Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Die sowjetische
Rüstungsindustrie
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . 9
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
7. Einzelstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
7.1 Eine MiG im Westen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
7.2 Sowjetische Seekriegsrüstung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
7.3 Waffenexporte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
A) Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion . . . . . . . . . . . . . . . 332
B) Die geographische Lage sowjetischer Rüstungsbetriebe . . . . . . . . . 349
C) Auswahlbibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Abbildungsverzeichnis
1 Meyer 1977
2 NATO 1982, S. 42; vgl. auch SIPRI Yearbook 1987, S. 186
3 Dt. Übersetzung zitiert nach: Nikutta 1986, S. 7 (es handelt sich um eine Vorstudie zu
diesem Band).
12 Einleitung
4 Morocco 1988, S. 16
5 Andersen 1983, S. 53
Einleitung 13
angenommen, daß das Plenum des Politbüros kaum Vorschläge des Verteidigungs-
rates je zurückgewiesen hat. Im Militärbereich und in der Rüstung scheint es somit
über das Politbüro hinaus noch eine Art Überregierung zu geben, die in ihren Ei-
genschaften kennenzulernen ganz allgemein unsere Kenntnis des Sowjetsystems
bereichern muß.
"Auch in den sowjetischen Streitkräften ist die Umgestaltung in vollem Gan-
ge," stellte Michail Gorbatschow in seinem mittlerweile berühmten Bericht vor
dem ZK-Plenum am 27. Februar 1987 fest.6 Marschall Achromejew, derranghöch-
ste Soldat seines Landes, sekundierte und wiederholte diese Feststellung wörtlich
bei seinem Amerikabesuch im Juli 1988. Im Westen bleibt man größtenteils in be-
zog auf die Wirkungen der Perestrojka skeptisch, besonders mit Blick auf den Mi-
litärsektor. US-Verteidigungsminister Carlucci, gewiß kein unparteiischer Zeuge,
meinte nach einer Reise in die UdSSR:
,,Zweifelsohne versuchten die Sowjets, mit der Offenheit und dem ungehinderten Zu-
gang, von denen mein Besuch gekennzeichnet war, zu beweisen, daß Glasnost auch ins
sowjetische Militär Einzug hält ... Die Sowjetunion mag im Hinblick auf Reformen zö-
gernde Schritte unternehmen, aber im Umfang oder beim Einsatzkonzept ihres Militärs
ist immer noch keine nennenswerte Veränderung zu verzeichnen."7
Einzelne Analytiker meinen gar, die Streitkräfte und die sie tragende Industrie
seien von der perestrojka ausgenommen, sozusagen um einen Schutzschirm für
diese abzugeben.s Auch bleibt bedenklich, daß Gorbatschow in seinem Buch zur
Perestrojka auf den Rüstungsbereich kaum eingeht.9
Was läßt sich über Veränderungen, die das Projekt Perestrojka ja zeitigen soll,
im Rüstungswesen bislang ausmachen? Recktenwald und SchröderlO betonen in
einer aktuellen Durchsicht sowjetischer Texte vor allem drei Aspekte. Spätestens
seit der Plenartagung des ZK im Februar 1987 sei die Umgestaltung ein herausra-
gendes Thema in sowjetischen Militärzeitschriften geworden. Nun ist Propaganda
für Veränderungen wichtig- nur bleibt sie kein stichhaltiger Beweis dafür, daß
sich im Alltag der Offiziere und Soldaten oder in der Rüstungsindustrie tatsächlich
viel geändert hat. - Zweitens wird Perestrojka für die Truppe mit Parolen wie
"Verstärkte Gefechtsbereitschaft'', "Kampf dem Müßiggang" und ähnlichem über-
setzt. Da die Politoffiziere solche Slogans seit langem predigen, kann auch diese
möglicherweise neue Beweglichkeit als Nachweis für etwas Neues nicht gelten.
Drittens verweisen die beiden Autoren auf den neuen Rang der Kritik im sowjeti-
schen Militärbereich. Das ist tatsächlich für den Sowjetforscher neu: Die Streit-
kräfte, bestimmte Zustände bei der Truppe werden, auch und gerade in der Militär-
presse, offen kritisiert. So bemerkenswert dieser drastische Wandel bleibt - für
Veränderungen in der Rüstungspolitik selbst reicht er als Nachweis nicht aus.
Für den westlichen Beobachter eindrucksvoller ist das Abweichen von der bis-
lang vorherrschenden Geheimniskrämerei. Diese setzte bislang beim Militäretat
ein. Jahr für Jahr veröffentlichten die sowjetischen Behörden eine einzige Zahl als
6 Gorbatschow 1987, zit. nach der dt. Ausgabe durch Nowosti, Moskau (APN) 1987, S.
73
7 Carlucci 1988
8 Segbers 1988
9 Gorbatschow 1987
10 Recktenwald/Schröder 1987, S. A411-A419
14 Einleitung
Militärhaushalt, für 1987 werden 20,2 Milliarden Rubel angegeben. Diese Zahl
liegt unglaubhaft niedrig - umgerechnet entspricht sie den Militärausgaben der
Mittelmacht Bundesrepublik Auch wird die Zahl nicht aufgegliedert. "Sowjetische
Haushaltsangaben gehören zu den am wenigsten transparenten," stöhnt das schwe-
dische Friedensforschungsinstitut SIPRI in seinem Jahrbuch 1987.11 Glasnost
brachte hier Wandel: Vizeaußenminister Wladimir Petrowsky gab im Herbst 1987
erste Hinweise, was nicht unter diese 20 Milliarden Rubel an Militäraufwand fallt.
IMEMO, das bekannte Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen,
faßt diese Hinweise in seinem jüngsten Jahrbuch zusammen:
"Die Verteidigung kostet die Sowjetunion eine Menge. Die Zahlen zum Verteidigungs-
haushalt, die im Lande veröffentlicht werden (20,2 Milliarden Rubel für 1987) geben
an, was die Sowjetregierung für Dinge wie die Bezüge des aktiven Personals und Pen-
sionen ehemaliger Soldaten ausgibt, was die Auffüllung der Vorräte, Beihilfen für Be-
rufsqualiflkationen und so weiter kosten. Ausgaben für Forschung und Entwicklung
und die Beschaffung von Ausrüstung und Kampfgerät fmden sich unter anderen Kapi-
teln im Staatshaushalt.
Wenn die Sowjetunion eine umfassende Preisreform hinter sich hat, die für die näch-
sten zwei oder drei Jahre ansteht, wird es möglich sein, realistische Vergleiehe ihrer mi-
litärischen Gesamtaufwendungen mit denen anderer Länder vorzunehmen."l2
Verglichen mit dem Kenntnisstand bleiben solche Aussagen sensationell. Einzel-
heiten finden sich in den folgenden Kapiteln, etwa über die Höhe der sowjetischen
Waffenaus fuhr.
Der INF-Vertrag von Washington birgt weitere Sensationen: Er gibt präzise
Eigenbezeichnungen sowjetischer Rüstungsgüter. Die in der Auseinandersetzung
um die sogenannte NATO-Nachrüstung berühmt gewordene Sowjet-Rakete mit
dem West-Namen SS-20, so weiß man nunmehr, heißt eigentlich RSD-10. Photos
des nie gezeigten Objekts wurden bislang weder von den Sowjets noch von den
Amerikanern gezeigt - nunmehr gibt es sie vielfach. Anband des Vertrages läßt
sich ein ganzes Wörterbuch zusammenstellen, mit dem die NATO-Namen sowjeti-
scher Geschosse russiflziert werden können (SS-4 = R-12; SS-5 = R-14; SS-12 =
OTR-22 usf.), selbst für im Versuchsstadium befindliche Waffen (SSC-X-4 = RK-
55 zum Beispiel). Freimütig identifizierten die Sowjets wichtige Rüstungswerke:
Die Mittelstreckenrakete RSD-10 alias SS-20 wird in der Maschinenfabrik Wot-
kinsk in der Udmurtischen ASSR hergestellt, Kurzstreckenraketen OTR-23, wie
sie in der DDR stehen, kommen aus dem Werk für Schwermaschinenbau "W.I. Le-
nin" in Petropawlowsk. Für Versuchsflugkörper ist das Experimentalwerk der
"M.I. Kalinin Maschinenfabriken", eine Produktionsvereinigung, zuständig, usf.
Solche Details werden das Publikum rasch ermüden. Weitaus wichtiger als der
Informationsregen, mit dem sich die Sowjetotogen künftig auseinanderzusetzen
haben, ist diese neue Offenheit für die Sowjetgesellschaft selber. Die auch in der
sowjetischen Fachliteratur bis dato übliche Bezeichnung eigener Produkte mit
westlichen Codenamen, bei Raketen mit den geschichtsbelasteten Initialen "SS",
stellte ein höchstes Maß an innerer Unfreiheit dar. Wie in dem Kapitel über die er-
klasse, in der Breschnew-Ära durchaus Söhne die Posten von Vätern erbten - im
parteipolitischen Bereich ein fast unbekanntes Muster.
Zu fragen wird besonders sein nach den Beziehungen zwischen Partei und Rü-
stung. Wird der große Rüstungsbereich mit eben denselben Mitteln und Methoden
unter Kontrolle gehalten wie die Sowjetgesellschaft sonst, oder welche Besonder-
heiten lassen sich feststellen? Wie ist die Rolle führender Parteigremien bei Ent-
scheidungen über Rüstungsprojekte zu bestimmen? Gilt die Rüstungsindustrie in
der Sicht der Parteiführung als Vorreiter allgemeinerer Entwicklungen im Sozialis-
mus, oder handelt es sich eher, trotz aller Größe, um einen Sonderbereich?
Wie bei allen Sowjetstudien ist neben der Partei der Staat in seiner wohl auch
hier sekundären Rolle zu betrachten. In welcher Weise ist der Staatsapparat organi-
siert, um Rüstung zu betreiben? Welchen Stellenwert haben Rüstungsprojekte, wie
verknüpft die Partei Staat und Wirtschaft in diesem Bereich? Welchen Einfluß ha-
ben Planinstitutionen, besonders Gosplan?
Als Kernfrage stellt sich regelmäßig heraus, wie der Rüstungsbereich, aber
über diesen hinaus das Gesamtsystem mit Anfragen an Modernisierung, an die
Einführung neuer Technologien zu Rande kommt. Durch das Wettrüsten ist kein
anderer Technologiebereich im Spektrum der sowjetischen Industrie so nachdrück-
lich auf Produktvergleiche verwiesen gewesen wie gerade die W affenindustrie,
und hier haben sich Bemühungen von Partei und Staat konzentriert, neue Lösungen
in einem bis heute anhaltenden aufholenden Wettlauf zu finden. Die Auffassung,
daß die Rüstung in der, wie es dort heißt, "wissenschaftlich-technischen Revolu-
tion", der Modernisierung, an der Spitze steht, ist weit verbreitet. So vergleicht
zum Beispiel Jürgen Kuczynski, Senior der DDR-Sozialwissenschaften, den so-
wjetischen Rüstungsstand mit dem allgemeinen Technologieniveau seines Landes.
Er schreibt in einem Grundsatzartikel über die "wissenschaftlich-technische Revo-
lution":
,,In unserer Deutschen Demokratischen Republik, wo sie (die wissenschaftlich-techni-
sche Revolution, U.A.) weiter fortgeschritten ist als in irgendeinem anderen sozialisti-
schen Land- mit Ausnahme der sowjetischen Rüstungsindustrie ..."14
Wie besonders die folgenden Einzelstudien ergeben, ist in der Tat eine zunehmen-
de Betonung der Qualität in der Rüstung zu verzeichnen. Alte Konstruktionsprinzi-
pien, Grundsätze über Massenfertigung werden abgelöst durch Hochtechnologie-
konzepte. Bis heute, in überraschendem Ausmaß, bleibt die Technologieentwick-
lung freilich auf westliche Vorbilder ausgerichtet. Besondere Bemühungen sind
deshalb der Abklärung zu widmen, inwiefern Technologietransfers, legal oder ille-
gal, die sowjetische Entwicklung bestimmen.
Die Studie ist zum einen historisch-deskriptiv angelegt. Im Studium der Ent-
wicklung der verschiedenen Rüstungszweige wird versucht, Antworten auf die an-
gegebenen Fragen zu finden. Zum anderen geht in der zweiten Hälfte die Methode
auf institutionelle Untersuchungen über, wie dies in der Sowjetforschung weithin
üblich ist.
Die folgenden Einzelstudien zu Entwicklungen in der sowjetischen Waffen-
technik, beim Jägerbau, der Konstruktion von Panzern, der Fertigung chemischer
Waffen und beim Raketenbau nutzen ein in der Forschungsliteratur nicht übliches
Verfahren. In der Erarbeitung solcher Dimensionen weicht diese Untersuchung er-
14 Kuczynski 1988, S. 61
Einleitung 17
heblieh von dem ab, was an sowjetalogischer Literatur greifbar ist. Industriege-
schichtlichen Beobachtungen sowie der Reflexion technologischer Entwicklungsli-
nien, der Behandlung durch politische Instanzen und den Folgen wird hier breiter
Raum gegeben -in der Erwartung, mit dieser Methode nähere Kenntnis der Eigen-
arten der Rüstung sowie des sowjetischen Systems zu erlangen, als dies ansonsten
hierzulande üblich ist.
Mit dieser methodischen Orientierung ist ein Gegensatz zu den vorherrschen-
den Strömungen in der Beschäftigung mit der Sowjetunion und ihrem Rüstungs-
komplex angegeben. Zu sehr scheinen diese von der Trennung der akademischen
Disziplinen beherrscht. Die Politologenl5 orientieren sich vor allem an den Institu-
tionen und beschäftigen sich etwa mit den neun Ministerien, die für die Rüstung
relevante Kompetenzen haben. Oder sie untersuchen den Einfluß von engagierten
Interessenvertretern (Stichwort "Militärisch-Industrieller Komplex") auf die Poli-
tikbildung im Sowjetbereich. Allgemeiner ausgedrückt: Die Politologie, soweit sie
sich empirisch mit der UdSSR befaßt, beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Teil-
systemen und beansprucht gar nicht, "den Bezug zu Problemen der Gesamtgesell-
schaft bei(zu)behalten" oder auch nur "die Veränderungen der sozialen Integra-
tion"l6 in der UdSSR vertieft zu untersuchen. Die Ökonomen hingegen konzentrie-
ren sich vorrangig auf die Wirtschaftspläne als die wichtigste Evidenz aus dem So-
wjetreich. Für sie scheint es in ihren Tabellen einen Rüstungssektor nicht zu geben.
Auch die Ökonomie des Sowjetsystems als Fachwissenschaft stellt kaum mehr
Fragen in bezog auf das Ganze- dann müßte sie eine Politische Ökonomie werden.
Die Antwort auf die Frage, wie sich die Dynamik (oder ihr Mangel) des sowjeti-
schen Wirtschaftssystems auf den Beitrag der UdSSR zum Wettrüsten auswirkt,
wird man von Fachökonomen nicht erwarten können. Dies bleibt bemerkenswert,
weil die Ökonomie, wie Habermas formuliert, "die Eigenständigkeit eines über
Funktionen, nicht primär über Normen zusammengehaltenen Handlungssystems
herausgearbeitet hat",l7 Wenn andererseits Finanzwissenschaftler die Größe des
sowjetischen Militäraufwandes zu bestimmen versuchen, bewegen sie sich auf kal-
kulatorischen Ebenen, die sehr weit vom Alltag entfernt sind, der die sowjetische
Rüstung prägt. Theoretisch ambitionierte Analytiker, die die Sowjetunion als
Übergangsgesellschaft thematisieren, oder die auf andere Weise ein umfassendes
analytisches Konzept für das Verständnis dieser Gesellschaft zu entwickeln su-
chen, scheinen andererseits mit dem Militärsektor in der UdSSR am wenigsten an-
fangen zu können - Namen wie Kalaschnikow oder MiG sagen ihnen überhaupt
nichts.
Diese kritischen Sätze über verschiedene Teildisziplinen sprechen solchen An-
sätzen nicht die Berechtigung ab. Die Andeutungen sollen besagen, daß die Polito-
logen mit institutionellen Analysen, die Ökonomen mit Makroaussagen und die Fi-
nanzwissenschaftler mit Budgetberechnungen durchaus einzelne Aspekte des so-
wjetischen Rüstungskomplexes erfassen mögen, wenngleich häufig anband indi-
rekter Indikatoren, und daß den angestammten Ansätzen gegenüber weitere, viel-
leicht gar aussagefähigere, zumindest mikroanalytisch ergiebigere Verfahren mög-
15 Eine hübsche Typisierung dieser Art hat Habennas vorgelegt; vgl. Habennas 1987, S.
18 f.
16 Habermas 1987, S. 19 und 20
17 Habermas 1987, S. 19
18 Einleitung
lieh sind. Einschränkend ist allerdings festzuhalten, daß unsere methodische Erwei-
terung im wesentlichen darin besteht, eine hierzulande wenig beachtete, besonders
aber im angelsächsischen Sprachraum gepflegte Technikhistorie politologisch auf-
zuarbeiten.
Beim Studium der sowjetischen Rüstung über die Jahrzehnte ist der pralle All-
tag hier zugegebenermaßen unter dem Aspekt studiert worden, welche verallge-
meinerungsfähigen Entwicklungslinien sich ausmachen lassen. Die großen Linien
der allgemeinen politischen Entwicklung wurden - und hier setzen erste Brüche
ein - daraufhin betrachtet, wie sie sich im Rüstungssektor spiegeln.
Zunächst ist zu konstatieren, daß die gängigen Militärfachbücher mit ihrer lau-
fenden Berichterstattung in historischer Sicht bemerkenswert wenig über tatsächli-
che sowjetische Rüstungsentwicklungen enthalten. Das soll an dem unumstrittenen
Standardwerk über Luftrüstungen, dem Jane' s (der Bibel der LuftwaffenattacMs
aller Herren Länder) illustriert werden. Eine ähnliche Aussage ließe sich über die
womöglich noch renommierteren Flottenhandbücher und ihre Kapitel über die so-
wjetische Kriegsmarine treffen. Bill Gunston etwa zieht in seinem Standardwerk
über die Flugzeugentwicklung der UdSSR eine vernichtende Bilanz. Er vergleicht
die Zahl der von ihm verfolgten sowjetischen Flugzeugentwicklungen mit der ak-
tuellen Berichterstattung im Jahrbuch von Jane' s:
,,In diesem Buch werden rund 850 verschiedene Typen behandelt. Rund 710 davon tau-
chen nie auf den Seiten von Jane's All the World's Aircraft auf. Das ist keine Aussage
über das Jane's-Handbuch, weil dieses einzigartige Jahrbuch nur das drucken kann, was
ihm im laufenden Jahr bekannt geworden ist."18
Das bleibt in der Tat eine bemerkenswerte Relation. Nur ein Siebtel der Flugzeug-
technologie, die in der UdSSR in der Vergangenheit erzeugt wurde, ist dieser Zu-
sammenstellung nach im Westen aktuell wahrgenommen worden. Die Relation
mag heute anders aussehen. Sie verweist jedoch mit Nachdruck erneut auf ein
grundsätzliches Problem, das der angemessenen Information.
Die Luftrüstung und das Marinewesen gehören andererseits zu den noch am
detailliertesten beobachteten sowjetischen Technologieentwicklungen, schon weil
sie der amerikanischen Aufklärung am einfachsten zugänglich sind. Im Bereich der
Heeresrüstung und bei den Fernraketen fallen ein Mangel an vergleichbarer Einzel-
information und an analytischer Begleitung zusammen, was Michael MccGwuire,
eine Autorität auf dem Gebiet der sowjetischen Kriegsmarine, zu dem klagenden
Diktum an die Sowjetologie führte: ,,Nobody does tanks" - niemand beschäftigt
sich mit der sowjetischen Panzerausrüstung. Ein solcher Satz mag angesichts der
Übersättigung der Medien mit Nachrichten über sowjetische Panzerzahlen überra-
schen. Mit dem Blick auf sozialwissenschaftliche Mindestansprüche erfüllende
Untersuchungen trifft sie den Kern. Von Untersuchungen über die sowjetische
Chemiewaffenherstellung oder die Raketenindustrie ist erst recht zu schweigen.
Eine ähnlich komplizierte Quellenvorgabe wie bei der Verfolgung einzelner
Technologielinien im sowjetischen Kontext ist bei dem zweiten hier gewählten
Verfahren zu beobachten, welches freilich Routineinstrument der Sowjetologie ist,
der sogenannten biographischen Methode. Diese biographische Methode wird bis-
lang vorrangig auf politische, wirtschaftliche und militärische Führungskräfte an-
gewendet. Sie erweist sich aber auch als ausgesprochen nützlich bei der Untersu-
18 Gunston 1983, S. 8
Einleitung 19
daß ihr Erfolg neben allen anderen Gratiftkationsmöglichkeiten auch zur Publika-
tion der Biographie der leitenden Persönlichkeiten, zu Pressenotizen über den Tod
solcher Würdenträger, gar ihrer Bestattung in der Kremlmauer führte. Aus dem
Studium der Grabplaketten ergeben sich überraschende, im Sinne des Systems ge-
legentlich konterproduktive Detailinformationen. Die erste Atombombe zum Bei-
spiel war ein so großartiger Erfolg, daß der ansonsten nie genannte KGB-General,
der neben dem Chefwissenschaftler und dem zuständigen Minister das Projekt lei-
tete, selbstverständlich seinen Anteil an den folgenden öffentlichen Ehrungen be-
kommen mußte ( Kapitel 2). Dieser Personalismus bleibt, wie rasch überprüfbar
ist, auf leitende Kader beschränkt - schon stellvertretende Konstruktionsleiter und
andere für das Funktionieren des Systems unverzichtbare Spitzenleute werden in
den üblichen biographischen Referenzwerken übergangen. Von rangniederen Mit-
arbeitern, die etwa im angelsächsischen Bereich in professionellen Branchenver-
zeichnissen durchaus angeführt werden, ist überhaupt nicht die Rede. Mit der Nut-
zung der biographischen Methode folgt mithin auch diese Studie einem Mythos-
als ob ein Chefkonstrukteur selber ein technisches Gerät erzeugt, welches seinen
Namen trägt. Aber ebensowenig wie der deutsche Flugpionier Professor Messer-
schmitt alle Flugzeuge gezeichnet hat, die seinen Namen tragen, oder Vater und
Sohn Porsche mit jedem Sportwagen dieser Firma in Verbindung gebracht werden
können, den das gleichnamige Unternehmen herstellt, ist eine Iljuschin oder Tupo-
lew-Maschine mit Bestimmtheit das Werk des berühmten Chefkonstrukteurs. Die
namenlosen Heere von Mitarbeitern, die die zahlreichen kniffligen Detailfragen er-
kennen, lösen und umsetzen, wie sie vielfach bei der Konstruktion eines modernen
Waffensystems auftauchen, werden besonders im sowjetischen Fall durch die bio-
graphische Methode nicht erfaßt.
Die Quellenwahl wird von der Absicht bestimmt, die sozio-ökonomischen Dimen-
sionen und die Determinanten des Rüstungswesens in der Sowjetunion zu studie-
ren.l9 Im Vordergrund stehen bei der Auswertung von Quellen mithin nicht gängi-
ge sowjetologische Werke, sondern zumeist Spezialliteratur. Die angeführten Ma-
terialien sollen ein besseres Verständnis charakteristischer Merkmale und Proble-
me des Rüstungssektors und seiner Stellung im Industriesystem der UdSSR ermög-
lichen. Besonders geachtet wurde auf Materialien, die etwas zu den Beziehungs-
verhältnissen zwischen Waffenfertigung und allgemeiner Wirtschafts- und Gesell-
schaftsentwicklung hergeben. Spezifische Unterschiede in der Rüstungsfertigung
sowie der Rolle der Rüstungswirtschaft im sowjetischen System sollen, wo dies
möglich ist, im Vergleich mit westlichen Verhältnissen deutlich gemacht werden.
Zentraler Bezugspunkt auch bei der Quellenwahl ist das Studium der gesell-
schaftspolitischen Dimension von Rüstung. Ist gemäß den Quellen die sowjetische
Rüstung im wesentlichen außenbestimmt, um eine von dem Soziologen David
Riesman20 übernommene, weitgehend in der Analyse des Wettrüstens benutzte
19 Mit der Quellensammlung "Rüstungswirtschaft in der Sowjetunion" haben wir eine Zu-
sammenstellung derjenigen Materialien gegeben, die unserer Ansicht nach am besten
Informationen zum Thema geben; vgl. Nikutta 1986
20 Riesman 1958, bes. Kap.l.5 und 1.6.
Einleitung 21
21 Gervasi 1988
22 Einleitung
sierten Analytiker (und nicht den Interessenten an dem, was man in Washington
glaubt, über die UdSSR aussagen zu können) bleibt selbst bei solchen Texten wie
Chruschtschows Erinnerungen, daß sich die Frage nach der Authentizität des Mate-
rials nicht wirklich befriedigend klären läßt Auf durchgehende quellenkritische
Anmerkungen ist im folgenden Haupttext verzichtet worden. Nur an spektakulären
Punkten wird auf die Frage nach der Authentizität gewisser Belege eingegangen.
In der derzeitigen Phase des Umbruchs enthüllt zusätzlich die Anwendung der
biographischen Methode besondere Probleme, die mit der Einführung von "Glas-
nost", mehr Transparenz im Sowjetreich, verbunden sind. Es mehren sich die Hin-
weise (etwa Kapitel 1.4), daß die Biographien führender Rüstungsfachleute gerade
in den Jahren der Stalinzeit Unwahrheiten, zumeist Vertuschungen, enthalten. Zu
diesen sahen sich die Autoren gezwungen. Heute gibt es wiederholt Beiträge in so-
wjetischen Organen, solche Fälschungen zu beseitigen. Die Autoren hielten es für
richtig, solche Korrekturschritte mit in die Darlegungen einzubeziehen, um den
Wandel a la Gorbatschow auch im Rüstungswesen anzuzeigen, anstatt heute als
falsch erkannte Aussagen einfach auszublenden. Die Bewältigung des Aufstieges
der sowjetischen Rüstung zur Supermachtgeltung ist nicht nur für den Westen ein
Problem- sie ist dies umso vielschichtiger für die UdSSR selber.
Dieneueren Entwicklungen in der Sowjetunion provozieren die Frage (die an-
sonsten in jedem wissenschaftlichen Text zu beantworten ist) nach dem Standort
des Analytikers. Bei der Masse der verwendeten westlichen Quellen handelt es
sich um kein Problem -sie sind mit klarem Blick auf die Sowjetunion als politi-
scher Rivale des Westens verfaßt Bei sowjetischen Materialien überrascht nicht,
besonders bei älteren Texten, daß sie deutlich prosowjetisch ausfallen. Unser eige-
ner Standpunkt bei der Auswertung kann so schon aufgrund der Unterschiedlich-
keit der Quellen nicht einfach pro oder contra sein. Die Verwendung bestimmter
Materialien und Verfahren entzieht sich einem solchen Schema.
Das Kapitel über die sowjetische Atombombenentwicklung zum Beispiel ist
zum einen - so ein populärer Vortragstitel über das amerikaDisehe Vergleichspro-
jekt, ,,Los Alamos von unten"24 - aus einer underdog-Sieht heraus gearbeitet. Die
an dem Projekt beschäftigten Deutschen wußten kaum über Zusammenhänge Be-
scheid. Andererseits profitiert dasselbe Kapitel von heroisierenden sowjetischen
Materialien, die (um eine Kategorie von Johan Gattung zu bemühen) aus der Per-
spektive von "topdogs" heraus geschrieben sind. Hin und wieder wirken diese he-
roisierenden Sowjetdarstellungen in ihrer Wirklichkeitsverkürzung provozierend,
daß es einem den Atem nimmt. Selbst in nunmehr "aufgeklärten", von Glasnost in-
spirierten Darstellungen gewiß bemerkenswerter Taten wie etwa der Konstruktio-
nen des sowjetischen Raketenpioniers Sergej Koroljow wird anläßtich seiner Auf-
spürung deutscher Raketenfachleute und ihrer avantgardistischen Projekte in unter-
irdischen Fabrikationsanlagen im Harz mit keiner Silbe erwähnt, daß die Masse der
dort Beschäftigten KZ-Häftlinge waren. Warum ein solches Detail, von dem er-
wartbar ist, daß sowjetische Publikationen es mit Nachdruck aufgreifen, nicht ver-
merkt wird, läßt sich aufgrund der Ergebnisse der Studie mit Begründung vermu-
ten: Die Sowjets ließen die Fertigung der V-Waffen des Dritten Reiches in den von
ihnen vorgefundenen Stollen bis Oktober 1946 weiterlaufen, entgegen allen Ab-
24 Richard P. Feynman, ,,Los Alamos von unten", ursprünglich Vortrag im Jahre 1975 an
der University of California in Santa Barbara. dt. nunmehr in Feynman 1987, S. 141 ff.
24 Einleitung
1 Als durchaus noch heute brauchbare Übersicht zu den Anfängen der russischen Militär-
fliegerei vgl.: Reichsluftfahrtministerium (Bearb.), Kriegswissenschaftliche Abteilung
der Luftwaffe, Die Militärluftfahrt bis zum Beginn des Weltkrieges 1914, 1941, S. 553
-567
2 Finne 1987
26 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
Kampfflugzeuge vom Typ Spad S. 7. Dieser Typ wurde ab 1918 in der Dux-Fabrik
in Moskau in Lizenz gebaut Es lohnt sich, diesem ersten Hochtechnologietransfer
an die neue Sowjetunion nachzugehen. Obwohl Frankreich als Interventionsmacht
an der Bekämpfung des neuen Regimes beteiligt war, gewährte die Sociere pour
Production les Apparailles Deperdussin (= S.P.A.D.) dem neuen Regimes die
Nachbaurechte und gab die notwendige technische Hilfe. Diese Auffanggesell-
schaft baute die Konstruktionen des bei Kriegsende pleite gegangenen Flugpio-
niers Deperdussin weiter und war augenscheinlich bereit, politische Erwägungen
gegenüber kommerziellen Aspekten hintanzustellen. Ihr Modell Spad 7 war damals
ein technologischer Trumpf. Über diesen Doppeldecker heißt es in einer renom-
mierten britischen Luftfahrtgeschichte:
,,Mit der Einführung der Spad S.7C-1 begann die Aviation Militaire ein gewisses Maß
an Parität in der Luft über der Westfront wieder herzustellen."3
Das Motiv der französischen Firma war handfest: Nach dem Ende des Weltkrieges
kämpfte sie ums Überleben. Die Sowjets konnten andererseits die modernen fran-
zösischen Kampfflugzeuge gut gebrauchen und setzten die in Moskau gefertigten
Maschinen umweglos im Bürgerkrieg bei der Besetzung Kasans und gegen die
Truppen General Wrangeis bei der Eroberung der Krim ein.
Regionale Kriege geben stets dem internationalen Rüstungshandel Auftrieb,
und im russischen Bürgerkrieg war dies nicht anders. Auch andere Flugzeugprodu-
zenten neben Spad standen nach Ende des Weltkrieges vor dem Ruin und waren
sofort bereit, den Waffenwünschen der Sowjets nachzukommen. Aus den Nieder-
landen wurden erhebliche Quantitäten von Fokker-Flugzeugen gekauft (Aufklärer
und Jäger).4 In Italien beschafften die Sowjets mehrere hundert Ansaldo-Aufklärer
(nach dem Ende der Feindseligkeiten 1918 erteilte das italienische Corpo Aeronau-
tico Militare keinerlei Aufträge, bis Mussolini Ministerpräsident wurde). Ferner
wurde das im Weltkrieg breit bekannte Modell D.H.9 der britischen Firma DeHa-
villand ohne Genehmigung nachgebaut (sowjetische Bezeichnung R-1, ,,R" steht
als Abkürzung für raswedschik =Aufklärer).
Diese Erwerbungen eröffnen einen zunächst kontinuierlichen Technologie-
strom. Mit der in Tabelle 1 gegebenen Zusammenstellung wird illustriert, daß die
Sowjetregierung in der ersten Hälfte der siebzig Jahre der Existenz der UdSSR in
der Lage war, augenscheinlich ohne besondere Mühe Jahr für Jahr militärisches
Fluggerät im Ausland zu erwerben. Die ununterbrochene Kette von Technologie-
transfers, die offiziell konzedierten neben den regierungsamtlich nicht autorisier-
ten, steht neben sowjetischen Bemühungen, eine eigenständige Technologiekom-
petenz aufzubauen.
Die Zusammenstellung mit ihren Jahr für Jahr angegebenen Anführungen soll
zunächst einmal angeben, daß trotz aller bemerkenswerten Eigenanstrengungen der
sowjetische Militär-Flugzeugbau, zumindest in der Sicht der Entscheidungsträger,
wesentlich von ausländischen Infusionen an moderner Technologie abhängig blieb.
Im zweiten Schritt bleibt zu fragen, wie dieser Transferstrom zu untergliedern ist,
welche politischen und technischen Schlüsse er gestattet.
3 Green/Fricker 1958, S. 97. Die Bedeutung der Spad wird im gleichen Text wiederholt
unterstrichen.
4 Die verzweifelte Auftragslage Fokkers schildern Green/Fricker 1958 aufS. 200.
Die Luftfahrtindustrie 27
Tabelle 1:
Transfers von Luftwaffentechnologie in die UdSSR
Schon kurz vor dem Rapallo-Vertrag vom 16. April1922 setzt zügig eine besonde-
re Rüstungskooperation zwischen der Weimarer Republik und der Sowjetunion
ein, die in der ansonsten gut informierenden historischen Forschung verkürzt und
als Betätigung der Reichswehr bewertet wird. In der Moskauer Vorstadt Fili errich-
tet die Dessauer Firma Junkers aufgrund einer Vereinbarung vom 6. Februar 1922
eine Flugzeugfabrik. In Umgehung der Bestimmungen des Versailler Vertrages
fertigte Junkers in der UdSSR eine Anzahl Militärflugzeuge, so den dreimotorigen
Bomber K-30 und den bewaffneten Aufklärer A-20 (sowjetische Bezeichnung Ju-
Die Luftfahrtindustrie 29
5 Schmitt 1986, S. 130 ff.- Die alten einstöckigen Werkhallen sind heute noch auf dem
Fabrikationsgelände zu besichtigen. Ansonsten handelt es sich um einen Komplex mo-
derner Hallen entlang der Straße- der Name besagt es schon - Nowosawodskowo,
Neuwerk, mit angeschlossenem Luftfahrttechnikum, einem Denkmal des Luftfahrtmini-
sters Chrunitschew usf.
6 Schmitt 1986, S. 135. Weitere Details, etwa die Haltung Hindenburgs zu diesen Vor-
gängen, in den Erinnerungen des Dessauer Oberbürgermeisters Fritz Hesse; vgl. Hesse
1963
7 Green/Fricker 1958, S. 280
30 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
nach Afghanistan geht eine Staffel Junkers-Aufklärer/Bomber vom Typ R-2 als
Geschenk der Sowjetregierung an König Amanullah. Die Flugzeuge treffen 1924
auf dem Scherpur-Flughafenbei Kabul ein. 50 Afghanen werden in der UdSSR als
Piloten und Flugzeugmechaniker ausgebildet. Sowjetische Techniker entwerfen die
Pläne für neue Militärflughäfen bei Herat, Kandahar, Jalalabad und Mazar-i-Scha-
rif.S
Bezeichnend für die sowjetische Akquisition ausländischer Technologie
scheint zu sein, daß man sich nicht mit dem sklavischen Nachbau erfolgreicher
Muster begnügte, sondern früh mit Variationen experimentierte (bei Junkers ein-
setzend mit Variierungen beim Triebwerk der Ju-20).
Nicht alle Versuche zum Technologietransfer führten zum Erfolg. Teil der
Junkers gewährten Konzession war die Verpflichtung, dem Flugzeugwerk eine Fa-
brik zum Bau von Flugmotoren folgen zu lassen. Junkers hielt diese Verpflichtung
nicht ein, und die Triebwerke aller in der UdSSR gebauten Junkers-Flugmaschinen
mußten aus Deutschland importiert werden. Außerdem war vereinbart worden, daß
Junkers bei der Entwicklung des wichtigsten Materials für den Flugzeugbau, des
neuartigen Duraluminiums, Hilfe leisten sollte. Auch hier mußten die Sowjets
schließlich zur Kopie greifen.
Neben der Übertragung von Know-how in Form von Flugzeugkonstruktionen
erhielt die sowjetische Technologie vielfältige Anregungen in Teilbereichen wie
Werkstoffen und Bauteilen, vor allem bei Flugmotoren.
Im Zarenreich hatte es z.B. keine Aluminiumproduktion gegeben. Im August
1922 wurden die ersten größeren Posten sowjetischen Duraluminiums, ein für den
Leichtbau im Flugwesen unverzichtbares Material, ausgeliefert. Die Sowjets hatten
mitten im Bürgerkrieg 1920 eine Arbeitsgruppe unter Iwan lwanowitsch Sidorin
gebildet, die die verschiedenen Möglichkeiten zur Gewinnung des Leichtbaume-
talls erkunden sollte. Diese empfahl vernünftigerweise, das deutsche Patent für
Duraluminium zu plündern und den Stoff im Lande zu fertigen. Unter dem Namen
"Koltschugalumin" wurde das neue Material (die Bezeichnung stammt von dem
Herstellungsort, der nordwestlich Moskaus gelegenen Stadt Koltschugino) als Er-
rungenschaft des Sowjetsystems gepriesen. Chrom-Nickel-Stähle, für hochbelaste-
te Bauteile im Flugzeugbau gleichfalls unverzichtbar, wurden bis 1936 importiert,
ehe. eigene Kapazitäten für solche Hochleistungsstähle verfügbar wurden.
Die Sowjets begannen zugleich zielstrebig, das Technologiepotential des Jun-
kerswerkes zur Verbreiterung ihrer eigenen Technologiekompetenz zu nutzen. So-
wjetische Konstrukteure erhielten durch die Mitarbeit im Werk eine gewichtige
Förderung. Neben Tupolew sind hier zum Beispiel die im Westen weniger bekannt
gewordenen W.M. Petljakov und W.B. Schawrow zu nennen. Das vielgenutzte
Muster W 33 wurde nach dem Abzug der Deutschen nicht im ehemaligen Junkers-
werk Fili, sondern in einem Reparaturwerk in Irkutsk sowie einem ähnlichen Be-
trieb in Moskau ("ZARB", Zentralnaja aviaremontnaja basa) aus von Deutschland
importierten Teilen zusammengebaut. Ein solches Verfahren ist im Hochtechnolo-
giebereich bis heute in Entwicklungsländern üblich. - Neben der Ausbildung von
Führungskräften und dem "farming out" von Technologieimporten kauften die So-
wjets wiederholt Prototypen von Junkersflugzeugen aus Deutschland, um beson-
8 Der kundige Leser erkennt sogleich, daß dies 55 Jahre später die wichtigsten Basen für
die sowjetischen Luftstreitkräfte im langjährigen Krieg in Afghanistan sind.
Die Luftfahrtindustrie 31
ders den Bau schwerer Bomber in der UdSSR voranzubringen. Als Junkers sein
Verkehrsflugzeug G 23 (ein Vorläufer der bekannten Ju-52) auf dem Weltmarkt
anbot, bestellte die Sowjetregierung eine als Bomber einsetzbare Variante. Zum
Serienbau kam es zwar nicht, aber die Sowjets orderten danach einen schweren
dreimotorigen Bomber, der später unter der Bezeichnung JuG-1 bekannt wurde. Da
die Internationale Überwachungskommission für das Reich die Entwicklung eines
so großen und so stark motorisierten Flugzeuges kaum geduldet haben würde, ver-
fiel die FirmaJunkers auf einen Ausweg. In Dessau wurde der Prototyp des unbe-
waffneten Bombers entwickelt und erprobt sowie die Fertigung von Bauteilen be-
trieben; der Zusammenbau und die Auslieferung der voll ausgerüsteten Bomber an
die UdSSR erfolgte in einem schwedischen Tochterunternehmen in Limhamn. In
den Jahren 1926/27 erwarben die Sowjets auf diesem Wege 23 Bomber.
Die Sowjetregierung war auch an Jägern interessiert, und Junkers setzte mehr-
fach an, parallel wie beim Bomberbau mit den Russen ins Geschäft zu kommen.
Allerdings fehlte es dem Unternehmen in diesem Bereich, wie sich herausstellen
sollte, an Kompetenz. In Dessau war, erneut unter Umgehung der Bestimmungen
des Versailler Vertrages, ein Versuchsflugzeug unter der Typenbezeichnung T-22
konzipiert worden, welches zu einem Jagdeinsitzer weiterentwickelt werden sollte.
Die Sowjetregierung kaufte die Konstruktion und orderte den Serienbau des nun-
mehr Ju-22 benannten Flugzeuges in Fili. Die Junkers-Maschine bestand jedoch
nicht die sowjetische Musterprüfung, augenscheinlich aus triftigen Gründen. Einer
der beteiligten deutschen Ingenieure berichtet zum Beispiel über unerwünschte
Flugbewegungen:
,,Bei kräftigem Höhenrudergeben aus dem Vollgashorizontalflug drehte sie von selbst
die schönsten überzogenen Rollen, und ehe die Piloten sich versahen, hatten sie sich
ein- oder auch zweimal mit dem Flugzeug um die Längsachse gedreht."9
Nach diesem Mißerfolg versuchte Junkers einen zweiten Anlauf. 1927 wurde in
Dessau heimlich ein Jagdzweisitzer gebaut und im schwedischen Limhamn militä-
risch ausgerüstet. Die Sowjets, nunmehr vorsichtiger geworden, kauften zwei Ex-
emplare, die "im Jahre 1930 im Forschungsinstitut der Luftstreitkräfte getestet"
wurden.lO Ein sowjetischer Auftrag erfolgte nicht, das Muster wurde gleichwohl
"an zahlreiche Luftwaffen geliefert".ll
Obwohl die Kooperation von Junkers mit den Sowjets keineswegs der einzige
Fall einer intimen Zusammenarbeit eines ausländischen Privatunternehmens mit
den Sowjets zu Rüstungszwecken und entgegen den politischen Intentionen verant-
wortlicher Regierungen darstellt, hat doch dieser Vorgang ungewöhnlich scharfe
Kritik gefunden. Der konservative englische Historiker Gunston entwickelt sich
wegen dieses Vorgangs zum Kapitalismuskritiker. Der renommierte Luftfahrtex-
perte leitete voller Zorn sein Standardwerk über die Sowjetflugrüstung mit einer
Abrechnung mit Junkers ein:
9 Ernst Zindel: "Junkers-Flugzeugbau von der F 13 bis zur G 38", in: Mitarbeiter berich-
ten aus gemeinsamer Tätigkeit, Dessau 1940, S. 106, zit. nach Schmitt 1986, S. 137
10 W.B. Schawrow, Die Geschichte der Konstruktion von Flugzeugen in der UdSSR bis
1938, Moskau (Verlag für Maschinenbau) 1978, S. 302 (russ.), zit. nach Schmitt 1986
11 Kens/Nowarra 1961, S. 342
32 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
12 Gunston 1983, S. 9
13 Gunston 1983, S. 9
14 Der Verweis auf diesen Prozeß findet sich bei Gunston 1983, S. 287
Die Luftfahrtindustrie 33
18 Gunston 1983, S. 10
19 Gunston 1983, S. 165
Die Luftfahrtindustrie 35
20 Ernst Heinkel beschreibt in seiner Autobiographie (vgl. Heinkel 1963, S. 396) den Be-
such in seinem Werk. Als wichtigste sowjetische Fachleute nennt er (so seine Schreib-
weise der Namen) A1exander Gussew, Vladimir Schewtschenko und Wassily Kuzne-
zow (offenbar nicht identisch mit dem Triebswerkkonstrukteur N.D. Kuznezow). -Ein
konstruktiver Niederschlag der Erfahrung mit der He-100 läßt sich bei Jakolews Ent-
würfen nicht nachweisen (mit 37.000 Exemplaren seiner Jäger Jak-1 bis Jak-9 war er
der erfolgreichste sowjetische Konstrukteur im 2.Weltkrieg).
21 Jakowlew 1972, S. 49, S. 52 f. Ferner war Jakolew gelegentlich in Wien. Die Erinne-
rungen Heinkels, in denen sein Aufenthalt in Rostock beschrieben wird, kennt und zi-
tiert Jakolew, ohne freilich auf diese Partien einzugehen.
36 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
Hin und wieder erhielten die Sowjets technische Unterstützung von Indivi-
duen, die ihrer parteipolitischen Haltung wegen mit dem System sympathisierten.
Der Herausragendste dürfte der italienische Flugzeugkonstrukteur Roberto L. Bar-
tini gewesen sein. 1921 war er Mitbegründer der KPI und organisierte in Mailand
kommunistische Zellen. Als Mussolini zwei Jahre später die KP verbot, emigrierte
Bartini in die Sowjetunion. 1924 bis 1928 diente er der Roten Armee als Ingenieur,
fiel durch seine Begabung auf und erhielt ein eigenes Konstruktionsbüro. In der
Folgezeit entwarf Bartini eine Reihe höchst ungewöhnlicher Konstruktionen, die
zwar nicht in den Serienbau gingen, aber doch zur Verbreiterung der technischen
Basis der sowjetischen Flugzeugindustrie beitrugen (so wirkte er an Stahlkonstruk-
tionen mit, etwa beim ModellStal 7). Seine Senkrechtstarter und Düsenjäger wur-
den in der UdSSR breit beachtet. Des ungeachtet wurde er während der Säuberun-
gen ins Gefängnis geworfen. Die letzte Nachricht über ihn stammt vom Jahr 1967:
Er erhielt den Lenin-Orden für seine Verdienste in der sowjetischen Luftfahrtfor-
schung.
Gleichfalls aus Italien kam der Drehflüglerspezialist Vittorio Isacco, der von
1932 bis 1936 in der UdSSR an einem Hubschrauber "Gjelikogyr" oder Isacco-4
arbeitete. Platterprobleme und andere Schwächen führten dazu, daß die Entwick-
lung abgebrochen und Isacco gleichfalls ins Gefängnis geworfen wurde (wo er
weiter als Konstrukteur arbeitete).
Einen mutmaßlich letzten und in seiner Bedeutung schwer abschätzbaren Zu-
fluß an technischen Informationen, die ihnen über zuwandernde Personen zugin-
gen, erhielten die Sowjets Ende der vierziger Jahre. Im Zusammenhang mit dem
sogenannten Rosenberg-Prozeß, der Anklage und Hinrichtung des Ehepaares Ro-
senberg wegen Atomspionage zugunsten der UdSSR, verließ eine Anzahl von vor-
mals mit den Sowjets sympathisierenden oder solcher Sympathien verdächtigter
Amerikaner die Vereinigten Staaten. Die Literatur über die Verratstätigkeit von
Klaus Fuchs22 und andere "Atomspione" füllt inzwischen Regale. In den USA,
etwa am renommierten Russian Research Center der Harvard Universität, werden
noch heute jüdische Emigranten aus der UdSSR ausgefragt, ob sie über den Ver-
bleib und die spätere Tätigkeit einzelner amerikanischer Fachleute etwas wüßten.
Womöglich bedeutsamer als der Transfer von Nukleargeheimnissen (den die
weiland in der UdSSR tätigen Deutschen als nicht wichtig bezeichnen, vgl. Kapitel
2) dürfte der Seitenwechsel einzelner Elektronikingenieure zu Buche schlagen. In
dem erw~nten Harvard-Projekt wurde so zum Beispiel die Flucht der beiden
Elektroniker Alfred Sarant und Joel Barr (als Sowjetbürger nunmehr Filip Georgje-
witsch S taros und J osef Weniaminowitsch Berg) und ihre seitherige Tätigkeit in
der UdSSR rekonstruiert. Die beiden waren in den USA in der Radarforschung tä-
tig gewesen. In den UdSSR nahmen sie Führungspositionen in der Halbleiterfor-
schung und bei der Konzipierung von Computern ein.23
Zu Beginn des 2. Weltkrieges mußten sich die Sowjets bis zur Bildung der Anti-
Hitler-Koalition bei Kampfflugzeugen auf Eigenkonstruktionen verlassen und er-
warben nur für Nebenlinien der Luftfahrttechnologie ausländisches Know-how. So
wurde von den amerikanischen Convair-Werken eine Lizenz für das herausragende
Flugboot PBY-5 vergeben, und der Nachbau der DC-3liefweiter. In beiden Fällen
ist den sowjetischen Auswahlteams zu bescheinigen, daß sie auch im historischen
Rückblick die jeweils beste verfügbare Technologie gewählt haben (vgl. Tabelle
2).
Tabelle 2:
US-Flugzeugtransfers in die UdSSR im 2. Weltkrieg
Typ Lieferant Bezeichnung Zahl
Allein aus den USA erhielt die Sowjetunion im Krieg mehr als 14.000 Militärflug-
zeuge- was in Bezug zu sehen ist zu einer Kampfstärke von 17.500 Flugzeugen
bei Kriegsende. Ferner sind britische Lieferungen kleineren Ausmaßes zu erwäh-
nen: zwei Staffeln Hawker Hurricane Jäger, eine geringe Anzahl Spitfire-Jäger
und Mosquito-Bomber sowie einige Albemarle-Aufklärer. Festzuhalten ist somit,
daß die sowjetische Flugzeugindustrie während der Kriegsjahre Technologie-Infu-
sionen modernster Art von beiden Seiten erhielt, wobei freilich der US-Beitrag do-
miniert.
In Sondertechnologien wie etwa dem Bau von Flugbooten erreichten sowjeti-
sche Entwürfe im Regelfall nicht den auf dem Weltmarkt angebotenen Standard.
Außer dem Flugboot MBR-2 von Berijew (dieses wiederum war eine Verbesse-
rung des importierten italienischen Flugbootes S. 62) erwiesen sich alle Konstruk-
38 Abhängigkeit von auslärulischer Technologie?
tionen als enttäuschend, und die Sowjets bauten statteigener Modelle ausländische
Muster in Großserie wie das Boot PBY von Consolidated (heute General Dyna-
mics). Sogleich nach der Exportfreigabe erwarb Amtorg, die für US-Importe zu-
ständige staatliche Einrichtung, die Nachbaurechte sowie drei Maschinen. Die rus-
sischen Ingenieure erwiesen sich vom Stand der US-Technologie beeindruckt. Da
schwieriger zu fertigende Bauteile die Kompetenz der Facharbeiter überstiegen
oder eine Anzahl von Spezialwerkzeugen nicht vorhanden waren, konnte das Flug-
zeug jedoch nicht einfach nach den amerikanischen Zeichnungen gebaut werden.
Es waren vielmehr mehr als 600 Konstruktionsänderungen erforderlich, um das
Muster an sowjetische Verhältnisse anzupassen. - Die Convair blieb bis nach
Kriegsende in Serienproduktion.
24 Gunston 1983, S. 13
40 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
Tu-80
~=
J! II _o_ II
Tu-12
- -.-
Sikorsky S-55
Sikorsky S-51
I ~-:IJ:
~
Jokowlowhk-100 ~ ~ Mi!Mi-4
'0
25 Gunston 1983, S. 10
26 Vgl. beispielsweise die Aussagen von Dornier und Heinkel in: Heinkel1963, S. 104
Die Luftfahrtindustrie 45
Tabelle 3:
Nachbauten!Adaptionen ausländischer Flugmotoren
Ersüauf Charakeristika Sowjetische Ersüauf
Original Beze1chnunll
LCRh6ne 1. WClikrieg M-2
Liberty 1. weltkrieg M-5
Hispano-Suiza 8Fb 1. weltkrieg M-6
Bristol Jupiter VI 1925 9-Zyl Stern Mikulin M-13
Bril!.M-18
M-22 1930
M-32
Bristol GR Titan Schwets. M-15 1928
M-26
BMWVI 1928 12-Zyl V-Motor Mikulin AM-30 1931
mit Flüssig- M/AM-34 1932
kühlung M/AM-35 1939
M/AM-37 1940
AM-38 1941
AM-39 1942
AM-41 1942
M/AM-42 1944
AM-43 1944
AM-47 1946
M-17
M-27
Junkers Jumo 204/6 1930 6-Zyl Diesel ED-1 1935-40
Hispano-Suiza 12Y 12-Zyl.mit Klimow WK-100 1934
Wasserkühlung WK-103 1937
WK-105 1941
WK-106 1939
WK-107 1942
WK-108 1945
WK-109 1945
Gnome-Rhone 14-Zyl Trumanski M-85 1934
K14Mistral M-86 1936
M-87 1938
M-88 1938
Renault 4-Zyl Reihen- MV-4 1936
motor
Renault 6-Zyl. Reihen- MV-6 1936
motor
W~tR-1820 Schwetsow M-25 1934
Cycone ASch-62/M-62 1937
ASch-63/M-63 1939
ASch-71/M-71 1941
ASch-72 1943
ASch-73/M-73 1944
ASch-82/M-82 1940
ASch-83
ASch-90/M-90 1941
M-25
M-62
BMW Motorradmotor 2Zyl M-76
WritR-3350 18-Zyl.Stem Schwetsow ASch-73 1944
Cyc one
AigusAs014 1942 Pulsrohr RD-13
Junkers Jumo 004 1940 TL-Triebwerk RD-10 1945
BMW003 1943 TL-Triebwerk RD-20 1945
RD-21
Rolls-Royce Nene 1944 TL-Triebwerk Klimow RD-45
WK-1 1948
Moebius WK-5 1953
Rolls-Ro:!:ce Derwent 1943 TL-Triebwerk Jakowlew RD-500 1949
Anmerkungen: Reine Importe ohne folgenden Nachbau in der UdSSR sind in dieser Zu-
sammenstellung ebensowenig aufgenommen worden wie Adaptionen zu
indirekter Art (so ist der schwere Motor WD-4 von W.A. Dobrynin aus
dem Jahre 1951 sicherlich im Zusammenhang mit dem in der UdSSR
durch Brandner nachkonstruierten Jumo-222 zu sehen, schon bei der Zahl
und Anordnung der Zylinder -aber um einen Nachbau handelt es sich
eben nicht).
Quelle: Zusammengestellt nach Bill Gunston, Aircraft of the Soviet Union, Lon-
don (Osprey) 1983, S. 25-28
46 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
27 Der neben Brandner wohl spetakulärste Fall ist in Heinkels ehemaligem Konstrukteur
Dipl.-Ing. Siegfried Günter zu sehen. Von Heinkel als der beste deutsche Konstrukteur
bewertet (auf Günter gehen Heinkels Raketenflugzeug He-178, der erste zweimotorige
Düsenjäger sowie der "Volksjäger" zurück), blieb Günter nach vergeblichen Versu-
chen, sich den Westmächten anzudienen, in seiner Sicht nichts anderes übrig, als in die
UdSSR zu gehen, wo man seine Fähigkeiten gebührend anerkannte. Vgl. Heinkel1963,
s. 530/531
Die Luftfahrtindustrie 47
28 Ein solches Verhalten ist nicht nur bei den Sowjets zu beobachten. Die Amerikaner
ließen in dem Heinkel-Werk Stuttgart-Zuffenhausen nach Kriegsende ein Dutzend
Strahltriebwerke produzieren (vgl. Heinkel 1963, S. 333), die Franzosen ließen das
BMW-Team unter Gestreich weiter arbeiten, und in der englischen Zone wurde bei-
spielsweise der Bau kleinerer Kriegsschiffe als Reparation an kleinere Alliierte tole-
riert.
29 Die Demontage und den Abtransport der Junkers-Anlagen beschreibt anschaulich Hes-
se 1963, S. 140
30 Brandner 1976, S. 83. -Die Darstellung in diesem Abschnitt stützt sich auf diese Auto-
biographie sowie zwei Interviews mit Brandner.
31 Brandner 1976, S. 160
48 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
Am 30. August 1946 gab es für soviel Kooperation eine erste Prämie, ein Schreib-
zeug aus Marmor. Brandner war vor allem durch Vorschläge zur Verbesserung der
erbeuteten deutschen Düsentriebwerke auffällig geworden, mit denen er zunächst
nichts zu tun hatte. Auf ihren Prüfständen sahen sich die sowjetischen Tester mit
einem leidigen Problem konfrontiert, dem Anbrennen der einzelnen Brennkam-
mern. Der Vorgang ist erheblich abhängig vom Schwefelgehalt des Treibstoffs,
und der sowjetische Kraftstoff wies augenscheinlich genug Schwefelverunreini-
gungen auf. Brandner schlug vor, die einzelnen Brennkammern zu einer Ring-
brennkammer zu vereinen, was weniger Ansätze für Verbrennungen bot.32
Der Erfolg blieb nicht aus. Am 10. Dezember 1946 bemühte sich der stellver-
tretende Minister für Luftfahrt, Pallandin, persönlich zu Brandner, um ihm den
Vorschlag zu unterbreiten, in Kujbyschew im Werk Nr. 10 zusammen mit einem
anderen Deutschen, einem Dr. Scheibe, die Leitung des Jumo-Düsennachbaus zu
übernehmen.
Vornan stehen künftig die Projekte für Düsentriebwerke. Die Typenbezeich-
nungen für Flugmotoren (BMW 003 oder Jumo 004) werden im folgenden als Kür-
zel für ein ganzes Bündel an Technologietransfers verwendet. Neben den Ingenieu-
ren und Facharbeitern, die diese Motoren herstellten, wurden 1946 zahlreiche Fer-
tigungs- und Hilfsteile in die Sowjetunion geschafft. Besonders geschmerzt haben
wird die Amerikaner die Verlagerung der beiden großen Schmiedepressen in Des-
sau (Kapazität 33000 und 15000 Tonnen), die sie bei ihrem Abzug aus Sachsen-
Anhalt im Juni 1945 hinterließen.
Ähnlich wie an Atomwaffen war vor Kriegsende in der UdSSR auch an Dü-
sentriebwerken experimentiert worden. Zu nennen wären die Konstrukteure Boris
Stechkin und Ariehip Ljulka.33 In der Düsenentwicklung waren die Deutschen bei
Kriegsende aller Welt voraus. Dies wußte die sowjetische Führung, und den auf
deutsches Reichsgebiet vordringenden sowjetischen Truppen folgten Spezialein-
heiten, welche die Aufgabe hatten, aller technischen Unterlagen sowie der Exper-
ten habhaft zu werden, die in der Entwicklung von Hochgeschwindigkeitsflugzeu-
gen und deren Antrieben tätig waren. Diese Deutschen wurden gesammelt und spä-
ter in die UdSSR verfrachtet. Diese Technologieinfusion sollte sich von unschätz-
barem Wert beim Nachholen der kriegszerstörten UdSSR im einsetzenden Ost-
West-Wettrüsten erweisen.
Am 2. April 1946 wurden Chrunitschew und Jakowlew zu Stalin geladen, um
die weitere Entwicklung des Luftfahrtsektors zu erörtern. Jakowlew gab dabei Be-
richt über eine Inspektionsreise in die sowjetische Besatzungszone. Er empfahl be-
sonders die Nutzung der deutschen Düsentriebwerke,34
Die Sowjets gelangten in den Besitz beider deutscher Entwicklungsreihen von
32 So originell war der Vorschlag nicht: Bei der Auslegung des Jumo 004 hatte seinerzeit
in Dessau eine Ringbrennkammer zur Diskussion gestanden. - Tatsächlich wurde unter
der Bezeichnung WK-3 ein Düsentriebwerk mit Ringbrennkammer unter der Leitung
von Sergej W. Ljunewitsch gebaut und im Werk GAS-117 Mitte 1952 in die Fertigung
genommen.
33 Die erste Fachveröffentlichung über ein Strahltriebwerk von Stechkin datiert aus dem
Jahre 1929. -Gasturbinen wurden nicht nur in England und Deutschland entwickelt.
Neben den sowjetischen Arbeiten ist etwa auf den Bau eines Triebwerkes durch Gyorgy
Jendrassik in Ungarn zu verweisen, das 1937 erprobt wurde.
34 Jakowlew 1972, S. 326
Die Luftfahrtindustrie 49
35 Neben der BMW- und der Junkerslinie gab es bei Kriegsende weitere Baureihen von
Strahltriebwerken, vor allem bei Heinkel und Daimler-Benz. Die beiden hier benannten
Reihen waren jedoch die militärisch nutzbarsten, und sie standen den Sowjets voll zur
Verfügung.
50 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
1948 war Jumo 012 alias Kusnetzow NK.-4 (später bekannt als AI 20) für die
staatliche Abnahme fertig. Das war in jedem Fall ein rituell abzuwickelndes Ereig-
nis, bei welchem staatliche Prüfkommissionen und eine Anzahl Würdenträger ze-
remoniell das Funktionieren des neuen Triebwerkes beobachten würden.
Die erste Abnahme 1948 gestaltete sich zu einem Reinfall. In der 94. Stunde
des üblichen 100-Stunden-Dauerversuches (eine im Flugalltag nie vorkommende
Belastung) flog eine Turbinenschaufel davon, der Test mußte abgebrochen werden.
Die Würdenträger reisten ab, und es kostete das deutsche Team harte Arbeit, durch
Festsetzung einer Mindestkomgrößengrenze beim Turbinenmaterial und deren Ein-
haltung einer Wiederholung einer solchen Panne vorzubeugen.
Die Nachricht über das Versagen des Jumo 012 wurde selbst Stalin vorgetra-
gen (s.u.).
1950 erfolgte- diesmal ohne Panne- die staatliche Abnahme. Die Konkur-
renzentwicklung des Klimow-Teams, bezeichnet WK-2, in Leningrad wurde 1952
angesichts der Leistungen der deutschen Axialturbine eingestellt.
Neu für das Junkers-Team waren die Technik des Verstellpropellers, das Pla-
netengetriebe und die gesamte Regelung. Für diese Teilaufgaben fanden sich aller-
dings noch immer Spezialisten aus Deutschland - der Technologieimpuls aus der
Endzeit des Dritten Reiches sollte für mehr als fünf Jahre nach der Niederlage
1945 hinreichen. Brandner, der verständlicherweise über die Verwendung seiner
Propellerturbine in sowjetischen Militärflugzeugen keine Informationen erhielt,
stieß zu seiner Überraschung zehn Jahre später, nunmehr in ägyptischem Sold, auf
einen sowjetischen Militärtransporter Antonow An-10, der mit seinem Motor aus-
gestattet war.36
Mit der Russifizierung des im Dritten Reich in Serie produzierten Junker-
striebwerks Jumo 012 sowie der Vorlage der starken Propellerturbine hatte das
Brandnerteam seine Aufgabe in der Sowjetunion noch nicht erfüllt. Die Sowjets
verlangten nunmehr, ganz im Stil der Schock-Methode, Brandner solle eine Pro-
pellerturbine mit der doppelten Leistung, 12.000 Wellen-PS, entwickeln.
Brandner stand wie am Ende des Dritten Reiches vor der Forderung, den stärk-
sten Motor der Welt zu bauen. Beim Jumo 222 bestand das Konzept in der Verbin-
dungzweier Bauprinzipien, dem Stern- und dem Reihenmotor. Zunächst suchte
das Brandner-Team seine neue Aufgabe durch eine vergleichbare Idee zu lösen:
der Kopplung zweier der 6.000 PS-Triebwerke zu einem Doppeltriebwerk. Das
führte zu einer Fehllösung, schon das Schwingungsverhalten der Antriebsanlage
ließ sich nicht meistem.
Nach dem Fehlschlag mußte sich das Brandner-Team voll der Aufgabe stellen,
die stärkste Turbine der Welt in Serie zu erzeugen. Die Einrichtung der Produktion
von Junkers-Motoren in der kriegszerstörten UdSSR blieb eine beachtliche Lei-
stung. Die Konzipierung des unter der Bezeichnung NK.-12 (die beiden Buchstaben
verweisen auf Kusnetzow) in den Dienst gestellten leistungsfähigstem Motor sei-
ner Zeit stellte nicht nur einen sowjetischen, sondern einen Weltrekord dar.- Die
NK.-12 sollten zu viert über jeweils zwei gegenläufige Luftschrauben den ersten
echten Atomwaffenträger der UdSSR antreiben, den Tupolew-Bomber Tu-20. Eine
Anzahl dieser Maschinen fliegt noch heute, nunmehr zumeist als Femaufklärer.
Mit diesem Konstruktionsauftrag war Brandner in die erste Reihe der sowjeti-
Baumusters ,,Nene" (Erstlauf 1944). Die Lieferungen begannen im März 1947 und
dauerten bis ins Jahr 1948 an.
Von den wertvollen importierten Triebwerken wurden die meisten sogleich
den Flugzeugkonstrukteuren übergeben. Einige wurden jedoch, ähnlich wie zuvor
Boeings B-29, in ihre Einzelteile zerlegt, vermessen, die Werkstoffe wurden ge-
prüft, und mögliche Verfahren zur Herstellung dieser Komponenten wurden konzi-
piert. Die Russifizierung der beiden Motoren leitete Chefkonstrukteur W.Ja. Kli-
mow. Er war für die Erledigung dieser Aufgabe mit seinem Team extra im Sep-
tember 1947 von seinem Stammsitz Leningrad nach Moskau verlegt worden. Am
30. Oktober 1947 wurden die ersten Produktionszeichnungen für den Nachbau der
britischen Triebwerke ausgegeben. Der ältere Rolls Royce "Derwent"-Motor wur-
de unter der Bezeichnung RD-500 in der Flugzeugfabrik Nr. 500 in Tuschino bei
Moskau nachgebaut, während die stärkere und modernere ,,Nene"-Turbine im
größten sowjetischen Flugmotorenwerk, der Fabrik Nr. 45 in Moskau, in Großserie
ging. Wie zuvor bei den nachgebauten Jumos und BMWs wurde offenkundig auch
für die Rolls-Royce-Triebwerke die Werknummer zur Bezeichnung des Motors be-
nutzt (obwohl diese Fabriken nicht nur dieses eine Aggregatfertigten).
Klimow war verständlicherweise nach seiner Arbeit mit den britischen Trieb-
werken glänzend gerüstet, das erste sowjetische Hochleistungstriebwerk zu ent-
werfen. Unter der Bezeichnung WK-1 entwickelte er aus der ,,Nene" ein moderne-
res Triebwerk, welches in den Fabriken Nr. 16 in Ufa, Nr. 19 in Kuibyschew und
der erwähnten Großfabrik Nr. 45 in Moskau in Serie ging. 40.000 Flugmotoren
dieses Baumusters wurden hergestellt.40 Die sowjetischen Flugzeugkonstrukteure
waren mit Klimows Rolls-Royce-Adaption von einer ihrer Hauptsorgen, dem Man-
gel an zuverlässigen und leistungsstarken Triebwerken, endgültig befreit. Das MiG-
Team erhielt schon im Februar 1947, ehe die ersten Britenjets eintrafen, exakte
Zeichnungen für den Einbau der Motoren, Die Verbindung zwischen britischem
Motor und der konstruktiven Begabung des MiG-Teams, später MiG-15 benannt,
erwies sich rasch als herausragender Erfolg, der Stalins Forderungen mühelos ein-
löste. Mindestens 5.000 dieser Jäger wurden in der Folge in der UdSSR gefertigt.
Sie sollten im Koreakrieg der US Air Force gehörigen Respekt einjagen.
Beute-Know-how
40 V gl. Sutton 1973, S. 278: "Sowjetische Düserunotoren und Propellerturbinen der ersten
Hälfte der 60er jahrestellten Ableitungen ... deutscher und britischer Triebwerke dar."
Die Luftfahrtindustrie 53
strie ein. Auch gilt, daß die erste Garnitur von rüstungstechnischen Experten im
Dritten Reich sich so einzurichten verstand, daß sie am Stichtag in westliche und
nicht in sowjetische Gefangenschaft geriet. Es gilt aber auch, daß hinter dieser er-
sten Garnitur eine zweite und dritte stand, mit der ersten häufig in Rivalität, die de-
zidiert für den Osten optierte, nachdem die Marschrichtung ihrer Vormänner deut-
lich wurde. Vom Direktor der V-2-Fertigung angefangen bis zum Leiter der Her-
stellung von reaktorfähigem Uran standen den sowjetischen Siegern versierte Rü-
stungsfachleute zur Verfügung, die allem Anschein nach für den Nachkriegserfolg
der sowjetischen Rüstungsanstrengungen große Bedeutung erlangen sollten.
Das Dritte Reich hatte in einer gewaltigen Kraftanstrengung gegen Kriegsende
eine Anzahl von Pioniertaten auf dem Gebiet der Rüstungstechnik erbracht. Fast
scheint es, daß mit dem Schwinden der Ressourcen und den zunehmenden Zerstö-
rungen infolge alliierter Bombardements eine Verlagerung der Energien hin auf
technologische Durchbrüche, ja auf Parforce-Ritte in Höchsttechnologie statt-
fand.41 Warum die deutschen Wissenschaftler mit geradezu frenetischer Arbeits-
wut sich der Erfüllung der immer exotischer ausfallenden Anforderungen der poli-
tischen und militärischen Instanzen hingaben und dabei, ohne auch nur die absur-
den Umstände dieser Technologieerzeugung in Rechnung zu stellen, wahre Groß-
taten vollbrachten, muß einer eigenen Erhellung überlassen bleiben. Ebenso der
Umstand, daß auch dem politischen Laien erkennbar werden mußte, daß die Nazi-
führung mit ihren Waffenwünschen moralisch deutliche Grenzen der Kriegstech-
nik überschritt.
Einiges an der sowjetischen Technologiebeute war von den Nazis für so ma-
kabre Zwecke vorgesehen, daß die Sowjets sie nicht nutzen mochten (so sehr ihnen
dies im Westen unterstellt wird). Mit Abstand an erster Stelle ist hier die Ausrü-
stung der sogenannten SO-Truppe der Luftwaffe anzuführen. Im SO (Selbstopfe-
rungs-Einsatz42) sollten zum Beispiel der Flieger Messerschmitt Me 328 verwen-
det werden. Da gemäß dem Einsatzzweck eine Landung des Piloten nicht vorgese-
hen war, wiesen diese Messerschmitts keine Fahrwerke auf. Hanna Reitsch führte
die ersten Flugversuche in Hörsching bei Linz aus, wo die Russen im April 1945
einige Unterlagen vorgefunden haben sollen. - Sicher ist, daß sie einer anderen
SO-Ausrüstung, des sogenannten "Reichenberg-Geräts" (einer besonderen Varian-
te der Flugbombe Fieselers) in Peenemünde habhaft wurden. Diese Version der V-
1 sollte von der SO-Truppe als Rammjäger eingesetzt werden.
Für die V-Waffen des Dritten Reiches interessierten sich alle Hauptsieger-
mächte. In den USA rivalisierten die Luftwaffe und die Navy um die fliegende
Bombe V-1. Die Flugzeugfirma Republic, gemeinsam mit Ford am Projekt betei-
ligt, hatte ihre Kopie der V-1 unter der Bezeichnung JB-2 im Oktober 1944 fertig.
Die Navy hatte mit einer Parallelentwicklung, auf den Namen "Loon" (Lümmel,
Bengel) getauft, große Pläne: Was die Nazis nicht geschafft hatten, sollte Wirklich-
41 Auch das japanische Regime erzeugte bei Kriegsende, was hierzulande wenig bekannt
ist, einzelne technische Höchstleistungen, etwa Düsenkampfflugzeuge. Am Vorabend
des Atombombeneinsatzes gegen Hiroshima startete etwa am 7. August 1945 der zwei-
motorige Jäger "Kikk:a" des Nakajima-Konzerns zum Erstflug, trotz mancher Älmlich-
keiten mit der Messerschmitt 262 eine vollständige Eigenentwicklung, mit Strahlen-
triebwerken von Osamu Nagano (nach Unterlagen des National Aerospace Museum der
Smithsonian Institution, Washington, D.C.).
42 Vgl. dazu Kens/Nowarra 1961, S. 468 f.
54 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
keit werden,· und die V-1 sollte durch die Kombination mit einem Kemsprengsatz
eine wirkliche Vergeltungswaffe werden.43 DerEinsatz sollte von Ubooten aus er-
folgen- ein kühner Vorgriff auf die Technologie moderner Unterwasserkreuzer
mit Atomraketen.44 In Frankreich baute das staatliche "Arsenal de 1' Aeronautique"
noch bis Beginn der fünfziger Jahre V-I-Flugkörper, obwohl rasch sichtbar wurde,
daß mangels einer Vergeltungsstrategie für diese NS-Waffe im Nachkriegsfrank-
reich kein Bedarf bestand.45
Im August 1944 wurden von Heinkel, Junkers, Messerschmitt und dem frühe-
ren Fieseier-Mitarbeiter Bachern Selbstopferflugzeuge mit Raketenantrieb konzi-
piert (als die militärische Lage des Dritten Reiches sich noch verzweifelter entwik-
kelte, wurde die Wiederverwendung teurer Bauteile sowie der Piloten per Pali-
schirmlandung verfügt). Eine Bachern-Maschine fiel den Russen unversehrt in die
Hände, und in Rostock stießen sie auf die fast fertigen ersten beiden Heinkel-Ma-
schinen für solche Einsätze.
Als kultivierte Leute erwarteten die Sowjets auch unter künftigen Kriegsbedin-
gungen keine Selbstmordeinsätze, so daß die Holzflugzeuge der SO-Truppe mit ih-
ren unfallträchtigen Raketenmotoren46 für sie von keinem Nutzen waren. Auch an-
deres Kampfgerät, welches die Nazis zurückließen, dürfte wegen sonderbarer Bela-
stungen für die Piloten nicht weiter verfolgt worden sein. So verträgt der menschli-
che Körper Beschleunigungen im Liegen besser als im Sitzen, was die Konstruk-
teure der Henschel-Werke in Schönefeld bei Berlin gegen Kriegsende zu dem
Konzept führte, statt der üblichen Sitzhaltung in ihrem neuen Turbo-Schlachtflug-
zeug den Flugzeugführer liegend anzuordnen. Der erste Stuka Hs 132 war bei
Kriegsende fast fertig und gelangte bei der Einnahme Berlins unzerstört in den Be-
sitz der Sowjets. Die Henschel-Konstruktion wurde bei der Sichtung der Beute au-
genscheinlich als wenig nutzbringend ausgesondert.
Mit dem Aufruf des "Volkssturms" am 18.10.1944 durch Adolf Hitler leitete
das Dritte Reich vor seinem Untergang eine letzte große Mobilisierung ein, die den
Älteren als die übereilte Rekrutierung der 16- bis 60-jährigen unter dem Komman-
do von Parteifunktionären in Erinnerung geblieben ist. Praktisch unbekannt sind
die technischen Begleiterscheinungen der Proklamierung des Volkssturms geblie-
ben. Am 8.9.1944 wurde für die deutsche Flugzeugindustrie ein "Volksjägerpro-
gramm" ausgeschrieben. Das Projekt war im höchsten Maß phantastisch: Für die
Projektvorlage blieben den Firmen 12 Tage, am 20.9.1944 mußten die Bauzeich-
nungen abgegeben werden, am 1. Januar 1945 sollte der Serienbau beginnen. Be-
merkenswert bleibt, daß die Industrie diesen atemberaubenden Terminplan einhielt
und die aufgrunddes Metallmangels großenteils aus Sperrholz zu bauenden Düsen-
jäger pünktlich fertigstellte. (Noch atemberaubender sollte vielleicht der Umstand
ausfallen, daß nicht nur Firmensprecher, sondern auch der Lobbyjournalismus der
Industrie heute noch allergisch auf die Frage reagiert, ob nicht der Satz der Aus-
43 Hansen1988,S.216
44 Hansen 1988, S. 203
45 Ich habe die französischen Bemühungen kurz behandelt in dem erwähnten Beitrag in:
o.A., Frankreich und Deutschland. Forschung, Technologie und industrielle Entwick-
lung im 19. und 20.Jahrhunderl Akten des internationalen Kolloqiums, München 1988
46 Kens/Nowarra 1961 geben in ihrem Standardwerk eine nüchterne Unfallchronik. dieses
Sondergerätes.
Die Luftfahrtindustrie 55
Junkers EF 127
Messerschmitt Me 263
MiGI-270
schwerere Flugzeugkanone NS-37 vorzusehen. Alle vier Jäger sollten mit je drei
Testmaschinen zum frühest möglichen Zeitpunkt zur Verfügung stehen.
Bei der Kreml-Konferenz Ende Februar 1945 hatte Jakowlew gemeinsam mit
Lawotschkin die Instruktion erhalten, für den Entwurf eines ersten Düsenjägers auf
der Grundlage vorhandener Technologie (=deutscher Düsentriebwerke) vorzuge-
hen. Während Lawotschkin eine neuartige Maschine entwarf, entschloß sich Ja-
kowlew zur herkömmlichsten aller Lösungen: Er verband seinen erfolgreichen
Kolbenmotorjäger Jak-3 einfach mit dem neuartigen Düsenantrieb von Junkers
(vgl. Abbildung 5).52 Aufgrund der konservativen Vorgabe konnte Jakowlew kür-
zeste Umsetzungszeiten für seine Projektideen reklamieren. Schon drei Tage nach
der Sitzung waren die Drei-Seiten-Risse des neuen Jägers verfügbar. Ende Mai
1945, drei Monate nach der Kreml-Konferenz, konnte das Jakowlew-Team die er-
sten Produktionszeichnungen aushändigen. Ausgestattet mit erbeuteten Junkers-
Düsentriebwerken, hätte die Jakowlew-Maschine eigentlich das Ringen um den er-
sten sowjetischen Düsenstart mit Leichtigkeit, mit einem Zeitvorsprung von einem
halben Jahr, für sich entscheiden können. In der ersten Oktoberwoche 1945 war
der Jak-Düsenjäger fertig. Die neue Maschine hätte die Flugerprobung aufnehmen
können. Aus heute schwer verständlichen Gründen beschlossen Chefkonstrukteur
Jakowlew53 sowie die sowjetische Führung, diesen Schnellstarter zu ausgiebigen
Sicherheitstests zu nutzen, und die Flugerprobung erst im April 1946 zu beginnen,
gemeinsam mit dem Konkurrenzentwurf des MiG-Teams. Im Westen wäre eine
solche politisch verantwortete Verzögerung infolge der Rivalität von Rüstungsfir-
men schwer vorstellbar.
Aus irgendwelchen Gründen bekam das MiG-Team die BMW-Turbinen zuge-
wiesen. Zunächst mußte der erste MiG-Düsenjäger den Maßen der deutschen Mo-
toren angepaßt werden. Da die BMW-Aggregate kleinere Dimensionen aufwiesen
als die ursprünglich vorgesehenen sowjetischen Ljulkas, wurde der Rumpf des Jä-
gers schlanker ausgeführt. Die erste Testmaschine MiG-9 traf im Frühjahr 1946
auf dem Erprobungsgelände in Tschk:alowskaja ein, gleichzeitig mit der zuvor fer-
tiggestellten Konkurrenzmaschine des Jakowlew-Teams. Man warf eine Münze,
wem die Ehre des ersten sowjetischen Düsenstarts in der Geschichte gebühre. Zu-
fällig gewann die MiG und der Teampilot A.N. ,,Lescha" Griutschik flog am 24.
April1946 als erster.
Man kann nichtsagen, daß die Sowjets ihre neuen Düsenjäger sonderlich ge-
heim hielten. Beide Prototypen wurden am 18. August 1946 in der Luftparade von
Tuschino vorgeflogen (auch im Westen gilt es als riskant, Prototypenunerprobter
Technologien wenige Monate nach dem Erstflug international vorzuführen). Stalin
zeigte sich beeindruckt und verfügte, daß je zwölf Maschinen der beiden Düsenjä-
germuster bei der Parade zur Oktoberrevolution 1946 vorzuführen wären. 54
Das war eine abenteuerliche Instruktion, unter allen Umständen, in jedem
Land der Erde. Von fast unerprobten Flugzeugen, welche obendrein eine vollstän-
dig neue Technologie darstellten, sollten binnen drei Monaten jeweils Staffeln flie-
gen! Und dies von Produkten, für die nicht einmal die Werkstattzeichnungen für
Yak-3NK-107A
die Serie existierten. Diese Stalinsche Verfügung muß ein Alptraum für alle Betei-
ligten gewesen sein.
Doch Stalins Order war damals ein absoluter Befehl, so unsinnig er sein moch-
te. Mikojan bekam Minister P.Ju. Dementjew als Mitorganisator zugeteilt, und un-
ter Versprechung attraktiver Prämien wurden tatsächlich kurzfristig 60.000 Blatt
Zeichnungen erstellt sowie die 15 MiG-9-Jäger frei von Hand, ohne Bauvorrich-
tungen oder eine geordnete Bauplanung, in der geforderten Frist hergestellt. Diese
phantastische Anstrengung erwies sich freilich als vordergründig vergeblich: We-
gen Nebel mußte die Flugparade anläßtich des Jahrestages der Oktoberrevolution
1946 abgesagt werden.
Mit dem Eintritt in die neue Technologie hatten die Sowjets umweglos Tribute
zu zahlen. Da damals das Problem der Materialermüdung unbekannt war, löste
sich beim 20. Probeflug am 11. Juni 1946 ein Höhenruder beim Schnellflug des
MiG-Jägers, und die Maschine schlug geradewegs auf den Boden auf. Im August
wurden jedoch die Exemplare zwei und drei fertig und nahmen die Flugerprobung
auf.
Dem von Stalin ansonsten begünstigten Jakolew und seinem Team ging es
nicht besser als der MiG-Konkurrenz. Jakowlew bekam als Sekundanten aus dem
Regierungsapparat den Vizeminister A. Kusnetzow zugewiesen, und beide wurden
mit der Instruktion in eine ausgewählte Fabrik entsandt, diese persönlich nicht zu
verlassen, bis ihre zwölf Jak-15 fertig waren. Jakowlew berichtet, daß er
"alle Kopiereinrichtungen der Stadt mobilisierte und arbeiten ließ, um während der fol-
genden Tage unsere Blaupausen reproduzieren zu lassen, um 20 Sätze von Zeichnungen
oder 50-60 000 Einzelkopien zu erhalten."55
Über den Baufortschritt der ersten Serie sowjetischer Düsenjäger schreibt der so-
wjetische Konstrukteur, augenscheinlich von der ungewöhnlichen Erfahrung rapi-
den Fortschritts beeindruckt:
"Jedermann arbeitete mit beispiellosem Enthusiasmus, so daß unsere Düsenjäger Tag
für Tag in strikter Übereinstimmung mit dem Plan sichtbare Fortschritte zeigten ... Wir
sollten dies ein Wunder nennen, aber wir glauben nicht an Wunder. Wir glauben an die
Macht menschlichen Engagements, welche in diesem Falle das anscheinend Unmögli-
che zustande brachte- fast ein Wunder."56
Wie bei den MiGs entstanden die Jak-Düsenjäger in Handarbeit, zunächst gleich-
falls ohne die Nutzung von Vorrichtungen. Hernach wurden die Jaks mitsamt ihren
Jumo-Triebwerken zerlegt, in Kisten verpackt und per Bahn zum Testgelände ver-
frachtet - trotz des aberwitzigen Termindrucks erschien dem vorsichtigen Jakow-
lew die Flugüberführung als zu riskant. Die letzten Maschinen dieses verzweifelten
Dutzend verließen pünktlich am 5. Oktober 1946 die Fabrik, zwei Wochen vor
dem Schlußtermin. Auch ihre Flugvorführung anläßtich des Jahrestages der Okto-
berrevolution entfiel mitsamt der gesamten Flugparade.57
Es lohnt sich, beim Studium der sowjetischen Technologieakquisition auch die
gegenüber den beiden prominenten Teams, Jakowlew und MiG, weniger bekann-
ten Rivalen Suchoj und Lawotschkin zu betrachten. Beide wählten andere Wege-
und mußten dafür empfindliche Strafen hinnehmen.
