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Einleitung

Das Nationalbewusstsein scheint in der Geschichte der Deutschen eine besondere Stellung
einzunehmen. Dieses Gefühl ist so stark, dass die deutsche Gesellschaft lange zu Recht oder zu
Unrecht als geschlossen begriffen wurde. In der vorliegenden Vorlesung geht es deswegen um
die Geschichte der frühen Phase des deutschen Nationalismus.

Hauptlernziel: Der Dozent soll die Studierenden dazu bringen können, die
Entstehungsgeschichte des Nationalismus in Deutschland verstehen.

Teillernziel 1: Die Studierenden sollen die Begriffe „Nation“ und „Nationalismus“ definieren
können.

Teillernziel 2: Die Studierenden sollen den historischen Entstehungskontext des frühen


Nationalismus in Deutschland erklären können.

Teillernziel 3: Die Studierenden sollen die Grundzüge des frühen Nationalismus in Deutschland
nennen können.

1. Zu den Begriffen „Nation“ und „Nationalismus“

Die Wörter „Nation“ und „Nationalismus“ gehören zu derselben Wortgruppe. Im Folgenden


geht es um eine Begriffsbestimmung der beiden, damit die Geschichte der Nationalbewegung
in Deutschland, besonders in ihrer frühen Phase, verständlich wird.

1.1 Zum Begriff „Nation“

Der Terminus „Nation“ bezieht sich auf „alle Menschen, die Gemeinsamkeiten in Sprache und
Kultur haben und innerhalb gemeinsamer politischer Grenzen leben“ 1. Außer den erwähnten
Charakteristika teilen auch Angehörige einer Nation bestimmte geschichtliche Erlebnisse, die
als Zement ihrer Zusammengehörigkeit gelten. In diesem Zusammenhang ist manchmal von
der deutschen, französischen oder chinesischen Nation die Rede.

Es kann auch vorkommen, dass die Mitglieder einer gegebenen Nation nicht auf demselben
Territorium leben, sondern zerstreut in unterschiedlichen Staaten zu finden sind. Es war der
Fall vom deutschen Volk bis 1871. Eine Nation erleidet auch oft die Herrschaft von Fremden,

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Götz, Dieter (2019): Langenscheidt: Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. München: Langenscheidt, S.
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und dies kann bei den Angehörigen das Zusammengehörigkeitsgefühl erwecken bzw.
verstärken.

Aus diesem Nationalgefühl entsteht nicht selten eine politische Ideologie, die sich zum Ziel
setzt, die Interessen der Nation zu vertreten: Es handelt sich um „Nationalismus“.

1.2 Zum Begriff „Nationalismus“

Im Wörterbuch werden im Allgemeinen zwei entgegengestellte Bedeutungen des


Nationalismus vorgeschlagen, eine abwertende (negative) und eine eher aufwertende (positive).
Er wird zuerst aufgefasst als eine Ideologie, welche die Interessen der eigenen Nation über die
anderer Menschen stellt2. In diesem Sinne ist Nationalismus gleichbedeutend mit
Überlegenheitsgefühl und Chauvinismus.

Nationalismus bedeutet außerdem so viel wie „das starke Bewusstsein, Teil einer Nation zu
sein, vor allem, wenn damit das Ziel verbunden ist, einen eigenen Staat zu gründen“ 3. In dieser
zweiten Definition betont man die legitimen Freiheitsrechte aller unterdrückten Völker.
Nationalismus ist demzufolge eine ehrenhafte Waffe in der Hand des Freiheitskämpfers.

Wegen seiner zwei gegensätzlichen Bedeutungen ist der Begriff „Nationalismus“ Gegenstand
von Kontroversen, zumal er in der politischen Geschichte sowohl mit Missbräuchen als auch
mit Fortschritten verbunden ist. Wie im dritten Teil der vorliegenden Vorlesung gezeigt wird,
sind beide Facetten bereits in der frühen Form des deutschen Nationalismus zu bemerken. Aber
vorerst werden die Entstehungsbedingungen desselben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
behandelt.

