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Regensburg, 30.08.2022

Europa im Wandel des langen 19. Jahrhunderts

Kurs: 33141, Geschichte Europas im 19. Jahrhundert

Kursleiter: Prof. Dr. Rainer Liedtke

Matrikelnummer: 06947243214

Adresse: Keilberger Hauptstraße 81b

E-Mail: Thomas.Karrer@stud.uni-regensburg.de
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Einleitung

Nachdem Europa sich von den anfänglichen Wellen der Revolutionen erholt hatte, dauerte es bis zur
Mitte dieses langen 19. Jahrhunderts, bis diese Ruhe wieder erschüttert wurde und erneut die
Verfassungen der meisten Staaten auf politischer und gesellschaftlicher Ebene angezweifelt wurden.
Im Jahre 1848 erstreckte sich dieser Aufruhr „[von] Frankreich über den weiten mitteleuropäischen
Raum des Deutschen Bundes und der Habsburgermonarchie bis zu deren südosteuropäischen
Territorien und den osmanischen Donaufürstentümern Moldau und Walachei, von Dänemark bis
Italien.“1 Während dieses Prozesses kamen sich nicht nur die Revolutionäre näher als zuvor, ganz
Europa erreichte eine völlig neue Informationsdichte, jeder erhielt die Möglichkeit sich eine eigene
Meinung zu bilden.2 Dennoch vereinte die verschiedenen Revolutionsbewegungen letztendlich auch
ihr Scheitern, bis auf die schweizer Bewegung schlugen alle dabei fehl, eine gewaltige Veränderung
in der Politik und Gesellschaft der einzelnen Staaten herbeizuführen.3 Wer sich jedoch ausführlich
mit dem 19. Jahrhundert beschäftigt hat, weiß, dass sich die Welt und damit auch Europa, selbst
ohne eine zweite Welle an Revolutionen in einer gewaltigen Phase des Wandels befand, so sieht
dies auch Jürgen Osterhammel. Dies geschah auf zahlreichen Ebenen, deren gegenseitigen Einfluss
es argumentativ abzugrenzen gilt, während zwischen den Situationen in den verschiedenen
Regionen Europas differenziert werden muss. Zu diesen Ebenen zählen das Auftreten der
Nationalstaaten und des Nationalismus, die dadurch entstehende Abgrenzung zwischen den
Völkern, der sich stetig verändernde, kompetitive Imperialismus, dessen Einfluss auf das politische
Klima Europas und der dadurch erkennbare Weg zum Ersten Weltkrieg, dem Ende des langen 19.
Jahrhunderts.
Europa im internationalen Wandel

Um ein Volk zu vereinen und einen Nationalstaat zu schaffen, half es auf Gemeinsamkeiten der
Herkunft hinzuweisen, dabei mündet dieses Verfahren vor allem im Begriff des Nationalismus.4
Dieser ist jedoch nicht unbedingt zeitgenössisch, eher waren es die Kritiker, die auf die wahre Natur
des vermeintlichen Patriotismus eines Staates hinwiesen, als „Nationalist“ würde sich niemand
direkt bezeichnen.5 Dennoch hatte die nationale Zugehörigkeit eines Individuums für viele mehr