Pawel Suchoj und sein Team hatten die einleuchtende Idee, ihren Jäger nicht
nur um deutsche Flugmotoren herum zu bauen, sondern einfacherweise auch die
dazu gehörige Flugzeugzelle nachzuempfinden. Mit der Wahl der Konstruktion Me
262 von Willy Messerschmitt traf Suchoj bei seiner Su-9 zwar ins Schwarze. Diese
Messerschmitt-Adaption (Abbildung 6) absolvierte pünktlich im Sommer 1946 ih-
ren Erstflug und erbrachte, kaum überraschend, im Vergleich mit der rivalisieren-
den anderen Zweimotorigen, der MiG-Konstruktion, überlegene Flugleistungen.58
Pawel Suchoj wurde trotz dieses Erfolges gegen die Prominenz nicht glück-
lich. Seine Maschine wurde abgelehnt, er selber landete im Gefängnis. Jakowlew59
denunzierte Suchoj bei Stalin: Die ganze Konzeption der Su-9/Messerschmitt sei
wenig wünschenswert und das Flugzeug obendrein schwierig zu fliegen. Stalin
scheint solchen angesichts der Erprobungsergebnisse nicht haltbaren Äußerungen
Glauben geschenkt zu haben. Es half dem Suchoj-Team nicht, daß der Entwurf
schleunigst russifiziert wurde (Typenbezeichnung der Umkonstruktion Su-11) -
mit der unautorisierten Kopie des Messerschmittjägers war ein Tabu verletzt wor-
den.
Das Lawotschkin-Team schließlich, durch Großserienproduktion seiner Kol-
benmotorjäger trotz diverser technischer Mängel verführt, meinte mit eben dersel-
ben Strategie auch bei seinem ersten Düsenjäger durchzukommen: Hauptsache, der
Entwurf stand, das Ausmerzen von Kinderkrankheiten hatte später Zeit. So gelang
es auch dieser Gruppe, im geforderten Rekordtempo um das deutsche Triebwerk
Jumo 004 herum eine Jagdmaschine zu bauen. Für die Parade zur Oktoberrevolu-
tion hatte man allerdings nur fünf Maschinen fertig. Dem Produkt La-150 merkte
man die Hast an, in der es konzipiert worden war. Das Flugzeug war ungenügend
durchkonstruiert und daher zu schwer. Die Startbeschleunigung ließ sehr zu wün-
schen übrig. Im Flug kam es zu unerwünschten Schwingungen des Hecks mit dem
Leitwerk, weil hier die Konstruktion zu wenig steif ausgeführt worden war. Ferner
zeigte dieser erste Lawotschkin-Jäger ein recht instabiles Verhalten im Flug.
Das Team konstruierte seinen erfolglosen Jäger mehrfach um, wobei zum Teil
wichtige Neuerungen eingeführt wurden. Um die Beschleunigung zu verbessern,
wurde hinter die Junkers-Turbine ein einfacher Nachbrenner eingebaut, eine der
ersten Konstruktionen dieser Art überhaupt. Von den Deutschen griff man die Idee
des gepfeilten Flügels auf. Der erste sowjetische Jäger mit dieser wichtigen Neue-
rung absolvierte im Juni 1947 seinen Erstflug.
Im März 1946 wiederholte Stalin seine Schockbehandlung der Jägerkonstruk-
teure. Wiederum hatten die Teamchefs im Kreml anzutreten, und Stalin diktierte
die technischen Vorgaben für eine neue Generation von sowjetischen Hochlei-
stungsjägern - nicht einmal ein Jahr nach dem ersten sowjetischen Düsenstart
überhaupt. Das Thema war diesmal Höhenjäger. Gefordert wurde in Kenntnis der
58 Die Messerschrnitt-Kopie ist ganz unstreitig, vgl. Alexander 1975, S. 336; Gunston
1983, S. 266 f.; Jakowlew 1972, S. 317
59 Es handelte sich augenscheinlich nicht um die einzigste Denunziation Jakowlews. Der
junge sowjetische Konstrukteur Semjon Michailowitsch Alexejew, 1946 soeben mit ei-
nem eigenen OKB selbstständig geworden, legte gleichfalls einen Entwurf für einen
zweimotorigen Jäger vor (Projektbezeichnung 1-211, Weiterentwicklungen 1-212 und 1-
215), dessen Prototyp durchaus mit Erfolg getestet wurde. Jakowlew befand jedoch, es
handele sich lediglich um ,,eine weitere Kopie der Me 262" von Messerschmitt. Alexe-
jew fiel in Ungnade, sein OKB wurde 1948 geschlossen. Vgl. Gunston 1983, S. 37
Die Luftfahrtindustrie 63
m_
~.----A=.-~
60 So etwa Wemer Keller (,,Die Bibel hat doch recht'') in seinem reißerisch geschriebenen
Buch: Ost minus West= Null. Der Aufbau Rußlands durch den Westen, München/Zü-
rich 1960, S. 378{379. Keller gibt anhand damals verfügbarer Quellen Darstellungen zu
weiteren in diesem Band behandelten Transfers.
61 Vgl. Gunston 1983, S. 161
Die Luftfahrtindustrie 65
der gesamten fünfziger Jahre laborierte das Team an gewagten Neuerungen. Eine
neuartige Steuerung ("Jäger 250") war jedoch so schwierig zu handhaben, daß
selbst die erfahrendsten Testpiloten aufgaben. Es gab Abstürze, und am Ende wur-
de das glücklose Konstruktionsteam aufgelöst. Auch in sowjetischer Literatur62
wird der frühe Tod von Chefkonstrukteur Lawotschkin im Juni 1960 mit seiner
Verbitterung über das widersprüchliche Schicksal seiner Flugzeuge in Verbindung
gebracht. Einzelne dieser merkwürdigen Apparate mit ihren ,,Elefantenohren" be-
nannten großen Lufteinläufen kann man noch heute im Museumsgelände von Mo-
nino bewundern.
Die leistungsstarken britischen Flugmotoren bzw. ihre sowjetischen Nachbau-
ten suchte auch das gegen die Prominententeams Jakowlew und MiG in der ersten
Runde unterlegene Suchoj-Team für einen spektakulären Erfolg zu nutzen. Im Ja-
nuar 1948 erfolgte die Ausschreibung des Entwurfs für einen ersten schweren All-
wetterjäger. Darunter war die Verbindung zwischen einem zweimotorigen Jäger
mit einem der für die Sowjets neuartigen Radargeräte zu verstehen. Neben der er-
wähnten Lawotschkin-Konstruktion legten die erfolgsgewohnten Gruppen MiG
und Jakowlew Entwürfe vor. Das Suchoj-Team suchte die Konkurrenz mit ihrem
Inkrementalismus, der schrittweisen Erweiterung der Leistungsfahigkeit von Waf-
fensystemen, durch einen großen Sprung nach vom zu schlagen. Das Team stellte
den ersten sowjetischen Überschalljäger (benannt Su-17) in Aussicht. Die Arbeiten
begannen 1948.
Soviel Ambition führte zum abrupten Ende. Am 3. Juni 1949 stürzte das Test-
exemplar von Suchojs Allwetterjäger ab, und es wurde absehbar, daß der neue
Überschalljäger so rasch wie versprochen nicht verfügbar würde. Auf persönliche
Empfehlung Stalins wurde das Konstruktionsbüro des unglücklichen Pawel Suchoj
am 1. November 1949 geschlossen, der Chefkonstrukteur wurde degradiert und der
Großteil seines Teams Tupolew zugeordnet. Es sollte knapp zehn Jahre dauern, ehe
Suchoj (der nach Stalins Tod eine entsprechende Bittschrift verfaßt hatte) wieder
ein Konstruktionsbüro leiten konnte. Nach der offiziellen Bestätigung entfaltete er
dort den gewohnten Schwung. Eine seiner Konstruktionen hemach, einer Suchoj
Su-15, gebührt der Verweis auf den Abschuß eines Jumbos der Korean Airlines im
Jahre 1983.
Auch der Bau sowjetischer Bomber profitierte von den beiden Technologie-
schüben aus dem Ausland, die mit der Besetzung Deutschlands und im Frühjahr
mit der Lieferung britischer Düsenaggregate ausgelöst wurden. Im Bomberbau ri-
valisierten nur zwei Teams, das von Iljuschin und das von Tupolew.63
Die deutsche Luftwaffe war die erste gewesen, die mehrmotorige Düsenbom-
ber einsetzte. Die Arada-Flugzeugwerke in Babelsberg bei Berlin hatten bis
Kriegsende 214 zweimotorige Bomber Ar 234 ausgeliefert. Noch im April 1945
wurde die jüngste Variante in die Flugerprobung gegeben. Es ist nicht bekannt,
was an Unterlagen der Firma Arado in die Hände der Russen fiel. Iljuschin konzi-
pierte jedoch seinen ersten Düsenbomber, die II-24, deutlich aufgrundvon Erfah-
rungen der Deutschen (vgl. Abbildung 7). In der Literatur wird die II-22 ferner mit
Arado Ar-234
(Erstflug 1943)
Heinkel He 343
(1945, Projekt)
Iljuschin ll-22
(Erstflug 1947)
Ähnlich wie bei der Flugwaffe erweist sich die sowjetische Panzerwaffe, studiert
man ihre Entwicklung unter technologischem Aspekt, in ihren Anfängen und in ge-
wissen Aspekten hernach als hochgradig von westlichen Technologietransfers ab-
hängig.
In der zaristischen Armee gab es keine Tanks. Auch in den Bürgerkriegsjahren
gab es keine Panzerfahrzeuge in Rußland. Die neuen sowjetischen Streitkräfte be-
obachteten jedoch mit Aufmerksamkeit die Entwicklung im Ausland. Die führte
zunächst zur Betonung einer Nebenlinie, der Leichtpanzer oder Tanketten.
In den zwanziger Jahren wurden verschiedentlich von sowjetischen Militärs
68 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
64 Ogorkiewicz 1967, S. 31
65 Ogorkiewicz 1967, S. 31
Sowjetische Panzer 69
sem Feldzug zum erstenmal starke Hemmungen wegen der Unsicherheit über die
Stärke des Gegners gehabt habe und ich weiß nicht, ob ich den Entschluß gefaßt
hätte, wenn mir die gesamte Stärke des Sowjetheeres und besonders die gewaltige
Ausrüstung mit Panzern bekannt gewesen wäre"66).
Im Jahr 1939 verfügte die UdSSR mit 20.000 Fahrzeugen über ebensoviele
Kampfwagen wie der Rest der Welt, das Dritte Reich eingeschlossen. Von der rü-
stungsindustriellen Seite her hätte die Sowjetunion nicht besser auf die Schlachten
des Zweiten Weltkrieges vorbereitet werden können. Die Überlegenheit der Deut-
schen bestand einzig im überlegenen taktischen Konzept zum Einsatz der Kampf-
wagen.
Mit dem T-34 gewinnt die sowjetische Panzerentwicklung eigene Kompetenz.
In der Metallurgie der Stähle für Panzertürme kommen entscheidende Hinweise
von Wassili Emeljanow, die Auslegung der Tanks bestimmt seit 1940 Alexandr A.
Morosow, usf.67 Die sowjetischen Konstrukteure definieren im Rüstungswettlauf
ähnlich wie ihre westlichen Konkurrenten, was die Standards der Technologie
sind. Somit entfällt die Möglichkeit, nachholend westliche Entwürfe zu "beerben".
Der Glaube an westliche Prinzipien bleibt allenfalls in dogmenhaft fortgeschriebe-
nen Einzelentscheidungen aufzeigbar, wie etwa dem Festhalten an Christies großen
Panzerlaufrädern, die erst in den siebziger Jahren aufgegeben werden.
Die Panzertechnologie stellte sich, was im Vergleich mit anderen Rüstungswa-
ren überrascht, sehr früh und dann sehr starr auf ein Grundkonzept ein. Im Grunde
besteht seit dem F.T.-Fahrzeug von Renault aus dem Jahre 1918 bis heute- d.h.
seit 70 Jahren- ein Tank aus einem Bugteil, in dem der Fahrer mit den erforderli-
chen Ausrüstungen untergebracht ist, einem Kampfsegment im Mittelteil, welches
von einem rotierbaren Turm bestimmt wird, sowie dem Antriebsblock im HeckteiL
Alle Variierungen dieser Anordnung erwiesen sich als Fehlschläge, ebenso Modifi-
kationen wie Leichtpanzer (die in der sowjetischen Rüstung in den zwanziger Jah-
ren große Beachtung fanden) oder Schwerstpanzer. In dieser Richtung hatten die
Sowjets in den dreißiger Jahren einiges investiert, wie die Modelle Josef Stalin 1
bis 3 und KW anzeigen. Seither hat sich die mögliche Bandbreite der Technologie-
entwicklung bemerkenswerterweise auf ein Standardmodell verengt. Dessen Wei-
terentwicklung in bezugauf passiven Schutz, Beweglichkeit, Verstärkung der Lei-
stungsfähigkeit der Kanone fügte sich geschmeidig ein in Anforderungen des so-
wjetischen Industriesystems, welches eher inkrementale Verbesserungen als rapide
Innovationen zu absorbieren vermag. Im Westen verzeichnete Schritte wie der Ein-
bau von Flugmotoren in Panzern oder gar die Verwendung von Gasturbinen für
den Antrieb sind dem sowjetischen Panzerbau fremd geblieben.
Anhänger einer auf Personen bezogenen Geschichtsschreibung würden für die-
sen Konservatismus mutmaßlich den Tatbestand anführen, daß das Hauptkonstruk-
tionsteam für den Kampfpanzerbau von 1940 bis 1979 von ein und derselben Per-
son geleitet wurde, von Alexandr A. Morosow. Wie bis zur Wahl Gorbatschows
66 Zit. nach dem Kriegstagebuch des Dr. jur. Otto Bräutigam, hier Eintrag für den 16.7.
1941, veröff. von Götz Ali u.a., Biedermann und Schreibtischtäter, Materialien zur
deutschen Täter-Biographie, Berlin 1987, S. 137.
67 Emeljanow spielt später eine gewisse Rolle als stellvertretender Minister für den Atom-
bombenbau, vgl. Kap. 2. Seine Rolle bei der Entwicklung des T-34 wurde in Nachrufen
anläßlich seines Todes im August 1988 hervorgehoben. Der Turm des T-34 wurde un-
konventionellerweise in Schmiedestahl mit einem hohen Magnesiumanteil ausgeführt.
70 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
auf der höchsten politischen Ebene üblich, gab Morosow seine führende Stellung
erst mit dem Tode auf. Sein Team war für alleneueren sowjetischen Panzermodel-
le, vom T-34 über den T-44, T-54, T-55 bis zum T-62 federführend.- Andere füh-
rende Panzerkonstrukteure zeigten ein ähnlich ausdauerndes Verhalten. Josef J.
Kotin, neben dem für mittelschwere Tanks verantwortlichen Morosow für den Ent-
wurf schwerer Panzer zeichnend, wirkte gleichfalls seit Kriegszeiten bis 1979. Alle
sowjetischen Panzerkanonen vom T-54 bis zum modernen T-72 stammen von ei-
nem Team, welches Fjodor F. Petrow leitete, usf.68
Das führende deutsche Panzerhandbuch befindet über den T-54/55, daß er
"in idealer Weise die Forderungen nach Einfachheit, Robustheil und Massenprodukti-
onsfähigkeit mit den von einem neuzeitlichen (Kampfpanzer) zu erwartenden Leistun-
gen vereint."69
Beim Nachfolgemodell T-62 befindet derselbe Fachautor, daß es in den Grundbau-
gruppen nach wie vor mit dem Erfolgsmuster T-34 identisch sei.70 Aufgrund eige-
ner Kompetenz erwarteten die sowjetischen Panzerbauer aus der Hinterlassen-
schaft des Dritten Reiches wenig für sie Neues. Allenfalls einzelne Nebengeräte
wie der deutsche 5,7 cm-Flakpanzer fanden Interesse bei den sowjetischen Fach-
leuten (das im Dritten Reich auch unter der Bezeichnung "Gerät 58" bekannte
Fahrzeug wurde als Panzerflak ZSU 57 nachgebaut und in der zweiten Hälfte der
siebziger Jahre auch an Verbündete wie die NVA, Polen, die CSSR und Ägypten
ausgeliefert).71
Im Westen wird vielfach behauptet, sowjetische Panzer auch modernster Bau-
art seien westlichen Gegenstücken nicht gleichwertig, sondern technisch unterle-
gen. Friedensforscher und andere nutzen diese Aussage für die These, die zahlen-
mäßige Unterlegenheit der NATO bei den Tanks würde durch die überlegene Qua-
lität der Westkampfwagen ausgeglichen. Wenn die These von der allgemeinen Un-
terlegenheit sowjetischer Panzerfahrzeuge zutrifft, ist dann auch in diesem Sektor
die sowjetische Industrie nach wie vor im Aufholen begriffen?
Bei einem rein technischen Vergleich trifft zu, daß sowjetische Fahrzeuge we-
niger elektronische Hilfsausrüstungen aufweisen, mit einfacheren Visiereinrichtun-
gen ausgestattet oder für die Besatzung weniger komfortabel eingerichtet sind. Ob
dies allerdings die den Ausschlag gebenden Merkmale für Panzer als Kampfma-
schinen sind, bleibt zumindest strittig. Die Auffassungen sowjetischer Panzerkon-
strukteure über die Optimierung ihrer Fahrzeuge richten sich deutlich auf militäri-
sche Gebrauchseigenschaften wie Eignung unter rauben Einsatzbedingungen oder
einfache Bedienung, Wartungsfreundlichkeit und einfache Reparaturmöglichkei-
ten. Es mag sein, daß grundsätzliche Neuerungen im Bau von Tanks wie die soge-
68 Daten nach Zaloga/Loop 1987, S. 22.- Erneut ist zu unterstreichen, daß der Chefkon-
strukteur nicht notwendig selber die Produkte erzeugt hat, die mit seinem Namen ver-
bunden werden. So hat nicht Teamchef Kotin, sondern sein Untergebener Schasclunu-
rin den bekarmtesten Leichtpanzer der Sowjets in der Nachkriegszeit, das Modell PT-
76, konzipiert, usf.
69 Senger-Etterlin 1969, S. 287
70 Senger-Etterlin 1969, S. 298
71 Vgl. Senger-Etterlin 1969, S. 350
Giftgas 71
1.3 Giftgas
72 Über das qualitative Wettrüsten im Panzerbau vgl. im einzelnen etwa meinen Beitrag
"Trends in the Improvement ofConventional Offensive Weapons: The Tank and Boun-
daries in the Technological Arms Race", in: Gutteridge{faylor 1983
73 Vgl. Barry 1988, S. 29.
72 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
77 Brief J.W. Stalins an Churchill vom 29.3.1942, in: Briefwechsel Stalins mit Churchill,
Attlee, Roosevelt und Truman, 1941-1945, Kommission für die Herausgabe diplomati-
scher Dokumente beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, dt.
Berlin 1961, S. 53.- Churchill antwortet am 10.4.1942, daß die Engländer "bestimmt ...
wenigstens 1000 Tonnen Senfgas und 1000 Tonnen Chlorgas mit dem ersten verfügba-
ren Schiff liefern" könnten (1961, S. 54). Stalin antwortet (am 22.4.42, ebd., S. 54 f.):
,,Ich danke für Ihre Bereitschaft, 1000 Tonnen Senfgas und 1000 Tonnen Chlorgas zu
liefern. Da aber die UdSSR andere chemische Produkte dringender benötigt, hätte die
Sowjetregierung dafür lieber 1000 Tonnen Kalziumhypochlorid und 1000 Tonnen
Chloramin oder, falls die Lieferung dieser Produkte unmöglich ist, 2000 Tonnen flüssi-
gen Chlors in Ballons. Die Sowjetregierung beabsichtigt, den Stellvertreter des Volks-
kommissariats für die chemische Industrie, Andrei Georgiewitsch Kasatkin, als ihren
Experten für chemische Waffen für Verteidigung und Gegenangriff nach London zu
entsenden."
78 Nach Groehler 1980
79 So der "Stern" lt. Brauch 1982, S. 93
80 SIPRI1971, S. 305
81 Groehler 1980, S. 10 f. Auch Groehler betont nach der Prüfung von Quellen, daß die
Anlagen eher unversehrt geblieben sein werden.
74 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
82 Nach Akten des Imperial War Museum, London (hier No. CXXIII-7 vom 29.5.45, S. 5
f., zit. nach Groehler 1980), S. 323. Ebenso der bekannte Chemiker Otto Ambros, da-
mals Leiter der Kampfmittelentwicklung im Rüstungsministerium: Er "betonte mit
großem Nachdruck, daß das Werk Dyhemfurth von den Russen völlig intakt übernom-
men wurde" (IWM, CXXII-34 v. 25.7.1945).
83 Sterling Seagrave, Yellow Rain. A Journey through the terror of chemical warfare, New
York 1981, zit. nachBrauch 1982, S. 95. Dort auch die folgenden Angaben.
84 Nach Brauch 1982, S. 96
Giftgas 75
reicht hat. Gegenüber diesen neuen Kampfstoffen nehmen sich die Tötungsverfah-
ren in den Vernichtungslagern als chemisch primitiv aus.
Die Leitung des IG-Farbenkonzerns zeigte aufgrund ihres Interesses am Aus-
landsgeschäft zunächst- wie auch Fachhistoriker aus der DDR hervorheben - we-
nig Neigung, sich erneut in der Herstellung von Kampfstoffen zu betätigen. Mit
der offenen Aufrüstung des Dritten Reiches ändert sich jedoch diese Haltung. 1936
erfindet ein IG-Farben-Chemiker den Kampfstoff Tabun (bekannt geworden als
"Grünkreuz"). Die Herstellung im Großenwird dem Werk Dyhernfurth übertragen,
welches die Sowjets bei Kriegsende augenscheinlich unzerstört erobert haben. Im
Dezember 1941 wird Hitler die Entdeckung eines weiteren Nervengiftes gemeldet,
welches später Sarin genannt wurde. Die Wirkung ist gleichartig der des Tabun, je-
doch sechsmal stärker. 1942 setzt die Fertigung ein. 1944 entdeckte der Nobel-
preisträger Richard Kuhn ein Nervengas, benannt Soman, das die Wirkung des Sa-
rin um das Dreifache übertrifft.
Zu unterstreichen ist, daß es sich nicht ausschließlich um deutsche Erfindungen
handelt. Die SIPRI-Studie über Chemiewaffen hebt hervor, daß im Reich zur Her-
stellung von Sarin ein Reaktionsablauf verwendet wurde, den der sowjetische Che-
miker Arbusow entwickelt hatte.85
Ähnlich wie bei den Flugzeugwerken, Raketenforschungseinrichtungen oder
Waffenfabriken haben die Sowjets beim Einmarsch ins Reichsgebiet mutmaßlich
auch deutsche Chemiker aufgegriffen, nicht nur aus den erwähnten Giftgaswerken,
sondern auch aus den großen mitteldeutschen Chemiewerken. Welche prominenten
deutschen Chemiker in die UdSSR verbracht wurden und dort an Kampfstoffen ar-
beiteten, ist bislang nicht bekannt geworden. Befragungen von in der UdSSR einst
tätigen Chemikern ergaben, daß die älteren Fachkollegen im 1. Weltkrieg mit gro-
ßer Selbstverständlichkeit an der Vervollkommnung der Gaswaffe mitgewirkt hät-
ten und sich im 2. Weltkrieg entsprechenden Aufforderungen nicht hätten entzie-
hen können. So wird auf Max Vollmer verwiesen, der sich besonders mit Chlor
und Schutzmitteln gegen Kampfstoffe auf Chlorbasis befaßt habe.86 Angesichts
des großen Interesses der sowjetischen Seite an Chemiewaffen und der nach dem
Kriege einsetzenden umfangreichen Herstellung solcher Kampfmittel erscheint die
Spekulation triftig, daß mit den von den Sowjets abmontierten deutschen Giftgas-
werken auch das spezialisierte Personal in die UdSSR wanderte und in der Sowjet-
union entsprechende Aufbauhilfe leistete. Biographische Referenzwerke über deut-
sche Chemiker, die nach dem Kriege eine Zeitlang in der UdSSR gearbeitet haben,
weisen verständlicherweise nicht darauf hin, ob jemand an Waffenentwicklungen
teilgenommen hat.Groehler berichtet ausfühlich über die Behandlung führender
Kampfstoffchemiker durch die Westmächte- daß wie in anderen rüstungstechni-
schen Bereichen niedrigrangiges, gleichwohl wichtiges Forschungspersonal in die
UdSSR abwanderte, ist auch von seinem Material her nicht auszuschließen.S7
Über die neuere sowjetische Chemiewaffenentwicklung ist bis in die jüngste
Zeit wenig bekannt geworden. Die sowjetischen Bestände sind amerikanischen
Angaben zufolge die größten der Welt. Übungen mit chemischen Waffen und
88 Die Berichterstattung über die Vorführung in Schichany stützt sich auf eine Auswer-
tung der Nullausgabe von "Chemical Weapons Convention Bulletin", i.V. durch die
Federation of American Scientists, Washington, D.C. 1988, S. 5. -Die Aussage von
Pikalow erfolgte dieser Quelle zufolge im sowjetischen Fernsehen am 10. November
1987.
89 dpa, 16. Nov. 1987
90 Brauch 1982, S. 137
Raketen 77
1.4 Raketen
91 Prawda, Krasnaja Swesda, Tass am 27. Dez. 1987. Einen Monat später, am 27. Januar
1988, fordert der sowjetische Chemiewaffenunterhändler Nikita Smidowitsch auf einer
Pressekonferenz in Genf, die Westmächte sollten ihrerseits die Chemiewaffenbestände
offenlegen.
92 Das im Westen wenig bekannte Ergebnis, benannt "10K", wurde zur Bewaffnung von
mittleren Bombern Tu-2 eingesetzt
78 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
te im Team des Generals Gaidukow war Koroljow, der den Rang eines Obersten
innehatte.96
Aufwestalliierter Seite war man sich der Bedeutung dieser sowjetischen Ak-
quisition bald bewußt. In einer britischen Historie zur Geheimwaffenentwicklung
wird mit Bezug auf die Sowjets geklagt:
"Sie erhielten den gesamten Komplex Nordhausen, mit den Windtunnels und Labors,
sowie den verbliebenen deutschen Wissenschaftlern unter der Leitung von Helmut
Gröttrup. "97
Die Produktion der V-2 lief auf diese Weise bis in den Oktober 1946. In einer dra-
matischen Aktion wurden dann (zum gleichen Zeitpunkt wie der Düsentriebwerk-
bau bei Junkers oder die Flugzeugfertigung in der sowjetisch besetzten Zone) am
22. Oktober die 200 wichtigsten Mitarbeiter mit ihren Familien und ihrer Habe, im
Falle Gröttrup samt Boxerhündin und BMW, vor allem aber mitsamt allen abmon-
tierbaren Fabrikationsanlagen, auf Eisenbahnzüge verladen und in die UdSSR ver-
frachtet. Die übrigen der 5000 damals in den Zentralwerken Beschäftigten wurden
entlassen. Zeitgenössischen Berichten zufolge kam in der fraglichen Oktoberwo-
che dergesamte zivile Eisenbahn- und Telefonverkehr in der SBZ zum Erliegen.
Das V -2-Team wurde in Moskau in einem Vorort untergebracht und erhielt die
Aufgabe, die Raketenfertigung neu einzurichten. Das gelang binnen eines Jahres.
Am 30. Oktober erfolgte in der kasachischen Steppe, rund 200 km von Stalingrad
entfernt, der erste scharfe Start der nunmehr R 1benannten V-2. Selbst der Start-
turm war aus Peenemünde importiert worden. Was fehlte, mußte improvisiert wer-
den. Russische Infanteriepioniere waren kurzfristig zu Meßtechnikern umgeschult
worden, die die deutschen Kinotheodoliten zur Flugbahnvermessung zu bedienen
hatten. - Beim zweiten Startversuch versagte die Steuerung, hernach erfolgten je-
doch täglich Schießversuche mit den in der UdSSR montierten oder nachgebauten
V-2.
Ungewiß bleibt, was den Russen bei ihrem Einmarsch sonst noch an Raketen-
technologie in die Hände fiel, etwa bei Rheinmetall in Berlin (hinter Krupp die
größte Waffenschmiede im Dritten Reich). Die Rheinmetall-Borsig AG hatte schon
vor dem Kriege mit der Entwicklung einer Folge von Artillerieraketen begonnen.
Militärische Bedeutung erlangte die Flakrakete ,,Rheintochter'' und vor allem das
über 220 Kilometer Reichweite verschießbare Folgemuster "Rheinbote" (im No-
vember 1944 wurden 220 "Rheinboten" gegen Antwerpen eingesetzt). Aus Mangel
an Informationen läßt sich das weitere Schicksal dieser "Rhein"-Geschosse nicht
verfolgen.
Die überragende Bedeutung der V-2 für das sowjetische Raketenprogramm ist
schon äußerlich daran sichtbar, daß die amtliche Typen-Nummerierung von Fernra-
keten in der UdSSR mit ihr als "R 1" (Raketa 1) einsetzt. Bemerkenswerterweise
fängt auch die amerikanische Aufklärung an, die sowjetische Raketenrüstung mit
der V-2 zu chiffrieren. Mit der durch die Mittelstreckenwaffe SS-20 allgemein be-
kannt gewordenen Kategorisierung ("SS" heißt nichts weiter als "surface-to-sur-
face", Boden-Boden, wobei "Rakete" zu ergänzen ist) wird das deutsche Fernge-
schoß als erstes klassifiZiert und erhält den Code-Namen SS-1.
Im Dezember 1947 bekam das Gröttrup-Team von den Sowjets eine neue Auf-
gabe gestellt In dem "Wissenschaftlichen Sowjet", der hierfür einberufen wurde,
trafen die Deutschen auf den in unseren Tagen als Verteidigungsminister und Mar-
schall bekannt gewordenen Dimitrij Ustinow. Gefordert wurde nunmehr eine neue
Rakete mit einer Reichweite von 910 km, dem Dreüachen der Leistung der V-2.
Die sowjetische Bezeichnung lautete wahrscheinlich ,,R-10". Die amerikanische
Aufklärung klassifizierte später das Gröttrup-Geschoß als "SS-2" und gab ihm,
wohl wegen der Ähnlichkeit mit dem Vorgängermuster, den Code-Namen "Sib-
ling", "Geschwister''.
Das deutsche Team wurde, nachdem die Nagelprobe bestanden war und die
grundsätzliche Gangbarkeit dieses Weges zur Raketenfertigung erwiesen war, auf
eine Insel in den Wolga-Quellen, im Seliger See, in die Nähe des Ortes Ostasch-
kow verlegt. Die 200 Raketenfachleute, mit ihren Angehörigen insgesamt 500
Deutsche, sollten hier knapp fünf Jahre verbringen, ehe sie in Schüben Ende 1953
nach Deutschland zurückkehren durften.
Im Dezember 1948 wurden die ersten Brennversuche mit einer neuartigen Ra-
ketenbrennkammer durchgeführt und im gleichen Monat einem "Wissenschaftli-
chen Sowjet" vorgetragen. Dort stellten die Deutschen zu ihrem Mißvergnügen
fest, daß ein sowjetisches Parallelteam unter Korgoljowski zum Teil die gleichen
Problemlösungen bei der Steuerung verwendete wie sie selber. Die SS-2 wurde
fristgerecht fertig, aber entgegen allen Hoffnungen bedeutete dies nicht das Ende
des Exils der Raketentruppe. (Das Projekt wurde im Laufe des Jahres 1952 einge-
stellt.)
Am 9.4. 1949 erhielt das Gröttrup-Team die Aufgabe, eine Interkontinentalra-
kete zu konzipieren, die aufgrundder geforderten Nutzlast von drei Tonnen augen-
scheinlich eine Kernwaffe transportieren können sollte. Die Reichweite dieser als
"R-14" bezeichneten Rakete98 sollte 3000 km betragen. Die ungewöhn14;he Lö-
sung dieser überaus anspruchsvollen Aufgabe erfolgte nach gründlichen Studien,
bei denen zehn verschiedene Varianten durchgerechnet wurden. Es entstand eine
Kegelrakete (vgl. Abbildung 8). Die ungewöhnliche Form sollte der westlichen
Spionage viel Kopfzerbrechen bereiten. - Die Deutschen legten am 22.10.1949
einen detaillierten Entwurf für die R-14 vor. Der einstufige Flugkörper sollte bei
einem Startgewicht von 73 Tonnen mit flüssigem Sauerstoff und einem gleichfalls
flüssigen Brennstoff 100 Tonnen Schub entfalten.
Ziemlich genau am dritten Jahrestag ihres Sowjetunion-Aufenthaltes erhielten
die Deutschen an diesem Oktober-Sowjet grünes Licht für die Durchkonstruktion
ihrer Rakete und deren Fertigungsvorbereitung, erneut in Anwesenheit von Mini-
ster Ustinow. Über das weitere Schicksal ihrer Konstruktion erfuhren die Deut-
schen nichts. Bis zu ihrer Heimkehr wurden sie in einer so von den Sowjets ge-
nannten ,,Abkühlperiode" mit wenig anspruchsvollen anderen Aufgaben betraut.
Der Brennstoffexperte Dr. Jochen Umpfenbach zum Beispiel, im Kriege bei der
Physikalisch-Technischen Reichsanstalt tätig, führte verschiedene Brennversuche
aus. Gröttrup hatte zunächst ein Statoskop, hernach ab September 1953 eine elek-
tronische Rechenmaschine zu entwerfen.
Vorspritze
..- Sprengring
- Nutzlust
.·;· ' Sprengring
'•
Koroljow, unter dessen förmlicher Leitung die deutsche Gruppe wirkte, sollte mit
seinen nachfolgenden Flüssigkeitsraketen für die Raumfahrt Weltruhm gewinnen,
besonders für die Trägerrakete des ersten Erdtrabanten "Sputnik". Die Führung der
Streitkräfte war mit seinen militärischen Entwicklungen weitaus weniger zufrie-
den. Zwar schuf Koroljow mit dem Typ R-7/"SS-6" die erste serienmäßig aufge-
stellte Interkontinentalrakete der UdSSR. Als Waffe war diese Rakete aber einiger-
maßen unpraktisch. Sie geriet mit rund 30 Metern Länge und mehr als 4 Metern
Durchmesser und einem Leergewicht um 80 Tonnen so unhandlich,99 daß sie über
längere Strecken nur per Schiene befördert und daher nur in der Nähe von Eisen-
bahnstrecken stationiert werden konnte.lOO Koroljow hatte bei der Wahl des Treib-
stoffs auf einen von dem Gröttrup-Team im Herbst 1950 vorgelegten Vorschlag
zurückgegriffen und statt Sauerstoff Salpetersäure als Oxydator und Alkohol als
Brennstoff vorgesehen. Die Auftankzeit mit der gefährlichen Treibstoffkombina-
tion betrug 20 Stunden, und eine mit diesen flüchtigen Stoffen aufgetankte Rakete
konnte nur kurze Zeit startbereit gehalten werden.- Von Koroljows erster Militär-
rakete wurden lediglich ein Dutzend Exemplare aufgestellt)Ol Der von den NA-
TO-Aufk11!rern vergebene Code-Name "Sapwood", "Grünholz", deutet möglicher-
weise an, daß man auf der anderen Seite die Schwächen dieses Geschosses durch-
auskannte.
Für die künftige Entwicklung sowjetischer militärischer Raketen ungleich
wichtiger wurden die Konstruktionen von Michail K. Jangel. Dieser war deutscher
Abstammung, hatte als Flugzeugkonstrukteur in den Teams von MiG und Mia-
sischtschew gearbeitet (und soll nach Cockbum "im Zweiten Weltkrieg als Agent
der Roten Armee das deutsche V-1 Programm ausspioniert" haben).102 Jangel war
nach dem Kriege als Stellvertreter Koroljows tätig. Unter seiner Leitung wurden
die ersten einsatzfaltigen Mittelstreckenraketen fertiggestellt, das Geschoß R -12 im
Jahre 1957 und der technisch ähnliche Flugkörper R-14 im Jahre 1959. Als SS-4
und SS-5 sind diese beiden Raketen von großer Bedeutung für die europäische Si-
cherheit gewesen. Thre Ablösung durch die RSD-10/SS-20 führte zu einer größeren
Kontroverse im Westen und zum Aufstieg der neuen Friedensbewegung.
Jangel wurde 1954 zum Konstruktionsleiter in Dnepropetrowsk befördert. Der
Ort war damals wichtig - es handelte sich um die Heimatstadt Leonid Breschn-
jews. Ähnlich wie amerikaDisehe Präsidenten dafür Sorge trugen, daß ihre Heimat
vom Raumfahrtboom profitierte (Texas wurde ein wichtiger Raketenstaat, weil
Lyndon B. Johnson dort geboren worden war), setzte sich Breschnjew schon als
für die Rüstungsindustrie zuständiges Mitglied des Politbüros so für seine Vater-
stadt ein, daß diese heute mit 185.800 Quadratmetern überdachter Hallenfläche das
größte Raketenwerk der Welt beherbergt. - Nach der SS-7, der ersten wirklich er-
folgreichen sowjetischen Interkontinentalrakete, leitete Jangel die Entwicklungsar-
beiten für die Projekte RS-16 (SS-17) und RS-20 (SS-18), bevor er 1971 starb.
Um die Technologie-Basis ihrer Raketenrüstung zu verbreitern, beförderten
die Sowjetbehörden Mitte der fünfziger Jahre Tschelomej an die Spitze eines eige-
nen Konstruktionsbüros. 1958 wurde Alexandr D. Nadiradzel03 in gleicher Weise
an die Spitze eines selbständigen Teams in Bisk gestellt. Nadiradze erhielt die
schwierige und von vielen Fehlschlägen begleitete Aufgabe, sowjetische Fernrake-
ten mit Feststoffantrieb zu entwickeln. Das scheint, nach problematischen Zwi-
schenschritten mit den Flugkörpern RS-12 (SS-13, nur 60 aufgestellt) und RS-14
(SS-16) mit der RSD-10 (SS-20) nunmehr gelungen.- Mit diesen drei Namen-
Jangel, Tschelomej und Nadiradze- sind die wichtigsten sowjetischen Konstrukti-
onsbüros für Militärraketen angegeben.
101 Auf Koroljows Konstruktionstätigkeit gehen neben der auch von der Nationalen
Volksarmee der DDR verwendeten SS-lB "Scud" die- möglicherweise an das deut-
sche Projekt ,,R-14" angelehnte -erste Mittelstreckenrakete R-5 ,,Pobjeda"/SS-3 als
Vormodell der SS-4 und SS-5 sowie die Konzeptionen der Fernwaffen SS-8 und SS-
10 zurück.
102 Cockburn 1983, S. 161
103 Alexandr Davidowitsch Nadiradze wurde erstmals 1939 bekannt, als er gemeinsam
mit Nikolai lwanowitsch Jefremow die Gruppe SJeN bildete (S steht für Samoljot
oder Flugzeug). Mit sogenannten Luftkissen, aufgepumpten Gummipolstern, sollten
Flugzeuge leichter auf Wasser, Eis oder Schnee landen können. Die deutsche Invasion
beendete diese Versuche.
Ergebnisse 83
1.5 Ergebnisse
Das Studium der sowjetischen Rüstungsimporte über die Jahrzehnte läßt eine Rei-
he von wichtigen Schlußfolgerungen zu, die z.T. noch heute für das Rüstungsver-
halten der Sowjetunion Gültigkeit haben. Auf die Frage, wie abhängig die UdSSR
von Zufuhren moderner Rüstungstechnologie ist, wie das Verhältnis legaler (von
staatlichen Stellen im Ausland legitimierter) zu politisch nicht legitimierter Aus-
fuhr ist, sowie auf die Frage, in welchem Verhältnis Technologietransfer und so-
wjetisches Innovationsverhalten stehen, lassen sich Antworten formulieren. Diese
Antworten gestatten zugleich Aussagen über den Stellenwert der Problematik in
der sowjetischen Politik und die routinemäßige Befassung mit solchen Fragen im
politischen System der UdSSR heute und in der Zukunft.
Läßt man die vorstehenden Einzelstudien Revue passieren, so fallen gravieren-
de Sektorenunterschiede ins Auge. In der Panzerrüstung und bei den Chemiewaf-
fen ist, soviel sich mit Sicherheit konstatieren läßt, die Phase nachholenden Korn-
pelenzerwerbs auf sowjetischer Seite abgeschlossen. In diesen Rüstungsbereichen
handelt die UdSSR eigenständig und folgt eigenständigen Konzepten. Dies schließt
nicht aus, daß von sowjetischer Seite Entwicklungen anderswo intensiv beobachtet
werden (vulgär spricht man von Spionage), aber diese Beobachtung dient anderen
Zwecken als dem Ziel, hier sowjetische Rückstände auszugleichen. Im Ergebnis
ähnliche Aussagen lassen sich bei der Rüstung mit Fernraketen treffen, einem Feld
hochgradig bilateraler Rivalität mit den USA. Die Vereinigten Staaten schützen
ihre Raketentechnologie dermaßen und gehen hier auch schwer prognostizierbare
Wege (wie den der Entwicklung von Marschflugkörpern), daß die Sowjetunion
schwerlich die herkömmlichen Mittel der Informationsbeschaffung hätte nutzen
können, um im Wettrüsten ihre Position zu halten. Anders nimmt sich die Situation
in der Luftrüstung und anderen konventionellen Feldern des Wettrüstens aus. Die-
se Bereiche werden deswegen in diesem Schlußabschnitt besonders betrachtet.
Das knappe Porträt gibt vor allem eines wieder: den lebhaften Import von
Flugtechnik über Jahrzehnte. Das ist für eine führende Militärmacht ein ganz unge-
wöhnlicher Tatbestand. Weder die USA noch Großbritannien oder das Großdeut-
sche Reich waren in diesem Maße von ausländischer Technologie abhängig. Syste-
matische Schwierigkeiten scheinen die Sowjets dabei, besonders bis 1947, beim
Import nicht gehabt zu haben. Kampfflugzeuge wurden als Muster oder in großer
Stückzahl erworben. Im Alltag der sowjetischen Flugzeugindustrie wurden fort-
während anspruchsvolle Bauteile wie ausländische Motoren oder Propeller ver-
wendet. Auch die Bewaffnung der Flugzeuge stammte hin und wieder aus dem
Ausland, wie sich technischen Handbüchern entnehmen läßt.
Systematischer gefaßt, ist eine erste Phase seit der Gründung der UdSSR bis
zum Ausbruch des Kalten Krieges (in der relativ frei ausländische Rüstungsgüter
erworben werden konnten) zu trennen von einer zweiten Phase scharfer Ost-West-
Konfrontation (hier von 1947 bis 1967 angesetzt), gefolgt von einer dritten Phase
dominant indigener Technologiekonzeptionen. Obwohl die Gewichte des auswärti-
gen Beitrages zur sowjetischen Rüstung unterschiedlich zu bestimmen sind, bilden
internationale Transfers in allen Phasen einen durchgängigen Aspekt.
Für die zweite Phase spielt der Erwerb deutscher Technologie nach 1945 eine
maßgebliche Rolle. Die Beteiligung der deutschen "Spezialisten" an der Konstruk-
tion der ersten sowjetischen Kernwaffe sowie deren Trägermitteln, beim Übergang
der sowjetischen Flugwaffe auf den Strahlantrieb und in der Raketentechnik er-
weist sich in einzelnen Schlüsselbereichen doch größer, als gemeinhin angenom-
men wurde.
Nach 1967 setzt eine dritte Phase ein, in der die Funktionsmechanismen und
die Bedeutung ausländischer Militärtechnologie erneut anders zu bestimmen sind.
Diese bis in die jüngste Zeit anhalten Phase soll sogleich differenziert betrachtet
werden. Zur Charakteristik der Vergangenheit sei festgehalten:
Unmittelbar nach Ausrufung der Revolution durch die Bolschewiki setzen signifi-
kante Rüstungstransfers ein, provozierenderweise aus eben jenen Ländern, die In-
terventionsstreitkräfte zur Bekämpfung der ,,Roten" nach Rußland entsenden. Fast
Jahr für Jahr lassen sich Transfers von Militärgerät bei Kapitalgütern (vor allem in
der Luftrüstung, Tanks, Chemiewaffen) nachweisen. Obwohl eine Anzahl von
Konstruktionen russischer Herkunft zu verzeichnen ist, dominieren in der Ferti-
gung ausländische Konzepte, besonders nach der Einrichtung des Junkers-Werkes
inMoskau.
Überzeugte Kommunisten unter westlichen Konstrukteuren tragen zum Auf-
bau sowjetischer Rüstungskapazitäten bei.
Ergebnisse 85
Kurz vor Ausbruch des Krieges mit dem Deutschen Reich kommt es zu signi-
fikanten Technologietransfers mit den Nationalsozialisten, hernach mit den West-
mächten. Im Krieg sichert das Leih- und Pachtgesetz einen fortwährenden Zustrom
westlicher Technologie. - Am Ende dieser kooperativen, von politischen Gegen-
sätzen wenig geprägten Phase steht der Transfer von britischen Düsentriebwerken
im Jahre 1947.
Zunächst stand die Integration der durch den Sieg über Nazideutschland erworbe-
nen Spitzentechnologien (Raketen, Düsenantrieb für Jäger und Bomber, Raketen,
Urantechnologie) im Vordergrund. Andere Technologietransfers (Kopie des Bom-
benträgers Boeing B-29 und dergleichen) erreichten nicht die gleiche Bedeutung.
Daß die kriegszerstörte UdSSR schon (und nicht: erst) 1949 mit der Zündung
einer Atombombe mit den USA in einen nuklearen Rüstungswettlauf eintreten
konnte, ist auch dem Einsatz und der Improvisation der beteiligten deutschen Wis-
senschaftler zu danken (Beispiel: Erzeugung der entscheidend wichtigen Dia-
phragmen für die Isotopentrennung). Illegale Technologietransfers aus den USA
(bestätigte Beispiele: Uranhexafluorid-Technologie, Proben von waffenfähigem
Uran) scheinen eine begrenzte Rolle gespielt zu haben.
In der Breite und der Tiefe der sowjetischen Rüstung verlieren internationale
Technologietransfersaufgrund konstruktiver Prioritäten (fertigungstechnische Ein-
fachheit, etwa Vorrang von Regelflächen im Leichtbau; Inkrementalismus in der
Typenentwicklung) an Bedeutung. An die Stelle einer "catch-up"-Haltung tritt die
Betonung alternativer technischer Konzepte.
Phase 3 (1967-)
In der dritten Phase verschieben sich die Technologietransfers vom Import von
Fertigprodukten und deren Nachbau (=Phase 1) oder der Adaption von know-how
(=Phase 2) auf subsidiäre Komponenten. Besonders in der Elektronik scheint auch
der sowjetische Rüstungssektor nach wie vor von Transfusionen westlicher Tech-
nologie entscheidend abhängig. Gegenwärtige Waffensysteme entsprechen techno-
logisch in einer Anzahl von Parametern weitgehend westlichen Gegenstücken,
bleiben jedoch in den Leistungsspitzen (Nachtkampffähigkeit, "look-down/shoot
down"-Fähigkeiten, elektronisches Aufklärungspotential, Systemintegration) au-
genscheinlich unterlegen. Aus Gründen dürfte es bei dieser Unterlegenheit bleiben.
Zwar hat die sowjetische Führung über Jahrzehnte Erfolg bei dem Bemühen ge-
habt, die Basistechnologien des Wettrüstens im eigenen Lande (nachholend) zu er-
zeugen. Die entscheidenden Leistungsspitzen, auch wenn sie "nur" die Funktions-
fähigkeit von Technik unter Allwetterbedingungen betreffen, sind jedoch bis heute
nur mit Hilfe von Technologietransfers aus dem Westen kompetitiv erreichbar.
Dieser Tatbestand deutet auf ein systemisches Defizit.
Bei einer Betrachtung der fortwährenden ausländischen Technologieinfusionen
im historischen Längsschnitt bleibt somit eine Zäsur auffällig. Bis etwa 1945 ha-
ben ausländische Importe die Rolle von Aushilfen, Ergänzungen gespielt. Ihr
Nachbau bestimmte nicht den Kern der eigenen sowjetischen Technologieentwick-
86 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
Tabelle 4:
Konzept der Akquisition des Düsenantriebs im sowjetischen Jägerbau
deutsches Triebwerk 1-motorig 2-motorig
BMW003 MiG-9*)
Lawotschin
La-150 Suchoj
Jumo004 Su-9
Jakowlew
Jak-15*)
*) Später für die Großserienproduktion ausgewählt
107 Kens/Nowarra 1961 beschreiben die Vor- und Nachteile der beiden deutschen Strahl-
antriebe ausführlich. Wegen der einfacheren Herstellung sowie der Verwendung we-
niger anspruchsvoller Werkstoffe beim Jumo 004 leuchtet die sowjetische Präferenz
ein. Auch war ihnen das gesamte Junkers-Triebwerksteam unter Dipl.-Ing. Brandner
in die Hände gefallen, während die BMW-Entwicklungsgruppe unter Dr. Oestrich
nach Kriegsende für die Franzosen arbeitete (siehe dazu meinen Beitrag in dem er-
wähnten Band Frankreich und Deutschland. Forschung, Technologie und industrielle
Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, 1988).
00
00
l '~O.
~s
4\
Yak-15 M iG-9
::;,:...
g:
1:>:
~
J[ i
;::;•
§
1:>
s.
1:>:
s.
~·
~
La-150 Su-9 ~
[
Abbildung 9: Entwürfefür den ersten einmotorigen (links) und den ersten zweimotorigen Strahljäger von Jakow/ewJ iS'
Oe)
Mikojan-Gurewitsch, Suchoj und Lawotschkin (im Uhrzeigersinn) .."
.~·
Ergebnisse 89
Über Kopieren
Kopieren bleibt ein bis in die jüngste Zeit geübtes sowjetisches Verfahren, beson-
ders bei Neuerungen, die im eigenen Land keinen technischen Vorlauf haben. Nun
wird in seriöser und unseriöser Literatur den Sowjets sehr häufig der Vorwurf ge-
macht, ausländische Entwürfe weitgehend nachzubauen. Die meisten dieser Pole-
miken basieren auf ungenauen Wertungen und urteilen erkennbar- technisch we-
nig aussagefähig - von äußerlichen Ähnlichkeiten her. Nun hat aber das Studium
sowjetischer Nachbauten im Lizenzverfahren ergeben, daß bei der Russifizierung
westlicher Technologie traditionell große Schwierigkeiten auftraten und erhebliche
Umkonstruktionen erforderlich waren. "Kopieren" ist, wenn überhaupt im Wort-
sinn, nur als erhebliche Ingenieurleistung und nicht als völliger Ausschluß dersel-
ben zu werten.
Eine Reihe von Konstruktionen läßt sich nicht leicht in eine solche Interpreta-
tion einordnen. Einer der ersten Hubschrauber des Jakowlew-OKB, der von Jerlik
90 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
konzipierte Jak-100, sieht der älteren amerikanischen Maschine Sikorsky S-51 ver-
blüffend ähnlich, bis hin zu der neuartigen vertikalen Triebwerkaufhängung. Auch
wenn die sowjetischen Konstrukteure betonen, daß sie angesichts einer gleicharti-
gen Aufgabenstellung ähnliche technische Lösungen gefunden hätten, so bleibt
eher die Vermutung, daß es sich um eine Imitation handelte (die Jak-100 wurde
nicht in Serie gebaut, weil eine originär russische Konstruktion von Mil, die Mi-1,
sich als überlegen erwies). Das Schicksal des ansonsten erfolgsgewohnten Jakow-
lew-Teams mit seinem ersten Hubschrauberentwurf verweist auf ein grundsätzli-
ches Problem. Selbst die kühnsten Übertragungsversuche geraten ins Abseits,
wenn die industrielle Infrastruktur nicht entsprechend differenziert und leistungsfä-
hig ist, wenn Spezialwerkstoffe nicht im Lande erzeugt werden, oder wenn an-
spruchsvolle Fertigungsverfahren mit engen Toteranzen für Fehlmaße im Lande
nicht bekannt sind. Besonders gründlich mußten dies die Sowjets bei dem Versuch
lernen (der sicherlich mit allerhöchster Autorisierung erfolgte), sich durch Kopie in
den Besitz des amerikanischen Atomwaffenträgers, der Boeing B-29, zu versetzen.
Wie geschildert, führte die direkte Kopie durch den besten sowjetischen Experten,
Tupolew, nicht zu einem akzeptablen Ergebnis. Eine Reihe von Nachkonstruktio-
nen, von Verbesserungen in Einzelheiten, nachfolgende Russiftzierungen und Ent-
feinerungen führten nicht zu einem unter militärischen Bedingungen einsetzbaren
Bomber. Die Lektion, die die Sowjets mit den sogenannten verbesserten Versionen
der Tu-4-Kopie der Boeing, über signifikante Modifikationen zu den Mustern Tu-
80 und Tu-85, zu akzeptieren hatten, war kostspielig und enttäuschend. Auch Ver-
suche, die Kopie als Passagiermaschine für die Aeroflot (Tu-70) oder als Militär-
frachter (Tu-75) zu nutzen, führten nicht zu befriedigenden Ergebnissen. Nach
langjährigen Entwicklungsarbeiten verfügten die Sowjets über einen Bomber, wel-
cher doppelt so schwer wie die B-29 geraten war, aber mit seiner Überfeinerung
(28-Zylinder-Sternmotoren gegenüber den 18 Zylindern beim US-Vorbild) zehn
Jahre nach dem Erstflug seiner Vorlage technisch restlos veraltet war. Gegen die
Düsenjäger des Westens hatten Tupolews überschwere Propellerbomber keine
Chance. 1950 wurde der erfolglose Versuch, die B-29 als einsatzfähiges Waffensy-
stem zu kopieren, ohne Produktionsauftrag abgebrochen. Wieviele Millionen Inge-
nieurstunden vergeblich aufgewendet wurden, welche anderen Anstrengungen
gleichermaßen in Frustration endeten, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.
Seither haben die Sowjets sich nicht mehr an einer Totalkopie eines westlichen
Großwaffensystems versucht.
Auf neuartigen Technologiefeldern und bei der Verwendung von Schlüssel-
komponenten neuer Technologien greifen sowjetische Konstrukteure freilich nach
wie vor zu Kopien. Diese erscheinen heute im Risiko freilich als sehr viel genauer
kalkuliert. So folgte beim Hubschrauberbau, wo die Sowjets wenig eigenen For-
schungsvorlauf hatten, der Kopie von Sikorskys MusterS-51 (wie erwähnt, durch
das Jakowlew-Team) die ,,Nachahmung" des Nachfolgemusters S-55, diesmal
durch das Mil-Team (vgl. Abbildung 3). Trotz der schlagenden Ähnlichkeiten der
beiden letztgenannten Muster handelt es sich freilich nicht um eine direkte Kopie:
Die sowjetische Maschine ist ungleich größer als das amerikaDisehe Vorbild ausge-
legt. Durch die Übernahme von Grundsatzentscheidungen des Sikorsky-Teams
wird aber versucht, Entwicklungsrisiken auf einem wenig bekannten Technologie-
gebiet zu minimieren- was sich beim Aufbau in äußerlichen Ähnlichkeiten nieder-
schlägt.
Ergebnisse 91
Ein solches Verhalten läßt sich bei sowjetischen Konstrukteuren bis in die
jüngste Zeit nachweisen.
Als in den USA die Konstrukteure von schweren Transportmaschinen die
Triebwerke plötzlich in ungewohnter Manier direkt über dem Flügel plazierten, um
die Abgase zu einer neuartigen Beströmung der Klappen für die Verkürzung der
Start- und Landestrecken zu nutzen, imitierten die Sowjets einfach diese ihnen
nicht bekannte Technologie. Antonows An-72 stellt sich somit als russiftzierte Va-
riante der amerikanischen Boeing YC-14 dar (vgl. Abbildung 10). Trotz der geo-
metrischen Ähnlichkeit mit der US-Vorgabe betont Antonow wenig überzeugend,
er habe die merkwürdige Triebwerkanordnung nur gewählt, um das Ansaugen von
Abfall und anderen Objekten auf der Rollbahn zu minimieren) OS
Bei näherer Überlegung erweist sich solches Kopieren als Anzeichen eines ex-
tremen Konservatismus. Was in den Köpfen hochqualifizierter sowjetischer Inge-
nieure und Techniker vorgeht, die die Aufgabe zu vollziehen haben, westliche
Technologielösungen noch heute nachzukupfem, muß hier außer Betracht bleiben.
Aber ein jeder solcher Schritt stellt Orthodoxie im extremen Ausmaß dar: Westli-
che Lösungen werden, womöglich halb oder gar nicht verstanden, nachgeahmt,
bloß weil es sich eben um westliche Produkte handelt.
Dieser sowjetische Konservatismus, vorrangig Lösungen zu nutzen, die ander-
wärts schon zum Erfolg geführt haben, durch ihre Imitierung eigene Anstrengun-
gen zu ersparen, zeitigt freilich gelegentlich unerwartete Erfolge. Im Westen wer-
den bestimmte Techniklösungen für zeitgebunden erachtet, obwohl sie ihrer Funk-
tion nach durchaus weiterhin Gültigkeit beanspruchen können, wie etwa das Dop-
peldeckerprinzip im Flugzeugbau.
Als Antonow 1947 seinen schweren Doppeldecker An-2 vorstellte, wurde die-
ses Arbeitsflugzeug im Westen schon damals als Anachronismus bewertet. Das
Muster wird in China und Polen jedoch heute noch gebaut. Mit knapp 20.000 Ex-
emplaren handelt es sich bei diesem für mittlerweile 40 Einsatzzwecke verwende-
ten Flugzeug um das nach Zahl und Zeit langlebigste Flugzeug der Luftfahrtge-
schichte überhaupt.
Dem extremen Konservatismus, wie ihn nicht zuletzt die Imitationsversuche
charakterisieren, gegenüber steht ein Sowjetsystem, welches in der Rüstung gele-
gentlich technische Pioniertaten hervorbrachte. Es lassen sich eine ganze Reihe so-
wjetische Erstleistungen anführen, in denen das Land des "wissenschaftlichen So-
zialismus" technologisch tatsächlich dem Westen die nächsten Schritte wies. Die
Liste dieser Ersttaten im sowjetischen Flugzeugbau weist interessante Prioritäten
auf. Sie verdeutlicht zugleich, daß es ingenieurtechnisch nicht an Kompetenz und
Begabungen fehlte, so daß in der Tat die hier vertretene These gilt, daß die man-
gelnde industrielle Basis sowie soziostrukturelle Faktoren für die langanhaltende
Abhängigkeit von Auslands-Know-how verantwortlich zu machen ist.
Die Liste von Neuerungen setzt früh ein. 1923 wird in der jungen UdSSR das
erste speziell für die Landwirtschaft konzipierte Flugzeug, Modell Nr. 5 von Was-
sili N. Khioni, mit Sprüheinrichtungen in Serie gebaut. 1930 fliegt Tupolews weg-
weisender Bomber ANT-6, in dem Fachautoren den Urvater der "Fliegenden Fe-
109 Gunston 1983, S. 290, gibt enthusiastische Kommentare über die Führungsrolle dieser
Konstruktion, die seiner Meinung nach aufgrund der Stalinschen Säuberungspolitik
nicht zum Zuge kam.
110 Bezeichnung RP-1 (Raketnui Planer- Raketensegler). Der deutsche Anspruch, die
Heinkel He 176 von 1939 sei "das erste Raketenflugzeug der Welt" gewesen (u.a. in:
Heinkel1966, S. 459 ff.) läßt sich so nicht halten. Allein in der UdSSR gab es in den
dreißiger Jahren mehrere Konstrukteure, die mit Raketenantrieben für Flugzeuge ex-
perimentierten, darunter auch eine Maschine, an der derspäter sehr bekannte Raketen-
konstrukteur Sergej P. Koroljow mitgewirkt hatte (Gunston 1983, S. 148/9). Die Hein-
kel-Maschine hat allerdings möglicherweise den ersten längeren Flug absolviert. -
Weitere Hinweise bei Eyermann 1967, S. 163 f.
94 Abhängigkeit von ausländischer Technologie?
sondern durch Abstoßen der gesamten Pilotenkanzel gerettet werden kann. Tupo-
lew verbindet 1954 den Pfeilflügel mit dem Turboantrieb (des Deutschen Brand-
ner) in einer sehr erfolgreichen Konstruktion, die bis heute verwendet wird. 1956
machen die Sowjets erstmals durch superschwere Helikopter von sich reden, die
zudem mit Stummelflügeln versehen werden (etwa Mils Mi-6). 1956 nimmt das er-
ste sowjetische Düsenverkehrsflugzeug den Dienst auf (Tu-104), zwar Jahre nach
dem britischen Erstmodell DeHavilland Comet, aber vor der amerikanischen Kon-
kurrenz (Boeing 707), und mit gepfeilten Flächen und schneller als die britische
Maschine. Die Transportmaschine Tu-124 war das erste Flugzeug der Welt, in der
der Turbofan-Antrieb in ein Kurzstreckenflugzeug eingebaut wurde. Auf sowjeti-
scher Seite wird auf zwei Neuerungen mit Stolz verwiesen, die im Westen schon
eher wieder als Imitationen gelten: das Überschall-Verkehrsflugzeug Tu-144, 1968
zum ersten Male geflogen, und die schweren Bomber mit schwenkbaren Tragflä-
chen, Tu-22M sowie der unter dem NATO-Codenamen "Blackjack" bekannt ge-
wordene Interkontinentalbomber von Tupolew. Im historischen Rückblick freilich
erweisen sich diese Pioniertaten, unbeschadet ihres wissenschaftlich-technischen
Ranges, zumeist als politisch bedeutungslos. Überragend sollte die Offenheit des
Sowjetsystems für militär-technische Innovationen nur einmal durchschlagen: bei
der Entwicklung von Fernraketen und dem ersten Satellitenstart im Jahre 1957.
Aus einer Reihe von Gründen ist es im Sowjetsystem nicht möglich gewesen,
technische Neuerungen so zielstrebig durchzusetzen, daß sie dem Lande im Wett-
rüsten eine anhaltende Führungsrolle gesichert hätten. Die mangelnde Leistungsfä-
higkeit der Industrie, die nicht hinreichende Differenzierung von Infrastrukturen
oder der allgemeine Mangel an Ressourcen sind hierfür nicht die Hauptgründe.
Von größerem Einfluß scheinen soziostrukturelle Momente wie die übergroße Bü-
rokratisierung, der damit verbundene Konservatismus, der Unwille von Amtsträ-
gern, sich durch ungewöhnliche Entscheidungen zu exponieren, sowie die starke,
Jüngere behindernde Altershierarchie.
Das Ergebnis ist eine komplizierte Struktur, die zumindest doppelbödig wirkt.
Zum einen gehören die Rüstungswerke zu den, wie es allgemein im sozialistischen
Bereich heißt,lll "unantastbaren Betrieben", deren Subventionsbedarf klaglos an-
gewiesen wird. Zum anderen erfolgen die Eingriffe der politischen Spitzen regel-
mäßig und so direkt, daß kaum von dem für Planbürokratien üblichen Handlungs-
mustern gesprochen werden kann. Auch gibt es Wettbewerb zwischen einzelnen
Konstruktionsteams.
Der britische Fachmann Gunston sieht gleichfalls in der sowjetischen Luft-
fahrtindustrie eine Doppelstruktur wirksam. Er betont die Rivalität der verschiede-
nen Konstruktionsbüros, und setzt dieser deren Professionalität entgegen:
,,Im sowjetischen Flugzeugbau hat eine Kombination von Professionalismus und Wett-
bewerb über die Jahre hinweg ... zu einem Beschaffungsprozeß geführt, der zumindest
ebenso gut wie der beste erreichte Zustand im Westen funktioniert."ll2
Die Zahl der Konstruktionsbüros ist freilich über Jahre stark zurückgegangen.
Wurden im Militärflugzeugbau 1945 fünfzehn selbständige Konstruktionsbüros
111 In Polen z.B. wurden Mitte der achtziger Jahre 1.300 Produktionsstätten zu den "Un-
antastbaren" gezählt. Im Zuge von Reformen soll ihre Zahl auf 400 verringert werden.
V gl. Friedensbericht 88
112 Gunston 1983, S. 14. Zur Rivalität verschiedentlich Hinweise bei Jakowlew 1972
Ergebnisse 95
gezählt, so ist diese Zahl trotz des Auftretens neuer Konstruktionsbereiche wie der
Hubschrauber auf neun gesunken. Einzelne Teams nehmen mittlerweile mangels
Konkurrenz auf ihrem Gebiet eine Monopolstellung ein: Die Berijew-Gruppe ist
für alle Flugboote verantwortlich, bei Mil werden sämtliche größeren Hubschrau-
ber konstruiert, die Typenbezeichnung Antonow ist zum Synonym für Transport-
flugzeuge geworden, bei MiG werden ausschließlich Hochleistungskampfflugzeu-
ge konzipiert, usf.
Über die jüngste Phase sowjetischer Technologieeinfuhren lassen sich am
schwierigsten deutliche Aussagen treffen. Wie in den Phase zuvor werden viele
Transfers erst mit erheblicher Verzögerung bekannt Die verstärkten Transferüber-
wachungen durch amerikanische Dienststellen bewirken nicht automatisch drasti-
sche Importbeschränkungen. Zeitungsmeldungen zufolge stellt die breit bekannt
gewordene Toshiba-Affäre (die Lieferung von Präzisionsanlagen, mit denen ex-
trem leise laufende Schiffsschrauben für U-Boote gefertigt werden können) noch
nicht einmal den gravierendsten Vorgang dar. So wird nunmehr von französischen
Lieferungen von Ausrüstungen für den Flugzeugbau sowie die Fertigung von Tur-
binenschaufeln in den siebziger Jahren berichtet,113
In einem nicht näher genannten Stichjahr in der ersten Hälfte der siebziger
Jahre hätten, so amtliche US-Quellen, die Sowjets ungehindert in den USA 30
komplizierte Geräte zur Herstellung von Spezialkristallen, 99 Diffusionsöfen, 3
Testanlagen für integrierte Schaltkreise sowie 10 Ausriebtanlagen für Sichtschirm-
masken erworben,l14 Rund 100.000 technische Dokumente würden Jahr für Jahr
von der UdSSR erworben. Im wesentlichen würde dieser Technologieimport durch
die Militärische-Industrielle Kommission über den Geheimdienst sowie das
Außenhandelsministerium (besonders für militärisch und zivil nutzbare Güter) be-
werkstelligt. Die Akademie der Wissenschaften, das Staatskomitee für Wissen-
schaft und Technik (GKNT) und das Staatskomitee für Außenhandelsbeziehungen
(GKES) leisten der gleichen Quelle zufolge Hilfsdienste. So sei durch den Transfer
von 2.500 verschiedenen Geräten die Grundlage für die sowjetische Mikroelektro-
nik geschaffen worden. Der Technologievorsprung des Westens sei von 10 bis 12
Jahren- so die Situation Mitte der Siebziger Jahre- auf nunmehr 4 bis 6 Jahre ge-
schrumpft. Überdies würden jährlich 3.000 bis 5.000 Anforderungen bezüglich des
Erwerbs westlicher Hochtechnologieprodukte ausgegeben, die zu einem Drittel,
bei Prioritätsgegenständen gar zu 90 Prozent auch tatsächlich zum Erfolg führen
würden,115
Solche Angaben sind allenfalls in Einzelfallen von Dritten nachprüfbar. Die
Vielzahl von Details, welche amerikaDisehe Dienststellen vorlegen, scheint jedoch
die These vom anhaltenden massiven Technologieerwerb zu bestätigen. So wird
vorgeführt, daß die digitalen Radarsätze neuer sowjetischer Kampfflugzeuge tech-
nisch auf dem Radar AN/APG-65 der amerikanischen Firma Hughes basieren, daß
neue Leichtmetallegierungen und neue Fertigungsverfahren der Pulvermetallurgie
augenscheinlich ihren Weg von den USA in die UdSSR fanden usf.
Dieter Senghaas geht in einer grundsätzlichen Aussage zur geringen Innova-
Die Entwicklung von Kernwaffen in der vom Zweiten Weltkrieg schwer gezeich-
neten Sowjetunion ist nunmehr rekonstruierbar. Nur vier Jahre nach dem "Manhat-
tan-Projekt" der Amerikaner, einer technischen und organisatorischen Großtat,
zündeten die Sowjets eine Atombombe. Ihre Leistung, das sowjetische Gegenstück
zum Manhattan-Projekt, bleibt womöglich noch eindrucksvoller als das amerikani-
sche Vorbild. Wie abhängig war die sowjetische Bombe von der Spionage? Wie
war es möglich, in einem industriell wenig entwickelten, obendrein im Kriege so
zerstörten Land ein solches Projekt erfolgreich durchzuziehen? Wie wurde die so-
wjetische Planwirtschaft mit den durch das Bombenprojekt verursachten Zusatzan-
forderungen fertig? Alle diese Fragen lassen sich heute beantworten.
Die Mosaiksteinehen zum Gesamtbild der sowjetischen Bombenentwicklung
liegen groBteils schon seit längerem herum, nur wurden sie bisher kaum zusam-
mengefügt Längst gibt es z.B. eine offiziöse Biographie des sowjetischen "Oppen-
heimer". Sein Name ist nicht Pjotr L. Kapiza (an der Bezeichnung ,,Roter Atom-
zar" und der Unterstellung, er sei der Chef des Bombenprojektes gewesen, hatte
1 Die Informationsgrundlage für diesen Abschnitt bilden Zlllll einen die ungedruckten
Erinnerungen des Leiters des Uranprojektes in der UdSSR, Professor Nikolaus Riehl
(,,Zehn Jahre im Goldenen Käfig", im Text als ,,Riehl-Memoiren" zitiert), wiederholte
Gespräche mit ihm und Mitgliedern seiner früheren Arbeitsgruppe, und zum anderen
I.N. Golowins Biographie von lgor W. Kurtschatow (Original bei Atomisdat 1972,
deutsche Übersetzung bei Urania in Leipzig u.a. 1976). Zu verweisen ist ferner auf den
von A.P. Alexandrow als "verantwortlichen Redakteur" vorgelegten Band: Erinnerun-
gen an Igor Wassiljewitsch Kurtschatow Moskau (Nauka) 1988. Erste Fassungen dieses
Kapitels sind sowjetischen Teilnehmern am Uranprojekt, allen voran Kapiza und Fle-
row, zugesandt und in Antwortbriefen und mUndliehen Reaktionen im Sachgehalt nicht
in Frage gestellt worden. Neben verschiedenen Einzelhinweisen erfolgte verständlicher-
weise Kritik an den Wertungen und Schlußfolgerungen. Ein Akademiemitglied reagier-
te mit der Ankilndigung, daß nunmehr eine sowjetische Darstellung des Bombenpro-
jekts öffentlich vorgelegt werden sollte, und er sich für eine solche einsetzen werde. -
Außerdem haben westliche Kernwaffenfachleute, vor allem Theodore Taylor, den Text
auf einzelne technische Fragen hin geprüft, etwa die Versuche zur Erzeugung kritischer
Massen.
Die bisher besten westlichen Beschreibungen des sowjetischen Nuklearprojekts stam-
men von David Holloway 1981b, S. 159-197, sowie der entsprechende Abschnitt in
Holloways Buch: The Soviet Union and the Arms Race (1983b). Die informativste
DDR-Veröffentlichung ist Max Steenbeck (o.J.). Dem Wahrheitsgehalt der Erinnerun-
gen des bekannteren Baron Manfred von Ardenne (1972) stehe ich aus im Text angege-
benenGrUnden zum Teil sehr kritisch gegenüber.
99
Sowjetische Darstellungen legen großen Wert darauf, daß die Idee zum Bau der
Bombe von den eigenen Naturwissenschaftlern stammt Über die Frühphase des
Projektes wird recht freimütig informiert, schon um nachzuweisen, daß man mit
einer solchen Arbeit begonnen hatte, bevor Amerikaner und Deutsche die ersten
Schritte in eine solche Richtung taten.
In der sowjetischen Literatur wird der Beginn des Bombenprojektes mit einer
Eingabe des jungen Physikers Georgi Nikolajewitsch Flerow vom Mai 1942 an das
Staatliche Verteidigungskomitee,4 "unverzüglich mit der Herstellung der Uran-
bombe zu beginnen", angesetzt Das Datum ist wichtig: Im Dezember des gleichen
Jahres gelang den Amerikanern der erste praktische Schritt auf dem Wege zur
Bombe, die Erzeugung einer Kettenreaktion. Bedeutend ist auch die Person, die
den Vorschlag macht: Flerow wurde einer der bedeutendsten sowjetischen Physi-
ker, später war er Direktor des bekannten Labors für Kernreaktionen in Dubna.
Wie andere führende sowjetische Kernphysiker mußte Flerow gegen Kriegsende
aufgrund des von ihm angeregten Bombenprojektes einer berufsfremden Tätigkeit
nachgehen: In der Uniform eines Obristen hatte er für das NKWD deutsche Uran-
experten ausfindig zu machen.
Flerow war in der Sowjetunion nicht der einzige Physiker, der die Idee der
Nutzung einer Kettenreaktion für militärische Zwecke verfolgte, vielleicht war er
auch nicht der erste. So wird von einem Schreiben des Akademiemitgliedes Niko-
lai Nikolajewitsch Semjonow an das Volkskommissariat (Ministerium) für
Schwerindustrie noch vor dem deutschen Angriff im Juni 1941 berichtet, in dem
"die Möglichkeiten für die Schaffung einer Waffe dar(gelegt wurden), deren
Sprengkraft alles übertraf, was die Menschheit bisher kannte".S Flerow ist aller-
dings vorrangig anzuführen, weil er wiederholt und nachdrücklich für ein sowjeti-
sches Bombenprojekt plädiert hatte. Dem im Verteidigungskomitee für Wissen-
schaft und Forschung zuständigen Kaftanow schickte Flerow nicht weniger als
fünf Telegramme, und als dies nichts fruchtete, wandte er sich an Stalin persönlich:
"Sehr geehrter Josef Wissiarionowitsch,
Nun sind schon zehn Monate seit Kriegsbeginn verstrichen, und die gesamte Zeit habe
ich mich wie der besagte Mensch gefühlt, der mit dem Kopf durch die Wand will ...
Das ist jene Mauer des Schweigens, von der ich hoffe, Sie werden mir helfen, sie zu
durchbrechen. Dies ist mein letzter Brief in dieser Angelegenheit, hernach werde ich
die Hände in den Schoß legen und abwarten, bis das Problem in Deutschland, England
oder den USA gelöst worden ist. Die Ergebnisse werden so durchschlagend sein, daß es
unnötig sein wird zu bestimmen, wer die Schuld daran hat, daß diese Arbeiten in unse-
rem Lande, der Sowjetunion, vernachlässigt wurden.
All diese Obstinenz erfolgt so geschickt, daß wir dann nicht einmal über formale
Handhaben gegen irgendjemand verfügen werden. Nie hat jemand gesagt, daß die
Uranbombe nicht ausgeführt werden könnte, und dennoch ergibt sich die Meinung, daß
diese Aufgabe in den Bereich von science fiction gehört."6
Flerow bedient bemerkentswert geschickt die Klaviatur, mit der man inStalins So-
wjetunion höchstes Gehör findet. Er deutet an, daß möglicherweise bald ein Ver-
säumnis entscheidender Art zu beklagen sein wird, daß Schuldige zu suchen sein
werden, daß mögliche Verantwortliche vorbeugend tätig werden.
Tatsächlich kommt es 1942 zu ersten Schritten, weniger, weil Flerow Druck zu
machen suchte, sondern aufgrund von Geheimdienstinformationen. In einem so-
wjetischen Text heißt es recht offen in bezug auf Spionageergebnisse:
"Die Sowjetunion verfügte zu dieser Zeit (Mitte 1942, U.A.) bereits über Informatio-
nen, daß im faschistischen Deutschland und in den USA unter strengster Geheimhal-
tung intensiv an einerneuen Waffe mit gewaltiger Wirkung gearbeitet wurde. "7
Der kleinen Schar sowjetischer Kernphysiker war seit Kriegsbeginn Ungewöhnli-
ches im Publikationsverhalten ihrer amerikanischen Kollegen aufgefallen. Dies
ließ auf eine militärische Bedeutung der Teilchenphysik schließen. Der nachher be-
rühmte Brief Einsteins an Präsident F.D. Roosevelt vom 2. August 1939, daß die
Bombe machbar sei, war ihnen zwar nicht bekannt. Sie bemerkten aber, daß das
Fachblatt der Physikergemeinde, der amerikanische ,,Physical Review", in dem die
meisten Berichte über Uranforschung veröffentlicht wurden, plötzlich nichts mehr
aus der US-Forschung berichtete. (Tatsächlich hatten sich die amerikanischen Phy-
siker unter Szilards Führung von 1941 an zu einem freiwilligen Publikationsstop
entschlossen, allerdings mit Blick auf die Kernforschung in Hitlers Deutschland.)
Andererseits wurde auch in der UdSSR die militärische Bedeutung der Uran-
forschung immer offenkundiger. In dieser Periode schrieb Semjonow seinen Brief
an das Ministerium.
Die deutsche Invasio'l führte zunächst zur Einstellung aller Atomprojekte.
Kurtschatow entwickelte zum Beispiel nunmehr Mittel zum Einsatz gegen deut-
sche Seeminen und wechselte 1942 in ein Labor für die Entwicklung von Panze-
rungen für neue Tanks. Mit dem Memorandum Flerows, nachdem die Blitzkrieg-
strategie Hitlers gescheitert war, änderte sich im Sommer 1942 die Situation (zum
gleichen Zeitpunkt übernimmt in den USA die Army das Atomprogramm; im Sep-
tember 1942 wird Oberst Groves zu dessen militärischem Leiter ernannt). Ende
Dezember 1941 hatte Flerow in einem Vortrag vor Fachkollegen nachdrücklich für
Versuche zu, wie er den Vorgang damals nannte, "Dynamit-Kettenreaktionen" mit
schnellen Elektronen plädiert. Flerow meinte, über das leichte Isotop des Uran (U
235) und Protaktinium (eines der neuen radioaktiven Elemente) zu seiner "Dyna-
6 Handschriftliche Eingabe des Leutnants Flerow, versehen mit dem Hinweis "an den Se-
kretär des Genossen Stalin": ,,Bitte korrigieren Sie Orthographie und Stil meines Brie-
fes und lassen diesen abtippen, bevor er an Genossen Stalin gelangt." Abdruck in: Mos-
cow News, No. 16, 17.4.88, S. 16
7 Golowin 1976, S. 58
102 Die sowjetische Bombe
8 Golowin 1976, S. 33
Die "Laborphase" des Bombenprojektes 103
lan und Abelson eine kurze Notiz über die Darstellung von Plutonium veröffent-
licht Während die Amerikaner beide Bombentypen parallel entwickelten (auf Hi-
roshima fiel eine Uran-Bombe, auf Nagasaki eine Plutoniumbombe), entschieden
sich die Sowjets für die Plutoniumbombe. Das neue Element konnte im Uranmeiler
hergestellt und chemisch rein abgetrennt werden. Uran 235 wäre zwar aus Natur-
uran gewinnbar, jedoch würde die Technik der Isotopentrennung im Großen die so-
wjetische Industrie überfordern. Im Frühjahr 1943 waren die Grundrichtungen der
anstehenden Arbeiten klar, und Kurtschatow vergrößerte seinen Stab. Für amerika-
nische Maßstäbe war die sowjetische Bombentruppe nach wie vor winzig. Es han-
delte sich um nicht mehr als zwei Dutzend Physiker, die aus der Armee oder
kriegswichtigen Betrieben abkommandiert wurden. Ein einziger Mechaniker half
den Physikern bei ihren Experimenten. Die neu zu der Bombentruppe stoßenden
Wissenschaftler spiegelten den Zustand des Landes, welches als zweites die Kern-
waffe erzeugen sollte, nur allzu getreu wider: Oft genug brachten sie lediglich das,
was sie auf dem Körper trugen, aber nicht wohlausgerüstete Institute in das Projekt
ein.
Im vormaligen Seismologischen Institut der Akademie der Wissenschaften be-
gannen Alichanow, Isaak Jakowlewitsch Pomeranschuk, K.J. Stschepkin und 1.1.
Gurewitsch mit ihren Arbeiten und bestellten zunächst einmal nach ihren Zeich-
nungen Bauteile bei verschiedenen Betrieben. Sie sollten ein nach damaligen Vor-
stellungen großes Zyklotron von anderthalb Metern Durchmesser bauen. Damit
sollten schnelle Protonen erzeugt werden, mit denen im zweiten Schritt Uran be-
strahlt und später so Plutonium erzeugt werden könnte. Im ehemaligen Institut für
Anorganische Chemie in der Straße Bolschaja Kaluschskaja begannen Flerow und
Dawidenko mit Experimenten mit Neutronen, die ja für den Spaltungsvorgang und
die Kettenreaktion wichtig waren.
Im Seminarstil erarbeiteten sich diese zwei Dutzend sowjetischer Physiker die
Veröffentlichungen von Joliot, Szilard, Bohr und allem, was an Veröffentlichun-
gen westlicher Fachkollegen über die Uranspaltung greifbar war. Während dieser
Seminare gelangte man zu der Einsicht, daß das Uran nicht homogen in der Brems-
substanz zu verteilen, sondern besser konzentriert in Abständen anzuordnen sei
(die deutsche Uranforschung hatte eben dieses Stadium bei Kriegsende erreicht).
