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Marc Stegherr · Kerstin Liesem

Die Medien in Osteuropa


Marc Stegherr · Kerstin Liesem

Die Medien
in Osteuropa
Mediensysteme im
Transformationsprozess
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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1. Auflage 2010

Alle Rechte vorbehalten


© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

Lektorat: Barbara Emig-Roller

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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg


Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany

ISBN 978-3-531-17482-2
Inhalt

Vorwort .................................................................................................................................9

A Die Medien in Osteuropa – eine Erfolgsgeschichte? .........................................11


1. Der Einfluss westlicher Medienhäuser...................................................................18
2. Sparten-und Minderheiten-Medien in Osteuropa...................................................21

B Die Medien in Südosteuropa ...............................................................................25


1. Serbien: Zwischen Miloševi und Marktwirtschaft ...............................................29
1.1 Die serbischen Medien und das Wendejahr 2000.........................................31
1.2 Bedrängung der Medienfreiheit....................................................................37
1.3 Radio B92: Mit Multimedia gegen Miloševi ..............................................41
1.4 Streit um Rundfunkgesetze ..........................................................................43
1.5 Die älteste Zeitung Serbiens und ihre Nachfahren .......................................46
1.6 Öffentlich-rechtliches und privates Fernsehen und Radio............................52
1.7 Die Nachrichtenagenturen Serbiens .............................................................54
2. Kosovo: die Medien als Motor der Unabhängigkeit ..............................................56
2.1 Kosovos Medien und die Unabhängigkeit....................................................59
2.2 Morddrohungen und Spionagevorwürfe – „Life in Kosovo“ .......................61
2.3 Medienfreiheit im Kosovo: Opfer „höherer Interessen“?.............................63
3. Das Mediensystem in Montenegro ........................................................................67
3.1 Die Entwicklung der Medien........................................................................68
3.2 Die Medienlandschaft...................................................................................70
3.3 Zeitungen und Zeitschriften .........................................................................72
3.4 Rundfunk und Fernsehen in Montenegro .....................................................73
3.5 Nachrichtenagenturen und Online-Medien ..................................................74
3.6 Ein besonderer Fall: Fernsehen im Sandžak.................................................75
4. Kroatien: Pressefreiheit zwischen Tudjman und Pavi..........................................77
4.1 Die kroatischen Medien nach der Unabhängigkeit.......................................79
4.2 Der Umbruch der Medienlandschaft nach der Tudjman-Ära .......................83
4.3 Der kroatische Medienmogul Ninoslav Pavi ..............................................85
4.4 Fernsehen, Rundfunk und Nachrichtenagenturen in Kroatien......................89
4.5 Das paradigmatische Schicksal eines Satire-Magazins ................................92
4.6 Bewegung auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt .................................95
5. Das Mediensystem Sloweniens: Zwang zur Uniformität.....................................100
5.1 Die Tages- und Wochenzeitungen..............................................................105
5.2 Fernsehen und Rundfunk............................................................................107
6. Bosnien und Herzegowina: Medien als Zankapfel der Ethnien ...........................113
6.1 Zeitungen und Zeitschriften .......................................................................116
6.2 Radio und Fernsehen ..................................................................................121
6.3 Ethnische Gräben in der Medienlandschaft Bosniens ................................126

5
7. Mazedonien: der umkämpfte Staat und seine Medien .........................................131
7.1 Die Lage der Medien in Mazedonien .........................................................135
7.2 Zeitungen und Zeitschriften in Mazedonien...............................................136
7.3 Radio und Fernsehen ..................................................................................138
8. Das Mediensystem in Bulgarien ..........................................................................144
8.1 Die Entwicklung der Medien nach 1989 ....................................................145
8.2 Der Westen kauft sich in den bulgarischen Medienmarkt ein ....................148
8.3 Radio und Fernsehen in Bulgarien .............................................................151
8.4 Zeitungen, Zeitschriften und Nachrichtenagenturen ..................................155
9. Albanien: der mediale Nachzügler.......................................................................159
9.1 Zeitungen und Zeitschriften in Albanien....................................................163
9.2 Fernsehen und Rundfunk in Albanien ........................................................166
10. Rumänien: Pressefreiheit gegen Marktmacht ......................................................169
10.1 Der Fall România Liber............................................................................173
10.2 Zeitungen, Zeitschriften und Nachrichtenagenturen ..................................176
10.3 Rundfunk und Fernsehen in Rumänien ......................................................182
10.4 Deutsche Zeitungen in Rumänien ..............................................................185
11. Die Medien in der Republik Moldau ...................................................................188

C Die Medien in Mittelosteuropa....................................................................................193


1. Die Tschechische Republik: Das Vorzeigeland in Sachen Medienfreiheit..........197
1.1 Die tschechischen Medien vor und nach der Wende..................................199
1.2 Tschechische Zeitungen und Zeitschriften .................................................203
1.3 Fernsehen und Rundfunk in der Tschechischen Republik..........................210
2. Slowakei: Die Medien und der Populismus .........................................................215
2.1 Die slowakischen Medien nach dem Ende des Kommunismus..................217
2.2 Zeitungen und Zeitschriften in der Slowakei..............................................218
2.3 Rundfunk und Fernsehen in der Slowakei..................................................221
3. Das polnische Mediensystem...............................................................................225
3.1 Der polnische Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt........................................227
3.2 „In den Krieg gegen Gazeta Wyborcza“ ....................................................230
3.3 Nationalkonservative Wende auf dem polnischen Zeitungsmarkt?............237
3.4 Katholischer Journalismus nach dem Regierungswechsel .........................242
3.5 Fernsehen und Rundfunk in Polen .............................................................244
3.6 Medien der Minderheiten in Polen .............................................................246
4. Ungarn: Medien zwischen Altkommunisten und Nationalisten...........................248
4.1 „Medienkriege“ und regierungs(un)freundliche Berichterstattung ............249
4.2 Die ungarische Medienlandschaft nach der Jahrtausendwende..................254
4.3 Die ungarische Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft ...............................258
4.4 Radio und Fernsehen in Ungarn .................................................................264
5. Die Mediensysteme in den Ländern des Baltikums .............................................268
5.1 Estland: junge Journalisten und russische Medien .....................................269
5.2 Die Entwicklung des estnischen Mediensystems .......................................273

6
5.3 Fernsehen und Rundfunk in Estland...........................................................274
5.4 Digitalisierung und Presseagenturen in Estland .........................................277
6. „Bunt und unkontrovers“ – die Medien in Lettland.............................................280
6.1 Die Zeitungsgeschichte Lettlands...............................................................283
6.2 Das Mediensystem Lettlands heute – Radio und Fernsehen ......................290
6.3 Zeitungen und Zeitschriften in Lettland .....................................................296
7. Das Mediensystem in Litauen..............................................................................298
7.1 Fernsehen und Rundfunk in Litauen ..........................................................300
7.2 Zeitungen und Zeitschriften in Litauen ......................................................301
7.3 Medien der polnischen Minderheit in Litauen............................................303

D Die Medien in Osteuropa .............................................................................................305


1. Medien in Russland: Perestrojka und ‚neue Sowjetisierung ................................308
1.1 Der Skandal um die Holding „Media Most“ ..............................................310
1.2 Informationsdiktatur und die Schere im Kopf ............................................312
1.3 Der russische Medienmarkt vor der Wende ...............................................314
1.4 Der Mordfall Anna Politkovskaja ..............................................................316
1.5 Die „Novaja Gazeta“ – die freie Stimme Russlands ..................................324
1.6 Mediale Uniformität im 21. Jahrhundert ....................................................326
1.7 „Russia Today“ und andere Inseln der Pressefreiheit.................................331
1.8 Fernsehen und Radio in Russland ..............................................................334
1.9 Die Komsomol’skaja Pravda und andere Zeitungen ..................................335
2. Das Mediensystem in der Ukraine .......................................................................338
2.1 Der Fall Gongadze als Wendepunkt...........................................................342
2.2 Protest gegen die politische Gängelung der Medien ..................................344
2.3 Die heutige Situation der Medien in der Ukraine.......................................347
2.4 Ukrainische Zeitungen und Zeitschriften ...................................................349
2.5 Fernsehen, Radio und Agenturen in der Ukraine .......................................351
2.6 Minderheiten- und Regionalmedien in der Ukraine ...................................354
3. Weissrussland: Knebelung der Medien................................................................356
3.1 Das Mediensystem Weißrusslands .............................................................360
3.2 Radio und Fernsehen in Weißrussland .......................................................364
Nachwort: Die Zukunft der Medien in Osteuropa ........................................................367
Quellenverzeichnis ...........................................................................................................369

Literaturverzeichnis.........................................................................................................373

7
Vorwort

Vor gut zwanzig Jahren rollte eine Welle des Protests über Osteuropa hinweg. Bis zum
Ende des Jahres 1989 hatte sie die kommunistischen Regierungen des damaligen Ostblocks
unter sich begraben. Im Juni gewann das „Bürgerkomitee Solidarno“ die polnischen Par-
lamentswahlen, im Oktober verabschiedete Ungarn eine bürgerliche Verfassung. Im No-
vember fiel die Berliner Mauer und das Regime in Bulgarien wurde gestürzt. Im Dezember
wurde der rumänische Diktator Ceauescu erschossen. Die Menschen hatten genug von
Diktatur und Unfreiheit. Heute, zwanzig Jahre später, gilt es innezuhalten und zu fragen:
Wie weit hat sich die Demokratie in den ehemaligen Ostblockstaaten entwickelt? Wie frei
sind die Medien? Diese Fragen sind eng miteinander verknüpft. Denn gerade die Situation
der Medien ist nach unserem Verständnis ein elementarer Maßstab dafür, wie hoch der
„Pegel der Demokratie“ steht.
Die Idee zu diesem Buch entstand, als wir ein Seminar zu den „Mediensystemen in Ost-
europa“ hielten. Dabei stellten wir fest, dass ein generalisierendes Urteil an der Realität
vorbeigeht. Eine Bestandsaufnahme der Entwicklung der Medien in Osteuropa seit der
Wende vom Kommunismus zur Demokratie zeigt ein von Land zu Land unterschiedliches
Bild. In Polen, der Tschechischen Republik, Ungarn, Slowenien und in den drei baltischen
Staaten hat die Pressefreiheit – trotz aller nicht unerheblichen Anfangsprobleme – beachtli-
che Fortschritte gemacht. In Südosteuropa steht dem Fortschritt unter anderem die ethni-
sche Zersplitterung entgegen, die das Schwarz-Weiß-Denken auch in den Medien fördert.
Aber auch dort sind erhebliche Unterschiede zwischen den 1990er Jahren und dem ersten
Jahrzehnt des neuen Jahrtausends festzustellen. Nicht anders als besorgniserregend ist die
Lage der Medien schließlich in den „Kernländern“ der ehemaligen Sowjetunion, in Russ-
land und Weißrussland, wobei man mit Blick auf die Ukraine nur hoffen kann, dass die
erfreulichen Entwicklungen der „Orangenen Revolution“ nicht unter der neuen Führung
zurückgedreht werden.
Dieses Buch soll einen Überblick über aktuelle Entwicklungen und Zukunftschancen
der Medien in allen Ländern Osteuropas geben. Wir hoffen, dass wir damit eine Lücke im
Diskurs über Osteuropa füllen können. Die Recherche hat in erster Linie Frau Dr. Liesem
übernommen. Soweit sie in den Sprachen der untersuchten Länder stattfand, lag sie in der
Hand von Herrn Dr. Stegherr, ebenso wie die Erstellung des Textes.
Ganz herzlich danken möchten wir Frau Dr. Eva-Maria Schmied für ihre Geduld und
für ihre technische Unterstützung. Unser Dank gilt ebenso unserer Lektorin, Frau Barbara
Emig-Roller.

Freising/Berlin, im Juni 2010

Dr. Marc Stegherr Dr. Kerstin Liesem

9
A Die Medien in Osteuropa – eine Erfolgsgeschichte?

Wenn man mit Zeitgenossen über Osteuropa im Allgemeinen und die Medien im Speziellen
spricht, hört man oft, dort sei es ja mit der Freiheit noch nicht so weit her. Dabei wird gerne
übersehen, dass es neben Russland, wo es um die Medienfreiheit tatsächlich nicht gut be-
stellt ist, durchaus auch Erfolgsgeschichten zu erzählen gibt, wenn es um die Entwicklung
der Medien in Osteuropa geht. Die Staaten Südosteuropas konnten sich nach den postkom-
munistischen Umwälzungen, nach Bürgerkrieg und autoritärer Herrschaft allmählich dem
doktrinären Erbe von Nationalismus und Meinungsdiktatur entwinden. Man könne heute
von einem Erfolg sprechen, wenn es um die Entwicklung der Medien auf dem Balkan geht,
meinte Aaron Rhodes, der für den „Stabilitätspakt für Südosteuropa“ eine Einschätzung der
letzten Jahre wagte1. Das Wichtigste, schrieb Rhodes, sei „die Glaubwürdigkeit der ange-
stammten unabhängigen Medien“ und es müsse alles getan werden, damit die Finanzierung
nicht aufgrund ideologischer Prämissen geschehe. Genau um diese beiden Punkte ist es in
den letzten Jahren in osteuropäischen Ländern extrem schlecht bestellt gewesen. Die Orga-
nisation „Reporter ohne Grenzen“ stellte in ihrem Jahresbericht für das Jahr 20072 fest, das
vergangene Jahr sei ein „besorgniserregendes Jahr“ gewesen, nicht nur in jenen Ländern,
die ohnehin im Verdacht stehen, nicht viel für die Pressefreiheit übrig zu haben, sondern
auch in den angeblich freien westlichen Ländern. Freiwillige, vorauseilende Selbstzensur
der Presse, die angeblich zu kritisch über den Islam berichtet hätte, wie im Falle des franzö-
sischen Philosophen Robert Redeker oder der Mohammed-Karikaturen des dänischen „Af-
tenposten“, standen neben schwerwiegenden Einschränkungen der Pressefreiheit von Seiten
des Staates in Russland, wo die berühmte Kreml-kritische Journalistin Anna Politkovskaja
am 7. Oktober 2006 vor ihrer Moskauer Wohnung ermordet worden war. Sie war mit Jev-
genji Gerasimenko und Ilja Zimin, Korrespondent des landesweiten Fernsehsenders NTV,
das dritte Opfer des Jahres 2006, und der 21. Journalist, der seit der Machtübernahme Pu-
tins im März 2000 gewaltsam ums Leben kam. Diese Entwicklung zeige, so „Reporter ohne
Grenzen“, wie schwer es den Staaten des ehemaligen Ostblocks falle, mit ihrer totalitären
Vergangenheit fertig zu werden.
Die Neigung zur direkten und indirekten Beeinflussung bis Knebelung der Presse ist
nach wie vor verbreitet, und viele Funktionäre, die sich aus der alten Zeit in die neue hin-
überretten konnten, finden neue, oft wirtschaftliche Wege, um ihre Meinung auf den Seiten
der Zeitungen und im Fernsehen wiederzufinden. In einer Rangliste, die „Reporter ohne
Grenzen“ in punkto Pressefreiheit alljährlich veröffentlicht, finden sich neben Tschechien,
der Slowakei, Ungarn und Slowenien auch Bosnien-Herzegowina auf den vorderen Plätzen,

1
Vgl. Rhodes, A.: Ten Years of Media Support to the Balkans. An Assessment. Published under the auspices of
Yasha Lange on behalf of the Stability Pact for South Eastern Europe. Amsterdam, Juni 2007
[www.pressnow.nl/upload/publications/mediasupport_Balkan.pdf].
2
Vgl.: www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/rte/docs/2007/rapport_en_md.pdf.

11
während Russland auf Platz 147, nach Ägypten und der Palästinensischen Autonomiebe-
hörde folgt. Nach Russland kommen nur noch Länder wie Libyen, der Irak, Vietnam, Pa-
kistan und Nordkorea. Daran hat sich bis heute sehr wenig geändert, wenn es auch hier und
dort in Russland mediale Courage gibt, die hoffen lässt. In den Ländern, in denen Demo-
kratisierung und Marktwirtschaft gut vorankommen, sei auch eine günstige Lage der Me-
dien festzustellen3. Vor allem aber im ehemaligen Jugoslawien sowie in der Slowakei war
es im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts mit der Pressefreiheit nicht weit her.
Am schlimmsten stellte sich die Lage unabhängiger Medien in vielen GUS-Staaten dar.
Eine Bestandsaufnahme der heutigen Situation der Medien in Mittel- und Osteuropa zeigt
ein von Land zu Land, vor allem aber zwischen bestimmten Ländergruppen sehr unter-
schiedliches Bild. In Polen, der Tschechischen Republik, Ungarn, Slowenien und in den
drei baltischen Staaten ist die Pressefreiheit nicht nur auf dem Papier, sondern auch de facto
weitestgehend gewährleistet. In Südosteuropa ist das Bild uneinheitlich, insgesamt jedoch
im Vergleich zu den vorgenannten Ländern schlechter. In Bulgarien, Rumänien und, in
Ansätzen, sogar in Albanien gab es nach den politischen Veränderungen neue Lichtblicke,
wobei vor allem in Bulgarien die unabhängigen Medien viel Spielraum gewannen. Bos-
nien-Herzegowina befand sich kriegsbedingt in einer Sondersituation; der mit westlicher
Hilfe unterstützte Aufbau unabhängiger Medien ging dort nur langsam voran. Schlimm
stand es bis zur Ablösung Miloševis und auch noch einige Zeit danach um die Pressefrei-
heit in Serbien, wo die wenigen regierungsunabhängigen Medien mit mehr oder weniger
subtilen Methoden drangsaliert wurden. Auch in Kroatien hatte die kritische Presse unter
der Regierung Präsident Tudjmans große Probleme.
Nicht anders als schlecht ist die Lage unabhängiger Medien in mehreren Ländern der
Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). In Weißrussland hat Diktator Aleksandr Lu-
kašenko die Gleichschaltung der Medien mehr oder weniger erreicht. In der Ukraine haben
regierungskritische Medien bis heute vor allem mit großen ökonomischen Problemen zu
kämpfen. Bis zur Orangenen Revolution, die positive Veränderungen mit sich brachte,
mussten sie ständig mit politischen Interventionen bzw. Schwierigkeiten seitens staatlicher
Behörden rechnen. In Russland, wo der medien-politische Umbruch in Osteuropa vor zehn
Jahren mit Glasnost‘ begann, war es um die Pressefreiheit zu Beginn der neunziger Jahre
des vergangenen Jahrhunderts besser bestellt als heute. Zwar findet sich dort immer noch
eine pluralistische Medienlandschaft, doch verbirgt sich dahinter eine zunehmende Kon-
zentration der Medienmacht in den Händen einiger mächtiger Finanzgruppen. Diese haben
seit 1995 den Medienmarkt unter sich aufgeteilt und kontrollieren damit die wichtigsten
Fernsehkanäle und Zeitungen. So erwarb zum Beispiel die „Most-Bank“ neben der angese-
henen Tageszeitung „Sevodnja“ mit „NTV“ den erfolgreichsten privaten Fernsehsender.
Boris Berezovskij, früherer Sekretär des russischen Sicherheitsrats, wurde durch den Kauf
größerer Anteile des staatlichen Fernsehsenders „ORT“, des wichtigsten Moskauer Fern-
sehsenders „TV 6“ und mehrerer Zeitungen zum wichtigsten Medienmogul – bevor er von
Putin entmachtet und ins Exil getrieben wurde, weil er sich politisch nicht unmissverständ-
lich zum damaligen Präsidenten bekennen wollte. Zur Gruppe einflussreicher Medienbesit-
zer gehörte Vladimir Potanin („Oneximbank“) mit dem Erwerb von Kontrollmehrheiten an
den großen überregionalen Zeitungen „Izvestija“ und „Komsomol’skaja Pravda“ (1,6 Mil-
lionen Auflage). Auch Gazprom mit seinem früheren Chef Viktor ernomyrdin mischte

3
Vgl. Pflaumer, G.: Medien im Wandel. Zur Lage der Pressefreiheit in Mittel-, Südost- und Osteuropa. In:
Internationale Politik, Juni 1998.

12
durch Kauf von Medienanteilen bzw. Patronage kräftig in diesem Geschäft mit. Dabei ging
es weniger um den zu erzielenden Gewinn als um eine Instrumentalisierung der Medien zu
politischer Einflussnahme.
Bei der Suche nach den Ursachen für die missliche Lage vor allem der regierungs-
unabhängigen Medien in den GUS-Staaten und in Teilen Südosteuropas stößt man immer
wieder auf Defizite bei den politischen, rechtlichen, ökonomischen und soziokulturellen
Rahmenbedingungen, von denen die Pressefreiheit abhängt. In autoritär-diktatorisch regier-
ten Ländern wie Weißrussland hat die Pressefreiheit schon von den politischen Rahmenbe-
dingungen her wenig Aussicht auf Erfolg. Die Medien, insbesondere Fernsehen und Radio,
werden wie zu kommunistischen Zeiten weitestgehend von der herrschenden Partei oder
Zensurbehörden kontrolliert und instrumentalisiert. Sie werden aus dem Staatshaushalt
finanziert, sind also wie früher wichtiges Herrschaftsinstrument. Die Direktoren und Chef-
redakteure wichtiger Sender und Printmedien werden von den Staats- bzw. Regierungschefs
persönlich ein- und abgesetzt. Eine unabhängige Gerichtsbarkeit, vor der sich die kleine
Minderheit kritischer Journalisten gegen behördliche Repressalien wehren könnte, gibt es
nicht. Die wenigen regierungsunabhängigen Medien, meist kleinere Zeitungen und Radio-
stationen mit nur lokalen Reichweiten, werden zum Teil mit üblen Methoden schikaniert
oder unterdrückt. Mitarbeiter werden immer wieder verhaftet. Sie werden wegen angebli-
cher Verletzung der Ehre und Würde von Regierungsmitgliedern, Verrat von Staatsgeheim-
nissen, staatsfeindlichem Verhalten oder Gefährdung der nationalen Sicherheit vor Gericht
gestellt, mit hohen Schadensersatzforderungen überzogen, verprügelt, ihr Leben wird be-
droht, sie werden als ausländische Agenten diffamiert. Redaktionen werden durch Roll-
kommandos verwüstet, Photographen werden ihrer Kameras beraubt oder diese zerstört, der
Zugang zu Regierungsinformationen wird verwehrt.
Da Druck und Vertrieb sowie Papierzuteilung nach wie vor häufig staatlich monopoli-
siert sind, haben unabhängige Zeitungen immer wieder Produktions- und Verteilungsprob-
leme, weshalb sie, und dies oft unregelmäßig, zumeist nur in Städten erscheinen können.
Die Folge ist, dass die Landbevölkerung über regierungskontrollierte Medien in der Regel
einseitig informiert wird. Sie kann kritische Informationen über ihre Regierung und über
die Lage ihres Landes allenfalls über ausländische Sender wie die „Deutsche Welle“, die
„BBC“, die „Voice of America“ und andere empfangen. Papier- und Strompreise sowie
Steuern werden willkürlich erhöht, Lizenzen werden ohne Begründung entzogen, Werbung
wird verboten. Es grenzt fast an ein Wunder, dass es in den genannten Ländern Journalisten
gibt, die sich unter diesen bis zur Gefährdung der physischen Existenz reichenden Bedin-
gungen nicht anpassen. Umso mehr bedürfen sie des Schutzes der internationalen Gemein-
schaft. Diese mehr oder minder subtilen Methoden der Einschränkung der Pressefreiheit
finden bzw. fanden sich – in differenzierter und zum Teil abgeschwächter Form – in GUS-
Staaten wie der Ukraine, Armenien und Georgien sowie in Albanien, Kroatien und der
Slowakei wieder. Und dies, obwohl dort von den rechtlichen Rahmenbedingungen her, zum
Beispiel den Verfassungen und Pressegesetzen, die Pressefreiheit weitgehend gewährleistet
erscheint. Einfallstore für Repressalien gegen kritische Journalisten bilden häufig besondere
Antiverleumdungs- oder Beleidigungs-gesetze und Verunglimpfungsbestimmungen in
Strafgesetzen, mit denen de facto Kritik an Staatspräsidenten oder Regierungsmitgliedern
zum Straftatbestand erhoben wird – eine bequeme Art, Kritiker mundtot zu machen. Auch
Registrierungspflichten für Medien oder die Einsetzung von staatlichen Kommissionen zur
Beaufsichtigung der Medien dienen als Repressionshebel.
Die schlechte Wirtschaftslage in fast allen GUS-Staaten und in den südosteuropäischen
Ländern bildet ein weiteres Hindernis für die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien. Ein

13
großer Teil der Menschen in diesen Ländern kann es sich finanziell nicht leisten, eine Zei-
tung zu kaufen. Auch der Anzeigenmarkt ist noch stark unterentwickelt; wenn überhaupt,
inserieren Geschäftsleute aus Angst vor behördlichen Repressalien in regierungstreuen
Medien. Dies hat zur Folge, dass sich vor allem unabhängige private Zeitungen und Radio-
sender aufgrund geringer Einnahmen finanziell kaum über Wasser halten können. Ihre
technische Ausrüstung ist oft veraltet, die Journalisten werden schlecht bezahlt. Manche
Zeitungen und Sender können nur dank westlicher Hilfe, insbesondere von Nichtregie-
rungsorganisationen wie der Soros-Stiftung, überleben. Viele regierungstreue Medien er-
halten staatliche Zuschüsse und begeben sich damit in zusätzliche Abhängigkeit. Auftrags-
und Verlautbarungsjournalismus, „Boulevardisierung“ sowie Selbstzensur sind deshalb an
der Tagesordnung. Schließlich gibt es Defizite im Professionalisierungsgrad, und vor allem
gute Journalisten sind aufgrund der miserablen Bezahlung bei privaten Medien nur schwer
zu halten. Dort arbeiten in der Mehrzahl jüngere Leute ohne qualifizierte Ausbildung.
Mängel im journalistischen Arbeiten, zum Beispiel in Recherche- und Interviewtechnik,
mangelnde Trennung von Nachricht und Kommentierung, beeinträchtigen das Niveau. Im
Verlagsmanagement und Marketing fehlt es häufig noch an Fachwissen. Ausbildungsdefizi-
te rühren auch daher, dass es zwar in allen ost- und südosteuropäischen Ländern an den
Universitäten journalistische Fakultäten gibt, dort aber nicht selten noch nach den alten
Curricula gelehrt und mit veralteten Lehrbüchern gearbeitet wird.
Pressefreiheit hat schließlich mit soziokulturellen Rahmenbedingungen zu tun. Wo aus
historischen, ideologischen oder kulturellen Gründen keinerlei Basis für die Herausbildung
eines demokratischen Bewusstseins in der Bevölkerung und damit für die Entwicklung
einer Zivilgesellschaft und einer politischen Kultur westlichen Musters vorhanden ist – und
dies ist vor allem in den meisten GUS-Staaten der Fall –, wird es auf absehbare Zeit am
notwendigen Nährboden für Pressefreiheit fehlen. Dort lassen sich die alten ideologischen
Strukturen und Traditionen auch im Medienbereich, für die die Medien nach wie vor als
Kampf-, Propaganda-, Desinformations- und Erziehungsmittel gelten, nicht von heute auf
morgen beseitigen. Zumal da einige Staats- und Regierungschefs und viele Mitglieder der
alten Eliten sich trotz ihrer Lippenbekenntnisse zur Demokratie von ihrer kommunistischen
Vergangenheit nicht wirklich getrennt haben und die Medien, insbesondere die elektroni-
schen, als willkommenes Herrschaftsinstrument einsetzen. Auf seiten der Bevölkerung gibt
es infolge der politischen, ökonomischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen – von
kleinen intellektuellen Minderheiten abgesehen – keine politisch relevante Gegenbewe-
gung, die für die Pressefreiheit kämpfte. Die Oppositions-parteien sind meistens klein,
zersplittert und infolge des ideologischen Vakuums programmatisch ungefestigt. Ähnliches
gilt für Journalistenverbände und Journalisten-gewerkschaften, obwohl es zum Beispiel in
Georgien, Armenien, der Ukraine und sogar Weißrussland Zusammenschlüsse unabhängi-
ger Journalisten gibt. Liberale Streitkultur und Kritik bzw. eine Kontrollfunktion der Me-
dien gegenüber der Staatsgewalt werden also noch lange auf sich warten lassen. Transfor-
mation auch im Medienbereich als unverzichtbares Element von Demokratieentwicklung
darf der internationalen Gemeinschaft nicht gleichgültig sein.
Stille Diplomatie behält durchaus ihren Stellenwert. In schwerwiegenden Fällen wie der
Schließung von Zeitungen und Radiosendern, der Inhaftierung von Journalisten wegen
kritischer Berichterstattung sind indes öffentliche Proteste unverzichtbar. Europarat und
OSZE sollten angehalten werden, auf strengere Einhaltung der Beitrittskriterien, zu denen
auch die Pressefreiheit zählt (Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention), in

14
den Mitgliedstaaten bzw. bei den Antragstellern zu achten4. Da in Ländern mit staatlich
kontrollierten und gesteuerten Medien die Bevölkerung fast ausschließlich im Sinne der
jeweiligen Regierung informiert wird, hat dort die Information von außerhalb der Landes-
grenzen einen besonderen politischen Stellenwert als Gegenpol zur Macht von Diktatoren
und Zensoren. Gegen die Globalisierung der Kommunikation über Satelliten-fernsehen und
-radio, Kurzwellensender, Internet, E-Mail und Fax sind auch Diktatoren im Prinzip macht-
los. Die Deutsche Welle, die BBC, die „Voice of America“, „Radio Free Europe“ und an-
dere sind in diesen Ländern als ‚Krisenradio‘ zur Überwindung der Isolierung von der Au-
ßenwelt unverzichtbar. Belege für die freiheitsbegünstigende Funktion derartiger Program-
me gibt es genügend. Zur Erosion des Systems der früheren DDR haben die westdeutschen
Medien erheblich beigetragen. Bei den Studenten-demonstrationen in Belgrad spielten
Internet und Fax eine wichtige Rolle, und auch die chinesischen Studenten bedienten sich
1989 bei ihren Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking der
internen und internationalen Kommunikation per Fax. Die Darstellung der Probleme des
Transformationprozesses im Medienbereich dürfte verdeutlicht haben, dass in den Staaten
der GUS in Bezug auf die Erreichung der Pressefreiheit langer Atem notwendig sein wird.
In einigen Ländern wie zum Beispiel in Weißrussland besteht ohne einen mit einer grund-
legenden politischen Änderung verbundenen Machtwechsel keine Hoffnung. Aber selbst
dann ist das Ziel noch nicht erreicht. Für die Existenz freier und unabhängiger Medien
müssen neben politischen nämlich zugleich auch ökonomische, rechtliche und soziokultu-
relle Rahmenbedingungen erfüllt sein.
Gemeinsam ist jedoch dem aktuellen Journalismus in Ost und West der Zug zur Unter-
haltung zu Lasten der Information. In den Vereinigten Staaten greifen von 18- bis 34-
jährigen nur noch 8 Prozent zu einer Tageszeitung, um sich zu informieren. Nur die Frei-
tags- und Wochenendausgaben finden in dieser Altersgruppe noch Abnehmer, was sich für
die Verlage auf lange Sicht nicht lohnen kann. Die übrigen Tage verbringt man im Internet
oder sieht sich jene Fernsehsendungen an, die „Infotainment“ bieten. Zugleich schwinden
die Auflagen der großen Tageszeitungen wie „New York Times“, „Herald Tribune“ und
anderer in besorgniserregendem Tempo, so dass bereits vom „Tod der Presse“ in den Ver-
einigten Staaten die Rede ist. Nur in Asien, Afrika und Osteuropa würden die Auflagen der
Zeitungen noch steigen, vermerkte im Januar 2009 ein Artikel des serbischen Wochenma-
gazins „NIN“5. Was dem serbischen Autor des Artikels an amerikanischen Fernsehstatio-
nen, der US-amerikanischen Medienlandschaft insgesamt missfiel, ist die einseitige, auf
bestimmte politische Positionen eingeschränkte Berichterstattung. „Fox News“ gibt nur
ultrakonservativer Argumentation Raum, „New York Times“ und „CNN“ sprechen eine
linksliberale Schicht an. Dieses Schielen nach der gerade von der Regierung vertretenen
politischen Position oder der der Opposition hätte zum Vertrauensverlust der klassischen
Medien in der jüngeren Generation beigetragen. Die Berichterstattung von „Fox News“ sei,
so Zoran irjakovi in der „NIN“, eine Art Reinkarnation der schlimmsten Momente von
Miloševis „TV Bastilje“. Was die Massenpresse in Ost und West verbindet, ist die Reduk-
tion auf Schlagworte, auf das Reißerische, Sensationelle – die jedoch mittlerweile auch
seriöse Medien erreicht. Die polemisch aufgeladene, über weite Strecken unsachliche Dis-
kussion über die Mißbrauchsfälle in der deutschen katholischen Kirche im Frühjahr 2010

4
Sanktionsmaßnahmen wie die Suspendierung der Mitgliedschaft oder des Sondergaststatus bei der Parlamenta-
rischen Versammlung des Europarats, aber auch positive Sanktionen sollten häufiger angewandt werden.
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  . In:  Nr. 42, 2009.

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darf als trauriges Beispiel dienen, ebenso der Fall der Tagesschausprecherin Eva Herman6.
In der Herabstufung des seriösen zu tendenziösem Journalismus haben sich unter anderen
der britische Mediengigant Rupert Murdoch, der hinter „Fox News“ steht, und ein deut-
scher Medienkonzern auch und gerade in Osteuropa zweifelhafte Verdienste erworben.
Traditionsreiche Blätter in Ungarn oder Kroatien wurden ‚marktgängig’ gemacht, d.h. die
renommierten, aber kostspieligen Abteilungen wurden abgestoßen und die Unterhaltungs-
und Gesellschaftskolumnen aufgebläht. Noch weitgehend unberührt ist davon die seriöse
Presse Serbiens, was vor allem mit der politischen Marginalisierung des Landes nach Bos-
nien-Krieg und Kosovo-Konflikt zusammenhängt.
In den letzten Jahren war immer wieder die Rede davon, Osteuropa erlebe den weltweit
größten Rückschlag, was die Frage der Medienfreiheit betrifft. Schuld daran sei in erster
Linie die zunehmende Politisierung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, so das Er-
gebnis einer Studie der amerikanischen Menschenrechtsorganisation „Freedom House“ von
2008. Laut „Freedom House“ gelten in der untersuchten Region „Zentral- und Osteuropa
sowie ehemalige Sowjetunion“ nur acht Länder als frei, zehn als teilweise frei, und zehn als
unfrei. Zu den zehn repressivsten Medienlandschaften der Welt gehören Weißrussland und
Usbekistan. Vergleicht man damit die Lage in Westeuropa, wird der Unterschied deutlich:
dort wird nur ein Land als teilweise frei eingestuft, dagegen 24 Länder als frei. In der Bal-
kanregion belegt Slowenien mit Rang 49 den Spitzenplatz und Albanien mit Rang 105 den
untersten. Nur etwas besser steht mit Rang 100 Mazedonien da, wo die Medien unter star-
ker politischer Kontrolle stünden. Mehrere Attacken von Politikern oder Polizisten auf
Journalisten wurden registriert. Montenegro fiel einen Platz hinter sein Ergebnis vom Vor-
jahr auf Platz 81 zurück. Schuld waren vor allem die hohen Geldstrafen für Verleumdung,
die mehr als 14.000 Euro betragen können. Immer mehr Verfahren haben bei den Journalis-
ten zu gravierender Selbstzensur geführt, zumal da die Ankläger meist hochrangige, in der
Öffentlichkeit stehende Personen sind. Auch ungeklärte und daher unbestrafte Morde und
Attacken auf Journalisten „sind ein sicheres Zeichen dafür, dass es wohl so weitergehen
wird“, meinte die am Freedom-House-Bericht beteiligte Montenegrinerin Karin Deutsch-
Karlekar in der Tageszeitung „Vijesti“ aus Podgorica. Die Hauptsorge von „Freedom Hou-
se“ war jedoch die zunehmende Politisierung der öffentlich-rechtlichen Sender. Die Orga-
nisation kritisierte hier vor allem die Slowakei, Slowenien und Polen wegen ihres verstärk-
ten politischen Einflusses auf die öffentlich-rechtlichen Medien. Auch Lettland verschlech-
terte seine Position wegen Einmischung der Regierung in die öffentlich-rechtliche Bericht-
erstattung, vor allem in die Berichterstattung über Russland – was man allerdings verstehen
konnte angesichts der unverhohlenen Einflussnahme der russischen Politik auf die russische
Minderheit in Lettland. Die enge Verflechtung zwischen Politik und Medien rührt auch
daher, dass viele Fernsehanstalten und Zeitungen in den Händen einflussreicher Medienrie-

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Der Bischof von Augsburg, Walter Mixa, musste im April 2010 von seinem Amt zurücktreten. Die mediale
Auseinandersetzung mit den ihm zur Last gelegten Verfehlungen gerieten zu einer Kampagne, die Invektiven,
Unterstellungen und persönliche Verunglimpfung einschlossen, und das bevor ein gerichtliches Verfahren
stattgefunden hatte. Ebenso im Fall der Tagesschausprecherin Eva Herman, die eine Familienpolitik vertrat
und diese auch in einer Talkshow verteidigte, die nicht mit den Positionen des klassischen Feminismus und der
übrigen Studiogäste, einschließlich des Moderators übereinstimmte. Eva Herman verlor nicht nur ihre Stelle
als Tagesschausprecherin, auch ihr berufliches Leben und ihr Ansehen wurden zerstört. Herman setzte sich in
der Folge in Publikationen mit den rücksichtslosen Mechanismen einer fast unmenschlichen Medienwelt aus-
einander, die (Zitat Herman) „Züge einer Meinungsdiktatur offenbaren“.

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sen sind, die ein freundschaftliches Verhältnis zur Politik pflegen, was beiden Seiten zugute
kommt.
Der Bericht, den „Freedom House“ Ende April 2010 vorlegte, rangierte Estland zusam-
men mit Deutschland in der Kategorie „frei“. Die Tschechische Republik und Litauen folg-
ten mit ebenfalls freier Presse knapp dahinter, während „Freedom House“ den Balkan-
Ländern erneut bescheinigte, die Presse sei dort nur „teilweise frei“. Während aber weltweit
die Pressefreiheit im achten Jahr in Folge im Absteigen begriffen sei, stellte der Bericht für
Serbien, Kroatien und die anderen Länder nur kleine Rückschläge fest. Insgesamt sah der
Bericht leichte Verbesserungen. Kroatien fiel in der „Freedom House“-Rangliste in der
Bewertung von 38 auf 40. Grund war der fehlende rechtliche Schutz von Journalisten, die
Kriegsverbrechen auf der eigenen Seite untersuchen, wie auch Maßnahmen, die gegen sie
ergriffen wurden. Die Vielfalt der Medien hätte in Kroatien wegen der steigenden Konzent-
ration privaten Eigentums an den Medien gelitten. Verbesserungen stellte der Bericht in
Bulgarien und in der Ukraine fest, was vor allem an der geringeren Zahl von Belästigtungen
und physischen Angriffen auf Journalisten und der größeren Zahl an Herausgebern und
Eigentümern lag. Serbien konnte sich gegenüber 2009 auch deswegen verbessern, weil der
seit Februar 2008 unabhängige Kosovo nun separat gewertet wurde7.
Woran liegt es, so muss man fragen, dass die für den Demokratisierungsprozess so
wichtige Umwandlung der staatlichen zu öffentlich-rechtlichen Sendern bisher zumeist nur
auf dem Papier gelang? Dass in Osteuropa die Demokratisierung der Gesellschaft nach wie
vor ein Projekt mit offenem Ausgang ist, muss Rückwirkungen auf die Transformation der
Medien haben. Auf das gedruckte Wort wirkt sich das aus, aber noch mehr auf die elektro-
nischen Medien. Durch die begrenzten Frequenzen und deren manipulatives Potenzial sind
elektronische Medien heiß umkämpft. Mögen auch in einem ersten Schritt die gesetzlichen
Rahmenbedingungen für eine Demokratisierung geschaffen worden sein, so hängt doch die
Umsetzung von der Mentalität der beschäftigten Journalisten ab. Von diesen arbeiten aber
viele schon seit kommunistischen Zeiten in diesem Metier. Deshalb zeigen sie wenig Be-
geisterung, sich den gewandelten Verhältnissen anzupassen. Auch das Publikum sollte die
Wandlung nachvollziehen, weiß aber oft nicht recht, was es von einem öffentlich-
rechtlichen Sender eigentlich erwarten darf. Zu diesen grundsätzlichen Defiziten post-
kommunistischer Gesellschaften kommt der sich allenthalben verstärkende Wettbewerbs-
druck, den Investoren auch als Ausrede missbrauchen, um traditionsreiche Blätter auf
Marktkurs zu bringen und sie damit in letzter Instanz ihres Renommees berauben. Redakti-
onsmitglieder, die unter Einsatz von Leben und Gesundheit gegen das alte Regime ange-
schrieben hatten, und sich verständlicherweise den Wandel unter dem vielbeschworenen
Vorzeichen der Meinungsfreiheit anders vorgestellt hatten, sahen sich nun bei jedem kriti-
schen Artikel mit dem Argument konfrontiert, das wolle der Leser nicht. Der Konflikt war
unausweichlich.

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In die Beurteilungen fliessen die wirtschaftlichen (Eigentümerstrukturen, Kosten), politischen und gesetzlichen
Rahmenbedingungen ein, die „Medieninhalte und die Neigung der Regierung beeinflussen könnten, diese Ge-
setze und gesetzlichen Institute zu benutzen, um die Fähigkeit der Medien einzuschränken, ihre Funktion zu
erfüllen, einzuschränken“. Die Staaten kamen 2010 auf folgende Plätze: Bulgarien 76, Serbien 78, Montenegro
80, Kroatien 85, Rumänien 88, Mazedonien 94, Bosnien 97, Albanien 102, Kosovo 108.

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1. Der Einfluss westlicher Medienhäuser

Die politische Wende in Osteuropa eröffnete den westlichen Medienkonzernen einen Ab-
satzmarkt, der daheim schon mehr als gesättigt oder kartellrechtlich begrenzt war. Osteuro-
pa freute sich andererseits über dringend benötigte Kapitalgeber und glaubte, mit diesen
auch Hilfe zur Selbsthilfe zu erhalten, um im selben Aufwasch das Problem journalistischer
Standards und Unabhängigkeit zu lösen. Verwundert rieb sich mancher die Augen, als sich
herausstellte, dass für etliche Investoren aus dem Westen weniger die Meinungsbildung als
die Wirtschaftlichkeit interessant war. Für westliche Medienhäuser ergab sich nach dem
Zusammenbruch des Kommunismus eine historisch einmalige Situation, die ihnen erlaubte
Joint Ventures mit den bis dahin national wichtigsten kommunistischen Medien zu schlie-
ßen. Ohne öffentliche Diskussion, ohne Transparenz und Kontrolle wurden Titel und Li-
zenzen übernommen. Kontrollinstanzen wie Mediengesetze oder Gewerkschaften, die sich
hätten einmischen können, gab es noch nicht. Diese einmalige Gelegenheit ließen sich die
deutschen Mediengruppen Bauer, Springer, Gruner & Jahr, Burda, WAZ und die Passauer
Neue Presse nicht entgehen. Die Passauer Neue Presse erzielte zuletzt gar 70 Prozent ihres
Jahresumsatzes in Osteuropa. Kostenreduktionen bei gleichzeitiger Umsatzsteigerung erga-
ben sich, wenn diese Medienhäuser ein Titel-Konzept, das in einem Land erfolgreich war,
in andere Länder exportierten, manchmal sogar unter dem gleichen Namen. Der österreichi-
sche „Styria Verlag“ gründete 2005 in Kroatien die Boulevardzeitung „24 Sata“, die rund
eine Million Leser hatte, worauf 2007 in Slowenien das Gratisblatt „Žurnal 24“ folgte, das
bereits nach einem Monat die höchste nationale Auflagenstärke erreicht hatte. Diese Strate-
gie, ein zentral entworfenes Konzept in mehreren Ländern zu kopieren, hat zur Folge, dass
sich viele Regionalzeitungen irgendwann gleichen – inhaltliche Gleichschaltung trotz me-
dialer Vielfalt. In Polen, Tschechien und Ungarn befinden sich rund 80 Prozent der Medien
im Eigentum westeuropäischer Medienhäuser. 85 Prozent der Medien in Osteuropa sind in
ausländischen Händen, gut dreiviertel davon in deutschen.
Unter den deutschen Verlagen und Medienhäusern, die sich in Osteuropa eingekauft
haben, hat vor allem der Konzern der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, kurz „WAZ“,
größere und nicht unbedingt positive Aufmerksamkeit erregt. Der „WAZ“-Geschäftsführer
Bodo Hombach, Vertrauter des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder
und gewiefter Taktiker, meinte lakonisch, in inhaltliche Fragen mische sich die Konzern-
führung normalerweise nicht ein. Doch die redaktionelle Freiheit zog im Falle der regie-
rungskritischen rumänischen Zeitung „România Liber“, die mehrheitlich der „WAZ“ ge-
hört, gegenüber wirtschaftlichen Interessen den Kürzeren. Trotz vehementer Proteste der
Redaktion setzte man 2004 den Chefredakteur ab. Seitens der WAZ hieß es, man wolle das
Blatt aus dem Auflagenverlust bringen – wobei nicht unmaßgeblich war, dass der Eigentü-
mer im Gegensatz zur Redaktion der Zeitung einen guten Draht zur Regierung hatte. Ge-
schäftsführer Bodo Hombach gehörte der „Rumänischen Agentur für Auslandsinvestitio-
nen“ (ARIS) an, einer Organisation der rumänischen Regierung, die unter anderem den Ruf
des Landes aufbessern soll. Da die Regierung große Teile der Werbeschaltungen vergibt,
ging es der „WAZ“ schlicht und einfach ums Geld, wie eine deutsche Zeitung im Novem-
ber 2004 vermutete. Hombach war freilich ganz anderer Meinung. Er sah das Ganze als
eine Art „strategischer Partnerschaft“. Wenn sie Partner seien, dann würden sich die Regie-
rungen nicht mehr an die Medien herantrauen, meinte Hombach auf einer Hamburger Kon-
ferenz 2007. Außerdem hätten etliche Blätter ohne das Engagement der „WAZ“ längst
Konkurs anmelden müssen. Ideologische Gründe spielten für Hombach keine Rolle. Des-

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halb zögerte er auch nicht, 2007 für den „WAZ“-Konzern ein Rahmenabkommen zur Ver-
teidigung und Förderung von Pressefreiheit und Qualitätsjournalismus mit der „Internatio-
nalen Journalistenvereinigung“ (IFJ) zur Kontrolle von „WAZ“-Medien im Ausland zu
unterzeichnen. Die ideologische Ausrichtung der Zeitungen und Zeitschriften unter
„WAZ“-Regie entsprach den geschäftlichen Notwendigkeiten, was jedoch der Förderung
von Qualitätsjournalismus und Medienvielfalt nicht widersprechen müsse.
In Mazedonien und Bulgarien hat die „WAZ“ Anteile von mehr als 70 Prozent am Ver-
lagsgeschäft, zehnmal mehr als in ihrer deutschen Heimat8. Was aber den einheimischen
Journalisten, die eine kritische Öffentlichkeit schaffen wollen, übel aufstößt, ist die von
manchen als ‚kolonial‘ kritisierte Mentalität der Neuinvestoren. Die ausländischen Medien-
häuser seien nicht daran interessiert, die Gesellschaft zu demokratisieren. Sie wollten nur
Geld verdienen und würden damit auch die wenigen Qualitätsblätter, die es noch gab, ver-
drängen. Auf lange Sicht schade das dem Vertrauen in Demokratie und Marktwirtschaft, so
der Vorwurf. Außerdem fühlten sich viele von den fremden Investoren geradezu überrannt.
Der durch die Mißstände des Medienkapitalismus verstärkte Verdacht der Osteuropäer,
Wahrheit sei käuflich, würde jedoch auch die ohnehin bereits ausgeprägte Demokratieverd-
rossenheit in Westeuropa verstärken, meinen die Verfasser einer Studie zur Mediensituation
in Osteuropa: Wenn die demokratische Öffentlichkeit aufgrund von Deregulierung, Kom-
merzialisierung und Privatisierung sowieso schon im Verfall sei, würden die medialen
Landnahmen Osteuropas diesen Verfallsprozess nur verstärken. Hinzu kommt, dass sich die
EU bei europaweiten Regelungen zur Medienkonzentration schwer tut. Man wolle nicht in
lokal gewachsene Medienstrukturen eingreifen.
Genau das taten die westlichen Medienunternehmen, ohne Rücksicht auf die „gewach-
senen Medienstrukturen“. Man müsse jedoch zugestehen, hieß es in offiziellen Presseerklä-
rungen und Interviews, dass ausländische Investoren das Kapital und das technische Wissen
mitbrachten, das die heutige Vielfalt und politische Unabhängigkeit der Medien im Osten
Europas erst ermöglichten. Markt- und Eigentumsanteile von über 80 Prozent nähren aller-
dings die Zweifel, ob sich Gewinnstreben mit Qualitätsjournalismus und Medienfreiheit
vereinbaren lassen. Unterwandern die Medienkonzerne mit undurch-schaubaren Vernet-
zungen schleichend die Demokratie? Der WAZ-Konzern nahm in dieser Hinsicht kein Blatt
vor den Mund. Zur Strategie des Konzerns gehöre es, in Länder zu gehen, in denen das
Kartellrecht noch nicht so weit entwickelt ist wie in Deutschland und Westeuropa. Man
hätte sich bemüht, Marktanteile einzukaufen, bevor die entsprechenden Bestimmungen
verschärft werden. Die WAZ kaufte vornehmlich bestehende Zeitungen auf oder beteiligte
sich mit mehr als der Hälfte. Die ‚Einkaufstour’ begann 1987 in Österreich mit der „Neuen
Kronenzeitung“ und dem „Kurier“, worauf wenig später Rumänien, Ungarn, Kroatien,
Montenegro, Serbien, Bulgarien und Mazedonien folgten. In den beiden letzten Ländern
betrug der Marktanteil zwischenzeitlich sogar sage und schreibe 70 Prozent. Dass man auch
drastischen Eingriffen in die Freiheit der Redaktion den Anstrich des Positiven verpassen

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Auch österreichische Medienhäuser beteiligten sich am Aufkauf des Ostens. Das Medienhaus von Eugen A.
Russ, das für seine strikte Profitorientierung bekannt wurde, gibt in Ungarn und Rumänien jeweils vier Regio-
nalzeitungen heraus, die dem Boulevard-Mutterblatt „Vorarlberger Nachrichten“ gleichen. In den Tochterun-
ternehmen findet die elektronische Bildbearbeitung für das Stammhaus in Vorarlberg statt. Als Inhaber des
Verlages Inform Média Kft. ist Russ der zweitgrößte Medienunternehmer in Ungarn. Der erfolgreichste öster-
reichische Verlag in Osteuropa ist jedoch die „Styria Medien“ AG. Sie hat insgesamt 28 Magazine in Slowe-
nien, Kroatien, Serbien und Montenegro. „Styria“ ist unter anderem auch Eigentümer der größten kroatischen
Tageszeitung „Veernji List“.

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kann, bewies Hombach, als er im November 2008 erklärte, künftig werde die WAZ ihren
bisherigen Grundsatz, sich nicht in die Redaktionsarbeit einzumischen, aufgeben. Es hätte
zu viele negative Erfahrungen gegeben, vor allem in der Einhaltung journalistischer Quali-
tätsstandards. Den Anlass lieferte der Kampagnen-journalismus der bulgarischen WAZ-
Zeitungen „24 asa“ und „Trud“, die nicht unbedingt als Qualitätszeitungen bekannt wa-
ren. Diese hatten sich an der Medienhetze gegen die Historikerin Martina Baleva beteiligt.
Diese hatte die Zahl der Toten in der nationalmythisch überhöhten Schlacht von Bataka
relativiert. Die WAZ profitierte von den gewaltigen Auflagensteigerungen und trat erst auf
die Bremse, als Baleva nach Deutschland floh und sich dort Journalisten mit ihr solidarisch
erklärten. Die ganze Angelegenheit war zweischneidig. Nicht nur, weil eine junge Histori-
kerin meinte, sich mit historischer Aufklärung profilieren zu müssen und damit das bulgari-
sche Selbstbewusstsein stark berührte. Auch dass Hombach Einsicht heuchelte und die
Redaktionen kujonierte, was er sonst nur tat, wenn kritische Artikel die guten Beziehungen
zur Politik und damit die Geschäftsinteressen hätten stören können, stimmte manchen
nachdenklich. Wenn kommerziell denkende Unternehmen das Mediensystem dominieren
und kein Gegengewicht haben, gerät das System in Schieflage, warnen Kenner Osteuropas.
Die ‚Reichweite’ von Medienunternehmen sei in Osteuropa so groß, dass damit eine struk-
turelle Unwahrscheinlichkeit kritischer Medienberichte einhergehe: Medien, die hauptsäch-
lich kommerziellen Interessen dienen, brächten nur bestimmte Inhalte und diese nur in
bestimmter Form.

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2. Sparten-und Minderheiten-Medien in Osteuropa

Auf die marktgängigen Vorgaben hinsichtlich Inhalt und Form müssen sie keine Rücksicht
nehmen – die Piratensender und Webradiostationen, die als Sprachrohr für junge Künstler,
strenge Katholiken oder ethnische Minderheiten dienen und früher als Sprachroher gegen
die Unterdrückung dienten. Sie senden mit und ohne Genehmigung, und leben zumeist von
Geldern aus den USA, von Nichtregierungsorganisationen, selten von den eigenen Hörern.
Die freien Radios haben in Osteuropa zwar eine lange Tradition, doch ohne Sendefrequen-
zen bleibt der Raum für eine alternative Öffentlichkeit und nicht-kommerzielles Denken
beschränkt. Und um diese zu erhalten, bräuchte es vor allem Geld und entsprechende politi-
sche Beziehungen, über die die Sender aus naheliegenden Gründen selten verfügen. Selbst-
organisierte, unabhängige und nichtkommerzielle Radios gibt es vor allem in den ex-
jugoslawischen Ländern. Das erste Roma-Radio etwa kam 1963 in Mazedonien auf. Nach
der Wende nahmen sich Länder wie Ungarn daran ein Vorbild. So sendet heute aus Buda-
pest „Radio C“, das erste Radio, das rund um die Uhr von und für Roma sendet, aber von
Nicht-Roma ebenso gern gehört wird. Zwar befindet man sich in einem ständigen Kampf
um Geld, denn als Werbefläche sind Roma-Medien nicht gerade begehrt und jene NGOs
und Stiftungen wie die Schweizer Medienhilfe und die Soros Foundation, die in der Ver-
gangenheit solche Projekte ins Leben riefen und großzügig unterstützten, ziehen nun in den
Nahen Osten weiter. Die von der Regierung ausgeschriebene Frequenz für nichtkommer-
ziellen Hörfunk konnte das Radio jedoch für sich gewinnen. Ebenfalls zu den ältesten und
zugleich größten freien Sendern in Europa zählt „Radio Student“. Dies ist ein UKW-Sender
aus der slowenischen Hauptstadt Ljubljana mit 120 Mitarbeitern und 500.000 Hörern
Reichweite. Als Studentenradio, entstanden aus den Studentenrevolten Ende der 1960er,
wird es mit vergünstigten Sendegebühren sowie einem Zuschuss des Kultusministeriums
und der Studentenverbände unterstützt. Zusammen mit „Radio Mars“ aus dem ebenfalls
slowenischen Maribor konnte es sich noch in vordemokratischen Zeiten Frequenzen si-
chern. Heute sei das anders, meint ein Moderator von „Radio Mars“. Es sei heute fast un-
möglich, an Frequenzen zu kommen. Abgesehen davon, dass angeblich keine mehr frei
seien, zählen bei der Vergabe vor allem Geld und Beziehungen. Slowenien hat heute bei
zwei Millionen Einwohnern 80 kommerzielle Radiostationen. Lokale Gruppen mit kleinem
Budget haben in diesem Wettbewerb fast keine Chance; und Piratensender haben in Slowe-
nien keine Tradition.
Anders ist die Lage in Polen, wo zu Anfang der 1990er Jahre Radio gleich Piratenradio
war, weil es schlicht noch nicht möglich war, legal zu senden. Doch da die Hürden für die
begehrten Lizenzen hoch sind, blieben die meisten dieser Sender auch später Piratensender.
Eine der wenigen Ausnahmen bildet der viel gehörte und leidenschaftlich umstrittene ka-
tholische Sender „Radio Maryja“, der eine freie Sendefrequenz erhielt. Mag auch mancher
unterstellen, dass die meisten Piratensender weniger an Frömmigkeit denn an Gesell-
schaftskritik interessiert seien, so war doch gerade in Polen der Glaube der Faktor, der das
Regime in die Knie zwang. Auch heute ist „Radio Maryja“ trotz teils berechtigter Kritik ein
Sender, der nach Meinung seiner Hörer und Unterstützer genauso wie die Piratensender
jene Fragen stellt, die in den legalen, öffentlich-rechtlichen Medien nicht gestellt werden.
Im Unterschied zu „Radio Maryja“ ist die Wirkung der illegalen Sender freilich gering,
weil nur wenige von ihnen wissen. Die Polizei geht gegen sie vor, es drohen empfindliche
Strafen. In Bulgarien zum Beispiel traue sich aus diesem Grund niemand, als Piratensender
aufzutreten, so ein Redakteur vom Webradio „Cult“, das sich als offene Plattform für Kunst

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und neue Medien versteht. Auch in Ungarn sind solche Radiosender der Regierung poli-
tisch zu suspekt, um mit ihnen über Frequenzen zu verhandeln. Deshalb wählte der älteste
freie Sender des Landes, „Tilos Radio“, ein anderes Arbeitsmodell. Das 1991 gegründete
und gemäß seinem Namen ‚verbotene Radio’ in Budapest erkämpfte sich eine zunächst
sieben Jahre gültige Sendegenehmigung. Politisch und wirtschaftlich ist es unabhängig,
weil es von den eigenen Hörern finanziert wird, und zweieinhalb Leute als gering bezahlte
Redakteure arbeiten, während über 180 Mitarbeiter ehrenamtlich Beiträge liefern. Mag
auch „Tilos Radio“ eine der Erfolgsgeschichten des freien Rundfunks in Osteuropa sein,
und mag auch die Zahl freier Sender seit der Wende stark gestiegen sein, die Macht darüber
zu entscheiden, wer gehört wird und wer nicht, bleibt trotz allem in den Händen jener, die
die Frequenzen vergeben.
Während die freien Radiosender weltanschauliche und kulturelle Sparten abdecken, die
die offiziellen Medien unberücksichtigt lassen, bemühen sich die deutschsprachigen Zei-
tungen und Zeitschriften, die bis zur Vertreibung der Deutschen aus Mittelost- und Osteu-
ropa die deutschen Volksgruppe im Sudetenland, in Schlesien und Russland informierten,
die Identität der letzten Verbliebenen zu stärken. Heute sind Pensionisten, Geschäftsleute,
Touristen und Studenten aus dem Westen die neue dankbare Leserschaft der deutschspra-
chigen Zeitungen in Osteuropa. Vor allem deshalb, weil der Großteil der traditionellen
Minderheiten längst in den Westen abgewandert ist. Dies gilt zum Beispiel für die „Mos-
kauer Deutsche Zeitung“, die 1870 gegründet, aber bereits nach dem Ersten Weltkrieg
wieder verboten worden war. Erst 1998 ist sie vom Internationalen Verband der deutschen
Kultur (IVdK) neu gegründet worden. Dass die traditionelle deutsche Minderheit die
„Moskauer Deutsche Zeitung kaum noch liest, hat damit zu tun, dass die Russlanddeut-
schen Deutsch nur noch rudimentär sprechen und lesen können. Das ist auch verständlich:
Denn jedes Zeichen von Minderheitenzugehörigkeit wirkte sich im Kommunismus nachtei-
lig für die Menschen aus. Heute wird Deutsch zwar wieder mehr gelernt, zugleich wandern
aber die jungen Russlanddeutschen in Scharen in den Westen ab. Daraus ergab sich eine
mehr als paradoxe Situation: im wöchentlichen Wechsel erscheinen die zum Verlag gehö-
rende russischsprachige Zeitung „Moskovskaja Nemeckaja Gazeta“ (MNG) und die
deutschsprachige „Moskauer Deutsche Zeitung“. Während die „Moskauer Deutsche Zei-
tung“ mit einer Auflage von 25.000 kostenlosen Exemplaren von Russen, die Deutsch ler-
nen, Geschäftsleuten, Touristen und Studenten gelesen wird, hat die russischsprachige
Zeitung (Auflage 15.000) die traditionelle deutsche Minderheit als Zielgruppe, wobei sie
sich auf Geschichte und Traditionen der Russlanddeutschen konzentriert. Im Gegensatz zur
„Moskauer Deutschen Zeitung“ wird ihr russisches Pendant vom russischen Außenministe-
rium unterstützt; die deutsche Zeitung bekommt dafür Volontäre und projektbezogene Un-
terstützung vom deutschen Institut für Auslands-beziehungen. Die Minderheitenpolitik
Putins hatte sich insofern stark gewandelt als der Präsident beim Forum der Russlanddeut-
schen im November 2007 den Russlanddeutschen eine Fördersumme von 84 Millionen
Euro bis 2012 zusagte, das Doppelte der Unterstützung aus Deutschland. Ursache könnte
die Sorge der Regierung sein, dass noch mehr der fleißigen, pünktlichen Deutschen und
damit der begehrten Arbeitskräfte aus dem wachsenden russischen Markt abwandern könn-
ten.
65 Prozent der weltweit ungefähr 3.400 deutschsprachigen Medien im Ausland haben
ihre Heimat in den osteuropäischen Staaten. Die weltweit älteste Zeitung ist die „St. Peters-
burger Zeitung“. Sie wurde schon 1727 gegründet. Derzeit gibt es einen regelrechten Boom
deutschsprachiger Zeitungen. Einen Zuwachs von zehn Prozent verzeichnete die Internatio-
nale Medienhilfe (IMH) seit 1990, der höchste in Osteuropa. Dort kommen pro Jahr drei bis

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vier neue Publikationen hinzu. Zum Teil liegt das am sogenannten ‚ethnischen Revival’ der
Minderheiten, die während des Kommunismus unterdrückt worden waren. Entscheidend
für das Aufleben deutschsprachiger Zeitungen dürfte jedoch sein, dass sie die wichtigste
Informationsquelle für Touristen und Geschäftsleute sowie Leser aus dem deutschen
Sprachraum darstellen. Gut ist es um diese Zeitungen jedoch nicht unbedingt bestellt. Ohne
Förderung durch Staaten und Medienorganisationen könnten sie kaum überleben. Die auf-
lagenstärkste fremdsprachige Wochenzeitung in Ungarn ist der „Pester Lloyd“, der bereits
1854 gegründet wurde. Seine Zielgruppe sind die ‚Neu-Deutschen’, die deutschen und
österreichischen Pensionäre, die sich in Ungarn wegen der niedrigeren Lebenshaltungskos-
ten niedergelassen haben. 2004 rief der „Pester Lloyd“ den „Wiener Lloyd“ ins Leben, eine
zwei bis vier Seiten umfassende Beilage, mit dem sich die nach Ungarn gezogenen Öster-
reicher über die kulturellen Ereignisse der Nachbarstadt auf dem Laufenden halten können.
Österreicher und Deutsche schätzen die Zeitung für ihre Qualität und Unabhängigkeit, die
in Ungarn sonst kaum zu finden ist. Eine gewisse Narrenfreiheit in Sachen politischer Be-
richt-erstattung genießen die Zeitungen dank der Fremdsprachigkeit und ihrer niedrigen
Auflage von 20.000 Exemplaren. Zensur betrifft die Minderheiten-Zeitungen in Osteuropa
so gut wie nicht, ganz im Gegensatz zu Westeuropa, insbesondere zu Frankreich, wo die
Elsässer bis heute keine rein deutschsprachige Zeitung herausbringen dürfen.
Vor dem Fall der Mauer und der politischen Wende in Osteuropa konnte sich Kritik an
den realsozialistischen Verhältnissen nur in Zeitschriften äußern, die im sogenannten ‚Sa-
mizdat’, im Selbstverlag erschienen, wofür Verteiler und Autoren ihre Freiheit aufs Spiel
setzten. Den Wechsel zur Marktwirtschaft hat kaum eines dieser Blätter überlebt. Ein Bei-
spiel ist die tschechische Literaturzeitung „Host“, die der Landwirtschaftsstudent Dušan
Skála 1985 gründete. Dass er die Charta 77, jene Petition von 1977 gegen die Menschen-
rechtsverletzungen des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei, unterschrieb,
verstellte ihm alle Berufsaussichten. Er musste als Hilfsarbeiter sein Dasein fristen. Unter
dem Deckmantel eines speziellen Darlehens für frisch vermählte Heiratspaare kamen er und
seine Frau, ohne Verdacht zu erregen, an das Geld für den Druck der ersten Exemplare in
ihrer Brünner Privatwohnung. Geschaffen hatte den Begriff ‚Samizdat’ vor dreißig Jahren
der russische Dichter Nikolaj Glaskov. Als Parodie auf die Staatsverlage mit ihren ideolo-
gisch genormten Produkten. Per Handschrift, Typoskript oder Fotokopie verbreitete man
Texte, Tonbandaufnahmen oder ganze Bücher. Die ersten Ausgaben von „Host“ (damals
500, heute rund 1400) wurden verkauft und über Freunde bis nach Prag in Umlauf ge-
bracht, wobei die Zeitschrift damals kein Literaturjournal, sondern einfach ein Heft mit
verschiedensten Texten, auch Übersetzungen aus dem Polnischen war. Man wollte in erster
Linie verbotenen Autoren ein Forum bieten, als Insel freien Denkens dienen. Nur einmal,
1987, wurde Skála wegen Verbreitung verbotener Texte für zwei Monate verhaftet. Danach
machte er weiter wie vorher, in der Annahme, das wahre Ausmaß des Projektes sei uner-
kannt geblieben. Erst 1989 erfuhr er durch Akteneinsicht, dass die Polizei durchaus Ein-
blick hatte. Sie griffen nicht ein, weil sie über „Host“ weitere Dissidentenkreise bespitzeln
konnten. Schließlich wusste man voneinander, auch wenn Host damals keine direkten Kon-
takte zur Prager „Revolver Revue“ pflegte, der heute einzig verbliebenen Mitstreiterin von
damals. Das Wendejahr 1989 mit dem Ende des Drucks und der Illegalität ließ die Gemein-
schaft auseinanderfallen. Die „Revolver Revue“ hat heute einen Namen für Kulturkritik
und gibt jenen Künstlern Raum, die vom Markt ignoriert werden. Alle anderen Publikatio-
nen werden im Prager Privatarchiv „Libri Prohibiti“ gesammelt. Über 25.000 Bücher, Bro-
schüren, Kataloge, Kunstwerke und Filme aus den Jahren 1960-89 lagern dort, darunter
Václav Havels Einakter „Protest“ von 1978. Dass die Literatur mit der Wende ihren sub-

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versiven Charakter verlor und das Publikuminteresse nachließ, ist auch ein Grund, warum
die Samizdat-Blätter langsam verschwanden. „Host“ verschwand nicht. Es wandelte sich zu
einem offenen Literaturjournal mit hauptsächlich informativem Charakter und neuem Lay-
out. Das Tagesaktuelle, das die Mainstream-Medien so sehr beherrscht, wurde wichtiger. Es
erhielt jedoch nicht den Stellenwert wie in anderen Blättern. Denn die ehemalige Samizdat-
Publikation erhält im Gegensatz zu ihrer marktgängigeren Konkurrenz staatliche Unterstüt-
zung und beschäftigt drei Redakteure.
Auch im ehemaligen Jugoslawien herrschte ein gewaltiger Anpassungsdruck auf Medien
und Kulturschaffende, so gut es Tito auch gelang, seinen ‚dritten Weg’ des Sozialismus im
Westen als Alternative zum Sowjetmodell zu verkaufen. Dieser Druck bezog sich auf Irre-
dentisten, Separatisten und Nationalisten, wie die Etiketten des Regimes für politische
Opposition hießen. Dahinter verbargen sich serbische Intellektuelle wie der Ex-Kommunist
und spätere Radikalen-Chef Vojislav Šešelj, der wegen „anarcho-liberalistischer und natio-
nalistischer Standpunkte“ 1984 zu acht Jahren Haft verurteilt wurde, von denen er aber nur
zwei absitzen musste, weil sich Intellektuelle aus ganz Jugoslawien für seine Freilassung
einsetzten; oder kosovo-albanische Politiker, die ihre Politik eher an Tirana als an Belgrad
ausrichten wollten. 1971 und 1981, in den Jahren des heftigsten Gärens separatistischer
Ambitionen, gerade im Kosovo, zählten Menschenrechtsorganisationen in Jugoslawien
mehr politische Gefangene pro Kopf der Bevölkerung als in der damaligen Sowjetunion.
Die Presse war fest in der Hand des Regimes. Deshalb wanderte auch in Jugoslawien die
Kritik zwischen die Zeilen oder in Abschriften ab. Die kroatische Schriftstellerin Dubravka
Ugreši war bis in die 1990er Jahre in ihrem Heimatland vielfachen Formen von „Medien-
lynch, Ostrazismus, professioneller Marginalisierung und persönlicher Diskriminierung“9
ausgesetzt, weil sie die „national-faschistische“10 Entwicklung in Kroatien deutlich kritisiert
hatte. 1993 verließ sie Kroatien und ging ins amerikanische Exil. Was sie an Kroatien kriti-
sierte, galt ebenso für Serbien. In beiden ehemaligen Teilrepubliken konnte sich über den
Zusammenbruch des Kommunismus eine gelenkte Presse erhalten, weil die nationalen
Regierungen auf beiden Seiten einen gegensätzlichen Standpunkt schnell als Verrat an der
Nation beargwöhnten. Man stehe, so hieß es während des jugoslawischen Bürgerkriegs, im
Kampf um das Überleben der eigenen Nation, und dem hätten sich die Medien unterzuord-
nen. In vielen Berichten über den Bürgerkrieg ist deshalb auch von der Instrumentalisierung
der Medien für die hasserfüllte Propaganda gegen die Nachbarn und den innenpolitischen
Gegner die Rede, obwohl es durchaus auch abweichende Stimmen gab, die aber im Kriegs-
lärm nicht mehr gehört wurden. Als sich der Lärm gelegt hatte, versuchten die alten Kader
diese abweichenden Stimmen mundtot zu machen. Der Widerstand der freien Medien
wuchs. Der Übergang zu einer freien Gesellschaft hatte begonnen.

9
Ugreši, D. in: Djiki, Ivica: Zastava za metenje. In: Feral Tribune, 21.9.1998, S. 34f.
10
„Nationalismus und Faschismus sind zwei Wörter für eine mehr oder weniger gleiche Sache.“ („Nacionalizam
i fašizam su dvije rijei za više-manje istu stvar.“) [„Die Kultur der Lüge“, S. 331].

24
B Die Medien in Südosteuropa

Der Raum Südosteuropa bietet mit Blick auf die Medien ein durchaus widersprüchliches
Bild: Auf der einen Seite existierten und existieren gravierende Defizite in der Mediende-
mokratie und im Medienpluralismus. Medientechnisch und medienkulturell könne man von
Peripherie und Hinterland sprechen, meinen Beobachter. Andererseits wirke die Vitalität
der dortigen Medienlandschaft ausgleichend. Zu bedenken ist aber, dass sie oft auf zügello-
se Piraterie auf allen Gebieten des medialen Lebens zurückzuführen ist. Auch heben Analy-
sen immer wieder die angesichts der Allgegenwart audiovisueller Medien bemerkenswerte
Lesekultur in den Ländern Südosteuropas hervor. Diese stützt und fördert die lokale Me-
dienkultur. Dennoch herrschen auch jetzt – Jahre nach dem Ende der kommunistischen
Diktaturen – immer noch nicht der Pluralismus und die Freiheit, die sich viele erhofft hat-
ten. Staatliches und Privates sind nach wie vor vermischt, Medienrecht und Medienrealität
gerieten oft genug in Widerspruch, weil sich die alt-neuen Eliten das Heft nicht ohne weite-
res aus der Hand nehmen lassen wollten. Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens (mit der löbli-
chen Ausnahme Sloweniens) erlebten nach 1989 eine wahrhaft explosionsartige Entfaltung
neuer, in der Regel privater Medien. Zahllose Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk- und
Fernsehsender wurden gegründet, von denen jedoch viele auch sehr schnell wieder eingin-
gen. Ihr Erscheinungsbild ist oft schreiend bunt und emotionsgeladen, wobei die Grenzen
zwischen seriösen Medien und Boulevard-Medien oft genug verschwimmen. Manche hal-
ten das für ein Indiz für die ‚Balkanisierung‘ der Medien. Aber gerade westeuropäische
Medienkonzerne haben zum Beispiel in Kroatien oder Rumänien eine Art des Journalismus
durchgesetzt, der wenig mit Information, dafür sehr viel mit bildlastiger Sensation, Aufla-
genhöhen und Einschaltquoten zu tun hat. Somit hätte sich die Balkan-Region wohl eher an
westeuropäischen Usancen angepasst. Gerade die wirtschaftlichen Nöte der südosteuropäi-
schen Transformationsstaaten zwangen die Medien, nach Investitionspartnern auch im
Ausland zu suchen. Viele versuchten ihren Kostendruck dadurch zu senken, dass sie Copy-
right und Autorenrechte ignorierten. Dies wiederum ging vor allem auf Kosten westeuropä-
ischer Medienanbieter. Diese haben sich aber, so der vielfach geäußerte Vorwurf gerade
westlicher Medienbeobachter, dafür mehr als schadlos gehalten, indem sie sich in die
Märkte eingekauft und über Gebühr den Kurs auch kritischer Medien bestimmten. Ohne
Medientechniktransfer aus dem Westen wäre es aber niemals gegangen. In Zeiten kommu-
nistischer Herrschaft kam dieser teilweise auch aus der Sowjetunion11. Die autokratische
Tradition der Staaten Südosteuropas wie auch die ihres Vorgängers, ebenso wie die des
Osmanischen Reiches wirkten auf dem Balkan eher hemmend auf die Entfaltung einer
funktionierenden Mediendemokratie.

11
Vgl. Milev, R.: Medien. In: Hatschikjan, M./Troebst, St. (Hrsg.): Südosteuropa. Ein Handbuch. Gesellschaft,
Politik, Wirtschaft, Kultur. München 1999, S. 463.

25
Dieser Befund würde auch für das EU-Mitglied Griechenland gelten, deren Medien jedoch
im Zusammenhang dieser Arbeit nicht näher beleuchtet werden. Mit dem Begriff ‚Osteuro-
pa‘ meinen wir neben dem geographischen den politischen Raum, also jene Länder und
Staaten, die bis heute damit zu kämpfen haben, sich von einer kommunistisch-totalitär
regierten in eine demokratische Gesellschaft zu transformieren – ein Prozess, der freilich
Griechenland nicht betrifft, obwohl es ebenfalls auf der Balkanhalbinsel liegt. Griechenland
müsste sich allerdings vorhalten lassen, dass es sich damit schwer tut, den großen ethni-
schen Minderheiten der Bulgaren, Mazedonen und Albaner kulturelle Rechte einzuräumen,
was zu einem Gutteil wiederum mit historischen Erfahrungen zusammenhängt. Was das
Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit betrifft, ist das Bild, das die Balkanstaaten
bieten, sehr gemischt. Während die Ungarn in Rumänien weitgehende Minderheitenrechte
genießen – was man wiederum umgekehrt nicht unbedingt behaupten kann – mussten die
Albaner im Kosovo nach 1989 eine weitgehende Beschneidung ihrer Rechte hinnehmen. In
Mazedonien schwankte das Nebeneinander zwischen der großen albanischen Minderheit
und der slawischen Mehrheit zwischen Koexistenz und militantem Separatismus seitens der
Minderheit. Kroatien und namentlich Bosnien-Herzegowina haben, was die Medienkultur
der Minderheiten betrifft, noch Nachholbedarf. Aber auch dort gab und gibt es löbliche
Gegenbeispiele. Selbst in den ärgsten Kriegswirren gelang es einem Redaktionsstab aus
Serben, Kroaten und bosnischen Muslimen die bis heute renommierte Tageszeitung „Oslo-
bodjenje“ in Sarajevo herauszugeben. In Bosnien-Herzegowina, genauso wie in Albanien
oder Mazedonien hält sich das finanzielle Engagement des westlichen Auslands in extrem
engen Grenzen, ganz im Gegensatz zur Türkei, deren Investitionsbereitschaft gerade in
muslimisch geprägten Balkanregionen seit 1999 deutlich zugenommen hat. Westliche Me-
dienunternehmen waren bisher in größerem Maße lediglich an Ungarn, Rumänien, teilweise
Bulgarien und Slowenien interessiert. Die Privatisierung, auch grenzüberschreitend, verlief
in den Balkanstaaten nicht nur über den Verkauf an private Investoren – der größte private
Fernsehsender in Sofia gehört zum Beispiel dem serbischen Unternehmer Darko Tamindži
–, sondern auch über den Verkauf an ausländische staatliche Unternehmen. So begann die
Privatisierung, interessanterweise in Serbien, damit, dass Belgrad Anteile an seiner Tele-
kommunikation an griechische und italienische Unternehmen verkaufte. Die griechische,
ebenfalls staatliche Telekommunikationsgesellschaft „OTE“ kaufte sich Anteile am rumä-
nischen Gegenstück „Romtelecom“.
In Rumänien waren, ganz im Gegensatz zu den Nachbarländern auf der Balkanhalbinsel,
die Investitionsbedingungen bereits 1991/92 so gestaltet, dass potenzielle Investoren nicht
abgeschreckt wurden. Politisch motivierte Willkür, Kompetenzstreitigkeiten und institutio-
nelle Unsicherheiten sorgten dafür, dass einerseits halblegale elektronische Medien boom-
ten und andererseits mancher Investor auf Abstand ging. Man bemühte sich aber, die nöti-
gen medienrechtlichen Regelungen auf Grundlage der Presse- und Redefreiheit zu verab-
schieden, die in allen nach 1989 erlassenen Verfassungen verankert sind. Dazu gehören das
duale System, das bedeutet die Koexistenz von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien;
dazu gehören Autorenrechte, die internationalen Standards entsprechen, und eine Entmono-
polisierung und Privatisierung im Telekommunikationswesen. Die medienrechtlichen Ent-
scheidungen unterlagen freilich den wechselnden politischen Verhältnissen. So gab es in
Serbien nach dem Aufbruch den großen Rückschlag der Miloševi-Jahre und nach dessen
Sturz die Versuche der Politik, die Uhr während der Djindji-Regierung zurückzudrehen. In
Rumänien hatte man es 1992 trotz der Parlamentsmehrheit der Post-Kommunisten ge-
schafft, ein Gesetz über die audiovisuellen Medien und 1994 ein spezielles Gesetz zum
öffentlich-rechtlichen Rundfunk und zum Fernsehsektor durchzusetzen. Nachdem eine

26
konservative Koalition die Regierung übernommen hatte, wurde zusätzlich 1997 ein Gesetz
über das Filmwesen und ein Jahr später eines über die elektronischen Medien verabschie-
det. In Bulgarien brachte der Regierungswechsel von den Sozialisten zur konservativen
„Union der demokratischen Kräfte“ im Frühjahr 1997 zwar einen Fortschritt hinsichtlich
der bisher sehr restriktiven Medien-gesetzgebung. Doch auch die neuen Mediengesetze
wurden von europäischen Institutionen kritisiert, weil sie nach wie vor zuviel Kontrolle bei
der Vergabe von Radio- und Fernsehlizenzen vorschreiben würden. Die Parteien und Poli-
tiker hatten ein natürliches Interesse daran, sich einen möglichst großen Einfluss nament-
lich auf die öffentlich-rechtlichen Medien zu sichern, weshalb auch für fast alle Staaten Ex-
Jugoslawiens – mit Ausnahme von Slowenien und auch eventuell Mazedonien – gilt, dass
der öffentlich-rechtliche Sektor, besonders das Fernsehen als der Multiplikator schlechthin
zum Schauplatz verbissener ‚Medienkriege‘ wurde. Darüber hinaus ging es um die Frage,
welche privaten Anbieter Sendelizenzen erhalten und ob ausländische Investoren in ihren
Aktivitäten und Programminhalten beschränkt werden sollten.
Ende der 1990er Jahre stritt in Albanien ebenso wie in Ungarn die Opposition dafür,
dass sie ebenfalls angemessen in den Aufsichtsräten der staatlichen Fernsehanstalten vertre-
ten wäre, denn nach wie vor betrachteten die regierenden Parteien gerade den Staatsfunk als
Dreingabe ihres Wahlsieges. Ungarn war indes wie Rumänien oder Slowenien ein Land, in
dem die institutionelle und rechtliche Fundierung des Transitions-prozesses in relativ ruhi-
gen Bahnen verlief. In den Anfangsjahren, da einschlägige Gesetze und Gegenmaßnahmen
nicht vorhanden waren oder nicht griffen, grassierte die Produktpiraterie. Im Kosovo, das
nach 1999 unter internationaler Verwaltung stand, türmten sich in den Läden die Raubko-
pien westlich-amerikanischer Unterhaltungsware. Dennoch ist die Amerikanisierung in
Südosteuropa lange nicht so dominierend wie in Westeuropa. Die Jugend hört neben der
internationalen Popmusik zum Beispiel genauso gerne den so genannten serbischen ‚Turbo-
Folk‘ einer Svetlana „Ceca“ Ražnatovi, einer Lepa Brena oder eines Željko Joksimovi,
die auch in Bulgarien oder Mazedonien populär sind. Grundsätzlich kann man, was die
Umsetzung medienrechtlicher Normen in den 1990er Jahren betrifft, feststellen, dass jene
Staaten am schlechtesten abschnitten, die von Kriegen und Bürgerkriegen betroffen waren,
also Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina und Albanien; am besten schnitten Slo-
wenien und Ungarn ab, dazwischen lagen Mazedonien, Bulgarien und Rumänien. In Kroa-
tien hatte man zwar die Medien bereits 1990 im Zuge der Abspaltung vom jugoslawischen
Bundesstaat für unabhängig erklärt. Dennoch sprach das Gesetz über die öffentliche Kom-
munikation von 1992 mehr von den Pflichten der Journalisten und Veröffentlichungen als
von deren Rechten. Die Konsequenz war, dass die regierende HDZ („Hrvatska De-
mokratska Zajednica“, „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“) von Präsident Franjo
Tudjman massiv gegen Andersdenkende vorgehen konnte. Mit überhöhten Geldstrafen
wurden Medien ruiniert und zahllose Strafprozesse gegen Journalisten angestrengt. Ände-
rungen an der Gesetzeslage waren meist keine Verbesserungen, sondern rein kosmetisch,
wie auch die OSZE-Mission in Zagreb aus Anlass der Änderungen des Rundfunkgesetzes
vom Oktober 1998 feststellen musste. In der Bundesrepublik Jugoslawien, das heißt in
Serbien und Montenegro, unterwarf sich das Miloševi-Regime den staatlichen Rundfunk
in einem Maße, das das 1991 erlassene Mediengesetz zur Makulatur und regierungskriti-
sche und Journalisten zu Staatsfeinden machte. Gegen alternative Medien wurde mit allen

27
Mitteln vorgegangen, von steuerlicher Überbelastung, Verleumdungsklagen12 bis zum Ver-
bot der Übernahme ausländischer Rundfunkprogramme, das das Informationsgesetz vom
20. Oktober 1998 festschrieb. Nachdem das Miloševi-Regime die bürgerlichen Oppositi-
onsparteien aus dem serbischen Parlament, der Skupština, verdrängt hatte, musste sich der
Widerstand in die noch freien Medien verlagern. 1998 gab es in Serbien die erstaunliche
Zahl von rund 300 Radiosendern und 90 Fernsehstationen. Deren Freiheit wurde jedoch
drastisch eingeschränkt, als die Nato im März 1999 militärische und zivile Einrichtungen
im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt zu bombardieren begann.

12
Die wegen Verleumdung verhängten Geldstrafen zwangen die regimekritische Zeitung „Naša Borba“ zur
Aufgabe; die unabhängigen Tageszeitungen „Danas“ und „Dnevni Telegraf“ mußten ihren Betrieb von Bel-
grad nach Montenegro verlagern [vgl. Milev, R.: Medien. In: Hatschikjan, M./Troebst, St. (Hrsg.): Südosteu-
ropa. Ein Handbuch. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur. München 1999, S. 473].

28
1. Serbien: Zwischen Miloševi und Marktwirtschaft

Als Slobodan Miloševi, der letzte sozialistische Präsident Jugoslawiens und zuletzt Staats-
chef der Bundesrepublik Jugoslawien, die territorial mit dem späteren Serbien und Monte-
negro identisch war, am 5. Oktober 2000 durch den Druck der Straße aus dem Amt ge-
drängt wurde – wochenlang hatten Studenten, Pensionisten, Kirchenvertreter und viele
andere gegen das Regime des sozialistischen Präsidenten protestiert – bekam die Mei-
nungs- und Pressefreiheit in Serbien13 einen gewaltigen Schub. Doch die Gewohnheiten der
alten Ära ließen sich nicht von einem Tag auf den anderen beseitigen. Politik und Wirt-
schaft wollten nicht einfach ihren alten Anspruch aufgeben, die Medien nach ihrem Gut-
dünken zu beeinflussen. Für die Regierungsparteien war und ist das staatliche Fernsehen
RTS14 dabei von besonderem Interesse, wobei es in der Hauptstadt die Mitglieder des Ver-
waltungsrates von RTS sind und in der Provinz die Kommunalbehörden, unter deren
Rechtsaufsicht die Lokalsender stehen15, die ihren politischen Einfluss geltend machen. Den
Vertretern der etablierten Parteien waren in der Zeit nach der Ablösung des einst allgewal-

13
Der südosteuropäische Binnenstaat Serbien (serbisch  
/ Srbija), offizielle Bezeichnung Republik Serbien
(!  
/Republika Srbija), liegt im Zentrum der Balkanhalbinsel und grenzt im Norden an Un-
garn, im Osten an Rumänien und Bulgarien, im Süden an Mazedonien und Albanien, im Südwesten an Monte-
negro und im Westen an Bosnien und Herzegowina (Republika Srpska) und Kroatien. Die längste Nord-Süd-
Ausdehnung beträgt 500 km, die längste Ost-West-Ausdehnung 350 km (Gesamtfläche: 88.361 qkm, exkl.
Kosovo; 79 Einw./qkm). Zu Serbien gehören die beiden autonomen Provinzen Vojvodina im Norden und das
von den Vereinten Nationen verwaltete Kosovo im Süden des Landes, das sich am 17. Februar 2008 einseitig
für unabhängig erklärte. In der Republik Serbien leben 7,531 Millionen Einwohner, davon 83% Serben (Min-
derheiten: 4% Ungarn, 2 % Bosniaken. Als Folge der Kriege der 1990er Jahre leben in Serbien zur Zeit 98.997
Flüchtlinge und 227.590 Binnenvertriebene. Die Landesteile Serbiens unterscheiden sich nach ihrer Bevölke-
rungsverteilung. In Zentralserbien leben mehrheitlich Serben, daneben auch Roma und Vlachen; in der Region
Stari Ras eine starke bosnische Minderheit; im Preševo-Tal in Südserbien eine albanische Minderheit. Nord-
serbien (Vojvodina: Banat, Baka und Srem) ist schon seit Jahrhunderten geprägt durch ein buntes Völkerge-
misch: Serben (65,05 %), Ungarn (14,28 %), Slowaken (2,79 %), Kroaten (2,78 %), Roma (1,43 %) und früher
auch etwa 200.000 bis 350.000 Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden. Das Kosovo
wird von Albanern dominiert. Ergab die im Jahr 1981 durchgeführte Volkszählung noch einen albanischen
Bevölkerungsanteil von 80 %, gehen die Schätzungen nach dem Kosovo-Krieg von über 90 % aus. Viele zuvor
dort wohnende Serben, wie auch Angehörige anderer Minderheiten, etwa Roma, Bosniaken, Goranen und Tür-
ken zogen weg oder wurden vertrieben. In die Vojvodina (Nordserbien) und das Engere Serbien kamen in den
letzten Jahren etwa 490.000 (Binnen)-Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten in Kroatien, Bosnien und Herzego-
wina und dem Kosovo (etwa 180.000 aus Kroatien, 90.000 aus Bosnien und Herzegowina, 220.000 aus dem
Kosovo). Die Amts- und Verwaltungssprache Serbiens ist Serbisch. In der nordserbischen Provinz Vojvodina
sind neben Serbisch auch Ungarisch, Kroatisch, Ruthenisch, Slowakisch und Rumänisch als Amtssprache an-
erkannt. Nach der im November 2006 in Kraft getretenen Verfassung wird die serbische Sprache in Serbien of-
fiziell in kyrillischer Schrift geschrieben, wobei im Alltag und in den Medien auch die lateinische Form ver-
wendet wird.
14
RTS ist die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Serbiens – Radio-Televizija Srbije, kurz RTS. Am 24. März
1929 nahm RTS dem Sendebetrieb auf. Aktuell ist Aleksandar Tijani Intendant von RTS. Empfangen kann
man die Programme via Kabel, Satellit und DVB-T. Die vier Fernsehsender, die von Radio-Televizija Srbije
betrieben werden sind: RTS 1 (prvni Program), RTS 2 (drugi Program), Radio Televizija Vojvodine, früher
unter dem Namen „TV Novi Sad“ bekannt, und RTS SAT (Satelitski Program). Bei allen vier Sendern handelt
es sich um Vollprogramme. Der Sender 3K stellte 2006 den Sendebetrieb ein. Daneben betreibt die staatliche
Rundfunkanstalt mehrere Radioprogramme: Radio Beograd 1, Radio Beograd 2, Radio Beograd 3, Beograd
202, Radio 101, Radio Novi Sad, und Radio Jugoslavia, den Auslandssender Serbiens.
15
Vgl.: Mittel- & Osteuropäisches Journalistenseminar, 12. bis 23. Sept. 2007
[www.ssm-seminar.de/2004/msys_serb.htm].

29
tigen Präsidenten vor allem die kritischen Medien, die Zeitungen und Wochenmagazine ein
Dorn im Auge. Im Februar und März 2000 titelten westliche Zeitungen wie die „Neue Zür-
cher Zeitung“ oder der schweizerische „Tages-Anzeiger“, dass das serbische Regime einen
wahren Medienkrieg gegen unabhängige Journalisten führe16. Am 10. Februar hätte der
Premierminister und Vorsitzende der Serbischen Radikalen Partei, Vojislav Šešelj, auf
einer Pressekonferenz zur „Jagd auf Journalisten“ geblasen. Er beschuldigte die Mitarbeiter
unabhängiger Medien, im Solde Amerikas zu stehen17: „Wir werden gegen alle diejenigen
vorgehen, die ihre Befehle aus dem Westen erhalten, die Geld von den Amerikanern und
ihren Verbündeten erhalten, um gegen uns zu handeln. Wir haben die Samthandschuhe
ausgezogen. Es ist kristallklar: Wer zum Schwert greift, soll durch das Schwert umkom-
men. Daran sollt ihr denken. Ihr von B9218 und der andere verräterische Abschaum. Ihr
dürft nicht meinen, dass ihr überleben werdet, wenn wir hingerichtet werden. [...] Ihr arbei-
tet gegen euer eigenes Land; ihr werdet bezahlt mit amerikanischem Geld, um unser Land
zu zerstören. […] Ja, diejenigen von euch, die für die Amerikaner arbeiten, ihr von Danas,
von B92, von Glas javnosti, von Novosti, ihr von Blic19. Ihr seid die Verräter der serbischen
Nation. Ihr arbeitet freiwillig für die Interessen derjenigen, die serbische Kinder umge-
bracht haben. Ihr habt eure Seelen verkauft.“
Der Vorsitzende der Radikalen spielte mit seinem Vorwurf, die serbischen Journalisten
arbeiteten für diejenigen, „die serbische Kinder umgebracht haben“, auf den Juni 1999 an,
als die Bundesrepublik Jugoslavien wegen der Ereignisse im Kosovo tagelang bombardiert
worden war. Wenige Tage vor Šešeljs Pressekonferenz hatte der serbische Minister für
Information, Aleksandar Vui, ebenfalls Mitglied der Radikalen, in einem Artikel der
regierungstreuen Tageszeitung „Politika“ die freien Medien in gleicher Weise angegriffen:
„Der Westen versucht durch seine unterwürfigen Medien hier alle elementaren Menschen-
rechte abzuschaffen – inklusive der Medienfreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäuße-
rung.“ Vui richtete seinen Angriff vor allem gegen das Netzwerk unabhängiger elektroni-
scher Medien in Serbien, ANEM, dessen einziges Ziel es sei, mit millionenschwerer Unter-
stützung durch den Westen und in Zusammenarbeit mit den „terroristischen Medien im
Kosovo“ sich den serbischen Interessen entgegenzustellen. Er bezichtigte die Mitarbeiter
von ANEM und die internationalen Geldgeber, serbische Gesetze zu umgehen, illegale
Finanztransaktionen zu tätigen und systematisch den Staat zu unterwandern.
Als ein Journalist zugab, dass die unabhängigen Medien Unterstützung von Freunden
aus dem Ausland erhielten, wandte Vui ein: „Ausländische Regierungen, die einen Krieg
gegen Jugoslawien finanzieren, sind keine Freunde.“ Trotz sofortiger und scharfer Proteste
internationaler Medienorganisationen – zum Beispiel der internationalen Journalisten-

16
„Attacken gegen Serbiens ‚Verräter-Medien’“ (NZZ, 18.2.2000); „Prügel für die ‚Mörder Serbiens’“ (Tages-
Anzeiger, 7.3.2000). Vgl. auch: www.medienhilfe.ch/fileadmin/medienhilfe/mh-infos/mh-info2000-1.pdf.
17
Vgl.: „Medienkrieg in Serbien“. In: Medienhilfe Ex-Jugoslawien. 200/1 [http://www.medienhilfe.ch/ filead-
min/medienhilfe/mh-infos/mh-info2000-1.pdf].
18
B92 war im Ursprung ein unabhängiger, kritischer Sender, der sich immer wieder mit den Mächtigen in der
serbischen Politik anlegte.
19
„Danas“ ist ein politisches Magazin. Die Erstausgabe von „Glas javnosti“ erschien am 20. April 1998 unter
dem Namen „Novi Blic“. Gegründet wurde die Zeitung von einigen Journalisten der Tageszeitung „Blic“, die
sich damit dem wachsenden politischen Einfluss der Miloševi-Regierung auf die Redaktion der Zeitung ent-
ziehen wollten. Nach fünf Ausgaben unter dem Namen „Novi Blic“ musste sie aufgrund einer gerichtlichen
Anordnung ihren Namen ändern. Am 25. April 1998 wurde der Name in „Glas javnosti“ geändert. Ursprüng-
lich war „Glas javnosti“ eine ehemalige Tageszeitung in Kragujevac, deren Erstausgabe am 15. Juli 1874 er-
schien. Die „Veernje Novosti“ („Abendnachrichten“) ist eine Tageszeitung, die am 16. Oktober 1953 gegrün-
det wurde. Während der Miloševi-Zeit galt sie als Sprachrohr des Regimes.

30
Union IFJ – verschärften Vertreter der Radikalen Partei ihre verbalen Angriffe weiter und
gingen zu direkten Angriffen über. Aleksandar Tijani, Journalist und Freund des 1999
ermordeten Slavko uruvija, wurde von der staatlichen Nachrichtenagentur Tanjug ange-
klagt, persönlich in den Mord an Verteidigungsminister Bulatovi eingeweiht gewesen zu
sein. Tijani, der 1997 den Posten als Informationsminister Serbiens aufgegeben hatte, um
als unabhängiger Journalist zu arbeiten, wurde als ‚Verräter’ und ‚Feind’ gebrandmarkt.
uruvija, Verleger, Direktor der unabhängigen Tageszeitung „Dnevni Telegraf“, und
Gründer der Zeitschrift „Evropljanin“ („Der Europäer“), war ursprünglich zu fünf Monaten
Haft verurteilt worden, und wurde am 11. April 1999 von unbekannten Tätern vor seinem
Haus erschossen. Die Angriffe gegen unabhängige Journalisten waren aber nicht einfach
das Steckenpferd der Serbischen Radikalen. Der Jugoslawische Informationsminister Goran
Mati stellte sich damals ausdrücklich hinter die Übergriffe: „Es gibt tatsächlich Journalis-
ten in Jugoslavien, die von ausländischen Mächten benutzt werden, um das Land zu desta-
bilisieren.“ Und Mirjana Markovi, die Ehefrau von Präsident Miloševi und Chefin der
„Vereinigten Linken“ JUL, rief zur „Dekontaminierung der Medien“ auf. Am 6. März 2000
folgten fünf Bewaffnete und als Polizisten Uniformierte diesem Aufruf, stürmten die Sen-
deanlagen des unabhängigen Belgrader Radio- und Fernsehsenders „Studio B“ im Vorort
Torlak, schlugen einen Nachtwächter und einen Techniker zusammen, zerschnitten Kabel
und stahlen einen Teil der Ausrüstung. Anstatt den Fall aufzuklären, verurteilten die Be-
hörden Dragan Kojadinovi, Chefredakteur des Senders, zu einer hohen Geldstrafe. Denn
ein Gast in einer Diskussions-sendung hatte angeblich eine staatsfeindliche Aussage ge-
macht. Nur zwei Stunden später erhielt „Studio B“ die Rechnung der serbischen Telecom.
Innerhalb von sieben Tagen sei die Summe von einer Million Euro (nach heutigem Wech-
selkurs) für die Benutzung der Radio- und Fernseh-Frequenzen zu überweisen. Absender
der Telecom-Rechnung war Ivan Markovi, jugoslawischer Minister für Telekommunikati-
on und ranghohes Mitglied von Marjana Markovis JUL. Die oppositionelle Stadtregierung
von Belgrad beschloss, den Betrag zu zahlen, forderte aber eine detaillierte Rechnung, weil
diese ihrer Meinung nach illegal war.

1.1 Die serbischen Medien und das Wendejahr 2000

Illegal war für einen erheblichen Teil der serbischen Öffentlichkeit vor allem die kritische
Opposition, die über den Äther und gedruckt ihre abweichende, vielfach als westlich un-
terwandert verunglimpfte Meinung kundtat. Je größer die Bedrängung von außen wurde, je
mehr der Bürgerkrieg sich gegen Serbien kehrte, desto mehr zog man sich auf sich selbst
zurück. Nach dem Bürgerkrieg stritt man weiterhin darüber, ob die freien, kritischen Me-
dien nicht Serbiens Widerstandswillen unterminiert hätten. Der Journalist Mihailo Antovi
gehörte dagegen zu jenen, die beklagten, dass man der serbischen Öffentlichkeit noch im-
mer nicht die volle Wahrheit über ihre Gegenwart und Vergangenheit sage. Miloševis
Aufstieg zur Macht sei ohne die mediale Unterstützung nicht denkbar. Aber auch das Ende
seines Regimes symbolisiere nichts besser als das Bild des zerstörten Gebäudes des natio-
nalen Fernsehens in der Belgrader Takovska-Straße im Oktober 2000. Der nationalistische
Furor, die Massenhysterie, die die serbischen Staatsmedien nach Ansicht westlicher Beob-
achter so lange und so schmerzlich beherrscht hätten, nahmen ihren Anfang in den frühen
1990er Jahren. Nachdem die ehemaligen Kommunisten die ersten Mehrparteienwahlen
allein in Serbien gewonnen hatten, veränderte sich die Medienlandschaft nur partiell zum

31
Besseren. Einige mutige Redakteure versuchten der Öffentlichkeit eine Meinung zu vermit-
teln, die von der staatlichen Meinung abwich. So wurden die Belgrader Fernsehstation
„Studio B“ und der Studentenradiosender „B92“ und „Radio Index“ binnen kürzester Zeit
zu Inbegriffen oppositionellen Denkens in Serbien. Wann immer das Miloševi-Regime in
Bedrängnis geriet, wurden diese Sender schikaniert, ihre Räume durchsucht oder auch
geschlossen. Für einen unabhängigen Radiosender wie „Radio Index“ war die Miloševi-
Zeit besonders schwer durchzustehen, sowohl aus professioneller wie aus existenzieller
Sicht, erinnert sich der Radiojournalist Pedja Uroševi. Man wäre an die Politiker nicht
herangekommen, außer in Pressekonferenzen, wo man Antworten auf vorher verabredete
Fragen bekam. Der Druck war mit Händen zu greifen. Die Journalisten waren die ersten,
die die Polzei während der Demonstrationen angriff und verprügelte. Dennoch wäre das
schwierigste Jahr, so Uroševi, das Jahr 2000 gewesen, als Miloševi Radio „B92“ schlie-
ßen ließ, dessen Büroräume auf dem selben Stockwerk wie die von „Radio Index“ lagen.
Der neue Nachbar, der anstelle von „B92“ für zwei Wochen einzog, war eine Spezialeinheit
der Polizei, die nur dort einquartiert wurde, um die Journalisten einzuschüchtern und davon
abzuhalten, jene Nachrichten zu senden, die Miloševi nicht gerne hörte. Man hätte „Radio
Index“ weiterexistieren lassen, sagen dessen Redakteure, weil das Regime aus diplomati-
schen Gründen einen lebenden Beweis brauchte, dass es noch eine unabhängige Radiostati-
on im Lande gäbe, die nicht vom Regime kontrolliert wird.
Am 9. März 1991 fanden in Belgrad gewaltige Demonstrationen gegen die Regierung
statt. Die Demonstranten forderten, die Führung des staatlichen Fernsehsenders „RTS“
solle unverzüglich zurücktreten. Die Proteste endeten im Chaos – etliche Verletzte und
zwei Tote waren zu beklagen, Panzer ratterten durch die Straßen der Hauptstadt. Da sich
auch Studenten den Protesten angeschlossen hatten – das erste Mal seit 1968 –, ließ sich der
Staatschef zu einer öffentlichen Diskussion mit ihnen überreden – ein Fehler, wie sich he-
raustellen sollte, weil die offziellen Delegierten der Studentenschaft Miloševi vor laufen-
den Kameras argumentativ bloßstellten. Der sonst rhetorisch nicht ungeschickte Miloševi
sollte danach nie mehr live mit politischen Opponenten diskutieren. Der Tiefststand der
Pressefreiheit wurde jedoch erst im Laufe des jugoslawischen Bürgerkriegs erreicht, wobei
keine der ehemaligen Teilrepubliken hiervon eine Ausnahme machte. Zwischen 1992 und
1996 wurden praktisch alle unabhängigen Fernseh- und Rundfunkstationen außerhalb Bel-
grads geschlossen. Eine Ausnahme und den letzten publizistischen Rückhalt der Opposition
stellte ausgerechnet und ironischerweise die ehemalige kommunistische Parteizeitung
„Borba“ dar, die bis in die späten 1980er Jahre als solche fungiert hatte. Doch die Bürger
des untergehenden Jugoslawien konnten sich oft nicht einmal eine Zeitung leisten. Denn
die Inflation war enorm, vergleichbar vielleicht nur der, die Deuschland in den 1920er
Jahren erlebte. In der Konsequenz wurde das Staatsfernsehen der Monitor der offiziellen
Wahrheit. Die allabendliche Hauptnachrichten-sendung „Agenda“ um halb acht wurde mit
jedem Abend länger und ausführlicher. Anfangs dauerte sie eine halbe, dann eine dreivier-
tel Stunde. Zuletzt brachte man geschlagene eineinhalb Stunden Nachrichten, wobei der
Informationsgehalt dem politisch Gewünschten immer mehr angepasst wurde. Bürger-
kriegsgegner wurden fast nur noch mit Schimpf-namen wie ‚Ustaše’ (für die Kroaten) be-
zeichnet. Oppositionspolitiker wie Zoran Djindji, der unter anderem auch in Deutschland
studiert hatte, wurden als Verräter und West-Spione beschimpft, und gemäßigt nationalisti-
sche Schriftsteller und Politiker, namentlich der national-konservative Oppositionsführer
Vuk Drašovi, wurde als „Metzger und Wahnsinniger“ apostrophiert. Die Verbrechen der
Kroaten und bosnischen Muslime wurden im Detail beschrieben, die eigenen kamen nicht
vor. Dass auch die Gegenseite das gleiche mit ihren Medien machte, war zumindest den

32
gewissenhafteren Mitarbeitern bei „RTS“ ein Trost. Dabei muss aber dazu gesagt werden,
dass bis zum Frühjahr 1995 alle renommierten Journalisten und Redakteure dem Sender
den Rücken gekehrt hatten oder entlassen worden waren. Bei den Zeitungen geschah ähnli-
ches, mit besonderem Nachdruck bei der serbischerseits und balkanweit bedeutendsten und
ältesten Tageszeitung, der „Politika“, die dem Zugriff Miloševis nicht entgehen konnte.
Wer gehen musste, sollte nach dem Sturz des Präsidenten den Kern des unabhängigen
Journalismus in Serbien bilden.
Der Friedensvertrag von Dayton 1995 hatte zwar Miloševi gestattet, sich ohne großen
Gesichtsverlust aus der bosnischen Katatstrophe zu retten, doch zuhause war er mit einem
kriegsmüden Volk konfrontiert, das die alte Rhetorik der Staatsmedien satt hatte. Die Folge
war, dass Miloševi die Regionalwahlen 1996 verlor. Erst der versuchte Wahlbetrug brach-
te die Massen landesweit zu friedlichen Demonstrationen auf die Straße, die drei Monate
dauerten. Etliche Städte und Kreisverwaltungen konnte die Opposition im Frühjahr 1997
für sich gewinnen, unter anderen Niš, Novi Sad und Belgrad, womit sich auch die Situation
in den Medien etwas verbesserte. Lokale Fernsehsender schossen aus dem Boden je mehr
die Anti-Miloševi-Proteste in den Städten an Boden gewannen. Der Westen und ausländi-
sche Nicht-Regierungsorganisationen stärkten den Demonstranten, die täglich mehr wur-
den, den Rücken. Dies wiederum lieferte der Regierungspresse den willkommenen Vor-
wand, die Demonstrationen als Intrige des Westens anzugreifen. Doch der Einfluß der un-
abhängigen Medien wuchs. Jede von der Opposition kontrollierte Stadt hatte schließlich
mindestens eine unabhängige regionale Fernsehstation – Niš hatte zwölf, wovon drei wie-
derum unabhängige Nachrichten und Talkshows sendeten, die allen Oppositions- und Re-
gierungspolitikern offenstanden. Aber so sehr auch die offizielle Version der Dinge wie sie
die staatlichen Medien transportierten in Bedrängnis geriet, so stark war ihr Zugriff nach
wie vor auf die Hauptstadt. In Belgard entstanden zwar neue Zeitungen wie das Boulevard-
blatt „Blic“ und später dessen Ableger „Glas Javnosti“ („Stimme der Öffentlichkeit“), doch
die Stadt war die einzige in Serbien, in der es keiner unabhängigen Fernseh- oder Radiosta-
tion erlaubt war zu senden. „Borba“ wurde unter Kuratell gestellt, woraufhin der gesamte
Redaktionsstab zurücktrat und das Pendant „Naša Borba“ aus der Taufe hob. Dass sich die
Medienszenerie aufheizte, blieb auch westlichen Investoren zu dieser Zeit nicht verborgen
und Politiker entdeckten die Förderung der unabhängigen Medien als Mittel, um den viel-
fach als ‚Panzer-Kommunisten’ apostrophierten Präsidenten in die Knie zu zwingen.
Doch sollte sich Miloševi mit dem offenen Ausbruch des Kosovo-Konflikts eine Chan-
ce bieten, das Blatt zu wenden. Die offiziellen Medien riefen das serbische Volk zur Solida-
rität mit den drangsalierten Brüdern und Schwestern in der Südprovinz auf und ließen keine
Gelegenheit aus, um die kosovo-albanischen Politiker als ungebremste Separatisten und
Großalbaner zu brandmarken. Der Wind begann sich zu drehen. Die Anti-Miloševi-
Demonstranten, viele westorientierte Serben und vor allem die Jugend, die noch vor kur-
zem ihre Hoffnung in den freien Westen gesetzt hatten, fühlten sich durch die Halbwahrhei-
ten, die der Westen als Vorwand für das Bombardement auf serbische Städte im Frühjahr
1999 benutzte, desillusioniert. Sie fühlten sich gedemütigt durch die Art, wie die westlichen
Medien die Serben grosso modo an den Pranger stellten. Die alten Parolen der staatlichen
Medien verfingen wieder, vor allem, weil viele Serben nun an Leib und Leben bedroht
waren. Die Absichten des Westens hatte man in Serbien stets mit einem Fragezeichen ver-
sehen, auch nachdem sich das politische Klima geändert hatte. Da die Staatsmedien wieder
obenauf waren, lebte auch der alte Druck auf die unabhängigen Medien wieder auf. Das
Staatsfernsehen denunzierte nicht mehr nur angebliche Verräter in den eigenen Reihen,
sondern wütete erneut gegen die ‚Mörder’ in den Nicht-Regierungsorganisationen, gegen

33
‚Spione’ unter den freien Journalisten und ‚Faschisten’ unter den Studenten. Dass die Nato
als „verkommener und feiger Aggressor“ beschimpft wurde, verwunderte niemanden. Ein
prominenter freier Journalist wurde an Ostern 1999, während des Kosovo-Konflikts, umge-
bracht, unter Umständen, die bis heute nicht aufgeklärt sind. Oppositionspolitiker wurden
bestochen, erpresst und schikaniert, Studenten wurden verhaftet. Serbien befand sich, nach-
dem die letzten Soldaten der Volksarmee das nunmehr von Nato-Truppen besetzte Kosovo
verlassen hatten, im Schockzustand – bis alles im Oktober 2000 aufbrach. Mit der politi-
schen Wende konnte daran gegangen werden, die Dinge zum Besseren zu wenden, was
freilich nicht von heute auf morgen möglich war.
Die kompromittierten Massenmedien hatten ihre politischen Abhängigkeiten zu klären,
sie mussten sich demokratisieren, entmonopolisieren und sich gesetzlichen Regelungen für
die Pressefreiheit, das heißt Rundfunkgesetzen, beugen. Der Journalismus hatte sich einer
gründlichen Veränderung und vor allem Professionalisierung zu unterziehen. Während des
Miloševic-Regimes in den 1990er Jahren konzentrierte sich alles zunächst auf die Entmo-
nopolisierung, um das Überleben unabhängiger Medien zu sichern. Die Medien waren ein
ständiger Streitpunkt der Politik und blieben in den 1990ern größtenteils abhängig von
staatlichen Autoritäten. Diese Abhängigkeit nahm in den für das Regime gefährlichen Pha-
sen wie dem Kosovo-Krieg drastisch zu. So förderte man einerseits Nachrichten- und Un-
terhaltungsmedien, die die Belange der Regierung unterstützten und behinderte aktiv den
Aufbau alternativer Medien. Darüber hinaus schränkte man deren Reichweite über das
Monopol an den Sendefrequenzen ein. Die meisten terrestrischen Sender blieben in Regie-
rungsbesitz. Außerdem behinderte die Regierung den Import von Zeitungen aus dem Aus-
land. Gegen regierungskritische Medien gab es regelmäßig Anklagen, nicht patriotisch
genug zu handeln. Offen wurde mit Gewalt gedroht. Die Eigentumsübertragung von Me-
dien tat ein Übriges. Gesetzliche Dokumente, die die Regierung vor dem Gesetz belastet
hätten, wurden über Nacht einfach für nichtig erklärt.
Zwar existierte auch vor der Wende eine Vielzahl privater Sender, aber gut die Hälfte
war nicht ordnungsgemäß registriert, oder hatte nur einen Einjahresvertrag. Ihren Höhe-
punkt erreichte die Unterdrückung im „Gesetz zur Information der Öffentlichkeit“ von
1998, mit dem die Regierung erstmals auch den Inhalt der Medien kontrollierte. Die Nach-
richten bezogen sich zu dieser Zeit in den staatlichen Medien zum großen Teil auf die re-
gierende Partei, die meist positiv oder neutral, jedoch nie negativ dargestellt wurde. Die
Meinung der unabhängigen Medien wurde an den Rand gedrängt. Diese hatte die natürliche
Folge, dass diese sich meist der Opposition anschlossen. So wurden beispielsweise die
Kriege in Kroatien und Bosnien von den regimetreuen Medien als Kampf um die Selbstbe-
stimmung der Serben dargestellt. Ziel der internationalen Gemeinschaft sei es gewesen, die
Serben in die Knie zu zwingen. Gezeigt wurden vorwiegend die Situation an der Front und
das Elend der serbischen Kämpfer. Die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung wurden
nicht gezeigt. Die unabhängigen Medien hingegen lehnten den Nationalismus des Regimes
ab. Gewalthandlungen wurden als Konflikte zwischen den verschiedenen Nationalismen
dargestellt, die besser durch Friedensverhandlungen zu lösen wären.
Als die Medienpropaganda bei den Neuwahlen im Jahr 2000 ihren Höchststand erreich-
te, brannten Demonstranten ein Fernsehgebäude des regimetreuen staatlichen Senders
„RTS“ nieder. Die regierungsabhängigen Medien änderten daraufhin über Nacht ihre politi-
sche Ausrichtung und schwenkten auf die Linie der demokratischen Opposition ein. Die
Berichterstattung des Staatsfernsehens war aber nach wie vor alles andere als unparteiisch,
weil die neue Redaktion, hastig angeworbene Ex-Journalisten, vor allem aus überzeugten
Anhängern der neuen Regierung bestand. Die Situation besserte sich jedoch rasch. Im

34
Grunde findet heute fast jede Meldung ihren Weg in das RTS-Programm. Nach der friedli-
chen Ablösung des Miloševi-Regimes dauerte es oft lange bis sich ein Vertreter der serbi-
schen Sozialisten zu einem aktuellen Thema äußern durfte. Andere erschienen dafür fast
schon zu oft auf dem Bildschirm. Die Politiker der serbischen Radikalen waren lange bei
„RTS“ nicht gern gesehen, gleichwohl wurden deren Verlautbarungen und Kommentare für
gewöhnlich wiedergegeben. Die zweitwichtigste Fernsehanstalt Serbiens war bis 2007 das
private Unternehmen „BK Televizija“, das im Dezember 1994 erstmals auf Sendung ging.
„BK Televizija“ gehörte dem einstigen Miloševi-Vertrauten, Bogoljub Kari, und dessen
Bruder. Bogoljub Kari, gewiefter Geschäftsmann aus dem Kosovo-Ort Pe, schaffte es,
sich innerhalb weniger Jahre ein Wirtschaftsimperium aufzubauen. Dabei halfen ihm seine
exzellenten Beziehungen zu den Kreisen um Miloševi enorm: gegen Bargeld bekamen er
und andere aus seinen Kreisen politische Gunst und nicht zuletzt wertvolle Geschäftslizen-
zen. Aus dieser Verbindung ging auch „BK Televizija“ hervor, das das serbische Fernsehen
immerhin durch neue innovative Formate belebte, teils selbst entwickelt, teils aus dem
Ausland importiert, wie im Falle der Morgen-Show „Budilnik“ („Wecker“) oder des popu-
lären Quiz „Želite li da postanete milioner?“ („Wer wird Millionär?“). Das Programm des
Senders konnte man sehr bald schon auch über Internet live verfolgen oder sich später ein-
zelne Sendungen ansehen, was bei BK Televizija unter dem Programmnamen „BK Player“
lief. Das Totenglöckchen begann dem Sender zu läuten, als er Ende April 2006 für dreißig
Tage seine Sendelizenz verlor, angeblich, weil Senderegeln verletzt worden wären. Am Tag
nach dem Widerruf der Lizenz wurden die Redaktionsräume von der Polizei durchsucht,
wobei sich der Sender dadurch behalf, dass er sein Programm weiter über Satellit präsen-
tierte und über Fernsehgeräte, die in der Belgrader Knez-Mihailova-Straße aufgestellt wa-
ren. Der Lizenzentzug löste zwar eine landesweite Kontroverse aus – viele vermuteten ein
politisches Motiv – der Sender versuchte zu überleben, indem er ein abgespecktes Pro-
gramm über Satellit ausstrahlte. Doch die Tage des Senders waren gezählt. Der Großteil des
Redaktionspersonals kündigte – so wechselte Dejan Panteli zu „RTS“, wo er seitdem das
Quiz „Visoki napon“ („Hochspannung“) moderiert. Am 9. Mai 2007 wurde der Sendebe-
trieb eingestellt. Bestimmte Formate, die bereits auf „BK Televizija“ erfolgreich gelaufen
waren, übernahmen andere Fernsehsender: das Millionärs-Quiz lief ab sofort auf „TV B92“
oder die Sendung „Top Speed“ auf dem Sensations-Kanal „Foks televizija“
(www.foxtv.rs), der von Anfang an mit dem Argwohn der serbischen Zuschauer leben
musste, die in diesem nur einen Klon des amerikanischen konservativen Senders sahen.
Daher auch der Werbespruch „Fox Televizija Srpska i drugaija“ – „Fox TV Serbisch und
anders“. Oder auch das Motto, wonach mit dem Sender „die wahre Bedeutung der Worte
Nachricht und Objektivität“ nach Serbien zurückgekehrt sei („u Srbiju vraaju pravo
znaenje rei vest i objektivizam“) – was jedoch die Einschaltquoten nicht wesentlich erhö-
hen konnte. Die lokalen Sender Serbiens versuchten sich ebenfalls vom Einfluss der alten
Politik freizumachen. Dabei waren sie mit der Frage konfrontiert, woher die Finanzen für
den Sendebetrieb kommen sollten.
Gerade den renommierten Tageszeitungen und den auflagenstarken Massenblättern
machte man nach dem Oktober 2000 den Vorwurf, sich all zu sehr dem autoritären Regime
angedient zu haben. Die „Veernje Novosti“ hatten noch kurz vor dem Ende der Herrschaft
Miloševis auf dem Titelblatt ihrer Ausgabe vom 21. September 2000 ein manipuliertes
Photo vom Wahlkampftreffen des Präsidenten in Berane abgedruckt, auf dem auf beiden
Seiten die selben Bäume und die selbe Menschenansammlung zu sehen waren, um den
Eindruck eines Massenauflaufs zu erzeugen. Die Zeitung sprach von 100.000 Anwesenden,
die Opposition relativierte die Zahl auf 15.000. Auch die traditionsreichen Zeitungen „Poli-

35
tika“ oder „Borba“, die Miloševi ebenfalls bis zuletzt die Stange gehalten hatten, began-
nen, sich zu mehr oder weniger unabhängigen Organen zu wandeln. Mit neuen Herausge-
bern und Journalisten, die teils von ihrer Treue zum alten Regime nicht ganz lassen wollten,
andererseits aber auch die neuen politischen Größen, Koštunica oder Djindji, über den
grünen Klee lobten, um ihr altes Sündenregister vergessen zu machen. Die „Politika“, die
älteste Zeitung auf dem Balkan, und das publizistische Schlüsselorgan der neueren serbi-
schen Geschichte schlechthin, schaffte den Sprung zurück zu einer seriösen und geachteten
Tageszeitung, wobei lange darüber spekuliert wurde, ob etwas daran sei, dass die Hälfte der
Anteile an einen ausländischen, am Ende gar an einen kroatischen Investor gehen würde.
Die alten Oppositionsblätter, das Boulevardblatt „Blic“ und die „Glas Javnosti“ – die beide
mehrheitlich ausländischen Investoren gehörten – verteilten ihre politische Gunst: „Blic“
eher für den populären, westlich gesonnenen Premierminister Djindji, und „Glas Javnosti“
für den gemäßigten Nationalisten Koštunica. Grundsätzlich gilt jedoch, dass politische
Vorlieben, zumindest was die großen Tageszeitungen und Magazine betrifft, nur bei genau-
er Lektüre erkennbar sind. Die Grundlinie ist bis heute wohl vor allem ‚patriotisch-
kritisch‘, was man am deutlichsten am Dauerthema Kosovo merkt, das in fast allen Zeitun-
gen ähnlich behandelt wurde und wird. Man sei trotz (einseitig erklärter) Unabhängigkeits-
erklärung nicht bereit, sich dem internationalen Druck zu beugen und ein Gebiet auf-
zugeben, das zum Kernbestand Serbiens gehört. Dass die liberaldemokratische Partei von
edomir Jovanovi eine Aufgabe des Kosovo aus pragmatischen Gründen befürwortete,
fand in der Presse nur wenig zustimmenden Widerhall. Gerade ein Magazin wie die ange-
sehene und vielgelesene „NIN“, die sich durch ausführliche, gut recherchierte Artikel aus-
zeichnet, fand ausgewogene, aber stets kritisch-pointierte Worte, wenn es um das Kosovo
oder allgemein gesprochen um Themen von nationalem Interesse geht. Unverblümter äu-
ßerten sich Magazine wie „Reporter“, „Svedok“ oder der umstrittene „Nedeljni Telegraf“,
der stets überquoll von angeblich exklusiven, aber meist unbestätigten Nachrichten aus den
inneren Zirkeln der Macht.
Serbien kämpfte wie alle Gesellschaften des ehemaligen Jugoslawien mit den Hinterlas-
senschaften des Bürgerkriegs, des alten Regimes und Seilschaften. Die am meisten expo-
nierten Fürsprecher der Miloševi-Zeit konnten zwar oft genug in ihren Verlagen und Re-
daktionen bleiben, wurden aber degradiert. So wechselte der ehemalige Vorstandschef von
„RTS“ zu einem heruntergekommenen Lokalsender irgendwo im Lande. Wer früher einfa-
cher Sprecher oder Nachrichtenansager war, behielt seine Stelle, vorausgesetzt, die Zu-
schauer bekamen sein Gesicht nicht zu sehen. Natürlich waren auch die Zeitungsredaktio-
nen von den Fährnissen der Transformation betroffen. Zwei Journalisten-gewerkschaften
waren jahrelang in Händel verwickelt über Eigentumsrechte, politische und soziale Privile-
gien und die alles überragende Frage, wer eine Funktion ausüben dürfe und wer nicht. Ein
Kommentator stellte lakonisch fest, die Dinge besserten sich ohne Zweifel, und man könne
sich auf jeden Fall darüber freuen, „dass die offene Verfolgung von Journalisten durch die
Behörden endgültig hinter uns liegt“. Dass die alten Seilschaften diese Wende nicht wider-
standslos hinzunehmen gewillt waren, zeigt der Fall des Oppositionspolitikers, Intellektuel-
len, ersten nicht-kommunistischen Bürgermeisters Belgrads und späteren Premierministers
Zoran Djindji, der im März 2003 vor dem Gebäude der serbischen Regierung von einem
Scharfschützen so schwer verletzt wurde, dass er noch auf dem Weg ins Spital starb. Sein
Verbrechen war seine kompromissloser Kampf gegen das organisierte Verbrechen und die
Korruption, das Erbteil des alten Regimes.

36
1.2 Bedrängung der Medienfreiheit

Die Nutznießer des alten Regimes waren freilich nicht bereit, ihren Einfluss von heute auf
morgen aufzugeben, was für die Medien zu einem zermürbenden Kampf führte, der auch
etliche Opfer unter kritischen Journalisten forderte. In jenem schicksalhaften Oktober 2000,
als Slobodan Miloševi zum Rücktritt gezwungen wurde, durfte der schwer herzkranke
serbische Journalist Miroslav Filipovi das Gefängnis in Niš verlassen20. Im Laufe seiner
Haft hatte er zwanzig Kilo abgenommen. Der oberste Militärgerichtshof hatte die Haftstrafe
ausgesetzt und die Entlassung angeordnet. Präsident Vojislav Koštunica stellte in Aussicht,
den Journalisten zu begnadigen. Reporter ohne Grenzen forderte darüberhinaus die volle
Rehabilitation des Journalisten. Die gegen Filipovi erhobene Anklage müsse zurückgezo-
gen, das Urteil aufgehoben werden. Der Korrespondent der serbischen Tageszeitung „Da-
nas“ und der Nachrichtenagentur AFP war wegen Spionage und Verbreitung falscher Tat-
sachen zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Grundlage dafür waren Artikel im Internet
für das in London ansässige „Institute for War and Peace Reporting“ (IWPR), in denen
Filipovi u. a. Aussagen serbischer Armeeangehöriger zitiert hatte, die das Vorgehen im
Kosovo verurteilten. Die internationale Menschenrechts-organisation zur Verteidigung der
Pressefreiheit erklärte aus Anlass der Entlassung Filipovis, sie erwarte von der neuen
serbischen Regierung die Aufhebung bzw. Abschaffung aller Maßnahmen, die die Presse-
und Meinungsfreiheit beschränken. Im Jahre 2000 waren in der Bundesrepublik Jugosla-
wien weiterhin eine Reihe von Gesetzen und Dekreten in Kraft, die die Presse- und Mei-
nungsfreiheit erheblich einschränkten. Dazu gehörte zum Beispiel das im Oktober 1998
während der Rambouillet-Verhandlungen verabschiedete Informationsgesetz, das u.a. die
Ausstrahlung von „politischen und propagandistischen“ Sendungen ausländischer Medien
unter Strafe stellte und zu einer Reihe von Verboten unabhängiger jugoslawischer Radiosta-
tionen geführt hatte. Ein weiterer Fall eines Mordes an einem unabhängigen Journalisten
ereignete sich am 11. Juni 2001. Am Morgen dieses Tages wurde Milan Panti, Korrespon-
dent der Belgrader Tageszeitung „Veernje Novosti“ im südserbischen Jagodina, vor seiner
Wohnung tot aufgefunden21. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft starb der Journalist an
Kopfverletzungen, die ihm die Täter mit einem scharfkantigen Gegenstand zugefügt hatten.
Panti hatte für das lokale Radio und Fernsehen von Jagodina gearbeitet. Er hatte kurz
zuvor eine Serie von Artikeln zu Themen veröffentlicht, u.a. über Schwerverbrechen in der
Region, die Anhaltspunkte für die Ermittlungen der Täter bieten könnten, meinte die Orga-
nisation „Reporter ohne Grenzen“. Panti war damit der erste Journalist, der seit dem Sturz
von Slobodan Miloševi am 5. Oktober 2000 ermordet worden war.
Der Fall Filipovi zeigt, dass der Kampf gegen unabhängige Medien in Serbien vor
allem mit juristischen Mitteln geführt wurde. Mit dem Ende November 1998 erlassenen
restriktiven Mediengesetz wurde gegen Medien vorgegangen, die sich der Regierungslinie
widersetzten. Immer wieder erhielten Zeitungen und Zeitschriften sowie ihre verantwortli-
chen Herausgeber hohe Strafen wegen „Ehrverletzung gegen Regierungs-mitglieder“ oder
„staatsfeindlicher Propaganda“. Die Periodika „Danas“, „NIN“ und mehrere lokale Zeitun-
gen wurden immer wieder mit Geldstrafen belegt, die ihr weiteres Erscheinen unmittelbar

20
Berlin, 10.10.2000 – Jugoslawien (Serbien): Miroslav Filipovic frei. Radikaler Schnitt zur Medienpolitik der
Milosevic-Ära notwendig [www.reporter-ohne-grenzen.de/archiv2000/news/101000.html].
21
Berlin, 12.6.2001 – Jugoslawien (Serbien): Journalist zu Tode geprügelt [www.reporter-ohne-
grenzen.de/aktu/pm/pm2001/pm120601.htm].

37
gefährdeten. Bei „Glas javnosti“ („Stimme der Öffentlichkeit“) ging die Polizei so weit,
Büro-Inventar zu konfiszieren und die Druckerei „ABC Glas“, die die Zeitung druckt, zu
übernehmen und 400 Angestellte zu entlassen. Lokale Journalisten schlossen sich daraufhin
zusammen, um diesen Angriffen Widerstand zu leisten. Auf Initiative der Unabhängigen
Journalisten-Vereinigung Serbiens, „NUNS“, wurden die staatlichen Behörden aufgefor-
dert, die Provokationen und Aufrufe zur Gewalt zu ahnden und die Medienfreiheit zu ga-
rantieren. 32 elektronische Medien und 21 Printmedien beschlossen außerdem, Medienkon-
ferenzen und Medienmitteilungen von Šešeljs Partei zu boykottieren. Man reichte sogar
Strafanzeige gegen den Vorsitzenden der Radikalen ein. Mit internationaler Unterstützung
hofften die serbischen unabhängigen Medien, den Angriffen widerstehen zu können.
Der unabhängige Journalismus in Serbien musste jedoch bald erkennen, dass man den
Angriffen aus dem eigenen Land eher widerstehen konnte als jenen aus dem Ausland, die
im Gewande des Wandels und der Reform auftraten. Am 29. Januar 2002 unterzeichneten
die Geschäftsführer der deutschen „WAZ“-Gruppe (Westdeutsche Allgemeine Zeitung)
und der Aktiengesellschaft „Politika“ einen Vertrag zur Gründung eines gemeinsamen
Zeitungs- und Verlagsunternehmens in Belgrad. Der Gesamtwert des Unternehmens betrug
30 Millionen D-Mark. Die Vertreter der „Politika“ hofften, mit der Neugründung wieder
zum stärksten Medienhaus auf dem Balkan zu werden, eine Stellung, die die „Politika“,
einst führende Zeitung Jugoslawiens, nach dem Sturz Miloševis und dem Ende des jugos-
lawischen Kommunismus eingebüßt hatte. Auch hoffte man, damit auf den Weg nach Eu-
ropa zurückzufinden und irgendwann soweit zu gesunden, dass man Dividenden ausschüt-
ten könne. Bevor den serbischen Redakteuren die Tragweite des Vertrags-abschlusses klar
geworden war, erschütterte der Fall des Chefredakteurs des Wochen-magazins „NIN“,
Stevan Nikši, die kritische Öffentlichkeit. Nikši war vom Ersten Stadtgericht in Belgrad
am 25. Januar 2002 zu einer fünfmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden, die dann für
zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt worden war. Trotzdem stellte sie die höchste Haft-
strafe dar, die seit dem Regierungswechsel gegen einen Journalisten ausgesprochen worden
war. Der Bundesminister für Information, Slobodan Orli, und der Verband der unabhängi-
gen elektronischen Medien, „ANEM“, verurteilten den Richterspruch als Beispiel für die
Kontinuität von politisch motivierten Strafurteilen gegen Journalisten in Serbien und ver-
langten die Aufhebung des Urteils. Hintergrund des Urteils war eine Klage, die Aleksa
Djilas, Sohn des früheren hochrangingen kommunistischen Funktionärs und späteren Dissi-
denten Milovan Djilas, wegen Verleumdung seines Vaters eingereicht hatte.
Es stelle sich die Frage, meinten Journalistenkollegen, was für das konkrete Urteil aus-
schlaggebend war – das Mediengesetz Miloševis, das immer noch in Kraft war, oder ver-
bargen sich hinter dem Urteil noch alte Gewohnheiten? Nikši sagte der Deutschen Welle,
das Urteil sei gefährlich, weil es auf historische Urteile zurückgreife22. Wenn weitere Urtei-

22
„In diesem Falle bin ich betroffen. Es hätte genauso gut jemand anders sein können. Das ist gleich. Das Urteil
erging wegen eines Briefes, in dem sich der Autor über geschichtliche Ereignisse, die genau vor 60 Jahren ge-
schehen sind, äußert. Es wurde darin die Frage gestellt, und das ist sehr charakteristisch, ob die Kommunisten
Verbrechen begangen haben oder nicht – und zwar konkret während des Bürgerkrieges in Montenegro. Der
Autor des Briefes vertrat den Standpunkt, daß Verbrechen begangen worden seien und daß jemand für diese
Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden müsse. Ferner sei es schrecklich, daß die Täter ihre Verbre-
chen nie bereut hätten. Dies ist der Hauptinhalt dieses Schreibens. Der zivilrechtliche Kläger vertrat die An-
sicht, daß dies seinen Vater beleidige. Es ist durchaus das Recht dieses Klägers, diese Ansicht zu vertreten. Al-
lerdings hat das Gericht, nachdem es sich laut Urteil um Verleumdung handle, praktisch auch das Urteil ge-
fällt, daß diese Verbrechen nicht begangen wurden und sich niemand dafür verantworten muß. Und ich meine,
daß dies ein gefährlicher Präzedenzfall ist. Ich muß Ihnen nicht erklären, daß in unserer Umgebung auch in

38
le dieser Art gefällt werden würden, dann träte das ein, was sich ‚Gerichtspraxis’ nennt, so
Nikši: „Und wenn es zur Praxis der Gerichte in Serbien wird, die Journalisten dafür zu
verurteilen, dann ist es eine Warnung an alle Medien, sich nicht auf Debatten über Verbre-
chen, über historische Dinge, die von Bedeutung für die Geschichte des Landes sind, einzu-
lassen.“ Nach Einschätzung von Fachleuten hätte ein solches Urteil umgangen werden
können, wenn ein Informationsgesetz existiert hätte. Das Mitglied des Exekutivrates des
Unabhängigen Journalistenverbandes Serbiens (NUNS), Filip Mladenovi, meinte aber,
dass das Problem nicht die Gesetze seien, sondern die Gesinnung. Am 5. Oktober 2000 sei
lediglich das Regime Miloševis gestürzt worden, aber nicht die Denkweise. Man nehme
nach wie vor an, dass man die Medien beeinflussen dürfe. Man nehme weiterhin an, „dass
der Journalismus kein Handwerk, kein Beruf, kein Geschick, kein Talent ist, sondern etwas,
das manipuliert werden kann; und das ist das Tragische daran. Es gibt kein Gesetz, dass
dabei helfen kann, dieses Bewusstsein zu ändern, das immer noch verkehrt ist.“ Erst müsse
eine ganze Generation aussterben, in der Politik oder in den Medien, damit man einsieht,
dass dem Journalismus nicht ins Handwerk gepfuscht werden darf, „und die Grundlagen
jedes Handwerks nicht angetastet werden dürfen. Und das wäre die Unabhängigkeit!“
Das Verhältnis der Mächtigen in Serbien zu den elektronischen Medien, der „biblia
pauperum“, untersuchte Slobodan Djori in seinem „Weißbuch über den Rundfunk“ (Bela
knjiga o radiodifuziji, 2003)23, das sich auf die entscheidenden zehn Jahre zwischen 1990
und 2000 bezieht. Nach dem Fall der Berliner Mauer sei in den Staaten, die aus dem zerfal-
lenen kommunistischen Block übriggeblieben waren, eine neue, bisher unbekannte Spielart
des Totalitarismus entstanden, das System des kontrollierten Chaos, das auch für Serbien
charakteristisch gewesen sei, ja dessen ureigentliches Geschöpf es sei, so Djori. Nachdem
man anfangs schlicht versucht hatte, die Medien den ideologischen Vorgaben zu unterwer-
fen, sei man in einer zweiten Phase dazu übergegangen, das mediale Chaos zu akzeptieren,
es selbst zu forcieren, es sich zum Besten der eigenen Macht nutzbar zu machen. So ent-
stand der von Djori so genannte „neue Totalitarismus“, das System des ‚kontollierten
Chaos’. 1990 gab es noch das „einheitliche Rundfunksystem der Republik Serbien“, das
aus dem staatlichen Fernsehen, TV Belgrad/Beograd und den mit diesem verbundenen
regionalen Studios, bestand. Dieses konnte eine Gesellschaft der „Übereinkommen und
Absprachen“, der „idyllischen Selbstabgeschlossenheit“ so lange zufriedenstellen, als es
keine Mehrparteienwahlen gab, die „Studio B“ und unmittelbar danach „TV Politika“ ent-
stehen ließen. „TV Politika“ war mit technischer Unterstützung von „TV Beograd“ ge-
schaffen worden, um die in den Ohren manches Mächtigen dissonante Stimme von „Studio
B“ zu neutralisieren. Als ‚feindlich’ galt auch „Yutel“, und bald wurde klar, dass sich die
Entwicklung unabhängiger Stationen schwer mit dem Takt der ideologisierten Parteipolitik
Serbiens in Gleichklang würde bringen lassen. Nach den dramatischen Ereignissen des 9.
März 1991 gelang es dank des Drucks, den die Opposition ausübte, im serbischen Parla-
ment, der Skupština, ein über weite Strecken demokratisches und liberales Informationsge-
setz zu verabschieden. Dass der demokratische Charakter nur Fassade war, werde, so die
Kritik, aus jenem bedenklichen Absatz klar, dass „die Regierung der Republik Serbien über
das Spektrum an Radiofrequenzen bestimmt, auf denen in der Republik Serbien gesendet

jüngster Vergangenheit Verbrechen begangen worden sind, und ich frage mich, wie sich dieses Urteil morgen
auswirken wird, wenn die Debatte in unserer Zeitschrift fortgesetzt wird. Und diese Debatte über diese
Verbrechen und die Verantwortung dafür wird geführt und muß auch geführt werden.“
23
Vgl. Miškovi, Dragan: Medijska represija u Srbiji prethodne decenije. In: Republika, 1.-31. Jan. 2003, Jhrg.
XV. (2003), S. 300f.

39
wird“. Damit wurde das Bundesgesetz über die Verbindungs-systeme missachtet und au-
ßerdem der Regierung alle Mittel in die Hand gegeben, das gesamte Mediensystem zu be-
einflussen.
Das konnte jedoch nicht verhindern, dass allein 1991 Dutzende neuer Radiostationen
geschaffen wurden. Jedes Jahr kamen in Serbien neue hinzu, so dass es heute mehr als
1.200 Sender gibt, was mancher als Belastung empfindet. Wer Geld habe und auf sich auf-
merksam machen wolle, könne relativ leicht einen Sender ins Leben rufen. Der Regierung
kam dieser provisorische, ja unverbindliche Charakter der Medien nur recht. Da das Re-
gime jede kritische Stimme zum Schweigen bringen konnte, waren Unterhaltungs- und
Musikprogramme wie sie paradigmatisch „Pink TV“ bot24, das politisch Gewünschte wä-
rend der Bürgerkriegsjahre. Die Dinge begannen sich erst in der Zeit der großen Proteste zu
ändern, vor allem seit 1997, als die Opposition lokal die Macht übernahm und das Regime
sich langsam zurückziehen musste. Nun erwies sich die Aufsplitterung der zahlreichen
Lokalmedien, von denen etliche an neue Eigentümer im Oppositionslager wechselten, als
Vorteil, obgleich diese Lokalsender freilich weiterhin die repressive Kraft der Zentralmacht
zu spüren bekamen. Dennoch fanden sich auch in der kritischen Presse sogenannte „Re-
gimeclowns“ wie die Informationsministerin Radmila Milentijevi, die die imposante Zahl
elektronischer Medien vor der Weltöffentlichkeit als Beweis für die angeblich umfassende
Medienfreiheit in Serbien lobte. Mochte sie auch von weiteren Freiheiten für die Medien
schwärmen, die wirkliche Befreiung kam erst mit dem Umsturz vom Oktober 2000, zu dem
gerade auch die Medien beitrugen. Vor allem „ANEM“, die „Vereinigung unabhängiger
elektronischer Medien“ („Asocijacija Nezavisnih Elektronskih Medija“,
www.anem.org.yu), und dessen Netz gelang es, manche Propagandalüge des staatlichen
Fernsehens zum Bürgerkrieg zu zerstreuen.
Die Wahrheit hatte sich auch der serbische ‚Medienbaron‘ Radisav Rodi auf die Fah-
nen geschrieben, wäre dafür aber der Rache des Wirtschaftsministers Mladjan Dinki an-
heimgefallen, so seine und die Meinung seiner Anhänger. Hintergrund der Anklage und
Verhaftung wegen Steuerflucht des Eigentümers der Zeitungen „Kurir“ und „Glas Javnosti“
wäre die Offenheit, mit der die inkriminierten Zeitungen über die Korruption gewisser
Regierungsmitglieder, namentlich die des Wirtschaftsministers, geschrieben hätten. Dafür,
dass diese Blätter Dinki und andere Regierungspolitiker regelmäßig als ‚Lügner’ und
‚Diebe’ verunglimpften, sollte Rodi nun gemäß serbischem Strafrecht für acht Jahre hinter
Gitter, nicht für die offiziell genannten Steuerschulden in Höhe von zwei Millionen Euro.
Doch die Nachzahlung und die Verhaftung Rodis, die erst ein strengeres Mediengesetz
möglich machte, brachten die Zeitungen, die bereits finanziell bedrängt waren, in zusätzli-
che Schwierigkeiten. Die Präsidentin des serbischen Journalistenverbandes, Ljiljana Smaj-
lovi, rief daher die Regierung auf, ihre Parteilichkeit gegenüber den Medien aufzugeben
und ihre Vorbehalte hintanzustellen, „gleich ob es sich nun um ein Medium handelt, das die

24
Die Sendergruppe Pink International, die ihren Sitz in Belgrad hat, war früher unter dem Namen Radio-
Televizija Pink, kurz RTV Pink, bekannt. Man kann die Gruppe Pink International in etwa mit der RTL Group
vergleichen, welche auch international agiert. So betreibt Pink International neben einem terrestrischen Pro-
gramm in Serbien (TV Pink), auch Sender in Montenegro (TV Pink M) und in Bosnien und Montenegro (TV
Pink BH). Durch eine Überarbeitung des Programmschemas wurde TV Pink in den drei Ländern Marktführer.
Dies verdankt die Sendergruppe nicht zuletzt der Aufnahme von kroatischen Sendungen. Des Weiteren gehö-
ren zu Pink International die beiden Programme Pink Plus, ein europaweites Satellitenprogramm, welches aus
Wien verschlüsselt gesendet wird und Pink Extra, ein ebenfalls verschlüsselter Unterhaltungskanal. Auch zwei
Hörfunkprogramme werden von Pink International betrieben. Zum einen das über Satellit empfangbare „Radio
Pink“ und zum anderen das Lokalradio für den Großraum Belgrad „Radio Pingvin“.

40
Regierung mag oder nicht“. Persönliche Abrechnungen stünden Regierungspolitikern nicht
gut zu Gesicht. Dagegen meinte die Vizepräsidentin des Verbandes unabhängiger Journalis-
ten, Jelka Jovanovi, die Verhaftung Rodis hätte „nichts mit dem zu tun, was der Kurir tut.
Ich sehe das ganze als reines Finanzdelikt”. Jedem musste verdächtig vorkommen, dass
ausgerechnet der „Kurir“ und namentlich Rodi in das Schussfeld gerieten, weil bei weitem
nicht nur dessen Unternehmen die Steuer umginge, meinte lakonisch Velimir urguz Ka-
zimir, ein anderer serbischer Medienexperte.

1.3 Radio B92: Mit Multimedia gegen Miloševi

Mit den Mächtigen legte sich von Anfang an auch der 1989 gegründete Radiosender „B92“
an. Gemäß seinem Leitspruch „Informieren heißt nicht Meinungen vertreten und sie wie-
derholen, in der Information liegt auch die Kraft, die Realität zu verändern“, musste der
Sender mit dem Widerstand der Staatsmacht rechnen. Der Sendebetrieb wurde in den
1990er Jahren oft gestört, aber auf internationalen Druck wieder freigeschaltet. Hinter der
Gründung des regimekritischen Senders standen Veran Mati, der später ANEM-Direktor
wurde, und Nenad eki, später Direktor und Chefredakteur des oppositionellen „Radio
Index“. Der ehemalige Universitätssender „Radio Index“ war während der Studentenprotes-
te der Jahre 1996/97 die am meisten gehörte Radiostation, die eigentlich über keine Sende-
lizenz verfügte. Hervorgegangen war „Radio Index“ aus den beiden Jugendprogrammen der
1980er Jahre, „Index 202“ und „Ritam srca“. Im Mai 1989 gründeten Mati und eki den
Sender „B92“ als Gegenmodell zum staatlichen Rundfunk und den damals herrschenden
Kommunisten. Nachdem sich die beiden Gründer zerstritten hatten, existierte zwar „B92“
fort, ihm gesellte sich aber „Radio Index“ als Oppositionssender hinzu, wobei Mati „B92“
und eki „Radio Index“ weiterführte, das 1998 aus der Universität verbannt wurde und
fortan illegal weitersendete. Die Hörerzahlen stiegen rapide. Im Oktober 2000, auf dem
Höhepunkt der Proteste, zählte der Sender ungefähr 1,3 Millionen Zuhörer, weil er der
einzige war, der live von den Ereignissen auf den Straßen Belgrads berichtete. Nach der
Ablösung des Miloševi-Regimes kämpfte „Radio Index“ wie so viele andere Medien vor
allem mit finanziellen Problemen. Die Journalisten lebten am Rande des Existenzmini-
mums, sagten aber in jedem Interview, dass sich ihr Kampf gelohnt hätte. „Es ist auf jeden
Fall bei weitem besser als unter dem früheren Regime, als die Politiker sich nicht einmal
mehr bemühten, ideale Verhältnisse zu simulieren, sie dachten einfach, sie wären unantast-
bar“, meinte Predrag Uroševi, ein Kenner der Sender „B92“ und „Radio Index“.
„B92“, der als Sender der sozialistischen Studentenbewegung begann, berichtete nicht
nur über Oppositionskundgebungen gegen das Miloševi-Regime. Der Sender widmete sich
auch Tabuthemen, in der Tradition der Vorläufersendung „Ritam srca“ („Herzrhythmus“)
aus den 1980er Jahren und ihrem Moderator Veran Mati. „Ritam srca“ markierte den ers-
ten Schritt auf dem Weg zur Medienvielfalt im damaligen Jugoslawien nach dem Tod Ti-
tos. Während des Nato-Bombenangriffs auf Belgrad im Juni 1999 wurde der Sender durch
Regimevertreter besetzt, ihre Mitarbeiter machten heimlich im Untergrund weiter. Erst im
Jahr 2000, nach dem Sturz des Präsidenten, nahm „B92“ den normalen Sendebetrieb wieder
auf. Ab sofort verlegte sich Radio „B92“ auch auf die Sammlung und Herausgabe von
audiovisuellen Medienprodukten über historische Ereignisse des Landes. Trotz der wirt-
schaftlich und politisch nicht unproblematischen Lage wurde der Sender einer der meistge-
hörten der Epoche. Im September 2000, während des Falls des Belgrader Regimes, gründe-

41
te „B92“ einen eigenen Fernsehsender. Nach elf Jahren Kampf für die Meinungsfreiheit
konnte „B92“ erstmals durch das Medium Fernsehen landesweit empfangen werden. Die
Radiosendungen werden nicht zur Gänze im Fernsehen übertragen. Die beiden Sendefor-
mate werden vielmehr im Parallelbetrieb geführt. In den letzten vier Jahren hat sich die
Zahl der Zuhörer und Zuschauer verdreifacht. Der Sender ist heute die Nummer drei unter
den beliebtesten Fernsehkanälen bei den zwischen 15- und 54-Jährigen. Außerdem ist er
einer der vier Fernsehsender, die eine landesweite Sendegenehmigung haben. Nach Anga-
ben des Forschungsinstituts AGB erzielt „TV B92“ eine Reichweite von 98 Prozent auf
serbischem Territorium, 88 Prozent der Zuschauer erreicht der Sender in guter Empfangs-
qualität. Und auch im Netz ist es „B92“ gelungen, seine Popularität auszuweiten, weil der
Sender sich nicht darauf beschränkt, die Fernsehbühne ins Internet zu übertragen, sondern
eine äußerst informative Collage aus Online-Nachrichten aus Kultur, Außenpolitik, Arbeit
und Reisen anbietet. Seit 1996 ist „B92.net“ mit 180.000 Besuchern täglich die meistbe-
suchte Webseite Serbiens und eine der meistgelesenen Webseiten Osteuropas. „B92“ hat es
damit geschafft, das Potenzial der drei verschiedenen Medienformate zu vereinen und für
sein junges serbisches Publikum im Meer der Informationsvielfalt eine sinnvolle Alternati-
ve zu bieten. B92 ist der Beweis dafür, dass das Format allein kein Kriterium für die Quali-
tät der Informationen sein muss. Radio, Fernsehen und Internet sind drei miteinander ver-
bundene, aber voneinander unabhängige Welten. So ist auch der „B92“-Gründer Veran
Mati zu verstehen, der meinte: „Wir waren egoistisch. Das Radio half uns, etwas aufzu-
bauen, was uns fehlte und was wir uns wünschten. Die Welt, die von unserer Realität ab-
gespalten war, aber versteckt in uns verborgen lag, haben wir uns erschaffen. Das war viel-
leicht das einzigartige Geheimnis unseres Überlebens.“
Damit war aber leider auch das eigene Land gemeint, das selbst wie die Medien gespal-
ten ist25. Können unabhängige Medien die serbische Gesellschaft stabilisieren und demokra-
tisieren? Nein, meinen Saša Mirkovi vom „Netzwerk unabhängiger elektronischer Me-
dien“ „ANEM“ und Mirjana Miloševi vom Media-Center Belgrad. Die Politiker sitzen am
längeren Hebel für gesellschaftliche Veränderungen. Dafür müssen die sich seit neuestem
von „YouTube“ ins Handwerk pfuschen lassen. Wie tief Serbiens Gesellschaft zurzeit ge-
spalten ist, war kurz nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo an den Medien zu
beobachten. Sie waren sowohl Anstifter als auch Opfer: Während der staatliche Rundfunk
„RTS“ gemeinsam mit Boulevardmedien die Stimmung zur gewaltsamen Eskalation brach-
te, griffen Hooligans den pro-westlichen Sender „B92“ an. Die wenigen nicht nationalis-
tisch-regierungstreuen Zeitungen berichteten darüber mit Überschriften wie „das ist nicht
Serbien“. Einem „besseren Serbien“ widmete das elektronische Medien-netzwerk „ANEM“
eine Sendung: „In Serbien glaubt man allgemein, professionell und ehrlich verrichtete Ar-
beit sei erstens selten und zweitens seinen Aufwand nicht wert“, schrieb „ANEM“. „Es gibt
aber auch Menschen, die ihrer Arbeit mit Verantwortung nachgehen. Das Radioprojekt

25
Für die Medienbranche scheint Serbien bis jetzt noch nicht sehr interessant. Große ausländische, kapitalistische
Einflussnahmen sucht man vergebens. So kommen auf 1000 Einwohner 297 Rundfunkgeräte, 282 Fernsehge-
räte, nur 330 Telefonanschlüsse, aber 581 Mobiltelefone. Hervorzuheben ist die sehr geringe Computeraffinität
der Serben. Im Durchschnnitt besitzen nur 48 von 1000 Personen einen PC, jedoch sind 147 davon regelmäßi-
ge Internetnutzer. So stellt man fest, daß der Mangel an Know-how und Technik in Serbien dazu führt, daß
eben an einem Fernseher nicht nur eine Person, sondern die ganze Familie sitzt, dass im Durschnitt fünf Perso-
nen ein und denselben PC für den Onlinezugang benutzen und mehrere Leute eine einzelne Zeitschrift lesen
(Mehrfachverwertung). Die größten Tageszeitungen sind die „Veernje novosti“ mit einer Auflage von
270.000, die „Blic“ (230.000) und die „Politika“ (130.000).

42
‚besseres Serbien‘ stellt diese Leute ihrem Land in drei Minuten Reportagen vor und zeigt:
das sind keine Freaks oder Idealisten, sondern gesellschaftlich anerkannte Leute.“ Im
Märzprogramm zum Beispiel Polizeioffiziere, die freiwillig Gebärdensprache lernten.
„ANEM“ tut aber noch mehr für seine 28 Radio- und 16 TV-Stationen: Neben der Produk-
tion unabhängiger landesweiter Nachrichten für seine Mitgliedssender stellt es sich hinter
seine Sender, sollten sie wegen ihrer Berichterstattung bedroht werden.
Die Polizei jedenfalls weigerte sich, Journalisten des TV-und Radiosenders „B92“,
ebenfalls „ANEM“-Mitglied und der Vorreiter der kritischen Medien Serbiens, während der
Kosovo-Ausschreitungen zu schützen. Es sei normal und ein demokratisches Recht, den
Sender zu bedrohen, fasste „ANEM“ auf ihrer Homepage empört einige Extrempositionen
von Polizisten zusammen. Neben Morddrohungen gegen den „B92“-Chef Veran Mati gab
es auf „YouTube“ ein Video, auf dem Journalisten von „B92“ attackiert wurden. Man fühle
sich in die 1990er Jahre zurückversetzt, meinte „B92“-Pressesprecher und „ANEM“-
Vorsitzender Saša Mirkovi. Interessant sei, dass zum ersten Mal die neuen Medien die
Politik beeinflussen, so Mirjana Miloševi vom Media-Center. Bürger filmten mit ihren
Handys für „YouTube“ Filme von den Ausschreitungen, was später als Beweis für unter-
lassenes Eingreifen der Polizei bei Gewalttätern diente. Man machte deutlich, dass das
nicht Serbien war, denn der Großteil der Serben hatte friedlich demonstriert. Breitbandzu-
gang hatten allerdings erst zirka 15 Prozent der Serben, 40 Prozent waren Internetnutzer.
Zwar ersetzte diese Art von Bürgerjournalismus nicht die fundierte Berichterstattung. Sie
war aber ein wirksames Mittel, um sich zur Wehr zu setzen gegen die politisch gefärbten
Bilder der serbischen Einheitspresse.
Kritiker meinten, die Printmedien würden in Serbien traditionell das Spiel der Politiker
mitspielen. Diese gäben die Themen vor und schüfen sich dann mit Hilfe der Medien die
gesellschaftliche Atmosphäre. So hätte es abseits historisierender, idealisierender Thesen
niemals eine ehrliche Diskussion über die realen Chancen, das Kosovo im Staatsverbund zu
halten, gegeben. Das führte zu der paradoxen Situation, dass die Serben auf die Frage, ob
sie ohne Kosovo in die EU wollten, zu mehr als 50 Prozent mit ‚nein‘ antworteten, aber die
Frage, ob man mit der EU-Annäherungsstrategie fortfahren solle, bejahten 60 Prozent oder
mehr. Man müsse nur die richtigen Fragen und diese entsprechend stellen, meinte ein Jour-
nalist vom Belgrader „Media-Center“, einer Gründung des Verbandes unabhängiger Jour-
nalisten aus dem Jahre 1994. Und fügte hinzu, dass sich die meisten Serben eine EU
wünschten, die diese Komplexität versteht und dem Land zu mehr öffentliche Debatten
verhilft, bei der die richtigen Fragen erörtert und gestellt werden.

1.4 Streit um Rundfunkgesetze

Nach der Ablösung der Miloševi-Regierung dauerte es geraume Zeit bis die ersten Geset-
zesentwürfe geschaffen wurden, um die staatlich abhängigen Sender in freie Institutionen
umzuwandeln. Die unabhängigen Nachrichtenmagazine und Tageszeitungen konnten sich
bald einen Vorsprung in der Gunst der Leser und Zuhörer verschaffen, der sich auch recht-
lich niederschlug, wobei es gerade beim Rundfunk Verzögerungen gab. So war die Fre-
quenzverteilung nicht frei, womit sich die staatlichen Sender den überwiegenden Anteil am
Kuchen sichern konnten: sie hatten nach wie vor die größte Verbreitung mit einer bis zu 90-
prozentigen Abdeckung des Landes. Nach den Jahren des Bürgerkriegs war jedoch die
Unzufriedenheit mit der staatlich genormten Bericht-erstattung so groß geworden, dass die

43
unabhängigen Medien automatisch einen Vertrauensvorschuss bekamen, der sich auch in
stetig wachsendem Zuspruch äußerte. Deutschland, das nur etwa viermal größer als Serbien
ist, zählt 33-mal mehr Printmedien als Serbien, das nur an die 150 aufweist. Auch die etwa
neunmal höhere Bevölkerungszahl erklärt diese Verteilung nicht. Betrachtet man die Zah-
len der ansässigen Rundfunkstationen relativiert sich dieses Bild erneut. Serbien besitzt 14
Radiostationen, wobei die lokalen nicht inbegriffen sind. Deutschland hingegen zählt etwa
250. Würde man die Anzahl der lokalen Radiostationen ermitteln, würden sich die Relatio-
nen eher mit den Bevölkerungs-unterschieden erklären lassen. Ähnlich verhält es sich bei
der Anzahl der Fernsehsender. Hier stehen 19 serbische Fernsehsender (lokale nicht einge-
schlossen) 145 deutschen gegenüber. In Serbien existiert im Unterschied zu Deutschland
kein Medienregister, das heißt es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, eine Übersicht über
alle vorhandenen Medien zu führen, was die Kontrolle erschwert und folglich liegen keine
genauen Zahlen über die Anzahl der TV- und Radiostationen vor.
Der öffentliche Rundfunk in Serbien ist durch das Gesetz über öffentliche Informationen
und Telekommunikation, das Rundfunkgesetz, geregelt, über dessen Einhaltung die Agen-
tur für Radiodiffusion wacht. Im Sommer 2006 verabschiedete das serbische Parlament
eine Novelle zum Rundfunkgesetz. Die Regierung schlug in ihrem Entwurf für die Geset-
zesnovelle vor, die Privatisierung von 120 Lokalmedien, die noch der Kontrolle der Kom-
munalbehörden unterstehen, bis Ende 2008 aufzuschieben. Das bedeutete, dass die serbi-
schen Lokalmedien auch zum Zeitpunkt der Kommunalwahlen 2008 von den Gemeindebe-
hörden kontrolliert wurden. Ihre Besorgnis äußerten viele unabhängige Medien und Orga-
nisationen, unter anderen „Reporter ohne Grenzen“. Auch der staatliche Fernseh- und
Rundfunksender „RTS“, der schon im Jahre 2003 in eine öffentlich-rechtlichen Anstalt
hätte umgewandelt werden sollen, wurde erst im April 2006 umgebildet. Außerdem sah das
Gesetz die Einführung einer Gebühr vor, die schon ab September desselben Jahres erhoben
werden sollte. Ihren Protest gegen die Gesetzesnovelle legten die unabhängige serbische
Medienvereinigung „ANEM“ [www.anem.org.yu] und der Journalistenverband „NUNS“
[www.nuns.org.yu] ein, außerdem der serbische Journalistenverband [Udruženje novinara
Srbije, www.unsonline.org]. Der Gesetzesentwurf sah kein Medienregister vor, das in Ser-
bien dringend nötig ist. In diesem Bereich herrschte Chaos, weil keine staatliche Institution
verpflichtet war, ein Register über die Anzahl der Medien zu führen. So wusste man nicht
genau, wieviele und welche Medien in Serbien vorhanden waren. Mit dem neuen Wer-
bungsgesetz hoffte man auch den ‚Werbeterror’ beenden zu können, über den viele Serben
klagten. Das Gesetz bestimmte, wer wann und wie lange im Fernsehen werben darf. Ein
Werber konnte bisher im kommerziellen Fernsehen 20 Prozent des ganzen Tagespro-
gramms besetzen und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nur 10 Prozent. Außerdem wurde
ein teilweises Werbeverbot für Alkoholgetränke und Zigaretten eingeführt.
Im serbischen Parlament kam Ende August 2009 ein weiteres Gesetz zur Abstimmung,
das die Medien betraf. Dieses setzte die seit Juli 2008 bestehende Regierungskoalition einer
ersten gewichtigen Belastungsprobe aus. Der größte Widerstand gegen das vom Kulturmi-
nisterium ausgearbeitete Mediengesetz, das Journalisten enger an die Kandare nehmen soll,
kam nämlich nicht aus den Reihen der Opposition26. Es waren vielmehr Parteien aus der
zehn Gruppierungen umfassenden Regierungskoalition, die sich gegen den Erlass stemm-
ten. Mangels einer klaren Mehrheit musste die Koalition daher im Juli 2009 die Abstim-

26
„Strengere Regeln für Serbiens Medien“. Ein umstrittenes Gesetz zeigt Risse in der Regierungskoalition. In:
Neue Zürcher Zeitung, 29./30.8.2009, Nr. 199, S. 3.

44
mung über das Gesetz auf Ende August 2009 verschieben. Einige Regierungskritiker werte-
ten das bereits als Indiz für nicht mehr zu kittende Risse im Regierungsbündnis. Für den,
eher unwahrscheinlichen, Fall einer Ablehnung des Gesetzes ertönten gar Forderungen
nach Neuwahlen. Worum ging es überhaupt? Das Ziel des Gesetzes sollte es sein, Ordnung
und Verwantwortlichkeit in die mitunter etwas chaotisch anmutende Medienszene zu brin-
gen. Hält man sich die vielen Sensations- und Revolverblätter vor Augen, die in Serbien
ihre Geschichten und Verleumdungen unter das Volk bringen, erscheint das Ziel eines
Mindestmaßes an Regulierung zwar verständlich. Kritiker wandten jedoch ein, dass das
Gesetz weit über diese löbliche Intention hinausgehe. So soll es der Regierung etwa ermög-
licht werden, Medienhäuser zu schließen, wenn deren Bankkonten während mehr als drei
Monaten blockiert sind – eine Bestimmung, die Vertreter der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als Verstoß gegen die Europäische Menschen-
rechtskonvention werteten. Für Missmut sorgten aber vor allem die massiv erhöhten Geld-
bußen, die den Medien bei Ehrverletzungen drohen. Welche Kriterien dabei gelten, blieb
unklar. Nebulös war namentlich, wo die Trennlinie zwischen Kritik und Verleumdung
verläuft. In- und ausländische Journalistenverbände befürchteten daher, dass die hohen
Geldstrafen, die für einige Medienunternehmen existenzbedrohend sein könne, zu einer
Selbstzensur und zum Verzicht auf investigativen Journalismus führen. Der Regierung
wurde unterstellt, mit dem Gesetz primär anzustreben, unliebsame Medien mundtot zu
machen. Als suspekt erschien dabei, dass Medienvertreter zu keinem Zeitpunkt in die Aus-
arbeitung des Gesetzes involviert waren und vor der Präsentation des Erlasses keine öffent-
liche Debatte stattfand.
Ironischerweise waren es zuallererst die in die Regierung eingebundenen Sozialisten
unter Führung von Innenminister Ivica Dai, die sich als Kritiker des Gesetzes und als
Verteidiger einer freien Medienbranche zu profilieren versuchten. Ironisch deshalb, weil es
1998 ebendiese Sozialisten unter Führung von Slobodan Miloševi waren, die Serbiens
Journalisten mit einem restriktiven Mediengesetz in ein enges Korsett zwängten und so
manches Oppositionsblatt zu Fall brachten. Hinzu kam, dass Dai geraume Zeit als Pres-
sesprecher seines politischen Ziehvaters Miloševi agierte. Er fiel in dieser Rolle vor allem
als willfähriger Verbreiter nationalistischer Propaganda auf, kaum jedoch als Anwalt eines
von staatlichem Einfluss freien und kritischen Mediensystems. Von ihrer unrühmlichen
Vergangenheit wollten die Sozialisten aber nichts mehr wissen, oder hatten tatsächlich
dazugelernt. Dai betonte, es gelte, eine neue Seite in Serbiens Geschichte aufzuschlagen.
Die Fehler der Vergangenheit, namentlich das Mediengesetz von 1998, dürften nicht wie-
derholt werden. Seine Partei werde daher nie wieder die Medien unter Druck setzen; sol-
ches Verhalten gehöre der Vergangenheit an. Die Glaubwürdigkeit des vom Innenminister
demonstrativ zur Schau gestellten Sinneswandels stellte mancher dennoch in Frage.
Schließlich hatte Dai noch im Jahr 2006, nach dem Tod Miloševis, seinen ehemaligen
Chef als Volkshelden gerühmt, der stets nur die Interessen Serbiens verteidigt habe. Wich-
tigster Gegenspieler von Dai beim Ringen um das Mediengesetz war Wirtschaftsminister
Mladjan Dinki. Die Demokraten von Präsident Boris Tadi hielten sich eher zurück. Din-
ki, Chef der Kleinpartei G17-Plus und in Wirtschaftsfragen vergleichsweise liberal einge-
stellt, setzte sich mit besonderer Vehemenz für durchgreifendere Maßnahmen gegen Ehr-
verletzungen ein. Da er seit Jahren unter Dauerbeschuß durch die aggressive Boulevardzei-
tung „Kurir“ litt und seine Abwehr bisher erfolglos war, zirkulierte auch der Verdacht,
Dinki versuche mit der Forcierung des Mediengesetzes eine persönliche Abrechnung zu
verbinden, was der Minister selbstverständlich in Abrede stellte. Im September 2009 brach-
te Ombudsmann Saša Jankovi das umstrittende Gesetz vor das serbische Verfassungsge-

45
richt. Vorangegangen war ein vom ihm in Auftrag gegebene Expertenanalyse, die ergeben
hatte, dass das Gesetz fast gänzlich mit diversen Verfassungsbestimmungen unvereinbar
sei, was aber am Endergebnis nichts mehr änderte. Im September 2009 wurde es von Präsi-
dent Boris Tadi unterzeichnet, der Spaltung zum Trotz, zu der das Gesetz in der Regie-
rungskoalition, u.a. aus Demokratischer Partei, G17Plus, SPS und der Partei „Einiges Ser-
bien“ von Dragan Markovi, geführt hatte. Die Reaktionen im In- wie Ausland waren mehr
oder weniger gleichlautend – die serbischen Politiker wollten mit dem Gesetz die Presse
mundtot machen und sie mit drakonischen Strafen unter Kontrolle halten.
Dabei hatte man glücklicherweise noch zwei Vorbehalte ausgeschlossen, die die „Radi-
kale Partei Serbiens“ (SRS) eingebracht hatte und die die Medien in weitere Bedrängnis
gebracht hätten. Von seiten des Serbischen Journalistenverbandes (UNS) und des Verban-
des der unabhängigen Journalisten (NUNS) hatte es deshalb auch einen Sturm der Entrüs-
tung gegen die Vorbehalte gegeben. Danach hätten Medien dicht machen müssen, deren
Konten wegen finanzieller Probleme länger als 90 Tage gesperrt waren; die Medien hätten
über ein Bankguthaben von 50.000 Euro verfügen müssen, um arbeiten zu dürfen; und
drittens sollte man sie für falsche oder beleidigende Aussagen haftbar machen können –
dieser Vorbehalt wurde allerdings angenommen. Das Gesetz passierte mit 125 Ja- und 88
Gegenstimmen, wobei die Stimmen der liberaldemokratischen Partei von edomir Jovano-
vi dem Gesetz schließlich die Annahme sicherten. Auf dem Belgrader Nikola-Paši-Platz
demonstrierten derweil Journalisten, die einem Aufruf der „UNS“ gefolgt waren. „Stop
dem antieuropäischen Mediengesetz“ war auf einem riesigen Spruchband zu lesen. Der
andere Journalistenverband, „NUNS“, hatte eine gemäßigtere Position eingenommen. Er
war durchaus für eine Reform des Mediensektors, wobei er vor allem die mangelnde Ab-
stimmung unter den Berufsjournalisten beklagte. Der Position der unabhängigen Journalis-
ten schloss sich auch der Verband der unabhängigen Journalisten der Vojvodina (NDNV)
an.

1.5 Die älteste Zeitung Serbiens und ihre Nachfahren

Trotz der Konkurrenz durch Boulevardmedien wie „Kurir“ oder „Blic“ ist der Anteil der
seriösen Presse in Serbien beachtlich. Die Printmedienlandschaft ist relativ gut entwickelt27.
In Serbien erscheinen heute 16 Tageszeitungen und 8 Wochenzeitungen. Zudem gibt es
eine große Anzahl an lokalen Medien. Zu den serbischen Tageszeitungen mit der größten
Verbreitung gehören „Politika“ und „Veernje novosti“. Die regierungsnahe „Politika“
gehört mittlerweile zum größten Teil dem Konzern „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“
(WAZ). Nach dem Zerfall Jugoslawiens sank die Auflage drastisch, ein Indiz für das Aus-
maß, in dem sich die Zeitung nach Meinung der Opposition und vieler Serben politisch
kompromitiert hatte. Die „Politika“ war zu Zeiten Miloševis fast schon das Flaggschiff der
Regierung. Die „Politika“ [www.politika.rs] ist die älteste Tageszeitung in Serbien und
wahrscheinlich auf dem Balkan. Sie wurde 1904 in Belgrad von Vladislav Ribnikar ge-
gründet, hat heute eine Auflage von ungefähr 180.000 Exemplaren, und nach wie vor ihren

27
Die in Serbien einflussreichsten Medienkonzerne sind die WAZ- und Ringier-Gruppe sowie Novinsko. In
Deutschland sind dies die Axel Springer AG, die Bertelsmann AG, die Bauer Verlagsgruppe sowie Hubert
Burda Media.

46
Sitz in der serbischen Hauptstadt. Viele bekannte serbische Schriftsteller sind Autoren
dieser Zeitung. Umso mehr erregte man sich in der serbischen Öffentlichkeit, als 2003
bekannt wurde, dass ausgerechnet der deutsche WAZ-Konzern zum Mehrheitseigentümer
des Verlagshauses „Politika“ geworden war. 2005 stieg die WAZ-Gruppe auch bei der
1953 gegründeten, auflagenstarken „Veernje novosti“ („Abendnachrichten“) ein. Was in
Rumänien und Kroatien bereits zu beobachten war, begann sich auch in Serbien abzuzeich-
nen. „Ein deutscher Pressekonzern spielt weiter sein aggressives Monopoly auf dem Bal-
kan“, kommentierte Jürgen Elsässer in der linksalternativen „Jungen Welt“ die Tatsache,
dass der SPD-nahe Konzern der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in Südosteu-
ropa eine Zeitung nach der anderen aufkaufte28. Die Vorgeschichte des WAZ-Engagements
liest sich wie ein Krimi.
Die in Zagreb verlegte kroatische Zeitung „Nacional“ fragte im März 2003, was sich
hinter dem Verkauf des ältesten Verlagshauses auf dem Balkan verberge. Damals hatte der
gerne als Tycoon apostrophierte kroatische Medienunternehmer Ninoslav Pavi einen An-
teil von 25 Prozent am Verlagshaus „Politika“ erworben29. Die Serben mussten aus der
Zeitung erfahren, dass Pavi im Frühjahr 1999 mit dem deutschen WAZ-Konzern einen
Vertrag unterzeichnet hatte, der ihm 50 Prozent an allen von der WAZ teuer verkauften
Projekten auf dem Balkan zusicherte. Pavi wurde im Laufe der Zeit zum Miteigentümer
vieler Unternehmen, die die WAZ-Gruppe auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens „eroberte“, wie
es die serbische Zeitung „Glas javnosti“ formulierte. Die Serben hatten bis dahin geglaubt,
dass die Politika vollständig an die WAZ gegangen wäre und mussten nun lesen, dass ein
Viertel ihres größten und traditionsreichsten Verlagshauses dem Medienmogul Pavi gehö-
re, einem Kroaten. Hatte man in Serbien vom Verkauf der Politika nichts erfahren? Zum
einen wurden die Anteile an dem Verlagsunternehmen ohne jede öffentliche Ausschreibung
verkauft. Der serbische Premier Zoran Djindji soll den Verkauf mit dem WAZ-
Verwaltungsratsmitglied Bodo Hombach30 direkt und persönlich in einem Belgrader Lokal
im Februar 2002 vereinbart haben, während man sich an Leskovaka mukalica gütlich tat,
einer serbischen Spezialität. Die Glas javnosti kommentierte diesen Deal so: „Wenn er den
eigenen Wählern schon kaum erklären könnte, daß er den Deutschen, den respektablen und
reichen historischen Feinden Serbiens, das nationale Verlags- und Zeitungs-Symbol für
gutes Geld abgetreten hat, umso schwerer wird Djindji rechtfertigen können, daß er mit
dem selben Strich die ‚Kapitulation’ vor den verhaßten Kroaten unterschrieben hat.“31 Es
war bekannt, dass Pavi über Jahre als medialer Strohmann der kroatischen Rechtsaußen
Ivia Pašali und Miroslav Kutle fungiert hatte. Der Deal zwischen Djindji, den Kroaten

28
Elsässer, J.: Monopoly in Serbien. WAZ-Konzern plant Aufkauf der größten Tageszeitung Vecernje Novosti.
Bundeskanzler Schröder als Lobbyist. Redaktion zum Widerstand entschlossen. In: Junge Welt, 15.1.2005.
29
etvrtina “Politike” vlasništvo Hrvata. Šta se skriva iza prodaje najstarije medijske kue na Balkanu. In:
Nacional, Zagreb [http://arhiva.glas-javnosti.co.yu/arhiva/2002/06/03/srpski/R02060203.shtml].
30
Der WAZ-Funktionär und ehemalige Koordinator für den Balkan-Stabilitätspakt Bodo Hombach wird mit
mehreren Finanzskandalen in Verbindung gebracht. 1999 wurde er in den Medien angeklagt, von der VEBA
einen Baukredit in Höhe von mehr als einer Million erhalten zu haben, auf den er kein Anrecht hatte. Wenig
später eröffnete die Staatsanwaltschaft in Düsseldorf die Anklage gegen Hombach. Als ehemaliger Direktor
von Tvrtke Trade hätte er zwischen 1992 und 1998 insgesamt 300.000 DM unterschlagen. Auf der politischen
Bühne Deutschlands wurde Hombach bekannt als der Mann, der die Interessen der SPD geschickt mit denen
des Großkapitals verband, weshalb ihm Gegenwind besonders vom linken Flügel der SPD entgegenschlug.
Ende 2001 zog sich Hombach aus dem Stabilitätspakt zurück und wechselte Anfang 2002 an die Spitze des
WAZ-Konzerns.
31
etvrtina “Politike” vlasništvo Hrvata. Šta se skriva iza prodaje najstarije medijske kue na Balkanu. In:
Nacional, Zagreb [http://arhiva.glas-javnosti.co.yu/arhiva/2002/06/03/srpski/R02060203.shtml].

47
und der WAZ, den der politische Rivale Djindjis und damalige jugoslawische Präsident
Vojislav Koštunica niemals zu Gesicht bekam, wurde damit auch als politischer Triumph
der Kroaten gesehen. In den serbischen Medien stellte man den Verkauf als Geschäft unter
Gleichen dar. Es wäre ein gemeinsames serbisch-deutsches Unternehmen entstanden, zu
dem beide Seiten gleichberechtigt Wesentliches beigetragen hätten – die „Politika“ ihr
intellektuelles Potential und die WAZ 25 Millionen Euro Bargeld. Erstaunlich war, dass
weder Koštunica, noch andere serbische Politiker, nicht einmal die Radikalen, gegen den
Verkauf des nationalen Symbols, gegen die Art und Weise, wie der Verkauf über die Bühne
ging, protestierten. Man habe den serbischen Politikern in den letzten zehn Jahren den
Schneid abgekauft. Ja, es hieß in der serbischen Presse sogar, Djindji unterscheide sich
insofern kaum von Miloševi, als er die Mehrheit der Medien unter seiner Kontrolle habe,
mit Hilfe der Kommerzbank, der Staatssicherheit, und der privaten Verbindungen seiner
engsten Mitarbeiter in den Medien. In Djindjis Kabinett waren 80 Mitarbeiter tätig, die
allein für den Kontakt mit den Zeitungs- und Fernsehredaktionen zuständig waren. Unter
diesen Umständen hatte niemand Lust, seine Nase in die Geschäfte Djindjis mit der WAZ
zu stecken, meinte ein serbischer Journalist aus dem Lager Koštunicas. Die „Politika“ wur-
de der WAZ-Gruppe nicht als unabhängiges Zeitungs- und Verlagsunternehmen verkauft,
sondern als Eigentum der Kommerzbank, die der in Serbien berühmt-berüchtigte Ljubomir
Mihailovi führte. Mihajlovi war ehemals Kosovo-Korrespondent der „Politika ekspres“
und der „Veernje novosti“ gewesen, und seine Landsleute nannten ihn deswegen ‚Ljuba
Šiptar’, Ljuba der Albaner.
Die serbische Kommerzbank, die Komercijalna banka, diente als Hebel, um die serbi-
schen Medien still zu halten. Da ihnen die Bank großzügig Kredite gewährte, jedoch zu
Wucherzinsen, befanden sie sich bald in einer ausweglosen Situation: entweder fügten sie
sich den Gesetzen der Propaganda-Maschinerie Miloševis oder sie mußten sich im Namen
der angehäuften Forderungen ihre Eigentums- und Herausgeberrechte entreißen lassen. Auf
diese Weise wurde die Kommerzbank in der Zeit, in der es Serbien aufgrund der internatio-
nalen Sanktionen am schlechtesten ging, zuerst zum Eigentümer einzelner Redaktionen,
und später des gesamten „Politika“-Verlagshauses. Der politische Effekt dieses schleichen-
den Eigentümerwechsels wurde unübersehbar im Jahre 2000, während der in Jugoslawien
so genannten ‚Oktoberrevolution’. Damals solidarisierten sich von mehreren hundert „Poli-
tika“-Journalisten nur 26 mit der Masse der Demonstranten und forderten die Absetzung
Miloševis. Der Rest der Journalisten hielt sich zurück, weil er dem „unabhängigen Bankier
Ljuba Šiptar“ Arbeitsplatz und Redakteurstitel verdankte, wie die kroatische Zeitung „Na-
cional“ sarkastisch anmerkte32. Zum Skandal, dass sich in das Eigentum an „Politika“ nun
Kroaten und Deutsche teilten, kam noch hinzu, dass der König der Balkan-Zigarettenmafia,
Stanko Suboti, über das Druck- und Vertriebsunternehmen „Štampa“ auch Zugang zu den
deutsch-kroatischen Kreisen der Politika erlangt hatte. Nachdem Vanja Bokan, der ehema-
lige Eigentümer der „Štampa“ umgebracht worden war, um ihn als Konkurrenten im
Schwarzhandel mit Zigaretten auszuschalten, verschafften die ‚Rechtsnachfolger’ Bokans
dem ‚duvanski kralj’, dem ‚Tabakkönig’ Stanko Suboti, genannt Cane, Zugang zur
„Štampa“. Damit konnte sich Suboti auf den Vertrieb der „Politika“ und auf die neuen
kroatisch-deutschen Miteigentümer ausrichten. Soweit wären die Dinge für Pavi und Su-
boti ausgezeichnet gelaufen.

32
etvrtina “Politike” vlasništvo Hrvata. Šta se skriva iza prodaje najstarije medijske kue na Balkanu. In:
Nacional, Zagreb [http://arhiva.glas-javnosti.co.yu/arhiva/2002/06/03/srpski/R02060203.shtml].

48
Seit den frühen 1990er Jahren, als der Kroate Pavi mit Hilfe des HDZ-Tycoons Miroslav
Kutle die kroatische Wochenzeitung „Globus“ und die Frauenzeitschrift „Gloria“ übernahm
– 1994 kam noch das kroatische Politmagazin „Arena“ dazu – träumte Pavi vom großen
balkanweiten Medienkonzern. Da er damals noch nicht über die finanziellen Mittel verfüg-
te, beschaffte er sich über Kutle ein großzügiges Darlehen. Als 1997 die „Jutarnji list“ zum
Verkauf stand, gesellte sich zu jenem Duo aus Pavi und Kutle ein dritter Teilhaber, der
damalige Berater des kroatischen Staatspräsidenten Franjo Tudjman, Ivica Pašali. Hinter
den Kulissen des neuen Verlagsimperiums sorgte Pašali für die nötige Kreditwürdigkeit
und die absolute Macht innerhalb der „Tiska“, der größten Verlags- und Vertriebskette
Kroatiens. Nachdem der „Politika“-Deal über die Bühne gegangen war, störten allein die
kritischen Artikel des kroatischen „Nacional“, gegen die Djindji schwere Mediengeschüt-
ze auffuhr. Doch die Dinge waren ohnehin bereits unter Dach und Fach. Mit Hilfe ihres
Gönners Pašali war es der Europapress Holding, kurz EPH33, gelungen, ihre Medienmacht
auf insgesamt zwanzig Zeitungen und auf Teilhaberrechte an allen bedeutenden Radio- und
Fernsehstationen in Kroatien auszudehnen. Außerdem stellte sich später heraus, daß Kutle
nach dem Ende der HDZ-Herrschaft von seinen Teilhabern auch das Ende ihrer Zusam-
menarbeit forderte. Als sich einer seiner ehemaligen Teilhaber in Haft befand, verkaufte
Pavi kurzerhand 50 Prozent der Anteile an der EPH an den deutschen WAZ-Konzern,
womit er Kutle auf einen Schlag insgesamt 20 Millionen DM schuldete. Diese Schuld be-
steht bis heute, und Kutle kann sie auf gerichtlichem Wege nicht einklagen. Der Grund liegt
auf der Hand. Obwohl die Dokumente vorliegen, die diese Verhältnisse bezeugen, hat sich
keiner der geheimen Teilhaber jemals bereit gefunden, die rechtliche Gültigkeit ihrer illega-
len Absprachen zu akzeptieren. Bereits im Frühjahr 2000 stattete Pavi Serbien seinen
ersten Besuch als Abgesandter der WAZ ab. Über Vermittlung von Hrvoje Petra – den er
später in seinen Zeitungen als größten kroatischen Mafioso brandmarken sollte – machte
Pavi ein privates Unternehmen in Serbien ausfindig, über das er die Zeitungen und Maga-
zine der EPH auf dem serbischen Markt plazieren konnte. Dieses Unternehmen hieß ‚Into-
co’ und war in Geschäftskreisen als eines der ersten Unternehmen bekannt, das legal Ziga-
retten des Tabakkonzerns ‚Rovinj’ einführen durfte.
Pavi beendete seine Zusammenarbeit mit ‚Intoco’ Ende 2001, als Djindji und Hom-
bach, der sein Amt als Koordinator des Stabilitätspaktes bereits niedergelegt hatte, sich
einigten, dass die „Politika“ Eigentum der WAZ werden sollte, des neuen Arbeitsgebers
von Hombach. Nachdem die zwei politischen Schwergewichte den Vertrag über die künfti-
ge Zusammen-arbeit skizziert hatten, wurde Ninoslav Pavi und Ljubomir Mihailovi die
Lösung der technischen Fragen überlassen. Soviel bekannt ist hatten Pavi und Ljuba Šiptar
bereits für Ende 2000 ein erstes Treffen vereinbart, für genau jenen Tag, als in Kroatien die
‚Grupo-Affäre’ ans Tageslicht kam. Pavi wandte sich damals bereits nach Belgrad. Doch

33
Die „Europapress Holding“ (EPH) ist der größte Zeitungs- und Zeitschriftenverlag Kroatiens mit Sitz in
Zagreb. Seit Dezember 1998 beteiligt sich die deutsche WAZ Mediengruppe mit 49% an der EPH. In der EPH
erscheinen unter anderem die zweitgrößte Tageszeitung „Jutarnji list“ (durchschnittliche Auflage ca. 115.000
Exemplaren), die Sportzeitung „Sportske Novosti“ (Auflage: ca. 40.000 Exemplare), die Wirtschafts-
tageszeitung Dnevnik, die Wochenzeitschriften „Globus“ und „Gloria“. Dazu werden die kroatischen Ableger
des „Playboy“ und der „Cosmopolitan“ verlegt. Im Verlag erscheinen insgesamt 18 Zeitschriftentitel mit einer
durchschnittlichen Gesamtauflage von ca. 660.000 Exemplaren. Die EPH beteiligte sich mit Hilfe der deut-
schen WAZ Mediengruppe zudem an der „Slobodna Dalmacija“. 34,6% des Konzerns, der sich zuvor im Be-
sitz des kroatischen Staates befand, wurden jenem für 24,5 Millionen Kuna abgekauft, für weitere 83,46 Milli-
onen Kuna übernahm die EPH im Jahr 2005 insgesamt 70% an der „Slobodna Dalmacija“. Ninoslav Pavi war
mit 51% Teilhaber der „Europapress Holding“ und damit der mächtigste Mann der kroatischen Medienszene.

49
das Treffen fand nicht statt. Pavi hatte erfahren, daß nach der Aufdeckung seiner geheimen
Absprachen mit den Teilhabern Pašali und Kutle, bereits eine Anzeige gegen ihn wegen
Bildung einer kriminellen Organisation vorlag. Wie Pavi heute selbst zugibt, verhinderte
eine weitere Strafverfolgung allein Premierminister Raan, weil er wusste, dass die WAZ
bereits ein so wichtiger politischer Faktor war, daß seine Partei, die SDP, den Geschäfts-
partner der WAZ nicht ohne gewichtige politische Folgen in die Schranken weisen konnte.
So eroberte sich die WAZ immer mehr den serbischen und kroatischen Markt. Djindji
erwarb sich einflussreiche Unterstützer. Ljuba Šiptar (Mihailovi) blieb Inhaber großer
Anteile am „Politika“-Konzern innerhalb des deutsch-serbischen Verlagsunternehmens.
Ninoslav Pavi wurde das, wovon er bereits als Parteiideologe und Apparatschik geträumt
hatte – der mächtigste Zeitungsredakteur, Manipulator und Zensor in einer Person.
Was die Auflage betrifft, lief die 1953 gegründete Tageszeitung „Veernje Novosti“ der
„Politika“ bald den Rang ab. Sie nimmt für sich eine kurze und verständliche Berichterstat-
tung in Anspruch, ohne oberflächlich zu werden. Das sei das Geheimnis ihres Erfolges bei
einer breiten Leserschaft, heißt es. Der Presserat des Belgrader Medienzentrums beanstan-
dete jedoch 2005, dass sich namentlich die „Veernje Novosti“ und die „Glas javnosti“ in
jeweils elf Fällen der Missachtung ethischer Grundsätze schuldig gemacht hätten. Fast
tadellos schnitten dagegen die Tageszeitungen „Politka“ und „Danas“ und die Wochenma-
gazine „Vreme“, „NIN“ und „Evropa“ ab. Die „Veernje novosti“ werden wie die „Politi-
ka“ in Belgrad produziert. Nach eigenen Angaben ist die Zeitung „Veernje novosti“ mit
rund 250.000 Exemplaren die serbische Tageszeitung mit der höchsten Auflage. Die deut-
sche WAZ-Mediengruppe versuchte deshalb auch, die „Veernje novosti“ zu übernehmen34.
Dies war man auf serbischer Seite jedoch zu verhindern bemüht, weil man die damit eintre-
tende Monopolstellung der WAZ-Mediengruppe auf dem serbischen Zeitungsmarkt be-
fürchtete. Es waren also nicht „ideologische Gründe“, die die serbische Regierung als
Mehrheitseigentümer veranlasste, sich gegen eine ausländische, insbesondere deutsche
Übernahme zu wehren. 2006 ging der Kampf um die serbischen „Abendnachrichten“ in die
letzte Runde: Der Staat, der Unternehmer und frühere Basketball-Star Vlade Divac und der
deutsche WAZ-Konzern waren drei der möglichen künftigen Eigentümer. Chefredakteur
Manojlo Vukoti bevorzugte damals den status quo – knapp 30 Prozent in Staatshand, der
Rest in Streubesitz. Den Zuschlag erhielt zuletzt eine Gruppe serbischer Großunternehmer
mit guten Kontakten in höchste politische Zirkel. So blieb die Zeitung vor einer ‚feindli-
chen Übernahme‘ bewahrt.
Der große Konkurrent des WAZ-Konzerns im Balkan-Geschäft ist die Schweizerische
Ringier Holding AG, die unter anderem die Boulevardzeitung „Blic“ und die Gratis-
Tageszeitung „24 sata“ („24 Stunden“) verlegt. Seit Oktober 2006 erscheint „24 sata“ in
Belgrad und ist mit einer Auflage von ungefähr 150.000 Stück die größte kostenlose Tages-
zeitung Serbiens. Am 9. Juni 1997 erschien die erste Ausgabe der Qualitätszeitung „Danas“
(„Heute“) [www.danas.rs]. Die Tageszeitung mit Sitz in Belgrad spricht vor allem eine
intellektuelle Leserschaft an und legt Wert auf eine unabhängige Berichterstattung, was
unter dem Miloševi-Regime nur schwer zu verwirklichen war. Somit befand sich die Zei-
tung wegen offener und unzensierter Berichterstattung über die politischen Entwicklungen

34
Die Frist für die Privatisierung aller vom Staat gegründeten Printmedien lief am 23. April 2006 aus. Das betraf
sowohl die „Veernje novosti“ als auch die „Borba“, die ehemalige Zeitung der Kommunistischen Partei. Nach
Ablauf dieser Frist war für alle nicht privatisierten Medien die Einleitung des Einstellungsverfahrens vorgese-
hen.

50
in Serbien und Montenegro stets im Visier der serbischen Behörden. Zeitweilig wurde auch
ein Publikationsverbot über „Danas“ verhängt. Begründung war das angebliche Schüren
von Angst und „Miesmacherei“. Nach Aufhebung des Verbots musste die Zeitung mehr-
mals Bußgelder bezahlen, die das weitere Erscheinen grundsätzlich in Frage stellten. Hatte
„Danas“ den Sturz des Regimes im Jahre 2000 überlebt, kämpfte die mittlerweile einzige
Tageszeitung mit intellektuellem Charakter bald ums Überleben. Noch bis vor ein paar
Jahren wurde sie von ausländischen Spenden unterstützt. Nur die Stammleserschaft (nicht
mehr als 30.000) sorgt dafür, dass diese Zeitung noch erscheinen kann.
Die Boulevardzeitung „Blic“ und die „Veernje Novosti“ sind die auflagenstärksten
Zeitungen auf dem serbischen Zeitungsmarkt. Daneben hat der „Kurir“ mit einer Auflage
von bis zu 200.000 Stück eine feste Marktposition. Der Zeitungsinhaber, Radoslav Rodi,
besitzt neben dem „Kurir“ auch die Tageszeitungen „Glas javnosti“ und „Start“, die in weit
kleineren Auflagen als der „Kurir“ erscheinen (20.000 bis 40.000). Aus einem Streit in der
„Kurir“-Redaktion entstand die Tageszeitung „Press“ [www.pressonline.rs], die in Inhalt
und Aufmachung dem „Kurir“ gleicht. Finanziert wird das jüngste Printmedium von einem
in Rußland ansässigen serbischen Geschäftsmann, womit es sich bei „Press“ um die erste
Ostinvestition in den serbischen Medienmarkt handelte. Die Boulevardzeitung „Blic“
[www.blic.rs], die 1996 von österreichischen Geschäftsleuten ins Leben gerufen wurde und
anfangs die einzige der Opposition nahestehende Tageszeitung war, entwickelte sich zum
stärksten staatsfernen Printmedium in Serbien.
Die serbischen Sporttageszeitungen existieren bis heute nur als Anhängsel bzw. Beilage
der großen Tageszeitungen, mit Ausnahme der ältesten Sporttageszeitung, die schlicht
„Sport“ heißt [www.sport.novosti.rs] und zum Medienkonzern „Novosti“ gehört (Auflage
ca. 30.000 Stück). Der Konzern rettete die Zeitung, die kurz davor war, eingestellt zu wer-
den. Der Erzrivale der „Sport“ heißt seit 1990 „Sportski žurnal“, das dem Konkurrenz-
Medienhaus „Politik“ gehört. Dank seiner plakativeren Aufmachung hat das „žurnal“ eine
etwas größere Auflage. Grundsätzlich haben Sporttageszeitungen wenig Überlebens-
chancen auf dem Markt, wenn sie nicht von großen Medienhäusern, die ihre Defizite ab-
schreiben können, mitgetragen werden. Ein ähnliches Schattendasein führte in Serbien
lange Zeit auch die Wirtschaftsberichterstattung, die auf die einschlägigen Seiten der gro-
ßen Tagesezeitungen beschränkt war. Die erste reine Wirtschaftstageszeitung hieß
„Pregled“ („Überblick“, www.pregled.co.yu). Diese wurde 2002 gegründet und berichtet an
Werktagen über das nationale und internationale Wirtschaftsgeschehen. „Pregled“ gehört
zur Handelsblatt-Wall Street-Journal-Gruppe und hat eine Auflage von 30.000 Stück. 2007
bekam „Pregled“ durch die Zeitschrift „Biznis“ [www.biznisnovine.com] einen ernstzu-
nehmenden Gegner. „Biznis“, die teuerste Tageszeitung auf dem serbischen Markt mit
einer Auflage von etwa 40.000 Stück, ist ‚moderner‘ konzipiert und konzentriert sich mehr
auf die Wirtschaftsentwicklungen im Lande. Typisch für die serbische Medienlandschaft
sind auch kleine Tageszeitungen, die es meist aber nicht schaffen, sich für längere Zeit auf
dem Markt zu halten und nach einigen Monaten bereits wieder von der Bildfläche ver-
schwinden. Insbesondere in Wahlkämpfen wurden Tageszeitungen gezielt gegründet, um
für bestimmte politische Gruppen Reklame zu machen. Waren die Wahlen vorüber, lösten
sich diese Zeitungen meist rasch wieder auf.

51
1.6 Öffentlich-rechtliches und privates Fernsehen und Radio35

Auf dem Rundfunkmarkt spielten sich nach dem Oktober 2000 ähnliche Verteilungskämpfe
wie auf dem Zeitungs- und Nachrichtenmarkt ab. Der Sender „B92“ (RTV B 92) protestier-
te am 2. Januar 2001 gegen eine Entscheidung von IBC Fernsehen, die Programmübernah-
me von TV „B92“ zwischen neun und zehn Uhr abends zu unterbrechen und stattdessen ein
eigenes Programm auszustrahlen. Der Sender hätte diese vertraglich bestehende Möglich-
keit bislang nicht genutzt und das Programm von TV „B92“ täglich und ohne Unterbre-
chung ausgestrahlt. TV „B92“ sprach von erneutem „wirtschaftlichem und politischem“
Druck auf unabhängige Medien in Serbien, und beschuldigte darüberhinaus die Regierung,
bei der Zuweisung von Frequenzen untätig geblieben zu sein. Viele der übrigen Sender
seien noch immer „Geiseln“ aus der Zeit des Miloševi-Regimes. An erster Stelle stand in
dieser Hinsicht natürlich der staatliche Sender „Radiotelevision Serbien“ (RTS – Radio
Televizija Srbija, www.rts.rs), das seinen Hauptsitz in Belgrad und regionale Ableger in
Novi Sad und im Kosovo mit dem ehemaligen „TV Priština“ hat, das heute als „TV Most“
geführt wird. In den 1920er-Jahren hatte man erstmals einen Radiosender mit einer Reich-
weite von 455 Metern erprobt, wobei der erste erfolgreiche Versuch am 24. März 1929
gelang, als „Radio Belgrad“ aus dem Gebäude der Serbischen Akademie sein erstes Pro-
gramm ausstrahlte. Bis zum Überfall Hitler-Deutschlands auf das Königreich Jugoslawien
im April 1941 („Unternehmen Strafgericht“) strahlte der Sender ein regelmäßiges Pro-
gramm aus. In der Besatzungszeit wurde die staatliche Sendetätigkeit beendet. Die deutsche
Wehrmacht übernahm den Sender und strahlte ein eigenes Programm für die deutschen
Truppen aus. „Radio Belgrad“ wurde europaweit bekannt durch seine Erkennungsmelodie,
der „Lili Marleen“ von Lale Andersen, die allabendlich zum Sendeschluß gegen zehn Uhr
gespielt wurde. Nach der Machtübernahme der Tito-Partisanen sendete Radio Belgrad
wieder in serbischer Sprache. 1992, während der Zerfall Jugoslawiens in vollem Gange
war, wurde das bisherige „TV Beograd“ in „Radio Televizija Srbije“ umbenannt und unter
dem Dach von „Javni RTV Servis Srbije“ untergebracht. Während des Nato-Angriffs auf
Serbien und Montenegro, im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt, wurde das RTS-
Hauptgebäude in der Nacht des 23. April 1999 bombardiert. Dabei kamen 16 Mitarbeiter
um.
RTS hat fünf Fernsehprogramme („RTS 1“ und „RTS 2“, „Radio Televizija Vojvodine“,
„TV Most“ und das Satellitenfernsehen „RTS SAT“) und vier Hörfunkprogramme („Radio
Beograd 1“, „Radio Beograd 2“, „Radio Beograd 3“ und „Beograd 202“) mit Stationen in
fast allen größeren Städten Serbiens. Während Radio Beograd 1 vor allem Nachrichten und
Programme zu aktuellen Themen sendet, hat sich der zweite Kanal auf Kulturelles und der
dritte Sender auf klassische Musik spezialisiert. „Beograd 202“ richtet sich an das jüngere
Publikum der serbischen Hauptstadt, die weniger an ausführlichen Berichten und Diskussi-
onen und mehr an kurzen Nachrichten und moderner Musik interessiert ist. Dieser Sender
war auch eine Antwort auf die in den 1990er Jahren stärker werdende mediale Konkurrenz
im privaten Sektor. Dort waren bzw. sind populäre Fernsehsender wie „TV BK“ oder
„RTV Pink“ tonangebend, die anfangs ausschließlich das Unterhaltungsbedürfnis bedien-

35
Private Sender: Fernsehen – TV B92 [www.b92.net/indexs.phtml]; TV BK; TV Pink [www.rtvpink.com]; TV
Kosava [www.kosava.co.yu]; TV Palma; TV Politika [www.politika.expirium.com] und viele kleine lokale
Fernsehstationen – Radio: Radio B92; Radio Politika; Radio O21; Radio S [www.radios.co.yu]; Radio Novosti
[www.radionovosti.co.yu] und viele kleine Radiostationen.

