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2019 Historischer Rückblick - Ruhrverband

Die Entwicklung der Abwasserreinigung


Wo Menschen leben, entsteht Abwasser.
Schon die Hochkulturen im vorderen Orient
und in China befassten sich daher mit dem
Problem der Abwasserbeseitigung und
bauten Entwässerungsanlagen, um das
schmutzige Wasser aus ihren Städten zu
leiten. Mit dem Bau des ausgedehnten
Kanalisationssystems im alten Rom, dessen
zentrales Element die Cloaca maxima aus
dem 5. Jahrhundert v. Chr. bildete, erreichte
die Abwasserentsorgung im Altertum ihren
Höhepunkt. Mit dem Untergang des
Römischen Reichs ging dieses Wissen
jedoch verloren. Im Mittelalter versanken
die Städte buchstäblich im Kot. Die
weitverbreitete Praxis, den häuslichen Unrat
einfach in der Gosse zu entsorgen, führte
wiederholt zu schweren Epidemien. Im 19.
Jahrhundert verschärfte die industrielle
Revolution das Abwasserproblem – nicht
nur, weil die explosionsartig anwachsenden
Städte bisher ungeahnte Abwassermengen
produzierten, sondern auch, weil dieses
Abwasser erstmals in der
Menschheitsgeschichte in großem Maß auch
giftige Rückstände aus industriellen Prozessen enthielt. Im Ballungsraum Ruhrgebiet
führten diese existenziellen Probleme beispielsweise 1913 zur Gründung des
Ruhrverbands.

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In England, dem Mutterland der Industrialisierung, wurde bereits 1876 mit dem
Rivers Pollution Prevention Act das erste zusammenhängende Gesetzeswerk zur
Abwasserreinigung geschaffen. Zu Beginn wurden natürliche Verrieselungsverfahren
bevorzugt, die später zu den künstlichen biologischen Verfahren weiterentwickelt
wurden. Bei der Verrieselung stand dabei auch der Gedanke einer Düngung der Böden
im Vordergrund. Die bewusste Ausnutzung der Selbstreinigungskräfte der Gewässer
zählte ebenso zu den natürlichen Verfahren. So nannte man in Nordamerika die
Abwassereinleitung in ein Gewässer „Reinigung durch Verdünnung“.

Mechanische Reinigungsverfahren

Um die Wende zum 20. Jahrhundert entwickelte sich die mechanische


Abwasserreinigung, die sich vor allem in Deutschland durchsetzte. Hauptziel hierbei
war eine ästhetische Reinigung des Abwassers vor dessen Einleitung in ein Gewässer.
Zu den mechanischen Verfahren zählt der Einsatz von Rechen, die nach dem Prinzip
eines Siebs bzw. einer Harke funktionieren und grobe Schmutzstoffe aus dem Wasser
entfernen.

Ein weiteres mechanisches Verfahren ist der Einsatz von Sandfängen, um die
besonders bei Regen mitgeführten mineralischen Stoffe abzufangen. Die ältesten
Sandfangkonstruktionen waren einfache rechteckige oder runde Vertiefungen, die
meist mit einem starken Sohlgefälle ausgestattet waren, was die Ausräumung der
Sinkstoffe (zuerst manuell mit Gefäßen, später mit Laufkränen oder Greifbaggern)
erleichterte. Der Essener (Lang-)Sandfang ist eine Weiterentwicklung der ersten
Beckenanlagen. Hier wird der Absetzvorgang mit einer Verringerung der
Fließgeschwindigkeit durch eine Erweiterung des Querschnittes der Absetzrinne
erzielt. Das Konzept des Tiefsandfangs mit vertikalem Durchfluss wurde in den
1930er-Jahren entwickelt. Aufgrund der mangelhaften Rückhaltung von Feinsand
werden Tiefsandfänge heute nicht mehr eingesetzt. Relativ neu ist der belüftete
Sandfang, der um etwa 1950 bis 1960 entwickelt wurde.

Absetzbecken, in denen die


Fließgeschwindigkeit so weit reduziert wird,
dass sich Schwebstoffe am Boden absetzen
können, waren schon bei den alten
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Kulturvölkern bekannt. In England wurden


seit 1850 rechteckige Absetzbecken
intermittierend betrieben, d. h. zur
Schlammausräumung musste der
Abwasserzufluss gestoppt werden. Im
ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts
stellten Untersuchungen, wie sich
Schlammmenge und -zusammensetzung
mit der Durchflussgeschwindigkeit ändern,
das Absetzverfahren auf eine
wissenschaftliche Grundlage. Als Folge
dieser Untersuchungen konnten die
Abmessungen für Absetzbecken drastisch
reduziert werden. Die Erfindung der
sogenannten Fidlerschen Spirale, eines
Schlammkratzers für kreisförmige Becken,
markierte den Beginn der Entwicklung
verschiedener Räumgeräte zum Entfernen
des Schlamms.