Die Arbeiten der kleinen Forschergruppe ergaben, daß die Bombe realisierbar
war. Die Bombenforschung konzentrierte sich neben den Moskauer Instituten auf
zwei Plätze: ab Juni 1943 in dem wiedereroberten Charkow, wo augenscheinlich
noch nutzbare Labors für Elektrostatik von Kurtschatows Studienfreund und
Schwager Sinelnikow genutzt wurden (Kodename: ,,Laboratorium 1"). Auf einem
alten Schießplatz am Rande Moskaus, jenseits des die Hauptstadt umgebenden Ei-
senbahnringes, wurde "Laboratorium 2" errichtet. Es sollte entscheidende Bedeu-
tung für die Bombe bekommen. Für Kurtschatow war es selbstverständlich, daß er
mit seiner Frau auf das Gelände übersiedelte, um in der "Waldhütte", wie er sein
Domizil scherzhaft nannte, unter gefängnisähnlichen Bedingungen zu arbeiten. Im
Herbst 1943 wird der 40 Jahre ,junge" Kurtschatow zum Mitglied der Sowjeti-
schen Akademie der Wissenschaften gewählt. Seine Mannschaft im "Labor 2"
zählt- vom Direktor bis zum Heizer - bescheidene fünfzig Mann.
Im Sommer 1944 versammelten sich die führend am Bombenprojekt beteilig-
ten Wissenschaftler zu einer gemeinsamen Seminarveranstaltung und versuchten
ein Resümee. Pjotr Kapiza leitete eine Vortragsreihe zu allgemeinen kernphysikali-
104 Die sowjetische Bombe
9 Holloway 1983b, S. 17
Das NKWD übernimmt das Bombenprojekt 105
Augenscheinlich erkannten die Russen in der ersten Hälfte des Jahres 1945, daß sie
den Aufwand für den Weg zur Bombe drastisch unterschätzt hatten. Mutmaßlich
aufgrund von Informationen ihrer Spionage war die Sowjetführung hellhörig ge-
worden. Kurtschatow mit seinem 50-Mann-Institut, dem Schuppen für die beiden
Geschütze und Panasjuks Zelten, Sinelnikow mit dem anderen Labor sowie die
umfunktionierten Institute in Moskau und Leningrad waren einfach mit dem US-
Projekt "Manhattan" nicht zu vergleichen (das amerikanische Bombenprojekt be-
schäftigte zu seinen Spitzenzeiten im Jahre 1944 rund 200.000 Leute).
Während der Reorganisation des Bombenprojektes wurde Kurtschatow ge-
fragt: "In welcher Zeit kann die Atombombe geschaffen werden, wenn Sie alle er-
denkliche Unterstützung erhalten?"lO Kurtschatow meinte in fünf Jahren. Tatsäch-
lich brauchte er ziemlich genau vier Jahre.
Um das Atomprojekt nunmehr wirklich voranzubringen, wurde es völlig neu
organisiert. Die Angelegenheit wurde der wirksamsten Einrichtung anvertraut,
über die die UdSSR verfügt, dem NKWD. Marschall der Sowjetunion Lawrenti
Berija, Stellvertreter Stalins und Mitglied des Politbüros, einer der mächtigsten
Männer des Landes, wurde zum für die Bombe Verantwortlichen ernannt. Berija
verfolgte die Fortschritte des Bombenbaus persönlich, reiste in die Labors und Fa-
briken, ließ die Wissenschaftler Vortrag halten. Die am Projekt beteiligten deut-
schen Wissenschaftler haben den gefürchteten Chef der sowjetischen Staatssicher-
heit in angenehmer Erinnerung. Der Uranexperte Nikolaus Riehl schreibt: "Berija
empfing uns äußerst liebenswürdig. Sein Auftreten war ausgesprochen char-
mant."ll
Der Physiker Heinz Barwich berichtet allgemein über die Nachtsitzungen im
Gebäude der Staatssicherheit: "Fast alle Moskauer Sitzungen dieser Art sind mir in
angenehmer Erinnerung geblieben. "12
Die tagtägliche Verfolgung des Projektes übertrug Berija seinem Stellvertreter,
Generalleutnant Abram Pawlowitsch Sawenjagin. Sawenjagin war trotz seines
NKWD-Ranges einschlägig vorqualifiziert: Seiner Herkunft nach war er Metall-
urge. Zuvor hatte er sich Verdienste mit dem Aufbau eines großen Nickel-Kombi-
nats auf der Halbinsel Taimyr erworben. Der NKWD hatte auch dieses kriegswich-
tige Projekt gemanagt.
Die Aufgaben des NKWD (die Bezeichnung des sowjetischen Staatssicher-
heitsdienstes wurde 1946 und später geändert, der Einfachheit halber sei die alte
Titulierung beibehalten) gingen weit über die eines klassischen Sicherheitsdienstes
hinaus, und die Abwicklung des Uranbombenprojektes bildete für diese Institution
keine neuartige Herausforderung. Riehl, als Leiter des Projektes zur Gewinnung
reinen, waffenfahigen Urans wiederholt mit der NKWD-Spitze in Kontakt, be-
schreibt die Unternehmertätigkeit des Innenministeriums unter Berija:
"Die Funktionen des MWD (= Nachfolgeinstitution des NKWD), in die wir deutsche
,Spezialisten' unmittelbar einbezogen waren, können als das Wirken eines riesigen
staatlichen Unternehmens dargestellt werden, in dem- vom Bewachungspersonal abge-
10 Golowin 1976, S. 68
11 Riehl-Memoiren, S. 37
12 Barwich 1967, S. 94
106 Die sowjetische Bombe
13 Riehl-Memoiren, S. 37
14 Golowin 1976, S. 71
Das NKWD übernimmt das Bombenprojekt 107
gen. Wannikow warf Fragen auf, ob der Bau dieser oder jener aufwendigen Anlage
vertretbar sei, ohne daß man wüßte, daß praktisch verwertbare Resultate herauskä-
men. So opponierte er gegen den Bau des neuen großen Beschleunigers (Magnet-
durchmesser fünf Meter) bei Nowo Iwankowo an der Wolga. Dieser wurde binnen
eines halben Jahres durchgezogen. Großes Gewicht scheinen folglich solche Inter-
ventionen der mit der sparsamen Verwendung der Ressourcen betrauten Staatsseite
nicht gehabt zu haben.
Das neue Komitee, vor allem aber Berija und sein Vize Sawenjagin, brachten
das Bombenprojekt rasch auf Touren. Das sowjetische Gegenstück nahm bald die
Dimensionen des amerikanischen Manhattao-Projektes an: In unbesiedelten Gebie-
ten wurden Werkanlagen und Fabriken gebaut. Um wissenschaftliche Mitarbeiter
heranzuziehen, wurden zwei Ausbildungsinstitute und mehrere technische Fach-
schulen neu geschaffen. Die Industrie wurde auf geeignetes Personal hin durchge-
kämmt (sowjetische Eigendarstellung: "Auf Beschluß der Rayon- und Stadtkomi-
tees der Partei schickten viele Betriebe ihre besten Arbeiter, Ingenieure, Konstruk-
teure und leitenden Funktionäre in die neu entstehenden Städte, Werke und Institu-
te").
Für Rüstungsprojekte rekrutierte das NKWD augenscheinlich Spitzenkräfte.
Die in der UdSSR ehemals tätigen deutschen Wissenschaftler heben die Kompe-
tenz und Largesse ihrer NKWD-counterparts hervor. Sie berichten auch von den
Hilfsmitteln, die der NKWD zur Verfügung standen, bis hin zu eigenen Salonwa-
gen der sowjetischen Staatsbahn. Riehl berichtet über das neue Tempo:
,,Ein ganz andere Wind wehte, als wir in die Sowjetunion kamen. Dort gerieten wir so-
fort in den Sog der vom Staat geradezu brutal angetriebenen Bemühungen um das
Uranprojekt, und zwar noch vor der Explosion der Hiroshima-Bombe. Alle erforderli-
chen personellen und materiellen Mittel, über die das Land verfügte, wurden für das
Projekt eingesetzt, wahrscheinlich sehr oft auf Kosten der sonstigen Bedürfnisse des
Landes."15
In dem neuen Projekt erfolgte die Abkehr von der bislang von den sowjetischen
Wissenschaftlern gepflegten ,,Laboratoriumsideologie" - der Grundvorstellung, für
die Erzeugung der Bombe die Laboreinrichtungen einfach in großtechnische Maß-
stäbe zu übersetzen. Aufgrund von Hinweisen der Spionage verstärkte sich der
Eindruck, daß für die Gewinnung von reinem Uran im Großverfahren gänzlich an-
dere Methoden zu suchen waren, als sie die experimentierenden Physiker kannten.
Das Arbeitstempo beim Bombenprojekt war unmenschlich, besonders für Füh-
rungskräfte. Die Projektleiter kämpften mit Herzkrankheiten. Riehl berichtet als
Augenzeuge: "Sie alle standen während des Krieges und in den ersten Nachkriegs-
jahren unter ungeheurem Streß. Fast alle waren herzkrank."16 Sawenjagin und
Kurtschatow verstarben später während der Arbeit an Infarkten (Kurtschatow erlitt
zwei Herzattacken, die Ärzte diagnostizierten hernach ein "Spasma der Gehimge-
fäße"; 1960 erlag er einem dritten Herzschlag). Wannikow erlitt während der
Hochphase des Bombenprojektes im kalten Winter 1947/48 gleichfalls einen In-
farkt und leitete die Bauarbeiten für das sowjetische Gegenstück zu Oak Ridge
fortan von einem Waggon aus, der in der Nähe des Bauplatzes aufgestellt wurde.
Da ihm die Autofahrt in die zehn Kilometer entfernte nächste Stadt zu beschwer-
15 Riehl-Memoiren, S. 18
16 Riehl-Memoiren, S. 36
108 Die sowjetische Bombe
lieh war, übernachtete der Minister auch in dem Waggon. Kurtschatow als seinem
Vertreter blieb nichts anderes übrig, als gleichfalls in einen Waggon einzuziehen.
Wannikow starb 1962 im Alter von 65 Jahren, Sawenjagin schon 1956 im Alter
von nur 55 Jahren, wie sich ihren Gräbern an der Kremlmauer entnehmen läßt.-
Der Streß hielt nach Ende des Bombenprojektes aß: Silvester 1950, das sowjetische
Programm für die Entwicklung der H-Bombe war gerade angelaufen, wird berich-
tet, daß Kurtschatow selbst zu Silvester (dem russischen Weihnachten) erst abends
gegen elf Uhr sein Arbeitszimmer verließ. Für alle führenden Mitarbeiter am Bom-
benprojekt gab es zudem keinerlei Urlaub.
Die drastische Geheimhaltung erzeugte zusätzliche Spannungen und Probleme.
Auch die führenden sowjetischen Physiker, nicht nur die Minister, verfügten
über eine Leibwache von zumindest drei jeweils tätigen ,,Experten". Bei internen
Besprechungen wurde stets nur vom "Metall Nr. 9" gesprochen (allenfalls die am
Projekt beteiligten zwangsrekrutierten deutschen Wissenschaftler sprachen unter-
einander von "Uran"). General Sawenjagin war innerhalb der Staatssicherheit
"Chef der 9. Verwaltung". Die Abteilung des Ministeriums für Allgemeinen Ma-
schinenbau, die staatlicherseits für das Projekt zuständig war, trug die Ziffer "Ab-
teilung 9" und ebenso wurde das zentrale Forschungslabor für das Projekt bezif-
fert. Die Zahl "9" war gleichsam zum geheimen Kodewort für Uran geworden. Die
Wahl ausgerechnet dieser Ziffer kann mit einer Verschlüsselung des Endziels Plu-
tonium zusammenhängen- Atomgewicht 23"9".
Ein sowjetischer Emigrant berichtet über die Wirkungen der extremen Ge-
heimhaltung im Alltag:
"Forschungsberichte wurden bei den sogenannten 1. Abteilungen aufbewahrt (den Si-
cherheitsabteilung), zu denen jüngere Wissenschaftler keinen Zutritt hatten. Diese Zu-
gangsbeschränkung galt für alle Arten von Forschung, nicht nur für jene, die praktische
Bedeutung hatten. Nur mit Genehmigung eines Forschungsgruppenleiters konnte ein
junger Forscher die Erlaubnis erhalten, sich mit den Ergebnissen eines Experiments
vertraut zu machen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, daß in den späten vierziger und
fünfzig er Jahren ein junger sowjetischer Physiker mehr über den Zustand der Kernphy-
sik aus der amerikanischen Zeitschrift Physical Review erfahren konnte als aus Arbei-
ten in der Sowjetunion, da sowjetische Forschungsergebnisse ausschließlich in Geheim-
berichten gesammelt wurden."17
Die Berichte der ehemals in der Sowjetunion tätigen deutschen Wissenschaftler
sind voll von bizarren Einzelheiten, die der absolute Geheimschutz bewirkte und
die die Projektabwicklung noch streßhafter ablaufen ließ, als sie dies ohnehin
schon war. Um nur ein Beispiel zu geben: Professor Wassily S. Emeljanow, da-
mals Stellvertreter Sawenjagins als Atomminister (hernach regelmäßiger Teilneh-
mer an den internationalen Pugwash-Konferenzen), reiste einmal zwecks Eröff-
nung eines kleinen Werkes an, in dem das erste in der UdSSR angereicherte Uran
weiter behandelt werden sollte. Das bedeutende Objekt war durch zwei Stachel-
drahtzäune mit zwei Posten gesichert Ein Zeuge berichtet, was dem stellvertreten-
den Minister passierte:
,,Der erste Soldat ließ ihn durch. Doch der zweite Soldat fand den Passierschein unzu-
reichend und ließ ihn nicht durch. Darauf bekam der erste Soldat kalte Füße und ließ ihn
nicht wieder heraus. Emeljanow war zwischen den beiden Soldaten auf einer Fläche
17 Schrütliche Aussage eines jüngeren emigrierten Physikers aus dem Fundus des Harvard
Emigration Research Project (Name auf Wunsch des Interviewten nicht mitgeteilt).
Die deutschen Atomforscher in der UdSSR 109
von anderthalb Quadratmetern eingesperrt ... Es dauerte über eine Stunde, bis Emelja-
now freikam."18
Als der deutsche Leiter des späteren Uranprojektes sich bei Sawenjagin einmal we-
gen einer neuerlichen Verschärfung der Geheimhaltungsvorschriften beschwerte,
stellte sich heraus, daß der Geheimschutz wenig steuerbar war und auch dem
NKWD zu schaffen machte. "Ihre Geheimnishüter drücken uns die Kehle zu," trug
Riehl Sawenjagin vor, worauf dieser lakonisch erwiderte: "Uns auch!"
Die scharfe Geheimhaltung wurde auch von anderen beteiligten Russen als ex-
trem empfunden. Michail Perwuchin, damals stellvertretender Vorsitzender des
Rates der Volkskommissare (des Ministerrates), erinnerte sich jüngst:
"Wir machten damals nicht einmal von uns selber Fotos. Bedauerlicherweise gibt es
keine Aufnahme davon, wie nach dem Anlaufen des Reaktors alle Beteiligten neben der
Bedienungskonsole stehen. Es gibt kein solches Foto."19
Die Erörterung von technischen Sachfragen über das öffentliche Telefonnetz blieb
aus Furcht vor Spionage verboten- für solche Zwecke gibt es spezielle Leitungen,
auch in die Privatwohnungen von Führungskräften.20
Die Russen weiteten das Projekt zügig aus, gründeten weitere Institute, gingen
an den Bau eines größeren Zyklotrons. Vor allem aber holten sie deutsche Wissen-
schaftler ins Land. Die Russen handelten, lange bevor die erste Nuklearsprengung
der Amerikaner (am 16. Juli 1945) erfolgte oder die Bomben auf Hiroshima und
Nagasaki (am 6. bzw. 9. August 1945) fielen. Anfang Juni 1945 wurden die wich-
tigsten Deutschen in die Sowjetunion ausgeflogen.
Die Sowjets hatten schon früh versucht, ausländische Experten für ihr Bombenpro-
jekt zu gewinnen. In der ersten Jahreshälfte 1944 erhielt der in den Westen emi-
grierte Doyen der Kernphysiker, Niels Bohr, von Pjotr Kapiza eine Einladung,
nach Moskau zu kommen. Der britische Geheimdienst "half Bohr, einen Ableh-
nungsbrief zu schreiben".21 Chorchili äußerte sich im September 1944 höchst be-
unruhigt über die sowjetische Einladung an Bohr- zumindest er begriff, daß in der
UdSSR gleichfalls an der Nutzung der Kernspaltung gearbeitet wurde.22
Wilcox verweist ferner darauf, daß den Sowjetes bei der ERobergung Koreas
die japanischen Labors zur Bombenforschung in Honan mitsamt dem Personal in
die Hände gefallen sein werden.23
In einer systematisch angelegten Operation holte der NKWD bei Kriegsende
sich deutsche Physiker, die in der UdSSR am Bombenprojekt mitzuwirken hatten.
NKWD-Sawenjagin bezog in Berlin Friedrichshagen Quartier, um der für das
18 Riehl-Memoiren, S. 73
19 Nach Moscow News, 17.4.1988 (No. 16), S. 16. Perwuchin bezieht sich auf das Kri-
tischwerden des ersten Reaktors, der, so der Hinweis in der sowjetischen Quelle, "Plu-
tonium für die ersten A-Bomben erzeugte".
20 Jakowlew 1972, S. 349
21 Kramish 1982, S.13
22 Churchill, S. 177
23 Vgl. den Kommentar von lriye 1985 zu Wilcox 1984.
110 Die sowjetische Bombe
24 Riehl-Memoiren, S. 6
25 Riehl-Memoiren, S. 8
Die deutschen Atomforscher in der UdSSR 111
Hertz hatte sich schon früh mit Methoden zur Trennung von Gasen durch Dif-
fusion befaßt und diese Methode mit Erfolg auf die Isotopentrennung des Urans
angewandt. Über Ardenne liegen verschiedene Materialien vor, vorrangig Eigen-
darstellungen, die angesichts ihrer Widersprüche mit anderen Quellen bei der Be-
handlung des sowjetischen Bombenprojektes mit Vorsicht zu verwenden sind. -
Insgesamt sollen zwölf Gruppen deutscher Wissenschaftler an sowjetischen Rü-
stungsprojekten beteiligt gewesen sein, neben Einzelwissenschaftlern wie dem be-
deutenden Physiko-Chemiker Max Volmer (nach dem später die TU Berlin eines
ihrer Institute benannte), dem Physiker R. Döpel oder dem Physiko-Chemiker P.
Thiessen (einem Fachmann für Kunststoff- und Sprengstoffchemie).
Die meisten dieser Wissenschaftler und Techniker sind unfreiwillig in die
UdSSR übergesiedelt. Manche protestierten förmlich, wie der Leiter der Weiter-
entwicklung der V -2-Rakete, Helmut Gröttrup,26 vormals Generaldirektor der
deutschen ,,Zentralwerke". Verschiedene Deutsche hatten aber durchaus eigene
Motive, die Zusammenarbeit mit den Russen zu suchen. Volmer zum Beispiel
glaubte angesichts der Zerstörungen in Deutschland im Jahre 1945, nie mehr wis-
senschaftlich in diesem Lande arbeiten zu können, und suchte um Beschäftigung
bei den Sowjets nach (u.a. betrieb er in der UdSSR ein Projekt zur Erzeugung
schweren Wassers). Andere hatten noch direktere Motive, wie der Physiker Bar-
wich: "Am 10. Juni 1945 entschloß ich mich nämlich, in die Sowjetunion zu ge-
hen. Ich war 33 Jahre alt, verheiratet, hatte drei kleine Kinder, das vierte wurde er-
wartet. Auch war ich arbeitslos."27
Besondere Motive, die Zusammenarbeit mit den Sowjets (und nicht etwa mit
den Amerikanern) zu suchen, hatten ferner die ehemaligen Nationalsozialisten un-
ter den deutschen Rüstungsexperten. Dies gilt zum Beispiel für den Träger des
"Goldenen Parteiabzeichens" der NSDAP, Professor Thiessen, dem Fachkollegen
ein besonderes Engagement bei der ,,Entjudung" der deutschen Universität nachsa-
gen.- Der vormalige Führer der NS-Studentenschaft der Universität Wien, Dr. Ba-
roni, bei der Vorbereitung seiner Rückkehr nach Österreich mit der Möglichkeit ei-
nes Verfahrens wegen seiner Vergangenheit konfrontiert, zog es vor, in der UdSSR
zu bleiben (er wurde später Chefredakteur des sowjetischen "Journals für analyti-
sche Chemie").
Die Entscheidung der Sowjets zur Beschäftigung deutscher Spezialisten fiel
vollkommen rational aus. Für die Bearbeitung von für das Projekt unabdingbaren
Hilfs- und Nebengebieten setzten sie Ausländer ein. Für den Zentralvorgang, den
Bau eines Reaktors für die Plutonium-Gewinnung und die Konstruktion der Bom-
be selber, griffen sie auf eigene Ressourcen zurück.
In sowjetischen Darstellungen liest man über die Tätigkeiten der Deutschen
nichts. Sätze wie, daß "nun die Industrie Uran und Graphit in erforderlichen Ton-
nen lieferte", "die Industrie begonnen (hatte), Graphit in der erforderlichen Rein-
heit und metallisches Uran im notwendigen Umfang zu liefern", geben den veröf-
fentlichten Niederschlag von langjährigem Zwangsaufenthalt der Deutschen, von
einem für sie und ihre Familien entsagungsvollen Leben. Nikolaus Riehl, dessen
Arbeitsergebnisse von zehn Jahren Zwangsaufenthalt in der UdSSR als Leiter des
Uranherstellungsprogramms hier beispielhaft "der Industrie" zugerechnet werden,
28 Riehl-Memoiren, S. 131
29 Riehl-Memoiren, S. 14
30 Riehl-Memoiren, S. 15
Der sowjetische Kampf um die Bombentechnologie 113
31 Riehl-Memoiren, S. 21
32 Riehl-Memoiren, S. 22
33 Golowin 1976, S. 68
114 Die sowjetische Bombe
guten Gebrauch davon gegen die Japaner machen (was nun nicht ein sowjetisches
Ja zur Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki zwei Wochen später darstellt).
Die Amerikaner waren enttäuscht Truman meinte hinterher zu seiner Umgebung,
Stalin hätte mutmaßlich gar nicht verstanden, worum es ging.
Mit dieser Ansicht hatte er sich gründlich getäuscht. Wie Marschall Schukow
in seinen Memoiren berichtet, gab Stalin unmittelbar nach der Sitzung Kurtscha-
tow einen Tritt, das sowjetische Bombenprogramm sei zu beschleunigen. ("Wir
müssen Kurtschatow sagen, er soll die Arbeiten beschleunigen."34) In einer sowje-
tischen Darstellung wird Stalins Manöver diskreter umschrieben: Hernach ging es
"im Institut mit neuem Schwung weiter."35
Für die Sowjets gab es neben den physikalischen Problemen eine zweite Front
(mit der pathetischen Bedeutung, die dieser Ausdruck für die Etablierung einer
Front im Westen angenommen hatte): die geringe Leistungsfahigkeit ihrer Indu-
strie. Graphit in der für einen Reaktor erforderlichen Reinheit und metallisches
Uran waren in den USA ohne weiteres beschaffbar, nicht aber in der Sowjetunion.
Als die sowjetischen Physiker endlich die beiden Elemente in genügender Menge
und Reinheit für ihre Versuche erhielten, feierten sie dies zu Recht als einen "zwei-
ten Sieg" (neben der Inbetriebnahme des Zyklotronszur Urananreicherung).
Es fehlte an allem, zum Beispiel an Geigerzählern zur Messung der gefahrli-
ehen Röntgenstrahlung. B.G. Dubowski, für den Schutz vor Gammastrahlen zu-
ständig, baute sich seine Zähler eigenhändig. Der deutsche Fachmann Dr. Schütze
entwickelte ein Massenspektrometer für schwere Atome, mit dem das Verhältnis
der Isotope im angereicherten Uran präzise gemessen werden konnte. Da metalli-
sches Uran nicht ausreichend vorhanden war (für den ersten Reaktor wurden Dut-
zende von Tonnen Uran und Hunderte Tonnen Graphit benötigt), entschlossen sich
die Russen, nur im Reaktorkern, dem Ort der Kettenreaktion, reines Uran zu ver-
wenden und sich in den Randschichten mit Uranoxyd zu begnügen. Diese Spar-
samkeit erstreckte sich später gar auf die Bombe selber: Der Mantel des Spreng-
körpers wurde mit Uran ausgeführt, welches lediglich auf ein Prozent des Spaltiso-
tops 235 angereichert war, und diente als Reflektor für die Neutronen.
Eine Vielzahl von Mängeln war ausz~~leichen: Die dritte Uranlieferung für
den ersten Reaktor, so stellte sich bei der Uberprüfung der mangelhaften Neutro-
nenausbeute heraus, war ungenügend rein. Im Betrieb stellten sich die unterschied-
lichsten Probleme ein: Der Reaktor erhitzte sich zu schnell, um voll gefahren wer-
den zu können, es gab Probleme mit dem Strahlenschutz. Beim ersten Großreaktor
kam es im Betrieb bald zu unerwarteten Korrosionserscheinungen, und unter dem
Einfluß der Strahlung vergrößerte sich überraschend das Volumen der Uran- und
Graphitbauteile.
Die eigentliche sowjetische Uranfabrik entstand schließlich nach erheblichem
Suchen für ein geeignetes Gelände in einer ehemaligen Munitionsfabrik in dem In-
dustrieort Elektrostal bei der Stadt Noginsk, etwa 70 Kilometer östlich von Mos-
kau (der NKWD hätte eine ländlich-abgeschiedenere Lage bevorzugt).
Die entscheidende fertigungstechnische Barriere für den Erfolg des Uranpro-
jektes bildete die Entwicklung der Membranen und der Diffusionsanlage. In den
USA hatte die Lösung dieser Probleme fast drei Jahre beansprucht. Die ersten so-
Deutschen die Anlage benannten) erhebliche Probleme und konnten sich große
Schwundmassen an Uran nicht erklären.
Man griff erneut auf die "tüchtigen" Deutschen zurück. Thiessen und Barwich
wurden an der Fehlersuche beteiligt und erhielten so Zugang zum allergeheimsten
Teil des Bombenprojektes, der Kaskadenanlage zur Urangewinnung. Bald wurde
entdeckt, daß das Urangas das Innere der Rotoren der Pumpanlage korrodiert hatte
und die verschwundenen Uranteile dort zu finden waren.
Der starke Arm der NKWD wurde sichtbar, wenn die Industrie Anforderungen
des Uranprojektes, sicher ist sicher, in grotesker Weise übererfüllte. Als man
zwecks Reduktion von Uranhexafluorid zu Uran mit Dimethylglyoxin zu experi-
mentieren begann, wurde den überraschten Forschern eine ganze Tonne, die Jah-
resproduktion dieses Stoffes in der UdSSR, auf den Hof gefahren. Der mit spektro-
graphischen Untersuchungen zur Reinheit der Bombenbaustoffe beauftragte Dr.
Krüger brauchte eines Tages zwei Elektroden aus reinem Graphit als Ersatzteile
für sein Spektrometer. Auf seine Anforderung hin wurden zwei Tonnen Graphit im
Hof des Labors abgeladen. Der deutsche Wissenschaftler ließ aus einem der Blök-
ke seine beiden Ersatzelektroden herausschneiden, der Rest an Graphit wurde ab-
gelagert Ein weiteres Beispiel: Als die während der gesamten Laufzeit des sowje-
tischen Atomprojektes von der britischen Firma Ilford bezogenen hochempfindli-
chen Photoplatten für die Spektrometer knapp wurden und eine Zusatzbestellung
erfolgte, kam es zu der Anlieferung einer LKW-Ladung. Das Labor im subtropi-
schen Suchumi hatte weder Verwendung für diesen Überschuß, noch konnte es die
Platten angemessen lagern. Die teure Devisenware verrottete.
In Einzelheiten weist das sowjetische Bombenprojekt hin und wieder durchaus
Züge auf, die ein Licht auf den Byzantinismus dieser Gesellschaft liefern. Kurt-
schatow, als wissenschaftlicher Gesamtverantwortlicher permanent auf Sitzungen
unterwegs, ständig reisend, experimentierte hin und wieder ein wenig nach alter
Manier und - was für ein Zufall - erzeugte während eines seiner Kurzaufenthalte
in seinem alten Institut zusammen mit seinem Bruder Boris am Uran-Graphit-Re-
aktor die erste wägbare Menge Plutonium in der UdSSR, des so sehnsüchtig erwar-
teten Spaltmaterials für die Bombe. Als der Reaktor in der ersten Großanlage fertig
wurde, schob Kurtschatow ferner höchstpersönlich die Uranblöcke in die Kanäle
zwischen das Graphit "und veranlaßte durch sein Beispiel auch Wannikow, die
Uranblöcke selbst in die Kanäle einzubringen," heißt es in einer sowjetischen Dar-
stellung. Im Westen wäre ein Minister nicht vorstellbar, der rituell bei einem Ge-
heimprojekt selbst Hand anlegt. Ein drittes Beispiel: Nach dem ersten erfolgrei-
chen Test einer sowjetischen Wasserstoffbombe am 12. August 1953 begaben sich
Kurtschatow und sein NKWD-Gegenpart General Sawenjagin persönlich in den
Krater, um nach dem Abklingen der radioaktiven Strahlung "die notwendigen
Messungen vorzunehmen" (sowjetischer 0-Ton). In den USA wurden vergleichba-
re Messungen von einem Gefreiten und einem wissenschaftlichen Assistenten vor-
genommen.
Bei Störungen im Betriebsablauf entfaltete das NKWD seine vollen Dimensio-
nen. Den verschiedenen Quellen läßt sich gelegentlich Aufregung über zu hohe
Konzentrationen von Bor entnehmen. Dieses Element hatte die Eigenschaft, Ket-
tenreaktionen im Reaktor schlicht auszusetzen. Der stellvertretende Chefingenieur
des Bombenteams wurde direkt befragt, ob er schon in der Lubjanka (dem berüch-
tigten Moskauer NKWD-Gefängnis) gesessen hätte. Als dieser die Frage erblei-
Technologietransfer aus dem Westen? 117
chend bejahte, wurde er nur gefragt: "Wollen Sie wieder hin?" Schließlich fand
man die Bor-Quelle im Linoleum des Labors.
Der für das Uranprojekt entscheidende technologische Durchbruch erfolgte im
Laufe des Jahres 1946 mit der Umstellung auf eine Fluorverbindung (Uranhexa-
fluorid) als Grundstoff der Urananreicherung. In der Nacht vom ersten zum zwei-
ten Weihnachtsfeiertag 1946 konnte der erste sowjetische Reaktor erstmals in die
kritische Phase, in der die Kettenreaktion einsetzt, hochgefahren werden. Die erste
amerikanische Kettenreaktion war ziemlich genau vier Jahre zuvor am 2. Dezem-
ber 1942 von Fermi in Chicago eingeleitet worden. Mißt man den Zeitbedarf von
der ersten erfolgreichen Kettenreaktion bis zur Testexplosion einer Bombe, so lie-
gen die USA mit dem "Manhattan-Projekt" und das sowjetische Programm gleich-
auf: In beiden "Fällen" vergingen 32 Monate.
36 Smyth 1945
37 Die These von der extremen Spionageabhängigkeit der sowjetischen Bombenentwick-
lung sucht besonders Kramish (1982) zu belegen, Abschnitt: "Stalin's Bomb".
118 Die sowjetische Bombe
thode zur Scheidung der Uranisotope gedacht. Nach dem Kriege schwenkten sie
um und probierten auch ein elektromagnetisches Verfahren wie die Amerikaner -
nur war dies in den USA damals streng geheim.
Eine Schlüsselrolle bei der Antwort auf die Frage, inwiefern die Sowjets von
Spionage profitiert haben, nimmt Klaus Fuchs ein. Obwohl Fuchs seine Tätigkeit
voll eingestanden und in Einzelheiten angegeben hat, welche Details der amerika-
nischen Entwicklung er weitergegeben hat, dauert die Kontroverse über die Bedeu-
tung seines Verrats für die sowjetische Bombenentwicklung bis heute an.38 Sir Ru-
dolf Peierls, auf dessen Empfehlung hin Fuchs am "Projekt Manhattan", der Ent-
wicklung der ersten amerikanischen Bombe, beteiligt worden war, faßt das Ergeb-
nis vielfacher Erörterungen zu diesem Thema so zusammen, daß die Sowjets zwar
auch ohne Fuchs zur Bombe gelangt wären, daß sie so aber ein bis zwei Jahre frü-
her die erste Bombe zünden konnten. Akademiemitglied Andrej Sacharow hält
eine indirekte Wirkung der Tätigkeit von Fuchs für die wichtigste: Die Sowjetfüh-
rung und Stalin persönlich hätten nunmehr begriffen, daß in Amerika ein Großpro-
jekt in Gang sei, und daß es eines gewaltigen Aufwandes bedurfte, in der Atom-
bombenentwicklung nachzuziehen.
Fuchs hatte keineswegs Zugang zu allen amerikanischen und britischen Atom-
geheimnissen. So wurde ihm der Zugang zu der Gasdiffusionsanlage, dem Kern-
stück der Plutoniumfabrik, verwehrt.39 Verständlicherweise war Fuchs hingegen
kompetent auf Teilgebieten, besonders jenen, in denen er selber originelle Lösun-
gen beitrug. Das gilt besonders für die Theorie der sogenannten Kaskaden. Die Re-
gelung der Kaskade geht auf Fuchs zurück. Für die Zündungsvorgänge bei der Im-
plosionsbombe lieferte Fuchs die Berechnungen.- Weniger die zahlreichen techni-
schen Details (die man, so das freimütige Eingeständnis, auf sowjetischer Seite
nicht immer sogleich verstanden habe), sondern die Intensität der amerikanischen
Forschung habe die Verantwortlichen beeindruckt, so daß das eigene Projekt völlig
umorganisiert und im Großmaßstab fortgesetzt wurde. - Akademiemitglied Jurij
Kagan, an Kurtschatows Institut in Moskau tätig, ergänzt, daß die wichtigste, an-
spornende Information von Klaus Fuchs die war, daß die Bombe gebaut werden
kann. Bedeutsamer als die Details, die Fuchs referiert habe, sei der Smyth-Bericht
von 1945 gewesen. Ähnlich äußern sich die damals in der Sowjetunion arbeitenden
deutschen Wissenschaftler. Nicht die Kenntnis der einzelnen technischen und kon-
struktiven Schritte bei der Urananreicherung und beim Bombenbau, sondern der
Hinweis, daß bestimmte Konzepte zum Ziel führen, sei entscheidend gewesen.
Im Ergebnis überzeugen eher diejenigen Bewertungen, die die indirekte Wir-
kung der Spionagetätigkeit von Klaus Fuchs betonen. Seine Berichte belehrten die
Sowjets, daß grundsätzlich der eingeschlagene Weg gangbar war, daß sie aber den
Aufwand gewaltig unterschätzt hatten.
Der erste Vorgang von Spionage, auf den Deutsche stießen, betrifft die Gewin-
nung von möglichst reinem Uran. Die an der Urangewinnung Beteiligten wurden
vom NKWD mit der Frage konfrontiert, ob nicht Urantetrafluorid durch Calzium-
oxyd in einem geeigneten Behälter, der eine Ausnehmung am Boden zur Samm-
38 Vgl. als neue Beiträge: Moss/Fuchs 1987; Williams/Fuchs 1987; Glees 1988. Die bei-
den erstgenannten Bücher bringen im Anhang den Nachdruck den Text des Schuldbe--
kenntnisses von Fuchs.
39 Einzelheiten nach Kramish 1982, S. 8 f.
Technologietransfer aus dem Westen? 119
lung des reduzierten Uran enthalten sollte, wirksam reduziert werden könnte. Ne-
ben dem reinen Uran würde sich bei dieser Reaktion Calziumfluorid bilden. Die
befragten Experten gaben an, durchaus an diese Möglichkeit gedacht zu haben, ihr
aber keine besondere Priorität zuerkannt haben. Der deutsche Leiter des Projektes
fonnulierten den Vorgang so:
,Jch antwortete erst mißmutig, daß ich mir (das Alternativverfahren) auch vorstellen
kann, daß wir aber nun einmal ganz auf das Oxydverfahren eingerichtet sind. Allmäh-
lich merke ich aber, daß (mein sowjetischer Gesprächspartner) mehr wußte als ich, und
wurde hellhörig. Aus der sehr merkwürdigen, vorsichtig tastenden Art der Äußerungen
... merkte ich, daß er mich auf den richtigen Weg bringen wollte, ohne konkret angeben
zu müssen, woher er seine Information hat. "40
Andere Berichte nennen nicht Tetra-, sondern Hexafluorid als Grundstoff der so-
wjetischen Isotopentrennung (wie es tatsächlich auch in den USA genutzt wurde).
Möglicherweise ist hier die Spionage einem Übennittlungsfehler erlegen, oder ei-
ner der Berichterstatter über das sowjetische Programm irrte sich.
Das NKWD befahl keineswegs die Kopie des amerikanischen Verfahrens -
dessen "Beachtung" wurde "nahegelegt". Es versteht sich, daß einem solchen Hin-
weis des NKWD gefolgt wurde.
Neben dem Grundstoff Uranfluorid erhielten die Sowjets aufgrund von Spio-
nageergebnissen Kenntnis davon, daß die Amerikaner zur Trennung des Uran-
isotops metallische "Diaphragma" (oder Membranen) benutzten. Allerdings war
man sich auf sowjetischer Seite unsicher, ob einzelne dieser Infonnationen nicht
bewußte Fehlspuren waren. So lag es nahe, die deutschen Wissenschaftler mit den
brandneuen Infonnationen zu konfrontieren, um den Tatsachengehalt der Nach-
richten besser abschätzen zu können.
Ein weiterer Hinweis auf die Ergebnisse der sowjetischen Spionage bezieht
sich auf den Reinheitsgrad des gewonnenen Urans. Fertigungstechnisch gesehen,
gibt es reine Substanzen gar nicht- jedes Metall, welches die Schmelzöfen verläßt,
enthält Beimengungen, auch wenn deren Anteil noch so gering ist. Die Mitarbeiter
am Uran-Projekt erhielten eines Tages die Mitteilung, daß "ihr" Uran reiner sei als
das amerikanische "weapons grade" Uran, was nur als Hinweis darauf verständlich
war, daß das NKWD eine Probe amerikanischen Waffen-Urans besaß und dessen
Reinheit mit dem eigenen Produkt vergleichen konnte.
Gelegentlich erweckt die Verwendung von Spionageerkenntnissen den Ein-
druck, daß die Sowjets nicht so recht verstanden hatten, was der Sinn der amerika-
nischen Entscheidung gewesen war, daß aber im Glauben an die Rationalität einer
solchen Entscheidung der Vorrang gegeben wurde. Das sowjetische Gegenstück
zur amerikanischen Kaskadenanlage in Oak Ridge, welches im Herbst 1947 in der
Nähe von Swerdlowsk hochgezogen wurde, erhielt als architektone Grundfonn ei-
nes großes "U" - was auch immer die Planer im amerikanischen Tennessee dabei
gedacht haben mochten.
Die Mitarbeiter am Uran-Projekt bewerten den Ertrag der sowjetischen Spio-
nagetätigkeit für die Bombenproduktion gering. Zu technischen Lösungen, gemäß
amerikanischen Konzepten oder nicht, wäre man so oder so gelangt. Wichtiger als
der Transfer von Blaupausen sei die Infonnation gewesen, daß ein bestimmtes Ver-
fahren zum Ziele führt, wie etwa die Uranfluoridreduzierung durch Calziumoxyd.
40 Riehl-Memoiren, S. 27
120 Die sowjetische Bombe
1947 waren die Russen so weit, vom Laborreaktor zur industriellen Erzeugung von
Plutonium in der für eine Bombe genügenden Menge überzugehen. Der Grundstein
für die neue Anlage wurde im Januar 1947 gelegt. Im Herbst 1947 waren die Bau-
arbeiten so weit fortgeschritten, daß Tausende von Arbeitern, Technikern, Inge-
nieuren, Wissenschaftlern, Verwaltungsfachleuten und Sicherheitskräften ihre Ar-
beit aufnehmen konnten.
Mitte August 1949 waren die Sowjets am Ziel. Die Sowjetführung beschloß
förmlich, Kurtschatow die Leitung der ersten Testexplosion zu übertragen. Das be-
deutete unter anderem, daß die am Experiment beteiligten Einheiten der sowjeti-
schen Streitkräfte einem Zivilisten unterstellt wurden.
In den Tagen vor dem Test nennen sowjetische Quellen lediglich zwei Namen
als Projektleiter: Kurtschatow und seinen NKWD-Schatten Sawenjagin. Minister
Wannikow, der für die Regierung Verantwortliche, spielte augenscheinlich keine
Rolle mehr.
Die Szene des Bombentests auf dem mit dem Codenamen "Zitronenland" be-
legten Gelände41 glich dem Arrangement, welches vier Jahre zuvor im amerikani-
schen Alamogordo vorgenommen worden war. Im Umkreis des Metallturms, auf
dem der Sprengsatz ruhte, wurden Häuser errichtet, Panzer und Geschütze aufge-
fahren. Tiere verschiedener Arten wurden ins Gelände gebracht - um die Wirkun-
gen der Atomexplosion studieren zu können. Über den Testverlauf heißt es in einer
sowjetischen Darstellung: "Am 29. August 1949, bei Tagesanbruch, wurde der
Test in Anwesenheit des Oberkommandierenden der Sowjetarmee und der führen-
den Persönlichkeiten von Partei und Regierung erfolgreich durchgeführt."42 Mit
der Formel "führende Persönlichkeiten von Partei und Regierung" wird in sowjeti-
schen Mitteilungen gemeinhin das Politbüro umschrieben.
Die Erfolgsnachricht blieb streng geheim. Die deutschen Wissenschaftler er-
fuhren von dem Test lediglich aus den internationalen Nachrichten der BBC. Die
Zeugen der ersten sowjetischen Atomexplosion wurden eine Woche am Ort des
Geschehens festgehalten. Es hieß, man wolle "ihre Erregung abklingen"43 lassen.
Kurtschatow soll diese Zwangspause genutzt haben, um die in amerikanischen
Presseberichten angesprochene Möglichkeit einer die Wirkungen der Atombombe
übersteigenden Superbombe, der Wasserstoffbombe, zu erörtern. Die Sowjetfüh-
rung hatte Kurtschatow und andere Physiker förmlich beauftragt, diesen Meldun-
gen auf den Grund zu gehen.
Zwei Monate nach dem erfolgreichen Atombombenversuch in Sibirien war
Kurtschatow Leiter des sowjetischen Projektes zur Erzeugung einer Wasserstoff-
bombe. Nunmehr traten die Russen gegen die Amerikaner unter vergleichbareren
Bedingungen als beim Bau der Atombombe an: Sie verfügten über eine einschlägi-
ge Industrie als Unterbau, über Erfahrungen im Management solcher Großprojekte,
über eingespielte Teams von Physikern und Ingenieuren. Nochmals entschieden
die Amerikaner das Rennen für sich: Im November 1952 ließen die USA auf dem
Eniwetok-Atoll im Stillen Ozean eine Wasserstoffexplosion ablaufen. In sowjeti-
scher Sicht handelte es sich nicht um eine Bombe, sondern "um eine nicht trans-
portable, sperrige Anlage, die als Waffe nicht anwendbar war" (sowjetischer 0-
Ton). Woher diese präzisen Infonnationen stammen, wird wohl nur die sowjeti-
sche Spionage sagen können. Am 12. August 1953, aus Meßgründen erneut im
Morgengrauen, weniger als ein Jahr nach dem amerikanischen Test, waren die
Russen so weit und testeten die nach ihrer Ansicht erste wirkliche Wasserstoff-
bombe der Welt. Das Szenario gleicht exakt dem vom Jahre 1949: Kurtschatow
(nicht etwa Sacharow) und NKWD-Sawenjagin leiten den Versuch, "führende Per-
sönlichkeiten von Partei und Regierung" erscheinen in der frühen Morgenstunde
am Explosionsort, dazu diesmal "die Kommandostäbe aller Waffengattungen".
3. Exkurs: Die Rolle Stalins
2 So erging es auch Ausländern, etwa dem erwähnten Bartini (als sein Modell Stal7 1937
verunglückte).
3 Die Unschuld der Verhafteten lag auf der Hand, war doch Tschkalow wider alle Ver-
nunft mit einem neuen Flugzeug gestartet, das die Nacht zuvor bei -24 oc im Freien ge-
standen hatte. Vgl. auch Jakowlew 1972, S. 80.
4 Gunston 1983, S. 10
124 Exkurs: Die Rolle Stalins
gelnden Erfolg gab es auch in der Nachkriegszeit. Pawel Suchoj verschwand Be-
richten zufolge noch in den fünfzigerJahrenmonatelang im Gefängnis, bloß weil
sein auf Überschallgeschwindigkeit konzipierter Jäger eben diese bei Probeflügen
nicht erreichte. Heute ist dies alles Vergangenheit, und Gunston stellt zu Recht
fest, daß "sowjetische Konstrukteure heute selten ans Gefängnis denken" .5
Am schlimmsten war es in dieser Phase dem renommierten Flugzeugkonstruk-
teur Konstantin Alexejewitsch Kalinin ergangen. Als sein ansonsten erfolgreicher
Bomber K-12, als Nurflügelmodell mit Stabilitätsproblemen und einer überlangen
Startrollstrecke geplagt, sich nicht als sogleich verbesserungsfähig erwies, wurde
der bedauernswerte Konstrukteur zum abschreckenden Beispiel erschossen und
sein Team aufgelöst.
Im Gegensatz zu den Reihenerschießungen in der sowjetischen Generalität
scheinen die Waffenkonstrukteure von Stalin glimpflicher behandelt worden zu
sein. Einige bekamen Berufsverbot, etwa Alexandr S. Moskaljew. 1946 wurde sein
OKB nach zehnjähriger Existenz geschlossen, Moskaljew arbeitete hernach als
Hochschullehrer.
Ein weiteres Beispiel bietet der Flugzeugkonstrukteur Michail I. Gudkow. Er
war als Mitkonstrukteur einer Reihe von Jagdflugzeugen im Verein mit Lawotsch-
kin (,,LaGG"-Serie) so erfolgreich, daß er ein eigenes Entwurfsteam bekam und
unter seinem Namen ein Büro einrichtete. Verständlicherweise suchte sich die
neue Gruppe durch eine unorthodoxe Konstruktion hervorzutun. Wie bei einem da-
mals neuartigen amerikanischen Kampfflugzeug (Bell P-39 "Airacobra") wurde
der Motor hinter und nicht vor dem Piloten angeordnet. - Der Prototyp dieser un-
gewöhnlichen Konstruktion machte eine Bruchlandung. Das Gudkow-Büro wurde
sogleich aufgelöst.
Stalin formulierte gelegentlich höchstpersönlich Anklagen wegen Sabotage,
gegen die niemand, auch seine engste Umgebung nicht, gefeit war. Als bestimmte
Baulose eines Jagdflugzeuges von Jakowlew infolge der Verwendung unzurei-
chender Ersatzstoffe beim Fronteinsatz Schwierigkeiten mit der Flächenbeplan-
kung zeigten, griff der Diktator den Vizeminister für Flugzeugbau, P.W. Dement-
jew, und A. Jakowlew direkt an:
"Haben Sie vor Augen, daß Sie unsere Jagdfliegerkräfte unbrauchbar gemacht haben?
Können Sie sich vorstellen, welchen Dienst Sie Hitler geleistet haben? Sie sind Na-
zis!"6
Die zu Tode erschrockenen Angeklagten gelobten, den Mangel binnen zwei Wo-
chen abzustellen- ein illusionäres Versprechen, welches aber den wütenden Stalin
besänftigte. Dieser gab dem Militärstaatsanwalt Order, unverzüglich eine Untersu-
chung einzuleiten. - Jakowlew fragte, nachdem sie Stalins Büro verlassen hatten,
Minister Dementjew, wie um alles in der Welt er binnen zwei Wochen den Scha-
den beheben wolle. Der Minister wußte keine andere Antwort als:
"Wir werden einen Ausweg finden, und diesen müssen wir einfach finden. "7
Bleibt zu berichten, daß die Mängel bei den Jak-Jägern tatsächlich binnen vierzehn
Tagen abgestellt wurden, auch zur Zufriedenheit des Militärstaatsanwalts.
5 Gunston 1983, S. 14
6 Zit nach Jakowlew 1972, S. 223
7 Zit. nach Jakowlew 1972,S. 224
Exkurs: Die Rolle Stalins 125
8 Nach: Pastuchowa 1987. Diesem Artikel sind alle Informationen dieses Abschnittes
über Koroljow entnommen.
126 Exkurs: Die Rolle Stalins
Mängeln anzuhören. Zu Beginn des Jahres 1939 wurde erneut eine solche ,,Jäger-
Konferenz" oder, wie dies gemeinhin im Russischen genannt wird, "Beschim-
pfung", in den Kreml einberufen. Die Übung, zu solchen seminarähnlichen Sitzun-
gen einzuladen, sollte Stalin von Fall zu Fall bis zu seinem Tode fortsetzen. Der
Stil der Sitzungen wandelte sich jedoch rasch. Bei den ersten Sitzungen waren
noch Vorschläge der Eingeladenen möglich (so offerierte Suchoj bei dieser Gele-
genheit 1939 eine innovative Konstruktion, seinen "Jäger 330"). Später veränderte
Stalin dem Charakter der Sitzungen und ging zu dem über, was die britische Ana-
lytikerin Mary Kaldor "Schockbehandlung" der Eingeladenen genannt hat.9 Den
konsternierten Konstrukteuren wurden überzogene Vorgaben für ihre Entwürfe ge-
macht, und die Nichteinhaltung wurde mit Drohungen verbunden. Nach dem Sieg
erhöhten sich in der späten Stalinzeit die Anstrengungen dieser Schockbehandlung,
wie sich zeigen sollte, mit bemerkenswerten Resultaten. Für die eingeladenen Kon-
strukteure müssen diese Sitzungen eine enorme Belastung gewesen sein. Nach Sta-
lins Vortrag hatten sie einzeln zu antworten und ihre Lösung eines rüstungstechni-
schen Pr<?jektes mit der konkreten Angabe von Parametern vorzulegen, das heißt,
aus dem Armel zu schütteln.
Die Kreml-Sitzungen während des Krieges nahmen einen forcierteren Verlauf.
Im Januar 1942, unter dem Ansturm der Deutschen, ergriff Stalin erneut die Initia-
tive, um persönlich der desorganisierten Rüstungsproduktion entscheidende Wei-
sungen zu geben. Das Sitzungsthema hieß "Sturmowiks". Mit der dem Außenseiter
eigenen Intuition hatte Stalin aufgenommen, daß gepanzerte Schlachtflugzeuge, die
nicht bei jeder Gegenwehr sogleich abdrehen mußten, versehen mit Hochleistungs-
kanonen, einen Trumpf bei künftigen Schlachten des Weltkrieges bilden könnten.
Außer dem Deutschen Reich verfügte keine der führenden Mächte über derartige
Schlachtflugzeuge.
Stalin war so weitsichtig, bei der Sitzung im Januar 1942 nach den Determi-
nanten für die Wahl der nächsten Generation von Sturmowiks zu fragen. Eine sol-
che war in der Tat vonnöten, denn 1944 sollten sich die deutschen Truppen mit ei-
nem Tempo zurückziehen, welches die Einsatzmöglichkeiten der sowjetischen
Schlachtflugzeuge wegen deren geringer Reichweite überstieg. Die Ergebnisse die-
ser Sitzung (verbesserte "Sturmowiks" wie Suchojs Su-8 und vor allem Iljuschins
Il-10) wurden jedoch, als die Fluggeräte 1944 verfügbar wurden, als nicht mehr
kriegsentscheidend angesehen.lO
Wenn eine Kreml-Sitzung nicht zum gewünschten Resultat führte, griff Stalin
höchstpersönlich zu Ersatzvornahmen. Dies erwies sich als besonders erforderlich
im Bomberbau. 1949 verfügte die UdSSR über die Atombombe, aber kein geeigne-
tes Flugzeug, welches die Bombe transportieren konnte. So beorderte Stalin Ende
1949 den zum Hochschullehrer degradierten Miasischtschew zu sich und instruier-
te ihn, einen Düsenbomber zu bauen, der die USA erreichen könnte. Tupolews
Boeing-Kopie war zu rasch veraltet, und schon aus Mangel an geeigneten Trieb-
werken hielten sich die etablierten Konstrukteure bedecktll und drängten nicht
nach diesem Projekt. Der Professor erhielt wiederum ein eigenes Konstruktions-
team, dem Stalin die gewiß symbolische Zahl von 1000 Ingenieuren zuweisen ließ,
und etablierte seine Gruppe in Moskau in der berühmten Fabrik Nr. 23, einem der
beiden ehemaligen Junkerswerke. Sein viermotoriger Düsenbomber M-4, in der
Sowjetunion unter dem Namen "Molot" (=Hammer) populär, bei der NATO "Bi-
son" benannt, erwies sich als "eine der größten ingenieurmäßigen Errungenschaf-
ten der frühen fünfziger Jahre".l2
Überhaupt schien Stalin gern mit symbolischen Zahlen wie der runden Eintau-
send zu arbeiten. Als ihm von einem neuen Lawotschkin-Jäger mit stärkerem An-
trieb und besseren Flugleistungen vorgetragen wurde, reagierte der Diktator:
"Sagen sie Lawotschkin, daß die Reichweite seines Jägers ungenügend bleibt. Sie muß
nicht weniger als 1000 Kilometer betragen."13
Solche Sitzungen im Kreml waren beileibe nicht auf Flugzeugfragen beschränkt.
Vom 11. Februar 1943 wird zum Beispiel von einer Sitzung über Panzerprobleme
berichtet, an der neben Stalin mehrere Mitglieder des Politbüros und Panzerfach-
leute teilnahmen.14 Im Januar 1944 fand eine Kreml-Konferenz über schnelle Pas-
sagierflugzeuge statt,15 usf.
Gleichfalls im Dezember 1949 verfügte Stalin selber die Schließung des Kon-
struktionsbüros von Suchoj. Der Teamchef erhielt "vollständige Arbeitsbefreiung",
vulgo Gefängnis. Seine Mitarbeiter wurden dem Team von Tupolew zugewiesen.
Die Eingriffe des Diktators beschränkten sich nicht nur auf Verfügungen über
Großprojekte oder Entscheidungen über Konstruktionsbüros. Die Ubung, Lei-
stungsanforderungen modernster sowjetischer Düsenjäger höchstpersönlich in Ein-
zelheiten festzusetzen, behielt Stalin bis zu seinem Lebensende bei. Da aufgrund
mangelnder Grundlagenforschung in der Hochgeschwindigkeitsaerodynamik so-
wjetische Bemühungen für den Überschallflug zunächst in Sackgassen endeten
(Lawotschkin La-190 und Jak-1000), verfügte Stalin im Herbst 1950 eine neue
Ausschreibung unter den Jägerkonstrukteuren. Das MiG-Team als Hauptkandidat
mußte bald auf seinen Theoretiker Gurjewitsch verzichten, dem seine Gesundheit
zunehmend zu schaffen machte, aber mit einem Flügel mit der extremen Pfeilung
von 55 Grad schien die Stalinsche Forderung erfüllbar. Am 30. Juli 1951 akzep-
tierte Stalin die Konstruktion. -Tatsächlich sollte sich das Produkt, die MiG-19,
nach langwierigen Anfangsschwierigkeiten, bei deren Lösung ein beträchtlicher
Teil der Grundlagenforschung nachgeholt werden mußte, als erster echter europäi-
entwickelten Hochleistungstriebwerk.
12 Gunston 1983, S. 209. -Der Triebwerkskonstrukteur Mikulin schlug Miasischtschew
zunächst vor, acht seiner AM-3-Aggregate in eine superschwere Maschine von 250
Tonnen Gewicht einzubauen, um so auf die geforderten 16.000 km Reichweite zu kom-
men. Nach Projektstudien schlug Miasischtschew diesen Weg aus und setzte darauf,
daß im Laufe der Jahre stärkere Triebwerke verfügbar würden, Dies trat ein. Dennoch
mußte an dem M-4-Bomber jahrelang verbessert werden, ehe die letzte Baureihe die
Reichweitenforderung erfüllte. -Wie Tupolews Konkurrenzmaschine fliegt auch dieser
Bomber heute noch und ist Gegenstand von Rüstungskontrollverhandlungen.
13 Jakowlew 1972, S. 213
14 Jakowlew 1972, S. 209
15 Jakowlew 1972, S. 363
128 Exkurs: Die Rolle Stalins
16 Wegen der anhaltenden Geheimhaltung in bezugauf den Erstflug der MiG-19 hält Gun-
ston 1983, S. 178, diese Maschine ,,möglicherweise für den ersten echten Überschall-
jäger überhaupt". Das US-Gegenstück, die North American F-100, flog erstmals am
15.5.1953.
17 Jakowlew 1972, S. 330, datiert dieses Treffen auf noch später, auf "Ende Sommer
1952". Dort weitere Einzelheiten zur Hubschrauberentwicklung.
18 Gunston 1983, S. 27
Exkurs: Die Rolle Stalins 129
"Raketa 10", ließ sich Stalin vorlegen, noch ehe die Deutschen mit den Arbeiten
fertig waren. Auch von Problemen nahm Stalin Kenntnis. Als dem Brandner-Team
die Staatsabnahme mit dem neuen Jumo 012 /NK-4 mißlang, ließ sich der Diktator
vernehmen, die Deutschen hätten eben "eine Lokomotive gebaut". Dieser wort-
wörtlich übermittelte Ausspruch mag Außenstehenden rätselhaft erscheinen, für
die Beteiligten enthielt er verschiedene gezielte Hinweise. Zum einen annonciert
dieser merkwürdige Spruch, daß Stalin mit dem persönlichen Hintergrund des
Teamleiters bei den Österreichischen Bundesbahnen, vermutlich gar mit dessen
NS-Parteiaufträgen und -anfragen ("Entjudung" der Simmeringer Waggonwerke)
vertraut war. Zweitens schien dieser Spruch auf die groben Vorgaben zu verwei-
sen, mit denen bei Junkers im Gegensatz zur Konkurrenz Turbostrahltriebwerke
konzipiert worden waren.19 Auf jeden Fall wurde der Satz des Diktators gebührend
ernst genommen.
Die Deutschen lernten wie die Russen auch die andere Seite Stalinscher Steue-
rungspolitik kennen, überreichliche Geschenke. In den Berichten ehemals in der
Sowjetunion tätiger Deutscher werden ausführlich die verschiedenen Prämien be-
schrieben, welche es für erfolgreiche Leistungen in der Rüstung gab. Selbst Stalin-
Preise gingen an einzelne Deutsche, versehen mit der eigenhändigen Unterschrift
des Diktators.
Gegenüber seinem Intimus Jakowlew ließ sich Stalin über sein Verständnis der
Aufgaben der Waffenkonstrukteure aus:
"Ein Konstrukteur ist mit schöpferischen Aufgaben befaßt. Was ein Konstrukteur oder
ein Wissenschaftler zustande bringt, mag sich als gut oder schlecht erweisen, ebenso
wie die Leinwand eines Malers oder das Buch eines Autors gut oder schlecht sein mag.
Der einzige Unterschied liegt darin, daß man das Talent des Malers oder das des
Schriftstellers sofort ermessen kann, an seinem Bild oder an seinen Versen. Ein Blick
auf ein bizarres Bild langt, um zu dem Schluß zu gelangen, daß der Maler einen Knick
im Gehirn hat. Bei einem Konstrukteur ist dies nicht so einfach: Auf dem Papier mag
sein Projekt recht interessant aussehen, aber ob es wirklich gut oder schlecht ist, wird
sich nur erheblich später herausstellen, nachdem ein großes Kollektiv seine Leistungen
erbracht hat und nachdem beträchtliche Geldmittel eingesetzt worden sind ... Und ein
Konstrukteur hat eben nicht immer Erfolg. "20
Anschließend enthüllt Stalin seine Führungsmittel gegenüber Waffenkonstrukteu-
ren mit ambitiösen Projekten. Intiutiv geht er von einer Voreingenommenheit sei-
ner Besprechungsgäste für ihre technischen Vorlieben aus:
"Die meisten Konstrukteure sind zu begeistert, zu überzeugt, daß sie und sie allein
Recht haben; ihre überaus entwickelte Eitelkeit und das Mißtrauen, welches man bei
kreativen Persönlichkeiten häufig findet, veranlassen sie dazu, ihr Versagen als Vorur-
teile gegen sie und ihre Konstruktionen zu werten."21
In der Sicht Stalins waren mehr oder minder alle Waffenkonstrukteure so zu wer-
ten - und seine Aufgabe bestand vor allem darin, diese Verrückten in geeigneter
Weise einzusetzen.22
Es fällt schwer, zur Wirkung Stalins in der sowjetischen Rüstung eine Bilanz
aufzumachen. Sicher wären ohne seine rabiaten, zum Teil infernalischen Füh-
rungsmethoden die meisten technischen Höchstleistungen in der Sowjetunion nicht
erreichbar gewesen. Andererseits stehen da die Opfer, auch unter führenden Fach-
leuten. Von deren Leiden ganz abgesehen, kostete der Stalinsche Terror das Land
eine enorme Einbuße an kreativem Ingenieurpotential. Für den Luftfahrtsektor, das
high-tech-Gebiet jener Jahre, schätzt Gunston, daß die Hälfte der führenden Kon-
strukteure vorzeitig den Tod fand oder dem Lande durch die Emigration verloren
ging.23
23 Gunston 1983, S. 10
4. Die Beziehungen zwischen Partei
und Rüstungsindustrie
Die institutionelle Struktur des Rüstungssektors in der UdSSR hat im Verlauf der
Zeit mehrere, zum Teil erhebliche Modifikationen erfahren, die hauptsächlich auf
umfangreichere Reorganisationen des sowjetischen Systems der Ministerien zu-
rückgehen. In der Zeit vor 1957 wurden die meisten Produktionsbetriebe ein-
schließlich der rüstungsindustriellen durch Ministerien geleitet. Die Ministerien
selber waren auf der Grundlage des Branchenprinzips organisiert.
Von 1957 bis 1965 wurde die sowjetische Wirtschaft einschließlich des rü-
stungsindustriellen Sektors unter Chruschtschow tiefgreifend reorganisatiert. Aller-
dings wurde der Rüstungssektor dabei im Vergleich zu anderen Bereichen organi-
satorisch unterschiedlich behandelt. Völlig ausgenommen von der institutionellen
Reorganisation waren die "klassischen" Ministerien (Inneres, Äußeres, Verteidi-
gung, Justiz). Der Großteil der industriellen Ministerien wurde aufgelöst und die
Leitung der ihnen unterstellten Betriebe sowie anderen Einrichtungen neu geschaf-
fenen, nach regionalen Gesichtspunkten gegliederten Wirtschaftsräten übertragen.
Jedoch weitete Chruschtschow diese regionale Dezentralisierung nicht auf den Rü-
stungssektor aus. Zwar fielen auch die rüstungsindustriellen Ministerien (als letzte)
Chruschtschows Wirtschaftsreformen zum Opfer, aber sie wurden in Staatskomi-
tees umgewandelt, die direkt dem Ministerrat der UdSSR unterstanden und der
Kontrolle durch die regionalen Wirtschaftsräte entzogen blieben. Diese Staatsko-
mitees behielten die Kontrolle über die militärischen Forschungs- und Entwick-
lungseinrichtungen in ihrem Zuständigkeitsbereich (wahrscheinlich auch über
einen Teil der Rüstungsproduktion).
Diese organisatorischen Reformen der sowjetischen Volkswirtschaft führten
nicht zu befriedigenden Ergebnissen, woran der Widerstand der Bürokratien im
Staatsapparat seinen gewichtigen Anteil hatte. Daher wurde 1963 der Oberste
Wirtschaftsrat der UdSSR geschaffen, zu dessen Leiter man den späteren Verteidi-
gungsminister Ustinow ernannte. Die Leitung und Koordination der Staatskomi-
tees für die Rüstungsindustrie wurden von GOSPLAN auf den Obersten Wirt-
schaftsrat verlagert. Im Zuge dieser organisatorischen Veränderungen haben die
134 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
Tabelle 5:
Organisatorische Entwicklung der Ministerien der sowjetischen Rüstungsindustrie
Rüstungsindustrie
Luf~ahrtindustrie 1 r-------,---------- Luf~ahrtindustrie
- ~
Maschinenbau Allgemeiner Maschinenbau
Allgemeiner ''-----------
Rüstung
- - - - - ' Trans._po_rt_·_.un_d.------.,~r---------- Rüstungsindustrie
n+
I Schwermaschinenbau ' - - - - - - - - - Maschinenbau
Schiffbau-
industrie
-----' ' - - - - - - - - - - - - - - - - - Schiffbauindustrie
- - - - - - - - - - - - - - - - - - Mittlerer Maschinenbau
, - - - - - - - - - - - - - - Elektronikindustrie
----'----------r------ Radioindustrie
' - - - - - - - - Fernmeldegeräteindustrie
aus: David Holloway: Innovation in the defence sector, in: Ronald Amann/Julian Cooper:
Industrial Innovation in the Soviet Union, New Haven/London 1982, S. 306
1 Vgl. zur historischen Entwicklung der ministeriellen Struktur und Organisation des rü-
stungsindustriellen Sektors ausführlicher Alexander 1978a, S. 21/22; Cooper 1986;
Holloway 1982a, S. 303-314; Holloway 1983a, S. 51-56 u. 63-65; Rough 1984, S. 87-
91; McDonnell 1975, S. 88-91; Morozow 1982, S. 197-217; Scott/Scott 1984, S. 302-
319; Sheren 1970, S. 123-132
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 135
1. Ministeriumfür Rüstungsindustrie
Diese Behörde wurde 1936 geschaffen. Sie war zwischen 1939 und 1953 zunächst
als Volkskommissariat4, dann als Ministerium für Rüstung bekannt (1939 teilte
man das Volkskommissariat für die Verteidigungsindustrie in vier einzelne Behör-
den auf: Munition, Rüstung, Schiffbau, Flugzeugbau). Dieses Ministerium ist
hauptsächlich zuständig für die Entwicklung und Produktion konventioneller Rü-
stung.
Rüstungsprodukte: Kampfpanzer, Schützenpanzer, Artillerie, Handwaffen, Muni-
tion, kleinere mobile ballistische Raketen, optische Geräte, Laser, Panzerabwehr-
lenkrak:eten, taktische Luft-Boden-Raketen und anderes Gerät für die Landstreit-
kräfte
Zivile Produkte: Traktoren und anderes landwirtschaftliche Gerät, Fischerei-Aus-
rüstungen, Photoapparate, Güterwaggons, Personenwaggons, Motorräder und -rol-
ler, Stahl, Kühlschränke, Waschmaschinen, optische Geräte für industrielle und
wissenschaftliche Zwecke u.a.
Minister: B.L. Wannikow5 (1939-41); D.F. Ustinow (1941-57); A.D. Domraschew
(1957-58); K.N. Rudnew (1958-61); L.W. Smirnow (1961-63); S.A. Swerew
(1963-1979); P.W. Finogenow (1979-).
Volkskommissar für Munition: I.P. Sergejew {1939-??); P.N. Goremykin
(??-1942); B.L. Wannikow (1942-46).
Volkskommissar für die Panzerindustrie: W.A. Malyschew (1941-46)
Volkskommissar für Mörser: unbekannt
Volkskommissar für Mittleren Maschinenbau: S.A. Akopow (1941-46).
2. Ministeriumfür Luftfahrtindustrie:
Das Ministerium wurde 1939 eingerichtet und wurde 1953 für eine kurze Zeit mit
dem Ministerium für Verteidigungsindustrie fusioniert. Der langjährige Minister
6. Ministeriumfür Elektronikindustrie
1961 geschaffen, als man das Ministerium für die Radioindustrie in zwei Ministe-
rien aufteilte.
Rüstungsprodukte: Elektronische Bauteile und Komponenten, Computer.
Zivile Produkte: Radios, Fernsehgeräte, Tonbandgeräte, Telefon-Ausrüstung, Uh-
ren, Computer, Laser u.a.
Minister: A.I. Schokin (1961-1986); W.G. Kolesnikow (1986-).
8. Ministeriumfür Maschinenbau
Eine 1968 neu eingerichtete Behörde. Der immer noch amtierende erste Minister
war zuvor Stellvertretender Minister im Ministerium für Verteidigungsindustrie
gewesen.
Rüstungsprodukte: konventionelle Munition für Geschütze, Sprengstoff, Zünder,
Festtreibstoff.
Zivile Produkte: Fahrräder, Kühlschränke, Tonbandgeräte, Video-recorder, Uhren,
Haushaltschemie, Mopedsu.a.
Minister: W.W. Bachirew (1968-).
138 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
9. Ministeriumfür Fernmeldegeräteindustrie
1974 als jüngstes Ministerium der rüstungsindustriellen Gruppe geschaffen. Ging
aus dem Ministerium für die Radioindustrie hervor.
Rüstungsprodukte: Fernmeldeausrüstungen, Komponenten für Radaranlagen, Ge-
räte für elektronische Kriegsführung, Computer, Vervielfältigungsgeräte u.a.
Zivile Produkte: Fernseher, Radios, Tonbandgeräte, (wahrscheinlich auch Compu-
ter).
Minister: E.K. Perwyschin (1974-).
Über diese neun Ministerien hinaus tragen eine Reihe von weiteren industriellen
Allunions-Ministerien, obgleich vorrangig zivil orientiert, zur sowjetischen Rü-
stungsproduktion bei. Nach amerikanischen Geheimdienst-Angaben sollen folgen-
de Ministerien auch mit Rüstungsproduktion befaßt sein6:
Ministerium für Automobilindustrie: LKW, gepanzerte Mannschaftstransportwa-
gen u.a.
Ministeriumfür Chemie- und Erdölmaschinenbau: Brennstoffe, Sprengstoffe u.a.
Ministeriumfür Bau, Straßen- und kommunalen Maschinenbau: Militärische Un-
terstützungsausrüstung (Anhänger und Rak:eten-S tartgestelle).
Ministeriumfür Elektrotechnische Industrie: elektrische Systeme für den Marine-
und Luftfahrtbereich.
Ministeriumfür Schwer- und Transportmaschinenbau: gepanzerte Fahrzeuge, Ab-
schußgestelle, Turbinen und Pumpen für U-Boote, Dieselmotoren, Generatoren
u.a.
Ministeriumfür Werkzeugmaschinen- und Gerätebauindustrie: Werkzeugmaschi-
nen für die Rüstungsindustrie.
Ministeriumfür Energiemaschinenbau: Generatoren.
Ministerium für Traktoren- und Landwirtschaftsmaschinenbau: Panzer, Ketten-
fahrzeuge, Geländefahrzeuge.
Ministerium für Gerätebau, Automatisierung und Steuerungssysteme: Computer
und Arrnaturenkontrollsysteme.
Ministeriumfür Chemische Industrie: Treibstoffe, Fiberglaskomponenten für Ra-
ketenmotoren.
Ministeriumfür Petrachemische Industrie: Treib- und Schmierstoffe, Reifen u.a.
pen verantwortlich sind. Das Ministerium für Allgemeinen Maschinenbau soll z.B.
vier Hauptverwaltungen für die Produktion von Rüstungsgütern für die Landstreit-
kräfte, Raketenmotoren, Kontrollinstrumenten und von Raketen haben. Weiter sind
spezielle Abteilungen für solche Gebiete wie Beschaffung, Finanzen, wissenschaft-
liche und technische Informationen usw. vorhanden. Außerdem besteht in den mei-
sten Ministerien ein wissenschaftlich-technisches Beratungsgremium, dessen Mit-
glieder neue Projektvorschläge begutachten und Empfehlungen für die Ausrich-
tung der Forschung aussprechen. Die Leiter der Hauptabteilungen, die Stellvertre-
tenden Minister und andere Personen der oberen Management-Hierarchie bilden
ein ministerielles Kollegium, welches den Minister, der zugleich den Vorsitz führt,
in der Leitung seiner Behörde berät.?
Die in der Rüstungsfertigung tätigen Produktionsstätten werden von den ein-
zelnen Ministerien direkt verwaltet und in ihren Aktivitäten eng kontrolliert. Be-
triebe in der Rüstungsindustrie und der Zivilwirtschaft werden oft in sogenannten
Produktionsvereinigungen zusammengefaßt. 8
Die Ministerien der Rüstungsindustrie kontrollieren nicht nur die Rüstungspro-
duktion, sondern auch ein eigenes institutionelles Netzwerk von Forschungs- und
Entwicklungseinrichtungen. Diese Einrichtungen sind entweder in der Form von
Forschungsinstituten, die sich auf augewandte Forschung in bestimmten Bereichen
von Waffen- und Produktionstechnologien spezialisieren, oder von Konstruktions-
büros organisiert, die an der Konstruktion neuer Rüstungsprodukte und Entwick-
lung neuer Fertigungsstechnologien arbeiten.9 Einer Studie von Alexander aus dem
Jahre 1973 zufolge unterstanden dem Ministerium für Luftfahrtindustrie zu diesem
Zeitpunkt sechs Forschungsinstitute, elf Konstruktionsbüros für die Entwicklung
von Flugzeugen, Hubschraubern und Raketen, fünf Konstruktionsbüros für Trieb-
werke und 30-40 Endfertigungsstätten.lO
In der Praxis kann es vorkommen, daß sich die Aufgabenbereiche und Funktio-
nen zwischen diesen beiden Organisationstypen nicht so eindeutig auseinanderhal-
ten lassen, da die Forschungsinstitute und Konstruktionsbüros in der Rüstungsin-
dustrie häufig organisatorisch kombiniert und auch örtlich zusammengelegt wer-
den. Generell besteht die Funktion der Forschungsinstitute darin, die Konstrukti-
onsbüros mit angewandter Forschung zu unterstützen. Dies geschieht in der Form
technischer Handbücher, die den Konstruktionsbüros genaue Richtlinien und Pro-
zeduren für die Konstruktion von Waffenkomponenten und -Subsystemen sowie
Instruktionen für die anzuwendenden Fertigungstechniken erteilen. Die sowjeti-
sche Waffenkonstrukteure sind gehalten, innerhalb der in diesen Handbüchern vor-
gegebenen technischen Richtlinien zu arbeiten und haben nur einen gewissen
Spielraum bei der Auswahl von Komponenten. Bei den Konstruktionsbüros gibt es
Unterschiede: einige fertigen nur "Papierkonstruktionen" an, andere verfügen über
eigene Produktionseinrichtungen zum Bau von Prototypen (Experimental-Kon-
struktionsbüros). Außerdem sind einige Konstruktionsbüros verantwortlich für die
Entwicklung eines gesamten Waffensystems, während andere nur an bestimmten
tenden Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR unterstehen. Als Instrument des
Ministerrats zur Koordination der Aktivitäten der Rüstungsindustrie fungiert die
"Militärisch-Industrielle Kommission". Ihre Funktionen sollen nachfolgend näher
erläutert werden.
Der Ministerrat der UdSSR ist- so die Verfassung- das höchste exekutive und ad-
ministrative Organ der Regierung und damit staatlicher Autorität.16 Er beaufsich-
tigt und dirigiert die bürokratische Maschinerie des sowjetischen Staatsapparates.
Die Aufgaben und Kompetenzen des Ministerrats umfassen u.a.:
"1. Die Richtung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwickhmg sicherzu-
stellen ... 2. Lang- und kurzfristige Staatspläne für die wirtschaftliche und soziale Ent-
wicklung der UdSSR zu entwerfen ... 3. Maßnalunen zu ergreifen, um die Interessen
des Staates zu verteidigen ... 4. Maßmalunen in die Wege zu leiten, um die Sicherheit
des Staates zu gewährleisten; 5. Allgemeine Vorgaben für die weitere Entwicklung der
Streitkräfte der UdSSR zu machen ... 6. Allgmeine Richtlinien für die Beziehungen mit
anderen Staaten vorzulegen ... 7. Erforderlichenfalls Ausschüsse und Gremien des Mi-
nisterrates der UdSSR für Angelegenheiten der Wirtschaftsentwicklung ... und der Ver-
teidigung einzusetzen. "17
Das ständige Exekutivgremium ist das Präsidium des Ministerats, dessen Mitglied-
schaft auch den für die Rüstungsindustrie zuständigen Stellvertretenden Vorsitzen-
den des Ministerrats einschließt.
Formale Kompetenzen zur Formulierung allgemeiner politischer Direktiven
besitzt der Ministerrat offensichtlich nicht. Nach den Verfassungsbestimmungen
übt die KPdSU das Prärogativ aus, die allgemeinen politischen Richtlinien für die
Entwicklung der Gesellschaft und die Innen- und Außenpolitik festzulegenlS. Doch
kann daraus nicht ohne weiteres die umgekehrte Schlußfolgerung gezogen werden,
die Organe und Akteure der staatlichen Ebene könnten überhaupt nicht politische
Entscheidungen beeinflussen. Dies ist für die nachfolgende Erörterung der Funk-
tionen und des Einflusses eines leitenden Organs des Staatsapparates für die Rü-
stungsindustrie von grundlegender Bedeutung. Wolfe merkt prinzipiell an:
"Sicher können die Mitglieder des Ministerrates, als Regierungspspitzen, die die Mini-
sterialbürokratieunter sich haben, sowohl das Verfahren beeinflussen, über das politi-
sche Vorgänge die Entscheidungsebene im Politbüro erreichen, als auch die Art und
Weise, wie Beschlüsse ausgeführt werden."19
Der Ministerrat hat mehrere spezielle Kommissionen geschaffen, die für bestimm-
te wichtige Sektoren der sowjetischen Wirtschaft zuständig sind. Für den Bereich
der sowjetischen Rüstungsindustrie ist dies die Militärisch-Industrielle Kommis-
sion, die als ein Arbeitsgremium des Ministerrats fungiert. Als entscheidene Koor-
dinations- und Vermittlungsinstanz überwacht die Militärisch-Industrielle Korn-
20 Vgl. Sheren 1970, S. 124; Holloway 1971, S. 6, 23, 38; Erickson 1973, S. 21; New-
house 1973, S. 251; McDonnell1975, S. 92/93; Alexander 1978a, S. 21
21 Alexander 1978a, S. 21
22 Vgl. F.W.K. 1984, S. 140/141
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 143
23 Vgl. Alexander 1978a, S. 21; Holloway 1982a, S. 301; Wolfe 1977, S. 17; McDonnell
1977a, S. 96/97; F.W.K. 1984, S. 141; R. 1982, S. 470
24 Vgl. für nähere biographische Informationen Rahr 1984 und Rahr 1986a
25 Vgl. Alexander 1978a, S. 21; R. 1982, S. 470; McDonnell1977a, S. 97
26 Vgl. F.W.K. 1984, S. 141
27 Vgl. Alexander 1978a, S. 21; Wolfe 1977; S. 17/18; R.1982, S. 470; F.W.K. 1984, S.
141; Holloway 1982a, S. 301; Woods 1982, S. 25; McDonnell 1977a, S. 96; Spielman
1976,S.64
28 U.S. CIA 1986, S. 11
29 Alexander 1978a, S. 20/21 u. F.W.K. 1984, S. 141
144 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
Ersatzteilfertigungsprogramme.
Koordination von Industrien für die Instandsetzung von Rüstungsgütem. "30
In welchem Maß so unterstellte Planzuständigkeiten der Militärisch-Industriellen
Kommission bei der Rüstungsproduktion sich mit Aufgaben und Funktionen von
GOSPLAN überschneiden oder doppeln, bleibt mangels fehlender Evidenz schwie-
rig zu bestimmen. Zwar sind im politischen System der UdSSR angesichts der auf-
geblähten bürokratischen Apparate solche Überlappungen von institutionellen Zu-
ständigkeiten durchaus üblich, jedoch ist zu vermuten, daß die politische Führung
danach strebt, eine Duplizierung der Funktionen der Militärisch-Industriellen
Kommission und von GOSPLAN weitgehend zu unterbinden. Ansonsten wären
größere institutionelle Kompetenzkonflikte zwischen zwei zentralen Organisatio-
nen automatisch vorprogrammiert, welche die Durchführung von wichtigen Rü-
stungsprogrammen deutlich verzögern könnten (vgl. dazu näher den nachfolgen-
den Abschnitt über GOSPLAN).
Die Entscheidungsprozeduren und die Verbindlichkeit von Beschlußfassungen
der Militärisch-Industriellen Kommission für Rüstungsprogramme beschreibt
Alexander folgendermaßen:
"Die MIK stellt für das Projekt ein konkretes Arbeitsprogramm in Form eines ,Ent-
wurfs einer Maßnahme der MIK' auf, einschließlich der Aufgaben, die verschiedene
Einrichtungen auszuführen haben, mit Zeitplänen, Finanzierungskonzepten und detail-
lierten Pflichtenheften für die Konstruktion. Wenn die Führung der Kommission und
der Ministerrat (was höchstwahrscheinlich ein pro-forma-Vorgang ist) zugestimmt ha-
ben, wird aus dem Entwurfstext eine ,Entscheidung der MIK ', die für alle Beteiligten
gesetzlich bindende Kraft hat."31
Da der Rüstungsindustrie in der sowjetischen Wirtschaft eine politisch bestimmte
Vorrangstellung eingeräumt wird, liegt die Vermutung nahe, daß die Militärisch-
Industrielle Kommission auch die Prioritäten der Rüstungsproduktionsprogramme
in der Volkswirtschaft gemäß den vom Politbüro oder Verteidigungsrat vorgegebe-
nen rüstungspolitischen Direktiven festsetzt. Zu dieser Aufgabe könnte die Alloka-
tion von knappen Ressourcen unter mit Priorität versehenen konkurrierenden Pro-
grammen, die Milderung von Engpässen und die Beschleunigung von Lieferungen
für die Rüstungsindustrie gehören, obgleich erneut die Abgrenzung zu den Aufga-
ben von GOSPLAN unklar bleibt. Weiter könnte die Militärisch-Industrielle Kom-
mission darüber befmden, welche verfügbaren Technologien für die effiziente Um-
setzung eines beschlossenen Rüstungsprogramms am besten geeignet sind.32
Koordinationskompetenzen werden der Militärisch-Industriellen Kommission
auch bei größeren technologischen Programmen mit möglichem militärischen Nut-
zen (z.B. bei der Entwicklung integrierter Schaltkreise und deren Produktion) und
bei den militärisch bezogenen Forschungsaktivitäten der Akademie der Wissen-
schaften nachgesagt. Unklar ist aber für diesen Bereich die genaue Aufgabentei-
lung zwischen der Militärisch-Industriellen Kommission und den verschiedenen
wissenschaftlich-technischen Komitees des Verteidigungsministeriums und des
38 Alexander 1978a, S. 21
39 Shulman 1974, S. 113
40 Newhouse 1973, S. 251
41 Gottemoeller 1983, S. 66
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 147
4.1.3 GOSPLAN
42 Spielman 1976, S. 64
43 Spielman 1976, S. 64
148 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
44 Miliar 1981, S. 66
45 Vgl. Miliar 1981, S. 66/67
46 Vgl. Checinski 1981, S. 52-53, 56-58, 60, 71; F.W.K. 1984, S. 139; Wolfe 1977, S.
26/27; Wolfe 1979, S. 65; Gottemoeller 1983, S. 66/67
47 Vgl. Wolfe 1977, S. 27; Wolfe 1979, S. 65
48 Vgl. McDonnell1977a. S. 96/97; Wolfe 1977, S. 27; Checinski 1981, S. 52
49 Vgl. McDonnell1978, S. 245
50 Vgl. die Angaben bei Rahr 1986a
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 149
59 Kushnirsky 1984, S. 38
60 Checinski 1981, S. 64/65
61 Checinski 1981, S. 73
152 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
daß GOSPLAN im Besitz von Informationen und Daten über die vorhandenen Rü-
stungsproduktionskapazitäten ist, wird durch die Ausführungen von Kushnirsky
über die in den 70er Jahren gewachsenen Zuständigkeiten von GOSPLAN gestützt.
