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Kinder und Jugendliche in den tschechischen Pfarrgemeinden

Liebe Kolleginnen und Kollegen,


Sie sind hergekommen einiges über die Lage der religiösen Erziehung und Bildung
der jungen Tschechinnen und Tschechen zu erfahren. Meine Kollegin Frau Muchova
hat Ihnen die bescheidenen Möglichkeiten des Religionsunterrichts in den
tschechischen Schulen (und Pfarrgemeinden) geschildert. Mein Referat sollte Ihnen
ermöglichen, diese Fakten in einen breiteren Lebenskontext der katholischen
Pfarrgemeinden einzuordnen und dadurch besser zu verstehen.
Ich habe vor, die Lage der Kinder und Jugendlichen in den tschechischen
Pfarrgemeinden in drei Schritten zu skizzieren:
1) Zuerst möchte ich Ihnen die Lage der Pfarrer und ihrer Pfarrgemeinden in der
tschechischen säkularisierten Gesellschaft nahe zu bringen.
2) Dann konzentriere ich mich auf die Empfindungen der Kinder und
Jugendlichen innerhalb einer Pfarrgemeinde mit dem Altersdurchschnitt 50+.
3) Und zuletzt würde ich Ihnen erraten lassen, welche realen Möglichkeiten
unsere Kinder und Jugendliche haben, um zu mündigen Christen
heranzureifen.

Tschechische Landpfarreien
Obwohl die Tschechische Republik überwiegend national homogene Bevölkerung
hat – die meisten Einwohner Tschechiens sprechen tschechisch, einige slowakisch,
ein kleiner aber wichtiger Anteil gehört der ethnischen Gruppen der Roma und eine
geringere Prozentzahl bilden die Mitglieder anderer Nationalitäten. Nach der
konfessionellen Zugehörigkeit gemessen ist die Situation auch ziemlich einfach: etwa
ein Viertel ist katholisch, bis 3% andere christliche Religionen, die Anhänger der
nichtchristlichen Religionen dürfte nicht mehr als 1% sein. Der Rest sei
„konfessionslos“. Was aber bedeutet diese Konfessionslosigkeit?
Die Konfessionslosigkeit der vielen Tschechen dürfte man mit einem freien und
bewussten Atheismus nicht verwechseln. Ein „Atheist“ oder ein „Fortschrittlicher“ galt
in der Zeit des Kommunismus und sogar schon zum Ende der Habsburger
Monarchie zum „guten Ton“ im tschechischen Bürgertum. Lehrer und Techniker,
Politiker und Wirtschaftler – und sogar viele einfache Menschen – traten nach dem
Niedergang der K. u. K. – Monarchie aus der Kirche aus. Entweder erklärten sie sich
für „aufgeklärte Rationalisten“ oder traten gleich in eine neue nationale, sog.
Tschechoslowakische Kirche ein.
Also aus 10 Millionen Einwohner Tschechiens dürfen etwa 2 bis 3 Millionen getauft
werden (die genaue Zahl kennt niemand; seit 1950 gibt es keine offizielle Statistik
der Kirchenzugehörigkeit). Aus diesen 2 Millionen nahmen maximal 500.000
Katholiken regelmäßig an den Sonntagsgottesdiensten Teil. Unter ihnen ist die
Mehrheit der Senioren, am zweiten Stelle sind die Kinder bis 15 Jahre und am
wenigsten ist die Mittelgeneration vertreten.
Doch diese Zahlen sind auf dem Gebiet der Tschechischen Repubik nicht
flächendeckend gleich geteilt. Umgekehrt: die Mehrheit der aktiven Christen lebt in
den ländlichen Ostregionen des Landes (Südmähren), während im Sudetenland, d.h.
im Gebiet der Grenzgebirge, das über viele Jahrhunderte bis zum Jahr 1945 von den
Deutschen besiedelt wurde, geht in die Kirche fast niemand – wortwörtlich von 0 bis
15 Messbesucher an den Sonntagen. Eine spezielle Situation bildet sich in den
großen Städten über 100.000 Einwohner. Dort gehen in die Kirche viele Menschen
mit einem höheren Schulabschluss, nicht selten diejenige, die selbst einen Weg zur
Kirche über Jahre suchten und schließlich auch fanden.
Ein Landpfarrer im Sudetengebiet ist üblicherweise ein Mann über 50, der drei
Pfarreien mit 5 bis 10 Kirchengebäuden zu versorgen hat, in denen insgesamt nicht
mehr als 100 „Treuen“ die Sonntagsmesse besuchen. Dieser Pfarrer lebt oft alleine
in einem großen kalten Barockpfarrhaus. An Sonntagen halten die Pfarrer
gewöhnlich drei bis vier Gottesdienste; darüber hinaus noch einen am
Samstagabend. Zwischen den 5 Gotteshäusern pendelt der Pfarrer am Wochenende
mit dem eigenen Auto. Eigentlich nur in der Gemeinde, wo ein Pfarrer lebt, gibt es
irgendein Pfarrleben. In den Filialkirchen oder den sog. Excurrendo-Pfarreien findet