Ein ganz anderer Ansatz wurde ab etwa


1880 mit Klärbrunnen wie dem so
genannten Dortmundbrunnen verfolgt. Sie
wurden mit dem Ziel eines kontinuierlichen
Abwasserzuflusses konstruiert, zur Schlammausräumung musste das Becken also
nicht geleert werden. Eine Weiterentwicklung der Brunnen sind die Trichterbecken, die
ebenfalls vertikal durchströmt werden. Die Trichterbecken eignen sich gut für die
Klärung von Flockenschlämmen, also bei Fällungsverfahren, oder für die
Nachreinigung bei biologischen Reinigungsstufen. In diesen Prozessen werden
ähnliche Konstruktionen bis heute eingesetzt.

Da Absetzbecken und Klärbrunnen mit hohen Gründungskosten tief in die Erde


hineingebaut werden müssen, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts auch mit
oberirdischen Klärtürmen und Klärkesseln experimentiert.

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Ein Problem, mit dem sich die Pioniere der Abwasserreinigung auseinandersetzen
mussten, waren die im Schlamm einsetzenden Faulungsprozesse, da sie die weitere
Absetzung und eine eventuell nachgeschaltete biologische Reinigung erschweren. Der
amerikanische Chemiker Clark entwickelte daher den Gedanken, Absetz- und
Faulprozess räumlich zu trennen. 1903 wurde die Idee im sogenannten Travisbecken
erstmals in Ansätzen realisiert, und 1906 gelang es Karl Imhoff, beide Prozesse
tatsächlich getrennt in einem zweistöckigen Bauwerk ablaufen zu lassen. Das von ihm
konstruierte Becken wurde erstmals von der Emschergenossenschaft eingesetzt und
daher in der Folgezeit landläufig als „Emscherbrunnen“ bekannt. Dank ihrer einfachen
Konstruktion und des günstigen Betriebs kamen die Emscherbrunnen bald
flächendeckend zum Einsatz.

BiologischeReinigungsverfahren

Am Anfang der biologischen


Abwasserreinigung standen natürliche
Verfahren wie die Landbehandlung, also das
weiträumige Aufbringen auf
landwirtschaftlichen Flächen, oder das
Auffangen in Abwasserteichen. Diese
Reinigungsverfahren verfolgten neben dem
Zweck der Abwasserreinigung häufig auch
noch wirtschaftliche Ziele. Man wollte die
Nährstoffe des Abwassers für die
Landwirtschaft nutzbar machen oder die in den Abwasserfischteichen lebenden Fische
verkaufen.

Im Lauf der Zeit entstanden aus diesen natürlichen Verfahren künstliche biologische
Verfahren wie Tropfkörper, Tauchkörper und schließlich das Belebtschlammverfahren.
Diese Weiterentwicklung der natürlichen biologischen Prozesse war notwendig, da in
den Ballungsräumen bald nicht mehr genügend Freiflächen vorhanden waren, um die
flächenintensiven Rieselfelder oder Abwasserteiche anzulegen.

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Das Belebtschlammverfahren wurde 1912 in


Boston entwickelt. Es ahmte die im Fluss
ablaufenden Vorgänge der biologischen
Selbstreinigung am stärksten nach. Im sogenannten belebten Schlamm wurden die
Organismen, die auch in der Natur für die Reinigung verantwortlich sind,
angereichert. Um einen Mangel an Sauerstoff zu verhindern, musste ständig Luft
eingeblasen werden. Die Reinigungsleistung des Belebtschlammverfahrens war im
Vergleich zu den anderen biologischen Verfahren recht hoch.

Die erste biologische Kläranlage auf dem


europäischen Kontinent, die nach dem
Belebtschlammverfahren arbeitete, war die
Kläranlage Essen-Rellinghausen. Karl Imhoff
brachte hier dieses neue Verfahren zur
Anwendungsreife.

Die Kläranlage Rellinghausen war 1912 von


der Stadt Essen gebaut und 1914 vom
Ruhrverband übernommen worden.
Ursprünglich erfolgte die Reinigung auf der
für 22.000 Einwohner ausgelegten Anlage mit Emscherbrunnen. Deren
Reinigungsleistung reichte jedoch bereits Anfang der 1920er-Jahre nicht mehr aus, da
das in Rellinghausen gereinigte Wasser in der Nähe des städtischen
Wassergewinnungsgeländes in die Ruhr eingeleitet wurde. Im Mai 1925 begannen
daher die Bauarbeiten für eine große Schlammbelebungsanlage. Die neue Anlage war
für 45.000 Einwohner ausgelegt, also mehr als doppelt so groß wie die ursprüngliche
Emscherbrunnen-Anlage. Zudem wurde wegen der Grubenwässer des Bergbaus das
Vierfache des damals üblichen Abwasseranfalls veranschlagt, nämlich 600 Liter pro
Einwohner und Tag. Im Dezember 1925 ging die erste Belebtschlammkläranlage auf
dem europäischen Festland in Betrieb. Sie wurde im Jahr 2005 nach der Fertigstellung
der Kläranlage Essen-Süd stillgelegt.

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Chemische Abwasserreinigung durch


Fällung

Die Verfahren der chemischen Fällung


gehören zu den ältesten Verfahren in der
Abwasserreinigung. 1872 gab es in
Birmingham die erste Anlage, in der
Abwasser mit Kalk gereinigt wurde. Die
chemische Fällung erlebte ihre Blütezeit
zwischen 1880 und 1890 in England, wo es
rund 200 Anlagen dieser Art gab, und in
Amerika. Bei der chemischen Fällung wurden die gelösten Stoffe mittels Zugabe
chemischer Verbindungen ausgefällt und in Absetzbecken mit dem Schlamm entfernt.
Meist wurden Kalk, Aluminium- und Eisensalze benutzt. Da die Verfahren jedoch mit
einigen Schwierigkeiten und hohen Kosten verbunden waren, wurden sie ab 1890 fast
völlig von den biologischen Verfahren verdrängt.

Heute werden chemische Verfahren überwiegend nur noch zur Entfernung von
Phosphatverbindungen genutzt, wie sie bspw. in Waschmitteln zu finden sind.

Verfahren zur Schlammbehandlung

Ganz gleich ob mechanisch, biologisch oder chemisch: Bei jeder Form der
Abwasserreinigung fällt Schlamm an, der behandelt und entsorgt werden muss.

Erste Formen der Schlammbehandlung


bestanden in der Anlegung von
Schlammteichen und Schlammgräben. Die
frisch ausgehobenen Schlammgräben
wurden mit flüssigem Schlamm gefüllt und
danach wieder mit Erde bedeckt. Der
Schlamm konnte entwässern und wurde von
Bodenorganismen abgebaut. Bei

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ausgefaultem Schlamm konnte auf die


Überdeckung verzichtet und die
Beschickung beschleunigt werden.

Während die Schlammgräben vor allem für


Rechengutanfall Verwendung fanden, wurde
der Feinschlamm der Absetzbecken
hauptsächlich in Schlammteichen entsorgt.
Dies waren natürliche oder künstliche
Erdbecken, in die der flüssige Schlamm
gepumpt wurde, um ihn trocknen und
ausfaulen zu lassen. Der Nachteil von Teichen und Gräben bestand im großen
Raumbedarf und der großen Geruchsbelästigung.

Um das Problem der Geruchsbelästigung durch nassen, nicht ausgefaulten


Klärschlamm in Griff zu bekommen, wurden verschiedene Verfahren der
Schlammentwässerung entwickelt. Daher wurden schon um 1880 Filterpressen
eingesetzt, die dem Schlamm mittels starker Druckeinwirkung das Wasser entzogen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Verfahren zur Verbesserung der
Entwässerungseigenschaften weiterentwickelt. Die Schlammeindickung bewirkte eine
Erhöhung des Feststoffgehalts durch statische Eindickung oder maschinelle
Zentrifugeneindickung. Die Schlammkonditionierung sollte die
Entwässerungseigenschaften des Schlammes durch Zugabe von Fällungs- und
Flockungsmitteln oder durch Wärmebehandlung verbessern. Mit der heute noch
überall weit sichtbaren Schlammstabilisierung in großen eiförmigen Faultürmen
werden vor allem organische Schlamminhaltsstoffe und geruchsbildende Inhaltsstoffe
abgebaut und der Schlamm in seinen hygienischen Eigenschaften verbessert.

Weitere Links

Historische Sammlung des Ruhrverbands

Film der historischen Kläranlagen Essen-Rellinghausen

Downloads
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