52
ten, aber nach und nach auch Informationformate in ihr Programm aufnahmen. Mit der
Demokratisierung wurde der Staatssender „RTS“ mit Problemen konfrontiert, wie sie in
Osteuropa alle staatlichen Institutionen hatten: zuviele Mitarbeiter, veraltete Technik,
schlechte Infrastruktur. Eine monatliche Fernsehgebühr sollte die Umwandlung des „RTS“
in einen öffentlichen Dienst ermöglichen und ihn so unabhängiger machen. Zu den größten
Konkurrenten von „RTS“ zählen die privaten Fernsehsender „Pink“ und „B92“. „Pink“ war
zum Zeitpunkt seiner Gründung im Jahr 1993 der erste richtige Privatsender in Serbien, der
sich im Laufe der Zeit zum beliebtesten Unterhaltungssender landesweit mauserte. Natür-
lich hätte auch dieser Sender keinen Erfolg ohne eine enge Kooperation mit dem Regime
gehabt. Gleiches galt für den 1994 gegründeten Privatsender „BK“ der Familie Kari.
„Pink“ belegt hinter „RTS“ den zweiten Platz, hat jedoch gute Chancen, mit nur einem
Kanal die Spitzenposition von „RTS“ zu übernehmen. Der Fernsehsender „B92“ begann im
September 2000 zu senden, zunächst nur in Belgrad, seit 2004 auch landesweit. Der Bel-
grader Lokalsender „Studio B“ ging wie „B92“ aus einem Radiosender hervor. Er unter-
schied sich jedoch in einem wichtigen Punkt von anderen Privatsendern. Die Gründerrechte
an dem 1970 von „Borba“-Journalisten gegründeten Radio- wie auch an dem später ent-
standenen Fernsehsender „Studio B“ übernahm 1996 der Magistrat der Stadt Belgrad. Die-
ser unterstand damals der Kontrolle von Miloševis Sozialisten, und wurde damit offizielles
Medium der Stadt Belgrad. Die Entwicklungsmöglichkeiten von „Studio B“ hängen daher
auch in besonderem Maße von der finanziellen Unterstützung der Stadt ab. „Studio B“
sendet auf einer Reichweite von 100 Kilometern um Belgrad überwiegend Informations-
programm, unter besonderer Betonung der kommunalen Geschehnisse in der Hauptstadt.
Weit darüber hinaus geht der Hörerkreis des serbischen Auslandsradios, das früher „Ra-
dio Jugoslavija“ hieß und heute schlicht „Internationales Radio Serbien“ (Medjunarodni
Radio Srbija) [www.glassrbije.org/index.php] heißt. Der Radiosender sendet in elf Spra-
chen, neben Serbisch unter anderem auch in Albanisch, Chinesisch, Russisch und Arabisch.
Das heimische Programm von „Radio Srbija“, „JU Radio“, wurde im März 1991, während
der großen Demonstrationen in der serbischen Hauptstadt, gegründet. Ziel war, jenes Va-
kuum im Äther zu füllen, das nach der zeitweisen Schließung der Sender „B92“ und „Radio
Index“ entstanden war. Während der 1990er Jahre galt „JU Radio“ als einer der liberalsten,
offensten und damit auch am meisten gehörten Sender Belgrads. In der zweiten Hälfte der
1990er Jahre strahlte „JU Radio“ in Zusammenarbeit mit „Radio Crna Gora“ auch ein Pro-
gramm für Montenegro aus und hängte in Sachen Popularität und Einschaltquoten die übri-
gen Rundfunksender ab. Erst als sich das Miloševi-Regime seinem Ende zuzuneigen be-
gann und sich damit unter der Ägide von Ivan Markovi auch der Druck auf die freien
Medien erhöhte, senkte sich das Dunkel über den einst kritischen Sender. Nach der Wende
vom Oktober 2000 kehrte man zum vorherigen Standard zurück. Am 16. Oktober 2006
mußte „JU Radio“ seinen Betrieb einstellen. Hintergrund waren die Ergänzungen zum
Rundfunkgesetz und die Empfehlungen des Rundfunkrates der Republik Serbien. Diese
sahen vor, dass ein Sender, der im Wettbewerb keine Frequenz zugeteilt bekommt, seine
Tätigkeit einzustellen habe. „JU Radio“ bewarb sich zusammen mit 33 anderen Radio- und
TV-Stationen um eine Sendefrequenz für Belgrad, bekam sie aber nicht.
Das Radio ist das am weitesten verbreitete Medium in Serbien und in Montenegro. Al-
lerdings verfügen bzw. verfügten nur die staatlichen Sender „Radio Belgrad“, „Radio Mon-
tenegro“ und „Radio Serbien-Montenegro“ über eine nationale Abdeckung des Hörerraums.
Im Gegensatz zum Fernsehen krebsen die serbischen Radiosender meist am Rande der
Wirtschaftlichkeit entlang. Ausnahmen sind einige wenige populäre Lokalsender. Der füh-
rende Radiosender Serbiens ist „Radio Beograd 1“. Der staatliche Sender hat die höchsten

53
Einschaltquoten, aber selbst damit besitzt er nur einen Anteil von ca. fünf Prozent an der
landesweiten Gesamthörerzahl. Mit einem sehr reichhaltigen Informationsprogramm und
qualitativ hoher Musikauswahl ist „Radio Beograd 1“ ein Medium, das auf Zuhörer über
vierzig Jahren ausgerichtet ist. Zu den Konkurrenten von „Radio Beograd 1“ gehören der
ebenfalls von „RTS“ betriebene Unterhaltungssender „Beograd 202“, die Unterhaltungs-
sender „Radio S“ und „Pink“, der legendäre Belgrader Radiosender „Studio B“ und der in
den letzten anderthalb Jahrzehnten populär gewordene Radiosender „B92“. „B92“ ist im
Grunde der einzige Unterhaltungssender, der bis heute seinem ursprünglichen Prinzip „viel
Musik, maximal drei Minuten plaudern“ treu geblieben ist. Den wesentlichen Unterschied
zwischen „B92“ und dessen Konkurrenz macht jedoch die Qualität des Programms aus. Die
Mischung aus Wortbeiträgen und Musik haben diesem Sender Kultstatus in Belgrad verlie-
hen. Als sich auf der Straße Demonstranten mit dem Miloševi-Regime heftige Auseinan-
dersetzungen lieferten, wurde „B92“ zu den „Ohren und Augen des freien Belgrad“. Lan-
desweit hat „B92“ eine Einschaltquote von knapp vier Prozent. „Radio S“ war ursprünglich
das Informationsmedium von Miloševis sozialistischer Partei. Die Zeit nach dem Abtritt
des Präsidenten hat der Sender geschickt genutzt, so dass ihn landesweit auch heute noch
bis zu vier Prozent der Radiohörer einschalten. Der populäre, aber oft geringgeschätzte
Sender „Pink“ gewinnt sein Publikum mit populärer, „volkstümlicher“ Musik.

1.7 Die Nachrichtenagenturen Serbiens

Dass auch die nationalen Nachrichtenagenturen ihre Berichterstattung nach dem Ende des
Miloševi-Regimes nicht mehr am ideologisch Wünschenswerten ausrichteten, damit muss-
ten sich viele erst anfreunden. Aber auch private Nachrichtenagenturen mussten in den
Zeiten des Umbruchs einiges über sich ergehen lassen. Ein Fall von vielen ist die mit US-
Unterstützung gegründete private und multi-ethnische Nachrichtenagentur „AVP“ („Agen-
cija Vranje Press“). Seit September 2003 konnte sie keine Nachrichten mehr über die Ti-
cker geben. Ihre Journalisten konnten ihre Büros nicht mehr betreten, die im Gebäude des
staatlichen Pensionsfonds im südserbischen Vranje untergebracht waren. Vojkan Risti,
Inhaber von „AVP“, beschuldigte den Leiter des Pensionfonds und Abgeordneten der De-
mokratischen Partei, Dragan Janji, das Schloss an der Hauteingangstür ausgetauscht zu
haben, nachdem er in Meinungsumfragen sehr schlecht abgeschnitten hatte. Der politische
Umschwung betraf in besonderem Maße freilich die wichtigste und größte der serbischen
Nachrichtenagenturen, die 1943 gegründete, weithin bekannte „Tanjug“ (Akronym für
„Telegrafska agencija nove Jugoslavije“, www.tanjug.rs36. Sie war 2007 im Zuge der Priva-
tisierung in ein marktwirtschaftlich orientiertes Unternehmen umgewandelt worden, um
sich auch besser gegen die private und unabhängige Konkurrenz zu behaupten: „Beta“,
„Ticker“ und „Fonet“ sind solche Privatagenturen, die in den 1990er Jahren mit der Arbeit

36
Von 1992 bis 2003 war „Tanjug“ die staatliche Presseagentur der Bundesrepublik Jugoslawien, und von 2003
bis 2006 die staatliche Presseagentur der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro. Seit 2006 ist sie die
staatliche Presseagentur der Republik Serbien. Die Agentur beschäftigte Ende 2006 insgesamt 313 Mitarbeiter,
davon 147 Journalisten, 27 Übersetzer und 4 Pressefotografen. Das umfangreichste Produkt der Agentur ist der
Generaldienst, der Nachrichten, Analysen und Berichterstattungen über die wichtigsten wirtschaftlichen, ge-
sellschaftlichen, kulturellen und sportlichen Geschehnisse landesweit und international beinhaltet. Mehr als
80.000 Nachrichten werden jährlich auf diesem Wege distribuiert.

54
in Belgrad begannen, als Gegengewicht zur staatlichen Agentur37. Bis zur Auflösung des
Staatenbundes Serbien-Montenegro gehörte zum gemeinsamen Medienmarkt auch die
einzige montenegrinische Nachrichtenagentur „Mina“, die im März 2002 aus der Fusion
der Agenturen „Montena Fax“ und „Montena Business“ entstanden war.
In den Zeiten des kalten Krieges zählte die staatliche Nachrichtenagentur „Tanjug“ zu
den zehn weltweit bedeutendsten Nachrichtenagenturen. Sie war die wichtigste Agentur der
blockfreien Staaten. Ihr gelang es, über einige einschneidende geschichtliche Ereignisse als
erste zu berichten: zum Beispiel im Jahr 1975 über die Einnahme Saigons durch nordviet-
namesische Truppen, die Invasion in der kubanischen Schweinebucht 1961, den Einmarsch
des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968 oder über die Entmachtung Nicolae
Ceauescus 1989. Die Möglichkeit, schneller als andere an Nachrichten zu kommen, ver-
dankte „Tanjug“ seinem weitgespannten Korrespondentennetz und der großen Zahl von
Mitarbeitern – Ende der 1980er Jahre arbeiten über 1.200 Journalisten, Übersetzer und
Pressephotographen für die staatliche Agentur. Im Oktober 2000 wechselte „Tanjug“ fast
über Nacht die Seiten. Sie ließ die jugoslawische Öffentlichkeit offiziell wissen, dass sie ab
sofort „auf Seiten des Volkes dieses Landes“ stünde und „vollständig, auf der Basis profes-
sioneller Standards, wahrhaftig und objektiv, in Übereinstimmung mit den Grundinteressen
des Volkes und Landes berichten wird“. Das konnte natürlich nicht vergessen machen, dass
„Tanjug“ eine der wichtigsten Säulen im Herrschaftssystem Miloševis gewesen war. Auch
andere gelenkte Medien wechselten in jenem bewegten Oktober 2000 die Seiten. Das serbi-
sche Staatsfernsehen „RTS“ war nach mehrstündiger Unterbrechung wieder auf Sendung
gegangen. Offenbar befand es sich nun aber in den Händen der Opposition. Auf den Bild-
schirmen erschien zunächst nur der kurze Satz: „Das ist das Programm des neuen Radio-
und Fernsehsenders Serbiens. Wir bitten sie höflich noch um etwas Geduld, bis wir wieder
zu senden beginnen.“
Seit diesen historischen Tagen haben die serbischen Medien einen weiten Weg von der
staatlichen Lenkung hin zu unabhängigen und kritischen Medien zurückgelegt. In der
Übergangszeit nach der Ablösung Miloševis, als Serbien die Nachwirkungen des Bürger-
krieges, seine Gebietsverluste und Bevölkerungsverschiebungen, grundsätzlich die Unsi-
cherheit seiner territorialen und nationalen Souveränität zu verarbeiten hatte, waren die
Medien stark nationalisiert. Angriffe auf die nationale Identität oder was als solche emp-
funden wurde, löste in den Medien einen größeren Widerhall aus als sie es unter anderen,
normalen Bedingungen getan hätten. Das gilt genauso für die Medien des großen Rivalen
Kroatien, und erst recht für jenes Gebiet, das Serbien bis heute nicht verloren geben will,
für das seit Februar 2008 offiziell unabhängige Kosovo. Auch dort konnte ein Journalist,
der sich nicht auf den offiziellen Kurs der politischen Elite festlegen wollte, der zum Bei-
spiel das Projekt Unabhängigkeit vor 2008 oder das Verhältnis der albanischen Mehrheits-
bevölkerung zur serbischen Minderheit kritisch sah, schnell als ‚Verräter‘ an den Rand
gedrängt sehen.

37
„Beta“ erhielt deshalb 2004 und 2005 Zuwendungen der US-amerikanischen regierungsnahen Organisation
„National Endowment for Democracy“. „Beta“ bietet Informationsdienste wie „Betanews“ und „Betaweek“
an, eine tägliche bzw. wöchentliche Zusammenstellung von Meldungen und Presseartikeln aus der Region.
Außerdem bietet „Beta“ ein Bulletin namens „Beta Monitor“ mit Wirtschaftsnachrichten an, und „Beta Defen-
ce“, ein Bulletin mit Nachrichten aus der Sicherheitspolitik.

55
2. Kosovo: die Medien als Motor der Unabhängigkeit

Die Schweizer Organisation „Medienhilfe für Ex-Jugoslawien“ schrieb 2000, daß „auf dem
Mist der Nachkriegsgesellschaft im Kosovo die Medienprojekte wuchern“ würden. Dabei
wuchere aber vor allem Unkraut. Die internationale Gemeinschaft, die 1999 die serbische
Provinz unter ihre politische Verantwortung genommen hatte, dämme den Wildwuchs nicht
ein, sondern trage selbst zur Verwirrung bei. Der kosovo-albanische Publizist Shkelzen
Maliqi meinte 2000, also nur ein Jahr nach der NATO-Intervention in den Kosovo-
Konflikt: „Das Protektorat im Kosovo baut auf einer Kooperation zwischen, UNO, KFOR
und der OSZE auf. Aber das Verhältnis dieser drei Organisationen, besonders zwischen
UNO und OSZE, ist nicht immer kooperativ.“ Während die OSZE zum Beispiel eine Me-
diengesetz-gebung vorbereitete und damit die Grundlage für neue öffentliche Medien im
Kosovo legte, gründete die UNMIK (United Nations Interim Administration Mission in
Kosovo) im Alleingang „Radio Television Kosovo“ (RTK) – ohne mit der OSZE oder
lokalen Medienschaffenden und Experten im ‚Media Advisory Board’ Rücksprache zu
halten. Der neue Sender arbeitete, ohne lokale Leute einzubeziehen, und die Zuschauer
beklagten sich häufig über die schlechte Qualität des Programms. Viele fühlten sich belei-
digt, weil keine Medienschaffenden angestellt wurden, die 1989 von Belgrad aus den
Diensten von Radio Television Priština entlassen worden waren.
„RTK“ bestand damals aus „Radio Kosova“ und der Fernsehstation „TVK“. Während
„Radio Kosova“ an Profil und Breitenwirkung gewann, weil es lokale Mitarbeiter einbezog,
war „TVK“ lange ohne Bodenhaftung. Chef von „TVK“ war damals der Schweizer „SRG“-
Präsident Eric Lehmann. Er tourte um die Welt, um die benötigten Millionen für „TVK“
aufzutreiben. „RTK“ bewies seine absolute ‚Bodenhaftung’ während der katastrophalen
Ausschreitungen im März 2004. „RTK“ übernahm unbesehen, ohne entsprechende Unter-
suchungen der Polizei und Justiz abzuwarten, die Stimmung der Straße, die die Kosovo-
Serben kollektiv für den Tod zweier albanischer Kinder am Fluß Ibar in Nordkosovo ver-
antwortlich machte. Stimmungsmache auf gefährlich niedrigem Niveau griff von „RTK“
auf die Massenblätter der Provinz über. Auschreitungen waren die Folge, die zum gerings-
tem Teil spontan, zum überwiegenden Teil von politischen Scharfmachern gezielt gesteuert
waren, um die serbische Minderheit, das Haupthindernis für die Unabhängigkeit des Koso-
vo einzuschüchtern. Serbische Zivilisten, aber auch Roma, Ashkali und Gorani wurden
Opfer des Mobs. Klostergebäude und Kirchen wurden angezündet, Siedlungen, die die
Vereinten Nationen mit erheblichem finanziellem Aufwand für Roma und Ashkali errichtet
hatten, wurden bis auf die Grundmauern zerstört. An den Folgen des verantwortungslosen
Umgangs von „RTK“ mit der Macht der Medien zeigte sich in abschreckender Weise der
Einfluss, den die modernen Medien auf das Verhalten ihrer Zuhörer und Zuseher haben
können, wenn sie ihre Macht nicht zur Aufklärung und nüchternen Recherche benutzen,
sondern zu diffuser Meinungsmache.
Die Provinz Kosovo gehörte bis Februar 2008, als sich Kosovo einseitig für unabhängig
erklärte, formal zu Serbien, stand jedoch seit 1999 unter internationaler Verwaltung. Dort
gibt es seit der Ablösung Serbiens durch die internationale Gemeinschaft ein weit-
gefächertes Angebot an Zeitungen und Zeitschriften. Die seriöseste Tageszeitung ist das
ehemals von Veton Surroi geleitete Blatt „Koha Ditore“ („Die Tageszeit“). Das Blatt mach-
te sich über das Kosovo hinaus einen Namen, einerseits wegen seines gediegenden Stils,
andererseits, weil es unter seinem ersten Chefredakteur, dem kosovarischen Intellektuellen
und Politiker Veton Surroi, den kosovo-albanischen Nationalismus nicht unkritisch über-

56
nahm und förderte. Im Gegenteil versuchte „Koha Ditore“, einen konstruktiven Diskurs
über die eigenen, intraethnischen ‚blinden Flecken’ zu führen. Als sich nach dem Ende des
Kosovo-Konflikts Kosovo-Serben aus Angst vor Anschlägen nicht mehr aus dem Haus
trauten und mancher Scharfmacher die Serben kollektiv als inferior und verbrecherisch
verdammte, meinte Surroi, das sei nur eine andere Form des Faschismus38. Surroi provo-
zierte damit weniger Nachdenken als Morddrohungen. Die „Koha Ditore“ war 1997, noch
während der Zeit der sogenannten Untergrundrepublik Kosovo gegründet worden, und
erschien von da ab sowohl im Kosovo als auch in Albanien. Wärend des Kosovo-Konflikts,
im März 1999, verwüstete die serbische Polizei die Redaktionsräume in Pristina, worauf
der Druck der Zeitung ins mazedonische Tetovo verlegt wurde. Ende April 1999 wurden
bereits wieder 10.000 Exemplare nach Albanien ausgeliefert und mehr als 2.000 in das
Kosovo39. Mit einer Auflage von etwa 50.000 Exemplaren pro Tag ist sie zwar nicht die
auflagenstärkste, aber ihres inhaltlichen Niveaus wegen dennoch die einflussreichste Zei-
tung im Kosovo. Als Veton Surroi den Posten des Chefredakteurs aufgab, um sich ganz der
von ihm gegründeten Partei ORA zu widmen, übernahm seine Schwester, Flaka Surroi, die
Leitung. „Koha Ditore“ gliedert sich in die Sparten Politik, Kultur, Sport und lokale Nach-
richten40.
Die Zeitung „Bota Sot“ („Die Welt heute“) – Redaktionssitz wie fast alle kosovo-
albanischen Zeitungen in Pristina, aber auch in Zürich und New York – wurde am 26. Juni
1995 gegründet. Sie gehört heute mit einer Auflage zwischen 70 und 120.000 Exemplaren
zu den auflagenstärksten Zeitungen im Kosovo. In der Schweiz, wohin in den Jahren vor
dem Kosovo-Konflikt viele Kosovo-Albaner emigriert sind41, werden täglich ungefähr

38
Surroi schrieb unter der Überschrift „Faschismus im Kosovo als albanische Schande“, Untertitel: Die systema-
tische Einschüchterung der Serbinnen und Serben im Kosovo bringt Schande über die Albanerinnen und Alba-
ner in dieser Provinz und wird weitreichende und lang anhaltende Folgen haben (Koha Ditore): „Die heutige
Gewalt, mehr als zwei Monate nach Ankunft der Nato-Truppen, ist mehr als nur eine emotionale Reaktion.
Das ist eine organisierte und systematische Einschüchterung aller Serbinnen und Serben aus dem einzigen
Grund, dass sie serbisch sind und deshalb als kollektiv schuldig gemacht werden für alles, was im Kosovo ge-
schah. Solches Benehmen ist faschistisch. Die Bevölkerung des Kosovo hat sich genau gegen solches Beneh-
men die letzten zehn Jahre lang gewehrt und dagegen gekämpft – zuerst friedlich und dann mit Waffen.“
[http://archiv.medienhilfe.ch/News/Archiv/1999/KosoWar/surroi.htm].
39
Vgl.: www.nettime.org/Lists-Archives/nettime-l-9906/msg00115.html.
40
Koha Ditore plant, auch für Fernsehsender Beiträge zu liefern und über das Internet eine größere Auflage zu
erreichen. Dazu kooperiert man bereits mit dem kroatischen Sender B92. Vom Gang ins Internet verspricht
man sich größere Objekitivät was die Vorgänge auf dem Balkan betrifft. Über den Sender ARTA sendet die
Zeitung bereits Nachrichten im Internet, auf Albanisch und Englisch. Ein internationaler Fernsehsender hat
ebenfalls vor, der Zeitung Raum für Nachrichten über das Fernseh zu gewähren. Diese Nachrichten sollen laut
Planung täglich erscheinen. Das Projekt wird von UNESCO und EU unterstützt.
41
In der Schweiz gab und gibt es daher eine größere Zahl albanisch-sprachiger Medien. Neben den Printmedien
(Koha ditore, Bota sot etc.) gibt es auch einige Radiobeiträge in den Programmen nicht-kommerzieller Rund-
funksender: die Sendung LAM`ë auf Radio Rabe, das kosovo-albanische Magazin auf Radio Lora, die Sen-
dung Kompass auf Kanal K, die jeweils am Dienstag eine albanischsprachige Sendung ausstrahlt und das „Ra-
dio Besa“ innerhalb von „Radio Rasa“, das eine Kosovo-albanische Kultur- und Informationssendung in alba-
nischer Sprache produziert. Es gibt außerdem die Zeitschrift „info SHQIPTARE“, eine monatliche Informati-
onszeitung für kosovo-albanische Flüchtlinge in der Schweiz, die von den Medienschaffenden Xhevdet Kalla-
ba aus dem Kosovo und Jan Poldervaart aus der Schweiz produziert wird das Ziel verfolgt, die Flüchtlinge bei
den Vorbereitungen für ihre Rückkehr in den Kosovo zu unterstützen. Sie wird von der Asyl-Organisation in
Zürich vertrieben. Die Homepage www.albanien.ch bezeichnet sich als die Schweizerische Informations- und
Koordinationsstelle für Albanien. Sie ist die Homepage der Zeitschrift newsletter Albanien, der Schweizer
Zeitschrift für die Zusammenarbeit mit Albanien. Die Homepage enthält Informationen zum Land Albanien
und zur Region Kosovo.

57
7.000 Stück der Zeitung verkauft42. „Bota Sot“ gilt als nationalistisches Blatt, dem mehr-
fach, u.a. von der OSZE, rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen vorgeworfen
wurden und das auch wiederholt zu Geldstrafen verurteilt wurde. 2001 ermittelte das
Schweizer Bundesamt für Polizei wegen mehrfachen Verstosses gegen das Antirassismus-
gesetz. Die Schweiz war in den Jahren des Kosovo-Konflikts zu einem „Hinterland der
kosovarischen Befreiungsarmee UÇK“43 geworden. In der Schweiz mischten sich kosovari-
sche Freiheitsaktivisten mit albanischen Mafiosi, wobei oft unklar war, wessen Interessen
dominierten. Was „Bota Sot“ schreibe, sei nicht nationalistisch oder fremdenfeindlich,
sondern ganz einfach primitiver und perfider Boulevardjournalismus, meinten Kosovo-
Albaner, die die „Neue Zürcher Zeitung“ befragte. Die Schweizer Organisation „Medien-
hilfe“ konstatierte dagegen, dass die „Liste der professionellen Entgleisungen“ der „Bota
Sot“ lang sei. Die Schweizer Hauptredaktion befindet sich am Zürcher Bahnhofsplatz, als
Untermieterin des illustren Tessiner Geschäftsmannes Behgjet Pacolli. Der gebürtige Alba-
ner Pacolli kam vor allem wegen des Kreml-Umbaus durch seine Firma „Mabetex“ in die
Schlagzeilen. Die wegen Rassendiskriminierung beanstandeten Artikel der „Bota Sot“
richteten sich in erster Linie gegen Serben und Mazedonier, denen die Kosovo-Albaner
Unterdrückung und Schikanierung ihrer Volksgruppe vorwarfen, aber auch gegen die eige-
nen Landsleute, die die Zeitung gerne als Verräter beschimpft.
Als Verräter machte die Zeitung in ihrer Ausgabe vom 18. Februar 2004 den Politiker
und ehemaligen Verleger der „Koha Ditore“44, Veton Surroi, aus. Surroi wurde in einem
Artikel als „Verräter am albanischen Volk“ und „Spion des jugoslawischen Geheimdiens-
tes“ verunglimpft. Sein Verbrechen? Er hatte sich zu einem Gespräch mit Slavisa Petkovi,
Regierungsminister für Rückkehrfragen in der Regierung Serbiens, getroffen. Das Thema
des Gespräches waren die Rückkehrmöglichkeiten geflüchteter und vertriebener Serben in
den Kosovo. Surrois Verbrechen sei seine „Serben-Freundlichkeit“. Er betreibe eine „pro-
slawische Politik“ und profiliere sich als „Schutzmacht der Serben“. Und dies nicht zum
ersten Mal, hätten doch schon sein Vater und sein Großvater im Solde Belgrads gestanden.
Wie sonst, wenn nicht als „Händler des Blutes der Märtyrer“, fragte die „Bota sot“ pathe-
tisch, hätte Surroi reich werden können, in einer Zeit, da die Söhne und Töchter Kosovas
unter dem Krieg litten. Solche Anschuldigungen konnten und können tödlich sein in einem
Umfeld, in dem ehemalige Kriegsherren nach wie vor die Politik und das Geschehen im
Kosovo bestimmen. Weiterhin bestehende paramilitärische Einheiten der Albanischen
Befreiungsarmee ANA, engstens verflochten mit wirtschaftskriminellen Personen und
Strukturen, die von Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggel leben, können solche Arti-
kel schnell als Aufforderung verstehen, den Kampf des albanischen Volkes gegen die sla-
wische, sprich serbische Herrschaft weiterzuführen und den „Verräter“ aus dem Weg zu
räumen, so das Fazit der „Medienhilfe“45. Darüberhinaus standen derartige Hetzartikel in
direktem Gegensatz zur proklamierten Politik der kosovo-albanischen Führung. Am 25.
Februar 2004 hatte der ehemalige UÇK-Kommandant und spätere Premierminister des

42
Vertreiber sind die Kiosk AG und die Naville SA.
43
„Zürichs Albaner im Banne der UCK“. Das politische Engagement der albanischen Diaspora. In: Neue Zür-
cher Zeitung, 18. Juli 2001 [www.nzz.ch/2001/07/18/zh/article7iy6f_1.456029.html].
44
Veton Surroi gab den Besitz der seit 1999 finanziell eigenständigen und als am seriösesten geltenden Tageszei-
tung an seine Schwester Flaka Surroi ab.
45
2005: Bota Sot Dokumentation. Aus dem Editorial des mh-info 2005-01 (März 2005)
[www.medienhilfe.ch/de/dossiers-debates/bota-sot].

58
Kosovo, Ramush Haradinaj, gemeinsam mit den kosovo-albanischen Bürgermeistern die
Serben dazu aufgerufen, in den Kosovo zurückzukehren.
Der Verdacht lag nahe, dass zwischen verlautbarter Politik, die sich oft an dem orientier-
te, was international gerne gehört wurde, und der öffentlichen Meinung, die sich zum Bei-
spiel in den Spalten der „Bota Sot“ offenbart, ein Graben klafft. Man schien weniger daran
interessiert, den Graben zwischen den Ethnien zuzuschütten, als den antislawischen Reflex
der Albaner zu zementieren, den auch die Tageszeitung „Epoka e re“ („Die neue Epoche“)
bedient, ein eindeutig radikales, nationalistisches Blatt, in dem jeder als Abweichler und
Verräter der kosovo-albanischen Sache diskreditiert wird, der nicht unmißverständlich die
Unabhängigkeit des ganzen Kosovo von der Republik Serbien und heute von den Ein-
schränkungen der Souveränität des Kosovo durch die Auflagen der internationalen Ge-
meinschaft verficht. In den Artikeln taucht nicht selten und nicht nur zwischen den Zeilen
der Gedanke auf, die Unabhängigkeit sei nur der erste Schritt zur Vereinigung aller mehr-
heitlich albanisch besiedelten Gebiete in Südserbien, Mazedonien und in Montengro zu
einem sogenannten ‚Großalbanien’. Es ist kein Geheimnis, dass maßgebliche Politiker der
albanischen Regierung des Kosovo besonders der „Epoka e re“ gedanklich am nächsten
stehen.
In den Jahren 2006 und 2007, als die Hoffnung stetig wuchs, jeden Tag könne die Un-
abhängigkeit der Provinz von Serbien verkündet werden, enstanden mehrere Zeitungen.
Diese artikulierten schon im Titel die Zuversicht, zum Beispiel die „Pavarësia News“, über-
setzt „Unabhängigkeits-News“. Oder die „Iliria Post“, eine Zeitung, die das Broadsheet-
Format wählte, um schon vor der Unabhängigkeitserklärung staatstragend zu erscheinen.
Dass die Albaner des Kosovo dieses Land für sich beanspruchen, dokumentierte schon der
Name „Iliria“. Denn es ist unbestittener Konsens unter den Kosovo-Albanern, dass sie
direkt von den antiken Ureinwohnern der Kosovo-Region, den Illyrern, abstammen wür-
den. Daraus leiten die Albaner ein eindeutiges Vorrecht vor den Serben auf den Boden des
Kosovo ab. Dieses Vorrecht wird nicht nur von den traditionellen Medien, den Zeitungen
und dem Fernsehen vertreten. Im Netz gibt es eine Vielzahl von Foren und Internetseiten,
in albanischer Sprache und den jeweiligen Landessprachen, die sich mit aktuellen politi-
schen Fragen rund um das Kosovo beschäftigen, zum Beispiel die deutschsprachige Seite
„kosova-aktuell“ oder die Seiten politischer Bewegungen wie „Vetëvendosje“ (alban.:
Selbstbestimmung), die publizistisch und politisch äußerst engagiert, bisweilen auch mit
kritischen Methoden für den Abzug aller internationalen Organisationen aus dem Kosovo,
für das Ende des „Protektorats“, wie sie es nennen, und damit die volle Souveränität des
Kosovo kämpft. Wer die internen Probleme und Machenschaften, die auf dem Weg dorthin
passieren, offen kritisiert, wer sich für eine offene Gesellschaft im Kosovo einsetzt, kann
dabei leicht in die Schußlinie geraten.

2.1 Kosovos Medien und die Unabhängigkeit

Mehr als 58,6 Millionen Euro haben Organisationen, Stiftungen und NGOs von 1996 bis
2006 in die Medienhilfe im Kosovo investiert - mediale Unabhängigkeit galt als zentrale
Vorraussetzung zur Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft. Bis heute sind die
Medien jedoch alles andere als friedensstiftend: ethnisch-nationalistisch gefärbte Berichter-
stattung lässt differenzierte Sichtweisen nicht zu und stachelte immer wieder aufkommende
Konflikte zwischen der serbischen und albanischen Bevölkerung an. Offizielle Amtsspra-

59
chen des Kosovo sind zwar Serbisch und Albanisch, wobei es wenig Gelegenheit gibt,
Serbisch zu sprechen. In der Hauptstadt Pristina leben nur noch etwa 140 Serben unter
insgesamt 550.000 Einwohnern. Von den rund zwei Millionen Bewohnern des Kosovo sind
mittlerweile gut 90 Prozent Albaner und nur sieben Prozent Serben – 1981 waren es noch
13 Prozent. Für das tiefsitzende Mißtrauen zwischen Serben und Albanern sind die kosova-
rischen Medien ein plakatives Beispiel. Extrem „Wir-Gruppen“ fixiert, ist die Berichterstat-
tung sehr einseitig. Der nationale Fernsehsender „RTK“ lieferte zuletzt 2004 sogar mit
hetzerischen Berichten den Anstoß für tödliche Ausschreitungen, die sich binnen Stunden
über das ganze Kosovo ausbreiteten, vor allem in die Enklaven der Minderheiten, der Ser-
ben, Ashkali und Roma.
In den albanischsprachigen Medien des Kosovo kommt die serbische Minderheit kaum
vor, es sei denn, es geht um die angeblich zweifelhafte Rolle Belgrads, zum Beispiel dessen
Unterstützung für die Kosovo-Serben in den Enklaven im Süden oder im mehrheitlich ser-
bischen Nord-Kosovo, das sich der Vereinnahmung durch den unabhängigen Staat Kosovo
zu entziehen versucht. Die Serben im Kosovo haben keine eigenen landesweiten Medien
und informieren sich meist über Radio und Fernsehen aus Belgrad, wo wiederum die Alba-
ner in der Berichterstattung schlecht abschneiden. Für die Kosovo-Albaner ist die wichtigs-
te Informationsquelle das Fernsehen. Die wichtigste der drei landesweiten Fernsehstationen
ist das im Jahr 2000 mit Hilfe der Europäischen Rundfunkunion (EBU), der OSZE und der
Vereinten Nationen gegründete öffentlich-rechtliche „Radio Television Kosovo“ (RTK)46,

46
In diesem Jahr luden UNMIK und OSZE die “European Broadcasting Union” (EBU) ein, einen unabhängigen
öffentlichen Sender im Kosovo einzurichten und zu verwalten. Im September 1999 begann „RTK“ mit der
Übertragung von zweistündigen täglichen Notprogrammen über einen analogen Satelliten. Im Oktober 1999
übergibt die OSZE die wiedererrichtete öffentliche Radiostation „Radio Pristina“ an „RTK“. Die Station geht
als „Radio Kosovo“ wieder auf Sendung. Das UN-Radio „Radio Blue Sky“ wird Teil von „RTK“.“Blue Sky”
ist ein multiethnischer Sender, der sich v.a. an die jüngere Generation wendet. Im Oktober 2000 werden die
technische Ausrüstung von Fernsehen und Radio gründlich erweitert, dank einer substanziellen Spende der ja-
panischen Regierung..Im November 2000 erweitert „RTK“-Fernsehen sein Programm und sendet nun vier
Stunden täglich: eine wöchtliche Nachrichtensendung in Serbisch; Nachrichten in Türkisch und ein wöchtli-
ches türkisches Nachrichtenmagazin. Radio und Fernsehen senden ab sofort über das neue „Kosovo Terrestrial
Transmission Network“. 2001: Die UNMIK Broadcasting Regulation 2001/13 etabliert „RTK“ formell als un-
abhängige öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt mit einer offiziell unpolitischen Direktion. Die beiden Radio-
stationen führen ein „live audio streaming“ auf ihren Webseiten ein, um ein weltweites Publikum zu erreichen.
Im Juli 2001 erhöht „RTK“ seine Sendezeit auf sieben Stunden täglich. Die neuen Programme enthalten ein
wöchtliches Programm für Landwirte, ein wöchtliches Wirtschaftsmagazin und ein wöchtliches Informations-
magazin für die kosovo-albanische Diaspora. Eine tägliche Nachrichtensendung in Bosnisch wird eigenführt.
Das Fernsehen stellt von analogen auf digitalen Satellitenempfang um. Im September 2001 konstituiert sich die
Direktion und wählt Adem Demaci zum Vorsitzenden. Im Dezember 2001 endet das Mandat der EBU als Ma-
nager von „RTK“. Agim Zatriqi wird der erste lokal ernannte Generaldirektor von „RTK“. „RTK“ erhält eine
einjährige Überbrückungsfinanzierung aus dem konsolidierten Kosovo-Budget, wobei die Einführung einer öf-
fentlichen Lizenzgebühr im Jahr 2003 Voraussetzung ist. Anfang 2002 erhöht „RTK“-TV seine Sendezeit auf
15 Stunden täglich terrestrisch und über Satellit. 65% des Programms wird lokal produziert und 35% von aus-
ländischen Sendern oder Produktionsfirmen erworben. Im Januar 2002 eröffnet „RTK“ sein Korrespondenten-
Büro in Tirana. Im April startet ein Morgenprogramm. Im Juni führt „RTK“ ein wöchtliches Nachrichtenma-
gazin in bosnischer Sprache („Most“) ein. Im Juli 2002 ist die „RTK“-Webseite „rtklive.com“ zugänglich. Die
erste Fernsehserie im Nachkriegs-Kosovo „Moderne Familie“ geht im Oktober auf Sendung. Zugleich vergibt
„RTK“ erstmals zwei Preise, „Drita Germizaj“ für den besten Nachrichtenmoderator, und den „Rudolf Sopi“-
Preis für die besten Kameramänner. Anfang 2003 wird eine Kooperationsvereinbarung zwischen „RTK“ und
„EBU“ unterzeichnet. Im Februar bzw. März startet eine Werbekampagne für die Lizenzgebühr „Res Publica“.
Im selben Monat geht ein Unterrichtsprogramm auf Sendung, im Mai das Nachrichtenbulletin „Info“. Ende
Mai führt das „Center for humanistic studies ‘Gani Bobi’“,eine Publikumsbefragung durch. Das wenig überra-
schende Ergebnis ist, dass „RTK“ die am meisten gesehene TV-Station des Kosovo ist. Im Juni unterzeichnet

60
dessen einziger Sender ungefähr siebzig Prozent der Bevölkerung erreicht. Dieser hätte
aber seine Aufgabe, unparteiisch zu informieren, so der EBU-Präsident Fritz Pleitgen ge-
genüber dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, bis heute nicht erfüllt.
Zumindest eine Sendung kann das für sich in Anspruch nehmen und war deshalb auch
heftigsten Angriffen ausgesetzt: in „Life in Kosovo“ erfährt man jeden Freitag zur Prime
Time auf „RTK“ etwas von der ‚anderen Seite‘: das Balkan Investigative Reporting Net-
work (BIRN) lädt hier ungewöhnliche Gäste zum Gespräch. Bis zum Zeitpunkt, da Vertre-
ter der serbischen Regierung eine Woche vor der Unabhängigkeits-erklärung in der Sen-
dung waren, erzählte die Moderatorin der Sendung, Jeta Xharra, war die kosovarische Öf-
fentlichkeit der festen Überzeugung, Serbien würde mit erneutem Krieg reagieren. Doch
dann sprach der Minister während der Sendung lediglich von finanziellen Blockaden, was
eine Sensation war. Dies im „RTK“ zur besten Sendezeit zu sagen, zerstörte Stereotype.
Als entscheidend sah Xharra nicht die Frage an, ob sich Serben und Albaner im Kosovo
versöhnen werden, sondern ob die Medien in der Lage sein würden, eine gesellschaftliche
Wächterfunktion zu übernehmen. Zwar gibt es mittlerweile das mehrsprachige Radionetz-
werk „CerpiK“ und die multiethnische Redaktion der auf Serbisch erscheinenden Zeitung
„Civic Herald“. Von den großen Zeitungen versucht aber keine, wirklich kritisch und neut-
ral zu sein. Es war lange unmöglich für ein albanisches Medium, die eigene Seite zu kriti-
sieren, weil das sofort als Opposition gegen das Ziel der Unabhängigkeit ausgelegt wurde.
Dass die serbische Seite Kritik und scheinbare Uneinigkeit als Versagen der Kosovo-
Albaner hinstellen könnte, war eine Angst, die gerade während der Statusverhandlungen
das Klima in der kosovarischen Öffentlichkeit und nicht zuletzt in den Medien auf den
Siedepunkt brachte. Die Unabhängigkeit, hieß es allenthalben, werde das alles ins Lot brin-
gen. Ob die prognostizierten Veränderungen sich auch in der Praxis positiv auswirken,
hängt sehr stark davon ab, ob man der im Durchschnitt 25 Jahre alten, perspektivlosen
Bevölkerung eine bessere Zukunft wird bieten können – denn „eine gute Mahlzeit und ein
ruhiger Schlaf erleichtern die politische Verständigung“, so der Chefredakteur der „Koha
Ditore“ in der „Neuen Zürcher Zeitung“.

2.2 Morddrohungen und Spionagevorwürfe – „Life in Kosovo“

Die Zukunft des Kosovo und die seiner Medien sind vor allem deshalb ungewiss, weil die
in Politik und Wirtschaft Mächtigen neben ihren eigenen Interessen, vor allem von Clanin-
teressen geleitet werden. Wenn irgendetwas nicht funktioniert, sei es die Finanzierung der
Sozialversicherung oder die Infrastruktur, werden zuerst die internationalen Organisationen
oder ‚Belgrad‘ dafür verantwortlich gemacht. Die Beschuldigung eines Konationalen oder
gar Clanmitglieds ist weitgehend undenkbar. Kritik an Miss- und Vetternwirtschaft aus den
eigenen Reihen gilt als Nestbeschmutzung, weshalb es couragierte Journalisten, die ihre

der SRSG Michael Steiner die UNMIK Verwaltungsdirektive zur Implementierung einer „RTK“-
Lizenzgebühr. Ausserdem wird eine „RTK“-Big band gegründet. Im September startet „RTK“ ein Nachrich-
tenmagazin in einer weiteren Minderheitensprache: das Magazin „Yekhipe“ in Romanes. Am 15. September
eröffnet „RTK“ ein Korrespondenten-Büro in Tetovo. Am 22. Dezember 2003 erreicht „RTK“ erstmals ein 24-
Stunden-Programm. Im März 2009 unterzeichnet der „RTK“-PR-Manager, Bukurije Gjonbalaj, eine Verlänge-
rung der Service-Vereinbarung unter Aufsicht des EBU-Generaldirektors, Jean Réeillon. „RTK“ war nun in
der Lage, über Satelliten- und terrestrische Netzwerke zu senden, was auch zwei Radiostationen einschließt.

61
Verantwortung ernstnehmen, alles andere als leicht haben. Beispiele gibt es zuhauf. Als
Anfang September 2003 Personen, die bei einem Zwischenfall im Gefängnis von Dubrava
verletzt worden waren, in das Krankenhaus von Pe/Peja eingliefert wurden, kam es zwi-
schen den Journalisten des Senders „RTK“ (Radio Televizioni i Kosovës) und Polizisten
der ShPK (Sherbimi Policor i Kosovës) zu Reibereien. „RTK“ berichtete von Angriffen
und Misshandlungen durch die Kosovo-Polizei. ShPK-Sprecher Barry Fletcher erklärte, ein
Polizist habe bei dem „unnötigen Konflikt“ durch eine Journalistin Kratzwunden erlitten,
während die Journalistin unverletzt geblieben und auch nicht festgenommen worden wäre.
Die „RTK“-Version wurde dagegen vom „Verband der Professionellen Journalisten Koso-
vas“ (AGPK) gestützt. Der Angriff zeige die Risiken für Journalisten in Kosovo sowie den
Zustand der kosovarischen Gesellschaft und seiner Institutionen. Barry Fletcher sagte eine
Untersuchung des Vorfalls zu. Sollte die Polizei schuldig sein, würden entsprechende Maß-
nahmen ergriffen.
Wie prekär die Situation des Journalismus im Kosovo auch im Jahr 2009, zehn Jahre
nach dem Nato-Bombardement und ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung sein kann,
zeigt der Fall der oben erwähnten Fernsehjournalistin Jeta Xharra. Sie wurde allen Ernstes
beschuldigt, eine Spionin Belgrads zu sein. Die Kampagne gegen Xharra ging von einer
Gruppe von regierungsfreundlichen Presseorganen des Kosovo aus, die zwar Donnerworte
in Richtung Belgrad begrüßten, sich aber Kritk an den eigenen Institutionen, wie sie die
Senung „Life in Kosovo“ vortrug, strikt verbaten. Das große Manko der Gesellschaft und
damit auch der Medien des unabhängigen Kosovo ist die Neigung, alle Defizite und Prob-
leme auf die Organisationen der internationalen Gemeinschaft und auf Serbien zu schieben.
Wenn die Sozialsysteme versagten, wenn die ausländischen Investionen nicht in dem Maße
fließen wie man sich das mit der Erklärung der Unabhängigkeit vorgestellt hatte, selten bis
nie wurde in den Medien ein heimischer Politiker dafür verantwortlich gemacht. Eben bis
zu dem Tag, da „Life in Kosovo“ mit seiner Moderatorin Jeta Xharra auf Sendung ging.
Die Sendung der Fernsehgesellschaft „RTK“, die einmal wöchtlich zu sehen ist, spricht
kontroverse, ja hochgradig tabuisierte Themen an wie die Nachlässigkeit von Ortsbeamten,
Korruption, Verbrechen der Befreiungsarmee UÇK, bis hin zu Homo-sexualität, was im
Frühjahr 2009 zu irrationalen Vorwürfen führte wie dem, Xharra sei eine Agentin des ser-
bischen Geheimdienstes. Sie erhielt Morddrohungen und wurde in den Leserbriefspalten
der Zeitung „Infopress“, die der Regierung nahesteht, übelst beschimpft. „Jeta hat es sich
selbst zuzuschreiben, wenn sie ein kurzes Leben hat“, hieß es in einem der abgedruckten
Briefe. Erklärungen folgten. Die Gesellschaft des Kosovo sei noch von den Schrecken des
Krieges traumatisiert. Solidaritätsaktionen folgten ebenfalls. Niemand dürfe die Freiheit der
Presse angreifen, hieß es von regierungsamtlicher Seite. Am 28. Mai 2009 widmete sich
„Life in Kosovo“ eben diesem Thema. Xharra diskutierte, wie die Regierung durch gezielte
Werbung die Medienlandschaft beeinflusse und wie die jüngsten Entlassungen von Journa-
listen Politiker und Behördenvertreter in Verlegenheit gebracht hatten.
Ein Video wurde eingespielt, das zeigte, wie das Journalistenteam von „BIRN Kosovo“,
einer Agentur, die sich auf Nachrichten auf Südosteuropa spezialisiert hat, aus dem „Office
for Public Information“ des Verwaltungsbezirks Skenderaj in der Region Drenica geworfen
wird und von einem bewaffneten Mann, der die Aufnahmen des Teams beschlagnahmte,
aus dem Ort eskortiert wird. Von der Zeitung „Infopress“, die den Löwenanteil an Werbe-
einnahmen von der Regierung erhält, griff daraufhin Xharra an. Sie hätte die Region Dreni-
ca herabgesetzt. In den Leserbriefspalten von „Infopress“ fand sich daraufhin eine Flut von
Beschimpfungen und Drohungen. Da sie in früheren Sendungen bereits mehrmals von der
Nachlässigkeit der Beamten und der Armut in der Region Drenica berichtet hatte und sich

62
Parteilichkeit nicht vorwerfen lassen wollte, forderte Xharra die Regierung auf, die ja „In-
fopress“ nahestand, sich von dieser Schmierenkampagne zu distanzieren – um jeden Ver-
dacht auszuräumen, dass diese Angriffe Teil einer größeren Kampagne seien, um eine un-
parteiische Quelle unter Kontrolle zu bekommen oder gar auszuschalten, zumal da für Ende
2009 Wahlen im Kosovo angesetzt waren. Die Distanzierung blieb, wie nicht anders zu
erwarten, aus. Das EU-Büro für Außenbeziehungen, RELEX Kosovo, versprach, sich für
die Redefreiheit im Kosovo allgemein und in diesem speziellen Fall einzusetzen und be-
grüßte die Stellungname von Peter Feith, Chef des Civil International Office im Kosovo,
der ebenfalls für Redefreiheit im Kosovo plädiert hatte.

2.3 Medienfreiheit im Kosovo: Opfer „höherer Interessen“?

Das prinzipielle Problem, das sich der Medienfreiheit im Kosovo stellt, ist eine Gesell-
schaft, die von Gruppeninteressen zerrissen ist. Diese Gruppeninteressen werden durch
offenen Lobbyismus bis hin zu Gewalt durchgesetzt. Die internationale Gemeinschaft, die
sich mit gewaltigen Summen im Kosovo engagiert hat, will in absehbarer Zeit, da das Mili-
tär das Kosovo bald verlassen soll, eine gelungene Nachkriegs-Gesellschaft präsentieren.
Die gewachsenen Strukturen aus Vettern- und mafiöser Clanwirtschaft sind kaum zu zer-
schlagen, weshalb die Proteste gegen Fälle wie „Life in Kosovo“ nur die Symptome kurie-
ren. An die Wurzel der bedrängten Pressefreiheit geht man damit nicht. Die Politik nimmt
offen Einfluß auf die Interna zum Beispiel beim Fernsehsender „RTK“. Kritiker der „Euro-
pean Broadcasting Union“ nannten den Sender sogar den verlängerten „Medienarm des
Premierministers“. Als der Generaldirektor des Senders, Agim Zatriqi, nach acht Jahren im
Amt zurücktrat – aus persönlichen Gründen, wie es hieß – lag der Verdacht nahe, dass viel
eher politischer Druck daran schuld war. „Koha Ditore” schrieb, Premierminister Hashim
Thaci hätte Zatriqi gebeten, den Nachrichtenchef wiedereinzustellen, den Zatriqi wegen
mangelnden Professionalismus entlassen hatte. Andernfalls, warnte Thaçi, würde seine,
also Zatriqis Akte „geöffnet“ werden. Der Verband der Journalisten des Kosovo äußerte
wegen dieses und anderer Vorkommnisse seine ernste Besorgnis über die jüngsten Ent-
wicklungen bei „RTK“. Obendrein hatte sich das Parlament des Kosovo drei Jahre lang
nicht darum gekümmert, den Verwaltungsrat von „RTK“ neu zu besetzen, und das bei
einem Sender, der im Kosovo die bei weitem meisten Zuhörer und Zuschauer hat. 90 Pro-
zent der Einwohner geben nämlich an, sie würden das „RTK“-Programm regelmäßig ein-
schalten. Der Sender finanziert sich durch monatliche Pflichtzahlungen. Diese werden bei
jedem Haushalt, der im Besitz eines Fernsehapparats ist, direkt mit der Stromrechnung
abgebucht werden. Da aber die Stromrechnung in vielen Fällen nicht bezahlt wird, so dass
die nationale Stromgesellschaft oft genug mit Abschaltung droht, ist auch die finanzielle
Situation von „RTK“ nicht ganz so rosig. Ungefähr 26 Prozent des täglichen Nachrichten-
angebots werden in Minderheiten-sprachen wie Serbisch, Türkisch, Bosnisch und Romanes
gesendet. Soweit es sich nicht um Minderheiten wie Ashkali oder Roma handelt, die auf
das offizielle Angebot angewiesen sind, bedienen sich die serbische oder bosnische Min-
derheit ohnehin ihrer jeweiligen nationalen Sender in Serbien oder in Bosnien-
Herzegowina. Sie stört es also wenig bzw. sie waren wenig überrascht, als die „European
Broadcasting Union“ (EBU) dem kosovarischen Premierminister Hashim Thaçi vorwarf,
aus der nationalen Rundfunkanstalt einen „Medienarm der regierenden Partei“ machen zu
wollen.

63
Der Vorsitzende der „EBU“, Jean Réveillon, schrieb 2004 in einem persönlichen Brief
an den Premier, „RTK“ sei „mit einem fortwährenden Prozess politischer und wirtschaftli-
cher Einmischung“ konfrontiert, in einem von der Regierung gesteuerten Versuch, die
Anstalt in ein „Staatsfernsehen“ zu verwandeln. Vor der Unabhängigkeit wäre „RTK“,
schrieb Réveillon, eine Erfolgsgeschichte gewesen, nicht zuletzt wegen des multiethnischen
Charakters der Belegschaft des Senders. Kritische oder abweichende Stimmen würden nun
mundtot gemacht, dem Direktorium ein Maulkorb verpasst. Der Sender verliere sein Re-
nommée, was der internationalen Anerkennung des Kosovo, dem großen Wunsch der poli-
tischen Klasse des Kosovo, nur schaden könne. Die Reaktion des Regierungssprechers
Memli Krasniqi hätte nicht typischer ausfallen können: er könne sich noch nicht zum
Schreiben Reveillons äußern, weil es ihm noch nicht vorliege. Sollte der Brief nach vier
Uhr nachmittags eingetroffen sein, zu einer Zeit, da das Protokollbüro bereits geschlossen
ist, könne es ihm auch nicht möglich sein, davon Kenntnis zu haben und sich dazu zu äu-
ßern. Der Brief war in der Zwischenzeit an den Präsidenten der Europäischen Kommission,
den Generaldirektor der UNESCO, an den Generalsekretär des Europarates, die OSZE, und
an etliche Mitglieder des Europaparlaments verschickt worden! Nach den großspurigen
Ankündigungen der führenden Politiker des Kosovo, der neue Staat werde ein verlässlicher
Partner sein, der die Mitgliedschaft in EU und Nato anstrebe, hatte man nicht damit gerech-
net, sich nun mit den Eigenheiten eines nationalen Parteiführers auseinandersetzen zu müs-
sen. Thaçi war in erster Linie erster Premier des nunmehr freien Kosovo und Führer seiner
Partei, der demokratischen Partei des Kosovo (PDK). Erst danach fühlte er sich einer inter-
nationalen Gemeinschaft verpflichtet, die zwar den Weg zur Unabhängigkeit geebnet hatte,
aber sonst möglichst wenig Einfluss auf die inneren Angelegenheiten des Kosovo zu neh-
men hätte. Die ehemalige Mitarbeiterin des zurückgetretenen „RTK“-Generaldirektors
Zartiqi, Jeta Xharra, Moderatorin von „Life in Kosovo“, bestätigte das. Der Rückzug von
Agim Zartiqi würde den Informationsauftrag des kosovarischen Fernsehens in einem Mo-
ment schwächen, da die politische Klasse fest entschlossen sei, dessen Unabhängigkeit zu
beschneiden. Mit seinen acht Dienstjahren wäre Zatriqi länger an der Spitze einer staatli-
chen Organisation als jeder Premierminister oder Parteipolitiker, der nun Druck auf ihn
ausübe, weil die Art, wie Zatriqi das Programm gestaltet, nicht seiner kleinkarierten Vor-
stellung entspricht, die er von Fernsehen hat – ein deutlicher Seitenhieb Xharras auf den
allmächtigen Premier. Zartiqi hatte es in all den Jahren gelernt, sich mit den Mächtigen zu
arrangieren. Doch als man ihn zwingen wollte, einen inkompetenten Ex-Kollegen wieder-
einzustellen, war seine Kompromissbereitschaft ausgereizt. Vor den im November 2009
anstehenden Wahlen, die der junge Staat erstmals zu organisieren hatte und die für sein
internationales Ansehen entscheidend waren, könne er keinen Nachrichtenchef eines lan-
desweiten Senders verantworten, der so deutlich von enggefassten Parteiinteressen geleitet
sei.
Zatriqi verstand sein Amt anders. Man bescheinigte ihm sogar, dass er aus „RTK“ einen
populäreren und vor allem unabhängigeren Sender gemacht hätte, unabhängiger selbst als
die staatlichen Sender Serbiens oder Albaniens. Trotz aller Widerstände und dem Zwang,
fünf Sprachen unter einen Hut zu bringen, hatte er es geschafft, trotz begrenzter Mittel –
jeder Zuseher hat nur 3 Euro 50 pro Monat zu zahlen, und daran hält sich nicht einmal jeder
– ein qualitativ hochwertiges Programm auf die Beine zu stellen, das möglichst ohne latein-
amerikanische Seifenopern auskommt, die Zatriqi als „öffentliche Gehirnwäsche“ verachte-
te. Was er nicht geschafft hatte, war, bestimmte Journalisten, deren parteipolitische Gesin-
nung jeder ihrer Reportagen und Berichte allzu deutlich anzusehen war, vor die Tür zu
setzen – vor allem weil die Politiker ihm immer wieder vorhielten, er räume diesen Journa-

64
listen zu wenig Raum ein. „RTK“ war als Arbeitgeber auch deshalb begehrt, weil Zatriqi
Langzeit-Verträge abschloss, ein Privileg, das die meisten Angestellten außerhalb öffentli-
cher Institutionen im Kosovo nicht kennen.
Mit Zatriqis Abgang drohte der staatliche Rundfunk unter die Kontrolle politischer Kräf-
te zu geraten, die den Sender als verlängerten Arm der Politik betrachteten, die ihn zu einer
Art Staatssender degradieren wollten. Das sei nicht verwunderlich, meinten Zyniker, denn
schließlich sei das die auf dem Balkan typische Form. Hemmend wirkt sich auch die Men-
talität im Kosovo aus, die durch die lange Präsenz der internationalen Organisationen wie
der Vereinten Nationen, der OSZE und der Kfor gefördert worden ist: dass die Segnungen
von oben kämen, dass sich die Professionalität des Rundfunks von selbst einstellen würde,
und dass Kulturformate und seriöse Information den Sensations-journalismus von selbst
verdrängen würden. Einfluss auf Zatriqis Amtsführung versuchte nicht nur die Politik zu
nehmen, sondern auch die Führer der muslimischen Religions-gemeinschaft im Kosovo.
Ihnen erschienen so manche Formate von „RTK“ allzu westlich liberal. Hier zeigte sich der
Einfluss konservativer bis fundamentalistischer Strömungen im Kosovo-Islam, der gerne in
Abrede gestellt wird und der wenig mit der vielbeschworenen religiösen Toleranz des Bal-
kan-Islam zu tun hat. Außerdem wird die Medienfreiheit im Kosovo von der Kombination
zweier Phänomene erschwert, die es in dieser Form in den anderen südosteuropäischen
Ländern nicht gibt: Problem Nummer eins ist das grundsätzliche, auch aus Serbien oder
Kroatien bekannte ‚post-sozialistische’ Unbehagen daran, dass sich jede gesellschaftliche
Kraft Kritik gefallen lassen muss. Hinzu kommt, dass es im Kosovo eine kritische Öffent-
lichkeit praktisch nicht gibt. In Serbien oder Kroatien betrat mit dem Ende des Sozialismus
sofort die Opposition die Bühne der Öffentlichkeit. Sie wagte es, politische und soziale
Defizite anzusprechen. Im Kosovo konzentrierte sich alle Kritik auf den großen Bruder
Serbien. Dahinter traten alle sonstigen Probleme, die durchaus vorhanden waren, weit zu-
rück – die mangelnde Transparenz politischer Entscheidungen, die Vetternwirtschaft, die
ethnischen Konflikte. Alle diese Defizite wurden beiseite gedrängt mit dem Argument, mit
der Unabhängigkeit würde sich mit einem Schlag alles zum Besseren wenden. Dass dem
ganz und gar nicht so ist, das machte die Sendung „Life in Kosovo“ deutlich und provozier-
te damit einen Sturm der Entrüstung.
Je mehr die Illusion schwindet, dass mit der Unabhängigkeit und dem Abzug der ‚Inter-
nationalen’ automatisch bessere Zeit anbrechen, und damit auch das Argument an Kraft
verliert, Belgrad oder die UNMIK seien an allem schuld, desto mehr müssen die Parteien
über die Medien auf das Volk einwirken. Eine neue, einseitige Front, die in den Medien
derzeit aufgemacht wird, ist das für die kosovo-albanische politische Klasse hochwichtige
Problem Nord-Kosovo. Dort haben die Serben, die im sonstigen Kosovo hoffnungslos in
der Minderheit sind, noch die Mehrheit, und versuchen darüber Druck auszuüben, was
ihnen im übrigen Kosovo unmöglich ist. Statt dieses Problem als Bewährungsprobe für eine
offene, ethnisch plurale Gesellschaft zu sehen, werden medial die alten Geschütze in Stel-
lung gebracht, so als ob sich an diesem Streifen Land ‚Sein oder Nicht-Sein‘ des unabhän-
gigen Kosovo entscheiden könnten. Nicht nur die serbische Minderheit hat Angst, allen
Beteuerungen ethnischer Toleranz und Vielfalt zum Trotz untergebuttert zu werden. Der
Fall „RTK“ ist die Nagelprobe dafür, inwieweit die Gesellschaft des Kosovo offenen Dis-
kurs aushält, inwieweit man bereit ist, politische Interessen hinter dem höheren Ziel der
Pressefreiheit zurückzustellen.
Doch auch der neu ernannte „RTK“-Chef, Sylejman Shaqiri, erklärte, er rechne mit Druck
von seiten der Politik, der Wirtschaft und des organisierten Verbrechens auf seine Redakti-
onspolitik. Er versicherte aber auch, dass er keine Geschichte, die durch Fakten erhärtet sei,

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nur deswegen fallen lasse, weil Premierminister Hashim Thaçi dies von ihm verlange. Ge-
nau diese Unparteilichkeit zweifelte mancher an, den Shaqiris Ernennung überrascht hatte.
Der Chef der UNMIK, Peter Feith, hatte deshalb angekündigt, sein Veto gegen Shaqiris
Ernennung einzulegen, ungeachtet der langen beruflichen Erfahrung des Kandidaten. Sha-
qiri ist schon seit dreißig Jahren im Geschäft. Seine Laufbahn hatte er beim Lokalsender
„Radio Television Pristina“ (RTP) begonnen, bevor er zum „RTK“-Direktor aufstieg. Als
man ihm politische Voreingenommenheit, vor allem im Zusammenhang mit einer mögli-
chen Parlamentsauflösung vorwarf, betonte Shaqiri seine persönliche und professionelle
Integrität, die er stets unter Beweis gestellt hätte. Gerade von der internationalen Gemein-
schaft, die die Probleme der Medienfreiheit im Kosovo kenne, erwarte er sich deutliche
Unterstützung. Im speziellen erhoffte man sich von Shaqiri, dass er die chronische Finan-
zierungskrise des Staatssenders lösen würde. Dem Sender wurden rund 5,3 Millionen Euro
aus dem Staatshaushalt zugesagt. Bisher waren die Gebühren zusammen mit der Strom-
rechnung eingetrieben worden. Da aber die Zahlungsmoral gerade in Sachen Strom und
Heizung im Kosovo äußerst schlecht ist, wurde das Finanzierungsloch von „RTK“ stetig
größer, und noch zusätzlich vergößert durch den Beschuß des Parlaments, Werbung am
Vorabend, der Zeit mit den höchsten Einschaltquoten, zu verbieten. Shaqiri meinte deshalb
auch, die Beschlüsse des Parlaments seien kurzfristig richtig, aber auf lange Sicht werde er
sich für eine Lizenzgebühr einsetzen.

66
3. Das Mediensystem in Montenegro

Auch in Montenegro erhofften sich viele Journalisten mehr internationale Einflußnahme,


genauer gesagt von seiten der Europäischen Union. Ein weltberühmter Regisseur hatte
Montenegros seriöseste Wochenzeitung „Monitor“, die ihn mit seinen eigenen Aussagen
aus Kriegszeiten konfrontierte, verklagt. Was war geschehen? Emir Kusturica, in Sarajevo
geborener orthodoxer Serbe mit französischer Staatsbürgerschaft, machte sich als Regisseur
in Westeuropa vor allem durch Auftritte in Cannes einen Namen. Zwar kritisierte man
immer wieder seine allzu pro-serbische Sichtweise. Von seiner politischen Nähe zu Mi-
loševi während des Krieges mochte er allerdings in der Öffentlichkeit nichts mehr hören.
Montenegros wichtigstes unabhängiges Nachrichtenmagazin „Monitor“, bekam das zu
spüren: Für einen im Jahr 2004 veröffentlichten Text, der sich kritisch mit Kusturicas Rolle
während der 1990er Jahre und seiner öffentlichen Unterstützung für Slobodan Miloševi
beschäftigte, verurteilte der Oberste Gerichtshof in Podgorica die Zeitung und den Autor im
April 2008 zu 12.000 Euro Entschädigung wegen persönlicher Beleidigung und Rufschädi-
gung. Und die europäischen Kulturschaffenden trösteten Kusturica, indem sie ihm in Can-
nes den Preis für wertvolle pädagogische Inhalte, den „Prix de l'Education Nationale“, für
seinen Film „Das Leben ist ein Wunder“ verliehen.
Noch vor zwei Jahren hatte die Vorinstanz die Klage abgelehnt und den Fall als Beispiel
einer öffentlichen Debatte bezeichnet, bei der keinerlei journalistische Standards überschrit-
ten wurden. Zitiert wurde Kusturica zum Beispiel mit: „Die Serben griffen Sarajevo an, um
den Muslimen dort einen kleinen Schrecken einzujagen.“ Laut „Monitor“ ist die Entschei-
dung des Höchstgerichtes nicht korrekt begründet. Sie sei nur eine Bestätigung dessen, was
auch die EU-Kommission feststellte: das Rechtssystem in Montenegro sei nicht unabhän-
gig. Gerade Medien mit dem Ansatz, die Bevölkerung zu informieren und die Beschäfti-
gung mit der Vergangenheit anzuregen, würden systematisch bestraft und verängstigt. Der
Fall „Monitor“ zeigt: Wenn es um die eigene Rolle in der Vergangenheit geht, ist die Elite
des Landes mit Klagen nicht zimperlich. Die Medien sind eingeschüchterter denn je – De-
mokratiedefizit, zu dessen Bewältigung die EU mehr Druck ausüben müsste, wie auch
„Monitor“ beklagte. Die Wochenzeitung „Monitor“, gegründet 1990, stand gegen Krieg
und Nationalismus, und daher auch für die Unabhängigkeit von Serbien, die 2006 erklärt
wurde. Doch obwohl das Land heute in vielen Dingen als Vorbild der gesamten Balkanre-
gion gilt – der Tourismus und die wirtschaftliche Entwicklung blühen, das friedliche Zu-
sammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen verläuft weitgehend harmonisch –
ist die Freiheit der Medien heute gefährdeter als früher. Schuld seien nach Meinung der
„Monitor“-Redakteurin Milka Tadi-Mijovi Gerichtsurteile, in denen Medien mit hohen
Geldstrafen für angebliche Beleidigungen belegt werden. Während die elektronischen Me-
dien „indirekt unter der Kontrolle der Machtelite“ stehen, gibt es bei den Printmedien im-
merhin noch „Monitor“ und die unabhängige Tageszeitung „Vijesti“ („Nachrichten“). Aber
auch „Vijesti“ schlug sich immer wieder mit Strafverfahren herum. Eine Million Euro we-
gen Verleumdung forderte der Premier und ehemalige Kriegsbefürworter Milo Djukanovi.
Als tragische Ironie bezeichnete es „Monitor“ die Tatsache, dass die wenigen Anti-
Kriegs-Medien während der 1990er Jahre nicht so angegriffen wurden wie heute unter Milo
Djukanovi, der früher Partner Miloševis war und heute Verbündeter der EU und Ameri-
kas ist. Es war und ist die politische und wirtschaftliche Elite, die immer wieder von den
zentralen Problemen Montenegros profitiert, von der Korruption und der mangelnden Aus-
einander-setzung mit der Vergangenheit. Gerade für die Zeit zwischen 1993 und 1996 gebe

67
es eine gesellschaftliche Erinnerungslücke, klagen nicht nur „Monitor“-Redakteure.
Daneben würden auch die Themen Korruption und organisierte Kriminalität konsequent
verschwiegen, und wenn sie zum Thema gemacht werden, geraten die betreffenden Zeitun-
gen schnell unter Druck. Die Wochenzeitung „Monitor“ beschäftigt zehn Redakteure und
finanziert sich über den Verkauf der Wochenauflage von ungefähr 5000 Exemplaren und
über Werbung. Gelesen wird die Zeitung dank Internet im gesamten Balkanraum. Einig ist
man sich in der Redaktion, dass die EU mehr Druck auf die politische Führung ausüben
müsse. Nicht nur das durch Tourismus-Prospekte geschönte Bild Montenegros dürfe man
wahrnehmen, Brüssel müsse auch die Demokratieentwicklung in Richtung EU-Standards
aktiv unterstützen.

3.1 Die Entwicklung der Medien

Am 21. Mai 2006 sprachen sich die Bürger Montenegros (serb.: Crna Gora) in einem ei-
gens angesetzten Referendum mit hauchdünner Mehrheit für den Austritt aus dem Staaten-
bund mit Serbien aus47. Am 3. Juni 2006 erklärte Montenegro seine Unabhängigkeit und
wurde damit zum jüngsten souveränen Staat der Welt, der auch bereits am 28. Juni 2006 als
192. Staat in die Vereinten Nationen aufgenommen wurde48. Schon kurz nach der Gründung
des unabhängigen Staates Montenegro zeigten sich die ersten Anzeichen inner-
montenegrinischer Spannungen zwischen den Volksgruppen, die der zwischenstaatliche
Zwist zwischen Serbien und Montenegro bislang etwas überdeckt hatte. Die Identitätsfrage,
ob es eine montenegrinische Nation gebe oder die Montenegriner eigentlich Serben seien,
und Minderheitenfragen prägten die öffentliche Diskussion in den Medien. So wäre die
albanische Minderheit im Süden des Landes, behaupteten die pro-serbischen Kräfte, das
Zünglein an der Waage gewesen, das das Referendum über die Loslösung aus dem Staaten-
bund mit Serbien entschieden hätte. Die montenegrinische Regierung, die aus einem Bünd-

47
Für die Unabhängigkeit votierten 55,4 Prozent der Stimmberechtigten, dagegen 44,6 Prozent. Die Europäische
Union hatte eine Mindestmarke von 55 Prozent Ja-Stimmen festgelegt. Die Wahlbeteiligung lag bei 86,3 Pro-
zent. Am 22. Mai 2006 erklärte der EU-Außenbeauftragte Javier Solana, die EU werde die Entscheidung res-
pektieren. Im Vorfeld des intensiv geführten Abstimmungskampfes hatte es kaum Zweifel darüber gegeben,
daß die Zahl der Unabhängigkeitsbefürworter größer ist als die der Gegner. Fraglich war lediglich, ob das
Mindestzustimmungsquorum erreicht werden würde. Die Unabhängigkeitserklärung durch das montenegrini-
sche Parlament erfolgte am 3. Juni 2006.
48
Streng formal gesehen wäre jedoch die Republik Serbien der jüngste souveräne Staat, der sich am 5. Juni 2006
konstituierte. Die NATO nahm am 14. Dezember 2006 offiziell die drei Balkan-Staaten Bosnien und Herze-
gowina, Montenegro und Serbien in ihr „Partnerschaft für den Frieden“-Programm auf. Die Organisation des
Nordatlantikvertrags hatte Ende November bei ihrem Gipfeltreffen in Riga beschlossen, die drei Staaten in das
Partnerschaftsprogramm aufzunehmen, das als eine Art Vorstufe für eine Vollmitgliedschaft gilt. Sie hatten
diesen Schritt mit einem Interesse an einer langfristigen Stabilität des westlichen Balkans begründet. Schon
seit der Unabhängigkeit bemüht sich Montenegro um die Aufnahme in die Europäische Union. Am 15. Okto-
ber 2007 unterzeichnete Montenegro als ersten Schritt in diese Richtung ein Stabilisierungs- und Assoziations-
abkommen mit der Europäischen Union, das den Bürgern von diesem Jahr an Visaerleichterungen bringen
wird. Der Regierungschef kündigte an, sein Land wolle bereits im ersten Halbjahr 2008 ein Beitrittsgesuch zur
EU stellen. Durch das Abkommen wird die Wirtschaft der Republik an die der Europäischen Union gebunden
und man erhofft sich höhere Stabilität, bevor Beitrittsgespräche begonnen werden. Auch politisch soll eine
Festigung erreicht werden. Im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziationsabkommens werden Vorgaben
gesetzt, welche die Staaten in einem gewissen Zeitrahmen erreichen müssen.

68
nis aus DPS (Demokratische Partei der Sozialisten), SDP (Sozialdemokratische Partei) und
der DUA, der Demokratischen Union der Albaner, bestand, und über eine hauchdünne
Mehrheit der 80 Abgeordnetensitze verfügte, hätte dafür der albanischen Minderheit in
Ulcinj, die dort mit 72 Prozent die Mehrheit stellt, politische Zugeständnisse machen müs-
sen – ein Vorfall, den serbische Kommenatoren als Präzendenzfall ansahen, der sie sehr an
die Entwicklung im Kosovo erinnerte, wo eine Minderheit nach und nach zum politischen
Faktor wurde und das Staatsvolk marginalisierte.
Die Bevölkerung Montenegros besteht offiziell zu 43 Prozent aus Montenegrinern, zu
32 Prozent aus Serben und zu etwa 25 Prozent aus Bosniaken, slawischen Muslimen, Kroa-
ten und Albanern49. Die Frage, ob die Montenegriner ein eigenes Volk oder Teil des serbi-
schen Volkes sind, ist in der Bevölkerung selbst umstritten. Insbesondere konservative
Serben halten einen großen Teil der Montenegriner für einen Teil des serbischen Volkes.
Ebenso gibt es bei der größten Minderheit, den vor allem im Norden des Landes lebenden
Bosniaken und slawischen Muslimen, unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich der Be-
zeichnung ihrer Nationalität. Die Vorsicht, mit der die slawischen Montenegriner das heiße
Eisen des Islam behandeln, hat genauso wie in Serbien mit der langen und leidvollen Ge-
schichte dieser Gebiete unter osmanischer Herrschaft zu tun. Den Widerstand gegen die
Unterdrückung verkörpert für Montenegriner wie Serben der Fürstbischof von Montenegro,
Petar II. Petrovi Njegoš (1813-1851). Dessen Vorgänger Danilo hatte die Fürstbischofs-
dynastie der Njegoš begründet und Anfang des 18. Jahrhunderts den Kampf gegen die Os-
manen und die Islamisierung begonnen. Unter Petar II. entstanden um die Mitte des 19.
Jahrhunderts in Montenegro staatliche Institutionen wie der Senat, Verwaltungs- und Voll-
zugsbehörden. Er führte Steuern ein und gründete 1843 die erste Schule. Petars Nachfolger
war Daniel II. Petrovi (1852-1860). Ihm gelang es, den Türken ein Abkommen über feste
Grenzen seines Staates abzuringen. Der nächste Herrscher aus der Dynastie der Njegoš war
der letzte, am längsten regierende und wohl auch populärste – König Nikola I. (1860-1918).
Er setzte die autoritäre Modernisierungspolitik seiner beiden Vorgänger konsequent und
erfolgreich fort. Das Land erhielt ein an ausländischen Vorbildern orientiertes Gesetzbuch
und baute eine moderne Bürokratie auf, an deren Spitze 1879 erstmals ein Regierungskabi-
nett unter einem Ministerpräsidenten stand. Nach dem Ersten Weltkrieg trat Montenegro
dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, dem sogenannten ersten Jugoslawien
bei, dessen Oberhaupt 1921 König Aleksandar Karadjordjevi wurde. Nach dem Ende von
Tito-Jugoslawien bildeten Serbien und Montenegro im April 1992 die Bundesrepublik
Jugoslawien. 1997 wurde Milo Djukanovi zum Präsidenten von Montenegro gewählt,
womit erneut die Unabhängigkeitsbestrebungen Montenegros zur Debatte standen. Die
Meinungen im Land waren geteilt. Im Norden des Landes war man für den Erhalt Jugosla-
wiens, im Süden neigte man eher der Unabhängigkeit zu. Im Februar 2003 wurde aus Ju-

49
Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung laut Volkszählung von 2003: Montenegriner: 267.669
(43,16%), Serben: 198.414 (32%), #Bosniaken: 48.184 (7,77%), #Albaner: 31.163 (5,03%), slawische Muslime:
24.625 (3,97%), Kroaten: 6.811 (1,10 %), #Roma und Sinti: 2.601 (0,42%), #andere, keine Nationalität angege-
ben oder keine Daten: 41.271 (6,56%). Ferner befinden sich in Montenegro Heimatvertriebene, die in der
Volkszählung nicht berücksichtigt sind. Aus Bosnien und Herzegowina 8.381 Serben und 17.864 Menschen
aus der serbischen Provinz Kosovo und Metohija, dazu zählen Serben, Albaner und Angehörige der ethnischen
Minderheit der Roma. Die Amtssprache Montenegros ist Serbisch (bzw. Montenegrinisch, das als Dialekt des
Serb. gilt), das zu rund 64 Prozent gesprochen wird. Hinsichtlich des Namens der Sprache gibt es unter der
Bevölkerung ebenso wie hinsichtlich der Nationalitätenbezeichnung unterschiedliche Meinungen. In der
Volkszählung von 2003 gaben 63,49 Prozent der Bevölkerung Serbisch und 21,96 Prozent Montenegrinisch
als ihre Muttersprache an. Regional wird auch Albanisch, Bosnisch oder Kroatisch gesprochen.

69
goslawien offiziell die „Staatliche Gemeinschaft Serbien und Montenegro“, deren Verwal-
tungszentrum zwar Belgrad war, die aber keine gemeinsame Hauptstadt hatte. Am 3. Juni
2006 erklärte Montenegro seine Unabhängigkeit von Serbien. Die Diskussion über die
Unabhängigkeit wurde in den Medien des Landes leidenschaftlich geführt.
Seit seiner Unabhängigkeit sind in Montenegro eigene regionale wie überregionale Me-
dien entstanden. Vorher waren in Montenegro elektronische Medien nicht besonders stark
entwickelt. Den Bedarf deckte der montenegrinische Radio- und Fernsehsender „RTCG“
(Radio-Televizija Crna Gora) mit weiteren Lokalsendern ab, deren Programm nur in Mon-
tenegro ausgestrahlt wird. Auch in Montenegro spielten sich in den Medien Machtkämpfe
zwischen der alten Elite und der Opposition ab, wie man sie in Serbien oder Kroatien beo-
bachten konnte. So kam der Direktor und Chefredakteur der in der Hauptstadt Podgorica
erscheinenden Tageszeitung „Dan“, Duško Jovanovi, im September 2003 in Ulcinj, im
Süden des Landes, in Untersuchungshaft. Ihm wurde Amtsmissbrauch vorgeworfen. Die
„Dan“-Redaktion verurteilte die Festnahme und wertete sie als politischen Druck auf das
Blatt.

3.2 Die Medienlandschaft

Podgorica (frei übersetzt: ‚unterhalb des Berges’) ist das Medienzentrum des Landes,
schlicht wegen der Konzentration der wesentlichen Fernsehsender und Zeitungsverlage.
Der staatliche Fernsehsender RTCG hat seinen Sitz ebenso dort wie die privaten Sender
„TV IN“, „NTV Montena“, „Elmag RTV“, „RTV Atlas“ und „MBC“. Die Tageszeitungen
„Vijesti“, „Dan“ und „Pobjeda“ werden ebenfalls in Podgorica verlegt, genauso wie das
politische Wochenmagazin „Monitor“ und die Jugendzeitschrift „Trend“. Die Medien sind
ein Spiegel der polarisierten montenegrinischen Politik. Während die Regierung die Tages-
zeitung „Pobjeda“ und Radio-Fernsehen Montenegro kontrolliert, nutzen die pro-serbisch
orientierten Kräfte der Sozialistischen Volkspartei SNP die Tageszeitung „Dan“, um die
Öffentlichkeit für sich zu gewinnen, wobei damit vor allem die Öffentlichkeit im Norden
des Landes gemeint ist. Die unabhängigen Medien haben in dieser Situation an Profil, Po-
pularität und Glaubwürdigkeit gewonnen. Trotz der deutlichen Polarisierung gelang es
ihnen bisher, die Kriterien einer professionellen Berichterstattung zu erfüllen. Dies gilt vor
allem für die Printmedien – namentlich die unabhängige Tageszeitung „Vijesti“, die in
Montenegro die höchste Auflage erreicht, sowie das Wochenmagazin „Monitor“, das als
führende unabhängige Publikation in Montenegro einen überragenden Ruf genießt. Beson-
ders schwer hatten es die Medien in Montenegro während des NATO-Bombardements.
Trotz ständiger Drohungen seitens der jugoslawischen Armee, der Härten des Ausnahme-
zustandes und des Kriegsrechtes, und trotz zweier Prozesse, die vom Militärgericht gegen
die beiden Journalisten Miodrag Perovi („Monitor“) und Nebojša Redzi („Radio Free
Montenegro“) angestrengt wurden, konnten die Medien in Montenegro auch während des
Krieges eine professionelle Berichterstattung aufrecht-erhalten. Die Nationalversammlung
der Republik Montenegro beschloß in ihrer Sitzung am 16. September 2002 eine Reihe
neuer Mediengesetze, darunter das eigentliche Medien-gesetz, das Rundfunkgesetz und das
Gesetz über die öffentlich-rechtlichen Sender ,,Radio Montenegro" und ,,Television Mon-
tenegro“. Das Inkrafttreten dieser Gesetze wurde dann jedoch auf den 1. Mai 2003 verscho-
ben. Die neuen Mediengesetze wurden von der mit einheimischen Experten und Journalis-
ten besetzten Arbeitsgruppe des „Sekretariats für Information von Montenegro“ vorbereitet

70
und vom Europarat unterstützt. Das neue Mediengesetz enthält allgemeine Regelungen,
wonach zum Beispiel alle Bestimmungen dieses Gesetzes in Übereinstimmung mit den
Prinzipien der Europäischen Menschenrechts-konvention und der Rechtsprechung des Eu-
ropäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auszulegen sind. Ferner enthält es Regeln für
die Gründung einzelner Medien, den Vertrieb von Medien sowie Bestimmungen für aus-
ländische Nachrichtenmedien in Montenegro, strafrechtliche Bestimmungen und schließ-
lich Übergangsbestimmungen.
Trotzdem ist es um die Pressefreiheit in Montenegro bis heute nicht umbedingt gut be-
stellt. Am 16. April 2007 fand die Konferenz „Medien und Wahlen – Erfahrungen aus Eu-
ropa und der Region“ in Belgrad statt. Die mehr als 60 Teilnehmer und Referenten kamen
aus ganz Südosteuropa sowie aus Deutschland. In einem Bericht der „Konrad-Adenauer-
Stiftung“ über die Regionalkonferenz heißt es: „In Montenegro, Mazedonien und Bosnien
und Herzegowina spielen die Medien, im Gegensatz zu Serbien ihre Rolle selbstbewusster;
dabei gibt es in allen drei Staaten sehr gute Mediengesetze mit entsprech-enden Kontroll-
mechanismen, sodass diese in die Tat umgesetzt werden können.“ Das klingt zwar vielver-
sprechend, doch die Pressefreiheit ist in Montenegro trotz allem noch nicht sehr ausgeprägt.
Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlichte am 16. Oktober 2007 zum
sechsten Mal die Rangliste der Pressefreiheit. Sie vergleicht die Lage der Medienfreiheit in
169 Ländern. Montenegro ist mit Platz 58 nicht unter den ersten 50 Ländern. Es bedürfe
noch großer Veränderung, sowohl in der Infrastruktur als auch in den Kontrollorganen,
zumal da Montenegro bestrebt ist, in die EU aufgenommen zu werden50.
2009 gab es einige kontroverse Debatten über ein neues Gesetz über elektronische Me-
dien, mit dem ein Regulierungsrahmen geschaffen und die weitere Entwicklung des Markts
für elektronische Kommunikation und audiovisuelle Dienste stimuliert werden sollte. Na-
mentlich die montenegrinische Rundfunkagentur, die „Agencija za radio-difuziju Crne
Gore“ (ARDCG), die nach dem vorherigen Rundfunkgesetz maßgebliche unab-hängige
Regulierungsbehörde in diesem Sektor, kritisierte die neue Gesetzesinitiative der Regie-
rung. Mit dem 2008 in Kraft getretenen Gesetz über elektronische Kommunikation wurde
der ARDCG eine Reihe von Zuständigkeiten entzogen, von denen die meisten auch keiner
anderen Behörde übertragen wurden. Dadurch entstand ein rechtliches Vakuum im Bereich
der Lizenz- und Rechtevergabe für die Nutzung von Radio- und Fernsehfrequenzen. In
einer Diskussionsrunde über den neuen Gesetzentwurf erklärte der Leiter der EU-
Delegation in Montenegro, durch das neue Gesetz wäre eine „Situation der Unsicherheit
bezüglich des Verfahrens für die Zuteilung von Rundfunkfrequenzen“ entstanden, die nicht
mit europäischen Standards vereinbar sei. Dieser Punkt wurde auch vom OSZE-
Beauftragten für die Freiheit der Medien in seinem Bericht über Medienfreiheit in Monte-
negro unterstrichen. Er verwies dabei auf die fehlende Sicherheit bezüglich der Rolle der
ARDCG bei der Frequenzvergabe und ihrer Vertretung in den Entscheidungsgremien bei
Ausschreibungen. Die Initiative „Artikel 19“ forderte die montenegrinischen Behörden auf,
sicherzustellen, dass das letztendlich verabschiedete Gesetz den internationalen Standards
in diesem Bereich genüge. Die Initiative kritisierte insbesondere die mangelnde Klarheit
hinsichtlich der Zuständigkeit für die Vergabe von Rundfunklizenzen; das Fehlen von ein-

50
Die Rangliste, die „Reporter ohne Grenzen“ regelmäßig aufstellt, macht nicht nur deutlich, wo Montenegro in
dieser Hinsicht steht. Sie deutet auch an, wie es allgemein um die Pressefreiheit in den jeweiligen osteuropäi-
schen Ländern bestellt ist. An der Spitze stehen Island, Norwegen und Estland. Deutschland ist auf Rang 20.
Länder wie Malaysia (124.), Ägypten (146.) und Vietnam (162.) haben die Zensur des Internets verschärft und
sind abgerutscht. Auf den letzten Plätzen sind Nordkorea und Turkmenistan.

71
deutigen Kriterien für die Zuteilung von Lizenzen; das Fehlen einer Anerkennung des
nicht-kommerziellen Rundfunks; ungeeignete Bestimmungen für die praktische Anwen-
dung des geplanten Beschwerdesystems; und die fehlende Unabhängigkeit der vorgesehe-
nen Regulierungs-behörde. Zum Beispiel beanstandete der unabhängige Sender „TV Vi-
jesti“, er würde durch die derzeitige Rechtslage daran gehindert, eine landesweite Lizenz zu
bekommen.

3.3 Zeitungen und Zeitschriften

Die Presselandschaft ist in Montenegro nicht allzu gut entwickelt. Es gibt etwa 300 Veröf-
fentlichungen, die beim Ministerium für Information in Montenegro registriert sind. Etwa
50 Publikationen erscheinen regelmäßig. Die staatlichen Printmedien werden stark subven-
tioniert, während die unabhängige Presse meist kaum wettbewerbsfähig ist. Zur unabhängi-
gen Presse zählen die Tageszeitungen „Dan“ („Der Tag“), „Pobjeda“ („Der Sieg“), „Vi-
jesti“ („Nachrichten“, www.vijesti.me), „Glas Crnogorca“ („Die Stimme der Montenegri-
ner”). Will man die meistgelesene Tageszeitung Montenegros „Dan“ [www.dan.cg.yu], die
eine Auflage von 20.000 Exemplaren hat, kurz charakterisieren, könnte man sie als pro-
serbisch und regierungskritisch beschreiben. Die zweitgrößte Zeitung ist „Pobjeda“
[www.pobjeda.cg.yu], mit einer Auflage von 15.000 Exemplaren. Sie ist die älteste monte-
negrinische Tageszeitung, die bereits im ehemaligen Jugoslawien existierte. Die Zeitung
wird von einem öffentlichen Unternehmen geführt, das eine regierungsfreundliche Redakti-
onspolitik betreibt und meist wohlwollende Artikel über die Regierungspolitik veröffent-
licht. Dagegen ist „Vijesti“ [www.vijesti.cg.yu] eine private und unabhängige Zeitung, die
täglich 20.000 Exemplare verkauft. Die Zeitung ist regierungskritisch und wird mit Beteili-
gung der deutschen WAZ-Gruppe produziert. „Glas Crnogorca“ wurde 1997 mit Unterstüt-
zung internationaler Spender gegründet. Sie ist das kleinste Unternehmen unter den Tages-
zeitungen und hat eine Auflage von 5.000 Exemplaren. Die „Daily Press“ mit einer Auflage
zwischen 15 und 16.000 Examplaren ist eine der kleineren Zeitungen des Landes. Sie wur-
de zunächst mit 50-prozentiger Beteiligung der WAZ Mediengruppe produziert. Nach
schweren Vorwürfen gegen den lokalen Vertragspartner verkaufte die WAZ-Mediengruppe
ihre Beteiligung an einen montenegrinischen Zeitungsverlag. Laut eines WAZ-Sprechers
hätten die Eigentümer der Zeitung den WAZ-Anteil übernommen. Das Interesse sei für die
WAZ-Mediengruppe weiterhin groß und man sehe sich nach einer anderen Beteiligung um,
bestätigte der Sprecher. Der WAZ-Verlag hatte der „Daily-Press“-Spitze brieflich Steuer-
hinterziehung und unsaubere Berichterstattung vorgeworfen und auf eine Trennung ge-
drungen. Zudem hätte die „Daily Press“ ihre Berichterstattung „häufig zu wirtschaftlichem
Eigennutzen verwendet“. Eine weitere Zusammenarbeit sei „mit den ethischen Grundsätzen
der WAZ-Mediengruppe nicht vereinbar“. Die „Daily Press“ hatte vor der Trennung mit
Gegenvorwürfen reagiert und der WAZ-Mediengruppe unterstellt, politischen Einfluss auf
die Redaktion nehmen zu wollen. Dies wies der Essener Verlag entschieden zurück. Grund
für die Trennung war gerade das Beharren der WAZ-Mediengruppe auf einer sauberen und
unabhängigen Berichterstattung im Einklang mit nationalem und internationalem Recht.
Die Gesamtauflage der Tageszeitungen beträgt in Montenegro 60.000 Exemplare täg-
lich. Zum Vergleich: Laut der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung
von Werbeträgern (IVW) betrug die verkaufte Auflage der Tageszeitungen in Deutschland
22,85 Millionen (Stand: April 2009). Im Jahr 1989 wurde die „Ankerst Internationale Ver-

72
lagsvertretung“ in Österreich gegründet. Es handelt sich um die offizielle Verlagsvertretung
etlicher großer Medien. Das Unternehmen durchbricht die sprachlichen Barrieren und dient
als Brücke zwischen dem deutschsprachigen Raum und den Verlagshäusern in Slowenien,
Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien. In Monteneg-
ro ist das Unternehmen zuständig für die Tageszeitungen „Vijesti“, „Dan“ und „Pobjeda“.
In kürzester Zeit entwickelte sich das Unternehmen als eine Verbindung zwischen dem
deutschsprachigem Raum und den Ländern des ehemaligen Jugoslawien: Slowenien, Kroa-
tien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien.
An Zeitschriften und Magazinen erscheinen in Montenegro „Monitor“, „Onogost“, „Pol-
ja“ und „Trend“. Der Marktführer unter den Nachrichtenmagazinen ist „Monitor“, ein poli-
tisches Wochenmagazin, das mittlerweile hohe Popularität genießt. Das Magazin hat eine
Auflage von 5.000 Exemplaren und bietet regierungskritische Inhalte. Das Magazin wird
von der liberalen Partei unterstützt. „Onogost“ und „Polja“ haben ebenfalls eine Auflage
von 5.000 Exemplaren und könnten nicht ohne finanzielle Unterstützung durch den Staat,
die Parteien und die internationale Gemeinschaft überleben. „Trend“ ist ein Jugendmaga-
zin, das von Goran Jevri in Podgorica herausgegeben wird. In Montenegro werden Zeitun-
gen und Zeitschriften vor allem am Kiosk verkauft. Da das durchschnittliche Monatsein-
kommen der Bevölkerung Montenegros etwa 140 Euro beträgt, können sich viele eine
Tageszeitung, die zwischen 25 Cent und einem Euro kostet, nicht leisten. Um die Zeitungen
billiger verkaufen zu können, versuchen die Verlage, die Produktions- und Personalkosten
so gering wie möglich zu halten. Ein schwieriges Unterfangen, denn die farbige Gestaltung
der Zeitungen ist kostspielig. Somit steht der Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt vor Proble-
men, die zu weiteren Schließungen führen können, wenn sich die Wirtschaft Montenegros
nicht bald erholt.

3.4 Rundfunk und Fernsehen in Montenegro

Das Ministerium für Information und die Agentur für Telekommunikation leisten gute
Arbeit, so dass der Rundfunksektor in Montenegro besser organisiert ist. Die Zahl der An-
bieter steigt enorm, insbesondere auf lokaler Ebene. Das Rundfunkgesetz von 2003 enthält,
abgesehen von allgemeinen Regelungen, Bestimmungen über die montenegrinische Rund-
funkagentur, eine unabhängige Regulierungsbehörde, die in das montenegrinische Rechts-
system eingebunden wird. Es umfasst beispielsweise Vorschriften über das Verfahren und
die Bedingungen für die Erteilung von Rundfunklizenzen und Regelungen für die Gesell-
schaft für die Übertragung und Verteilung von Rundfunksignalen. Das Gesetz über die
öffentlich-rechtlichen Rundfunkdienste ,,Radio Montenegro“ und ,,Television Montenegro“
legt die Rechte und Pflichten der öffentlich-rechtlichen Anstalt ,,Radio Television Monte-
negro“ (RTCG) sowie deren Verantwortlichkeiten, Finanzierung, interne Organisation und
letztlich auch die Eigentumsverhältnisse fest. Dieses Gesetz bildet den rechtlichen Rahmen
für den Wandel von „Radio Television Montenegro“ vom Staatssender zur öffentlich-
rechtlichen Rundfunkanstalt. „Radio Televizija Crne Gore“ ist die öffentliche Rundfunkge-
sellschaft von Montenegro mit Hauptsitz in Podgorica. Die Gesellschaft besteht aus zwei
Teilen: „Radio Crne Gore“/RCG (Hörfunk) und „Televizija Crne Gore“/TVCG (Fernse-
hen). „Televizija Crne Gore“ hat zwei Programme. „TVCG“ hängt finanziell und politisch
von der Regierung ab. Über das Parlament wird direkt Einfluss ausgeübt, indem alle zentra-
len Funktionen kontrolliert und regierungstreue Hofberichterstatter eingesetzt werden.

73
Den öffentlichen Fernsehanbieter „TVCG“ nicht mitgezählt gibt es etwa 20 Fernsehsender.
Staatlich betriebene Sender: „RTV Crna Gora“, mit drei Fernseh- und zwei Radiopro-
grammen; „RTCG 1“ und „RTCG 2“. Die Hauptkonkurrenten des staatlichen Fernsehens
sind die großen privaten TV-Stationen „Elmag“, „Montena“, „Blue Moon“, „IN“, „ntv-
Antenna“, „ATLAS“ und „PINK“. Sie erreichen bis zu 85 Prozent des nationalen Gebietes
und finanzieren sich wie in Deutschland durch Werbeeinnahmen. Im Jahr 2002 gingen in
Montenegro zwei neue Fernsehunternehmen auf Sendung: Bei „TV In“ handelt es sich um
ein gänzlich privates, digitales Netzwerk, das derzeit noch analog ausstrahlen muss, weil
die Bevölkerung meist keine digitalen Receiver besitzt. Das zweite Unternehmen ist „TV
Pink M“, ein Tochterunternehmen des serbischen „TV Pink“, das auch in Montenegro ein-
geführt wurde, weil das serbische Programm in Montenegro ausgesprochen beliebt war.
„TV Pink M“ bietet ein Vollprogramm, die Verbreitung erfolgt terrestrisch und per Satellit.
In Montenegro können seit Einrichtung des Fernsehens auch zwei Programme des italieni-
schen Staatsfernsehen „Rai“ empfangen werden.
Neben den staatlichen Radiosendern existieren 26 Radioveranstalter in den Gemeinden.
Sie werden aus den Gemeindekassen finanziert, von den lokalen Autoritäten kontrolliert
und versorgen die lokale Bevölkerung mit Informations-, Unterhaltungs- und Bildungs-
programmen. In den letzten zehn Jahren wurden 15 private Radios gegründet, die mit den
lokalen und öffentlichen konkurrieren. Insgesamt gibt es in der Republik rund 50 Radioan-
bieter. Es gibt viele private Sender und nur wenige staatliche, hauptsächlich mit Sitz in
Podgorica. Der staatliche Rundfunksender „RTCG“ betreibt zwei der wenigen landesweiten
Sender, „Radio CG“ und „Radio 98“. Weiter können in Montenegro auch serbische staatli-
che Sender wie „Radio Belgrad 1“ oder „B92“ empfangen werden, die eine Reichweite bis
nach Montenegro haben. „UNEM Radio Antena M“ wird national ausgestrahlt und ist das
größte und älteste unabhängige Radio. Mit „UNEM Radio MIR“ gibt es ein nationales
Radio in albanischer Sprache für die albanische Minderheit.

3.5 Nachrichtenagenturen und Online-Medien

Eine bekannte montenegrinische Nachrichtenagentur ist „MMNews“, [www.mnnews.net]


ein montenegrinischer News Service, der alle aktuellen Meldungen online veröffentlicht.
Außerdem gibt es die „PCNEN“ [www.pcnen.com] eine unabhängige Internet-
Nachrichtenseite. Bekannte, auch in Montenegro genutzte Nachrichtenagenturen Ex-
Jugoslawiens sind „Hina“, die kroatische Nachrichtenagentur mit Sitz in Zagreb, und „Tan-
jug“, die serbische Agentur mit Sitz in Belgrad, die Korrespondenten in Montenegro hat.
Die meisten deutschen Presseagenturen haben ebenfalls Korrespondenten in Podgorica.
„Agence France Presse“ hat in Montenegro kein eigenes Büro, jedoch berichten freie Mit-
arbeiter von dort. In Podgorica hat die „Unabhängige Mediengewerkschaft der Journalisten
in Montenegro“ ihren Sitz, die zur „Internationalen Föderation der Journalisten“ gehört
[www.ifj.org], ein Verband vergleichbar mit dem „Deutschen Journalistenverband“ (DJV).
Die „Unabhängige Mediengewerkschaft“ bietet auf ihrer Internetseite aktuelle, politische
Berichterstattung aus Montenegro und Artikel zu sonstigen Themen.
Zur Zeit der jugoslawischen Bürgerkriege und der internationalen Sanktionen wuchs die
digitale Informationstechnologie nur sporadisch. Der Staat konnte die Entwicklung seines
nationalen ISDN-Netzwerkes nicht vorantreiben. Die Anzahl der Telefonanschlüsse in
Montenegro liegt deshalb weit unter dem europäischen Durchschnitt: Nur etwa 20 von 100

74
Haushalten besitzen einen Telefonanschluss. Aufgrund der schlechten Tele-
kommunikationsinfrastruktur können viele Haushalte ihren Computer nicht zum Datenaus-
tausch nutzen. Im Gegensatz zur Entwicklung des Festnetzes verlief die Entstehung der
Mobiltelefonie rasant: Heute gibt es in Montenegro mehr Nutzer von Handys als Leute mit
einem Festnetzanschluss – ungefähr drei Millionen. In Montenegro wird Mobiltelefonie
derzeit von drei Gesellschaften angeboten. Der Online-Sektor ist dagegen noch unzurei-
chend ausgebaut. Das haut zwei Gründe: zum einen die mangelhafte Telekommunikations-
infrastruktur, zum anderen die hohen Kosten für Computer. Nur 20 Prozent der Monteneg-
riner verfügen über einen PC und nur acht Prozent haben Zugang zum Internet. Trotzdem
bieten auch die Zeitungen in Montenegro Onlineversionen an. In der Regel sind sie jedoch
zu langsam, um ihre Onlineversion noch am selben Tag wie die gedruckte Ausgabe ins
Netz zu stellen. Das Online-Portal „Cafe del Montenegro“ [www.cafemontenegro.com]
bietet aktuelle Berichte aus den Bereichen Politik, Sport und Lifestyle. Eine richtige „Blog-
ger-Szene“ wie in Deutschland gibt es erst in Ansätzen. Immerhin gibt es eine bekannte
Seite namens „www.blogovanje.com“, auf der registrierte User bloggen können.
Montenegro befindet sich weiterhin in einer Entwicklungsphase, zumal da die Republik
erst seit 2006 unabhängig ist. Das Mediensystem entwickelt sich schnell, ständig kommen
neue Radio- und Fernsehsender hinzu. Lokale Sender haben in Montenegro eine größere
Bedeutung als in Deutschland. Sie werden von den Gemeinden finanziert und so werden in
Zukunft wohl noch etliche lokale Sender auf den Markt kommen. Auch im Printbereich
sind die Voraussetzungen gut. Zeitungen und Zeitschriften konnten auch während des ju-
goslawischen Bürgerkrieges im Großen und Ganzen ihr objektives und professionelles
Niveau der Berichterstattung aufrechterhalten. Allerdings ist der staatliche Einfluss nach
wie vor stark, und es fehlt an weiteren Mediengesetzen, die den Publikationen mehr Spiel-
raum zur Entfaltung bieten würden. Es gibt zwar Gesetze, nur werden diese nur selten kon-
sequent umgesetzt.

3.6 Ein besonderer Fall: Fernsehen im Sandžak

Die Region Sandžak liegt zwischen dem Nordosten Montenegros und dem Südwesten Ser-
biens. Sie ist zwischen diesen beiden Ländern ‚gespalten‘, weshalb sie manche als Brücke
zwischen den Muslimen aus Bosnien und jenen im nicht weit entfernten Kosovo sehen.
Serben und Montenegriner sehen sie eher als eine Art ‚Gaza-Streifen des Balkans‘, in dem
die nationalen Ambitionen der Muslime des Balkans hochgekocht werden. Im Sandžak
stellen die muslimischen Bosniaken die Bevölkerungsmehrheit, gefolgt von Serben und
Montenegrinern. In der Hauptstadt Novi Pazar sind gar 79 Prozent der Einwohner Bosnia-
ken. Die Informationsfreiheit fällt dem Gegensatz zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen
immer wieder zum Opfer. Der lokale staatliche TV-Sender bekam zuletzt eine Abmahnung
der serbisch-nationalen Rundfunkanstalt: Er galt als der am meisten parteiische Sender des
Landes, nachdem er bei den letzten Wahlen offenkundig einer einzigen Partei zur Verfü-
gung stand. Nach den Wahlen in Serbien gab es auch in Sandžaks Hauptstadt Novi Pazar
einen politischen Wechsel. Erstmals verbesserte sich damit auch die Berichterstattung der
Medien, so die Meinung von Medienvertretern und NGOs. Dieser positive Wandel helfe
eindeutig, um die Spannungen abzubauen. Bis zu den Wahlen am 11. Mai 2008 achtete
Sulejman Ugljanin, der langjährige Bürgermeister von Novi Pazar und Präsident der Partei
des demokratischen Einsatzes des Sandžak (SDA), penibel auf die mediale Präsenz seiner

75
Person und seiner Partei: Während der Oppositions-partei, der demokratischen Partei des
Sandžak (SDP) von Rasim Ljaji, die Türen der lokalen Medien verschlossen blieben, zeig-
ten die Hauptnachrichten fast ausschließlich Ugljanin, der Baustellen besichtigte und sich
mit wichtigen Persönlichkeiten traf. Die Zensur ging sogar so weit, dass Vertreter der Op-
positionspartei, die zufällig bei Aufnahmen aufs Bild gerieten, herausgeschnitten wurden.
Hinter diesem politischen Kleinkrieg stand eine Fehde zwischen den beiden Machtha-
bern, die wiederum mit den Anführern zweier muslimischer Gemeinden verbunden waren:
Mufti Adem Zilki stand hinter Ugljanin und Mufti Muarem Zukorli hinter Ljaji. Aus-
wirkungen hat diese Feindschaft auf familiäre und soziale Netzwerke und auf den Alltag
der gesamten Bevölkerung. Schilder an Kaffehäusern beschränken den Eintritt auf Mitglie-
der einer Partei, Muslime sind gespalten zwischen den beiden Gruppierungen. Dadurch
kann eine Hochzeit über Parteigrenzen hinweg zu einem familiären Albtraum werden. Ge-
walttätige Auseinandersetzungen zwischen den jeweiligen Anhängern waren keine Selten-
heit. Mit der neuen Regierung bestand nun Hoffnung auf Veränderung: Nach der serbischen
Parlamentswahl am 11. Mai 2008 vereinbarte Ugljanins Partei, die als Bosniakische Liste
für einen europäischen Sandžak angetreten war, die Bildung einer Koalitionsregierung mit
anderen westlich orientierten Kräften sowie der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS). Sei-
nen Posten als Bürgermeister musste Ugljanin an Mirsad Djerlek abtreten. Man wolle die
Opposition im regionalen Fernsehen mehr zu Wort kommen lassen, hieß es in den Verlaut-
barungen der Neugewählten. Zugleich weigerte sich der frühere Bürgermeister Ugljanin, in
seinem früheren Lieblingsmedium aufzutreten, weshalb der Sender auf Presseberichte aus-
weichen musste.
Die Medien schienen sich auf politischer Ebene um Ausgeglichenheit zu bemühen.
Dafür schwelte der Konflikt auf religiöser Ebene weiter. Zu spüren bekam das ein Verleger,
der das Buch „The Jewel of Medina“ der amerikanischen Autorin Sherry Jones auf den
serbischen Markt bringen wollte. Die Erzählung handelt von Ajsa, einer von Mohammeds
Frauen, die mit elf Jahren verheiratet wurde. Muarem Zukorli, Oberhaupt der muslimi-
schen Gemeinschaft in Serbien und Anhänger der SDP, protestierte heftig gegen die Belei-
digung des Propheten Mohammed. Er fühle sich an die Mohammed-Karrikaturen von 2006
erinnert. Der Protest zeigte Wirkung. Der Belgrader Verlag nahm das Buch vom Markt und
entschuldigte sich öffentlich. Im Sandžak hatte das Buch jedoch einen prominenten Für-
sprecher. Der Abgeordnete Esad Dzudzevi aus dem Lager des ehemaligen Bürgermeisters
und Provinzdespoten Ugljanin sprach sich öffentlich gegen eine Verbannung von Kunst
jeglicher Art aus.

76
4. Kroatien: Pressefreiheit zwischen Tudjman und Pavi

Wenn man die Zeitungen und Zeitschriften, die den kroatischen Markt beherrschen, mit
ihren serbischen Pendants vergleicht, fällt auf, dass zwar die Zeitungen der ‚yellow press“
in beiden Ländern des ehemaligen Jugoslawien gleich bunt und reißerisch aufgemacht sind,
die politischen Magazine aber in Serbien deutlich seriöser erscheinen, und dies nicht nur
auf den ersten Blick. Auch die ehemals seriöse Presse ist in Kroatien von einer geradezu
schreienden Aufdringlichkeit, die in Serbien (noch) nicht zu finden ist. Während zum Bei-
spiel manche Artikel des kroatischen Politmagazins „Globus“ fast nur aus Illustrationen zu
bestehen scheinen, ist sein serbischer Gegenpart, die „NIN“, fast schon zu textlastig. Die
Texte des serbischen Wochenmagazins bewegen sich durchweg auf hohem Niveau, mögen
sie auch dem westlichen Leser manchmal etwas zu ‚pointiert’ erscheinen. Es ensteht der
Eindruck, als gäbe es in Serbien eine kritischere Öffentlichkeit als im Nachbarland, die sich
nicht allein mit sensationsheischenden ‚Stories’ abspeisen lassen will. Ein Redakteur des
unter dem Dach der WAZ-Gruppe in Zagreb produzierten „Globus“ meinte entschuldigend,
die kroatische Öffentlichkeit wünsche eben vor allem ‚sex and crime’, und auch hinter einer
seriösen Fassade lasse sich unseriöser Journalismus verbergen. Er spielte auf einen Artikel
an, der im Juni 2005 im „Globus“ erschienen war. Dort ging es um die alkoholschwangeren
Exzesse serbischer Neo-etnici, die sich jedes Jahr in der Ravna Gora treffen. Von dort war
im Zweiten Weltkrieg der Widerstand der königstreuen serbischen etnik-Bewegung des
Obersten Dragoljub Mihajlovi gegen die deutsche Besatzung ausgegangen. Großformatige
Bilder serbischer Jugendlicher in ‚Kriegsbemalung’ beherrschten die mehrseitige Reporta-
ge.
In Kroatien sei, so lautet der Vorwurf, die seriöse, traditionsreiche Presse nach und nach
‚boulevardisiert’ worden, aus schlichter Profitgier, wie kritische Journalisten meinen, weil
sich damit auf kurze Sicht mehr verdienen ließ als mit seriösem, aber kostspieligem Journa-
lismus. Die (vor allem) westlichen Investoren, auf die diese Kritik gemünzt ist, reagierten
stereotyp. Nichts liege ihnen ferner, als den kritischen Journalismus in Kroatien „kaputt zu
machen“. Doch der Streit, den die deutsche WAZ-Gruppe mit den Redakteuren der rumäni-
schen Tageszeitung „Romania Libera“ ausfocht, diente denjenigen, die das Engagement
ausländischer Investoren auf dem kroatischen Zeitungsmarkt nicht durchweg positiv sehen,
als abschreckendes Beispiel dafür, wie der kritische Journalismus, gerade von sozialisti-
scher Gängelung befreit, an ein neues Gängelband gelegt wurde – an das Gängelband der
‚Marktgängigkeit’. Die „International Federation of Journalists“ (IFJ) meinte, nicht nur in
Kroatien, sondern auch in Rumänien und Bulgarien, zeigten sich die „verheerenden Aus-
wirkungen“ des Engagements internationaler Medienkonzerne auf die Medien. Das Enga-
gement der Konzerne führe, sagte der Generalsekretär der IFJ, Aidan White, zu einer „Be-
drohung der Medienvielfalt“ und einer „Ausplünderung der nationalen Medienressourcen“.
Nach einer Studie „wurde das staatliche Zeitungsmonopol durch ein ausländisches Fir-
menmonopol abgelöst“. Die WAZ bemühte sich auf jeden Fall darum, die Art der Bericht-
erstattung und die Themen an den Bedürfnissen ihrer Leser auszurichten. Der Außenkor-
respondent der deutschen Zeitung machte es sich nach eigener Auskunft zur Gewohnheit,
Zagreber Taxifahrer nach ihren Vorlieben zu fragen, danach, wie ihnen die Aufmachung
und die Berichterstattung gefielen. Dabei wäre über die „Feral Tribune“, Kroatiens einzige
wirklich kritische Zeitung, kein negativer Kommentar gefallen. Diese positive Aussage war
damals ein bewusst gestreutes Kompliment, denn die WAZ bemühte sich um die „Feral“,
wie sie auch kurz genannt wurde. Im Gegensatz zu den anderen bedeutenden kroatischen

77
Medien, die sich fast alle in der Hand ausländischer Verlage befinden – die auflagenstärkste
Zeitung „Jutarnji List“ gehört zum Beispiel mehrheitlich dem WAZ-Konzern –, konnte sich
die „Feral“ lange ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit bewahren. Die Europa Press Holding
(EPH), zu 50 Prozent im Besitz der WAZ, kaufte jedoch auch die „Feral Tribune“, und
viele fragten sich, ob es nun mit dem offenen und kritischen Journalismus auch dort ein
Ende haben würde. Das satirische Wochenmagazin war schon zu Zeiten des Tudjman-
Regimes für seine kritische Haltung bekannt. Mit Autoren wie Noam Chomsky, Slavoj
Žižek oder Alain Finkielkraut machte es sich international einen Namen. Nach Tudjmans
Tod und dem Ende der autoritären Alleinherrschaft der HDZ ließ sich die Leserschaft nicht
mehr klar eingrenzen. Das Interesse an dem Magazin ließ nach und man verlor wichtige
Werbekunden. Im Juni 2007 wurde die „Feral Tribune“ für zwei Wochen eingestellt, wor-
auf man sich auf eine rettende Partnerschaft mit dem EPH-Verlag einigte. Schon früher
hatte der Verlag versucht, das Magazin zu kaufen, scheiterte aber am Widerstand der Re-
daktion. Die Journalisten hatten Angst um ihre redaktionelle Unabhängigkeit. Als dann
auch noch die Mehrwertsteuer erhöht wurde, ging die Zeitung nach 14 Jahren zum Bank-
rott. Angeblich mußte die „Feral Tribune“ als regierungs-kritische Zeitung mehr zahlen als
andere. Grundsätzlich fällt für Presseerzeugnisse in Kroatien eine Mehrwertsteuer von 22
Prozent an. Dieser Satz würde aber, je nach Regierungstreue, nicht überall gleich streng
beachtet, sagte „Feral“-Chefredakteur Viktor Ivani im kroatischen „Radio 101“. Neben
korrupten Zusammenschlüssen aus Politik, Wirtschaft und Medien, die über Werbeschal-
tungen bestimmen, war die Mehrwertsteuer ein wirksames Mittel, unangenehme Presse
finanziell zu ruinieren51.
Eigentlich gilt Kroatien als Vorbild für die Entwicklung einer Medienlandschaft nach
westeuropäischen Standards. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist auch wirtschaftlich
völlig vom Staat losgelöst und zählt inzwischen zu den unabhängigsten in Osteuropa. Trotz
Konkurrenz vom Privatsender „RTL“ behält die „HRT“ (Hrvatska Radiotelevizija) 70 Pro-
zent Marktanteil. Eine Qualitätspresse gibt es in Kroatien trotzdem nicht. Die ehemals
staatliche Tageszeitung „Vjesnik“ geht zwar in diese Richtung, verkauft sich aber nicht
sonderlich gut, ganz im Gegensatz zum Beispiel zu „24sata“, einer Boulevard-Tageszeitung
des österreichischen Verlags „Styria“, die mit einer Million Leser nach zweijährigem Be-
stehen vom Besitzer als „größter Gründungserfolg in Europa“ bezeichnet wurde. Der Ver-
lag führt auch eine der vier Gratiszeitungen im Land, die mancher jedoch für die rapide
nachlassende Qualität im Printbereich verantwortlich macht. Der finanzielle Erfolge wird
zum einzigen Kriterium und der Drang zum Boulevard immer stärker. Was Beobachter im
Vergleich zu Deutschland oder Österreich als positiv an Kroatien schätzen, ist die journalis-
tische Unruhe. Die Medien hätten in Kroatien auch eine viel stärkere Kontrollfunktion als
im Westen. Das journalistische Selbstverständnis hat sich begreiflicherweise sehr geändert.
Während unter Tudjman viele Journalisten bereit waren, sich dem Regime anzudienen,

51
Gängeleien der Verlage erfolgten nicht unbedingt über die direkte Zensur, die durch ein eigenes Gesetz wäh-
rend der Kriegszeit ermöglicht worden war, als vielmehr über wirtschaftliche Hebel. So existieren in Kroatien
vier Druckereien, von denen drei im staatlichen Besitz sind. Über diese Druckereien läuft auch ein großer Teil
des Vertriebs. Kritische Blätter klagten darüber, dass sie über diesen Weg gegängelt wurden. Hinzu kamen die
Androhung oder Anordnung von Strafgeldern und hohen Steuern. Auch damit konnten unabhängige Medien
kujoniert werden. Bekannt ist der Streit um die einzige private Druckerei des Verlages von „Novi List“ in Ri-
jeka. Mit einer Ausnahmegenehmigung war eine moderne Druckanlage zollfrei nach Kroatien importiert wor-
den. Dann aber sollte der Zoll nachentrichtet werden und das in einer Höhe, die für das wirtschaftliche Unter-
nehmen eine fast unzumutbare Belastungsprobe geworden wäre.

78
schon um überleben zu können, geben sie sich heute linksliberal, ob aus Überzeugung oder
um dem Zeitgeist zu entsprechen, sei dahingestellt. Es gibt jedoch Themen, wie zum Bei-
spiel die Rückkehr der serbischen Bürgerkriegs-Flüchtlinge, die auch heute aus einem sonst
liberalen Kommentator rasch einen kroatischen Konservativen machen können.

4.1 Die kroatischen Medien nach der Unabhängigkeit

Die Presse geriet in Kroatien wie überall im zerfallenden Jugoslawien in die Mühlen des
Nationalismus. Je länger der Krieg dauerte desto heftiger und leidenschaftlicher wurde die
ideologische Auseinandersetzung auch in den Spalten der Zeitungen und auf den Bild-
schirmen. Die Medien wurden auch in Kroatien mit dem Beginn der kriegerischen Konflik-
te im Juni 1991 Opfer und Täter in den Auseinandersetzungen um die Existenzfrage des
Staates. Als ‚objektiv’ galt diejenige Darstellung in den Medien, die der Meinung der poli-
tischen Mehrheit entsprach. Diese Haltung wirkt bis heute nach. Vor allem Fernsehen und
Hörfunk, deren Frequenzvergabe besonders der staatlichen Kontrolle unterliegen, konnten
sich davon nicht vollkommen freimachen. Westliche Kritik an der eingeschränkten Presse-
freiheit Kroatiens, an der Dominanz der Mehrheitspartei Tudjmans, der HDZ, wurde in den
Jahren des Bürgerkriegs monoton mit der Erklärung beschieden, zuerst müsse man den
Unabhängigkeitskrieg führen und gewinnen, und dann könne man an den Aufbau demokra-
tischer Institutionen denken und sich Meinungsstreit leisten. Schematische Freund-
Feinbilder beherrschten die Berichterstattung. Die Printmedien konnten sich dagegen teil-
weise ihre Unabhängigkeit erhalten. Doch manche, ehemals angesehene Tages-zeitungen,
wurde unter der Hand zu Organen der neuen politischen Ordnung, die Tudjman durchge-
setzt hatte. Das Wochenmagazin „Danas“, am ehesten mit dem deutschen „Spiegel“ oder
dem österreichischen „Profil“ vergleichbar, scheiterte am wirtschaftlichen Druck, um dann
unter demselben angesehenen Namen als Belangpostille der Regierungspartei wieder aufzu-
tauchen. Nach einer journalistischen Emanzipation und einer Auflage von 100.000 Exemp-
laren verschwand „Danas“ nach neuerlichem Druck 1992 von den Kiosken. Die sogenann-
ten klassischen Zeitungen „Vesnik“ und „Veernij list“, die früher zum alten Staatsmono-
pol des „Savez Komunista“, dem „Bund der Kommunisten“, gehört hatten, schlüpften unter
den Schutzmantel der neuen politischen Macht der HDZ-Regierung.
Als 1992 die Privatisierung des Kollektiveigentums begann, gab es in Kroatien bereits
ein Verlagshaus, das sich in Privateigentum befand – die „Slobodna Dalmacija“ („Freies
Dalmatien“) mit Sitz in Split, die die Tageszeitung gleichen Namens und die Wochenzei-
tung „Nedjeljna Dalmacija“ herausgab. Die Angestellten des Verlagshauses – Journalisten,
technisches und Verwaltungspersonal – hatten es erworben, was ihnen ein Gesetz ermög-
lichte, das noch der letzte Premierminister der jugoslawischen Föderation, Ante Markovi,
erlassen hatte. Die „Slobodna“ blickt auf eine lange Tradition zurück: Ihre erste Ausgabe
wurde in einem Schuppen auf dem Berg Mosor von Titos Partisanen gedruckt. Bereits vor
der Befreiung von Split am 26. Oktober 1944 war die Zeitung in Brštanovo, Split, Hvar,
Vis und anderen Städten an der dalmatinischen Küste unter der Hand verteilt worden. Ur-
sprünglich nur für die Bevölkerung in der Küstenregion Dalmatien gedacht, wurde die
„Slobodna Dalmacija“ in den 1950er und 1960er Jahren zu einer der meistgelesenen Zei-
tungen Jugoslawiens, die in den späten 1980er Jahren ihre höchsten Auflagen erreichte.
Den Erfolg verdankte sie ihre Satireseiten und der klugen Redaktionspolitik ihres Chefre-
dakteurs Joško Kuluši, der neuen Ideen Raum gab. Damit trug er einiges zum Zerfall Ju-

79
goslawiens bei, davon sind viele Kroaten überzeugt. Die „Slobodna“ sei, weil sie Kolum-
nisten aus dem rechten und linken Lager beschäftigte, eine der wenigen freien Zeitungen
gewesen, die es Anfang der 1990er Jahre in Kroatien gab. So war die „Slobodna Dalmaci-
ja“ in den ersten Jahren des Krieges eine der wenigen unabhängigen Stimmen in Kroatien,
die die öffentliche Meinung offen kritisierte. Und so wurde aus der regionalen Zeitung
„Slobodna Dalmacija“ das wichtigste nationale Blatt Kroatiens. Diese mächtige und kriti-
sche Stimme war dem neuen Präsidenten Franjo Tudjman jedoch ein Dorn im Auge. Als
die Staatsbanken 1993 Rückerstattungsforderungen stellten – die die kroatische Justiz 2000
als unbegründet, falsch und manipuliert verwarf – wurden die Privatisierungen mit einem
Federstrich annulliert. Die Banken übernahmen die Eigentümerschaft und traten sie wenig
später an einen der neureichen kroatischen Geschäftsmänner ab, der außerdem das Vertrau-
en der politischen Führug genoß – an Miroslav Kutle. Grundlage für die Annullierung der
Privatisierung war ein Beschluß der staatlichen „Agentur für Restrukturierung und Ent-
wicklung“, und ausgeführt wurde er von den stellvertretenden Vorsitzenden der HDZ
(„Hrvatska Demokratska Zajednica“ – „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“), Ivica
Pašali und Drago Krpina. 2001 forderte der Sabor, das kroatische Parlament, die Aufhe-
bung der Immunität der beiden ehemaligen Vorsitzenden, um sie für ihre Rolle in jener
schmutzigen Affäre des Jahres 1993, als die „Slobodna Dalmacija“ reprivatisiert wurde, vor
Gericht stellen zu können.
Mit der Übernahme durch Kutle wurde aus dem einst kritischen Blatt ein radikales
Sprachrohr der Politik der ethnischen Homogenisierung Kroatiens, das sich damals in sei-
ner Radikalität nur mit der Zagreber Tageszeitung „Veernji list“ vergleichen ließ. Dem
politischen Alleinvertretungsanspruch der HDZ, der Partei Tudjmans, sollte auch die Presse
unterworfen werden. Einflußnahme auf interne Vorgänge wechselte mit unmittelbarer Ge-
walt – Chefredakteure wurden nach politischer Maßgabe ernannt, die Zeitungen radikal
zensiert oder sogar verboten. 1991 stürmte eine bewaffnete Bande unter Führung des Gra-
fen Branimir Glavas die Redaktion der Tageszeitung „Glas Slavonije“ in Osijek. Die
„Stimme Slavoniens“ war eine Regionalzeitung mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren
und galt dennoch als gefährlich, weil sie sich gegenüber der Regierung des öfteren kritisch
geäußert hatte. Glavas und seine Männer jagten den Chefredakteur Drago Hedl und dessen
Mitarbeiter davon, eine Aktion, für die der kroatische Sabor am 16. Oktober 2000 dem
Grafen Glavas die parlamentarische Immunität aberkannte. Ein anderer typischer Fall jener
Zeit ist der Fall der Wochenzeitung „Globus“. Gegründet 1989, gelangte sie in das Privat-
eigentum des Unternehmers Ninoslav Pavi, der im Zwielicht der mittleren Funktionärs-
ebene der KP als Ideologe groß und einflussreich geworden war. Dazu passt, dass die Zeit-
schrift „Globus“ die Kroaten zu Anfang des Krieges ideologisch im Hass auf die anderen
Ethnien Jugoslawiens aufzurüsten versuchte. Darin wurde sie allein von der privaten Wo-
chenzeitung „Slobodni tjednik“ („Freie Wochenzeitung“) noch übertroffen. In den Jahren
1991 und 92 veröffentlichte der „tjednik“ regelmäßig Listen sogenannter „Feinde“, womit
er mitschuldig wurde am Tod mehrerer Dutzend Personen, die in der Zeitung als „subversi-
ve Elemente“ verunglimpft worden waren. Der „tjednik“ stellte Mitte der 1990er Jahre sein
Erscheinen ein. „Globus“ passte sein Profil geschmeidig den neuen Zeiten an, als sich der
nationale Mythos zu erschöpfen begann. Der Wechsel zu einem ‚kritischen’ Magazin hatte
nichts mit Überzeugung zu tun, vielmehr mit dem finanziellen Einfluss westlicher Geldge-
ber und Geschäftsverbindungen in den Westen. Man war der Politik der nationalen Ab-
schottung Tudjmans überdrüssig und gab sich kritisch. Einige Mitarbeiter Pavis, angeführt
von Ivo Pukani, verließen den „Globus“ und gründeten 1995 die Wochenzeitung „Nacio-
nal“, die kritischer und liberaler sein wollte. Dass sie ihren Beitrag zum Ende der Tudjman-

80
Ära leisten konnte, wäre jedoch ohne die finanzielle Unterstützung amerikanischer Stiftun-
gen nicht möglich gewesen.
Die Position, die „Slobodna Dalmacija“ bis 1993 besetzt hatte, blieb nicht lange vakant.
Die Tageszeitungen „Novi list“ („Neue Zeitung“) aus Rijeka und die „Glas Istre“ („Stimme
Istriens“), die sich von „Novi list“ nur durch ihre Regionalseiten unterscheidet, schafften es,
die Privatisierung aufgrund des Markovi-Gesetzes durchzusetzen. Die Angestellten wur-
den Mehrheitseigentümer. Treibende Kräfte waren der Direktor der Zeitung, Zdenko Man-
ce, dessen diplomatisches Geschick, und die Gemeinden an der nördlichen Adria, wo die
HDZ niemals die Mehrheit errungen hatte. Rasch wandelte sich die „Novi list“ zur nationa-
len Tageszeitung und führte so die Tradition eines unabhängigen Organs der Opposition
fort. Zu verdanken war diese Entwicklung zu einem guten Teil den Journalisten der Zeitung
aus Split, besonders den Korrespondenten in Zagreb, die bis 1993 das Nervenzentrum des
unabhängigen und kritischen Journalismus verkörpert hatten, und nun bereit waren, in der
gerade eröffneten Redaktion der „Novi list“ in Zagreb zu arbeiten. Die anderen, die weiter
bei der „Slobodna Dalmacija“ arbeiteten, bezahlten das mit Marginalisierung und Zensur.
Der Chefredakteur Dražen Gudi konnte während der acht Jahre, die er für die Zeitung
arbeitete, nicht eine Zeile unterbringen. Andere Journalisten wiederum gingen ins Ausland.
Von den unabhängigen Medien Kroatiens lehnten sich gegen das Tudjman-Regime auch
die Spliter Tageszeitung „Sunce“ („Die Sonne“) – die sich aus finanziellen Gründen bald
auflösen sollte – und die Wochenzeitung „Feral Tribune“ auf. Die bald recht erfolgreiche
„Feral Tribune“ wurde von einer Gruppe junger Journalisten gegründet. Sie erschien an-
fangs alle zwei Monate, erinnert in ihrem Stil am ehesten an das deutsche Satiremagazin
„Titanic“, und spielte eine kaum zu überschätzende Rolle in der allmählichen Entzauberung
der Herrschaft der kroatischen Nationalisten. Cice Senjanovi, einer der Gründer der „Fe-
ral“ erinnerte sich, unter welch’ abenteuerlichen Bedingungen die erste Nummer zustande
gekommen war. Dalmatien war damals nur über das Meer zu erreichen. Man druckte die
ersten Ausgaben in Rijeka, eine Gruppe von Redakteuren schiffte sich in Split auf der
Nachtfähre ein und brachte das mit, was man für die erste Ausgabe brauchte. Die Fähre war
voll von bosnischen Flüchtlingen, und die Redakteure fanden sich inmitten von Freunden
und Sympathisanten wieder – unter ihnen war auch Ranko Ostoji, der stellvertretende
Innenminister, mit dem die „Feral-Tribune“-Journalisten die kommunistische Hymne
„Bandiera rossa“ sangen, wobei die Verse an einer Stelle abgewandelt wurden. Lauthals
sangen sie vom „verdammten Tudjman“.
Ninoslav Pavi gründete 1998 die Tageszeitung „Jutarnji list“ („Die Morgenzeitung“),
die ihr Erscheinen mit einer Kampagne einläutete, wie man sie in Kroatien noch nicht erlebt
hatte. Der Zeitung gelang es, das zu zerstören, was vom Prestige der HDZ und des Tudj-
man-Clans im einfachen Volk übriggeblieben war. Die „Jutarnji list“ wurde die zweitgrößte
Tageszeitung Kroatiens. In der Zwischenzeit wurde die „Veernji list“ über eine Briefkas-
tenfirma mit Sitzen in London, Vaduz und auf den karibischen Jungfraueninseln verkauft.
Nach und nach wurde sie unter die Kontrolle einer Parteistiftung der HDZ gebracht, dessen
Präsident der berühmt-berüchtigte Ivica Pašali war. Nach der Wende vom 3. Januar 2000
ging die Tageszeitung an die österreichische „Styria“. Die Regierung annullierte zwar den
Verkauf, und zwei Geschäftsmänner mit Verbindungen zur HDZ, die als Verantwortliche
der erwähnten Briefkastenfirmen enttarnt worden waren, wurden verhaftet. Doch wenige
Tage später wurden sie wieder auf freien Fuß gesetzt, während zugleich das Eigentumsrecht
der „Styria“ und der verantwortliche Redakteur Branko Tudjen in seinem Amt bestätigt
wurden. Unter der neuen Chefredakteurin Ružica Cigler veränderte das Blatt sein Auftre-
ten. Es gab sich etwas konservativer als bisher und etwas loyaler gegenüber der damaligen

81
Mitte-Links-Regierung. Attraktiv für private Anleger wäre damit nur noch die Tageszeitung
„Vjesnik“ gewesen, wenn sich diese nicht vollständig in Staatsbesitz befunden hätte. Regi-
onalzeitungen mit Auflagen von nur einigen zehntausend Exemplaren waren ohnehin für
Käufer uninteressant. Nach den Januar-Wahlen 2000 wurde der Chefredakteur des „Vjes-
nik“, Nenad Ivankovi, einer der Kriegsveteranen, die sich auf der radikalen Rechten Kroa-
tiens politisch engagierten, von Igor Mandi abgelöst. Mandi, ein angesehener Schriftstel-
ler, Intellektueller und homme de lettres, war 1996 einer maßlosen Diffamierungskampagne
ausgesetzt gewesen, weil er es gewagt hatte, als erster Kroate auf einer öffentlichen Konfe-
renz in Belgrad zu sprechen. Die staatlichen Medien beschimpften ihn als Verräter der
Nation. Weil es Mandi nicht gelang, die Auflage der Zeitung zu verdoppeln, wurde er
nach einigen Monaten im Amt von seinen Pflichten entbunden. Er hinterließ jedoch eine
Zeitung, die für seriösen Journalismus stand, und vor allem weiter erscheinen konnte.
Pukani, der die Redaktion des „Globus“ verlassen hatte, um die Wochenzeitung „Naci-
onal“ ins Leben zu rufen, hatte im Dezember 2000 ein neues Projekt, die Tageszeitung
„Republika“. Die erste Ausgabe wartete mit einer schwerwiegenden Anklage gegen Ninos-
lav Pavi auf, wonach dieser an einer Reihe illegaler Aktionen beteiligt gewesen und dabei
von der HDZ gedeckt worden sei. Ziel dieser Aktionen sei gewesen, die das Monopol über
Presse und elektronische Medien zu erlangen. Pavi wurde noch in derselben Nacht verhaf-
tet, aber nach drei Tagen unter Vorbehalt wieder auf freien Fuß gesetzt. Es war wenig
wahrscheinlich, daß das Verfahren mit Gefängnis für Pavi enden würde. Unterdessen
blühte sein Unternehmen weiter. Pavi gründete eine Reihe populärer Presseerzeugnisse,
von der Frauenzeitschrift bis zu Sport- und Jugendzeitschriften. Das Interessante an Puka-
nis Neugründung „Republika“ war ihre kritische Nähe zur Regierung. Die „Republika“
warf der Regierung vor, dem Einfluss von Kriminellen, namentlich aus den Reihen der
radikalen Rechten, allzusehr nachzugeben und sich auf faule Kompromisse mit ihnen ein-
zulassen. Nach ungefähr vier Monaten musste Pukani jedoch die „Republika“ aus wirt-
schaftlichen Gründen einstellen. Man hatte keine ausländischen Finanziers finden können.
Vielleicht wurde die Redaktionslinie von der kroatischen Öffentlichkeit auch als zu links
empfunden. Dabei war die Kritik der „Republika“ oft durchaus berechtigt – zum Beispiel
an Miroslav Kutle, dem Eigentümer der „Slobodna Dalmacija“. Kutle saß mehrere Monaten
hinter Gittern. Die neue Regierung hatte die „Slobodna Dalmacija“ verstaatlicht, weil Kutle
hohe Schulden hatte. Doch in der Redaktion hatte sich trotz der Verstaaltichung nicht geän-
dert. Im Gegenteil: die „Slobodna Dalmacija“ war immer noch das Organ der extremen
Rechten Kroatiens, und startete eine Kampagne gegen die „Verräter an der Macht“. Doch
den Angestellten gelang es, die Zeitung wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Mit Hilfe
eines von der Gewerkschaft organisierten Referendums wurde der Chefredakteur Josip
Jovi seines Amtes enthoben, eine Aktion, die im übrigen von der nationalen Journalisten-
gewerkschaft, der „Vereinigung der kroatischen Journalisten“ und auch von der Regierung
mitgetragen wurde. Damit kehrte die „Slobodna Dalmacija“ wieder zu ihren Ursprüngen
einer kritischen Zeitung der Opposition zurück, die alle jene einer harten Prüfung unterzog,
die für die nationale und regionale Tragödie der vergangenen zehn Jahre verantwortlich
waren.
Wie wird es in Kroatien mit den Medien weitergehen? Das Medienunternehmen Pavis
ist mittlerweile, wohlgemerkt mit dessen Einverständnis, in die Kontrolle multinationaler
Konzerne übergegangen, unter denen die deutsche WAZ-Gruppe an erster Stelle steht. Die
‚Multinationalen’ wurden auch zu Miteigentümern der „Novi list“ und teilweise sogar der
„Feral Tribune“. Die Geschichte der „Feral Tribune“ ist, wenn nicht tragisch, so auf jeden
Fall traurig zu nennen, weil sich in ihr das Schicksal der Rebellen gegen ein autoritäres

82
Regime spiegelt, die sich auch nach dem demokratischen Wechsel am Rande der Gesell-
schaft wiederfanden, und auch die Unterstützung der Weltöffentlichkeit verloren, weil ja
alles nun ‚ordentlich’ zu laufen schien. Die Lage der Verlagsmitarbeiter war nach wie vor
schwierig. Auch wenn es einige der einflussreichen Redakteure der „Jutarnji list“ und des
„Globus“ auf Lehrstühle schafften, fühlt sich die Mehrheit der Journalisten von einem Sys-
tem ausgebeutet, das an den Frühkapitalismus des 19. Jahrhunderts erinnert. Man habe
unglaublich viel zu arbeiten, verdiene aber weniger und die Gehälter würden selten zum
Stichtag bezahlt. Viele Journalisten müssen außerdem Jahre warten bis ihre freien Mitarbei-
terverträge in feste umgewandelt werden, wobei ein neues Gesetz nicht einmal mehr eine
Unterscheidung zwischen freiem und festem Arbeitsverhältnis vorsieht. Der Gewerkschaft
war es bisher nur einmal gelungen, einen besonders extremen Fall des Missbrauchs zur
Anklage zu bringen: Fast keinem der Redaktionsmitglieder der rechtskonservativen Wo-
chenzeitung „Fokus“ war Kranken- oder Rentenversicherung bezahlt worden. Gegen den
Eigentümer des „Fokus“, den Pressezaren Marinko Mikuli, wurde ein Strafverfahren ein-
geleitet. Insgesamt kann die Lage der Presse in Kroatien aber sicher als besser als in den
1990er Jahren bewertet werden. Viele Probleme sind nach wie vor ungelöst. Vor allem die
Entlohnung der abhängig Beschäftigten in den Medienhäusern ist immer noch nicht zufrie-
denstellend geregelt – ein Problem, das freilich nicht nur das wirtschaftlich lange benachtei-
ligte, aber heute aufstrebende Kroatien betrifft.

4.2 Der Umbruch der Medienlandschaft nach der Tudjman-Ära

Der Tod Präsident Franjo Tudjman Ende 1999 und der Sieg der Opposition in den Parla-
mentswahlen vom 3. Januar 2000 ließen die Voraussetzungen für Demokratie und unab-
hängiges Medienschaffen in besserem Licht erscheinen. Nach dem Januar 2000 sprachen
OSZE-Beobachter bereits von einem „Wandel in der Berichterstattung des Fernsehens über
Nacht“. Der Innenausschuss im Sabor, dem kroatischen Parlament, legte am 15. Februar
2000 fest, dass mit sofortiger Wirkung die Abhöraktionen des Verfassungsschutzes gegen-
über „andersdenkenden Journalisten und Staatsbürgern“ mit sofortiger Wirkung eingestellt
worden seien. Die Medienwelt war in Kroatien im Umbruch. Es wehe ein neuer Wind
durch das Land, meinte die Journalistin Jasna Basti. Nach zehn Jahren nationalistischer
Herrschaft der Präsidentenpartei HDZ („Hrvatska Demokratska Zajednica“) und der damit
verbundenen Unterdrückung der Medienfreiheit stünden die Medienschaffenden nun vor
neuen Herausforderungen, meinte Basti. Sie müssten beweisen, dass sie auch unter den
neuen Voraussetzungen fähig sind, politisch unabhängig und professionell zu arbeiten. Die
Veränderungen begannen, was vielen unglaublich erschien, in der Redaktion der Tageszei-
tung „Vjesnik“ in Zagreb. Bis vor kurzem war das Blatt noch für seine extreme kroatisch-
nationalistische Propaganda bekannt gewesen. Jetzt wurde Igor Mandi zum neuen Chefre-
dakteur bestimmt, einer der schärfsten Kritiker des Tudjman-Regimes. In der ersten Redak-
tionskonferenz erklärte er, dass endlich Schluß sein müsse mit dem ‚hate speech’, den
Hasstiraden im „Vjesnik“. Boris Buden, der bisher für unabhängige Magazine wie „ARK-
zin“ und „Bastard“ geschrieben hatte und für seine scharfen, analytischen Kritiken bekannt
war, wurde vom neuen Chefredakteur Mandi zum regelmäßigen Kolumnisten des „Vjes-
nik“ ernannt. Die staatlich kontrollierten Medien begannen tatsächlich, über die wirtschaft-
lichen Folgen der systematischen Zerstörung der Wirtschaft in den letzten zehn Jahren und
die kriminellen Privatisierungen durch den Familienclan des Präsidenten zu berichten.

83
Bisher war es unvorstellbar gewesen, dass solche Themen in den regimekontrollierten Me-
dien überhaupt Erwähnung gefunden hätten. Der Journalist Drago Hedl beschrieb die plötz-
liche Wandlung der „Sauli zu Pauli“ satirisch: „Wenn man auf einen Berg klettern könnte,
der hoch genug wäre, um auf die gesamte Medienwelt Kroatiens blicken zu können, würde
sich einem eine wunderbar unterhaltsame Landschaft bieten. Man könnte die glühendsten
Sprecher und Verteidiger der alten Partei und ihrer Politik unter den Journalisten sehen, die
jetzt in dunkler Nacht, nur mit Unterwäsche oder Nachthemd bekleidet, sich heimlich ins
Lager der alten Opposition zu schleichen versuchen. Alle Zeitungen sind auf einmal un-
glaublich frei und frei von Tabu-Themen, offen für jede Geschichte und jeden Gesprächs-
partner.“52
Einige der führenden Persönlichkeiten der Staatsmedien reichten Rücktrittsgesuche oder
ihre Kündigung bei der neuen Regierung ein, so zum Beispiel der Direktor des kroatischen
Fernsehens „HTV“ und der Direktor der staatlichen Nachrichtenagentur „Hina“. Das Par-
lament diskutierte über die Zukunft des kroatischen Fernsehens, wie der Übergang von der
staatlichen zur öffentlich-rechtlichen Anstalt zu bewältigen wäre. Die Ereignisse über-
schlugen sich in diesen Tagen. Ein Gericht erklärte die Privatisierung der einstigen Quali-
tätszeitung „Slododna Dalmacija“ aus Split für null und nichtig. 1993 war die Zeitung auf-
grund eines Beschlusses der staatlichen „Agentur für Restrukturierung und Entwicklung“
einem der reichsten kroatischen Geschäftsmänner, Miroslav Kutle, in die Hände gespielt
worden. Kutle, der über gute Kontakte zum ehemaligen kroatischen Verteidigungsminister
Gojko Šušak verfügte und damit von Regierungsentscheidungen profitieren konnte, hatte
damals 37 Prozent der „Slobodna Dalmacija“ zu einem Kaufpreis von 3,7 Millionen D-
Mark übernommen. Zahlreiche regierungskritische Mitarbeiter der Zeitung waren daraufhin
entlassen worden. Kutle verordnete der Redaktion einen ultra-nationalistischen Kurs, insbe-
sondere nachdem Kroatien in den Bosnienkrieg eingetreten war. Viele Leser, die den alten
Stil der Zeitung gewohnt waren, wandten sich ab. Bereits 1995 hatte „Slobodna Dalmacija“
mit schweren finanziellen Problemen zu kämpfen. Ende der 1990er Jahre ging die „Dalma-
cija“ wieder zurück in die Hände der kroatischen Regierung, der Mitte-Links-Regierung
unter Ivica Raan. Ihr gelang es, den finanziellen Kollaps zu verhindern. Eine neue Redak-
tion wurde eingesetzt und die ultra-nationalistische Tendenz aufgegeben. Kutle saß damals
bereits einige Zeit im Gefängnis. „Nach sechs Jahren erhalten wir endlich Genugtuung für
den Streik, den wir damals gegen die Veruntreuungen und Unterschlagungen während der
Privatisierung begonnen haben“, erklärte Ilija Marsi, Präsident der Vereinigung der Akti-
eninhaber von „Slobodna Dalmacija“. Heute befinden sich 70 Prozent der Zeitung im Be-
sitz der „Europapress Holding“, an der die deutsche WAZ-Mediengruppe mit 49 Prozent
beteiligt ist53.
Auch in der kroatischen Medien-Gesetzgebung begann 2000 ein neuer Wind zu wehen.
Das Verfassungsgericht nahm alle Klagen der unabhängigen Wochenzeitung „Feral Tribu-
ne“ an und hob einige provisorische Verfügungen auf, die unter dem gültigen Mediengesetz
gegen die Zeitungen verhängt worden waren. Während der zehnjährigen Herrschaft der
HDZ waren die kroatischen Journalisten vielfältigen Repressionen ausgesetzt gewesen.
Rund eintausend Gerichtsfälle waren gegen Journalisten und Medien eröffnet worden, mehr

52
Bati, J.: „Kroatiens Medien im Umbruch“. In: Medienhilfe Ex-Jugoslawien, info, 2000/1
[www.medienhilfe.ch/fileadmin/medienhilfe/mh-infos/mh-info2000-1.pdf].
53
In Kroatien ist die EPH nach eigenen Angaben der größte Zeitschriften- und Zeitungsverlag. Herausgegeben
werden u.a. die Tageszeitungen „Jutarnji list“ und „Slobodna Dalmacija“ sowie das Nachrichtenmagazin
„Globus“. Die Gruppe Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) stieg 1998 bei der EPH ein.

84
als dreihundert allein wegen Beleidigung und Verleumdung von Regierungsmitgliedern,
und mehr als sechshundert Klagen auf Schadensersatz gegen Herausgeber und Verleger.
Der Betrag all dieser Klagen überstieg 25 Millionen Schweizer Franken. Diese Vorfälle
gehörten der Vergangenheit an, versicherte der kroatische Innenminister und Vorstandsmit-
glied der Sozialdemokratischen Partei Sime Luin im September 2003. Seine Regierung
lege keine Akten über Journalisten an und höre sie auch nicht ab54. Die HDZ hatte bis 2000
ihre eigenen Mitglieder abhören lassen und überwacht, und warf nun der neuen Mitte-
Links-Regierung vor, die Mitglieder und Abgeordneten der HDZ abhören zu lassen. Was
sich aber aus der alten in die neue Zeit retten konnte, und was nicht weiter verwunderlich
ist, waren die alten Verbindungen und Seilschaften, die niemand so geschickt für die eige-
nen Interessen auszunutzen verstand wie der kroatische Geschäftsmann und mächtigste
Mann der kroatischen Medienszene Ninoslav ‚Nino’ Pavi.

4.3 Der kroatische Medienmogul Ninoslav Pavi

Die unabhängigen Medienbeobachter von „Aimpress“, einer Schweizer Organisation, frag-


ten im Dezember 2001 „Is WAZ taking over Croatia?“. Am 20. Dezember 2001 hatte es
das Verlagsunternehmen „Tisak“ geschafft, den drohenden Bankrott abzuwenden, den
Miroslav Kutle provoziert hatte. Die Erholung des Unternehmens war insofern interessant,
als jeweils fast 26 Prozent der Anteile an Ninoslav Pavis „Europapress Holding“ (EPH),
an die „Rovinj“-Tabakfabrik und die Zeitung „Veernji list“ gingen. Die verbleibenden 24
Prozent wurden unter dem Staat, den Mitarbeitern der „Tisak“ und denjenigen aufgeteilt,
denen das Verlagsunternehmen Geld schuldete. Zugleich wollten erste Gerüchte wissen,
dass Pavis „Europapress holding“ auch die Anteile übernehmen würde, die an die „Ro-
vinj“-Tabakfabrik gehen sollten, womit er fast die Hälfte der Anteile des Groß-
unternehmens „Tisak“ erringen würde. Damit hätte der größte Zeitungsverleger Kroatiens
ein Vertriebsnetz unter seine Kontrolle gebracht, mit dem er alle anderen Verleger hätte
schachmatt setzen können. Da Pavi auch vorhatte, die „Distripress“, das zweitgrößte
Druck- und Verlagsunternehmen Kroatiens, zu übernehmen, hätte die „Europapress Hol-
ding“ in Kroatien ein regelrechtes Monopol etabliert. Pavic stritt vehement ab, ein Monopol
etablieren zu wollen. „Das ist Unsinn“, sagte er in einem Interview mit der „Slobodna Dal-
macija“, und meinte weiter: „Jeder verantwortliche Geschäftsmann in welchem Beruf auch
immer, wie auch diesem hier, muss sein Unternehmen weiterentwickeln.“ Pavi stritt auch
ab, irgendwelche Geschäfts-kontakte zur „Rovinj“-Tabakfabrik zu haben, und er betonte
nachdrücklich, jeder der Anteilseigner der „Tisak“ wäre gleichberechtigt. Die Statuten
schlössen aus, dass einer die anderen dominiere. Für Ivo Pukani, den Eigentümer der Zag-
reber Wochenzeitung „Nacional“ war die angepeilte Eigentümerstruktur der „Tisak“ „be-
schämend und gefährlich“, ja ein Desaster, „nicht nur für kleine Verleger, sondern für die
Pressefreiheit in Kroatien“.
„Nacional“ hatte im Dezember 2001 einen geheimen Partnerschaftsvertrag ver-
öffentlicht, unterzeichnet von Ninoslav Pavi, Vinko Grubiši, Miroslav Kutle und einem
anonymen Partner, der sich hinter dem Pseudonym Hrvoje Franji versteckte und hinter

54
Vgl.: Medien- und Pressespiegel. Medien Südosteuropa, Nr. 9/2003, September 2003 [www.br-online.de/br-
intern/suedosteuropa/Spiegel03_9.html].

85
dem man Ivo Pašali vermutete. Dieser Vertrag beschrieb die Gründung eines geheimen
Clans namens „Grupo“. Dieser verfolgte angeblich das Ziel, den gesamten Medienmarkt
Kroatiens unter seine Kontrolle zu bringen. Nachdem der Vertrag in der Presse erschienen
war, wurden Pavi und Grubiši verhaftet und vernommen. Nach zwei Tagen wurden sie
bereits wieder auf freien Fuß gesetzt. Kutle befand sich zu dieser Zeit bereits einige Zeit
hinter Gittern. Man vermutete, dass hinter der Freilassung und der Einstellung des Verfah-
rens der kroatische Premier und SDP-Vorsitzende Ivica Raan steckte. Es war ein offenes
Geheimnis, dass Premier Raan und Pavi seit Jahren auf sehr vertrautem Fuß standen, und
noch vertrauter wurden, nachdem Raan der mächtigste Mann im Staat geworden war.
Pavi berichtete wohlwollend über die Politik seines Freundes, vor allem in der „Jutarnji
list“ und im „Globus“. Was können wir unter diesen Umständen von der „Tisak“ erwarten,
fragte Pukani zu Recht. Oder von einer Regierung, die allen Forderungen Pavis wider-
standslos nachgibt? „Nino Pavi und die EPH haben die Regierung erpresst und wollten
den „Vijesnik“ („Der Bote“) kaufen, das heißt das kroatische Verlagshaus! Wenn das ge-
schieht, wird „Grupo“ das absolute Monopol über die kroatischen Medien erlangen“, be-
hauptete Pukani. Die EPH behauptete natürlich, noch nie etwas von einer Organisation
namens „Grupo“ gehört zu haben. Branko Greti, offizieller Sprecher der „Tisak“, wies
Pukanis Spekulationen umgehend zurück. Es gebe kein Monopol, schon weil es in Kroa-
tien sechs Vertreiber gebe. Der Umstand, dass „Tisak“ der größte ist, sei nur ein Grund,
sich mehr anzustrengen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Die Befürchtung war
jedoch nicht aus der Welt zu schaffen, dass „Veernji list“, „EPH“ und die „Rovinj“-
Tabakfirma irgendwann zu den Eigentümern der „Tisak“ stoßen würden. Wer könnte dann
verhindern, dass die Tabakproduzenten aus Rovinj ihre Anteile an die EPH verkaufen?
Angesichts der Finanzkraft der EPH, das heißt ihres deutschen Eigentümers WAZ, war die
Versuchung immens. Namentlich „Distripress“, der größte unter den sechs Vertreibern,
sollte bald in Pavis Eigentum übergehen. Am Anfang des neuen Jahrtausends standen die
Zeichen in Kroatien auf Sturm. Man hatte das Beispiel Bulgarien vor Augen. Dort hatte die
WAZ den Wettbewerb vollständig beseitigt, indem sie das Vertriebsnetz unter ihre Kontrol-
le brachte. Es entwickelte sich ein Preiskampf, aus dem als unbestrittene Siegerin die WAZ
hervorging. Ähnliches drohte auch in Kroatien zu passieren, es sei denn Premier Ivica
Raan würde sich von Pavis epresserischem Einfluss freimachen können, meinten kriti-
sche Journalisten.
Dann geschah das Unvorhergesehene: Am 1. März 2003, um vier Uhr morgens, explo-
dierte unter Pavis Mercedes-Jeep, der vor seiner Villa geparkt war, eine Bombe. Die De-
tonation zerstörte Pavis Wagen, sein Haus wurde beschädigt, aber niemand wurde verletzt.
In unmittelbarer Nachbarschaft der Pavi-Villa, im Zagreber Nobelvorort Tuskanec, befin-
det sich die amerikanische Botschaft. Die instabile Sicherheitslage in Kroatien sei dadurch
wieder einmal bewiesen worden, hieß es. Die Täter wollten zeigen, dass niemand, auch
nicht ein Ninoslav Pavi, unantastbar sei. Dem Anschlag folgten mehrere Drohungen gegen
Journalisten, die für Pavis Zeitungen und Zeitschriften arbeiten. Da Journalisten in Kroa-
tien in den letzten Jahren wiederholt Ziel von Anschlägen der organisierten Kriminalität
waren, wurde in der kroatischen Presse über die Hintergründe des Mordanschlages heftig
spekuliert. Der Aufruhr in der Presse kontrastierte auffällig mit der scheinbaren Ruhe der
Polizei, die lange keinen Aufklärungsfortschritt melden konnte. Die Tat war auf jeden Fall
kein Werk eines Dilettanten. Die Zeitschrift „Globus“, die zu Pavis Imperium gehört,
meinte, die Bombe, die seinen Jeep zerstörte, ähnele jener Bombe, die vor einigen Jahren
Jozo Leutar umgebracht hatte, den Vizeinnenminister der bosnisch-muslimischen Föderati-
on. Die Bombe und die Drahtzieher seien deshalb wohl aus Bosnien gekommen, mutmaßte

86
„Globus“. Ziel der Attentäter sei es, die Journalisten der mächtigsten und größten kroati-
schen Medienholding einzuschüchtern, erklärte Pavi. Was immer sie schrieben, sie würden
stets das Bild des zerstörten Automobils vor Augen haben. Der Mafia gefielen viele der
Artikel nicht, die in Zeitungen und Zeitschriften der „EPH“ erscheinen, nicht. Jelena Lov-
ri, angesehene Herausgeberin der unabhängigen Zeitung „Novi List“, die nicht zu Pavis
„EPH“ gehörte, teilte Pavis Einschätzung: „Die Kriminellen in diesem Land fürchten
weder die Regierung noch die Polizei. Sie haben nur vor den Medien und der öffentlichen
Meinung Angst.“ Auch Ministerpräsident Raan, die OSZE, „Reporter ohne Grenzen“ und
das „International Press Institute“ solidarisierten sich mit Pavi und sprachen von einem
„terroristischen Anschlag“ auf die Meinungsfreiheit. Der größte Konkurrent des „Globus“,
die Zeitschrift „Nacional“, präsentierte eine gänzlich andere Erklärung für den Mordan-
schlag, die nichts mit Pavis angeblichem Engagement für die Meinungsfreiheit zu tun hat.
Nicht die kritischen Artikel seien schuld, sondern die Tatsache, dass Pavi vor allem ein
„mächtiger Kapitalist“ sei, meinte die „Nacional“-Journalistin Jasna Babi – der Anschlag
als Abrechnung unter „Geschäftspartnern“, als eventuelle Warnung der kroatischen Mafia,
weil sich Pavi nicht an Absprachen gehalten habe. Pavis Engagement auf dem kroati-
schen Immobilienmarkt, der noch gefährlicher als seine Medienmacht in Kroatien, Serbien
und Bosnien-Herzegowina sei, lege das nahe.
Die kroatischen Medien diskutierten eine weitere interessante Theorie, die Pavi selbst
indirekt bestätigte. Der Anschlag könnte auch ein Racheakt der serbischen Mafia sein,
dafür dass Pavi nicht nur die „Politika“ erworben hatte, sondern sich obendrein anschickte,
eine weitere serbische Tageszeitung, den „Dnevnik“ zu erwerben, der in Novi Sad er-
scheint. Pavi hatte selbst in einem Artikel für sein Magazin „Globus“ geschrieben: „Viel-
leicht hat irgendjemand meine Reise nach Montenegro nervös gemacht, die für die vergan-
gene Woche vorgesehen war, und die ein Treffen mit dem Premierminister Djukanovi
einschließen sollte, oder vielleicht die Tatsache, dass ich die WAZ zu überreden versuche,
den Dnevnik in Novi Sad zu kaufen?“ Sollte es der kroatischen Polizei gelingen, den
Drahtzieher des Attentats ausfindig zu machen, wäre damit die Hälfte des Rätsels gelöst,
meinten kroatische Journalisten. Im Fall Pavi, der ohne Schaden den Regimewechsel von
Franjo Tudjman zu Stipe Mesi überstanden hatte, der als risikofreudig, äußerst gewandt
und skrupellos galt, und so zum mächtigsten Mann der kroatischen Medienszene wurde –
seine „EPH“ kontrollierte in Kroatien 35 Prozent des Tageszeitungs- und 46 Prozent des
Wochenzeitungsmarktes – in seinem Fall glaubte man sofort, dass beide diskutierten Erklä-
rungen des Anschlags stimmen könnten. Einerseits leuchteten die Presseerzeugnisse der
„EPH“ die Grauzonen zwischen Politik, Wirtschaft und organisierter Kriminalität aus,
andererseits hatte Ninoslav Pavi von der Günstlingswirtschaft unter Franjo Tudjman profi-
tiert und war wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Anti-Kartell-Gesetz sogar im De-
zember 2000 für kurze Zeit in Haft gesessen, wobei er mangels Beweisen freigelassen wer-
den musste. „Aber selbst wenn der Verdacht zu Recht bestanden hätte: Rechtfertigt ein
Verstoß gegen das Anti-Kartellgesetz, der per definitionem nur gemeinschaftlich begangen
werden kann, bereits die Einstufung in die Kategorie ‚organisiertes Verbrechen’?“, fragte
die deutsche Frankfurter Allgemeine Zeitung im September 2003.
In einem Interview mit der Fachzeitschrift „Österreichischer Journalist“ warf Michael
Dichand, jüngster Sohn von Hans Dichand, Chef des österreichischen Massenblatts „Kro-
nen-Zeitung“, dem WAZ-Konzern vor, in Kroatien mit der „Grupo“ zu kooperieren, die mit
dem organisierten Verbrechen zusammenhänge. An dieser „Mafiavereinigung“, wie Di-
chand sie bezeichnete, sei der politische Berater des ehemaligen Präsidenten Franjo Tudj-
man beteiligt. Ein Geheimvertrag zwischen „Grupo“ und der WAZ schreibe vor, dass erste-

87
re bei allen Geschäften auf dem Balkan mit nicht unter 25 Prozent zu beteiligen sei. Dies
würde bedeuten, dass die Kroaten unmittelbar über die WAZ ausgerechnet an „Politika“
beteiligt wären, dem größten Verlagshaus in Serbien, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“
(19.9.2003), worauf WAZ-Gesellschafter Erich Schumann erwiderte, er werte die Anschul-
digung als „absurd und ungeheuerlich“, die „Verleumdung“ habe „auch eine strafrechtliche
Relevanz“. Auch der WAZ-Tochter „Europapress Holding“ war nach eigener Aussage ein
Geschäftspartner namens „Grupo“ unbekannt. Nach Ansicht des angesehenen kroatischen
Journalisten Drago Hedl offenbare die ganze Pavi-Pukani-Grupo-Geschichte nur das
„inzestuöse Verhältnis, das nach wie vor in Kroatien zwischen der Politik und den Medien“
herrsche. Neue Nahrung erhielten diese Gerüchte, als Mirjana Pukani, Ehefrau von Ivo
Pukani, während eines Interviews, das sie einem Journalisten eines Internet-Portals gab,
gewaltsam von der Polizei aus ihrer Wohnung in eine psychiatrische Klinik gebracht wur-
de. Die Zuschauer des Fernsehsenders „TV Nova“, der die gesamte Szene, die gefilmt wor-
den war, übertrug, reagierten schockiert. Frau Pukani war offensichtlich nicht geistes-
krank. Sie hatte in dem Interview von der Brutalität erzählt, die sie über Jahre von ihrem
Ehemann zu erdulden hatte. Ivo Pukani hatte für jedermann sichtbar seinen Einfluss und
seine Kontakte zur Politik ausgenützt, um seine Ehefrau von der Bildfläche verschwinden
zu lassen. Das funktionierte zunächst auch, denn bis auf wenige Internetforen schwiegen
die offiziellen Medien. Für Pukani waren die Berichte seiner Frau über Erniedrigungen,
erzwungenen Drogenkonsum und sexuellen Missbrauch zudem unangenehm, weil seine
Frau Miteigentümerin aller seiner Unternehmen war, einschließlich des Verlagshauses, das
die Wochenzeitung „Nacional“ herausgibt. Als der Inhalt des langen Interviews von Frau
Punkani dann doch bekannt wurde, wurde Ivo Pukani in den Medien angegriffen.
Zugleich meldete sich ein Unbekannter aus der Unterwelt und forderte die Bezahlung der
Drogen, zu deren Konsum Pukani seine Frau gezwungen hatte. Ein weiterer Unbekannter
versuchte Ivo Pukani vor seinem Haus zu erschießen. Die Medien hielten das Attentat für
inszeniert, um vom Skandal um Pukanis Ehefrau abzulenken und den Täter Ivo Pukani
zum Opfer zu machen. Mirjana Pukani war in der Zwischenzeit dank des Eingreifens einer
Nicht-Regierungs-Organisation aus der Psychiatrie entlassen worden. Und die Medien
ergingen sich über die Kontakte Pukanis zur hohen Politik, vor allem zum Staatspräsiden-
ten Mesi, in dessen Gesellschaft er des öfteren zu sehen war, bei Jubiläen, beim Golfen
und selbst in der Sauna. Staatspräsident Mesi spielte die Affäre herunter. Das sei eine
reine Familienangelegenheit. Die Hintergründe des Attentats müssten aufgeklärt werden.
Zum illegalen Vorgehen der Polizei und der Gesundheitsbehören verlor der Staatspräsident
kein Wort.
Ende Oktober 2008 wurde ein weiterer Anschlag auf Pukani verübt. Am frühen Abend
des 24. Oktober explodierte unter seinem Auto eine Bombe, und tötete ihn und seinen Mar-
ketingchef. Staatspräsident Stjepan Mesi meinte in einer ersten Reaktion auf das Attentat,
Terrorismus sei in den Straßen der Hauptstadt zu einer Tatsache geworden55. Die Verunsi-
cherung in Regierungskreisen und in der Öffentlichkeit war so groß, dass sich Ministerprä-
sident Sanader nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats genötigt sah zu erklären,
dass er vorläufig keinen Ausnahmezustand verhängen wolle. Als Hintergrund des Attentats
vermuteten die meisten die kritischen Artikel, die in Pukanis Zeitschrift „Nacional“ er-
schienen waren und mit denen er sich gerade in der Unterwelt mächtige Feinde gemacht

55
Vgl. „Kroatien im Banne einer blutigen Abrechnung“. Weiterer spektakulärer Mordanschlag in Zagrebs Innen-
stadt. In: Neue Zürcher Zeitung, 25./26. Oktober 2008, Nr. 250, S. 4.

88
hatte. 2001 hatte „Nacional“ einen Bericht über die Verflechtungen des montenegrinischen
Ministerpräsidenten Djukanovi in den Zigarettenschmuggel veröffentlicht. 2003 publizier-
te das Magazin ein Interview mit dem damals flüchtigen Ex-General Ante Gotovina. Den
Kontakt zu dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher soll ein heute inhaftierter, mit Pukani
befreundeter kroatischer ‚Geschäftsmann‘ hergestellt haben. 2009 wurde ein Serbe namens
Bojan Guduri, auch ‚Bajone’ genannt, in Banja Luka verhaftet und des Mordes an Pukani
angeklagt. Als Krimineller, der sich auf den Raub von Schmuck und Überfälle auf Wettbü-
ros vor allem in Novi Sad, Sombor und Sremska Mitrovica spezialisiert hatte, wäre ihm der
mächtige Verleger, der es auf die organisierte Kriminalität abgesehen hatte, ein Dorn im
Auge gewesen. Auf der Liste der Verdächtigen standen weitere Personen aus dem kriminel-
len Milieu Kroatiens und Serbiens, die für den Auftragsmord mindestens eineinhalb Millio-
nen Euro erhalten haben sollen – unter anderem Željko Milovanovi, der im Juni 2009 in
Belgrad verhaftet wurde.

4.4 Fernsehen, Rundfunk und Nachrichtenagenturen in Kroatien

Allzu leicht wurden in der Regierungszeit von Präsident Tudjman kritische Stimmen in den
Medien entweder der ‚Jugonostalgie’ oder ‚unkroatischer Umtriebe’ bezichtigt. Um diese
nostalgischen Anwandlungen und Umtriebe zu verhindern, griff die Administration vor
allem in Funk und Fernsehen oft genug direkt durch, was sich zum Beipsiel an den Ausei-
nandersetzungen um „Radio 101“ in Zagreb zeigte. Der Entzug der Lizenz für diesen popu-
lären Sender hatte im November 1996 rund hunderttausend Demonstranten auf den Jelai-
Platz gebracht, die gegen ein Ende von „Radio 101“ protestierten. Da in Kroatien wie in
den anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens unabhängige Presserzeugnisse meist sehr teuer
sind, ist für die überwiegende Mehrheit Fernsehen und Rundfunk die hauptsächliche Infor-
mationsquelle. Nach Umfragen soll für 75 Prozent des kroatischen Volkes die abendliche
Tagesschau „Dnevnik“ die einzige oder vorrangige Informations-quelle sein. Dabei spielt
„HRT“, der staatliche kroatische Rundfunk- und Fernsehsender mit seinen verschiedenen
Programmen die Hauptrolle. Kurz nach seinem Amtsantritt im Januar 2000 erklärte der
neue Regierungschef Ivica Raan, die Reform von „HRT“ in ein öffentlich-rechtliches
Unternehmen würde nun in Angriff genommen werden.
Darauf hatten sich die ehedem unter Tudjman oppositionellen, nun regierenden Parteien
vor ihrem Sieg in den Parlamentswahlen vom Januar 2000 geeinigt. Zur Debatte stand
auch, ob einer der drei Fernsehkanäle privatisiert werden sollte. Es gab damals in Kroatien
etwa 120 Lizenzen für regionalen und lokalen Hörfunk und 12 lokale Fernsehlizenzen, die
früher angeblich zu sehr nach politischer Willfährigkeit vergeben worden wären. Kroatien
hatte allerdings noch unter der alten Regierung Ende 1998 erste Versuche für eine Reform
des Staatsfunks eingeleitet. Nach einer Gesetzesänderung hatten die Parlamentarier im
Rundfunkrat daraufhin ihre Mehrheit verloren. Stattdessen erhöhte sich der Anteil der Ver-
treter gesellschaftlich relevanter Gruppen (23 Mitglieder, 10 Parlamentarier). Ferner ver-
zichtete der Präsident, der damals Tudjman hieß, auf die direkte Ernennung des Generaldi-
rektors von Funk und Fernsehen. Der Generaldirektor wird nun durch den Rundfunkrat
gewählt. Ein Haken hatte das Gesetz für die damaligen Kritiker. Denn alle Mitglieder des
Kroatischen Rundfunkrates müssen vom Parlament bestätigt werden. Die neue Regierungs-
koalition aus sechs Parteien realisierte allerdings in Bezug auf die Medien kaum etwas von
dem, was sie im Wahlkampf versprochen hatte. Zwar wurden einige der schlimmsten Ge-

89
setzesbestimmungen ausser Kraft gesetzt, eine damals unterzeichnete „Charta über öffent-
lich-rechtliches Fernsehen“ und die Entstaatlichung des Fernsehens blieb aber lange Papier.
Heute ist die kroatische Rundfunk- und Fernsehanstalt „HRT“ („Hrvatska Radiotelevizija“)
öffentlich-rechtlich verfasst.
In Kroatien ist wie überall in Südosteuropa neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk56
und Fernsehen in den Jahren nach dem Ende des Kommunismus eine Vielzahl von privaten
Sendern entstanden. Zu diesen zählen „TV Cakovec“, „VTV Vinkovci“, „TV Varaždin“,
„Kanal Ri“, „TV Zadar“, „TV Nova“ (Pula), „Adriatic TV“ (Split) und die offene Station
„TV Zagreb“, „Radio Donat FM“ in Zadar, „Radio Adriatic“ in Neum, „Cityradio Ritam“
in Šibenik, „Radio Borovo“, „Radio Brac“, „Hit Music Radio“, „Nautic Radio“ Vis, „Radio
Dunav“, „Radio Deejay“ Crikvenica, „Radio KL Eurodrom“, „Radio Medjimurje“, „Radio
Meastral“ und „Radio 101 Zagreb“. Mit einer 35-stündigen Talkshow, die am 27. und 28.
August 2007 live ausgestrahlt wurde, schafften es Kristijan Petrovi, Journalist des nord-
kroatischen Regionalsenders „Varaždinska televizija“ (Varaždiner Fernsehen, VTV)57, und
der bekannte Zagreber Entertainer Davor Dretar-Drele, den bisherigen Weltrekord im Dau-
ermoderieren um mehr als zwei Stunden zu überbieten58. Die Talkshow, an der rund 200
prominente Gäste aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens teilnahmen und die über ein
Netzwerk kommerzieller Sender landesweit übertragen wurde, beaufsichtigte ein Experten-
team der „Guinness World Records Ltd“. Die Talkshow, moderiert auf einer Open-Air-
Bühne in der Varaždiner Innenstadt, war Teil des traditionellen Straßenfestivals „Spacir-
fest“, das jedes Jahr Tausende Besucher aus dem In- und Ausland in die nordkroatische
Barockstadt lockt. Der kroatische Schriftsteller Peri sprach über seinen aktuellen Bestsel-
ler „Der Vampir“ und seinen neuen Roman „Der D'Annunzio Code“, die weitgehend unbe-
kannte Details über Wien enthalten sollen. Obwohl beide Moderatoren vor Beginn der
Sendung von einem Ärzteteam gründlich untersucht und für fit erklärt wurden, schien der
neue Weltrekord nicht von Anfang an sicher zu sein. Erst nachdem die ersten 24 Stunden,
ohne die von den Moderatoren befürchtete erste Krise, verstrichen waren, hieß es, der alte
Rekord sei so gut wie gebrochen.
Auch wenn der Regionalsender damit für Aufsehen sorgte und Zuschauer anzog, ist die
Hauptinformationsquelle der Mehrheit der kroatischen Bürger nach wie vor der öffentlich-
rechtliche Rundfunk. Die kroatische Rundfunk- und Fernsehanstalt „HRT“ wird von einem
„HRT“-Programmrat kontrolliert. Dieses elfköpfige Gremium kam erstmals am 14. No-
vember 2003 zusammen. Seine Mitglieder werden vom kroatischen Parlament gewählt, die
wiederum den Generaldirektor für eine Amtszeit von vier Jahren wählen. Für Ende März

56
Inzwischen hat die Technik zu einer weiteren Durchsichtigkeit und Pluralität beigetragen. Das Internet ermög-
licht weltweiten Zugriff auf das kroatische Fernsehen und den Hörfunk. Unter der Adresse www.hrt.rh kann
man sich authentische Nachrichten in kroatischer Sprache anhören und ansehen und bis in das Audioarchiv des
Rundfunks vordringen. Dort lagern, ebenfalls zum weltweiten Gebrauch, einige Ansprachen von Präsident
Tudjman, die als historische Dokumente ihre Bedeutung haben. Interessant ist auch die Webadresse
www.kroaten.de „Kroatien im Internet“ mit Zugriffen auf eine Vielzahl von Medien, darunter Links zu ver-
schiedenen Zeitungen. In eigener Sache bietet auch die Webadresse www.hic.hr vom Hrvatski Informativni
Centar für Sprachkundige einen Zugang zu Nachrichten aus Kroatien.
57
Vgl. die Webseite des Senders: www.vtv.hr.
58
Der bisherige Weltrekord betrug 33 Stunden und wurde 2005 vom New Yorker Fernsehsender „Staten Island
Community Television“ aufgestellt. Der neue Rekord, der nun bestätigt und ins Guinness Buch der Weltrekor-
de eingetragen werden soll, beträgt 35 Stunden, 16 Minuten und 31 Sekunden. Laut Guinnes-Regeln mußte die
Show darüber hinaus rund um die Uhr von einem mindestens zehnköpfigen Publikum verfolgt werden. Dieses
blieb trotz verregneten Wetters nicht aus. Ferner durfte keine Frage wiederholt werden, ein Umstand, der zwar
wesentlich zur Dynamik der Show beitrug, ihren Moderatoren die Arbeit aber zusätzlich erschwerte.

90
2007 sollte planmäßig der neue Generaldirektor des Kroatischen Rundfunks (HRT) festste-
hen. Doch die Wahl scheiterte an heftigen Unstimmigkeiten im Programmrat und endete
sogar in einer regelrechten Schlägerei. Zur Wahl stand ein neuer Direktor, weil der bisheri-
ge „HRT“-Direktor Mirko Gali in die Diplomatie wechselte. Er sollte kroatischer Bot-
schafter in Paris werden. Daher wurde der Direktorsposten ausgeschrieben. Es bewarben
sich insgesamt 22 Kandidaten, von denen die Hälfte alle Voraussetzungen erfüllte. Vier der
elf Kandidaten kamen selbst aus dem „HRT“, die übrigen aus anderen Branchen. Der Pro-
grammrat des Kroatischen Rundfunks, der den neuen Direktor zu wählen hatte, ist ein vom
Parlament nach öffentlichem Aufruf zusammengesetztes Gremium, dem es jedoch nicht
gelang, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. In die engere Wahl kamen laut
Medienberichten drei Kandidaten: Galis bisheriger Stellvertreter Vanja Sutli, der Jurist
und Manager Marijan Kostreni, Vorsitzender verschiedener Aufsichts-räte, darunter der
Mobilfunkgesellschaft „VIPnet“ und des Medienverlags „Veernji list“, sowie die Histori-
kerin Andrea Feldman, Direktorin des Zagreber „Instituts für Demokratie“. Keiner dieser
Bewerber konnte jedoch die vorgeschriebenen acht der elf Stimmen im Programmrat auf
sich vereinigen. Damit war die Generaldirektorenwahl im „HRT“ vorerst gescheitert. Als
sich das Gremium aber auch auf keine provisorische Führung einigen konnte, kam es zur
Krise. Die einen wollten den abgetretenen Direktor Mirko Gali aus der Politik zurückho-
len, was aber die Regierung ablehnte. Diese wiederum wollte für den „HRT“ einen Regie-
rungskommissar einsetzen, was postwendend als unvereinbar mit einem unabhängigen
Rundfunk abgewiesen wurde. Schließlich kam es zu einer umstrittenen Übergangslösung:
Vanja Sutli, bisheriger „HRT“-Vizedirektor, wurde doch noch zum provisorischen Rund-
funkdirektor gewählt, allerdings lediglich mit sechs Stimmen, die als gesetzliches Mini-
mum gelten, was den Protest der Gegner dieser Lösung hervorrief. Der Posten des Rund-
funkdirektors wurde erneut ausgeschrieben.
Mit der Würde des Rates schwerlich vereinbar war die Schlägerei zwischen zwei Rats-
mitgliedern, zu der die Unstimmigkeiten innerhalb des Rundfunkorgans zuletzt eskalierten.
Der auslösende Moment war jener, als Jadranka Kolarevi, Vertreterin der Vereinigung für
Konsumentenschutz im Programmrat, den Zagreber Gynäkologen und Programmrats-
Vizevorsitzenden Danko Bljaji, beschuldigte, die Wahl des neuen „HRT“-Direktors per-
sönlich hintertrieben zu haben, was Bljaji tätlich werden ließ. Er und Frau Kolarevi ka-
men mit leichten Blessuren davon, worauf die übrigen Mitglieder des Programmrates die
Amtsenthebung von Bljaji beantragten. Nicht nur die kroatischen Medien spekulierten,
Bljaji habe die Wahl von Sutli zu verhindern versucht, weil dieser „serbischer Nationali-
tät sei“. Bljaji dementierte das, bot aber im selben Atemzug seinen Rücktritt an, weil, so
schrieben andere Medien, das politische Ziel erreicht worden sei. Der „HRT“ habe nun eine
provisorische Direktion, die, wenn sie schon nicht die gewünschte politische Couleur habe,
dennoch leichter im gewünschten Sinne zu lenken sei. Staatspräsident Stjepan Mesi mein-
te zwar, er glaube nicht an Verschwörungstheorien, wonach es politisch gewollt sei, dass
„HRT“ bis zu den Parlamentswahlen im Herbst nur eine provisorische Führung haben soll-
te, weil diese leichter zu beeinflussen wäre. Sollte dies aber tatsächlich der Fall sein, wäre
dies nicht von Vorteil für Kroatien. Auch das Staatsfernsehen ist wie die nationale Presse
seit langem keine rein kroatisch-nationale Angelegenheit mehr. Im September 2003 erhielt
die Firma „HRTL“59 vom Kroatischen Radio- und Fernsehrat eine zehnjährige Konzession

59
HRTL besteht aus der RTL Group und den kroatischen Unternehmen Agrokor, Podravka, Atlantic Group,
HVB/Splitska Bank und Pinta TV3 [DW-Monitor Ost- und Südosteuropa, 17.9.2003].

91
für landesweites Fernsehen. Auch die „RTL Group“, die vorher nur in Ungarn mit „RTL
Klub“ aktiv war, überlegte, weitere Expansionschancen in Ost- und Südosteuropa zu prü-
fen. „HRTL“ setzte sich gegen Rupert Murdoch, die „SBS Broadcasting Group“ sowie
einen regionalen Bewerber durch und übernahm die dritte Kette des kroatischen Staatsfern-
sehens60.
Auch auf dem Gebiet der Nachrichtenagenturen begann sich der Einfluss der „WAZ“,
der „EPH“ und Ninoslav Pavis bemerkbar zu machen. 2006 gründete der größte Zeitungs-
verlag Kroatiens, die „Europapress Holding“, die erste nicht-staatliche und überregionale
Nachrichtenagentur des Landes61. Sie soll, hieß es damals, 2007 ihre operative Tätigkeit
aufnehmen. Der Verlag gehört je zur Hälfte dem deutschen Medienkonzern WAZ und dem
kroatischen Medienunternehmer Ninoslav Pavi. Außerdem startete die „EPH“ die Photo-
agentur „Cropix“, mit der sie bereits 2006 auf den Markt ging. Für „Cropix“ arbeiten mehr
als hundert Photographen. Zum Geschäftsführer der neuen Nachrichtenagentur wurde
Zdravko Milinovi bestellt, bisher Geschäftsführer und stellvertretender Chefredakteur der
Tageszeitung „Jutarnji list“. Vier Tageszeitungen stehen hinter der Nachrichtenagentur
„Cropix“ – die „Jutarnji list“, „Slobodna Dalmacija“, „Sportske novosti“ und „Metro Ex-
press“. Insgesamt arbeiten bei „Cropix“ mehr als dreihundert Jounalisten, die aus 64 Städ-
ten Kroatiens berichten. Wenn unabhängige Medien nicht-staatliche Agenturen wie die von
der „EPH“ gegründete mit Argusaugen beobachten, so umso mehr, wenn es um eine so
angesehene und staatlich geführte Nachrichtenagentur wie die kroatische „Hina“ geht. Im
Oktober 2006 wurde ein neuer Verwaltungsrat bestellt, der aber nach Meinung der Interna-
tionalen Journalisten-Föderation (IJF) weniger nach Kompetenz als nach politischer Protek-
tion aussah. Die vier neuen Mitglieder waren eine Tierärztin, der Leiter einer PR-Agentur
und zwei Absolventen eines Jura-Instituts. Der IJF äußerte die Vermutung, die Regierung
hätte gezielt solche Personen berufen, „die sie kommandieren und kontrollieren kann“.
Bevor die Mitarbeiter der HINA einen eigenen Vertreter als fünftes Mitglied in den Ver-
waltungsrat schicken konnte, wählte der Rat selbst die langjährige Redakteurin Smiljanka
Škugor-Hrnevi zur neuen Direktorin, woraufhin Ministerpräsident Ivo Sanader umge-
hend von einem „erheblichen demokratischen Defizit“ sprach und die Auflösung des gerade
erst ernannten Verwaltungsrates androhte.

4.5 Das paradigmatische Schicksal eines Satire-Magazins

Das spätere satirische Wochenmagazin „Feral Tribune“ erschien bis 1993 als Beilage der
Tageszeitung „Slobodna Dalmacija“. Als die Zeitung durch einen gesetzwidrigen Privati-
sierungsprozeß an ein Mitglied der regierenden HDZ verkauft wurde, entschlossen sich die
Journalisten Viktor Ivani, Predrag Lui und Boris Dezulovi, eine unabhängige Zeit-
schrift ins Leben zu rufen, die zuerst alle zwei Wochen und danach wöchentlich erschien.
Wegen geringer Werbeeinnahmen – viele kroatische Unternehmen zogen es vor, in regie-
rungsnahen Periodika zu inserieren – und zu hoher Mehrwertsteuer wurde die „Feral“, wie
sie in Kroatien allgemein genannt wurde, am 14. Juni 2007 zum ersten Mal in den 14 Jah-
ren ihres Bestehens vorübergehend eingestellt. Die Redaktion erklärte nur, vor den kroati-

60
Vgl. Financial Times Deutschland, 17.9.2003.
61
Vgl.: http://volksgruppen.orf.at/kroatenungarn/aktuell/stories/57428/.

92
schen Behörden gälten für kritische und regierungsnahe Medien hinsichtlich der Mehr-
wertsteuer nicht die gleichen Kriterien. Daß die „Feral“ am Kiosk vorübergehend nicht
erhältlich war, hatte also offen politische Gründe, schlicht weil sie eines der letzten poli-
tisch und wirtschaftlich unabhängigen Blätter Kroatiens war. Rettend griff damals ein deut-
scher Konzern ein, der nicht im Ruf stand, ein Garant der Pressefreiheit in Südosteuropa zu
sein. Als die deutsche WAZ-Gruppe bei der Feral einstieg, fühlte sich selbst die deutsche
Frankfurter Allgemeine Zeitung veranlasst zu betonen, die Feral sei „das Flaggschiff des
unabhängigen investigativen Journalismus in Kroatien“62. Die „EPH“, die offizielle Käufe-
rin, an der die WAZ Mehrheitsanteilseignerin ist, betonte ebenfalls, sie würde sich in die
Redaktionspolitik nicht einmischen.
Für seinen redaktionellen Kurs, der scharfe Kritik und bissige Satire mit gründlicher
Recherche vereint, erhielt das Blatt in den 14 Jahren seines Bestehens mehr internationale
Auszeichnungen als alle anderen kroatischen Zeitungen und Magazine zusammen. Viktor
Ivani, einer der Gründungsredakteure, wurde in Rom mit der „Goldenen Taube für den
Frieden“ geehrt. Die angesehene Auszeichnung wird seit 1986 alljährlich vom italienischen
Institut „Archivio Disarmo“ für friedliche Lösungen politischer Konflikte, Völker-
verständigung und Pressefreiheit verliehen. Warum sich kroatische Unternehmen scheuten,
in der „Feral“ zu werben, meinte Ivani, läge auf der Hand. Wenn jemand kritisch über die
großen, korrupten kroatischen Unternehmen schreibe, könne er nicht erwarten, von ihnen
lukrative Werbeaufträge zu erhalten. Außerdem zahle die kroatische Presse mit einem
Steuersatz von 22 Prozent die höchste Mehrwertsteuer in ganz Europa. Diese werde aber
bei regierungsnahen und staatlichen Medien gerne abgeschrieben. Beim öffentlich-
rechtlichen Kroatischen Rundfunk oder der staatlichen Tageszeitung „Vjesnik“ drücke nur
zu gerne ein Auge zu. Die „Feral Tribune“ hatte im Jahr 2007 bereits eine halbe Million
Kuna (68.027 Euro) Mehrwertsteuer gezahlt, weshalb die Löhne der Mitarbeiter für mehre-
re Monate eingefroren worden waren. Auch danach blieb das Blatt laut Steuer-behörde eine
weitere Million Kuna schuldig, weswegen es mit einer abermaligen Konto-sperre rechnen
mußte. Hinzu kam eine Reihe von Entschädigungsansprüchen hochrangiger kroatischer
Politiker aus der Ära Tudjman, die das Blatt aufgrund seiner kritischen Bericht-erstattung
wegen „Zufügung seelischen Leids“ verklagt hatten63. Ihre kompromisslose Kritik am ver-
storbenen kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman und dessen Partei HDZ kam der „Feral
Tribune“ in den 1990er Jahren teuer zu stehen. Das Blatt wurde zu hohen Geldstrafen ver-
urteilt, Redakteure und Journalisten wurden festgenommen oder zwangs-rekrutiert. Auch

62
Vgl. „Flaggschiff“. Die WAZ investiert in Kroatiens frechste Zeitung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung,
30. Juni 2007.
63
Gegen die „Feral Tribune“, die mancher mit einem Satireblatt vom Stil der deutschen „Titanic“ verglich, setzte
die Staatsmacht im Februar 1996 mit einem zusätzlichen Paragraphen im Strafgesetzbuch an. Dieser neue Pa-
ragraph stellte die Verunglimpfung der fünf wichtigsten Repräsentanten des Staates unter Strafe. Zu den so ge-
schützten Personen zählen: Der Präsident, der Premierminister, der Parlamentspräsident, der oberste Verfas-
sungsrichter und der Präsident des obersten Gerichtshofes. Die Strenge, mit der der kroatische Staat hier gegen
Journalisten vorging, hatte zur Folge, dass im Mai 1998 fast 500 Verfahren gegen kroatische Journalisten we-
gen Diffamierung anhängig waren. Dabei war die satirische Zeitung „Feral Tribune“ mit 60 Prozent dieser
Verfahren die Hauptbetroffene. Von einer ‚konzertierten Aktion’ gegen einen einzelnen Journalisten war eben-
falls im Frühjahr 1998 zu berichten. Alle 23 Minister der kroatischen Regierung verklagten den Autor eines
Artikels in der Wochenzeitung „Globus“. Der Autor hatte aus einer Studie der amerikanischen Consulting-
Firma „Kroll“ zitiert, in der die damalige Regierung Kroatiens als „korrupt“ bezeichnet wurde und angeblich
auch Kontakte zum organisierten Verbrechen unterhalte.

93
die Steuern, die dem satirisch-kritischen Wochenblatt auferlegt wurden, sollen erheblich
höher gewesen sein als bei anderen Medien.
Dennoch schaffte es die „Feral“ in ihrer Blütezeit wöchentlich bis zu 100.000 Exempla-
re zu verkaufen. Zahlreiche prominente Autoren, wie etwa die kroatische Schriftstellerein
Slavenka Drakuli, der slowenische Philosoph Slavoj Žižek, Aleš Debeljak, der USA-
Kritiker Noam Chomsky oder der französische Philosoph Alain Finkielkraut, trugen zur
„Feral Tribune“ ihre Artikel bei. Nach dem Tod Tudjmans und dem Ende der autoritäten
Alleinherrschaft der HDZ Anfang 2000 sank jedoch das Interesse der Öffentlichkeit an der
„Feral Tribune“ beträchtlich. Während die Leserschaft zu Zeiten Tudjmans aus dem oppo-
sitionellen Lager kam, ließ sie sich jetzt nicht mehr klar definieren. Im Juni appellierten
etliche Nichtregierungs-organisationen und Medienverbände sogar an die kroatische Regie-
rung, die „Feral“ als wichtige unabhängige Zeitung vor der endgültigen Einstellung zu
bewahren. Viele kroatische Politiker, darunter Staatspräsident Stjepan Mesi, unterstützten
die Forderung. Aus regierungsnahen Kreisen war deshalb im Sommer 2007 zu vernehmen,
die kroatische Regierung unter Ministerpräsident Ivo Sanader (HDZ) ziehe eine Senkung
der Mehrwertsteuer für Medien von 22 auf 10 Prozent in Erwägung. Innerhalb der EU
zahlen die Medienherausgeber in Irland mit 13 Prozent die höchste Mehrwertsteuer. In den
übrigen EU-Ländern variiert der Mehrwertsteuersatz für Medien zwischen null und sieben
Prozent. Außerhalb der EU kommen Argentinien (21 Prozent) und Chile (19 Prozent)
Kroatien am nächsten.
Vor dem endgültigen Untergang bewahrte die „Feral Tribune“ schließlich im Juni 2007
der Einstieg des deutsch-kroatischen Medienkonzern Europa Press Holding (EPH), an dem
die deutsche WAZ-Gruppe mit 50 Prozent beteiligt ist – doch nur für kurze Zeit. Es gebe
eine finanzielle Übereinkunft mit der EPH, weshalb die „Feral Tribune“ wieder verkauft
werde, sagte ihr Herausgeber Zoran Erceg Anfang Juli 2007. Die EPH habe schon in der
Vergangenheit versucht, das Magazin zu kaufen, was aber am Widerstand der Redaktion
gescheitert sei. Die Redaktion fürchtete nicht ohne Grund um ihre redaktionelle Unabhän-
gigkeit. Ein Vertrag über die von der EPH durchzuführende Kapitalerhöhung wurde am 9.
Juli 2007 unterzeichnet. Die EPH erklärte, sie wolle sich nicht in die Redaktionspolitik der
„Tribune“ einmischen. Doch wie nicht anders zu erwarten, vor allem wenn man die negati-
ven Erfahrungen in anderen Ländern Südosteuropas mit der Europa Press und der WAZ,
namentlich in Rumänien, in Rechnung stellt, sollte es in den kommenden Monaten zu in-
haltlichen und redaktionellen Veränderungen kommen, was auch der Verlagsdirektor bestä-
tigte. Die Anzahl der Themen wurde erhöht, außerdem bereitete man eine ‚graphische Neu-
gestaltung’ vor, die jedoch offiziell seit über einem Jahr geplant gewesen wäre. 2008 kam
dann dennoch das endgültige Aus. Am 16. Juni erschien die letzte Nummer der vielfach
ausgezeichneten Zeitung. Sie sei auch daran gescheitert, so die Kritik, weil sie zuwenig
Werbung auf ihren Seiten gebracht hätte. Ihr Chefredakteur, Viktor Ivani, verneinte das.
Sie seien von der Werbewirtschaft schlicht boykottiert worden.
In der letzten Ausgabe der „Feral Tribune“, die wahrhaftig einer der wichtigsten und
unterhaltsamsten medialen Spieler Südosteuropas war, stand schlicht zu lesen: „Nach mehr
als fünfzehn Jahren regelmäßiger Auflagen halten Sie jetzt die letzte Nummer unserer Wo-
chenzeitung in Händen.“ Die „Feral Tribune“ sollte, gemessen an Medienpreisen, Ehrungen
und internationalen Anerkennungen, eine der hoch angesehenen Erscheinungen der Welt-
medien sein. Zwischen 1992 und 1998 hat die „Feral“, wie man sie mit Kosenamen nannte,
unter anderem, den Preis „für das beste politisch-satirische Blatt der Welt“ bekommen, die
„Goldene Feder für die Freiheit der Presse“ von der „World Association of Newspapers“,
den „Internationalen Preis für die Freiheit der Presse“ von der „International Press Directo-

94
ry“ und etliche mehr. Unter dem Titel „Shit of the Week“ sammelten in der Rubrik „Grea-
test Shits“ die „Feral“-Redakteure alle Angeber der jeweiligen Woche. Kein Mensch, unab-
hängig welche Position er ausgeübt hat, wurde vor der Aufnahme in diese Liste verschont.
Unter den wachsamen Augen und Ohren der „Feral“-Redakteure konnte niemand unbeach-
tet bleiben. Selbst der damalige Präsident Tudjman war ein regelmäßiger Gast dieser Rub-
rik. Für seine Aussage „Ich werde in der Geschichte neben Franco als der Retter der westli-
chen Zivilisation gelten“ aus dem Jahr 1998 wurde er sogar mit dem Ehrenpreis „Shit of the
year“ bedacht. Das Blatt nannte sich selbst inoffiziell „Wochenzeitung der kroatischen
Anarchisten, Protestanten und Häretiker“.
Warum mußte „Feral“ aufgeben? War in der Zeit des Friedens alles transparent gewor-
den und damit die Funktion des kritischen Korrektivs entbehrlich geworden? Viele Me-
dienanalytiker nannten als Grund den allgemeinen Prozess der Kommerzialisierung der
Medienszene in den sogenannten reform-kommunistischen Staaten. Dieser Prozess lenke
das Interesse der Bürger von den wirklichen Problemen des Landes in die Welt der Events
und des Konsums ab. Als Schuldiger werden gerne die internationalen Medienkonzernen
ausgemacht, die die wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften aufgekauft haben. Überra-
schend ist jedoch die Art wie das Ende der „Feral Tribune“ von der Öffentlichkeit aufge-
nommen wurde. In Kroatien zerbrach sich kaum jemand den Kopf darüber. Die übrigen
Medien übergingen das Ende dieser Zeitung entweder mit Schweigen oder befanden es im
besten Falle einer kurzen Meldung für würdig. Es gab keine Demonstrationen oder auch
nur Unterstützungserklärungen. Die „Feral“ verschwand in aller Stille von der Bühne.
Selbst die internationale Medienszene, die das Blatt einst mit Lob überhäuft hatte, brauchte
lange, um dessen Verschwinden überhaupt zu bemerken. Der Journalist Radovan Grahovac
meinte bitter-ironisch, es sei kaum zu glauben, daß für die Rubrik „Shit of the week“ das
Material ausgegangen wäre.

4.6 Bewegung auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt

Hier zeigten sich die „verheerenden Auswirkungen“ des Engagements internationaler Me-
dienkonzerne auf die Medien in Mittel- und Osteuropa, meinte zum Beispiel die „Internati-
onal Federation of Journalists“ (IFJ). Das Engagement der Konzerne führe, sagt ihr Gene-
ralsekretär, Aidan White, zu einer „Bedrohung der Medienvielfalt“ und einer „Ausplünde-
rung der nationalen Medienressourcen“ – womit er explizit auch auf Kroatien Bezug nahm.
Nach der Studie „wurde das staatliche Zeitungsmonopol durch ein ausländisches Firmen-
monopol abgelöst“. So würde in Kroatien nach der Aussage der IFJ der Zeitungsmarkt
vollständig von der WAZ-Gruppe64 kontrolliert65. Während 1996 auf dem kleinen Markt in

64
Die WAZ-Mediengruppe mit Firmensitz in Essen ist mit Beteiligungen an Zeitungen, Anzeigenblättern und
Zeitschriften in insgesamt neun europäischen Ländern und einem Gesamtangebot von über 500 Titeln das
zweitgrößte Verlagshaus Deutschlands und einer der größten Regionalzeitungsverlage Europas. Darüber hin-
aus verfügt das Unternehmen über feste Standbeine im Druck-, Rundfunk- und Internetgeschäft. Das Fernseh-
geschäft war eine rein finanzielle Beteiligung, die 2005 an Bertelsmann verkauft wurde. Geschäftsführer der
WAZ-Mediengruppe ist Bodo Hombach. Dr. Erich Schumann, der vom WAZ-Mitgründer Erich Brost adop-
tiert wurde, fungierte von 1978 bis zu seinem Tod im Januar 2007 ebenfalls als Geschäftsführer. Aus der in der
Nachkriegszeit entstandenen Zeitung ist ein Pressekonzern geworden, dessen Geschäftsschwerpunkt auf Regi-
onalzeitungen und Wochenzeitschriften liegt. Die WAZ-Mediengruppe gilt als ‚SPD-nah’. Die Mitherausgabe

95
Kroatien noch 1378 Zeitungen und 1622 Magazine erschienen, waren es im Jahr 2000 nur
noch 307 Titel, wobei sich diese Zahl zusammensetzte aus sieben Tageszeitungen, neun
weiteren politischen Publikationen, vor allem 51 Kindermagazinen, 38 Heften mit Kreuz-
worträtseln, und 30 Comic- und 22 erotischen Zeitschriften. Die weitaus höchsten Auflagen
erzielen Frauenmagazine wie „Gloria“, „Tena“ oder „Mila“. Vor allem guter, das heißt
auch teurer politischer Journalismus, hat es schwer, auf diesem Markt zu überleben. Am
besten halten sich auf dem Markt die Tagezeitung „Jutarnji list“, die Wochenzeitung „Glo-
bus“ und „Imperijal“, die zur „Europapress Holding“ gehören, genauso wie die Rundfunk-
sender „Narodni Radio“, „Obiteljski Radio“, „Nova TV“ und rund zehn weitere Fernsehsta-
tionen. Mit einer 50-Prozent-Beteiligung durch die deutsche WAZ wuchs der Konzern zu
beträchtlicher Größe an, wobei es auch hier die Frauen-zeitschriften „Gloria“ und „Arena“
sowie die Magazine „Playboy“ und „Cosmopolitan“ sind, die das Rückgrat des Konzerns
bilden. Die Befürchtung besteht, dass solche internationale Investitionen keinen Beitrag zu
Meinungs- und Medienvielfalt leisten, sondern dass damit Marktbedingungen und Insera-
tepreise diktiert werden, wie dies die WAZ in Bulgarien erfolgreich vorexerzierte, und dass
kleinere, aber für die politische Meinungsbildung und die weitere Demokratisierung des
Landes wichtige Publikationen so an die Wand gedrückt werden. Der Konzern kontrolliert
heute praktisch die gesamte Medienlandschaft Kroatiens.
Im Zuge eines seit einigen Jahren dauernden Rechtsstreites und eines Schiedsgerichts-
verfahrens zwischen der mit 50 Prozent an der „Kronen Zeitung“ beteiligten WAZ-Gruppe
und dem Krone-Hälfteeigentümer Hans Dichand, bei dem es um die Absetzung Dichands
als Hauptgeschäftsführer geht, warf sein Sohn Michael Dichand der WAZ-Gruppe vor, in
Kroatien mit der „organisierten Wirtschaftskriminalität“ zusammenzuarbeiten und den
Versuch der „Monopolisierung“ und „Teutonisierung“ des kroatischen Zeitungsmarktes zu
unternehmen. Diese Vorwürfe zielten auf die Beteiligung der WAZ an der „Europapress
Holding“ ab, die unter anderem mit „Jutarnji List“ die zweitgrößte Zeitung Kroatiens he-
rausgibt. Obwohl die WAZ-Mediengruppe keine Monopolstellung auf dem kroatischen
Zeitungsmarkt innehat, wurden deren Partner, Ninoslav Pavi, sowie Vinko Grubiši und

z. B. der konservativen „Westfalenpost“ wird gerne als Gegenargument gebraucht. Genauso gehören zur
WAZ-Mediengruppe einige Zeitungen, etwa die „Westfälische Rundschau“, die über den Zeitungsverlag
Westfalen GmbH & Co. KG zu 13,1% der DDVG („Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft“), einer Me-
dien-Holding der SPD, gehört. Die WAZ-Gruppe gehört noch heute den beiden Gründerfamilien Brost und
Funke, die auch eine Beteiligung am Otto-Versand besitzen, und gilt laut Schätzungen als eine der renditestar-
ken Medienhäuser Deutschlands, wenngleich keine Zahlen veröffentlicht werden. 2003 kam die WAZ-
Mediengruppe gleich mehrfach als Aufkäufer verschiedener Medienkonzerne ins Gespräch. Es wurde über ei-
ne Übernahme des Axel-Springer-Verlags, der insolventen Kirch Gruppe sowie der finanzschwachen Süddeut-
schen Zeitung spekuliert. 2003 gründete die WAZ Mediengruppe gemeinsam mit der Verlagsgruppe
Holtzbrinck und der Ippen Verlagsgruppe die ISA GmbH & Co. KG. Dieses Unternehmen ist auf Anzeigen-
portale im Internet spezialisiert und betreibt unter anderem die Portale immowelt.de, stellenanzeigen.de,
markt.de und trauer.de. Die Gruppe verlegt im In-und Ausland 38 Tageszeitungen, 108 Publikums- und Fach-
zeitschriften, 133 Anzeigenblätter und 250 Kundenzeitschriften.
65
Der Journalist und Osteuropa-Experte Johannes Grotzky, heute BR-Hörfunkdirektor, meinte zur Situation der
kroatischen Medien: „Es steht zu befürchten, dass mit internationalem Kapital die Medienlandschaft kommer-
zialisiert und unabhängigen Medien damit der Garaus gemacht wird, wenn internationale Unterstützung diese
Marktverzerrungen nicht mit politischem Druck auf die kroatische Regierung und mit finanzieller Unterstüt-
zung für bedrohte unabhängige Medien ausbalanciert. Dass der ehemalige Europapress-Mitinhaber Ninoslav
Pavi zusammen mit den mächtigen ehemaligen HDZ-Funktionären und Medienmogulen Ivica Pašali, Vinko
Pašali und Miroslav Kutle angeklagt war, mafiöse Strukturen zur Kontrolle der kroatischen Medienland-
schaft unterhalten zu haben, stärkte nicht gerade das Vertrauen in eine pluralistische und freie Medienzukunft
des Landes.“

96
vier weitere Personen Ende 2000 wegen angeblicher kartellrechtlicher Verstöße in Haft
genommen. Die Vorwürfe waren unbegründet, und daher wurden die Betroffenen in kür-
zester Zeit wieder aus der Haft entlassen. Die WAZ-Gruppe erwirkte gegen Michael Di-
chand eine einstweilige Verfügung, diese Behauptungen zu unterlassen. Diese Verfügung
ist in einem Verfahren vor dem Landgericht Wels (Österreich) im Januar 2007 strafbewehrt
bestätigt worden. Doch es blieb nicht bei dieser Auseinandersetzung. Bei einer weiteren
zwischen Hans Dichand (zur Hälfte Eigentümer der Kronen Zeitung) und der WAZ wurde
die von Dichand im Februar 2006 ausgesprochene fristlose Kündigung gegen den von der
WAZ eingesetzten zweiten Chefredakteur Michael Kuhn vom Oberlandesgericht Wien im
Berufungsverfahren entsprechend dem Urteil des Wiener Arbeitsgericht vom August 2006
für rechtsunwirksam erklärt worden. Kuhns Entlassung hätte nur von beiden Eigentümern
gemeinsam erfolgen können, und daher war die allein von Dichand ausgesprochene Kündi-
gung unzulässig. Kuhn wurde seinerzeit von der WAZ als zweiter Chefredakteur bestellt,
nachdem Hans Dichand eigenmächtig seinen Sohn Christoph Dichand im Februar 2003 als
Chefredakteur eingesetzt hatte.
Der Vorwurf Michael Dichands, die WAZ-Gruppe wolle den kroatischen Zeitungsmarkt
„monopolisieren“ bezog sich auch die Wochenzeitschrift „Globus“, die erstmalig im De-
zember 1990 erschien, als sich Kroatien auf dem Weg zur Unabhängigkeit befand. Das
Magazin zeichnete sich durch seine Objektivität aus. Es scheute sich nicht davor, die un-
durchsichtigen Privatisierungen im jungen Kroatien näher zu untersuchen und versuchte
während des Kroatien-Krieges eine objektive Haltung einzunehmen, anders als viele andere
Medien damals. Auch nach Ende des Krieges 1995 zählte „Globus“ zu den wenigen regie-
rungs-kritischen Medien und war somit eine wichtige oppositionelle Plattform. Heute be-
zeichnet sich „Globus“ als modernes, demokratisches und liberales Magazin
[http://globus.jutarnji.hr]. Die Tageszeitung „Jutarnji list“ [www.jutarnji.hr] ist nach einer
Tageszeitung benannt, die noch vor dem Zweiten Weltkrieg erschien. Die „Jutarnji list“
erschien erstmals im April 1998 und wurde schnell zu einer der meistgelesenen Zeitung in
ganz Kroatien. Sie gehört zur „Europapress Holding“, ebenso wie die Schwesterzeitung
„Slobodna Dalmacija“. Einziger wirklicher Konkurrent der „Europapress“ wurde in Kroa-
tien die österreichische „Styria Medien AG“, die die Tageszeitung „24sata“ heraus-brachte
und damit dem kroatischen Medienmarkt neue Dynamik verlieh66. Die „Styria“ schaffte es,
mit der Vecernji list und 24sata knapp 45 Prozent der täglich verkauften Tageszeitungsauf-
lage zu erreichen. Der kroatische Tageszeitungsmarkt hatte sich 2007 um ein tägliches
Auflagenplus von gut 50.000 Stück erstmals seit vier Jahren wieder positiv entwickelt.
Natürlich ließ sich die Europapress das Engagement der „Styria“ nicht einfach gefallen.
Man ergriff Gegenmaßnahmen. Im April 2007 investierte die EPH, die sich zu 50 Prozent
im Eigentum der deutschen WAZ befindet, zusätzlich rund eine Million Euro pro Monat,
um die ihre Position als marktbeherrschender Verlag zu verteidigen. Bei den Tageszeitun-
gen liegt die „Veernji list“ hinsichtlich der verkauften Auflage vor „Jutarnji list“ und
„24sata“ – nach einer schweren „Schlacht“ um Verkaufszahlen in den Monaten April, Mai
und Juni 2007 zuletzt sogar deutlich. Bei der Leserzahl hingegen hat nach Untersuchungen
allerdings weiter „Jutarnji list“, so wie schon im Jahr 2004, die Nase vorne (Jutarnji list:
16,9 Prozent; Veerni list: 14,7 Prozent, 24sata: 11,1 Prozent; 1 Prozent entspricht ca.
40.000 Lesern). Als Kernmaßnahme des Großangriffs der EPH wurden zwei neue Hoch-

66
Der Kampf um Kroatien: Styria Medien AG peilt jetzt die Marktführerschaft an
[www.styria.com/de/news/news.php?news_id=51].

