruktionsbüros inzwischen einen neuen Leiter.
Diese Hinweise veranlassen zu einer Prüfung, wie Führungswechsel in der so-

208 Die Namen sind den üblichen Nachschlagewerken entnommen, vor allem aus Gun-
ston 1983, Sweetman 1985 und den Jahrbüchern der Jane's Serie
209 Vgl. ausführlicher Kapitell. I.
204 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

wjetischen Rüstungsindustrie stattfindet, und wer davon profitiert. Um diese Fra-


gen zu beantworten, sollen die folgenden Einzelfragen thematisiert werden:
- Wie lange sind die Gründerpersönlichkeiten der berühmten KB oder OKB (das
"0" steht für "Opytno", oder ,,Experimental-") aktiv gewesen, welche Gründe
gibt es dafür, daß Teams weiterhin ihren Namen tragen?
Wie wird, nach dem Ausscheiden der Gründergeneration, die Führung von
Konstruktionsteams auf jüngere Kader übertragen?
Wann und warum wird ein KB geschlossen? Gibt es Strafen für unzureichendes
Konstruieren?
Und schließlich, gibt es ein allgemeines Muster, wie innovative jüngere Kon-
strukteure nach vorn durchstoßen?

Das Problem der Überalterung führender sowjetischer Flugzeugkonstrukteure


Praktisch alle der großen alten Konstrukteure, die ihren Konstruktionsbüros und
den dort produzierten Modellen ihren Namen gaben, sind nicht mehr aktiv. Einer
der Konstrukteure, die überaltert und in der Zwischenzeit gestorben sind, ist Sergej
Wladimirowitsch 11juschin, der Kopf des Konstruktionsbüros für schwere Trans-
portflugzeuge und leichte Bomber, der am 9. Februar 1988 im Alter von 83 Jahren
starb. Er war anscheinend bis Mitte der siebziger Jahre aktiv und übergab die Lei-
tung dann an Genrieb V. Nowoschilow (Chefkonstrukteur für den Schwertranspor-
ter 11-76 Candid und das Großraumpassagierflugzeug 11-86 Camber).
Nikolaj I. Kamow, der wichtigste Konstrukteur von sowjetischen Marinehub-
schraubem, starb im Alter von 71 Jahren im November 1973. Seine wichtigsten
Entwürfe, etwa der Ka-25, basierten üblicherweise auf Gemeinschaftsentwürfen
mit anderen Konstrukteuren (seine allererste Konstruktion, der erste erfolgreiche
sowjetische Hubschrauber überhaupt, der KaSkr-1, wurde zusammen mit Skrschi-
schinskij gebaut; die mit den Bezeichnungen Ka-15 und Ka-18 bekanntgeworde-
nen Hubschrauber entstanden gemeinsam mit Wladimir Barschewskij). 1969 löste
S.W. Mikejew Kamow als Chefkonstrukteur des Büros ab, er zeichnete etwa ver-
antwortlich für den bekannten Hubschrauber Ka-26. Dennoch behielt das Büro den
Namen von Kamow und wurde nicht etwa nach Mikejew umbenannt
Im Dezember 1970 starb Generaloberst Artern I. Mikojan, neben Michail I.
Gurewitsch, der lange zuvor ausgeschieden war, der führende Kopf im MiG-Team.
Dieses wichtigste Konstruktionsbüro für die Entwürfe moderner sowjetischer Jäger
wird nunmehr von Rotislaw A. Beljakow angeführt, es behält aber trotzdem die
Bezeichnung aus den Namen der Gründungsväter bei.
M.L. Mil, der augenscheinlich bis 1969 sein Büro geleitet hat, starb Ende Ja-
nuar 1970. Mil gelang es, zum führenden Konstrukteur sowjetischer Hubschrauber
aufzusteigen, als einzige Konkurrenz bleib Kamow übrig. Auch das Mil-Büro führt
den Namen des Gründers weiter.
Auch das von Pawel 0. Suchoj angeführte Konstruktionsbüro, dessen wechsel-
haftes Schicksal in den vorstehenden Einzelstudien thematisiert worden ist, über-
lebte. Zwar starb der Gründer im September 1975. Sein Team arbeitet aber unter
seinem Namen weiter, nunmehr geleitet von E.A. Iwanow.
Alexandr S. Jakowlew, der umtriebigste der sowjetischen Flugzeugkonstruk-
teure, der vom Hubschrauber über Schulflugzeuge, Senkrechtstarter, Kampfflug-
zeuge bis hin zu Verkehrsflugzeugen an vielerlei Technologielinien engagiert war,
müßte heute seinem Alter nach Pensionär sein, obwohl er weiterhin nominell sei-
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 205

nem Konstruktionsbüro vorsteht.


Wie erwartet, tritt die erste Generation hochrangiger Konstrukteure jetzt ab.
Dies führt zu der Frage, wer die verbliebenen Lücken füllt. Theoretisch könnte ir-
gendein begabter jüngerer Ingenieur dazu ernannt werden, ein bestehendes Kon-
struktionsteam zu übernehmen oder sein eigenes Konstruktionsbüro zu gründen. In
ihrer kompetenten Studie über russische Flugzeuge seit 1940 stellt Jean Alexander
fest:
"Wenn die Anforderung auf dem Vorschlag eines Konstrukteurs basiert, der kein Expe-
rimentalentwicklungsbtlro (OKB) leitet, kann der Minister beschließen, ein neues OKB
einzurichten mit dem Urheber des Projekts als Chefkonstrukteur."210
Da kein neues Konstruktionsbüro eingerichtet worden ist, bleibt diese Annahme
theoretisch. Im Gegenteil, die alten Konstruktionsteams behalten die Namen ihrer
Gründer. Trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, daß neue Leute an die Spit-
ze großer etablierter Konstruktionsteams gesetzt werden, die unter ihrem alten Na-
men weiterbestehen. Die Tatsache, daß einige der Nachfolger praktisch unbekannt
sind, bedeutet nicht zwingend, daß sie auch unerfahren sind. In einigen Fällen sind
langjährige Stellvertreter der alten Konstrukteure bekannt, doch offensichtlich
bleibt diesen normalerweise die Nachfolge versagt.
Die wechselhaften Nominierungen von Nachfolgern bei den Konstruktionsbü-
ros in der Flugzeugindustrie deuten an, daß sich bisher kein klares Strukturmuster
für die Nachfolge herausgebildet hat (vgl. Tabelle 7). Während die Gründungsvä-
ter, die ihr eigenes Büro gründen konnten, ohne Ausnahme den Titel "Generalkon-
strukteur'' verliehen bekamen, erreichen die Nachfolger eine solche offizielle No-
menklatur nicht. ·
In der Tabelle gibt die erste Kolumne die "Gründergeneration" wieder. Wie er-
sichtlich, haben nur die Nachfolger der MiG- und Mil-Teams den prestigiösen Ti-
tel "Generalkonstrukteur als Leiter des Büros" erhalten. Die Mehrzahl der Nach-
folger scheint ein begrenzteres Mandat bekommen zu haben, vom ,,Ersten Kon-
strukteur'' bis zum "Leiter des Konstruktionsbüros". Diese schwankenden Bezeich-
nungen sollen nicht überinterpretiert werden, sie zeigen jedoch an, daß es kein ge-
meinsames Muster bei der Übertragung von Verantwortlichkeiten auf Nachfolger
gibt.

Konkrete Muster für den Führungswechsel


Erbfolge
Ein System zur Erneuerung von Ingenieurfähigkeiten in den OKBs ist anscheinend
die direkte Erbfolge. Unter den Chefkonstrukteuren, die ihre Verantwortungsberei-
che von ihren berühmten Vätern übertragen bekamen - was eine starke Neigung
innerhalb der herrschenden Schicht oder ,,Nomenklatura" zu diesem Nachfolgemu-
ster widerspiegelt-, befmden sich:
- Dr. Alexej A. Tupolew, der Sohn von Andrej Tupolew, dem Konstrukteur der
wichtigsten Modelle sowjetischer Langstreckenflugzeuge und des Bomberbe-
standes;
- Sergej Alexandrowitsch Jakowlew, der Sohn von Alexander Sergejewitsch Ja-
kowlew, der offensichtlich eine Zeitlang eine führende Stellung neben dem

210 Alexander 1978a, S. 16


206 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Stellvertretenden Chefkonstrukteur Y.G. Adler innehatte. Er hat diese Position


erst vor kurzem von seinem Vater übernommen.
Andere Söhne berühmter Väter fmden wichtige Berufe von vergleichbarer Bedeu-
tung. Wladimir lljuschin, der Sohn von Sergej lljuschin, ist Testpilot bei Suchoj.

Tabelle 7:
Generationsfolgen in den Konstruktionsbüros der Flugzeugindustrie
KB (neuer) Leiter Offizieller Titel

Antonow Oleg K. Antonow Generalkonstrukteur,


mit der Leitung beauftragt
lljuschin Genrieb Nowoschilow Generalkonstrukteur
Kamow S.W. Mikejew Leiter des Konstruktionsbüros
MiG Rotislaw A. Beljakow Generalkonstrukteur,
mit der Leitung beauftragt
Mil MaratN. Tischtschenko Chefkonstrukteur,
mit der Leitung beauftragt
Suchoj E.A.Iwanow Generalkonstrukteur
des Suchoj-Büros
Tupolew Dr. Alexej A. Tupolew Chefkonstrukteur
Dimitrij Markow Chefkonstrukteur
Andrej Kandolow Stellvertretender Leiter
des Büros

Aufstiegsmuster der Mitarbeiterteams


Wo es keine direkten Verwandtschaftsbeziehungen gibt, wird die Verantwortung
in den OK.Bs offensichtlich auch auf qualifizierte Mitarbeiterteams übertragen:
Das Iljuschin-Konstruktionsteam wird nunmehr von Genrieb W. Nowoschilow ge-
führt, der seit 1971 der Nachfolger Iljuschins ist. Nowoschilow erfreut sich offen-
sichtlich der gleichen Kompetenz wie seine Amtsvorgänger, allerdings ohne das
Privileg, dem von ihm geführten Konstruktionsbüro und den dort konstruierten
Flugzeugen seinen Namen geben zu können.
Insgesamt ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Der neue Chef des Kamow-Bü-
ros, Mikejew, ist keineswegs einer der langfristigen Mitarbeiter des Gründers die-
ses Teams gewesen. Auch das zweite große Hubschrauberteam, Mil, geriet in ähn-
liche Schwierigkeiten. Sein neuer Chef, Tischtschenko, ist zuvor auch nicht als
herausragendes Mitglied dieses Teams aufgetreten. Auch ergeben sich raschere
Wechsel: An der Spitze des Kamow-Teams steht nunmehr nicht mehr Mikejew,
sondern dessen früherer erster Stellvertreter, Kupfer.
Der Tatbestand, daß nunmehr sowjetische Konstruktionsteams weiterhin den
Namen ihrer Gründer tragen, und daß diese Gründer weiterhin mit ihrem Namen
für neue Konstruktionen namhaft gemacht werden, sollte nicht als einfacher Tradi-
tionalismus verstanden werden. Die Zwischenschritte, die zu diesem Vorgehen
führten, lassen sich heute direkt angeben.
Der erste Schritt in diese Richtung wurde augenscheinlich vom berühmtesten
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 207

aller Flugkonstruktionsbüros getan, dem MiG-Team. Als Michail Josefowitsch Gu-


rewitsch sich in den frühen sechziger Jahren aus Gesundheitsgründen zurückziehen
mußte, hat sein Teamgefährte in der Leitung seit 1938, Artern Iwanowitsch Miko-
jan, sich inr Gegensatz zu allen Überlieferungen entschlossen, Gurewitschs Namen
in der Bezeichnung der Konstruktionen seiner Gruppe fortzuschreiben, in Erinne-
rung an seinen früheren Partner. Als Bruder des stellvertretenden Ministerpräsiden-
ten Anastas Iwanowitsch Mikojan war Artern Mikojan mächtig genug, niemanden
wegen eines solchen Schrittes um Rat fragen zu müssen. Dies ist nur ein weiterer
Hinweis darauf, wie sehr die Nomenklatura an alten Namen hängt, wie dadurch die
Jugend an die Verdienste der älteren Generation erinnert werden soll -ganz wie
dies der Geist der Breschnew-Ära war. Nicht nur bei Fällen direkter Vererbung
von Konstruktionsbüros, auch bei der Fortführung der Namen der anderen Teams
wurde signalisiert, daß man mit alten, die Phantasie erregenden Konzepten weiter
konstruieren sollte. Aufsteiger wie etwa Kupfer, die durchaus mit eigenständigen
Konstruktionen aufgefallen waren, hatten sich der Tradition zu beugen, und, wie in
diesem Falle, den Namen des Teamchefs Kamow weiter zu schreiben. In den Sta-
lin-Jahren suchte der Diktator jedem Konservatismus durch persönliche Entschei-
dungen zuvorzukommen, und in seiner Sicht begabten jungen Konstrukteuren
rasch zu einflußreichen Positionen zu verhelfen. In der Nachstalin-Zeit sucht das
Sowjetsystem augenscheinlich immer noch, ohne allgemeine Lösung, eben mit
diesem Problem zu Rande zu kommen.

Die Schließung von Konstruktionsbüros


Ein Verfahren, um ineffektive Konstruktionsgruppen auf die Plätze zu verweisen,
und untaugliche Konstruktionen auszusondern, liegt darin, im sowjetischen System
entsprechende Konstruktionsbüros einfach aufzulösen. Nach Kriegsende starben
sowjetische Konstruktionsbüros wie die Fliegen, beim geringsten Anlaß, häufig
auch, weil ihre Vorschläge überambitioniert waren.
Bis in die jüngste Zeit hat sich offenbar das Muster gehalten, auch verdiente
Teams wie in der Stalin-Zeit einfach aufzulösen, wenn ihre Entwürfe nicht befrie-
digten. Das letzte prominente Opfer dieser Politik scheint das Team von Berijew
zu sein. In der Stalinzeit, aber auch hemach, gehörte die Auflösung von Konstruk-
tionsbüros zu den wirksamsten Sanktionen, wofür auch in den Fallstudien das pro-
minenteste Beispiel die Gruppe von Pawel Suchoj abgab. Suchoj war ursprünglich
ein erfolgreicher Konstrukteur. Ende der vierziger Jahre hatte seine Gruppe den er-
sten viermotorigen sowjetischen Düsenbomber auf dem Zeichenbrett (Bezeich-
nung Su-10). Suchojs Fall war verbunden mit dem ambitiösen Projekt Su-15, dem
ersten Allwettetjäger im Überschallbereich. Der Verlust des Höhenleitwerks infol-
ge Schwingungsbruchs beim Überschallflug führte zur Zerstörung des Prototyps.
Im stalinistischen Rußland war die Strafe die Auflösung des gesamten OKB.
Nach Stalins Tod wurde Suchoj rehabilitiert. Zwar gab es für weitere fünf oder
sieben Jahre kein weiteres Suchoj-Konstruktionsbüro, spätere Konstruktionen der
Gruppe erwiesen sich aber als bemerkenswert leistungsfähig, besonders ihre Jagd-
bomber.
Hin und wieder werden Konstruktionsbüros aufgelöst, wenn der Gründer pen-
sioniert wird, wie etwa bei Lawotschkin. Oder aber Stalinsche Kreationen, wie et-
wa das Bomberteam von Mjasischtschew, werden nach seinem Tode nicht fortge-
führt. Es scheint sich jeweils um Einzelentscheidungen zu handeln, die auch in die-
208 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

ser Hinsicht kein generelles Strukturmuster erkennen lassen.


Einige der Führungswechsel zeigen an, daß eine Art Arbeitsteilung stattfand:
Dem Generalkonstrukteur folgen Chefs nach, die für einzelne Technologielinien
verantwortlich sind (im Falle Tupolew übernahm der Sohn die Verantwortung für
das Transportflugzeug mit Überschallgeschwindigkeit, während die Verkehrsflug-
zeuge im herkömmlichen Geschwindigkeitsbereich zunächst von S.M. Jeger ver-
antwortet wurden). Einzelne dieser Namen verschwinden jedoch bald - es scheint
so, daß in der nachstalinistischen Sowjetunion, für mehr als zwei Jahrzehnte, ta-
stend nach Übergangsstrukturen gesucht wird, um vom personalistischen Füh-
rungssystem auf modernere Leitungsstrukturen zu kommen. Welche Lösungen die
"perestrojka" von Generalsekretär Gorbatschow hier erbringt, muß derzeit offen-
bleiben. Zwar ist zu unterstellen, daß in der Sowjetunion heute ähnlich fahige Kon-
strukteure tätig sind, wie sie weiland die großen Namen Tupolew, Iljuschin usw.
repräsentierten. Die Wende weg vom Personalismus bedeutet für diese Konstruk-
teure aber, daß ihre Namen nicht in gleicher Weise öffentlich annonciert werden.
Sowohl das Sowjetsystem wie auch seine Analytiker fmden sich vor der wenig er-
sprießlichen Aufgabe, für veränderte Struktureneine neue, angemessene Verständ-
nisweise zu fmden.

4.2.4 Die Manager von Rüstungsbetrieben

Die Manager von Rüstungsbetrieben bilden die dritte primäre Sub-Gruppe in der
Leitungsstruktur der sowjetischen Rüstungsindustrie. In der westlichen Literatur
über die sowjetische Rüstungsindustrie sind zu dieser speziellen Manager-Gruppe
nur recht vereinzelte Hinweise aufzufinden. Über die Rolle und den Einfluß der
Manager als Gruppe allgemein im sowjetischen System sind jedoch einige westli-
che Abhandlungen vorhanden. Vor allem die Arbeiten von Azrael, Hardt/Frankel
und Andrle haben sich mit den Industrie-Managern als Interessengruppe näher be-
schäftigt.211
Hardt/Frankel zeigen, daß selbst unter Stalin die Gruppe der Manager Gele-
genheiten hatte, Interessen zu artikulieren und Forderungen aufzustellen. In der
Zeit nach Stalin und Chruschtschow sind nach Einschätzung von Hardt/Frankel die
Manager als Gruppe stärker geworden, sowohl von ihrer Anzahl her als auch durch
ihr höheres Bildungsniveau.212 Auch gebe es im Vergleich zu vorher eine größere
soziale Homogenität und mehr Sicherheit in den Stellungen. Spezifische, von der
Manager-Gruppe gemeinsam geteilte Haltungen und Interessen sind vor allem in
ihrem beharrlichen Streben nach größerer operativer Autonomie, ihrem Professio-
nalismus, der auf einer überwiegend technischen Orientierung gründet, sowie ihren
Ambitionen nach höheren Einkommen und gehobenem Status zu sehen.213
In ihrer Untersuchung identifizieren die genannten Autoren Möglichkeiten und
Kanäle für eine spezielle Interessenartikulierung der Manager und erwähnen in

211 Vgl. Azrael1968; Hardt/Frankel1974; Andrle 1976


212 1967 hatten 68% der Industriedirektoren Hochschulbildung, wobei nach Einschätzung
von Hardt/Frankel die Mehnahl Technik illld nicht Ökonomie oder Betriebswirtschaft
studiert hat. Unter den Betriebsdirektoren überwiegen die Ingenieure. Vgl. Hardt/
Franke! 1974,S. 184
213 Vgl. Hardt/Frankel1974, S. 186-190
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 209

dieser Hinsicht größere Versammlungen von Managerpersonal in der UdSSR.214


Hardt/Frankel verweisen in ihrer Anfang der 70er Jahre erstellten Studie auf die
Absichten der politischen Führungsspitze, bei der Suche nach verbesserten und ef-
fizienteren Formen von Planung und Management die alten, vorwiegend technisch
oder betriebswirtschaftlich geschulten Produktionsleiter durch eine neue, in der so-
wjetischen Version der Managerwissenschaft geschulten Generation zu ersetzen.
Dadurch dürften sich aber Differenzen innerhalb der Managergruppe vertieft haben
und neue Konflikte werden entstanden sein.215
Es ist schwierig, genügend harte Evidenz für die Artikulation und auch Aggre-
gation eines spezifischen gemeinsamen Manager-Interesses zu finden. Andrle
kommt in seiner soziologischen Analyse sowjetischer Manager, in der er deren
Karrieremuster und Beziehungen mit anderen sozialen Gruppen untersucht, zu dem
Ergebnis, daß die meisten Manager Mitglieder einer gut verankerten lokalen Elite
mit einem starken Interesse an der Fortführung des bestehenden wirtschaftlichen
Plansystems sind, welches sie kennen und zu manipulieren wissen. Manager, die
für eine Verminderung der stark zentralisierten Leitungsmechanismen in der Öko-
nomie eintreten, sind eher die Ausnahme als die Regel.216
Die erfolgreiche Tätigkeit des Managements wird hauptsächlich an der quanti-
tativen Planerfüllung gemessen. In Antizipation divergierender Interessen zwi-
schen Zentrum und Managern und aufgrundihrer Informationsdefizite über die tat-
sächlich vorhandenen Produktionskapazitäten neigen die Wirtschaftplaner oft da-
zu, sich zur Kompensation lieber in Richtung überhöhter Planvorgaben zu irren.217
Die entsprechenden Defizite der Pläne hinsichtlich der unterstellten Inputs von Ar-
beitskraft, Materialen und neuer Technologie führen zwangsläufig zu Problemen
für die Produktionssphäre. Daraus resultieren wiederum bestimmte allgemeine
Haltungen und Interessen der Manager, die offensichtlich auch von den Bossen in
der Rüstungsindustrie geteilt werden:
"Als Maß für Leistung gelten StandardkeilllZiffern wie der Prozentanteil der Planerfül-
hmg oder das tatsächliche Niveau an output. Die Prämien für die Manager ... sind mit
der Einhaltung bestimmter Zielvorgaben verknüpft. Solche einfachen Kriterien haben
Verzerrungen und Unwirtschaftlichkeit in der sowjetischen Industrie bewirkt, da die
Manager den Ausstoß (und damit ihre Prämien) zu Lasten der Qualität der Investitionen
für neue Technologien und der Arbeitsproduktivität hoch zu halten suchen. Die Mana-
ger, auch die in der Rüstungsindustrie, inflationieren regelmäßig die Angaben über Ar-
beitsstunden, verbrauchtes Material und Overhead-Kosten, um für unvorhersehbare Si-
tuationen heimlich Reserven zu bilden."218
Zwar hat die sowjetische Führung seit den 70er Jahren in wachsendem Maß mit
verschiedenen Reformmaßnahmen experimentiert, um etwa durch verstärkte finan-
zielle Anreize und modifizierte Erfolgsindikatoren die Manager der Betriebe zu ei-

214 An einer Reihe von Gebietskonferenzen der RFSR nalunen innerhalb eines Jahres
rund 9 000 Manager teil und eine Allunions-Konferenz brachte 5 000 Planer, Verwal-
tungsbeamte und Wirtschaftsmanager zusammen. Vgl. Hardt/Frankel 1974, S. 191/
192
215 Vgl. Hardt/Frankel1974, S. 195
216 Vgl. Andrle 1976
217 Vgl. Miliar 1981, S. 126
218 U.S. CIA 1986, S. 17
210 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

ner effizienteren Nutzung der materiellen Ressourcen und Arbeitskräfte, einer


rechtzeitigen und vollständigen Erfüllung der Produktionskontrakte sowie der Er-
zeugung qualitativ hochwertiger Güter anzuhalten, doch waren die Erfolge offen-
bar nur von begrenzter Natur.219
Neben dem Streben nach einfach zu erfüllenden Plänen, dem "Understate-
ment" vorhandener Produktionsmöglichkeiten und der Sicherstellung von maximal
erreichbaren Produktionsinputs an Materialen und Arbeitskräften als Sicherheits-
faktoren gegen die Unwägbarkeiten des sowjetischen Versorgungssystems teilen
die sowjetischen Manager eine äußerst zögerliche Haltung gegenüber Innovatio-
nen. Jede Innovation in der Form neuer Managementtechniken, neuer Produkte
oder Produktionsverfahren trägt ein mehr oder minder großes Risiko in sich und er-
fordert gewöhnlich Änderungen in den Produktionsabläufen. Aber im sowjetischen
System wird Risiko nicht belohnt. Bevor die Vorteile einer vorgeschlagenen Inno-
vation im Betrieb zum Tragen kommen könnten, riskiert der Manager eventuell
seine Stellung, weil er den laufenden Plan nicht erfüllen konnte.
Große Bedeutung mißt die sowjetische Führung vor allem der technologischen
Innovation bei, aber ihre wirksame Verbreitung in der Ökonomie hängt entschei-
dend von der Unterstützung von Tausenden von Managern ab.220 Die Einführung
neuer und komplexer Produktionstechnologien im Rahmen des bestehenden Wirt-
schaftssystems mit seinen Leistungsindikatoren betrachten die Manager sowohl in
der Zivil- als auch in der Rüstungsindustrie offensichtlich als ihren Interessen we-
nig förderlich:
"Die Manager setzen der Einführung neuartiger Maschinen Widerstand entgegen, da
dies den Betriebsablauf unterbricht. Die Integration neuer Ausrüstungen verursacht
Leerzeiten, die die Planer in der Zentrale für die Minderung der Produktionsziele nicht
in diesem Umfang zugestehen. Berichten zufolge mißtrauen sowjetische Betriebsmana-
ger der Funktionsfähigkeit neuer Anlagen. Neue Fertigungsverfahren machen sie von
betriebsfremden Fachleuten und neuen Zulieferem von Bauteilen und Dienstleistungen
(wie etwa Unterstützung bei der Softwareentwicklung) abhängig. Betriebsmanager be-
geben sich nichtleichtfertig in die Hände von Branchenfremden, besonders wenn diese
einem anderen Ministerium zugehören -und die betriebsfremden Fachleute machen
sich keine besonderen Sorgen, ob die neuen Anlagen in einem bestimmten Werk auch
wie geplant funktionieren. Das Management zeigt die Neigung, alte (aber laufende) An-
lagen solange beizubehalten, bis diese ihre Eignung völlig verlieren."221
Dieser Widerstand der Manager gegenüber technologischen Innovationen ist weit-
gehend deckungsgleich mit der Haltung der oberen Management-Hierarchie in den
Ministerien. Das verwundert nicht weiter, werden deren Repräsentanten in der Re-
gel doch aus der Managerklasse rekrutiert. Die retardierende Haltung der Manager
gegen eine zu breite und rasche Inkmporation technologisch fortgeschrittener Aus-
rüstung in den Produktionsprozeß führt augenscheinlich auch in der sowjetischen
Rüstungsindustrie zu der Tendenz, den Einsatz komplexer Produktionstechnola-
gien eher zu vermeiden und mehr arbeitsintensive Produktionsverfahren zu beto-
nen. Das technologische Niveau dieser Industriebranche wird zwar allgemein als

219 Vgl. U.S. CIA 1986, S. 17 sowie Miliar 1981, Kap.7


220 Vgl. Nove 1984, S. 451
221 U.S. CIA 1986, S. 30; Vgl. auch die Ausführungen über die Fertigung des Hochlei-
stungsflugzeuges MiG-25, Abschnitt 7.2.
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 211

höher angesehen als das in den restlichen Sektoren der sowjetischen Ökonomie,
dennoch gilt:
"Sowjetische Produzenten sind bestrebt, bei der Waffenherstellung Maschinenarbeits-
gänge stärker als ihre amerikanischen Gegenüber zu minimieren ... Sie streben die Nut-
zung von Techniken wie Schmieden, Pressen, Pulvermetallurgie und Strangpressen an,
die zu einem dem Endzustand nahekommenden Rohling führen, was die Notwendigkeit
komplizierter Bearbeitungsvorgänge umgeht, obgleich dies arbeitsintensiver und zeit-
raubender ist als die in den USA bevorzugten spanabhebenden Verfahren. Die Sowjets
stützen sich eher auf Schweißtechniken und weniger auf die im Westen vorgezogenen
mechanischen Befestigungsverfahren. Im Flugzeugbau zum Beispiel bevorzugen ameri-
kanische Hersteller Nietverbindungen, weil diese tendenziell gegenüber Schweißstellen
bessere strukturelle Eigenschaften aufweisen und weil deren Reparatur weniger arbeits-
intensiv ausfällt (die Reparatur von Schweißverbindungen erfordert Schneideverfahren
und anschließendes Neuschweißen). "222
Westlichen Geheimdienst-Informationen zufolge soll die sowjetische Führung in
Anbetracht der Erkenntnis, daß die Produktion technologisch fortgeschrittener
Waffensysteme auch Änderungen der Produktionsbasis erfordert, seit den 70er
Jahren verstärkt Maßnahmen zur Modernisierung der Rüstungsbetriebe eingeleitet
haben. Doch der Erfolg der Einführung moderner Produktionstechnologien (ver-
mehrter Einsatz von computer-gestützten automatisierten Maschinen und Indu-
strierobotern) scheint bislang begrenzt zu sein. So sollen etwa die Manager veralte-
te konventionelle Werkzeugmaschinen über deren eigentliche Nutzungsdauer hin-
aus weiter in der Produktion einsetzen.223
Trotz aller gemeinsamen Sichtweisen, Haltungen und Interessen sprechen eini-
ge Erwägungen für ein gewisses Maß an Fragmentierung der Interessen der Mana-
ger als Gruppe. Das ministerielle System zur Verwaltung der sowjetischen Indu-
strie führt die Manager zu Loyalitätsbindungen an ihren Industriezweig und ihr
Ministerium. Konkurrieren die Ministerien der verschiedenen Industriezweige um
Ressourcen, dann dürften parallel dazu die Interessen der Manager untereinander
tendenziell ebenso differieren.224
Zu der möglichen politischen Rolle der Manager als Interessengruppe vertritt
Azrael folgende Einschätzung:
"Alle vorliegenden Daten bestätigen die Annahme, daß das Management in der politi-
schen Entwicklung der Sowjetunion eine wichtige Rolle gespielt hat, das seine Behand-
lung als besondere politische Gruppe und nicht lediglich als Ansammlung politischer
Einzelakteure rechtfertigt. Erstens ist sichtbar, daß der Status als Manager auf das poli-
tische Verhalten der betroffenen Männer wichtigen Einfluß hatte. Zusätzlich haben die
meisten Industriemanager deutlich wahrgenommen, daß sie eine Anzahl gemeinsamer
Interessen haben ... Schließlich gibt es gute Gründe für die Annahme, daß das Manage-
ment hin und wieder in mehr oder minder disziplinierter und koordinierter Weise ge-
schlossen politisch tätig geworden ist. Soweit sich sagen läßt, sind sie nie als ,Fraktion'
organisiert aufgetreten, aber anscheinend haben sie, um die Politik in eine bestimmte
Richtung zu beeinflussen, gelegentlich eine gemeinsame politische Strategie ver-
folgt."225

222 U.S. CIA 1986, S. 30(31


223 Vgl. U.S. CIA 1986, S. 31
224 Vgl. Lane 1978, S. 247/248
225 Azrael1968, zitiert nach Lane 1985, S. 240/41
212 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Anhaltspunkte für mögliche politische Gruppenaktivitäten liegen vor allem für die
Chruschtschow-Periode vor. Allerdings hat die Managergruppe bei ihren Forde-
rungen offenbar nie die von der politischen Elite gesetzten Grenzen überschritten.
Als Interessengruppe scheinen die Manager weder bei dem Aufstieg noch bei dem
Sturz von Chruschtschow eine direkte politische Rolle gespielt zu haben, obgleich
ihre negative Einstellung gegenüber Chruschtschows Wirtschaftsreformen und ihre
Unterstützung für das ministerielle System als Entgegnung auf die verstärkte Ein-
mischung der Partei in administrative Belange mit Sicherheit denjenigen politisch
den Rücken gestärkt hat, die Chruschtschow dann abgesetzt haben.226
Im Ergebnis läßt sich festhalten, daß die Manager durchaus gemeinsame Inter-
essen verfolgen. Jedoch fehlen über die Artikulation und Aggregation eines Grup-
peninteresses genügend harte Informationen, die aufzeigen würden, wie effizient
und einflußreich die Manager als Interessengruppe eigentlich agieren. Es bleibt zu
vermuten, daß der Einfluß der Rüstungsmanager auf die obere politische Entschei-
dungsebene bei Waffenentscheidungen äußerst gering ausfällt. Jedoch dürften die
leitenden Manager der Rüstungsbetriebe in der Lage sein, Einfluß insbesondere auf
der technischen Entscheidungsebene und partiell bei den mehr strategischen Ent-
scheidungen über die Realisierung von Waffenprojekten geltend zu machen, wo es
um die produktionsmäßige Umsetzung geht und die Betriebsebene angesprochen
ist. Ihre Stellung gegenüber den Ministerien ist insofern stark, da nur die Manager
einen genauen Überblick über Produktionsmöglichkeiten und -kapazitäten ihrer
Betriebe haben dürften. Andererseits stellen die Manager und die Minister sowie
Ministerialbürokratie in der Rüstungsindustrie jene beiden Sub-Gruppen dar, deren
Interessen im Gegensatz zu den Waffenkonstrukteuren und rüstungsorientiert ar-
beitenden Wissenschaftlern weitgehend parallel verlaufen.
Darüber hinaus scheinen die Manager in der sowjetischen Rüstungsindustrie
im Gegensatz zu ihren Kollegen im Zivilbereich experimentierfreudiger gegenüber
neuen Managementtechniken eingestellt zu sein. Diese relativ größere Risikobe-
reitschaft gründet jedoch mit Sicherheit auf der Prioritätsstellung ihres Industrie-
sektors, so daß sie im Falle eines Fehlschlags nicht gleich drastische Konsequenzen
befürchten müssen.
Unter Gorbatschow ist im Juni 1987 ein neues Gesetz über die Staatsbetriebe
verabschiedet worden, welches diesen ein größeres Maß an Selbstständigkeit und
damit auch Unabhängigkeit von den Ministerien verschaffen soll. Welchen Einfluß
dieses Gesetz auf die Interessen der Manager der Rüstungsbetriebe als Gruppe und
ihre Beziehungen zu den Ministerien haben wird, ist gegenwärtig kaum abzuschät-
zen. Allerdings zeichnen sich bereits starke Widerstände der Ministerien gegen-
über diesem Reformgesetz ab.227

4.2.5 Die Ministerien der Rüstungsindustrie und das Militär

Die Einflußmöglichkeiten der Minister der sowjetischen Rüstungsindustrie hängen


zwar entscheidend von ihren Beziehungen zur politischen Führung ab, doch geht in
diese Gleichung als ein wichtiger Faktor auch das Beziehungsverhältnis zum Mili-

226 Vgl. Lane 1985, S. 241/242


227 Vgl. ausführlicher Kroneher 1987 und Hanson 1987
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 213

tär ein. Allgemein darf man vennuten, daß in der Sowjetunion ein großes Maß an
gemeinsamen Sichtweisen sowie Interessen und auch an Abhängigkeit zwischen
denen herrscht, die Rüstung herstellen, und denen, die sie benutzen. Eine solche
Aussage hat z.B. Aspaturian getroffen: "Die Abhängigkeitsbeziehung zwischen
Rüstungsindustrie und Militär hat zu einem ungewöhnlichen Muster gleichartiger
Interessen geführt."228
Kann anband empirischer Evidenz gezeigt werden, daß zwischen den beiden
Gruppen grundlegende gemeinsame Sichtweisen und Interessen bestehen und diese
mit dem Einfluß auf die politische Führung umgesetzt werden, sie zu einer ohne
diesen Druck nicht verfolgten Außen-, Militär- oder Rüstungspolitik zu veranlas-
sen, dann würde man ein klassisches Beispiel für die Existenz eines Militärisch-In-
dustriellen Komplexes in der Sowjetunion haben.229
Gegen weitgehend parallele institutionelle Sichtweisen der rüstungsindustriel-
len Ministerien und des Militärs sprechen einige Erwägungen. Die leitenden Rü-
stungsmanager in den Ministerien haben aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein un-
vollständiges Bild der internationalen militärischen Situation und Rüstungsent-
wicklung, da dieses Wissen fast ausschließlich vom Militär mit starker Geheimhal-
tung monopolisiert und als ein wichtiges Mittel zur Förderung seiner organisatori-
schen Interessen im bürokratischen "Bargaining"-Prozeß eingesetzt wird. Während
der $ALT-Verhandlungen ist diese Infonnations-Monopolstellung des sowjeti-
schen Militärs und sein Bestreben, diese Position zu behüten, deutlich sichtbar ge-
worden.230 Es erscheint daher zweifelhaft, ob die Minister der Rüstungsindustrie
das Militär tatsächlich als einen vollständig komplementären Partner zur Förde-
rung ihrer Belange sehen, wenn sie ihre Sichtweisen und daraus abgeleitete organi-
satorische Interessen allein an solch eine infonnationelle Abängigkeit koppeln
würden. Dies würde dem zweifelsohne auch bei den Ministerien der Rüstungsindu-
strie vorhandenem Hang zu größerer institutioneller Handlungsautonomie wider-
sprechen.
Im Gegensatz zu den Militärs gibt es offensichtlich nur vereinzelte Fälle, in
denen die oberen Repräsentanten der Ministerien der Rüstungsindustrie (Minister,
Stellvertretender Minister, Leiter der Hauptverwaltungen) die Presse oder andere
öffentliche Medien zur Darlegung ihrer Ansichten und Förderung ihrer Interessen
benutzt haben. Aufgrund ihrer Stellung sind sie durchaus in der Position, diese Me-
dien-Mittel bei Bedarf einsetzen zu können. Falls die leitenden Rüstungsmanager
die Militärs als den wesentlichen "Counterpart" zur effizienten Unterstützung ihrer
Belange betrachten würden, müßte es eigentlich in ihrem Interesse liegen, den Uni-
fonnträgem mit öffentlichen Verlautbarungen unter die Anne zu greifen. Das vor-
handene Defizit in dieser Richtung könnte somit als indirekter Hinweis auf ein
eher beschränktes Maß paralleler Sichtweisen und Interessen zwischen den rü-
stungsindustriellen Ministerien und dem Militär interpretiert werden.
Einige prinzipielle Erwägungen lassen sich weiter gegen das aus der These
von der Existenz eines Militärisch-Industriellen Komplexes folgende Postulat einer
unifonneo Interessensbasis zwischen den beiden bürokratischen Akteursgruppen
anführen. Spielmann weist zu Recht auf den wichtigen Aspekt hin, daß die Bezie-

228 Aspaturian 1973, S. 120


229 Vgl. ausführlicher Kapitel 8
230 Vgl. Alexander 1978a, S. 26
214 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

hungen zwischen Rüstungsindustrie und Militär im sowjetischen System in der Re-


alität Verbindungen zwischen einer Ansammlung von Produzenten auf der einen,
und einer Ansammlung von Kunden auf der anderen Seite sind. Allerdings muß
beim Militär die stärker Gesamtinteressen aggregierende Rolle des Verteidigungs-
ministeriums in Rechnung gestellt werden, während die Rüstungsindustrie in ver-
schiedene Einzelministerien zerfallt.231
Folgt man der plausiblen Annahme von Spielmann, dann sind mit den Bezie-
hungen zwischen Rüstungsindustrie und Militär eine Reihe von tiefgreifenden he-
terogenen Elementen verknüpft, welche die Möglichkeit einer geschlossenen "kon-
zertierten Aktion" der beiden bürokratischen Gruppen gegenüber der politischen
Führung deutlich abschwächen. Die neun zum Kern der sowjetischen Rüstungsin-
dustrie gerechneten Ministerien stellen Rüstungsgüter für fünf Teilstreitkräfte her.
Aus diesem Sachverhalt läßt sich mit einiger Berechtigung folgende allgemeine
Hypothese ableiten:
,,Ebenso wie es Entscheidungen geben mag, denen die Rüstungsmanager insgesamt wie
auch alle Militärs zustimmen, so mag es auch Entscheidungen geben, bei denen gewisse
Teilstreitkräfte und einzelne Ministerien aus dem rüstungsindustriellen Bereich sich ge-
gen andere Wehrzweige und Rüstungsministerien ,verbünden'."232
So liegt die Vennutung nahe, daß die obere Management-Hierarchie des Ministeri-
ums für Allgemeinen Maschinenbau generell ein größeres Interesse an positiven
Entscheidungen für Waffensysteme der Strategischen Raketenstreitkräfte als etwa
für Projekte der Landstreitkräfte hat und folglich geeignete Koalitionen eingeht.
Ein ähnlich gelagertes Interessenskonglomerat dürfte auch zwischen dem Ministe-
rium für Schiffbauindustrie und der Kriegsmarine bestehen.
Auf der anderen Seite mögen zwar für bestimmte Ministerien der Rüstungsin-
dustrie bestimmte Teilstreitkräfte wichtiger sein als andere, doch die Spannbreite
der Produktionszuständigkeiten der Ministerien deutet an, daß über ihre Beziehung
zu ihrem jeweiligen Hauptkunden hinaus ihre Verbindungen zu den Streitkräften
weitaus diversifierter sind, wenn auch in unterschiedlichem Maß. Zieht man das
Ministerium für Radioindustrie als ein Beispiel heran, so dürften dessen leitende
Administratoren ihr Hauptaugenmerk zwar auf die Herstellung von Radarsystemen
für die Luftverteidigungsstreitkräfte richten, doch sind vennutlich auch starke In-
teressen an einer Belieferung der Luftwaffe und Kriegsmarine mit Radars vorhan-
den. Das Ministerium für Luftfahrtindustrie wird wahrscheinlich ein hohes Interes-
se an der Entwicklung und Produktion von militärischem Fluggerät für die Luft-
waffe haben, aber die Marineflieger sowie die Luftverteidigungsstreitkräfte werden
für den Minister weitere wichtige Kunden sein.
Diese vielgestaltigen Produktionsverantwortlichkeiten eines einzelnen Mini-
steriums der Rüstungsindustrie erschweren zweifelsohne von Fall zu Fall die Iden-
tifikation der Hauptinteressenverbindungen zwischen einem Ministerium und einer
bestimmten Teilstreitkraft. Spielmann liefert ein hypothetisches Fallbeispiel:
,,Die Langstreckenluftstreitkräfte fordern einen neuen Bomber, den die Spitzenleute im
Ministerium (oder im Politbüro) nur für machbar halten, wenn die Pläne für ein neues
Jägerkonzept der Luftverteidigungsstreitkräfte gestrichen werden. Kann in einer sol-
chen Situation der Minister für die Flugzeugindustrie, P.W. Dernentjew, zuverlässig als

231 Vgl. Spielmann 1976, S. 57


232 Spielmann 1976, S. 57
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 215

Befürworter des Bombers eingeschätzt werden? Oder muß er als Protagonist der Luft-
verteidigung angesehen werden?"233
Rough sieht für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in der UdSSR eine grundle-
gende Dominanz der Rüstungsindustrie über das Militär, obgleich er einschrän-
kend hinzufügt, daß im Verlauf der letzten 15 Jahre Verschiebungen in diesem
Verhältnis eingetreten sind. Die institutionelle Stärke der Ministerien der Rü-
stungsindustrie gegenüber dem Militär im bürokratischen Verhandlungsprozeß
liegt nach Rough u.a. in der ausgeprägten Monopol-Stellung dieser Industriebran-
che. Die verschiedenen Teilstreitkräfte und ihre Waffengattungen können anders
als im Westen kaum unter verschiedenen Anbietern für die Entwicklung und Her-
stellung von Waffensystemen wählen, wenn ihnen die existierende Auswahl, Qua-
lität sowie das technologische Niveau von Produkten nicht zusagt.234
Obgleich das sowjetische Verteidigungsministerium insgesamt eine starke
Konsumentenstellung als alleiniger Abnehmer von Rüstungsgütern einnimmt, ist
sein Einfluß im Verhandlungsprozeß mit den Ministerien der Rüstungsindustrie
von Einschränkungen gekennzeichnet. Die Luftverteidigungsstreitkräfte müssen
sich z.B. so oder so mit dem Ministerium für Radioindustrie auseinandersetzen, um
die von ihnen gewünschten Radarsysteme zu erhalten. Oder die Luftwaffe kann
nur mit dem Ministerium für Luftfahrtindustrie verhandeln, um ihre Kampfflug-
zeuge zu bekommen. Aus dieser spezifischen Abhängigkeit des Militärs kann je-
doch nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß die Minister der Rüstungsin-
dustrie den Einfluß haben, ein ihnen nicht genehmes Projekt alleine zu Fall zu brin-
gen.
Die obere Ebene des rüstungsindustriellen Ministerialmanagements kann aus
bestimmten Gründen (vgl. die vorherigen Ausführungen über die technische Ent-
scheidungsebene) ein weniger starkes Interesse an einem neuen Rüstungsprojekt
haben, an dessen Realisierung eine bestimmte Teilstreitkraft besonders interessiert
ist - auch wenn sich das Ministerium nicht in einer Situation befindet, zwischen
konkurrierenden Vorschlägen zweier Teilstreitkräfte entscheiden zu können, wie
Spielmann in seinem hypothetischen Beispiel dargelegt hat. Unterschiedlich ausge-
prägte Interessen an einem Rüstungsvorhaben zwischen einem Ministerium der
Rüstungsindustrie und einer Teilstreitkraft können den Ausgang des politischen
Entscheidungsverlaufs beeinflussen, je nachdem, welcher Akteur über seine Ein-
flußkanäle erfolgreicher die politische Führung für sich gewinnen kann. Aufgrund
fehlender Empirie ist jedoch eine Gewichtung dieses Faktors bei Rüstungsent-
scheidungen kaum möglich.
Allerdings ist darauf zu verweisen, daß zwischen der Sub-Gruppe der Waffen-
konstrukteure, die unterhalb der Ministerialebene innerhalb des Verwaltungsbe-
reichs eines Ministeriums angesiedelt ist, und den Vertretern einer Teilstreitkraft
aller Wahrscheinlichkeit nach das größte Maß an Interessenübereinstimmung hin-
sichtlich der Förderung eines bestimmten Waffensystem-Projekts vorzufinden sein
wird.235

233 Spielmann 1976, S. 58


234 Vgl. Rough 1985, S. 86
235 Dabei sind die Interessen einer Teilstreitkraft nicht zwangsläufig monolithisch struk-
turiert. Vielmehr müssen auch potentielle Differenzen zwischen den Waffengattungen
einer Teilstreitkraft über Waffenbeschaffungsprioritäten, die durchaus heftig ausfallen
216 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

Ein Bereich, wo primäre Interessen der Minister der Rüstungsindustrie auf der
einen, und die der militärischen Führung auf der anderen Seite wesentlich im Kon-
flikt liegen dürften, betrifft das Ausmaß technologischer Innovation. Dies verweist
auf enger gefaßte und anders gelagerte organisatorische Interessen der leitenden
Rüstungsmanager als beim Militär. Rough faßt diese Interessen der rüstungsindu-
striellen Ministerien insgesamt gut zusammen:
,,In der Sowjetunion werden die Rüstungsfabrikanten nicht am erzielten Gewinn, auch
nicht an einem Gewinnaufschlag auf die Kosten, sondern daran gemessen, ob sie einen
vorgegebenen Plan erfüllt haben. Da die Erfüllung des Plans eher von der Eigenart des
Planes als den Leistungen des Managements abhängt, kämpft dieses um einen Plan, der
so leicht wie möglich ausfällt. Komplexe oder radikal neuartige Waffen verstärken die
Gefahr von Produktionsausfällen und Verzögerungen; daher wird das Management -
und das zuständige Ministerium - älteren Waffensystemen gegenüber neuen massiv den
Vorzug geben. Wenn zudem Rüstungsforschung zivile Erträge zeitigt, verstärkt dies das
Dilemma des Managers. Wenn die Planer das Management zwingen, eine bestimmte
Technologie bei künftigen Produkten zu verwenden, dann enthält der Plan auch ein an-
spruchsvolles nichtmilitärisches Produkt, welches Anlaufschwierigkeiten mit sich brin-
gen wird und so die Planerfüllung problematischer macht. So entwickelt sich, wenn das
Militär auf ein ausländisches Waffensystem fortgeschrittener Technologie blickt und et-
was Vergleichbares zu bekommen wünscht - entweder aufgrund der Wahrnehmung
von Bedrohung oder weil auch sie die allermodernsten ,Spielzeuge' wünschten - unver-
meidlieh ein größerer Interessenkonflikt mit der Rüstungsindustrie."236
Reichhaltige Belege für solch tiefgreifende Interessenunterschiede zwischen den
rüstungsindustriellen Ministerien und dem Militär gibt es nur für die Jahre zwi-
schen 1939 und 1941. Sie finden sich vor allem in Memoiren und anderer biogra-
phischer Literatur. Diese Quellen verweisen auf heftige Konflikte zwischen den
beiden Akteursgruppen über die Beschaffung von Flugzeugen, Panzern und Artil-
lerie, durch die Entscheidungen über die Produktion eines Waffensystems oftmals
verzögert worden sind.237 Anzeichen für solche Konflikte in jüngerer Zeit sind
Auseinandersetzungen zwischen dem früheren Generalstabschef Ogarkow und
Verteidigungsminister Ustinow. Letzterer war vor seiner Berufung auf diesen Po-
sten mehr als 20 Jahre lang der wichtigste Administrator der sowjetischen Rü-
stungsindustrie gewesen ist. In der ersten Hälfte der 80er Jahre kam es von der Sei-
te führender militärischer Repräsentanten zu Klagen über die mangelnde technolo-
gische Fähigkeit der Rüstungsindustrie, der militärischen Herausforderung des
Westen vor allem bei der sich abzeichnenden neuen Generation von konventionel-
len Waffensystemen nachzukommen.238
Auf der anderen Seite deutet seit der Breschnew-Ära der Trend zu komplexe-
ren und auch technologisch anspruchsvolleren Waffensystemen in der Sowjet-
union239 darauf hin, daß die Streitkräfte mit Unterstützung der politischen Führung
zumindest partiell in ihren Bemühungen erfolgreich waren, den generellen techno-

können, in Rechnung gestellt werden, wodurch sich wiederum das Bild und die Ana-
lyse der Beziehungen zwischen Rüstungsindustrie und Streitkräften um einen weiteren
Grad komplexer gestaltet. Vgl. Spielmann 1976, S. 58
236 Rough 1985, S. 85
237 Vgl. ausführlicher Rough 1984
238 Vgl. Weickhard 1985
239 Vgl dazu U.S. CIA 1986
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 217

logischen Konservatismus der Ministerien der Rüstungsindustrie bei der Waffen-


entwicklung aufzubrechen. Dies könnte als Indiz für die wachsende institutionelle
Stärke des Verteidigungsministeriums gegenüber den Mplisterien der Rüstungsin-
dustrie gelten.
Das Bild vollständig uniformer oder komplementärer Interessen zwischen den
Ministerien der rüstungsindustriellen Gruppe und dem Militär in der UdSSR läßt
sich nicht aufrechterhalten. Divergierende organisatorische Interessen, insbesonde-
re im Hinblick auf technologische Innovation, sind zweifelsohne vorhanden. Zwar
haben die Minister der Rüstungsindustrie mit Sicherheit ein großes Interesse an
einem hohen Anteil von Rüstungsproduktion in ihrem Zuständigkeitsbereich,
schon wegen dem Prioritätsstatus bei der Allokation von Ressourcen verschiedener
Art. Doch möchten sie zugleich die organisatorischen Verantwortlichkeiten und
technischen Risiken bei der Waffenherstellung so weit wie möglich von sich weg-
schieben und auf ein Minimum drücken.

4.2.6 Schll4Jfolgerungen

Der vorstehende Überblick über den institutionellen Aufbau des rüstungsindustriel-


len Sektors, seine wichtigsten Repräsentanten sowie die übergeordneten Institutio-
nen im Staats- und Parteiapparat und die Erörterung von möglichen Interessen-
gruppenaktivitäten dieses Sektors zeigt, daß die Beziehungen zwischen Rüstungs-
industrie und politischer Führung (Partei) komplexer politischer Natur und schwie-
rig zu kategorisieren sind. Eine Charakterisierung sowjetischer Rüstungspolitik als
einseitiger Prozeß, in dem die Rüstungsindustrie die von der politischen Führung
vorgegebenen Direktiven, die aus der Militärdoktrin und Marxistisch-Leninisti-
schen-Theorie gewonnen wurden, willfährig implementiert, dürfte kaum der Reali-
tät entsprechen. Im politischen System der UdSSR können insbesondere für die
Zeit nach Stalin Aktivitäten bürokratischer Interessengruppen und deren Einfluß-
nahme auf den politischen Entscheidungsprozeß nicht ausgeschlossen werden.
Holloway faßt das Wesen politischer Entscheidungsprozesse in der Sowjetunion
folgendermaßen zusammen:
"Politik muß als Ergebnis eines politischen Prozesses gesehen werden, in welchem so-
wohl ,low politics', die ,niedere Politikebene' von bürokratischen Auseinandersetzun-
gen und Machtkämpfen, als auch ,high politics' (Meinungsunterschiede über die Rich-
tung einer einzuschlagenden Politik oder über deren Umsetzung) eine Rolle spielen.
Dieser Politikaspekt in der sowjetischen Militärpolitik bleibt schwierig zu analysieren,
weil Kernaspekte der Geheimhaltung unterworfen bleiben."240
Mangelnde empirische Evidenz, wie Holloway erneut betont, läßt jedoch eine Ge-
wichtung der beiden Elemente "low politics" und "high politics" im rüstungspoliti-
schen Entscheidungsprozeß kaum zu. Es fehlen genügend "harte" Informationen
und Daten sowohl über den Ablauf als auch über solche "soft topics" wie Ziele, In-
teressen und Präferenzen der beteiligten Akteure. Diese gehen als zu verarbeitende
,,Zutaten" in die politische Entscheidungsfindung ein und ihre Kenntnis wäre erfor-
derlich, um aussagekräftige Fallstudien über Waffenbeschaffungsvorgänge erstel-
len zu können, aus denen sich dann das politische Gewicht der sowjetischen Rü-

240 Holloway 1983, S. 163. Es versteht sich, daß Holloway einen sehr eigenen Begriff
von ,,hoher'' und ,,niederer" Politik vorträgt.
218 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie

stungsindustrie ablesen ließe.241


In den Beziehungen zwischen Rüstungsindustrie und politischer Führung spre-
chen einige Faktoren für das Vorherrschen eines Primats der Politik, für die Fähig-
keit des Politbüros, seinen politischen Willen gegenüber den Ministerien der Rü-
stungsindustrie regelmäßig durchzusetzen. Die stark zentralisierten Entscheidungs-
strukturen, die besondere Aufmerksamkeit, welche die politische Führung der
Kontrolle und Überwachung der Entwicklungs- und Produktionsaktivitäten der Rü-
stungsindustrie widmet, die Begrenzung bürokratischer Verhandlungseinflüsse im
Obersten Verteidigungsrat, potentielle Interessenkonflikte zwischen den Ministern
der Rüstungsindustrie selber, zwischen ihnen und den Waffenkonstrukteuren sowie
divergierende Interessen zwischen den leitenden Rüstungsmanagern und den Mili-
tärs stellen Faktoren dar, die politische Kontrolle und Durchsetzungsfähigkeit för-
dern.
Auf der anderen Seite sind die Ministerien der Rüstungsindustrie keineswegs
passive Ausführungsinstrumente in den Händen der politischen Führung. Die rela-
tiv große administrative Handlungsautonomie der Ministerien, die Möglichkeit von
Interessenwidersprüchen zwischen den Aufsehern über die Rüstungsindustrie im
Staats- und Parteiapparat, die von den Ministern zu ihrem eigenen Vorteil ausge-
nutzt werden können, die informellen persönlichen Beziehungen, welche die lei-
tenden Rüstungsmanager während ihrer langen Amtszeiten mit Mitgliedern der po-
litischen Elite (die zum Teil vorher auch in der Rüstungsindustrie tätig waren) ge-
knüpft haben sowie das Vorhandensein eines institutionellen Mechanismus in der
Form der Militärisch-Industriellen Kommission, über den die Minister ihre Interes-
sen wirksam aggregieren können, sind wiederum politische Akivposten und insti-
tutionelle Mittel, die der sowjetischen Rüstungsindustrie politisches Einflußge-
wicht bei für sie wichtigen Entscheidungsvorgängen verleihen können.
Die politische Entscheidungsfmdung bei der Rüstungsbeschaffung und der
Einfluß der Rüstungsindustrie auf diese in der Sowjetunion läßt sich augenschein-
lich mit der Anwendung nur eines theoretischen Modells nicht vollständig erklä-
ren, die (sicherheits)politische Realität ist komplexer gelagert. Die verschiedenen
vorhandenen Modelle zur Erklärung von Sicherheits-, militär- und/oder rüstungs-
politischen Entscheidungsvorgängen im sowjetischen System sprechen unter-
schiedliche Analyseebenen sowie Input-Faktoren an.242
Das Modell bürokratischer Interessengruppenpolitik betont vor allem interne
Input-Faktoren und die institutionelle Analyseebene. Sowjetische Rüstungspolitik
und Waffenbeschaffungsvorgänge werden dabei vorrangig als Resultat eines büro-
kratischen Verhandlungsprozesses aufgefaßt, in dem verschiedene institutionelle
und auch individuelle Akteure ihre Sichtweisen, Werthaltungen und Ziele einbrin-
gen und um Ressourcen und Einfluß streiten. Ein solches Modell gibt durchaus
plausible Antworten auf eine Reihe von rüstungspolitischen Entscheidungen und
das Gewicht der Rüstungsindustrie dabei: Warum sind z.B. drei unterschiedliche
Typen von Interkontinentalraketen zur selben Zeit beschafft worden oder warum
folgte in der Vergangenheit die technische Weiterentwicklung von Panzern und
Flugzeugen mehr einem schrittweisen Vorgehen und mehr konservativ bestimmten

241 Vgl. Spielmann 1978, S. 142


242 Für einen ausgezeichneten Überblick wtd Evaluierwtg vgl. Meyer 1984
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 219

technologischen Mustern?243
Jedoch greift das Erklärungsmuster von bürokratisch verfaßten Interessen nicht
immer. Militärische Beschaffungsentscheidungen wie z.B. der starke Ausbau der
sowjetischen Kriegsmarine während der Breschnew-Ära scheinen nicht so sehr das
Ergebnis bürokratischen Interessengruppendrucks zu sein, sondern sind eher Er-
gebnis einer grundsätzlichen Entscheidung der politischen Führung zur Unterstüt-
zung breiter angelegter außenpolitischer Zielsetzungen.244

243 Vgl. als neuere Arbeit Cockburn 1984, der sich stark auf ein Erklärungsmodell büro-
kratischer Interessengruppenpolitik stützt und dafür zahlreiche Fallbeispiele im Rah-
men sowjetischer Waffenbeschaffung anführt
244 Vgl. Evangelista 1984, S. 612
5. Rüstungswettlauf um ein Phantom:
Der Bomber mit Nuklearantrieb

Die Eigenheiten des wechselseitigen Bezuges sowjetischer und amerikanischer Rü-


stung aufeinander, gemeinhin mit der Formel "Wettrüsten" gefaßt, lassen sich be-
merkenswerterweise auch gut studieren, wenn man das Schicksal von Waffenpro-
jekten verfolgt, die nie Eingang in die Arsenale fanden - einfach, weil sie zu phan-
tastisch gerieten. Damit ist kein Gerät für Sternenkriege gemeint, sondern ein Pro-
jekt, welches sich bei Kriegsende, beim Verfügbarwerden von nuklearen Reakto-
ren, als die Phantasie erregend herausstellte: der nukleare Antrieb. Enthusiasten
wie der Stabschef des mächtigen Atomausschusses des US-Kongresses erblickten
gar in diesem Flugzeug "das absolute Waffensystem- die thermonukleare Waffe,
von einem nuklear angetriebenen Flugzeug befördert") Waffensysteme mit die-
sem neuartigen Antriebsystem würden praktisch nie im Militäreinsatz auftanken
müssen, sie würden die gefährliche Abhängigkeit von Versorgungseinrichtungen
mit Treibstoff und die passive Phase, die notwendig bei der Versorgung entsteht,
vermeiden können. Sie würden auf Langzeitpatrouille eine sehr viel gefährlichere
Bedrohung für jeden Gegner darstellen, als dies mit herkömmlichen Mitteln mög-
lich ist. Da der Nuklearantrieb für Schiffe sich auch von Spätankömmlingen in die-
sem Technologiefeld rasch verwirklichen ließ (das deutsche Forschungsschiff
"Otto Hahn" lief 1964 vom Stapel, wenige Jahre nach Beginn des bundesdeutschen
Atomforschungsprogramms), lag die Spekulation nahe, daß es auch bald für Flug-
zeuge solche neuartigen Antriebe geben könnte.
Nuklearantriebe wurden nicht nur für Bomber studiert. Man forschte auch über
atomgetriebene Raketen (Projekt ,,Rover"),2 über Staustrahltriebwerke, wie sie die
deutsche Vergeltungswaffe V-1 angetrieben hatten (Codename ,,Pluto") mit Atom-
motor, oder über Hilfsantriebe für Bordsysteme (Bezeichnung "Snap", die einzige
halbwegs erfolgreiche Technologielinie aus diesem Spektrum nuklearer Triebwer-
ke).3
Zwar gibt es seit mehr als 40 Jahren (1946 setzen die ersten amerikanischen
Studien ein) Forschungsprojekte, und Dutzende von Wissenschaftlergremien haben
sich mit dem Nuklearantrieb für Flugzeuge beschäftigt. Aber auch wenn auf dem
Rücken eines Briefumschlages überschlägig kalkuliert werden kann, daß es zum
einen nie einen Reaktor geben wird, der mitsamt Schutzschild leicht genug aus-
fällt, um in einem Flugzeug mitzufliegen, und der zum zweiten dennoch genügend