Der Leiter der Militärisch-Industriellen Kommission wird vermutlich nur mit der
Bereitstellung entsprechender Informationen seitens GOSPLAN in der Lage sein,
mögliche Widerstände der rüstungsindustriellen Ministerien und der ihnen unter-
stehenden Rüstungsbetriebe und F&E-Einrichtungen zu überwinden.
Sollte sich ein nicht lösbarer Konflikt zwischen dem Vorsitzenden von GOS-
PLAN und dem Leiter der für die Rüstungsindustrie verantwortlichen Hauptver-
waltung dieser Behörde ergeben, werden diese Differenzen vermutlich auf der Par-
teiebene von den zuständigen Stellen im ZK (ZK-Sekretär für die Rüstungsindu-
strie und Leiter der Abteilung Rüstungsindustrie im ZK) entschieden, die gemäß
den vom Politbüro vorgegebenen rüstungspolitischen Direktiven handeln.62
Für die politische Führung stellt GOSPLAN ein wichtiges Instrument zur Kon-
trolle des rüstungsindustriellen Sektors dar. Die angenommene Erstellung von
langfristigen Fünfjahres-Rüstungsplänen seitens GOSPLAN betrachtet Spielmann
als ein Mittel der Führungsspitze, die Einflußmöglichkeiten bürokratischer Interes-
sengruppen innerhalb des Rüstungssektors zu begrenzen, wenn diese nicht einge-
plante Rüstungsvorhaben durchsetzen wollen. Andererseits bedeutet das Vorhan-
densein solcher langfristigen Pläne nicht, daß Möglichkeiten für bürokratische In-
teressengruppen, Einfluß in diesem Bereich geltend zu machen, generell ausge-
schlossen sind, wie Spielmann korrekt anmerkt:
"Die Existenz des sowjetischen Fünfjahres-Verteidigungsplans bedeutet grundsätzlich
nicht, daß die Möglichkeit von Aktivitäten von Interessengruppen zumeist ausgeschlos-
sen ist, sondern daß diese am wahrscheinlichsten in bestimmten Phasen des Planzyklus
zu erwarten sind- besonders in den Monaten unmittelbar vor der förmlichen Annalnne
des nächsten Fünfjahresplans, wenn Prioritäten und künftige Programme heftig umstrit-
ten sind."63
Zu bedenken ist abschließend, daß auch GOSPLAN Teil des schwerfälligen und
konservativen bürokratischen Apparates im sowjetischen System ist. Aus der Sicht
der politischen Führung dürfte GOSPLAN nicht gerade ein effizientes Instrument
für den Fall bilden, wenn unvorhergesehene Änderungen von Rüstungsprodukti-
onsplänen oder schnelle, nicht im voraus eingeplante Entwicklungen neuer W af-
fentechnologien notwendig werden. Hier muß die politische Führung selber zuwei-
len massiv dirigierend in die institutionelle Struktur eingreifen, um die gewünsch-
ten Resultate zu erzielen.
Das Zentralkomitee (ZK) der KPdSU, welches vom höchsten Organ der Partei,
dem Parteitag, gewählt wird, leitet nach dem Statut der Kommunistischen Partei in
der Zeit zwischen den Parteitagen die gesamte Tätigkeit der Partei und der örtli-
chen Parteiorgane. Das Zentralkomitee wiederum wählt neben seinem Generalse-
kretär und den Mitgliedern des Politbüros auch ein Sekretariat zur Leitung der lau-
fenden Arbeit der Partei, die nach dem Statut hauptsächlich in der Kaderauswahl
und der Organisierung der Beschlußfassung besteht.64
Das Sekretariat des ZK der KPdSU ist als eines der wichtigsten und auch ein-
flußreichsten Organe der Partei zu werten, da dieses Gremium mit seinen Abteilun-
gen die Entscheidungsfmdung des Politbüros wesentlich vorbereitet. In den Wor-
ten von Lane besitzt das ZK-Sekretariat
"innerhalb der Partei beträchtliche faktische Macht. Die verschiedenen Abteilungen
nehmen eine Schlüsselrolle ein, weil sie für das Politbüro und das ZK der KPdSU In-
formationen zusammenstellen und Politikempfehlungen vorbereiten."65
Außerdem sind die Sekretäre und die ihnen unterstehenden Abteilungen des ZK-
Sekretariats für die Überwachung der Umsetzung der von der Parteiführung im Po-
litbüro beschlossenen Direktiven und Programme verantwortlich.
Das ZK-Sekretariat war 1987 organisatorisch in 23 Abteilungen gegliedert, de-
ren Leiter unter der Oberaufsicht der Sekretäre des ZK arbeiten.66 Jeder Sekretär
ist für einen spezifischen Aufgabenbereich verantwortlich, worin ihn die entspre-
chenden Abteilungen administrativ unterstützen. Die Sekretäre nehmen diese Auf-
gaben unter der Führung des Generalsekretärs im ZK-Sekretariat wahr. Elf ZK-Se-
kretäre sind unter Gorbatschow tätig (Stand Juni 1987), von denen fünf Mitglieder
des Politbüros sind (J.K. Ligatschow, N.I. Ryschkow, L.N. Saikow, A.N. Jakolew,
N.N. Sljunkow)) und ein weiterer die Position eines Kandidaten für das Politbüro
(W.I. Dolgich) einnimmt.67
Einige Anzeichen deuten auf Änderungen des institutionellen Gewichts und
damit der politischen Stellung des ZK-Sekretariats im sowjetischen Herrschaftssy-
stem im Verlauf der Zeit hin. Alexander verweist darauf, daß sich nach dem Sturz
von Chruschtschow die zentrale Rolle dieses Gremiums vermindert habe. Unter
Chruschtschow hatten noch alle Sekretäre des ZK einen Sitz im Politbüro. Kurz
nach seinem Fall wurde die Mitgliedschaft von Sekretären im Politbüro deutlich
begrenzt und so die politische Bedeutung des ZK-Sekretariats als Organ gegenüber
dem Politbüro verringert.
In der Zeit unter Breschnew wurde die Rolle des Generalsekretärs verstärkt:
seine Richtlinienkompetenz gegenüber dem Apparat des ZK wurde befestigt, wäh-
rend man dem Sekretariat primär die Verantwortung für die Überwachung der
Durchführung der Politbüro-Entscheidungen auf der Staatsapparat-Ebene zu-
wies.68 Breschnew soll über ein eigenes stark ausgebautes persönliches Sekretariat
verfügt haben, was als ein Indiz für die gewichtige Stellung des Generalsekretärs
gelten könnte. Es soll aus 20-25 Experten bestanden haben, die auf außen- und mi-
litärpolitische als auch wirtschaftliche Fragen spezialisiert waren. Einige Autoren
schreiben diesem Sekretariat einen gewichtigen Einfluß zu, da es vermutlich den
Informationsfluß vom ZK-Sekretariat über den Generalsekretär hin zum Politbüro
kontrolliert sowie auch bedeutsame Vorschläge begutachtet hat und bei Bedarf
auch Studien über zusätzliche Optionen und ihre Konsequenzen anfordern konn-
64 Vgl. Statut der Kommunistischen Partei der Sowjetunion 1986, Abschnitt 35-38
65 Lane 1985, S. 150
66 Sowjetunion 1986/87, S. 321-324
67 Sowjetunion 1986/87, S. 319
68 Alexander 1978a, S. 11
154 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
te.69 Andererseits benennt Alexander eine gegenläufige Tendenz, durch die seiner
Ansicht nach der Einfluß des ZK-Sekretariats generell verstärkt wurde:
"Die Neufassung der Entscheidungsprozeduren unter Breschnew hat die Machtstellung
des Sekretariats gestärkt, da es nunmehr mit klareren Befehlswegen und weniger Quer-
schüssen als zuvor tätig sein konnte."70
Das wichtigste Parteiorgan, das für die Kontrolle und Überwachung der sowjeti-
schen Rüstungsindustrie zuständig ist, stellt zweifellos die ZK-Abteilung für die
Rüstungsindustrie dar. Sie ist einem ZK-Sekretär verantwortlich und arbeitet die-
sem mit ihrem Stab zu.
Von 1957 bis 1960 war Breschnew der für die Schwerindustrie und Rüstungs-
produktion verantwortliche Sekreti,lr. Sein Nachfolger wurde nach einigen Jahren
unbekannter Zuständigkeit 1965 Ustinow. Ihm wird von westlicher Seite ein be-
trächtliches Maß an persönlichem Einfluß über die Richtung sowjetischer Rü-
stungspolitik nachgesagt. Ustinow gilt als einer der bedeutendsten ,,Rüstungsbos-
se" in der sowjetischen Geschichte. Seine langjährige Karriere in der sowjetischen
Rüstungsindustrie und seine engen persönlichen Verbindungen mit den Leitern der
rüstungsindustriellen Ministerien werden als wichtige Faktoren für seine einfluß-
reiche Stellung angesehen. Zwischen 1938 und 1941 war Ustinow, der über eine
Ausbildung als Ingenieur verfügte, Direktor des Rüstungsbetriebs "Bolschewik" in
Leningrad gewesen. 1941 wurde er im Alter von nur 33 Jahren zum Volkskommis-
sar für die Rüstung ernannt. Diesen Posten behielt er bis zum Jahre 1957. Im De-
zember desselben Jahres berief man Ustinow zum Stellvertretenden Vorsitzenden
des Ministerrats und übertrug ihm die gesamte Aufsicht über den rüstungsindu-
striellen Sektor.
Zu Beginn der 60er Jahre stand Ustinow den mehr konservativ orientierten
Opponenten von Chruschtschows Militär- und Wirtschaftspolitik nahe. Beim Sturz
von Chruschtschow hat er vermutlich Breschnew und seine Fraktion unterstützt.
Diese Unterstützung dürfte ausschlaggebend für seine Berufung zum ZK-Sekretlir
für die Rüstungsindustrie und zum Kandidaten für das Politbüro im März 1965 ge-
wesen sein. Im Frühjahr 1976 trat Ustinow die Nachfolge des verstorbenen Vertei-
digungsministers Gretschko an und wurde gleichzeitig als Vollmitglied in den in-
nersten Machtzirkel, das Politbüro, aufgenommen.?!
Ustinows Funktion als ZK-Sekretär soll im Oktober 1976 J.P. Riabow über-
nommen haben. Sein Werdegang unterscheidet sich von dem Ustinows. Während
Ustinow bis 1965 zuerst in der Rüstungsindustrie als Manager und dann in leiten-
der Funktion im Staatsapparat tätig war, verlief die Karriere des wie Ustinow ge-
lernten Ingenieurs Riabow von Beginn an im Rahmen der Parteiorganisation. Bis
zu seiner Ernennung als ZK-Sekretär nahm Riabow Aufgaben als Parteifunktionär
in einem Gebiet wahr, das eine Konzentration von Schwerindustrie einschließlich
etlicher Rüstungsbetriebe aufweist (Swerdlowsk). Die von ihm aufgenommenen
und repräsentierten Werte sollen primär die eines Partei-Apparatschik, nicht die
eines Industrie-Managers sein.
69 Vgl. Alexander 1978a, S. 13; Wolfe 1977, S. 10/11; Wolfe 1979, S. 53; Richelson
1982, s. 13/14
70 Alexander 1978a, S. 11
71 Vgl. ausführlicher zum Werdegang von Ustinow McDonnel11975; McDonnell1977a,
S. 97/98; Morozow 1982, Kap.21
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 155
McDonnell interpretiert die Ernennung von Riabow als Bestreben der Partei-
führung, ihre Kontrolle über die Ministerien der rüstungsindustriellen Gruppe zu
intensivieren und damit Tendenzen hin zur Bildung bürokratischer Interessengrup-
pierungen zu begrenzen. Zwar wird Riabow nach McDonnells Einschätzung von
Zeit zu Zeit in den Parteigremien auch als Fürsprecher für die sowjetische Rü-
stungsindustrie auftreten, aber sein Selbstverständnis wird vermutlich primär das
des Parteikontrolleurs über diesen Industriesektor gewesen sein.72 Den personellen
Wechsel von Ustinow zu Riabow bewertet McDonnell abschließend folgender-
maßen:
"Es wäre eine natürliche Folgenmg aus der Interpretation, die hier zur Ernennung von
Riabow vorgetragen wird, daß die Sowjetführung die Erfüllung von Produktionszahlen
in der Rüstungsindustrie für weniger dringlich hält als ein Dutzend Jahre früher. Das
Schnellprogramm zwecks Überbietung der quantitativen Überlegenheit der USA hat
zumindest die Minimalziele erreicht. Nun mochte es an der Zeit sein, die politische
Kontrolle über diesen Bereich des sowjetischen militärisch-industriellen Komplexes zu
verschärfen."73
Im Frühjahr 1979 übernahm Riabow einen neuen Posten als Erster Stellvertreten-
der Vorsitzender von GOSPLAN. Wer seine unmittelbare Nachfolge als für die
Rüstungsindustrie verantwortlicher ZK-Sekretär antrat, ist derzeit unbekannt.
Eventuell sind die Zuständigkeiten für diesen Bereich auf den ZK-Sekretär Dol-
gich (Schwerindustrie) übergegangen.74
Westlichen Angaben zufolge soll im Sommer 1983 das Politbüro-Mitglied
G.W. Romanow zum ZK-Sekretär für die gesamte Industrie, auch die Rüstungsin-
dustrie, berufen worden sein.75 Romanow kommt aus der Schiffbauindustrie, ein
Industriezweig, der stark von Rüstungsproduktion geprägt ist. Von 1946 bis 1953
arbeitete er als Konstrukteur beim zentralen Konstruktionsbüro im A.A.-Schda-
now-Werk in Leningrad. 1953 schloß er sein Studium am Leningrader Schiffbauin-
stitut mit dem Grad eines Dipl.-Ing. ab. 1954 war er Sektionschef im Schiffbaumi-
nisterium der RSFR. Danach vollzog sich Romanows weitere Karriere im Rahmen
des Parteiapparates. Seine Aufnahme ins Politbüro im März 1976 soll er wesent-
lich Breschnew verdankt haben.76 Rough interpretiert die Ernennung von Roma-
now zum ZK-Sekretär mit Aufsicht über die Rüstungsindustrie als Schritt des da-
maligen Generalsekretärs Andropow, der darauf zielte, die Autorität von Ustinow
im Politbüro einzuschränken. Ustinow war zwar seit 1976 als Verteidigungsmini-
ster formal nur für das Militär zuständig, aber er soll aufgrund seiner vorherigen
Funktionen weiterhin einen dominanten Einfluß auf den rüstungsindustriellen Sek-
tor ausgeübt haben.77
Im Zuge der Neubesetzungen der Spitzenpositionen im Partei- und Staatsappa-
rat unter dem neuen Generalsekretär Gorbatschow mußte Romanow im Juli 1985
seinen Platz sowohl als Politbüro-Mitglied als auch als ZK-Sekretär räumen. Seine
72 McDonnell1978, S. 244-246
73 McDonnell1978, S. 246
74 Vgl. R. 1982, S. 470
75 Vgl. Staar 1985, S. 22; Rough 1985, S. 86; Schneider 1986b, S. 31
76 Vgl. Munzinger-Archiv/Intemationales Biographisches Archiv (12/86 P 013904-5 Ro-
NOE)
77 Vgl. Rough 1985, S. 86
156 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
Funktion als ZK-Sekretär für die Rüstungsindustrie übernahm L.N. Saikow, der
über ein Ingenieurs-Diplom des Leningraders Instituts für Wirtschaftsingenieurwe-
sen verfügt. Saikow war zuvor lange als Manager in der Rüstungsindustrie tätig
gewesen. Von 1944 bis 1961 hatte er sich bis zum Produktionsleiter eines Rü-
stungsbetriebs in Leningrad hochgearbeitet. Von 1961 bis 1971 war er Betriebsdi-
rektor, anschließend bis 1974 Generaldirektor einer produktionstechnischen Verei-
nigung und von 1974 bis 1976 einer Wissenschafts-Produktionsvereinigung, in der
auch Rüstung hergestellt wurde. Im März 1986 rückte Saikow schließlich als Voll-
Mitglied ins Politbüro auf.78
Die Abteilung für die Rüstungsindustrie im ZK-Sekretariat ist wahrscheinlich
in den späten 50er Jahren geschaffen worden. Die Funktionen dieserneuen Abtei-
lung könnten zuvor die Abteilungen für Schwerindustrie oder Maschinenbau im
ZK-Sekretariat wahrgenommen haben.79 Ausschlaggebend für die Einrichtung ei-
ner eigenen Abteilung im ZK-Sekretariats mit Zuständigkeit für die Rüstungsindu-
strie dürfte nicht nur ein erhöhter Management-Bedarfaufgrund des gewachsenen
Umfangs und der zunehmenden Komplexität von Rüstung gewesen sein. Es ging
zugleich um eine Festigung und Verstärkung der Parteikontrolle über den Staats-
apparat in dem sensitiven und mit Priorität versebeben Bereich Rüstungspolitik.
Dabei stand insbesondere eine festere Kontrolle der Ministerien im Vordergrund,
die sich allgemein zu mächtigen Institutionen im politischen System der UdSSR
entwickelt hatten. Ein wesentlicher Ansatzpunkt der Wirtschaftsreformen von
Chruschtschow war der Versuch, den gewachsenen Einfluß der Ministerialbürokra-
tien einzudämmen. Zwar scheiterte Chruschtschow mit seinen Reformen, doch
wurden von seinen Nachfolgern die Ministerien der Rüstungsindustrie als auch die
der Zivilwirtschaft unter einer stärkeren Parteikontrolle reorganisiert. Gleiches gilt
auch für die Rüstungsbetriebe. 80
Langjähriger Leiter der Abteilung für Rüstungsindustrie im ZK-Sekretariat ist
zwischen 1958 und 1981 (!) I.D. Serbin gewesen. Nach seinem Tode übernahm
I.F. Dmitrijew diese Funktion, zuvor stellvertretender Leiter der Abteilung.81 Seine
Ernennung schreibt Rough dem starken Einfluß von Ustinow zu. Dmitrijew ist auf
der Universität Ustinows Jahrgangskamerad und für längere Zeit persönlicher As-
sistent bei ihm gewesen.S2 Unter dem neuen Generalsekretär Gorbatschow wurde
er jedoch abgelöst. Seine Funktion übernahm 1985 O.S. Beljakow, der zuvor wie-
derum vermutlich der Stellvertretende ZK-Abteilungsleiter für Rüstungsindustrie
gewesen ist. 83
Die Abteilung für Rüstungsindustrie im ZK-Sekretariat koordiniert und über-
wacht sämtliche die sowjetische Rüstungsproduktion betreffenden Angelegenhei-
ten. Ihr Gegenstück auf der Staatsapparatebene ist die Militärisch-Industrielle
Kommission, deren Tätigkeit allerdings von diesem Parteiorgan bestimmend über-
84 Vgl. McDonne111977a, S. 97
85 Vgl. Alexander 1978a. S. 11; Jones 1984, S. 127
86 Vgl. Checinski 1981, S. 67
87 Vgl. Checinski 1981, S. 67
88 Vgl. Alexander 1978a, S. 12
89 F.W.K. 1984, S. 137
90 Vgl. Hough 1969, S. 17
158 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
"Der Machtfaktor, der die Stärke der Abteilung Rüstungsindustrie ausmacht, liegt in
der großen Zahl von Parteisekretären, die in den rüstungsindustriellen Ministerien, Pro-
duktionsvereinigungen, Betrieben, Instituten und anderen Einrichtungen tätig sind. Die
in den Parteizellen, -abteilungen oder -sektionen in den Rüstungsbetrieben oder in Re-
gionen, wo es solche Betriebe gibt, tätigen Sekretäre sind die ,Augen und Ohren' der
Abteilung Rüstungsindustrie. Da die Rüstungsproduktion in den Industriebetrieben eine
Vorrangstellung zugewiesen bekommt, haben die Weisungen der Abteilung Rüstungs-
industrie gleichfalls Vorrang. Kein Parteisekretär auf Provinzebene, auf der Ebene einer
Stadt oder eines Betriebes wird je offiziell den Produktionsplan für Rüstungsgüter hint-
anstellen. In der Praxis können die Parteisekretäre in ihrem Verhalten flexibler agieren,
aber offiziell bleiben sie dem Netz der Abteilung Rüstungsindustrie nachgeordnet."91
Zwar ist der Apparat des ZK-Sekretariats im Vergleich zur Regierungsbürokratie
nicht so umfangreich, aber die Stäbe der einzelnen Abteilungen verfügen offenbar
aufgrund der von ihnen wahrgenommenen exekutiven Funktionen für die Partei-
führung über ein großes Maß an Autorität und Einfluß. Alexander weiß zu berich-
ten, daß selbst die jüngsten Stabs-Mitarbeiter z.B. dem Ersten Sekretär des ZK ei-
ner Unions-Republik, dem Stellvertretenden Minister eines Produktionsministe-
riums oder dem Direktor eines Forschungsinstituts telephonisch Instruktionen er-
teilen können.92 Sie können jede Institution und jedes Individuum in der UdSSR
zur Beratung und Unterstützung heranziehen. So soll die Abteilung für Rüstungs-
industrie über die Autorität verfügen, jegliche Information von dem Generalstab
der Streitkräfte, den Stellvertretenden Verteidigungsministem, der Hauptverwal-
tung Rüstungsindustrie bei GOSPLAN und den übrigen Abteilungen des ZK-Se-
kretariats, die für weitere rüstungsrelevante Branchen verantwortlich sind, anzufor-
dem.93
Man kann daher vermuten, daß dieses Parteiorgan aufgrund seiner institutio-
nellen Kompetenzen über das Entwicklungs- und Produktionspotential in den ein-
zelnen rüstungsindustriellen Ministerien relativ gut informiert ist. Aufgrund dieses
Wissens dürften auch mögliche Beschränkungen bekannt sein, welche die Ent-
wicklung und Serienproduktion eines Waffensystems behindern könnten. Umfang
und Qualität der diesem Parteiorgan zur Verfügung stehenden Informationen sind
für die Entscheidungsfindung der politischen Führung von entscheidender Bedeu-
tung.
In der Geschichte sowjetischer Rüstungspolitik hat es jedoch eine Reihe von
Fehlentscheidungen gegeben, die offensichtlich auch auf falsche Vorentscheidun-
gen des ZK-Sekretariats zurückgehen. Von westlichen Fachleuten wird in diesem
Zusammenhang u.a. der Fall des vom Konstruktionsbüro Mjasischtschew entwik-
kelten Überschallbombers vom Typ M-50/52 BOUNDER angeführt:
"Der Überschallbomberentwurf M-50 (von vielen als Fehlentwurf erachtet, aber offene
Kritik unterblieb, da eine ZK-Entscheidung vorlag) wurde in einigen Exemplaren ge-
baut und erwies sich als totale Fehlentwicklung (zu groß, zu schwer, Vibration, Trieb-
werke aerodynamisch unverträglich), und das Büro in Fili wurde aufgelöst."94
91 Checinski 1981, S. 68
92 Vgl. Alexander 1978a, S. 12
93 Vgl. Gottemoeller 1983, S. 61
94 F.W.K. 1983, S. 526. Vgl. zu diesem Flugzeug Kap. 5
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 159
Als eine ähnliche Fehlentscheidung aus der Zivilluftfahrt ist das Überschallpassa-
gierflugzeug Tu-144 zu nennen: hier faßten die Entscheidungsgremien den Be-
schluß zur Produktion, noch ehe die Planungsphase abgeschlossen war.95 Die
Aeroflot hat ihre Flotte von Überschalljets mittlerweile aus dem Verkehr ziehen
müssen.
Für das Beziehungsverhältnis zwischen ZK-Sekretariat und Staatsapparat als
einem Unterordnungsverhältnis mit Dominanz der Partei gibt Simes jedoch folgen-
des allgemein einschränkend zu bedenken:
"Es wäre eine zu starke Vereinfachung, davon auszugehen, daß das ZK-Sekretariat Ent-
scheidungen formuliert, die die Regierungsstellen auszuführen haben. Die tatsächliche
Beziehung zwischen Partei und Regierungsapparat im Prozeß der Artikulation der Si-
cherheitspolitik wird mehr und mehr eine Zweibahnstraße, mittels Arbeitsteilung anstel-
le einer klaren Vorhand der Partei in Gestalt des Sekretariats."96
Angewendet auf das Verhältnis zwischen Partei und Rüstungsindustrie würde die-
se Aussage bedeuten, daß die Beziehungen zwischen der Abteilung für Rüstungsin-
dustrie im ZK-Sekretariat und den rüstungsindustriellen Ministerien in der politi-
schen Realität eher durch einen Prozeß wechselseitiger Beeinflussung und Abhän-
gigkeit charakterisiert sind, der im Endresultat zu einem bestimmten Grad an Kon-
gruenz von Sichtweisen und Interessen der beteiligten Akteure führt, als durch ein
eindeutiges Vorherrschen des ZK-Sekretariats als Kontroll- und Überwachungsin-
stanz der Partei. Ähnliche Mutmaßungen äußert Alexander. Allerdings weist er ex-
plizit auf spezifische Grenzen gemeinsamer Sichtweisen und Interessen hin, die
aus unterschiedlichen institutionellen Stellungen und Verankerungen zwischen
ZK-Sekretariat und den Ministerien im politischen System der UdSSR herrühren:
,,Erstens ist es wahrscheinlich, daß sich die Abteilungen des ZK-Sekretariats den Mini-
sterien, die sie beaufsichtigen, verbünden, ja in großem Maße abhängig von ihnen wer-
den. Zweitens verfügen die Abteilungen über einen Überblick, der weiter als der jedes
einzelnen Ministeriums reicht, sowie eine Wahrnehmung ihrer eigenen Rolle, die die
Aufgaben von Ministerien oder Betrieben übersteigt. Folglich sollte man im allgemei-
nen eine Interessenkongruenz zwischen dem Sekretariat und dem Sektor Rüstungspro-
duktion erwarten; allerdings gibt es weniger Grund für die Annahme, daß es gemeinsa-
me Interessen innerhalb der Ministerien sowie unter ihnen gibt. Häufige und enge Kon-
takte zwischen Parteifunktionären und Regierungsbeamten, Personalrotation zwischen
Partei und Regierung, Zuammenarbeit bei der Abfassung und Ausarbeitung größerer
Vorlagen und viele weitere Vorgänge bringen die Mitarbeiter der Partei und diejenigen,
die sie überwachen, in anhaltenden Kontakt, was zu einer allgemeinen Ähnlichkeit der
Sichtweisen führt."97
Aus seinen Überlegungen zieht Alexander die naheliegende Schlußfolgerung, daß
aufgrund dieser personellen Verknüpfungen und Verschränkungen die Abteilung
für Rüstungsindustrie mit ihrem Stab im ZK-Sekretariat wahrscheinlich keine In-
formationsquelle für die Parteiführung ist, von der eine Analyse zu Fragen der Rü-
stungsentwicklung und -produktion zu erwarten ist, die wesentlich von den Sicht-
weisen der durch diese Abteilung beaufsichtigten rüstungsindustriellen Ministerien
abweicht. Differenzen über Detailfragen zwischen diesen beiden institutionellen
Ein leitendes Gremium in den Beziehungen zwischen politischer Führung und Rü-
stungsindustrie stellt vermutlich der Verteidigungsrat dar. Über dieses Organ sind
besonders wenig Informationen verfügbar. Unter den westlichen Sowjetexperten
wird aufgrund dieses ausgeprägten InformationsdefiZits eine recht spekulative und
teilweise divergierende Debatte über die genauen Aufgaben sowie die exakte
Größe, Struktur und Zusammensetzung des Verteidigungsrates geführt. Seine Tä-
tigkeit und Bedeutung im sicherheitspolitischen Entscheidungsgefüge der Sowjet-
union werden daher unterschiedlich beurteilt.
Offiziell bekannt geworden ist die Existenz eines Verteidigungsrates der
98 Alexander 1978a, S. 12
99 Spielmann 1976, S. 62
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 161
UdSSR im Mai 1976 im Zusammenhang mit der Beförderung von Breschnew zum
Marschall der Sowjetunion,lOO In der sowjetischen Verfassung von 1977 wird der
Verteidigungsrat kurz erwähnt. Danach ist diese Institution dem Präsidium des
Obersten Sowjet untergeordnet,lOl Obgleich der Verteidigungsrat laut Verfassung
formal gesehen eine Staats- und keine Parteiinstitution ist, stufen Autoren wie Ale-
xander und Warner dieses Gremium de facto als einen Ausschuß des Politbüros
ein.l02 Organisatorische Vorläufer des Verteidigungsrates haben in der Geschichte
der UdSSR seit 1918 unter verschiedenen Namen und mit unterschiedlich abge-
stuften Zuständigkeiten bestanden: 103
Über die allgemeine institutionelle Stellung und wahrscheinlichen Aufgaben
des Verteidigungsrates äußert sich Jones folgendermaßen:
"Der Verteidigungsrat, in der juristischen Sowjetliteratur beschrieben als ,Kollegialor-
gan der Staatsverwaltung, welches verschiedene Ministerien umfaßt', und welches 'die
grundsätzlichen Weisungen zur Rüstungsentwicklung der UdSSR' erteilt, überprüft au-
genscheinlich regelmäßig Empfehlungen zur Militärpolitik der KPdSU und zur sowjeti-
schen Militärdoktrin, wobei das Verteidigungsministerium, der Generalstab sowie lei-
tende Persönlichkeiten aus dem Bereich der Rüstungsindustrie wichtige und gehaltvolle
Vorgaben einbringen."l 04
Über diese zugeschriebenen Aufgaben hinaus dürfte der Verteidigungsrat auch be-
deutende allgemeine Krisen- und Konfliktsteuerungsfunktionen im sicherheitspoli-
tischen Bereich wahrnehmen. Dafür spricht die institutionelle Verankerung dieses
Organs in der obersten Hierachie des Staatsapparates.
Die genaue Zusammensetzung der Mitgliedschaft im Verteidigungsrat ist nicht
bekannt Aufgrund seiner Stellung wird sich dieses Gremium vermutlich aus füh-
renden Mitgliedern der Partei, der Regierung und des Militärs zusammensetzen.
Breschnew, Andropow und Tschernenko sind offiziell als Vorsitzende des Vertei-
digungsrates benannt worden. Am 28.2.1987 identifizierte sich Generalsekretär
Gorbatschow in einem Statement, bei dem es hauptsächlich um einen neuen Rü-
stungskontrollvorschlag über die amerikanischen und sowjetischen landgestützten
Mittelstreckenwaffen ging, selber ebenfalls als Vorsitzender dieses Gremiums:
,,Die Sowjetführung und der Verteidigungsrat des Landes, denen vorzustehen meine
Pflicht ist, bewahren fortwährend die Sicherheit des Landes und die unserer Verbünde-
ten sowie die Sicherheit allgemein im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit."l05
Aus diesen Informationen kann geschlossen werden, daß die Funktion des Vorsit-
zenden offensichtlich generell dem Generalsekretär der KPdSU vorbehalten ist.
Für die Amtszeit von Generalsekretär Andropow vermutet Jones als ständige
und stimmberechtigte Mitglieder des Verteidigungsrates aus dem Kreis der Partei-
und Staatsführung neben Andropow Verteidigungsminister Ustinow, den Vorsit-
zenden des Ministerrates, Tichonow, Außenminister Gromyko, d.h. insgesamt vier
Politbüro-Mitglieder, sowie den Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates,
106 Vgl. Jones 1984, S. 123; vgl. zur Frage der Mitgliedschaft des Verteidigungsrates
auch Alexander 1978a, S. 15; Richelson 1982, S. 17; Woods 1982, S. 15/16; F.W.K.
1984, S. 142; Schulz-Torge 1985, S. 111-120
107 Vgl. Parwiek 1986, S. 341
108 Vgl. Freidzon 1981a
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 163
politikkann man nach Becker als den kritischen Schnittpunkt zwischen den mili-
tär-politischen, militär-ökonomischen und militär-technologischen Entscheidungs-
systemen betrachten.115 Er wurde offenbar nicht nur als eine obere Instanz zur
Konfliktregulierung geschaffen, sondern auch zu dem Zweck, die letzte Kontrolle
durch die Parteiführung über das Militär und die Rüstungsindustrie sicherzustellen:
Seine Einrichtung "brachte führende Nichtmilitärs (und zivile Mitarbeiter) im
größtmöglichen Umfang in den Politikbildungsprozeß bei Verteidigungsfragen hin-
ein" )16
Wenn der Verteidigungsrat einmal seine Zustimmung zu einem Rüstungspro-
jekt gegeben hat, ist offenbar ein Durchbruch erreicht - vom Reißbrett bis zur In-
dienstnahme durch die Truppe ist der Weg für eine spezifische Konstruktion frei.
Freilich entfällt auch die weitere Verbesserung beim Anlaufen der Produktionsse-
rie, wie dies im Westen üblich ist. Das willkürliche "Einfrieren" von Konstruktio-
nen, um sie gegen immer neu kommende Verbesserungsvorschläge zu immunisie-
ren, ist in der Sowjetunion nicht nötig. Niemand würde es wagen, einer Lösung ei-
nes Rüstungsproblems, der der Verteidigungsrat seine Zustimmung erteilt hat, Ver-
besserungen hinzufügen.
Große Ungewißheit herrscht bei westlichen Experten darüber, wie das reale
Machtverhältnis zwischen dem Verteidigungsrat und dem Politbüro genau beschaf-
fen ist. Eine extreme Position verkörpert Checinski: Er faßt den Verteidigungsrat
als Herrschaftsinstrument des Generalsekretärs und des Verteidigungsministers
(die als höchste Repräsentanten eines militärisch-industriellen Komplexes agieren)
über das Politbüro auf.ll7 Diese Bewertung erscheint zu vereinfachend und auch
überzogen. Der reale politische Entscheidungsprozeß und das sich in ihm wider-
spiegelnde institutionelle und bürokratische Einflußgefüge dürfte mit einiger Si-
cherheit komplexer und widersprüchlicher ausfallen. Formal gesehen soll der Ver-
teidigungsrat zwar nur eine beratende Rolle ausüben, indem er die wesentlichen Si-
cherheits-, militär- und rüstungspolitischen Entscheidungen für das Politbüro vor-
bereitet. Aber der Verteidigungsrat nimmt offenbar gegenüber dem Politbüro eine
Schlüsselstellung in der Politikvorformulierung für militärische und rüstungsbezo-
gene Angelegenheiten ein:
"Der Verteidigungsrat ... ist in der Sowjetunion potentiell das wichtigste Politik ma-
chende Gremium für Militärfragen. Er versorgt das gesamte Politbüro mit Empfehlun-
gen und erhält umgekehrt von diesem sehr allgemeine Richtlinien für die Festsetzung
von Prioritäten und Haushaltszuweisungen. Der Verteidigungsrat stimmt den Ausfor-
mulierungen von Militärdoktrin und -Strategie zu, setzt den Rahmen des Militärhaushal-
tes fest, überprüft Planfeststellungen und stimmt Beschaffungsvorgängen zu."ll8
Wegen der personellen Zusammensetzung des Verteidigungsrates, welche die Spit-
zen von Partei, Staat und Streitkräften umfaßt, dürften dessen Empfehlungen in der
Regel ein solches Gewicht haben, daß sie die endgültigen, formal vom Politbüro zu
treffenden Entscheidungen im wesentlichen vorwegnehmen, zumal die Mehrheit
der Mitglieder dieses Gremiums eh dem Politbüro angehören.
119 V gl. Statut der Kommunistischen Partei der Sowjetunion 1986, Paragraph 38
120 Vgl. näher Heller/Nekrich 1985, Bd.II
121 Vgl. Segbers 1984, S. 55!56; Lane 1978, S. 213/214
122 Lane 1985, S. 216
166 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
123 Washington Star vom 16.7.1979 zitiert nach Lane 1985, S. 213
124 Vgl. Wolfe 1979, S. 51/52; Starr 1985, S. 24
Die Rüstungsindustrie und Organisation der Entscheidungsstrukturen 167
125 Washington Star vom 16.7.1979, zitiert nach Lane 1985, S. 213
126 Vgl. ausführlicher Alexander 1978b, S. 18- 20; Holloway 1982a, S. 302/303; Kaldor
1981, S. 94; Hough 1984
127 Holloway 1979, S. 27
168 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
das Scheitern von Chruschtschow hauptsächlich darauf zurück, daß es ihm nicht
gelungen sei, sein Wirtschaftsprogramm und seine Abrüstungsinteressen in eine in-
haltlich konsistente Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik einzubetten, die nach in-
nen wie außen hinreichend widerspruchsfrei war. Auch gelang es ihm nicht, einen
neuen breiten Sicherheitskonsens innerhalb der Bürokratie herzustellen. Jedoch be-
tont Tiedtke, daß erst die massive Aufrüstung des Westens, die dem Konzept der
sowjetischen Minimalrüstung den Boden entzog, zu der entscheidenden innenpoli-
tischen Stärkung der Position seiner Gegner geführt hat,l28
Das Politbüro unter Breschnew entwickelte einen politischen Führungs- und
Entscheidungsstil, der in größerem Maße den Vorstellungen und Interessen der bü-
rokratischen Apparate von Partei und Staat entgegenkam, aber zugleich auch Aus-
druck einer größer gewordenen Abhängigkeit der Führungsspitze von der Bürokra-
tie bei der Herrschaftsausübung in dem komplexer gewordenen System ist:
,,Keine der zentralisierten Leitungseinheiten verfügt über die Zeit und die Informatio-
nen, um alle wichtigen Entscheidungen für das System zu treffen. Die Führungsspitze
muß sich auf inputs, auf Informationen und technische Bewertungen stützen, die von
nachgeordneten Einrichtungen nach oben fließen. "129
Die Delegation von mehr Entscheidungsverantwortung an untergeordnete Ebenen
der Bürokratie, ohne dabei jedoch die Autorität der Parteiführung über die endgül-
tige Festlegung der politischen Zielsetzungen anzutasten, wird von Hough als eines
der wesentlichsten Merkmale der sich seit Breschnew herausgebildeten Entschei-
dungsstrukturen beschrieben. Nach Hough hat sich ein Prozeß zu einer mehr "wis-
senschaftlich fundierten politischen Entscheidungsfindung" der Parteiführung
durchgesetzt, bei der professionelles Expertenturn und technisches Spezialwissen
gesucht und berücksichtigt werden,l30
Vor allem in der Militär- und Rüstungspolitik ist für das Politbüro die Aufgabe
der Entscheidungstindung zusehends erheblich schwieriger geworden. Aufgrund
der zunehmenden Diversifikation und Komplexität von Rüstung hat die Anzahl der
zu berücksichtigenden und zu entscheidenden Sachpunkte, insbesondere in techni-
scher Hinsicht, sehr zugenommen. So dürfte selbst Generalsekretär Breschnew, der
ein Ingenieurs-Diplom besaß und über langjährige Management-Erfahrungen in
der sowjetischen Rüstungsindustrie verfügte,131 kaum in der Lage gewesen sein
und die Zeit gehabt haben, die z.B. bei Entscheidungen über strategische Raketen-
rüstungsprogramme anfallenden vielfältigen Sachverhalte angemessen zu analysie-
ren und zu beurteilen. Richelson illustriert dies näher:
,,Jn der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es relativ wenige Vorgänge, die den Aufbau
eines strategischen Arsenals betrafen- die Atom- oder Wasserstoffbombe zu bauen
oder nicht zu bauen. Bei den Trägersystemen gab es keine Wahl (obwohl die Raketen-
forschung früh einsetzte), und es gab nur sehr wenige Optionsmöglichkeiten. In der
heutigen Zeit hängt die endgültige Größe und Struktur des Kernwaffenarsenals eines
Staates von Entscheidungen ab, die von einer Vielzahl von Vorgängen beeinflußt wer-
den - angefangen mit den Leitzielen nationaler Politik und der Militärstrategie bis hin
zu den Alternativen boden- oder seegestützte Raketen, Zielbestimmungen, V erknüpfun-
gen zwischen Sprengkraft, Zielgenauigkeit und der Zahl der Sprengköpfe. Sogar solche
technischen Fragen wie die, ob eine Rakete kaltstartfähig ist oder ob sie mit flüssigem
oder Festtreibstoff angetrieben werden soll, können wichtige strategische Folgen haben.
Mit Blick auf ihre Verantwortung für andere Bereiche und der Erfordernis, die Ausfüh-
rung ihrer Beschlüsse zu verfolgen, wäre es für die Mitglieder des Politbüros unmög-
lich, allen Aspekten bei solchen Fragen im Detail nachzugehen."132
Um das mit Rüstungspolitik verbundene komplexe Entscheidungsgefüge über sol-
che Angelegenheiten wie Grundlagenforschung, die verschiedenen Stufen militäri-
scher Forschung undEntwicklung, Serienproduktion, Streitkräftestrukturen etc. zu
bewältigen und in den Griff zu bekommen, muß das Politbüro daher vieles delegie-
ren. Dies bedeutet zugleich ein vermehrtes Öffnen von Einflußkanälen für Interes-
sen der am Waffenbeschaffungsprozeß beteiligten Akteure. Unterhalb der Ebene
des Politbüros existiert eine komplexe Organisationsstruktur, die den bürokrati-
schen Apparaten prinzipiell einen Einfluß auf die Richtung und Ausgestaltung von
Rüstungsprogrammen eröffnet. Das Politbüro wird sich im Rahmen solcher Ent-
scheidungsstrukturen vermutlich darauf konzentrieren, die allgemeinen rüstungs-
politischen Zielsetzungen festzulegen und die wichtigsten Programme näher zu
überwachen, und nur direkt bei den anderen Waffenprojekten eingreifen, wenn es
als absolut notwendig erscheint. Alexander entwirft folgende plausibel erscheinen-
de Skizze der Struktur des Entscheidungsprozesses im Politbüro über Rüstungspro-
gramme:
,,Man könnte sich vorstellen, daß es einen Prozeß routinemäßiger Zustimmung zu den
meisten Vorgängen gibt, daneben eingehendere Erörterungen zu den kostspieligsten
oder politisch heikelsten Projekten, und Wiedervorlagen bei jenen Projekten, die zu Ko-
stenüberschreitungen führen, die zuvor per Abstimmung beschlossene Pläne und Baus-
haltsansätze durcheinander bringen würden. Aus diesen Punkten lassen sich zwei
Schlußfolgerungen ziehen: (1) Die größte Aufmerksamkeit dürfte den politischen
Aspekten des Haushalts und der Verteilung von Anteilen gelten; (2) die internationale
Politik konzentriert die Aufmerksamkeit auf eine wichtige Teilmenge von strategischen
und anderen Waffen; (3) die meisten Programminhalte werden von Bürokraten und
Technikern vorgegeben. Inhalt und Kosten der sehr aufwendigen Hauptprojekte können
jedoch nicht außer Acht gelassen werden, da sie die internen Abläufe des Prozesses der
Haushaltsfestlegung direkt tangieren."133
Trotz der wahrscheinlichen Delegation eines größeren Teils von Entscheidungsver-
antwortung über mehr technische Belange an Bürokraten und Techniker weist Ale-
xander darauf hin, daß das Politbüro gelegentlich Entscheidungen zwischen ver-
schiedenen rüstungspolitischen Alternativen treffen muß. In einem solchen Fall
könnten z.B. einzelne Politbüro-Mitglieder gezielt die Kooperation mit solchen
Segmenten der Bürokratie suchen, die nicht direkt in das zur Diskussion stehende
Entwicklungs- oder Beschaffungsvorhaben involviert sind und daher eine nicht so
stark interessengebundene Expertise bereitstellen könnten:
"Angesichts der erheblichen Autorität der einzelnen Mitglieder des Politbüros scheint
es möglich, daß diese sich mit Teilen der Bürokratie verbünden (zum Beispiel mit einer
Teilstreitkraft oder einem Forschungsinstitut), und so unabhängige Politikanalysen be-
kommen."134
Die nachfolgenden Erörterungen stützen sich auf die Prämisse, daß das politische
System der UdSSR nicht durch die Herrschaft einer einheitlichen Machtelite cha-
rakterisiert ist, sondern vielmehr durch Interaktionsprozesse zwischen verschiede-
nen Eliten sowohl untereinander als auch mit anderen Gruppen. Anstatt die sowje-
tische Partei- und Staatsbürokratie als monolithischen Akteur anzusehen, ist es re-
alitätsangemessener, beide als einen Apparat und eine Struktur zu begreifen, über
die Interessen artikuliert, aggregiert und verbindlich umgesetzt werden. Skilling/
Griffiths haben überzeugend dargelegt, daß bei der Analyse des sowjetischen Ge-
sellschaftssystems Gruppeninteressen und Gruppenkonflikte nicht ausgeschlossen
werden können (vgl. für eine ausführliche Erörterung des Interessengruppenansat-
zes und seiner Varianten Kapitel8).137
Das sich seit dem TodeStalins herausbildende politische System der Sowjet-
union zeichnet sich durch eine Ausweitung der Teilhabe von Akteuren am Herr-
schaftsprozeß (Diffusion of Power) aus. Es kann durchaus mit dem von Rough ein-
geführten Begriff "institutioneller Pluralismus"138 in dem Sinne gekennzeichnet
werden, daß politische Entscheidungen nunmehr durch den Wettbewerb verschie-
dener bürokratischer Institutionen und Interessen innerhalb des Partei- und Staats-
apparates mitbestimmt werden. Zwar liegt einer derartigen Betrachtungsweise im-
plizit die zentrale Prämisse zugrunde, daß das politische System der UdSSR in
ähnlicher Weise funktioniert wie das westlicher Industriegesellschaften. Jedoch
sind bedeutungsvolle Unterschiede zu dem Pluralismus von Gruppen in westlichen
demokratisch geprägten Gesellschaften zu beachten. Divergenzen bestehen hin-
sichtlich des Ausmasses an Unterdrückung politischer Forderungen, der Möglich-
keiten formaler Organisationen von politischen Interessengruppen oder des Grades
an Durchdringung der gesellschaftlichen Lebensbereiche seitens des Staates. Dar-
über hinaus bleibt "institutioneller Pluralismus" wie jede andere Form von Plura-
lismus unvollkommen, da in der politischen Realität einige Institutionen oder
Gruppen über mehr Macht verfügen als andere. Dieser Sachverhalt trifft für die
Sowjetunion besonders ausgeprägt zu.
Im politischen System der UdSSR nehmen das Militär und die Rüstungsindu-
strie eine deutlich privilegiertere und damit auch mächtigere Position ein als ande-
re Institutionen, weil die politische Führung der militärischen Basis ihrer Macht
eine hohe Priorität eingeräumt hat. Jedoch gibt es seit dem Führungswechsel zu
Gorbatschow starke Anzeichen für eine Verschiebung der bislang herrschenden
Prioritäten. Geht man davon das, daß der Prozeß politischer Entscheidungsfindung
und Implementation trotz hoher Zentralisation in Fragen der Militär- und Rü-
stungspolitik Einflußmöglichkeiten von Interessenvertretern der Rüstungsindustrie
prinzipiell nicht ausschließt, dann stellt sich die Frage, über welche Möglichkeiten
oder Fähigkeiten die sowjetische Rüstungsindustrie als bürokratische Interessen-
gruppe verfügt, Entscheidungen und deren Durchführung zu verhindern, denen sie
ablehnend gegenübersteht, oder gar selber Programme konträr zu den Interessen
anderer Akteure durchzusetzen. Kurz gesagt, wie konstitutiert sich die sowjetische
Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe und in welchen Bereichen
liegen ihre prinzipiellen Einflußmöglichkeiten?
Eine Behandlung der sowjetischen Rüstungsindustrie als Interessengruppe be-
rührt zwangsläufig die weitere Frage, ob in der UdSSR nicht in vergleichbarer
Weise ein ,,Militärisch-Industrieller-Komplex" existiert, wie er von auswärtigen
Analytikern in kapitalistischen Industriestaaten gesehen wird. Eine Beantwortung
dieser Frage setzt Abklärungen voraus, ob die Interessen der sowjetischen Rü-
stungsindustrie parallel oder weitgehend kongruent zu denen des sowjetischen Mi-
litärs verlaufen, ob die Rüstungsindustrie aus der spezifischen Gütemachfrage des
Militärs besondere Vorteile zieht und ob sie, im Fall eines positiven Befunds für
die erstgenannten beiden Aspekte, mit dem Militär zusammenarbeitet, um die poli-
tische Entscheidungsfmdung auf den verschiedenen Ebenen zu beeinflussen.
Jegliche Erörterung von Interessengruppenaktivitäten und Einflußnahmeversu-
chen im sensitiven Bereich der Militär- und Rüstungspolitik für die UdSSR steht
unweigerlich vor dem Problem der recht spärlichen Informations- und Datengrund-
lage. Diese Restrikion läßt sich deutlich daran ablesen, daß in der westlichen Lite-
ratur nur eine Handvoll von Abhandlungen aufzufinden sind, die sich detaillierter
mit der sowjetischen Rüstungsindustrie als Interessengruppe oder ,,Pressure
Group" beschäftigen.l39 Holloway beschreibt das empirische Problem für den aus-
wärtigen Analytiker näher: Zwar ist im Westen einiges über den institutionellen
und organisatorischen Aufbau für den Bereich rüstungspolitischer Entscheidungs-
tindung in der UdSSR bekannt, doch sind es gerade die informellen Allianzen und
das Netzwerk persönlicher Beziehungen, die sich größtenteils der Kenntnis des
Analytikers entziehen. Diese informellen Aktivitäten und Beziehungen spielen
Holloways Einschätzung zufolge in Anbetracht bisheriger Kenntnisse über histori-
sche Abläufe eine gleichgewichtige Rolle, auch wenn unter Breschnew der politi-
sche Entscheidungsprozeß sichtlich formalisierter und institutionalisierter gestaltet
worden ist als unter Stalin und Chruschtschow.l40
Mitglieder der politischen Elite lancieren bei ihrem Aufstieg in den inneren
Machtzirkel eine Reihe von "Klienten" auf wichtige Positionen. Dabei handelt es
sich in der Regel um Personen, die vor ihrem Aufstieg dem jeweiligen "Patron"
schon länger persönlich bekannt sind. Beispiele für solche ,,Patron-Klient"-Bezie-
hungen sind die Dnepropetrowsk-Gruppe von Breschnew oder der Stawropol-
Kreis von Gorbatschow. Solchen Personen dürfte jederzeit ein direkter informeller
Zugangskanal offenstehen, falls sie politische Unterstützung benötigen, auch wenn
sie oft nicht direkt für ihren Patron arbeiten. Informelle Beziehungen können sich
auch aus längeren Arbeitsbeziehungen in der Vergangenheit ergeben. Denkbar ist
z.B., daß ein führender Rüstungsingenieur eine nähere Bekanntschaft mit Bresch-
new während dessen Funktion als ZK-Sekretär für die Rüstungsindustrie entwik-
kelt haben könnte, die später den informellen Zugang zum Generalsekretär erleich-
tert hat.
Zwischen den formalen Entscheidungsstrukturen und den informellen Bezie-
hungen sind Wechselbeziehungen möglich, an deren einem Pol Personen mit Fach-
139 Vgl. Aspaturian 1975; McDonnell1975; Spielmann 1976; Spielmann 1978; Holloway
1983b
140 Vgl. Holloway 1979, S. 26
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 173
wissen und -kompetenzen stehen, die für die politischen Entscheidungsträger von
großer Bedeutung sind. Unter Breschnew wurde eine stärker wissenschaftlich be-
gründete Form der Entscheidungsfindung gefördert, die professionellem Experten-
turn größeres Gewicht einräumt. Auch in der UdSSR ist die politische Führungseli-
te zunehmend gezwungen, ihren Herrschaftsanspruch über die Resultate ihrer Poli-
tik, insbesondere im ökonomischen Bereich, gegenüber der Bevölkerung zu legiti-
mieren. Die zunehmend komplexer gewordenen Strukturen des sowjetischen Ge-
sellschaftssystems lassen die Annahme unrealistisch erscheinen, die Kontrolle über
einige wenige Schlüsselentscheidungen reiche zur Absicherung von Herrschaft
aus. Eine politische Legitimation sichemde Entscheidungsfindung setzt Kompe-
tenz, Fachwissen und die Erörterung möglicher Alternativen voraus, alles Fähig-
keiten, über die nur Spezialisten verfügen.
Führende Wissenschaftler oder Ingenieure in der UdSSR haben etwa bei Ent-
scheidungen über rüstungs- oder rüstungskontrollpolitische Probleme als Speziali-
sten eine sichtbar gewichtige Rolle gespielt. Diese Personen haben offenbar so-
wohl auf formellem Wege als auch auf informeller Basis direkten Zugang zu den
wichtigsten politischen Entscheidungsträgem, sind jedoch selbst in der Regel nicht
Mitglieder der obersten Organe der Partei. Von der politischen Führungselite wird
ihr Rat gesucht, weil die Empfehlungen solcher Spezialisten nicht zwangsläufig an
die institutionelle Perspektive z.B. des Verteidigungsministeriums oder eines Mini-
steriums der rüstungsindustriellen Gruppe gebunden sind. Ein markantes Beispiel
für derartig politisch bedeutende Spezialisten gibt der Konstrukteur S.P.Koroljew
(vgl. Kapitel 1.4). Seine Stellung als herausragender Konstrukteur verschaffte ihm
als kompetenten Ratgeber direkten Zugang zu Chruschtschow und auch zu Bresch-
new.141
Als Ausgangspunkt für eine Interessengruppenanalyse läßt sich festhalten, daß
in der UdSSR die Organisation und Vermittlung von Interessen größeren Be-
schränkungen unterworfen ist als in liberal-demokratischen Systemen. Daher ist
der Prozeß politischer Interessengruppenaktivitäten im sowjetischen System ver-
schwiegener, informell weniger organisiert und fmdet gewöhnlich hinter geschlos-
senen Türen innerhalb der Bürokratie statt. Jeder Versuch, außerhalb des offiziell
zugelassenen Rahmens offen Interessen zu organisieren und zu aggregieren, die
über die Formulierung einer alternativen Politik direkt die politische Autorität der
Führung (Partei) angreifen, würde bislang zwangsläufig schwere Sanktionen nach
sich ziehen, wie es die Geschichte des Sowjetstaats oft genug gezeigt hat.
triebs kaum einen direkten Einfluß auf die Entscheidungsfindung über Rüstungs-
programme auf der obersten politischen Ebene haben, jedoch könnte er sehr wohl
Einfluß hinsichtlich der Implementierung einer Entscheidung über die Produktion
eines bestimmten Waffensystems ausüben. Im Politbüro könnte zwar ein allgemei-
nes Interesse an Entscheidungen über die Implementation seiner Direktiven auf der
Produktionsebene vorhanden sein, doch wird eine direkte Intervention in diesen
Bereich nur unter besonderen Umständen erfolgen, z.B. bei Produktionsschwierig-
keiten eines für die nationale Sicherheit als wichtig erachteten Rüstungspro-
gramms.142
Die wichtigste und in der Hierarchie oben stehende Sub-Gruppe innerhalb der so-
wjetischen Rüstungsindustrie sind das Führungs- und Verwaltungspersonal der
neun verschiedenen Ministerien, die zur rüstungsindustriellen Gruppe gerechnet
werden. Diese Personen sind verantwortlich für die Koordination der Arbeit der
ihnen unterstehenden Rüstungsbetriebsdirektoren und Waffenkonstrukteure sowie
die Sicherstellung der Finanzierung für die über das Ministerium abgewickelte
Forschung, Entwicklung und Produktion. Sie bestimmen die "Verhandlungspoli-
tik" des Ministeriums und vertreten es nach außen gegenüber ihrem wichtigsten
Kunden (dem Militär), GOSPLAN sowie den übergeordneten Institutionen (Mini-
sterrat und Politbüro). Wie die beiden anderen Sub-Gruppen werden auch der Mi-
nister und die ihm unterstehende Ministerialbürokratie nach mehr Ressourcenzu-
weisungen und größerer Autonomie streben.
thusiasmus der Ministerien. Hintertrieben wurden die Reformen von den Ministe-
rien z.B. dadurch, daß ministerielle Hauptabteilungen schlicht in All-Unions "obje-
dinenija" umbenannt und mit demselben Personal wie zuvor weitergeführt wur-
den,l46
Allerdings ist zu beachten, daß die neun zum Kern der Rüstungsindustrie ge-
zählten Ministerien einer wesentlich stärkeren politischen Kontrolle unterliegen als
die übrigen Ministerien. Behindern Konflikte zwischen Abteilungen oder Ministe-
rien die Durchführung eines wichtigen Rüstungsprogramms oder einer rüstungs-
technologischer Innovation, dann hat die sowjetische Führung des öfteren selber
massiv direkt interveniert, um in einer Art organisatorischer Schockbehandlung die
vorhandenen institutionellen Barrieren zu beseitigen,147
Aufgrund der hohen politischen Priorität von Rüstung und der daraus resultie-
renden Bereitschaft der Führung, auch direkt in die Belange der rüstungsindustriel-
len Ministerien einzugreifen, dürften die Einflußmöglichkeiten letzterer, die
Durchführung von Entscheidungen des Ministerrats und Politbüros zu verzögern
oder zu blockieren, beschränkt sein. Ein möglicher Beleg für die größere Begren-
zung ministeriellen Einflusses im Rüstungssektor durch vermehrte Interventionen
"von oben" sind die Forschungs- und Produktionsvereinigungen. Wie erwähnt ist
die Schaffung solcher Einrichtungen aufgrund der ministeriellen Blockaden bis-
lang ein recht langsam voranschreitender Prozeß gewesen: seit 1973 sind lediglich
rund 300 solcher Vereinigungen gegründet worden. Angaben des amerikanischen
Geheimdienstes DIA zufolge soll jedoch die sowjetische Rüstungsindustrie eine
führende Stellung bei dem Aufbau von "Wissenschaftlichen Produktionsvereini-
gungen" einnehmen. Als äußerst erfolgreiches Beispiel wird das NPO Positron in
Leningrad des Ministeriums für Elektronikindustrie erwähnt. Die Zeitspanne der
Nutzbarmachung von Forschungsergebnissen für die Produktion soll sich im Rü-
stungssektor durch den Abbau bürokratischer Hindernisse mit Hilfe solcher Verei-
nigungen erheblich verbessert haben,l48 Augenscheinlich ist die politische Füh-
rung in der Lage, im Rüstungsproduktionssektor den ministeriellen Einfluß bei der
Implementation von Entscheidungen zu begrenzen.
Ein wichtiges Merkmal für das Potential der Rüstungsindustrie als bürokrati-
sche Interessengruppe ist die bemerkenswerte organisatorische Kontinuität ihres
ministeriellen Verwaltungsapparates:
"Seit Ende der dreißiger Jahre, als eine eigene Gruppe von Rüstungswerken und sie un-
terstützenden Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen geschaffen wurde, zeigen
diese Betriebe die Tendenz, trotz aller industriellen Umstellungen einschließlich der
wirtschaftlichen Dezentralisierung der Periode 1957-65 ihre zentralisierte oder ,vertika-
le' Organisationsstruktur beizubehalten. Im Ergebnis sind die grundsätzlichen Gruppie-
rungen der Betriebe und die ministeriellen Weisungssträngetrotz des Wachstums und
der Veränderungen im Rüstungssektor relativ stabiler als in anderen Wirtschaftssekto-
ren geblieben."149
150 Vgl. McDonnell 1975, S. 91 sowie die Biographien in Anhang B seines Aufsatzes;
vgl. auch die Biographien bei Morozow 1982, S. 203-214; vgl. auch den Abschnitt
über das Bombenprojekt
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 179
1941 schlicht für einige Monate inhaftiert, weil er sich mit Marschall Kulik über
die Notwendigkeit der Produktion von Granatwerfern gestritten hatte) 51 Zwar hat-
te die "Malyschew-Gruppe" nach Stalins Tod direkten Zugang zu wichtigen Ent-
scheidungsträgern, doch verlor sie diesen Einflußkana11957 größtenteils durch den
Tod von Gruppen-Mitgliedern und die politischen Führungskämpfe.152
Eine zweite Generation der rüstungsindustriellen Führungsmannschaft for-
mierte sich während der Zeit der Wirtschaftsreformen unter Chruschtschow. Des-
sen Experimente in dem Bereich der Wirtschaftsleitung eröffneten neue Positionen
für Personen, die über entsprechende Management-Erfahrungen verfügten. Die
nächste Generation von leitenden Rüstungsmanagern kann als "Ustinow-Gruppe"
bezeichnet werden, da zahlreiche Gruppenmitglieder im Ministerium für Rüstung
(später umbenannt in M. f. Verteidigungsproduktion) beschäftigt waren, welches
von 1941 bis 1957 von Ustinow geleitet worden war.
Ihren Aufstieg begann die "Ustinow-Gruppe" im Zusammenhang mit der Ein-
richtung der regionalen Wirtschaftsräte im Mai 1957. So wurden z.B. W.N. Nowi-
kow und K.M. Gerassimow, die leitende Funktionen (ersterer Vizeminister, letzte-
rer Chef einer Hauptabteilung) im Ministerium von Ustinow während des "Großen
Vaterländischen Krieges" und darüber hinaus einnahmen, Leiter der Wirtschaftsrä-
te für Leningrad und Gorki, zwei Gebiete, in denen sich Rüstungsbetriebe konzen-
trieren. Als ,,Patron" der "Ustinow-Gruppe" galt in den späten 50er und frühen
60er Jahren Frol R. Koslow, ein in die Parteiarbeit gewechselter Metallingenieur,
der 1961 als für die Aufsicht über die Rüstungsindustrie verantwortlicher ZK-Se-
kretär bestellt wurde. Diese Stellung hatte nach einem kurzen Zwischenspiel von
Ignatow zuvor Breschnew für mehrere Jahre innegehabt) 53
Die Mannschaft um Ustinow herum entwickelte sich zur kontinuierlichsten
und auch beharrlichsten Gruppe im sowjetischen Partei- und Staatsapparat. Partei-
und Regierungschefs wechselten, zahlreiche Parteisekretäre stiegen auf und fielen,
aber die leitenden Rüstungsindustrie-Manager blieben. Etliche Mitglieder der
Gruppe rückten auch in führende Wirtschaftspositionen im Staatsapparat auf.154
Ihr wichtigster Repräsentant, Ustinow, erreichte im Verlauf seiner Karriere als er-
ster Techniker 1976 das Amt des Verteidigungsministers und auch die Mitglied-
schaft im Politbüro.
Betrachtet man das ministerielle Management der sowjetischen Rüstungsindu-
strie für die zweite Phase, welche die Chruschtschow- und Breschnew-Ära sowie
die Zeit bis zum Übergang zu Gorbatschow umfaßt, dann fällt als ein hervorste-
chendes Merkmal die personelle Beständigkeit ihrer leitenden Administratoren auf.
Im Gegensatz zu ihren Kollegen in der Zivilwirtschaft weisen die Minister der Rü-
stungsindustrie während dieser Phase ungewöhnlich lange Amtsdauern auf. Mitte
der 70er Jahre betrug das durchschnittliche Alter der Minister in der Rüstungsindu-
strie 65 Jahre und die durchschnittliche Verweildauer auf den Posten überschritt 12
Jahre.155 Zwar war ab Mitte der 70er Jahre eine gewisse Verjüngung des Rü-
156 Angaben nach U.S. CIA, National Foreign Assessment Center, Directory of Soviet
Officials: National Organizations, Ausgaben für die Jahre 1975, 1979 und 1981; U.S.
CIA 1986
157 Für ausführlichere Angaben hinsichtlich der Karriereabläufe der leitenden Rüstungs-
manager vgl. McDonnell1975, S. 116-121 und Morozow 1982, S. 203-214, 526/527
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 181
Tabelle 6:
Karriereverläufe von leitenden Rüstungsmanagern
Name Berufs- Partei- Chef- Werks- Ministerium
eintritt eintritt ingenieur direktor
den zivilen Sektor gegangen sei (vgl. dazu Cooper 1986), forderte diesen Industrie-
zweig jedoch zu größeren Anstrengungen insbesondere beim Technologietransfer auf.
Kurze Zeit darauf publizierten Swerew, Minister für Verteidigungsindustrie, und De-
rnentjew, Minister für Flugzeugindustrie, in offensichtlicher Reaktion auf diese Auf-
forderung Artikel in der Presse. Die Botschaft der Minister lief darauf hinaus, daß die
sowjetische Rüstungsindustrie eigentlich schon eine imposante Anzahl qualitativ
hochwertiger Zivilgüter produziert, sie aber die Forderung anerkennen, noch mehr in
diesem Bereich zu tun. (Vgl. Spielmann 1976, S. 57 und Volten 1982, S. 164) Die
Tatsache der Veröffentlichung dieser Artikel und ihr offenbar mehr defensiver Cha-
rakter deuten darauf hin, daß hinter Breschnews Ansinnen, der technologischen Ent-
wicklung der zivilen Sektoren solle mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, wohl
mehr als nur bloße Rhetorik stand, obgleich er früher unterschiedliche Ansichten ver-
treten hatte. (vgl. ausführlicher Volten 1982, S. 161-165; Parrott 1983, S. 247-255;
Wolfe 1973, S. 24-28) Die Minister der Rüstungsindustrie fürchteten offensichtlich
eine Neuordnung der Prioritäten in der Wirtschaft. Eine Ausweitung der zivilen Pro-
duktion im Rahmen ihrer Ministerien dürfte für sie in dem vorhandenen wirtschaftli-
chen Planungssystem wenig attraktiv gewesen sein, weil sich dann der über die Rü-
stungsproduktion gewohnte vorrangige Zugriff auf Ressourcen verschiedener Art ver-
rnindem würde.
162 Vgl. Spielmann 1976, S. 65-69
163 Vgl. dazu ausführlicher Parrott 1983, S. 265-278
164 Spielmann 1976, S. 67
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 185
Waffen betont. Diese Grundeinstellung bedeutet für die Entscheidung über neue
Waffenprojekte in Hinsicht auf ihren technischen Gehalt in der Regel folgendes:
,,Die Zustimmung erfolgt am wahrscheinlichsten, wenn eine Konstruktion Merkmale
eines früher akzeptierten Entwurfs widerspiegelt. Tiefsitzende Neigungen beeinflussen
Entscheidungen zugunsten jener Waffen, die in der Produktion eingeführt sind, die von
den Kommandierenden angenommen sind und die sich im Truppendienst befinden."168
Ein wesentlicher Grund für das Zögern oder die Weigerung des Ministerialperso-
nals, sich auf technologisch ambitionierte Projekte einzulassen, liegt in der Furcht
begründet, daß solche Unternehmungen zu einer erheblichen Erschwerung und
Komplizierung der Managementaufgaben führen könnten sowie das Risiko eines
Scheiteros in sich tragen, was unangenehme Konsequenzen für die eigene Karriere
eintragen könnte. Darüber hinaus könnte aus dem Blickwinkel der leitenden Rü-
stungsmanager die Akzeptanz technologisch ehrgeiziger Rüstungsprojekte nicht
erwünschte neue Abhängigkeiten bedeuten. Komplexe und technologisch fortge-
schrittene Waffensysteme würden zweifelsohne ein größeres Ausmaß an Abhän-
gigkeit für entsprechend benötigte Sub-Systeme und -Komponenten von anderen
Ministerien innerhalb und außerhalb der rüstungsindustriellen Gruppe zur Folge
haben, wodurch die Produktionsrisiken ungemein steigen könnten, die wiederum
potentiell nachteilige Folgen für eine rechtzeitige Erfüllung des Plans in sich ber-
gen. Aus diesen Gründen dürften der Minister und seine Ministerialfunktionäre
wohl eher eine Präferenz für die mit partiellen Modifikationen fortgesetzte Produk-
tion bestimmter "alter" Waffensysteme haben.l69
In Anbetracht der Produktionsverantwortlichkeiten eines rüstungsindustriellen
Ministeriums, die an der Einhaltung der Planvorgaben orientiert sind, wird vermut-
lich in vielen Fällen die Unterstützung für ein Rüstungsprogramm, wenn es eine
bestimmte technologische Schwelle überschreitet, auf der ministeriellen Ebene be-
trächtlich niedriger ausfallen im Vergleich zu dem besonderen Interesse des jewei-
Iigen Konstruktionsbüros an dem vorgeschlagenen Projekt. Tritt eine Situation ein,
wo z.B. verschiedene Konstruktionsbüros um die Entwicklung und Herstellung ei-
nes neuen Flugzeugs konkurrieren, kann der Minister für Flugzeugindustrie in je-
dem Fall damit rechnen, daß ein Projekt in seinem Ministerium abgewickelt wird,
unabhängig davon, wer den Auftrag erhält.170
ZusammengefaSt scheint das Bild so zu sein, daß der Minister und seine Stell-
vertreter, aber auch die mittlere und untere Ebene der Ministerialbürokratie, auf
der technischen Entscheidungsebene sozusagen alle wichtigen Karten in der Hand
halten und der Waffenkonstrukteur oder Wissenschaftler nur wenig dagegen aus-
richten kann, sieht man von den Ausnahmen eines erfolgreichen Lobbyismus pro-
minenter Rüstungsingenieure bei Stalin und Chruschtschow ab. Im Westen veröf-
fentlichte Memoiren eines sowjetischen Rüstungsingenieurs, der 18 Jahre in dem
Konstruktionsbüro von Mil tätig war, welches sich auf die Entwicklung von Hub-
schraubern spezialisiert hat, scheinen die Machtfülle der Ministerien auf der hier
behandelten Ebene zu bestätigen. Tschaiko beschreibt die Probleme für den Kon-
strukteur, die bei der Beantragung von Finanzmitteln für neue Projektideen im Mi-
grund der Kontrolle über einen großen Teil relevanter Informationen und Daten
sowie ihres organisatorischen Fachwissens ist das rüstungsindustrielle Ministerial-
management hypothetisch in der Position, die Richtung mehr strategischer Ent-
scheidungen, d.h. die zweckmäßigste Umsetzung der Planvorgaben in technischer
und administrativer Hinsicht, sowohl gegenüber den ihnen unterstehenden Institu-
tionen als auch gegenüber den übergeordneten Staats-und Parteiorganen stark vor-
zustrukturieren und dadurch zu beeinflussen. Eine beliebte Technik sowjetischer
Ministerien, ihren Organisationsinteressen zuwiderlaufende Entscheidungen zu-
mindest abzuschwächen, besteht in der teilweise zeitlich extrem verzögerten Im-
plementation der politischen Vorgaben, die zugleich auch negative Konsequenzen
für den Prozeß technologischer Innovation beinhaltet.
Die stark zentralisierten, bürokratischen und hierarchischen Strukturen sowje-
tischer Organisationen führen bislang zu einem technologischen Wandel, der pri-
mär Ergebnis eines Prozesses kumulativer Produktverbesserungen und evolutionä-
rer Entwicklung ist, und in Anbetracht des rigiden und relativ unflexiblen wirt-
schaftlichen Planungssystems zu einer Betonung von Kontinuität in der Produk-
tion.173 Jedoch scheinen die Ministerien der rüstungsindustriellen Gruppe dazu be-
reit zu sein, von Zeit zu Zeit Versuche zur Verbesserung von Managementtechni-
ken in einem größeren Rahmen zu unternehmen, um dadurch die Effizienz von
Forschung und Produktion zu steigern. Diese Bereitschaft zur Erprobung und Im-
plementation neuer Managementverfahren ist sicherlich zu einem großen Teil
durch die direktere Einmischung der politischen Führung in die Belange dieses In-
dustriesektors aufgrund seines hohen Prioritätsstatus mitbedingt Dadurch werden
zugleich die Handlungsmöglichkeiten für passiven Widerstand bei der Umsetzung
von Programmen seitens der rüstungsindustriellen Ministerien eingeschränkt.
Rüstungspolitische Entscheidungen können auch das System der Ministerien,
aus denen sich die sowjetische Rüstungsindustrie zusammensetzt, selber berühren.
Trotz der langen Amtsdauern der leitenden Rüstungsmanager und der beschriebe-
nen Machtfülle ihrer Ministerien bei der technischen und administrativen Umset-
zung von Entscheidungen der politischen Führung hat das ministerielle System
dieser Branche doch einige organisatorische Wandlungen erfahren. Sieht man von
der Chruschtschow-Periode ab, in der die bürokratische Struktur des Systems
durch sprunghafte und tiefgreifende organisatorische Veränderungen kräftig
"durchgeschüttelt" worden war, um vor allem den Primat der Politik wiederherzu-
stellen, ist der in den 60er und 70er Jahren beobachtbare Wandel im ministeriellen
System der Rüstungsindustrie zu einem wesentlichen Teil auf die Notwendigkeit
zurückzuführen, mit der raschen Entwicklung von Rüstungstechnologie Schritt zu
halten. Dies führte zur Etablierung neuer rüstungsindustrieller Ministerien. Da die
existierenden Ministerien kaum daran interessiert gewesen sein dürften, Zuständig-
keiten und damit Ressourcen sowie Einfluß zu verlieren, ist in Verbindung mit
dem ausgeprägten technologischen Konservatismus sowjetischer Institutionen häu-
fig eine Intervention "von oben" erforderlich, um eine effizientere Durchführung
neuer Programme zu realisieren:
"Da für neue Technologien oder Produkte kaum institutionelle Vorkehrungen getroffen
werden, wenn diese nicht die natilrliche Fortentwicklung vorhandener Konstruktionen
darstellen, erfordert die Einbringung eines neuartigen Produktes entweder, mit Unter-
stützung übergeordneter Autoritäten das System aufzubrechen, oder aber außerhalb der
üblichen Kanäle neue Einrichtungen zu schaffen."174
Neue militärische Anforderungen haben mit Sicherheit die Gründung der Ministe-
rien für Allgemeinen Maschinenbau (u.a. ballistische Raketen), für Maschinenbau
(u.a. Nuklearwaffen) und für Elektronikindustrie während der 60er Jahre sowie des
Ministeriums für Fernmeldegeräteindustrie im Jahre 1974 maßgeblich beein-
flußt.l75
Jedoch gibt es indirekte Hinweise darauf, daß auch persönliche Interessen von
Gruppenmitgliedern der oberen Managementhierarchie eines alten rüstungsindu-
striellen Ministerium an der Neugründung der genannten Ministerien beteiligt ge-
wesen sein könnten, was zumindest zeitweise die Kohärenz dieser wichtigen Sub-
Gruppe der sowjetischen Rüstungsindustrie beeinträchtigt haben dürfte. So ist z.B.
durchaus denkbar, daß ein Stellvertretender Minister in einem bestehenden Mini-
sterium für die Schaffung eines neuen Ministeriums eintreten könnte, um dadurch
seine Chancen für die Erlangung des Rangs eines Ministers zu verbessern. Schokin
war z.B. Erster Stellvertretender Vorsitzender des Staatskomitees für die Radioin-
dustrie, bevor er Vorsitzender des 1961 neu geschaffenen Staatskomitees für Elek-
troniktechnologie wurde, welches dann 1965 in Ministerium für Elektronikindu-
strie mit Schokin als Minister umbenannt wurde. Ähnlich verhält es sich mit Ba-
chirew, der vor seiner Ernennung zum Minister des 1968 neu eingerichteten Mini-
steriums für Maschinenbau Stellvertretender Minister im Ministerium für Verteidi-
gungsindustrie gewesen war. Perwyschin ist seit 1974 Minister für Fernmeldegerä-
teindustrie. Zuvor war er von 1970- 1974 Stellvertretender Minister im Ministe-
rium für Radioindustrie,176 Obgleich sich Lobbyismus für diese Fälle empirisch
nicht nachweisen läßt, ist die Hypothese nicht unbegründet, daß die genannten Per-
sonen die Etablierung der neuen Ministerien favorisiert und sich dementsprechend
gegenüber den politischen Entscheidungsträgern positiv zur Wort gemeldet haben,
da sie einen vorzeitigen Karrieresprung gemacht und das Management einer wich-
tigen rüstungstechnologischen Bedarfslücke übernommen haben, die auch in der
Sicht der Führungsspitze existierte.
für den Zeitraum der frühen 60er Jahre einen großen Einfluß der leitenden Rü-
stungsmanager auf die Belange der sowjetischen Volkswirtschaft als gegeben an:
,,In den frühen sechziger Jahren hatten die Rüstungsmanager praktisch die Steuerung
der Wirtschaft übernommen. Im Präsidium des Ministerrates besetzten sie drei der acht
Positionen, die Stellvertreterposten in den Stäben für mittelfristige und Langfristpla-
nung sowie die Führungspositionen in den Wirtschaftsorganen der Russischen Sowjet-
republik:."l77
Für McDonnell stellt jedoch die Repräsentation der Rüstungsindustrie im Präsi-
dium des Ministerrats der UdSSR einen nicht so geeigneten Indikator dar, um den
möglichen politischen Einfluß dieser bürokratischen Interessengruppe zu fassen:
"Das ist bestenfalls ein unvollständiger Indikator. Das Präsidium als Gremium der Re-
gierungsebene ist im politischen System der UdSSR keineswegs das oberste Entschei-
dungsorgan. Diese Führungsrolle ist formal dem ZK der Kommunistischen Partei und
faktisch dem Politbüro vorbehalten."178
Für den Zeitraum zwischen 1952 und 1976 hat McDonnell die Entwicklung der
Mitgliedschaft von Repräsentanten aus der Rüstungsindustrie im ZK der KPdSU
näher untersucht.179 Zählt man die Vollmitglieder und Kandidaten des ZK zusam-
men, dann haben die Vertreter der Rüstungsindustrie prozentual gesehen 1961 ih-
ren größten Anteil gehabt. Seitdem ist ihr prozentualer Anteil bis 1976 leicht ge-
sunken. Die Vertretung der Rüstungsindustrie im ZK der KPdSU zeichnet sich
nach McDonnells Einschätzung durch das besondere Merkmal aus, daß es der ein-
zige Wirtschaftssektor ist, dessen Minister im Verlauf der Zeit sämtlich die Voll-
mitgliedschaft im ZK erreicht haben. Zieht man den prozentualen Anteil im ZK als
Indikator heran, dann erscheinen die Möglichkeiten der sowjetischen Rüstungsin-
dustrie, als politische "Pressure Group" für sie wichtige Entscheidungen des Polit-
büros zu beeinflußen, eher eingeschränkt. Zu dieser Schlußfolgerung gelangt auch
McDonnell:
"Selbst wenn man die Schaubilder mit den Prozentanteilen zusammen nimmt, bilden
die Kontingente aus dem Militär und der Rüstungsindustrie nur eine kleine Minderheit
im ZK, was die Erfordernis anzeigt, sich besonders im Parteiapparat nach Bündnispart-
nern umzusehen, um die Zustimmung zu denjenigen Strategien zu sichern, welche sie
favorisieren."180
Allerdings ist prinzipiell zu beachten, daß der generelle Aussagewert solcher stati-
stischer Indikatoren wie die in absoluten Zahlen oder prozentualen Anteilen ausge-
drückte Vertretung von institutionellen Interessengruppen im ZK als eine Art
"Lackmus-Test" für den relativen politischen Einfluß etwa der sowjetischen Rü-
stungsindustrie nicht zu hoch angesetzt werden sollte. Derartige Indikatoren besa-
gen noch nichts darüber, ob eine identifizierte Interessengruppe tatsächlich in der
Lage gewesen ist, für sie relevante Entscheidungen der politischen Führung teil-
weise oder ganz in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die genannten Meßgrößen be-
zeichnen eher die Ausgangsposition einer möglichen Akteursgruppe für den Ver-
such einer Einflußnahme im politischen Machtgefüge sowjetischer Institutionen.
Vieles verbleibt hier wieder zwangsweise auf der Ebene der Vermutungen und
Spekulationen.
Spielmann hat im Rahmen einer Fallstudie über das SS-6 Programm mit Hilfe
der Kombination von zwei Ansätzen, dem ,,Rational Strategie Actor Decision-
Making Approach" und dem ,,Pluralistic Decision-Making Approach", versucht,
auch die Interessen der rüstungsindustriellen Ministerien sowie ihr Gewicht als in-
stitutioneller Akteur im Entscheidungsprozeß näher herauszuflltem.187 Da die SS-6
die erste sowjetische ICBM gewesen ist, muß die Entscheidung über dieses Pro-
gramm von beträchtlicher politischer Bedeutung sowohl für die Rüstungsindustrie
als auch die Streitkräfte gewesen sein: ,,Das Programm SS-6 darf als repräsentativ
für jene Rüstungsentscheidungen gelten, die wahrscheinlich verschiedenen organi-
satorische und persönliche Beziehungsstrukturen im Militärestablishment erheb-
lich durcheinander gebracht haben."188
Die Antizipation möglicher Gewinne oder Verluste in Bezug auf Produktions-
zuständigkeiten und Ressourcenallokation hat nach Spielmanns Einschätzung mit
Sicherheit auch Interessengruppenaktivitäten der einzelnen rüstungsindustriellen
Ministerien entfaltet
,,Die Sowjets richteten Ende 1959 eine eigene Teilstreitkraft (die Strategischen Rak:e-
tentruppen) ein, mn Interkontinentalraketen einzugliedern, aber sie warteten fast sechs
Jahre, ehe sie das Auftauchen dieser neuartigen Waffenkategorie in Organisationsmaß-
nahmen im Rüstungsindustriesektor mnsetzten ... Dieses Zögern bei der Einrichtung
des Ministeriums für allgemeinen Maschinenbau legt den Eindruck nahe, daß Wider-
stände auf Seiten der vorfmdlichen Rüstungsindustrieministerien zu überwinden waren.