97
glanz-Magazine (TV-Magazin „Studio“; das Lifestyle-Magazin „Gloria In“ auf den Markt
gebracht, die am Freitag und Samstag kostenlos der Tageszeitung „Jutarnji list“ beiliegen.
Dadurch konnte die „Jutarnji list“ die verkaufte Auflage an diesen beiden Tagen kurzfristig
um ca. 30.000 pro Tag steigern, was in den Monaten Mai und Juni sogar Platz eins in Auf-
lagen-Rangliste einbrachte. „Veernji list“ und „24sata“ antworteten ihrerseits mit Gegen-
maßnahmen: gemeinsames TV-Magazin am Freitag, verkaufsfördernde Marketing-
Maßnahmen, Gewinnspiele, die die Rückkehr der „Veernji list“ an die Auflagenspitze
sicherstellten. In diesem Kampf um Auflagen und Einfluß erwartete man sich natürlichwei-
se zusätzliche Spannung vom Erwerb der größten Regional-Tageszeitung, der in Split be-
heimateten „Slobodna Dalmacija“ durch die EPH. Anfang August 2007 wurde das seit
mehr als einem Jahr laufende Privatisierungsverfahren abgeschlossen und die traditionsrei-
che Tageszeitung (ca. 53.000 verkaufte Auflage) in die EPH-WAZ-Gruppe eingegliedert.
Der EPH/WAZ werden außerdem Kontakte zum Gratistageszeitungs-Pionier „Metro Inter-
national“ und den damit verbundenen Gratis-Tageszeitungs-Plänen für Zagreb nachgesagt.
Die kostenlosen Magazinbeilagen in den Tageszeitungen wirbelten auch den kroatischen
Magazinmarkt auf. Im Mai 2007 ging die verkaufte Auflage der Magazine um gute 25
Prozent zurück, was vor allem die EPH traf, die klarer Marktführer im kroatischen Maga-
zinmarkt ist. Daraufhin tauchten sogleich Gerüchte auf, die EPH wolle sich von ihrer Ma-
gazinsparte trennen, wobei die niederländisch-finnische Sanoma-Gruppe als Interessent
genannt wurde. Auch Burda wurde damals nachgesagt, er spiele mit dem Gedanken, sich
aus Kroatien zurückzuziehen. Mit diesen Spekulationen erklärten sich viele den
Markteintritt der 45-Prozent-„Styria“-Tochter „X-Press“. Im Mai wurde das monatlich
erscheinende Gesundheits-Magazin „Primadona“ eingeführt, Anfang Juni folgte das Socie-
ty-Wochenmagazin „Elite“: Beide bewegen sich mittlerweile bei ca. 25.000 („Primadona“)
bzw. ca. 60.000 („Elite“) verkaufter Auflage, was derzeit die Positionen drei (Wochenma-
gazine) bzw. zwei (Monatsmagazine) im mehr als zweihundert Titel starken kroatischen
Magazinmarkt bedeutet. Im Herbst 2007 ging die nächste Magazin-Initiative der SAG an
den Start, ein 50:50-Joint-venture mit Europas größtem Magazinverlag Gruner und Jahr.
Man plante Kroatien-Ausgaben der erfolgreichen G+J-Marken „GEO“ (monatlich) und
„Gala“ (14-tägig). Weitere Lizenz-, aber auch Eigenprodukte sollten folgen. Das Joint-
venture steht unter der operativen Führung der Magazin-Profis aus Hamburg und wird
durch „Veernji list“ mit den nötigen Lokalkenntnissen unterstützt. Neue Maßstäbe setzte
die SAG mit „24sata“ im Bereich „Mobile“. Im Juni 2007 wurden 120.000 kostenpflichtige
SMS registriert, für Juli waren es erneut mehr als 100.000 – was die klare Marktführer-
schaft in Kroatien bedeutete. Im Online-Bereich war die SAG mit „Veernji list“ längst
Marktführer unter den Nachrichten-Portalen geworden. Innerhalb weniger Monate war es
der „Styria“ Medien AG somit gelungen, in Kroatien den Richtungswechsel vom Eigentü-
mer des bedrängten alten Tageszeitungs-Marktführers zum offensiven Medienhaus mit
zwei nationalen Tageszeitungen (dem Auflagen-Marktführer und dem Marktführer im
jungen Segment) sowie zwei Magazin-Verlagsbeteiligungen zu vollziehen. Weitere SAG-
Projekte im „Kampf um Kroatien“ waren Ende 2007 bereits in Planung, um das Ziel „kroa-
tische Mediengruppe Nummer Eins“ bald Wirklichkeit werden zu lassen.
Die kroatischen Intellektuellen und Medienkritiker beunruhigte derweil weniger die
Frage, um welche Prozentpunkte sich die Marktanteile an der Spitze verschieben, sondern
die grundsätzliche Frage, welchen Stellenwert der Qualitätsjournalismus noch im Lande
hat, und ob die Tagespresse sich abseits von Sensation und reißerischen Schlagzeilen noch
um das Niveau von nationaler Kultur und Sprache sorgt. Angesichts der Sprachschluderei,
derer sich die Sensationspresse täglich schuldig machte, fiel mancher Kommentar mild

98
ironisch aus, als die „Jutarnji list“ die Gemüter mit der Meldung erregte, dass alle Länder
des westlichen Balkans unter Umständen nur mit einer einzigen, gemeinsamen Sprache in
die EU einziehen müßten, und damit Kroatien in der Union auf seine Sprache verzichten
müsste67. Eine gemeinsame Sprache bedeute nicht die Wiederbelebung des unter-
gegangenen Serbokroatischen, schrieb die Zeitung, sondern eine neue lingua franca unter
dem Namen bosnisch-montenegrinisch-kroatisch-serbische Sprache, wie der Vorstand der
kroatischen Akademie der Wissen-schaften und Künste in einem Alarmschreiben be-
schwor. Die kroatische Regierung wiegelte ab und der Beauftragte der EU-Kommission,
Oli Rehn, meinte schlicht, jede Sprache eines EU-Mitglieds sei zugleich auch Amtssprache
der Union. Schwerwiegender als diese Meldung, die das allgemeine Identitätsproblem der
Nachfolgestaaten Jugoslawiens wiederspiegelt, ist die Zukunft des Qualitätsjournalismus
eine Frage, die nicht nur in Kroatien Kopfzerbrechen bereitet. Die mangelnde Kaufkraft der
Kroaten führt auch zu mangelnden Werbeeinnahmen der Medien. Viele Betriebe können
sich Werbung in Print- und elektronischen Medien nicht leisten. Die Einnahmen aus Wer-
bung übersteigen selten 25 Prozent des Budgets, was die Budgets der Medien und damit
auch direkt die Möglichkeit für hohe journalistische Qualität direkt einschränkt. Zeitungen,
Zeitschriften, aber auch Radio und Fernsehsender versumpfen immer mehr in Billigstpro-
duktionen – in zahllosen Folgen lateinamerikanischer Seifenopern oder Musikprogrammen
ohne irgendwelche Nachrichten und Informationen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit,
die 2001 rund zehn, 2009 16 Prozent betrug, und der im Durch-schnitt weiterhin niedrigen
Monatseinkommen können sich viele Kroaten den regelmäßigen Kauf von Zeitungen oder
Zeitschriften nicht leisten. Der Absatzmarkt von Print-erzeugnissen wird dadurch beträcht-
lich eingeschränkt. Tatsächlich ist die verkaufte Auflage bei vielen Publikationen rückläu-
fig. Einzig die Boulevardpresse erreicht noch Auflagen, mit denen sich leben lässt, während
Nachrichtenmagazine und Qualitäts-journalismus mit diesen Auflagezahlen schlicht nicht
finanzierbar sind. Einige unabhängige Printmedien mussten ihr Erscheinen einstellen, wäh-
rend andere unter Kontrolle der neuen oder der alten Machthaber seit Jahren riesige Defizi-
te schreiben, aber aus politischen Gründen gestützt werden.
Gerade das Schwinden einer unabhängigen und kritischen Medienöffentlichkeit könnte
dazu führen, dass sich der Demokratisierungsprozess und die weitere Annäherung an die
Europäische Union verlangsamen und gesellschaftspolitische Konfliktpotentiale damit
schnell wieder zum Manipulationsfeld der politischen Entscheidungsträger werden könn-
ten. Die Krise von professionellem und unabhängigem Journalismus in Kroatien ist generell
gesehen das Ergebnis einerseits der Krise der kroatischen Wirtschaft, andererseits der poli-
tischen und wirtschaftlichen Machtkämpfe, in die auch internationale Medien-konzerne
verwickelt sind. Während anfangs Kroatien das Bild eines staatlich und politisch dominier-
ten öffentlichen Medienraumes bot, in dem die Besetzung von Kaderstellen entlang politi-
scher und nicht professioneller Kriterien erfolgte, hat sich das Bild grundlegend gewandelt.
Die Versuche politischer Einflussnahme gab es zwar weiterhin, sie machte aber der wirt-
schaftlichen zunehmend Platz. Dieses düstere Bild wird indes von einigen Dutzend unab-
hängiger lokaler Radio- und Fernsehstationen aufgehellt, die ihre Vernetzung verstärken
konnten68.

67
„Hrvatska akademija znanosti zabrinuta za sudbinu hrvatskog jezika. EU ponovo uvodi srpskohrvatski“
[www.danas.co.yu/20070601/region1.html].
68
Zur Vereinigung unabhängiger Fernsehsender „NUT“ gehören acht Stationen, der Vereinigung unabhängiger
Radiostationen gehören 13 Sender an.

99
5. Das Mediensystem Sloweniens: Zwang zur Uniformität

Der bedeutendste slowenische zeitgenössische Schriftsteller, Dramatiker und Essayist,


Drago Jancar, soll niedergekniet sein und gebetet haben, es möge in Slowenien wenigstens
eine Zeitung erscheinen, die anders schreibt als die anderen Zeitungen. Slowenien besaß
2001 zwar etliche Zeitungen und Zeitschriften, doch über 80 Prozent befanden sich in der
Hand der alten Nomenklatura, ideologisch sogar zu 100 Prozent, wie der slowenische Jour-
nalist Saša Petelin im September 2001 auf einem Medienseminar im slowenischen Protoroz
meinte69. In Wahlkampfzeiten würden sich die Medien urplötzlich in Propagandamaschinen
für die Regierungsparteien verwandeln, und das hieße in Slowenien, wo mit Ausnahme
eines viermonatigen bürgerlichen Zwischenspiels im Jahr 2000 stets das linke Lager regiert
hätte, in eine linke Propagandamaschine. Der Vorsitzende des Fernsehrats der öffentlich-
rechtlichen Fernsehanstalt sei ein ehemaliger kommunistischer Parteichef. Als Petelin 2001
diese seine persönliche Sicht der slowenischen Medien-wirklichkeit beschrieb, hatten sich
im Gegensatz zu vielen anderen mittelost- und südosteuropäischen Transformationsländern
westliche Medienkonzerne in Slowenien noch nicht engagiert, mit Ausnahme des privaten
Fernsehsenders „POP TV“, in den die US-Amerikaner über eine Holdinggesellschaft einge-
stiegen waren, und eines privaten Fernsehsenders, den ebenfalls US-amerikanische In-
vesteure vor dem Ruin gerettet hatten. 2006 sah die Situation bereits völlig anders aus. Die
WAZ kündigte an, die slowenische Tageszeitung „Dnevnik“ kaufen zu wollen. Der slowe-
nische Journalist Rok Kajzer war davon wenig begeistert. Er wies darauf hin, dass dem
WAZ-Konzern bereits in Kroatien zehn Zeitungen und Zeitschriften gehören, darunter die
einflussreiche Tageszeitung „Jutarnji list“: „Auch in Serbien wurden die Investitionen ver-
stärkt, nachdem Bodo Hombach, ehemals Koordinator des Stabilitätspaktes für Südosteu-
ropa, den Konzern übernommen hat. Die Türen der einflussreichsten politischen Akteure
standen Hombach offen... Zweifelsohne stärkt der WAZ-Konzern mit der Investition in
Slowenien seine Stellung in der Region. Für die Besitzer und den Anzeigenmarkt ist das
begrüßenswert. Die Leser haben weniger davon, denn es bedeutet weniger Qualität und
weniger Pluralität.“70
Nach der Unabhängigkeit Sloweniens im Jahr 1991 wurden die drei größten Zeitungen
Sloweniens, „Delo“ [www.delo.si], „Veer“ [www.vecer.com] und „Dnevnik“
[www.dnevnik.si], privatisiert. Wenn es auch lange Zeit fast keine ausländischen Investo-
ren nach Slowenien zog, wie das in Ungarn, der Tschechischen Republik, Polen oder Ru-
mänien sehr bald passierte, wurde zumindest die Presse in Slowenien fast vollständig priva-
tisiert. Mit Ausnahme jener Aktien, die der Staat, Stiftungen und Firmen übernahmen, und
damit einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Redaktionen nehmen können. So wur-
den zum Beispiel nach den Wahlen 2004 die Chefredakteure bei „Delo“ und „Veer“ aus-
getauscht. Zuerst wurden jedoch die Mitglieder des Aufsichtsrates ausgewechselt, der wie-
derum den Chefredakteur ernennt. Die politischen Parteien veröffentlichen wöchentlich
oder 14-täglich auch eigene Blätter, außerdem ist ihr Einfluß auch in den einzelnen Redak-
tionen zu erkennen. Das wichtigste Schlachtfeld befindet sich in den großen öffentlich-
rechtlichen Sendern, im nationalen Rundfunkfernsehhaus „RTV SLO“. Mitglieder des

69
Vgl.: www.eab-berlin.de/berichte/portoroz0901/BerichtPetelin220901.PDF.
70
Kajzer, R.: Bitke medijskih velikanov. In: Delo, 11.3.2006
[www.eurotopics.net/de/presseschau/autorenindex/autor_kajzer_rok/]

100
Rundfunkrates sind auch politisch aktiv und die Beschlüsse des Rates haben oft politische
Hintergründe, wie wohl überall. In Slowenien ist für die Medien das Kulturministerium
zuständig. Das slowenische Medienrecht setzt sich im Wesentlichen aus drei Gesetzen
zusammen – dem allgemeinen Mediengesetz, dem speziellen Gesetz für den öffentlich-
rechtlichen Rundfunk „Radiotelevizija Slovenija“, und dem Telekommuni-kationsgesetz.
Das Bemühen um eine eigenständige Rolle der slowenischen Medien begann nicht erst
mit der Ausrufung des unabhängigen Staates Slowenien am 25. Juni 1991. Schon Jahre
vorher hatten sich in der Medienlandschaft Sloweniens Stimmen erhoben, die sich mit der
Frage nach dem Fortbestand Jugoslawiens kritisch auseinandersetzten. Der damalige Jugos-
lawien-Korrespondent der Deutschen Presseagentur DPA, Thomas Brey, berichtete schon
1988 von einem politischen Schlagabtausch zwischen Belgrad und Ljubljana. In dessen
Verlauf sprach die in Maribor erscheinende Zeitung „Veer“ davon, dass Jugoslawien aus-
einanderbrechen werde, sollte sich die Linie Serbiens durchsetzen. Kurz darauf schilderte
derselbe Korrespondent eine Aufsatzsammlung der in Ljbubljana erscheinenden „Nova
Revija“ mit dem Fazit, Slowenien könne sich bei anhaltendem Druck aus Belgrad aus allen
Bundesorganen zurückziehen und sich an die Vereinten Nationen wenden71. Die sloweni-
sche Jugendzeitschrift „Mladina“ stieg ebenfalls in die jugoslawien-kritische Debatte ein
mit heftigen Vorwürfen gegen die Armee und den Waffenexport. Anfang Juni 1988 stellte
die Armee drei slowenische Journalisten vor ein Militärgericht, weil sie, ebenfalls in der
Jugendzeitschrift „Mladina“, Militärgeheimnisse ausgeplaudert haben sollen. Mitangeklagt
wurde wegen Geheimnisverrats ein Fähnrich der jugo-slawischen Armee. Die Autoren
hatten einen Plan veröffentlicht, demzufolge das Militär einige hundert slowenische Intel-
lektuelle verhaften wollte mit dem Ziel, sie als Wortführer einer jugoslawienkritischen
Debatte mundtot zu machen. Dem Prozessverlauf konnten sich alle slowenischen Medien
nicht enziehen. Als den Angeklagten verboten wurde, ihre slowenische Muttersprache vor
Gericht zu benutzen, wallte eine Art nationale Empörung durch zahlreiche Blätter. Die vier
Angeklagten wurden zwar verurteilt, traten ihre Strafe jedoch nie an. Einer der Verurteilten
war übrigens Janez Jansa, Jugendfunktionär und Fachautor für Armeefragen, der nach der
Unabhängigkeit Sloweniens erste Verteidigungs-minister wurde.
Wer dann den Aufbruch vom Frühjahr bis zum Sommer 1991 miterlebt hat, weiß, dass
die slowenischen Medien, und allmählich auch der zunächst etwas zögerliche Koloss des
staatlichen Rundfunks und Fernsehens, maßgeblich die politischen Änderungen mitgetra-
gen haben. In den Redaktionsstuben von „Delo“, dem Parteiblatt in Ljubljana, fanden Dis-
kussionen statt, bei denen in vehementen Worten Parteienpluralismus und unabhängige
Medien gefordert wurden. Dann kam es zum denkwürdigen Tag nach der Unabhängigkeits-
erklärung. Wer sich damals am 26. Juni 1991 in der Innenstadt von Ljubljana aufhielt72 und
die öffentliche Feier zur Unabhängigkeit miterlebte, wird sich an zwei Jagdflieger erinnern.
Während der Rede von Präsident Kuan rasten sie im Sturzflug auf das Stadtzentrum zu,
um dann unter ohrenbetäubendem Lärm im Tiefflug wieder abzudrehen. Es folgte zwar
eine fröhliche Nacht, in der die Unabhängigkeit mit Musik und Tanz gefeiert wurde. Doch
am Morgen waren alle auf einen Schlag ernüchtert. Die Stadt war von Panzern belagert.
Der erste Krieg um die Unabhängigkeit begann. Die Sendemasten der Funk- und Fernseh-

71
Vgl. Thomas Brey, Die Logik des Wahnsinns. Jugoslawien – von Opfern und Tätern. Herder Verlag, Freiburg,
Basel, Wien 1993, S.81 ff.
72
Vgl. Johannes Grotzky, Balkankrieg. Der Zerfall Jugoslawiens und die Folgen für Europa. Piper Verlag,
München, Zürich 1993, S.15 ff.

101
stationen waren die ersten Ziele der Angriffe, um die einflussreichen Medien auszuschalten.
Eine Taktik, die sich in den nachfolgenden Kriegen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina
wiederholen sollte. Als die Unabhängigkeit errungen und gesichert war, stürzten sich die
Slowenen förmlich auf die neuen und nun freien Medien73, auf eine Vielfalt wie es sie in
den Jahrzehnten zuvor nie gegeben hatte74. Auf die gut zwei Millionen Einwohner Slowe-
niens (zum Vergleich: München hat rund 1,3 Millionen Einwohner, Berlin 3,5 Millionen
Einwohner) entfallen fünf überregionale Tageszeiten, die bereits im sozialistischen Jugos-
lawien existierten. Diese haben eine Gesamtauflage von ca. 340.000 Exemplaren, darunter
„Delo“ (93.000), „Slovenske Novice“ (82.000), „Veer“ (Maribor, 67.000), „Dnevnik“
(65.000), die Sportzeitung „Ekipa“ (30.000). Die Tageszeitung „Slovenec“ wurde als bür-
gerlich-konservative Neu-gründung betrieben, die aber ebenso wie die neugegründete Ta-
geszeitung „Republika“ nach wenigen Jahren wieder vom Markt verschwand. „Slovenec“
existierte von 1991 bis 1996, „Republika“ war von 1992 bis 1997 auf dem Markt. Mitte
1998 wurde dann die Tageszeitung „Jutranjik“ gegründet, die aber kurz darauf wieder ein-
ging. Hinzu kommen noch mehr als sechzig Lokal-, Regional- und Wochenzeitungen, mehr
als 280 Fach- und Publikumszeitschriften sowie zahlreiche andere Periodika, die wöchent-
lich oder monatlich auf den Markt gebracht werden. Für das Jahr 1999 gab die slowenische
Medienforschung75 einen Gesamtbestand an Periodika von stattlichen 794 Titeln an, eine
Zahl, die sich trotz aller Fluktuation bis dato nicht wesentlich verändert hat.
Diese eindrucksvolle Bilanz wäre unvollständig, würde man die Finanzschlachten um
den Einfluss auf die wichtigsten Zeitungsverlage und Redaktionen verschweigen. Hier
mischte sich die Aufbruchstimmung mit dem Kampf um den Machterhalt, der sich in Slo-
wenien immer wieder beobachten ließ. Abgesehen von den Meinungskämpfen in der Pres-
se, die gerade während der Wahlkämpfe das Niveau billiger Propaganda annimmt, muss
das Hauptinteresse den finanziellen Verquickungen, staatlichen Einflüssen und Beteili-
gungsmodellen gelten, die für einen Außenstehenden wenig durchsichtig sind. Die Schlacht
um die Tageszeitung „Delo“, die wichtigste Sloweniens, ging durch die Schlagzeilen. Der
Staat hielt 35 Prozent des Aktienbesitzes, ein weiterer Teil lag bei der „Nova Ljubljanska

73
Vgl. die Artikel von Sascha Petelin, ehem. Leiter der Slowenischen Redaktion der Deutschen Welle. Eine
Einschätzung der Transformation verschaffen Sandra B. Hrvatin und Marko Milosavljevi: Medijska politika v
Sloveniji v devetdesetih. Regulacija, privatizacija, koncentracija in komercializacija medijev. Mirovni Institut.
Ljubljana 2001. Vgl. auch http://www.mirovni-institut.si.
74
Eine Übersicht über die Medienlandschaft Sloweniens bieten verschiedene Anbieter im Internet. Besonders
klar ist das Angebot des „International Center for Journalists“ gegliedert. Es informiert über Media Law, Print
Media, Broadcast Media, Internet, Journalist Association, Bibliography, enthält zahlreiche Links und E-Mail-
Adressen ohne jedoch die Medienentwicklung in Slowenien selbst zu bewerten: www.ijnet.org/ Profi-
le/CEENIS/Slovenija/media.html. Einen weiteren Medienüberblick im Rahmen eines weltweiten Informati-
onsangebotes bietet www.politicalresources.net/Slovenija4.html. Vom Media Plan Institut Sarajevo stammt
www.mediaonline.ba mit Schwerpunkt der Medienentlicklung in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugos-
lawien. Ein privat zusammengestellter Medienüberblick Slowenien bietet zahlreiche Links zu Zeitungen, Zeit-
schriften, Radio- und Fernsehveranstaltern des Landes. www.zemljevid.com/zemljevid.html. Ein Informati-
onsangebot des Bayerischen Rundfunks, der im Rahmen des Stabilitätspaktes Südosteuropa den Aufbau unab-
hängiger Medien und die Umwandlung staatlicher Rundfunk- und Fernsehstationen in öffentlich-rechtliche
Einrichtungen unterstützt, liefert auch Bewertungen und Einschätzungen unter www.br-online.de/br-
intern/suedosteuropa. Ebenfalls ganz Südosteuorpa umfaßt eine reine Link-Sammlung, die entgegen ihrer In-
ternet-Adresse auch auf Zeitungen, Zeitschriften und Agenturen verweist www.radiojournalismus.de/ medien-
suedosteuropa.html.
75
Mediana – Media Research Institute, “A Media Portrait of Slovenija in the Third Millennium, 1991-1999”
zitiert nach “The structure of the media arena in Slovenija”
[www.mediaonline.ba/mediaonline/tekst_eng/1327.html].

102
Banka“, und 51 Prozent waren als Beschäftigtenbesitz ausgewiesen. Ebenso unklar sind in
vielen Fällen die staatlichen Einflüsse über die Bank, wie im Falle der „Nova Kreditna
Banka“ in Maribor, die Mitbesitzerin der Zeitung „Veer“ ist. Wer als ausländischer Inves-
tor trotz komplizierter Eigentumsverhältnisse und undurchsichtiger Einflüsse in den Markt
einsteigen wollte, wie etwa der WAZ-Verlag, konnte lange nur scheitern. Nach Gerüchten
hätte es auch direkte Interventionen des Staatspräsidenten vor ausländischem Engagement
gegeben, wie auch gezielte Einflussnahme auf die Besetzung des Chefredakteursposten bei
„Veer“.
Beklagt wurde auch die Beharrlichkeit, mit der sich alte Kader in wichtigen Führungs-
funktionen während der letzten zehn Jahren haben behaupten oder zurückkehren konnten76.
Im Frühjahr 2001 wurde ein Mediengesetz verabschiedet, das entscheidend war, zugleich
aber auch kritische Neuerungen brachte, kritisch in einem Maße, dass mancher von Zensur
und einem Schwund der lebendigen Demokratie sprach. Entlassungen würden mit leichter
Hand ausgesprochen, aus nichtigen Gründen, so beim slowenischen Musiksender „Val
202“. Radiodirektor Vinko Vasle kündigte dort einer Sprecherin, weil sie Ministerpräsident
Janez Jansa beleidigt hatte. In der Morgenshow hatte sie erwähnt, dass der Suchbegriff
‚Jansa‘ im Internet-Videoportal „YouTube“ als ersten Treffer ein Hundevideo zu Tage
fördert: Der regierungskritische Journalist Denis Sarki hatte dort nämlich einen Clip mit
seinem Hund Jansa hochgeladen. Ein solcher Vergleich gehöre verboten, fand Vasle, und
entließ die Sprecherin. Doch als der „Val-202“-Chefredakteur aus Protest zurücktrat, gab er
nach und stellte sie wieder ein. Die Geschichte scheint typisch für die Situation sloweni-
scher Medien: Einerseits gibt es seit Beginn der konservativen Regierung Jansa 2004 mas-
sive Zensurversuche, andererseits waren die Medien dem offensichtlich nicht hilflos ausge-
liefert. Sie wehrten sich hörbar und kritisierten die Regierung lautstark. Die Frage war also:
Gefährdet der konservative Premier Jansa die Pressefreiheit, oder sind die lebendigen Me-
dien ein Zeichen wachsender Demokratie? Die Regierung wurde von den Medien perma-
nent beschossen, und ließ kein gutes Haar an Jansa. Zu Recht, wie auch internationale Me-
dienorganisationen während der Regierungszeit Janšas verlauten ließen. Die Pressefreiheit
war nicht gefährdet, wenn es auch bedenkliche Vorkommnisse gab. Im Mai 2007 setzte die
Regierung die Direktorin der Nachrichten-agentur „STA“, die vollständig in staatlichem
Besitz ist, vorzeitig ab und besetzte den Posten mit Alenka Paulin, einer Pressesprecherin
Jansas. Die Berichterstattung sei nicht ausgewogen genug gewesen, so die Regierung. Wo-
gegen der Journalistenverband kritisierte, dass seither die gewohnten Objektivitätsstandards
aufgeweicht worden wären.
Im Fall von „Delo“ wandelte sich das Blatt gleich doppelt: Die größte Tageszeitung mit
50 Prozent Marktanteil versprach Qualität, bis Anfang Juni 2007 die Redaktion im Sinne
Janšas umbesetzt wurde. Nachdem die Bierbrauerei „Lasko“, deren Direktor ein Partei-
freund Jansas war, die Kontrolle über „Delo“ übernommen hatte, wurden 60 Prozent der

76
Die Südost-Europa-Medienorganisation (SEEMO) wies in diesem Zusammenhang im Oktober 2001 besonders
auf den Fall des Journalisten Miro Petek, Redakteur für die Tageszeitung „Vecer“, hin, der vor mehr als sieben
Monaten vor seinem Haus in Mezica überfallen worden war. Petek habe regelmäßig über die Verbindungen
zwischen Politikern und Kriminellen in seinem Land berichtet. Aus der Sicht von SEEMO sei die Tatsache,
dass die Angreifer bis heute nicht verhaftet wurden, Beweis für das unprofessionelle Vorgehen der Polizei. Vor
diesem Hintergrund drängte die Medienorganisation den slowenischen Präsidenten Milan Kuan, alles in sei-
ner Macht stehende zu tun, um die Verbrecher zu finden und die Sicherheit der Journalisten zu gewährleisten,
die in Slowenien arbeiten. Die Organisation protestierte offiziell gegen weitere Einschüchterungen von Journa-
listen in Slowenien.

103
Mitarbeiter ausgetauscht, unter anderem der Wien-Korrespondent Matihja Grah. Im Auf-
sichtsrat saß nun die Staatssekretärin Starina Kosem. Doch die fuhr nicht den von Janša
geplanten Kurs, sondern deckte dessen redaktionspolitische Einmischungen in einem sensa-
tionellen Brief an die Öffentlichkeit auf. Damit hatte die Zeitung ihre traditionelle Linie
wieder. Als die Regierung versuchte, die Blattlinie zu ändern, verlor „Delo“ an Glaubwür-
digkeit und bald an Leserschaft. Zwei Journalisten aus Print und Radio initiierten im Okto-
ber 2007 eine Petition, bei der 571 Journalisten unterschrieben, um die heimische und in-
ternationale Öffentlichkeit auf die Probleme in Slowenien aufmerksam zu machen77. Über
indirekte staatliche Beteiligungen an Medienhäusern habe die Regierung neue Chefredak-
teure und Direktoren durchgesetzt, die regierungskritische Inhalte zensieren, heißt es in der
Petition. Janša sah das anders: die regierungskritische Berichterstattung hindere vor allem
bei den Vorbereitungen auf den EU-Ratsvorsitz im Jahr 2008. Insbesondere die Petition
beschmutze das Image im Ausland, weil sie an viele Politiker im Ausland verschickt wur-
de. Die Regierung versuche permanent, die Medienfreiheit zu unterbinden, und es sei die
entscheidende Frage, wie erfolgreich sie dabei ist, klagte Evald Flisar, Chefredakteur der 72
Jahre alten Literaturzeitschrift „Sodobnost“, einer Zeitung, die bisher noch alles überlebt
hat. Slowenien hat ganz sicher eine fortwährende Diskussion um Medienfreiheit, die
manchmal kämpferisch und manchmal geschmacklos ist, doch das nutze in letzter Instanz
nur der Demokratie. Erst recht 2008, als Slowenien die Ratspräsidentschaft übernahm. Die
Medien insistierten auf ihrem Recht auf Pressefreiheit, vor allem hielten sie sich mit Kritik
nicht mehr in dem Maße zurück, da mit der Wahl des linken Präsidentschaftskandidaten
Danilo Türk klar wurde, dass die Tage der rechtskonservativen Regierung gezählt waren.

77
Initiatoren der Petition waren Blaž Zgaga von der Tageszeitung "Veer" und Matej Šurc vom staatlichen
slowenischen Rundfunk. Sie beschuldigen die Regierung Jansa, über Staatsbeteiligungen an Firmen unliebsa-
me Journalisten entlassen, versetzen und mundtot machen zu lassen. Texte würden gegen den Willen der Auto-
ren willkürlich verändert. Zu Beginn der EU-Ratspräsidentschaft bekräftigten diese Journalisten in einem offe-
nen Brief, es gebe in Slowenien Zensur, Schikanen und Schreibverbote. Sie forderten die Regierung in Ljub-
ljana auf, eine unabhängige Kommission zur Untersuchung von mutmaßlicher Regierungszensur und politi-
schem Druck auf die Medien des Landes einzurichten. Ein Gremium aus internationalen Experten solle die Si-
tuation der Medien in Slowenien beurteilen und für mehr Pressefreiheit in dem EU-Land sorgen. Im Parlament
in Ljubljana (Laibach) solle sich ein Ausschuss mit den Vorwürfen beschäftigen. Die Petition wurde auch an
die Regierungen aller 27 EU-Staaten geschickt. An das Europäische Parlament wurde appelliert, sich ebenfalls
für mehr Pressefreiheit in Slowenien einzusetzen. Die slowenische Regierung warf den protestierenden Journa-
listen mehrfach vor, Lügen zu verbreiten, die Öffentlichkeit in Slowenien und im Ausland über die Lage der
slowenischen Medien falsch zu informieren und das Land zu diskreditieren. Auf die Frage, ob es stimme, dass
er über staatsnahe Fonds und Eigentümer unliebsame Chefredakteure und Journalisten in slowenischen Medien
auswechseln lasse, sagte Premier Janez Janša, das werde „alles maßlos übertrieben“. In Slowenien herrsche
Meinungsfreiheit. Premier Janez Janša gab eine Studie über Medienfreiheit im Land in Auftrag. Diese löste
neue Proteste unter Journalisten aus, wie Darijan Košir im „Delo“ schrieb. Die Studie werde von entsprechend
regierungstreuen Publizisten durchgeführt, und gebe keinen Aufschluss über den Stand der Pressefreiheit in
Slowenien. Harte Kritik kam auch von ausländischen Korrespondenten. So titelte Enver Robelli im Schweizer
Tagesanzeiger: „Medienzensur im EU-Musterland: Slowenien knebelt die Medien“. Die Brüssel-
Korrespondentin der deutschen „Welt“, Hannelore Crolly, vertrat die Ansicht, der Kampf der slowenischen
Journalisten um mehr Pressefreiheit zeige einmal mehr, dass Premier Janez Janša seiner Aufgabe bei der Füh-
rung der EU-Präsidentschaft offensichtlich nicht voll gewachsen sei.

104
5.1 Die Tages- und Wochenzeitungen

Von den in Slowenien erscheinenden, überregionalen Zeitungen kann man die folgenden
als seriös bezeichnen: die zwei größten Zeitungen Sloweniens, der „Veer“ („Abend“) und
die „Primorske Novice“ [www.primorske.si], die Wirtschaftszeitungen „Finance“
[www.finance.si], und „Podjetnik“ [www.podjetnik.com], sowie die in englischer Sprache
verfasste „Slovenia Business Week“ [www.gzs.si/eng/news/sbw/] und die Wirtschafts-
zeitung „Delo“ [www.delo.si]. Gemessen am europäischen Standard ist „Delo“78 freilich
kein großer Verlag79. Auf einem Markt von zwei Millionen Lesern hat „Delo“ einen Markt-
anteil von mehr als 60 Prozent und ist damit eindeutig der Marktführer. Obwohl die Tages-
zeitung „Delo“ seit mehr 50 Jahren herausgegeben wird, ist sie keinesfalls ein Sprachrohr
der Mächte und Ideologien der Vergangenheit. Die Journalisten und Redakteure befreiten
sich vom Einfluss der Machtstrukturen der 1980er Jahre und trugen unter dem Slogan „Ei-
ne unabhängige Zeitung für ein unabhängiges Slowenien“ auf vielerlei Art aktiv und maß-
geblich zu der Bewegung bei, die zu einem demokratischen und unabhängigen Staat Slo-
wenien führte. Mit 150 Journalisten, zehn Korrespondenten von New York bis Peking und
Büros in allen größeren Städten Sloweniens ist „Delo“ heute die wichtigste Zeitung in Slo-
wenien. In ihren zahlreichen Rubriken berichtet „Delo“ umfassend und unvoreingenommen
über alle wichtigen Themen, trägt zur öffentlichen Meinungsbildung bei und ist Pflichtlek-
türe für Wirtschaftswissenschaftler und Politiker, und den Großteil der Slowenen. Mit einer
täglichen Auflage zwischen 90 und 120.000 Exemplaren erreicht sie bis zu 570.000 Leser,
mehr als ein Drittel der slowenischen Leserschaft. Kurz gesagt, die Tageszeitung „Delo“ ist
zusammen mit ihrer Sonntagsausgabe „Nedelo“ eines der wichtigsten Druckerzeugnisse des
Landes80.
Die „Slovenske novice“ („Slowenische Nachrichten“) ist die beliebteste Boulevard-
zeitung Sloweniens. Sie bietet einfache und unterhaltsame Lektüre und wird zur Zeit von
den meisten Slowenen regelmäßig gelesen. „Slovenske novice“ werden die größten Ent-
wicklungschancen nachgesagt. „Delo“ und „Slovenske Novice“ bieten ihren Lesern täglich
Beilagen zu speziellen Themen, außerdem jede Woche zwei farbige Beilagen: „Delo &
Dom“ („Arbeit & Heim“) und „Vikend magazin“ („Wochenendmagazin“). Diese Beilagen

78
„Delo“ ist eine Aktiengesellschaft. Mehr als 50 Prozent der Aktien sind im Besitz der Mitarbeiter. Jeweils 20
Prozent werden vom Staat und von Nichtmitarbeitern gehalten.
79
Er kann immerhin auf 300 Mitarbeiter, zwei Tageszeitungen mit einer Auflage von jeweils 100.000 Stück, eine
eigene Druckerei, ein landesweites Vertriebsnetz, fünf Fachzeitschriften und eine eigene Werbeagentur ver-
weisen.
80
Der größte Anteilseigner der Tageszeitung „Delo“ („Delo“ ist seit 1995 Aktiengesellschaft) ist die Brauerei
„Lasko“, der größte der Tageszeitung „Dnevnik“ ist der DZS-Verlag. Die Tageszeitung „Delo“ kaufte 2007
19,9% der Aktien der Zeitung „Vecer“ – das Mediengesetz erlaubt nur einen 20-prozentigen Anteil). Der größ-
te Besitzer von „Vecer“ ist die „KBM Infond“, der auch große Anteile der Tageszeitung „Dnevnik“ gehören,
weil sie einige Aktienanteile am „DZS-Verlag“ besitzt. „Dnevnik“ besitzt auch einen 8-Prozent-Anteil der
regionalen Tageszeitung „Primorske novice“. Bis 2000 gab es keine ausländischen Investoren im slowenischen
Printbereich. 2000 hat die schwedische Korporation „Bonnier AG“ mit ihrem Partner „Dagens Industri“ 3
Millionen Euro in die Tageszeitung „Finance“ investiert. 2000 besaß die österreichische Firma „Laykam“ 27
Prozent der Aktien der Tageszeitung „Veer“, wobei „Leykam“ im Mai 2005 die Aktien verkaufte, die wie-
derum die Tageszeitung „Delo“ übernahm. Weitere ausländische Firmen, die auf dem slowenischen Medien-
markt tätig sind, sind die deutsche „Burda“ (Burda gibt „Playboy“, „Elle“, „Lisa“, „Men´s health“ und die
Wochenzeitung „Nova“ heraus), der österreichische „Styria“-Verlag, der die Wochenzeitung „Žurnal“ heraus-
gibt, und die erwähnte Firma „Leykam“ (Wochenzeitung „Dober dan“).

105
erhöhen den Marktwert der Zeitungen, weil viele Unternehmen gerne in ihnen Werbeanzei-
gen schalten. „Delo“ ist das einzige slowenische Unternehmen, das alle wichtigen Tätigkei-
ten im Verlag – von der redaktionellen Bearbeitung aller Ausgaben über das Drucken der
Zeitungen bis hin zum Vertrieb – selbst erledigt und davon auch profitiert. Das Vertriebs-
netz von „Delo“ deckt mehr als 80 Prozent Sloweniens ab und kann mit dem Postdienst
mithalten. Die Strategie des „Delo“-Verlagshauses, zwei Publikationen auf den sloweni-
schen Markt zu bringen, die alle Leser ansprechen und gleichzeitig hohe Qualität und einen
internationalen Standard haben, hatte Erfolg. Die rasante Entwicklung in den vergangenen
Jahren hat bereits zu einigen neuen Investitionen geführt: so konnte zum Beispiel eine neue,
moderne Druckerei gebaut werden. Wichtige Tageszeitungen in Slowenien sind außerdem
die „Demokracija“ [www.demokracija.si], der linksliberale „Dnevnik“ [www.dnevnik.si] –
den der Journalist Igor Drakuli als „Lightversion“ des „Delo“ bezeichnete – mit seiner
Wirtschaftszeitung „Poslovni Dnevnik“ [www.dnevnik.si/ poslovni_dnevnik], die katholi-
sche Tageszeitung „Družina“ [www.druzina.si], die Sportzeitung „Ekipa“ [www.ekipa.org],
und die „Ljubljanske Novice“ [www.mtaj.si].
Wöchentlich erscheinen folgende Zeitungen: „Mladina“, das älteste und einflussreichste
politische Magazin [www.mladina.si], „MAG“, „Žurnal“, „Novinarsko astno Razsodiše“
[www.razsodisce.org/razsodisce/razsodisce.php], und die englischsprachige „Slovenia
Times“ [www.sloveniatimes.com]. An Zeitschriften gibt es: „Gloss“, und die vom „Delo“-
Verlag herausgegebenen Zeitschriften „Lady“, „Jana“, „Obrazi“, „Eva“, „Modna Jana“ und
„Ambient“. Zu den Boulevardzeitungen zählen die Zeitungen „24ur“ [http://24ur.com],
„Direkt“ und „mojsplet“81. Die österreichische Styria Medien AG, die mit 25 Prozent an der
slowenischen „Dnevnik“-Gruppe beteiligt ist, verkündete im September 2005, Slowenien
bekomme eine zweite Boulevard-Zeitung namens „Direkt“. Chefredakteur Bojan Pozar
verkündete, er wolle seinen Lesern auf mindestens 20 Seiten täglich „attraktive Fotos und
fesselnde Artikel aus Freizeit, Medien, Sport, Kultur, Wirtschaft, Politik und Kriminalität
servieren“. Er rechne seine Zeitung nicht zur „Yellow Press“, sondern zur „populären Pres-
se“, meinte Pozar, der zuvor beim Konkurrenz-Verlag „Delo“ beschäftigt gewesen war.
„Direkt“ kostete damals 99 Tolar (41 Cent) und sollte die Gründungskosten spätestens nach
drei Jahren wieder eingespielt haben. Die Auflage setzte man mittelfristig bei täglich
36.000 Exemplaren an. Die Zeitungen verkauften sich vor allem dank ihrer reißerischen
Artikel. Nach Meinung kritischer Leser sei sie noch schlimmer als die große Konkurrentin
„Slovenske Novice“. Zu den Regionalzeitungen zählen der in Maribor erscheinende „Ted-
nik 7dni“, der zur „Veer“-Gruppe gehört [www.vecer.com/7d/], „Dolenjski list“ aus Novo
Mesto, „Domzale-on“ [www.domzale-on.net], „Gorenjski Glas“ aus Kranj
[www.gorenjskiglas.si], das in Maribor erscheinende Anlage- und Wirtschaftsmagazin
„Kapital“ („Revija za Naložbo Denarja“) [www.revijakapital.com], „Kmeki Glas“
[www.kmeckiglas.com], der „Novi Tednik“ aus Celje [www.novitednik.com], „Postojna“
aus Postojna, „Pomurski vestnik“ aus Murska Sobota, „Dobro jutro“ aus Maribor, und

81
Unter den Tageszeitungen hat die „Slovenske novice“ mittlerweile die meisten Leser (302.000), gefolgt von
„Delo“ mit 220.000 Lesern, „Veer“ mit 197.000, und „Dnevnik“ mit 150.000. Die Sport-Tageszeitung „Eki-
pa” hat 42.000 Leser. Die beiden stärksten Tageszeitungen gleichen sich was Kapital und Redaktionsstil be-
trifft, und beherrschen zusammen 60 Prozent des slowenischen Marktes. Auflage: „Delo” – 92.000, “Slo-
venske Novice” – 80.000, “Veer” – 72.000, “Dnevnik” – 71.000, und “Nedeljski dnevnik” 182.000. Bei den
Wochenzeitungen belegt der “Nedeljski dnevnik“ den ersten Platz (455.000 Leser). Lokale und regionale Zei-
tungen haben eine Auflage von rund 200.000 Exemplaren (17 Prozent des Medienmarktes), vgl.: The structure
of the media arena in Slovenija, www.mediaonline.ba/mediaonline/tekst_eng/1327.htm.

106
„Žurnal“ aus Ljubljana. Slovenische Pressagenturen sind die „STA“, die „Slovenska
tiskovna agencija“ [www.sta.si], und die „Tiskovna agencija Morel“ [www.morel.si].
Auch die slowenische Volksgruppe im österreichischen Kärnten verfügt selbst-
verständlich über eigene Medien. Es gibt die Wochenzeitschrift „Novice“ und die sloweni-
sche Kirchenzeitung „Nedelja“. Außerdem geht ein tägliches Hörfunkvoll-programm über
den Äther. Im staatlichen Fernsehen des ORF werden wöchentlich die Sendung „Dober
Dan, Koroška“ und der wöchentliche Beitrag „Servus, sreno, ciao“ in der Sendung „Kärn-
ten heute“ ausgestrahlt. Die slowenischsprachige Radioprogrammgestaltung wurde ab 2001
stark weiterentwickelt. Nach der Erprobung eines Tagesvollprogrammes wird seit März
2004 auf der Grundlage eines neuen Kooperationsvertrages zwischen ORF, „Radio dva
GmbH“ und dem Verein „Agora“ ein durchgängig slowenisches Programm auf der Fre-
quenz 105,5 MHz gestaltet. Das neue Angebot wurde damit deutlich über das bis dahin
täglich 50-minütige Hörfunkprogramm erweitert. Betreut wird es vom personell aufge-
stockten Team der slowenischen Redaktion im ORF-Landesstudio Kärnten. Damit sei ein
langfristiges Programmangebot für die slowenische Volksgruppe gesichert, hieß es aus dem
Volksgruppenbüro Kärnten. Der Neustart dieses Radiovollprogrammes wurde mit einmali-
gen Subventionen zu gleichen Teilen vom Land Kärnten, Bund und der Republik Slowe-
nien ermöglicht.

5.2 Fernsehen und Rundfunk

Die Bilanz bei den elektronischen Medien ist auf den ersten Blick sehr eindrucksvoll. Die
früher staatliche, heute öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt „RTV Sloveni-
ja“ ist immer noch mit über 2.200 Angestellten überdimensioniert und nicht frei von staatli-
chem Einfluss. „RTV Slovenija“ [www.rtvslo.si] als öffentlich-rechtlicher Anbieter produ-
ziert landesweit zwei Fernsehprogramme und ist an einem dritten landesweiten Kanal in
Koopertion mit anderen beteiligt; ferner gibt es drei Regionalprogramme sowie zwei natio-
nale Minderheitenprogramme in Italienisch und Ungarisch. Überdies gelten neun lokale
Programme als nicht-kommerzielle Fernsehprogramme. Außerdem produziert „RTV Slo-
venija“ neun öffentlich-rechtliche Hörfunkprogramme sowie zwei Studentenprogramme
(„Radio Student“ und „Radio MARS“). Hinzu kommen gut zwei Dutzend nicht-
kommerzielle Radioprogramme, die in lokaler Verantwortung, aber mit Unterstützung von

107
„RTV Slovenija“ arbeiten82. Der Aufbruch in den lokalen nicht-kommerziellen Radiomarkt
stammt aus der Zeit vor der Wende, wurde dann aber zwischenzeitlich durch das erste Me-
diengesetz 1994 in Slowenien und durch die Statuten von „RTV Slovenija“ reguliert und
seit 1996 neu organisiert. „RTV Slovenija“ selbst finanziert sich zu etwas über 70 Prozent
aus Gebühren, die ähnlich wie in Deutschland erhoben werden. Eine weitere Geldquelle ist
die Werbung, die etwas meh als 20 Prozent zum Etat beiträgt. Das öffnet eine Deckungslü-
cke von etwa 2,5 Millionen US-Dollar jährlich im Finanzhaushalt von „RTV Slovenija“83.
Der staatlichen „RTV Slovenija“ stehen eine Vielzahl erfolgreicher kommerzieller Anbieter
gegenüber. Zunächst einmal waren die privaten Radiostationen – im Jahr 2000 wurden 46
private Radioanbieter registriert – wie Pilze aus dem Boden geschossen. Meist von Wer-

82
Das öffentlich-rechtliche erste Programm von „Radio Slovenija” (Program A) hat die größte Zahl an Hörern
(259.000), gefolgt von „Radio Slovenijas“ zweiten Programm („VAL 202“). Das am höchsten bewertete
kommerzielle Radioprogramm ist „Radio HIT” (91.000 Hörer). Das populärste nicht-kommerzielle Programm
hat „Radio Smarje” (79.000 Hörer). Das Fernsehprogramm “POP TV” wird von 941.000 Slowenen gesehen,
und das erste Programm des öffentlichen Fernsehens sehen 587.000 Slowenen. An Regionalsendern gibt es
außerdem „TV Koper“ und „TV Maribor“. Das öffentlich-rechtliche „Radio Slovenija“ hat drei Sender: Radio
Slovenija A1 – 1. Programm, Radio Slovenija 2 – 2. Programm-VAL202, und Radio ARS – 3. Programm. Re-
gionale Radiosender: Radio Koper, Radio Maribor, Radio Slowenien International (Maribor). Privatfernsehen:
POP TV (multimediales Zentrum www.24ur.com) mit dem Schwesterkanal KANAL A, Net tv – Kabel (Ma-
ribor), Prva TV – Kabel (Ljubljana), Paprika TV (Ljubljana), Pika Teve (Ljubljana), Idea TV (Murska Sobo-
ta), Carli TV (Populäre Musik), MTV Adria, TV Petelin (Volksmusik), u.v.a. Außerdem 30 lokale und kom-
merzielle TV Sender www.gov.si/srd/. Private Radiostationen: Radio Ognjisce (katholisch), Radio City, Radio
Hit (Ljubljana) u.v.a. An landesweit ausgestrahlten Programmen gibt es [Quelle: RS Broadcasting Council
Brochure: Radio and TV Programs in Slovenia, 1999; zitiert nach www.mediaonline.ba/ mediaonli-
ne/tekst_eng/1327.htm]: SLO 1 (öffentl.-rechtl.), geschätzte Reichweite: 97%, Organisation und Sitz: RTV
Slovenija, Ljubljana; SLO 2 (öffentl.-rechtl.), geschätzte Reichweite: 95%, RTVSlovenija, Ljubljana; Kanal A
(kommerziell), 80%, Kanal A, Ljublijana; TV 3 (kommerziell), 75%, TV 3, Ljubljana; POP TV (kommerziell),
80%, MM TV1, Ljubljana/Tele 59, Maribor/Robin TV, Nova Gorica. An regionalen TV-Programmen (Reich-
weite 10-50% der Bevölkerung) [Quelle: RS Brodcasting Council Brochure: Radio and TV Programs in Slo-
venija, 1999 [zitiert nach www.mediaonline.ba/mediaonline/ tekst_eng/1327.htm]: Gajba TV (kommerziell),
geschätzte Reichweite: 1 Mio., Org. und Sitz: EURO TV, Ljubljana/IDEA TV, M. Sobota/Tele 59, Maribor;
VTV (lokal, nicht-kommerziell), 750.000, VTV Studio, Velenje; Vaš Kanal d.o.o., Novo Mesto (lokal, nicht-
kommerziell), 250.000, Televizija Novo Mesto, Novo Mesto; TeVe Pika (lokal, nicht-kommerziell), 250.000,
Televideo, Ljubljana; TV Primorka (lokal, nicht-kommerziell), 300.000, Video Audio Film, Sempeter pri Novi
Gorici.
83
Fünf Fernsehkanäle können von 75% der Bevölkerung gesehen werden. Zwanzig Kanäle sind auf Ka-
bel. Öffentlich-rechtliches Fernsehen in Slowenien ist „Radiotelevizija Slovenija“ (RTV SLO), das über zwei
TV- und drei Radioprogramme verfügt. Die öffentlich-rechtliche Zentrale ist in Ljubljana (Laibach) stationiert,
wo die oben genannten Programme für das ganze Land ausgestrahlt werden. Die drei größten Regionalzentren,
die zu RTV SLO gehören, befinden sich in Maribor (Marburg an der Drau), Koper (Capodistria), wo auch das
gleichnamige TV-Programm für die italienische Minderheit in Slowenien gemacht wird und in Lendava (wo
das TV Program „Mostovi – Hidak“ für die Ungarische Minderheit in Slowenien gemacht wird. Es gibt auch 5
regionale Korrespondentenbüros: Murska Sobota, Celje, Novo Mesto, Nova Gorica, Brezice. Internationalen
Korrespondenten von TV Slowenien sind in New York, Moskau, Zagreb, Belgrad und Berlin. In den letzten 13
Jahren entwickelte sich eine ernste Konkurrenz. Der kommerzielle TV-Sender POP TV strahlt 2 Programme,
Pop TV und Kanal A, aus. POP TV produziert auch Radionachrichten für kleine private Radiostationen. Pop
TV hat auch Regionale Korrespondenten und Internationale Korrespondenten aus Washington, Zagreb und
Belgrad. Die größte Tageszeitung Delo hat Korrespondenten in Moskau, New York, Belgrad, Podgorica, Zag-
reb, Wien. 72,8 % des Haushalts von RTV Slowenien stammt aus Gebühren (11 EUR monatlich). Der Rest
kommt aus Werbung, Sponsoren, Musik und audiovisuelle Produktion, Konzerte, Verlag und Staat. Der öffent-
lich-rechtliche Rundfunk in Slowenien wird aus dem staatlichen Budget, der Rundfunkgebühren (ca.10 Euro
monatlich) und aus der Werbung finanziert. Die privaten Medien sind meistens als Aktiengesellschaften kon-
stituiert und finanzieren sich durch Werbung. Der Besitzer von „POP TV“ und „A Kanal“ sind die US-
amerikanischen „Central European Media Enterprises“ (CME). Der Besitzer von „Prva TV“ ist der kroatische
Unternehmer Ivan Caleta.

108
bung und Musik dominiert, spielen diese Lokalsender bei der öffentlichen Meinungsbil-
dung eine eher untergeordnete Rolle. Einer dieser privaten Sender, „Radio Ognjisce“, mit
religiösem Hintergrund erreicht mehr als zwei Drittel der Gesamtbevölkerung. Große Popu-
larität genießen auch die landesweiten privaten Fernsehkanäle „Kanal A“ und „Pop TV“.
Beide zusammen nehmen auf dem freien Markt durch Werbung und Programmvermark-
tung soviel ein wie das gesamte Jahresbudget von „RTV Slovenija“ ausmacht, ungefähr 30
Millionen US-Dollar. Außerdem gibt es den Angaben des Rundfunk- und Fernsehrates von
Slowenien zufolge insgesamt mehr als vierzig Fernsehprogramme, von denen einige jedoch
nur über Kabel zu empfangen sind und damit nicht den vollen Lizenzbedingungen unterlie-
gen wie andere Programmanbieter.
Was auf dem Zeitungsmarkt lange praktisch kaum in Gang kam, die Beteiligung ausländi-
scher Investoren, wurde auf dem elektronischen Medienmarkt rasch zur Normalität: Hinter
„Kanal A“ steht als Unternehmen „SBS Broadcasting“, das in mehreren Staaten aktiv ist.
Hinter „Pop TV“ steht „CEM Central European Media“, ein Unter-nehmen, das auch in
anderen Reformstaaten im östlichen Mitteleuropa bis zur Ukraine aktiv ist und sein Geld
u.a. im Mobilfunknetz verdient. Eingebettet in dieses Unternehmen ist die Produktionsfir-
ma „Pro Plus“, die auch das Programm „Gajba TV“ verantwortet hat. Diese privaten Anbie-
ter sind mehrfach verwarnt worden, weil sie gegen die Auflagen bei der Werbung und beim
Anteil von Eigenproduktionen verstoßen haben. Im Klartext: Die vorgeschriebenen zehn
Prozent slowenischer Eigenproduktionen wurden nicht erreicht. Das täglich erlaubte Ma-
ximum an Werbezeit wurde häufig überschritten. Dahinter verbirgt sich schlicht ein kom-
merzieller Grund. Um immer neue Werbekunden anzulocken, wurden die Werbepreise im
Privatfernsehen ständig gesenkt. Das hatte zwangsläufig eine Ausdehnung der Werbezeit
zur Folge, damit wenigstens ein Teil der Finanzziele erreicht werden konnte. Angesichts
dieser Entwicklung stellen Medienfachleute die Frage, ob der slowenische Markt nicht
einfach zu klein ist, um diese Flut an werbefinanziertem Privatfernsehen überhaupt auf
Dauer zu verkraften. Dabei wird oft genug die Befürchtung geäußert, dass zahlreiche priva-
te Programme in Slowenien Gefahr laufen, zu reinen Werbe- und Shoppingkanälen zu
verkommen. Zum erheblichen Anteil an US-amerikanischen Produktionen, der bis zu 80
Prozent ausmacht, kommt ein erheblicher Anteil an lateinamerkanischen Seifenopern und
anderem, was aber der Popularität der privaten TV-Anbieter offensichtlich keinen Abbruch
tut. Trotzdem schreiben die privaten TV-Sender in Slowenien immer noch rote Zahlen.
Dies gilt auch für den dritten privaten Anbieter „TV 3“. Dieser Sender bietet sich, unter
Einfluss der katholischen Kirche, als landesweite slowenische Alternative zu den Pro-
grammen von „RTV Slovenija“ an, kann aber kaum mehr als drei Prozent der Zuschauer
erreichen.
Fazit: Von den strukturellen Rahmenbedingungen her kann in Slowenien medienpoli-
tisch von einer Vollversorgung, wenn nicht sogar von einer Überversorgung gesprochen
werden. Die große Zahl an Printmedien erscheint gemessen an der Bevölkerungszahl zu-
dem in hohen Auflagen. 97 Prozent der slowenischen Haushalte sind mit Fernsehgeräten
ausgestattet. Damit kann gerade das Fernsehen die Meinungsbildung erheblich beeinflus-
sen. Knapp die Hälfte aller Haushalte verfügt außerdem über Kabelfernsehen und mehr als
20 Prozent der Haushalte können Fernsehen über Satellit empfangen. In die slowenischen
Kabelnetze werden neben den einheimischen Programmen noch an die 30 ausländische
(deutsche, österreichische, britische, amerikanische u.a.) Programme eingespeist. Somit
besteht auch hier ein vergleichbarer Wettbewerb zu den übrigen europäischen Staaten. Der

109
durchschnittliche tägliche Medienkonsum umfasst in Slowenien gut sechs Stunden84. Die
eindrucksvolle Bilanz des Medienmarktes ist jedoch nur die eine Seite der Medienland-
schaft Sloweniens. Auf der anderen Seite stehen langjährige Kontroversen um die rechtli-
che Absicherung der Medien, verbunden mit Regularien, die einerseits den Ansprüchen der
Europäischen Union sowie der „EBU“ (European Broadcasting Union) nach Entstaatli-
chung entsprechen sollen; andererseits aber wollten die verantwortlichen Politiker ihren
bislang ausgeübten Einfluss auf die Medien vor allem im früher staatlichen Sektor nicht
ohne weiteres aufgeben. Die Defizite des ersten Mediengesetzes nach der Wende von 1994
wurden in zahlreichen Kommissionen und parlamentarischen Ausschüssen debattiert. Ein
schwieriger Aspekt war (nach altem Gesetz) die Vergabe von Frequenzen für neue Anbie-
ter. Hier wurde in Slowenien auch der Vorwurf des Frequenzhandels erhoben. Eine zweite,
mit europäischem Recht unvereinbare Regelung war die Begrenzung für ausländisches
Kapital. Im ersten Mediengesetz nach der Wende durfte ausländisches Kapital in einem
slowenischen Unternehmen, das Tageszeitungen herausgibt oder Rundfunk- und Fernseh-
sendungen produziert, 33 Prozent nicht übersteigen. Ein Protektionismus, der gegen die
Überfremdung in den Medien gedacht war, aber den massiven Zugriff amerikanischer Pro-
duktionen auf das Fernsehen nicht verhindert hat. Gleichwohl hat diese Regelung den Ein-
stieg ausländischer Unternehmen in den Markt der Printmedien deutlich behindert, was
wiederum auf Kosten einer wünschenswerten neuen Pluralität in der Tagespresse gegangen
ist.
Etwa ein Drittel der Medien erhält Zuwendungen aus dem Staatshaushalt. Das ist ebenso
ein Indiz für Staatsnähe wie die Tatsache, dass in vielen Medien der gleiche Personenkreis
Verantwortung trägt, der bereits vor der Wende dort vertreten war85. Im Zeitungsspektrum
war es bürgerlich-konservativen Neugründungen nicht gelungen, sich auf dem Markt zu
behaupten. Daraus ergibt sich die Frage, ob die Medien in Slowenien schlechthin vorein-
genommen und traditionell links einzustufen sind mit eventuellen Auswirkungen auf die
politische Meinungsbildung des Volkes, wie es von rechten Politikern in Slowenien be-
hauptet wird. Gleichzeitig war Slowenien bereits in den 1980er Jahren ein Sonderfall, der
eine große Medienvielfalt aufwies86. In der Diskussion um rechtliche Neuregelungen des
Medienmarktes in Slowenien wurden folgende Punkte aufgegriffen: die Rolle der nicht-
kommerziellen unabhängigen Anbieter; das notwendige Ausmaß an Informations-
sendungen und einheimischen Produktionen sowie fehlende Sanktionen bei Verstößen
gegen Werbe-auflagen. Am Ende einer mehrjährigen Debatte legte schließlich das Kultur-
ministerium den Entwurf eines völlig neuen und schon im Vorfeld umstrittenen Medienge-

84
Auf das Radio entfallen 180 Minuten (Deutschland: 206 Minuten), auf das Fernsehen 156 Minuten (Deutsch-
land: 185 Minuten), auf das Zeitunglesen 16,1 Minuten (Deutschland: 30 Min.), auf Zeitschriften 7,3 Minuten
(Deutschland: 10 Minuten) und auf das Internet 3,1 Minuten (13 Minuten). Eine rasante Entwicklung hat auch
das Internet in Slowenien genommen. Bereits 1999 waren mehr als 3.300 slowenische Internetseiten registriert.
Schon damals nutzten 18,4 Prozent oder 309.000 Einwohner Sloweniens im Alter zwischen 10 und 75 Jahren
das Internet. Man darf annehmen, daß sich diese Menge der Internetseiten wie deren Nutzung exponentiell er-
weitert hat. Einen ersten Überblick gibt die Reihe „Aktuelle WWW-Resourcen zu Osteuropa. Teil I: Slowe-
nien“ in Osteuropa 4/5, 2001, S. 623-626 sowie die Internetadresse http://www.osteuropa.rwth-
aachen.de/links.html.
85
Vgl. Pazmandi, Susanne/Altmann, Franz-Lothar: Slowenien. In: Den Wandel gestalten – Strategien der Trans-
formation. Bd. 2, Dokumentation der internationalen Recherche, Carl Bertelsmann-Preis 2001, Hrsg. v. Wer-
ner Weidenfeld, Gütersloh 2001, S.251.
86
Im Hinblick auf die Transformation des Landes weisen Pazmandi und Altmann gerade den Aufsätzen und
öffentlichen Diskussionen in Zeitschriften wie „Mladina“ von der Jugendorganisation, dem Universitätsblatt
„Tribuna“ und der „Nova Revija“ eine wichtige Rolle für die Einleitung der Transformation zu.

110
setzes87 vor, das schließlich im Frühjahr 2001 verabschiedet und am 11. Mai 2001 im
Amtsblatt veröffentlicht wurde und zwei Wochen später in Kraft trat. Eine Vorprüfung
dieses neuen, nun gültigen slowenischen Mediengesetzes hat auch durch eine Experten-
kommission des Europarates zu vehementer Kritik geführt. Denn nunmehr gehört Slowe-
nien, das sich so sehr um europäische Standards bemüht, zu den wenigen Staaten Europas,
in denen die Rundfunkregulierung in die Kompetenz der Regierung fällt. Die Experten
äußerten außerdem schwere Bedenken gegen die Paragraphen, in denen das Gründungs-
recht für öffentliche Rundfunkanstalten der Regierung zugewiesen wird. Damit drohe eine
unzulässige politische Einflussnahme auf die Medien. Diese Schlussfolgerungen aus dem
Bericht der Expertenkommission des Europarates zogen Sandra B. Hrvatin und Marko
Milosavljevi, Medienwissenschaftler im Fachbereich Soziologie der Universität Ljublja-
na88. Auch nach Einschätzung der Brüssler EU-Behörden hat Slowenien noch Nachholbe-
darf beim freien Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation und der Medien89.
Schlimmer noch fielen die Reaktionen innerhalb Sloweniens aus. Offensichtlich war es der
Regierung gelungen, nahezu alle Betroffenen mit diesem neuen Mediengesetz zu verärgern.
Die kommerziellen Anbieter sahen eine Wettbewerbsverzerrung, weil das nationale öffent-
lich-rechtliche Fernsehen durch das Mediengesetz wirtschaftlich gestärkt wird. Der öffent-
lich-rechtliche Anbieter „RTV Slovenija“ wiederum meinte, die Gebühren-frage sei unzu-
reichend gelöst, um die im Gesetz vorgeschriebenen Pflichtprogramme einschließlich der
fremdsprachigen, das heißt der italienischen und ungarischen Minderheitenprogramme,
sowie die Programme zur Pflege der slowenischen Kultur und Identität angemessen zu
produzieren. Die Journalisten schließlich griffen mit ihrer Kritik das Gegendarstellungs-
recht an, das ihrer Meinung nach nicht ausreichend sei und der Regierung zu viele Ein-
griffsmöglichkeiten biete. Aus derselben Richtung stammt der Vorwurf, daß das Gesetz die
politischen Parteien und den Staat vor den Journalisten schütze und nicht umgekehrt90.
Bemängelt wurden von journalistischer Seite auch die hohen Strafen, die für den Fall
angedroht werden, dass ein klares Programmschema fehlt. Was für Funk und Fernsehen
noch verständlich ist, scheint für Zeitungen und Zeitschriften nicht nachvollziehbar. Kriti-
ker sahen auch hier eine unerwünschte Regulierung von außen. Neben diesen Vorwürfen
wird noch weitere strukturelle und inhaltliche Kritik laut. So bemängelte ein OSZE-Report
für Medienfreiheit, dass es in mehreren Anläufen nicht gelungen ist, neben den traditionel-
len Zeitungen, die noch aus dem sozialistischen Jugoslawien stammen, politisch und wirt-
schaftlich unabhängige Blätter auf dem slowenischen Markt zu etablieren. Der öffentlich-
rechtliche Sender „RTVS“ gilt als „over-staffed and inefficient“91. Nur in Deutschland fand
die kritische Stimme des Slowenen Drago Jancar Gehör. Jancar richtete im Herbst 2001

87
“Its text, especially the first discussion versions, considerably differed from the existing Law on the Media, as
well as from proposals and initiatives submitted to the RS Broadcasting Council by other interested subjects in
the field of information, which provoked generally negative reactions from local and foreign professional cir-
cles.” (Society of Journalists of Slovenija, Association of Radio and Television Organizations, International
Press Institute, Council of Europe group of experts, EBU).” The structure of the media arena in Slovenija, in:
www.mediaonline.ba/mediaonline/tekst_eng/1327.htm.
88
Sandra B Hrvatin und Marko Milosavljevic, Rundfunk in Slowenien. In: Internationales Handbuch für Hör-
funk und Fernsehen 2000/2001. Hans-Bredow-Institut Hamburg , Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden
2000, S.592.
89
Petelin, Sascha: „Euroskepsis macht sich breit“. In: Süddeutsche Zeitung 11.07.2001
90
Alle diese Kritikpunkte fassen Sandra B. Hrvatin und Marko Milosavljevi zusammen, a.a.O., S.591 ff.
91
OSCE Representative on Freedom oft the Media: Slovenija. A Report by Mark Thompson. Vienna 2000. Vgl.
www.medienhilfe.ch/Reports/.

111
eine heftige Kritik an die Adresse der Medien seines Heimatlandes: „Das Problem der slo-
wenischen Medien“, schrieb Jancar, „liegt nicht darin, dass sie anti-europäisch wären, son-
dern darin, dass sie nicht europäisch sind“92. Jancars Kritik entzündete sich daran, dass
Slowenien nicht die geringste Bereitschaft erkennen lasse, sich vom vorherigen Regime zu
distanzieren. Anlass war die Weigerung des slowenischen Parlaments, der Europarats-
Resolution 1066 zur Aufarbeitung der Geschichte totalitärer Regime in Osteuropa zu fol-
gen. Mehr noch: Die slowenischen Medien, so Jancar, die dieses ‚Europa’ tagtäglich im
Munde führten, seien nicht bereit gewesen, eine solche Debatte aufzugreifen. Auch warf
der Autor dem Radio- und Fernsehrat des Landes eine unverzeihliche Beharrlichkeit bei der
Beschäftigung altkommunistischer Personalkader vor. Die Medien seien im Dienst der
Macht, empörte sich Jancar und donnerte zum Schluss: „Im Großen und Ganzen haben sich
die slowenischen Medien noch immer nicht auf ihren eigentlichen Auftrag in der demokra-
tischen Gesellschaft besonnen, nämlich auf die öffentliche Kontrolle aller Aktivitäten der
Regierung und der Zentren der wirtschaftlichen und politischen Macht.“93
Slowenien wurde im Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union. Trotzdem war der
staatliche Einfluss auf die Medien immer noch groß. Daran gaben slowenische Journalisten
Ende September 2007, kurz bevor Slowenien die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen
sollte, dem liberalen Premierminister Janez Janša ein gerüttelt Maß an Mitschuld. Janša
hätte, so 438 Journalisten und Unterzeichner einer Petition, einen Druck auf die Presse
ausgeübt wie man ihn seit Jahren nicht mehr gekannt hätte. Politischen Interessen sei die
freie Meinungsbildung untergeordnet worden. Im September 2008 errangen die oppositio-
nellen Sozialdemokraten unter Borut Pahor eine hauchdünne Mehrheit über den Amtsinha-
ber Janša. Die Tatsache, dass kein einziger seiner Minister seine Wiederwahl ins Parlament
schaffte, sage alles, kommentierte die slowenische Wochenzeitung „Mladina“. Die neue
Regierung, die in einer Bilanz der Regierungszeit Janšas auch dessen Manipulation der
Medien scharf kritisiert hatte, versprach einen gründlichen Wandel in der Medienpolitik.

92
Drago Jancar: Und schuld daran ist nur die Opposition. Sloweniens Medien haben vom „jugoslawischen Weg
in den Kommunismus“ auf den „Weg nach Europa“ umgeschaltet, ohne sich zu wandeln. In: Frankfurter
Rundschau, 24.10.2001.
93
Ibidem.

112
6. Bosnien und Herzegowina: Medien als Zankapfel der Ethnien

Der bosnische Journalist Sefik Dautbegovi94 bekam 2006 in Wien den Journalistenpreis
„Writing for CEE“. Die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung wurde ihm für seinen Arti-
kel „Mein Land – auf welchem Weg nach Europa“ verliehen95. Darin prangerte er die Unfä-
higkeit der Politiker in Bosnien-Herzegowina96 an, sich den wirklichen Problemen des Lan-

94
Sefik Dautbegovi wurde 1948 in Prozor, Bosnien-Herzegowina, geboren. Seit 1973 arbeitet er für die bosni-
sche Tageszeitung „Oslobodjenje“ und andere Medien.
95
Der „Writing for Central Europe“-Journalistenpreis, der mit 5.000 Euro dotiert ist, wird jedes Jahr von der
„Austria Presse Agentur“ (APA) und der Bank Austria-Creditanstalt zur Förderung des gegenseitigen Ver-
ständnisses und der Integration mittel- und osteuropäischer Staaten verliehen. „Die Auszeichnung richtet sich
ganz bewußt auch an Bewerber aus Nicht-EU-Staaten und würdigt vor allem Beiträge zum Abbau von Gren-
zen und Vorurteilen“, sagte APA-Chefredakteur Michael Lang in seiner Laudatio.
96
Die Republik besteht aus drei voneinander relativ unabhängigen Verwaltungseinheiten: dem Brko-Distrikt,
der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska. Die Hauptstadt des Landes ist das zentral
gelegene Sarajevo. Bosnien-Herzegowina besitzt etwa 4,55 Mio. Einwohnern. Zu den drei offiziellen Staats-
völkern zählen die Bosniaken, die mit 48 % etwa die Hälfte der Einwohner stellen, die Serben mit 37,1 % Ser-
ben und die Kroaten, die mit etwa 14,3 % vertreten sind. Minderheiten wie die Bosnisch-Herzegowinische
Roma oder Juden stellen nur 0,6 % der Gesamtbevölkerung. Aufgrund dieser vielfältigen Mischung diverser
ethnischer Gruppen, kann man das Land als Vielvölkerstaat bezeichnen. Im Vergleich zu 1991, vor dem Aus-
tritt aus Jugoslawien, ist die Zahl der Bosniaken fast gleich geblieben, jedoch die Zahl der Serben um 115.000
gestiegen. Der Anteil der Kroaten ist jedoch seitdem um 3 % gefallen. Die drei offiziellen Staatsvölker spre-
chen die eng verwandten Sprachen Bosnisch, Serbisch und Kroatisch, die zusammenfassend oft als „Serbokro-
atisch“ bezeichnet werden. Die Staatsbürger des Landes werden in der Gesamtheit „Bosnier“ genannt. Woge-
gen „Bosniaken“ ausschließlich die bosnischen Muslime sind. 43,7 Prozent der Einwohner sind muslimischen
Glaubens, 31,4 Prozent serbisch-orthodoxen und 17,3 Prozent gehören der katholischen Kirche an. Juden und
Angehörige anderer Religonsgemeinschaften stellen einen Anteil von 7,6 Prozent. Das Land Bosnien-
Herzegowina ist aus dem ehemaligen Jugoslawien entstanden. Erst 1992 erklärte es die Unabhängigkeit und
grenzte sich dadurch als eigener Staat ab. Die Grundsätze für das staatliche und politische System entstanden
erst ganze drei Jahre später. Mit dem Friedensabkommen von Dayton 1995 wurden sie festgelegt. Gleichzeitig
jedoch wurde Bosnien-Herzegowina in drei Verwaltungsgebiete geteilt. Somit setzt sich auch die Regierung
aus drei Verwaltungen zusammen. Die erste nennt sich die „Förderation Bosnien und Herzegowina“ oder auch
„Bosniakische-Kroatische Förderation“. Die zweite Entität ist die „Serbische Republik“, die „Republik
Srpska“. Zusätzlich zu diesen beiden großen Gebieten gibt es ein Streitgebiet, den „Distrikt Brcko“. Es besteht
aus dem Bereich um die Stadt Brcko und die Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas Sarajevo. Seit dem März 1999
gibt es eine Sonderregelung, die besagt das der Bezirk von Brcko gemeinsames Eigentum der beiden anderen
Verwaltungen ist und somit zu beiden zugehörig. Trotzdem haben alle drei Entitäten eine eigene Verfassung
mit eigener Exekutive und Legislative. So gibt es in dem Land auch nicht nur ein Staatsoberhaupt sondern ein
Staatspräsidium aus drei Vertretern. Derzeit sind das ein kroatischer Bosnier Željko Kosmši, der Bosniake
Haris Silajdži und der serbische Bosnier Nebjša Radmanovi. Der Vorsitz unter den drei Vertretern rotiert al-
le acht Monate. Erst im Jahr 2006 wurde das Staatspräsidium das erste mal ohne die Aufsicht der Internationa-
len Gemeinschaft (OSZE) demokratisch gewählt. Diese Internationale Gemeinschaft beobachte vorher die
Wahlen und konnte eingreifen, sofern diese nicht den demokratischen Regeln entsprechend durchgeführt wur-
den. Der Regierungschef von Bosnien-Herzegowina ist der Ministerpräsident Nikola Špiri. Die Regierung
wird allerdings von der oben schon erwähnten Internationalen Gemeinschaft (OSZE) beobachtet. Außerdem
sind nach wie vor knapp 2500 ausländische Soldaten von der EUFOR, die von der EU geführt wird, in Bos-
nien-Herzegowina stationiert. Ihre Aufgabe besteht darin die Bevölkerung, vor allem aber Flüchtlinge zu
schützen und die Polizei zu unterstützen, sowie den Friedensvertrag von Dayton zu sichern. Einen Teil der
Staatsgewalt übt also der Hohe Repräsentant der OSZE aus. Seit dem 30. Juni 2007 ist es der Miroslav Laják
aus der Slowakei. Der Hohe Repräsentant kann nicht von der Bevölkerung gewählt werden. Er besitzt aller-
dings eine autoritäre Vollmacht. So kann er gewählte Minister, Richter und Bürgermeister entlassen, sowie
neue Gesetze erlassen und Behörden schaffen. Er hat also mit seiner ihm untergeordneten Behörde der OHR
(Office of the High Representative) die Macht sämtliche demokratische Einrichtungen zu überstimmen. Ledig-
lich alle sechs Monate muß er sich vor vor den Außenministerien von mehr als 50 Staaten verantworten.

113
des zu widmen und damit die Annäherung Bosnien-Herzegowinas an die Europäische Uni-
on zu verzögern. Ein weiteres Problem, das das Land träge und unregierbar mache, sei, so
Dautbegovi, die Vielzahl staatlicher Institutionen und Ämter, ein Vermächtnis des Frie-
densabkommens von Dayton: „Wenigstens in etwas sind wir führend in Europa, wir haben
180 Ministerien im Staat.“ Er beschrieb Europa als eine alte Dame, der Bosnien den Hof
macht, die aber nicht nur durch Charme bezaubert werden kann. Bei der Preisverleihung
bedauerte er, daß in seiner Heimat die Volksgruppen der Bosniaken, Serben und Kroaten
immer noch „in drei Richtungen ziehen“ würden.
Diese Beschreibung gilt genauso für die Medien. Die Situation der Medien in dem noch
an den Folgen des Bürgerkriegs von 1992 bis 1995 leidenden Land ist insofern anders als
sonst auf dem Balkan, als sich durch den ethnischen Gegensatz und die politische Fragmen-
tierung des Landes die Dinge nur langsam und unter großen Mühen, Debatten und Konflik-
ten einspielen. Das wesentliche Problem, das über die Zukunft der Föderation Bosnien-
Herzegowina entscheidet, ist die Koexistenz der Ethnien. Man wählt grundsätzlich den
politischen Vertreter der eigenen Ethnie. Übernationale Parteien konnten sich deshalb in
der Föderation bisher nicht entwickeln. Die Föderation ist aber auf die Überbrückung des
ethnischen Gegensatzes angewiesen. Der kantonalen Fernsehstation Sarajevo warf man vor,
in den Aufsichtsrat nur Bosniaken, das heißt Vertreter der muslimischen Volksgruppe zu
berufen. Der Premier des Kantons Sarajevo, Samir Silajdži, widersprach dem. Sein Kabi-
nett sei multiethnisch, weil in ihm auch zwei Personen serbischer Nationalität säßen. Und
er könne keinen Serben oder Kroaten davon abhalten, sich für den Aufsichtsrat zu bewer-
ben. Trotzdem gälte das Prinzip der Multiethnizität nicht für das Gremium von „TV Saraje-
vo“, kritisierte Fikret Musi, Vorsitzender des Abgeordnetenklubs der Sozial-
demokratischen Partei (SDP). Die Kommission, die die Kandidaten für den Aufsichtsrat
bestimmt, hätte nur Bosniaken berufen97. Dass sich kein Angehöriger einer anderen Natio-
nalität beworben habe, rechtfertige nicht die Wahl eines mononationalen Organs. Man
müsse dann einfach den Rat nur teilweise besetzen, und dann neu ausschreiben, denn es sei
einfach nicht glaubhaft, dass sich in Sarajevo niemand findet, der Mitglied des Aufsichts-
rats sein will und kein Bosniak ist. Ein Gerücht trug zusätzlich dazu bei, den Himmel über
„TV Sarajevo“ zu verdunkeln, wonach „Televizija Sarajevo“ an eine türkische Gesellschaft
verkauft werden solle.
Um das Programm des Bundesfernsehens „FTV“ von Bosnien und Herzegowina gab es
im September 2007 ebenfalls Streit zwischen Regierung und Opposition. „FTV“ hatte in
diesem Monat ein neues Format eingeführt, den „Skupštinski raport“, der den Zuschauer
nach den Abendnachrichten, an den Sitzungstagen des Föderationsparlaments über dessen
Arbeit informieren sollte. Irfan Ajanovi, Abgeordneter der SDA, forderte eine außeror-
dentliche Sitzung, um sich mit dem „raport“ zu beschäftigen. Er bemängelte, dass Regie-
rung und Opposition nicht der gleiche Raum gegeben werde, um sich und ihre Arbeit zu
präsentieren98. Der Vorsitzende der Kommission für Information, Mato Franjievi, wollte

97
So saßen dort Faruk Jaži als Vorsitzender, Fahira Fejzi-engi, Nermina Mujezinovi, Murisa Zuko und
Benjamin Isovi. Die Behauptung des Justizministers Zlatko Mesi, es hätte sich eben kein Nicht-Bosniak be-
worben, erboste den Vorsitzenden der Skupština des Kantons Sarajevo und SDP-Abgeordneten Svetozar Puda-
ri. Diese Aussage zeuge von der politischen Blindheit und Unerleuchtetheit der in Sarajevo regierenden Koa-
lition. Vgl. Omeragi, Dk.: Kantonalna televizija samo za Bošnjake?! Jednonacionalni sastav Nadzornog odbo-
ra TV Sarajevo. In: Oslobodjenje, 12.9.2007, Nr. 21.789, S. 12.
98
Vgl. Ajanovi: Vrijeme za tematsku sjednicu o FTV. Parlamentarne polemike o „Skupštinskom raportu“. In:
Oslobodjenje, 11.9.2007, Nr. 21.788, S. 6.

114
die Kritik des SDA-Abgeordenten nicht kommentieren. Es sei nicht Aufgabe eines Abge-
ordneten, sich in die Arbeit der Fernsehredakteure einzumischen, wenn es auch durchaus
angebracht sei, von „FTV“ Unparteilichkeit zu erwarten. Damir Maši von der SDP wertete
die Klage Ajanovis als direkte Einmischung in die Informationspolitik des Fernsehsen-
ders. Ende September 2007 warteten die Abgeordneten darauf, dass das Verfassungsgericht
der Föderation über die Verabschiedung bzw. eine eventuelle weitere Überprüfung des
Gesetzes zum Radio- und Fernsehangebot in der Föderation Bosnien-Herzegowina be-
schließe. Deutlicher wird der Gegensatz, wenn es um Angelegenheiten zwischen der mus-
limisch-kroatischen Föderation und der Serben-Republik, der „Republika Srpska“, geht.
Der Vermittler in Fragen der Menschenrechte auf Bundesebene, Vitomir Popovi, der die
Unterstützung der Serben-Republik genießt, hatte gemeint, ein Journalist des Bundesfern-
sehens verdiene „eine Kugel in den Kopf“, für das, was dieser in einer seiner Sendung von
sich gegeben habe. Die Journalistenvereinigung Bosniens verurteilte umgehend das Verhal-
ten des Vermittlers.
Die Zerrissenheit des Landes, die sich an diesem Beispiel zeigt, lässt sich ohne weiteres
auch an anderen Bereichen des Mediensystems zeigen. Es gibt jedoch auch Gemein-
samkeiten mit dem deutschen Medienwesen, wie die Tatsache, dass beider Ursprünge in
den besonderen Gegebenheiten einer Nachkriegssituation liegen. Pressefreiheit, Unpartei-
lichkeit, eine möglichst geringe Einflussnahme von seiten der Wirtschaft, das waren die
Leitlinien, an denen sich die internationale Gemeinschaft nach dem Ende des Bürgerkriegs
zu orientieren versuchte. Da sich aber die auseinanderstrebenden Kräfte der einzelnen
Ethnien auch durch die Macht des hohen Vertreters der internationalen Gemeinschaft oft
nicht bändigen ließen, scheiterten die hehren Grundsätze an der Realität. Das zeigte sich
schon in den einfachsten Dingen: die Rundfunkgebühren werden in Bosnien-Herzegowina
gemeinsam mit der Telefonrechnung abgerechnet. Wenn jemand nicht bezahlt und sich
trotz nochmaligen Nachfragens immer noch weigert, die Gebühr zu bezahlen, wird er ein-
fach von ihr befreit. So kommt es, dass nur etwa die Hälfte aller Haushalte in Bosnien-
Herzegowina Rundfunkgebühren bezahlt. Dennoch hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen
in Bosnien noch mehr Zuschauer als das private. Das Programm der drei überregionalen
öffentlich-rechtlichen Fernseh-Sender wird jedoch nach wie vor stark von der Politik beein-
flusst. Zwar kontrolliert der Staat die Sender nicht mehr direkt, er trifft aber die Auswahl
des Führungspersonals des jeweiligen Senders. Außerdem sind die Programminhalte der
Sender reguliert. 40 Prozent des Wochenprogramms muss Nachrichten und Ausbildung
beinhalten. Auch zehn Stunden Kinderprogramm muss in jeder Woche laufen. Eine Stunde
ist für Flüchtlinge und Minderheiten vorgesehen. Die maximale Werbedauer liegt im bosni-
schen öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei vier Minuten pro Stunde Fernsehen und bei
sechs Minuten im Radio.
In Bosnien-Herzegowina ist die Presse vorwiegend in Privatbesitz. Die ohnehin kleinen
Leserzahlen der Tageszeitungen, Monatsmagazine, Fach-, Jugend- und Kinderzeitschriften
sind wegen der schwierigen Wirtschaftslage, beschränkter Verbreitung und mangelnder
Qualität rückläufig: Die Auflage aller Tageszeitungen in Bosnien-Herzegowina liegt bei
insgesamt 100 bis 150.000 Exemplaren. In Deutschland verkauft alleine die Bild-Zeitung
im Verhältnis zur Bevölkerung ein Drittel mehr Exemplare, über drei Millionen. In Bos-
nien-Herzegowina ist die Medienfreiheit gesetzlich garantiert. Sie wird wie die komplette
Wirtschaft von der OSZE kontrolliert, dennoch können die Unternehmen unabhängig und
selbstständig wirken. Das Mediensystem ist staatsfern organisiert und die Konzerne können
offiziell unabhängig arbeiten. Aber große technische Probleme wie die veraltete Ausstat-
tung und finanzielle Engpässe erschweren den Medienkonzernen die Arbeit immer wieder.

115
Zudem herrscht im Land eine niedrige Kaufkraft und es fehlt an qualifizierten Journalisten
und Experten. Aus Berichten der „Reporter ohne Grenzen“ geht hervor, dass sich die Lage
der Pressefreiheit in Bosnien-Herzegowina zwischen 2005 und 2007 zum Schlechteren
verändert hat. Das Land ist in der Rangliste vom Oktober 2007 gegenüber dem Vorjahr um
15 Plätze von Platz 19 auf Platz 34 und bis 2009 auf Platz 39 gefallen. Die genauen Ursa-
chen dafür sind allerdings nicht klar. Die Berichte der „Reporter ohne Grenzen“ zeigt auf
jeden Fall, dass es in Bosnien-Herzegowina mit der gesetzlich garantierten Medienfreiheit
nicht ganz so weit her ist. Und solange die hohen Posten in den Konzernen und Sendern
immer wieder von der Politik besetzt werden und Bestechung an der Tagesordnung ist,
wird sich daran vermutlich so schnell nichts ändern.

6.1 Zeitungen und Zeitschriften

Insgesamt schätzt man, dass täglich in Bosnien zwischen 100 und 150.000 Exemplare aller
Tageszeitungen verkauft werden. Es gibt rund 600 Printmedien in Bosnien-Herzegowina.
Nachrichten-Zulieferer sind einerseits angestellte und freie Journalisten, andererseits die
nationalen Nachrichtenagenturen. Die offizielle Nachrichtenagentur der Föderation Bos-
nien-Herzegowina, die Föderale Presseagentur, nennt sich abgekürzt „FENA“
[www.fena.ba]. Sie entstand aus der „BIH-Press“. Die Presseagentur der Serben-Republik
heißt „SRNA“ [www.srna.rs]. Die „ONASA“ [www.onasa.com.ba] ist eine unabhängige
Presseagentur. Die Leserschaft in Bosnien war schon immer eher klein, heute ist diese Zahl
aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage, der mangelnden Qualität und der geringen
Verbreitung der Printmedien weiter geschrumpft. Der Inhalt der Printmedien ist im Großen
und Ganzen von der ethnischen Zugehörigkeit der Rezipienten geprägt. Das zwingt die
Zeitungen dazu, nur die ethnische Gruppe, die in der jeweiligen Region dominant ist, mit
ihrem Inhalt anzusprechen. Dadurch sind die Printmedien kaum in der Lage, ein überregio-
nales Publikum für sich zu gewinnen. Die Zahl der Printmedien für die Föderation Bosnien-
Herzegowina beträgt 147 und für die bosnische Serbenrepublik, für die Republika Srpska
79. Zwar besteht bei den Nachbarn Serbien und Kroatien großes Interesse an einer Privati-
sierung der Zeitungen, dennoch sind die bosnischen Zeitungen wegen ihrer relativ kleinen
Auflage nicht sonderlich interessant für ausländische Investoren. Als Folge des Bosnien-
krieges ist der Markt für Printmedien nach wie vor nicht so weit entwickelt wie er es sein
sollte. Wenn man alle Presseerzeugnisse, die nach Bosnien aus den Nachbarländern einge-
führt und dort verkauft werden, zusammennimmt, das heißt jene Zeitungen, die aus Kroa-
tien und aus Belgrad geliefert werden, kommt man auf nicht mehr als 60 bis 70.000 Ex-
emplare pro Tag. In Kroatien ist die Presse einer der wichtigsten Industriezweige, in Bos-
nien käme sie über Amateurstatus nicht hinaus, meinte Senad Avdi, Chefredakteur der
„Slobodna Bosna“. Bisher hätte es in Bosnien ein „artifizielles Bild der Medien“ gegeben,
geschaffen aus ausländischen Spenden, die Medienleute hätten ihre Nachrichten verkauft,
ob sie nun Nachrichtenwert hatten oder nicht. Ein Prozess der Ernüchterung hätte einge-
setzt. „Wir mussten lernen, dass eine Nachricht eine Ware ist wie jede andere und man sich
nur von ihrem Marktwert leiten lassen kann.“ Wenn man eine kroatische Publikation wie
die „Jutarnji list“ mit dem „Dnevni avaz“ vergleiche, so Avdi 2006, hätte man es mit zwei
„verschiedenen Planeten“ zu tun, „einem archaischen und unattraktiven und dem anderen,
der genau das Gegenteil ist“. Dennoch stimmte er der Meinung zu, dass in den kroatischen
Medien die besseren Geschäftsleute und bei den bosnischen Wochenblättern die besseren

116
Schreiber arbeiten. Aber das liege daran, dass in Bosnien auf die Marktgängigkeit und aus
welchem Fonds das Geld käme bisher keiner geachtet hätte. Die Redaktionspolitik wurde
und wird nicht nur durch die finanzielle Lage begrenzt, sondern vor allem auch durch die
allgemeine Politisierung der bosnischen Gesellschaft. An erster Stelle kam in den Redakti-
onen lange Zeit das Thema Korruption, die Politik etwa der HDZ in anderen Feldern erst
sehr viel weiter hinten. Das kroatische Magazin „Globus“ brauchte geraume Zeit, bis es
sich von den Sensationsmeldungen aus der bosnischen Politik langsam auch auf andere
Themen verlegte.
Die größten überregionalen Zeitungen in Bosnien sind die in Sarajevo erscheinenden
„Dnevni Avaz“ und „Oslobodjenje“ („Befreiung“, www.oslobodjenje.com.ba). Letztere gilt
als die älteste und berühmteste bosnische Zeitung. Sie wurde 1943 gegründet und mehrfach
mit Preisen ausgezeichnet – 1992 wurde sie in Großbritannien sogar zur besten Zeitung des
Jahres erkoren. Im Bereich Kultur ist sie eine der führenden Tageszeitungen, und versucht
politisch neutral zu bleiben. In jüngster Zeit hatte die „Oslobodjenje“ jedoch mit finanziel-
len Problemen zu kämpfen, vor allem weil der Konkurrent „Dnevni avaz“ ihr im bosni-
schen Teil des Landes den Rang ablief. Die „Oslobodjenje“ verkauft sich nach wie vor im
ganzen Land (Auflage ca. 20.000), hat aber nicht mehr so großen Einfluss wie in den Zeiten
vor dem Krieg. Der „Dnevni Avaz“ („Tägliche Stimme“, www.avaz.ba), während des Bür-
gerkriegs als privates Unternehmen gegründet, erscheint täglich mit zwischen mehr als
50.000 Exemplaren, und ist in der bosnisch-muslimischen Bevölkerung im In-, aber auch
im Ausland die beliebteste und am meisten gelesene Tageszeitung. ‚Avaz‘ ist ein türkisches
Lehnwort im bosnisch-slawischen Wortschatz und bedeutet ‚Stimme’. 36 Prozent aller
Printmedien-Konsumenten lesen den „Dnevni avaz“, wobei das Blatt schon früher eine
Leserschaft von mehr als 30 Prozent hatte. Der „Dnevni avaz“ wird von allen Altersruppen
gelesen, was bei den anderen Zeitungen nicht der Fall ist. In Frankfurt erscheint außerdem
eine Ausgabe der Zeitung für den deutschsprachigen Raum. Der Marktanteil des „Denvni
avaz“ beträgt in der Föderation 62 Prozent, in der serbischen Teilrepublik hingegen ledig-
lich 18 Prozent, was daran liegt, dass sich die Zeitung in erster Linie mit den Interessen der
Bosniaken beschäftigt, auch im politischen Sinne. Ihre Nähe zur bosnisch-muslimischen
Partei SDA ist bekannt. Im serbischen Teil las und liest sie man sie ohnehin nur, um sich
über die Vorgänge in der kroatisch-muslimischen Föderation auf dem Laufenden zu halten.
Zwischen „Dnevni Avaz“ und „Oslobodjenje“ liegt die seit 2002 erscheinende Sarajevoer
Tageszeitung „SAN“ mit einer Auflage von 30.000 Stück. Sie beschäftigt sich überwie-
gend, aber nicht ausschließlich mit kommunalen Themen, und gilt als informativ, relativ
unabhängig und neutral.
In der Republika Srpska ist neben der „Nezavisne Novine“ die größte regionale Tages-
zeitung die ebenfalls in Banja Luka erscheinende serbisch-konservative „Glas Srpske“
[www.glassprpske.com]. Die Zeitung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Na-
men „Glas“ in Banja Luka gegründet, und verkauft sich heute fast nur im serbischen Gebiet
der Republika, die auch Eigentümerin der Zeitung ist. Im Krieg hatte die Zeitung ihren
Namen von „Glas“ in „Glas srpski“ (serbische Stimme) geändert, und seit ein paar Jahren
heißt die Zeitung „Glas Srpske“ (die Stimme der Republika Srpska). Im Vergleich zur poin-
tiert konservativ-nationalen „Glas Srpske“ gilt die „Nezavisne novine“ („Unabhängige
Zeitung“) als kritisches Intelligenzblatt. Die „Nezavisne novine“ [www.nezavisne.com]
wurde 1995 in Banja Luka, in der bosnischen Serbenrepublik von Željko Kopanja gegrün-
det, einem Journalisten der bei der Tageszeitung „Glas“ gearbeitet hatte. Zusammen mit
ihm waren die zwei angesehenen Journalisten Antun Kasipovi und Nikola Guzijan dabei.
Zuerst war die „Nezavisne“ eine Wochenzeitung. Kopanja und seine Kollegen hatten sich

117
vorgenommen, die serbische Gesellschaft in Bosnien kritsch zu durchleuchten. Die Zeitung
war von Anfang an in der bürgerlichen, bosnischen Schicht bei allen drei Nationen beliebt.
Aber als die „Nezavisne“ begann auch über serbische Kriegverbrechen zu schreiben, wurde
sie von den Radikalen und Konservativen stark angegriffen. Am 22. Oktober 1999 wurde
auf Kopanja ein Attentat verübt, bei dem er fast ums Leben kam. Er wurde schwer verletzt
und verlor beide Beine. Die Attentäter wurden nie entdeckt und auch nicht die Motive für
das Attentat. Seitdem erhielt die „Nezavisne“ viel Unterstützung von seiten der internatio-
nalen Gemeinschaft. Sie wurde innerhalb kurzer Zeit eine Tageszeitung mit einer Auflage
von etwa 20.000 und damit die zweitgrößte bosnische Zeitung. Heute ist sie eine überregi-
onale bosnische Zeitung mit drei Redaktionen in Banja Luka (Hauptredaktion), Sarajevo
und Mostar, und Journalisten und Redakteuren aus allen drei bosnischen Volksgruppen.
In den kroatischen Gebieten greift man am ehesten zu den Zeitungen aus Kroatien, ge-
nauso wie die Serben in der Republika ihre Tageszeitungen aus Serbien lesen. Die Serben
lesen die „Veernje novosti“, „Blic“ und „Politika“ aus Belgrad, und die Kroaten „Veernji
list“ oder „Jutarnji list“ aus Zagreb. Dazu kam im Oktober 2001 die „Dnevni list“ („Tages-
zeitung“, www.dnevni-list.ba) mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren. Bei der in Mostar
verlegten Tageszeitung handelt es sich um ein oppositionelles, der HDZ nahestehendes
Blatt, das sich als Sprachrohr der Interessen der Kroaten in Bosnien-Herzegowina versteht
und in kroatischer Sprache erscheint. Die „Dnevni list“ ist vor allem in der Herzegowina
angesehen, wird aber auch in der ganzen Föderation Bosnien-Herzegowina gelesen. Die
wichtigste und angesehenste Wochenzeitung Bosnien und Herzegovinas ist die „Slobodna
Bosna“, deren Name Programm ist – „Freies Bosnien“ [www.slobodna-bosna.ba]. Im Ge-
samtstaat sind alles in allem 96 Zeitschriften registriert, davon 50 in der Föderation und 46
in der serbischen Teilrepublik. Darunter hat die „Slobodna Bosna“ mit 28.000 verkauften
Exemplaren die Vorrangstellung inne. Gegründet wurde die „Slobodna Bosna“ kurz vor
dem Ausbruch des Krieges Ende 1991. Während des Krieges konnte das Blatt nur spora-
disch erscheinen. 1993 fusionierte es mit der damals populären Zeitschrift „Ljiljan“99. Ihre
hohe Auflage, die sie seit 2000 halten kann, macht die „Slobodna“ zum meistgelesenen
Wochenmagazin des ganzen Landes. Sie wird zwar hauptsächlich in der Föderation und
dort vor allem von den Bosniaken gelesen, gleichwohl gehört sie zu jener kleinen Zahl von
Wochenmagazinen, die sowohl in der Föderation als auch in der Republika Srpska vertrie-
ben und gelesen werden. Schwerpunkt der Berichterstattung ist die Aufdeckung von Kor-
ruption und organisierter Kriminalität in Bosnien. Was die Auflage betrifft, folgt der „Slo-
bodna“ dicht auf den Fersen das Magazin „Dani“ [www.bhdani.com], das im September
1992 als Monatsausgabe von einer Journalisten- und Schriftstellergruppe im damaligen
Kriegs-Sarajevo aus der Taufe gehoben wurde. Die „Tage“ erscheint heute mit rund 25.500
Exemplaren pro Woche, und hat es ebenso wie ihr größeres Pendant auf die ausufernde
Korruption abgesehen, wobei sie sich auf den Nepotismus gerade innerhalb der muslimi-
schen Religionsgemeinschaft in Bosnien spezialisiert hat. Der Vorwurf einer anti-
muslimischen Haltung ist da auch in Bosnien schnell bei der Hand. Monatlich sind dem

99
Bis zu seiner Fusion mit der „Slobodna Bosna“ war „Ljiljan“ die Wochenzeitung der SDA, der Partei der
Demokratischen Aktion (Stranka Demokratske Akcije), die die Zeitung auch 1990 gegründet hatte. Sie vertrat
nicht nur Positionen der SDA, sondern auch pro-bosnisch-muslimische bis ultranationalistische Ansichten. Die
Linie des „Ljiljan“ neigte oft dem radikaleren Flügel der SDA zu. Die goldene Lilie (Lilium carniolicum var.
bosniacum), die sich im Logo der Zeitung fand, gilt auch als das Nationalsymbol der Bosniaken bzw. der bos-
nischen Muslime, einer der drei konstituierenden Ethnien Bosnien-Herzegowinas neben Serben und Kroaten.
Die Auflage des „Ljiljan“ betrug rund 60.000 Exemplare, wovon 85 Prozent im Ausland verkauft wurden.

118
Heft die Beilagen „Auto Dani“ und „Ljepota & Zdravlje“ („Schönheit & Gesundheit“)
beigefügt. Ebenfalls in Sarajevo erscheinen die Wochenzeitschriften „Start BiH“, „Walter“,
„Hrvatska Rije“ („Kroatisches Wort“, www.hrvatska-rijec.com). Das „kroatische Wort“
hatte seit 2001 mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, sodass nur noch die Online-
Ausgabe erscheinen konnte. Die wichtigste in Banja Luka erscheinende Zeitschrift ist der
„Reporter“.
Für den Medienmarkt Bosnien-Herzegowina konnten sich, wie eingangs gesagt, auslän-
dische Investoren kaum erwärmen. Als sich der kroatische Medienzar Ninoslav Pavi im
Mai 2001 mit Journalisten in der Bar des Hotels Holiday Inn in Sarajevo traf, kochte so-
gleich die Gerüchteküche. Beabsichtigt Pavi, nachdem er sich den kroatischen Zeitungs-
markt unter den Nagel gerissen hat, nun auch den bosnischen Markt zu beherrschen? Wird
er die „Slobodna Bosna“ und die „Jutarnje Novine“ aufkaufen? Darauf deutete hin, daß mit
Pavi an der Bar Davor Butkovi, der Chefredakteur des kroatischen „Globus“, der Chefre-
dakteur der „Slobodna Bosna“, Senad Avdi, und der Direktor und Eigentümer der „Jutarn-
je novine“, Irfan Ljevakovi, saßen. Die zwei letzteren Zeitungen erscheinen beide in der
Hauptstadt Sarajevo und sind damit für die Meinungsbildung der Föderation maßgeblich.
Diese werde nicht mehr so frei sein, wenn sich die in Kroatien agierende „Europa Press
Holding“ (EPH) auch in Bosnien festsetze, argwöhnte man im politischen Magazin „Dani“.
Die EPH war freilich am Medienmarkt Bosnien-Herzegowina brennend interessiert. In
Mazedonien hatte die mit der EPH kooperierende WAZ-Mediengruppe bereits die Tages-
zeitungen „Dnevnik“, „Utrinski Vesnik“ und das Boulevardblatt „Vest“ übernommen; und
plante 2006 mit der Übernahme der in Sarajevo erscheinenden Tageszeitung „Oslobodjen-
je“ den Einstieg in den bosnischen Pressemarkt100. Senad Avdi, Chefredakteur der „Slo-
bodna Bosna“, für die sich die EPH ebenfalls interessierte, lobte nicht nur Pavi über den
grünen Klee, er sah das Engagement der EPH bzw. der WAZ generell positiv, weil damit
die bosnische Presse vom technischen, graphischen Vorsprung profitieren würde, und auch
die durch den Krieg traumatisierten, allzu „politisierten Gehirne“ abgelenkt und durch Neu-
es angeregt werden würden. Die Befürchtung, dass das ausländische Engagement zu einer
Unifizierung der Medien führen würde, teilte er nicht. Dazu war Bosnien-Herzegowina
politisch zu zerrissen. Es wäre ihnen zu danken, wenn es Pavi oder Hombach gelänge, das
Land medial zu einen.
Die Pluralisierung der Medien hat sicher dazu beigetragen, das Verhältnis der Volks-
gruppen und Minderheiten untereinander zu verbessern. Die unabhängigen Medien – dazu
zählen Printmedien wie „Oslobodjenje“, „Dani“, „Slobodna Bosna“, „Svijet“ und „Veerni
Novine“ aus Sarajevo, „Nezavisne Novine“ und „Reporter“ aus Banja Luka – haben in
positiver Weise immer wieder die Grenzen dessen verschoben, was von der Mehrheitsbe-
völkerung als akzeptabel und ‚patriotisch’ angesehen wurde. Mit ihren Untersuchungsbe-
richten über die Behandlung von Minderheiten haben diese Zeitungen eine Atmosphäre
geschaffen, in der es Bosniaken eher akzeptierten, Themen wie Gewalt gegen Serben in
Sarajevo zu behandeln. Im Gegenzug sank der Widerstand auf Seiten der Serben dagegen,
dass auch über serbische Kriegsverbrechen berichtet wird. Dies war allerdings keine leichte
Errungenschaft, weil die Medien ständig gegen die Anschuldigung, das eigene Volk zu

100
Die WAZ-Gruppe ist in Ungarn, Bulgarien, Kroatien, Rumänien, Bosnien, Mazedonien, Montenegro und
Österreich an Medienunternehmen beteiligt. Sie hält jeweils knapp 50 Prozent an den österreichischen Zeitun-
gen „Kronen-Zeitung“ und „Kurier“. In Deutschland gehören zwölf Tageszeitungen, u.a. die „Westdeutsche
Allgemeine Zeitung“, die „Thüringer Allgemeine“ oder die „Saale Zeitung“ sowie zahlreiche Fach- und Publi-
kumszeitschriften und über ein Dutzend Radiosender zu ihrem Portfolio.

119
verraten und gegen dieses zu arbeiten, ankämpfen mussten und manchmal auch von seiten
der Behörden bedroht wurden oder sogar physischen Attacken ausgesetzt waren. Allerdings
hat sich die Situation allmählich verbessert, und Minderheitenprobleme werden von ver-
schiedenen Medien behandelt, obwohl es immer noch Manipulationsversuche von seiten
der staatlich kontrollierten Sendergruppen gibt, sobald es zum Beispiel um die Darstellung
der Flüchtlingsrückkehr geht. Die Flüchtlinge, in deren misslicher Situation jede Informati-
on wichtige Grundsatzentscheidungen beeinflussen kann, sind dabei besonders wenig ge-
schützt. Die glaubwürdige Information kommt in diesem Falle von den vorher erwähnten
unabhängigen und professionellen Medien, die außerdem eine besondere Rolle in der Ent-
hüllung von falschen Vorstellungen und Manipulationen durch andere Medien spielen. Aus
der Anzahl der internationalen Auszeichnungen, die für die Errungenschaften im Einsatz
für die Aussöhnung und Toleranz zuerkannt wurden – die letzte Auszeichnung bekam das
Magazin „Dani“ vom schwedischen Erinnerungsfonds „Olof Palme“ –, kann man schlie-
ßen, dass dessen Arbeit sehr hoch bewertet wird. Im Sinne der Konzeption der sogenannten
‚Minderheitenmedien‘ gibt es allerdings nur zwei Beispiele in ganz Bosnien. „Radio DISS“
ist ein Sender, der in Sarajevo zuhause ist und von einer NGO geführt wird, die sich die
„Demokratische Initiative der Serben Sarajevos“ nennt und 1996 gegründet wurde101.
„Radio DISS“ sendete seit Juni 1998 und produzierte täglich ein zwölfstündiges Pro-
gramm. Sein anfängliches Ziel war es, objektiv über die Situation in Sarajevo und in den
reintegrierten Vororten zu informieren, wobei die Schwerpunkte der Berichterstattung auf
der Menschenrechtssituation und der Einstellung der Behörden in Sarajevo gegenüber den
in ihren Wohnungen gebliebenen Serben lagen, nachdem der größte Teil der serbischen
Bevölkerung im Januar 1996 seine Wohnungen verlassen hatte. Das Programm richtete sich
an die serbische Bevölkerung in den reintegrierten Gebieten, aber auch an jene Serben, die
diese reintegrierten Gebiete verlassen hatten und jetzt in der Republika Srpska lebten. Um
dieses Zielpublikum zu erreichen, organisierte „DISS“ Programme, in denen die Berichte
von 20 verschiedenen Radiosendern sowohl der Föderation als auch der Republika Srpska
zusammengestellt wurden. Obwohl die lokale Regierung nie versucht hat, die Radiostation
aufgrund ihrer redaktionellen Politik unter Druck zu setzen, und sogar in den Zeiten, in
denen das Radio mit dem Überleben kämpfen musste, Finanzhilfe leistete, fehlte es den-
noch an nachhaltiger Unterstützung. Die wichtige Rolle dieses Unternehmens und ähnlicher
Projekte in anderen Teilen Bosniens, blieb anscheinend unbemerkt und erfuhr weder von
nationaler noch von internationaler Seite die notwendige Unterstützung. So wurde die zum
Sendestart gewährte Unterstützung von „Radio DISS“ durch internationale Geldgeber nicht
fortgesetzt. Man war nicht daran interessiert, die Stabilität und den Erfolg dieses einzigarti-
gen Medienprojekts zu sichern.

101
Diese Nichtregierungsorganisation repräsentierte mehrere tausend Serben, die in ihren Häusern in den Vor-
orten von Sarajevo geblieben sind, nachdem diese Vororte gemäß dem Abkommen von Dayton Anfang 1996
von der Republika Srpska an die bosnisch-herzegowinisch Föderation übergeben wurden.

120
6.2 Radio und Fernsehen

Die Entwicklung der bosnischen elektronischen Medien began offiziell am 10. April 1945,
als „Radio Sarajevo“ sein erstes Radioprogramm ausstrahlte. Bis 1992 sendete „Radio
Sarajevo“ vier Radioprogramme: „Radio Sarajevo I“, das 1945 geschaffen wurde, „Radio
Sarajevo 202“ (1. Juli 1971), „Radio Sarajevo III“ (10. April 1973) und „Radio Sarajevo II“
(1. Oktober 1975). Das erste Theaterstück, das via Radio übertragen wurde, ging 1948 über
den Äther, und im folgenden Jahr das erste Live-Konzert; 1952 gab es das erste Nachrich-
tenprogramm und 1954 das erste Unterrichtsprogramm. Ab Oktober 1961 sendete „Radio
Sarajevo I“ zum ersten Mal ohne Unterbrechung von fünf Uhr morgens bis 12 Uhr mittags.
Im „Jugoslovenska Radio-Televizija“ (JRT), deren Regionalableger „TV Sarajevo“ war,
wurden die Führungsposten nach Titos Konzept der nationalen Balance vergeben. Nationa-
le Quoten sollten die Posten gleichmäßig unter Serben, Kroaten und Bosniaken verteilen.
Die Konkurrenz war bei „TV Sarajevo“, „TV Zagreb“, „TV Belgrad“, „TV Novi Sad“ und
„TV Titograd“ (Montenegro) besonders stark, weil sie alle in Serbokroatisch sendeten. In
den 1980er Jahren machten sich in allen Teilrepubliken und damit auch in den Chefetagen
der TV-Stationen die ersten Anzeichen des aufkommenden Ethno-Nationalismus bemerk-
bar. In den bosnischen Medien hätte sich dieser nach Meinung von Adin Sadi noch in
Grenzen gehalten, wofür die ausgewogene Berichterstattung von „Oslobodjenje“ oder des
„Omladinski program“ („Jugendprogramm“) von „Radio Sarajevo II“ Beweis gewesen
wäre. Die kroatisch-serbischen der frühen 1990er Jahre liessen auch das bosnische Medien-
umfeld nicht unberührt. Sendeanlagen von „TV Sarajevo“ auf dem Berg Kozara wurden am
1. August 1991, acht Monate vor Ausbruch des Krieges, von der Jugoslawischen Volksar-
mee abgebaut. Wenig später geschah dasselbe mit den Sendeanlagen in Plješevica, Doboj,
Trovrh, Velez und Vlašic.
Der Vertrieb der Tageszeitung „Oslobodjenje“ wurde in vielen Regionen Bosnien-
Herzegowinas, die von serbischen Paramilitärs kontrolliert wurden, unmöglich gemacht.
Fahrer berichteten von illegalen Checkpoints, an denen sie aufgehalten und alle Zeitungen
ohne Erklärung oder Ausweis konfisziert worden waren. Das „Oslobodjenje“-Gebäude war
eines der ersten Ziele der schweren serbischen Artillerie im Frühjahr 1992, aber ungeachtet
der schweren Schäden und den tödlichen Risiken der in unmittelbarer Nähe verlaufenden
Front nehmen die multethnischen Redakteure und Reporter der „Oslobodjenje“ für sich in
Anspruch, den professionellen Standards auch während des Bosnienkrieges treu geblieben
zu sein. Zugleich hielt die Regierung von Präsident Miloševi “Radio Televizija Srbije”
(RTS, Radio-Fernsehen Serbiens) fest umklammert (RTS). Der Anführer der kleinen Serbi-
schen Reformpartei, Ivan Djuri, erklärte in einem Interview, welches Verständnis Miloše-
vi von der Macht der Medien hätte: Miloševi hätte sicher niemals Marshall McLuhan
gelesen, aber er verstünde besser als jeder andere, welche Funktion die Massenmedien und
insbesondere das Fernsehen hätten. Er wüsste nur zu gut, dass nichts über nationales Fern-
sehen geht, und dass im nationalen Fernsehen nichts über die halb-acht-Uhr-Nachrichten
geht. Dort würde der nationale Konsens gebildet.
Das Referendum über die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas fand am ersten und
zweiten März 1992 statt. Die Wahlbeteiligung war unerwartet hoch, allen Drohungen zum
Trotz. Mehr als 64 Prozent der Wähler stimmten für die Unabhängigkeit, während die Ser-
bische Demokratische Partei in Bosnien (SDS) die Serbische Republik von Bosnien und
Herzegowina ausrief, lange vor der internationalen Anerkennung von Bosnien-
Herzegowina, und sogleich eine TV-Station im Bergdorf Pale schuf, einige Kilometer aus-

121
serhalb von Sarajevo. Nach Meinung internationaler Medienbeobachter hätte das Pro-
gramm dieses Senders aus nichts anderem als Hassgesängen und den Versuchen bestanden,
selbst ethnische Säuberung und Mord als Akte der Befreiung zu verkaufen. Einige Jahre
nach dem Krieg meinte der „Oslobodjenje“-Kolumnist Gojko Beri über die TV-Pale-
Nachrichten und deren Redakteur Risto Djogo, dass die Menschen in Sarajevo auf Djogos
Abendjournal „wie auf eine Art masochistischen Rituals“ gewartet hätten, um zu sehen, auf
welche Tiefen das Niveau noch sinken könnte. Anfangs herrschte noch der Zweifel, ob der
Krieg, die Heckenschützen, die schwarzen Nachrichten Djogos, und all das, lange dauern
würden. Aber später hätte sich die Neugier, welche Leute hinter dem Terror stecken, fast zu
einer Sehnsucht ausgewachsen, so Beri. „Ich meine, dass Djogos primitive Hass eine un-
beabsichtigte Wirkung unter den Einwohnern von Sarajevo hatte – Trotz und ein Gefühl der
Überlegenheit gegenüber dem Bösen – und ich glaube, dass das am Ende zum Überleben
der Stadt beigetragen hat.“ Im Juni 1992 proklamierte der bosnische Kroatenführer und
HDZ-Vorsitzende Mate Boban die ‚Kroatische Gemeinschaft von Herzeg-Bosnia‘, eine Art
von kroatischer autonomer Region, in der die kroatische Währung eingeführt und die kroa-
tische Fahne aufgezogen wurde. Die ‚Kroatische Gemeinschaft von Herzeg-Bosna‘ richtete
ebenfalls ihr eigenes Mediensystem ein, übertrug kroatisches Fernsehen über die Sendean-
lage, die sie kontrollierte. Bald nach der Zurückweisung des Owen-Stoltenberg-Plans wur-
de die bosnische Armee vom Kroatischen Verteidigungsrat (HVO) angegriffen.
Dem Friedensabkommen von Dayton, mit dem der Bosnienkrieg im November 1995
offiziell zuende ging, folgte eine überteuerte und ineffiziente Verwaltung, in der 14 Verfas-
sungen und die gleiche Anzahl an Regierungen und Parlamenten auf unterschied-lichen
Ebenen – die Föderation Bosnien-Herzegowina hat zehn Kantone mit komplexer Verwal-
tungsstruktur –, mit 180 Ministern, Ministerien und Verwaltungen miteinander wetteifern
bzw. im Streit liegen. Bosnien und Herzegowina stellte sicher den kompliziert-esten Staats-
apparat, den die Welt jemals gesehen hat. Ethnisch gespalten wie der Staat nun war, waren
es auch die Medien, die je nach Ethnie mehr oder weniger isolierte Systeme bildeten. Die
Politik kontrollierte weiterhin die Medien, worauf die internationalen Gemeinschaft in
Bosnien erklärte, eine demokratische Atmosphäre, die Alternativen offerieren würde, wäre
unter diesen Umständen nicht machbar. Die feindselige Medien-landschaft, in der der
Missbrauch der Medien zu politischen Tageszwecken üblich war, konnte keine Vorausset-
zung für fairen politischen Wettstreit oder gar Versöhnung bieten. Der Mangel an ausgebil-
deten Journalisten zog etliche junge Aussenseiter in das Geschäft, die oft genug nur einen
Gymnasialabschluss vorweisen konnten. Als Konsequenz dieser Gesamtsituation erwies
sich die bosnische Medienrealität als unterentwickelt, vom professionellen wie vom rechtli-
chen Standpunkt, obwohl die Zahl der Medienerzeugnisse pro Kopf eine der höchsten in
ganz Europa war. Der Bedarf an einem unabhängigen Regulierungsorgan, um den gesetzli-
chen Rahmen für das Verhalten der Medien zu schaffen, war brennend. Dabei war das
Eingreifen der internationalen Autoritäten unumgänglich, weil die Medienrealität am Ort
des Geschehens nicht nur unter unregulierten und missbräuchlich verwendeten Medienpro-
dukten litt. Seit 1995 investierte die internationale Gemeinschaft mehr als 60 Millionen
Dollar in die Entwicklung der Medien. Die Unterstützung diente dazu, neue Medien zu
schaffen, wie das „Open Broadcast Network“ (OBN), als auch unabhängig gesonnene Me-
dien zu fördern, die sich während des Krieges begonnen hatten zu etablieren – zum Beispiel
die “Nezavisne Novine” – oder wie die Zeitschrift „Reporter“ unmittelbar nach dem Frie-
densabkommen von Dayton entstanden waren. Es gab drei Schritte, nach denen die interna-
tionale Gemeinschaft grundlegende Änderungen vornahm. Als ersten Schritt, um die Me-
dienlandschaft des Landes zu regulieren, brachte man alle sechs in Bosnien-Herzegowina

122
bestehenden Journalistenverbände zusammen, um eine Presse-Codex hinsichtlich allgemei-
ner ethischer und professioneller Standards zu diskutieren. Nach langen Debatten wurde
dieser am 29. April 1999 angenommen.
Dieser Kodex beinhaltete bereits bestehende europäische Standards journalistischer
Praxis, um den Zeitungen und Periodika eine fundierte Selbstregulierung an die Hand zu
gaben. Er appellierte an die professionelle Ethik und die professionellen Standards jedes
Journalisten und Redakteurs. Der Presserat von Bosnien und Herzegowina (PCB&H) wur-
de im Sommer 2000 gegründet, womit Bosnien-Herzegowina das erste Transformations-
land Südosteuropas wurde, das das Prinzip Selbstregulierung im Printjournalismus etablier-
te. Etliche internationale Organisationen spielte bei der Etablierung des Presserates eine
wichtige Rolle – die „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE),
die EU-Mission in Bosnien-Herzegowina, „IMC“ und „Irex Pro Media“. Der Kampf um
eine unabhängige Medienlandschaft war in den frühen post-Dayton-Jahren besonders heftig
und vor allem gefährlich für jene Journalisten und Redakteure, die sich keines Schutzes
ihrer jeweiligen nationalen bis nationalistischen Regime erfreuen konnten. Ein tragischer
Beispiel ist Željko Kopanja, Eigentümer und Chefredakteur der in Banja Luka, in der Re-
publik Srpska beheimateten Tageszeitung „Nezavisne Novine“, der mit seiner Gesundheit
für seinen investigativen Mut bezahlen musste – davon später mehr. Der Wendepunkt der
internationalen Intervention in die bosnisch-herzegowinischen Medien kam am 11. Juni
1998, als der Hohe Repräsentant Carlos Westendorp Cabeza, gemäß seiner Funktion inner-
halb des Dayton-Abkommens, jene „Decision on the Establishment of the Independent
Media Commission in B&H“ (IMC) verkündete. Diese Entscheidung war die erste des
Hohen Repräsentanten, die dazu führen sollte, die Medien zu restrukturieren. Danach muss-
ten ab sofort sowohl der Generaldirektor als auch der Rat des „IMC“ vom Hohen Repräsen-
tanten ernannt warden, was dem neuen Regulierungsorgan weitgehende Autorität verlieh,
denn dessen Jurisdiktionsgewalt erstreckte sich auf das gesamte Gebiet Bosnien-
Herzegowinas. 2001 führte der „IMC“ ein Reglement für den Sendebetrieb und die anderen
Medien in Bosnien-Herzegowina ein, und schuf die notwendigen Strukturen, um dieses
Reglement zu erfüllen. Diese Strukturen inkludierten einen Praxis-Kodex und ein Lizensie-
rungsschema für Senderbetreiber. Der dritte Hohe Repräsentant in Bosnien und Herzego-
wina, der österreichische Diplomat Wolfgang Petritsch, traf die Entscheidung, die Kompe-
tenzen des IMC mit denen der „Telecommunications Regulatory Agency“ (TRA) zu ver-
knüpfen, eine Entscheidung, die am 2. März 2001 fiel, und die die Jurisdiktion in Sachen
Sendebetrieb und Telekommunikation einem einzigen unabhängigen Organ übertrug, der
„Communication Regulatory Agency“ (CRA).
Die „Communication Regulatory Agency“ (CRA) war eine unabhängige Agentur, die
nach den Verwüstungen des Bosnienkrieges versuchte, die Prozesse in Rundfunk und Fern-
sehen in geordnete Bahnen zu lenken102. Wie in Deutschland unterschied sie zwischen öf-
fentlich und privat finanzierten Medien und ob sie ihren Sitz im Land oder im Ausland
haben, wenn sie Lizenzen vergab. Das lag grundsätzlich daran, dass der Lizensierungs-
prozess für private Medien anders aussieht als der für öffentliche. Ausländische Anbieter,
die in der Föderation arbeiten wollen, müssen sich beim Außenamt anmelden. Lange Zeit
gab es keine auswärtigen Interessenten, wenn man von Radio Jugoslawien absieht, das auf

102
Vgl. Sadi, Adin: History and development of the Communication Regulatory Agency in Bosnia and Herzego-
vina 1998-2005. A thesis presented to the Faculty of the College of Communication of Ohio University. June
2005.

123
Kurzwelle zu senden wünschte, und das das einzige ausländische Medium war, das von der
„CRA“ eine Lizenz erhielt. Die Radiostationen der SFOR, auf die im Dezember 2004 die
EUFOR folgte, die mit besonderem Status im Lande senden, können ebenfalls als ausländi-
sche Medienanbieter gelten. In der Vergangenheit haben ausländische Institutionen und
Stiftungen in Bosnien investiert, um dort die Medien neu aufzubauen. Neben „TV OBN“,
dem „Open Broadcast Network“, ist ein weiteres Beispiel ausländischer Investitionstätig-
keit der Rundfunkverband „FERN“. „FERN“ begann 1996 zu senden, mit dem Ziel, die
Informationsblockade, die Bosnien-Herzegowina umgab, aufzubrechen, und unabhängige
und unparteiische Nachrichten anzubieten über die Implementierung des Friedensabkom-
mens von Dayton und den Wahlkampf. Da sich die Arbeit des Rundfunksenders recht gut
anließ, konnten die ausländischen Geldgeber, unter ihnen die Regierung der Schweiz und
später die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), überzeugt
werden, den Sender bis zu den Wahlen von 2001 zu unterstützen. Radio „FERN“ galt als
populärer und vertrauenswürdiger Nachrichtensender, der landesweit zu empfangen war.
Heute ist er in den „Public Broadcast Service“ (PBS) Bosniens integriert, zusammen mit
Teilen von „Radio Bosnien und Herzegowina“ (RTRS). Das Rundfunkangebot läuft unter
dem Namen „Bosnien und Herzegowina-Radio 1“.
Im Gegensatz zu Deutschland werden in Bosnien-Herzegowina die öffentlich-
rechtlichen Fernsehsender im Allgemeinen häufiger als die privaten gesehen. Insgesamt
gibt es rund 39 Fernsehsender. Die TV-Verbreitung liegt bei 97 Prozent und ist damit nahe-
zu flächendeckend. Rund 57,2 Prozent empfangen Fernsehen über Kabel, 37 Prozent über
Satellit und der Rest terrestrisch. Es existieren rund 17 öffentlich-rechtliche Fernsehsender
in Bosnien-Herzegowina, die sich durch eine Rundfunkgebühr finanzieren. Allerdings sind
die meisten von ihnen eher kleine Sendeanstalten, die nur in ein begrenztes Gebiet ausstrah-
len und somit Lokalsender darstellen. Lediglich drei Sender sind überregional zu empfan-
gen, davon einer auf Staatsebene und zwei in den Teilrepubliken Republika Srpska und der
Föderation. Der Sender „BHT 1“ („Bosanskohercegovaka televizija“) ist derjenige auf
nationaler Ebene, den man im ganzen Land auf einem Kanal oder mittels des Satelliten
„Hotbird 13E“ empfangen kann. „BHT1“ ist das Erbe des alten, bosnischen nationalen
Fernsehens, wie es vor dem Krieg existierte. Der Sender des serbischen Gebietes ist „RT
RS“ („Radiotelevizija Republike Srpske“) und deckt dort das gesamte Sendegebiet ab. Er
wurde zu Beginn des bosnischen Krieges im Jahr 1992 von den bosnischen Serben unter
dem Namen „SRT“ gegründet (Srpska Radio Televizija). Er dienste dazu, die bosnischen
Serben und das Ausland mit serbischen Informationen zu versorgen und galt damit als
kontrolliertes Instrument der serbischen Kriegsführung. Die internationale Gemeinschaft
machte den Sender zu einem öffentlichen Sender zu machen, der ein unabhängiges Pro-
gramm für die gesamte Bevölkerung des neuen Gebietes Republika Srpska senden sollte.
Im bosnischen Teilgebiet wird der öffentliche Sender „RTV FBiH“ („Radiotelevizija
Federacije BiH“) ausgestrahlt. Er wurde allerdings erst im Jahr 2001 gegründet103. Die
Serben akzeptierten diesen Sender allerdings nicht und gründeten ihren eigenen, den heuti-
gen Sender „RT RS“. Auch die Kroaten in Bosnien-Herzegowina bevorzugten ihre kroati-
schen Sender. Da sich also drei verschiedene, voneinander unabhängige Mediensysteme
nach dem Krieg herausbildeten, wurde 2001 der Sender „RTV FBiH“ für das bosnische
Teilgebiet gegründet. Das Programm der drei öffentlichen Sender hat den angestrebten

103
Das bosnische Fernsehen, das vor dem Krieg existierte, wurde seit dem Kriegsbeginn weiter unter dem Namen
Bosnisches Fernsehen ausgestrahlt. Es stand unter Kontrolle der bosniakisch-muslimischen Partei SDA.

124
Prozess der Unabhängigkeit und eines ausgewogenen Programm noch nicht ganz vollzo-
gen. Die Sender und somit das Programm werden indirekt von der Politik beeinflusst, weil
diese die führenden Ämter besetzt, und damit auch der journalistischen Freiheit Grenzen
setzt. Auch die Berichterstattung der drei verschiedenen Hauptvolks-gruppen wird oft als
nicht ausgewogen kritisiert. An zugespitzten Berichten und Sendungen entzündet sich im-
mer Streit. Alle drei senden eine Mischung aus Politik, Kultur, Sport und Unterhaltung.
Durch das Kommunikationsgesetz des Landes ist die Werbung auf vier Minuten pro Stunde
reglementiert. 40 Prozent des Wochenprogramms müssen Nachrichten, Ausbildung und
Kinderprogramm beinhalten. Eine Stunde pro Woche ist für Flüchtlingen und Minderheiten
reserviert und zehn Stunden müssen mit Kinderprogramm besetzt sein.
Es gibt mehrere private Fernsehsender in Bosnien, die allerdings alle erst nach dem
Ende des Krieges entstanden und sich durch Werbeeinnahmen finanzieren. Die meisten
sind lokale Fernsehsender, die zum Teil von der internationalen Gemeinschaft gegründet
wurden, um nach dem Krieg ein ausgewogenes Fernsehangebot zu schaffen. Einige der
privaten Sender sind im ganzen Land zu empfangen. Zu den populärsten überregionalen
Privatsender in Bosnien zählen „OBN“ und „Pink TV“. „OBN“ unterhält ein Voll-
programm, das sowohl politische und wissenschaftliche Sendungen als auch Unter-
haltungsprogramme wie zum Beispiel populäre Filme präsentiert. Der Sender spricht damit
neben der Mittelschicht auch Intellektuelle an. Der Sender „Pink TV“, der aus Serbien
stammt und dort vor allem mit Volksmusik erfolgreich ist, strahlt fast nur Unterhaltungs-
programm aus. In Bosnien hat „Pink TV“ allerdings ein wesentlich jüngeres Publikum und
spielt mehr Popmusik. Bei den Radiosendern sieht es ähnlich wie auf dem Fernsehmarkt
von Bosnien und Herzegowina aus. Es besteht ein duales System aus öffentlichen und pri-
vaten Sendern. Im Unterschied zum Fernsehmarkt wird das private Radio allerdings mehr
gehört als das öffentliche. Insgesamt gibt es 144 Radiostationen im Land, von denen 86
privat und 58 öffentlich sind (Stand 2005). Der Radiomarkt ist in Bosnien-Herzegowina im
Allgemeinen sehr lokal geprägt. So besitzt unter anderem der Marienwallfahrtsort Medju-
gorje in der mehrheitlich kroatischen Herzegowina einen eigenen Radiosender. Der Wort-
anteil ist deutlich höher als bei den meisten deutschen Sendern. Die drei großen überregio-
nalen Sender betreiben jeweils einen Radiosender, zu dem auf nationaler Ebene ein allge-
meiner Radiosender kommt – „BH Radio 1“ (Public Broadcasting Service Bosnien-
Herzegowinas). Durch eine hochqualitatives, umfangreiches Informations-, Kultur- und
Bildungsprogramms soll es das Bedürfnis aller Schichten und Altersgruppen nach objekti-
ven Informationen befriedigen. Die Sender „RTVBiH“ und „RTRS“ senden jeweils auf den
Teilgebieten der Föderation und der Republik Srpska. Die privaten Rundfunkstationen
dominieren klar den Markt in Bosnien-Herzegowina. Es existieren zwei Netzwerke aus
lokalen Sendern. Zum einen ist das „Radio 27“, das mit „Radio Free Europe“ zusammen-
hängt, und zum anderen „Bosanska Mreza - BORAM“. Ein äußerst beliebter privater Ra-
diosender ist „Radio Stari Grad“ („Radio Altstadt“) aus Sarajevo. Dank einer neutralen,
unabhängigen und konsequenten Redaktionspolitik sowie seiner stabilen finanziellen Lage
trägt der Sender zu einer zunehmend stabilen Lage auf dem Radiomarkt bei.

125
6.3 Ethnische Gräben in der Medienlandschaft Bosniens

Ende September 2008 beschloss das Oberhaus des bosnischen Parlaments in Sarajevo, mit
den Stimmen der bosnisch-serbischen und bosnisch-kroatischen Mehrheit, die Regierung
möge die Gründung eines kroatischsprachigen Fernsehsenders einleiten. Die bosnisch-
muslimische Abgeordneten versuchten die Entscheidung zu blockieren, wurden aber über-
stimmt. Man befürchtete, die Einrichtung eines weiteren Senders einer der Ethnien würde
nur die ethnischen und politischen Animositäten weiter anheizen. Die Frage eines kroati-
schen Fernsehkanals wurde seit Jahren hitzig diskutiert. Dazu muss man wissen, dass der
öffentlich-rechtliche Rundfunk von drei Rundfunkunternehmen bestritten wird, jeweils
zwei in den beiden Entitäten – vom staatlichen „BHRTV“ („Bosnisch-Herzegowinisches
Radio und Fernsehen“), von „RTVFBiH“ in der Föderation, und „RTRS“ in der Republika
Srpska. Da dem in Sarajevo beheimateten „FTV“ vorgeworfen wird, nur in bosnischer
Sprache und vor allem die politischen Positionen der bosnisch-muslimischen Führung wie-
derzugeben, drangen bosnisch-kroatische Politiker auf einen eigenen Kanal in kroatischer
Sprache. Dieser Vorstoß wurde immer wieder von anderen lokalen Politikern zurückgewie-
sen, wie auch von vielen internationale Organisationen und Experten, die meinten, ethni-
sche Separierung unter öffentlichen Medienanbietern sei weder professionell noch demo-
kratisch. Doch die Situation änderte sich schlagartig, als die bosnisch-serbischen Abgeord-
neten in der Volksversammlung die Forderungen der Kroaten unterstützten.
Die Motive für diesen Meinungsumschwung waren nicht klar. Man vermutete, daß das
eine Art Charme-Offensive bzw. das Werben um Bündnispartner war, da sich in der inter-
nationalen Gemeinschaft die Stimmen mehrten, die die Republika Srpska als illegal be-
trachten, gegen deren Minsterpräsidenten Milorad Dodik polemisieren und die Republika in
letzter Instanz auflösen möchten. Andere argwöhnten, das sei nur eine Kampagne der Re-
gierung der Republika Srpska, durch weitere Zweitracht die zentralen Institutionen Bos-
niens zu schwächen. 2008 hatte die Regierung der Serben-Republik wiederholt betont, das
schlecht geführte und überschuldete „BHRTV“ gehöre aufgelöst und das gesamte Rund-
funksystem überholt. Bosnisch-muslimische Politiker, die an die Kampagnen-Version
glaubten, versuchten den kroatischen Vorstoß zu blockieren, indem sie auf den Schutz
nationaler Interessen verwiesen und den Fall an das Verfassungsgericht überwiesen. Das
Gericht wies die Klage jedoch ab, was die Entscheidung für den kroatischen Fernsehsender
ermöglichte. Die bosnisch-muslimischen Abgeordenten, die ohnehin stets befürchten, zwi-
schen den mächtigen Interessen der Kroaten und Serben und ihrer Hinterländer zerrieben zu
werden, kündigten sogleich an, entsprechend auf diese Entscheidung zu reagieren.
Gleichwohl wird immer wieder die Frage diskutiert, ob in diesem vergleichsweise klei-
nen Land tatsächlich drei Sender vonnöten seien. Eine Medienreform sei dringend notwe-
nig. Als man sich darauf vorbereitete, das Stabilisierungs- und Annäherungs-abkommen
mit der Europäischen Union zu unterzeichnen und damit einer EU-Mitgliedschaft ein gutes
Stück näher zu rücken, betonten verschiedene Kommentatoren, daß die Reform des eth-
nisch gespaltenen öffentlich-rechtlichen Mediensystems zu einer objektiven, unabhängigen
und demokratischen Sendeanstalt eine zentrale Vorraussetzung für das Abkommen sei.
Zugleich bangten die Beteiligten und die Politiker um die Zukunft der kostenintensiven
dreigeteilten Institution. Das Problem der nationalen Sendeanstalt in Bosnien ist die Un-
klarheit darüber, wem sie eigentlich dient – so lässt sich die verfahrene Situation des
„BHRT“ beschreiben, der als landesweite Sendanstalt eine Bevölkerung aus 17 Prozent
Kroaten, 31 Prozent Serben und 44 Prozent Bosniern neutral informieren und gleichzeitig

126
die Entfaltung der kulturellen Identitäten gewährleisten soll. Im Rahmen des Dayton-
Abkommens schufen deshalb primär internationale Kräfte nach Kriegsende ein dreiteiliges
öffentlich-rechtliches System für die beiden Entitäten Bosnien-Herzegowina und Republika
Srpska: „RTF“ sendet im Gebiet der bosnisch-kroatischen Föderation, „RTRS“ in der Re-
publika Srpska und die übergeordnete Anstalt „BHRT-BiH“ im gesamten Gebiet Bosnien-
Herzegowinas. Das angestrebte Modell des amerikanischen Public Broadcasting funktio-
niert in der Realität jedoch nicht. Während die beiden lokalen Sender „RTF“ und „RTRS“
in ihren Gebieten mit ihrem ethnisch zugeschnittenen Programm hohe Einschaltquoten
erzielen, konnte sich „BHRT“ nicht als Medium für alle Volksgruppen durchsetzen. Die
Berichterstattung gilt als unglaubwürdig und regierungsloyal. Vor allem Vertreter der Ser-
ben werfen dem Sender vor, parteiisch und einseitig zu berichten. Als Beispiel dafür wird
die Abspaltung des Kosovo zitiert. Der „BHRT“ berichtete stets in einer Weise, die klar für
den Kosovo stand, was für einen multiethnischen Sender nicht akzeptabel sei. Die Serben
waren wütend, und drohten damit, sich genauso wie der Kosovo abzuspalten. Die kroati-
sche Bevölkerung blockierte gar die finale Umsetzung des 2005 akzeptierten Gesetzes zur
Vereinigung aller drei öffentlich-rechtlichen Institutionen und forderte einen zusätzlichen
eigenen Sender im kroatischen Dialekt.
Für einen solchen Sender sei schlicht kein Geld da, argumentierten dessen Gegner.
Schon jetzt sei das System hoffnungslos überschuldet, es fehle an ökonomischer Basis für
die drei Sender. Zudem sind die sprachlichen Unterschiede marginal, etwa vergleichbar mit
amerikanischem, britischem und australischem Englisch. Darin läge im Vergleich zu ande-
ren multiethnischen Staaten auch eine große Chance, zöge sich nicht der Konflikt zwischen
Ethnonationalismus einerseits und Zentralisierungsbestrebungen andererseits durch alle
gesellschaftlichen Bereiche. Bosnien-Herzegowina mitsamt seinem Medien-system ist ein
primär von außen geschaffenes Konstrukt, mit dem keine der Volksgruppen wirklich zu-
frieden sei, meinen bosnische Kommentatoren. Die früher aufgrund seiner ethnischen Ver-
mischung als Leopardenfell bezeichnete Region ist heute in zu 95 Prozent ethnisch homo-
gene Gebiete aufgeteilt. Das gilt auch für die Medienlandschaft: Jede Bevölkerungsgruppe
konsumiert ‚ihre‘ Medien. Der serbische Sender „RTRS“, der unter starkem Einfluß Pre-
mier Dodiks steht, verweigerte 2007 etwa die Kooperation mit dem nationalen Sender
„BHT1“ und verbot deren Journalisten den Zutritt zu einer Pressekonferenz. Dodik gab
Journalisten keine Auskunft auf Fragen, weil sie von anderen Sendern als dem „RTRS“
kamen. Diese Vorfälle, sowie die weiterhin nicht absehbare Zusammenführung der drei
Sender veranlasste den OSZE-Beauftragten Miklos Haraszti zu der Warnung, die Zukunft
des öffentlich-rechtlichen Senders in Bosnien-Herzegowina sei ernsthaft bedroht. Ein Prob-
lem der Umsetzung des dreigliedrigen Systems liegt auch in der oft kritisierten mangelnden
Professionalität der Journalisten. Medienrechtlich gesehen ist Bosnien fortgeschrittener als
die meisten Länder der Region. Dennoch sind die Ethnisierung und die politische Einfluss-
nahme stark zu spüren. Die Politiker sehen es immer noch als selbstverständlich an, dass
die Medien ihren Interessen zu dienen haben. Dass das mittlerweile auf Gegenwehr stößt,
zeigte die Attacke eines Abgeordneten der bosnischen Regierungspartei „SbiH“ auf einen
Journalisten des oppositionsnahen Senders „FTV“. Sadik Bahtik hinderte den Journalisten
brutal am Zutritt zu einer Pressekonferenz, zu der dieser „nicht eingeladen“ sei. Der Protest
von zweihundert Journalisten und eines Großteils der Bevölkerung zwang ihn zum Rück-
tritt von seiner Präsidentschaftskandidatur.
Politische Themen, die die Kroaten und Serben in Kroatien und Serbien bewegen, be-
wegen auch ihre ‚Landsleute‘ in Bosnien-Herzegowina. Dazu braucht man sich nur das
Interview anzusehen, das der Präsidentschaftskandidat der serbischen Radikalen am 12.

127
Januar 2008 dem „Dnevni Avaz“ gab: Würden die Beziehungen zwischen Serbien und
Bosnien-Herzegovina in eine neue Phase gefährlicher Instabilität eintreten, sollte der Kan-
didat der Serbischen Radikalen Partei, Tomislav Nikoli, am 3. Februar Präsident Serbiens
werden? Der Interims-Chef der serbischen Radikalen schuf umgehend Klarheit, als er da-
von sprach, daß den Serben 1992 im Gegensatz zu Kroaten und Bosniaken das Recht auf
den Status einer konstitutiven Volksgruppe bestritten worden sei, allein in der Serbenrepu-
blik sei dieses Recht gewahrt, und um dieses Unrecht zu tilgen, werde seine Partei auch
Bosnien-Herzegovina in ein Großserbien eingliedern. Und der Serbenrepublik müsse ge-
nauso wie dem Kosovo das Recht auf Unabhängigkeit zugestanden werden. Doch hier
zeige sich die Heuchelei des Westens, der den Vielvölkerstaat Jugoslavien zerstörte, um
den Vielvölkerstaat Bosnien-Herzegovina zu schaffen. Der Hass auf Serbien stünde hinter
diesem Paradoxon, meinte Nikoli. Genauso wie der Umgang mit dem Thema Kosovo, der
seiner Meinung nach gerade auch im bosnischen Staatsfunk sehr zu wünschen übrig ließe.
Würden Sie es verstehen, fragte Nikoli seinen Interviewpartner vom „Dnevni Avaz“, wenn
jemand in ihr Haus eindränge und ihr Fernsehgerät stähle? Doch der Separatismus der Al-
baner würde international toleriert. Das Interview hatte den erwarteten Effekt auf die bos-
nisch-muslimische Bevölkerung, die sich mit dem Unabhängigkeits-streben der muslimi-
schen Kosovo-Albaner solidarisierte. Die Serben der Republika Srpska fühlten sich bestä-
tigt, ihre Zeitungen und Fernsehsendungen kommentierten das Interview im zustimmenden
Sinne. Die Kroaten fühlten sich ebenfalls in ihrer kritischen Haltung zum ‚serbischen Grö-
ßenwahn‘ bestätigt, der vor Bosnien-Herzegowina nicht halt mache.
Um die Lage der bosnischen Medien klarer zu machen, erzählte ein lokaler Journalist
die folgende Geschichte: ein Pensionär, der nach Abzug aller sonstigen Lebenshaltungs-
kosten nur noch zehn Mark in seiner Tasche hat, könnte leicht in Versuchung geraten, eine
Waffe auf den Premierminister Milorad Dodik zu richten, den er für das ganze Schlamassel
verantwortlich macht, die Korruption und die Vetternwirtschaft, die an der politischen und
wirtschaftlichen Spitze der serbischen Entität herrsche. Würde er es tatsächlich tun, so
erzählt der Journalist, erschiene der alte Mann auf der Titelseite jeder ausländischen Zei-
tung und in jeder Nachrichtensendung, nur nicht in den bosnischen Zeitungen und Sendun-
gen. Nur wenig würde dort über Politik und die Defizite der Verwaltung und Wirtschaft
geschrieben, aus dem schlichten Grund, weil die Journalisten Angst hätten. In der Endphase
der Miloševi-Herrschaft war das kritische bosnisch-serbische Magazin „Reporter“ das
erste Medium, das für die mediale Öffnung durch das Informationsgesetz bezahlen musste.
„Reporter“ durfte aufgrund einer Entscheidung des Gerichts von Sremska Mitrovica in
Serbien nicht erscheinen, weil er einige Texte über das Belgrader Regime und über Slobo-
dan Miloševievic veröffenlicht hatte. Die Vermarkter des „Reporter“ wurden an der Gren-
ze zu Serbien verhaftet, die Druckerzeugnisse geplündert und die Journalisten für einige
Stunden festgehalten. Der „Reporter” scheute sich auch nicht, den Regierungspräsidenten
Milorad Dodik zu verklagen, weil der gegenüber der serbischen Boulevardzeitung „Blic“
falsche Angaben gemacht hätte. Der Prozess kam jedoch nicht von der Stelle. Außerdem
erhielten Journalistinnen, die für das Magazin über ethnische Diskriminierung an den Mit-
telschulen Banja Lukas geschrieben hatten, Drohungen von den Lehrern der inkriminierten
Schulen. Ganz zu schweigen von den Anrufen bei Familienangehörigen und Bombendro-
hungen nachdem Artikel über mutmaßliche Kriegsverbrecher aus Prijedor im „Reporter“
abgedruckt worden waren.
Die Zahl anonymer oder öffentlicher Drohungen gegen Journalisten oder Verlagshäuser
hat nach dem Ende des Bürgerkriegs eher zu- als abgenommen. Das „Helsinki committee
for Human Rights“ in Bosnien-Herzegowina hat festgestellt, daß die Mehrzahl der Journa-

128
listen, die sich an die von der OSZE eingerichtete Notfallnummer wenden, auf die bos-
nisch-kroatische Föderation entfällt: von 95 Journalisten insgesamt aus Bosnien-
Herzegowina kamen 2009 63 aus der Föderation und 32 aus der Republika Srpska. In 30
Fällen handelte es sich um direkte Drohungen und in 11 Fällen waren Journalisten körper-
lich angegriffen worden. Der tragische Höhepunkt dieser Angriffe war die Attacke auf den
Eigentümer, Direktor und Chefredakteur der „Nezavisne Novine“ und des „NES radio“ aus
Banja Luka, Željko Kopanja, nach der ihm beide Beine amputiert werden mussten. Dieser
ungeheuerliche Anschlag folgte auf mehrere Schlagzeilen der „Nezavisne“ zu finanziellen
und anderen Missbräuchen durch Regierungspolitiker der Republika Srpska. Sehr wahr-
scheinlich hing der Anschlag aber vor allem mit Artikeln zusammen, die zum ersten Mal
das Thema serbische Kriegsverbrechen ansprachen und dadurch die Ultranationalisten in
Rage brachten. Man wollte Kopanja mit einer Autobombe zum Schweigen bringen, und
zugleich andere Medien und Journalisten in der Republika und in Bosnien einschüchtern.
Sechs Monate vor dem Anschlag auf Kopanja hatte die Serbische Radikale Partei (SRS) die
„Nezavisne“-Journalisten von den SRS-Pressekonferenzen ausgeschlossen, denn, so
Ognjen Tadi, Generalsekretär der SRS, diese Journalisten würden Lügen und Unwahrhei-
ten über die Konferenzen verbreiten. Dem Mordanschlag auf Kopanja gingen Briefe und
Erpressungen voraus. Kopanja und seine Familie wurden bedroht. Fünfzehn Tage vor dem
Anschlag wurde er aufgefordert, eine hohe Summe für die Sicherheit seiner Familie zu
zahlen. Als die Bombe explodierte, wurde Kopanjas Familie nicht verletzt. Die meisten der
ähnlich gelagerten Fälle wurden bis heute nicht aufgeklärt. Ein ähnlicher Fall ist der An-
schlag auf zwei Journalisten, die für die „Novi List“ aus Rijeka arbeiteten. Robert Frank
und Ronald Brmalj wurden nachdem sie im Westteil Mostars angekommen waren von
Unbekannten gekidnappt. Einem der beiden Journalisten wurde die rechte Hand gebrochen,
sodaß er nicht mehr schreiben konnte. Da in diesen wie auch in andere Fälle die Polizei
involviert war, hielt sich deren Interesse an einer Aufklärung in Grenzen. Die OSZE konnte
über ihre Notfallnummer gewisse geographische Muster ausmachen, wenn es um Druck auf
Journalisten geht. In der Republika waren direkte Drohungen und physische Misshandlun-
gen häufiger, während in der Föderation der Druck subtiler war und zumeist durch Amts-
mißbrauch, zum Beispiel durch Verhängung von überhöhten Steuernachzahlungen zustande
kam.
Als Serbien 1999 bombardiert wurde, wurde das britische Konsulat in Banja Luka ver-
wüstet. Ein Kameramann, der von einer alternativen TV-Station kam, wollte das Geschehen
aufnehmen und wurde prompt verprügelt. Ein andermal stieß der Vizepräsident der serbi-
schen Radikalen, Mirko Blagojevi, gegen den Ex-Minister für Information, Rajko Vasi,
die schwere Drohung aus, dieser hätte sich „Verbrechen gegen das serbische Volk“ schul-
dig gemacht und wäre dafür vom Volk „zum Tode verurteilt“ worden. Prompt wurde Va-
sis glücklicherweise leeres Auto in Brand gesteckt. Mitte 1999 attackierte der Ex-
Gouverneur, Mirko Stojinovi, den Journalisten der Nachrichtenagentur „Beta“, Milan
Srdi, in Doboj körperlich. Der Anlaß war eine Sendung von „RTV BiH“ über Korruption
in Doboj, und Srdi war als einer der Redakteure des Beitrags genannt worden. Die Liste
der Vorfälle ließe sich fortsetzen. Für das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hat das
„Internationale Kommittee für den Schutz von Journalisten“ insgesamt 458 Fälle von Jour-
nalistenmorden weltweit aufgelistet, davon 134 in Europa und in der ex-UdSSR, ein-
schließlich 26 in Kroatien und 21 in Bosnien-Herzegowina. Eines der wesentlichen Prob-
lemen, die einem zufriedenstellenden Schutz der Journalisten in Bosnien im Wege stehen,
ist ihre mangelnde Vertretung. Es gibt zwar fünf Pressevereinigungen in der kroatisch-
muslimischen Föderation, doch deren Einfluss hält sich sehr in Grenzen. In der Republik

129
Srpska existiert die „Unabhängige Vereinigung der Journalisten in der RS“ und die „Verei-
nigung der Journalisten RS“, sowie das „Informationsgewerkschaft der Republik“, die aber
allesamt keine große Hilfe sind. Sie sind entweder nicht groß genug oder können leicht
manipuliert werden. So befinden sich die Journalisten nach wie vor in einer heiklen Lage:
sie sind Opfer ihrer Chefs oder dem Druck der Öffentlichkeit ausgesetzt. Auch herrscht oft
ein Grad an Vetternwirtschaft und Ignoranz gegenüber Grundsätzen des Berufs, die profes-
sionelles Arbeiten stark erschweren. Nicht nur in den lokalen Medien wird zum Beispiel
mit der Namensnennung von Verdächtigen und Minderjährigen, die in Verbrechen verwi-
ckelt sind, extrem leichtfertig umgegangen. Doch es gibt auch Ausnahmen – Verlagshäuser,
die seriös und zuverlässig arbeiten; unabhängige Medien, die zwar gewaltigem Druck aus-
gesetzt sind, aber dennoch das Beste aus der schwierigen Situation machen. Entscheidend
war und ist der Einfluss der Friedensmission in Bosnien-Herzegowina bzw. des internatio-
nalen Engagements. Einige Medien sind auf dem Weg zu international gültigen, anerkann-
ten Standards des Journalismus schon sehr weit fortgeschritten, andere behindern den Frie-
dens- und Demokratisierungs-prozess eher. Ob die laufende Privatisierung den Medien-
markt zum Besseren verändert, bleibt abzuwarten, besonders unter der hoffnungsvollen
Annahme, dass die Reduzierung der staatlichen Kontrolle mit größerer Unabhängigkeit der
Medien einhergeht.

130
7. Mazedonien: der umkämpfte Staat und seine Medien

Mazedonien, das wie Bosnien-Herzegowina bereits innerhalb des sozialistischen Jugosla-


wiens Republiksstatus genossen hatte, trennte sich 1991 vom Gesamtstaat104. Der Unabhän-
gigkeitserklärung war eine Volksbefragung vorausgegangen. Die Staatlichkeit Mazedo-
niens stand von Anfang an unter heftiger Kritik Bulgariens, das weder Sprache noch natio-
nale Kultur der Mazedonen anerkennen wollte, wie auch Griechenlands, das Gebietsforde-
rungen fürchtete, und der Bundesrepublik Jugoslawien, später Serbien-Montenegros, die
die mazedonische Unabhängigkeitserklärung als Separatismus verwarfen. Innenpolitisch
belastete die mangelnde Einigkeit den Aufbau einer stabilen politischen, gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Staatlichkeit. Namentlich die Opposition der albanischen Minderheit,
die ungefähr ein Drittel der Bevölkerung Mazedoniens stellt und vorwiegend im Westen
des Landes lebt, gegen den slawisch-mazedonisch bestimmten Gesamtstaat verschärfte das
innenpolitische Klima. 2001 entluden sich die Spannungen in einem bewaffneten Konflikt
zwischen der mazedonischen Armee und den separatistisch eingestellten Albanern. Nach-
dem die Auseinandersetzungen beendet waren, wurden der albanischen Minderheit durch
das Ochrid-Rahmenabkommen (OFA) bessere Möglichkeiten der politischen und kulturel-
len Entwicklung eingeräumt. Im Gegenzug forderten die staatlichen Institutionen Mazedo-
niens mehr Respekt vom albanischen Bevölkerungsteil. Problematisch war jedoch, dass das
OFA keine genauen Regeln enthielt, wie bestimmte Dinge zu ändern seien, sondern nur die
Pflicht, bestimmte Dinge zu korrigieren. Das angespannte Verhältnis zwischen Mazedonen
und Albanern hatte sich damit nur auf ein zivileres Feld verlagert, das heißt neben der Poli-
tik auch in die Medien, in denen der Konflikt ebenso scharf ausgetragen wird. Denn abge-
sehen von politischen Gesichtspunkten erfolgt die Teilung des mazedonischen Medien-
marktes auch nach ethnischen Kriterien: Der TVSender „Alsat M“, der über eine nationale
Lizenz verfügt und bis zu dessen Tod vom albanischen Geschäftsmann Vebi Velija finan-
ziert wurde, dient alleine den Interessen der albanischsprachigen Bevölkerung. Die Tages-

104
Mazedonien ist heute eine parlamentarische Demokratie, die die EU- und NATO-Mitgliedschaft anstrebt. Seit
Ende 2005 hat das Land offiziell den Status eines Beitrittskandidaten. Anfang Juli 2009 empfahl die EU-
Kommission die Aufhebung der Visa-Pflicht für Mazedonier, die in einen Schengenstaat reisen wollen. Wich-
tige Voraussetzung für die Zustimmung waren die erfolgreichen Bemühungen der mazedonischen Gesell-
schaft, die ethnischen Spannungen im Lande abzubauen und die Korruption zu bekämpfen. Die erwartete und
begehrte Einladung in die NATO blieb allerdings beim Gipfel in Bukarest im April 2008 aus. Die Vertreter
Griechenlands hatten klar gemacht, dass sie ein Veto gegen den Beitritt einlegen würden, insbesondere wegen
des weiter anhaltenden Namensstreits zwischen den beiden Ländern. Aufgrund des beharrlichen Widerstandes
der griechischen Seite, den Namen „Republik Mazedonien” anzuerkennen, wird das Land von den Vereinten
Nationen weiter unter der Bezeichnung „Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien” (FYROM - Former
Yugoslavian Republic Of Macedonia) geführt. Nach abwechselnd sozialistisch und bürgerlich gesinnten Re-
gierungen ist heute eine von Nikola Gruevski geführte Koalition der bürgerlichen Partei VMRO-DPMNE und
der albanischen „Demokratischen Union für Integration” an der Regierung. Der von der VMRO-DPMNE un-
terstützte Gjorge Ivanov wurde im April 2009 zum Präsidenten gewählt. Der auf die EU ausgerichtete Kurs der
mazedonischen Politik wurde bestätigt. Die politische Entwicklung wird allerdings von verschiedenen ungüns-
tigen Faktoren beeinflusst: u.a. der hohen Arbeitslosigkeit (fast 40 Prozent), der verbreiteten Schattenwirt-
schaft (über 20 Prozent des Brutto-inlandsproduktes) und mangelnden Auslandsinvestitionen. Die inneren
Probleme im Lande behindern auch immer wieder eine pro-europäische Außenpolitik – insbesondere die nicht-
reglementierten Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft sowie die fortdauernden Defizite im gesell-
schaftlichen Zusammenleben zwischen den ethnischen Gruppen. [Vgl. Zlatarsky, V./Förger, D.: Die Medien in
Mazedonien. Auslandsinformationen der Konrad-Adenauer-Stiftung 7-8].

131
zeitung „Fakti“, die in albanischer Sprache erscheint, steht der oppositionellen Demokrati-
schen Partei der Albaner nahe. Die Folge dieser ethnischen Spaltung der Medien ist eine
oftmals völlig unterschiedliche Sicht eines Ereignisses, je nachdem ob ein slawisch-
mazedonisches oder albanisches Medium darüber berichtet. Dass die objektive Information
dabei auf der Strecke bleibt, liegt auf der Hand.
Die albanischsprachige Zeitung „Fakti“ befasste sich im Januar 2002 mit dem Ethikrat
des mazedonischen Journalistenverbandes, der an die Journalisten appellierte, nicht zu
Instrumenten der Tagespolitik zu werden. Die meisten mazedonischen Medien würden die
Wahrheit verzerren und manipulieren, mahnte der Ethikrat, nach dessen Ansicht es kaum
mazedonische Medien gebe, „die einen Tag auskommen, ohne Features oder Meldungen zu
veröffentlichen, die für die Albaner ein Ärgernis sind“. Der Wettlauf um ungeprüfte ‚Sen-
sationen’ über die Albaner, die, wie es heißt, aus Geheimdienstkreisen kommen, zeige ganz
deutlich die Stimmung und das Engagement dieser Medien, so der Ethikrat. Hintergrund
der angeblich allzu plakativen Äußerungen der mazedonischen Medien war die offene
Opposition der albanischen Minderheit des Landes, die bis zu offener Aggression und Auf-
stand gegen den mazedonischen Staat gegangen war. Die Angst der slawischen Bevölke-
rungmehrheit, gegenüber den mazedonischen Albanern ins Hintertreffen zu geraten, äußerte
sich in sachlichen bis reisserischen Artikeln, die nach Meinung des Ethikrates das vernünf-
tige Maß überschritten hätten. Um Sensationen bemüht sind freilich weniger die traditions-
reichen Zeitungen Mazedoniens als die Neugründungen der Zeit nach der Unabhängig-
keitserklärung. Doch auch die seriösen Medien konnten sich den Tatsachen nicht verwei-
gern. Im März 2001 rückten albanische Rebellen über die Berge der Šar Planina im Norden
Mazedoniens Richtung Tetovo vor. Eines der ersten Ziele ihrer Militäraktionen waren die
Sendeanlagen der regionalen Radio- und Fernsehstationen. Als diese am 14. März beschos-
sen und zerstört wurden, gab es im Raum Tetovo keine Nachrichten mehr. Der Anschlag
war kein sogenannter ‚Kollateralschaden‘, sondern eine gezielte Aktion der Rebellen. Da
aktuelle Informationen zur Krisensituation fehlten, beschleunigten sich auch die Fluchtbe-
wegungen der lokalen Bevölkerung. Sie konnte Gerüchte über eine unmittelbar bevorste-
hende Einnahme der Stadt durch die Rebellen nicht mehr überprüfen. Verunsicherung und
Angst durch Informationsnotstand waren Teil der Kriegsstrategie. Glücklicherweise fanden
sich internationale Organisationen, die sich an der Beschaffung neuer Sendeanlagen betei-
ligten. Am 1. Mai 2001 gingen die betroffenen Radio- und Fernsehstationen in der Region
Tetovo wieder auf Sendung. Das Beispiel verdeutlicht einerseits die wichtige Rolle von
Medien in Krisensituationen. Aber Medien können Konflikte auch verschärfen. Am 22.
März 2001 wurden im Stadtzentrum von Tetovo zwei Autofahrer von der Polizei kontrol-
liert. Einer der beiden versuchte, eine Handgranate zu zünden und wurde dabei von der
Polizei erschossen. Mazedonische Medien zeigten tagelang die Bilder eines zufällig anwe-
senden Kamerateams. Während die slawisch-mazedonischen Medien die zwei Männer im
Auto umgehend als Terroristen verurteilten, retouchierte die im Kosovo meistgelesene und
auch in Mazedonien vertriebene albanisch-sprachige Zeitung „Bota Sot“ die Handgranate
weg und stellte die Männer als zivile Opfer der extremistischen mazedonischen Sicher-
heitskräfte dar. Der Aufruhr unter der mazedonisch-albanischen Bevölkerung war vorpro-
grammiert und wurde bewusst einkalkuliert.
Die Voraussetzungen für ein unabhängiges und professionelles Mediensystem waren in
Mazedonien bei weitem besser als in den übrigen Krisengebieten des ehemaligen Jugosla-
wien. 1997 verabschiedete die Regierung in Skopje ein Radio- und Fernsehgesetz, das
unabhängigen elektronischen Medien weitgehende Rechte gewährt und auch ethnischen
Minderheiten zum Aufbau von Medien verhelfen sollte. Es galt verglichen mit den übrigen

132
Regionen Südosteuropas als fortschrittlich. Es hatte jedoch einen Webfehler: Etliche recht-
liche Schlupflöcher zwischen den verschiedenen Gesetzen behinderten die Durchsetz-
barkeit der Paragraphen und führten so zu einem rechtsfreien Raum. So ist es den mazedo-
nischen Behörden bisher nicht gelungen, die Schließung einer Vielzahl von rein kommer-
ziellen und ohne Konzession illegal arbeitenden Radiostationen durchzusetzen. Da sie als
Piratensender keine Abgaben und Steuern entrichten, können sie ihre Sendezeit und damit
Werbeminuten zu Dumpingpreisen verkaufen und den regulären Medien das Wasser abgra-
ben. Da Unternehmen wegen der Wirtschaftskrise sowieso weniger Geld für Werbung zur
Verfügung haben, kann solch unfaire Konkurrenz für legale, professionelle und informative
Sender tödlich sein. Aber auch die staatlich kontrollierten Medien verschärfen den kom-
merziellen Druck auf die privaten Anbieter. Sie profitieren von der Finanzierung durch
staatliche Behörden und nutzen dies ebenfalls aus, um Unternehmen kommerzielle Werbe-
spots weit unter dem Preis zu verkaufen, den private Stationen in Rechnung stellen müssen.
Andererseits sehen sich die Staatsmedien ständig der politischen Bevormundung ausge-
setzt. Der Generaldirektor und die gesamte Leitung des Mazedonischen Radios und Fernse-
hens (MRTV) werden vom Parlament anhand politischer Kriterien wie Partei-zugehörigkeit
ausgewählt. Diese wiederum bestimmen die programmverantwortlichen Redakteure. Bis
auf die technischen Angestellten wurde „MRTV“ bisher mit jeder neuen Regierung voll-
ständig umgebaut. Statt als öffentlich-rechtliche Anstalt verschiedenen Meinungen zu die-
nen, funktioniert „MRTV“ immer noch wie ein politisch kontrollierter Teil des Staatsappa-
rates im Dienste der herrschenden Parteien.
Die starke Politisierung der Staatssender ist nicht der einzige Grund, weshalb Medien
von sprachlichen und ethnischen Minderheiten oft in die Defensive gedrängt werden. Die
Konkurrenz auf dem Werbemarkt betrifft Minderheiten-Medien stärker als mazedonisch-
sprachige Medien. Die immer breitere Kluft zwischen Mehrheiten und Minderheiten im
Land senkte auch die Bereitschaft der Unternehmen, Inserate in Medien der anderen
Ethnien zu platzieren. Am stärksten sind davon die Medien der Roma-Bevölkerung betrof-
fen. Die Spaltung der Gesellschaft entlang ethnischer Linien betrifft aber nicht nur die Me-
dien, sondern auch die Kontrollinstanzen. Das dem Verkehrs- und Transportministerium
unterstehende „Macedonian Broadcasting Council“ (MBC) waltet als Aufsichtsbehörde, die
über einen Monitoring-Mechanismus die Medien zu Professionalität und Fairness ermah-
nen soll. Das zentrale „MBC“ beauftragte jedoch in den Regionen des Landes Freiwillige,
Programme aufzuzeichnen, die ihrer Meinung nach gegen Gesetze und Bestimmungen
verstoßen. Die Auswahl der aufgezeichneten Programme und damit der gemeldeten mögli-
chen Verstöße wurde so Leuten überlassen, die nach Gutdünken handeln und nicht die
nötigen fachlichen Voraussetzungen mitbringen. Mancher sieht das als Erklärung, warum
sich die Quote der ermahnten Stationen zuungunsten der albanischsprachigen Medien ver-
schoben hat. Andere meinen, dafür hätte es objektive Gründe gegeben, die gerade in der
negativen Haltung der albanischen Bevölkerung gegenüber der slawischen Bevölkerungs-
mehrheit liegen. Als eine Journalistin von „Channel 5“ vor laufender Kamera eine Granate
gegen eine UÇK-Stellungen bei Tetovo abfeuerte – mit dem Kommentar, dies sei die Ant-
wort der Mazedonier auf die Rebellen –, verweigerte der „MBC“ eine Verurteilung. Es
habe sich dabei doch nur um einen Witz gehandelt, lautete die Rechtfertigung.
Um ähnliches künftig zu verhindern, wurden gesamt-mazedonische Journalisten-
verbände und Mediengewerkschaften gefordert, die multiethnisch zusammengesetzt sind
und somit die Minderheiten besser vertreten können als das „MBC“. Die umgehende Ver-
urteilung des „Channel 5“-Vorfalles durch den Journalistenverband weist denn auch in die
richtige Richtung. Wie die Medienorganisationen sind auch die Printmedien in Mazedonien

133
entlang ethnischer Linien geteilt. Die politischen Parteien der ethnischen Gruppen ringen
am Verhandlungstisch um mehr Rechte ausschließlich für ihre eigene Volksgruppe. Die
Auseinandersetzung um Medien wird zum Teil des politischen Macht-kampfes105. Allge-
mein ist in der mazedonisch-slawischen Mehrheitsgesellschaft nach den Ereignissen der
jüngsten Geschichte die Toleranz für die Anliegen vor allem der albanischen Volksgruppen
deutlich gesunken, wovon auch deren Darstellung in den Medien betroffen ist. Der Chef
des privaten Senders „A1“ erzählte, er erhielte immer wieder Anrufe von wütenden Maze-
doniern, weil der Sender auch den Standpunkt der Albaner darstellt. Dabei waren es vor
allem Kontrollpunkte in Westmazedonien, an denen die „Kosovo-Befreiungsarmee“ UÇK
und ihre mazedonisch-albanischen Verbündeten den Journalisten den freien Zugang ver-
wehrten. Beiden Seiten, sowohl die mazedonisch-slawische als auch die albanische, versu-
chen die Medien auf ihre Seite zu ziehen. So erhielt man von der innenpolitischen Krise,
dem Konflikt zwischen Mazedonen und Albanern 2001 ein völlig verschiedes Bild, je
nachdem ob man mazedonisch-sprachige oder albanischsprachige Medien verfolgte. Klar
war jedoch, dass die albanische Minderheit eine Gleichstellung ihrer Volksgruppe als
staatstragendes Volk mit den slawischen Mazedoniern, ja eine Föderalisierung Mazedo-
niens durchsetzen wollte. Die slawischen Mazedonier mussten sich dagegen zur Wehr set-
zen, weil sie zu Recht die Aufspaltung und den möglichen Zerfall ihres jungen Staates
befürchteten. Dass kurz nachdem die Verhandlungen zu einer politischen Lösung des Kon-
fliktes unter den Regierungsparteien begonnen hatten, albanische Regierungsmitglieder in
mazedonischsprachigen Medien wie dem wohl meistgelesenen „Dnevnik“ des Hochverrats
bezichtigt wurden, muss man vor diesem Hintergrund sehen.
In albanischsprachigen Zeitungen Mazedoniens, zum Beispiel in der „Fakti“, fanden
sich außerdem immer wieder Hinweise auf jene grossalbanischen Ambitionen, die das
nordmazedonische Tetovo in eine albanische Stadt verwandeln wollen. Während der Waf-
fenstillstandsverhandlungen fragte ein Journalist der albanischsprachigen Zeitung „Flaka“
einen UÇK-Kommandanten, ob die albanischen Kräfte bald „in Tetovo Kaffee trinken“
würden. Als die mazedonischsprachigen Medien in der Folge die albanischen Separatisten
als „Terroristen“ bezeichneten, wurde ihnen das als Polemik ausgelegt, obwohl sie sich
damit den Sprachgebrauch des UN-Sicherheitsrates übernahmen, der die Angriffe albani-
scher Untergrundkämpfer in Mazedonien im März 2001 offiziell verurteilt hatte. Unter
diesen Umständen war es nicht weiter verwunderlich, dass weder im staatlichen mazedoni-
schen Fernsehen, noch in den albanischsprachigen Medien die Opfer der Gegenseite Er-
wähnung fanden. Anfang September 2001 forderte der mazedonische Regierungschef
Ljubco Georgievski die Parlamentsabgeordneten zur Annahme des am 13. August in Ohrid
unterzeichneten Friedensplans auf. Dieser Plan sollte der albanischen Minderheit mittels
Verfassungs- und Gesetzesänderungen mehr Rechte bringen. Georgievski kritisierte
zugleich den ausländischen Druck scharf, der die slawischen Mazedonier zur Annahme des

105
Ein dritter Kanal des staatlichen Fernsehens sollte zum Beispiel als Zugeständnis in den Verhandlungen die
albanisch-mazedonische Seite zufriedenstellen. Dieser dritte Kanal sollte von Vertretern der albanischen Min-
derheit geführt werden und sich deren Anliegen widmen. Die Besetzung der entsprechenden Posten ist Teil der
Pfründe, die die albanischen Parteien als Verhandlungserfolg vergeben können. Andere Minderheiten Maze-
doniens blieben von diesem Kanal ausgeschlossen. Statt eines Ausgleichs der sprachlich und ethnisch getrenn-
ten Wahrnehmung der Probleme, verschärft ein solcher Kanal die Unterschiede weiter und vertieft die eth-
nisch-sprachliche Trennung des Landes. Experten befürchteten, dieser dritte Kanal, der 2002 auf Sendung
ging, würde sozial und politisch eher trennend als vereinend wirken. [Vgl. Nicolet, C.: Zwischen Kriegshetze
und Friedensförderung. Medien in Mazedonien. In: Medienhilfe Ex-Jugoslawien].

134
Plans gedrängt hätte, da die Aggression doch in erster Linie von der albanischen Minderheit
ausgegangen wäre. Nach mehrtägigen Debatten billigte das Parlament in Skopje den „Ohri-
der Friedensvertrag“ und die darin festgelegten Verfassungs- und Gesetzesänderungen mit
91 zu 121 Stimmen. Die Medien waren nicht nur die Treibenden des Konflikts, sondern
auch Getriebene. Ihre Lage war nach dem Mazedonienkonflikt mehr als problematisch. Sie
mussten sich nicht nur technisch, sondern auch inhaltlich neu justieren, um eine ethnisch
gespaltene Gesellschaft irgendwann versöhnen zu können.

7.1 Die Lage der Medien in Mazedonien

Die mazedonische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Redefreiheit und die Gesetze
des Landes, das unbedingt in EU und NATO aufgenommen werden möchte, geben auch
den Medien Spielraum. Dem steht aber eine Realität gegenüber, wie sie sich auch in den
anderen Transformationsstaaten Südosteuropas lange fand: Abhängigkeit vieler Medien
vom Staat, schlechte Vergütung für Journalisten, Übergriffe auf Reporter. Hinzu kommen
die auch anderswo bekannten Defizite. Dubiose Besitzverhältnisse bei zahlreichen Sendern
und Zeitungen des Landes fördern den Opportunismus der Angestellten. Engste Wechsel-
beziehungen zwischen Medien, Wirtschaft und Politik drängen viele Journalisten in die
Abhängigkeit. Von rechtlicher Verfolgung, aber auch von physischen Übergriffen auf Be-
richterstatter wurde berichtet. Mazedonien gehöre nach einer Einschätzung der Medienor-
ganisation „Freedom House“ zu den Ländern, deren Medien nur als „teilsweise frei“ zu
gelten hätten. Um die Journalisten besser zu schützen, wurden im Lande einige Verbände
gegründet. Diese harmonieren allerdings nicht immer miteinander, und auch ethnische
Abgrenzungen sind zu bemerken. So gibt es die Assoziation der Journalisten und eine As-
soziation der albanischen Journalisten in Mazedonien. Die Assoziation der Journalisten
vertritt unter ihrem Vorsitzenden Robert Popovski die Interessen ihrer Mitglieder durch
Koordination journalistischer Tätigkeiten, Monitoring zur Freiheit der Medien und Schutz
gegen Angriffe. Artikel 9 der Satzung dieser Organisation sieht vor, dass diese Ziele durch
öffentliche Proteste sowie Information über Mißstände an internationale Organisationen
wie den Europarat oder das Komitee von Helsinki erreicht werden. Hinzu kommen Mittel
wie Informationssperre oder Generalstreik.
Die Assoziation der albanischen Journalisten in Mazedonien setzt sich dagegen aus-
schließlich für Journalisten dieser ethnischen Minderheit ein. Unter der Leitung von Hajrie
Azemi fördert sie vor allem den investigativen Journalismus. 2006 organisierte sie eine
Debatte über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten der albanischen Minderheit im Lande.
Sie kam dabei zum Schluss, dass diese bedroht seien, einerseits wegen der schweren Wirt-
schaftsbedingungen und andererseits wegen der Kontrolle seitens der Politik. Um ihr
Hauptziel, nämlich den Schutz der Journalisten vor physischer oder gerichtlicher Verfol-
gung infolge ihrer professionellen Tätigkeit, zu erreichen, haben die Verbände viel Arbeit.
In den letzten Jahren wurde die Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit durch einige Fälle
geweckt. So verurteilte im Mai 2006 ein Gericht in Kumanovo den investigativen Journa-
listen Zoran Bozinovski zu einer Haftstrafe von drei Monaten. Angeklagt war er wegen
angeblicher Verleumdungen und Beleidigungen in einem schon drei Jahre alten Artikel,
den er in einer regionalen Zeitung veröffentlicht hatte. Pikanter-weise hatte er darin die
Verbindungen zwischen Politikern, Geschäftsleuten und Journalisten in Kumanovo ans
Tageslicht gebracht. Zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs gab es 82 Anzeigen gegen ihn – fast

135
alle von betroffenen offiziellen Stellen. Hinzu kam, dass auch der Zeitpunkt der Verurtei-
lung als fragwürdig angesehen werden muss. Denn einige Tage zuvor war die Klausel im
Strafgesetz abgeschafft worden, die Gefängnis als Strafe für Verleumdung und Beleidigung
vorsah. Man nutzte offensichtlich den Zeitraum zwischen Verabschiedung und Inkrafttre-
ten, um den Prozess nach den alten Regeln zu beenden. Bozinovski, der wegen seiner Arti-
kel auch schon körperlich angegriffen worden war, wurde im November 2006 ins Gefäng-
nis gesteckt. Allerdings durfte er es nach starkem Druck der EU und „Amnesty Internatio-
nal“ sowie Protesten der Journalistenvertretungen nach einigen Tagen wieder verlassen.
In den letzten Jahren wurden Überfälle auch auf Journalisten des albanischsprachigen
Fernsehsenders „Alsat M“ verübt, wovon einer im September 2007 geschah. Nach einem
Streit im Parlament zwischen Abgeordneten verschiedener Parteien schlug ein Leibwächter
der albanischen Partei „Demokratische Union für Integration“ einen Journalisten von „A1
TV“ ins Gesicht. Am nächsten Tag versuchte ein Spezialkommando der Polizei Igor Lju-
bovevski, einem Mitarbeiter derselben Station, auf der Strasse nach Tetovo die Kamera zu
entreissen. Er hatte gefilmt, wie die Polizisten den Wagen eines in den Parlaments-skandal
verwickelten Abgeordneten anhielten und dabei auf heftige Proteste der Einwohner eines
Dorfes gestossen waren. Nach der Weigerung Ljubovevskis, den Film heraus-zugeben,
wurde er von vier Polizisten niedergeschlagen und musste mit einem Rippenbruch ins
Krankenhaus eingeliefert werden. Europäische Vertretungen sowie die amerikanische Bot-
schaft protestierten heftig gegen die Übergriffe auf Journalisten. Als Gegenreaktion auf die
Misshandlungen der Journalisten, die lediglich ihre Arbeit gemacht hatten, wurde die
nächste Pressekonferenz von Ministerpräsident Nikola Gruevski von den Medien boykot-
tiert. Die Journalisten verließen zu Beginn der Pressekonferenz den Saal. Immerhin wurden
die Polizisten des Sonderkommandos, die an der Schlägerei beteiligt waren, vom Dienst
suspendiert. Zwei von ihnen wurden 2009 sogar zu Gefängnis verurteilt, mussten ihre Haft-
strafen aber nicht antreten. Um die Interessen der Journalisten zu schätzen, wurden der
„Verband der privaten elektronischen Medien“, der „Verband der Druckmedien“ sowie das
„Mazedonische Institut für Medien“ (MIM) gegründet. Das „MIM“ entstand im April 2001
aufgrund einer Kooperation zwischen dem „Mazedonischen Nichtregierungs-
Pressezentrum“, der „Dänischen Schule für Journalismus“ und dem amerikanischen „Inter-
national Research & Exchange Board (IREX) pro Media“. Ziel war und ist die professio-
nelle Ausbildung von Journalisten und Medienprofis in Mazedonien. Die dort angebotenen
Kurse haben neben einer theoretischen auch eine stark praxisnahe Ausrichtung. Schon bei
seiner Gründung initiierte MIM die Erstellung eines Verhaltenskodex für Journalisten, der
von den meisten Medien akzeptiert wurde.

7.2 Zeitungen und Zeitschriften in Mazedonien

Die älteste Tageszeitung der Republik Mazedonien ist die „Nova Makedonija“ („ 
  *
“, „Neues Mazedonien“). Sie wurde 1944 auf Beschluss des Präsidiums des
„Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Mazedoniens“ gegründet, blieb in staatlicher
Hand und unterstützte den Kurs der jugoslawischen Regierung. Die erste Auflage erschien
1944 in Gorno Vranovci und stellt das erste Dokument dar, das in standardmazedonischer
Sprache geschrieben wurde. Ihr ehemaliger Eigentümer, das staatliche Unternehmen „Nova
Makedonija“, wurde 2003 liquidiert, wobei die gleichnamige Zeitung überlebte. Seit De-
zember 2003 ist sie im Besitz von Zoran Nikolov und seinem in Skopje beheimateten IT-

136
Unternehmen „Zonik“. Die Politik hat nicht nur im Falle der „Nova Makedonija“ soweit
Einfluss auf die Medien, dass die „Nova“ lange als Staatszeitung galt. 2006 versuchte die
Regierung erneut, Kontrolle über die Zeitung zu erlangen. Die Assoziation der Printmedien
Mazedoniens protestierte massiv dagegen und verurteilte die Renationalisierung öffentlich.
Obwohl der Versuch damals scheiterte, zeigte dieses Vorgehen deutlich, dass der Staat die
Medien weiterhin als seine Spielwiese ansah. Von Journalisten-Vertretern wird bemängelt,
dass in diesem und anderen Medien eine sehr regierungsfreundliche Berichterstattung ge-
pflegt wird. Eine weitere führende Tageszeitung Mazedoniens ist der „Dnevnik“ („Tag-
blatt“, www.dnevnik.com.mk), der von Mile Jovanovski, Branislav Gjeroski und Aleksan-
dar Damovski gegründet wurde und am 20. März 1996 zum ersten Mal erschien. Er er-
scheint täglich außer sonntags. Die gegenwärtige Auflage beträgt 55.000. Chefredakteur ist
Sašo Kokalanov. Mit der Zeitung erscheinen außerdem zwei Beilagen, „Antena“ (<** )
am Freitag, und „Vikend“ (> *, dt. Wochenende) am Samstag. Die erste Ausgabe des
„Utrinski Vesnik“ („Morgenzeitung“, www.utrinski.com.mk) wurde am 23. Juni 1999
veröffentlicht. Ihr gegenwärtiger Herausgeber ist Erol Rizaov. Die Zeitung erscheint an
allen Wochentagen mit Ausnahme des Sonntags. Freitags liegt der Zeitung eine Beilage mit
dem Namen „Magazin+“ bei. In Mazedonien ist neben den albanisch-sprachigen „Lajm“
und „Fakti“ auch die kosovo-albanische bzw. albanische Tageszeitung „Koha Ditore“ er-
hältlich. Die erwähnte albanischsprachige Tageszeitung „Fakti“ wird von der Handelsge-
sellschaft Nik Erebra-Skup herausgegeben, die dem Unternehmer Emin Asemi gehört und
der früher mit der staatlichen Zeitung „Nova Makedonija“ verbunden war.
Bis 2005 konnten ausländische Unternehmen und Personen aus gesetzlichen Gründen
nur bis zu einer Obergrenze von 25 Prozent Medien-Eigentum in Mazedonien erwerben.
2005 wurde das geändert. Nun haben ausländische Eigner im Prinzip die gleichen Chancen
wie mazedonische, wobei bisher noch kaum ein Fremdinvestor sich das zunutze gemacht
hat, aus wirtschaftlichen und auch politischen Gründen. Einzige gewichtige Ausnahme ist
der deutsche WAZ-Konzern, dessen mazedonische Blätter sowohl bei den Auflagen als
auch bei den Anzeigenerlösen vorne liegen. Der Konzern kümmert sich nicht nur um die
Zeitungen selbst, sondern betreut auch das Marketing, den Vertrieb, die Finanzen und das
Management des gesamten Eigentums der Mediengruppe in Mazedonien. In diese Struktur
wurden auch die führenden Druckhäuser „Grafiki centar“ und „Evropa 92“ integriert,
sowie die Zeitschrift „Globus“. Die Tageszeitung „Vreme“ („Die Zeit“) und „Nedelno
vreme“ werden von Alexander Damovski und Georgi Barbarski herausgegeben. An Wo-
chenzeitschriften gibt es „Forum“, „Fokus“, „Start“, „Denes“, „Kapital“, und die albanische
„Lobi“. In einer Auflage von 6 bis 8.000 Exemplaren erscheint das Wochen-magazin „Ma-
zedonische Sonne“, „Makedonsko Sonce“ [www.makedonskosonce.com], deren Name sich
auf jenes zwischen Griechenland und Mazedonien höchst umstrittene Staatssymbol Maze-
doniens bezieht, die ‚Sonne bzw. den Stern von Vergina‘, der sich auch im Logo der Zei-
tung findet. Griechenland unterstellt Mazedonien, mit dem Staatsnamen und jenem Symbol
Griechenland den historischen Anspruch auf das Land Philipps von Mazedonien, des Va-
ters von Alexander dem Großen, streitig machen zu wollen, und hat bis heute eine interna-
tionale Anerkennung Mazedoniens unter diesem Name hintertrieben. „Makedonsko Sonce“
ist ein wöchentlich erscheinendes Nachrichtenmagazin, das von Gjorgija „George“ Atana-
soski gegründet wurde und dessen erste Ausgabe am 24. Juni 1994 erschien. Die eigene
politische Ausrichtung beschreibt man als Bekräftigung „der Werte des mazedonischen
Volkes, und zwar nicht nur auf mazedonischem Territorium, sondern auch in anderen Tei-
len des ethnischen Mazedonien“ – eine Aussage, die griechische Politiker natürlich beunru-
higen musste.

137
Genauso wie die etwas kuriose, aber für die Identitätsprobleme des Landes typische Mel-
dung, die die „Nova Makedonija“ im vergangenen Jahr brachte, wonach im Zentrum von
Skopje eine Statue Alexanders des Großen errichtet werden solle. Um einen neuerlichen
Konflikt mit Griechenland zu vermeiden, schlug der Bürgermeister, Trifun Kostovski, vor,
stattdessen eine Statue des in Mazedonien glühend verehrten Sängers Toše Proeski aufzu-
stellen. Der Vorsitzende der Zentrumsgemeinde der Haupstadt, Violeta Alarova, übertraf
selbst das noch und brachte als Kompromiss eine 30 Meter hohe Statue Alexanders des
Grossen in die Diskussion, aus deren Mund Lieder Proeskis ertönen sollten. Die Leserbrief-
schreiber der Zeitung und Kommentatoren ihrer Internetplattform waren schlicht irritiert
von dieser Kombination aus historischer Größe und Kitschmusik. Ein Leser schlug vor, die
Statue sollte doch außerdem Getränke verteilen. Der Ursprung Alexanders des Großen ist
seit fast zwanzig Jahren Streitursache zwischen Athen und Skopje. Für die Griechen steht
der Anspruch der slawischen Mazedonen auf einen ihrer größten Söhne für den Anspruch
auch auf das griechische Territorium, das sich Mazedonien nennt. Der Chansonsänger
Proeski war nach seinem tragischen Unfalltod 2007 auf einer kroatischen Autobahn auf
dem ganzen Balkan zu einem Idol geworden. Viele Leser der „Nova Makedonija“ empfan-
den eine Statue, wie sie Frau Alarova vorschwebte, als Beleidigung des Andenkens des
gefeierten Sängers.

7.3 Radio und Fernsehen

Im 2005 verabschiedeten Gesetz für elektronische Medien finden sich Passagen, die zum
Schutze des Pluralismus der Bildung von Kartellen vorbeugen sollen. Laut Artikel 13 und
Artikel 14 des Gesetzes kann der Besitzer eines elektronischen Mediums auch Teilhaber an
einem zweiten elektronischen Medium sein. Aber eigentlich ist es absolut verboten, dass er
an einem Unternehmen beteiligt ist, das ein Printmedium besitzt oder sich mit Werbung,
Telekommunikation und Filmindustrie beschäftigt. In der Praxis stehen die Dinge jedoch
anders. Ein gutes Beispiel ist der Fernsehsender „Sitel“. Dahinter steht einer der großen
Geschäftsleute des Landes, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Ljubisav Ivanov-
Zingo. Dessen Bergbaugesellschaft „RIC Sileks“ aus Kratovo ist Gründer des Kanals. Sein
Sohn, Goran Ivanov, ist Manager des Fernsehens. Geschäftsführer ist der pro-serbisch ge-
stimmte Dragan Latas, der gleichzeitig auch Chefredakteur der Zeitung „Veer“ ist. Latas
verkörpert die Verbindung zwischen den beiden Medien. „Sitel“ und „Veer“ werden ver-
mutlich aus ein und derselben Quelle finanziert, obwohl sie rein formell getrennt erschei-
nen. Bei „A1 TV“, dem führenden Fernsehen des Landes, ist es ähnlich: Inhaber ist der
Geschäftsmann Velija Ramkovski. Er steht den Sozialdemokraten des ehemaligen Präsi-
denten Branko Crvenkovski sehr nahe. Ramkovski ist auch Herausgeber der Zeitungen
„Vreme“ und „Spitz“, sowie Besitzer des Filmhauses „B 1“. Darüberhinaus leitet er die
Partei für wirtschaftliche Erneuerung. Ähnlich wie bei „Sitel“ sind auch bei „Kanal 5“
wieder Vater und Sohn die Eigentümer, nämlich Boris und Emil Stoimenovi. Sie besitzen
außerdem die Druckerei „BS“ sowie Handelsfirmen und Dienstleistungs-Unternehmen.
Boris Stoimenov ist darüber hinaus Vorsitzender von VMRO-Vistinska. Betrachtet man die
weiteren Eigentumsverhältnisse auf dem Medienmarkt, so ist der Fernsehsender „Telma“
beispielsweise Eigentum der Ölgesellschaft „Makpetrol“. Hinter der pro-albanischen „Alsat
M“ steht die in den Vereinigten Staaten eingetragene „International Energy Engeneering &
Petroleum Consulting“.

138
Die mazedonischen Fernsehsender gehören überwiegend einflussreichen mazedonischen
Geschäftsleuten, die auch mit den politischen Parteien eng verbunden sind. Angesichts
dieser Eigentumsverhältnisse ist es nur schwer vorstellbar, dass diese Medien sich von
direktem Einfluss der Oligarchen frei halten können. Die Vermengung politischer und un-
ternehmerischer Interessen in den mazedonischen Medien nutzen freilich nur den großen,
oft privaten, in der Hauptstadt Skopje beheimateten Medien. Andererseits beschloss Maze-
donien Ende November 2007, die lokalen, öffentlich-rechtlichen Radiostationen nicht mehr
weiter zu finanzieren. Einige wurden verkauft, andere dem sicheren Ende überlassen. In
vielen mazedonischen Städten und Ortschaften ist jedoch das Lokalradio die einzige Infor-
mationsquelle, auch über die Geschichte des Ortes, wie im Falle von „Radio Ohrid“. Der
Sender stand nach der fatalen Entscheidung der Regierung zum Verkauf, worauf sich drei
Interessenten meldeten, und das Unternehmen „AMAK-SP“ von Venko Šapkar den Zu-
schlag erhielt. „Radio Ohrid“ besaß zehntausende von Dokumenten zur Geschichte von
Ohrid und seiner Einwohner, außerdem etliche Aufnahmen von Ortslegenden und Orts-
geschichten. Ob die Privatisierung der Bewahrung dieser Schätze förderlich ist, und ob das
Programm sich nicht zunehmend kommerziellen Interessen beugen würde, wurde damals
leidenschaftlich diskutiert. In Kavardaci, für dessen lokalen Sender sich drei Interessenten
beworben hatten, käme zwar nicht das Aus, doch der Sender sollte nur noch Musik senden.
Auch in Bitola bewarben sich Interessenten. Für die übrigen öffentlich-rechtlichen Lokal-
sender schien sich niemand zu interessieren, weil, so die Vermutung, „Radio Kruševo“ oder
„Radio Demir Hisar“ nicht rentabel seien, was nach Fachmeinung auch auf etliche andere
Lokalmedien zuträfe. Die fünfhundert Journalisten und anderen Angestellten der lokalen
Radiostationen Mazedoniens stellten sich auf jeden Fall auf eine schwierige Zukunft ein,
was in Mazedonien durchaus nichts Neues war.
Man zählte 2007 in Mazedonien 156 Radionstationen, von denen 45 zum öffentlichen
und 111 zum privaten Sektor gehörten. Die Situation ist insgesamt sehr wechselhaft. Einige
Sender verschwinden, neue tauchen am Horizont auf. Das ebenfalls 2007 angekündigte
Rundfunkgesetz sah drei Kategorien von Sendern vor: öffentliche Radiostationen, abhängi-
ge Sender von privaten Wirtschaftsunternehmen und Sender, die von gemeinnützigen, nicht
gewinnorientierten Unternehmen abhängen. Der mazedonische Staat wollte ursprünglich
die öffentlichen Rundfunksender in das Netz des „MRT“ (Mazedonisches Radio und Fern-
sehen, „Makedonsko Radio-Televizija“)106 integrieren, ließ sich damit aber Zeit, weil er die

106
Das Mazedonische Radio sendet 86,5 Stunden Programm täglich auf seinen drei Kanälen, und auf dem Satelli-
tenkanal. Der Erste Kanal sendet ein durchgängiges 24-Stunden-Programm; der Zweite Kanal, Radio 2, eben-
falls ein 24-Stunden-Programm. Der Satelliten-Kanal, der im Juli 2003 seine Sendetätigkeit aufnahm, wählt für
sein 24-Stunden-Programm Sendungen des Mazedonischen Rundfunks und seines originalen Programms „Ra-
dio Macedonia“ aus, mit einer Gesamtspielzeit von 6,5 Stunden. Der Mazedonische Rundfunk sendet Pro-
gramme in den Sprachen der nationalen Minderheiten der Republik, inbesondere in Albanisch (seit 1948),
Türkisch (seit 1945), Vlachisch (seit 1991), Romanes (seit 1991), Serbisch (seit 2003) und Bosnisch 8seit
2003), jeweils 30 Minuten pro Tag. Programme in bulgarischer und serbischer Sprache werden in das Pro-
gramm von „Radio Macedonia“ aufgenommen. Dessen Programm ist auch über das Internet zu empfangen.
Das Mazedonische Fernsehen sendet 73 Stunden Programm täglich und hat drei Kanäle und einen Satelliten-
kanal: der Erste Kanal sendet ein 24-stündiges Programm in mazedonischer Sprache, der Zweite Kanal sendet
Programme in den Sprachen der nationalen Minderheiten (Albanisch, Türkisch, Serbisch, Romanes, Vlachisch
und Bosnisch). Der Dritte Kanal, auch „Sobraniski Kanal“ genannt, wurde 1991 als Experimentalkanal einge-
richtet. Heute überträgt er die Sitzungen des Parlaments der Repbulik Mazedonien. Der Satellitenkanal nahm
seine Arbeit 2000 auf und sendet ein 24-stündiges Programm, eine Auswahl aus den MRT-Sendungen wie
auch ein sendereigenes Programm im Umfang von fünf Stunden. Über Optus D2-Satellit und UBI World TV
ist das Programm des Satellitenkanals auch in Australien und Neuseeland zu empfangen.