1 Haupt, Heinz- Gerhard/ Langewiesche, Dieter: Die Revolution in Europa 1848, in: Dowe, Dieter/ Haupt, Heinz-
Gerhard/ Langewiesche, Dieter (Hg.): Revolution und Reform, Bonn 1998, S. 12.
2 Ebd. S. 13.
3 Ebd. S. 26.
4 Vgl. Jansen, Christian/Borggräfe Henning: Nation-Naionalität-Nationalismus, Frankfurt/ New York 2.Aufl. 2020. S.
20.
5 Ebd. S. 19.
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Aussagekraft als z.B. die soziale Schicht dieser Person, denn man gehöre nicht zu irgendeiner
speziellen Gruppe, sondern zu einer einzigen Nation. Auf diese Weise entstand zwar ein Gefühl der
Zugehörigkeit, aber dadurch auch eins der direkten Abgrenzung von anderen Völkern. 6 Genau dies
ist es, was oft in der Geschichte zu rassistischen Handlungen, wie der „Unterdrückung oder
Ausrottung von Minderheitensprachen und -kulturen“ führte, um eine ethnische Homogenitätzu
erreichen.7 Als Beispiel lässt sich hier ideal das von Napoleon besetzte Preußen anführen, welches
den französischen Einfluss auf seine Bevölkerung durch die Steigerung des Nationalismus
auszugleichen versuchte. Jedoch war der Begriff des Nationalismus auch damals nicht immer der
gleiche, im Gegenteil, er vermischte sich teils mit den liberalen Gedanken der Zeit, es entstand der
Liberalnationalismus. Durch diese Anpassung an neue Gedanken, gewann der Nationalismus
zusätzliche Anhänger, er wurde noch relevanter und vereinte in „Vaterlandsvereinen“ Deutsche aus
verschiedensten sozialen Milieus.8 Auch stand der Nationalismus eng in Verbindung mit einer
weiteren Form des „Fortschritts“ dieser Zeit, durch Entwicklungen in der Ethnologie wendeten nun
auch Biologen öfter den Begriff „Rasse“ an, wenn von verschiedenen Völkern die Rede war. Dabei
lag der Fokus weniger, wie zuvor, auf der politischen Homogenität eines Staates, sondern auf
biologischen Gemeinsamkeiten.9 Solch gegenseitige Vorurteile nahmen gänzlich unterschiedliche
Ausmaße an und führten dabei sogar manchmal zu Reflexionen auf das eigene Volk. Während ein
Großteil des deutschen Franzosenhasses schon früh auf der im Vergleich geringeren Geburtenrate
des Gegenspielers basierte, kamen diese Ansichten im 19. Jahrhundert durch eigene
Nachforschungen ins Wanken, wer hätte gedacht, dass es auch in Deutschland zu einer rückläufigen
Geburtenrate kommen könnte? Dies war nicht der einzige Fall, in dem Nationalismus und Realität
aufeinander trafen, wo man in Großbritannien die Deutschen lange für „hoffnungslos unpraktisch,
rückständig und dem Mittelalter verhaftet“ hielt, entstand gegen Ende des Jahrhunderts eine Art
Respekt für das Wirtschaftswachstum des Kontrahenten.10 Neben dem Nationalismus einte die
meisten großen Nationalstaaten Europas, auch der Besitz von Kolonien und ein über die
Jahrhunderte fortdauernder Imperialismus.11 Einen Grenzfall im Raum Europas stellte hier das
Habsburgerreich dar, welches mit einer nicht wirklich vorhandenen Flotte und einem daraus
hervorgehenden Mangel an Überseekolonien vergleichsweise wenig Kriterien eines kolonialen
Imperiums zu erfüllen schien, das Reich hätte „seine optimale Ausdehnung erreicht“.12 Dass es sich

6 Vgl. Jansen, Christian/Borggräfe Henning. 2020. S. 22.


7 Ebd. S. 29.
8 Vgl. Echternkamp, Jörg: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770-1840), Frankfurt/ New York 1998, S. 489.
9 Vgl. Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S.
1215.
10 Vgl. Evans, Richard: Das europäische Jahrhundert. Ein Kontinent im Umbruch 1815-1914, München 2018, S. 925.
11 Vgl. Osterhammel, Jürgen. 2009. S. 610.
12 Ebd. S. 624.
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beim Reich der Habsburger um einen Vielvölkerstaat handelte, der besonders im 19. Jahrhundert
von genügend internen Problemen belastet wurde, war sicherlich auch ausschlaggebend für das
Fehlen eines kolonialistischen Engagements, welches ansonsten zu Konflikten mit der einhei-
mischen Bevölkerung führte. Als Vergleich lässt sich hierbei der imperiale Nationalismus der Briten
anführen, unter dem es oft zu gewaltsamen Ausschreitungen in den Kolonien kam. Hier war quasi
eine Art „Sendungsbewusstsein“ vorhanden, das sich aus einem Überlegenheitsgefühl durch die
enorme Menge an erobertem Land und dem protestantischem Willen zur Verbesserung der Welt
unter ihrer Ägide zusammensetzte.13 Auf diese Weise, gab es auch hier große Unterschiede
zwischen den europäischen Großmächten. Untereinander kam es zwischen diesen im 19. Jahr-
hundert nur zu wenigen Zusammenstößen. Es existierte ein genereller Rahmen, in dem die ver-
schiedenen Regierungen sich bewegen konnten. Dabei war Europa nicht nur untereinander, sondern
auch mit der gesamten Welt durch verschiedenste internationale Organisationen und zahlreiche
andere Verbindungen verknüpft.14 Außerhalb der Periode der Revolution zwischen 1848 und 1871,
gilt das 19. Jahrhundert unter anderem deshalb im Vergleich als eine Zeit des Friedens.15
Andererseits, waren die Politiker der einzelnen Großmächte, mit der Ausnahme Frankreichs,
generell davon überzeugt, dass es fast schon unmöglich wäre eine der anderen großen Fraktionen
ohne fremde Hilfe auszuschalten.16 Zusätzlich war es für diese Politiker schon schwierig genug, mit
einer neuen Situation innerhalb des eigenen Landes umzugehen. Durch die gesteigerte Informa-
tionsverteilung, konnte sich die Öffentlichkeit immer mehr auch in die internationale Politik eines
Staates einmischen, wobei dies in den einzelnen Nationalstaaten unterschiedlich ausfiel. 17 Die
gewählten Parlamente Großbritanniens hatten z.B. deutlich mehr Einfluss, als die Abgeordneten-
häuser des Deutschen Reiches, die die Außenpolitik des Kaisers nicht wirklich beeinflussen konn-
ten, während es in Russland erst 1906 eine gewählte Volksvertretung gab und dies sogar in Frank-
reich nur ab Mitte des Jahrhunderts der Fall war. 18 „In autokratischen Regimen wie Russland und
Österreich führte an den Kaisern kein Weg vorbei“, wobei auch in Frankreich die Monarchen erst
ab 1870 eine deutlich geringere Rolle spielten, während sie dennoch gewisse öffentliche und amt-
liche Funktionen innehatten.19 Als Situation, die der schnellen Verbreitung von Nachrichten zu-
grunde liegt, war auch dies Teil eines größeren Vorgangs, des Internationalismus, der unter anderem
auch die voneinander abhängigen Vorgänge der europäischen Innen- und Außenpolitik beinhaltet.20