Das neue Ministerimn wurde Zweifelsolme nicht aus dem hohlen Ärmel geschüttelt ...
Es wird Ressourcen für Raketenfertigung von dem oder den Ministerien abgezogen ha-
ben, die ursprünglich die Kompetenz fUr diese Fertigungen hatten. "189
Äußerungen von Chruschtschow deuten darauf hin, daß anfänglich wahrscheinlich
das Ministerium für die Flugzeugindustrie für die Entwicklung und Herstellung
von Raketen zuständig war. Nach Spielmanns Einschätzung werden die oberen Re-
präsentanten dieses Ministeriums, falls das SS-6 Programm in ihren Zuständig-
keitshereich gefallen ist, nur wenig Interesse daran gehabt haben, dieses Projekt
stark zu fördern, weil sie dann befürchten mußten, daß das effiziente Management
eines größeren ICBM-Produktionsprogramms für die politische Führung bald die
Notwendigkeit der Einrichtung eines separaten Ministeriums auf die Tagesordnung
bringen würde.190 Die geringe Stückzahl dislozierter SS-6 (vgl. Kapitel1.4) sowie
die relative lange Zeitspanne zur Etablierung des Ministeriums für Allgemeinen
Maschinenbau könnten ein Indikator für den zeitweise erfolgreichen retardierenden
Einfluß der leitenden Rüstungsmanager des Ministeriums ftir Flugzeugindustrie
sein. Zwar stellt Spielmann noch Erwägungen über andere hypothetisch mögliche
ministerielle Zuständigkeitskonstellationen und deren Konsequenzen für die politi-
sche Entscheidungstindung an, doch irgendwelche konkreteren Anhaltspunkte für
den tatsächlichen Entscheidungsablauf und Einfluß der rüstungsindustriellen Mini-
sterien beim SS-6 Programm sind offensichtlich nicht beizubringen.
Eine Periode, in der nach Ansicht westlicher Analytiker die Minister der so-
wjetischen Rüstungsindustrie als einheitliche Interessengruppe agierend erfolg-
reich politischen Einfluß ausgeübt haben, bildet ihre Beteiligung am Widerstand
gegenüber den Wirtschaftsreformen von Chruschtschow,191 Chruschtschows Ver-
such, die Ministerien über die Verwaltungsreformen zu entmachten sowie gleich-
zeitig eine signifikante Verschiebung der Prioritäten vom Rüstungssektor zugun-
sten der Entwicklung der Zivilwirtschaft vorzunehmen, rief zwangsläufig organi-
sierte Aktivitäten der beiden im politischen System der UdSSR bedeutsamsten bü-
rokratischen Interessengruppen, Militär und Rüstungsindustrie, auf den Plan,l92
Über die Gefahrdung der Prioritätsstellung und die Sicherung ihrer "organizational
empires" hinaus könnte nach Einschätzung westlicher Beobachter ein weiterer we-
sentlicher Antriebsgrund für die Opposition der ministeriellen Führungscrew in der
Befürchtung gelegen haben, daß durch die Neuorganisation der Wirtschaftsverwal-
tung die Volkswirtschaft geschwächt und die Erfüllung der grundlegenden indu-
striellen Produktionsaufgaben des Rüstungssektors infrage gestellt werden könn-
ten.193 Dieser Aspekt deutet darauf hin, daß in dieser Phase für die Minister der
Rüstungsindustrie über die enger definierten politischen "Issues" wie die Höhe der
Militärausgaben oder die Entscheidung gegen oder zugunsten spezifischer Rü-
stungsprogramme hinaus vermutlich auch breiter gefaßte Interessen auf dem Spiele
standen, welche die Organisation der Ökonomie allgemein und der Industrie im be-
sonderen betrafen.
In den siebziger Jahren läßt sich ein weiterer Entscheidungsvorgang von größe-
rer politischer Bedeutung angeben, in den die Minister der Rüstungsindustrie mit
Sicherheit involviert waren und entsprechende Inputs in die Diskussion des politi-
schen Führungszirkels gaben. Einem gemeinsam verfaßten Bericht der beiden US-
amerikanischen Geheimdienste CIA und DIA läßt sich bezüglich der Entwicklung
militärischer Beschaffungen in der Sowjetunion folgende Einschätzung entneh-
men:
"Die Zuwachsrate für Rüstungsbeschaffungen ging in der Periode 1974-85 signifikant
zurück und ließ das Gesamtwachstum der gesamten Verteidigungsausgaben auf durch-
schnittlich (gemessen in Dollars) 2 Prozent pro Jahr zurückfallen ... , ungefähr die halbe
Rate der vorangehenden Dekade."l94
Eine Halbierung der Wachstumsraten bei militärischen Beschaffungen über einen
derartig langen Zeitraum fällt aus dem Rahmen der üblichen Dauer bei den Be-
schaffungszyklen von Rüstungsgütem. Sie läßt sich mit nur temporären Proble-
men, wie z.B. technischen Schwierigkeiten, Produktions- oder Versorgungseng-
pässen, kaum hinreichend erklären. Die politische Führung hätte in dieser Zeit-
spanne eine entsprechend erhöhte Ressourcenzuweisung zur Behebung dervorhan-
denen Kalamitäten vornehmen können. So läßt sich die begründete Vermutung
aufstellen, daß die beobachtete Verlangsamung der Beschaffung militärischer
Hardware zu einem beträchtlichen Teil das Resultat einer zielgerichteten politi-
schen Entscheidung gewesen ist. Einen Erklärungsansatz in dieser Richtung offe-
191 Vgl. Alexander 1978a, S. 23; Holloway 1983b, S. 159; Holloway 1984, S. 372
192 Vgl. für eine nähere chronologische Schilderung der Auseinandersetzungen zwischen
Chruschtschow und den Militärs sowie Rüstungsmanagern Morozow 1982, Kap.34
193 Vgl. Alexander 1978a, S. 23 und Holloway 1984, S. 372
194 U.S. CIA/DIA 1986, S. 5
196 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
riert auch Robert Gates von der CIA in einem Hearing vor dem ,,Joint Economic
Committee" des US-Kongresses:
"Der Rückgang an Beschaffungen hielt zu lange an, um ausschließlich Ergebnis von
Engpässen und technischen Problemen zu sein. Wir gehen davon aus, daß, wenn dies
der Fall gewesen wäre, wir Anzeichen dafür verzeichnet hätten, daß die politische Füh-
rung die zusätzlichen Mittel freigegeben hätte, die erforderlich gewesen wären, um die
wirtschaftlichen Schranken für Rüstungsbeschaffungen zu überwinden. Das Ausbleiben
solcher Anhaltspunkte verweist auf eine Entscheidung der Führung, entweder die Zu-
wachsraten für Beschaffungen knapp zu halten oder keine zusätzlichen Mittel bereitzu-
stellen, die für die Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten benötigt werden,
die sie bedrängen. Mit Sicherheit werden Bewertungen sowohl der Entwicklung der So-
wjetwirtschaft wie auch des Kräfteverhältnisses mit den Vereinigten Staaten in jener
Periode in jene Entscheidungen eingegangen sein."l95
Jedoch gibt die CIA keine Einschätzung des relativen Gewichts der drei von ihr
benannten Faktoren (ökonomische Schwierigkeiten, technische Probleme und poli-
tische Erwägungen), die beim Entscheidungsprozeß der sowjetischen Führung
unter Breschnew eine Rolle gespielt haben sollen.l96 Kaufman hebt neben den
SALT-Vereinbarungen in den 70er Jahren die zunehmenden wirtschaftlichen
Schwierigkeiten als einen wesentlichen Antriebsgrund für eine bewußte politische
Entscheidung hervor, die Wachstumsrate insbesondere beim investiven Teil der
Militärausgaben zu reduzieren, um über die Verminderung oder zeitliche Strec-
kung von Waffenbeschaffungen die militärisch bedingten Belastungen und die dar-
aus resultierenden Probleme für die Volkswirtschaft abzumildem.l97
Eine Verlangsamung der Wachstumsrate bei den Militärausgaben, vor allem
im Bereich der Waffenbeschaffung, und die Investition der eingesparten Ressour-
cen in der Zivilwirtschaft als Resultat zielgerichteter politischer Entscheidungen
der Führung hat für die Rüstungsindustrie und das Militär zwangsläufig zu ver-
schärften Auseinandersetzungen um knappe Ressourcen im System geführt. Re-
becca Strode hat dies für die Gruppe der Militärs näher nachgezeichnet. So waren
ab Mitte der 70er Jahre deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen der ober-
sten politischen Spitze und der militärischen Führung über die Höhe der Militär-
ausgaben auch in der Öffentlichkeit sichtbar. Weiter gab es offensichtlich im Ver-
Die Stärkung der industriellen und technologischen Basis der UdSSR durch eine
temporäre Verminderung des Zuwachses bei militärischen Beschaffungen sowie
durch eine stärkere Verknüpfung der Rüstungsindustrie als dem technologisch fort-
geschrittensten Sektor mit der Zivilwirtschaft könnten das Kalkül gewesen sein,
das Ustinow zu einer Zustimmung einer für die Beschneidung militärischer Belan-
ge bewogen hat.
Für die Minister der Rüstungsindustrie sind die Änderung der Investitionsprio-
ritäten mit der Zuweisung vermehrter Vemntwortlichkeiten für die zivile Produk-
tion verbunden gewesen. Diese Maßnahme ist vermutlich als eine gewisse Bedro-
hung ihrer Interessen aufgefaßt worden. Längerfristige Abschwächungen der mili-
tärischen Prioritäten dürften die Minister eher als Bürde denn als Gelegenheit zur
Verbesserung ihrer Position sehen, bleibt doch die Zivilproduktion größeren Un-
wägbarkeiten ausgesetzt Die Vermutung liegt nahe, daß die ministeriellen Füh-
rungscrews den Versuch unternommen haben, die Auswirkungen solcher politi-
schen Entscheidungen für ihren Bereich zu minimieren. Ihr Widerstand könnte je-
doch unterschiedlich ausgefallen sein. Ein CIA-Repräsentant hat zu der Verlangsa-
mung der Indienstnahme neuer Waffensysteme seit 1976 folgende Einschätzung
abgegeben:
"Praktisch sind alle Arten von Sowjetwaffen betroffen- Raketen, Kampfflugzeuge und
Schiffe. Dieser Vorgang ist nur teilweise durch den Übergang auf neuere, komplexere
Waffensysteme ausgeglichen worden, die mehr kosten."201
Sind aber sämtliche Rüstungskategorien gleich betroffen gewesen? Kaufman hat
anband einer Analyse öffentlich zugänglicher Daten der US-amerikanischen Ge-
heimdienste zur Produktion und Dislozierung sowjetischer Waffensysteme in die-
sem Zeitraum herausgefunden, daß bei den meisten Waffenkategorien in der Pro-
duktion entweder gleichbleibende oder fallende Raten festzustellen sind, sich aber
bei bestimmten Kategorien doch Differenzen zeigen. Das deutet auf eine Änderung
von Prioritäten beim Waffenmix hin. Kaufman kommt zu folgendem Ergebnis:
"Die Produktionszahlen legen den Schluß nahe, daß die Programmausdünnungen nicht
wahllos oder überall erfolgten. Anscheinend konzentrierten sie sich auf strategische
Waffen. Teile der herkömmlichen Rüstung hielten das vorige Niveau oder gingen leicht
zurück, aber der allgemeine Trend wies nach oben."202
Dieser Einschätzung zufolge sind einige Ministerien der Rüstungsindustrie stark,
andere nur wenig von der allgemeinen Reduzierung der Zuwächse im militärischen
Produktionsbereich betroffen gewesen. Somit dürfte vermutlich die Haltung und
mögliche Opposition der Minister zu dieser politischen Entscheidung unterschied-
lich ausgefallen sein. Generell könnte die potentielle Opposition der Minister je-
doch durch die Gegebenheit abgeschwächt worden sein, daß sie im Gegensatz zum
Militär eine gewisse Kompensation durch vermehrte Verantwortung für Zivilpro-
duktion erhielten. So stellt die Rüstungsindustrie in der sowjetischen Volkswirt-
schaft die technologisch fortgeschrittensten und qualitativ hochwertigsten Kon-
sumgüter her, was ihr eigentlich prinzipiell eine gute Ausgangsposition bei der
Ressourcenallokation verschaffen sollte.203
Insgesamt gesehen spricht der lange Zeitraum, über den sich die Reduzierung
des Wachstums bei den militärischen Beschaffungen erstreckt hat, für die Durch-
setzungsfahigkeit der politischen Führung und Ustinows gegenüber den Ministern
der Rüstungsindustrie. Die auch nach 1976 weiterbestehende personelle Kontinui-
tät bei den leitenden ministeriellen Administratoren in der Rüstungsindustrie, sieht
man von den aus Altersgründen erforderlich gewesenen Wechseln ab, könnte als
ein Hinweis auf ihre Fügsamkeit gewertet werden.
Die Unterteilung in die vorgenannten drei Interessengruppen und die mit diesem
Schritt verbundene These von Interessenkonflikten läßt sich empirisch auf zwei
Arten untermauern. Die Memoirenliteratur (besonders Jakowlew) bringt zahlreiche
Hinweise auf Reibungen zwischen den die Nachfrageseite verkörpernden Rü-
stungsministerien auf der einen Seite und den diese Nachfrage erfüllenden Grup-
pen der Konstrukteure und Betriebsleiter auf der anderen Seite. Zugestandener-
maßen haben die Konflikte um Termine und ihre Nichteinhaltung oder um Lei-
stungsanforderungen an Produkte sachliche Wurzeln. Es läßt sich aber leicht zei-
gen, daß über die in der Sache liegenden Anlässe hinaus die Beteiligten sich grup-
penhaft verhalten, gemeinsame Wahrnehmungen des Gegenübers entwickeln, par-
allele Reaktionsmuster an den Tag legen, und dieses alles an ihre Nachfolger wei-
terreichen. In einem vom Mangel geplagten und staatlich gelenkten System führt
gerade der Konflikt zwischen Nachfrage nach Prioritätsprodukten und der stets als
nicht zureichend gewertete Versuch, solchen Begehren nachzukommen, zu stabilen
Fronten der Auseinandersetzung, die durch das in der UdSSR etablierte System
von Sanktionen, nämlich der persönlichen Haftbarmachung bei einer Schuldzuwei-
sung, verstärkt wird. Gruppenhafte Aktionsweisen als Verhaltensmuster und nicht
nur gemeinsame Anliegen von einer Gruppe Zugehörigen charakterisieren das so-
wjetische System augenscheinlich wesentlich stärker als andere Industriesysteme.
Auch zwischen der zweitgenannten Gruppierung der führenden Konstrukteure,
Wissenschaftler und Techniker auf der einen Seite und den Managern und anderem
Führungspersonal gibt es eine Grundlinie von Gegensätzen, die für permanente
Spannungen sorgt, obwohl beide Gruppen gemeinsam die Sorge haben, gebührend
auf die staatliche Nachfrage mit dem gemeinsamen Produkt zu reagieren.
Diese Grundspannungen sind rasch skizziert. Für die Konstrukteure und ihre
Teams ist nichts natürlicher als die Auffassung, sich einem neuen, noch moderne-
ren Waffensystem zuzuwenden, sobald die letzten Werkzeichnungen des Vorgän-
germusters die Zeichenräume verlassen haben. Eine kontinuierliche Proliferation
von Innovation gehört zu ihrem Berufsethos. Natürlich wissen diese Konstrukteu-
re, daß die Streitkräfte nur in Zyklen neues Gerät bekommen können, und daß die
Serienherstellung ihrer Entwürfe eigenen Regeln folgt. Aber ihnen kann und darf
(aufgrund ihrer Aussagen) das Bestreben unterstellt werden, ohne Unterbrechung
rüstungstechnische Fortschritte zu bewerkstelligen, und die Innovationszyklen im
sowjetischen Rüstungswesen möglichst zu verkürzen.
Genau das gegenteilige Bestreben gilt für die Betriebsmanager. Jede Ände-
rungsverfügung der Konstruktionsbüros, und sei es nur die geringfügigste, unter-
bricht zunächst einmal die möglichst routinierte Abwicklung der Produktion.
Äußerungen sowjetischer Rüstungsmanager läßt sich die - ja überzeugend wirken-
200 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
de- Grundauffassung entnehmen, am besten wäre es, die Konstrukteure ließen sie
mit ihren Werkstätten nach der Übergabe der Baupläne in Ruhe. Dann könnten sie
frei die Fertigung organisieren und ungehindert große Stückzahlen der verlangten
Waffen herstellen.
Natürlich stellt dieses Bild eine Simpliftzierung dar. Der Produktionsanlauf ei-
nes modernen Waffensystems stellt in West und Ost ein Großmanöver dar, bei dem
es hüben und drüben nicht ohne engen wechselseitigen Kontakt zwischen Kon-
struktion und Fertigung geht. In der Phase des Prototypen- und Vorserienlaufes fal-
len zahllose fertigungstechnische Probleme, aber auch Notwendigkeiten zur Kon-
struktionsanpassung an, die eben diese Phase zur kostenaufwendigsten in der ge-
samten Entwicklungsgeschichte eines Waffensystems oder wichtiger Komponen-
ten machen.204 Auch melden in späteren Phasen der "Biographie" einer Waffe die
Streitkräfte Änderungswünsche an, die die Rüstungsmanager nicht gut abschlagen
können. Die Truppentauglichkeit neuer Waffen läßt häufig zu wünschen übrig, im
Dauerbetrieb stellen sich Schwachstellen von Konstruktionen heraus, die zuvor
nicht erkannt wurden, rasche Fortschritte in der Elektronik zwingen zu Anpasson-
gen gesamter Waffenkonzepte. Bei so komplexen Produktionsgütern wie z.B.
Kampfflugzeugen sind während des Produktionslaufes in der Serie fortlaufend
Nachhesserungen erforderlich, wie Jakowlew beschreibt:
"Über die Zeit, wenn ein Flugzeug im Truppendienst benutzt wird, kommen alle Män-
gel, die es haben mag, ans Tageslicht und werden beseitigt; aber ein Kampfflugzeug
kann eigentlich nur als frei von Mängeln zu dem Zeitpunkt eingestuft werden, wenn die
Serienproduktion eingestellt wird und dann neue und bessere Maschinen fertig kon-
struiert sind, mn es zu ersetzen- welche wiedermn zunächst mit ihren ,Kinderkrankhei-
ten' behandelt werden müssen."205
Die Rüstungsmanager sehen sich mithin in einem Dauerkonflikt zwischen zwei
Feuern: Konstrukteure und Generäle, freilich mit unterschiedlichen Zeit- und Än-
derungsvorstellungen, drängen fortwährend auf Produktwandel, während die ge-
plagten Produktionsleiter eben auf die Kontinuität ihrer Produktion aus sein müs-
sen.
Für das Konfliktpotential zwischen Konstrukteuren und Militärs mag eine Epi-
sode aus der Stalinzeit charakteristisch sein - auch wenn die damalige Lösung heu-
te nicht mehr möglich ist:
"Der staatliche Verteidigungsrat hatte Berichte erhalten, daß der Panzer KW, der ge-
bührend getestet worden war, an Kampfkraft eingebüßt hatte. Offenbar war er zu
schwer geworden und hatte an Zuverlässigkeit verloren.
Stalin wünschte Kotin, den Konstrukteur, zu sprechen. (...) Wie sich herausstellte,
hatten die Militärs mn eine Anzahl nicht erforderlicher Verbesserungen nachgesucht,
und der Konstrukteur, in einer abhängigen Position (vor der Annahme seiner Konstruk-
tion, d. Verf.) hatte zugestimmt, diese zu übernehmen."
204 Nach A. Parthasarathi (einem indischen Experten, der Nachbauten sowjetischer Rü-
stungsgüter in Indien betreut) entfallen auf das ,,manufacturing, engineering and too-
Iing" in der Elektronik 40 bis 60 Prozent der Forschungsvorkosten, zuzüglich 5 bis 15
Prozentfür "experimental manufacturing". Vgl. Economic and Political Weekly, vol.
V, 28. Nov. 1978.
205 Jakowlew, a.a.O., S. 175
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 201
206 Wiedergegeben nach Jakowlew, a.a.O., S. 214 f. (der so Stalin wörtlich wiedergibt).
202 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
207 Vgl. M. Agursky/H. Adomeit 1979, S. 114 ff. (Agursky hat diese Aussage mehrfach
publiziert, hier wird eine einfach greifbare Quelle angegeben.)
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 203
208 Die Namen sind den üblichen Nachschlagewerken entnommen, vor allem aus Gun-
ston 1983, Sweetman 1985 und den Jahrbüchern der Jane's Serie
209 Vgl. ausführlicher Kapitell. I.
204 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
Tabelle 7:
Generationsfolgen in den Konstruktionsbüros der Flugzeugindustrie
KB (neuer) Leiter Offizieller Titel
Die Manager von Rüstungsbetrieben bilden die dritte primäre Sub-Gruppe in der
Leitungsstruktur der sowjetischen Rüstungsindustrie. In der westlichen Literatur
über die sowjetische Rüstungsindustrie sind zu dieser speziellen Manager-Gruppe
nur recht vereinzelte Hinweise aufzufinden. Über die Rolle und den Einfluß der
Manager als Gruppe allgemein im sowjetischen System sind jedoch einige westli-
che Abhandlungen vorhanden. Vor allem die Arbeiten von Azrael, Hardt/Frankel
und Andrle haben sich mit den Industrie-Managern als Interessengruppe näher be-
schäftigt.211
Hardt/Frankel zeigen, daß selbst unter Stalin die Gruppe der Manager Gele-
genheiten hatte, Interessen zu artikulieren und Forderungen aufzustellen. In der
Zeit nach Stalin und Chruschtschow sind nach Einschätzung von Hardt/Frankel die
Manager als Gruppe stärker geworden, sowohl von ihrer Anzahl her als auch durch
ihr höheres Bildungsniveau.212 Auch gebe es im Vergleich zu vorher eine größere
soziale Homogenität und mehr Sicherheit in den Stellungen. Spezifische, von der
Manager-Gruppe gemeinsam geteilte Haltungen und Interessen sind vor allem in
ihrem beharrlichen Streben nach größerer operativer Autonomie, ihrem Professio-
nalismus, der auf einer überwiegend technischen Orientierung gründet, sowie ihren
Ambitionen nach höheren Einkommen und gehobenem Status zu sehen.213
In ihrer Untersuchung identifizieren die genannten Autoren Möglichkeiten und
Kanäle für eine spezielle Interessenartikulierung der Manager und erwähnen in
214 An einer Reihe von Gebietskonferenzen der RFSR nalunen innerhalb eines Jahres
rund 9 000 Manager teil und eine Allunions-Konferenz brachte 5 000 Planer, Verwal-
tungsbeamte und Wirtschaftsmanager zusammen. Vgl. Hardt/Frankel 1974, S. 191/
192
215 Vgl. Hardt/Frankel1974, S. 195
216 Vgl. Andrle 1976
217 Vgl. Miliar 1981, S. 126
218 U.S. CIA 1986, S. 17
210 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
höher angesehen als das in den restlichen Sektoren der sowjetischen Ökonomie,
dennoch gilt:
"Sowjetische Produzenten sind bestrebt, bei der Waffenherstellung Maschinenarbeits-
gänge stärker als ihre amerikanischen Gegenüber zu minimieren ... Sie streben die Nut-
zung von Techniken wie Schmieden, Pressen, Pulvermetallurgie und Strangpressen an,
die zu einem dem Endzustand nahekommenden Rohling führen, was die Notwendigkeit
komplizierter Bearbeitungsvorgänge umgeht, obgleich dies arbeitsintensiver und zeit-
raubender ist als die in den USA bevorzugten spanabhebenden Verfahren. Die Sowjets
stützen sich eher auf Schweißtechniken und weniger auf die im Westen vorgezogenen
mechanischen Befestigungsverfahren. Im Flugzeugbau zum Beispiel bevorzugen ameri-
kanische Hersteller Nietverbindungen, weil diese tendenziell gegenüber Schweißstellen
bessere strukturelle Eigenschaften aufweisen und weil deren Reparatur weniger arbeits-
intensiv ausfällt (die Reparatur von Schweißverbindungen erfordert Schneideverfahren
und anschließendes Neuschweißen). "222
Westlichen Geheimdienst-Informationen zufolge soll die sowjetische Führung in
Anbetracht der Erkenntnis, daß die Produktion technologisch fortgeschrittener
Waffensysteme auch Änderungen der Produktionsbasis erfordert, seit den 70er
Jahren verstärkt Maßnahmen zur Modernisierung der Rüstungsbetriebe eingeleitet
haben. Doch der Erfolg der Einführung moderner Produktionstechnologien (ver-
mehrter Einsatz von computer-gestützten automatisierten Maschinen und Indu-
strierobotern) scheint bislang begrenzt zu sein. So sollen etwa die Manager veralte-
te konventionelle Werkzeugmaschinen über deren eigentliche Nutzungsdauer hin-
aus weiter in der Produktion einsetzen.223
Trotz aller gemeinsamen Sichtweisen, Haltungen und Interessen sprechen eini-
ge Erwägungen für ein gewisses Maß an Fragmentierung der Interessen der Mana-
ger als Gruppe. Das ministerielle System zur Verwaltung der sowjetischen Indu-
strie führt die Manager zu Loyalitätsbindungen an ihren Industriezweig und ihr
Ministerium. Konkurrieren die Ministerien der verschiedenen Industriezweige um
Ressourcen, dann dürften parallel dazu die Interessen der Manager untereinander
tendenziell ebenso differieren.224
Zu der möglichen politischen Rolle der Manager als Interessengruppe vertritt
Azrael folgende Einschätzung:
"Alle vorliegenden Daten bestätigen die Annahme, daß das Management in der politi-
schen Entwicklung der Sowjetunion eine wichtige Rolle gespielt hat, das seine Behand-
lung als besondere politische Gruppe und nicht lediglich als Ansammlung politischer
Einzelakteure rechtfertigt. Erstens ist sichtbar, daß der Status als Manager auf das poli-
tische Verhalten der betroffenen Männer wichtigen Einfluß hatte. Zusätzlich haben die
meisten Industriemanager deutlich wahrgenommen, daß sie eine Anzahl gemeinsamer
Interessen haben ... Schließlich gibt es gute Gründe für die Annahme, daß das Manage-
ment hin und wieder in mehr oder minder disziplinierter und koordinierter Weise ge-
schlossen politisch tätig geworden ist. Soweit sich sagen läßt, sind sie nie als ,Fraktion'
organisiert aufgetreten, aber anscheinend haben sie, um die Politik in eine bestimmte
Richtung zu beeinflussen, gelegentlich eine gemeinsame politische Strategie ver-
folgt."225
Anhaltspunkte für mögliche politische Gruppenaktivitäten liegen vor allem für die
Chruschtschow-Periode vor. Allerdings hat die Managergruppe bei ihren Forde-
rungen offenbar nie die von der politischen Elite gesetzten Grenzen überschritten.
Als Interessengruppe scheinen die Manager weder bei dem Aufstieg noch bei dem
Sturz von Chruschtschow eine direkte politische Rolle gespielt zu haben, obgleich
ihre negative Einstellung gegenüber Chruschtschows Wirtschaftsreformen und ihre
Unterstützung für das ministerielle System als Entgegnung auf die verstärkte Ein-
mischung der Partei in administrative Belange mit Sicherheit denjenigen politisch
den Rücken gestärkt hat, die Chruschtschow dann abgesetzt haben.226
Im Ergebnis läßt sich festhalten, daß die Manager durchaus gemeinsame Inter-
essen verfolgen. Jedoch fehlen über die Artikulation und Aggregation eines Grup-
peninteresses genügend harte Informationen, die aufzeigen würden, wie effizient
und einflußreich die Manager als Interessengruppe eigentlich agieren. Es bleibt zu
vermuten, daß der Einfluß der Rüstungsmanager auf die obere politische Entschei-
dungsebene bei Waffenentscheidungen äußerst gering ausfällt. Jedoch dürften die
leitenden Manager der Rüstungsbetriebe in der Lage sein, Einfluß insbesondere auf
der technischen Entscheidungsebene und partiell bei den mehr strategischen Ent-
scheidungen über die Realisierung von Waffenprojekten geltend zu machen, wo es
um die produktionsmäßige Umsetzung geht und die Betriebsebene angesprochen
ist. Ihre Stellung gegenüber den Ministerien ist insofern stark, da nur die Manager
einen genauen Überblick über Produktionsmöglichkeiten und -kapazitäten ihrer
Betriebe haben dürften. Andererseits stellen die Manager und die Minister sowie
Ministerialbürokratie in der Rüstungsindustrie jene beiden Sub-Gruppen dar, deren
Interessen im Gegensatz zu den Waffenkonstrukteuren und rüstungsorientiert ar-
beitenden Wissenschaftlern weitgehend parallel verlaufen.
Darüber hinaus scheinen die Manager in der sowjetischen Rüstungsindustrie
im Gegensatz zu ihren Kollegen im Zivilbereich experimentierfreudiger gegenüber
neuen Managementtechniken eingestellt zu sein. Diese relativ größere Risikobe-
reitschaft gründet jedoch mit Sicherheit auf der Prioritätsstellung ihres Industrie-
sektors, so daß sie im Falle eines Fehlschlags nicht gleich drastische Konsequenzen
befürchten müssen.
Unter Gorbatschow ist im Juni 1987 ein neues Gesetz über die Staatsbetriebe
verabschiedet worden, welches diesen ein größeres Maß an Selbstständigkeit und
damit auch Unabhängigkeit von den Ministerien verschaffen soll. Welchen Einfluß
dieses Gesetz auf die Interessen der Manager der Rüstungsbetriebe als Gruppe und
ihre Beziehungen zu den Ministerien haben wird, ist gegenwärtig kaum abzuschät-
zen. Allerdings zeichnen sich bereits starke Widerstände der Ministerien gegen-
über diesem Reformgesetz ab.227
tär ein. Allgemein darf man vennuten, daß in der Sowjetunion ein großes Maß an
gemeinsamen Sichtweisen sowie Interessen und auch an Abhängigkeit zwischen
denen herrscht, die Rüstung herstellen, und denen, die sie benutzen. Eine solche
Aussage hat z.B. Aspaturian getroffen: "Die Abhängigkeitsbeziehung zwischen
Rüstungsindustrie und Militär hat zu einem ungewöhnlichen Muster gleichartiger
Interessen geführt."228
Kann anband empirischer Evidenz gezeigt werden, daß zwischen den beiden
Gruppen grundlegende gemeinsame Sichtweisen und Interessen bestehen und diese
mit dem Einfluß auf die politische Führung umgesetzt werden, sie zu einer ohne
diesen Druck nicht verfolgten Außen-, Militär- oder Rüstungspolitik zu veranlas-
sen, dann würde man ein klassisches Beispiel für die Existenz eines Militärisch-In-
dustriellen Komplexes in der Sowjetunion haben.229
Gegen weitgehend parallele institutionelle Sichtweisen der rüstungsindustriel-
len Ministerien und des Militärs sprechen einige Erwägungen. Die leitenden Rü-
stungsmanager in den Ministerien haben aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein un-
vollständiges Bild der internationalen militärischen Situation und Rüstungsent-
wicklung, da dieses Wissen fast ausschließlich vom Militär mit starker Geheimhal-
tung monopolisiert und als ein wichtiges Mittel zur Förderung seiner organisatori-
schen Interessen im bürokratischen "Bargaining"-Prozeß eingesetzt wird. Während
der $ALT-Verhandlungen ist diese Infonnations-Monopolstellung des sowjeti-
schen Militärs und sein Bestreben, diese Position zu behüten, deutlich sichtbar ge-
worden.230 Es erscheint daher zweifelhaft, ob die Minister der Rüstungsindustrie
das Militär tatsächlich als einen vollständig komplementären Partner zur Förde-
rung ihrer Belange sehen, wenn sie ihre Sichtweisen und daraus abgeleitete organi-
satorische Interessen allein an solch eine infonnationelle Abängigkeit koppeln
würden. Dies würde dem zweifelsohne auch bei den Ministerien der Rüstungsindu-
strie vorhandenem Hang zu größerer institutioneller Handlungsautonomie wider-
sprechen.
Im Gegensatz zu den Militärs gibt es offensichtlich nur vereinzelte Fälle, in
denen die oberen Repräsentanten der Ministerien der Rüstungsindustrie (Minister,
Stellvertretender Minister, Leiter der Hauptverwaltungen) die Presse oder andere
öffentliche Medien zur Darlegung ihrer Ansichten und Förderung ihrer Interessen
benutzt haben. Aufgrund ihrer Stellung sind sie durchaus in der Position, diese Me-
dien-Mittel bei Bedarf einsetzen zu können. Falls die leitenden Rüstungsmanager
die Militärs als den wesentlichen "Counterpart" zur effizienten Unterstützung ihrer
Belange betrachten würden, müßte es eigentlich in ihrem Interesse liegen, den Uni-
fonnträgem mit öffentlichen Verlautbarungen unter die Anne zu greifen. Das vor-
handene Defizit in dieser Richtung könnte somit als indirekter Hinweis auf ein
eher beschränktes Maß paralleler Sichtweisen und Interessen zwischen den rü-
stungsindustriellen Ministerien und dem Militär interpretiert werden.
Einige prinzipielle Erwägungen lassen sich weiter gegen das aus der These
von der Existenz eines Militärisch-Industriellen Komplexes folgende Postulat einer
unifonneo Interessensbasis zwischen den beiden bürokratischen Akteursgruppen
anführen. Spielmann weist zu Recht auf den wichtigen Aspekt hin, daß die Bezie-
Befürworter des Bombers eingeschätzt werden? Oder muß er als Protagonist der Luft-
verteidigung angesehen werden?"233
Rough sieht für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in der UdSSR eine grundle-
gende Dominanz der Rüstungsindustrie über das Militär, obgleich er einschrän-
kend hinzufügt, daß im Verlauf der letzten 15 Jahre Verschiebungen in diesem
Verhältnis eingetreten sind. Die institutionelle Stärke der Ministerien der Rü-
stungsindustrie gegenüber dem Militär im bürokratischen Verhandlungsprozeß
liegt nach Rough u.a. in der ausgeprägten Monopol-Stellung dieser Industriebran-
che. Die verschiedenen Teilstreitkräfte und ihre Waffengattungen können anders
als im Westen kaum unter verschiedenen Anbietern für die Entwicklung und Her-
stellung von Waffensystemen wählen, wenn ihnen die existierende Auswahl, Qua-
lität sowie das technologische Niveau von Produkten nicht zusagt.234
Obgleich das sowjetische Verteidigungsministerium insgesamt eine starke
Konsumentenstellung als alleiniger Abnehmer von Rüstungsgütern einnimmt, ist
sein Einfluß im Verhandlungsprozeß mit den Ministerien der Rüstungsindustrie
von Einschränkungen gekennzeichnet. Die Luftverteidigungsstreitkräfte müssen
sich z.B. so oder so mit dem Ministerium für Radioindustrie auseinandersetzen, um
die von ihnen gewünschten Radarsysteme zu erhalten. Oder die Luftwaffe kann
nur mit dem Ministerium für Luftfahrtindustrie verhandeln, um ihre Kampfflug-
zeuge zu bekommen. Aus dieser spezifischen Abhängigkeit des Militärs kann je-
doch nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß die Minister der Rüstungsin-
dustrie den Einfluß haben, ein ihnen nicht genehmes Projekt alleine zu Fall zu brin-
gen.
Die obere Ebene des rüstungsindustriellen Ministerialmanagements kann aus
bestimmten Gründen (vgl. die vorherigen Ausführungen über die technische Ent-
scheidungsebene) ein weniger starkes Interesse an einem neuen Rüstungsprojekt
haben, an dessen Realisierung eine bestimmte Teilstreitkraft besonders interessiert
ist - auch wenn sich das Ministerium nicht in einer Situation befindet, zwischen
konkurrierenden Vorschlägen zweier Teilstreitkräfte entscheiden zu können, wie
Spielmann in seinem hypothetischen Beispiel dargelegt hat. Unterschiedlich ausge-
prägte Interessen an einem Rüstungsvorhaben zwischen einem Ministerium der
Rüstungsindustrie und einer Teilstreitkraft können den Ausgang des politischen
Entscheidungsverlaufs beeinflussen, je nachdem, welcher Akteur über seine Ein-
flußkanäle erfolgreicher die politische Führung für sich gewinnen kann. Aufgrund
fehlender Empirie ist jedoch eine Gewichtung dieses Faktors bei Rüstungsent-
scheidungen kaum möglich.
Allerdings ist darauf zu verweisen, daß zwischen der Sub-Gruppe der Waffen-
konstrukteure, die unterhalb der Ministerialebene innerhalb des Verwaltungsbe-
reichs eines Ministeriums angesiedelt ist, und den Vertretern einer Teilstreitkraft
aller Wahrscheinlichkeit nach das größte Maß an Interessenübereinstimmung hin-
sichtlich der Förderung eines bestimmten Waffensystem-Projekts vorzufinden sein
wird.235
Ein Bereich, wo primäre Interessen der Minister der Rüstungsindustrie auf der
einen, und die der militärischen Führung auf der anderen Seite wesentlich im Kon-
flikt liegen dürften, betrifft das Ausmaß technologischer Innovation. Dies verweist
auf enger gefaßte und anders gelagerte organisatorische Interessen der leitenden
Rüstungsmanager als beim Militär. Rough faßt diese Interessen der rüstungsindu-
striellen Ministerien insgesamt gut zusammen:
,,In der Sowjetunion werden die Rüstungsfabrikanten nicht am erzielten Gewinn, auch
nicht an einem Gewinnaufschlag auf die Kosten, sondern daran gemessen, ob sie einen
vorgegebenen Plan erfüllt haben. Da die Erfüllung des Plans eher von der Eigenart des
Planes als den Leistungen des Managements abhängt, kämpft dieses um einen Plan, der
so leicht wie möglich ausfällt. Komplexe oder radikal neuartige Waffen verstärken die
Gefahr von Produktionsausfällen und Verzögerungen; daher wird das Management -
und das zuständige Ministerium - älteren Waffensystemen gegenüber neuen massiv den
Vorzug geben. Wenn zudem Rüstungsforschung zivile Erträge zeitigt, verstärkt dies das
Dilemma des Managers. Wenn die Planer das Management zwingen, eine bestimmte
Technologie bei künftigen Produkten zu verwenden, dann enthält der Plan auch ein an-
spruchsvolles nichtmilitärisches Produkt, welches Anlaufschwierigkeiten mit sich brin-
gen wird und so die Planerfüllung problematischer macht. So entwickelt sich, wenn das
Militär auf ein ausländisches Waffensystem fortgeschrittener Technologie blickt und et-
was Vergleichbares zu bekommen wünscht - entweder aufgrund der Wahrnehmung
von Bedrohung oder weil auch sie die allermodernsten ,Spielzeuge' wünschten - unver-
meidlieh ein größerer Interessenkonflikt mit der Rüstungsindustrie."236
Reichhaltige Belege für solch tiefgreifende Interessenunterschiede zwischen den
rüstungsindustriellen Ministerien und dem Militär gibt es nur für die Jahre zwi-
schen 1939 und 1941. Sie finden sich vor allem in Memoiren und anderer biogra-
phischer Literatur. Diese Quellen verweisen auf heftige Konflikte zwischen den
beiden Akteursgruppen über die Beschaffung von Flugzeugen, Panzern und Artil-
lerie, durch die Entscheidungen über die Produktion eines Waffensystems oftmals
verzögert worden sind.237 Anzeichen für solche Konflikte in jüngerer Zeit sind
Auseinandersetzungen zwischen dem früheren Generalstabschef Ogarkow und
Verteidigungsminister Ustinow. Letzterer war vor seiner Berufung auf diesen Po-
sten mehr als 20 Jahre lang der wichtigste Administrator der sowjetischen Rü-
stungsindustrie gewesen ist. In der ersten Hälfte der 80er Jahre kam es von der Sei-
te führender militärischer Repräsentanten zu Klagen über die mangelnde technolo-
gische Fähigkeit der Rüstungsindustrie, der militärischen Herausforderung des
Westen vor allem bei der sich abzeichnenden neuen Generation von konventionel-
len Waffensystemen nachzukommen.238
Auf der anderen Seite deutet seit der Breschnew-Ära der Trend zu komplexe-
ren und auch technologisch anspruchsvolleren Waffensystemen in der Sowjet-
union239 darauf hin, daß die Streitkräfte mit Unterstützung der politischen Führung
zumindest partiell in ihren Bemühungen erfolgreich waren, den generellen techno-
können, in Rechnung gestellt werden, wodurch sich wiederum das Bild und die Ana-
lyse der Beziehungen zwischen Rüstungsindustrie und Streitkräften um einen weiteren
Grad komplexer gestaltet. Vgl. Spielmann 1976, S. 58
236 Rough 1985, S. 85
237 Vgl. ausführlicher Rough 1984
238 Vgl. Weickhard 1985
239 Vgl dazu U.S. CIA 1986
Der Einfluß der sowjetischen Rüstungsindustrie als bürokratische Interessengruppe 217
4.2.6 Schll4Jfolgerungen
240 Holloway 1983, S. 163. Es versteht sich, daß Holloway einen sehr eigenen Begriff
von ,,hoher'' und ,,niederer" Politik vorträgt.
218 Die Beziehungen zwischen Partei und Rüstungsindustrie
technologischen Mustern?243
Jedoch greift das Erklärungsmuster von bürokratisch verfaßten Interessen nicht
immer. Militärische Beschaffungsentscheidungen wie z.B. der starke Ausbau der
sowjetischen Kriegsmarine während der Breschnew-Ära scheinen nicht so sehr das
Ergebnis bürokratischen Interessengruppendrucks zu sein, sondern sind eher Er-
gebnis einer grundsätzlichen Entscheidung der politischen Führung zur Unterstüt-
zung breiter angelegter außenpolitischer Zielsetzungen.244
243 Vgl. als neuere Arbeit Cockburn 1984, der sich stark auf ein Erklärungsmodell büro-
kratischer Interessengruppenpolitik stützt und dafür zahlreiche Fallbeispiele im Rah-
men sowjetischer Waffenbeschaffung anführt
244 Vgl. Evangelista 1984, S. 612
5. Rüstungswettlauf um ein Phantom:
Der Bomber mit Nuklearantrieb
Zitiert nach Clarfield/Wiecek 1984, S. 147.- Das Buch enthält eine knappe Skizze zu
dem US-Atombomber, wobei es sich auf York 1970 stützt.
2 Eine Prinzipienskizze und kurze Erörterung von nuklearen Raketenantrieben findet sich
bei Jasani 1987, S. 16 f.
3 Welch heilloses Informationswirrwarr bis heute herrscht, erhellt ein Blick in populäre
Lexika. Das dtv-Lexikon informiert etwa 1966: "Der Atomantrieb für Schiffe hat sich
bereits bewährt; für Flugzeuge und Großraketen wird er erprobt" (Bd. 1, S. 244).
221
Antrieb vermittelt, so geistert die Idee bis in die jüngste Zeit durch einschlägige
Medien. In einem sowjetischen Handbuch des renommierten Flugzeugbauexperten
Alexander Ponomarjow (deutschen Lesern durch eine DDR-Übersetzung leicht zu-
gänglich, diese erschien 1987) wird den Amerikanern die Entwicklung eines Bom-
bers mit Nuklearantrieb unterstellt. Insider werden rasch erkennen, daß diese grobe
Skizze (Abbildung 12) an Darstellungen anknüpft, wie sie für den geheimnisum-
witterten amerikanischen Stealth-Bomber, ein für Radar fast unsichtbares Flug-
zeug, gegeben werden. Nun ist über das in Amerika B-2 genannte Flugzeug der
Firma Northrop wenig bekannt, aber auszuschließen ist, daß der Bomber über Nu-
klearantrieb verfügt. Ponomarjow dagegen schreibt:
"Das Flugzeug mit Kernantriebsanlage hat eine Strahlenschutzvorrichtung für die Flug-
zeugbesatzung, Startbehälter für Flügelraketen (das ist die sowjetische Bezeichnung für
Marschflugkörper, U.A.), Kernreaktoren und Zweistrom-Turbinen-Luftstrahltriebwer-
ke. Die maximale Masse der Strahlenschutzvorrichtung für die Flugzeugbesatzung soll
29.700 kg betragen und der Schub eines Triebwerkes 490 kN."4
Im Stile eines Tatsachenberichtes referiert Ponomarjow weiter:
,,In den letzten Jahren (also um 1984, U.A.) wuchs das Interesse an überschweren Flug-
zeugen mit Kernantriebsanlage. In den USA laufen Forschungen und Untersuchungen
zur Bestimmung des Arbeitsprozesses einer solchen Triebwerksanlage, der maximalen
Masse des Flugzeuges und der günstigsten aerodynamischen Form. Große Aufmerk-
samkeit wird den Sicherheitsanforderungen gewidmet."5
Das Fachbuch ergeht sich dann weiter in Einzelheiten über Marschfluggeschwin-
digkeit, Nutzlasten, die wegen der Reaktortemperaturen zu fordernden Minimal-
temperaturen im Laderaum des Bombers, Mindestflugweite usf. Das Phantastische
an dem ganzen Vorgang ist, daß es auf amerikanischer Seite aber auch nicht ein
Jota an Hinweisen auf ein Großprojekt gibt, dem diese detaillierte sowjetische Be-
schreibung gilt.
Umgekehrt liegen in der Vergangenheit eine Vielzahl von amerikanischen
Aussagen, aus dem Pentagon, den einschlägigen Ausschüssen des Kongresses so-
wie der militärtechnischen Presse über sowjetische Militärflugzeuge mit Nuklear-
antrieb vor. Bislang hat aber niemand die Existenz eines sowjetischen Bombers mit
Nuklearantrieb beweisen können. Es scheint sich aufbeiden Seiten um einen Wett-
lauf von Phantomen zu handeln.
Dieser Phantomwettlauf hat freilich Folgen. Auf amerikanischer Seite führte er
zu Ausgaben von mehr als 1 Milliarde Dollar eben für den Bomber mit Nuklearan-
trieb.6 Es ist nicht bekannt, wieviel auf sowjetischer Seite für ein solches Projekt
aufgewendet worden ist. Daß es Versuche in dieser Richtung gegeben hat, dafür
existieren augenscheinlich Belege. Um eine längere Geschichte (sie wird in diesem
Kapitel behandelt) pointiert zu fassen: Im Osten und im Westen erregten die Mög-
lichkeiten der Kerntechnik in der Hochphase des Kalten Krieges die Phantasie der
äußerte der Chefkonstrukteur des Bombers.? Die erhellende Idee: Die Nazis könn-
ten doch im Dritten Reich an Häftlingen Versuche mit Radioaktivität gemacht ha-
ben. Ein deutscher Wissenschaftler, der Informationen haben könnte, war rasch ge-
funden. Man lud Prof. Boris Rajewsky ein, später war er der erste Strahlenschutz-
beauftragte der Bundesregierung. Ein Bericht über die Anhörung notiert trocken:
,,Es gab deutsche Arbeiten über Versuche mit Gefangenen, aber der Mann, der das ge-
macht hat, spricht nicht."8
Es wird sich also lohnen, der Entwicklung dieses Nicht-Programms nachzugehen.
7 Der Chefmgenieur hieß Andrew Kalitinsky, hier zitiert nach der Mitschrift von Robley
D. Evans, der an dem ,,Meeting des Beratenden Ausschusses über die radioaktive Bela-
stung von Militärpersonen" am 23. Juni 1948 im Palmer House in Chicago teilnahm.-
Ich verdanke diesen und weitere Hinweise der Pionierarbeit (unveröff.) des Medizinhi-
storikers Gilbert Whittemore vom History of Science Department der Harvard Univer-
sität, der mir großzügig seine Arbeiten und Material zur Verfügung stellte. Whittemore
hat das Archiv der Countway Library der Harvard Medical School mit Blick auf das
Atombomberprojekt ausgewertet. Das Evans-Manuskript fmdet sich dort unter den so-
genannten Taylor-Papieren, Box 81-13, File: ,,NEPA 1948-1951, Correspondence"
(NEPA ist eine der Kurzbezeichnungen des Bombers =Nuclear Energy Propelled Air-
craft).
8 Nach Evans (vgl. vorige Anmerkung), S. 9
9 Zit. nach Aviation Week, 12. Jan. 1959, S. 26
Ein sowjetisches Programm? 225
Primärer Wärmetauscher
Düsentriebwerk
/
Reaktorkern Wärmetauscher
Primärkreislauf Sekundärkreislauf
(Flüssigmetall) (Flüssigmetall)
Da es in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, gemeinhin als der Höhepunkt des
Kalten Krieges angesehen, außerordentlich ungewöhnlich gewesen wäre, technolo-
gische Durchbrüche in Publikationen des sowjetischen Verteidigungsministeriums
anzukündigen, hätte der sowjetische Text auf amerikanischer Seite auf Skepsis sto-
ßen müssen und weitere Prüfungen auslösen sollen. Denn solche sind möglich. Daß
die sowjetischen Angaben amerikanische Äußerungen spiegeln, läßt sich schon
aufgrund der Tatsache vermuten, daß angegebene Schwierigkeiten mit dem Projekt
exakt die gleichen sind, wie sie General Dynamics mit seinem Projekt hatte. Die
erwähnte sowjetamtliche Publikation führt als Hauptschwierigkeit des angetriebe-
nen Triebwerkprinzips an:
"Diese Konstruktion ist zwar vom Prinzip her einfach, wirft aber extreme Probleme bei
der Umsetzung auf. Die Welle, welche die Turbine mit dem Verdichter verbindet, muß
durch den Reaktor laufen. Die Kühlung der Welle unter diesen Bedingungen gerät zu
einem schwierigen, wenn nicht zum Schlüsselproblem. Der Punkt ist, daß die Welle
nicht nur aufgeheizt wird infolge des Wärmetransfers von der heißen Reak:torsektion,
sondern eine erhebliche Freisetzung von Hitze erfolgt, indem die Welle Streustrahlung
von Neutronen und Gammastrahlungen aufninunt."15
In dem Text heißt es weiter, daß die Aufheizung der Welle so stark gerate, daß sie
von einem einfachen Kühlungsproblem zu einem komplizierten Ingenieurproblem
gerate, und daß schon an dieser Frage die Ausführbarkeit der gesamten Konstruk-
tion hänge.
Eben dieses Detail bestimmt auch Erfahrungsberichte des Projektes von Gene-
ral Electric. Im Dezember 1956, also vor der sowjetischen Veröffentlichung, wur-
de darüber berichtet, daß ein Forschungsreaktor namens H1RE-1 ein Düsentrieb-
werk in einem Labor für eine Anzahl von Stunden betrieben hätte, daß aber die
Temperaturen unterhalb der Schranke gehaltenworden seien, wie sie für den Flug-
betrieb erforderlich gewesen wären. Der Forschungsreaktor H1RE-1 wurde dafür
gelobt, daß die Ausführbarkeit der Konstruktion nachgewiesen sei und die Überle-
bensfahigkeit von Schlüsselkomponenten wie der Welle zwischen Turbine und
Verdichter nachgewiesen worden sei.16
Zugestandenermaßen ist eine noch sinistrere Möglichkeit denkbar als bloß die-
jenige, daß auf sowjetischer Seite mit allgemein zugänglichen Einsichten argumen-
tiert wird, die auf amerikanischer Seite zu dem Schluß führen, die Sowjets hätten
ein eigenes Programm. Es bleibt durchaus möglich, daß die Sowjets, nervös gewor-
den durch amerikanische Bemühungen, trotz aller Skepsis in bezog auf die Kon-
struierbarkeit von Atommotoren für Flugzwecke, sozusagen als Sicherung gegen
Überraschungen, tatsächlich ein eigenes Programm begonnen haben, und daß sie
ungewöhnlicherweise diese Bemühungen publizistisch garniert haben. In den
dreißig Jahren, die seither verstrichen sind, hat sich weder im Osten noch im We-
sten ein atomgetriebenes Flugzeug in die Luft erhoben, so daß es müßig bleibt, den
wirklichen Informationskern der wechselseitigen Vermutungen exakt zu bestim-
men.
Ohne die starken Behauptungen, die wichtige Politiker hin und wieder aufstell-
ten, bleibt die Aufregung um das angebliche Sowjetflugzeug schwer verständlich.
Signifikantes Beispiel ist etwa Senator Henry Jackson, einflußreiches Mitglied so-
wohl des Armed Services Comittee des Senates wie auch des Joint Committee on
Atomic Energy beider Häuser des Kongresses, der die amerikanischen Ängste auf
den Punkt brachte:
"Die Russen arbeiten daran, und das Problem lautet: Wie kommen wir dabei voran?" 17
Der Vorsitzende des Unterausschusses für Forschung und Entwicklung im Joint
Committee on Atomic Energy, der Abgeordnete Price, sekundierte:
"Die Russen verfolgen ihr Progranun für die Entwicklung eines nukleargetriebenen
Flugzeuges mit beträchtlichem Nachdruck."18
Geheimdienstinformationen, von den Vermittlern noch im Konjunktiv gehalten,
gerieten den an runden Formulierungen interessierten Politikern unter der Hand zu
Tatsachen - die so autorisiert erneut ihre Schleifen in der Diskussion über die Re-
alität zogen.
Die interessierten Generäle griffen solche Aussagen nur zu gern auf. Der für
das amerikaDisehe Gegenprojekt verantwortliche General Keim äußerte vor einem
Kongreßausschuß die Vermutung, daß die Sowjets beim Nuklearmotor die Nase
vom haben könnten:
,Jch habe ganz intuitiv das Gefühl, daß sie schon eine ganze Stecke vorangekommen
sind."19
Dieamerikanische Literatur konzentrierte sich bald auf zwei Grundzüge des mög-
lichen sowjetischen Atommotors. Den Russen wurde nachgesagt, daß sie die Re-
aktoren für ihre neuen Fluggeräte mit einer neuartigen Beschickung versähen, und
es wurde berichtet, daß sie sich bei den Schutzschilden vor der radioaktiven Strah-
lung hauptsächlich auf Stahlkonstruktionen verlassen würden.
Beide Hinweise hätten schon damals als nicht besonders überzeugend klassifi-
ziert werden können. Für die Beschickung der russischen Motoren wurden Uran
235 sowie Plutonium 239 als "am häufigsten in sowjetischen technischen Schriften
erwähnt"20 angeführt. Die sowjetischen Quellen,. die hierfür zitiert werden, geben
jedoch lediglich höchst allgemein an, daß die beiden erwähnten Materialien für den
17 "Atom Plane Work by Reds Reported", The New York Times, 1. April1955, S. 6:3
18 Zit. nach Green/Rosenthal1963, S. 243. Weitere Politikeräußerungen gleicher Art bei
Lambright 1967, S. 15.
19 Zit. nach Lambright 1967, S. 23. Auch unter Fachleuten gab es durchaus hinreichende
Unterstützung für den Nuklearbomber. Heute ist an vorderster Stelle der bei Beginn der
Reagan-Administration als Forschungsstaatssekretär im Pentagon tätige Richard L.
DeLauer anzuführen, der gemeinsam mit R.W. Bussard ein Buch über das Projekt her-
ausgab (Fundamentals of Nuclear Flight, New York (McGraw-Hill) 1965). Eine Son-
derausgabe der Fachzeitschrift der US Air Force, des Air University Quarterly Review
(vom Februar 1960), hernach als Buch erschienen (herausgegeben von Oberst Kenneth
F. Gantz, Nuclear Flight, New York (Duell, Sloan, and Peerce) 1960, enthält weitere
unterstützende Beiträge. -Zu den entschiedensten Gegnern des Projekts zählt niemand
Geringeres als J. Robert Oppenheimer (vgl. US Atornic Energy Commission, In the
Matter of J.Robert Oppenheimer, transcript of hearings before Personnel Security
Board, Washington (US GPO) 1954, hier S. 684). Edward Teller, mit seiner Unterstüt-
zung von Sternenkriegskonzepten als alles andere als ein Kritiker von Rüstungsinnova-
tionen ausgewiesen, drückte im September 1953 ,Zweifel aus. ob ein Atomflugzeug
gebaut werden könnte" (zit. nach Lambright 1967, S. 8).
20 Lambright 1967, S. 8
Ein sowjetisches Programm? 229
Betrieb eines Reaktors in Frage kommen. Aus einer möglichen Erwähnung wird in
den amerikanischen Studien ein Faktum konstruiert. Äußerungen über den Rück-
griff auf Stahl als Material für einen Strahlenschutzschild für die Besatzung hatten
in amerikanischen Berichten über das sowjetische Programm, oder was dafür ge-
halten wurde, einen höheren Stellenwert. Verständlich ist, hätte es ein solches Pro-
gramm gegeben, daß der Schutz der Besatzungen vor der Radioaktivität intensive
Forschungsbemühen auslöst. Der Verweis auf rostfreien Stahl als mögliches Mate-
rial in sowjetischen Bombern führt allerdings nicht sehr viel weiter. Immerhin hieß
es aber in amerikanischen Quellen, daß zu beobachten sei ein "Nachdruck auf der
Nutzung von rostfreiem Stahl in der Ausführung der Flugzeugzelle sowie des
Triebwerks, um zum Schutz vor Neutronenstrahlung beizutragen" ,21
Nun kann nicht in Frage gestellt werden, daß auch Stahl schnelle Neutronen
absorbiert, und daß weiter rostfreier Stahl ein im sowjetischen Militärflugzeugbau
bevorzugtes Material bleibt-trotzaller Gewichtsprobleme. Die in den Westen ge-
flogene MiG-25 hatte ja zur Überraschung westlicher Experten statt Titan in erheb-
lichem Ausmaß Bauteile aus rostfreiem Stahl aufgewiesen (vgl. Kap. 7.1). Wenn
möglicherweise die Statiker im sowjetischen Militärflugzeugbau mit rostfreiem
Stahl und seinen Eigenschaften vertraut sind- und diesen gern anwenden, so heißt
das noch lange nicht, daß dieses geschieht, weil die Absorptionsfahigkeit für Neu-
tronenstrahlen in Rechnung gestellt wird Wenn es je einen sowjetischen Bomber
mit Nuklearantrieb gegeben hat, dann wäre es sicher nicht unwahrscheinlich, daß
dieser in großen Teilen in Stahlstrukturen ausgeführt worden wäre - das ist alles,
was vernünftigerweise geschlossen werden kann.
Die zweite Linie amerikaDiseher Behauptungen über ein sowjetisches Bomber-
programm mit Nuklearantrieben fällt noch merkwürdiger aus. "Aviation Week"
(und die Pentagon-Quellen, die dahinterstehen) verwiesen auf "neuerliche Speku-
lationen in der sowjetischen populären Presse", um zu betonen, daß das mysteriöse
sowjetische Flugzeug bald anstünde. Das bleibt in der Tat eine einzigartige ameri-
kaDisehe Feststellung: Man müsse die populäre sowjetische Presse lesen, um über
anstehende sowjetische Rüstungsschritte informiert zu werden. Der erstaunte Leser
irrt aber nicht, denn das US-Joumal insistiert:
"Ein ähnlicher publizistischer Vorlauf läßt sich beijedem größeren sowjetischen Durch-
bruch verzeichnen. "22
Hier ist eine Generalpause angemessen. In allen sowjetischen Presseerzeugnissen
gab es keinerlei Hinweis auf die Zündung der ersten Atombombe in der UdSSR im
Jahre 1949, oder auf die erste H-Bombe im Jahre 1954, auf den ersten Düsenbom-
ber usf. Die wilden Behauptungen selbst der seriösen Fachpresse müssen alarmie-
rend wirken. In einer Redeweise, als ob von Fakten gesprochen würde, informiert
"Aviation Week" die Leser:
"1957- Juni, die Sowjetunion führt Bodentests mit einem nuklearen Triebwerk für
Flugzeuge aus .
... 1958 -August, erste Flüge eines Prototyps eines sowjetischen nuklear getriebe-
nen Bombers werden in der Umgebung Moskaus beobachtet"23
21 Lambright 1967, S. 8
22 Lambright 1967, S. 8
23 Lambright1967,S.8
230 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb
Doch hier sei aus methodischen Gründen ein Halt eingelegt. Prämisse dieser Partie
sollte sein, lediglich sowjetische Quellen anzuführen, nicht aber amerikanische Be-
obachtungen wiederzugeben, und würden sie mit noch soviel Anspruch auf Reali-
tät vorgetragen. Um die Tatsachenbehauptung von "Aviation Week" zu verstehen,
in der Sowjetunion sei der bislang nicht greifbare Bomber mit Atomtriebwerk ge-
sehen worden, ist im nächsten Schritt eine Betrachtung amerikanischer Projekte
nötig, die hernach Handhabe geben wird, um zu begreifen, wieso im Westen später
sogar technische Einzelheiten über das sowjetische Phantom publiziert wurden.
24 Plastische Belege für diese Atombegeisterung, nach der künftig gar Pkws mit Nuklear-
motoren fahren sollten, liefert die Studie von Lambright 1967, S. 1
25 Comptroller General1963, S. 122
Das amerikanische Projekt 231
Einer der vielversprechendsten jüngeren Generäle der Air Force, Curtis LeMay,
wurde mit der Verwaltung des Programms beauftragt Die ,,New York Times"
kommentierte enthusiastisch:
"General LeMay, dessen kometenhafter Aufstieg vom Major in der 8. Luftflotte in
Großbritannien zu seiner derzeitigen Position von bemerkenswertem Urteilsvermögen
zeugt, wird nachgesagt, daß Ergebnisse in bezug auf nukleargetriebene Flugzeuge viel
schnellererwartbar sind, als die vorsichtigen Wissenschaftler für möglich halten."26
Der Fußtritt, der "skeptischen Wissenschaftlern" in dieser Zeitungsbemerkung ge-
geben wird, läßt sich als früher Hinweis daraufhin verstehen, welche Kräfte in pa-
triotisch amerikaDiseher Sicht das Nuklearbomber-Programm gefahrden könnten.
LeMay jedenfalls hat sich wiederholt mit Verve für sein Projekt eingesetzt. Im
September 1947 fühlte sich der General überzeugt genug, vor einer Versammlung
der Air Force Association festzustellen, daß es nunmehr ,,klar sei, daß ein nuklear-
angetriebenes Flugzeug nicht wesentlich hinter dem Stand der Kunst zurück-
liegt" .27 Der junge General blieb mit seinem Optimismus nicht allein. Es lassen
sich eine Anzahl von Zeitgenossen zitieren, die ähnliche Aussagen machten. Einer
der späteren Kritiker des Pentagon, der Physiker Ralph E. Lapp, meinte in einer
Radiosendung, daß der Nuklearantrieb für Bomber wohl demnächst entwickelt
würde.28 Andere Experten meinten in den Medien, daß Amerikas erstes nuklearan-
getriebenes Flugzeug vermutlich ohne Besatzung fliegen würde (so teilte die New
York Times ihren Lesern im Jahre 1947 mit, "daß das erste atomgetriebene Flug-
zeug ohne Pilot fliegen wird, wird von jenen, die Nuklearenergie verstehen, prak-
tisch als Gewißheit erachtet").29 ·
Die Lobby, welche die Idee eines nukleargetriebenen Bombers in die Welt ge-
setzt hatte, zog sich jedoch schon gegen Ende der vierziger Jahre zurück. Im Okto-
ber 1947 wurde General LeMay zum Kommandeur der amerikanischen Luftstreit-
kräfte in Europa befördert, als welcher er z.B. die Berliner Luftbrücke im Jahre
1948 zu organisieren hatte. Zwar unterstützte der General auch in seiner nachfol-
genden Funktion als Boss des Strategischen Bomberkommandos den nuklearge-
triebenen Bomber und stellte z.B. im Juni 1956 in einer Anhörung vor dem ameri-
kanischen Kongreß fest, "daß ein frühest möglicher Flug des nukleargetriebenen
Flugzeuges sowohl wünschenswert wie auch möglich sei" ,30
Es ist zumindest mißverständlich, das lange Überleben eines phantastischen
Projektes mit der Verbohrtheit derjenigen Individuen in Verbindung zu sehen, die
dafür verantwortlich waren. Aber das erstaunlich lange Leben des Nuklearbomber-
Projektes wird besser verständlich, wenn man die Air Force-Generäle betrachtet,
die die Idee voranzubringen suchten. Nach Curtis LeMay stand an der Spitze des
Projektes für lange Jahre General Donald J. Keirn.31 Im August 1952 wurde er
26 "U.S. at work to Apply Atomic Power to Planesand Missiles", New York Times, 23.
Febr. 19947, S. 43. -Auf Umstellungserfahrungen unter Chruschtschow wird auch ein-
gegangen in: Bykow/Bugrow 1988
27 NewYorkTimes, 17. Sept.1947, S.13
28 "Cheap Atom Power Due By 1960", New York Times, 26. Jan. 1947, S. 18. Vgl. par-
allel Lambright 1967, S. 2 f.
29 New York Times, 23. Febr. 1947, S. 43
30 Zitiertnach York 1970, S. 65
31 Vorgesetzter von Keim war General Leslie Groves, vormals als Chef des Atombom-
232 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb
fügt, daß es eine Aggression irgendwo in der Welt von heimischen Luftstützpunkten
aus begegnen kann. Die Kerntechnologie würde zwei diplomatische Probleme lösen:
den Mangel an zuverlässigen Überseestützpunkten und das Ausbleiben eines permanen-
ten Friedens."34
Die folgenden Jahre gestalteten sich für ein Hochtechnologieprojekt wie den Nu-
klearbomber typisch. Wissenschaftlergruppen wurden eingesetzt, das Programm zu
überprüfen, die Industriebeteiligung weitete sich aus. Regelmäßig spielten Verwei-
se auf die Anstrengungen der Sowjets eine Rolle. Ein Manager von General Elec-
tric meinte als ,,konservative Schätzung", daß mehr als "sechzig verschiedene Bü-
ros, Agenturen und Ministerien der US-Regierung" an dem Bomberprojekt betei-
ligt gewesen seien.35 1950/51 erwies sich als Entscheidungsjahr für das Projekt.
Die kleine Firma Fairebild hatte ihre Schuldigkeit getan, nunmehr nahmen sich die
größten amerikanischen Firmen des Projektes an. Unter den Flugzeugbauern kon-
kurrierten nunmehr Lockheed und Convair um das Projekt. Das Nukleartriebwerk
wollten General Electric und die Flugzeugmotorenfirma Pratt & Whitney entwik-
keln. Zugleich stiegen die Haushaltsansätze für das Projekt sprunghaft: von weni-
gen Millionen Dollar auf einige hundert Millionen Dollar. General Electric erwar-
tete ein gutes Geschäft: 2,5 Milliarden Dollar sollten die 120 Nuklearmotoren ko-
sten, mit denen die erste Staffel von 30 Bombern bis 1964 ausgerüstet werden soll-
te.36
Convair hatte mit seinen Konkurrenzentwürfen zu Amerikas Düsenbombern
mittlerer und interkontinentaler Reichweite gegen Boeing verloren und mochte
hoffen, mit dem Nuklearbomber-Projekt die erfolgreiche Konkurrenz auszuste-
chen. Lockheed, als Hersteller von viermotorigen Passagierflugzeugen und Jägern
erfolgreich, suchte seinerseits eine Bestätigung seiner Führungsrolle im Militär-
flugzeugbau.
Die beiden Triebwerkhersteller entwickelten bald zwei unterschiedliche Tech-
nologielinien, die hinfort über Jahre gefördert wurden. Pratt & Whitney optierte für
den sogenannten "geschlossenen Kreislauf'. Über Wärmetauscher sollte die vom
Nuklearreaktor im Triebwerk entwickelte Hitze an einen Luftstrom abgegeben
werden, der in eine Düse expandieren sollte. Dieses Konzept hatte den Vorzug,
weniger Radioaktivität an die Umgebungsluft abzugeben. General Electric betrieb
hingegen den mechanisch einfacheren "offenen Kreislauf' (vgl. Abbildung 14), bei
dem verdichtete Luft am Reaktor stark erhitzt wird und hernach eine Turbine be-
treibt.
Convair verband sich mit General Electric, während der konkurrierende Luft-
fahrtkonzern Lockheed sich mit dem Triebwerkhersteller Pratt & Whitney zusam-
mentat. Der "offene" und der "geschlossene" Kreislauf waren nunmehr jeweils mit
einer bestimmten Bomberauslegung verknüpft. Convair konnte früh einen Erfolg
für sich buchen: Die Firma überzeugte die Behörden, daß das Studium der Verbrei-
tung von Radioaktivität im Flugzeug am besten "ohne störende Bodenstrahlung"37
erfolgen würde. Im Gegensatz zu Lockheed konnte Convair für solche Flüge eines
Reaktors auch ein Flugzeug anbieten, was groß genug war. Mit dem zehnmotori-
gen Bomber B-36 war das möglich.
Verdichter
Kernreaktor Luftaustritt
Reaktor
Luft-
Pratt & Whitney war mit seinem Konzept in technische Schwierigkeiten geraten.
Die Ergebnisse der Kombination jeweils eines Reaktors mit einem Düsentriebwerk
wurden als unzureichend betrachtet. Mitte 1956 entschlossen sich die Konstrukteu-
re, jeweils zwei Reaktoren vorzusehen. Auch dies führte zu wenig befriedigenden
Resultaten, schon wegen des zusätzlichen Gewichtes für den Schutzmantel des
zweiten Reaktors. Auch erschien keiner der beiden für den Kreislauf im geschlos-
senen System vorgeschlagene Wärmeträger, weder Flüssigmetall noch Feststoff,
als hinreichend geeignet.38 Im Herbst 1957 schied Pratt & Whitney aus diesem
38 Comptroller General1963, S. 43
Das amerikanische Projekt 235
Wettbewerb aus. Lockheed blieb nichts anderes übrig, als gleichfalls zu resignie-
ren.
Das weitere Schicksal des Projektes hing nunmehr von der Antwort auf zwei
Fragen ab: ob ein Nuklearmotor konstruiert werden könnte, der im Leistungsver-
mögen mit anderen rivalisierenden Technologien überlegen abschnitt, und ob die
Radioaktivität, die so erzeugt würde, an Bord eines Flugzeuges genügend einge-
dämmt werden konnte. Die Antwort lautete damals regelmäßig, daß die Sowjets
eine positive Antwort auf beide Fragen gefunden hätten, diese also lösbar seien.
Zumindest wurde unterstellt, daß die Sowjets größere Radioaktivitätsmengen bei
der Verseuchung von Besatzungen und Umwelt akzeptieren würden, als dies in
Amerika möglich schien. Im November 1954 fand ein erster entscheidender Test
statt: Einem Reaktor wurde Energie bei Betriebstemperaturen entnommen, wie sie
für Düsentriebwerke erforderlich waren. Im Januar 1956 lief ein Düsentriebwerk
erstmals ausschließlich mit Reaktorantrieb. Die Konstrukteure von General Elec-
tric konnten nunmehr die Grundlinien für den Atommotor festlegen. Das beste Lei-
stungsgewicht bot die Kombination von einem Reaktor mit jeweils zwei Düsenag-
gregaten. Das Triebwerk erhielt eine offizielle Experimentalnummer, "X-211".- Im
September 1955 erhob sich erstmals an Bord des NB-36H (NB= Nuclear Bomber)
ein Reaktor in die Luft, in vollem Betrieb. Die Flüge wurden "über unbewohnten
Landstrichen"39 ausgeführt. Als Zweck dieser Flüge wurde angegeben, "die Reak-
tion von Bordinstrumenten und anderen Betriebsteilen des Flugzeuges in Erwar-
tung von nuklear angetriebenen Flügen auf Radioaktivität zu testen".40 Man fragt
sich, ob die Bomberbesatzung unter der Rubrik "andere Betriebsteile des Flugzeu-
ges" mitgerechnet wurde.
Es ist nichts über das Schicksal der Bomberbesatzungen, die insgesamt 47 sol-
cher Flüge ausführten, bekannt, etwa, ob sie an Spätfolgen der Strahlung zu leiden
hatten. Das Cockpit wurde durch einen rund vier Tonnen schweren Bleischirm aus
mehreren Schichten abgeschirmt.41 Diese Schichten bestanden aus Lagen von Blei
und Gummi, wobei die Bleiplatten eine Stärke von 0,8 bis 5 cm aufwiesen. Nur die
Piloten konnten aus dem Flugzeug herausschauen. Die Frontscheiben des Bombers
waren aus verbleitem Glas und Plexiglas hergestellt, welche zwischen 15 und 20
cm Dicke aufwiesen. Eine Schlüsselfrage blieb, wie die Besatzung von den vielen
Leitungen mit ihrer zirkulierenden Hydraulikflüssigkeit getrennt werden konnte. In
einem normalen Flugzeug sind Pilot und Bordmechaniker durch verschiedene
hydraulische und andere Systeme mit dem gesamten Flugzeug verbunden- um die
Motoren zu steuern, das Fahrwerk ein- und auszufahren, Klappen und andere
Steuerelemente zu bewegen, die Bombenschächte zu öffnen usf. Plötzlich war der
Lebensnerv eines solchen Flugzeuges vom Cockpit zu trennen, um die tödliche Ra-
dioaktivität fernzuhalten.
Falls ein Unglück passierte, hatte man Schutzmaßnahmen vorgesehen, die heu-
te naiv wirken. Ein Absturz des arbeitenden Reaktors würde eine Katastrophe er-
zeugt haben, neben der der Unfall von Tschernobyl sich bescheiden ausgenommen
hätte. Die Sicherheitsmaßnahmen bestanden darin, daß
"eine Transportmaschine der Luftwaffe den Bomber auf seinen Testflügen begleitete,
an Bord mit einer Mannschaft von Paramedizinern, die am Fallschirm landen würden,
um ein Gebiet zu isolieren und zu überwachen, auf das der Reaktor im Notfall ausge-
stoßen worden wäre. "42
Der Aufwand für die Konstruktion von Filtern zum Abfangen radioaktiver Partikel
im Düsenaustritt belief sich auf ganze 72.000 Dollar, in der Herstellung sollte ein
Filtersatz lediglich 27.000 Dollar kosten.43 Ein militärisches Verbindungskomitee
(Military Liaison Committee) stellte in einem Brief an die Atomenergiebehörde im
Juli 1957 fest, daß die Air Force nicht in der Lage sei, das Ausmaß der radioakti-
ven Belastung infolge von Probeflügen anzugeben - "die Air Force glaubte, daß
begrenzte Probeflüge ohne unvertretbare Risiken für die Öffentlichkeit ausgeführt
werden können".44
Als 1961 eine für den "offenen" Kreislauf besonders folgenreiche Auflage
über die Maximalmenge an radioaktiven Partikeln am Düsenende bekannt wurde,
erregte sich der Projektleiter bei GeneralElectric:
"Das ist das erste Mal, daß wir je von einer so absurden Restriktion gehört haben."45
Mit anderen Worten, was es bislang nicht gab (Beschränkungen der radioaktiven
Verseuchung), sollte es gefälligst auch künftig nicht geben.
Andererseits gibt es verschiedene Hinweise darüber, daß die Befürworter des
Bomberprojektes sich über die radioaktive Gefährdung vollkommen im klaren wa-
ren. In einem Kommentar über einen angeblichen sowjetischen Prototyp eines Nu-
klearbombers mit Triebwerken in Einzelaufhängung unter den Flügeln, so wie dies
von Verkehrsflugzeugen bekannt ist, stellte "Aviation Week" fest, daß
"diese Einzelaufhängung am besten für das ,offene' Kreislaufsystem eines Kemtrieb-
werkes geeignet ist, da dieses System beim Betrieb das gesamte Düsentriebwerk radio-
aktiv macht."46
Was für einen sowjetischen Bomber gilt, würde auch eine amerikanische Kon-
struktion treffen. -In einem anderen Kommentar über eine Phantasiezeichnung ei-
nes sowjetischen Passagierflugzeuges mit Nuklearmotoren schreibt dasselbe Wo-
chenblatt sarkastisch, daß "die proletarischen Passagiere gewiß sein dürfen, erheb-
liche Dosen an Radioaktivität mitzubekommen". Ferner kritisiert "Aviation
Week", daß "lediglich ein Fassadenschild die atomgetriebenen Düsentriebwerke
und die Abteilungen für Fracht, Gepäck und Passagiere trennt". Außerdem zeigten
die Triebwerke der Sowjets "unvollkommene Abschottung des Uranbrennstoffes
42 Lewis, Aviation Week, 22. Dez. 1958, S. 69. Einzelheiten zu den Überlegungen, wel-
che Folgen der Absturz eines Bombers mit laufenden Reaktoren haben könnte, finden
sich wiederholt in den Berichten des Joint Committee on Atomic Energy aus dem Jahre
1959 (Joint Committee on Atomic Energy, Aircraft Nuclear Propulsion Program, 86th
Congress, 1st session, Washington, D.C. (Joint Economic Committee Print) 1959) so-
wie des Rechnungshofes (vgl.dort den aufS. 52 im Auszug wiedergegebenen Brief des
General Managers der Atombehörde vom 9.11.1962 -der freilich lediglich zu der Emp-
fehlung gelangt, die Tests woanders auszuführen).
43 Comptroller General1963, S.47
44 Comptroller General1963, S. 50
45 Brief von David Shaw, GE, an den Abgeordneten Price, zit. nach Lambright 1967, S.
27
46 Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 28 f.
Das amerikanische Projekt 237
legt. Mit dem "Operational Requirement No. CA-01503" wurde ein von Land oder
Flugzeugträgem zu startendes Mehrzweckflugzeug spezifiziert, welches "bei allen
Wetterbedingungen angreifen, aufklären und Minen legen können soll, auch gegen
stark verteidigte feindliche See- und Landgebiete".52 Es folgten Einzelspezifikatio-
nen, wie das Flugzeug zu konzipieren sei. - Im Dezember 1957 schlug die Navy
vor, das größte Flugboot der Welt, die sechsmotorige Saunders-Roe ,,Princess" aus
England, auf Atomantrieb umzurüsten, und führte listig die Forderung der Air
Force an, daß ein ,,frühest möglicher Nuklearflug eines der nationalen Ziele" der
USA sei. Die Luftwaffe reagierte empört (der Vorschlag wurde als "most unac-
ceptable to the Air Force" deklassiert).53 Säuerlich legten die Luftwaffengeneräle
dar, daß sie nichts gegen ein Seeflugzeug mit Atomantrieb hätten, daß sie aber mit
ihrem Programm weiter seien. Am Ende blieb es bei wenigen Millionen Dollar, die
in Pläne zum Umbau des Riesenflugbootes gesteckt wurden. Im Februar 1958 ließ
die Air Force das Pentagon wissen, daß man nunmehr eine Spezifikation für einen
atomaren Hochleistungsmotor habe, und daß dieses Triebwerk auch die Begehren
der Navy nach einem solchen Motor für ihr Kampfflugzeug abdecken würde.
Herbett F. York, der gegen Ende der Eisenhower-Zeit das Projekt betreute, er-
innert sich an einen der bizarreren Vorschläge, wie mit gesteigerter Radioaktivität
umgegangen werden könne:
,.Ein Vorschlag, der sehr ernsthaft erörtert wurde, lautete, llltere Männer (d.h. Männer
jenseits des Alters, in dem man üblicherweise Kinder bekommt) als Piloten einzuset-
zen, so daß der genetische Schaden infolge von Radioaktivität auf ein Minimum be-
grenzt werden könnte."54
Eine dritte Möglichkeit bestand darin, die Radiobiologen um Hilfe zu fragen. Die
Wissenschaftler wurden gebeten, Vorschläge zu machen, wie mit Hilfe von Arz-
neimitteln die Radioaktivität, die der Körper akzeptiert, gesteigert werden kann. Es
gibt Hinweise darauf, daß "ein breit angelegtes Forschungsprogramm vorgeschla-
gen und später in Einzelheiten entwickelt wurde" ,55 Im Protokoll einer Bespre-
chung aus dem Jahre 1949 steht schließlich der fatale Satz: "Die Information, die
benötigt wird, ist hinreichend wichtig, so daß wir glauben, daß Experimente mit
Menschen gerechtfertigt sind."56
"im März 1953 ein Sonderausschuß des Beratungsgremiums der Air Force empfahl, das
Programm um die Hälfte zu kürzen. Im folgenden Monat setzte sich der Nationale Si-
cherheitsrat dafür ein, daß das Projekt vollständig zu streichen sei."58
Diese Äußerungen sollten, nach allem, was man weiß, das Ende des exotischen
Bomberprojekts gebracht haben. Die wirkliche Frage lautet aber, wie das Waffen-
system diese "Schläge" überleben konnte und in die volle Finanzierung geriet,
nachdem diese Empfehlungen getroffen worden waren.
Im Dezember 1953 legte die Air Force der Atombehörde eine Dringlichkeits-
anforderung vor:
"Es existiert eine Anforderung der höchsten Prioritätsstufe für einen Interkontinental-
bomber, der bei akzeptablen Ausfallquoten jede unserer Kernwaffen über jedem Ziel
von Stützpunkten auf unserem Kontinent aus abwerfen kann. Neuere Untersuchungen,
die die Abteilung für nukleare Bugantriebe vorgelegt hat, ergeben, daß ein Nuklear-
flugzeug mit Propellerantrieb möglicherweise in Erfüllung dieser Anforderungen schon
1960 gebaut werden kann, vorausgesetzt, die Air Force und die Atomenergiekommis-
sion geben der Lösung der schwierigen Forschungs- und Entwicklungsprobleme hinrei-
chende Priorität."59
Jedeamerikanische Kernwaffe, auch die damals schwerste Wasserstoftbombe MK
17 mit ihrem Gewicht von 20 Tonnen, von Amerika aus zu jedem Ort der Welt zu
transportieren, stellte eine in der Tat maximalistische Anforderung dar. Der neue
Superbomber der USA, Boeings B-52, konnte beides nicht, die Wasserstoftbombe
schleppen oder gar ohne Zwischenlandung oder Lufttanken jedes Ziel auf dem
Globus anfliegen.