2. Von der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches zum Scheitern der
Revolution von 1848/49

Im Hintergrund der Entstehung und Entwicklung des frühen Nationalismus in Deutschland


standen eine Reihe historischer Ereignisse, die sich in der Periode von der Auflösung des
Heiligen Römischen Reiches 1806 bis hin zum Scheitern der Revolution 1848/49 abspielten.

2.1 Die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1806)

Das Heilige Römische Reich, das verschiedene, autonome deutsche Staaten zusammenschloss,
hatte schon 900 Jahre Existenz, als die Kriege nach der Französischen Revolution 1789 zu

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Götz, Dieter (2019): a. a. O., S. 788.
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Ebenda.

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seinem Zusammenbruch im Jahre 1806 führten. Geschwächt durch den Kampf um Einfluss
zwischen seinen führenden Mitgliedsstaaten Österreich und Preußen, hatte zunächst das alte
Reich die territorialen Verluste beim Friedensvertrag von Lunéville (1801) und eine innere
Neu-Organisierung zu Gunsten Frankreichs (Reichsdeputationshaupschluss von 1803) nicht
verhindern können. Der französische Herrscher Napoleon, der in seiner siegreichen
Konfrontation mit Österreich und Preußen sich jetzt auf die süd- und mitteldeutschen Staaten
(u. a. Bayern, Baden und Württemberg) stützen konnte, ließ diese 1806 den Rheinbund bilden
und verlangte dann die Abdankung des Kaisers Franz II. bzw. die Auflösung des Heiligen
Römischen Reiches.

Das Ende des Heiligen Römischen Reiches sowie die beleidigende Besetzung eines großen
Teils Deutschlands durch die Truppen Napoleons erweckten ein tiefes Nationalgefühl bei
manchen deutschen Intellektuellen und dem liberalen Bürgertum. Sie träumten von der
Mobilisierung aller deutschen Kräfte, um der fremden Herrschaft ein Ende zu setzen und ein
eigenes geeintes Land zu gründen. Am Anfang war jedoch der deutsche Nationalismus die
Angelegenheit eines beschränkten elitären Kreises, und die Mehrheit des Volkes wusste davon
nichts.

Erst als Napoleon 1812 in Russland seine erste richtige Niederlage kannte und demzufolge sein
Prestige zu sinken begann, schlossen sich eine zunehmende Zahl von jungen Deutschen der
Nationalbewegung an. Es gab darauf folgend Aufstände in den deutschen Staaten, welche dann
die sogenannten Befreiungskriege zur Folge hatten bzw. zum endgültigen Sturz des
französischen Kaisers Napoleon im Jahre 1915 beitrugen. Unter den jungen Freiheitskämpfern
befanden sich zahlreiche deutsche Studenten, die sich um ein geeintes, unabhängiges
rechtsstaatliches Deutschland bemühten.

Der Wiener Kongress von 1815, der für die Neu-Ordnung in Europa sorgte, folgte aber dem
Wunsch der Nationalbewegung nicht und gründete einen Deutschen Bund. Der Deutsche Bund
war in Wirklichkeit weder ein geeinter noch ein freier Staat. Die Anhänger einer deutschen
Einigung fühlten sich verraten und beschlossen deshalb, das eingeführte Restaurationssystem
zu bekämpfen.

2.2 Die Restauration und das Scheitern der Revolution von 1848/49

Die Restaurationsperiode in Deutschland erstreckte sich von 1815 bis 1849. Mit Restauration
wird gemeint, dass man eine schon vergangene sozial-politische Lage wieder einführt. Eben
das wollten die Angehörigen der deutschen Nationalbewegung nicht. Faktisch wurde das

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aufgelöste Heilige Reich doch nicht wiederhergestellt, und der Deutsche Bund bewahrte
manche Fortschrittsreformen der napoleonischen Zeit. Es stellte sich aber heraus, dass
Österreich und Preußen den neuen Bund von 39 Mitgliedseinheiten zu den eigenen
monarchistischen Herrschaftszwecken nutzen wollten. Mit anderen Worten bedeutete die
Restauration die Fortführung der Monarchie und der politischen Zersplitterung Deutschlands.