außerhalb der Sonntagsmesse oft keine Andacht oder kirchliche Veranstaltung statt.
In solchen Pfarreien findet man üblicherweise von 5 bis 20 Kinder und Jugendliche,
die an den Gottesdiensten teil nehmen. Wie kann eine solche Pfarrgemeinde Kinder
und Jugendliche begleiten? Wie kann der Pfarrer diese „bunte Gruppe“ ansprechen
und zusammenführen? In 70er und 80er Jahren tat man es durch die kleinen
Gruppen – „kleinen Gemeinschaften“, die sich oft an einen Drittorden oder an eine
geistliche Bewegung angeschlossen haben. Die ältere Generation sieht in den
geistlichen Bewegungen – sowie Herr Kardinal Schönborn – immer noch die
Hoffnung auf eine Kirchenerneuerung. Doch die junge Generation hat immer weniger
Interesse, sich mit anderen Jugendlichen zu treffen, nur weil sie „gläubig“ sind.
Kinder und Jugendliche spüren kaum eine Verbindung untereinander nur auf Grund
des gemeinsamen Glaubens und noch weniger auf Grund der Zugehörigkeit zur
Pfarre oder Diözese – darum wird oft das regelmäßige Palmsonntagtreffen der
„Diözesanjugend“ mit ihrem Bischof zu einem peinlichen Fiasko: in Budweiser
Diözese treffen sich maximal 200 Jugendliche mit Bischof zusammen, obwohl an den
Gottesdiensten in den Pfarreien nehmen sicher mehr aus 1000 Teil.
Trotzdem ist die Gruppenarbeit mit den christlichen Kindern und Jugendlichen ein
richtiger Weg. Doch der Inhalt muss angemessen werden! Das „gemütliche
Beisammensein“ ist ein zu kleines Motiv für das Zusammenhalten einer christlichen
Gruppe. Das Gemeinschaftsgefühl erleben die Jugendlichen besser und einfacher
unter den Gleichaltrigen in den natürlichen Cliquen, bei den Kameraden, in den
Klubs und auf der Straße.

Kinderfreundliche und jugendunfreundliche Gemeinden


Die Tatsache, dass die Mehrheit der Gottesdienstbesucher im Alter von 50 bis 80 ist,
ändert nichts daran, dass die Kinder (wenn sie sich „anständig verhalten“) in der
Gemeinde willkommen sind. Das aber gilt nicht so einfach für die Jugendliche und
überhaupt nicht für die Jugendliche, die „anders“ sind: vor einigen Monaten wurde
ein Teil der tschechischen Katholiken durch einen Selbstmord einen
heranwachsenden homosexuell orientierten Jungen erschüttert. Der Junge hinterließ
einen Abschiedsbrief, in denen er über seine Frustration vom Nicht-Aufgenommen-
Werden in der Gemeinde berichtet. Zu den Ursachen dieses Selbstmords muss man
auch unsensible Äußerungen des Pfarrers über die Homosexuellen rechnen, die
sogar auch noch beim Begräbnis dieses Jungen wiederholen wurden!
Anders gesagt: die traditionellen Christen mögen Jugendliche nur in dem Fall, wenn
sie genau nach den Grundsätzen und Vorstellungen der Älteren leben, wenn sie eine
geschlossene Subkultur bilden. Es gibt solche Jugendliche – das sind die Teilnehmer
der Weltjugendtage, die Aktivisten der Diözesanjugend, die unkritischen Anhänger
der geistlichen Bewegungen oder einzelner Jugendpfarrer.
Wo bleibt aber der Rest der christlich erzogenen Jugendlichen? Haben sie eine
Chance ihren Glauben zu entdecken, entfalten und reifen lassen? Wo gibt es diese
Möglichkeiten?

Mündige Christen?
Diese Sprachwendung kennt die tschechische Sprache nicht. Ich fürchte aber, dass
auch die tschechische katholische Hierarchie eine ziemlich große Sympathie für die
unkritische Begeisterung der „großen Unmündigen“ als für eine belastend kritische
Mündigkeit einiger „muten Außenseiter“ hätte.
Seit 15 Jahren sind auch meine kritischen Bemerkungen zur offiziellen
Jugendpastoral der Tschechischen Bischofskonferenz von ihren Vertretern als
„ungesund kritisch“ bezeichnet und disqualifiziert.
Das Heranreifen im Glauben kann aber nur in der Atmosphäre der Freiheit und des
Gedankenaustausches stattfinden. Und die jungen Christen spüren es sehr gut: vor 9
Jahren habe ich zusammen mit Frau Dr. Maria Widl aus Erfurt ein Seminar für
unsere Studierenden und die Studierenden aus Erfurt organisiert. Im Rahmen dieses
Seminars haben wir eine kleine qualitative Untersuchung durchgeführt: Wir haben in
12 Einzelgesprächen – Leitfadeninterviews – Bewertungen der kirchlichen Lehre und
Praxis seitens der Befragten jungen Erwachsenen gesucht. Ich möchte Ihnen aus
den Ergebnissen zitieren:
„Aus dem Vergleich der Äußerungen unserer Befragten ergibt sich, dass die
Jugendlichen sehr häufig Probleme mit der Haltung und den Äußerungen kirchlicher
Repräsentanten haben, soweit die kirchliche Autorität die christliche Lehre in direktiver
und vereinfachter Weise vorlegt, die zudem mit wenig überzeugenden und einseitigen
Argumenten verbunden ist (4). Zu dieser Gruppe können wir auch die negativen
Reaktionen der Befragten auf die rigorose Haltung der Kirchenvertreter gegenüber den
Christen zählen, die die kirchlichen Grundsätze nicht wörtlich erfüllen und den Befragten,
die das Gefühl haben, dass die Kirche zu wenig zur Freiheit erzieht (2).
Als Beispiel können wir die Meinung einer Befragten anführen:
„Ich denke mir ..., dass die Kirche insgesamt viel offener sein sollte. Und sie sollte nicht
so dogmatisch sein, weil die Leute jetzt nicht mehr so viel auf sie hören, wie vielleicht
vorher. Ich denke, dass ... es furchtbar wichtig ist, Regeln zu setzen ..., aber gleichzeitig
die Leute quasi in Freiheit entscheiden zu lassen ... Und da denke ich mir eher, dass ...
von den Kanzeln eher so etwas donnern sollte: Bewahrt euch einfach euer Gewissen und
so eine Art menschliche Freizügigkeit und die Freiheit. Manchmal habe ich das Gefühl,
die Kirche benimmt sich ziemlich stiefmütterlich ... denen etwa gegenüber, die sich
versündigt haben, nicht wahr, verweigert sie den Zutritt zu den Sakramenten und so,
anstatt dass sie also wirklich offene Arme hätte ...“
Von den konkreten ethischen Fragen, in denen sich die Menschen von der offiziellen
Kirchenmeinung entfernen, muss die Problematik der Sexualmoral angeführt werden (3)
und der Bioethik, konkret die Haltung der Kirche zu künstlicher Befruchtung (1):
„Es stimmt, dass ich mit vielen Meinungen der katholischen Kirche nicht einverstanden
bin. Ein konkretes Beispiel ist die Hetze der katholischen Kirche gegen das Gesetz zur
eingeschriebenen Partnerschaft. Oder es gefällt mir überhaupt nicht, wie die Leute in den
katholischen Zeitungen über das Thema der künstlichen Befruchtung diskutieren, womit
ich überhaupt nicht einverstanden bin, weil die Leute so viel durchleiden, wenn das die
letzte Chance ist, dann verurteile ich sie nicht dafür, eher im Gegenteil.“
Die letzte Gruppe der kritischen Bemerkungen betrifft das Leben im Inneren der
Kirche - seine Regeln und die Lebensäußerungen in der Kirche - vom Zölibat bis zu den
Protesten gegen den Film „Da Vinci Code“ (3):
„Der Zölibat ist so ... schreckt viele Leute davon ab. Ich sage nicht etwa, Zölibat
abschaffen, aber es müsste nicht ganz von der Hand sein, wenn am Anfang des Dienstes
sich der Priester freiwillig entscheiden könnte. Wenn er sagen würde: Ja, ich verpflichte
mich zu diesem Zölibat, den Zölibat will ich einhalten, oder er würde sich dazu nicht
verpflichten... und er könnte, sagen wir, ein Eheleben führen.“
Die drei angeführten Kritikbereiche der Lehre und der offiziellen Praxis sind auf den
ersten Blick nicht überraschend. Dennoch ist interessant, dass sich die Kritik am
Verhältnis der Kirche zur Freiheit in unserem untersuchten Beispiel so deutlich zeigt.
Die angeführten Ergebnisse können uns zu einer Hypothese, die in Zukunft Grundlage
einer repräsentativen Befragung sein könnte, führen:
Auch viele junge aktive Gläubige sind sehr empfindlich gegenüber allen Anzeichen
von Manipulation und Beschränkung der persönlichen Freiheit. Als Manipulation nehmen
sie direktive Forderungen, gegebenenfalls Verbote bestimmter Haltungen von Seiten der
offiziellen Kirche wahr. Zu den problematischen Fragen gehört auch die Problematik der
Sexualmoral und der innerkirchlichen Kommunikation und Disziplin.“
Soweit ein Zitat aus den Ergebnissen einer älteren Untersuchung. Einige Jahre
danach wollte ich mit einem Doktoranden diese Themen in einer repräsentativen
Forschung untersuchen, doch es mangelte uns an Geld und Zeit (man müsste insg.
900 Leute in 90 Pfarreien befragen); darum haben wir nur diese „Momentaufnahme“
aus dem Jahre 2006. Doch die kritische Einstellung der jungen Christen gegenüber
„ihrer Kirche“ geht nicht ab. Gleichzeitig aber steigt der Zahl denen, die in der
Religion eine existenzielle Stütze suchen und daher halten sie an den traditionellen
Frömmigkeitspraktiken fest und jeden „liberalen Wind“ als eine Glaubensgefahr
streng ablehnen. Es handelt sich um eine Polarisierung innerhalb der Kirche, die auf
gleiche Weise auch in Österreich verläuft.

Meine Absicht bei allen grenzüberschreitenden Treffen der Christen oder Theologen
ist eine gemeinsame Basis zu entdecken, gemeinsame Trends und gemeinsame
Probleme zu nennen, die uns veranlassen, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln
und einen gemeinsamen Weg (ich traue mir zu sagen, einen gemeinsamen Weg der
Neuevangelisierung – im Sinne von Papst Franziskus) zu gehen.
Ich würde gerne Ihre Fragen beantworten und so die Gemeinsamkeiten und
Unterschiede der Lebenssituationen der Kinder und Jugendliche in Österreich und
Tschechien besser zu identifizieren. Ich möchte auch in diesem Seminar eine
„suchende Gemeinschaft“ (community of inquiery) erleben.

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