Im März 1955 gab die Air Force eine förmliche Anforderung für den Nuklear-
bomber heraus, "General Operational Requirement No. 81" zwecks Bau
"eines nuklear angetriebenen, bemannten Waffensystems für Bombardierungen (WS-
125-A), welches in der Lage sein soll, Atomwaffen gegenjedes Ziel der Welt einzuset-
zen. Die Hauptaufgabe dieses Waffensystems soll sein, von Basen tief im Innern des
amerikanischen Kontinentes aufzusteigen, auf Umwegen irgendein Ziel irgendwo in der
Welt anzufliegen, das Ziel zu bombardieren, und zum Startplatz zurückzukehren, falls
gewünscht, erneut im Umwegflug. In bezug auf die Geschwindigkeitsanforderung hielt
GOR 81 fest, daß (1) die Marschgeschwindigkeit Mach 0.9 nicht unterschreiten sollte,
bevor in der Kampfzone Leistungssteigerungen erreicht werden, und daß (2) in der
Kampfzone eine maximale Überschallgeschwindigkeit im Stechflug wünschenswert
wäre".60
Die Bomberlobby tat ihr Bestes, um den Anschein aufrechtzuerhalten, am Ende
würde das schwierige Projekt doch von Erfolg gekrönt. Im April 1956 erschien
plötzlich eine Pressemitteilung, die so formuliert war, als gäbe es einen permanen-
ten Auftragsstrom ("Die Luftwaffe hat allein in der letzten Woche drei neue Kon-
trakte für den Bomber ausgegeben").61 Generalmajor Keim räumte ein, daß das
Projekt "neu konzipiert werden müsse, da die technischen Erfolgschancen zu ge-
ring wären, um die hohen Kosten zu rechtfertigen".62 Im November 1958 führte
58 York 1970, S. 64
59 Zitiertnach Camptroller General1963, S. 129
60 Camptroller General1963, S. 133
61 Newsweek, 23.4.1956, S. 35
62 Aviation Week, 24. Nov. 1958, S. 27
240 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb
Keim vor der American Ordnance Association aus, daß die USA "bald in der Lage
sein werden, eine experimentelle Flugphase, mit Blick auf einen Bomberprototyp,
als den nächsten logischen Schritt in diesem Programm einzuleiten". Der General
beschwerte sich über die "finanzielle Ängstlichkeit" und die "nahezu ununterbro-
chenen Überprüfungen durch verschiedene Wissenschaftlergruppen oder Komi-
tees".63 Ursprünglich waren im Haushaltsjahr 1958 für die Finanzierung der Bom-
berentwicklung 600 Millionen Dollar angesetzt. Die Mittel wurden auf ein Viertel
zusammengestrichen.
Im Juni 1958 nahm das Strategische Bomberkommando einen letzten Anlauf
und schlug die Ausgabe eines "Operational Requirement" für ein "langzeitig flie-
gendes Waffensystem als Raketenträger und Tiefangriffsflugzeug" mit der Kurzbe-
zeichnung CAMAL vor. Die Air Force vergab tatsächlich (GOR 172) im August
1958 erste Aufträge an Lockheed und Convair. Das Bomberkommando sollte 1965
bis 1975 mit diesen CAMALs ausgerüstet werden.
Im Dezember 1956 hatte freilich Präsident Eisenhower Spitzenbeamte des
Pentagon und seine Haushaltsexperten versammelt, um über die Fortsetzung des
Nuklearbombers Waffensystem 125-A zu entscheiden oder die Arbeiten einzustel-
len. Die Besprechung endete mit der Streichung. Die Begründung liest sich heute
seltsam marginal. WS-125-A wurde nicht gestoppt, weil das Projekt unsinnig war,
sondern weil gewisse Überschreitungen bei den Zielvorgaben zu verzeichnen wa-
ren. In einer späteren Begründung für den Streichungsbeschluß heißt es unter ande-
rem:
"Als detaillierte Konstruktionszeichnungen für Reaktoren, die die Anforderungen er-
füllten, in Arbeit waren, stellten sich gewisse Begrenzungen in den physikalischen Ei-
genschaften verfügbarer Werkstoffe heraus, die sich in nicht hinnehmbaren Minderun-
gen der voraus berechneten Leistung des Systems niederschlugen. Um spezifischer zu
sein, der vorausberechnete Radius im Stechflug fiel geringer als erwünscht aus, und
auch das sich ergebende Flugzeuggewicht überstieg den Sollwert. "64
Der militärisch-industrielle Komplex, wie Präsident Eisenhower bald diese Ver-
bindung benennen sollte, organisierte schließlich eine großangelegte Täuschung,
um bei dem zermürbenden Kampf um den Bomber doch noch zu gewinnen, und
zwang damit den Präsidenten persönlich, zu dem Projekt Stellung zu nehmen. Am
1. Dezember 1958 erschien das Fachblatt "Aviation Week" mit einer Sensation,
die sofort Schlagzeilen quer durch Amerika machte: "Sowjets haben Nuklearbom-
ber in der Flugerprobung", lautete der Aufmacher. Auf dem Umschlag prangte die
angeblich neue sowjetische Maschine. Allerdings erwies sich später keine einzige
Tatsachenbehauptung in der drei Seiten langen (ein überdurchschnittlicher Umfang
für das Blatt) Titelgeschichte. Der Dreiseiten-Riß des angeblichen Bombers erweist
sich bei näherem Studium als eine Wiedergabe des in jener Zeit in Erprobung be-
findlichen herkömmlichen Bombers von Mjasischtschew, Mja-50 (vgl. Abbildung
16). Die ,,Nukleartriebwerke" der Maschine sahen ziemlich wie gewöhnliche Dü-
sentriebwerke aus. Wenn das ein nukleargetriebenes Flugzeug sein sollte, dann
müßten die Sowjets die Grenzen der Physik überwunden haben ("Aviation Week"
führt an, daß laut sowjetischen Angaben bei den Düsentriebwerken "die Brenn-
63 Aviation Week, 24. Nov. 1958, S. 27- Es lassen sich weitere Reden des Generals für
seinen Bomber anführen.
64 Comptroller General1963, S. 140
\::::)
~
~
I.....
~
~
1::1:1
22I~ i l
®- -1 -8-===--t--<!>
I n~ z -1 ® ' ®
I 7a·
')' + . ('l
Abbildung 16: Amerikanische Fehlwahrnehmung eines sowjetischen nuklear angetriebenen Bombers: Links die Angabe von
Aviation Week (Titelstory vom 1.12.1958, hier S. 27), rechts der konventionelle Düsenbomber
Miasisclztschew Mja-50, der ungefähr zur gleichen Zeit in die Flugerprobung ging)
Quelle: Thc Obscrvcr's Book of Aircraft, London (Thc Obscrvcr) 1962, S. 175
~
.....
242 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb
Kriegserklärung gegen jedermann dar, der immer noch auf dem Bomberprojekt be-
stand. Immerhin bleibt es ein ungewöhnlicher Schritt, daß ein amerikanischer'Prä-
sident, nachdem seine Regierung mehr als eine Milliarde Dollar in ein Projekt ge-
steckt hat, gegen jeden angeht, der immer noch für eben dieses Projekt eintritt. In
seinen Erinnerungen geht Eisenhower nicht auf den Vorgang ein, aber aus seiner
Umgebung verlautet, daß sein Widerwillen gegen die Kampagne um das Nuklear-
bomberprojektwesentlich zu seiner Aussage über den Militär-Industriekomplex in
seiner Abschiedsbotschaft beigetragen hat.
Der zweite Satz gibt die Ansicht des Stabes von Eisenhower über die Ausführ-
barkeit des Projektes wieder. Ein Flugzeug mit Nuklearantrieb mag zwar möglich
sein, es hätte aber einen sehr beschränkten Nutzen. Diese Aussage widerspricht
dem ersten zitierten Satz zum Teil, in dem immerhin ein Maßstab von technischer
Relativität eingeführt wird. Der dritte Satz stellt eine völlig ungewöhnliche Zu-
rückweisung der Veröffentlichung in "Aviation Week" dar. Augenscheinlich ist er
eher auf die eigene Regierung als auf das allgemeine Publikum gemünzt. Offenbar
wünschte der Präsident, mit der Geschichte vom Nuklearbomber ein für allemal
Schluß zu machen.
Die Gegner des Präsidenten gaben jedoch nicht auf. Ein Manager von General
Electric, der mit dem Programm zu tun hatte, schrieb ein längeres Memorandum,
welches die Äußerungen des Präsidenten in Zweifel zog. "Aviation Week" beeilte
sich, den gesamten Text, eng bedruckt zwölf Seiten, in dem Journal zu veröffentli-
chen (solch ein Beitrag war völlig ungewöhnlich in dieser Zeitschrift). Der doku-
mentarische Wert des Textes von General Electric rechtfertigte die längliche Wie-
dergabe nicht. Die Entscheidung des J oumals, den Text dennoch zu bringen, ist of-
fenbar als Versuch zu sehen, trotz der Zurückweisung durch den Präsidenten die
Kampagne für den Bomber fortzusetzen. - In dem Text wurde der Präsident ober-
lehrerhaft darüber informiert, daß "Sie der Empfänger von schlecht ausgeführten
Arbeiten Ihres Stabes sind, die in dieser Hinsicht wohl einen historischen Rekord
setzen" .74 Allgemein enthielt der Text von General Electric eine Auflistung der
Argumente, die für den Bomber sprachen, und eine Zurückweisung von Gegenar-
gumenten. Die Regierung Eisenhower nahm zu diesem Text nicht öffentlich Stel-
lung.
Sechs Wochen nach der Publikation des Artikels, kurz nach der Weihnachts-
pause, traf sich der Unterausschuß für Atomenergie auf dem Kapitol, um - so
"Aviation Week" -"die Authentizität des Berichtes über das russische Nuklear-
flugzeug zu prüfen".75 Diese nichtöffentliche Sitzung endete ohne klares Ergebnis.
Die CIA ließ sich vernehmen, daß ein neues und "ungewöhnliches" sowjeti-
sches Flugzeug festgestellt worden sei, welches für Nuklearantrieb "nutzbar" sei.
Der Ausschußvorsitzende Price fand, es wäre irreführend, kategorisch festzustel-
len, daß die UdSSR das Flugzeug allein mit Nuklearantrieb geflogen hat.76
In der ersten Runde schienen die bekannten Mechanismen zu wirken. Abge-
ordnete äußerten alarmiert Kritik, die Bereitstellung von Geldem wurde angekün-
digt. Auf der anderen Seite hatte Präsident Eisenhower, am Ende seiner zweiten
Amtszeit, nichts zu verlieren, und wünschte die Streichung des amerikanischen
74 Darley-Memorandum 1959, S. 67
75 Aviation Week, 19. Jan. 1959, S. 29
76 Nach Aviation Week, 19. Jan. 1959, S. 29
1:::::1
~
~
!
"""'
~
~
b:1
Abbildung 17: Amerikanische Nuklearflugmotoren im Idaho Engineering Laboratory, /daho Falls, Idaho
Der Techniker im Vordergrund hält einen Geigerzähler gegen einen vertikal montierten Reaktor.
~
V1
Dahinter ein zweiter, horizontal montierter Reaktor.
Foto: Robert Del Tredici
246 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb
5.4 Schlußfolgerungen
77 Auch die Kennedy-Administration stellte sich nicht wegen der ökologischen Monstrosi-
tät, sondern vor allem aus Kostengründen gegen das Projekt. Recht förmlich fällt die
Begründung in der ,,National Security Message" vom 28. März 1961, vorgetragen von
Präsident Kennedy aus. Zu den Hintergründen vgl. Lambright 1967, S. 28 f.
78 Camptroller General1963, S. 177
79 Darley-Memorandum 1959, S. 80
80 York 1970, S. 60.- Die Probleme Yorks mit dem Projekt werden in Einzelheiten in
dem mehrfach angeführten Bericht des Camptroller General angeführt, einsetzend auf
s. 33.
81 Riesman 1958
Schlußfolgerungen 247
82 York 1970, S. 74. -Zur Rolle Yorks v.a. Lambright 1967, S. 20 ff.
83 Lambright 1967, S. 20 ff.
84 Lambright1967,S.73
85 Lambright1967,S.73
248 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb
zu treiben, daß eben dieses Projekt nicht dazu dienen sollte, ein vergleichbares Pro-
jekt auf der Gegenseite zu neutralisieren, sondern daß aus der Luft gegriffene unsi-
chere Informationen als Grundlage weitreichender Entscheidungen dienten. Die
Besonderheit dieses Projektes war zudem, daß es von Anbeginn an die Gesetze der
Physik infrage stellte und ethische Grundsätze, was die Radioaktivität betraf, außer
Kraft zu setzen suchte. Es war eben nicht ein Routineprojekt
York selber scheint zu fühlen, daß seine Erklärung nicht hinreicht, und er be-
müht sich des längeren, eine Erklärung zu finden, warum der Nuklearbomber in
Amerika so lange überlebte, gar gegen seinen eigenen Willen als für das Projekt
verantwortlicher Beamter. Seine Äußerungen sollen hier etwas breiter wiedergege-
ben werden, weilsie eine Menge über die Wahrnehmung sowjetischer Rüstungsan-
strengungen auch bei aufgeklärten amerikanischen Zeitgenossen enthüllen.
York gibt im wesentlichen drei Gründe: Erstens stellt er fest, daß "zum fragli-
chen Zeitpunkt die wirkliche Aussagefähigkeit von Geheimdienstinformationen
keineswegs offenkundig war, auch für Leute, die gut informiert waren."86 Das
überzeugt nicht sehr, denn die Analytiker hatten die Wahl, entweder den Gesetzen
der Physik zu folgen, oder aber an Nachrichten der Geheimdienste zu glauben. -
Zweitens führt York zur Entschuldigung an, daß ,jenen von uns, die alle Fakten
zur Verfügung hatten, und die wußten, daß es keine wirkliche Grundlage für all
jene Behauptungen gab, die Hände gebunden waren, weil sie eben mit der Geheim-
haltung befaßt waren, die jede wirkliche nachrichtendienstliche Information um-
gibt."87 Auch das überzeugt nicht sehr: Der schulterklopfende Hinweis, daß es ei-
nige Personen gab, denen "alle Informationen zur Verfügung standen", wider-
spricht direkt dem, was York mit seiner ersten Entschuldigung sagt, und er bewegt
sich erneut in Richtung einer zu starken Verallgemeinerung. Sicher hat das Ge-
heimhaltungssystem seine Zwänge, aber die höchsten Beamten des Pentagon hat-
ten ja gerade die Aufgabe, selbständig mit Informationen wie denen über sowjeti-
sche Nuklearbomber umzugehen und politische Antworten auf sie zu geben.
Mit der Angabe seines dritten Grundes gibt York einen Blattschuß auf das
Washingtoner Politiksystem ab. In überzeugender Weise beschreibt er die Umwelt,
in der ein so exotisches Projekt wie der Nuklearbomber über Jahre hinweg blühen
konnte:
,,Mit irgendeiner der voranstehenden Aussagen meine ich keineswegs, daß Geheim-
dienstinformationenmutwillig oder böswillig verfa.Ischt wurden. Wenn das der Fall ge-
wesen wäre, dann wäre das Problem der Regierung, die mit dem Vorgang sich zu befas-
sen hätte, einfach gewesen: Bestraft die Falsifikateure! Stattdessen ereignete sich das
folgende, daß isolierte Fakten und Gerüchte zusammengestellt wurden, hernach analy-
siert und interpretiert wurden, von engagierten Amateuren, bis das Resultat vorlag, fast
reines Wunschdenken und Selbstbetrug. Und da die Empfänger von solchen trügeri-
schen Analysen der Nachrichtendienste häufig ebenso gierig wie prädisponiert waren,
ihnen zu glauben, wie dies die Urheber waren, blieb es außerordentlich schwierig, sich
wirksam mit diesen Vorgängen zu beschäftigen."
Kritik ist auch an die sowjetische Seite zu richten. Zumindest in jenen Jahren lieb-
ten es die sowjetischen Medien, die, wie es dort hieß, ,,Errungenschaften des Kom-
munismus" groß herauszustellen, und dabei den Eindruck zu fördern, daß der wis-
86 Lambrightl967,S. 73
87 Lambrightl967,S. 73
Schlußfolgerungen 249
senschaftliehe Sozialismus fast alles tun konnte, besonders auf dem Gebiet der
Hochtechnologie. In jenen Jahren gab Chruschtschow bekannt, daß die UdSSR
Amerika im Pro-Kopf-Einkommen im Jahre 1970 überholt haben würde.ss Die of-
fizielle Propaganda wurde von den "Großbauten des Kommunismus" beherrscht, in
heutiger Sicht ökologischen Verbrechen wie die inzwischen aufgegebene Irrigation
sibirischer Flüsse durch eine Anzahl von Nuklearexplosionen. Als sie die amerika-
nische Debatte über einen sowjetischen Nuklearbomber beobachteten, hatten die
sowjetischen Verantwortlichen etwas zu schlucken, was sie durch ihre eigenen
Übertreibungen mit in die Welt gesetzt hatten. Heute, im Zeitalter von "glasnost",
steht zu erwarten, daß es auch im Bereich der Rüstungstechnik solche weitreichen-
den Fehlwahrnehmungen nicht mehr gibt Es wäre außerordentlich nützlich, wenn
sich die "glasnost" auch auf den sowjetischen Rüstungssektor erstrecken würde.
Die Hauptrichtung der Kritik bei der Reflexion über das Schicksal des Nu-
klearantriebprojektes muß jedoch in Richtung USA gehen. Es wäre zu einfach an-
zunehmen, daß auf amerikaDiseher Seite soviel Energie und Mühen aufgewendet
wurden, bloß weil man Informationen über die Sowjetunion falsch verstand. Eine
solche Schlußfolgerung wäre völlig unangemessen. Das amerikaDisehe Bomber-
projekt wurde begonnen, bevor irgendeine Nachricht über sowjetische Bemühun-
gen in vergleichbarer Richtung vorlagen. Aber Geheimdienstinformationen über
das angebliche sowjetische Programm haben sicherlich die amerikanischen Bemü-
hungen verstärkt.
Die Rivalität mit den Sowjets führte hin und wieder zu grotesken Fehlentschei-
dungen auch in Einzelheiten. In der ersten Jahreshälfte 1956 verbreitete sich aus ir-
gendwelchen Gründen die Überzeugung, daß reinstes Yttrium das ideale Kühlmit-
tel für den Flugreaktor sei. Für dieses seltene Metall gab es in den USA nur einen
Hersteller, und auch die Angebote auf dem Weltmarkt bezogen sich aufbeschränk-
te Mengen. In einer Blitzaktion erwarb die Atombehörde mehr als sieben Tonnen
reinstes Yttrium, mit denen sich bald der Rechnungshof abplagte. Für das seltene
Metall gab es einfach keine Verwendung.
Auf der Ebene wechselseitiger Wahrnehmungen läßt sich freilich das Bomber-
projekt nicht zureichend erörtern. Auf beiden Seiten gibt es komplizierte bürokrati-
sche Strukturen, die eigentlich früh zu einer Einstellung der Arbeiten hätten führen
müssen. So ist es erforderlich, daß vor Beginn der Finanzierung eines neuen Waf-
fenprojektes eine klar gefaßte militärische Anforderung spezifiziert wird. General
Keim sei mit seiner Anforderung für den Nuklearbomber noch einmal zitiert.
"Stellen Sie sich eine Flotte ,gegnerischer' Hochgeschwindigkeitsflugzeuge vor, die
fortwährend den Luftrawn gerade jenseits unseres Frühwarnsystems patrouillieren, und
die die Fähigkeit aufweisen, einen weitgehend Zerstörerischen Luftangriff mit Raketen
gegen unsere gehärteten Silos vorzubringen. Durch eine gemeinsame Betrachtung a11
dieser Fähigkeiten, zusammen mit denen, welche Interkontinentalraketen aufweisen,
wird das Ausmaß der künftigen Bedrohung durch einen Überraschungsangriff unmittel-
bar sichtbar."89
88 NachPrawda vom 14. Nov. 1958 ("Schlüsseldaten für die Entwicklung der Volkswirt-
schaft in den Jahren 1959 bis 1965. Vorschläge zwn Bericht des Genossen N.S.
Chruschtschow auf dem 21. Parteitag der KPdSU").
89 Zil nach Aviation Week, 1. Dez. 1958, S. 28
250 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb
Besonders der konfuse letzte Satz ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert Zum
einen steht der General augenscheinlich unter Druck, zu erklären, warum er einen
Bomber braucht, wenn es Interkontinentalraketen gibt Wie luftgestützte schwere
Raketen in jenen Tagen so genau gezielt werden könnten, daß sie die angesproche-
ne Wirkung erreichen, bleibt das Geheimnis dieses Sprechers. Daß dieser hochran-
gige General tatsächlich auf der Suche für eine Notwendigkeit für seinen Bomber
war, wird besonders in den Anschlußsätzen sichtbar:
"Ein ideales luftgestütztes bemanntes Alarmsystem hat eine erhebliche Nutzlast zu
transportieren und muß für längere Perioden über verschiedenen Regionen der Welt no-
madisch Patrouillen ausführen. Es muß fortwährend in Verbindung mit geeigneten Füh-
rungsstellen stehen, und es muß sofort in der Lage sein, mit bordgestarteten Raketen zu
reagieren. Erforderlichenfalls sollte das System in der Lage sein, bei einem Massenstart
von Raketen durch einen Angriff im Tiefflug gegen das Kernland des Gegners Ziele
herauszusuchen und zu zerstören, deren genaue Lage nicht genügend genau bekannt ist,
um Fernraketen dagegen einzusetzen. "90
Diese Äußerung enthüllt die Tagträume führender Militärs der Zeit. Der nuklearge-
triebene Bomber, der diesem Bild entspricht, würde "nomadisierende Patrouillen"
fliegen, das Klischee des einsamen Kriegers wiedergebend. Eine "große Nutzlast"
(oder, wie es in diesem Falle heißen müßte, Kriegslast) würde jenen heroischen Be-
satzungen zur Verfügung stehen, die "für längere Zeiträume", und dies "in ver-
schiedenen Regionen der Welt" ihre Schleifen ziehen. Für diese Aufgabe müßte
"immerwährende Kommunikation" (ein früher Hinweis auf C3I?) zur Verfügung
stehen, mit ,,geeigneten" Leitstellen (gibt es auch ungeeignete?). Obendrein müs-
sen die Beteiligten "zu unmittelbarer Reaktion" befähigt sein.- Mit anderen Wor-
ten: Die "harte" militärische Forderung, welche angeblich so wirksam Phantasie-
projekte auf die Plätze verweist, gab und gibt es nicht.
Die leichtfertige Art, wie die spekulative Idee nuklearer Antriebe umgesetzt
wurde, bringt der amerikanis~he Nobelpreisträger Richard P. Feynman angemes-
sen auf den Begriff. Feynman ist zu solch einer Wertung prädestiniert, hat er doch
noch im Kriege einen Patentbeauftragten der Army wie folgt angegangen:
"Es gibt so viele Ideen zur Kernenergie, die völlig auf der Hand liegen, daß ich einen
ganzen Tag hier zu tun hätte, um Ihnen das alles zu erzählen."
,,ZUM BEISPIEL?"
,,Kein Problem! ... Beispiel Kernreaktor ... unter Wasser ... Wasser geht rein ... auf
der anderen Seite kommt Dampf aus ... Pschschscht!- ein Unterseeboot. Oder: Kernre-
aktor ... vorne strömt Luft hinein ... wird durch die Kettenreaktion erhitzt ... kommt
hinten raus ... Bum! Fliegt durch die Luft - ein Flugzeug. Oder: Kernreaktor ... man läßt
Wasserstoff durch das Ding durchgehen ... Sssst! -eine Rakete!"91
Wie Feynman weiter berichtet,92 wurde er nach dem Kriege von einer kaliforni-
seben Flugzeugfirma aufgefordert, ihre Entwicklungsabteilung für nukleargetriebe-
ne Raketen zu leiten ...
Für den Analytiker ergeben sich Folgefragen. Erstens, nachdem es absolut klar
war, daß aus Gründen der radioaktiven Verseuchung der Nuklearbomber nie würde
starten können- wie war es möglich, daß das Projekt für weitere neun Jahre geför-
dert wurde? Whittemore, der Ethiker, ist augenscheinlich der spaßigen Überzeu-
gung, daß nach dem Beratungsergebnis von 1951, schon aus Gründen des Strah-
lungsschutzes könne der Bomber nie starten, das Projekt eingestellt wurde. In
Wirklichkeit dauerte es weitere zehn Jahre, ehe ein solcher Schritt getan wurde.
Erst nach 1951, und nicht vorher, geriet das Projekt voll in Fahrt und erreichte in
der Förderung 1953 einen Höhepunkt.- Die zweite Frage lautet: Wegen der An-
nahme, daß die rüden Russen menschliche Rücksichten über die zuträgliche Strah-
lendosis hintanstellen würden, wieso haben dann die amerikanischen Eliten so
ernsthaft diskutiert, selber Grundregeln der Menschlichkeit hintanzustellen, um
waffentechnisch einen Ausgleich zu erreichen? Das mag nun nicht auf das Bom-
berprojekt beschränkt bleiben, bei den biologischen und Chemiewaffen ließen sich
vergleichbare Feststellungen treffen. Die Furcht, in der Auseinandersetzung mit
einem für inhumaner gehaltenen Gegner am kürzeren Hebel zu sitzen, hat offenbar
auf amerikanischer Seite zu der Ansicht geführt, daß man dann eben selber ethi-
sche Normen außer Acht lassen müsse.
Eben die gleiche Ansicht gilt, im selben Maße von Spekulativität, für den so-
wjetischen Gegenspieler: Die Wahrnehmung eines inhumanen Gegenüber könnte
auf sowjetischer Seite zu der Entscheidung geführt haben, fragwürdige Projekte
auszuführen, die andernfalls abgelehnt worden wären. Jedenfalls läßt sich Whitte-
mores optimistische Schlußfolgerung nicht bestätigen, daß der Nuklearbomber ge-
strichen wurde, weil ethische Bedenken überwogen: "In diesem Falle obsiegten
ethische Argumente, das Experimentalprogramm wurde eingestellt."93 Eine kor-
rektere Schlußfolgerung würde lauten, daß ein undurchführbares Projekt früher
oder später auf die Grenzen gestoßen wäre, die eben die Naturgesetze vorschrei-
ben, daß aber nicht durchschlagende ethische oder andere Erwägungen zu diesem
Ende geführt haben.
Es fallt heute schwer, den Geist jener Tage wieder ins Leben zu rufen. Auf-
grund der beschränkten Reichweite ihrer Bomberkräfte wurde ja der sowjetischen
Führung unterstellt, daß sie ihre Piloten auf Selbstrnordeinsätze, Einwegflüge (wie
dies genannt wird), losschicken würde. Whittemore umreißt das moralische Dilem-
ma für die amerikanischen Entscheidungsgremien plastisch:
"Der Wunsch, amerikanische Soldaten vor den Sturmbränden von Hiroshima zu be-
wahren, brach sich mit dem Begehren, Amerikas Wissenschaftler vor jenen Greueltaten
zu bewahren, die in Nümberg offengelegt wurden. Dieses Spannungsverhältnis ist nicht
lediglich eine Interpretation, die ein späterer Historiker der Vergangenheit überstülpt
Das war ein Konflikt, der klar gesehen wurde, erörtert wurde und ausgefochten wurde
von den Wissenschaftlern, die 1948 bis 51 beteiligt waren."94
Auf einer Folgeebene stellen sich gleichfalls Fragen. Sind die Beschaffungsbehör-
den in Ost und West mit einem Mandat versehen, zwecks Verteidigung der Heimat
Waffensysteme auf den Weg zu schicken, die mit höchster Wahrscheinlichkeit
schwere Folgeschäden etwa für die Umwelt zeitigen würden? - Auch kann man
nicht sagen, daß dieses Projekt sozusagen ein "Ausreißer" ist, eine Sonderentwick-
lung, wie sie in einem ansonsten funktionierenden politischen System auch vor-
93 Manuskript Whittemore, S. 2
94 Manuskript Whittemore, S. 2
252 Rüstungswettlauf um ein Phantom: Der Bomber mit Nuklearantrieb
kommen kann. Das Joint Committee of Atomic Energy, die einflußreichste Institu-
tion im politischen System der USA in jenen Tagen, die sehr wohl als Barriere hät-
te wirken können, veranstaltete nicht weniger als 36 Anhörungen über den Nu-
klearbomber. Im Ergebnis wurde das Joint Committee einer der entschiedensten
Vertreter des Projektes. Das mag viel über die Kompetenz von Politikern sagen,
zweifelhafte Technologien angemessen zu bewerten. Über die sowjetische Gegen-
seite und ihre Bewertungen dieser exotischen Waffenidee läßt sich verständlicher-
weise nichts sagen.
6. Die Rüstungsproduktion der kleineren
Warschauer-Pakt-Staaten und ihr Bezug
auf die sowjetische Rüstungsindustrie
Zumeist ist wenig über die Rüstungsproduktion der kleineren osteuropäischen so-
zialistischen Staaten bekannt, auch unter Fachleuten. Allgemein herrscht das Bild
vor, daß es hier allenfalls Nachbauten sowjetischer Waffen gäbe oder daß Bauteile
der sowjetischen Rüstungsindustrie zugeliefert werden. Mit dem Ende einer eigen-
ständigen Flugzeugindustrie in der DDR schon im Jahre 1958 schien diese Rich-
tung bestätigt.
Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Zwar gibt es, ähnlich wie im We-
sten, keine Statistik über Rüstungsproduktion oder die bei der Rüstung Beschäftig-
ten. Für die Volkswirte rund um den Globus gibt es einen solchen Sektor nicht, er
verbirgt sich hüben wie drüben unter Rubriken wie "Allgemeiner Maschinenbau".
Wegen der besonderen Bedeutung der Rüstung lassen sich aber indirekte Hinweise
angeben. Aus Amerika, und bezeichnenderweise nur dort, sind Daten über Rü-
stungsinputs, nämlich die Rüstungsforschung, sowie über Rüstungsoutputs, die
grenzüberschreitenden Transfers von Waffen aus den sozialistischen Staaten, zi-
tierbar. Und die Schlußfolgerung ist,daß zwischen dem beeindruckenden Input und
dem nicht minder beeindruckenden Output tatsächlich so etwas wie eine Rüstungs-
industrie vorzufinden sein muß.
Tabelle 8 gibt die Ausgaben für Rüstungsforschung in den drei am meisten in-
dustrialisierten sozialistischen Staaten in der östlichen Hälfte Europas wieder, der
Tschechoslowakei, der DDR und Polen. Den Daten für Rüstungsforschung zufolge
wird für neue Militärtechnologie mehr ausgegeben als für die Gehälter der Solda-
ten oder deren Unterhalt (die beiden Zahlen zusammen ergeben das, was amtlich
als "Verteidigungshaushalt" publiziert wird). Die Aufwendungen für die Rüstungs-
forschung entsprechen in der CSSR immerhin drei Vierteln des Aufwandes für den
Unterhalt der tschechischen Streitkräfte. - In der DDR sind die Rüstungsfor-
schungsausgaben den Daten für die Gehälter der Nationalen Volksarmee sowie für
deren täglichen Unterhalt vergleichbar; insgesamt entspricht der Aufwand für Rü-
stungsforschung immerhin mehr als einem Drittel des amtlich angegebenen Mili-
tärhaushaltes. In Polen liegen die Daten zwar etwas niedriger, bleiben aber doch im
Vergleich signifikant.
Betrachtet man die Output-Seite, die grenzüberschreitenden Rüstungstransfers
(Tabelle 9), so ergeben sich überraschend hohe Anteile des Rüstungssektors an den
gesamten außenwirtschaftliehen Beziehungen. Für die Importe ist das erwartbar,
spiegeln doch diese Daten im wesentlichen das Einströmen sowjetischer Rüstungs-
güter wider. Beim Export mögen hin und wieder auch gebrauchte sowjetische
Waffen veräußert werden (so hat die Nationale Volksarmee nachweislich 50 ge-
254 Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten
Tabelle 8:
Militärausgaben
Personalausgaben
Betrieb
Land und Insgs. Insges. Sold Unternalt und Milit. Summe
Jahr (1) (2) (3) (4) Ernalt FuE von 1+6
(5) (8)
Militärausgaben
Personalausgaben
Betrieb
Land und Insges. Insges. Sold Unterhalt und Milit. Summe
Jahr (1) (2) (3) (4) Erhalt FuE von 1+6
(5) (8)
Quelle: Joint Economic Committee, Congress of the United States, East European
Economics: Slow Growth in the 1980's, Vol. 1, Oct. 28, 1985, 99th Congress, S.
Prt. 99-88, Washington D.C. (GPO), S. 484-486
Tabelle 9:
Die Rüstungstransfers der kleineren Sowjetalliierten
Bulgarien
1m 190 303 10 16 6.344 10.110 6.303 10.040 3.0 0.2
1978 260 385 70 104 7.658 11330 7.485 11.080 3.4 0.9
1979 380 519 50 68 8580 11.730 . 9.013 12320 4.4 0.6
1980 230 287 70 87 9.776 12190 10.490 13.080 2.4 0.7
1981 370 426 180 207 10.610 12220 10.490 12090 35 1.7
1982 300 323 370 399 11.610 12520 11.400 12400 26 3.2
1983 440 455 320 331 12370 12780 12220 12630 3.6 26
1984 550 550 625 625 12350 12350 12430 12530 45 5.0
1985 615 653 470 455 13.090 12660 12780 12370 5.2 3.7
1986 725 683 370 348 15.300 14.400 14.490 13.640 4.7 2.6
CSSR
1m 25o 398 615 l.CJ76 10.880 17.340 10.010 15.950 23 6.7
1978 120 178 950 1.406 12490 18.480 11.670 17:J:/O 1.0 8.1
1979 340 465 975 1.332 14370 19.640 13310 18.190 24 7.3
1980 220 274 950 1.185 15520 19.360 15.250 19030 1.4 6.2
1981 340 542 775 893 14.960 17.2!10 15.200 17520 3.1 5.1
1982 220 528 650 701 16.000 17.260 16.180 17.440 3.1 4.0
1983 470 186 725 749 17.040 17.600 17.120 17.690 1.1 4.2
1984 490 550 900 900 17.350 17.350 17.410 17.410 3.2 5.2
1985 180 581 1.400 1.355 17.890 17.310 17.810 17.230 3.4 7.9
1986 460 433 1.100 1.036 21.970 20.690 21.900 20.620 21 5.0
DDR
1m 525 837 90 143 15.050 23.980 12780 20.360 35 0.7
1978 360 533 80 118 16.450 24.350 14.960 22140 22 05
1979 2AO 328 80 109 18380 25.120 16.610 22700 1.3 05
1980 410 511 180 225 20.790 25.930 18.860 23530 20 1.0
1981 600 691 140 161 19.970 23.010 19.650 22640 3.0 0.7
1982 480 517 160 172 20.620 22230 22200 23.640 23 0.7
1983 850 878 210 217 21.970 22700 24.290 25.090 3.9 0.9
1984 725 725 390 390 21.930 21.930 24550 24550 3.3 1.6
1985 825 798 550 532 22150 21.440 23.890 23.110 3.7 2.3
1986 525 494 220 207 27.620 26.010 27.860 26.2!10 1.9 0.8
Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten 257
Polen
wn 370 590 500 797 14.700 23S30 .14S30 23.150 25 3.4
1978 180 266 650 962 16.490 14.400 14.490 21.440 1.1 4S
1979 200 m sso 752 18.160 24.820 16.820 23.040 1.1 3.3
1980 370 461 825 1.0'.29 19.700 24570 17540 21.880 1.9 4.7
1981 750 864 l.(XX) 1.152 15.980 18.410 13.640 15.720 4.7 13
1982 650 701 950 1.024 14.610 15.750 15.260 16.450 4.4 6.2
1983 615 (fJ7 1.000 1.033 15.750 16.Z70 16.430 16.970 43 6.1
1984 320 320 975 975 16.540 16.540 11Il0 11Il0 19 5.6
1985 700 617 1.100 1.o64 17.420 16.850 17.710 17.140 4.0 6.2
1986 650 612 1.100 1.036 21.160 19.930 21.700 20.440 3.1 5.1
Rumänien
1977 160 255 40 64 7JXJ.) 11.250 7.064 11.260 23 0.6
1978 2tiO 385 70 104 8.926 13.210 8.()93 11.980 29 09
1979 170 232 80 109 11.170 15.260 9.949 13.600 1S 0.8
1980 400 499 90 112 12810 15.980 11.210 13.980 3.1 0.8
1981 130 150 450 519 12460 14350 12610 14S30 1.0 3.6
1982 20 22 800 862 9.745 10510 11560 12460 0.2 6.9
1983 50 52 350 362 9.643 9.962 11S10 11.890 OS 3.0
1984 90 90 340 340 10330 10330 12650 12650 0.9 27
1985 30 29 430 416 10A30 1M90 12170 11.770 03 3S
1986 320 301 180 170 1o.600 9982 12500 11.770 3.0 1.4
Ungarn
1977 170 Z71 60 96 8SS8 13.640 7.959 12680 2.D 0.8
1978 Z70 400 70 104 10580 15.660 8.814 13.040 26 0.8
1979 230 314 60 82 11920 16.290 11.120 15.190 19 OS
1980 490 611 110 137 12610 15.730 11.640 14S20 3.9 0.9
1981 190 219 90 104 12590 14S10 11.830 13.630 1S 0.8
1982 Z70 291 120 129 12870 13.870 12420 13.390 21 1.0
1983 120 124 250 258 13.370 13.810 13.200 13.640 09 19
1984 200 200 180 180 12940 12940 13.280 13.280 1S 1.4
1985 70 68 1AO 232 12510 12930 13.440 13.000 OS 1.8
1986 100 94 200 188 14.840 15.760 15.370 14A70 0.6 1.3
Quelle: US Anns Contro1 and Disannament Agency, Wor1d Military Expenditures and Arma Transfers
1987, Hg. Daniel Gallik, Washington, D.C. (GP0),1988
258 Die Rüstungsproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten
Dornier Alphajet
(BR Deutschland)
PZLI-22
(Polen)
FMA IA 63 Pampa
(Argentinien)
11 Johnson/Dean/Alexiev 1982, S. 36 f.
7. Einzelstudien
Hin und wieder ergibt sich die spektakuläre Gelegenheit, im Westen moderne so-
wjetische Rüstungsgüter zu inspizieren. Der Höhepunkt eines solchen ungewöhnli-
chen Ost-West-Technologietransfers ereignete sich im September 1976, als eine
damals hochmoderne MiG-25 im japanischen Hakodate landete. Dieser Höhenjä-
ger, der dreifache Schallgeschwindigkeit erreichte, wird in einer Fachpublikation
als "das klassische Beispiel der Inflationierung von Bedrohung" bezeichnet.!
Die Betrachtung dieses Falles, sozusagen der Versuch der Inspektion eines
Stücks Hardware sowjetischer Rüstung mit sozialwissenschaftlichem Erkenntnisin-
teresse, ergibt zugleich Einsichten, in welcher Weise auf amerikanischer Seite Kor-
rekturen an vorangehenden Fehlwahrnehmungen vorgenommen werden. Noch in
der Nacht, als die Nachricht von der Flucht der MiG in den USA eintraf, verließen
zwei Transportmaschinen Boeing VC-135 die Flugbase Wright-Patterson, wo die
"Foreign Technology Division" der US-Luftwaffe beheimatet ist. Grund der Blitz-
reise war das "am meisten gefürchtete und am wenigsten bekannte von allen so-
wjetischen Flugzeugen" .2
Zu Beginn der sechziger Jahre planten die amerikanischen Luftstreitkräfte,
schwere Doppelschallbomber vorn Typ B-70 "Walküre" gegen die Sowjetunion
einzusetzen. Die MiG-25 sollte den neuen amerikanischen Superbomber bekämp-
fen. Dazu war ein großkalibriges Radargerät nötig, mit genug Leistung, um elek-
tronische Gegenmaßnahmen des Bombers unwirksam zu machen. Ferner waren als
Bewaffnung schwere Raketen nötig, von denen jede einzelne den amerikanischen
Bomber vorn Himmel holen sollte. Diese Konfiguration mußte ferner schneller als
der Doppelschallbomber fliegen - deswegen die exzessive Anforderung einer
Höchstgeschwindigkeit bis zu Mach 3. Die MiG-25 löste diese Aufgabe in einer
die westlichen Experten überraschenden Weise.
Da war nichts mehr von "Inkrernentalisrnus" oder der Fortschreibung von Tra-
ditionen zu sehen. Die MiG-Konstrukteure hatten offenbar mit einem weißen Zei-
chenbogen angefangen zu konstruieren. Eine Reihe von Folgeproblernen, die so
ein ungewöhnliches Flugzeug mit sich brachte, hatten sie auf neuartige Weise um-
gangen. So war die aerodynamische Aufbeizung beim hohen Überschaffgeschwin-
digkeitsflug in jenen Jahren eines der größten Problerne - Alurniniurnverbindun-
gen, bis dahin die bevorzugten Werkstoffe im Flugzeugbau, würden solchen Tem-
peraturen nicht widerstehen können, außerdem würde es rascher zu Ermüdungsbrü-
chen kommen. Im Westen bestand die Antwort auf diese Problerne in der Wahl
von Titan. Die russischen Konstrukteure griffen auf hochwarmfeste Stähle zurück.
1 Sweetman 1985, S. 56
2 Sweetman 1985, S. 50
264 Einzelstudien
Stahl als Baustoff gehörte nicht zum Arsenal westlicher Flugzeugbauer, ob-
wohl solche Stahllegierungen vergleichsweise billig zu haben sind und sie recht
leistungsfähig im Verhältnis dazu sind, wieviel Spannung sie pro Gewichteinheit
aufnehmen können, auch bei hohen Temperaturen. Zwar sind Aluminium und Ti-
tan bei Leichtbaukonstruktionen, wie sie im Flugzeugwesen üblich sind, für her-
kömmliche Fertigungsverfahren besser geeignet, und lassen sich eher in größeren
Komponenten bauen. Stahl bei so dünnen Oberflächen ist spröder zu handhaben
und erfordert eine Vielzahl von Schweißnähten - für westliche Konstrukteure klas-
sische Schwachstellen. Man wußte zwar, daß für die Aufnahme konzentrierter La-
sten Stahlspanten im sowjetischen Flugzeugbau breit verwendet wurden, daß aber
ein ganzer Rumpf für ein Hochleistungsflugzeug aus Stahl zusammengeschweißt
wurde, war eine Überraschung.
Diegenaue Inspektion des in Japan gelandeten MiG-Jägers ergab, daß mehr
oder minder der gesamte Rumpf aus Nickelstahl bestand, der unter einer Argon-
Schutzatmosphäre elektronisch verschweißt worden war. Größere Baugruppen wa-
ren nach dem Zusammenschweißen durch Wärmebehandlung weiter zusammenge-
backen worden. Lediglich die Flügelnasen und die gleichfalls der thermischen
Aufheizung besonders ausgesetzten Vorderkanten der Leitwerke bestanden aus
Titan. Hier war das Fertigungsverfahren besonders simpel: Bleche aus Titanlegie-
rung waren einfach geknickt worden, um so die Nasenkanten herauszuschneiden. -
An weniger belasteten Teilen des Jägers im Hinterrumpf fanden die überraschten
US-Prüfer gar einen der ältesten Werkstoffe im Flugzeugbau, Duraluminium)
Die Ausführung eines Hochleistungsflugzeuges in so herkömmlichen Werk-
stoffen wie Stahl bietet militärisch offenkundig weitere Vorteile. Die MiG wies ei-
nige recht grobe Schweißnähte auf - offenbar war mit einfachen Mitteln auf Feld-
flugplätzen gegen Ermüdungsrisse angegangen worden (im Westen erfordert die
Beseitigung der gleichen Störfaktoren, daß das Flugzeug in die Fabrik zurückge-
schickt wird).
Auch die beiden mächtigen Triebwerke, die das ungewöhnliche Flugzeug in
große Höhen tragen sollten, erregten das Interesse und Erstaunen der amerikani-
schen Experten. Die Grundkennziffer für Triebwerksleistungen, das Druckverhält-
nis, lag niedrig, lediglich bei 7 : 1, so wie es für kleine Hilfsaggregate im Westen
üblich ist. Im Hochgeschwindigkeitsflug stand ja genügend Staudruck zur Verfü-
gung, so daß in der Tat die Motoren einfach gehalten werden konnten. Auch siebe-
standen zum größten Teil aus Stahl, und nur wenige Bauteile waren in Titan ausge-
führt.
Die Elektronik des Hochleistungsflugzeuges wurde von den westlichen Exper-
ten belächelt: Es fanden sich weitgehend Vakuumröhren, wo doch im Westen
längst Transistoren üblich waren. Auch war das Flugzeug so ausgelegt, daß es vom
Boden aus elektronisch geführt würde, zum größten Teil mit automatischer Steue-
rung. Die vom Radar des Jägers aufgenommenen Informationen wurden an den
Boden vermittelt, dort ausgewertet und in entsprechende Fluganweisungen umge-
setzt. Die Bodenstation würde dann den Jäger an den Bomber so nah heranführen,
daß dieser eine seiner schweren Raketen abfeuern konnte. Im Westen meinte man,
daß so die Eigeninitiative des Piloten ausgeschaltet werden sollte, ja, daß durch die
strikte Bindung an Bodenstationen mögliche Fluchtversuche vereitelt werden soll-
ten. Nun beweist der Flug des Leutnants Belenko nach Hakodate, daß die Boden-
stationen Ausreißer nicht verhindem kann. Technische Überlegungen sprechen
eher für das russische Konzept der Bodenführung: Die Filterung der vom Radar
des Jägers aufgenommenen Informationen, die Abweisung von elektronischen
Fehlinformationen, die Koordination verschiedener Flugzeuge in der Luft ge-
schieht tatsächlich überzeugenderweise besser vom Boden aus. Mit den bodenge-
bundenen Stationen war zugleich deutlich, daß es sich strikt um eine Defensivanla-
ge zur Bekämpfung einfliegender Bomber handelt - die Jäger ließen sich nicht
außerhalb der Landesgrenzen führen. Solche Gesichtspunkte wurden allerdings in
den amerikanischen Auswertungen weniger betont.
Eine englische Fachpublikation schätzt, daß "die MiG-25 mit den Unterstüt-
zungseinrichtungen am Boden zu ihrer Zeit gewiß das beste System zur Höhenjagd
gewesen ist". 4 Die Israelis konnten sich zwischen Oktober 1971 und März 1972
davon überzeugen, als in Kairo stationierte MiG-25, unerreichbar für israelische
Jäger, Aufklärungsflüge durchführten, und dabei der Länge nach über Israel flogen
(mit dem Abzug der Sowjets aus Ägypten verschwanden auch die MiGs).
Die hier kurz vorgeführte Waffenlösung MiG-25 stellt keinen Einzelfall dar.
Überraschende Verwendungen herkömmlicher Materialien finden sich auch bei an-
deren Projekten (so waren die amerikanischen Kriegsschiffbauer überrascht zu ler-
nen, daß die Beplankung des Flugdecks des ersten sowjetischen Flugzeugträgers in
Holz ausgeführt war - sie kannten nur noch Stahldecks). Die Betrachtung solcher
Einzelsysteme gestattet zwei verallgemeinemde Schlußfolgerungen. Trotz mancher
Abhängigkeiten von Technologieimpulsen aus dem Westen hat sich die sowjeti-
sche Rüstungstechnik Eigenständigkeit, ja Eigenwilligkeit bewahrt. Und mit sol-
chen Lösungen gelingt es ihr durchaus, der Rüstungstechnik des Westens Paroli zu
bieten.
Zwölf Jahre später, im September 1988, landeten erneut modernste MiG-
Kampfflugzeuge, diesmal des Typs 29, im Westen, im englischen Famborough.
Die Umstände waren freilich im Zeitalter Gorbatschows völlig andere als seiner-
zeit bei der Flucht Belenkos. Diesmal wurden neueste sowjetische Jäger offiziell
westlichen Militärexperten vorgeflogen. Der stellvertretende Minister für die Flug-
zeugindustrie, Maxim Owski, erläuterte, daß es die neue Politik der Sowjets sei,
ihre Leistungen anderen Nationen vorzuführen- "ebenso wie wir glasnost inner-
halb der UdSSR vorantreiben".5 Andere Sowjetoffizielle erläuterten, der Zweck
der ungewöhnlichen Vorführung von Kampfflugzeugen aus der UdSSR sei es, "zu
demonstrieren, daß das Land über die Fähigkeit verfügt, Kampfflugzeuge fortge-
schrittener Technologie zu erzeugen, die den im Westen erzeugten Modellen eben-
bürtig sind."6
Die MiG-29 wurde im Herbst 1988 in England bei Flugvorführungen und am
Boden genauestens inspiziert. Chefkonstrukteur Rostislaw A. Beljakow vom MiG-
Team und andere antworteten freimütig auf technische Fragen. Die MiGs dieser
Generation sind offenbar mit Hilfe von computergestützten Verfahren konstruiert
worden, wenngleich, so eine amerikanische Bewertung, mit einem "weniger kom-
plexen System als solchen, wie sie für vergleichbare westliche Kampfflugzeuge
4 Sweetman 1985, S. 56
5 Aviation Week & Space Technology, 12. September 1988, S. 18
6 Aviation Week & Space Technology, 12. September 1988, S. 18
266 Einzelstudien
Verwendung finden".?
Ingenieurmäßig spiegelt die MiG-29 das Konzept wider, fertigungstechnische
Präzision nur dort einzusetzen, wo diese aus aerodynamischen oder anderen Grün-
den erforderlich ist, ansonsten aber bei geringeren Anforderungen fünfe gerade
sein zu lassen. Westliche Inspizienten der MiG in Farnborough stellten "eine große
Bandbreite in der handwerklichen Ausführung" fest- während westliche Gegen-
stücke von Bug bis Heck durch ausgefeiltes Finish der Fertigung glänzen. Die so-
wjetischen Konstruktionsauffassungen spiegeln hingegen das Prinzip wider, ferti-
gungstechnische Raffmesse nur dort walten zu lassen, wo sie unbedingt erforder-
lich ist - und in weniger beanspruchten Partien fertigungstechnisch zweitrangige
Verfahren anzuwenden. So verzeichnen die Berichte westlicher Analytiker der
MiG-29, daß "der höchste Standard in der Ausführung in den aerodynamisch kriti-
schen Partien zu finden ist. Dies trifft zum Beispiel auf die Führungskanten des
Höhenleitwerkes zu. Die Hinterkanten sind weniger sorgfältig ausgeführt."S Ähn-
lich sind die Triebwerkseinläufe der MiG und deren Umgebung fertigungstech-
nisch sorgfältig gestaltet. Westliche Betrachter verzeichnen beeindruckt, daß in
diesen kritischen Bereichen die Schraubenköpfe gar Markierungen zu folgen hat-
ten, wie sie auszurichten seien.
Ansonsten repräsentierten die neuen MiGs die Tradition sowjetischen Hochlei-
stungsflugzeugbaus als eine von Handwerkern. Standardisierte austauschbare Teile
oder Baugruppen scheint es nach wie vor kaum zu geben, Handarbeit und ihre Tra-
ditionen überwiegen. Von außen war dies besonders in den Vernietungen von Be-
plankungsblechen sichtbar. Am Heck, wo sich die aerodynamische Umströmung
im Regelfall von der Flugzeugoberfläche gelöst hat, sei - so amerikanische Beob-
achter- jede zehnte Verschraubung inkorrekt ausgeführt worden.
Westlichen Beobachtern fiel besonders auf, daß jenseits von fertigungstechni-
schem Finish die neuesten MiG-Jäger eine Anzahl von Grobheiten aufweisen, die
man bei westlichen Gegenstücken nicht findet. So ragen selbst bei diesen neuesten
MiGs die Bolzenenden bei Verschraubungen wesentlich über die Muttern hinaus.
Das erleichtert die Montage, widerspricht aber sehr der westlichen Ansicht, schon
aus Gewichtsgründen direkt hinter der Mutter abzuschneiden.
Weitere Details solcher Art: Die Gestänge der Klappen und Ruder waren nicht
im mindesten aerodynamisch verkleidet- die Widerstandserhöhung zählt augen-
scheinlich gegenüber der Vereinfachung der Konstruktion wenig. Die Schmiernip-
pel, welche westliche Fachleute an den Gestängen und am Fahrwerksbein der
MiG-29 entdeckten, erinnerten diese "an Autos aus den fünfziger Jahren oder an
landwirtschaftliche Fahrzeuge".9 Augenscheinlich benutzen die Sowjets bislang
nicht moderne schmierfreie Kugellager.
Auf Gebrauchsfähigkeit im rauben Truppenalltag deutete ein schwerer Stahl-
rahmen am Bugfahrwerk hin, der von den Rädern aufgeschleuderte Steine und an-
dere Gegenstände abweisen soll. Beim Einziehen der Hauptfahrwerke werden de-
ren Drehungen durch Stahlplatten mit Nocken gebremst.
Ein Testpilot einer westeuropäischen Firma befand, daß die MiG-29 ,,nichts
kann, was eine F-16, F-18 oder Mirage 2000 nicht auch kann- aber sie kann es
7 Lenorowitz 1988, S. 40
8 Lenorowitz 1988, S. 40
9 Aviation Week & Space Technology, 26. Sept, 1988, S. 45
Eine MiG im Westen 267
ohne ein fly-by-wire-Steuersystem oder einen Bordrechner, und dies bleibt aner-
kennenswert" .10
Zwar verfügt die MiG über ein Dopplerradar mit der sogenannten "look-down,
shoot down"-Fähigkeit, etwa um tieffliegende Marschflugkörper abzuschießen, ne-
ben elektrooptischen Zielsuchsystemen und einem Laserentfernungsmesser zum
Ziel. Dennoch bezeichnen westliche Inspizienten die Ausrüstung der MiG-29 als
"antiquiert". Mit ihren runden Instrumenten im Cockpit entspreche sie der in den
fünfziger Jahren entwickelten McDonnell F-4, wird ein Regierungsbeamter zi-
tiert.ll
Bei derartigen Äußerungen von westlicher Seite ist freilich zu berichten, daß
amerikanische Technologien unwillkürlich zum Maßstab gemacht werden. Ob die
integrierten Sichtschirme neuerer amerikanischer Düsenjäger mit der Einblendung
von Fluginformationen, Navigationshinweisen und Einsatzbefehlen tatsächtlich im
Zweifelsfall die besseren Kriegsmaschinen abgeben, muß offen bleiben. Flugtech-
nisch scheinen die neuen MiG-29-Kampfflugzeuge voll modernen Standards zu
entsprechen. Ihre Herstellung folgt, wie die Beobachtungen über Vernielungen und
Verschraubungen ergeben, zwar anderen Leitgesichtspunkten als im Westen üb-
lich, dennoch besteht kein Anlaß, an der Tauglichkeit dieser sowjetischen Waffen
zu zweifeln. Grundsätzliche Trends in der Waffentechnologie werden durchaus
aufgenommen, etwa die Verwendung leichterer Kohlenstoff-Faserverbundwerk-
stoffe im Jägerbau (bei der MiG-29 laut Chefkonstrukteur7 % des Zellengewich-
tes). Auffällig bleibt dennoch der Unterschied in der elektronischen Ausrüstung.
Vor einem Dutzend Jahren war dieser Tatbestand bei der MiG-25 in Japan unter-
strichen worden. Heute werden vergleichbare Rückstände notiert - offenkundig
Fingerzeig auf eine grundsätzliche Schwäche der sowjetischen Rüstungsindustrie.
Über die sowjetische Marine als Sozialwissenschaftler zu schreiben, heißt vor al-
lem sich mit U-Booten zu beschäftigen. Das U-Boot ist nachgerade Symbol der so-
wjetischen Seerüstung: Der russische Bär wollte nicht nur schwimmen lernen, er
wollte auch gleich tauchen können.
Nach der Revolution galt das erste große maritime Neubauprogramm der So-
wjets U-Booten. Bis 1941 musterte die U-Bootflotte der UdSSR 220 Schiffe- sie
war damals die stärkste der Welt. 1948 wurde der Plan verkündet, zwischen 1950
und 1965 nicht weniger als 1.200 U-Boote auf Kiel zu legen. Zunächst sollten pro
Jahr 78, hernach 100 Einheiten gefertigt werden.12 Das waren phantastische Zah-
len (heute verfügt die sowjetische Flotte über rund 400 U-Boote), die vor allem
den politischen Willen jener Jahre anzeigen. Auch soll deutsches Beute-know how
zu diesem Großprojekt beigetragen haben.13
Tabelle 10:
Das V-Boot-Bauprogramm von 1948
Boote mittlerer
Wihiskey 340 240 1951-57
Reichweite
Romeo 560 20 1957-:62
900 260
Quelle: Zusanunengestellt nach Jane's Fighting Ships, 1987-88 ed., London 1987,
S.561
Anmerkung: Die tatsächlichen Bauzahlen liegen geringfügig höher, wenn exportierte
Neubauten mitgerechnet werden.
Von den 1200 projektierten Booten wurden lediglich 388 tatsächlich gebaut. Der
Einbruch geht hauptsächlich zu Lasten von Schiffen mittlerer Reichweite: Statt
560 wurden ganze 20 Exemplare in der sogenannten "Romeo-Klasse" gefertigt.
Ursache war der Übergang zum Nuklearantrieb. Der fiel so teuer aus, daß die Plan-
zahlen drastisch zurückgenommen werden mußten (vgl. Tabelle 10).
Seit etwa 1950- so das Marinehandbuch Jane's Fighting Ships- wurde in der
UdSSR an nuklearen Schiffsantrieben gearbeitet. 1953 soll der erste Reaktor für
den U-Boot-Antrieb verfügbar gewesen sein, ungefahr zur gleichen Zeit wie der
Antrieb für den zivilen Eisbrecher ,,Lenin".l4 Das erste Serien-Atom-U-Boot der
UdSSR wurde augenscheinlich 1958 in Dienst gestellt (zum Vergleich: Die ersten
US-Atom-U-Boote nahm die Navy im September 1958 in den Dienst; das erste
Versuchsschiff ,,Nautilus" lief 1954 vom Stapel).l5 Auch bei der Konzipierung des
ersten U-Bootes als Raketenträger lagen die beiden Supermächte gleichauf. Zum
Jahresende 1957 fiel die Entscheidung für Amerikas erstes Raketen-U-Boot, die
"George Washington", und "ungefähr zu diesem Zeitpunkt ... begann wahrschein-
lich die Sowjetunion ihr eigenes großes Programm".16
Heute bauen die Sowjets die größten Unterwasserschiffe der Welt. Mit 25.000
to Wasserverdrängung (die größten US-Schiffe bringen es auf 18.000 to) ist ein
modernes sowjetisches Gefahrt der "Taifun"-Klasse kaum mehr als ein als U-
"Boot" anzusprechen, rangiert es doch der Tonnage nach, wäre es ein Überwasser-
schiff, eher als schwerer Kreuzer. 150 Mann sollen an Bord dieser Ungetüme
Dienst tun. Mit seinen 20 Interkontinentalraketen vom Typ SS-N-20, jede mit sie-
ben Atomsprengköpfen bestückt, verfügt jeder "Taifun" über mehr Zerstörungs-
kraft als alle Kreuzer vergangener Tage. In der jüngsten Ausgabe der Pentagon-
Schrift "Soviet Military Power" wird, den Respekt der Amerikaner vor dem Rie-
senschiff anzeigend, Generalsekretär Gorbatschow auf dem Titel porträtiert, wie er
Meldungen der Besatzung vor dem hohen Turm eines "Taifun" entgegennimmt)?
Die sowjetische Uboot-Rüstung beeindruckt ferner durch ihre Breite. Ameri-
kanischen QuellenlS zufolge sind in der UdSSR im vergangenen Jahrzehnt nicht
weniger als 13 verschiedene neue Uboot-Modelle vom Stapel gelaufen. Wegen der
Gestehungskosten wird bei den Schiffen der "Alpha"-Klasse in der Sowjetunion
liebevoll-ironisch von "unseren Goldfischen" gesprochen. Das jüngste Produkt der
Uboot-Konstrukteure, genannt "Akula" (Hai), ist nach Aussagen eines amerikani-
schen Marineexperten "das beste Uboot, was heute im Wasser schwimmt". Auch
seien die Sowjets mit dieser Konstruktion "zehn Jahre dem Zeitpunkt voraus, bei
dem die Navy sie zu finden meinte".19
Neben den strategischen Raketen-U-Booten stellte der Flguzeugträger die
große Herausforderung an die sowjetische Marinerüstung dar. Ohne den Luft-
schirm, den Trägerflugzeuge einer Flotte verleihen, würde die Sowjetmarine welt-
weit nie mit gleichen Waffen wie die andere Supermacht antreten können. Das
Projekt, die Seestreitkräfte mit Flugzeugträgern auszustatten, wurde unter Admiral
Gorschkow über Jahrzehnte angelegt- und zielstrebig verfolgt. Schritt für Schritt
tasteten sich die sowjetischen Ingenieure und Techniker vor, konzipierten zunächst
einfache Hubschrauberträger, hernach Flugzeugträger für Senkrechtstarker, und
schließlich, nach ausgiebiger Auswertung von Seepraxis, komplette Träger mit
Startkatapulten. Der erste wirkliche Flugzeugträger, im Jahre 1983 auf Kiel gelegt
und im Dezember 1985 auf der Nikolajew-Werft am Schwarzen Meer vom Stapel
gelaufen, soll 1988 die Versuchsfahrten aufnehmen. Es lohnt sich, diesem sowjeti-
schen Langzeitprojekt in wichtigen Einzelschritten nachzugehen.
Die sowjetischen Träger sind aus schweren Kreuzern abgeleitet (tatsächlich
heißen die beiden Zwischentypen amtlich in der UdSSR "Kreuzer" oder "Kreus-
ser", nämlich "Protiwolodotschnij Kreusser'', Anti-Uboot-Kreuzer im Falle der
"Moskau"-Klasse und "Taktitscheskoje avianosnij kreusser", taktische Kampfflug-
zeuge tragender Kreuzer für die "Kiew"-Klasse).20- Im Mai 1967 wurde der erste
Hubschrauberträger der "Moskau"-Klasse in den Dienst gestellt. Die mangelnde
Erfahrung der Konstrukteure schlug sich in schlechter Seegängigkeit bei schwerer
See nieder.21 -Der technisch nächste Schritt wurde ein Jahrzehnt später mit den
gegenüber der "Moskau"-Klasse doppelt so großen Trägem der "Kiew"-Klasse ge-
tan. Als das erste Schiff dieser Art im Juli 1976 die Dardanellen passierte, nutzten
westliche Experten die Gelegenheit, die sowjetische Neuheit ausgiebig in Augen-
schein zu nehmen. Sie erlebten einige Überraschungen. Das Flugdeck bestand bei
diesem Kriegsschiff nicht aus Stahl, wie bei westlichen Trägem üblich - die
"Kiew" war mit Holz beplankt!22 Die Jakolew-36 Jäger hinterließen nach einigen
Senkrechtstarts zwar unschöne Verkohlungsflecke an den Stellen, wo die heißen
Abgase aufschlugen. Ansonsten schien das hölzerne Flugdeck aber alle seine
Funktionen zu erfüllen. - Ungewöhnlicherweise führt der sowjetische Träger auch
Fernraketen (vom Typ SS-N-12 mit rund 500 Kilometern Reichweite) neben dem
üblichen Arsenal an Flakraketen mit. Diese Eigenart verweist erneut auf die Nähe
der Träger zu Schlachtschiffkonzepten; auch die schweren Kreuzer der Sowjetma-
rine sind mit Fernraketen ausgerüstet, wie sie ansonsten für U-Boote verwendet
werden (vgl. Tabelle 11).
Wiederum zehn Jahre später fühlten sich die Sowjets augenscheinlich sicher
genug, den Bau ihres ersten richtigen Flugzeugträgers anzugehen. Die Schiffsgröße
wurde erneut verdoppelt und auf rund 70.000 Tonnen Wasserverdrängung gestei-
gert. Beim Antrieb griff man auf die Reaktoranlagen der schweren Schlachtschiffe
der "Kirow"-Klasse zurück (die Vorläufermuster des Trägers werden von her-
kömmlichen Dampfturbinen angetrieben). Aus England wurde die "Ski-jump"-
Technik übernommen: Die Startbahn eines startenden Jets verkürzt sich, wenn die
Rollstrecke parabelförmig nach oben gekrümmt ist. Die um sieben Grad überhöhte
"Ski-jump"-Anlage für den Bug des neuen Trägers ist in Saki am Schwarzen Meer
mit Jägern der Muster Suchoj Su-27, MiG 29 und Su-25 erprobt worden.23 -Auch
fertigungstechnisch hatten die sowjetischen Marineingenieure eine Überraschung
parat. Weil die Heilige der Werft in Nikolajew für ein so riesiges Schiff- der So-
wjetträger mißt mehr als 300 Meter vom Bug zum Heck- zu klein sind, wurde das
Schiff einfach in zwei Hälften gebaut, die auch getrennt vom Stapel liefen. Seither
wartet die US-Aufklärung gespannt, wann und wie die beiden auf Satellitenfotos
gut erkennbaren Trägerhälften zusammengebaut werden.
Der wohl phantastischste Zug der sowjetischen Marinerüstung besteht in der
Kriegsflotte des KGB. Der Leser hat sich nicht verlesen: Der allmächtige Staatssi-
cherheitsdienst kommandiert eine eigene Kriegsmarine. Nach Schiffszahl und Ton-
nage rangiert diese irgendwo zwischen der Bundesmarine und den Seestreitkräften
Frankreichs oder Japans. Der Grund, warum über diese KGB-Marine so wenig be-
kannt ist, mutet recht albern an: Die führenden Marinehandbücher verzeichnen die-
se Geheimdienstflotte getreulich, freilich als letzten Eintrag im Länderabschnitt so-
wjetische Marine- hinter Schwimmdocks und Schleppern als nun wirklich gering-
wertigen Beiträgen zur Seerüstung.24
21 Jane's Fighting Ships 1987-88, S. 592: "Die Rumpfkonstruktion wies schlechte Lei-
stungen bei schlechtem Wetter auf."
22 Jordan 1983, S. 88, schreibt allerdings, daß "der Parkraum im Hinterschiff sowie der
gesamte Teil des Schrägdecks des Flugdecks mit bräunlichen hitzebeständigen Kacheln
der Größe von etwa einem halben Quadratmeter" bedeckt war.
23 Jane's Fighting Ships 1987-88, S. 568. Vgl. auch SovietMilitary Power 1988 S. 41
24 Die gängige Marine-Literatur zur sowjetischen Seerüstung legt auf derlei Beobachtun-
Sowjetische Seekriegsrüstung 271
Tabelle 11:
Schrittfolge im sowjetischen Trägerbau
Wasser-
Schiffs- Zahl der Zahl der AufKiel Von Stapel in Dienst
verdrängung
klasse Hubschrauber Flugzeuge gelegt gelaufen gestellt
(1.000 to)
1983 11/1985
(?) ca. 70 insg. ca. so 11/1985 (?)/1988
genkeinen Wert. Die Tätigkeit des KGB fmdet sich weder erwähnt in dem dreibändi-
gen deutschen Standardwerk von Ulrich Schulz-Torge, Die sowjetische Kriegsmarine,
Bonn (Wehr und Wissen), noch in englischsprachiger Spezialliteratur, etwa Jordan
1983.- Im "Vorwort des Herausgebers" (Schulz-Torge 1985, o.S.; hernach ist von ei-
nem Plural die Rede, es zeichnen "die Herausgeber"; gleichermaßen im Inhaltsver-
zeichnis) wird herausgestrichen, daß von einer Anzahl von Schiffen ,,nicht nur ihre
Flottenzugehörigkeit, sondern auch erstmals eine Vielzahl ihrer Kommandanten ge-
nannt werden". Der Kommandant KGB fehlt freilich unter den genannten Herren.
272 Einzelstudien
dieser Kategorie) sowie Dutzende weiterer Schüfe anzuführen. Es mag ja sein, daß
diese eindrucksvolle Armada der Grenzschutzaufgabe des KGB dient. Von Dut-
zenden weiterer Schüfe, offiziell zumeist dem "Hydrographischen Dienst" der
UdSSR unterstellt (Jane's weist 63 solcher Schiffe nach) wird als Hauptaufgabe
"Nachrichtensammlung" angegeben - weil eben dies Aufgabe des KGB ist, steht
zu vermuten, daß die Staatssicherheit hinter den Kulissen auch den Hydrographi-
schen Dienst der UdSSR managt. - Daneben gibt es die in jeder Marine zu finden-.
den zivilen Forschungsschiffe, Schiffe für die Raketentests, elf Antennenträger
verschiedener Größen für das Raumfahrtprogramm, so daß die besonderen Aufga-
ben der "Nachrichtensammler" auf der Hand liegen dürften.
Es überrascht nicht, daß die einschlägige KGB-Literatur im Westen diese See-
streitmacht nicht zur Kenntnis nimmt. Um nicht mißverstanden zu werden: daß der
Grenzschutz zur See auch mit Schiffen stattfindet, wird durchaus vermerkt. Von
der geballten Feuerkraft einer "Kriwak"-Fregatte, ihren 20 Flakraketen SA-N-4,
den 10-cm-Geschützen und 3-cm-Maschinenkanonen, den Minen, Torpedos und
anderen Bordwaffen einer solchen Kriegsmaschine scheint man aber im Literatur-
milieu der KGB-Schriften keinen Begriff zu haben. -Nach alldem bleibt trotzdem
schwer erfindlich, warum der KGB eine solche Kriegsflotte unterhält. Oder - viel-
leicht gibt es gar keine rationale Erklärung für diese sowjetische Spezialität?
7.3 Waffenexporte25
Die Sowjetunion ist einer der beiden größten Waffenlieferanten der Welt. In den
letzten Jahren haben die USA und die UdSSR zusammen zum Beispiel etwa zwei
Drittel aller Exporte von größeren Waffen in die Dritte Welt getätigt. Über diese
grobe Schätzung hinaus ist ein detaillierter Vergleich der beiden Hauptlieferanten
jedoch nicht einfach. Die Problematik eines solchen Vergleichs ist vielschichtig.
Die einem solchen Vergleich zugrundeliegenden Daten - die registrierten
Transaktionen - sind außerordentlich unzuverlässig. Auch Informationen über so-
wjetische Waffenexporte stammen nicht aus sowjetischen Quellen. Die Sowjet-
union veröffentlichte bis vor kurzem keine entsprechenden Daten. Die öffentlich
zugänglichen Quellen bestehen im wesentlichen aus den Angaben der Empfänger-
Iänder oder Berechnungen anband von zahlreichen einschlägigen Pressemeldun-
gen, Zeitschriften und Handbüchern, die versuchen, Transaktionen und Bestände
von Waffen festzustellen. Das von SIPRI erstellte Verzeichnis über Waffenhandel
beruht zwar auf einer gründlichen Analyse dieser Angaben, erfaßt aber nur Exporte
in die Dritte Welt, und von denen auch nur die Großwaffen. Die US-Regierung
veröffentlicht ihre eigenen Schätzdaten über die Anzahl bestimmter Waffen, wel-
che die Sowjetunion exportiert; diese beruhen auf Geheimdienstquellen. Die Verei-
nigten Staaten veröffentlichen jedoch kein Verzeichnis der einzelnen Transaktio-
nen; ihre Zahlenangaben können daher nicht mit Hilfe detaillierter Angaben über
entsprechende Transaktionen überprüft werden.
Der bloße Zahlenvergleich von Waffen ist selbstverständlich keine adäquate
Grundlage für einen generellen Vergleich. Man würde zu einem erheblich überzo-
genen Ergebnis für die sowjetische Waffenexporte kommen, weil bislang deren
25 Eine Vorfassung dieses Abschnittes ist erschienen im SIPRI Yearbook 1983, S. 361-
369, dt. in SIPRI 1984, S. 229-239.
Waffenexporte 273
Tabelle 12:
Sowjetische Rüstungsaußenwirtschaft (Mio. US $)
Quelle: US Arms Control and Disarmament Agency, World Military Expenditures and
Arms Transfers 1987, Washington, D.C. 1988, S. 119
Begründet wird die Revision damit, daß nicht die Zahl oder die Preise der ausge-
führten sowjetischen Waffensysteme korrigiert werden müssen, sondern daß be-
sonders für Kriegsregionen der Wert der Lieferung von "Hilfsgütern" neu anzuset-
zen sei. Das ist nur als Hinweis auf Lieferungen von Munition, Bomben und ande-
ren militärischen Verbrauchsgütern im Golfkrieg sowie nach Afghanistan und in
andere Kriegsgebiete zu verstehen.
Die angegebenen Steigerungsraten erweisen sich als Untertreibung. Die Aus-
gabe von 1986 der gleichen Quelle verzeichnet Angaben, denen gegenüber die
Neufassung Steigerungen um das Doppelte andeutet (zunächst wurden die Exporte
für 1986 mit 11.100 Mio. $ angegeben, nunmehr lautet die gleiche Ziffer 18.000
Mio. $; für 1987 lauten die Zahlen 8.900 Mio. bzw. neu 18.000 Mio. $ usf.).29
Kein Wunder, daß die Sowjetausfuhr nach Ansicht amerikaDiseher Dienststellen
die Rüstungsausfuhr der USA nunmehr bei weitem übertrifft. In eben der gleichen
Quelle werden für die USA Gesamtexporte an Rüstungsgütern in Höhe von 12.300
Mio. $ für 1985 und von lediglich 7.600 Mio. $für 1986 angegeben (vgl. Tabelle
12).30
Wie ein Vergleich mit anderen Quellen zeigt, bleibt gegenüber diesen Anga-
ben Vorsicht geboten. Nach Berechnungen des Wissenschaftlichen Hilfsdienstes
des US Kongresses, des Congressional Research Service, und des schwedischen
Friedensforschungsinstitutes SIPRI sind die Rüstungsausfuhren der USA und der
Sowjetunion ungefähr gleich groß, und ihr jeweiliger Anteil am Gesamtmarkt os-
zilliert um die 35 Prozent-Marke.31 Die sowjetische Selbsteinschätzung- so etwas
gibt es nunmehr im Zeichen von Glasnost -lautet 1988:
"Die Sowjetunion hat ihre Waffenexporte im vergangenen Jahr nicht erhöht. Ihr Anteil
am Weltwaffenhandel blieb nicht größer als 30 Prozent."32
Diese sowjetische Quelle druckt auch kommentarlos einen SIPRI-Bericht, daß die
UdSSR im Golfkrieg als Waffenlieferant tätig sei.33 - Von amerikanischer Seite
wird der sowjetischen Selbsteinschätzung widersprochen:
"Die UdSSR ist der größte einzelne Waffenlieferant, sie übertrafen im Jahre 1985 die
USA um fast 25 %. Gemäß den vorläufigen Daten für 1986 wird dieses Verhältnis so-
gar noch größer, da die sowjetischen Exporte gegenüber 1985 angestiegen sind."34
Künftig wird der Streit der Experten nicht mehr der Frage gelten, wie hoch die Ex-
portvolumina der Sowjets anzusetzen sind. Das Thema wird vielmehr zu der Aus-
einandersetzung verschoben, ob die sowjetischen Eigenangaben oder aber die kriti-
schen US-Hochrechnungen eher zutreffen.
Legt man die korrigierten amtlichen US-Schätzungen zugrunde, so bewegt
sich der Anteil der Rüstung am gesamten Export der UdSSR bei knapp 20 Prozent,
nach einem Rekordanteil von 24,6 Prozent im Jahre 1979 (bei Benutzung früherer
Berechnungen läge die Rüstungsquote in der Ausfuhr bei 10- 13 Prozent).35
Diese Vergleiche vermitteln einen Eindruck von der Bedeutung der Exporte.
Allerdings kann man nicht davon ausgehen, daß alle exportierten Güter auch in
derselben Periode produziert worden sind; einige können schon älteren Datums
sein und aus Lagerbeständen stammen oder aus dem eigenen sowjetischen Ge-
brauch ausgemustert und modernisiert worden sein. Es ist zum Beispiel bekannt,
daß zu dieser Zeit T-54- und T-55-Panzer weiterhin exportiert wurden, obwohl sie
längst nicht mehr produziert wurden. Es könnte deshalb gut möglich sein, daß -
wenn die Exporte ältere Modelle einschließen als die gerade in der Produktion be-
findlichen - das Verhältnis von Exporten zu Produktion wertmäßig weit unter dem
zahlenmäßigen liegt.
Die Exportzahlen von SIPRI betreffen nicht Transfers innerhalb des War-
schauer Vertrages. Andererseits könnte die Produktion der übrigen WVO-Staaten,
die nicht in den Produktionsdaten enthalten ist, bei den Exporten eingeschlossen
sein. Geheimdienste, die einen T-55-Panzer zum Beispiel in Libyen identifizieren,
können vermutlich nicht feststellen, ob er in der Sowjetunion, in der Tschechoslo-
wakei oder in Polen hergestellt wurde.
Die Panzerproduktion in den nichtsowjetischen WVO-Staaten trägt etwa ein
Viertel bis ein Drittel der sowjetischen Produktion;36 dasselbe Verhältnis besteht
für andere gepanzerte Fahrzeuge. Es besteht kein Grund, daß dieses Verhältnis bei
den übrigen Waffengruppen erheblich abweicht. Die "Exportabhängigkeit" des
32 Famasowa 1988, S. 541.- Vgl. auch die Erstausgabe des !MEMO-Jahrbuches 1986,
Bd. 2, S. 120, wo die gleiche Angabe gemacht wird.
33 Famasowa 1988, S. 544. In einer Fußnote wird allerdings dementiert, daß die UdSSR
Waffen an den Iran geliefert hätte.
34 US ACDA, World Military Expenditures and Arms Transfers 1987, S. 10.1m Text wird
weiter auf erhebliche Schwankungen der amerikanischen Ziffern in jüngster Zeit ver-
wiesen.
35 SIPRI (Yearbook 1987, S. 186) schätzt einen Exportanteil der Rüstung von 10 bis 15
Prozent. Unsere eigenen Berechnungen zum Exportanteil sind dem Anhang zu entneh-
men.
36 V gl. Abschnitt 6.
276 Einzelstudien
Viele Abnehmer in der Dritten Welt erhalten gegenwärtig neue Waffensysteme ge-
nauso früh wie die sowjetischen Truppen selbst und noch vor anderen WVO-Staa-
ten. Die MiG-23 wurde an den Irak, Syrien, Ägypten, Libyen, Äthiopien und Kuba
geliefert, bevor die übrigen WVO-Staaten eine nennenswerte Zahl davon erhielten;
Bulgarien und die Tschechoslowakei waren die Erstempfänger. (Die MiG-23
scheint dem MRCA "Tornado" ähnlich zu sein: Als ein Team von Panavia die
Konstruktion des Tornado mit der der MiG-23 verglich, erwiesen sich die Compu-
terzeichnungen in wesentlichen Teilen als identisch.)
Indien erhielt den T-72-Panzer im Frühjahr 1979, wiederum vor anderen
WVO-Staaten. Dasselbe gilt für die MiG-25, die nach Algerien, Indien. Libyen
und Syrien verkauft wurde, während Lieferungen an Mitglieder der WVO bisher
nicht bekannt wurden. Lieferungen der MiG-29 gehen augenscheinlich zuerst im
Ausland an Nicht-Paktmitglieder, vor allem Indien. Erst nach diesen Lieferungen
erhielt die DDR eine Anzahl dieser modernen Jäger.
37 US Congress, JEC, Allocation ofResources in the Soviet Union and China, 1982
Waffenexporte 277
Sowjetische Waffenhandelspolitik
Politik ist ein schwieriges Analyseobjekt Amtliche Erklärungen zur Politik sind
nicht immer hilfreich. Die Untersuchung von Politik hat sich zu orientieren an
dem, was Regierungen tatsächlich tun, und nicht an dem, was sie sagen. Politik ist
selten monokausal bestimmt - als das Ergebnis einer einzigen Meinung oder der
Tätigkeit einer einzelnen Person; sie ist fast immer das vielschichtige Ergebnis des
Zusammenwirkens verschiedener Bedingungsfaktoren, die sich in ihrer Bedeutung
mit der Zeit verändern. Politik ist oft das kollektive Produkt der Arbeit von Gre-
mien und wandelt sich mit der wechselnden Macht verschiedener Teile der Hierar-
chie.
Dieses Politikverständnis wirft sofort Zweifel auf die vereinfachte Ansicht, die
manchmal vertreten wird, daß die sowjetische Waffenhandelspolitik offener Aus-
druck für das starke sowjetische Streben nach Expansion oder Vorherrschaft bzw.
nach Verbreitung revolutionärer Doktrinen ist: auf jeden Fall das Produkt einer ko-
härenten expansionistischen geopolitischen Strategie. Diese Position kommt zum
Beispiel zum Ausdruck im amerikanischen Air Force Magazine, wo es unter Hin-
weis auf sowjetische Waffenverkäufe in Peru im Jahre 1980 heißt:
"Sie boten Schleuderpreise, unverzinsliche Finanzierung mit langen tilgungsfreien Fri-
sten und bis zu vierzig Jahren Laufzeit sowie die Bereitschaft, sich einen Teil des Prei-
ses in Naturalien, z.B. Fischmehl, bezahlen zu lassen ... Amerikanische und ausländi-
sche Experten betonen immer wieder diese sowjetische Bereitschaft, angehenden Kun-
den praktisch Schleuderpreise zu offerieren, als die Hauptursache für den Exporterfolg
der UdSSR ... Zukünftige Trends bei sowjetischen Luftfahrtexporten können einfach
zusammengefaßt werden: ,Mehr von derselben Art' ... Mit den Exporten wird das Ziel
verfolgt, die sowjetische Expansionspolitik zu unterstützen und den westlichen Einfluß
zu durchkreuzen oder zurückzudrängen ... Man wird mit den entgegenkommenden
Konditionen und Schleuderpreisen weitermachen ... Dieselben Beobachter stellen fest,
daß die Kunden auf ähnliche Weise zu bezahlen haben wie Dr. Faust an Mephistophe-
les: Er mag moderne Flugzeuge billig oder umsonst erhalten, geht damit aber das Risi-
ko ein, unter sowjetischen Einfluß und eventuell sogar unter sowjetische Vorherrschaft
zu geraten."38
Im Widerspruch zu dieser sehr vereinfachenden Position besteht einiger Grund zu
der Annahme, daß die sowjetische Waffenhandelspolitik weit weniger einheitlich
und kohärent gewesen ist, als hier unterstellt wird. Es ist nicht schwer nachzuwei-
sen, daß die Sowjetunion nicht einfach Waffen transferiert, wo immer sich eine
Gelegenheit dafür bietet. Die regionale Verteilung ist gekennzeichnet durch Un-
gleichmäßigkeit und hohe geographische Konzentration; sie gibt wenig Hinweise
auf irgendeinen strategischen Plan. Der US-Sowjetologe Uri Ra'anan bemerkt
dazu:
"Es gibt kaum Belege dafür, daß die UdSSR bei ihren Waffentransfers in die verschie-
denen Regionen der Welt, während verschiedener Perioden ihrer diesbezüglichen Tätig-
keit und über die verschiedenen Generationen der sich schnell entwickelnden Militär-
technologie hinaus einer einzigen, einheitlichen Politik gefolgt ist."39
38 Berry 1980, S. 75
39 Ra'anan, 1978, S. 131
278 Einzelstudien
Ursula Sehrniederer hebt diesen Punkt noch entschiedener hervor: ,,Es gibt keine
kohärenten Kriterien und keinen Hinweis auf eine entwickelte Strategie; es scheint
keine konsistente sowjetische Theorie über die Dritte Welt zu geben," über diejeni-
gen Länder, die sich "unter sowjetischem Einfluß befmden":40
"Die Dritte Welt mit ihrer großen Zahl neu konstituierter Staaten wird von der Sowjet-
union im wesentlichen als Leerrawn angesehen, als Jagdgelände im Kampf um die
Macht, als ein Ansatzpunkt für Einflußnahme, Allianzen und Pakte ... Die sowjetische
Politik gegenüber der Dritten Welt war und ist opportunistisch: Sie nehmen, was sie
kriegen können".41
Sowjetische Waffenhandelspolitik wird von diesen Autoren als extrem opportuni-
stisch und als bloße Reaktion auf veränderte Umstände geschildert. Im folgenden
sollen einige Elemente dieses komplexeren Bildes von der sowjetischen Politik
dargestellt werden -von dem nicht sicher ist, ob es nunmehr endgültig Vergangen-
heit wiedergibt
Erstens: Die regionale Verteilung sowjetischer Waffen paßt nicht zu der These,
daß der Waffenhandel hauptsächlich dem Ziel. der Weltrevolution dient; man
braucht dafür nur die beträchtlichen Waffenlieferungen an Regime zu betrachten,
die in ihrem Land zu Zeiten die kommunistische Partei verfolgen - zum Beispiel
Ägypten, Libyen, Guinea und Algerien.