139
damit verbundenen Probleme scheute. Dafür wandte er sich einem anderen Modell zu, dem
Rückkauf lokaler Radiostationen. Da es aber oft nur bei einem Angebot blieb, die Stationen
sich aber bereits auf die Besserung ihrer finanziellen Situation eingestellt hatten, lief dieses
zweite Modell oft genug auf eine Liquidation der betroffenen Sender hinaus. Das dritte
Modell, das darin besteht, daß wohltätige Organisationen die Sender finanziell unterstützen,
kam bisher nicht recht voran. Denn obwohl die NGOs in Mazedonien zahlreich sind, konn-
ten sich nur wenige dazu entschließen, auch in das Land und seine Infrastruktur zu investie-
ren. Die lokalen, einheimischen Magnaten sind nur oberflächlich an den Medien interes-
siert. Sie erklären immer wieder, welche Bedeutung die lokalen Sender hätten, scheinen
aber nicht weiter betrübt, wenn wieder einmal einer die Pforten dicht macht. Anders liegen
die Dinge bei Bulletins des Flughafens von Skopje oder anderer Stadt- und Kommunalblät-
ter. Die Bürgermeister fühlen sich dort als die Chefredakteure der vorgeblichen Zeitungen.
Der mazedonische Rundfunkrat schlug den Lokalradios vor, ein lukratives Ziel zu ver-
folgen und damit den Wettbewerb zu stimulieren. Damit würde auch das Niveau des Jour-
nalismus höher werden, hieß es im einschlägigen Dokument. Doch die Leute an Ort und
Stelle, für die das Radio die einzige Informationsquelle ist, sind durchaus nicht daran inte-
ressiert, nur mit Nachrichten versorgt zu werden, die sich ‚rentieren‘. Vesna Šopar vom
Institut für soziologische, politische und juristische Untersuchungen unterstrich das Interes-
se der Bürger an der Erhaltung öffentlicher Radiostationen in Prilep, Štip und Kievo. In
Kumanovo hatten Bürger gegen die Schließung eines Radiosenders demonstriert. Mit Blick
auf Struga und Koani haben Untersuchungen gezeigt, daß das Radio das einzige lokale
Informationsmedium ist, weil die Informationen allen übrigen Medien sich nur mit Skopje
und den größeren Städten des Landes befassen. Das Volk in den Kleinstädten und Dörfern
zeige, so Vesna Šopar, ein quasi totales Vertrauen in die lokalen Rundfunksender. Das
Hauptproblem ist der mangelnde politische Wille zur Aktion, ein tragfähiges Finanzie-
rungsmodell zu finden, das das Überleben der Stationen sichert. Die privaten Medien üben
zusätzlich Druck auf die Politik aus, die öffentlichen Lokalsender nicht weiter zu erhalten,
um lästige Konkurrenz los zu werden. Die 14 lokalen Fernsehstationen kommen in der
Diskussion nicht vor, weil sie im Grunde ohne Erlaubnis, also illegal senden. Generell
haben weder die zentralen, noch die lokalen Entscheidungs-träger ein prononciertes Interes-
se daran, die Lokalsender zu erhalten. Sei es, dass man Freunde in den Privatmedien hat, sei
es, dass man das Verschwinden der Lokalsender nicht beweint, weil unabhängige Bericht-
erstattung nur das politische Geschäft erschwert. Die Lokalzeitungen Mazedoniens sind
bereits so gut wie verschwunden.
„MRT“ selbst stand im Herbst 2008 bereits einmal vor dem finanziellen Ruin. Ange-
sichts von 50 Millionen Euro Schulden und politischem Unwillen zur Reform steuerte man
auf das endgültige Aus zu. Zu besseren Zeiten hatte das Unternehmen mehr als zweitausend
Angestellte, die auf ihre Stelle stolz waren; nun verfiel das Zentralgebäude zusehends. Man
sah das Monstrum, das sich am Vardar entlang zog, als Dinosaurier, der nicht fähig war,
sich den neuen Zeiten anzupassen. „MRT“ wäre schon lange nicht mehr das unabhängige
und effiziente Rundfunkunternehmen, das das Rundfunkgesetz vorsieht, meinte Biljana
Petkovska vom „Mazedonischen Medieninstitut“ (MIM). Das Reformieren hätte nichts
gebracht, das Beste wäre es, der Agonie ein Ende zu bereiten, so das traurige Fazit Frau
Petkovskas. An Lizenzgebühren hatte man 2007 nur 17.000 Euro erhalten, 2008 hoffte man
nicht einmal auf diesen Betrag. „MRT“ wird durch Überweisungen von anderen öffentli-
chen Unternehmen finanziert, darunter aus den Einnahmen des Flughafens. Diese Unter-
nehmen leeren freilich eher ihre Kassen, als sie für den Staatsfunk zu füllen. Die OSZE und
die Niederlande spendeten eine halbe Million Euro, um die Ausrüstung und die Ausbildung

140
der „MRT“-Angestellten zu verbessern, ohne großen Erfolg. Das Grund-problem besteht
darin, eine dauerhafte und tragfähige Finanzierung zu sichern, um auch die Umsetzung des
Rundfunkgesetzes zu ermöglichen, das im November 2005 verabschiedet worden war.
Schon damals hatte der Finanzminister, Nikola Popovski (SDSM) jene acht Millionen Eu-
ro, die das Gesetz für die provisorische Finanzierung von „MRT“ vorsah, nicht bereitge-
stellt. Mit dieser Summe sollte die „MRT“-Chefin Gordana Stoši ein Gebührenmodell auf
die Beine stellen. Stoši hätte die Illoyalität des Finanzministers vor Gericht bringen müs-
sen, wagte dies aber nicht und wurde von Streiks und Drohungen aus dem Amt gehoben.
Auf sie folgte der Slowene Janez Sajovic, der grundlegende Reformen, einschließlich der
Lizenzgebühren versprach. Doch er scheiterte an einer Reform der Gebührenerhebung und
dem Widerstand der „MRT“-Angestellten. Das Problem der mangelnden Kontinuität an der
Spitze von „MRT“ verschärfte sich noch zusätzlich durch die Illoyalität und Passivität der
Politik.
Die Tschechische Republik, Ungarn und die Slowakei hatten ähnliche Finanzierungs-
probleme mit ihren öffentlichen Medien. Diese ließen sich aber alle lösen, dank wirkungs-
voller Reformen, die vor allem von der Lähmung der politischen Szenerie nicht belastet
waren. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien Sloweniens, Kroatiens und Serbiens muss-
ten sich Reformen unterziehen, die insgesamt gesehen positiv abschlossen. Nur in Bosnien-
Herzegowina kommt die Reform des öffentlich-rechtlichen Sektors nicht von der Stelle.
Als Vorbild wird gerne das deutsche System gepriesen. Direkte Einnahmen über Rund-
funkgebühren machen die Sender unabhängig. Vorraussetzung ist jedoch ein effizientes
Erhebungsverfahren, das in Slowenien funktioniert, aber in Bosnien-Herzegowina und in
Mazedonien bisher gescheitert ist. Man dachte dort sogar darüber nach, „MRT“ am Morgen
zu liquidieren, um es am Nachmittag neu wieder zusammen-zusetzen – neues Organi-
gramm, neuer Name, Bereinigung der Schulden. Dazu wären auch Gesetzesänderungen
nötig. Eine andere Lösung, die diskutiert wurde, war ein Wettbewerb. Wer das beste Lö-
sungsmodell vorschlüge, bekäme das Recht zugesprochen, den öffentlichen Markennamen
zu nutzen. Würde das ausgewählte Unternehmen die Erwartungen nicht erfüllen, könnte die
Lizenz entzogen und ein neuer Bewerber ausgewählt werden. Eine dritte Lösung bestünde
in der Vergabe verschiedener Lizenzen, je nach Kanal – für den ersten in mazedonischer
Sprache, für den zweiten, der in den Minderheitensprachen sendet, und für den Parlaments-
kanal, der bereits über ein eigenes Budget verfügt. Dazu müßte man, wie erwähnt, das
Rundfunkgesetz ändern, das keine Privatunternehmen als Besitzer öffentlich-rechtlicher
Sender zulässt. Mit dem Engagement privater Unternehmen würde eventuell auch der An-
spruch der öffentlich-rechtlichen Sender in Konflikt geraten, professionell und demokra-
tisch zu arbeiten, und sich vor allem an alle Bürger Mazedoniens zu wenden.
Freie Medien, die nicht in Abhängigkeit von politischen oder privatwirtschaftlichen
Entscheidungsträgern stehen, sind das Fundament einer demokratischen Gesellschaft, darin
sind sich zum Beispiel Mevaip Abdiu von „TV Koha“ und Nebojša Karapejovski von „TV
Menada“, Arben Fetahi von der Wochenzeitung „Monitor“ und Mende Mladenovski vom
„Bitolski Vesnik“ absolut einig. Als Mazedonien noch eine sozialistische Republik war,
waren die Lokalmedien als öffentlicher Dienst konzipiert, der vollständig vom Staat finan-
ziert wurde, freilich alles andere als selbstlos und ohne Ambitionen. Heute sei der Staat fast
nur noch an den großen nationalen Medien interessiert, die die größte Wirkung und den
größten finanziellen Nutzen verheißen. Der Effekt ist zu beobachten, daß der mazedonische
Staat sich einerseits immer mehr dezentralisiert, die Mediensektor aber immer zentralisti-
scher wird. Ein Ausweg sind Investitionen aus dem Ausland. Die Wochenzeitung „Moni-
tor“, die auf mazedonisch und albanisch aus den Regionen Tetovo und Gostivar berichtet,

141
konnte sich nur so weiterentwickeln. Die Zeiten öffentlicher Finanzierung seien vorbei,
meinte deshalb auch Liljana Siljanovska von der Universität Skopje. Die lokalen Medien
sollten sich auf sich selbst verlassen und sich durch Qualität und gute Unternehmensfüh-
rung auf dem Markt behaupten. Doch wie ein gewisses Niveau erhalten, wenn das Personal
unterbezahlt ist. Das Radio mag auf dem Land ein ungeheures Renommé haben, die Lokal-
zeitungen, die in Mazedonien so gut wie verschwunden sind, könne es aber nicht ersetzen,
meinte Arben Fetahi vom „Monitor“. Der Informationswert einer Zeitung sei einfach nicht
mit dem von Radio oder Fernsehen zu vergleichen. Die Zukunft des „Bitolski Vesnik“ ist
nicht gesichert, die des „Monitor“ ebensowenig, gleichwohl wehren sich die Journalisten
der Lokalmedien gegen den Pessimismus. In der Hauptstadt protestierten die Journalisten
im Mai 2009 gegen den politischen Druck, gegen die Beleidigungsprozesse, mit denen
Journalisten überzogen und zu unverhältnismässigen Strafen verurteilt werden. Man dürfe
sich unter diesen Umständen nicht wundern, dass Mazedonien in einem Bericht, der am
internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2009 veröffentlicht wurde, als Land cha-
rakterisiert wird, in dem die Medien nur „teilweise frei“ seien.
Auch die Monopolstellung der Nachrichtenagentur „MIA“ [www.mia.com.mk] wurde
vor diesem Hintergrund immer wieder kritisiert. Forderungen nach zusätzlicher staatlicher
Finanzhilfe für „MIA“ würden deren Stellung noch weiter ausbauen und zur Schließung
privater Nachrichtenagenturen wie der „Makfax“107 führen. Alle Medien sollten ohne staat-
liches Monopol auf dem Markt gleichberechtigt sein. „MIA“-Chef Zoran Ivanov verurteilte
solche Forderungen als „schmutzige Kampagne“ der privaten Medien mit dem Ziel der
Schließung der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz. „MIA“ sei ein öffentlich-rechtlicher
Dienstleister wie Rundfunk und Fernsehen „MRT“. Auch die Abgeordneten der Regie-
rungsparteien und der Opposition sprachen sich zugunsten von „MIA“ aus. Es gebe in der
Welt nicht einen Staat ohne staatliche Nachrichtenagentur. Apropos „MRT“: seitdem das
Staatsunternehmen kurz vor dem Aus stand, hat das Unternehmen Vorstösse gewagt, um
sich vom Regierungseinfluss zu emanzipieren. Wiewohl offiziell nicht mit der Regierung
verbunden ist die Haupteinnahmequelle des Senders eine Lizenzgebühr, die die Regierung
erhebt, aber eben nicht verpflichtet ist, an MRT weiterzugeben. Diese Gebühr soll direkt an
die Fernseh- und Rundfunkanstalt gezahlt werden. Das Problem der politischen Einfluss-
nahme belastet das gesamte Medienwesen Mazedoniens.
Die politische Elite des Landes verwickelt die Medien häufig in juristische Verfahren.
2007 wurde ein Journalist zu einer Geldstrafe von knapp 17.000 Dollar verurteilt, weil er
geheime Informationen der Polizei über einen Richter veröffentlicht hatte, der beim Auto-
fahren unter Alkoholeinwirkung erwischt worden war. 2008 gewann Ministerpräsident
Nikola Gruevski ein Verfahren gegen Ljubomir Frckovski, Professor für Rechtswissen-
schaften, ehemaliger Minister und Kandidat bei den letzten Präsidentschaftswahlen. Wieder
war Verleumdung Verhandlungsgegenstand, Auslöser diesmal ein Beitrag in der Zeitung
„Dnevnik“. Darin war der Ministerpräsident (ohne ihn namentlich zu nennen) wegen seines
Verhaltens gegenüber der Ölgesellschaft OKTA und wegen Interessenkonflikten kritisiert
worden. „Eine eindeutige Verletzung der Pressefreiheit”, bemängelte die weltweit agieren-

107
„Makfax“ wurde 1992 von Risto Popovski gegründet, und bot ab Mai des darauffolgenden Jahres ihre Nach-
richten an. Außer in der Landessprache übermittelt sie Nachrichten auch in Albanisch und Englisch. Die Nach-
richtenagentur hat sich inzwischen als angesehene Informationsquelle bewährt und ist Mitglied verschiedener
internationaler Organisationen. Eine weitere private Agentur ist das „Makedonski informativen centar“ („Ma-
zedonisches Informationszentrum“). Es entstand 2007 aus den seit 1992 erscheinenden täglichen Infobriefen
„Infomak“ und „Netpress“.

142
de Organisation „Reporter ohne Grenzen”. Gruevski ist ohnehin bekannt dafür, dass er die
Presse gern kritisiert und belehrt. Unter anderem griff er auch die mazedonischen Korres-
pondenten in Brüssel an, dass sie statt für ihr Land zu arbeiten, „auf Kosten des eigenen
Staates spekulieren”. Seine Worte riefen heftige Proteste der Assoziation der mazedoni-
schen Journalisten hervor, die auch von der in Wien beheimateten „South East European
Media Organisation“ (SEEMO) unterstützt wurden. Die Beispiele könnten beliebig fortge-
setzt werden. Der Mechanismus ist immer der gleiche: Äußern Journalisten eine Kritik an
Politikern, werden sie mit gerichtlichen Klagen belegt, die meist gegen die Medien ausfal-
len. Vereinfacht ausgedrückt, wird die wichtige Rolle der Medien als ‚vierte Gewalt‘ im
Staat einfach nicht anerkannt. Hinzu kommen die üblichen Probleme der Journalisten heut-
zutage: Abhängigkeit von der politischen Einstellung, den geschäftlichen und anderen Inte-
ressen des Arbeitgebers, die Angst um den Arbeitsplatz, eine ‚Schere im Kopf‘ aufgrund
des Damoklesschwerts der Verleumdungsklage und mehr. Jedoch muss auch erwähnt wer-
den, dass viele Journalisten es bei der Berichterstattung nicht immer genau nehmen, was
teils auch auf Ausbildungsmängel zurückzuführen ist. Übernahme von journalistischen
Inhalten aus anderen Medien ohne Quellenangabe oder die immer wieder auftauchenden
Bezüge auf ‚ungenannte Quellen‘ oder ‚hohe Diplomaten‘ lassen viel Spielraum für Mani-
pulationen.
Das Gesetz über die elektronischen Medien ist ein Schritt vorwärts. Dadurch wurde der
Markt immerhin teilweise liberalisiert und für Auslandsinvestoren geöffnet. Insgesamt
entspricht das Medienumfeld in Mazedonien jedoch immer noch nicht den allgemein aner-
kannten Anforderungen an eine Medien-Demokratie. Um diese zu erlangen, bedarf das
Land immer noch eines langen Atems, und der Unterstützung von außen, etwa durch inter-
nationale Medienorganisationen oder die EU. Aber auch die mazedonische Gesellschaft,
einschließlich der Medienvertreter, muss erkennen, dass bestimmte Standards aus eigener
Kraft erreicht werden müssen. Denn nur so kann Mazedonien den Makel des ewigen Trans-
formationslandes abschütteln und ein vollwertiges Mitglied der EU werden.

143
8. Das Mediensystem in Bulgarien

Nach einer Welle der Kriminalität in den 1990er Jahren hat sich die Angst des bulgarischen
Normalbürgers gelegt, Opfer von Verbrechen zu werden, denn sein Auto oder sein Besitz
interessieren die Gangster, die sich professionalisiert haben, nicht länger, meinte 2007 der
bulgarische Kulturanthropologe Ivaylo Diev. Opfer krimineller Anschläge sind heute eher
Bulgariens Journalisten: Organisierte Kriminalität ist an die frühere Stelle der Staatsmacht
getreten, wenn es darum geht, Journalisten an ihrer Arbeit zu hindern. Immer noch gibt es
kein Presserecht, das Besitzverhältnisse regeln und politisch motivierte Beteiligungen
durchschaubar machen könnte. Journalistenvertretungen, die ein politisches Gegengewicht
sein könnten, spielen in Bulgarien kaum eine Rolle. Das Berufsverständnis der bulgari-
schen Journalisten ist widersprüchlich, und Teil der politischen Veränderungen. Wie bulga-
rische Journalisten zu ihrem Beruf stehen, unterscheidet sich je nach Generation beträcht-
lich, fand die Medienwissenschaftlerin Pavlina Krasteva in ihrer Studie zum Thema „Jour-
nalismus in Bulgarien 17 Jahre nach dem Systemwechsel“108 heraus. Vom Typ des politisch
konformen „ideologischen Erziehers“ hin zum neuen „Wegweiser“ während des Umbruchs:
die heute 30- bis 40-Jährigen haben die mediale Demokratisierung aktiv miterlebt und ver-
stehen ihren Beruf kämpferischer und emotionaler als die jüngere Generation. Jenen „Ver-
mittlern“, den jüngeren Journalisten mangelt es in Zeiten der Medienkonzentration und des
Sensationsjournalismus oft an Hintergrundwissen für kritische Analysen. Sie wollten vor
allem schnell und exklusiv, aber neutral und nach westlichem Vorbild informieren.
Dem kam nicht nur das gewandelte Medienverständnis – weg von der ideologisierten,
hin zu einer angeblich ideologiefreien, neutralen Berichterstattung –, sondern auch das
Engagement ausländischer Medienunternehmen entgegen. Als die deutsche Mediengruppe
WAZ 1996 in den bulgarischen Medienmarkt einstieg, hätte sie, so wurde kritisiert, politi-
sche durch wirtschaftliche Interessen abgelöst. Mit der Übernahme der beiden auflagen-
stärksten Tageszeitungen „24 asa“ und „Trud“ stiegen diese zum Meinungs-macher auf
und brachten einen neuen, parteiunabhängigen Journalismus mit. Die Schattenseite: junge,
unausgebildete Leute werden zum Verfassen schneller, gutverkäuflicher Skandalmeldungen
eingesetzt. Sie hatten weder ein gutes, noch ein schlechtes, sondern gar kein Verhältnis zur
Politik. Es drohte das Szenario, dass es irgendwann nur noch Boulevardmedien geben, und
damit die Bevölkerung immer politikverdrossener werden würde. Zu den ausländischen
Medieninvestoren gesellten sich das deutsche „Handelsblatt“, auf dem Fernsehmarkt die
schwedische „Modern Times Group Broadcasting“ und der australisch-amerikanische Me-
dienmogul Rupert Murdoch, sowie der griechische TV-Produzent „Antenna Group“. Öster-
reich ist Bulgariens größter ausländischer Wirtschaftsinvestor, momentan vor allem im
Bankwesen und der Telekommunikation. Es folgt das österreichische Markt- und Mei-
nungsforschungsinstitut „GfK“, das Marktstudien in der bulgarischen Medienlandschaft
plant. Diese ausländische Konkurrenz könnte auch die Monopolstellung einiger weniger
bulgarischer Werbe-agenturen und deren enger Verflechtung mit Medien und Meinungsfor-

108
Krasteva, P. 2007: Journalismus in Bulgarien siebzehn Jahre nach dem Systemwechsel. Eine qualitative Studie
zum Selbstverständnis von bulgarischen Pressejournalisten. Magisterarbeit, Ludwig-Maximilians-Universität
München.

144
schungsinstituten ins Wanken bringen. Auch Bulgariens einzige Nachrichtenagentur „TNS“
ist an diesen Seilschaften beteiligt und verlor dadurch an Glaubwürdigkeit.
Der „Bulgarische Nationale Rundfunk“ (BNR) und das „Bulgarische Fernsehen“ (BNT)
sind seit 1996 öffentlich-rechtlich, werden aber de facto weiterhin vom Staatshaushalt fi-
nanziert und sind damit keinesfalls objektiv. Aus nichtigen Anlässen entstehen Skandale
wie aus jener unbequemen Frage, die eine Journalistin des „BN.R“ dem bulgarischen Präsi-
denten Georgi Parvanov auf seiner Reise durch Rumänien stellte. Die Chefin des „BN.R“
forderte, sie solle sich entschuldigen. Sie hätte dem Ansehen des Präsidenten im Ausland
geschadet. Die Entrüstung in der Öffentlichkeit war so groß, dass es dazu nicht kam. Viele
Journalisten seien von dem Satz „Wir haben einen Gott, das ist der Leser“ überzeugt, so
Pavlina Krasteva109. Und dieser lese am liebsten ‚Hybrid-Tabloide‘ statt der Qualitätspresse,
also eine in Bulgarien typische Mischung von Populärem und Seriösem. Die Presse müsse
sich eben in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit an ein politikmüdes Publikum wenden.
Braucht Bulgarien überhaupt eine Qualitätspresse? Das sei die Sicht des Westens, dessen
Standards könne man aber nicht schlicht übernehmen, so die befragten Journalisten. Der
Westen müsse endlich begreifen, meinten sie, dass die Presse das Ergebnis der Gesell-
schaftslage ist.

8.1 Die Entwicklung der Medien nach 1989

Auf den ersten Blick entwickelte sich die Medienlandschaft in Bulgarien110 nach 1989 sehr
schnell und vielfältig111. Kurz nach der politischen Wende wurden der staatliche Hörfunk
und das staatliche Fernsehen, die vorher dem kommunistischen ZK unsterstanden hatten,
dem Ministerrat unterstellt. Die erste oppositionelle Zeitung, „Demokracia“, erschien noch
im Winter 1990. Es folgten unabhängige Wochen- und Tageszeitungen und private Hör-
funksender. Einige staatliche Printmedien wurden privatisiert. Mittlerweile zählt der Me-
dienmarkt in Bulgarien mehrere hundert Zeitungen und Zeitschriften, über 100 private
Hörfunkanbieter, fünf private Fernsehsender und Dutzende von Kabelkanalbetreibern.
Natürlich machen auch den bulgarischen Medien die wirtschaftlichen Probleme des Landes
zu schaffen112, andererseits haben sie mit der autoritäten Mentalität eines Teils der Politik zu

109
Vgl. Krasteva, P. 2007: Journalismus in Bulgarien siebzehn Jahre nach dem Systemwechsel. Eine qualitative
Studie zum Selbstverständnis von bulgarischen Pressejournalisten. Magisterarbeit, Ludwig-Maximilians-
Universität München.
110
Bulgarien grenzt an die Türkei und Griechenland im Süden, an Serbien und Mazedonien im Westen, an Rumä-
nien im Norden und an das Schwarze Meer im Osten. Die Hauptstadt Sofia befindet sich im Westen des Lan-
des. In dem ca. 111.000 Quadratkilometer umfassenden Staatsgebiet leben 7,68 Millionen Menschen. Damit
liegt die Bevölkerungsdichte bei 79 Einwohnern pro Quadratkilometer und ist weit geringer als in Deutsch-
land, wo sie 230 Einwohner pro Quadratkilometer beträgt. Die größte Minderheit stellen mit 9,4 Prozent die
Türken und mit 4,7 Prozent Bevölkerungsanteil die Roma. In der parlamentarischen Republik nimmt der Pre-
mierminister eine dem Bundeskanzler in Deutschland ähnliche Stellung ein. Bulgarien stellt durch seine topo-
graphische Lage zwischen Mitteleuropa und dem nahen Osten ein wichtiges Transitland dar. Diese Position
wird unterstrichen durch vier internationale Flughäfen, zwei Seehäfen und große Binnenhäfen an der Donau.
111
Andreev, Alexander: Hintergrund: Medien und Medienpolitik in Bulgarien. Gute Ansätze unter schlechten
Bedingungen [www.reporter-ohne-grenzen.de/archiv2000/rb/rb27/rb27bulgarienhintergrund.html].
112
Nach dem Wegfall des Marktes der Sowjetunion sank das Realeinkommen von 1989 bis 1995 um 70 Prozent.
Aktuell beträgt das durchschnittliche Einkommen etwa 300 Lewa. Das sind umgerechnet 150 Euro pro Monat.
In Deutschland liegt das Durchschnittseinkommen bei 2000 Euro im Monat1). Damit ist Bulgarien das ärmste

145
kämpfen, die die alten Gewohnheiten nicht ablegen will. Das „Bulgarische Nationale Fern-
sehen“ (BNT) und der „Bulgarische Nationale Hörfunk“ (BNR) sind mit Abstand die popu-
lärsten Medien im Lande. Laut Gallup-Umfrage von August 98 werden die zwei „BNT“-
Programme von circa 84 Prozent der Bevölkerung gesehen, Tendenz leicht fallend. Der
nationale Hörfunk kann sich eines Publikums von ungefähr 62 Prozent erfreuen. Während
die zwei Programme des Nationalfernsehens eindeutig marktführend sind, hat der private
Hörfunk die Dominanz des staatlichen zum Teil durchbrochen. Eine qualitative Sonderrolle
spielt das überregionale Hörfunknetz Darik Radio. Die Berichterstattung über die Unruhen
in Sofia, die im Winter 1996/97 zum Sturz der postkommunistischen Regierung geführt
haben, war für Darik der große Durchbruch zum, laut Eigenwerbung, „nationalen Informa-
tionsführer“. Unter den privaten Fernsehanbietern hat es bislang keiner geschafft, ein über-
regionales Programm zu starten. Die Finanzierung ist in einem relativ engen Werbemarkt
sehr riskant, und es fehlen landesweite Übertragungs-möglichkeiten: Die drei verfügbaren
Kanäle sind bereits von BNT belegt. Um für die Privaten mehr Platz zu schaffen, erwägt
die Regierung die Privatisierung des zweiten Fernsehprogramms.
Die Bulgaren sind eifrige Zeitungsleser. Experten der US-Organisation „Freedom Hou-
se“, die im Sommer 1998 die Presselandschaft untersuchten, waren von den hohen Aufla-
gen beeindruckt. 2,2 Millionen Zeitungen werden täglich gedruckt. Das heißt, jeder dritte
Erwachsene kauft eine Tageszeitung. Marktführend unter den überregionalen Blättern sind
die zwei Titel der bulgarischen WAZ-Tochtergesellschaft, „Trud“ (Arbeit) und „24 asa“
(24 Stunden). Die Essener Verlagsgruppe, die wegen ihrer vermeintlichen oder tatsächli-
chen Monopolstellung viele Probleme mit den Wettbewerbern und der bulgarischen Kar-
tellbehörde hatte, behauptete, auf die redaktionelle Arbeit keinen Einfluß zu nehmen. Die
Autoren des „Freedom-House“-Berichts beurteilten die bulgarische Presse als immer noch
unreif. Es sei festzustellen, daß sich die Journalisten in der Regel den Vorgaben der Regie-
rung anpaßten und nur selten eigene Recherchen durchführten. Die Stories, die am häufigs-
ten für Aufmerksamkeit sorgten, seien sehr oft auf anonyme Regierungs- oder Geheim-
dienstquellen zurückzuführen. Dies verursache einen Massen-mißbrauch der Pressefreiheit,
wobei die Redakteure in der Regel das Gegendarstellungs-recht mißachteten. Angeprangert
wird auch die fehlende politische Kultur der Parteieliten, die die Privilegien der Macht
ausnützten, um unbequeme Journalisten zu verfolgen. „Unter den in Bulgarien herrschen-
den gesetzlichen und gesellschaftlichen Bedingungen“, so die US-Forscher, „fühlen sich
die Journalisten unsicher und ständig bedroht.“
Die Befunde des „Freedom-House“-Berichts wurden von anderen Beobachtern bestätigt
und sogar auf die ganze Medienlandschaft erweitert. In einer Balkan-Studie der ACCES-
Stiftung stellen die Autoren fest, daß die kritischen Meldungen in den staatlichen elektroni-

Land der EU. Die Kaufkraft hier liegt bei nur einem Drittel des EU-Durchschnitts. Das Bruttoinlandsprodukt
pro Kopf beträgt 5616 Euro. Damit ist es fünfmal niedriger als in Deutschland (BIP/Kopf in D.: 28 012 Euro).
Handelspolitisch war Bulgarien bereits 1939 stark von Deutschland abhängig. Damals gingen 68 Prozent aller
Exporte nach Deutschland. Mit einem Handelsvolumen von 2,9 Milliarden Euro war Deutschland auch 2005
der wichtigste Handelspartner Bulgariens. Besonders die großen Städte Bulgariens wie Sofia, Plovdiv und
Russe, sowie die Schwarzmeerorte Varna und Burgas erlebten in den letzten Jahren einen Boom, den Wirt-
schaftsexperten mit den Entwicklungen im asiatischen Raum vergleichen. Im Jahr 2004 brachten ausländische
Investoren 2 Milliarden Euro ins Land. Vor 10 Jahren waren es nur 10 Millionen Euro. Heute leben noch vier
Prozent der Menschen in Bulgarien unter dem Existenzminim, 1990 belief sich dieser Wert im Vergleich auf
das Dreifache. Der Trend zeigt, daß sich die Mittelschicht seit 1999 stetig vergrößert hat und bereits 19 Pro-
zent der Bevölkerung ausmacht. Diese Mittelschicht ist pro-westlich und konsumorientiert. Dadurch wurde das
Land für Medienkonzerne interessant, weil sich hier die Chance bot, frühzeitig zukünftige Märkte zu sichern.

146
schen Medien in Bulgarien, Mazedonien und Albanien nur ein Prozent der gesamten Be-
richterstattung ausmachten, während in den Printmedien diese Zahl zwischen 30 und 60
Prozent liege. Die Nachrichtensendungen beschäftigten sich hauptsächlich mit der offiziel-
len Politik, unterbelichtet blieben dafür Themen wie Umweltverschmutzung, Kultur oder
Minderheiten. Noch schärfer fiel die Kritik in einem der Parlamentarischen Versammlung
des Europarats vorgelegten Informationsbericht des britisch-dänischen Autorenteams David
Atkinson und Henning Gjellerod aus. Einige negative Schluß-folgerungen dieses Reports
sind sowohl in Sofia als auch in Straßburg als einseitig kritisiert worden. Das mag zum Teil
berechtigt sein, aber einige Punkte sind durchaus einleuchtend. Medienvertreter sprachen
von staatlicher Kontrolle über die meisten Organe. Darüber hinaus kontrollieren große
Finanzgruppen die meisten der sogenannten unabhängigen Zeitungen. Die Printjournalisten
sind gezwungen, sich der starken parteipolitischen Prägung der jeweiligen Zeitung anzu-
passen, was eine offensichtliche Selbstzensur zur Folge hat.
In der bulgarischen Verfassung von 1991 sind Meinungsfreiheit, Medienfreiheit und
Informationsfreiheit verankert. Im direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Medien
stehen auch das Strafgesetzbuch, das gerade verabschiedete Gesetz für Hörfunk und Fern-
sehen, das Fernmeldegesetz, das Haushaltsgesetz und ein Verfassungsgerichtsurteil zur
Subsidiarität der Medienfreiheit gegenüber der Meinungs- und Informationsfreiheit. In
diesem gesetzlichen Rahmen sehen in- und ausländische Fachleute einige Engpässe, ja
sogar undemokratische Regelungen. Umstritten sind zum Beispiel die Passagen im Strafge-
setzbuch, die Verleumdung oder Beleidigung durch Journalisten mit Freiheitsstrafen bedro-
hen. Internationale Organisationen wie „Interrights“, „Article 19“ und „Reporter ohne
Grenzen“ wiesen darauf hin, daß solche Fälle im zivilrechtlichen Bereich anzusiedeln seien,
doch das bulgarische Verfassungsgericht entschied anders. So wurden in den letzten sieben
Jahren über 100 Strafgerichtsverfahren gegen Journalisten eingeleitet; in drei Fällen stand
am Ende ein rechtskräftiges Urteil. Auch eine Novellierung im Strafgesetzbuch sorgte für
Aufregung. Vor dem Hintergrund der wachsenden Kriminalität entschied nämlich der Ge-
setzgeber, dass Journalisten unter bestimmten Umständen vor Gericht ihre Quellen preisge-
ben müssen.
Trotz der teilweise schwierigen Bedingungen sind die bulgarischen Medien, von allen
Kinderkrankheiten abgesehen, so frei und zugleich professionell wie nie zuvor in ihrer
Geschichte. Dass der Freiheitsgenuß manchmal ins Voluntaristische und Beliebige über-
schwappt, daß die Machtnähe nicht immer richtig zu handhaben ist, dass die Lohntüten zu
dünn und die patriotischen Töne manchmal zu laut sind – all dies wird sich wohl mit der
Zeit zum Besseren ändern. Die Ansätze sind bereits da. Die Sprache der Medien ist zwar
immer noch zu aufgeregt und manchmal kitschig, eine positive Entwicklung ist jedoch
nicht zu leugnen. Auch die Qualität von Information und Unterhaltung, die Trennung der
Nachricht vom Kommentar, die journalistische Verantwortung allgemein haben sich ent-
scheidend gebessert, nicht zuletzt durch das massive Engagement unterschiedlicher interna-
tionaler Organisationen und Fachleute.

147
8.2 Der Westen kauft sich in den bulgarischen Medienmarkt ein

Die österreichische Nobelpreisträgerin für Literatur, Elfriede Jelinek, bekannt für ihre poin-
tierten Urteile, meinte zum Engagement der Essener WAZ-Gruppe: „Die WAZ hat nicht
kämpfen müssen, um uns zu unterjochen, sie hat nur kaufen müssen.“ Frau Jelineks Ein-
wurf war auf die Beteiligung der WAZ am österreichischen Kurier und an der Kronenzei-
tung gemünzt, hätte aber genauso gut auf die Verhältnisse in Rumänien oder eben in Bulga-
rien gepasst113. Auch in Deutschland war die Sorge vor einem populistischen Medienmono-
pol vor dem Insolvenzverfahren der Kirchgruppe groß, dass ausländische Investoren zuviel
Einfluss in deutschen Medien haben könnten. Berlusconi und Murdoch hätten den endgül-
tigen Niveauverlust im deutschen Fernsehen herbeiführen können. Im WAZ-
Medienkonzern sah man den eigenen Einfluss besonders in Südosteuropa gelassener. Ne-
ben Geschäften in Ungarn floriert der Zeitungsmarkt besonders in Bulgarien. Hier hat der
Konzern eine marktbeherrschende Stellung. Bodo Hombach, der im Auftrag der Bundesre-
gierung bereits vor Jahren Erfahrungen in Südosteuropa sammeln konnte, konnte als Ge-
schäftsführer der WAZ die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Er-
folg sichern. „24 Stunden“ heißt die Zeitung in Bulgarien, die ihre wirtschaftlichen Grund-
lagen in Essen hat, sich aber unabhängig auf die Bedürfnisse der Bulgaren einstellt. Und
das in einem politisch-populistischen Stil, wie er in Europa kaum möglich ist. Selbst Peter
Imberg, Sprecher der WAZ-Gruppe Sofia erklärte gegenüber dem deutschen Fernsehsender
„3sat“, er halte die Sprache der Zeitung für gewöhnungsbedürftig, aber „wir haben keine
Probleme, eine populistische Zeitung zu machen. Der Leser will es so“. Nationalistische
Tendenzen, einfache Botschaften, wie die des zurückkgekehrten Zaren, erfüllen die Leser-
wünsche auf dem Balkan. Aufschlußreich auch die Aussage von Chefredakteurin Goeva:
„Mit der WAZ-Gruppe ist erstmals eine Zeitung auf den Balkan gekommen, die ausschließ-
lich Geschäfte machen will.“ Wenn es aber nur noch um Geschäfte geht, spielt die Legiti-
mation politischer Aussagen kaum noch eine Rolle. Für den Balkan sind Tendenzblätter
nicht ungefährlich. Auch wenn Bodo Hombach erklärte, selbst in England gebe es populis-
tische Zeitungen. Aber die Lage in Bulgarien ist anders. Immerhin sollen sich schon Sozio-
logen an der Universität in Sofia mit dem Phänomen der Zeitung beschäftigen. Die Kritik
der Professoren wächst.
Es formierte sich auch handgreiflicher Widerstand gegen das Engagement der WAZ-
Gruppe. Die radikalnationalistische „Ataka“-Partei versuchte WAZ-Mitarbeiter einzu-
schüchtern. Ein parteinaher Sender veröffentlichte die Namen und Adressen von Journalis-
ten. Für ihre Sicherheit werde keine Garantie übernommen, hieß es114. Der Geschäftsführer
der WAZ-Gruppe für Osteuropa, Andreas Rudas, bestätigte entsprechende Berichte. Zwei
Chefredakteure seien von der radikalnationalistischen Ataka-Partei als „Handlanger deut-
scher und hebräischer Medien“ bezeichnet worden, sagte Rudas. Ein der Ataka-Partei nahe
stehender Fernsehsender habe jeweils Namen und Adresse der beiden mit Bild veröffent-
licht und angegeben, für ihre Sicherheit keine Gewährleistung zu übernehmen. Rudas wer-
tet dies als „scharfe persönliche Einschüchterung“. Unterdessen hat die Ataka nach Anga-

113
Vgl. Riebel, Alexander: Populistisch auf dem Balkan. Die bulgarische Zeitung „24 Stunden“ – Ein Projekt der
WAZ. Die Tagespost, 27.6.2002 [www.die-tagespost.de/archiv/titel_anzeige.asp?ID=627].
114
Bulgarien: Rechtsradikale bedrohen Journalisten von deutschem Verlag. In: Spiegel Online. Politik, 15.3.2007
[www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,472004,00.html].

148
ben eines Parteisprechers die Chefredakteure von zwei WAZ-Zeitungen in dem Balkan-
Land wegen Verleumdung verklagt. Dabei handelt es sich um die Wochenzeitung „168
asa“ („168 Stunden“) und die Tageszeitung „24 asa“ („24 Stunden“), wie der Sprecher
in Sofia sagte. Hintergrund ist ein innenpolitisch umstrittener Beitrag in beiden Zeitungen,
der laut Ataka „nicht bestätigte“ Angaben enthalten.
Aus Protest gegen den umstrittenen Artikel hatten Anhänger von „Ataka“ am 23. Febru-
ar die Redaktionsräume beider WAZ-Ausgaben in Sofia gestürmt. WAZ-Sprecher Rudas
erklärte in Wien, die Verlagsleitung mische sich nicht in redaktionelle Inhalte und innenpo-
litische Auseinandersetzungen ein, solidarisiere sich aber uneingeschränkt mit den Redak-
teuren: „Für uns steht fest: Dies ist keine Art, wie man mit freien Medien umgeht. Dies ist
massiv abzulehnen, egal aus welchem Grunde eine solche Intervention geschieht“. Die
Essener Verlagsgruppe hat den Angaben zufolge mittlerweile gemeinsam mit der südosteu-
ropäischen Medien-Organisation „SMEE“ das bulgarische Innenministerium verständigt
und die verantwortlichen europäischen Institutionen informiert. Die „Ataka“-Partei habe
inzwischen ihre Aktivitäten ausgedehnt und auch den griechischen Inhaber eines bulgari-
schen TV-Senders auf antisemitische und ausländerfeindliche Weise angegriffen. Die
WAZ-Gruppe forderte die bulgarische Politik auf, gegen die Verant-wortlichen der Atta-
cken vorzugehen. Die Verlagsgruppe beschäftigt in Bulgarien bei den drei Zeitungen „24
asa“, „168 asa“ und „Dneven Trud“ sowie kleineren Fachzeitungen nach Angaben Ru-
das’ rund 250 Mitarbeiter. Die „Ataka“-Partei war in der Vergangenheit immer wieder mit
Hetzparolen gegen Türken und Roma aufgefallen. Bei der Präsidentenwahl im Oktober
2006 kam ihr Vorsitzender Volen Siderov auf 25 Prozent der Stimmen, mußte sich aber
dem mit 75 Prozent wiedergewählten Amtsinhaber Georgi Parvanov deutlich geschlagen
geben. Der Übergangs-prozess hin zu demokratischen und marktwirtschaftlichen Verhält-
nissen ist in sämtlichen Bereichen deutlich spürbar, auch und besonders in den Medien115.

115
Bulgarien verfügt über eine Vielzahl sowohl staatlicher als auch privater Radio- und Fernsehsender. Es exis-
tiert eine vielfältige Presselandschaft. Auf 8,5 Mio. Einwohner kommen ca. 60 lokale Radiosender, 6 private
Fernsehsender (terrestrisch) und zahlreiche Tv-Sender via Kabel. Nahezu jede politische oder unpolitische Or-
ganisation vertreibt eine eigene Zeitung. Die Medien erfreuen sich in Bulgarien seit jeher einer großen Auf-
merksamkeit. In der neuen Verfassung wurde das Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit festgeschrieben.
Seither erscheinen immer wieder neue private Zeitungen, die wichtigste ist die Tageszeitung „24 asa“ („24
Stunden“). Aber auch die Wirtschaftskrise wirkte sich auf die Medienlandschaft aus. Die gestiegenen Preise
für Druck und Materialien ließen die Preise für eine Tageszeitung enorm ansteigen. Trotzdem kauften die
meisten der Bulgaren während dieser Zeit oft mehr als nur eine Zeitung am Tag. Rundfunk und Fernsehen sind
vorwiegend noch in staatlicher Hand. Seit Ende 1992 entstanden jedoch zahlreiche private Radiosender mit lo-
kalem Einzugsgebiet. Als erster ausländischer Sender erhielt „Voice of America“ im November 1992 eine
Sendelizenz. Im Januar 1993 wurde dann der Grundstein für die heute erfolgreichste bulgarische Radiokette,
„Darik-Radio“, in Sofia gelegt. Sender wie „Radio Free Europe“ und die „Deutsche Welle“ folgten. Gleichzei-
tig entstanden auch die ersten privaten Fernsehsender. Die Medien wurden immer deutlicher zum wirtschaftli-
chen Faktor und funktionierten mehr und mehr nach marktwirtschaftlichen Gesetzen. 1996 wurde auf Druck
der EU das erste post-kommunistische Mediengesetz verabschiedet. Ein „Nationaler Rat für Radio und Fern-
sehen“ (NRRF) wurde gegründet, der die Medienlandschaft staatlich kontrollierte. Im November 1996 wurden
die Passagen des Gesetzes jedoch für mit der Verfassung nicht vereinbar erklärt. Der journalistische Stil der
Parteizeitungen setzt sich bis heute in gewohnter Weise fort: Geschrieben wird das, was der jeweiligen Partei
nützt. Ende 1998 hatte die Union der demokratischen Kräfte (UDK) ein neues Mediengesetz vorge-
legt, welches die Entwicklung des Radio- und Fernsehmarktes in geordnete Bahnen lenken sollte. Durch die
neue gesetzliche Grundlage hat sich für zahlreiche elektronische Medien, die bis dahin in einer gesetzli-
chen Grauzone agierten, die Situation geändert. Einige der TV-Sender verloren ihre Existenzgrundlage. Die
deutsche Zeitungsgruppe WAZ übernahm 1996 die beiden größten bulgarischen Verlagsunternehmen „168
Casa“ und „Media Holding“. Investitionen in Höhe von ca. 50 Mio. DM sicherten den Fortbestand der zwei
auflagenstärksten Zeitungen „24 Casa“ („24 Stunden“) und „Dneven Trud“ („Tagesarbeit“). Die meisten der

149
Jedoch hat der Medienmarkt in Bulgarien mit einigen Problemen zu kämpfen, die Situation
ist aber so positiv wie nie zuvor. Die Freiheit der Medien ist gesetzlich festgeschrieben und
die Professionalität in der privaten Wirtschaft ist im Wachsen begriffen. Eine breite Palette
an Druckerzeugnissen – über 200 Zeitungen und Zeitschriften – decken viele Interessenge-
biete ab, mehr als 100 private Radiosender und über 20 private TV-Programme kämpfen
überwiegend auf lokaler Ebene gegen die landesweite Vormacht der immer noch staatli-
chen Übermacht von BNR (Bulgarian National Radio) und „BNT“ (Bulgarian National
Television). Ein neues Mediengesetz soll für eine bessere Regulierung sorgen, wobei vor-
gesehen ist, demnächst den ersten privaten Fernsehanbieter zu lizensieren. Doch auch auf
dem Hörfunkmarkt werden durch die neuen gesetzlichen Bestimmungen einige Verände-
rungen erwartet.
Die bisher staatlichen Sender von „BNR“ und „BNT“ sollen zu öffentlich-rechtlichen
Medienanstalten übergehen, ohne von der jeweils regierenden Mehrheit beeinflusst zu
werden und die neu fest geschriebenen Lizensierungsverfahren werden die Existenz sämtli-
cher illegaler und unautorisierter Radio- und TV-Anbieter in Frage stellen. Um den Anfor-
derungen des modernen Journalismus gerecht zu werden, sind viele Radio- und Fernseh-
sender auf der Suche nach westlichen Partnern, denn die technische Weiter-entwicklung
erfordert einen hohen finanziellen Aufwand und bei der Neuorganisation des Marktes kann
ausländisches Know-how nur von Vorteil sein. Daher kooperieren bulgarische Medienun-
ternehmen zunehmend mit ausländischen Organisationen und Fachleuten, um von ihren
Erfahrungen zu lernen. Wichtig sind dabei die zahlreichen Verbände, zu denen sich die
entsprechenden Medien zusammengeschlossen haben. Die Vereinigung der bulgarischen
Privatradios (ABBRO) organisiert so beispielsweise monatliche Fortbildungskurse mit
erfahrenen Referenten. Neben den amerikanischen Spezialisten ist natürlich auch deutsches
Know-how gefragt, denn Deutschland wird von vielen Bulgaren nicht nur als Geldgeber
gesehen, sondern vielmehr als ein wichtiger Berater: „Die meisten Bulgaren sind Deutschen
gegenüber positiv und traditionell freundschaftlich eingestellt. Doch mit reinem Sachvers-
tand allein kann man auch in Bulgarien keine Kontakte und Geschäfte machen. Mensch-
lichkeit im Geschäftsverkehr ist ein wichtiges Kriterium für den Erfolg, für Vereinbarun-
gen.“ Ein wichtiger Impuls zur Weiterentwicklung der elektronischen Medien wird durch
die Privatisierung des bisherigen Telekommunikationsmonopolisten „BTK“ erfolgen. Eine
notwendige Modernisierung des Telekommunikations-netzes bietet dann auch den Radio-
und TV-Anbietern neue und bessere Möglichkeiten, nicht nur für die Programmverbrei-
tung, sondern auch für den Produktionsprozess. „Medienfreiheit und Pluralismus sind trotz
negativer Gegentendenzen die wichtigsten Charakteristika auch der bulgarischen Medien-
landschaft geworden. Die Hauptbedingung der weiteren Entwicklung im Medienbereich für
die Überwindung aller zeitweiligen negativen Erscheinungen ist, dass Bulgarien konse-
quent weiter den Weg des Ausbaus von Marktwirtschaft und Demokratie geht.“ Gerade im

bulgarischen Zeitungen kämpfen auch heute noch mit Finanzierungsproblemen. Die 1898 gegründete Nach-
richtenagentur BTA (Bulgarska Telegrafna Agenzia) ist nach wie vor die zentrale Nachrichtenagentur des
Landes und durch staatliche Einflussnahme gekennzeichnet. Das Gleiche gilt auch für die als öffentlich-
rechtlich bezeichneten Medien BNR (Radio) und BNT (Fernsehen). Ein Grund dafür liegt auch in der schlech-
ten finanziellen Situation der Anstalten. Viele Radio- und Fernsehsender sind auf der Suche nach westlichen
Partnern, um den Anforderungen des modernen Journalismus gerecht werden zu können. Neben der finanziel-
len Unterstützung für die technische Weiterentwicklung kann auch das Know-How für die Neuorganisation
des Medienmarktes von Vorteil sein. Neben den amerikanischen Spezialisten ist in Bulgarien besonders deut-
sches Wissen gefragt.

150
Zuge der neuen mediengesetzlichen Bestimmungen und der hohen Erwartungen der wirt-
schaftlichen Entwicklung kann Bulgarien als interessanter Standort für ausländische Inves-
toren gelten.

8.3 Radio und Fernsehen in Bulgarien

Geschichtlich bedingt, durch die 500-jährige osmanische Besatzung, kamen die ersten bul-
garischen Presseerzeugnisse im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erst sehr spät
auf, Ende des 19. Jahrhunderts. Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte die kommunistische
Einparteienregierung für eine langjährige Stagnation auf dem Medienmarkt. Die Macht der
Medien lag während dieser Zeit in den Händen des kommunistischen Zentralkomitees.
Staatliche Presseorgane und staatliches Radio- und Fernsehen bestimmten die mediale
Ideologisierung. Schon rasch nach der politischen Wende entwickelte sich der private Me-
diensektor sehr zügig, erste demokratische Zeitungen erschienen noch 1990 und zahlreiche
Radiosender wurden ab 1992 lizensiert. Heute erscheinen in Bulgarien weit über hundert
Zeitungen und Zeitschriften, in jeder Stadt ist mindestens ein privates Radio zu empfangen,
und zirka ein Dutzend terrestrische und mehrere Dutzend Kabelsender kämpfen auf dem
Fernsehmarkt um die Gunst der Zuschauer. Konnten die Bulgaren bis Anfang der 1990er
Jahre nur zwischen dem ersten und dem zweiten Programm des staatlichen Fernsehens
wählen, werden sie seit 1992 mit Dutzenden Fernsehprogrammen förmlich überflutet, die
fremdsprachigen Programme über Satellit nicht mitgerechnet. 1992 gab es einen regelrech-
ten Boom neuer, privater Rundfunksender. Viele begannen damals wegen der schwierigen
und langsamen Lizenzprozedur als Piratensender. Heute gibt es kaum eine bulgarische
Stadt, und sei sie noch so klein, ohne einen eigenen, kleinen privaten Lokalsender. In den
Großstädten gibt es dafür kaum noch freie UKW-Frequenzen.
Die große Mehrheit dieser Sender setzt auf das Schema „Musik, Werbung, noch mehr
Musik und ein wenig Information“ und kommt damit den Interessen der zumeist jungen
Hörerschaft entgegen. Nur in den großen Städten und zum Teil überregional haben sich
einige Sender mit Musik profiliert (Klassik FM, Jazz FM etc.). Im Informationsbereich
dominiert immer noch der öffentlich-rechtliche Bulgarische Nationale Rundfunk „BNR“
[www.bnr.bg]. Der „BNR“ hat drei nationale Programme: „Horizont“ ist ein 24-stündiges
Informations- und Musikprogramm. „Hristo Botev“ ist ein Non-Profit-Programm für Kultur
und Bildung. Radio „Bulgaria“ strahlt Sendungen in zehn Sprachen für hundert Länder aus.
„BNR“ hat außerdem sechs Regionalzentren, die eigene Programme senden, in den Städten
Varna, Plovdiv, Stara Zagora, Šumen, Blagoevgrad, und seit September 2007 sendet „Ra-
dio Sofia“ auch ein 24-Stunden Programm. „BNR“ hat auch einen Parlaments-Kanal, der
viermal pro Woche die Sitzungen der Bulgarischen Volksversammlung live überträgt. Das
Inlandsprogramm „Horizont“ hat mit Abstand die höchsten Einschaltquoten. Eine Ende
Oktober 2008 vorgenommene Studie des Nationalen Zentrums zur Erforschung der öffent-
lichen Meinung zeigte, dass nicht nur das Ansehen der öffentlich-rechtlichen Medien in
Bulgarien gestiegen war. Der Bulgarische Nationale Rundfunk verzeichnete zudem ein
Wachstum von sechs Prozent im Vergleich zum Monat September des Vorjahres, und ge-
noß das Vertrauen von 65 Prozent der Bulgaren. Aber auch hier sind aber die privaten auf
dem Vormarsch, zum Beispiel das überregionale „Darik-Radio“ [www.dariknews.bg], das
sich mit seiner schnellen Berichterstattung bei den Unruhen Anfang 1997, die zum Sturz
des Kabinetts Videnov geführt haben, Ansehen erwarb. Während es damals den regieren-

151
den Sozialisten gelang, den Nationalen Rundfunk durch massiven politischen Druck vorü-
bergehend mundtot zu machen, berichteten die Reporter von „Darik“ über ihre Handys live
vom Schauplatz des Geschehens. Abgesehen davon, dass Informationsmedien wie „Hori-
zont“ und „Darik“ die höchsten Zuhörerquoten erreichen, sind die Musiksender jene Statio-
nen, die populär sind. Der Äther ist mit Musikformaten überfüllt. Dabei fehlt es fehlt an
spezialisierten Radiosendern, wie einem Wirtschaftssender.
Auch das Nationale Fernsehen „BNT“ [www.bnt.bg], das sein zweites Programm auf-
gab und dafür über Satellit ein Programm für die bulgarische Diaspora ausstrahlte, bekam
nun große Konkurrenz. An erster Stelle im Kampf um die Einschaltquoten steht der terrest-
risch ausstrahlende private Sender „bTV“ [www.btv.bg], der dem australo-amerikanischen
„Medienmogul“ Rupert Murdoch gehört, und zu dem 2007 außerdem der Kabelkanal „Fox
Life“ hinzukam. Auf „bTV“ folgt sofort der erste bulgarische private terrestrisch ausstrah-
lende Fernsehsender „Nova televizija“ („Neues Fernsehen“, NTV, www.ntv.bg), der bis
Juli 2008 dem griechischen Medienkonzern „Antenna“ gehörte und vom schwedischen
Medienkonzern „MTG“ gekauft wurde. „BNT“, „bTV“ und „NTV“ konkurrieren mit
Nachrichten und Berichten, Sport, Talkshows, Quizsendungen, Filmen und Serien, wobei
sich „NTV“ mit dem Kauf der Rechte für die Reality Show „Big Brother“ an die Spitze
setzte. „bTV“ holte mit dem internationalen Format „Survivor“ auf, dessen Rechte der
Sender 2006 gekauft hatte. Bei allen privaten Sendern dominieren für Massen attraktive
Angebote: Serien, inklusive Seifenopern aus Lateinamerika und billige Hollywood-
Produktionen, außerdem Shows, Quiz-, Musiksendungen und Sport. Dabei berichten die
Privaten nur selten über Kultur und Bildung. Kabelsender in kleineren Städten bringen auch
oft Lokalnachrichten. In den vergangenen Jahren hat das Bulgarische Nationalfernsehen
den höchsten Prozentsatz des Vertrauens aller Institutionen in Bulgarien erhalten. Bei
„BNT“ gibt es täglich um 16.10 Uhr eine Viertelstunde Nachrichten in türkischer Sprache
für die türkische Minderheit in Bulgarien. Bei den privaten TV-Anstalten ist das Nachrich-
tenangebot inklusive politischer Berichterstattung immer noch relativ umfangreich, obwohl
die Nachrichten stark vom Sensationsjournalismus und Prominentengeschichten geprägt
sind. Bei zahlreichen Kabelfernsehsendern beobachtet man das Phänomen der Angebotsmi-
schung aus westlicher Massenkultur und einer aggressiv modernisierten, lokalen Volksmu-
sik („alga“). Außerdem zeigen alle Fernsehsender eine starke Tendenz zur Personalisie-
rung und Skandalisierung bei der Auswahl und Präsentation von politischen Ereignissen.
Zu bemerken ist, dass diese Trends ihrerseits immer größeren Einfluss auf die politische
Kommunikation im Land ausüben und Voraussetzung zur Anpassung der politischen Ak-
teure an die Regeln dieses Mediensystems sind.
Trotz der wachsenden Konkurrenz der Privaten besitzt der staatlichen Rundfunk mit
Radio (BNR) und Fernsehen (BNT) nach wie vor eine unbestrittene Monopolstellung,
wenn es um die landesweite Verbreitung von elektronischen Medien geht. Sitzt der Staat
auf der einen Seite, sind es auf der anderen oft mächtige finanzielle Unternehmungen, die
vor allem die elektronischen Medien beeinflussen116. Die Mittel für die neuen Radio- und

116
Im Juli 2008 wurden in Bulgarien drei Fernsehsender für insgesamt mehr als 700 Millionen Euro verkauft. Der
schwedische Medienkonzern „MTG“ (Modern Times Group) unterzeichnete Ende Juli 2008 einen Vertrag
über den Kauf von „Nova TV“ Bulgarien für 620 Millionen Euro. Das schwedische Unternehmen kontrolliert
zudem über eine 50 Prozent-Beteiligung an der „Balkan Media Group“ die bulgarische Sendergruppe „Die-
ma“. „Nova TV“ hat einen Marktanteil von 32,4 Prozent am bulgarischen Fernsehmarkt. Kurz vor der Über-
nahme von „Nova TV“ gab die US-amerikanische „Central European Media Enterprises“ (CME), an dem
Estée Lauders Sohn Ronald Lauder beteiligt ist, den Erwerb von Mehrheitsbeteiligungen an zwei bulgarischen

152
Fernsehprogramme entstammen nicht selten aus Kreisen der ehemaligen Nomenklatura
oder aus Firmen von Exilbulgaren. Das Sofioter „Radio Express“ ist zum Beispiel Teil
eines Multimedia-Konzerns, zu dem noch eine gleichnamige Tageszeitung, eine Werbe-
agentur und anderes gehören. Hinter dem Plovdiver Sender „CanalCom“, der auch in der
Schwarzmeerstadt Varna sendet, steht eine Vereinigung von bedeutenden Banken und
Handelsunternehmen. Doch neben den Printmedien, dem Hörfunk und dem Privatfernsehen
haben sich während der vergangenen zwei bis drei Jahre vor allem der Werbemarkt und der
neue Medienmarkt entwickelt. So spielt heute das Internet auch in Bulgarien eine immer
wichtigere Rolle. Die elektronischen Massenmedien in Bulgarien zeichnen sich derzeit
durch eine sehr schlechte Informationspolitik aus. In den Nachrichtensendungen findet
überwiegend die offizielle Politik Beachtung, Themen wie Umwelt, Kultur oder Minderhei-
ten fehlen oft.
Trotz des neuen „Gesetzes für Radio und Fernsehen“, das den privaten Sektor entwi-
ckeln sollte, wurden bulgarische Journalisten durch die Gesetzgebung in ihrer Arbeit stark
behindert. So waren beispielsweise einige Passagen im Strafgesetzbuch heftig umstritten.
Dort wird die Verleumdung oder Beleidigung durch Journalisten unter Androhung von
Freiheitsstrafen verboten. Auch entschieden die Gesetzgeber, dass in Folge der wachsenden
Kriminalität, unter bestimmten Umständen die Informationsquellen preiszugeben sind.
Doch auch die oppositionelle BSP (Bulgarische Sozialistische Partei) beklagte beim Ver-
fassungsgericht die neue Gesetzgebung. Geradezu erstaunlich mutet jedoch deren Kritik an,
wonach sich „die Anklagen der Opposition hauptsächlich auf die übertriebene Abhängig-
keit der Medien von der Exekutive beziehen“. Hatte doch gerade die kommunistische
Nachfolgepartei während ihrer Regierungsjahre nach der politischen Wende jene Mittel
optimal missbraucht und eine rasche Entwicklung der Medienlandschaft stark gehemmt.
Die als öffentlich-rechtlich bezeichneten Medien „BNR“ und „BNT“ waren lange von
staatlicher Einflussnahme geprägt, auch die Nachrichtenagentur „BTA“ („Bulgarska Te-
legrafna Agenzia“) verbreitete nur staatlich genehme Informationen. Zum großen Teil war
die staatliche Abhängigkeit dieser Medien in ihrer schlechten finanziellen Lage begründet.
Mittel aus der Staatskasse wurden einige Jahre zur Finanzierung von „BNR“ und „BNT“
aufgewendet, bis eine Gebühren-finanzierung dies übernehmen sollte117. Politische Interes-
sen ließen sich so leicht durchsetzen. So unterschiedlich die Finanzierungsquellen der ein-
zelnen Medien sind, die meisten haben mit Problemen zu kämpfen. Immer enger werden
die Märkte nicht nur im Pressebereich, sondern vor allem im Hörfunk und neuerdings auch
im Kabelfernsehen. Zeitungen und Kabelanbieter finanzieren sich sowohl aus der Werbung

Fernsehsendern bekannt. CME übernahm jeweils eine 80-Prozent-Beteiligung an „TV2“ und „Ring TV“.
„TV2“ ist ein terrestrischer Sender, der erst im November 2007 an den Start ging und landesweit zu empfan-
gen ist, „Ring TV“ ist ein Sportsender und wird über Kabel empfangen. Der Preis für die beiden Sender beläuft
sich auf rund 109 Millionen Euro und ging an die „Top Ten Media Holding“ des bulgarischen Unternehmers
Krasimir Gergov. Bereits Anfang Juli 2008 wurde die Investmentbank Lehmann Brothers vom Medienunter-
nehmen „News Corporation“, Teil des Imperiums von Rupert Murdoch, damit beauftragt, den „bTV“ auf sei-
nen Wert zu überprüfen.
117
Öffentlich-rechtliche Sender werden hauptsächlich durch Subventionen aus dem Staatsetat und durch eigene
Einnahmen aus Werbung und Sponsoring finanziert. Die Gebühren sind immer noch eine problematische Fra-
ge in Bulgarien. Gebühren zahlt im Moment niemand. Der geplante Fonds für Radio und Fernsehen sollte
durch Monatsgebühren für Hörfunk und Fernsehen, sowie einen Anteil aus den ursprünglichen Lizenzgebüh-
ren und den jährlichen Wartungsgebühren der privaten Sender erzielt werden. Die Gebühr sollte zusammen mit
den laufenden Stromrechnungen bezahlt werden. Doch dieses Gesetz trat nie in Kraft. Private Sender werden
nur aus Werbeeinnahmen finanziert. Werbezeiten sind gesetzlich geregelt: BNT darf 15 Minuten Werbung in-
nerhalb von 24 Stunden ausstrahlen, die privaten Sender 12 Minuten pro Stunde.

153
als auch aus dem Verkauf ihrer Erzeugnisse. Die vielen neuen Privatradios müssen dagegen
nur mit den Werbeeinnahmen auskommen und das beim derzeitig geringen Werbeaufkom-
men im Hörfunkmarkt. Der Medienmarkt in Bulgarien zeichnete sich nach 1989 durch eine
große Turbulenz aus, wobei eine geordnete Entwicklung der Strukturen lange auf sich war-
ten ließ. Als eines der letzten Länder Osteuropas wurde schließlich 1996 unter dem Druck
der Europäischen Union in Bulgarien das erste Rundfunkgesetz eingeführt. Darin wurde
unter anderem festgelegt, dass ein Nationaler Rat für elektronische Medien gegründet wer-
den soll. Dieser Rat entscheidet heute über die Vergabe von Frequenzen und Lizenzen für
Radio- und Fernsehsender118. Das Rundfunkgesetz wurde jedoch schon kurz darauf auf-
grund unzureichender und strittiger Regelungen wieder außer Kraft gesetzt. Ende 1998
legte die SDS-Regierung ein neues Mediengesetz vor, das die Entwicklung des Radio- und
Fernsehmarktes in geordnetere Bahnen lenken soll. Da zahlreiche elektronische Medien
bisher in einem gewissen gesetzlichen Freiraum agierten, sollte sich hier in den kommen-
den Jahren einiges ändern. Der Radio- und Fernsehmarkt (speziell Kabel-TV) erfuhr eine
Bereinigung; außerdem war klar, dass der Werbemarkt nicht genug Mittel für die zahlrei-
chen Radio- und TV-Sender freimachen kann, und drittens wurden einige Stationen, die
bisher als Piratensender wirtschafteten, durch die neue Gesetzgebung ihrer Existenzgrund-
lagen beraubt.
Ein weiteres Problem ist der Druck, den weniger die Politik auf die Medien ausübt als
politisch instrumentalisierte Sender. Ein Vorfall in den Medien Bulgariens bewirkte, dass
sich so mancher Journalist fragte, ob ein Land, das Kopfgelder auf Wissenschaftler aus-
setzt, nicht näher am Mittelalter sei als an der Europäischen Union. Jeden Mittwoch und
jeden Donnerstag, um sechs Uhr abends, rief nämlich im Oktober 2007 der bulgarische
Sender „Skat TV“ seine Zuschauer auf, ein Photo und die Adresse der Kunsthistorikerin
Marina Baleva einzusenden – für eine Belohnung von 2.500 Lewa, umgerechnet 1.250
Euro. „Skat TV“ gehört der rechtsradikalen Partei „Ataka“, die im Internet die Aufzeich-
nung einer Wahlveranstaltung zeigte, die den Aufruf des Senders noch verschärfte. Baleva,
heißt es da, gehöre „aufs Schafott“, ihr Kollege Ulf Brunnbauer, der „deutsche Jude“, „auf
den Pfahl“119. Für Martina Baleva war die Hetze, die der rechtsradikale Sender gegen sie
und ihren Kollegen veranstaltete, beide Wissenschaftler am Osteuropa-Istitut der Freien
Universität Berlin, ein riesiges Mißverständnis. Im Haus ihrer Eltern hatten Fanatiker sogar
Mordaufrufe an die Wände gesprüht, Stockwerk für Stockwerk. Auslöser war eine Ausstel-
lung und eine Tagung, die die beiden Wissenschaftler für das Frühjahr 2007 geplant hatten.

118
Sieben seiner Mitglieder werden vom Parlament, zwei vom Ministerpräsidenten und weitere zwei vom Staats-
präsidenten vorgeschlagen. Gewählt werden sie für sechs Jahre. Derzeit sind für alle Medien in Bulgarien ge-
mäß dem Gesetz für Hörfunk und Fernsehen die Prinzipien der Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit gültig. Es
gibt keine Zensur, egal in welcher Form. Die Programme der öffentlich-rechtlichen Sender dürfen nur Sendun-
gen aufnehmen, die informieren, bilden und unterhalten. Sie müssen auch einen Zugang aller Zuschauer zum
nationalen und europäischen kulturellen Erbe sichern. Private Sender dürfen alles ausstrahlen, was dem Gesetz
nicht widerspricht. Die staatlichen Subventionen werden für National- und Regionalprogramme verwendet und
vom Ministerrat gebilligt. Berechnet werden sie aufgrund eines Einstundensatzes. Gemäß Art. 71 Abs. 2 des
Rundfunkgesetzes bekommt das Bulgarische Nationalfernsehen (BNT) mindestens 10 Prozent der Subventio-
nen des Staates und des Fonds „Radio und Fernsehen“ für bulgarische Fernsehproduktion. Mindestens 10 Pro-
zent der jährlichen Programmzeit, das schließt die Nachrichten, Sportsendungen, Radio- und TV-Spiele sowie
die Werbezeit aus, müssen Berichte von fremden Autoren über Europa sein. [Vgl.: Medienlandschaft Bulga-
rien – elektronische Medien, www.wieninternational .at/de/node/11785].
119
Vgl. Zekri, Sonja: Die Barbaren von Batak. Schafott oder Pfahl: Bulgarische Nationalisten bedrohen zwei
Kunsthistoriker, die die Geschichte eines Gemäldes untersuchen. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 239, 17. Okt.
2007, S. 13.

154
Thema sollte ein Gemälde des polnischen Malers Antoni Piotrowski aus dem Jahre 1892
sein, das das „Massaker von Batak“ darstellt. Im Jahr 1876 hatten muslimische Bulgaren an
ihren christlichen Nachbarn in der Stadt Batak ein Massaker verübt. Am Lokalkonflikt
stellte der Maler den Schicksalkampf des bulgarischen Volkes gegen die osmanische Ty-
rannei dar. Was daran Ereignis ist, was Mythos, darüber wollten Baleva und Brunnbauer
diskutieren. Vor der Ausstellung in Bulgarien brach eine Welle des Hasses los. Staatspräsi-
dent Georgi Parvanov nannte das Projekt eine „schlimme Provokation“, weil es das Massa-
ker leugne. Brunnbauer stritt das ab. Es sei nur darum gegangen, die „nationalistische Deu-
tung des Ereignisses“ zu diskutieren. Doch weil sich die sozialistische Partei damals mitten
im Wahlkampf befand und den Rechten Stimmen abjagen wollte, sei man an solchen Nu-
ancen nicht interessiert gewesen, meinte Brunnbauer. Der Direktor des Nationalmuseums,
Bošidar Dimitrov, meinte, die Ausstellung sei von der Türkei bezahlt, um die osmanische
Periode in einem besseren Licht erscheinen zu lassen und den Beitritt der Türkei vorzube-
reiten. Dieser Vorwurf, Europa versuche die Geschichte der osmanischen Herrschaft über
den Balkan ‚weißzuwaschen’, ist allenthalben in jenen Ländern Südosteuropas zu hören,
die jahrhundertelang unter dieser Herrschaft gelitten haben, nicht nur in Bulgarien. Der
Aufruhr in den bulgarischen Medien legte sich irgendwann. Die Boulevardpresse ließ das
Thema ruhen. Hunderte bulgarische Wissenschaftler unterzeichneten sogar eine Solidari-
täts-erklärung. Baleva meinte, sie sei ihren Diffamierern insofern dankbar, als sie der brei-
ten Öffentlichkeit ein Lehrstück im politischen Mißbrauch der Historie erteilt hätten: Acht
Millionen Bulgaren wüssten heute, dass es zwei verschiedene Begriffe von Mythos gibt: als
Märchen und als Konstruktion historischer Wirklichkeit.
Die Wirklichkeit bzw. die Zukunft der bulgarischen Medien stellt sich für die nächste
Zeit so dar: der bulgarischen Radio- und Fernsehlandschaft steht die Digitalisierung bevor,
die für 2012 geplant ist120. Lizenzierungs- und Registrierungsverfahren sollen verändert
werden, um mehr Transparenz in die Fernsehlandschaft zu bringen. Der Werbemarkt soll
erweitert werden, denn aufgrund von rechtlichen Beschränkungen gibt es noch keine große
Zusammenarbeit zwischen Medien- und Werbebranche.

8.4 Zeitungen, Zeitschriften und Nachrichtenagenturen

Nach dem Sturz des Einparteienregimes änderte sich die Situation schlagartig. Schon An-
fang 1990 erschienen die ersten demokratischen und kommerziellen Zeitungen. In der neu-
en Verfassung vom Juli 1991 wurde die Rede- und Meinungsfreiheit festgeschrieben und
der rechtliche Grundstein für freie Medien gelegt. Es gab daraufhin eine regelrechte Explo-
sion von privaten Tageszeitungen. Und wenn sich auch viele von ihnen als Eintagsfliegen
erwiesen, geht die Zahl der Tages- und Wochenzeitungen sowie der Magazine in Bulgarien
mittlerweile in die Hunderte. Die große, traditionsreiche Zeitung Bulgariens ist die „Narod-
na Volja“ („ * > !
“), der „Volkswille“, deren Name schon auf die Ursprünge in
den Zeiten des mazedonischen nationalen Aufbruchs Ende des 19. Jahrhunderts hinweist

120
Bulgarien besitzt momentan vier terrestrische und mehr als 340 Kabelsender. Es gibt drei Schlüsselgruppen:
„bTV“ der „Balkan News Corporation“ Rupert Murdochs, das im Herbst 2000 startete, „Nova TV“, das 1994
als erstes Privatfernsehen in Sofia auf Sendung ging, und der einzige öffentlich-rechtliche Fernsehsender
„BNT“.

155
[www.makedonika.org/html/narodna_volja.html]. Ihr Name soll an die Zeitung erinnern,
die der große mazedonische Befreier und Revolutionär Jane Sandanski mit seinen Mit-
kämpfern herausgegeben hatte. Die 1980 gegründete neue Version der Zeitung war ur-
sprünglich war der „Volkswille“ eine Zeitung für Geschichte, Kultur und Kunst, die in
Pirin-Mazedonien und auch in der Republik Bulgarien erschien, sowohl in mazedonischer
als auch in bulgarischer Sprache. Die erste Nummer erschien am 1. November 1980 im
australischen Sydney, denn die Gründer der Zeitung waren mazedonische Emigranten, vor
allem aus Pirin-Mazedonien, jenem Teil Mazedoniens, der an Bulgarien gefallen war. Der
erste Chefredakteur war Aleksandar Hristov (1929-2005), der später mit der Redaktion von
Sydney nach London umziehen sollte. Mit dem Sturz des bulgarischen Diktators Todor
Živkov 1989 wuchs die Hoffnung auf eine Demokratisierung nicht nur der bulgarischen
Gesellschaft, sondern auch auf eine Besserung der Verhältnisse in Pirin-Mazedonien. Daher
beschlossen auch die Gründer der Zeitung, es sei an der Zeit, um in die Heimat zurückzu-
kehren. 1992 erschien die erste Nummer am neuen Sitz der Zeitung, in Blagoevgrad, wobei
auch der Chefredakteur wechselte, der nun Georgi Hristov hieß und der Bruder des Amts-
vorgängers war. Bis zum heutigen Tag erscheint die Zeitung an diesem Ort und ist als bul-
garische Zeitung registriert. Sie hatte aber immer wieder auch mit Aktionen der Polizei und
poliitschem Druck zu kämpfen, der sogar im Einzug einiger Nummern gipfelte. Internatio-
nale Proteste, auch und vor allem vor dem Beitritt Bulgariens zur Europäischen Union,
führten dazu, daß der bulgarische Staat sich nicht weiter in Redaktionsangelegenheiten
einmischte.
Die einzige Abendzeitung des Landes ist der „Nošten Trud“. Zu den neueren zählt „24
asa“, die Wirtschafts- und Finanzzeitung „Pari“ [www.pari.bg], und das wöchentlich
erscheinende Wirtschaftsmagazin „Kapital“ [www.capital.bg], das als Beilage zur Tages-
zeitung „Dnevnik“ erscheint und mit fundierten Analysen und Berichten überzeugt. Dane-
ben hat es „Tema“ [www.temanews.com] geschafft, sich als kompetente politische und
gesellschaftliche Wochenzeitschrift zu etablieren. Die wichtigsten überregionalen Tageszei-
tungen sind heute der „Standart“ [www.standartnews.com], der konservative „Novinar“
[www.novinar.net], „Sega“ [www.segabg.com] und „Duma“ [www.duma.bg]. Letztere
wurde 1990 gegründet und war damit das erste nach dem Rücktritt der kommunistischen
Regierung gegründete Printmedium Bulgariens. Die meistgelesenen Zeitungen sind „Trud“
mit 30,6 Prozent, „24 asa“ mit 25,2 Prozent, „Standart“ mit 9,1 Prozent sowie „Telegraf“
mit 5,9 Prozent. Den Markt der Monatsmagazine beherrschen die üblichen internationalen
Hochglanzmagazine wie „Elle“, „Cosmopolitan“, „Grazia“ oder die Männermagazine
„Playboy“ und „Maxim“, wobei es aber auch Eigenprodukte wie „Ženata dnes“ und „Eva“
gibt. Momentan konkurrieren auf dem bulgarischen Medienmarkt über vierzig Frauenma-
gazine miteinander. Ende 2007 kamen die italienische Zeitschrift „Amica“ und die „Mada-
me Figaro“, im Oktober 2008 der amerikanische „Harper’s Bazar“ hinzu. Die Sofioter
Nachrichtenagentur heißt „Novinite“ [www.novinite.com]. Zudem gibt es Magazine in
englischer und deutscher Sprache wie den „Daily Chronicle“ oder das „Bulgarische Wirt-
schaftsblatt“ [www.wirtschaftsblatt-bg.com].
Die Medienlandschaft ist in Bulgarien auf den ersten Blick lebendig. Doch gab es auch
dort in den Jahren nach dem Ende des Kommunismus ähnliche Transformationsprobleme
wie in den anderen post-sozialistischen Gesellschaften Südosteuropas121. Die totale Über-

121
Vgl. z.B.: Lilov, Emiliyan: „Viele Zeitungen bedienen die Regierenden oder die Wirtschaft“. Die Medienland-
schaft in Bulgarien 17 Jahre nach der Wende

156
wachung der Medien während der kommunistischen Diktatur gab es nicht mehr, aber nach
wie vor herrschten Manipulation und das Bedienen von politischen und wirtschaftlichen
Interessen. Es handele sich nicht, wie Kalin Manolov, Journalist und Vorsitzender der
Nichtregierungsorganisation „Bulgarische Gesellschaft für individuelle Rechte“, meinte,
um eine „Konspiration gegen die Demokratie“. Dennoch war es besorgniserregend, daß
viele Zeitungen die Regierenden oder die Wirtschaft bedienten. Diese Medien hätten keine
Ahnung, welche neue Mission sie in der neuen demokratischen Gesellschaft haben. „Und
wenn man bedenkt, dass die Rede von den meisten bulgarischen Medien ist, dann müssen
wir uns recht große Sorgen machen. Wenn am Anfang der Demokratie das Wort war, und
wenn das Wort ständig Schutz braucht heute in Bulgarien, dann ist auch die Demokratie
hierzulande krank.“ Ein ganz anderes Fass machte der Direktor der Bulgarischen Medien-
koalition, einem landesweiten Zusammenschluß von Journalisten und Medienexperten,
Dimitar Sotirov, auf. Er kritisierte die Tatsache, daß in den letzten fünf Jahren keine neuen
Rundfunklinenzen vergeben wurden. Das ist eigentlich Aufgabe des staatlichen Rates für
elektronische Medien. „Das heißt, daß dieses Gremium fünf Jahre lang nicht imstande ge-
wesen war, seine Grundfunktionen zu erfüllen.“ Die gestoppte Neulizenzierung hatte drei
Folgen: Sie führte erstens zur Stagnation des Medienmarktes, zweitens zur Entstehung
vieler neuen Kabelbetreiber (Radio und Fernsehen), die keine Lizenz brauchen, sondern nur
registriert werden; und drittens kamen viele ausländische Investoren nach Bulgarien, um
heimische Medien zu übernehmen. Besonders stark wirkte sich dies auf den Printmarkt aus.
So sind die zwei größten bulgarischen Zeitungen „Trud“ und „24 asa“ („24 Stunden“) seit
1996 in deutschen Händen (im Besitz der WAZ), und die deutsche Verlagsgruppe „Han-
delsblatt“ hält fünfzig Prozent am zweitgrößten Zeitungsherausgeber in Bulgarien „Econo-
media“. Ausländische Eigentümer hat auch der führende Verlag für Business- und IT-
Fachzeitschriften in Bulgarien: er ist zu hundert Prozent Eigentum des amerikanischen
Herausgebers „IDG“ („International Data Group“). Der Ansturm ausländischer Investoren
ist an und für sich etwas sehr Positives, aber nach der Besitzübernahme hätten viele der
neuen Eigentümer den Medien ein neues Profil gegeben. Ein Beispiel dafür ist Radio „No-
va Evropa“, der Rechtsnachfolger von „Radio Free Europe“ in Bulgarien nach der Einstel-
lung des bulgarischen Programms des amerikanischen Senders. Sein neuer ausländischer
Eigentümer hat den Nachrichten- und Informationssender geschlossen und an dessen Stelle
ein rein musikalisches Projekt unter dem Namen „Z-Rock Radio“ gestartet. Man kann je-
doch nicht bestreiten, dass die Internationalisierung des Medienmarktes in Bulgarien auch
mehr Geld ins Geschäft gebracht hat. So rechnete die bulgarische Vereinigung der Werbe-
agenturen mit einer Zunahme des Werbeetats im Jahr 2007 um 20 Prozent. 2006 erreichten
die ausgegebenen Summen für Werbung in den Medien bereits 80 Millionen Euro.
Es gibt kaum noch eine bulgarische Zeitung, einen Rundfunksender oder eine Fernseh-
anstalt ohne eigene Homepage. Hinzu kommen immer mehr reine Internet-Ausgaben: e-
papers, e-zines und Internet-Radios. Viele der Zeitungen können kostenlos online gelesen
werden. Dagegen bieten Massenzeitungen häufig nur einen kosten-pflichtigen Zugang. So
ist die Zeitung „Kultura“ ohne Einschränkungen im Internet zu lesen, während etwa „24
Tschassa“ oder „Trud“ ein Passwort verlangen. Als das politisch unabhängigste Medium
gilt auch in Bulgarien das Internet. Besonders seit dem Jahr 2000 haben immer mehr der

[www.dradio.de/dlf/sendungen/marktundmedien/603190/].

157
bulgarischen Medien und Medienmacher das Internet entdeckt122. Insgesamt gesehen ist ein
privater Internetzugang aber immer noch tendenziell elitär. Bulgarien liegt mit einer lan-
desweiten Nutzung von lediglich 19 Prozent an letzter Stelle unter den EU-Ländern. Die
amtliche Bulgarische Nachrichtenagentur „BTA“ [www.bta.bg] ist die älteste Nachrichten-
agentur Bulgariens. Sie wurde 1898 gegründet. Die normative Grundlage der „BTA“ ist ihr
Statut, das 1994 vom bulgarischen Parlament gebilligt wurde. Der Generaldirektor der
Nachrichtenagentur wird vom Parlament gewählt. „BTA“ finanziert sich über den Verkauf
von Informationsprodukten, aus Werbeeinnahmen sowie aus staatlichen Subventionen. Die
staatlichen Zuschüsse, die 10 bis 15 Prozent betragen, werden in die Technik investiert. Das
Internet brachte mit diversen Online-Nachrichtenagenturen auch der amtlichen Nachrich-
tenagentur Konkurrenz. Zu nennen wären unter anderen „BGNES“ [www.bgnes.com], die
Informationsagentur „Focus“ [www.focus-news.com], „Sofia press“, „bulPhoto“
[www.bulphoto.com]. Sie sind in der Regel schneller, jedoch nicht immer so zuverlässig
wie die etablierte und seriöse „BTA“.

122
Webbasierte Angebote wie www.mediapool.bg haben ein kontinuierlich hohes Prestige unter dem gebildeten
Publikum. Andere renommierte Internetseiten sind www.news.bg, www.vsekiden.com, www.novinite.com,
www.dnes.bg und www.netinfo.bg. Seit März 2007 funktioniert das Internetportal www.radar.bg, das mit der
Deutschen Welle kooperiert und als hochqualifiziert gilt. 2006 erschien sogar ein orthodoxes Internet-Radio
[www.ruenmanastir.com]. Die Konservativität, die mancher an der bulgarisch-orthodoxen Kirche kritisiert,
hindert sie offenbar nicht daran, sich die modernen Kommunikationstechniken zunutze zu machen.

158
9. Albanien: der mediale Nachzügler

Später als in anderen europäischen Transformationsländern hat sich in Albanien eine plura-
le Medienlandschaft entwickelt123. Erst nach den bürgerkriegsähnlichen Unruhen von 1997
konnten überall im Lande private Hörfunk- und Fernsehstationen legal entstehen. Verein-
zelte Versuche privater Radio-Gründungen waren in der Berisha-Zeit meist schnell nieder-
geschlagen worden, obwohl es Ansätze zu Piraten-Sendern, vor allem in Vllora, durchaus
gab. Nur der Sender „TV Shijak“, ein privater TV-Kanal in der Ortschaft Shijak bei Tirana,
war bereits 1997 gegründet und geduldet worden. Dieser Sender existiert bis heute und
steht im Grunde der Demokratischen Partei („Partia Demokratike“, PD) nahe. Shijak ist
eine PD-Hochburg, in der sich viele reiche Albaner der Berisha-Zeit niedergelassen haben.
Die lange Zeit schwierige Lage der Medien in Albanien ist auch der Grund, warum
„RTSH“ („Radio Television Albanien“) als regierungsnaher Staatssender sich einer kom-
fortablen Monopolstellung erfreut. Notwendige Reformprogramme, Verschlankung, inhalt-
liche und technische Modernisierung, blieben trotz vielfacher Direktoren-Wechsel aus.
Einzig die Auslandssender (Deutsche Welle, BBC, Voice of America u.a.) bildeten in die-
ser Zeit eine programmliche Alternative, weshalb sie unter starker Kritik der Regierung
standen. Die durch die berüchtigten Pyramidensysteme ausgelöste Finanzkrise führte An-
fang 1997 zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen und zur Verhängung des Ausnahmezustands,
was die Lage jedoch nicht beruhigen konnte. Nach dem viel zu spät erfolgten erzwungenen
Rücktritt der Regierung unter Aleksander Meksi berief Berisha den Sozialisten Bashkim
Fino zum Premier einer breit abgestützten Übergangsregierung. Mitte 1997 gewannen die
Sozialisten die Neuwahlen und Berisha gab seinen Rücktritt bekannt. Auch nach der erneu-
ten Wahlschlappe von 2001 blieb Berisha Oppositionsführer. Von 1997 bis 2005 war er
Mitglied des albanischen Parlaments. Bei den Parlamentswahlen im Juli 2005 führte er
seine Partei, unter anderem mit Hilfe amerikanischer Berater, die auch für George W. Bush
gearbeitet hatten, zum Sieg. Nachdem das offizielle Wahlresultat lange auf sich hatte war-
ten lassen, wurde er im September 2005 Ministerpräsident. Bei den Parlamentswahlen vom
Juni 2009 erreichte Berishas Demokratische Partei erneut die Mehrheit und ging nebst
anderen eine Koalition mit der Partei „Lëvizja socialiste për integrim“ („Sozialistische
Bewegung für Integration“) unter der Führung von Ilir Meta ein.
Sali Berisha hatte sich unter der Hoxha-Diktatur als Parteisekretär eine Apathie gegen
die freien Medien zu eigen gemacht, die 2009, als er erneut die Regierung übernahm, wie-
der zum Vorschein kam, zumal gegen eine unabhängige Zeitung, die ihn unterstützt hatte,
als er kurzzeitig in der Opposition gewesen war. Mit zweifelhaften Mitteln versuchte die
albanische Regierung, das weitere Erscheinen der kritischen Zeitung „Tema“ zu verhin-
dern. Doch deren Chefredakteur leistete Widerstand. Das Auto von Chefredakteur Mero
Baze wurde Ende Dezember 2009 in Brand gesetzt, Anzeigenkunden wurden vor weiteren
Inseraten gewarnt, ja selbst bewaffnete Polizeikräfte umzingelten das Redaktions-gebäude.
Chefredakteur Mero Baze konnte nur mit Gewalt in sein Büro eindringen, die Journalisten,
die im Gebäude waren, durften dieses bis in die späten Abendstunden nicht verlassen. Der
Innenminister berief sich dabei auf eine Anordnung von Premier Sali Berisha und die ein-
seitige Aufkündigung eines vor zwanzig Jahren abgeschlossenen Mietvertrags für das Re-

123
Feilcke-Tiemann, Adelheid (Albanien-Redaktion Deutsche Welle): Medienlandschaft Albanien (29.2.2000)
[www.br-online.de/br-intern/suedosteuropa/texte/albanien.html].

159
daktionsgebäude durch die Regierung. Berisha müsse lernen, dass blinder Hass gegen die
Medien einen Kampf darstelle, den er nicht gewinnen könne, sagte Baze und kündigte an,
daß „Tema“ trotz aller Regierungsschikanen weiter erscheinen werde. Der Journalist hatte
während der achtjährigen Oppositionszeit von Premier Berisha dessen Rückkehr an die
Macht bedingungslos unterstützt und zählte nach dessen Sieg zu den engsten Freunden des
Regierungschefs. Seit er jedoch auch Skandale der neuen Regierung kompromisslos veröf-
fentlichte, schlug die Sympathie in Feindseligkeit um. Der in der Wählergunst sinkende
albanische Premier griff damit auf Methoden zur Unterdrückung der Medien zurück, für die
er bereits in seiner ersten Amtsperiode bekannt und berüchtigt war.
Diese Methoden zu durchleuchten und Licht in das zu bringen, was zu lange im Dunkel
der Hoxha-Zeit gelegen hatte, das hatte sich auch die erste private Kulturmagazin, die Lite-
raturzeitschrift „Mehr Licht“ aus Tirana, vorgenommen. 1996, sechs Jahre nach dem Ende
des Hoxha-Regimes, gab die Schriftstellerin Mira Meksi, zugleich Direktorin des privaten
Senders „Alsat TV“, die Zeitschrift erstmals heraus. Seitdem ist „Mehr Licht“ in Albanien
ein Forum für das, was Goethe als ‚die Literatur‘ bezeichnete: Geprägt von einem humanis-
tischen Kulturverständnis soll Literatur als multikulturelles Ganzes abseits nationaler und
idealistischer Verankerungen dem Land mehr Inspiration und Orientierung geben. „Mehr
Licht“ sollte nie eine bloße literarische Rundschau sein, „sondern Teil eines neuen gesell-
schaftlichen Wertesystems“, so der Redaktionsleiter Salvatore Doda zu den hohen Ambiti-
onen der heute renommierten Zeitschrift. Den politischen und sozialen Kontext jener Zeit
schildert er als „extrem haltlos“. Nach fast fünfzig Jahren Diktatur und hermetischer Isola-
tion des Landes hätte es 1990 mit dem Sturz des Regimes auch einen Sturz im kulturellen
Wertesystem gegeben. Es hätte schlicht keines mehr gegeben. Von der neuen Meinungs-
freiheit waren viele Literaten inspiriert, die sich plötzlich völlig frei von staatlicher Kontrol-
le fühlten. Doch es fehlte an einem Forum, in dem man über ein neues, demokratisches
Wertesystem hätte diskutieren können. Damals gab es ein großes Bedürfnis, mehr Licht in
diese haltlose, aber zugleich sehr produktive kulturelle Phase zu bringen, so Doda, und fügt
ironisch hinzu, dass es wohl nirgendwo sonst in Europa mehr Grund gäbe, sich über zu
wenig Licht zu beklagen als in Albanien: Das Land ist bekannt für regelmäßige Stromaus-
fälle. Die großteils verarmte Bevölkerung wartet oft sechs bis zehn Stunden lang auf den
Strom. Nur stellt sich die Frage, ob unter solchen Umständen überhaupt Interesse an Litera-
tur gedeihen könne? Literaturmagazine waren für die albanische Identitätsbildung schon
immer eine tragende Säule. Ab 1880 schossen albanischsprachige Zeitschriften nur so aus
dem Boden aller größeren Städte des Balkans, in Konstantinopel, Sofia, Bukarest, Thessa-
loniki und Athen. Sie brachten die Ideale einer nationalistischen albanischen Bewegung bis
in die entlegensten Ecken des albanisch-sprachigen Gebietes. Nach der kommunistischen
Übernahme Albaniens 1944 kam das plötzliche Ende für Literaten und Verleger. Viele
Schriftsteller wurden hingerichtet oder starben im Gefängnis. Der Diktator Enver Hoxha
machte aus dem Land ein kulturelles Ödland. Erst in den späten 1950er Jahren wagte sich
wieder Literatur, wenn auch unter völliger staatlicher Kontrolle, ans Tageslicht. Heute
scheint es als hätte Albanien mehr schreibende als lesende Menschen. Nach den Jahrzehn-
ten der Meinungssperre ist das Bedürfnis groß, Meinungen, Befürchtungen, Gedanken zu
äußern. Das prägt die Literatur wie auch die Medienlandschaft, was oft genug dazu führt,
dass die Meinung über die Tatsachen siegt. Das Ministerium für Kultur unterstützt „Mehr
Licht“ auch finanziell. Der Großteil der Mittel für die nicht-profitorientierte Zeitung kommt
allerdings aus der privaten „Velija-Stiftung“, aus der sie genauso wie „Alsat-TV“ entstan-
den ist. Hinter der Stiftung steht der Geschäftsmann Vebi Velija, der überzeugt war, dass
„eine Nation zwar mit wenig Nahrung, aber niemals mit wenig Kultur existieren kann“.

160
Albanien hat seit dem Ende der Hoxha-Diktatur einen weiten Weg zurückgelegt, davon ist
auch Remzi Lani, Direktor des albanischen Medieninstituts, überzeugt. Er war Chefredak-
teur der zweimal wöchentlich erscheinenden albanischen Zeitung „Zeri i Rinise“ (1983-
1992) und arbeitete als Korrespondent für die spanische Tageszeitung „El Mundo“ und die
kosovo-albanische Tageszeitung „Zeri“124. 1999 meinte er, Albanien sei wahrscheinlich das
ex-kommunistische Land, das sich am meisten verändert hat. Jeder Vergleich mit dem
brutalen kommunistischen Regime wäre lächerlich. „Von allen osteuropäischen Völkern
haben die Albaner am wenigsten Grund, der Epoche vor dem Fall der Berliner Mauer nach-
zutrauern.“ 2004 analysierte Remzi Lani die widersprüchliche Medienlandschaft Albaniens.
Die Medien wären zwar seit dem Ende der kommunistischen Ära weit gekommen. Sie
hätten die einst existierende Landschaft der Parteimedien in einen überbordenden Markt
von Print- und elektronischen Medien verwandelt. Die Zahl der Medien in Albanien beläuft
sich auf rund 255125. Politisch gesehen deckt das Presse-spektrum in Albanien die ganze
Bandbreite von links nach rechts ab. Aber nur wenige dieser Zeitungen und Rundfunkstati-
onen erreichen eine größere Anzahl von Menschen. Zum Beispiel verkauft die größte Tage-
zeitung schätzungsweise weniger als 20.000 Exemplare, und das in einem Land von fast
drei Millionen Menschen. Obwohl die Zahl der Tageszeitungen von zwei im Jahr 1991 auf
19 im Jahr 2003 gestiegen ist, ist die Auflage dieser 19 Tageszeitungen zusammen nicht
höher als die des ersten Oppositionsblattes von 1991. Woran liegt das? Weniger als die
Hälfte der Bevölkerung kann Zeitungen in ihrem Wohnort kaufen. Das Abonnementsystem
ist andererseits sehr schwach entwickelt und wird kaum genutzt. Das durchschnittliche
Einkommen eines Lehrers liegt bei 10.000 Lek (ungefähr 75 Euro), und er müsste 13 Pro-
zent seines Einkommens für eine Zeitung aus-geben, was die Zeitung natürlich ziemlich
teuer macht. Ein weiteres Problem der albanischen Printmedien ist ihre Verankerung: alle
Medien haben auch weiterhin ihren Sitz in der Hauptstadt. Keine einzige Tageszeitung wird
außerhalb der Hauptstadt heraus-gegeben. Hinsichtlich seiner Mediengesetzgebung gehört
Albanien zu den Ländern mit einer allgemein fortschrittlichen Gesetzgebung im Medienbe-
reich, aber die Umsetzung ist nach wie vor problematisch. Gesetze werden zwar im Ein-
klang mit europäischen Standards geschrieben, aber bei ihrer Anwendung gelten Balkan-
standards. Wenn das Gesetz zum Beispiel mit gewissen Clan-Interessen in Konflikt kommt,
zieht oft das Gesetz den Kürzeren. Dieser Umstand ist zwar auch in anderen Ländern Süd-
osteuropas anzutreffen, aber in Albanien bzw. im albanischen Kulturkreis ist er besonders
ausgeprägt. Die größten Hindernisse für die Etablierung eines stabilen, demokratischen
Systems in Albanien sind nach Ansicht von Mustafà Nano126, einem der bedeutendsten

124
Lani war Mitautor der Bücher „Mein Albanien bei Ground Zero“ und „Meister der humanistischen Philoso-
phie“. Lani ist einer der bekanntesten Persönlichkeiten der Medienszene auf dem Balkan.
125
Diese Zahl umfasst 19 Tageszeitungen, 35 Wochenzeitungen, fünf zweiwöchentlich erscheinende Zeitungen,
24 Monatszeitungen, neun zweimonatlich erscheinende Zeitungen, 19 andere Zeitungen, fünf Wochen-
magazine, 18 Monatsmagazine, acht zweimonatlich erscheinende Magazine, 14 vierteljährliche Magazine und
zehn andere Magazine. Zusätzlich zu all diesen gedruckten Medien gibt es 46 lizenzierte Radio- und 64 lizen-
zierte Fernsehstationen.
126
Mustafà Nano wurde 1960 in Durrës geboren, erlangte einen Hochschulabschluß als Elektronikingenieur und
arbeitete dann bis 1992 für „Telekom Srbija“. Später wurde er einer der Mitgründer der demokratischen Partei
von Sali Berisha und heute ist er als Politologe tätig. Er arbeitete für verschiedene Zeitungen wie „Shekulli“,
„Corrieri“ und „Klan“ und schreibt derzeit die Leitartikel des Blattes „Gazeta-Shqip“. Nano ist einer der weni-
gen freischaffenden Journalisten des Landes und ein aktiver Kritiker der albanischen Führungsriege. „Seit dem
Ende des kommunistischen Regimes in Albanien sind mittlerweile fast zwanzig Jahre vergangen. Und es hat
sich sehr viel verändert. Die Situation besserte sich schneller als erwartet, vor allem nach der Wirtschaftskrise
im Jahr 1996.“ Mustafà Nano hat die schwierigen Phasen, die sein Land durchlebte, kritisch begleitet, vom

161
freischaffenden Journalisten Albaniens, die politische Führung und die Situation der lan-
desweiten Kommunikations-mittel. Das völlige Fehlen eines leistungsorientierten Prinzips
bei der Besetzung öffentlicher Ämter hätte Konsequenzen, die niemandem entgehen, so
Nano. Alle Geschäftsbeziehungen, die politischen Institutionen, auch die Massenmedien
seien in ein dichtes Netz von Protektionsbeziehungen eingesponnen. Albanische Politiker
sind gegen jeden Angriff immun, sei es von seiten der Justiz oder der Medien. Sie bilden
eine kompakte Klasse, die sich hinter dem Schild der direkt kontrollierten Medien versteckt
und die sich seit fast zwanzig Jahren selbst verewigt. Auch empfindet Nano die albanische
Informations-gesellschaft als passiv. Sie sei der politischen Macht hörig, anstatt sie kritisch
zu analysieren. Die albanischen Journalisten überschütten Zeitungen und Fernsehen mit
unnützen Nachrichten, die von der alltäglichen Realität weit entfernt sind. Dabei wollten
die Bürger echte, wahre Nachrichten. Aber die nationalen Medien machen nichts anderes,
„als die Tagesordnungen der offiziellen Politik vorzulesen“. Für freie, unabhängige Infor-
mation gibt es nur wenig Raum, außerdem würde sie von den Politikern unter Druck ge-
setzt.
Einen Schub nach vorne könnte der albanischen Mediengesellschaft die Aufnahme des
Landes in die EU geben. Zwar wurden Verhandlungen mit der Regierung in Tirana aufge-
nommen, aber angesichts der Tatsache, dass auch der Beitritt Kroatiens frühestens für das
Jahr 2012 anvisiert ist, kann für Tirana derzeit überhaupt noch kein Datum genannt werden.
Zumindest könnte sich unter dem Anreiz der Aufnahme die begrenzte albanische Demokra-
tie konsolidieren, hoffen Intellektuelle wie Nano, der freilich, was den baldigen Beitritt
Albaniens zur EU betrifft, eher pessimistisch ist. Brüssel verlange eine stabile Entwicklung
des Bruttoinlandsprodukts, eine gefestigte liberale Demokratie, freie, unanfechtbare Wah-
len sowie solide, unabhängige Institutionen. Dennoch scheinen die Probleme der albani-
schen Demokratie von denen vieler gestandener Demokratien in Europa gar nicht so weit
entfernt zu sein. In Albanien fallen sie nur stärker auf, weil das System unreifer ist. Bildung
und offener, zivilisierter Diskurs sind jene Stichworte, die in der Diskussion um die Medien
in Albanien immer wieder fallen: Weniger Einfluss der politischen und Clan-Interessen und
mehr unparteiliche Diskussion, auch weniger Einfluss wirtschaftlicher Interessen. In der
Diskussion über die Vor- und Nachteile des sogenannten ‚Konzernjournalismus‘, für den
oft das Südosteuropa-Engagement des WAZ-Konzerns zitiert wird127, verweist man als
abschreckendes Beispiel gerne auf Albanien. Dort sind die meisten Blätter Eigentum neu-
reicher Investoren: Umstrittene Geschäftsleute, die ihre Machtinteressen über die Presse
durchsetzen, Politiker in Schach halten und Konkurrenten anschwärzen.

Sturz des kommunistischen Hoxa-Regimes über die Wirtschaftskrise von 1996 bis hin zu den letzten Jahren
der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Stabilisierung. Das Land litt fünfzig Jahre unter einer grausamen
kommunistischen Diktatur und hätte es bis heute, so Nano, nach fast zwanzig Jahren, nicht geschafft, sich von
den Gespenstern dieser Vergangenheit zu befreien.
127
Die Essener WAZ-Mediengruppe baut ihr Fernsehengagement weiter aus. Der Verlagskonzern hat sich nach
einer Mitteilung am Mittwoch an dem nationalen TV-Sender Vizion+ in Albanien beteiligt. Über Kaufpreis
und Höhe der Minderheitsbeteiligung Beteiligung, die der WAZ-Gruppe nach eigenen Angaben "Gestaltungs-
möglichkeiten bietet", wurde Stillschweigen vereinbart. Der Einstieg passe „sehr gut in die Südosteuropa-
Strategie unseres Hauses. Albanien hat einen Markt mit großem Nachholbedarf und erkennbar schneller
Wachstumsdynamik“, sagte ein Sprecher. Er schloss weitere Beteiligungen nicht aus. Man wolle die mediale
Vielfalt der WAZ-Gruppe künftig ausbauen, hieß es.

162
9.1 Zeitungen und Zeitschriften in Albanien

Als die Stärke des Osmanischen Reiches gegen Ende des 19. Jahrhunderts langsam nach-
ließ, konnten es sich auch die albanischen Intellektuellen langsam erlauben, an die Heraus-
gabe eigener Zeitungen zu denken. Nach 1870 wurden die ersten Zeitungen und Zeitschrif-
ten gegründet. Zu dieser Zeit wurde das Albanische je nach konfessioneller Zugehörigkeit
entweder in lateinischer oder in griechischer Schrift, seltener auch mit arabischen Buchsta-
ben geschrieben. Die Unterstützer der albanischen Nationalbewegung bemühten sich Ende
des 19. Jahrhunderts auch um die Vereinheitlichung der Schreibweise. Der brauchbarste
Vorschlag war das so genannte ‚Stamboler Alphabet‘ (‚Stambol‘, alban.: Istanbul) von
Sami Frashëri, einem bedeutenden albanischen Gelehrten, der in der osmanischen Haupt-
stadt lebte128. Nach einer Blüte der Printmedien in den beiden Jahrzehnten nach dem Ersten
Weltkrieg setzte mit dem Zweiten Weltkrieg und erst recht mit der kommunistischen Dikta-
tur, die Albanien von der Außenwelt abschottete, die kulturelle und journalistische Ver-
ödung ein. Umso eifriger wurden nach dem Ende der Diktatur des Proletariats alte Zeitun-
gen aus der vorkommunist-ischen Zeit wiederbelebt und neue gegründet. Albanien verfügt
heute über eine reiche Presselandschaft: Neben recht professionell und seriös arbeitenden
unabhängigen politischen Tageszeitungen gibt es eine breite Palette von Partei-Zeitungen
oder den politischen Parteien verbundenen Blättern129. Im Printsektor hat sich in den ver-
gangenen Jahren trotz der politischen Wirren kein einschneidender Wandel vollzogen.
Erwähnenswerte Neuerscheinung ist lediglich die Tageszeitung „Shekulli“ („Das Jahrhun-
dert“) des Unternehmers Koco Kokedhima, der sich 1997 dadurch schnell eine Vormachts-
stellung auf dem Zeitungsmarkt sicherte, dass er seine Zeitung für nur zehn Leke (ca. 5
Cent) anbot, während die bis dahin führende „Koha Jone“ des Verlegers Nikolle Lesi wie
auch die anderen Zeitungen zwanzig bis dreißig Leke kosteten (umgerechnet etwa 10 bis 15
Cent). „Shekulli“ und „Koha Jone“ sind bis heute die auflagenstärksten und meinungsfüh-
renden Tageszeitungen. Daneben ist die ursprünglich als Ableger der italienischen „Gazzet-
ta del Mezzogiorno“ gegründete „Gazeta Shqiptare“ die wohl seriöseste und politisch neut-
ralste Tageszeitung, die aber nie den beiden oben genannten Blättern echte Konkurrenz
machen konnte.
Die „Gazeta Shqiptare“ bezieht in den scharfen Auseinandersetzungen der albanischen
Tagespolitik selten Position, sie berichtet mehr als kommentiert. Diejenigen Tages-

128
Im November 1908 trafen sich albanische Intellektuelle aus allen Teilen des Landes zum Kongreß von Mo-
nastir im heutigen mazedonischen Bitola. Auf dieser Versammlung wurde endgültig beschlossen, dass die al-
banische Sprache fortan ausschließlich in lateinischer Schrift geschrieben werden sollte. Als Ausgangsbasis
dienten das Stamboler Alphabet und das in Shkodra gebräuchliche von Gjergj Fishta entwickelte ‚Bashkimi-
Alphabet‘ (‚Bashkimi‘, alban.: Vereinigung). Man einigte sich außerdem auf eine streng phonetische Schreib-
weise mit nur zwei Sonderzeichen: Ç/ç und E/ë; dies waren die beiden Zeichen, die schon damals auf der fran-
zösischen Schreibmaschinentastatur zu finden waren. Alle anderen Laute des Albanischen, die keine Entspre-
chung im lateinischen Alphabet haben, werden durch Buchstabenkombinationen ausgedrückt. Die Regelungen
von 1908 sind bis heute gültig und man kann den Kongress von Monastir mit Recht als die Geburtsstunde der
albanischen Orthografie bezeichnen, auch wenn es noch weitere sechzig Jahre dauern sollte, bis man die Dia-
lektformen aus dem Gegischen und Toskischen zu einer allgemeinen schriftsprachlichen Norm verschmolz.
129
An wichtigen Zeitungen wären zu nennen: „Balli i Kombit“ [http://ballikombit.albanet.org]; “Biznesi” “Gazeta
55” [http://www.gazeta55.net]; „Gazeta Ballkan“ [www.ballkan.com]; „Gazeta Shqiptare“; „Korrieri“
[www.korrieri.com]; „Metropol“ [www.gazetametropol.com]; „Panorama“ [www.panorama.com.al]; „Rilindja
Demokratike“ [www.rilindjademokratike.com]; „Shekulli“ [www.shekulli.com.al]; „Sot“; „Sporti Shqiptar“
[www.sportishqiptar.com.al]; „Tema“ [www.gazetatema.net]; „Tirana Times“ [www.tiranatimes.com/]; „Zeri i
Popullit“.

163
zeitungen, die dagegen kommentieren und Stellung beziehen, waren und sind sich in einer
Frage sehr schnell einig: dass das gemeinsame Interesse über die Grenzen des 1913 ent-
standenen Nationalstaats Albanien hinausgeht. Der konservativ-nationale Ansatz ist allen
Zeitungen mit wenigen Ausnahmen gemein, und verbindet die Printmedien Albaniens mit
den albanisch-sprachigen des Kosovo, Mazedoniens oder der Diaspora-Albaner. Zum Bei-
spiel veröffentlichte im Juni 1992 die kosovo-albanische Zeitung „Dielli“ eine Karte des
sogenannten Großalbanien. Die angeblich illyrischen Siedlungsgebiete reichten von der
serbischen Save bis nach Nordgriechenland. Im Mai 1993 erschien in der mazedonien-
albanischen Zeitung „Flaka“ eine Serie über die Größe der albanischen Nation. Unter ande-
rem wurde behauptet, der Gründer der letzten ägyptischen Königsdynastie Mehmet Ali
Pascha (1769-1848) sei Albaner gewesen, ebenso Atatürk, der Gründer der neuen Türkei.
Das Genfer Organ der Auslandsalbaner „Rilindja“ fragte wiederholt in seinen Leitartikeln:
„Wie lange noch dulden wir die Zerrissenheit unseres Landes?“ Zum 525. Todestag des
albanischen Nationalhelden Skanderbeg wurden 1993 in Genf die Ideen der Weltkrieg-
Zwei-Front „Komitee zur Rettung Albaniens“ wiederbelebt. Dreitausend Teilnehmer, zu-
meist aus dem Kosovo, beschlossen eine „demokratische Vereinigung in einem Europa
ohne Grenzen“. Dieses publizistische, in Kosovo und Mazedonien auch praktisch ausgeleb-
te Streben nach einer Vereinigung aller Albaner gab und gibt freilich den Staatsnationen zu
denken, auf deren Kosten diese Vereinigung ging bzw. gehen würde.
Moderater, kritischer, abseits des überkommenen Mainstream argumentiert dagegen die
auflagenstarke „Koha Jone“ („Unsere Zeit“, www.kohajone.com), die erste unabhängige
Tageszeitung Albaniens, die der Journalist Nikolle Lesi am 11. Mai 1991 als Lokalzeitung
in der nordalbanischen Küstenstadt Lezha ins Leben rief. Anfangs erschien die Zeitung
einmal pro Woche, mit vier Seiten und einer Auflage von 2.000 Exemplaren; im August
1992 erschien sie bereits zweimal, jeden Dienstag und Freitag, im selben Umfang wie bis-
her, der im Oktober 1992 auf acht Seiten gesteigert wurde. Vom 11. Mai 1991 bis zum Sieg
der Albanischen Demokratischen Partei in den Wahlen vom 22. März 1992 unterstützte
„Koha Jone“ die Opposition, und kritisierte die regierende Arbeitpartei Albaniens, die da-
mals noch Kommunistische Partei hieß, scharf. Der Regierungsantritt der albanischen De-
mokraten und damit auch die Bestätigung des Kurses der „Koha Jone“ gab den freien Me-
dien in Albanien Auftrieb. Anfang 1993 wurde die Redaktion vergrößert, die Zahl der Ko-
lumnen erhöht und die Zeitung in ganz Albanien verkauft. Ihr Stil näherte sich nach Mei-
nung von Beobachtern immer mehr dem ihrer westlichen Gegenstücke an. Was sich nicht
geändert hatte, war dagegen der Stil der Politik. Ende Januar 1994 wurde der Chefredak-
teur, Aleksander Frangaj, und sein Stellvertreter, Martin Leka, aufgrund eines Haftbefehls
des Staatsanwalts in Tirana in Haft genommen. Anlaß war der Abdruck eines Befehls des
Verteidigungsministers, in dem dieser die Armee angewiesen hatte, ihre Waffen in der
Kaserne zu lassen, wenn sie nicht im Dienst sind. Leka hatte das unter der Überschrift „Die
Entwaffnung der Armee“ kommentiert. Die Polizei und der albanische Geheimdienst
„SHIK“ umstellten das Gebäude der „Koha Jone“. Leka wurde wegen Verunglimpfung der
Armee angeklagt, Frangaj wegen Enthüllung militärischer Geheimnisse. Erst der Protest
der albanischen Öffentlichkeit und internationaler Journalistenverbände führte dazu, dass
Frangaj freogelassen wurde. Leka wurde zu 18 Monaten verurteilt, jedoch aufgrund des
internationalen Protestes bereits nach drei Monaten entlassen. Dieser Vorfall war bereits
der fünfte Anschlag auf die „Koha Jone“ innerhalb von zwei Jahren. Ein Jahr zuvor war
Frangaj verhaftet worden, weil er über Panzerbewegungen im Norden Albaniens geschrie-
ben hatte.

164
All das trug freilich auch dazu bei, dass „Koha Jone“ immer bekannter wurde und heute als
prominenteste Tageszeitung Albaniens gilt, wobei neben der Auflage vor allem ihr Einfluss
ausschlaggebend ist. Sie wird nun auch in Griechenland und Italien, unter den dort leben-
den albanischen Minderheiten vertrieben. Der Zeitung erhielt eine Kulturbeilage mit dem
Titel „AKS“, die wenig spatter als eigenständige Kulturzeitschrift erschien. Anfang 1997,
mit dem Aufkommen des Protestes gegen die Berisha-Regierung, trübte sich auch das Ver-
hältnis der „Koha Jone“ zu den regierenden Demokraten. Die Auflage stieg erneut, auf
72.500 verkaufte Exemplare in einem Land von drei Millionen Einwohnern. Im Februar
und März 1997 reagierte die Regierung scharf auf die Kritik der „Koha Jone“-Redaktion.
Die Redaktionsräume wurden daraufhin am 3. März 1997 um zwei Uhr früh verwüstet,
geplündert und schließlich ausgebrannt. Dahinter steckte der persönliche Geheimdienst-
Stab Berishas. Der Sachschaden belief sich auf über 300.000 US-Dollar, ganz zu schweigen
vom immateriellen Schaden durch den Verlust von Dokumenten. Zwei Journalisten und ein
Angesteller wurden verhaftet, und in einer Polizeistation schwer misshandelt. Die Zeitung
musste daraufhin ihr Erscheinen einstellen. Tröstlich war nur, dass Vertreter der internatio-
nalen Presse anwesend waren und die Drangsalierung der kritischen Stimme im Journalis-
mus Albaniens dokumentierten.
Bereits am 17. April 1997 konnte „Koha Jone“ zwar ihren Betrieb wieder aufnehmen,
doch die Schikanen waren damit nicht beendet. Die Redaktion musste ihre Artikel jeden
Tag zu einem von der Polizei festgesetzten Termin in der Druckerei abliefern, was nur noch
dadurch gekrönt wurde, dass im Mai und Juni 1997 alle Fahrzeuge der Zeitung von Die-
besbanden gestohlen wurden. Der finanzielle Schaden belief sich auf über 150.000 US-
Dollar. Dass „Koha Jone“ damit kurz vor dem Bankrott stand, kann nicht weiter verwun-
dern. Erst die Neuwahlen brachten den Umschwung: die Zeitung erschien nun im Umfang
von 32 Seiten, mit neuen Kolumnen, um einen größeren Leserkreis anzuziehen. Die zweite
Jahreshälfte 1997 gilt als die ‚goldene Zeit‘ der Pressefreiheit in Albanien. Seit 2007 hat
„Koha Jone“ in ihrem ehemaligen Chefredakteuer, Aleksander Frangaj, einen neuen Eigen-
tümer, einen neuen Redaktionsstab, eine neue Struktur, was bedeutet, dass sie neben politi-
schen, sozialen und kulturellen Themen auch Umweltfragen unabhängig behandelt. Aber
abseits aller Änderungen ist „Koha Jone“ das ‚journalistische Laboratorium‘ der jungen
Generation geblieben.
Die erste Ausgabe der jungen Tageszeitung „Shekulli“ erschien 1997. Nach wenigen
Monaten war sie mit 24.000 verkauften Exemplaren zu einer der meistgelesenen Zeitungen
Albaniens neben „Shqip“ und der „Koha Jone“ geworden. Ihre Anhänger sagen ihr Objek-
tivität, ein hohes Maß an journalistischer Professionalität und ihre Leserfreundlichkeit nach.
Seit Mai 1999 ist sie auch für Leser außerhalb Albaniens im Internet präsent. Sie hat Kor-
respondenten in Mazedonien, im Kosovo, in Griechenland und Frankreich, erscheint an
sieben Tagen der Woche und gehört der Mediengruppe „Sh. A. Spekter“, die auch das
Wochenmagazin „Spekter“ und die Sporttageszeitung „Sporti Shqiptar“ herausgibt. Ihre
Kritiker sagen der „Shekulli“ jedoch einen etwas laxen Umgang mit den Tatsachen nach,
der leicht in den Skandal umkippen könne. Anfang Januar 2010 brachte „Shekulli“ einen
Artikel über die Flutkatastrophe in Shkodra und druckte dazu ein Bild ab, das jedoch nicht
die besprochene Flut zeigte, sondern jene, die im Februar 2007 das afrikanische Mozambi-
que heimgesucht hatte. Die Aufnahme der afrikanischen Flut stammte von der Webseite der
spanischen Zeitung „El Pais“, und war obendrein mit demselben File-Namen versehen. Erst
als am nächsten Tag etliche Blogs und Foren, einschließlich des vielgelesenen „ra-
maik.com“ darauf hinwiesen, entfernte „Shekulli“ das inkriminierte Photo und ersetzte es
durch ein aktuelles aus Shkodra. Doch wenig später sollte die Zeitung diese peinliche Pro-

165
zedur mit der erneuten Flut in Shkodra wiederholen, wobei sie zumindest nicht auf Afrika
zurückgriff, sondern eine Aufnahme aus dem albanischen Lezha vom November 2009
abdruckte. Auch hier war es die Seite „ramaik.com“, die darauf hinwies, und „Shekulli“
entfernte das falsche Bild. Aber nicht nur die Tageszeitung schluderte, auch der private
Fernsehsender „Top Channel“ übernahm ohne Nachfrage die Bilder, die „Shekulli“ abge-
druckt hatte. Diese Vorgänge haben die Meinung gefestigt, dass „Shekulli“ wenn nicht
unseriös, so doch politisch höchst einseitig ist, denn in ihren Spalten fand sich immer wie-
der die politische Agenda des Bürgermeisters von Tirana, Edi Rama. Die Sozialistischen
Partei Albaniens, deren Vorsitzender Rama war, hatte die Parlamentswahlen im Juni 2009
verloren, ihren Ausgang in Frage gestellt und schließlich das neugewählte Parlament boy-
kottiert. Premierminister Sali Berisha, Chef der Demokratischen Partei, hätte nach Meinung
der Sozialisten erneut zu den Wahlurnen rufen oder zurücktreten sollen. Rama fand nichts
dabei, Berisha vorzuwerfen, dieser hätte durch Korruption und Missmanagement die Flut
erst verursacht. Und Ramas Sprachrohre, „Shekulli“, der „Top Channel“ und einige andere
Medien schlossen sich seiner Kampagne an.

9.2 Fernsehen und Rundfunk in Albanien

Die auf dem Zeitungsmarkt führenden Verleger und Medien-Persönlichkeiten stiegen mit
Beginn der Liberalisierung sofort auch in den elektronischen Medienmarkt ein: So entstan-
den nach der Zeitung „Koha Jone“ im selben Unternehmen „Radio Koha“ und „Koha TV“
(Nikolle Lesi), nach „Shekulli“ weitere Spartenblätter, dann „Radio plus 2“ und bald plante
„Kokedhima“ mit seinem Unternehmen „2K“ auch einen TV-Kanal. Aleksander Frangaj,
ehemaliger „Koha-Jone“-Redakteur, der sich mit seiner politischen Wochen-zeitung „Klan“
selbstständig gemacht hatte, baute „Radio Klan“ und „Klan TV“ auf. Trotz der großen
Konkurrenz im Hörfunk- wie TV-Markt haben alle Medien-Konzerne mittlerweile stark
expandiert, neue Sendestudios bezogen und moderne Technik erworben. Noch scheint man
der Phase des Pionier- und Goldgräbergeistes nicht entwachsen. Stand in den ersten Jahren
der Zeitungengründungen das politische Interesse im Vordergrund, scheint bei vielen Ra-
dio- und Fernsehsendern nun das kommerzielle Interesse zu überwiegen, was sich auch
daran zeigt, daß Unternehmer anderer Sparten im Medienbereich aktiv werden. Der Markt
wird sicher in nächster Zeit zeigen, welche Sender dem Konkurrenzdruck gewachsen sind
und welche nicht. Aber noch ist in Albanien, das in vieler Hinsicht trotz einschlägiger Ge-
setze noch eine Art rechtsfreier Raum ist, die Radio- und Fernsehproduktion relativ billig.
Die meisten Sender übernehmen Programmanteile, Filme von internationalen Sendern,
ohne Lizenzgebühren dafür zu zahlen.
Zur Zeit zeichnet sich mit dem Aufbau neuer Radio- und TV-Sender eine zunehmende
Spartenbildung ab. Die obengenannten Konzerne bemühen sich um klassische Voll-
programme mit Nachrichten, eigen-recherchierten Berichten, Interviews und Unterhaltung.
Doch das erfolgreichste Hörfunk-Programm ist „Top Albanian Radio“, das ein professio-
nell konfektioniertes Musikprogramm bringt, das sich an den Hörgewohnheiten der Jugend-
lichen orientiert und nur stündlich „Flash“-Nachrichten bringt. Für den TV-Sektor ist
„TVA(lbania)“ zu erwähnen, das sich während des Kosovo-Konflikts ein breites Publikum
eroberte, indem es sich an einem 24-Stunden-Nachrichten-Programm versuchte. Dies ge-
schah mit einfachsten Mitteln in einem einzigen Studio, in dem zwei Sprecher-Redakteure
stundenlang die neuesten Nachrichten verlasen, kommentierten und dazu Studiogäste be-

166
fragten. Generell läßt sich sagen, daß 1997 und 1998 die Jahre des Radios in Albanien
waren. 1999 traten die TV-Stationen ihren Siegeszug an und drängten den Rundfunk zu-
rück. Angesichts des begrenzten Marktes in einem Land mit etwas über drei Millionen
Einwohnern und einer geringen Kaufkraft, läßt sich leicht nachvollziehen, dass mit der
Intensivierung des TV-Sektors die Investitionen im Radio-Sektor zurückgingen, die Me-
dien-Konzerne teilweise Fernsehen auf Kosten der eigenen Rundfunksparte aufbauten. Es
gibt viele albanische Journalisten, die zunächst im Printsektor tätig waren, dann Radio
machten und heute überwiegend TV-Journalismus. Das liegt an der größeren Popularität,
aber auch an der besseren Bezahlung im TV-Sektor.
Der großen Medienfülle in allen Bereichen Print, Radio und TV in der Hauptstadt Tira-
na steht ein Mangel in der Provinz gegenüber. Im elektronischen Sektor liegt dies an der
Beschränkung landesweiter Frequenzen, an denen bisher der öffentlich-rechtliche Rund-
funk ein Monopol hält. Nur „Radio Plus 2“ verfügt bereits über eine landesweite Frequenz.
Auch sind die meisten Sender (Radio und TV) nur im Großraum Tirana zu hören. Dort
leben etwa 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung des Landes. Die Medienlandschaft außerhalb
Tiranas ist recht beschränkt. Es gibt einige private Radio-Sender in den größeren Städten
des Südens (Korca, Gjirokastra, Saranda, Vlora, Fier u.a.) sowie einzelne TV-Sender wie
„Antena Jug“ in Gjirokastra. Eigene Presseerzeugnisse in der Provinz sind rein lokaler
Natur. Im Norden des Landes sieht die Situation noch schlechter aus. Erwähnenswert ist
allenfalls „TV Kukes“, das durch seine privilegierte Lage nahe der kosovarischen Grenze
lange Zeit das einzige TV-Programm war, das im Kosovo terrestrisch zu empfangen war.
„TV Kukes“ unterhält ein eigenes Büro im Kosovo, in Prizren. Auf die immer professionel-
ler, schneller und technisch moderner werdende private Konkurrenz hat das staatliche „Ra-
dio Television Albanien“ (RTSH, www.rtsh.al)130 bisher nur unzureichend reagiert. Die
Umwandlung in einen öffentlich-rechtlichen Sender hat sich bisher kaum positiv ausge-
wirkt. Nach wie vor leidet der Sender an einer überhöhten Mitarbeiterzahl. Mit seinen
2.500 langjährigen, oft jedoch unmotivierten Mitarbeitern, die im Vergleich zu ihren Kolle-
gen auf dem freien Markt wesentlich schlechter bezahlt sind, arbeitet der Sender hoffnungs-
los ineffizient. Es ist gängige Praxis, dass junge Journalisten beim öffentlich-rechtlichen
„Radio Tirana“ ihre Ausbildung erhalten, um dann sehr schnell zu Privatsendern zu wech-
seln. Der Intendant Eduard Mazi versuchte eine sukzzesive Anpassung des Senders an die
Bedürfnisse der Zeit, ohne aber wirklich die notwendigen, einschneidenden Maßnahmen
durchzusetzen. Auch Radiodirektor Martin Leka schien sich nicht an die bei den Mitarbei-
tern unbeliebten Reformen zu wagen. Dabei ist das Radio-Programm von „RTSH“ traditio-
nell journalistisch professioneller und politisch ausgewogener als das Fernsehprogramm.
Die große Unterstützung, die der Sender in den vergangenen Jahren aus dem Ausland
erhielt, macht sich an Ort und Stelle kaum bemerkbar. Beispielsweise konnten die Mitarbei-
ter, die eigens geschult worden waren, die notwendigen Reformen der verkrusteten Struktu-

130
„RTSH“ betreibt ein Fernsehprogramm (TVSH) und zwei nationale Hörfunkstationen. Als Radio Tirana
werden zahlreiche internationale Programme in sieben Fremdsprachen und Albanisch für Kurz- und Mittelwel-
le produziert. Seit 1993 wird das Programm auch über Satellit ausgestrahlt. Der albanischsprachige Sender
wurde 1938 mit italienischer Unterstützung gegründet. Ein Fernsehprogramm wurde erstmals 1960 ausge-
strahlt. Im kommunistischen Albanien war das Programm stark kontrolliert. Lange war es auch der einzige
Sender, der in Albanien in der Landessprache zu empfangen war. Der Propagandacharakter hielt fast 50 Jahre
lang. Trotz des Endes des kommunistischen Regimes mischte sich auch die neue Regierung in das Programm,
das ausgestrahlt wurde, ein. Der Schwerpunkt des Senders lag bei Musik und Kultur, Nachrichten waren im-
mer noch tendenziös. Mittlerweile ist „RTSH“ ein öffentlich-rechtlicher Sender, der mit zahlreichen anderen
privaten elektronischen Medien konkurrieren muss.

167
ren nicht umsetzen, was häufig dazu führte, dass sich die führenden Mitarbeiter zwar auf
internationalem Parkett sicher als reformorientierte Fachkräfte präsentieren, daheim aber
konkret wenig bewegen konnten und können. Bei „RTSH“ ist zwar mit der Umwandlung
zum öffentlich-rechtlichen Sender das Bemühen erkennbar, auch in der Programmgestal-
tung kein reines Sprachrohr der Regierung mehr zu sein, allerdings ist die notwendige Mei-
nungs-pluralität und Ausgewogenheit noch längst nicht erreicht. Während die technische
Ausstattung des Fernsehsenders dank ausländischer Hilfe in den vergangenen Jahren we-
sentlich modernisiert werden konnte, ist die Ausstattung im Hörfunk-Bereich nach wie vor
katastrophal. Dies gilt sowohl für „Radio Tirana“, aber ganz besonders für die lokalen Ra-
diostudios in Kukes, Shkodra, Gjirokastra und Korca. Die wachsende Autonomie der Regi-
onalsender, mag sie auch in programmpolitischer Hinsicht zu begrüßen sein, hat jedoch zu
einer weiteren Abkoppelung der regionalen Studios von der Zentrale Tirana geführt. Aller-
dings bedeutet dies auch, dass die finanzielle Unterstützung, die „RTSH“ erhält, meist in
Tirana bleibt und die Regionalsender immer noch mit völlig veralteten Geräten und Sende-
studios arbeiten müssen. Die technische Hilfe für die Regionalsender und die Förderung der
Mitarbeiter dieser Sender sollte für internationale Geberorganisationen Priorität haben.
Dass der gesellschaftliche mit dem technischen Fortschritt nicht ganz Schritt hält, dafür
ist der Skandal um die Albanerin Besarta, die mit ihrer Familie in der Schweiz wohnte, ein
besonders bizarres Beispiel. Jahrelang war Besarta Gecaj von ihrem Vater tyrannisiert und
sexuell missbraucht worden, bis sie nicht mehr weiter wusste. Sie vertraute sich ihrem
Lehrer Paul Spirig an. Davon erfuhr ihr Vater. Am 11. Januar 1999 suchte Vater Ded Gecaj
den Lehrer seiner Tochter im St. Galler Realschulhaus Engelwies auf und streckte ihn mit
mehreren Schüssen nieder. Seit jenem Tag lebte Besarta in Angst und Schrecken. Sie fürch-
tete, ihre eigene Familie könnte ihr etwas antun. Ihre Verwandten waren davon überzeugt,
dass sie mit ihrer Aussage die Ehre ihres Vaters und der ganzen Familie beschmutzt hätte.
Nach dem ungeschriebenen Gesetz des albanischen Kanun, einem weitverbreiteten Ge-
wohnheitsrecht, kann ein solches Delikt nur durch Blutrache gesühnt werden. Aus Angst
änderte Besarta ihren Namen, ihre Identität und ihren Schweizer Wohnort, und musste
bewacht werden, denn ihr Bruder Gjergj machte im albanischen Fernsehen einen ungeheu-
erlichen Aufruf. In der Sendung „Njerëz të Humbur“ („Vermisste Menschen“) forderte er
die albanische Bevölkerung förmlich zur Jagd auf seine Schwester auf: „Alle, die ihr mög-
licherweise begegnet sind, sollen sich bei uns melden.“ Gleichzeitig veröffentlichte der
Sender erstmals ein Foto von Besarta, im Alter von 14 Jahren. Vor den albanischen Fern-
sehkameras erzählte ihr Bruder, weshalb Besarta keinen Kontakt mehr zur Familie habe:
Der Schweizer Staat hätte sie ihnen weggenommen, womit er „gegen die Menschenrechte
verstossen“ würde. „Wenn die Schweiz meiner Schwester etwas angetan hat, dann steht sie
tief in unserer Schuld.“ Kein Wort verlor er darüber, dass der Vater sich an seiner Tochter
vergriffen haben könnte. Umso ausführlicher ließ er sich dagegen über den Lehrer Spirig
aus, der der Täter sei. Er habe Besarta vergewaltigt, deshalb habe ihr Vater ihn erschossen.
Nicht nur das politische Erbe aus Jahrzehnten des albanischen Stalinismus hemmt den Fort-
schritt hin zu wirklich freien und seriösen Medien, sondern auch die gesellschaftliche Tra-
dition, die in Albanien wie im Kosovo von einer überkommenen Clan-Mentalität und Mo-
ral belastet ist. Dennoch zeigen Beispiele wie das der Zeitung „Koha Jone“, dass es auch
anders geht.

168
10. Rumänien: Pressefreiheit gegen Marktmacht

In Rumänien hofften Vertreter der Opposition, dass sich nach dem Ende der Diktatur
Ceauescus – dieser war zusammen mit seiner Frau Elena im Dezember 1989 hingerichtet
worden – nun auch in ihrem Land eine freie, offene Gesellschaft etablieren würde. Zeitun-
gen wurden gegründet, Fernseh- und Radiosender begannen ihre Arbeit, alles schien sich
auf den ersten Blick günstig zu entwickeln. Der Hunger nach Informationen war nach der
Tristesse des Ceauescu-Regime grenzenlos. Wie man früher um Lebensmittel angestanden
hatte, so bildeten sich jetzt Schlangen an den Kiosken. Einige Zeitungen kamen damals
sogar auf eine Millionen-Auflage. Da nach der Revolution das öffentliche Fernsehen noch
von der Partei kontrolliert wurde, flüchteten die Bürger regelrecht zu den Zeitungen. Spä-
testens mit dem Erfolg des Privatfernsehens und der Einführung von Nachrichtenkanälen
änderte sich das jedoch. Das Interesse ließ nach, nicht zuletzt, weil viele durch die Machen-
schaften der Politik desillusioniert waren. Das Programm des rumänischen Fernsehens ist
heute von seichten Spielshows italienischer Machart, lateinamerikanischen Seifenopern,
US-amerikanischen Serien und Popmusikclips simpler Machart durchzogen. Der Bukares-
ter Medienexperte Razvan Martin Rumänien meinte schlicht, Rumänien sei eine Fernsehge-
sellschaft wie Italien:

„Besonders seit es das Nachrichtenfernsehen gibt. Es ist ein Fernsehland mit einer niedrigen Qualität, mit
vielen Sendern, aber keiner inhaltlichen Abwechslung. Es gibt zwei oder drei Nachrichtenkanäle mit densel-
ben Debatten, denselben Leuten, denselben Gästen. Das ist nur eine Plattform für Politiker, die ständig über
dieselben Dinge diskutieren, ohne tiefgründige Analyse oder Untersuchung eines Themas. Die soge nannten
Experten reden über alle möglichen Themen – von Fußball über Erdbeben zu Arbeitslosigkeit. Die gleichen
Leute können zwei oder drei Stunden in der Sendung bleiben und über diese Themen sprechen. In Sachen In-
halt und Qualität sind die rumänischen Medien ganz schön armselig. Und die größte Enttäuschung ist das öf-
fentlich-rechtliche Fernsehen, das diese Lücke der privaten Sender nicht füllt. Dafür gibt es einige Gründe.
Der wichtigste ist die Kontrolle des Fernsehens durch die Politiker.“131

Wenn es auch in Frankreich und den Vereinigten Staaten Verknüpfungen zwischen Wirt-
schaft, Politik und Medien gebe, beachte man aber dort doch gewisse Regeln, über deren
Einhaltung die Öffentlichkeit wacht. Die junge rumänische Demokratie hat aber bis heute
den Einfluss illegitimer Interessengruppen nicht eingrenzen können. Sie wurden langsam in
der Wirtschaft mächtig und kommen aus der kommunistischen Partei oder hatten Verbin-
dungen zum Geheimdienst Securitate. Ihre Kontrolle über die Wirtschaft verdanken sie
ihren engen Kontakten zur Politik, die wiederum auf eine positive öffentliche Wirkung und
damit auf die Medien angewiesen ist. Diese haben sich aus wirtschaftlicher Not oft selbst
auf die Politik zubewegt. Der größte Druck kommt somit aus den Redaktionen selbst, nicht
von außerhalb, von der Politik oder den Werbekunden. Als nach 2005 die Investitionen im
Medienbereich in Höhen von mehreren hundert Millionen Euro stiegen, zahllose neue Stel-
len enstandten und die Gehälter deutlich anstiegen, wuchs der Anpassungsdruck zusätzlich.
Ein normales Einstiegsgehalt für einen Journalisten ohne Erfahrung lag bei über 1000 Euro,
was in Rumänien eine sehr gute Bezahlung war. Viele Journalisten hatten verständlicher-
weise Angst, diese wirtschaftlichen Privilegien zu verlieren. Die Wirtschafts- und Finanz-

131
„Die Eigentümer verfolgen mit ihren Medien wirtschaftliche oder politische Interessen – oder beides“. Inter-
view mit Razvan Martin [http://bucuresti.posterous.com/rss.xml].

169
krise begrüßte mancher nur aus dem Grunde, dass nun die Journalisten wieder mutiger und
ihrer Aufklärungspflicht bewußter würden.
Diese Entwicklung steckt hinter der Klage, dass der Einfluss ausländischer, vor allem
westeuropäischer Investoren, deren einseitige Wirtschaftsinteressen sich nachteilig auf die
freie Berichterstattung ausgewirkt hätten. Die Profillosigkeit und Einfarbigkeit der Medien-
landschaft, die mancher beklagte, führten zu interessanten Gegenbewegungen. So attackier-
ten im Frühjahr 2007 Aktivisten, die sich „Guerilla Digitala“ nannten, vier Wochen lang
322 rumänische Parlamentarier mit der Fehler-Warnung „Error 322. Cannot open Parlia-
ment.exe. The file seems to be corrupt. Please reinstall“. Die ‚Opfer‘ dieses Angriffs waren
im Begriff, den Präsidenten Traian Bsescu auf korrupte Art abzusetzen. Auf Bsescus
Homepage boten die Guerilleros Widerstand in Form von Handyklingeltönen und anderen
Gags an. Sie waren erfolgreich. Am 19. Mai 2007 stimmten 75 Prozent der rumänischen
Wahlberechtigten in einem Referendum gegen die Amtsenthebung des Präsidenten. Was
wie originelle PR für Bsescu aussah, war in Wahrheit eine Demonstration der Kreativen,
Designer, Schüler und Studenten für die Demokratie. Sie wehrten sich gegen die korrupten
Seilschaften, die über die Parteigrenzen hinweg mit Hilfe der Medien versuchten, sich des
unbequemen Präsidenten zu entledigen. Da es Gesetze, die Medienkonzentration verhin-
dern, nicht gab, entstanden vor allem inländische Mediengiganten, bei denen wichtige Un-
ternehmer, Politiker und Medienbesitzer oft ein und dieselbe Person sind. Aber auch aus-
ländische Medienhäuser behinderten die engagierte Berichterstattung, sobald es um finan-
zielle Vorteile geht, wie der Streit des Essener WAZ-Konzerns mit der Tageszeitung
„România Liber“ zeigt. 2004 setzte der Konzern den Chefredakteur ab. Die regierungs-
kritische Blattlinie sollte geändert werden. Der Grund war schlicht, daß die WAZ ein deut-
lich anderes Verhältnis zur Regierung hatte als die Zeitung. Staatliche Werbung ist die
wichtigste Einnahmequelle der Medien. Die Regierung vergibt die Aufträge und hat damit
ein Drohmittel in der Hand. Eine junge Redakteurin der lokalen Tageszeitung „Transilvania
Expres“ erzählte, ihre Artikel seien schon mehrmals aus der Zeitung entfernt worden, weil
irgendein Politiker anrief und drohte.
Auch der EU-Beitritt Rumäniens am 1. Januar 2007 verbesserte die Situation nicht. Die
Qualität vieler Zeitungsartikel ließ weiterhin zu wünschen übrig, wobei die Schuld an
schwachen Artikeln und Fehlern nicht nur bei den Journalisten lag, sondern bei den Zeitun-
gen selbst, die eher auf Quantität als auf Qualität setzten. Bei vier bis fünf Artikeln pro Tag
sei eine gute Recherche schwierig, klagten Journalisten. Überblickt man die Eigentümer-
struktur rumänischer Medien, fällt der starke Einfluss der Industrie auf. Zum Beispiel for-
mierte sich ein österreichisches Medienimperium bei Petrom, Rumäniens größtem Erdöl-
konzern, der von der Regierung an die österreichische Erdölgesellschaft OMV verkauft
wurde. Als Medien-gruppe besitzt das Medienimperium Anteile an vielen Rundfunk- und
Printmedien in Rumänien. Das Vorarlberger Medienhaus Eugen A. Russ gibt in Rumänien
vier Regionalzeitungen heraus, die genauso aussehen wie das Mutterblatt „Vorarlberger
Nach-richten“, und läßt hier auch die elektronische Bildbearbeitung für das Stammhaus in
Vorarlberg durchführen. Eine Antwort auf die zunehmende Medien-konzentration hatten
vier Journalisten im Jahr 2000: Sie gründeten das Internetjournal „hotnews.ro“. Mittlerwei-
le hat es Korrespondentenbüros in Frankfurt und New York und rangiert mit 70.000 Nut-
zern pro Tag auf Platz fünf in der Statistik der rumänischen Online-Medien. Das Unter-
nehmen finanziert sich über Werbung und bekommt die besten Leute gratis: „hotnews“
bietet eine begehrte Plattform, über die schon einige junge Journalisten durch politisch
brillante Analysen bekannt geworden sind. Die Printjournalisten waren dankbar für diese
neue Plattform, auf der sie unabhängig berichten konnten. In Rumänien gibt es derzeit

170
sechs Millionen Internetnutzer, von denen die Mehrzahl in Bukarest lebt. Selbst Richter
wurden auf dem rumänischen Medienmarkt, der vor allem politik- und marktgängig zu sein
hat, zu fachkundigen Aufdeckungsjournalisten. Viele junge Richter verbreiten ihre Mei-
nung per Internet. Sie kommentieren in Blogs den Filz der rumänischen Justiz und enthül-
len die schmutzigen Arrangements im Justizministerium – „eine wahre Anklageschrift
gegen die Einfältigkeit, mit der die Justiz derzeit verwaltet wird“, schrieb Dorin Petrisor in
der rumänischen Tageszeitung „Cotidianul“.
Dass sich die Medien neue Möglichkeiten erschlossen, ihre Kritik anzubringen, wurde
von der Politik nicht unbedingt mit Freude aufgenommen. Ein Treppenwitz schien auf den
ersten Blick jener Antrag zu sein, dass die Hälfte aller Nachrichten, die Fernsehen und
Rundfunk senden, „gute Nachrichten“ zu sein hätten. Die Gesetzesinitiative kam von zwei
Senatoren. Der eine gehörte der regierenden Nationalliberalen Partei, der andere der rechts-
extremen Großrumänien-Partei, und beide beklagten den „irreversiblen Effekt“ negativer
Nachrichten „auf die Gesundheit und das Leben der Menschen“. Ziel des Gesetzes sei es,
das „allgemeine Klima zu verbessern und der Öffentlichkeit eine Möglichkeit zu bieten,
sich mental und emotional ein ausgeglichenes Bild des täglichen Lebens zu machen“. Am
26. Juni 2008 nahm das rumänische Oberhaus dieses Gesetz einstimmig an. Im Juli 2008
musste der rumänische Präsident Basescu darüber befinden. Die OSZE bat Rumänien,
dieses Vorhaben nicht gutzuheissen. Miklos Haraszti, der OSZE-Repräsentant für Medien-
freiheit, nannte das Gesetzesvorhaben einen „ernsthaften Eingriff in die Presse- und Ver-
lagsfreiheit“. Außerdem sollte die Entscheidung darüber, was positiv und was negativ sei,
dem nationalen Rat für audiovisuelle Medien überlassen warden, was manchen an die Zei-
ten erinnerte, da in Rumänien die Medien unter scharfer Aufsicht standen. Das Abgeordne-
tenhaus lehnte das Gesetz ab, aber entscheidend war das Votum des rumänischen Oberhau-
ses des Senats. Man tröstete sich damit, dass das Gesetz ohnehin nie angewandt werden
würde, weil es der in der rumänischen Verfassung verankerten Pressefreiheit und den EU-
Grundsätzen widerspreche. Auch hoffte man, falls Rumänien sich weiter Brüsseler Krite-
rien verpflichtet fühle, werde das Verfassungsgericht dieses Gesetz kippen, oder Präsident
Traian Bsescu seine Unterschrift verweigern. Bsescu hätte damit Gelegenheit gehabt,
seine gestörten Beziehungen zur Presse zu reparieren, denn nicht nur seine Bevorzugung
loyaler Berichterstatter wie seiner Haus- und Hofzeitung „Evenimentul Zilei“, auch dass er
mehrmals Journalisten beschimpft hatte, war seiner Popularität abträglich.
Dem Einfluss von Politik und Wirtschaft versucht man in Rumänien, durch zivilgesell-
schaftliches Engagement zu steuern, was es in den osteuropäischen Transformationsländern
nicht unbedingt oft gibt. Das Netz bietet den fehlenden Raum: Mit der virtuellen Datenbank
„Mediaindex“ macht eine NGO Eigentumsanteile von Unternehmen und Institutionen der
Öffentlichkeit zugänglich. In der realen Welt verbessern das „Zentrum für unabhängigen
Journalismus“ (CIJ) und die „Medien Monitoring Agentur“ (MMA) Ausbildung und
Selbstverständnis der Journalisten. Leider gibt es auf lokaler Ebene noch keine derartigen
Organisationen, womit vor allem freie Mitarbeiter im Falle einer Verleumdungsklage allein
dastehen, denn sie bekommen keinerlei Unterstützung von ihrer Zeitung. Nicht unbedingt
allein, aber als Opfer stand auch der Verwaltungsratsvorsitzende und Redakteur der
„România Liber“ da, nachdem sich die SPD-nahe WAZ-Mediengruppe seit März 2001 auf
dem rumänischen Zeitungsmarkt engagierte, und auch eine Beteiligung von 72 Prozent am

171
Zeitungsverlag S.C. România Liber SA erwarb132. Im September 2005 gründete die deut-
sche Mediengruppe zusammen mit ihrem Geschäftspartner Dan Grigore Adamescu die S.C.
Medien-Holding SRL, an der beide Partner zu jeweils 50 Prozent beteiligt sind133. Die
„România Liber“ gehört zu den in Rumänien meistgelesenen Tageszeitungen. Sie erreicht
im Durchschnitt eine Tagesauflage von 72.000 Exemplaren, die in der verlagseigenen Dru-
ckerei in Bukarest gedruckt werden134. In der deutschen Fachpresse wurde das Engagement
der WAZ-Gruppe als schlichte Wirtschaftsmeldung registriert. In Rumänien regte sich
erster Widerstand als bekannt wurde, dass die deutsche Zeitungsgruppe den Verwaltungs-
ratsvorsitzenden der „România Liber“, Petre Mihai Bacanu, abgesetzt und ihn durch den
deutschen Manager Klaus Overbeck ersetzt hatte. Overbeck vertrat die WAZ-Gruppe schon
seit längerem in Rumänien. Empörend erschien nicht nur, dass ausgerechnet die „România
Liber“, das Flaggschiff der freien, regierungskritischen Presse zu einer Manövriermasse
ausländischer Pressemogule geraten war, sondern dass es gerade Bacanu traf, der unter
Ceauescu lange im Gefängnis gesessen hatte, weil er illegal eine regimekritische Zeitung
herausgegeben hatte. Die WAZ-Gruppe rechtfertigte ihr Vorgehen damit, dass Bacanu sie
selbst mit falschen Zahlen zu Anteilsverhältnissen und Auflagenhöhe getäuscht hätte135.
Außerdem hätte Bacanu eine ‚Verleumdungskampagne’ gegen die WAZ und ihren Ge-
schäftsführer Bodo Hombach in Gang gesetzt, nachdem sich die Essener Zeitungsgruppe
geweigert hatte, Bacanus Aktienanteil für neun Millionen Euro zu übernehmen. Bacanu
bestritt die Vorwürfe. Vor allem hatte er die Redaktion des Blattes auf seiner Seite. Diese
reagierte auf die Absetzung Bacanus und die Vorwürfe mit einer eigenen Ausgabe, in der
zahlreiche Artikel den deutschen Zeitungskonzern scharf kritisierten. Die WAZ-Gruppe
hoffte damals, den Streit rasch zu den Akten legen zu können. Doch Bacanu war auch nach
seiner Absetzung noch Generaldirektor des Verlags „R“ SA, in dem die Zeitung erscheint.
Die „Financial Times Deutschland“ (FTD) vermutete damals, dass das wirtschaftliche Kal-
kül Teil des Falls Bacanu sein könnte. Das Osteuropageschäft habe sich für viele westliche
Pressekonzerne eher als Enttäuschung erwiesen: Deren Kalkül wäre es gewesen, dass sich
die Pressefreiheit auch wirtschaftlich auszahlt, schrieb die Wirtschaftszeitung. Nur haben
gerade Blätter, die betont unabhängig auftreten, oft wirtschaftliche Probleme. Da in Rumä-
nien außerdem viele Unternehmen noch in staatlicher Hand sind, ist das Anzeigengeschäft

132
In einer Meldung der „Siebenbürger Zeitung“ hieß es: Der WAZ Mediengruppe hat die Aktienmehrheit an der
konservativen Tageszeitung „Romania Libera“ in Bukarest übernommen. Das der Christlich-Demokratischen
Bauernpartei (PNTCD) und der Bürgerrechtsbewegung in Rumänien nahestehende Blatt erscheint in einer täg-
lichen Auflage von 80.000 Exemplaren. Es sei „Marktführer im Anzeigengeschäft“, teilte die Westdeutsche
Allgemeine Zeitung (WAZ) in Essen mit. Bereits seit Mitte letzten Jahres gehört die gleichfalls landesweit
verbreitete rumänische Tageszeitung „National“ mehrheitlich zur WAZ-Gruppe. Damit erweitert der Verlag,
der auch in anderen Ländern Ost- und Mitteleuropas stark vertreten ist, sein Engagement in Rumänien.
[www.siebenbuerger.de/zeitung/artikel/alteartikel/628-waz_konzern-uebernimmt-romania.html].
133
Die gemeinsamen Mehrheitsbeteiligungen an der „Romania Libera“ und an dem Prepress-Unternehmen „Gru-
pul de Presa Romania“ faßte man unter dem Dach der Medien-Holding zusammen.
134
Vgl. www.waz-mediengruppe.de/Rumaenien.25.0.html.
135
Als verantwortlicher Verwaltungsratsvorsitzender hätte er die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse bei der
Gesellschaft „R“ SA seit März 2002 dem Registergericht wider besseren Wissens nicht angezeigt. Laut Regis-
tergericht hält die WAZ-Mediengruppe nur 49 Prozent der Anteile. Die am 28. März 2002 erworbenen 23 Pro-
zent der Aktien seien bis Ende Oktober nicht öffentlich gemacht worden. Interne Schriftwechsel zwischen
Herrn Bacanu und der WAZ Mediengruppe würden belegen, daß Herr Bacanu mehrfach den Aktienanteil von
72 Prozent des Hauptgesellschafters anerkannt habe, was auch im internen Aktienverzeichnis abzulesen sei.
Die Verschleierung der Eigentumsverhältnisse bis auf den heutigen Tag durch Herrn Bacanu ließen auf betrü-
gerische Absichten schließen, sollte er die tatsächliche Situation nicht anerkennen.

172
gerade für regierungskritische Zeitungen meist eine problematische Angelegenheit. Wirt-
schaftliche Zwänge provozierten so wiederholte Auseinandersetzungen über die Tendenz
der Berichterstattung zwischen Eigentümer und Redaktion der „România Liber“, die als
oppositionelles Blatt galt.

10.1 Der Fall România Liber

Die Beschwerden von Journalisten und die Proteste ganzer Redaktionen gegen ihre Eigen-
tümer häuften sich 2004 in Rumänien. Im November standen Parlaments- und Präsident-
schaftswahlen an, und die Regierungspartei versuchte offen, die Medien auf ihre Seite zu
ziehen. Eine Woche zuvor hatte sich auch die Redaktion der Bukarester Tageszeitung
„Evenimentul Zilei“ (Auflage: 100.000 Exemplare) in einem Protestschreiben an ihren
Eigentümer, den Schweizer Medien-Konzern „Ringier“, über dessen Einmischung in redak-
tionelle Angelegenheiten beschwert. Unter dem Vorwand organisatorischer Veränderungen
habe „Ringier“ versucht, „den kritischen Ton des Blattes abzuschwächen“, hieß es in der
Erklärung der Redakteure. Die Zeitung „Evenimentul Zilei“ ist mit einer Auflage von
100.000 Exemplaren eine der meistgelesenen überregionalen Tageszeitungen in Rumänien
und ein Blatt, über dessen kritische Berichterstattung sich Regierungs-mitglieder im Vor-
feld der Wahlen immer wieder beschwert hatten. Auch die Bukarester Tageszeitung
„România liber“ fuhr schweres Geschütz auf, in diesem Fall gegen den WAZ-Konzern.
„Der schwärzeste Tag“, stand am Montag in Riesenlettern auf der Titelseite zu lesen,
daneben eine Erklärung der Redaktion, in der schwere Vorwürfe gegen den Mehrheitsei-
gentümer der Zeitung, den WAZ-Konzern, erhoben wurden. Die Redaktion sprach von
„brutaler Einmischung“ der WAZ in die redaktionelle Arbeit der Zeitung. Hauptanklage-
punkt: Seit einiger Zeit übe der westdeutsche Pressekonzern Druck auf die Redaktion aus,
weniger regierungskritisch aufzutreten. Die WAZ wolle aus der Zeitung ein Boulevardblatt
mit „positiven Reportagen“ und Promi-Berichterstattung machen, was sich aber nicht mit
dem Selbstverständnis der „România Liber“ vertrug. Die „România liber“ war nach dem
Sturz des Diktators Nicolae Ceauescu im Dezember 1989 das Flaggschiff der freien Presse
in Rumänien. Ihr Direktor Petre Mihai Bacanu hatte unter der Diktatur im Gefängnis geses-
sen, weil er illegal eine Ceauescu-kritische Zeitung gedruckt hatte. Nun hatte der WAZ-
Konzern 70 Prozent der Anteile an der Zeitung übernommen. Petre Mihai Bacanu bedauer-
te den Einstieg der WAZ bei seiner Zeitung inzwischen sehr – der Chefredakteur der
„România liber“, Bogdan Ficeac, berichtete, seit Monaten seien Diskussionen mit WAZ-
Leuten immer wieder in Vorwürfe ausgeartet, man kritisiere die regierende Sozialdemokra-
tische Partei PSD zu sehr. Dass sich Journalisten, ganze Redaktionen und Zeitungs-
Eigentümer derart in die Haare bekammen, hatte eindeutig mit der Nervosität vor den Par-
laments- und Präsident-schaftswahlen zu tun. Die sozialdemokratische Regierungspartei
(„Partidul Social Democrat“, PSD) versuchte offen, die Medien auf ihre Seite zu ziehen136.
Druck wurde auch über die Vergabe von Werbeaufträgen ausgeübt, denn die Regierung ist
einer der größten Auftraggeber für Anzeigen und Werbespots. Bei unliebsamer Berichter-

136
Interessanterweise ging die PSD in den Parlamentswahlen 2008 bewusst ein Wahlbündnis mit der sozialkon-
servativen PC („Partidul Conservator“) ein, um die Medienmacht des einflussreichen, ehemaligen PC-
Vorsitzenden Dan Voiculescu zu nutzen.

173
stattung werden solche Aufträge schlicht gestoppt, mit verheerenden Folgen für die betrof-
fenen Medien.
Sowohl die rumänische Regierung als auch der WAZ- und der „Ringier“-Konzern
bestritten die Vorwürfe der Redaktionen von „România liber“ und „Evenimentul Zilei“.
Zu den Details der Konflikte wollten sich die beiden Medienkonzerne nicht äußern. Für
manche rumänischen Journalisten war jedoch in diesem Tagen eine Welt zusammengebro-
chen. „Wir Journalisten haben lange Zeit mit der Vorstellung gelebt, dass der Westen ein
besserer Eigentümer ist und uns nicht auf eine Weise mit Füßen treten würde, wie es die
rumänischen Magnaten tun“, schrieb der Chefredakteur der Tageszeitung „Adevarul“ in
einem Leitartikel. „Nun sehen wir, dass auch die ‚feinsinnigen‘ europäischen Patrone sich
nicht scheuen, mit der Faust und dem Stiefel in eine Redaktion zu trampeln.“ Die WAZ-
Gruppe sah das freilich anders und dementierte umgehend137. Im hart umkämpften rumäni-
schen Markt müsse die „România liber“ eine Qualitätszeitung bleiben und werde „in die-
sem Sinne“ weiter „Auffrischungen“ erfahren, hieß es aus Essen. Im September 2004, als
der Streit um die Tendenz der Zeitung erstmals aufgeflammt war, hatten die Redakteure in
Leitartikeln diese „Auffrischungen“ als „Boulevardisierung“ des Blattes kritisiert. Die Indi-
zien sprachen gegen die WAZ. Vor den Parlamentswahlen 2004 soll die WAZ wiederholt
und massiv versucht haben, über ihren Stellvertreter Overbeck und dessen Assistenten
Markus Kleininger, auf eine positivere Ausrichtung zu drängen, was bedeutete, positiver
über die damalige Regierung zu berichten und kritische Artikel zu unterlassen.
Das lag freilich im Interesse des Geschäftsführers, des deutschen SPD-Politikers Bodo
Hombach. Hombach war nach Regierungstätigkeiten in Nordrhein-Westfalen und einem
kurzem Gastspiel in der Bundesregierung mehrere Jahre „Sonderkoordinator“ der Bundes-
regierung für den „Stabilitätspakt für Südosteuropa“ gewesen. Spätestens in dieser Funkti-
on schuf er sich zahlreiche Kontakte, die sich in seiner Funktion als WAZ-Geschäftsführer
als nützlich erweisen sollten. Die Sozialdemokratische Partei Rumäniens, das heißt die zu
Sozialdemokraten gewendeten ehemaligen Kommunisten Rumäniens, kooperierten eng mit
der damaligen sozialdemokratischen Bundesregierung unter Gerhard Schröder, der Hom-
bach den Koordiantorenposten verschafft hatte. Die Widersacher der konservativen
„România Liber“ und ihres Leiters Bacanu saßen nun in der Regierung und Bacanus offe-
ne Zeitung wurde zum Zankapfel wirtschaftlicher Interessen. Die WAZ-Gruppe gab vor,
man sei lediglich bestrebt, die Zeitung lesbarer und damit erfolgreicher zu machen. Eine
politische Einflussnahme habe es jedoch „nie und durch niemanden“ gegeben. Bacanu
kritisierte in einem Interview mit der „Jungen Welt“ vor allem Bodo Hombach scharf:
„Hombachs Statthalter, Klaus Overbeck, hat uns immer wieder klargemacht, dass wir zu
kritisch mit der sozialdemokratischen Partei umgehen. Die sei demokratisch gewählt, man
dürfe sie nicht allzu sehr kritisieren. Für die Auslandsseite wurde uns nahegelegt, uns an
der britischen „News of the World“ zu orientieren – große Fotos, wenig Text.“ Auf der
anderen Seite rückte Geschäftsführer Hombach Bacanau in einem Spiegel-Interview in die
Nähe eines Betrügers, der die neuen Besitzverhältnisse nicht akzeptieren wolle. Sie würden
hier statt eines Kampfes für die Pressefreiheit eher Kleinkriminalität erleben, wenn mit
falschen Unterlagen falsche Eintragungen vor Gericht erschlichen würden. Wenn man

137
Darüberhinaus habe sich die WAZ, als einziges Medienunternehmen neben der norwegischen „Orkla Media
AS“, den OSZE-Grundsätzen für Pressefreiheit verpflichtet, und berief sich auf den OSZE-
Medienbeauftragten, Miklos Haraszti, der den Fall geprüft und nicht als Gefährdung der Pressefreiheit bewer-
tet hätte. Haraszti dementierte jedoch, in der Sache überhaupt aktiv geworden zu sein. Er hätte lediglich eine
Anfrage der WAZ erhalten, die er aber abgelehnt hätte.

174
bedenke, dass auch in Deutschland die Zeitungsbesitzer den Inhalt des Blattes bestimmen,
könnte man den Redakteuren der „România Liber“ auch Blauäugigkeit vorwerfen, meinte
Helmut Lorscheid in einem Kommentar138: „Sie pflegten die Wunschvorstellung, ausländi-
sche Investoren – ob nun der ebenfalls in Rumänien kritisierte Schweizer Verlag Ringier
oder die WAZ-Gruppe – würden sich allein aufs Geld verdienen beschränken und sich
redaktioneller Einflußnahme enthalten.“139
Eine einvernehmliche Lösung des Konflikts schien Ende 2004 nicht mehr möglich. Der
WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach hatte angekündigt, die Auseinandersetzung nur noch
auf dem Rechtsweg austragen zu wollen. Eine Satzungsänderung solle die administrativen
Voraussetzungen dafür schaffen, um die Funktionen des Verwaltungsratsvorsitzenden und
des Generaldirektors zu trennen. Die Redakteure der Zeitung fürchteten die Kündigung. Die
WAZ habe, kritisierten sie, „in aller Stille eine Parallelredaktion aufgebaut“. Ein Streik
erschien durchaus möglich. Zwischen Mitarbeitern kam es sogar zu handgreiflichen Aus-
einander-setzungen. Der rumänischen Industrie- und Handelskammer in Iai war das Vor-
gehen Hombachs jedenfalls suspekt genug, um ihm die 2001 im Zusammenhang mit seiner
Tätigkeit als Sonderkoordinator verliehene Ehrenmitgliedschaft und weitere Auszeichnun-
gen abzuerkennen140. Gegenüber dem Informationsdiest „German Foreign Policy“ antworte-
te Bacanu auf die Frage, ob er sich um die Früchte des realsozialistischen Zusammenbruchs
betrogen sehe: „Ja! Eindeutig ja!“. In den Zeiten der Wende (1990) habe sich die Zeitung
„einiger eher schwächlicher Zensurversuche“ erwehren müssen, aber trotzdem weiterarbei-
ten können. Die kurze Phase der Pressefreiheit sei jetzt einem Zustand gewichen, den „he-
gemoniale und politische Absichten“ kennzeichneten.
Wäre es um die journalistische Freiheit der Mitarbeiter der „România Liber“ tatsäch-
lich so gut bestellt gewesen, wie die WAZ-Gruppe versicherte, hätten nicht nur rumänische
Journalisten, sondern auch die Internationale Journalisten-Föderation wohl kaum Grund
gesehen, sich über das Verhalten der WAZ in Rumänien offiziell zu beschweren. In
Deutschland hielten sich, vor allem aus bundespolitischen Gründen, die Solidarität und die
Kritik in engen Grenzen. Zwar hatten die Rumänen zur „Deutschen Journalisten-Union“ (in
ver.di) und dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) rechtzeitig Kontakt gesucht – aber
bis zum Betriebsrat des Essener WAZ-Konzerns oder gar zur Basis drang der Hilferuf aus
Bukarest offenbar nicht vor. Auf Anfrage von „Telepolis“ konnte die dju/ver.di in Berlin
auch Mitte November 2004 noch immer „keine schriftlichen Erklärungen“ zu diesem The-
ma zur Verfügung stellen. Erst als sich neun rumänische Redakteure in einem Kleinbus auf
den Weg nach Essen machten, um vor dem Verlagshaus zu demonstrieren, zeigte sich der
Betriebsrat nach Darstellung einer Sprecherin „überrascht“. Verständlich, denn die Be-
triebsräte waren weder vom „DJV“ noch von der „dju“ informiert worden. Die Konzern-
pressestelle reagierte geschickt und versuchte den Protest zu einem „Besuch“ der rumäni-
schen Journalisten umzudeuten: Von einem „intensiven Meinungsaustausch“ in einem
„atmosphärisch guten Rahmen“ war die Rede. Der „DJV“ hatte auf Anfrage von „Telepo-

138
Vgl. Lorscheid, H.: „Keine Pressefreiheit in Rumänien dank deutschem Verlag“. WAZ bestimmt die Richtung
rumänischer Zeitungen, 19.11.2004 [www.heise.de/tp/r4/artikel/18/18809/1.html].
139
Ibidem.
140
Hombach sei ,,keine ehrliche Person“, hieß es in der Mitteilung, die von der rumänischen Presse breit zitiert
wurde. Hombach wurde beschuldigt, die vormalige Regierungstätigkeit in den privaten Aufkauf ganzer Me-
dienzweige überführt und den WAZ-Konzern zum Marktmonopolisten in Südosteuropa gemacht zu haben.
,,Wir werden uns deutschen Diktaten nicht beugen“, sagten Redakteure der in WAZ-Mehrheitsbesitz befindli-
chen Tageszeitung ,,România liber“ in einem Pressegespräch. Die journalistische Leitung des Blattes weigere
sich, den Anordnungen eines nach Bukarest entsandten deutschen WAZ-Statthalters zu folgen.

175
lis“ immerhin einen Resolutionstext zur Hand, frisch verabschiedet auf dem jüngsten Ver-
bandstag am 10. November 2004. Darin hieß es: Der DJV Verbandstag protestiere auf das
Schärfste gegen die Praxis insbesondere der Zeitungsgruppe WAZ im osteuropäischen
Ausland, bürgerliche Grundrechte, wie die Koalitionsfreiheit für Journalisten zu missach-
ten. Der DJV-Verbandstag forderte die Geschäftsleitung der Zeitungsgruppe WAZ auf, die
Geschäftsführer ihrer Titel in Bulgarien und Rumänien zu veranlassen, die gewerkschaftli-
chen Rechte ihrer Redakteure nicht länger zu behindern. Darüberhinaus teilte Michael
Klehm, Referent für Internationales des DJV mit, dem DJV-Landesverband NRW sei es
„bisher nicht gelungen, einen Termin mit Bodo Hombach zu vereinbaren, bei dem auch die
Situation in Rumänien angesprochen werden sollte. Er gehe aber davon aus, daß es den
Termin noch in diesem Jahr geben wird.
Der Streit zwischen zwischen „România Liber“, ihrem Generaldirektor Petr Mihai
Bacanu und der WAZ-Gruppe wurde zum Jahresende 2005 beigelegt. Neue Besitz-
verhältnisse sollten für Ruhe in Rumänien und für weitere gute Geschäfte der WAZ-Gruppe
sorgen141. So verkaufte der bisherige Generaldirektor und Chefredakteur Petr Mihai Bacanu
seine Anteile für drei Millionen Euro an den Unternehmer Dan Grigore Adamescu, der 50
Prozent der neu gegründeten Holding kontrolliert. Die anderen 50 Prozent verblieben bei
der WAZ, die sich nach einer Stellungnahme aus den publizistischen Fragen weitgehend
heraushalten will. „România liber“ soll ihre Position als „unabhängige Stimme“ behalten
und weiter festigen. In Rumänien besitzt die WAZ-Gruppe momentan zwei Zeitungen und
ist auch in anderen Ländern Südosteuropas (Bulgarien, Kroatien, Ungarn, Mazedonien)
verlegt die WAZ größere Tageszeitungen142. Augenscheinlich sei keine nationale Verlags-
branche im Ausland so erfolgreich tätig, wie die deutsche, meinte der Medien-forscher
Horst Röper, was insbesondere in Ost- und Mitteleuropa gelte, wo es Verlage im inländi-
schen Besitz kaum noch gebe.

10.2 Zeitungen, Zeitschriften und Nachrichtenagenturen

Die rumänische Printbranche steckte 2009 in der Krise. In diesem Jahr wurden nach Aus-
kunft der Journalistengewerkschaft rund 50 regionale und lokale Zeitungen geschlossen,
3000 bis 4000 Journalisten verloren ihre Stelle. Die Werbeeinnahmen gingen nach Schät-

141
In der linken „Jungen Welt“ hieß es dazu pointiert: „Hombachs Statthalter Klaus Overbeck verläßt Bukarest
Nach langen Auseinandersetzungen haben die Journalisten der rumänischen Zeitung Romania Libera jetzt ei-
nen Sieg über den WAZ-Konzern und dessen Geschäftsführer Bodo Hombach errungen. Hombachs Statthalter
Klaus Overbeck kehrt zurück nach Deutschland, die Struktur der Redaktion sowie die bisherige Linie der Zei-
tung bleiben unverändert...“ [Romalo, Manola: „Romania Libera“ redaktionell unabhängig. Hombachs Statt-
halter Klaus Overbeck verläßt Bukarest. In: junge Welt, 14.9.2004, Nr. 214, S. 7
[www.jungewelt.de/php?ref=/2004/12-24/006.php]; WAZ in Rumänien [www.labournet.de/branchen/medien-
it/waz/index.html].
142
Im Ausland erzielt die WAZ 43 Prozent des Umsatzes und vor allem Osteuropa stand und steht auf der Ein-
kaufsliste ganz weit oben. Insgesamt vertreibt der Konzern in Ost- und Südosteuropa 20 Tageszeitungen, zahl-
reiche Wochenzeitschriften und Monatspublikationen. In Ungarn ist die WAZ-Gruppe mit fünf regionalen Ta-
geszeitungen (Gesamtauflage 260.000) und dem landesweit vertriebenen Nachrichtenmagazin „hvg“ (Auflage
112.000) vertreten. In Rumänien besitzt die WAZ-Gruppe zwei Zeitungen und in Bulgarien soll der Verlag das
größte Verlagshaus mit drei landesweit erscheinenden Tageszeitungen sein. In Kroatien gibt die WAZ-Gruppe
mit „Jutarnji“ List die zweitgrößte Tageszeitung mit einer Auflage von ca. 120.000 Exemplaren heraus und in
Mazedonien erscheinen drei Titel mit einer täglichen Auflage von 120.000 Exemplaren.

176
zungen um bis zu 60 Prozent zurück. Zum Jahreswechsel stellten außerdem drei landeswei-
te rumänische Tageszeitungen ihre Druckausgabe ein: „Gardianul“, „Cotidianul“
[www.cotidianul.ro/] und „Ziua“ erscheinen mittlerweile nur noch online. Hohe Auflagen
erreichen nur noch die Boulevard-Blätter: unter den vier erfolgreichsten Zeitungen Rumä-
niens finden sich mit „Click“, „Libertatea“ und „Cancan“ gleich drei Boulevardzeitungen.
„Click“ ist erst seit wenigen Jahren auf dem Markt, womit sich auch der Auflagenrückgang
der einst erfolgreichsten Zeitung „Libertatea“ erklären lässt. Die drittplatzierte Zeitung
„Adevarul“ hatte zudem vor kurzem angekündigt, der Politik nur noch eine Seite zu wimen
und auch nur, falls diese Themen von „allgemeinem Interesse“ seien. Das Gleiche gilt für
die Gratiszeitung „Adevarul de Seara“ („Wahrheit am Abend“), die in den U-Bahn-
Stationen verteilt wird. Politik spielt dort außerhalb des Wahlkampfs keine Rolle mehr. Die
erfolgreichste Qualitätszeitung „Jurnalul Na@ional“ kommt dagegen nur auf eine Auflage
von rund 76.000 Stück. Selbst wenn man die unterschiedliche Bevölkerungsgröße Rumä-
niens herausrechnet, entspricht das nur etwas mehr als der Hälfte der Auflagen der „Süd-
deutschen Zeitung“ oder der „Frankurter Allgemeinen“ in Deutschland. Die beiden einge-
stellten Zeitungen „Ziua“ und „Cotidianul“ kamen bei der letzten veröffentlichten Erhe-
bung nur noch auf rund 18.000 bzw. 13.000 gedruckte Exemplare. Offizielle Zahlen für
Ende 2010 gibt es nicht, aber die Experten gehen davon aus, dass keine mehr über eine
Auflage von 10.000 Stück kam.
Maßgebend für den rumänischen Printbereich sind die in Bukarest herausgegebenen und
landesweit vertriebenen Zeitungen und Zeitschriften. Es gibt zwar auch zahlreiche Blätter,
die in den Kreishauptstädten veröffentlicht werden, doch ihre Auflagen reichen von einigen
Tausenden bis zu wenigen Zehntausend und decken allgemein nur den lokalen Informati-
onsbedarf. Die „Meinungsbildner“ sitzen in der Hauptstadt, die selbst keine nennenswerte
Lokalzeitung mehr besitzt, außer vielleicht die von „Ringier“ heraus-gegebenen Tageszei-
tung „Compact Bucureti“ [www.compact.info.ro]. Die Bukarest-Tageszeitung wurde 2006
als erste kostenlose Tageszeitung in Rumänien lanciert und erfreute sich gleich eines so
großen Erfolgs, dass die Auflage in kurzer Zeit von 150.000 auf über 160.000 Exemplare
vergrößert wurde (Druckauflage und verkaufte Auflage: 161.400). Die Nummer Eins in der
rumänischen Rangliste der Printpresse ist seit Jahren, wenn auch ihre verkaufte Auflage
etwas zurückgegangen ist, das Boulevardblatt „Libertatea“ [www.libertatea.ro], herausge-
geben vom Schweizer Verlagshaus „Ringier“. Während die anderen Tageszeitungen kaum
die Schwelle von 100.000 Stück pro Auflage überschreiten, liegt die Druckauflage von
„Libertatea“ bei 303.700 Stück und die verkaufte Auflage bei 234.100 Exemplaren. Wenn
„Libertatea“ der unangefochtene Marktführer ist, rühmt sich die Mediengruppe „Intact“ mit
der auflagenstärksten Qualitäts-Tageszeitung Rumäniens: „Jurnalul NaЮional“
(www.jurnalul.ro - Druckauflage: 92.100 Exemplare). Jahrelang gab es einen Kampf um
die Vormachtstellung zwischen „Jurnalul NaЮional“ und Ringiers „Evenimentul zilei“
(www.evz.ro - Druckauflage: 73.500, verkaufte Auflage: 52.800), doch seit 2007 scheint
die Tageszeitung der Mediengruppe „Intact“ voranzuliegen.
Die großen Umwälzungen im Bereich der Medien führten in den vergangenen Jahren zu
wichtigen Änderungen: „Adevrul“ [www.adevarul.ro] gehört zusammen mit „România
Liber“ zu den zwei wichtigen Tageszeitungen, die Wende und Privatisierungsprozess
erfolgreich überlebt haben. Bis 2005 war das links-liberale Blatt „Adevrul“ der absolute
Marktführer unter den Tageszeitungen. 2005 kam es aber zu einer Trennung zwischen der
damaligen rumänischen Eigentümerin und den Chefredakteuren, die zusammen mit einem
Großteil der Redaktion kündigten und die Zeitung „Gândul“ gründeten. Das führte auch zu
einer Teilung der Leserschaft. Im Juli 2006 wurde „Adevrul“ vom rechtsliberalen rumäni-

177
schen Geschäftsmann Dinu Patriciu übernommen, was die Kündigung der damaligen Di-
rektorin Corina Drgostescu und eines großen Teils der Redaktion nach sich zog. Ersetzt
wurde Drgostescu durch den ehemaligen Direktor der Boulevardzeitung „Libertatea“,
Adrian Halpert, der zurzeit Editorial Director des ganzen Konzerns Adevrul Holding ist.
Die im Juni 2005 neu gegründete Tageszeitung „Gândul“ [www.gandul.info] wurde zehn
Monate später vom „MediaPro“-Konzern übernommen. Der Direktor Cristian Tudor Po-
pescu, einer der ehemaligen Mehrheitsbeteiligten von „Gândul“, behielt zusammen mit
einem Großteil der Chefredaktion weiterhin die Führung, aber nicht für lange Zeit. Ab
November 2007 begannen sie der Reihe nach zu kündigen. Der Höhepunkt wurde Ende
Januar 2008 erreicht, als Cristian Tudor Popescu seine Stelle als Direktor der Zeitung kün-
digte und sich entschied, nur noch als Senior Editor bei „Gândul“ tätig zu sein. Die Aufla-
gen von „Gândul“ und „Adevrul“ liegen bei ähnlichen Werten, „Gândul“ freute sich aber
immer eines kleinen Vorsprungs („Gândul“: Druckauflage: 41.500, verkaufte Auflage:
31.500; „Adevrul“: Druckauflage: 41.900, verkaufte Auflage: 27.800).
Ende 2008 startete aber „Adevrul Holding“ einen Expansionsprozess und lancierte am
17. November die kostenlose Tageszeitung „Adevrul de Sear“, die täglich am Nachmittag
verteilt wird – eine Premiere in Rumänien. Die Startauflage liegt bei 250.000 Exemplaren.
Ziel war es, innerhalb kurzer Zeit eine Auflagenverdoppelung zu erlangen. Zurzeit wird
„Adevrul de Sear“ in Bukarest, Jassy, Cluj-Napoca, TimiЬoara, Oradea, Arad und Bacu
verteilt. Eine weitere wichtige Qualitätszeitung Rumäniens ist die bereits ausführlich er-
wähnte „România Liber“ [www.romanialibera.ro], die sich nach der Wende zu einer
rechtsorientierten Publikation entwickelte. Die Tageszeitung, die mit einer Druckauflage
von 67.400 Stück und einer verkauften Auflage von 54.500 Stück seit Jahren unter den
zehn Ersten rangiert, befindet sich zurzeit zu jeweils 50 Prozent in Besitz der deutschen
WAZ-Mediengruppe und des rumänischen Geschäftsmanns Dan Grigore Adamescu. Nen-
nenswert unter den Qualitätszeitungen sind auch die rechts-liberalen Blätter „Ziua“
[www.ziua.ro - Druckauflage 24.700, verkaufte Auflage 15.800] und „Cotidianul“
[www.cotidianul.ro - Druckauflage: 32.000, verkaufte Auflage: 22.400]. Im Mai 2006 wur-
de die ganze Mediengruppe „CaЮavencu“, zu der auch „Cotidianul“ gehörte, von der Me-
diengruppe „Realitatea“ übernommen. In den letzten zwei Jahren erlebte „Cotidianul“ einen
richtigen Aufschwung.
Die Landschaft der Sportzeitungen wird seit Jahren von den zwei großen Spielern „Ga-
zeta Sporturilor“ [www.gsp.ro] und „ProSport“ [www.prosport.ro] dominiert. Die zwei
Sportpublikationen gehören zu den oberen fünf der auflagenstärksten Zeitungen in Rumä-
nien. Die An- und Verkäufe der zwei Zeitungen unter den drei der vier größten Medienkon-
zerne in Rumänien („MediaPro“, „Ringier“, „Intact“) sind repräsentativ für Umwälzungen
auf dem rumänischen Medienmarkt. „Gazeta Sporturilor“ wurde im Jahre 2000 von „Rin-
gier“ an „Intact“ verkauft, wobei die Zeitung damals von keiner großen Wichtigkeit war.
Marktführer im Bereich Sport war die Zeitung „ProSport“ des „MediaPro“-Konzerns, die
im Februar 2003 von „Ringier“ übernommen wurde. Kurz darauf aber kündigte die Redak-
tion von „ProSport“ kollektiv und wechselte zu „Gazeta Sporturilor“. Und damit begann
der entscheidende Kampf um die Vormachtstellung. Im Laufe von eineinhalb Jahren
schaffte es „Gazeta Sporturilor“ nicht nur, ihren Rivalen einzuholen, sondern sogar knapp
zu überholen. Zurzeit liegen die Druckauflage der Sportzeitung von „Intact“ bei 132.200
und die verkaufte Auflage bei 101.400. Die Druckauflage von „ProSport“ beträgt 112.650,
die verkaufte Auflage 59.000. Der Kampf wird aber ganz sicher fortgesetzt, vor allem weil
„ProSport“ Ende November 2007 von „MediaPro“ zurückgekauft wurde.

178
Bis vor eineinhalb Jahren war die einzige wichtige Wirtschaftstageszeitung in Rumänien
„Ziarul Financiar“ [www.zf.ro], herausgegeben von „PubliMedia International“, der Ver-
triebsfirma von „MediaPro“. Die Zeitung befindet sich seit langer Zeit auf einem zwar nicht
spektakulären, aber konstanten Wachstumskurs. Druckauflage 21.800, verkaufte Auflage
18.700 Exemplare. Im Mai 2007 lancierte die Mediengruppe „Realitatea-CaЮavencu“ in
Partnerschaft mit der Verlagsgruppe „Handelsblatt“ das Konkurrenzprodukt „Business
Standard“ [www.standard.ro]. Die Startauflage der neuen Wirtschafts-tageszeitung liegt bei
rund 19.000 Exemplaren. Neben den zwei Publikationen der „PubliMedia International“
bzw. der Mediengruppe „Realitatea-Ca@avencu“ gibt es seit Januar 2008 auch eine Busi-
nesstageszeitung des Medienkonzerns „Intact“, die unter dem Namen „Financiarul“
[www.financiarul.com] lanciert wurde. Das führte zu einem kleinen Skandal, weil in Jassy
seit mehr als drei Jahren eine Publikation desselben Namens existiert [www.financiarul.ro].
Neben dem absoluten Marktführer „Libertatea“ sind in jüngster Zeit auch andere Boule-
vardzeitungen erschienen, die es aber nicht geschafft haben, die Vormachtstellung der Ta-
geszeitung von Ringier zu bedrohen oder deren Auflage zu beeinflussen. Einige davon
schafften es aber in ganz kurzer Zeit, sich unter den fünf auflagenstärksten Zeitungen in
Rumänien zu positionieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Zeitung „Averea“, die im März
2007 einen Relaunch unter dem neuen Titel „Click!“ [www.click.ro] erlebte. Einen Monat
später wurde auch das Boulevardblatt „Can-Can“ [www.cancan.ro] auf den Markt gebracht.
„Click!“ gehört zur Mediengruppe Adevrul Holding und entstand durch die Übernahme
der früheren Boulevardzeitung „Averea“. Zusammen mit dem ehemaligen redaktionellen
Team von „Libertatea“, das im Oktober 2006 „Ringier“ verließ, versucht der rumänische
Geschäftsmann Dinu Patriciu, der Besitzer der „Adevrul Holding“, eine neue erfolgreiche
Boulevardzeitung zu schaffen. Und tatsächlich befindet sich das neue Boulevardblatt
„Click!“, laut den offiziellen Auflagedaten (Druckauflage: 180.750 Exemplare, verkaufte
Auflage: 123.500 Exemplare), auf echtem Erfolgskurs. Gut sieht es auch im Falle von
„Can-Can“ aus. Die Boulevardzeitung verfügt über eine Druckauflage von 144.500 Exemp-
laren und eine verkaufte Auflage von 93.100 Exemplaren.
Allgemein ist die Wochenpresse in Rumänien einem Nischen-Publikum vorbehalten. Es
handelt sich dabei großteils um Zeitungen und Zeitschriften mit wirtschaftlichem oder
kulturellem Charakter, um Frauenmagazine und erfolgreiche „What’s up in town“-Hefte.
Im Kampf um die Vormachtstellung befinden sich wiederum die großen Medienkonzer-
ne143. Als gleichgestellte Konkurrenten im Bereich der Wirtschaftswochenzeitungen stehen

143
Der Medienkonzern „MediaPro“ ist auf dem Segment der Wirtschaftswochenzeitungen mit der Zeitschrift
„Business Magazin“ [www.businessmagazin.ro] vertreten und die Mediengruppe „Realitatea-Caìavencu“ mit
dem Wochenmagazin „Money Express“ [www.moneyexpress.ro], beide mit einer Auflage von rund 20.000
Exemplaren. Eine weitere nennenswerte Publikation mit ähnlicher Auflage ist die Wochenzeitschrift „Banii
noètri“. Kulturzeitungen wie „22“ [www.revista22.ro], „Dilema veche“ [www.dilemaveche.ro], „Observator
Cultural“ [www.observatorcultural.ro] oder „România literar“ [www.romlit.ro] erreichen leider nur ein be-
grenztes Publikum. Über die höchste Auflage in diesem Bereich verfügt „Dilema veche“ (Druckauflage:
12.850 Exemplare, verkaufte Auflage: 7.000 Exemplare). Anders sieht die Situation bei der satirischen Wo-
chenzeitschrift „Academia Caìavencu“ aus [www.catavencu.ro], deren Druckauflage bei 48.300 Exemplaren
und einer verkauften Auflage von 30.500 Exemplaren liegt. Im Bereich der Frauenmagazine positioniert sich
an der Spitze der Rangliste die von Ringier herausgegebene Wochenzeitschrift „Libertatea pentru Femei“, die
mit einer Druckauflage von 165.800 Exemplaren und einer verkauften Auflage von 120.900 Exemplaren im
Ranking der Frauenmagazine bis jetzt entscheidend führt. Anfang November 2008 lancierte aber Adevrul
Holding die Zeitschrift „Click! pentru femei“, mit einer Startauflage von 200.000 Exemplaren. Ob es die neue
Frauenzeitschrift von Adevrul Holding tatsächlich auch schaffen wird, „Libertatea pentru Femei“ zu überho-
len, ist noch offen. Populär sind auch die zweimonatigen Frauenzeitschriften wie „Lumea femeilor“ von Rin-

179
die Publikationen von „Ringier“ und „Intact“. Bis Ende 2007 war die vom Schweizer Ver-
lagshaus herausgegebene Wochenzeitung „Capital“ (www.capital.ro) das meistgelesene
Wirtschafts-Wochenprintmedium in Rumänien. Die Wochenpublikation von „Intact“,
„Sptamâna Financiar“ [www.sfin.ro], schaffte aber in der ersten Hälfte 2008 einen knap-
pen Vorsprung vor dem langjährigen Spitzenreiter „Capital“ (Druckauflage von 41.600
Exemplaren und verkaufte Auflage von 30.450 Exemplaren im Vergleich zu „Sptamâna
Financiar“: Druckauflage 51.400 Exemplare und verkaufte Auflage 36.100 Exemplare).
Eine von der großen Politik und Finanzwelt unabhängige Meinung erlaubt sich die Wo-
chenzeitschrift „Observator Cultural“. Als der Historiker Marius Oprea, Begründer und
Leiter des „Instituts zur Erforschung der Verbrechen des Kommunismus“, im Frühjahr
2010 trotz massiver Proteste aus dem In- und Ausland abgesetzt wurde – man warf ihm
zuviel Diensteifer und zuwenig Ergebenheit gegenüber Staatspräsident Traian Basescu vor
– brach die Nobelpreisträgerin Herta Müller im „Observator Cultural“ eine Lanze für den
verfemten Oprea. Dessen Absetzung sei ein „Sieg der alten Mächte“. Aber weder die Pro-
teste noch Müllers Unterstützungsbrief halfen etwas. Der Securitate-Jäger und Basescu-
Gegner Oprea wurde durch den Basescu loyal zur Seite stehenden Politologen Vladimir
Tismaneanu ersetzt. Der „Observator“ mit seinen intelligenten und kritischen Aufsätzen
und Kommentaren – der Untertitel der Zeitschrift lautet programmatisch „spiritul critic în
ac@iune“ („kritischer Geist in Aktion“) – ist insgesamt gesehen ein Lichtblick. Neben den
Fachmagazinen dominiert auch bei den Monatszeitschriften, ob in den international be-
kannten Hochglanzmagazinen und Markentiteln144 oder in den rumänischen Eigenprodukten
„Avantaje“, „Viva“, „Femeia“, „Casa Lux“, die allgemein von den rumänischen Zweigstel-
len internationaler Medienkonzerne herausgegeben werden145, das Modisch-Oberflächliche.
Erwähnenswert ist auch das einzige deutschsprachige Wirtschaftsmagazin in Rumänien
„Debizz“ [www.debizz.ro], das seit April 2003 monatlich in einer Auflage von 5.000 Ex-
emplaren herausgegeben und auch in Österreich, Deutschland und in der Schweiz vertrie-
ben wird. Die Gratis-Wochenhefte befinden sich in Rumänien auf vollem Erfolgskurs. Sie
bringen aktuelle Informationen über Kino, Musik, Theater, Sport, Ausstellungen, Clubbing,
Fitness, Pubs und Restaurants in der Stadt. „Ыapte seri“ [www.sapteseri.ro] und „24-Fun“
[www.24fun.ro] mit je 60.000 Exemplaren pro Ausgabe sind Marktführer in Bukarest. Die
größeren Städte im Land geben ähnlich gemachte Lokalblätter heraus. Nennenswert ist
auch die Zeitschrift „Time Out BucureЬti“ [www.timeoutbucuresti.ro], die zur bekannten
internationalen „Time Out“-Magazin-Reihe gehört. Im März 2007 wurde der „MediaPro“-
Konzern Mehrheitsbeteiligter von „Time Out BucureЬti“. Vor der Übernahme wurde die
Zeitschrift zweimal pro Monat herausgegeben, jetzt erscheint sie wöchentlich in einer Auf-

gier [www.lumeafemeilor.ro - Druckauflage: 69.150 Exemplare, verkaufte Auflage: 44.500 Exemplare], „Aca-
sa Magazin“ von „MediaPro“ [www.acasamagazin.ro - Druckauflage: 63.250 Exemplare, verkaufte Auflage:
38.800 Exemplare – Stand Juli-Dezember 2007], „Ioana“ von Burda [www.revistaioana.ro - Druckauflage:
85.450 Exemplare, verkaufte Auflage: 51.250 Exemplare] oder das zweimonatige Teenager-Magazin von
„Ringier“ „Bravo“ [www.bravonet.ro - Druckauflage: 61.200 Exemplare, verkaufte Auflage: 38.400 Exempla-
re]. [Medienlandschaft Rumänien – Printmedien, www.wieninternational.at/de/node/11625].
144
Zu diesen zählen u.a. „Elle“, „Cosmopolitan“, „Beau Monde“, „Burda“ oder die Männerzeitschriften „FHM“
und „Playboy“.
145
Diese werden herausgegeben von „Edipresse“ zusammen mit „Axel Springer“ [www.edipresse.ro], „Sanoma
Hearst“ [www.sanomahearst.ro] und „Burda“ [www.burda.ro]. Weitere Angebote in diesem Bereich kommen
auch von den großen Medienkonzernen in Rumänien wie z.B. „Unica“ oder „Bolero“ („Ringier“), „The One“
(„MediaPro“), „Tabu“ und „j’adore“ („Realitatea-Caìavencu“) oder Tango. Das kunterbunte Bild der Monats-
zeitschriften wird von Auto-, Science-, IT- und Computer-Magazinen sowie von diversen Quizheften vervoll-
ständigt.

180
lage von 25.000 Stück, davon werden 10.000 kostenlos verteilt, 5.000 verkauft und weitere
10.000 kostenlos an die Abonnenten von „Ziarul Financiar“ verschickt.
Fast alle Zeitungen und Zeitschriften in Rumänien verfügen auch über eine Internet-
Seite146. Die Anzahl der Rumänen, die Online-Varianten der Printmedien vorziehen, wächst
ständig. Daran sind aber auch, wie beschrieben, die wirtschaftlichen Verhältnisse schuld.
Viele Zeitungen, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten, wichen ins Internet aus.
Aber Online-Journalismus kann in Rumänien auch erfolgreich sein, wie die Nachrichten-
plattform „Hotnews“ beweist [www.hotnews.ro]. Die kritische Situation der landesweiten
Medien betrifft auch die Lokalzeitungen. Diese gehören vor allem ausländischen Medien-
unternehmern, die rein wirtschaftliche Interessen haben. Die meisten stellten bereits im Juli
und August 2009 ihre gedruckten Ausgaben ein. Für 2010 rechnete die rumänische Journa-
listengewerkschaft „Mediasind“ mit dem Aus von bis zu 50 weiteren Zeitungen. Gewerk-
schaftschef Cristi Godinac forderte daher finanzielle Unterstützung von der Regierung. Die
Medienindustrie werde in Rumänien versteuert wie jede andere Branche auch, was Godinac
für überzogen hält. Solange auf die rumänischen Journalisten politischer Druck, wirtschaft-
licher Druck und der Druck durch die Eigentümer ausgeübt werde, könne man nicht von
einer freien Presse sprechen. Besonders betroffen von diesem Druck sind laut Godinac die
lokalen Medien. Das betrifft auch „Artpress“ in Targoviste, einer 90.000-Einwohner-Stadt,
eine Autostunde von Bukarest entfernt. Das Unternehmen betreibt einen regionalen Fern-
seh- und Radiosender und eine Zeitung mit eigener Druckerei. Auch dort waren die Werbe-
einnahmen um die Hälfte eingebrochen. Die Lokalverwaltung erhöhte außerdem die Steu-
ern für die Zeitungskioske des Unternehmens um das Hundertfache – was aber vom Gericht
für illegal erklärt wurde. Dazu kommt, dass die Politik den Journalisten die Arbeit er-
schwert. Die Journalisten von „Artpress“ wurden zum Beispiel nicht zu Pressekonferenzen
eingeladen. Erst durch ein Gerichtsurteil kam „Artpress“ an Dokumente der lokalen Ver-
waltung, die erhebliche Geldströme zu den Privatfirmen von Leuten aus dem Umfeld des
lokalen Verwaltungschefs zeigen. Lokalpolitiker der regierenden Liberaldemokraten (Parti-
dul Democrat Liberal - PDL) ließen sich mehr als einmal abfällig über „Artpress“-
Journalisten aus.
Wenn die Landschaft der Zeitungen, TV- und Radiosender in Rumänien auf den ersten
Blick breit und bunt ist, sieht es im Falle der Nachrichtenagenturen ein wenig anders aus.
Die 1991 gegründete „Mediafax“ ist der absolute Marktführer. Im Juli 2006 gründete die
Mediengruppe Realitatea-CaЮavencu ihre eigene Nachrichtenagentur, „NewsIn“, die schnell
zu einem Konkurrenten für „Mediafax“ heranwuchs. Die öffentlich-rechtliche rumänische
Nachrichtenagentur „Rompres“ [www.agerpres.ro/media/index.php] wurde ursprünglich

146
Durch SATI, den neuen Dienst des Rumänischen Büros zur Ermittlung von Auflagezahlen (BRAT –
www.brat.ro), werden monatlich auch Daten zur Internet-Nutzung ermittelt. Die Daten sind kostenlos un-
ter www.sati.ro abrufbar und liefern Informationen über die Anzahl der Aufrufe, Besuche sowie die Anzahl
der Einzelkunden. In der Rangliste der meistbesuchten Medien-Webseiten nach der Anzahl der Einzelkunden
Clients (Stand Oktober 2008) befinden sich: protv.ro (Webseite des Fernsehsenders ProTV), sport.ro (Websei-
te des Sport-Fernsehsenders sport.ro), gsp.ro (Webseite der Sport-Tageszeitung „Gazeta Sporturilor“),
prosport.ro (Webseite der Sport-Tageszeitung „ProSport“), libertatea.ro (Webseite der Boulevardzeitung „Li-
bertatea“), realitatea.ro (Webseite des Fernsehsenders Realitatea), evz.ro (Webseite der Tageszeitung „Eveni-
mentul zilei“), gandul.info (Webseite der Tageszeitung „Gândul“), zf.ro (Webseite der Wirtschafts-
Tageszeitung „Ziarul Financiar“) und adevarul.ro (Webseite der Tageszeitung „Adevrul“). Besonders beliebt
sind aber auch Web-Seiten, die neben den eigenen Berichten auch eine Auswahl der Artikel aus den wichtigs-
ten rumänischen Zeitungen bringen, wie z.B. acasa.ro, rol.ro, 9am.ro, hotnews.ro, wall-street.ro (Wirtschaftsin-
formationen), ziare.com, onlinesport.ro und sportulromanesc.ro (beide Sport-Webseiten), roon.ro usw.

181
unter dem Namen „Agerpress“ gegründet (Agen@ia Român de Pres), änderte aber ihren
Namen nach 1989 zu „Rompres”, um damit die enge Verwandtschaft Rumäniens mit
Frankreich zu unterstreichen, als Äquivalent zu „Agence France-Presse”. 2008 änderte die
Agentur wieder zurück in „Agerpress”, wobei ihre Webseite auch noch über den alten Na-
men zu erreichen ist. Als Konkurrenz zum Monopolisten „Rompres” bzw. „Agerpresse”
enstand 1991 die andere große nationale rumänische Nachrichtenagentur „Mediafax“, die
ihren Sitz wie die „Agerpress“ in Bukarest hat. Sie ist heute Teil der „MediaPro Group“
von Adrian Sârbu. Mit ihrem Nachrichtenangebot deckt sie 90 Prozent des Bedarfs der
rumänischen Printmedien und 70 Prozent der nationalen Fernseh- und Rundfunkstationen.
Der Wirtschaftsnachrichtendienst „Mediafax Business Information“ umfasst Wirtschaftsda-
ten wie Kurs-, Statistik- und Unternehmensdaten.
Die ersten Nachrichten, die „Medifax“ 1991, damals mit einem Stab von zwölf Journa-
listen, verbreitete, waren noch maschinengeschrieben und wurden an die Redaktionen der
großen Zeitungen verschickt. Später ersetzten stündliche Meldungen, die per Fax übertra-
gen wurden, diese archaische Methode. Im Februar 1994 wurde die Agentur in eine Akti-
engesellschaft verwandelt und der Redaktionsstab auf 100 Journalisten aufgestockt. Das
erste Produkt, das „Mediafax“ anbot, war ein Paket mit Wirtschafts-informationen, zu dem
später auch ein Photodienst kam, um rumänische und ausländische Presseaufnahmen zu
vertreiben. „Mediafax“ ist exklusiver Vertreiber des Photodienstes der „Agence France
Press“. 1997 bot die Agentur ihre Dienste ab sofort auch online und in Echtzeit an, worin
Zugang zu allen Nachrichten, Photos und zum Nachrichtenarchiv eingeschlossen war.
„Mediafax“ war die erste Agentur auf dem rumänischen Markt, die Unternehmen und PR-
Agenturen Nachrichten aus den verschiedensten Bereichen (Bauwirtschaft, Energie, Tou-
rismus, Landwirtschaft u.a.) professionelles „Media Monitoring“ anbot. Vor 1998 waren
die Unternehmen auf ihre eigenen Ressourcen angewiesen. Als 2003 auch der Dienst „Me-
diafax Mobility“ für Mobiltelefon-Anbieter in Rumänien hinzukam, war der Weg geebnet,
der „Mediafax“ heute rund 4,5 Millionen Euro Gewinn einträgt, bei 350 festen und 150
freien Mitarbeitern und mehr als 1.700 Geschäftskunden. „Mediafax“ sendet täglich rund
500 Nachrichten. Da die Agentur einer der Pioniere auf dem rumänischen Medienmarkt
nach 1989 war, konnten sich viele frühere Mitarbeiter später ihre Stellen in den Redaktio-
nen der großen Tageszeitungen und in den Presseämtern der Ministerien aussuchen.

10.3 Rundfunk und Fernsehen in Rumänien

Die ersten Fernsehübertragungen der rumänischen Fernsehgesellschaft „Televiziunea


Româna“ [www.tvr.ro] fanden 1956 statt. 1972 wurde ein zweiter Kanal ins Leben gerufen,
der anfänglich nur in der Region Bukarest sendete. Nach 1994 fanden eine Reihe von Neu-
organisierungen und eine wichtige Erweiterung des öffentlich-rechtlichen TV-Senders statt.
Zurzeit hat das öffentliche Fernsehen fünf Sender, die über Kabel oder Antenne landesweit
empfangen werden können („TVR 1“, „TVR 2“, „TVR International“, „TVR Cultural“ und
seit Oktober 2008 auch „TVR 3“) sowie fünf regionale Sender (in IaЬi, Cluj, TimiЬoara,
Craiova und Târgu MureЬ). Die Geschäftsführung der rumänischen Fernseh-gesellschaft
gab bekannt, in kürzester Zeit solle ein sechster Sender lanciert werden, und zwar der Ni-
schensender „TVR Info“. Bis ungefähr 2006 Jahren war „TVR 1“ landesweit der wichtigste
Fernsehsender, auch wenn die privaten kommerziellen Sender auf Stadtebene mittlerweile
den Kampf um die Einschaltquoten gewonnen hatten. 2007 war der Hauptsender der rumä-

182
nischen Fernsehgesellschaft mit einem Marktanteil von rund 10,3 Prozent landesweit auf
Platz zwei abgerutscht und auf Stadtebene schaffte er es mit einem Marktanteil von rund
7,1 Prozent nur noch auf Platz vier. Anfang 2008 erlebte „TVR 1“ einen noch dramatische-
ren Absturz. Mit einem Marktanteil von rund fünf Prozent besetzte der Hauptsender der
Rumänischen Fernsehgesellschaft durchschnittlich nur noch Platz vier auf Landesebene und
Platz fünf auf Stadtebene. Einen Aufschwung erlebte „TVR 1“ im Juni 2008, als sich dank
der Exklusivrechte für die Übertragung der EURO 2008 die Einschaltquote von „TVR 1“
verdoppelte, was den Hauptsender der rumänischen Fernsehgesellschaft sowohl auf Lan-
des- als auch auf Stadtebene auf Platz zwei brachte. Im Juli rutschte er dann aber auf die
sechste Position ab147.
Die privaten Fernsehsender kamen erst nach 1990 auf den Markt. Als absoluter Markt-
führer sowohl auf Landes- als auch auf Stadtebene hat sich der Fernsehsender „ProTV“
[www.protv.ro] mit einem Marktanteil von 12 bis 12,5 Prozent auf nationaler Ebene bzw.
rund 13,5 bis 14 Prozent auf Stadtebene (Stand: Januar-Juli 2008) durchgesetzt. Er ist der
unbestrittene Favorit des Publikums im Alter von 18 bis 49 Jahren. „ProTV“ gehört zum
Medienkonzern „MediaPro“, der Eigentümer ist aber, wie auch im Falle der anderen Fern-
sehsender des Konzerns („Acasa TV“, „Pro Cinema“, „Pro TV International“, „Sport.ro“
und „MTV Romania“) „Central European Media Enterprise“ (CME), der dadurch zum
Minderheitsbeteiligten von „MediaPro“ wurde. Adrian Sârbu, der Eigentümer von „Medi-
aPro“ und Gründer von „ProTV“, ist aber weiterhin in der Führung der fünf Fernsehsender
und wurde sogar zum Operational Director der ganzen amerikanischen TV-Gruppe „CME“
ernannt. Der zweite Hauptspieler auf dem rumänischen Fernsehmarkt ist „Antena 1“
[www.antena1.ro]. Dieser Fernsehsender der Mediengruppe „Intact“ hat sich mit einem
Marktanteil von 8 bis 9 Prozent landesweit und 9 bis 9,5 Prozent auf städtischer Ebene
(Stand: Januar-Juli 2008) als zweiter Favorit des urbanen Publikums behauptet. 2007 be-
fand sich „Antena 1“ landesweit auf Platz drei, knapp hinter „TVR 1“. Anfang des Jahres
2008 schaffte es aber der Fernsehsender von „Intact“, sowohl auf Landes- als auch auf
Stadtebene „TVR 1“ weit zu überholen. Bemerkenswert ist die Entwicklung des kleineren
Senders des MediaPro-Konzerns „Acas TV“ [www.acasatv.ro], der sich vor allem mit
Unterhaltungsserien sowie einheimischen und südamerikanischen Seifenopern 2008 die
dritte Position sicherte und im Mai des selben Jahres sogar den zweiten Platz landes- und
stadtweit ergatterte und dadurch „Antena 1“ überholte. Auch der Nachrichtensender „Reali-
tatea TV“ [www.realitatea.net] schaffte es 2008 weiterhin seine Position als Nischensender
mit durchschnittlich 4 bis 4,5 Prozent Marktanteil zu festigen. „Realitatea“ befindet sich
durchschnittlich auf Platz sechs in der Rangliste der rumänischen Fernsehsender. Weitere
auf Nachrichten spezialisierte Sender sind „Antena 3“ und „National 24“, die aber noch
relativ wenige Zuschauer haben. Einen kleinen Aufschwung verzeichneten die Sender
„Prima TV“ [www.primatv.ro] und „Kanal D“ [www.kanald.ro]. Für die größte Überra-
schung auf dem rumänischen Fernsehmarkt sorgte jüngst der Sender „OTV“
[www.oglindatelevision.ro], der oft als „Appartement-Fernsehen“ bezeichnet wird, weil das
komplette Studio in einem Appartement untergebracht ist. Es handelt sich dabei um einen
Tabloid-Fernsehsender, dessen erfolgreichste Sendung eine einstündige Talkshow ist, die
sich meist um Skandal-Themen dreht, und von Dan Diaconescu, dem Besitzer des Senders,

147
Die Gesellschaft wird gemäß Regierungsverordnung 978/2003 über eine Gebühr von 4 Rumän. Lei/1,12 Euro
(Privatpersonen) bzw. 7,7 Lei/2,15 Euro/Zimmer (Hotels und andere Tourismus-Einrichtungen) und 50 Lei/14
Euro (Firmen) mit einer Gebühr (TV-Abonnement) finanziert. Das Abonnement wird jedem Haushalt automa-
tisch mit der monatlichen Stromrechnung abgezogen.

183
moderiert wird. Der Sender konnte sich damit unter den ersten sieben Fernsehsendern Ru-
mäniens positionieren148.
Mit 11,6 Millionen Hörern landesweit ist das Radio das beliebteste Medium in Rumä-
nien. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk „Societatea Român de Radiodifuziune“
[www.srr.ro] geht auf das Jahr 1928, als es offiziell gegründet wurde, zurück und ist lan-
desweit der meist-gehörte Sender (über 40 Prozent Marktanteil)149. Er sendet auf allen Wel-
lenlängen und verfügt über mehrere programmlich verschiedene Sender: „România Actua-
litЮi“ (2,542 Millionen Hörer landesweit – Stand Januar-April 2008), „România Cultural“,
„România Muzical“, „România InternaЮional“, den Internetsender „Radio3Net“ und weitere
regionale Sender. Die Liste der privaten Radiostationen in Rumänien, die erst nach 1990
erschienen, ist von beachtlicher Länge150. Zahlreiche FM-Sender sind sowohl in Bukarest
als auch in den meisten Städten des Landes zu hören. Die Vormachtstellung in diesem
Bereich halten schon seit Jahren der Medienkonzern „Lagardere“, dem „Radio 21“ und
„Europa FM“ gehören, und „SBS Broadcasting“ (ProSiebenSat.1 Media), der Eigentümer
von „Kiss FM“ und „Magic FM“ ist. Um die ersten fünf Positionen der Rangliste der Ra-
diosender mit den größten Einschaltquoten ringen hauptsächlich „Radio România Actua-
litЮi“ [http://actualitati.srr.ro], „Europa FM“ [www.europafm.ro], „Kiss FM“
[www.mykiss.ro], „Radio 21“ [www.radio21.ro] und „ProFM“ [www.profm.ro], der Ra-
diosender des „MediaPro“-Konzerns. Der beliebteste Sender auf nationaler Ebene ist (Stand
Januar-April 2008) „Radio România ActualitЮi“ mit 2,54 Millionen Hörern pro Tag151 und
einem Marktanteil von 13,3 Prozent, gefolgt von „Europa FM“ (2,08 Millionen Hörer,
Marktanteil 10,9 Prozent), „Kiss FM“ (2,07 Millionen Hörer, Marktanteil 10,8 Prozent),
„Radio 21“ (1,91 Millionen Hörer, Marktanteil 10 Prozent) und „Pro FM“ (1,07 Millionen
Hörer, 6,6 Prozent Marktanteil). An der Spitze in den Stadtgebieten rangiert „Europa FM“.
„Kiss FM“ nimmt den zweiten Platz ein, „Radio România ActualitЮi“ den dritten und „Ra-
dio 21“ und „Pro FM“ den vierten bzw. fünften Platz. Die Situation ändert sich immer
wieder ein wenig im Falle der Hörerschaft in der Hauptstadt Bukarest, wo „Radio 21“ mit
fast 410.500 Hörern pro Tag die Führung behauptet und vor „Radio România ActualitЮi“
(245.000 Hörer), „Kiss FM“ (210.500 Hörer), „Europa“ (130.600 Hörer) und „Radio Ro-
mantic“ (126.000 Hörer) (Stand Mai-August 2008) liegt. „Radio Romantic“ sendet seit
September 2008 nur noch in Bukarest. Die landesweiten „Radio Romantic“-Stationen so-
wie „News FM“, die beide dem Intact-Medienkonzern gehören, wurden zu „Radio ZU“.
Beliebt sind in Bukarest auch „Radio Guerrilla“ [www.radioguerrilla.ro], „Radio Total“,
das 2008 in „Gold FM“ umgetauft wurde [www.radiogoldfm.ro], „Magic FM“

148
Die Fernseh-Einschaltquoten in Rumänien wurden zwischen 2005 und 2007 von „TNS AGB International“ im
Auftrag des Rumänischen Vereins für die Messung der Einschaltquoten (ARMA – www.arma.org.ro) gemes-
sen. Ab 2008 bis 2011 werden sie von GFK Romania im Auftrag desselben Vereins ermittelt.
149
Die Gesellschaft wird gemäß Regierungsverordnung 977/2003 über eine Rundfunkgebühr von 2,5 Rumän.
Lei/0,70 EUR (Privatpersonen) und 30 Lei/8,5 EUR (Firmen) finanziert. Dieses so genannte Radio-
Abonnement wird jedem Haushalt monatlich mit der Stromrechnung abgezogen.
150
Siehe z.B.: www.listenlive.eu/romania.html.
151
Was die Messung der Radioeinschaltquoten anbelangt, werden diese Studien 2008-2011 von IMAS und Mer-
cury Research im Auftrag des so genannten Vereins für die Radio-Einschaltquoten (ARA) durchgeführt. Bis
Ende 2007 wurden die Analysen zweimal im Jahr – April-Mai bzw. September-Oktober – durchgeführt, ab
2008 sollen aber die Daten dreimal im Jahr ermittelt werden, für die Zeitspannen: Jänner-April (Einschaltquo-
ten auf Landes-, Stadt- und Bukarestebene), Mai-August und September-Dezember (Einschaltquoten nur auf
Stadt- und Bukarestebene). Die Daten können kostenlos unter www.audienta-radio.ro heruntergeladen werden.

184
[www.magicfm.ro] und andere. Das lokale Radio Temeswar/Timioara sendet täglich zwei
Programmstunden in deutscher Sprache152.

10.4 Deutsche Zeitungen in Rumänien

Die „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“ und die ungarische Zeitung „Uj Magyar
Szö“ [www.maszol.ro] knüpfen, mit veränderten Namen und einem den Zeiten entspre-
chenden Äußeren, an die Blätter der kommunistischen Epoche an, als die Minderheiten
über eine Presse in der eigenen Sprache verfügen durften. Sie wenden sich an die in Rumä-
nien lebene deutsche bzw. ungarische Volksgruppe, wobei die „Allgemeine Deutsche Zei-
tung“ [www.adz.ro] sich zusätzlich vorgenommen hat, Interessantes für alle zu bieten, die
Deutsch sprechen oder lernen. Hintergrund ist schlicht der langsame Verlust der ange-
stammten Leserschaft. Für das zweite wichtige Organ der deutschen Volksgruppe, die
„Hermannstädter Zeitung“, wie für alle deutschsprachigen Publikationen war der 26. De-
zember 1989 ein Schicksalstag. Damals war Hermannstadt (rumänisch: Sibiu) wie viele
andere rumänische Städte nach der Niederschlagung des Kommunismus in Aufruhr. Man
hätte Zeitung gemacht unter dem Kugelhagel, erinnert sich die Chefredakteurin der Zei-
tung, Beatrice Ungar. Auf dem großen Platz im Zentrum hatten tagelang Tausende von
Menschen gegen den stürzenden Diktator Nicolae Ceauescu demonstriert, und aus den
malerischen Dachluken der alten Häuser hatten Geheimdienstagenten in die Menge ge-
schossen. Es gab Tote und Verletzte, aber die Revolution war nicht aufzuhalten. Am 26.
Dezember erschien die „Hermannstädter Zeitung“, die Stimme der deutschen Minderheit in
Siebenbürgen, mit einer vierseitigen Notausgabe. „Die Bevölkerung unseres Kreises be-
grüßt den Tag, an dem Rumänien seine Freiheit und Würde errang“, lautete die Schlagzeile.
Der Stil war der alte, doch der Ton klang neu. In einer Mitteilung der Redaktion hieß es,
dass auch die Redaktion der „Hermannstädter Zeitung“ mit der Vergangenheit gebrochen
hätte. Und für das, was bisher im Blatt gestanden hatte, bat man die Leser um Entschuldi-
gung.
Für die „Hermannstädter Zeitung“ aber barg der Umschwung nicht nur Hoffnungen. Im
rauhen Wind der sich liberalisierenden Marktwirtschaft hatten sie wie ihre Pendants schwer
zu kämpfen. Mehr als zwei Dutzend Presseorgane und Rundfunkstationen bekamen das zu
spüren, die in Mittelost- und Osteuropa seit Jahrzehnten, bisweilen auch länger als ein
Jahrhundert die dort lebenden deutschen Volksgruppen bedienten. Die „Moskauer Deutsche
Zeitung“ etwa wurde 1870 gegründet. In Budapest erschien seit 1854 der „Pester Lloyd“,
der 1945 verschwand und 1994 wiederbelebt wurde. Die Deutschen in Kasachstan haben
ihre „Deutsche Allgemeine Zeitung“, in Polen erscheint das „Schlesische Wochenblatt“,
und die „Deutsche Stimme aus Ratibor“ ist dort im Radio zu hören. Tschechiens deutsche
Minderheit liest die „Landeszeitung“, und in Rumänien bietet außer dem Wochenblatt
„Hermannstädter Zeitung“, das Freitags erscheint, auch die täglich erscheinende „Allge-

152
Von 13 bis 14 Uhr auf 630 kHz für Westrumänien und von 19 bis 20 Uhr auf 105,9 MHz für den Großraum
Temeswar und über den Satelliten Thor III. Die Abendsendung kann jetzt zu jeder Zeit nachgehört werden un-
ter www.montanbanat.de. Hörer aus dem Ausland haben die Möglichkeit, jeden zweiten Sonntag um 12 Uhr
(MEZ) die Programmstunde in deutscher Sprache durch Mitteilungen oder Grüße mitzugestalten.

185
meine Deutsche Zeitung“ (ADZ)153 Neuigkeiten in deutscher Sprache an. Darüberhinaus
gibt es den „Schäßburger Gemeindebrief“ der evangelischen Kirchen-gemeinde Schäßburg
(Sigioara), der allerdings nur vierteljährlich erscheint. Die „Karpatenrundschau“ und die
„Banater Zeitung“ sind Beilagen der „Allgemeinen Deutschen Zeitung“. Die „ADZ“ und
die Hermannstädter Zeitung“ waren Nachkriegs-gründungen in kommunistischer Zeit, die
der deutschen Minderheit, neben den Siebenbürger Sachsen auch den Banater Schwaben
und anderen Gruppen, die Parteilinie nahebringen sollten. Seitenlang hatten sie deshalb die
Reden des ‚großen Conductors‘ Ceauescu zu drucken. Der Umsturz von 1989 setzte die
beiden Zeitungen dem Markt aus, auf dem sie ohne Subventionen kaum bestehen konnten.
Zwei weitere deutsche Wochenblätter in Temeswar (Timioara) und Kronstadt (Braov)
leben nur noch als Beilagen in der „Allgemeinen Deutschen Zeitung“ weiter, in Hermann-
stadt (Sibiu) hingegen behauptete die Redaktion ihre Eigenständigkeit, um den Preis der
ständigen Sorge um den Fortbestand.
Er ist bisher nur dadurch gesichert, dass die rumänische Regierung die 19 Minderheiten
im Land aktiv fördert, so auch das 1989 gegründete „Demokratische Forum der Deutschen
in Rumänien“. Ein Teil der dort eingehenden Zuschüsse wird an die beiden deutschen Blät-
ter weitergereicht. Ohne diese Hilfe der Regierung könnten die deutschen Zeitungen nicht
existieren. Die Hermannstädter Zeitung bestreitet damit die Hälfte ihres Etats, der Rest
kommt aus dem Bar- und Abonnementverkauf, aus Anzeigenerlösen und Spenden. Die
Lage der deutschen Publikationen ist alles andere als rosig. Ausgaben für Werbung wurden
in der Wirtschafts- und Finanzkrise überall zuerst gekürzt, außerdem hat das Blatt Inseren-
ten nur eine sehr kleine Zielgruppe zu bieten. Die Auflage der Hermannstädter Zeitung, die
zu besten Zeiten um 1980 bei 80.000 Stück lag, ist auf rund 2.000 abgestürzt, zeitweise lag
sie nur noch um die 1.500. Der wichtigste Grund dafür ist der Exodus der Siebenbürger
Sachsen, der schon zu Ceauescus Zeiten begann. 1989 lebten noch rund 250.000 Deutsche
in Transsylvanien, von denen gut die Hälfte nach Deutschland auswanderte, um dem wirt-
schaftlichen Elend zu entkommen. Heute leben in Siebenbürgen nur noch rund 16.000
Deutsche. Allerdings lernen an den deutschen Schulen junge Rumänen in großer Zahl
Deutsch. Rechnet man die Vertreter deutscher oder österreichischer Firmen und die Touris-
ten hinzu, so kommt man auf 30.000 deutsch-sprechende potentielle Leser. Doch nur rund
tausend Exemplare können an diesen Kreis verkauft werden, die restlichen tausend gehen
an Abonnenten in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg, Belgien und Ungarn.
Diesen Lesern bieten die fünf Redakteure, unter ihnen zwei junge Rumänen, auf acht Seiten
Lokal- und Regional-nachrichten aus Politik, Kultur und Gesellschaft ebenso wie Berichte
und Kommentare zur rumänischen Innenpolitik. Veranstaltungskalender, Kreuzworträsel
und eine „Junior-Ecke“ komplettieren ein Blatt, das im Erscheinungsbild trotz einer Auffri-
schung des Layouts auf Westeuropäer nicht gerade modern wirkt. Auch die Redaktions-
räume in der historischen Innenstadt von Hermannstadt, deren abgetretene Holzböden mit
Teppichen belegt sind, haben noch etwas sympathisch Altmodisches an sich, wenngleich
auch hier Computer Einzug hielten154. Kann die „Hermannstädter Zeitung“, können die

153
Die „ADZ“ wurde von Redakteuren des „Neuen Weg“ (1949-1992) im Jahr 1992 aus der Taufe gehoben. Das
Vorgängerblatt wurde inhaltlich und konzeptionell komplett umgestaltet und wendet sich heute als Tages-
zeitung überwiegend an die deutschsprachige Minderheit in Rumänien.
154
Bei der Steuerung des Übergangs hilft das „Institut für Auslandsbeziehungen“ (IfA) in Stuttgart, das haupt-
sächlich vom Bundesaußenministerium finanziert wird und ähnlich wie das Goethe-Institut den kulturellen und
gesellschaftlichen Austausch pflegt. Anna Dmitrienko, die zuständige Medien-Koordinatorin, betrachtet dabei
die deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa als „kulturelle Botschafter“ und Brückenbauer. Das Insti-

186
anderen Blätter überleben, wenn die Zahl der Leser fortgesetzt schwindet? Zugleich steigen
die Kosten, und die staatlichen Zuschüsse fließen nicht unbegrenzt. In Ungarn hat jüngst
der „Pester Lloyd“ sein Erscheinen als Printprodukt vorerst eingestellt, es gibt ihn nur noch
online zu lesen. Und über die Chancen der „Hermannstädter Zeitung“ erlaubte sich die
Chefredakteurin Beatrice Ungar keine Prognose. Man bleibe jedoch optimistisch, immerhin
habe man 1989 den Kugelhagel überstanden. Und schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts
wäre alles eigentlich am Ende gewesen. Damals hatte man Angst vor der Magyarisierung,
der kulturellen Überwältigung, als Siebenbürgen zu Ungarn kam – und trotzdem ging es
weiter. Doch Ende Juli 2008 musste die „ADZ“ ihr Erscheinen vorübergehend einstellen,
aus finanziellen und personellen Gründen, wie es hieß155.

tut hilft den Redaktionen, indem es beispielsweise gemeinsame Konferenzen in Berlin organisiert. Es gibt Geld
für konkrete Projekte, außerdem entsendet das Stuttgarter Institut deutsche Fachleute in die Redaktionen, um
beim Strukturwandel zu helfen. So hospitierte bei der Hermannstädter Zeitung von 2004 bis 2006 die Medien-
wirtin und Redakteurin Anna Galon aus Nordrhein-Westfalen, die danach eine Diplomarbeit über das Blatt
schrieb. Das Werk ist in Hermannstadt als Buch erschienen, womit die Geschichte dieses einzigartigen Organs
also gesichert ist.
155
Auf der Webseite der „Heimatzeitung der Sathmarer Schwaben“ wurde aus der Erklärung der „ADZ“ zitiert:
„Die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ) stellt ihr Erscheinen zum 31. Juli ein, um im Herbst
reformiert wieder zu erscheinen. Diese Entscheidung ist laut ADZ-Redaktion finanziell und personell begrün-
det. Die Druck- sowie die laufenden Kosten seien „in den vergangenen Monaten so sehr gestiegen, dass es
nicht mehr tragbar ist, eine so teure Zeitung zu drucken, die zudem wegen des schlechten Vertriebs viele Inte-
ressenten gar nicht erreicht“. Die ADZ-Leser wurden „in eigener Sache“ darüber informiert, dass die Tageszei-
tung Ende Juli vorübergehend eingestellt wird. Es soll nun ein neues Konzept erarbeitet werden, um die Zei-
tung im Herbst erneut auf den Markt zu bringen: „Wir planen eine Zeitung, in der es so wie bisher Berichte,
Beiträge und Informationen aus allen Landesteilen geben wird, in denen Deutsche leben. Über das tagespoliti-
sche Geschehen wollen wir Sie auch weiterhin informieren“, heißt es in der Mitteilung.“

187
11. Die Medien in der Republik Moldau

Die Medien in der Republik Moldau (Republica Molodova) bzw. in Moldawien156 und erst
recht im abgespaltenen Transnistrien157 haben bis heute mit ganz anders gelagerten Proble-
men zu kämpfen. Die Proteste des Jahres 2009 zwangen den kommunistischen Präsidenten
Vladimir Voronin schließlich zum Rücktritt und die antikommunistische Vier-Parteien-
Koalition „Allianz für die Europäische Integration“ übernahm die Regierung. Damit ver-
stärkte sich nicht nur die Hoffnung auf eine Vereinigung mit Rumänien, auch die Medien
hofften, nun aufatmen zu können. Denn unter Voronin war die Presse eher auf Linientreue
und Polemik gegen den rumänischen und Solidarität mit dem russischen Nachbarn einge-
schworen worden. Kritik wurde ungern gelesen und gehört. Die Journalistin Alina Anghel
setzte sich darüber hinweg und wurde nach Drohanrufen tätlich angegriffen. Ihr Vergehen
war, dass sie im Januar 2003 für die moldauisch-rumänische Zeitung „Timpul“ („Die Zeit“)
den Leitartikel „Luxus im Land der Armut“ verfasst hatte. Darin war die Rede von 40 Li-
mousinen, die Präsident Vladimir Voronin ausgewählten Partei-funktionären geschenkt
hatte. Dafür verwendete Voronin Staatsgelder, die eigentlich für Renten, Schulen und das
Gesundheitswesen bestimmt waren. Offiziell verkündete seine Regierung die kommunisti-
sche Parole von der Gleichheit, während sie den bitterarmen Bürgern in die Tasche griff.
Das Durchschnittseinkommen in der Republik Moldau betrug damals gerade einmal 40
Euro im Monat. Dabei war die Republik Moldau einst ein vergleichsweise reiches Land
innerhalb der Sowjetunion. Doch nach der Unabhängigkeit, die 1991 verkündet wurde,
verlor das Land rund ein Drittel seiner Industrie. Haupthandelspartner blieb Russland,
schon weil moldawische Produkte die hohen EU-Zollgrenzen bisher nicht passieren konn-
ten. Umso größer war die Hoffnung, früher oder später in die EU aufgenommen zu werden,
was viele als Gewinn nicht für die Wirtschaft betrachteten, sondern auch für die politische

156
Das Problem liegt in der Überschneidung mit der Bezeichnung des tschechischen Flusses. Der Begriff be-
zeichnet aber auch das historische „Fürstentum Moldau“ und hatte sich als solcher spätestens mit der deut-
schen Übersetzung von Dimitrie Cantemirs „Beschreibung der Moldau“ 1771 im deutschsprachigen Raum
durchgesetzt. Dieser Begriff bildet als Übersetzung des rumänischen Namens „Moldova“ bis heute die Grund-
lage für die Bezeichnung der rumänischen Region Moldau und des Staates Republik Moldau. „Moldawien“ ist
dagegen der Versuch einer Übersetzung der russischen Bezeichnung „Moldavija“. Der Begriff „Moldawien“
verbreitete sich in der deutschen Sprache, als mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt zwischen Hitler
und Stalin die Region Bessarabien (heute in etwa dem Territorium der Republik Moldau entsprechend) von
Rumänien an die Sowjets abgetreten werden musste. Damit wurde „Moldova“ zu „Moldavija“ und im Deut-
schen Moldau zu Moldawien. Während der Zeit Moldovas als Sowjetrepublik war Moldawien die offizielle
deutsche Bezeichnung des Staates. Der Begriff Moldawien ist nicht problematisch, weil er eine Übersetzung
aus dem Russischen ist, sondern weil das benannte Land die Bezeichnung „Republik Moldau“ nach 1990
selbst gewählt hat. Teilweise wird im Deutschen auch der Begriff „Moldova“ verwendet, um dem Überset-
zungsproblem aus dem Weg zu gehen. [„Moldawien oder Moldau und deutsche Medien“,
http://sibiuaner.de/2009/04/08/moldawien-oder-moldau-und-deutsche-medien/].
157
Die „moldauische Dnestr-Republik“ Transnistrien (rumän.: Stînga Nistrului, in der russischen Kurzform:
\ *^ ó{/Pridnestrowje; offiziell: Pridnestrowskaja Moldawskaja Respublika, dt.: Transnistrische Mol-
dauische Republik) ist der östlich des Dnister gelegene Teil Moldawiens. Transnistrien wird von keinem ande-
ren Staat oder einer internationalen Organisation als souveräner Staat anerkannt. Seit dem Transnistrien-
konflikt 1992 ist Transnistrien de-facto eine autonom agierende sezessionistische Region, die sich als „unab-
hängiger Staat“ betrachtet, aber innerhalb der völkerrechtlich anerkannten Grenzen Moldawiens liegt. Das
Fortbestehen des „stabilisierten De-facto-Regimes“ wird auch von den in Transnistrien illegal stationierten
russischen Truppen ermöglicht, zu deren Rückzug sich Russland auf dem OSZE-Gipfel 1999 verpflichtet hat-
te.

188
Kultur des Landes. Die Machenschaften der Regierung Voronin führte schließlich dazu,
dass wie in der Ukraine auch in Moldau158 2005 Orange zur Farbe der Opposition wurde. Im
März jenes Jahres wurde in der Moldau-Republik, nach Albanien das ärmste Land Europas,
ein neues Parlament gewählt, das auch den Präsidenten zu bestimmen hatte. Mit Überra-
schungen rechnete niemand, denn die Kommunisten standen von Anfang an als Favoriten
fest. Umfragen prognostizierten eine Mehrheit zwischen 49 und 62 Prozent der Stimmen
für die Kommunisten. Dennoch galt die Wahl als Richtungswahl, in der sich entscheiden
würde, wie ernst es den Moldauern und vor allem der regierenden kommunistischen Partei
mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist. Die Moldau als Nachfolgerepublik der Sowjet-
union wurde mit dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union EU-Nachbar, wobei das
Land sonst mit anderen Themen Schlagzeilen machte, mit Menschenhandel, Schmuggel
und dem Konflikt mit dem russischsprachigen Osten des Landes, der Region Transnistrien.
Die Sehnsucht nach Veränderung war mit Händen zu greifen. In der moldauischen Haupt-
stadt Chiinau machten die Christdemokraten Werbung für ihre Oppositionspartei, die die
Farbe Orange aus der Ukraine übernommen hatte und nun hoffte, der Funke der Freiheit
werde auf das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine, zwischen Europa und
Russland, überspringen. Andere trugen gelbe Schals und Armbinden, das Zeichen des
„Blocks Demokratisches Moldau“, eines ebenfalls oppositionellen Parteienbündnisses im
Parlament. Der Bürgermeister von Chiinau, einer der drei Spitzenkandidaten des Blocks,
warf der kommunistischen Regierung massive Manipulationen vor der Wahl vor. Die
Kommunisten würden ihren Einfluss auf die Verwaltung ausnutzen und hätten die Polizei
in eine Propaganda-Behörde verwandelt, sagte er. Tatsächlich rissen Polizisten Plakate auf
der Straße ab und übten Druck auf die Opposition aus159. In den staatlichen Medien wurde
massiv für die regierende Partei geworben, der Zugang der Opposition zu den Medien war
dagegen eingeschränkt. Wegen unklarer Regeln im Wahlgesetz hatten die größten privaten
Fernsehsender erklärt, überhaupt nicht über die Wahlen zu berichten, weshalb man prak-
tisch von einer Informationsblockade während des Wahlkampfes sprechen konnte. Der
Wahlkampf begann erst mit den Fernsehdebatten zehn Tage vor der Wahl. Damit war frei-
lich die Zeit viel zu kurz, um sich wirklich eine Meinung über die Kandidaten zu bilden. So
bekam man zuerst so gut wie keine Informationen und dann von den Medien, die landes-
weit zu empfangen sind, nur Informationen zum Vorteil der Regierung. Das Meinungsmo-
nopol blieb bei den Kommunisten, deren Vorsitzender und Präsident der Republik Moldau,

158
Die Moldau-Republik wurde am 27. August 1991 gegründet und besteht politisch gesehen aus drei Landestei-
len: der selbsternannten Republik Transnistrien, dem autonomen Gebiet der Gagausen (einem Turkvolk) und
dem restlichen Staatsgebiet. Die Hauptstadt ist Chiinau (mit ca. einer Million Einwohnern). Die Nachbarn
sind Rumänien und die Ukraine. Die staatliche Sprache nach der Verfassung ist die moldawische. Die Minder-
heiten sind Russen, Ukrainer, Gagausen, Bulgaren, Juden, Polen und Zigeuner. Konfessionen: Christlich-
Orthodoxe und in Minderheit Katholisch. Die Zahl der Einwohner liegt bei 4,3 Millionen Menschen. Die letzte
Volkszählung wurde 1989 durchgeführt, die nächste war für April 2004 geplant, finanziert durch die Europäi-
sche Union. Moldawien ist eine parlamentarische Republik. Im Parlament bestehend aus 101 Mandaten entfal-
len 61 Mandate auf die kommunistische Partei. Parlamentarische Parteien sind unter anderem die christlich-
demokratische Partei und die sozial-demokratische Partei „Moldova Noastra“ („Unser Moldau“). Die heutige
Regierung hat die europäische Integration als absolutes Hauptziel der Außenpolitik festgelegt.
159
Kandidaten der Opposition wurden in einigen Regionen am Wahlkampf gehindert und verhaftet. Zudem
konnte ein Viertel der Moldauer in Transnistrien und im Ausland nicht wählen, weil es zu wenige Wahllokale
gab. Auch internationale Organisationen, wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
(OSZE) sahen Rückschritte in der Demokratie-Entwicklung. Wurden die Wahlen der Jahre 1998 und 2001
noch als den „internationalen Standards entsprechend“ gelobt, so kritisierte die OSZE schon im Vorfeld der
Abstimmung den Missbrauch der öffentlichen Verwaltung durch die Regierungspartei und die Situation der
Medien.

189
Vladimir Voronin, durchaus Rückhalt in der Bevölkerung hatte – vor allem auf dem Land
und bei den Rentnern, deren Pensionen in den vergangenen Jahren erhöht worden waren160.
Aus Angst vor wahltaktischen Manövern, ja Wahlfälschungen rief die moldauische orange-
ne ‚Mini-Bewegung‘ der Christdemokraten die Kommunisten auf, die demokratischen
Regeln zu achten. Der Spracher der Christdemokraten meinte, falls die Fälschungen massiv
sein sollten, würden die Straßen voll sein. Die Straßen waren voll und im Sommer 2009
wurde das alte, überholte kommunistische Regime, das die Demonstranten als Kolonialher-
ren von Moskaus Gnaden empfanden, in demokratischen Wahlen abgelöst. Die neue, west-
orientierte Regierung verkündete schon bald, sie werde Gespräche mit der rumänischen
Regierung aufnehmen und auf einen Vertrag hinarbeiten, der die Ordnung, die Stalin ge-
schaffen hatte, ablösen und in den Mülleimer der Geschichte befördern würde161.
In der Republik Moldau erscheinen drei unabhängige Tageszeitungen, die jedoch nicht alle
Menschen lesen können. Der Grund besteht darin, dass man mit der Unabhängigkeit zwar
Rumänisch als Amtssprache beibehielt, die kyrillische Schrift, in der das Moldauische162
bzw. Rumänische bis dato geschrieben worden war, aber durch die rumänische Variante
des lateinischen Alphabets ersetzte. Damit schloss man besonders die älteren Menschen
von den Informationsmedien aus. Gerade die unabhängigen Zeitungen haben damit nur
geringen Einfluss auf die politische Meinungsbildung. Ganz anders der einzige und regie-
rungsnahe Fernsehsender, der in den Jahren vor dem Rücktritt Voronins ständig an Bedeu-
tung gewann. Versuche, unabhängige Sender zu gründen, wurden von der Regierung ver-
hindert. Die einseitige Information war damit programmiert. Heute erscheinen auf dem
Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt der Republik Moldau die meisten Periodika entweder auf
Rumänisch oder Russisch163. Es gibt etwa 35 zentrale Zeitungen, von denen 15 russisch-
und 20 rumänisch-(moldauisch)-sprachig sind, und bis zu 30 regionale Zeitungen, darü-
berhinaus Zeitungen und Zeitschriften in ukrainischer, gagausischer und bulgarischer Spra-
che. Zu den rumänisch-sprachigen gehören der „Timpul“ („Die Zeit“)
[www.timpul.mdl.net]. Russischsprachig sind die Wirtschaftszeitung „Kommersant Mo-
lodviy“, die „Komsomol’skaja Pravda (v Moldove)“ („| ^  !{^ } \  

160
Voronin erklärte nach der Stimmabgabe in der Hauptstadt Chiinau, er habe „für das Volk von Moldawien“
gewählt. Die Opposition konkurrierte untereinander, jede Partei verfolgte ihre eigenen Interessen. Selbst eine
Zusammenarbeit zwischen der jetzigen Opposition und den Kommunisten hielten internationale Beobachter
nach der Wahl für möglich. Bei den Parlamentswahlen ging es schließlich auch um die politische Zukunft des
Präsidenten. Über eine Wiederwahl Voronins entschied das Parlament, wofür er mindestens 61 von 101 Stim-
men brauchte. Zwar zeigte sich Voronin, dem aktuellen Trend folgend, europa- und reformfreundlich. Er woll-
te, so schien es, die Stimmung in der Bevölkerung auffangen. Er traf in Kiew den ukrainischen Präsidenten
Viktor Jušenko und in Chiinau den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili. Doch Beobachter sahen
darin rein wahltaktische Manöver. Auch der georgische Präsident sagte, er sei nicht gekommen Voronin zu un-
terstützen, sondern die Demokratie in der Moldau.
161
Vgl. Bretschneider, E.: Eine Zeitreise in Stalins letzte Kolonie [www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/
29994. html].
162
Das als eigenständige Sprache höchst umstrittene Moldauische (auch Moldawisch, rumänisch: Limba moldo-
veneasc) ist die offizielle Bezeichnung der rumänischen Amtssprache der Moldau-Republik. Die von den
Moldauern gesprochene Umgangssprache unterscheidet sich von der im östlichen Teil Rumäniens, in der Re-
gion Moldau, gesprochenen nur geringfügig, hauptsächlich durch einige russische Neologismen. Im östlichen
Teil Rumäniens, westlich des Pruth, stammen die Neologismen v.a. aus dem Französischen. Auch in Trans-
nistrien ist Moldauisch Amtssprache, jedoch in kyrillischer Schrift geschrieben und zusammen mit Russisch
und Ukrainisch. Im autonomen Gebiet der Gagausen sind neben Moldauisch auch Gagausisch und Russisch in
offizieller Verwendung.
163
Vgl. Adamesteanu, Gabriela/Lucaciu, Ileana/Bogza, Lorenza 2000: Materialien zur Lage der Presse in Rumä-
nien und Moldawien. Europäische Akademie Berlin.

190
 ! “, www.kp.md), „Nezavisimaja Moldova“ („Unabhängiges Moldawien“,
www.nm.md], und die „Moldavskie Vedomosti“ [www.vedomosti.md]. In der Auswahl der
Themen unterscheiden sich die russisch- und die rumänischsprachigen Zeitungen schla-
gend. In seiner Ausgabe vom 19. November 2007 erinnerte Natalia Hadârca im „Timpul“
an die von den Sowjetkommunisten provozierte Hungersnot in der Ukraine, die vor genau
75 Jahren innerhalb von nur einem Jahr (1932-1933) mehr als zehn Millionen Menschen
hinwegraffte – eine Thema, das die russischsprachigen Zeitungen aus politischer Solidarität
mit dem großen Bruder in Moskau entweder nicht anrühren oder nur polemisch behandeln.
Die Stimmung, dass die Tendenz nach Westen, nach Rumänien, erfolgverheißender ist als
die alte Richtung Osten, macht sich auch in den Medien bemerk-bar.
Das größte Problem ist und bleibt Transnistrien, die sogenannte Transnistrische Molda-
wische Republik. Dieses Problem hat Auswirkungen auf die ganze südost-europäische
Region. Aber 2008 wurde ein Projekt für einen föderalen Staat ausgearbeitet, in dem
Transnistrien der Status eines föderalen Subjekts zukommt. Auf Initiative Präsident Voro-
nins und mit Unterstützung Russlands, der Ukraine, der USA und der OSZE wurde Trans-
nistrien der Status eines föderalen Subjekts zuerkannt. Eine spezielle Kommission zwi-
schen Chiinau und Tiraspol erarbeitete eine neue Verfassung für einen föderalen Staat.
Dieser Prozess ist schwierig, aber dennoch notwendig, um die beiden Ufer der Dnjestr
irgendwann zu vereinigen. Aufgrund einer Resolution des Europarats wurde auch die staat-
liche Rundfunkanstalt in eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit dem Namen „Moldova 1“
umorganisiert. Die Tätigkeit der Medien in der Republik Moldau wird vom koordinieren-
den Rat für audiovisuelle Medien (CCNA) reguliert. Die öffentlich-rechtlichen Medien
finanzieren sich aus Gebühren, Einnahmen aus Werbung – wobei die Werbezeit nicht be-
grenzt ist – und aus Beiträgen des Staates. Die privaten Medien finanzieren sich durch
Einnahmen aus Werbung oder von Sponsoren wie Parteien und Unternehmen. In Moldau
sind acht Presseagenturen, einschließlich der Regierungspresseagentur „Moldpress“ regist-
riert. Die Nachrichten werden in das Moldawisch-Rumänische, Russische und ins Engli-
sche übersetzt.
Im transnistrischen Tiraspol beruft man sich gegen alle Kritik auf den Verfassungs-
artikel 28, der Zensur verbietet. In Transnistrien gibt es einen staatlichen und einen privaten
Fernsehsender, das einzige Kabelfernsehen im Land ist im Besitz der Firma „Sheriff“ und
sendet neben den zwei beheimateten noch fast alle gängigen russisch-sprachigen Sender. Es
gibt mehrere Zeitungen (z.B. „Pridniestrovie“ oder „Adevarul Nistrean“), die sich aber
überwiegend im Besitz des Staates oder staatsnaher Organisationen befinden, und die staat-
liche Presseagentur „Olvia-Press“. In Transnistrien senden mehrere Radiostationen. An
erster Stelle der staatliche Hörfunksender „Radio Pridnestrowje“ bzw. „Radio PMR“
(„  *^ ^ ~  ! ^ ~ ^! “ – „Radio Pridnestrowskoi Mol-
dawskoi Respubliki“), der seit August 1991 in russischer, rumänischer und ukrainischer
Sprache für das Gebiet Transnistrien sendet. „Radio PMR“ hat einen Auslandssender164, der
ein Programm auf Kurzwelle in Deutsch, Englisch und Französisch sendet.

164
Die deutschsprachigen Sendungen begannen im März 1993 unter dem Namen „Radio Dniester International“,
wurden jedoch nach wenigen Jahren wieder eingestellt. Unter der neuen Bezeichnung „Radio Pridnestrovje“
werden seit 2003 erneut deutschsprachige Sendungen ausgestrahlt. Die Sendeanlagen von „Radio Pridnestrov-
je“ stehen in Maiac bei Grigoriopol. Für Kurzwellensendungen stehen fünf Sender mit einer Leistung von je-
weils 1000 kW zur Verfügung, die zu großem Teil von anderen Auslandsdiensten, u.a. von der Deutschen
Welle, genutzt werden.

191
An öffentlich-rechtlichen Sendern, die auf Rumänisch senden, gibt es in der Republik
Moldau „Teleradio Moldova“ (Moldova One) [www.trm.md/], „Euro TV“, und „Pro TV
Chiinu“ [www.protv.md]; im russischsprachigen Sektor sind vertreten der nationale Ab-
leger des russischen öffentlich-rechtlichen „Pervyj Kanal“ und der russischen „Rossija“. An
öffentlich-rechtlichen Radiostationen gibt es „Radio Moldova 1“ und „Antena C“. In jüngs-
ter Zeit konnten sich in Moldau auch private Anbieter etablieren, im TV-Bereich „TV RIF“,
„21 Kanal“ [www.tvc21.md], „NIT“ und die nationale Repräsentanz des rumänischen „Pro
TV“ [www.protv.md]; und im Rundfunkbereich: „Radio Nova” [www.novaradio.com],
„Pro FM-Kischinau” [www.profm.md], „Unda Libera“ („Die freie Welle“), „Radio Con-
tact”, Radio „Vocea Basarabiei“, die russische Radiostationen „Europa Plus“, „Serebrjanyj
dožd‘“ („Silberregen“), Radio „HIT FM“, „Radio Šanson, „Russkoje radio“, „Radio „Ma-
ximum“, „Radio 7“ und „Avtoradio“. An Nachrichtenagenturen gibt es in Moldawien die
„basa-press news agency“ [www.basa.md], „Flux“, „Interlic“
[www.interlic.md/index.php?lang=eng] und „moldova azi“ [www.azi.md/en.html].
Allein die große Zahl an privaten Medien, die sich in jüngster Zeit etablieren konnten,
deutet zumindest auf eine günstigere Entwicklung der Dinge in der Republik Moldau hin,
zumal da seit 2009 dort pro-westlich-demokratische bzw. pro-rumänische Kräfte an der
Regierung sind. Darauf deutete bereits ein Bericht des Europarats vom Oktober 2007 hin.
Die Moldau-Republik hätte in der Konsolidierung der demokratischen Institutionen bedeu-
tende Fortschritte gemacht, auch darin, diese europäischen Normen anzupassen. Der einzi-
ge Schatten in diesem Bild falle, so der Europarat, auf die Medien. Deren Unabhängigkeit
erscheine noch sehr relativ. Auch die Ablösung der Altkommunisten habe nicht unbedingt
den grundlegenden Wandel gebracht, den viele erwartet hatten. Die „South East Europe
Media Organization“ (SEEMO) zeigte sich 2009 alarmiert durch die jüngsten Entwicklun-
gen. Von den Behörden würden Medienvertreter daran gehindert, frei und unabhängig zu
berichten, was wie nicht anders zu erwarten besonders bei den Parlamentswahlen auffiel.
Im Juli 2009 wurden zwei Journalisten, Ivan Melnic und Vladimir Torik von der russisch-
moldawischen Zeitung „Moldavskie Vedomosti“, daran gehindert, an einer öffentlichen
Veranstaltung der moldauischen Premierministerin Zinaida Greçeanii teilzunehmen. Wenig
später hinderten die Leibwächter der Premierminsterin drei Journalisten der lokalen Zeitun-
gen „Ecol nostru“ und „Plai Sangerean“ daran, einem Treffen zwischen ihr und Wirt-
schaftsleuten der Region in Sangerei beizuwohnen. Die Wächter verstellten auch dem Jour-
nalisten Rodica Nimerenco von der Fernsehstation „TVPRIM“ den Weg, als er an einer
Wahlversammlung teilnehmen wollte. Aber nicht nur gegen einheimische Journalisten
richtete sich die Aversion der Politik. Auch hielten die Moldauer Behörden den rumäni-
schen Journalisten Gabriel Apetri von der rumänischen Nachrichtenagentur „Agerpres“ im
Juli 2009 davon ab, in Vama Sculeni in die Moldau-Republik einzureisen. Ein Dorn im
Auge war den Behörden damals auch das Internet-Portal „Unimedia“ [www.unimedia.md],
das die Mächtigen, namentlich den ehemaligen Präsidenten Vladimir Voronin offen kriti-
sierte [www.unimedia.md]. Die moldauische Staatsanwaltschaft erklärte offiziell im Juni
2009, die „Unimedia“-Kommentare seien ein Aufruf zur Gewalt und zur Massenunord-
nung, ein Aufruf zur Ablösung und zum Wechsel des Verfassungssystems. Genau das soll-
ten die Kommentare auch bezwecken. Die Unzufriedenheit mit den Machenschaften der
Voronin-Clique wuchs. Massen-demonstrationen und Krawalle gegen die Wahlfälschungen
des Präsidenten zwangen Voronin 2009 zum Rücktritt, was durchaus auch ein Verdienst
der Medien war, ob auf dem Papier oder im weltweiten Netz.

192
C Die Medien in Mittelosteuropa

In den mittelosteuropäischen Staaten beklagen sich die einheimischen Journalisten weniger


über ihren mangelnden Einfluss auf Politik und Gesellschaft als über die auch inhaltliche
Dominanz westeuropäischer Medienkonzerne. Was in Rumänien die WAZ, ist in Tsche-
chien die Verlagsgruppe Passau. 85 Prozent des Medienmarktes in Osteuropa wird von
ausländischem Kapital kontrolliert, darunter drei Viertel von deutschem Kapital. Dabei
wird gerne gefragt, wie die deutschen Leser reagieren würden, wenn deutsche Traditions-
blätter wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die „Süddeutsche Zeitung“, „Handels-
blatt“, „Spiegel“, „Stern“ und „taz“ alle im Besitz US-amerikanischer und Schweizer Ver-
lage wären. Lediglich das linke „Neue Deutschland“ und die rechte „Junge Freiheit“ er-
schienen in einem deutschen Verlag. Mag sein, dass diese dennoch alle gute Zeitungen
wären, aber würden die Deutschen das akzeptieren? Nicht nur in den beschriebenen südost-
europäischen, auch in mittelosteuropäischen Staaten sind vergleichbare Verhältnisse längst
Realität. Deutsche Verlage kontrollieren bereits über die Hälfte des gesamten Pressemark-
tes, ganz vorne dabei der WAZ-Konzern und die Verlagsgruppe Passau, die in Deutschland
mit ihrer Regionalzeitung „Passauer Neue Presse“ bekannt ist165. In Prag gehört lediglich

165
Johannes Evangelist Kapfinger schrieb 1933 als Chefredakteur beim Straubinger Tagblatt jenen Leitartikel, der
seine und die Zukunft der Verlagsgruppe Passau bestimmt: Man solle das Kabinett von Adolf Hitler auf seinen
Geisteszustand untersuchen. Von den Nazis wird er dafür ins Gefängnis geworfen und nach der Freilassung
mit Berufsverbot belegt. Seine hoffnungsvolle Karriere scheint beendet. 1946 erhielt Kapfinger von den ame-
rikanischen Alliierten die Lizenz Nr. 16 zur Herausgabe der Zeitung. Sein Widerstand gegen die Nationalsozi-
alisten und seine demokratische Gesinnung machen ihn für die Alliierten zum idealen Kandidaten für den Auf-
bau der bundesdeutschen Presse [Fischer, Judith (Marketing Passauer Neue Presse): Geschichte der Passauer
Neue Presse und der Verlagsgruppe Passau [www.pnp.de/nachrichten/schule/zeitung.php]. Die erste Ausgabe
der Passauer Neue Presse erscheint im Februar 1946, Auflage: ca. 105.000 Exemplare. Noch im selben Jahr
wird die Neue Presse Verlags-GmbH gegründet. 1988 beginnt für die Verlagsgruppe Passau eine neue Ära.
Franz Xaver Hirtreiter übernimmt den Vorsitz der Geschäftsführung, leitet 1990 die Expansionsstrategie nach
Osten ein und stellt damit die Weichen für die Entwicklung zu einem internationalen Medienkonzern. Gleich
nach dem Fall des Eisernen Vorhangs beginnt man mit dem Erwerb von lokalen Wochen- und regionalen Ta-
geszeitungen in der Tschechischen Republik, die heute in der Verlagsgruppe Vltava-Labe-Press (VLP) zu-
sammengeschlossen sind. In Österreich erwirbt die Verlagsgruppe Passau 1991 die Mehrheit am „Landesver-
lag“ in Linz und damit an der „Oberösterreichischen Rundschau“, der größten regionalen Wochenzeitung Ös-
terreichs. Mit diesen ersten Auslandsbeteiligungen wächst der Umsatz der Gruppe von rund 100 Mio. DM auf
rund 400 Mio. DM, die Mitarbeiterzahl von rund 780 auf rund 2.400. Die Anteile werden 2006 wieder ver-
kauft. 1994 beginnt das Engagement der Verlagsgruppe Passau in Polen. Von der französischen Hersant-
Gruppe werden Anteile an acht polnischen Regionalzeitungen übernommen. Die „Polskapresse“ wird in den
folgenden Jahren zu einem der bedeutendsten Zeitungsverlage Polens aufgebaut. Sie ist heute vom Umsatz wie
von den Mitarbeiterzahlen die größte Landesgruppe der Verlagsgruppe Passau. Die Euro-Druckservice AG
(EDS) wird gegründet, in der die Druckaktivitäten der Verlagsgruppe in Deutschland, Österreich, der Tsche-
chischen Republik und Polen vereint sind. Die Verlagsgruppe Passau steigt 1998 beim Genueser Zeitungsver-
lag „Il Secolo XIX“ ein und fasst damit als erster deutscher Verlag bei einer regionalen Tageszeitung in Italien

193
eine Zeitung einem tschechischen Verlag – das ehemals als „Rude Pravo“ bekannte Organ
der Kommunistischen Partei, eine jetzt nur noch „Pravo“ genannte Tageszeitung. Alle übri-
gen Zeitungen und Magazine befinden sich im Besitz ausländischer Verlage. Fünf Unter-
nehmen, zwei deutsche, ein Schweizer und ein finnisches kontrollieren 80 Prozent der
tschechischen Zeitungen und Zeitschriften. Der größte Verleger, gemessen an der Auflage,
ist die „Vltava-Labe-Press“ (VLP), die mehrheitlich der „Passauer Neuen Presse“ gehört.
Die Passauer nutzten die Gunst der Stunde und kauften zahlreiche Regionalblätter, die sich
oft im Besitz von weitgehend zahlungsunfähigen Kommunen befanden. Die „Vltava-Labe-
Press“ besitzt heute elf Regionalzeitungen und 13 Wochenzeitungen. Zwar erklärte das
Passauer Verlagshaus, der Verlag nehme keinen Einfluss auf die Inhalte, schon deshalb
nicht, weil „man als Deutscher keine tschechische Zeitung machen könne“. Prager Journa-
listen machten aber andere Erfahrungen. Sie erklären, dass es in bestimmten Fällen Direkti-
ven seitens der deutschen Verlagseigner gegeben habe. So habe es, als „VLP“ 1999 den
traditionsreichen Fußballclub „Sparta Prag“ kaufen wollte, Anweisungen für die Redaktio-
nen gegeben, die Kaufabsicht der Verlagsgruppe in der Berichterstattung zu unterstützen.
Nachdem die Passauer den Fußballclub gekauft hatten, sollten dann die „Vorteile für Spar-
ta“ herausgestellt werden. Neben der Passauer Verlagsgruppe ist auch die Düsseldorfer
„Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft“ („Rheinische Post“) in Tschechien aktiv. Sie
besitzt einen Anteil von 20 Prozent an der „VLP“. Die „Rheinisch-Bergische Verlagsge-
sellschaft“ bringt über ihre Gesellschaft „Mafra“ die „Mladá fronta Dnes“, die auflagen-
stärkste seriöse Tageszeitung Tschechiens (350.000 Exemplare), sowie die liberal-
konservativeine Tageszeitung, „Lidové noviny“, (70.000 Exemplare), heraus. In der Frage
der Sudetendeutschen kam es zum offenen Konflikt zwischen der tschechischen Regierung
und den deutschen Medien. In beiden Blättern wurde die Politik der tschechischen Regie-
rung scharf kritisiert. Die „Mladá fronta Dnes“ verlangte von der Regierung in Prag nicht
nur eine offizielle Entschuldigung bei den Sudetendeutschen, sondern auch Entschädigun-
gen für die Vertreibung der Deutschen. Kulturminister Pavel Dostal beklagte sich nach
einer Kabinettssitzung, dass die Zeitungen des eigenen Landes, die sich „in deutscher
Hand“ befänden, zunehmend einseitig über die Beneš-Dekrete berichteten.
Der Schweizer Verlag „Ringier“ ist seit 1990 in Tschechien tätig, beschäftigt ausschließ-
lich tschechische Mitarbeiter und verlegt mittlerweile zehn Zeitungen und Zeitschriften,
allesamt im Boulevardbereich. Neben der auflagenstärksten Boulevardzeitung des Landes,
„Blesk“, sind dies beispielsweise die Zeitschriften „Reflex“ und „abc“, sowie drei TV-
Zeitschriften. Auch im Internet hat sich der Verlag etabliert. Mit dem Betreiber eines der
größten und beliebtesten Internet-Portale, „seznam.cz“ (eine Art tschechisches „Google“),
gewann man einen einflussreichen Partner für die Präsentation seiner Publikationen. Die

Fuß. Gemeinsam mit den italienischen Partnern bei „Il Secolo XIX“ wird eine neue, hochmoderne Zeitungs-
druckerei im Genueser Stadtteil San Biagio geplant und gebaut. Die Anteile werden nach 3 Jahren wieder ver-
kauft. 1999 beginnt das Engagement der Verlagsgruppe Passau in der Slowakei beginnt. Zunächst wird die ost-
slowakische Tageszeitung Luc gekauft, wenig später weitere slowakisch- und ungarischsprachige Tages- und
Wochenzeitungen im gesamten Land. Ein Jahr später werden diese Titel in ein Joint-Venture mit der SME-
Gruppe eingebracht und ein gemeinsamer, im ganzen Land tätiger Verlag für Tages- und Wochenzeitung ge-
gründet. Die Aktivitäten der Gruppe werden 2000 erstmals seit ihrem Bestehen unter einer gemeinschaftlichen
Holding, der „Verlagsgruppe Passau GmbH“, zusammengefasst. Quirin Wimmer als Sprecher der Geschäfts-
führung und Roland Rager als Geschäftsführer für Finanzen und Controlling leiten die Verlagsgruppe. 2003
übernimmt der Verleger DDr. Axel Diekmann die Geschäftsführung der Verlagsgruppe Passau und der Neue
Presse Verlags-GmbH. 2007 wird Simone Tucci-Diekmann alleinige Geschäftsführerin der Neuen Presse Ver-
lags-GmbH.

194
Schweizer frohlockten auf ihrer Internetseite: „Ringier CR“ wurde 1990 gegründet und ist
seit dem Jahr 2000 zu 100 Prozent im Besitz von „Ringier“. Das Unternehmen ist der füh-
rende und bedeutendste Verlag in der Tschechischen Republik. Diese Machtfülle wurde
einem eigenwilligen Projekt zum Verhängnis. Im Mai 2003 startete die nach außen hin
unabhängige, tatsächlich aber mit Geldern eines österreichischen Verlages unterstützte neue
Boulevard-Zeitung, „Impuls“. Sie erschien nur knapp fünf Monate lang166. „Impuls“ wollte
als 24-seitige, fast durchgehend vierfarbige Zeitung, „intelligenten Boulevardjournalismus“
betreiben. Mit drei Kronen (ca. zehn Cent) kostete das Blatt deutlich weniger als alle ande-
ren Prager Zeitungen. „Blesk“ kostet beispielsweise sieben Kronen.
Nach einer Studie der Europäischen Journalistenföderation vom Juni 2003167 halten in
Polen „Springer“, „Bauer-Verlag“ und „Gruner & Jahr“ 50 Prozent Marktanteil an Publi-
kumszeitschriften, die von ebendiesen Verlagen selbst eingeführt wurden. Publikationen
von Fachverlagen sind ebenfalls zu finden. Wie in Tschechien ist auch in Polen die „Ver-
lagsgruppe Passau“ mit acht Regionalzeitungen im grenznahen Raum (Schlesien) und drei
Fernsehzeitschriften mit ungefähr 1,3 Millionen Exemplaren, eigenem Vertriebsweg, einer
Medienagentur und einem Internetportal stark vertreten. Die Produkte der Passauer ähneln
einander in Form und Inhalt. Der „Bauer-Verlag“ hält im Magazinbereich mit 21 Titeln,
einer Investitionssumme von 40 bis 50 Millionen Euro und einem Ertrag von 140 Millionen
Euro einen Marktanteil von 22 Prozent. 11 Prozent Marktanteil hält die „Springer“-Presse
mit 14 Titeln und einem Ertrag von 70 Millionen Euro. Polnische Journalisten sehen die
Meinungsfreiheit durch die bereits bestehende Vorherrschaft deutscher Konzerne auf dem
Pressemarkt bedroht. Das deutsche Kapital überwiegt gleichzeitig bei den großen Werbe-
agenturen, was wiederum die Bekämpfung der Konkurrenz erleichtert. Nachdem der nor-
wegische Konzern „Orkla“ zwei Breslauer Tageszeitungen („Slowo Polskie“ und „Wieczor
Wroclawia“) an den deutschen Konzern „Passauer Neue Presse“ verkauft hatte, wandte sich
der Polnische Journalistenverband an das Amt für den Schutz der Konkurrenz und der
Verbraucher mit der Bitte um Untersuchung, ob es sich dabei um eine Monopolstellung
handelt. In Wrocaw (Breslau) besitzt der Konzern „Passauer Neue Presse“ bereits alle
Tageszeitungen mit Ausnahme der regionalen Beilage der Zeitung „Gazeta Wyborcza“.
Ähnlich ist es in Poznan (Posen), wo der Konzern die Zeitungen „Glos Wielkopolski“ und
„Gazeta Poznanska“ kaufte, in Gdansk (Danzig), Lodz („Express Iilustrowany“, „Dziennik
Lodzki“), Katowice (Kattowitz) („Dziennik Zachodni“ und „Trybuna Slaska“) und Krakow
(Krakau) („Dziennik Polski“, „Gazeta Krakowska“). Die Bayern sicherten sich eine Mono-
polstellung in der Woiwodschaft Warmia-Mazury (Ermland und Masuren). 1998 kaufte

166
Herausgeber von „Impuls“ ist eine gleichnamige Gesellschaft, die nach eigenen Angaben ohne ausländisches
Kapital besteht. Tatsächlich ähnelt „Impuls“ optisch der österreichischen „Kronen“-Zeitung. In den Verlag soll
österreichisches Kapital geflossen sein. Hauptanteils-eigner des Verlages ist „Media-Print Kapa“ (MPK), die
„Impuls“ auch vertrieb. MPK jedoch steht in Konkurrenz zum Pressevertrieb PNS, der die wichtigen Tageszei-
tungen des Landes vertreibt und an dem die VLP, Ringier und Sanoma Magazines International beteiligt sind
Der finnische Verlag „Sanoma“ bringt die meisten Verbrauchermagazine heraus. PNS boykottierte den Ver-
trieb des neuen Blattes. Damit war Impuls allein auf den MPK-Vertrieb angewiesen, doch MPK vertreibt, bis
auf das eigene neue Boulevardblatt, keine weiteren Tageszeitungen. Und Kioskbesitzer, die „Impuls“ verkauf-
ten, verloren die Prämienrabatte von PNS. Ein ungleicher Kampf. Er dauerte nur bis zum 10. Oktober 2003,
dann war Schluß für „Impuls“. Am nächsten Tag fand die Beerdigung des kurz zuvor verstorbenen „Blesk“-
Chefredakteurs Miroslav Lábler statt. In seiner Trauerrede lobte der tschechische Ringier-Manager Tomas
Boehm, daß „Impuls“ nicht mehr erscheine sei eines der Verdienste des Verstorbenen – eine Siegesmeldung
am Sarg im Zeitungskrieg.
167
Vgl.: www.ifj-europe.org/default.asp?Index=1690&Language=EN.

195
Franz Xaver Hirtreiter, der ehemalige Geschäftsführer der „Passauer Neuen Presse“ und
jetzige Vorstandsberater dieser Firma, die Zeitung „Gazeta Olsztynska“. Die Firma „Me-
dia“, die auch zum Konzern „Passauer Neue Presse“ gehört, hält die Monopolstellung beim
Verkauf von Werbeflächen in den regionalen Zeitungen.
Auf diese Weise hat eine einzige Firma den Printmedienmarkt im Nordosten Polens
dominiert. Das sei eine sehr gefährliche Lage, in der die Freiheit des Wortes und die Frei-
heit einer öffentlichen Diskussion bedroht werden, sagte Krystyna Mokrosinska, Vorsit-
zende der Polnischen Journalistenvereinigung. In die Stapfen der Passauer tritt auch der
„Axel-Springer“-Verlag, der schon die Wochenzeitschrift „Newsweek“, sechs Frauenzeit-
schriften, zwei Jugendzeitschriften und drei Autozeitschriften herausgibt. Ferner werden
vom „Axel-Springer“-Verlag auch acht Computer-Zeitschriften und eine Wirtschaftszei-
tung herausgegeben. Seit dem 22. Oktober 2003 erscheint eine gesamtpolnische Zeitung
des „Axel-Springer“-Verlages, die „Fakt“ heißt. Der „Bauer-Konzern“ gibt zur Zeit 30
Zeitschriften in Polen heraus, deren Gesamtauflage über acht Millionen Exemplare beträgt.
Die Firma „Gruner & Jahr“ ist Eigentümer der Monatszeitschrift „Claudia“ und von acht
weiteren Titeln. Die deutschen Verlagsunternehmen geben außerdem zusammen mit dem
spanischen Verlag „RBA“ die Zeitschrift „National Geographic“ heraus. Das polnische
Magazin „Wprost“ meinte vor diesem Hintergrund deutscher Konzernübermacht spitz, nun
sei die Monopolstellung der Deutschen sogar stärker als in der Zeit der Teilung Polens, in
der ein Teil des Landes zu Preußen gehörte.
Auch in Ungarn besitzen deutsche Verlage 75 Prozent des gesamten Pressemarktes. So
besitzt die „WAZ“-Gruppe, die sich in den 1990er Jahren in Österreich in die Kronen- und
Kuriergesellschaft eingekauft hatte, in West- und Südungarn, dem Gebiet mit der größten
Kaufkraft, seit 1993 fünf regionale Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von zur Zeit
227.000 Exemplaren. 87 Prozent davon gehen an Abonnenten, was gemessen am Landes-
durchschnitt ein Spitzenwert ist. Als Beilage zu den Zeitungen erscheint seit 1994 die far-
bige Fernsehzeitung „RTV-Tipp“. Aus Rationalisierungsgründen wird der redaktionelle
Mantel von einer Zentralredaktion in Veszprém erstellt. Die Zeitungen werden in einer
1994 erbauten, eigenen Druckerei gedruckt, die bald so gut ausgelastet war, dass Ende 2005
in direkter Nachbarschaft eine weitere Druckerei ihren Betrieb aufnehmen konnte. Damit
war die Einkaufstour nicht abgeschlossen, denn die „WAZ“-Gruppe wollte gerne auch noch
die große überregionale Tageszeitung „Népszabadság“ aus Budapest sowie ein Blatt aus der
überaus attraktiven Region Györ-Moson-Sopron, die ihr zunächst, aus Mangel an eigenen
Kapazitäten, von der britischen „Daily Mail“ weggeschnappt wurde, übernehmen. Neben
den Kaufzeitungen gab die Holding seit 1995 im Rahmen ihrer eigens gegründeten „Mara-
thon“-Gruppe verschiedene Gratiszeitungen mit einer wochentäglich erscheinenden Ge-
samtauflage von 390.000 Exemplaren heraus. Gemeinsam mit dem „Axel-Springer“-Verlag
verlegt die Holding weiterhin die Sonntagszeitung „Vasárnap Reggel“. In der Slowakei
gehören dem Konzern über 30 Zeitschriften. Auch in den baltischen Staaten sind die deut-
schen Verlage aktiv. Ein Ende der Einkaufstour war nicht abzusehen.

196
1. Die Tschechische Republik: Das Vorzeigeland in Sachen Medienfreiheit

Die Tschechische Republik gilt heute als Vorzeigeland, wenn es um die Pressefreiheit geht.
Das war nicht immer so. Der frühere sozialistische Premierminister Miloš Zeman hatte die
tschechischen Journalisten einmal als Hyänen bezeichnet und sogar versucht, einige Redak-
tionen einzuschüchtern, weil ihm deren kritische Berichterstattung mißfiel. Auch der ge-
genwärtige Premier Ji€i Paroubek deutete bereits mehrmals an, daß er sich eine Verschär-
fung des geltenden Pressegesetztes wünschen würde, mit dem Ziel, „die Politiker vor den
Medien zu schützen“. Wie ist es heute in der Tschechischen Republik um das Verhältnis
zwischen Politikern und Medien bestellt? Ist man von den persönlichen Beleidigungen, wie
sie zu Zeiten Miloš Zemans üblich waren, zu einem sanfteren Druck, zu denen sich ver-
suchte Interventionen führender Politiker gesellen, übergegangen? Wie ist es um das
schwierige Verhältnis zwischen Politikern und Medien in der Tschechischen Republik
bestellt? Der Publizist Ond€ej Neff meinte, nur ein Politiker hätte bisher über Journalisten
so gesprochen. Man dürfe das nicht pauschal beurteilen, denn jeder Politiker wünsche sich,
dass ihn die Medien positiv darstellen. Das Grundverhältnis könne also nicht anders als
gespannt sein. Eine andere Sache ist aber, dass es sich dabei stets um eine Flucht in Ketten
handelt, nämlich dass Politiker und Medienvertreter aufeinander angewiesen sind. Es gibt
in Tschechien große öffentlich-rechtliche Medien, vor allem Rundfunk und Fernsehen, die
über eine große Reichweite verfügen, wo natürlich diese Tendenzen ganz besonders zu
spüren sind. So kritisierten zahlreiche Journalisten, dass das Tschechische Fernsehen die
kritische Sendung „Bez obalu“ (dt. „Unverhüllt“) vom Programm nahm, angeblich aus
Kostengründen. Kaum jemand aus der Journalistenzunft wollte das glauben und vermutete
eher klassische Zensur auf Betreiben des Premierministers, was für das öffentlich-rechtliche
Fernsehen eine Schande sei. Man fragte sich, ob die tschechischen Journalisten heute stär-
ker gegen die versuchte Einflussnahme von seiten der Politik immun seien als zum Beispiel
in den frühen 1990er Jahren, als kritischer Journalismus in Tschechien erst im Entstehen
war.
Aber dass nicht nur die Politik gelegentlich ihre Probleme mit der offenen Bericht-
erstattung bzw. investigativen Journalismus hat, davon zeugt die Reaktion der Prager Taxi-
fahrer, die sich durch einen Artikel der Tageszeitung „Mlada Fronta Dnes“ in ihrer Berufs-
ehre gekränkt fühlten. Die Journalisten der Zeitung hatten sich gegenüber Taxifahrern als
ausländische Touristen ausgegeben und dabei festgestellt, dass sechs von zehn Chauffeuren
für Dienste überhöhte Preise verlangten. Als Protest gegen den Artikel verstopften Hunder-
te von Taxis die Radlika-Straße, in der das Redaktionsgebäude nahe der Haltestelle Andl
steht, und forderten eine Entschuldigung. Nicht jeder Taxifahrer sei ein Betrüger. Der Chef-
redakteur der „Dnes“, Robert asenský, verteidigte seine Journalisten, denn die hätten
wahrhaft skandalöse Fälle aufgedeckt, die den guten Ruf Prags und der Tschechischen
Repulbik beschädigen würden. Rufschädigendes Verhalten sah auch der tschechische Kul-
turminister Pavel Dostal, der den Medien des Landes vorwarf, bei ihrer Berichterstattung
über die „sudetendeutsche Frage“ die „tschechischen Interessen“ nicht genügend zu vertei-
digen168. Auch die in Tschechien von der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft aus

168
Landeszeitung – Zeitung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien (2002): Prager Minister wirft
Medien Parteinahme für Sudetendeutsche vor (zitiert nach DW-Monitor Nr. 65, Radio Prag)
[www.landeszeitung.cz/archiv/2002/index.php?edt=09&id=02].

197
Düsseldorf und dem bayerischen Verlagshaus Passau herausgegebenen Zeitungen berichte-
ten in diesem Punkt meist tendenziös, meinte der 59-jährige Sozialdemokrat. Die Chefre-
dakteure der Zeitungen wiesen die Vorwürfe entschieden zurück. Der Politologe Rudolf
Kuera wiederum kritisierte die Medienschelte des Ministers sei „schwer mit demokrati-
schen Prinzipien in Einklang zu bringen“169. Medienschelte, die Tendenz, sich Kritik vom
Leibe zu halten, war auch in der Tschechischen Republik nach der Wende durchaus ver-
breitet, und ließ sich auch später immer wieder feststellen.
Handgreiflicher wird diese Medienschelte bzw. die Bedrohung der Pressefreiheit natür-
lich, wenn sich die organisierte Kriminalität einmischt. Am 17. Januar 2004 wurde der
Chefredakteur der kritisch-investigativen Wochenzeitschrift ,,Respekt“, Tomáš Nmeek,
von zwei Unbekannten überfallen und zusammengeschlagen, ohne bestohlen zu werden.
Der Verdacht, dass dieser Überfall kein gewöhnliches Verbrechen ist und sich nicht gegen
den Privatmann Nmeek richtet, sondern vielmehr der Einschüchterung der ganzen Redak-
tion seines Blattes dienen soll, drängte sich schnell auf. Zumal da ,,Respekt“ regelmäßig
Missstände im Land aufdeckt und ohne Zurückhaltung über die tschechische Unterwelt und
die Mafia berichtet. Der Anschlag auf den „Respekt“-Chefredakteur war jedoch nicht der
erste derartige Fall. Der Fall der letzten Jahre, der am meisten Aufsehen erregte, war der
der Journalistin Sabina Slonková, die für die ,,Mladá fronta Dnes“ schreibt, und die korrup-
ten Machenschaften eines Politikers im Außenministerium aufdeckte. Da der für ihre Er-
mordung angeheuerte Killer sich der Polizei stellte, wurde der Anschlag verhindert, und der
Auftraggeber zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Gleichwohl stellen solche Vorfälle
in der Medienlandschaft der Tschechischen Republik die Ausnahme dar. Seit der Wende
hat sich die Situation der Medien kontinuierlich verbessert. Die Organisation ,,Reporter
ohne Grenzen“ stufte die Tschechische Republik in ihrem Jahresbericht zur Pressefreiheit
in insgesamt 164 Ländern von Platz 41 im Jahr 2003 auf Platz 14 Jahr später hoch. Nach
der letzten Erhebung vom Oktober 2009 steht die Tschechische Republik auf Platz 24170.

169
Im Gegensatz zu Pavel Dostal stufte die Beauftragte des „Media Observatory“ in der Tschechischen Republik,
Irena Valová, die Berichterstattung in den tschechischen Medien über die tschechisch-deutschen Beziehungen
und die Dekrete des Präsidenten Edvard Beneš als überraschend korrekt ein. Die Prager Regierung hoffe im
Streit um die so genannten Beneš-Dekrete nicht mehr auf eine faire Berichterstattung, sondern werde selbst ein
Buch über die Vertreibung der Sudetendeutschen herausgeben, kündigte Dostal an.
170
Reporter ohne Grenzen. Rangliste der Pressefreiheit weltweit, 20.10.2009
[www.reporter-ohne-grenzen.de/ranglisten/rangliste-2009.html].

198
1.1 Die tschechischen Medien vor und nach der Wende

Vor 1989 hat es weder private noch unabhängige Medienerscheinungen gegeben. Es galt
die Verfassung von 1960, die das sozialistische Gesellschaftssystem nach sowjetischem
Muster zur Norm erklärte. Gemäß der Verfassung hatte die Kommunistische Partei Tsche-
chiens die Führungsrolle inne, das Fernsehen war Sprachrohr der Parei, denn der Direktor
der staatlichen Fernsehanstalt war der Partei Rechenschaft schuldig. Auf dem Papier der
Verfassung existierten zwar Rede-, Meinungs- und Pressefreiheit, während sie in der Praxis
Grund für Verfolgung, Haft und Existenzvernichtung waren. Der große gesellschaftliche
und politische Einschnitt war ohne jeden Zweifel der Prager Frühling und seine Nieder-
schlagung durch sowjetische Truppen. Unzählige Tschechen flohen nach dem August 1968
in das freie Ausland und brachten der dahinsiechenden Exilgemeinde neue und markante
Impulse171. Eine Reihe von Periodika, die nach dem August 1968 im Exil gegründet wurde,
beeinflusste die öffentliche Debatte innerhalb der tschechoslowakischen Exilgemeinde in
hohem Maße. Außerdem trugen die Exilmedien, neben dem Samizdat in der Heimat, zur
Erhaltung der Kontinuität der unabhängigen tschechoslowakischen Publizistik und Kultur
bei. Ein wesentliches Kennzeichen dieses Exils war der Umstand, dass intensive Kontakte
zur Heimat aufrechterhalten wurden. Eine Reihe von Exilzeitschriften wurde im Laufe der
Zeit in der Tschechoslowakei zugänglich, wohin gelangten sie auf verschiedene illegale
Wege. Seit etwa der Mitte der 1970er Jahre begannen in den Exilperiodika auch die ‚verbo-
tenen‘ Heimatautoren stärker zu publizieren, wodurch die Verbindung zwischen Heimat
und Exil noch verstärkt wurde. Die Bedingungen für die Exilpresse waren in vielerlei Hin-
sicht diametral entgegengesetzt zu denen, die in der Tschechoslowakei herrschten. Dank
der Redefreiheit und dem Fehlen von Zensur konnten in den Exilmedien die wertvolle
demokratische Diskussion und der freie Meinungsaustausch, die während des Prager Früh-
lings in den tschechoslowakischen Medien ihren Anfang genommen hatten, fortgesetzt
werden. Ganz im Gegensatz zu der Situation in der sich die Medien in dem sich normalisie-
renden Land befanden. Allerdings war auch die Publikation von Exilperiodika in einigen
der Zielländer der tschecho-slowakischen Flüchtlinge in mancher Hinsicht nicht unproble-
matisch. Einige Schwierig-keiten des medialen Exilbetriebes lassen sich am Beispiel der
neutralen Schweiz illustrieren, die nach dem August 1968 gegenüber den Tschechoslowa-
ken sehr entgegenkommend war und wohin bis Ende des Jahres 1968 an die 8.000 Men-
schen emigrierten, darunter auch einige prominente Reformkommunisten wie zum Beispiel
der Ökonom Ota Šik, der sich in St. Gallen niederließ.
Die Schweizer Gesetzgebung untersagte den Flüchtlingen allerdings jegliche politische
Tätigkeit. Die Veröffentlichung von Exilperiodika durch politische Flüchtlinge aus der
kommunistischen Tschechoslowakei war daher ein Balanceakt. Die Redaktionen lösten das
Problem auf verschiedene Weise, zum Beispiel dadurch, dass man als verantwortlichen
Redakteur jemanden einsetzte, der bereits die Schweizer Staatsbürgerschaft besaß und
daher gegenüber den Ämtern nicht mehr den Flüchtlingsgesetzen unterstand. Über die Risi-
ken der Drucklegung politischer Periodika äußerten sich die Redakteure in den Medien
ganz offen. An seine problematische Situation in diesem Zusammenhang erinnerte sich

171
Vgl. Orság, Petr: Medien des Tschechoslowakischen Exils zum Zeitpunkt der „Wiederherstellung der Ord-
nung“. In: Foret, M./Lapík, M./Orság, P. (Hrsg.): Média dnes. Reflexe mediality, médií a mediálních obsah‚.
Olomouc: Univerzita Palackého 2008, S..313-326.

199
auch der Literat und Publizist Jaroslav Strnad, der in der Schweiz den Status eines politi-
schen Flüchtlings hatte. Nebenbei arbeitete er ‚heimlich‘ als Kulturredakteur bei „Radio
Free Europe“ in München, wohin er regelmäßig fuhr. Ergänzend muss aber betont werden,
dass sich die Ämter mit formalen Aufforderungen zur Beendigung der unerlaubten Tätig-
keit meistens zufrieden gaben. Abgesehen von dieser Beschränkung der Publikations-
freiheit in den Exilmedien mussten jedoch die Exilpublizisten und -journalisten auf Vieles
verzichten, woran sie aus dem medialen Betrieb in der Heimat gewohnt waren: eine hohe
Auflage (mitunter bis zu hunderttausend Exemplaren), damit verbunden die breite Öffent-
lichkeit, die die Heimatperiodika erreichten (vor allem während des Prager Frühlings);
zudem war das Umfeld großer Verlagshäuser im Exil unerreichbar. Besonders die Anfänge
der Publikation einzelner Periodika erwiesen sich als sehr schwierig. Es war noch kein
Abonnentennetz geschaffen und es bestand keine Möglichkeit, Anzeigen abzudrucken, die
die entstehenden Herstellungskosten hätten decken können. Von diesen erschwerten Bedin-
gungen, unter denen die Periodika entstanden, hatten meist nicht einmal die Leser eine
Ahnung. Manche empfanden es als selbstverständlich, dass hinter der Zeitschrift, die sie
abonnieren, ein etablierter Verlag stand, mit allem was dazu gehört. Beispielsweise erhielt
die Redaktion etwa Briefe mit der Anrede „Sehr geehrter Herr Direktor“ oder „Bitte an die
Rechtsabteilung“. Die Abonnenten der Exilpresse ahnten nicht, dass die Redaktionen meis-
tens nur aus einzelnen Freiwilligen bestanden (dies im besten Falle, denn oft produzierte
die einzelnen Nummern eine einzige Person). Diese arbeiteten vorwiegend unentgeltlich
oder für einen minimalen Lohn und in ihrer Freizeit. Die Redakteure solcher Periodika
hatten einen bürgerlichen Beruf und der Arbeit an den Zeitschriften konnten sie sich meis-
tens nur in der Nacht widmen. Dennoch hielten sie unter diesen erschwerten Bedingungen
oft viele Jahre mit der Veröffentlichung der Exilnummern durch. Als zum Beispiel der
„Zpravodaj“ wegen einiger hundert säumiger Abonnenten der wirtschaftliche Zusammen-
bruch drohte, kaufte der Herausgeber kurzerhand eine Offsetdruckmaschine, die er in seiner
Privatwohnung, einem Mietshaus in einem ruhigem Viertel in Winterthur aufstellte. Dort
druckte er beinahe zehn Jahre jeden Monat zweitausend Exemplare der Exilzeitschrift.
Ein anderes Zeugnis in der Geschichte derselben Zeitschrift spricht auch einen weiteren
Problemkreis der Exilpublikationen an – nämlich das Aufkommen des Konkurrenzkampfs
zwischen den Exilzeitschriften. Mit der Etablierung der „Zpravodaj“ als marktgängige
Exilzeitschrift wuchsen auch die Gewinnmöglichkeiten aus den abgedruckten Annoncen.
Gerade der daraus entstandene Streit innerhalb der Exulanten bedeutete den Anfang eines
Konfliktes, der die Gründung einer Konkurrenzexilzeitschrift namens „Magazín“ mit sich
brachte. Ein ungeschriebenes Gesetz der Exulanten besagte, dass es unmoralisch sei, wenn
ein Exulant durch einen anderen Exulanten reich wird. Deshalb durfte auch eine Exilzeit-
schrift im eigentlichen Sinn des Wortes kein Kommerzunternehmen sein. Die Einnahmen
von Annoncen durften lediglich die Produktions- und Vertriebskosten decken. Die übermä-
ßige Steigerung der Anzeigenwerbung stand laut des ehemaligen Chef-redakteurs Zdenk
Záplata „in grundlegendem Widerspruch zur kulturellen und politischen Botschaft einer
Exilzeitschrift, zu ihrem kommerzfreien Charakter“. Záplata sprach direkt darüber, dass
man „für ein Paar lumpigen Franken“ die Glaubwürdigkeit von „Zpravodaj“ aufs Spiel
setze. Im Gegenteil zu ihm sah der Administrator von „Zpravodaj“ die Sache pragmatisch
und orientierte sich daran, wie man der Firma am effektivsten den höchsten Gewinn zu
verschaffen könne. Neben Schwierigkeiten wirtschaftlichen Charakters wurden die Verle-
ger und Redakteure von Exilperiodika auch mit anderen Problemen konfrontiert. Was den
Betrieb einzelner Medien betraf, so stellten besonders die Aktivitäten der Geheimagenten
der kommunistischen Staatssicherheit, die in Westen operierten, ein Risiko dar. Für sie

200
waren die medialen Unternehmen ein dankbarer Gegenstand ihrer Interessen. Abgesehen
davon, dass die Exilredaktionen medial sozialismusfeindliche Propaganda verbreiteten,
verfügten sie auch über sensible Daten tausender Exulanten, die sich in den Abonnenten-
und Mitarbeiterkartotheken angesammelt hatten. Im Unterschied zum sich ‚normalisieren-
den‘ medialen Betrieb in der SSR, den die Staatsmacht mit Hilfe legislativer Verordnun-
gen und eines bürokratischen und repressiven Apparats leitete und beherrschte, hatten sie
im Grunde genommen nur zwei Möglichkeiten in die Exilzeitschriften einzugreifen, durch
konspirative und Sabotageaktivitäten der westlichen Agenten der kommunistischen Ge-
heimpolizei und durch direkte Propaganda der SSR gegen die Tätigkeit des Tschechoslo-
wakischen Exils. Das Beispiel Schweiz kann auch als Illustration der Problematik der Tä-
tigkeit der Agenten der Staatspolizei in der exilmedialen Kommunität dienen.
Einer der kommunistischen Agenten, die in der Schweiz wirkten, war Tomáš „ezá, der
Sohn des Schriftstellers Václav „ezá, der Anfang der Normalisierung dieTschecho-
slowakei verließ. Dort deklarierte er öffentlich seinen Bruch mit dem kommunistischen
Regime (z.B. durch Interwievs im „Radio Free Europe“) und verkündete seinen Entschluss,
für immer im Westen bleiben zu wollen. Danach nahm er Kontakt zur Redaktion der Zür-
cher „Zpravodaj“ auf und überzeugte den ehemaligen Chefredakteur Zdenk Záplata, dass
seine Beweggründe für die Zusammenarbeit ausschließlich literarischen und publizistischen
Charakters seien. Seine Texte veröffentlichte er in „Zpravodaj“ unter dem Pseudonym
Karel Tomášek. Záplata war nicht der einzige, der „ezá vertraute. Im Exilverlag „Index“
beispielsweise veröffentlichte „ezá im Jahre 1973 unter dem Pseudonym A. Lidin seinen
Spionageroman „Trpaslik na houpace“ („Der Zwerg auf der Schaukel“). Während eines
Interviews in „Radio Free Europe“ lernte er den Leiter der tschechischen Redaktion Karel
Jezdinský kennen. Weiters gelang es ihm, in der Schweiz in das Umfeld des russischen
Schriftstellers Aleksander Solženicyn zu kommen, der angeblich seine Ansichten und seine
ausgezeichneten Kenntnisse des Russischen lobte. Das wahre Engagements „ezás im
Westen wurde erst nach seiner Rückkehr in die Tschechoslowakei im März 1975 bekannt,
als er im tschecho-slowakischen Fernsehen und Rundfunk Zdenk Záplata und das gesamte
tschechoslowakische Exil denunzierte. Von „ezás Rückkehr berichtete danach auch das
Parteiorgan „Rudé právo“ unter dem Titel „Bekenntnisse eines Heimkehrers“. Noch raffi-
nierter als „ezá gelang es dem Spion Juraj Gabaj (Deckname Joga) in die Exilkommunität
der Schweiz einzudringen. Dieser wurde von den Kommunisten 1973 in die Schweiz ge-
schickt. Gabaj gab vor, ein politischer Gefangener zu sein und wurde sogar zum Vizevor-
sitzenden des Verbandes der tschechoslowakischen Vereine der Schweiz gewählt. Dies
ermöglichte ihm Zugang zum Verzeichnis der Abonnenten der Exilzeitschrift „Zpravodaj“.
So gelang es ihm, zumindest einige Monate lang, der Redaktion erhebliche administrative
Schwierigkeiten zu verursachen. Auch Gabaj kehrte in die Tschechoslowakei zurück und
sprach in einer Propaganda-Rundfunksendung für Landsleute im Ausland im November
1976 über die konterrevolutionäre Tätigkeit des tschechoslowakischen Exils in der
Schweiz.
Er wurde also, wie auch andere Agenten, vom kommunistischen Regime gleich zwei
Mal eingesetzt – einerseits für die Konspirationstätigkeit im Westen, andererseits, nach der
Rückkehr in die Heimat, um Material für die mediale Propaganda gegen das tschechoslo-
wakische Exil zu liefern. Ähnlich wie „ezá und Gabaj in der Schweiz verwendete das
Regime für Propagandazwecke auch den Agenten Pavel Mina€ík, der auch kurze Zeit als
Sekretär der Redaktion des Münchner Exil-Monatsheftes „Text“ tätig war und der vor al-
lem durch seine konspirative Tätigkeit in der Münchner Redaktion des „Radio Free Euro-
pe“ bekannt wurde. Die Staatssicherheit beobachtete die Exilpresse-landschaft intensiv.

201
Dank ihres Wissens über die Inhalte dieser Medien kreierte sie unter anderem auch verzerr-
te Kampagnen mit dem Ziel der Diskreditierung nicht nur einzelner Personen, sondern auch
verschiedener Exilorganisationen, Gruppen und Bewegungen. Teil einer solchen Kampagne
war sowohl die Produktion gefälschter Briefe, fiktiver Nachrichten, Resolutionen und ihre
Verschickung in die Exilmedien, wie auch das Fälschen ganzer Nummern einzelner Exilpe-
riodika oder die Publikation gefälschter Zeitschriften, die als Exilperiodika präsentiert wur-
den. Diese Strategie verfolgte das Außenministerium seit den 1950er Jahren. Während der
Normalisierung erschien unter dem Taktschlag der Geheimpolizei zum Beispiel die Zeit-
schrift „Nový proud“, die sich bemühte, durch die Veröffentlichung kontroverser Themen
verschiedene Exilgruppen gegeneinander aufzuwiegeln. Die Kommunikation mit der Hei-
mat sollte später durch weitere Exilzeitschriften noch intensiver werden. Von besonderer
Bedeutung als Impulsgeber für einen neuen, qualitativ unterschiedlichen Grad der Kommu-
nikation zwischen der Heimat und dem politischen Exil war die Proklamation der „Charta
77“. Den Exulanten wurde bewusst, dass sie der oppositionellen Bewegung in der Tsche-
choslowakei am besten durch eine intensive Kommunikation mit der Heimat, einem freien
Vertrieb von Informationen über ihre Aktivitäten und über die Verfolgung der Dissidenten
durch das totalitäre Regime dienen könnten. Pavel Tigrid kommentierte im April 1979 an
der Konferenz im bayerischen Franken, die der „Charta 77“ gewidmet war, die Notwendig-
keit der aktiven Kommunikation mit dem Dissidenten mit folgenden Worten: „man kennt
die Namen der Staatsanwälte, Richter, Polizisten, Kerkermeister, die Dissidenten anklagen,
verurteilen, Schikanen aussetzen. Ich glaube, dass wir bisher nur kaum die übliche Vor-
gangsweise nutzen, diese Rechtsverletzer öffentlich anzuprangern. Man muss ihnen sagen,
dass man sie kennt, dass ihre Taten der Welt bekannt sind und dass die späteren Ausreden,
es seien Befehle von Oben gewesen, nicht akzeptiert werden.“
Die sich intensivierende Kommunikation bestätigte bspw. auch der Publizist P€emysl
Janýr, der damals im österreichischen Exil lebte und regelmäßigen Kontakt mit tschechi-
schen Dissidenten pflegte. Eine verstärkte kommunikative Aktivität auf der Verbindungsli-
nie Heimat-Exil spiegelt sich markant im inhaltlichen wie formalen Aufbau der Exilzeit-
schriften. Ein Beispiel bietet die bereits erwähnte Zeitschrift „Zpravodaj“ in der die „Charta
77“ eine wesentliche konzeptuelle Wandlung bewirkte. Aus einem ursprünglich service-
bzw. informationsorientierten Bulletin, gegründet 1968, wurde allmählich ein reguläres
Exilperiodikum mit mehr als 2.000 Abonnenten. Zum festen Bestandteil seines Konzepts
bis zum Jahr 1977 gehörte die primäre Orientierung auf den Exilleser. Gerade aber durch
den Einfluss der „Charta 77“ begann die Zeitschrift, die Struktur ihrer Informationen auch
auf das Publikum in der Tschechoslowakei auszurichten. Aus ursprünglich 24 wurden 40
Seiten. Neben der Vergrößerung des Umfangs manifestierte sich der Einfluss der „Charta
77“ auch in der graphischen Gestaltung der Zeitschrift und ihrer Gesamtkonzeption. „Zpra-
vodaj“ widmete in der Mitte vier Seiten Informationen über die „Charta 77“ und den Akti-
vitäten der Opposition. Diese vier Seiten, genannt „Nachrichten und Informationen“ wur-
den blau gedruckt, um sie von den anderen Texten abzuheben. Die Redaktion rechnete
nämlich mit der Herauslösung dieses Supplements und ihrer weiteren Verbreitung unter
den Menschen auch in der Tschechoslowakei.
Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes 1989 und der Gründung der
Tschechischen Republik haben sich die Medien dort stark verändert. Man begann die Ver-
lagsbetriebe in Tschechien nach und nach zu privatisieren. Nicht nur einheimische Investo-
ren sondern auch ausländische und vor allem deutsche Investoren interessierten sich für den

202
tschechischen Printmarkt. Etwa acht ausländische Unternehmen kontrollieren heute 80
Prozent des tschechischen Printmarkts172. In den letzten 12 Jahren hat auf dem tschechi-
schen Zeitungsmarkt ein grosser Konzentrationsprozess stattgefunden, zu dessen eben auch
die starke Präsenz ausländischer Verlagshäusern in Tschechien gehört, wobei unter diesen
klar deutsche Regionalverlage den Ton angeben. Karel Hvížd‘ala, der selbst drei Jahre lang
Herausgeber von „Mladá Fronta Dnes“ war, der größten seriösen Tageszeitung Tsche-
chiens, stellte in diesem Zusammenhang folgenden Vergleich an: „Hier ist folgendes pas-
siert und zwar stellen Sie sich vor, ein Verlag aus Kolin oder Hradec Kralove oder Ustí nad
Labem würde in Deutschland die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kaufen und dann for-
dern, die Auflage müsse über die der deutschen „Bild-Zeitung“ steigen. Genau das wäre in
der Tschechischen Republik passiert173. Die Folge dieser Entwicklung liegt laut Karel
Hvížd‘ala auf der Hand – eine immer schneller vorangetriebene Kommerzialisierung und
Boulevardisierung der Zeitungen, bei der laut Hvížd‘ala immer weniger Zeit für in die
Tiefe gehende Analysen bleibt, und über wichtige Probleme des Landes nur ganz oberfläch-
lich berichtet wird174. Wer also informiert werden will, müsse, so Hvížd’ala, so oder so zu
den renommierten ausländischen Tageszeitungen greifen.

1.2 Tschechische Zeitungen und Zeitschriften

Die älteste heute noch bedeutende Tageszeitung Tschechiens ist die „Lidové noviny“, zu
Deutsch „Volkszeitung“, die im Dezember 2003 ihren 110. Geburtstag feiern konnte. Sie
gehört zwar zu den ältesten tschechischen Tageszeitungen, doch die erste war sie bei wei-
tem nicht, denn die ersten erschienen bereits Ende des 18. Jahrhunderts. Die Revolution
von 1848 brachte dann den ersten, allerdings recht kurzen Zeitungsboom in den Ländern
der böhmischen Krone. Ende des 19. Jahrhunderts erstarkte das tschechische National-
bewusstsein. Die von den Tschechen erhobenen politischen Forderungen mussten irgend-
wie publik gemacht werden und so entstanden in jenen Jahren Dutzende neuer Zeitungen –
eine von ihnen waren 1893 auch die im mährischen Brno/Brünn erscheinenden „Lidové

172
Zu diesen zählen unter anderem die Verlagsgruppe MAFRA („Mlada Fronta Dnes“), die mehrheitlich dem
Rheinisch-Bergischen- Verlagsunternehmen Düsseldorf gehört, die „Economia“ („Hospodá€ské noviny“), die
mehrheitlich der „Holtzbrinck Gruppe“ gehört sowie „Axel-Springer“, „Burda“, „Bertelsmann“ und „Bauer“.
Ein weiteres ausländisches Unternehmen, das in den tschechischen Printmarkt investiert, ist das größte
Schweizer Medienunternehmen „Ringier“ (Blesk). Den Markt der Tagespresse dominieren zum großen Teil
deutsche Investoren. Größter Verleger, gemessen an der Auflage, ist die „Vltava-Labe-Press“, die mehrheitlich
der „Passauer Neuen Presse“ gehört. Diese besitzt heute eine Regionalzeitung und 13 Wochenzeitungen. Die
zwei wichtigsten Verteiler im tschechischen Printmarkt sind „PNS“ („Passauer Neue Presse“) und „Media
Print & Kappa“, das unter anderem für den „Axel-Springer-Verlag“ und den „Burda-Verlag“ den tschechi-
schen Printmarkt versorgt.
173
Andererseits stelle sich die Frage, so Jens Buchwald, „ob nicht gerade die Investitionen erfahrener westlicher
Mediengesellschaften mit dem nötigen Kapital im Laufe der 1990er Jahre die erfolgreiche Entwicklung der
tschechischen Presse und des Rundfunks“ gesichert hätten. „Das Einbringen dringend nötiger Innovationen
und die Kreativität zur Entwicklung neuer marktgerechter Medienkonzepte auf westlichem Niveau [war] in der
Geschwindigkeit wahrscheinlich nur auf diese Art und Weise zu organisieren und zu finanzieren.“ [Buchwald,
J.: Medien(system) in der Tschechischen Republik. Proseminar: Ohnmacht und Übermacht der Medien. Ein
europäischer Vergleich. Wintersemester 2003/2004. Freie Universität Berlin, Otto-Suhr-Institut für Politikwis-
senschaft].
174
Schultheis, S./Schuster, R.: Die Presselandschaft in Tschechien. Der Medienspiegel, Radio Praha
[www.radio.cz/de/artikel/9130].

203
Noviny. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten entstanden im Königreich Böhmen
politische Tageszeitungen relativ spät. Die ältesten Zeitungen in England, Deutschland oder
Frankreich erschienen bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts. In den Böhmischen Ländern
wurde zwar auch Ende des 18. Jahrhunderts eine Zeitung herausgegeben, doch überlebte
diese nicht so lange. Immer wieder wurden tschechische Zeitungen von der Wiener Regie-
rung eingestellt bzw. verboten, so dass es keine gibt, die im 19. Jahrhundert einige Jahr-
zehnte ununterbrochen erscheinen konnte. Die Entstehung der politischen tschechischen
Tagespresse ist eng mit dem Namen Karel Havlíek Borovskýs verbunden. Noch heute
trägt ein Journalistenpreis den Namen dieses Literaten, Politikers und Revolutionärs. Karel
Havlíek Borovský war erstmals 1846 Chefredakteur einer Zeitung. Zwischen 1848 und
1850 gab er dann die „Narodni Noviny“, die „Nationalzeitung“, heraus. Aufgabe einer
Tageszeitung war laut Havlíek Borovský „das Volk national zu erziehen und ihm das
Bewusstsein seiner bürgerlichen Rechte einzuimpfen.“ Es scheint, dass das Karel Havlíek
Borovský allzu gut schaffte, denn 1851 wurde er von der Wiener Regierung wegen seiner
politischen Ansichten in die Verbannung geschickt. Während der Revolution von 1848
hatten die Tschechen ihre politischen Forderungen auch in Zeitungen geäußert. Kein Wun-
der also, dass diese nach der Niederschlagung der Revolution von der Wiener Regierung
nach und nach verboten bzw. eingestellt wurden. Es dauerte über ein Jahrzehnt, bis eine
neue tschechische Zeitung entstand. In den 1860er Jahren lockerte sich die politische Lage
in der Habsburger Monarchie. Damals nahm auch das politische Selbstbewusstsein der
Tschechen wieder zu, und mit diesem der Wunsch, politische Forderungen und anderes in
Zeitungen zu äußern. Und so entstanden nach 1860 erneut Tageszeitungen. 1861 erblickten
die „Narodni Listy“, die „Nationalen Blätter“, das Licht der Welt, die Organ der damals
bedeutendsten tschechischen Partei, der Nationalpartei waren.
In den 1880er und 1890er Jahren kam es dann zu einem regelrechten Zeitungsboom in
den Böhmischen Ländern: 65 politische Zeitungen erblickten damals das Licht der Welt.
Die meisten standen einer der gerade entstehenden Parteien nahe, den Sozialdemokraten,
Nationalisten, der Gewerbepartei oder den Agrariern. Als die „Lidové Noviny“ 1893 erst-
mals in Brno/Brünn erschienen, waren sie Sprachrohr der mährischen Volkspartei. In der
ersten tschechoslowakischen Republik erschien nach 1918 eine Unzahl an Tageszeitungen,
so gut wie alle waren Parteiorgane. Die Tradition ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert wur-
de beibehalten und nur eine kleine Anzahl von Zeitungen bezeichnete sich als überpartei-
lich. Zu diesen so genannten unabhängigen Zeitungen zählten sich auch die „Lidové Novi-
ny“, wobei diese Bezeichnung einen Haken hat. Der Gründer dieser in der ersten Republik
größten überregionalen und überparteilichen Zeitung, Adolf Stránský, war Mitglied der
Nationaldemokratischen Partei und als solches auch Minister in der ersten tschechoslowa-
kischen Regierung 1918. Auch sein Sohn und Nachfolger, Jaroslav Stránský, war parteipo-
litisch tätig. Trotzdem konnten die „Lidové Noviny“ ihren Ruf als unparteiisch erhalten. Im
Verlauf der 1920er Jahre wurden die „Lidové Noviny“ zu einer Art Institution. Wer etwas
von sich hielt, der las diese Zeitung, die als Sprachrohr der so genannten Burg-Gruppe um
Präsident Tomas Masaryk galt. Für die „Lidové Noviny“ schrieben die bekanntesten Intel-
lektuellen jener Zeit. Zu den Redakteuren zählten auch die Schriftsteller Karel apek und
Karel Polaek. Ihren Ruf als Zeitung der Intellektuellen behielt die Zeitung bis 1939. Nie-
mals ließ sie sich auf Boulevard-Themen ein. Die „Lidové Noviny“ gehörten zu den weni-
gen in Prag vertriebenen Zeitungen, die dort nicht herausgegeben wurden. Die ursprüngli-
che Redaktion in Brünn verlor aber mit der Zeit an Bedeutung gegenüber der Prager Redak-
tion. Dies lag wohl auch an der Popularität der Prager Redakteure. 1936 kaufte der Besitzer
der Zeitung, Jaroslav Stránský das Verlagshaus „Topic“ in der Národní ulice, der National-

204
strasse in Prag, in dem auch die Prager Redaktion der Zeitung ihr Zuhause fand. Diese
äußerst angesehene Adresse gegenüber dem Nationaltheater ist ein Beweis für die Bedeu-
tung, die die „Lidové Noviny“ in der Zwischenkriegszeit hatten. Die Geschichte der tsche-
chischen Zeitungen spiegelt die Geschichte des Landes wider. Nach der Errichtung des
Protektorats wurden die Zeitungen entweder verboten, wurden arisiert oder sie bekamen
eine neue, mit den Deutschen kollaborierende Leitung. Auch die „Lidové Noviny“ erlitten
dieses Schicksal. Viele ihrer Redakteure wurden wegen ihrer politischen Einstellung ver-
haftet und in Konzentrationslager deportiert. Viele überlebten den Krieg nicht. Der ehema-
lige Chefredakteur Karel Klima kam im Konzentrationslager um, ebenso der Schriftsteller
und Redakteur Karel Polaek. Der Maler und Illustrator Josef apek starb auf einem der
Todesmärsche im April 1945.
Die Machtübernahme durch die Kommunisten setzte auch in der Tschechoslowakei die
Politik der Unterdrückung der Medien fort. Zeitungen wie die „Lidové Noviny“ existierten
zwar noch einige Zeit fort, waren aber einem zunehmenden Konformitätsdruck ausgesetzt.
Im April 1945 war die „Lidové Noviny“ eingestellt worden. Nach der Befreiung der Tsche-
choslowakei im Mai 1945 kam auch der Wunsch auf, die „Lidové Noviny“ erneut in ihrem
alten Glanz wieder entstehen zu lassen. Ihre Mitarbeiter kehrten aus den Konzentrationsla-
gern und aus dem Exil zurück, doch es dauerte einige Wochen, bis die Erlaubnis zur Her-
ausgabe der Zeitung erteilt wurde. Doch die neue Existenz der unparteiischen Zeitung war
nur von kurzer Dauer, so wie die der Demokratie in der Nachkriegstschechoslowakei. Die
Kommunisten weiteten zielbewusst ihren Einfluss aus. Im Februar 1948 übernahmen sie
endgültig die Macht im Lande. Eine der Folgen war die Übernahme der Presse. Der Chef-
redakteur der „Lidové Noviny“, Ferdinand Peroutka, wurde bereits im Februar 1948 entlas-
sen und durch einen Kommunisten ersetzt. Die „Lidové Noviny“ erschienen zwar noch bis
1952, doch von ihrem Renommé als überparteiliches, intellektuelles Blatt blieb nichts mehr
übrig. In ihr waren ebensolche Lobeshymnen auf die Kommunisten abgedruckt wie in den
anderen offiziell erscheinenden Zeitungen. Diese erzwungene Linientreue, die natürlich alle
Zeitungen mehr oder weniger beherrschte, konnten diese mit der „Samtenen Revolution“
(„sametová revoluce“) im November und Dezember 1989 beginnen abzuschütteln. So wie
der Zeitungsmarkt in der Tschechischen Republik heute aussieht, ist er während und nach
der politischen Wende Anfang der 1990er Jahre entstanden. Während nach Wende der
Lesehunger noch ungebremst war, hat sich nach 1995 das Leseverhalten der Tschechen
stark verändert. Die Leserzahl der Zeitungen hat in den Jahren nach 1995 abgenommen, die
der nationalen Zeitungen bis 1999 allein um ein Drittel. Zugleich stieg im selben Zeitraum
die Zahl der Leser kostenlos verteilter Werbezeitungen mit einem minimalen Anteil politi-
scher Nachrichten um zwei Drittel.
Die meistgelesene Zeitung Tschechiens ist heute die Boulevardzeitung „Blesk“
[www.blesk.cz] (Blitz) mit knapp 1,6 Millionen Lesern. „Blesk“ gehört zur Mediengruppe
Ringier und ist eine klassische Yellowpress-Publikation. Sie erscheint in einer Auflage von
knapp 430.000 Stück, den Inhalt der 1992 gegründeten Zeitung bilden Sensationsberichte,
verschiedene Affären (die Reporter betreiben investigativen Journalismus im Stil der engli-
schen Yellowpress), Neuigkeiten über Prominente und ein Sportteil. „Blesk“ verfügt in der
tschechischen Medienszene über kein hohes Ansehen und ist auch trotz ihrer hohen Aufla-
ge unter Politikern nicht sehr beliebt. Der Einfluss von „Blesk“ auf die tschechische Politik
kann nicht mit jenem der österreichischen Kronen- oder der deutschen Bild-Zeitung vergli-
chen werden. „Mladá fronta Dnes“ („Junge Front heute“) [www.zpravy.idnes/mfdnes
.asp], kurz „Dnes“, ist die auflagenstärkste und damit auch meistgelesene, seriöse Tageszei-
tung Tschechiens, die mit einer Auflage von 290 bis 320.000 Exemplaren knapp 1,1 Milli-

205
onen Leser erreicht. Die „Dnes“ ging aus der Zeitschrift „Mladá fronta“ hervor, die vor
1990 vom Verband der Sozialistischen Jugend herausgegeben wurde. Bald nach der Wende
wurde die Zeitung von Journalisten und einflußreichen Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens dem Staat auf ziemlich rüde Weise entwunden, wobei die Redaktionsräume von
Angehörigen der Polizei-Spezialeinheit „URNA“ geschützt wurden, die während ihrer
Freizeit in den Räumen übernachteten. Heute gehört die Zeitung zur deutschen Rheinisch-
Bergischen Verlagsgesellschaft, die unter anderem die Rheinische Post herausgibt. Zur
Zeitung gehört auch das Online-Angebot „iDnes“. Dieser Wandel in der Redaktion der
Zeitung nach der Wende, die sich aber, wie manche meinen, nicht auf den Inhalt der
„Dnes“ niedergeschlagen hätte, stieß Nostalgikern der alten, vergangenen Zeiten übel auf.
Gerade Kommentatoren russischer Zeitungen konnten sich lange nicht völlig mit dem Ge-
danken anfreunden, dass die Tschechoslovakei nicht mehr existiert, sich friedlich teilte und
zwei unabhängige Staatswesen namens Tschechische und Slowakische Republik entstan-
den. Die „Mladá fronta“ begann als seriöse Zeitung, driftete aber nach und nach unter ande-
rem mit Sensationsgeschichten in den Raum zwischen Seriosität und Boulevard ab. Sie
besteht aus vier Abteilungen, von denen eine in einer regionalen Variante erscheint.
An dritter Stelle kommt „Právo“ (Recht) [www.pravo.cz], das aus der kommunistischen
Parteizeitung „Rudé Právo“ (Rotes Recht) hervorging. Während die „Mladá Fronta Dnes“,
die vor allem Ende der 1990er Jahre der bürgerlich-demokratischen Partei (ODS) näher-
stand als die anderen Zeitungen, im konservativ-rechten Milieu anzusiedeln ist, hat die
„Právo“ eine deutliche Tendenz nach links und zur Sozialdemokratischen Partei (SSD).
Právo ist eine seriöse Tageszeitung und erreicht täglich knapp 500.000 Leser, bei einer
Auflage von 165.000 verkauften Exemplaren. Eigentümer der Zeitung ist die Aktiengesell-
schaft „Borgis“, die ausschließlich „Právo“ und deren Beilagen herausgibt. Die viertgrößte
Tageszeitung ist statistisch gesehen die Zeitung „Sport“ [www.deniksport.cz], die in einer
Auflage von 144.000 Stück erscheint und im Schnitt 350.000 Leser erreicht, wird von
„Ringier herausgegeben“. Neben Ringiers „Sport“ ist „Axel Springer“ mit sechs Zeitschrif-
ten auf dem tschechischen Sport- und Autozeitungsmarkt präsent. Mit „Svet Motoru“ und
„Auto Tip“ untermauerte das Medienunternehmen seine dominierende Position im Segment
der Autozeitschriften gegenüber seinen Wettbewerbern175. Die Tageszeitung „Lidové novi-
ny“ (Volkszeitung) [www.lidovky.cz], die zur „Mafra a.s.“-Gruppe gehört, ist die Zeitung
mit der längsten Geschichte und Tradition Tschechiens. Die „Lidové noviny“, auch „Li-
dovky“ genannt, wurde 1893 gegründet. Sie darf sich der Mitarbeit berühmter tschechischer
Schriftsteller rühmen, unter anderen die Brüder Karel und Josef apek und Eduard Bass.
Die „Lidové noviny“ erschien, mit einer Unterbrechung zur Zeit der deutschen Besetzung
der Tschechoslowakei, bis 1952, als sie vom kommunistischen Regime verboten wurde. Im
Jahr 1988 erschien die Zeitung erneut, zuerst noch als Samizdat, im Untergrund, aber mit
einem Vorwort des Schriftstellers und späteren Präsidenten der Tschechoslowakei und
Tschechiens, Václav Havel. Trotz aller Probleme mit dem Regime erschien die Zeitung in
ihrem ersten Jahr fast regelmäßig. Ihr erneutes Aufleben nach der sogenannten „Samtenen
Revolution“ verdankte die „Lidové“ neben Havel den Dissidenten Ji€í Ruml und Ji€í
Dienstbier. Im November 1989 erschienen zwei Sondernummern über das Geschehen der
„Samtenen Revolution“. Am 5. Januar 1990 erschien dann die erste legale Nummer der

175
Die Publikationen vereinigen 65,2% (Vj.: 65,0%), bezogen auf die verkaufte Auflage, des Marktes auf sich.
Außerdem gibt Axel Springer Praha mehrere erfolgreiche Spezialtitel wie „Top Dívky Diary“, „Auto Tip Ext-
ra“ oder „Auto Bild Allrad Tschechien“ oder „Auto Tip 4x4“ heraus.

206
„Lidové Noviny“ nach 1952, seit April 1990 ist sie wieder eine Tageszeitung. Die „Lidové
Noviny“, die im Übrigen als erste Karikaturen veröffentlichte, hat heute eine Auflage von
73.000 und erreicht knapp 232.000 Leser täglich. Seit 1998 gehört sie zur Gruppe Rhei-
nisch-Bergische Druckerei und Verlagsgesellschaft mbH und ihrer tschechischen Tochter
Mafra a.s. Die Zeitung berichtet vor allem über Politik, Wirtschaft und Kultur, die Blattli-
nie ist konservativ. Die wohl seriöseste Wirtschaftstageszeitung Tschechiens ist die
„Hospodá€ské noviny“ („Wirtschaftszeitung“, www.ihned.cz), die mit einer Auflage von
62.000 Exemplaren an die 210.000 Leser erreicht. Die „Hospodá€ské noviny“ gehört zur
Verlagsgruppe „Economia“, die im Besitz des Unternehmers Zdenk Bakala ist. Die
„Hospodá€ské noviny“ positioniert sich als qualitativ hochwertige Zeitung, berichtet aus
den Sparten Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur, und veröffentlicht regelmäßig Gastkom-
mentare berühmter internationaler Politiker und Wirtschaftsexperten.
2007 war in den Medien die Rede vom Verkauf des tschechischen „Economia“-Verlags,
in dem die Wirtschaftszeitung „Hospodá€ské noviny“ und das Wirtschaftsmagazin „Eko-
nom“ erscheinen. Laut Medienberichten stand damals der Verkauf der Mehrheits-anteile,
die bis vor kurzem noch die Düsseldorfer „Handelsblatt“-Gruppe innehatte, unmittelbar
bevor. Neuer Eigentümer hätte der „Mladá-Fronta“-Verlag werden sollen. Doch wenig
später erwarb ein anderer Bewerber, der tschechische Unternehmer und Milliardär Zdenk
Bakala, die Anteile am „Economia“-Verlag. Der Publizist Karel Hv힆ala, der als Chefre-
dakteur und Herausgeber der Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“ und als Gründer der Wo-
chenzeitschrift „Týden“ in den Jahren seit der Wende tschechische Mediengeschichte ge-
schrieben hat, erinnerte daran, dass der tschechische Journalisten-Verband gegen die Über-
nahme durch einen Bewerber protestiert hatte. Die Eigentums-verhältnisse seien undurch-
sichtig, außerdem hätte sich gezeigt, dass das Kapital des Bewerbers nicht ganz sauber war
und auch Verdacht auf Betrug bestand. Somit waren nur noch zwei Interessenten im Spiel,
beide Milliardäre – Petr Kellner und Zdenk Bakala, die beide als saubere Unternehmer
und tadellose Menschen galten. Dass Bakala den Zuschlag erhielt, war für Hvížd’ala keine
wirkliche Überraschung, aber ein gutes Zeichen. Bakala hatte schon vor geraumer Zeit die
Mehrheitsanteile an der angesehenen und seriösen tschechischen Wochenzeitschrift „Re-
spekt“ erworben. Mit der Übernahme des Verlags und der Wirtschaftszeitung war Bakala
nicht nur dabei, ein Medienunternehmen aufzubauen, damit stiegen auch die Chancen, dass
dessen Titel in gewisser Weise gegen den Zeitgeist schwimmen und sich damit gegen den
oft beklagten Boulevard-Trend in der tschechischen Presselandschaft stemmen würden –
zumal da auch der zweite Bewerber um „Economia“, der Milliardär Petr Kellner, damals
ankündigte eine unabhängige Wochenzeitschrift zu gründen. Nach Meinung Hvížd’alas
verstünde es der „Respekt“-Verleger Bakala, zwischen der Berichterstattung seiner Medien
und dem Bereich der Anzeigen „eine Art chinesischer Mauer aufzubauen“. Bakala kündigte
auch an, neue Ethik-Richtlinien für den „Economia“-Verlag ausarbeiten lassen zu wollen.
Zu „Economia“ gehören nicht nur die „Hospodá€ské noviny“, sondern auch die Wochen-
zeitschrift „Ekonom“ und dazu der Internet-Dienst „ihned.cz“ sowie 18 weitere Zeitschrif-
ten. Da das zum Verkauf stehende Paket groß war, wurde der Kaufpreis auch auf rund 100
Millionen Euro geschätzt. Der Publizist Karel Hv힆ala, der vor der Wende viele Jahre im
Exil in Deutschland gelebt hatte, gehörte in der Vergangenheit zu den größten Kritikern der
Entwicklungen in der tschechischen Presselandschaft. In seinen Artikeln bezeichnete er die
Zeitungen des Landes oft als „Pop-Medien“. Ihre einzige Aufgabe sei, bei den Lesern Emo-
tionen zu wecken, nicht aber Informationen zu vermitteln. Die einzige Ausnahme machte
Hv힆ala stets bei der Bewertung der Wirtschaftszeitung „Hospodá€ské noviny“. Wenn
aber Bakala und Kellner den Gegentrend gegen die Kommerzialisierung und Boulevardisie-

207
rung ausriefen, könnten sie sich damit eventuell Konkurrenz machen, zwischen Respekt,
dem neuen Medium und gleichzeitig zwischen den Wirtschaftsmagazinen „Ekonom“ und
„Euro“. „Euro“ erscheint schon seit einigen Jahren in einem Verlag, der zu Kellners Fir-
menimperium gehört. Das Konkurrenz-verhältnis würde sicher bedeuten, dass die Qualität
der Medien aus beiden Verlagshäusern steigen müsste. Das bedeute, so Hvížd’ala, das erste
Mal seit gut zwanzig Jahren eine positive Nachricht.
An bunten, sensationshungrigen Boulevardzeitungen gibt es in der Tschechischen Re-
publik neben der alles überragenden „Blesk“ die „Aha!“ (www.ahaonline.cz, Auflage:
100.000), „Šíp“ (www.deniksip.cz, Auflage: 60.000), sowie die Tageszeitung der Kommu-
nistischen Partei „Haló noviny“ (Hallo Zeitung, www.halonoviny.cz), die in einer Auflage
von 50.000 Stück publiziert wird. Auf regionaler Ebene erscheint die Tageszeitung „Deník“
(„Tagblatt“, www.denik.cz), die in 73 regionalen Varianten verlegt wird – in Prag als
„Pražský deník“, in Brünn als „Brnnský deník Rovnost“ usw., und insgesamt von knapp
1,3 Millionen Leser täglich gekauft und gelesen wird. Sie besteht aus einem sehr detaillier-
ten Regionalteil und einem landesweit einheitlichen Teil. In vielen Fällen gingen die regio-
nalen Versionen aus Übernahmen bestehender regionaler Zeitungen, wie etwa in Brünn,
hervor. Herausgegeben wird sie von der Gruppe Vltava-Labe-Press (Verlagsgruppe Passau
GmbH). Beliebt ist die Wochenzeitschrift „Reflex“ [www.reflex.cz], die sich als politisch-
gesellschaftliches Medium sieht und über verschiedene Themen von Politik bis Kultur
berichtet. Sie gehört zur Ringier-Gruppe. Die liberale Zeitschrift „Reflex“ ist bekannt dafür,
dass die Titelblätter, Artikel bzw. Cartoons oftmals die Tabugrenzen überschreiten. Die
Auflage des Magazins beträgt ca. 57.000, erreicht 250.000 Leser. Einen deutlichen politi-
schen Schwerpunkt hat die Wochenzeitschrift „Respekt“ [www.respekt.cz], die 2007
grundlegende Veränderungen erlebte, nachdem sie von der Firma des Unternehmers
Zdenk Bakala erworben wurde176. Das Format wurde verkleinert, die Zeitschrift erschien
ab sofort in Farbe und auf Hochglanzpapier. Sofort erkennbar ist die Zeitschrift durch die
charakteristischen Titel- und Text-Zeichnungen von Pavel Reisenauer. „Respekt“ gilt als
kritisches, liberales Medium, berichtet über politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche
Themen auf hohem Niveau, und betreibt investigativen Journalismus. So spielte „Respekt“
eine entscheidende Rolle bei der Aufklärung der Luxuswohnung-Affäre des damaligen
tschechischen Premierministers Stanislav Gross. 2005 wurde „Respekt“ vom Tschechi-
schen Verleger-verband („Unie vydavatel‚“) zur Wochenzeitung des Jahres gewählt. „Re-
spekt“ erreicht ungefähr 80.000 Leser mit einer Auflage von 25.000.
Die Zeitschrift „Týden“ (Woche) [www.tyden.cz] startete 1994 als eine Art tschechische
Version der österreichischen Zeitschrift „News“, hat sich aber in der Zwischenzeit anders
positioniert. „Týden“ berichtet über Politik, Gesellschaft, Kultur, Sport und Wirtschaft und

176
„Respekt“ wurde sehr bald nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes von Dissidenten als eine
der ersten unabhängigen Zeitungen gegründet und hieß zunächst „Informaní servis Obanského Fóra“ (dt.: In-
formationsservice des Bürgerforums). Seit 1990 trägt die Zeitung ihren derzeitigen Namen. Einige Verantwort-
liche und Mitarbeiter von „Respekt“ machten später politische Karriere, wie zum Beispiel der langjährige
tschechische Innenminister Jan Ruml. Mitte der 1990er Jahre erreichte die Auflage mit über 100.000 verkauf-
ten Exemplaren ihren Höhepunkt. 1996 wurde die Wochenzeitung von Karel Schwarzenberg gekauft. In den
folgenden Jahren ging die Auflage jedoch zurück, der Herausgeber „R-PRESSE, spol. s r.o.“ schrieb rote Zah-
len. Im Juni 2006 stieg Zdenk Bakala als neuer Investor ein und setzte als neuen Direktor Miloš ermák ein.
Unzufrieden mit dieser Entscheidung kündigten im September 2006 nahezu alle Redaktionsmitglieder ihre
Verträge. Wenige Wochen später kam es doch noch zu einer Einigung, neuer Chefredakteur wurde Martin M.
Šimeka, bisheriger Chefredakteur der slowakischen Tageszeitung „Sme“. Šimeka wurde im Januar 2009 als
Chefredakteur durch Erik Tabery ersetzt.

208
konnte bisher einen relativ hohen Standard halten. Die Zeitschrift erscheint in einer Auflage
von 55.000 Stück, mit der rund 230.000 Leser erreicht werden. Als Wirtschaftszeitschriften
positionieren sich die Magazine „Ekonom“ [www.ekonom.cz] und „Euro“ [www.euro.cz].
„Ekonom“ gehört zur Verlagsgruppe „Economia“ und berichtet in erster Linie über wirt-
schaftliche Themen sowie ökonomische Hintergründe zu politischen und gesellschaftlichen
Themen. Die Auflage von „Ekonom“ beträgt 23.000, die Zeitschrift hat im Durchschnitt
125.000 Leser. Ähnlich positioniert ist auch die Zeitschrift „Euro“, die mit ihrer Online-
Version Aufsehen erregte. Sie erreicht mit einer Auflage von 25.000 aber nur knapp 80.000
Leser pro Woche. In der Sparte der gesellschaftlichen Zeitschriften dominiert das Magazin
„Rytmus Života“ [www.rytmuszivota.cz], das über Themen wie Gesellschaft und Gesund-
heit berichtet und am ehesten mit der deutschen „Bunte“ vergleichbar ist. Erreicht werden
jede Woche an die 922.000 Leser. Die Zeitschrift gehört zur Verlagsgruppe Bauer Media.
„Nedlní Blesk“ („Blesk am Sonntag“, www.blesk.cz) ist die Wochenzeitschrift der Boule-
vardzeitung „Blesk“ (Verlagsgruppe „Ringier“), die in einer Auflage von 250.000 Stück
erscheint, womit 720.000 Leser erreicht werden. Monatlich erscheinen in Tschechien zahl-
reiche Magazine, die sich meist mit bestimmten Themen befassen (Automobile, Garten,
Heim, Gesundheit), sowie Fachzeitschriften (z.B. Architektur, Kunst). Darüber hinaus gibt
es Frauen- und Männermagazine bzw. Zeitschriften für Teenager (wie etwa „Bravo“). Er-
wähnenswert sind die Publikationen des Verlags „Mladá Fronta“ [www.mf.cz], der nichts
mit der Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“ zu tun hat, und sich unter anderem auf Monats-
zeitschriften spezialisiert. „Mladá Fronta“ publiziert Lifestyle-Magazine wie etwa „Moje
zdraví“ („Meine Gesundheit“), sowie das populärwissenschaftliche Magazin „VTM Scien-
ce“ [www.vtm.cz] oder das seit 1944 erscheinende Kinderheft „Mate€ídouška“ („Feldthy-
mian“). Im Wirtschaftsbereich veröffentlicht „Mladá Fronta“ unter anderem die Zeitschrift
„Strategie“ [www.strategie.cz], die sich mit Marketing und Werbung befasst, und die Ar-
chitekturzeitschrift „Projekt“. Das Verlagshaus „Economia“ wiederum veröffentlicht sehr
spezifische Monatszeitschriften wie etwa die Titel „Moderní obec“ („Moderne Gemeinde,
www.moderniobec.cz), „Marketing&Media“ [www.mam.cz] oder „Odpady“ („Abfall“). In
Prag werden zwei Gratiszeitungen verteilt, einerseits die tschechische Ausgabe der interna-
tional erscheinenden Gratiszeitung „Metro“ [www.metro.cz] und die Zeitung „24 hodin“
(„24 Stunden, www.24hodin.cz), die von Ringier produziert wird. Die Prager Gratiszeitung
mit dem vielsagenden Titel „24 Stunden“ erscheint seit November und soll dem äußerst
erfolgreichen Projekt der kostenlosen U-Bahn-Zeitung „Metro“ Konkurrenz machen, die
seit acht Jahren auf dem Markt ist und in der Prager Untergrundbahn angeboten wird. He-
rausgegeben wird „24 Stunden“ vom Schweizer „Ringier“-Konzern, dessen mediales
Flaggschiff in Tschechien, die Boulevard-Zeitung „Blesk“, die mit großem Abstand meist-
gelesene tschechische Tageszeitung ist177.

177
Auch die Verlagsgruppe „Mafra“, ein Tochterunternehmen der Düsseldorfer Rheinisch-Westfälischen Drucke-
rei- und Verlagsgesellschaft, die mit der „Mladá fronta Dnes“ und der „Lidové noviny“ ebenfalls mit zwei
überregionalen Zeitungen auf dem Markt vertreten ist, will in den Bereich der kostenlosen Zeitungen einstei-
gen.

209
1.3 Fernsehen und Rundfunk in der Tschechischen Republik

Eine der wichtigsten Neuerungen nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Re-
gimes war die die Herausbildung eines dualen Fernseh- und Rundfunksystems. Grundlage
dafür war das Rundfunkgesetz des Jahres 1991, nach dessen Verabschiedung die Nachfrage
nach Lizenzen für private Sender enorm war. Neben den erhofften Gewinnen war auch der
Umstand, dass die öffentlich-rechtlichen Sender nur noch über geringe Glaubwürdigkeit in
der Bevölkerung verfügten, ein wesentlicher Grund. Die Zulassung der privaten Sender
stand so ursprünglich unter dem großen Zeichen der Freiheit. Private Rundfunk- und Fern-
sehsender schossen wie Pilze aus dem Boden. Problematisch war jedoch, dass es keine
verbindlichen Regelungen und Richtlinien für den privaten Rundfunk gab. Die Folge war,
dass die Privaten Sender dem anfänglichen Anspruch, großen Informationsgehalt zu bieten,
nicht gerecht wurden. Man konzentrierte sich vor allem auf kommerzielle Angebote auf
Kosten der Information. Möglich war dies durch die Liberalisierung der Wirtschaft, wo-
durch der Werbemarkt belebt wurde und wovon die privaten Anbieter profitierten. In der
Tschechischen Republik senden heute insgesamt sieben gesamtstaatliche und 76 regionale
Radiostationen. Auf dem gesamten Staatsgebiet senden: der öffentlich-rechtliche „Tsche-
chische Rundfunk“ mit „(eský)Ro(zhlas)1 - Radiožurnál“, der Nachrichtenkanal des
Tschechischen Rundfunks, der eine tägliche Zuhörerzahl von durchschnittlich 902.000
Zuhörern hat; „Ro 2 – Praha“ (Familienstation des Tschechischen Rundfunks, Zuhörer-
zahl: 317.000 pro Tag); „Ro 3 – Vltava“ (Kultur-Station des Tschechischen Rundfunks,
Zuhörerzahl: 50.000 pro Tag); „Ro 6“ (analytisch-publizistische Station des Tschechi-
schen Rundfunks mit einer Zuhörerzahl von 16.000 pro Tag. Unter den privaten Stationen
finden sich „Frekvence 1“, ein kommerzieller Sender mit Musikhits der vergangenen Jahre
und Unterhaltung, mit einer Zuhörerzahl von 918.000 pro Tag; der Musik-
Informationssender „Radio Impuls“ (Zuhörerzahl: 800.000 pro Tag); „Evropa 2“, ein
kommerzieller Sender, der sich auf aktuelle Hits und Unterhaltung spezialisiert hat (Zuhö-
rerzahl: 679.000 pro Tag).
2008 feierte der Tschechische Rundfunk seinen 85. Geburtstag, weshalb am Eingang des
Prager Funkhauses damals eine riesige Zahl 85 prangte. Fachleute wurden gefragt, wie es
damals war, als die ersten Sendungen über den Äther gingen, und wie es mit dem öffent-
lich-rechtlichen Rundfunk weitergehen solle, in der immer unübersichtlicheren Medien-
landschaft. Die diversen Inlandssender des Tschechischen Rundfunks widmeten dem gar
nicht so runden 85. Jubiläum lange Sendezeit, und auch „Radio Prag“ bereitete für den 18.
Mai 2008, den Geburtstag, eine Sondersendung vor. Die bewegten Ereignisse der tschechi-
schen Zeitgeschichte wurden lebendig, in denen der Rundfunk eine zentrale Rolle spielte,
wie der Prager Aufstand gegen die nationalsozialistische Besatzung im Mai 1945, oder der
Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968. Heute stellt sich die Frage, wie
wird es weitergehen mit dem Medium Radio? Hat es noch eine Zukunft? Aber nicht nur in
Prager Straßenbahnen hat bald jeder zweite Fahrgast Kopfhörer auf. Podcasting und Inter-
netradio sind die ständigen Begleiter einer neuen Hörergeneration. Es entstehen auch in
Tschechien neue Plattformen für Information, Musik, Hörspiele, Hörbücher und Hörbilder.
Und es ist die Rede vom interessantesten Comeback in der neueren Medien-geschichte. Ein
Beispiel von vielen ist die Radiostation „Radio Wave“, ein neues Projekt des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks. Der Sender will sich vor allem als ein alternativ ausgerichtetes
Jugendradio profilieren und so im Rahmen des bisherigen Programm-angebots des Tsche-
chischen Rundfunks eine bestehende Lücke schließen. Der Kanal kann auf einer UKW-

210
Frequenz in Prag und Mittelböhmen sowie im Internet empfangen werden. Mittelfristig will
der Tschechische Rundfunk die Ausstrahlung dieses Programms auch auf die übrigen Lan-
desteile ausweiten.
Die erste regelmäßige Fernsehausstrahlung begann, nach einigen Versuchen in den Jah-
ren 1948 und 1953, am 25. Februar 1954. Zu dieser Zeit bot das Fernsehen lediglich das
staatliche „Tschechoslowakische Fernsehen“. Nach der Teilung der Tschechoslowakei in
Tschechien und in die Slowakei, ist ihr Nachfolger das heutige staatliche „Tschechische
Fernsehen“ („eská Televize“), das gegenwärtig auf vier Programmen sendet. Zwei davon
sind klassisch-analog („T1“ und „T2“), und die zwei neuesten „T24“ (Nachrichten-
Kanal) und „T4“ (Sport-Kanal) sind digital. Die Digitalen sind mit den deutschen Pro-
grammen „N24“ und „DSF“ vergleichbar. Die Tschechische Republik war der erste osteu-
ropäische Staat, der Lizenzen zur gesamtstaatlichen Ausstrahlung von privatem Fernsehen
erteilte. Besonders hierbei war, dass die Lizenzen fast umsonst und ohne jegliche Bedin-
gungen vergeben wurden. Das damalige erste Föderale Fernsehen „T“ wurde dann im
Jahre 1994 auf der Grundlage eines Auswahlverfahrens an das kommerzielle Fernsehen
„TV Nova“ abgetreten178. Damit war der Grundstein zur Entwicklung des privaten Fernse-
hens in Tschechien gelegt. Im Jahre 1997 begann dann „TV Premiéra“ seine Aus-strahlung,
das heute „TV Prima“ heißt.
Gegenwärtig senden in der Tschechischen Republik vier gesamtstaatliche und über
zwanzig regionale Fernsehstationen. Der erste private Fernsehsender des Landes, „TV
Nova“, wurde 1994 gegründet, ist heute, nicht zuletzt dank des hohen finanziellen Engage-
ments des US-amerikanischen Investors Ronald Lauder, Tschechiens erfolgreichster Fern-
sehsender mit den höchsten Einschaltquoten. Etwa 70 Prozent der Tschechen schalten den
Kanal täglich ein. Um diese Quoten zu erreichen und zu halten und noch weiter zu erhöhen
werden jedoch stundenlange Blöcke einfach gestrickter US-Fernsehserien gezeigt, die teil-
weise sprachlich und technisch katastrophal bearbeitet sind. Die Spitzenmeldungen der
Nachrichten bestehen vor allem aus Katastrophen- und Verbrechensmeldungen, während
eine geänderte Nachrichtenstruktur dafür sorgt, dass über politische Ereignisse nur marginal
bzw. im Stil der Boulevardpresse berichtet wird. Aber auch das öffentlich-rechtliche Fern-
sehen „T“ geriet immer wieder durch Skandale und Misswirtschaft in die Schlagzeilen.
So kam es Ende 2000 nach der Absetzung des „T“-Fernsehdirektors zum Eklat. Der
Nachfolger des verachteten Direktors galt als bedingungsloser Gefolgsmann vom Parla-
mentspräsidenten Václav Klaus. Die Redakteure traten daraufhin in den Streik und besetz-
ten das Gebäude, weil sie die Beeinflussung durch die Parteien nicht mehr länger hinneh-
men wollten. Problematisch ist auch, dass Parlament und Politik über den Fernsehrat be-
trächtlichen Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Sender hat. Die in den letzten Jahren
enorm gestiegenen Werbe-einnahmen sind für alle Sender unerlässlich. Während 1993
Printmedien und Fernsehen zusammen für Werbung über vier Milliarden Tschechische
Kronen (ZK) einnahmen, waren es 1998 mit 14,6 Milliarden schon dreieinhalbmal soviel.
Allein das Fernsehen erzielte 1998 Erlöse von über neun Milliarden Tschechischen Kronen.
Auch die öffentlich-rechtlichen Sender ,,T1“ und ,,T2“ können neben den Einnahmen

178
Nach einem mehrjährigen Testbetrieb nahm die Tschechische Republik 1999 die Übertragung via digitalen
Multiplex auf. Die Empfänger können die Fernsehprogramme „T1“, „T2“, „T24“, „T4 Sport“ auf „TV
Nova“ verfolgen. Die weitere Entwicklung der digitalen Sendung hängt von der Freischaltung der Frequenzen
ab, worauf die alten Analogsender ausgeschaltet werden. Spätestens Ende 2012, wahrscheinlich aber schon ei-
nige Jahre früher, sollen die Analogsendungen ganz abgeschaltet werden. Anstatt derzeit vier Fernsehpro-
grammen werden den Zuschauern dann etwa zehn bis 15 Fernsehprogramme zur Verfügung stehen.

211
aus den Rundfunkgebühren nicht auf die Erlöse der Werbung verzichten. Die Kontrolle
über die Finanzen sowie die Organisation des staatlichen Fernsehens hat dabei indirekt das
tschechische Parlament über den von diesem eingesetzten Fernsehrat. Durch diese Verqui-
ckung von Politik und Medien steht der Fernsehrat unter starkem Einfluss einzelner Politi-
ker und des Parlament. Es fehlt ein möglichst eigenständiges Kontrollorgan, um die Unab-
hängigkeit der Sender zu gewährleisten.
Andererseits sind dem Rundfunk- und Fernsehrat in anderer Hinsicht die Hände gebun-
den. Während in Deutschland die Landesmedienanstalten Lizenzen vergeben und der Erhalt
der Lizenzen an Bedingungen geknüpft wird, ist dies in der tschechischen Republik seit
1995 nicht mehr möglich. Der Vorsitzende des Rundfunk- und Fernsehrates, Vacláv Zak,
meinte im Gespräch mit „Radio Praha“, der Rat hätte früher den privaten Sendern nicht nur
die Lizenz erteilt, sondern weitere Bedingungen gestellt, die nicht Bestandteil des Gesetzes
waren. Zu den Lizenzbestimmungen bei den privaten Radiostationen gehörte etwa das
prozentuale Verhältnis zwischen Musik und gesprochenem Wort. Im Jahr 1995 veränderte
sich aber die Rolle der Aufsichtsbehörde, weil durch eine Gesetzesänderung der Rat die
Vergabe von Lizenzen nicht mehr an weitere Bedingungen knüpfen durfte. Der Rat durfte
also ab sofort nicht mehr tun, was vergleichbaren Behörden im Ausland durchaus gestattet
ist. Das führt dazu, dass dem Rat bei Konflikten oft die Hände gebunden sind. In Tsche-
chien gibt es zudem ein zentrales Pressegesetz, das Schutzmaßnahmen gegen Verleumdung
natürlicher Personen, ihrer Ehre, Würde und Privatsphäre aufgrund ihrer ethnischen oder
nationalen Herkunft enthält. Im Gegensatz dazu liegt in Deutschland die Gesetzgebungs-
kompetenz im Presserecht bei den Ländern. Radio und Fernsehen müssen in Deutschland
staatsfern betrieben werden, was in Tschechien nicht vollständig gegeben ist. Zum einen
wird, wie oben beschrieben, der Rundfunk- und Fernsehrat vom Parlament gewählt und so
nach den dortigen politischen Kriterien bestimmt. Zum anderen kann in Tschechien der Rat
auch vom Parlament wieder abberufen werden, wenn dieses den Jahresbericht des Rates
zweimal nicht verabschiedet. Damit besteht die Gefahr politischen Drucks auf den Rat. In
Deutschland können Rundfunkräte zwar teilweise von den Länderparlamenten entsandt
werden, allerdings ist eine Abberufung durch diese nicht möglich. Zudem fehlt in der
tschechischen Republik an einer strikteren Definition der Aufgaben eines Mitglieds des
Rundfunk- und Fernsehrates, damit nicht etwa willkürlich in die Kompetenzen des Fern-
sehmanagements eingegriffen wird, oder dass umgekehrt die Fernsehführung die langfristi-
gen Ziele anerkennt, die das Aufsichtsorgan verfolgt.
Einen weiteren Unterschied bildet die Fernsehlandschaft der beiden Länder. In Deutsch-
land gibt es eine Vielzahl von lokalen, regionalen oder nationalen Sendern, insgesamt meh-
rere hundert. In Tschechien hingegen gibt es zwei analoge, zwei digitale und 20 regionale
Fernsehsender. Dadurch kommt es teilweise zu einer starken Polarisierung der Zuschauer
zu einem Fernsehsender, „TV Nova“. Dieser erreicht Spitzenmarktanteile von 70 Prozent,
beispielsweise bei Nachrichtensendungen. Im Vergleich dazu erreicht die Tagesschau um
die 30 Prozent. Ebenfalls ist die durchschnittliche Einschaltquote von „TV-Nova“ von 40
Prozent enorm hoch. In Deutschland senden 250 analoge und 100 digitale Radiostationen,
während es in Tschechien insgesamt 83 Radiosender gibt. Allerdings wächst der tschechi-
sche Radiomarkt enorm: während dieser im Zeitraum 2000 bis 2005 um 12,5 Prozent
wuchs, kam es in der Bundesrepublik zu einem Rückgang von -3,8 Prozent. Außerdem sind
die Tschechen in der Digitalisierung Deutschland einen Schritt voraus. Dort soll bis 2012

212
die Digitalisierung abgeschlossen sein, in Deutschland bis 2015179. In Deutschland startete
der erste Teleshopping-Kanal 1997. Der Teleshopping-Markt wuchs seitdem jährlich um
mehr als 50 Prozent und 2005 wurde 2005 erstmals mehr als eine Milliarde Euro umge-
setzt, Tendenz steigend. In der Tschechischen Republik startete Ende 2005 der erste Tele-
shoppingkanal. Dieser sendet 18 Stunden pro Tag, allerdings sehen Experten den dortigen
Markt als sehr beschränkt an und rechnen mit sehr geringem, beziehungsweise fast keinem
Wachstum. Ebenfalls eine weitere Besonderheit bildet das Thema Rundfunkgebühren.
Diese gibt es in Deutschland und Tschechien. Aber nicht nur die Höhe unterscheidet beide
Länder, sondern auch die Art, wie diese eingezogen wird. In Deutschland macht dies be-
kanntermaßen die GEZ. Die Höhe richtet sich dabei nach den Geräten, die man angemeldet
hat. In Tschechien muss eine Pauschale von 45 Kronen (1,60 Euro) pro Haushalt abgeführt
werden. Allerdings gibt es dort keine Zentrale die die Gebühren eintreibt, sondern der
Rundfunk muss dies selbst erledigen. Keine Pauschale dagegen müssen Firmen in der
tschechischen Republik entrichten: pro Gerät werden dort 45 Kronen fällig, andernfalls
werden Strafen von 5.000 Kronen (ca. 185 Euro) fällig. Tschechien war, wie bereits er-
wähnt, der erste osteuropäische Staat, der Lizenzen für die gesamtstaatliche Ausstrahlungen
für das private Fernsehen erteilte. Dies machte das Land Anfang der 1990er Jahre zur gro-
ßen Ausnahme. Aber nicht nur das, die Vergabe der Lizenzen geschah, wie bereits erwähnt,
fast umsonst und ohne jegliche Bedingungen.
Die offiziele tschechische Nachrichtenagentur ist „TK“ („Ceská Tiskova Kancela€“)
[www.ctk.cz], die neben Berlin Korrespondentenposten in mehreren anderen Städten wie
New York, London, Paris, Brüssel oder Warschau hat. 2005 meinte die Deutschland-
Korrespondentin Denisa Svobodníková, dass die Berichterstattung aus Deutschland für die
tschechischen Medien eine große Bedeutung hat, sähe man schon an der Diskussion über
die Osterweiterung oder die Beneš-Dekrete. Über Deutschland werde viel geschrieben, über
die Regierungskrise, über die geplanten Neuwahlen und auch über deutsche Firmen, die
gute Kontakte zu tschechischenen Firmen haben, wie etwa Volkswagen. Seltsam ist nur,
dass die großen tschechischen Tageszeitungen keine eigenen Korrespondenten in Deutsch-
land haben, was vor allem daran liegt, dass Auslandskorrespondenten teuer sind. Daher
schreibt oft einer für mehrere Zeitungen. Außerdem sind die Korrespondenten immer wie-
der auch am Ort des Geschehens. Zita Senková von „Mlada fronta dnes“ ist regelmäßig in
Berlin präsent. Bei aktuellen Ereignissen kommen stets einige tschechische Medienvertreter
in das Nachbarland. Die tschechischen Medien bedienen sich nicht nur aus dem Fundus der
Agentur „TK“, sondern auch aus dem der „dpa“ und denen der internationalen Agenturen.
Auch kann man deutsche Zeitungen ganz normal in Tschechien kaufen. Wenn die Prager
Redaktionen etwas brauchen, zumeist Reaktionen auf tschechische Ereignisse, wie die
Versöhnungsgeste von Ministerpräsident Ji€í Paroubek an sudetendeutsche Antifaschisten,
dann wenden sie sich an die „TK“-Journalisten oder schicken selbst ein Redaktionsmit-
glied. Die großen, überregionalen Medien berichten über die Hauptereignisse auf politi-
scher Ebene. Die kleinen regionalen Medien in Sachsen und Bayern, an der Grenze zu
Tschechien, schreiben meist detaillierter über grenzüber-schreitende Projekte, etwa von
Nichtregierungsorganisationen oder die negativen Begleiterscheinungen der Osterweite-

179
Ebenso wie Radio- und TV-, ist der Printmarkt in der tschechischen Republik kleiner als der in Deutschland.
So hat die größte deutsche Tageszeitung, die „Bild“, eine tägliche Auflage von 3,5 Millionen Exemplaren. Die
„Blesk“, als größte tschechische Tageszeitung hat eine Auflage von 520.000 Exemplaren. Noch größer ist der
Unterschied bei den Zeitschriften. Der „Spiegel“ erreicht in Deutschland eine Auflage von 1,1 Millionen Ex-
emplaren, „Tyden“ in Tschechien erreicht 54.000 Exemplare.

213
rung, über den Benzintourismus oder den Einkaufs-tourismus zwischen Deutschland und
Tschechien, oder über Deutsche, die im tschechischen Grenzgebiet eine Arbeit gefunden
haben. Insgesamt wird das Bild, das die deutschen Medien von ihrem Nachbarn entwerfen,
über der Grenze als nicht besonders objektiv und detailliert kritisiert, wobei es Unterschiede
gibt. In den nördlichen Bundesländern habe man überhaupt kein Bild Tschechiens, meint
Frau Svobodníková. Dagegen habe man in Sachsen und Bayern zwar ein konkreteres Bild,
das aber teils von den Konsequenzen der Osterweiterung überschattet sei. Andererseits
beherrschen die tschechische Bericht-erstattung, wenn es um Deutschland geht, Themen
wie die Vertreibung, während das Alltagsdeutschland etwas zu kurz kommt.

214
2. Slowakei: Die Medien und der Populismus

Europas Zeitungen beobachteten mit Sorge, wie im Frühjahr 2006 nach Polen in einem
weiteren osteuropäischen Land eine populistische Regierung entstand. In der Slowakei
hatte sich die sozialdemokratische Partei „Smer“ unter Robert Fico mit der „HSDZ“ des
Ex-Ministerpräsidenten Vladimir Meiar und der Nationalpartei des Rechtsextremen Jan
Slota auf die Bildung einer Koalition geeinigt. Die bisher regierenden Reformer unter Mi-
kulas Dzurinda blieben außerhalb der neuen Regierungskoalition. Man befürchtete, dass die
Slowakei erneut in die Isolation geraten könnte. Kommentator Dag Danis der slowakischen
„Pravda“ fand damals scharfe Worte für die in der Slowakei von Wahlsieger Robert Fico
geplante Regierungskoalition. Er nannte die Regierung offen primitiv, nicht nur, weil sie
von „einem Populisten (Fico), einem Lügner (Meiar) und einem Trinker (Nationalpartei-
Chef Slota)“ geführt werden würde. Was Fico programmatisch, politisch und menschlich
für seine Koalition ausgesucht hatte, wäre hoch problematisch. Das größte Problem dieser
Regierung wäre „ihr politisch und moralisch fragwürdiger Charakter“. In der ungarischen
Zeitung „Népszabadság“ bezeichnete Tibor Kis eine mögliche Regierung aus Sozialdemo-
kraten, der Meiar-Partei HZDS und der Nationalpartei als Skandal. Meiar und Slota seien
Europa wohl bekannt, denn sie stünden für eine Zeit voll innenpolitischer und ethnischer
Spannungen sowie ernsthafter Konflikte mit der EU, der Nato und einigen Nachbarländern.
Meiars Regierungszeit wäre der Tiefpunkt der ungarisch-slowakischen Beziehungen ge-
wesen, so Kis. In Budapest befürchtete man, dass der Minderheitenschutz Schaden nehmen
werde, obwohl Ungarn sich nicht unbedingt durch eine harmonische Politik gegenüber
Bratislava hervorgetan hatte, wenn es um die ungarische Minderheit in der Slowakei ging.
Die Slowakei war zwar Umfragen zufolge die unzufriedenste Nation Europas – was immer
das heißt –, dafür stieg sie 2007, trotz aller Kritik, in die Top drei auf der Rangliste der
Medienfreiheit der „Reporter ohne Grenzen“ auf. Anders in Deutschland: Europas mit
Abstand zufriedenste Nation ist auf Platz 20, vier Plätze hinter Österreich. Sah man sich die
Reaktionen der slowakischen Journalisten, hätte man meinen müssen, es sei genau umge-
kehrt. Sie waren wütend, weil sie unter Premier Robert Fico keinesfalls mehr sagen dürften,
was sie denken. Die Bevölkerung dagegen war mit dieser Regierung im Grunde zufrieden.
Besonders von „Sme“, der Tageszeitung mit dem meistfrequentierten Netzauftritt, fühlte
sich Fico, seit 2006 im Amt, angegriffen. Er plante daher ein neues Gesetz, mit dem die
Regierung ein ‚Recht auf Antwort‘ erhalten sollte. Bei vermeintlich falschen Informationen
müssten die Medien innerhalb von acht Tagen eine Gegen-darstellung ermöglichen. Auf
Auslandsreisen ließ sich Fico nur noch von Vertretern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
begleiten. Doch deren Bereitschaft, den Premier zu begleiten, hatte nachgelassen. Mitte
August 2007 kündigte ein Drittel der Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen „Slovenská
televízia“ (STV), weil sie nicht kritisch berichten durften. Ein Mitglied des slowakischen
Fernsehrates meinte, die Berichterstattung beim „STV“ wäre sehr glatt geworden. Es schei-
ne, als ob die Redakteure einfach die Anweisung bekämen, schöne Geschichten zu bringen.
Die Slowakei ist seit 1993 unabhängig und seit 2004 Mitglied der EU. Die Medien spiel-
ten in der Phase von 1996 bis 1998 eine entscheidende Rolle bei der Ablösung der Regie-
rung Meiar, der die öffentlichen Medien völlig unter seiner Kontrolle hatte. Genau an den
fühlte man sich heute erinnert. Wie in der Meiar-Ära werde unter Fico jeder, der seine
Regierung kritisiert, öffentlich als Verräter und ‚Agent der Kapitalisten‘ bezeichnet, schrieb
Dag Danis in der Tageszeitung „Pravda“. Die Medien seien heute in der Normaliät ange-
kommen und stark kommerziell orientiert, mit Tendenz zur Selbstzensur aus Furcht vor

215
hohen Geldstrafen wegen Verleumdung, meinte auch Samuel Abraham, Chefredakteur der
Kulturzeitschrift „Kritika & Kontext“. Und der Philosoph František Novosad vervollstän-
digte der Chor der Kritiker, als er meinte, seit 1999 sei der freie Fall in Richtung Unterhal-
tungsniveau so krass, dass die Zeitungen regelrecht ihren eigentlichen Wert verloren hätten.
Heute sind alle Printmedien in der Slowakei unabhängig, werden aber für mangelnde Pro-
fessionalität und ethische Grundsätze kritisiert. Der zunehmenden Medienkonzentration ist
das Pressegesetz von 1966 nicht gewachsen. Besitzverhältnisse bleiben undurchschaubar.
Mancher bemängelt, es gebe zuwenig Kritik an der Minderheitenpolitik der Regierung. Die
Medien müssten hier gegensteuern. Dass die Regierung Fico aber mittlerweile beliebter als
bei Regierungsantritt, müsste Indiz sein, dass sie so falsch nicht liegen kann, vor allem da
Budapest die kleine Slowakei immer wieder merken läßt, wer der stärkere ist. Die vertrau-
enswürdigste Zeitung ist laut Umfragen „Pravda“, die einzige Tageszeitung in slowaki-
schem Besitz. Sie gehört der „Perex AG“. Ihr folgt „Sme“ von der „Passauer Neuen Pres-
se“, der stärksten Verlagsgruppe im Land. Das Boulevardblatt „Novy as“ ist weniger
vertrauensürdig, aber auflagenstärktes Blatt im Land. Es gehört „Ringier Slovakia“, die in
schweizerischem Besitz ist. Zum Ärger der Regierung mit unzufriedenen Journalisten
kommt zusätzlicher Ärger mit europäischen Institutionen. Das oberste Gericht der Slowakei
ignorierte nämlich eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. Dieses war mit der
Verurteilung des Journalisten Martin Kleins wegen Beleidigung von Erzbischof Ján Sokol
nicht einverstanden gewesen und sprach dem Journalisten eine Entschädigung zu. Die Ein-
schätzung der Pressefreiheit durch die Journalisten des Landes und aus der Außensicht,
durch „Reporter ohne Grenzen“ und andere, fallen also deutlich auseindander. Man zwei-
felte an der Objektivität, wie der Journalist Petr Holub im Interview mit „Radio Prag“.
Zuzana Krútka, Vorsitzende des Slowakischen Journalistenverbandes, versuchte in „Radio
Slovakia International“ den hohen Rang in der Liste von 2007 damit zu erklären, dass sich
die Lage in anderen Staaten verschlechtert hätte180. Die Organisation „Reporter ohne Gren-
zen“ hob dagegen ihr Urteil auf die objektive Ebene über den tagespolitischen Streitereien
zwischen Presse und Regierung: Die Pressefreiheit sei durch die Spannungen zwischen
dem Premier und den Medien nicht zwangsläufig gefährdet, meinten die „Reporter ohne
Grenzen“. Allerdings müsse man die gegenwärtigen Entwicklungen aufmerksam verfolgen.
Sollte das geplante Gesetz zum Recht auf Antwort in Kraft treten, stehe die Pressefreiheit
auf dem Spiel.

180
Zuzana Krútka musste aber auch zugeben, dass nur der Fall des Journalisten Martin Klein ein Problem dar-
stellte. Klein bekam vom Kreisgericht von Košice eine Geldstrafe von 15.000 SK wegen seiner Beleidigungs-
worte an die Adresse des Erzbischofs Ján Sokol. Obwohl der Europäische Gerichtshof in Straßburg anderer
Meinung war und Klein eine Entschädigung in Höhe von etwa 11.000 Euro zugestand, bestätigte das Oberste
Gericht der Slowakei den Beschluß des Gerichts von Košice.

216
2.1 Die slowakischen Medien nach dem Ende des Kommunismus

Die Medienlandschaft in der Slowakei verzeichnete in den vergangenen zwanzig Jahren


eine dramatische Entwicklung. Nach einer harten Zensur und einem straffen Dirigismus
durch die kommunistische Parteiführung kam es nach dem November 1989 zu einer explo-
sionsartigen Entwicklung. Die Regierung ließ bald nach der Wende die Schranken für die
Entwicklung einer Medienvielfalt fallen. Seither hat sich der slowakische Medienmarkt
stark internationalisiert. Bei den landesweit erscheinenden Zeitungen sind neben Slowaken
auch Deutsche und Schweizer am Werk. Ein regionaler Medienmarkt liegt vorläufig im
Schatten der landesweit erscheinenden Printmedien. Bei den elektronischen Medien mi-
schen Amerikaner zunehmend mit. Das wesentliche Problem war lange Zeit das veraltete
Pressegesetz, das noch aus dem Jahre 1966 stammte. Derzeit ist der Medienmarkt in der
Slowakei durch drei Tatsachen gekennzeichnet: hohe Konzentration, auf Grund der Lan-
desgröße; hoher Staatsanteil in den elektronischen Medien, behindernd für den Wettbe-
werb; und mehrere Netzwerke, die auf unüberschaubaren Eigentums- bzw. Personenver-
flechtungen beruhen. Seit 2000 wird gesetzlich eine Konzentration in den elektronischen
Medien untersagt. Das veraltete, aber weiterhin geltende Pressegesetz aus dem Jahre 1966
gibt für neue Zeitungen nur eine Registrierungspflicht mit Angaben über die Person des
Chefredakteurs und mit Anschrift des Verlages an. Es werden keinerlei Angaben über die
Eigentümer verlangt. Eines dieser Netzwerke wurde nach 1996 um den ersten slowakischen
privaten TV-Sender „TV Markíza“ von seinem Begründer und ehemaligen Miteigentümer
Pavol Rusko geflochten. Er besaß neben dem Fernsehen eine Tageszeitung („Narodna
Obroda“), ein TV-Magazin („Markíza“), eine Radiostation („Radio OKEY“), eine Internet-
Domäne und einige TV-Produktionsgesellschaften. 2005 verkaufte Rusko den eigenen
Mehrheitsanteil an „TV Markiza“ an seine amerikanischen Partner von CME Media En-
terprises. Ein weiterer slowakischer Medienmogul ist Ivan Kmotrik. Er ist Mitbesitzer des
zweitgrößten privaten „TV JOJ“, Inhaber der größten slowakischen Druckerei „Versus“
sowie weiterer drei kleineren Druckereien, des größten Zeitungs-Verschleißers Mediaprint-
Kappa Pressegrosso sowie der größten slowakischen Werbeagentur „EURO RSCG Artme-
dia“. Darüber hinaus ist Kmotrik über befreundete Personen auch am slowakischen Nach-
richtensender „TA3“ beteiligt.
Im März 2008 wurde im Parlament in Bratislava ein neues Pressegesetz diskutiert, wo-
bei der Verabschiedung die schärfsten Konfrontationen zwischen der linksnationalist-
ischen Regierungskoalition und der Opposition vorhergingen, die die Slowakei bis dato
gesehen hatte, bis zu durchgängig weißen Titelseiten aller slowakischen Tageszeitungen
und zu Protest ausländischer Organisationen: Das neue Pressegesetz, verabschiedet vom
Nationalrat am 9. April 2008, war nicht mehr zu verhindern, wie Pressevertreter mit Be-
dauern konstatierten. Damit wird dem slowakischen Bürger ab 1. Juni ein mediales Mit-
spracherecht gegeben, ein zu mächtiges, wie Publizisten, Verleger und unabhängige Me-
dienorganisationen fürchteten. „Möchten Sie, dass in Zukunft jemand anderer als die Re-
daktion die Gestaltung Ihrer Lieblingszeitung in die Hand nimmt?“, fragten am 27. März
alle slowakischen Tageszeitungen auf einer ansonsten weißen Titelseite unter der Über-
schrift „die sieben Todsünden des neues Pressegesetzes“. Das, was Verleger und Journalis-
ten zu mehreren Protestaktionen veranlasste, war das „Recht auf Gegendarstellung“: Bald
könne jeder, ohne Gerichtsbeschluss, eine Gegendarstellung zu einem Artikel einbringen,
die von der Zeitung in gleichem Umfang und an gleicher Stelle veröffentlicht werden muß.
„Dieses Gesetz kann das Erscheinungsbild von Zeitungen gravierend verändern“, erklärte

217
Beata Balogova, Chefredakteurin der englischsprachigen Wochenzeitung „The Spectator“,
die die Proteste vollstens unterstützt: „Stellen Sie sich eine Titelseite vor, die voller unredi-
gierter Stellungnahmen ist.“
Auch rechtlich und moralisch abstruse Gegendarstellungen müssten die Zeitungen dru-
cken, selbst wenn der ursprüngliche Text keinerlei falsche Informationen beinhaltet. Das
wiederum könnte zu einer Flut an Gegenreaktionen führen, die der Zeitung ihre Leser kos-
te. „Die Leser werden ganz einfach nicht an einer Zeitung interessiert sein, die über-
schwemmt mit Gegendarstellungen irgendwelcher Menschen ist", beschreibt Balogova das
Worst Case Scenario, in welchem massiv von dem Recht Gebrauch gemacht würde. Jour-
nalistische Stellungnahmen auf jene Gegendarstellungen sind dabei nicht erlaubt. In ihren
Kritikpunkten waren sich internationale Organisationen wie OSZE, IPI und inländische
Journalisten und Medienbesitzer einig: Das Gesetz macht es der Regierung leicht, in die
Blattlinie einzugreifen, fördert die Selbstzensur und widerspreche in einigen Punkten auch
den Europarat-Standards. Die Forderung an Präsident Gasparovic von fünf Chefredakteuren
und dem internationalen Presse Institut (IPI), seine Unterschrift für das Gesetz zu verwei-
gern, fand, wie erwartet, kein Gehör. Bei Nichteinhaltung des Gesetzes drohen bis zu
150.000 Slowakische Kronen (4.640 Euro) Strafe und teure Gerichts-verfahren. Die Gefahr
von Selbstzensur aus Angst vor dem finanziellen Ruin sieht Balogova aber nicht. "Der
'Slovak Spectator' verlöre seine Glaubwürdigkeit gegenüber der Leserschaft aus Diploma-
ten, ausländischen Geschäftsleuten und Journalisten! Ich denke, die meisten Zeitungen
werden versuchen, so weiterzumachen, wie bisher", so Balogova.
Anders als die meisten Medienleute sieht der Medienexperte und Direktor der im Febru-
ar 2008 in Bratislava gegründeten „School of Communication and Media“, Andrej Skolkay,
das neue Gesetz: Wenn überhaupt, liegt die größte Gefahr des Mediengesetzes für ihn im
Paragraph drei. Der besagt, daß „die Auskunftspflicht einer Behörde lediglich gegenüber
einem Verleger, nicht aber gegenüber Chefredakteuren oder Journalisten besteht“. Skolkay
sah in den neuen Strafregelungen, die bei Mißachtung des Rechts auf Antwort in Kraft
treten, zwar eine „finanzielle Gefahr für kleinere Untenehmen, die regelmäßig gegen das
Gesetz verstoßen“, aber „keine Gefahr für die Pressefreiheit“. Das Gesetz gebe im Gegen-
teil den Bürgern, die bisher der Boulevardpresse machtlos ausgeliefert waren, mehr Rechte.
Skolkay hoffte, daß das Gesetz mehr Ethik und Professionalität in die slowakischen Medien
bringt. Das verbindet ihn mit Argumenten der Regierung: Hier fühlt man sich in seinen
Bemühungen, Waffengleichheit zwischen Medien und Öffentlichkeit herzustellen, von
internationalen Organisationen, die von opposition-ellen Aktivisten gegen das Gesetz auf-
gehetzt wurden, falsch verstanden und, wichtiger, sieht die Medien als eigene politische
Opposition, zitiert Balogova die Aussagen Premier Robert Ficos. Balogova warnte davor,
das Problem herunterzuspielen, wie es die Regierung täte: „Jede Einschränkung der redak-
tionellen Unabhängigkeit hindert die Medien an ihrer Aufgabe als Wächter der Demokratie.
Als Folge verliert auch die Bevölkerung Möglichkeit zur Mitsprache gegenüber der Regie-
rung - ein sehr ernstzunehmendes Problem.“

2.2 Zeitungen und Zeitschriften in der Slowakei

Die führenden Tageszeitungen, die in der Slowakei erscheinen, sind „Pravda“, „SME“,
„Nov-as“, „Sport“, „Hospodarske noviny“ und „Plus jeden den“. Die „Pravda“ („Wahr-
heit“) [www.pravda.sk] ist eine konservative Zeitung, die sich nach allgemeinem Empfin-

218
den lange etwas vom Geist der Vor-Wende-Zeit erhielt. Nach der Wende war sie eindeutig
links orientiert, hat aber in jüngster Zeit ihr Image verändert, sowohl in der Form als auch
im Inhalt. Heute gilt sie als unabhängig, seriöse Zeitung, die von allen Altersgruppen in der
Slowakei gelesen wird. Der tschechischen „Dnes“ ist der slowakische „Sme“ („Wir sind“)
vergleichbar, der in den vergangenen Tagen des Kommunismus unter dem Titel „Smena“
die Zeitung des Sozialistischen Jugendverbandes „SZM“ war. Nach der bewegten Wende
warb er um eine jüngere Leserschaft. Bekannter wurde „Sme“ vor allem, als die Meiar-
Regierung die Zeitung harter Kritik unterzog. Durch einen Angriff von seiten der Meiar-
Regierung wurde sie lahmgelegt, worauf eine Gruppe von Redakteuren um den damaligen
Chefredakteur Karol Jezík eine neue Zeitung mit dem Namen „Sme“ gründete. Die Angrif-
fe der Meiar-Regierung hielten an, selbst Anklagen von staatlicher Seite folgten, weshalb
die Zeitung bis heute als kritisch und unabhängig gilt. Sie ist zwar auf alle Altersgruppen
orientiert, wird aber vor allem von den jungen Lesern als ‚ihre Zeitung‘ empfunden. „Sme“
wird von einem eigenen Verlag, der „Petit Press“, und einer eigenen Druckerei herausge-
bracht. Die „Petit Press“ verlegt auch etliche andere Regional-zeitungen, unter anderen die
Gewerkschaftszeitung „Práca“.
Die unabhängige Boulevardzeitung „Nov-as“ („neue Zeit“) ist die meistverkaufte Zei-
tung in der Slowakei, die immer wieder wegen ihres unverblümten „Sensations-
Journalismus“ umstritten ist. Hinter ihr steht die deutsche „Bertelsmann AG“, hinter der
Wirtschaftstageszeitung „Hospodarske noviny“ der „Handelsblatt-Verlag“. Die seit 2006
existierende „Plus jeden den“ ist ebenfalls eine Boulevard-Tageszeitung. Die „Sport“ ist die
einzige Sportzeitung in der Slowakei, die sich deshalb auch in hohen Auflagen verkauft.
Die am meisten verkaufte Wochenzeitung ist „Plus 7 Dní“ („Plus sieben Tage“ -
http://plus7dni.pluska.sk/plus7dni/) – inhaltlich sehr breit; befasst sich sowohl mit Boule-
vard-Nachrichten, Trends, Prominenten, aber auch mit politischen Recherchen. Neben der
Wirtschaftswochenzeitung „Trend“ [www.etrend.sk], die eine gute Online-Ausgabe und ein
Medienportal zur Situation der slowakischen Medien [www.medialne.sk] hat, wirkt vor
allem der pointiert konservative, überraschend erfolgreiche „týžde‡“ („die Woche“ -
www.tyzden.sk), der seit Dezember 2004 erscheint und von der intellektuellen Elite gelesen
wird, meinungsbildend. Darüberhinaus erscheinen wöchentlich die üblichen TV-
Programme, das Boulevardmagazin „Markiza“, oder die linke Wochenzeitung „Slovo“.
Wie in den übrigen Transformationsländern ringen auch in der Slowakei die meinungs-
bildenden, seriösen Tageszeitungen mit den Boulevardblättern. Bei den slowakischen Ta-
geszeitungen kämpfen drei landesweit erscheinende Titel um die Spitzenposition: Die slo-
wakische „Krone“ „Novy as“ („Die Neue Zeit“, www.bleskovky.sk), die Tageszeitung
„Sme“ („Wir sind“, www.sme.sk) und „Pravda“ („Die Wahrheit“, www.pravda.sk). „Novy
as“ ist mit einer verkauften Auflage von mehr als 179.002 Stück und einem Leseranteil
von 25,4 Prozent (April 2006) unangefochtener Marktführer. Herausgeber ist das internati-
onale Verlagshaus „Ringier AG“ mit Sitz in der Schweiz. Die Tageszeitung „Sme“ und
„Pravda“ belegen mit jeweils zehn Prozent den zweiten und dritten Platz. Rang vier holte
sich mit 6 Prozent die Tageszeitung „Sport“ des Wettbüros „Nike“ [www.nike.sk] vor der
Regionalzeitung „Korzar“ („Der Korsar“, www.cassovia.sk/korzar/) mit 5 Prozent. Insge-
samt werden landesweit Tageszeitungen von 52 Prozent der Bevölkerung gelesen.
Die Tageszeitung „Sme“, das stärkste Oppositionsprintmedium seit Mitte der 1990er
Jahre, befindet sich mit einer Vielzahl von Regional- und Lokaltageszeitungen und Maga-
zinen in den Händen der Verlagsgesellschaft „Petit Press AG“, die seit 2000 von der „Ver-
lagsgruppe Passau“ beherrscht wird. Die Tageszeitung „Pravda“ ist als einzige landesweit
erscheinende Tageszeitung in slowakischem Besitz. Die Tageszeitung behielt ihren Titel

219
aus der Ex-KP-Zeit. Nach mehrmaligem Wechsel des Verlegers kam sie in die Hände der
Verlagsgesellschaft „Perex“ AG. Diese nutzt die Lücken des Mediengesetzes und verhin-
dert eine Offenlegung der Besitzverhältnisse. Auf dem slowakischen Printmedienmarkt
bewegt sich auch der internationale Verlag „Economia“ mit dem Verlagshaus „Holtzbrink
+ Dow Jones Investments“ im Hintergrund. Dieser gibt das Pendant zur tschechischen
Wirtschaftszeitung fast gleichen Namens, die Tageszeitung „Hospodarske Noviny“ („Wirt-
schaftszeitung“, www.hnonline.sk) heraus, die aber keinen wesentlichen Marktanteil auf-
weisen kann. Bei den Wochenzeitungen geben die Frauenzeitschriften den Ton an. Auch
bei den Wochenzeitungen gibt es zwei starke Verlagsgruppen, die um die Vormachtstellung
auf dem slowakischen Medienmarkt kämpfen. Führend ist die Ringier AG mit dem Gesell-
schaftsmagazin „Život“ („Leben“, www.zivot.sk), der Frauenzeitung „Novy as pre ženy“
(„Die Neue Zeit für Frauen“, www.novycasprezeny.sk), den beliebten Fernsehprogramm-
zeitschriften „Eurotelevizia“ [www.eurotelevizia.sk] und „Telemagazin“
[www.telemagazin.sk]. Der slowakische Verlag „7 Plus“ begann unmittelbar nach der
Wende 1989 mit der Herausgabe des Gesellschaftsmagazins „Plus7dni“ („Plus 7 Tage“,
www.plus7dni.sk), dessen investigativer Teil mit dem österreichischen Profil vergleichbar
ist. Seither hat sich der Verlag auch mit zwei Wochenzeitungen für Frauen, „Bajena žena“
(„Die wundervolle Frau“, www.casopisbajecnazena.sk) und „Šarm“ („Charme“,
www.sarm.sk) etabliert181.
Bei den Wirtschafts-Wochenblättern liegt das slowakische Produkt „Trend“
[www.trend.sk], Anfang der 1990er Jahre von jungen Journalisten gegründet, mit kurzen
Unterbrechungen unangefochten an der Spitze. Mitte der 1990er Jahre brachte das Verlags-
haus Ringier mit dem internationalen Wirtschaftsmagazin „Profit“ (www.eprofit.sk) ein
erfolgloses Konkurrenzprodukt auf den Markt. Im September 2005 wurde „Profit“ vom
Verlag „Trend Holding“, dem Herausgeber von „Trend“, übernommen. Dieser wandelte
„Profit“ in ein zweimal monatlich erscheinendes Magazin für Leute aus der Wirtschaft um.
Bei den Monatszeitschriften ringen die Verlage „Ringier“ und „7 Plus“ miteinander. An
erster Stelle liegt das Gesundheitsmagazin „Zdravie“ („Die Gesundheit“,
www.casopiszdravie.sk) von „7 Plus“ mit einer Auflage von rund 100.000 Stück und einem
Leseranteil von 14 Prozent. Dem folgt aus demselben Verlagshaus das Damenmagazin
„Emma“ [www.casopisemma.sk] mit 10 Prozent vor dem Konkurrenz-Frauenmagazin
„Eva“ [www.lesk.zoznam.sk/se/10191/Eva/] mit 9 Prozent. Auf dem vierten Platz liegt der
„7 Plus“-Titel „Zahradkar“ („Der Kleingärtner“, www.casopiszahradkar.sk) mit 8 Prozent
vor dem „Ringier“-Frauenmagazin „Rebecca“ mit 5 Prozent. Slowakische Monats-
zeitschriften werden von 60 Prozent der Bevölkerung gelesen. Im Herbst 2004 wurde vom
deutschen Herausgeber und Chefredakteur Stefan Wolf die drittälteste (1764) deutschspra-
chige Zeitung, die „Preßburger Zeitung“, zu neuem Leben erweckt. Sie diente anfangs als
Werbeträger, der allgemeine Informationen über die Slowakei für das deutschsprachige
Ausland vermittelt. Sie erscheint sechsmal jährlich mit einer Auflage von 11.200 Exempla-

181
Eine Medienanalyse vom April 2006 stellte fest, dass das Magazin „Plus7dni“ mit einer gedruckten Wochen-
auflage von 226.930 Stück führt, und 13 Prozent Leseranteil vor der Frauenzeitung „Novy as pre ženy“ mit
einem Leseranteil von 10 Prozent hat. Auf dem dritten Platz landete die Programmzeitschrift „EuroTelevizia“
von „Ringier“ mit 8 Prozent, gefolgt von „Bajena žena“ mit 7 Prozent Leseranteil. Um ein Stück vom Leser-
und Werbekuchen der wöchentlich erscheinenden Titel kämpft auch das gesellschaftskritische Magazin „Tyz-
den“ („Die Woche“, www.tyzden.sk), das sich in Händen slowakischer Unternehmer befindet.

220
ren182. In Bratislava erscheint wöchentlich auch die Gratiszeitung „Bratislavske Noviny“
(„Bratislaver Nachrichten“, www.bratislavskenoviny.sk). Sie wird in einer Auflage von
rund 190.000 Stück an alle Postkästen der slowakischen Hauptstadt verteilt. Herausgeber
ist die slowakische „Nivel Plus“ GmbH. Die Zeitung besteht seit 1998 und bringt kommu-
nale Informationen und Nachrichten zum aktuellen Geschehen in der Hauptstadt. Sie ent-
stand ursprünglich mit Unterstützung der Kommune, emanzipierte sich aber nach Kompe-
tenzstreitigkeiten von politischer Einflussnahme. Die „Narodna obroda“ ist ein Werbeblatt
ohne politischen Anspruch [www.narodnaobroda.sk].
Mehrere elektronische Medien und einige Printmedien sind auch seit mehreren Jahren
im Internet zu finden183. Die stärkste Position hat bisher die Tageszeitung „Sme“. Die Nut-
zerzahl bewegt sich zwischen zwei- und dreitausend Besuchern am Tag. Das Problem in
der Slowakei ist die Anzahl der Internetzugriffe. In Bratislava hat fast jeder Zugriff auf das
Internet, auch in anderen größeren Städten ist die Situation nicht mehr kritisch, da sich die
Lage in den letzten Jahren wesentlich verbessert hat. Alle Schulen haben durch die EU-
Fördergelder einen Internetzugang bekommen. Auch ist eine steigende Zahl privater und
auch staatlicher Institutionen auf das Internet angewiesen. In der neuen Programmstruktur
ist der slowakische Hörfunk auch auf diesem Feld tätig. Der öffentlich-rechtliche Sender
strahlt die Programme seiner einzelnen Radiostationen auch live über das Internet aus.

2.3 Rundfunk und Fernsehen in der Slowakei

Als im Jahr 2002 in der Slowakei gewählte wurde, beschränkte das Wahlgesetz die Wahl-
werbung der Parteien auf das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen. Zwar wurde das
Gesetz heftig kritisiert, blieb aber dennoch in Kraft. 2003 fand das für die Slowakei wichti-
ge Referendum über den Eintritt in die Europäische Union statt. Die Regierung führte mit
Hilfe der öffentlich-rechtlichen Medien eine breit angelegte Unterstützungskampagne. Den
Eintritt in die Europäische Union unterstützten gut 92 Prozent der Wähler, 6 Prozent waren
dagegen. Wenn auch die Zeit der Einmischung der Politik in die Medienfreiheit, die man
vor allem an der Regierung Meiar vor 1998 kritisierte, vorbei sind, wird heute gerade zu
starke Marktmacht kritisch gesehen. 2008 diskutierte man in der Slowakei die Tatsache,
dass der ehemalige Vorsitzende der „Allianz des neuen Bürgers“ („Alianca nového oba-
na“), der Medienmagnat Pavol Rusko, dem momentan größten slowakischen Fernsehsender
„Markíza“ vorsteht. „Markíza“ hatte 2008 einen Marktanteil von 70 Prozent und schon
während der Parlamentswahlen 2002 galt es als Problem, dass Rusko den Sender für seine
politischen Ziele nutzte, was aber auf das Ergebnis kaum Einfluss hatte. Ruskos Partei

182
An weiteren Zeitungen der deutschen Minderheit sind zu nennen: Das „Karpatenblatt“ informiert seine Leser
monatlich auf 16 Seiten über die Aktivitäten und Veranstaltungen des Karpatendeutschen Vereins sowie Le-
ben und Geschichte der Karpatendeutschen. Die Zeitung wird vom Kulturministerium der Slowakischen Re-
publik finanziell unterstützt. Chefredakteur ist Vladimir Majovský. Die „Pressburger Universitätszeitung“
wendet sich halbjährlich an junge Akademiker aus der Slowakei. Die „Revue der slowakischen Literatur“
wird halbjährlich mit einer Auflage von 2000 Exemplaren in Bratislava herausgegeben. Die Zeitschrift infor-
miert über slowakische Autoren des 20. Jahrhunderts und druckt Auszüge aus ihren Werken ab. Chefredakteur
ist Milan Richter.
183
An Online-Medien gibt es u.a.: www.aktualne.sk, seit 2006 eine neue Internet Tageszeitung; www.medialne.sk
- Portal der Wochenzeitung „Trend“ über die Medienlandschaft in der Slowakei; www.inzine.sk - Internetma-
gazin; und www.zoznam.sk.

221
„ANO“ errang bei diesen Wahlen nur 8 Prozent der Stimmen, und ihr Vorsitzender musste
sich in das aus vier Parteien bestehende Regierungsbündnis einfügen. Vier Jahr später
konnte seine Partei nur noch 1,4 Prozent der Stimmen erreichen. Andererseits sahen man-
che „Markíza“ auch als Gegenpol zu den öffentlich-rechtlichen Anstalten, in denen noch
über die Regierunszeit Meiars hinaus dessen Parteigänger saßen. Sie waren seinerzeit in
den Medienanstalten untergebracht wurden, um die Regierung zu protegieren. „Markíza“
bezog schon früh Stellung gegen Meiar, weshalb auch einige Stimmen dem Sender einen
Anteil am Erfolg der Opposition gegen Meiar im Jahr 1998 zugestehen wollen.
Entstanden war der erfolgreiche Fernsehkanal, als der dritte staatliche TV-Kanal im Jahr
1996 an das erste private Fernseh-Unternehmen der Slowakei, an „TV Markíza“
[www.tv.markiza.sk], verkauft wurde. Innerhalb von drei Jahren avancierte der Sender zum
Marktführer mit Monopolcharakter, da die bestehenden zwei öffentlich-rechtlichen Kanäle
des Slowakischen Fernsehens „STV“ keine Konkurrenz darstellten184. Erst 1999 entstand
ein weiteres Privatfernsehen, „TV LUNA“, später „Global“. Anfang 2002 wurde „Global“
an die tschechische „NOVA“ verkauft und unter dem Namen „TV JOJ“ [www.joj.sk] mit
Erweiterung der Sendefrequenzen zur Nummer Drei auf dem TV-Markt in der Slowakei.
Diese Überlegungen spielen heute nur noch eine untergeordnete Rolle. Der jetzige Regie-
rungschef Fico gilt als Populist, der jedoch unter den Slowaken sehr beliebt ist. Allerdings
sorgten seine Überlegungen, der Regierung ein „Widerlegungsrecht“ in den Medien gesetz-
lich festschreiben zu lassen für Aufsehen. In der Slowakei ist die Zahl der Medienanstalten
noch recht überschaubar. Neben „Markíza“ haben das öffentlich-rechtliche Fernsehen
„STV“ sowie „TV JOJ“ den größten Marktanteil. Auch beim Radio kann sich der öffent-
lich-rechtliche Sender „Slovensko 1“ unter den beliebtesten Sendern behaupten. Hier konn-
ten aber auch einige Privatsender wie „Rock FM“ größere Marktanteile gewinnen.
Die privaten Rundfunkstationen sind in der Slowakei Marktführer. Seit der Unabhän-
gigkeit der Slowakischen Republik wurde im Bereich der elektronischen Medien ein duales
System von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten aufgebaut. Anfang der 1990er Jahre be-
gannen die Rundfunkstationen mit mehreren Privatsendern, die das bestehende, staatliche
Sendernetz verwendet haben. Aus dieser Zeit stammt zum Beispiel „FUN Radio“
[www.funradio.sk], ein gemeinsames, französisch-slowakisches Projekt, das bereits seit 15
Jahren zu den prägenden Sendern in der slowakischen Rundfunkszene gehört. Aus dem
Spitzenreiter „Radio Twist“ wurde das relativ unbedeutende Radio „VIVA“. Das bedeu-
tendste slowakische Projekt war „Radio Twist“, aufgebaut Anfang der 1990er Jahre vom
Schauspieler Andy Hryc. Der Sender behauptete sich lange Zeit als die Nummer Eins unter
den Privatrundfunkstationen, verlor aber in den vergangenen Jahren wegen undurchschau-
barer Eigentumsmanipulationen und einer daran gekoppelten Änderung der Programm-
struktur an Höreranteilen. „Radio Twist“ wurde am 3. April 2006 in „Radio VIVA“
[www.radioviva.sk] umbenannt. Marktführer bei den Rundfunksendern ist mit einem Hö-
reranteil von 20 Prozent das private „Radio Expres“. Es wurde im Jahr 2005 an die ameri-
kanische Investorengruppe „Emmis“ verkauft. Der Sender „Slovensko 1“ („Slowakei 1“)

184
In der Slowakei gibt es folgende öffentlich-rechtlichen Sender: Fernsehen: STV 1 und STV 2, Hörfunk: SRo1
- Radio Slowakei, SRo2 - Radio Devin, SRo3 - Radio Rock FM, SRo4 - Radio Regina, SRo5 - Radio Patria,
SRo6 - Radio Slovakia, international: SRo7 - Radio Inet. An privaten Sendern gibt es: Fernsehen: TV Marki-
za, TV JOJ, TA 3 – Nachrichtensender, TVA – Werbungsender, Music Box, Nautik TV, Ring TV – Game TV
für 2007 geplant; Hörfunk: FUN Radio, Radio Okey, Radio Twist, Radio Expres, Radio Lumen - religiöse
Thematik, Radio B1.

222
des slowakischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks „Slovensky Rozhlas“
[www.slovakradio.sk] folgt auf dem zweiten Platz mit 19 Prozent.
Im Jahr 2001 bereicherte der Nachrichtensender „TA3“ [www.ta3.com] die Fernseh-
Szene und im Dezember 2003 startete das Musikfernsehen „Music Box“
[www.musicboxtv.sk]. Seit 2004 mischt auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen „STV“
[www.stv.sk] wieder stärker im Wettbewerb mit. „STV“ gestaltete seine Sendestruktur um
und führte ein neues Programmformat, die Reality-Show „Slowakei sucht den Superstar“,
ein. „STV“ nutzte im Wettbewerb zusammen mit „TV JOJ“ auch Wachstumsprobleme von
„TV Markiza“ für eigene Vorteile aus. Die höchsten Einschaltquoten hat „TV Markíza“ mit
64 Prozent vor „STV 1“ mit 35 Prozent und „TV JOJ“ mit 31 Prozent. Beim Marktanteil
liegt „TV Markíza“ mit 52 Prozent vor „STV 1“ mit 18 Prozent und „TV JOJ“ mit 11 Pro-
zent. Was das sogenannte Stadtfernsehen betrifft betreiben mehrere Städte bzw. Stadtteile
von Bratislava eigenes Lokalfernsehen. Dieses wird entweder von den Verwaltungen selbst
geführt oder bei Privatproduktionsfirmen in Auftrag gegeben. Dessen Sendezeit ist auf
einige Stunden täglich beschränkt, und das Programmangebot konzentriert sich auf aktuelle
lokale Themen und Berichterstattung aus der Region.
Im Herbst 2006 bereitete die Regierung Gesetzänderungen für die öffentlich-rechtlichen
Institutionen vor. Danach sollte die Neuwahl des „STV“-Generaldirektors schneller über
die Bühne gehen, die Wahlmodalitäten vereinfacht werden. Die „STV“-Direktoren werden
nun durch einen „STV“-Rat gewählt, was früher durch das Parlament geschah. Im „STV“-
Rat sitzen jedoch 15 von den Parteien nominierte Kandidaten, die nur selten auch Fachleute
sind. So steht die Wahl der Direktoren des öffentlich-rechtlichen Fernsehenes nach wie vor
unter politischem Vorzeichen. Die Gesetzesänderungen waren notwendig geworden, weil
„STV“ seit dem Sommer 2006 keinen Generaldirektor mehr hatte. Da der für seine Refor-
men bekannte Richard Rybniek Direktor eines Digitalsenders in Prag wurde, gab er die
„STV“-Führung an seinen Stellvertreter Branislav Zahradnik ab. Nach den strukturellen
Änderungen durch Richard Rybniek haben die öffentlich-rechtlichen „STV1“ und „STV2“
wieder das Vertrauen der Zuschauer erlangt. Zudem ist es Richard Rybniek gelungen, die
großen Schulden, die die ehemaligen Direktoren verursacht hatten, abzubauen. Große In-
vestitionen in digitale Studios und Sendetechnik erwiesen sich als Gewinn. Auch die Pro-
grammstruktur wurde reformiert. Wie in Deutschland übten auch in der Slowakei manche
Medienexperten harsche Kritik an den simpel gestrickten Unterhaltungs-programmen, die
sonst nur von Privatsendern angeboten werden, und nun auch bei den Öffentlich-
Rechtlichen Einzug hielten. Das beste Beispiel ist die Sendung „Die Slowakei sucht den
Superstar“, deren Einschaltquoten beachtliche Höhen erklommen. Die privaten Sender „TV
JOJ“ und „TV Markíza“ brachten als erste „Reality Shows“ von der Art des deutschen
Pendants „Big Brother“ in ihren Programmen. „STV“ und „Markíza“ versuchten auf diesen
Zug aufzuspringen, mit Fernsehserien, die mehr Zuschauer anlocken sollten.
Das Spezifische am slowakischen Medienmarkt ist seine Austauschbarkeit bzw. seine
Ähnlichkeit. Alle Fernsehsender, private und öffentlich-rechtliche, haben beinahe die glei-
che Programmgestaltung. Die Strategie des ehemaligen Direktors Richard Rybniek war es,
„STV“ wirtschaftlich unabhängig vom Staat zu machen. Die kommerziellen Programme
sollten durch Werbung finanziert werden, und die nicht-kommerziellen Programme von
„STV2“ mittragen. „STV“ sollte sich nach Rybnieks Willen nur durch Konzessionen und
Werbung finanzieren, um mit den Privatsendern konkurrieren zu können. Die von dem
Sozialdemokraten Robert Fico geführte Regierungskoalition von „Smer sociálna demokra-
cia“, der nationalistischen „SNS“ und der Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Vla-
dimír Meiar, HZDS, wollte dagegen das Slowakische Fernsehen deutlich von den Privat-

223
sendern abgrenzen. Die Generaldirektorin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Slowa-
kei, Miloslava Zemková, bemühte sich deshalb auch darum, dem Programmrat des Hör-
funks eine neue Struktur zu verordnen. Der slowakische Rundfunk hält noch immer eine
starke Position auf dem nationalen Medienmarkt, dank partieller Reformen der Nachrichten
und der Sendungen. Zugleich hat der slowakische Rundfunk immer wieder mit Finanzprob-
lemen zu kämpfen, die vor allem von den niedrigen Einkünften aus Konzessionsgebühren
herrühren. Daher brachte man die Möglichkeit ins Gespräch, die Auslandskorresponden-
tenposten in Berlin, Budapest und Prag heimzuholen. Um das finanzielle Fundament zu
verbessern, sollte eine bessere Finanzierung, eventuell über eine Sendersteuer, ermöglicht
werden. Bereits in der ersten Hälfte des Jahres 2003 hatte es drastische Veränderungen im
slowakischen Fernsehen gegeben: 1.117 Angestellte wurden entlassen und 2.472 Sendun-
gen gestrichen. Am 1. August 2003 wurden die Gebühren für die öffentlich-rechtlichen
Medien nach sechs Jahren zum ersten Mal wieder erhöht.
In der Slowakei gibt es derzeit zwei große Nachrichtenagenturen: die staatliche „TASR“
(„Tlaová agentúra Slovenskej republiky“, www.tasr.sk) und die private „SITA“
[www.sita.sk]. Die Regierung zögert bereits seit einigen Jahren mit der Privatisierung der
staatlich finanzierten Nachrichtenagentur „TASR“ und sorgt darüberhinaus mit Staatsauf-
trägen für „TASR“ für eine von den Privaten beklagte Wettbewerbsverzerrung am Me-
dienmarkt. Die private Nachrichtenagentur „SITA“ wurde von Pavol Mudry aufgebaut, der
vorher bei der APA in Wien gearbeitet hatte. Die „SITA“ etablierte sich seither als vollwer-
tige Alternative zur staatlichen Nachrichtenagentur.

224
3. Das polnische Mediensystem

Vor und während der Europameisterschaft 2008, vor allem vor dem Spiel der polnischen
gegen die bundesdeutsche Mannschaft schienen die polnischen Boulevardblätter „Fakt“ und
„Super Express“ um die größte Geschmacklosigkeit zu wetteifern185. „Fakt“ aus dem Hause
Springer zeigte auf seiner Titelseite eine Karikatur Michael Ballacks, ausstaffiert mit Pi-
ckelhaube und dem Umhang der Kreuzritter, und dahinter Leo Beenhakker, den niederlän-
dischen Trainer der polnischen Auswahl, mit gezücktem Schwert, darüber die Aufforde-
rung, Leo möge Grunwald wiederholen. „Grundwald“ ist der polnische Name für jene
Schlacht von 1410, die in Deutschland unter dem Namen Tannenberg läuft. Dort brachte
ein polnisch-litauisches Heer den deutschen Ordensrittern eine vernichtende Niederlage bei.
„Super Express“ setzte am selben Tag mit seinem Titelbild noch eins darauf: Hier hält
Beenhakker nach schon vollendetem Werk zwei Köpfe in der Hand, den von Ballack und
den von Joachim Löw – „Leo, bring uns die Köpfe!“. Nachgerade zivil legte „Fakt“ am
Mittwoch nach, als es Beenhakker auf dem Dach eines Trabbis zeigte, den Ballack lenkte:
„Leo, tritt die Trabanten!“, hieß es diesmal. Umgekehrt hat es Polen nicht leicht in den
deutschen Medien186: Präsident Lech Kaczynski wurde mit einer Kartoffel verglichen, wor-
auf er stehenden Fußes erkrankte und einen Besuch in Berlin absagte, obwohl die „taz“, die
Urheberin des Vergleichs, sich beim polnischen Präsidenten entschuldigt hatte. In der „taz“
war sein Zwillingsbruder, Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, verspottet worden, weil er
als hartnäckiger Jungeselle mit seiner Katze zusammenlebt, sein Konto von seiner Mutter
führen lässt und Kritik an Homosexuellen-Demonstrationen in seinem katholischen Vater-
land übt.
Mariusz Muszynski, der Beauftragte der polnischen Regierung für die Beziehungen zu
Deutschland, versuchte zu klären, warum deutsche Journalisten kein gutes Haar an Polen
lassen. Es liege vor allem daran, dass sie weniger selbstlose, unvoreingenommene, überpar-
teiliche Mittler sind als Vertreter der „Großmacht BRD“, die nichts dabei finde, das kleine
Polen von oben herab zu behandeln. Die deutsche Gesellschaft sei in ihrer Masse eher auf
Konsum eingestellt und zeige wenig Interesse an der Außenpolitik als solcher. So könne
das Heer der Korrespondenten es sich leisten, ungestraft als Regierungsherolde zu schrei-
ben, statt als Dienstleister eines wissensdurstigen Publikums. Aber auch den eigenen Jour-
nalisten und Medien sei weniger daran gelegen, die Öffentlichkeit sachlich über die polni-
sche Regierung aufzuklären. Statt die polnische Sicht zu verteidigen, konzentrierten sie sich
auf parallele Attacken, die sich gegen die polnischen Regierenden richteten. Wenn die
polnischen Journalisten so schmählich unpatriotisch und von „bösem Willen“ geleitet über
ihr eigenes Land schrieben, so liege das nicht zuletzt daran, dass die polnischen Medien
großteils in den Händen von Fremdkapital liegen. Damit spielte Muszynski darauf an, dass
zum Beispiel Polens größte Zeitung, das Boulevardblatt „Fakt“, dem deutschen Springer-
Konzern gehört. Unter diesen Vorzeichen ist es kein Wunder, dass Sebastian Bickerich im
deutschen „Tagesspiegel“ meinte, deutsche und polnische Zeitungen rüsteten zum „Krieg

185
Thomann, Jörg: Polens Revolverblätter schießen scharf. EM-Feuer eröffnet. In: Frankfurter Allgemeine Zei-
tung, 5. Juni 2008.
186
Schuller, Konrad: Polens Regierung greift die deutsche Presse an. Staatsräson. In: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 17.10.2007, Nr. 241 / S. 42.

225
der Worte“187. Grund war wie so oft die angeblich „irren Brüder in Warschau“, die Schwule
drangsalieren, die Todesstrafe einführen wollen und gegen Deutschland Stimmung machen.
In den polnischen Medien wurde dagegen das Schreckgespenst Erika Steinbach, der Präsi-
dentin des Bundes der Vertriebenen, an die Wand gemalt, die kurz davor sei, das Dritte
Reich wieder aufzurichten, mit Russland als Partner und ehemals deutschen Grundstücken
in Polen als Beute. Politiker auf beiden Seiten schoben den Journalisten den schwarzen
Peter zu, allen voran der linken „tageszeitung“, die mit ihrer geschmacklosen, manche
meinten harmlosen Satire über Kartoffeln und Lech Kaczynski den Präsidenten derart ver-
stimmte, dass er einen Gipfel mit Kanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten
Chirac absagte. Schuld ist nach dieser Lesart auch der Korrespondent der „Süddeutschen
Zeitung“ (SZ) in Warschau, Thomas Urban, der nicht nur nach Meinung konservativer
polnischer Medien, sondern auch von Gesine Schwan, der Regierungsbeauftragten für
deutsch-polnische Beziehungen, als angeblicher Befürworter des umstrittenen „Zentrums
gegen Vertreibungen“ ein „negatives Bild“ Polens in Deutschland zeichne. Die Attacke
Schwans in der polnischen Zeitung „Rzeczpospolita“ führte wiederum zu einem wüsten
Gegenangriff der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), die Urban und seine Familie
nunmehr als „bedroht“ bezeichnete – selbst von zerstochenen Autoreifen des in seiner
Wahlheimat nicht mehr sicheren Korrespondenten war die Rede.
Haben die Journalisten eine Mitverantwortung an derartigem Streit? Ja, meinte Piotr
Pacewicz, Vize-Chefredakteur der liberalen „Gazeta Wyborcza“. In vielen deutschen Me-
dien würden die Verhältnisse in Polen derart überzeichnet, dass er sein Land darin nicht
wiedererkenne. Thomas Urban bestätigte diesen Eindruck und sprach von „Besserwisser-
tum und Ignoranz“ auf deutscher Seite, die allzu oft auf tradierte Feindbilder in Polen trä-
fen. Darran, ob es indes nur an der „anderen, eben katholischen“ Kultur liege, dass es in
Polen Vorbehalte gegen Homosexuelle gebe, wie das der „Rzeczpospolita“-Autor Piotr
Semka ausdrückte, entflammte allerdings heftiger Streit. Es sei das gute Recht jedes kriti-
schen Journalisten, Angriffe auf Menschenrechte und damit europäische Werte zu verurtei-
len, sagte „taz“-Chefin Bascha Mika. Dass dabei hohe journalistische Qualitätsmaßstäbe
gelten, müsste selbstverständlich sein – was aber die „taz“-Satire wiederum schlagend wi-
derlegte. Der mangelnde Patriotismus, den mancher den polnischen Medien zum Vorwurf
machte – gegen die deutschen Einseitigkeiten könne man wenig machen, hieß es – verkehr-
ten sich ins Gegenteil, als das polnische Präsidentenpaar im April 2010 beim Anflug auf
den Flughafen von Smolensk – man befand sich auf dem Weg zu den Katyn-Feierlichkeiten
– tödlich verunglückte. Im polnischen Fernsehen wurden in der Trauerwoche fast rund um
die Uhr teils ergreifende, teils rührselige Dokumentar-Szenen und Filme über das Präsiden-
tenpaar gezeigt, unterlegt von dramatischer Musik und schuldbewussten Kommentaren:
„Wir haben ihm Unrecht getan. Er war ein großer Präsident, ein echter Patriot. Erst jetzt, da
er nicht mehr lebt, erkennen wir seine wahre Größe, seinen Wert.“188 Daher wurde er auch
im polnischen Nationalheiligtum, dem Krakauer Wawel, neben Königen und Heiligen bei-
gesetzt.

187
Bickerich, Sebastian: Wie deutsche und polnische Zeitungen zum Krieg der Worte rüsten. In: Tagesspiegel
[www.tagesspiegel.de/medien-news/Medien;art290,2121031].
188
Meetschen, St.: „Wo sind Obama, Sarkozy, Barroso?“. Viele ausländische Staatsgäste bleiben den Begräbnis-
feierlichkeiten in Krakau fern – Das rührt an alte polnische Wunden. In: Die Tagespost Nr. 46, 20. April 2010,
S. 3.

226
3.1 Der polnische Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt

Die gemäßigt konservative „Rzeczpospolita“ („Die Republik“), die man in ihrer politischen
Ausrichtung am ehesten mit der deutschen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vergleichen
könnte, ist nach der „Gazeta Wyborcza“ die zweitgrößte überregionale polnische Tageszei-
tung mit einer verkauften Auflage von ca. 260-270.000 und einer geschätzten Leserschaft
von 1,3 Millionen. Die Zeitung pflegt ein trockeneres und elitäreres Image als die deutlich
konservativere Tageszeitung „ˆycie“ („Leben“) sowie die auflagenstärkere linksliberale
„Gazeta Wyborcza“, die beide im Tabloid-Format (Broadsheet) erscheinen und auch Ele-
mente der Boulevard-Presse aufweisen. In der derzeitigen polnischen Parteienlandschaft
vertritt Rzeczpospolita am ehesten die Positionen der bürgerlichen Partei PO, versteht sich
jedoch als überparteilich. Auffällig ist die thematische und farblich hervorgehobene Dreitei-
lung der Zeitung: Neben dem normalen Nachrichtenteil (weiß) erscheint der Wirtschaftsteil
auf hellgrünem Papier; zudem gibt es einen täglichen juristischen Teil auf gelbem Papier.
Neben diesen täglichen Rubriken erscheinen ein- oder zweimal pro Woche Beilagen zu
verschiedenen Themen (z.B. Auto- und Immobilienmarkt, Karriere, Fernsehprogramm,
Reisen). Samstags erscheint die Feuilleton-Beilage Plus-Minus, in der bekannte Autoren
und Politiker Essays zu kulturellen, politischen und historischen Themen veröffentlichen,
die ein breites Meinungsspektrum abbilden. Die „Rzeczpospolita“ veröffentlicht außerdem
regelmäßig Rankings zu Unternehmen, Institutionen und Behörden.
Die heutige „Rzeczpospolita“ ging aus der gleichnamigen ehemaligen Zeitung der
kommunistischen Regierung hervor, die erstmals noch während des Zweiten Weltkriegs im
Juli 1944 erschien. Der Titel knüpfte damals bewusst an die gleichnamige Zeitung der
rechtskonservativen „Christlich-Nationalen Partei“ („Stronnictwo Chrzecija‰sko-
Narodowe“) der Zwischenkriegszeit an, um in der polnischen Nachkriegsöffentlichkeit, die
der neuen kommunistischen Regierung durchweg ablehnend gegenüberstand, eine gewisse
Legitimität aufzubauen. Parallel dazu erschien mit der Gründung der Polnischen Vereinig-
ten Arbeiterpartei (PZPR) 1948 deren Zeitung „Trybuna Ludu“ („Volkstribüne“). 1950
wurde die Rzeczpospolita eingestellt, da die gleichzeitige Existenz einer Partei- und Regie-
rungszeitung im konsolidierten Ein-Parteien-Staat überflüssig war. In der politischen Krise
des Jahres 1980, als das Image der Partei (PZPR) weiter stark beschädigt wurde, entstand
die Idee zur Wiederbelebung der Zeitung, um die Unabhängigkeit der Regierung zu beto-
nen. Seit 1982 erschien die „Rzeczpospolita“ als Organ des Regierungsapparates, zugleich
erschien weiterhin die Parteizeitung „Trybuna Ludu“. Dieser Dualismus entsprach der
Situation der Sowjetunion, wo ebenfalls die „Pravda“ als Partei- und die „Izvestija“ als
Regierungsblatt erschienen; die Entwicklung der „Izvestija“ in Russland nach der Wende
ähnelt übrigens stark der der „Rzeczpospolita“ in Polen. 1991 wurde die „Rzeczpospolita“
von der neuen demokratischen Regierung in die Unabhängigkeit entlassen189.
Gründungschefredakteur der unabhängigen „Rzeczpospolita“ war 1989 bis 1996 der
bekannte polnische Journalist Dariusz Fikus. Nachfolger waren 1996-2000 Piotr Alek-
sandrowicz, 2000-2004 Maciej Šukasiewicz sowie seit 2004 Grzegorz Gauden. Ende
Januar 2005 geriet die „Rzeczpospolita“ in die Diskussion, nachdem der national-
konservative Redakteur Bronisaw Wildstein eine Inventarliste des „Instituts für Nationales

189
Es entstand ein polnisch-französisches Joint Venture, der Verlag „Presspublica S.A.“, in dem die Zeitung
seither erscheint. Seit 1996 ist der norwegische Konzern Orkla Media, der derzeit ein Viertel der polnischen
Presselandschaft (mit-)kontrolliert, zu 51 Prozent an „Presspublica“ beteiligt.

227
Gedenken“ („Instytut Pami‹ci Narodowej“, IPN) mit den Namen von Mitarbeitern, Anwär-
tern und Opfern des polnischen Stasi-Gegenstücks „Su’ba Bezpiecze‰stwa“ („Sicherheits-
dienst“) entwendet und verbreitet hatte. Die Daten waren vermutlich von einer IPN-
Mitarbeiterin von einem IPN-Computer auf einen USB-Stick kopiert und Wildstein zuge-
spielt worden. Problematisch war Wildsteins Veröffentlichung, weil die Liste nicht zwi-
schen vermeintlichen Tätern und Opfern unterschied und damit alle aufgeführten Personen
unter Generalverdacht stellte. Nach der Publikation der Liste mit mehreren tausend Namen
bekanntn sich viele der in der Liste genannten Personen öffentlich zu ihrem Antikomunis-
mus und versuchten sich so von einer möglichen Mitarbeit bei der polnsichen SB freizu-
sprechen. Die Kritiker sahen den Fall Wildstein als Indiz dafür, daß es in der polnischen
Öffentlichkeit weniger um eine Auseinandersetzung mit der Geschichte gehe, als um den
Mißbrauch der Geschichte zu politischen Zwecken. Die neue national-konservative Regie-
rung maße sich an, so Michal Stachura190, zu entscheiden, wer polnisch sei. Und die Alt-
Kommunisten und neuen Atheisten seien es auf keinen Fall. Wildstein sei Teil einer groß-
angelegten nationalistisch-katholischen Strömung. Die polnische Öffentlichkeit sah das
offenbar anders. Nach Umfragen befürwortete eine Mehrheit der Polen die Öffnung der
Akten191.
Vor nicht allzulanger Zeit hatte die Bilder der gnadenlosen Unterdrückung der freiheits-
liebenden Polen durch die kommunistischen Machthaber die Welt schockiert. Mit der
Gründung der Gewerkschaft „Solidarno“ brach im Jahre 1980 der Anfang vom Ende der
sowjetischen Vorherrschaft in Mittel- und Osteuropa an. Mit der friedlichen Abdankung der
Kommunisten am Runden Tisch in Warschau 1989 wurde eine folgenreiche Abmachung
getroffen: Die Akten der kommunistischen Sicherheitsdienste bleiben der Öffentlichkeit
vorenthalten. Wichtige Dissidenten wie Adam Michnik forderten Vergessen und Vergeben
vor Aufarbeitung und Rache. Nun tauchte nach 16 Jahren ‚Wildsteins Liste’ mit 240.000
Namen aus den Stasiakten im Internet auf und schockierte viele Polen. Wahrheit oder Nest-
beschmutzung? Es begann ein großer Streit um den Journalisten Wildstein, der die Liste
illegal aus der polnischen Gauck-Behörde veröffentlichte. Problematisch allerdings ist, dass
die Liste keine eindeutige Klärung darüber gibt, wer Täter oder wer Opfer ist. „In der ge-
brechliche Demokratie der polnischen Republik diktieren erkennbare Eliten, was die Men-
schen wissen dürfen und was nicht“, sagte Bronislaw Wildstein. „Dagegen gehe ich an. Die
Behauptung, daß ich unethisch handele, wenn ich die Wahrheit zugänglich machen will, ist
für mich eine Verdrehung der Tatsachen, was übrigens charakteristisch für die politische
Diskussion im heutigen Polen ist. Das Fundament von jeglicher Ethik ist die Wahrheit und
Transparenz und nicht umgekehrt.“ Wildsteins Veröffentlichung glich einem Gang in den
Leichenkeller der Polen. Das Institut für Nationales Gedenken hatte alle Hände voll zu tun,
Menschen zu helfen, die ihre Geschichte aufklären wollen. Der Name von Wladyslaw No-
wakowski zum Beispiel ist 13mal auf Wildsteins Liste. „Nun wollte ich nachschauen, ob es
hier eine Akte über mich gibt“, sagte Nowakowski. „Ich habe früher in der Opposition
mitgearbeitet und möchte sehen, wer mich bespitzelt hat.“
Die regierenden Postkommunisten und der aus ihren Reihen stammende Präsident
Kwasniewski sahen in Wildsteins Veröffentlichung eine Bedrohung. Sie griffen Wildstein

190
Stachura, Michael: Geheimagent „Joseph“ oder die Stasi in Polen
[www.ostblog.de/2005/06/geheimagent_joseph_oder_die_st.php].
191
Klamt, Andrzej: „Wildsteins Liste“. Im Internet veröffentlichte Stasi-Akten sorgen in Polen für Aufregung.
3sat-Sendung „Kulturzeit“, 5.4.2005
[www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/77919/index.html].

228
als Verräter von Staatsgeheimnissen öffentlich und juristisch an. Der Präsident lehne Wild-
steins Liste ab, erklärte Dariusz Szymczycha, Staatsminister und Präsidentenberater, denn
vor Jahren wäre beschlossen worden, daß die Akten der Stasi in einem apolitischen Institut
aufbewahrt werden, zu dem einzig Wissenschaftler Zugang haben sollten, und eben keine
Journalisten192. Die Postkommunisten hatten es in Polen nicht nur geschafft, mit Hilfe de-
mokratischer Wahlen immer wieder an die Macht zu gelangen; ihre alten Seilschaften be-
setzten Spitzenpositionen in der Politik, der Wirtschaft und den Medien. Und ganz oben
regierte der ehemalige Jugendfunktionär der polnischen Kommunisten, Präsident Aleksan-
der Kwasniewski. Geradezu beispielhaft spiegelte der Ablauf der Wildstein-Affäre den
Zustand der polnischen Demokratie wieder. Wildstein, der die Öffnung der Akten erwirkte,
wird nur einige Tage nach der Veröffentlichung der Liste von seinem Arbeitgeber, der
Tageszeitung „Rzeczpospolita“, entlassen. Ein Telefonat von oben half womöglich nach,
denn der Chef der Zeitung hatte einen guten Draht zum Präsidenten. Zugleich kam Wild-
stein das größte politische Magazin des Landes, „Wprost“, zu Hilfe. Wildstein hatte damit
sofort einen neuen Arbeitgeber, der seine Aufarbeitung der Geschichte unterstützte.
„Wprost“-Chefredakteur Marek Krol war vor 16 Jahren Agent der Stasi und zuständig für
Propaganda beim Zentralkomitee der Kommunisten. Heute gehörte er zu den Gegnern der
Postkommunisten, was ihm ein nicht geringes Einkommen bescherte. Krol zählt zu den
hundert reichsten Menschen Polens193.
Dass aber auch eine renommierte Zeitung wie die „Rzeczpospolita“ nicht frei von natio-
nalen Ressentiments und Komplexen ist, beweist ihre Reaktion auf den Literaturnobelpreis
2009 für die rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller. Ein Redakteur der „Rzecz-
pospolita“ meinte allen Ernstes, die Schriftstellerin sei nicht verehrungswürdig, weil ihr
Vater schließlich SS-Mitglied gewesen sei. Darauf der Kommentator der deutschen Tages-
zeitung „Die Welt“: „Das ist so absurd, daß man Müller nicht einmal verteidigen muß.“
Monika Sznajderman, die in Polen die Bücher der Preisträgerin verlegt, erzählt, sie habe am
Radio geweint, als die Nachricht aus Stockholm durch den Äther kam. Ihr Mann, der
Schriftsteller Andrzej Stasiuk, hält Rumänien für das schönste Land Europas und erinnerte
sich, wie einst Herta Müller ihm ein rumänisches Liedchen vorsang. Die konservative
„Rzeczpospolita“, die selbst nichts von der Vertreibung der Deutschen durch Polen wissen
will, verstieg sich indes zu der Behauptung, die Entscheidung von Stockholm beweise „his-
torische und politische Ignoranz“. Begründung: Es gebe in der Gegenwart genügend
menschliche Tragödien, um eine Schrifstellerin zu ehren, die es wagt, Deutsche als Opfer
darzustellen. Ein in den 1970er Jahren geborener Kommentator meinte, in Anspielung auf
Herta Müllers Vater, er könne nicht der Erinnerung an sein Familienschicksal treu bleiben
und sich zugleich „vor dem Leid der Angehörigen von SS-Leuten verneigen“. Sein Mitleid,
so der Autor, gelte vor allem den Opfern der Deutschen. Und wenn nach dem Stauffenberg-

192
Andere warfen Wildstein vor, er gehöre in diesem Kampf einer „nationalistisch-katholischen Strömung mit
Ausschlieslichkeitsrecht auf Polnisch-sein“ an. Der katholische Fernsehsender „PULS“ [www.pulstv.pl] führte
in einer er eine Sendung in der er die Feinde Polens und ihre Gegener ausfindig zu machen glaubt. Die soge-
nannte „Lista Wildsteina“, die im Internet abzurufen war [wildstein.ewcia.com/m/index.html], war ihm dabei
behilflich. Wildstein wurde nach der Veröffentlichung am 31. Januar 2005 aus der Redaktion der „Rzecz-
pospolita“ entlassen. Vor dem Gebäude demonstrierten damals gegen die Entlassung unter Rufen wie „Die
Wahrheit wird uns erlösen“ ungefähr 200 Menschen, darunter Mitarbeiter der konservativ-katholischen Orga-
nisation „Fronda“ [www.fronda.pl], der „Gazeta Polska“ [www.gazetapolska.pl] und des Gewerkschaftsblattes
„Tygodnik Solidarno“ [www.tygodniksolidarnosc.com].
193
Vgl.: Gulinska, Paulina: Die „Spitzel-Liste“, die keine ist. Eine Bilanz der „Wildstein-Debatte“ in Polen
[www.zeitgeschichte-online.de/zol/_rainbow/documents/pdf/zol_int/gulinska_wildstein.pdf].

229
Film weitere „Wunderwaffen“ in den Kinos explodierten, werde die Welt bald nur noch
edle, gute, tapfere oder leidende Deutsche im Gedächtnis behalten. Die Deutschen würden
mit Hollywoods Hilfe versuchen, „die Hierarchie der Opfer umzukehren“. Ein deutscher
Kollege des „Rzeczpospolita“-Redakteurs meinte lakonisch, Herta Müller hätte gezeigt,
dass sie sich vor falschen Freunden zu hüten versteht. Gegen falsche Feinde müsse man sie
nicht verteidigen. Ihr Werk spreche für sich.

3.2 „In den Krieg gegen Gazeta Wyborcza“

Kritisch sahen Beobachter auch die Rolle der Axel Springer AG in der Transformation der
polnischen Printmedien nach der national-konservativen Machtübernahme. Der Axel
Springer Verlag hätte die Krise der polnischen liberalen Zeitungslandschaft, allen voran
Adam Michniks „Gazeta Wyborcza“, genutzt, um eine polnische Version der deutschen
„Welt“ auf dem wichtigsten Medienmarkt Ostmitteleuropas zu etablieren. Ob es Springers
„Dziennik“ [www.dziennik.pl] jedoch gelingen würde, sich als Sprachrohr der national-
konservativen Neuen Rechten Polens zu etablieren, müsse man abzuwarten, hieß es. Nach
dem überragenden Erfolg der polnischen Version der Bildzeitung, des Boulevardblattes
„Fakt“ [http://efakt.pl], die in weniger als einem Jahr nach Einführung im Oktober 2003 die
Marktführerschaft übernahm, preschte Axel Springer nun auf den Markt der sogenannten
meinungsbildenden Tageszeitungen vor. Am 18. April 2006 erschien die Erstausgabe der
Tageszeitung „Dziennik Polska Europa Swiat“ („Tageszeitung Polen Europa Welt“). Wäh-
rend „Fakt“ sich klar an der Bildzeitung orientiert, war „Dziennik“ offen erkennbar an die
deutsche „Welt“ angelehnt. Schon ein Blick auf das Logo genügte.
Offiziell gab sich Springer mit „Dziennik“ weniger ehrgeizig als mit seinem Boulevard-
bruder „Fakt“. Der Verlag gab an, man strebe mittelfristig eine Auflage von 150.000 Ex-
emplaren an, was deutlich unter den rund 500.000 verkauften Exemplaren der „Gazeta
Wyborcza“ und den 270.000 der Rzeczpospolita lag. Mit allen Mitteln versuchte Springer,
den Eindruck einer Kampfmarkteinführung zu vermeiden. Aber die äußerst kurzfristige
Ankündigung des Springer-Verlags, „Dziennik“ zum Tiefstpreis von 1,5 Zoty auf den
polnischen Markt zu werfen, versetzte die „Gazeta Wyborcza“ in Zugzwang. Sie senkte
ihren Preis teilweise um fast die Hälfte, von bisherigen 2,8 Zloty, ohne sich wütende
Kommentare zu verkneifen. Als „Fakt“ im Jahr 2003 für 1 Zloty an den Start ging, hatte
„Super Express“ noch (erfolglos) gegen diesen Preis geklagt. Der Zeitpunkt für Springers
Angriff mit „Dziennik“ war gut gewählt, meinten polnische Journalisten. Sowohl die „Ga-
zeta Wyborcza“ als auch die auflagenzweite „Rzeczpospolita“ befanden sich in einer tiefen
Krise, die unmittelbar mit dem politischen Rechtsruck zusammenhing, den Polen seit den
Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober erlebte. Die oft mit der
FAZ verglichene rechtsliberale „Rzeczpospolita“ hatte sich vor allem durch ihren Nach-
druck der umstrittenen Mohammed-Karikaturen Ärger mit der neuen Regierung eingehan-
delt, was auf den ersten Blick erstaunt. Die antiliberale, katholische Rechte Polens um die
Regierungspartei „PiS“ („Prawo i Sprawiedliwo“ – „Recht und Gerechtigkeit“)
[www.pis.org.pl/main.php] sah in der Aktion einen Angriff auf den Islam, der sie an die
ständigen Angriffe der liberalen polnischen Medien auf Glauben und Kirche erinnerte. Der
PiS-Premierminister Marcinkiewicz entschuldigte sich offiziell für die „Rzeczpospolita“,
was seine Gegner wiederum veranlaßte, laut an seinem Verständnis von der Unabhängig-
keit der Presse zu zweifeln.

230
Da der polnische Staat ein Minderheitseigner des Verlages der „Rzeczpospolita“ ist, dessen
Mehrheit dem norwegischen Orkla Media-Konzern gehört, mußte der liberale Chefredak-
teur der „Rzeczpospolita“, Grzegorz Gauden, während des Karikaturenstreits um seine
Stelle fürchten. Nachdem einige Wochen lang nach einem neuen Chef gesucht worden war,
blieb Gauden schließlich doch im Amt, weil sich Orkla und die polnische Regierung nicht
auf einen Nachfolger einigen konnten. Gauden ging jedoch wie seine Zeitung stark ange-
schlagen aus der Affäre hervor. Die offene Intervention der Regierung hatte die Unabhän-
gigkeit der angesehenen Zeitung erschüttert. Die Schwierigkeiten der „Rzeczpospolita“, die
jedoch vor der Krise der Wyborcza verblassten, erklärten sich aus der Struktur der polni-
schen Medienlandschaft. Polens Zeitungen und Zeitschriften sind seit dem Ende des kom-
munistischen Printmonopols überaus stark politisiert. So repräsentieren die verschiedenen
Zeitungen nicht einfach allgemeine politische Orientierungen wie links oder konservativ,
sondern nehmen seit jeher aktiv an politischen Kampagnen einzelner Parteien teil, was aus
der jüngsten Geschichte der freien Medien in Polen herrührt. Bis in die 1980er gab es nur
eine offizielle überregionale Tageszeitung, das kommunistische Parteiblatt „Trybuna Ludu“
(„Volkstribüne“). 1982 wurde neben der Parteizeitung „Trybuna“ die „Rzeczpospolita“
(„Republik“) als Regierungszeitung eingeführt, um angesichts der Staatskrise um die „Soli-
darnoszcz“-Bewegung größeren Meinungs-pluralismus zu suggerieren. Als 1989 die Ge-
werkschaftsbewegung „Solidarnoszcz“ das erste Mal zu Parlamentswahlen antreten durfte,
entstand die erste nicht-kommunistische Zeitung, die „Gazeta Wyborcza Solidarnoszcz“,
die ‚Wahlzeitung’ der Solidarität. Als direktes Wahlkampforgan dienten die ersten Ausga-
ben vor allem zur Veröffentlichungen der oppositionellen Kandidatenlisten. Als diese Wah-
len das Ende des Kommunismus in Polen besiegelten, entwickelte sich die „Gazeta Wy-
borcza“ unter Leitung des intellektuellen Dissidenten Adam Michnik zu einer regulären und
bald dominanten Tageszeitung. Das Parteiblatt „Trybuna Ludu“ blieb den Postkommunis-
ten verbunden und fristet bis heute ein Marginaldasein wie ihr DDR-Äquivalent „Neues
Deutschland“. Die „Rzeczpospolita“ konnte sich nach dem unerwarteten Regierungswech-
sel 1989 aus ihrer bisherigen Rolle befreien und entwickelte sich zum konservativ-liberalen
Befürworter der anti-kommunistischen rechten Regierungen der Lech Walesa-Zeit und
damit zur zweitgrößten polnischen Tageszeitung.
Der erste Platz blieb jedoch bis heute dem ehemaligen „Solidarno“-Blatt, der „Gazeta
Wyborcza“, vorbehalten. Die Autorität Adam Michniks, der sich als einer der wenigen
Regimegegner nach der Wende aus der Politik zurückzog und damit im Gegensatz zu sei-
nen Mitstreitern der schnellen Kompromittierung entging, wog schwer, genauso wie die
historische Rolle der „Wyborcza“. Michniks versöhnlicher Stil bestimmte die Anfangsjahre
der dritten polnischen Republik. Nach den Misserfolgen der unerfahrenen Regierungen der
Rechten und der Lächerlichkeit der Präsidentschaft Lech Walesas war es die „Wyborcza“,
die entscheidend zur Rehabilitierung der postkommunistischen Linken und der Präsident-
schaft des Ex-Kommunisten Aleksander Kwaszniewski beitrug. Die polnische Politik der
90er Jahre war vom Dualismus der zerstrittenen und unprofessionellen „Solidarno“-
Nachfolge-Parteien auf der Rechten und den erfahrenen, jedoch geschichtlich vorbelasteten
Postkommunisten um die linke Partei SLD (Sojusz Lewicy Demokratycznej, Allianz der
demokratischen Linken) bestimmt, wobei die „Rzeczpospolita“ eher die ersteren unterstütz-
te und Michniks „Wyborcza“ sich immer mehr in Richtung der postkommunistischen Lin-
ken bewegte. Der Rest des Tageszeitungsmarktes wurde von unzähligen Regionalblättern
ausgefüllt.
Als sich die politische Landschaft Polens in den letzten Jahren entscheidend wandelte
und um einen dritten, antiliberal-nationalen Pol erweitert wurde, blieb es nur eine Frage der

231
Zeit, bis die bisherige bipolare Marktaufteilung zwischen linksliberaler „Wyborcza“ und
rechtsliberaler „Rzeczpospolita“ von der neuen politischen Realität eingeholt wurde. Die
1997 entstandene rechtsliberale Post-„Solidarno“-Regierung (AWS-Wahlaktion Solidar-
no) von Jerzy Buzek zerfiel während seiner Amtszeit, und wurde als Minderheits-
regierung zu Ende geführt. Die forcierte wirtschaftliche Liberalisierung Polens, der Anstieg
der Arbeitslosigkeit auf zwanzig Prozent, das gleichzeitige Absinken des Wirtschafts-
wachstums und das scheinbare Unterordnen aller Probleme Polens unter das Ziel eines
schnellen EU-Beitrittes führten zu einen grandiosen Sieg der Postkommunisten (SLD) in
2001 (41 Prozent). Zur Enttäuschung vieler änderten diese den Kurs jedoch nicht, setzten
den neoliberalen Wirtschaftskurs ihrer Vorgänger (mit größerem Erfolg) fort und führten
Polen im Mai 2004 in die EU. Als mehrere Korruptionsskandale die neue Regierungspartei
SLD samt Premierminister Leszek Miller stark belasteten, zerfiel der öffentliche Rückhalt
der Partei, die sich bis heute nicht mehr erholen konnte und momentan im einstelligen Pro-
zentbereich dahindümpelt, während der Aufstieg der polnischen Neuen Rechten, rechts von
den bisherigen Rechtsliberalen, seinen Lauf nahm. Die politische Seite der Solidarno war
bereits unmittelbar nach der Wende in ein liberales, pro-europäisches Lager und eine natio-
nalistische, an der Politik der Zwischenkriegszeit orientierte Richtung zerfallen. Die letztere
jedoch wurde in 1990er Jahren erfolgreich marginalisiert – durch ihre Europafeindlichkeit,
ihren radikalen Nationalismus und teilweise offenen Antisemitismus nahmen diese Grup-
pen die Rolle moderner Protestparteien am rechten Rand ein.
Das änderte sich mit dem Aufstieg der 2001 gegründeten rechts-konservativen PiS
(Recht und Gerechtigkeit) um die Zwillingsbrüder Lech und Jarosaw Kaczynski, die zwar
gerne in die populistische Kiste des Nationalismus griffen, sich jedoch von den Extremisten
und Antisemiten distanzierten und vor allem mit dem Versprechen der nationalen morali-
schen Erneuerung und des solidarischen Staates im von Korruption und neoliberalen Aus-
wüchsen geplagten Land punkten konnten. Noch weiter rechts entwickelte sich die nationa-
listisch-katholische LPR („Liga der polnischen Familien“). Die populistische Bauernpartei
„Samoobrona“ („Selbstverteidigung“) dazu genommen entstand damit eine neue politische
Kraft, die ihren Platz rechts von der politischen Konfiguration der 1990er Jahre einnahm.
Die linksliberale „Gazeta Wyborcza“ setzte nun ihre Marktposition und Autorität ein, um
Stimmung gegen die Neue Rechte zu machen. Ironischerweise hatte Chefredakteur Adam
Michnik selbst den größten Korruptionsfall der linken SLD, die sogenannte Rywin-Affäre
im Dezember 2002, aufgedeckt – die unklare Rolle, die er selbst darin spielte, und die Ver-
zögerung der Veröffentlichung beschädigten jedoch seine Autorität und seine Zeitung,
während die ausgelöste Skandallawine die Partei, der die Zeitung sich mehr und mehr ver-
schrieben hatte, beerdigte. Der unaufhaltsame Aufstieg der Neuen Rechten wurde durch die
mediale Dominanz ihrer liberalen Gegner behindert, doch zur Hilfe kam ihr das katholische
Medienimperium des Redemptoristenpaters Rydzyk, der mit dem größten polnischen „Ra-
dio Maryja“ [www.radiomaryja.pl], seinem eigenen Fernsehsender „TV-Trwam“ [www.tv-
trwam.pl] und der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unsere Tageszeitung“)
[www.naszdziennik.pl] seit Jahren im In- und Ausland mit einer höchst politisierten, offen
parteiischen Berichterstattung für Empörung sorgt.
Trotz des Protestes der polnischen Kirchenoffiziellen und neuerdings des Vatikans nahm
sich Rydzyk der medialen Vertretung von LPR und PiS an. Neben Angriffen auf die kor-
rupte Linke wurde nun die „Gazeta Wyborcza“ selbst zum Ziel, als vermeintliches Sprach-
rohr des postkommunistischen Paktes zwischen Ex-Funktionären und Vertretern der linken
Opposition, unter denen – nach Meinung der Wendeverlierer – Polen in den letzten 15
Jahren genüßlich aufgeteilt worden wäre. Die Gräben an der neuen Medienfront verhärteten

232
sich schnell. Während „Gazeta Wyborcza“ von nun an fast täglich Pater Rydzyk und seine
Medien für ihr Engagement am rechten Rand der Politik, seine nationalistische Gesinnung
und die Duldung bekannter Antisemiten in dessen Sender kritisierte, rief die nationalistisch-
katholische Liga der Polnischen Familien (LPR), die damals zweistellige Umfragewerte
verzeichnete, einen Boykott der „Wyborcza“ aus. Der Abgeordnete des Europaparlaments,
Wojciech Wierzejski erklärte Anfang 2005, daß die Liga der Polnischen Familien den offen
staatsfeindlichen Medienaktionen und der journalistischen Hinrichtung der Verteidiger der
Wahrheit nicht länger tatenlos zusehen werde: „Wir werden es nicht zulassen, daß sich die
rosafarbenen Hyänen straflos an uns weiden. Wir appellieren an alle Mitglieder und Freun-
de der LPR die Gazeta Wyborcza nicht zu kaufen, nicht zu lesen und nicht zu zitieren. Wir
erklären ihren vollständigen Boykott innerhalb der Strukturen der LPR. Wir appellieren an
alle uns freundlich gesinnten Zeitungsverkäufer die Gazeta Wyborcza nicht zu verkaufen –
und falls das nicht möglich ist – sie nicht zu bewerben und nicht auffällig auszustellen.“
Michnik befand sich nun in einer Zwickmühle. Durch die Angriffe der damals schon be-
deutenden, jedoch nicht dominierenden Neuen Rechten wurde die Aufmerksamkeit der
Öffentlichkeit auf die Parteinahmen der „Wyborcza“ gelenkt. Mit dem Untergang der lin-
ken SLD im Korruptionssumpf wurde es höchste Zeit, seine Unabhängigkeit wieder unter
Beweis zu stellen. Andererseits fühlte sich Michnik offenbar verpflichtet, „Wyborczas“
Marktposition gegen die neuen Populisten einzusetzen. Die überfällige Loslösung der Zei-
tung von der korrupten Linken wurde von den Exzessen der Neuen Rechten verhindert – je
mehr Michnik diese angriff, desto mehr wirkte er wie der Verteidiger des postkommunisti-
schen Paktes. Dieser Medienkonflikt erreichte seinen Höhepunkt im Sommer 2005, als der
Wahlkampf um die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in die heiße Phase trat. Der
Kampf zwischen der kompromittierten Regierungslinken um die SLD und der neuen Rech-
ten um PiS und LPR nutzte anfangs vor allem den traditionellen Rechtsliberalen, die nach
dem Debakel der Buzek-Regierung in diesem politischen Klima als neue Mitte wiederauf-
erstehen konnten. Die rechtsliberale Nachfolgepartei der zerfallenen AWS, die Bürgerplatt-
form PO, schien vielen einziger vernünftiger Ausweg aus der Krise und genoss auf Anhieb
die Sympathien höherer Bildungs- und Einkommensschichten in Polen und des Auslands.
Ihr Stammblatt, die Rzeczpospolita, befand sich im Aufwind. Für Michnik und seine Gaze-
ta Wyborcza entwickelte sich jedoch ein Dilemma: Es war die „Wyborcza“, welche die
Schwächen der rechtsliberalen Buzek-Regierung 1997-2001 kritisiert hatte und die offen
den postkommunistischen linken Präsidenten Aleksander Kwaszniewski unterstützte. Die-
ser – die einzige unbeschädigte Person der polnischen Linken – durfte nach Ablauf der
zweiten Amtszeit nicht wieder zur Präsidentschaftswahl antreten. Die notwendige Distan-
zierung von der zerstörten Linken und die gleichzeitige Aufrecht-erhaltung einer kontinu-
ierlichen, konsequenten Position erforderte von Michnik und Wyborcza die Quadratur des
Kreises. So unterstützte die Zeitung im Herbst 2005 die rechtsliberale PO in den Parla-
mentswahlen, in denen die Linke von Anfang an nicht den Hauch einer Chance hatte, wäh-
rend sie für die Präsidentschaftswahlen den Kandidaten der SLD, den Ex-Premierminister
Wlodzimierz Cimoszewicz befürwortete.
Rydzyks katholisches Medienimperium hingegen entwickelte sich zum fast-offiziellen
Sprachrohr der neuen PiS-Regierung. Als Nachfolger des immer noch extrem populären
SLD-Präsidenten Kwaszniewski und als möglicher Gegenpol zur unvermeidlichen Regie-
rungsübernahme durch die Rechte entwickelte sich Cimoszewicz tatsächlich zum Favoriten
für das Präsidentenamt und Michniks Strategie schien aufzugehen. Doch einige Wochen
vor der Wahl wurde Cimoszewicz Opfer einer konzentrieren Medienkampagne seitens der
rechten Medien, allen voran von Pater Rydzyk, die seine Kandidatur mit (ungedeckten)

233
Korruptionsvorwürfen zerschoß, so daß Cimoszewicz innerhalb von wenigen Wochen von
der Führung in allen Umfragen auf einen hoffnungslosen Platz abrutsche und seine Kandi-
datur drei Wochen vor den Wahlen zurückzog. Die „Gazeta Wyborcza“ erlitt einen schwe-
ren Gesichtsverlust und die polnische Linke war endgültig am Ende. Ab jetzt war klar, daß
beide Oktoberwahlen sich nur noch zwischen der alten Rechten um die PO und der neuen
Rechten um PiS abspielen würden. Bisher waren die rechtsliberale PO und die nationalkon-
servative PiS mit klarer Koalitionsankündigung gegen die Linke ins Rennen gezogen. Als
aber deutlich wurde, daß es keinen Gegner mehr links von ihnen gab, begann die Partner-
schaft zu bröckeln, so daß die „Wyborcza“ jetzt ihre verbleibende Stärke und Autorität der
PO und der Präsidentschaftskandidatur ihres Vorsitzenden Donald Tusk verleihen konnte
und die Kampagne gegen die Zwillingsbrüder Kaczynski der PiS anführte. Es ging darum,
den sicher geglaubten Vorsprung der rechtsliberalen PO zu vergrößern, um den Einfluß der
Neuen Rechten um PiS als zukünftiger Juniorpartner gering zu halten. An den Tagen vor
der Wahl führte die PO in den meisten Umfragen sowohl für das Parlament wie die Präsi-
dentschaft. Als dann jedoch die PiS beide Wahlen im Oktober überraschend gewinnen
konnte, war das Worst-case-Szenario für die „Wyborcza“, Adam Michnik und Polens
Linksintellektuelle eingetreten: Die Linksliberalen haben sich in Luft aufgelöst (von 41
Prozent 2001 auf 11,3 Proeznt gefallen und noch hinter der dubiosen Bauernpartei Sa-
moobrona (11,4 Prozent) gelandet), die Rechtsliberalen den sicheren Sieg verspielt (24
Prozent) und die Neue Rechte um PiS (27 Prozent) und LPR (8 Prozent) die Regierung und
die Präsidentschaft gesichert.
Die dunklen Wolken über der „Wyborcza“ brachen nun: Die Auflage sank schlagartig
auf unter 400.000 um die Jahreswende herum und der Aktienwert des Verlagshauses Ago-
ra, das noch in der Neujahrsausgabe des amerikanischen „BusinessWeek“ als Kauftipp in
Mitteleuropa genannt wurde, verlor seitdem ca. 40 Prozent seines Wertes. Auch das Anse-
hen Adam Michniks litt schwer: Laut einer hauseigenen Umfrage der Wyborcza wurde
Michniks Einfluss auf Polen von nur noch 25 Prozent der Befragten als positiv, von 23
Prozent als schädlich eingestuft, was dem einstigen „Solidarno“-Helden (und Träger des
Großen Bundesverdienstkreuzes) den 13. Platz von 23 genannten Personen einbrachte, nur
vier Plätze vor dem kommunistischen Diktator Wojciech Jaruzelski. Als sich der Konflikt
zwischen der Regierungspartei PiS und der rechtsliberalen PO in den Monaten nach der
Wahl verschärfte, wurde auch POs klassischer Unterstützer, die „Rzeczpospolita“, mit dem
Karikaturenstreit als Anlaß von der PiS abgestraft. Rydzyks katholisches Medienimperium
hingegen entwickelte sich zum fast-offiziellen Sprachrohr der neuen PiS-Regierung. Beina-
he täglich fahren seitdem schwarze Warschauer Regierungslimousinen in Rydzyks Zentrale
in Toru vor, um in „TV-Trwam“ aufzutreten. Als die PiS-Minderheitsregierung Anfang
Februar eine Quasi-Koalition, den so genannten Stabilisierungspakt mit LPR und „Sa-
moobrona“ unterschrieb, geschah dies exklusiv vor Journalisten von Rydzyks „TV-
Trwam“, „Radio Maryja“ und „Nasz Dziennik“, während die restlichen Medien erst hinter-
her informiert wurden, wogegen sie bitter aber vergeblich protestierten.
Die anhaltende Zusammenarbeit von PiS mit dem exzentrischen Priester ist jedoch mit
einigen Nachteilen verbunden. Rydzyks aggressive Parteinahme verärgert seit Jahren die
polnischen Kirchenoberen, die sich offiziell wünschten, dass seine Medien sich aus der
Politik heraushielten und sich auf die Übertragung von Gottesdiensten und Rosenkränzen
konzentrierten. Auch Benedikt XVI. äußerte sich kritisch über das politische Engagement
des polnischen Redemptoristen. Außerdem wurde „Radio Maryja“ regelmäßig mit dem
Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert. Zwar enthielten sich die redaktionellen Beiträge
in den letzten Jahren antijüdischer Kommentare, doch wiederholt wurden externe Kommen-

234
tatoren oder Anrufer in den Äther geschaltet, die vor Freimaurer- und Judenverschwörun-
gen warnend, die politischen Polemiken aus Vorkriegspolen wieder-aufleben ließen, wie
zum Beispiel ein Beitrag von Stanisaw Michalkiewicz, gegen den die polnische Staatsan-
waltschaft ermittelte. Die Partnerschaft mit Rydzyk bindet dadurch PiS an die extreme
Rechte, von der sich die Regierungspartei gerne trennen würde. Der Ehrgeiz des Partei-
Masterminds und Präsidentenbruders Jarosaw Kaczy“ski sieht die PiS langfristig als
rechts-konservative Volkspartei. Da konnte sich die aus der Not entstandene Partnerschaft
mit dem unkontrollierbaren Medienpriester Rydzyk als Nachteil erweisen. Die letzte Stelle
in der Umfrage, in der Michnik den schwachen 13. Platz machte, nahm bezeichnenderweise
kein anderer als Pater Rydzyk selbst ein. Nur 9 Prozent der Befragten schätzten sein Wir-
ken als positiv, 70 Prozent seinen Einfluss als negativ für Polen ein.
Die PiS ist sich der Gefahren einer zu starken Bindung an Rydzyks Medien offenbar
bewusst. Ihr zweitbeliebtes Forum ist dadurch seit langem Axel Springers „Fakt“. Vor
allem der PiS-Regierungschef Marcinkiewicz ist ein regelmäßiger Gast der polnischen
Bildzeitung, aber auch der sonst medienscheue Präsident Lech Kaczynski gibt seine selte-
nen Interviews bevorzugt in der „Fakt“. Das Timing der Markteinführung von Springers
„Dziennik“ ist somit perfekt. Die polnische Bischofskonferenz beschloß, Rydzyk aus der
Politik zurückzupfeifen und ein Kontrollorgan zur Überwachung seiner Medien einzuset-
zen. Falls PiS seine Verbindungen nach Rechtsaußen jedoch tatsächlich kappen wollte,
würde es bald einen neuen Partner in den Medien brauchen. Mit der „Wyborcza“ war PiS
immer noch offen verfeindet. Jaroslaw Kaczynski erklärte wahrheitsgemäß, dass die „Gaze-
ta Wyborcza“ der polnischen Kommunistischen Partei entstammte; freilich auch ein Af-
front gegen Michnik, der viele Jahre als Dissident in kommunistischen Gefängnissen einge-
sessen hatte. Doch auch mit der „Rzeczpospolita“ schwelte der Streit weiter, wie das Ge-
zanke um ein zuerst nicht autorisiertes, später retuschiertes und schließlich von der „Rzecz-
pospolita“ abgelehntes Präsidenteninterview zeigte. So bot sich Springers „Dziennik“ gera-
dezu dazu an, das Sprachrohr der polnischen ‚neuen Rechten’ zu werden und das genau
schien Springers Strategie für Polen zu sein. So wurde berichtet, daß der Springer-Verlag
seine neue Zeitung vorab den Kaczynski-Brüdern persönlich vorstellte. Doch Springers
„Dziennik“ hatte einen hauseigenen Nachteil: Es ist eine deutsche Zeitung, eine Schwäche,
die Rydzyks Medien erkannten und die Zeitung ab sofort konsequent als „Der Dziennik“
bezeichneten, um auf seine deutsche Herkunft zu verweisen. Die Tatsache, daß „Fakt“
ebenfalls ein deutsches Springer-Produkt ist, war jedenfalls für die Partei PiS kein Hinder-
nis. Sollte das nicht auch mit dem neuen Produkt geschehen, würde es eng werden für
Springer auf dem polnischen Tageszeitungsmarkt. Trotz ihrer tiefen Krise war die „Wy-
borcza“ immer noch klarer Marktführer und durch die Preissenkung stieg ihre Auflage
wieder. Auch die „Rzeczpospolita“ würde ihre Position als elitäres Qualitätsblatt trotz der
Angriffe von PiS so schnell nicht verlieren. Wenn es Springer nicht gelingen wird, Rydzyk
als medialen Partner der Regierungspartei zu verdrängen, wird es „Dziennik“ kaum mög-
lich sein, die Gewinnzone zu erreichen.
Vielleicht jedoch wird Springers „Dziennik“ dazu beitragen, die polnische Medien-
landschaft von ihren direkten Verbindungen zur Politik zu befreien. Das wiederum wäre
eine Premiere für die „Axel Springer“ AG. Würde PiS hingegen bereit sein, mit Hilfe von
„Dziennik“ eine polnische CDU aufzubauen, könnte der deutsche Verlag bestimmt gut mit
seiner langjährigen Erfahrung als verlässlicher Medienpartner der Konservativen dienen. So
oder so, auch wenn Springer gegen die „Gazeta Wyborcza“ in den Krieg zieht, schien die
letzte Schlacht auf dem polnischen Zeitungsmarkt noch lange nicht geschlagen. Die PiS
schloß nach monatelanger Minderheitsregierung schließlich eine Koalition mit den populis-

235
tischen Extremparteien „Samoobrona“ und der LPR. Während „Wyborcza“ und „Rzecz-
pospolita“ tobten und die Auslandspresse empört reagierte, veröffentlichte Springers
„Dziennik“ ein Exklusivinterview mit PiS-Premierminister Marcinkiewicz, der darin
beschwichtigend erklärte, daß sich durch die neue Koalition nichts Wesentliches verändern
werde. Damit hatte Springer die bisher vermiedene offene Konfrontation mit den etablier-
ten Blättern schließlich doch eröffnet. Seine vorherige Bescheidenheit hatte damit zu tun,
daß der lange boulevardscheue polnische Markt für „Fakt“ nahezu leer stand (mit Ausnah-
me des Tabloids „Super Express“). Polens Markt galt für ernste Tageszeitungen als gesät-
tigt. „Springer“ wollte darum die offene Konfrontation mit den etablierten Blättern solange
hinausschieben, bis „Dziennik“ auf dem Markt Fuß gefasst hätte. Daß das wirkliche Aufla-
genziel weitaus höher liegt, ist offensichtlich: Bei dem Dumpingpreis von 1,50 Zoty (ca.
40 Cent) würde die Zeitung ansonsten ein Verlustgeschäft bleiben – bei aller Anlehnung an
„Die Welt“, versuchte „Springer“, den chronischen Verlust der deutschen Tageszeitung
nicht an „Dziennik“ zu vererben. Andreas Wiele, Springers Vorstand für Zeitschriften und
Internationales erklärte: „Die osteuropäischen Länder, insbesondere Polen, gehören zu den
Kernwachstumsmärkten der Axel Springer AG.“ Als „Dziennik“ am 18. April startete,
wurde von einer Erstauflage von 800.000 Exemplaren berichtet194. Unabhängig von diesen
Zahlen ist klar, dass Springer nicht nur Neukunden aufsammeln, sondern vor allem die
Stammleserschaft des stark angeschlagenen Flagschiffs der polnischen Medienlandschaft,
Adam Michniks „Gazeta Wyborcza“ anzapfen wollte.

194
http://media.wp.pl/kat,40036,kat2,37972,wid,8279802,wiadomosc.html?ticaid=144ae [wirtualna polska].

236
3.3 Nationalkonservative Wende auf dem polnischen Zeitungsmarkt?

Andere fuhren weit schwereres Geschütz auf. „Neo-Faschisten leiten nicht nur das polni-
sche Fernsehen“ – titelte der polnische Journalist Kamil Majchrzak195. Für Aufregung und
Empörung hatte gesorgt, dass zur feierlichen Unterzeichnung der Koalitions-vereinbarung
zwischen den drei neuen Regierungspartnern in Polen Ende 2005 nur Journalisten von
„Radio Maryja“, des Fernsehsenders „Trwam“, sowie Korrespondenten der Zeitung „Nasz
Dziennik“ eingeladen wurden. Majchrzak meinte, daß im Gegensatz zu Italien in Polen
nicht Werbeeinahmen oder kurzsichtige Machtinteressen im Mittelpunkt gestanden hätten,
sondern es wäre, so wörtlich, um die „Gleichschaltung des öffentlichen Diskurses und die
Begründung einer neuen IV. Republik“ gegangen. Die Partei „Recht und Gerechtigkeit“
(PiS) hatte verkündet, Polen von Korruption und den alten Seilschaften aus kommunisti-
scher Zeit zu befreien, was ihre Gegner und Kritiker als Versuch auslegten, eine „diskursive
Hegemonie“ durchzusetzen. Als Grundlage sahen sie das Anfang 2006 verabschiedete
Mediengesetz, das bereits im März desselben Jahres in Teilen vom polnischen Verfas-
sungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden war. Für die Partei „Recht und Gerech-
tigkeit“ (PiS), für Regierung und Präsident war das eine unglaubliche Blamage. Mit einer
„moralischen Revolution“ wollte sie das Land und die Medien von Korruption und ihr
unliebsamen Seilschaften säubern196. Präsident Lech Kaczynski hatte kein Recht, die neue
Vorsitzende des Rundfunkrats zu ernennen, weil er damit unzulässig seine Kompetenzen
erweiterte, urteilte das polnische Verfassungsgericht. Auch die neue Ethikzensur, die durch
das Gesetz eingeführt wurde, sei nicht verfassungs-konform, ebensowenig die Privilegien
für gesellschaftlich wichtige Sender wie die katholischen Medien. Während der Urteilsver-
kündung des Verfassungsgerichts kommentierte Jaroslaw Kaczynski für das katholische
„Radio Maryja“ und „TV Trwam live“ die Ausführungen der Richter. Sie seien schließlich
keine „Versammlung der Weisen“. Die politischen Bindungen der einzelnen Richter sollten
in einer „offen geführten Diskussion“ überprüft werden.
Das neue Mediengesetz von 2006 sicherte trotz aller Kritik und Einwände des Verfas-
sungsgerichts der regierenden PiS großen Einfluss auf den verschlankten Fernsehrat
„KRRiT“. Dieser entscheidet unter anderem über die Vergabe von Sende-Frequenzen und
TV-Konzessionen sowie das Programm in öffentlich-rechtlichen Anstalten. Das Gesetzt
breitet auch einen Schutzschirm über sogenannte „soziale Sendeanstalten” aus, wovon es in
Polen insgesamt elf gibt. Die meisten werden als Diözese-Sender betrieben. Unter ihnen
das steuerfreie Imperium von Pater Tadeusz Rydzyk, der neben einer eigenen Journalistik-
Universität, seit 1991 auch das konservativ-katholische „Radio Maryja“ mit seinen 1,2
Millionen Zuhörern führt. Neuer Vorstandsvorsitzender des öffentlich-rechtlichen Fernse-
hens wurde Bronisaw Wildstein. Wildstein wurde mit seinem im Jahr 2000 veröffentlich-
ten Buch-Manifest „Ent-kommunisierung, die nicht stattfand“ („Dekomunizacja, której nie
byo“) bekannt. Die ausgebliebene Verurteilung und kompromisslose Ablehnung der
Volksrepublik sind für den Autor die Hauptursache aller Probleme der dritten Republik
(1989-2005). Die Schuld an der unzureichenden Verfolgung ehemaliger Kommunisten und

195
Majchrzak, Kamil: Neo-Faschisten und Hitlergruß leiten nicht nur das Polnische Fernsehen
[www.ostblog.de/2006/08/neofaschisten_beim_polnischen.php].
196
Lesser, Gabriele: „Polens Mediengesetz gestoppt“. Verfassungsgericht bremst vorerst Zensur. Doch der Präsi-
denten-Bruder gibt nicht auf [www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2006/04/03/a0141].

237
der im Gegensatz zu Deutschland und Tschechien ausgebliebenen Entkommunisierung
trügen die liberale „Solidarno-Strömung“, die Postkommunisten der SLD, die neoliberale
„Gazeta Wyborcza” und die progressiv katholische Wochenzeitung „Tygodnik Powszech-
ny“. Der Kompromiss zwischen Opposition und Kommunisten, der 1988/89 zum Runden
Tisch führte, bedeutete für Wildstein die Demontage der antikommunistischen Revolution.
Die Einigung mit den Kommunisten brachte einen tiefen „moralischen Verfall“ mit sich.
Die Hegemonie so hervorgebrachter intellektueller Eliten bestimmte den gesellschaftlichen
Diskurs der 1990er Jahre. Dieser sei die polnische Antwort auf den westlichen Postmoder-
nismus. Ein Beweis für den Konformismus und die „Relativierung der Werte“ der einst
oppositionellen intellektuellen Eliten sei das Versäumnis, die Kommunisten zur Rechen-
schaft zu ziehen, was die Rehabilitierung der Volksrepublik, die Etablierung einer „amor-
phen, formlosen Welt, der Gleichberechtigung von Meinungen“ nach sich gezogen hätte.
Diese Rhetorik brachte Wildstein in unmittelbare Nähe zu Jarosaw Kaczy‰ski, den Bruder
von Lech Kaczy‰ski, und verhalf ihm zum Posten des Vorstandsvorsitzenden des Polni-
schen Fernsehens „TVP“.
Die neue Politik belegten Kritiker Wildsteins mit Begriffen wie „Säuberungsaktion“ und
„Nacht-und-Nebel“, so als im Juli 2006 alle acht Leiter der regionalen öffentlich-
rechtlichen Radiosender ausgetauscht wurden, als aus dem polnischen Jugend-Radiosender
„Bis” die beliebte Sendung „Masala“ verschwand. Damit wäre eine der letzten Bastion der
Unabhängigkeit in den polnischen Medien, sowohl was die Musik als auch die besproche-
nen Themen angeht, verschwunden, erklärte Przemek Wielgosz von der polnischen Ausga-
be der „Le Monde Diplomatique“, der einmal im Monat bei „Masala“ politische Ereignisse
kommentieren durfte. Personaländerungen seien zwar nach Wahlen nichts ungewöhnliches,
jedoch wären sie noch nie so offen als Ausdruck eines politischen Kulturkampfes betrieben
worden. Neuer Direktor des Fernsehsenders „TVP Kultura“ wurde Krzysztof Koehler.
Koehler ist Mitarbeiter der „fundamental-katholischen“ „Fronda“ und „Arcana”, außerdem
Dozent an der katholischen Universität von Kardinal Stefan Wyszy‰ski in Warschau. Auch
im Ersten TV-Programm hätte sich eine kulturelle Revolution vollzogen, weil nun jeden
Freitag der Schriftsteller und Publizist der „Gazeta Polska“, Rafa Ziemkiewicz, eine „Kul-
tur-Show“ unter dem Namen „Ring“ führte. Deren Ziel sei es, Tabus zu brechen, und sol-
che Strömungen in der Kultur zu zeigen, die bislang in polnischen Medien nicht vorkamen.
Ziemkiewicz wollte dabei nach den Ursachen fragen, warum bislang bestimmte Personen
mit Preisen überhäuft wurden und andere nicht. Diesem Ziel sollte auch die neue Sendeein-
heit „Šoskot” dienen. Die Leiterin der Kulturredaktion des Ersten Fernsehprogramms, Mar-
ta Sawicka, erklärte gegenüber der „Gazeta Wyobrcza“, man wolle „den politisch korrekten
Stil der Sprache durchbrechen und neue Ausdrucksformen zu Wort kommen lassen. Kriti-
siert wurde vor allem, dass die neue Sendeleitung die kommunistische Geschichte aufarbei-
ten wollte. Besonders umstritten war auch eine Geldstrafe in Höhe von 130.000 Euro, zu
der die „KRRiT“ den Privatsender „Polsat“ 2006 für die „Radio-Maryja“-Satire einer be-
kannten Feministin verurteilt hatte. Grund war, dass Kazimiera Szczuka eine Moderatorin
von „Radio Maryja“ imitiert und als „altes Mädchen“ bezeichnet hatte, was die staatliche
Behörde als Verspottung Behinderter und des Gebets auslegte. Das Magazin „Sukces“
trennte aus seiner Ausgabe vom April 2006 aus 90.000 bereits gedruckten Exemplaren die
Seiten 17 und 18 heraus, weil hier ein regierungskritischer Artikel von Manuela Gretowska
abgedruckt war. Der Verleger Zbigniew Jakubas sagte, er müsse sonst eine Strafe der
„KRRiT“ befürchten. Zuvor hatten ihm Beamte des polnischen Präsidenten empfohlen, die
Seiten zu entfernen.

238
Wegen seiner politisch pointierten Berichterstattung, die, positiv formuliert, sehr katholisch
und sehr polnisch ist – Kritiker sprechen von offenem Antisemitismus und Rechtsextre-
mismus des Senders –, ist „Radio Maryja“ immer wieder in den Schlagzeilen und in der
Diskussion. Zwei Drittel der Polen befürworteten Ende 2007 sogar die Ablösung des Sen-
derchefs, Pater Tadeusz Rydzyk, dem die „KRRiT“ im Februar 2003 einen eigenen Fern-
sehsender, „TV Trwam“ („Ich beharre“), genehmigte. Auch die Zeitung Nasz Dziennik
gehört zu Rydzyks Medienimperium. Doch die polnische Kirche ist gespalten. Die Re-
demptoristen, die in Polen keinswegs zu den großen Orden zählen, hat Rydzyk zu unge-
kannter Popularität verholfen, obwohl längst nicht alle Mitglieder des Ordens Rydzyks
Thesen teilen. Trotzdem wollen sie dagegen keinen Einspruch erheben, denn Rydzyk ge-
nießt den Status eines Stars. Er ist in der polnischen Kirche zur ersten echten ‚celebrity’
geworden, wie Szymon Holownia in der polnischen Ausgabe von „Newsweek“ schrieb.
Der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Jozef Michalik, lehnte in
einem Interview mit der Tageszeitung „Dziennik“ („Mittwoch“) im September 2007 eine
Abberufung von Pater Rydzyk ab. Er widersprach damit dem Krakauer Kardinal und frühe-
ren Sekretär von Papst Johannes Paul II., Stanisaw Dziwisz. Zugleich stoppte der Vorsit-
zende des polnischen Episkopats einen geplanten Brief an den für „Radio Maryja“ zustän-
digen Redemptoristenorden, in dem die Bischofskonferenz ihre Kritik an dem Rundfunk-
sender erläutern wollte. „Solch ein Brief sollte eine interne Angelegenheit des Episkopats
un des Generaloberen der Redemptoristen sein. Da die Sache aber veröffentlicht wurde,
fällt das Thema nun weg“, so Michalik. Über eine solche Initiative müsse man erneut auf
der nächsten Vollversammlung der Bischofskonferenz im Oktober sprechen. Kardinal Dzi-
wisz hatte die Absetzung des Senderchefs mit der Begründung gefordert, Rydzyk bedrohe
die Einigkeit der Kirche. Der Kardinal warf dem Pater vor, er bestimme am Episkopat vor-
bei immer mehr die Seelsorge in Polen. Michalik dagegen bestritt, daß die Bischöfe allmäh-
lich die Kontrolle über Rydzyk verlören. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz meinte, es
gebe kein Problem mit „Radio Maryja“ selbst. Es gebe nur Fälle eines unvernünftigen poli-
tischen Engagements oder Ansichten, die bei der einen oder anderen Sendung formuliert
würden. So etwas dürfe keinen Platz in einem katholischen Radio haben, so der Erzbischof
von Przemysl. Michalik betonte zugleich, daß es derartige Probleme auch in anderen Me-
dien gebe, und verwies auf die liberale katholische Wochenzeitung „Tygodnik Powszech-
ny“. Niemand fordere die Abschaffung des Krakauer Blattes, weil es etwa geschrieben
habe, daß die Mehrheit der Priester für eine Aufhebung des Zölibats sei, obwohl die Wirk-
lichkeit und die Lehre der Kirche zu diesem Thema anders aussehe. „Radio Maryja“ ist in
Polen heftig umstritten. Dem Sender wird immer wieder vorgeworfen, antisemitische Ein-
lassungen von Zuhörern im Programm nicht zu unterbinden. Im Sommer 2007 richteten
sich die Vorwürfe vor allem gegen Senderchef Pater Rydzyk, der sich auf einer Veranstal-
tung seiner eigenen Medienakademie antisemitisch geäußert haben soll, wovon es auch
Tonbandaufnahmen gebe, wie es hieß. Die Gattin des Präsidenten sei eine Hexe, der Präsi-
dent ein Betrüger und außerdem stehe er unter dem Einfluß der jüdischen Lobby, die im
Begriff sei, Polen auszuplündern, dozierte der charismatische Pater. Hintergrund war, daß
Maria Kaczynska sich am Frauentag gegen eine weitere Verschärfung des Abtreibungs-
rechts gewandt hatte, daß der Präsident Lech Kaczynski sich geweigert hatte, den Schutz
des Lebens „bis zum natürlichen Tode“ in die Verfassung zu schreiben, und daß er Wieder-
gutmachungs-Forderungen jüdischer Organisationen nachgebe. Die Aufnahmen wurden
ausgerechnet an dem Tag einem Magazin zugespielt und dort veröffentlicht, als sich die
Anhänger von Radio Maryja zu einer Wallfahrt nach Tschenstochau aufmachten.

239
Rydzyk nannte die Veröffentlichung eine Provokation und bestritt, die Äußerungen ge-
macht zu haben. Erzbischof Michalik erklärte, daß die Staatsanwaltschaft die Authentizität
der Tonaufnahmen von Rydzyks Vorlseung nicht bestätigt habe: „Wenn die Staatsanwalt-
schaft kein Problem sieht, hat dann die Bischofkonferenz das Recht, sie zu korrigieren?“
Viele dachten, das Tischtuch wäre nun endgültig zwischen Rydzyk und den Kaczynskis
zerschnitten, denn der Pater hätte, wenn die Aussagen stimmen, mit seinem Hochschulauf-
tritt das Staatsoberhaupt und dessen Frau zum mittlerweile dritten Mal beleidigt. Doch bald
wurde offenbar, daß Rydzyk mit seinen politischen Pfunden wuchern kann. Es wird sogar
gemunkelt, der Präsident verdanke seinen Posten der Propaganda des Paters, den Rabbi
Marvin Hier einen „Goebbels mit Priesterkragen“ nannte197. Rydzyk wurde weiterhin von
den Brüdern in den höchsten Staatsämtern umworben. Minister-präsident Jarosaw Ka-
czynski stellte sich hinter den regierungsnahen Kirchensender und dessen Leiter. „Radio
Maryja“ hätte die polnische Kirche gestärkt, den polnischen Katholizismus aktiviert und die
Bürgerrechte einer großen Gruppe von Polen wiederhergestellte, meinte Kaczynski. Der
Dominikaner Wojciech Jedrzejewski schrieb im konservativen „Dziennik“, er sei zutiefst
davon überzeugt, dass die Bischofskonferenz die Kritik an Rydzyk als Manipulation und
als Manifestation bösen Willens verstehe. Die Bischöfe wüßten nur zu gut, daß „Radio
Maryja“ ein Bollwerk gegen die fortschreitende Säkularisierung sei. Wenn man Rydzyk als
Senderchef absetze, gebe es das Radio nicht mehr. Dennoch gibt es auch kritische Stimmen
in Polen. Für eine Absetzung sprachen sich Ex-Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki und
die Ex-Außenminister Bronislaw Geremek und Wladyslaw Bartoszewski aus198. Für die
Opposition innerhalb der polnischen Kirche spricht zum Beispiel der Jesuitenpater und
Dichter Wacaw Oszajca. Die Art von Religiosität, die Rydzyk anbietet, verursache großen
Schaden unter den Menschen, meinte Oszajca. Diejenigen, die sich in der jetzigen gesell-
schaftlichen, kulturellen und ökonomischen Lage nicht zurechtfinden, würden aus dem Tal
der Finsternis gerade nicht herausgeführt. „Ihre Ablehung gegenüber allem wird noch ver-
stärkt.“ Für seine Fangemeinde sei Rydzyk eine Art Ersatzvater geworden, beklagte der
liberalkatholische „Tygodnik Powszechny“. „Will er am Ende auch der Ersatzvater der
gesamten polnischen Kirche werden?“ In den Medien sei er das bereits, meinte die Zei-
tung199.
Der politische Einfluß Rydzyks und seines Senders läßt sich daran ermessen, daß Ex-
Premier Kazimierz Marcinkiewicz seine Regierungserklärung zuerst auf 7030 kHz, der
Frequenz von „Radio Maryja“, verlas, bevor er vor das Parlament trat. Als der Sender im
August 2007 sein 15-jähriges Bestehen feierte, kamen nicht nur die Spitzen der Regierung,
auch zehntausende Menschen huldigten dem Sender. An der Festmesse auf dem Platz vor
der Wallfahrtskirche von Tschenstochau, die der Bischof von Lomza, Msgr. Stanislaw
Stefanek zelebrierte, nahmen mehr als 150.000 Gläubige teil. Etwa fünf Millionen Polen
bekennen sich zur ‚Familie Radio Maryja’ und folgen Pater Rydzyk aufs Wort. Auf „Radio
Maryja“ werden hauptsächlich Messen übertragen. Ansonsten huldige der Sender einem

197
Vgl.: Wölfl, Adelheid: Radio Maryja-Chef Tadeusz Rydzyk. Der Propagandachef der katholischen Nationalis-
ten kann es sich sogar leisten, den Staatschef zu beschmipfen. In: Der Standard, 13.7.2007
[http://derstandard.at/?url=/?id=2957311].
198
Vgl. „In Polen eskaliert der Streit um ‚Radio Maryja’“. In der katholischen Kirche ist ein offener Machtkampf
um den Hörfunksender ausgebrochen. In: Die Tagespost, 6.9.2007, Nr. 107, S. 10.
199
Vgl.: Gnauck, Gerhard: Polen: „Wie soll es mit Rydzyk und der katholischen Kirche in Polen weitergehen?“.
In: Welt Debatte [http://debatte.welt.de/kolumnen/73/periskop/30308/polen+wie+soll+es+mit+rydzyk
+und+der+katholischen+kirche+in+polen+weitergehen].

240
manichäischen Weltbild, so Adelheid Wölfl im österreichischen „Standard“ – gut sind die
Polen, „schlecht sind alle Nichtpolen und die EU und ganz schlecht die Befürworter der
Abtreibung“200. Wie einen Halbgott verehren den Redemptoristenpater die ‚Mohair-
Barette’, wie die wollhauben-tragenden älteren Damen abschätzig genannt werden, die
Pater Rydzyk bewundern. Für die Unterstützer des Paters, in Polen und in konservativ-
katholischen Kreisen im Ausland, ist die Sache genauso klar wie für den Pater selbst – die
liberale Presse, antikatholische jüdische Kreise und einige polnische Bischöfe seien sich
darüber einig, daß der Pater zu mächtig geworden sei. Mehrere polnische Bischöfe, die
namentlich nicht genannt werden wollten, hätten den Vatikan aufgefordert, gegen Pater
Rydzyk vorzugehen, so Jarosaw Gowin, Senator der oppositionellen, rechtsliberalen Bür-
gerplattform in einem Interview für die Warschauer Tageszeitung „Dziennik“. Nachdem
Pater Rydzyk im August 2007 von Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo empfangen
worden war, zeigte sich der Europäische Jüdische Kongreß schockiert und erstaunt. Der
Papst habe einem Mann und einer Institution seinen Segen gegeben, die das Bild der polni-
schen Kirche mit antisemitischen Äußerungen befleckt hätten.
Das Blatt begann sich zu drehen, als Ende 2007 die konservative Regierung Kaczynski
durch den Liberalen Donald Tusk abgelöst wurde, der sich, wie nicht anders zu erwarten,
sofort gegen jene wandte, die stets die Liberalisierung und die Annäherung an den dekaden-
ten, entchristlichten Westen – beides Themen, für die Tusk stand – als Bedrohungen Polens
beschworen hatten. Rydzyk warf dem neuen Ministerpräsidenten kurz vor Weihnachten
2007 vor, er wolle „Radio Maryja“ „zerstören“. In einem Brief schrieb der Pater wörtlich:
„Die Antipathie, welche Sie und Ihre Partei ‚Bürgerplattform’ (PO) in den vergangenen
Jahren immer wieder gegenüber uns gezeigt haben, ist nicht verschwunden, sondern hat
sich als Absicht herausgestellt, diesen Radiosender zu zerstören.“201 Der Beweis war für
Rydzyk, daß einige PO-Minister angekündigt hatten, die Finanzierung des Senders ‚sorgfäl-
tig überprüfen’ zu wollen, obwohl die Vorgänger-regierung alles für ordentlich befunden
hatte202. Der neue Premier, Donald Tusk, wies die Vorwürfe Rydzyks freilich zurück. Er
empfinde keine grundlegende Abneigung gegenüber dem Sender. Wenn sich herausstellen
sollte, dass das Geld auf falschem Wege an Pater Rydzyk gelangt sei, so sei dies nicht des-
sen Schuld203.

200
Vgl.: Wölfl, Adelheid: Radio Maryja-Chef Tadeusz Rydzyk. Der Propagandachef der katholischen Nationalis-
ten kann es sich sogar leisten, den Staatschef zu beschmipfen. In: Der Standard, 13.7.2007
[http://derstandard.at/?url=/?id=2957311].
201
Vgl. Meetschen, Stefan: Streit in Polen um Radio Marija. Eisige Kälte zwischen der Regierung und dem
Sender – Auch das Verhältnis der Politiker zur Kirche wird kühler. In: Die Tagespost, 8. Jan. 2008, Nr. 4, S.
11.
202
Anlaß war eine Forderung über vier Millionen Euro für eine von Rydzyk gegründete Hochschule im nordpol-
nischen Torun (Thorn), wo sich auch die Zentrale von „Radio Maryja“ befindet. Die Kaczynski-Regierung hat-
te ein Projekt gefördert zur Gewinnung von Thermalwasser gefördert, um die Hochschule zu heizen. Nun prüf-
te das Umweltministerium, ob bei dem Zuschuss wirlich alle rechtlichen Bestimmungen eingehalten worden
seien. „Mit diesen Verdächtigungen zerstören sie den guten Ruf von Radio Marija“, so Rydzyk. [vgl. Meet-
schen, Stefan: „Streit in Polen um Radio Marija“. Eisige Kälte zwischen der Regierung und dem Sender –
Auch das Verhältnis zur Kirche wird kühler. In: Die Tagespost, 8. Jan. 2008, Nr. 4, S. 11].
203
Vgl. Meetschen, Stefan: Streit in Polen um Radio Marija. Eisige Kälte zwischen der Regierung und dem
Sender – Auch das Verhältnis der Politiker zur Kirche wird kühler. In: Die Tagespost, 8. Jan. 2008, Nr. 4, S.
11.

241
3.4 Katholischer Journalismus nach dem Regierungswechsel

Nach dem national-konservativen Schwenk der polnischen Politik hatten liberale Medien-
vertreter geklagt, ihre Arbeit würde erschwert. Nachdem Donald Tusk neuer Premier ge-
worden war, waren ähnliche Klagen von katholischen Standesvertretern zu hören. Diese
waren alles andere als unbegründet. Es häuften sich Fälle, in denen katholische Journalisten
sozialer Diskriminierung und Intoleranz ausgesetzt waren. Ein Beispiel war der Chefredak-
teur des erfolgreichen Nachrichtenmagazins „Go Niedzielny“, Pfarrer Marek Gancarc-
zyk, der wegen seines Engagements in einer Lebensrechtsfrage zu einer hohen Schmerzen-
geldzahlung verurteilt werden sollte. Eine Frau namens Alicja Tysiçc, die vor neun Jahren
ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht hatte, gegen ihren Willen, auf Betreiben der pol-
nischen Ärtze, die sich eindeutig gegen eine Abtreibung ausgesprochen hatten. Der Europä-
ische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gab jedoch dem Protest der unfreiwilli-
gen Mutter Recht und verurteilte den polnischen Staat, der Abtreibungen verbietet, zu einer
Strafzahlung wegen „unklarer ärztlicher Bestimmungen“. Chefredakteur Gancarczyk fand
das unmöglich und machte den Fall zum Thema seines Magazins, was Tysiçc „als Eingriff
in die Privatsphäre“ deutete und Ganaczyk auf Schmerzensgeld verklagte204. 50.000 Zoty
wollte sie von Ganaczyk und vom bischöflichen Verlag, in dem „Go“ erscheint. Ein zivil-
rechtlicher Fall, der in der öffentlichen Berichterstattung bald von einem neuen, diesmal
sogar strafrechtlich relevanten Fall verdrängt wurde.
Im Mittelpunkt des neuen Konflikts stand kein Priester, sondern eine junge Frau: Joanna
Najfeld (28), die nicht neine katholische Journalistin war, sondern darüber hinaus auch
intelligent, humorvoll und attraktiv. Diese „leider nur selten zu findende, aber im Zeitalter
der modernen Medien-Apologetik durchaus hilfreiche Kombination“ werde von Feminis-
tinnen und Homo-Lobby-Vertretern schon seit längerem mit Argwohn betrachtet, schrieb
Stefan Meetschen in der katholischen Tagespost205. Auslösend für den Gerichtstermin war
eine Fernseh-Dikussionsrunde, in der Joanna Najfeld zusammen mit Wanda Nowicka (53),
der Vorsitzenden der „Vereinigung Frauen und Familienplanung“, und anderen feminis-
tisch-liberalen Streiterinnen auftrat. Nachdem Joanna Szenyszyn (60), eine wegen ihrer
Polemik bekanntgewordene polnische EU-Parlamentarierin, Najfeld in unflätiger Weise
beschimpft hatte („Sie sind in einer Höhle groß geworden. Sie haben sexuelle Obsessio-
nen!“), auf welche Najfeld nicht eingegangen war, warf Najfeld der Organisation von
Wanda Nowicka vor, von der Abtreibungslobby und Kontrazeptiva-Produzenten finanziert
zu werden, was Nowicka als Beleidigung auffaßte und Najfeld verklagte. Beim ersten Ge-
richtstermin konnte Najfeld zwar sachlich darlegen, dass eine Mitarbeiterin Nowickas den
behaupteten Finanzierungs-zusammenhang selbst einmal öffentlich in einer Talk-Show
erwähnte habe. Dennoch hatte Najfeld Angst davor, für zwei Jahre ins Gefängnis zu müs-
sen und bat deshalb auf einer eigens eingerichteten Homepage (mamproces.pl) um Gebet.
Vieles sprach dafür, daß Najfelds Befürchtungen, so augenscheinlich sie juristisch auch
im Recht war, nicht unbegründet waren. Die linken-liberalen Seilschaften des alten Sys-
tems schienen am Störfaktor Najfeld ein Exempel statuieren zu wollen. Zu souverän und
damit demütigend waren ihre Auftritte in diversen Talk-Shows „für Feministinnen des alten

204
Vgl. Meetschen, St.: Die heilige Johanna der Talk-Shows. Katholische Journalisten werden in Polen immer
stärker attackiert – Der jüngste Fall betrifft eine junge Frau. In: Die Tagespost, 1.8.2009, Nr. 91, S. 11.
205
Meetschen, St.: Die heilige Johanna der Talk-Shows. Katholische Journalisten werden in Polen immer stärker
attackiert – Der jüngste Fall betrifft eine junge Frau. In: Die Tagespost, 1.8.2009, Nr. 91, S. 11.

242
und Homolobbyisten des neuen Stils“ (Meetschen). Unvergeßlich war etwa der Auftritt
Najfelds in einer Senung mit dem Homo-Lobbyisten Jacek Adler, in der Adler die homose-
xuelle Lebensweise propagierte und den partnerschaftlichen Treuefaktor homosexueller
Beziehungen mit Blick auf Adoptionswünsche hervorhob. Darauf zog Najfeld ein Bild von
Adlers Homepage aus der Tasche, auf welchem Adler vollkommen unbekleidet abgebildet
war und laut Internet-Untertext „viele junge Männer“ zum Sex suche. Auf Najfelds Frage,
wie sich dieses Bild mit der von ihm beschworenen Treue in Einklang bringen lasse, rea-
gierte Adler mit Schweigen. Als er Najfeld am Ende der Sendung die Hand reichen wollte,
meinte die: „Seitdem ich ihre Homepage gesehen habe und weiß, was sie mit dieser Hand
schon alles gemacht haben, ziehe ich es vor, sie nicht zu drücken. Dennoch respektiere ich
Sie als Person und Sie können sicher sein, daß ich für sie beten werde.“ Auch gegenüber
einem Medizinprofessor, der Abtreibungen guthieß, nahm Najfeld in einer Sendung des
öffentlich-rechtlichen Senders „TVP2“ höflich, aber bestimmt Stellung: „Wie können Sie
als Arzt und Professor die Tötung von noch ungeborenen Babies gutheißen? Sie befürwor-
ten die Tötung menschlichen Lebens so wie es die Nazis auch getan haben.“ Das bescherte
ihr viel Beifall, aber auch viele Angriffe – besonders von der bei Polens Katholiken sehr
umstrittenen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“, die in journalistisch äußerst fragwürdiger
Weise kirchliche Vertreter aller Frömmigkeitsstile attackiert. Najfeld wurde vorgeworfen,
die „Tötung von Körpern mit der Tötung von Personen“ zu verwechseln.
Der „TVP2“-Moderator Jan Pospieszalski (55), der sich nach dem Tod seiner Tochter
der Kirche zugewandt hatte und seitdem von den Postkommunisten Polens in Medien und
Politik scharf angegriffen wurde, war überzeugt, daß das Phänomen Najfeld darin besteht,
daß sie in Auftreten und Aussehen radikal ein altes Klischee durchbricht: „Früher hat man
bei Familien- und Frauenthemen im Fernsehstudio eine klare Sitzordnung gehabt. Auf der
einen Seite saß der alte Priester, der konservative Standpunkte verteidigte, auf der anderen
Seite eine junge, fortschrittliche Feministin. Joanna Najfeld wirbelt diese Stereotype durch-
einander.“ Ganz so ängstlich schien Joanna Najfeld vor dem Prozess dennnoch nicht zu
sein, da sie meinte: „Die Linken haben bereits das Feuer für den Scheiterhaufen entzündet.
Jetzt wissen wir wenigstens, was sie wirklich denken und wollen.“

243
3.5 Fernsehen und Rundfunk in Polen

Auch beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender brach nach dem Regierungswechsel ein


erbitterter politischer Machtkampf aus. Seitdem die nationalkonservative Partei „Recht und
Gerechtigkeit“ (PiS) von Jaroslaw Kaczynski nach ihrem Wahlsieg im Herbst 2005 die
Führungsposten der öffentlichen Medien mit eigenen Leuten besetzt hatte, bemüht sich die
seit 2007 regierende liberale Bürgerplattform (PO) von Ministerpräsident Donald Tusk
vergeblich, diese Leitungsgremien umzubesetzen. Da die Amtsperiode der Mitglieder des
TVP-Aufsichtsrates aber nicht verkürzt wurde, blieben die staatlichen Sender in der Hand
der abgewählten Regierung. Die Auslandsberichterstattung beherrschte damit nach wie vor
ein Deutschland-Bild, wonach die Bundesbürger die NS-Zeit verdrängten und alle Nach-
barn dominieren wollten. Hinzu kam eine Umbesetzung an der Spitze der „TVP“, die für
die PO eine noch größere Katastrophe war als Urbanski, der bisherige TVP-Direktor. Der
Nationalkatholik Andrzej Urbanski, früher Leiter des Präsidialamtes, galt als Vertrauter des
Staatspräsidenten Lech Kaczynski und dessen Zwillingsbruder Jarosaw, der die Oppositi-
onspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) führte. Die Absetzung von Urbanski gelang zwar
durch ein geschicktes Manöver, als der Aufsichtsrat nicht vollständig besetzt war, doch
stattdessen wurde von diesem reduzierten Aufsichtsrat der erst 30-jährige Jurist Piotr Farfal
als neuer Leiter bestimmt. Farfal nannte die Süddeutsche Zeitung einen „Rechtsaußen“,
dessen Wahl an die TVP-Spitze den endgültigen Zerfall der national-patriotischen Koaliti-
on in Warschau markiere206. Da aber der von der linksliberalen „Gazeta Wyborcza“ als
„ehemaliger Neonazi“ gescholtene Farfa207 – den Prozess gegen die Zeitung verlor er – auf
den katholisch-konservativen Urbanski folgte, fragt man sich, warum diese Wahl den „end-
gültigen Zerfall“ markieren sollte, wie ihn die Süddeutsche Zeitung im Einklang mit der
liberalkonservativen Regierung von Donald Tusk prophezeite. Farfal werde sich nicht lange
an der Spitze des TVP-Aufsichtsrates halten können, erwartete man in Warschau, weil es
zwischen rechtem Aufsichtsrat und rechtsextremem Direktor Farfal ständig Reibereien und
Streitigkeiten gab. Diese gipfelten darin, daß der Aufsichtsrat Farfal im Sommer 2009 für
drei Monate suspendierte. Farfal lehnte seine Absetzung aber als illegal ab und weigerte
sich, seine Arbeitsbüros zu räumen.
Das nationale Gericht bestätigte, dass die Suspendierung Farfas unrechtmäßig gewesen
wäre. Fast zeitgleich mit der Suspendierungsaktion ging die polnische Regierung mit einem
neuen Plan an die Öffentlichkeit: Man wolle einen staatlichen Verwalter für das öffentlich-
rechtliche Fernsehen TVP einsetzen, wie gab Schatzminister Aleksander Grad bekannt gab.
Einen enstprechenden Antrag habe man bereits vor Gericht gestellt. Grads Begründung:
Der aus dem Machtkampf resultierende ständige Personalwechsel habe TVP destabilisiert.
Zudem sei die Finanzlage des Senders schlecht, es müßten Steuern in Millionenhöhe nach-
gezahlt werden. Das alles sei mit Ministerpräsident Tusk abgesprochen, so Grad. Doch
damit nicht genug: die polnische Regierung plante zudem eine Abschaffung der Rundfunk-
gebühren, mit dem Argument: da nur 40 Prozent der Polen die Gebühren wirklich zahlten,

206
Vgl. Urban, Th.: „Neuer Chef, alte Elite“. Der Rechtsaußen Piotr Farfal, 30, leitet Polens Staatsfernsehen TVP.
In: Süddeutsche Zeitung, 5./6.1.2009, Nr. 3, S. 15.
207
Farfal hatte die nationalkatholische „Liga der katholischen Familien“ hinter sich, „die noch ein paar Meter
weiter rechts steht als PiS“ (Tagespost). Als Student war er Aktivist der rechtsextremen „Allpolnischen Ju-
gend“ und Mitherausgeber einer Zeitschrift, „die gegen Juden und Minderheiten hetzte“, so die Süddeutsche
Zeitung (5./6.1.2009, Nr. 3, S. 15).

244
würde solche Gebühren keinen Sinn haben. Außerdem wäre es unmoralisch, meinte Tusk,
dem Fernsehen Gelder zu garantieren, wenn andere Bereiche, etwa die medizinische Be-
handlung von Kindern, keine Garantie hätten. Die Vorstöße der Regierung und des TVP-
Aufsichtsrates trieben in den Medien zu wilden Spekulationen: Will die PO-Regierung das
öffentlich-rechtliche Fernsehen auf diese Weise so unter Druck setzen, daß sie schließlich
doch noch die politische Oberhand gewinnt? Will sie das öffentlich-rechtliche Fernsehen
zerstören, weil sie hofft, dadurch den starken und ihr gewogenen Privatsender „TVN“ zum
alleinigen Marktherrscher zu machen? Tusks PO versuchte offenbar, das was seine politi-
schen Vorgänger vorgemacht hatten, nachzumachen. Wie jede Regierungspartei versuchte
auch die PO den „TVP“-Sender selbst zu kontrollieren, deren Nachrichten-sendungen die
höchsten Einschaltquoten haben. Allerdings haben Untersuchungen ergeben, dass die abso-
lute Mehrheit der polnischen Zuschauer sich bei Wahlen nicht vom Fernsehen beeinflussen
läßt. Sie sind sich durchaus der Tatsache bewußt, daß der öffentlich-rechtlichen Sender in
der Hand der Regierenden sind. Wie auch immer: Ein erstes Opfer der Streitigkeiten ließ
sich bereits ausmachen208. Es war ausgerechnet der öffentlich-rechtliche Radiokultursender
„Dwojka“, der zugab, von massiven finanziellen Kürzungen betroffen zu sein. Aus Protest
strahlte der Sender, von der Komponisten Wojciech Kilar und der Regisseurin Agnieszka
Holland unterstützt wird, 24 Stunden nur Vogelgezwitscher. Ein weiteres Opfer der
Machtskämpfe war ein ebenfalls vonm Sejm gebilligter Senatsvorschlag, wonach die öf-
fentlichen Medien verpflichtet seien, christliche Werte zu unterstützen.
„Telewizija Polska“ (TVP) sendet zwei nationale und weitere lokale Fernsehprogramme
und ist damit die landesweit wichtigste Fernsehanstalt. Die Verfassung Polens von 1997
garantiert in Artikel 54 die Pressefreiheit. Radio- und Fernsehsendern werden von einer
staatlichen Aufsichtsbehörde lizensiert und kontrolliert – der „KRRiT“, Krajowa Rada
Radiofonii i Telewizji („Landesrat für Radio und Fernsehen“). Mehrfach wurde von Mit-
gliedern dieser Aufsichtsbehörde die einseitige Berichterstattung von „TVP“ (zugunsten der
Regierung) kritisiert. Der öffentlich-rechtliche Bereich wird von der „TVP“ repräsentiert.
„Telewizja Polska“ (Polnisches Fernsehen) sendet zwei nationale (TVP1 und TVP2) und
weitere lokale Fernsehprogramme (TVP3 Regionalna), ähnlich wie in Deutschland.
„Telewizja Polska“ betreibt auch das Auslandsfernsehen „TV Polonia“. Der Kulturkanal
„TVP Kultura“ ist bereits seit 2005 in Betrieb. Außerdem werden durch „Polskie Radio“
mehrere landesweite Radioprogramme ausgestrahlt.
Die größten privatwirtschaftlichen Fernsehstationen sind „TVN“ und „Polsat“. „TVN“
bietet eine breite Palette an Programmen. Im Hauptsender laufen Unterhaltungs- und In-
formations-sendungen sowie Spielfilme und das übliche Programm. Zudem strahlt der
Sender auch „TVN24“ (für Nachrichten), TVN Siedem (für Spielfilme) und TVN Meteo
(für Wetterberichte) aus. 2003 wurden mit TVN Turbo (Autosport) und 2004 mit TVN
Style (Lifestyle und Mode) und TVN International weitere Ableger gestartet, TVN MED,
TVN Gra, Discovery TVN Historia, TVN Lingua. In Polen gibt es einige katholische Sen-
der. TV Puls sendet seit März 2001 ein TV-Programm, das von polnischen Franziskanern
produziert wird und nach eigenen Angaben ein familienfreundliches Programm ohne
Gewalt und Pornographie anbietet. Im polnischen Fernsehen werden durchgehend (vom
Beginn bis zum Ende einer Sendung) Symbole eingeblendet die das Mindestalter für eine
Sendung anzeigen. So findet man zum Beispiel ein gelbes Dreieck mit der Ziffer 12, die

208
Meetschen, St.: „Machtkämpfe und eine Farce“. Im polnischen Fernsehen herrscht Chaos – jetzt will die
Regierung Fernsehgebühren abschaffen. In: Die Tagespost, 18.7.2009, Nr. 85, S. 11.

245
somit darauf hinweist, dass die Sendung nicht für unter Zwölfjährige geeignet ist. Dieses
neue System wurde im August 2005 eingeführt. Ausgenommen von dieser Kennzeichnung
sind Informations- und Sportsendungen sowie Werbung. Ein grüner Punkt bedeutet, daß die
Sendung für alle Altersgruppen bzw. Zuschauer frei ist. Ein gelbes Dreieck mit der Ziffer 7
bedeutet, daß die Sendung leichte vulgäre Ausdrücke und Gewaltszenen ohne Blut enthal-
ten kann. Ein gelbes Dreieck mit der Ziffer 12 bedeutet, daß vulgäre Ausdrücke, Gewalt-
und Sexszenen vorkommen können. Ein gelbes Dreieck mit der Ziffer 16 bedeutet, daß
scharfe vulgäre Ausdrücke, erhebliche Gewaltszenen und mehrere Sexszenen enthalten sein
können. Und schließlich ein roter Punkt heißt, nur für Erwachsene, die Sendung enthält
übermäßig viele Gewalt- und deutliche Sexszenen. Zu den populärsten landesweit ausge-
strahlten Radiosendern gehören „Trójka“, das dritte Programm des staatlichen Rundfunks
(Polskie Radio) sowie die privatwirtschaftlichen Sender „RMF FM“ und „Radio Zet“. Das
Auslandsradio „Polskie Radio dla zagranicy“ sendet mehrmals täglich ein halbstündiges
Programm in deutscher Sprache und kann über Satellit (im Großraum Berlin auch über
UKW 97,2 MHz) oder via Internet empfangen werden209.

3.6 Medien der Minderheiten in Polen

Die Nutzung aller gängigen Massenmedien ist für die deutsche Volksgruppe, die über ein
großes Territorium verstreut lebt, von besonderer Bedeutung. Diese Aufgaben werden
durch zwei Gesellschaften erfüllt, die von der deutschen Minderheit eigens gegründet wur-
den. Der Verlag Silesiapress fungiert als Herausgeber der größten deutschsprachigen Wo-
chenzeitung in Polen, des „Schlesischen Wochenblatts“, das das ‚Zentralorgan‘ der Volks-
gruppe darstellt. Die Produktionsgesellschaft „Pro Futura“ GmbH210 realisiert seit 1992 im
Auftrag der deutschen Minderheit publizistische Programme für das öffentlich-rechtliche
Radio und Fernsehen. Die ständige Erweiterung und Verbesserung des Medienangebots ist
für beide Gesellschaften oberstes Ziel. Darüber hinaus erweitert die Minderheit ihre Inter-
netpräsenz für alle Institutionen. Das „Schlesische Wochenblatt“ ist die auflagestärkste
Zeitung in Polen, die sich überwiegend an deutschstämmige Personen richtet, deren Zahl
allein im Oppelner Land auf ungefähr 200.000 geschätzt wird. Das Alter der Leserschaft
des „Schlesischen Wochenblatts“ liegt heute zwischen 30 und 60 Jahren. Die Texte werden
parallel in deutscher und polnischer Sprache abgedruckt. Das Wochenblatt erscheint in

209
Polnische Fernsehsender: TV 4, Polsat 2, Tele 5, Polonia 1, VIVA, TMT und Radio Parlament. Polnische
Radiosender, die als Webradio über das Internet empfangen werden können sind: Radio Trójka, RMF FM, Ra-
dio Zet und Radio Polonia.
210
Die Produktionsgesellschaft „Pro Futura“ GmbH wurde 1992 von Sebastian Fikus gegründet. Seither produ-
ziert „Pro Futura“ regelmäßig deutschsprachige Programme „Schlesien Journal“ für das polnische öffentlich-
rechtliche Fernsehen TVP. Bis 1995 hatte sie eine komplette logistische Infrastruktur aufgebaut, die professio-
nelle Fernsehproduktionen erlaubte. 1996 wurde die „Pro Futura“ in eine eigenständige Gesellschaft umge-
wandelt, deren Teilhaber die Organisationen der deutschen Minderheit sind. Seit 1998 produziert die Firma
auch die Sendung „Schlesien Aktuell“ für das öffentlich-rechtliche Radio Opole. Realisiert werden hauptsäch-
lich publizistische Programme für Radio und Fernsehen, darüber hinaus Reportagen, Dokumentarfilme und
Fernsehdiskussionen. Diese Programme wurden in der Vergangenheit zweimal (1997 und 2002) mit dem
deutsch-polnischen Journalistenpreis ausgezeichnet, der für besonderes Engagement für die deutsch-polnische
Versöhnung verliehen wird. Die Themen der Sendungen kreisen um die deutsche Minderheit, um die deutsch-
polnische Versöhnung und den Abbau von Vorurteilen.

246
einer Auflage von ungefähr 6.500 Exemplaren, wobei der Rücklauf 20 bis 30 Prozent der
Auflage ausmacht. Die meisten Leser kommen aus dem Kreis Oppeln, weil gerade diese
Region neben Oberschlesien das größte Ballungszentrum der deutschen Minderheit in Po-
len ist.
Die Ukrainer bzw. Ruthenen sind mit 30.000 die drittgrößte Minderheit in Polen (nach
Deutschen und Weißrussen). Deren größter Verband ist der Bund der Ukrainer in Polen
(polnisch: Zwi”zek Ukrainców w Polsce). Er wurde 1990 gegründet, zählt 7.000 Mitglieder
und ist Rechtsnachfolger des 1956 gegründeten „Ukrainischen Vereins für Gesellschaft und
Kultur“ (polnisch: Ukrai‰skie Towarzystwo Spoeczno-Kulturalne). Er gibt die Wochenzei-
tung Nasze Sowo heraus und ist Mitherausgeber des Fernsehmagazins „Telenowyny“.
„Nasze Sowo“ („Unser Wort“) ist eine vom Bund der Ukrainer in Polen herausgegebene
Wochenzeitung. Sie erscheint in ukrainischer Sprache und wird in Polen sowie per Abon-
nement in Europa, den USA, Kanada, Südamerika, Australien und Neuseeland vertrieben.
Die Zeitung wurde 1956 gegründet – damals noch vom Ukrainischen Verein für Gesell-
schaft und Kultur – und erreichte schnell eine Auflage von 17.000 Stück, wovon 70 Prozent
im Abonnement vertrieben wurden. Anfangs sollte sie zur wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Stabilisierung der vertriebenen Ukrainer dienen, wurde jedoch schnell zum
Sprachrohr für deren Klagen über ihre Situation und nationale Diskriminierung im Nach-
kriegspolen. Die politisch unbequeme Zeitung geriet öfters in Schwierigkeiten mit den
kommunistischen Machthabern und durfte auch nie offiziell in der Sowjetunion vertrieben
werden. Nasze Sowo berichtet nicht nur Aktuelles über die ukrainische Minderheit in Po-
len, sondern auch über aktuelle Entwicklungen in der Ukraine und beschäftigt sich mit den
polnisch-ukrainischen Beziehungen. Regelmäßig erscheinen Interviews und Kommentare –
besonderen Platz haben auch die Lemken, ein aus Galizien stammendes Volk, das nach
dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls umgesiedelt wurde. Die monatliche Beilage „Switanok“
richtet sich an ukrainische Kinder, mit der das Erlernen der ukrainischen Sprache gefördert
werden soll. Die Beilage „Krynycia“ dagegen richtet sich speziell an Frauen. „Telenowy-
ny“ („Fernsehnachrichten“) ist eine monatliche Fernsehsendung im polnischen Regional-
programm „TVP3“. Sie wird in ukrainischer Sprache mit polnischen Untertiteln gesendet
und wendet sich also neben den in Polen lebenden Ukrainern auch an polnischsprachige
Zuschauer. Neben aktuellen Informationen für die ukrainische Minderheit spricht die Sen-
dung auch Themen aus der polnisch-ukrainischen Geschichte an und beleuchtet die heuti-
gen polnischukrainischen Beziehungen aus Sicht der Ukrainer. „Ridna Mowa“ („Die Mut-
tersprache“) ist eine im Internet publizierte Bildungszeitschrift in polnischer, ukrainischer
und englischer Sprache. Ihre Themen drehen sich rund um Bildung und Bildungspoltik der
ukrainischen Minderheit in Polen. Erstellt wird sie vom Bund der Ukrainer in Polen.

247
4. Ungarn: Medien zwischen Altkommunisten und Nationalisten

In Ungarn wurden im berühmten und tragischen Jahr 1956 die Stimmen immer lauter, die
nach Veränderungen riefen. Der Schriftsteller und Historiker György Dalos schrieb 1991,
um die aufgewühlten jungen Intellektuellen zu beruhigen, rief die Partei einen Dikussionsc-
lub, den berühmten Petöfi-Kreis, ins Leben211. Diese taktisch gemeinte Maßnahme erwies
sich jedoch bald als Bumerang, denn die Clubabende, auf denen über Ökonomie, über Phi-
losophie, über die Presse und über die Landwirtschaft frei diskutiert wurde, lockten sehr
viel Publikum an. Im Spätsommer des Jahres 1956 waren die Organisatoren gezwungen,
vor dem Versammlungsgebäude Lautsprecher aufzustellen, damit auch diejenigen etwas
hören konnten, die nicht mehr in den Saal hineinpassten. Mehr und mehr wurden die Club-
abende zu hitzigen Protestversammlungen gegen die Politik der Partei. Die Hauptforderung
war, man möge aus den sowjetischen Veränderungen möglichst schnell Konsequenzen
ziehen. Als Gegenmodell zum osteuropäischen Stalinismus diente jedoch nicht die Sowjet-
union, sondern Titos Jugoslawien mit seinen Arbeiterräten, und von den Sprechern der
Partei wollte man nichts mehr wissen. Die Folgen sind bekannt. Sowjetische Panzer walz-
ten die Freiheitsbewegung nieder, und Ungarn wie ganz Osteuropa musste auf den reform-
freudigen letzten Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbaev, warten, um die Diktatur
abzuschütteln. Ungarn öffnete sich, was sich auch daran zeigte, dass der Aufstand von
1956, hinter der die Parteilinie westliche Diversanten und andere Machenschaften vermutet
hatte, neu bewertet wurde.
Die allein regierende Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei MSZMP (Magyar Szocia-
lista Munkáspárt) leistete wenig Widerstand und freie Gewerkschaften und Vorläufer der
politischen Parteien entstanden. Die Opposition bereitete mit der Staatspartei in Gesprächen
am Runden Tisch die demokratische Umstellung vor. Die ersten freien Wahlen, die 1990
stattfanden, gewann die konservative Partei MDF (Magyar Demokrata Fórum, Ungarisches
Demokratisches Forum). Sie bildete mit der FKGP (Független Kisgazdapárt, Unabhängige
Partei der Kleinlandwirte) und der KDNP (Kereszténydemokrata Néppárt, Christlich-
demokratische Volkspartei) eine Koalition. Die Opposition bildete der liberale SZDSZ
(Szabad Demokraták Szövetsége, Bund der freien Demokraten), der damals noch liberale,
später rechtskonservative Fidesz (Fiatal Demokraták Szövetsége, Bund der jungen Demo-
kraten) und die ehemaligen Staatspartei, die sich nach der Abspaltung des orthodoxen Flü-
gels in MSZP (Magyar Szocialista Párt, Ungarische Sozialistische Partei) umbenannt hatte.
Erster Chef der ersten demokratischen Regierung Ungarns seit der kommunistischen
Machtübernahme nach dem Krieg wurde József Antall. Da die konservative Koalitions-
regierung die unvermeidlichen Härten der Transformation von der Plan- zur Markt-
wirtschaft nicht vermeiden konnte, brachten die Wahlen von 1994 einen deutlichen Links-
ruck. Die ex-kommunistische MSZP gewann im Parlament die absolute Mehrheit, bildete
aber, um dem Westen ein versöhnliches Signal zu senden, eine Koalition mit dem gemäßig-
ten SZDSZ. In die Regierungszeit des neuen Ministerpräsidenten Gyula Horn fielen einige
harte und unpopuläre Budget-Maßnahmen, aber auch die Verabschiedung des wichtigen
Mediengesetzes. Von den ungarischen Journalisten, die in den Jahrzehnten vor der Wende
von 1988 und 1989 nicht ernsthaft hatten arbeiten können, wurden die Wende und der da-

211
György Dalos: Ungarn. Vom Roten Stern zur Stephanskrone. Frankfurt am Main 1991, S. 65-72
[www.ungarn1956.de/site/40208597/default.aspx].

248
mit einhergehende Wandel der Medienlandschaft enthusiastisch gefeiert. Unter dem alten
Regime war es zwar seit den 1970er Jahren selten zu offener Zensur gekommen, aber der
Zwang zur Selbstzensur war allgegenwärtig, durch sogenannte „Pressepläne“, die Themen
vorgaben, die zu behandeln wären und solche, von denen man besser die Finger ließ. Pa-
pierzuteilung und Versorgung mit Agenturnachrichten je nach Wohlverhalten, wie auch
monatliche parteiamtliche Informations- und Weisungssitzungen für die Chef-redakteure
übten außerdem Druck aus, das Gewünschte zu publizieren. Freiheiten durften sich weniger
die großen Tageszeitungen mit hoher Auflage erlauben als die kleinen Intellektuellen- und
Satireblätter, die ohnehin nur wenige lasen, wobei das System an sich über alle Kritik erha-
ben war. Zentrale Aufmerksamkeit galt wie in allen kommunistischen Diktaturen so auch in
Ungarn Fernsehen und Hörfunk, die direkter Leitung unterstanden. Aber auch dort konnte
man beobachten, dass Sendungen mit geringeren Einschaltquoten, aber höherem Anspruch
eher einmal Dinge sagen konnten, die in den Mainstream-Nachrichten undenkbar gewesen
wären. Die 1980er Jahre waren in Ungarn Zeugen einer langsamen Erosion der Zentralge-
walt in Fernsehen und Rundfunk. Unpolitische und unterhaltende Presseprodukte machten
sich breit, das Fernsehen führte in großer Zahl westliche Filme ein, was natürlich zur Folge
hatte, dass die Ungarn ihren Lebensstandard am westlichen messen konnten und unzufrie-
dener wurden als sie es ohnehin schon waren. Der Staatspartei entglitt mehr und mehr die
Kontrolle über die Öffentlichkeit. 1986 gründete eine Gruppe von Intellektuellen und Jour-
nalisten den „Öffentlichkeits-Klub“, in dem politische Fragen offen und unbeschränkt dis-
kutiert wurden. Mit der Existenz dieses Klubs fehlte nicht mehr viel, um die Presselenkung
an sich in Frage zu stellen.

4.1 „Medienkriege“ und regierungs(un)freundliche Berichterstattung

Die wesentliche Erblast, die die kommunistische Epoche den freien ungarischen Medien
hinterliess, ist die politische Voreingenommenheit nicht aller, aber der einflussreichen,
öffentlich-rechtlichen Medien, namentlich des Fernsehens zugunsten der Regierung. Die
Soros-Stiftung212 umschrieb das Problem als Konflikt zwischen den neuen Rundfunknor-
men, die Neutralität und Objektivität verlangen, und der alten Gewohnheit des engagierten
Journalismus, der in Ungarn vor der kommunistischen Machtübernahme 1948 galt – Neut-
ralität versus Parteinahme, Kommentar versus Nachricht, Mobilisierung versus Informati-
on213. Das Muster des engagierten Journalisten, eines Egon Erwin Kisch, erstand neu in den
Jahren der politischen Transformation, der Journalist nicht als Handwerker, sondern als
Intellektueller, der die Gesellschaft voranbringen will. Dieses Phänomen war jedoch nicht
auf Ungarn beschränkt. Es fand sich auch anderswo, wie man an der bereits geschilderten
Mediensituation in anderen Ländern Osteuropas sieht. Der entscheidende Unterschied ist
nur, dass dort, in Südosteuropa wie auch in Osteuropa, die Loyalität auch mit handfesten
Mitteln erreicht wurde.

212
Televison across Europe: regulation, policy and independence. Volume 2. Monitoring Reports 2005. Open
Society Institute
[www.soros.org/initiatives/media/articles_publications/publications/eurotv_20051011/voltwo_20051011.pdf].
213
Dieses Ideal darf jedoch nicht mit dem des sowjetischen engagierten Journalismus verwechselt werden, der
sich nicht in den Dienst eines Mehrparteiensystems stellt, sondern nur den Ideen einer Partei dient. Vgl. u.a.:
Lázár, Guy: Sajtó, hatalom („Presse und Macht“), in: Népszabadság, 28. Mai 1992.

249
Die Wende schuf namentlich im öffentlichen-rechtlichen Sektor Ungarns vorerst ein Vaku-
um, das es einzelnen Parteien erlaubt hätte, sich einseitige Machtvorteile zu verschaffen.
Daher kamen die Opposition und das abgehende Regime überein, bis zum Erlass eines
demokratischen Mediengesetzes ein Frequenzmoratorium zu verhängen, das am 3. Juli
1989 in Kraft trat. Es durften keine neuen Radio- und TV-Frequenzen vergeben werden.
Das entsprechende Mediengesetz wurde allerdings anders als erwartet erst Ende 1995 be-
schlossen. Die konservative Koalitionsregierung der Jahre vor 1994 reagierte, wie noch zu
zeigen sein wird, auf Kritik der Journalisten, die sich ihrer wichtigen Rolle in der Wende-
zeit und davor durchaus bewußt waren, bisweilen sehr gereizt. Die Öffentlichkeit nahm die
Angriffe auf den kritischen Journalismus teils willig auf, weil die Journalisten tatsächlich in
der Wendezeit ihre Gehälter noch vom alten System bezogen. Erst als private Investoren
einzuspringen und sich die Eigentumsverhältnisse neu zu ordnen begannen, verfing der
Vorwurf der Regierung, kritische Medien und Journalisten würden mit dem dem alten Sys-
tem kollaborieren, nicht mehr. Der Beitrag der Medien zur demokratischen Wende sprach
ohnehin dagegen. Der Regierung stieß übel auf, dass die Printmedien im Unterschied zu
Rundfunk und Fernsehen schwer zu kontrollieren waren. Die gesetzlichen Rahmenbedin-
gungen für Rundfunk und Fernsehen waren bis zum Mediengesetz, also über die erste Re-
gierungsperiode hinaus, kaum definiert. Aus diesem Manko und dem Ringen um Einfluss
und Kontrolle in den Medien lassen sich die beiden „Medienkriege“ erklären, deren erster
in die Regierungszeit der ersten frei gewählten Regierung (1990 bis 1994) fiel. Der zweite
brach nach dem Antritt der wiederum konservativen Regierung Orbán 1998 aus.
Bereits der Wahlkampf wurde Zeuge von Versuchen der Parteien, Einfluss auf die Me-
dien zu nehmen, und den Konkurrenten mit deren Hilfe zu schaden, was sich auch nach
dem Antritt der neuen Regierung fortsetzte. Hinderlich war nur, dass die Presse, die vor-
mals im Parteibesitz gewesen war, mittlerweile den Besitzer gewechselt hatte: so waren
sieben Regionalzeitungen an „Axel Springer“ gegangen, einige auch an die „Mediaprint“.
Also wich die Regierung auf Rundfunk und Fernsehen aus, da diese ihre Monopolstellung
noch bewahrten, und auf die einzige noch im Staatsbesitz gebliebene Tageszeitung „Magy-
ar Hírlap“, die ‚privatisiert‘ wurde, indem man sie an eine von der Regierung ausgewählte
französische Gesellschaft verkaufte. In Gestalt der neuen Tageszeitung „Új Magyarország“
(„Neues Ungarn“), hinter der eine eigens geschaffene Verlagsgesellschaft stand, schuf man
sich Anfang 1991 ein weiteres regierungsfreundliches Presseorgan, das für Staatsunterneh-
men warb, und dem exklusive Interviews seitens wichtiger Regierungsmitglieder gewährt
wurden. Als Beginn des ersten Medienkrieges gilt der Oktober 1990. Der damalige Präsi-
dent des staatlichen Fernsehens, Elemér Hankiss, weigerte sich, ein Interview mit Minister-
präsident Antall zu senden, mit der Begründung, dass dieser als Parteipolitiker das Wahler-
gebnis hätte beeinflussen können. Die Regierung erwartete sich dagegen Loyalität vom
Monopol-Rundfunk, während dieser auf das Prinzip der Neutralität pochte.
Der Soziologe Elemér Hankiss war als Präsident der ungarischen Fernsehanstalt und der
Politologe Csaba Gombár als Chef des Rundfunks bereits im Sommer 1990 aufgrund einer
Übereinkunft der zwei größten Parteien und des Staatspräsidenten eingesetzt worden. Da
man das neue Mediengesetz in Bälde erwartete, sahen viele Mitglieder der Regierungskoa-
lition die beiden Fachfremden als Übergangslösung an, und waren umso erboster, als sich
die Diskussion hinzog und Hankiss und Gombár institutionelle (Fortbildung u.ä.) und vor
allem personelle Entscheidungen trafen – es wurde niemand entlassen, trotz des personellen
Wasserkopfs des Staatsfunks –, die mancher konservative Politiker und die ebenso orien-
tierten Medien als Versäumnis, ja Versuch der „kommunistischen Restauration“ empfan-
den. Man forderte ‚objektivere‘ Redakteure für die wichtigen Nachrichtensendungen, und

250
schließlich auch die Entlassung des Rundfunkpräsidenten. Da es, wie gesagt, kein anwend-
bares Mediengesetz gab, berief sich Ministerpräsident Antall auf eine Regierungsverord-
nung von 1974, um Rundfunkpräsident Gombár zu entlassen, was jedoch Staatspräsident
Árpád Göncz nicht unterstützte. Ebenso lehnte er es ab, die später betriebene Entlassung
Hankiss‘ zu unterschreiben. Aus Ausweg blieb der Regierung nur noch, die staatliche fi-
nanzielle Förderung beider Anstalten auszusetzen, und Hankiss wegen angeblicher Unre-
gelmäßigkeiten juristisch anzugreifen. Die Vorwürfe sollten sich später als haltlos heraus-
stellen. Nach dem Vorbild der Zeitung „Neues Ungarn“ und als Gegengewicht gegen die
als einseitig empfundene Bericht-erstattung der großen Sender gründeten sich schließlich
regierungsnahe Kreise den neuen Fernsehkanal „Duna TV“, der wegen der Vergabesperre
für terrestrische Frequenzen über Satellit sendete. Sein ungarisch-katholisch orientiertes
Programm wandte sich an ein das nationale Publikum wie auch an die ungarische Diaspora,
an Ungarn, die seit dem seit dem Friedensvertrag von Trianon von 1920 im rumänischen
Siebenbürgen oder der Slowakei leben. Nicht nur das konservative Milieu fand Wege, das
Frequenzmoratorium zu umgehen. Neu entstehende Piratensender wurden wegen der unkla-
ren Lage, in der es kein Verbot, nur die Weigerung der Frequenzvergabe gab, halbherzig
verfolgt und konnten weitgehend ungestört in ihren Regionen senden. Obwohl dringend
erwartet, wurde Ende 1992 der erste Entwurf des Mediengesetzes von der Opposition abge-
lehnt, die die große Macht, die der Gesetzentwurf der Regierung bei der Auswahl der
Rundfunkpräsidenten zusprach, kritisierte.
Der öffentliche und politische Druck wurde Hankiss und Gombár zu groß und sie traten
Anfang 1993 zurück. In diesem jahr setzte das ein, was die einen als positiven Umschwung
zu sachlicherer, weniger ideologischer Berichterstattung lobten, die anderen als Um-
schwung zum regierungsfreundlichen Staatsfunk kritisierten. Der auf Empfehlung der Re-
gierung für ein Jahr eingesetzte Vizepräsident stellte Sendungen wegen angeblicher Unaus-
geglichenheit ein und entließ oder versetzte Redakteure, denen man eine links-liberale
Orientierung nachsagte. Dass auch die konservative Regierung mit den alten Kadern arbei-
ten musste, weil es schlicht keinen Journalisten gab, der seine Sozialisation nicht im Kom-
munismus erfahren hätte, beweist schon die Tatsache, dass auch die im Namen der „Befrei-
ung der Institutionen von alten Kommunisten“ eingesetzten neuen Redakteure vor der
Wende Funktionen in der Staatspartei innegehabt hatten. Umso deutlicher musste man sich
abgrenzen und griff vor den Wahlen von 1994 die ex-kommunistische MSZP (Magyar
Szocialista Párt) in einer Weise an, als wolle sie zur alten Einparteiendiktatur zurückkehren.
Das konnte nicht verhindern, dass die Sozialisten die Wahl gewannen und zusammen mit
der anderen früheren großen Oppositionspartei SZDSZ eine Koalition bildeten. Die neue
Regierung vollzog keine Wende, sondern drehte den Spieß einfach um. Sie setzte neue
Präsidenten ein und entließ die alten. 170 Mitarbeiter der Fernseh-Abendnachrichten wur-
den an einem einzigen Tag entlassen, was die Öffentlichkeit natürlich vermerkte und heftig
kritisierte.
Vergleicht man die Regierungszeit vor 1994 und danach anhand der Hauptnachrichten
stellt man fest, dass die Regierungsarbeit grundsätzlich sehr gut dargestellt wurde. In der
Regierungszeit der Minsterpräsidenten József Antall und Péter Boross (1990-1994), beson-
ders markant im Herbst 1993, brachten die Hauptnachrichtenformate des ungarischen öf-
fentlich-rechtlichen Fernsehens „Híradó“ („Tagesschau“) und „A Hét“ („Die Woche“)
deutlich mehr Positives über die aktuelle Regierung als die unabhängigen Medien. „A Hét“
blendete sogar die negativen Nachrichten, über die andere Medien ausführlich berichteten,
aus. „Híradó“ neigte dazu, politische Erfolge grundsätzlich der Arbeit der Regierung oder
der Koalitionsparteien zuzuschreiben, und stellte die Oppositionsparteien in unvorteilhafter

251
bis offen negativer Weise dar, um den Zuschauer entsprechend zu beeinflussen. In der Zeit
von Minsterpräsident Gyula Horn (1994-1998) tauchten die Regierungspolitiker in „A Hét“
sogar in bis zu 97 Prozent der Sendezeit der heimischen Nachrichten auf, wenn sich auch
dieser Spitzenwert im Laufe der Zeit deutlich relativierte. Auch „Híradó“ sah zwar weiter-
hin die Arbeit der Koalitionsparteien als Hauptquelle des Erfolges – weniger die der Oppo-
sition –, doch die Nachdrücklichkeit, mit der diese Sicht noch vor dem Regierungswechsel
vermittelt worden war, ließ nach. Die Parteilichkeit war in der Antall-Boross-Zeit wesent-
lich stärker gewesen als in der nachfolgenden Ära Horn. 1993 kamen Regierungspolitiker
in 84 Prozent der nationalen Nachrichten vor, während die Opposition sich mit magernen
16 Prozent begnügen musste. Bis Mai 1996 hatten sich diese Zahlen zu 72 und 28 Prozent
verändert. Im Herbst 1996 waren Regierungs- und Oppositions-politiker auf Augenhöhe,
was ihre Präsenz in den staatlichen Medien betraf. Dennoch kritisierte die Opposition, ihre
Vertreter würden durch andere Mittel, etwa durch die Kameraperspektive oder die Einstel-
lung, weiterhin nicht so positiv dargestellt. Insgesamt ließ sich aber feststellen, dass die
staatstragend-ideologische Präsentation der Regierungspolitik, das Erbteil der roten Ver-
gangenheit, allmählich einem sachlicheren Zugang wich. Es wurden weniger feierliche
Straßeneröffnungen gezeigt und mehr Sachprobleme diskutiert.
Ende 1995 beschloss das ungarische Parlament endlich und fast einstimmig das lang
erwartete Mediengesetz, das den ersten „Medienkrieg“ formal beendete, als es Anfang 1996
auch vom Staatspräsidenten ratifiziert wurde. Es ermöglichte privaten Rundfunk und ver-
ringerte damit die vorher problematische Rundfunkkonzentration214. Auch der Einfluss der
Politik wurde vorsichtig verringert, bzw. in einen rechtlichen Rahmen gefaßt. In den einlei-
tenden Bestimmungen des Gesetzes heißt es, das Parlament schaffe „in Überein-stimmung
mit § 61 der Verfassung folgendes Gesetz für freies und unabhängiges Radio und Fernse-
hen, die Freiheit der Meinungsäußerung, die Unabhängigkeit, Ausgeglichenheit und Sach-
lichkeit der Information, die Förderung der inter- und nationalen Kultur, die Vielfalt der
Meinungen und der Kultur, und um Informationsmonopole zu verhindern“. Was das mit
großer parlamentarischer Mehrheit beschlossene Mediengesetz zumindest für gewisse Zeit
brachte war eine Normalisierung in den elektronischen Medien. Die politische Kontrolle
über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde zurückgedrängt, Privatsender entstanden.
Die drei terrestrischen Rundfunkfrequenzen wurden so verteilt, dass eine beim öffentlich-
rechtlichen „Magyar Televízió“ verblieb, zwei wurden an private Fernsehsender, einen
deutschen und an eine US-Gruppe, vergeben. Der zweite Kanal von „Magyar Televízió“
wechselte auf Satelliten-Ausstrahlung und „Duna-TV“ blieb bei dieser Sendetechnik. Dass

214
Die wesentlichen Definitionen des Gesetzes lauten: Öffentlich-rechtlicher Programmanbieter: Programmanbie-
ter, der aufgrund eines von der Staatlichen Körperschaft für Radio und Fernsehen akzeptierten Programmpla-
nes mehrheitlich öffentlich-rechtliche Programmpunkte ausstrahlt. Öffentlich-rechtliches Programm: Pro-
gramm, in dem die öffentlich-rechtlichen Programmpunkte eine bestimmende Rolle spielen, und das die Zuhö-
rer und Zuschauer im Sendegebiet regelmäßig über Fragen allgemeinen Interesses informiert. Öffentlich-
rechtlicher Programmpunkt: Programmpunkt, der die kulturellen, Informations-, Staatsbürger-, Lebensfüh-
rungsbedürfnisse und -interessen erfüllt, insbesondere: a) Informationen über künstlerisches Schaffen, die in-
ternationale und ungarische Kultur sowie die der in Ungarn lebenden nationalen und ethnischen Minderheiten;
Informationen über das Leben und die Standpunkte der in Ungarn lebenden nationalen und ethnischen Min-
derheiten; b) Aus- und Weiterbildung; c) Information über wissenschaftliche Tätigkeit und Ergebnisse; d)
Sendungen zur Unterstützung der Religionsfreiheit und solche, die das geistliche Leben zeigen; e) Sendungen
für Kinder und Jugendliche und solche, die zum Zwecke des Kinderschutzes informieren und aufklären; f) In-
formationen, die im täglichen Leben helfen, die rechtliche und soziale Bildung der Staatsbürger, gesunde Le-
bensweisen, den Umweltschutz, den Natur- und Landschaftsschutz, die öffentliche Sicherheit, die Sicherheit
im Straßenverkehr fördern. [Ungarisches Mediengesetz 1996].

252
das Publikum mit den neuen Programmen durchaus zufrieden war, zeigte sich daran, dass
bereits 1998, im ersten Jahr nach dem Start der zwei terrestrischen Privatfernsehsender,
beide die zugleich die Spitzenposition erklommen, weit vor dem früheren Marktführer
„MTV1“ („Magyar Televízió 1“). Der Fernsehkonsum der Ungarn soll nach Untersuch-
ungen nur noch von dem der US-Amerikaner übertroffen werden.
Der zweite „Medienkrieg“ brauch nach den Parlamentswahlen im Frühjahr 1998 aus, die
die rechtskonservative Partei Fidesz-MPP (Magyar Polgári Párt, Ungarische Bürgerpartei)
gewann. Sie bildete mit den konservativen Kleinlandwirten und Christdemokraten eine mit
dünner Mehrheit abgesicherte Koalition unter Ministerpräsident Viktor Orbán. Neben der
liberalen SZDSZ und der sozialdemokratischen MSZP kam eine kleine rechtsextreme Par-
tei namens „MIÉP (Magyar Igazság és Élet Pártja, Partei der ungarischen Gerechtigkeit und
des Lebens) ins Parlament. Im Frühjahr 1998 herrschte in der ungarischen Medienland-
schaft relativer Frieden, sowohl bei den Printmedien, die großteils in privater Hand waren,
als auch bei den elektronischen Medien – ein öffentlich-rechtlicher und zwei private terrest-
rische Fernsehsender, weitere im Kabel und auf Satellit. Nur im Hörfunk hatte das öffent-
lich-rechtliche „Kossuth Rádió“ ein faktisches Nachrichtenmonopol, weil die privaten und
auch die zwei anderen öffentlich-rechtlichen Stationen sich eher auf Musik und Unterhal-
tung verlegten. Nachdem die vorherige sozialistische Regierung für Staatsunternehmen in
den auflagenstarken links-liberalen Zeitungen geworben hatte, unterstützte nun die Orbán-
Regierung mit diesen Geldern die ihr nahestehenden konservativen Zeitungen. Ab Sommer
1998 äußerte sich Ministerpräsident Orbán allwöchentlich im öffentlich-rechtlichen „Kos-
suth Rádió zu aktuellen politischen Fragen, ohne der Opposition Gelegenheit zu geben, ihre
Sicht der Dinge darzulegen. Die Revanche für die angebliche linke Übermacht in den Me-
dien folgte im September 1998, als Orbán ankündigte, er wolle ab sofort die konservativ-
nationalen Medien präferieren. Im Februar 1999 setzte das Parlament ein neues Kuratori-
umspräsidium des Ungarischen Fernsehens ein, das nun ausschließlich aus den von den
Regierungs-fraktionen nominierten Personen bestand215. In der Folge kam es unter anderem
zur Beschlagnahme der Computer einer vollständigen Redaktion, was zur Einstellung der
Zeitung führte; zu Gesetzesvorschlägen, die ein grundsätzliches Entgegnungsrecht in allen
Medien einführen wollten oder zur willkürlichen Vergabe von Radiofrequenzen an partei-
nahe Firmen.
Wenn auch die linke Vorgängerregierung durchaus auch ihre Art der Vetternwirtschaft
kannte, nahm diese unter der Regierung Orbán der Jahre 1998 bis 2002 besondere Formen
an. Die Regierungsarbeit bzw. deren Repräsentanten wurden nun wieder in den Nachrich-
ten-programmen der wichtigsten öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Fernsehsender
in bis zu 81 Prozent der Sendezeit behandelt, und das zumeist in günstigem Lichte, ganz im
Gegensatz zur Opposition, die wiederum schlecht abschnitt und zu wichtigen Fragen so gut
wie nicht zu Wort kam. Die Opposition erhielt 1999 in den öffentlich-rechtlichen Medien
keine Sendezeit. Dieser Zustand hielt an – „Híradó“ brachte zum Beispiel zwischen No-
vember 1999 und Januar 2000 wesentlich mehr ‚gute Nachrichten‘ als die Nachrichten-
sendung „Tények“ („Fakten“) des Senders „TV2“ – bis ab dem Jahr 2002 sich die Sozialis-
ten Péter Medgyessy und Ferenc Gyurcsán ablösten. Der Anteil der Bericht über die Regie-

215
Die Oppositionsparteien konnten sich nicht auf ihre vier Vertreter einigen, weil die wegen Austritten u.a. nur
mehr mit drei Prozent im Parlament vertretene MIÉP darauf bestanden hatte, zwei Vertreter zu entsenden, was
für die zwei anderen wesentlich größeren Oppositionsparteien (35 bzw. 6 Prozent) nicht akzeptabel war. Die-
ses Schauspiel wiederholte sich danach auch beim Radio, bei „Duna-TV“ und der staatlichen Nachrichten-
agentur, weshalb sie allesamt ohne Oppositionsvertreter arbeiteten.

253
rung nahm wieder ein normales Maß an, auch die poliitschen Fehler wurden ausführlich
analyisiert. Alte und neue Loyalitäten wirkten sich freilich weiterhin aus. Das ungarische
Fernsehen, dessen neuer Präsident nach dem Regierungswechsel von 2002 ernannt worden
war, widmete der neuen Regierung und ihrer Koalition mehr Sendezeit – durchschnittlich
71 Prozent – als der Ungarische Rundfunk, dessen Präsident für seine Sympathien für die
rechten, konservativen Parteien bekannt war. Die rechte Opposition tauchte ebenfalls in der
Morgensendung von „Kossuth Radio“, „Reggeli Krónika“ („Morgenchronik“), die im
Schnitt zwei Millionen Zuhörer hat, deutlich häufiger auf die Regierung und ihre Koaliti-
onsparteien. Ausgleichend wirkte nur, dass die kommerziellen Anbieter nicht unbedingt
neutraler berichteten, sich aber entsprechend dem Geschmack der Zuhörer bzw. Zuschauer
eher auf leichte Unterhaltung verlegten, und damit die Politik in der Wahrnehmung zurück-
trat – denn gerade die privaten, kommerziellen Sender wie auch die Boulevardpresse haben
auch in Ungarn in den letzten Jahren deutlich zugelegt. Dass regierungsfreundliche Be-
richterstattung und Druck auf die Medien kein Garant für den Machterhalt sind, zeigt schon
die Tatsache, dass der Wähler keiner der frei gewählten post-kommunistischen Regierun-
gen Ungarns eine zweite Regierungsperiode zugestand.

4.2 Die ungarische Medienlandschaft nach der Jahrtausendwende

Mit einer gewissen Verzögerung, könnte man hinzufügen, denn Orbán wurde im April
2010 erneut in das Amt des Ministerpräsidenten gewählt, wobei ihm die rechtsradikale
„Jobbik“-Bewegung dicht auf den Fersen folgte. Gerade die erste Regierungszeit Viktor
Orbáns war von heftigen Auseinandersetzungen um seine politische Orientierung wie auch
die Einflussnahme auf die Medien geprägt. Man stritt um eine „Kontrollgruppe“, die die
Ungarn-Berichterstattung der Auslandskorrespondenten bewerten würde, und von der man
erfuhr, weil die Tageszeitung „Magyar Nemzet“ eine einschlägige Liste ‚verdächti-
ger‘Journalisten abdruckte216. Zu diesen Journalisten, die negativ über das Gastland berich-
tet hätten, gehörten Korrespondenten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, des „Han-
delsblatt“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“. Der Verein der Auslandspresse in Budapest
drückte in einem Brief an den ungarischen Außenminister seine Besorgnis aus. Inländische
Medien warfen der „Kontrollgruppe“ vor, im Auftrag der Regierung zu handeln, obwohl

216
Ministerpräsident Viktor Orbán hatte 2001 eine Liste mit Oppositionspolitikern und Intellektuellen präsentiert,
die Journalisten einseitig beeinflusst hätten. Die jetzige Aktion der „Kontrollgruppe“ käme, meinten manche,
pünktlich zur heißen Phase des Wahlkampfes. Eine gefährliche, erbitterte Polarisierung zwischen national-
konservativer Koalition und sozialistisch-linksliberaler Opposition hätte das politische Leben erfasst, infiziere
alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und drohe die Institutionen der noch jungen ungarischen Demokra-
tie zu beschädigen. In dieses unwürdige Spiel ‚für uns oder gegen Ungarn' sollen nun auch die ausländischen
Korrespondenten hineingezogen werden. Eine Folge des Streits war, dass die für Januar 2002 in Budapest ge-
plante Konferenz „Medien und kritische Öffentlichkeit“ unter Schirmherrschaft von György Konrad abgesagt
werden musste, weil die Münchener Kulturreferentin Lydia Hartl ihre Unterstützung zurückzog. Das Münche-
ner Kulturreferat warf der Organisatorin Magdalena Marsovszky vor, kein richtiges Konzept vorgelegt und
keine konkreten Absprachen getroffen zu haben. Die Konferenz mit Medienwissenschaftlern, Journalisten und
Soziologen aus Deutschland, Österreich und Ungarn sollte die erste Konferenz in der Reihe „Kulturbrücke
München-Wien Budapest“ sein und sich auch mit dem wachsenden Antisemitismus und Rechtsradikalismus in
Ungarn beschäftigen. Bei allem bekundeten Wohlwollen hielt Lydia Hartl eine Beteiligung an dem Projekt für
„indiskutabel“, weil jeder Bezug zu München fehlte: „Es ist doch nicht unsere Aufgabe, uns um Rassismus
und Pressefreiheit in Ungarn zu kümmern.“

254
man sich nicht sicher war, ob die davon angetan war. Es sollte politischer Druck erzeugt
werden. Die „Kontrollgruppe“ und ihre Förderer wollten sich der Regierung auf jeden Fall
andienen. Bedenklich erschienen auch die Massenentlassungen bei den elektronischen
Medien, nicht nur unter Orbán, sondern auch unter früheren Regierungen, aber auch zah-
lenmäßig geringere Kündigungen oppositionell eingestellter Mitarbeiter. Der Weg zu unab-
hängigen öffentlich-rechtlichen Sendern erschien noch weit. Auch der zu ethischen Min-
deststandards, wie mancher anmerkte. Je härter die politische Auseinander-setzung im
Parlament zwischen den verfeindeten Lagern wurde, desto ausgeprägter wurde der Kam-
pagnenjournalismus. Maßhalten und Toleranz wären zu Fremdwörtern geworden, obwohl
beide Lager an ihrem Anspruch festhielten, den bürgerlichen Anstand zu repräsentieren und
Hassparolen ablehnend gegenüberzustehen, meinte der Journalist Gergely Márton. Der Ton
wurde vor den Parlamentswahlen 2002 schärfer, schon weil es für die rechts-konservative
Regierung Orbán wie auch für die Opposition um alles ging. Die konservativen bzw. linken
Medien waren ihren politischen Lagern ideologisch wie finanziell verpflichtet. Die meisten
konservativen Blätter waren in den roten Zahlen und auf die Unterstützung der Regierung
angewiesen. Ein Wahlsieg der Opposition konnte den Bankrott bedeuten. Die liberalen
Zeitungen, die um ihr Überleben kämpften, hofften auf den Sieg der Opposition, wie auch
die beiden regierungskritischen Privatsender. In liberalen Kreisen herrschte die Sorge vor,
die gewinnorientierten ausländischen Firmen, die im ungarischen Pressemarkt dominieren,
könnten im Wahlkampf dem Druck der konservativen Parteien nachgeben.
Da sich die ausgeprägte Einflussnahme vor allem im öffentlich-rechtlichen Sektor ab-
spielte, die Medienlandschaft insgesamt sich davon freihalten konnte, belegte Ungarn in
punkto Pressefreiheit im neuen Jahrtausend vorderste Plätze. In der Rangliste der Organisa-
tion „Reporter ohne Grenzen“ kam Ungarn 2007 auf den zehnten Platz nach Tschechien
(Platz 5) und der Slowakei (Platz 8)217. Die Pressefreiheit werde in Ungarn weiterhin res-
pektiert, hieß es 2007 im „FiFoOst“ 2007218. Über 80 Prozent der Printmedien und etwa 70
Prozent der Rundfunk- und Fernsehanstalten befinden sich in Privatbesitz. Doch diese posi-
tiven Daten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Freiheit der Medien auch in
Ungarn nicht unbestritten ist. Seitdem die ungarischen Rechtsextremen von „Jobbik“
(„Bewegung für ein besseres Ungarn“) und anderen Gruppierungen auf dem Vormarsch
sind, stieg für ungarische Journalisten das Risiko, über Rechtsextreme zu berichten oder
sich auch nur kritisch über sie zu äußern. Ins Schussfeld der politischen Aufrüstung geriet
zum Beispiel der bekannte linksliberale Journalist Jozsef Orosz ist mit seiner politischen
Talkshow „Kontra“, die im Frühabendprogramm des Budapester Klubradio auf Sendung
geht. Der Sender und vor allem Orosz werden immer wieder von Rechtsextremisten be-
droht. Während der gewalttätigen Demonstrationen im Herbst 2006 wurde Orosz auf dem
Platz vor dem Parlament eine Laterne zugewiesen, an der er hängen sollte. Seitdem bekam
er regelmäßig Drohbriefe, Drohanrufe und Droh-eMails. Auf der rechtsextremen Internet-
seite „kuruc.info“ hieß es, zuerst solle man die Juden in die Donau werfen, danach den
„homosexuellen genetischen Abfall“. Orosz lebte teils wochenlang unter dem Schutz von
Leibwächtern. Bisher passierte ihm nichts, er hatte Glück, im Gegensatz zu seinem Freund
und Kollegen Sandor Csintalan.
Im Dezember 2007 berichteten die Nachrichten des Budapester Fernsehsenders „HírTV“
über den Fall des Sandor Csintalan, eines ehemaligen Spitzenpolitikers der regierenden

217
Vgl.: www.hagalil.com/archiv/2007/08/pressefreiheit.htm.
218
Vgl.: www.fifoost.org/ungarn/hu_de/node14.php.

255
Sozialistischen Partei, der dann Moderator einer Polit-Talkshow bei „HírTV“ wurde. Er
war in der Tiefgarage seines Wohnblocks von vier Unbekannten krankenhausreif geschla-
gen worden. Csintalan, der gerade eine Herzoperation überstanden hatte, flehte um sein
Leben. Zu der Tat bekannte sich eine ominöse rechtsextreme Organisation namens „Pfeile
der Ungarn“. Csintalan lag nach der Tat eine Woche im Krankenhaus und stand danach
rund um die Uhr unter Polizeischutz. Der Anschlag auf ihn ist nur einer der schlimmsten
der letzten Jahre, aber längst nicht der einzige. Da auf rechtsextremen ungarischen Internet-
seiten Namen, Fotos und Adressen von Journalisten publik gemacht wurden, hatten manche
Journalisten ständige Übergriffe zu erdulden, so zum Beispiel Attila Hidvegi, Reporter von
„MIT“, der größten ungarischen Nachrichtenagentur. Hidvegi war rasch als Opfer ausge-
macht, weil er bei „MIT“ für den Bereich Rechtsextremismus zuständig war. Am ungari-
schen Nationalfeiertag 2006 demonstrierten die Rechtsextremen, bauten Barrikaden, bewar-
fen die Polizei mit Steinen und griffen irgendwann auch die Journalisten an. Hidvegi wurde
minutenlang mit Fausthieben und Fußtritten bearbeitet, weil er für die „jüdisch-
kommunistische“ Presseagentur „MIT“ arbeitet. Das Angebot seines Arbeitgebers, in ein
anderes Ressort zu wechseln, schlug er aus. Sich einschüchtern zu lassen, sei, so Hidvegi,
eine Einschränkung der Pressefreiheit, womit die Extremisten ihr Ziel erreicht hätten.
Ein weiteres Problem der Medien, das auch andere Transformationsstaaten kennen, sind
die prekären Arbeitsverhältnisse. Über den ungarischen Satellitensender „Duna TV“ sagte
man in dieser Hinsicht sogar, sie sei die „schlimmste Sendeanstalt Europas“. Gerade gut
ausgebildete junge Leute arbeiten unterbezahlt in prekären Dienstverhältnissen, was für den
Zeitungsmarkt in letzter Konsequenz stetigen Qualitätsverlust und Verlust an Lesern bedeu-
tet. In den öffentlich-rechtlichen Medien bleibt den Journalisten jedoch nichts übrig als sich
in das Unvermeidlich zu ergeben. Nach der Wende spaltete sich die ungarische Politik in
zwei extrem verfeindete Lager: ein linksliberales und ein bürgerlich-konservatives. Der seit
1996 öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde in dieser Auseinandersetzung immer wieder als
Instrument der Mehrheit gegen die Opposition verwendet. 2002 schaffte die damalige sozi-
alliberale Regierung die Rundfunkgebühren als Geschenk an ihre Wähler ab. Seitdem sind
das öffentlich-rechtliche „MTV“ („Magyar Televízió“), wie auch „MR“ („Magyar Rádió“)
und „Duna TV“219, von direkten Zuwendungen aus dem Staatshaushalt abhängig. Nach
dem ungarischen Mediengesetz von 1999 wird zwischen den Begriffen öffentlich-
rechtliches und staatliches Medium kein Unterschied mehr gemacht, was zu einem jährlich
wiederkehrenden Streit über das nächstjährige Budget der effektiv staatlichen, doch als
öffentlich-rechtlich bezeichneten Medienanstalt führt. 2006 bezeichnete der damalige EBU-
Präsident die Situation der öffentlich-rechtlichen Medien Ungarns als eine der schlimmsten
in Europa. Private Alternativen entstanden in Ungarn seit der Wende mehr als genug. Ein-
flussreichstes ausländisches Medienhaus im Printbereich ist „Ringier“ aus der Schweiz.
Dem Unternehmen gehört sowohl die einflussreichste Tageszeitung „Nepszabadsag“, als

219
Die öffentlich-rechtliche Rundfunkgesellschaft „Duna Televízió“ (dt. „Donau TV“) hat ihren Sitz in Budapest.
Der gleichnamige Fernsehsender hat das Ziel, die Auslandsungarn mit politischen und kulturellen Nachrichten
ihrer Heimat zu versorgen. Das seit Dezember 1992 über Satellit ausgestrahlte Programm ist v.a. in ungari-
scher Sprache, bietet aber auch bilinguale oder untertitelte Magazine für Ausländer oder die Nachfahren unga-
rischer Minderheiten in Siebenbürgen oder der Slowakei. Finanziell ist „Duna TV“ von freiwilligen Spenden
und monatlichen Zahlungen abhängig. „Duna TV“ kann international empfangen werden – vor allem in Euro-
pa, Vorderasien, Nordafrika, Australien, sowie in Nord- und Südamerika. Außerdem wird ein Livestream an-
geboten. Der von „Duna TV“ ebenfalls betriebene Sender „Duna II Autonómia“ kann seit dem 18. April 2006
unverschlüsselt über den Satelliten „Hot Bird 6“ empfangen werden. „Duna II Autonómia“ ist, wie der Name
sagt, für europäische Minderheiten bestimmt, und wird aus EU-Fördermitteln finanziert.

256
auch die Boulevardzeitung „Blic“. Das österreichische Medienhaus „Eugen A. Russ“ gibt
vier Regionalzeitungen heraus. Beim Fernsehen dominiert „RTL Klub“ der deutschen „Ber-
telsmann Gruppe“ mit über 45 Prozent Marktanteil, während die öffentlichen-rechtlichen
Sender „M1“, „M2“ und „Duna“ kaum zehn Prozent erreichen.
Die privaten Medien in Ungarn konnten und können zwar die Emotionen am kochen
halten – so wie während der langanhaltenden Demonstrationen im Oktober 2006 gegen die
Regierung Gyurcsány, der vorgeworfen wurde, die Öffentlichkeit über die miserable Ver-
fassung des Staatshaushalts belogen zu haben –, auch sind sie in der Lage, Skandale aufzu-
decken, doch Analyse und Diskussion sind nach wie vor die Stärken der seriösen Presse.
Journalisten wurden bei der Demonstration verhaftet. Nach Protesten ihrer Kollegen ließ
man sie frei, doch ohne Folgen für die Beamten. Ebenfalls keine Aufklärung gab es im Fall
des versuchten Mordes an der Journalistin Iren Karman im Juli 2007. Tatverdächtige gab es
viele, denn mit ihrem Buch über die Ölmafia brachte Karman einen riesigen post-
kommunistischen Korruptionsskandal zurück auf die politische Tagesordnung: Die soge-
nannte ‚Ölmafia’, ein durch alle Parteien reichendes Netzwerk der Korruption und des
organisierten Verbrechens, das in den 1990er Jahren billiges Heizöl als Diesel verkaufte.
Wirtschaft und Parteien nähmen zuviel Einfluss auf die ungarische Presse, kritisierte Zoltan
Kovacs in der linksliberalen „Élet és Irodalom“, dem Flaggschiff der intellektuellen Elite
Ungarns, für das bekannte Autoren wie der Nobelpreisträger Imre Kertesz schreiben. Eini-
gen Wirbel verursachte die Wochenzeitung für Politik und Kultur mit der Aufdeckung der
Stasi-Verstrickungen des Regisseurs Istvan Szabo. Kertesz schreibt auch im deutschspra-
chigen „Pester Lloyd“. Über 150 Jahre alt, galt er in der österreichisch-ungarischen Monar-
chie und danach als eine der wichtigsten Tageszeitungen, mit Stammautoren wie Franz
Werfel, Heinrich Mann und Stefan Zweig. Unter der Überschrift „Achtung, Europa“ warnte
Thomas Mann im „Pester Lloyd“ 1936/37 vor Hitlerdeutschland. Heute hat sie als aufla-
genstärkste fremdsprachige Wochenzeitung mit bis zu 25.000 Exemplaren einen oft etwas
anderen Blick auf ungarische Politik und Kultur als der übliche Mainstream. Schwieriger
sei es heute geworden, was aber für ein „ziemlich sonderbares Blättchen“ wie den „Lloyd“
nichts Ungewöhnliches sei, meinte der stellvertretende Chefredakteur Andras Heltai-Hopp
anlässlich des Jubiläumsjahrs 2004. In Ungarn gibt es keine andere Zeitung mehr, die sich
mit dem „Lloyd“ an Tradition, Seriosität und Geschichtsmächtigkeit messen könnte.

257
4.3 Die ungarische Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft

Gerade Ungarn ist ein Beispiel für eine historisch und aktuell ungeheuer reiche Medien-,
vor allem Zeitungslandschaft220. Im ungarischen Teil der Donaumonarchie entstanden vor
allem im Zuge der Revolution von 1848 zahlreiche politische Blätter in ungarischer Spra-
che. Das Ende der kommunistischen Herrschaft brachte einen kurzen Aufschwung. Doch
seit der Mitte der 1990er Jahre stagniert der ungarische Zeitungsmarkt, vor allem seitdem
das kommerzielle Fernsehen (RTL Klub, TV2) den Hauptteil der Werbegelder abschöpft,
und in Budapest zudem die kostenlose Tageszeitung „Metro“, eine Tochter der schwedi-
schen MTG-Kinnevik-Gruppe, die einfachsten Informationsbedürfnisse der Ungarn erfüllt.
Andererseits brachte der bei den ungarischen Provinzzeitungen dominierende Springer-
Konzern 2004 eine neue Boulevardzeitung für den Großraum Budapest auf den Markt. Seit
Mitte der 1990er Jahre sind die ungarischen Medien und auch der ungarische Zeitungs-
markt wie überall in Mittelost- und Südosteuropa einem Strukturwandel unterworfen, der
die Medien zu einem Spielball großer, oft ausländischer Mediengesellschaften machte.
Doch der Wandel brachte nicht nur den Umbau oder das Ende traditionsreicher Zeitungen,
er schuf auch die Möglichkeit, an Traditionen im Journalismus anzuknüpfen, denen das
kommunistische System ein Ende bereitet hatte. Eine dieser altehrwürdigen Institutionen,

220
Im Jahr 2000 belief sich die Zahl der in Ungarn registrierten Presseprodukte auf über 1.600. Die Popularität
der gedruckten Medien hat sich im letzten Jahrzehnt nach und nach vermindert. Dies führte zu einer Umwäl-
zung der Marktverhältnisse. Die Auflagen gingen zurück. Es gibt zwei Tageszeitungen, die eine Auflage von
über 200.000 haben: Die Népszabadság und das Gratisblatt Metro. Etliche Zeitungen sind halbwegs oder gänz-
lich in die Richtung der Boulevardpresse umgestaltet worden. Es gibt sehr viele Programmhefte und Anzei-
genblätter, die umsonst zu haben sind. Eine breite Palette von Frauenmagazinen, Internetzeitungen und Quali-
tätszeitschriften werden angeboten. Magyar Nemzet: Politische Tageszeitung. Wurde 1938 gegründet. 2000
wurde sie mit der Zeitung Napi Magyarország zusammengezogen. Seit dem 17. April 2000 wird sie von der
Nemzet Lap-és Könyvkiadó Kft. herausgegeben. Metro: Gratiszeitung. Wurde 1998 gegründet, wird von der
MTG Metro Gratis Kft. herausgegeben. Napi Gazdaság: Zeitung für Geschäft und Finanzen. Wurde 1991 ge-
gründet, herausgegeben von der NAPI Gazdaság Kiadó Kft. Nemzeti Sport: Tagessportzeitung. Wurde 1903
gegründet, wird von der Ringier Kiadó Kft. herausgegeben. Népszabadság: Politisches Tagesblatt. Wurde
1942 gegründet. Népszava: Politisches Tageblatt. Wurde 1873 gegründet. Wird von der NSZ 1999 Rt. heraus-
gegeben. Színes Mai Lap: Boulevardtageszeitung. Wurde 2001 gegründet, wird von der Híd Rádió Rt. heraus-
gegeben. Világgazdaság: Tageszeitung zu Wirtschaft und Geschäftlichem. Wurde 1969 gegründet. Wird von
der Zöld Újság Rt. herausgegeben. Wichtige Wochenzeitschriften: Élet és irodalom: Wochenzeitschrift für Li-
teratur und Politik. Wurde 1957 gegründet. Wird von der Irodalom Kft. (Journal Art Alapítvány, ÉS Alapítvá-
ny) herausgegeben. Élet és Tudomány: Wissenschaftliches Wochenblatt. Erscheint seit 1944. Blatt der Tudo-
mányos Ismeretterjeszt• Társulat und der Magyar Hivatalos Közlönykiadó Kft. Figyelö: Wirtschaftspolitisches
Wochenblatt. Wurde 1957 gegründet. Wird von der VNU Budapest Lapkiadó Rt. herausgegeben. Heti Válasz:
Wochenblatt des öffentlichen Lebens. Wurde 2001 gegründet. Wird von der Heti Válasz Lap- és Könyvkiadó
Szolgáltató Kft. herausgegeben. Heti Világgazdaság: Wirtschaftlich-politisches Wochenblatt, gegründet im
Jahre 1979, herausgegeben von der HVG Rt. Magyar Demokrata: Wochenblatt des öffentlichen Lebens und
der Kultur. Wurde 1997 gegründet. Herausgeber: Magyar Ház Alapítvány. Magyar Fórum: Wochenblatt des
öffentlichen Lebens. Wurde 1989 gegründet. Magyar Narancs: Wochenblatt für Politik und Kultur. Wurde
1989 gegründet. Herausgeber: Magyarnarancs.hu Kft. Nök Lapja: Familienwochenblatt. Wurde 1946 gegrün-
det. Pesti Müsor: Landeswochenblatt, Programmmagazin. Szabdad Föld: Wochenblatt für das Landvolk.
Wurde 1945 gegründet Tallózó: Wochenblatt, Presseschau aus dem öffentlichen Leben. Wurde 1989 gegrün-
det. Vasárnapi Hírek: Wochenzeitung am Sonntag, Nachrichtenblatt und Wochenendmagazin. Wurde 1985
gegründet. 168 Óra: Wochenblatt des öffentlichen Lebens. Wurde 1989 gegründet. Lesenswert ist auch die
Zeitschrift „Drei Raben“, die in Zusammenarbeit mit dem deutschen Goethe-Institut in Budapest herausgege-
ben wird. Deutschsprachige Fernsehsendungen mit ungarischen Untertiteln werden regelmäßig vom öffentlich-
rechtlichen Sender „MTV“ (Magyar Televízió) ausgestrahlt.

258
die aus der Asche wiedererstanden, ist die einstmals hochangesehene deutschsprachige
Zeitung Ungarns, der „Pester Lloyd“.
Im Jahr 1854, als Buda und Pest noch zwei Städte an den Ufern der Donau waren, er-
schien die Zeitung zum ersten Mal, und entwickelte sich zum führenden deutschsprachigen
Blatt in Ungarn. Täglich erschienen eine Morgen- und eine Abendausgabe. Der Namensbe-
standteil „Pester“ bezog sich auf den späteren Teil der ungarischen Hauptstadt, wogegen
„Lloyd“ ein Nachklang von „Lloyd’s List“ ist – die Londoner Schiffahrts- und Handelszei-
tung, gegründet 1692 von dem weithin bekannten Eigentümer des Lloyd’s Coffee Shop, der
noch heute existiert. Der Pester Lloyd wurde bekannt unter der Chefredaktion von Dr. Mik-
sa (Max) Falk, der der Kaiserin Elisabeth nicht nur Ungarisch, sondern ihr auch eine be-
sondere Zuneigung zu Ungarn beigebracht hatte. Im Kaiserreich gab es mehr als neunhun-
dert deutschsprachige Tagespublikationen, wogegen in Ungarn das Deutsche eher von
Geschäftsleuten, Intellektuellen und der Aristokratie gesprochen wurde, was den „Lloyd“
automatisch von den volkstümlicheren ungarischsprachigen Zeitungen absetzte. Der
„Lloyd“ wurde vor allem dafür bekannt, daß er mit Vorliebe von den Liberalen, Juden und
den Budapester Intellektuellen gelesen wurde. Mit dem Ende der Donaumonarchie kam den
Intellektuellen die vielschichtige, kulturelle ungemein vielseitige Atmosphäre der Vielvöl-
kermonarchie abhanden, der unter vielen anderen Stefan Zweig in seinen Erinnerungen
oder Joseph Roth in seinen Romanen und Erzählungen nachtrauerte. Doch die Bedeutung
des Pester „Lloyd“ nahm in der Zwischenkriegszeit sogar noch zu, besonders nachdem die
deutschen Zeitungen der NS-Ideologie unterworfen worden waren. Nach 1933 kamen nicht
nur viele Intellektuelle nach Budapest, sie versuchten auch, als im Dritten Reich Verfolgte
und Verfemte ihre Manuskripte nach Ungarn zu schmuggel und im „Pester Lloyd“ zu ver-
öffentlichen. Zu denjenigen, die für die Zeitung Beiträge lieferten gehörten in der Zwi-
schenkriegszeit so unterschiedliche Autoren wie Franz Molnar, Joseph Roth, Stefan Zweig,
und auch die Brüder Thomas und Heinrich Mann. Heinrich Manns Gastgeber während
seiner häufigen Besuche in Budapest war der Schriftsteller und Mäzen Baron Lajos Hatva-
ny, wie Joseph Roth ein jüdischer Konvertit zur katholischen Kirche. Hatvany lieferte auch
Beiträge zur Literaturzeitschrift „Nyugat“, zusammen mit István Vas, einem weiteren jüdi-
schen Konvertiten. In Ungarn lernte Thomas Mann auch den Schriftsteller Sándor Márai
kennen, der heute weniger als Feuilletonist denn als Romanautor bekannt ist, obwohl man-
che meinen, er wäre ein wesentlich besserer Feuilletonist gewesen.
Als 1945 die Armeen Hitlers und Stalins um Budapest rangen, stellte der „Pester Lloyd“
sein Erscheinen ein, und sollte erst 1994 als Wochenzeitung von dem Journalisten Gotthard
B. Schicker wiederbelebt werden. Schicker, geboren und aufgewachsen in der DDR, wo er
an der Berliner Humboldt Universität studiert hatte, trug in den 1980er Jahren seinen Teil
dazu bei, daß die kommunistischen Machthaber dazu gebracht wurden, das von Karl Fried-
rich Schinkel erbaute Konzerthaus am Gendarmenmarkt, das seit dem Krieg ausgebrannt
war, wiederaufzubauen. Schickers persönliche Beziehung zum „Pester Lloyd“ rührte aus
seiner Studienzeit, als in den Fußnoten vieler Quellen immer wieder der Name der Zeitung
auftauchte, wegen ihrer kulturellen und politischen Bedeutung für die Meinungsbildung in
der Monarchie, und aus dem Umstand, daß nach dem politischen Wechsel in Ungarn
schlicht Mangel an deutschsprachiger Literatur und Zeitungen herrschte. Der stellvertreten-
de Chefredakteur, András Heltai-Hopp, fügt hinzu, daß zu jener Zeit, als die Zeitung ge-
gründet wurde, die Umgangssprache in der Stadt Pest Deutsch war. In beiden Stadtteilen
sprachen die meisten Menschen Deutsch, zumindest jene, die in der Lage waren eine Zei-
tung zu lesen. Die höheren Gesellschaftsschichten sprachen ohnehin Deutsch, die anderen
Ungarisch, so Heltai-Hopp. Schicker ging es besonders darum, die intellektuelle Tradition

259
des „Lloyd“ zu bewahren, wobei es ihm gelang, ungarische Intellektuelle wie den Nobel-
preisträger Imre Kertész zu Beiträgen zu bewegen. „Wir knüpfen an das an, meine ich, was
der Pester Lloyd immer getan hat”, meinte Schicker: „Er hat hervorragende ungarische
Autoren, wenn ich an Kostolany denke, wenn ich an Molnar denke, Leute, die seit jeher für
den Pester Lloyd geschrieben haben, viele in der Vergangenheit, und daran knüpfen wir an,
an das was tatsächlich die crème de la crème ist, die im Pester Lloyd vertreten ist, und wir
haben sie groß herausgebracht, zum Beispiel György Konrad, den ehemaligen Präsidenten
der Berliner Kunstakademie, von dem wir stets gerne Texte abdrucken, und ntürlich László
Földenyi, Esterházy221 und die anderen.“
Der „Pester Lloyd“ ist heute in Ungarn die nicht-ungarisch-sprachige Zeitung mit der
höchsten Auflage, mit Nachrichten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, wie auch über Mit-
telosteuropa im Allgemeinen. Seine Tagesauflage liegt bei 15.000 Exemplaren, die bei
Sonderausgaben auf 25.000 Exemplare steigen kann. Die Leser in der Hauptstadt erhalten
außerdem die Beilage „Budapester Rundschau“ [www.budapester.eu]. Für Leser in Wien
wird eigens der „Wiener Lloyd“ [www.wienerlloyd.com] als Sonderbeilage gedruckt. Der
„Wiener Lloyd“ setzt auch insofern eine Tradition fort, als mancher Kommentar den alten
anti-habsburgischen Reflex der Ungarn bedient. Der Sohn des letzten Kaisers von Öster-
reich-Ungarn, Otto von Habsburg, wurde zum Beispiel, weil er Österreich als „erstes Opfer
des Nationalsozialismus“ bezeichnet hatte, als „grenzdebil“ beleidigt, er selbst in alter ös-
terreichisch-republikanischer Tradition nicht als Otto von Habsburg tituliert, sondern als
Otto Habsburg-Lothringen, und die Geschichte des Hauses Habsburg allein aus aktueller
ungarisch-nationalistischer Perspektive gedeutet. Derartig niveauloser Journalismus steht
jedoch in auffallendem Gegensatz zur sonst seriösen Art des „Lloyd“. In den für das Zei-
tungsgeschäft stürmischen Zeiten, angesichts von Online-Angeboten und schwindendem
Interesse, gelang es dem „Pester Lloyd“ deshalb auch, weiterhin seine Auflage zu erhöhen.
Was die ungarischsprachige Presse betrifft, ist heute unter den in Ungarn angebotenen
Tageszeitungen die 1968 gegründete Zeitung „Magyar Hírlap“ („Ungarische Zeitung“ –
www.magyarhirlap.hu) wenn nicht die größte, so doch eine Zeitung, die für Schlagzeilen
sorgt. In den 1990er Jahren noch links-liberal ausgerichtet hat sie sich nach 2005 zu einem
dezidiert national-konservativen Blatt gewandelt, dabei auch globalisierungskritisch argu-
mentierend. 1990 sahen die Dinge noch grundlegend anders aus. Im November 1989 war
die Zeitung noch das Organ des ungarischen Regimes, im Februar hatte sie bereits eine
Gruppe privater Investoren aufgekauft, an deren Spitze der britische Zeitungsverleger Ro-
bert Maxwell stand222. Maxwell, dem 40 Prozent der Anteile gehörten, war der zweite Aus-
länder, der nach der Wende in die ungarische Presse zu investieren bereit war. Drei Wo-
chen vor ihm hatte sein Rivale Rupert Murdoch 4 Millionen Dollar investiert, um die Hälfte
der Anteile an zwei Boulevardzeitungen zu erwerben, die bereits mit leichtbekleideten
Mädchen und billigem Sensationsjournalismus die ungarischen Kioske bereicherten. Auf
einer Pressekonferenz verkündete Maxwell, „Magyar Hírlap“ würde eine „lebendigere
Version ihres Vorgängers“ werden, wobei sie ihr Recht behalten dürfe, die Regierung zu
kritisieren, aber „konstruktiv“. Er werde in die internen Belangen der Zeitung nicht eingrei-
fen: „I have no political rights in Hungary.“ Diese Worte erinnern nur allzu sehr an die
Vorgänge in Rumänien oder Kroatien. Maxwell betonte, daß es eine Neuauflage des Fleet-

221
Földenyi ist ein Kunsttheoretiker und Literaturwissenschaftler, Peter Esterházy, der aus ungarischem Adel
stammt, ein Mathematiker, der durch seine Romane berühmt wurde.
222
Quelle: Bohlen, Celestine: Upheaval in the East: Hungary; British Publisher Buys Share of Hungarian Paper.
[http://query.nytimes.com/gst/fullpage.html?res=9C0CE6D61330F937A25751C0A966958260].

260
Street-Pressekrieges, der beiderseits der Donau getobt hatte, nicht geben werde. „Hírlap“
werde nicht den Weg gegen, den die von Murdoch aufgekauften Blätter gegangen waren,
d.h. jenen Weg vom Qualitäts- zum niveaulosen Massenblatt.
Aber die Rechnung Maxwells und seiner Kompagnons, die Zeitung innerhalb von zwei,
drei Jahren profitabel zu machen, ging nicht auf. Mochte das alte Establishment auch noch
an der Zeitung hängen, so verlor „Magyar Hírlap“ geschätzte 60 Millionen Forint jährlich.
Maxwells Programm, die angeblich „langen, langweiligen, dummen Artikel“, die niemand
lesen würde, abzuschaffen, knallbunte Werbung einzuführen, die es vorher nicht gab, und
die Belegschaft (damals 80 Journalisten, Drucker u.a.) zu reduzieren, war kein Erfolg be-
schieden. Die Auflage fiel weiter, selbst bei der theoretisch größten ungarischen Tageszei-
tung, der „Nepszabadsag“, deren Auflage auf zwischen 500.000 und 200.000 fiel. Die Auf-
lage der „Magyar Nemzet“ („Ungarische Nation“) stieg dagegen auf 170.000 Exemplare.
Auch die Leser der beiden Boulevardzeitungen, „Reform“ und „Mai Nap“, die Murdorch
erworben hatte, legten zu. Die Änderungen bei „Magyar Hírlap“ erfüllten vor allem jene
ungarischen Politiker mit Sorge, die fürchteten, mit dem Verkauf der ehemaligen sozialisti-
schen Staatszeitung an publizistischer Unterstützung zu verlieren. Der Wechsel an der Spit-
ze setzte sich jedoch fort. Im Jahr 2000 erwarb die schweizer Ringier-Gruppe wiederum
von einem anderen schweizer Investor die „Magyar Hírlap“, der mittlerweile ein modernes
Blatt geworden war, das sich vor allem an die neue Mittelklasse richtete. 1994 lag die Auf-
lage noch bei ungefähr 100.000 Exemplaren. Bis 2004, als Ringier die Zeitung wegen riesi-
ger Verluste abstieß, war sie auf nur noch etwas mehr als 28.000 gefallen. 2005 erwarb der
ungarische Industrielle Gábor Szèles das bis dahin liberale Blatt. Szèles sympathisierte mit
der ungarischen Rechten unter Viktor Orbán, was sich auf die Linie der Zeitung auswirkte.
Den liberalen Journalisten wurde gekündigt, und, wie der österreichische „Standard“
schrieb, durch „erprobte Kampfschreiber“ wie den Kolumnisten Zsolt Bayer, der von Or-
báns Sprachrohr „Magyar Nemzet“ kam, ersetzt. Im März 2008 veröffentlichte Bayer im
„Magyar Hírlap“ eine Schmähschrift gegen die „Budapester jüdischen Journalisten“, ein
Topos, der aus der ungarischen Zwischenkriegszeit in unguter Erinnerung ist. Wenig später
veröffentlichten hundert ungarische Intellektuelle, unter ihnen der Philosoph Mihály Vajda,
der Historiker Krisztián Ungváry und der Politologe Péter Kende, im Internet einen offenen
Brief an den „Magyar-Hírlap“-Eigentümer Széles, und der Budapester Oberbürgermeister
Gábor Demszky gab bekannt, sein Amt werde die Zeitung wegen der antisemitischen Er-
güsse Bayers abbestellen und er selbst ihr keine Interviews mehr geben. Bayer hatte in der
Ausgabe vom 18. März 2008 wörtlich geschrieben: „1967 haben die Budapester jüdischen
Journalisten noch Israel geschmäht. Dieselben Budapester jüdischen Journalisten schmähen
heute die Araber. Und den [rechts-populistischen] Fidesz. Und uns. Weil sie uns mehr has-
sen als wir sie. Sie sind unsere Rechtfertigungsjuden – sprich: ihre schiere Existenz recht-
fertigt den Antisemitismus.“
Die Intellektuellen, die den offenen Brief ins Internet stellten, meinten, damit sei eindeu-
tig eine Grenzlinie in der ungarischen Publizistik seit 1945 überschritten. Denn bislang
hätten jene Vertreter der ungarischen Presse und des öffentlichen Lebens, die von ihren
Kritikern als Antisemiten bezeichnet wurden, dies umgehend zurückgewiesen. Zsolt Bayer
hingegen würde sich bewußt dazu bekennen, wobei er ausdrücklich betont, daß Erklärun-
gen, die von als jüdisch bekannten Personen stammen und die einzelne oder auch mehrere
als problematisch betrachten, zu Recht ein antisemitisches Verhalten begründen würden.
Zsolt Bayers Gedankengang sei Teil der klassischen antisemitischen Argumentation. „Im
Hinblick auf Organe, die auch im öffentlichen Leben Relevanz haben, kennen wir“, schrie-
ben die Unterzeichner des offenen Briefes, „eine solche nur aus der rechtsextremen Publi-

261
zistik der 1930er- und 40er-Jahre“. Sie stellten Széles die direkte Frage, ob er als angesehe-
ne Persönlichkeit des öffentlichen Lebens weiterhin ein Blatt finanzieren wolle, dessen
Redakteur sich offen als Antisemit bekennt, und sollte dessen Meinung im Einklang mit
dem redaktionellen Konzept der „Magyar Hírlap“ stehen, sei es vertretbar, dem Antisemi-
tismus eine publizistische Plattform zu bieten und damit zu legitimieren? Die Unterzeichner
versprachen sich wenig Erfolg von ihrem offenen Brief, denn er setze einen gesamtgesell-
schaftlichen Konsens gegen den Normverstoß voraus. Dieser Konsens existiere aber nicht,
meinte György Vári. Konsens herrschte eher mit der Linie des „Magyar Hírlap“, der sich
darüber beschwerte, dass die ausländischen Medien Ungarn einen Zerrspiegel vorhielten –
Ungarn als Hort der Rechtsradikalen, so der deutsche „Spiegel“ –, der die rigide italienische
Einwanderungspolitik der Regierung Berlusconi als „gerechtfertigte Härte“ lobte, und
skrupellose Spekulanten als Schuldige der Nahrungsmittelkrise ausmachte. Der „Hírlap“ sei
kein rechtsextremes Blatt, meinen seine Verteidiger, vielmehr eine (regierungs)kritische
Zeitung, die einem weiten Meinungs-spektrum Raum gebe. Nicht nur gemäßigte Konserva-
tive, sondern auch linksnationale Globalisierungskritiker, wie auch rechtsextreme Intellek-
tuelle kämen in ihren Spalten zu Wort. Zu ihren wichtigsten Autoren zählen neben dem
bereits erwähnten Zsolt Bayer der globalisierungskritische Ökonom László Bogár, der
nationalkonservative Literatur-historiker Zoltán Bíró, der Metaphysiker Attila Végh, die
junge Dichterin Orsolya Péntek und der jungliberale Publizist Gellért Rajcsányi. Daß sich
die Auflage stabilisierte, scheint den Zeitungsmachern recht zu geben. Der „Magyar
Hírlap“ erscheint heute sechsmal die Woche mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren.
Wie der „Magyar Hírlap“ versteht sich auch der „Magyar Nemzet“ („Ungarische Nati-
on“ – www.mno.hu) als Zeitung des rechtskonservativen Lagers. Die Zeitung gehört einem
rechtsgerichteten Medienkonzern, der auch den Fernsehsender „Echo TV“ besitzt. Mit einer
Auflage von 60.000 Exemplaren erscheint „Magyar Nemzet“ sechsmal pro Woche, am
Wochenende mit dem „Magyar Nemzet Magazin“. Am Sonntag erscheint ein von den Pho-
tojournalisten der Zeitung herausgegebenes Blatt („Képeslap“), in dem die wichtigsten und
interessantesten Aufnahmen der vergangenen Woche abgedruckt sind. „Magyar Nemzet“
war noch vor dem Zweiten Weltkrieg als Sprachrohr der antifaschistischen Katholiken
gegründet worden. Obwohl stark zensiert, konnte sich der „Magyar Nemzet“ auch während
der kommunistischen Herrschaft eine gewisse Unabhängigkeit bewahren. Nach der Wende
avancierte das Blatt zum Hauptorgan der bürgerlichen Antikommunisten, blieb aber unab-
hängig. Die Mitte-Rechts-Regierung von Viktor Orban (1998-2002) wollte aus der Zeitung
die größte bürgerliche Tageszeitung machen, und wurde daher mit der rechtsnationalen
Tageszeitung „Napi Magyarorszag“ („Tägliches Ungarn“) zwangsvereinigt. Der neue „Ma-
gyar Nemzet“ steht ideologisch zwar der bürgerlichen Opposition nahe, kann aber nicht als
reine Parteizeitung beschrieben werden. 2005 bekam die Zeitung Konkurrenz von rechts,
als die ehemals linksliberale Tageszeitung „Magyar Hírlap“ ihren Redaktionskurs grundle-
gend änderte. Als größte oppositionelle Tageszeitung Ungarns räumt der „Magyar Nemzet“
Diskussionen viel Platz ein, an denen gemäßigte Konservative, aber auch Links- und
Rechtsnationale teilnehmen. In innenpolitischen Fragen ist die Zeitung im Allgemeinen
konservativ, während sie in der Außenpolitik eher eine Amerika- und Israel-kritische Posi-
tion vertritt. Zu ihren berühmtesten Autoren zählen unter anderen Istvan Lovas, das „Enfant
terrible“ des ungarischen Journalismus, Janos Csontos, György Balavany, Janos Sebeök,
Agnes Sesztak, sowie Zsuzsanna Körmendy. Allgemein prägt die Zeitung ein relativ hoher
literarischer Stil. Einen Namen machte sie sich aber vor allem als investigatives Blatt, das
Korruptionsaffären (vor allem) der linksliberalen Regierung auf die Schliche kam. Der

262
Chefredakteur ist der rechtsradikale Anwalt Gabor Liszkay, der auch andere Medien wie
„Hír Televízió“ oder „Lánchíd Rádió“ besitzt.
Die ungarische Zeitung mit der höchsten Auflage ist unbestritten die Boulevardzeitung
„Blikk“, mit der Ringier seit 1994 auf dem ungarischen Markt mit einer Auflage von über
240.000 Exemplaren täglich außerordentlich erfolgreich ist. Das Blatt macht nicht nur mit
knalligen Überschriften auf sich aufmerksam, es tat dies auch schon mit der inszenierten
Nachricht, daß Robbie Williams auf einer Hochzeitsfeier des Sohnes von Multimillionär
Sandor Csanyi gesungen hätte. In Wahrheit war der Williams-Doppelgänger Tony Lewis
dort für eine halbe Stunde aufgetreten, worauf „Blikk“ unter dem Titel „Banker kaufte
Weltstar“ von der Feier berichtete, und behauptete, Williams hätte für mehrere Millionen
gesungen. Nach dieser Zeitungsente verklagte Csanyi das Boulevardblatt. Für Ringier, den
Eigentümer von „Blikk“, kam 1998 die ebenfalls auflagenstarke Sportzeitung „Nemzeti
Sport“ hinzu. Im Jahr 2001 übernahm Ringier schließlich 49 Prozent der renommierten,
linksliberalen Tageszeitung „Nepszabadsag“ (wörtlich: „Volksfreiheit“, www.nol.hu/index
.html), früher kommunistische Parteizeitung (gegründet 1956) und heute Marktführer der
ungarischen Qualitätszeitungen. Seit der Wende hatte sie sich im Besitz von „Gruner und
Jahr“ befunden. Das Haus „Bertelsmann“ musste sich aber aus kartellrechtlichen Gründen
von der Tageszeitung trennen, um seinen ebenfalls sehr erfolgreichen Fernsehsender „RTL“
Klub behalten zu können. „Nepszabadsag“, umgangssprachlich auch „Népszabi“ genannt,
ist die auflagenstärkste überregionale Tageszeitung Ungarns. Das Blatt hat üblicherweise
einen Umfang von etwa 24 farbigen Seiten. Samstags erscheint es mit 12 zusätzlichen
Feuilleton-Seiten (hétvége). „Népszabadság“ berichtet über Politik, Wirtschaft, Kultur,
Medien, Sport und Technik, verfügt europaweit und in einigen Weltstädten in Übersse über
eigene Korrespondenten. Nachdem die Zeitung zu Zeiten des Kommunismus als Stimme
der Staatspartei gegolten hatte, ist sie heute zwar unabhängig und überparteilich, unterstützt
jedoch im allgemeinen die Parteien des links-liberalen Spektrums, in Opposition zur kon-
servativ-populistischen Bewegung, namentlich zum Fidesz-Bürgerbund. „Népszabadság“
ist, wie auch andere landesweit vertriebene Tageszeitungen bei weitem nicht so umfang-
reich wie die großen westlichen Tageszeitungen. Aktuelle Nachrichten, Wirtschaft- und
Finnanzpolitik beanspruchen knapp zwei bis zweieinhalb Seiten. Auch fehlt das klassische
Feuilleton. Zwei ausgewählte Kommentare erscheinen täglich auf der dritten Seite, die
letzte Seite befaßt sich mit Sport. Zu den bekanntesten Wochenzeitungen zählen das libera-
le Literatur- und Politikblatt „Élet és Irodalom“, die Wirtschaftszeitschrift „Heti Világgaz-
daság“ (HVG), die bürgerlich-konservativen politischen Zeitschriften „Heti Válasz“ und
„Demokrata“, die liberalen politischen Zeitschriften „168 óra“ und „Beszélö“, die Frauenil-
lustrierte „Nök Lapja“, das Rätselblatt „Füles“, die Zeitung „Reformátusok Lapja“ der
Reformierten Kirche, und die katholische Zeitschrift „Igen“.
Die Obdachlosen, deren Zahl seit der Wende 1989 auf dreißig- bis sechzigtausend ge-
stiegen ist, verdienen sich mit der Zeitschrift „Fedél nélkül“ („Ohne Dach“) ein Zubrot.
Jeder zweite Obdachlose lebt in Budapest. Erstaunlicherweise gehen 95 Prozent der Ob-
dachlosen in Ungarn arbeiten, nur nur fünf Prozent leben von der Sozialhilfe, aber der Lohn
reicht nicht für die Miete. Vor der Wende gab es in Ungarn Arbeiterheime, in denen jene
wohnten, die nach Budapest kamen, um zu arbeiten. Als die Heime in den 1990er Jahren
geschlossen wurden, fanden sich die Bewohner auf der Straße wieder. Die satirische Zeit-
schrift „Ludas Matyi“ („Gänse-Martin“), für das neben vielen anderen berühmten Ungarn
auch Ephraim Kishon schrieb, galt in den 1950er Jahren inmitten der sozialistischen Tris-
tesse als Labsal, die aber die Ablösung des alten Systems nicht lange überlebte. Lúdas Ma-
tyi war der erste Volksheld in der ungarischen Literatur, der durch Schläue über seinen

263
adeligen Herrn siegt, und konnte deshalb vom kommunistischen Regime leicht für seine
Zwecke vereinnahmt werden. Aber umgekehrt bot sich die Figur auch den ungarischen
Satirikern und Karikaturisten an – in Ungarn berühmten Namen wie Ferenc Sajdik, István
Heged–s, Jen• Dalos, Béla Tettamanti, László Réber oder Liviusz Gyulai –, denen nach der
Wende vielfach ihre Publikationsmöglichkeiten, Zeitschriften Wochen- und Monatsblätter,
unter den Füssen wegrutschten. Dass die Ungarn aber ihren Humor nicht verloren haben,
bewiesen sie nach den Parlamentswahlen im April 2010, die Viktor Orbán erneut an die
Macht brachte, gefolgt von den Rechtsextremen von „Jobbik“. Der vielbeschworene
Rechtsruck Ungarns, meinte ein Satiriker, könne vielleicht im Falle der Ukraine funktionie-
ren – man müsse nur russische Gebiete übernehmen, um Ungarn Platz zu machen –, aber
Rumänien könne, um Ungarn seine 1920 verlorenen Gebiete zurückzugeben, nicht weiter
nach rechts rücken, weil dort das schwarze Meer liege.

4.4 Radio und Fernsehen in Ungarn

Die Reformgesetze zu Fernsehen und Rundfunk, die in den 1990er Jahren verabschiedet
wurden, hatte gerade zum Ziel, jene Zustände zu verhindern, die in den frühen 2000er Jah-
ren zu Kritik und auch höhnischen Kommentaren führten. Die politischen Lager Ungarns
blockierten sich gegenseitig, um zu verhindern, dass der politische Rivale zuviel Kontrolle
über die Rundfunkgremien erhält. Ein weiteres Problem ist die hohe Anzahl an Mitgliedern
der Leitungsgremien, die die Verantwortlichkeiten nur verschleiert. Parlamentarische und
korporative Ernennungsverfahren verschränken sich, so dass sich zu den politisch motivier-
ten Ernennungen der Parteien Vertreter der Öffentlichkeit gesellen, die über keine fachli-
chen Kenntnisse, geschweige denn ein öffentliches Mandat verfügen. Als Alternative
schlug man vor, Vorstandsmitglieder wie Vorsitzende durch den Premierminister und den
Präsidenten der Republik in einem koordinierten Verfahren ernennen zu lassen, was die
Ernannten auf Distanz zu den politischen Parteien bringen würde. Ein ähnliches Verfahren
hat man bereits bei der Ernennung des Vorsitzenden der „ORTT“ angewandt, der staatli-
chen Kontrollinstanz für Fernsehen und Rundfunk (Országos Rádió és Televízió Testület)
beschrieben. Die ungarische Medienlandschaft prägten oder besser wühlten in den 1990er
Jahren die oben beschriebenen „Medienkriege“ um, den die konservativen Regierungen mit
den angeblich ‚links-liberalen Medien‘ ausfochten, und die vor allem dem öffentlich-
rechtlichen Fernsehen und Radio schadeten. Aus offen politischen Gründen oder verdeckt,
unter dem Vorwand finanzieller Zwänge wurden regierungskritische Journalisten von ihren
Posten entfernt. Wer zurückblieb wurde entweder durch direkten politischen Druck auf die
Regierungslinie eingeschworen oder zensierte sich aus Angst vor der Entlassung selbst.
Das 1995/1996 beschlossene neue Mediengesetz ermöglichte schließlich die Einführung
des kommerziellen Rundfunks und reduzierte die politische Einflussnahme und deren fatale
Folgen. Die Privatisierung der Medien in Ungarn verschob sich durch das Frequenz-
moratorium von 1989 und die Zeit, die verstrich bis das Mediengesetz schließlich verab-
schiedet wurde und in Kraft trat, erheblich. Die ersten kommerziellen Fernsehsender gingen
erst im Oktober 1997 und die ersten Rundfunkstationen erst im Januar und Februar 1998
auf Sendung – ein beträchtlicher Rückstand auf die meisten westeuropäischen, aber auch
ost- und mittelosteuropäischen Länder. Von der Privatisierung erhoffte man sich gleich-
wohl, sie würde den politischen Druck auf die öffentlich-rechtlichen Anbieter entspannen,
denn solcher Druck ergäbe im Falle kommerzieller Sender keinen Sinn. Das de-facto-

264
Nachrichten-Monopol der Öffentlich-Rechtlichen würde gebrochen, Geheimnisse und
schlechte Nachrichten, die im staatlichen Fernsehen eventuell unter der Decke geblieben
wären, würden an die Öffentlichkeit gelangen, weil ausländische Investoren unabhängig
von den inländischen politischen Kräften wären. Aber diese Hoffnungen trogen insofern,
als sich herausstellte, dass die kommerziellen Medien eher apolitisch als politisch neutral
berichteten, und die öffentlich-rechtlichen Medien so ihr Monopol auf substanzielle Be-
richterstattung behielten. Ob die Berichterstattung von „Hír TV“ („Nachrichten-TV“), das
mit der konservativen Tageszeitung „Magyar Nemzet“ kooperiert, substanziell ist, ist
durchaus umstritten. Dass der konservative Budapester Nachrichtenkanal, der auch über
dessen Internetseite empfangen werden kann, eine klare Zielrichtung hat, den politischen
Gegner auf der Linken, ist unbestritten. Nicht nur seine kulturellen und politischen Magazi-
ne machten ihn bekannt, der Privatsender spielte bisher auch eine Rolle bei der Aufdeckung
von Affären sozialitischer Politiker.
Da die Privatisierung in Ungarn so lange hinausgeschoben, wurde aus der Nachfrage ein
Sturm auf die Lizenzen. Man schlug sich um Anteile an Ungarns erstem landesweiten pri-
vaten Fernsehkanal, der 1998 auf Sendung ging und dessen Frequenz damals noch dem
ungarischen Sender „Magyar Televizió 2“ („MTV2“) gehörte, der danach auf Satellit aus-
wich. Das Interesse war so groß, weil die terrestrische Frequenz von „MTV2“ der Schlüssel
zu Ungarns Fernseh- und Werbemarkt war. Wer über sie sein Programm sendet, kann von
praktisch jedem ungarischen Fernsehen über Antenne empfangen werden, während man in
Ungarn über Kabelfernsehen nur rund vierzig Prozent der Haushalte erreichte. Die Kabel-
netze waren auf einzelne Städte begrenzt, selten miteinander verknüpft und von Stadt zu
Stadt in anderem Eigentum. Wer alle verkabelten Haushalte erreichen will, musste sich
zuerst mit den Netzbetreibern einigen. Im Mai 1997 entschied der ORRT, wer den Zuschlag
für die begehrte terrestrische Frequenz erhält. Die Ungarn hatten jedoch vorgebaut, um
tschechische Verhältnisse zu verhindern. Der tschechische Fernsehmarkt war damals kom-
plett in der Hand westeuropäischer Unternehmen. In Ungarn beschloss man deshalb, dass
mindestens 26 Prozent der Anteile an einem Privatkanal in ungarischer Hand bleiben müss-
ten, um derartige Konzentrationen zu vermeiden. Eine durchschaubare Gesellschafterstruk-
tur und klare Programmpolitik wurden ausserdem vorausgesetzt, erklärte György Lovas,
der damalige Sprecher des ORRT. Der dann entstandene private Fernsehkanal „TV2“ ge-
hört heute einem gemischten europäischen Konsortium, an dem auch die Ungarn beteiligt
sind223. Mittlerweile gibt es in Ungarn rund 220 kommerzielle bzw. private Fernsehsender
wie „ATV“ oder den ungarischsprachigen Kinderkanal „Minimax“. Die beiden größten
privaten TV-Sender sind „RTL Klub“ [www.rtlklub.hu]224, gefolgt von „TV2“
[www.tv2.hu]. „RTL Klub“ ist dank US-amerikanischer Serien wie „Lost“, „Grey’s Ana-
tomy“ oder „Prison Break“, aber auch zahlreicher RTL- und ungarischer Eigenproduktio-
nen wie der Realityshow „Gyözike“ in der entscheidenden Gruppe der 18- bis 49-jährigen
Marktführer geworden.
Mit der Zulassung kommerzieller Sender ging eine Schwächung der öffentlich-
rechtlichen Sender „MTV“, „MR“ und „Duna TV“ einher, die mancher als „so charmant

223
Dieses Konsortium „MTM-SBS“ startete mit den Partnern „Scandinavian Broadcasting System“ (49 Prozent),
der „MTM Kommunicacios Rt.“ (38.5 Prozent) und der „Tele München GmbH“ (12.5 Prozent).
224
Die heutigen Eigentümer sind zu 49 Prozent die RTL Group mit Sitz in Luxemburg, zu 25 Prozent Magyar
Távközlési, zu 20 Prozent Grundy International Holdings und zu 6 Prozent die Raiffeisen Unic Bank. Der
Sender wird über Satelliten (Astra 1KR, Intelsat 10-02, Amos 2) sowie über Pay-TV-Pakete (UPC Direct, RCS
DigiTV, Boom) verbreitet.

265
und poppig wie weiland das DDR-Fernsehen“ bezeichnete. Der meistgesehene öffentlich-
rechtliche Fernsehsender225 „MTV1“ hatte fünf Jahre nach der Verabschiedung des Medien-
gesetztes nur noch einen Marktanteil von ungefähr zehn Prozent. Der Abfall des Marktan-
teils und die Restriktionen des Mediengesetzes ließen die Finanzierung der Öffentlich-
Rechtlichen katastrophale Ausmaße annehmen. Deren Schulden betrugen Anfang 2001
ungefähr 26 Milliarden Forint (nach damaligem Kurs ca. 100 Millionen Euro), wobei täg-
lich ein weiterer Verlust von ca. 20 Millionen Forint hinzukam. Die Finanzlage des öffent-
lich-rechtlichen Fernsehens wurde zusehends prekär. Sein Grundkapital wurde auf ein
Zehntel gesenkt, die Schulden verdoppelten sich, und seit 2006 sind zahlreiche Mitarbeiter
entlassen worden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Unter diesen Umständen
war fraglich, ob das öffentlich-rechtliche Fernsehen überhaupt noch in der Lage ist, seinen
Anforderungen gerecht zu werden. Den größten Anteil am noch geringen Anteil der Öffent-
lich-Rechtlichen hat das terrestrisch ausgestrahlte „MTV1“, das bis 1999 auf einen Anteil
von 12 bis 14 Prozent fiel. Hinderlich auf eine Ausweitung des Marktanteils wirken sich
auch die Werbebeschränkungen des Mediengesetzes aus, was „MTV“ gegenüber der Kon-
kurrenz ins Hintertreffen geraten läßt. Außerdem sind die Kosten wegen des umfangreichen
öffentlich-rechtlichen Auftrags und des großen Personalstandes deutlich höher. Die Über-
weisungen aus dem Staatsbudget – denn Ungarn ist neben Liechtenstein und Monaco eines
der wenigen Länder, die keine Rundfunkgebühren erheben – gehen nur zu 40 Prozent an
das Ungarische Fernsehen. Der Rest geht an den Rundfunk und an „Duna-TV“. Insgesamt
ist das zuwenig, um zwei Programme zu betreiben die hohen Kosten der terrestrischen
Ausstrahlung zu tragen. Das Grundkapital von „MTV“ wurde mehrfach heruntergesetzt,
von 16 Milliarden Forint bei der Gründung 1996 auf 1,2 Milliarden Forint im September
2000. Die größten Schulden werden regelmäßig vom Staat erlassen. Um die ausstehenden
Gehälter der freien Mitarbeiter bezahlen zu können, wurden die Gebäude von „MTV“ ver-
kauft und gemietet. Im internationalen Vergleich ist das „MTV“-Budget extrem klein. Es
beträgt nur ein Fünftel des Budgets des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Slowenien. Die
permanente Finanzkrise von „MTV“ ist vor diesem Hintergrund nur allzu erklärlich.
Nicht ganz so schlecht steht dagegen „Duna-TV“ da, das sich vor allem an die ungari-
sche Diaspora in den an Ungarn angrenzenden Ländern wendet. Daher geht ein relativ
großer Teil (24 Prozent) aus dem Staatsbudget an „Duna-TV“, was mehr als die Hälfte
dessen ausmacht, was „MTV“ bekommt. „Duna-TV“ muss allerdings nur einen Satelliten-
Fernsehkanal betreiben und wurde bei seiner Gründung im ersten „Medienkrieg“ großzügig
mit Sendelizenzen und Grundkapital ausgestattet. Die Werbeeinnahmen sind trotz des klei-
nen Marktanteils von ein bis drei Prozent akzeptabel, weil die zahlreichen Kulturprogram-
me von „Duna-TV“ eher von der gebildeten und finanziell stärkeren Schicht gesehen wer-
den. Das zusammen genommen führt dazu, dass „Duna-TV“ finanziell deutlich weniger
schlecht gestellt ist als „MTV“. Die schlechte finanzielle Lage des öffentlich-rechtlichen
Fernsehens hätte für die Politik den Vorteil, argwöhnten manche, dass sie damit ein
Druckmittel in der Hand habe – freundliche Berichterstattung gegen finanzielle Besserstel-

225
Unter den ungarischen Fernsehsendern gibt es fünf, unter den Rundfunkanstalten drei Anstalten, die über
landesweite Frequenzen verfügen. Das öffentlich-rechtliche ungarische Fernsehen (MTV) wurde 1957 gegrün-
det. Die Sendungen werden über zwei Kanäle ausgestrahlt – die Sendungen des ersten Kanals (MTV1) über
Bodenstationen, die Sendungen des zweiten Kanals über Satelliten. Ebenfalls öffentlich-rechtlich ist die „Duna
Fernsehen AG“, die 1992 als Satellitensender für das Gesamtungartum gegründet wurde. Laut Mediengesetz
vom 21. Dezember 1995 wurde das „Duna Fernsehen“ zum öffentlich-rechtlichen Programmanbieter, die
Hungaria-Fernsehen-Stiftung zur öffentlichen Stiftung erklärt [www.dunatv.hu].

266
lung. Zugleich diene die angespannte Kostensituation als willkommener Vorwand, um
Mitarbeiter los zu werden, die in ‚Ungnade‘ gefallen waren. Dem öffentlich-rechtlichen
„Magyar Rádió“ („Ungarisches Radio“) geht es finanziell nicht so schlecht. Zum einen ist
die Konkurrenz auf dem Rundfunkmarkt nicht so groß wie beim Fernsehen, zum anderen
erhält die Rundfunkgesellschaft aus dem Budget rund 28 Prozent, also im Verhältnis zu den
Kosten der Programmproduktion relativ viel. „Magyar Rádió“ besteht aus den Sendern
„Kossuth Rádió“ (MR1; Kultursendungen, Literatur, Politik); „Petöfi Rádió“ (MR2; vor
allem Alternativ- und Ethnosendungen) und „Bartók Rádió“ (MR3; klassische Musik)226.
Hinzu kommen „MR4“ mit Nationalitätenprogrammen in den Sprachen der dreizehn aner-
kannten nationalen Minderheiten, „MR5“ mit Übertragungen der Parlamentssitzungen (in
der übrigen Zeit wird das Programm von „MR1 Kossuth“ ausgestrahlt) und „MR6“ mit
Regionalnachrichten (in der übrigen Zeit wird das Programm von „MR1 Kossuth“ ausge-
strahlt, in Miskolc das von „MR2 Pet•fi“). Das erste Programm „MR1“ liegt mit 29 Prozent
im Mittelfeld der Marktanteile. Marktführend ist der Privatsender „Sláger Rádió“, der dem
US-amerikanischen Unternehmen „EMMIS Communications“ gehört, mit einem Marktan-
teil von 37 Prozent. Musik der 1960-er, 70-er und 80-er Jahre bildet den Hauptteil des Pro-
gramms bei „Sláger Rádió“227, dem mit 36 Prozent Marktanteil der ewige Konkurrent, „Da-
nubius“, folgt228.
Die Zahl der Rundfunksender beträgt derzeit mehr als 100, darunter sind überregionale,
öffentlich-rechtliche, lokale, kommerzielle, kirchliche wie gemeinnützige Sender. Popmu-
sik und Unterhaltung senden „Roxy Rádió“ und „Juventus Rádió“. Auf Unterhaltung und
Schlager setzt das als links geltende „Tilos Radio“ [http://tilos.hu], das keine Werbung
sendet und sich durch Spenden und Zuschüsse finanziert. 1991 wurde „Tilos Rádió“ als
Alternative zum staatlichen Nachrichtenmonopol von der oppositionellen Untergrundbe-
wegung als Piratensender gegründet, woher auch der Name kommt. „Tilos“ bedeutet „ver-
boten“. Erst mit der Liberalisierung des Rundfunkmarktes im Jahr 1995 erhielt das „verbo-
tene Radio“ eine Sendelizenz, die im November 1999 auslief. Die Erneuerung der Lizenz
wurde dem Sender von der damaligen rechtskonservativen Regierung unter Führung des
„Fidesz“ versagt. Erst als die Sozialdemokraten 2002 wieder die Regierung übernahmen,
erhielt „Tilos Radio“ seine Lizenz zurück. Seitdem sendet „Tilos Rádió“ rund um die
Uhr229.

226
Diese sind über MW, KW, UKW und teils auch online zu empfangen [www.mr1-kossuth.hu, www.mr2-
petofi.hu, www.mr3-bartok.hu]. Zum öffentlich-rechtlichen Auftrag gehören auch Sendungen in den Sprachen
der 13 ethnischen Minderheiten. Die auf Kurzwelle ausgestrahlten, fremdsprachigen Sendungen von „Radio
Budapest International“ wurden in der ersten Hälfte 2007 eingestellt.
227
Im Oktober 2009 entzog die ungarische Frequenzvergabestelle ORTT dem Sender die Sendelizenz. Die Ent-
scheidung wurde von verschieden Staaten, darunter Deutschland und den USA, als intransparent kritisiert.
László Majtenyi, der nicht stimmberechtige Vorsitzende der ORTT trat aus Protest über die Vergabepraxis zu-
rück. Seitdem sendete „Sláger Rádió“ nur noch im Internet und ging gerichtlich gegen die ORTT vor.
228
Der Sender „Radio Danubius“ begann 1986 als erster kommerzieller Sender Ungarns, offiziell in deutscher
Sprache zu senden. Ab 1990 wurden die Programme in ungarischer Sprache gesendet. Anfangs eine Abteilung
des Radio Ungarn, wird „Danubius“ seit 1997 von der „Országos Kereskedelmi Rádió Rt.“ betrieben. Gesell-
schafter: Great West Radio (Großbritannien), Wallis Rt. (Ungarn). Der kommerzielle Sender „Sláger Radio“,
dessen erste Sendungen 1998 ausgestrahlt wurden, wird von der „Hungária Rádió M–sorszolgáltató Rt.“ be-
trieben.
229
Sendeverbot erhielt der Sender nochmals von der Medienaufsichtsbehörde ORTT für 30 Tage, als am Heilig-
abend 2003 ein Moderator des Senders in angetrunkenem Zustand verbreitete, dass er „alle Christen ausrotten
würde“. Im Januar 2004 wurde daraufhin vor dem Gebäude des Radios eine Demonstration veranstaltet, bei
der Hassreden gehalten und Fahnen, unter anderem eine israelische Fahne, verbrannt wurden.

267
5. Die Mediensysteme in den Ländern des Baltikums

Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben genauso wie die mittelost-
europäischen Staaten mit den totalitären Hinterlassenschaften der Sowjetzeit zu kämpfen,
wenn auch ihr Schicksal, auch bedingt durch ihre Randlage, bisher nicht in dem Maße Be-
rücksichtung fand wie es das verdienen würde. Das geheime Zusatzprotokoll zum Hitler-
Stalin-Pakt vom August 1939 schlug die drei baltischen Staaten der Sowjetunion zu, mit all
den daraus resultieren schrecklichen Folgen230. Die Massendeportationen von Balten in
russische Straflager, nachdem Sowjetrussland NS-Deutschland niedergeworfen hatte, wir-
ken bis heute nach. Als in der estnischen Hauptstadt ein sowjetisches Ehrenmal, das die
Esten als Machtdemonstration des ehemaligen Besatzers empfanden, abgetragen und ver-
setzt wurde, reagierte Moskau mit stereotypen Vorwürfen, die Balten hätten sich als Sym-
pathisanten des Faschismus entlarvt, denn schließlich hätte Moskau das Baltikum von die-
sem befreit. Die Diskussion wie sie in den lettischen oder litauischen Medien geführt wur-
de, war im Vergleich zur einseitigen russischen mehrheitlich offen und keineswegs nationa-
listisch verengt, wie das die russischen Staatszeitungen unterstellten. Die baltischen Medien
betonten aber durchaus, dass die Zeiten vorbei wären, in denen Moskau über Drohungen
und Unterstellungen in die Innenpolitik ehemals von ihm beherrschter, aber heute unabhän-
giger Staaten hineinregieren könne. Die estnische Regierung wusste sich einig mit der
Mehrheit ihrer Bürger, die in der Ankunft der roten Armee keine Befreiung, sondern den
Beginn einer neuen Besatzung sahen. Jugendliche, die überwiegend der russischen Minder-
heit angehörten, lösten daraufhin im April 2007 die schwersten Ausschreitungen seit der
Unabhängigkeitserklärung Estlands von der Sowjetunion 1991 aus, wobei ein Mensch
getötet und 156 verletzt wurden. Die Diskussion beherrschte nicht nur die estnischen Me-
dien, weil das Verhältnis zum ehemaligen ‚großen Bruder‘ und heutigen Nachbarn Russ-
land eine Identitätsfrage ist, die alle baltischen Staaten beschäftigt. Das Baltikum ist allge-
mein gesehen ein Raum, der sich durch Medienreichtum231 und weitgehende Medienfreiheit

230
Vgl. z.B.: Ludwig, K.: Das Baltikum: Estland, Lettland, Litauen. Aktuelle Länderkunden. München 1991.
231
Die größten Tageszeitungen in Estland sind „SL Öhtuleht“ und „Postimees“, jeweils mit einer Auflage von
64.000 Stück. Bekannte Wochenmagazine sind „Sirup“ mit einer Auflage von 5.000 Stück und die russischen
Magazine „Den Za Dnjom“ (15.000 Stück) und „Me Subota“ (11.000 Stück). Wichtigste Wirtschaftszeitung ist
die Zeitung „Aripaev“ mit einer täglichen Auflage von 20.000 Stück. In Lettland sind die täglich erscheinen-
den „Diena“ und „Latvijas Avize“ mit einer Auflage von 65.000 bzw. 52.000 Stück die größten Zeitungen des
Landes. Das bekannteste Wochenmagazin ist „Nedela“ mit einer Auflage von 13.000 Stück. Die Tageszeitun-
gen mit der höchsten Auflage in Litauen sind die überregionale „Lietuvos Rytas“ mit 65.000 Stück und die
„Kauno Diena“ aus der zweitgrößten Stadt Litauens mit einer Auflage von 50.000 Stück. Das Internet ist in
den baltischen Staaten weit verbreitet. Wer keinen privaten Internetzugang hat, der kann eines der vielen Inter-
netcafes, die fast an jeder zweiten Ecke zu finden sind, besuchen. Die flächendeckenste Internetverbreitung
findet sich in Estland. Dort haben 55 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet. In Lettland sind ungefähr
29 Prozent der Einwohner Internet-Nutzer und in Litauen 23 Prozent. Was das Fernsehen angeht, steht Lett-
land hinsichtlich der Zahl an Fernsehgeräten an der Spitze. Dort kommen auf 1.000 Einwohner 850 Geräte,
während es in Estland 502 und in Litauen 487 Geräte sind. Die wichtigsten Sender Estlands sind der öffent-
lich-rechtliche Sender „Estonian Telvision“ und die privaten Sender „Kanal2“ und „TV3“. In Lettland sieht
man vor allem „Latvijas televîzija“ (LTV, öffentlich-rechtlich), „RBS-TV“ aus Riga und „LNT“ als größten
privaten Fernsehsender. In Litauen ist der wichtigste Fernsehsender das staatliche „LTV“, wobei außerdem die
privaten Sender „TV3“, „TV4“ und „LNK“ von Bedeutung sind. Mit rund 1.136 Rundfunkgeräten pro 1.000
Einwohner sind in Estland nahezu alle Haushalte mit mindestens einem solchen Gerät ausgestattet. Von Be-
deutung sind vor allem der öffentlich-rechtliche Sender „Eesti-Radio“ sowie die privaten Sender „Trio-Group“
und „Sky-Media“. In Lettland kommen auf 1.000 Einwohner 700 Rundfunkgeräte. Das staatliche „Latvijas

268
auszeichnet. Die Esten, Letten und Litauer stehen den Formen moderner Kommunikations-
technik, vor allem dem Internet, sehr aufgeschlossen gegenüber.

5.1 Estland: junge Journalisten und russische Medien

Estland steht in der jährlich von „Reporter ohne Grenzen“ publizierten Rangliste der Pres-
sefreiheit auf dem dritten Platz und ist somit das bestplatzierte EU-Land. Diese Tatsache ist
besonders hervorzuheben, weil die estnischen Medien sich ihre Unabhängigkeit trotz star-
ker Subventionierung durch den Staat bewahren konnten. Estlands privater Rundfunk ist
nahezu vollständig in ausländischer Hand, weshalb auch die Identifikation der Bevölkerung
mit diesem relativ gering ist. Dagegen genießt der öffentlich-rechtliche Rundfunk hohes
Ansehen. Estland ist im Printsektor ein Ausnahmefall in der EU. Es ist das einzige Land in
dem die Auflagen für Zeitschriften nicht stagnieren, sondern steigen. Die Republik Estland
besitzt eine Medienlandschaft westlichen Stils. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in der
Verfassung garantiert und in der täglichen Praxis unumstritten. Für Zweifel sorgte aller-
dings eine in Tallinn im März 2010 durchgeführte Umfrage. Immerhin 44 Prozent der Be-
fragten meinten, sie wären mit einer gewissen Ein-schränkung der Meinungs- und Presse-
freiheit zugunsten der nationalen Sicherheit durchaus einverstanden. Allerdings waren auch
41 Prozent dagegen, 15 Prozent konnten sich nicht entscheiden232. Der estnische Justizmi-
nister Rein Lang brachte zudem einen Gesetzentwurf über die Informationsquellen ein, der
Journalisten dazu zwingen würde, gegebenenfalls ihre Informanten öffentlich bekannt zu
geben. Der Entwurf umfaßte eine Liste von Fällen, in denen diese Forderung erhoben wer-
den kann. Der Informantenschutz entfiele, selbst wenn diese anonym bleiben wollten. Im
Falle des Verstoßes drohen Geld- und sogar Gefängnisstrafen. Das verstieße nach Ansicht
von Journalisten gegen die Pressefreiheit. Als Protest gegen diesen Vorstoß erschienen
zahlreiche estnische Zeitungen wie „Postimees“, „Eesti Päevaleht“, „Maaleht“, „Õhtuleht“
und die Wochenzeitung „Eesti Ekspress“ mit leeren weißen Seiten. Dieser Aktion schlossen
sich ebenfalls russisch-sprachige Organe an.
In Estland ist das Angebot an einheimischen Titeln und Programmen breit. Hinzu kom-
men die zahllosen, unbeschränkt, zugänglichen Medien aus dem Ausland. Gemessen an der
Größe des Landes besitzt Estland eine blühende Medienlandschaft, wobei sich diese Me-
dienvielfalt weniger durch Qualität als durch Quantität auszeichnet. Die Bericht-erstattung
der Medien sei oberflächlich, tiefgehender Journalismus eher die Ausnahme, meinen Kriti-
ker. Am 4. März 2007 fanden in Estland233 Parlamentswahlen statt. Allenthalben wurde

Radio“ ist mit drei Programmen vertreten, außerdem senden private Radiostationen wie „SWH“, „Radio Skon-
to“ und „Super FM“ verschiedene Programme. Mit 524 Rundfunk-geräten auf 1.000 Einwohner ist die
Verbreitung von Radioempfängern innerhalb der baltischen Staaten in Litauen am niedrigsten. Neben dem
staatlichen Sender Litauisches Radio sind die privaten Sender „M 1“ und „Radio Centras“ nennenswert.
232
Weiterhin ergab die Umfrage: 73% meinten, in Estland könnten zwar alle ihre Meinung frei äußern, doch nur
30% wären bereit, an Demonstrationen teilzunehmen, wohingegen 23% das eher nicht oder ganz sicher nicht
wagen würden. Nach Ansicht von 53% der Befragten würden die estnischen Zeitungen die Parteien nicht
gleich behandeln.
233
Estland grenzt im Osten an Russland und im Süden an Lettland. Im Westen und Norden befindet sich die
Ostsee. Die Hauptstadt Tallinn liegt am Finnischen Meerbusen und ist circa 70 Kilometer Luftlinie südlich von
der finnischen Hauptstadt Helsinki entfernt und befindet auf demselben Breitengrad wie Schwedens Haupt-
stadt Stockholm. Im deutschen Sprachraum ist Tallinn auch unter der früheren Bezeichnung Reval bekannt.

269
diskutiert, wie demokratisch Estland nach 15 Jahren Kommunismus geworden sei und
welche Rolle die Presse dabei gespielt hätte234. Der estnische Kulturminister Raivo Palmaru
von der linken Zentrumspartei meinte, Estland müsse demokratischer und toleranter wer-
den235. In der Sowjetzeit war Palmaru ein treuer Diener des Regimes, er arbeitete für die
Kulturabteilung des Zentralkomitees der kommunistischen Partei. Nach dem Fall des eiser-
nen Vorhangs wurde er Journalist, und zweimal, 1995 und 1996, zum besten Publizisten
Estlands gewählt. Er hat mehr als 500 Artikel und einige Bücher zur Kommunikationstheo-
rie geschrieben, unter anderem „Medienmacht und Demokratie. Estlands Erfahrungen“.
Seiner Ansicht nach dauere der Einfluss des sowjetischen Systems auf das Denken der
Menschen bis heute an, was sich zum Beispiel darin äußere, dass die Esten, wie im übrigen
auch die Russen, heute nach wie vor in den Gegensätzen ‚wir‘ und ‚die Feinde‘ denken,
was die Debatten in Estland negativ präge. Daher sei, so Palmaru, Estland momentan keine
sehr pluralistische und tolerante Gesellschaft. Die Medien seien weniger Korrektiv als
Spiegel dieses Freund-Feind-Denkens, sie bestimmen den Diskurs in Gesellschaft und
Politik, ja die Wahlergebnisse, wenn man Palmaru glauben will. Verantwortung und Frei-
heit sind zwei Seiten derselben Medaille. Das, was im postsowjetischen Sinne als Freiheit
bezeichnet wird, ist keine Freiheit, sondern Willkür. Man glaubt, alles tun zu dürfen ohne
sich mit den Geschehnissen auseinanderzu-setzen, Tatsachen verbiegen, Menschen be-
schimpfen und beleidigen zu dürfen. Richtige Freiheit habe mit Verantwortung zu tun.
Doch die estnischen Medien handelten verantwortungslos und hätten deshalb keine Frei-
heit.
Ähnlich kritisch äußerte sich auch Aino Siebert, die in ihrer Heimatstadt Tallin schon
einmal als Verräterin oder Besserwisserin beschimpft wurde. Man habe ihr auch schon mit
Strafen gedroht, wenn sie nicht den Mund halte. Denn Siebert ist eine von denen, die schon
in den 1970er Jahren in den Westen gingen und sich jetzt wieder einmischen wollen. Die

Estland ist etwas mehr als 45.000 Quadratkilometer groß und somit etwas größer als die Schweiz. Tallinn im
Norden ist die größte Stadt des Landes. Die Stadt Tartu, die sich selbst als Zentrum des Südestlandes bezeich-
net, ist die zweitgrößte Stadt. Weitere große Städte sind unter anderem Narva und Kohtla-Järve im Norden der
Republik. Rund 70% der Gesamtbevölkerung lebt in Städten und die restlichen 30 Prozent auf dem Land. Die
1,3 Millionen Esten ergeben eine Bevölkerungsdichte von rund 30 Einwohnern pro Quadratkilometer. Das Be-
völkerungswachstum der Esten ist leicht rückläufig und liegt bei -0,64%. Die Bevölkerung Estlands setzt sich
hauptsächlich aus einer estnischen Mehrheit von 68,6 Prozent und einer russischen Minderheit von 25,7 Pro-
zent zusammen. Weiterhin existieren kleine Gruppen von Ukrainern (2,1%), Weißrussen (1,2%) und Finnen
(0,8%). Nur 55% der Einwohner Tallinns sind estnischen Ursprungs. Estland ist eine parlamentarische Demo-
kratie. Grundrechte und Gewaltenteilung sind in der Verfassung verankert. Staatsoberhaupt der Republik ist
der Staatspräsident. Dieser ist trotz stärkerer Befugnisse vergleichbar mit dem deutschen Bundespräsidenten.
Er ist Oberbefehlshaber der estnischen Streitkräfte. Amtierender Staatspräsident ist der Sozialdemokrat Too-
mas Hendrik Ilves. Seine Amtszeit beträgt fünf Jahre. Die Regierung ist dem Parlament verantwortlich und
steht unter der Leitung des Ministerpräsidenten. Das Amt des Ministerpräsidenten hat der Vorsitzende der Est-
nischen Reformpartei, Andrus Ansip, inne. Der Verwaltungsaufbau in Estland ist zweistufig. Unter der Zent-
ralregierung gibt es von der Regierung ernannte Landräte in insgesamt 15 weiteren Landkreisen. Der Riigiko-
gu, das estnischen Parlament, setzt sich derzeit aus den Koalitions-Parteien Reformpartei (31 Sitze), IRL (19)
und den Sozialdemokraten (10) zusammen. Die Oppositionen besteht aus der Zentrumspartei (29 Sitze),
Volksunion (6) und den Grünen (6). Das Parlament hat 101 Abgeordnetenmandate. Das Parlament kann von
allen estnischen Staatsbürgern, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, gewählt werden. Das passive Wahl-
recht haben estnische Staatsbürger, die das 21. Lebensjahr vollendet haben. Estland ist seit 2004 Mitglied der
Europäischen Union und hält 6 Mandate im Europaparlament.
234
Durch stetigen Anstieg der estnischen Inflationsrate konnte der Euro 2008 nicht wie geplant als Hauptzah-
lungsmittel eingeführt werden. 2011 wird als realistisches Ziel für die Einführung betrachtet. Estland ist 2004
auch der NATO beigetreten. Es pflegt enge Beziehungen zu den USA und ist an den Einsätzen im Irak und in
Afghanistan beteiligt.
235
Vgl.: www.cafebabel.com/de/article.asp?T=A&Id=2395.

270
sich nicht darum kümmern, dass Estland mit seinen 1,4 Millionen Einwohnern klein, und
Loyalität wichtiger ist als Pressefreiheit. In den 1990er Jahren stieß die in Deutschland
lebende freie Journalistin in Talliner Archiven auf KGB-Verwicklungen innerhalb ihrer
Familie. Sie machte sich daran, das journalistisch aufzuarbeiten. Nur sah man das in Est-
land mit Argwohn. Recherchierenden Journalismus gibt es in Estland mit Ausnahme der
Wirtschaftszeitung „Äripäev“ nicht, sind sich Journalisten einig. Glaubt man Ranglisten
wie jenen von den „Reportern ohne Grenzen“, ist Estland mit Platz drei ein Vorzeigeland in
Sachen Pressefreiheit. Doch in den Köpfen der Journalisten sei die Pressefreiheit noch nicht
angekommen, meint Meerike Viilup vom estnischen Journalistenverband. Alle sechs lan-
desweiten Tageszeitungen, wovon zwei auf Russisch erscheinen, seien politischen Parteien
zuzuordnen. Die Journalisten sind oft sehr jung, unausgebildet und erliegen leichter dem
Druck, auf der gewünschten politischen Linie zu bleiben. Korrespondenten im Ausland
sind zu teuer. Die Tageszeitungen unterschätzten die Bedeutung eines Korrespondenten,
zum Beispiel in Brüssel, wo die wirklich wichtigen politischen Entscheidungen getroffen
werden, so die Sorge von Kalev Vilgats, Chefredakteur der größten Tageszeitung „Pärnu
Postimees“. Die Klage über die mangelnde demokratische und diskursive Reife Estlands,
die Palmaru und andere führen, erscheint in anderem Licht, wenn man bedenkt, dass Pal-
maru selbst mit dem Mehrparteiensystem sein Problem hat und die scharfe politische Rhe-
torik als Populismus verurteilt. Den Hintergrund blendet er aus, der darin besteht, dass
Estland gespalten ist, in die estnischsprachige und die russischsprachige Gemeinschaft. Die
Russen besitzen ihre eigenen, meist oppositionellen Medien. Auch im öffentlich-
rechtlichen Radio gibt es mit „Radio Vier“ einen russischen Sender. In den russischspra-
chigen Zeitungen wird die estnische Staatsmacht in zügelloser Weise beschimpft. Dass
dann die estnischen Medien auf vermeintliche Illoyalität in den eigenen Reihen empfindlich
reagieren, den Konformitätsdruck gelegentlich übertreiben, ist durchaus erklärlich. Dazu
kommen Vorfälle, die diese Haltung noch zementieren.
Als Margus Allikmaa, ein Freund des Ministerpräsidenten Andrus Ansip, im Mai 2007
zum Rundfunkchef des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (ETV – „Eesti Televisioon“) und
Radios (ER – „Eesti Raadio“) – beide sind rein staatlich finanziert – gewählt wurde, sah die
russischsprachige Tageszeitung „Vesti-Dnja“ das als ein Zeichen eines neuen Totalitaris-
mus. Wie verwundbar die elektronische Kommunikation eines so kleinen Landes wie Est-
land ist, mussten die Esten im April 2007 erfahren, nach der Umsetzung eines sowjetischen
Denkmals, das für die Esten kein Symbol der Befreiung, sondern der jahrzehntelangen
sowjetischen Diktatur ist. Das offizielle Russland und die russische Minderheit in Estland
reagierten in schärfster Form. Vermutlich russische Hacker legten durch gezielte Angriffe
öffentliche Computersysteme lahm. Der estnische Generalleutnant Johannes Kert erklärte
Ende September 2007, daß bereits mehr als zehn NATO-Staaten ihre Bereitschaft signali-
siert hätten, ihre Sicherheitsdienstleister für die Abwehr von Hacker-angriffen an das Zent-
rum zu entsenden. Die neue Einrichtung basierte auf dem vor vier Jahren geschaffenen und
inzwischen recht kompetenten nationalen Zentrum für Computersicherheit236. Der General
leitete die Notwendigkeit der Arbeiten auf diesem Gebiet aus dem hohen Stand der elektro-
nischen Kommunikation in der öffentlichen Verwaltung ab, die Estland für Cyberkriminali-

236
Das nationale Zentrum für Computersicherheit ist nach Angaben des estnischen Verteidigungs-ministeriums
zum Zweck der Zusammenarbeit mit den NATO-Staaten auf dem Gebiet der gemeinsamen Entwicklung von
Methoden für die Abwehr von Hackerangriffen gegründet worden und untersteht dem Ausbildungssystem der
Armee. Es plant und realisiert Projekte im Verbindungswesen und auf dem Gebiet der Informations-
technologien zu Verteidigungszwecken. Es bildet außerdem einschlägige Fachleute für die Armee aus.

271
tät natürlich auch verwundbar machen. Er unterstrich in diesem Zusammenhang, dass die
Computerangriffe vom April, als Massenausschreitungen nach der Umsetzung des Denk-
mals für die sowjetische „Befreiung“ in Tallinn das Land erschütterten, den Sicherheits-
fachleuten wertvolle Lehren mit auf den Weg gegeben hätten. Kert stellte fest, die damali-
gen Angriffe auf offizielle Webseiten hätten spontanen Charakter getragen. Die lenkende
Hand von bestimmten Institutionen sah er nicht. Die Hackerangriffe auf die Internetseiten
estnischer Behörden vom April hatte Premierminister Andrus Ansip Computern russischer
Regierungsstellen zugeschrieben, worauf Russland freilich die Beschuldigung als haltlos
zurückgewiesen hatte. Auch NATO- und EU-Experten hatten keine „russische Spur“ ge-
funden.
Seit Anfang der 1990er Jahre hat sich die estnische Medienlandschaft deutlich verän-
dert: die Zeitungen wurden privatisiert, die privaten Rundfunksender sowie neue Tages-
und Wochenzeitungen und Zeitschriften wurden gegründet. Jedoch nicht alle neugegründe-
ten Medienkanäle konnten überleben und daher hat die estnische Medienlandschaft wäh-
rend der 1990er Jahre etliche rasche Veränderungen und Fusionen der TV-Stationen erlebt.
Gegen Ende der 1990er Jahre trat jedoch allmählich eine gewisse Stabilisierung und Kon-
zentration der Medien ein. Durch den Generationswechsel sind die Journalisten Estlands im
Durchschnitt sehr jung. Im letzten Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende wollten die Medien,
ob Zeitungen oder Fernsehen, meist nur junge, also vom Kommunismus unbelastete Jour-
nalisten einstellen, weshalb man damals diesen Nachwuchs nicht ganz zu Unrecht als „Kin-
derjournalisten“ belächelte. Aus diesen damals noch unerfahrenen Journalisten sind bis
heute zumeist gute Redakteure und Journalisten geworden, und die Qualität der Medien hat
sich trotz aller Kritik, wie sie Palmaru vorbrachte, deutlich verbessert. Meinungsumfragen
zeigten jedoch, dass die Medien generell in der Bevölkerung nur geringes Vertrauen genie-
ßen, wobei der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Ausnahme darstellt. Die Universität
Tartu bildet Journalisten aus. Viele künftige Journalisten nehmen aber auch den Umweg
über andere Fächer, um zum Journalismus zu kommen. Mancher Kritiker hat schon ange-
merkt, dass ein nicht ganz unwesentlicher Umstand die Unparteilichkeit der Berichterstat-
tung beeinflussen könnte. Da Estland ein Land mit geringer Einwohnerzahl ist, und Journa-
listen und Politiker oft gute Bekannte – viele haben zusammen an der Tartuer Universität
studiert – oder gar Verwandte sind, könne das Rückwirkungen auf die Berichterstattung
haben.

272
5.2 Die Entwicklung des estnischen Mediensystems

Das Mediensystem in Estland hat lange Tradition, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts
zurückgeht. Die „Pärno Postimees“ bekam 1856 durch Erlass Zar Alexanders II. die erste
Drucklizenz und erschien dann regelmäßig ab 1857 als achtseitige Wochenzeitung in Pär-
no. Im selben Jahr erschien eine gleichnamige Zeitung in Tartu. Damit war der Zeitungs-
markt in Estland mit dem „Postimees“, dem Postboten, den es seit 1991 wieder gibt, gebo-
ren. Im Jahr 1990 hatte Estland mit 523 verkauften Zeitungen pro tausend Einwohner eine
der höchsten Zeitungszahlen weltweit. Jedoch fiel diese Zahl bis Mitte der 1990er Jahre auf
lediglich 173. Seitdem wuchs der Printmarkt in Estland aber wieder stetig und stellt damit
eine Besonderheit innerhalb der Europäischen Union dar. Im Herbst 1921 wurden in Est-
land die ersten Radiogeräte der Öffentlichkeit vorgestellt. Drei Jahre später, im Mai 1924,
strahlte man erste Testsendungen im Radio aus. Doch erst seit 1926 gibt es regelmäßige
Radiosendungen. In der Zeit der sowjetischen Besatzung von 1944 bis 1991 stellte das
Radio eine Sonderstellung im Mediensystem und der Presse dar. So war „Radio Estland“
der erste Sender der Sowjetunion, der in den Siebzigern bereits Werbung ausstrahlte. In den
achtziger Jahren hatte die estnische Radiolandschaft viel Spielraum und spielte sowohl
westliche Musik als auch Livesendungen. Auch dies war nahezu einmalig in der UdSSR.
Schon vor der politischen und staatlichen Unabhängigkeit ging 1990 der erste private Ra-
diosender auf Sendung. Im Zeitraum von 1991 bis 1999 nahmen rund 30 weitere private
Sender ihr Programm auf und haben sich bis heute auf diesem quantitativen Niveau gehal-
ten. Obwohl erste Fernsehgeräte schon in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts in
Estland existierten, gab es unter sowjetischer Besatzung erste nationale Programme. 1955
wurde das erste regelmäßige Programm in Estland installiert. Die sowjetischen Besatzer
führten einen Sender in estnischer Sprache und drei russischsprachige aus Moskau und St.
Petersburg ein. Diese Sender wurden 1993, also zwei Jahre nach der Unabhängigkeit, ein-
gestellt. Im Jahr 1992 ging der erste Privatsender auf Sendung. In der Zeit zwischen 1993
und 1997 erlebte der estnische Werbemarkt einen Boom und verdreifachte sich. Dabei
betrug der Anteil des Fernsehmarktes einen Anteil von rund 27 Prozent.
In den 1990er Jahren gab es durch die Privatisierung der Zeitungen und die Gründung
vieler privater Tages- und Wochenzeitungen viele schnelle Veränderungen in Estlands
Medien. Derzeit gibt es etwa 790 regelmäßig erscheinende Druckerzeugnisse in Estland.
Der Großteil davon ist lokal und auf nationaler Ebene bedeutungslos. Außerdem sind sie
thematisch begrenzt. Das Angebot aller bedeutsamen Blätter zielt auf das Allgemeininteres-
se ab. Reine Zielgruppenblätter gibt es unter den Tages- und Wochenzeitungen nicht.
Trotzdem findet man überall die gleiche Bandbreite an Themen, wie Politik, Wirtschaft,
Kultur, Veranstaltungen, Lokales, Ratgeber, Lifestyle. Sie unterscheiden sich nur in ihrer
Aufmachung. Die größten überregionalen Tageszeitungen in estnischer Sprache sind die
seriösen Qualitätszeitungen „Postimees“ („Postbote“) und „Eesti Päevaleht“ („Estnische
Tageszeitung“), die Boulevardzeitung „SL Öhtuleht“ („Abendblatt“). „Postimees“ gehört
fast vollständig dem norwegischen Medienkonzern „Shibsted“, der 1998 die estnische Me-
dienholding „Eesti Meedia“ übernahm. „Eesti Päevaleht“ gehört der „Ekspress Grupp“,
einem estnischen Medienunternehmen, das 1998 an die schwedische Medienholding „Bon-
nier“ verkauft und im Jahre 2001, wegen einer finanziellen Krise „Bonniers“ von
„Ekspress“ wieder zurückgekauft wurde. Die Boulevardzeitung „SL Öhtuleht“ enstand aus
der Fusion von „Öhtuleht“ und dem damals größten Konkurrenten auf dem Boulevard-
markt, „Sönumileht“. Betrieben wird er jeweils von „Eesti Meedia“ und der

273
„Ekspressgrupp“. Da gut ein Drittel der estnischen Bevölkerung Russisch spricht, gibt es
auch mehrere russischsprachige Zeitungen. Zu den bedeutendsten gehören die Tageszeitun-
gen „Molodjož Estonii“ („Jugend Estlands“) und „Vesti Dnja“ („Nachrichten des Tages“),
die Wochenzeitungen „Vesti Nedeli“ („Wochennachrichten“), „Den za Dnjom“ („Tag für
Tag“) und „MK-Estonia“, und die Regionalzeitung „Narvskaja Gazeta“ („Narva-Zeitung“).
Aufgrund der geringen Einwohnerzahl von 1,4 Millionen ist die Auflage der Zeitungen
dementsprechend klein. Trotzdem ist die Zeitungsdichte sehr hoch, was zu einer großen
Konkurrenz auf dem Markt führt. Mit ungefähr 65.000 Stück hat die Boulevardzeitung „SL
Öhtuleht“ die größte Auflage in Estland, gefolgt von „Postimees“ mit 62.000 und „Eesti
Päevaleht“ mit 33.000 Stück. Weiterhin gibt es noch eine unabhängige Wirtschaftszeitung,
die „Äripäev“, die zur schwedischen Medienholding „Bonnier“ gehört. Unter dem Namen
„Delovyje Vedomosti“ („Geschäftsnachrichten“) erscheint diese auch als Wochenzeitung in
russischer Sprache. Im Gegensatz zu den Tageszeitungen, die seit Mitte der 1990er Jahre
durch Konzentration und Fusionen abgenommen haben, steigt die Zahl an Zeitschriften mit
dem Lebensstandard deutlich an, besonders in den Sparten Lebensstil, Frauen und Home-
Design. Dennoch ist Armut im Land weit verbreitet, viele Esten können sich immer noch
nicht leisten, regelmäßig eine Zeitung zu kaufen. Besonders erwähnenswert ist die Subven-
tion diverser Kulturausgaben. Diese werden vom Staat finanziell unterstützt, bleiben aber
politisch unabhängig. Der Staat gibt die Gelder an die Stiftung „Kultuurileht“ weiter und
diese unterstützt Kultur- und Wissenschaftsinitiativen für Kinder. An estnisch-sprachigen
Wochenzeitungen gibt es „Eesti Ekspress“ und „Maaleht“, die sich an Landwirte wendet,
und die Kulturzeitung „Sirp“. Regionalzeitungen sind die „Pärnu Postimees“ (Pärnu), „Sa-
kala“ (Viljandi), „Pôhjarannik“ (Ida-Virumaa), „Valgamaalane“ (Valga), „Virumaa Teata-
ja“ (Rakvere), „Meie Maa“ (Kuressaare). Daneben gibt es die englischsprachige „The Bal-
tic Times“, und die deutschsprachige „Baltische Rundschau“. An Radiosendern hat Estland
das öffentlich-rechtliche „Eesti Radio“ und das private „Kuku-Radio“. Die offizielle Nach-
richtenagentur Estlands heißt „Baltic News Service“ (BNS). Wichtige Internetadressen sind
„www.delfi.ee“ und „www.hot.ee“. Eine Neuigkeit auf dem estnischen Medienmarkt ist
„Linnaleht“, eine kostenlose Zeitung, die in den größeren Städten Tallinn, Tartu und Pärnu
verteilt und von „Eesti Päevaleht“ und „Eesti Meedia“ herausgegeben wird.

5.3 Fernsehen und Rundfunk in Estland

Anfang der 1990er Jahre entstanden in Estland viele neue private Radio- und Fernsehsen-
der. Doch konnte sich der Großteil davon nicht lange halten und es gab etliche Fusionen,
was nach und nach zu einer Stabilisierung des Marktes führte. Die estnischen Rundfunk-
medien werden durch das Rundfunkgesetz von 1994 geregelt. Dieses sieht ein freies und
privates Rundfunksystem vor. Der Schutz Minderjähriger wird an verschiedenen Stellen im
Gesetz erwähnt und hat insgesamt relativ große Bedeutung. Zudem ist jeder befugt, einen
Sender zu gründen, benötigt dazu aber eine Lizenz, die das Ministerium für Transport und
Kommunikation vergibt. In Estland existiert, wie in Deutschland, ein duales System. Spar-
tenprogramme in frei empfangbaren Sendern sind aufgrund des kleinen Marktes in Estland
nicht vertreten. Wie auch in Skandinavien ist es in Estland weitgehend üblich, daß auslän-
dische Fernsehproduktionen nicht synchronisiert werden, sondern im Original mit estni-
schen Untertiteln gesendet werden. 97 Prozent der estnischen Bevölkerung besitzen ein

274
Fernsehgerät, vor dem sie im Sommer 2000 durchschnittlich drei Stunden und 47 Minuten
verbrachten.
Im öffentlich-rechtlichen Bereich gibt es neben dem Fernsehsender „ETV“ die Radiosta-
tion „Eesti Radio“, die sich in etwa mit der Radiosparte des „MDR“ vergleichen lässt. Un-
ter den vier Programmen sind ein Inforadio, ein Jugendsender, ein russischer Kanal sowie
ein Klassik-Sender. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird komplett aus dem Staatshaus-
halt finanziert. Das Rundfunkgesetz sieht zwar Rundfunksteuern vor, diese werden bislang
noch nicht eingezogen. Zusätzliche Einnahmen durch Werbung sind wegen des starken
Drucks der privaten Sender seit Juli 2002 verboten. Die Aufgaben der Öffentlich-
Rechtlichen sind unter anderem: der Öffentlichkeit die Weltkultur zugänglich zu machen,
ein ausgeglichenes Programm auf hohem Niveau anzubieten, das Nachrichten-bedürfnis
aller Volksgruppen zu bedienen, Ereignisse des öffentlichen Lebens für die Zukunft festzu-
halten, Eigenproduktionen herzustellen, die estnische Sprache, Nation und Kultur zu schüt-
zen, die Staatlichkeit zu stärken, dem internationalen Ansehen Estlands zu dienen, und
jedermann zur Beachtung von Menschenwürde, Gesetzen, Moral und Minderheitenrechten
anzuhalten. Weiterhin soll der Anteil der nationalen Programme mindestens 51 Prozent
betragen.
Der private Fernsehmarkt ist insgesamt sehr überschaubar. Alle senden in etwa das glei-
che Programm und es haben sich noch keine richtigen Favoriten herausgebildet. Allerdings
haben sich die Sender „Kanal2“ und vor allem „TV3“ etabliert. Beide Sender sind inzwi-
schen in der Hand ausländischer Medienkonzerne: „Kanal2“ gehört dem norwegischen
„Shibsted Konzern“ und „TV3“ zu Skandinaviens größtem Medienunternehmen „MTG“
(„Modern Times Group“). Mit dem 1997 gegründeten „TV1“ gab es noch einen dritten
großen privaten Fernsehsender, der sich von einem Regionalsender zu einem landesweiten
entwickelt hatte und schließlich vom polnischen „Polsat“-Konzern übernommen wurde.
„TV1“ hielt dem Druck des hart umkämpften Marktes allerdings nicht stand und ging 2001
in Konkurs. Alle Kanäle sind terrestrisch frei empfangbar. Hinzu kommen vier Kabelnetze,
die eine Vielzahl ausländischer Sender anbieten. Estnisches Fernsehen über Satellit gibt es
im Pay-TV-Paket des skandinavischen Anbieters „Viasat“. Wer das „Viasat“-Paket abon-
niert, erhält neben „TV3“ und „TV3+“ russische, finnische, schwedische, norwegische,
dänische und englischsprachige Sender. Auf dem gleichen Satelliten sind die baltischen
„MTV“-Ableger „MTV Eesti“, „MTV Latvia“ und „MTV Lietuva“ im Abonnement erhält-
lich. Anders als in Deutschland haben die Privaten gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen
jedoch einen geringeren Marktanteil. Die Gründe liegen hier offenbar in den Grundsätzen
der öffentlich-rechtlichen Sender. Demnach ist dort die Qualität der Nachrichten besser und
es werden deutlich mehr eigene Formate produziert. Den größten Marktanteil bei den Priva-
ten haben „TV3“ mit 24 Prozent (2000), „ETV“ mit 29 Prozent, „TV3“ mit 24 Prozent,
„Kanal 2“ (21 Prozent).
Nachdem die Privatradios zu Beginn noch von einheimischen Unternehmen betrieben
wurden, so sind sie inzwischen überwiegend in ausländischer Hand. Derzeit gibt es über 30
private Radiosender, von denen die meisten im Raum Tallinn auf Sendung sind. Zu den
bekanntesten gehören die „Sky Media Group“ mit „Skyradio“, „Sky+“ und „Russkoje Ra-
dio“, „Trio Group“ mit „Kuku“, „Uuno“, „Elmar“, „Eeva“, „Raadio 100,7“ und „Katju-
scha“, „Modern Times Group“ mit „Star-FM“ und „Powerhitradio“. Gegenüber den Öffent-
lich-Rechtlichen haben die Privaten allerdings mit geringen Einschaltquoten zu kämpfen.
Zwar steigen die Anteile, doch ist das Verhältnis noch immer unausgeglichen. Die Gründe
hierfür liegen in der mangelnden Programmvielfalt und dem aus journalistischer Sicht we-
nig gehaltvollen Angebot. Der Großteil der Sender versteht sich als Hitradio und legt mit

275
nur fünf Minuten pro Stunde keinen großen Wert auf Nachrichten. Einzig die landesweit
empfangbaren Stationen „ER4“, „ER2“ und „Raadio Kuku“ senden umfangreichere Wort-
beiträge, sind damit aber eine Ausnahme. Insgesamt läßt sich festhalten, daß das estnische
Rundfunk- und Fernsehnetz fast vollständig in ausländischer Hand ist. Eine Ausnahme
bilden hier nur die öffentlich-rechtlichen Programme. Die haben, anders als in Deutschland,
zudem einen deutlich größeren Marktanteil, was mit der besseren Qualität und der Pro-
grammvielfalt zusammenhängt. Ob sich die Lage in Zukunft verbessert, bleibt nur zu ver-
muten. Die privaten Medien werden aus dem Ausland gelenkt und Entscheidungen werden
zunehmend nicht mehr in Tallinn, sondern eher von Stockholm oder Oslo aus getroffen.
Auf der anderen Seite werden sie aber auch von dort aus finanziert. Ein Ausstieg der Kon-
zerne würde wohl für viele das schnelle Ende bedeuten.
In Estland verschwanden Anfang Januar 2006 alle russischen Fernsehsender aus dem
Kabelprogramm. Russische Unterhändler und die estnischen Kabelnetz-Betreiber „Star-
man“ und „STV“ hätten sich zuvor nicht auf die Konditionen für eine Verlängerung abge-
laufener Verträge einigen können, meldete der Radiosender „Echo Moskaus“. Von der
Abschaltung sind zehn Sender betroffen, darunter das russische Staatsfernsehen, „NTW“
und der regionale russischsprachige „Erste baltische Kanal“. Zunächst gab es widersprüch-
liche Angaben darüber, wer die Verantwortung für den Wegfall der Programme trägt. Ein
erheblicher Teil der russischsprachigen Einwohner Estlands nutzte die Angebote der Ka-
belprogramme aus dem Nachbarland. Etwa ein Drittel der Bevölkerung der Baltenrepublik
kann nun lediglich einige Minderheitenprogramme des estnischen Staats-fernsehens in der
Muttersprache empfangen.
Im Bereich der elektronischen Medien haben sich neben dem öffentlich-rechtlichen
Rundfunk- und Fernsehsystem zahlreiche kommerzielle Anbieter entwickelt. In Estland
gibt es einen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender (ETV) und eine Radiostation (Eesti Ra-
dio) mit vier Programmen („Vikerradio“ – allgemeiner Info- und Unterhaltungssender,
„Radio 2“ – Jugendradio, „Radio 4“ – allgemeiner russischer Kanal, „Klassikradio“ – klas-
sische Musik und Konzertmitschnitte). Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird in Estland
direkt aus dem Staatshaushalt finanziert, weil Rundfunkgebühren nicht erhoben werden. Es
gibt in Estland zurzeit über 30 private Radiosender, der private Radiomarkt ist größtenteils
in ausländischer Hand. Prinzipiell ist jedermann berechtigt, eine private Sendestation zu
gründen, jedoch ist eine Lizenz der regierungsunabhängigen Regulierungsbehörde (Kom-
munikationsamt) nötig.
In Estland existiert, ebenso wie in Deutschland, ein Duales System zwischen öffentlich-
rechtlichem und privatem Rundfunk. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk Estlands ist, wie
ARD, ZDF und die Dritten Programme in Deutschland, für die Grundversorgung der Be-
völkerung zuständig. Dies ist durch das estnische Rundfunkgesetz vorgeschrieben. Das
Rundfunkgesetz ist das einzige explizite Mediengesetz Estlands. Es ist die verfassungs-
rechtliche Grundlage zur Organisation und Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
In einer sehr komplexen Form gibt dieses beispielsweise die Programm-zusammenstellung
(mindestens fünf Prozent Nachrichtenanteil), die politische Ausgewogenheit und die Wer-
bebestimmungen des öffentlichen Rundfunks vor. Ähnlich wie in Deutschland ist durch das
estnische Rundfunkgesetz auch eine Kontrollinstanz, der Rundfunkrat, festgelegt. Der öf-
fentlich-rechtliche Rundfunk Estlands finanziert sich laut Rundfunkgesetz (theoretisch)
durch gesetzlich festzulegende Rundfunksteuern. Diese werden allerdings derzeit noch
nicht erhoben, existieren real also nicht. Die Einnahmequellen für den öffentlich-
rechtlichen Rundfunk sind also andere: Werbe- und Vermarktungseinnahmen, Spenden,
vorwiegend jedoch Zuschüsse des Staates. Der öffentlich-rechtliche und der private Rund-

276
funk Estlands sind nicht gleichrangig. Der Marktanteil der öffentlichen-rechtlichen Sender
ist sowohl im Rundfunk- als auch im Fernsehbereich wesentlich höher. Ursache hierfür ist
die, dem Privaten Rundfunk mangelnde, Vielfalt und Qualität. Obwohl in Estland, wie in
Deutschland, nahezu jeder Haushalt (97 Prozent) mit Empfangsgeräten ausgestattet ist,
existieren (im Free-TV) keine Spartensender. Ebenso werden ausländische Filmproduktio-
nen für das Fernsehen nicht synchronisiert, sondern lediglich mit estnischen Untertiteln
versehen. Die Ursache hierfür liegt in der Einwohnerzahl des Landes. Diese ist mit 1,3
Millionen in etwa mit der Stadt München vergleichbar. So ist auch der Markt sehr klein,
auf dem sich die Medienanbieter bewegen. Um also die zur Rentabilität notwendigen Quo-
ten zu erreichen, sind Sender gezwungen, sich auf die gesamte Bevölkerung als Konsumen-
ten auszurichten. Die öffentlich-rechtliche Radiolandschaft Estlands ähnelt der deutschen.
So bietet das öffentlich-rechtliche Estni-Radio ebenso wie deutsche Sendeanstalten des
MDR, RBB oder NDR verschiedene, speziell auf die Zielgruppen zugeschnittene Pro-
gramme. Zwar bietet das estnische Privatradio mit circa 30 Sendern eine hohe Quantität,
die qualitative Vielfalt bleibt jedoch auf der Strecke. Die Einschaltquoten des kommerziel-
len Radios in Estland sind im Vergleich zum Öffentlich-Rechtlichen gering. Neben den
inhaltlichen Ursachen ist dies in der fehlenden Identifikation der Bevölkerung mit den Pri-
vatsendern begründet. Das private Radio sendet fast ausschließlich aus dem Ausland und
somit ohne estnischen Bezug.

5.4 Digitalisierung und Presseagenturen in Estland

Zu Online-Medien hat Estland eine besondere Beziehung. Nicht von ungefähr gilt es als
voll-digitalisiertes Land. Voller Stolz verkünden Esten, dass sie an der Spitze der Informa-
tionsgesellschaft stehen. Die Regierung garantiert jedem einen kostenlosen Internetzugang.
2007 existierten in Estland mit 1153 WLAN-Spots schon doppelt so viele WiFi-Areale wie
2005. Viele dieser Spots dürfen sogar kostenlos genutzt werden. Um eine umfangreiche
Internetabdeckung zu gewährleisten, startete man schon 1997 das sogenannte Tigersprung-
programm. So ist es nicht verwunderlich, daß die weltbekannte Internettelefon-software
„Skype“, welche zurzeit rund 220 Millionen Nutzer hat, in Estland entwickelt wurde. Au-
ßerdem gibt es sehr viele Online-Portale, von denen „www.delfi.ee“, „www.everyday.com“
die populärsten sind. Auch die Tageszeitungen haben mittlerweile Online-Redaktionen, die
immer mehr an Bedeutung gewinnen. Der Alltag in Estland ist insgesamt online: Alle
Schulen sind am Netz und auch zu Hause haben die meisten Esten einen Internet-Zugang.
Selbst die Verwaltung ist weitestgehend digitalisiert. Fast alle Staatsbeamten arbeiten mit
dem Computer, so ist es auch möglich, seine Steuererklärung elektronisch einzureichen.
Parlaments- und Regierungssitzungen werden mittlerweile papierlos und online übertragen.
Sogar ein Gesetz, das im Dezember 2000 verabschiedet wurde, erlaubt es, Verträge und
Beschlüsse online zu unterschreiben.
Blickt man in die öffentliche Verwaltung, namentlich die Regierung, fällt das besonders
auf. In der Staatskanzlei in Estland gibt es kein Papier mehr. Auch im Kabinettssaal stehen
nur Laptops. Keine schriftlichen Vorlagen mehr, mit Rand für Notizen und Eselsohren an
kritischen Stellen. Alle Regierungsvorlagen sind den Beteiligten schon vor den Sitzungen

277
elektronisch zugänglich237. Ergänzende Informationen können abgefragt, Diskussionen per
Mail zwischen den Ministerien und Behörden abgewickelt werden. Ministerpräsident
Andrus Ansip schildert die Verfahren des E-Government, das im Jahr 2000 eingeführt
wurde, als „leicht, effizient und sehr transparent“. Die Kabinettssitzungen dauerten oft nur
wenige Minuten. Die Medien hätten leicht Zugang auch zu den Hintergrundinformationen.
Die meisten Journalisten kämen gar nicht mehr in den Saal der Pressekonferenz, sondern
verfolgten die Ausführungen in ihren Redaktionen über das Internet. Kein Zweifel: In Est-
lands Hauptstadt Tallinn schwelgt man in einer Welt der Informationstechnologie und der
Internetkommunikation. Und was der Regierung recht ist, soll auch dem Bürger zugute
kommen. Das Land rühmt sich, auf der ganzen Welt mit an der Spitze der Informationsge-
sellschaften zu stehen. Schon der Personalausweis hat es in sich: Die kodierte Karte mit
Bild sieht aus wie eine Bankkarte und dient auch als solche sowie zugleich als Versiche-
rungskarte. 1,15 Millionen solcher ID-Karten sind schon ausgegeben, bei einer Bevölke-
rung von nur 1,35 Millionen. Man muß jedoch estnischer Staatsbürger sein, um eine solche
ID-Karte zu bekommen. Etwa 200.000 russischsprachige Bewohner Estlands, die sich nicht
um die Staatsbürgerschaft bemüht haben, sind ausgeschlossen.
Jedermann in Tallinn, selbst in der kopfsteingepflasterten mittelalterlichen Altstadt,
scheint im Internet zu surfen. Der Staat garantiert kostenlosen Internetzugang für alle. In
Hotels, Cafés und Bars kann man ins Internet gehen. Bei den Lokalwahlen und in diesem
Jahr auch bei den nationalen Parlamentswahlen konnte man die Stimme elektronisch abge-
ben. Der Abgeordnete konnte bequem vom Sofa im Wohnzimmer aus gewählt werden.
Zahlreiche Behördenangelegenheiten können von zu Hause abgewickelt werden. Die Steu-
ererklärung wird mittlerweile von 84 Prozent der Steuerpflichtigen elektronisch abgegeben.
Wobei Formular und Steuersätze einfach zu verstehen sind. Einkommen- und Gewinnsteu-
er linear 22, Mehrwertsteuer 18 Prozent – jeder kann es selbst ausrechnen. Deshalb sei die
Steuerehrlichkeit, wie der Ministerpräsident rühmt, so hoch. Schon 79 Prozent aller Bank-
transaktionen geschehen elektronisch. Hier habe überhaupt der Übergang zur elektroni-
schen Gesellschaft begonnen, sagt der Ministerpräsident. Die schwedisch-nordischen Ban-
ken hätten das IT-Wissen mitgebracht. Und Estland, das seit Sowjetzeiten keine Banktradi-
tion hatte, habe gleich in die Moderne springen können. Da Internet-Banking kostenlos sei,
hätten sich rasch auch die Rentner darauf eingelassen. Inzwischen sind auch alle Schulen
am Netz. Schüler und Eltern können Noten und Hausaufgaben elektronisch abrufen. Lehrer
und Eltern können sich über die Sprösslinge austauschen. Estnische IT-Firmen haben schon
besondere Programme für den Schuleinsatz entwickelt. Andere Staaten schauen inzwischen
nach Estland, um davon zu lernen. Es gibt in Estland mehr Mobiltelefone als Einwohner.
91 Prozent der Einwohner haben ein Mobiltelefon, viele zwei. Das Mobilfunknetz deckt 99
Prozent des Landes ab. Die Parkgebühr wird per SMS bezahlt. Regierung und örtliche
Verwaltungen tun noch mehr, um die Internetnutzung im Alltag weiter zu erleichtern. In
Estland gibt es inzwischen 729 öffentliche Zugangspunkte zum Internet – 1997 hatte das im
sogenannten Tigersprungprogramm begonnen. Und inzwischen ist es um 1134 „WiFi-
Areale“ erweitert worden (eine Verdoppelung gegenüber 2005), in denen man etwa in der
Altstadt, in Parks, am Strand, in Stadien oder in Gebäudearrealen über Funk einen Breit-
bandzugang zum Internet hat. 361 solcher Einrichtungen gibt es in Tallinn, davon 49 von
der Stadt betriebene, die kostenlos sind. Das heißt, ein Spaziergänger oder ein Erholungsu-

237
Vgl. Thielbeer, Siegfried: Im Wohnzimmer wählen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 232, 6.10. 2007,
S. 9.

278
chender, der im Park auf der Wiese liegt, kann einfach ohne jede weitere Verbindung sei-
nen Laptop einschalten und ist weltumspannend verbunden. Angesichts einer solchen
Elektronik-Affinität ist es kein Wunder, dass einer der bekanntesten Internet-
Kommunikationsdienste, „Skype“, in Estland entstanden ist und auch heute noch dort seine
Entwicklungsabteilungen hat. „Skype“ hat die weltumspannende kostenlose Internet-
Telefonie durchgesetzt, mit jetzt, nach nur fünf Jahren, 220 Millionen Nutzern.
Nachdem die staatliche Nachrichtenagentur „ETA“ privatisiert und danach im Jahre
2003 zur Mediamonitoring-Agentur reorganisiert wurde, gibt es in Estland nur eine Nach-
richtenagentur, den „BNS“ („Baltic News Service“). Die Agentur „Baltic News Service“
bietet auch englischsprachige Dienste an. „BNS“ ist eine private Agentur mit schwedischen
Geldgebern. Um die ethische Gebaren bzw. die Freiheit der Presse zu schützen, wurde auch
in Estland ein Presserat gegründet. Das 17-köpfige Gremium hat die Aufgabe, die Presse-
freiheit zu schützen, Beschwerden entgegenzunehmen und selbstständig gegen ethische
Verstöße vorzugehen. „The Code of Ethics of the Estonian Press“ ist ein Statut, ähnlich
dem deutschen Pressekodex. Wer hiergegen verstößt, wird vom estnischen Presserat ver-
pflichtet, dessen Urteil innerhalb von zehn Tagen zu veröffentlichen. Wirklich empfindli-
che Strafmaßnahmen können vom Presserat in Estland, ebenso wie in Deutschland, aber
nicht verhängt werden. Die Achtung der Persönlichkeitsrechte kann in Estland eingeklagt
werden. Aus diesem Grund ist die estnische Presse bemüht, die Privatsphäre großer Persön-
lichkeiten zu gewährleisten. Bei den „kleinen Leuten“ jedoch wird weniger Rücksicht auf
Persönlichkeitsrechte genommen. So kommt es regelmäßig vor, dass persönliche Daten
ohne Rücksicht auf die Betroffenen veröffentlicht werden. Die meisten Printerzeugnisse
Estlands entstehen unter der Aufsicht ausländischer Verlage. Vor allem im Bereich der
Zeitschriften ist dies der Fall. Die für die Ausbreitung von Informationen wichtigen Tages-
zeitungen jedoch stammen zum größten Teil (circa zwei Drittel) aus inländischen Unter-
nehmen. Der Staat subventioniert den Printmarkt in Estland, ohne dabei auf die publizierten
Inhalte Einfluss zu nehmen. Die estnische Presse bleibt somit unabhängig. Die Auflagen
der estnischen Printerzeugnisse sind im Verhältnis zu den deutschen Auflagenzahlen sehr
gering. Dieser Fakt ist auf die geringe Bevölkerungszahl Estlands zurückzuführen. Den-
noch steigen in Estland Angebot und Auflage vor allem von Zeitschriften stetig an. Dies ist
auf die Subventionierung durch den Staat sowie auf den wachsenden Wohlstand des Landes
zurückzuführen. Aufgrund der weiten Verbreitung des Internet wächst in Estland die Be-
deutung von Online-Portalen. Die meisten estnischen Tageszeitungen haben eigene Online-
Redaktionen und bieten ihr Produkt auch als E-Paper an.

279
6. „Bunt und unkontrovers“ – die Medien in Lettland

Die Geschichte des heutigen Lettland ist mit den beiden anderen baltischen Staaten auf das
Engste verknüpft. Alle drei teilen den Umstand, daß sie an einer geographisch günstigen
Position für den Ostseehandel im Mittelalter lagen und deswegen insbesondere zu den Blü-
tenzeiten der Hanse die Begehrlichkeiten seiner größeren Nachbarn weckten. Lettland wur-
de im 13. Jahrhundert vom Deutschen Orden erobert und Bestandteil des Heiligen Römi-
schen Reiches. Von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts
wurden mehrere Kriege um das Territorium des heutigen Lettlands geführt. In der Folge
wurde das lettische Gebiet zwischen Polen und Schweden aufgeteilt. Der nordische Krieg
zwischen Russland und Schweden aber führte schon im 18. Jahrhundert zur Vereinigung
der geteilten Gebiete in einem Generalgouvernement, das dem Zarenreich angegliedert war.
Mit dem Ausbruch der russischen Oktoberrevolution im Jahr 1917 und der folgenden Insta-
bilität des zerfallenden Zarenreiches nutzten bürgerliche Kräfte die sich bietende Gelegen-
heit und riefen im Jahr 1918 die unabhängige lettische Republik aus. Allerdings führten
innenpolitische Probleme, ausgelöst durch ein zu starkes Parlament und die Weltwirt-
schaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre, zu einem politischen Umsturz. Das in der Folge
errichtete autoritäre System konnte sich allerdings nur bis 1939 halten. Zur Verhandlungs-
masse im geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes degradiert, wurde Lettland
von der Sowjetunion völkerrechtswidrig besetzt und in die Union der Sozialistischen Sow-
jetrepubliken eingegliedert. Erst Anfang der 1990er Jahre konnte sich Lettland von der
sowjetischen Herrschaft befreien. Mit der Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahre 1990
und der erneuten Inkraftsetzung der alten Verfassung aus der Ersten Republik wurde die
neue Republik Lettland als eigenständiger Staat wieder errichtet238. Die folgenden Jahre
waren von den Bemühungen gekennzeichnet, die internationale Anerkennung der Republik
zu erlangen. Die Außenpolitik Lettlands richtete sich auf eine Westintegration mit den
Zielen der Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der transatlantischen Allianz.
Innenpolitisch begleitet das Problem der russischen bzw. russischsprachigen Minderheit,
den so genannten „Nicht-Staatsbürgern“ – etwa 17 Prozent der Bevölkerung-, das Land bis
heute. Mit dem Referendum zum Beitritt zur Europäischen Union entschieden sich die
Bürger Lettlands 2003 mit knapp 67 Prozent für die EU-Mitgliedschaft. Ebenso viele Let-

238
Bei der Regierungsbildung verfügt der Staatspräsident über einen verhältnismäßig großen Spielraum. Bei der
Auswahl und Beauftragung einer Person mit der Regierungsbildung muß er einen Kandidaten auswählen, der
eine Mehrheit im Parlament schmieden kann. Die unklaren Mehrheitsverhältnisse haben die bisherigen Amts-
träger in die Situation versetzt, zwischen mehreren Optionen auswählen zu können. Die Wahl zum Amt des
Staatspräsidenten wird vom Parlament mit absoluter Mehrheit vorgenommen. Die Kandidaten müssen das 40.
Lebensjahr vollendet haben und werden für vier Jahre gewählt. Das Parlament der Republik Lettland besteht
aus einer einzigen Kammer. Hier nehmen hundert Abgeordnete die parlamentarischen Aufgaben wahr. Neben
der Gesetzgebung gehört dazu vor allem auch die Wahl und Kontrolle der Regierung. Für die einzelnen Poli-
tikfelder sind 16 ständige Ausschüsse eingerichtet, in denen die jeweiligen Fachpolitiker der einzelnen Frakti-
onen über aktuelle Gesetzgebungsvorhaben beraten. Zur Kontrolle der Regierung stehen den Abgeordneten re-
gelmäßig Fragestunden zur Verfügung, in denen die Regierungsmitglieder ihre Politik rechtfertigen müssen.
Daneben kann das Parlament dem Ministerpräsidenten oder einem einzelnen Minister das Misstrauen ausspre-
chen. Trifft das Mißtrauensvotum einen Minister, so muß nur dieser zurücktreten. Ist dagegen der Ministerprä-
sident von einem Misstrauensvotum betroffen, so ist die gesamte Regierung aus dem Amt entlassen. Die Re-
gierungsaufgaben und die Führung des Kabinetts übernimmt jedoch der Premierminister, den die jeweils
stärkste Fraktion im Parlament (Saeima) stellt und der von den hundert Abgeordneten gewählt wird. Die Au-
ßenpolitik Lettlands ist westlich orientiert.

280
ten hatten sich auch für einen NATO-Beitritt ihres Landes ausgesprochen, der im April
2004 vollzogen wurde. Diese hohe Zustimmung erklärt sich vor allem durch ein starkes
Sicherheitsbedürfnis: Mit der Aufnahme in das Verteidigungsbündnis werden die Grenzen
Lettlands garantiert, die Russland bis dato nicht offiziell anerkannt hat.
Wer mit der „airBaltic“ gen Norden fliegt und wieder mal Wolken vor dem Fenster hat,
muß sich nicht langweilen: In der Sitztasche vor ihm steckt eines der interessantesten Flug-
journale Europas. Der „Baltic Outlook“ nämlich wird verfasst vom Verlag der provokantes-
ten Kulturzeitschrift Lettlands239, „Rigas Laiks“. Mit diesem Auftrag machte die Fluggesell-
schaft nicht nur ihr Flugjournal aufregender, sondern sicherte dem renommierten Kultur-
magazin auch die Unabhängigkeit. Als sich die Redaktion, vier Philosophen, vor mehr als
fünfzehn Jahren als Herausgeber einer Monatszeitschrift versuchte, war „Rigas Laiks“ ein
knallbuntes Blatt und allein deshalb schon einzigartig im damaligen Lettland. Wenn man
sich die Titelblätter der Zeitung im Netz-Archiv ansieht, macht man ab der Jahrtausend-
wende eine interessante Entdeckung: Seit Beginn der Unabhängigkeit haben sich die Ver-
hältnisse gravierend verändert. Heute ist die Redaktion stolz darauf, die einzige Zeitschrift
in Schwarz-Weiß zu machen. In Lettland hatten gerade die bunten Frauen-zeitschriften die
höchste Zuwachsrate der Medien. Bunt, aber unkontrovers ist heute der Großteil der letti-
schen Medien. Den ideologischen neunziger Jahren, in denen viele neue Medien entstan-
den, folgte die übliche Medienkonzentration, in Lettland vor allem durch nordeuropäische
Konzerne. Qualität wich ökonomischem Druck. Die Umwandlung der zwei öffentlich-

239
Lettland (amtl. Bezeichnung Latvijas Republikas), im Zentrum des Baltikums gelegen, grenzt im Süden an
Litauen, im Südosten an Weißrussland, im Osten an Russland, im Norden an Estland und im Westen an die
Ostsee. Die Republik Lettland hat eine Fläche von 64.589km² und ist im Vergleich etwas kleiner als Bayern.
Hauptstadt Lettlands ist Riga, welche auch in geographischer Hinsicht das Zentrum des dünn besiedelten Lan-
des ist. Lettland ist seit dem 2. April 2004 Mitglied der NATO und seit dem 1. Mai 2004 Mitglied der Europäi-
schen Union. 49% der Bevölkerung Lettlands leben in den sieben Großstädten, die mit einem Gesamtterritori-
um von 673km² gerade mal 1% der Fläche des Landes einnehmen. Die restliche Bevölkerung lebt auf dem
Land. Circa 740.000 der Einwohner Lettlands leben in der Hauptstadt Riga. Die Gesamtbevölkerung Lettlands
beträgt 2.286.700 Einwohner und hat eine Bevölkerungsdichte von 35 Einwohnern pro km². Neben der letti-
schen Mehrheitsbevölkerung (59%) gibt es eine starke russische Minderheit (28,6%) und kleine, meist rus-
sischsprachige Gruppen, wie Weißrussen (3,9%), Ukrainer (2,6%), Polen (2,4%) und Litauer (1,4%). Die
Staatssprache Lettlands ist Lettisch und wird von ca. 58% der Bevölkerung gesprochen. Russisch wir von ca.
37% der Bevölkerung gesprochen. In der Landeshauptstadt wird im täglichen Gebrauch Lettisch und Russisch
praktisch gleichberechtigt gesprochen. Seit der Reformation ist die wichtigste Konfession im westlichen und
im zentralen Teil Lettlands die evangelisch-lutherische Kirche. Lettland ist eine parlamentarische Demokratie.
Nach der Unabhängigkeitserklärung Lettlands von der Sowjetunion im Jahre 1990 wurde zunächst die alte
Verfassung der ersten lettischen Republik teilweise als Staatsgrundlage benutzt. Da dieser Verfassung einige
Elemente heutiger Verfassungen fehlten, wie beispielsweise ein Grundrechtsteil, wurde die Verfassung 1991
modifiziert und erst 1993 vollständig durch einen Parlamentsbeschluß in Kraft gesetzt. So bildet sie das Fun-
dament für die heutige Republik Lettlands als parlamentarische Demokratie und stellt gleichzeitig den An-
schluss an die demokratischen Traditionen der ersten lettischen Republik aus der Zwischenkriegszeit dar. Die
Verfassung hebt neben sozialen Rechten und der Rechtsstaatlichkeit – flankiert durch einen umfangreichen
Grundrechtsteil – vor allem die Volkssouveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Letten hervor. Daraus
folgend wird dem Parlament eine zentrale Stellung innerhalb des politischen Systems zugewiesen. Das Staats-
oberhaupt Lettlands ist der Staatspräsident. Das Amt wird derzeit von Valdis Zatlers bekleidet. Die Kompeten-
zen des Staatspräsidenten sind hauptsächlich zeremonieller und repräsentativer Natur. Zunächst einmal ist der
Staatspräsident als Staatsoberhaupt für die Repräsentation der lettischen Republik im Ausland zuständig. Alle
Gesetze des Parlaments bedürfen der Unterschrift des Präsidenten. Dabei kommt ihm ein Prüfungsrecht zu, das
mit einem aufschiebenden Veto oder mit der Anordnung eines Referendums verbunden ist. Der Staatspräsident
kann auch die Auflösung des Parlaments vorschlagen. Über diesen Vorschlag entscheidet dann ein Referen-
dum, das bei positivem Ausgang Parlamentsneuwahlen zur Folge hat, bei negativem Ausgang allerdings zum
Rücktritt des Staatspräsidenten führt.

281
rechtlichen Fernseh- und vier Radiosender („LTV“ und „LR“) halten viele für nicht wirk-
lich gelungen: sie werden weiterhin vollständig aus dem Staatsbudget finanziert und sind
dementsprechend labil. „Rigas Laiks“ zeigt sich trotz seiner kleinen, akademischen Leser-
schaft stabil. Bekannt ist das zweifärbige Magazin vor allem für seine schonungslosen, stets
unredigierten Interviews, für die sie einerseits in der lettischem Leserschaft Anerkennung
finden, die aber immer wieder für Kontroversen sorgen, denn man hält sich zugute, jeden,
und wenn es der Präsidenten wäre, so zu zeigen, wie er spricht, ohne Schönungen. Für
Qualitätsjournalismus ist aufgrund der Enge des lettischen Marktes und der schlechten
ökonomischen Situation sonst kaum Platz. Am politisch aktivsten zeigte sich 2007 die
Tagezeitung „Diena“. Sie rief zu Demonstrationen gegen den damaligen korruptionsbelas-
teten Ministerpräsidenten Aigars Kalvitis auf. Es wurden die größten Demonstrationen seit
der Unabhängigkeitserklärung Lettlands, mit Kalvitis Rücktritt als Folge.
Trotzdem bringen die lettischen Zeitungen kritische Analysen meist nur noch in ihrer
Online-Ausgabe. Kritische Berichterstattung hat in den lettischen Online-Medien stark
zugenommen. Da traditionelle Medien eher dazu neigen, sich an den Regeln des Marktes zu
orientieren, ist es manchmal recht schwierig, eine Botschaft herauszuhören. Vor allem
unabhängige Webseiten wie „Delfi“ oder das politikwissenschaftlich-kritisch ausgerichtete
„Politika“ sind außerordentlich beliebt. Allerdings waren 2006 erst 40 Prozent der Letten
Internetnutzer. Mit Übersetzungen führen diese auch weiter, was im Printbereich längst
aufgegeben wurde: Die Zusammenführung der lettischen und russischen Informations-
räume. Die Verwendung der lettischen Sprache war während der sowjetischen Besatzung
systematisch eingeschränkt worden. Mit der Unabhängigkeit kehrte man die Verhältnisse
um: Lettland führte ein rigides Sprachgesetz ein, das von den Russen, mit 29 Prozent die
größte Minderheit, nun das Beherrschen des Lettischen fordert. Im öffentlichen Rundfunk
und Fernsehen ist jeweils das zweite Programm teilweise auf Russisch. Daneben gibt es
zahlreiche private russische Radio- und TV-Stationen. Fünf nationale und dreißig regionale
russische Tageszeitungen stehen in Konkurrenz zu russischsprachigen Medien aus Russ-
land. Die Spannungen zwischen Letten und Russen verfestigten sich nicht zuletzt medial.
Es ist ein russischer und ein lettischer Informationsraum entstanden, in denen sich die An-
sichten zu politischen Themen in Lettland jeweils eklatant unterscheiden. Nur wenige Men-
schen verfolgen aber die Presse in beiden Sprachen. Diese Spaltung gilt als großes Hinder-
nis bei der russisch-lettischen Konfliktprävention. Die meistfrequentierten Webseiten „Del-
fi“ und „Dialogi“, sowie die TV-Webseite „tvnet“ produzieren mit bilingualen Versionen
eine Art medialen Zwischenraum, in dem Diskussionen, wenn auch weiterhin konfliktträch-
tig, so doch möglicher werden.

282
6.1 Die Zeitungsgeschichte Lettlands

Im Zuge der Wiederherstellung der demokratischen und unabhängigen Republik Lettland


und in der Entwicklung nach der Unabhängigkeit wurde seitens des Staates die Pressefrei-
heit in den Gesetzen Lettlands verankert und garantiert. Problemfall bleibt in dieser Hin-
sicht vor allen Dingen die Etablierung der nicht offiziell, sondern auch tatsächlich von
Regierung und Parlament unabhängigen öffentlich-rechtlichen elektronischen Medien.
Andererseits gewann im Pressewesen die Durchsetzung der sogenannten inneren Presse-
freiheit und der redaktionellen Autonomie gegenüber dem Verleger und Medieneigentümer
an Bedeutung, um die direkte Einmischung wirtschaftlich-politischer Gruppierungen in die
Redaktionsarbeit zu vermeiden. Die prekäre Lage der inneren Pressefreiheit hat wesentlich
dazu beigetragen, dass der in vieler Hinsicht fehlende Wettbewerb auf dem Medienmarkt
zum größten Problem für die freie und qualitative Entwicklung der unabhängigen Presse
Lettlands wurde. Obwohl das in jüngster Zeit vor allem mit der Zunahme der Medienkon-
zentration zu tun hatte, scheint vor allem ein Faktor dafür verantwortlich zu sein: die feh-
lende Medienkompetenz und Medienethik der Verleger.
Es ist kein Zufall, dass die erste Zeitung in Lettland während der Schwedenzeit erschien,
und es danach lange Zeit, bis zu den deutschen „Rigischen Anzeigen“ (1761-1852), keine
örtliche Zeitung mehr gab. Dabei handelt es sich um die in Riga von den Schweden und
dem Magistrat der Stadt in deutscher Sprache herausgegebene Zeitung „Rigische Novel-
len“, die anfangs den Titel „Rigische Montags (Donnerstags) ordinari PostZeitung“240 trug
(1680-1710). Sie diente der schwedischen Verwaltung, brachte aber auch Nachrichten aus
dem In- und Ausland. Vorher wurden in Lettland ausländische Zeitungen, vor allem deut-
sche Zeitungen aus Königsberg gelesen. Die Rigaer Zeitung erschien zweimal die Woche
und könnte deshalb nach aktuellen bundesdeutschen Maßstäben sogar als Tageszeitung
eingestuft werden. Später erschien viermal pro Jahr in Jelgava, im Verlag von Johan Fried-
rich Steffenhagen, auch die erste lettische Zeitschrift im modernen Sinne des Wortes, die
„Latviska Gada Gr˜mata“ („Lettisches Jahrbuch“, 1797-1798), herausgegeben vom
deutschbaltischen Lehrer und Literaten Matthias Stobbe. Als das erste Periodikum in letti-
scher Sprache gilt dennoch die Zeitschrift „Latviešu šrste“ („Lettischer Arzt“, 1768-1769).
Die 25 Nummern dieser Zeitschrift, die eigentlich einen auf die Folgehefte, in Form eines
regulären Periodikums verteilten Traktat mit praktischen medizinischen Ratschlägen dar-
stellen, gab der deutsche Arzt und Apotheker Peter Eduard Wilde und der Generalsuperin-
tendent Jacobus Lange in Livland heraus.
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts fehlten sowohl eine in lettischer Sprache kommunizie-
rende Elite als auch Möglichkeiten der öffentlichen Kommunikation im heutigen Sinne des
Wortes. Die Teilung des lettischen Siedlungsgebiets nach 1561 stand Kommunikationsver-
suchen entgegen. Dennoch ist das Erscheinen lettischsprachiger Presse bereits Ausdruck
einer sozialen Mobilität, obwohl diese Presse sich bis 1917 unter russischer Zensur befand.
Nach dem Statut der Zensur von 1828 unterstand die Aufsicht der Presse in den Grenzge-
bieten Russlands, damit auch in den Ostseeprovinzen, dem örtlichen Generalgouverneur.
Außerdem waren die Veröffentlichung politischer Informationen und die Behandlung poli-

240
Grundlegend dazu: Simonov, V.: K istorii vozniknovenija pervoj peatnoj periodieskoj gazety v Rige. In:
LPSR ZA V›stis (1984), Nr. 9, S. 118-130; Taube, M.: Rœgas pirmie laikraksti k˜ kultŸrv›stures avots (XVII
un XVIII gs.). In: Gr˜matas un to kr˜tuves. Rœga : Zin˜tne, 1966, S. 65-129.

283
tischer Fragen in der lettischsprachigen Presse verboten. Die Inhaltsverzeichnisse der Zei-
tungen bedurften einer Bestätigung seitens der Verwaltung. „Latviešu Avœzes“ („Lettische
Zeitung“), die erste lettische Zeitung, erschien 1822 wöchentlich in der kurländischen Stadt
Jelgava (Mitau), wurde vom deutschbaltischen Pastor Karl Friedrich Watson herausgege-
ben und da sie bis 1915 erschien, weist sie die längste Lebensdauer lettischsprachiger Peri-
odika auf. Die Auflage der belehrenden, für die Bauern standesgemäßen Zeitung stieg sich
von anfänglich 200 Exemplaren auf mehr als viertausend während des Krimkrieges (1853-
1856), als im lettischen Zeitungswesen die didaktische durch die informative Funktion
verdrängt wurde. In der livländischen Kleinstadt Limbaži (Lemsal) erschien ein Jahr später
die erste lettische Zeitung „Vidzemes Latviešu Avœzes“ („Lettische Zeitung Livlands“,
1824-1889). Erst zehn Jahre später wurde vom Pastor Hermann Treu eine lettische Zeitung
im Verwaltungszentrum Livlands Riga herausgegeben, die „Tas Latviešu  aužu Draugs“
(„Der Lettenfreund“, 1832-1846). Sie war auch die erste Zeitung, die von der russischen
Verwaltung wegen Kritik an der Russifizierung geschlossen wurde. „M˜jas Viesis“ („Der
Hausgast, 1856-1910) unter Leitung von Ansis Leit˜ns, dem ersten lettischen Chefredak-
teur in der lettischen Pressegeschichte, war eine Wochenzeitung in Riga, die die ersten
Artikel der Jungletten, der Führer der nationalen reformpolitischen Emanzipationsbewe-
gung, veröffentlichte. „M˜jas Viesis“ mit ihren vier bis fünftausend Abonnenten war auch
die erste lettische Zeitung, der von der russischen Verwaltung die Veröffentlichung politi-
scher Nachrichten erlaubt wurde. Die Abstimmung und der Austausch mittels der ersten
lettischen Zeitungen waren eine notwendige Voraussetzung für das Entstehen der nationa-
len lettischen Bewegung.
Der eigentliche lettische politische Journalismus begann außerhalb Lettlands, in
St.Petersburg, mit „P›terburgas Avœzes“ („St.Petersburger Zeitung“, 1862-1865), einer
erstmals von Letten selbst herausgegebenen, zudem politischen Wochenzeitung, wobei man
von der milderen Zensurpraxis in der Residenzstadt des Zaren profitierte. Die Herausgeber
und Redakteure waren die Jungletten Krišj˜nis Valdem˜rs (Christian Waldemar), Krišj˜nis
Barons und Juris Alun˜ns. Sie vertraten das Gemeinschaftsgefühl zunächst einer Minder-
heit lettischer akademisch Gebildeter, die sich der eigene Kulturnation, ihrer Sprache und
Traditionen versichern wollten, und das in Abgrenzung von den Deutschbalten. Daher
konnten derartige Zeitungen auch nicht in Lettland erscheinen und standen unter scharfer
Beboachtung durch einflussreiche deutschbaltische Kreise, die bis zur Schließung reichen
konnte. Und das obwohl sich die Jungletten der Unterstützung von offizieller russischer
Seite sicher waren. Als zuständiger Zensor für diese Zeitung war zunächst von den russi-
schen Behörden jedoch Krišj˜nis Valdem˜rs selbst eingesetzt worden, weil es ihm gelungen
war, engere Kontakte sogar zu Großfürst Konstantin, dem Bruder des Zaren, zu knüpfen.
Im ersten Jahr erreichte das Blatt bereits 4.200 Abonnenten. Der Tenor von „P›terburgas
Avœzes“ war grundsätzlich liberal: die allmähliche soziale Emanzipation der lettischen
Nation durch eigenes kulturelles und wirtschaftliches Engagement, insbesondere hinsicht-
lich der Bildung und des Unternehmertums, aber auch der Reformpolitik in der Agrarfrage
und in der Verwaltung. So verstanden die Jungletten die Zeitung, die sich für die nationalen
Interessen einsetzte, nicht als ein Propaganda-instrument, sondern vor allem als gesell-
schaftliches Kommunikationsmittel.
Damit konnte auch in Lettland mit dem Aufkommen der Massendruckpresse im 19.
Jahrhundert erstmals von Massenmedien gesprochen werden. Die Lektüre musste die Ori-
entierungsprobleme ausgleichen, die bei steigender Mobilität entstehen. Die Zeitungen
wurden zum Hauptmedium der Massenkommunikation. Seit den Jahren 1860er bis 1880er
Jahren war die Kultur des Zeitungslesens ein wichtiger Faktor in der gesellschaftlichen und

284
kulturellen Entwicklung Lettlands. Eine verbindende Lesetradition entstand, und die Zei-
tungen und Zeitschriften schufen für die, die Zugang zu lettischsprachigen Medien hatten
und sie verstehen konnten, eine gemeinsame ideelle Sphäre. Seit 1869 erschien in Riga,
gewissermaßen als politische Fortsetzung der „P›terburgas Avœzes“, die neue Zeitung „Bal-
tijas V›stnesis“ („Baltischer Bote“, bis 1906), herausgegeben von Bernhards Dœri¡is, seit
1880 als nationalkonservative Tageszeitung, als Gegenstück zur bürgerlichen und linksde-
mokratischen lettischen Tageszeitung „Dienas Lapa“ („Das Tageblatt“, 1886-1905), und
zur teils marxistischen „Neuen Strömung“ mit dem großen lettischen Literaten J˜nis
Pliekš˜ns als Chefredakteur. Der Leserkreis von „Baltijas V›stnesis“ wuchs zusammen mit
dem lettischen Bürgertum: 1869 hatte es 1022 Abonnenten, 1870 1400, und 1871 2.500
gegenüber 6.000 Abonnenten von „Latviešu Avœzes“ und 7.000 von „M˜jas Viesis“. Die
Gesamtzahl der Abonnenten lettischsprachiger Presse war 1878 bereits auf 28.000 ange-
stiegen. Im Jahr 1880 erreichte die Auflage von „Baltijas V›stnesis“ 2.300-2.500 Exempla-
re. Von „Latviešu Avœzes“ wurden 8.500, und von der Zeitung „Balss“ („Die Stimme“,
1878-1907) wurden 3.200 verkauft. Der Typ der politischen Tageszeitung, die dann vor
allem in Riga herausgegeben wurde, ist bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts der
verbreiteste und einflussreichste in der lettischen Presselandschaft geblieben.
Nachdem die russischen Behörden die „Neue Strömung“ 1897 zerschlagen hatten und
die Arbeiterbewegung sich zu entwickeln begann, wurden grundsätzlich keine neuen Kon-
zessionen für lettische Periodika in Lettland ausgegeben, und die sozialdemokratische,
später die älteste kommunistische Zeitung in Europa „Cœ“a“ („Der Kampf“, 1904-1991)
erschien illegal, mit Ausnahme der Zeit der Revolution von 1905, als ihre Auflage 18.000
Exemplare erreichte. Von den in Kurland, in Jelgava erscheindenden Zeitungen war das
vom späteren ersten Staatspräsidenten Lettlands J˜nis akste herausgegebene und redigierte
liberal-konservative Wochenblatt „T›vija“ („Vaterland, 1884-1914) am populärsten. Be-
deutsam waren auch die ersten lettischen Zeitschriften „Pagalms“ („Der Hof“, 1881-1882)
aus Jelgava und „Austrums“ („Der Osten“, 1885-1906), die zuerst in Moskau, dann in Jel-
gava und Riga erschien. Charakteristisch für die inhaltliche Entwicklung der lettischen
Presse ist ein von Krišj˜nis Valdem˜rs verfasster Artikel „Ein Wort über die Juden im Bal-
tikum“ in „Baltijas V›stnesis“. Er wandte sich gegen den Antisemitismus in Russland, regte
vielmehr die Zusammenarbeit zwischen lettischen und jüdischen Unternehmern an und rief
die Letten auf, von den Juden zu lernen, wie man in der Marktwirtschaft erfolgreich sein
kann und was man leisten müsse. Krišj˜nis Valdem˜rs äußerte die Überzeugung, dass für
das lettische Volk von seiten der Juden keine Gefahr drohe, und dass die Beziehungen
zwischen beiden Volksgruppen im freien Wettbewerb und auf der Grundlage einer Zusam-
menarbeit bei gegenseitiger Toleranz zum Ausgleich der verschiedenen Interessen führen
müsse. Nach seiner Vision wäre es sogar möglich, eine politische lettisch-jüdische Koaliti-
on in den Wahlen zu bilden. Mit diesem Appell begann die starke Tradition der Toleranz in
der lettischen Presse, die später vor allem die einflussreiche liberale und sozialdemokrati-
sche Presse realisierte. Andererseits entstand in den 1880er Jahren in der lettischen Presse
auch eine Haltung der Intoleranz bis hin zur offenen Feindschaft gegenüber den Juden.
In den 1990er Jahren führte man in der lettischen Presse das Honorarsystem ein. Der
Journalismus wurde zum Beruf. Zur ersten lettischen Tageszeitung wurde „Rœgas Lapa“
(„Rigaer Blatt“, 1877-1880), die auch vor der ersten estnischen Tageszeitung (1891) er-
schien. Am Ende des 19. Jahrhunderts zählte man in Livland und Kurland bereits 26 letti-
sche Zeitungen, darunter 16 Wochenzeitungen und zehn Tageszeitungen, zu denen neun
Zeitschriften kamen. 1900 gab es sieben Zeitungen und sieben Zeitschriften. Die Leserzahl
der lettischen Zeitungen stieg stetig an. Die einflussreichsten Zeitungen hatten Auflagen

285
zwischen 7.000 und 18.000 Exemplaren – schon alleine „Baltijas V›stnesis“ hatte soviele
Abonnenten. Dennoch war die erste reguläre Tageszeitung in Lettland und im gesamten
Baltikum die seit 1843 täglich erscheinende deutschsprachige „Rigasche Zeitung“ (1778-
1889). Gemessen an der Zahl der herausgegebenen Zeitungen und Zeitschriften, darunter
das regimekritische und von der russischen Verwaltung geschlossene „Provinzialblatt für
Kur-, Liv- und Estland“ (1828-1838) des Begründers des lettischen politischen Journalis-
mus, Garlieb Helwig Merkel, wurden Riga und Mitau (Jelgava) seit der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts zu den Zentren der deutschen Presse im russischen Reich, obwohl die
Auflagen relativ niedrig blieben – bei einigen hundert Exemplaren. Dass die deutschspra-
chige „Baltische Zeitung“ (1873-1877) in Riga unter der Redaktion des Letten Frœdrihs
Veinbergs erschien und zum Herausgeber und Redakteur der „Dresdner Morgenzeitung“
und „Dresdner Abendzeitung“ in der ersten Hälfte des selben Jahrhunderts ein anderer
Lette K. Kraukling (Kraukli“š) wurde, zeigt exemplarisch, wie eng damals die lettischen
Verbindungen zur deutschen Kultur waren. Zur Jahrhundertwende erschienen in Riga drei
große politische Zeitungen: die „Düna-Zeitung“ (1888-1909, seit 1908 als „Rigasche Zei-
tung“), das „Rigaer Tageblatt“ (1882-1915), die „Rigasche Rundschau“, in Libau (Liep˜ja)
die „Libausche Zeitung“, in Mitau (Jelgava) die „Mitausche Zeitung“ (1782-1810; 1832-
1919), in Windau (Ventspils) die „Windausche Zeitung“. Dazu kamen Zeitschriften wie die
populäre und einflussreiche „Baltische Monatsschrift“ (1859-1915) und andere deutsch-
sprachige Periodika. Von 1905 bis Kriegsbeginn konnte die baltische deutsche Presse sich
ausnehmend gut entwickeln. In dieser Zeit entstand der professionelle Journalismus. Die
baltische Presse näherte sich dem Niveau der westeuropäischen an. Recht spät entwickelte
sich die russische Presse in Lettland, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als der
„Rižskij vestnik“ („Rigaer Bote“, 1869-1906) 1870 zur regulären Tageszeitung wird. Eine
Ausnahme bilden im übrigen die Amtsblätter, die aber wie die „Liflandskije gubernskije
vedomosti“ („Mitteilungen des Gouvernement Livland“) auch erst seit 1830 erschienen.
Jeweils 1816 und 1859 wurden die Zeitungen „Rossijskoje ježenedel’noe izdanije v Rige“
(„Russische Wochenausgabe in Riga“) und der „Ostzejskij vestnik“ („Der Bote der Ostsee-
provinzen“) nur kurze Zeit herausgegeben, weil ein größerer Leserkreis für die russische
Presse erst Anfang der 1990er Jahre in Riga entstand. Die Zeitung „Rižskij vestnik“, die die
russische Verwaltung und Russifizierung im Baltikum trug, kam als einzige Zeitung in den
Genuß staatlicher Subventionen, obwohl es in Riga 1901 insgesamt 23 Periodika in deut-
scher, neun in lettischer und fünf in russischer Sprache gab. Gleichwohl übernahm die
liberale Zeitung „Rižskije vedomosti“ („Rigaer Nachrichten“, 1898-1907) die führende
Position auf dem russischen Pressemarkt in Riga. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg erschien
erstmals russischsprachige Presse auch in Daugavpils (Dünaburg, Dvinsk) und in Liep˜ja
(Libau).
Die Presse in lettischer Sprache war eine am weitesten entwickelten im russischen Za-
renreich. Aus verschiedenen Quellen gehr hervor, dass 1914 in Lettland 59 lettische Perio-
dika, darunter 27 politischen Charakters, und allein in Riga zehn bis elf politische Tageszei-
tungen in lettischer Sprache erschienen, in Liep˜ja (Libau) drei. Dennoch wurde das libera-
le Intelligenzblatt „Dzimtenes V›stnesis“ („Der Heimatsbote“, 1907-1917), die Fortsetzung
von „Baltijas V›stnesis“, zur größten lettischen Tageszeitung vor dem ersten Weltkrieg. In
den Jahren 1910 bis 1913 hatte diese Zeitung 40 bis 50.000 Abonnenten. Schon zwischen
1913 und 1915 war die Auflage auf 75.000 für die Sonntagsausgabe und zu Weihnachten
sogar auf 100.000 Exemplare gestiegen. Damals stellte das eine Rekordauflage in der letti-
schen Presselandschaft dar, womit man zu Recht von einer Massenpresse sprechen konnte.
Die echte Massenpresse nahm aber erst Gestalt an mit der „Jaun˜k˜s Zi“as“ („Die Neuesten

286
Nachrichten“, 1911-1940), einem typischen freiheitlich-demokratischen Generalanzeiger
nach dem Vorbild der deutschen Straßenverkaufszeitung „BZ am Mittag“, die seit 1904) in
Berlin erschien. Diese bürgerlich-liberale, gleichwohl teilweise linksgerichtete Tageszei-
tung gaben die durch ihre Tätigkeit in der lettischen und deutschbaltischen Presse bekann-
ten und erfahrenen Zeitungsleute Antons Benjami“š (Chefredakteur) und Emœlija Benja-
mi“a (Verlegerin) in Riga heraus. Ihre Zielgruppen waren Arbeiter und Kleinbürger. Die
kleine Zeitung, die zuerst mit einer Schnellpresse in der Küche gedruckt worden war, wur-
de rasch zur zweitgrößten lettischen Tageszeitung vor dem Ersten Weltkrieg. Mit einer
geschickten Marktstrategie der Verlegerfamilie Benjami“š – niedriger Preis, Anzeigen,
lokale Berichterstattung, Zeitungsromane und ähnliches – hielt die „Jaun˜k˜s Zi“as“ wäh-
rend des Weltkriegs durchgängig eine Rekordauflage, vor allem weil sie in der Frontstadt
Riga die einzige lettischsprachige Zeitung war. Die anderen Redaktionen und Druckereien
waren evakuiert worden. Die Auflage lag damals bei 97 bis 98.000 verkauften Exemplaren.
Diesen ersten Platz musste „Jaun˜k˜s Zi“as“ bis zu ihrer Auflösung nach der sowjetischen
Besatzung 1940 nicht räumen.
Die deutschbaltische Presse in Lettland traf dagegen der Ausbruch des Ersten Welt-
kriegs insgesamt hart. Nach Kriegsbeginn im August 1914 wurden alle deutschsprachigen
Publikationen verboten. Während der deutschen Besatzung durfte umgekehrt nur eine letti-
sche Zeitung in Riga, „Rœgas Latviešu Avœze“, unter deutscher Zensur erscheinen. Lettland
war zwei Jahre lang durch den Frontverlauf geteilt, und wurde zum Schlachtfeld im Krieg
zwischen Deutschland und Russland. Mehr als die Hälfte der lettischen Bevölkerung ver-
liess Kurland. Der Gefahr der Assimilierung des lettischen Volkes wirkten lettische Flücht-
lingskommitees in ganz Russland entgegen. Gleichzeitig hatte die Aufstellung lettischer
Schützenbataillone als nationalrevolutionäre Armee-verbände hohe symbolische Wirkung.
Die Zeitung „Jaun˜k˜s Zi“as“ fungierte als Kommunikator und wurde so ungemein popu-
lär, vor allen Dingen mithilfe kostenloser Anzeigen der Flüchtlinge, mit Berichten eigener
Korrespondenten von der Front und auch, erstmals in der lettischen Pressegeschichte, aus
den beiden russischen Hauptstädten. Während sich die Letten durch die Modernisierung
ihrer Identität versicherten, verschwand praktisch ein anderes, ebenso kleines Volk wie die
Letten, die Liven, die von den Letten assimiliert wurden. Die Liven lebten in Livland, dem
sie den Namen gaben, und in Kurland. Dass es soweit kam hängt direkt damit zusammen,
dass den Liven schon in Ansätzen eine Massenkommunikation in der eigenen Sprache
fehlte. Im Unterschied zum Lettischen wurde der erste, sehr fehlerhafte Text in livischer
Sprache, das Vaterunser, erst drei Jahrhunderte nach der Reformation publiziert, und dann
auch nur als Beispiel dieser Sprache. Erst 1863 erschien das erste livische Buch, das jedoch
nicht von Sprachforschern angeregt, sondern von der Bibelgesellschaft für Kirchenzwecke
verbreitet wurde. Die ersten Versuche, die livische Sprache in der Kirche zu gebrauchen,
waren ohnehin nur im selbständigen Lettland möglich. Daran zeigt sich, wie entscheidend
die moderne Kommunikation in der eigenen Sprache für die jeweilige Nationenbildung und
die Durchsetzung der Sprache gegenüber anderen ist. Die journalistischen und wirtschaftli-
chen Strukturen, die vor der Unabhängigkeit im Medienbereich Lettlands aufgebaut wur-
den, offenbarten durchaus bereits Merkmale der modernen freien Medienkommunikation.
Auch die liberale nationale Bewegung setzte sich dafür ein, dass die Presse vor allem als
Kommunikationsmittel und nicht als Propagandainstrument verstanden werden sollte.
Während des Ersten Weltkriegs und unmittelbar danach wurden die Letten dank der
Gründung eines eigenen demokratischen und unabhängigen Rechtsstaats, der Republik
Lettland, von einer Kulturnation auch zu einer politischen Nation. Eine herausragende
Rolle spielten dabei die Medien. Die frühe Unabhängigkeitszeit war die goldene Zeit der

287
publizistischen Vielfalt nicht nur im dominierenden national-lettischen, sondern durchaus
im ganzen Pressewesen Lettlands – in dieser Zeit erschienen legal und auch illegal fast
2.000 Periodika. Zweitens führte der Prozess der Differenzierung in der Presse dazu, dass
kaum eine Zielgruppe ohne eigenes Periodikum blieb. Ausserdem ist nie, weder früher
noch später, die Presse in Lettland in zehn Sprachen erschienen. Lettisch ausgenommen,
erschienen die meisten Zeitungen und Zeitschriften in Deutsch, Russisch, Jiddisch, Pol-
nisch, Litauisch und Weißrussisch. Erst mit der Unabhängigkeit wurde es möglich, ein
eigenständiges Mediensystem in Lettland aufzubauen. 1928 hatte Lettland in Europa nach
Dänemark, Norwegen und Schweden den höchsten Pro-Kopf-Anteil an Periodika.
Die Einführung der parlamentarischen Demokratie, die Bodenreform und die insgesamt
sich verändernde soziale Struktur der Bevölkerung, waren die wichtigsten gesellschaftli-
chen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Presse Lettlands,
die gewaltig an Macht und Ansehen gewann. Entscheidende rechtliche Grundlage für eine
freie Presse war die Verabschiedung des liberalen Pressegesetzes vom 1. Februar 1924, mit
dem die Pressefreiheit „im Rahmen dieses Gesetzes“ eingeführt wurde. Das Gesetz leitete
die erste kurze Periode ein, die bis zum Staatsstreich des Ministerpräsidenten K˜rlis Ulma-
nis vom 15. Mai 1934 währte, die erste Periode einer gesetzlich abgesicherten Pressefrei-
heit in der Geschichte des gesamten Landes. Der damalige Aufschwung der lettischen Pres-
selandschaft ist ohne Zweifel eine direkte Folge dieses Gesetzes. Es sah nur ganz wenige
Beschränkungen der Pressefreiheit vor. Es war leidiglich verboten, ohne Genehmigung des
Vorsitzenden der Saeima, des lettischen Parlaments, bzw. des Gerichts über die geschlosse-
nen Sitzungen der Saeima und der Gerichte zu berichten. Ausserdem durfte die Presse vor
der jeweiligen Gerichtssitzung oder vor dem Ende des Gerichtsverfahrens weder Informati-
onen veröffentlichen, die aus den Ermittlungs- und Untersuchungsdokumenten stammten,
noch über den Inhalt der Anklage berichten. Drittens hatte der Innenminister während des
Krieges oder bei drohender Kriegsgefahr das Recht, in Abstimmung mit dem Kriegsminis-
ter Presseberichterstattung über Verteidigungsfragen, über die lettischen Streitkräfte, all-
gemein über die äußere Verteidigung des Landes auf unbestimmte Zeit zu verbieten. Verle-
ger oder Chefredakteur konnte jeder lettische Staatsbürger werden, der nicht dem Kabinett
angehörte – seit seit der Gesetzesänderung vom 17. Mai 1929 auch kein Abgeordneter der
Saeima –, der mindestens 25 Jahre alt war und dessen Rechte nicht durch ein Gerichtsurteil
eingeschränkt waren. Mit Genehmigung des Innenministers konnte das auch ein Ausländer
werden. Für die Herausgabe eines Periodikums genügte ein Antrag seitens des Verlegers.
Im lettischen Pressegesetz wurde damals auch ein Recht auf Gegendarstellung eingeräumt.
Die Zeitungen wurden verpflichtet, die Gegendarstellung einer Persönlichkeit oder einer
Einrichtung unverändert innerhalb drei Tagen zu veröffentlichen, die Zeitschriften und
andere Periodika in der nächsten noch unveröffentlichten Nummer. Übrigens regelte das
Bürgerliche Gesetzbuch die Bestrafung für die Veröffentlichung unwahrer Informationen
zur Person und für die Verletzung der Würde der Person in der Presse.
Die Zensur wurde in diesem Pressegesetz zwar nicht ausdrücklich verboten und die
Rechte und Pflichten der Journalisten blieben ungeregelt, dennoch gab es in der Praxis
keine Vorzensur. Die Beamten des Innenministeriums lasen die Periodika nur nach ihrem
Erscheinen. Das Departament für Presse und Verbände im Innenministerium war dafür im
speziellen zuständig. Im Falle eines vermuteten Verstoßes gegen das Gesetz oder gegen die
vom Innenminister nach Maßgabe des Gesetzes erlassenen Verordnungen wurde das jewei-
lige Periodikum beschlagnahmt, konfisziert oder unterbunden und gegen die Verantwortli-
chen ein Verfahren nach dem Strafgesetzbuch eingeleitet. Lediglich die verfassungsfeindli-
che sowohl links- als auch rechtsradikale Presse war grundsätzlich verboten. Die Presse der

288
übrigens recht kleinen lettischen Kommunistischen Partei konnte deshalb in Lettland nur
illegal bzw. halblegal erscheinen. Zur führenden Zeitung in Lettland und zur größten in
allen baltischen Staaten wurde „Jaun˜k˜s Zi“as“ („Die Neuesten Nachrichten“), auch dank
der größten und modernsten Zeitungsdruckerei im Baltikum, in der 75.000 Zeitungsexemp-
lare pro Stunde gedruckt werden konnten. Übrigens war „Jaun˜k˜s Zi“as“ die einzige let-
tischsprachige Zeitung der Vorkriegszeit, die auch in der Nachkriegszeit Erfolg hatte. Auf-
grund des erreichten wirtschaftlichen Vorsprungs gegenüber der neuen Konkurrenz – es
wurde zum Beispiel bereits 1917 ein Redaktionshaus, 1928 ein Schloß in Riga gekauft –
sowie der nicht einzuholenden Position des Erstanbieters auf dem umstrukturierten Presse-
markt und nicht zuletzt wegen der stark veränderten sozialen Struktur der Leserschaft –
weniger Arbeiter, stärkere Mittelschicht – und der grundlegend veränderten politischen
Lage orientierten sich die Herausgeber der Zeitung stärker zur Qualitätspresse hin, zur
Zeitung mit hohem analytischen und informativen Niveau, und damit vor allem zur Elite
der Gesellschaft hin.
Besonders die Zahl der eigenen Korrespondenten im Ausland – diese Institution war
damals überhaupt ein Novum in der lettischen Presse – und eigene vollwertige Auslandsbe-
richterstattung sind ein Beleg dafür. Gleichzeitig verlor die Redaktion des „Jaun˜k˜s Zi“as“
auch den starken Boulevardteil mit lokaler Berichterstattung nicht aus den Augen. Damit
wollte man dem lokalen Interesse der Leser entgegenkommen, mit einem Bildteil mit vie-
len Abbildungen und Photos, einem breiten Literaturteil und regelmäßigen thematischen
Sonderseiten. Auch entwickelte man für „Jaun˜k˜s Zi“as“ eine spezielle Reiseberichterstat-
tung und Leseraktionen, zum Beispiel eine Spendensammlung für arme Kinder vor Weih-
nachten. So gelang es der Zeitung, eine moderne Synthese von Charakteristika der Quali-
tätspresse und der Massenpresse zu schaffen, womit man sonst grundverschiedene Leser-
kreise erreichte. Das Erfolgsrezept waren inhaltliche Qualität und auch technischer Vor-
sprung, was für die übrige Konkurrenz schwer oder nicht erreichbar war. So erschien
„Jaun˜k˜s Zi“as“ zum Beispiel zwar nicht mehr im Tabloid-Format, das etwa Format A3
entspricht, wie vor dem Krieg. Man wählte für die Zukunft nicht das Großformat, sondern
das sogenannte mitteleuropäische oder Berliner Format, das heute noch die „Neue Zürcher
Zeitung“ und die „Berliner Zeitung“ aufweist. Es lassen sich Berliner Einflüsse feststellen,
nicht nur auf das Format, sondern auch auf die publizistische Tätigkeit vom Redakteur und
Philosoph P›teris Z˜lœte und den Wirtschaftsprofessor K˜rlis Balodis, die in Berlin studiert
bzw. gelehrt hatten. Mit einem Umfang von 16 bis 24 Seiten werktags und 40 bis 50 Seiten
samstags war „Jaun˜k˜s Zi“as“ die billigste Zeitung. Sie kostete weniger als eine Fahrkarte
in der Rigaer Straßenbahn. Vor dem Weltkrieg etablierte sich „Jaun˜k˜s Zi“as“ vor allem
als Rigaer Blatt.
Ganz gewiß war dieser Erfolg eine direkte Folge des Konkurrenzkampfs, insbesondere
mit einer anderen unabhängigen Tageszeitung, der „P›d›j˜ Brœdœ“ („Im letzten Augen-
blick“, 1927-1936) mit ihren 72.000 Explaren der verkauften Auflage, und später, während
der autoritären Herrschaft in Lettland, auch mit „Brœv˜ Zeme“ („Freies Land“, 1919-1940)
und „Rœts“ („Der Morgen“, 1934-1940) mit einer jeweiligen Auflage von bis zu 110.000
Exemplaren. Beide Zeitungen erschienen in dem dem Diktator K˜rlis Ulmanis nahensten-
den Verlag „Zeme“. Diese und andere überregionale Tageszeitungen hatten ihren Schwer-
punkt jeweils in den Städten oder auf dem Lande. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre
wurde „Jaun˜k˜s Zi“as“ tatsächlich von jedem zweiten Erwachsenen in Lettland gelesen.
Die verkaufte Auflage, die sich auf mehr als 200.000 Exemplare belief, war größer als die
Auflage aller anderen lettischen Zeitungen zusammengenommen und größer als zehn Pro-
zent aller Einwohner des Landes, was damals einen Weltrekord darstellte. „Jaun˜k˜s Zi“as“

289
übte einen enormen Einfluss auf die Nation aus. In den Jahren des Parlamentarismus und
des parallel sich entwickelnden Parteijournalismus, als jede größere Partei ihr eigenes Or-
gan hielt und die meisten Zeitungen eine bestimmte politische Richtung vertraten, wurde
„Jaun˜k˜s Zi“as“ ihres Erfolges wegen, durch ihre liberaldemokratische, gleichwohl regie-
rungs- und parteiunabhängige Haltung und durch ihren investigativen Journalismus für die
Öffentlichkeit zum Symbol der freien Presse241. Zudem ist ihre Auflage die höchste in der
lettischen Pressegeschichte überhaupt. Auch im Redaktionsalltag von „Jaun˜k˜s Zi“as“
herrschte ein demokratischer Stil: alle wichtigsten Entscheidungen wurden kollegial getrof-
fen, mit einfacher Stimmenmehrheit im Redaktionskollegium, obwohl sich die Zeitung im
Alleinbesitz der Familie Benjami“š befand. Ausserdem war der sogenannte „Pressekönig
Lettlands“ Antons Benjami“š der Chefredakteur, seine Ehefrau, Emœlija Benjami“a, die
Verlegerin.

6.2 Das Mediensystem Lettlands heute – Radio und Fernsehen

Seit dem ersten Jahr der wiedererlangten Unabhängigkeit, bilden die Grundlagen für die
Arbeit der Medien die neue Verfassung und das Pressegesetz. Aber auch andere Gesetze,
die zum Beispiel die Tätigkeit von Rundfunk und Fernsehens regeln und Gesetze, die die
Ordnung während der politischen Wahlperiode sichern, setzten hier ein. 1998 wurde im
Rundfunk- und Fernsehgesetz festgelegt, dass nicht mehr als 51 Prozent aller Programme
europäischer Herkunft sein dürften. Außerdem verbietet das Pressegesetz Zensur, Einmi-
schung in die Arbeit der Medien und auch die Monopolstellung einzelner Medien. Im Jahre
2002 wurden die Rechte der Kinder betont, um sie vor Missbrauch durch die Medien zu
schützen. Im medienrechtlichen Bereich spielten zwei Gesetzesänderungen eine wichtige
Rolle. Im Juni 2003 erklärte das Verfassungsgericht eine Einschränkung im Mediengesetz
für verfassungswidrig, die vorschrieb, dass die Sendezeit in Fremdsprachen nicht mehr als
25 Prozent betragen dürfe. Die Klage reichte die linke Oppositionspartei ein, die das als
Verstoß gegen die Menschenrechte ansah. Die Einschränkung war 1995 eingeführt worden
und hatte vor allem historische Gründe. Lettland war während der Okkupation stark russifi-
ziert worden und hatte sich deshalb nach der Erlangung der Unabhängigkeit entschlossen,
damit Lettisch als Staatssprache zu festigen. Zugleich sollten die russischsprachigen Ein-
wohner dadurch zum Erlernen der Staatssprache angehalten werden. Zudem hatten etliche
Sender anfangs durchweg auf Russisch gesendet, weil sie damit automatisch ein größeres
Publikum hatten. Man konnte Programme aus Russland einkaufen, was günstiger war als
Originalprogramme auf Lettisch zu erstellen. Das Verfassungsgericht stellte sich auf den
Standpunkt, Spracheinschränkungen seien in einer demokratischen Gesellschaft nicht not-
wendig. In Lettland könne jedermann private kommerzielle Sender gründen, und deren
wichtigste Einnahmequelle seien Werbe-einnahmen, die aber von der Spracheinschränkung

241
Man kann drei Ebenen der damaligen Verbindungen zwischen den Zeitungen und politischen Parteien des
Landes feststellen: erstens, offizielle Parteiorgane (wie „Brœv˜ Zeme“ [„Freies Land“, 1919-1940] der Letti-
schen Bauernunion, „Soci˜ldemokr˜ts“ [„Der Sozialdemokrat“, 1919-1940] der LSDSP); zweitens faktische
Parteiorgane wie „Latvis“ [„Der Lette“, 1921-1934] der Nationalen Vereinigung; drittens unabhängige Zeitun-
gen, deren Positionen den bestimmten Parteien, die sie unterstützten, entsprachen. Die Zentrumsparteien wur-
den vor den Wahlen gewöhnlich von den unabhängigen Zeitungen wie „Jaun˜k˜s Zi“as“, „Latvijas V›stnesis“
[„Der Bote Lettlands“, 1920-1925] unterstützt.

290
beeinträchtigt würden. Im Sommer 2004 wurden auf Druck der Presse außerdem Gesetzes-
änderungen im Strafrecht vorgenommen. Der Tatbestand wurde abgewiesen, dass die Re-
cherche und Veröffent-lichung von Fakten über einen Kandidaten für das Amt eines Abge-
ordneten eine Beeinträchtigung seines guten Rufes darstellten. Experten meinten, dass
derjenige, der für ein öffentliches Mandat kandidiere, mit mehr Kritik und Recherche zu
leben habe als eine Privatperson. Erst nach längerer Beratung wurde die Änderung im
Strafrecht angenommen. Für die Journalisten gibt es nur bei ethischen Fragen, moralischen
Problemen und der Wahrung von Staatsgeheimnissen Tabus. Der Journalist muss seine
Informationsquelle nicht offenlegen, es sei denn er steht vor Gericht.
Den meisten Einfluss hatten die elektronischen Medien wahrscheinlich zwischen 1989
und 1991, als es um die Unabhängigkeit Lettlands ging und 1991 die Volksfront in Riga
ausgerufen wurde. Damals wurde das Hörfunkhaus auf dem Dornplatz gestürmt, eine der
Aktionen, die den Begriff „Volksradio“ prägten. Zudem waren Radio und Fernsehen in
dieser Zeit die einzigen Informationsquellen. Das Pressehaus wurde von der russischen
Sondereinheit „Omon“ besetzt, die im Namen Moskaus gegen ein unabhängiges Lettland
auftreten sollte. Vom 19. Bis zum 21. August 1991, den Tagen des fehlgeschlagenen Put-
sches in Moskau, waren Radio- und Fernsehstationen in Riga von sowjetischen Streitkräf-
ten besetzt. Mitarbeiter von „Radio Lettland“ („Latvijas Radio“) riefen in dieser Zeit in
einem Vorort von Riga einen Radio-Notsender ins Leben, um die Bevölkerung der russi-
schen Aggression zum Trotz zu informieren. Der Notsender war damals die einzige freie
lettische Stimme für ganz Lettland. Der Vertrieb der Printmedien war lahm gelegt. Generell
waren Hörfunk und Fernsehen die wichtigsten Mittel der Volksfront im Kampf um die
Unabhängigkeit der Republik Lettland. Sie mobilisierten das Volk für politische Aktionen,
zum Beispiel die Unterschriftensammlung gegen einen neuen Unionsvertrag der UdSSR.
Eine Million Unterschriften wurden bis zum 17. Dezember 1990 gesammelt. Medien und
Politik sind zwei Stränge, die in Lettland nicht getrennt voneinander betrachtet werden
können. Einerseits haben die lettischen Medien es geschafft, die Politik zu beeinflussen.
Kritiker meinen, es hätte eine Gewichtsverlagerung der demokratischen Regierungsweise
von einem ‚parlamentarisch-repräsentativen‘ zu einem ‚medial-präsentativen‘ System statt-
gefunden. Politiker orientieren sich zunehmend an Kommunikatoren, Publikum und Inhal-
ten der Medien und sehen Medienpräsenz als wichtige Herrschaftsgrundlage an. Insbeson-
dere die Medienkonzerne würden die Bedingungen mitbestimmen, nach denen die Politik
zu funktionieren hat.
Auf der anderen Seite sind die Medien von der Politik abhängig. Die Umwandlung des
Staatsrundfunks in ein öffentlich-rechtliches System, also die Entlassung aus der Regie-
rungs- und Staatsgewalt, war in Lettland lange nicht vollzogen. Von direkter Zensur kann
man nicht sprechen, aber von staatlicher Einmischung, Selbstzensur, einseitiger und selek-
tiver Berichterstattung. Das bestätigt auch die Bildung des Aufsichtsgremiums „Nacion˜l˜
Radio un televœzijas padome“ („Nationaler Rundfunk- und Fernsehrat“, „NRTVP“), das
weder von fachlichen Vereinigungen ernannt wird, noch eine Repräsentation gesellschaft-
lich relevanter Gruppen darstellt. Die neun Mitglieder des Rates werden vom Parlament
ernannt, können damit durchaus auch Vertreter der im Parlament vertretenen Parteien sein
und somit die politischen Mehrheitsverhältnisse wiederspiegeln. Doch die Hälfte der Rats-
mitglieder wird entgegen dem Wahlzyklus, alle zwei Jahren neugewählt. „NRTVP“ erar-
beitet die nationale Entwicklungskonzeption für elektronische Medien, schlägt der Regie-
rung den Haushaltsentwurf zur Erfüllung des nationalen Informationsauftrags vor, verwal-
tet das Staatsbudget für Fernsehen und Radio Lettlands, bestätigt die Satzungen und Vor-
stände der beiden Anstalten und setzt die Generaldirektoren sowie deren Revisionskomitees

291
ein. Der Rat vergibt außerdem die Lizenzen für Sendetätigkeiten und die Übertragung so-
wie Registrierungsausweise für Kabelrundfunk242. In der Praxis hat sich jedoch der Rat
nicht unbedingt bewährt, als es um die Verteidigung der Grundsätze aus Presserecht und
Verfassung, und der Medien gegen politischen Druck ging. Ein Beispiel ist der Konflikt
zwischen dem Lettischen Rundfunk und der Regierung im Jahr 2003, als, so der Radiojour-
nalist J˜nis Kr›vics, Premierminister Ein˜rs Repše reguläre Interviews mit ihm absagte,
nachdem der Lettische Rundfunk sich geweigert hatte, der Autorisierung von Interviews
durch Pressebeamte zuzustimmen und der Forderung zu entsprechen, Kr›vics möge „seinen
Stil“ ändern. Der Rat veröffentlichte keine Meinung, geschweige denn eine Analyse des
Vorfalls. Wenn es auch keinen ähnlichen Fall für das Fernsehen gibt, erhellt das Beispiel
doch die Situation des Rates, dessen Passivität Journalisten veranlaßt, Konflikten mit Me-
dienbesitzern aus dem Weg zu gehen, sich gegenüber Politikern in Zurückhaltung zu üben,
besonders wenn es um heiße Eisen geht, im Grunde Selbstzensur zu praktizieren. Dieses
Verhalten würde, so Kritiker, einer weit verbreiteten Erwartung der politischen Elite ent-
sprechen, dass die Medien weniger Analyseinstrument als Kommunikationsmittel von oben
nach unten seien, und das vor allem auf Initiative der Regierenden. Die lettische Regierung
forderte tatsächlich, die öffentlich-rechtlichen Medien sollten spezielle von den Ministerien
finanzierte Sendungen bringen, um ausgewählte Informationen zu vermitteln. So bat der
stellvertretende Premierminister darum, man möge in den „LTV“-Nachrichten über die
öffentlichen Aktivitäten von Regierungsministern berichten, was aber „LTV“ ablehnte. Die
Medien werden nicht als Ort öffentlicher Debatten, sondern als Mittel wahrgenommen, um

242
Vergleicht man das deutsche mit dem lettischen Mediensystem ergibt sich Folgendes: In Deutschland ist die
Zuständigkeit der elektronischen Medien Ländersache. Es werden Zulassungen und Lizenzen benötigt, um ei-
nen Sender zu betreiben. Diese werden in öffentlich-rechtlicher und privater Trägerschaft verbreitet. Grundla-
ge bilden bei den öffentlich-rechtlichen Sendern die Landesrundfunkgesetze (LRG) und bei den privaten die
Landesmediengesetze (LMG). Es herrscht ein Nebeneinander der öffentlich-rechtlichen Sender und der priva-
ten Sender (duales System). Zunehmend gibt es europäische Richtlinien, die bestimmte Mindeststandards vor-
geben, zum Beispiel die Bestimmung der freien Fernsehtätigkeit in Europa. Das heißt, wenn man eine Lizenz
für ein bestimmtes EU-Land hat, darf man auch europaweit senden. Problematisch wird dies nur, wenn man
eine Fernsehlizenz mit beispielsweise skandinavischer Lizenz hat, denn dann gibt es zum Beispiel geringere
Anforderungen an den Jugendschutz. Auch die Zuständigkeiten für die Printmedien sind Ländersache. Aller-
dings braucht man hierbei keine Zulassung. Grundlage sind die Landespressegesetze (LPG). Bei den Online-
medien gibt es eine Splittung zwischen Bund und Ländern. In einem langen Prozess sind die Meinungs-, In-
formations- und Pressefreiheit im ausgehenden 18. Jahrhundert erkämpft, im Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhun-
derts zeitweilig geduldet, im autoritären und totalitären Staat des 20. Jahrhunderts beseitigt und in den demo-
kratisch regierten Staaten der Gegenwart verfassungsrechtlich gesichert worden. Von Demokratie kann nur
dort und dann die Rede sein, wenn Meinungs- und Kommunikationsfreiheit herrscht. Durch die Zensurfreiheit
wird jede Vorzensur verboten. Keine Meinungsäußerung, Publikation oder sonstige Art der Meinungs-
verbreitung darf von einer staatlichen Genehmigung abhängig gemacht werden. Der letzte Satz von Artikel 5
Absatz 1 stellt eine absolute Eingriffsschranke dar, die keine Ausnahme zulässt. Das Ausmaß an Medienfrei-
heit zeigt, welchen Entwicklungsstand eine demokratische Gesellschaft erreicht hat. Zugleich wird damit die
Bedeutung der Massenmedien für die Demokratie unterstrichen. Über Artikel 5 des Grundgesetzes hinaus re-
geln Landespresse-, Rundfunk- und Landesmediengesetze sowie Rundfunkstaatsverträge die rechtliche Stel-
lung der Medien im Einzelnen. Die Presse und die anderen Massenmedien sind auf Informationen angewiesen,
um die ihnen in der Demokratie zugewiesenen Funktionen erfüllen zu können. Die Pressegesetze der Bundes-
länder verpflichten deshalb die Behörden zu Auskünften an die Journalisten. Im Unterschied zum lettischen
Mediensystem werden die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland nicht aus einem gemeinsamen Topf
des Staatsbudgets finanziert, sondern durch eine Rundfunkgebühr. Seit dem 1. Januar 1976 zieht die GEZ die
Rundfunkgebühren nach dem Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag (auf Basis des Rundfunkgebühren-
staatsvertrags) ein, zuvor war für diese Aufgaben die Deutsche Bundespost zuständig. Die privaten Sender fi-
nanzieren sich durch Werbung.

292
sich der Unterstützung der Bürger für deren Repräsentanten in Parlament und Regierung zu
versichern.
Lettland war von den baltischen Staaten das erste Land, das Fernsehen ausstrahlte. Mit
der Aufnahme des Sendebetriebes im November 1954 stand Lettland den globalen Ent-
wicklungsprozessen im Bereich des Fernsehens kaum nach. Zwar wurde die erste Sendung
nur von zwanzig Fernsehapparaten von den Eigentümern selbst verfolgt, aber im April
1955 folgten der Aufbau des ersten Fernsehturms sowie die Eröffnung des ersten Fernseh-
studios in Riga. 1968 wurde das Farbfernsehen eingeführt, jedoch zuerst nur im Rahmen
des Hauptfernsehprogramms aus Moskau. 1974 begann die gesamtheitliche farbige Aus-
strahlung in Secam und ab 1998 dann in Pal. Mit dem Bau eines neuen Fernsehgebäudes
mit einem 368 Meter hohen Sendeturm konnten ab 1986 Radio- und Fernsehsignale in 96
Prozent des lettischen Territoriums empfangen werden. 1993 trat „LTV“ der Europäischen
Rundfunkunion bei. Heute ist die Fernsehlandschaft Lettlands wie in Deutschland in priva-
tes und öffentlich-rechtliches Fernsehen unterteilt.
Es exisitieren zwei staatliche Fernsehsender: „Latvijas televizija 1“ (LTV 1) und „Latvi-
jas televizija 7“ (LTV 7). Sie gehören beide zur öffentlichen Fernsehanstalt und befinden
sich im Besitz des Staates. „Latvijas televizija“ wird vom Nationalen Radio- und Fernsehrat
beaufsichtigt und muss sich außerdem an verschiedene Gesetze und Regelungen halten:
Das Gesetz über Hörfunk und Fernsehen, das Gesetz über Archive, das nationale Konzept
für die Entwicklung von elektronischen öffentlichen Kommunikationsmitteln in Lettland,
das nationale Radio- und Fernsehratskonzept für die Einführung von terrestrischem digita-
len Fernsehen in Lettland. „LTV 1“ sendet täglich 17 Stunden mit den Hauptthemen Kul-
tur, Nachrichten und Unterhaltung. „LTV 7“ sendet je neun Stunden pro Tag und richtet
sich mit den Themen Sport, Unterhaltung oder Ausbildung eher an ein jüngeres Publikum.
Es gibt rund 50 private Sender, wobei die wichtigsten „Latvijas Neatkariga televizija“
(LNT) und „TV 3“, und im regionalen Bereich „TV Riga“ (TV 5) sind. „LNT“ wird von
holländischen Investoren gestützt und sendet täglich 19 Stunden Nachrichten, Filme, Un-
terhaltung, Comedyshows auf Lettisch und auch Filme auf Russisch. Auf dem Programm
des von schwedischen Investoren unterstützten Senders „TV 3“ stehen täglich 19 Stunden
Entertainment, Live-Shows und Filme, auch hier neben Lettisch auch auf Russisch. Der
Regionalsender „TV Riga“ kann mit seinen zahlreichen Live-Shows auftrumpfen und das
Publikum begeistern. Seitdem „LNT“ 1996 auf dem lettischen Markt auftauchte hat das
öffentlich-rechtliche „LTV“ fortgesetzt an Marktanteilen verloren. Die beiden kommerziel-
len Anbieter sind dem öffentlich-rechtlichen Konkurrenten meilenweit voraus, was ihre
Anteile am Publikum und auch was ihren Anteil am Werbekuchen betrifft. Das hängt teils
damit zusammen, dass sowohl „LNT“ als auch „TV 3“ in Riga bestens eingeführt sind, was
sich wiederum für die Werbetreibenden auszahlt. Der Nachrichtensender „TV 24“ sendet
rund um die Uhr. Mit den Sendern „Latvijas Muzikas Kanals“ (LMK), der nur in Lettland
produzierte Videoclips zeigt, und „MTV Latvija“ als Filiale des internationalen Musikfern-
sehkanals „MTV“ wird auch ein musikalisches Programm geboten. Es gibt in Lettland 7
regionale und 17 lokale Fernsehkanäle – zum Beispiel „Zemgales novada televœzija“,
„Kr˜slavas TV“ oder „Ventspils TV“ –, die entweder eine größere Stadt oder einen Verwal-
tungsbezirk abdecken.
Kabelfernsehen ist in Lettland besonders stark vertreten, mit mehr als 30 Anbietern, die
seit 1996 auf dem Markt sind. Einer der wesentlichen Gründe für diese hohe Zahl war der
Nachfrageschub nach russischsprachigen Programmen unter der russischen Bevölkerung in
Lettland, nachdem die landesweite Ausstrahlung des russischen Senders „ORT“ 1996 ein-
gestellt worden war. Die Zahl der an das Kabelnetz angeschlossenen Haushalte stieg von 28

293
Prozent im jahr 1998 auf 49 Prozent im Jahr 2003. Was die lettische Fernsehlandschaft bis
heute prägt ist ein wesentlicher Unterschied im Fernsehverhalten zwischen der lettischen
Mehrheitsbevölkerung und der russischsprachigen Minderheit. Letztere bevorzugt den
Kabel-TV-Kanal „Pervyj Baltiiskij Kanal“ („Erster Baltischer Kanal, PBK), der hauptsäch-
lich Sendungen des russischen Ersten Staatskanals ausstrahlt, aber auch lokale Abendnach-
richten in russischer Sprache sendet. Nur zwei Prozent der ethnischen Letten sieht diesen
Kanal, während ihr Zuschaueranteil unter der russischsprachigen Bevölkerung gut 20 Pro-
zent beträgt. Seltsamerweise wird der öffentlich-rechtliche lettische Fernsehkanal „LTV7“,
der auch russische Sendungen bringt, von weniger russisch-sprachigen Zuschauern gesehen
als der rein lettischsprachige „LTV1“.
Lettland wäre fast ein Vorreiter in der Digitalisierung des Fernsehens geworden. Um
digitales Fernsehen einzuführen, wurde als Tochtergesellschaft des staatlichen Radio- und
Fernsehzentrums Lettlands ein digitales Radio- und Fernsehzentrum (DRFZ) gegründet.
2002 schloß man mit der britischen off-shore Firma „Kempmayer Media Limited“ einen
Vertrag ab, der vorsah, dass 2003 Technik im Wert von etwa 55 Millionen US-Dollar nach
Lettland geliefert werden sollte. Aber es wurde nichts geliefert. Die Regierung betrachtete
den Vertrag als nichtig, als skandalöse Affäre, weil er heimlich von einzelnen Regierungs-
mitgliedern abgeschlossen worden war. Später meldeten sich zwei heimische Investoren,
um das Projekt der Digitalisierung zu finanzieren. Hauptinteressent war der Mobilfunk-
betreiber „Latvijas Mobilias Telefons“. Zugleich wurde leidenschaftlich diskutiert, ob digi-
tales Fernsehen in Lettland überhaupt nötig ist bzw. ob es sich rentieren würde. Lettland
besitzt wie Deutschland ein duales Fernsehsystem. Während in Deutschland die Einnahmen
des öffentlich-rechtlichen Fernsehens durch eine Rundfunkgebühr gesichert werden, finan-
ziert sich das öffentlich-rechtliche lettische Fernsehen über den Staat sowie durch Werbe-
einnahmen. Dadurch entsteht eine gewisse Abhängigkeit von der Regierung, die selektive
Berichterstattung und Einmischung des Staates mit sich ziehen. In beiden Staaten soll das
öffentlich-rechtliche Fernsehen einen „nationalen Auftrag“ erfüllen. Auch die Radiosender
in Lettland gliedern sich in öffentlich-rechtliche und private Sender. Finanziert wird deren
Programm aus der Staatskasse243. „Latvijas Radio“ („Lettisches Radio“) ist die öffentlich-
rechtliche Rundfunkgesellschaft. Der größte Radioprogramm-Produzent Lettlands schätzt
sich selbst als sehr kulturorientiert ein und unterstützt unter anderem das Radio-Theater und
den Radio-Chor. Seit dem ersten Januar 1993 ist die Gesellschaft aktives Mitglied der „Eu-
ropean Broadcasting Union“ (EBU), einem Zusammenschluss der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten Europas und assoziierter Länder zum internationalen Programmaus-
tausch. „Latvijas Radio“ sendet vier Programme: das lettisch-sprachgie „Latvijas Radio 1“,
das mit dem Slogan „A Leader in Information” wirbt – „Anführer in Sachen Information“.

243
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Lettland ist anders als in Deutschland gebührenfrei. Finanziert wird er
zu 60 Prozent durch den Staat und zu 40 Prozent aus Werbeeinnahmen. Die Unterstützung durch den Staat darf
dabei nicht geringer ausfallen als im Vorjahr. Jedoch ist das Staatsbudget begrenzt und man diskutiert schon
seit einiger Zeit über die Einführung von Abonnementgebühren. Da das aber in den Entscheidungsbereich der
Politik fällt, die Angst vor unpopulären Entscheidungen hat, wurde diesbezüglich noch nichts unternommen
und ist auch in naher Zukunft nicht damit zu rechnen. Weiterhin gibt es keinerlei Anhaltspunkte, an denen die
Höhe einer solchen Gebühr festgemacht werden könnte. Sie darf nicht zu hoch sein und ist sie zu niedrig, lohnt
wiederum der Verwaltungsaufwand nicht. Von Seiten der Bürger ist zu hören, dass vor allem die Qualität der
Fernsehsendungen nicht so gut sei, dass man dafür bezahlen würde. Außerdem befürchten sie die Qualität
könne noch mehr sinken, wenn sich die Sender nicht mehr um ihre Einnahmen kümmern müßten. Es existiert
also ein Teufelskreis: es ist kein Geld vorhanden, um gute Sendungen zu produzieren; die Bevölkerung bezahlt
nicht, weil die Qualität nicht gut ist.

294
Seine Hauptthemen sind Information (nationale und internationale Politik, Wirtschaft und
Kultur), Kindersendungen, religiöses Programm; „Latvijas Radio 2“ (ebenfalls lettisch-
sprachig) – Slogan: „Songs in the native tongue” („Musik in Landessprache“), mit dem
Hauptschwerpunkt Unterhaltung, vor allem lettische Popmusik, auf die Jugend ausgerich-
tet. Der Sender sieht es als seine Aufgabe, die beste Musik aus Lettland zu spielen. „Latvi-
jas Radio 3 – Klasika“ mit dem Slogan: „Fashions may change but classics remain” („Mo-
den können sich ändern, aber Klassik bleibt“), in lettischer Sprache, Schwerpunkt klassi-
sche Musik und Kultur, das heißt vor allem lettische Musik, Förderung von Musikern, die
der Sender selbst in eigenen Studios produziert). „Latvijas Radio 4 – Doma Laukums“
(„¢ ^ } ! £ {“) – Slogan: „Your Space and Your Time“ („Dein Platz und deine
Zeit“), in russischer Sprache, wobei der Schwerpunkt auf Information und Unterhaltung
liegt und das Zielpublikum junge Menschen sind, vor allem aus der russischsprachigen und
aus anderen Minderheiten.
Die reinen kommerziellen Radiosender finanzieren sich ähnlich wie die deutschen Pri-
vatsender durch Werbung. Hier eine Auswahl der wichtigsten: 1993 wurde die Aktienge-
sellschaft „Radio SWH“ ins Leben gerufen, zunächst nur mit dem Sendebereich im Raum
Riga, wo ein Drittel der Letten lebt. Seit 1996 wurden die „SWH“-Programme zu National-
programmen aufgebaut. „Radio SWH“ ist das größte Privatradio Lettlands. 24 Stunden
täglich werden Morgenprogramm, Nachrichten, Musik, Interviews, Auto, Sport, und ande-
res gesendet. „Radio SWH“ besitzt ein regionales Netz im ganzen Land. Drei einzelne
Sender werden ausgestrahlt: „SWH“, „SWHplus“ und „SWHrock“. „SWH plus“ sendet in
russischer Sprache, die anderen beiden auf lettisch, die Zielgruppe ist eher jugendliches
Publikum. Wie auch „Radio SWH“ ist „Radio Skonto“ im Jahre 1993 entstanden und war
vorerst im Raum Riga verbreitet. Mittlerweile erreicht er über 200.000 Zuhörer im Sende-
gebiet. 1996 wurde der Sender aufgekauft, vom britischen „Radio Development Internatio-
nal“ und der US-amerikanischen „Metromedia International Group“ und ist seitdem eine
Aktiengesellschaft. „Radio Skonto“ sendet täglich 24 Stunden lang, gesendet wird in letti-
scher Sprache. Gespielt wird Musik der 1980er und 90er. Der Sendeplan beinhaltet mindes-
tens einen lettischen Song pro Stunde. „Radio Star FM“ wird in lettischer Sprache mode-
riert und spielt aktuelle Popmusik. Es gibt noch eine Vielzahl weiterer privater Radiostatio-
nen, die national senden, z.B.: „Radio PIK“ (auf russisch), „Capital FM“, „Radio Mix FM“,
„European Hit Radio“, das Studentenradio „Radio NABA“, das christliche „Latvijas Kristi-
gais radio“. Ebenso gibt es noch eine große Menge an Regionalsendern, zum Beispiel:
„Radio Maximum“ in Daugavpils, „Radio Latgalei“ in Rezekne, „Radio Zemgale“ in Zem-
gale, „Radio Tris“ in Cesis, „Kurzemes Radio“ in Kuldiga, „Radio 1“ in Jekabpils, „Radio
Imanta“ in Valmiera, „Rietumu Radio“ in Liepaja, „Radio Alise Plus“ in Daugavpils.
Das in Lettland populärste neue Medium ist das Internetportal „www.draugiem.lv“, das
im Frühjahr 2004 gegründet wurde. Das Portal verdient sein Geld mit SMS, elektronischen
Geschenken und Gebühren für Bildergalerien. Mittlerweile hat das Portal Versionen in fast
jeder europäischen Sprache. Seit mehreren Jahren entwickeln sich auch die Online-
Nachrichtenmedien in Lettland. Die drei größten Online-Nachrichtenmedien sind
„www.apollo.lv“, „www.delfi.lv“ und „www.tvnet.lv“. Hier kann man Nachrichten lesen
und es gibt Unterhaltungsbereiche. Die meisten Nachrichtenportale beziehen ihre Nachrich-
ten aus Pressemitteilungen oder aus Nachrichtenagenturen. In einigen Portalen schreiben
die Mitarbeiter auch selbständig Nachrichten. Die Onlinemedien werden durch Werbung
finanziert.

295
6.3 Zeitungen und Zeitschriften in Lettland

Die lettischen Printmedien standen bis 1990 unter starker Zensur. Eine Modernisierung und
Umgestaltung konnte erst mit dem Einsetzen der Perestrojka stattfinden. Die Zensurbehör-
de „Glavlit“ wurde abgeschafft. Nach der politischen Wende wurde das Pressehaus besetzt,
aber eine normale Privatisierung unterblieb. Eine normale Privatisierung war auch nicht
möglich, weil es weder Gesetze, Richtlinien noch Ausschreibungen für den Übergang der
Printmedien vom staatlichen Eigentum zu privatem Eigentum gab. Größtenteils wurden
Zeitungen von Redakteuren übernommen, die diese in GmbHs umwandelten. Doch die
sowjetischen Strukturen ließen sich nicht von heute auf morgen beseitigen. Die ehemalige
Tageszeitung der kommunistischen Partei „Sovetskaja Latvija“ hielt verbissen an ihrer
Orientierung an Russland fest, und hinderte damit die Russen daran, sich in das neue, un-
abhängige Lettland zu integrieren. Die Presse, die aus Russland eingeführt wurde, zog sich
nach der Wende von 1990 aus ökonomischen Gründen fast komplett zurück. Die russische
Presse integrierte sich in das lettische Mediensystem, was aber die Entfremdung gegenüber
dem lettischen Staat nicht aufhob. Die Positionen der russischen Zeitungen lettischer Pro-
venienz sind nach wie vor sehr stark von denjenigen Moskaus geprägt. Die Sicht der Letten
und der Russen auf die politischen Vorgänge ist auch aus einem anderen Grund verschie-
den. Die Letten als Zeitungskonsumenten gelten als konservativer. Ihr Interesse an Politik
befriedigen sie in erster Linie über die seriöse Tagespresse, während das russischsprachige
Publikum die Boulevardmedien bevorzuge. Die größte und populärste Zeitung in Lettland
ist die „Baltic Times“. Dabei handelt es sich um ein unabhängiges, englischsprachiges
Wochenblatt, das aus der Verbindung der beiden ebenfalls englischsprachigen Zeitungen
„The Baltic Observer“ und „The Baltic Independent“ entstand.
Drei Monate nach der Unabhängigkeitserklärung wurde die Tageszeitung „Diena“ („Der
Tag“) als staatliches Unternehmen gegründet, und bereits 1992 privatisiert. Trotz staatlicher
Kontrolle verschaffte sich „Diena“, die in lettischer und russischer Sprache erschien, eine
relative Unabhängigkeit von der Regierung. Der Großteil der lettischen Printmedien wurde
mit ausländischer Hilfe privatisiert. Zum Verleger wurde die AG „Diena“, die unter Kon-
trolle der schwedischen „Bonnier“-Gruppe stand. Von 1989 bis 1992 ging die national
verkaufte Auflage stark zurück. Der Grund dafür war nicht nur das zeitweise Desinteresse
an politischen Ereignissen, sondern auch der explosionsartige Anstieg der Papierpreise.
Materiallieferungen aus der Sowjetunion gingen aufgrund von Wirtschaftssanktionen zu-
rück und Papier mußte aus Westeuropa geliefert werden. Mittlerweile sind alle lettischen
Zeitungen244 privatisiert, außer „Latvijas Vestnesis“ („Der Bote Lettlands“). Es gibt 40 bis

244
Vergleicht man den lettischen mit dem deutschen Periodika-Markt, ergibt sich folgendes Bild: Ziel ist eine
europäische Kommunikationspolitik, das heißt eine Verknüpfung regionaler und lokaler Medien. Die optimale
Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien wird angestrebt. Die Medien haben wie in
Deutschland die Aufgabe, Akteure in Politik und Wirtschaft zu überwachen. Weiterhin ist es Ziel, eine europä-
ische Identität herauszubilden. Bis zur politischen Wende stand der Ostteil Deutschlands ebenfalls unter einer
strengen politischen Kontrolle. Kritische Untersuchungen von Printmediennutzung waren nicht erwünscht. Im
westdeutschen Teil Deutschlands erlebte die Medien- und Presseforschung einen Aufschwung. Deutschland
besitzt eine vergleichsweise hochwertige Berichterstattung. Durch ausländische Finanzierung bzw. durch Wer-
bung und staatliche Gelder anstatt durch Gebühren besteht eine Gefährdung politischer und finanzieller Unab-
hängigkeit in Lettland. In Deutschland werden Medien zum Teil durch Gebühren und zum anderen Teil durch
Werbung finanziert. In Lettland ist ein Großteil der Medien in ausländischer Hand. Daraus folgt eine hohe Be-
sitz- und Kontrollstruktur. Die Medienkonzentration im deutschen Tageszeitungsmarkt ist in den letzten zehn
Jahren relativ konstant geblieben. Bei den tagesaktuellen Printmedien besteht eine intensive Leserblattbindung.

296
60 Gemeindezeitungen, die von der jeweiligen Stadtverwaltung herausgegeben werden. Die
drei dominanten und meistgelesenen Zeitungen sind die „Diena“ (Auflage ca. 62.000 Ex.),
die „Rigas Balss“ (56.800 Auflage), und die „Vakara Zinas“ (53.000 Auflage). Der größte
Zeitschriftenverlag ist die GmbH „Izdevnieciba Zurnals Santa“. „Zurnals Santa“ ist Her-
ausgeber der Frauenmonatszeitschrift „Santa“, der monatlichen Männerzeitschrift „Klubs“,
der Spezialzeitschrift für Kindererziehung „Mans Mazais“ und der Frauenwochenzeitschrift
„Ieva“. Das Zeitungsvertriebssystem wird vom norwegischen Konzern „Narvesen“ zu etwa
70 Prozent beherrscht. Seit 1921 gibt es in Lettland die nationale Nachrichtenagentur „Le-
ta“, die 1997 privatisiert wurde. Die Privatisierung verbesserte die Marktposition der „Leta“
weiter. Derzeit liegt der Konkurrent, der „Baltic News Service“ (BNS), der neben „The
Baltics Online Daily News“ als gesamtbaltische Nachrichtenagentur gilt, im Marktteil so-
gar hinter der „Leta“. „Leta“ bietet verschiedene Produkte: Nachrichten über Lettland und
das Ausland, Photos, Media Monitoring, Nachrichten-Fernsehen („TV24“), das man auch
im Kabelnetz sehen kann. „Leta“ verfügt auch über eine Abteilung für Wirtschaftsfor-
schung, und gibt das Wirtschaftsmagazin „Kapitals” und die Zeitung „Izglitiba un Kultura”
(„Ausbildung und Kultur”) heraus. „Leta“ hat etwa 700 feste Kunden. Dazu gehören letti-
sche Medien aller Art, staatliche Institutionen, NGOs und Unternehmen. Die ausländischen
Partner der „Leta“ sind „AFP“, „dpa“, „Reuters“ und die russische „Itar-Tass“. Bis 2005
gab es in an Boulevardmedien nur das Magazin „Privata Dzive”. Im Mai 2005 startete die
Zeitung „Vakara Zinas” ein Boulevardmagazin mit dem selben Titel. Nach einigen Mona-
ten kam mit dem Boulevardmagazin „Kas Jauns” von Verleger Rigas Vilni ein dritter Spie-
ler auf den Markt. Dieses Magazin widmet sich den gleichen Themen, dem Leben der Pro-
minenten, ihren Hochzeiten und Reisen. In Lettland erscheint auch ein Boulevardmagazin
in russischer Sprache: „Žizn’ Zameatelnih Ljudei” („Das Leben außergewöhnlicher Men-
schen“), das inhaltlich nicht anders ist seine lettischen Pendants.

78,3 Prozent der Deutschen über 14 Jahre lesen täglich etwa 30 Minuten eine Tageszeitung. Es gibt eine gerin-
ge Nutzung in der Altersgruppe bis 39 Jahre und eine höhere Nutzung durch Frauen. Der Abonnementszei-
tungsmarkt ist traditionell sehr stark ausgeprägt und es gibt nur eine relativ kleine Gruppe von Kaufzeitungen.
Seit den 80er Jahren wird in der deutschen Printmedienbranche auf eine Art „Konkurrenzvermeidungs-
Strategie“ gesetzt (60er und 70er Jahre: Verdrängungswettbewerb). Das Angebot von konkurrierenden Titeln
wird ausgedünnt und Verlage ziehen sich aus unlohnenden Gebieten nach Absprache zurück. Der Wettbe-
werbdruck wird so geringer. Es gibt seit 1968 eine Pressekommission, um eine starke Konzentration im deut-
schen Pressewesen abzuwehren. Weiterhin entstand Anfang der 50er Jahre die „Informationsstelle zur Feststel-
lung der Verbreitung von Werbeträgern“ (IVW). Diese arbeitet zentral und sammelt die durchschnittlichen
Auflagen und Abonnementenzahlen aller Zeitungen und Zeitschriften.

297
7. Das Mediensystem in Litauen

Medien und Business gingen seit der Finanzkrise Ende der 1990er Jahr in Litauen245 Hand
in Hand. Monopolistische Verhältnisse und Medienmogule beherrschten den lokalen
Markt. Politik und Wirtschaft bezahlten für gute Berichterstattung, und Systemkritiker
wurden öffentlich diffamiert, was dem Chef der litauischen Abteilung von „Transparency
International“, Rytis Juozapaviius, wiederholt passierte. Auf dem Titelbild der überregiona-
len Boulevardzeitung „Respublika“ (www.respublika.lt) wurde er so dargestellt als gäbe es
zwischen ihm und dem übermächtigen ehemaligen russischen Präsidenten Putin, der in
Litauen für jenes altbekannte Dominanzstreben des Nachbarn steht, keinen Unterschied.
Juozapaviius freilich kennt die Taktiken der Boulevardpresse Litauens genau, und weiß mit
ihnen umzugehen. In puncto Pressefreiheit mischt Litauen im internationalen Vergleich
mittlerweile zwar in den ersten Rängen mit – laut „Reporter ohne Grenzen“ belegt das Land
noch vor Großbritannien, Frankreich oder Italien Platz 23 (von 169 Ländern) – und die
Tendenz ist steigend. Doch war in den Jahren nach der Jahrtausend-wende das Problem der
litauischen Printmedien vor allem die schwammige Sprache. Statt Fakten zu sammeln,
dachten sich die Autoren einfach etwas aus, so der Vorwurf. Es gab einige Zeitungen, die
dabei skrupellos vorgingen, weil jeder Litauer Angst davor hat, von ihnen an den Pranger
gestellt zu werden. Auch Juozapaviius geriet selbst schon mehrmals ins Visier der Skandal-
presse, deren Journalisten und Reporter und ihre giftspritzenden Artikel er mit Auftrags-
mördern verglich. Mag in Litauen auch das Leben von Journalisten, ganz im Unterschied zu
Russland, nicht bedroht sein, ist es doch ihr Berufsethos. Laut einer Umfrage der Mei-
nungsforscher von „TNS Gallup“ vom Sommer 2007 sind die meistgelesenen Zeitungen

245
Litauen (Lietuva) ist der südlichste der drei baltischen Staaten. Seine Fläche beträgt etwas mehr als 65.000
km², wovon ein beträchtlicher Teil mit Wald bedeckt ist (30 %). Der Großteil der Bevölkerung Litauens (67 %
der 3,4 Millionen Einwohner) lebt in Städten; 33 % der Bevölkerung leben auf dem Land. Die fünf größten
Städte sind Vilnius (Hauptstadt), Kaunas, Klaip¤da, Šiauliai und Panev¤žys. Litauen ist eine parlamentarische
Republik und wird von einem Präsidenten geführt, der in direkter Wahl für eine Amtszeit von fünf Jahren er-
nannt wird. Das litauische Parlament besteht aus einer Kammer mit 141 Mitgliedern. Sie werden für vier Jahre
gewählt. Litauen untergliedert sich in zehn große Verwaltungseinheiten, die der Regierung unterstehen (die
Landkreise Alytus, Kaunas, Klaip¤da, Marijampol¤, Panev¤žys, Šiauliai, Taurag¤, Telšiai, Utena und Vilnius)
sowie 60 kleinere Verwaltungseinheiten (oder Gemeinden). Eine der Hauptaufgaben der Landkreise ist die
Förderung der regionalen Entwicklung. In den vergangenen Jahren betrug Litauens Wirtschaftswachstum
durchschnittlich 6 %. Der durchschnittliche Lebensstandard in Litauen liegt bei etwa 30 % des EU-
Durchschnitts, und der durchschnittliche monatliche Bruttolohn beträgt 1.222 Litas (354 EUR). Eines der
größten Probleme Litauens ist die Arbeitslosigkeit: Obwohl diese allmählich zurückgeht, war sie auf dem Land
mit ca. 12,4 % (2003) immer noch relativ hoch, und hat sich durch die Finanzkrise teilweise verstärkt. 1569
schlossen sich Polen und Litauen in Lublin zu einem Staatenbund zusammen. Im Parlament der Republik bei-
der Nationen, dem ‚Seimas‘, hielt Litauen ein Drittel der Sitze. Litauen erlebte eine Zeit des blühenden intel-
lektuellen Lebens. Mit der Ankunft der Jesuiten entstand ein Netz aus Schulen, und 1579 wurde die Universität
Vilnius gegründet. Im 17. Jahrhundert bekam die Republik der beiden Nationen die Folgen der Expansionspo-
litik der Schweden, Russen, Preussen und Österreicher zu spüren, die Litauen 1772 zum ersten Mal teilten;
1793 wurde es ein zweites Mal von Russland und Preussen verkleinert. 1795 kam das Ende des polnisch-
litauischen Staates, als Preussen, Russland und Österreich ihn ein drittes Mal teilten. Der Großteil Litauens fiel
an das Russische Reich. Erst am Ende des Ersten Weltkriegs erhielt Litauen seine Unabhängigkeit zurück. Be-
reits 1920 annektierte die polnische Armee Vilnius und das Umland. Die Sowjetunion trug 1939 zur Rückgabe
von Vilnius und eines Teils des Umlandes an Litauen bei, während die Deutschen Klaip¤da (Memel) annek-
tierten. Im selben Jahr besiegelte der Molotov-Ribbentrop-Pakt das Ende des unabhängigen litauischen Staates.
Der Annexion durch die Sowjetunion 1939 folgten zwischen 1941 und 1944 die deutsche Besatzung und von
1944 bis 1990 die Sowjetherrschaft. Am 11. März 1990 erklärte Litauen seine Unabhängigkeit.

298
des Landes die Skandalblätter „Lietvos Rytas“, „Vakaro Zinios“, die Gratiszeitung „15
Minutes“ und „Respublika“. Zusammen erreichen sie mit ihren vorgefertigten Meinungen
57,9 Prozent der litauischen Leserschaft. Schon die innere Organisationsstruktur der Zei-
tungen spricht gegen Meinungsvielfalt, denn der Redaktionsleiter ist ‚allzuständig’. Alle
drei genannten Zeitungen kennen keine strikte Trennung zwischen Besitzer und Redaktion.
Der Eigentümer der Publikationen „Respublika“ und „Vakaro Zinios“, Vitas Tomkaus, ist
auch deren Chefredakteur. Der Investor Gedvydas Vainauskas legt seinerseits den Inhalt
seiner Blätter „Lietuvos Rytas“ und „15 Minutes“ fest. Wie eingangs erwähnt gehen Wirt-
schaft und Medien in Litauen Hand in Hand. Die Medienlandschaft wird von lokalen Ge-
schäftsmännern beherrscht. Anders als internationale Holdings, die in die litauische Presse-
landschaft investieren, mischen Tomkas und Vainauskas auch in Politik und Wirtschaft
kräftig mit. Ihre große Reichweite gibt ihnen eine wirtschaftliche Macht, mit der sie etwa
den Anzeigenmarkt kontrollieren. Dadurch gruben die Boulevardgiganten zum einen klei-
neren, unabhängigen Publikationen das Wasser ab, zum anderen haben sie die Wirtschaft in
der Hand, denn positive Berichterstattung über Unternehmen ließ sich das Medienbusiness
mit Anzeigen-aufträgen bezahlen. Im Gegenzug vermieden die Meinungsmacher negative
Schlagzeilen. Der Chefredakteur der Wirtschaftsabteilung der Nachrichtenagentur „Baltic
News Service“, Artras Raask, nannte als Beispiel die Affäre um vergifteten Reis aus Indien,
der im Februar 2007 in der größten Supermarktkette Litauens, „Maxima“, in die Regale
kam. Der „Baltic News Service“ berichtete mehrmals darüber, doch die litauischen Medien
reagierten nicht. Die Erklärung war einfach: Die VP Gruppe, zu der auch „Maxima“ gehört,
hatte die Medien durch ihr Anzeigenvolumen in der Hand.
Eine Umfrage von „Transparency International“ unter 500 Geschäftsleuten in Litauen,
die im Juni 2007 veröffentlicht wurde, brachte zum medialen Geschäftsgebaren eindeutige
Zahlen: Etwa 80 Prozent der Befragten aus verschiedenen Wirtschaftsunternehmen hielten
die Medien für korrupt, 35 Prozent hatten ein Angebot erhalten, gute Presse durch Anzei-
genschaltung zu kaufen. Und 12 Prozent gaben zu, Geld für gute Publicity gezahlt zu ha-
ben. Ein perfektes Image in der Presse läßt sich aber nicht nur die Wirtschaft etwas kosten.
Auch die Politik steckt tief im Geschäft mit der versteckten Werbung. Nach allem was man
weiß, kauft auch die Regierung Platz in den Medien und veröffentlichte dort Artikel, die in
den Ministerien verfasst wurden, so der renommierte PR-Experte Artras Jonkus. Jonkus
war bis zur Auflösung des russischen Erdölkonzerns Yukos für dessen PR in Litauen zu-
ständig, und leitet heute eine eigene Consulting-Firma. Die ministeriellen PR-Texte würden
nicht als Werbung gekennzeichnet. Das Landwirtschaftsministerium gab so in der ersten
Hälfte des Jahres 2007 500.000 Litas (knapp 145.000 Euro) für in diese Art von Marketing
in eigener Sache aus.
Der große Ausweg aus diesem Dilemma ihrer Zunft ist für viele unabhängige Journalis-
ten denn auch das Internet. Die Redaktion von „delfi.lt“, eines der ersten und wichtigsten
Online-Nachrichtenportale in Litauen, deren Redaktion ein modernes Büro mit spektakulä-
rer Aussicht über Vilnius belegt. Die Chefredakteurin des Portals, Monika Garbaiauskait,
sieht die Vorteile des Internets darin, daß Onlinemagazine und Weblogs neue Informati-
onskanäle eröffneten und mit ihrer Möglichkeit Artikel zu kommentieren zum direkten
Meinungsaustausch aufforderten. Auch sind sie bisher nicht von Werbung abhängig, denn
nur etwa acht Prozent der jährlich 400 Millionen Litas (115 Millionen Euro) werden für
Anzeigen ausgegeben. „Delfi.lt“ wird von einem ausländischen Investor, der estnischen
Mediengruppe „Ekspress“, finanziert, die keinen direkten Einfluß auf die redaktionelle
Linie des Portals nimmt. In Litauen ist somit die kritische Öffentlichkeit gefragt, die sich
schon einmal vehement gegen die Vereinnahmung ihrer Medien wehrte: Im Januar 1991,

299
während der friedlichen Unabhängigkeitsbestrebungen, versuchte die sowjetische Armee
den Fernsehturm in der Hauptstadt zu besetzen, und scheiterte am Widerstand der Litauer.

7.1 Fernsehen und Rundfunk in Litauen

Technisch marschiert Litauen, was Rundfunk und Fernsehen betrifft, an der Spitze des
Fortschritts, denn dort sind 18 Prozent der Haushalte direkt oder über einen Gebäu-
deanschluß an das Glasfasernetz angeschlossen, weit mehr als in Schweden, Norwegen,
Slowenien und Estland, die an zweiter Stelle folgen. Danach kommen erst Frankreich und
Portugal. Über die Güte der Fernsehsendungen bzw. -diskussionen ist man sich dagegen
weniger einig. Sie hätte sich, wie ja nicht nur in Litauen zu beobachten, in den letzten Jah-
ren deutlich verschlechtert. Im November 2001 diskutierte man im litauischen Fernsehen
über die schwerwiegende Frage, ob Kaunas, die zweitgrößte Stadt Litauens, sterben würde.
Der Wegzug Richtung Hauptstadt hielt an. Kaunas hatte in den letzten zehn Jahren neun
Prozent ihrer Bürger verloren, und hatte Anfang 2002 nur noch 379.000 Einwohner. Als
2009 Dalia Grybauskait¤ zur neuen Präsidentin Litauens gewählt wurde, wurde sie schon
Wochen vorher als Favoritin gehandelt, was den Wahlkampf zur langweiligen Medien-Tour
erstarren ließ. Grybauskaite gewann denn auch haushoch. Zu eintönigen Verlauf des Wahl-
kampfes trug das gänzliche Verbot politischer Werbung im Fernsehen bei. Der scheidende
Staatschef Valdas Adamkus meinte denn auch, es konnte so nicht deutlich werden, wofür
die einzelnen Kandidaten stehen. Den Wettbewerbern stand keine ausreichende Plattform
zur Verfügung, um ihre politischen Positionen darzustellen. „Einen schlechteren Präsident-
schaftswahlkampf konnte es nicht geben“, meinte Adamkus über den Verlauf der Wahl-
kampagne und die enttäuschenden Debatten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Dem
ausländischen Beobachter fällt rasch auf, daß im litauischen Fernsehen relativ viele Serien
aus Deutschland, den USA oder Russland laufen, deren Synchronisierung bisweilen zu
wünschen übrig läßt. In den Kinos laufen dagegen fast alle ausländischen Produktionen in
der Originalsprache und mit Untertiteln.
Die staatliche Litauische Radio- und Fernsehanstalt „LRT“ („Lietuvos nacionalinis
radijas ir televizija“, www.lrt.lt) mit Sitz in Vilnius, seit 1993 Vollmitglied der „European
Broadcasting Union“ und zu 75 Prozent in Staatsbesitz, betreibt die zwei öffentlich-
rechtlichen nationalen TV-Stationen, „LTV“ [www.tv.lt], „LTV2“ und überträgt deren
Programm zusätzlich über „LTV World“ mittels eines Sirius 4 Stelliten; dazu kommen drei
nationale Radiostationen. „LRT” sendet regelmäßig seit 1926, wobei 1957 die Fernsehaus-
strahlung begann. Die drei Radiostationen „LR1“, „LR Klasika“ mit klassischer Musik, und
„Opus 3“ mit Popmusik laufen unter dem Namen „Lietuvos radijas“ oder „LR“. „LR1“ ist
wohl der beliebteste Radiosender in Litauen. Nach Umfragen hört einer von vier Litauen
den ersten Kanal. Rechtliche Grundlage der Arbeit von „LRT“ ist das „Gesetz zur Bereit-
stellung von Information für die Öffentlichkeit“ und das „Litauische Radio- und Fernseh-
Gesetz“. Wenn auch der Staatsfunk mehrheitlich von der litauischen Regierung finanziert
wird, will man dennoch nicht auf Fernseh-Werbung verzichten, es sei denn, man könnte
sich für eine alternative Finanzierung entscheiden. In der Diskussion ist eine TV-
Lizenzgebühr oder eine Steuer, die jeder Käufer eines Fernsehgerätes zu bezahlen hätte. Im
Mai 2007 startete „LRT“ ein Projekt, mit dem alle ihre Filme digitalisiert warden sollten,
einschließlich etwa fünftausend Stunden Spielfilme und etwa 30.000 Stunden Videobänder.
Der älteste Archivtitel stammt aus dem Jahr 1895. Neben dem staatlichen Fernsehsender

300
„LTV“ [www.tv.lt] gibt es die privaten Stationen „LNK“, „TV3“ und „BTV“, außerdem
„TV6“, „TV1“, „Balticum“ und der Sportkanal „Sport1“. Basketball steht dabei in Litauen
in der allerersten Reihe, weit vor Fußball. Für die Litauer wäre es ausgeschlossen, dass
nicht alle Spiele des Basketball-Nationalteams live im Fernsehen übertragen werden. An
Radiosendern werden vor allem gehört: der staatliche Rundfunk „LRT“, die privaten Stati-
onen „M-1“, „M-1 Plus“, „Lietus“ und „Radio Centras“ [www.radiocentras.lt]. Öffentlich-
rechtliches wie privates Fernsehen und der Rundfunk unterliegen allgemein keinen inhaltli-
chen Auflagen, wenn auch Lobby-Gruppen immer wieder Einschränkungen oder gar Dis-
kriminierung beklagen. 2007 bestimmte das litauische Parlament, der ‚Seimas‘, daß Alko-
holwerbung in Radio und Fernsehen wie auch in den Programmen der Kabelrundfunkan-
bieter zwischen 6 und 23 Uhr verboten sei. Ausgenommen wurden nur Sendungen, die
direkt und ohne Unterbrechung aus dem Ausland übernommen werden.
In Litauen hatte die Regierung bestimmten Anbietern bislang Sonderrechte für Übertra-
gungsdienste eingeräumt, eine Monopolstellung, die den Wettbewerb einschränke und
Konkurrenz vom Markt fernhält. Diese Praxis kritisierte die EU-Kommission gegenüber
der litauischen Telekom-Regulierungsbehörde (Ryši¥ reguliavimo tarnyba – RRT), und
drängte im Februar 2010 auf Abhilfe246. Die derzeitigen Rundfunklizenzen würden be-
stimmten Übertragungsdiensteanbietern ein Monopol bei der Übertragung ihrer Inhalte
einräumen und dadurch das Entstehen alternativer Übertragungsinfrastrukturen behindern,
so die EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. In ihrem Schreiben forderte sie „RRT“
auf, sowohl auf der Vorleistungs- als auch der Endkundenebene die Marktentwicklung im
Hinblick auf den Wettbewerb bei Infrastrukturen und Dienst-leistungen genau zu verfolgen,
weil Wettbewerbsimpulse auch von alternativen Plattformen (z. B. Kabelfernsehen oder
Internet-TV) ausgehen können.

7.2 Zeitungen und Zeitschriften in Litauen

Die Tageszeitungen mit der höchsten Auflage in Litauen sind die überregionale „Lietuvos
Rytas“ mit 65.000 Stück und die „Kauno Diena“ aus der zweitgrößten Stadt Litauens mit
einer Auflage von 50.000 Stück. Die Auflage der „Lietuvos Rytas“ („Litauens Morgen“
variiert je nach Wochentag und schwankt zwischen 65.000 am Montag und 165.000 am
Samstag, wobei die Zeitung am Sonntag nicht erscheint247. Herausgeber ist der geschlossene

246
Sie machte die RRT darauf aufmerksam, daß die bestehende Verpflichtung terrestrischer Rundfunk-
veranstalter, für die Übertragung ihrer Programme bestimmte Anbieter zu nutzen, ein Wettbewerbshindernis
darstelle und den Markteintritt neuer terrestrischer Übertragungsdiensteanbieter verhindere. Nach Ansicht der
Kommission brauchen die Regulierungsbehörden in der Regel nicht mehr in die Rundfunkmärkte einzugreifen.
Dennoch hat RRT die Absicht, die terrestrischen Rundfunkmärkte in Litauen weiterhin zu regulieren, was sie
mit der exklusiven Marktposition der Übertragungsdienstleister „Lietuvos radijo ir televizijos centras“ (LRTC)
und „TEO“ rechtfertigt. Die litauischen Behörden müßten dafür sorgen, daß durch ihre Lizenzierungspraxis ein
wirksamer Wettbewerb auf den Rundfunk-übertragungsmärkten nicht behindert wird. Aufgrund des verstärk-
ten Wettbewerbs in vielen Mitgliedstaaten und der Umstellung vom analogen auf den digitalen Rundfunk wür-
den diese Märkte in der EU keiner Regulierung mehr bedürfen.
247
Außerdem wären an Tageszeitungen zu nennen: „Lietuvos zinios“ [www.lzinios.lt], „Lietuvos aidas“
[www.aidas.lt], „Vakaru ekspresas“ [www.vakaru-ekspresas.lt]. In Klaipeda erscheint die gleichnamige Zei-
tung [www.klaipeda.daily.lt]. Zu den russischsprachigen Zeitungen zählen „Echo Litvy“. Wirtschaftstageszei-
tung „Verslo Zinios“; Wochenzeitschrift „Veidas“, der mit dem deutschen „Spiegel“ vergleichbar wäre.

301
Aktiengesellschaft (lit. UAB – Uždaroji akcin¤ bendrov¤) „Lietuvos rytas“. Der „Rytas“
[www.lrytas.lt] erscheint seit 1990 unter dem heutigen Namen als direkter Nachfolger der
„Komjaunimo tiesa“, der litauischen Version der sowjetischen „Komsomol’skaja Pravda“.
Auf den ersten Blick würde man die Linie der Tageszeitung als konservativ einschätzen,
vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen Meinung Litauens und wohl dem gesam-
ten Baltikum darf sie eher als liberal gelten. Als im Februar 2010 eine Diskussion darüber
entbrannte, ob man eine Skulpturengruppen aus der Sowjetzeit erhalten solle, die auf einer
Brücke im Zentrum der Hauptstadt steht, meinte der Leitartikler, es würden häufig werden
historische Argumente ins Feld geführt: Kolchosbauern und Rotarmisten seien ebenfalls
Teil unserer Geschichte, und darum hätten sie einen Ort im Zentrum von Vilnius verdient.
Aber wenn wir so konsequent mit historischen Relikten sind, warum haben wir dann das
Lenin-Denkmal gestürzt? Und warum entsorgen wir verhältnismäßig leicht andere Kunst-
werke des sozialistischen Realismus? Es ist schwer nachvollziehbar, welchen Wert ausge-
rechnet die Skulpturen auf der Brücke Žaliasis tiltas haben sollen. Wenn wir schon nach
einem didaktischen Moment suchen, dann sollten wir lieber die Lager in Sibirien und die
Behandlung von Litauern durch den KGB in die Lehrpläne aufnehmen. Und wenn Skulptu-
ren an die Sowjetzeit erinnern sollen, sollten sie den Opfern des Kommunismus gewidmet
sein, nicht den Symbolen der Ideologie der Besatzer.“ Die in Kaunas erscheinende Tages-
zeitung „Kauno Diena“ [„Kaunas heute“, http://kauno.diena.lt] verkauft täglich an die
38.000 Exemplare. Ihre Vorgänger waren die kommunistischen Zeitungen „Taryb¥ Lietu-
va“ („Sowjetisches Litauen, 1945-1950) und die „Kauno Tiesa“ („Kaunas Wahrheit“, 1950-
1992). 1998 wurde die „Kauno Diena“ von dem norwegischen Medienkonzern „Orkla
Media“ bzw. seinem Ableger „Orkla Press“ aufgekauft, und ging 2006 an die Investment-
Gesellschaft „Hermis Capital“.
Die Tageszeitung „Respublika“ wurde unter anderen von Vitas Tomkus, dem späteren
Chefredakteur der Zeitung, 1988 gegründet, als die Litauer den Kampf um die Unabhängig-
keit ihrer Nation aufnahmen. Sie war die erste unabhängige, private, landesweit erschei-
nende litauische Zeitung, die von Anfang an im Ruf stand, eine hartnäckige Kämpferin
gegen Verbrechen, Korruption, Gewalt, Gleichgültigkeit und Bürokratie zu sein. Sie wurde
dafür berühmt, den Wurzeln gesellschaftlicher Übel auf den Grund zu gehen und die Posi-
tionen unabhängig denkender Menschen zu verteidigen. Der stellvertretende Chefredakteur
Vitas Lingys wurde von der litauischen Mafia wegen seiner Artikel über deren Machen-
schaften ermordet. „Respublika“ war die erste Zeitung in Litauen, deren Produktion von
Anfang an am Bildschirm erfolgte. Ein relativ kleines Journalisten-Team produziert die
Zeitung, was aber nicht zu Lasten der seriösen, interessanten und ausführlichen Informatio-
nen zu den unterschiedlichsten Themen geht. Die Zeitung, die an sechs Tagen in der Woche
erscheint, enthält Informationen zu den interessantesten lokalen Ereignissen, Auslandsnach-
richten, berichtet über die neuesten kulturellen und sportlichen Ereignissen sowie über die
Ergebnisse von Meinungsumfragen. Unter den Beilagen sind Rinka und Aikste für Ge-
schäftsleute, die informationsreiche „Sporto kurjeris“ (Sport), „Gero kelio!“ (Tourismus)
und „Sveikata“ (Gesundheit). „Savaitgalis“ richtet sich an junge Menschen, „Brigita“ an
Frauen und „Julius“ an Männer, die Farbillustrierte „TV savaitei“ an Liebhaber von Fern-
sehen und Video. Zweimal in der Woche haben russischsprechende Litauer die Möglich-
keit, Respublika auf Russisch zu lesen. Sowohl die litauische als auch die russische Ausga-
be werden auch im Ausland gelesen. Abonnenten sind unter anderem Unternehmen in Eu-
ropa, Amerika und Australien. Die Zeitung arbeitet mit den Nachrichtenagenturen Reuters,
dpa, AP, ELTA und BNS zusammen. „Respublika“ ist die Hauptinformationsquelle in
Litauen für diese Agenturen. Mit ihrer litauischen Ausgabe und russischen Auswahl wird

302
die Zeitung in einer Auflage von etwa 70.000 an Werktagen und 90.000 am Wochenende
gedruckt. Sie wird von einer Druckerei in der Hauptstadt gedruckt, der ersten unabhängigen
Druckerei in Osteuropa. Respublika verfügt über Niederlassungen in allen Regionalzentren
im Land. Die Zeitung war die erste im Land, die in Farbe druckte. Die erstmals im Dezem-
ber 1996 erscheinenden farbigen Veröffentlichungen waren die ersten und bislang die ein-
zigen im Land mit Anzeigen solch hoher Qualität. „Respublika“ ist bekannt für sein breites
Spektrum und seine hohe Qualität. Folgende Nachrichten-agenturen bieten aktuelle Infor-
mationen aus Litauen in Englisch oder Deutsch an: „Elta“ [www.elta.lt]. „The Baltic Ti-
mes“ [www.baltictimes.com]; BNS [http://terminal.bns.lt]; „Baltische Rundschau“
[www.baltische-rundschau.com]; und die „News“ (in englischer und russischer Sprache,
www.penki.lt].

7.3 Medien der polnischen Minderheit in Litauen

Die Polen stellen zwar in Litauen mit fast sieben Prozent die größte Minderheit noch vor
den Russen, stehen aber in der öffentlichen Wahrnehmung hinter diesen zurück, weil die
Russen dank Moskauer Unterstützung ihr politisches Gewicht stärker ausspielen können.
Die meisten Polen leben im südlichen Litauen in der Nähe der Hauptstadt Vilnius. Vertre-
ten werden sie unter anderem durch den „Bund der Polen in Litauen“ (poln.: „Zwi”zek
Polaków na Litwie“, www.zup.ukraina.com.pl), der nach eigenen Angaben 11.000 Mitglie-
der zählt und die Wochenzeitung „Nasze Sowo“ herausgibt [www.nslowo.pl]. Durch die
bis weit in die Geschichte reichenden polnisch-litauischen Verbindungen sind sie meist
sehr verwurzelt und bestens organisiert – daher auch die vielen polnischen Organisationen,
und die große Auswahl an polnischsprachigen Schulen. Die einzige polnischsprachige
Tageszeitung Litauens ist der „Kurier Wile‰ski“ („Vilniusser Kurier“,
www.kurierwilenski.lt), die auch in der Hauptstadt erscheint und in Litauen und Polen wie
auch weltweit im Abonnement vertrieben wird. Ihre Auflage liegt bei etwa 4.000 Stück.
Gegründet wurde der Kurier 1953, damals noch unter dem Namen „Czerwony Sztandar“
(„Rote Fahne“) als Organ der Kommunistischen Partei Litauens. Vorrangiges Ziel war
zunächst die ideologische Beeinflussung der Polen im Sinne des Kommunismus. 1990
bekam die Zeitung ihren heutigen Namen. Neben tagesaktuellen Ereignissen in Litauen,
Polen und der Welt ist die Zeitung sehr service-orientiert und informiert über Telefonnum-
mern polnischer Organisationen und Messzeiten der katholischen Kirche. Einen festen Platz
haben eine Kinder- und Jugendkolumne. Auch sonst spielt die Bildungspolitik der polni-
schen Minderheit eine große Rolle. Umfangreich ist auch der Internet-Auftritt: So werden
alle Artikel online veröffentlicht und können von Lesern auch direkt kommentiert werden.
Mit Hilfe der Videoplattform „YouTube“ sind seit neuestem auch Kurzreportagen online
ansehbar. „Nasz Czas“ („Unsere Zeit“, www.nasz-czas.lt) ist eine in Vilnius herausgegebe-
ne polnischsprachige Wochenzeitung. Sie erscheint in Litauen, Lettland und Estland und
plant einen Vertrieb in Polen sowie in polnischen Kultureinrichtungen in Westeuropa. Das
Ziel der Zeitung ist die Integration der polnischen Minderheiten in Litauen, Lettland und
Estland. Gleichzeitig möchte sie als Informationsquelle über diese Minderheiten dienen. So
berichtet „Nasz Czas“ umfangreich über litauische und polnische Politik, bringt Reportagen
und Feuilletons und beleuchtet historische Ereignisse. Hervorgegangen ist die Zeitung 2001
aus den einzelnen Zeitungen „Nasza Gazeta“ aus Litauen, „Šatagalia“ aus Lettland und
„Nasza Polonia“ aus Estland. Finanziert wird sie durch den Senat der Republik Polen und

303
die Stiftung „Hilfe für Polen im Osten“ (poln.: „Fundacja Pomoc Polakom na Wschodzie“).
Daneben gibt es noch die Kulturzeitschrift „Ridna Mowa“ („Muttersprache“,
http://ridnamowa.prv.pl).
Im litauischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen laufen die polnischsprachigen „Teleno-
wyny“ („Fernsehnachrichten“, ww6.tvp.pl/View?Cat=6087&id=33 5550). Im Rundfunk
sendet der Radiosender „Znad Wilii“ („Von der Neris“, www.znadwilii.lt) auf Polnisch aus
der litauischen Hauptstadt. Der Name bezieht sich auf den durch Vilnius fließenden Fluß
Neris (poln.: Wilia). Der Radiosender wurde 1992 gegründet, sendet rund um die Uhr aus
dem Vilniusser Pressegebäude auf einer UKW-Frequenz und ist im Umkreis von 100 km
rund um Vilnius, also auch in angrenzenden Gebieten Weißrusslands, zu empfangen. „Znad
Wilii“ beschreibt sich selbst als Informations- und Musiksender. In der Rotation läuft aktu-
elle polnische und westliche, aber auch litausche Musik. Der Sender informiert mit einer
Vielzahl politischer und kultureller Programme, das bekannteste davon ist „Salon politycz-
ny“ („Politischer Salon“), bei dem auch schon prominente Politiker wie die ehemaligen
Präsidenten Litauens Algirdas Brazauskas und Polens Aleksander Kwaniewski zu Gast
waren. Junge Hörer spricht der Sender durch drei verschiedene Hitparaden-Sendungen an.

304
D Die Medien in Osteuropa

Die osteuropäischen Staaten Russland, Ukraine und Weißrussland haben als Kernländer der
Sowjetunion mehr als sechs Jahrzehnte unter der kommunistischen Diktatur gelitten und
haben noch heute mit den Folgen einer Gesellschaftslehre zu kämpfen, die offene Diskussi-
on, Meinungs- und Pressefreiheit als illegitim betrachtet solange sie nicht das herrschende
System unterstützt. Die Wirkung dieses Komplexes reicht von offener Einflußnahme, fi-
nanziellem Druck auf die Redaktionspolitik bis zu aktiver Verfolgung und Ermordung
andersdenkender Journalisten und Medienschaffender. In Vorbereitung auf die olympischen
Winterspiele im russischen Soi hörte man zwar allenthalben vom ehrlichen Willen, Russ-
land der Welt als demokratische, offene Gesellschaft zu präsentieren. Zugleich mußten
internationale Medienvertreter feststellen, daß sie an einer vorbehaltlosen Berichterstattung
gehindert wurden. Berichte über Zwangsumsiedlungen, Natur-zerstörungen und Korruption
im Vorfeld der Spiele führten zu Verwarnungen jener Journalisten, die darüber in westli-
chen Medien geschrieben hatten, bis hin zu offener Behinderung und Verweigerung von
Akkreditierungen. In solchem und ähnlichem Verhalten erkennt mancher das Erbe der
untergegangenen Sowjetunion wieder. Kritisches Denken ist verpönt, die Medien hätten
den Staatsinteressen zu dienen, die gleichbedeutend mit denen der führenden Partei sind,
genauer gesagt mit denen der Putin-Partei „Einiges Russland“ („Jedinaja Rossija“, ¦* }
 ^^}). Auch die russische Gesellschaft hat gewisse Komplexe aus der Sowjetzeit noch
nicht überwunden, was sich ebenfalls negativ auf die Medien auswirkt. Die sowjetische
Gesellschaft war allen Verlautbarungen zum Trotz keineswegs anti-bourgeoise-offen, son-
dern ein Hort des Spießbürgertums, das nur akzeptieren wollte, was den Normen entsprach.
Alles andere wurde negiert oder als Konsequenz westlich-dekadenten Einflusses abgetan.
Dass dieser Reflex keine Sache der Vergangenheit ist, zeigte sich zum Beispiel an den
Reaktionen russischer Volksvertreter, Lehrer und Eltern auf eine Doku-Serie namens „Ško-
la“ („Die Schule“), die Anfang 2010 zur besten Sendezeit, um kurz nach sechs Uhr abends,
im russischen Ersten Kanal lief. Die Zuschauer der Sendung, die im Schnitt eine Einschalt-
quote von 21 Prozent hatte, mußten zehn Folgen lang entgeistert mitansehen, wie Schüler
einer neunten Klasse sich prügeln, rauchen, Bier trinken, fluchen wie russische Traktoristen
und ihre Lehrer provozieren248. Doch nicht die Gesellschaft an sich stellte sich die Frage, ob
sie nicht durch Versäumnisse der jüngsten Zeit an der Verwahrlosung mitschuld sei, son-
dern klagte das Fernsehen an. Die Duma-Fraktion der Kommunistischen Partei rief Präsi-
dent Dimitrij Medvedjev in einer parlamentarischen Anfrage dazu auf, die Serie einzustel-
len. Der KP-Abgeordnete Vladislav Jurik meinte gar gemäß überlieferter Diktion, das sei
eine „Provokation und ein geplanter Anschlag auf unsere Jugend“. Die alten Stereotypen

248
Vgl. Gathmann, M.: „Das ist ein Anschlag auf unsere Jugend“. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,
31. Jan. 2010, Nr. 4, S. 48.

305
schossen ins Kraut: es fehle der ‚positive Held‘, wie ihn einst der sozialistische Realismus
gefordert hatte; der 25-jährigen Regisseurin der Serie, Valerija Gaia Germanika, wurde in
tausenden Kommentaren „Lügen, Schwarzmalerei und Nihilismus“ vorgeworfen, und un-
terstellt, sei sei wahrscheinlich bisexuell, jüdisch oder Heidin. Diejenigen, die sich ausken-
nen und den Wunsch zur Realität erklären, nannten die Serie sehr wahrheitsgetreu, und
nannten das Grundproblem der post-sowjetischen russischen Gesellschaft beim Namen:
Früher wäre das nicht nach außen getragen worden. Nur eines blieb ungeklärt: wie konnte
diese angeblich so nihilistische Serie in das Programm des Ersten Kanals gelangen, des
Staatssenders schlechtin, der mehrheitlich dem russischen Staat gehört und in dem Putin
und Medvedjev „so lange zu Wort kommen wie sie es für nötig halten, um den Russen zu
erklären, wie sie die Welt zu sehen haben“249? Die Erlaubnis konnte nur von ganz oben
kommen, einerseits, wie man vermutete, um im „Jahr des Lehrers“ aufzurütteln, denn der
Zustand der russischen Gesamtschulen ist schlimmer als es die Fernsehserie „Škola“ zeigt;
andererseits, um das junge Publikum zurück-zugewinnen, das in den letzten Jahren, ge-
langweilt vom staatlich kontrollierten Fernseh-einheitsbrei, zu Privatsendern wie „MTV“
abgewandert ist. Entlarvend ist dabei die Vermutung, daß der Kreml mit scheinbarer Of-
fenheit seinen Einfluß auf die desillusionierte russische Jugend aufbessern will, die dem
Fernsehen nicht mehr glaubt. Für die russische Politik, die gerade in dieser Altersgruppe
auf ihre mediale Präsenz angewiesen ist, war diese Erkenntnis schockierend, gerade weil
2012 die nächsten Präsidentenwahlen anstehen.
Dieses Streben nach möglichst großem Einfluss auf die Medien, um konkurrierenden
Kräften den Weg zur Macht zu verbauen, kennzeichnete bis 2005, bis zur sogenannten
„Orangenen Revolution“, auch die postkommunistische Ukraine und namentlich das bis
heute diktatorisch regierte Weißrussland. Als sich Lukašenko entschloss, aus der schieren
wirtschaftlichen Not heraus, sich für die Anliegen der Europäische Union etwas zu öffnen,
machte diese eine Zusammenarbeit von eindeutigen Fortschritten auch und gerade im Me-
dienbereich, in der Pressefreiheit abhängig. Nicht nur die politische Opposition Weißruss-
lands, auch die kritischen Journalisten mussten ihre Arbeit über die Grenze verlagern, weil
der Wind, der ihnen zuhause ins Gesicht blies, immer heftiger wurde. So wurde im Februar
2010 Iwan Szulha, der für den unabhängigen Sender „Belsat TV“ arbeitet, in Minsk von der
weißrussischen Miliz verhaftet und im Schnellverfahren zu einer mehrtägigen Haftstrafe
verurteilt. Offiziell wurde als Grund angegeben, er wäre gegenüber einem Milizionär ge-
walttätig geworden. Der wahre Grund war ein anderer: „Belsat TV“ sendet seit Dezember
2007 mit Unterstützung des polnischen Staatsfernsehens „TVP“ und des polnischen Au-
ßenministeriums ein Programm auf Weißrussisch von Warschau aus. Der Sender war auf
Bitten der weißrussischen Opposition geschaffen worden, um die Zivilgesellschaft in Weiß-
russland zu stärken. Genau das passte dem Minsker Regime nicht ins Konzept, denn „Bel-
sat TV“ ist das größte unabhängige Medium in Weißrussland, das mehr als eine halbe Mil-
lion Zuschauer über Satellit empfangen sollen – eine stattliche Zahl bei zehn Millionen
Einwohnern insgesamt in ganz Weißrussland250. Was die Ukraine betrifft, bleibt abzuwar-

249
Vgl. Gathmann, M.: „Das ist ein Anschlag auf unsere Jugend“. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,
31. Jan. 2010, Nr. 4, S. 48.
250
Bislang bekam der Sender keine Lizenz, ein Studio in Minsk einzurichten. Die dortigen Journalisten arbeiten
somit illegal. Die Wohnung des verhafteten Iwan Szulha gilt als improvisiertes Studio. Etwa zweihundert Mit-
arbeiter arbeiten in Polen, Weißrussland und Litauen für den Sender. Der polnische Außenminister hatte im
Dezember 2009 angekündigt, die Unterstützung für „Belsat TV“ zu verstärken. Auch die USA, Großbritannien
und Irland steuern Gelder zur Finanzierung der Technik bei. Mit der „Deutschen Welle“, „Radio Free Euro-

306
ten, inwieweit sich die Wahl des Moskau-treuen Kandidaten Viktor Janukovy auf die Lage
der ukrainischen Medien auswirken wird. Seit der ‚Orangenen Revolution‘, das heißt in den
letzten fünf Jahren, konnten sich in der Ukraine die demokratischen Strukturen, insbeson-
dere eine freie Presse, glücklicherweise deutlich festigen251. Dennoch bleibt festzuhalten,
dass Janukovy genausowenig wie sein ehemaliger russischer Kollege ein Mann ist, dessen
politische Karriere unbedingt große Begeisterung für öffentliche Kritik nahelegt.

pe/Radio Liberty“ und dem Litauischen Fernsehen unterhält „Belsat TV“ Kooperationen. „Belsat TV“ zeigt
hauptsächlich Informationssendungen, nach eigenen Angaben in ausgewogener Weise, um Lukašenko keinen
Vorwand zu liefern, wegen „regierungsfeindlicher Propaganda“ die Repressionen zu verstärken. Der weißrus-
sische Staatspräsident bezeichnete den Sender als „dummes und feindseliges Projekt“.
251
Vgl. Praxenthaler, B.: Noch ist die Ukraine nicht gestorben. Nach der Präsidentschaftswahl. In: Paneuropa
Deutschland, 33. Jhrg., Nr. 1, S. 25-27.

307
1. Medien in Russland: Perestrojka und ‚neue Sowjetisierung

Westliche Journalisten und Russland-Kenner gehen oft wesentlich weiter und formulieren
ihr vernichtendes Urteil nicht anders als dass die Pressefreiheit in Russland tot sei. Das
System Putin, das Ordnung versprach und die Knebelung der Freiheit brachte, hätte sie auf
dem Gewissen. In den letzten Jahren waren fast alle russischen Zeitungen und Rundfunk-
sender im Grunde ‚gleichgeschaltet’, von kremlhörigen Oligarchen aufgekauft worden, und
viele Reporter und Journalisten standen oft genug vor der Wahl zwischen ihrem Berufs-
ethos, das ihnen gebietet, ihre Mitbürger aufzuklären, und ihrem persönlichen Wohlerge-
hen. Der Mordanschlag auf die angesehene „Novaja Gazeta“-Redakteurin Anna Polit-
kovskaja war durchaus keine Ausnahme. Mancher argumentierte, der Begriff ‚Freiheit’ sei
im Kontext der Transformation des Mediensektors in den post-kommunistischen Ländern
denkbar ungeeignet, weil in den meisten Transformationsländern Osteuropas nach wie vor
die pragmatische Überzeugung vorherrsche, daß die Medien immer und überall instrumen-
talisiert würden. Diese Auffassung stammt zum Teil von der sowjetischen Kommunikati-
onstheorie her, auch von der Medientheorie der Frankfurter Schule, die im heutigen Russ-
land sehr verbreitet ist. Hinzu kommt, daß man in Südost-, Mittelost- und Osteuropa bis in
die 1990er Jahre hinein eigentlich keine Erfahrung mit einer funktionierenden Pressefrei-
heit hatte. Als unter Jel‘cin die sogenannte ‚freie Presse’ entstand, war sie ökonomisch zu
schwach oder anders gesagt, war der Werbemarkt zu unterentwickelt, um eine Finanzierung
mittels Werbung und damit wirtschaftlich unabhängige Medien zu erlauben. Insbesondere
die kostenintensiven audiovisuellen Medien wurden so notgedrungen von den finanzstarken
Oligarchen oder erneut vom Staat abhängig. Als Konsequenz entwickelte sich unter den
Journalisten ein gewisser Zynismus gegenüber dem Begriff ‚Pressefreiheit’. Ein bekanntes
Sprichwort in Russland meint: „Ein unabhängiger Journalist ist ein arbeitsloser Journalist“.
Zynismus und Resignation lassen sich schon unter den jungen Journalistik-Studenten fest-
stellen. Nach dem Urteil von Kennern fehlt ihnen ganz einfach der Glaube an die Presse-
freiheit. Für sie seien die Medien a priori abhängig, sei es von den Oligarchen, vom Kreml
oder von den Werbeträgern.
Mit der Machtübernahme durch Vladimir Putin wurde die staatliche Kontrolle über die
Presse in Russland verstärkt252, so sehr daß sich Politikwisschenschaftler und Soziologen an
die letzten, bleiernen Jahr der Brežnjev-Zeit oder allgemein an die mit der Perestrojka Gor-
baevs überwunden geglaubte Sowjetzeit erinnert fühlten. Auf den ersten Blick erscheint
die russische Medienlandschaft vielfältig. Es gibt 2.500 Rundfunk- und Fernsehgesellschaf-
ten sowie mehr als 25.000 Zeitungen und Zeitschriften. Das sind aber nur Zahlen, die we-
nig bis gar nichts über den Grad an Meinungsfreiheit aussagen. In diesem Zusammenhang
spricht die russische Führung gerne von Doppel-Standards, verweist auf das Beispiel Ita-
lien, dessen Medien durch die Berlusconi-Regierung auch kontrolliert würden. Offiziell
gehören in Russland dem Staat nur zehn Prozent des Rundfunks. Faktisch sind alle Fern-
sehkanäle, die landesweit zu empfangen sind, unter staatlicher Kontrolle. Das jüngste Bei-
spiel ist „Ren-TV“. Der Sender ließ die kritische Journalistin Olga Romanova keine Sen-

252
Die Konrad Adenauer Stiftung hat einen Demokratiebericht zur Lage der Medien weltweit vorgelegt. Die Lage
in Russland erscheint kritisch: Immer mehr staatliche Kontrolle, immer weniger alternative Informationsange-
bote. [Oksana Jewdokimowa. DW-RADIO/Russisch, 24.1.2006, Fokus Ost-Südost – www.dw-
world.de/dw/article/0,2144,1873540,00.html].

308
dung mehr moderieren. Für Journalisten, die in Russland nicht mehr auf Sendung gehen
dürfen und somit keine Zuschauer mehr haben, sei das keine Tragödie, so Romanova. Es
sei eine Tragödie für den russischen Zuschauer. Ein einfaches Experiment habe sie davon
überzeugt, wie paranoid im Grunde die Sicht der russischen Fernsehzuschauer auf die Welt
ist, ja sein muß. Drei Tage lang ging sie nicht ins Internet, sah auch keine westlichen Satel-
litenkanäle. Nach drei Tagen hätte sie begriffen, „daß Russland von Feinden umzingelt ist.
Es gibt den Feind im Inland und im Ausland und alle Hoffnungen werden in Putin, in die
Staatsmacht gelegt. So denkt die Mehrheit der Bevölkerung, weil es keine alternativen
Informationsquellen gibt.“ Doch gibt es durchaus auch einige Zeitungen, die als alternative
Informationsquelle durchgehen: die Zeitung „Vedomosti“, die berühmte „Novaja Gazeta“
und mehrere Internetseiten. Aber Zugang zum Internet haben in Russland nur etwa 15 Pro-
zent der Bevölkerung, wobei die meisten von ihnen in den Großstädten leben. Auf dem
Lande hat die Bevölkerung für Zeitungen oft kein Geld.
Die Konsequenz ist, daß die russische Gesellschaft mit Ausnahme einer kleinen Min-
derheit immer unpolitischer wird. Wer keinen Zugang zu alternativen Informations-quellen
hat, dem bleibt nichts anderes übrig, als das übliche Programm, das vor aus unpolitischen
Unterhaltungsshows besteht. Nachrichtensendungen werden auf eine Person zugeschnitten,
vorzugsweise den Präsidenten oder andere Kreml-treue Politiker, die diese Gelegenheit oft
schamlos ausnutzen, um ihre Sicht der Dinge gegen die Realität auszuspielen, und diese
Sicht wird nicht angezweifelt, es sei denn eben von jenen kritischen Medien, die fast nie-
mand liest. Ein abschreckendes Beispiel ist ein Interview von Ramzan Kadyrov, Präsident
der Kaukasus-Republik Tschetschenien, dem einst die ermordete Journalistin nachsagte, er
sei „nicht nur ein Mensch ohne Anzeichen intellektueller Tätigkeit“, er sei schlicht ein
„Mann des Krieges und des Terrors“. Und offenbar auch ein Mann, der die Realität und die
Wahrheit seinem politischen Ehrgeiz skrupellos unterordnen kann, ein Talent, das ihn den
neuen Herren im Kreml nützlich erscheinen ließ. Jenes Interview mit Kadyrov wurde so
geführt, als hätte es den Tschetschenien-Krieg mit seinen zahllosen Opfern niemals gege-
ben. Als wären die Vorwürfe von Korruption, Auftragsmorden und Bedrohungen, unter
anderem an die Adresse der schließlich ermordeten Menschenrechtsaktivistin Natalja Este-
mirova, vollkommen aus der Luft gegriffen. Der Leser wird offen für dumm verkauft. Hier
offenbart sich das, was Beobachter als ‚gelenkte Demokratie’ bezeichnen. Die Anzeichen
häufen sich, aber dennoch hofft man, daß die Lenkung nicht in die Diktatur umschlagen
werde. Gewisse Maßnahmen, die der neue Präsident Medvedjev in letzter Zeit eingeleitet
hat, wurden schon als Kurswechsel in die bessere Richtung gedeutet. Gleichwohl Grund zur
Sorge ist auch das Erstarken der kommunistischen Partei, die in den Regional- und Kom-
munalwahlen im März 2010 auf den zweiten Platz hinter der Putin-Partei „Einiges Russ-
land“ kam. Auch den Kommunisten ist aus traditionellen Gründen eine freie Presse nur
solange kein Dorn im Auge als sie ihren Widerstand gegen die Regierungspartei mitträgt.
In ihrer grundsätzlichen Ablehnung sind sich „Einiges Russland“ und Kommunisten völlig
einig.
Der Generalangriff auf die freien Medien begann nach Putins Amtsantritt im Frühjahr
2000. Ihm galt unabhängige, oder genauer gesagt, Berichterstattung, die nicht auf der Linie
der führenden politischen Kraft liegt, als staatsfeindlich, als desinformierend. Berühmte
Opfer dieses Kampfes gegen politisch unabhängige Medien waren die Medienimperien der
beiden Oligarchen Gusinskij und Berezovskij, die schließlich den Widerstand gegen die
Staatsmacht aufgaben und sich ins Ausland zurückzogen. Gusinskij hatte es gewagt, in
seinem Fernsehkanal „NTV“ und den von ihm betriebenen Printmedien Regierungskritik zu
üben, ja sogar Putin bei den Präsidentenwahlen nicht zu favorisieren. Um den Medienkon-

309
zern „Most“ von Gusinskij zu zerschlagen, hatte man ihn plumperweise der Steuerhinter-
ziehung angeklagt und kurzerhand verhaften lassen. Ein Sturm des Protestes der in- und
ausländischen Presse brach los. Auch Gusinskijs Konkurrent Boris Berezovskij, der über
die Aktienmehrheit am Fernsehkanal „ORT“ verfügte, solidarisierte sich, protestierte sogar
in einem gemeinsam verfassten Schreiben an den Präsidenten gegen den offenkundigen
Willkürakt. Berezovskij wußte nur zu gut, daß der Terror gegen Gusinskij nur der Anfang
sein würde. Das Ziel war die Zerschlagung unabhängiger Medien, die Kritik sollte zum
Verstummen gebracht werden. Putin kam in seiner Schmutzkampagne zugute, daß beide
Oligarchen bei den Russen nicht eben beliebt waren. Die Aversion des Präsidenten gegen
öffentliche Kritik stammte zu einem Gutteil aus seiner Zeit im sowjetischen Geheimdienst
KGB, wie auch sein Talent, die Abwicklung der privaten Fernsehkanäle elegant als rein
geschäftliche Transaktionen darzustellen. Gusinskijs Sender „NTV“, der bei dem Energie-
konzern „Gazprom“ stark verschuldet war, ging 2001 an den staatlich kontrollierten Kon-
zern. Auch im Falle des von Berezovskij betriebenen privaten Fernsehkanals „TV6“, der
2002, wie auch dem Kanal „TvS“, der im Juni 2003 geschlossen wurde, führten die Behör-
den finanzielle Schwierigkeiten ins Feld. Auf das Urteil folgte die sofortige Schließung des
Senders.

1.1 Der Skandal um die Holding „Media Most“

Im September 2000 entbrannte in Russland ein neuer Skandal im Kampf um den russischen
Medienmarkt, „der sowohl einen tiefen Einblick in die prinzipienlose Moral gibt, die in den
Vorstandsetagen der großen russischen Privatunternehmen herrscht, als auch in die erpres-
serischen Gangstermethoden, mit denen der Kreml seine Interessen durchsetzt“, so damals
der russische Journalist Vladimir Volkov. Bei diesem Skandal ging es um die Zukunft des
Medienimperiums „Media-Most“ des Oligarchen Vladimir Gusinskij. Es handelt sich um
die Fortsetzung der Ereignisse vom Frühjahr. Damals wurde Gusinskijs Medienimperium
enormem Druck seitens des Kremls ausgesetzt. Drei Tage nach Präsident Vladimir Putins
Amtsantritt hatten maskierte Polizeieinheiten die Büros von mehreren Unternehmen, die zu
Media-Most zählen, überfallen, durchsucht und Geschäftsunterlagen beschlagnahmt. Dann
wurde Gussinski selbst verhaftet und musste drei Tage im Moskauer Butyrka-Gefängnis
verbringen. Nach seiner Entlassung fuhr er nach Spanien, wo er bis heute residiert.
Zunächst hatte es den Anschein, als ob der Konflikt in beiderseitigem Einvernehmen
beigelegt worden sei und nicht mehr in der Öffentlichkeit ausgetragen würde. Jetzt ist klar,
dass dies nicht der Fall ist. Gusinskij hatte am 20. Juli 2000, als er sich noch in Haft befand,
einen Vertrag unterzeichnet, demzufolge er praktisch seinen gesamten Media-Most-
Konzern dem russischen Gasriesen Gasprom für 300 Millionen Dollar übereignet. Dabei
wurden die Schulden des Konzerns gegenüber Gazprom in Höhe von 437 Millionen Dollar
aufgerechnet. Skandalös war an diesem großen Geschäft nicht nur, dass es hinter Gefäng-
nisgittern abgeschlossen wurde, sondern auch der Umstand, dass Medienminister Michael
Lesin als Garant des Vertrages auftrat, obwohl er formaljuristisch absolut nichts mit dem
Geschäft zu tun hatte und beim Geschäftsabschluss keine entscheidende Rolle spielte. In
Anhang Nr. 6 des Vertrages, dessen Text im Internet veröffentlich wurde, einigten sich die
beiden Seiten auf die Erfüllung folgender wechselseitiger Bedingungen: das Ende der straf-
rechtlichen Verfolgung Gusinskijs, die Gewährung von Sicherheits-garantien für Gusinskij
und die anderen Aktionäre, die Sicherstellung von Rechten und Freiheiten einschließlich

310
des Rechts auf freie Bewegung, frei wählbaren Aufenthalt und Wohnort und freies Ein- und
Ausreisen aus der Russischen Föderation.
Ein anderer Punkt der Einigung sah vor, dass Gusinskij jeglichen Handlungen, ein-
schließlich öffentlichen Auftritten und der Verbreitung von Informationen, die den konsti-
tutionellen Aufbau oder die Einheit der Russischen Föderation unterhöhlen, das heißt, jeg-
lichen Handlungen, die gegen die offizielle Kremlpolitik gerichtet sind, eine Absage erteilt.
Auf diesem Dokument prangte die Unterschrift des einflussreichen und dem Kreml nahe-
stehenden Medienministers Lesin. Faktisch garantierte sie beiden Seiten die Einhaltung der
vereinbarten Bedingungen. Gusinskij berief daraufhin eine Pressekonferenz ein und erklär-
te, dass er den Vertrag mit Gasprom juristisch als nichtig betrachte, weil er ihn unter Druck
unterzeichnet habe. Zu den Bedingungen der Unterzeichung dieser Vereinbarung hätte
seine Entlassung aus der Butyrka gehört und das Ende seiner strafrechtlichen Verfolgung.
Er wäre faktisch als Geisel freigelassen worden, sagte er. Es sei kein Geheimnis, dass es
sich um einen Akt staatlicher Schutzgelderpressung handelte, wenn die Staatsanwaltschaft
ein Strafverfahren nach Belieben eröffnen und dann wieder einstellen kann. Minister Lesin,
der merkte, dass er in eine zwiespältige Situation geraten war, versuchte auf jämmerliche
Weise, sein Verhalten zu rechtfertigen. Er gab zu, dass er einen Fehler begangen habe, und
ergänzte, dass er das mit guter Absicht getan habe, um eine friedliche Lösung des Konflik-
tes herbeizuführen. Der Hintergrund für die ganze Geschichte war die äußerst schlechte
finanzielle Lage von Media-Most. Im März 2000 hatte der Konzern fällige Verpflichtungen
in Höhe von 211 Millionen Dollar nicht begleichen können, für die „Gazprom“ eine Bürg-
schaft übernommen hatte und die mit 20 Prozent des Aktienkapitals des Medienkonzerns
gesichert waren. „Gazprom“ war darüberhinaus Bürge für weitere 262 Millionen Dollar, die
Gusinskijs Holding 2001 begleichen sollte und die ebenfalls mit 20 Prozent des Aktienkapi-
tals gesichert waren. Die Übernahme weiterer Unternehmensanteile durch Gazprom, das
ohnehin schon 16 Prozent der Aktien von „Media-Most“ hielt, sollten angeblich dazu die-
nen, die von „Gazprom“ für die Bürgschaften ausgegebenen Summen zurückzuerstatten,
um sie dann in das Grundgeschäft, die Gasindustrie, zu investieren.
Damit stellte sich die Frage, warum der Gaskonzern dem verlustbringenden Medien-
konzern überhaupt soviel Geld geliehen hatte. Die einzige schlüssige Antwort lautete, dass
bestimmte Kräfte im Kreml versuchten, mit Hilfe des staatlichen Status und der bedeuten-
den finanziellen Ressourcen von „Gazprom“ ihren Einfluss auf die Massenmedien zu stär-
ken. Insbesondere seitdem das Unglück des Atom-Unterseebootes „Kursk“ und der Brand
auf dem Moskauer Fernsehturm Ostankino die Inkompetenz der russischen Regierung und
ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben der einfachen Bevölkerung bloßgelegt hatten,
wuchs mit der scharfen Kritik der Medien, die nicht vom Kreml kontrolliert werden, die
Sorge vor einem Erstarken der oppositionellen Kräfte. All das spielt hinein in den schon
seit langem währenden Kampf um die Kontrolle über die Informationsmedien des Landes.
Im Sommer des Jahres 2000 sah sich Gusinskij von „Gazprom“ an die Wand gedrückt und
war gezwungen, den ihm vorgelegten Bedingungen zuzustimmen. Zur gleichen Zeit ließ er
eine Videoaufzeichnung anfertigen, in der er unter Anwesenheit von Juristen diese Proze-
dur für nichtig erklärte. Gusinskij tat alles, um den Schein zu wahren, weil er befürchtete,
der Skandal, der auch für ihn persönlich äußerst gefährlich war, könnte die Grundlagen der
russischen Marktwirtschaft Regimes untergraben. Der Skandal um „Media-Most“ schlug
breite Wellen nur wenige Tage nachdem der andere Medien-Oligarch, Boris Berezovskij,
eine neue Initiative unternommen hatte, um seinen Einfluss auf den staatlichen Fernsehsen-
der „ORT“ gegen die Ansprüche des Kreml zu verteidigen. Die zunehmenden Konflikte
zwischen Präsident Putin und den Oligarchen machten deutlich, wie instabil die politischen

311
und Unternehmensstrukturen waren, die in den 1990er Jahren entstanden waren. Die breite
Masse hatte den wachsenden Verdacht, dass die neue wirtschaftliche, politische und media-
le Oligarchie ihre eigenen Interessen weit vor die der Gesellschaft stellte.

1.2 Informationsdiktatur und die Schere im Kopf

In der Konsequenz gelang des dem Kreml bzw. der Staatsführung, fünf große nationale
Sender unter seine Kontrolle zu bringen: „Kanal Eins“, „RTR“, „TV-Centr“, „NTV“ und
„Ren-TV“. Diese werden großzügig dazu benutzt, Werbung für die Regierungsorgane zu
machen. Politische Sendungen dienen fast zur Gänze dazu, die Arbeit der Regierung in
günstigem Licht erscheinen zu lassen. Kritische Berichterstattung fällt damit aus. Die poli-
tische Opposition kommt nur ganz am Rande vor und wird obendrein regelmäßig verun-
glimpft, der Illoyalität gegenüber ‚russischen Interessen’ geziehen. Die Zerschlagung des
Medienkonzerns „Most“ hatte gerade für die Opposition und die sie stützenden Medien
einen herben Einbruch bedeutet. Dennoch gibt es auch weiterhin Medien, die sich der kriti-
schen Berichterstattung verpflichtet fühlen, und das einer bedenklichen, an Sowjetzeiten
gemahnenden Neigung zur Selbstzensur zum Trotz, die durch die Drohgebärden des Kreml
in viele Redaktionsstuben eingezogen ist. Zu den kritischen Stimmen gehört die „Vedo-
mosti“ [www.vedomosti.ru], die sich schon dadurch größere Unabhängigkeit bewahren
konnte, daß sie ausländischen Eigentümern gehört – sie ist ein Gemeinschaftsprojekt von
„Financial Times“, „Wall Street Journal“ und des russischen Verlagshauses „Independent
Media Sanoma Magazines ID“. Als internationale Koproduktion wird sie aber auch leicht
Zielscheibe all jener, die in der Eigentumsstruktur schon einen Beweis für Illoyalität, ja
Vaterlandsverrat sehen. Wie deplorabel die Lage der freien Medien in Russland ist, erkennt
man auch daran, daß die Stellung von Zeitungen wie „Gazeta“, „Vremja Novostei“, „Nova-
ja Gazeta“ und „Kommersant“ bereits mit der Rolle verglichen wurden, die die BBC, die
„Deutsche Welle“ und „Radio Liberty“ in der Sowjetzeit spielten253. Sie seien zwar Medien,
die offen und kritisch berichteten, aber auch in ihrer Wirksamkeit beschränkt, weil ihr Pub-
likum vorwiegend aus Intellektuellen und Großstädtern besteht. Als kritisch gilt auch der
Radiosender „Echo Moskvy“. Er gehört zwar dem Energieriesen Gazprom, darf sich aber
weitgehende Freiheiten erlauben, um dem internationalen Vorwurf der medialen Gleich-
schaltung entgegenzuwirken. Die kritischen oder im Ansatz noch kritischen Medien werden
zusätzlich dadurch ausgedünnt, daß sie von Kreml-freundlichen Unternehmern aufgekauft
und auf Kurs gebracht werden. Die intellektuell anspruchsvolle Wirtschaftszeitung „Kom-
mersant“ erwarb 2006 ein Stahlmagnat, der enge Beziehungen zu „Gazprom“ unterhält; die
„Izvestija“ wurde ein Jahr zuvor von „Gazprom“ übernommen, und die „Komsomol’skaja
Pravda“ wechselte 2007 den Besitzer und hat sich seitdem zu einem mehr als nur staatstra-
genden Organ entwickelt. Die „Izvestija“ verkümmerte nach der Übernahme rasch zu dem,
was sie schon zu Sowjetzeiten war – zu einem Sprachrohr des Kreml. Daß mittlerweile 90
Prozent der russischen Medien mittelbar oder unmittelbar staatlich kontrolliert sind, hat die
fatale Folge, daß selbst schwerste Defizite, Fehler und Skandale der staatlichen Einrichtun-
gen und der Regierung zwar noch irgendwo zur Sprache kommen, aber ohne daß sich daran

253
Vgl. Mommsen, M./Nußberger, A.: Das System Putin. Gelenkte Demokratie und politische Justiz in Russland.
Bonn 2007, S. 49.

312
Diskussion, Kritik und Aufklärung anschließen würden. Beispiele gibt es genug: die stüm-
perhafte Niederschlagung der Geiselnahme in einer Schule in Beslan oder die Monetarisie-
rung sozialer Vergünstigungen. Der letztere Fall führte zumindest zu landesweiten Protes-
ten. In vielen anderen findet der Protest nicht mehr in den Medien statt, sondern muß in
Protestbewegungen ausweichen, die es wegen der Kontrolliertheit der Medien wiederum
nicht leicht haben, sich Gehör zu verschaffen. Bestimmte Themen wie die militärische
Gewalt in Tschetschenien, Korruption in Regierungsstellen oder das desaströse Moskauer
Krisenmanagement im Falle terroristischer Überfälle sind tabuisiert. Kritische Stimmen
werden zwar zugelassen, aber nur in Aufzeichnungen, die entsprechend bearbeitet werden,
bevor sie gesendet werden – ein eindeutiger Verstoß gegen die in Art. 29 der russischen
Verfassung zugesicherte Meinungs-freiheit. Genauso wie ein Gesetz, das vor den Duma-
Wahlen 2003 erlassen wurde und das bestimmte, nur kommentarlose Nachrichten über die
Kandidaten zu veröffentlichen. Den Medien war es damit unmöglich, über Alternativen zur
gängigen Politik aufzuklären, weil das als Verstoß gegen die ‚Unparteilichkeit’ gewertet
worden wäre. Das Verfassungsgericht verurteilte zwar das Gesetz, doch den Journalisten
blieb es weiterhin gestattet, zwischen erlaubten und verbotenen Kommentaren zu unter-
scheiden. Hier setzte man eindeutig auf die Schere im Kopf.
Dass man sich als russischer Journalist eher gegen als für eine Nachricht entscheidet,
wenn diese Regierungsorgane verärgern könnte, dafür war gerade die Geiseltragödie von
Beslan ein ernüchterndes Beispiel. Das Fernsehen hielt alle Nachrichten zurück, um nicht
die offizielle Version des Kreml Lügen zu strafen. Nur die damals noch unabhängige „Iz-
vestija“ druckte auf die Titelseite ein ganzseitige Photo, mit der Folge, daß der Chefredak-
teur vom Eigentümer der Zeitung fristlos entlassen wurde. Läßt sich ein unangenehmes
Ereignis wirklich nicht mehr vertuschen, wird davon abgelenkt. So zum Beispiel, als An-
fang 2005 Hunderttausende gegen die Abschaffung von Vergünstigungen für Kriegsvetera-
nen und andere protestierten, wurden nur die befragt, die nichts daran auszusetzen hatten.
Die neue russische Medienpolitik, die zunehmend der alten ähnelte, bedeutete jedoch nicht
‚nur’, daß Journalisten entlassen wurden, die sich zu weit vorgewagt hatten. Etliche mußten
auch mit ihrem Leben für ihre Courage bezahlen, das zu beschreiben, was in einer offenen
Gesellschaft eigentlich beschrieben werden dürfen sollte. Im Westen wurde am bekanntes-
ten die Journalistin Anna Politkovskaja, die für die „Novaja Gazeta“, die „Neue Zeitung“
gegen Korruption und Inkompetenz der russischen Behörden und gegen Menschrechtsver-
letzungen in Tschetschenien anschrieb. Am 7. Oktober 2006 wurde sie ermordet. Ein weni-
ger bekanntes Opfer ist der Journalist und Duma-Abgeordnete Jurij Šekoichin, der Licht
in die Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser in Moskau und anderen russischen Städten
bringen wollte. Da der Kreml an Zweifeln an der offiziellen Version, daß dahinter tsche-
tschenische Terroristen stecken, nicht interessiert sein konnte, mußte der mutige Journalist
sterben, wobei es offiziell hieß, der Fall sei ungeklärt, das Opfer wahrscheinlich an einer
ungeklärten Allergie gestorben. Angehörige und Freunde waren sich jedoch sicher, daß
Šekoichin vergiftet wurde. Die Zahl der während der Amtszeit Präsident Putins ermorde-
ten Journalisten beläuft sich ohne den Duma-Abgeordneten auf 13, ein Umstand, der zu-
sammen mit allen übrigen Kritikpunkten dafür verantwortlich ist, daß Russland 2007 auf
der Skala der Pressefreiheit auf dem unrühmlichen 147. Platz unter 168 geprüften Ländern
rangierte. Was die Zahl der ermordeten Pressevertreter betrifft, kam Russland damals nach
Irak und Algerien auf den dritten Platz.

313
1.3 Der russische Medienmarkt vor der Wende

Das alles hätte man sich in den Tagen nach dem Fall des eisernen Vorhangs nicht vorstellen
können. Alles blickte voller Spannung nach Moskau, wo sich abspielte, was niemand je für
möglich gehalten hätte. Eine freie Gesellschaft schien sich endlich nach Jahrzehnten der
sowjetischen Unterdrückung zu entwickeln. Präsident Michajl Gorbaev hatte für sein Land
den Umbau (‚Perestrojka“) und Transparenz (‚Glasnost‘) als Parolen einer neuen, besseren
Zeit ausgegeben. Die Medien als Träger des gesellschaftlichen Diskurses wurden davon
ebenfalls erfaßt. Zahllose neue Regionalzeitungen emanzipierten sich von ihren Vorgän-
gern. Man wollte nicht mehr der Propaganda für die Staatspartei dienen, sondern den Bür-
ger über das aufklären, was tatsächlich passiert. Selbst die ehemaligen Parteiblätter, die aus
der kommunistischen Bewegung und der Oktoberrevolution hervorgegangen waren, schie-
nen sich zu wandeln. Das Parteiblatt schlechthin, dessen Titel allein schon für den Schind-
luder stand, den der Sowjetkommunismus mit dem hehren Prinzip der Wahrheit trieb, die
„Pravda“ (\  , „Wahrheit“, www.pravda.ru), war ursprünglich eine sozial-
demokratische Zeitung, die Lev Trockij lange vor der Revolution gegründet hatte, um da-
mit die russischen Arbeiter im revolutionären Sinne zu beeinflussen. Um die zaristische
Zensur zu umgehen, wurde die „Pravda“ im Ausland, genauer gesagt in Wien, wo sie am 3.
Oktober 1908 gegründet worden war, gedruckt und nach Russland geschmuggelt. Die Ur-
sprungs-Redaktion bestand aus Trockij, Victor Kopp, Adolf Joffe und Matvej Skobelev,
wobei Joffe und Skobelev die Zeitung finanziell am Leben erhalten konnten, weil sie ver-
mögende Eltern hatten. Die Russische Sozialdemokratische Partei spaltete sich in Fraktio-
nen auf, die Pravda versuchte die Gräben zu überbrücken, stand als Meinungsführerin über
dem Parteistreit, wobei ihre Popularität der leicht verständliche, packende Stil der Tro-
ckij’schen Artikel ungemein erhöhte, allgemein die Konzentration auf Themen, die die
russischen Emigranten und Arbeiter direkt betrafen. Im Januar 1910 gelang es dem Zentral-
kommittee, alle Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei zu einer Vollversammlung zu
vereinen. Man konnte sich auf die Wiedervereinigung einigen, und als Teil dieser Einigung
wurde Trockijs „Pravda“ zur parteiamtlichen Zeitung gemacht. Doch die Versöhnung der
Fraktionen scheiterte. Lev Kamenev, führendes Mitglied der bolschewistischen Fraktion,
zog sich aus der Chefredaktion zurück. Am 15. April 1912 erschien die letzte Ausgabe der
sozialdemokratischen Pravda. Erst das Ende der Zarenherrschaft mit der Februarrevolution
von 1917 erlaubte die Neugründung der Prvada. Die damaligen Herausgeber, Molotov und
Šljapnikov, wurden bereits am 12. März von Kamenev, Stalin und dem ehemaligen Duma-
Abgeordneten Matvej Muranov, die aus Sibirien zurückgekehrt waren, abgelöst. In der
Chefredaktion setzte sich bald die politische Linie Lenins durch, vor allem nachdem die
Provisorische Regierung, der die Bolschewiken einmal ablehend, einmal erduldend gegen-
über gestanden hatten, durch die Oktoberrevolution zerschlagen worden war. Ab da begann
der parteiamtlich geförderte Aufstieg der „Pravda“ zum Zentralorgan des ZK der Kommu-
nistischen Partei, von dem nach der Oktoberrevolution täglich an die 100.000 Exemplare
verkauft wurden. Unmittelbar nach der Februarrevolution, am 13. März 1917, war auch die
andere große Zeitung der späteren Sowjetunion, die Izvestija [www.izvestia.ru], in Sankt
Petersburg, dem späteren Petrograd bzw. Leningrad, gegründet worden. Von dort wurden
beide nach Moskau, in die neue Hauptstadt transferiert, die „Pravda“ am 3. März 1918. Sie
war von da an bis zum Zusammenbruch der Sowjetuion nicht nur das offizielle parteiamtli-
che Organ, sie mußte auch von jedem Angehörigen der Staatsunternehmen, der Armee und
anderer Organisationen abonniert werden.

314
Als Zentralorgan des ZK der Kommunistischen Partei war die „Pravda“ bis 1991, vor allem
im kalten Krieg, die offizielle Stimme des Sowjetkommunismus gegenüber dem Westen, so
wie die „Izvestija“ die Stimme des sowjetischen Regierung, des obersten Sowjet war. Die
Izvestija hieß daher auch mit vollem Namen „^}    * *¨©   
“ – „Nachrichten der Sowjets der Volksdeputierten der SSSR“. Neben den beiden
führenden Sowjetzeitungen gab es die Zeitung „Trud“ für die Sowjet-Gewerkschaften, die
„Komsomol’skaja Pravda“ als Organ des Komsomol, und die „Pionerskaja Pravda“ für die
Jungen Pioniere, die Jugendorganistion der KP. Doch in der Geschichte der „Pravda“ spie-
gelten sich die politischen Machtkämpfe. Nach Lenins Tod 1924 war die Staatszeitung das
Instrument für Nikolaj Bucharin, den damaligen Chefredakteur, um seine parteiinterne
Stellung und sein Ansehen als marxistischer Theoretiker zu festigen. Nach dem Tod Stalins
1953 nutzte der neue KP-Chef Nikita Chruschtschov die „Pravda“ dazu, im Verein mit
deren Chefredakteur Dmitrij Šepilov die Oberhand im Streit mit Premierminister Georgij
Malenkov zu behalten. Am 22. August 1991 hob Präsident Jel‘cin nicht nur die die KP auf,
er strich auch das Parteieigentum an der „Pravda“ per Regierungsdekret ein, worauf die
Angestellten wenig später eine neue Zeitung unter dem-selben Namen gründeten.
Wenige Monate später verkaufte der Chefredakteur Gennadij Seleznjev die „Pravda“ an
die griechische Unternehmerfamilie Jannikos. Seleznjevs Nachfolger, Aleksandr Ilyin,
übertrug die Rechte am Markenzeichen der „Pravda“, den Medaillen des Lenin-Ordens, auf
die neuen Eigentümer. Der Protest, den der Eigentümerwechsel und der Wandel der inter-
nen Strukturen auslösten, hatte zur Folge, daß mehr als 90 Prozent der bisher bei der „Prav-
da“ tätigen Journalisten bis 1991 ihre Stelle kündigten. Der Versuch, ihre eigene Version
der „Pravda“ herauszubringen, endete mit dem Verbot. Sie wurde unter dem Druck der
Regierung eingestellt, worauf die selben Journalisten unter der Führung des früheren
„Pravda“-Redakteurs Vadim Goršenin und Viktor Linik im Januar 1999 die „Pravda Onli-
ne“ aus der Taufe hoben, die erste Internet-Zeitung in russischer Sprache, wobei später
auch englische, italienische und portugiesische Versionen hinzukamen. Wenn auch die
Redakteure beider Medien, der neuen „Pravda“ und der „Pravda Online“, nach wie vor in
Kontakt miteinander stehen, haben beide nichts miteinander zu tun, was man sofort an der
inhaltlichen Ausrichtung sieht. Während die Zeitung die Dinge aus linker Perspektive beur-
teilt, nimmt die Online-Ausgabe häufig einen nationalistischen Standpunkt ein. 2004 wurde
in Litauen eine russischsprachige Stadtzeitung mit dem Namen „Pravda“ ins Leben geru-
fen, die äußerlich nichts mit ihrem Vorbild gemein hatte, jedoch wie die große „Pravda“
versprach, die Wahrheit und nicht nichts als die Wahrheit zu berichten.
Auch die „Izvestija“ wurde nach dem Ende der Sowjetunion unter gleichem Namen
weitergeführt, bezeichnete sich selbst als „all-nationale“, will heißen nationenübergreifende
Zeitung. 2005 stand die Auflage bei 240.967. Sie gehörte damals noch der Holding des
Oligarchen Vladimir Potanin, die über enge Verbindungen zur Regierung verfügt. Am 3.
Juni 2005 wurde das staatseigene Unternehmen „Gazprom“ Mehrheitseigentümer und „Iz-
vestija“ der Gazprom Medien-Holding eingegliedert. Mit deren Einfluß verstärkte sich der
Druck auf kritische Journalisten wie Raf Šakirov, dem ehemaligen Chefredakteur der „Iz-
vestija“, der zurücktreten mußte, weil Regierungsvertretern nicht gefiel, wie der Vorfall
von Beslan von der Zeitung dargestellt wurde. Eine Gruppe von Tschetschenen hatte im
September 2004 mehr als 1.100 Personen, darunter 777 Kinder in der nordossetischen Stadt
Beslan in ihre Gewalt gebracht, um damit gegen die russische Besetzung ihrer Heimat zu
protestieren. Russische Sicherheitskräfte stürmten am dritten Tag der Geiselnahme das
Gebäude, wobei 334 Menschen, darunter 186 Kinder ihr Leben verloren. Die rücksichtslose
und undiplomatische Weise, wie der russische Staat mit dem Leben seiner Bürger umging,

315
allein um seine Stärke zu demonstrieren, erregte die Kritik der Medien, nachdem bereits im
Oktober 2002 eine russische Spezialeinheit ein Moskauer Musicaltheater gestürmt hatte,
auch hier ohne große Rücksicht auf die Geiseln zu nehmen. Die tschetschenischen Geisel-
nehmer wie auch die Zuschauer wurden damals einer bis heute nicht geklärten giftigen
Substanz ausgesetzt, die man durch das Lüftungssystem in das Theater eingeleitet hatte. 39
der Geiselnehmer und (offiziell) 129 der Zuschauer starben, außer zwei alle übrigen durch
das eingeleitete Gas. Nachdem die „Izvestija“ von der blutigen Beslan-Aktion Aufnahmen
veröffentlicht hatte, soll der Zeitungseigner, Vladimir Potanin, den Chefredakteur Šakirov
aufgefordert haben, seinen Posten zu räumen, aus Angst vor der Wut des Kreml über die
mehr als deutlichen Photos. Auch der Radiosender „Echo Moskvy“ (ª©  ^ ¨) mußte
mitansehen, wie seine journalistische Unabhängigkeit nachließ. Er gilt zwar bis heute als
eine der letzten Bastionen freier Medien in Russland, aber seitdem „Gazprom Media“ 66
Prozent der Anteile hält und die dort beschäftigten Journalisten nur noch die verbleibenden
34 Prozent, hat dieser Ruf gelitten. „Gazprom Media“ gehören heute außerdem die nationa-
len Fernsehstationen „NTV“ (russ.: «>), „NTV Plus“ und „TNT“, die Radiosender „Re-
lax FM 90.8“, „First Popular Radio“, „Radio NEXT“ und „City-FM 87.9“, die Zeitschriften
„Itogi“ (vergleichbar „Newsweek“ oder „Time“), „Tribuna“, ein Magazin, das sich vor
allem mit Fragen der Industrie und des Energiesektors beschäftigt, und die bereits genannte
„Izvestija“. „NTV“ war ursprünglich ein Subunter-nehmen von Vladimir Gusinskijs „Me-
dia-Most“, ein Unternehmen, das als Pionier der unabhängigen post-sowjetischen Medien
bezeichnet wurde, aber ebenfalls von „Gazprom“ übernommen wurde.

1.4 Der Mordfall Anna Politkovskaja

Die in Moskau erscheinende Wochenzeitung „Novaja Gazeta“ („Neue Zeitung“,


www.novayagazeta.ru) war den Kremlfürsten von Anfang an ein Dorn im Auge. Sie nennt
sich selbst die „letzte freie Stimme Rußlands“ („ ^!*~ ^  *¨~ ¬ ! ^  ^^“).
Als die Verkörperung dieser freien Stimme im Oktober 2006 ermordet wurde, stritt Präsi-
dent Putin ab, daß ihre Artikel in Russland wirklich irgendjemanden interessiert hätten. Er
sagte es zu demonstrativ, um glaubwürdig zu sein. Mit ihr starb nicht nur der Respekt vor
dem Individuum, der eine zivilisierte Gesellschaft auszeichnet, hieß es in Artikeln zu ihrem
Tod. Mit ihr starb die Hoffnung auf ein freies, demokratisches Russland. Ihre Kollegen,
Dmitrij Muratov, Vjaeslav Ismalov oder Roman Šlachin schworen sich, für sie weiter
gegen die schleichende Wiederkehr des Totalitären anzuschreiben. Für den wahrhaft todes-
verachtenden Mut ihrer Redakteure bekam die Zeitung 2007 den Henri-Nannen-Preis für
freien Journalismus zugesprochen254. Der heutige Chefredakteur Dmitrij Muratov gründete

254
Hamburg, 4. Juli 2007 – Am 11. Mai 2007 wurde die russische „Novaja Gazeta“ mit dem Henri Nannen Preis
2007 für Pressefreiheit ausgezeichnet. In seiner Dankesrede rief ihr Chefredakteur Dimitrij Muratov die bei
der Preisverleihung anwesenden Vertreter aus Wirtschaft und Medien dazu auf, Anzeigen in der Kreml-
kritischen Zeitung zu schalten und sie so zu unterstützen. Denn die „Novaja Gazeta“ wird nicht nur von den
russischen Behörden schikaniert, sondern muß auch ständig um ihre wirtschaftliche Basis bangen, da es fast
keine Unternehmen gibt, die in der Zeitung Anzeigen veröffentlichen. Die Rede Muratovs hat viele Unterneh-
mensvorstände tief bewegt. Sie werden in den nächsten Wochen in der „Novaja Gazeta“ Gratulationsanzeigen
zur Verleihung des Henri Nannen Preises veröffentlichen. Das bringt der Zeitung zum einen dringend benötig-
tes Geld und belegt zum anderen den Rückhalt, den die russischen Kollegen aus Deutschland erfahren. Die ers-

316
im April 1993 zusammen mit Kollegen der ehemaligen sowjetischen Jugendzeitung „Kom-
somol’skaja Pravda“ („| ^  !{^ } \  “), die heute eine patriotische bis national-
extremistische Boulevardzeitung ist, eine der ersten unabhängigen russischen Tageszeitun-
gen. Aus dieser ging 1999 die vorerst zweimal wöchentlich erscheinende „Novaja Gazeta“
hervor255. Der Chefredakteur Dmitrij Muratov zählt zu jenen russischen Intellektuellen, die
seit der Pestrojka für Demokratie und Menschenrechte kämpfen. Der 45-jährige Vollblut-
Journalist baute eine Redaktion auf, deren Impressum als „Adelsregister des russischen
Journalismus“ gilt. Die meisten der rund dreißig Mitarbeiter des Blattes gehören zu den
absoluten Stars der Branche, u.a. der international anerkannte Militärexperte Pavel Felgen-
hauer, der ehemalige Armeeoffizier Ismalov, die Schriftstellerin Julija Latynina, und der
Reporter Šlachin. Diese Redakteure waren früher die Aushänge-schilder etablierter Tages-
zeitungen mit Millionen-Auflagen. Kurz nach seinem Amtsantritt im Frühjahr 2000 setzte
Präsident Vladimir Putin alle Medien unter Druck, die durch kritische Distanz zum Kreml
und eine kritische Berichterstattung aus Tschetschenien aufgefallen waren. So wurden die
besten Journalisten aus ihren Redaktionen gemobbt und sammelten sich um Muratov. Bei
der „Novaja Gazeta“ fanden nicht nur die besten Redakteure des Landes eine neue Heimat,
sie stützt sich auch auf ein dichtes Netz von Korrespondenten in der Russischen Föderation
und den ehemaligen Unionsrepubliken, die aber aus Sicherheitsgründen meist anonym
bleiben, zumal hohe Beamte aus der Kreml-Administration und Regierungspolitiker, die die
„Novaja Gazeta“ mit Informationen versorgen.
Die Mitarbeiter der kleinen Redaktion leben gefährlich. Sechs Journalisten aus ihren
Reihen wurden seit Mai 2000 schwer verletzt oder gar umgebracht. Verletzt wurden die
„Novaja Gazeta“-Redakteure Oleg Lurje, Sergej Solovkin und Michail Komarov. Oleg
Lurje, Sonderkorrespondent der „Abteilung Aufklärung und Recherche“ und Autor zahlrei-
cher Artikel über Korruption von hochgestellten Staatsdienern, wurde am 16. Dezember
2000 von zwei Unbekannten zusammengeschlagen. Die Täter nahmen ihm weder Geld
noch Wertsachen ab. Der Südrussland-Korrespondent Sergej Solovkin wurde am 12. März
2002 in Sotschi am Schwarzen Meer vor seinem Haus überfallen. Der Täter gab zwei
Schüsse ab, verfehlte ihn aber. Solovkin erwiderte das Feuer mit seiner eigenen Pistole, die
er als ehemaliger Kriminalkommissar legal besaß. Nach dem Mordanschlag verließ Solov-
kin Russland und zog nach Hamburg256. Der stellvertretende Chefredakteur der Außenredak-

te Anzeige erscheint am 5. Juli 2007 und kommt vom stern. Es folgen der Spiegel-Verlag („Der Spiegel“), der
Focus Magazin Verlag („Focus“), der Axel Springer Verlag („Bild“), die Süddeutsche Zeitung GmbH („Süd-
deutsche Zeitung“), die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck („Handelsblatt“), die Motor Presse Stuttgart
(„auto, motor und sport“), der VDI Verlag („VDI Nachrichten“), die Werbeagenturen Scholz & Friends, Publi-
cis und Draftfcb sowie der Gesamtverband Kommunikations-agenturen GWA. Außerdem wird BMW als bis-
lang einziges Unternehmen, das nicht aus den Medien kommt, eine Anzeige in der „Novaja Gazeta“ schalten.
Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn: „Wir freuen uns über die große Resonanz, die der Aufruf zur Unter-
stützung der Nowaja Gaseta von deutschen Unternehmen erhält. Wir hoffen, dass noch weitere Firmen Dimit-
rij Muratows Aufruf folgen werden. Die Zeitung, deren bekannteste Reporterin Anna Politkovskaja letztes Jahr
erschossen wurde, verdient unsere Unterstützung auch über den Abend der Preisverleihung hinaus“.
[www.henri-nannen-preis.de/presse_2007.php?id=37; www.henri-nannen-preis.de/media/pm_unterst__
tzung_.0f3381f3.pdf].
255
Vgl.: Gesine Dornblüth: Eine Insel der Wahrheit und Unabhängigkeit im Meer von Konformismus und Lügen.
In: Deutsche Welle, 10. Oktober 2006 (russisch).
256
Für seine Reportagen ist Solovkin zweimal mit dem Larisa-Judina-Preis des russischen Journalisten-verbandes
geehrt worden. Larissa Judina, die als Journalistin in Kalmükien arbeitete, fiel 1998 einem Mordanschlag zum
Opfer. Sie hatte in ihren Artikeln die Politik des kalmükischen Präsidenten Kirsan Iljumšinov kritisiert und
nach der Herkunft seines Millionenvermögens gefragt. Solovkin schrieb für die „Novaja“ über Korruptionsfäl-
le, die bis in höchste politische Ränge reichten, aber auch über Fälle wie den der „Miss Sotschi“, der Schön-

317
tion in Rjasan, Michail Komarov, wurde am 3. November 2003 von zwei Männern vor dem
Eingang seines Hauses überfallen und zusammengeschlagen. Die Täter nahmen ebenfalls
kein Eigentum des Opfers an sich. Komarov wurde schwer verletzt ins Krankenhaus ge-
bracht. Ermordet wurden die „Novaja Gazeta“-Redakteure Igor Domnikov, Jurij Šekoi-
chin, und Anna Politkovskaja. Der Spezialist für Korruptionsfälle in der Ölindustrie, Igor
Domnikov, wurde am 12 Mai 2000 von bislang unbekannten Tätern vor dem Eingang sei-
nes Wohnhauses mit einem Hammer niedergeschlagen und bewußtlos in einer Blutlache
liegengelassen. Domnikov starb am 16. Juli, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
Sowohl die Polizei als auch Domnikovs Kollegen waren sich sicher, daß der Anschlag mit
seiner beruflichen Tätigkeit in Zusammenhang steht. Der stellvertretende Chefredakteur
Jurij Šekoichin wurde während Recherchen über die Verbindung von Steuerbetrügern
und dem Inlandsgeheimdienst FSB am 21. Juni 2003 in lebensbedrohlichem Zustand in das
Moskauer Zentralkrankenhaus eingeliefert. In der Nacht des 3. Juli starb er. Die offizielle
Todesursache war eine heftige allergische Reaktion, obwohl er nie an einer Allergie gelitten
hatte. Die Ergebnisse der Autopsie wurden den Angehörigen nie mitgeteilt.
Die Journalistin Anna Politkovskaja hatte während des Tschetschenien-Krieges Verbre-
chen der russischen Armee und der mit ihr verbündeten paramilitärischen tschetschenischen
Gruppen aufgedeckt. Am 7. Oktober 2006 wurde Politkovskaja im Aufzug ihres Moskauer
Wohnhauses mit mehreren Schüssen ermordet257. In jenem Haus nahe der U-Bahn-Station
„Belorusskaja“ wohnten zwar ehemalige Sowjetgrößen und mehrere gefährdete Personen
des öffentlichen Lebens, doch eine Eingangskontrolle gab es nicht. Der unmaskierte Täter
wurde zwar von einer Überwachungskamera gefilmt und identifiziert, aber von der Polizei
nie gefaßt. Der Verlag setzte 25 Millionen Rubel (930.000 Dollar) aus für Hinweise auf die
Mörder von Politkovskaja und versprach, ihre Killer würden nicht ruhig schlafen, solange
es die „Novaja Gazeta“ gäbe258. Aus aller Welt trafen Beileidsbekundungen ein. Russische

heitskönigin Eleonore Kondratjuk, in den sich ein gewisser Ruben Grigorjan verliebt hatte. Sie hielt aber nicht
viel von ihrem Anbeter, dem Kontakte zur Unterwelt nachgesagt wurden. Der gekränkte Grigorjan heuerte Kil-
ler an, die dem Mädchen auflauerten ihr konzentrierte Schwefelsäure ins Gesicht schütteten. Eleonore überleb-
te den Anschlag, blieb aber für immer entstellt. Nach den Tätern wurde kaum gesucht. Grigorjans Boss und der
für den Fall zuständige Polizeiermittler waren gute Freunde. Erst Solovkins Artikel in der örtlichen und Mos-
kauer Presse zwangen die Polizei zum Handeln. Einen der untergetauchten Unholde, einen gewissen Adgur
Gotschua, hat der Journalist in einem abchasischen Dorf aufgespürt. Doch der Prozess gegen ihn wurde zur
Farce: Lediglich fünf Jahre Haft bekam Gotschua für seine Greueltat. Durch seine Publikationen erwirkte So-
lovkin jedoch, daß das Urteil wesentlich verschärft wurde. Das Attentat auf Solovkin könnte so ein Racheakt
Gotschuas gewesen sein.
257
\ * , A.: „¨ *   !!­~“. ®~¯ ^* ~ ° * !^  £ !± ^¨£  ^ *¨. 9
} } 2006 ¬. [http://www.newizv.ru/news/2006-10-09/55613/].
258
Der vielleicht gespenstischste Eintrag in Anna Politkovskajas nachgelassenem Manuskript, das als „Russisches
Tagebuch“ erschien, stammt vom 13. Februar 2004. Zwei Jahre, sechs Monate und zweiundzwanzig Tage be-
vor die russische Journalistin erschossen im Aufzug ihres Moskauer Wohnhauses aufgefunden wird, klingelt in
der Redaktion von Novaja gazeta das Telefon. Es meldet sich jemand aus russischen Geheimdienstkreisen, ei-
ne Nachricht soll übermittelt werden. Der Empfänger ist Ivan Rybkin. Die Botschaft: Falls Rybkin aus seinem
Londoner Exil in einer Fernsehdiskussion belastendes Material gegen Putin auf den Tisch lege, gebe es einen
Terroranschlag. Politkovskaja schreibt: „Ich tue, worum ich gebeten worden bin. Doch auch ohne die Warnung
hat Rybkin bereits alle Fernsehauftritte abgesagt. Sein Leben ist ihm lieber.“ Rybkins Schicksal erlebte Polit-
kovskaja noch mit: Im Jahr 2004 hatte er in den Präsidentenwahlen gegen Putin kandidiert, dessen Regierung
er gegenüber der Presse als „Diktatur“ bezeichnete und deren Tschetschenien-Politik als „Staatsverbrechen“;
kurz darauf wurde er als vermisst gemeldet und kehrte dann plötzlich zurück, mit der wirren Behauptung, im
Urlaub gewesen zu sein: „wie ein lebender Leichnam, mit einer Damensonnenbrille auf der Nase“, schreibt
Politkovskaja. Zu Wort meldete sich daraufhin der ehemalige und nach London geflohene Geheimdienstler
Aleksandr Litvinenko, der öffentlich erklärte, das Auftreten Rybkins deute auf eine Behandlung mit dem psy-

318
Intellektuelle und Oppositionspolitiker äußerten offen ihre Bestürzung. Der international
bekannte russische Exil-Schriftsteller Vladimir Vojnovi, der schon zu Sowjetzeiten kein
Blatt vor den Mund genommen hatte, schrieb, er wisse nicht, wie er die Empfindungen
beschreiben solle, die ihn befielen, als er vom Mordanschlag hörte – Zorn, Schrecken, Ver-
zweiflung. Zu Sowjetzeiten wäre man einfach im Gefängnis oder in der Klappsmühle ver-
schwunden, heute herrscht in Russland offiziell Freiheit und Demokratie. Doch wer deren
Prinzipien ernst nehme, lande sofort in einer „Hochrisiko-Gruppe“. Die unabhängig Den-
kenden würden der Möglichkeit beraubt, sich öffentlich zu äußern, da das Fernsehen unter
Kontrolle der Mächtigen steht. Die Wahlen wären zu einer „sowjetischen Farce“ geworden,
eine reale Opposition gäbe es auch nicht mehr – „die Macht tut was sie will. [...] In der Luft
riecht es nach gewöhnlichem Faschismus, und all das geschieht mit der Zustimmung der
Mehrheit der Bevölkerung, die immer weniger Volk genannt werden will“. Die deutsche
Schriftstellerin Monika Maron machte aus ihrer Empörung keinen Hehl, was das westliche
Desinteresse an den russischen Zuständen betraf:

„Seit dem 7. Oktober 2006, dem Tag, an dem Anna Politkovskaja in ihrem Haus erschossen wurde, ist ihr
Name in der deutschen Öffentlichkeit bekannt. Er hätte auch vorher bekannt sein können; es waren zwei Bü-
cher von ihr erschienen: „Tschetschenien - die Wahrheit über den Krieg“ (2003) und „In Putins Russland“
(2005); zwei Bücher, aus denen man so Ungeheuerliches erfahren kann, dass sich jeder, der auch nur eines ge-
lesen hat, fragen muss, warum der Krieg in Tschetschenien und seine Auswirkungen auf Russland uns eigent-
lich so wenig interessieren; warum jeder Tote im Irak, jeder Häftling in Guantánamo, jeder erschossene Paläs-
tinenser unser Mitgefühl und unsere Empörung weckt, wogegen die alltägliche Rechtlosigkeit, die Morde,
Entführungen, Vergewaltigungen in Tschetschenien, Inguschetien oder Dagestan uns erst erregen, wenn in
Beslan mehr als dreihundert Geiseln getötet werden oder wenn im Moskauer Musicaltheater Nord-Ost eine
Geiselnahme mit einem Giftgaseinsatz beendet wird und dabei neunzig Kinder ums Leben kommen oder
wenn in Moskau eine ungewöhnliche und mutige Journalistin ermordet wird, ausgerechnet am Geburtstag des
russischen Präsidenten, der zudem wenige Tage später die deutsche Bundeskanzlerin treffen sollte.“

Und Kerstin Holm adelte in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ die Courage
der Politkovskaja im Angesicht einer Staatsmacht, die zu allem fähig ist: „Man hatte es
immer schon geahnt, jetzt ist es amtlich. Der russische Staat, der auf der Weltwirtschafts-
bühne sein imperiales Comeback feiert, hat die Schwachen zum Abschuß freigegeben“259.
Sie war eine Zeitungsreporterin, „die die Kellerverliese der russischen und tschetscheni-
schen Kriegsmaschinerie aufsuchte. [...] Anna Politkovskaja sammelte das, wofür sich
außer ihr keiner mehr zu interessieren wagte, die Stimmen der Geschundenen, die ohne
Idealisten wie sie im Nichtsein verschwinden. Die zarte Frau, die trotz Anschlägen und
Morddrohungen keine Leibwache haben wollte, war Rußlands Stimme der menschlichen
Anteilnahme. Ihr wirksamster Schutz, in den besorgte Bewunderer der Politkovskaja ihre
Hoffnung setzten, lag in ihrer Schutzlosigkeit. Daß der unwirksam wurde, wirkt wie ein
Dammbruch.“
Unter Journalisten und Menschenrechtlern herrschte Niedergeschlagenheit und Panik.
Der Publizist Richard Lourie sah in Rußland nach der Demokratie die Zivilisation selbst
sterben, deren Kennzeichen es sei, Individuen zu achten und informieren zu wollen. Der

chotropen Präparat SP 117 hin, ein Psychopharmaka, das zur Willenlosigkeit führt und dann zum Blackout.
Rybkin zog seine Kandidatur zurück und ging nach London. Das Ende der Affäre erlebte Politkovskaja nicht
mehr: im Oktober 2006 wurde zuerst sie ermordet; am 23. November des gleichen Jahres starb Litvinenko an
den Folgen einer Polonium-Vergiftung in einem Londoner Krankenhaus.
259
Holm, K.: Die letzte Hoffnung wurde erschossen. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 22.10.2006,
Nr. 42, S. 33.

319
Publizist Valerij Panjuškin stellte seine Kolumne in der Zeitung „Kommersant“ ein. Denn
die russische Politik bestehe nur noch aus kannibalischen Gruppenkämpfen, begründete
Panjuškin seinen Entschluß. Der Menschenrechtler Oleg Orlov legte sein Amt als, wenn
auch höchst nomineller, Berater von Präsident Putin nieder, nachdem das Staatsoberhaupt
die Lebensleistung der Gemeuchelten firmendirektorhaft als für Rußland schädlich einge-
stuft hatte. Wenngleich ihr Tod dem nationalen Image noch mehr schade. Zwölf Journalis-
ten sind während Putins Amtszeit in Russland ermordet worden, die meisten hatten Korrup-
tionsfälle recherchiert. Doch während das Staatsoberhaupt die politische und Presseland-
schaft gleichschaltete, bekannte er sich gebetsmühlenartig zu Demokratie und Pressefrei-
heit. Nach dem Tod der Politkovskaja kaschierte Orlov seine Verachtung dafür nicht mehr.
Anfang September 2004 hatte Politkovskaja auf einem Flug nach Beslan berichtet, Opfer
eines Giftanschlags geworden zu sein, den sie aber überlebte. Ihre Redaktion mußte über
eine vertrauenswürdige Firma ein eigenes Flugzeug chartern, um Politkovskaja, die wegen
der Vergiftung nicht sitzen konnte, zur Behandlung von Rostov nach Moskau zu bringen.
Der mit dem Vergiftungstod verbundene, quälend lange Sterbeprozess beschreibe zugleich
den Zustand Rußlands, so die Journalistin, und beschrieb in ihren Aufzeichnungen die tag-
täglichen Symptome des Verfalls, das schrittweise Ausfallen der demokratischen Staatsor-
gane: „Kann man heute von einer Krise der parlamentarischen Demokratie in Russland
sprechen?“, fragt sie im Dezember 2003 und antwortet: „Nein. Unter Putin erlebt der russi-
sche Parlamentarismus sein Ende.“ Die Duma: reduziert „auf das dekorative Absegnen und
Abstempeln der Putin‘schen Beschlüsse“. Das Volk: „willens, ohne Demokratie zu leben“.
Die Live-Sendung, in der Zuschauer Fragen an Putin stellen, nennt Politkovskaja „eine
moderne Variante des Rituals der ,Bittschriften an den Zaren’“; die Fragen seien ausge-
wählt, die Antworten vom Blatt abgelesen. Sie beschreibt, wie Putin, angesprochen auf den
inhaftierten russischen Unternehmer Chodorkovskij, losbrüllt „wie ein Marktschreier oder
Aufseher im Gefängnis“. Während sich 2004 der Strick um die freie Presse und Rechtspre-
chung immer enger zuzog, Politiker, Journalisten und Menschenrechtler verschwanden,
bedroht wurden oder Asyl beantragten, während der damalige Bundeskanzler Gerhard
Schröder Putin einen „lupenreinen Demokraten“ nannte, die Hamburger Universität dem
russischen Präsidenten schon mit der Ehrendoktorwürde entgegeneilen wollte, blieb Polit-
kovskaja unbeeindruckt, trotz des stets drohenden Endes.
Ihre Ermordung, die in Russland Massenproteste auslöste, überschattete auch den soge-
nannten „Petersburger Dialog“260. Einen Aufruf, weiter für die Prinzipien von Pressefreiheit
und für den Mut zu eigener Auffassung als Grundlagen einer freien Zivilgesellschaft einzu-
treten, hatte die Arbeitsgemeinschaft Medien des sechsten „Petersburger Dialogs“ verfaßt.
In dem Schreiben an den Chefredakteur der Moskauer Zeitung „Novaja Gazeta“, Dmitrij
Muratov, und seine Kollegen brachten die Teilnehmer ihre große Trauer und Bestürzung
über den Mord an der russischen Journalistin zum Ausdruck. Der „Petersburger Dialog“ ist
eine Einrichtung, die 2001 auf Initiative des damaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard
Schröder und des russischen Präsidenten Vladimir Putin ins Leben gerufen wurde, um dem
zivilgesellschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und Russland ein Forum zu geben.
Sehr kontrovers beschäftigte sich auch die deutsche Arbeitsgruppe Medien, die sich 2007
das Thema „Zwischen Kulturkampf, Terrorismus und Pressefreiheit – Journalismus in
unruhigen Zeiten“ gegeben hatte, mit dem Fall Politkovskaja. Viktor Lošak, Chefredakteur

260
Witzler, R.: Uneins im Mordfall Politkowskaja. Überschattet den „Petersburger Dialog“: der Mord an Anna
Politkowskaja. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2006, Nr. 236, S. 40.

320
der Zeitschrift „Ogonjok“, weitete den Rahmen der Fragestellung aus: Die russische Ge-
sellschaft müsse sich die Frage stellen, warum der Wert eines Menschenlebens so gering
geachtet werde, daß noch immer versucht würde, Probleme mit dem Mord des Opponenten
zu lösen. Maksim Ševenko, Moderator des Fernsehsenders „Pervyj kanal“ („Erster Ka-
nal“), sah hier ein entscheidendes Kriterium zur Beurteilung einer Gesellschaft: „In einer
unzivilisierten Gesellschaft wird der Gegner aufgefressen.“ Ševenko kritisierte zugleich
die Berichterstattung über den Mord und seine Hintergründe in den deutschen Medien
harsch. Klischees und Stereotype bestimmten das Bild Rußlands. So sei in nahezu allen
Medien, die über den Mord berichteten, immer wieder betont worden, Anna Politikovskaja,
sei regierungskritisch gewesen. Ihre Ermordung stünde möglicherweise damit in Zusam-
menhang.
Die Spur des Mörders führe in den Kreml. Dies sei aber allenfalls die halbe Wahrheit.
Anna Politkovsjaka war vor allem eine kritische, absolut unbestechliche Journalistin, der
das Politische relativ gleichgültig war. Sie habe sich ohne jeden Kompromiß für die Vertei-
digung der Menschenwürde eingesetzt, egal gegen welche politische Seite sie dabei vorge-
hen mußte. Die Einhelligkeit der Meinungen in den deutschen Medien erinnere ihn an die
Propaganda der siebziger Jahre in der Sowjetunion. Der russische Botschafter Vladimir
Kotenev beklagte ähnlich scharf die durchweg negative Berichterstattung über sein Land,
insbesondere über die Politik und ihre Vertreter, und forderte mehr Raum für die Darstel-
lung des bereits Geleisteten. Dem widersprach glücklicherweise der Leiter des Programm-
bereichs Kultur vom Nord-deutschen Rundfunk, Thomas Schreiber, vehement. Propaganda
unterstelle die zentrale Lenkung der Meinung, wovon die Presse in Deutschland weit ent-
fernt sei. Unterschiedliche Redaktionen und Redakteure gelangten in bestimmten Fällen
eben zu gleichen Auffassungen. Zudem gehöre es zum Selbstverständnis des Journalismus
in Deutschland, die Entwicklungen in der Gesellschaft kritisch zu begleiten. Das Verständ-
nis dieses Phänomens als Propaganda sage sehr viel aus über die unterschiedlichen journa-
listischen Kulturen in Deutschland und Russland.
Im wiedererstarkten Rußland, das ein immer dichteres Netz von Sicherheitsdiensten und
Kontrollbeamten überwuchert, nahmen die spektakulären Mordtaten wieder zu, auch und
nicht zuletzt an Medienleuten. In Moskau erdolchten Unbekannte den Manager der Nach-
richtenagentur „Itar-Tass“, Anatolij Voronin. Der „Forbes“-Herausgeber Paul Klebnikov
wurde umgebracht, genauso wie die Reporter Valerij Ivanov und Andrej Sidorov, die sich
in der Wolgastadt Togliatti mit dem organisierten Verbrechen befasst hatten. Keiner der
Fälle wurde aufgeklärt261. Nach Anna Politkovskajas Tod waren sich russische Kommenta-
toren auch in der Prognose einig, ihr Mörder würde nie gefunden werden. Ramzan Kady-
rov, der tschetschenische Premier, den Politkovskaja als Verbrecher gebrandmarkt hatte
und dem ihre Ermordung das Leben zweifellos erleichterte, beteuerte seine Unschuld mit
dem Argument, er töte keine Frauen. Kenner der tschetschenischen Zustände berichten, daß
der Krieg die Tabus zerstört. Anna Politkovskajas letzte, nicht fertig geschriebene Reporta-
ge, die ihre Zeitung „Novaja Gazeta“ als Fragment ins Netz stellte, enthielt Videobilder von
Polizeiopfern, die zu Tode gequält werden. Von den Peinigern sind nur die Stimmen zu
hören, die den Sterbenden Flüche und, wie nach Vergewaltigungen üblich, weibliche
Schimpfnamen hinterherschicken. Diese Verrohung ging trotz aller Kontrolle offenbar
nicht an der Öffentlichkeit vorbei. Das Vertrauen in den Präsidenten fiel Anfang 2007 in-

261
Ebenso wie der Mord an den Journalisten Sergej Kalinovski in Smolensk, an Oleg Dolganzev in Petrosavodsk,
Sergej Korabel’nikov in Tula, Vladimir Kirsanov in Kurgan usw.

321
nerhalb eines Monats um vierzehn Prozent ab. Weniger als ein Drittel der Bevölkerung
vertraue Putin, teilte die Stiftung „Öffentliche Meinung“ („Obšestvennoje mnenije“) mit.
Die gleiche Studie ergab aber auch, daß das Staatsoberhaupt paradoxerweise mit 52 Prozent
einen größeren Wählerzuspruch finden würde als noch vor vier Wochen.
Eine fatale Rolle spielt gerade das Fernsehen in der moralischen Aufrüstung des russi-
schen Publikums, in seiner panischen Angst vor Einkreisung, Unterwanderung, Verschwö-
rung. Wöchentlich wurden Sendungen über die Verteidigung Moskaus im Herbst 1941 oder
ein frisch produzierter russischer Spielfilm über Hitler gezeigt. Eine Serie über Stalin stellte
dessen Verdienste in der Verteidigung des Vaterlandes heraus und ließ die Millionen Toten
seiner Zwangskollektivierungen und politischen Verfolgungen so gut wie unerwähnt. Kein
konstruktives Ziel, nur der Kampf gegen den äußeren und den inneren Feinde binde die
russische Gesellschaft zusammen, stellte der Publizist Andrej Rjabov bitter fest. Die anti-
georgische Kampagne inklusive Deportation und Schließung georgischer Betriebe kom-
mentierte der Mann auf der Straße mit dem Hinweis, endlich ginge es den georgischen
Mafiaclans an den Kragen. Die Kraftprobe mit dem abtrünnigen Kaukasusland war nicht
zuletzt populär als stellvertretende Strafaktion gegen die Vereinigten Staaten. Das insinuier-
ten nicht nur die Boulevard-Blätter, sondern auch die seriöse Presse bis hin zum staatlichen
Fernsehen. In der Zeit von Dezember 2003 bis August 2005, die Anna Politkovskaja in
ihrem „Russischen Tagebuch“ beschreibt, verendete die Pressefreiheit, verbreiteten sich
Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, verkamen die Wahlen wie unter sowjetischen
Verhältnissen zur Farce, verelendeten die Armen, und paralysierte sich die Opposition. Und
dennoch zogen es die Staatsmänner der Welt vor, Präsident Putin „zu küssen, statt ihn in
die Schranken zu weisen“. Ein schiefes Licht fiel dabei auch auf die deutsche Medienland-
schaft. Anna Politkovskaja und die „Novaja Gazeta“ wurden vielfach ausgezeichnet, aber
das Fernsehen berichtete deshalb auch nicht mehr über Tschetschenien. Oder verzichtete
Sabine Christiansen deshalb für Gari Kasparov auf den russischen Botschafter, fragte Mo-
nika Maron in ihrem Nachruf auf die Journalistin:

„Hat sich die SPD bis heute von ihrem Genossen Gerhard Schröder distanziert, der Putin wider besseres
Wissen und aus Gründen, die nicht anders als korrupt erscheinen können, einen lupenreinen Demokraten ge-
nannt hat? [...] Sind, wie damals beim Krieg im Irak, Tausende auf die Straße gegangen mit Transparenten:
Kein Blut für Öl? Denn um Öl geht es auch diesmal. Die Ursachen für unsere Zurückhaltung mögen nicht zu-
letzt in der deutschen Vergangenheit liegen und in dem Schuldbewußtsein, das sie den Deutschen hinterlassen
hat. Aber gerade unsere Vergangenheit sollte uns verpflichten, auf der Seite derer zu stehen, die für Presse-
und Meinungsfreiheit, für demokratische Wahlen und gegen die Willkür der Geheimdienste kämpfen, Rechte,
die wir für unverzichtbar halten und für unteilbar, die also auch für Russland gelten. Allerdings habe ich den
Eindruck, es gibt auch andere, weniger ehrenhafte Gründe für die Nachsicht der deutschen Öffentlichkeit ge-
genüber den russischen Verhältnissen.“

Man unterstelle, so Maron, dass das russische Volk nach Zarenherrschaft und kommunisti-
scher Diktatur genausowenig demokratiefähig sei wie auch die Ostdeutschen nach fünfund-
vierzig Jahren SED-Diktatur. Umso mehr müsse man aber dessen Bemühungen unterstüt-
zen, sich autokratischer Tendenzen zu erwehren. Anna Politkovskaja wäre jemand gewe-
sen, der dafür stand, für ein besseres Russland, und die die Unterstützung des Westens
verdient hätte. Daß es Putin wagte, einige Tage nach ihrer Ermordung der deutschen Öf-
fentlichkeit zu erklären, Anna Politkovskaja sei eine radikale, aber im eigenen Land eher
unbedeutende Journalistin gewesen und ihr Tod schade Rußland mehr als ihre Artikel, wäre
auch ein Vorwurf an die deutsche Öffentlichkeit gewesen.

322
Im August 2007 galt der Fall Politkovskaja für die russische Staatsanwaltschaft als gelöst.
Zehn Tatverdächtige saßen hinter Gittern, und der russische Generalstaatsanwalt Jurij ajka
hob gegenüber Präsident Putin hervor, man hätte bei der Untersuchung des Verbrechens
große Fortschritte gemacht, insofern als man nun wisse, daß die Person, die den Mord an-
ordnete, im Ausland lebt. Jedem Leser, Zuschauer und Zuhörer war damit klar, daß hinter
dem Mord nur der im Londoner Exil lebende Oligarch Boris Berezovskij stehn könne, der
als Russlands Staatsfeind Nummer Eins galt. Ähnlich wie in den 1930er Jahren alles das
was nicht funktionierte dem im Exil lebenden Lev Trockij in die Schuhe geschoben wurde,
bis er schließlich 1940 von einem GPU-Agenten ermordet wurde. 2007 stellte der General-
staatsanwalt in ähnlicher Manier fest, hinter dem Mord stünden jene, die das Land destabi-
lisieren wollten und zurückwollten „zum alten System, in dem das Geld und die Oligarchen
herrschten“. Der Europarat begrüßte die Aufklärungs-Forschritte, während die Hörer des
russischen Radiosenders „Echo Moskvy“ die plötzliche Aufklärung des Mordfalls etwas
merkwürdig fanden. In einer Blitzumfrage bezweifelten 83,5 Prozent der Anrufer die Ver-
sion der Justiz, wonach die Hintermänner der Tat im Westen lebende ‚Staatsfeinde‘ wären.
Zumindest gaben auch „Novaja-Gazeta“-Mitarbeiter an, die Art der Tatverdächtigen lege
nahe, daß es der Staatsmacht nicht vollkommen gleichgültig sei, den Fall aufzuklären. Von
den Festgenommen gehörten einige einer prominenten Verbrecher-organisation an, die auf
Auftragsmorde spezialisiert sei. Die anderen seien frühere oder aktive Mitarbeiter der Ord-
nungskräfte und Geheimdienste, die auf Bestellung Razzien veranstalten oder Verbrechen
vertuschen helfen. Außerdem wäre die Moskauer Gruppe von einem aus Tschetschenien
stammenden Kriminellen angeführt worden, womit sich anzudeuten schien, daß das Mord-
kommando eine Gruppe von Verbrechern und Ordnungshütern war, über deren Verbindun-
gen Anna Politkovskaja selbst oft berichtet hatte. Die Mörder waren ausgewiesene Profis.
Anna Politkovskaja, die nach den Worten ihrer Kollegen ständig offen oder indirekt
bedroht wurde, verhielt sich äußerst vorsichtig. Wann immer ihr Verfolger oder Merkwür-
digkeiten auffielen, meldete sie sie der Redaktion. Doch während ihrer letzten sechs Le-
benswochen war die Journalistin angreifbarer. Ihr Vater war gestorben, ihre Mutter lag im
Krankenhaus, und ihre tägliche Route zwischen Wohnung und Klinik war leicht zu be-
schatten. Die Redakteure der „Novaja Gazeta“ waren davon überzeugt, daß der Mord an
ihrer Kollegin die Auftraggeber viel Geld gekostet haben müsse. Hinter dem Verbrechen
stecke wohl ein äußerst professionelles und weit gespanntes Netz, andernfalls sei nicht zu
erklären, warum sich die Fahndung so lange hinzog. Es bleibe zu hoffen, schrieb die „No-
vaja Gazeta“, daß „keine übergeordnete Zweckmäßigkeit der Aufklärung einen Riegel“
vorschiebe, eine sehr vorsichtige Formulierung, die auch die Resignation darüber kaschie-
ren konnte, daß der Mörder längst bekannt und die zeitraubende Fahndung nur Tarnung
war. Die Zahl der inhaftierten Verdächtigen sank zusehends. Der Verdacht, daß sich die
Politik in das Verfahren einmische, wurde nicht in der „Novaja-Gazeta“-Redaktion immer
offener geäußert. Der Auftraggeber und der Mörder seien weiter in Freiheit, sagte der Sohn
der getöteten Kreml-Kritikerin, Ilja Politkovskij.

323
1.5 Die „Novaja Gazeta“ – die freie Stimme Russlands

In der russischen Presselandschaft machte sich die „Novaja Gazeta“ rasch einen Namen
und Feinde, durch Artikel über Korruption, organisierte Kriminalität, deren Verbindung zu
russischen Amtsträgern sowie durch ihr Engangement für die Menschenrechte und eine
friedliche Lösung des Tschetschenienkonflikts. Ihre Kommentare und Analysen, vor allem
aber die brisanten Enthüllungsgeschichten der „Novaja Gazeta“, machen die Regierungspo-
litiker und Oligarchen nervös. Die Texte sind anspruchsvoll und oft lang und sperrig, aber
durchweg gut recherchiert, die Beweisführung wasserdicht. Die „Novaja“ berichtete zum
Beispiel, daß Präsident Putin in seiner Zeit als stellvertretender Bürgermeister von Sankt
Petersburg humanitäre Gelder veruntreute. Und sie belegte, daß 1999 der Inlandsgeheim-
dienst FSB mitten in Moskau zwei Wohnhäuser in die Luft sprengte und die Tat mit 216
Toten den tschetschenischen Rebellen in die Schuhe schob. Während der Präsidentschafts-
kampagne 2000, als praktisch alle russischen Medien Propaganda für Putin machten, war
die „Novaja Gazeta“ die einzige große Zeitung, die skeptisch über den KGB-Oberst und
Befürworter des neuen Tschetschenien-Krieges schrieb. Daher ist die Zeitung ständigem
Druck von seiten der russischen Behörden ausgesetzt, auch mit regelmäßigen Klagen, die
die Zeitung kurz vor den Bankrott brachten. Als der nach einem glimpflich ausgegangenen
Mordanschlag später exilierte „Novaja“-Redakteur Solovkin in einem Artikel fragte, wie in
Krasnodar ein Richter mit einem bescheidenen Gehalt teuerste Armbanduhren und Anzüge
tragen könne, verklagte der Richter das Blatt und den Autor wegen Ehrabschneidung auf
zehn Millionen Dollar. Eine Moskauer Richterin, bei der der Fall schließlich landete, gab
der Klage ihres Amtskollegen statt, fand jedoch dessen Forderung etwas überzogen und
senkte das Schmerzensgeld auf eine Million Dollar. Die Richterin sah von einer Strafe für
Solovkin ab, doch die Zeitung stand vor dem finanziellen Ruin. Nur die Proteste russischer
Journalisten und das Eingreifen einiger wichtiger Politiker retteten die Zeitung vor dem
Aus, auch wenn das Urteil offiziell nicht aufgehoben wurde. Solovkin nannte das Urteil
beispiellos in der Zeitungsgeschichte des postkommunistischen Russland, denn eine Milli-
on Dollar entspräche nicht einmal der Gesamtsumme aller Schmerzensgelder, die russische
Journalisten bisher bezahlt hätten. Es gehe nicht um die Ehre einer Person, sondern um die
Abrechnung mit einem unbequemen Blatt, kaschiert durch angeblich rechtsstaatliche Mit-
tel. Neben diesen Mitteln griffen die russischen Finanzbehörden oder auch die Brand-
schutzbehörden immer wieder zur Ausflucht angeblich ‚dringender Kontrollen‘, bei denen
die ganze Redaktion auf den Kopf gestellt wird. Oder es werden tatsächliche oder poten-
zielle Anzeigenkunden unter Druck gesetzt. Einem internationalen Konzern wäre bedeutet
worden, besser auf Anzeigen in der kritischen Zeitung zu verzichten. Der Konzern zahlte
daraufhin die für den Anzeigenauftrag vereinbarte Summe, bestand aber darauf, daß die
Annonce nicht in der Zeitung veröffentlicht wird.
Bis 1999 erschien die „Novaja Gazeta“ in der Russischen Föderation in einer Auflage
von 400.000 Exemplaren. Seither ist die Auflage im eigenen Land gesunken, insgesamt
aber auf 600.000 Exemplare (ohne Internet-Ausgabe) gestiegen: 171.000 Exemplare in der
Russischen Föderation, 429.000 Exemplare (Regionalausgaben) in mehreren russischen
Städten sowie in Kasachstan und Israel. Dazu kommen seit Oktober 2005 etliche Exempla-
re als Beilage der russischsprachigen Zeitung „Luganane“ in der Ukraine, und 54.000
Exemplare seit September 2005 der Monatsausgabe der „Novaja Gazeta“ in Farbe. Die
„Novaja Gazeta“-Webseite hat seit 1996 durchschnittlich 70.000 Leser täglich. Zum Ver-
gleich: Regierungstreue Blätter wie die „Izvestija“ verkaufen landesweit fünf Millionen

324
Exemplare, die „Komsomol’skaja Pravda“ sogar zwanzig Millionen. Die „Novaja Gazeta“
wird aber fast ausschließlich in Moskau und den umliegenden Regionen Zentralrusslands
verkauft. Zum einen scheitert der landesweite Vertrieb an den Kosten, bedingt durch Ent-
fernungen von bis zu 10.000 Kilometern, vor allem aber an mangelnder Nachfrage, die
wiederum auch mit den Schikanen der Behörden zusammenhängt. Die Aktien der „Novaja
Gazeta“ sind seit deren Gründung im Besitz der Redakteure, um die Unabhängigkeit zu
sichern. Im Juni 2006 kauften der ehemalige Präsident der UdSSR und
Friedensnobelpreisträger Gorbaev sowie der ehemalige KGB-Spion, Kreml-Bankier und
heutige Milliardär und Duma-Abgeordnete Lebedev der Partei „Einiges Rußland“ für zwei
Millionen Dollar 49 Prozent der Anteile an der „Novaja Gazeta“, um deren Bestehen finan-
ziell zu sichern262. Sie versprachen, sich nicht in die Redaktionspolitik einzumischen. Ein
„Kontrollpaket“ mit den restlichen 51 Prozent befindet sich weiterhin in den Händen des
Redaktionskollektivs. Der ehemalige Präsident der Sowjetunion finanzierte dem Blatt
schon 1993 aus dem Geld seines Friedensnobelpreises die ersten acht Computer. Von
Raissa Gorbaeva erhielten die Redakteure ihre ersten Mobiltelefone. Mit dem Geld der
neuen Eigentümer konnte die „Novaja Gazeta“ ab sofort nicht nur zweimal, sondern drei-
mal pro Woche erscheinen, und darüberhinaus ein farbiges Monatsmagazin herausgeben.
Im Sommer 2007 gelang es außerdem, eine Europa-Ausgabe der „Novaja“ auf den Markt
zu bringen263. Als die Zeitung im Mai 2007 für ihre Verdienste um die Pressefreiheit mit
dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet wurde, erklärte der „Stern“-Chefredakteur Andreas
Petzold, wenn es jemanden gäbe, „der in dieser Zeit einen ganz besonderen Einsatz für die
Freiheit und Unabhängigkeit der journalistischen Berichterstattung leistet, dann sind das
Dimitrij Muratov und sein Redaktions-Team“.
Im Oktober 2006 hatte sich die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice zu
einem ausführlichen Gespräch mit dem Chefredakteur der „Novaja Gazeta“ getroffen264,
wobei Rice die „Novaja“ eine hervorragende Publikation und eine gute, unabhängige
Stimme Russlands nannte. Frau Politkovskaja hätte für das gestanden, was gut im unabhän-
gigen Journalismus sei, eine Bereitschaft, der Wahrheit nahezukommen, zu welchem Preis

262
2003 wurde Lebedev für die linksnationale Partei „Heimat“ in die Duma gewählt, wechselte dann aber zur
kremleigenen Partei „Einiges Russland“, die er häufig für ihren Putin-freundlichen Kurs kritisierte. Lebedev
hält 39 Prozent der Zeitungs-Aktien, Gorbaev mit dem Kapital seiner Stiftung zehn Prozent.
263
Im August 2007 übernahm das deutsche Vertriebsunternehmen Saarbach Druck und Vertrieb der Europa-
Ausgabe der „Novaja Gazeta“. Als die Zeitung am 7. August 2007 erstmals in Deutschland und Europa mit ei-
ner Startauflage von 10.000 Exemplaren in den Handel gelangte, war ihr ein Grußwort Michail Gorbaevs,
Vorsitzender des „Internationalen Fonds für sozial-ökonomische und politologische Forschung“ (Gorbaev-
Foundation), der die Zeitung seit ihrer Gründung 1993 unterstützte, beigefügt: „Vor Ihnen liegt die erste Aus-
gabe der Zeitung, die seit bereits 15 Jahren Respekt und Anerkennung von hunderttausenden russischen Lesern
von Kaliningrad bis Vladivostok genießt. Ich bin zuversichtlich, daß die Novaja Gazeta auch in Deutschland
die Erwartungen des Lesepublikums nicht enttäuschen wird, das den Wert des wahren und engagierten Wortes
zu schätzen weiß. Als Gewähr für meine Zuversicht dient vor allem das hochprofessionelle, einträchtige und
leidenschaftliche Team der Zeitung, die ihren guten Ruf direkt mit den besten Traditionen des russischen Jour-
nalismus verbindet. Ich spreche als langjähriger Freund der Novaja Gazeta. Der „Durchbruch“ nach Europa ist
das wichtigste Ereignis nicht nur für deren Journalisten. Indem wir den Informationsraum ausdehnen und das
der Zensur nicht unterlegene, freie Wort wahren, zerstören wir – sowohl russische Bürger als auch Europäer –
die Stereotypen der Vergangenheit: Mißtrauen, Feindseligkeit, gegenseitige Kränkungen. Ich bin überzeugt,
daß die in Deutschland erscheinende Novaja Gazeta mit aller Kraft die gute Nachbarschaft und die Verständi-
gung zwischen unseren Völkern fördern wird. Das ist in unserer nicht ganz einfachen Zeit, in der die Politiker
führender Nationen häufig einander einfach nicht hören, besonders wichtig.“
264
Interview with Novaya Gazeta’s Editor-in-Chief Dmitriy Muratov, Deputy Editor Andrey Lipskiy, Ilya Po-
litkovskiy, and Reporter Zoya Yaroshok (21. Okt. 2006)
[http://www.state.gov/secretary/rm/2006/74924.htm].

325
auch immer. Ohne eine freie, unabhängige Presse, die die Regierung kontrolliert, sei eine
freie, sich entwickelnde Gesellschaft nicht denkbar. Dieser Kampf, so nötig er auch sei,
meinte Dmitrij Muratov, werde jedoch immer schwieriger. Anna werde wohl nicht das
letzte Opfer für die Pressefreiheit in Russland sein. Und er fügte eine Frage an: „Ist der
Preis, den wir dafür bezahlen, daß wir uns um unsere beruflichen Pflichten als Journalisten
kümmern, nicht zu hoch?“ Die amerikanische Außenministerin betonte einen wichtigen
Unterschied zwischen ihrem Land und Russland: in den Vereinigten Staaten sei es der
Regierung unmöglich, die „New York Times“ zu zwingen, irgendetwas nicht zu drucken.
Nur die „New York Times“ könne entscheiden, ob eine Nachricht möglicher-weise das
Leben amerikanischer Soldaten gefährden könnte und diese nicht zu drucken.

1.6 Mediale Uniformität im 21. Jahrhundert

Fast zwei Jahrzehnte nach der Wende vom August 1991 wird Russland vielfach als Demo-
kratie ohne Demokraten, mit einem politisch auf die herrschende Klasse zugeschnittenen,
uniformen Mediensystem beschrieben. Das Fernsehen lüge, die Zeitungen sind auf Kurs
gebracht, weshalb sich Journalisten, die von der Demontage der Pressefreiheit betroffen
sind, in den schwarzen Humor flüchten: „Tausche zwei Fernseher gegen einen guten Kurz-
wellenempfänger“. Man sei in Russland fast schon wieder so weit, dass die Menschen auf
Informationen westlicher Sender angewiesen sind, wenn sie erfahren wollen, was in ihrem
eigenen Land geschieht. Als sechzig schwerbewaffnete Männer in schwarzen Gesichtsmas-
ken in der Nacht zum Ostersamstag 2001 die Moskauer Redaktionsräume des letzten unab-
hängigen Fernsehsenders „NTV“ stürmten, waren die letzten Illusionen über eine russi-
sche Zivilgesellschaft, ganz zu schweigen von den Träumen eines ‚Moskauer Früh-
lings‘ gestorben. Der liberale Oppositionspolitiker Grigorij Javlinskij wies darauf hin, dass
Russland mit Putin einen Präsidenten bekommen hätte, der im Grunde seines Herzens ein
Sowjetmensch geblieben sei – ebenso wie die russische Gesellschaft, die zu zwei Dritteln
noch immer sowjetisch geprägt sei. Mit Boris El’cin wäre sogar ein Mitglied des alten
Politbüros an die Spitze des Staates gelangt. Alle Regierungschefs der letzten zehn Jahre
waren entweder Mitglieder des Zentralkomitees der KPdSU oder hohe Funktionäre des
Geheimdienstes KGB.
Als diese Leute, so Javlinksij, mit den neuen Problemen konfrontiert wurden, ent-
schieden sie genauso wie früher. Daher zwei Kriege, eine Hyperinflation, zwei Währungs-
abwertungen und innere Unruhen 1993. Das Unglück, das Russland heimgesucht hat,
komme nicht von der NATO, nicht von den Amerikanern oder ‚den Juden’. Es rühre von
der eigenen politischen Elite her. Auch der Medienmagnat Boris Berezovskij zweifelte
keinen Augenblick daran, dass es die alten KGB-Seilschaften noch gibt. Sie hätten sich vor
allem in der Kreml-Administration, den Nachfolgeorganisationen des KGB sowie in der
Moskauer Generalstaatsanwaltschaft eingenistet und spielten sich gegenseitig die Bälle zu.
Die Massenmedien seien das einzige „reale Bollwerk“ gegen eine denkbare Wiederkehr der
alten Zustände. Der wegen der russischen Greuel in Tschetschenien zurückgetretene Men-
schenrechtsbeauftragte El’cins, Sergej Kovaljov, sagte im Gespräch mit der Tageszeitung
„Die Welt“, der KGB sei wieder an der Macht und lasse nun auch die unabhängigen Me-
dien in Reih und Glied antreten. Noch gibt es in Rußland keine offene Zensur. Aber die
Massenmedien Rundfunk und Fernsehen unterstehen, bis auf unbedeutende Ausnahmen,
der direkten Aufsicht der Präsidenten-Administration. Ein eigens dafür geschaffenes Pres-

326
seministerium registriert alle Zeitungen, vergibt Sendelizenzen und teilt Frequenzen zu. Die
Regierung kontrolliert alle drei landesweit zu empfangenden Fernsehsender, 90 von 150
Lokalstationen und 92 Radiosender, aber nur jedes fünfte Presseorgan. Eine von Putin ent-
wickelte „Doktrin der Informationssicherheit“ wird von den russischen Journalisten ein-
hellig als Rückkehr zur Informationsdiktatur sowjetischen Zuschnitts bewertet. Sie soll
dafür sorgen, dass die nationale Sicherheit stets Vorrang vor der Pressefreiheit hat und
die Medien „keine unwahren Informationen“ verbreiten. Was im Grund nur heißt, dass sie
nur die Regierungsmeinung wiedergeben sollen. Zu diesem Zweck werden sie von Vertrau-
ensleuten des KGB-Nachfolgers FSB gezielt unterwandert und die Schlüsselpositionen mit
‚zuverlässigen Journalisten’ besetzt.
Immer weniger hören und sehen die Menschen in Russland von der schrecklichen Sta-
linzeit mit ihrem Schattenreich des ‚Archipel Gulag’, den Konzentrationslagern und Ge-
fängnissen, in denen nach dem Zeugnis von Alexander Solšenicyn 40 bis 50 Millionen
Menschen verschwanden, verhungert waren oder umgebracht wurden. Dafür dominieren
heute auf russischen Bildschirmen wieder ‚ehrliche und grundsatztreue Sowjetmenschen’,
tapfere und unbestechliche Tschekisten (nach „Tscheka“, der Geheimpolizei Lenins), fröh-
liche Werktätige und glückliche Kühe. Die Fernsehzuschauer werden überschwemmt mit
einer Welle alter Sowjetfilme, die die vielfach trostlose Gegenwart in das helle Licht einer
nostalgisch verklärten Vergangenheit tauchen. So mutiert unter der Hand der sich einst
weltrevolutionär gebende Kommunismus zum nationalen Sozialismus, „kriecht der Fa-
schismus“, wie die Moskauer „Literaturnaja gazeta“ („Literaturzeitung“) titelte, „in unsere
Seelen“. Einer der wenigen Lichtblicke in diesem düsteren Medienszenario ist die freie
Presse, eine der schönen Folgen der Perestrojka. Es sind die Journalisten, die, oft unter
Gefahr für Leib und Leben, die kriminellen Machenschaften, die finanziellen Mauschel-
eien in den Ämtern und Behörden, die Korruption und die Intrigen an der Kremlspitze
aufdecken und anprangern. An den Problemen ändert das jedoch so gut wie nichts, weil die
Massenmedien Rundfunk und Fernsehen fest in der Hand der Regierung sind, die ihr In-
formationsmonopol wie ehedem ausnutzt, um unliebsame Regimekritiker mundtot zu ma-
chen. Mit der „feindlichen Übernahme“ des Fernsehsenders NTV, dem Flaggschiff der
russischen Mediendemokratie, hat Putin das letzte Bollwerk der Pressefreiheit in Rußland
geschleift. Mit Vladimir Gusinskij stand ein führender Vertreter der jüdischen Gemein-
schaft in Rußland an der Spitze des einflussreichen Medienkonzerns „Media Most“. Er
äußerte mehrfach den Verdacht, dass unter Putin in Russland eine neue Staatsideologie um
sich greife, die die Abkehr vom Westen propagiert. Die Grundlage dafür sei der Antisemi-
tismus. Zwei Tage vor dem über die Zukunft Putins entscheidenden Wahlgang am 26. März
2000 strahlte das Zentrale Russische Fernsehen „ORT“ zur besten Sendezeit ein Programm
aus, in dem Grigorij Javlinskij, der einzige offen prowestliche Präsidentschafts-kandidat,
als „homophiler Judenknecht“ hingestellt wurde, der sich seinen Wahlkampf von der Fried-
rich-Ebert- und der Friedrich-Naumann-Stiftung finanzieren lasse. Kaum war der Gouver-
neur von Kursk, einer Hochburg der russischen Faschisten, gewählt, als er vollmundig
verkündete: „Jetzt beginnt in Rußland die Befreiung von diesem Übel!“ Welcher Methoden
sich dabei die neu-alten Kreml-Machthaber bedienen, hat Boris Nemcov, unter El’cin Vize-
regierungschef und einer der Hoffnungsträger der russischen Demokraten, in einem Zei-
tungsinterview beschrieben: Die Kreml-Machthaber seien überzeugt, dass alle Journalisten
käuflich sind und dann handzahm werden. Bei wem diese Masche nicht ziehe, der werde
vorübergehend vom Bildschirm entfernt. Wenn auch das nicht hülfe, werde er beruflich
fertiggemacht.

327
Bislang prominentestes Opfer dieser klassischen KGB-Taktik war der Starmoderator des
Fernsehsenders „ORT“, Sergej Dorenko. Zunächst hatte Putin ihn mit der Aufforderung zu
ködern versucht, in sein Team zu wechseln. „Mein Team“, soll Dorenko geantwortet haben,
„sind meine Zuschauer“. Dass es Dorenko ernst war, bewies er wenige Wochen nach die-
sem Anwerbungsversuch. In seinem Programm strahlte er eine Videoaufzeichnung von
einem Treffen Putins mit Angehörigen des in der Barentssee gesunkenen Atom-U-Boots
„Kursk“ aus. Das Treffen selbst fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Doch ein
Teilnehmer hatte ein Tonband eingeschmuggelt und die Rede Putins heimlich mitgeschnit-
ten. Und so hörten Millionen Fernsehzuschauer, wie Putin in bester KGB-Manier jegliche
Verantwortung für das Unglück abstritt und das Fernsehen, den Überbringer der Unglücks-
botschaft, der Lüge bezichtigte. Originalton Putin: „Das Fernsehen? Es lügt, lügt, lügt. Im
Fernsehen gibt es Leute, die lauter als andere schreien und die in den letzten zehn Jahren
Armee und Flotte ruiniert haben. Sie haben das Geld gestohlen und nun kaufen sie alle und
alles!“ In Wahrheit sei die „Kursk“ wahrscheinlich mit einem ausländischen U-Boot zu-
sammengestoßen oder auf eine Mine aus dem Zweiten Weltkrieg gelaufen. Als kurz nach
diesem unfreiwilligen Fernsehauftritt Putins im Moskauer Fernsehzentrum von Ostankino
ein verheerendes Feuer ausbrach, meldete sich sogleich Volkes Stimme: „Warum hat es
im Moskauer Fernsehturm gebrannt? Antwort: Er ist mit einem ausländischen Fernsehturm
zusammengestoßen!“ Für Dorenko waren die Folgen weniger erheiternd. Schon am Tag
nach der Sendung; verschwand er vom Bildschirm. Er gab nicht auf und betätigte sich wei-
ter in der Führungsebene des Senders. Schließlich wurde der passionierte Motorradsportler
Dorenko nach einer offensichtlich inszenierten Verkehrskontrolle von einem Polizisten
krankenhausreif geschlagen. Zugleich nahm sich Putin reichlich Zeit für Gespräche mit
Journalisten. Er lud sie zu sich in den Kreml ein, erkundigte sich fürsorglich nach ihren
beruflichen Plänen und nach der Familie. Nur wenige konnten danach dem Präsidenten
widerstehen.
Im ersten Tschetschenienkrieg hatten die unabhängigen Massenmedien ein realistisches
Kriegsbild gezeichnet. Es hat entscheidend dazu beigetragen, dass der Kreml in einen Frie-
densschluß einwilligen mußte. Für die Armee war das eine schwere und demütigende Nie-
derlage, die sie den Massenmedien und den in ihnen tätigen Journalisten nie vergessen und
nie verziehen hat. Mit dem zweiten Tschetschenienkrieg kam Putin an die Macht, und
mit ihm die Militärzensur. Der landesweit zu empfangende Fernsehsender „ORT“ zeigte
nun nur noch ‚saubere’ Bilder: feuernde Geschütze, die ihre tödlichen Salven ins Un-
sichtbare abschossen. Es gab keine Toten, außer tote ‚Banditen’, keine Flücht-
lingstrecks, in die russische Granaten einschlugen, keine Kollateralschäden. Ein ‚sauberer
Krieg’ in einem von allen abweichenden Meinungen gesäuberten Staatsfernsehen. Nur eine
Ausnahme gab es: den von Gusinskij finanzierten und kontrollierten Privatsender „NTV“.
Er dokumentierte als einziger die russische Feuerwalze, die über die unglücklichen Tsche-
tschenen hinwegrollte, die endlosen Flüchtlingsströme, das Elend der Frauen und der Kin-
der, das menschenverachtende Treiben einer Soldateska, die ihre Opfer in ‚Filtrierlager’
verschleppte, aus denen sie ihre Angehörigen gegen hohe Lösegeldsummen freikaufen
mussten. Im Präsidentenwahlkampf 2000 soll Putin dem Chef des halbstaatlichen Energie-
konzerns „Gazprom“, der die Aktienmehrheit an dem Sender hält, gedroht haben, um die
Position von „NTV“ zum Thema Tschetschenien zu ändern265. Es folgten Razzien der

265
Im Juni 2000 wurde der ehemalige Privatisierungsminister Alfred Koch zum Chef der „Gazprom“-Media-
Holding bestellt und mit der Abwicklung des unbotmäßigen Senders betraut. Nach Korruptionsvorwürfen hat-

328
Steuerpolizei, Durchsuchungen und Verhöre. Kredite wurden gekündigt, Gusinskij selbst
verhaftet, dann wieder freigelassen, nachdem man ihm eine Unterwerfungserklärung abge-
presst hatte. Er flüchtete nach Spanien, wurde mit internationalem Haftbefehl gesucht, von
der spanischen Justiz aber nicht ausgeliefert und lebt heute in Israel. Noch gibt es in Russ-
land unabhängige Printmedien, deren Einfluss aber mit geringen Auflagen kaum über die
Stadtgrenzen Moskaus hinausreicht. Die disziplinierende Wirkung von Putins Medienof-
fensive zeigt sich rasch daran, dass Journalisten untertauchten oder auf Putins Seite überlie-
fen. Chefredakteure wurden über Nacht ausgewechselt, regierungskritische Zeitun-
gen eingestellt. In den Redaktionen häuften sich die Besuche von Behördenvertretern, die
sich nach der Gültigkeit der Sendelizenzen erkundigen. Ein von der Duma verabschiedetes
Gesetz verbietet ausländische Beteilig-ungen an russischen Medienunternehmen. Gefähr-
det ist auch die Wiederaus-strahlung von Programmen ausländischer Sender wie der
„BBC“ und der „Deutschen Welle“ über russische Relaisstationen.
Interessanterweise führte der sogenannte ‚Karikaturen-Streit’, den der dänische „Aften-
posten“ 2006 mit der Veröffentlichung von angeblich anstößigen Mohammed-Karikaturen
ausgelöst hatte, auch in Rußland und vor allem in der russischen Provinz zu Unruhe und
nahm beinahe absurde Züge an266. Gleich zwei Zeitungen waren Ende Februar 2006 unter
dem Vorwand geschlossen worden, sie hätten religiöse Gefühle verletzt. In der nordrussi-
schen Stadt Vologda zog der Herausgeber Michail Smirnov selbst die Notbremse. In seiner
Zeitung „Naš Region“ („Unsere Region“), das einzige private Printmedium der Region,
waren einige der umstrittenen Mohammed-Karikaturen veröffentlicht worden, um Mei-
nungsäußerungen zum Karikaturenstreit zu illustrieren. Regionalpolitiker und Vertreter
religiöser Gruppen griffen daraufhin die Redaktion an. Chefredakteurin Anna Smirnova
wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeladen, der Gouverneur beschimpfte die verantwort-
lichen Journalisten als „unethisch“. Smirnov, dem die regionale Medien-Holding „Severin-
form“ gehört, stellte das Blatt ein, um weiteren Schaden von seinem Unternehmen abzu-
wenden. Eine gerichtliche Entscheidung wartete er erst gar nicht ab. Einen Gerichtsent-
scheid gab es auch im Falle der „Gorodskije Vesti“ in Volgograd nicht. Der von der Stadt-
verwaltung herausgegebenen Zeitung wurde gestern einfach die Registrierung entzogen,
was einem Erscheinungsverbot gleichkam. Die Zeitung hatte eine Karikatur veröffentlicht,
auf der Jesus, Moses, Buddha und Mohammed dargestellt sind, die zum Frieden aufrufen.
Zuvor hatte Vizebürgermeister Andrej Doronin angekündigt, die Verantwortlichen für die
Karikatur, die im Übrigen unter allen religiösen Gruppen Zustimmung gefunden hatte,
würden entlassen, die übrigen Journalisten würden in einer neuen Zeitung arbeiten. Die
beiden Fälle haben das Duma-Komitee für Informationspolitik in Moskau aufhorchen las-
sen. Komiteevorsitzender Valerij Komisarov kündigte eine Untersuchung an. Er wolle
wissen, ob die Karikaturen tatsächlich der Grund für die Zeitungsschließungen war. Politi-
sches oder kommerzielles Interesse könnte natürlich auch eine Rolle gespielt haben. Zudem
vertrat Komisarov die in Rußland nicht eben häufig vorkommende Meinung, daß neben den
religiösen Gefühlen auch die Medienfreiheit ein schützenswertes Gut ist.

te er 1997 sein Ministeramt aufgegeben und war vorübergehend in die Vereinigten Staaten gegangen, wo der
Russlanddeutsche Koch in offenen Interviews seine ganze Verachtung für seine russische Wahlheimat aus-
drückte: „Das angeblich schwergeprüfte russische Volk leidet durch eigene Schuld. Niemand hat Rußland be-
setzt, unterjocht oder bestraft. Die Russen haben sich selbst gegenseitig denunziert, in die Gefängnisse gewor-
fen und umgebracht. Daher erntet dieses Volk verdientermaßen, was es sich selbst eingebrockt hat!“
266
Quring, M.: „Karikaturen-Streit: Zeitungsschließungen in Rußland rufen die Duma auf den Plan“. In: Die
Welt, 21. Februar 2006.

329
Dass diese Meinung auch im Kreml noch Anhänger habe, darauf schienen Regionaljourna-
listen zu vertrauen. Die Situation in der Region Saratov gebe Anlaß, „von der Bildung eines
staatlichen Strafsystems zu sprechen, das dem Zweck diene, jegliche kritische Äußerung
über die Partei ‚Jedinaja Rossija’ und einzelnen ihrer Vertreter aus dem Umkreis des Vize-
sprechers der Staatsduma Vjaeslav Volodin zu ersticken“, so der Wortlaut des Briefs an
den russischen Präsidenten Putin. Die Journalisten wollten den verstärkten Mißbrauch der
Rechts- und Gerichtsbehörden der Region im Sinne von Parteimitgliedern von „Einiges
Russland“ („Jedinaja Rossija“) festgestellt haben. Als Beispiel führten die Journalisten in
ihrem offenen Brief einen Vorfall an, bei dem der Vizesprecher der Staatsduma Volodin
eine junge Frau mit einer Harpune verletzt hatte. Die Zeitung „Saratovskij rasklad“ hatte
den Bericht über den Vorfall „Die Harpune der Partei“ betitelt. „Die Reaktion auf die Ver-
öffentlichung kam mit nie gesehener Geschwindigkeit“, hieß es in dem Brief der Journalis-
ten. Bereits am Tag der Veröffentlichung hatte die Staatsanwaltschaft des Gebiets ein Ver-
fahren wegen Verleumdung angestrengt. Innerhalb von nur einer Sitzung entschied das
Gericht im Sinne der Partei „Jedinaja Rossija“. Laut dem Chefredakteur der Wochenzei-
tung „Saratover Gouvernements-Nachrichten“ entspreche die enorme Arbeitsgeschwindig-
keit in dem benannten Fall so gar nicht dem üblichen Arbeitstempo der Gerichtsbeamten.
Die Verhandlungen der russlandweit bekannten Korruptionsfälle mit Beteiligung von Ab-
geordneten der Partei „Jedinaja Rossija“ zögen sich sonst über Monate hin. Als zweites
Beispiel führten die Autoren des offenen Briefs eine Veröffentlichung in der Zeitung „Sara-
tovskij reporter“ an. In einer Fotokollage hatten die Redakteure den russischen Präsidenten
Putin, der die Partei „Jedinaja Rossija“ unterstützt, in eine SS-Uniform gesteckt. Das Bild
des SS-Mannes stammte aus der legendären sowjetischen TV-Serie über den Spion Stirlitz.
Fernseh-Held Stirlitz sammelte im feindlichen Nazi-Deutschland für die gute Sache der
Sowjetunion Informationen. Die Redakteure hatten in ironischer Weise auf Putins Vergan-
genheit als Mitarbeiter des Geheimdiensts KGB in Ostdeutschland anspielen wollen. Im
Oktober 2006 entschied ein Gericht der Region über den Entzug der Lizenz des „Sara-
tovskij reporter“. Die harsche Reaktion des Gerichts ist in Russland deshalb wenig ver-
ständlich, weil Stirlitz längst einen festen Platz in der russischen Witz-Kultur eingenommen
hat. Es gibt tausende von Stirlitz-Witzen. Die Journalisten schrieben in ihrem Brief, sie
hätten keinen Zweifel, dass alle diese Vorfälle zu einer breit angelegten Kampagne gehör-
ten, die auf Betreiben der Staatspartei „Jedinaja Rossija“ der Säuberung der Informations-
Landschaft im Gebiet Saratov dienen soll, und das mit Unterstützung der Rechts- und Ge-
richtsorgane. Deshalb wären die Journalisten auch gezwungen, sich an den Präsidenten zu
wenden, mit der Bitte, sich einzumischen. Man wollte verhindern, dass die Medien im
Gebiet schließlich einer Partei das Informationsmonopol einräumten. Der Abgeordnete der
Saratover Stadtduma und Leiter des Regionalstabs von „Molodaja Gvardija Jedinoj Rossii“,
einer Jugendorganisation der Partei „Jedinaja Rossija“, Sergej Nesterov hielt den Brief der
Journalisten für politische Propaganda gegen „Jedinaja Rossija“. Im Wahlkampf gebe es
bei der Auseinandersetzung zwischen den konkurrierenden Kräften keine unabhängigen
Journalisten, meinte Nesterov. Die Unterzeichner des offenen Briefs hätten nicht einen
Vorwurf gegen Parteimitglieder von „Jedinaja Rossija“, der in einer der Saratover Zeitung
veröffentlicht wurde, mit Fakten untermauern können.
Nach dem Abgang Vladimir Putins im Mai 2008 sollten die Wahlen eine neue Ära in
der Geschichte Russlands einläuten. Der Kreml hatte sich auf das Ereignis gut vorbereitet.
Schritt für Schritt wurde der Einfluss auf die Medien verstärkt. Der größte Teil von ihnen
wird inzwischen entweder direkt oder indirekt kontrolliert. Wer sich nicht in das System
fügen will, muss mit unangenehmen Konsequenzen rechnen. Ein Beispiel dafür ist Manana

330
Aslamasjan. Die geborene Armenierin ist Journalistin. In Russland galt sie als eine der
besten. Jahrelang leitete sie die Nicht-Regierungsorganisation „Internews“, eine Ausbil-
dungsstätte für regionale und lokale Fernsehjournalisten und TV-Manager. Aslamasjans
Schwierigkeiten begannen, als sie Anfang 2008 vergass, bei der Einreise nach Russland
anzugeben, dass sie 9.550 Euro bei sich hatte. Das ist eine Ordnungswidrigkeit, denn alle
Summen über 10.000 USD (etwa 7.430 Euro) müssen deklariert werden. Statt der Journa-
listin die übliche Geldstrafe aufzuerlegen, eröffneten die russischen Behörden ein Strafver-
fahren wegen Devisenschmuggels. Die Aktion war politisch motiviert, um Aslamasjan und
ihre Stiftung mundtot zu machen. Tatsächlich war „Internews“ nach mehreren Razzien und
Beschlagnahmungen von Computern und Akten geschlossen worden, während Aslamasjan
vor der Behördenwillkür ins Ausland flüchtete. Angesichts des russischen Rechtssystems
glaubte sie nicht an einen fairen Prozess. Der Fall Aslamasjan war ein weiteres Beispiel für
die steigende Bedrohung der Pressefreiheit in Russland. Zwar hat die Gefahr für Leib und
Leben der Journalisten im Vergleich zu den 1990er Jahren nachgelassen, als vor allem im
Tschetschenienkrieg auch immer wieder Korrespondenten ums Leben kamen. Doch die
Ermordung von Anna Politkovskaja im Oktober 2006 und der mysteriöse Fenstersturz des
Militärfachredakteurs Iwan Safronov im März 2007 verdeutlichen, dass Journalismus in
Russland auch heutzutage mitunter lebensgefährlich sein kann. Wegen dieser Bedrohung
erhielten die im Nordkaukasus tätigen Korrespondenten Jurij Bagrov und Fatima Tlisova
als erste russische Journalisten im 21. Jahrhundert politisches Asyl in den USA. Die Hoff-
nung, dass sich unter dem neuen russischen Präsidenten Vladimir Medvedjev an den unter
Putin eingeführten Mißständen etwas ändern würde, haben ich bis dato nicht erfüllt.

1.7 „Russia Today“ und andere Inseln der Pressefreiheit

Zur Aufbesserung des Russland-Images im Ausland baute der Kreml mit Hilfe der staatli-
chen Nachrichtenagentur „RIA Novosti“ den Sender „Russia Today“ auf, der den Nach-
richtensendern „CNN“ und „BBC“ Konkurrenz machen und „den russischen Blick auf
Ereignisse in Russland und anderswo“ wiedergeben soll. Der Kanal ging im Dezember
2005 in englischer Sprache auf Sendung; eine arabischsprachige Redaktion wurde aufge-
baut, die Ausstrahlung eines spanischen Programms vorbereitet. Es gab sogar Pläne, „Rus-
sia Today“ auch in deutscher Sprache anzubieten. In all diese Projekte wird viel Geld inves-
tiert. Allein 2007 flossen offiziell 67,8 Milliarden Rubel (1,9 Milliarden Euro) aus dem
Haushalt in die Unterstützung der Medien. Für das nächste wahlentscheidende Jahr geneh-
migten die Duma-Abgeordneten sogar 82,7 Milliarden Rubel (2,4 Milliarden Euro) aus
dem russischen Etat. Eigentlich waren die staatlichen Gelder einmal dafür gedacht, den
vielen regionalen und lokalen Zeitungen, die infolge der russischen Wirtschaftskrise in den
1990er Jahren unrentabel geworden waren, das Überleben zu sichern. Doch das Geld
kommt fast nur den staatlichen Medien zugute. Mit solchen Maßnahmen werde der Wett-
bewerb ausgehebelt, kritisierte die Opposition. Dies trifft umso mehr zu als Gouverneure
und Bürgermeister nach dem Vorbild des Kremls danach streben, in ihrer Region das Mei-
nungsmonopol zu erlangen. Dazu werden Sender und Zeitungen entweder übernommen
oder in finanzielle Abhängigkeit gebracht. Am schlimmsten ist die Lage in der russischen
Teilrepublik Baškortostan. Präsident Murtasa Rachimov unterdrückte seit mehr als einem
Jahrzehnt die kritische Presse in seiner Republik. Der Generalsekretär des russischen Jour-
nalistenverbandes, Igor Jakovenko, hat Baschkirien daher schon einmal als „schwarzes

331
Loch“ für die Pressefreiheit bezeichnet. Aber auch in anderen, einst als liberal geltenden
Regionen Russlands wird der Druck auf die Medien größer. In Kaliningrad hat der von
Präsident Putin eingesetzte Gouverneur Georgij Boos die ihm kritisch gegenüber stehende
Fernseh-gesellschaft „Kaskad“ [www.kaskad.tv] de facto im Handstreich übernommen.
Kurz darauf mußte auch die Chefredakteurin der „Kaliningradskaja Pravda“, Tatjana Sam-
jatina, ihren Hut nehmen, weil sie einen Boos-kritischen Artikel zur Veröffentlichung frei-
gegeben hatte. Zudem greift auch der Kreml immer stärker in das Regionalprogramm ein.
Auf der Frequenz des Sender „STS“, der auf föderaler Ebene ein reines Unterhaltungspro-
gramm ohne Nachrichten ausstrahlt, senden in verschiedenen Regionen „STS“-Partner
Lokal- und Regionalnachrichten. Nun werden diese weitestgehend eingestellt. Gerüchten
zufolge hat ein Anruf aus dem Kreml zu dieser Depolitisierung geführt.
Doch es gibt auch positive Beispiele. Der Sender „Ren-TV“, an dem unter anderem die
deutsche Bertelsmann-Gruppe beteiligt ist, zeichnet sich trotz der starken Kontrolle durch
den Kreml durch eine durchaus kritische Berichterstattung aus. Zwar hat der Kanal nur
einen Marktanteil von etwa fünf Prozent, doch die Produktion verschiedener populärer
Fernsehserien garantiert „Ren-TV“ gute Werbeeinnahmen. Im Printbereich gibt es zwei
Wirtschaftszeitungen, die mit sachlich-objektiver Berichterstattung auf sich aufmerksam
machen. Die Tageszeitung „Vedomosti“ [www.vedomosti.ru] wird unter Mithilfe der „Fi-
nancial Times“ herausgegeben, an der „RBKdaily“ [www.rbcdaily.ru] ist das „Handels-
blatt“ beteiligt. Auffällig ist, daß diese drei Medien versuchen, das Geld für die Redakti-
onsarbeit selbst zu erwirtschaften, d.h. über Werbeeinnahmen und den Verkauf, zumal da
im Unterschied zu den 1990er Jahren kein Oligarch die redaktionelle Tätigkeit mehr finan-
ziert. Kurzfristig mag das für die Journalisten unbequemer sein, langfristig sichert es die
wirtschaftliche Unabhängigkeit des Mediums und bietet somit einen gewissen Schutz vor
Manipulationen durch politische Entscheidungsträger. Selbst Putin gestand einmal ein –
was wohl eher als implizite Kritik gemeint war –, daß die wirtschaftliche Unabhängigkeit
der Medien das Fundament für den Aufbau der Pressefreiheit sei. Es ist eine traurige Tatsa-
che, daß die Zahl wirklich unabhängiger Medien in Russland in den letzten Jahren stetig
abgenommen hat. Protest regte sich so gut wie keiner, meinte der Leiter des Journalisten-
verbandes Russlands, Igor Jakovenko. Es gibt eine große Anzahl von Medien, auch guter
Qualität, die wirtschaftlich unabhängig sind, insbesondere Regional-zeitungen wie die
qualitativ hochwertige „Birša“ in Nižnij Novgorod, in Barnaul die Zeitung „Svobodnij
kurs“, die weitgehend unabhängig von der Staatsmacht auf inter-nationalem Niveau he-
rausgegeben werden. In abgelegenen Regionen wie in Jakutien gibt es ebenfalls gute Me-
dien, zum Beispiel die Zeitung „Molodjož‘ Jakutii“ („Die Jugend Jakutiens“). Auf der Ebe-
ne von Regionen kann man Dutzende Beispiele für unabhängige Medien nennen, auf muni-
zipaler hunderte. Dagegen gehen die Beispiele für abhängige Medien in die Tausende,
namentlich die rund 3.500 Bezirks- und Stadtblätter, von denen die überwältigende Mehr-
heit von den Bezirks- und Stadtverwaltungen abhängt. Diese Zeitungen kann man kaum als
Medien bezeichnen, weil sie eher Anhängsel der Verwaltungen als eigenständige Blätter
mit Profil sind und das auch nicht sein wollen.
Das überlebensentscheidende Problem der unabhängigen Zeitungen, sich über den Wer-
bemarkt zu finanzieren, wird durch mehrere Faktoren erschwert. In Russland gibt es keine
genauen Daten darüber gibt, wieviele Medien überhaupt vorhanden sind. Der Werbemarkt
ist verzerrt, voller seltsamer Mißverhältnisse, weil das Fernsehen, unter anderem der „Ers-
te“ oder der „Zweite Kanal“, vom Staat kontrolliert werden oder mit staatlichen Strukturen
verbunden sind, wie beispielsweise „NTV“ mit „Gazprom“ oder „Ren-TV“ mit der Aktien-
gesellschaft „EES“. Fernseh-Werbung ist deshalb auch verhältnismäßig günstig. Die lan-

332
desweiten Sender nehmen die Mehrheit der Werbung auf: achtzig Prozent der Werbegelder
bleiben in Moskau, und nur zwanzig Prozent kommen in den Regionen an. Es verlangt sehr
viel Talent und Einfallsreichtum von einem Manager, der mit professionellen Journalisten
zusammenarbeitet, seiner Zeitung normale Werbeeinnahmen zu sichern. Hauptproblem der
unabhängigen Medien, das deren Betreiber immer wieder beklagen, ist jedoch das allge-
mein nachlassende Interesse an unabhängigen Informationen. Jakovenko meinte schlicht,
daß die Meinungsfreiheit und objektive Informationen heute „nicht zum Warenkorb der
Russen“ gehörten. Die meisten Menschen hätten mit Genugtuung verfolgt, wie in den ver-
gangenen sieben Jahren die Keime der Medienfreiheit vernichtet wurden. Und es gab keine
Proteste dagegen, zumindest keine massenhaften Proteste. Etwa 80 Prozent der Bevölke-
rung wären damit einverstanden. Und er kam zu dem deprimierenden Schluss: „Wenn man
die Menschen vor die Wahl stellt, an diesem Kurs festzuhalten oder zur Medienfreiheit
zurückzukehren, dann wird ein großer Teil der Menschen heute dafür stimmen, an dem
Kurs festzuhalten.“267
Das „Institut für regionale Presse“ gab 2007 bekannt, die Zahl der Regionalzeitungen sei
in Russland in den vergangenen Jahren drastisch, ja katastrophal gefallen, was vor allem
mit dem staatlichen Druck zusammenhinge. Um sich gegenseitig zu stützen, gründeten 33
unabhängige Verleger in den Regionen eine Art Notgemeinschaft, was jedoch wenig hilft,
wenn man bedenkt, daß der Staat die aus dem Haushalt finanzierte Regierungszeitung
„Rossijskaja Gazeta“ und eine zugehörige Wochenzeitung in Millionenauflagen kostenlos
verteilen läß. Es ist schwer, sich gegen Erpressungsversuche zur Wehr zu setzen, wenn die
meisten Zeitungskioske im Land vom kremlnahen Aluminiumbaron Oleg Deripaska kon-
trolliert werden, und wenn die Post jederzeit gemäß der Absicht der Staatsmacht gegen
einzelne Widerspenstige mit Gebührenforderungen vorgehen kann. Das hätte man sich
unmittelbar nach dem Ende der Sowjetunion im Traum nicht vorstellen können. Als man
damals zum Beispiel in Barnaul, der Hauptstadt der Region Altai im Süden Westsibiriens,
daran ging, eine eigene Zeitung zu machen, die nicht mehr unter den Denkverboten der
Diktatur stehen würde, war die Begeisterung und der Enthusiasmus groß. Ohne einen Ge-
danken daran zu verschwenden, was irgendein Funktionär meinen könnte, oder daran, daß
am Ende die eiserne Faust der sozialistischen Gerichtsbarkeit“ zuschlagen könnte, wollte
man in der eigenen Region die ehemaligen Unterdrückten des Sowjetregimes zu Staatsbür-
gern mit eigener Meinung machen. Jurij Purgin erinnert sich noch genau an die Gedanken,
die er und einige Gesinnungsgenossen damals, 1990, hatten.
Sie waren Redakteure des regionalen Ablegers der kommunistischen Parteizeitung im
Altai-Gebiet, der „Altajskaja Pravda“, bis sie sich entschlossen, eine eigene Zeitung zu
machen. Millionen besaßen sie nicht, weder in Rubel noch in Dollar; sie begannen bei null
und mit geliehenem Geld. Als Ende Dezember 1990 die erste Ausgabe ihrer Zeitung „Swo-
bodnyj Kurs“ („Freiheitlicher Kurs“) in Barnaul erschien, war ‚Glasnost‘‘ auch in Südsibi-
rien angekommen268. Die Zeitung gibt es bis heute. Purgin ist Direktor des Verlagshauses
„Altapress“ in Barnaul, das den „Svobodnyj Kurs“ als Wochenzeitung herausgibt, sowie
eine Wirtschaftszeitung für die Region und etwa ein Dutzend anderer Presseerzeugnisse.
Purgin sieht gerade die Möglichkeit, die Zeitung im eigenen Haus drucken, den Produkti-
onsprozess bis zum Druck kontrollieren zu können, als Garantie der Unabhängigkeit des

267
„Immer weniger Interesse an unabhängigen Medien in Russland“
[www.dw-world.de/dw/article/0,,2808690,00.html].
268
Vgl.: Ludwig, M: Inseln der Pressefreiheit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.10.2007, Nr. 233, S. 3.

333
Verlages, denn viele Provinzzeitungen darbten und gingen zugrunde, weil auswärtige Dru-
ckereien unter den Einfluß der örtlichen Machthaber gerieten, wirtschaftlich unter Druck
gesetzt wurden, die Annahme von Aufträgen verweigerten oder die Preise willkürlich in die
Höhe trieben. Dem „Freien Kurs“ kam in den Anfangsjahren auch zugute, daß manche
Direktoren von Staatsunternehmen mit dem Kurs der Staatspartei nicht einverstanden wa-
ren, und daher bereit waren, eine unabhängige Zeitung finanziell zu unterstützen, wofür sie
wiederum im „Kurs“ kostenlos für ihre Betriebe werben durften. Um politischer Einfluss-
nahme einen Riegel vorzuschieben, fügte man nicht nur vertraglich eine entsprechende
Klausel ein, man fasste auch den weisen Entschluß, ein Anzeigenblatt namens „Kaufe und
verkaufe“ herauszubringen, das ein großer wirtschaftlicher Erfolg wurde.

1.8 Fernsehen und Radio in Russland

Die drei größten zentralen Fernsehkanäle, die wichtigste Informationsquelle vieler Russen,
sind, wie beschrieben, auf die Orchestrierung von Jubelhymnen für den Kreml beschränkt
worden. Der Generalsekretär des russischen Journalistenverbandes, Igor Jakovenko, behielt
mit seiner Prognose recht, dass die russische Medienlandschaft vor den Parlaments- und
Präsidentenwahlen 2007/2008 „erstaunlich einheitlich“ sein werde. Die Fernsehsender
blendeten in ihrer Berichterstattung immer häufiger systemkritische Fragen aus. Schon
2004 wurde mit der Sendung „Namedni“ („Neulich“) von Leonid Parfjonov das letzte Po-
litmagazin von Format bei „NTV“ aus dem Programm genommen. „NTV“, der einstige
Haussender des inzwischen ins Exil geflüchteten Oligarchen Vladimir Gusinskij, ist ein
Paradebeispiel für die Veränderungen auf dem russischen Medienmarkt. War die Presse in
den 1990er Jahren größtenteils in den Besitz oder unter den Einfluss verschiedener Oligar-
chen geraten und wurde von diesen zur Durchsetzung eigener wirtschaftlicher und politi-
scher Interessen instrumentalisiert – insbesondere sind hier die Medienimperien von Gu-
sinskij und seinem Opponenten Boris Berezovskij zu nennen –, so hatte sich der Kreml
bald die Meinungshoheit in der Fernsehlandschaft zurückerobert. Mit der Übernahme des
hochverschuldeten Senders „NTV“ durch den mehrheitlich staatseigenen „Gazprom“-
Konzern im Jahr 2001 wurde der erste Schritt getan, um das Informationsmonopol wieder-
zugewinnen. Gerade „Gazprom“ war bei der Verwirklichung dieses Ziels ein eminent wich-
tiges Instrument. Die Konzerntochter „Gazprom-Media“ ist mit einem Jahresumsatz von
600 Millionen US-Dollar einer der wichtigsten Akteure auf dem russischen Markt. Neben
„NTV“ und dem Satellitenkanal „NTV Plus“ gehört noch der Unterhaltungssender „TNT“
zur Mediengruppe. „TNT“ zielt mit seinen seichten Seifenopern und den Reality-Shows à
la Big Brother auf das jüngere Publikum zwischen 18 und 45 Jahren. Das ist gut für die
Werbeeinnahmen. Politische Berichterstattung spielt bei „TNT“ keine Rolle.
Zudem hat „Gazprom-Media“ in den vergangenen Jahren erfolgreich seine Hörfunk-
sparte ausgebaut. Die populären Radiosender „Pervoje Populjarnoje Radio“ und „Radio
Next“ haben vor allem in Moskau einen hohen Marktanteil. Die beiden jüngsten Radiopro-
jekte der Media-Holding sind „City-FM“ und „Relax FM“, die erst seit gut einem Jahr auf
Sendung sind. Die bekannteste Radiostation ist natürlich „Echo Moskvy“, auch wenn der
reine Informationssender, den „Gazprom-Media“ sich gleichzeitig mit „NTV“ einverleibte,
nur eine kleine Zahl von Hörern anspricht. Im Gegensatz zu „NTV“ konnte „Echo
Moskvy“ seine Unabhängigkeit in der Berichterstattung weitestgehend bewahren. Dies ist
unzweifelhaft ein Verdienst des Chefredakteurs Aleksej Venediktov, allerdings weiß auch

334
er selbst, daß sein Radiosender lediglich Feigenblattfunktion hat und die Einmischung nur
deshalb so gering ist, weil die Reichweite von „Echo Moskvy“ begrenzt ist und der Kanal
daher keine Gefahr für das Informationsmonopol des Kremls darstellt.
Auch im Printbereich hat „Gazprom“ eifrig dazugekauft. Neben dem Verlagshaus „7
Dnjej“ („7 Tage“), das eine ganze Reihe von auflagenstarken Fernseh- und Frauenzeit-
schriften, aber auch politischen Monatsjournalen herausgibt, gehören inzwischen auch
einige Tageszeitungen zu dem Imperium. Mit dem Kauf der „Isvestija“ im Jahr 2005 hat
„Gazprom“-Media ein echtes Flaggschiff der russischen Presse gewonnen. Nicht zuletzt
dafür wurde der Generaldirektor von „Gazprom“-Media, Nikolai Senkevi, mit einem ho-
hen Kremlorden ausgezeichnet. Den letzten großen Coup landete „Gazprom“ im Herbst
2006 mit der Übernahme der einflussreichen kremlkritischen Tageszeitung „Kommersant“,
die bis dahin die Informationspolitik des nach London ins Exil geflüchteten Oligarchen
Boris Berezovskij vertreten hatte. In diesem Fall trat allerdings nicht „Gazprom-Media“ als
Käufer auf, sondern Ališer Usmanov, der Generaldirektor der „Gazprom-Investholding“.
Usmanov verkündete bei der Übernahme, dass trotz des Besitzerwechsels der Kurs einer
kremlunabhängigen Berichterstattung beibehalten werde. Kurz darauf wechselte er den
Chefredakteur der Zeitung aus. Für Berezovskij bedeutete der Verkauf des „Kommersant“
durch seinen Geschäftspartner Badri Patarkazišvili den Verlust der letzten Medienaktiva in
Russland. Kurz zuvor hatte der Oligarch schon die Tageszeitung „Nezavisimaja Gazeta“
abgegeben. Seinen Einfluss auf den staatlichen Fernsehsender ORT (inzwischen umbenannt
in „Pervyj Kanal“) hatte Berezovskij sogar bereits kurz nach dem Amtsantritt Putins verlo-
ren. Der „Pervyj („Erste“) Kanal“ ist inzwischen wieder ein reines Verkündungsorgan des
Kreml. Zu diesen Verkündungsorganen zählt auch die gesamte staatliche Rundfunkgesell-
schaft „WGTRK“ mit den föderalen Sendern „Rossija“, „Kultura“ und „Sport“, dem Nach-
richtensender „Vesti-24“, dem Auslandskanal „RTR Planeta“ sowie den unzähligen regio-
nalen und lokalen Fernsehstudios. Zudem gehören auch die beiden Radiosender „Radio
Rossii“ und „Majak“ zur Rundfunkanstalt.

1.9 Die Komsomol’skaja Pravda und andere Zeitungen

Wie gewunden die Wege sind, die bis zum tatsächlichen, letztlich verantwortlichen Eigen-
tümer führen, läßt sich sehr gut am Fall der Boulevardzeitung „Komsomol’skaja Pravda“
[www.kp.ru] studieren, deren Herausgeber ursprünglich das Verlagshaus „Komsomol‘skaja
Pravda“ war, zu dem auch die Zeitschriften „Sovjetskij Sport“ und „Express-Gazeta“ gehö-
ren. Das Verlagshaus gehörte bis 2007 mehrheitlich der Medienholding „Prof-Media“, die
wiederum Teil des Unternehmensimperiums von Vladimir Potanin ist. Außerdem besass
ebenfalls bis 2007 der norwegische Medienkonzern „A-Pressen“ eine Sperrminorität von
25,02 Prozent. „A-Pressen“ verkaufte seinen Anteil für eine unbekannte Summe an den
Hauptbesitzer „ESN“. Seit Januar 2007 ist das Verlagshaus mehrheitlich im Besitz des
Unternehmens „Media Partner“, das wiederum Teil der Unternehmensgruppe „ESN“ ist,
die dem Geschäftsmann Grigorij Berjoskin gehört. Weitere Anteile gehören einzelnen Mit-
arbeitern der „Komsomol’skaja Pravda“. Die „Komsomol‘skaja Pravda“, die Zeitung der
staatlichen Jugendorganisation der UdSSR, 1925 gegründet, wandelte sich nach dem Zer-
fall der Sowjetunion 1990 wandelte zu einer modernen Boulevardzeitung nicht nur für
jugendliche Leser. Im Jahr dieses Umbruchs hatte die Zeitung eine Auflage von 3 Millio-
nen Exemplaren, die durch zunehmende Konkurrenz regionaler Zeitungen und ihrer neuen

335
Stellung als nur einer von vielen Titeln in der russischen Zeitungslandschaft im Laufe der
1990er Jahre und auch noch nach dem Millennium sank. Die heutige „Komsomol‘skaja
Pravda“269 erscheint in mehreren regionalen Ausgaben. Die Moskauer Ausgabe hat dabei
eine Auflage von über 160.000 Exemplaren, während die regionalen Ausgaben eine Aufla-
ge von knapp 650.000 Exemplaren erreichen. Damit ist die „Komsomol‘skaja Pravda“ der
auflagenstärkste Tageszeitungs-Titel in der Russischen Föderation vor dem „Moskovskij
Komsomolec“, einer ebenfalls erfolgreichen und populären Zeitung, die in 62 Regionen
Russlands gedruckt und gelesen wird. Daneben erscheint sie in Weißrussland, Kasachstan
und der Ukraine und ist verbreitet auch im übrigen Osteuropa und weiteren Staaten der
GUS bei den russischsprachigen Minderheiten. 200 Journalisten sind im Hauptquartier in
Moskau beschäftigt. Wie die meisten anderen überregionalen Zeitungen hat sie in den letz-
ten Jahren Marktanteile an Regional- und Lokalzeitungen verloren. Eine weitaus höhere
Auflage als die Tageszeitung selbst hat das von ihr herausgebrachte Wochenblatt „Komso-
mol‘skaja Pravda Tolstuška“ (knapp 2,7 Millionen). Nach der Auflage ist dies die Nummer
zwei unter den russischen Wochenzeitungen. Daneben existiert als zweiter Ableger eine
Wochen-zeitung für die Region Moskau „Komsomol‘skaja Pravda v Moskve“ (Auflage ca.
140.000).
Die „Moskovskije Novosti“ („Moskauer Nachrichten“, www.mn.ru) ist seit langem als
seriöse Tageszeitung auf dem russischen Markt etabliert, und wendet sich vor allem an die
gebildete russische Elite. Eigentümer der Zeitung ist der russisch-israelische Milliardär
Arkadi Gajdamak. Die Mehrzahl der russischsprachigen Artikel erscheinen in englischer
Übersetzung in der englischsprachigen Zeitung „Moscow News“. Diese Zeitung wurde
1930 von der amerikanischen Kommunistin Anne-Louisa Strong gegründet und von der
sowjetischen Führung genehmigt. Strong wollte mit dieser Zeitung die kommunistischen
Ideen einem internationalen Publikum vermitteln, weshalb sie bald auch auf französisch,
deutsch, spanisch, auf arabisch und sogar auf finnisch erschien. 1949 stellte die „Moscow
News“ ihr Erscheinen ein, nachdem ihr Chefredakteur, Michail Borodin verhaftet worden
war. Wahrscheinlich starb er im Gulag. Am 4. Januar 1956 begann sie wiederum zu er-
scheinen, jedoch unter der strengen Aufsicht durch die KpdSU. Die Perestrojka Gorbaevs
gab der Zeitung die Möglichkeit, den Demokratisierungsprozess tatkräftig zu begleiten,
eine Möglichkeit, die der seit den späten 1980er Jahren amtierende Chefredakteur Sergej
Roj ergriff und die „Moscow News“ zu einer der ersten sowjetischen Zeitungen machte, die
sich der Glasnost’ öffneten. Prominente Intellektuelle konnten kritische Aufsätze veröffent-
lichen. Die Auflage stieg bis auf eine Million und die Zeitung wurde im ganzen Land gele-
sen. 2004 folgte eine farbige Titelseite. Als mit dem Regierungsantritt Putins die Verkaufs-
zahlen fielen, kaufte der Oligarch und Yukos-Eigentümer Michail Chodorkovskij die Zei-
tung auf, und stellte Jevgenij Kiseljov ein, einen bekannten liberalen Journalisten ein, der
für Aufruhr sorgte, als er, kaum eingestellt, neun altgediente Journalisten hinauswarf, und

269
Herausgeber der „Komsomol‘skaja Pravda“ ist das Verlagshaus „Komsomolskaja Pravda“, zu dem auch die
Zeitschriften „Sovjetski Sport“ und „Express-Gazeta“ gehören. Nach Information der Zeitung „Kommersant“
ist das Verlagshaus „Komsomol‘skaja Pravda“ seit Januar 2007 mehrheitlich im Besitz des Unternehmens
„Media Partner“. „Media Partner“ ist Teil der Unternehmensgruppe ESN, die dem Geschäftsmann Grigorij
Berjoskin gehört. Weitere Anteile gehören einzelnen Mitarbeitern der „Komsomol‘skaja Pravda“. Vor dem
Einstieg des Unternehmens „Media Partner“ gehörte das Verlagshaus mehrheitlich der Medienholding „Prof-
Media“, die wiederum Teil des Unternehmensimperiums von Vladimir Potanin ist. Bis 2007 besaß außerdem
der norwegische Medienkonzern „A-Pressen“ eine Sperrminorität von 25,02 Prozent am Verlagshaus „Kom-
somol‘skaja Pravda“. „A-Pressen verkaufte seinen Anteil für eine unbekannte Summe an den Hauptbesitzer
„ESN“.

336
daraufhin selbst ersetzt wurde. Der Oligarch Boris Berezovskij hatte 1995 die „Nezavisima-
ja Gazeta“ („Unabhängige Zeitung“, www.ng.ru) übernommen und verkaufte sie im August
2005 wieder. Der neue Eigentümer, Konstantin Remukov, nannte als Vorbild die „Wa-
shington Post“. Russische Medienexperten vermuteten viel eher, dass der ehemalige Abge-
ordnete Remukov als Mann der Macht, anders als Berezovskij, der zu Putin in Opposition
stand, dafür sorgen werde, dass die Kommentare der „Nezavisimaja Gazeta“ künftig zu-
rückhaltender in politischen Fragen sein werden. Dieser Hoffnung gaben zwischen den
Zeilen auch die beiden wichtigesten Nachrichtenagenturen Russlands Ausdruck, die „RIA
Novosti“ [http://de.rian.ru bzw. www.rian.ru] und die altgediente „Itar Tass“ [www.itar-
tass.com].
Dass das Unpolitische als Tugend betrachtet wird, weil die politische Meinung von den
Mächtigen als bedrohlich, destabilisierend und damit als illegitim betrachtet wird, dass das
ein fataler Grundzug der heutigen russischen Gesellschaft geworden sei, der die Medien in
eine falsche Richtung lenkt, dafür ist für viele Kritiker gerade die „Komsomol’skaja Prav-
da“ das beste, weil erfolgreichste Beispiel. Die Zeitung bringt in erster Linie Gesellschafts-
nachrichten, Sensationsmeldungen über Sternchen und Fernsehgrößen, und sogenannte
„Home stories“. Die Politik erscheint wie ausgespart. Die russische Gesellschaft liege heu-
te, was ihre demokratische Entwicklung, ihre mediale Diskussions-kultur betrifft, in Apa-
thie – so die Meinung jener Journalisten, die für ihre Neugier, ihren Kampf für eine offene-
re russische Gesellschaft mit dem Staatsapparat zu kämpfen haben. Der Inlandsgeheim-
dienst FSB überwacht die Schritte kritischer Journalisten, von der Linie der Kreml-Partei
„Einiges Russland“ abweichende Stimmen müssen mit Schikanen leben oder in das Internet
ausweichen. Ein vielzitiertes Beispiel ist die Plattform „www.newsru. com“, die mit US-
amerikanischen Medienunternehmen zusammenarbeitet270. Die Situation ist zwar noch nicht
derart bedrohlich wie in Weißrussland, wo oppositionelle Medien im benachbarten Ausland
operieren müssen. Aber die Uniformierung der Medien hat in Russland ein Ausmaß ange-
nommen, die an glücklicherweise vergangene Zeiten gemahnt und die Rede von Freiheit
und Unabhängigkeit akademisch erscheinen läßt.

270
Ursprünglich war die Seite der Internetauftritt des russischen Fernsehsenders „NTV“ [www.ntv.ru]. In ihrer
aktuellen Form besteht sie seit August 2000, als die Seite von der Information über „NTV“ zur Veröffentli-
chung von Nachrichten wechselte. Betreiber der Seite ist die Firma „Memonet“, die zur Media-Most-Holding
gehört.
Als im April 2001 der Fernsehsender „NTV“ unter fragwürdigen Umständen von der staatlichen „Gazprom-
Media“ AG übernommen wurde, blieb dessen Internetseite im Besitz des „NTV“-Eigentümers Vladimir Gu-
sinskij, weil sie juristisch nicht zum Fernsehsender gehörte. Im Oktober 2002 änderte die Seite ihren Namen
und ihre Adresse von „ntv.ru“ zu „newsru.com“. Die Adresse „ntv.ru“ wurde dem Fernsehsender zur Nutzung
überlassen.

337
2. Das Mediensystem in der Ukraine: Pressefreiheit zwischen Kuma und Jušenko

Auch in der Ukraine271 wurden die Medien zum Spielball der wechselnden politischen
Machtverhältnisse. Eine Stunde Null, wie es sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in
Deutschland oder nach der Auflösung der DDR gab, hat es in der Ukraine nach 1990 nicht
gegeben. Die Aufarbeitung der Verbrechen und des totalitären Erbes der Sowjetmacht wur-
den nicht Thema einer dauerhaften Auseinandersetzung. Während die Masse der Bevölke-
rung nach der Unabhängigkeit um die Anerkennung der nationalen Symbole, der ukraini-
schen Sprache und ihrer historischen Identität kämpfte, konzentrierte sich die ehemalige
Parteielite, organisiert in Clans, auf die Privatisierung der Schlüsselindustrien und verhin-
derte erfolgreich Reformen. So enstanden eine florierende Schattenwirtschaft und in kurzer
Zeit schwindelerregende Privatvermögen. Kriminelle Geschäftemacher verbanden sich mit
der politischen Szene und dem einst allmächtigen Kontrollapparat. Die gesellschaftlichen
Folgen waren eine dramatische Verarmung, eine weitgehende Entsolidarisierung und eine
Lähmung des öffentlichen Lebens. Hauptexponent dieser Politik war der ehemalige Präsi-
dent Leonid Kuma (1995-2005), der nach der Aufdeckung eines Auftragsmords an einem
kritischen Jounalisten sein Amt verlor. Die Orangene Revolution des Winters 2004/2005
war eine der größten außenpolitischen Niederlagen Russlands seit dem Ende der Sowjet-
union. Sie war umso schmerzhafter als die Ukraine in den Köpfen vieler Russen als Kern-

271
Die Ukraine (ukrainisch: ® ³* /Ukrajina) ist ein Staat in Osteuropa. Das Land grenzt an Russland im Nord-
osten, Weißrussland im Norden, Polen, Slowakei und Ungarn im Westen, Rumänien und Moldawien im Süd-
westen, sowie an das Schwarze Meer und Asowsche Meer im Süden. Mit 603.700 km² ist es das flächenmäßig
größte Land Europas. Die Geschichte der Ukraine ist geprägt von Teilungen und Fremdansprüchen anderer
Staaten. Eine nationale Identität konnte das Land über Jahrhunderte hinweg nicht aufbauen. Nach dem Zweiten
Weltkrieg wird die Ukraine erneut Teil der Sowjetunion bis zu deren Auflösung 1991, im Zuge derer sie die
staatliche Unabhängigkeit zugesprochen bekommt. Die Einwohnerzahl beträgt 46.710.816 (Stand: Juli 2006),
wobei in der Hauptstadt Kiev circa 2,7 Mio. Menschen leben. Seit einigen Jahren entwickelt sich die Einwoh-
nerzahl rückläufig. Gründe dafür liegen in der erhöhten Abwanderungs-quote, der stark abgeschwächten Ge-
burtenrate sowie bei den Auswirkungen gesundheitsbelastender ökologischer Schäden (Bsp.: Katastrophe in
Tschernobyl, 1986). Die Bevölkerungsdichte liegt bei 78 Einwohnern pro km². Im Vergleich dazu leben in
Deutschland pro km² 230 Menschen. In der Ukraine ist eine konfessionelle Mischung vorhanden, dennoch
dominieren vor allem orthodoxe Kirchen. Des Weiteren setzt sich die Bevölkerung aus zahlreichen Nationali-
täten zusammen. In dem osteuropäischen Staat leben zu 77,8 Prozent Ukrainer, zu 17,3 Prozent Russen sowie
über 100 weitere Nationalitäten. Auf Grund dieser nationalen Vielfalt gibt es auch im Sprachgebrauch der
Einwohner deutliche Differenzen. So sprechen 73 Prozent Ukrainisch als Muttersprache, und beachtliche 74,4
Prozent beherrschen ebenso Russisch. Hinzu kommen noch regionale Unterschiede: Die russische Sprache
dominiert als Muttersprache im Osten und Süden der Ukraine bis heute und hält auch in Kiev noch einen rela-
tiv hohen Stellenwert. Die West-Ukraine hingegen ist rein ukrainischsprachig und ebenso die offizielle Amts-
sprache es Landes ist ukrainisch. Diese Besonderheiten führen in der ukrainischen Politik unter der so genann-
ten „Sprachenfrage“ zu einem ständigen Streitthema. Der Staatsaufbau der Ukraine beruht auf einer zentralisti-
schen Regierung. Diese unterteilt sich in 27 Verwaltungseinheiten (Oblaste), welche sich aus 24 Oblasten so-
wie aus der autonomen Republik Krim und den Städten Kiew und Sewastopol zusammensetzen. Nach der Ver-
fassung vom 28. Juni 1996 herrscht Präsidialdemokratie, das heißt daß Politik und Verwaltung stark auf das
Amt des Präsidenten als zentrale Verfassungsinstitution ausgerichtet sind. Die Verfassung garantierte Gewal-
tenteilung und enthielt außerdem einen Grundrechtekatalog. Die Amtszeit des Staatsoberhauptes (Präsident)
der Ukraine beträgt fünf Jahre. Das Parlament der Ukraine „Werchowna Rada“ (Oberster Rat) wirkt in einer
Legislaturperiode von vier Jahren. Die Bürger der Ukraine können ab 18 Jahren wählen gehen. Im Zuge der
‚Orangene Revolution‘ erfolgten wesentliche Änderungen in der Verfassung. Dazu gehörte die grundsätzliche
Gewährleistung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Dies ermöglicht nicht nur eine kritischere
Medienberichterstattung sondern auch eine lebhaftere Bürgergesellschaft. Unabhängige Menschenrechtsorga-
nisationen können seitdem ebenfalls weitestgehend ungehindert arbeiten.

338
gebiet der historischen Rus‘ und damit als integraler Bestandteil des russischen Imperiums
gilt. Seit der Orangenen Revolution werden deshalb massiv pro-russische Nichtregierungs-
Organisationen und pro-russische ukrainische Politiker von Moskau unterstützt. Der russi-
sche Präsident Medvedjev mischte sich mehrmals in die ukrainische Innenpolitik ein und
versuchte Präsident Jušenko, den er als seinen persönlichen Feind bezeichnete, zu diskre-
ditieren. Im September 2004 hatte Moskau sogar versucht, den Kandidaten Jušenko durch
ein Giftattentat aus dem Weg zu räumen. Der vermutliche Attentäter, ein ukrainischer Ge-
heimagent, flüchtete nach der Tat nach Russland und bekam die russische Staatsangehörig-
keit. Auch auf der internationalen Bühne versuchte Moskau die Ukraine als völkerrechtli-
ches Subjekt in Frage zu stellen. Währen der Westen die Orangene Revolution in Kiev als
endgültiges Ende der Sowjetunion gefeiert hatte, gelang es Moskau, die Integration der
Ukraine in westliche Strukturen diplomatisch zu behindern, wobei sich Westeuropa fata-
lerweise nicht einig war, ob man die Ukraine, die immer zwischen Ost und West ge-
schwankt hatte, dem Westen annähern oder auf Distanz halten sollte, um Moskau nicht zu
verärgern.
Fünf Jahre nach der Orangenen Revolution herrschte in der Ukraine politisches Chaos272.
Die Menschen waren unzufrieden und frustriert, der Staat handlungsunfähig, die Ukraine
befand sich in einer Doppelkrise: Die ukrainische Wirtschaft zählt zu den Hauptleid-
tragenden der internationalen Finanzkrise, während ökonomische und politische Reformen
seit langem an der Dauerblockade von Präsident, Regierung und Parlament scheiterten.
Vom scheidenden Präsidenten Jušenko, dem einstigen Helden der Orangenen Revolution,
waren die Ukrainer enttäuscht. In den Umfragen zur ersten Runde der Präsidentschafts-
wahlen am 17. Januar 2010 erreichte der Amtsinhaber noch gerade drei Prozent. Ein Grund
für seinen Mißerfolg ist die Tatsache, daß er sich mehr mit der Vergangenheit als mit der
Zukunft des Landes beschäftigt hat, was ihm nach den bleiernen Jahren der Geschichtsver-
gessenheit und des Relativismus unter Kuma hochanzurechnen ist. Es gab eine ge-
schichtspolitische Debatte über den „Holodomor“, den Hungertod von etwa zehn Millionen
Ukrainern in den Jahren 1932/33 während der stalinistischen Zwangs-kollektivierungen, die
in der Ukraine einen genozidartigen Charakter hatten. Während das Europaparlament den
Holodomor als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufte, konnte Russland eine
UNO-Resolution und damit Entschädigungs-zahlungen verhindern. Die russischsprachige
und eher zu Moskau tendierende Bevölkerung der Ost- und Südukraine hat Jušenko nie
akzeptiert, die Unterstützung der West- und Zentralukraine hat er verloren, weil er die Kor-
ruption trotz vieler Versprechen nicht genügend bekämpft hat. Doch entscheidend ist, daß
Jušenko im Unterschied zu seinen beiden Vorgängern sein Amt nicht zur persönlichen
Bereicherung benutzt und auch die demokratische Meinungs-bildung in seinem Lande nicht
behindert hat. Daß die ukrainische Demokratiebewegung an ihr Ende gekommen zu sein
scheint, zeigte sich auch daran, daß der altsowjetische Kaderpolitiker Viktor Janukovy von
der „Partei der Regionen“, der 2005 noch versucht hatte, durch Wahlfälschung an die
Macht zu kommen und politisch eigentlich tot sein müßte, in der ersten Runde der Präsi-
dentschaftswahlen an die erste Stelle kam, vor Premierministerin Julia Tymošenko, die sich
ebenfalls als Antagonistin Jušenkos profiliert hatte. Die Premierministerin ist kein unbe-
schriebenes Blatt. Seit den 1990er Jahren mischt sie die Clan-Strukturen der Ostukraine

272
Vgl. Bost, B.: „Die Ukraine am Scheideweg“. Am Sonntag beginnt der lautlose Abgang des westlich orientier-
ten ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko, des „Helden der Orangenen Revolution“. In: Die Tages-
post, 14. Jan. 2010, Nr. 5, S. 3.

339
auf, nachdem sie mit Energiegeschäften Furore gemacht hatte. Der russische Gasmonopo-
list Gazprom setzte deshalb auf Timošenko als Thronfolgerin in Kiev, Moskau eindeutig
auf Janukovy, der versprach, die Ukraine aus der Nato herauszuhalten, Russisch zur zwei-
ten Amtssprache zu machen und die Freundschafts-beziehungen zu Russland wiederherzu-
stellen. Was Timošenko betrifft, war die EU eher kritisch. Man kritisierte das Nichteinhal-
ten von Verpflichtungen gegenüber internationalen Organisationen und fehlenden Reform-
willen.
Vor diesem politischen Hintergrund haben sich die Medien seit der Unabhängigkeit
zugunsten der Macht, ihr gegenüber dienstbar, aber auch höchst kritisch positioniert. Auf
den zweiten deutsch-ukrainischen Regierungskonsultationen, die am 8. und 9. Juli 1999 in
Kiev stattfanden, erinnerte die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ daran, daß die Regie-
rung von Präsident Leonid Kuma für schwere Verletzungen der Informations- und Mei-
nungsfreiheit verantwortlich sei273. Das ukrainische Parlament, in dem die Mehrheit gegen
Präsident Kuma opponierte, hatte nach einem Bericht der Agentur UNIAN vom 15. Juni
1999 den Europarat um Hilfe bei der Verteidigung der Meinungsfreiheit gebeten. „In der
Ukraine“, hieß es in dem Appell, „herrscht Gesetzlosigkeit, der Präsident zwingt die Mei-
nungsfreiheit in die Knie“. Die Berichterstattung im Vorfeld der im Oktober 1999 stattfin-
denden Präsidentschaftswahlen sei von der fast totalen Kontrolle der Medien durch Regie-
rung und Behörden bestimmt. „Dies kann der demokratischen Entwicklung der Ukraine
irreparablen Schaden zufügen“, warnten die Parlamentarier. Der private Fernsehsender
STB, eines der populärsten Medien des Landes und immer wieder Ziel von Repressalien,
sah sich nach einer Erklärung, keinen Präsidentschaftskandidaten unterstützen und sein
Programm allen politischen Strömungen öffnen zu wollen, verschärften Angriffen ausge-
setzt. Am 8. Juni ordnete die Regierung ein Sendeverbot via Satellit an, wodurch STB au-
ßerhalb Kievs nicht mehr zu empfangen war und die Hälfte seiner Zuschauer verlor. Kurz
zuvor war STB von den Behörden „aus technischen Gründen“ sogar die Schließung ange-
droht worden. Der Sender war bekannt für seine kritischen Berichte und Reportagen über
Korruptionsaffären. Seit der Gründung 1997 gab es bereits mehrere Angriffe, bis hin zu
Morddrohungen, gegen seine Mitarbeiter.
Zahlreiche weitere Medien waren durch schikanöse Gerichtsverfahren, Einschränkungen
ihres Vertriebs, willkürliche Sende- oder Erscheinungsverbote und ähnliche Manipulatio-
nen in ihrer Existenz bedroht oder mußten, wie die Tageszeitung „Kievskije Vedomosti“,
ihr Erscheinen einstellen. Am 16. Mai 1999 wurden Igor Bondar, Direktor der Fernsehsta-
tion AMT und der Gerichtspräsident von Odessa, Boris Vikrov, von Unbe-kannten erschos-
sen, als sie im Auto in Odessa unterwegs waren. Unter Kontrolle einer parlamentarischen
Kommission zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen wurden Ermittlungen eingelei-
tet. Erst die orangene Revolution des Jahres 2004 gab der Hoffnung Auftrieb, daß die Re-
pressionen und Einschränkungen der Pressefreiheit der Ära Kuma nun ein Ende haben
würden. Doch Theorie und Praxis stimmten auch danach oft nicht überein. Schuld daran
war oft genug mangelnde wirtschaftliche Rentabilität, die viele Massenmedien in fragwür-
dige wirtschaftliche Abhängigkeiten brachte. So stellten kritische Stimmen fest, daß die
Medienrevolution – die Medienfreiheit ist seit 1996 offiziell in der Verfassung verankert –,
die ein zentrales Thema der Orangenen Revolution war, im Grunde gescheitert sei. „Drei
Jahre nach dem Ende der Zensur ist die Berichterstattung heute eher wieder unkritischer

273
Der Präsident zwingt die Presse in die Knie. Ukrainisches Parlament bittet Europarat um Unterstützung bei der
Verteidigung der Pressefreiheit [www.reporter-ohne-grenzen.de/archiv2000/news/presse990707b.html].

340
geworden“, meinte der Journalist Juri Durkot. Der Europarat sah den bis heute unaufgeklär-
ten Fall des im Jahr 2000 ermordeten Journalisten Gongadze gar als „die größte Enttäu-
schung nach der Revolution“. Es gab nach wie vor keine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt.
Auswärtige Beobachter setzten daher ihre Hoffnungen zum Beispiel auf den einzigen lan-
desweit zu empfangenden privaten Informationssender, „Radio ERA“
(www.radioera.com.ua/), als kritisch-innovative Alternative zur staatlichen „Nacional‘na
Radiokompanija Ukrajiny“ (NRU), das die meisten Städter laut Umfrage als „verstaubtes
Bauern- oder Rentnerradio“ betrachten. Die Sendungen im Hauptprogramm hießen „Ähre“
oder „Haushaltsakademie“. „Die NRU unterliegt stark den politischen Interessen und
Schwankungen. Das Budget hängt stark von der Gunst der jeweiligen politischen Macht
ab“, meinte der freie Journalist Andriy Vovk. Der ukrainischsprachige Sende ERA hatte
sich bereits während der Orangenen Revolution als Ort neutraler Berichterstattung einen
Namen gemacht. Heute sorgt es für Perspektivenvielfalt, zum Beispiel in der wöchentlichen
Koproduktion „Welt im doppelten Fokus“, die zusammen mit der BBC Ukraine produziert
wird.
Im GUS-Länder-Vergleich schneidet die Ukraine dennoch relativ gut ab. Die amerikani-
sche NGO „Freedom House“ stufte einzig die Ukraine und Georgien als ‚teilweise frei‘ ein
– alle anderen erhielten ‚unfrei‘. Auf der Rangliste 2007 der „Reporter ohne Grenzen“ teilt
die Ukraine sich mit Malawi Platz 92. Man könne heute alle Themen offen diskutieren,
niemand sei vor Kritik gefeit, so der Journalist Mykola Rjabuk. Als Beispiel für die Ver-
besserungen der Redefreiheit gelten Berichte über den 140.000 Euro teuren BMW von
Präsident Jušenkos pubertierendem Sohn, der „erste ukrainische Skandal nach europäi-
schem Muster“, nach Meinung von Sergij Lešenko, Redakteur der meistgelesenen Inter-
netzeitung „Ukrajins‘ka Pravda“. Alle Medien hätten darüber berichtet und kein Journalist
wäre deswegen ermordet worden. Unabhängiger sind die Medien dennoch nicht geworden.
2003 waren 97 Prozent der ukrainischen Medien in privatem Besitz. Dort gilt die Formel,
wonach Geld plus Medien Macht ergibt, schrieb die unabhängige Wochenzeitung „Serkalo
Nedeli“. Die Besitzer sind oft engste Vertraute politischer Größen. Viele Lokalzeitungen
werden dagegen von den Behörden mitfinanziert oder herausgegeben.
Um diesem alten Spiel der Macht und des Geldes zu entgehen, wichen viele auch in der
Ukraine in das Internet aus. 2006 existierten mehr als 280 Provider und etwa 20 Prozent der
Bevölkerung nutzten das Netz. Versuche staatlicher Reglementierung konnten sich hier
kaum durchsetzen. Vachtang Kipiani vom Fernsehkanal „1+1“ ist frustriert: „Wir sind
keine vierte Gewalt im Lande, wir sind Unterhaltungskünstler für die Bevölkerung. Dieje-
nigen, die wirklich die Macht haben, läßt unser Tun unberührt. Sie agieren immer noch wie
zu Sowjetzeiten.“ Die Bevölkerung scheint zufrieden: 56 Prozent fühlen sich laut Umfrage
besser informiert als vor der Revolution. Selbstzufrieden sind auch die Politiker: Jušenko
kanzelte den Journalisten, der ihm wegen der Luxuskarosse seines Sohnes unbequeme
Fragen stellte kurzerhand ab, er solle sich „wie ein höflicher Journalist benehmen, und nicht
wie ein Killer“. Vom Einfluß westlichen Kapitals ist in der Medienbranche noch nicht viel
zu merken. Der ukrainische Journalist Juri Durkot wünscht sich mehr westliches Kapital,
„obwohl es die Probleme der ukrainischen Medien nicht lösen würde.“

341
2.1 Der Fall Gongadze als Wendepunkt

Deren Hauptproblem war zur Zeit der Regierung Kuma die starke Einflußnahme der Poli-
tik, die bis zu Drangsalierung und sogar Mord gehen konnte, wie der Fall des Journalisten
Georgij Gongadze zeigt. Wer medialen Widerstand gegen die Staatsgewalt leistete, den traf
die ganze Härte des Apparats. Die Feuerpolizei und die Steuerinspekteure kontrollierten mit
Vorliebe Redaktionen. Das oppositionelle Blatt „Den‘“ („Der Tag“), das den liberalen
Reformpolitiker und Ex-KGB-General Jevhen Maruk unterstützte, bekam in einem Jahr
mehr als zwanzig Besuche vom Finanzamt. Der Eigentümer des unabhängigen Radiosen-
ders „Kontinent“ wurde per Telefon gewarnt: „Wenn du glaubst, du bist ein guter Fahrer,
täuschst du dich.“ Kurz darauf überlebte er mit knapper Not einen Autounfall. Wenn An-
schläge nicht fruchteten, wurden in staatlichen Druckereien Zeitungen geklont. Auf Anzei-
gen der Redaktionen reagierte die Staatsanwaltschaft meist überhaupt nicht. In den großen
Fernsehstationen, so sagten Journalisten übereinstimmend, arbeiteten Zensoren, die darauf
achteten, daß die Opposition möglichst selten auf dem Bildschirm erscheine.
Im Falle des verschwundenen regierungskritischen Journalisten Gongadze behinderte
der Staatsanwalt selbst die Ermittlungen. Vertreter von „Reporter ohne Grenzen“ hielten
sich mehrere Tage in der Ukraine auf, um den Fall zu untersuchen. Sie trafen mit dem uk-
rainischen Präsidenten Leonid Kuma zusammen, um über das Vorgehen der Behörden bei
der Aufklärung des Falles zu sprechen; man führte Gespräche mit dem Innenminister, dem
Chef des Sicherheitsdienstes, dem Generalstaatsanwalt, mit Vertretern von Justizbehörden,
Abgeordneten, Journalisten und Freunden sowie der Familie von Georgij Gongadze. Die
internationale Organisation zur Verteidigung der Pressefreiheit stellte schließlich fest, daß
nach den ihr vorliegenden Erkenntnissen Generalstaatsanwalt Mychajlo Potybenko die
Aufklärung des Falles behindert, wenn nicht sogar verhindert hat. Georgij Gongadze, da-
mals 31-jähriger Chefredakteur des Online-Magazins „Ukrajins‘ka Pravda“
(www.pravda.com.ua), war den Regierenden mit Beiträgen für seine Internet-zeitung über
Korruption auf die Nerven gegangen. Am 16. September 2000 wurde er in einem Auto aus
der Innenstadt von Kiev entführt. Im November wurde eine enthauptete, stark verweste
Leiche in der Nähe von Kiev gefunden. Wenig später präsentierte ein angesehener Opposi-
tionspolitiker Tonbandaufnahmen aus der Kanzlei von Kuma, auf denen dieser schimpfte,
man solle mit dem unbequemen Journalisten aufräumen. Damit war der Fall zum Politikum
geworden. Seitens der Behörden gab es keine oder widersprüchliche Aussagen zu der Fra-
ge, ob es sich dabei um den Leichnam Gongadzes handelte. Erst am 10. Januar 2001 wur-
den Ergebnisse von DNS-Analysen bekanntgegeben, die die Identität bestätigten. Die
„Ukrajins‘ka Pravda“ war im April 2000 ins Leben gerufen worden und machte sich rasch
einen Namen für ihre regierungskritische Berichterstattung. Die Ukraine wurde damals vom
Europarat wiederholt gerügt, ihren Verpflichtungen in Bezug auf die Pressefreiheit nicht
nachzukommen. Reporter ohne Grenzen hatte die Ukraine daher auch wieder auf die Liste
der Länder gesetzt, in denen die Situation hinsichtlich der Pressefreiheit als ‚ernst‘ einge-
stuft werden muß.
Dafür gab es weitere Indizien: Im Sommer 2001 wurde ein Journalist ermordet, ein
anderer lag nach einer Attacke mit Baseballschlägern im Koma274. In einem Brief an den

274
28. September 2001: Ukraine / Ermordung von Georgij Gongadse. Europarat stimmt für internationale Unter-
suchungskommission zum Tod des Journalisten

342
ukrainischen Innenminister Anatoli Kinah forderte „Reporter ohne Grenzen“, alle notwen-
digen Maßnahmen zu ergreifen, um diejenigen zu ermitteln, die für die Überfälle auf die
zwei ukrainischen Journalisten verantwortlich sind. Am 3. Juli 2001 starb Oleg Breus,
Redakteur der Zeitung „XXI vek“ (21. Jahrhundert), durch mehrere Schüsse. Unbekannte
hatten am Eingang seines Wohnhauses in Lugansk auf ihn gefeuert. Die Polizei sah den
Mord jedoch im Zusammenhang mit Breus‘ Aktivitäten als Geschäftsmann, denn am Zent-
ralmarkt von Lugansk hielt er 33 Prozent der Aktien. Der Chefredakteur von „XXI vek“,
Juri Jurov, ging jedoch davon aus, daß Breus wegen kritischer Artikel über den neuen Bür-
germeister der Stadt ermordet wurde. Ebenfalls am 3. Juli 2001 wurde Igor Alexandrov,
Generaldirektor der Fernsehstation „Tor“ in Slavjansk, einem Ort in der Ostukraine, am
Eingang des Senders von Unbekannten mit Baseballschlägern angegriffen. Er erlitt so
schwere Kopfverletzungen, daß er darauf im Koma lag und in Lebensgefahr schwebte.
Aleksandrov war 1998 zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, weil er einen Abgeordneten
als „König des Wodka-Reiches von Donbas“ (Industriezone im Osten der Ukraine) be-
zeichnet hatte; zudem erhielt er ein fünfjährges Berufsverbot. Zwar zog der Abgeordnete
seine Klage 2000 zurück, Aleksandrov bestand aber auf seiner Rehabilitation und brachte
den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
In der Ukraine waren von 2000 bis 2005 insgesamt 13 Journalisten ermordet worden.
Doch der Fall Gongadze markierte einen entscheidenden Wendepunkt. Er führte im Land
zu einem Erwachen der Zivilgesellschaft. Im Ausland wurde man sich der ernsten Bedro-
hung der bürgerlichen Freiheiten in der Ukraine bewußt. Die Enthüllungen über mögliche
Verwicklungen hochrangiger Regierungsvertreter in das ‚Verschwinden’ des Journalisten
erschütterten die Macht von Staatspräsident Kuma, doch Staatsapparat, Justiz und Polizei
verschleppten die Suche nach der Wahrheit. Generalstaatsanwalt und Innenminister, die der
Journalist kurz vor seinem ‚Verschwinden‘ beschuldigt hatte, ihn bedroht zu haben, wider-
setzten sich jeder seriösen Untersuchung der Umstände des Verbrechens. Sie behaupteten,
der Fall wäre abgeschlossen, die Täter verhaftet, diese wären aber leider selbst bereits er-
mordet worden. Der vom ukrainischen Parlament eingesetzten Untersuchungs-kommission
wurden jegliche Mittel für erfolgversprechende Ermittlungen verwehrt. Reporter ohne
Grenzen forderte daher, zusammen mit der Mutter des Journalisten, Alexandra Gongadze,
sowie seiner Witwe Miroslava, die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskom-
mission, die dank der Kooperation des Europarats und anderer europäischer Organe auch
zustandekam.

[www.reporter-ohne-grenzen.de/aktu/pm/pm2001/pm060701.htm].

343
2.2 Protest gegen die politische Gängelung der Medien

Ukrainische Medienvertreter gaben sich derweil ahnungslos, aus Angst um ihre Stellung,
aus Opportunismus, aus Überzeugung. Dimtrij Kiseljov vom Privatsender „ICTV“ aus
Kiew meinte auf einer Tagung, die Ende März 2003 in Berlin stattfand275, er erleide in der
Ukraine keine Zensur, wofür er heftigen Widerspruch seiner Kollegen erntete. Die Realität
sähe ganz anders aus: Die bisher unaufgeklärten Ermordungen der Journalisten Georgij
Gongadze und Igor Alexandrov seien ein Indiz dafür, daß es „Zensur durch Mord“ gibt. Die
Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bewertete die Pressefreiheit in 139 Staaten, unter
denen die Ukraine Platz 112 belegte und sich somit im letzten Viertel der untersuchten
Staaten befand, in denen es um die Pressefreiheit am schlechtesten bestellt war. Selbst das
Parlament in Kiev räumte Pressezensur in der Ukraine ein.
Die systematische Gängelung durch Präsidentenverwaltung und lokale Staatsorgane
gehörte zum Alltag der ukrainischen Medien. Selbst das Parlament, das mehrheitlich Sym-
pathien für Präsident Leonid Kuma hegte, verabschiedete am 12. Januar 2003 eine Resolu-
tion, die Zensur in der Ukraine konstatiert. Dieser Sinneswandel war wohl nur durch den
internationalen Druck von Europäischer Union, Europarat und der Organisation für Sicher-
heit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) möglich geworden. Erhebliche Erleichterung
in ihrer Arbeit sahen ukrainische Journalisten durch diese Lippen-bekenntnisse jedoch
nicht, vor allem weil man die Anwendung von Zensur juristisch nur schwer nachweisen
könne. Der Redakteur der Zeitung „Zerkalo Nedeli“ („Wochenspiegel“) Serhij Rachmanin
kritisierte, daß die undurchsichtigen Besitzstrukturen ein ständiges Einfallstor für Erpres-
sungsversuche seien. Einerseits könne der Hauptbesitzer, zumeist ein finanzkräftiger Oli-
garch, der eng mit der politischen Macht verbunden ist, die Themen-auswahl bestimmen.
Andererseits bekämen Medien, die die ukrainische Führung kritisieren, schnell Besuch von
der Steuerinspektion. Horrende Steuernachzahlungen bedeuten den finanziellen Ruin. Ein
beliebtes Spiel der Staatsorgane sei es, durch die Nutzungskonditionen kommunaler Büro-
gebäude Druck auszuüben. Mit angedrohten Mieterhöhungen werden die Redaktionen
willfährig gemacht, mit Preisnachlässen werden sie geködert. Den juristischen Möglichkei-
ten gegen diese Schikanen vorzugehen, sei wenig Erfolg beschieden, schlicht weil die Ge-
richte nicht unabhängig seien, so Rachmanin, der die Gewaltenteilung im politischen Sys-
tem der Ukraine für äußerst mangelhaft hielt.
Westliche Auslandssender waren der ukrainischen Regierung unter Kuma aus nahelie-
genden Gründen ein Dorn im Auge. So mussten die ukrainischen Partnerstationen der
Deutschen Welle für 2003 neue Lizenzen beantragen, um das DW-Programm als Wieder-
holung ausstrahlen zu dürfen. Das kostete Geld, das kleine Stationen kaum haben. Westli-
che Beobachter stellten fest, daß es den staatlichen Organen regelrecht Spaß mache, ihr
Klagerecht wegen Ehrverletzung auszunutzen. Durch Schadensersatzforderungen und ande-
re Winkelzüge hatte der Staat stets den längeren Hebel, unliebsamen Medien einen Maul-
korb zu verpassen. Zwar sei die Presse- und Medienfreiheit als Grundrecht garantiert, doch
sah die Verfassungswirklichkeit anders aus. Einer der vielen Höhepunkt in der Kujonierung
der Medien waren die sogenannten „Temniki“, bei denen es sich um Themenlisten handel-
te, die vom Presseamt der Präsidentenverwaltung an die Medien-macher großer Fernsehsta-

275
Vgl. „Zensur mit perfiden Methoden“. Zur Situation der Presse- und Medienfreiheit in der Ukraine. Stimmen
von einer Tagung in der Europäischen Akademie Berlin.Von Wilhelm Johann Siemers. 24.04.2003.

344
tionen gingen. Darin wurde diktiert, über welches Thema in welcher Weise berichtet wer-
den darf. Serhij Vasiliev, der als Leiter für Informationspolitik der Präsidialverwaltung
Urheber dieser ominösen Listen war, spielte freilich deren Bedeutung herunter. Er stellte
sie allen Ernstes ales Teil der „neuen Transparenzoffensive der Präsidentenadministration“
dar, was aktive Journalisten wie Olena Prytula, Chefredakteurin der Internetzeitung „Ukra-
jins‘ka Pravda“, nicht recht glauben wollten. Solche staatlichen Empfehlungen würden
eindeutig Selbstzensur provozieren. Fernsehsender vermieden es für jeden erkennbar, In-
formationen über Oppositionelle wie Julija Tymošenko oder Viktor Jušenko zu bringen.
Weniger bis gar nicht betroffen waren jene Fernsehschaffenden und Journalisten, deren
Programm und Artikel weitgehend unpolitisch waren. Der Chef des Privatsenders ICTV,
Kiseljov, gab zum Beispiel an, von diesen ominösen Themenlisten nichts zu wissen, was
kein Wunder sei, so Olena Prytula, weil jeder wisse, daß der Besitzer von „ICTV“, Viktor
Pinuk, der Schwiegersohn des Präsidenten ist. Ohnehin habe der TV-Sender mit seinem
Musikprogramm, südamerikanischen Serien und einem dünnen Nachrichtenteil Zensur
nicht zu fürchten. In diesem Streit um Medien- und Pressefreiheit war allein die Präsiden-
tenwahl im Herbst 2004 ein Hoffnungsschimmer, und der zunehmende Wille der Journalis-
ten, sich zu organisieren. Als Ministerpräsident Viktor Janukovy zum offiziellen Sieger
der umstrittenen Präsidentenwahl vom 21. November erklärt wurde, schien für die ukraini-
schen Fernseh-zuschauer alles wie immer. Der Favorit des Regierungslagers hatte gewon-
nen. Wie in den guten alten Sowjetzeiten verkündete das Fernsehen genau das Ergebnis,
das dem System genehm war276. Und doch war diesmal alles anders. Wer die Übersetzung
der Nachricht in Gebärdensprache verstehen konnte, rieb sich die Augen: „Die von der
zentralen Wahlkommission veröffentlichten Ergebnisse sind gefälscht, glauben Sie ihnen
nicht“, gestikulierte Natalia Dimitruk in Gehörlosensprache im Fernsehsender „UT-1“.
Dann signalisierte sie ihren Zuschauern, daß Jušenko der wahre Gewinner sei. Außerdem
entschuldigte sie sich dafür, daß sie zuvor klaglos offiziöse Verlautbarungen übersetzt hat-
te: „Es tut mir leid, ich war gezwungen zu lügen...ich werde es nicht mehr tun.“ Mit dieser
Geste des Widerstandes griff die orangefarbene Revolution der Straße endgültig auf die
staatlichen Medien über. Zusammen mit zweihundert anderen Journalisten von UT-1 for-
derte die Simultandolmetscherin Dimitruk von ihrem Sender eine objektive Berichterstat-
tung über die aktuelle Krise. „UT-1“ war die einzige ukrainische Fernseh-station, die ihre
Nachrichten in Gehörlosensprache übersetzen ließ. Als hunderttausende Demonstranten die
Straßen füllten, legten Dutzende von Redakteuren von „UT-1“ und anderen staatlichen oder
regierungstreuen Sendern die Arbeit nieder und reihten sich bei den Demonstranten ein.
Die Proteste hatten vielerlei Vorkommnisse ausgelöst – die Bevorzugung der staatlichen
Politiker, die schönfärberische Berichterstattung über die Regierung, Schikanierung der
oppositionellen Medien, daß regionale Politiker die Ausstrahlung des oppositionstreuen
Fernsehsenders „TV5“ in den Städten Donezk und Lugansk sowie in den Regionen Charkiv
und Užhorod unterbunden hatten. Auch der Fernsehsender TV Era berichtete der OSZE,
dass die Behörden in Lugansk und Donezk die Ausstrahlung blockiert hätten. Die Taktik
war dabei immer die gleiche: Regierungstreue Politiker setzen die Kabelbetreiber unter
Druck, unerwünschte Sender werden dann einfach vom Netz genommen. Während aber in
der Westukraine, die zur Opposition hielt, Kritik an der Regierung positiv aufgenommen

276
Aleksandar Vasovi: Der Machtapparat in Kiew verliert zunehmend seinen Einfluss auf Rundfunk und Presse
in der Ukraine. Immer mehr Journalisten trotzen der Schikane und berichten zunehmend regierungskritischer
(2.12.2004). Artikel aus dem „Stern“ – weitere Artikel zur Revolution in der Ukraine unter:
www.stern.de/politik/ausland/532797.html.

345
wurde, konte es kritischen Journalisten in der regierungstreuen, russifizierten Ostukraine
ganz anders ergehen. Reporter, die über eine Veranstaltung in Lugansk berichteten, wurden
angegriffen. Henadi Ribenkov, Redakteur des oppositionellen Wochenmagazins „Ukrajina
Centr“ wurde ebenfalls im Osten des Landes von Unbekannten zusammengeschlagen und
schwer verletzt. Die Angreifer in der Hochburg der Regierungstreuen gaben dem Reporter
eine unzweideutige Warnung – er solle künftig positiv über den moskautreuen Minister-
präsidenten Janukovy schreiben. All diese Punkte waren Gründe genug, um die Demonst-
ranten auf die Barrikaden zu treiben. Im Dezember 2004 blickte die Welt gespannt auf den
Maidan in Kiev, den Schauplatz der ‚Orangenen Revolution‘. Die friedliche, aber ent-
schlossene Forderung der Ukrainer nach freien und fairen Wahlen, und nach kritischen
Medien, die fair und unparteiisch darüber berichten sollten, wurde zum weithin beachteten
Beispiel von Mut und Zivilcourage. In Deutschland riefen die Bilder Erinnerungen wach an
die Montags-demonstrationen in Leipzig, Ostberlin und vielen anderen Städten in der ehe-
maligen DDR, bei denen sich die Ostdeutschen für Freiheit, Demokratie und die Wieder-
vereinigung Deutschlands einsetzten. Die ersten wirklich freien und fairen Parlamentswah-
len in der Ukraine am 26. März 2005 brachten schließlich die Entscheidung, die Jubel aus-
löste:
Seine Wahl brachte auch einen Umschwung im Umgang mit den Medien und dem fata-
len Erbe der Kuma-Ära. Die Aufklärung des Mordes an Gongadze war eines der erklärten
Ziele der Revolution in Orange. Drei der vier mutmaßlichen Mörder Gongadzes kamen in
der Hauptstadt auf die Anklagebank277, namentlich Mykola Protasov, Oleksandr Popovy
und Valerij Kostenko. Der vierte Verdächtige, Polizeigeneral Oleksij Puka, der nach Aus-
sage der drei Polizisten Gongadze eigenhändig gewürgt hätte, war im Sommer 2005 von
ukrainischen Agenten in Israel entdeckt worden, denen es aber nicht gelang, den General zu
verhaften. Dieser setzte sich vermutlich nach Rußland ab. Interpol schrieb ihn zur Fahn-
dung aus, was nach Meinung der Vertreterin der Anklage, Valentina Telyenko, im Grunde
aussichtslos sei. Was bedeutet das schon, wenn er in Rußland ist, fragte sie. An der Stirn-
seite des Verhandlungssaales saßen die drei Richterinnen, links die Anklage, rechts die
Verteidigung, und neben ihr, durch einen Eisenkäfig abgetrennt, zwei der drei Angeklagten.
Außerhalb des Käfigs saß der in Freiheit befindliche Popovy, der als Fahrer an der Tat nur
mittelbar beteiligt war. Das Interesse der Öffentlichkeit ließ trotz der zahlreichen Verhand-
lungstage nicht nach. Die Anwälte, die die Mutter und die Witwe des Ermordeten vertraten,
kritisierten die immer noch herrschende Geheimniskrämerei. Die Richterin hatte entschie-
den, da Aussagen und Dokumente ‚Staatsgeheimnisse‘ enthalten könnten, sei die Öffent-

277
Gnauck, G.: Ukrainische Geheimnisse. In: Die Welt, 22.2.2006 [www.welt.de/print-welt/article
199719/Ukrainische_Geheimnisse.html]. Am 1. März 2005 nahmen die Ermittler zwei Polizisten fest. Drei
Tage später wurde der ehemalige Innenminister Jurij Kravenko tot aufgefunden, nur drei Stunden bevor er
unter Eid aussagen sollte. Sein Tod wurde zum Selbstmord erklärt. Auf einem von seinem Leibwächter heim-
lich aufgenommenen Tonband soll Kravenko angeblich befehlen, Gongadze wegzuschaffen. Das Innenminis-
terium gab im März 2005 zu, Gongadze kurz vor seiner Entführung überwacht zu haben. Am 1. August erklär-
te die Staatsanwaltschaft die erste Phase ihrer Ermittlungen für beendet und präsentierte vier Verdächtige.
Trotz der Verhaftungen und der erzielten Erfolge in dem Mordfall Gongadze führten die erheblichen Mängel
der Ermittlungen zu Verzögerungen. Im November 2005 verpflichtet der Europäische Gerichtshof für Men-
schenrechte in Straßburg die ukrainische Regierung zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 100.000 Eu-
ro aufgrund der Klage von Miroslava Gongadze aus dem Jahr 2002. „Als ich die Klage einreichte, wollte ich
die ukrainische Regierung dazu veranlassen, den Todesfall vollständig aufzuklären und die Auftraggeber und
Vollstrecker dieses Verbrechens zu bestrafen, welche durch ihr vorsätzliches Handeln bzw. verbrecherische
Unterlassungen die sorgfältigen Ermittlungen behinderten“, zitierte die Nachrichtenagentur ITAR-TASS Gon-
gadzes Worte.

346
lichkeit und damit auch die Journalisten nur bei prozeduralen Fragen zugelassen. Der An-
walt der Angehörigen Gongadzes meinte deshalb auch, man nähere sich dem Absurden,
wenn eine Einheit im Dienste des Staates einen Menschen umbringt, und dann der Staat
den Vorgang für geheim erkläre. Die drei Polizisten gestanden. Ihnen drohte lebenslange
Haft. Die junge Anwältin hoffte jedoch, dass die Tat als Auftragsmord qualifiziert würde,
was der Anklage erlaubt hätte, als nächstes nach den Auftraggebern zu fragen. Anwalt
Fedur beantragte die Vorladung von Ex-Präsident Kuma.
Damals ging es um nichts weniger als die Pressefreiheit, mit der es seit der Revolution
eindeutig besser bestellt ist. Deutlichstes Zeichen dafür war, dass mehrere bekannte Journa-
listen aus Russland, wo die Luft immer dünner wurde, nach Kiev übersiedelten. Savik
Schuster, der mit seiner Talkshow „Die Freiheit des Wortes“ im Moskauer Sender „NTV“
Schwierigkeiten bekam, brachte nun seine Sendung unter demselben Namen im ukraini-
schen „ICTV“. Mehrere russische Zeitungen gründeten ukrainische Ableger, wobei sich
auch deutsche Verleger für den ukrainischen Medienmarkt zu interessieren begannen. Die
„Handelsblatt“-Gruppe hob in Kiev die Tageszeitung „Delo“ (Unternehmung, Geschäft)
aus der Taufe. Am Gebäude des Journalistenverbands am Chrešatyk, dem Kiever Boule-
vard, hing bald eine Tafel mit den Namen von achtzehn Journalisten. Sie bezahlten den
‚Kampf für die Wahrheit‘ mit ihrem Leben – vor der Revolution.

2.3 Die heutige Situation der Medien in der Ukraine

Die freie Entwicklung der Medien, die die orangene Revolution erkämpfte, konnte nur an
eine relativ kurze Phase der Freiheit anknüpfen, an die Zeit unmittelbar nach dem Ende des
Ersten Weltkriegs, vor der kommunistischen Machtergreifung, und an eine Zeit relativer
Pressefreiheit, die jedoch nur für jene Gebiete im Westen der Ukraine galt, die zur österrei-
chischen Vielvölker-Monarchie gehörten. Die ‚orangene Revolution‘ brachte den ukraini-
schen Medien neue Rahmenbedingungen, wobei zwischen Praxis und Theorie wie immer
ein großer Graben klaffte. Die fehlende wirtschaftliche Rentabilität der Medien brachte
nach wie vor viele Zeitungen in finanzielle Abhängigkeit von fragwürdigen Geldgebern. In
Artikel 34 der ukrainischen Verfassung wird den Medien die Unabhängig-keit garantiert.
1992/93 und 1997 wurden zentrale Gesetze zur Regelung der Massenmedien verabschiedet.
Diese Gesetze finden in der heutigen Ukraine nur begrenzte Anwendung. Durch die wirt-
schaftliche Abhängigkeit der Medien von finanziellen Geldgebern werden die Gesetze
immer wieder übergangen. Somit dienen die ukrainischen Medien eher als Sprachrohr für
ihre finanziellen Geldgeber, und übernehmen auch nicht ihre eigentliche Aufgabe in einer
demokratischen Gesellschaft. Eine Presse, die sich wirtschaftlich selbst tragen würde und
vor allem unabhängig wäre, gibt es in der Ukraine bis heute nicht. Während sich die deut-
sche Presse vor allem aus zwei Quellen, den Vertriebs- und Werbeeinnahmen, finanziert,
decken diese Erlöse in der Ukraine nicht einmal die Produktionskosten. So ernüchternd es
ist, aber nur Publikationen in den Bereichen Unterhaltung, Werbung und #Erotik arbeiten
gewinnbringend auf dem ukrainischen Printmarkt. Die Kaufkraft der ukrainischen Bevölke-
rung ist gegenüber der deutschen nur sehr schwach ausgeprägt. Dementsprechend sind die
diversen Werbemärkte auch nur gering ausgeprägt. So wird die ukrainische Presse entwe-
der vom Staat finanziert, oder im Falle von der privaten Presse vom Eigentümer selbst. Ziel
des Geldgebers ist nicht etwa Gewinn zu machen, sondern eher die Beeinflussung der öf-
fentlichen Meinung. Dies ist natürlich für den Printmarkt nicht gerade rentabilitätsfördernd.

347
In Zeiten des Wahlkampfes wurden Zeitungen auch zum Spottpreis verkauft oder sogar
verschenkt. Die Presse wurde zum politischen Instrument. Trotz dieser schlechten wirt-
schaftlichen Perspektive, gibt es in der Ukraine einen regelrechten Publikationsboom. Laut
dem ukrainischen Rosumkov-Zentrum für politische und wirtschaftliche Forschung stieg
die Anzahl der Presseerzeugnisse in den letzten Jahren von 1.799 auf 2.551 Zeitungen,
sowie von 206 auf 1.374 bei den Zeitschriften. Und das obwohl die eigentliche Gesamtauf-
lage um mehr als ein Drittel zurückging.
Diese Lage der ukrainischen Druckerei- und Verlagsindustrie rückte diese nach der
Orangenen Revolution stärker ins Blickfeld potenzieller ausländischer Investoren, wobei
die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage des Landes vermehrt Ausschau nach strategischen
Partnern hielten und auf Kapitaleinstiege hofften. Der Weltverband „International Federati-
on of the Periodical Press“ (FIPP) wies in seiner Verbandszeitschrift 2007/08 nach, daß die
Ukraine einer der wenigen Zeitschriftenmärkte mit zweistelligen jährlichen Wachstumsra-
ten ist. Das Interesse an Zeitungen und Zeitschriften (Druckausgaben) ist in der Ukraine
ungebrochen, ja steigend. Und das trotz der Tatsache, daß auch dort vor allem jüngere
Menschen meist andere Medien bevorzugen, wenn sie sich informieren und orientieren
wollen. Die demographische Entwicklung im Lande spricht ebenfalls eher gegen steigende
Auflagen von Periodika. Die Lebenserwartung bei Männern liegt bei nur mehr knapp über
60 Jahren. Die Geburtenraten haben seit Anfang der 1990er Jahre stark abgenommen, so
dass weniger neue, junge Leser nachwachsen. Finanzielle Ressourcen für gedruckte Pro-
dukte brechen auch in der Ukraine weg, weil große Teile des Anzeigengeschäfts unwieder-
bringlich an das Internet verloren gegangen sind. Gleichwohl ist der Anzeigenmarkt Print
in der Ukraine während der letzten Jahre um bis zu 20 Prozent pro Jahr gewachsen. Prog-
nosen zufolge wollte man 2009 ein Volumen von 400 Millionen US-Dollar erreicht haben.
Die Expansion des Anzeigenmarkts geht mit steigenden Zeitungs- und vor allem Zeitschrif-
tenauflagen einher. Marktforscher wollen heraus-gefunden haben, dass die ukrainischen
Privathaushalte 2007 durchschnittlich 1,9 Zeitungen oder Zeitschriften abonniert hatten,
und dass es bei diesem Indikator zuletzt im Jahresmittel Steigerungsraten von 5 bis 7 Pro-
zent per annum gegeben hatte.
Allein die auf den Abonnementsvertrieb entfallende Auflage von überregionalen Kauf-
zeitungen und -zeitschriften machte in der Ukraine Anfang Januar 2008 insgesamt 11,32
Millionen Exemplare aus. Das waren 8 Prozent mehr als die Auflage, die Anfang 2007
erreicht worden war. Was Tageszeitungen anbetrifft, so erreicht die im Kiosk- und Abon-
nementsvertrieb verkaufte Auflage einer Schätzung des ukrainischen Verlegers Boris
Feldman zufolge zurzeit erst 1,4 Millionen Exemplare. Andere Angaben sprechen von 1,5
bis 1,7 Millionen. Analysten halten für die Ukraine mit ihren 46 Millionen Einwohnern ein
Marktvolumen von 10 bis 12 Millionen Zeitungen pro Tag für möglich. Das Segment wäre
damit noch weit von einer Sättigung entfernt. Der Teilmarkt der lokalen und regionalen
Tageszeitungen ist außerdem erst im Entstehen begriffen. Die Kultur des Zeitungslesens
müsse in der Ukraine aber erst noch bzw. wieder entwickelt werden, heißt es bisweilen. Es
gebe viel zu wenig Kioske und sonstige Einzelhandelsverkaufsstellen für Zeitungen. Der
Zeitungs- und Zeitschriftenvertrieb sei vielerorts, nicht zuletzt in Kiev, von teilweise chao-
tischen und ruinösen Konkurrenzverhältnissen, von Desorganisation und mangelnder
Transparenz geprägt. Wegen des stattlichen Marktpotenzials erscheint die Ukraine man-
chen ausländischen Presseverlagen als ein attraktives Zielland für Investitionen. Im Erfolgs-
fall winken hohe Auflagen und Umsatzrenditen im zweistelligen Bereich. Nach dem ukrai-
nischen Medienrecht gibt es klare Grenzen für die Eigentumskonzentration in den Massen-
medien. Das Gesetz über die Presse #verbietet jedem Unternehmer, mehr als 5 Prozent des

348
Printmarktes zu kontrollieren. Laut „Gesetz über den Rundfunk“ darf keine Rundfunkorga-
nisation, einschließlich ihrer Tochtergesellschaften, #mehr als zwei Fernsehkanäle und drei
Rundfunk-kanäle betreiben, oder mehr als #30 Prozent des Satzungskapitals von Unterneh-
men des Druckerei- und Verlagswesens und des Rundfunks sich in ausländischer Hand
befinden – eine Hürde, die das ukrainische Parlament, die Verchovna Rada, jedoch im
November 2006 im Zuge der Novellierung des „Gesetzes über das Verlagswesen“ beseitig-
te, aber nur befristet für fünf Jahre (ab dem im Mai 2008 erfolgten Beitritt der Ukraine zur
WTO). Trotz dieser Gesetze sehen die Eigentumsverhältnisse in der Ukraine anders aus278.

2.4 Ukrainische Zeitungen und Zeitschriften

Die Zahl der auf dem ukrainischen Markt vertriebenen Zeitungs- und Zeitschriftentitel
zeigt, dass die Orangene Revolution dem ukrainischen Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt,
der an sich schon sehr reichhaltig war, neuen Auftrieb gegeben hat. Grundsätzlich gilt, dass
die Zahl der ukrainischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften im Westen höher ist, wäh-
rend sie im Osten und Süden gegenüber russischsprachigen deutlich ins Hintertreffen gerät.
Diese Spaltung der Ukraine in einen russisch geprägten und politisch eher nach Moskau
tendierenden Teil und einen ukrainisch-patriotisch geprägten Westen, der sich historisch
begründet als Teil Mittelosteuropas empfindet, schlägt sich natürlich auch in der Tendenz
der Berichterstattung nieder. Als Janukovy, der Kandidat der „Partei der Regionen“ im
Februar 2010 zum Präsidenten gewählt wurde, und das erneut dank weitreichender Wahl-
fälschungen, wie ihm die Mitbewerberin Julia Tymošenko vorwarf, waren die Medien der
Ostukraine, wo Janukovy schon 2004 den größten Rückhalt hatte, voll von zustimmenden
Berichten279. Man brauchte sich nur die Schlagzeilen von Zeitungen wie der russischspra-
chigen „µ ¨  * “ („Fakty i kommentarii“, „Fakten und Kommentare“)

278
Die Medien teilen sich ukrainische Medienzaren wie #Viktor Pinuk, dem (2005) die Fernsehsender ICTV,
„Novyj Kanal“, STB, M1, „11. Kanal“, die Zeitung „Fakty i Kommentarii“, der Radiosender „Dovira“, und die
Nachrichtenagentur „Ukrajins‘ki novyny“ gehörten. #Andrij Derka gehörten der Fernseh- und Radiosender
„Era“, die Zeitungen „Kievsky Telegraf“ und die Nachrichtenagentur „Versii“. Grigorij Surkis und Viktor
Medveduk gehörten die Fernsehsender „TET“, „Enter“, „Alternativa“, die Radiosender „Šanson“, „Radio Z“,
die Zeitungen „Kievskie Vedomosti“ und „Naša gazeta“, die Wochenzeitungen „Zakon i bisnes“, „2000“,
„Bisnes“ und die Zeitschrift „Natalie“. Der Oligarch #Rinat Achmetov, der 2010 einen Beleidigungsprozess ge-
gen eine französische Zeitung gewann, besaß den Fernsehsender „Ukraina“, den Radiosender „Ljuks“, die Zei-
tung „Sevodnja“ sowie die Wochenzeitung „Salon Dona i Basa“. #Petro Porošenko besaß den Fernsehsender
„Pjatyj“ – der fünfte (Kanal) –, den Radiosender „Niko Fm“ und die Zeitung „Pravda Ukrajiny“. #Boris Ložkin
gehörten die Radiosender „Evropa Plus Ukrajina“, „Vzrosloe radio“, „Avtoradio“, „Musikradio“, „Jam FM“
und „Star FM“ sowie die ursprünglich russischen Zeitungen „Argumenty i fakty v Ukraine“, das Klatschblatt
„Komsomol‘skaja pravda v Ukraine“, „Izvestija v Ukraine“, „Soveršeno sekretno v Ukraine“ und „Ekspres-
gazeta v Ukraine“.
279
Ausländische Berichterstatter, die meist nur Russisch beherrschen, und eher dem westlich orientierten politi-
schen Lager zuneigten, zeigten eine andere Art von Einseitigkeit. In einem Fernsehduell zwischen Jušenko
und Janukovy im Herbst 2004 sprach Jušenko zum Beispiel Ukrainisch und der russlandfreundliche Januko-
vy Russisch. Am nächsten Tag stand in vielen Korrespondentenberichten, Jušenko wäre seinem Widersacher
rhetorisch haushoch überlegen gewesen. Eine Aussage, die auf tönernen Füßen stand, weil kaum ein deutscher
Journalist Jušenko verstanden hatte. Die Quelle für diese Aussage war meist der russisch- oder englischspra-
chige Online-Dienst ukrainischer Zeitungen. Von Objektivität konnte hier also keine Rede sein. [Vgl. Inozemt-
sev, J.: Teil des Rausches. Selbstkritisches von deutschen Osteuropa-Korrespondenten zur Orangen Revoluti-
on. In: Eurasisches Magazin, 31.7.2008].

349
[www.facts.kiev.ua] anzusehen. Die „Fakten und Kommentare“ war lange Zeit die größte
ukrainische Boulevardzeitung. Wie die meisten der großen ukrainischen Zeitungen wird sie
in der Hauptstadt Kiev gedruckt (Format: Tabloid, erscheint Dienstag bis einschließlich
Samstag; Auflage: ca. 1,1 Millionen). Seit ihrer Gründung im August 1997 stand die Zei-
tung unter der Kontrolle von Viktor Pinuk, dem Schwiegersohn von Ex-Präsident Leonid
Kuma. Was die Zeitung im Übermaß bietet, ist einfach gestrickte Lektüre zum Tagesge-
schehen, gelegentlich auch Interviews. Vor allem überhäufte sie Präsident Kuma mit Lob
und machte bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Opposition nieder. Die Zeitung hatte
die Führerschaft auf dem ukrainischen Markt für Printmedien fest in ihrer Hand. Doch ließ
ihre Position in letzter Zeit nach, zumal in Kiev, wo die „Fakty“ nach den Verkaufszahlen
von „Sevodnja“ („Heute“) überholt wurde. Diese 1997 gegründete Zeitung
[www.segodnya.ua/index.html] erscheint wie ihr Gegenpart in russischer Sprache (Auflage
ca. 700.000). Dem Lager der Premierministerin Julija Tymošenko wurde eher die ebenfalls
russischsprachige „>± * >^“ („Veernije Vesti“, „Abendnachrichten“) zugerech-
net, die eine Auflage von einer halben Million erreicht.
Die Tatsache, dass eine Zeitung in ukrainischer Sprache erscheint, ist meist auch ein
Ausdruck ihrer politischen Haltung, die sich in teils traditionsreichen Titeln spiegelt wie
„Postup“, „Ratuša“, Subotnja Pošta“ oder „Za vil’nu Ukrajinu“ („Für die freie Ukraine“).
Umstrittene Themen wie die sogenannte „ukrainische Heimatarmee“, die im Bürgerkrieg
nach dem Ersten Weltkrieg unter dem ukrainischen Staatssymbol, dem gelben Dreizack auf
blauem Grund, dem ‚tryzub‘, gegen die Kommunisten kämpften, erscheinen in der Westuk-
raine in einem positiveren Licht als im Osten. Es ist zum Beispiel bezeichnend, daß Janu-
kovy früher die alte, aus der sowjetischen Ära stammende Flagge bevorzugte, sich aber im
jüngsten Wahlkampf um das Präsidentenamt als guter ukrainischer Patriot zu geben ver-
suchte und wie seine Gegner, die ihr Orange verbannt hatten, die traditionsreichen ukraini-
schen Farben zeigte, Blau und Gelb, die man volkstümlich vom strahlenden Himmel über
den Kornfeldern der Ukraine ableitet, die aber tatsächlich auf das Wappen des Fürstentums
Galizien zurückgehen. Die ehemals kommunistische, danach linksgerichtete Agrarzeitung
„¶!{^{ ¶ ¶^¶“ („Dorfnachrichten“) versteht sich laut ihrem Untertitel als „Zeitung zur
Verteidigung der Interessen der Bauern der Ukraine“ (www.silskivisti.kiev
.ua/18461/index.php), und wurde ihrer Geschichte zum Trotz (1920 gegründet) in der blei-
ernen Kuma-Zeit zu einem Sprachrohr der nach wie vor von allgewaltigen Direktoren der
Sowjetzeit kujonierten Bauern. Das Regime rächte sich mit allen Mitteln. Das Massenblatt
„Sil‘s‘ki Visti“ musste zum Beispiel gegen einen Namensvetter gleichen Formats und glei-
cher Schrift, nur mit gegenteiligem Inhalt kämpfen, der kübelweise Kehricht über die Op-
position ausgoß.
Staatstragend, aber inhaltlich nicht weniger polemisch gegen die Opposition argumen-
tierte damals die Zeitung des ukrainischen Parlaments, die „Stimme der Ukraine“ („Holos
Ukrajiny“, „· ! ^ ® ³*“). Die Zeitung wurde 1991 gegründet, erscheint in ukraini-
scher Sprache in einer Auflage von etwa 160.000 Exemplaren. Die Zeitung der ukraini-
schen Regierung ist der „Uriadovyj kurjer“ („® } ~  ‘¸ “, „Amtskurier“), der seit
1990 von Dienstag bis Samstag in einer durchschnittlichen Auflage von 120.000 Exempla-
ren erscheint. Zu den Zeitungen, die in russischer Sprache erscheinen, und damit vor allem
in der Ost- und Südukraine gelesen werden, zählt der ukrainische Ableger der russischen
„Arugumenty i Fakty“, die einen relativ sachlichen Stil mit knalliger Aufmachung verbin-
det, und der folgerichtig „Argumenty i Fakty v Ukraine“ („< ¬*¨  ¹ ¨ 
® *“, „Argumente und Fakten in der Ukraine“ – www.aif.ua) heißt. In ukrainischer
Sprache erscheinen: die 1992 gegründete Tageszeitung „Kievskie Vedomosti“ („|^ 

350
  ^“, „Kiever Nachrichten“, www.kv.com.ua), die Montag bis Samstag erscheint
und eine Auflage von 150.000 Exemplaren hat; die „Ukrajina moloda“ („® ³*  !  “,
„Junge Ukraine“ – www.umoloda.kiev.ua), in einer Auflage von ungefähr 100.000 Exemp-
laren (Dienstag bis Samstag, Broadsheet). Auf Ukrainisch und Russisch erscheinen die
1996 gegründete Tageszeitung „Den“ („Der Tag“, Auflage: 62.000), die 1994 gegründete
Wochenzeitung „Zerkalo nedeli“ („ ! *!“, „Sonntagsspiegel“, Auflage: 43.000),
die samstags erscheint. In der offiziellen und quasi-offiziellen Sprache der Ukraine, jedoch
nur online ist die „Ukrajins‘ka Pravda“ zu lesen („® ³*^{ \  “, „Ukrainische
Wahrheit“ – www.pravda.com.ua). Der ermordete Journalist Georgij Gongadze hatte sie
2000 ins Leben gerufen. 2004 eine der publizistischen Vorbereiterinnen der Orangenen
Revolution, ist sie bis heute eine Verfechterin der Ideen der Revolution. Ihr Stil ist kritisch
und wohltuend sachlich. Aus der Vielzahl der regionalen Zeitungen sind die in Lemberg
erscheinenden Zeitungen „Ekspres“, „Wysokyj Zamok“, oder die „L’vivs‘ka gazeta“ zu
nennen. Das norwegische Medienunternehmen „Orkla“ und das im westukrainischen Vi-
nycja beheimatete Verlagshaus „RIA“, das nach eigenen Angaben der führende Regional-
presse-Verlag der Ukraine sei, geben elf eigene regionale Tageszeitungen heraus, darunter
das Billig-Blatt „20 Minut“, in sechs regionalen Hauptstädten der Ukraine, in Vinycja,
Ternopil, Šytomyr, Chmelnycky, ernivcy und Mykolajiv, sowie vier Publikumszeitschrif-
ten, darunter das in Kiev erscheinende Monats-Journal „Kyjivsky Kapitalist“.

2.5 Fernsehen, Radio und Agenturen in der Ukraine

In der Ukraine gibt es sowohl staatlichen als auch kommerziellen Rundfunk. Staatlich be-
deutet in dem Fall, dass die Rundfunkorganisationen den Behörden unterstellt sind. 28
Sender werden von den nationalen, und über 250 Sender von den regionalen Behörden
kontrolliert. Mehr als 500 Sender werden dagegen von privatwirtschaftlichen Unternehmen
geleitet. Lange führte man eine Diskussion darüber, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk
in der Ukraine einzuführen. Das Rundfunkgesetz „Über Fernsehen und Hörfunk“ sieht,
nach einer Änderung des Gesetzestextes im Jahre 1995, vor, dass neben staatlichem und
kommerziellem Rundfunk auch öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der Ukraine vorgesehen
ist. Bereits 1997 wurde das Gesetz „Über das öffentlich-rechtliche Fernseh- und Hörfunk-
system“ verabschiedet. In dessen Präambel heißt es, dass ein öffentlich-rechtliches System
eingerichtet wird, um „das Bedürfnis der Gesellschaft nach aktueller Information umfas-
send zu befriedigen und eine Vielfalt an Sendungen, die die nationalen Traditionen und
sittlichen Werte des ukrainischen Volkes berücksichtigen, zu gewährleisten“. Im Jahr 1997
trat außerdem eine Verordnung in Kraft, die den Aufbau eines entsprechenden Systems
vorantreiben sollte. Laut der Verordnung „Über die Schaffung einer Fernseh- und Hörfunk-
organisation für öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ sollte unter anderem eine Aktiengesell-
schaft gegründet werden, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk leiten sollte. Doch der
„Nationalrat für Fragen des Rundfunks“ verweigerte dieser Aktiengesellschaft die Lizenz
für die Ausstrahlung und eine Finanzierung der Gesellschaft aus dem Staatshaushalt wurde
verhindert. So konnte die Arbeit an einem öffentlich-rechtlichen System nicht aufgenom-
men werden. Nach der Orangenen Revolution hat sich die Diskussion um das Thema je-
doch wieder verstärkt. 2005 wurde der Verband „Öffentliches Recht“ gegründet. Dieser
reichte eine Gesetzesvorlage im Parlament ein, die jedoch lange nicht verabschiedet wurde.
Weiterhin entwickelten der „Nationalrat für Fragen des Rundfunks“ und das „Parlaments-

351
komitee für Fragen der Meinungs- und Informationsfreiheit“ verschiedene Projekte. Eines
dieser Projekte sah vor, den staatlichen ersten Sender „UT1“ in einen öffentlich-rechtlichen
Sender umzuwandeln.
Ein Grund für das langsame Vorankommen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist der
mangelnde Wille der Politiker. Mit einer Umwandlung in 14 öffentlich-rechtliche Sender
fürchtet man einen politischen Kontrollverlust über die Sender, den es zu vermeiden gelte.
Außerdem befürchten sie, dass eine oppositionelle Partei die Kontrolle über einen mögli-
chen öffentlich-rechtlichen Sender erlangen könnte. Außerdem ist nicht klar, wie der öf-
fentlich-rechtliche Rundfunk im Einzelnen finanziert werden soll. Dabei wurde gerne die
Frage diskutiert, ob die ukrainische Bevölkerung überhaupt bereit und fähig sei, den Rund-
funk über Gebühren zu finanzieren. Laut ukrainischer Verfassung sind die Medien frei,
wobei die oftmals unklare Gesetzeslage ermöglicht, dieses Gebot zu umgehen. In der Uk-
raine gibt es zwar verschiedene Gesetze über den Rundfunk, diese werden aber immer
wieder, ohne erkennbare Folgen, übertreten. Das Gesetz „Über Fernsehen und Hörfunk“
sieht vor, dass eine Rundfunkorganisation in der Ukraine nicht mehr als zwei Fernseh- und
drei Rundfunksender betreiben darf. Außerdem dürfen nicht mehr als 30 Prozent der Antei-
le einer Organisation in ausländischer Hand sein. Beide Maßgaben werden in der Praxis oft
genug mißachtet, häufig ohne Folgen. Viele Medien befinden sich in der Hand weniger
Investoren. So besitzt zum Beispiel Viktor Pinuk, der zweitreichste Oligarch der Ukraine
und Schwiegersohn des ehemaligen Präsidenten Leonid Kuma, allein sechs Fernsehsen-
der. Rundfunklizenzen werden in der Ukraine durch den „Nationalrat für Fragen des Rund-
funks“ vergeben. Diese haben eine Geltungsdauer von sieben Jahren. Die Übertragungsnet-
ze werden von dem zu 100 Prozent staatlichen Konzern „RRT“ kontrolliert („Koncern
Radiomovlennja, Radiozv’jazku ta Telebaennja“, www.rrt.ua). Das deutsche Grundgesetz
schützt in Artikel 5 die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Films. Doch im Gegen-
satz zur Ukraine wird die Einhaltung dieses Gesetzes überwacht. Auch werden die Übertra-
gungsnetze nicht vom Staat kontrolliert, sondern von verschiedenen privatwirtschaftlichen
Betreibern.
Der Rundfunk gilt in der Ukraine als wichtigstes Informationsmittel für die breite Be-
völkerung. Daraus erklärt sich die immense Anzahl von Fernseh- und Radiosendern. Über
1250 Organisationen sind im staatlichen Register eingetragen. Jedoch arbeitet nur die Hälf-
te von ihnen überhaupt profitabel. Die andere Hälfte kann infolge finanzieller Probleme
nicht regelmäßig senden. Dies führt dazu, dass sich die Sender in die Abhängigkeit von
Geldgebern begeben müssen. Der Vielzahl an Rundfunkstationen stehen nur 12 Fernseh-
sender gegenüber, die landesweit senden. Die größte technische Reichweite besitzt der
„Erste nationale Kanal“ („Peršyj“, „Erster Kanal“). Obwohl er die größte flächenmäßige
Ausbreitung besitzt, sind die Einschaltquoten gering. Die höchsten Einschaltquoten haben
die privaten Sender „Inter“ und „1+1“ [www.1plus1.net]. Alle drei Sender sollen von der
sozialdemokratischen Partei der Ukraine (SDPU(v)) abhängig sein, der Partei des ehemali-
gen Präsidenten Kuma, die neben der Partei der Regionen und den Kommunisten zu den
aggressivsten anti-Jušenko-Kräften gehörte. Drei weitere wichtige private Sender, „STB“,
„Novyj Kanal“ und „ICTV“ sind in der Hand des Oligarchen Viktor Pinuk. Acht Radio-
sender sind in der Ukraine landesweit zu empfangen. Die wichtigsten Sender sind in der
Nationalen Hörfunkgesellschaft „Nacional’na radiokompanija Ukrajiny“ (NRCU) zusam-
mengefasst. Die Hörfunkgesellschaft strahlt neben drei ukrainischen auch einen internatio-
nalen Sender aus. Dieser überträgt Berichte in ukrainischer, englischer, deutscher und ru-
mänischer Sprache. Weitere Radiosender sind zum Beispiel „Naše Radio“ oder „Russkoje
Radio“, das aus Russland übernommen wurde.

352
Die enorme Beliebtheit des Rundfunks bei der Bevölkerung erklärt auch, warum Politiker
immer wieder versuchen Kontrolle über den Rundfunk zu erlangen. Dies gelingt heute,
nach der Orangenen Revolution, zwar immer seltener, jedoch ist dieses Problem noch nicht
aus der Welt geschafft. So wird zwar über jede politische Partei berichtet, aber diese Aus-
gewogenheit kommt nur dadurch zustande, dass sich die verschiedenen Lager Nachrichten
und Sendezeiten erkaufen. Weiterhin sind verschiedene Rundfunk-organisationen von Poli-
tikern oder politischen Parteien abhängig. So sind, wie erwähnt, allein drei Sender von der
SDPU(v) abhängig. Die finanzielle Abhängigkeit von vielen Sendern führt ebenso zu einer
Beeinflussung der Berichterstattung. Das Werbegesetz der Ukraine, das 1996 verabschiedet
wurde, richtet sich wie in vielen anderen ehemaligen Teilstaaten der untergegangenen
UdSSR nach dem Vorbild des Werbegesetztes in der Russischen Förderation. Grundlegen-
de Richtlinien für die Werbung sind, dass unlautere, rechtswidrige unethische und irrefüh-
rende Werbung, sowie Schleichwerbung verboten sind. Für den Rundfunk explizit gilt, dass
Werbespots vom Programm getrennt ausgestrahlt werden müssen. Weiterhin gilt, dass
höchstens 15 Prozent der täglichen Sendezeit mit Werbespots besetzt sein dürfen. Der „Na-
tionalrat für Fragen des Rundfunks“ hat das Recht Mindest- bzw. Höchstpreise für die Plat-
zierung von Werbung im Fernsehen festzulegen. Eine besondere Regelung ist, dass Wer-
bung für ausländische Produkte eingeschränkt ist. Werbung für ausländische Produkte gilt
dann als rechtswidrig, wenn der ukrainische Sender nicht von der Werbung profitieren
kann. Die „Gesamtukrainische Werbekoalition“, eine Einrichtung zur Selbstregulierung,
hatte Einspruch gegen die Änderung des Werbegesetztes eingelegt, wonach Werbung nur
noch in ukrainischer Sprache gesendet werden sollte. Diesem Einspruch wurde jedoch nicht
stattgegeben. Dadurch, dass sich die politische Einflußnahme der Regierung nach der Revo-
lution im Jahre 2004 verringert hat, kann der Rundfunk kritischer über politische Angele-
genheiten berichten und auch Politiker der Opposition kommen zu Wort. Die Politiker
wissen jedoch noch nicht, wie sie mit der Kritik aus den Medien umgehen sollen. Oftmals
neigen sie dazu, negative Berichte zu ignorieren. Ein weiteres Novum nach der Revolution
im Jahre 2004 war, dass im ukrainischen Rundfunk nur noch Ukrainisch gesprochen wer-
den darf. Der Sender, der dies nicht berücksichtigt, muss damit rechnen, dass seine Sende-
lizenz nicht verlängert wird. Nur in Regionen mit überwiegend nicht-ukrainischen Mehrhei-
ten dürfen die Lokalsender die russische Sprache benutzen. Außerdem versprachen die
Vertreter der neuen Regierung, das Thema öffentlich-rechtlicher Rundfunk stärker zu ver-
folgen.
In der Ukraine gibt es ungefähr 120 registrierte Nachrichtenagenturen. Ein beträcht-
licher Anstieg, wenn man bedenkt, dass es noch im Jahr 2000 nur 35 Agenturen waren. Die
staatliche Nachrichtenagentur heißt „Ukrajins’ke Nacional’ne Informacijne Agenstvo“
(„Ukrainische Nationale Informationsagentur“)280 [http://news.ukrinform.com/ukr/]. Die
größten drei neben der staatlichen Agentur sind „#Ukrinform“, die staatliche Nachrichten-
agentur „#Interfax-Ukrain“ und die unabhängige Nachrichtenagentur „#Unian“ („Ukrainische
unabhängige Nachrichten-agentur“). Seit der Einführung des Internets Anfang der 1990er
Jahre, hat das Internet mehr und mehr an Bedeutung auch in der Ukraine gewonnen. Mehr
als 280 Internet-Provider arbeiten heute in der Ukraine. Eine Suchmaschine für ukrainische
Themen, allerdings auf Russisch, ist „bigmir“ [www.bigmir.net]. Laut Angaben des Kiever

280
Die staatliche Agentur veröffentlicht ihre Nachrichten auf ukrainisch und auf englisch. Eine sehr übersichtliche
deutschsprachige Nachrichtenseite, die auch Nachrichten aus der Ukraine enthält, ist „Newstin“
[www.newstin.de/de/ukraine].

353
„Internationalen Soziologischen Instituts“ (KIIS) nutzen 20 Prozent der ukrainischen Be-
völkerung das Internet. Dieser Anteil ist im stetigen Wachstum begriffen, weil es noch
immer keine rechtlichen Vorgaben und staatlichen Kontrollmechanismen gibt, die die Ar-
beit der Onlinemedien regulieren würden. Viele der Printmedien sind auch online präsent.
Es gibt aber auch reine Online-Publikationen wie „Ukrajins‘ka Pravda“, „#ProUa“,
„#UaToday“, und „#Korrespondent.net“.

2.6 Minderheiten- und Regionalmedien in der Ukraine

Die Minderheiten in der Ukraine haben zumeist auch eigene Zeitungen und Zeitschriften in
ihren jeweiligen Sprachen. Ein interessantes Beispiel ist die in der Westukraine, in der
Region Transkarpatien beheimatete slawische Minderheit der Russinen oder Karpato-
Ruthenen, die allgemein wenig bekannt ist. Unter kommunistischer Herrschaft vermutete
man hinter ihrem Willen zu kultureller Eigenständigkeit Separatismus und erklärte sie ein-
fach zu Ukrainern. Ihre Verwandten in der angrenzenden Slowakei zogen es vor, sich als
Slowaken zu deklarieren; in Polen passten sie sich relativ rasch an die polnische Mehrheits-
kultur an. Diese der kulturellen und sprachlichen Entwicklung wenig förderlichen Bedin-
gungen – nur im ehemaligen Jugoslawien waren die Russinen und ihre Sprache anerkannt –
änderten sich erst mit dem Ende der kommunistischen Diktaturen. Nach 1989 erfasst alle
nationalen russinischen Gruppen, die über das Karpaten-Grenzgebiet mehrerer mittelost-
und südosteuropäischer Staaten verteilt leben, eine wahre kulturelle Wiedergeburt, die auch
ihre Medien aufblühen ließ. Die Russinen besitzen heute eigene Zeitungen, Zeitschriften
und Rundfunkprogramme. Wie umfangreich das Angebot an Sendungen ist, hängt vom
minderheitenpolitischen Engagement des jeweiligen Landes ab, in dem Russinen leben. Die
serbische Vojvodina tut sich in dieser Hinsicht hervor, auch die Slowakei, während die
Ukraine ihre russinische Minderheit nach wie vor mit Argwohn beobachtet und zuviel kul-
turelles Engagement kritisch sieht. Vor allem nachdem 2008 eine Gruppe karpato-
ruthenischer Aktivisten der Kiever Regierung ein Ultimatum gestellt hatte, der Region
Transkarpatien Autonomie zuzugestehen.
In der Region Transkarpatien wurden in den Jahren seit der Öffnung des Eisernen Vor-
hangs etliche Medien gegründet, die sich an die regionale Bevölkerung wenden – und in-
terssanterweise in erster Linie von Journalistinnen betrieben wurden. Die Männer interssier-
ten sich kaum für die wenig gewinnbringenden Medien. Sie wollten das große Geschäft
machen. Dennoch sicherte sich die Politik auch in der Region die Kontrolle über die wich-
tigen Radio- und Fernsehsender. Bis heute sind regional und überregional Radio und TV
die Hauptinformationsquellen, das gedruckte Wort folgt weit abgeschlagen. Und die unab-
hängigen Medien blieben lange ein Randphänomen, so wie das Lokalradio „Sviet“. In
Transkarpatien gab es 2004 zehn regionale Wochenzeitungen, wobei die meisten von Regi-
onalpolitikern kontrolliert wurden, die damit ihr Prestige als erfolgreicher Geschäfts-mann
zu heben trachteten. Die größte Wochenzeitung „Rio“ hat eine Auflage von ungefähr 2.000
Exemplaren und gehörte dem früheren Bürgermeister von Užhorod, der Hauptstadt
Transkarpatiens. Als Zeitung der Opposition hatte „Rio“ immer wieder Probleme mit der
Justiz. Bei den anderen Printmedien hat sich die Selbstzensur so eingespielt, dass sie von
staatlichen Angriffen ungeschoren bleiben. Der Informationsgehalt der Zeitungen ist dürftig
und das journalistische Niveau tief. Dazu kommt, dass die Regionalzeitungen nur wöchent-
lich erscheinen und die Aktualität deshalb zu wünschen übrig lässt. Die meisten Zeitungsle-

354
ser leben in den großen Städten. Die Gesamtauflage der Presse ist in den letzten Jahren
stark gesunken, in erster Linie, weil sich viele Familien keine Abonnements mehr leisten
können oder wollen. Die Tageszeitung „Fakty“, die allerdings auf nationaler Ebene er-
scheint, wird in der Region sehr viel gelesen.
Neben dem offiziellen, staatlichen Radio gibt es bereits mehrere private, kommerzielle
Radiosender, die irgendwo auf dem Berg ihre Masten aufstellen. Diese werden sehr viel
gehört, haben jedoch keinen regionalen Charakter. Eine Ausnahme ist „Zakarpattia FM“,
der Sender der Oppositionspartei in Mukaevo. Dieses Radio wird auch im Hinterland
empfangen, wo die Kommerzsender nicht gehört werden können. Ausserdem existiert noch
ein Überbleibsel aus der Zeit der Sowjetunion mit Namen „Hala“. Es handelt sich dabei um
eine Art Volksradio, das per Kabel in alle Haushalte kommt. Eine absolute Ausnahme in
der Medienlandschaft ist das oben erwähnte Regionalradio „Sviet“ („Welt“) in Užhorod.
Das Studio befindet sich im so genannten Industriezentrum der Stadt in einem Flachbau,
umgeben von Plattenbauten. Die jungen Radiojournalisten sehen sich als Dienstleister eines
Bürgerradios, das in den vier grössten Städten Transkarpatiens zu hören ist, in Užhorod,
Mukaevo, Beregovo und in Vinogradovo. Dass das unabhängige Radio überhaupt entste-
hen konnte, ist der Soros-Stiftung zu verdanken, die das Projekt „Sviet“ finanzierte und
einen grossen Teil des Sendebetriebs finanziell unterstützt. Der regionale Bezug von Radio
„Sviet“ wird von den Hörern, die nicht nur billige Unterhaltung suchen, sehr geschätzt. Sie
bezeichnen „Sviet“ als ihr Radio. Außerdem spielt der Sender für die verschiedenen Min-
derheiten in Transkarpatien eine wichtige Rolle. So haben die Roma ihre eigene Redaktion,
die in Romanes und Ungarisch sendet. Daneben gibt es Informationen in ungarischer und
slowakischer Sprache.
In der Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ hat man seit der Orangenen Revolution
positive Veränderungen in punkto Pressefreiheit festgestellt. In der Rangliste für das Jahr
2006 nahm die Ukraine Platz 105 von 168 Ländern ein und war damit im Vergleich zu
2004 um 33 Plätze aufgestiegen. Man kann der Ukraine nur wünschen, dass sich das trotz
der politischen Veränderungen im Gefolge der Präsidentenwahl vom Frühjahr 2010 fort-
setzt.

355
3. Weissrussland: Knebelung der Medien

In Weißrussland281, dem ‚Reich des letzten Diktators Europas’, kann von Pressefreiheit
keine Rede sein. Vor den Präsidentschaftswahlen 2006 hatten die weißrussischen Behörden
internationale Pressevertreter davor gewarnt, deren Sicherheit nicht garantieren zu können.
Umso gefährdeter waren weißrussische Pressevertreter. Sie wurden bedroht, verhaftet,
zahlreiche Zeitungen wurden geschlossen. Ein Klima der Angst und Einschüchterung be-
herrsche das öffentliche Leben des Landes, klagten sie. Die Organisation „Reporter ohne
Grenzen“ forderte freie Berichterstattung sowie einen gleichberechtigten Zugang aller Prä-
sidentschaftskandidaten zu den Medien. Freie Information sei eine unabdingbare Voraus-
setzung für freie Wahlen, erklärte die Organisation. Auch in Weißrussland müsse die Re-
gierung ihr Informationsmonopol aufgeben und unabhängige Berichterstattung zulassen. Im
Vorfeld der auf den 19. März 2006 vorgezogenen Präsidentschaftswahlen spitzte sich die
Lage der nicht-staatlichen Medien in Weißrussland weiter zu. Während Radio und Fernse-
hen ohnehin in staatlicher Hand waren, knebelte Lukašenko nun auch die verbliebenen
unabhängigen Zeitungen und Zeitschriften massiv. Publikationen wie die „Narodna Volja“
fanden keine inländischen Druckereien mehr und durften nicht mehr an Kiosken verkauft
werden. Gedruckt wurde nun in Russland. Aber häufig wurden ganze Ausgaben an der

281
Der offizielle Name, der auch in diplomatischen Kreisen verwendet wird, ist Belarus. Umgangssprachlich hat
sich aber aus der Übersetzung heraus der Name Weißrussland in der deutschen Sprache etabliert. Das osteu-
ropäische Land ist mit einer Fläche von 207.595 qkm der größte Binnenstaat in Europa. Die Hauptstadt ist
Minsk. Man spricht hauptsächlich Weißrussisch und Russisch. Mit 9.881.000 Einwohners liegt das Land auf
Platz 80 in der Weltbevölkerungsrangliste. Die Bevölkerungsdichte beträgt 48 Einwohnern pro qkm. Zum
Vergleich: in Deutschland liegt sie bei 230 Einwohnern pro qkm. Die Bevölkerungsanzahl nimmt jährlich um
0,15 % leicht ab. In dem multiethnischen und multikonfessionellen Land leben zahlreiche Nationalitäten und
es sind viele Religionen vertreten. Die größte Bevölkerungsgruppe sind die Weißrussen, trotz der Deportatio-
nen nach Russland unter Stalin. Danach folgen mit 11,4% Bevölkerungsanteil die Russen, sowie die Polen
(3,9 %) und die Ukrainer (2,4%). Weiterhin leben viele Minderheiten wie Zigeuner, Selonen, und Jatwinger
in Weißrussland. Als häufigste Religion tritt das orthodoxe Christentum auf, aber es gibt auch Katholiken und
Protestanten. Die prägenden Faktoren in der Geschichte Weißrusslands waren die Besatzung der deutschen
Wehrmacht und der Einfluss der Sowjetunion bis 1991. Seit 1922 war Weißrussland eine Unionsrepublik der
UdSSR(Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) und hieß übersetzt WSSR, weißrussische sozialistische
Sowjetrepublik. Der westliche Teil, der 1920 an Polen ging, wurde 1939 durch eine Volksabstimmung wieder
in die WSSR eingegliedert. Kurz bevor die Wehrmacht das gesamte weißrussische Gebiet besetzt hatte, eva-
kuierte die russische Regierung rund 20 Prozent der Bevölkerung. Trotzdem vielen rund 25 Prozent der Be-
völkerung den Nazis zum Opfer. Weißrussland erreichte erst Ende der 1980er denselben Bevölkerungsstand
wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Die jüdischen Bürger wurden fast vollständig umgebracht. 8 Prozent der er-
mordeten Juden in Europa kamen aus Weißrussland. 200 Städte und 9000 Dörfer wurden zerstört. Nach dem
Krieg waren 3 Millionen Menschen obdachlos. Die rote Armee befreite bis 1944 das gesamte Land und un-
terstellte es wieder der Sowjetunion. 1945 war Weißrussland Gründungsmitglied der Vereinten Nationen.
Stark betroffen war das Land aber auch von dem Reaktorunglück 1986 in Tschernobyl, das nur 10 km südlich
der weißrussischen Grenze in der Ukraine lag. Genau wie im Nachbarland wurde die Warnung und Evakuie-
rung der Bevölkerung zu spät vorgenommen. 70% des radioaktiven Niederschlages kam in Weißrussland nie-
der, 20 % des Landes war verstrahlt, was vor allem die Umwelt im Osten und im Süden betraf. Im Zuge des
Zusammenbruches der Sowjetunion 1991 wurde aus der BSSR der eigenständige souveräne Staat der Repu-
blik Belarus. Stanislau Schuschkewitsch regierte bis 1994, als er von Alexander Lukaschenko abgelöst wur-
de, der bis heute regiert. Dessen Politik ist geprägt von totalitären Handeln und der Antipathie zu den westli-
chen Mächten und ihrer demokratischen Politik. Er kam an die Macht, in dem er den kapitalistischen Ideen
seiner Vorgänger eine Absage ereilte und der armen Bevölkerung wieder die „gute alte Zeit“ versprach.
Durch Volksnähe und der Unterbindung anderer Meinungen und oppositioneller Politik hat er das Volk hinter
sich- man kennt ja auch nichts anderes. Auch weil er durch billigen Öl- und Gaslieferungen aus Russland ein
annehmbarer bescheidenen Wohlstand schuf.

356
Grenze beschlagnahmt. Gelangten dennoch Zeitungen ins Land, durften sie seit Januar
2006 nicht mehr zugestellt werden. Zudem wurden oppositionelle Zeitungen mit Verleum-
dungsklagen überzogen. Mit den daraus resultierenden Schadensersatz-zahlungen wurde
versucht, sie in den Ruin zu treiben. Wer dennoch kritisch und damit unliebsam berichtete,
wurde juristisch verfolgt, inhaftiert, verbannt oder sogar zu Zwangs-arbeit verurteilt.
Die Lage der unabhängigen Medien machte Žanna Litvina, Vorsitzende der Weiß-
russischen Journalistenassoziation, auf einer Podiumsdiskussion von „Reporter ohne Gren-
zen“ und „Deutscher Welle“ Anfang 2006 in Berlin deutlich. Die staatlichen Massenme-
dien seien Waffen im Propagandakampf. Die Zeitung „Sovjetskaja Belorussia“ erscheine
täglich mit 500.000 Exemplaren, so Litvina. Dagegen haben alle unabhängigen Publikatio-
nen zusammen eine Auflage von 200.000 in der Woche. Die Journalisten in Weißrussland
würden entweder zu ihrer Arbeit gezwungen oder aber ein gefährliches Minenfeld betreten.
Auch für Mitarbeiter ausländischer Medien sind Recherchen in Weißrussland nicht gefahr-
los. Die Mitarbeiter des russischen Programms der „Deutschen Welle“ arbeiten für dessen
weißrussisches Fenster häufig unter Pseudonymen und müssen dabei äußerst vorsichtig
vorgehen. Ein Anfang Dezember 2005 erlassenes Gesetz erschwerte die journalistische
Arbeit in Weißrussland zusätzlich. So riskiert bis zu drei Jahren Haft, wer im In- oder Aus-
land den weißrussischen Staat oder dessen Regierung diskreditiert oder ausländischen Staa-
ten „Falschinformationen“ über die politische, wirtschaftliche oder militärische Situation
zur Verfügung stellt. Zudem machen sich Journalisten strafbar, die ausländische Staaten
und Organisationen auffordern, schädliche Maßnahmen gegen Weißrussland zu ergreifen
oder entsprechende Informationen zu verbreiten. Mehrere Medienleute gelten als vermißt.
Die Ermordung der „Solidarnost“-Journalistin Veronika erkasova im Oktober 2005 und
des „Narodna Volja“-Journalisten Vasilij Grodnikov im Dezember 2005 stehen im Ver-
dacht, politisch motiviert gewesen zu sein. „Reporter ohne Grenzen“ und die Weißrussische
Journalistenassoziation haben mehrfach eine unabhängige Aufklärung dieser Fälle gefor-
dert, was die Regierung verweigerte. Auch dem Internet, der bislang einzigen uneinge-
schränkten Quelle für unabhängige Informationen, drohen Restriktionen. In Internetcafés
werden Pässe kontrolliert; der einzige Provider, die staatliche „Beltelekom“, blockiert im-
mer wieder oppositionelle Seiten. Gerade um den Wahltermin 2006 nahm dies massiv zu.
Am Wahltag waren mindestens 56 oppositionelle Seiten nicht zugänglich. Präsident Lu-
kašenko wird von unabhängigen Journalistenorganisationen zu den weltweit größten Geg-
nern des Internets gezählt. Auf der jährlichen Rangliste von Reporter ohne Grenzen zur
weltweiten Situation der Pressefreiheit steht Weißrussland an 157. Stelle von 167 unter-
suchten Ländern.
Als im November 2006 der GUS-Gipfel in Minsk stattfand boykottierten fast alle ange-
reisten russischen Journalisten die Abschluss-Pressekonferenz, weil Weißrussland trotz
Kreml-Protesten drei ihrer Kollegen den Zutritt verweigert hatte. Nicht eingelassen zur
Abschlusspressekonferenz wurden die Korrespondentin und der Photograph der Zeitung
„Moskovskij Komsomol’ec“ sowie der Pressephotograph der Moskauer Zeitung „Kommer-
sant“. Der Kreml argumentierte vergeblich gegen den Minsker Presse-Bann. Minsk hatte
den drei Journalisten in der Woche vor dem Gipfel die Akkreditierung verweigert, dann
aber auf einen Protest des russischen Außenministeriums hin, ihnen doch die Teilnahme
gestattet. Am Eingang zur Nationabibliothek, wo die Pressekonferenz stattfinden sollte,
wurden die drei dann aber nicht eingelassen. Hier half nun auch eine ‚geräuschlose‘ Inter-
vention der Kreml-Pressestelle und weiterer russischer Offizieller nicht weiter. Man ver-
suchte, den Weißrussen zu erklären, dass sie nur Gastgeber einer GUS-Veranstaltung seien
und deshalb nicht das Recht hätten, ihnen nicht genehme Presseleute aus der aus einem

357
Mitgliedsstaat angereisten Delegation auszuschließen. Lukašenkos Pressesprecher Pavel
Legki begründete das Arbeitsverbot für die Ausgeschlossenen damit, dass in den betroffe-
nen Medien „für das weißrussische Staatsoberhaupt beleidigende Texte und Fotos“ erschie-
nen seien. So hatte der in Weißrussland damals verbotene „Moskovskij Komsomol’ec“
über die Trunksucht in Lukašenkos Heimatdorf berichtet. Da die Weißrussen jedoch hart
blieben, entschloss sich der „Kreml-Pool“ geschlossen, an der Pressekonferenz nicht teilzu-
nehmen und verliess das Gebäude.
Eine Ausnahme wurde nur für die staatseigenen Medien gemacht, um eine Grund-
berichterstattung zu gewährleisten. Zur Ehrenrettung für den staatlichen russischen TV-
Sender „Rossija“ muss gesagt werden, dass dieser in seinen Abendnachrichten dem Mins-
ker Presse-Skandal mindestens genausoviel Sendezeit widmete wie dem Gipfeltreffen
selbst. Lukašenko-Sprecher Legki interpretierte diesen Schritt jedoch ganz anders: Als die
russische Presse erfuhr, dass Präsident Putin an der Presskonferenz nicht teilnimmt, verlie-
ßen sie die Nationalbibliothek und hätten so ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Ergebnis-
sen des Treffens gezeigt“, demzuliebe sie eigentlich nach Minsk gekommen war. Für die
russischen Journalisten waren die Vorgänge in Minsk ein Indiz, dass es tatsächlich noch
Länder gibt, in denen sich die Staatsmacht gegenüber Journalisten noch unanständiger
benehme als in Russland. Igor Jakovenko, der Generalsekretär des russischen Journalisten-
verbandes, meinte gegenüber „Echo Moskvy“, dass es weder in Rußland noch in Weißruss-
land Pressefreiheit gäbe. Doch der russische Staat versuche wenigstens, den Anschein von
Anständigkeit zu wahren. Deshalb fühlten sich die russischen Journalisten in Minsk auch so
vor den Kopf gestoßen. Allerdings wurden in Jakovenkos Organisation auch darüber speku-
liert, dass es sich bei dem Auszug der russischen Presse um einen vom Kreml sauber diri-
gierten Schritt zur Bloßstellung des Lukašenko-Regimes gehandelt haben könnte. Die Be-
ziehungen zwischen den beiden offiziell einen Staatenbund anstrebenden Staaten waren
Ende 2006 vor dem Hintergrund eines erneuten Streits um einen angemessenen Gaspreis
wieder einmal auf einem Tiefpunkt angelangt. Immerhin verständigten sich Putin und Lu-
kašenko auf dem Gipfel auf die Gründung eines Joint-Ventures zwischen „Gazprom“ und
dem weißrussischen Pipeline-Betreiber „Beltransgas“. Ansonsten brachte der Gipfel keine
durchschlagenden Ergebnisse.
In Weißrussland werden die Medien offen kujoniert. Im Juni 2008 stimmte das weißrus-
sische Parlament für ein schärferes Mediengesetz. Mit diesem neuen Mediengesetz wollte
sich die Regierung die Kontrolle über die letzten unabhängigen Medien im Internet sichern.
Das Unterhaus des Parlaments billigte in erster Lesung das neue Gesetz, das von der Regie-
rung Aleksandr Lukašenkos vorgeschlagen worden war. Danach sollen sich alle weißrussi-
schen Medien neu registrieren lassen. Betroffen waren erstmals auch Internetzeitungen. Da
Radio und Fernsehen unter staatlicher Kontrolle stehen und es nur rund ein Dutzend unab-
hängiger Zeitungen gibt, ist das Internet praktisch die einzige Quelle unabhängiger Infor-
mationen. In der ersten Lesung stimmten 93 Abgeordnete für das neue Gesetz, nur einer
stimmte dagegen. Der weißrussische Journalistenverband appellierte an die Abgeordneten,
den Gesetzentwurf zu veröffentlichen und eine breite Diskussion zu führen. Verbandsmit-
gliedern wurde jedoch der Zugang zur Parlamentsdebatte verwehrt. Als die Regierung
Weißrusslands mit der OSZE Gespräche führte – gemeinsam wollte man eine Reform des
weißrussischen Mediengesetzes erarbeiten – ließ Lukašenka fast zeitgleich bei einer De-
monstration zum 90. Jahrestag der Gründung der weißrussischen Volksrepublik mehrere
Journalisten verhaften und körperlich misshandeln. Der 25. März ist der weißrussischen
Opposition heilig. Zwar bestand die weißrussische Volksrepublik nur kurz, gilt jedoch als
Grundstein einer eigenen Staatlichkeit, unter Einschluss einer eigenen weißrussischen

358
Staatssprache. Mehr als tausend Demonstranten hatten sich in der Minsker Innenstadt ver-
sammelt, um gegen die Politik Lukašenkos zu demonstrieren. Die Polizei griff diesmal
auch bei Journalisten ausländischer Medien hart durch. Mehrere Journalisten wurden fest-
genommen, darunter der Pressefotograf der „european press agency“ (epa), Andrej Ljanke-
vy, der erst auf Druck des österreichischen „Journalisten-Clubs“ (ÖJC) wieder freikam.
Die Journalistengruppe vom Litauischen Fernsehen (LRF) wurde für einige Stunden ver-
haftet und die Videokassette mit den Aufnahmen entnommen. Ein Korrespondent der nicht-
staatlichen Zeitung „Naša Niva“ wurde zu 15 Tagen Haft verurteilt. Er und sein Kollege
Andrej Liankevy wurden von der Polizei verletzt. Einen Tag später, am 26. März 2008,
trafen sich Regierungsmitglieder und Vertreter der OSZE in Minsk, um über die geplante
Novelle des weißrussischen Mediengesetzes zu sprechen. Die Gespräche seien positive
Signale, dass es eine kontinuierliche Zusammenarbeit auch in Zukunft geben wird, so der
Leiter des OSZE-Büros in Minsk, Hans-Jochen Schmidt. Nähert sich Lukašenko demokra-
tischen Werten an? Die Entwicklung in Minsk und anderswo überzeugte viele, dass die
Annäherung an EU und OSZE nur Schein ist und nichts mit der Realität zu tun hat. Die
Ereignisse in Minsk Ende März 2008, also Durchsuchungen, Verhaftungen und Verneh-
mungen von unabhängigen Journalisten, bewiesen das erneut. Eine derjenigen, die sich von
der Einschüchterungspolitik des weißrussischen Präsidenten nicht verängstigen ließen, ist
Irina Halip, die 2006 den renommierten Henri-Nannen-Preis zur Verteidigung der Presse-
freiheit erhielt.
Sie berichtete über den oben erwähnten Fall der Journalistin Veronika erkasova, die im
Oktober 2005 ermordet in ihrem Minsker Appartement aufgefunden worden war. Frau
Halip schreibt für die unabhängige „Belaruskaja Delovaja Gazeta“, das „Weißrussische
Handelsblatt“. Sie fand heraus, dass Frau erkasova Hinweisen nachgegangen war, dass in
Weißrussland Geld aus illegalen Ölgeschäften für Saddam Hussein gewaschen wurde. Irina
Halips Recherchen zufolge hatte ihre Kollegin Kontakt zum Mitarbeiter einer Bank, der
bereit war zu reden. Das entscheidende Treffen sollte nicht mehr stattfinden. Dass sie über
dies und anderes schrieb und es gegenüber Lukašenko am gebotenen Respekt fehlen liess,
machte Halip zur Unperson. Das Staatsfernsehen machte sie unmöglich, das Innenministe-
rium führt sie als Staatsfeindin. Die Behörden begannen eine Zermürbungs-taktik. Wegen
Verletzung der Pressegesetze wurde sie von der Staatsanwaltschaft vorgeladen; ihr Büro
und ihre Wohnung wurden durchsucht, und sie selbst immer wieder verhört. Milizionäre
beschlagnahmten ihren Computer und löschten die Festplatte. Familienmitglieder wurden
bei Demonstrationen verprügelt. Dennoch weigerte sich Irina Halip das Land zu verlassen,
denn Weißrussland sei ihre Heimat, wobei sie hinzufügte, „ein freies und demokratisches
Weißrussland“. Davon ist das Land weit entfernt solange man im weißrussischen Fernsehen
Dialoge verfolgen muss wie den folgenden – Lukašenko: „Ich weiß nicht, wenn es regnet.
Ich bin doch nicht Gott!“ Worauf ein Gouverneur entgegnete: „Nein, Sie sind nicht Gott.
Sie stehen noch ein Stück über ihm.“ Unter diesem Unstern steht nicht nur das Fernsehen,
sondern das gesamte Mediensystem Weißrusslands – mit wenigen hoffnungsvollen Aus-
nahmen.

359
3.1 Das Mediensystem Weißrusslands

Weißrussland ist seit 1991 ein eigenständiger Staat, wobei die Attribute seiner Eigenstaat-
lichkeit sehr bald in den Hintergrund traten. Nicht zuletzt weil der bewußt nicht weißrus-
sisch sprechende, seit 1994 amtierende Präsident Lukašenko, von Anfang an einen Annähe-
rungskurs an den Nachbarn Russland steuerte. Der Untergang der Sowjetunion war für ihn
eine Tragödie, die man durch enge Kooperation zumindest etwas zu kompensieren hätte.
Die Medien, die er nach überlieferter Manier an die Kandarre nahm, halfen ihm dabei, bis
heute im Amt zu bleiben: Staatliche Medien rühmen die wirtschaftlichen Erfolge des Lan-
des und vor allem zeichnen sie ein düsteres Bild der Nachbarländer, die sich auf den demo-
kratischen Wandel eingelassen haben. Anders als in den Nachbarländern kam es in Weiß-
russland zu keiner Privatisierung der Massenmedien. Die Chefredakteure staatlicher Zei-
tungen werden von Organen der Exekutive ernannt. Bei Gesetzesverstößen kann der staatli-
che Presserat den Redaktionen für Monate die Lizenz entziehen. Die wenigen unabhängi-
gen Zeitungen müssen im Ausland gedruckt und illegal importiert werden. Das weißrussi-
sche Pressehaus, das über einen Marktanteil von 80 Prozent verfügt, untersteht der Präsidi-
alverwaltung und verlegt keine unabhängigen Zeitungen mehr. Die Situation für nichtstaat-
liche Medien hat sich seit Lukašenkos umstrittener Wiederwahl im Jahr 2006282 eher noch
verschlechtert. Die älteste unabhängige Zeitung des Landes, „Naša Niva“ („Unser Feld“)283
durfte nun auch nicht mehr an normalen Zeitungskiosken verkauft werden. Die Zahl der
nichtstaatlichen Zeitungen und Zeitschriften sank mit jedem Jahr. Im gleichen Maße ver-
schlechterte sich das Verhältnis der weißrussischen Regierung zur OSZE, deren Beauftrag-
ter für Pressefreiheit, