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2 Motto

Die Ringparabel
Gotthold Ephraim Lessing

Vor grauen Jahren lebt’ ein Mann in Osten, des Ringes Vorrecht einmal zu genießen. –
der einen Ring von unschätzbarem Wert aus Wie nicht minder wahr! – Der Vater, beteu’rte
lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal, jeder, könne gegen ihn nicht falsch gewesen
der hundert schöne Farben spielte und hatte sein; und eh’ er dieses von ihm, von einem
die geheime Kraft, vor Gott und Menschen solchen lieben Vater argwohnen lass’: eh’
angenehm zu machen, wer in dieser Zuver- müss’ er seine Brüder, so gern er sonst von ih-
sicht ihn trug. Was Wunder, dass ihn der nen nur das Beste bereit zu glauben sei, des
Mann in Osten darum nie vom Finger ließ; falschen Spiels bezeihen; und er wolle die
und die Verfügung traf, auf ewig ihn bei sei- Verräter schon auszufinden wissen, sich
nem Hause zu erhalten? Nämlich so. Er ließ schon rächen. Der Richter sprach: wenn ihr
den Ring von seinen Söhnen dem geliebte- mir nun den Vater nicht bald zur Stelle
sten; und setzte fest, dass dieser wiederum der schafft, so weis’ ich euch von meinem Stuhle.
Ring von seinen Söhnen dem vermache, der Denkt ihr, dass ich Rätsel zu lösen da bin?
ihm der liebste sei; und stets der liebste, ohn’ Oder harret ihr, bis dass der rechte Ring den
Ansehn der Geburt, in Kraft allein des Rings, Mund eröffne? – Doch halt! Ich höre ja, der
das Haupt, der Fürst des Hauses werde. rechte Ring besitzt die Wunderkraft beliebt zu
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, machen; vor Gott und Menschen angenehm.
auf einen Vater endlich von drei Söhnen; die Das muss entscheiden! Denn die falschen
alle drei ihm gleich gehorsam waren, die alle Ringe werden das doch nicht können! – Nun;
drei er folglich gleich zu lieben sich nicht ent- wen lieben zwei von euch am meisten? –
brechen konnte. Nur von Zeit zu Zeit schien Macht, sagt an! Ihr schweigt? Die Ringe wir-
ihm bald der, bald dieser, bald der dritte, – so ken nur zurück und nicht nach außen? Jeder
wie jeder sich mit ihm allein befand, und sein liebt sich selber nur am meisten? – O so seid
ergießend Herz die andern zwei nicht teilten, ihr alle drei betrogene Betrieger! Eure Ringe
– würdiger des Ringes; den er denn auch ei- sind alle drei nicht echt. Der echte Ring ver-
nem jeden die fromme Schwachheit hatte, zu mutlich ging verloren. Den Verlust zu bergen,
versprechen. Das ging nun so, so lang es ging. zu ersetzen, ließ der Vater die drei für einen
– Allein es kam zum Sterben, und der gute machen. Und also; fuhr der Richter fort, wenn
Vater kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihr nicht meinen Rat, statt meines Spruches,
ihn, zwei von seinen Söhnen, die sich auf sein wollt: Geht nur! – Mein Rat ist aber der: ihr
Wort verlassen, so zu kränken. – Was zu tun? nehmt die Sache völlig wie sie liegt. Hat von
– Er sendet in geheim zu einem Künstler, bei euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So
dem er, nach dem Muster seines Ringes, zwei glaube jeder sicher seinen Ring den echten. –
andere bestellt, und weder Kosten noch Mühe Möglich, dass der Vater nun die Tyrannei des
sparen heißt, sie jenem gleich, vollkommen Einen Rings nicht länger in seinem Hause dul-
gleich zu machen. Das gelingt dem Künstler. den wollen! – Und gewiss; dass er euch alle
Da er ihm die Ringe bringt, kann selbst der drei geliebt, und gleich geliebt: indem er zwei
Vater seinen Musterring nicht unterscheiden. nicht drücken mögen, um einen zu begünsti-
Froh und freudig ruft er seine Söhne, jeden ins gen. – Wohlan! Es eifre jeder seiner unbe-
besondre; gibt jedem ins besondre seinen Se- stochnen von Vorurteilen freien Liebe nach!
gen, – und seinen Ring, – und stirbt. Es strebe von euch jeder um die Wette, die
Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder Kraft des Steins in seinem Ring’ an Tag zu le-
mit seinem Ring’, und jeder will der Fürst des gen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit
Hauses sein. Man untersucht, man zankt, man herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit
klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht er- innigster Ergebenheit in Gott, zu Hülf’! Und
weislich. Fast so unerweislich, als uns itzt – wenn sich dann der Steine Kräfte bei euern
der rechte Glaube. Wie gesagt: die Söhne ver- Kindes-Kindeskindern äußern: So lad’ ich
klagten sich; und jeder schwur dem Richter, über tausend tausend Jahre, sie wiederum vor
unmittelbar aus seines Vaters Hand den Ring diesen Stuhl. Da wird ein weisrer Mann auf
zu haben. – Wie auch wahr! – Nachdem er diesem Stuhle sitzen, als ich; und sprechen.
von ihm lange das Versprechen schon gehabt, Geht! – So sagte der bescheidne Richter.

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