Zweitens ist es nicht länger möglich, die handelspolitischen Ziele der sowjeti-
schen Waffenverkäufe außer Betracht zu lassen. Es stimmt, daß zu Beginn der so-
wjetischen Waffenexporte in die Dritte Welt die Kreditkonditionen zumeist sehr
günstig waren und die Zahlung in Form von Baumwolle oder anderen einheimi-
schen Produkten erfolgen konnte. Diese Zeiten scheinen jedoch vorbei zu sein.
Länder, die heute moderne sowjetische Waffen kaufen, müssen bar- in harter
Währung- bezahlen, selbst wenn es sich um "befreundete" Staaten in einer Notsi-
tuation handelt. (Während des Oktoberkrieges 1973 hatte Ägypten bar zu zahlen
für Ausrüstung, die über eine sowjetische Luftbrücke eingeflogen wurde.) Die So-
wjetunion erinnert sich nur zu gut an die enormen Verluste, die sie durch großzügi-
ge Waffentransfers erlitt. Die Zahlungseinstellung durch Ägypten 1972 hat die So-
wjetunion schätzungsweise 5 Milliarden Dollar gekostet; der Bruch in den Bezie-
hungen zu Indonesien hatte einen Verlust von etwa 3 Milliarden Dollar zur Folge.
Gegenwärtig scheinen Transfers zu Vorzugsbedingungen eher die Ausnahme als
die Regel zu sein. Man schätzt, daß militärische Güter zu über 10% an den gesam-
ten sowjetischen Exporten beteiligt sind; neben Energie und Gold stellen Waffen-
exporte eine der wichtigsten Devisenquellen der UdSSR dar.
Im Zusammenhang mit dieser Einschätzung, daß die handelspolitische Zielset-
zung in die Betrachtung einzubeziehen ist, muß sowohl die Nachfrage- als auch die
Angebotsseite untersucht werden, um die Struktur der Exporte erklären zu können.
Die Nachfrageseite wird oftmals vernachlässigt, so als könnte das AnbieteTland
seine Waffen in jedem Land seiner Wahl ohne weiteres absetzen. Man kann nur
schwer einen strategischen Grund zum Beispiel für die massiven sowjetischen
Waffentransfers an Libyen ausmachen, das eine Bevölkerung doppelt so groß wie
West-Berlin hat und das gegenwärtig über mehr mittlere Kampfpanzer verfügt als
Frankreich und Großbritannien zusammen. Die plausibelste Erklärung für diese
40 Sehrniederer 1981, S. 60
41 Sehrniederer 1981, S. 53
Waffenexporte 279
massiven sowjetischen Exporte ist ganz einfach der Devisengewinn. (Ein anderer
Grund ist unter Umständen die Möglichkeit für Libyen, diese Waffen an Drittlän-
der zu reexportieren - auch an Länder, mit denen die Sowjetunion aus den ver-
schiedensten Gründen keine direkten Waffengeschäfte tätigen will.) Das bedeutet
natürlich nicht, daß die kommerziellen Gesichtspunkte jetzt vorherrschend wären -
nur machen sie sich eben auch bemerkbar. Offensichtlich bestehen weiterhin stra-
tegische Zielsetzungen und der Wunsch, über Waffenverkäufe Einfluß zu gewin-
nen. Zahlreiche Beobachter haben darauf hingewiesen, daß im Vergleich zur So-
wjetunion westlichen Staaten sehr viel mehr Einflußmöglichkeiten auf die Dritte
Welt zur Verfügung stehen: Ihre Wirtschaftshilfe ist sehr viel umfangreicher, und
kommerzielle wie finanzielle Bindungen sind vielschichtiger. Die Dritte Welt ist
insgesamt hoch verschuldet - nicht bei der Sowjetunion, sondern bei westlichen
Banken. Neuere Untersuchungen zur Entwicklung der sowjetischen Außenbilanzen
bestätigen die Bedeutung der Waffenexporte. Klaus Sehröder kommt zu dem Er-
gebnis, daß die Gläubigerstellung der Sowjetunion in wesentlichen auf kreditierten
Waffenlieferungen an OPEC- und Entwicklungsländer beruht.42
Sicherlich sind Waffenverkäufe für die Sowjetunion ein wichtigeres Politikin-
strument als für die westlichen Staaten. Aber das Ausmaß, zu dem Waffentransfers
als Mittel für Einflußnahme dienen können, ist offensichtlich begrenzt. Es ist für
ein Empfangerland zu einfach, auf einen anderen Lieferanten zurückzugreifen. In
seiner Untersuchung über sowjetische Waffenverkäufe an Ägypten kommentiert
Ra'anan die sowjetische Einflußnahme wie folgt:
,,Zweifellos hat es solche Episoden in den sowjetisch-ägyptischen Beziehungen gege-
ben, und sie können auch weiterhin vorkommen. Nichtsdestoweniger besteht jedoch ein
erheblicher Unterschied zwischen einer sowjetischen Taktik der ,technischen Verzöge-
rung' im Zeitplan für die Auslieferung, Kürzungen bei der Lieferung von Ersatzteilen
und Munition sowie einer vorsichtigeren Lizenzvergabe für eigenständige ägyptische
Montage und Produktion sowjetischer Waffen einerseits und andererseits einem voll-
ständigen und unumstößlichen sowjetischen Embargo. "43
Wie Sehröder einleuchtend herausarbeitet, setzt Gorbatschows Reformpolitik
außenwirtschaftlich zu einem wenig günstigen Zeitpunkt an.44 Der Ölpreis, von
dessen Höhenflug die UdSSR erheblich profitiert hatte, war stark gesunken. Die
leichten Einnahmen aus dem Ölgeschäft hatten wenig Anreiz gegeben, die Struktur
der sowjetischen Exporte zu verbessern. Andererseits steht eine Verstärkung der
Einfuhr an - um die für die "Perestrojka" erforderlichen Technologien zu erwerben
und um die Versorgungsprobleme für die Bevölkerung zu lindern. Das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung kommt in einer detaillierten neueren Untersu-
chung zu dem Schluß, daß die Handelsbilanzüberschüsse der UdSSR gegenüber
der Dritten Welt in den siebzigerund achtziger Jahren ausschließlich auf Waffen-
verkäufe zurückzuführen sind. Ohne diese wäre ein beträchtliches Defizit eingetre-
ten.45 In einer solchen Situation wäre es konventionelle Weisheit, verstärkt auf
Waffenverkäufe als Mittel zum außenwirtschaftliehen Ausgleich zu setzen.46 Eine
42 Schröder, K. 1987
43 Ra'anan 1978, S. 154
44 Schröder, K. 1987
45 Marchowski/Schulz 1986, S. 276-281.
46 So argumentiert Herbert S. Levine von der Universität von Pennsylvanien in einer in
280 Einzelstudien
einer Anhörung vor einem Unterausschuß des Foreign Mfairs Committee des US-Re-
präsentantenhauses (vgl. Aviation Week & Space Technology, 2. Mai 1988, S. 19).
47 SIPRI Yearbook 1987, S. 186
48 SIPRI Yearbook 1987, S. 187 f.
49 Rede vor der International Conference on Disarmament and Development, hier zitiert
nach: Bulletin of the USSR Ministry of Foreign Mfairs 1987, No. 4, S. 6
8. Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung
"Wer heute den Versuch unternimmt, eine kritische Theorie des bürokratischen
Sozialismus am Beispiel des sowjetischen Herrschaftssystems zu entwickeln, be-
findet sich politisch und wissenschaftlich in einer wesentlich anderen Situation als
noch vor zehn Jahren," leitet 1977 Gerd Meyer eine der gehaltvollsten Theoriestu-
dien zum Sowjetsystem ein) Erneut zehn Jahre später, in der Ära Gorbatschow mit
ihren vielfältigen Signalen zur Veränderung, der ,,Perestrojka", zu mehr Transpa-
renz in den öffentlichen Dingen ("Glasnost"), könnte der Satz von Meyer nicht
wahrer sein.
Mit den folgenden Ausführungen wird nicht ein weiterer Ansatz zur Theorie
der Sowjetgesellschaft oder gar der Stellung des Gewaltapparates in ihr versucht.
Auch geht es nicht um eine allgemeine Erörterung vorliegender Versuche anderer.
Zweck dieses knappen Abschnittes ist vielmehr, anhand der ausgeführten Untersu-
chung zur Sowjetrüstung Feststellungen über die relative Aussagefähigkeit einzel-
ner Theorieversuche zu treffen - besonders wenn mit solchen Theoriebeiträgen
auch sowjetische Rüstung thematisiert wird.
Allgemein läßt sich festhalten, daß die Theoriehaftigkeit des Themas Rüstung
beschränkt ausfällt. Es geht, wie Meyer2 feststellt, "in einem Feld bisher relativ
theoriearmer Regionalstudien um eine ,Theorie mittlerer Reichweite"'.
Ältere Bewertungen hatten allgemein im sowjetischen Wirtschaftssystem
einen systemspezifischen Vorteil für die Rüstung gesehen. So heißt es etwa in dem
Standardwerk "Marxismus im Systemvergleich":
"Das Charakteristikum der zentralen Wirtschaftsplanung, die fmanziellen und materiel-
len Mittel auf Schwerpunktaufgaben konzentrieren zu können, wirkte sich für den Auf-
bau einer Rüstungsindustrie günstig aus."3
Unsere Untersuchung hat ergeben, daß die neuzeitliche Sowjetunion mit so pau-
schalen Vorgaben in ihren differenzierten Prozessen zur Rüstungserzeugung bei
weitem nicht genügend im Detail gefaßt werden kann. Es bleibt erforderlich, sozi-
alwissenschaftlich anspruchsvollere Theoreme zum Verständnis der Verhältnisse
in der UdSSR und deren Veränderung zu nutzen.
Ein erstes Modell neuerer Art unterstellt, daß die Sowjetunion ein totalitärer Staat
sei, der auch in außen- oder militärpolitischen Fragen als ein einzelner rationaler
Akteur (single rational actor) handele. Der Ursprung dieser Variante des Totalita-
rismus-Modells geht in den simpleren Ausprägungen auf die Stalin-Periode zu-
1 Meyer 1977, S. 13
2 Meyer 1977, S. 15
3 Klocke 1973, S. 34
282 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung
rück, in der im Vergleich zu heute die sowjetische Gesellschaft und Wirtschaft we-
niger kompliziert waren. Vertreter solcher Modellansätze gehen von der Annahme
aus, daß der hoch zentralisierte sowjetische Partei- und Staatsapparat die Direkti-
ven der politischen Führung vollständig befolgt.4 Für die Anhänger dieser Denk-
schule stellt die Totalität der politischen Macht, die weitestgehende Kontrolle der
Machtelite über die Gesellschaft mit Hilfe des Parteiapparates und der Staatsbüro-
kratie, das einzigartige Charakteristikum des Sowjetsystems dar. In den Worten
von Wolfe setzt das Totalitarismus-Modell das Postulat:
"Der Politik:prozeß in der Sowjetunion wird als Tätigkeit einer vollständig informierten,
einheitlichen Führung gesehen, die immer die mannigfaltigen Bürokratien, denen sie
· vorsteht, in der Hand hat und nie ihr Gefangener ist, und die ferner ... stets diejenige ra-
tionale Politikwahl trifft, die optimal ihrer futeressenwahrnehmung dient."5
Das Vorhandensein von Gruppeninteressen und Konflikten zwischen Gruppen im
Sowjetsystem und der mögliche Einfluß auf politische Entscheidungen wird in sol-
chen Konzepten eines monolithischen Totalitarismus verneint. Ausgeschlossen
wird auch ein signifikantes Einwirken von institutionellen und bürokratischen Fak-
toren auf die zentrale politische Entscheidungsgewalt Konflikte entstehen dieser
Sichtweise zufolge nur an der Spitze zwischen den Machteliten, die Formulierung
von Politik findet ausschließlich auf der höchsten Ebene der Entscheidungsträger
von Partei und Staat statt. Die übrigen Gruppen würden weder über organisatori-
sche Selbständigkeit noch über irgendeinen Einfluß auf die Herausbildung der Par-
teipolitik verfügen. Der Partei/Staat-Komplex wird in diesem Kontext als monoli-
thisch und als eine einzige Interessengruppe angesehen.6
Ein derartiges Modell des sowjetischen Systems beschäftigt sich in der Analy-
se fast ausschließlich mit der Output-Seite von Politik, d.h. mit der Durchsetzung
von bindenden Entscheidungen der politischen Führung gegenüber der Gesell-
schaft. Völlig unberücksichtigt bleibt im Totalitarismus-Modell der Input auf poli-
tische Entscheidungen, der nach den Kategorien von Easton7 ein wesentliches Ele-
ment jedes politischen Systems darstellt. Zwischen den Inputs und Outputs befin-
det sich Easton zufolge die sogenannte "BlackBox" der Entscheidungsträger. Über
diese "Black Box" äußert sich die Totalitarismus-Konzeption lediglich implizit in
dem Sinne, daß die politische Führung sämtliche Entscheidungen auf der Grundla-
ge ihrer Werte und Präferenzen trifft.8
Repräsentant dieser Denkschule ist z.B. Odom, der Mitte der 70er Jahre das
Totalitarismus-Modell explizit wiederbelebte. Odom schließtjegliche Existenz und
Aktivität von Interessengruppen im Sowjetsystem aus9 und begreift Unterschiede
zwischen Stalin und seinen Nachfolgern hinsichtlich der Regeln und Methoden
von Politikformulierung vornehmlich als kosmetisch. Mögliche Meinungsunter-
4 Vgl. die Arbeiten von Friedrich/Brzezinski 1956 und Kornhauser 1960, als wichtige
Vertreter der Totalitarismus-Konzeption; eine etwas ausführlichere Übersichtsdarstel-
lung sowie Kritik des Totalitarismus-Modells findet sich bei Lane 1978, S. 191-194,
und Lane 1985, S. 200-203
5 Wolfe 1973, S. 29
6 Vgl. Skilling 1974b, S. 13-25
7 Easton 1965
8 Vgl. auch Rough 1983, S. 42/43
9 Vgl. Odom 1976, S. 542-567
Neuere Totalitarismuskonzepte 283
Als relativ tauglich in der Sicht der Empirie erweist sich für das Studium des Rü-
stungssektors die Bestimmung der UdSSR als "bürokratisches Herrschaftssystem".
Dieser gewiß deskriptive Ausdruck faßt die Realität in der UdSSR mit einiger Prä-
zision. Von Klassenherrschaft oder der Herrschaft bestimmter Eliten ist auf den
vorstehenden Seiten wenig zu spüren gewesen. Gemeinsamer Ausdruck der Herr-
schaft von Partei und Staat bleibt demgegenüber eine für westliche Begriffe un-
mäßige Bürokratisierung aller Funktionsabläufe. Abgesehen von dem augenfälli-
gen quantitativen Aspekt ist diese Bürokratisierung15 des sowjetischen Gemeinwe-
sens geprägt durch die Bevorzugung politisch-administrativer Steuerungsmittel
(anstelle etwa indirekter Verfahren), sowie die gleichfalls bürokratisch organisierte
politische Kontrolle durch die Kommunistische Partei. Die Bürokratie leistet "na-
hezu ausschließlich intellektuell-kommunikative oder organisatorische Arbeit",16
freilich im Rüstungssektor mit beeindruckenden inhaltlichen Impulsen (wenn man
an die Strategie des Flottenaufbaus17 oder etwa die Leistungen führender Kon-
strukteure denkt). Bestätigt wurde auch die Aussage des Bürokratietheorems, die
Topbürokraten seien keineswegs Müßiggänger, sondern agierten "unter hohem
psychischen und physischen Streß".18 Etwa in dem Abschnitt über die Entwick-
lung der ersten Kernwaffe war dieser Umstand überaus deutlich.
Dies verweist auf einen in der Literatur weniger unterstrichenen Sachverhalt:
das hohe Maß an Professionalismus und das beeindruckende Leistungsethos der
Führungspersonen in der Rüstung. Zwar mag allgemein gelten, daß "die Bürokratie
versucht, ihre Herrschaft vor allem durch ... Erfolge zu legitimieren", und daß "ein
wesentlicher Teil dieser Erfolge den leitenden Kadern und insbesondere der Büro-
kratie zugeschrieben werden" muß.l9 Dieser Tatbestand könnte dazu verleiten, den
im Rüstungssektor zweifelsohne vorhandenen Facheliten einen hohen Stellenwert
zuzuerkennen, ja, statt von einem bürokratischen Herrschaftssystem von einer
Herrschaft der Facheliten zu sprechen. Aus mehreren Gründen wäre dies freilich
übertrieben. Der Rüstungssektor erscheint als eine Insel der Effizienz im gesamten
Sowjetsystem. Nicht er, sondern das Ganze muß eine Generalaussage tragen. Zu-
dem setzen die Facheliten im Rüstungsbereich nicht einmal selbständig die Ziele
ihres Tuns -diese werden ihnen autoritär vorgegeben, mit einer Reihe von beglei-
tenden Zusatzanforderungen. Die Kriterien von Erfolg und Effizienz bestimmen
sie ferner keineswegs selber. Die Chefkonstrukteure, Werkleiter und militärischen
Planer im sowjetischen Rüstungssektor wären zu Recht empört, wenn man ihre
dispositorischen Befugnisse allgemein als Herrschaft im System interpretierte.
Der bürokratischen Organisation des Systems entspricht vielmehr eine be-
stimmte Ethik der Arbeit. Sekundärtugenden, ökonomisch reduziert, werden her-
vorgehoben:20
"Leistung und Einsatz für vorgegebene Normen, Disziplin und Pflicht sind zentral ne-
ben der Forderung nach ständiger wissenschaftlich-technischer Qualifikation der Werk-
tätigen und ihrer Mobilisierung durch materielle und moralische Anreize."
Eine der zentralen Fragen an die bürokratische Organisation von Gesellschaft lau-
tet, ob sie im Hochtechnologiezeitalter weiterhin optimal wirkt. Wenn die UdSSR
den Übergang vom extensiven zum intensiven Wirtschaftswachstum einmal wirk-
15 Hier stützt sich die Konzeptualisierung auf von Beyme 1985 sowie auf Jahn 1982, v.a.
S. 111 ff.
16 Meyer 1977, S. 45
17 Eine kenntnisreiche Studie zum Kreuzerbau unter Verwendung des Bürokratiethereo-
rems hat Sapir (o.J.) vorgelegt (vgl. Kap. 7.2).
18 Meyer 1977, S. 45
19 Meyer 1977, S. 105
20 Vgl. Meyer 1977, S. 106
Die UdSSR als bürokratisches Herrschaftssystem 285
lieh gemeistert hat und wie in westlichen Gesellschaften die Dienstleistungen den
Wert der Gütererzeugung überschreiten, dann steht das autoritativ-bürokratische
Organisationsmodell mit seiner Betonung der erwähnten Sekundärtugenden bei
den Führungseliten und den Beherrschten vor wirklich ernsthaften Problemen.
Das Studium des Rüstungssektors verwies auf eine weitere Schwäche des "bü-
rokratischen" Herrschaftssystems: die Überalterung von Führungspersonal. Nicht
nur das Spitzenpersonal, die Generalsekretäre der Partei bis Gorbatschow, starb
buchstäblich in den Sielen. Auch Chefkonstrukteure und Fachminister, so der em-
pirische Befund, folgten dem Ethos, daß die Arbeit mit dem Tode endet. Zwar ist
dieser gerontokratische Zug keineswegs notwendig mit dem System bürokratischer
Herrschaft verbunden (es lassen sich bürokratische Vorkehrungen gegen Überalte-
rung von Funktionseliten denken). Auch genießen alte Leute in der sowjetischen
Gesellschaft keineswegs großen Respekt wie in anderen exotischen Gemeinwesen.
So ist die Überalterung eher als Zug von Erstarrung zu werten. Die "Perestrojka"
kann ihn leicht beseitigen.
Ein weiterer Aspekt verweist schließlich auf die Angemessenheit des Konzepts
"bürokratische Herrschaft" im Sowjetsystem. Beim Studium der Rüstungsentwick-
lung wurde deutlich, daß die Inhalte der Rüstungsziele, die frühe Betonung etwa
von Interkontinentalraketen und U-Booten, zuungunsten etwa der Computerunter-
stützung oder der Bomberwaffe, relativ beliebig gesetzt wurden. Die verschiede-
nen Technologielinien, die alle in der Rüstung offen standen, wurden keineswegs
mit gleichem Nachdruck verfolgt Bei einem Analysemodell von Elitenherrschaft
wäre dieses Ers.ebnis anders ausgefallen.
Mit einer Ubertragung des ,,reinen" Modells bürokratischer Politik, wie es in
der Analyse vornehmlich amerikaDiseher Verhältnisse entwickelt wurde, auf so-
wjetische Verhältnisse waren jedoch von vomherein Probleme und Einschränkun-
gen verbunden. Unter Bürokratie wird im politikwissenschaftlichen Sprachge-
brauch allgemein eine spezifische Form sozialer Organisation verstanden. Büro-
kratische Organisationen können im engeren Sinne definiert werden als "plan-
mäßig gesteuerte Zweckverbände, deren interne Struktur so angelegt ist, daß eine
möglichst vollkommene und reibungslose Realisierung der Organisationsziele er-
reicht werden kann."21 Diese Organisationen sind auf den bürokratischen Prinzi-
pien einer formellen Regelung von Vorgängen und hierarchischen Strukturen auf-
gebaut Der Begriff Bürokratisierung bezeichnet dabei einen gesamtgesellschaftli-
chen Prozeß, der durch eine zunehmende staatliche Verregelung aller Lebensberei-
che einhergehend mit einem Anwachsen der öffentlichen Verwaltung gekennzeich-
net ist. Ein solcher Prozeß kann zu einer tendenziell wachsenden Verselbständi-
gung der öffentlichen Verwaltung führen, der mit der Gefahr verbunden ist, "daß
die politische Rationalität von Organisationszwecken und -zielen .... in den Hinter-
grund tritt und die bürokratischen Organisation .. .. als Selbstzweck angesehen
wird."22 Bürokratische Organisationen neigen als Folge einer solchen Entwicklung
zu einem strukturellem Konservatismus.
Alexander faßt zwar die Bürokratisierung generell als einen natürlichen "Aus-
wuchs" von zumeist größeren Organisationen auf, hält aber diesen Vorgang für be-
sonders virulent in modernen autoritären Systemen wie der UdSSR:
23 Alexander 1978a, S. 3
24 Lane 1978, S. 173 u. 174
25 Lane 1978, S. 174
Die UdSSR als bürokratisches Herrschaftssystem 287
schow besonders deutlich geworden ist. Dieser spezifische Charakter der Zweitei-
lung der sowjetischen Bürokratie und das daraus resultierende Konfliktverhältnis
hebt einige der Prämissen des "westlich orientierten" Modells bürokratischer Poli-
tik auf. Unberücksichtigt bleibt in solch einem Modell darüber hinaus der Sachver-
halt, daß in der Sowjetunion die getrennten Funktionen von Partei und Staat in der
politischen Führungsspitze zusammenwachsen.
Angesichts dieser Schwierigkeiten bietet das Paradigma bürokratischer Politik
sicherlich kein umfassendes Modell zur Analyse des Sowjetsystems und der in die-
sem ablaufenden politischen Prozessse. Aber nach Warner kann das Modell büro-
kratischer Politik ein durchaus nützliches Instrument zum Verständnis sowjetischer
Politik unterhalb der Ebene des Politbüros abgeben. Den Ansatz bürokratischer Po-
litik begreift Warner nicht als einen Ersatz, sondern als eine nützliche Ergänzung
zu Interessengruppeo-S tu dien:
"Er gibt einen nützlichen Rahmen für das Studium der Rolle der verschiedenen Büro-
kratien ab, einschließlich solcher Prozesse wie die Ausarbeitung alternativer Politikop-
tionen, deren Begründungen sowie deren Ausführung, nachdem die Spitze autoritativ
entschieden hat. "26
Allerdings wird selbst die Analyse dieser mittleren institutionellen Ebene im politi-
schen System der UdSSR durch Informations- und Daten-Restriktionen erheblich
erschwert.
Die Übersteigerung von bürokratischer Herrschaft in "Bürokratismus",27 wie
sie vielfach kritisch geltend gemacht wird, hat sich in dieser Studie nicht nachwei-
sen lassen. Als Bürokratismus beschreibt Meyer:
"Die Allmacht der Kaderabteilungen der Partei, politisch-administrative Risiken, un-
vorhergesehene Kurswechsel und ständige Sanktionsdrohungen begünstigen einen Typ
des Verwaltenden, der bis zum Opportunismus anpassungsfähig ist, ständig auf der Hut,
sich keine Blößen zu geben, der unter Erfolgszwang geschönte Berichte abgibt und in-
teressenbestimmte Informationspolitik betreibt, ständig witternd, , was die da oben wohl
wollen' oder ,wiederNeues aushecken', welche Linie ,im Kommen ist', wem man sich
anschließt und mit wem man besser nicht identifiziert wird. "28
Zwar fanden sich beim Studium des Rüstungswesens durchaus administrativ orga-
nisierte Intrigen, etwa bei dem Konstrukteur und stellvertretenden Minister Jakow-
lew. Die Starform des intriganten Bürokratismus, die inhaltlose, zweckfreie Intri-
ge, ist in der empirischen Arbeit allerdings nicht vorgekommen. Das wird nicht an
den Quellen, sondern an der Formation liegen, die studiert wurde, und die als von
einem durchwegs hohen Leistungsethos geprägt befunden wurde.
26 Warner 1977, S. 11
27 Vgl. zum Bürokratismus Balla 1972, S. 200-205; Fijalkowski 1972; Kofler 1970; Stoja-
novic 1972
28 Meyer 1977, S. 115
288 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung
29 Wamer 1977, S. 2
30 Lane 1978, S. 233
Theoreme von Interessengruppen 289
31 Skilling/Griffiths 1974c
32 Skilling 1983, S. 25
33 Skilling 1974a, S. 30
34 Vgl. Skilling 1974a, S. 36-38
290 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung
8.3.2 Mischansätze
Pluralistische Ansätze
Jerry Hough gehört zu den bekanntesten Vertretern einer alternativen Version der
Interessengruppentheorie. Er entwickelte ein Modell des Sowjetsystems, das er mit
dem Begriff ,,institutioneller Pluralismus" belegte. Der Autor macht deutlich, daß
sein Modell keineswegs mit dem klassischen Pluralismus oder mit pluralistischen
Modellen zur Beschreibung gegenwärtiger westlicher libertär-demokratischer Ge-
sellschaftssysteme gleichzusetzen sei. Bei institutionellem Pluralismus bezogen
auf den sowjetischen Politikprozeß spricht man nach Hough über
,,Interessen, die repräsentiert oder in Regierungsbehörden verkörpert sind, und von
,Gruppenauseinandersetzungen', die innerhalb eines eng konzipierten und restriktiven
(amtlichen) Rahmens stattfmden."37
Mit seinem Modell des institutionellen Pluralismus möchte Rough vor allem einen
bedeutsamen Wechsel in der Natur des Prozesses politischer Entscheidungstindung
und seiner Inputs in der UdSSR beim Übergang von der Chruschtschow- zur
Breschnew-Ära hervorheben:
,,In der Chruschtschow-Ära sind politische Entscheidungen erheblich durch willkürli-
che Interventionen des Parteiführers bestimmt worden, aber in der Periode Breschnews
... hat es anscheinend eine faktische Machtübertragung vom Parteiführer oder der kol-
Korparatistische Ansätze
Gegen Ende der 70er Jahre legten zwei amerikanische Wissenschaftler einen auf
dem Korparatismus basierenden Modellansatz vor, um die gesellschaftspolitischen
Veränderungen in der Sowjetunion unter Breschnew zu beschreiben und zu erklä-
ren.41 Das Korparatismus-Modell war ursprünglich während der 70er Jahre als al-
ternativer Erklärungsansatz zu pluralistischen Modellen oder Konzeptionenen ei-
ner "herrschenden Machtelite" für fortgeschrittene westliche Industriegesellschaf-
ten entwickelt worden.42 SkiHing ordnet Pluralismus und Korparatismus als alter-
native Versionen der Interessengruppentheorie ein, die ein unterschiedliches Ver-
ständnis der Fonn der gesellschaftlichen Organisierung von Interessen und deren
Repräsentation in der politischen Körperschaft aufweisen.43 -Ein prinzipieller Un-
terschied zwischen dem Pluralismus- und Korparatismus-Modell betrifft die Auf-
fassung von der Rolle des Staates gegenüber den Interessengruppen. Lane be-
38 Rough 1983, S. 52
39 Rough 1983, S. 52
40 Vgl. Skilling 1983 S. 10; vgl. zum Problem eines "sozialistischen Pluralismus" auch
Lane 1985, S. 257-260
41 Vgl. Bunce/Echols 1980, S. 1-26
42 Vgl. als Übersichtsdarstelhmg zum Korporatismus Lane 1985, S. 260-264; vgl. auch
Rough 1983 sowie SkiHing 1983, S. 10/11
43 Vgl. Skilling 1983, S. 10
292 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung
bene Politikziele zugnmde zu legen, und das System ist dazu angelegt, die Erfüllung
dieser Ziele zu gewährleisten."47
Anscheinend spiegelt sich die Realität des politischen Systems der UdSSR - so
weit sie im Westen bekannt ist- in dem Korparatismus-Modell von Bunce/Echols
besser wider als in pluralistischen Ansätzen. Auch Rough sieht gewisse Vorteile
der Korparatismus-Konzeption für die Analyse sowjetischer Politikprozesse und
von Interessengruppenaktivitäten:
"Das Korporationsmodell stellt in mancherlei Hinsicht gegenüber dem reinen pluralisti-
schen Modell einen Fortschritt dar. Es verzichtet auf jedwede Unterstellung von völlig
autonomen Gruppierungen oder von Chancengleichheit für alle Gruppen. Die Betonung
der aktiven Rolle von Regierungsbehörden und Beamten bietet eine nützliche Erinne-
rung an Tatsachen, die die Pluralisten wohl kennen, die sie aber in ihren Vorstellungen
hintanstellen. Das Korporationskonzept unterstreicht einen Wesenszug modernen Re-
gierens - den Versuch, die Wirtschaft so zu leiten, daß sie anhaltendes Wachstum er-
bringt."48
Rough weist verständlicherweise darauf hin, daß die Beschreibung der Sowjet-
union als korporatistisches System eine Reihe von Ähnlichkeiten und Überschnei-
dungen mit seinem Ansatz eines "institutionellen Pluralismus" aufweise.49 So be-
tont auch er die aktive Rolle des Staates im Entscheidungsprozeß wie auch den
Aspekt, daß eine instutionalisierte Artikulation und Organisation von Interessen
nur innerhalb des eng strukturierten und restriktiven offiziellen Rahmens von Par-
tei und Staat stattfindet.
Ein hauptsächlicher Kritikpunkt am Korporatismus-Modell stellt für Rough
allgemein dessen Konzentration auf die Input-Seite von Politik dar.So Darüber hin-
aus kritisieren sowohl Skilling als auch Rough mit Zielrichtung auf die von Bunce/
Echols benutzte Variante eines "staatlichen Korporatismus" die Tendenz zu einer
Überbetonung der Rolle des Staates. Übersehen wird ihrer Ansicht nach die Tatsa-
che, daß der Staat selber in verschiedene Segmente mit unterschiedlichen Interes-
sen zerfällt. Dieser Einwand benennt in der Tat ein bedeutsames Defizit des Kar-
poratismus-Ansatzes und damit verbundene politische Folgekonsequenzen. So
läuft ein Ansatz wie der von Bunce/Echols Gefahr, daß man praktisch über einen
Umweg zu einem "directeJ society model" oder gar einem Totalitarismus-Modell
mit den entsprechenden politischen Schwarz-Weiß-Stereotypen zurückkehrt, wo
der allmächtige Staat (Interessen)Gruppen nahezu vollständig in seinem Interesse
manipuliert.51
Im Zusammenhang mit der zentralen Rolle des Staates im Korparatismus-Mo-
dell taucht bei dem von Bunce/Echols verwendeten Ansatz ein weiteres signifikan-
tes Problem auf. Bunce/Echols definieren überraschenderweise den Staat Sowjet-
union als "den Staat und die Partei"!52 Die Rolle der Partei begreifen sie in diesem
Kontext nicht als die eines gänzlich dominierenden Elements, sondern mehr als
"das aktive, katalytische Element in der Führung und Koordination der diversen
Bürokratische Interessengruppenansätze
Andere Forscher haben den Versuch unternommen, den Gruppenansatz mit einem
bürokratischen Modell zu verbinden und dieses Konglomerat für die Analyse des
53 Bunce/Echols 1980, S. 11
54 Vgl. näher Heller/Nekrich 1985, Bd.II, 4. Kapitel
55 Vgl. näher Lane 1985, Kap.?, insbesondere S. 225-232
56 Vgl. auch Lane 1985, S. 262
Theoreme von Interessengruppen 295
sowjetischen Systems nutzbar zu machen. So stellt etwa Fainsod hinter der "totali-
tären Fassade" des Sowjetsystems ein Kräftespiel bürokratischer Interessenpolitik
fest:
"Die Struktur der sowjetischen Bürokratie wird gemeinhin als straff zentralisierte Ver-
waltungshierarchie wahrgenommen, in der jede Initiative und Entscheidungsbefugnis
bei der Führungsspitze liegt, und in der niederrangige Funktionäre als bloße Automaten
für die Ausführung des Willens der herrschenden Gruppierung agieren. Obgleich dieses
Stereotyp die nützliche Funktion haben mag, das hohe Maß an Zentralisation zu unter-
streichen, welches das Sowjetsystem charakterisiert, verzerrt es zugleich die Realität,
indem es das geschmeidige Spiel bürokratischer Politik übergeht, welches hinter der
monolithischen totalitären Fassade abläuft."57
Die Konzeption bürokratischer Politik und der auf Berufsgruppen basierende Inter-
essengruppen-Ansatz weisen Gemeinsamkeiten auf. Beide betonen die auf der
Grundlage von funktionalen Spezialisierungen geformten Partikularinteressen und
Loyalitäten. Als Vorteil des bürokratischen Interessengruppen-Ansatzes hebt War-
nerdessen explizites Beachten der essentiellen Merkmale von Organisationsstruk-
tur, -ideologie und -interessen hervor. Ebenso versucht dieses Analysekonzept die
verschiedenen Mittel und Taktiken zu identifizieren, die die konkurrierenden Orga-
nisationen im bürokratischen Verhandlungsprozeß zur Beeinflussung politischer
Entscheidungen anwenden. Aufmerksamkeit wird auch den spezifischen organisa-
torischen Sozialisationsstrukturen und der Wirkung dieses Faktors auf die Einstel-
lungen der Organisationsmitglieder gewidmet.SS Einen weiteren wichtigen Vorteil
dieses Ansatzes sieht Warner in dem Herausarbeiten der organisatorischen Proze-
duren und Routinen, die den Prozeß der politischen Entscheidungswahl und Imple-
mentation wesentlich beeinflussen:
,,Im älteren Konzept der Interessengruppen fmden Aspekte des organisationeilen Ab-
laufs bürokratischer Politik, die die Bedeutung von Verfahrensmaximen und Prozessen
der Politikumsetzung als maßgebliche Faktoren in Rechnung stellen, keine Vorläufer.
Es stellt eine einsichtige Umsetzung von Konzepten der Organisationstheorie und der
Forschung über öffentliche Verwaltung dar. Der Nutzwert dieses Ansatzes beim Stu-
dium sowjetischer Militärpolitik ist bei den Verfahren zur Waffenbeschaffung beson-
ders deutlich. "59
Ein Modell vom Typ bürokratischer Interessengruppenpolitik erscheint für die
Analyse des Einflußverhältnisses zwischen Partei und Rüstungsindustrie in der
UdSSR und des sowjetischen Waffenbeschaffungsprozesses im Vergleich mit den
anderen vorgestellten Konzepten als das am ehesten geeignete Instrument. Ein sol-
cher Ansatz beschäftigt sich allerdings generell fast ausschließlich mit den Sicht-
weisen und Aktionen der eigene spezifische Interessen verfolgenden bürokrati-
schen Organisationen innerhalb des Partei- und Staatsapparates.
Bedeutung für die Untersuchung der Struktur von Entscheidungsprozessen in
der Außen- und Sicherheitspolitik erlangte diese Konzeption vor allem durch die
wegweisenden Arbeiten von Allison und Halperin über das amerikanische politi-
sche System. Sie zeigten in ihren empirischen Untersuchungen deutlich das büro-
Im Vordergrund der engeren Debatte theoretischer Natur über die Triebkräfte so-
wjetischer Rüstung im Westen stand in der Vergangenheit die Frage, wie sich mit
der analytischen Figur des "Militär-Industrie-Komplexes" erkenntniskräftig Reali-
tät in der UdSSR abbilden ließe. Die Debatte wurde wesentlich ausgelöst durch ei-
nen Aufsatz von Vernon V. Aspaturian, der schon im Auftakt zu Differenziertheil
und Vorsicht rät ("Im Falle der Sowjetunion ist bei Gebrauch dieses Begriffes Vor-
sicht angeraten, da die Möglichkeiten der empirischen Überprüfung noch geringer
sind als in den USA").64 Aspaturian definiert theoretisch den Begriff für die So-
wjetunion wie folgt:
"Das Militär, die Industrie und hochstehende Persönlichkeiten des politischen Lebens
bilden eine bewußte und symbiotische Interessenkongruenz; das gemeinsame Einfluß-
potential dieser Kräfte reicht aus, auf Kosten anderer gesellschaftlicher Gruppen in der
Sowjetunion Entscheidungsprozesse gemäß ihren Interessen zu steuern."65
Das ist bei näherem Betrachten eine sehr grobe Vorgabe: "Das Militär", die Millio-
nen Militärangehörigen der Sowjetunion, werden kaum auf diese Weise greifbar
sein. Gemeint sind, verständnisvoll interpretiert, allenfalls die Spitzen der Militär-
hierarchie. Ähnlich politologisch fragwürdig fallt der zweite Baustein aus: "die In-
dustrie". Wer ist schon "die Industrie"? Es wird sich um bestimmte Industriezwei-
ge handeln, und bei denen wohl doch nicht um die Arbeiter im blauen Kragen, son-
dern um gewisse Führungseliten. Geht man die Arbeit von Aspaturian in dieser
Akribie durch, so zerfällt der Text rasch und enthüllt eine Anzahl nicht ausgewie-
sener Verallgemeinerungen, nicht nachvollziehbarer Wertungen und frei schwe-
bender Schlußfolgerungen. Was sind etwa in der angeführten Kernstelle "hochste-
hende Persönlichkeiten des politischen Lebens"? Hier zielt Aspaturian auf eine
Teilmenge, ohne diese genauer zu umreißen. Mit dem Begriff einer "bewußten" In-
teressenkongruenz läßt sich etwas anfangen, aber was ist mit dem gemeinhin auf
die Verbindung zwischen Krebs und Seeanemone gezielten Bild der Symbiose ge-
meint? Und wie soll der Leser einen Begriff davon bekommen, was "das gemein-
same Einflußpotential" dieser Kräfte sein soll?
Die Sachlage wird dadurch analytisch nicht verändert, daß im Zuge des
"Neuen Denkens" nunmehr kritische Bürger der Sowjetunion in ihrem Lande die
Existenz eines "Militärisch-Industriellen Komplexes" beklagen. Am entschieden-
sten ist bislang der Physiker Sergej P. Kapitza (Professor am Institut für Probleme
der Physik der Akademie der Wissenschaften in Moskau) in dieser Hinsicht her-
vorgetreten, der die Kritik Präsident Eisenhowers am amerikanischen Militär-Indu-
strie-Komplex direkt auf sowjetische Verhältnisse anwendet.66
Diese beckmesserischen Rückfragen sollen dem Leser lediglich indizieren, wie
schnell theoretische Vorgaben in bezog auf die sowjetische Gesellschaft zerfallen,
überträgt man sie auf die Realität. DieReichweite der Begriffe, ihre konkrete V er-
ortung wird in der theoretischen Literatur (die dann so sehr theoretisch gar nicht
mehr erscheint) kaum angegeben. Aspaturian geht dankenswerterweise einen
Schritt weiter:
,,In einem engeren Sinne impliziert dieser Begriff (vom militärisch-industriellen Kom-
plex, U.A.) eine verflochtene und interdependente Interessenstruktur zwischen Angehö-
rigen des Militärs, der Industrie und der Politik, welche diese einerseits in die Lage ver-
setzt und andererseits dazu zwingt, als spezifischer, monolithisch strukturierter Hand-
lungsträger losgelöst von individuellen Komponenten zu agieren."67
Was immer ein "engerer Sinn" oder demgegenüber "weiterer Sinn" für denselben
Gegenstand meinen mag, auffällig bleibt die Weichheit der Ableitung ("impliziert
dieser Begriff ..."), der dann sehr kategorische Aussagen folgen. Zum einen trifft
Aspaturian mit dieser Feststellung die Aussage, daß dieses Ganze erneut mehr als
die Summe seiner Anteile sei, der "Angehörigen des Militärs" (aha, dieses nicht
mehr als Ganzes, aber es sind doch wohl hervorgehobene Angehörige), und der In-
dustrie (dto., und der Politik). Diese werden, auf logisch-schrullige Weise, "einer-
seits in die Lage versetzt und andererseits dazu (gezwungen)" - wie immer der ge-
plagte Leser dies verstehen mag - als "spezifischer, monolithisch strukturierter
Handlungsträger'' zu agieren. Das Elend dieser spekulativen Theorieversuche wird
in ihren Übertreibungen sichtbar: Wieso muß denn eine solche Dreiecksbeziehung
gleich "monolithisch", wie aus einem Stein gehauen, wie ein Menhir oder Obelisk
66 Schriftlich hat Kapitza seine Kritik neuerlich vorgelegt in einer der bekannten Freitags-
vorlesungen der Royal Institution in London am 29. Aprill988 sowie vor der Pugwash-
Konferenz in Sotschi/UdSSR, 29. August- 3. September 1988, "Science and the Arms
Race", Papier XXXVIII/P 45
67 Kapitza 1988
Ein militärisch-industrieller Komplex? 299
apparat" und bei dem Verweis auf große Rüstungsfertiger (bei Breschnew "größte
Monopole") durchaus der Gedanke an eigene sowjetische Verhältnisse naheliegt
Dann ist die "unheilvolle" Wirkung auf Politik durchaus auch im sowjetischen Be-
reich möglich. Es könnte sein, daß die jüngste innersowjetische Debatte über die
Außenpolitik der vergangeneo Jahre auch zu dem Punkt kommt, die Interessenver-
knüpfung zwischen Rüstungsapparat und "Militärclique im Staatsapparat" in der
vergangeneo auswärtigen Politik zu untersuchen.
Unabhängig von der sowjetischen Zurückweisung erscheint der Vorschlag,
analytisch die mögliche Eigendynamik des sowjetischen Rüstungssektors durch die
Verwendung des Theorems vom Militär-Industrie-Komplex zu fassen, als nicht
weiterführend, vertiefte Einsichten nicht fördernd, sondern diese eher behindernd.
Zu sehr liegt die Machart auf der Hand: Von dem, was im Alltag des sowjetischen
Rüstungsbetriebes ausmachbar ist, sind noch am ehesten die beteiligten Akteure
und ihre Gruppenzugehörigkeit identifizierbar. Aus Mangel an Informationen über
ja durchaus mögliche Reibereien sogleich auf eine weitgehende Interessenharmo-
nie zu schließen, wie sie besonders das Bild der Symbiose nahelegt, erscheint dann
aber doch als vorschnell. Ergebnis unserer Untersuchung ist vielmehr, daß vom
Professionalismus der Beteiligten, von der ideologischen Orientierung her, die ih-
nen vorgegeben wird, es zu einem vergleichsweise kooperativen Verhalten der be-
teiligten Akteure kommt. Dessen Wandel zu studieren sind aber andere theoreti-
sche Vorgaben als die vom Militär-Industrie-Komplex offenbar geeigneter.
Trotz aller analytischen Defizite kann dem Theorem vom Militär-Industrie-
Komplex in der UdSSR ein weiteres langes Leben vorausgesagt werden. Zu treff-
lich eignet sich diese spröde Figur von Gesellschaftsanalyse für politische Pole-
mik. Es überrascht nicht, wenn ein durch analytische Beiträge ansonsten nicht auf-
fälliger Beiträger zur Debatte, das Pentagon, eben in der Sowjetunion einen Mili-
tär-Industrie-Komplex am Wirken sieht. Jüngst faßte Frau Major Early, im Nach-
richtendienst des Strategischen Bomberkommandos tätig, diese Ansichten zusam-
men:
"Der Militär/Industrie-Komplex ist dort drüben die Nummer Eins der nationalen Indu-
striezweige. Er wird fortwährend technologisch voran und immer weiter voran getrie-
ben."82
Interessant an der Begründung von Frau Major Early ist, daß sie sich in reinen
Technizismen ergeht. Die Sowjets hätten den größten Windkanal der Welt gebaut,
sie betrieben die größten Schmiede- und Strangpressen der Welt Der erstaunte Le-
ser mag einwenden, daß große Pressen eventuell auch für andere Zwecke, für Bau-
teile in Schiffswerften oder Kernkraftwerken, verwendet werden könnten. Frau
Early und das Strategische Bomberkommando bleiben freilich von den militäri-
schen Anwendungen überzeugt. Die Sowjets seien heute führend in Schweißtech-
nologien wie dem ,,Electroslag"-Verfahren (man hofft, Frau Early weiß, was diese
Bezeichnung bedeutet) oder der Nutzung von Plasmabogenschmelztechniken zur
Erzeugung von Hochleistungslegierungen.
82 Soviet Union Experiencing Lengthy Acquisition Times, in: Aviation Week & Space
Technology vom 2.5.1988, S. 105. Wer ungläubig bleibt, erhält Zugaben. Militärisch
relevant sei, daß die SU nunmehr den Weltstandard in der Formung von Metallblechen
erreicht habe, daß sie "Weltklasse-Neuerungen" im Elektronenstrahlschweißen, im Bo-
genpulsschweißen, im Elektrogasschweißen eingeftlhrt habe.
304 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung
8.5 Fazit
Skilling hat mit einer spezifischen Kritik deutlich auf die Grenzen der Übertragung
des Interessengruppen-Modells auf die UdSSR hingewiesen, die auf andere Ansät-
ze übertragbar bleibt: Der Interessengruppenansatz würde kein vollständiges Mo-
dell zur Erklärung des politischen Systems der UdSSR oder des Entscheidungspro-
zesses in diesem liefern. Eine Interpretation der sowjetischen Politik ausschließlich
in Begriffen von Interessengruppen und Gruppenkonflikten sei mit der Anwen-
dung der Interessengruppentheorie nicht beabsichtigt gewesen. Vielmehr sollte mit
diesem Ansatz die Aufmerksamkeit auf einen in der Forschung vorher vernachläs-
sigten wichtigen Aspekt sowjetischer Politik gelenkt werden. 83
Keiner der durchgesehenen Ansätze, so ein erstes Fazit, erweist sich als so er-
kenntniskräftig, daß er andere überflüssig macht. Allerdings verfallen einzelne
Vorschläge- aus der Totalitarismusdebatte, aus der Diskussion über militärisch-
industrielle Komplexe - dem Verdikt, Einsicht eher zu behindern als zu fördern.
Der Prozeß der technologischen Entwicklung und Produktion von Rüstung
führte auch in der UdSSR aufgrund der prinzipiellen Übernahme westlicher Rü-
stungsstrategien zu einer steigenden Komplexität und Diversifikation von Waffen-
systemen. Diese Entwicklung zog zwangsläufig eine parallele Vergrößerung und
Differenzierung der mit Rüstung befaßten sowjetischen Institutionen nach sich und
bewirkte gleichzeitig, daß das Gewicht dieser Organisationen (rüstungsindustrielle
Ministerien und die ihnen unterstehenden Forschungsinstitute und Konstruktions-
büros sowie Fertigungsbetriebe) und bürokratische Einflußphänomene in dem zeit-
lich länger und komplexer werdenden rüstungspolitischen Entscheidungsprozeß
der UdSSR zunehmen. Auf diesen Sachverhalt weist Alexander in seiner detaillier-
ten Fallstudie über Entscheidungstrukturen bei der sowjetischen Waffenbeschaf-
fung hin:
"Der langwierige und komplizierte Ablauf der Waffenbeschaffung, die große Trägheit
und der schiere Überlebenswille von Organisationen und deren Bewegungsmuster si-
chern, daß die Resultate dieser Prozesse erheblich von den beteiligten Bürokraten, ihren
Zielen und V erfahren beeinflußt wurden. Diese Einflußmacht rührt aus der Macht der
Organisationen in bezug auf Informationen, der Bildung von Handlungsalternativen,
der Realisierung von politischen Alternativen."84
Für eine abschließende Einschätzung des Erklärungswertes des Interessengruppen-
Ansatzes und seiner verschiedenen Modellvarianten für das politische System der
Sowjetunion ist auf ein treffendes Resümee von Skilling zu verweisen:
,,Der Interessengruppenansatz hat zumindest eines seiner Ziele nicht erreicht - nämlich
zu einer allgemeinen Theorie der Gruppen in der Politik beizutragen.... Der Umstand,
daß Sowjetotogen verschiedene Ansätze der Politikwissenschaft auf die Sowjetunion
anwendeten, hat das Verständnis dieses politischen Systems und der Rolle von Interes-
sengruppen darin eher behindert als befördert. Das Totalitarismusmodell, auch das au-
toritärer Herrschaft, schließt fast schon von den Prämissen her die Möglichkeit von In-
teressengruppen aus, was verständlicherweise konkrete Untersuchungen zu diesem Ge-
genstand entmutigte. Die Modelle von Bürokratien und Institutionen, welche amtlich
vorgegebene Strukturen nachzeichnen, lenken die Aufmerksamkeit des Analytikers
weg von lockeren, nichtorganisierten und anderen Gruppierungen. Das pluralistische
und das korporatistische Modell unterstellen eine größere Beteiligung von Interessen-
gruppen und gesellschaftlichen Organisationen, als dies verifizierbar ist. Andererseits
zeigen empirische Studien ... die Nützlichkeit des Interessengruppenansatzes beim Stu-
dium sowjetischer Politik."85
Generell ist festzuhalten, daß kein theoretisches Modell die komplexe Realität ei-
nes Gesellschaftssystems und der in diesem ablaufenden politischen Prozesse voll-
ständig fassen und abbilden kann. Die Nützlichkeit der Formulierung von neuen
Modellen sieht Rough eher in der Förderung eines Verständnisses derjenigen Phä-
nomene und Beziehungsverhältnisse, die in der Vergangenheit wenig beachtet und
verstanden wurden, indem dadurch Fragen aufgeworfen werden, die zu neuer und
produktiver Forschung führen. Von solch einer Perspektive betrachtet, ist die Un-
vollständigkeit eines Modells nicht notwendigerweise ein Nachtei1.86
Abschließend sind einige Feststellungen zur Reichweite der theoretischen Be-
mühungen angemessen. Obwohl die, wie die Griechen dies formulieren, "Theo-
rie", die reine Sicht der Dinge, für uns einen hohen Stellenwert einnimmt und mit
ihr dieser Band abgeschlossen wird, sind doch zu viele Beschränkungen und Vor-
behaltsklausein zu berichten gewesen, als daß eine unumschränkte Entscheidung
für einen der referierten Ansätze möglich wäre. Im Gegenteil haben uns gerade
Autoren, die sich zur Beschränkung der Erklärungskraft ihrer Ansätze äußern, be-
sonders Skilling, mehr überzeugt als andere, die mit breitem Geltungsanspruch an-
treten. Eine allgemeine theoretische Formel zur Erklärung der Sowjetgesellschaft
oder gar ihres heutigen Wandels kann und wird es nicht geben.
A priori bleibt feststellbar, daß ein Teil der vorgeführten Theorieansätze nur
beschränkten Wert bei der Untersuchung sowjetischer Verhältnisse haben konnte.
Zu offenkundig ist ihre Ableitung aus westlichen Verhältnissen. Die Unterschei-
dung von Gruppen sowie die Unterstellung, diese verfolgten ihre Interessen in ih-
rem Umfeld, spiegelt ein liberales Vorverständnis von Gesellschaft wider, welches
in der Realität der Sowjetunion wenig Entsprechung findet. Natürlich lassen sich-
wie ausführlich in diesem Kapitel eruiert - auch im Sowjetsystem Gruppen identi-
fizieren und kategorisieren. Daß diese aber ein spezifisches Verhalten zeigen, gar
wie immer zu beschreibende Interessen verfolgen und zu diesem Zwecke gar
dauerhafte Koalitionen (welch befrachteter Begriff!) bilden - all das ist zu sehr
Übertragung westlicher Ansätze, mühsame Verifikationsanstrengung in der So-
wjetgesellschaft, um weitreichende Aussagen tragen zu können. Auch die Nutzung
von Mischansätzen, die in kluger Kenntnis von Vor- und Nachteilen der verschie-
denen Zugangsweisen die verschiedenen Analyseebenen und inputs in die sowjeti-
sche Rüstung auseinanderhalten, entspricht nicht der nunmehr alten (und weiterhin
überzeugenden) Forderung Klaus von Beymes, dem Sowjetsystem angemessene
spezifische Erklärungsformen zu bilden.
Die Aussage, man müsse das subtile Zusammenwirken der verschiedenen
Gruppierungen in der sowjetischen Rüstung gar mit der Figur vom Militär-Indu-
strie-Komplex erklären, ist vor allem historisch falsch. Wie die vorstehenden De-
tailstudien belegen, vereinte vor allem die Angst vor Terror sowie der Patriotis-
mus, ein Höchstmaß an Kriegsleistungen zu erbringen, die an der Rüstung führend
Beteiligten. Danach bildete der Versuch, aufbolend gegenüber der technologischen
Übermacht des Westens eine moderne Rüstung aufzubauen, den großen gemeinsa-
men Nenner.
Auch verkennt das Theorem von Gruppenkoalitionen die Ebene der Entschei-
dungsfindung. Anders als in westlichen Hauptstädten, wo die zahlreichen mit- und
gegeneinander konfligierenden Gruppen gelegentlich zu der Scherzaussage führen,
es sei eigentlich gar nicht mehr ausmachbar, wer eigentlich über große Rüstungs-
projekte beschließe, ist schon eingangs festgestellt worden, daß die politischen
Vorentscheidungen im Verteidigungsrat fallen, und daß das Politbüro diesen Ent-
scheidungen im Regelfall folgt. Es bleibt schwer vorstellbar und wird von den Ver-
tretern des Theorems vom Militär-Industrie-Komplex auch gar nicht behauptet, daß
der Verteidigungsrat die Spitze der Pyramide eines solchen Komplexes sei. Es han-
delt sich hier um ein politisches Entscheidungsorgan, wie die Untersuchung ge-
zeigt hat, eigener Art, die für viele Interpretationen zugänglich bleibt, aber eben
nicht für die einer Interessenkoalition von mittelrangigen Kadern.
8.6 Perspektiven
In neuerer Zeit ist die theoretische Diskussion über das angemessene Verständnis
der Sowjetgesellschaft erheblich ausgeweitet worden. Zu verweisen ist vor allem
auf Arbeiten von Mary Kaldor und Dieter Senghaas. Der gemeinsame Nenner die-
ser Beiträge liegt in der Frage nach der Innovationsfähigkeit/ioneren Dynamik der
Sowjetökonomie, besonders auch im Hochtechnologiebereich Rüstung, sowie per-
spektivisch in der Frage, wie wohl die UdSSR ihre Supermachtrolle bei einer nega-
tiven Antwort auf die erste Frage würde fortsetzen können.
Mary Kaldor geht von der Frage aus, ob die revolutionäre Sowjetunion die
Möglichkeit gehabt habe, eine alternative, eine andere als die westliche Militär-
technologie zu entwickeln.S7 Trotz der Priorität, die die Bolschewiki der Rüstung
gaben, lautete die Antwort negativ: "Die Sowjetgesellschaft (werde) sich in diesel-
be Richtung, wenn auch schneller und wirkungsvoller ... bewegen müssen, die von
den ,fortgeschrittenen' kapitalistischen Ländern eingeschlagen worden ist ... Diese
Tatsache - daß nämlich die Sowjetunion die westliche ,Rüstungskultur' akzeptiert
und übernommen hat- ist für den Rest der Welt außerordentlich bedeutungsvoll
geworden. Und diese Tatsache hat auch ihre Auswirkungen auf die ökonomische
und gesellschaftliche Entwicklung der Sowjetunion insgesamt."88
Auf den polnischen Ökonomen Oskar Lange zurückgreifend,89 beschreibt Kal-
dor die Sowjetwirtschaft als eine Kriegsökonomie. Damit ist gemeint, daß das
Wirtschaftsmanagement ähnlich zentralisiert ist wie in einer kapitalistischen Wirt-
schaft zu Kriegszeiten, und daß militärische Wünsche Vorrang vor allen anderen
Produktionsaufgaben haben. Aufgrund einer klassisch liberalen Position entfaltet
Kaldor breit die These, daß die Hauptwirkung des Militärsektors in einer Gesell-
schaft darin bestünde, "im Niedergang befmdliche Bereiche zu stützen und die
Entstehung neuer dynamischer Bereiche zu behindern."90 Im Gegensatz zu westli-
87 Kaldor 1981
88 Kaldor 1981, S. 75
89 Lange 1970
90 Kaldor 1981, S. 88
Perspektiven 307
91 Kaldor 1981, S. 88
92 Kaldor 1981, S. 98
93 Kaldor 1981, S. 98
94 Senghaas 1985, S. 310
95 Senghaas 1985, S. 310. - Vgl. zur Verknüpfung von wirtschaftlicher Leistungsfähig
und Militärpotential auch Cohen/Wilson 1988, S. 99-132.
308 Theoretische Positionen zur Sowjetrüstung
"Da sie den Gegenpart zu den USA und zu kapitalistischer Interessenpolitik nur dank
ihrer Waffenarsenale übernehmen und weder ökonomisch, noch technologisch, noch
kulturell Gleichrangiges - oder qualitativ Anderwertiges - anbieten und machtpolitisch
nur direkt und nicht ökonomisch indirekt agieren kann, ist die Sowjetunion auch zu
wirklicher Abrüstung unfähig. "100
Es dürfte sich um einen Fehlschluß handeln, vor allem wegen der Verkennung der
Rolle des Politischen in der Sowjetgesellschaft Diese Rolle läßt sich nicht ab-
strakt, sondern nur empirisch erfassen.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die theoretisch orientierte Erörterung des
Sowjetsystems sich als wenig ergiebig erweist, befragt man sie in Bezug auf die
Wandlungsfahigkeit des Sowjetsystems. Theoreme mittlerer Reichweite wie An-
sätze über Gruppen oder korporative Strukturen schließen die Möglichkeit zu
grundsätzlichen Reformschritten nicht aus, wie dies in einzelnen umfassenden
Theorieansätzen (Damus) erfolgt. Abgesehen von Kaldor werden die verschiede-
nen Theorieebenen kaum miteinander verknüpft: Darnos und Senghaas (der seinen
Beitrag freilich ausdrücklich als Thesen- und Diskussionspapier vorstellt) zum
Beispiel gehen ebenso wenig auf die Diskussion über Theoriekonzepte mittlerer
Reichweite ein wie umgekehrt fast alle Vertreter solcher Ansätze eine deutliche
Abneigung gegen "große Theorien" zeigen. Verbindungen von Theorie und Empi-
rie, wenigsten einläßlicher Art, sind selten zu finden. Die Verwendung der Empirie
in den meisten theoretisch engagierten Schriften zur Sowjetrüstung bleibt auf Se-
kundärauswertung gängiger Materialien beschränkt, und auch diese erfolgt eher zu
Illustration theoretisch abgeleiteter Thesen als dazu, den Ausgangspunkt für theo-
retische Reflexionen abzugeben.
1 Segbers 1984, S. 28
2 Vgl. U.S. CIA 1986, S. 1; Holloway in Nikutta 1986, S. 29 f.
312 Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute- ein Querschnitt
nahmen und Gegenzüge auf sowjetischer Seite eher mit dem Begriff der Asymme-
trie zu fassen, gelegentlich erheblich zu Lasten der Sowjetwirtschaft Als die USA
zum Beispiel im großen Umfange schwere Interkontinentalbomber B-52 beschaff-
ten, habe man auf sowjetischer Seite nicht mit einem erweitertenBauprogramm für
Bomber nachgezogen, sondern das Vier- bis Fünffache des Aufwandes für ein
mögliches Bomberprogramm in den Ausbau der Luftverteidigung gesteckt (Die
Aussage von Wassiljew wird durch die Bomberzahlen im SALT-I-Vertrag ge-
deckt). Insgesamt, so Wassiljew, falle der sowjetische Rüstungssektor eher kleiner
aus als in den USA.
8 Vgl. The FY 1986 DoD, Program for R, D & A, inNikutta 1986, S. 76-79
9 Vgl. U.S. CIA 1986, S. 33
Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute -ein Querschnitt 315
wirtschaftliches Hauptziel der neuen sowjetischen Führung. Die Betonung liegt da-
bei auf einer ,,High-Tech-Revolution" und der Erneuerung der gesamten industriel-
len Basis.
Wesentliches Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist in der Wirtschaftsreform-
strategie von Gorbatschow die Beschleunigung der Entwicklung von Wissenschaft
und Technik. Im Zeitraum des 12. Fünfjahresplans sind für diesen Zweck die fi-
nanziellen Aufwendungen deutlich erhöht sowie organisatorische Maßnahmen ein-
geleitet worden, um die sowjetische Ökonomie alsbald an das durch die entwickel-
ten kapitalistischen Industriestaaten vorgegebene internationale. wissenschaftlich-
technische Niveau heranzubringen.
Gleichzeitig wurden langfristige Planungrichtlinien für die Wissenschafts- und
Technologiepolitik aufgestellt: "Das Komplex-Programm des wissenschaftlich-
technischen Fortschritts der RGW-Länder bis zum Jahr 2000" vom Dezember
1985 sowie das ,,Programm über die Hauptrichtungen der wirtschaftlichen und so-
zialen Entwicklung der UdSSR von 1986 bis 1990 und für den Zeitraum bis zum
Jahr 2000" von 1986 enthalten genaue Beschreibungen der mit Priorität zu verfol-
genden Forschungsbereiche und Technologien. Als technologische Schwerpunkt-
bereiche werden u.a. Mikroelektronik, Hochgeschwindigkeits-Computer, Künstli-
che Intelligenz, Lichtleitertechnik für Hochgeschwindigkeitsübertragung, Automa-
tisierung, Industrieroboter, Präzisionsmeßtechnik, neue Werkstofffe, Laser und
Biotechnologie genannt. Bei der Grundlagenforschung will man u.a. Informatik,
Kybernetik und Elementarteilchenphysik verstärkt fördern. Insgesamt handelt es
sich hierbei um Gebiete, die für die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Zivil-
wirtschaft entscheidend sind und die zugleich eine potentiell wichtige militärische
Bedeutung haben.
Hohe sowjetische Militärs weisen seit einiger Zeit darauf hin, daß die neuen
fortgeschrittenen Technologien (im Westen auch "emerging technologies" ge-
nannt) den gesamten militärischen Bereich "revolutionieren" und insbesondere die
Rüstungstechnologie mit wachsender Geschwindigkeit qualitativ verändern. Diese
Entwicklung wird ihrer Ansicht nach in naher Zukunft zu einem radikalen Wandel
des Kriegsbildes führen. In der sowjetischen Militärfachpresse wird mehrfach die
Bedeutung der Fähigkeit der UdSSR betont, wirksam auf die in den NATO-Staaten
vorfindbare Anwendung fortgeschrittener Technologien für militärische Zwecke
antworten zu können. Die Militärs sind offensichtlich ernsthaft besorgt über die
unbefriedigenden Inputs aus der zivilen Forschung und über die generelle Innova-
tionsträgheit der sowjetischen Industrie (einschließlich der rüstungsindustriellen
Zweige) bei der Hebung des produktionstechnologischen Standards.13
Organisatorische Maßnahmen
In der Akademie der Wissenschaften der UdSSR wurde die Grundlagenforschung
in den Bereichen Maschinenbau und Informatik erheblich erweitert, und es wurden
neue Institute eingerichtet. Gleichzeitig wird das Netz der 1973 geschaffenen ,,For-
schungs- und Produktionsvereinigungen" (NPO) ausgebaut. Sie fassen For-
schungseinrichtungen, Entwicklungs- und Projektierungsorganisationen sowie
Versuchs- und Serienfertigungsbetriebe zusammen. Die Rüstungsindustrie soll
eine führende Stellung bei der Schaffung solcher Vereinigungen eingenommen ha-
ben und dabei im Gegensatz zu einigen anderen Sektoren relativ erfolgreich gewe-
sen sein (z.B. ,,NPO Positron" im "Ministerium für Elektronikindustrie").15 Die
Flugzeugbau-Produktionsvereinigung "50 Jahre Oktoberrevolution" in Kiew er-
hielt beispielsweise gemeinsam mit dem Konstruktionsbüro "O.K. Antonow" einen
Staatspreis für die Entwicklung und den Bau eines Ambulanzflugzeuges "Spassa-
tel".
Eine weitere wichtige organisatorische Maßnahme zur Beschleunigung der
Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Produktion besteht in der 1985 ein-
geleiteten Schaffung "Branchenübergreifender Wissenschaftlich-Technischer
Komplexe" (MNTK). Hierbei handelt es sich um Vereinigungen neuen Typs, in
denen Forschungseinrichtungen und Experimentalbetriebe verschiedener Bran-
chenministerien zusammengefaßt sind, um die Anstrengungen bei wichtigen
Schlüsseltechnologien zu konzentrieren. So sollen die bürokratischen Barrieren
überwunden werden, die der Zusammenarbeit von formal verschiedenen Ministe-
rien unterstellten Organisationen im sowjetischen System üblicherweise entgegen-
stehen. Bislang existieren 18 solcher Komplexe. Ihre Schwerpunktbereiche
schließen u.a. die Entwicklung von Personalcomputem, Laseranlagen, Industriero-
16 Vgl. SchröderNogel1986
17 Vgl. Cooper 1986
18 Vgl. Sehröder 1986, S. 10
Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute -ein Querschnitt 319
Problem Technologietransfer
In einer derartigen Investitions- und Strukturpolitik gewinnt gleichzeitig das Pro-
blem der Organisation des Technologietransfers zwischen der Rüstungsindustrie
und der zivilen Industrie wachsende Bedeutung. Ein Technologietransfer zwischen
den beiden Sektoren erfolgt in zwei Schritten: Der erste besteht in dem Transfer
von der Rüstungsproduktion zur zivilen Produktion in der Rüstungsindustrie sel-
ber, der zweite dann zum Produktionsbereich des zivilen Sektors. Der erste Schritt
ist der prinzipiell einfacher zu verwirklichende, da er innerhalb des Organisations-
bereichs eines Ministeriums abläuft. Militärische und zivile Produktion teilen sich
dabei dieselbe Ressourcen- und Technologiebasis, und das Management-Personal
ist verantwortlich für beide Bereiche. Der zweite Schritt ist aufgrund der stark aus-
geprägten Geheimhaltungsprobleme und der generellen Probleme, die im sowjeti-
schen System mit inter-ministerieller Kooperation bisher verbunden sind, wesent-
lich schwieriger.
Mit der jüngst begonnenen Schaffung von "Branchenübergreifenden Wissen-
schaftlich-Technischen Komplexen" ist mit Sicherheit auch der Versuch verknüpft,
den Prozeß des Technologietransfers von der Rüstungs- zur Zivilindustrie wirksa-
mer zu organisieren. Diese Komplexe sind in der Regel um ein Akademieinstitut
herum organisiert. Die sowjetische Akademie der Wissenschaften arbeitet sowohl
dem Rüstungs- als auch dem Zivilsektor zu. Zudem sollen dieselben Forscher-
teams oftmals in beiden Sektoren tätig sein. Da jedoch die Akademie an kein Mini-
sterium angebunden ist, kann sie durchaus die Rolle einer effizienten Technologie-
vermittlungsagentur durch know-how-Transfer übemehmen.20
Eine andere Transfermöglichkeit, welche die Modemisierung der Ökonomie
unterstützen könnte, besteht in dem Transfer von "Human-Kapital". Hierbei nimmt
die Rüstungsindustrie offensichtlich eine Leitfunktion ein. So sind unter Gorbat-
schow verstärkt ehemalige Rüstungsmanager auf wichtige Posten im Staatsapppa-
rat berufen worden.21 Dieser Personaltransfer hat zwei Aspekte. Zum einen dürfte
sich die politische Führung die Einführung effizienterer Managementmethoden in
der allgemeinen Wirtschaftsleitung erhoffen, weil die Ausbildung und das Fach-
wissen von Managern aus der Rüstungsindustrie im allgemeinen hoch angesehen
sind. Zum anderen stellt ein solcher Personaltransfer den Versuch dar, die Belange
und Interessen der Rüstungsindustrie in der Zeit eines tiefgreifenden ökonomi-
schen Wandels möglichst zu wahren, indem Repräsentanten aus diesem Sektor lei-
tende Funktionen im Partei- und Staatsapparat anstreben.
27 Vgl. für ein historisches Fallbeispiel die Analyse von Tiedtke 1985.
28 Pozharov in Nikutta 1986, S. 59
29 Vgl. Sehröder 1987b, S. 606
322 Rüstungswirtschaft unter Gorbatschow heute- ein Querschnitt
Schlußfolgerungen
Folgt man Gorbatschows Aussagen, dann scheint seine Präferenz darin zu beste-
hen, die verfügbaren Ressourcen direkt für die Wirtschaftsreform des zivilen Sek-
tors zu Lasten von Rüstungsprogrammen einzusetzen.33 Zwar will auch die So-
wjetunion viele der Technologien entwickeln, auf denen SDI und moderne konven-
tionelle Rüstung basieren, aber diese sind gleichzeitig für den angestrebten Über-
Wissenschaft, im emphatischen Sinne, soll zur Prognose fahig sein, und so dient
der Schlußabschnitt dieser Studie zur sowjetischen Rüstung und der möglicherwei-
se geeigneten theoretischen Überhöhungen dem Versuch, die Weiterungen des vor-
findliehen Zustandes anzugeben.
Ein solches Unterfangen wird in der gegenwärtigen Situation eines allgemei-
nen Umbruches in der UdSSR höchst unsicher bleiben. Aus den in der Untersu-
chung gewonnenen Einsichten und Hinweisen solltrotz dieser Vorbehalte ein per-
spektivischer Blick auf die derzeitige Situation gerichtet werden.
Die größten Profiteure von mehr "Glasnost" dürften kurzfristig Historiker und
Sozialwissenschaftler sein. Das freiwerdende Material, Informationen, die bei in-
nersowjetischen Debatten über die UdSSR anfallen, dürften die Kenntnis und das
Verständnis dieses Gemeinwesens um einen quantitativen und qualitativen Sprung
verbessern. Im Militärbereich steht ein besonders weitreichender Schritt an Infor-
mationszuwachs an durch die für Beginn der neunziger Jahre angekündigten Be-
kanntmachungen über Einzelheiten der Rüstungsausgaben. Die Kreml-Astrologen
werden dann dennoch nicht arbeitslos. Statt der Frage, wie groß der sowjetische
Militäraufwand in den verschiedenen Kategorien nun wirklich ist, werden sie künf-
tig das Problem bearbeiten, ob die sowjetischen Angaben denn tatsächlich stim-
men.
Die Beschränkungen eines exzessiven Sicherheitssystems halten bis in die
jüngste Zeit an. Im August 1988 war z.B. der israelische Physiker Harry J. Lipkin
zu einem Vortrag ins Moskauer Landau-Institut für Physik eingeladen. Wie sich
herausstellte, führte der einzige Zugang zum Vortragsort durch ein für Ausländer
nicht passierbares Sperrgebiet. Die Vorlesung wurde daraufhin in ein anderes For-
schungsinstitut verlegt Nun stellte sichjedoch heraus, daß der gastgebende Direk-
tor des Landau-Institutes nicht berechtigt war, diese Forschungseinrichtung zu be-
treten, so daß er darauf verzichten mußte, den Vortrag seines Gastes zu hören.
Der Durchschnittsbürger begegnet dem Sicherheitssystem durchaus im Alltag.
Telefonbücher gibt es praktisch nicht, und wer von der Auskunft eine Nummer er-
halten möchte, muß Geburtsdatum oder Anschrift des Anzurufenden angeben kön-
nen. Auf die (scheinheilige) Anfrage an durchaus hilfsbereite Gesprächspartner in
einem Moskauer Institut, wie die Telefonnummer eines ortsansässigen Korrespon-
denten einer westlichen Zeitung erfahrbar sei, kam die Antwort, dies herauszufin-
den sei unmöglich. Die Beschränkungen, welche sich für nicht autorisierte Kom-
munikation im Sowjetsystem ergeben, lassen sich, wie das Beispiel Telefonbuch
anzeigt, für den Ausländer allenfalls erahnen.
Die wohl bizarrste Variante von Geheimhaltungsbemühungen dürfte die amtli-
che Fälschung von Karten über das eigene Land darstellen. Viktor R. Jaschtschen-
ko, der oberste Kartograph der UdSSR, räumte in einem Interview mit der Iswetija
den Tatbestand freimütig ein und kündigte an, daß nunmehr akkurate Karten vor-
326 Perspektiven
gelegt würden.l Vor achtzehn Jahren hatte ein westliches Fachblatt, The Military
Engineer, durch eine simple Gegenüberstellung verschiedener sowjetischer Publi-
kationen vorgeführt, wie unglaubwürdig amtliche sowjetische Kartenwerke sind.
Abbildung 19 gibt das (kartenmäßige) Schicksal der Stadt Logaschkino an der Kü-
ste der Ostsibirischen Seen wieder. Mal, so der Military Engineer in seiner enthül-
lenden Darstellung, liege die Stadt am linken, mal am rechten Ufer des Flusses
Alaseja, mal gebe es sie gar nicht2 Andere Beispiele wie die Fehldarstellung der
Umgebung Leningrads werden damit begründet, möglichen Angreifern keine
brauchbaren Hinweise zu geben - im Zeitalter der Satellitenfotografie ein faszinie-
render Ahistorismus.
In der UdSSR erscheinen mehr und mehr kritische Artikel, mit denen die lästi-
ge Geheimnistuerei aufs Korn genommen wird. In einem der schärfsten Beiträge in
neuerer Zeit wird Akademiemitglied W. Ginsburg zitiert:
,.Das Verfahrens des Ausfüllens der Formulare, um die Veröffentlichung eines Artikels
vorzubereiten, frißt bis zu 30 Prozent der Arbeitszeit. Und dies für offene Arbeiten!
Warum? Das Photokopieren von Papieren über offene Themen ist nicht gestattet- wa-
rum? Es ist gleichgültig, viele machen es eben heimlich."3
Die voranstehenden Seiten enthalten eindrucksvolle Belege für eine substanzielle
Änderung des Informationsgebarens der Führungsspitze. Die Bezeichnungen von
Waffen sind zum Teil nicht mehr geheim, es werden eigene Daten über das sowje-
tische Nukleararsenal vorgelegt4 Am 13. Oktober 1987 legt die Sowjetregierung
der Abrüstungsabteilung einen Bericht über ihre biologische Forschung vor, wie
das auf der Zweiten Review-Konferenz zur Konvention über Biowaffen vereinbart
worden war. Aufgeführt werden auch fünf militärische Forschungsstätten, ein-
schließlich einer in Swerdlowsk (wo es vor Jahren einen rätselhaften Unfall gege-
ben hatte.5 Rüstungsausgaben werden qualifiziert, die Waffenexportquote wird an-
gegeben, und nach der Haushaltsreform soll der sowjetische Militäraufwand in
voller Größe und international vergleichbar bekannt gegeben werden. Den Alltag
des Sowjetbürgers berührt dies alles wenig, er wird von Uniformierten weiterhin
energisch zurechtgewiesen, wenn er auf dem zur Fußgängerzone erklärten Roten
Platz sich an bestimmten Stellen nicht auf dem Zebrastreifen bewegt oder wenn er
die Grabinschriften der Atombombenpioniere an der Kremlmauer studieren möch-
te. Die "neue Offenheit" ist augenscheinlich beschränkt, sie gilt bislang vorrangig
für die Führungsspitze, und die handhabt sie nach Gutdünken. So erscheint diese
neue Offenheit dem alten Sicherheitssystem aufgesetzt, mit diesem koexistierend.
Zwar gibt es viel Kritik, auch im Rüstungsbereich als dem unmittelbaren Arbeits-
1 Jaschtschenko ist Leiter der Verwaltung für Geodäsie und Kartographie beim Minister-
rat der UdSSR. Vgl. den Beitrag von Keller 1988.
2 ,.Soviet Cartographic Falsification", ohne Autor (was den Verdacht auf eine Veröffent-
lichung des Geheimdienstes nährt) in: The Military Engineer, Nr. 410, 1970
3 Zit. nach Pestow 1988. Dort auch die anderen in diesem Absatz zitierten Textstellen.
Vgl. die Beobachtung von Smith 1976, S. 467: ,,Das wichtigste Dokument- das Proto-
koll, in dem die genaue Anzahl von landgestützten Raketen und Raketen-Ubooten bei-
der Seiten angegeben wurden- ist nie von sowjetischen Zeitungen gedruckt worden."
4 Novoje Vremja (Neue Zeit) vom 30.1.87.
5 Chemical Weapons Convention Bulletin, S. 5 (die USA legten am 15. Oktober 1987 ih-
ren Parallelbericht vor).
Perspektiven 327
Soviet
Union
feld einer Vielzahl von Menschen. Der Sinn dieser Kritik ist aber vor allen ein in-
strumenteller, Verbesserung von Verhältnissen- Selbstwert hat die neue Offenheit
bislang kaum.
Auch in der sowjetischen Führungsspitze werden gewisse Enttäuschungen
über die geringe Wirkung der Politik des neuen Denkens und der neuen Offenheit
nach innen und nach außen sichtbar. Im Gespräch äußert sich Vizeaußenminister
Wladimir Petrowsky zum Beispiel enttäuscht über das flaue Echo, welches die
Preisgabe sowjetischer Rüstungsdaten im Westen, gerade auch bei den unabhängi-
gen Medien, gefunden habe. Das sowjetische Angebot, wechselseitig umfassend
Einzelheiten der Marinerüstung offenzulegen, sei von der amerikanischen Regie-
328 Perspektiven
rung mehr oder minder abgelehnt worden. Man werde dennoch die neue Informa-
tionspolitik fortsetzen.
Am weitreichendsten werden die Folgen der Änderungen für die Sowjetbürger
ausfallen. Auch die UdSSR in der Ära Gorbatschow ist zunehmend als "politisch
konstituiertes und über Rechtsnormen integriertes Gemeinwesen"6 zu begreifen.
Die für die Sowjetgesellschaft neuen Konzepte der strikten Rechtsstaatlichkeit,
einschließlich eines Verwaltungsgerichtswesens, bieten weite Möglichkeiten der
konstruktiven Neu- und Ausgestaltung des Systems - und eben dies stellt die
Chance der Perestrojka dar.
Offen bleibt derzeit, in welcher Weise die Rüstung von dieser Neugestaltung
erfaßt wird, ob eine veränderte Sowjetgesellschaft ihr weiterhin die hohe Priorität
einräumen wird, die sie bislang genoß. Anzeichen deuten darauf hin, daß die Ant-
wort künftig eher negativ lautet. Der Aufwand für militärische Sicherheit wird sich
in einer veränderten Gesellschaft ungleich stärker mit anderen Ansprüchen an die
Ressourcen messen lassen müssen.
Es steht nicht zu erwarten, daß die Veränderungen in der UdSSR die alte These
von einer zunehmenden Konvergenz der Systeme bestätigen. Obwohl die technolo-
gischen Verflechtungen intensiver werden dürften, werden die Unterschiede zwi-
schen privat-marktwirtschaftlicher und staatsorganisierter Wirtschaft weiterhin
durchschlagen. Die Theoretiker der Linken werden mit der Betonung dieses Unter-
schiedes Recht behalten. Anzuführen ist etwa Herbert Marcuse, der die, wie er dies
nennt, "unqualifizierte Konvergenzthese" ausdrücklich zurückweist.? Er betont wie
andere Autoren dieser Orientierung den besonderen Charakter der Sowjetgesell-
schaft ,,Eschatologisch gesprochen, enthält die Sowjetgesellschaft eine qualitativ
andere Gesellschaft."S
Dennoch haben Ost und West nach Marcuse, worauf Claus Offe in seinen
"Antworten''9 besonders verweist, "dieselbe technische Basis".lO Es gibt mithin
keine besondere sowjetische Technik oder gar Rüstungstechnik, sondern- so Mar-
cuse - "die beiden antagonistischen Gesellschaftssysteme vereinigen sich ... in der
allgemeinen Tendenz des technischen Fortschritts" .11 Offe überzeichnet wohl,
wenn er Marcuse aufgrund dieser Feststellung die "Annahme einer zumindest la-
tenten Systemkonvergenz zwischen Ost und West"12 zuspricht. Gerade dieser
Punkt, daß der gemeinsame Nenner Technologie, und diese in gleicher Ausprä-
gung, eben nicht Konvergenz der politischen Systeme bedeutet, wird künftig er-
heblich die sowjetische Theoriedebatte beschäftigen.
"Perestrojka", Umbau, zielt real aber vor allem auf die Neugestaltung der So-
wjetwirtschaft, auf die Modernisierung der industriellen Grundlage der Sowjetöko-
nomie, und dabei vorrangig auf die Entwicklung derjenigen Technologien, die er-
forderlich sind, um den Anschluß an den Westen zu erreichen. Diese Umgestaltung
soll jedoch nicht, so ist allen Äußerungen Gorbatschows zu entnehmen, zu Lasten
6 Habermas 1987, S. 18
7 Marcuse 1969, S. 126
8 Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus 1964, S. 17
9 Offe 1968, S. 69
10 Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus 1964, S. 171
11 Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus 1964, S. 172
12 Offe 1968, S. 79
Perspektiven 329
des Rüstungssektors gehen. Das Pentagon geht davon aus, daß allenfalls die Zu-
wachsraten des sowjetischen Rüstungsaufwandes beschnitten werden, um Ressour-
cen für die "Perestrojka" der Zivilwirtschaft zu bekommen.13 Für die Rüstung sel-
ber werden (so Condoleezza Rice/Stanford University) Änderungen in der Handha-
bung der Waffenbeschaffung erwartet.14 Anstelle der "Schock-Therapie", der eil-
fertigen Konzentration von Ressourcen auf Schlüsselprojekte, würden künftig auch
Prioritätsvorhaben wirtschaftlicher gehandhabt. Indiz für größere Gelassenheit auf
sowjetischer Seite in der Handhabung von Vorrangprojekten mag das Schicksal
des neuen Interkontinentalbombers sein, welcher im Westen unter dem Codena-
men "Totschläger" (Blackjack) bekannt ist. Während für die US-Regierung unter
Präsident Reagan die Wiederaufnahme und Beschleunigung des Baus von schwe-
ren Bombern mit Schwenkflügeln bezeichnend ist, wurde in der Ära Gorbatschow
das Gegenstück "Totschläger" verzögert - der Bomber befindet sich seit sieben
Jahren in der Flugerprobung, nach allen Maßstäben eine ungewöhnlich lange
Zeit.15
Die Organisierung der "Perestrojka" wird nicht nur eine ökonomisch vertretba-
rere Behandlung des Bomberprojektes bewirken. Ganz allgemein wird es zu Rei-
bungen zwischen Militär- und Zivilwirtschaft um die Zuweisung von Ressourcen
kommen.16 Ein solcher Wettbewerb hat in der Vergangenheit in geringem Ausmaß
stattgefunden. Erstmals werden die Rüstungsstrategen ihre Projekte auch ökono-
misch rechtfertigen müssen - was ihnen bislang erspart geblieben ist.
Die Aussichten der ,,Perestrojka" lassen sich auch schichtenspezifisch erörtern.
Die Masse der sowjetischen Rüstungstechniker, der in diesem Bereich tätigen Wis-
senschaftler sowie der Offiziere ist - wie immer eine Beschreibung der Sozial-
struktur der Sowjetgesellschaft ausfallen mag - den Mittelschichten zuzurechnen.
Diese Mittelschichten aber thematisierten am offensten die Mängel in der sowjeti-
schen Güterversorgung sowie im Lebensstandard allgemein, sie sind Gorbat-
schows eigentliche Unterstützer,l7 Offenheit auch für ihre wissenschaftlichen Pu-
blikationen (statt, wie bisher, Geheimstempelung), Auslandsreisen (statt deren
Ausbleiben), auf der Grundlage einer auskömmlichen Versorgung, verbunden mit
W eltoffenheit, das sind die Leitwerte, für die diese ausschlaggebende Gruppierung
zu gewinnen ist. Ihr fehlen die Annehmlichkeiten, welches das Sowjetsystem den
höheren Rängen der ,,Nomenklatura" bereitzustellen wußte. Auch wenn eine sol-
che "nivellierte Mittelstandsgesellschaft" den Vätern der Revolution ein Graus sein
mag - sie bildet die zentrale Leitvorstellung der sowjetischen Reformer und der sie
AnhangA:
Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion
4150
2800
1450
..
100
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86
Panzer Gesamtproduktion
Panzer für eigene Verwendung
Panzer für Export
3000
2000
1000
0
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86
Stückzahl
1400
1050
700
0
60 62 64 74 76 78 80 82 84 86
3500
2625
1750
875
.... ··
0 ·· ..
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86
900
600
300
0
72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
Uboote
Total 25 30 17 15 15 15 14 17 15 14 16 13 12 11
Raketen-Uboote
Eigengebrauch 6 6
Export 0 0
Total 6 6
Angriffs-Uboote
Eigengebrauch 5 3
Export 1 3
Total 6 6
1974 1975 1976 l'!m 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986
I~~~.-
~-
;:so
Uboote !)
Total 14 10 10 13 13 12 13 11 8 10 9 8 8 ::tJ
Raketen-Uboote ~
Eigengebrauch 7 6
~
6 5 2 2 2 2 1 1 ~
Ex~rt 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 7 6 6 5 2 2 2 2 1 1 ~
Angriffs-Uboote ä-
Eigengebrauch 5 4 4 4 10 9 9 9 7 7
g·
Ex~rt 2 0 0 3 1 1 2 0 0 2
Total 7 4 4 7 11 10 11 9 7 9
GröBc::re 01-wasser-Kriegsschiffe
Eigengebrauch 7 12 12 10 10 8 10 7 6 9
Export 2 1 1 2 1 3 1 2 2 1
Total 9 13 13 12 11 11 11 9 8 10 9 8 9
Kleinere 01-wassa--Kriegsschiffe
Eigengebrauch 50 40 50 30 30 35 35 35 35 35
Ex~rt 5 20 5 20 20 20 30 10 20 10
Total 55 60 55 50 50 55 65 45 55 45 50 50 50
Hilfsschiffe
Eigengebrauch* 15 15 15 15 25 25 20 20 10 20
Ex~rt 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 5 9 6 5 7 7 9 6 5 9 5 5 6
Iw
w
\0
340 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion
30
20
10
....... -~ ..
········ ..•
0
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86
- - Uboote insgesamt
........... Ballistic Missile Submarines
Attack Submarines
200
150
100
50
0 ............. -- ------------------
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86
Bodenradaranlagen
Eigengebrauch 1500 1600
Export 100 100
Total 1600 1700 lW
....
......
V)
Fortsetzung A 3: Produktion von gelenkten Flugkörpern der UdSSR 1960-1986 (Stückzahlen) li3
1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986
lnterk:ontinentalrakten (ICB M)
Eigengebrauch 200 250 300 300 725 725 250 200 175 !50 75 100 !25
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 200 250 300 300 725 725 250 200 175 !50 75 100 125
Mittelstreckenraketen (IRBM)
Eigengebrauch 0 25 50 100 100 100 100 100 100 125 125 125 25
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 0 25 50 100 100 100 100 100 100 125 125 125 25
Kurzstreckenraketen (SRBM)
Eigengebrauch 100 100 100 200 250 300 300 300 300 500
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 100 100 100 200 250 300 300 300 300 500 500 450 400
seegestützte Raketen (SLBM)
Eigengebrauch !50 150 !50 !50 250 200 200 175 175 100 50 50 100
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total !50 150 !50 150 250 200 200 175 175 100 50 50 100
seegestützte Marschflugkörper (SLCM)
Total 650 700 700 1100
t:l
;::,
Antischiffs-Marschflugkörper
Eigengebrauch 7'15 755 7'15 800 825 525 875 825 850 875 ~
Export 5 45 ;:
5 100 75 375 125 175 !50 125
Total 800 800 800 900 900 900 1000 1000 1000 1000 0 0 0 ..
1::
....
Boden-Luft-Raketen ~
Total 38000 42000 43000 50000 53000 53000 53000 53000 53000 55000 ~
n.·
taktische Boden-Luft-Rakten
Eigengebrauch 1300 1300 1300 1300 1400 1200 1280 !Z75 1300 1290
~-
Export 0 0 0 0 0 100 20 25 0 10
Total 1300 1300 1300 1300 1400 1300 1300 1300 1300 1300 0 0 0 s
~
gelenkte Panzerabwehrraketen
!:i'
Total 28000 28000 30000 30000 35000 40000 45000 60000 63000 70000
Bodenradaranlagen
!
Eigengebrauch 1400 1500 1200 1100 1100 1100 !050 1050 900 800
Export 300 100 200 200 100 100 50 !50 0 0
Total 1700 1600 1400 1300 1200 1200 1100 1200 900 800 11
<::;•
;:
Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion 343
600
450
300
150
0
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86
- - ICBHs SLBMs
450
300
150
0
60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86
- - SRBMs IRBMs
344 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion
- - SLCMs
... Antiship Cruise Missi1es
60000
40000
20000
0
1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983
- - SAMs ATGMs
1:::::1
~
~
A 4: Produktion von militärischem Fluggerät der UdSSR 1960-1986 (Stückzahlen)
1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973
Langstreckenbom ber
I~
Eigengebrauch
Export 10 10
0 0 ~·
Total 75 65 75 105 100 130
I~
115 75 60 40 55 45 10 10 ~-
Mittelstreckenbornher* ;:s-
Eigengebrauch ~
Expt:!rt 25 5
Total 0 0
25 5
Jäger und Jabos I~
Eigengebrauch
Expt:!rt 600 650
Total 600 450 450 I~~
700 800 800 800 900 1100 1000 900 750 800 850 1050 1100
Schul- und Kampfflugzeuge
ti
s::....
Eigengebrauch
EXpt:!It 20 15
Total 30 35
50 50 lf
reine Schulflugzeuge
Eigengebrauch
Expt:!rt 0 10
Total 0 0
0 10
Flugzeuge zur Uboot-Bekämpfu ng
Eigengebrauch
Expt:!rt 15 20
Total 0 0
15 20
Hubschrauber (mil. + ziv.)
Eigengebrauch
Expt:!rt la25 1050
Total 75 150
1100 1200
Transportflugzeug e (mil. + ziv.)
Eigengebrauch
Expt:!rt 325 350
Total 25 50
350 400
Verbindungsflugz euge
Eigengebrauch
Expt:!rt 0 0
Total 0 0
0 0
* 1960-1971 =AlleBomber I
~
.j:>.
VI
Ul
~
I 0'\
Fortsetzung A 4: Produktion von militärischem Fluggerät der UdSSR 1960-1986 (Stückzahlen)
1974 1975 1976 wn 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986
Langstreckenbomber
Eigengebrauch 15 1fl 25 30 30 30 30 30 35 35
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 15 1fl 25 30 30 30 30 30 35 35 50 50 50
Mittclstreckenbcxnber*
Eigengebrauch 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Jlger und Jabos
Eigengebrauch 800 1050 875 800 800 800 835 800 700 700
Export 400 250 Zl5 400 450 500 475 550 400 250
Total 11fl0 1300 1150 11fl0 1250 1300 1300 1350 1100 950 800 650 650
Schul- und Kampffingzeuge
Eigengebrauch 10 10 5 5 5 0 0 0 0 0
Export 40 40 45 45 45 25 25 25 25 10
Total 50 50 50 50 50 25 25 25 25 10 10 0 55
reine Schulflugzeuge
Eigengebrauch 50 100 100 50 50 50 50 25 25 25
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 50 100 100 50 50 50 50 25 25 25 t:l
1:>
Flugzeuge zur Uboot-Bckämpfung ~
Eigengebrauch 5 5 5 10 10 10 10 10 10
;:s
5
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Total 5 5 5 10 10 10 10 10 10 5 5 5 ...10:"'
Hubschrauber (mil. + ziv.)
Eigengebrauch 1225 1400 1425 900 500 400 500 600 600 ~
Export 125 100 150 100 1flO 300 1flO 1flO 1flO ~·
Total 1350 1500 1575 1000 700 700 700 800 800 550 600 600 500 ~-
T~ugzeuge (mil.
;:,-
+ ziv.)
igengebrauch 350 400 375 375 350 350 325 Zl5 250 ~
Export 50 0 75 75 50 50 25 75 50 ~
Total 400 400 450 450 400 400 350 350 300 250 250 250 1flO !:;=
Verbindungsflugzeuge ~
Eigengebrauch 10 50 50 50 25 25 10 0 0 0 ~
Export 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 {l
Total 10 50 50 50 25 25 10 0 0 0 (:l
!:>...
10:
f!i:"
(5•
;:s
Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion 347
150
100
50
0
60 62 64 66~ 70 72 74 76 78 80 82 84 86
Stückzahl
1500
1125
750
.... ····....
375
....
. _____ _
\
\
\
0
6o 62 64 66 sa- 10 12 74 76 78 8o 82 84 86
- - Gesamtproduktion
.............. für eigene Verwendung
........... für Export
348 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion
1350
.··
900
450
-····· ·· ..
------- .... -- ··~·-'
0
72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
- - Gesamtproduktion
............. für eigene Verwendung
........... für Export
B 1: Die wichtigsten sowjetischen Rüstungsbetriebe
'the United Stalee G~ernment bn not r.cogniz.ed
the '"corporatton of Ealooia, latvia, and lithuania. ~t:::l~
into the Soviet Un.on. Otl'ler bounda1y repre..ntatJon 0 500 Kilometers
;:: ;:::
......
is not nee.aaarily authOt"iteti-ve. !Jl. ~ ~
0 500 Miles
····$'
United mo
~~ ~
~~CIQ
Kingdom \:cow ~~ ~
... "l!Y!!~- m.;"' "101. ~~
meb w mw m~ustin••. :t:::--
..... ,....
Khi,L}IIjl" - · ronez.h / . ~ IJl
~~· !J3.~n· .~Porm
0 r...J•D
m.onepropotron
~~ 0 Zelenodol •sk • • • •. • Nt'zhn iy Togtl
liil ~(":)
k i!itw.lßla . . . . ~ :::--
Ul'yonovok 0 Petropovlovak- ~
.L..iogrod
S.vorodvinok Kanu:hattkiy,fil
m~e
·e ~
~
~
*MDSCOW
IJl
c
see enlargement Soviet Union _§
m~
1 1 Sverdlonk ~·
l l l 10 ' 0 19o Slrotov.o • mrrJ °Cholyobi11k ~
o 1000 M;too
aus: U.S. CIA: The Soviet Weapons Industry; An Overview, Washington D.C., Sep. 1986, S. 2
350 Daten zur sowjetischen Rüstungsproduktion
) ..... .. ..
...
.. ,..,
·&: ··
..
:.( ) •t
) ..·······. . .··:
··..···...· ·~
)·: 0 ······.....::-····.............··· ··r
:_.:· !!(
····:~ :·····
~ / ....
... ··..
··.. . ~ltM
·.......·· ··.... :···:........··.
··: ••••••••••••
4
Omak
lzhevak
Na7!5
No174
l
251 end 253 and prob.blyT-72
IMP ond pooalbly IMO
13
nyeChelny
Vilnua Tar.kom-o
ponent
........
5 hningrad Kl"'v Probobly ZSU-23, poooibly MT-LI 14 Vllnua No155 Redioa
lformerly PT-76) 15 KiahirMv Luch ComputeN end other electronica
Gorkli Molotov BTA-70, BADM-Z, GAZ tnocko ond 11 Ulyenovak VM ComputaN and ottler electi"Onica
GAZ jeepa (formerty BTR-601
Svardlonk No9 D-30 gun-howiuar Not.: Thia Iid lncludaa only tha m.;or fectorfea
Tula No535 Towedguna irwolvttdln producdun of equipm.nt for th• Ground
Fore••· nYny rno... .,.. •nigned to th• produc11on of
10 '"'"'
MOKOW'
No172
Uk•ch•v
ZIL
Towedgun•
TEUfor 'Frog~7', 'Frog·9', SA·I
•nd ZIL r•ng• of trucb
.ub-compon.nta •nd minor lt•m•.
---
R.
StWASTOPOl
T. . AM
UdSSR
?
f1
l"q ~
Marineanlagen an der Ostsee, um Gorki
H.l. KOlA und im Norden
Anmerkungen:
Die Angaben können nur als ungefahrer Anhalt dienen. Werke wurden im Krieg umgelagert,
später zum Teil rückverlagert, aufgelassen oder umbenannt. So ist nicht verwunderlich, daß
sich die Datenquellen widersprechen.
Weitere, mit Werksnummern nicht identifizierte Fabriken befmden sich in und bei den
Städten Arsenjew, llmjen, Jaroslawl, Kalinin, Kirow, Krasnojarsk, Orenburg, Podberesje-
Kimili, Riga, Schuk:owskij, Smolensk, Stupino, Ulan-Ude und Uljanowsk.
Quellen:
Bill Gunston, Aircraft of the Soviet Union, London 1983, S. 31 und FWK, Die sowjetische
Luftfahrtindustrie (1), In: Österreichische Militärische Zeitschrift, 21(6)1983, S. 526
Anhange:
Auswahlbibliographie
NATO Information Service (1982 und 1986): NATO and the Warsaw Pact. Force Compari-
sons, Brüssel
US CIA (1976 ff.a): Communist Aid to the Less-Developed Countries of the Free World,
Washington, D.C.
US CIA (1976 ff.b): National Foreign Assessment Center. A Dollar Camparisan of Soviet
and U.S. Defense Activities, Washington, D.C.
US CIA (1977): The Soviet State Budget since 1965, A Research Paper (SF 77-10529),
W ashington, D.C.
US CIA, National Foreign Assessment Center (1978a): Arms Flows to LDCs: US- Soviet
Comparisons, 1974-1977., Washington, D.C.
US CIA, National Foreign Assessment Center (1978b): Directory of Soviet Research Orga-
nizations, Washington, D.C., 290 S.
US CIA (1978a): Estirnated Soviet Defense Spending: Trendsand Prospects., Washington,
D.C.
US CIA (1978b): National Foreign Assessment Center. Arms Flows to LDCs: U.S.- Soviet
Comparisons, 1974-1977, ER78-10494U, Washington, D.C.
US CIA, Directorate ofIntelligence (1986): The Soviet Weapons lndustry: An Overview, DI
86-10016, Washington, D.C., 40 S.
US CIA and DIA (1986): The Soviet Economy Under a New Leader, AReport Presented to
the Subcommittee on Economic Resources, Competitiveness, and Security Economics
ofthe JointEconomic Committee, Washington, D.C., 19.3.1986, 43 S.
US CIA and DIA (1987): Gorbachev's Modemization Program: AStaus Report, A Paper
Presented by the Centtal lntelligence Agency and the Defense lntelligence Agency for
Submission to the Subcommittee on National Security Economics of the Joint Econo-
mic Committee; Congress of the United States, Washington, D.C., 19.3.1987
Auswahlbibliographie 357
Adomeit, Hannes, Hölunann, Hans-Herrmann u.a. (Hrsg.) (1987): Die Sowjetunion als Mi-
litärrnacht, Stuttgart u.a., 288 S.
Agursky, Michael (1975): Contemporary Socio-Economic Systems and their future Pro-
spects, Boston u.a.
358 Auswahlbibliographie
Berman, Robert (1978): Soviet Air Power in Transition, Studies in Defense Policy,
Washington, D.C.
Berman, Robert P., Baker, lohn C. (1982): Soviet Strategie Forces. Requirements andRe-
sponses, Studies in Defense Policy, The Bookings Insitution, W ashington, D.C.
Bertsch, Gary K., Mclntyre, lohn R. (Hrsg.) (1983): National Security and Teclmology
Transfer: The Strategie Dimensions of East-West-Trade, Boulder, Col.
Besch, Edwin B., Fischer, Ronald E. (1982): Soviet Weaponry: Simple, Rugged- andRe-
doubtable, in: Army, 32(2) Febr. 1982, S. 18-24
Bielau, Hermann (1968): Luft- und Raumfahrt in der Sowjetunion, München
Blechmann, Barry M., et al. (1977): The Soviet Military Buildup and U.S. Defense Spen-
ding, Washington, D.C.
Bogart, Peter (1979): Die sowjetischen Transporthubschrauber. Eine Betrachtung unter
technisch-taktischen und technologischen Aspekten, in: Internationale W ehrrevue,
12(8)1979, s. 1309-1314
Borisova, Natalia, Kalyadin, Alexander (1988): The Issue of Reducing Military Budgets, in:
USSR Academy of Science, Institute of World Economic and International Relations,
Disarmament and Security, 1987 Yearbook, Moskau (Nowosti), S. 535-540
Brandner, Ferdinand (1976): Ein Leben zwischen Fronten. Ingenieur im Schußfeld der
Weltpolitik, München
Brauch, Hans-Günter (1982a): Der chemische Alptraum, Berlin/Bonn
Brauch, Hans-Günter, Müller, Rolf-Dietrich (1982b): Deutschland und der chemische
Krieg, Reihe Rüstungsforschung aktuell, Band 4, Frankfurt/M
Breyer, Siegfried (1981a): 1980: Das Jahr der spektakulären Kriegsschiffbauten. ill. Mittel-
große und kleine Überwasser-Kriegsschifftypen, in: Marine-Rundschau, 78(11)1981, S.
599-606
(1981b): 1980: Das Jahr der spektakulären sowjetischen Kriegsschiffbauten. I. Die U-
Boote, in: Marine Rundschau, 78(3)1981, S. 140-145
(1982): Sowjetischer Flottenbau. Zielrichtung: Präsenz auf allen Weltmeeren, in: Soldat
und Technik, 25(1)1982, S. 24-27
(1985): Rumänischer Kriegsschiffbau im Aufwind, in: Marine Rundschau, 82(6)1985,
s. 356{357
Bucy, Fred 1. (1980): Technology Transfer and East-West Trade, in: International Security,
5(3) Winter 1980/81, S. 132-151
Burniece, loseph R., Hoven, Paul A. (1984): T-62, T-64, T-72, T-80, T-?: Understanding
Soviet MBT Development, in: Military Technology, (5) 1984, S. 127-135
Burr, lr., Haie, Hiram (1981): The Modernization of Soviet Frontal Aviation. What does it
mean?, in: Air University Review, 32(2)1981, S. 27-35
Bykow, ON., Bugrow, E.W. (Hrsg.) (1988): Aljanc metscha i bisnesa, Moskau (Mysl)
Campbell, Robert W. (1972): Management Spillovers from the Soviet Space and Military
Programmes, in: Soviet Studies, (4)1972
Carlucci, Frank C. (1988): Das sowjetische Militär: Offene Worte, aber keine Taten, in:
Amerika Dienst, (31)31.4.1988, S. 1 und 3
Chaiko, Lev (1985): Helicopter Construction in the USSR, Monograph Series on Soviet
Union, Delphic Associates, Falls Church, VA, 116 S.
Chaney, Otto P. lr., Greenwood, lohnT. (1977): Patterns in the Soviet Aircraft Industry, in:
Robin Higham I Jacob W. Kipp (Hrsg.): Soviet Aviation and Air Power. A Historical
View, Boulder, Col., S. 265-288
Checinski, Michael (1975): The Costs of Armament Production and the Profitability of Ar-
mament Export in COMECON Countries, in: Osteuropa-Wirtschaft, 20(2)1975, S. 117-
142
(1984): An Estimate of Current Soviet Military-Industrial Output and of the Develop-
ment of the Soviet Arms Industry in the Eighties, in: Osteuropa-Wirtschaft, 29(2)1984,
s. 138-152
360 Auswahlbibliographie
Cherednichenko, M.l. (1974): Conventional Weapons and the Prospects of Their Develop-
ment, in: N.A. Lomow (Hrsg.), Scientific-Technical Progress and the Revolution in
Military Affairs: A Soviet View. Translated from the Russian, Soviet Military Thought
Series, Bd. 3, U.S. GPO, Washington, D.C., S. 73-98
Clarfield, Gerard A., Wiecek, William M. (1984): Nuclear America. Military and Civilian
Nuclear Power in the United States, New York
Cockburn, Andrew (1983): Die sowjetische Herausforderung. Macht und Ohnmacht des mi-
litärischen Giganten, Bem u.a.
(1984): The Threat. Inside the Soviet Military Machine, New York u.a., 533 S.
Comptroller General ofthe United States (1963): Review of Manned Aircraft Nuclear Pro-
pulsion Program., Atomic Energy Commission and Deaprtment of Defense, Washing-
ton, D.C. (US GPO)
Cooper, Julian (1976): Defence Production and the Soviet Economy 1929-1941, Soviet In-
dustrialization Series, SIPS, No.3, Centre for Russian and East European Studies, Uni-
versity of Birmingham
(1985): Western Technology and the Soviet Defense Industry, in: Bruce Parrott (Hrsg.),
Trade, Technology, and Soviet-American Relations, Bloomington, S. 169-202
(1986a): Technology Transfer Between Military and Civilian Industries in the Soviet
Union, in: Thomas Lucid u.a. (Hrsg.), The Economic Consequences of Military Spen-
ding in the United States and the Soviet Union, Report on the Conference Sponsored by
Peace Study Program, Committee on Soviet Studies, Comell University, S. 24-28
(1986b): The Civilian Production of the Soviet Defence Industry, in: Ronald Amann I
Julian Cooper (Hrsg.), Technical Progress and Soviet Economic Development, Oxford
u.a., S. 31-50
(1987): Technologisches Niveau der sowjetischen Verteidigungsindustrie, in: Hannes
Adomeit I Hans-Herrmann Höhmann u.a. (Hrsg.), Die Sowjetunion als Militärmacht,
Stuttgart u.a., S. 184-199
Corlett, Roy (1981): Trends in Soviet nuclear submarine design, in: Maritime Defence,
6(3)1981, s. 68-76
Davis, Christopher (1984): Economic and Political Aspects of the Military-Industrial Com-
plex in the USSR, Paper prepared for the Seconed International Conference of the Bun-
desinstitut für Ostwissenschaftliche Studien on Interdependence and Politics in the
USSR, 26-28 November, Köln, FRG, Centre for Russian and East European Studies,
University ofBirmingham, England, 38 S.
de Jong, AP. und PA. (1954): Flugzeuge der russischen Luftstreitkräfte, Moderne Kriegs-
flugzeuge, Nr. 1, o.O., 70S.
Deane, Michael J., Miller, Mark E. (1977): Science and Technology in Soviet Military
Planning, in: Strategie Review, (5) Summer 1977, S. 77-86
DeLauer, Richard L., Bussard, R.W. (1965): Fundamentals of Nuclear Flight, New York
DeVore, Charles (1976): Trends in Soviet Military Technology, in: Signal, (30) July 1976,
s. 47-50
Dunskaya, lrina (1983): Security Practices at Soviet Research Facilities, Monograph Series
on Soviet Union, Delphic Associates, Falls Church, VA., 143 S.
Eiermann, Karl-Heinz (1969): Testpiloten, MiGs, Weltrekorde, Deutscher Militärverlag,
Berlin
Ellis, James (1982): NATO-Kolloquium bringt neue Erkenntnisse über die Volkswirtschaf-
ten des Ostblocks, in: NATO-Brief, 30(3)1982, S. 22-26
Erickson, lohn (o.J.): Soviet Military Power, Royal United Services Institute for Defence
Studies, London
Everett-Heath, lohn (1983): Design, Development and Tactics: Soviet Helicopters, London
Eyermann, K.-H., Sellenthin, W. (1967): Die Militärluftfahrt der UdSSR, Görlitz, 46 S.
Feoktistow, K. P. (1984): Sieben Schritte in den Himmel, Verlag Junge Garde (Molodaja
Gwardija), Moskau
Auswahlbibliographie 361
Feynman, Richard P. (1985): Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman! Abenteuer eines
neugierugen Physikers, München u. Zürich
Finne, KN., Sikorsky, !gor (1987): The American Years, Washington, D.C.
Fullerton, lohn (1979): The Dynamic Challenges in Soviet Military Aviation, in: Defense &
Foreign Affairs Digest, 7(5)1979
FWK (1983): Die sowjetische Luftfahrtindustrie (1), in: Österreichische Militärische Zeit-
schrift, 21(6)1983, S. 519-528
FWK (1984): Die sowjetische Luftfahrtindustrie (li), in: Österreichische Militärische Zeit-
schrift, 22(2)1984, S. 137-145
Gerhardt, Dagle/(1919): Der sowjetische Rüstungszuwachs seit Mitte der sechziger Jahre,
SWP-Arbeitspapier, SWP-AZ 2222, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen
Glees, Anthony (1988): The Secrets of the Service. A Story of Soviet Subversion of Western
Intelligence, New York
Glushko, Valentin (1974): Rocket Engines in the U.S.S.R., in: Spaceflight, (4) March 1974,
s. 115-116
Golowin, IN. (1976): I.W. Kurtschatow. Wegbereiter der sowjetischen Atomforschung,
Leipzig, 148 S.
Gooch, W A. (1972): Soviet Design Philosophy and Armor, in: Armor, Sept./Okt. 1972, S.
17-19
Greeley, Erendan M. lr. (1985): Soviets Target U.S. Companies, Universities or New Tech-
nologies, in: Aviation Week & Space Technology, 30.9.1985, S. 86-90
Green, William (1952): The Soviet Aircraft lndustry, in: Ordnance, (37) Nov./Dez. 1952, S.
429-499
Green, Harold, Rosenthal, Alan (1963): Govemmentof the Atom, New York
Green, William (1963): Red Russia's Remarkable Aircraft Industry, in: Air Trails, (60) Juni
1963, s. 24-25
(1965): Mikoyan Quarter Century, in: Flying Review International, (21) Nov. 1965, S.
155
(1969): Tupolev's Early Jet Designs, in: Flying Review International, (25) April 1969,
s. 58-61
Groehler, Olaf(1981): Der lautlose Tod, Berlin (DDR), 4. Aufl.
Gröttrup, Helmut (1958): Aus den Arbeiten des deutschen Raketen-Kollektivs in der So-
wjetunion, in: Raketentechnik und Raumfahrtforschung, (2)1958
Gröttrup, Irmgard (1958): Die Besessenen und die Mächtigen. Im Schatten der Roten Ra-
kete, Stuttgart
(1959): Rocket Wife, London
Gutteridge, W. F., Taylor, Trevor (Hrsg.) (1983): The Dangers of New Weapon Systems,
· London u. Basingstoke
Hansen, Chuck (1988): US Nuclear Weapons, The Secret History, Arlington, Texas
Hanson, Philip (1978): Western Technology in the Soviet Economy, in: Problems of Com-
munism, 27(6)1978, S. 20-30
(1987): Soviet Industrial Espionage, in: Bulletin of the Atornic Scientists, 43(3)1987, S.
25-29
Hardt, lohn P. (1975): National Econornic Priorities and Naval Demands, in: Michael Mcc-
Gwire u.a. (Hrsg.): Soviet Naval Policy, Objectives and Constraints, New York, S. 137-
145
(1978): Economic Capahiliries and Defense Resources, in: Grayson Kirk I Nils Wessell
(Hrsg.), The Soviet Threat: Myths and Realities, New York, S. 122-134
Head, Richard G. (1978): Technology and the Military Balance: The U.S. and Soviet R&D
Systems, in: Foreign Affairs, (56) Spring 1978, S. 544-563; (57) Auturnn 1978, S. 207-
213
Heinkel, Ernst (1963): Stürmisches Leben, Prectz, 5. Aufl.
362 Auswahlbibliographie
Herold, Robert C., Mahoney, Shane E. (1974): Military Hardware Procurement: Some
Comparitive Observations on Soviet and American Policy Process, in: Comparative
Politics, (6) Juli 1974, S. 571-599
Herspring, Date R. (1985): GDR Nval Buildup, in: Problems ofCommunism, 33(1)1984, S.
54-62
Hesse, Fritz (1963): Von der Residenz zur Bauhausstadt, Selbstverlag, München
Higham, Robin, Kipp, Jacob W. (Hrsg.) (1977): Soviet Aviation and Air Power, London und
Boulder, Col.
Hofman, George F. (1980): The United State's Contribution to Soviet Tank Technology, in:
RUSI Journal, 125(1) March 1980, S. 63-68
Holloway, David (1971): Technology, Management and the Soviet Military Establishment,
Adelphi Papers, No.76, llSS, London, 44 S.
(1975): Technologie und politische Entscheidungsgewalt in der sowjetischen Rüstungs-
politik, HSFK-Forschungsbericht, Nr. 1011975, HSFK, Frank:furt/M.
(1977): Military Technology, in: Ronald Amann I Julian Cooper u.a. (Hrsg.), The
Technological Level of Soviet lndustry, Ncw Haven u.a., S. 407-489
(1981a): Doctrine and Technology in Soviet Armarnents Policy, in: Derek Leebaert
(Hrsg.), SovietMilitaryThinking, London u.a., S. 259-291
(1981b): Entering the Nuclear Arms Race: The Soviet Decision to Build the Atomic
Bomb, 1933-45, in: Social Studies of Science, 11, 1981, S. 159-197
(1982a): Innovation in the Defence Sector, in: Ronald Amann I Julian Cooper (Hrsg.),
lndustrial Innovation in the Soviet Union, New Haven u.a., S. 276-367
(1982b): Innovation in the Defence Sector: Battle Tanks and ICBMs, in: Ronald
Amann I Julian Cooper (Hrsg.),lndustrial Innovation in the Soviet Union, New Haven
u.a., S. 368-414
(1983a): The Soviet Union (Defense lndustry), in: Nicole Ball I Milton Leitenberg
(Hrsg.), The Structure of the Defense lndustry, London u.a., S. 51-80
(1983b): The Soviet Union and The Arms Race, New Haven u.a., 211 S.
(1985a): Comments on Richard Kaufman's Article, in: Soviet Economy, 1(1)1985, S.
37-41
(1985b): Western Technology and Soviet Military Power, in: MarkE. Schaffer (Hrsg.),
Technology Transfer and East-West Relations, London, S. 170-187
Hough, Jerry F. (1984): The Historical Legacy in Soviet Weapons Development, in: Jiri
Valenta I Williarn C. Potter (Hrsg.), Soviet Decisionmaking for National Security, Bo-
ston u.a., S. 87-115
Hull, Andrew W. (1980): R&D Within the Soviet Ministry of Defense, in: Army Research,
Development & Acquisition, 21(3) Sept./Okt. 1980, S. 36{37
Hutchings, Raymond (1973): The Economic Burden of the Soviet Navy, in: Michael Mcc-
Gwire (Hrsg.), SovietNaval Developments. Capability and Context, New York, S. 210-
227
Isaakson,A.M. (1964): Sowjetskoje Vertoletostroenije, Moskau
Jasani, B. (Hrsg.) (1987): Outer Space- A New Dimension ofthe Arms Race, SIPRI, Lon-
don
Johnson, Brian (1978): The Secret War, BBC, London
Iones, Lloyd S. (1962): US-Bombers. B-1- B-70, Los Angeles
Kaldor, Mary (1981): Rüstungsbarock, Berlin, 190 S.
Karp, Aaron (1986): Evaluating Soviet Military Technology: Rumors, Mysteries and Air-
craft, in: Defence Analysis, 2(3)1986, S. 254-256
Kassel, Simon (1974): The Relationship between Science and the Military in the Soviet
Union, RAND-Report R-1457, RAND Corporation, Santa Monica, Calif., 46 S.
Kaufman, Richard F. (1985): Causes of the Slowdown in Soviet Defense, in: Survival, 27(4)
July-August 1985, S. 179-192
Auswahlbibliographie 363
Kehoe, J.W., Brower, K.S. (1981): Die Kirow, in: Internationale Wehrrevue, 14(2)1981, S.
154-158
(1982a): Konstruktionsprinzipien amerikanischer und sowjetischer Waffensysteme -
ein Vergleich, in: Internationale Wehrrevue, (6)1982, S. 705-712
Kehoe, J.W., u.a. (1982b): U.S. and Soviet Ship Design Practices, 1950- 1980, Procee-
dings/Naval Review, S. 118-133
Kens, Nowarra (1961): Die deutschen Augzeuge 1933-1945, München,
Kernig, Claus (1980): Die Produktion des Unfriedens. Wie ein leistungsschwaches Wirt-
schaftssystem internationale Spannungen hervorbringt, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 8.11.1980
(1981): Ein industrieller Koloß auf tönernen Füßen. Schwächen im technischen Poten-
tial der Sowjetunion, in: Informationen für die Truppe, (10) 1981, S. 32-45
(o.J.): Überlegungen zu einem konfliktträchtigen Modernisierungsproblem in der So-
wjetunion, Frankfurter Historische Abhandlungen, Rußland - Deutschland - Amerika,
Nr. 17, Wiesbaden
Kolodziej, Edward A. (1982): Re-Evaluating Economic and Technological Variables to Ex-
plain Global Arms Production and Sales, Paris
Korkisch, Friedrich (1987): Der Anteil der Rüstungsindutrie an der Gesamtwirtschaft der
UdSSR, in: Österreichische Militärische Zeitschrift, 25(4)1987, S. 310-319
Kramish, Anwld (1982): The Nuclear Movie. In the Beginning, Warking Paper No. 62, The
Wilson Center, International Security Studies Program, Washington D.C.
Krylow, Konstantin K. (1971): The Soviet Military-Economic Establishment, in: Military
Review, November 1971, S. 89-97
Kuchment, Mark (1985a): The American Connection to Soviet Microelectronics, in: Physics
today, Sept. 1985, S. 44-50
(1985b): The American Connection to Soviet Microelectronics, in: Physics Today,
Sept. 1985, S. 44-50
Ladewig, K., u.a. (1967): Die militärisch-ökonomischen Kennziffern als Mittel zur Erhö-
hung der Effektivität der Planung, in: Militärwesen, (12) 1967
Lambright, Henry W. (1967): Shooting Down the Nuclear Plane, New York u. Indianapolis
Lee, William, T. (1972): Politico-Military-Industrial Camplex of the U.S.S.R., in: Journal of
International Affairs, (26) Spring 1972, S. 73-86
Lenorowitz, J.M. (1988): MiG-29 Design Merges Old, New Technologies, in: Aviation
Week & Space Technology, 26.9.1988, S. 40
Lewis, Craig (1958): Nuclear Test Bomber Provided Valuable Shielding Data, in: Aviation
Week, 22.12.1958, S. 65
Lippert, Günter (1982a): Die sowjetische Heeresrüstung. Modernisierung der Kampftruppen
hat stets Vorrang, in: Soldat und Technik, 25(1)1982, S. 14-18
(1982b): Die sowjetische Raketenrüstung, in: Soldat und Technik, 25(1)1982, S. 28-32
Lomov, Nikolay A. (Hrsg.) (1974): Scientific-Technical Progress and the Revolution in Mi-
litary Affairs: A Soviet View. Translated from the Russian, Soviet Military Thought Se-
ries, No.3, U.S. GPO, Washington, D.C., 279 S.
Lutz, Dieter S., Pott, Andreas (1979): Seemacht Sowjetunion? Ein Beitrag zu Entwicklung
und Stand der sowjetischen Seerüstung, IFSH-Diskussionsbeiträge, Nr. 12/1979
MccGwire, Michael (Hrsg.) (1973): Soviet Naval Developments. Capability and Context,
NewYork
(1975a): Current Soviet Warship Construction and Naval Weapons Development, in:
Michael McGwire u.a. (Hrsg.), Soviet Naval Policy. Objectives and Constraints, New
York, S. 424-451
MccGwire, Michael, Booth, Ken u.a. (Hrsg.) (1975b): Soviet Naval Policy, New York u.a.,
661 s.
364 Auswahlbibliographie
MccGwire, Michael (1977): Soviet Naval Programs, in: Michael McGwire and Iohn Me-
Donnen (Hrsg.), Soviet Naval Influence. Domestic and Foreign Dimension, New York,
s. 337-363
McDonnell, lohn A. (1977): Defense lndustry, in: David R. Iones (Hrsg.), Soviet Armed
Forces Review Annual, VoLl, 1977, GulfBreeze, Flor., S. 94-98
(1978): Defense lndustry, in: David R. Iones (Hrsg.), Soviet Armed Forces Review
Annual, Vol.2, GulfBreeze, Flor., S. 244-247
(1979): The Soviet Weapons Acquisition System, in: David R.Jones (Hrsg.), Soviet
Armed Forces Review Annual, Vo1.3, GulfBreeze, Flor., S.176-203
(1980): Defense lndustry, in: David R. Iones (Hrsg.), Soviet Armed Forces Review
Annual, Vol.4, GulfBreeze, Flo., S. 268-271
Melf!Um, Seymour (1980): Bartiers to Conversion from Military to Civilian lndustry - in
Market, Planned and Developing Economies, Paper prepared for the United Nations
Centre for Disarmament, Ad Hoc Group of Governmental Experts on the Relationship
between Disarmament and Devlopment, April1980, New York
Morely, D. Wragge (1958): Technology and Weapons, in: Maleolm G. Saunders (Hrsg.),
The Soviet Navy, New York, S. 199-216
Moreton, Edwina (1985): Comrade Colossus: The Impact of Soviet Military lndustry on the
Soviet Economy, in: Curtis Keeble (Hrsg.), The Soviet State. The Domestic Roots of
Soviet Foreign Policy, Aldershot, S. 125-139
Morocco, lohn D. (1988): New Fighter Development Signals Shift in Soviet Goals., in:
Aviation Week & Space Technology, 2.5.1986, S. 16
Moss, Norman (1987): Klaus Fuchs. The Man who Stole the Atom Bomb, New York
Munkholt, Peer (1985): The Soviet Economy: Protection of the Military Sector in Case of a
Protracted Deterioration. Sonderveröffentlichung, Bundesinstitut für ostwissenschaftli-
che Studien, Köln
Murphy, Paul J. (Hrsg.) (1984): The Soviet Air Forces, Jefferson, North Carolina, und Lon-
don
Neely, FrederickR. (1948): Why Atoms Don't Fly, in: Collier's, 10.4.1948, S. 10
Nemecek, Vaclav (1969): Sovetska Letadla, Prag (in Tschechisch)
Nicholas, A.F. (1986a): Fifty Years of Major Soviet Fleet Unit Construction, in: Armed For-
ces, 5(1)1986, S. 23-27
(1986b): Fifty Years of Major Soviet Fleet Unit Construction, in: Armed Forces,
5(1)1986, s. 23-27
(1986c): Soviet Naval Shipbuilding Industry Output, 1936-86, in: Armed Forces,
5(8)1986, s. 368-375
Nikutta, Randolph (1985a): Hilft SDI die Sowjetunion totzurüsten?, Arbeitspapiere aus der
Berghof-Stiftung für Konfliktforschung, Berlin, AP Nr. 21, Dezember 1985
(1985b): Kann die UdSSR bei SDI technologisch gegenhalten?, Arbeitspapiere aus der
Berghof-Stiftung für Konfliktforschung, Berlin, AP Nr. 22, Dezember 1985
(Bearbeiter) (1986): Rüstungswirtschaft in der Sowjetunion, Militärpolitik Dokumenta-
tion, Heft47-49, 178 S.
Nilsom, lohn (1977): Russian Tanks 1900-1970, Harrisburg
NN (1952): Capability and Location of Soviet Aircraft Plants, in: Aviation Age, (17) März
1952, s. 6-17
NN (1955a): Kuibyshyev: Soviet AircraftCenter, in: American Aviation, (28) Ian. 1955, S.
27-28
NN (1955b ): Outline of the Organization and Production of the Russian Aircraft lndustry, in:
Interavia, (10) Mai 1955, S. 324-330
NN (1955c): The Soviet Aircraft lndustry, Soviet Planning Study, No.4, Institute for Re-
search in Social Science, University of North Carolina, Chapel Hili, 228 S.
NN (1967): The Soviet Military-Technological Challenge, Special Report Series, No.6,
Georgetown University, Center for Strategie Studies, W ashington, D.C.
Auswahlbibliographie 365
NN (1976): Military Production in the U.S.S.R., in: NATO's Fifteen Nations, (21) Juni/Juli
1976, s. 46-47
NN (1977): Pioniere des sowjetischen Panzerbaus erzählen, in: Militärtechnik, (10) 1977, S.
447-449
NN (1982): Das militärische Raumfahrtprogramm der Sowjetunion, in: Internationale Wehr-
revue, 15 (2) 1982, S. 149-152
NN (1985a): Sie sowjetische Rüstungsindustrie birgt beträchtliche Produk:tionsreserven, in:
Europäische Wehrkunde, 34(2)1985, S. 67
NN (1985b): Soviet Military Power is Industrial Priority, in: Jane's Defence Weekly,
4(12)1985,S.616-625
NN (1986): Trendwende im sowjetischen Kriegsschiffbau?, in: Internationale Wehrrevue,
19(11)1986.S. 1597
Nötzhold, Jürgen, Beitel, Werner (1983): Die Bedeutung des Technologietransfers in den
Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion, in: Osteuropa, 33(5)1983, S. 382-394
Nostovenko, V D. (1958): Tanki (fanks), Voinizdat, Moscow,
(1961): Panzer gestern und heute. Abriß der Entstehung und Entwicklung der Panzer-
technik. Aus dem Russischen, Berlin (DDR)
Ogorkiewicz, R. M. (1967): Design and Development of Fighting Vehicles, London
Oreschko, J. (1985): Zur militärökonomischen Integration der Staaten des Warschauer Ver-
trages unter den Bedingungen der umfassenden Intensivierung, in: Militärtechnik
(DDR), (4)1985, S. 169/170
Panjaleff, Georg (1981): Su-24 Fencer, eine Beurteilung aus heutiger sieht, in: Internatio-
nale Wehrrevue, 14(6)1981, S. 717-720
Parrott, Bruce (1983): Politics and Technology in the Soviet Union, Cambridge, Mass. u.a.,
428 s.
Petrovich, G.V. (1962): The Development of Soviet Rocket Engines, Soviet Review, (3)
November 1962, S. 53-61
Pfeiler, Wolfgang (1982): Die sowjetische Rüstungswirtschaft Ihre ökonomischen Grenzen
und Möglichkeiten, in: Europäische Wehrkunde, 31(12)1982, S. 542-547
(1984): Konturen sowjetischer Rüstungspolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B
22/84, s. 15-26
Pokrovskiy, Georgiy I. (1959): Science and Technology in Contemporary War. Translated
from the Russian, New York, 180 S.
Polikanov, Sergei (1984): Nuclear Physics in the Soviet Union. Current Status and Future
Prospects, Monograph Series on Soviet Union, Delphic Associates, Falls Church, VA.,
119 s.
Polmar, Norman (1972): Soviet Shipbuildung and Shipyards, Frank Uhlig Jr. (Hrsg.), Naval
Review, U.S. Navallnstitute, Annapolis, Md., S. 272-281
(1979): The Modern Soviet Navy: An Assessment of the USSR's Current Warship, Na-
val Capabilities and Development, Arms and Armour Press
R (1979): Sowjetunion: Rüstungsentscheidung und Rüstungsproduk:tion, in: Österreichische
Militärische Zeitschrift, 17(6)1979, S. 518-520
R (1982): Rüstungsbeschaffung in der Sowjetunion, in: Österreichische Militärische Zeit-
schrift, 20(6)1982, S. 468-473
Randolph, Sean (1981): Technology Transfer and East-West Trade: A Strategie Perspective
for the Eighties, in: Comparative Strategy, 3(2)1981, S. 117-133
Reich, Jürgen (1982): Die sowjetischen Luftstreitkräfte, in: Soldat und Technik, 25(1)1982,
s. 19-23
Reitz, James T. (1972): Military Readiness of the Soviet Economy, in: East Europe, (21)
Mai 1972, S. 5-10
Reppert, Barton (1983): Data revealed on aUS defector, in: The Boston Globe, 19.9.1983,
S.6
366 Auswahlbibliographie
Ritchie, Donald J. (1959): Soviet Rockets Exploit German Technology, in: Missiles and
Rockets, (5) Dez. 1959, S. 17 19
Rizika, J. Wilford (1955): The Development of the Aircraft lndustry in the Union of Soviet
Socialist Republics, in: Journal of the Royal Aeronautical Society, (29) März 1955, S.
209-219
Sapir, Jacques (o.J.): Les Croiseurs Sovietiques 1935-1985. Cinquante Annees de Conflits
Interbureaucratiques dans la Construction Navale, in: A.Joxe u.a., Fleuve Noir. Produc-
tion de Strategies et Production de Systemes d' Armes, Cahiers d'Etudes Strategiques,
No.ll, CIRPES, Paris
Schaefer, Henry W. (1979): Soviet Power and Intentions: Military-Econornic Choices, in:
U.S. Congress, Joint Econornic Comrnittee: Soviet Economy in a time of Change: A
Compendium of Papers, 96th Cong., 1st Sess., Bd. 1, U.S. GPO, Washington, D.C., S.
341-351
Schaffer, MarkE. (Hrsg.) (1985): Technology Transfer and Bast-West Relations, London
undSydney
Schatalow, W. A. (1981): Schwierige Spuren im Raum, Verlag Junge Garde (Molodaja
Gwardija), Moskau
Schawrow, W.B. (1978): Die Geschichte der Konstruktion von Flugzeugen in der UdSSR bis
1938, Verlag für Maschinenbau, Moskau (in Russisch)
Sclunitt, Günter (1986): Junkers und seine Flugzeuge, VEB Verlag für Verkehrswesen, Ber-
lin
Schönherr, S. (1981): Zur Theorie der ökonomischen Sicherstellung der Landesverteidi-
gung, Militärwesen, (11) 1981, S. 32-39 und (12) 1981, S. 15-22
Schröder, Hans-Henning (1987a): Der sowjetische Rüstungssektor unter den Bedingungen
der neuen Wirtschaftspolitik, Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und
internationale Studien, Nr. 36/1987, 35 S.
(1987b): Gorbatschows Wirtschaftspolitik und die Verteidigung des Vaterlandes. Die
sowjetische Rüstungswirtschaft in der Ära der Reformen, in: Osteuropa, (8)1987, S.
603-619
Schröder, Hans Henning, Vogel, Heinrich (1987c): Sicherheitspolitische Aspekte der Ent-
wicklung von Wissenschaft und Technik in der UdSSR, Berichte des Bundesinstituts
für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 35/1987, 55 S.
Schulz-Torge, Ulrich-Joachim (1985): Sowjetische Werften und ihre Kriegsschiff-Baupro-
gramme, in: Österreichische Militärische Zeitschrift, 23(2)1985, S. 127-132
Scott, William F. (1987): Moscow's Military-Industrial Complex, in: Air Force Magazine,
70(3)1987, s. 47-51
Seagrave, Sterling (1981): Yellow Rain, A Joumey through the Terror of Chemical W arfare,
NewYork
Senger-Etterlin, FM. von (Hrsg.) (1963): Die roten Panzer. Geschichte der sowjetischen
Panzertruppen 1920- 1960 von I.G. Andronikow und W.D. Mostowenko, München
Sheren, Andrew (1970): Structure and Organization of Defense-Related lndustries, in: US
Congress 91/2, Joint Economic Committee, Econornic Performance and the Military
Burden in the Soviet Union, A Compendium of Papers, US GPO, Washington, D.C., S.
123-132
Shoults, D.R. (1958): Paper Prepared for the Second United Nations International Confe-
rence on Peacefull Uses of Atomic Energy, Genf, September 1987
Shtoda, A. (1974): Aircraft Engine Development, in: Soviet Military Review, (5) May 1974,
s. 28-29
Smith, Dan (1982): Soviet Military Power, in: ADIU Report, 4(1) Jan./Febr. 1982, S. 1-4
Spielmann, Kar! F. (1976): Defense lndustrialists in the USSR, in: Problems of Commu-
nism, 25(5) Sept.-Oct. 1976, S. 52-69
Steenbeck, Max (o.J.): Impulse und Wirkungen. Schritte auf meinem Lebensweg, Berlin
(DDR)
Auswahlbibliographie 367
Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) (1971): The Problem of Chemical
andBiological Warfare, Bd. 1, The Rise ofCB Weapons, Stockholm u.a.
Stockwell, Richard E. (1956): Soviet Air Power, New York
(1959a): Soviet Aircraft Production, in: Asher Leed (Hrsg.), Air and Rocket Forces,
New York, S. 241-256
(1959b): The German Legacy, in: Asher Lee (Hrsg.), The Soviet Air and Rocket Force,
New York, S. 229-241
Stoiko, Michael (1970): Soviet Rocketry: Past, Present, and Future, New York
Sutton, Antony C. (1968): Western Technology and Soviet Economic Development 1911-
1930, Stanford, Calif.
(1971): Western Technology and Soviet Economic Development 1930 - 1945, Stan-
ford, Calif.
(1973): Western Technology and Soviet Economic Development 1945- 1965, Stan-
ford, Calif.
(1975): National Security and Trade with the Soviet Union, London
Suvorov, Victor (1982): Inside the Soviet Army, London
Sweetman, Bill (1984): Concise Guide to SovietMilitary Aircraft, London
Swischtschew, G. (1970): ZAGI-Zentrum der sowjetischen Luftfahrtwissenschaft, in: Flie-
gerjahrbuch der DDR 1971, S. 60-71, Berlin (Ost)
Taylor, lohn W.R. (1980): Combat Helicopters of the Warsaw Pact, in: Jane's Defence Re-
view, 1(2)1980, S. 113-121
Tiedtke, Stephan (1978): Die Warschauer Vertragsorganisation, München mtd Wien
(1983): Czechoslovakia (Defense Industry), in: Nicole Ball/ Milton Leitenberg (Hrsg.),
The Structure ofthe Defenselndustry, London, S. 181-213
Titow, German (1977): Mein Blauer Planet, Wojennisdat, Moskau
Tolmein, Horst Güner (1978): Das Geheimnis der DDR- ihre Rüstungsindustrie, in: Wehr-
technik, (12)1978, S. 54
Trilling, Leon (1961): Soviet Aeronautical Scientists: How They Work and Where They Pu-
blish, in: Aerospace Engineering, (20) Juli 1961, S. 12-13
Turetsky, Mikhail (1983): The Introduction of Missile Systemsinto the Soviet Navy (1945-
1962), Monograph Series on Soviet Union, Delphic Associates, Falls Church, VA., 147
s.
Ulsamer, Edgar (1974): The Soviet Objective: Technological Supremacy, in: Air Force Ma-
gazine, (57) June 1974, S. 22-27
(1975): Russia's Drive to Technical Productivity, in: Air Force Magazine, (58) Aug.
1975, s. 68-69
US DIA (1982): Die Sowjets sind der Welt größter Waffenhersteller. Aus einem Bericht der
US-Defense Intelligence Agency, in: Informationen für die Truppe, (1)1982, S. 26-38
Voadan, Denys J. (1959): Aeronautical Research in the U.S.S.R., in: Aeronautics, (30) Mai
1959,S.33
Volchkow, B. (1971): Soviet Heavy Industry's Defense Role; Translated from Krasnaya
Zvezda, November 17, 1971, in: Current Digest of the Soviet Press, (23) Dec. 1971, S.
1-4
Volz, Arthur (1983): Soviet Tank Industry, in: Jane's Defence Review, 4(1)1983, S. 50-56
Wesson, Robert C. (1976): Why Soviet Technology is lagging, in: Business Week, 26. Febr.
1976
Williams, Chadwell Robert (1987): Klaus Fuchs, Atom Spy, Cambridge, Mass., 267 S.
Woods, Stan (1982): Weapons Acquisition in the Soviet Union, Aberdeen Studies in De-
fence Economics, No.24, Centre for Defence Studies, University of Aberdeen, 68 S.
Wray, Peter (1984): Aircraft Procurement- Lessons from the Soviet Union, in: The Hawk.
The Independent Journal of the Royal Air Force Staff College, March 1984, S. 30-32
Yakovlev, A.S. (1960): Notes of an aircraft designer, Foreign Language Publication House,
Moskau
368 Auswahlbibliographie
4. Sowjetischer Rüstungsexport
Albrecht, Ulrich (1983): Soviet Arms Exports, in: SIPRI Yearbook 1983, London u.a., S.
361-369
Berry, Clifton F. (1980): Military Aircraft Exports: Soviet Foreign Policy Tool, in: Air
Force Magazine, 63(3) März 1980, S. 72-78
Brzoska, Michael (1986): Rüstungsexportpolitik, Frankfurt/M.
Brzoska, Michael, Olson, Thomas (1987): Arms Transfer to the Third World, 1971-85, SI-
PR!, Oxford u.a., 383 S.
Checinski, Michael (1975): The Costs of Armament Production and the Profitability of Ar-
mament Export in COMECON Countries, in: Osteuropa-Wirtschaft, 20(2)1975, S. 117-
142
(1977): Structural Causes of Soviet Arms Exports, in: Osteuropa-Wirtschaft, 22(3)
Sept. 1977, S. 169-184
Cooper. Orah, Fogarty, Carol (1981): Soviet Military and Economic Aid to the Less-Devel-
oped Countries, 1954 - 1978, in: Morris Bornstein (Hrsg.), The Soviet Economy:
Continuity and Change, Kap. 12, Boulder, Col.
Cordesman, Anthony H. (1983): The Soviet Arms Trade: Patterns for the 1980s, Part 1 und
2, in: Armed Forces Journal International, 120 (11) Juni 1983, S. 96-105 und 121(1)
August1983,S.34~,69
Davies, R.W. (1974): A Note on Defence Aspects of the Ural-Kuznetsk Combine, in: Soviet
Studies, 26(2)1974, S. 272-273
Efrat, Moshe (1982): The Economic Dimension of Soviet Military Aid to the Third World-
A Case Study: Egypt. Prepared for "Armament-Developpement-Droits de l'Homme
Desarmement"- Colloque UNESCO, 28.-30. Oktober 1982, o.O.
(1986): The Political Economy of Soviet Arms Transfers to the Third World, Lexington
Books, o.O.
Farnasowa, Tanuua (1988): Arms Trade, in: USSR Academy of Sciences, !MEMO, Dis-
armament and Security, Yearbook 1987, Moskau (Nowosti), S. 541-547
Gales, Robert R. (1973): Soviet Foreign Assistance: A Glimpse of Its Structure and Species,
in: U.S. Air Force Law Review, Sept. 1973, S. 82-90
Glassman, Jon D. (1976): Arms for the Arabs: The Soviet Union and War in the Middle
East, Baltimore, Md., 243 S.
Hinterhoff, Eugene (1962): The Soviet Military Aid and Its Implications, in: NATO's Fif-
teen Nations, (6) Febr.-März 1962, S. 2-11
Husbands, JL. (1980): The Soviet Union in the Arms Trade, in: Focus, (30) März-April
1980, s. 7-9
Hutchings, Raymond (1978): Regular trends in Soviet Arms Exports to the Third World, in:
Osteuropa-Wirtschaft, (3) 1978, S. 182-202
Joshua, Wynfred, Gilbert, Stephen P. (1969): Arms for the Third World: Soviet Military Aid
Diplomacy, Baltimore, Md., 169 S.
Auswahlbibliographie 369
Krause, Joachim (1983): Sowjetische Militärhilfe für die Dritte Welt, in: Außenpolitik, (34)
1983, s. 398-410
(1984): Kriegsschiffe aus der Sowjetunion für über 33 Länder der Welt, in: Europäische
Wehrkunde,33(9)1984,S.495
(1985a): Der internationale Handel mit konventionellen Waffen und Rüstungsgütem,
SWP-Arbeitspapier, SWP-AZ 2437, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen
(1985b): Sowjetische Militärhilfepolitik gegenüber Entwicklungsländern, Internationale
Politik und Sicherheit, Bd. 16, Baden-Baden, 503 S.
(1987): Sowjetmacht und Dritte Welt: Machtprojektion und Militärhilfe, in: Hannes
Adomeit I Hans-Herrmann Höhmann u.a. (Hrsg.), Die Sowjetunion als Militärmacht,
Stuttgart u.a., S. 252-265
Lange, Peer H. (1979): Perspektiven der Militärhilfe der Staaten des Warschauer Paktes an
die Dritte Welt, März 1979, SWP-Arbeitspapier, SWP-AP 2206, Stiftung Wissenschaft
und Politik, Ebenhausen
NN (1979): Soviet Weapons Export: Russian Roulette in the Third World, The Defense Mo-
nitor, 8 (1) Januar 1979
Pajak, Roger F. (1966): Soviet Military Aid: An Instrument of Soviet Foreign Policy toward
the Developing Countries. Dissertation, American University
(1982): Sowjetische Waffenlieferungen als Instrument der Politik, in: Europäische
Rundschau, 10(1)1982, S. 63-77
Patterson, Ann R., Squire, Michael L. (1975): Soviet Naval Transfers to Less-Developed
Countries 1956 - 1975, Center for Naval Analysis, Office of Naval Research, U.S.
Navy Department, 24 S.
Ra'anan, Uri (1969): The U.S.S.R. Arms to the Third World: Case Studies, Soviet Foreign
Policy, Cambridge, Mass., 256 S.
(1978): Soviet Arms Transfersand the Problem of Political Leverage, in: Ra'anan, Uri,
et al.: Arms Transfers to the Third World. The Military Building in Less-Industrial
Countries, Kap. 7, Boulder, Col.
Ramazani, R.K. (1962): Soviet Military Assistance to the Uncommitted Countries, in: Mid-
west Journal of Political Science, (2) November 1959, S. 356-373
Thayer, George (1970): The Communists as Arms Traders, in: The War Business: TheIn-
ternational Trade in Armaments, New York, S. 324-358
US Library ofCongress, Congressional Research Service (1985): Trends in Conventional
Arms Transfers to the Third World by Major Supplier 1977-1984, Washington, D.C.
Wolynksi,Alexander (1977): Soviet Aid to the Third World, in: Conflict Studies, (90) Dec.
1977, s. 1-20
Zorza, Victor (1967): Armsand the Soviet Union, in: New Republic, (156) Jan. 1967, S. 13-
15
Adomeit, Hannes, Hölunann, Hans-He"mann u.a. (Hrsg.) (1987): Die Sowjetunion als Mi-
litärmacht, Stuttgart u.a., 288 S.
Albrecht, Ulrich (1980): Red Militarism, in: Journal of Peace Research, 17(2)1980, S. 135-
149
Alexander, Arthur J. (1980): Modeling Soviet Defense Decisionmaking, RAND Paper P-
6560, RAND Corporation, Santa Monica, Cal., 20 S.
(1984): Modeling Soviet Defense Decisionmaking, in: Jiri Valenta I William C. Potter
(Hrsg.), Soviet Decisionmaking for National Security, Boston u.a., S. 9-22
Allison, Graham (1973): Conceptual Modelsand the Cuban Missile Crisis, in: Morton H.
Halperin I Amold Kanter (Hrsg.), Readings in American Foreign Policy: A Bureau-
erade Perspective, Boston
370 Auswahlbibliographie
Andrle, Vladimir (1976): Managerial Power in the Soviet Union, Lexington, Mass.
Aspaturian, Vernon V. (1973): The Soviet Military-Industrial Complex: Does It Exist?, in:
Steven Rosen (Hrsg.), Testing the Theory of the Military-Industrial Complex, Lexing-
ton, Mass., S. 103-133
(1979): Gibt es eirten militärisch-industriellen Komplex in der Sowjetunion?, in: Dieter
S. Lutz (Hrsg.), Die Rüstung der Sowjetunion. Rüstungsdynamik und bürokratische
Strukturen, Militär, Rüstung, Sicherheit, Bd. 1, Baden-Baden
Azrael, leremy (1966): Managerial Power and Soviet Politics, Cambridge, Mass.
Balla, B. (1972): Kaderverwaltung. Versuch zur Idealtypisierung der 'Bürokratie' sowje-
tisch-volksdemokratischen Typs, Stuttgart
Becker, AbrahamS. (1982): Der Vorrang militärischer Anstrengungen der Sowjetunion un-
ter den politisch-ökonomischen Bedingungen der 80er Jahre, in: Uwe Nerlich (Hrsg.),
Die Einhegung sowjetischer Macht, Internationale Politik und Sicherehit, Bd. 14, Ba-
den-Baden, S. 39-81
Bettelheim, Charles (1972): Ökonomischer Kalkül und Eigentumsformen, Rotbuch 12, Ber-
lin, 168 s.
Beyme, Klaus von (1985): Politik und Ökonomie im Sozialismus, München
Boetticher, Manfred von (1979): Industrialisierungspolitik und Verteidigungskonzeption der
UdSSR, 1926-1930, DUsseldorf
Bruder, Wolfgang (1985): Stichwort ,,Bürokratie", in: Dieter Noblen (Hrsg.), Pipers Wörter-
buch zur Politik, Bd. 1, München, S. 105-107
Bunce, Valerie, Echols Ill, lohn M. (1980): Soviet Politics in the Brezhnev Era: ,,Pluralism"
or "Corporatism?", in: Donald R. Kelley (Hrsg.), Soviet Politics in the Breshnev Era,
New York u.a., S. 1-26
Carlo, Antonio (1972): Politische und ökonomische Struktur der UdSSR (1917-1975), Rot-
buch 36, Berlin, 151 S.
Checinski, Michael (1981): A Comparison of the Polish and Soviet Armaments Decisi-
onmaking Systems, RAND Report R-2662-AF, RAND Corporatior1, Santa Monica,
Cal., 87 S.
Cohen, Richard, Wils-on, Peter A. (1988): Superpowers in Decline? Economic Performance
and National Security, in: Comparative Strategy, 7(2)1988, S. 99-132,
Damus, Renate (1983): Bestimmungsfaktoren sowjetischer Außenpolitik, in: Leviathan,
(4)1983
Engelhardt, K., Heise, K.-H. (1974): Militär-Industrie-Komplex im staatsmonopolistischen
Herrschaftssystem, Berlin (DDR)
Epstein, Edward lay (1987): Secrets form the CIA Archive in Teherari, in: Orbis,
31(1)Spring 1987, S. 33-41
Erickson, lohn (1973): The Army, the Party, and the People: USSR, in: Strategie Review,
1(3) Fa111973, S. 23-36
Evangelista, Matthew A. (1984): Why the Soviets Buy the Weapons They Do, in: World
Politics, 36(4) July 1984, S. 597-618
Farwick, Dieter (1986): Militärmacht Sowjetunion. Wer bestimmt den Kurs?, in: Europäi-
sche Wehrkunde, 35(6)1986, S. 337-342
Fijalkowski, l. (1972): Demokraten als Bürokraten. Statussorgen und Funktionsgehorsam
gegen politisches Bewußtsein, in: G.Hartfiel (Hrsg.), Die autoritäre Gesellschaft, Opla-
den
Freidzon, Sergei u.a. (198la): The Soviet Defense Council. Policy lmplementation, Current
Analysis, Institute on Strategie Trade, Washington, D.C., 3(3/4) 15.6.1981
Freidzon, Sergei (1981b): The Soviet Defense Council, Part 1, Current Analysis, Institute on
Strategie Trade, Washingtori, D.C., 3(2) 30.4.1981
Friedrich, Carl l., Brzezinski, Z.K. (1956): Totalitarian Dictatorship and Autocracy, New
York (Revised Edition 1966)
Auswahlbibliographie 371
Gallagher, Matthew P., Spielmann, Karl F. (1972): Soviet decisionmaking for defense: a
critique of US-persppectives on the arms race, New York
Gorlin, Alice C. (1985): The Power of Soviet lndustrial Mimstries in the 1980s, in: Soviet
Studies, 37(3) July 1985, S. 353-370
Gottemoeller, Rose (1983): Decisionmaking for Arms Limitation in the Soviet Union, in:
H.G. Brauch I D.L. Clarke (Hrsg.), Decisionmaking for Arms Limitation, Cambridge,
Mass.
Habermas, lürgen (1987): Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, Frankfurt/M,
4.Aufl.
Halperin, Morton H. (1975): National Security Policy-Making. Analyses, Cases, and Propo-
sals, Lexington, Mass.
Halperin, Morton H., Clapp, Priscilla u.a. (1977): Organizational Interests, in: John E. En-
dicott I Roy W. Stafford (Hrsg.), American Defense Policy, Baltimore u.a., S. 207-233
Hanson, Philip (1987): Central Comittee Plenum on the Economy, in: Radio Liberty Rese-
arch Bulletin, RL 234/87, 30.6.1987, Radio Free Europe, Radio Liberty
Hardt, lohn P., Franke[, Theodore (1974): Die Industriemanager, in: H. Gordon Skilling I
Franklyn Griffiths (Hrsg.), PressureGroups in der Sowjetunion, Wien, S. 165-197
Heller, Michail, Nekrich, Alexaruler (1985): Geschichte der Sowjetunion, Bd. II:1940-1980,
Frankfurt, 452 S.
Holloway, David (1979): Decision-Making in Soviet Defence Policies, in: Prospects of So-
viel Power in the 1980s, Part II, Adelphi Papers, No.152, ITSS, London, S. 24-31
(1984): War, Militarism, and the Soviet State, in: Erik P. Hoffmann I Robbin F. Laird
(Hrsg.), The Soviet Polity in the Modern Era, New York, S. 359-391
Hough, Jerry F. (1969): The Soviet Prefects: The Local Party Organs in Industrial Decision-
making, Cambridge, Mass.
(1983): Pluralism, Corporatism and the Soviel Union, in: Susan Gross Solomon (Hrsg.),
Pluralism in the Soviet Union, London u.a., S. 37-60
(1985): Soviet Decision-Making on Defense, in: Bulletin of the Atornic Scientists,
41(7) August 1987, S. 84-88
Iriye, Akira (1985): The Pacific War, The Beginning and the End, in: Book World, 3.3.1985,
S.4
]ahn, Egbert (1976): Die Rolle des Rüstungskomplexes in der Sowjetgesellschaft, HSFK
Arbeitspapier Nr. 111976, Frankfurt
(1982): Bürokratischer Sozialismus: Chancen der Demokratisierung?, Frankfurt, 236 S.
Johnson, A. Ross, Dean, Robert W., Alexiev, Alexaruler (1982): East European Military
Establishments: The W arsaw Pact Northem Tier, New York, 182 S.
Jones, Ellen (1984 ): Defense R&D Policymaking in the USSR, in: Jiri V alenta I William C.
Potter (Hrsg.), Soviet Decisionmaking for National Security, Boston u.a., S. 116-135
Keller, Werner (1960): Ost minus West Null. Der Aufbau Rußlands durch den Westen,
München/Zürich
Keller, Bill (1988): Soviet Aide Admits Maps Were Faked for 50 Years, in: The New York
Times, 2.9.1988
Kernig, C.D. (Hrsg.) (1973): Marxismus im Systemvergleich, Frankfurt u.a.
Klocke, Helmut (1973): Stichwort: ,,Rüstungsproduktion", in: C.D. Kernig (Hrsg.), Marxis-
mus im Systemvergleich, Bd. 4, New York u. Frankfurt/M.
Kofler, L. (1972): Stalinismus und Bürokratie, Neuwied u. Berlin
Kornhauser, William (1960): The Politics of Mass Society
Kroncher, Allan (1987): Political and Econornic Aspects of the Draft Law on the State
Enterprises, in: Radio Liberty Research Bulletin, RL 83/87, 27.2.1987, Radio Free Eu-
rope, Radio Liberty
Kruzhin, Peter (1986): Military Representation in the Leading Organs of the CPSU Fol-
lowing the Twenty-Seventh Congress, in: Radio Liberty Research Bulletin, RL 139/86,
27.3.1986, Radio Free Europe, Radio Liberty
372 Auswahlbibliographie
Kuczynski, lürgen (1988): Die 'Drei Kulturen', in: Forum Wissenschaft, 5(2)1988, S. 61
Kushnirsky, Fyodor I. (1984): The Limits of Soviet Economic Reform, in: Problems of
Communism, 33(4) July-August 1984, S. 33-43
Lane, David (1978): Politics and Society in the USSR, London, 611 S.
(1985): State and Politics in the USSR, Oxford, 390 S.
Lange, Oscar (1970): Essays in Capitalism and Socialism, Oxford
Lutz, Dieter S. (Hrsg.) (1979): Die Rüstung der Sowjetunion, Militär, Rüstung, Sicherheit,
Bd. 1, Baden-Baden, 273 S.
Marchowski, H., Schulz S. (1986): Wirtschaftsbeziehungen der UdSSR zur Dritten Welt:
Handel und Hilfe, in: DIW Wochenberichte, (22)1986, S. 276-281
Marcuse, Herbert (1969): Versuch über die Befreiung, Frankfurt/M.
McDonnell, lohn (1975): The Soviet Defense Industry as a Pressure Group, in: Michael
MccGwire u.a. (Hrsg.), Soviet Naval Policy, New York u.a., S. 87-122
McDonnell, lohn A. (1977): Leadership Changes at the 25th Party Congress, in: David R.
Iones (Hrsg.), Soviet Armed Forces Review Annual, VoLl, Gulf Breeze, Flor., S. 153-
163
Melman, Seymour (1980): Barriers to Conversion from Military to Civilian Industry - in
Market, Planned and Developing Economies, Paper prepared for the United Nations
Centre for Disarmament, Ad Hoc Group of Governmental Experts on the Relationship
between Disarmament and Devlopment, Aprill980, New York
Meyer, Gerd (1977): Bürokratischer Sozialismus, Stuttgart-Bad Cannstatt, 331 S.
Meyer, Stephen M. (1984): Soviet National Security Decisionmaking: What Do We Know
and What Do We Understand?, in: Jiri Valenta I William C. Potter (Hrsg.), Soviet Deci-
sionmaking for National Security, Boston u.a., S. 255-297
Miliar, lames (1981): The ABCs of Soviet Socialism, Urbana u.a., 187 S.
Morozow, Michael (1982): Die Falken des Kreml. Die sowjetische Militärmacht von 1917
bis heute, München u.a., 573 S.
Newhouse, lohn (1973): Cold Dawn. The Story of SALT, New York u.a.
Nikutta, Randolph (1987): Warum will die UdSSR Rüstungskontrolle?, in: Vorgänge, 26(5)
Sept. 1987, S. 49-64
NN (1964): Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus, Neuwied u. Berlin
NN (1970): Soviet Cartographic Falsification, in: The Military Engineer, No.410, Novem-
ber/December 1970
Nolte, Hans-Heinrich (1979): Gruppeninteressen und Außenpolitik, Frankfurt u.a., 148 S.
Nove, Alec (1980): The Soviet Economic System, Boston u.a., 396 S.
(1984): The Soviet Economy: Problemsand Prospects, in: Erik P. Hoffmann I Robin F.
Laird (Hrsg.), The Soviet Polity in the Modem Era, New York, S. 447-465
Odom, William E. (1975): Who Controls Whom in Moscow, in: Foreign Policy,
(19)Surnmer 1975, S. 109-123
(1976): A Dissenting View on the Group Approach to Soviet Politics, in: World Poli-
tics, 28(4) July 1976, S. 542-567
Offe, Claus (1968): in: Jürgen Habermas (Hrsg.), Antworten auf Herbert Marcuse, Frank-
furt/M.
Parrott, Bruce (1984): Theory and Praxis of Soviet Economic Modemization, in: Problems
ofCommunism, 33(5) Sept.-Oct.1984, S. 104-108
Pastuchowa, Maria (1987): Heller als jede Legende, in: Ogonjok, Nr. 49, Dezember 1987
Pestow, S. (1988): In Moskau ist alles geheim, in: Argumentyi i Faktyi, 13-19.8.1988
Potter, William C. (1984): The Study of Soviet Decisionmaking for National Security: What
Is ToBe Done?, in: Jiri Valenta I William C. Potter (Hrsg.), Soviet Decisionmaking for
National Security, Boston u.a., S. 298-307
Rahr, Alexander (1986): New Soviet Minister of Medium Machine-Building Appointed, in:
Radio Liberty Research Bulletin, RL 446/86, 26.11.1986, Radio Free Europe, Radio
Liberty, 26.11.1986
Auswahlbibliographie 373
(1987a): Gorbachev Describes Hirnself as Head of Defense Council, in: Radio Liberty
Research Bulletin, RL 87187, 3.3.1987, Radio Free Europe, Radio Liberty
(1987b): The Apparatus of the Centtal Committee of the CPSU, in: Radio Liberty Re-
search Bulletin, RL 136/87, 15.4.1987, Radio Free Europe, Radio Liberty
Reiman, Micha/ (1987): Lenin, Stalin, Gorbacev. Kontinuität und Brüche in der sowjeti-
schen Geschichte, Hamburg, 188 S.
Rice, Condoleezza (1984): Defense Burden-Sharing, in: David HollowayiJane M.O. Sharp
(Hrsg.), The Warsaw Pact. Alliance in Transition?, Ithaca, New York, 59-86
Richelson, Jeffrey T. (1982): Social Choice Theory and Soviet National Security Decision-
making, ACIS Warking Paper No.37, Center for International and Strategie Affairs,
University of California, Los Angeles, 42 S.
Riesman, David (1958): Die einsame Masse, Rowohlt, Reinheck b. Harnburg
Schmiederer, Ursula (1980): Die Außenpolitik der Sowjetunion, Stuttgart u.a., 196 S.
(1981): Die 'ewigen' Ziele Rußlands. Hintergründe der gegenwärtigen sowjetischen
Außenpolitik, in: Weltpolitik. Jahrbuch für internationale Beziehungen, Frankfurt/M.
Schneider, Eberhard (1986a): Der XXVTI.Parteitag der KPdSU: Personelle Veränderungen
im Politbüro und im ZK-Sekretariat, Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftli-
che und internationale Stdien, 3011986
(1986b): Gorbatschows Personalschub, in: Osteuropa, 36(1)1986, S. 30-47
(1987a): Der XXVTI.Parteitag der KPdSU- Machtverschiebungen, in: Truppenpraxis,
31(2)1987, s. 124-129
(1987b): Zwei Jahre Gorbatschow: Die versuchte "Umgestaltung" der Regierung, Be-
richte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, 2811987
Schröder, H ans-Henning (1986): Perspektiven sowjetischer Rüstungspolitik im Spiegel des
XXVTI.Parteitags, Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internatio-
nale Studien, Nr. 2911986, 47 S.
Schröder, Klaus (1987): Die Kredit- und Verschuldungspolitik der Sowjetunion gegenüber
dem Westen, Baden-Baden
Schukow, Georgi K. (1969): Erinnerungen und Gedanken, Stuttgart
Schukow, Jurij (1988): Die Logik des gesunden Menschenverstandes, in: Prawda, 3.9.1988,
S.4
Schulze, Peter W. (1977): Herrschaft und Klassen in der Sowjetgesellschaft, Frankfurt u.a.,
268 s.
Schulz-Torge, Ulrich-Joachim (1985): The SovietMilitary High Comrnand (Part 1), in: Mi-
litary Technology, 9(6)1985, S. 111-121
Segbers, Klaus (1984a): Reich des Bösen oder Friedensmacht?, in: Links, (125) Okt. 1984,
s. 27-29
(1984b): Wie aggressiv ist die Sowjetunion? Dimensionen der sowjetischen Sicher-
heitspolitik, in: W. Schwegler-Romeis IThomas Nielebock (Hrsg.), Sicherheit ist mehr
als kein Krieg, DGBNHS, Düsseldorf, S. 46-62
(1988): Die sowjetische Umbaupolitik gewinnt Gestalt, in: Friedensbericht 1988. Frie-
densforscher zur Lage, Dialog, Österreichisches Institut für Friedensforschung und
Friedenserziehung, Stadtschlaining, Bd. 11, Heft 1-211988, S. 28-54
Senghaas, Dieter (1985): Überlegungen zur Ost-Dimension in der gegenwärtigen Frieden-
sproblematik, in: Reiner Steinweg (Red.): Rüstung und soziale Sicherheit, Friedens-
analysen 20, Frankfurt/M, S. 307-329
Shulmann, Marshall D. (1974): SALT and the Soviet Union, in: Mason Willrich I John B.
Rhinelander (Hrsg.), SALT: The Moscow Agreements and Beyond, London, S. 101-
121
Simes, Dimitri K. (1984): The Politics of Defense in the Soviet Union: Brezhnev's Era, in:
Jiri Valenta I William C. Potter (Hrsg.), Soviet Decisionmaking for National Security,
Boston u.a., S. 74-84
374 Auswahlbibliographie
--
Wahrnehmung von Kriegsge- Länder weniger verletzbar ma-
fahren heute: Wodurch und in chen würden ; mit neuen For-
welchem Maße fühlen wir uns men der Zusammenarbeit zwi-
bedroht? Ist Kriegsangst ein schen Ost und West .
.,politischer Ratgeber"? in w el-
chem Zusammenhang stehen Hans Günter Brauch (Hrsg .)
Kriegsängste, Bedrohungsge- Kernwaffen und Rüstungs-
fühle und das friedenspoliti-
sche Engagement bei Einzel-
kontrolle
nen und Gruppen? Wie sind Ein interdisziplinäres Studien-
ESGIIJF NI politische und persönliche Si - buch.
cherheitsbedürfnisse im All- M it einem Vorwort vo n Egon
tag miteinander verflochten? Bahr. 1984. 511 S. 12 ,5 x 19
Dieser Band ist ein informati- cm. Kart .
'
ver Beitrag zum Verständnis Während die Literatur zum
und zum Selbstverständnis der NATO-Doppelbeschluß kaum
Friedensbewegung in der Bun- mehr überschaubar ist, fehlt
desrepublik. noch immer ein interdisz ipli-
SICHEJit!EIT
· .. , ·.'.l····
närer Sammelband, der wissen-
'·'' Johan Galtung schaftlich abgesicherte Infor-
Es gibt Alternativen! mationen allgemeinverständ-
Vier Wege zu Frieden und lich für wissenschaftl ich inter-
Sicherheit . essierte Laien präsentiert . Die-
Mit einem Vorwort von Robert se Lücke wird m it dem Sam-
mel band : Kernwaffen und Rü-
Jungk. 1984. 275 S. 14,8 x 21
stungskontrolle gesch Iossen.
cm. Kart.
Das Buch vereinigt in Beit rä-
in diesem Buch diskutiert der gen bekannter Experten die
bekannte Friedensforscher die naturwissenschaftliche, die hi -
Möglichkeiten f ür po litische stor ische, die militärische, die
Lösungen des Ost-West-Kon-
\)
rüstungsko ntrollpolitische und
flikts sowie den Vorschlag, ein die politische Betrachungs-
stabiles Gleichgewicht der w eise.
Macht zu finden und eine aus-
gewogene und kontrollierte
Abrüstung herbeizuführen . Er-
gebnis: eine pol itische Lösung
ist unwahrscheinlich, die bei -
den anderen Vorsc hläge sind
unrea listisch. Unter so lchen WESTDEUTSCHER
Bed ingungen würde man nor- VERLAG
Literatur zum Thema
Friedens- und Sicherheitspolitik
Ekkehard Lippert und während der späten 70 er und
Günther Wachtier (Hrsg.) frühen 80er Jahre. Diese ver-
\ •.;~ .....!). ...... Frieden gleichende Untersuchung ist
!Y1. :•.••• _,;.
eingebettet in eine umfassende
<1!1•);