13 Vgl. Osterhammel, Jürgen. 2009. S. 647.


14 Vgl. Paulmann, Johannes Globale Vorherrschaft und Fortschrittsglaube. Europa 1850-1914, München 2010, S. 335.
15 Ebd. S. 356.
16 Ebd. S. 377.
17 Ebd. S. 386.
18 Ebd. S. 387.
19 Ebd. S. 393.
20 Ebd. S. 405.
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So fortschrittlich der Gedanke des Internationalismus auch war, hatte er, wie zahlreiche andere
verkettete politische und gesellschaftliche Faktoren, Anteil am Ende der zweiten friedlichen Phase
des langen 19. Jahrhunderts.21 Zu diesen Faktoren zählte eben nun auch der Imperialismus. Es
waren zwar nicht direkt koloniale Konflikte, die Europa in den Ersten Weltkrieg stürzten, dennoch
waren sie daran beteiligt, indem sie die Spannungen außerhalb Europas für die Großmächte
erhöhten und sie somit z.B. von den Komplikationen auf dem Balkan ablenkten. 22 Auch hatte die
Öffentlichkeit, vor allem gegen Ende des Jahrhunderts, immer mehr Einfluss gewonnen, was sich
hier besonders in deren Wirkung auf die Außenpolitik widerspiegelte. Dies erschwerte es, zusam-
men mit dem Nationalismus, der das imperialistische Denken, sowie die militärische Aufrüstung
weiter befürwortete und über das gesamte Jahrhundert Zeit gefunden hatte, um sich in vielen
Schichten der Bevölkerung zu festigen, auch für die Eliten, diese politischen Vorgänge
aufzuhalten.23 Es war genau dieser aggressive Nationalismus, für den der Krieg nicht mehr nur die
Bedeutung als letztes Mittel verkörperte, jetzt war er eher eine Methode sich als Nation zu beweisen
und nicht an Bedeutung zu verlieren. Zusätzlich wurde der Krieg als Begriff auch immer weiter
durch innenpolitische Themen aufgeladen, so sah z.B. die bürgerliche Jugend den Krieg als
„Lösung der Widersprüche der modernen Gesellschaft und als Ausweg aus der Krise der
bürgerlichen Zivilisation“.24 Aber auch höhere Ämter näherten sich dem Gedanken an einen Krieg
immer mehr an. Es wurde selbstverständlich von einem General erwartet, dass er Pläne für einen
potenziellen Krieg vorbereitete, aber besonders auf deutscher und österreichischer Seite, wirkte es
eher so, als sehnten die Militärs fast schon den Krieg herbei, dabei erschien es den Generälen, als
müssten sie die wenige Zeit nutzen, über die sie noch verfügten, um präventive Maßnahmen
einzuleiten. Einer der ausschlaggebendsten Gründe dafür, war die Ausweitung des Rüstungs-
wettlaufs.25 Dieser begann, besonders auf deutscher Seite, mit der Jahrhundertwende, durch Unter-
stützung der Presse. Da dies quasi ausschließlich geschah, um der enormen Flotte Großbritanniens
auch nur ansatzweise ebenbürtig zu sein, hatte es deutliche negative Einflüsse auf die eigentlich so
gute historisch und wirtschaftlich bedingte Beziehung beider Länder. Daran konnte auch die Ver-
wandtschaft ihrer Monarchen nicht viel ändern. Aufgrund dieses unglücklichen Vorgangs und der
Tatsache, dass Großbritanniens internationaler Handlungsspielraum generell immer weiter einge-
engt wurde, kam es zu einer Isolierung Deutschlands.26 Dennoch hing dies nicht nur von einer Frak-
tion ab, es waren auch Großbritanniens zukünftige Bündnispartner Frankreich und Russland, die das