Zitiert nach Clarfield/Wiecek 1984, S. 147.- Das Buch enthält eine knappe Skizze zu
dem US-Atombomber, wobei es sich auf York 1970 stützt.
2 Eine Prinzipienskizze und kurze Erörterung von nuklearen Raketenantrieben findet sich
bei Jasani 1987, S. 16 f.
3 Welch heilloses Informationswirrwarr bis heute herrscht, erhellt ein Blick in populäre
Lexika. Das dtv-Lexikon informiert etwa 1966: "Der Atomantrieb für Schiffe hat sich
bereits bewährt; für Flugzeuge und Großraketen wird er erprobt" (Bd. 1, S. 244).
221

Antrieb vermittelt, so geistert die Idee bis in die jüngste Zeit durch einschlägige
Medien. In einem sowjetischen Handbuch des renommierten Flugzeugbauexperten
Alexander Ponomarjow (deutschen Lesern durch eine DDR-Übersetzung leicht zu-
gänglich, diese erschien 1987) wird den Amerikanern die Entwicklung eines Bom-
bers mit Nuklearantrieb unterstellt. Insider werden rasch erkennen, daß diese grobe
Skizze (Abbildung 12) an Darstellungen anknüpft, wie sie für den geheimnisum-
witterten amerikanischen Stealth-Bomber, ein für Radar fast unsichtbares Flug-
zeug, gegeben werden. Nun ist über das in Amerika B-2 genannte Flugzeug der
Firma Northrop wenig bekannt, aber auszuschließen ist, daß der Bomber über Nu-
klearantrieb verfügt. Ponomarjow dagegen schreibt:
"Das Flugzeug mit Kernantriebsanlage hat eine Strahlenschutzvorrichtung für die Flug-
zeugbesatzung, Startbehälter für Flügelraketen (das ist die sowjetische Bezeichnung für
Marschflugkörper, U.A.), Kernreaktoren und Zweistrom-Turbinen-Luftstrahltriebwer-
ke. Die maximale Masse der Strahlenschutzvorrichtung für die Flugzeugbesatzung soll
29.700 kg betragen und der Schub eines Triebwerkes 490 kN."4
Im Stile eines Tatsachenberichtes referiert Ponomarjow weiter:
,,In den letzten Jahren (also um 1984, U.A.) wuchs das Interesse an überschweren Flug-
zeugen mit Kernantriebsanlage. In den USA laufen Forschungen und Untersuchungen
zur Bestimmung des Arbeitsprozesses einer solchen Triebwerksanlage, der maximalen
Masse des Flugzeuges und der günstigsten aerodynamischen Form. Große Aufmerk-
samkeit wird den Sicherheitsanforderungen gewidmet."5
Das Fachbuch ergeht sich dann weiter in Einzelheiten über Marschfluggeschwin-
digkeit, Nutzlasten, die wegen der Reaktortemperaturen zu fordernden Minimal-
temperaturen im Laderaum des Bombers, Mindestflugweite usf. Das Phantastische
an dem ganzen Vorgang ist, daß es auf amerikanischer Seite aber auch nicht ein
Jota an Hinweisen auf ein Großprojekt gibt, dem diese detaillierte sowjetische Be-
schreibung gilt.
Umgekehrt liegen in der Vergangenheit eine Vielzahl von amerikanischen
Aussagen, aus dem Pentagon, den einschlägigen Ausschüssen des Kongresses so-
wie der militärtechnischen Presse über sowjetische Militärflugzeuge mit Nuklear-
antrieb vor. Bislang hat aber niemand die Existenz eines sowjetischen Bombers mit
Nuklearantrieb beweisen können. Es scheint sich aufbeiden Seiten um einen Wett-
lauf von Phantomen zu handeln.
Dieser Phantomwettlauf hat freilich Folgen. Auf amerikanischer Seite führte er
zu Ausgaben von mehr als 1 Milliarde Dollar eben für den Bomber mit Nuklearan-
trieb.6 Es ist nicht bekannt, wieviel auf sowjetischer Seite für ein solches Projekt
aufgewendet worden ist. Daß es Versuche in dieser Richtung gegeben hat, dafür
existieren augenscheinlich Belege. Um eine längere Geschichte (sie wird in diesem
Kapitel behandelt) pointiert zu fassen: Im Osten und im Westen erregten die Mög-
lichkeiten der Kerntechnik in der Hochphase des Kalten Krieges die Phantasie der

4 Ponomarjow 1987 (orig. 1984), S. 128


5 Ponomarjow 1987, S. 130
6 Auf amerikanischer Seite beliefen sich die direkten Ausgaben für das Bomberprojekt
laut Rechnungshof auf 1.040 Mrd. Dollar (Comptroller General of the United States,
Review of Manned Aircraft Nuclear Propulsion Pro gram. Atomic Energy Commission
and Department of Defense, Washington, D.C. (GPO) 1963, S. 2 (im folgenden zitiert
als "Comptroller General").
222 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

Abbildung 11: Modellzeichnung des US-Bombers Northrop B-2


(Werkbild Northrop)

Abbildung 12: Sowjetische Wahrnehmung eines US-Flugzeuges mit Nuklear-


antrieb,1984
Quelle: Alexander N. Pnomarjow, Aviazija Nastojaschtschewo i Buduischtschewo,
Moskau 1984, S. 128, Abb. 4.11
Legende: (1) Strahlenschutzvorrichtung für die Besatzung, (2) Startbehälter für Marsch-
flugkörper, (3) Kernreaktoren, (4) Zweistromtriebwerke
223

Wissenschaftler und Ingenieure, und manche phantastische Waffen wurden für


möglich gehalten - obwohl es zur gleichen Zeit hartnäckigen Widerstand eben von
Fachleuten gab, die so wie heute bei der Debatte über SDI aufzuzeigen meinten,
daß ein solches Waffensystem gar nicht funktionieren könne. In Amerika nahm
man an, daß auf sowjetischer Seite weniger Skrupel in bezog auf die Belastbarkeit
von Besatzungen und Umwelt mit Radioaktivität walten würden, so daß der We-
sten einen gewissen Nachteil auf sich nehme, wenn er sich in der gleichen Techno-
logierichtung engagiert. Der Beginn des amerikanischen Programms machte ande-
rerseits die Sowjets nervös, die trotz aller Skepsis gegenüber der Ausführbarkeit
eines Bombers mit Nuklearantrieb plötzlich meinten, sozusagen als Sicherung ge-
gen mögliche amerikanische Durchbrüche, auch ein eigenes Programm auf den
Weg bringen zu müssen. Zudem waren die fünfziger Jahre Hochzeiten sowjeti-
scher Propaganda über die Möglichkeiten der, wie es damals hieß, "Großbauten
des Kommunismus". Nukleartechnische Großprojekte wie etwa die Irrigation sibi-
rischer Flüsse infolge einer Serie von Nuklearsprengungen beherrschten damals
die sowjetischen Medien, und es lassen sich in populären sowjetischen Magazinen
durchaus Hinweise auf nuklear getriebene Flugzeuge finden, die demnächst den
Transport der Sowjetbürger erheblich vereinfachen würden. Wie gleich gezeigt
werden soll, haben derartige phantasievolle Vorstellungen auf sowjetischer Seite
Analytiker im Pentagon und bei amerikanischen Nachrichtendiensten sogleich zu
der Annahme verführt, die Sowjets seien wirklich auf einer heißen Spur, was zu
vermehrten Anstrengungen auf amerikanischer Seite führte.
In heutiger Sicht erscheint das gesamte Projekt als absurd, auf mehreren Ebe-
nen. Schon mit Blick auf die Umwelt dürfte der Durchschnittsbürger es für einen
Alptraum halten, wenn heute hunderte von Reaktoren in Flugzeugen in der Luft
zirkulierten, gelegentlich bei Bruchlandungen Tschernobyl-ähnliche oder größere
Katastrophen erzeugten, oder durch ihre permanente Abgabe von Radioaktivität
über die Triebwerkabgase die Umwelt stetig verseuchten. Aus militärischen Grün-
den, oder aber, wie die Protagonisten dies formulieren würden, aus Gründen der
Sicherheit, war man damals aber bereit, und ist, wie man mit Blick auf SDI-Aktivi-
täten, etwa den nuklear gepumpten Röntgen-Laser, noch heute feststellen kann, be-
reit, Grenzüberschreitungen vorzunehmen. Das Studium des sowjetisch-amerikani-
schen Wettlaufes um einen Nuklearbomber, der nie geflogen ist, belehrt also nicht
nur über Absurditäten im Rüstungswettlauf zwischen Ost und West in der Vergan-
genheit. Es lassen sich einer solchen Untersuchung auch Fragestellungen abgewin-
nen, die gerade heute von überragender Bedeutung sind.
Ein Milliardenprojekt wie der Bomber mit Nuklearantrieb erbringt nicht nur
Einsichten in die Dynamik des Ost-West-Gegensatzes oder auch deren zeitliche
Unverrückbarkeit. Plötzlich sind auch die Deutschen drin: Bei den endlosen Dis-
kussionen darüber, wieviel radioaktive Belastung den Piloten des Flugzeuges zuge-
mutet werden könne, anders ausgedrückt, wie schwer der Schutzschild vor der
Strahlung ausgeführt werden müsse, hatte jemand eine Idee. Das Problem war, daß
keinerlei Information darüber vorlag, wieviel Radioaktivität der menschliche Orga-
nismus verträgt, Tierversuche erschienen nichtals Hilfe:
,,Männer, und nicht weiße Mäuse, werden das Flugzeug steuern, wir brauchen Daten
über Menschen",
224 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

äußerte der Chefkonstrukteur des Bombers.? Die erhellende Idee: Die Nazis könn-
ten doch im Dritten Reich an Häftlingen Versuche mit Radioaktivität gemacht ha-
ben. Ein deutscher Wissenschaftler, der Informationen haben könnte, war rasch ge-
funden. Man lud Prof. Boris Rajewsky ein, später war er der erste Strahlenschutz-
beauftragte der Bundesregierung. Ein Bericht über die Anhörung notiert trocken:
,,Es gab deutsche Arbeiten über Versuche mit Gefangenen, aber der Mann, der das ge-
macht hat, spricht nicht."8
Es wird sich also lohnen, der Entwicklung dieses Nicht-Programms nachzugehen.

5.1 Ein sowjetisches Programm?

In diesem Abschnitt soll vorgestellt und geprüft werden, was es an sowjetischen


Verlautbarungen über ein Flugzeug mit Nuklearantrieb gegeben hat. Denn diese
Äußerungen wurden auf amerikanischer Seite benutzt, um die eigenen Anstrengun-
gen zu begründen.
Es lassen sich zwei Arten von sowjetischen Äußerungen unterscheiden. Da
gibt es auf der einen Seite ziemlich kühne Voraussagen über sozialistische Errun-
genschaften, die in der nächsten Zeit auch den Alltag der Sowjetbürger erleichtern
würden. Die andere Linie von Äußerungen sind hochtheoretische Abwägungen
über neuarti$e Technologien, wie den Nuklearantrieb für Flugzeuge. All diese so-
wjetischen Außerungen wurden im Westen mit größter Aufmerksamkeit studiert,
mutmaßlich mit zu großer Aufmerksamkeit, wenigstens insofern, als Schlüsse über
tatsächliche sowjetische Bemühungen daraus gezogen wurden. Am Neujahrsabend
1959, dem traditionellen Höhepunkt des Jahres in Rußland seit Alters her, konsta-
tierten sowjetische Publikationen, daß das folgende Jahr "die ersten Versuche mit
Atommotoren für die Zivilluftfahrt erbringen" würden.9 Sowjetische Wissen-
schaftler, so hieß es weiter, hätten über den wirksamen Gebrauch der Atomenergie
für zivile Zwecke seit einiger Zeit geforscht und die nunmehr vorliegenden Resul-
tate würden eine solche Ankündigung möglich machen.
Es bleibt wichtig festzuhalten, daß die sowjetische Ankündigung sich auf Zi-
villuftfahrt beschränkte. In Amerika jedoch wurde sofort angenommen, daß diese
phantastischen Atommotoren auch einen Bomber antreiben könnten.
Im Oktober 1955 veröffentlichte das angesehene Fachjournal "Aviation Week"
einen weiteren Hinweis und publizierte eine Skizze eines nuklear getriebenen

7 Der Chefmgenieur hieß Andrew Kalitinsky, hier zitiert nach der Mitschrift von Robley
D. Evans, der an dem ,,Meeting des Beratenden Ausschusses über die radioaktive Bela-
stung von Militärpersonen" am 23. Juni 1948 im Palmer House in Chicago teilnahm.-
Ich verdanke diesen und weitere Hinweise der Pionierarbeit (unveröff.) des Medizinhi-
storikers Gilbert Whittemore vom History of Science Department der Harvard Univer-
sität, der mir großzügig seine Arbeiten und Material zur Verfügung stellte. Whittemore
hat das Archiv der Countway Library der Harvard Medical School mit Blick auf das
Atombomberprojekt ausgewertet. Das Evans-Manuskript fmdet sich dort unter den so-
genannten Taylor-Papieren, Box 81-13, File: ,,NEPA 1948-1951, Correspondence"
(NEPA ist eine der Kurzbezeichnungen des Bombers =Nuclear Energy Propelled Air-
craft).
8 Nach Evans (vgl. vorige Anmerkung), S. 9
9 Zit. nach Aviation Week, 12. Jan. 1959, S. 26
Ein sowjetisches Programm? 225

Flugzeuges als Beleg für ein heranreifendes sowjetisches Bomberprogramm mit


Atomantrieb.lO
Der Varbehalt gegen einen solchen Schritt ist nicht, daß solche Zeichnungen
veröffentlicht werden. Solche Konzeptskizzen sind ein nützliches Hilfsmittel, um
erste und plastische Eindrücke für künftige Entwicklungslinien zu verdeutlichen.
Aber in diesem Fall hätten die sowjetkritischen Amerikaner doch den Publikations-
ort beachten sollen: Es handelte sich um ein populäres Jugendmagazin, "Die jun-
gen Mechaniker". Üblicherweise werden sowjetische Rüstungsgeheimnisse nicht
in solchen Magazinen publiziert. Auch hätte ein Blick auf die Zeichnungen selber
die Naivität des Darstellers enthüllen müssen: Der Zeichnung fehlte jedes Vorver-
ständnis der strukturellen Anforderungen für den Überschallflug (große Teile des
Rumpfes waren in Plexiglas gezeigt, um den Passagieren eine schöne Aussicht zu
ermöglichen, auch in der thermodynamisch besonders belasteten Bugsektion). Die
Zeichnung und der diese begleitende Artikel in den "Jungen Mechanikern" war
nichts weiter als ein Stück Science Fiction, garniert mit Propaganda über die anste-
henden Errungenschaften des Sozialismus.
Die Zeichnung in dem Magazin entfaltete bald jedoch ein Eigenleben. Ein hal-
bes Jahr später veröffentlichte das Magazin ,,Newsweek" dieselbe Zeichnung, ohne
allerdings die Quelle anzugeben. Durch einen sachkompetenten Kommentar wurde
der unschuldigen Zeichnung erneut die Aura eines technischen Vorschlages gege-
ben ("Dieses riesige Atomflugzeug in Entenbauweise würde wahrscheinlich wie
eine betrunkene Gans in der Luft schwanken"). Die uninformierte Öffentlichkeit
konnte in der Tat annehmen, daß "Aviation Week" oder auch "Newsweek" Nach-
richten vermittelten, die auf eine ernsthafte sowjetische Anstrengung zurückgin-
gen. Und in der Tat schufen die Russen damals Sensationen, etwa 1957 den Sput-
nik, so daß ihnen technologische Durchbrüche wohl auch auf anderen Gebieten zu-
zutrauen waren. Hinzu tritt, daß nicht nur in populären Magazinen, sondern auch in
amtlichen Quellen von dem exotischen Nuklearantrieb die Rede war. 1957 veröf-
fentlichte der Militärverlag des sowjetischen Verteidigungsministeriums eine
Schrift, in der es unter dem Titel "Die Anwendung von Atomtriebwerken in der
Luftfahrt" hieß:
"Die einfachste Ausführung ist eine Konstruktion, die von einem gewölmlichen Luft-
strahltriebwerk nur darin unterschieden ist, daß die Brennkammer durch einen Reaktor
ersetzt wird. Diese einfachste Ausführung gestattet es, die höchsten spezifischen Lei-
stungsparameter zu erreichen. Im vorliegenden Fall wird aus der Luftströmung ein ein-
förmiger Strom entlang der Triebwerkachse erzeugt, so daß der hydraulische Wider-
stand Minimalwerte annimmt ... Die Luft wird direkt im Reaktor erhitzt, ohne daß ein
Wärmetauscher nötig ist. Das vereinfacht die Konstruktion und vermeidet zu große
Wärmeverluste."ll
Erneut mögen Einzelheiten wie die Angaben über die Führung des Luftstromes
oder den direkten Wärmetauschvorgang Uninformierte veranlassen, auf ein kon-
kretes sowjetisches Erfahrungspotential, ein Programm für Atomtriebwerke, zu-
rückzuschließen. Insider sollten freilich schon damals erkannt haben, daß in dieser
sowjetischen Äußerung, freilich ohne Angabe der Quelle der Kenntnisse, Funkti-
onsprinzipien amerikanischer Bemühungen für den Atommotor wiedergegeben

10 Aviation Week, 10. Okt. 1955, S. 54


11 Zitiert nach der Übersetzung in Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 27
226 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

werden. In der beiliegenden Prinzipienskizze (Abbildung 13) hätten die Experten


damals sogleich erkennen müssen, daß es sich um nichts anderes handelte als um
die Wiedergabe eines Vorschlages der amerikanischen Firma General Dynamics.
In Amerika stieß das Buch sofort auf amtliches Interesse. In der ersten Jahreshälfte
1958 führte General Electric anband der sowjetischen Angaben Untersuchungen
aus. Ergebnis war, daß die Aussagen in dem Buch als realistisch und widerspruchs-
frei erschienen. Immerhin wurde zugleich unterstrichen, daß es keine Hinweise da-
für gäbe, daß ein solcher Motor in der UdSSR auch gebaut würde.12 Das Pentagon
meinte damals freilich, konkrete Hinweise über ein sowjetisches Hochtechnologie-
programm erhalten zu haben. Andererseits waren Einzelheiten des amerikanischen
Programmes, welches deswegen im nächsten Schritt zu untersuchen ist, allgemein
zugänglich. Manager von General Electric haben zum Beispiel über diese Projekte
vor der Zweiten Internationalen Konferenz der Vereinten Nationen über die friedli-
che Nutzung der Nuklearenergie im September 1958 in Genf referiert.l3 So eröff-
net sich zumindest die Möglichkeit, daß die Veröffentlichung von Arbeiten bei Ge-
neral Electric in sowjetischen Publikationen aufgenommen wurden, wie dort üblich
ohne Angabe über die Quelle des wiedergegebenen Wissens, und daß über eine Art
Spiegeleffekt amerikanische Beobachter zu dem Schluß geführt wurden, auf der
anderen Seite des Eisernen Vorhanges täte sich etwas in Parallele. Im sowjetischen
militärtechnischen Publikationswesen wäre dies kein ungewöhnlicher Vorgang.l4

Primärer Wärmetauscher

Düsentriebwerk
/

Reaktorkern Wärmetauscher

Primärkreislauf Sekundärkreislauf
(Flüssigmetall) (Flüssigmetall)

Abbildung 13: Prinzipienskizze eines geschlossenen Kreislaufes für einen


nuklearen Flugzeugmotor (mit zwei Kreisläufen und Flüssig-
metall als Wärmeträger)
Quelle: Camptroller General of the United States, Review of Manned Nuclear Propul-
sion Pro gram. Atomic Energy Commission and Department of Defense,
WashingtonD.C.,1963, S. 180

12 Camptroller Genera11963, S. 151


13 D.R. Shoults 1958
14 Vgl.den Abschnitt über den Bau der ersten sowjetischen Atombombe
Ein sowjetisches Programm? 227

Da es in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, gemeinhin als der Höhepunkt des
Kalten Krieges angesehen, außerordentlich ungewöhnlich gewesen wäre, technolo-
gische Durchbrüche in Publikationen des sowjetischen Verteidigungsministeriums
anzukündigen, hätte der sowjetische Text auf amerikanischer Seite auf Skepsis sto-
ßen müssen und weitere Prüfungen auslösen sollen. Denn solche sind möglich. Daß
die sowjetischen Angaben amerikanische Äußerungen spiegeln, läßt sich schon
aufgrund der Tatsache vermuten, daß angegebene Schwierigkeiten mit dem Projekt
exakt die gleichen sind, wie sie General Dynamics mit seinem Projekt hatte. Die
erwähnte sowjetamtliche Publikation führt als Hauptschwierigkeit des angetriebe-
nen Triebwerkprinzips an:
"Diese Konstruktion ist zwar vom Prinzip her einfach, wirft aber extreme Probleme bei
der Umsetzung auf. Die Welle, welche die Turbine mit dem Verdichter verbindet, muß
durch den Reaktor laufen. Die Kühlung der Welle unter diesen Bedingungen gerät zu
einem schwierigen, wenn nicht zum Schlüsselproblem. Der Punkt ist, daß die Welle
nicht nur aufgeheizt wird infolge des Wärmetransfers von der heißen Reak:torsektion,
sondern eine erhebliche Freisetzung von Hitze erfolgt, indem die Welle Streustrahlung
von Neutronen und Gammastrahlungen aufninunt."15
In dem Text heißt es weiter, daß die Aufheizung der Welle so stark gerate, daß sie
von einem einfachen Kühlungsproblem zu einem komplizierten Ingenieurproblem
gerate, und daß schon an dieser Frage die Ausführbarkeit der gesamten Konstruk-
tion hänge.
Eben dieses Detail bestimmt auch Erfahrungsberichte des Projektes von Gene-
ral Electric. Im Dezember 1956, also vor der sowjetischen Veröffentlichung, wur-
de darüber berichtet, daß ein Forschungsreaktor namens H1RE-1 ein Düsentrieb-
werk in einem Labor für eine Anzahl von Stunden betrieben hätte, daß aber die
Temperaturen unterhalb der Schranke gehaltenworden seien, wie sie für den Flug-
betrieb erforderlich gewesen wären. Der Forschungsreaktor H1RE-1 wurde dafür
gelobt, daß die Ausführbarkeit der Konstruktion nachgewiesen sei und die Überle-
bensfahigkeit von Schlüsselkomponenten wie der Welle zwischen Turbine und
Verdichter nachgewiesen worden sei.16
Zugestandenermaßen ist eine noch sinistrere Möglichkeit denkbar als bloß die-
jenige, daß auf sowjetischer Seite mit allgemein zugänglichen Einsichten argumen-
tiert wird, die auf amerikanischer Seite zu dem Schluß führen, die Sowjets hätten
ein eigenes Programm. Es bleibt durchaus möglich, daß die Sowjets, nervös gewor-
den durch amerikanische Bemühungen, trotz aller Skepsis in bezog auf die Kon-
struierbarkeit von Atommotoren für Flugzwecke, sozusagen als Sicherung gegen
Überraschungen, tatsächlich ein eigenes Programm begonnen haben, und daß sie
ungewöhnlicherweise diese Bemühungen publizistisch garniert haben. In den
dreißig Jahren, die seither verstrichen sind, hat sich weder im Osten noch im We-
sten ein atomgetriebenes Flugzeug in die Luft erhoben, so daß es müßig bleibt, den
wirklichen Informationskern der wechselseitigen Vermutungen exakt zu bestim-
men.
Ohne die starken Behauptungen, die wichtige Politiker hin und wieder aufstell-
ten, bleibt die Aufregung um das angebliche Sowjetflugzeug schwer verständlich.
Signifikantes Beispiel ist etwa Senator Henry Jackson, einflußreiches Mitglied so-

15 Nach Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 27


16 Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 28
228 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

wohl des Armed Services Comittee des Senates wie auch des Joint Committee on
Atomic Energy beider Häuser des Kongresses, der die amerikanischen Ängste auf
den Punkt brachte:
"Die Russen arbeiten daran, und das Problem lautet: Wie kommen wir dabei voran?" 17
Der Vorsitzende des Unterausschusses für Forschung und Entwicklung im Joint
Committee on Atomic Energy, der Abgeordnete Price, sekundierte:
"Die Russen verfolgen ihr Progranun für die Entwicklung eines nukleargetriebenen
Flugzeuges mit beträchtlichem Nachdruck."18
Geheimdienstinformationen, von den Vermittlern noch im Konjunktiv gehalten,
gerieten den an runden Formulierungen interessierten Politikern unter der Hand zu
Tatsachen - die so autorisiert erneut ihre Schleifen in der Diskussion über die Re-
alität zogen.
Die interessierten Generäle griffen solche Aussagen nur zu gern auf. Der für
das amerikaDisehe Gegenprojekt verantwortliche General Keim äußerte vor einem
Kongreßausschuß die Vermutung, daß die Sowjets beim Nuklearmotor die Nase
vom haben könnten:
,Jch habe ganz intuitiv das Gefühl, daß sie schon eine ganze Stecke vorangekommen
sind."19
Dieamerikanische Literatur konzentrierte sich bald auf zwei Grundzüge des mög-
lichen sowjetischen Atommotors. Den Russen wurde nachgesagt, daß sie die Re-
aktoren für ihre neuen Fluggeräte mit einer neuartigen Beschickung versähen, und
es wurde berichtet, daß sie sich bei den Schutzschilden vor der radioaktiven Strah-
lung hauptsächlich auf Stahlkonstruktionen verlassen würden.
Beide Hinweise hätten schon damals als nicht besonders überzeugend klassifi-
ziert werden können. Für die Beschickung der russischen Motoren wurden Uran
235 sowie Plutonium 239 als "am häufigsten in sowjetischen technischen Schriften
erwähnt"20 angeführt. Die sowjetischen Quellen,. die hierfür zitiert werden, geben
jedoch lediglich höchst allgemein an, daß die beiden erwähnten Materialien für den

17 "Atom Plane Work by Reds Reported", The New York Times, 1. April1955, S. 6:3
18 Zit. nach Green/Rosenthal1963, S. 243. Weitere Politikeräußerungen gleicher Art bei
Lambright 1967, S. 15.
19 Zit. nach Lambright 1967, S. 23. Auch unter Fachleuten gab es durchaus hinreichende
Unterstützung für den Nuklearbomber. Heute ist an vorderster Stelle der bei Beginn der
Reagan-Administration als Forschungsstaatssekretär im Pentagon tätige Richard L.
DeLauer anzuführen, der gemeinsam mit R.W. Bussard ein Buch über das Projekt her-
ausgab (Fundamentals of Nuclear Flight, New York (McGraw-Hill) 1965). Eine Son-
derausgabe der Fachzeitschrift der US Air Force, des Air University Quarterly Review
(vom Februar 1960), hernach als Buch erschienen (herausgegeben von Oberst Kenneth
F. Gantz, Nuclear Flight, New York (Duell, Sloan, and Peerce) 1960, enthält weitere
unterstützende Beiträge. -Zu den entschiedensten Gegnern des Projekts zählt niemand
Geringeres als J. Robert Oppenheimer (vgl. US Atornic Energy Commission, In the
Matter of J.Robert Oppenheimer, transcript of hearings before Personnel Security
Board, Washington (US GPO) 1954, hier S. 684). Edward Teller, mit seiner Unterstüt-
zung von Sternenkriegskonzepten als alles andere als ein Kritiker von Rüstungsinnova-
tionen ausgewiesen, drückte im September 1953 ,Zweifel aus. ob ein Atomflugzeug
gebaut werden könnte" (zit. nach Lambright 1967, S. 8).
20 Lambright 1967, S. 8
Ein sowjetisches Programm? 229

Betrieb eines Reaktors in Frage kommen. Aus einer möglichen Erwähnung wird in
den amerikanischen Studien ein Faktum konstruiert. Äußerungen über den Rück-
griff auf Stahl als Material für einen Strahlenschutzschild für die Besatzung hatten
in amerikanischen Berichten über das sowjetische Programm, oder was dafür ge-
halten wurde, einen höheren Stellenwert. Verständlich ist, hätte es ein solches Pro-
gramm gegeben, daß der Schutz der Besatzungen vor der Radioaktivität intensive
Forschungsbemühen auslöst. Der Verweis auf rostfreien Stahl als mögliches Mate-
rial in sowjetischen Bombern führt allerdings nicht sehr viel weiter. Immerhin hieß
es aber in amerikanischen Quellen, daß zu beobachten sei ein "Nachdruck auf der
Nutzung von rostfreiem Stahl in der Ausführung der Flugzeugzelle sowie des
Triebwerks, um zum Schutz vor Neutronenstrahlung beizutragen" ,21
Nun kann nicht in Frage gestellt werden, daß auch Stahl schnelle Neutronen
absorbiert, und daß weiter rostfreier Stahl ein im sowjetischen Militärflugzeugbau
bevorzugtes Material bleibt-trotzaller Gewichtsprobleme. Die in den Westen ge-
flogene MiG-25 hatte ja zur Überraschung westlicher Experten statt Titan in erheb-
lichem Ausmaß Bauteile aus rostfreiem Stahl aufgewiesen (vgl. Kap. 7.1). Wenn
möglicherweise die Statiker im sowjetischen Militärflugzeugbau mit rostfreiem
Stahl und seinen Eigenschaften vertraut sind- und diesen gern anwenden, so heißt
das noch lange nicht, daß dieses geschieht, weil die Absorptionsfahigkeit für Neu-
tronenstrahlen in Rechnung gestellt wird Wenn es je einen sowjetischen Bomber
mit Nuklearantrieb gegeben hat, dann wäre es sicher nicht unwahrscheinlich, daß
dieser in großen Teilen in Stahlstrukturen ausgeführt worden wäre - das ist alles,
was vernünftigerweise geschlossen werden kann.
Die zweite Linie amerikaDiseher Behauptungen über ein sowjetisches Bomber-
programm mit Nuklearantrieben fällt noch merkwürdiger aus. "Aviation Week"
(und die Pentagon-Quellen, die dahinterstehen) verwiesen auf "neuerliche Speku-
lationen in der sowjetischen populären Presse", um zu betonen, daß das mysteriöse
sowjetische Flugzeug bald anstünde. Das bleibt in der Tat eine einzigartige ameri-
kaDisehe Feststellung: Man müsse die populäre sowjetische Presse lesen, um über
anstehende sowjetische Rüstungsschritte informiert zu werden. Der erstaunte Leser
irrt aber nicht, denn das US-Joumal insistiert:
"Ein ähnlicher publizistischer Vorlauf läßt sich beijedem größeren sowjetischen Durch-
bruch verzeichnen. "22
Hier ist eine Generalpause angemessen. In allen sowjetischen Presseerzeugnissen
gab es keinerlei Hinweis auf die Zündung der ersten Atombombe in der UdSSR im
Jahre 1949, oder auf die erste H-Bombe im Jahre 1954, auf den ersten Düsenbom-
ber usf. Die wilden Behauptungen selbst der seriösen Fachpresse müssen alarmie-
rend wirken. In einer Redeweise, als ob von Fakten gesprochen würde, informiert
"Aviation Week" die Leser:
"1957- Juni, die Sowjetunion führt Bodentests mit einem nuklearen Triebwerk für
Flugzeuge aus .
... 1958 -August, erste Flüge eines Prototyps eines sowjetischen nuklear getriebe-
nen Bombers werden in der Umgebung Moskaus beobachtet"23

21 Lambright 1967, S. 8
22 Lambright 1967, S. 8
23 Lambright1967,S.8
230 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

Doch hier sei aus methodischen Gründen ein Halt eingelegt. Prämisse dieser Partie
sollte sein, lediglich sowjetische Quellen anzuführen, nicht aber amerikanische Be-
obachtungen wiederzugeben, und würden sie mit noch soviel Anspruch auf Reali-
tät vorgetragen. Um die Tatsachenbehauptung von "Aviation Week" zu verstehen,
in der Sowjetunion sei der bislang nicht greifbare Bomber mit Atomtriebwerk ge-
sehen worden, ist im nächsten Schritt eine Betrachtung amerikanischer Projekte
nötig, die hernach Handhabe geben wird, um zu begreifen, wieso im Westen später
sogar technische Einzelheiten über das sowjetische Phantom publiziert wurden.

5.2 Das amerikanische Projekt

In den Technologie- und Atomenthusiasmus der Hochphase des Kalten Krieges


fügte sich die Idee, künftig auch Bomber mit Nuklearantrieb zu erzeugen, nahtlos
ein. Der Nuklearbomber war eines der Symbole für die allgemeine Begeisterung
für das Atom, die in den späten vierziger Jahren und ungebrochen in den fünfziger
Jahren in Amerika anhielt, und die spärlichen Hinweise auf sowjetische Ideen-
mehr waren es möglicherweise nicht- genügten vollauf, um große Beträge in ame-
rik:anische Projekte zu lenken.24 Für 15 Jahre wurden erhebliche öffentliche Mittel
in den Versuch gesteckt, einen amerikanischen Nuklearbomber zu erzeugen, der
das Gegenstück zu sowjetischen Bemühungen bilden sollte (eine verquere Logik,
daß auf jeden Schelm anderthalbe gesetzt werden müßten). Nach einem bescheide-
nen Start im Jahre 1946, nach Durchführbarkeitsstudien, die bis ins Jahr 1951 an-
hielten, wurden die beiden Präsidentschaften Eisenhowers begleitet von diesem
Projekt. Erst Verteidigungsminister McNamara und seine Betriebswirte fanden zu
Beginn der sechziger Jahre, daß es sich um ein nichtausführbares Projekt handeln
müsse.
Zunächst wurde aber beschlossen, daß ein nukleargetriebener Bomber kon-
struierbar sei, und daß er öffentliche Mittel zu Recht beanspruchen würde. Das
Projekt hatte in den USA ein wechselhaftes Schicksal, 1951 wurde die ingenieur-
mäßige Durchkonstruktion freigegeben und 1953 wieder eingestellt. Danach, für
mehr als ein halbes Jahrzehnt, hat die Lobby für diesen exotischen Bomber mit al-
len Mitteln gekämpft, um dieses bemerkenswerte Projekt am Leben zu erhalten.
Offiziell beginnt das amerik:anische Engagement am nukleargetriebenen Bom-
ber im Mai 1946, als die kleine Firma Fairebild Engine and Airplane Corporation
einen Kontrakt dafür erhält. Nun war Fairebild alles andere als eine high-tech-Fir-
ma. Sie war bekannt für die Konstruktion von Leichtflugzeugen und Transportma-
schinen. Es wäre allerdings verfehlt, in der Wahl dieses wenig kompetenten Unter-
nehmens eine amtlich geringe Priorität für das Nuklearbomber-Programm zu se-
hen. In der amtlichen "Geschichte des Programms für Nuklearantrieb bemannter
Flugzeuge", die der US-Rechnungshof vorgelegt hat, erfolgt die merkwürdige Mit-
teilung, daß
,,nach dem 2. Weltkrieg verschiedene Industriefirmen die Fairchild Engine and Air-
plane Corporation (Fairchild) auswählten, um als Manager der Bemühungen dieser In-
dustriefirmen auf dem Felde der nuklearen Flugantriebe zu dienen".25

24 Plastische Belege für diese Atombegeisterung, nach der künftig gar Pkws mit Nuklear-
motoren fahren sollten, liefert die Studie von Lambright 1967, S. 1
25 Comptroller General1963, S. 122
Das amerikanische Projekt 231

Einer der vielversprechendsten jüngeren Generäle der Air Force, Curtis LeMay,
wurde mit der Verwaltung des Programms beauftragt Die ,,New York Times"
kommentierte enthusiastisch:
"General LeMay, dessen kometenhafter Aufstieg vom Major in der 8. Luftflotte in
Großbritannien zu seiner derzeitigen Position von bemerkenswertem Urteilsvermögen
zeugt, wird nachgesagt, daß Ergebnisse in bezug auf nukleargetriebene Flugzeuge viel
schnellererwartbar sind, als die vorsichtigen Wissenschaftler für möglich halten."26
Der Fußtritt, der "skeptischen Wissenschaftlern" in dieser Zeitungsbemerkung ge-
geben wird, läßt sich als früher Hinweis daraufhin verstehen, welche Kräfte in pa-
triotisch amerikaDiseher Sicht das Nuklearbomber-Programm gefahrden könnten.
LeMay jedenfalls hat sich wiederholt mit Verve für sein Projekt eingesetzt. Im
September 1947 fühlte sich der General überzeugt genug, vor einer Versammlung
der Air Force Association festzustellen, daß es nunmehr ,,klar sei, daß ein nuklear-
angetriebenes Flugzeug nicht wesentlich hinter dem Stand der Kunst zurück-
liegt" .27 Der junge General blieb mit seinem Optimismus nicht allein. Es lassen
sich eine Anzahl von Zeitgenossen zitieren, die ähnliche Aussagen machten. Einer
der späteren Kritiker des Pentagon, der Physiker Ralph E. Lapp, meinte in einer
Radiosendung, daß der Nuklearantrieb für Bomber wohl demnächst entwickelt
würde.28 Andere Experten meinten in den Medien, daß Amerikas erstes nuklearan-
getriebenes Flugzeug vermutlich ohne Besatzung fliegen würde (so teilte die New
York Times ihren Lesern im Jahre 1947 mit, "daß das erste atomgetriebene Flug-
zeug ohne Pilot fliegen wird, wird von jenen, die Nuklearenergie verstehen, prak-
tisch als Gewißheit erachtet").29 ·
Die Lobby, welche die Idee eines nukleargetriebenen Bombers in die Welt ge-
setzt hatte, zog sich jedoch schon gegen Ende der vierziger Jahre zurück. Im Okto-
ber 1947 wurde General LeMay zum Kommandeur der amerikanischen Luftstreit-
kräfte in Europa befördert, als welcher er z.B. die Berliner Luftbrücke im Jahre
1948 zu organisieren hatte. Zwar unterstützte der General auch in seiner nachfol-
genden Funktion als Boss des Strategischen Bomberkommandos den nuklearge-
triebenen Bomber und stellte z.B. im Juni 1956 in einer Anhörung vor dem ameri-
kanischen Kongreß fest, "daß ein frühest möglicher Flug des nukleargetriebenen
Flugzeuges sowohl wünschenswert wie auch möglich sei" ,30
Es ist zumindest mißverständlich, das lange Überleben eines phantastischen
Projektes mit der Verbohrtheit derjenigen Individuen in Verbindung zu sehen, die
dafür verantwortlich waren. Aber das erstaunlich lange Leben des Nuklearbomber-
Projektes wird besser verständlich, wenn man die Air Force-Generäle betrachtet,
die die Idee voranzubringen suchten. Nach Curtis LeMay stand an der Spitze des
Projektes für lange Jahre General Donald J. Keirn.31 Im August 1952 wurde er

26 "U.S. at work to Apply Atomic Power to Planesand Missiles", New York Times, 23.
Febr. 19947, S. 43. -Auf Umstellungserfahrungen unter Chruschtschow wird auch ein-
gegangen in: Bykow/Bugrow 1988
27 NewYorkTimes, 17. Sept.1947, S.13
28 "Cheap Atom Power Due By 1960", New York Times, 26. Jan. 1947, S. 18. Vgl. par-
allel Lambright 1967, S. 2 f.
29 New York Times, 23. Febr. 1947, S. 43
30 Zitiertnach York 1970, S. 65
31 Vorgesetzter von Keim war General Leslie Groves, vormals als Chef des Atombom-
232 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

zum Chef des Zweiges Flugzeugreaktoren in der Reaktorentwicklungsgruppe der


Forschungs- und Versuchsabteilung der Air Force ernannt. Bis zu seiner Pensio-
nierung im Oktober 1959 betrieb General Keim das Projekt des Nuklearbombers,
zuletzt als stellvertretender Stabschef für die Entwicklung von Nuklearsystemen
im Hauptquartier der US Air Force. Die gewichtigen Titel deuten an, daß es sich
keinesfalls lediglich um eine Nebenlinie von Technikentwicklung im breiten Spek-
trum des amerikanischen Arsenals handelte.
Betrachtet man die Laufbahn Keims, so leuchtet ein, warum seine Vorgesetz-
ten ihn für den geeignetsten Kandidaten für dieses anspruchsvolle Projekt hielten.
Als junger Luftwaffenoffizier war Keim während des 2. Weltkrieges verschiedent-
lich nach England geschickt worden, um dort die Entwicklung von Düsentriebwer-
ken zu beobachten. Später war er Verbindungsofftzier32 zum amerikanischen
Atombombenprojekt Manhattao Engineering District gewesen.
Das Nuklearbomberprojekt bewegte sich in einem schwierigen Gelände. Spä-
testens seit 1957 war klar, daß die Aufgaben von Bombern wirksamer von Inter-
kontinentalraketen erfüllt wurden. Zudem geisterten neben den, wie die Nuklear-
lobby diese verächtlich nannte, chemischen Bombern vom Typ B-52 Vorschläge in
Washington herum, Flugzeuge etwa mit Borstoffen anzutreiben, wodurch Flüge
mit vierfacher Schallgeschwindigkeit möglich sein sollten.
Was konnte eine kleinere Flugzeugfmna wie Fairebild tun, um das exotische
Bomberprogramm vor Haushaltskürzungen und den Kritikern zu retten? Die Ant-
wort bestand darin, die wichtigsten Betriebsfunktionäre nach vom zu schicken, und
diese die ungewöhnlichen Leistungscharakteristika des Projektes unterstreichen zu
lassen. J. Carlton Ward, der Aufsichtsratsvorsitzende der Gesellschaft, verwies öf-
fentlich mit drastischer Geste auf die Schwächen der US-Nuldearstrategie. Damals
brauchte die Air Force einen Gürtel von ausländischen Luftstützpunkten, um Ziele
in der UdSSR angreüen zu können. Der Rüstungsmanager überzog freilich seinen
Punkt, indem er behauptete, daß die Entwicklung eines nukleargetriebenen Flug-
zeuges nötig sei, um einen weiteren Weltkrieg zu venneiden, "Krieg in irgendeiner
Form ist unvermeidlich, und das beste, worauf man hoffen kann, ist, diesen durch
schnelle Schritte zu begrenzen", vorzugsweise, wie hinzuzufügen ist, durch Fair-
childs exotischen Bomber.33
Charakteristisch für die Sichtweise dieser Tage ist ein Bucheinband, auf den
Ward verwies, das Buch von Hanson Baldwin, "The Price of Powef'. Am Anfang
und am Schluß des Buches ist ein Blick auf den Globus mit dem Nordpol als Zen-
trum angegeben, mit Distanzpfeilen aus den USA zu den verschiedenen sowjeti-
schen Städten, die bei einem Nuklearschlag von den USA aus anzugreifen wären.
Diese Pfeilen werden Manager Ward wie die Flugstrecken seinerneuen Bomber
erschienen sein. Ein Zuhörer des Rüstungsmanagers notierte, daß
"die Vereinigten Staaten die Fähigkeit entwickeln müssen, schnell und überall in der
Weltmit der zerstörensehen Kraft der Atombombe zuzuschlagen ... Die einzige Alter-
native läge darin, ein Flugzeug zu entwicklen, daß über eine so große Reichweite ver-

benprogramms ,,Manhattan Engineering District" bestens bekannt. Lambright zufolge


(1967, S. 7) "bedeutete Keim für das atomgetriebene Flugzeug das gleiche, was Admi-
ral Hyman Rickover für das Atom-U-Boot bedeutete".
32 Clarfield/Wiecek 1984 schreiben, daß ,,im letzten Kriegsjahr ... Keim versuchte, die
Möglichkeiten der Nuklearenergie für Flugmotoren auszuloten" (1987, S. 124).
33 Zitat erneut nach Whittemore aus den Taylor-Papieren, S. 5
Das amerikl:znische Projela 233

fügt, daß es eine Aggression irgendwo in der Welt von heimischen Luftstützpunkten
aus begegnen kann. Die Kerntechnologie würde zwei diplomatische Probleme lösen:
den Mangel an zuverlässigen Überseestützpunkten und das Ausbleiben eines permanen-
ten Friedens."34
Die folgenden Jahre gestalteten sich für ein Hochtechnologieprojekt wie den Nu-
klearbomber typisch. Wissenschaftlergruppen wurden eingesetzt, das Programm zu
überprüfen, die Industriebeteiligung weitete sich aus. Regelmäßig spielten Verwei-
se auf die Anstrengungen der Sowjets eine Rolle. Ein Manager von General Elec-
tric meinte als ,,konservative Schätzung", daß mehr als "sechzig verschiedene Bü-
ros, Agenturen und Ministerien der US-Regierung" an dem Bomberprojekt betei-
ligt gewesen seien.35 1950/51 erwies sich als Entscheidungsjahr für das Projekt.
Die kleine Firma Fairebild hatte ihre Schuldigkeit getan, nunmehr nahmen sich die
größten amerikanischen Firmen des Projektes an. Unter den Flugzeugbauern kon-
kurrierten nunmehr Lockheed und Convair um das Projekt. Das Nukleartriebwerk
wollten General Electric und die Flugzeugmotorenfirma Pratt & Whitney entwik-
keln. Zugleich stiegen die Haushaltsansätze für das Projekt sprunghaft: von weni-
gen Millionen Dollar auf einige hundert Millionen Dollar. General Electric erwar-
tete ein gutes Geschäft: 2,5 Milliarden Dollar sollten die 120 Nuklearmotoren ko-
sten, mit denen die erste Staffel von 30 Bombern bis 1964 ausgerüstet werden soll-
te.36
Convair hatte mit seinen Konkurrenzentwürfen zu Amerikas Düsenbombern
mittlerer und interkontinentaler Reichweite gegen Boeing verloren und mochte
hoffen, mit dem Nuklearbomber-Projekt die erfolgreiche Konkurrenz auszuste-
chen. Lockheed, als Hersteller von viermotorigen Passagierflugzeugen und Jägern
erfolgreich, suchte seinerseits eine Bestätigung seiner Führungsrolle im Militär-
flugzeugbau.
Die beiden Triebwerkhersteller entwickelten bald zwei unterschiedliche Tech-
nologielinien, die hinfort über Jahre gefördert wurden. Pratt & Whitney optierte für
den sogenannten "geschlossenen Kreislauf'. Über Wärmetauscher sollte die vom
Nuklearreaktor im Triebwerk entwickelte Hitze an einen Luftstrom abgegeben
werden, der in eine Düse expandieren sollte. Dieses Konzept hatte den Vorzug,
weniger Radioaktivität an die Umgebungsluft abzugeben. General Electric betrieb
hingegen den mechanisch einfacheren "offenen Kreislauf' (vgl. Abbildung 14), bei
dem verdichtete Luft am Reaktor stark erhitzt wird und hernach eine Turbine be-
treibt.
Convair verband sich mit General Electric, während der konkurrierende Luft-
fahrtkonzern Lockheed sich mit dem Triebwerkhersteller Pratt & Whitney zusam-
mentat. Der "offene" und der "geschlossene" Kreislauf waren nunmehr jeweils mit
einer bestimmten Bomberauslegung verknüpft. Convair konnte früh einen Erfolg
für sich buchen: Die Firma überzeugte die Behörden, daß das Studium der Verbrei-
tung von Radioaktivität im Flugzeug am besten "ohne störende Bodenstrahlung"37

34 Nach Evans, ,,NEPA"- 23 June 1948, S. 1


35 Eine Auflistung verschiedener Prüfgruppen beim Camptroller General1963, beginnend
s. 76
36 Camptroller General1963, S. 137
37 Craig Lewis, ,,Nuclear Test Bomber Provided Valuable Shielding Data", in: Aviation
Week,22.Dez. 1958,S.65
234 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearan!rieb

erfolgen würde. Im Gegensatz zu Lockheed konnte Convair für solche Flüge eines
Reaktors auch ein Flugzeug anbieten, was groß genug war. Mit dem zehnmotori-
gen Bomber B-36 war das möglich.

Verdichter

Kernreaktor Luftaustritt

Abbildung 14: Sowjetische Darstellung eines Flugmotors mit Kernreaktor


(offener Kreislauf)
Quelle: Nach Aviarien Week, 1.12.1958, S. 28

Reaktor

Luft-

Verdichter Turbine Düse


Abbildung 15: Amerikanische Darstellung eines Flugmotors mit Kernreaktor
(offener Kreislauf)
Quelle: Comptroller General of the United States, Review of Manned Nuclear Propul-
sion Pro gram. Atornic Energy Ceromission and Departrnent of Defense,
WashingtonD.C., 1963, S.179

Pratt & Whitney war mit seinem Konzept in technische Schwierigkeiten geraten.
Die Ergebnisse der Kombination jeweils eines Reaktors mit einem Düsentriebwerk
wurden als unzureichend betrachtet. Mitte 1956 entschlossen sich die Konstrukteu-
re, jeweils zwei Reaktoren vorzusehen. Auch dies führte zu wenig befriedigenden
Resultaten, schon wegen des zusätzlichen Gewichtes für den Schutzmantel des
zweiten Reaktors. Auch erschien keiner der beiden für den Kreislauf im geschlos-
senen System vorgeschlagene Wärmeträger, weder Flüssigmetall noch Feststoff,
als hinreichend geeignet.38 Im Herbst 1957 schied Pratt & Whitney aus diesem

38 Comptroller General1963, S. 43
Das amerikanische Projekt 235

Wettbewerb aus. Lockheed blieb nichts anderes übrig, als gleichfalls zu resignie-
ren.
Das weitere Schicksal des Projektes hing nunmehr von der Antwort auf zwei
Fragen ab: ob ein Nuklearmotor konstruiert werden könnte, der im Leistungsver-
mögen mit anderen rivalisierenden Technologien überlegen abschnitt, und ob die
Radioaktivität, die so erzeugt würde, an Bord eines Flugzeuges genügend einge-
dämmt werden konnte. Die Antwort lautete damals regelmäßig, daß die Sowjets
eine positive Antwort auf beide Fragen gefunden hätten, diese also lösbar seien.
Zumindest wurde unterstellt, daß die Sowjets größere Radioaktivitätsmengen bei
der Verseuchung von Besatzungen und Umwelt akzeptieren würden, als dies in
Amerika möglich schien. Im November 1954 fand ein erster entscheidender Test
statt: Einem Reaktor wurde Energie bei Betriebstemperaturen entnommen, wie sie
für Düsentriebwerke erforderlich waren. Im Januar 1956 lief ein Düsentriebwerk
erstmals ausschließlich mit Reaktorantrieb. Die Konstrukteure von General Elec-
tric konnten nunmehr die Grundlinien für den Atommotor festlegen. Das beste Lei-
stungsgewicht bot die Kombination von einem Reaktor mit jeweils zwei Düsenag-
gregaten. Das Triebwerk erhielt eine offizielle Experimentalnummer, "X-211".- Im
September 1955 erhob sich erstmals an Bord des NB-36H (NB= Nuclear Bomber)
ein Reaktor in die Luft, in vollem Betrieb. Die Flüge wurden "über unbewohnten
Landstrichen"39 ausgeführt. Als Zweck dieser Flüge wurde angegeben, "die Reak-
tion von Bordinstrumenten und anderen Betriebsteilen des Flugzeuges in Erwar-
tung von nuklear angetriebenen Flügen auf Radioaktivität zu testen".40 Man fragt
sich, ob die Bomberbesatzung unter der Rubrik "andere Betriebsteile des Flugzeu-
ges" mitgerechnet wurde.
Es ist nichts über das Schicksal der Bomberbesatzungen, die insgesamt 47 sol-
cher Flüge ausführten, bekannt, etwa, ob sie an Spätfolgen der Strahlung zu leiden
hatten. Das Cockpit wurde durch einen rund vier Tonnen schweren Bleischirm aus
mehreren Schichten abgeschirmt.41 Diese Schichten bestanden aus Lagen von Blei
und Gummi, wobei die Bleiplatten eine Stärke von 0,8 bis 5 cm aufwiesen. Nur die
Piloten konnten aus dem Flugzeug herausschauen. Die Frontscheiben des Bombers
waren aus verbleitem Glas und Plexiglas hergestellt, welche zwischen 15 und 20
cm Dicke aufwiesen. Eine Schlüsselfrage blieb, wie die Besatzung von den vielen
Leitungen mit ihrer zirkulierenden Hydraulikflüssigkeit getrennt werden konnte. In
einem normalen Flugzeug sind Pilot und Bordmechaniker durch verschiedene
hydraulische und andere Systeme mit dem gesamten Flugzeug verbunden- um die
Motoren zu steuern, das Fahrwerk ein- und auszufahren, Klappen und andere
Steuerelemente zu bewegen, die Bombenschächte zu öffnen usf. Plötzlich war der
Lebensnerv eines solchen Flugzeuges vom Cockpit zu trennen, um die tödliche Ra-
dioaktivität fernzuhalten.
Falls ein Unglück passierte, hatte man Schutzmaßnahmen vorgesehen, die heu-
te naiv wirken. Ein Absturz des arbeitenden Reaktors würde eine Katastrophe er-
zeugt haben, neben der der Unfall von Tschernobyl sich bescheiden ausgenommen
hätte. Die Sicherheitsmaßnahmen bestanden darin, daß

39 Aviation Week, 22. Dez. 1958, S. 64


40 Iones 1962, S. 127
41 Lewis, Aviation Week, 22. Dez. 1958, S. 64
236 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

"eine Transportmaschine der Luftwaffe den Bomber auf seinen Testflügen begleitete,
an Bord mit einer Mannschaft von Paramedizinern, die am Fallschirm landen würden,
um ein Gebiet zu isolieren und zu überwachen, auf das der Reaktor im Notfall ausge-
stoßen worden wäre. "42
Der Aufwand für die Konstruktion von Filtern zum Abfangen radioaktiver Partikel
im Düsenaustritt belief sich auf ganze 72.000 Dollar, in der Herstellung sollte ein
Filtersatz lediglich 27.000 Dollar kosten.43 Ein militärisches Verbindungskomitee
(Military Liaison Committee) stellte in einem Brief an die Atomenergiebehörde im
Juli 1957 fest, daß die Air Force nicht in der Lage sei, das Ausmaß der radioakti-
ven Belastung infolge von Probeflügen anzugeben - "die Air Force glaubte, daß
begrenzte Probeflüge ohne unvertretbare Risiken für die Öffentlichkeit ausgeführt
werden können".44
Als 1961 eine für den "offenen" Kreislauf besonders folgenreiche Auflage
über die Maximalmenge an radioaktiven Partikeln am Düsenende bekannt wurde,
erregte sich der Projektleiter bei GeneralElectric:
"Das ist das erste Mal, daß wir je von einer so absurden Restriktion gehört haben."45
Mit anderen Worten, was es bislang nicht gab (Beschränkungen der radioaktiven
Verseuchung), sollte es gefälligst auch künftig nicht geben.
Andererseits gibt es verschiedene Hinweise darüber, daß die Befürworter des
Bomberprojektes sich über die radioaktive Gefährdung vollkommen im klaren wa-
ren. In einem Kommentar über einen angeblichen sowjetischen Prototyp eines Nu-
klearbombers mit Triebwerken in Einzelaufhängung unter den Flügeln, so wie dies
von Verkehrsflugzeugen bekannt ist, stellte "Aviation Week" fest, daß
"diese Einzelaufhängung am besten für das ,offene' Kreislaufsystem eines Kemtrieb-
werkes geeignet ist, da dieses System beim Betrieb das gesamte Düsentriebwerk radio-
aktiv macht."46
Was für einen sowjetischen Bomber gilt, würde auch eine amerikanische Kon-
struktion treffen. -In einem anderen Kommentar über eine Phantasiezeichnung ei-
nes sowjetischen Passagierflugzeuges mit Nuklearmotoren schreibt dasselbe Wo-
chenblatt sarkastisch, daß "die proletarischen Passagiere gewiß sein dürfen, erheb-
liche Dosen an Radioaktivität mitzubekommen". Ferner kritisiert "Aviation
Week", daß "lediglich ein Fassadenschild die atomgetriebenen Düsentriebwerke
und die Abteilungen für Fracht, Gepäck und Passagiere trennt". Außerdem zeigten
die Triebwerke der Sowjets "unvollkommene Abschottung des Uranbrennstoffes

42 Lewis, Aviation Week, 22. Dez. 1958, S. 69. Einzelheiten zu den Überlegungen, wel-
che Folgen der Absturz eines Bombers mit laufenden Reaktoren haben könnte, finden
sich wiederholt in den Berichten des Joint Committee on Atomic Energy aus dem Jahre
1959 (Joint Committee on Atomic Energy, Aircraft Nuclear Propulsion Program, 86th
Congress, 1st session, Washington, D.C. (Joint Economic Committee Print) 1959) so-
wie des Rechnungshofes (vgl.dort den aufS. 52 im Auszug wiedergegebenen Brief des
General Managers der Atombehörde vom 9.11.1962 -der freilich lediglich zu der Emp-
fehlung gelangt, die Tests woanders auszuführen).
43 Comptroller General1963, S.47
44 Comptroller General1963, S. 50
45 Brief von David Shaw, GE, an den Abgeordneten Price, zit. nach Lambright 1967, S.
27
46 Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 28 f.
Das amerikanische Projekt 237

für den Reaktor". Schließlich würden "wirtschaftlich arbeitende Triebwerke eine


Umhüllung erfordern, die vor dem Austritt von Spaltelementen schützt". In der
Sicht des Journals war der Reaktor in dem sowjetischen Flugzeug nicht hinrei-
chend "containisiert".47
Auf amerikanischer Seite wurden schließlich 25 Rem als Radioaktivitätsober-
grenze festgesetzt. Ein Manager von General Electric verteidigte das Projekt:
,,Insofern die Bomberbesatzung betroffen ist, stellt ein Reaktor mit seinen radioaktiven
Teilen eine geringere Gefahr dar als die Tonnen von brennbarem Flugzeugtreibstoff in
anderen Maschinen."48
Zu unterstreichen ist, daß die Unmöglichkeit eines hinreichenden Schutzes vor der
Radioaktivität von Anbeginn erkannt worden war. Frederick R. Neely schrieb im
Mai 1948 in dem Magazin "Collier's":
"Wiederum haben wir die unangenehme Aufgabe, darüber zu berichten, daß ein weite-
res Allheilmittel für die Probleme der Luftfahrt und zugleich eine Abkürzung auf dem
Weg zu anhaltendem Erfolg eben all das nicht ist. Diesmal geht es um Atommotoren
für Flugzeuge ... Um die Besatzung vor der tödlichen Radioaktivität zu schützen, müßte
man den Reaktor mit etwa 75 Tonnen Schutzmaterial umgeben."49
75 Tonnen Schutzmaterial stellten in der Tat die Achillesferse des Projektes dar,
und sie sind die Ursache dafür, daß schon von Beginn an aus diesem Flugzeug
nichts werden konnte. Das größte Flugzeug dieser Tage, Amerikas Bomber B-36
mit seinen zehn Motoren, konnte fünf Tonnen Bomben schleppen, wog leer selber
75 Tonnen und hatte einschließlich der Treibstoffvorräte ein Startgewicht von 175
Tonnen. In einer amerikanischen Veröffentlichung hieß es, daß ein sowjetisches
Atomdüsentriebwerk 35 Tonnen Schub entfalten würde (das Doppelte des lei-
stungsstärksten westlichen Triebwerks). Um einen großen Bomber in die Luft zu
bekommen, würde man auf jeden Fall mehrere Atomtriebwerke benötigen, jedes
mit 75 TonnenAbschirmma terial-mit solchen Bleigewichten würde nie ein Flug-
zeug fliegen können.
In der Folgezeit gab es einen Anzahl von Vorschlägen, wie eventuell höhere
Dosen von Radioaktivität verkraftet werden können, und so das Gewicht des
Schutzschildes gemindert werden könne. Die Planer der Air Force schlugen zum
Beispiel vor, daß jede Bomberbesatzung nur zwei Starts ausführen sollte, plus zwei
Stunden Ausbildung auf einem Bomber mit Nuklearantrieb.50
Verständlicherweise erzeugte der Atombomber Spannungen unter den Teil-
streitkräften. Die Navy wollte beim Nuklearflugzeug nicht zurückstehen. Im Mai
1953 vergab sie an ihre Klientele, im Seeflugzeugbau engagierte Firmen, Studien-
aufträge. Augenscheinlich nahmen die Mariner an, demnächst selber mit nuklear
angetriebenen Kampfflugzeugen ausgerüstet zu werden.51 Die Ergebnisse müssen
den Admirälen gefallen haben, denn 1955 wurden förmliche Anforderungen vorge-