Die Nationalbewegung begann ihrerseits sich zu organisieren, um die neue unerwünschte


Ordnung zu bekämpfen. Die Studenten versammelten sich bald in der Allgemeinen Deutschen
Burschenschaft. Dieser Verband veranstaltete dann ein Treffen in Wartburg (1817), bei dem es
u. a. zu einer öffentlichen Bücherverbrennung kam. Dies erweckte das Interesse der
preußischen Polizei für die Studentenbewegung. Auf die Ermordung des antinationalen
Schriftstellers August von Kotzebue im Jahre 1819 durch einen Burschenschaftler reagierten
die Behörden mit drastischen Vergeltungsmaßnahmen: Es waren die berüchtigten Karlsbader
Beschlüsse, welche trotz ihrer Strenge (Verbot der Burschenschaft und enge Kontrolle der
Universitäten) die Nationalbewegung nicht beenden konnten.

Die Bewegung meldete sich wieder auf der politischen Bühne anlässlich der Märzrevolution
von 1848, bei der sie eine beträchtliche Rolle spielte. Die meisten Abgeordneten im Parlament
der Frankfurter Paulskirche waren tatsächlich ehemalige Burschenschaftler, die jetzt höhere
Berufe an der Universität, in der Verwaltung oder in der Justiz ausübten. Es gelang den
Revolutionären, 1849 eine avantgardistische Reichsverfassung zu verabschieden und sich nicht
zuletzt auf eine einheitliche, parlamentarisch-monarchistische Staatsform für ganz
Deutschland4 zu einigen. Der König von Preußen, dem die Kaiserkrone vorgeschlagen wurde,
weigerte sich jedoch. So scheiterte die verheißungsvolle deutsche Revolution von 1848/49.

Mit diesem Scheitern endete die frühe Phase des deutschen Nationalismus. Interessant wäre,
jetzt die Grundzüge dieser ursprünglichen Form des Nationalgefühls in Deutschland zu
analysieren.

3. Die Grundzüge des frühen Nationalismus in Deutschland

Als sich in den deutschen Staaten eine frühe Form von Nationalismus entwickelte, gab es auch
ein wachsendes Nationalbewusstsein in anderen Teilen Europas. All diese Formen von
Nationalismus zeigten sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede.

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Nur Österreich gehörte dem geplanten deutschen Staat nicht an.

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3.1 Gemeinsamkeiten mit anderen Nationalismen der gleichen Zeit

Nationalismus als moderne politische Ideologie entstand zum ersten Mal nicht auf deutschem
Boden, sondern im Nachbarland Frankreich mit der Revolution von 1789. Die französischen
Revolutionäre proklamierten tatsächlich einen Nationalismus, der sich durch das Ablehnen der
alten monarchistischen Ordnung und der privilegierten Adligen und Geistlichen (Religiösen)
charakterisierte. In diesem Sinne forderten sie freie politische, zivile und wirtschaftliche Rechte
für alle, nämlich für das Bürgertum und die anderen bisher benachteiligten Schichten der
französischen Gesellschaft (Bauern und Handwerker).

Von Beginn an nahm auch der Nationalismus in Deutschland die gleichen liberalen Ideen auf.
Ebenso wie in Frankreich waren bürgerliche Intellektuelle die tragende Kraft des frühen
Nationalismus in den deutschen Staaten: Man kämpfte für das Ende der absoluten Monarchie
und die Einführung einer gerechteren Gesellschaft, in der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und
Unternehmungsfreiheit herrschen konnten.

Die deutschen Nationalen bemühten sich außerdem um die Befreiung ihres Landes von der
fremden Herrschaft, besonders zwischen 1813 und 1815. Es handelt sich um die sogenannten
Befreiungskriege, wie sie auch zur gleichen Epoche von anderen unterdrückten Völkern wie
den Griechen, Polen, Tschechen und Italienern geführt wurden.

Die frühe Form des Nationalismus in Deutschland war also in gewisser Hinsicht ähnlich wie
die nationale Bewegung in anderen Ländern. Aber besondere Grundzüge traten auch auf.

3.2 Besonderheiten des frühen Nationalismus in Deutschland

Trotz der besprochenen Ähnlichkeiten unterschied sich der frühe Nationalismus in Deutschland
zum Teil von dem in anderen Teilen Europas. Diese Besonderheiten lagen hauptsächlich an
dem historischen Entstehungskontext der nationalen Bewegung in den deutschen Staaten. Als
sich die nationalen Gedanken in der deutschen Öffentlichkeit zu verbreiten begannen, war das
Land noch kein einheitlicher Staat mit einer einzigen Führung. Man fand damals eher viele
verschiedene Staaten auf dem deutschen Boden, die im Allgemeinen keine guten Kontakte
zueinander pflegten. Das war also diese Kleinstaaterei, welche die nationale Bewegung

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beenden wollte, indem sie die für die Vereinigung aller einzelnen deutschen Territorien in
einem einzigen Land kämpfte.

Eine weitere Besonderheit des frühen Nationalismus in Deutschland bestand im Ablehnen von
philosophischen und literarischen Ideen aus Frankreich, nämlich der Aufklärung. Im Gegensatz
zu den französischen Revolutionären, welche die Herrschaft der Vernunft proklamierten,
entwickelten die deutschen Nationalen eine emotionale, biologische Auffassung der deutschen
Identität. Für diese politischen Romantiker gehörten dem deutschen Volk nur diejenigen an, die
als Deutsche geboren waren. Eine solche völkische, rassistische Theorie schloss also Juden und
Slawen von der deutschen Volksgemeinschaft aus, obwohl sie seit langer Zeit in Deutschland
lebten. Gerade aus diesem Grund wurde Österreich ins geplante Deutschland von 1848 nicht
aufgenommen, denn als Vielvölkerstaat bestand die Donaumonarchie (Österreich) zum Teil aus
Bevölkerungen, die kein deutsches Blut im Körper hatten.

Schluss

Deutscher Nationalismus entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, weil man sich
damals um ein vereintes, unabhängiges und rechtstaatliches Land bemühte. Zuerst Sache einer
kleinen Gruppe von Gebildeten und Bürgern entwickelte er sich später zu einer einflussreichen
Massenbewegung, bei der die Studenten eine beträchtliche Rolle spielten. Bei der Revolution
von 1848/49 gelang es zwar den Nationalen, die reaktionären Kräfte der Monarchie zu
besiegen, aber sie konnten dem deutschen Volk noch keinen einheitlichen Staat anbieten.

Die erste Phase der deutschen nationalen Bewegung war also ein Scheitern, aber der
Nationalgeist bestand weiter. Beweis dafür ist nicht nur die spätere Gründung des Kaiserreichs
1870/71 durch Otto von Bismarck, sondern auch die folgenschwere Verschärfung des
Zusammengehörigkeits- und Überlegenheitsgefühls in Deutschland bis 1945.

Literatur

1. Monographien

Götz, Dieter (2019): Langenscheidt: Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. München:


Langenscheidt.

Müller, Helmut M. (2009): Schlaglichter der deutschen Geschichte. Bonn: Bundeszentrale für
politische Bildung.

7
Weibel, Ernest (2007): Mille ans d’Allemagne: Histoire et géopolitique du monde germanique.
Paris: Ellipses.

2. Internetquellen

Geschichte-Wissen (2013): „Der frühe Nationalismus der Deutschen“. https://geschichte-


wissen.de/blog/nationalismus-deutschland/ (Zugriff am 12.07.2020).
Wehler, Hans-Uhlrich (o. J.): „Der deutsche Nationalismus“.
http://gepeskonyv.btk.elte.hu/adatok/Germanisztika/111Balk%E1nyi/Horv%E1thPabis/17-
Der%20deutsche....pdf (Zugriff 12.07.2020).

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