21 Vgl. Janz, Oliver: Der grosse Krieg, Frankfurt am Main 2013, S. 18.
22 Ebd. S. 22.
23 Ebd. S. 20.
24 Ebd. S. 23.
25 Ebd. S. 33.
26 Ebd. S. 45
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europäische Klima durch ihre unausgeglichenen, internationalen Beziehungen belasteten.27 Diese


Destabilisierung entstand jedoch ohne den Willen dieser drei Mächte, als Imperien waren sie
hauptsächlich an der Sicherstellung strategisch wichtiger Ressourcen außerhalb Europas interes-
siert, andererseits sorgte man sich um den Frieden in der Heimat. Großbritannien alleine war bei-
spielsweise nur bereit gewesen, an einen Krieg zu denken, wenn die Heimatinseln in Gefahr wären
und die Mehrheit der Bevölkerung der Ententemitglieder, war an der Stabilität des Balkans interes-
siert. Dabei war man sich des Status des Balkan als „Pulverfass“ bewusst, was das Gleichgewicht
Europas beim Ausbruch des Krieges nicht weniger beschädigte, leitete, im Gegensatz zu Deutsch-
land und Österreich, aber keine Forderungen nach einem Präventivkrieg daraus ab.28 Diese beiden
Reiche wurden in den letzten Jahren des langen 19. Jahrhunderts durch eine Art Teufelskreis immer
weiter aneinander gezwungen. Die unfreiwillige Isolation Deutschlands durch die übrigen Groß-
mächte ließ nur noch das Habsburgerreich offen, welches nun zunehmend schwächer und instabiler
wurde, was Deutschland umgekehrt zur weiteren Aufrüstung zwang, womit es zu weiteren Isola-
tionsmaßnahmen kam.29 Mit Eintritt der Marokkokrise, war das Schicksal der beiden Bündnisse
endgültig besiegelt, Deutschland und Österreich kamen sich noch näher, was ihre Flexibilität nur
weiter einschränkte und sogar die zuvor eher lockere Entente rückte näher zusammen. Hierbei fes-
tigte sich besonders das Bündnis zwischen Frankreich und Großbritannien, welches zunehmend mi-
litärischer wurde, so schickte man z.B. das britische Expeditionskorps „zur Abwehr einer deutschen
Invasion in Nordfrankreich“, die Weichen für den Ersten Weltkrieg waren irreversibel gestellt.30

Rückblick auf die imperiale Konkurrenz

Es war sicher nicht nur ein Phänomen, das den Auslöser des Krieges darstellte, es handelte sich
eher um einen vielschichtigen Prozess des Wandels, der deutlich vor dem Krieg begann und die
gesamte Welt betraf. Einen bedeutenden Anteil hatte hier der Imperialismus. Der lange Streit um
den Titel der Weltmacht lässt sich gut mit dem Wort „binär“ beschreiben, als Staat blieb einem nur
die Wahl zu expandieren, oder in den Schatten der Großmächte zurückzutreten. Auf diese Weise
versuchte auch Deutschland, einen Anteil dieser globalen Macht für sich zu gewinnen, jedoch war
es diese Entscheidung, die nicht nur das globale, sondern auch das europäische Gleichgewicht
störte, indem es die Balance zwischen den Staaten Europas negativ beeinflusste. Die daraus
resultierende Isolation war es, die die deutschen Machthaber in einen endlosen Teufelskreis zwang.

27 Vgl. Janz, Oliver. 2013. S. 41.


28 Ebd. S. 39.
29 Ebd. S. 48.
30 Ebd. S. 51.
7

Literaturverzeichnis

Echternkamp, Jörg: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770-1840), Frankfurt/ New York
1998.

Evans, Richard: Das europäische Jahrhundert. Ein Kontinent im Umbruch 1815-1914, München
2018.

Haupt, Heinz- Gerhard/ Langewiesche, Dieter: Die Revolution in Europa 1848, in: Dowe, Dieter/
Haupt, Heinz-Gerhard/ Langewiesche, Dieter (Hg.): Revolution und Reform, Bonn 1998.

Jansen, Christian/Borggräfe Henning: Nation-Naionalität-Nationalismus, Frankfurt/ New York


2.Aufl. 2020.

Janz, Oliver: Der grosse Krieg, Frankfurt am Main 2013.

Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München
2009.

Paulmann, Johannes Globale Vorherrschaft und Fortschrittsglaube. Europa 1850-1914, München


2010.

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