47 Aviation Week, 10. Okt. 1955, S. 54


48 Entnommen dem sog. Darley-Memorandum 1959, S. 80. John W. Darley war Manager
bei der Nuklearflugmotorenabteilung von General Electric und sandte dieses Memoran-
dum arn 14. Jan. 1959 an Präsident Eisenhower. Hier zitiert nach dem Abdruck in Avi-
ation Week, 16. März 1959, S. 67-85.
49 Neely S. 30
50 Nach Evans, S. 3
51 Vgl. Comptroller General1963, etwaS. 129
238 Rüstungswenlauf um ein Phantom: Der Bomber mit NuklearanJrieb

legt. Mit dem "Operational Requirement No. CA-01503" wurde ein von Land oder
Flugzeugträgem zu startendes Mehrzweckflugzeug spezifiziert, welches "bei allen
Wetterbedingungen angreifen, aufklären und Minen legen können soll, auch gegen
stark verteidigte feindliche See- und Landgebiete".52 Es folgten Einzelspezifikatio-
nen, wie das Flugzeug zu konzipieren sei. - Im Dezember 1957 schlug die Navy
vor, das größte Flugboot der Welt, die sechsmotorige Saunders-Roe ,,Princess" aus
England, auf Atomantrieb umzurüsten, und führte listig die Forderung der Air
Force an, daß ein ,,frühest möglicher Nuklearflug eines der nationalen Ziele" der
USA sei. Die Luftwaffe reagierte empört (der Vorschlag wurde als "most unac-
ceptable to the Air Force" deklassiert).53 Säuerlich legten die Luftwaffengeneräle
dar, daß sie nichts gegen ein Seeflugzeug mit Atomantrieb hätten, daß sie aber mit
ihrem Programm weiter seien. Am Ende blieb es bei wenigen Millionen Dollar, die
in Pläne zum Umbau des Riesenflugbootes gesteckt wurden. Im Februar 1958 ließ
die Air Force das Pentagon wissen, daß man nunmehr eine Spezifikation für einen
atomaren Hochleistungsmotor habe, und daß dieses Triebwerk auch die Begehren
der Navy nach einem solchen Motor für ihr Kampfflugzeug abdecken würde.
Herbett F. York, der gegen Ende der Eisenhower-Zeit das Projekt betreute, er-
innert sich an einen der bizarreren Vorschläge, wie mit gesteigerter Radioaktivität
umgegangen werden könne:
,.Ein Vorschlag, der sehr ernsthaft erörtert wurde, lautete, llltere Männer (d.h. Männer
jenseits des Alters, in dem man üblicherweise Kinder bekommt) als Piloten einzuset-
zen, so daß der genetische Schaden infolge von Radioaktivität auf ein Minimum be-
grenzt werden könnte."54
Eine dritte Möglichkeit bestand darin, die Radiobiologen um Hilfe zu fragen. Die
Wissenschaftler wurden gebeten, Vorschläge zu machen, wie mit Hilfe von Arz-
neimitteln die Radioaktivität, die der Körper akzeptiert, gesteigert werden kann. Es
gibt Hinweise darauf, daß "ein breit angelegtes Forschungsprogramm vorgeschla-
gen und später in Einzelheiten entwickelt wurde" ,55 Im Protokoll einer Bespre-
chung aus dem Jahre 1949 steht schließlich der fatale Satz: "Die Information, die
benötigt wird, ist hinreichend wichtig, so daß wir glauben, daß Experimente mit
Menschen gerechtfertigt sind."56

5.3 Der Endkampf um den Bomber

Als Eisenhower seine Präsidentschaft antrat, wurden alle größeren Rüstungspro-


gramme schon aus Haushaltsgründen einer ausgiebigen Überprüfung unterzogen.
Verteidigungsminister Charles Wilson, ein erfolgsgewohnter Manager, nannte den
nuklear motorisierten Bomber ein "Scheißstück" und war bestrebt, das Projekt zu
stoppen.57 York berichtet, daß

52 Comptroller General1963, S. 134


53 Comptroller General1963, S. 149/150
54 York 1970, S. 63
55 V.P. Catlins, ,,Proposed Initial NEPA Biochemical Pro gram", in den Taylor-Papieren
56 Erneut nach der Evans-Mitschrift, S. 6
57 Nach York 1970, S. 64
Der Erulkampf um den Bomber 239

"im März 1953 ein Sonderausschuß des Beratungsgremiums der Air Force empfahl, das
Programm um die Hälfte zu kürzen. Im folgenden Monat setzte sich der Nationale Si-
cherheitsrat dafür ein, daß das Projekt vollständig zu streichen sei."58
Diese Äußerungen sollten, nach allem, was man weiß, das Ende des exotischen
Bomberprojekts gebracht haben. Die wirkliche Frage lautet aber, wie das Waffen-
system diese "Schläge" überleben konnte und in die volle Finanzierung geriet,
nachdem diese Empfehlungen getroffen worden waren.
Im Dezember 1953 legte die Air Force der Atombehörde eine Dringlichkeits-
anforderung vor:
"Es existiert eine Anforderung der höchsten Prioritätsstufe für einen Interkontinental-
bomber, der bei akzeptablen Ausfallquoten jede unserer Kernwaffen über jedem Ziel
von Stützpunkten auf unserem Kontinent aus abwerfen kann. Neuere Untersuchungen,
die die Abteilung für nukleare Bugantriebe vorgelegt hat, ergeben, daß ein Nuklear-
flugzeug mit Propellerantrieb möglicherweise in Erfüllung dieser Anforderungen schon
1960 gebaut werden kann, vorausgesetzt, die Air Force und die Atomenergiekommis-
sion geben der Lösung der schwierigen Forschungs- und Entwicklungsprobleme hinrei-
chende Priorität."59
Jedeamerikanische Kernwaffe, auch die damals schwerste Wasserstoftbombe MK
17 mit ihrem Gewicht von 20 Tonnen, von Amerika aus zu jedem Ort der Welt zu
transportieren, stellte eine in der Tat maximalistische Anforderung dar. Der neue
Superbomber der USA, Boeings B-52, konnte beides nicht, die Wasserstoftbombe
schleppen oder gar ohne Zwischenlandung oder Lufttanken jedes Ziel auf dem
Globus anfliegen.
Im März 1955 gab die Air Force eine förmliche Anforderung für den Nuklear-
bomber heraus, "General Operational Requirement No. 81" zwecks Bau
"eines nuklear angetriebenen, bemannten Waffensystems für Bombardierungen (WS-
125-A), welches in der Lage sein soll, Atomwaffen gegenjedes Ziel der Welt einzuset-
zen. Die Hauptaufgabe dieses Waffensystems soll sein, von Basen tief im Innern des
amerikanischen Kontinentes aufzusteigen, auf Umwegen irgendein Ziel irgendwo in der
Welt anzufliegen, das Ziel zu bombardieren, und zum Startplatz zurückzukehren, falls
gewünscht, erneut im Umwegflug. In bezug auf die Geschwindigkeitsanforderung hielt
GOR 81 fest, daß (1) die Marschgeschwindigkeit Mach 0.9 nicht unterschreiten sollte,
bevor in der Kampfzone Leistungssteigerungen erreicht werden, und daß (2) in der
Kampfzone eine maximale Überschallgeschwindigkeit im Stechflug wünschenswert
wäre".60
Die Bomberlobby tat ihr Bestes, um den Anschein aufrechtzuerhalten, am Ende
würde das schwierige Projekt doch von Erfolg gekrönt. Im April 1956 erschien
plötzlich eine Pressemitteilung, die so formuliert war, als gäbe es einen permanen-
ten Auftragsstrom ("Die Luftwaffe hat allein in der letzten Woche drei neue Kon-
trakte für den Bomber ausgegeben").61 Generalmajor Keim räumte ein, daß das
Projekt "neu konzipiert werden müsse, da die technischen Erfolgschancen zu ge-
ring wären, um die hohen Kosten zu rechtfertigen".62 Im November 1958 führte

58 York 1970, S. 64
59 Zitiertnach Camptroller General1963, S. 129
60 Camptroller General1963, S. 133
61 Newsweek, 23.4.1956, S. 35
62 Aviation Week, 24. Nov. 1958, S. 27
240 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

Keim vor der American Ordnance Association aus, daß die USA "bald in der Lage
sein werden, eine experimentelle Flugphase, mit Blick auf einen Bomberprototyp,
als den nächsten logischen Schritt in diesem Programm einzuleiten". Der General
beschwerte sich über die "finanzielle Ängstlichkeit" und die "nahezu ununterbro-
chenen Überprüfungen durch verschiedene Wissenschaftlergruppen oder Komi-
tees".63 Ursprünglich waren im Haushaltsjahr 1958 für die Finanzierung der Bom-
berentwicklung 600 Millionen Dollar angesetzt. Die Mittel wurden auf ein Viertel
zusammengestrichen.
Im Juni 1958 nahm das Strategische Bomberkommando einen letzten Anlauf
und schlug die Ausgabe eines "Operational Requirement" für ein "langzeitig flie-
gendes Waffensystem als Raketenträger und Tiefangriffsflugzeug" mit der Kurzbe-
zeichnung CAMAL vor. Die Air Force vergab tatsächlich (GOR 172) im August
1958 erste Aufträge an Lockheed und Convair. Das Bomberkommando sollte 1965
bis 1975 mit diesen CAMALs ausgerüstet werden.
Im Dezember 1956 hatte freilich Präsident Eisenhower Spitzenbeamte des
Pentagon und seine Haushaltsexperten versammelt, um über die Fortsetzung des
Nuklearbombers Waffensystem 125-A zu entscheiden oder die Arbeiten einzustel-
len. Die Besprechung endete mit der Streichung. Die Begründung liest sich heute
seltsam marginal. WS-125-A wurde nicht gestoppt, weil das Projekt unsinnig war,
sondern weil gewisse Überschreitungen bei den Zielvorgaben zu verzeichnen wa-
ren. In einer späteren Begründung für den Streichungsbeschluß heißt es unter ande-
rem:
"Als detaillierte Konstruktionszeichnungen für Reaktoren, die die Anforderungen er-
füllten, in Arbeit waren, stellten sich gewisse Begrenzungen in den physikalischen Ei-
genschaften verfügbarer Werkstoffe heraus, die sich in nicht hinnehmbaren Minderun-
gen der voraus berechneten Leistung des Systems niederschlugen. Um spezifischer zu
sein, der vorausberechnete Radius im Stechflug fiel geringer als erwünscht aus, und
auch das sich ergebende Flugzeuggewicht überstieg den Sollwert. "64
Der militärisch-industrielle Komplex, wie Präsident Eisenhower bald diese Ver-
bindung benennen sollte, organisierte schließlich eine großangelegte Täuschung,
um bei dem zermürbenden Kampf um den Bomber doch noch zu gewinnen, und
zwang damit den Präsidenten persönlich, zu dem Projekt Stellung zu nehmen. Am
1. Dezember 1958 erschien das Fachblatt "Aviation Week" mit einer Sensation,
die sofort Schlagzeilen quer durch Amerika machte: "Sowjets haben Nuklearbom-
ber in der Flugerprobung", lautete der Aufmacher. Auf dem Umschlag prangte die
angeblich neue sowjetische Maschine. Allerdings erwies sich später keine einzige
Tatsachenbehauptung in der drei Seiten langen (ein überdurchschnittlicher Umfang
für das Blatt) Titelgeschichte. Der Dreiseiten-Riß des angeblichen Bombers erweist
sich bei näherem Studium als eine Wiedergabe des in jener Zeit in Erprobung be-
findlichen herkömmlichen Bombers von Mjasischtschew, Mja-50 (vgl. Abbildung
16). Die ,,Nukleartriebwerke" der Maschine sahen ziemlich wie gewöhnliche Dü-
sentriebwerke aus. Wenn das ein nukleargetriebenes Flugzeug sein sollte, dann
müßten die Sowjets die Grenzen der Physik überwunden haben ("Aviation Week"
führt an, daß laut sowjetischen Angaben bei den Düsentriebwerken "die Brenn-

63 Aviation Week, 24. Nov. 1958, S. 27- Es lassen sich weitere Reden des Generals für
seinen Bomber anführen.
64 Comptroller General1963, S. 140
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Abbildung 16: Amerikanische Fehlwahrnehmung eines sowjetischen nuklear angetriebenen Bombers: Links die Angabe von
Aviation Week (Titelstory vom 1.12.1958, hier S. 27), rechts der konventionelle Düsenbomber
Miasisclztschew Mja-50, der ungefähr zur gleichen Zeit in die Flugerprobung ging)
Quelle: Thc Obscrvcr's Book of Aircraft, London (Thc Obscrvcr) 1962, S. 175

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242 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

kammern durch einen Reaktor ersetzt wurden" - mit einer Brennkammergröße


zwischen 30 und 60 cm und einem Durchmesser des Gesamttriebwerkes, immer
noch diesem Journal zufolge, von zwei Metern wirklich eine phantastische Lei-
stung). Die sowjetischen Wundertriebwerke sollten jedes 35 Tonnen Schub erzeu-
gen. Schließlich gab es bei dem angeblichen sowjetischen Nuklearbomber nicht
den geringsten Hinweis auf Schutzmaßnahmen vor radioaktiver Strahlung. Die
Bomberbesatzung würde offensichtlich radioaktiv verbrannt, wenn je die Trieb-
werke gestartet würden.65
"Aviation Week" berichtete zur gleichen Zeit, daß "dieses Flugzeug in der
Umgebung Moskaus für mindestens zwei Monate geflogen ist".66 Ein erster Ein-
wand lautet, daß die Sowjets schwerlich eine revolutionäre Rüstungsneuerung, zu-
dem eine so für die Bevölkerung gefährliche, in der Umgebung ihrer Hauptstadt
erprobt haben würden. Ein zweiter Einwand lautet, daß eine solche Waffe während
der Erprobung supergeheim bleiben würde, und daß es so äußerst unwahrscheinlich
ist, daß die Maschine "sowohl im Flug wieamBoden von einer Anzahl auswärti-
ger Beobachter aus kommunistischen und nichtkommunistischen Ländern beob-
achtet worden ist".
Ob versehentlich oder mit Absicht, der große neue Bomber von Mjasischt-
schew wurde in einer Art Tatsachensprache als Nuklearbomber porträtiert. "Avi-
ation Week" gab vor zu wissen, daß
,.das gegenwärtige sowjetische Etappenziel, Nukleartriebwerke im Flug in einem mili-
tärischen Prototyp zu testen, das Ergebnis eines Programms (ist), welches hohe Priorität
genießt und welches fmanziell gut gepolstert ist, und welches auf fast acht Jahre an For-
schungs- und Entwicklungsarbeiten zurückblicken karm."67
Ein "Programm hoher Priorität" und völlige finanzielle Unterstützung waren aller-
dings genau das, was das amerikanische Nuklearflugzeug am dringendsten benö-
tigte.
Auf dem Kapitolshügel reagierte man wie Pawlows berühmter Hund auf die
Sensation von "Aviation Week". Der Vorsitzende des Gemeinsamen Atomfor-
schungsausschusses beider Häuser des Kongresses, Melvin Price, rief sofort nach
einer Beschleunigung des US-Projektes:
"Wir haben nunmehr ein kritisches Stadium in unserem nuklearen Flugzeugprogramm
erreicht. Entweder schreiten wir jetzt mit Festigkeit zu einem erfolgreichen Abschluß
unserer Anstrengungen voran, oder wie verlieren, wieder einmal, unsere tedmische
Führungsrolle."68
Senator Dennis Chavez, damals der Vorsitzende des Unterausschusses für Luft-
fahrt, kritisierte die Regierung, weil sie dem Nuklearbomberprojekt nicht genü-
gend Unterstützung gegeben hätte, und fügte hinzu, daß der Kongreß "alles Geld,
was sie brauchen", bewilligen würde, um das Nuklearflugzeug in die Luft zu be-
kommen.69
Selbst Senator J. William Fulbright, später ein herausragender Kritiker des

65 Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 26- 29


66 Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 27
67 Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 29
68 Aviation Week, 8. Dez. 1958, S. 28
69 Zit. nach Aviation Week, 8. Dez. 1958, S. 28
Der Erulkampf um den Bomber 243

Pentagon, damals noch einfaches Mitglied im Auswärtigen Ausschuß, kritisierte


die "schwache, apathische Führung", welche versagt hätte, das Atombomberpro-
jekt vorwärtszubringen.70
Normalerweise hätte der Militär-Industriekamplex sein Ziel wohl erreicht. An-
gesichts des nationalen Aufschreis wegen einer neuen Bomberlücke hätte auch
eine zögernde Regierung, die nicht an die Ausführbarkeit des Projektes glauben
mochte, den Kongreß um die Bereitstellung weiterer Forschungsmittel ersuchen
müssen. Unter diesen Umständen verlohnt es sich, das Ende des Projektes zu be-
trachten. Es gab nur wenige Stimmen, etwa den Abgeordneten Craig Hosmer (frü-
her als Rechtsanwalt für die Atomenergiebehörde tätig und somit möglicherweise
sachkundig), der eine "scharfe Warnung" vor der Überinterpretation von Geheim-
dienstinformationenvon sich gab. Hosmer zog den Artikel von "Aviation Week"
in Zweifel und meinte, daß die Russen möglicherweise "einen fliegenden Prüfstand
für Experimente mit nuklearen Flugzeugmotoren haben, nicht aber ein nuklear an-
getriebenes Flugzeug". Hosmer war besonders wegen der Wirkungen der Radioak-
tivität besorgt. Auch Probeflüge sind, so Hosmer,
"eine billige und schmutzige Methode, Erprobungen auszuführen, die nur die sowjeti-
schen Schlächter von Ungarn mit ihrer Mißachtung von Menschenleben und Sicherheit
anwenden können ... Praktischjedes Versagen eines Experimentes würde höchstwahr-
scheinlich gefährliche Radioaktivität freisetzen."71
Aus irgendwelchen Gründen, die sicher differenziert bestimmt werden müssen,
wurde der Abgeordnete Hosmer in den nächsten, den 94. Kongreß, nicht wiederge-
wählt
Die Schlüsselfrage lautete nunmehr, wie die politische Führung des Landes re-
agieren würde. Verteidigungsminister McElroy schien unschlüssig zu sein. Auf der
einen Seite monierte der Minister, daß es "schwer zu sehen sei, daß das Projekt
sein Geld wert sei". Auf der anderen Seite schätzte McElroy, daß ein amerikani-
sches Nuklearflugzeug binnen fünf Jahren, also 1964, fliegen könne.72
Der Höhepunkt der Kampagne um den Bomber, die "Aviation Week" ausge-
löst hatte, wurde erreicht, als der Präsident sich gezwungen sah, Stellung zu neh-
men. Im Rahmen seiner regelmäßigen Pressekonferenz antwortete Eisenhower am
10. Dezember 1958, augenscheinlich sorgfältig vorbereitet, mit drei Punkten:
"Es gibt keinen Nutzen, den irgendjemand mit Bezug auf ein solches Flugzeug mögli-
cherweise angeben könnte."
,,Es macht keinen Sinn, Entwicklungen auf einem Gebiet zu betreiben, dessen einzi-
ger Zweck es wäre, ein Flugzeug wenige hundert Meter über dem Boden fliegen zu las-
sen."
,,Es gibt absolut keine Geheimdienstinformationen, die die Aussage stützen würden,
daß Rußland ein nuklear getriebenes Flugzeug im Fluge erprobt. "73
Die drei Punkte signalisieren größere Auseinandersetzungen innerhalb des Regie-
rungsapparates, und sie geben wieder, daß der Präsident sich der einen Partei ange-
schlossen hatte. Der erstgenannte Schlüsselsatz aus der Pressekonferenz stellt eine

70 Zit. nach Aviation Week, 8. Dez. 1958, S. 28


71 Zit. nach Aviation Week, 8. Dez. 1958, S. 28
72 Vgl. Aviation Week, 8. Dez. 1958, S. 28
73 Keesings Archiv der Gegenwart, S. 1183. Vgl.auch das Darley-Memorandum 1959, S.
67
244 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

Kriegserklärung gegen jedermann dar, der immer noch auf dem Bomberprojekt be-
stand. Immerhin bleibt es ein ungewöhnlicher Schritt, daß ein amerikanischer'Prä-
sident, nachdem seine Regierung mehr als eine Milliarde Dollar in ein Projekt ge-
steckt hat, gegen jeden angeht, der immer noch für eben dieses Projekt eintritt. In
seinen Erinnerungen geht Eisenhower nicht auf den Vorgang ein, aber aus seiner
Umgebung verlautet, daß sein Widerwillen gegen die Kampagne um das Nuklear-
bomberprojektwesentlich zu seiner Aussage über den Militär-Industriekomplex in
seiner Abschiedsbotschaft beigetragen hat.
Der zweite Satz gibt die Ansicht des Stabes von Eisenhower über die Ausführ-
barkeit des Projektes wieder. Ein Flugzeug mit Nuklearantrieb mag zwar möglich
sein, es hätte aber einen sehr beschränkten Nutzen. Diese Aussage widerspricht
dem ersten zitierten Satz zum Teil, in dem immerhin ein Maßstab von technischer
Relativität eingeführt wird. Der dritte Satz stellt eine völlig ungewöhnliche Zu-
rückweisung der Veröffentlichung in "Aviation Week" dar. Augenscheinlich ist er
eher auf die eigene Regierung als auf das allgemeine Publikum gemünzt. Offenbar
wünschte der Präsident, mit der Geschichte vom Nuklearbomber ein für allemal
Schluß zu machen.
Die Gegner des Präsidenten gaben jedoch nicht auf. Ein Manager von General
Electric, der mit dem Programm zu tun hatte, schrieb ein längeres Memorandum,
welches die Äußerungen des Präsidenten in Zweifel zog. "Aviation Week" beeilte
sich, den gesamten Text, eng bedruckt zwölf Seiten, in dem Journal zu veröffentli-
chen (solch ein Beitrag war völlig ungewöhnlich in dieser Zeitschrift). Der doku-
mentarische Wert des Textes von General Electric rechtfertigte die längliche Wie-
dergabe nicht. Die Entscheidung des J oumals, den Text dennoch zu bringen, ist of-
fenbar als Versuch zu sehen, trotz der Zurückweisung durch den Präsidenten die
Kampagne für den Bomber fortzusetzen. - In dem Text wurde der Präsident ober-
lehrerhaft darüber informiert, daß "Sie der Empfänger von schlecht ausgeführten
Arbeiten Ihres Stabes sind, die in dieser Hinsicht wohl einen historischen Rekord
setzen" .74 Allgemein enthielt der Text von General Electric eine Auflistung der
Argumente, die für den Bomber sprachen, und eine Zurückweisung von Gegenar-
gumenten. Die Regierung Eisenhower nahm zu diesem Text nicht öffentlich Stel-
lung.
Sechs Wochen nach der Publikation des Artikels, kurz nach der Weihnachts-
pause, traf sich der Unterausschuß für Atomenergie auf dem Kapitol, um - so
"Aviation Week" -"die Authentizität des Berichtes über das russische Nuklear-
flugzeug zu prüfen".75 Diese nichtöffentliche Sitzung endete ohne klares Ergebnis.
Die CIA ließ sich vernehmen, daß ein neues und "ungewöhnliches" sowjeti-
sches Flugzeug festgestellt worden sei, welches für Nuklearantrieb "nutzbar" sei.
Der Ausschußvorsitzende Price fand, es wäre irreführend, kategorisch festzustel-
len, daß die UdSSR das Flugzeug allein mit Nuklearantrieb geflogen hat.76
In der ersten Runde schienen die bekannten Mechanismen zu wirken. Abge-
ordnete äußerten alarmiert Kritik, die Bereitstellung von Geldem wurde angekün-
digt. Auf der anderen Seite hatte Präsident Eisenhower, am Ende seiner zweiten
Amtszeit, nichts zu verlieren, und wünschte die Streichung des amerikanischen

74 Darley-Memorandum 1959, S. 67
75 Aviation Week, 19. Jan. 1959, S. 29
76 Nach Aviation Week, 19. Jan. 1959, S. 29
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Abbildung 17: Amerikanische Nuklearflugmotoren im Idaho Engineering Laboratory, /daho Falls, Idaho
Der Techniker im Vordergrund hält einen Geigerzähler gegen einen vertikal montierten Reaktor.
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Dahinter ein zweiter, horizontal montierter Reaktor.
Foto: Robert Del Tredici
246 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

Nuklearbombers, trotz aller Nachrichten über sowjetische Durchbrüche. Dennoch


war es erst die Nachfolgeregierung unter Kennedy, die den nukleargetriebenen
Bomber wirklich stoppte.77 Mehr als 7.000 Beschäftigte in der Industrie hatten
sich anderen Aufgaben zuzuwenden.78 Die Befürworter des Projektes zeigten noch
einmal die Zähne. Der schon angeführte Manager von General Electrics stellte fest:
,,Man muß den Tatsachen ins Gesicht sehen. Nuklear getriebene Flugzeuge sind unver-
meidbar."79
Bislang, so wenigstens die Erfahrung des bislang verstrichenen Vierteljahrhun-
derts, hat der Manager nicht Recht gehabt. Die Probeentwicklung des Nuklearmo-
tors kann man heute in Amerika im Museum bewundern. In den "Idaho National
Engineering Laboratories" in Idaho Falls im Bundesstaat Idaho ist die nebenste-
hend abgebildete monströse Konstruktion (Abbildung 17) zu bewundern. Bei der
Frage, was die Konstruktion darstellt, würde ein Laie schwerlich raten, daß es sich
um einen Flugmotor handeln soll. Weder in vertikaler Montierung (vom auf der
Abbildung) wie auch in horizontaler Lagerung kann ein Reaktor, ob im offenen
oder geschlossenen Zyklus, soll nicht alle Welt verstrahlt werden, als Flugantrieb
dienen.

5.4 Schlußfolgerungen

Herbert York, seinerzeit "Director of Defense Research" im Pentagon, stellte mit


Blick auf den nukleargetriebenen Bomber sardonisch fest:
"Eine Überprüfung dieses von Fehlern geplagten Projektes kann ein gut Teil derjenigen
Kräfte enthüllen, die das Wettrüsten vorantreiben."80
Die Story über den Nuklearbomber, welche tatsächlich eine Non-Story bleibt, da
solch ein Flugzeug nie gestartet ist, gestattet eine Reihe solcher Schlußfolgerungen.
Diese sind womöglich deutlicher als bei sogenannten "erfolgreichen" Waffenpro-
jekten, deren bloße Existenz eine grundsätzlichere Bewertung behindern mag.
Die erste Schlußfolgerung gilt der sogenannten Innen- oder Außenleitung des
Wettrüstens. Die berühmten Kategorien des Soziologen David Riesman81 über In-
nen- oder Außenorientierung von Individuen sind auf das Rüstungsverhalten der
USA und der Sowjetunion in dem Sinne bezogen worden, daß entweder Vorgänge
im Mittelpunkt von Rüstungsentscheidungen stehen, die die jeweils andere Seite
betreffen, oder aber daß im Innem der Gesellschaft, innen geleitet, Rüstungspro-
jekte vorangetrieben werden. Beginnen wir mit der "Außenleitung", dem Erklä-
rungsversuch, daß Amerika vermeintlich nachholend einem sowjetischen Pro-

77 Auch die Kennedy-Administration stellte sich nicht wegen der ökologischen Monstrosi-
tät, sondern vor allem aus Kostengründen gegen das Projekt. Recht förmlich fällt die
Begründung in der ,,National Security Message" vom 28. März 1961, vorgetragen von
Präsident Kennedy aus. Zu den Hintergründen vgl. Lambright 1967, S. 28 f.
78 Camptroller General1963, S. 177
79 Darley-Memorandum 1959, S. 80
80 York 1970, S. 60.- Die Probleme Yorks mit dem Projekt werden in Einzelheiten in
dem mehrfach angeführten Bericht des Camptroller General angeführt, einsetzend auf
s. 33.
81 Riesman 1958
Schlußfolgerungen 247

gramm nachstrebte. Offensichtlich hatte es bislang keinen sowjetischen Bomber


mit Nuklearantrieb gegeben. Das sowjetische Verteidigungsministerium hat unge-
wöhnlicherweise sogar wiederholt Dementis herausgegeben, daß amerikanischen
Aussagen zufolge ein solches Programm existiere (dies bleibt bemerkenswert, weil
in den vergangeneo Jahren das sowjetische Verteidigungsministerium sehr selten
auf westliche Nachrichten über sowjetische Waffenentwicklungen eingegangen
ist).
Tatsächlich gab es auf sowjetischer Seite Äußerungen, hauptsächlich in popu-
lären technischen Journalen, über bevorstehende Flüge von zivilen Nuklearan-
triebsprojekten. Im Maximum deutet dies darauf hin, daß es irgendwelche Untersu-
chungen über die Ausführbarkeit von Nuklearantrieben gab, weil diese Technolo-
gielinie als "natürliche" Verlängerung anderer Nuklearprojekte, etwa von Kernan-
trieben bei Schiffen, gelten konnte. Möglicherweise spiegelten diese sowjetischen
Bemühungen, so sie je ausgeführt wurden, Besorgnisse wider, was in den USA
technologisch versucht werden könnte. In einem technologischen Wettrüsten sind
offenbar alle Beteiligten versucht, exotische Projekte ernsthaft zu erwägen, nur um
einen technologischen Durchbruch der Gegenseite rechtzeitig zu erkennen und die-
sem vorzubeugen.
Unter den Skeptikern, die ein sowjetisches Projekt für wenig wahrscheinlich
hielten, ist der erwähnte Herbert York anzuführen. Auch er weiß, daß es eine "An-
zahl technischer Artikel, die tatsächlich in der sowjetischen Presse erschienen sind,
über die mögliche Nutzung der Atomenergie gab, auch über die Anwendung von
Nuklearantrieben für Flugzeuge. Diese Artikel waren rein theoretischer Natur."82
Und York räumt ein, daß diese blasse Evidenz in Amerika durchaus überhöht ver-
standen wurde:
"Es war sehr einfach filr jemand, der daran glauben wollte, daß die Russen vornan wä-
ren, dies mit Leidenschaft zu meinen. "83
York verwendet beträchtliche Mühe darauf (nach seiner Tätigkeit im Pentagon
zählt er sich heute zur Friedensbewegung), begreiflich zu machen, wieso in Ameri-
ka diese Hysterie über den Nuklearbomber aufbrechen konnte und wieso so weit-
reichende Forschungsbemühungen finanziert wurden. Auf der einen Seite stellt er
kategorisch fest, daß es "heute völlig offensichtlich ist, daß nie ein solches Nu-
klearflugzeug in der Sowjetunion existiert hat".84 Berichte über das Gegenteil er-
klärt er zu "einfach einem mehr oder minder klaren Versuch, das zu erzeugen, was
man self-serving Nachrichten nennen könnte, etwas, was man zum Überdruß in an-
deren Diskussionen über Waffensysteme nachweisen kann".85 Diese Äußerungen
provozieren, aus einer Anzahl von Gründen. Wenn die Falschheit der Nachricht
über einen sowjetischen Nuklearbomber "sehr deutlich und offenkundig" war, wa-
rum hat die Regierung, warum hat der Beamte York selber nicht öffentlich dage-
gen Stellung genommen? Weiterhin inflationiert York das Problem, daß es unprüf-
bare Informationen über den Sowjetbomber gab, indem er verallgemeinernd davon
spricht, daß so etwas bei "anderen Debatten über Waffensysteme" regelmäßig vor-
komme. Die Besonderheit beim Nuklearbomber bleibt, um die Frage auf sie Spitze

82 York 1970, S. 74. -Zur Rolle Yorks v.a. Lambright 1967, S. 20 ff.
83 Lambright 1967, S. 20 ff.
84 Lambright1967,S.73
85 Lambright1967,S.73
248 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

zu treiben, daß eben dieses Projekt nicht dazu dienen sollte, ein vergleichbares Pro-
jekt auf der Gegenseite zu neutralisieren, sondern daß aus der Luft gegriffene unsi-
chere Informationen als Grundlage weitreichender Entscheidungen dienten. Die
Besonderheit dieses Projektes war zudem, daß es von Anbeginn an die Gesetze der
Physik infrage stellte und ethische Grundsätze, was die Radioaktivität betraf, außer
Kraft zu setzen suchte. Es war eben nicht ein Routineprojekt
York selber scheint zu fühlen, daß seine Erklärung nicht hinreicht, und er be-
müht sich des längeren, eine Erklärung zu finden, warum der Nuklearbomber in
Amerika so lange überlebte, gar gegen seinen eigenen Willen als für das Projekt
verantwortlicher Beamter. Seine Äußerungen sollen hier etwas breiter wiedergege-
ben werden, weilsie eine Menge über die Wahrnehmung sowjetischer Rüstungsan-
strengungen auch bei aufgeklärten amerikanischen Zeitgenossen enthüllen.
York gibt im wesentlichen drei Gründe: Erstens stellt er fest, daß "zum fragli-
chen Zeitpunkt die wirkliche Aussagefähigkeit von Geheimdienstinformationen
keineswegs offenkundig war, auch für Leute, die gut informiert waren."86 Das
überzeugt nicht sehr, denn die Analytiker hatten die Wahl, entweder den Gesetzen
der Physik zu folgen, oder aber an Nachrichten der Geheimdienste zu glauben. -
Zweitens führt York zur Entschuldigung an, daß ,jenen von uns, die alle Fakten
zur Verfügung hatten, und die wußten, daß es keine wirkliche Grundlage für all
jene Behauptungen gab, die Hände gebunden waren, weil sie eben mit der Geheim-
haltung befaßt waren, die jede wirkliche nachrichtendienstliche Information um-
gibt."87 Auch das überzeugt nicht sehr: Der schulterklopfende Hinweis, daß es ei-
nige Personen gab, denen "alle Informationen zur Verfügung standen", wider-
spricht direkt dem, was York mit seiner ersten Entschuldigung sagt, und er bewegt
sich erneut in Richtung einer zu starken Verallgemeinerung. Sicher hat das Ge-
heimhaltungssystem seine Zwänge, aber die höchsten Beamten des Pentagon hat-
ten ja gerade die Aufgabe, selbständig mit Informationen wie denen über sowjeti-
sche Nuklearbomber umzugehen und politische Antworten auf sie zu geben.
Mit der Angabe seines dritten Grundes gibt York einen Blattschuß auf das
Washingtoner Politiksystem ab. In überzeugender Weise beschreibt er die Umwelt,
in der ein so exotisches Projekt wie der Nuklearbomber über Jahre hinweg blühen
konnte:
,,Mit irgendeiner der voranstehenden Aussagen meine ich keineswegs, daß Geheim-
dienstinformationenmutwillig oder böswillig verfa.Ischt wurden. Wenn das der Fall ge-
wesen wäre, dann wäre das Problem der Regierung, die mit dem Vorgang sich zu befas-
sen hätte, einfach gewesen: Bestraft die Falsifikateure! Stattdessen ereignete sich das
folgende, daß isolierte Fakten und Gerüchte zusammengestellt wurden, hernach analy-
siert und interpretiert wurden, von engagierten Amateuren, bis das Resultat vorlag, fast
reines Wunschdenken und Selbstbetrug. Und da die Empfänger von solchen trügeri-
schen Analysen der Nachrichtendienste häufig ebenso gierig wie prädisponiert waren,
ihnen zu glauben, wie dies die Urheber waren, blieb es außerordentlich schwierig, sich
wirksam mit diesen Vorgängen zu beschäftigen."
Kritik ist auch an die sowjetische Seite zu richten. Zumindest in jenen Jahren lieb-
ten es die sowjetischen Medien, die, wie es dort hieß, ,,Errungenschaften des Kom-
munismus" groß herauszustellen, und dabei den Eindruck zu fördern, daß der wis-

86 Lambrightl967,S. 73
87 Lambrightl967,S. 73
Schlußfolgerungen 249

senschaftliehe Sozialismus fast alles tun konnte, besonders auf dem Gebiet der
Hochtechnologie. In jenen Jahren gab Chruschtschow bekannt, daß die UdSSR
Amerika im Pro-Kopf-Einkommen im Jahre 1970 überholt haben würde.ss Die of-
fizielle Propaganda wurde von den "Großbauten des Kommunismus" beherrscht, in
heutiger Sicht ökologischen Verbrechen wie die inzwischen aufgegebene Irrigation
sibirischer Flüsse durch eine Anzahl von Nuklearexplosionen. Als sie die amerika-
nische Debatte über einen sowjetischen Nuklearbomber beobachteten, hatten die
sowjetischen Verantwortlichen etwas zu schlucken, was sie durch ihre eigenen
Übertreibungen mit in die Welt gesetzt hatten. Heute, im Zeitalter von "glasnost",
steht zu erwarten, daß es auch im Bereich der Rüstungstechnik solche weitreichen-
den Fehlwahrnehmungen nicht mehr gibt Es wäre außerordentlich nützlich, wenn
sich die "glasnost" auch auf den sowjetischen Rüstungssektor erstrecken würde.
Die Hauptrichtung der Kritik bei der Reflexion über das Schicksal des Nu-
klearantriebprojektes muß jedoch in Richtung USA gehen. Es wäre zu einfach an-
zunehmen, daß auf amerikaDiseher Seite soviel Energie und Mühen aufgewendet
wurden, bloß weil man Informationen über die Sowjetunion falsch verstand. Eine
solche Schlußfolgerung wäre völlig unangemessen. Das amerikaDisehe Bomber-
projekt wurde begonnen, bevor irgendeine Nachricht über sowjetische Bemühun-
gen in vergleichbarer Richtung vorlagen. Aber Geheimdienstinformationen über
das angebliche sowjetische Programm haben sicherlich die amerikanischen Bemü-
hungen verstärkt.
Die Rivalität mit den Sowjets führte hin und wieder zu grotesken Fehlentschei-
dungen auch in Einzelheiten. In der ersten Jahreshälfte 1956 verbreitete sich aus ir-
gendwelchen Gründen die Überzeugung, daß reinstes Yttrium das ideale Kühlmit-
tel für den Flugreaktor sei. Für dieses seltene Metall gab es in den USA nur einen
Hersteller, und auch die Angebote auf dem Weltmarkt bezogen sich aufbeschränk-
te Mengen. In einer Blitzaktion erwarb die Atombehörde mehr als sieben Tonnen
reinstes Yttrium, mit denen sich bald der Rechnungshof abplagte. Für das seltene
Metall gab es einfach keine Verwendung.
Auf der Ebene wechselseitiger Wahrnehmungen läßt sich freilich das Bomber-
projekt nicht zureichend erörtern. Auf beiden Seiten gibt es komplizierte bürokrati-
sche Strukturen, die eigentlich früh zu einer Einstellung der Arbeiten hätten führen
müssen. So ist es erforderlich, daß vor Beginn der Finanzierung eines neuen Waf-
fenprojektes eine klar gefaßte militärische Anforderung spezifiziert wird. General
Keim sei mit seiner Anforderung für den Nuklearbomber noch einmal zitiert.
"Stellen Sie sich eine Flotte ,gegnerischer' Hochgeschwindigkeitsflugzeuge vor, die
fortwährend den Luftrawn gerade jenseits unseres Frühwarnsystems patrouillieren, und
die die Fähigkeit aufweisen, einen weitgehend Zerstörerischen Luftangriff mit Raketen
gegen unsere gehärteten Silos vorzubringen. Durch eine gemeinsame Betrachtung a11
dieser Fähigkeiten, zusammen mit denen, welche Interkontinentalraketen aufweisen,
wird das Ausmaß der künftigen Bedrohung durch einen Überraschungsangriff unmittel-
bar sichtbar."89

88 NachPrawda vom 14. Nov. 1958 ("Schlüsseldaten für die Entwicklung der Volkswirt-
schaft in den Jahren 1959 bis 1965. Vorschläge zwn Bericht des Genossen N.S.
Chruschtschow auf dem 21. Parteitag der KPdSU").
89 Zil nach Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 28
250 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

Besonders der konfuse letzte Satz ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert Zum
einen steht der General augenscheinlich unter Druck, zu erklären, warum er einen
Bomber braucht, wenn es Interkontinentalraketen gibt Wie luftgestützte schwere
Raketen in jenen Tagen so genau gezielt werden könnten, daß sie die angesproche-
ne Wirkung erreichen, bleibt das Geheimnis dieses Sprechers. Daß dieser hochran-
gige General tatsächlich auf der Suche für eine Notwendigkeit für seinen Bomber
war, wird besonders in den Anschlußsätzen sichtbar:
"Ein ideales luftgestütztes bemanntes Alarmsystem hat eine erhebliche Nutzlast zu
transportieren und muß für längere Perioden über verschiedenen Regionen der Welt no-
madisch Patrouillen ausführen. Es muß fortwährend in Verbindung mit geeigneten Füh-
rungsstellen stehen, und es muß sofort in der Lage sein, mit bordgestarteten Raketen zu
reagieren. Erforderlichenfalls sollte das System in der Lage sein, bei einem Massenstart
von Raketen durch einen Angriff im Tiefflug gegen das Kernland des Gegners Ziele
herauszusuchen und zu zerstören, deren genaue Lage nicht genügend genau bekannt ist,
um Fernraketen dagegen einzusetzen. "90
Diese Äußerung enthüllt die Tagträume führender Militärs der Zeit. Der nuklearge-
triebene Bomber, der diesem Bild entspricht, würde "nomadisierende Patrouillen"
fliegen, das Klischee des einsamen Kriegers wiedergebend. Eine "große Nutzlast"
(oder, wie es in diesem Falle heißen müßte, Kriegslast) würde jenen heroischen Be-
satzungen zur Verfügung stehen, die "für längere Zeiträume", und dies "in ver-
schiedenen Regionen der Welt" ihre Schleifen ziehen. Für diese Aufgabe müßte
"immerwährende Kommunikation" (ein früher Hinweis auf C3I?) zur Verfügung
stehen, mit ,,geeigneten" Leitstellen (gibt es auch ungeeignete?). Obendrein müs-
sen die Beteiligten "zu unmittelbarer Reaktion" befähigt sein.- Mit anderen Wor-
ten: Die "harte" militärische Forderung, welche angeblich so wirksam Phantasie-
projekte auf die Plätze verweist, gab und gibt es nicht.
Die leichtfertige Art, wie die spekulative Idee nuklearer Antriebe umgesetzt
wurde, bringt der amerikanis~he Nobelpreisträger Richard P. Feynman angemes-
sen auf den Begriff. Feynman ist zu solch einer Wertung prädestiniert, hat er doch
noch im Kriege einen Patentbeauftragten der Army wie folgt angegangen:
"Es gibt so viele Ideen zur Kernenergie, die völlig auf der Hand liegen, daß ich einen
ganzen Tag hier zu tun hätte, um Ihnen das alles zu erzählen."
,,ZUM BEISPIEL?"
,,Kein Problem! ... Beispiel Kernreaktor ... unter Wasser ... Wasser geht rein ... auf
der anderen Seite kommt Dampf aus ... Pschschscht!- ein Unterseeboot. Oder: Kernre-
aktor ... vorne strömt Luft hinein ... wird durch die Kettenreaktion erhitzt ... kommt
hinten raus ... Bum! Fliegt durch die Luft - ein Flugzeug. Oder: Kernreaktor ... man läßt
Wasserstoff durch das Ding durchgehen ... Sssst! -eine Rakete!"91
Wie Feynman weiter berichtet,92 wurde er nach dem Kriege von einer kaliforni-
seben Flugzeugfirma aufgefordert, ihre Entwicklungsabteilung für nukleargetriebe-
ne Raketen zu leiten ...
Für den Analytiker ergeben sich Folgefragen. Erstens, nachdem es absolut klar

90 Zit. nach Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 28


91 Feynman 1985, S. 242 (Hervorhebungen im Original)
92 Feynman 1985, S. 240. -Kurz vor einem Tode wurde Feynman durch seinen entschei-
denden Beitrag zur Aufklärung des Unglücks der Raumfähre Challenger erneut breiter
bekannt.
Schlußfolgerungen 251

war, daß aus Gründen der radioaktiven Verseuchung der Nuklearbomber nie würde
starten können- wie war es möglich, daß das Projekt für weitere neun Jahre geför-
dert wurde? Whittemore, der Ethiker, ist augenscheinlich der spaßigen Überzeu-
gung, daß nach dem Beratungsergebnis von 1951, schon aus Gründen des Strah-
lungsschutzes könne der Bomber nie starten, das Projekt eingestellt wurde. In
Wirklichkeit dauerte es weitere zehn Jahre, ehe ein solcher Schritt getan wurde.
Erst nach 1951, und nicht vorher, geriet das Projekt voll in Fahrt und erreichte in
der Förderung 1953 einen Höhepunkt.- Die zweite Frage lautet: Wegen der An-
nahme, daß die rüden Russen menschliche Rücksichten über die zuträgliche Strah-
lendosis hintanstellen würden, wieso haben dann die amerikanischen Eliten so
ernsthaft diskutiert, selber Grundregeln der Menschlichkeit hintanzustellen, um
waffentechnisch einen Ausgleich zu erreichen? Das mag nun nicht auf das Bom-
berprojekt beschränkt bleiben, bei den biologischen und Chemiewaffen ließen sich
vergleichbare Feststellungen treffen. Die Furcht, in der Auseinandersetzung mit
einem für inhumaner gehaltenen Gegner am kürzeren Hebel zu sitzen, hat offenbar
auf amerikanischer Seite zu der Ansicht geführt, daß man dann eben selber ethi-
sche Normen außer Acht lassen müsse.
Eben die gleiche Ansicht gilt, im selben Maße von Spekulativität, für den so-
wjetischen Gegenspieler: Die Wahrnehmung eines inhumanen Gegenüber könnte
auf sowjetischer Seite zu der Entscheidung geführt haben, fragwürdige Projekte
auszuführen, die andernfalls abgelehnt worden wären. Jedenfalls läßt sich Whitte-
mores optimistische Schlußfolgerung nicht bestätigen, daß der Nuklearbomber ge-
strichen wurde, weil ethische Bedenken überwogen: "In diesem Falle obsiegten
ethische Argumente, das Experimentalprogramm wurde eingestellt."93 Eine kor-
rektere Schlußfolgerung würde lauten, daß ein undurchführbares Projekt früher
oder später auf die Grenzen gestoßen wäre, die eben die Naturgesetze vorschrei-
ben, daß aber nicht durchschlagende ethische oder andere Erwägungen zu diesem
Ende geführt haben.
Es fallt heute schwer, den Geist jener Tage wieder ins Leben zu rufen. Auf-
grund der beschränkten Reichweite ihrer Bomberkräfte wurde ja der sowjetischen
Führung unterstellt, daß sie ihre Piloten auf Selbstrnordeinsätze, Einwegflüge (wie
dies genannt wird), losschicken würde. Whittemore umreißt das moralische Dilem-
ma für die amerikanischen Entscheidungsgremien plastisch:
"Der Wunsch, amerikanische Soldaten vor den Sturmbränden von Hiroshima zu be-
wahren, brach sich mit dem Begehren, Amerikas Wissenschaftler vor jenen Greueltaten
zu bewahren, die in Nümberg offengelegt wurden. Dieses Spannungsverhältnis ist nicht
lediglich eine Interpretation, die ein späterer Historiker der Vergangenheit überstülpt
Das war ein Konflikt, der klar gesehen wurde, erörtert wurde und ausgefochten wurde
von den Wissenschaftlern, die 1948 bis 51 beteiligt waren."94
Auf einer Folgeebene stellen sich gleichfalls Fragen. Sind die Beschaffungsbehör-
den in Ost und West mit einem Mandat versehen, zwecks Verteidigung der Heimat
Waffensysteme auf den Weg zu schicken, die mit höchster Wahrscheinlichkeit
schwere Folgeschäden etwa für die Umwelt zeitigen würden? - Auch kann man
nicht sagen, daß dieses Projekt sozusagen ein "Ausreißer" ist, eine Sonderentwick-
lung, wie sie in einem ansonsten funktionierenden politischen System auch vor-

93 Manuskript Whittemore, S. 2
94 Manuskript Whittemore, S. 2
252 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb

kommen kann. Das Joint Committee of Atomic Energy, die einflußreichste Institu-
tion im politischen System der USA in jenen Tagen, die sehr wohl als Barriere hät-
te wirken können, veranstaltete nicht weniger als 36 Anhörungen über den Nu-
klearbomber. Im Ergebnis wurde das Joint Committee einer der entschiedensten
Vertreter des Projektes. Das mag viel über die Kompetenz von Politikern sagen,
zweifelhafte Technologien angemessen zu bewerten. Über die sowjetische Gegen-
seite und ihre Bewertungen dieser exotischen Waffenidee läßt sich verständlicher-
weise nichts sagen.
6. Die Rüstungsproduktion der kleineren
Warschauer-Pakt-Staaten und ihr Bezug
auf die sowjetische Rüstungsindustrie

Zumeist ist wenig über die Rüstungsproduktion der kleineren osteuropäischen so-
zialistischen Staaten bekannt, auch unter Fachleuten. Allgemein herrscht das Bild
vor, daß es hier allenfalls Nachbauten sowjetischer Waffen gäbe oder daß Bauteile
der sowjetischen Rüstungsindustrie zugeliefert werden. Mit dem Ende einer eigen-
ständigen Flugzeugindustrie in der DDR schon im Jahre 1958 schien diese Rich-
tung bestätigt.
Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Zwar gibt es, ähnlich wie im We-
sten, keine Statistik über Rüstungsproduktion oder die bei der Rüstung Beschäftig-
ten. Für die Volkswirte rund um den Globus gibt es einen solchen Sektor nicht, er
verbirgt sich hüben wie drüben unter Rubriken wie "Allgemeiner Maschinenbau".
Wegen der besonderen Bedeutung der Rüstung lassen sich aber indirekte Hinweise
angeben. Aus Amerika, und bezeichnenderweise nur dort, sind Daten über Rü-
stungsinputs, nämlich die Rüstungsforschung, sowie über Rüstungsoutputs, die
grenzüberschreitenden Transfers von Waffen aus den sozialistischen Staaten, zi-
tierbar. Und die Schlußfolgerung ist,daß zwischen dem beeindruckenden Input und
dem nicht minder beeindruckenden Output tatsächlich so etwas wie eine Rüstungs-
industrie vorzufinden sein muß.
Tabelle 8 gibt die Ausgaben für Rüstungsforschung in den drei am meisten in-
dustrialisierten sozialistischen Staaten in der östlichen Hälfte Europas wieder, der
Tschechoslowakei, der DDR und Polen. Den Daten für Rüstungsforschung zufolge
wird für neue Militärtechnologie mehr ausgegeben als für die Gehälter der Solda-
ten oder deren Unterhalt (die beiden Zahlen zusammen ergeben das, was amtlich
als "Verteidigungshaushalt" publiziert wird). Die Aufwendungen für die Rüstungs-
forschung entsprechen in der CSSR immerhin drei Vierteln des Aufwandes für den
Unterhalt der tschechischen Streitkräfte. - In der DDR sind die Rüstungsfor-
schungsausgaben den Daten für die Gehälter der Nationalen Volksarmee sowie für
deren täglichen Unterhalt vergleichbar; insgesamt entspricht der Aufwand für Rü-
stungsforschung immerhin mehr als einem Drittel des amtlich angegebenen Mili-
tärhaushaltes. In Polen liegen die Daten zwar etwas niedriger, bleiben aber doch im
Vergleich signifikant.
Betrachtet man die Output-Seite, die grenzüberschreitenden Rüstungstransfers
(Tabelle 9), so ergeben sich überraschend hohe Anteile des Rüstungssektors an den
gesamten außenwirtschaftliehen Beziehungen. Für die Importe ist das erwartbar,
spiegeln doch diese Daten im wesentlichen das Einströmen sowjetischer Rüstungs-
güter wider. Beim Export mögen hin und wieder auch gebrauchte sowjetische
Waffen veräußert werden (so hat die Nationale Volksarmee nachweislich 50 ge-
254 Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten

Tabelle 8:
Militärausgaben

Personalausgaben
Betrieb
Land und Insgs. Insges. Sold Unternalt und Milit. Summe
Jahr (1) (2) (3) (4) Ernalt FuE von 1+6
(5) (8)

CSSR (Millionen Kronen)

1966 8,890 2,520 1,057 1,463 6,370 1,826 10,716


1967 10,156 2,710 1,127 1,583 7,446 2,083 12,239
1968 10,945 3,014 1,233 1,781 7,931 2,332 13,277
1969 12,034 3,282 1,304 1,978 8,752 2,038 14,072
1970 12,470 2,795 1,313 1,482 9,675 2,249 14,719
1971 12,972 3,014 1,373 1,641 9,958 2,384 15,356
1972 13,169 3,128 1,429 1,669 10,041 2,318 15,487
1973 13,776 3,275 1,480 1,795 10,501 2,527 16,303
1974 14,043 3,530 1,568 1,%2 10,513 2,729 16,772
1975 15,608 3,511 1,517 1,994 12,097 2,850 18,458
1976 15,993 3,472 1,473 1,999 12,521 2,828 18,821
1977 15,651 3,530 1,493 2,037 12,121 2,995 18,646
1978 16,552 3,720 1,581 2,139 12,832 3,114 19,666
1979 16,874 3,813 1,612 2,201 13,061 3,196 20,070
1980 18,069 3,924 1,663 2,279 14,127 3,200 21,269
1981 18,097 3,972 1,689 2,283 14,125 3,252 21,349
1982 18,942 4,068 1,729 2,339 14,874 3,278 22,220

DDR (Millionen Mark)

1965 3,100 629 332 297 2,471 155 3,255


1966 3,200 679 358 321 2,521 160 3,360
1967 3,600 717 376 341 2,883 180 3,780
1968 4,814 812 434 378 4,002 241 5,055
1969 5,229 848 452 396 4,381 261 5,490
1970 5,712 838 466 372 4,874 286 5,998
1971 6,019 837 479 358 5,182 301 6,320
1972 6,217 858 495 363 5,359 311 6,582
1973 6,571 929 514 415 5,642 329 6,900
1974 6,746 957 529 428 5,789 337 7,083
1975 7,154 1,058 569 489 6,096 358 7,512
1976 7,613 1,083 587 496 6,530 381 7,994
1977 7,868 1,128 611 517 6,740 393 8,261
1978 8,261 1,188 650 538 7,073 413 8,674
1979 8,674 1,222 668 554 7,452 434 9,108
1980 9,403 1,280 691 589 8,123 470 9,873
1981 10,193 1,321 713 608 8,872 510 10,703
1982 10,776 1,350 730 620 9,426 539 11,315
Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten 255

Militärausgaben

Personalausgaben
Betrieb
Land und Insges. Insges. Sold Unterhalt und Milit. Summe
Jahr (1) (2) (3) (4) Erhalt FuE von 1+6
(5) (8)

Polen (Millionen Zloty)

1965 23,255 4,623 2,620 2,003 18,632 297 23,552


1966 25,213 4,412 2,513 1,899 20,801 338 25,551
1967 26,438 4,725 2,656 2,069 21,713 412 26,850
1968 30,332 4,981 2,779 2,202 25,351 442 30,774
1969 33,519 5,150 2,830 2,320 28,369 424 33,943
1970 35,724 4,740 2,607 2,133 30,984 450 36,174
1971 37,684 5,730 3,097 2,633 31,954 986 38,670
1972 39,490 6,223 3,379 2,844 33,267 1,274 40,764
1973 42,347 6,885 3,717 3,168 35,462 1,678 44,025
1974 46,423 7,638 4,177 3,461 38,785 1,876 48,299
1975 50,223 8,993 5,019 3,974 41,230 2,070 52,293
1976 54,308 11,779 6,462 5,317 42,529 2,363 56,671
1977 61,152 12,490 6,918 5,572 48,662 2,383 63,535
1978 63,314 13,203 72,77 5,926 50,111 2,398 65,712
1979 68,377 14,073 7,698 6,375 54,304 2,429 70,806
1980 71,663 15,487 8,444 7,043 56,176 2,455 74,118
1981 80,840 19,334 10,391 8,943 61,506 2,445 83,285
1982 183,868 35,127 15,082 20,045 148,741 4,035 187,903

Quelle: Joint Economic Committee, Congress of the United States, East European
Economics: Slow Growth in the 1980's, Vol. 1, Oct. 28, 1985, 99th Congress, S.
Prt. 99-88, Washington D.C. (GPO), S. 484-486

brauchte sowjetische Panzer vomTypT 55 im Golfkrieg an den Irak veräußert).!


In der Masse dürften jedoch, wie die folgenden Einzelstudien zeigen, neuwertige
Rüstungsgüter geliefert worden sein. Zwar zeigen die Exportanteile für Waffen
eine erhebliche Fluktuation. Im allgemeinen aber liegt der Anteil für Rüstung- mit
der Ausnahme Ungarns- höher als bei der Bundesrepublik Deutschland (derselben
Quelle zufolge, der amerikanischen Abrüstungsbehörde, ergibt sich für die west-
deutschen Waffenexporte im Regelfall weniger als ein Prozent der Gesamtaus-
fuhr).
Bevor der Versuch gemacht wird, etwas über das Zwischenglied, die Rü-
stungsindustrie in den kleineren sozialistischen Staaten, auszusagen, wird eine kur-
ze Reflexion über den bemerkenswerten Umstand nützlich sein, daß die Daten aus-
schließlich aus den Vereinigten Staaten kommen. Diese Rüstungsforschungsdaten
liefert seit Jahren eine kleine Forschungsgruppe der hier völlig unbekannten L.W.
International Finance Research Inc. unter der Leitung von Thad Alton, die im Auf-

1 Nach SIPRI, vgl. Brzoska/Ohlson 1987, S. 192.


256 Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten

Tabelle 9:
Die Rüstungstransfers der kleineren Sowjetalliierten

Waffenimporte Waffenexporte Gesamtimporte Gesamtexporte Waffen- Waffen-


importe exporte
Mio$ Mio$ Mio$ Mio$
Jahr Gesamt- Gesamt-
Lfd $ Konst.$ Lfd $ Konst.$ importe exporte
. 1984 . 1984 % %

Bulgarien
1m 190 303 10 16 6.344 10.110 6.303 10.040 3.0 0.2
1978 260 385 70 104 7.658 11330 7.485 11.080 3.4 0.9
1979 380 519 50 68 8580 11.730 . 9.013 12320 4.4 0.6
1980 230 287 70 87 9.776 12190 10.490 13.080 2.4 0.7
1981 370 426 180 207 10.610 12220 10.490 12090 35 1.7
1982 300 323 370 399 11.610 12520 11.400 12400 26 3.2
1983 440 455 320 331 12370 12780 12220 12630 3.6 26
1984 550 550 625 625 12350 12350 12430 12530 45 5.0
1985 615 653 470 455 13.090 12660 12780 12370 5.2 3.7
1986 725 683 370 348 15.300 14.400 14.490 13.640 4.7 2.6

CSSR
1m 25o 398 615 l.CJ76 10.880 17.340 10.010 15.950 23 6.7
1978 120 178 950 1.406 12490 18.480 11.670 17:J:/O 1.0 8.1
1979 340 465 975 1.332 14370 19.640 13310 18.190 24 7.3
1980 220 274 950 1.185 15520 19.360 15.250 19030 1.4 6.2
1981 340 542 775 893 14.960 17.2!10 15.200 17520 3.1 5.1
1982 220 528 650 701 16.000 17.260 16.180 17.440 3.1 4.0
1983 470 186 725 749 17.040 17.600 17.120 17.690 1.1 4.2
1984 490 550 900 900 17.350 17.350 17.410 17.410 3.2 5.2
1985 180 581 1.400 1.355 17.890 17.310 17.810 17.230 3.4 7.9
1986 460 433 1.100 1.036 21.970 20.690 21.900 20.620 21 5.0

DDR
1m 525 837 90 143 15.050 23.980 12780 20.360 35 0.7
1978 360 533 80 118 16.450 24.350 14.960 22140 22 05
1979 2AO 328 80 109 18380 25.120 16.610 22700 1.3 05
1980 410 511 180 225 20.790 25.930 18.860 23530 20 1.0
1981 600 691 140 161 19.970 23.010 19.650 22640 3.0 0.7
1982 480 517 160 172 20.620 22230 22200 23.640 23 0.7
1983 850 878 210 217 21.970 22700 24.290 25.090 3.9 0.9
1984 725 725 390 390 21.930 21.930 24550 24550 3.3 1.6
1985 825 798 550 532 22150 21.440 23.890 23.110 3.7 2.3
1986 525 494 220 207 27.620 26.010 27.860 26.2!10 1.9 0.8
Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten 257

Waffenimporte Waffenexporte Gesamtimporte Gesamtexporte Waffen- Waffen-


Mio$ Mio$ Mio$ Mio$ impotte exporte
Jahr Gesamt- Gesamt-
L .,ed .$ Konst.$
1984 L ,,ed .$ Konst.$
1984
T ea $
...... .
Konst.$
1984
• e• $ Konst.$
1984
importe exporte
J..lU.
% %

Polen
wn 370 590 500 797 14.700 23S30 .14S30 23.150 25 3.4
1978 180 266 650 962 16.490 14.400 14.490 21.440 1.1 4S
1979 200 m sso 752 18.160 24.820 16.820 23.040 1.1 3.3
1980 370 461 825 1.0'.29 19.700 24570 17540 21.880 1.9 4.7
1981 750 864 l.(XX) 1.152 15.980 18.410 13.640 15.720 4.7 13
1982 650 701 950 1.024 14.610 15.750 15.260 16.450 4.4 6.2
1983 615 (fJ7 1.000 1.033 15.750 16.Z70 16.430 16.970 43 6.1
1984 320 320 975 975 16.540 16.540 11Il0 11Il0 19 5.6
1985 700 617 1.100 1.o64 17.420 16.850 17.710 17.140 4.0 6.2
1986 650 612 1.100 1.036 21.160 19.930 21.700 20.440 3.1 5.1

Rumänien
1977 160 255 40 64 7JXJ.) 11.250 7.064 11.260 23 0.6
1978 2tiO 385 70 104 8.926 13.210 8.()93 11.980 29 09
1979 170 232 80 109 11.170 15.260 9.949 13.600 1S 0.8
1980 400 499 90 112 12810 15.980 11.210 13.980 3.1 0.8
1981 130 150 450 519 12460 14350 12610 14S30 1.0 3.6
1982 20 22 800 862 9.745 10510 11560 12460 0.2 6.9
1983 50 52 350 362 9.643 9.962 11S10 11.890 OS 3.0
1984 90 90 340 340 10330 10330 12650 12650 0.9 27
1985 30 29 430 416 10A30 1M90 12170 11.770 03 3S
1986 320 301 180 170 1o.600 9982 12500 11.770 3.0 1.4

Ungarn
1977 170 Z71 60 96 8SS8 13.640 7.959 12680 2.D 0.8
1978 Z70 400 70 104 10580 15.660 8.814 13.040 26 0.8
1979 230 314 60 82 11920 16.290 11.120 15.190 19 OS
1980 490 611 110 137 12610 15.730 11.640 14S20 3.9 0.9
1981 190 219 90 104 12590 14S10 11.830 13.630 1S 0.8
1982 Z70 291 120 129 12870 13.870 12420 13.390 21 1.0
1983 120 124 250 258 13.370 13.810 13.200 13.640 09 19
1984 200 200 180 180 12940 12940 13.280 13.280 1S 1.4
1985 70 68 1AO 232 12510 12930 13.440 13.000 OS 1.8
1986 100 94 200 188 14.840 15.760 15.370 14A70 0.6 1.3

Quelle: US Anns Contro1 and Disannament Agency, Wor1d Military Expenditures and Arma Transfers
1987, Hg. Daniel Gallik, Washington, D.C. (GP0),1988
258 Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten

trag des mächtigen ,,Joint Economic Committee", dem Wirtschaftsausschuß beider


Häuser des amerikanischen Kongresses, arbeitet. Die Waffenexportdaten für die
DDR und andere Länder stellt die amerikanische Abrüstungsbehörde zusammen.
Genauer gesagt, veröffentlicht sie wohl nur Schätzungen der CIA, und die Zuver-
lässigkeit dieser Daten oder auch nur ihre Überprüfbarkeil wird in der Forschungs-
literatur kontrovers diskutiert.2 Vor mehr als zehn Jahren habe ich einmal den Ver-
such gemacht, zusammen mit Stefan Tiedtke die Situation in der Bundesrepublik
zu verbessern.3 Aber selbst die Herausgeber des renommierten DDR-Handbuchs
zeigten sich nicht in der Lage, in ihr mehrbändiges Werk auch nur die Wiedergabe
amerikanischer Daten zum Waffenhandel der DDR oder ihren Rüstungsfor-
schungsausgaben aufzunehmen. Von eigenständigen Rechnungen, wieviel Militäri-
sches denn die Forschungsausgaben der DDR nun enthalten, ganz zu schweigen.
Geht man von diesen zusammengerechneten Makrodaten auf Einzelheiten, so
wird die Welt der rüstungswirtschaftlichen Verflechtungen der kleineren sozialisti-
schen Staaten mit der mächtigen Rüstungsindustrie der Sowjetunion facettenreich,
ja bunt. So wird man nicht überrascht sein, daß aus dem von seiner Führung betont
unabhängig orientierten Rumänien einige der anspruchsvollsten Rüstungsprojekte
kommen. Rumänien produziert nunmehr (in Kooperation mit Jugoslawien) ein tak-
tisches Kampfflugzeug, Typenbezeichnung IAR-93. Unter der Bezeichnung
"Soirn" (zu deutsch: Falke) wird unter der Projektbezeichnung IAR-99 ein moder-
nes Übungs- und leichtes Erdkampfflugzeug entwickelt. daneben engagiert sich
Rumänien bei der Entwicklung von schwerbewaffneten Kampfhubschraubern
(Projektbezeichnung: IAR-317). Im Vordergrund steht offenbar das Bestreben, in
Schlüsseltechnologien der Rüstung eine selbständige Position einzunehmen.4
Neben den Autarkiebestrebungen der rumänischen Führung gelten für die Rü-
stungsindustrie der anderen sozialistischen Staaten vor allem die folgenden Fragen:
In welcher Weise sind sie mit dem Rüstungssektor der UdSSR verflochten, gibt es
eine erkennbare Arbeitsteilung unter ihnen, und in welcher Weise ist eine solche
mögliche Arbeitsteilung politisch zu werten? Ist diese Arbeitsteilung so angelegt,
daß sie die Sowjetunion begünstigt, und lassen sich gar in den wenigen Jahren seit
der Amtsübernahme Generalsekretär Gorbatschows Veränderungen kennzeichnen,
die wiederum politisch interpretierbar sind?
Wichtiger als die rumänischen Versuchesind die Rüstungsprogramme der eta-
blierten Rüstungsindustrien der Tschechoslowakei und Polens mit ihrer langen
Tradition. Unter westlichen Experten breiter bekannt ist der Nachbau sowjetischer
Panzer in diesen Ländern, in einem Volumen von 800 Fahrzeugen im Durchschnitt
für die Jahre 1976 bis 1980. Mit dem Übergang zu dem modernsten Modell, ge-
nannt T -72, sind die Produktionszahlen angeblich zurückgegangen (nach US-Quel-
len, erneut ausschließlich solchen, sind 1982 lediglich 100 T-72 erzeugt worden,
neben 500 älteren T-55. Für 1983 wird als gemeinsame Panzerproduktion aus
Polen und der Tschechoslowakei die Fertigung von 550 Fahrzeugen angegeben, für
1984 sind es 450, für 1985 700 Fahrzeuge, und eine vergleichbare Zahl soll im

2 Vgl. die Zusammenstellung bei Brzoska 1986, Kapitel3.


3 In: Studiengruppe Militärpolitik 1976, KapitelS.
4 Datennach Jane's All the World's Aircraft- Vgl. auch Rice in Holloway/Sharp 1984,
s. 73 f.
Die Rüstungsprodu/aion der kleineren Warschauer-Pala-Staaten 259

Jahre 1986 ausgeliefert worden sein).S Empirische Untersuchungen6 über die


tschechische Rüstungsindustrie beschreiben eine Bandbreite von im Lande kon-
struierten Waffen, besonders im Flugzeugsektor. Der Nachbau von sowjetischen
Kampfflugzeugen, vor allem der MiG-21, ist sowohl in Polen wie in der CSSR
nunmehr eingestellt worden. Das moderne sowjetische Flugzeug MiG-27 wird
außerhalb der Sowjetunion lediglich in Indien nachgebaut Bemerkenswert sind
aber die Versuche, Nebenlinien der Technologie, die in der Vergangenheit von so-
wjetischer Seite der polnischen und tschechischen Flugzeugindustrie überlassen
blieben, nunmehr signifikant auszuweiten. Der Bau von Schulflugzeugen als solch
einer technischen Nebenlinie blieb der CSSR (Modell L-29 "Delfin", später L-39
der berühmten Aero-Werke) und Polen überlassen (Typ PZL TS-11 "lskra", ,,Fun-
ke"). Die tschechische Konstruktion erwies sich bei einem Vergleichsfliegen als
dermaßen überlegen, daß auch die sowjetische Luftwaffe das Muster als Standard-
schulflugzeug für den Warschauer Pakt akzeptierte. Bemerkenswerterweise gaben
aber die Polen nicht auf, bauten ihr Modell, gegen tschechische Proteste, in eigener
Regie, und statteten damit ihre Streitkräfte sowie eine Anzahl von neuentstehenden
Flugwaffen in der Dritten Welt aus.
In der Mitte der achtziger Jahre, nach der Amtsübernahme von Parteisekretär
Gorbatschow, beginnt die polnische Flugzeugindustrie trotz der verzweifelten
Lage der Volkswirtschaft eine Reihe ambitiöser Programme. Politisch am beste-
chendsten erscheint die Kooperation mit einer westlichen Firma bei einem Rü-
stungsprojekt. Zwar gab es bei verschiedenen Projekten in der Vergangenheitjoint
ventures mit kapitalistischen Unternehmen. Das Unternehmen Projekt PZL-130
"Orlik", zu deutsch: ,,kleiner Adler'', fällt aber doch erheblich aus dem Rahmen.
Zwar ist der kanadische Partner (bislang auf die Leistungssteigerung westlicher
Flugzeugtypen durch den Einbau polnischer Motoren spezialisiert) keineswegs der
Kandidat, heroisch die Barrieren des Technologietransfers nach Osten zu durchbre-
chen. Interessant ist aber schon, daß ein hochwertiges westliches Propellerturbi-
nentriebwerk über den kanadischen Lizenzbau mit einem polnischen Flugzeug ver-
bunden wird, um so ein für die Unterstützung von Bodentruppen verwendbares
leichtes Kampfflugzeug zu erzeugen. Beide Partner mögen besonders Exportmärk-
te in der Dritten Welt vor Augen haben. Die Vermutung, daß das noch ambitiösere
Projekt der polnischen Flugzeugindustrie dem Weltmarkt gilt, ergibt sich beim Be-
trachter, wenn man die Konfiguration des modernsten Düsenausbildungs- und
Kampfflugzeuges PZL 1-22 mit den Alphajets der deutschen Luftwaffe vergleicht
(Abbildung 18). Hilfsweise ist noch der Alphajet-Ableger argentinischer Bauart
herangezogen, mit dem die Dornier-Experten ihren Exportschlager für die Dritte
Welt vereinfacht haben.7 Der Leser möge die drei Skizzen miteinander vergleichen
und seine eigenen Schlüsse ziehen. Wenn die These von der beabsichtigten Ähn-
lichkeit der Entwürfe gilt, dann ist Projekt PZL 1-22 nicht für den Markt im RGW,
sondern eben für die Dritte Welt konzipiert worden.
Auch in der herkömmlichen schweren Rüstung zeigen sich neue Entwicklun-
gen. Die Wurzeln der Nachkriegsfertigung von Panzern verbinden sich in der
Tschechoslowakei mit der Fortsetzung der Produktion deutscher Modelle, etwa der

5 Soviet Military Power, in verschiedenen Ausgaben.


6 Tiedtke in Ball/Leitenberg 1983
7 Die Firma Dornier gibt an, mit PZL nicht in Geschäftsbeziehmg zu stehen.
260 Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten

Dornier Alphajet
(BR Deutschland)

PZLI-22
(Polen)

FMA IA 63 Pampa
(Argentinien)

Abbildung 18: Ein polnisches Kampfflugzeug im Vergleich


Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten 261

bekannten Wehrrnachts-St. Kfz 251/1 (nunmehr OT-810 genannt, und angeblich


bis Mitte der sechziger Jahre im Gebrauch), sowie dem Nachbau sowjetischer
Schützenpanzer der Serie BTR-50. Im Laufe der sechziger Jahre entstanden eigene
Produkte: Die bekannten Tatra-Werke produzierten einen Schützenpanzerwagen
Stredni Kolovy Obojzivelny Transporter, während PRAGA ein mobiles Flakfahr-
zeug vorführte. Hinzu kamen Brückenlegerfahrzeuge sowie jüngst ein Raketen-
werfer auf Tatra-Chassis. Die tschechischen Produzenten von schwerem Kampfge-
rät versuchten, durch die Differenzierung ihrer Produkte auch außerhalb des Lan-
des Aufmerksamkeit zu finden.
Bemerkenswert erscheinen vor allem in jüngster Zeit die Versuche ungarischer
Hersteller, Weltmarktchancen mit Militärproduktion zu erringen, zumal sie zu-
nächst von den Tschechen abhängig waren. Zunächst begann man in Ungarn mit
der Verbesserung sowjetischer Schützenpanzerwagen. Der deutsche Panzerexperte
Freiherr von Senger und Etterlin bescheinigt etwa dem ungarischen Nachbau des
sowjetischen Schützenpanzers BTR-40 eine "verbesserte Wasserbeweglichkeit",
oder er attestiert dem Nachfolgemodell BTR-40 PB "eine wesentlich bessere
Formgebung", was bei Beschuß ein wichtiger Grundzug von Panzerfahrzeugen
ist.S
Das jüngste Produkt der ungarischen Industrie in der Reihe von Schützenpan-
zerwagen, benannt PSZH-IV, fiel offenbar so hochwertig aus, daß selbst die Trup-
pen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR sich entschlossen, auf diesen
ungewöhnlichen Hersteller zurückzugreifen.9
Neben Schützenpanzerwagen und leichten Kampfflugzeugen tragen die kleine-
ren Alliierten der UdSSR im Bereich der Gewehrproduktion signifikant zur Rü-
stung im Osten bei. Das ist ein Gebiet, in dem es weniger um Hochtechnologie
geht, aber wo doch angestammte Industrien einen hohen Qualitätsstandard verfol-
gen. Neben der sowjetischen Erzeugung von rund 400.000 Infanteriewaffen pro
Jahr sind für 1976 140.000 Schießgeräte aus den sozialistischen kleineren Ländern
zu vermelden. Die Produktionszahl für 1977 lautet 120.000, 200.000 für 1978,
115.000 für 1979 und 100.000 für 1980. Neuere Zahlen gehen angeblich in diesel-
be Richtung.IO
Im Vordergrund stehe·1 freilich die Hochtechnologie-Projekte für die kleineren
sozialistischen Länder. Auch wenn die Erzeugung eines Jagdflugzeuges oder
Schützenpanzers im Weltmaßstab nur ein bescheidener Aspekt für Hochtechnolo-
gie sein mag, für die im Prozeß der Industrialisierung steckenden Balkanstaaten
bietet die Rüstungstechnik eine einzigartige Chance. Neben dem Bedürfnis, wel-
ches die Führungseliten sehen, das Land wirksam militärisch zu schützen, bieten
die Ausgaben für moderne Rüstungsprojekte zugleich die Chance, wenigstens Ver-
gleichspunkte singulärer Art für die technologischen Fähigkeiten dieser Staaten zu
setzen. Exporterfolge, im Warschauer Pakt und in der Dritten Welt, würden diesen
Ausweis von grundsätzlicher technologischer Kompetenz unterstreichen. In der
Vergangenheit ist nicht sichtbar gewesen, daß die Sowjets solchen nationalen Indu-
striestrategien zugestimmt hätten. Sie waren allenfalls bereit, durch die Weitergabe

8 Senger und Etterlin 1969, S. 431 und 434


9 The Internationalinstitute for Strategie Studies, The Military Balance 1986-1987, Lon-
don 1986, S. 51
10 Vgl. SIPRI-Yearbook 1983, S. 368
262 Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten

ihres technischen Know-how die Rüstungsbasis des Warschauer Paktes zu verbrei-


tern, oder in unwichtigen technischen Nebengebieten auch mal ein Produkt aus der
Hand ihrer kleineren Allüerten zu akzeptieren. 1969 hat angeblich der RGW be-
schlossen, die Produktion so hochwertiger Rüstungswaren wie Kampfflugzeuge in
Polen nicht fortzusetzen.ll
Wenn sich die Trends fortsetzen, wie sie mit den Produktvorschlägen aus den
kleineren Allüerten angezeigtsind, dann dürfte in der Tat auch in der Industriepo-
litik im östlichen Machtbereich einiges in Bewegung gekommen sein. Es läßt sich
nunmehr eine Art Produktwettbewerb verzeichnen - polnische gegen tschechische
gegen sowjetische Flugzeuge, vorerst im Bereich der beschränkteren Technologie
der Erdkampf- und Schulflugzeuge, oder bei Schützenpanzerwagen, wie besonders
das ungarische Beispiel verdeutlicht. Wenn diese Annahme trägt, sind bald ähnli-
che Wettbewerbszeichen im Bereich von Transportflugzeugen oder auch im Be-
reich der Militärelektronik zu erwarten. Auch dürfte es vermehrt zu joint ventures
im Bereich militärisch relevanter Technologien kommen, wofür die polnisch-kana-
dische Kooperation für ein leichtes Ausbildungs- und Kampfflugzeug den Pionier
abgeben mag.

11 Johnson/Dean/Alexiev 1982, S. 36 f.
7. Einzelstudien

7.1 Eine MiG im Westen

Hin und wieder ergibt sich die spektakuläre Gelegenheit, im Westen moderne so-
wjetische Rüstungsgüter zu inspizieren. Der Höhepunkt eines solchen ungewöhnli-
chen Ost-West-Technologietransfers ereignete sich im September 1976, als eine
damals hochmoderne MiG-25 im japanischen Hakodate landete. Dieser Höhenjä-
ger, der dreifache Schallgeschwindigkeit erreichte, wird in einer Fachpublikation
als "das klassische Beispiel der Inflationierung von Bedrohung" bezeichnet.!
Die Betrachtung dieses Falles, sozusagen der Versuch der Inspektion eines
Stücks Hardware sowjetischer Rüstung mit sozialwissenschaftlichem Erkenntnisin-
teresse, ergibt zugleich Einsichten, in welcher Weise auf amerikanischer Seite Kor-
rekturen an vorangehenden Fehlwahrnehmungen vorgenommen werden. Noch in
der Nacht, als die Nachricht von der Flucht der MiG in den USA eintraf, verließen
zwei Transportmaschinen Boeing VC-135 die Flugbase Wright-Patterson, wo die
"Foreign Technology Division" der US-Luftwaffe beheimatet ist. Grund der Blitz-
reise war das "am meisten gefürchtete und am wenigsten bekannte von allen so-
wjetischen Flugzeugen" .2
Zu Beginn der sechziger Jahre planten die amerikanischen Luftstreitkräfte,
schwere Doppelschallbomber vorn Typ B-70 "Walküre" gegen die Sowjetunion
einzusetzen. Die MiG-25 sollte den neuen amerikanischen Superbomber bekämp-
fen. Dazu war ein großkalibriges Radargerät nötig, mit genug Leistung, um elek-
tronische Gegenmaßnahmen des Bombers unwirksam zu machen. Ferner waren als
Bewaffnung schwere Raketen nötig, von denen jede einzelne den amerikanischen
Bomber vorn Himmel holen sollte. Diese Konfiguration mußte ferner schneller als
der Doppelschallbomber fliegen - deswegen die exzessive Anforderung einer
Höchstgeschwindigkeit bis zu Mach 3. Die MiG-25 löste diese Aufgabe in einer
die westlichen Experten überraschenden Weise.
Da war nichts mehr von "Inkrernentalisrnus" oder der Fortschreibung von Tra-
ditionen zu sehen. Die MiG-Konstrukteure hatten offenbar mit einem weißen Zei-
chenbogen angefangen zu konstruieren. Eine Reihe von Folgeproblernen, die so
ein ungewöhnliches Flugzeug mit sich brachte, hatten sie auf neuartige Weise um-
gangen. So war die aerodynamische Aufbeizung beim hohen Überschaffgeschwin-
digkeitsflug in jenen Jahren eines der größten Problerne - Alurniniurnverbindun-
gen, bis dahin die bevorzugten Werkstoffe im Flugzeugbau, würden solchen Tem-
peraturen nicht widerstehen können, außerdem würde es rascher zu Ermüdungsbrü-
chen kommen. Im Westen bestand die Antwort auf diese Problerne in der Wahl
von Titan. Die russischen Konstrukteure griffen auf hochwarmfeste Stähle zurück.

1 Sweetman 1985, S. 56
2 Sweetman 1985, S. 50
264 Einzelstudien

Stahl als Baustoff gehörte nicht zum Arsenal westlicher Flugzeugbauer, ob-
wohl solche Stahllegierungen vergleichsweise billig zu haben sind und sie recht
leistungsfähig im Verhältnis dazu sind, wieviel Spannung sie pro Gewichteinheit
aufnehmen können, auch bei hohen Temperaturen. Zwar sind Aluminium und Ti-
tan bei Leichtbaukonstruktionen, wie sie im Flugzeugwesen üblich sind, für her-
kömmliche Fertigungsverfahren besser geeignet, und lassen sich eher in größeren
Komponenten bauen. Stahl bei so dünnen Oberflächen ist spröder zu handhaben
und erfordert eine Vielzahl von Schweißnähten - für westliche Konstrukteure klas-
sische Schwachstellen. Man wußte zwar, daß für die Aufnahme konzentrierter La-
sten Stahlspanten im sowjetischen Flugzeugbau breit verwendet wurden, daß aber
ein ganzer Rumpf für ein Hochleistungsflugzeug aus Stahl zusammengeschweißt
wurde, war eine Überraschung.
Diegenaue Inspektion des in Japan gelandeten MiG-Jägers ergab, daß mehr
oder minder der gesamte Rumpf aus Nickelstahl bestand, der unter einer Argon-
Schutzatmosphäre elektronisch verschweißt worden war. Größere Baugruppen wa-
ren nach dem Zusammenschweißen durch Wärmebehandlung weiter zusammenge-
backen worden. Lediglich die Flügelnasen und die gleichfalls der thermischen
Aufheizung besonders ausgesetzten Vorderkanten der Leitwerke bestanden aus
Titan. Hier war das Fertigungsverfahren besonders simpel: Bleche aus Titanlegie-
rung waren einfach geknickt worden, um so die Nasenkanten herauszuschneiden. -
An weniger belasteten Teilen des Jägers im Hinterrumpf fanden die überraschten
US-Prüfer gar einen der ältesten Werkstoffe im Flugzeugbau, Duraluminium)
Die Ausführung eines Hochleistungsflugzeuges in so herkömmlichen Werk-
stoffen wie Stahl bietet militärisch offenkundig weitere Vorteile. Die MiG wies ei-
nige recht grobe Schweißnähte auf - offenbar war mit einfachen Mitteln auf Feld-
flugplätzen gegen Ermüdungsrisse angegangen worden (im Westen erfordert die
Beseitigung der gleichen Störfaktoren, daß das Flugzeug in die Fabrik zurückge-
schickt wird).
Auch die beiden mächtigen Triebwerke, die das ungewöhnliche Flugzeug in
große Höhen tragen sollten, erregten das Interesse und Erstaunen der amerikani-
schen Experten. Die Grundkennziffer für Triebwerksleistungen, das Druckverhält-
nis, lag niedrig, lediglich bei 7 : 1, so wie es für kleine Hilfsaggregate im Westen
üblich ist. Im Hochgeschwindigkeitsflug stand ja genügend Staudruck zur Verfü-
gung, so daß in der Tat die Motoren einfach gehalten werden konnten. Auch siebe-
standen zum größten Teil aus Stahl, und nur wenige Bauteile waren in Titan ausge-
führt.
Die Elektronik des Hochleistungsflugzeuges wurde von den westlichen Exper-
ten belächelt: Es fanden sich weitgehend Vakuumröhren, wo doch im Westen
längst Transistoren üblich waren. Auch war das Flugzeug so ausgelegt, daß es vom
Boden aus elektronisch geführt würde, zum größten Teil mit automatischer Steue-
rung. Die vom Radar des Jägers aufgenommenen Informationen wurden an den
Boden vermittelt, dort ausgewertet und in entsprechende Fluganweisungen umge-
setzt. Die Bodenstation würde dann den Jäger an den Bomber so nah heranführen,
daß dieser eine seiner schweren Raketen abfeuern konnte. Im Westen meinte man,
daß so die Eigeninitiative des Piloten ausgeschaltet werden sollte, ja, daß durch die
strikte Bindung an Bodenstationen mögliche Fluchtversuche vereitelt werden soll-

3 Vgl. Gunston 1983, S. 190


Eine MiG im Westen 265

ten. Nun beweist der Flug des Leutnants Belenko nach Hakodate, daß die Boden-
stationen Ausreißer nicht verhindem kann. Technische Überlegungen sprechen
eher für das russische Konzept der Bodenführung: Die Filterung der vom Radar
des Jägers aufgenommenen Informationen, die Abweisung von elektronischen
Fehlinformationen, die Koordination verschiedener Flugzeuge in der Luft ge-
schieht tatsächlich überzeugenderweise besser vom Boden aus. Mit den bodenge-
bundenen Stationen war zugleich deutlich, daß es sich strikt um eine Defensivanla-
ge zur Bekämpfung einfliegender Bomber handelt - die Jäger ließen sich nicht
außerhalb der Landesgrenzen führen. Solche Gesichtspunkte wurden allerdings in
den amerikanischen Auswertungen weniger betont.
Eine englische Fachpublikation schätzt, daß "die MiG-25 mit den Unterstüt-
zungseinrichtungen am Boden zu ihrer Zeit gewiß das beste System zur Höhenjagd
gewesen ist". 4 Die Israelis konnten sich zwischen Oktober 1971 und März 1972
davon überzeugen, als in Kairo stationierte MiG-25, unerreichbar für israelische
Jäger, Aufklärungsflüge durchführten, und dabei der Länge nach über Israel flogen
(mit dem Abzug der Sowjets aus Ägypten verschwanden auch die MiGs).
Die hier kurz vorgeführte Waffenlösung MiG-25 stellt keinen Einzelfall dar.
Überraschende Verwendungen herkömmlicher Materialien finden sich auch bei an-
deren Projekten (so waren die amerikanischen Kriegsschiffbauer überrascht zu ler-
nen, daß die Beplankung des Flugdecks des ersten sowjetischen Flugzeugträgers in
Holz ausgeführt war - sie kannten nur noch Stahldecks). Die Betrachtung solcher
Einzelsysteme gestattet zwei verallgemeinemde Schlußfolgerungen. Trotz mancher
Abhängigkeiten von Technologieimpulsen aus dem Westen hat sich die sowjeti-
sche Rüstungstechnik Eigenständigkeit, ja Eigenwilligkeit bewahrt. Und mit sol-
chen Lösungen gelingt es ihr durchaus, der Rüstungstechnik des Westens Paroli zu
bieten.
Zwölf Jahre später, im September 1988, landeten erneut modernste MiG-
Kampfflugzeuge, diesmal des Typs 29, im Westen, im englischen Famborough.
Die Umstände waren freilich im Zeitalter Gorbatschows völlig andere als seiner-
zeit bei der Flucht Belenkos. Diesmal wurden neueste sowjetische Jäger offiziell
westlichen Militärexperten vorgeflogen. Der stellvertretende Minister für die Flug-
zeugindustrie, Maxim Owski, erläuterte, daß es die neue Politik der Sowjets sei,
ihre Leistungen anderen Nationen vorzuführen- "ebenso wie wir glasnost inner-
halb der UdSSR vorantreiben".5 Andere Sowjetoffizielle erläuterten, der Zweck
der ungewöhnlichen Vorführung von Kampfflugzeugen aus der UdSSR sei es, "zu
demonstrieren, daß das Land über die Fähigkeit verfügt, Kampfflugzeuge fortge-
schrittener Technologie zu erzeugen, die den im Westen erzeugten Modellen eben-
bürtig sind."6
Die MiG-29 wurde im Herbst 1988 in England bei Flugvorführungen und am
Boden genauestens inspiziert. Chefkonstrukteur Rostislaw A. Beljakow vom MiG-
Team und andere antworteten freimütig auf technische Fragen. Die MiGs dieser
Generation sind offenbar mit Hilfe von computergestützten Verfahren konstruiert
worden, wenngleich, so eine amerikanische Bewertung, mit einem "weniger kom-
plexen System als solchen, wie sie für vergleichbare westliche Kampfflugzeuge

4 Sweetman 1985, S. 56
5 Aviation Week & Space Technology, 12. September 1988, S. 18
6 Aviation Week & Space Technology, 12. September 1988, S. 18
266 Einzelstudien

Verwendung finden".?
Ingenieurmäßig spiegelt die MiG-29 das Konzept wider, fertigungstechnische
Präzision nur dort einzusetzen, wo diese aus aerodynamischen oder anderen Grün-
den erforderlich ist, ansonsten aber bei geringeren Anforderungen fünfe gerade
sein zu lassen. Westliche Inspizienten der MiG in Farnborough stellten "eine große
Bandbreite in der handwerklichen Ausführung" fest- während westliche Gegen-
stücke von Bug bis Heck durch ausgefeiltes Finish der Fertigung glänzen. Die so-
wjetischen Konstruktionsauffassungen spiegeln hingegen das Prinzip wider, ferti-
gungstechnische Raffmesse nur dort walten zu lassen, wo sie unbedingt erforder-
lich ist - und in weniger beanspruchten Partien fertigungstechnisch zweitrangige
Verfahren anzuwenden. So verzeichnen die Berichte westlicher Analytiker der
MiG-29, daß "der höchste Standard in der Ausführung in den aerodynamisch kriti-
schen Partien zu finden ist. Dies trifft zum Beispiel auf die Führungskanten des
Höhenleitwerkes zu. Die Hinterkanten sind weniger sorgfältig ausgeführt."S Ähn-
lich sind die Triebwerkseinläufe der MiG und deren Umgebung fertigungstech-
nisch sorgfältig gestaltet. Westliche Betrachter verzeichnen beeindruckt, daß in
diesen kritischen Bereichen die Schraubenköpfe gar Markierungen zu folgen hat-
ten, wie sie auszurichten seien.
Ansonsten repräsentierten die neuen MiGs die Tradition sowjetischen Hochlei-
stungsflugzeugbaus als eine von Handwerkern. Standardisierte austauschbare Teile
oder Baugruppen scheint es nach wie vor kaum zu geben, Handarbeit und ihre Tra-
ditionen überwiegen. Von außen war dies besonders in den Vernietungen von Be-
plankungsblechen sichtbar. Am Heck, wo sich die aerodynamische Umströmung
im Regelfall von der Flugzeugoberfläche gelöst hat, sei - so amerikanische Beob-
achter- jede zehnte Verschraubung inkorrekt ausgeführt worden.
Westlichen Beobachtern fiel besonders auf, daß jenseits von fertigungstechni-
schem Finish die neuesten MiG-Jäger eine Anzahl von Grobheiten aufweisen, die
man bei westlichen Gegenstücken nicht findet. So ragen selbst bei diesen neuesten
MiGs die Bolzenenden bei Verschraubungen wesentlich über die Muttern hinaus.
Das erleichtert die Montage, widerspricht aber sehr der westlichen Ansicht, schon
aus Gewichtsgründen direkt hinter der Mutter abzuschneiden.
Weitere Details solcher Art: Die Gestänge der Klappen und Ruder waren nicht
im mindesten aerodynamisch verkleidet- die Widerstandserhöhung zählt augen-
scheinlich gegenüber der Vereinfachung der Konstruktion wenig. Die Schmiernip-
pel, welche westliche Fachleute an den Gestängen und am Fahrwerksbein der
MiG-29 entdeckten, erinnerten diese "an Autos aus den fünfziger Jahren oder an
landwirtschaftliche Fahrzeuge".9 Augenscheinlich benutzen die Sowjets bislang
nicht moderne schmierfreie Kugellager.
Auf Gebrauchsfähigkeit im rauben Truppenalltag deutete ein schwerer Stahl-
rahmen am Bugfahrwerk hin, der von den Rädern aufgeschleuderte Steine und an-
dere Gegenstände abweisen soll. Beim Einziehen der Hauptfahrwerke werden de-
ren Drehungen durch Stahlplatten mit Nocken gebremst.
Ein Testpilot einer westeuropäischen Firma befand, daß die MiG-29 ,,nichts
kann, was eine F-16, F-18 oder Mirage 2000 nicht auch kann- aber sie kann es

7 Lenorowitz 1988, S. 40
8 Lenorowitz 1988, S. 40
9 Aviation Week & Space Technology, 26. Sept, 1988, S. 45
Eine MiG im Westen 267

ohne ein fly-by-wire-Steuersystem oder einen Bordrechner, und dies bleibt aner-
kennenswert" .10
Zwar verfügt die MiG über ein Dopplerradar mit der sogenannten "look-down,
shoot down"-Fähigkeit, etwa um tieffliegende Marschflugkörper abzuschießen, ne-
ben elektrooptischen Zielsuchsystemen und einem Laserentfernungsmesser zum
Ziel. Dennoch bezeichnen westliche Inspizienten die Ausrüstung der MiG-29 als
"antiquiert". Mit ihren runden Instrumenten im Cockpit entspreche sie der in den
fünfziger Jahren entwickelten McDonnell F-4, wird ein Regierungsbeamter zi-
tiert.ll
Bei derartigen Äußerungen von westlicher Seite ist freilich zu berichten, daß
amerikanische Technologien unwillkürlich zum Maßstab gemacht werden. Ob die
integrierten Sichtschirme neuerer amerikanischer Düsenjäger mit der Einblendung
von Fluginformationen, Navigationshinweisen und Einsatzbefehlen tatsächtlich im
Zweifelsfall die besseren Kriegsmaschinen abgeben, muß offen bleiben. Flugtech-
nisch scheinen die neuen MiG-29-Kampfflugzeuge voll modernen Standards zu
entsprechen. Ihre Herstellung folgt, wie die Beobachtungen über Vernielungen und
Verschraubungen ergeben, zwar anderen Leitgesichtspunkten als im Westen üb-
lich, dennoch besteht kein Anlaß, an der Tauglichkeit dieser sowjetischen Waffen
zu zweifeln. Grundsätzliche Trends in der Waffentechnologie werden durchaus
aufgenommen, etwa die Verwendung leichterer Kohlenstoff-Faserverbundwerk-
stoffe im Jägerbau (bei der MiG-29 laut Chefkonstrukteur7 % des Zellengewich-
tes). Auffällig bleibt dennoch der Unterschied in der elektronischen Ausrüstung.
Vor einem Dutzend Jahren war dieser Tatbestand bei der MiG-25 in Japan unter-
strichen worden. Heute werden vergleichbare Rückstände notiert - offenkundig
Fingerzeig auf eine grundsätzliche Schwäche der sowjetischen Rüstungsindustrie.

7.2 Sowjetische Seekriegsrüstung

Über die sowjetische Marine als Sozialwissenschaftler zu schreiben, heißt vor al-
lem sich mit U-Booten zu beschäftigen. Das U-Boot ist nachgerade Symbol der so-
wjetischen Seerüstung: Der russische Bär wollte nicht nur schwimmen lernen, er
wollte auch gleich tauchen können.
Nach der Revolution galt das erste große maritime Neubauprogramm der So-
wjets U-Booten. Bis 1941 musterte die U-Bootflotte der UdSSR 220 Schiffe- sie
war damals die stärkste der Welt. 1948 wurde der Plan verkündet, zwischen 1950
und 1965 nicht weniger als 1.200 U-Boote auf Kiel zu legen. Zunächst sollten pro
Jahr 78, hernach 100 Einheiten gefertigt werden.12 Das waren phantastische Zah-
len (heute verfügt die sowjetische Flotte über rund 400 U-Boote), die vor allem
den politischen Willen jener Jahre anzeigen. Auch soll deutsches Beute-know how
zu diesem Großprojekt beigetragen haben.13

10 Aviation Week & Space Technology, 12. Sept. 1988, S. 18


11 Aviation Week & Space Technology, 19. September 1988, S. 32
12 Daten nach Captain John Moore (Hrsg.), Jane's Fighting Ships 1987-1988, London
1987,S.561
13 Jane's Fighting Ships 1987-88, S. 561
268 Einzelstudien

Tabelle 10:
Das V-Boot-Bauprogramm von 1948

Westliche Bezeichnung Geplante Gefertigte


Typ Bauzeit
derKlasse Stückzahl Stückzahl

Langstreckenboot Zulu 40 28 1952-55


Foxtrott 160 60 1958-71
200 88

Boote mittlerer
Wihiskey 340 240 1951-57
Reichweite
Romeo 560 20 1957-:62
900 260

Küsten-U-Boote Quebec 100 40 (?)

Insgesamt 1.200 388

Quelle: Zusanunengestellt nach Jane's Fighting Ships, 1987-88 ed., London 1987,
S.561
Anmerkung: Die tatsächlichen Bauzahlen liegen geringfügig höher, wenn exportierte
Neubauten mitgerechnet werden.

Von den 1200 projektierten Booten wurden lediglich 388 tatsächlich gebaut. Der
Einbruch geht hauptsächlich zu Lasten von Schiffen mittlerer Reichweite: Statt
560 wurden ganze 20 Exemplare in der sogenannten "Romeo-Klasse" gefertigt.
Ursache war der Übergang zum Nuklearantrieb. Der fiel so teuer aus, daß die Plan-
zahlen drastisch zurückgenommen werden mußten (vgl. Tabelle 10).
Seit etwa 1950- so das Marinehandbuch Jane's Fighting Ships- wurde in der
UdSSR an nuklearen Schiffsantrieben gearbeitet. 1953 soll der erste Reaktor für
den U-Boot-Antrieb verfügbar gewesen sein, ungefahr zur gleichen Zeit wie der
Antrieb für den zivilen Eisbrecher ,,Lenin".l4 Das erste Serien-Atom-U-Boot der
UdSSR wurde augenscheinlich 1958 in Dienst gestellt (zum Vergleich: Die ersten
US-Atom-U-Boote nahm die Navy im September 1958 in den Dienst; das erste
Versuchsschiff ,,Nautilus" lief 1954 vom Stapel).l5 Auch bei der Konzipierung des
ersten U-Bootes als Raketenträger lagen die beiden Supermächte gleichauf. Zum
Jahresende 1957 fiel die Entscheidung für Amerikas erstes Raketen-U-Boot, die
"George Washington", und "ungefähr zu diesem Zeitpunkt ... begann wahrschein-
lich die Sowjetunion ihr eigenes großes Programm".16
Heute bauen die Sowjets die größten Unterwasserschiffe der Welt. Mit 25.000
to Wasserverdrängung (die größten US-Schiffe bringen es auf 18.000 to) ist ein

14 Jane's Fighting Ships 1987-88, S. 553. - "Lenin", das erste Nuklearüberwasserschiff


der Welt, verfügt über zwei Druckwasserreaktoren mit insgesamt 44.000 Wellen-Ver-
gleichs-PS (S. 645). Dort heißt es ferner, der Antrieb der "Lenin" sei eine Abwandlung
eines U-Boot-Antriebes gewesen.
15 Jane's Fighting Ships 1987-88, S. 716
16 Jane's Fighting Ships 1987-88, S. 545
Sowjetische Seekriegsrüstung 269

modernes sowjetisches Gefahrt der "Taifun"-Klasse kaum mehr als ein als U-
"Boot" anzusprechen, rangiert es doch der Tonnage nach, wäre es ein Überwasser-
schiff, eher als schwerer Kreuzer. 150 Mann sollen an Bord dieser Ungetüme
Dienst tun. Mit seinen 20 Interkontinentalraketen vom Typ SS-N-20, jede mit sie-
ben Atomsprengköpfen bestückt, verfügt jeder "Taifun" über mehr Zerstörungs-
kraft als alle Kreuzer vergangener Tage. In der jüngsten Ausgabe der Pentagon-
Schrift "Soviet Military Power" wird, den Respekt der Amerikaner vor dem Rie-
senschiff anzeigend, Generalsekretär Gorbatschow auf dem Titel porträtiert, wie er
Meldungen der Besatzung vor dem hohen Turm eines "Taifun" entgegennimmt)?
Die sowjetische Uboot-Rüstung beeindruckt ferner durch ihre Breite. Ameri-
kanischen QuellenlS zufolge sind in der UdSSR im vergangenen Jahrzehnt nicht
weniger als 13 verschiedene neue Uboot-Modelle vom Stapel gelaufen. Wegen der
Gestehungskosten wird bei den Schiffen der "Alpha"-Klasse in der Sowjetunion
liebevoll-ironisch von "unseren Goldfischen" gesprochen. Das jüngste Produkt der
Uboot-Konstrukteure, genannt "Akula" (Hai), ist nach Aussagen eines amerikani-
schen Marineexperten "das beste Uboot, was heute im Wasser schwimmt". Auch
seien die Sowjets mit dieser Konstruktion "zehn Jahre dem Zeitpunkt voraus, bei
dem die Navy sie zu finden meinte".19
Neben den strategischen Raketen-U-Booten stellte der Flguzeugträger die
große Herausforderung an die sowjetische Marinerüstung dar. Ohne den Luft-
schirm, den Trägerflugzeuge einer Flotte verleihen, würde die Sowjetmarine welt-
weit nie mit gleichen Waffen wie die andere Supermacht antreten können. Das
Projekt, die Seestreitkräfte mit Flugzeugträgern auszustatten, wurde unter Admiral
Gorschkow über Jahrzehnte angelegt- und zielstrebig verfolgt. Schritt für Schritt
tasteten sich die sowjetischen Ingenieure und Techniker vor, konzipierten zunächst
einfache Hubschrauberträger, hernach Flugzeugträger für Senkrechtstarker, und
schließlich, nach ausgiebiger Auswertung von Seepraxis, komplette Träger mit
Startkatapulten. Der erste wirkliche Flugzeugträger, im Jahre 1983 auf Kiel gelegt
und im Dezember 1985 auf der Nikolajew-Werft am Schwarzen Meer vom Stapel
gelaufen, soll 1988 die Versuchsfahrten aufnehmen. Es lohnt sich, diesem sowjeti-
schen Langzeitprojekt in wichtigen Einzelschritten nachzugehen.
Die sowjetischen Träger sind aus schweren Kreuzern abgeleitet (tatsächlich
heißen die beiden Zwischentypen amtlich in der UdSSR "Kreuzer" oder "Kreus-
ser", nämlich "Protiwolodotschnij Kreusser'', Anti-Uboot-Kreuzer im Falle der
"Moskau"-Klasse und "Taktitscheskoje avianosnij kreusser", taktische Kampfflug-
zeuge tragender Kreuzer für die "Kiew"-Klasse).20- Im Mai 1967 wurde der erste
Hubschrauberträger der "Moskau"-Klasse in den Dienst gestellt. Die mangelnde
Erfahrung der Konstrukteure schlug sich in schlechter Seegängigkeit bei schwerer

17 Soviet Military Power 1988


18 Vgl. Newsweek, 12.9.1988, S. 28. - Das sowjetische Angebot zum Datenaustausch
über die Flottenrüstung (vgl. das Schlußkapitel) wurde von den USA ausgeschlagen, so
daß der Analytiker weiterhin auf Sekundärquellen verwiesen bleibt.
19 Zit. nach Newsweek, 12.9.1988, S. 28.
20 Jordan 1983, S. 43, sieht in den Trägern der Moskau-Klasse "exakte Zeitgenossen der
ersten Schiffe der ,Kresta I'- Klasse", einem Typ sowjetischer Kreuzer. - Über die Be-
deutung der Kreuzer für die Sowjetrüstungschreibt Sapir (o.J.), S. 117 ff.
270 Einzelstudien

See nieder.21 -Der technisch nächste Schritt wurde ein Jahrzehnt später mit den
gegenüber der "Moskau"-Klasse doppelt so großen Trägem der "Kiew"-Klasse ge-
tan. Als das erste Schiff dieser Art im Juli 1976 die Dardanellen passierte, nutzten
westliche Experten die Gelegenheit, die sowjetische Neuheit ausgiebig in Augen-
schein zu nehmen. Sie erlebten einige Überraschungen. Das Flugdeck bestand bei
diesem Kriegsschiff nicht aus Stahl, wie bei westlichen Trägem üblich - die
"Kiew" war mit Holz beplankt!22 Die Jakolew-36 Jäger hinterließen nach einigen
Senkrechtstarts zwar unschöne Verkohlungsflecke an den Stellen, wo die heißen
Abgase aufschlugen. Ansonsten schien das hölzerne Flugdeck aber alle seine
Funktionen zu erfüllen. - Ungewöhnlicherweise führt der sowjetische Träger auch
Fernraketen (vom Typ SS-N-12 mit rund 500 Kilometern Reichweite) neben dem
üblichen Arsenal an Flakraketen mit. Diese Eigenart verweist erneut auf die Nähe
der Träger zu Schlachtschiffkonzepten; auch die schweren Kreuzer der Sowjetma-
rine sind mit Fernraketen ausgerüstet, wie sie ansonsten für U-Boote verwendet
werden (vgl. Tabelle 11).
Wiederum zehn Jahre später fühlten sich die Sowjets augenscheinlich sicher
genug, den Bau ihres ersten richtigen Flugzeugträgers anzugehen. Die Schiffsgröße
wurde erneut verdoppelt und auf rund 70.000 Tonnen Wasserverdrängung gestei-
gert. Beim Antrieb griff man auf die Reaktoranlagen der schweren Schlachtschiffe
der "Kirow"-Klasse zurück (die Vorläufermuster des Trägers werden von her-
kömmlichen Dampfturbinen angetrieben). Aus England wurde die "Ski-jump"-
Technik übernommen: Die Startbahn eines startenden Jets verkürzt sich, wenn die
Rollstrecke parabelförmig nach oben gekrümmt ist. Die um sieben Grad überhöhte
"Ski-jump"-Anlage für den Bug des neuen Trägers ist in Saki am Schwarzen Meer
mit Jägern der Muster Suchoj Su-27, MiG 29 und Su-25 erprobt worden.23 -Auch
fertigungstechnisch hatten die sowjetischen Marineingenieure eine Überraschung
parat. Weil die Heilige der Werft in Nikolajew für ein so riesiges Schiff- der So-
wjetträger mißt mehr als 300 Meter vom Bug zum Heck- zu klein sind, wurde das
Schiff einfach in zwei Hälften gebaut, die auch getrennt vom Stapel liefen. Seither
wartet die US-Aufklärung gespannt, wann und wie die beiden auf Satellitenfotos
gut erkennbaren Trägerhälften zusammengebaut werden.
Der wohl phantastischste Zug der sowjetischen Marinerüstung besteht in der
Kriegsflotte des KGB. Der Leser hat sich nicht verlesen: Der allmächtige Staatssi-
cherheitsdienst kommandiert eine eigene Kriegsmarine. Nach Schiffszahl und Ton-
nage rangiert diese irgendwo zwischen der Bundesmarine und den Seestreitkräften
Frankreichs oder Japans. Der Grund, warum über diese KGB-Marine so wenig be-
kannt ist, mutet recht albern an: Die führenden Marinehandbücher verzeichnen die-
se Geheimdienstflotte getreulich, freilich als letzten Eintrag im Länderabschnitt so-
wjetische Marine- hinter Schwimmdocks und Schleppern als nun wirklich gering-
wertigen Beiträgen zur Seerüstung.24

21 Jane's Fighting Ships 1987-88, S. 592: "Die Rumpfkonstruktion wies schlechte Lei-
stungen bei schlechtem Wetter auf."
22 Jordan 1983, S. 88, schreibt allerdings, daß "der Parkraum im Hinterschiff sowie der
gesamte Teil des Schrägdecks des Flugdecks mit bräunlichen hitzebeständigen Kacheln
der Größe von etwa einem halben Quadratmeter" bedeckt war.
23 Jane's Fighting Ships 1987-88, S. 568. Vgl. auch SovietMilitary Power 1988 S. 41
24 Die gängige Marine-Literatur zur sowjetischen Seerüstung legt auf derlei Beobachtun-
Sowjetische Seekriegsrüstung 271

Tabelle 11:
Schrittfolge im sowjetischen Trägerbau

Wasser-
Schiffs- Zahl der Zahl der AufKiel Von Stapel in Dienst
verdrängung
klasse Hubschrauber Flugzeuge gelegt gelaufen gestellt
(1.000 to)

Moskau 17,5 14 1963 1665 05/1967


1965 1067 05/1968

07/1970 11/1972 05/1975


Kiew 37,1 17 13 11/1972 10/1975 01/1978
10/1975 1:111978 08/1982
11/1978 04/1982 1986

1983 11/1985
(?) ca. 70 insg. ca. so 11/1985 (?)/1988

Quelle: Jane's Fighting Ships, London, verschiedene Jahrgänge

Betrachtet man die KGB-Kriegsmarine näher, so fallen 15 moderne Fregatten auf


(drei Schiffe der modernsten sowjetischen Klasse in diesem Bereich, bezeichnet
"Kriwak lll", von der NATO als ,,Raketenfregatten" eingestuft, wurden extra für
den KGB hergestellt. Statt der Marschflugkörper SS-N-14, wie sie für andere "Kri-
wak"-Schiffe Standard sind, verfügen die KGB-Spezialschiffe über Hubschrauber
verschiedener Typen).
Die anderen zwölf Fregatten des KGB der "Grischa-II"-Klasse zeichnen sich
durch stärkere Artillerie gegenüber den anderen Schiffen dieses Baumusters in der
Sowjetflotte aus. Daß diese erhöhte Feuerkraft für die amtliche angegebene Aufga-
be der KGB-Flotte, den Grenzschutz zur See, erforderlich sein soll, ist aber schwer
zu glauben.
Auffällig im Arsenal der KGB-Marine sind neben den modernen Fregatten
weiter acht bewaffnete Eisbrecher der Klasse "Iwan Susanin". Es handelt sich um
eine stark militarisierte Variante eines in größerer Stückzahl gebauten Eisbrechers,
versehen mit Hubschrauber-Plattform und mehreren Geschützen.
Unter den Hunderten von Seefahrzeugen des KGB sind ferner Grenzkontroll-
fahrzeuge (russ. ,,Progranitschnij storoschewsoj korabl") sowie Radarüberwa-
chungsschiffe (russ. "Korabl wogduschnowo nablnijadenja"), mehr als 110
Schnellboote der "Stenka"-Klasse (die Bundesmarine verfügt über 40 Einheiten in

genkeinen Wert. Die Tätigkeit des KGB fmdet sich weder erwähnt in dem dreibändi-
gen deutschen Standardwerk von Ulrich Schulz-Torge, Die sowjetische Kriegsmarine,
Bonn (Wehr und Wissen), noch in englischsprachiger Spezialliteratur, etwa Jordan
1983.- Im "Vorwort des Herausgebers" (Schulz-Torge 1985, o.S.; hernach ist von ei-
nem Plural die Rede, es zeichnen "die Herausgeber"; gleichermaßen im Inhaltsver-
zeichnis) wird herausgestrichen, daß von einer Anzahl von Schiffen ,,nicht nur ihre
Flottenzugehörigkeit, sondern auch erstmals eine Vielzahl ihrer Kommandanten ge-
nannt werden". Der Kommandant KGB fehlt freilich unter den genannten Herren.
272 Einzelstudien

dieser Kategorie) sowie Dutzende weiterer Schüfe anzuführen. Es mag ja sein, daß
diese eindrucksvolle Armada der Grenzschutzaufgabe des KGB dient. Von Dut-
zenden weiterer Schüfe, offiziell zumeist dem "Hydrographischen Dienst" der
UdSSR unterstellt (Jane's weist 63 solcher Schiffe nach) wird als Hauptaufgabe
"Nachrichtensammlung" angegeben - weil eben dies Aufgabe des KGB ist, steht
zu vermuten, daß die Staatssicherheit hinter den Kulissen auch den Hydrographi-
schen Dienst der UdSSR managt. - Daneben gibt es die in jeder Marine zu finden-.
den zivilen Forschungsschiffe, Schiffe für die Raketentests, elf Antennenträger
verschiedener Größen für das Raumfahrtprogramm, so daß die besonderen Aufga-
ben der "Nachrichtensammler" auf der Hand liegen dürften.
Es überrascht nicht, daß die einschlägige KGB-Literatur im Westen diese See-
streitmacht nicht zur Kenntnis nimmt. Um nicht mißverstanden zu werden: daß der
Grenzschutz zur See auch mit Schiffen stattfindet, wird durchaus vermerkt. Von
der geballten Feuerkraft einer "Kriwak"-Fregatte, ihren 20 Flakraketen SA-N-4,
den 10-cm-Geschützen und 3-cm-Maschinenkanonen, den Minen, Torpedos und
anderen Bordwaffen einer solchen Kriegsmaschine scheint man aber im Literatur-
milieu der KGB-Schriften keinen Begriff zu haben. -Nach alldem bleibt trotzdem
schwer erfindlich, warum der KGB eine solche Kriegsflotte unterhält. Oder - viel-
leicht gibt es gar keine rationale Erklärung für diese sowjetische Spezialität?

7.3 Waffenexporte25

Die Sowjetunion ist einer der beiden größten Waffenlieferanten der Welt. In den
letzten Jahren haben die USA und die UdSSR zusammen zum Beispiel etwa zwei
Drittel aller Exporte von größeren Waffen in die Dritte Welt getätigt. Über diese
grobe Schätzung hinaus ist ein detaillierter Vergleich der beiden Hauptlieferanten
jedoch nicht einfach. Die Problematik eines solchen Vergleichs ist vielschichtig.
Die einem solchen Vergleich zugrundeliegenden Daten - die registrierten
Transaktionen - sind außerordentlich unzuverlässig. Auch Informationen über so-
wjetische Waffenexporte stammen nicht aus sowjetischen Quellen. Die Sowjet-
union veröffentlichte bis vor kurzem keine entsprechenden Daten. Die öffentlich
zugänglichen Quellen bestehen im wesentlichen aus den Angaben der Empfänger-
Iänder oder Berechnungen anband von zahlreichen einschlägigen Pressemeldun-
gen, Zeitschriften und Handbüchern, die versuchen, Transaktionen und Bestände
von Waffen festzustellen. Das von SIPRI erstellte Verzeichnis über Waffenhandel
beruht zwar auf einer gründlichen Analyse dieser Angaben, erfaßt aber nur Exporte
in die Dritte Welt, und von denen auch nur die Großwaffen. Die US-Regierung
veröffentlicht ihre eigenen Schätzdaten über die Anzahl bestimmter Waffen, wel-
che die Sowjetunion exportiert; diese beruhen auf Geheimdienstquellen. Die Verei-
nigten Staaten veröffentlichen jedoch kein Verzeichnis der einzelnen Transaktio-
nen; ihre Zahlenangaben können daher nicht mit Hilfe detaillierter Angaben über
entsprechende Transaktionen überprüft werden.
Der bloße Zahlenvergleich von Waffen ist selbstverständlich keine adäquate
Grundlage für einen generellen Vergleich. Man würde zu einem erheblich überzo-
genen Ergebnis für die sowjetische Waffenexporte kommen, weil bislang deren

25 Eine Vorfassung dieses Abschnittes ist erschienen im SIPRI Yearbook 1983, S. 361-
369, dt. in SIPRI 1984, S. 229-239.
Waffenexporte 273

technologischer Entwicklungsstand unter dem der Vereinigten Staaten liegt. Dies


ist durchaus kein untergeordneter Gesichtspunkt bei der Schätzung von Waffenver-
käufen. Die realen Kosten für eine neue Waffengeneration übersteigen in der Regel
die Kosten des von ihnen ersetzten Systems um mindestens das Doppelte und
manchmal sogar um das Sechsfache. Schätzungen über das Ausmaß des Handels
mit Panzern kann man zum Beispiel nicht einfach auf der Basis ihrer Anzahl
durchführen, wobei für alle ein gleicher Wert unterstellt würde.
Die Bewertung von Waffenverkäufen ist deshalb kein einfaches Unterfangen,
Die bei den Transaktionen angegebenen Preise führen auch nicht weiter, denn es
ist nicht einfach festzustellen, was in dem Preis enthalten ist: Die Einbeziehung
von Ersatzteilen und Instandhaltung kann den Verkaufspreis verdoppeln; anderer-
seits können Verkäufe zu subventionierten Preisen erfolgen. Ein Vergleich der
Produktionskosten ist ziemlich ausgeschlossen, zumal damit die gesamte Proble-
matik der Zugrundelegung eines angemessenen Wechselkurses verbunden wäre.
Der Ansatz von SIPRI, dem hier gefolgt werden soll, geht dahin, einen "Waffen-
vergleich" zu versuchen: Dieser Ansatz, der sich auf militärische Beratung stützt,
versucht, möglichst enge Analogien zwischen westlichen und sowjetischen W af-
fensystemen herzustellen; die westlichen Preise werden dann für die Bewertung
der sowjetischen Systeme verwandt. Dieser Ansatz vermeidet sowohl komplizierte
Kostenberechnungen als auch die Wahl eines angemessenen Wechselkurses. Na-
türlich bleibt auch bei diesem Ansatz eine erhebliche Spanne an Ungenauigkeit.
Bei solchen Vergleichen spielt der "militärische Gebrauchswert" eine Rolle, wobei
es sich um eine vieldiskutierte Frage handelt. Viele Benutzer sowjetischer Rü-
stungsgüter äußerten sich sehr vorteilhaft über ihren militärischen Nutzen,26 in an-
deren Äußerungen über die Verwendung dieser Waffen in Kampfhandlungen, in
denen sie mit westlichen Waffen konfrontiert waren, wirdjedoch ein völlig anderer
Eindruck vermittelt.27

Sowjetische Produkte und Exporte

Tabelle 12 weist Schätzungen amerikanischer Geheimdienste über Produktion von


und Handel mit verschiedenen sowjetischen Rüstungsgütern für die Zehnjahres-
spanne 1977 bis 1987 aus. Ihre Angaben über die Waffenausfuhr haben die ameri-
kanischen Dienststellen jüngst drastisch nach oben revidiert. In der Quelle, der die
Daten entnommen sind, heißt es im Vorwort:
"Die Schätzungen zwn Marktanteil und Dollarwert sowjetischer W affenexporte, so wie
sie in dieser Ausgabe berichtet werden, sind revidiert worden und einige liegen für die
Jahre zurück bis 1977 wn 40 bis 50 Prozent höher als in früheren Ausgaben angege-
ben."28

26 Singh 1974, S. 129, 132, 133, 143 u. 164.


27 Ein Testfall war offenbar der jüngste Krieg im Libanon, wo der Einsatz von flugzeug-
gestützten Warn- und Kontrollsystemen des Typs Grumman E-2 Hawkeye durch die Is-
raelis offensichtlich entscheidend war für die Vernichtung sowjetischer Abwehrraketen.
28 US Arms Control and Disarmarnent Agency (US ACDA), World Military Expenditures
and Arms Transfers 1987, S. 10.
274 Einzelstudien

Tabelle 12:
Sowjetische Rüstungsaußenwirtschaft (Mio. US $)

Jahr Waffen- Waffen


exporte importe

1977 8600 825


1978 10900 1100
1979 16000 1000
1980 16200 1300
1981 16300 1000
1982 17900 775
1983 17900 1300
1984 18000 1200
1985 15300 1100
1986 18000 1100

Quelle: US Arms Control and Disarmament Agency, World Military Expenditures and
Arms Transfers 1987, Washington, D.C. 1988, S. 119

Begründet wird die Revision damit, daß nicht die Zahl oder die Preise der ausge-
führten sowjetischen Waffensysteme korrigiert werden müssen, sondern daß be-
sonders für Kriegsregionen der Wert der Lieferung von "Hilfsgütern" neu anzuset-
zen sei. Das ist nur als Hinweis auf Lieferungen von Munition, Bomben und ande-
ren militärischen Verbrauchsgütern im Golfkrieg sowie nach Afghanistan und in
andere Kriegsgebiete zu verstehen.
Die angegebenen Steigerungsraten erweisen sich als Untertreibung. Die Aus-
gabe von 1986 der gleichen Quelle verzeichnet Angaben, denen gegenüber die
Neufassung Steigerungen um das Doppelte andeutet (zunächst wurden die Exporte
für 1986 mit 11.100 Mio. $ angegeben, nunmehr lautet die gleiche Ziffer 18.000
Mio. $; für 1987 lauten die Zahlen 8.900 Mio. bzw. neu 18.000 Mio. $ usf.).29
Kein Wunder, daß die Sowjetausfuhr nach Ansicht amerikaDiseher Dienststellen
die Rüstungsausfuhr der USA nunmehr bei weitem übertrifft. In eben der gleichen
Quelle werden für die USA Gesamtexporte an Rüstungsgütern in Höhe von 12.300
Mio. $ für 1985 und von lediglich 7.600 Mio. $für 1986 angegeben (vgl. Tabelle
12).30
Wie ein Vergleich mit anderen Quellen zeigt, bleibt gegenüber diesen Anga-
ben Vorsicht geboten. Nach Berechnungen des Wissenschaftlichen Hilfsdienstes
des US Kongresses, des Congressional Research Service, und des schwedischen
Friedensforschungsinstitutes SIPRI sind die Rüstungsausfuhren der USA und der
Sowjetunion ungefähr gleich groß, und ihr jeweiliger Anteil am Gesamtmarkt os-
zilliert um die 35 Prozent-Marke.31 Die sowjetische Selbsteinschätzung- so etwas
gibt es nunmehr im Zeichen von Glasnost -lautet 1988:

29 US ACDA, World Military Expenditures and Arms Transfers 1986, S. 135.


30 US ACDA, World Military Expenditures and Arms Transfers 1987, S. 123.
31 Congressional Research Service 1977-1984 und SIPRI Yearbook 1983
Waffenexporte 275

"Die Sowjetunion hat ihre Waffenexporte im vergangenen Jahr nicht erhöht. Ihr Anteil
am Weltwaffenhandel blieb nicht größer als 30 Prozent."32
Diese sowjetische Quelle druckt auch kommentarlos einen SIPRI-Bericht, daß die
UdSSR im Golfkrieg als Waffenlieferant tätig sei.33 - Von amerikanischer Seite
wird der sowjetischen Selbsteinschätzung widersprochen:
"Die UdSSR ist der größte einzelne Waffenlieferant, sie übertrafen im Jahre 1985 die
USA um fast 25 %. Gemäß den vorläufigen Daten für 1986 wird dieses Verhältnis so-
gar noch größer, da die sowjetischen Exporte gegenüber 1985 angestiegen sind."34
Künftig wird der Streit der Experten nicht mehr der Frage gelten, wie hoch die Ex-
portvolumina der Sowjets anzusetzen sind. Das Thema wird vielmehr zu der Aus-
einandersetzung verschoben, ob die sowjetischen Eigenangaben oder aber die kriti-
schen US-Hochrechnungen eher zutreffen.
Legt man die korrigierten amtlichen US-Schätzungen zugrunde, so bewegt
sich der Anteil der Rüstung am gesamten Export der UdSSR bei knapp 20 Prozent,
nach einem Rekordanteil von 24,6 Prozent im Jahre 1979 (bei Benutzung früherer
Berechnungen läge die Rüstungsquote in der Ausfuhr bei 10- 13 Prozent).35
Diese Vergleiche vermitteln einen Eindruck von der Bedeutung der Exporte.
Allerdings kann man nicht davon ausgehen, daß alle exportierten Güter auch in
derselben Periode produziert worden sind; einige können schon älteren Datums
sein und aus Lagerbeständen stammen oder aus dem eigenen sowjetischen Ge-
brauch ausgemustert und modernisiert worden sein. Es ist zum Beispiel bekannt,
daß zu dieser Zeit T-54- und T-55-Panzer weiterhin exportiert wurden, obwohl sie
längst nicht mehr produziert wurden. Es könnte deshalb gut möglich sein, daß -
wenn die Exporte ältere Modelle einschließen als die gerade in der Produktion be-
findlichen - das Verhältnis von Exporten zu Produktion wertmäßig weit unter dem
zahlenmäßigen liegt.
Die Exportzahlen von SIPRI betreffen nicht Transfers innerhalb des War-
schauer Vertrages. Andererseits könnte die Produktion der übrigen WVO-Staaten,
die nicht in den Produktionsdaten enthalten ist, bei den Exporten eingeschlossen
sein. Geheimdienste, die einen T-55-Panzer zum Beispiel in Libyen identifizieren,
können vermutlich nicht feststellen, ob er in der Sowjetunion, in der Tschechoslo-
wakei oder in Polen hergestellt wurde.
Die Panzerproduktion in den nichtsowjetischen WVO-Staaten trägt etwa ein
Viertel bis ein Drittel der sowjetischen Produktion;36 dasselbe Verhältnis besteht
für andere gepanzerte Fahrzeuge. Es besteht kein Grund, daß dieses Verhältnis bei
den übrigen Waffengruppen erheblich abweicht. Die "Exportabhängigkeit" des

32 Famasowa 1988, S. 541.- Vgl. auch die Erstausgabe des !MEMO-Jahrbuches 1986,
Bd. 2, S. 120, wo die gleiche Angabe gemacht wird.
33 Famasowa 1988, S. 544. In einer Fußnote wird allerdings dementiert, daß die UdSSR
Waffen an den Iran geliefert hätte.
34 US ACDA, World Military Expenditures and Arms Transfers 1987, S. 10.1m Text wird
weiter auf erhebliche Schwankungen der amerikanischen Ziffern in jüngster Zeit ver-
wiesen.
35 SIPRI (Yearbook 1987, S. 186) schätzt einen Exportanteil der Rüstung von 10 bis 15
Prozent. Unsere eigenen Berechnungen zum Exportanteil sind dem Anhang zu entneh-
men.
36 V gl. Abschnitt 6.
276 Einzelstudien

Teils der sowjetischen Rüstungsindustrie, in dem konventionelle Waffen produ-


ziert werden, liegt daher bei insgesamt einem Viertel bis einem Drittel.
Neueren US-Schätzungen zufolge wird der Wert der sowjetischen Rüstungs-
verkäufe zwischen 1977 und 1981laut Angaben der Defense Intelligence Agency
(DIA) auf etwa 35 Milliarden Dollar beziffert. Verkaufsverträge, die 1981 abge-
schlossen wurden, ergaben eine Gesamtsumme von 8 Milliarden Dollar.37 Der
Raum Mittlerer Osten/Nordafrika ist wichtigster Empfänger sowjetischer Waffen-
lieferungen; diese konzentrieren sich auf Syrien, Irak und Algerien. Wichtigste
Kunden außerhalb dieser Region sind Indien, Kuba und Vietnam. Insgesamt hat
die Sowjetunion nur relativ wenige Käufer für ihre Waffen. Das SIPRI-Verzeich-
nis über Waffenhandel, das alle größeren Waffenbestellungen und -liefermengen
des Jahres 1987 umfaßt, zeigt, daß gegenwärtig 26 Länder bei der Sowjetunion
Waffen kaufen. Die entsprechenden Zahlen für die USA und Frankreich zum Bei-
spiel sind 73 bzw. 56.
Es ist sinnvoll, die angegebenen DIA-Schätzungen mit den von den Sowjets
im Laufe der Zeit insgesamt getätigten Waffenexporten zu vergleichen. Schätzun-
gen über die Gesamtzahl der seit Mitte der fünfziger Jahre von den Sowjets nach
außerhalb der WVO exportierten Militärflugzeuge schwanken zwischen 6000 und
etwa 10000. Der Transfer von 2520 Kampfflugzeugen in einem Fünfjahres-Zeit-
raum weist auf eine wachsende Tendenz hin. Zu ähnlichen Schlüssen führen auch
die Wertangaben von SIPRI über die jährlichen Lieferungen an die Dritte Welt.
Während der Fünf-Jahres-Periode von 1978 bis 1982 hat sich der Gesamtwert der
sowjetischen Waffenexporte in die Dritte Welt- ausgedrückt in konstanten Preisen
- gegenüber der Vorperiode etwa verdoppelt.

Der Export neuer Waffen

Viele Abnehmer in der Dritten Welt erhalten gegenwärtig neue Waffensysteme ge-
nauso früh wie die sowjetischen Truppen selbst und noch vor anderen WVO-Staa-
ten. Die MiG-23 wurde an den Irak, Syrien, Ägypten, Libyen, Äthiopien und Kuba
geliefert, bevor die übrigen WVO-Staaten eine nennenswerte Zahl davon erhielten;
Bulgarien und die Tschechoslowakei waren die Erstempfänger. (Die MiG-23
scheint dem MRCA "Tornado" ähnlich zu sein: Als ein Team von Panavia die
Konstruktion des Tornado mit der der MiG-23 verglich, erwiesen sich die Compu-
terzeichnungen in wesentlichen Teilen als identisch.)
Indien erhielt den T-72-Panzer im Frühjahr 1979, wiederum vor anderen
WVO-Staaten. Dasselbe gilt für die MiG-25, die nach Algerien, Indien. Libyen
und Syrien verkauft wurde, während Lieferungen an Mitglieder der WVO bisher
nicht bekannt wurden. Lieferungen der MiG-29 gehen augenscheinlich zuerst im
Ausland an Nicht-Paktmitglieder, vor allem Indien. Erst nach diesen Lieferungen
erhielt die DDR eine Anzahl dieser modernen Jäger.

37 US Congress, JEC, Allocation ofResources in the Soviet Union and China, 1982
Waffenexporte 277

Sowjetische Waffenhandelspolitik

Politik ist ein schwieriges Analyseobjekt Amtliche Erklärungen zur Politik sind
nicht immer hilfreich. Die Untersuchung von Politik hat sich zu orientieren an
dem, was Regierungen tatsächlich tun, und nicht an dem, was sie sagen. Politik ist
selten monokausal bestimmt - als das Ergebnis einer einzigen Meinung oder der
Tätigkeit einer einzelnen Person; sie ist fast immer das vielschichtige Ergebnis des
Zusammenwirkens verschiedener Bedingungsfaktoren, die sich in ihrer Bedeutung
mit der Zeit verändern. Politik ist oft das kollektive Produkt der Arbeit von Gre-
mien und wandelt sich mit der wechselnden Macht verschiedener Teile der Hierar-
chie.
Dieses Politikverständnis wirft sofort Zweifel auf die vereinfachte Ansicht, die
manchmal vertreten wird, daß die sowjetische Waffenhandelspolitik offener Aus-
druck für das starke sowjetische Streben nach Expansion oder Vorherrschaft bzw.
nach Verbreitung revolutionärer Doktrinen ist: auf jeden Fall das Produkt einer ko-
härenten expansionistischen geopolitischen Strategie. Diese Position kommt zum
Beispiel zum Ausdruck im amerikanischen Air Force Magazine, wo es unter Hin-
weis auf sowjetische Waffenverkäufe in Peru im Jahre 1980 heißt:
"Sie boten Schleuderpreise, unverzinsliche Finanzierung mit langen tilgungsfreien Fri-
sten und bis zu vierzig Jahren Laufzeit sowie die Bereitschaft, sich einen Teil des Prei-
ses in Naturalien, z.B. Fischmehl, bezahlen zu lassen ... Amerikanische und ausländi-
sche Experten betonen immer wieder diese sowjetische Bereitschaft, angehenden Kun-
den praktisch Schleuderpreise zu offerieren, als die Hauptursache für den Exporterfolg
der UdSSR ... Zukünftige Trends bei sowjetischen Luftfahrtexporten können einfach
zusammengefaßt werden: ,Mehr von derselben Art' ... Mit den Exporten wird das Ziel
verfolgt, die sowjetische Expansionspolitik zu unterstützen und den westlichen Einfluß
zu durchkreuzen oder zurückzudrängen ... Man wird mit den entgegenkommenden
Konditionen und Schleuderpreisen weitermachen ... Dieselben Beobachter stellen fest,
daß die Kunden auf ähnliche Weise zu bezahlen haben wie Dr. Faust an Mephistophe-
les: Er mag moderne Flugzeuge billig oder umsonst erhalten, geht damit aber das Risi-
ko ein, unter sowjetischen Einfluß und eventuell sogar unter sowjetische Vorherrschaft
zu geraten."38
Im Widerspruch zu dieser sehr vereinfachenden Position besteht einiger Grund zu
der Annahme, daß die sowjetische Waffenhandelspolitik weit weniger einheitlich
und kohärent gewesen ist, als hier unterstellt wird. Es ist nicht schwer nachzuwei-
sen, daß die Sowjetunion nicht einfach Waffen transferiert, wo immer sich eine
Gelegenheit dafür bietet. Die regionale Verteilung ist gekennzeichnet durch Un-
gleichmäßigkeit und hohe geographische Konzentration; sie gibt wenig Hinweise
auf irgendeinen strategischen Plan. Der US-Sowjetologe Uri Ra'anan bemerkt
dazu:
"Es gibt kaum Belege dafür, daß die UdSSR bei ihren Waffentransfers in die verschie-
denen Regionen der Welt, während verschiedener Perioden ihrer diesbezüglichen Tätig-
keit und über die verschiedenen Generationen der sich schnell entwickelnden Militär-
technologie hinaus einer einzigen, einheitlichen Politik gefolgt ist."39

38 Berry 1980, S. 75
39 Ra'anan, 1978, S. 131
278 Einzelstudien

Ursula Sehrniederer hebt diesen Punkt noch entschiedener hervor: ,,Es gibt keine
kohärenten Kriterien und keinen Hinweis auf eine entwickelte Strategie; es scheint
keine konsistente sowjetische Theorie über die Dritte Welt zu geben," über diejeni-
gen Länder, die sich "unter sowjetischem Einfluß befmden":40
"Die Dritte Welt mit ihrer großen Zahl neu konstituierter Staaten wird von der Sowjet-
union im wesentlichen als Leerrawn angesehen, als Jagdgelände im Kampf um die
Macht, als ein Ansatzpunkt für Einflußnahme, Allianzen und Pakte ... Die sowjetische
Politik gegenüber der Dritten Welt war und ist opportunistisch: Sie nehmen, was sie
kriegen können".41
Sowjetische Waffenhandelspolitik wird von diesen Autoren als extrem opportuni-
stisch und als bloße Reaktion auf veränderte Umstände geschildert. Im folgenden
sollen einige Elemente dieses komplexeren Bildes von der sowjetischen Politik
dargestellt werden -von dem nicht sicher ist, ob es nunmehr endgültig Vergangen-
heit wiedergibt
Erstens: Die regionale Verteilung sowjetischer Waffen paßt nicht zu der These,
daß der Waffenhandel hauptsächlich dem Ziel. der Weltrevolution dient; man
braucht dafür nur die beträchtlichen Waffenlieferungen an Regime zu betrachten,
die in ihrem Land zu Zeiten die kommunistische Partei verfolgen - zum Beispiel
Ägypten, Libyen, Guinea und Algerien.
Zweitens ist es nicht länger möglich, die handelspolitischen Ziele der sowjeti-
schen Waffenverkäufe außer Betracht zu lassen. Es stimmt, daß zu Beginn der so-
wjetischen Waffenexporte in die Dritte Welt die Kreditkonditionen zumeist sehr
günstig waren und die Zahlung in Form von Baumwolle oder anderen einheimi-
schen Produkten erfolgen konnte. Diese Zeiten scheinen jedoch vorbei zu sein.
Länder, die heute moderne sowjetische Waffen kaufen, müssen bar- in harter
Währung- bezahlen, selbst wenn es sich um "befreundete" Staaten in einer Notsi-
tuation handelt. (Während des Oktoberkrieges 1973 hatte Ägypten bar zu zahlen
für Ausrüstung, die über eine sowjetische Luftbrücke eingeflogen wurde.) Die So-
wjetunion erinnert sich nur zu gut an die enormen Verluste, die sie durch großzügi-
ge Waffentransfers erlitt. Die Zahlungseinstellung durch Ägypten 1972 hat die So-
wjetunion schätzungsweise 5 Milliarden Dollar gekostet; der Bruch in den Bezie-
hungen zu Indonesien hatte einen Verlust von etwa 3 Milliarden Dollar zur Folge.
Gegenwärtig scheinen Transfers zu Vorzugsbedingungen eher die Ausnahme als
die Regel zu sein. Man schätzt, daß militärische Güter zu über 10% an den gesam-
ten sowjetischen Exporten beteiligt sind; neben Energie und Gold stellen Waffen-
exporte eine der wichtigsten Devisenquellen der UdSSR dar.
Im Zusammenhang mit dieser Einschätzung, daß die handelspolitische Zielset-
zung in die Betrachtung einzubeziehen ist, muß sowohl die Nachfrage- als auch die
Angebotsseite untersucht werden, um die Struktur der Exporte erklären zu können.
Die Nachfrageseite wird oftmals vernachlässigt, so als könnte das AnbieteTland
seine Waffen in jedem Land seiner Wahl ohne weiteres absetzen. Man kann nur
schwer einen strategischen Grund zum Beispiel für die massiven sowjetischen
Waffentransfers an Libyen ausmachen, das eine Bevölkerung doppelt so groß wie
West-Berlin hat und das gegenwärtig über mehr mittlere Kampfpanzer verfügt als
Frankreich und Großbritannien zusammen. Die plausibelste Erklärung für diese

40 Sehrniederer 1981, S. 60
41 Sehrniederer 1981, S. 53
Waffenexporte 279

massiven sowjetischen Exporte ist ganz einfach der Devisengewinn. (Ein anderer
Grund ist unter Umständen die Möglichkeit für Libyen, diese Waffen an Drittlän-
der zu reexportieren - auch an Länder, mit denen die Sowjetunion aus den ver-
schiedensten Gründen keine direkten Waffengeschäfte tätigen will.) Das bedeutet
natürlich nicht, daß die kommerziellen Gesichtspunkte jetzt vorherrschend wären -
nur machen sie sich eben auch bemerkbar. Offensichtlich bestehen weiterhin stra-
tegische Zielsetzungen und der Wunsch, über Waffenverkäufe Einfluß zu gewin-
nen. Zahlreiche Beobachter haben darauf hingewiesen, daß im Vergleich zur So-
wjetunion westlichen Staaten sehr viel mehr Einflußmöglichkeiten auf die Dritte
Welt zur Verfügung stehen: Ihre Wirtschaftshilfe ist sehr viel umfangreicher, und
kommerzielle wie finanzielle Bindungen sind vielschichtiger. Die Dritte Welt ist
insgesamt hoch verschuldet - nicht bei der Sowjetunion, sondern bei westlichen
Banken. Neuere Untersuchungen zur Entwicklung der sowjetischen Außenbilanzen
bestätigen die Bedeutung der Waffenexporte. Klaus Sehröder kommt zu dem Er-
gebnis, daß die Gläubigerstellung der Sowjetunion in wesentlichen auf kreditierten
Waffenlieferungen an OPEC- und Entwicklungsländer beruht.42
Sicherlich sind Waffenverkäufe für die Sowjetunion ein wichtigeres Politikin-
strument als für die westlichen Staaten. Aber das Ausmaß, zu dem Waffentransfers
als Mittel für Einflußnahme dienen können, ist offensichtlich begrenzt. Es ist für
ein Empfangerland zu einfach, auf einen anderen Lieferanten zurückzugreifen. In
seiner Untersuchung über sowjetische Waffenverkäufe an Ägypten kommentiert
Ra'anan die sowjetische Einflußnahme wie folgt:
,,Zweifellos hat es solche Episoden in den sowjetisch-ägyptischen Beziehungen gege-
ben, und sie können auch weiterhin vorkommen. Nichtsdestoweniger besteht jedoch ein
erheblicher Unterschied zwischen einer sowjetischen Taktik der ,technischen Verzöge-
rung' im Zeitplan für die Auslieferung, Kürzungen bei der Lieferung von Ersatzteilen
und Munition sowie einer vorsichtigeren Lizenzvergabe für eigenständige ägyptische
Montage und Produktion sowjetischer Waffen einerseits und andererseits einem voll-
ständigen und unumstößlichen sowjetischen Embargo. "43
Wie Sehröder einleuchtend herausarbeitet, setzt Gorbatschows Reformpolitik
außenwirtschaftlich zu einem wenig günstigen Zeitpunkt an.44 Der Ölpreis, von
dessen Höhenflug die UdSSR erheblich profitiert hatte, war stark gesunken. Die
leichten Einnahmen aus dem Ölgeschäft hatten wenig Anreiz gegeben, die Struktur
der sowjetischen Exporte zu verbessern. Andererseits steht eine Verstärkung der
Einfuhr an - um die für die "Perestrojka" erforderlichen Technologien zu erwerben
und um die Versorgungsprobleme für die Bevölkerung zu lindern. Das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung kommt in einer detaillierten neueren Untersu-
chung zu dem Schluß, daß die Handelsbilanzüberschüsse der UdSSR gegenüber
der Dritten Welt in den siebzigerund achtziger Jahren ausschließlich auf Waffen-
verkäufe zurückzuführen sind. Ohne diese wäre ein beträchtliches Defizit eingetre-
ten.45 In einer solchen Situation wäre es konventionelle Weisheit, verstärkt auf
Waffenverkäufe als Mittel zum außenwirtschaftliehen Ausgleich zu setzen.46 Eine

42 Schröder, K. 1987
43 Ra'anan 1978, S. 154
44 Schröder, K. 1987
45 Marchowski/Schulz 1986, S. 276-281.
46 So argumentiert Herbert S. Levine von der Universität von Pennsylvanien in einer in
280 Einzelstudien

sowjetische Waffenexportoffensive würde andererseits gerade jene außenpoliti-


schen Ziele, besonders im Verhältnis mit dem Westen, gefahrden, auf die es der
neuen sowjetischen Führung so sehr ankommt
SIPRI schätzt, daß in den achtziger Jahren etwa ein Fünftel des Ausstoßes der
sowjetischen Rüstungsfabriken exportiert wurde.47 Das Institut faßt seine jahrelan-
ge Beobachtung der Politik der sowjetischen Waffentransfers in fünf Determinan-
ten zusammen, deren jeweilige Bedeutung sich über die Zeit verschiebt, "in Ab-
hängigkeit der relativen Machtposition einzelner Interessengruppen innerhalb der
Sowjetbürokratie und beeinflußt von äußeren Faktoren":
,,Erstens ist der Faktor Geographie anzuführen. Sowjetische Sicherheitsbedürfnisse
werden traditionell in bezug auf die Entfernung eines Landes zur sowjetischen Grenze
bestimmt. Zweitens wird Rüstungsklienten, die Verträge über Freundschaft und Zusam-
menarbeit mit der UdSSR geschlossen haben, eine hohe Priorität gewährt. Diese beiden
Faktoren greifen ineinander: knapp 25 Prozent aller sowjetischen Waffenexporte waren
für die osteuropäischen Verbündeten bestimmt, und zwei Drittel aller sowjetischen Lie-
ferungen an die Dritte Welt gingen an drei benachbarte Vertragspartner: Syrien, Indien
und den Irak. Drittens werden bestimmte Länder - häufig starke Regionalmächte, die
von der Sowjetunion weit entfernt liegen- beliefert, um ein in der Sicht der UdSSR an-
gemessenes regionales Kräftegleichgewicht zu schaffen. Ein weiteres sowjetisches Ziel
bei Lieferungen an solche Staaten ist häufig, Stationierungsrechte für die sowjetische
Marine zu erwerben. Beispiele bieten Kuba und Vietnam ... Viertens gewährt die So-
wjetunion Regierungen Waffenhilfe, die sie allgemein unterstützt, und die sich im Jn-
nern oder von außen bewaffneten Opponenten gegenübersehen, wofür Angola, Äthio-
pien und Nikaragua stehen. Die sowjetischen Waffenlieferungen an diese Staaten wur-
den verstärkt, als die Reagan-Adrninistration sie zum Schauplatz von Auseinanderset-
zungen machte, um den sowjetischen Einfluß in der Dritten Welt zu begrenzen ...
Schließlich hat die Sowjetunion seit Beginn der siebziger JahreWaffen verkauft, um so
an harte Währung zu gelangen und die Zahlungs- und Handelsbilanz mit dem Westen
auszugleichen. Diese Politik fmdet sich gegenüber Ländern mit großen Erdöleinnahmen
wie Algerien, Irak und Libyen, oder bei Staaten, die wie Syrien von solchen Ländern
unterstützt werden. "48
Nach außen tritt die Sowjetführung für Verhandlungen zur Begrenzung der Waf-
fenexporte ein. Vizeaußenminister W.F. Petrowskij, der schon mit seinen Angaben
über geheime Details des sowjetischen Militärhaushaltes aufgefallen war, äußerte
vor den Vereinten Nationen:
"Wir sind, auf der Basis der Reziprozität mit den Vereinigten Staaten, bereit, auf regio-
nal begrenzte Initiativen zu diesem Zweck einzugehen, natürlich unter der Vorausset-
zung, daß ihre Ergebnisse die legitimen Interessen aller Staaten in der in Frage kom-
menden Region berücksichtigen. "49

einer Anhörung vor einem Unterausschuß des Foreign Mfairs Committee des US-Re-
präsentantenhauses (vgl. Aviation Week & Space Technology, 2. Mai 1988, S. 19).
47 SIPRI Yearbook 1987, S. 186
48 SIPRI Yearbook 1987, S. 187 f.
49 Rede vor der International Conference on Disarmament and Development, hier zitiert
nach: Bulletin of the USSR Ministry of Foreign Mfairs 1987, No. 4, S. 6
8. Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

"Wer heute den Versuch unternimmt, eine kritische Theorie des bürokratischen
Sozialismus am Beispiel des sowjetischen Herrschaftssystems zu entwickeln, be-
findet sich politisch und wissenschaftlich in einer wesentlich anderen Situation als
noch vor zehn Jahren," leitet 1977 Gerd Meyer eine der gehaltvollsten Theoriestu-
dien zum Sowjetsystem ein) Erneut zehn Jahre später, in der Ära Gorbatschow mit
ihren vielfältigen Signalen zur Veränderung, der ,,Perestrojka", zu mehr Transpa-
renz in den öffentlichen Dingen ("Glasnost"), könnte der Satz von Meyer nicht
wahrer sein.
Mit den folgenden Ausführungen wird nicht ein weiterer Ansatz zur Theorie
der Sowjetgesellschaft oder gar der Stellung des Gewaltapparates in ihr versucht.
Auch geht es nicht um eine allgemeine Erörterung vorliegender Versuche anderer.
Zweck dieses knappen Abschnittes ist vielmehr, anhand der ausgeführten Untersu-
chung zur Sowjetrüstung Feststellungen über die relative Aussagefähigkeit einzel-
ner Theorieversuche zu treffen - besonders wenn mit solchen Theoriebeiträgen
auch sowjetische Rüstung thematisiert wird.
Allgemein läßt sich festhalten, daß die Theoriehaftigkeit des Themas Rüstung
beschränkt ausfällt. Es geht, wie Meyer2 feststellt, "in einem Feld bisher relativ
theoriearmer Regionalstudien um eine ,Theorie mittlerer Reichweite"'.
Ältere Bewertungen hatten allgemein im sowjetischen Wirtschaftssystem
einen systemspezifischen Vorteil für die Rüstung gesehen. So heißt es etwa in dem
Standardwerk "Marxismus im Systemvergleich":
"Das Charakteristikum der zentralen Wirtschaftsplanung, die fmanziellen und materiel-
len Mittel auf Schwerpunktaufgaben konzentrieren zu können, wirkte sich für den Auf-
bau einer Rüstungsindustrie günstig aus."3
Unsere Untersuchung hat ergeben, daß die neuzeitliche Sowjetunion mit so pau-
schalen Vorgaben in ihren differenzierten Prozessen zur Rüstungserzeugung bei
weitem nicht genügend im Detail gefaßt werden kann. Es bleibt erforderlich, sozi-
alwissenschaftlich anspruchsvollere Theoreme zum Verständnis der Verhältnisse
in der UdSSR und deren Veränderung zu nutzen.

8.1 Neuere Totalitarismuskonzepte

Ein erstes Modell neuerer Art unterstellt, daß die Sowjetunion ein totalitärer Staat
sei, der auch in außen- oder militärpolitischen Fragen als ein einzelner rationaler
Akteur (single rational actor) handele. Der Ursprung dieser Variante des Totalita-
rismus-Modells geht in den simpleren Ausprägungen auf die Stalin-Periode zu-

1 Meyer 1977, S. 13
2 Meyer 1977, S. 15
3 Klocke 1973, S. 34
282 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

rück, in der im Vergleich zu heute die sowjetische Gesellschaft und Wirtschaft we-
niger kompliziert waren. Vertreter solcher Modellansätze gehen von der Annahme
aus, daß der hoch zentralisierte sowjetische Partei- und Staatsapparat die Direkti-
ven der politischen Führung vollständig befolgt.4 Für die Anhänger dieser Denk-
schule stellt die Totalität der politischen Macht, die weitestgehende Kontrolle der
Machtelite über die Gesellschaft mit Hilfe des Parteiapparates und der Staatsbüro-
kratie, das einzigartige Charakteristikum des Sowjetsystems dar. In den Worten
von Wolfe setzt das Totalitarismus-Modell das Postulat:
"Der Politik:prozeß in der Sowjetunion wird als Tätigkeit einer vollständig informierten,
einheitlichen Führung gesehen, die immer die mannigfaltigen Bürokratien, denen sie
· vorsteht, in der Hand hat und nie ihr Gefangener ist, und die ferner ... stets diejenige ra-
tionale Politikwahl trifft, die optimal ihrer futeressenwahrnehmung dient."5
Das Vorhandensein von Gruppeninteressen und Konflikten zwischen Gruppen im
Sowjetsystem und der mögliche Einfluß auf politische Entscheidungen wird in sol-
chen Konzepten eines monolithischen Totalitarismus verneint. Ausgeschlossen
wird auch ein signifikantes Einwirken von institutionellen und bürokratischen Fak-
toren auf die zentrale politische Entscheidungsgewalt Konflikte entstehen dieser
Sichtweise zufolge nur an der Spitze zwischen den Machteliten, die Formulierung
von Politik findet ausschließlich auf der höchsten Ebene der Entscheidungsträger
von Partei und Staat statt. Die übrigen Gruppen würden weder über organisatori-
sche Selbständigkeit noch über irgendeinen Einfluß auf die Herausbildung der Par-
teipolitik verfügen. Der Partei/Staat-Komplex wird in diesem Kontext als monoli-
thisch und als eine einzige Interessengruppe angesehen.6
Ein derartiges Modell des sowjetischen Systems beschäftigt sich in der Analy-
se fast ausschließlich mit der Output-Seite von Politik, d.h. mit der Durchsetzung
von bindenden Entscheidungen der politischen Führung gegenüber der Gesell-
schaft. Völlig unberücksichtigt bleibt im Totalitarismus-Modell der Input auf poli-
tische Entscheidungen, der nach den Kategorien von Easton7 ein wesentliches Ele-
ment jedes politischen Systems darstellt. Zwischen den Inputs und Outputs befin-
det sich Easton zufolge die sogenannte "BlackBox" der Entscheidungsträger. Über
diese "Black Box" äußert sich die Totalitarismus-Konzeption lediglich implizit in
dem Sinne, daß die politische Führung sämtliche Entscheidungen auf der Grundla-
ge ihrer Werte und Präferenzen trifft.8
Repräsentant dieser Denkschule ist z.B. Odom, der Mitte der 70er Jahre das
Totalitarismus-Modell explizit wiederbelebte. Odom schließtjegliche Existenz und
Aktivität von Interessengruppen im Sowjetsystem aus9 und begreift Unterschiede
zwischen Stalin und seinen Nachfolgern hinsichtlich der Regeln und Methoden
von Politikformulierung vornehmlich als kosmetisch. Mögliche Meinungsunter-

4 Vgl. die Arbeiten von Friedrich/Brzezinski 1956 und Kornhauser 1960, als wichtige
Vertreter der Totalitarismus-Konzeption; eine etwas ausführlichere Übersichtsdarstel-
lung sowie Kritik des Totalitarismus-Modells findet sich bei Lane 1978, S. 191-194,
und Lane 1985, S. 200-203
5 Wolfe 1973, S. 29
6 Vgl. Skilling 1974b, S. 13-25
7 Easton 1965
8 Vgl. auch Rough 1983, S. 42/43
9 Vgl. Odom 1976, S. 542-567
Neuere Totalitarismuskonzepte 283

schiede zwischen verschiedenen funktionalen und institutionellen Gruppen im so-


wjetischen Entscheidungsfmdungsprozeß werden als nicht bedeutend einge-
schätzt.IO Protagonisten der Totalitarismus-Konzeption verweisen in der Regel
darauf, daß die sowjetische Machtelite selber ja aus ideologischen und auch prakti-
schen Gründen üblicherweise die Existenz von Interessengruppen in der UdSSR
verneint. Lane bemerkt dazu:
,,In sowjetischer Sicht bleibt die sozialistische Gesellschaft sozial \Uld politisch homo-
gen, \Uld daher erkennt das Institutionensystem keine Interessengruppen oder Konflikte
zwischen ihnen an. Da es keine fundamentalen Gegensätze zwischen gesellschaftlichen
Gruppier\Ulgen gebe -so diese Logik- besteht nicht die Notwendigkeit von politischen
Konkurrenzwahlen oder von politischen Parteien, die \Ulterschiedliche Gruppeninteres-
sen repräsentieren. Weiche Unterschiede auch immer es bei den Prioritäten gibt, diese
können in den vorhandenen politischen Institutionen \Ulter der Führung der Kommuni-
stischen Partei ausgeglichen werden."ll
Die politische Doktrin der KPdSU und die reale historische Entwicklung des so-
wjetischen Gesellschaftssystems haben sich aber nicht ohne weiteres kongruent zu-
einander verhalten. Ein elementares Defizit des Totalitarismus-Modells besteht
darin, daß Struktur und Prozeß der Entscheidungsfindung als statisch betrachtet
werden. Nach Alexander ist es aber notwendig, "die Entscheidungsfindung ... als
historischen Prozeß zu betrachten, in dem Politik und Organisationen miteinander
verflochten sind."12 Notwendig unberücksichtigt bleibt in diesem Modell jene Ent-
wicklung, die Alexander als eine wachsende Bürokratisierung der sowjetischen In-
stitutionen beschrieben hat die zunehmende Rolle und der damit verbundene Ein-
fluß von Institutionen und bürokratischen Prozessen bei Entscheidungen im politi-
sehen System der UdSSR.13
Obgleich sich die Anzeichen dafür häufen, daß das Sowjetsystem keineswegs
monolithisch strukturiert und frei von Gruppenkonflikten ist, waren in der westli-
chen Öffentlichkeit bis zur Gorbatschow-"Wende" vielfach solche alten Vorstel-
lungen von einem totalitären Staat prägend, wie Rough 1983 bedauernd bemerkt:
"Fünfzehn Jahre wissenschaftlicher Arbeit über die input-Seite sowjetischer Politik ha-
ben alten Klischees von einem allmächtigen Staat viel zu wenig anhaben können, der
die Gesellschaft steuert \Uld nach einem langfristig angelegten Gesamtkonzept die
Außenpolitik betreibt."14

8.2 Die UdSSR als bürokratisches Herrschaftssystem

Als relativ tauglich in der Sicht der Empirie erweist sich für das Studium des Rü-
stungssektors die Bestimmung der UdSSR als "bürokratisches Herrschaftssystem".
Dieser gewiß deskriptive Ausdruck faßt die Realität in der UdSSR mit einiger Prä-
zision. Von Klassenherrschaft oder der Herrschaft bestimmter Eliten ist auf den
vorstehenden Seiten wenig zu spüren gewesen. Gemeinsamer Ausdruck der Herr-

10 Vgl. Simes 1984, S. 75


11 Lane 1985, S. 202
12 Alexander 1978a, S. 2
13 Vgl. Alexander 1978a, S. 2-3
14 Rough 1983, S. 58
284 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

schaft von Partei und Staat bleibt demgegenüber eine für westliche Begriffe un-
mäßige Bürokratisierung aller Funktionsabläufe. Abgesehen von dem augenfälli-
gen quantitativen Aspekt ist diese Bürokratisierung15 des sowjetischen Gemeinwe-
sens geprägt durch die Bevorzugung politisch-administrativer Steuerungsmittel
(anstelle etwa indirekter Verfahren), sowie die gleichfalls bürokratisch organisierte
politische Kontrolle durch die Kommunistische Partei. Die Bürokratie leistet "na-
hezu ausschließlich intellektuell-kommunikative oder organisatorische Arbeit",16
freilich im Rüstungssektor mit beeindruckenden inhaltlichen Impulsen (wenn man
an die Strategie des Flottenaufbaus17 oder etwa die Leistungen führender Kon-
strukteure denkt). Bestätigt wurde auch die Aussage des Bürokratietheorems, die
Topbürokraten seien keineswegs Müßiggänger, sondern agierten "unter hohem
psychischen und physischen Streß".18 Etwa in dem Abschnitt über die Entwick-
lung der ersten Kernwaffe war dieser Umstand überaus deutlich.
Dies verweist auf einen in der Literatur weniger unterstrichenen Sachverhalt:
das hohe Maß an Professionalismus und das beeindruckende Leistungsethos der
Führungspersonen in der Rüstung. Zwar mag allgemein gelten, daß "die Bürokratie
versucht, ihre Herrschaft vor allem durch ... Erfolge zu legitimieren", und daß "ein
wesentlicher Teil dieser Erfolge den leitenden Kadern und insbesondere der Büro-
kratie zugeschrieben werden" muß.l9 Dieser Tatbestand könnte dazu verleiten, den
im Rüstungssektor zweifelsohne vorhandenen Facheliten einen hohen Stellenwert
zuzuerkennen, ja, statt von einem bürokratischen Herrschaftssystem von einer
Herrschaft der Facheliten zu sprechen. Aus mehreren Gründen wäre dies freilich
übertrieben. Der Rüstungssektor erscheint als eine Insel der Effizienz im gesamten
Sowjetsystem. Nicht er, sondern das Ganze muß eine Generalaussage tragen. Zu-
dem setzen die Facheliten im Rüstungsbereich nicht einmal selbständig die Ziele
ihres Tuns -diese werden ihnen autoritär vorgegeben, mit einer Reihe von beglei-
tenden Zusatzanforderungen. Die Kriterien von Erfolg und Effizienz bestimmen
sie ferner keineswegs selber. Die Chefkonstrukteure, Werkleiter und militärischen
Planer im sowjetischen Rüstungssektor wären zu Recht empört, wenn man ihre
dispositorischen Befugnisse allgemein als Herrschaft im System interpretierte.
Der bürokratischen Organisation des Systems entspricht vielmehr eine be-
stimmte Ethik der Arbeit. Sekundärtugenden, ökonomisch reduziert, werden her-
vorgehoben:20
"Leistung und Einsatz für vorgegebene Normen, Disziplin und Pflicht sind zentral ne-
ben der Forderung nach ständiger wissenschaftlich-technischer Qualifikation der Werk-
tätigen und ihrer Mobilisierung durch materielle und moralische Anreize."
Eine der zentralen Fragen an die bürokratische Organisation von Gesellschaft lau-
tet, ob sie im Hochtechnologiezeitalter weiterhin optimal wirkt. Wenn die UdSSR
den Übergang vom extensiven zum intensiven Wirtschaftswachstum einmal wirk-

15 Hier stützt sich die Konzeptualisierung auf von Beyme 1985 sowie auf Jahn 1982, v.a.
S. 111 ff.
16 Meyer 1977, S. 45
17 Eine kenntnisreiche Studie zum Kreuzerbau unter Verwendung des Bürokratiethereo-
rems hat Sapir (o.J.) vorgelegt (vgl. Kap. 7.2).
18 Meyer 1977, S. 45
19 Meyer 1977, S. 105
20 Vgl. Meyer 1977, S. 106
Die UdSSR als bürokratisches Herrschaftssystem 285

lieh gemeistert hat und wie in westlichen Gesellschaften die Dienstleistungen den
Wert der Gütererzeugung überschreiten, dann steht das autoritativ-bürokratische
Organisationsmodell mit seiner Betonung der erwähnten Sekundärtugenden bei
den Führungseliten und den Beherrschten vor wirklich ernsthaften Problemen.
Das Studium des Rüstungssektors verwies auf eine weitere Schwäche des "bü-
rokratischen" Herrschaftssystems: die Überalterung von Führungspersonal. Nicht
nur das Spitzenpersonal, die Generalsekretäre der Partei bis Gorbatschow, starb
buchstäblich in den Sielen. Auch Chefkonstrukteure und Fachminister, so der em-
pirische Befund, folgten dem Ethos, daß die Arbeit mit dem Tode endet. Zwar ist
dieser gerontokratische Zug keineswegs notwendig mit dem System bürokratischer
Herrschaft verbunden (es lassen sich bürokratische Vorkehrungen gegen Überalte-
rung von Funktionseliten denken). Auch genießen alte Leute in der sowjetischen
Gesellschaft keineswegs großen Respekt wie in anderen exotischen Gemeinwesen.
So ist die Überalterung eher als Zug von Erstarrung zu werten. Die "Perestrojka"
kann ihn leicht beseitigen.
Ein weiterer Aspekt verweist schließlich auf die Angemessenheit des Konzepts
"bürokratische Herrschaft" im Sowjetsystem. Beim Studium der Rüstungsentwick-
lung wurde deutlich, daß die Inhalte der Rüstungsziele, die frühe Betonung etwa
von Interkontinentalraketen und U-Booten, zuungunsten etwa der Computerunter-
stützung oder der Bomberwaffe, relativ beliebig gesetzt wurden. Die verschiede-
nen Technologielinien, die alle in der Rüstung offen standen, wurden keineswegs
mit gleichem Nachdruck verfolgt Bei einem Analysemodell von Elitenherrschaft
wäre dieses Ers.ebnis anders ausgefallen.
Mit einer Ubertragung des ,,reinen" Modells bürokratischer Politik, wie es in
der Analyse vornehmlich amerikaDiseher Verhältnisse entwickelt wurde, auf so-
wjetische Verhältnisse waren jedoch von vomherein Probleme und Einschränkun-
gen verbunden. Unter Bürokratie wird im politikwissenschaftlichen Sprachge-
brauch allgemein eine spezifische Form sozialer Organisation verstanden. Büro-
kratische Organisationen können im engeren Sinne definiert werden als "plan-
mäßig gesteuerte Zweckverbände, deren interne Struktur so angelegt ist, daß eine
möglichst vollkommene und reibungslose Realisierung der Organisationsziele er-
reicht werden kann."21 Diese Organisationen sind auf den bürokratischen Prinzi-
pien einer formellen Regelung von Vorgängen und hierarchischen Strukturen auf-
gebaut Der Begriff Bürokratisierung bezeichnet dabei einen gesamtgesellschaftli-
chen Prozeß, der durch eine zunehmende staatliche Verregelung aller Lebensberei-
che einhergehend mit einem Anwachsen der öffentlichen Verwaltung gekennzeich-
net ist. Ein solcher Prozeß kann zu einer tendenziell wachsenden Verselbständi-
gung der öffentlichen Verwaltung führen, der mit der Gefahr verbunden ist, "daß
die politische Rationalität von Organisationszwecken und -zielen .... in den Hinter-
grund tritt und die bürokratischen Organisation .. .. als Selbstzweck angesehen
wird."22 Bürokratische Organisationen neigen als Folge einer solchen Entwicklung
zu einem strukturellem Konservatismus.
Alexander faßt zwar die Bürokratisierung generell als einen natürlichen "Aus-
wuchs" von zumeist größeren Organisationen auf, hält aber diesen Vorgang für be-
sonders virulent in modernen autoritären Systemen wie der UdSSR:

21 Bruder 1985, S. 104


22 Bruder 1985, S. 105
286 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

"Unflihig, alles und jedes zu entscheiden, autonome Entscheidungen unterbindend, von


der Ausführung getrennt. muß (die politische Führung, d. Verf.) sich auf bürokratische
Instrumente verlassen."23
Lane verweist darauf, daß das Verhalten sowjetischer Administrationen speziell im
industriellen Bereich eine Reihe von Ähnlichkeiten mit ihren Gegenstücken in
Westeuropa aufweise. Ein bedeutsamer Unterschied besteht jedoch dahingehend,
"daß ein ingenieunnäßiger oder ,technokratischer' Zugang für russische Admini-
stratoren typischer ist als für westeuropäische."24
Darüber hinaus spricht gegen die Kategorisierung der UdSSR als eine einzige
große Bürokratie die Tatsache ihres Zerfalls in verschiedene Segmente, zwischen
denen nicht ohne weiteres apriorieine breite Übereinstimmung angenommen wer-
den kann. So besitzen z.B. die einzelnen Ministerien in der UdSSR wie im Westen
Zuständigkeiten für bestimmte funktionale Bereiche. Dies führt zu einer engen und
spezifischen Interessensicht der Organisationen. Es bedarf der Intervention der
obersten politischen Führung, die konkurrierenden Ansprüche der Ministerien auf
größere Ressourcenzuweisungen auszugleichen. Die Ministerien als bürokratisch-
funktionale Komplexe teilen daher keineswegs von vornherein gleichlautende In-
teressen (außer dem gemeinsamen Interesse, Einfluß und mehr Ressourcen auf Ko-
sten des Gegenüber zu erlangen).
Bei der Benutzung eines Modells bürokratischer Politik zur Analyse sowjeti-
scher Politikprozesse treten allgemein zwei Hauptprobleme auf. Zwar neigen auch
sowjetische Bürokratien, wenn nicht sogar im größerem Ausmaß als ihre westli-
chen Counterparts, zu Konservatismus. Ihre eigentliche Einflußmacht liegt wie im
Westen nicht so sehr im Ergreifen von (politischen) Initiativen, sondern mehr in
der Behinderung oder Blockierung von Direktiven der politischen Führung.
Andererseits hat die oberste politische Spitze des Sowjetsystems des öfteren
die Fähigkeit nachgewiesen, in massiver Weise die politische Initiative gegenüber
bürokratischen Maschinerien zu ergreifen. Sie hat offensichtlich Wege gefunden,
in verschiedenen für sie wichtigen Politikfeldem, insbesondere im Bereich der Rü-
stungspolitik, ihren Ministerialbürokratien ihren Willen aufzuzwingen. Das Ge-
samtgefüge und die innere Struktur bürokratischer Organisationen und die Berei-
che ihrer offtziellen Zuständigkeiten sind in der UdSSR aufgrund der häufigen In-
terventionen der politischen Führung keineswegs so stabil wie in den westlichen
Industriestaaten, worauf auch Lane hinweist:,,Es.gibt gewaltsame Änderungen in
den amtlichen Aufgaben (zum Beispiel die Wechsel der Industrieministerien)."25
So hat z.B. auch das ministerielle System der sowjetischen Rüstungsindustrie er-
hebliche Eingriffe und Reorganisationen erfahren, wie in dieser Studie näher auf-
gezeigt worden ist.
Das zweite Hauptproblem liegt in dem zweiteiligen Charakter der sowjeti-
schen Bürokratie begründet. Sie besteht zum einen aus der Staatsbürokratie, die
das Land innen- und außenpolitisch verwaltet, zum anderen aus der Bürokratie des
Parteiapparates, der politische Direktiven erteilt und deren Einhaltung überwacht.
Die Existenz separater bürokratischer Organisationen von Partei und Staat in der
UdSSR führt tendenziell zu Dualismus und Konflikt, wie dies etwa unter Chruscht-

23 Alexander 1978a, S. 3
24 Lane 1978, S. 173 u. 174
25 Lane 1978, S. 174
Die UdSSR als bürokratisches Herrschaftssystem 287

schow besonders deutlich geworden ist. Dieser spezifische Charakter der Zweitei-
lung der sowjetischen Bürokratie und das daraus resultierende Konfliktverhältnis
hebt einige der Prämissen des "westlich orientierten" Modells bürokratischer Poli-
tik auf. Unberücksichtigt bleibt in solch einem Modell darüber hinaus der Sachver-
halt, daß in der Sowjetunion die getrennten Funktionen von Partei und Staat in der
politischen Führungsspitze zusammenwachsen.
Angesichts dieser Schwierigkeiten bietet das Paradigma bürokratischer Politik
sicherlich kein umfassendes Modell zur Analyse des Sowjetsystems und der in die-
sem ablaufenden politischen Prozessse. Aber nach Warner kann das Modell büro-
kratischer Politik ein durchaus nützliches Instrument zum Verständnis sowjetischer
Politik unterhalb der Ebene des Politbüros abgeben. Den Ansatz bürokratischer Po-
litik begreift Warner nicht als einen Ersatz, sondern als eine nützliche Ergänzung
zu Interessengruppeo-S tu dien:
"Er gibt einen nützlichen Rahmen für das Studium der Rolle der verschiedenen Büro-
kratien ab, einschließlich solcher Prozesse wie die Ausarbeitung alternativer Politikop-
tionen, deren Begründungen sowie deren Ausführung, nachdem die Spitze autoritativ
entschieden hat. "26
Allerdings wird selbst die Analyse dieser mittleren institutionellen Ebene im politi-
schen System der UdSSR durch Informations- und Daten-Restriktionen erheblich
erschwert.
Die Übersteigerung von bürokratischer Herrschaft in "Bürokratismus",27 wie
sie vielfach kritisch geltend gemacht wird, hat sich in dieser Studie nicht nachwei-
sen lassen. Als Bürokratismus beschreibt Meyer:
"Die Allmacht der Kaderabteilungen der Partei, politisch-administrative Risiken, un-
vorhergesehene Kurswechsel und ständige Sanktionsdrohungen begünstigen einen Typ
des Verwaltenden, der bis zum Opportunismus anpassungsfähig ist, ständig auf der Hut,
sich keine Blößen zu geben, der unter Erfolgszwang geschönte Berichte abgibt und in-
teressenbestimmte Informationspolitik betreibt, ständig witternd, , was die da oben wohl
wollen' oder ,wiederNeues aushecken', welche Linie ,im Kommen ist', wem man sich
anschließt und mit wem man besser nicht identifiziert wird. "28
Zwar fanden sich beim Studium des Rüstungswesens durchaus administrativ orga-
nisierte Intrigen, etwa bei dem Konstrukteur und stellvertretenden Minister Jakow-
lew. Die Starform des intriganten Bürokratismus, die inhaltlose, zweckfreie Intri-
ge, ist in der empirischen Arbeit allerdings nicht vorgekommen. Das wird nicht an
den Quellen, sondern an der Formation liegen, die studiert wurde, und die als von
einem durchwegs hohen Leistungsethos geprägt befunden wurde.

26 Warner 1977, S. 11
27 Vgl. zum Bürokratismus Balla 1972, S. 200-205; Fijalkowski 1972; Kofler 1970; Stoja-
novic 1972
28 Meyer 1977, S. 115
288 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

8.3 Theoreme von Interessengruppen

8.3.1 Der Interessengruppenansatz

Die neuere Diskussion im Westen über das angemessene theoretische Verständnis


des Sowjetsystems wird beherrscht von der sogenannten Interessen- oder Einfluß-
gruppentheorie. In den 60er Jahren begannen besonders amerikaDisehe Forscher im
Rahmen des Versuchs einer vergleichenden Analyse des politischen Systems der
UdSSR ein Modell oder neues Paradigma zu favorisieren, welches auf der Anwen-
dung des Gruppenansatzes, spezifischer der Interessengruppentheorie, basierte.
Dieser ursprünglich aus der Analyse von Entscheidungsprozessen im politischen
System der USA gewonnene theoretische Ansatz zur Untersuchung und Bewertung
von Interessengruppen und ihrer Rolle sowie Bedeutung im politischen Prozeß
geht von folgenden grundlegenden Annahmen aus:
,.(1) Individuen sind der Interessen gewahr, die sie gemeinsam miteinander haben, und
sie neigen dazu, diese wechselseitigen Interessen miteinander abgestimmt zu befördern.
(2) In jedem politischen System gibt es eine Anzahl von Kollektiven mit gemeinsamen
Interessen, deren einzelne Gruppeninteressen häufig beträchtlich differieren. (3) Kon-
flikte zwischen solchen Gruppen, die ihren jeweiligen Interessen folgen, sind ein zen-
traler Faktor des politischen Prozesses."29
Das Interessengruppen-Modell konzentriert sich hauptsächlich auf die Input-Seite
des politischen Prozesses: das Verhältnis der politischen Autoritäten zu den von
(politischen) Interessengruppen artikulierten Forderungen als auch die Unterstüt-
zung, die wechselseitig gewährt wird.
Der Versuch einer Ubertragung der Interessengruppentheorie auf das sowjeti-
sche System lag nahe, weil etliche westliche Politikwissenschaftler angesichts der
seit Stalins Tod sichtbar gewordenen gesellschafts-und wirtschaftspolitischen Ver-
änderungsprozesse den Erklärungswert totalitaristischer Ansätze in Frage zogen
und stattdessen von der Prämisse ausgingen,
,.daß das politische System der Sowjets nicht durch die Herrschaft einer Klasse oder
eine einheitliche Machtelite charakterisiert ist, sondern durch die Interaktion einer An-
zahl von Eliten sowohl miteinander als auch mit Dritten. Anstatt die Partei oder die
staatliche Bürokratie als monistische, die UdSSR ,regierende' Struktur zu betrachten,
werden beide als etwas gesehen, das einen Apparat bereitstellt, durch den Interessen ar-
tikuliert und zusammengefaßt werden und wodurch Umsetzungen von Interessen er-
zwungen werden ... Die hier vorgenommene Sichtweise läuft darauf hinaus, daß das po-
litische System der Sowjetunion ähnlich den westlichen funktioniert"30
Beim Studium der Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie in der
UdSSR läuft die Anwendung von Interessengruppen-Modellen darauf hinaus, die
sowjetische Waffenbeschaffung als das Ergebnis eines bürokratischen Verhand-
lungs- und Kompromißprozesses zu begreifen, bei dem verschiedene individuelle
und institutionelle Akteure um Ressourcen und Einfluß konkurrieren.
Gegen Ende der 60er Jahre entstand eine Anzahl von empirischen Studien,
welche im Sowjetsystem verschiedene Gruppen mit spezifischen Interessen identi-
fizierten, die Druck oder Einfluß auf die oberen politischen Entscheidungsträger

29 Wamer 1977, S. 2
30 Lane 1978, S. 233
Theoreme von Interessengruppen 289

ausgeübt haben könnten. Vor allem der von Skilling/Griffiths herausgegebene


Sammelband über Interessengruppenpolitik in der Sowjetunion hat die wissen-
schaftliche Debatte nachhaltig beeinflußt.31 In einer kritischen Überprüfung der
Nützlichkeit des Instruments der Interessengruppe-Analyse zur Erklärung politi-
scher Prozesse in der UdSSR zieht Skilling 1983 folgende Bilanz:
"Diese Forschungen haben zur Genugtuung vieler bestätigt, daß Interessengruppen
wichtige Vorgaben für den Entscheidungsprozeß beitragen, während sie zugleich die
Rolle offizieller autoritativer Organe von Staat und Partei nicht vernachlässigen."32
Ein Großteil der Studien über Interessengruppen konzentrierte sich auf politische
Gruppen. Eine politische Interessengruppe kann nach Skilling definiert werden als
"eine Ansanunlung von Personen .... , die gemeinsame Merkmale besitzen, eine gemein-
same Einstellung zu öffentlichen Fragen, in denen sie bestimmte Positionen beziehen,
um an die Machthaber bestimmte Forderungen zu stellen."33
Das Hauptaugenmerk der Analytiker richtete sich insbesondere auf jene politische
Gruppen mit einem quasi "offiziellen" Charakter, deren Klassifikationsmerkmal
die formale Zugehörigkeit zu einer Institution innerhalb der umfangreichen büro-
kratischen Hierarchie der Partei und des Staates bildete. Der von Skilling I Grif-
fiths herausgegebene Sammelband beschäftigt sich ausschließlich mit politischen
Elitegruppen auf der oberen und mittleren Stufe der sowjetischen Gesellschafts-
struktur: Parteiapparatschiki, Sicherheitspolizei, Militärs, Industriemanager etc.
Verschiedene Studien zeigen, daß in der Sowjetunion ähnlich wie in den west-
lichen Industriegesellschaften Interessengruppen auf der Grundlage gemeinsamer
(politischer) Standpunkte Forderungen hinsichtlich der Verteilung von Ressourcen
über oder an die Institutionen des Staates artikulieren und diese gegenüber den po-
litischen Machthabern durchzusetzen versuchen.
Skilling betont, daß im sowjetischen Gesellschaftssystem Restriktionen für po-
litische Interessengruppen bestehen, sich zwecks Artikulation und Durchsetzung
von Forderungen außerhalb der Kontrolle der Partei und des Staates autonom als
Gruppe zu formieren und zu organisieren. Er sieht den Terminus "informelle Grup-
pe" oder "Interessengemeinschaft" für sowjetische Verhältnisse eigentlich als an-
gebrachter an.34
Ebenso betont Skilling die Grenzen des Einflusses von politischen Interessen-
gruppen auf Entscheidungen. Ein Pluralismus im westlichen Sinne, wo die Politik
mehr oder weniger als Resultante des widerstreitenden Einflusses von verschiede-
nen Interessengruppen begriffen wird, sei für die UdSSR nicht gegeben. Interes-
sengruppen werden von Skilling nicht als das bedeutendste Merkmal im politi-
schen System der Sowjetunion angesehen, da die besondere Bedeutung der Autori-
tät der Partei im politischen Entscheidungsprozeß nicht vernachlässigt werden
kann. Er hält den Begriff "unvollkommener Monismmus, in dem eines von vielen
Elementen - die Partei - mächtiger ist als andere, aber nicht allmächtig", zur Be-
schreibung des politischen Charakters des sowjetischen Systems für passender.
Seiner Ansicht nach könnte man im sowjetischen Fall eher von einem ,,Pluralismus

31 Skilling/Griffiths 1974c
32 Skilling 1983, S. 25
33 Skilling 1974a, S. 30
34 Vgl. Skilling 1974a, S. 36-38
290 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

der Eliten" sprechen.35


Das Beziehungs- und Einflußverhältnis zwischen politischen Interessengrup-
pen und der politischen Führung (herrschende politische Elite) im sowjetischen
Gesellschaftssystem charakterisiertSkilling zusammenfassend folgendermaßen:
"Die politische Macht, nach wie vor streng zentralisiert und autoritär, liegt in den Hän-
den der wenigen an der Spitze; andere Gruppen spielen eine zweitrangige, untergeord-
nete Rolle. Führende sowjetische Politiker, die höchsten mitinbegriffen, vertreten zu-
gleich oft auch bestimmte Gruppeninteressen, doch zwingen eher sie den Gruppen ihre
Politik auf als umgekehrt. Nichtsdestoweniger haben manche politische Gruppen die
Möglichkeit, ihre Interessen zu verfechten und Meinungen zu vertreten, die denen der
Führung widersprechen. Die Politik wird daher in wachsendem Maß von scharfen
Gruppenkonflikten bestimmt. Politische Gruppen können ihren eigenen Standpunkt
vorbringen, Alternativen zur Diskussion stellen, politische Entscheidungen gutheißen,
kritisieren oder auch mißbilligen. Obwohl ihnen in den seltensten Fällen gesetzlich ver-
briefte, ja nicht einmal praktische Sanktionen zu Gebote stehen, um den obersten Füh-
rern ihre Meinungen aufzuzwingen, gelingt es ihnen manchmal, die endgültige Ent-
scheidung zu beeinflussen oder auch zu blockieren. Andererseits aber stehen sie oft vor
vollendeten Tatsachen bei unerwünschten Entscheidungen ihrer Führer."36
Später unternahmen andere Analytiker den Versuch, den Gruppenansatz mit plura-
listischen, korporatistischen oder bürokratischen Modellkonzeptionen zu verbin-
den, um so das zweifelsohne komplexer und differenzierter gewordene Wesen po-
litischer Entscheidungsprozesse in der UdSSR analytisch besser zu erfassen.

8.3.2 Mischansätze

Pluralistische Ansätze
Jerry Hough gehört zu den bekanntesten Vertretern einer alternativen Version der
Interessengruppentheorie. Er entwickelte ein Modell des Sowjetsystems, das er mit
dem Begriff ,,institutioneller Pluralismus" belegte. Der Autor macht deutlich, daß
sein Modell keineswegs mit dem klassischen Pluralismus oder mit pluralistischen
Modellen zur Beschreibung gegenwärtiger westlicher libertär-demokratischer Ge-
sellschaftssysteme gleichzusetzen sei. Bei institutionellem Pluralismus bezogen
auf den sowjetischen Politikprozeß spricht man nach Hough über
,,Interessen, die repräsentiert oder in Regierungsbehörden verkörpert sind, und von
,Gruppenauseinandersetzungen', die innerhalb eines eng konzipierten und restriktiven
(amtlichen) Rahmens stattfmden."37
Mit seinem Modell des institutionellen Pluralismus möchte Rough vor allem einen
bedeutsamen Wechsel in der Natur des Prozesses politischer Entscheidungstindung
und seiner Inputs in der UdSSR beim Übergang von der Chruschtschow- zur
Breschnew-Ära hervorheben:
,,In der Chruschtschow-Ära sind politische Entscheidungen erheblich durch willkürli-
che Interventionen des Parteiführers bestimmt worden, aber in der Periode Breschnews
... hat es anscheinend eine faktische Machtübertragung vom Parteiführer oder der kol-

35 Vgl. Skilling 1974a, S. 24/25


36 Skilling 1974a, S. 51
37 Hough 1983, S. 48/49
Theoreme von Interessengruppen 291

lektiven Führung (jedoch nicht der endgültigen Entscheidungskompetenz) hin zu einem


differenzierten ,Führungszirkel' gegeben, der sich quer über die Trennlinien zwischen
Staat und Interessengruppen erstreckte ... Ohne die Führungsdiktatur Stalins oder
Chruschtschows war eine bedeutendere Rolle im Politikprozeß stärker als zuvor durch
Kompromisse in einem Bereich begrenzter Anforderungen, durch lnkrementalismus im
Tempo der politischen Veränderungen und der Haushaltszuweisungen charakteri-
siert."38
Roughs Modell läuft faktisch auf ein bürokratisches Modell sowjetischer Politik
hinaus, wo gewissennaßen ein pluralistischer Wettbewerb um Einfluß (Ressour-
cen) zwischen spezialisierten bürokratischen Eliten innerhalb des engen offiziellen
institutionellen Rahmens von Partei und Staat stattfindet und die politische Füh-
rung quasi als Makler zwischen den widerstreitenden Interessenhandelt. Der Autor
merkt interessanterweise selber an, daß es aus politischen Opportunitätsgründen ei-
gentlich besser gewesen wäre, nicht den üblicherweise nonnativ positiv besetzten
Begriff ,,Pluralismus", sondern eher eine nonnativ negative Redewendung wie
"bureaucratic domination" zu benutzen.39
Auf den ersten Blick hin scheint Roughs Modell der Realität des Systems von
Rüstungsentscheidungen in der UdSSR recht nahe zu kommen. Jedoch gerät die
Konzeption des "institutionellen Pluralismus" wie bislang jedes theoretische Mo-
dell des sowjetischen Systems rasch an Erklärungsgrenzen. Skilling weist darauf
hin, daß der Ansatz von Rough den Eindruck hinterläßt, als könnten nur Institutio-
nen Akteure in der politischen Arena sein. Die Rolle sogenannter infonneller
Gruppen, die auch innerhalb der bürokratischen Organe existieren könnten, würde
vernachlässigt.40

Korparatistische Ansätze
Gegen Ende der 70er Jahre legten zwei amerikanische Wissenschaftler einen auf
dem Korparatismus basierenden Modellansatz vor, um die gesellschaftspolitischen
Veränderungen in der Sowjetunion unter Breschnew zu beschreiben und zu erklä-
ren.41 Das Korparatismus-Modell war ursprünglich während der 70er Jahre als al-
ternativer Erklärungsansatz zu pluralistischen Modellen oder Konzeptionenen ei-
ner "herrschenden Machtelite" für fortgeschrittene westliche Industriegesellschaf-
ten entwickelt worden.42 SkiHing ordnet Pluralismus und Korparatismus als alter-
native Versionen der Interessengruppentheorie ein, die ein unterschiedliches Ver-
ständnis der Fonn der gesellschaftlichen Organisierung von Interessen und deren
Repräsentation in der politischen Körperschaft aufweisen.43 -Ein prinzipieller Un-
terschied zwischen dem Pluralismus- und Korparatismus-Modell betrifft die Auf-
fassung von der Rolle des Staates gegenüber den Interessengruppen. Lane be-

38 Rough 1983, S. 52
39 Rough 1983, S. 52
40 Vgl. Skilling 1983 S. 10; vgl. zum Problem eines "sozialistischen Pluralismus" auch
Lane 1985, S. 257-260
41 Vgl. Bunce/Echols 1980, S. 1-26
42 Vgl. als Übersichtsdarstelhmg zum Korporatismus Lane 1985, S. 260-264; vgl. auch
Rough 1983 sowie SkiHing 1983, S. 10/11
43 Vgl. Skilling 1983, S. 10
292 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

schreibt die Differenz zwischen diesen beiden theoretischen Konzeptionen zusam-


menfassend folgendermaßen:
.Jm Unterschied zur Pluralismustheorie, derzufolge es eine Vielzahl miteinander wett-
eifernder Interessen gibt und wo Regierung eine Art Fortschreibung von Interessenkon-
stellationen widerspiegelt, beschäftigt sich der Korparatismus mit einer begrenzten An-
zahl von Grundbausteinen. Sie werden vom ,Staat' akzeptiert und bekommen ein Mo-
nopol über bestimmte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zugewiesen. Im Gegen-
zug beachten sie bei ihren Ansprüchen gewisse Beschränkungen, sie bewegen sich als
Agenten des Staates und sie überwachen ihren Funktionsbereich für diesen."44
Ausgehend von dieser Grundprämisse definieren Bunce/Echols bei ihrem Versuch,
diesen Ansatz auf das Sowjetsystem zu übertragen, als den charakteristischen Kern
des Korparatismus "eine Entscheidungsstruktur, in der größere funktionale Interes-
sengruppen durch den Staat und dessen Führungspersönlichkeiten in den Politik-
prozeß eingebunden werden. "45 In ihren Worten ist Korparatismus bezogen auf so-
wjetische Verhältnisse "ein System von Partizipation und Kooperation ... welches
vom Staat (oder der Partei) koordiniert und eingehalten wird."46 Aufgrund dieser
vom Staat erzwungenen Inkorporation von Interessengruppen nimmt dieser nach
dem Modell von Bunce/Echols auch eine aktive Rolle im politischen Entschei-
dungsprozeß ein:
"Der Staat übernimmt im Entscheidungsprozeß eine aktive Rolle. Er arbeitet mit Grup-
pen zusammen, um Politik zu machen, und agiert keineswegs wie im pluralistischen
Modell als bloßer Interessenmakler; Interessengruppen sind nicht die autonomen, unab-
hängigen Akteure, wie sie der Pluralismus sieht. Eher sind sie mit dem Staat integrativ
verbunden ... Bei den Pluralismusmodellen liegt der Nachdruck auf dem Konflikt, beim
Korparatismus auf Konsens und Kooperation. Gruppen werden ... durch den Staat zu
aktiver Zusammenarbeit zusammengebracht, um für alle mehr zu erreichen... Zumeist
werden nur solche Gruppen eingeschlossen, die als für das Funktionieren des Systems
nötig befunden werden. Somit sind funktionale Interessengruppen, allen voran die Ge-
schäfts- und Arbeitswelt, die Kernstücke eines korporatistischen Systems. . .. Es gibt
zwar noch Konflikte, aber diese werden durch die Ankündigung des Staates gezähmt,
daß alle Seiten etwas bekommen werden und höchstens einige wenige Verlusten hinzu-
nehmen hätten. Somit ist der Korparatismus ein System, in welchem der Konflikt ge-
dämpft, aber nicht beseitigt ist. Gruppeninteressen werden im politischen Prozeß kanali-
siert ... Ein korparatistisches System wird das Ausbleiben von Planung nicht hinneh-
men. Wachstum kann nicht zugesichert, Gesellschaft, die politische Sphäre und die
Wirtschaft können nicht stabilisiert werden und die Machtstruktur kann nicht aufrecht-
erhalten werden, wenn es keine Planung oder andere Formen systematischer Entschei-
dungsfmdung gibt ... Ein korparatistisches System tendiert dazu, ausdrücklich vorgege-

44 Lane 1985, S. 261


45 Bunce/Echols 1980, S. 3
46 Bunce/Echols 1980, S. 18; Schrnitter, ein einflußreicher Exponent des Korporatismus-
Ansatzes, schlug die Differenzierung in zwei Typen von Korparatismus vor: eine "ge-
sellschaftliche" und eine ,,staatliche" Variante, die sich primär durch das Ausmaß staat-
licher Interventionstätigkeit sowie dadurch unterscheiden, ob sich der Prozeß der Inkor-
poration von Interessengruppen in das staatliche System auf einer freiwilligen oder er-
zwungenen Grundlage vollzieht, vgl. dazu Skilling 1983, S. 11; Hough weistjedoch auf
die Ambiguität dieser Unterscheidung hin, insbesondere auf die Schwierigkeit, die Va-
riante des ,,gesellschaftlichen Korporatismus" und den pluralistischen Ansatz auseinan-
derzuhalten, vgl. Hough 1983
Theoreme von Interessengruppen 293

bene Politikziele zugnmde zu legen, und das System ist dazu angelegt, die Erfüllung
dieser Ziele zu gewährleisten."47
Anscheinend spiegelt sich die Realität des politischen Systems der UdSSR - so
weit sie im Westen bekannt ist- in dem Korparatismus-Modell von Bunce/Echols
besser wider als in pluralistischen Ansätzen. Auch Rough sieht gewisse Vorteile
der Korparatismus-Konzeption für die Analyse sowjetischer Politikprozesse und
von Interessengruppenaktivitäten:
"Das Korporationsmodell stellt in mancherlei Hinsicht gegenüber dem reinen pluralisti-
schen Modell einen Fortschritt dar. Es verzichtet auf jedwede Unterstellung von völlig
autonomen Gruppierungen oder von Chancengleichheit für alle Gruppen. Die Betonung
der aktiven Rolle von Regierungsbehörden und Beamten bietet eine nützliche Erinne-
rung an Tatsachen, die die Pluralisten wohl kennen, die sie aber in ihren Vorstellungen
hintanstellen. Das Korporationskonzept unterstreicht einen Wesenszug modernen Re-
gierens - den Versuch, die Wirtschaft so zu leiten, daß sie anhaltendes Wachstum er-
bringt."48
Rough weist verständlicherweise darauf hin, daß die Beschreibung der Sowjet-
union als korporatistisches System eine Reihe von Ähnlichkeiten und Überschnei-
dungen mit seinem Ansatz eines "institutionellen Pluralismus" aufweise.49 So be-
tont auch er die aktive Rolle des Staates im Entscheidungsprozeß wie auch den
Aspekt, daß eine instutionalisierte Artikulation und Organisation von Interessen
nur innerhalb des eng strukturierten und restriktiven offiziellen Rahmens von Par-
tei und Staat stattfindet.
Ein hauptsächlicher Kritikpunkt am Korporatismus-Modell stellt für Rough
allgemein dessen Konzentration auf die Input-Seite von Politik dar.So Darüber hin-
aus kritisieren sowohl Skilling als auch Rough mit Zielrichtung auf die von Bunce/
Echols benutzte Variante eines "staatlichen Korporatismus" die Tendenz zu einer
Überbetonung der Rolle des Staates. Übersehen wird ihrer Ansicht nach die Tatsa-
che, daß der Staat selber in verschiedene Segmente mit unterschiedlichen Interes-
sen zerfällt. Dieser Einwand benennt in der Tat ein bedeutsames Defizit des Kar-
poratismus-Ansatzes und damit verbundene politische Folgekonsequenzen. So
läuft ein Ansatz wie der von Bunce/Echols Gefahr, daß man praktisch über einen
Umweg zu einem "directeJ society model" oder gar einem Totalitarismus-Modell
mit den entsprechenden politischen Schwarz-Weiß-Stereotypen zurückkehrt, wo
der allmächtige Staat (Interessen)Gruppen nahezu vollständig in seinem Interesse
manipuliert.51
Im Zusammenhang mit der zentralen Rolle des Staates im Korparatismus-Mo-
dell taucht bei dem von Bunce/Echols verwendeten Ansatz ein weiteres signifikan-
tes Problem auf. Bunce/Echols definieren überraschenderweise den Staat Sowjet-
union als "den Staat und die Partei"!52 Die Rolle der Partei begreifen sie in diesem
Kontext nicht als die eines gänzlich dominierenden Elements, sondern mehr als
"das aktive, katalytische Element in der Führung und Koordination der diversen

47 Bunce/Echols 1980, S. 4-6


48 Hough 1983, S. 55
49 Vgl. Hough 1983, S. 49
50 Vgl. Hough 1983, S. 55
51 Vgl. Skilling 1983, S. 12, und Hough 1983, S. 47, 56
52 Vgl. Bunce/Echols 1980, S. 7
294 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

Sektoren des Sowjetsystems. "53


Ein derartige Definition des Staates und der Rolle der Partei im Sowjetsystem
kann dazu führen, daß das komplexe und von einem prinzipiellen Konflikt (der
zeitweise tiefgreifende Formen annahm) charakterisierte Beziehungsverhältnis
zwischen Staat und Partei in den Hintergrund gedrängt wird. Vor allem in der
Chruschtschow-Ära wurde der grundlegende Rollenkonflikt zwischen Regierung
und Partei sehr deutlich. 54 Der bis heute virulente Kern des Konflikts bezieht sich
auf die Arbeitsteilung zwischen den Partei- und Regierungsorganen. Die Partei be-
ansprucht die politische Führung gegenüber Gesellschaft und Staat, will jedoch die
damit verbundenen administrativen Funktionen an den Staat und seine Bürokratie
delegieren. In der Realität verdoppeln aber einige Parteiorgane exekutive Funktio-
nen des Staatsapparates, wie z.B. die internationale Abteilung im ZK-Sekretariat.
Auf der anderen Seite sind im Staatsapparat vor allem die Ministerien zwei-
felsohne mächtige administrative und damit zugleich auch potentiell politisch ein-
flußreiche Institutionen, die eigene Interessen verfolgen und "selbstregierende"
Tendenzen aufweisen. Diese institutionellen Eigeninteressen bedingen ein grundle-
gendes Spannungsverhältnis zwischen Partei- und Staatsorganen, das tendenziell
die vollständige Ausübung der politischen Hegemonierolle seitens der Partei ein-
schränkt. Diese Eigeninteressen sind ein wichtiger Faktor bei einer Analyse des
Sowjetsystems.55 Die konzeptionelle Fassung des Staates bei Bunce/Echols be-
rücksichtigt die von divergierenden funktionellen Interessen ausgehenden Span-
nungen sowohl innerhalb des Staatsapparates als auch zwischen ihm und der Partei
bei weitem zu wenig.
Bei der Übertragung des Korparatismus-Modells auf die politisch-ökonomi-
sche Struktur der Sowjetunion stellt sich ein weiteres grundlegendes Problem ein.
Ursprünglich wurde der Korparatismus-Ansatz als eine Konzeption zur Analyse
und Erklärung von Politikprozessen in fortgeschrittenen kapitalistischen Gesell-
schaftssystemen entwickelt Im Korparatismus-Ansatz wird vom Privateigentum
an Produktionsmitteln ausgegangen. Die Wirtschaft im korporatistischen Modell
wird vom Profitmotiv angetrieben. Der Staat hat günstige Rahmenbedingungen für
die Tätigkeit der Wirtschaftsunternehmen zu schaffen. Ökonomische Interessen
weisen mithin in einem korporatistischem Staat eine gänzlich unterschiedliche Be-
deutung auf als im sowjetischen Gesellschaftssystem.56 Profit als ein wesentliches
Antriebsmoment für die Rüstungsindustrie fehlt im sowjetischen System, die
Schaffung günstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen entfällt als Aufgabe des
Staates und der Partei. So stellt sich die Frage, ob ein Modell zur Analyse des So-
wjetsystems benutzt werden kann, welches zuvor seiner wichtigsten Bestandteile
entkleidet werden muß.

Bürokratische Interessengruppenansätze
Andere Forscher haben den Versuch unternommen, den Gruppenansatz mit einem
bürokratischen Modell zu verbinden und dieses Konglomerat für die Analyse des

53 Bunce/Echols 1980, S. 11
54 Vgl. näher Heller/Nekrich 1985, Bd.II, 4. Kapitel
55 Vgl. näher Lane 1985, Kap.?, insbesondere S. 225-232
56 Vgl. auch Lane 1985, S. 262
Theoreme von Interessengruppen 295

sowjetischen Systems nutzbar zu machen. So stellt etwa Fainsod hinter der "totali-
tären Fassade" des Sowjetsystems ein Kräftespiel bürokratischer Interessenpolitik
fest:
"Die Struktur der sowjetischen Bürokratie wird gemeinhin als straff zentralisierte Ver-
waltungshierarchie wahrgenommen, in der jede Initiative und Entscheidungsbefugnis
bei der Führungsspitze liegt, und in der niederrangige Funktionäre als bloße Automaten
für die Ausführung des Willens der herrschenden Gruppierung agieren. Obgleich dieses
Stereotyp die nützliche Funktion haben mag, das hohe Maß an Zentralisation zu unter-
streichen, welches das Sowjetsystem charakterisiert, verzerrt es zugleich die Realität,
indem es das geschmeidige Spiel bürokratischer Politik übergeht, welches hinter der
monolithischen totalitären Fassade abläuft."57
Die Konzeption bürokratischer Politik und der auf Berufsgruppen basierende Inter-
essengruppen-Ansatz weisen Gemeinsamkeiten auf. Beide betonen die auf der
Grundlage von funktionalen Spezialisierungen geformten Partikularinteressen und
Loyalitäten. Als Vorteil des bürokratischen Interessengruppen-Ansatzes hebt War-
nerdessen explizites Beachten der essentiellen Merkmale von Organisationsstruk-
tur, -ideologie und -interessen hervor. Ebenso versucht dieses Analysekonzept die
verschiedenen Mittel und Taktiken zu identifizieren, die die konkurrierenden Orga-
nisationen im bürokratischen Verhandlungsprozeß zur Beeinflussung politischer
Entscheidungen anwenden. Aufmerksamkeit wird auch den spezifischen organisa-
torischen Sozialisationsstrukturen und der Wirkung dieses Faktors auf die Einstel-
lungen der Organisationsmitglieder gewidmet.SS Einen weiteren wichtigen Vorteil
dieses Ansatzes sieht Warner in dem Herausarbeiten der organisatorischen Proze-
duren und Routinen, die den Prozeß der politischen Entscheidungswahl und Imple-
mentation wesentlich beeinflussen:
,,Im älteren Konzept der Interessengruppen fmden Aspekte des organisationeilen Ab-
laufs bürokratischer Politik, die die Bedeutung von Verfahrensmaximen und Prozessen
der Politikumsetzung als maßgebliche Faktoren in Rechnung stellen, keine Vorläufer.
Es stellt eine einsichtige Umsetzung von Konzepten der Organisationstheorie und der
Forschung über öffentliche Verwaltung dar. Der Nutzwert dieses Ansatzes beim Stu-
dium sowjetischer Militärpolitik ist bei den Verfahren zur Waffenbeschaffung beson-
ders deutlich. "59
Ein Modell vom Typ bürokratischer Interessengruppenpolitik erscheint für die
Analyse des Einflußverhältnisses zwischen Partei und Rüstungsindustrie in der
UdSSR und des sowjetischen Waffenbeschaffungsprozesses im Vergleich mit den
anderen vorgestellten Konzepten als das am ehesten geeignete Instrument. Ein sol-
cher Ansatz beschäftigt sich allerdings generell fast ausschließlich mit den Sicht-
weisen und Aktionen der eigene spezifische Interessen verfolgenden bürokrati-
schen Organisationen innerhalb des Partei- und Staatsapparates.
Bedeutung für die Untersuchung der Struktur von Entscheidungsprozessen in
der Außen- und Sicherheitspolitik erlangte diese Konzeption vor allem durch die
wegweisenden Arbeiten von Allison und Halperin über das amerikanische politi-
sche System. Sie zeigten in ihren empirischen Untersuchungen deutlich das büro-

57 Fainsod 1967, S. 417 zitiert nach Warner 1977, S. 4!5


58 Vgl. Warner 1977, S. 6-9
59 Warner 1977, S. 10/11
296 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

kratische Wesen militär-und rüstungspolitischer Entscheidungsvorgänge auf.60


Das Paradigma bürokratischer Interessengruppenpolitik basiert auf einer Reihe
von grundlegenden Annahmen über die Natur des Prozesses politischer Entschei-
dungsfmdung im modernen Nationalstaat (wobei beim Staat zunächst einmal west-
liche Verhältnisse im Blick sind). Ein Kernstück dieses Ansatzes bildet die Prämis-
se, daß nahezu die gesamte Politik des Staatsapparates als Ergebnis eines politi-
schen Konflikts und bürokratischer Verhandlungsprozesse zwischen den größeren
Regierungsinstitutionen und deren verschiedenen Untereinheiten aufgefaßt werden
kann. Eine solche Konzeption von Politikformierung spiegelt eine zentrale Annah-
me der Interessengruppentheorie dahingehend wider, daß politische Entscheidun-
gen das Resultat eines politischen Konflikts zwischen ihrem Eigeninteresse nach-
gehenden Gruppen darstellen.
Die grundlegenden Annahmen des Modells bürokratischer Interessengruppen-
politik faßt Wolfe wie folgt zusammen:
,,Niemand in einer zentralistischen Führung - auch in einem hoch autoritären oder tota-
litären System - verfügt über die Zeit oder die Informationen, um alle für das System
wichtigen Entscheidungen zu treffen. Da die Führungsspitze nicht alle Einzelheiten und
Komplizierungen der Vorgänge, mit denen sie sich befaßt, beherrschen kann, muß sie
sich auf Informationsvorlagen und Bewertungen untergebener Einrichtungen verlassen.
Diese Einrichtungen wiederum folgen den ,Gesetzen' und Gebräuchen von Bürokratien
im allgemeinen: Sie folgen ihren eigenen Koordinationssystemen für Begründungen,
sie haben ihre eigenen Bezugsgruppen zu befriedigen, es gibt angestammte Ansprüche
auf das Budget sowie Verpflichtungen, die aus vorangehenden Programmen erwachsen
sind. Sie neigen dazu, alt eingeführte Verfahren auf neue Probleme anzuwenden, Eigen-
interessen wir ihr Weiterleben und ihr Wachstum parallel mit den ihnen übertragenen
Aufgaben zu verfolgen, usf. Als Teilzentren der Macht im System haben die verschie-
denen Bürokratien einen Anspruch auf Beachtung. Die Art und Weise, wie sie ihre Ar-
gumente vorbringen, und die Professionalität, mit der sie diese vertreten, vermag dazu
beizutragen, die Präsentation von Vorlagen vor der Führungsspitze zu verfeinern, so
daß in gewissem Sinne ihre politischen Optionen schon eingeengt worden sind, bevor
sie Gegenstand von Entscheidungen werden."61
Über die Betonung der Auswirkungen bürokratischer Einflüsse auf den politischen
Entscheidungsprozeß hinaus v:ird diesem Modell zufolge die politische Führung
nicht als homogene Gruppe aufgefaßt, die mit einer einheitlichen Einstellung die
ihr zur Entscheidung vorgelegten Programme behandelt. Vielmehr geht man in
diesem Ansatz davon aus, daß die einzelnen Mitglieder der herrschenden Machte-
litedifferierende Interessensverbindungen (sowie enge persönliche Kontakte) mit
den verschiedenen um Ressourcen konkurrierenden bürokratischen Interessengrup-
pen haben. Die politische Führung ist demnach vorrangig mit internen politischen
Einflußmanövern bei ihren Mitgliedern beschäftigt. Ihre Funktion konzentriert sich
primär auf das Zustandebringen von Kompromissen, wobei dann als Folge solcher
Strukturen die getroffenen Entscheidungen zuweilen nicht sehr rational ausfal-
len.62
Ein differenziertes Modell schlägt Hammer vor, für welches er den Begriff
"bürokratischer Pluralismus" prägte. Der Ansatz von Hammer weist große Ähn-

60 Vgl. Allison 1973 und Halperin 1975


61 Wolfe 1973, S. 29
62 Vgl. Wolfe 1973, S. 30
Theoreme von Interessengruppen 297

lichkeiten zu der zuvor schon näher geschilderten Konzeption eines "institutionali-


sierten Pluralismus" von Hough auf, der faktisch gleichfalls ein bürokratisches
Modell sowjetischer Politik entwickelt hat.
Der Autor beschreibt das politische System der UdSSR hauptsächlich als von
verschiedenen und konfligierenden bürokratischen Interessen bestimmt, in wel-
chem die Ministerien und der Parteiapparat die primären Interessengruppen dar-
stellen. Charakteristische Merkmale bürokratischer Interessengruppen sind nach
Hammer folgende:
"Eine Bürokratie, die wie eine Interessengruppe agiert, wird eine komplexe Organisa-
tion sein (typischerweise ein Ministerium), die eine auf Dauer eingerichtete Institution
bildet, welche strukturell von der politischen Führung abgesondert wirkt. Der Führung
bleibt sie unterstellt, aber sie erzeugt Dienstleistungen, welche das Regime als nützlich
erachtet ... Die Interessen einer solchen Organisation, wie sie von den führenden Funk-
tionsträgem begriffen werden, wird man ,bürokratische Interessen' nennen dürfen."63
Gegenüber der Konzeption von Hammer merkt Skilling kritisch an, daß dieser den
Stellenwert sogenannter informeller Gruppen gering ansetze und daß er das Ge-
wicht informeller Assoziationen, die obendrein innerhalb der bürokratischen Orga-
nisationen existieren könnten, gleichfalls zu gering ansetze. Die Betonung liege zu
sehr auf Verwaltungsorganisationen und Konflikten zwischen diesen, wodurch In-
teressengruppenpolitik faktisch auf die Organe des Staats- und Parteiapparats be-
schränkt werde. Darüber hinaus wird nach Ansicht von Skilling der Stellenwert
und die Aktivität von Berufsgruppen wie Wissenschaftlern, die auch innerhalb der
"offiziellen Kanäle" wirken, vernachlässigt.

8.4 Ein militärisch-industrieller Komplex?

Im Vordergrund der engeren Debatte theoretischer Natur über die Triebkräfte so-
wjetischer Rüstung im Westen stand in der Vergangenheit die Frage, wie sich mit
der analytischen Figur des "Militär-Industrie-Komplexes" erkenntniskräftig Reali-
tät in der UdSSR abbilden ließe. Die Debatte wurde wesentlich ausgelöst durch ei-
nen Aufsatz von Vernon V. Aspaturian, der schon im Auftakt zu Differenziertheil
und Vorsicht rät ("Im Falle der Sowjetunion ist bei Gebrauch dieses Begriffes Vor-
sicht angeraten, da die Möglichkeiten der empirischen Überprüfung noch geringer
sind als in den USA").64 Aspaturian definiert theoretisch den Begriff für die So-
wjetunion wie folgt:
"Das Militär, die Industrie und hochstehende Persönlichkeiten des politischen Lebens
bilden eine bewußte und symbiotische Interessenkongruenz; das gemeinsame Einfluß-
potential dieser Kräfte reicht aus, auf Kosten anderer gesellschaftlicher Gruppen in der
Sowjetunion Entscheidungsprozesse gemäß ihren Interessen zu steuern."65
Das ist bei näherem Betrachten eine sehr grobe Vorgabe: "Das Militär", die Millio-
nen Militärangehörigen der Sowjetunion, werden kaum auf diese Weise greifbar
sein. Gemeint sind, verständnisvoll interpretiert, allenfalls die Spitzen der Militär-
hierarchie. Ähnlich politologisch fragwürdig fallt der zweite Baustein aus: "die In-

63 Hammer, zitiert nach Skilling 1983, S. 9


64 Aspaturian 1979, S. 231
65 Aspaturian 1979, S. 231
298 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

dustrie". Wer ist schon "die Industrie"? Es wird sich um bestimmte Industriezwei-
ge handeln, und bei denen wohl doch nicht um die Arbeiter im blauen Kragen, son-
dern um gewisse Führungseliten. Geht man die Arbeit von Aspaturian in dieser
Akribie durch, so zerfällt der Text rasch und enthüllt eine Anzahl nicht ausgewie-
sener Verallgemeinerungen, nicht nachvollziehbarer Wertungen und frei schwe-
bender Schlußfolgerungen. Was sind etwa in der angeführten Kernstelle "hochste-
hende Persönlichkeiten des politischen Lebens"? Hier zielt Aspaturian auf eine
Teilmenge, ohne diese genauer zu umreißen. Mit dem Begriff einer "bewußten" In-
teressenkongruenz läßt sich etwas anfangen, aber was ist mit dem gemeinhin auf
die Verbindung zwischen Krebs und Seeanemone gezielten Bild der Symbiose ge-
meint? Und wie soll der Leser einen Begriff davon bekommen, was "das gemein-
same Einflußpotential" dieser Kräfte sein soll?
Die Sachlage wird dadurch analytisch nicht verändert, daß im Zuge des
"Neuen Denkens" nunmehr kritische Bürger der Sowjetunion in ihrem Lande die
Existenz eines "Militärisch-Industriellen Komplexes" beklagen. Am entschieden-
sten ist bislang der Physiker Sergej P. Kapitza (Professor am Institut für Probleme
der Physik der Akademie der Wissenschaften in Moskau) in dieser Hinsicht her-
vorgetreten, der die Kritik Präsident Eisenhowers am amerikanischen Militär-Indu-
strie-Komplex direkt auf sowjetische Verhältnisse anwendet.66
Diese beckmesserischen Rückfragen sollen dem Leser lediglich indizieren, wie
schnell theoretische Vorgaben in bezog auf die sowjetische Gesellschaft zerfallen,
überträgt man sie auf die Realität. DieReichweite der Begriffe, ihre konkrete V er-
ortung wird in der theoretischen Literatur (die dann so sehr theoretisch gar nicht
mehr erscheint) kaum angegeben. Aspaturian geht dankenswerterweise einen
Schritt weiter:
,,In einem engeren Sinne impliziert dieser Begriff (vom militärisch-industriellen Kom-
plex, U.A.) eine verflochtene und interdependente Interessenstruktur zwischen Angehö-
rigen des Militärs, der Industrie und der Politik, welche diese einerseits in die Lage ver-
setzt und andererseits dazu zwingt, als spezifischer, monolithisch strukturierter Hand-
lungsträger losgelöst von individuellen Komponenten zu agieren."67
Was immer ein "engerer Sinn" oder demgegenüber "weiterer Sinn" für denselben
Gegenstand meinen mag, auffällig bleibt die Weichheit der Ableitung ("impliziert
dieser Begriff ..."), der dann sehr kategorische Aussagen folgen. Zum einen trifft
Aspaturian mit dieser Feststellung die Aussage, daß dieses Ganze erneut mehr als
die Summe seiner Anteile sei, der "Angehörigen des Militärs" (aha, dieses nicht
mehr als Ganzes, aber es sind doch wohl hervorgehobene Angehörige), und der In-
dustrie (dto., und der Politik). Diese werden, auf logisch-schrullige Weise, "einer-
seits in die Lage versetzt und andererseits dazu (gezwungen)" - wie immer der ge-
plagte Leser dies verstehen mag - als "spezifischer, monolithisch strukturierter
Handlungsträger'' zu agieren. Das Elend dieser spekulativen Theorieversuche wird
in ihren Übertreibungen sichtbar: Wieso muß denn eine solche Dreiecksbeziehung
gleich "monolithisch", wie aus einem Stein gehauen, wie ein Menhir oder Obelisk

66 Schriftlich hat Kapitza seine Kritik neuerlich vorgelegt in einer der bekannten Freitags-
vorlesungen der Royal Institution in London am 29. Aprill988 sowie vor der Pugwash-
Konferenz in Sotschi/UdSSR, 29. August- 3. September 1988, "Science and the Arms
Race", Papier XXXVIII/P 45
67 Kapitza 1988
Ein militärisch-industrieller Komplex? 299

strukturiert sein- genügt es nicht, sozialwissenschaftlich mutmaßlich zutreffender,


eine hochgradige Konvergenz von Interessen festzustellen? Aspaturian treibt
schlechte Theorie, wenn er sogleich nach der Vorstellung seines theoretischen
Konzeptes vom monolithischen Militär-Industrie-Komplex feststellt, daß ein sol-
cher zugegebenerweise nirgendwo anzutreffen sei, während eine andere, diffusere
Ausformung vom selben Problem "wahrscheinlich in jedem Land existiert".68 Was
nun denn, sollte der verwirrte Leser fragen, ist die Rede von einer Konfiguration,
wie sie besonders in Rüstungsländern anzutreffen ist, oder ist von einem sozialwis-
senschaftliehen Wechselbalg die Rede, der von Albanien bis Zaire, "wahrschein-
lich in jedem Lande" anzutreffen ist? Letzterer wäre ein Nullum. Aspaturian ent-
scheidet sich für eine gummiweiche Zwischenlösung:
,,In der Sowjetunion existiert ein militärisch-industrieller Komplex, der über die erste
Definition (die weiche, U.A.) weit hinausgeht und etwas hinter der zweiten zurück-
bleibt, also in einem Kontinuum irgendwo zwischen diesen beiden Polen anzusiedeln
ist."69
Die theoretische Aussage endet im Leeren: Laut Aspaturian gibt es eine Dreiecks-
beziehung zwischen hochrangigen Militärs, Industriellen und politisch Verantwort-
lichen, deren genauere Eigenart, so ist fairerweise fortzusetzen, nicht theoretisch,
sondern empirisch zu bestimmen ist.
In den vorangehenden Seiten ist tatsächlich verschiedentlich von der intimen,
auf die wechselseitigen Eigenarten Obacht nehmenden Kooperation zwischen Ver-
tretern der drei Gruppierungen zu berichten gewesen. Daß diese allerdings eine
herausgehobene Stellung einnahmen, die ihrer wechselhaften Zusammenarbeit eine
unabhängig von der politischen Prioritätsvorgabe überschäumende Durchsetzungs-
fähigkeit verliehen hat, ist mitnichten den empirischen Partien zu entnehmen ge-
wesen.
Auch die Einzelzüge, wie sie Aspaturian anführt, retten das Konstrukt nicht.
"Der sowjetische Militär-Industrie-Komplex besteht aus einer Koalition verschiedener
Institutionen und Gruppen, die vorwiegend in den ideologischen sowie in den Sicher-
heits- und Produktionsgütersektoren angesiedelt sind."70
Die Chiffre "lnteressenkongruenz", welche zuvor das Beiwort "monolithisch" be-
kam, ist nunmehr durch die Formel "Koalition" ersetzt - was sicher nicht zum en-
geren Verständnis des Gemeinten beiträgt. Daß der Militär-Industrie-Komplex in
der UdSSR "in den ideologischen sowie in den Sicherheits- und Produktionsgüter-
sektoren" angesiedelt sei, muß den strapazierten Leser zusätzlich verwirren. Was
ist der "ideologische" Sektor, was der Sicherheitssektor (der KGB?), neben dem
doch einigermaßen bekannten Produktionsgütersektor? - Die Einzelausführungen,
die Aspaturian im folgenden trifft, daß es gemeinsame Grundpositionen zwischen
den Säulen des Dreiecks gäbe usf., sind durchaus überzeugend, nur leidet das Kon-
strukt von vomherein an der flauen, nicht hinreichend reflektierten Vorgabe. Aus
schwer ersichtlichen Gründen differenziert Aspaturian hernach den Industriepfeiler
seines "Komplexes" in der Ausführung erneut: Neben "dem Komplex der Verteidi-
gungsindustrie" (die apologetische Formel im US-Sprachgebrauch, die Rüstungs-

68 Aspaturian 1979, S. 232


69 Aspaturian 1979, S. 232
70 Aspaturian 1979, S. 238
300 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

industriesei eine "Verteidigungsindustrie", wird interessanterweise auf die Sowjet-


union übertragen) steht die "Schwerindustrie".
Egbert Jahn hat solchen weitschweifigen Thematisierungen des Rüstungskom-
plexes in der Sowjetunion eine offene Kritik gegenübergestellt71 Zunächst fallt
der Autor vorschnell einer Mutmaßung über die Motive der verschiedenen Autoren
zum Opfer (so sollen "die bürgerlichen Analytiker der Sowjetgesellschaft politisch
weitaus konservativer" sein "als ein Gutteil der bürgerlichen Sozialwissenschaft-
ler" - warum denn?).
Jahn nimmt zentral den Text von Aspaturian an ("die einzige detaillierte Erör-
terung des sowjetischen MIK"), und stellt zunächst überzeugend fest, daß es eine
"grundsätzliche Schwierigkeit des Interessengruppen-Ansatzes" gäbe, eine "theo-
retisch begründete" Defmition für die Abgrenzung von Gruppen und Untergruppen
zu geben. So gelangt Jahn notwendig zu der Frage, ob statt des militärisch-indu-
striellen Komplexes als Gruppenansatz nicht Militarismus zu thematisieren ist (oh-
ne allerdings hier weiter voranzuschreiten).
Einer späteren Schrift von Jahn läßt sich ein weiteres Argument gegen die The-
se vom militärisch-industriellen Komplex entnehmen. Die Partei wachte mit Ar-
gusaugen auch und gerade hier über ihre Monopolstellung:
"Vom Anfang an wurde im bürokratischen Sozialismus die Gefahr einer Verselbständi-
gung des Militärs gegenüber der revolutionären Politik ernst genommen, wobei das
Vorbild der Militärdiktatur Napoleon Bonapartes als des Erben der Jakobinerherrschaft
in der französischen bürgerlichen Revolution zur Warnung diente."12
Aufgrund der Dominanz des Militärsektors (die er nicht näher studiert) kehrt Jahn
vielmehr die Fragestellung um: Es
,,kann in der Analyse der bürokratischen Gesellschaft allenfalls darüber gestritten wer-
den, ob es überhaupt einen zivil-industriellen Komplex mit eigenständigen politischen
Interessen, abgesondert vom Primat der militärischen Landes- und Revolutionsverteidi-
gung gibt oder schon gibt."73
Besonders der Schluß des Zitates verweist auf immanente Möglichkeiten zur Alter-
native, die Jahn lange vor dem Aufstieg Gorbatschows andeutet ("Das Problem der
Optimierung bzw. Maximierung der militärischen Verteidigungsanstrengungen
(muß) ... von der Frage der außenpolitischen Aggressivität und des militärischen
Expansionsdranges deutlich getrennt werden. Ein hoher Grad der Militarisierung
einer Gesellschaft kann durchaus mit einer entschieden defensiven, am territorialen
und internationalen Status quo orientierten Außenpolitik verknüpft sein").74 Wenn
wissenschaftliche Bemühung um das Verständnis eines komplizierten Gegenstan-
des, der UdSSR, im Gegensatz zu den sich über das Phänomen Gorbatschow über-
rascht zeigenden konkurrierenden Ansätzen erwiesenermaßen prognostische Quali-
täten aufweist, dann sollte dieser Umstand die Auswahl eben des Paradigmas, hier
der Globalthese von der Bürokratisierung politischer und gesellschaftlicher Vollzü-
ge, begünstigen- so deskriptiv und inhaltsleer die Formel ansonsten in theoreti-
scher Hinsicht ausfällt.

71 Jahn 1979, s. 163-188


72 Jahn 1982, S. 172
73 Jahn 1982., s. 174
74 Jahn 1982, s. 174
Ein militärisch-industrieller Komplex? 301

Einen weiteren Ansatz, den sowjetischen Militär-Industrie-Komplex zu be-


stimmen, versucht David Holloway. Er konzidiert, daß die Sowjetunion "sicherlich
eine große Rüstungsindustrie und starke Streitkräfte" besitzt, und daß die Verbin-
dungen zwischen beiden "eng und zahlreich sind".75 Aber die bloße Existenz sol-
cher Institutionen, und darin ist ihm zu folgen, bedinge nicht, daß sie die Politik
bestimmen können. Holloway verweist besonders auf Stalin, dessen Verhalten
eben anders zu erklären sei. Holloway stellt sich dann die Frage, "ob die Machtver-
teilung nach Stalins Tod diese Beziehung verändert hat" ,76 Er bejaht dies, jedoch
nicht in dem Maße, daß die Partei an Einfluß verloren hätte. Holloway gelangt zu
der These, daß es "für das Militär .. wesentlich wichtiger (ist), Verbündete in der
Parteiführung zu haben als im Rüstungsbereich".77 Diese Feststellung sei unterstri-
chen, sie deckt sich mit vielen Funden in den vorstehenden Teilstudien.
Im Ergebnis verbindet sich mithin der Maximalismus jeder Generalität, ihre
Sicherungsaufgabe im Übersoll zu erfüllen, mit der Taktik der Führung und der
unbeschränkten Willigkeit von Rüstungstechnikern, Waffen immer weiter zu ent-
wickeln, zu dem, was man möglicherweise einen militärisch-rüstungstechnischen
Komplex nennen könnte. Im Vergleich mit amerikanischen Verhältnissen fehlt
freilich das zentrale Mittelstück, eine politisch stark engagierte Rüstungsindustrie,
getragen von (privaten) Gewinnmotiven. Von den Managern der Waffenfertigung
ist, so der empirische Befund, kaum die Rede, diese sind im sowjetischen System
zweit- oder gar drittrangig. Die Dynamik des sowjetischen Rüstungskomplexes ist
anders zu beschreiben als beim amerikanischen Gegenstück. Sowohl bei den Mili-
tärs wie bei Politikern und Ingenieuren ist in der UdSSR diese Dynamik erheblich
außengeleitet Der Blick auf das, was in den USA geschieht (oder geschehen könn-
te), treibt in sehr abhängiger Weise die sowjetische Rüstung voran. Dies heißt
nicht, daß man dem sowjetischen Selbstbild vom ewigen Konterkarieren amerika-
nischer Technologiebestrebungen zustimmt. Die These besagt lediglich, daß das
Triebmoment sowjetischer Rüstung wesentlich mehr als im Westen ein außengelei-
teter Faktor bleibt, nämlich die (mit Fehlern durchsetzte) Wahrnehmung dessen,
was der Hauptrivale tut.
Diese Verfolgungsbemühung, so das wesentliche Ergebnis der empirischen
Studien, bleibt getragen von einem Dauergefühl der Unterlegenheit besonders auf
technologischem Gebiet. Wenn die allgemeine Technologieüberlegenheit des We-
stens ohne Kosten oder mit geringem Aufwand genutzt werden kann, erlaubt sich
die sowjetische Rüstungstechnik nach wie vor Kopien. Das Kopieren ausländischer
Konstruktionen ist in der Frühphase der sowjetischen Rüstungsfertigung zu finden,
es ist in der Nachkriegszeit nachweisbar und es läßt sich bis heute in der Mikro-
chip-Technik und bei komplizierten elektronischen Geräten nachweisen.
Mit Vehemenz wurde zu Zeiten die These diskutiert, ob ein so umrissener
"Militär-Rüstungstechnologie-Komplex" in der UdSSRaufgrund eigener Triebmo-
mente daherkommt, oder aber ob er eng an der Leine der Partei geführt wird. In
der Redeweise Mao Tsetungs: Kommandiert die Partei die Gewehre, oder ist es
umgekehrt?
Die Frage ist dem Sowjetsystem unangemessen gestellt. Partei- und Rüstungs-

75 Holloway 1983b, S. 146


76 Holloway 1983b, S. 146
77 Holloway 1983b, S. 146
302 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

spitzen (Generäle oder Ingenieure) verhalten einander zu ähnlich, haben zu sehr


gleichlaufende Interessen, ja finden sich in beiden Positionen (sowjetische Gene-
räle haben, anders als ihre westlichen Kollegen, häufig hohe Parteiämter), sie fun-
gieren zu sehr gemäß denselben Prinzipien von Kontinuität und Hingabe zur Auf-
gabe der Bewahrung der Sowjetmacht, als daß es zweckmäßig wäre, danach zu fra-
gen, welche von beiden Gruppierungen diesen Zielen näher stünde. Allerdings ist
Holloway,78 dem mit dieser Beschreibung gefolgt wird, in der Schlußfolgerung zu
widersprechen. Holloway greift erneut zum Bild der Symbiose vom Einsiedler-
krebs und Seeanemone, "die das Überleben unter widrigen Außenbedingungen si-
chert". General und Parteifunktionär oder Chefkonstrukteur unterscheiden sich
aber eben nicht wie der Krebs und die Seeanemone, sondern sind einander viel zu
ähnlich. Zwar ist Holloway zu folgen, daß es unwahrscheinlich sei, daß je in der
UdSSR eine Militärdiktatur errichtet wird. Daß aber nicht, weil sehr verschiedenar-
tige Kräfte gemäß dem Theorem vom Militär-Industrie-Komplex sich gruppenhaft
vereinen, sondern eben weil die Akteure einander so ähnlich sind, weil die Militärs
faktisch so an der Macht beteiligt sind, daß auch ihre förmliche Diktatur wenig an
der Umsetzung ihrer Interessen verändern würde.
Verständlicherweise gibt es auf sowjetischer Seite keine amtliche Aussage zu
der Frage, ob man einen Militär-Industrie-Komplex im Lande habe. Zwar ist auch
in Parteidokumenten etwa von Agro-Industriellen Komplexen, industrieförmigen
Produktionsstrukturen in der Landwirtschaft, die Rede,79 und im Rat für Gegensei-
tige Wirtschaftshilfe stehen "Komplexprogramme" in hohem Ansehen. Die Formel
vom Komplex, bezogen auf die Rüstung, wird jedoch öffentlich ausschließlich auf
kapitalistische Verhältnisse bezogen. 1969 sprach, viele folgende sowjetische Tex-
te damit beeinflussend, der Erste Sekretär der KPdSU, Breschnew, in gänzlich an-
derer Weise als im Westen üblich vom Militär-Industrie-Komplex:
,,In den höchst entwickelten kapitalistischen Ländern wächst schnell der Einfluß des so-
genannten militärisch-industriellen Komplexes, das heißt, des Bllndnisses der größten
Monopole mit der Militärclique im Staatsapparat. Dieses unheilvolle Bllndnis übt einen
wachsenden Einfluß auf die Politik vieler imperialistischer Staaten aus, macht sie noch
reaktionärer und aggressiver."80
In der sogleich nach dem Breschnew-Wort einsetzenden Anwendung und Entfal-
tung dieses Konzeptes wird rasch sichtbar, daß es sich vorrangig um eine Modifi-
kation der Monopolgruppen-Theorie handelt Autoren aus der DDR thematisieren
vor allem die Bundesrepublik mit diesem Ansatz.Sl Später erstarrt die Verwendung
dieses Konzeptes in einer Haltung polemischer Kritik an westlichen Verhältnissen.
Dabei ist nicht auszuschließen, daß bei den Stichworten "Militärclique im Staats-

78 Holloway 1983b, bes. S. 159/160.- Vgl.auch Jahn 1982, S. 172


19 Vgl.: ,,Eine unbedingte Voraussetzung für den sozialökonomischen Fortschritt ist die
weitere Stärkung und Erhöhung der Effektivität des Agrar-Industrie-Komplexes." Pro-
gramm der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, ll., Die Wirtschaftsstrategie der
Partei, in der auf dem XXVII. Parteitag der KPdSU im März 1986 angenommenen
Neufassung. Dt. Übersetzung nach: 27. Parteitag der KPdSU, Sowjetunion zu neuen
Ufern?, Dokumente und Materialien, mit einer Einleitung von Gerd Meyer, Düsseldorf
(Brücken), o.J. (1986), S. 205.
80 Breschnew 1969, S. 10
81 Vor allem Engelhardt/Heise 1974
Ein militärisch-industrieller Komplex? 303

apparat" und bei dem Verweis auf große Rüstungsfertiger (bei Breschnew "größte
Monopole") durchaus der Gedanke an eigene sowjetische Verhältnisse naheliegt
Dann ist die "unheilvolle" Wirkung auf Politik durchaus auch im sowjetischen Be-
reich möglich. Es könnte sein, daß die jüngste innersowjetische Debatte über die
Außenpolitik der vergangeneo Jahre auch zu dem Punkt kommt, die Interessenver-
knüpfung zwischen Rüstungsapparat und "Militärclique im Staatsapparat" in der
vergangeneo auswärtigen Politik zu untersuchen.
Unabhängig von der sowjetischen Zurückweisung erscheint der Vorschlag,
analytisch die mögliche Eigendynamik des sowjetischen Rüstungssektors durch die
Verwendung des Theorems vom Militär-Industrie-Komplex zu fassen, als nicht
weiterführend, vertiefte Einsichten nicht fördernd, sondern diese eher behindernd.
Zu sehr liegt die Machart auf der Hand: Von dem, was im Alltag des sowjetischen
Rüstungsbetriebes ausmachbar ist, sind noch am ehesten die beteiligten Akteure
und ihre Gruppenzugehörigkeit identifizierbar. Aus Mangel an Informationen über
ja durchaus mögliche Reibereien sogleich auf eine weitgehende Interessenharmo-
nie zu schließen, wie sie besonders das Bild der Symbiose nahelegt, erscheint dann
aber doch als vorschnell. Ergebnis unserer Untersuchung ist vielmehr, daß vom
Professionalismus der Beteiligten, von der ideologischen Orientierung her, die ih-
nen vorgegeben wird, es zu einem vergleichsweise kooperativen Verhalten der be-
teiligten Akteure kommt. Dessen Wandel zu studieren sind aber andere theoreti-
sche Vorgaben als die vom Militär-Industrie-Komplex offenbar geeigneter.
Trotz aller analytischen Defizite kann dem Theorem vom Militär-Industrie-
Komplex in der UdSSR ein weiteres langes Leben vorausgesagt werden. Zu treff-
lich eignet sich diese spröde Figur von Gesellschaftsanalyse für politische Pole-
mik. Es überrascht nicht, wenn ein durch analytische Beiträge ansonsten nicht auf-
fälliger Beiträger zur Debatte, das Pentagon, eben in der Sowjetunion einen Mili-
tär-Industrie-Komplex am Wirken sieht. Jüngst faßte Frau Major Early, im Nach-
richtendienst des Strategischen Bomberkommandos tätig, diese Ansichten zusam-
men:
"Der Militär/Industrie-Komplex ist dort drüben die Nummer Eins der nationalen Indu-
striezweige. Er wird fortwährend technologisch voran und immer weiter voran getrie-
ben."82
Interessant an der Begründung von Frau Major Early ist, daß sie sich in reinen
Technizismen ergeht. Die Sowjets hätten den größten Windkanal der Welt gebaut,
sie betrieben die größten Schmiede- und Strangpressen der Welt Der erstaunte Le-
ser mag einwenden, daß große Pressen eventuell auch für andere Zwecke, für Bau-
teile in Schiffswerften oder Kernkraftwerken, verwendet werden könnten. Frau
Early und das Strategische Bomberkommando bleiben freilich von den militäri-
schen Anwendungen überzeugt. Die Sowjets seien heute führend in Schweißtech-
nologien wie dem ,,Electroslag"-Verfahren (man hofft, Frau Early weiß, was diese
Bezeichnung bedeutet) oder der Nutzung von Plasmabogenschmelztechniken zur
Erzeugung von Hochleistungslegierungen.

82 Soviet Union Experiencing Lengthy Acquisition Times, in: Aviation Week & Space
Technology vom 2.5.1988, S. 105. Wer ungläubig bleibt, erhält Zugaben. Militärisch
relevant sei, daß die SU nunmehr den Weltstandard in der Formung von Metallblechen
erreicht habe, daß sie "Weltklasse-Neuerungen" im Elektronenstrahlschweißen, im Bo-
genpulsschweißen, im Elektrogasschweißen eingeftlhrt habe.
304 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

8.5 Fazit

Skilling hat mit einer spezifischen Kritik deutlich auf die Grenzen der Übertragung
des Interessengruppen-Modells auf die UdSSR hingewiesen, die auf andere Ansät-
ze übertragbar bleibt: Der Interessengruppenansatz würde kein vollständiges Mo-
dell zur Erklärung des politischen Systems der UdSSR oder des Entscheidungspro-
zesses in diesem liefern. Eine Interpretation der sowjetischen Politik ausschließlich
in Begriffen von Interessengruppen und Gruppenkonflikten sei mit der Anwen-
dung der Interessengruppentheorie nicht beabsichtigt gewesen. Vielmehr sollte mit
diesem Ansatz die Aufmerksamkeit auf einen in der Forschung vorher vernachläs-
sigten wichtigen Aspekt sowjetischer Politik gelenkt werden. 83
Keiner der durchgesehenen Ansätze, so ein erstes Fazit, erweist sich als so er-
kenntniskräftig, daß er andere überflüssig macht. Allerdings verfallen einzelne
Vorschläge- aus der Totalitarismusdebatte, aus der Diskussion über militärisch-
industrielle Komplexe - dem Verdikt, Einsicht eher zu behindern als zu fördern.
Der Prozeß der technologischen Entwicklung und Produktion von Rüstung
führte auch in der UdSSR aufgrund der prinzipiellen Übernahme westlicher Rü-
stungsstrategien zu einer steigenden Komplexität und Diversifikation von Waffen-
systemen. Diese Entwicklung zog zwangsläufig eine parallele Vergrößerung und
Differenzierung der mit Rüstung befaßten sowjetischen Institutionen nach sich und
bewirkte gleichzeitig, daß das Gewicht dieser Organisationen (rüstungsindustrielle
Ministerien und die ihnen unterstehenden Forschungsinstitute und Konstruktions-
büros sowie Fertigungsbetriebe) und bürokratische Einflußphänomene in dem zeit-
lich länger und komplexer werdenden rüstungspolitischen Entscheidungsprozeß
der UdSSR zunehmen. Auf diesen Sachverhalt weist Alexander in seiner detaillier-
ten Fallstudie über Entscheidungstrukturen bei der sowjetischen Waffenbeschaf-
fung hin:
"Der langwierige und komplizierte Ablauf der Waffenbeschaffung, die große Trägheit
und der schiere Überlebenswille von Organisationen und deren Bewegungsmuster si-
chern, daß die Resultate dieser Prozesse erheblich von den beteiligten Bürokraten, ihren
Zielen und V erfahren beeinflußt wurden. Diese Einflußmacht rührt aus der Macht der
Organisationen in bezug auf Informationen, der Bildung von Handlungsalternativen,
der Realisierung von politischen Alternativen."84
Für eine abschließende Einschätzung des Erklärungswertes des Interessengruppen-
Ansatzes und seiner verschiedenen Modellvarianten für das politische System der
Sowjetunion ist auf ein treffendes Resümee von Skilling zu verweisen:
,,Der Interessengruppenansatz hat zumindest eines seiner Ziele nicht erreicht - nämlich
zu einer allgemeinen Theorie der Gruppen in der Politik beizutragen.... Der Umstand,
daß Sowjetotogen verschiedene Ansätze der Politikwissenschaft auf die Sowjetunion
anwendeten, hat das Verständnis dieses politischen Systems und der Rolle von Interes-
sengruppen darin eher behindert als befördert. Das Totalitarismusmodell, auch das au-
toritärer Herrschaft, schließt fast schon von den Prämissen her die Möglichkeit von In-
teressengruppen aus, was verständlicherweise konkrete Untersuchungen zu diesem Ge-
genstand entmutigte. Die Modelle von Bürokratien und Institutionen, welche amtlich
vorgegebene Strukturen nachzeichnen, lenken die Aufmerksamkeit des Analytikers
weg von lockeren, nichtorganisierten und anderen Gruppierungen. Das pluralistische

83 Vgl. Skilling 1974a, S. 30, und Skilling 1983, S. 5


84 Alexander 1978a, S. 2
Fazit 305

und das korporatistische Modell unterstellen eine größere Beteiligung von Interessen-
gruppen und gesellschaftlichen Organisationen, als dies verifizierbar ist. Andererseits
zeigen empirische Studien ... die Nützlichkeit des Interessengruppenansatzes beim Stu-
dium sowjetischer Politik."85
Generell ist festzuhalten, daß kein theoretisches Modell die komplexe Realität ei-
nes Gesellschaftssystems und der in diesem ablaufenden politischen Prozesse voll-
ständig fassen und abbilden kann. Die Nützlichkeit der Formulierung von neuen
Modellen sieht Rough eher in der Förderung eines Verständnisses derjenigen Phä-
nomene und Beziehungsverhältnisse, die in der Vergangenheit wenig beachtet und
verstanden wurden, indem dadurch Fragen aufgeworfen werden, die zu neuer und
produktiver Forschung führen. Von solch einer Perspektive betrachtet, ist die Un-
vollständigkeit eines Modells nicht notwendigerweise ein Nachtei1.86
Abschließend sind einige Feststellungen zur Reichweite der theoretischen Be-
mühungen angemessen. Obwohl die, wie die Griechen dies formulieren, "Theo-
rie", die reine Sicht der Dinge, für uns einen hohen Stellenwert einnimmt und mit
ihr dieser Band abgeschlossen wird, sind doch zu viele Beschränkungen und Vor-
behaltsklausein zu berichten gewesen, als daß eine unumschränkte Entscheidung
für einen der referierten Ansätze möglich wäre. Im Gegenteil haben uns gerade
Autoren, die sich zur Beschränkung der Erklärungskraft ihrer Ansätze äußern, be-
sonders Skilling, mehr überzeugt als andere, die mit breitem Geltungsanspruch an-
treten. Eine allgemeine theoretische Formel zur Erklärung der Sowjetgesellschaft
oder gar ihres heutigen Wandels kann und wird es nicht geben.
A priori bleibt feststellbar, daß ein Teil der vorgeführten Theorieansätze nur
beschränkten Wert bei der Untersuchung sowjetischer Verhältnisse haben konnte.
Zu offenkundig ist ihre Ableitung aus westlichen Verhältnissen. Die Unterschei-
dung von Gruppen sowie die Unterstellung, diese verfolgten ihre Interessen in ih-
rem Umfeld, spiegelt ein liberales Vorverständnis von Gesellschaft wider, welches
in der Realität der Sowjetunion wenig Entsprechung findet. Natürlich lassen sich-
wie ausführlich in diesem Kapitel eruiert - auch im Sowjetsystem Gruppen identi-
fizieren und kategorisieren. Daß diese aber ein spezifisches Verhalten zeigen, gar
wie immer zu beschreibende Interessen verfolgen und zu diesem Zwecke gar
dauerhafte Koalitionen (welch befrachteter Begriff!) bilden - all das ist zu sehr
Übertragung westlicher Ansätze, mühsame Verifikationsanstrengung in der So-
wjetgesellschaft, um weitreichende Aussagen tragen zu können. Auch die Nutzung
von Mischansätzen, die in kluger Kenntnis von Vor- und Nachteilen der verschie-
denen Zugangsweisen die verschiedenen Analyseebenen und inputs in die sowjeti-
sche Rüstung auseinanderhalten, entspricht nicht der nunmehr alten (und weiterhin
überzeugenden) Forderung Klaus von Beymes, dem Sowjetsystem angemessene
spezifische Erklärungsformen zu bilden.
Die Aussage, man müsse das subtile Zusammenwirken der verschiedenen
Gruppierungen in der sowjetischen Rüstung gar mit der Figur vom Militär-Indu-
strie-Komplex erklären, ist vor allem historisch falsch. Wie die vorstehenden De-
tailstudien belegen, vereinte vor allem die Angst vor Terror sowie der Patriotis-
mus, ein Höchstmaß an Kriegsleistungen zu erbringen, die an der Rüstung führend
Beteiligten. Danach bildete der Versuch, aufbolend gegenüber der technologischen

85 Skilling 1983, S. 24/25


86 Rough 1983, S. 50
306 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

Übermacht des Westens eine moderne Rüstung aufzubauen, den großen gemeinsa-
men Nenner.
Auch verkennt das Theorem von Gruppenkoalitionen die Ebene der Entschei-
dungsfindung. Anders als in westlichen Hauptstädten, wo die zahlreichen mit- und
gegeneinander konfligierenden Gruppen gelegentlich zu der Scherzaussage führen,
es sei eigentlich gar nicht mehr ausmachbar, wer eigentlich über große Rüstungs-
projekte beschließe, ist schon eingangs festgestellt worden, daß die politischen
Vorentscheidungen im Verteidigungsrat fallen, und daß das Politbüro diesen Ent-
scheidungen im Regelfall folgt. Es bleibt schwer vorstellbar und wird von den Ver-
tretern des Theorems vom Militär-Industrie-Komplex auch gar nicht behauptet, daß
der Verteidigungsrat die Spitze der Pyramide eines solchen Komplexes sei. Es han-
delt sich hier um ein politisches Entscheidungsorgan, wie die Untersuchung ge-
zeigt hat, eigener Art, die für viele Interpretationen zugänglich bleibt, aber eben
nicht für die einer Interessenkoalition von mittelrangigen Kadern.

8.6 Perspektiven

In neuerer Zeit ist die theoretische Diskussion über das angemessene Verständnis
der Sowjetgesellschaft erheblich ausgeweitet worden. Zu verweisen ist vor allem
auf Arbeiten von Mary Kaldor und Dieter Senghaas. Der gemeinsame Nenner die-
ser Beiträge liegt in der Frage nach der Innovationsfähigkeit/ioneren Dynamik der
Sowjetökonomie, besonders auch im Hochtechnologiebereich Rüstung, sowie per-
spektivisch in der Frage, wie wohl die UdSSR ihre Supermachtrolle bei einer nega-
tiven Antwort auf die erste Frage würde fortsetzen können.
Mary Kaldor geht von der Frage aus, ob die revolutionäre Sowjetunion die
Möglichkeit gehabt habe, eine alternative, eine andere als die westliche Militär-
technologie zu entwickeln.S7 Trotz der Priorität, die die Bolschewiki der Rüstung
gaben, lautete die Antwort negativ: "Die Sowjetgesellschaft (werde) sich in diesel-
be Richtung, wenn auch schneller und wirkungsvoller ... bewegen müssen, die von
den ,fortgeschrittenen' kapitalistischen Ländern eingeschlagen worden ist ... Diese
Tatsache - daß nämlich die Sowjetunion die westliche ,Rüstungskultur' akzeptiert
und übernommen hat- ist für den Rest der Welt außerordentlich bedeutungsvoll
geworden. Und diese Tatsache hat auch ihre Auswirkungen auf die ökonomische
und gesellschaftliche Entwicklung der Sowjetunion insgesamt."88
Auf den polnischen Ökonomen Oskar Lange zurückgreifend,89 beschreibt Kal-
dor die Sowjetwirtschaft als eine Kriegsökonomie. Damit ist gemeint, daß das
Wirtschaftsmanagement ähnlich zentralisiert ist wie in einer kapitalistischen Wirt-
schaft zu Kriegszeiten, und daß militärische Wünsche Vorrang vor allen anderen
Produktionsaufgaben haben. Aufgrund einer klassisch liberalen Position entfaltet
Kaldor breit die These, daß die Hauptwirkung des Militärsektors in einer Gesell-
schaft darin bestünde, "im Niedergang befmdliche Bereiche zu stützen und die
Entstehung neuer dynamischer Bereiche zu behindern."90 Im Gegensatz zu westli-

87 Kaldor 1981
88 Kaldor 1981, S. 75
89 Lange 1970
90 Kaldor 1981, S. 88
Perspektiven 307

eben Verhältnissen, wo diese negative Wirkung des Militärsektors begrenzt sei,


übe sie in der UdSSR umfassenden Einfluß aus- "dafür sorgt in der Sowjetunion
die Wirkungsweise des gesamten Planungssystems."91 Wenn Dynamik in der so-
wjetischen Technologieentwicklung feststellbar sei, dann sei diese von der Rü-
stung abhängig:
.Jn der Tat läßt sich behaupten, daß die Dynamik in der sowjetischen Technologie zu
einem guten Teil vom Wettrüsten mit den USA herrührt."92
In der Schlußfolgerung ergibt sich für Kaldor eine paradoxe Situation, die zu einer
schlechten Prognose für die Aussichten der UdSSR führt, je auch ökonomisch mit
dem Westen gleichzuziehen. Der Rückgriff auf westliche Technikvorbilder, oben-
drein über den Rüstungssektor, erzeugt das geringste denkbare Maß an technologi-
scher Dynamik:
"Die Situation ist wirklich paradox: in seinem Bemühen, den Westen militärisch und
ökonomisch einzuholen, ist das Sowjetsystem teilweise von seinem traditionellen Weg
abgekommen - und steuert damit wahrscheinlich erst recht in eine technologische
Sackgasse. "93
Dieter Senghaas gelangt in einer jüngeren explorativen Skizze zu einem vergleich-
bar negativen Befund:
"Es ist daher unwahrscheinlich, daß aus Ökonomien sowjetischen Typs dynamische,
aufneue Produktionsverfahren und neue Produkte ausgerichtete Leitsektoren entstehen,
die wie in früheren Hegemoniebildungsprozessen eine Ausstrahlungskraft auf die ganze
Weltwirtschaft ausüben."94
Die Begründung für diese weitreichende Aussage gewinnt Senghaas aus allgemei-
nen Reflexionen über Hegemonie in der neueren Entwicklung des Weltsystems.
"Wirkliche Hegemonialmächte haben in neuester Zeit also die Welt über die Struk-
turierung internationaler Arbeitsteilung erobert. Dabei erwiesen sich die führenden
Leitsektoren ihrer Volkswirtschaften als entscheidend; sie sind der Ausgangspunkt
für einen erfolgreichen Verdrängungswettbewerb auf dem Weltmarkt gewesen.
Militärische Machtentfaltung spielte dabei nur eine flankierende Rolle."95
Ähnlich wie bei Kaldor (nur daß diese allgemeine Hegemoniebetrachtungen
nicht benutzt) sind bei Senghaas die Leitsektoren von Volkswirtschaften, wie er
ausdrücklich sagt, in der UdSSR der Rüstungsbereich, ausschlaggebend für den Er-
folgsweg einer Macht. Neu ist die Betonung des Aspektes, daß militärisches Poten-
tial, die Grundlage der sowjetischen Supermachtstellung, lediglich "eine flankie-
rende Rolle" ausübe, mithin nicht eigentlich und dauerhaft die sowjetische Super-
machtstellung begründet. Eine "dominante Ökonomie" könne die Sowjetunion, so
Senghaas, allenfalls werden, wenn sie den Übergang von der extensiven Nutzung
ihrer Ressourcen zu intensivem Wachstum meistere. Nun hapert es in der Tat in
der UdSSR mit der intensiven Nutzung von Ressourcen, wie vielfach festgestellt
wird. Der von Senghaas angegebene Grund, es stünden einem solchen Weg "band-

91 Kaldor 1981, S. 88
92 Kaldor 1981, S. 98
93 Kaldor 1981, S. 98
94 Senghaas 1985, S. 310
95 Senghaas 1985, S. 310. - Vgl. zur Verknüpfung von wirtschaftlicher Leistungsfähig
und Militärpotential auch Cohen/Wilson 1988, S. 99-132.
308 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung

feste Interessen" entgegen (die Eigeninteressen der "Nomenklatura", "der Selbst-


behauptungswille der Funktionäre und Bürokraten", "Widerstand der von Wirt-
schaftsreformen möglicherweise zunächst negativ betroffenen Arbeiterschaft")96
wirkte schon vor dem Antritt Gorbatschow wenig überzeugend. Der Übergang
vom extensiven zum intensiven Wachstum, hernach der Wechsel von der Güterer-
zeugung zu den Dienstleistungen als wichtigstem Beiträger zum Sozialprodukt, ist
in den kapitalistischen Ländern kaum mit Attitüden der Wirtschaftssubjekte erklär-
bar und wird dies auch in der UdSSR nicht sein. Senghaas ist mit der (erneut an
Kaldor und viele andere anklingenden) Bewertung zuzustimmen, daß die "weitere
Produktivkraftentfaltung durch den überkommenen institutionellen Rahmen, die
Produktionsverhältnisse, gebremst"97 würde - abgesehen von der eigenwilligen
Bestimmung dessen, was hier Produktionsverhältnisse sind.
Die angegebenen Positionen schließen nicht aus, daß der von Parteisekretär
Gorbatschow eingeschlagene Kurs Erfolg haben kann. Wird der Rüstungssektor
seiner Privilegien (Kaldor) entkleidet, wird der "überkommene institutionelle Rah-
men" (Senghaas) in geeigneter Weise geändert, dann eröffnen sich dem Sowjetsy-
stem durchaus gänzlich andere, positivere Perspektiven. Die Schwäche westlicher
Theoriebeiträge, auch so intelligenter wie der von Kaldor und Senghaas, bleibt, daß
sie die Möglichkeit (um eine Chiffre zu benutzen) Gorbatschow nicht vorausgese-
hen haben, daß sie die genuinen Möglichkeiten von Politik auch in diesem Ge-
meinwesen aufgrund ihrer Vorliebe für das systematische Argument unterschätzt
haben.
Renate Darnos hat in der sowjetkritischen Literatur die Rolle des politischen
Elements in der Sowjetgesellschaft besonders drastisch thematisiert, vor allem we-
gen der Entwicklung der Rüstung:
"Die quantitative und qualitative Bedeutung des Rüstungsbereichs ist schließlich auch
bestimmt durch die Langfristigkeit der technologischen Entwicklungen und das extre-
me Spezialwissen. Beides führt zu einer zumindest zeitlichen Überlegenheit gegenüber
der reinen Politikerentscheidung. Politiker können nur noch sanktionieren, was in der
Zwischenzeit entwickelt ist."98
Der Leser mag sich verwundert fragen, wieso die fraglos vorhandenen Sachzwänge
der Rüstung wie ihre Langfristigkeil oder das erforderliche Spezialwissen plötzlich
umschlagen in Hilflosigkeit von "Politikern", auch und gerade in der Sowjetunion,
wo eben diesen Aspekten so übermäßige Sorgfalt gilt in einem logischen Sprung
gerät dieser Autorio eine nicht auszuschließende Möglichkeit zu einem Faktum.
Wenig später eröffnet sie:
"Das Politische verkörpert ja ohnehin im Realen Sozialismus kein Korrektiv gegenüber
eigenständigen gesellschaftlichen Kräften, da es an deren Stelle tritt. Es ist insofern
selbst militarisiert."99
Es wundert nach solchen Äußerungen nicht, daß Darnos zu der Schlußfolgerung
gelangt:

96 Senghaas 1985, S. 309


97 Senghaas 1985, S. 309
98 Damus 1983, S. 528
99 Damus 1983, S. 529
Perspektiven 309

"Da sie den Gegenpart zu den USA und zu kapitalistischer Interessenpolitik nur dank
ihrer Waffenarsenale übernehmen und weder ökonomisch, noch technologisch, noch
kulturell Gleichrangiges - oder qualitativ Anderwertiges - anbieten und machtpolitisch
nur direkt und nicht ökonomisch indirekt agieren kann, ist die Sowjetunion auch zu
wirklicher Abrüstung unfähig. "100
Es dürfte sich um einen Fehlschluß handeln, vor allem wegen der Verkennung der
Rolle des Politischen in der Sowjetgesellschaft Diese Rolle läßt sich nicht ab-
strakt, sondern nur empirisch erfassen.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die theoretisch orientierte Erörterung des
Sowjetsystems sich als wenig ergiebig erweist, befragt man sie in Bezug auf die
Wandlungsfahigkeit des Sowjetsystems. Theoreme mittlerer Reichweite wie An-
sätze über Gruppen oder korporative Strukturen schließen die Möglichkeit zu
grundsätzlichen Reformschritten nicht aus, wie dies in einzelnen umfassenden
Theorieansätzen (Damus) erfolgt. Abgesehen von Kaldor werden die verschiede-
nen Theorieebenen kaum miteinander verknüpft: Darnos und Senghaas (der seinen
Beitrag freilich ausdrücklich als Thesen- und Diskussionspapier vorstellt) zum
Beispiel gehen ebenso wenig auf die Diskussion über Theoriekonzepte mittlerer
Reichweite ein wie umgekehrt fast alle Vertreter solcher Ansätze eine deutliche
Abneigung gegen "große Theorien" zeigen. Verbindungen von Theorie und Empi-
rie, wenigsten einläßlicher Art, sind selten zu finden. Die Verwendung der Empirie
in den meisten theoretisch engagierten Schriften zur Sowjetrüstung bleibt auf Se-
kundärauswertung gängiger Materialien beschränkt, und auch diese erfolgt eher zu
Illustration theoretisch abgeleiteter Thesen als dazu, den Ausgangspunkt für theo-
retische Reflexionen abzugeben.

100 Damus 1983, S. 529 (Hervorhebung im Original)


9. Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute
- ein Querschnitt

Nach dem theoretischen Querschnitt im vorigen Kapitel soll in diesem Abschnitt


eine Zusammenfassung der Entwicklung der sowjetischen Rüstungswirtschaft mit
aktuellem Fokus erfolgen.
Die Sowjetunion ist, ähnlich wie die entwickelten kapitalistischen Industriege-
sellschaften, mit einer Reihe von tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Pro-
blemen konfrontiert Insbesondere die wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben eine
Schwelle erreicht, wo die bisherige Strategie des "Durchwurstelns" kaum mehr
möglich scheint
Der gegenwärtigen sowjetischen Führung unter Gorbatschow ist die Ernsthaf-
tigkeit der ökonomischen und sozialen Situation des Landes bewußt. Im Gegensatz
zu seinen Vorgängern strebt Gorbatschow in nachdrücklicher und konsequenter
Weise die Verwirklichung grundlegender Wirtschaftsreformen an. Zugleich sollen
für die sowjetische Bevölkerung die Einwirkungsmöglichkeiten auf den politischen
Entscheidungsprozeß deutlich erhöht werden. Ohne diesen politischen Wandel
werden die anvisierten weitreichenden ökonomischen Reformen kaum erfolgreich
zu realisieren sein. Der interne Problemdruck hat für die UdSSR offenbar ein Aus-
maß erreicht, welches die von Gorbatschow in Gang gesetzten radikalen Reform-
schritte unumgänglich macht, wenn mittel- und langfristig gleichzeitig die wirt-
schaftliche und technologische Leistungsfahigkeit, der gesellschaftliche Zusam-
menhalt sowie die Aufrechterhaltung der Weltmachtposition der Sowjetunion ge-
währleistet werden soll. Die kommenden Jahre stellen daher eine wichtige Über-
gangsperiode für das sowjetische Gesellschaftssystem dar.
Angesichts der von Gorbatschow angestrebten "tiefgreifenden Rekonstruk-
tion" der sowjetischen Volkswirtschaft, die vorrangig auf die Verbesserung ihres
zivilen Fundaments und die Erhöhung der technologischen Leistungsfahigkeit
zielt, ist zu fragen, welche Konsequenzen sich für das Beziehungsverhältnis zwi-
schen dem zivilen und dem rüstungsindustriellen Sektor ergeben: Verliert die Rü-
stungsindustrie ihre bisherige absolute politische Priorität und vermindert sich ihre
Stellung als dominanter Sektor in der Industriestruktur? Nimmt der innenpolitische
Konflikt um Ressourcenallokation zu? Mit welchem Ausmaß an Widerstand oder
Unterstützung seitens der Rüstungsmanager und Militärs muß Gorbatschow bei der
Realisierung seiner Reformpläne rechnen?
Hinsichtlich einer Antwort auf diese Fragen ist allerdings zu betonen, daß der
tatsächliche Ausgang des wirtschaftlichen Umgestaltungsprozesses in der UdSSR
aufgrund momentan unwägbarer interner und externer Faktoren offen ist.
Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute- ein Querschnitt 311

Die Stellung der Rüstungsindustrie in der sowjetischen Volkswirtschaft

Die industrielle Basis für Rüstungsproduktion in der UdSSR wurde verstärkt ab


Ende der 20er Jahre aufgebaut. Ihre schnelle Entwicklung war ein Hauptziel des
ersten und zweiten Fünfjahresplans. Wesentliches Antriebsmoment dafür war die
Erlangung einer von außen unabhängigen Produktionsbasis für Waffen und militä-
rische Ausrüstung. Wichtig für das Verständnis des Stellenwerts von Rüstungspro-
duktion ist die historische Entwicklungssituation des Landes, in der der Rüstungs-
sektor von Beginn an eine privilegierte Stellung innehatte:
"Die junge Sowjetrepublik wollte überleben. Die spezifische nachholende Industriali-
sierungsstrategie ab 1928 begünstigte den Sektor A (Produktionsgüter) und die Rü-
stungsindustrie besonders. Anhaltende Ungleichgewichte in der Gesamtwirtschaft wa-
ren die Folge .... Schon seit Lenins Zeiten galt eine wesentliche ökonomische Zielset-
zung dem Erreichen des (durch den Westen vorgegebenen) Weltniveaus. Die ständige
Aufholjagd und die Ratio des, Überlebens um jeden Preis' führten nicht nur zur Annä-
herung an die Produktionsprofile und die Formen der Arbeitsorganisation westlicher In-
dustriestaaten, sondern auch zu einer unorganischen Hochzüchtung des Rüstungssek-
tors. Daß die kapitalistischen Staaten nichts taten, um einen friedlichen sowjetischen
Sonderweg zu erleichtern, versteht sich von selbst."l
Eine wesentliche Konsequenz dieser an den fortgeschrittenen kapitalistischen Staa-
ten orientierten Industrialisierungsstrategie war die Übernahme deutscher und her-
nach amerikanischer Rüstungsstrategien und ihrer Waffensysteme. Diese Übernah-
me erfolgte zeitversetzt und schlug sich in spezifischen rüstungstechnologischen
Merkmalsausprägungen, einer speziellen sowjetischen "Waffen-Konstruktionsphi-
losophie", nieder.

Umfang der sowjetischen Rüstungsindustrie


Die den Kern der sowjetischen Rüstungsindustrie bildenden neun Ministerien ver-
walten und überwachen die Arbeit von ungefahr 450 militärischen Organisationen
für militär-technische Forschung und Entwicklung, rund 50 größeren Konstrukti-
onsbüros und ca. 150 größeren Endfertigungsstätten für Rüstungsgüter und mehr
als 3.500 Zuliefererbetrieben. Diese in der Rüstungsproduktion tätigen Industriebe-
triebe, welche in der Regel als die effizientesten in der Volkswirtschaft der UdSSR
gelten, repräsentieren ungefähr zehn bis elf Prozent aller sowjetischen Produk-
tionsstätten. Geographisch ist der größte Teil der sowjetischen Rüstungsproduktion
in den stärker bevölkerten und wirtschaftlich entwickelteren westlichen Gebieten
der UdSSR konzentriert, jedoch sind eine Reihe von größeren Rüstungsbetrieben,
insbesondere für Flugzeugproduktion, im asiatischen Teil der Sowjetunion ange-
siedelt. Durch diese geographische Streuung von wichtigen Rüstungsbetrieben sol-
len die militärischen Planungen des Gegners erschwert werden. Die wichtigen mi-
litärischen Forschungseinrichtungen finden sich in und um Moskau und Lenin-
grad.2
Akademiemitglied Alexej A. Wassiljew unterstreicht, daß es nicht zulässig sei,
von der Größe des Rüstungssektors in den USA auf diejenige des sowjetischen Ge-
genstückes zu schließen. Rüstungsökonomisch betrachtet seien die einzelnen Maß-

1 Segbers 1984, S. 28
2 Vgl. U.S. CIA 1986, S. 1; Holloway in Nikutta 1986, S. 29 f.
312 Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute- ein Querschnitt

nahmen und Gegenzüge auf sowjetischer Seite eher mit dem Begriff der Asymme-
trie zu fassen, gelegentlich erheblich zu Lasten der Sowjetwirtschaft Als die USA
zum Beispiel im großen Umfange schwere Interkontinentalbomber B-52 beschaff-
ten, habe man auf sowjetischer Seite nicht mit einem erweitertenBauprogramm für
Bomber nachgezogen, sondern das Vier- bis Fünffache des Aufwandes für ein
mögliches Bomberprogramm in den Ausbau der Luftverteidigung gesteckt (Die
Aussage von Wassiljew wird durch die Bomberzahlen im SALT-I-Vertrag ge-
deckt). Insgesamt, so Wassiljew, falle der sowjetische Rüstungssektor eher kleiner
aus als in den USA.

Verflechtung von zivilem und militärischem Sektor


Im Westen herrscht vielfach das Bild vor, die Rüstungsindustrie agiere wie eine
Insel in der Volkswirtschaft. Trifft dies zu, dann würde die sowjetische Industrie in
zwei strikt voneinander getrennte Sektoren zerfallen. Neuere Forschungsergebnisse
stellen die Beziehungen zwischen der Zivilwirtschaft und dem rüstungsindustriel-
len Sektor in der Sowjetunion in einem grundlegend neuen Licht dar. Danach wer-
den in den Betrieben der Rüstungsindustrie zu einem beträchtlichen Teil auch zivi-
le Güter, insbesondere für den Konsumgütersektor, produziert. So sollen z.B. 42%
des Outputs des Ministeriums für Verteidigungsindustrie zivilen Zwecken gewid-
met sein. Die den neun Ministerien der rüstungsindustriellen Gruppe unterstellten
Betriebe produzieren u.a. sämtliche Fernsehgeräte, Radios, Videorecorder, Photo-
apparate sowie 90 % der Tonbandgeräte und rund die Hälfte der Kühlschränke in
der UdSSR. Es wird geschätzt, daß der zivile Anteil an der Gesamtproduktion der
sowjetischen Rüstungsindustrie seit den 70er Jahren gestiegen ist. Andererseits
werden aber auch Rüstungsgüter in Betrieben von zivilen Branchenministerien
hergestellt, wie z.B. im "Ministerium für Automobilbau" (LKW, gepanzerte Trans-
portfahrzeuge u.a.) oder im "Ministerium für chemische Industrie" (Treibstoffe,
Fiberglaskomponenten für Raketenmotoren u.a.). Insgesamt gesehen sind die so-
wjetische Rüstungsindustrie und die Zivilwirtschaft enger miteinander verflochten
als bislang gemeinhin im Westen angenommen wurde.3 Aufgrund der zunehmen-
den Komplexität sowjetischer Waffen steigt zudem die Abhängigkeit zwischen den
beiden Sektoren, da die rüstungsindustriellen Ministerien für etliche Vor- und Teil-
produkte von Rüstungsproduktion in wachsendem Maße auf die zivilen Industrie-
sektoren angewiesen sind.

Besonderheiten der Rüstungsindustrie


Der Rüstungssektor ist sowohl ein integraler Bestandteil der sowjetischen Indu-
strie, mit der er verflochten ist und viele gemeinsame Organisationsmerkmale teilt,
als auch ein Bereich, der besondere, nur ihm eigene charakteristische Merkmale
aufweist.
Das wichtigste Merkmal ist die der Rüstungsindustrie bis zum heutigen Zeit-
punkt eingeräumte hohe Priorität. Sie besitzt traditionell eine Vorrangstellung bei
der Allokation von knappen Ressourcen: Facharbeiter, qualifizierte Wissenschaft-
ler und Ingenieure, Rohstoffe, elektronische Bauteile etc. Dieses Prioritätssystem
wurde geschaffen, um die Rüstungsindustrie vor den chronischen Mängeln und

3 Vgl. Cooper in Nikutta 1986, S. 55-57


Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute -ein Querschnitt 313

Versorgungsengpässen abzuschinnen, die den übrigen Teil der sowjetischen Wirt-


schaft plagen. Jedoch reicht die politisch bestimmte Vorrangstellung offensichtlich
nicht hin, alle Versorgungsprobleme für die Rüstungsindustrie zu beseitigen. Die
wenigen verfügbaren "harten" Infonnationen deuten darauf hin, daß die Ministe-
rien der rüstungsindustriellen Gruppe anscheinend ihre Abhängigkeit von den Zu-
lieferungen anderer Ministerien durch den Aufbau eigener Zuliefetindustrien zu
minimieren versuchen. Eine derartige Tendenz ist zwar allgemein in der sowjeti-
schen Industrie vorzufinden, aber sie scheint in der Rüstungsindustrie besonders
ausgeprägt zu sein. So sollen z.B. Anfang der 60er Jahre 90 bis 95% der Produk-
tion von Komponenten für die Flugzeugherstellung in den dem "Ministerium für
Luftfahrtindustrie" unterstellten Betrieben konzentriert gewesen sein.4
Der mit der Rüstungsproduktion als auch -forschung verbundene Geheim-
schutz ist bis heute stark ausgeprägt. Die Herstellung von Waffensystemen und an-
derer militärischer Ausrüstung erfolgt offenbar in besonders abgeschirmten Pro-
duktionseinheiten innerhalb des Rüstungssektors: Dies können einerseits Betriebe
sein, die sowohl militärische als auch zivile Güter produzieren, und andererseits
gesonderte Betriebe, die nur auf Rüstungsproduktion spezialisiert sind. Jüngsten
Infonnationen zufolge soll jedoch die zivile Produktion der sowjetischen Rü-
stungsindustrie zunehmend in dafür spezialisierte Betriebe umgeleitet werden.5
Ein weiteres wichtiges Charakteristikum der Rüstungsindustrie ist die für so-
wjetische Verhältnisse ungewöhnlich starke Stellung der Streitkräfte als Endkonsu-
ment der hergestellten Güter. Das Verteidigungsministerium ist nicht nur in die
Planung der Waffenentwicklung und Rüstungsproduktion involviert, sondern übt
auch eine starke Kontrolle über die Ausführung der Programme aus. Ein wesentli-
ches Kontrollinstrument ist in diesem Kontext das in den Waffenkonstruktionsbü-
ros und Rüstungsbetrieben institutionalisierte System der Militärvertreter, die mit
weitreichenden Kompetenzen ausgestattet sind.6
Aus Untersuchungen sowjetischer Forschung und Entwicklung geht hervor,
daß der rüstungsindustrielle Sektor hinsichtlich technologischer Innovation offen-
bar erfolgreicher ist und qualitativ bessere Erzeugnisse hervorbringt als die zivile
Industrie. Die Vorrangstellung der Rüstungsindustrie in der Gesamtwirtschaft und
die mächtige Rolle des Verteidigungsministeriums als Endverbraucher haben ent-
scheidend zu der relativen Wirksamkeit dieses Industriezweiges bei der Entwick-
lung und Produktion von Waffensystemen beigetragen. Vergleiche sowjetischer
und amerikanischer Militärtechnologie zeigen aber, daß die sowjetische For-
schungs- und Produktionstechnologie in etlichen Teilbereichen große Defizite auf-
weisen.?
Veröffentlichungen sowjetischer Militärs seit Ende der 70er Jahre zeigen eine
zunehmende Besorgnis über die Fähigkeit ihrer Rüstungsindustrie, in einem sich
abzeichnenden High-Tech-Rüstungswettlauf sowohl auf strategischem als auch
konventionellem Gebiet mit dem Westen bestehen zu können. Zwar hat die politi-
sche Führung der UdSSR in den 70er Jahren verstärkt Maßnahmen ergriffen, um
besonders die Modemisierung von Betrieben innerhalb der Rüstungsindustrie zu

4 Vgl. Holloway inNikutta 1986, S. 37 f.


5 Vgl. Cooper 1986, S. 24-27
6 Vgl. Agursky/AdomeitinNikutta 1986, S. 42
7 Vgl. Holloway in Nikutta 1986, S. 71-75
314 Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute- ein Querschnitt

beschleunigen und die Effizienz der Waffenentwicklung zu erhöhen. Trotz nicht


unerheblicher Fortschritte weist jedoch die sowjetische Forschungs- und industriel-
le Produktionsbasis gerade in denjenigen Technologiebereichen elementare
Schwächen auf, die für die Entwicklung und Herstellung neuer konventioneller
Rüstung (Flächenwaffen mit "intelligenter" Sub-Munition etc.) sowie von Welt-
raumrüstung (insbesondere "Battle-Management-Systeme") erforderlich sind:
Elektronik (einschließlich Mikroelektronik), Computer, Software, fortgeschrittene
Entwicklungs- und Produktionssysteme (Computer-aided Design = CAD/Compu-
ter-aided Manufacturing = CAM, etc.).S
Die Technologierückstände in diesen für die Waffenentwicklung und -produk-
tion stetig an Bedeutung zunehmenden industriellen Sektoren haben der sowjeti-
schen Rüstungsindustrie bis zum heutigen Zeitpunkt gewichtige Restriktionen ge-
setzt. Vor allem die Defizite im Bereich der Mikroelektronik und Computer stellen
ein Haupthindernis für die Einführung neuer industrieller Technologien und ihrer
effizienten militärischen Nutzbarmachung dar. Amerikanischen Geheimdienstan-
gaben zufolge liegt die UdSSR bei Mikroprozessoren vier bis sechs Jahre und bei
Hochgeschwindigkeitscomputern acht bis zehn Jahre hinter den USA zurück. Im
Bereich der Produktionstechnologien wird der sowjetische Rückstand bei Compu-
ter-gesteuerten Werkzeugmaschinen mit drei bis fünf Jahren und bei flexiblen Fer-
tigungssystemen mit fünf bis sechs Jahren angegeben.9

Ursachen für Technologierückstände


Mehrere Faktoren sind für die sowjetischen Schwierigkeiten verantwortlich:
- Die generelle Überalterung des Produktionsapparates in der sowjetischen Indu-
strie.
- Die sowjetische Rüstungsproduktion ist wie in anderen Produktionszweigen im
Lande nach wie vor überwiegend arbeitsintensiv ausgerichtet.
- Spezifische Hindernisse bei der Diffusion von Technologien innerhalb der Rü-
stungsindustrie, die in der Gliederungsstruktur der Ministerien nach Branchen
begründet liegen: Die Ministerien kooperieren nicht ohne weiteres miteinander
und für Technologietransfers sind daher oft Anordnungen der übergeordneten
politischen Leitungsorgane erforderlich.
- Exzessive Geheimhaltungsmaßnahmen in der Rüstungsindustrie erschweren
bislang neben der branchenministeriellen Struktur Technologietransfers zwi-
schen dem rüstungsproduzierenden und dem zivilen Sektor, um den technologi-
schen Standard der Zivilindustrie zu heben, obwohl die sowjetische Rüstungs-
produktion zunehmend auf deren Unterstützung angewiesen ist.
- Es fehlen konkrete Anreize, die technologische Innovationstätigkeit fördern.
- Der im Vergleich zum Westen erst sehr verspätete Einsatz von CAD/CAM-Sy-
stemen zur Entwicklung und Herstellung von mikroelektronischen Komponen-
ten.
- Ein völlig unterentwickeltes Netzwerk von Software-Unterstützung und Com-
puter-Hardware-Service.
- Die vorhandenen bürokratisch-administrativen Strukturen und die mit ihnen
verbundenen Entscheidungsprozesse behindern die wichtige Verbindung und

8 Vgl. The FY 1986 DoD, Program for R, D & A, inNikutta 1986, S. 76-79
9 Vgl. U.S. CIA 1986, S. 33
Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute -ein Querschnitt 315

Kooperation zwischen Forschung und Entwicklung und dem industriellen Pro-


duktionsbereich.lO
Der legale und illegale Erwerb westlicher Technologie hat zwar zum Abbau von
Mängeln in der Rüstungsindustrie beigetragen, hat für die Sowjetunion insgesamt
aber eher zwiespältige Resultate zur Folge gehabt. So hat die sowjetische Industrie
häufig große Probleme, die aus dem Westen importierte Technologie in ihre Pro-
duktionsstrukturen zu absorbieren. Fortgeschrittene Technologien und industrielle
Ausrüstung sind heute für die UdSSR im Vergleich zu früher allgemein wesentlich
schwieriger zu transferieren, da sie eine spezifische technologische sowie industri-
elle Infrastruktur bedingen und andere Produktionsweisen erfordern. Auch das Ko-
pieren gestaltet sich zunehmend schwieriger. Diese Probleme treffen vor allem auf
die beiden Bereiche Mikroelektronik und Computertechnologie zu.l 1
Generell kann man die sowjetische Rüstungsindustrie unter den gegebenen
ökonomischen und technologischen Rahmenbedingungen als relativ effizient in der
Entwicklung von Waffensystemen bezeichnen, die mehr für eine Massenfertigung
ausgelegt sind. Die bislang durchaus erfolgreiche traditionelle Rüstungspolitikstra-
tegie betonte als Ausfluß der Militärdoktrin und als Kompensation der vorgegebe-
nen ökonomischen und technologischen Restriktionen in der Regel Einfachheit der
Konstruktion, graduelle Weiterentwicklung, leichte Produzierbarkeit in großen Se-
rien sowie einfache Wartbarkeit von Waffensystemen.12 Sie greift bei den sich ab-
zeichnenden rüstungstechnologischen Herausforderungen, denen sich die UdSSR
im internationalen Umfeld ausgesetzt sieht, nicht mehr genügend.
Gelingt es Gorbatschow nicht, die neuen Waffenentwicklungen im Westen
durch Rüstungskontroll- oder Abrüstungsvereinbarungen zu begrenzen oder stop-
pen, dann wird sich die sowjetische Machtelite zur Aufrechterhaltung der weiter-
hin als unverzichtbar angesehehen Weltmachtrolle vermutlich zu Gegenmaßnah-
men auf dem Rüstungssektor gezwungen sehen. Die Antwort auf die neuen militä-
rischen Fähigkeiten des Westens wird von der Sowjetunion die Entwicklung und
Produktion komplexerer Waffensysteme als bisher erfordern. Dazu sind jedoch
größere strukturelle Änderungen sowohl in der Rüstungsindustrie als auch in der
Gesamtwirtschaft erforderlich. Dabei geht es vor allem um die Beseitigung allge-
meiner struktureller Defizite der sowjetischen Ökonomie, insbesondere ihre
schwache technologische Innovationsfähigkeit und die geringe Leistungsfahigkeit
der zivilen industriellen Sektoren, die den rüstungstechnologischen Möglichkeiten
der UdSSR bislang Grenzen gesetzt haben.

Modernisierung und Restrukturierung der sowjetischen Rüstungsindustrie

Forschungspolitik und rüstungstechnologische Implikationen


Die grundlegende Modernisierung der sowjetischen Ökonomie durch eine, wie es
in der Sowjetunion heißt, allseitige Intensivierung der Produktion, Steigerung der
wirtschaftlichen Effizienz und Anhebung des technologischen Gesamtniveaus ist

10 Vgl. U.S. CIA 1986, S. 33


11 Vgl. Cooper in Nikutta 1986, S. 85-92
12 Vgl. Alexander, Kehoe/BrowerundKaldorinNikutta 1986, S. 107-111
316 Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute- ein Querschnitt

wirtschaftliches Hauptziel der neuen sowjetischen Führung. Die Betonung liegt da-
bei auf einer ,,High-Tech-Revolution" und der Erneuerung der gesamten industriel-
len Basis.
Wesentliches Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist in der Wirtschaftsreform-
strategie von Gorbatschow die Beschleunigung der Entwicklung von Wissenschaft
und Technik. Im Zeitraum des 12. Fünfjahresplans sind für diesen Zweck die fi-
nanziellen Aufwendungen deutlich erhöht sowie organisatorische Maßnahmen ein-
geleitet worden, um die sowjetische Ökonomie alsbald an das durch die entwickel-
ten kapitalistischen Industriestaaten vorgegebene internationale. wissenschaftlich-
technische Niveau heranzubringen.
Gleichzeitig wurden langfristige Planungrichtlinien für die Wissenschafts- und
Technologiepolitik aufgestellt: "Das Komplex-Programm des wissenschaftlich-
technischen Fortschritts der RGW-Länder bis zum Jahr 2000" vom Dezember
1985 sowie das ,,Programm über die Hauptrichtungen der wirtschaftlichen und so-
zialen Entwicklung der UdSSR von 1986 bis 1990 und für den Zeitraum bis zum
Jahr 2000" von 1986 enthalten genaue Beschreibungen der mit Priorität zu verfol-
genden Forschungsbereiche und Technologien. Als technologische Schwerpunkt-
bereiche werden u.a. Mikroelektronik, Hochgeschwindigkeits-Computer, Künstli-
che Intelligenz, Lichtleitertechnik für Hochgeschwindigkeitsübertragung, Automa-
tisierung, Industrieroboter, Präzisionsmeßtechnik, neue Werkstofffe, Laser und
Biotechnologie genannt. Bei der Grundlagenforschung will man u.a. Informatik,
Kybernetik und Elementarteilchenphysik verstärkt fördern. Insgesamt handelt es
sich hierbei um Gebiete, die für die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Zivil-
wirtschaft entscheidend sind und die zugleich eine potentiell wichtige militärische
Bedeutung haben.
Hohe sowjetische Militärs weisen seit einiger Zeit darauf hin, daß die neuen
fortgeschrittenen Technologien (im Westen auch "emerging technologies" ge-
nannt) den gesamten militärischen Bereich "revolutionieren" und insbesondere die
Rüstungstechnologie mit wachsender Geschwindigkeit qualitativ verändern. Diese
Entwicklung wird ihrer Ansicht nach in naher Zukunft zu einem radikalen Wandel
des Kriegsbildes führen. In der sowjetischen Militärfachpresse wird mehrfach die
Bedeutung der Fähigkeit der UdSSR betont, wirksam auf die in den NATO-Staaten
vorfindbare Anwendung fortgeschrittener Technologien für militärische Zwecke
antworten zu können. Die Militärs sind offensichtlich ernsthaft besorgt über die
unbefriedigenden Inputs aus der zivilen Forschung und über die generelle Innova-
tionsträgheit der sowjetischen Industrie (einschließlich der rüstungsindustriellen
Zweige) bei der Hebung des produktionstechnologischen Standards.13

Berücksichtigung militärischer Interessen


Aus diesem Grund treten führende militärische Repräsentanten nachhaltig für eine
Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und dessen Nutzbar-
machung für die technologische "Grund-Renovierung" der sowjetischen Industrie
ein, um so die Effizienz bei der Entwicklung Uf!d Produktion von Rüstung deutlich
zu verbessern. Sie plädieren vermehrt für eine intensivere Förderung von sowohl
zivil als auch militärisch nutzbaren ("dual use") Technologien und entsprechend
relevanter Grundlagenforschung. Die von der sowjetischen Führung eingeleitete

13 Vgl. Fitzgerald 1987


Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute -ein Querschnitt 317

Wissenschafts- und Technologiepolitik zur Stimulation technologischer Innovation


und Steigerung der Produktivität in der Ökonomie kommt den militärischen Inter-
essen weitgehend entgegen. Mitglieder der politischen Führungselite, wie z.B. der
Vorsitzende des Ministerrats Ryschkow, betonen zudem explizit den Zusammen-
hang zwischen der Beschleunigung der ökonomischen Entwicklung und der gleich-
zeitigen Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Landes. Die vorrangig geförder-
ten wissenschaftlich-technischen Bereiche decken sich zu einem großen Teil mit
denen, die von den Streitkräften für die Entwicklung neuer Generationen von Waf-
fensystemen als erforderlich angesehen werden.14
Eine Hauptsorge der Führung der Streitkräfte besteht darin, daß sich wissen-
schaftlich-technische Möglichkeiten und militärische Erfordernisse nicht schnell
genug verbinden lassen. In der UdSSR wird die umgehende Einführung und An-
wendung neuer Technologien sowohl allgemein in der Wirtschaft als auch beson-
ders in der Rüstungsentwicklung und -herstellung stark durch die bürokratisch-or-
ganisatorische Trennung zwischen den Bereichen Forschung, Entwicklung und
Produktion gehemmt. Um die aufgestellten Forschungsprogramme umzusetzen
und die Verbindungen zwischen Wissenschaft und Produktion zu stärken, hat die
sowjetische Führung eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen in Gang ge-
setzt.

Organisatorische Maßnahmen
In der Akademie der Wissenschaften der UdSSR wurde die Grundlagenforschung
in den Bereichen Maschinenbau und Informatik erheblich erweitert, und es wurden
neue Institute eingerichtet. Gleichzeitig wird das Netz der 1973 geschaffenen ,,For-
schungs- und Produktionsvereinigungen" (NPO) ausgebaut. Sie fassen For-
schungseinrichtungen, Entwicklungs- und Projektierungsorganisationen sowie
Versuchs- und Serienfertigungsbetriebe zusammen. Die Rüstungsindustrie soll
eine führende Stellung bei der Schaffung solcher Vereinigungen eingenommen ha-
ben und dabei im Gegensatz zu einigen anderen Sektoren relativ erfolgreich gewe-
sen sein (z.B. ,,NPO Positron" im "Ministerium für Elektronikindustrie").15 Die
Flugzeugbau-Produktionsvereinigung "50 Jahre Oktoberrevolution" in Kiew er-
hielt beispielsweise gemeinsam mit dem Konstruktionsbüro "O.K. Antonow" einen
Staatspreis für die Entwicklung und den Bau eines Ambulanzflugzeuges "Spassa-
tel".
Eine weitere wichtige organisatorische Maßnahme zur Beschleunigung der
Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Produktion besteht in der 1985 ein-
geleiteten Schaffung "Branchenübergreifender Wissenschaftlich-Technischer
Komplexe" (MNTK). Hierbei handelt es sich um Vereinigungen neuen Typs, in
denen Forschungseinrichtungen und Experimentalbetriebe verschiedener Bran-
chenministerien zusammengefaßt sind, um die Anstrengungen bei wichtigen
Schlüsseltechnologien zu konzentrieren. So sollen die bürokratischen Barrieren
überwunden werden, die der Zusammenarbeit von formal verschiedenen Ministe-
rien unterstellten Organisationen im sowjetischen System üblicherweise entgegen-
stehen. Bislang existieren 18 solcher Komplexe. Ihre Schwerpunktbereiche
schließen u.a. die Entwicklung von Personalcomputem, Laseranlagen, Industriero-

14 Vgl. Sehröder 1987b, S. 617 f.


15 Vgl. U.S. CIA 1986, S. 21
318 Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute- ein Querschnitt

botern und flexiblen automatisierten Fertigungssystemen ein. Auch die Rüstungs-


industrie soll teilweise an diesen Komplexen beteiligt sein (so wahrscheinlich beim
"MNTK Rotor", der automatisierte Produktionssysteme weiterentwickelt). Das
kürzlich beim Ministerrat eingerichtete "Büro für Maschinenbau" stellt einen wei-
teren bedeutsamen Schritt dar, in einem für die Rüstungsproduktion zentralen In-
dustriesektor bürokratische Hindernisse abzubauen und die Anwendung neuer
Technologien zu intensivieren.16

Die sowjetische Rüstungsindustrie als Leitsektor für die wirtschaftliche Moderni-


sierung?

Die auf eine umfassende Modernisierung der Wirtschaft zielende Reformpolitik


von Gorbatschow gilt nach den Beschlüssen des 27. Parteitages vorrangig der Kon-
sumgüterproduktion. Diese soll erhöht und qualitativ verbessert werden. Bei der
Umsetzung seiner Wirtschaftsreformen wird Gorbatschow anfänglich in einem ho-
hen Maße auf Erzeugnisse und "know how" aus der Rüstungsindustrie angewiesen
sein, da diese als die leistungsfähigste Branche in der sowjetischen Ökonomie gilt.
Angesichts der herausragenden Bedeutung der Rüstungsindustrie in der sowjeti-
schen Volkswirtschaft liegt die Vermutung nahe, daß diese praktisch zum Vorbild
bei der Rekonstruktion der Gesamtindustrie wird und zugleich die Rolle eines Leit-
sektors in diesem Prozeß übernehmen könnte. Dafür gibt es Anzeichen.
Auf einer ZK-Konferenz über Wissenschaft und Technologie im Juni 1985
forderte Gorbatschow die umfassende Nutzbarmachung der Erfahrungen der Rü-
stungsindustrie in der Zivilwirtschaft Das ist jedoch kein Novum. Anfang der 70er
Jahre hatte der damalige Generalsekretär Breschnew die gleiche Forderung aufge-
stellt.17 Darüber hinaus will Gorbatschow die Rüstungsindustrie im Rahmen des
12. Fünfjahresplans verstärkt in die Produktion von langlebigen Konsumgütern
einbinden.lS
Um jedoch Teile der Produktion und des ,,know how" der Rüstungsindustrie
für den zivilen Sektor nutzbar zu machen, sind erweiterte Investitionen in diesem
Sektor sowie die Organisation des Transfers von Technologien und ihrer effizien-
ten Management-Strukturen erforderlich. Zusätzliche Investitionen in die Rü-
stungsindustrie würden gegebenenfalls aber auch nötig sein, wenn der rüstungs-
technologischen Herausforderung durch den Westen entgegen getreten werden
soll.
Im 12. Planjahrfünft ist der Maschinenbau ein Prioritätszweig der sowjetischen
Wirtschaft und soll eine Schlüsselrolle bei der Durchführung der "wissenschaft-
lich-technischen Revolution" einnehmen. Die Investitionen in den Maschinenbau
sowie das Tempo der Erneuerung der Grundausstattung aller Maschinenbauzweige
werden überdurchschnittlich stark erhöht. Dieser Zweig ist stark von Waffenpro-
duktion geprägt, so daß ein Teil der Mittel wahrscheinlich in die Rüstungsindustrie
fließt. Gleichzeitig hängen die Resultate im Maschinenbau vom Entwicklungstem-
po von solch ausschlaggebenden Zweigen wie Elektronik und Computertechnik ab

16 Vgl. SchröderNogel1986
17 Vgl. Cooper 1986
18 Vgl. Sehröder 1986, S. 10
Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute -ein Querschnitt 319

(z.B. für die Einführung von Computer-gesteuerten Werkzeugmaschinen). Diese


Sektoren sollen daher mit noch größerer Geschwindigkeit wachsen als der Maschi-
nenbau insgesamt.19 Das bedeutet den direkten Ausbau einiger rüstungsindustriel-
ler Sektoren.
Insgesamt gesehen läuft die im 12. Fünfjahresplan in den Weg geleitete neue
Investitions- und Strukturpolitik höchstwahrscheinlich auf eine Stärkung der Rolle
der Rüstungsindustrie bei der Entwicklung von fortgeschrittenen Produktionstech-
nologien hinaus.

Problem Technologietransfer
In einer derartigen Investitions- und Strukturpolitik gewinnt gleichzeitig das Pro-
blem der Organisation des Technologietransfers zwischen der Rüstungsindustrie
und der zivilen Industrie wachsende Bedeutung. Ein Technologietransfer zwischen
den beiden Sektoren erfolgt in zwei Schritten: Der erste besteht in dem Transfer
von der Rüstungsproduktion zur zivilen Produktion in der Rüstungsindustrie sel-
ber, der zweite dann zum Produktionsbereich des zivilen Sektors. Der erste Schritt
ist der prinzipiell einfacher zu verwirklichende, da er innerhalb des Organisations-
bereichs eines Ministeriums abläuft. Militärische und zivile Produktion teilen sich
dabei dieselbe Ressourcen- und Technologiebasis, und das Management-Personal
ist verantwortlich für beide Bereiche. Der zweite Schritt ist aufgrund der stark aus-
geprägten Geheimhaltungsprobleme und der generellen Probleme, die im sowjeti-
schen System mit inter-ministerieller Kooperation bisher verbunden sind, wesent-
lich schwieriger.
Mit der jüngst begonnenen Schaffung von "Branchenübergreifenden Wissen-
schaftlich-Technischen Komplexen" ist mit Sicherheit auch der Versuch verknüpft,
den Prozeß des Technologietransfers von der Rüstungs- zur Zivilindustrie wirksa-
mer zu organisieren. Diese Komplexe sind in der Regel um ein Akademieinstitut
herum organisiert. Die sowjetische Akademie der Wissenschaften arbeitet sowohl
dem Rüstungs- als auch dem Zivilsektor zu. Zudem sollen dieselben Forscher-
teams oftmals in beiden Sektoren tätig sein. Da jedoch die Akademie an kein Mini-
sterium angebunden ist, kann sie durchaus die Rolle einer effizienten Technologie-
vermittlungsagentur durch know-how-Transfer übemehmen.20
Eine andere Transfermöglichkeit, welche die Modemisierung der Ökonomie
unterstützen könnte, besteht in dem Transfer von "Human-Kapital". Hierbei nimmt
die Rüstungsindustrie offensichtlich eine Leitfunktion ein. So sind unter Gorbat-
schow verstärkt ehemalige Rüstungsmanager auf wichtige Posten im Staatsapppa-
rat berufen worden.21 Dieser Personaltransfer hat zwei Aspekte. Zum einen dürfte
sich die politische Führung die Einführung effizienterer Managementmethoden in
der allgemeinen Wirtschaftsleitung erhoffen, weil die Ausbildung und das Fach-
wissen von Managern aus der Rüstungsindustrie im allgemeinen hoch angesehen
sind. Zum anderen stellt ein solcher Personaltransfer den Versuch dar, die Belange
und Interessen der Rüstungsindustrie in der Zeit eines tiefgreifenden ökonomi-
schen Wandels möglichst zu wahren, indem Repräsentanten aus diesem Sektor lei-
tende Funktionen im Partei- und Staatsapparat anstreben.

19 Vgl. Ryschkow 1986


20 Vgl. Cooper 1986
21 Vgl. Sehröder 1987b, S. 617
320 Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute- ein Querschnitt

Auch in seinen Organisationsstrukturen scheint der Rüstungssektor eine Vor-


bildfunktion einzunehmen. Das neu geschaffene "Büro für Maschinenbau" beim
Ministerrat, welches wahrscheinlich die Tätigkeit der elf zivilen Maschinenbau-
Ministerien koordiniert, soll amerikanischen Geheimdienstangaben zufolge in sei-
ner Operationsweise der "Militärisch-Industriellen Kommission" nachgebildet
sein.22 Zudem hat der zuvor als Minister in der Rüstungsindustrie tätige Leiter des
Büros für Maschinenbau explizit die Luft- und Raumfahrtindustrie als Modell für
eine Reorganisation im Maschinenbau-Sektors hingestellt.23
Auch die Einführung von staatlichen Abnahmekommissionen in der Zivilwirt-
schaft, durch die permanente Qualitätsendkontrollen, ausgeübt von staatlichen An-
gestellten, auf Betriebsebene fest etabliert werden sollen, weist große Ähnlichkei-
ten zu Strukturen in der Rüstungsindustrie auf, wo Abnahmeoffiziere die geforder-
te Qualität von Rüstungsgütern kontrollieren.24
Die mögliche Funktion der Rüstungsindustrie als Leitsektor bei der wirtschaft-
lichen Modernisierung ist zwiespältig zu beurteilen. Ein Kernstück der Wirt-
schaftsreformstrategie von Gorbatschow ist die Verstärkung der Rolle von Wissen-
schaft und Technologie. Sollte jedoch die Rüstungsindustrie an technologischen
Innovationsprozessen beträchtlich beteiligt sein und sollten sich ihre Organisati-
onsstrukturen dafür als allgemeines Standardmodell für den Rest der Industrie her-
ausbilden, dann wird die effektive Verknüpfung der Aktivitäten im Forschungs-
und Produktionsbereich zwischen dem Rüstungs- und dem Zivilsektor zu einer ent-
scheidenden Größe. Kommt es dabei zu größeren, nicht überwindbaren Beeinträch-
tigungen durch militärischen Geheimhaltungsschutz und bürokratisches Behar-
rungsvermögen, dann ist mit einer für die ökonomische Entwicklung als entschei-
dend angesehenen schnellen Verbesserung der Leistungsfähigkeit des sowjetischen
Wissenschafts- und Technologiepotentials kaum zu rechnen.

Haltung des Militärs und der Rüstungsindustrie zur Wirtschaftsreformpolitik

Im sowjetischen System nehmen die Rüstungsindustrie und die Streitkräfte bislang


eine privilegierte und damit zugleich auch eine gewichtige politische Position ein.
Sie haben in der Regel eine eigene Sicht und Beurteilung der aktuellen sowie
wahrscheinlichen zukünftigen internationalen politischen Lage und leiten daraus
ihre militär- und rüstungspolitischen Prioritäten ab.25
So fordern einzelne sowjetische Militärs mit Hinweis auf amerikanische Rü-
stungsprogramme eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten des Landes zur Ver-
hinderung einer strategischen Überlegenheit der USA.26 Die Wirtschaftspolitik
von Gorbatschow betont hingegen die Modernisierung der zivilen Sektoren der
Wirtschaft und zugleich die beschleunigte Allhebung des Wohlstandes der Bevöl-
kerung, etwa durch vermehrte Konsumgüterproduktion.
Eine derartige Orientierung könnte im Zusammenhang mit den von Gorbat-

22 Vgl. U.S. CIA 1986, S. 21


23 Vgl. Sehröder 1986, S.12
24 Vgl. Sehröder 1986, S. 613
25 Vgl. Tiedtke 1987
26 Vgl. Griffith 1987, S. 22
Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute -ein Querschnitt 321

schow verfolgten abrüstungspolitischen Initiativen bewirken, daß die möglicher-


weise daraus resultierenden Verschiebungen der Ressourcenzuweisung und Rü-
stungsreduzierungen in mittel- und langfristiger Hinsicht zu einer deutlichen Ver-
minderung des politischen Einflusses und der privilegierten Stellung dieser beiden
Gruppen führen. Damit würden gewichtige politische und soziale Interessen im
Herrschaftssystem der Sowjetunion berührt. Das führt zu der Frage nach dem Aus-
maß potentieller Ablehnung oder auch Zustimmung der führenden Repräsentanten
aus Rüstungsindustrie und Militär zur Gorbatschowschen Wirtschaftsreformpoli-
tik, deren Beantwortung jedoch notwendigerweise recht spekulativ bleiben muß.27
Das prekäre Wechselverhältnis zwischen wirtschaftlicher und militärischer
Stärke ist offensichtlich auch den sowjetischen Militärs bewußt.28 Im Zuge wach-
sender ökonomischer Schwierigkeiten und technologischer Rückständigkeiten, die
ebenfalls auf die Rüstungsindustrie durchschlagen und die in der Sicht der Streit-
kräfte mittel- und langfristig die militärischen Fähigkeiten des Landes gefährden,
muß die militärische Führung sorgfältig darüber nachdenken, ob sie die Rüstungs-
last für die Wirtschaft weiter erhöhen und damit ihre strukturellen Defizite weiter
bestehen lassen will.
Wichtige Gruppen im sowjetischen Militär sind offenbar zu der Einsicht ge-
langt, daß die Entwicklung und Herstellung von fortgeschrittenen konventionellen
Waffentechnologien und Weltraumrüstung ohne eine moderne effiziente Wirt-
schafts- und Wissenschaftsbasis kaum mehr möglich ist.29 Unter zukünftigen Be-
dingungen werden solche traditionellen Strategien wie die Schaffung kleiner Inseln
militärischer High-Tech Entwicklung und von Crash-Programmen zur Waffenent-
wicklung ohne eine enge Verbindung mit den zivilen Wirtschafts- und Technolo-
giesektoren kaum noch erfolgreich greifen.

Unterstützung durch das Militär?


Ökonomische Entwicklung auf der Grundlage der "allseitigen Intensivierung der
Produktion und der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts"
sind im wirtschaftspolitischen Programm von Gorbatschow diejenigen ausschlag-
gebenden Punkte, die zu funktionalen Interessenallianzen zwischen den Wirt-
schaftsreformern und den üblicherweise konservativ eingestellten Militärs führen
könnten.
Langfristig würde dem Rüstungssektor eine umfassend angelegte Hochtech-
nologie-Entwicklung und eine insgesamt modernisierte industrielle Produktionsba-
sis gleichfalls zugute kommen. Die zukünftige Verhinderung entscheidender mili-
tärischer Rückstände gegenüber dem Westen erfordert von der UdSSR eine auf ei-
ner breit diversifizierten Technologiebasis aufgebaute Ökonomie, welche in der
Lage ist, qualitativ hochwertige Güter wie Mikroprozessoren, neue Werkstoffe etc.
zu entwickeln und in genügender Stückzahl zu produzieren. Eine im wesentlichen
auf die Rüstungsindustrie beschränkte Technologieentwicklung würde für die So-
wjetunion die Konsequenz haben, sowohl in den militärischen als auch zivilen Ap-
plikationen von Technologie weiter ins Hintertreffen zu geraten.
Angesichts der militärischen Herausforderung steht die Führung der sowjeti-

27 Vgl. für ein historisches Fallbeispiel die Analyse von Tiedtke 1985.
28 Pozharov in Nikutta 1986, S. 59
29 Vgl. Sehröder 1987b, S. 606
322 Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute- ein Querschnitt

sehen Streitkräfte vor dem Problem, ob faktisch eine erfolgversprechende Alterna-


tive zu der Wirtschaftspolititk von Gorbatschow vorhanden ist.30 So ist durchaus
vorstellbar, daß ein wesentlicher Teil des sowjetischen Militärs Verminderungen
der Militärausgaben und die vermehrte Umleitung von Ressourcen in den Zivilsek-
tor im Interesse langfristiger wirtschaftlicher sowie technologischer und damit
auch militärischer Stärke unterstützt
Identifiziert sich das Militär mit wichtigen Teilen des Wirtschaftsprogramms
von Gorbatschow, dann müßte es zwangsläufig auch ein größeres politisches Inter-
esse an der Schaffung geeigneter externer Rahmenbedingungen zur Realisierung
von ökonomischen Reformen gewinnen, sprich an einer deutlichen Abschwächung
des Rüstungswettlaufs und einer politisch entspannteren internationalen Situation.
Es gibt jedoch Anzeichen für Differenzen innerhalb des Militärapparates über das
"neue politische Denken" von Gorbatschow im Bereich der Rüstungskontrolle und
Außenpolitik.31

Widerstand der rüstungsindustriellen Ministerialbürokratie?


Minister und Manager aus der Rüstungsindustrie könnten eher dem Weg den Vor-
zug geben, gewisse Abstriche bei der Entwicklung und Produktion fortgeschritte-
ner, komplexer Rüstung zu machen, um so die offenbar unvermeidlichen tiefer-
greifenden Reformen des wirtschaftlichen Systems zu unterlaufen. Die Wirt-
schaftspolitik von Gorbatschow greift stark in die Interessen der aufgeblähten Mi-
nisterialbürokratien ein und versucht, deren unproduktiven Einfluß zu beschneiden.
Daher haben Gruppen und Individuen aus der Rüstungsindustrie einigen Grund zu
der Befürchtung, daß von den Wirtschaftsreformen für sie negative Konsequenzen
und materielle oder soziale Einbußen ausgehen. Zudem sind die Minister und Ma-
nager der sowjetischen Rüstungsindustrie generell daran interessiert, daß die Waf-
fensysteme technologisch nicht übermäßig komplex ausfallen, weil deren Serien-
fertigung sich dann einfacher gestaltet und so die Planauflagen besser einzuhalten
sind. 32 Von den rüstungsindustriellen Ministerien könnten daherpotentiell größere
politische Widerstände gegenüber der Wirtschaftsreformpolitik von Gorbatschow
ausgehen als von der militärischen Führung, die prinzipiell technologisch innovati-
onsfreudiger ist.

Schlußfolgerungen

Folgt man Gorbatschows Aussagen, dann scheint seine Präferenz darin zu beste-
hen, die verfügbaren Ressourcen direkt für die Wirtschaftsreform des zivilen Sek-
tors zu Lasten von Rüstungsprogrammen einzusetzen.33 Zwar will auch die So-
wjetunion viele der Technologien entwickeln, auf denen SDI und moderne konven-
tionelle Rüstung basieren, aber diese sind gleichzeitig für den angestrebten Über-

30 Vgl. Sehröder 1987b, S. 606


31 Vgl. Griffiths 1987; Nichols 1987
32 Vgl. zum letzten Aspekt Kaldor in Nikutta 1986, S. 110 f.
33 Vgl. z.B. Antworten auf Fragen des Chefredakteurs der Zeitung ,Rude pravo', Zdenek
Horeni (veröffentlicht in Prawda vom 9.9.1986, abgedruckt in Gorbatschow 1987, S.
190)
Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute - ein Querschnitt 323

gang zur intensiven Wirtschaftsentwicklung erforderlich. Dem von der Reagan-


Administration gewählten Zugriff, über eine stark militärisch orientierte For-
schungs- und Technologiepolitik gleichzeitig eine allgemeine Modernisierung der
industriellen Basis des Landes anzustreben, stehen die sowjetischen Reformpoliti-
ker skeptisch gegenüber. Sie stehen jedoch in den nächsten Jahren vor schwierigen
Entscheidungen über die Prioritäten in der Investitionspolitik.
Nach amerikanischen Geheimdienstschätzungen hat die Schwerpunktorientie-
rung auf die Entwicklung der Zivilwirtschaft momentan bis zu Beginn der 90er
Jahre keinen großen Einfluß auf die Rüstungsproduktionskapazitäten. Der größte
Teil der Waffensysteme, die bis Anfang der 90er Jahre an die sowjetischen Streit-
kräfte ausgeliefert werden sollen, kann mit den vorhandenen Kapazitäten produ-
ziert werden. Allerdings könnte es bei einigen sowohl für die industrielle Moderni-
sierung als auch für die Rüstungsproduktion benötigten Grundstoffen und Zwi-
schenprodukten zu harten Verteilungskonflikten kommen, die zu Produktionsver-
zögerungen oder einer Stückzahlreduzierung bei einigen Waffensystemen führen
würden.
Versagt die "Arms Control", wird die sowjetische militärische Führung - ab-
hängig vom Gang und Umfang amerikanischer Rüstungsprogramme - vermutlich
stärkeren politischen Druck für zusätzliche Mittelzuweisungen ausüben. Legt man
die durchschnittlichen Entwicklungs- und Produktionszyklen moderner Waffensy-
steme zugrunde, dann muß die politische Führung für Waffensysteme, die in der
zweiten Hälfte der 90er Jahre hergestellt werden sollen, substantielle Investitions-
entscheidungen zum Aufbau der notwendigen Entwicklungs- und Produktionska-
pazitäten spätestens Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre treffen. Das würde für
Gorbatschow keinen großen zeitlichen Handlungsspielraum für die Verwirklichung
seiner langfristig angelegten Wirtschaftspolitik erbringen.
Trotz der möglichen Interessenkonflikte über Handlungs- und Investitionsprio-
ritäten zwischen politischer Führung und Militär/Rüstungsindustrie darf nicht
übersehen werden, daß es immer noch einen breiten gesellschaftlichen Konsens
über bestimmte Elemente sicherheitspolitischer Interessen der UdSSR gibt. Dieser
schließt ein, daß ein Verzicht auf den Weltmachtstatus der Sowjetunion nicht zur
Disposition steht.34
Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß Gorbatschow seine wirtschaftlichen Re-
formpläne bis zu diesem Punkt vorantreibt, wo in der Sicht der Militärs und Rü-
stungsmanager essentielle militärische Erfordernisse gefahrdet würden. Ein mah-
nendes Beispiel dürfte für ihn Chruschtschow sein. Dieser hatte im Rahmen seines
Wirtschaftsprogramms einseitig den Umfang der Streitkräfte drastisch reduziert
und von den Militärs verlangt, sich primär auf die seiner Ansicht nach ,,kostengün-
stigeren" Nuklearwaffen zu stützen. Die Unzufriedenheit von Militärs und Rü-
stungsmanagern mit dieser Politik war ein Faktor, der schließlich zu seinem Sturz
beitrug.35 Angesichts dieser Erfahrungen sind von Gorbatschow kaum umfangrei-
che einseitige Rüstungsreduzierungsschritte zu erwarten, wenn er nicht seine poli-
tische Position aufs Spiel setzen will.
Andererseits scheint der bisherige Konsens zwischen den verschiedenen Teilen
der Machtelite hinsichtlich solcher Konzepte wie Abschreckung und militärischer

34 Vgl. Segbers 1987, S. 26 f.


35 Vgl. Tiedtke 1985
324 Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute- ein Querschnitt

Parität aufzubrechen. Es gibt deutliche Anzeichen, daß in der UdSSR tatsächlich


ein Prozeß des ernsthaften Umdenkens bezüglich einer Reihe von elementaren si-
cherheitspolitischen Aspekten eingetreten ist. Vertreter des "neuen politischen
Denkens" thematisieren eine neue Sicht der Ursachen des Rüstungswettlaufs: Sie
stellen das Gleichgewichtsdenken und die sture militärische Paritätsmentalität in-
frage; sie distanzieren sich deutlich von einer Sieg-Doktrin und der Vorstellung der
Gewinnbarkeil von Nuklearkriegen; sie betonen die Einsicht, daß Sicherheit nicht
errüstet werden kann, sondern vorwiegend ein politisches Problem sei; sie entwer-
fen eine neue ideologische Konzeption der friedlichen Koexistenz, die gegenüber
dem Systemwettbewerb dem Ziel der Friedenssicherung Priorität zuschreibt; sie
diskutieren das Konzept einer "ausreichenden Verteidigung", welches bis zur
Möglichkeit einer sowjetischen Minimalrüstung reichen könnte.36
Das von Gorbatschow artikulierte "neue politische Denken" muß als ein ernst-
hafter Versuch gesehen werden, einen komplementären innen- und außenpoliti-
schen Rahmen für eine weitgehende Rüstungsreduzierungspolitik zu schaffen. Mit
einer Verminderung des von außen kommenden militärischen Drucks könnte der-
wirtschaftspolitische Handlungsspielraum deutlich erhöht und der Einfluß des Mi-
litärs begrenzt werden. Jedoch ist für die Verwirklichung des von dem Reformflü-
gel in der Partei angestrebten Vorhabens eines weitreichenden ökonomischen, so-
zialen und außenpolitischen Wandels eine breite innenpolitische Akzeptanz, insbe-
sondere auf Seiten der Militärs, von grundlegender Bedeutung. Es wird darauf an-
kommen, die Reformpolitik in eine widerspruchsfreie innen-, außen- und sicher-
heitspolitische Gesamtstrategie einzubinden.37
In welchem Maße und in welche Richtung sich eine Reorientierung der sowje-
tischen Sicherheitspolitik durchsetzen wird, bleibt abhängig von den Interessens-
überschneidungen und Koalitionsbildungen zwischen den Mitgliedern der Füh-
rungselite und den verschiedenen Gruppensegmenten im Partei- und Staatsapparat.
Dabei sind Militär und Rüstungsindustrie nicht notwendigerweise homogene Inter-
essenblöcke. Mögliche Verbindungen können quer durch die verschiedenen Insti-
tutionen und Gruppen laufen. Welche Interessenverbindungen und Einstellungen
über die Richtung von Reformen der sowjetischen Wirtschaft, Gesellschaft und
Außenpolitik die Oberhand gewinnen werden, ist momentan schwer zu prognosti-
zieren. Auf den Ausgang dieses Prozesses und eine mögliche Reorientierung der
sowjetischen Sicherheitspolitik (und damit gleichzeitig auf den politischen Stellen-
wert und Einfluß des Militärs und der Rüstungsindustrie) nimmt der Westen mit
seiner zukünftigen Militär- und Rüstungspolitik nicht unerheblichen Einfluß.

36 Vgl. zusammenfassend: Tiedtke 1987


37 Vgl. Tiedtke 1987
10. Perspektiven

Wissenschaft, im emphatischen Sinne, soll zur Prognose fahig sein, und so dient
der Schlußabschnitt dieser Studie zur sowjetischen Rüstung und der möglicherwei-
se geeigneten theoretischen Überhöhungen dem Versuch, die Weiterungen des vor-
findliehen Zustandes anzugeben.
Ein solches Unterfangen wird in der gegenwärtigen Situation eines allgemei-
nen Umbruches in der UdSSR höchst unsicher bleiben. Aus den in der Untersu-
chung gewonnenen Einsichten und Hinweisen solltrotz dieser Vorbehalte ein per-
spektivischer Blick auf die derzeitige Situation gerichtet werden.
Die größten Profiteure von mehr "Glasnost" dürften kurzfristig Historiker und
Sozialwissenschaftler sein. Das freiwerdende Material, Informationen, die bei in-
nersowjetischen Debatten über die UdSSR anfallen, dürften die Kenntnis und das
Verständnis dieses Gemeinwesens um einen quantitativen und qualitativen Sprung
verbessern. Im Militärbereich steht ein besonders weitreichender Schritt an Infor-
mationszuwachs an durch die für Beginn der neunziger Jahre angekündigten Be-
kanntmachungen über Einzelheiten der Rüstungsausgaben. Die Kreml-Astrologen
werden dann dennoch nicht arbeitslos. Statt der Frage, wie groß der sowjetische
Militäraufwand in den verschiedenen Kategorien nun wirklich ist, werden sie künf-
tig das Problem bearbeiten, ob die sowjetischen Angaben denn tatsächlich stim-
men.
Die Beschränkungen eines exzessiven Sicherheitssystems halten bis in die
jüngste Zeit an. Im August 1988 war z.B. der israelische Physiker Harry J. Lipkin
zu einem Vortrag ins Moskauer Landau-Institut für Physik eingeladen. Wie sich
herausstellte, führte der einzige Zugang zum Vortragsort durch ein für Ausländer
nicht passierbares Sperrgebiet. Die Vorlesung wurde daraufhin in ein anderes For-
schungsinstitut verlegt Nun stellte sichjedoch heraus, daß der gastgebende Direk-
tor des Landau-Institutes nicht berechtigt war, diese Forschungseinrichtung zu be-
treten, so daß er darauf verzichten mußte, den Vortrag seines Gastes zu hören.
Der Durchschnittsbürger begegnet dem Sicherheitssystem durchaus im Alltag.
Telefonbücher gibt es praktisch nicht, und wer von der Auskunft eine Nummer er-
halten möchte, muß Geburtsdatum oder Anschrift des Anzurufenden angeben kön-
nen. Auf die (scheinheilige) Anfrage an durchaus hilfsbereite Gesprächspartner in
einem Moskauer Institut, wie die Telefonnummer eines ortsansässigen Korrespon-
denten einer westlichen Zeitung erfahrbar sei, kam die Antwort, dies herauszufin-
den sei unmöglich. Die Beschränkungen, welche sich für nicht autorisierte Kom-
munikation im Sowjetsystem ergeben, lassen sich, wie das Beispiel Telefonbuch
anzeigt, für den Ausländer allenfalls erahnen.
Die wohl bizarrste Variante von Geheimhaltungsbemühungen dürfte die amtli-
che Fälschung von Karten über das eigene Land darstellen. Viktor R. Jaschtschen-
ko, der oberste Kartograph der UdSSR, räumte in einem Interview mit der Iswetija
den Tatbestand freimütig ein und kündigte an, daß nunmehr akkurate Karten vor-
326 Perspektiven

gelegt würden.l Vor achtzehn Jahren hatte ein westliches Fachblatt, The Military
Engineer, durch eine simple Gegenüberstellung verschiedener sowjetischer Publi-
kationen vorgeführt, wie unglaubwürdig amtliche sowjetische Kartenwerke sind.
Abbildung 19 gibt das (kartenmäßige) Schicksal der Stadt Logaschkino an der Kü-
ste der Ostsibirischen Seen wieder. Mal, so der Military Engineer in seiner enthül-
lenden Darstellung, liege die Stadt am linken, mal am rechten Ufer des Flusses
Alaseja, mal gebe es sie gar nicht2 Andere Beispiele wie die Fehldarstellung der
Umgebung Leningrads werden damit begründet, möglichen Angreifern keine
brauchbaren Hinweise zu geben - im Zeitalter der Satellitenfotografie ein faszinie-
render Ahistorismus.
In der UdSSR erscheinen mehr und mehr kritische Artikel, mit denen die lästi-
ge Geheimnistuerei aufs Korn genommen wird. In einem der schärfsten Beiträge in
neuerer Zeit wird Akademiemitglied W. Ginsburg zitiert:
,.Das Verfahrens des Ausfüllens der Formulare, um die Veröffentlichung eines Artikels
vorzubereiten, frißt bis zu 30 Prozent der Arbeitszeit. Und dies für offene Arbeiten!
Warum? Das Photokopieren von Papieren über offene Themen ist nicht gestattet- wa-
rum? Es ist gleichgültig, viele machen es eben heimlich."3
Die voranstehenden Seiten enthalten eindrucksvolle Belege für eine substanzielle
Änderung des Informationsgebarens der Führungsspitze. Die Bezeichnungen von
Waffen sind zum Teil nicht mehr geheim, es werden eigene Daten über das sowje-
tische Nukleararsenal vorgelegt4 Am 13. Oktober 1987 legt die Sowjetregierung
der Abrüstungsabteilung einen Bericht über ihre biologische Forschung vor, wie
das auf der Zweiten Review-Konferenz zur Konvention über Biowaffen vereinbart
worden war. Aufgeführt werden auch fünf militärische Forschungsstätten, ein-
schließlich einer in Swerdlowsk (wo es vor Jahren einen rätselhaften Unfall gege-
ben hatte.5 Rüstungsausgaben werden qualifiziert, die Waffenexportquote wird an-
gegeben, und nach der Haushaltsreform soll der sowjetische Militäraufwand in
voller Größe und international vergleichbar bekannt gegeben werden. Den Alltag
des Sowjetbürgers berührt dies alles wenig, er wird von Uniformierten weiterhin
energisch zurechtgewiesen, wenn er auf dem zur Fußgängerzone erklärten Roten
Platz sich an bestimmten Stellen nicht auf dem Zebrastreifen bewegt oder wenn er
die Grabinschriften der Atombombenpioniere an der Kremlmauer studieren möch-
te. Die "neue Offenheit" ist augenscheinlich beschränkt, sie gilt bislang vorrangig
für die Führungsspitze, und die handhabt sie nach Gutdünken. So erscheint diese
neue Offenheit dem alten Sicherheitssystem aufgesetzt, mit diesem koexistierend.
Zwar gibt es viel Kritik, auch im Rüstungsbereich als dem unmittelbaren Arbeits-

1 Jaschtschenko ist Leiter der Verwaltung für Geodäsie und Kartographie beim Minister-
rat der UdSSR. Vgl. den Beitrag von Keller 1988.
2 ,.Soviet Cartographic Falsification", ohne Autor (was den Verdacht auf eine Veröffent-
lichung des Geheimdienstes nährt) in: The Military Engineer, Nr. 410, 1970
3 Zit. nach Pestow 1988. Dort auch die anderen in diesem Absatz zitierten Textstellen.
Vgl. die Beobachtung von Smith 1976, S. 467: ,,Das wichtigste Dokument- das Proto-
koll, in dem die genaue Anzahl von landgestützten Raketen und Raketen-Ubooten bei-
der Seiten angegeben wurden- ist nie von sowjetischen Zeitungen gedruckt worden."
4 Novoje Vremja (Neue Zeit) vom 30.1.87.
5 Chemical Weapons Convention Bulletin, S. 5 (die USA legten am 15. Oktober 1987 ih-
ren Parallelbericht vor).
Perspektiven 327

Logashkino, 1939 Logashkino missing, 1954


Bolshai Sovetsky Atlas Mira Atlas Mira

On the coast, 1962 River channel missing, 1967


Atlas S.S.S.R. Atlas Mira

Soviet
Union

Abbildung 19: Frühere Kartenfälschungen in der UdSSR als Beispielfür


Geheimhaltung
Quelle: The Military Engineer, Nr. 410 (November/Dezember) 1970
Anmerkung: Im "Großen Sowjetischen Weltatlas" von 1939 (oben links) liegt Logasch-
kino links vom Fluß im Inland; im "Weltatlas" von 1954 ist die Stadt nicht
verzeichnet; in der Neuauflage des "Weltatlas" von 1967 fmdet sich die
Stadt rechts vom Fluß, dem diesmal der Stichkanal zur Küste abgeht, näher
zur Küste. Der ,,Atlas der UdSSR" von 1962 verzeichnet Fluß und Stichka-
nal und lokalisiert die Stadt direkt an der Küste.- ,,Meyers Großer Weltat-
las" in der 2. Auflage von 1974 folgt dem sowjetischen Kartenwerk von
1954, gibt also gemäß der Darstellung oben rechts die Doppelmündung des
Flusses Alaseja ohne die Stadt wieder.

feld einer Vielzahl von Menschen. Der Sinn dieser Kritik ist aber vor allen ein in-
strumenteller, Verbesserung von Verhältnissen- Selbstwert hat die neue Offenheit
bislang kaum.
Auch in der sowjetischen Führungsspitze werden gewisse Enttäuschungen
über die geringe Wirkung der Politik des neuen Denkens und der neuen Offenheit
nach innen und nach außen sichtbar. Im Gespräch äußert sich Vizeaußenminister
Wladimir Petrowsky zum Beispiel enttäuscht über das flaue Echo, welches die
Preisgabe sowjetischer Rüstungsdaten im Westen, gerade auch bei den unabhängi-
gen Medien, gefunden habe. Das sowjetische Angebot, wechselseitig umfassend
Einzelheiten der Marinerüstung offenzulegen, sei von der amerikanischen Regie-
328 Perspektiven

rung mehr oder minder abgelehnt worden. Man werde dennoch die neue Informa-
tionspolitik fortsetzen.
Am weitreichendsten werden die Folgen der Änderungen für die Sowjetbürger
ausfallen. Auch die UdSSR in der Ära Gorbatschow ist zunehmend als "politisch
konstituiertes und über Rechtsnormen integriertes Gemeinwesen"6 zu begreifen.
Die für die Sowjetgesellschaft neuen Konzepte der strikten Rechtsstaatlichkeit,
einschließlich eines Verwaltungsgerichtswesens, bieten weite Möglichkeiten der
konstruktiven Neu- und Ausgestaltung des Systems - und eben dies stellt die
Chance der Perestrojka dar.
Offen bleibt derzeit, in welcher Weise die Rüstung von dieser Neugestaltung
erfaßt wird, ob eine veränderte Sowjetgesellschaft ihr weiterhin die hohe Priorität
einräumen wird, die sie bislang genoß. Anzeichen deuten darauf hin, daß die Ant-
wort künftig eher negativ lautet. Der Aufwand für militärische Sicherheit wird sich
in einer veränderten Gesellschaft ungleich stärker mit anderen Ansprüchen an die
Ressourcen messen lassen müssen.
Es steht nicht zu erwarten, daß die Veränderungen in der UdSSR die alte These
von einer zunehmenden Konvergenz der Systeme bestätigen. Obwohl die technolo-
gischen Verflechtungen intensiver werden dürften, werden die Unterschiede zwi-
schen privat-marktwirtschaftlicher und staatsorganisierter Wirtschaft weiterhin
durchschlagen. Die Theoretiker der Linken werden mit der Betonung dieses Unter-
schiedes Recht behalten. Anzuführen ist etwa Herbert Marcuse, der die, wie er dies
nennt, "unqualifizierte Konvergenzthese" ausdrücklich zurückweist.? Er betont wie
andere Autoren dieser Orientierung den besonderen Charakter der Sowjetgesell-
schaft ,,Eschatologisch gesprochen, enthält die Sowjetgesellschaft eine qualitativ
andere Gesellschaft."S
Dennoch haben Ost und West nach Marcuse, worauf Claus Offe in seinen
"Antworten''9 besonders verweist, "dieselbe technische Basis".lO Es gibt mithin
keine besondere sowjetische Technik oder gar Rüstungstechnik, sondern- so Mar-
cuse - "die beiden antagonistischen Gesellschaftssysteme vereinigen sich ... in der
allgemeinen Tendenz des technischen Fortschritts" .11 Offe überzeichnet wohl,
wenn er Marcuse aufgrund dieser Feststellung die "Annahme einer zumindest la-
tenten Systemkonvergenz zwischen Ost und West"12 zuspricht. Gerade dieser
Punkt, daß der gemeinsame Nenner Technologie, und diese in gleicher Ausprä-
gung, eben nicht Konvergenz der politischen Systeme bedeutet, wird künftig er-
heblich die sowjetische Theoriedebatte beschäftigen.
"Perestrojka", Umbau, zielt real aber vor allem auf die Neugestaltung der So-
wjetwirtschaft, auf die Modernisierung der industriellen Grundlage der Sowjetöko-
nomie, und dabei vorrangig auf die Entwicklung derjenigen Technologien, die er-
forderlich sind, um den Anschluß an den Westen zu erreichen. Diese Umgestaltung
soll jedoch nicht, so ist allen Äußerungen Gorbatschows zu entnehmen, zu Lasten

6 Habermas 1987, S. 18
7 Marcuse 1969, S. 126
8 Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus 1964, S. 17
9 Offe 1968, S. 69
10 Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus 1964, S. 171
11 Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus 1964, S. 172
12 Offe 1968, S. 79
Perspektiven 329

des Rüstungssektors gehen. Das Pentagon geht davon aus, daß allenfalls die Zu-
wachsraten des sowjetischen Rüstungsaufwandes beschnitten werden, um Ressour-
cen für die "Perestrojka" der Zivilwirtschaft zu bekommen.13 Für die Rüstung sel-
ber werden (so Condoleezza Rice/Stanford University) Änderungen in der Handha-
bung der Waffenbeschaffung erwartet.14 Anstelle der "Schock-Therapie", der eil-
fertigen Konzentration von Ressourcen auf Schlüsselprojekte, würden künftig auch
Prioritätsvorhaben wirtschaftlicher gehandhabt. Indiz für größere Gelassenheit auf
sowjetischer Seite in der Handhabung von Vorrangprojekten mag das Schicksal
des neuen Interkontinentalbombers sein, welcher im Westen unter dem Codena-
men "Totschläger" (Blackjack) bekannt ist. Während für die US-Regierung unter
Präsident Reagan die Wiederaufnahme und Beschleunigung des Baus von schwe-
ren Bombern mit Schwenkflügeln bezeichnend ist, wurde in der Ära Gorbatschow
das Gegenstück "Totschläger" verzögert - der Bomber befindet sich seit sieben
Jahren in der Flugerprobung, nach allen Maßstäben eine ungewöhnlich lange
Zeit.15
Die Organisierung der "Perestrojka" wird nicht nur eine ökonomisch vertretba-
rere Behandlung des Bomberprojektes bewirken. Ganz allgemein wird es zu Rei-
bungen zwischen Militär- und Zivilwirtschaft um die Zuweisung von Ressourcen
kommen.16 Ein solcher Wettbewerb hat in der Vergangenheit in geringem Ausmaß
stattgefunden. Erstmals werden die Rüstungsstrategen ihre Projekte auch ökono-
misch rechtfertigen müssen - was ihnen bislang erspart geblieben ist.
Die Aussichten der ,,Perestrojka" lassen sich auch schichtenspezifisch erörtern.
Die Masse der sowjetischen Rüstungstechniker, der in diesem Bereich tätigen Wis-
senschaftler sowie der Offiziere ist - wie immer eine Beschreibung der Sozial-
struktur der Sowjetgesellschaft ausfallen mag - den Mittelschichten zuzurechnen.
Diese Mittelschichten aber thematisierten am offensten die Mängel in der sowjeti-
schen Güterversorgung sowie im Lebensstandard allgemein, sie sind Gorbat-
schows eigentliche Unterstützer,l7 Offenheit auch für ihre wissenschaftlichen Pu-
blikationen (statt, wie bisher, Geheimstempelung), Auslandsreisen (statt deren
Ausbleiben), auf der Grundlage einer auskömmlichen Versorgung, verbunden mit
W eltoffenheit, das sind die Leitwerte, für die diese ausschlaggebende Gruppierung
zu gewinnen ist. Ihr fehlen die Annehmlichkeiten, welches das Sowjetsystem den
höheren Rängen der ,,Nomenklatura" bereitzustellen wußte. Auch wenn eine sol-
che "nivellierte Mittelstandsgesellschaft" den Vätern der Revolution ein Graus sein
mag - sie bildet die zentrale Leitvorstellung der sowjetischen Reformer und der sie

13 Vgl. SovielMilitary Power 1988, S.10


14 Vgl. die Zusammenfassung in Aviation Week & Space Technology, 2. Mai 1988, S. 19
15 Zur Verwunderung von Nachrichtendienstlern sind "die Sowjets wegen dieses Pro-
blems nicht sonderlich besorgt," Aviation Week and Space Technology, 2. Mai 1988,
S.105
16 Vgl. in dieser Richtung den angeführten Beitrag von Mann, S. 19
17 Bruce Parrott von der School of Advanced International Sturlies der Johns Hopkins
University vertritt genau die gegenteilige Ansicht: ,,Viele Berufsoffziere werden einer
Neudefinition der Rolle der Streitkräfte Widerstand entgegensetzen, und der Übergang
wird wahrscheinlich schwierig." (Zitiert nach Aviation Week & Space Technology, 2.
Mai 1988, S. 19). Herbert S. Levine von der Universität von Pennsylvanien meint dem-
entgegen in unserem Sinne, daß die Offiziere wie andere Mittelschichtler am ehesten
von der Perestrojka profitieren würden.
330 Perspektiven

tragenden Gruppierungen. Und wahrscheinlich ist die Zukunft des Sowjetsystems


von diesen Mittelschichten, ihrem Glauben an dieses System, ihrer Zufriedenheit
mit seinen Erträgen, aber vor allem von ihrem Leistungswillen abhängig. Derzeit
rangiert die UdSSR vom erzeugten Bruttosozialprodukt pro Kopf her zwischen
Griechenland und Spanien. Die Okonomen würden ein solches Land allenfalls als
Schwellenland zur Hochindustrialisierung einstufen. In der Rüstung haben die
Russen und die anderen Völkerschaften freilich gezeigt, daß sie mehr können als
Spanier oder Griechen - vorausgesetzt, ihre Tätigkeit wird entsprechend organi-
siert.
Das rege Interesse an der Rüstungsverständnisweise von "Perestrojka", Kon-
version, verweist auf eine der sich abzeichnenden Beschränkungen der Verände-
rungen. Gerade weil Teilbereiche der Gesellschaft, hier die Rüstung, in den Mittel-
punkt der Debatte gestellt werden, wird sichtbar, daß niemand sich mit der Aufga-
be belastet, die Gesellschaft im ganzen neu zu konzipieren. Die Kommunistische
Partei, der herkömmlichem Verständnis zufolge eben diese Aufgabe zusteht, zieht
sich gerade von solchen Projekten zurück.
Der absehbare Verzicht auf ein theoretisch vorgeklärtes, gesellschaftlich um-
fassend konzipiertes Verständnis von "Perestrojka" wird besonders scharfe Bruch-
kantenamBezug zwischen Gesellschaftssystem und ökonomischem System her-
vorrufen. Die Ökonomie wird als Teilsystem der Gesellschaft angesehen, welches
es zu optimieren gilt. Die Antwort wird nicht hinreichen, zieht man die Bedürfnis-
se des Gesamtsystems Sowjetunion mit in Betracht. Dieses System wird Krisen un-
terworfen bleiben, es wird Repressionsbedarf haben, die Ausdifferenzierung der
Volkswirtschaft wird neue Spannungen in das System tragen- die alle nicht durch
bloß ökonomische Reformen angegangen werden können, ja, die mit solchen An-
sätzen nicht einmal thematisiert werden können.
Veränderungen, Konversion in der Rüstung wird nicht notwendig ökonomisch
sofort belebend wirken. ,,Nicht jeder Gefechtskopf, der unbrauchbar gemacht wird,
verwandelt sich in einen Rubel, der für Investitionen verwendet werden kann", faßt
Rice das Dilemma plastisch zusammen.18
Dieamerikanische Erfahrung beim Abbau der Mittelstreckenraketen lehrt (und
nur US-Daten stehen derzeit allgemein zur Verfügung), daß diese Art ,,Perestroj-
ka" zunächst einmal mehr kostet - neben dem weiterlaufenden Aufwand für Rü-
stung fallen zusätzlich die Ausgaben für die Vernichtung der Raketen und für die
Veriftkation des parallelen Vorgangs in den USA an. Eine kurzfristig verfügbare
wirtschaftliche Dividende würde nur rasche und tiefe Schnitte in die Rüstung er-
bringen, vorausgesetzt, das sowjetische Planungs- und Leitungssystem wird rei-
bungslos mit der Aufgabe fertig, die freiwerdenden Arbeitskräfte und Ressourcen
nutzbringend einzusetzen. Der offiziell vorgetragene Optimismus früherer Jahre,
das Plansystem im Sozialismus würde schon wegen seiner wissenschaftlichen
Grundlage wesentlich besser mit den Folgen von Abrüstung fertig als der kapitali-
stische Westen, ist verflogen. Heute räumen auch sowjetische Ökonomen ein, daß
die Umstellung ,,nicht leicht" fallen werde. Empirische Untersuchungen über frü-
here begrenzte Umrüstungen, etwa die Demobilisierung von mehr als einer Million

18 Condoleezza Rice, Stanford University, Statement before the Sulx.:ommittee of the


Foreign Affairs Committee, US House of Representatives, April1988 (hier zitiert nach
Aviation Week & Space Technology, 2. Mai 1988, S. 19)
Perspektiven 331

Sowjetsoldaten unter Chruschtschow,19 bestätigen die Berechtigung solcher Skep-


sis.
Unsere Krisenerwartung ist mithin weniger heroisch als in anderen Studien zur
Sowjetgesellschaft verbreitet. Ursula Sehrniederer endet ihre Skizze zum System
der UdSSR wie folgt:
"Für die Herrschenden liegen in diesen Spannungen, also in ihrem Verhältnis zu den
Produzenten, die Schwachstellen ihrer Herrschaft. Die Legitimation von Partei und
Staat, ,ihren' Sozialismus auch gegen die Interessen der Produzenten durchzusetzen,
beruht darauf, daß dies in ihrem Selbstverständnis im Interesse der Produzenten ge-
schieht. Das gesamte Herrschaftssystem ist hier anfällig."20
Von anderer Seite ist wiederholt Skepsis gegen solche Krisenszenarien vorgetra-
gen worden (Hans-Heinrich Nolte: "Daß die sowjetische Arbeiterschaft jedoch in
einem Sinn zum Träger des Klassenkampfes gegen die Bürokratie wird, wie Marx
die Stellung des Proletariats gegenüber der Bourgeoisie beschrieb, scheint wenig
wahrscheinlich").21 Beim weiteren Fortgang der Perestrojka wird neben dem, was
die sowjetischen Verantwortlichen an Problemen eingestehen, von analytischer
Seite aus auf die nicht thematisierten Prozesse, das Ausbleiben rascher wirtschaft-
licher Erfolge im Umgestaltungsprozeß aus strukturellen Gründen, die anhaltende
Abhängigkeit von ausländischer Hochtechnologie (obwohl weltweit die meisten
Ingenieure und Naturwissenschaftler ausgebildet werden), auf die grundsätzlichen
Wandlungsprobleme des sowjetischen Herrschaftssystems einzugehen sein. Und
nicht die Arbeiterschaft, auf deren revolutionären Elan manche ihre Änderungspro-
gnose stützen, sondern die Angestellten, die Funktionseliten sind in der Sowjetge-
sellschaft der Bereich, wo einschlägige Debatten geführt werden und wo sich die
Zukunftschance des Systems entscheidet.22
Eine künftige Sowjetologie wird sich nicht damit begnügen können, so die
Schlußfolgerung, in Einzelbereichen ihre Analyse anzusetzen und einzugrenzen
und in herkömmlicher Manier ihren Gegenstand fragmentiert zu betrachten. Der
Versuch der Veränderung des Ganzen verlangt auch vom Analytiker und beglei-
tenden Beobachter eine neue Anstrengung. Ob diese erbracht wird, bleibt ebenso
offen wie der Erfolg des Unternehmens von Generalsekretär Gorbatschow selber.

19 Vgl. die Untersuchung von Tiedtke 1985


20 Sehrniederer 1980, S. 36 f. (Hervorhebung im Original).
21 Nolte 1979, S. 39. - Nolte gibt verschiedene Begründungen für seine Ansicht, etwa die
Aufstiegsmöglichkeiten für einzelne Arbeiter.
22 Vgl. mit weiteren Belegen und Überlegungen dazu Nolte 1979, S. 38.
Anhänge

AnhangA:
Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion

Die Daten wurden aus folgenden Quellen zusammengestellt:


- Congressional Record, Senate, 10.8.1984, S. S10387-S10389
- U.S. DIA, Soviet Military Materlei Production, 1960-1985 (U-45.542/DB-4),
Washington, D.C. 1985
- U.S. DoD, Soviet Military Power 1987, Sixth Ed., March 1987
- Steven J. Zaloga/James W. Loop, Soviet Tanks and Combat Vehicles 1946 to
the Present, Poole 1987
A I: Produktion von Heeresrüstung der UdSSR 1960-1986 (Stückzahlen)
t:::l
1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1:>
~
Panzer ;::
Eigengebrauch N
2600 1250
Export 700 1850 ~
Total 2500 2600 3500 3400 3800 4000 4500 5200 4500 4800 4500 3800 3300 3100 ~
Schützenpanzer
Eigengebrauch* 1950 1900
~-
~
Export 50 200
Total 0 0 0 0 0 0 0 100 200 800 1000 !500 2100 ~-
2000 ;:,-
Gepanzerte Mannschaftstransportwagen
Eigengebrauch* ~
2350 2650 ::a
Export 250 350
Total 800 800 900 800 1000 1200 1200 1300 1400 16Xl 1900 2300 2600 3000
Gepanzerte Aufklärungsfahrzeuge ~
;::
Eigengebrauch 1150 830
Export 50 170 ~
"<:i
Total 800 1000 1000 1000 1000 1500 1500 1500 !500 1500 1500 1400 1200 1000
Artillerie auf Selbstfahrlafette, Kal. über I 0 crn ••
i3~
1:
Eigengebrauch 100 250
Export 0 0 14
Total 500 500 100 100 100 100 50 50 0 0 0 0 100 250 g·
Artillerie über KaL 10 crn***
Eigengebrauch 1050 850
Export !50 !50
Total 3300 2300 2400 2600 2500 2325 1325 1725 1825 1925 1950 2250 1200 1000
Artillerie unter I 0 crn
Eigengebrauch 50 50
Export 0 0
Total 50 50
Raketenwerfer
Eigengebrauch 350 350
Export 100 !50
Total 140 500
Mörser
Eigengebrauch 0 0
Export 0 0
Total 0 0
Flak auf Selbstfahrlafette
Eigengebrauch 325 250
Export 25 100
Total 1000 700 100 100 100 100 100 100 200 300 300 350 350 350
Flak
Eigengebrauch 375 1:75
Export 125 225
Total 500 500
• Einschließlich Importe; ** 1960-1971 = Sturmgeschütze, 1972 =Haubitzen auf Selbstfahrlafette; *** 1960-1971 -Sämtliche Artillerie I~
Fortsetzung Al: Produktion von Heeresrüstung der UdSSR 1960-1986 (Stückzahlen)
1974 1975 1976 l'm 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 I~
Panzer
Eigengebrauch 1800 2500 2900 2800 2600 2900 2800 1100 2100 2400
Ex~rt 1000 400 100 200 400 600 300 800 400 300
Total 2800 2900 3100 3CXX) 3000 3500 3100 2lXX> 2500 'I/00 3100 3000 3000
Schiltzenpanzer
Eigengebrauch* ZlOO 2650 2950 2700 3000 2250 3100 'I/00 'I/00 3000
Ex~rt 100 0 0 0 0 350 100 500 600 400
Total 2300 2400 2500 2'iOO 2800 2600 3100 3100 3300 3400 3800 3500 3000
Gepanzerte Mannschaftstransportwagen
Eigengebrauch* 1000 550 500 800 1100 1700 1750 950 400 300
Ex~rt 1400 450 500 500 500 100 150 50 100 0
Total 2400 1000 1000 1300 1700 1900 1900 1000 500 300
Gepanzerte Aufklärungsfahrzeuge
Eigengebrauch 900 850 750 850 700 950 875 800 615 700
Ex~rt 100 150 250 250 400 250 375 100 125 100
Total 1000 1000 1000 1100 1100 1100 1100 1000 800 800
Artillerie auf Selbstfahrlafette, Kal. Uber 10 cm**
Eigengebrauch 500 700 700 750 700 750 725 900 11150 1050
Ex~rt 0 100 100 50 100 50 75 100 50 50
Total 500 800 800 800 800 800 800 1100 1100 1100 1000 1000 1000
Artillerie Ubcr Kal. 10 cm***
Eigengebrauch 750 250 400 1050 1100 1100 900 1100 1150 1025
Ex~rt 150 550 400 150 100 200 400 100 50 75 t::l
Total 900 800 800 1lX) 1300 1400 1300 1300 1100 1100 1900 2lXX> 1300 1:1
Artillerie unter 10 cm -~
;:s
Eigengebrauch 50 50 0 0 0 100 100 300 500 600
Ex~rt 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 10:
Total 50 50 0
.....
0 0 100 100 300 500 600
Raketenwerfer
Eigengebrauch 450 500 350 350 300 350 400 650 450 650
~
~-
Ex~rt 50 100 150 150 250 250 300 50 250 50
Total 500 500 500 500 550 600 700 ~;;·
700 700 700 900 700 500
Mörser g..
Eigengebrauch 0 0 0 so so 500 500 1000 1100 1100
-s
Ex~rt 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 ::tl
Total 0 0 0 50 50 500 500 1000 1100 1100 l;=
Flak auf Selbstfahrlafette i2'
Eigengebrauch 100 Zl5 150 150 150 100 100 150 0 50
Ex~rt 150 75 100 150 150 100 200- 150 100 50
~
Total 350 350 350 300 300 300
{g
300 300 100 100 50 100 100
Flak C:l
Eigengebrauch 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 ~
Export 500 500 300 :m 100 0 0 0 0 0 ~
Total 500 500 300 :m 100 0 0 0 0 0 0 0 0 5"
;:s
Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion 335

Produktion von Kampfpanzern der UdSSR


Stückzahl
5500

4150

2800

1450

..
100
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86

Panzer Gesamtproduktion
Panzer für eigene Verwendung
Panzer für Export

Produktion von gepanzerten Kampffahrzeugen der UdSSR


Stückzahl
4000

3000

2000

1000

0
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86

- - Armered Personal Carriers


Infantry Combat Vehicles
........... Armed Recconnaissance Vehicles
336 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion

Produktion von Artilleriegeschützen auf Selbstfahrlafetten der UdSSR

Stückzahl

1400

1050

700

350 ······· ...

0
60 62 64 74 76 78 80 82 84 86

- - SP Field Artillery 100mm Up


............ SP Anti-Aircraft Artillery

Produktion von Artilleriegeschützen der UdSSR


Stückzahl

3500

2625

1750

875
.... ··

0 ·· ..
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86

- - Towed Fie1d Artillery 100mm and up


.............. Towed Fie1d Artillery under 100mm
······-··· Towed Anti-Aircraft Artillery
Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion 337

Produktion von Raketenwerfern und Mörsern der UdSSR


Stückzahl
1200

900

600

300

0
72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86

- - Artillery-Type Rocket Launchers


Artillery-Type Mortars
w
w
00

A 2: Produktion von Kriegsschiffen der UdSSR 1960-1986 (Stückzahlen)


I
196> 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 196J 1970 1971 1972 1973

Uboote
Total 25 30 17 15 15 15 14 17 15 14 16 13 12 11

Raketen-Uboote
Eigengebrauch 6 6
Export 0 0
Total 6 6

Angriffs-Uboote
Eigengebrauch 5 3
Export 1 3
Total 6 6

GtöJ3erc Oberwasser-Kriegsschiffe 1:::::1


1:1
Eigengebrauch 6 11 ~
;:s
Export 2 1
Total 5 7 8 8 9 11 11 13 13 11 12 11 8 12
..
~
Kleinere Überwasser-Kriegsschiffe
Eigengebrauch
~
~-
60 40
Export 10 10 ::r.
Total 1~ 150 125 110 l(l5 115 110 115 100 90 85 80 70 50 ~
::s-
Hilfsschiffe ~
Eigengebrauch* 25 20
Export 0 0 ii:
I~
Total 15 12
~
~
* Einschließlich Importe a
I~
~
~-
0
l:l
~
;s
..
~
Fortsetzung A 2: Produktioo von Kriegsschiffen der UdSSR 1960-1986 (Stückzahlen)

1974 1975 1976 l'!m 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986
I~~~.-
~-
;:so
Uboote !)
Total 14 10 10 13 13 12 13 11 8 10 9 8 8 ::tJ

Raketen-Uboote ~
Eigengebrauch 7 6
~
6 5 2 2 2 2 1 1 ~
Ex~rt 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 7 6 6 5 2 2 2 2 1 1 ~
Angriffs-Uboote ä-
Eigengebrauch 5 4 4 4 10 9 9 9 7 7

Ex~rt 2 0 0 3 1 1 2 0 0 2
Total 7 4 4 7 11 10 11 9 7 9

GröBc::re 01-wasser-Kriegsschiffe
Eigengebrauch 7 12 12 10 10 8 10 7 6 9
Export 2 1 1 2 1 3 1 2 2 1
Total 9 13 13 12 11 11 11 9 8 10 9 8 9
Kleinere 01-wassa--Kriegsschiffe
Eigengebrauch 50 40 50 30 30 35 35 35 35 35
Ex~rt 5 20 5 20 20 20 30 10 20 10
Total 55 60 55 50 50 55 65 45 55 45 50 50 50

Hilfsschiffe
Eigengebrauch* 15 15 15 15 25 25 20 20 10 20
Ex~rt 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 5 9 6 5 7 7 9 6 5 9 5 5 6

Iw
w
\0
340 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion

Produktion von Ubooten der UdSSR


Stückzahl
40

30

20

10
....... -~ ..
········ ..•

0
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86

- - Uboote insgesamt
........... Ballistic Missile Submarines
Attack Submarines

Produktion von Überwasser-Kriegsschiffen der UdSSR


Stückzahl

200

150

100

50

0 ............. -- ------------------
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86

- - Major Surface Combatants


.............. Minor Surface Combatants
------ Naval Support Ships
A 3: Produktion von gelenkten Flugkörpern der UdSSR 1%0-1986 (Stückzahlen) t::::l
~
1960 1%1 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1?
;::!

Interkontinentalrakten (ICBM) "'F:i


Eigengebrauch 25 75 200 250 250 300 350 450 500 325 Zl5 Z/5 150 150
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 "'<:>
Total 25 75 200 250 250 300 350 450 500 325 Z/5 Z/5 150 150 ~

Mittelstreckenraketen (IRBM)
Eigengebrauch 500 500 500 100 50 0 0

0 0 0 0 0 0 0 ;::,-
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 500 500 500 100 50 0 0 0 0 0 ;::!
0 0 0 0 "'~
Kurzstreckenraketen (SRBM)
Eigengebrauch 200 150 50 100 150 200 300 300 350 400 400 400 100 100 ~
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 200 150 50 100 150 200 300 300 350 400 400 400 100 100
~
{;
seegestützte Raketen (SLBM) Cl
Eigengebrauch 100 100 125 125 50 25 25 50 150 150 ~
250 300 300 100
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 100 100 125 125 50 25 25 50 150 150 250 300 300 100
8:

;::!
seegestützte Marschflugkörper (SLCM)
Total
Antischiffs-Marschflugkörper
Eigengebrauch 800 800
Export 0 0
Total 800 800
Boden-Luft-Raketen
Total 25000 29000
taktische Boden-Luft-Rakten
Eigengebrauch 1200 1300
Export 0 0
Total 1200 1300
gelenkte Panzerabwehrraketen
Total 25000 25000

Bodenradaranlagen
Eigengebrauch 1500 1600
Export 100 100
Total 1600 1700 lW
....
......
V)
Fortsetzung A 3: Produktion von gelenkten Flugkörpern der UdSSR 1960-1986 (Stückzahlen) li3
1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986
lnterk:ontinentalrakten (ICB M)
Eigengebrauch 200 250 300 300 725 725 250 200 175 !50 75 100 !25
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 200 250 300 300 725 725 250 200 175 !50 75 100 125
Mittelstreckenraketen (IRBM)
Eigengebrauch 0 25 50 100 100 100 100 100 100 125 125 125 25
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 0 25 50 100 100 100 100 100 100 125 125 125 25
Kurzstreckenraketen (SRBM)
Eigengebrauch 100 100 100 200 250 300 300 300 300 500
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 100 100 100 200 250 300 300 300 300 500 500 450 400
seegestützte Raketen (SLBM)
Eigengebrauch !50 150 !50 !50 250 200 200 175 175 100 50 50 100
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total !50 150 !50 150 250 200 200 175 175 100 50 50 100
seegestützte Marschflugkörper (SLCM)
Total 650 700 700 1100
t:l
;::,
Antischiffs-Marschflugkörper
Eigengebrauch 7'15 755 7'15 800 825 525 875 825 850 875 ~
Export 5 45 ;:
5 100 75 375 125 175 !50 125
Total 800 800 800 900 900 900 1000 1000 1000 1000 0 0 0 ..
1::
....
Boden-Luft-Raketen ~
Total 38000 42000 43000 50000 53000 53000 53000 53000 53000 55000 ~
n.·
taktische Boden-Luft-Rakten
Eigengebrauch 1300 1300 1300 1300 1400 1200 1280 !Z75 1300 1290
~-
Export 0 0 0 0 0 100 20 25 0 10
Total 1300 1300 1300 1300 1400 1300 1300 1300 1300 1300 0 0 0 s
~
gelenkte Panzerabwehrraketen
!:i'
Total 28000 28000 30000 30000 35000 40000 45000 60000 63000 70000

Bodenradaranlagen
!
Eigengebrauch 1400 1500 1200 1100 1100 1100 !050 1050 900 800
Export 300 100 200 200 100 100 50 !50 0 0
Total 1700 1600 1400 1300 1200 1200 1100 1200 900 800 11
<::;•
;:
Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion 343

Produktion von strategischen ballistischen Raketen der UdSSR


Stückzahl

600

450

300

150

0
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86

- - ICBHs SLBMs

Produktion von taktischen und operativen ballistischen Raketen der UdSSR


Stückzahl
600

450

300

150

0
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86

- - SRBMs IRBMs
344 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion

Produktion von Marschflugkörpern der UdSSR


Stückzahl

- - SLCMs
... Antiship Cruise Missi1es

Produktion von Luft-Boden-Raketen und Panzerabwehrraketen der UdSSR


Stückzahl
80000

60000

40000

20000

0
1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983

- - SAMs ATGMs
1:::::1
~
~
A 4: Produktion von militärischem Fluggerät der UdSSR 1960-1986 (Stückzahlen)
1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973
Langstreckenbom ber
I~
Eigengebrauch
Export 10 10
0 0 ~·
Total 75 65 75 105 100 130
I~
115 75 60 40 55 45 10 10 ~-
Mittelstreckenbornher* ;:s-
Eigengebrauch ~
Expt:!rt 25 5
Total 0 0
25 5
Jäger und Jabos I~
Eigengebrauch
Expt:!rt 600 650
Total 600 450 450 I~~
700 800 800 800 900 1100 1000 900 750 800 850 1050 1100
Schul- und Kampfflugzeuge
ti
s::....
Eigengebrauch
EXpt:!It 20 15
Total 30 35
50 50 lf
reine Schulflugzeuge
Eigengebrauch
Expt:!rt 0 10
Total 0 0
0 10
Flugzeuge zur Uboot-Bekämpfu ng
Eigengebrauch
Expt:!rt 15 20
Total 0 0
15 20
Hubschrauber (mil. + ziv.)
Eigengebrauch
Expt:!rt la25 1050
Total 75 150
1100 1200
Transportflugzeug e (mil. + ziv.)
Eigengebrauch
Expt:!rt 325 350
Total 25 50
350 400
Verbindungsflugz euge
Eigengebrauch
Expt:!rt 0 0
Total 0 0
0 0
* 1960-1971 =AlleBomber I
~
.j:>.
VI
Ul
~
I 0'\
Fortsetzung A 4: Produktion von militärischem Fluggerät der UdSSR 1960-1986 (Stückzahlen)
1974 1975 1976 wn 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986
Langstreckenbomber
Eigengebrauch 15 1fl 25 30 30 30 30 30 35 35
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 15 1fl 25 30 30 30 30 30 35 35 50 50 50
Mittclstreckenbcxnber*
Eigengebrauch 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Jlger und Jabos
Eigengebrauch 800 1050 875 800 800 800 835 800 700 700
Export 400 250 Zl5 400 450 500 475 550 400 250
Total 11fl0 1300 1150 11fl0 1250 1300 1300 1350 1100 950 800 650 650
Schul- und Kampffingzeuge
Eigengebrauch 10 10 5 5 5 0 0 0 0 0
Export 40 40 45 45 45 25 25 25 25 10
Total 50 50 50 50 50 25 25 25 25 10 10 0 55
reine Schulflugzeuge
Eigengebrauch 50 100 100 50 50 50 50 25 25 25
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 50 100 100 50 50 50 50 25 25 25 t:l
1:>
Flugzeuge zur Uboot-Bckämpfung ~
Eigengebrauch 5 5 5 10 10 10 10 10 10
;:s
5
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 5 5 5 10 10 10 10 10 10 5 5 5 ...10:"'
Hubschrauber (mil. + ziv.)
Eigengebrauch 1225 1400 1425 900 500 400 500 600 600 ~
Export 125 100 150 100 1flO 300 1flO 1flO 1flO ~·
Total 1350 1500 1575 1000 700 700 700 800 800 550 600 600 500 ~-
T~ugzeuge (mil.
;:,-
+ ziv.)
igengebrauch 350 400 375 375 350 350 325 Zl5 250 ~
Export 50 0 75 75 50 50 25 75 50 ~
Total 400 400 450 450 400 400 350 350 300 250 250 250 1flO !:;=
Verbindungsflugzeuge ~
Eigengebrauch 10 50 50 50 25 25 10 0 0 0 ~
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 {l
Total 10 50 50 50 25 25 10 0 0 0 (:l
!:>...
10:
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Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion 347

Produktion von Bombern der UdSSR


Stückzahl
200

150

100

50

0
60 62 64 66~ 70 72 74 76 78 80 82 84 86

- - Lon9 Range Bombers


.......... Med~um Range Bombers

Produktion von Kampfflugzeugen/Jagdbombern der UdSSR

Stückzahl
1500

1125

750

.... ····....
375
....
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\
\
\

0
6o 62 64 66 sa- 10 12 74 76 78 8o 82 84 86

- - Gesamtproduktion
.............. für eigene Verwendung
........... für Export
348 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion

Produktion von militärischen und zivilen Hubschraubern der UdSSR


Stückzahl
1800

1350
.··

900

450
-····· ·· ..
------- .... -- ··~·-'

0
72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86

- - Gesamtproduktion
............. für eigene Verwendung
........... für Export
B 1: Die wichtigsten sowjetischen Rüstungsbetriebe
'the United Stalee G~ernment bn not r.cogniz.ed
the '"corporatton of Ealooia, latvia, and lithuania. ~t:::l~
into the Soviet Un.on. Otl'ler bounda1y repre..ntatJon 0 500 Kilometers
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is not nee.aaarily authOt"iteti-ve. !Jl. ~ ~
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Aircraft facil ity


lra n China
0 1000 Kilometers

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aus: U.S. CIA: The Soviet Weapons Industry; An Overview, Washington D.C., Sep. 1986, S. 2
350 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion

B 2: Rüstungsbetriebe für die Heeresrüstung

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Soviet ground defence industries


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1 Nb:hniy No183 T-74 and T·72 t.nka Cfo~rfy 11 Minak MAZ TELII for 'Scud-8' end 'Sc.lebo8rd',
Tegil T -CZand T -55) MAZ r•nt• of trucka
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lformerly PT-76) 15 KiahirMv Luch ComputeN end other electronica
Gorkli Molotov BTA-70, BADM-Z, GAZ tnocko ond 11 Ulyenovak VM ComputaN and ottler electi"Onica
GAZ jeepa (formerty BTR-601
Svardlonk No9 D-30 gun-howiuar Not.: Thia Iid lncludaa only tha m.;or fectorfea
Tula No535 Towedguna irwolvttdln producdun of equipm.nt for th• Ground
Fore••· nYny rno... .,.. •nigned to th• produc11on of

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MOKOW'
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.ub-compon.nta •nd minor lt•m•.

aus: Mark L. Urban: Soviet Land Power, London 1985, S. 73


Die geographische Lage sowjetischer Rüstungsbetriebe 351

B 3: Werften für die Kriegsschiffproduktion

rechts: Marineanlagen im Femen Osten


UdSSR

unten: Anlagen der sowjetischen Kriegs-


marine im Raum des Schwarzen Meeres

---
R.
StWASTOPOl

ORDSCHON IKl DSE -WERFT


u.MARINEARSENAL
SCHWlRJ[S M(( R PO Tl
r----

T. . AM

aus: Ulrich-Joachim Schulz-Torge: Sowjetische Werften und ihre Kriegsschiffbaupro-


grarnme, Österr. Milit. Zeitschrift, 23(2)1985, S. 129; 131
352 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion

UdSSR

?
f1
l"q ~
Marineanlagen an der Ostsee, um Gorki
H.l. KOlA und im Norden

aus: Ulrich-Joachirn Schulz-Torge: Sowjetische Werften und ihre Kriegsschiffbaupro-


grarnrne, Österr. Milit. Zeitschrift. 23(2)1985, S. 129
Die geographische Lage sowjetischer Rüstungsbetriebe 353

B 4: Produktionsbetriebe des sowjetischen Flugzeugbaus

GAS Nr.1 Kuybyschew Tupolew-Transporter und Bomber, Tu-114


GASNr.2 Kuybyschew Flugmotoren
GAS Nr.3 Leningrad Name "Krasnyi Letchik", Roter Flieger
GAS Nr.4 Moskau
GASNr.5 Moskau (nunmehr Werft der Aeroflot)
GAS Nr.6 Kiew Fertigung von Antonow-Konstruktionen
GASNr.9 Saporoschje Flugmotoren
GAS Nr.10 Kasan Flugmotoren
GAS Nr.15 Simferopol
GAS Nr.16 Ufa Flug- und Panzermotoren
GAS Nr.18 W oroschilow Großflugzeuge, Tu-144
GAS Nr.19 Kuybyschew Flugmotoren
GAS Nr.21 Gorki Name "Ordschonikidse-Werke", MiG-Jäger
GASNr.22 Kasan Ursprünglich Fili; Tupolew-Bomber
GAS Nr.23 Fili (Moskau) früher Mjasischtschew OKB
GASNr.24 Moskau Flugmotoren
GAS Nr.25 lrtysch I Omsk
GAS Nr.26 Ufa Name "Tscherbakow-Werke", Flugmotoren
GAS Nr.29 Saporoschje I wtschenko-Flugmotoren
GAS Nr.30 Moskau-Khodinka MiG-Jäger, angeblich MiG-29
GAS Nr.31 Taganrog Standort des Berijew OKB, Seeflugzeuge
GAS Nr.34 Produktion von lljuschin-Konstruktionen
GAS Nr.36 Moskau Bis 1935 Polikarpow OKB
GAS Nr.38 Moskau-Khodinka Produktion von lljuschin-Konstruktionen
GAS Nr.39 Moskau Standort lljuschin OKB
GAS Nr.43 Kiew
GAS Nr.45 Moskau Flugmotoren
GAS Nr.51 Woronesch
GAS Nr.56 Moskau Leichtflugzeuge
GAS Nr.64 Woronesch Tu-154
GAS Nr.75 Charkow Flugmotoren
GAS Nr.81 Moskau-Tuschino lljuschin-Flugzeuge
GAS Nr.84 Taschkent Hubschrauber, Antonow-Flugzeuge
GAS Nr.89 Gorki Reparaturwerk
GAS Nr.ll5 Moskau Standort Jakowlew OKB
GAS Nr.ll7 Leningrad Standort Isotow KB (Flugmotoren)
GAS Nr.124 Moskau Jakowlew-Konstruktionen
GAS Nr.126 Komsomolskaja Suchoj-Konstruktionen
GAS Nr.135 Charkow Tupolew-Flugzeuge
GAS Nr.153 Nowosibirsk Name "Tschkalow-Werke"
GAS Nr.155 Moskau Standort MiG OKB
GAS Nr.156 Moskau vormals Strafbetrieb
GAS Nr.166 Omsk Tu-104
GAS Nr.243 Taschkent Transportflugzeuge 11-62
GAS Nr.266 Kulomsino, lrtysch
GAS Nr.286 Kamensk-Uralsk
GAS Nr.292 Saratow Jakowlew-Verkehrsflugzeuge
GAS Nr.301 Moskau
GAS Nr.400 Moskau-Wnukowo Tupolew-Transportflugzeuge
GAS Nr.401 Nowosibirsk Hubschrauber, Standort Mil OKB
354 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion

GAS Nr.402 Bykowo lljuschin-Verkehrsflugzeuge


GAS Nr.412 Rostow An-12 Transporter
GAS Nr.466 Leningrad Name "Roter Oktober", Flugmotoren
GAS Nr.500 Moskau-Tuschino Flugmotoren

Anmerkungen:
Die Angaben können nur als ungefahrer Anhalt dienen. Werke wurden im Krieg umgelagert,
später zum Teil rückverlagert, aufgelassen oder umbenannt. So ist nicht verwunderlich, daß
sich die Datenquellen widersprechen.
Weitere, mit Werksnummern nicht identifizierte Fabriken befmden sich in und bei den
Städten Arsenjew, llmjen, Jaroslawl, Kalinin, Kirow, Krasnojarsk, Orenburg, Podberesje-
Kimili, Riga, Schuk:owskij, Smolensk, Stupino, Ulan-Ude und Uljanowsk.

Quellen:
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Luftfahrtindustrie (1), In: Österreichische Militärische Zeitschrift, 21(6)1983, S. 526
Anhange:
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Literatur zum Thema
Friedens- und Sicherheitspolitik
Klaus Horn und malerweise einen gr ößeren
Volker Rittberger (Hrsg.) Kr ieg erwarten, der heute
Mit Kriegsgefahren leben ein Nuklearkrieg wäre . Dieser
Bedrohtsein, Bedrohungs- Krieg kann immer noch ver-
hindert werden. wenn mit ei-
gefühle und fr iedenspolitisches
ner alternativen Sicherheit spo-
Engagement.
litik begonnen w ird, m it U m-
1987. VI, 173 S. 14,8 x21 cm. rüstung auf eine starke , jedoch
Kart. rei n defensive Verteid igu ng;
Die Autoren untersuchen ge- einer allmählichen Loslösung
sellschaftliche, individuelle von den Supermächten; sozia-
und politische Aspekte der len Veränderungen. welche die

--
Wahrnehmung von Kriegsge- Länder weniger verletzbar ma-
fahren heute: Wodurch und in chen würden ; mit neuen For-
welchem Maße fühlen wir uns men der Zusammenarbeit zwi-
bedroht? Ist Kriegsangst ein schen Ost und West .
.,politischer Ratgeber"? in w el-
chem Zusammenhang stehen Hans Günter Brauch (Hrsg .)
Kriegsängste, Bedrohungsge- Kernwaffen und Rüstungs-
fühle und das friedenspoliti-
sche Engagement bei Einzel-
kontrolle
nen und Gruppen? Wie sind Ein interdisziplinäres Studien-
ESGIIJF NI politische und persönliche Si - buch.
cherheitsbedürfnisse im All- M it einem Vorwort vo n Egon
tag miteinander verflochten? Bahr. 1984. 511 S. 12 ,5 x 19
Dieser Band ist ein informati- cm. Kart .

'
ver Beitrag zum Verständnis Während die Literatur zum
und zum Selbstverständnis der NATO-Doppelbeschluß kaum
Friedensbewegung in der Bun- mehr überschaubar ist, fehlt
desrepublik. noch immer ein interdisz ipli-
SICHEJit!EIT
· .. , ·.'.l····
närer Sammelband, der wissen-
'·'' Johan Galtung schaftlich abgesicherte Infor-
Es gibt Alternativen! mationen allgemeinverständ-
Vier Wege zu Frieden und lich für wissenschaftl ich inter-
Sicherheit . essierte Laien präsentiert . Die-
Mit einem Vorwort von Robert se Lücke wird m it dem Sam-
mel band : Kernwaffen und Rü-
Jungk. 1984. 275 S. 14,8 x 21
stungskontrolle gesch Iossen.
cm. Kart.
Das Buch vereinigt in Beit rä-
in diesem Buch diskutiert der gen bekannter Experten die
bekannte Friedensforscher die naturwissenschaftliche, die hi -
Möglichkeiten f ür po litische stor ische, die militärische, die
Lösungen des Ost-West-Kon-

\)
rüstungsko ntrollpolitische und
flikts sowie den Vorschlag, ein die politische Betrachungs-
stabiles Gleichgewicht der w eise.
Macht zu finden und eine aus-
gewogene und kontrollierte
Abrüstung herbeizuführen . Er-
gebnis: eine pol itische Lösung
ist unwahrscheinlich, die bei -
den anderen Vorsc hläge sind
unrea listisch. Unter so lchen WESTDEUTSCHER
Bed ingungen würde man nor- VERLAG
Literatur zum Thema
Friedens- und Sicherheitspolitik
Ekkehard Lippert und während der späten 70 er und
Günther Wachtier (Hrsg.) frühen 80er Jahre. Diese ver-
\ •.;~ .....!). ...... Frieden gleichende Untersuchung ist
!Y1. :•.••• _,;.
eingebettet in eine umfassende
<1!1•);

E:kkohatcJ liPI>f!rt Ein Handwörterbuch .


Gunlher Wac-htlet 11·bsg I Auseinandersetzung mit wich -
fnfldl'ln
[,n HandworterlJuch 1988. 455 S. 12 ,5 x 19 cm . tigen Erklärungsversuchen für
(Studienbücher zur Sozialwis- das Ensemble der neuen so -
senschaft, Bd . 47 .) Pb. zialen Bewegungen. in deut-
Nach einigen Jahrzehnten Frie- lich herausgearbeiteter Distanz
dens- und Konfliktforschung zu den meisten dieser viel
bietet das Handwörterbuch ei- diskutierten Erklärungsmuster
ne Zusammenschau der w ich- stellen sie den Aufschwung
tigsten sozialwissenschaftli- und das Schrumpfen dieser
ehen Denkansätze des vorlie- Protestbewegungen in einen
genden Wissens und begründe- engen Zusammenhang mit der
ter Vermutungen über das Entwicklung desOst-West-Kon-
Thema ,Frieden' . in den 40 fliktes nach 1945. Diese Per-
Stichworten wird aufgezeigt, spektive erlaubt auch eine
daß Frieden nicht nur ein Reihe von Prognosen über das
militärisches, sondern auch ein weitere Schicksal der Protest-
gesellschaftliches Ziel, nicht bewegungen und insbesondere
nur Inhalt persönlicher Sehn- von sicherheitspolitischem Pro-
sucht, sondern Voraussetzung test in den Ländern West-
für den Bestand der Gesell- europas.
schaft ist. Ouerverweise , Be-
griffserklärungen und Litera- Studiengruppe Alternative
turangaben ermöglichen es je- Sicherheitspolitik (Hrsg .)
dem Interessierten, sich in die
Strukturwandel
verschiedenen Aspekte des
Themas Frieden einzuarbeiten . der Verteidigung
Die Autoren des Bandes sind Entwürfe für eine konsequente
Wissenschaftler aus verschiede- Defensive.
nen Fachrichtungen. Hohes Mit einem Vorwort von Hans
Engagement in der Friedens- . Koschnick. 1984. 186 S. 14,8
forschung ist ihnen gemein - x 21 cm. Kart.
sam.
Im Zentrum des Bandes steht
ein Plädoyer für den Wandel
Wilfried von Bredow und
der NATO-Konzeption zugun-
Rudolf H. Brocke
sten einer leistungsstarken kon-
Krise und Protest ventionellen Verteidigung, die
Ursprünge und Elemente der die Sicherheitspartner nicht
Friedensbewegung in West- provoziert und zugleich Chan-
europa . cen für Entspannung und Ab-
1987. 247 S. 14,8 x 21 cm. rüstung eröffnet.
Kart.
Die Autoren beschreiben und
analysieren die Verlaufsform
des sicherheitspolitischen Pro-
tests der Friedensbewegungen
in Großbritannien , den Nie-
SPRINGER FACHMEDIEN
derlanden, Frankreich und der
Bundesrepublik Deutschland WIESBADEN G MBH

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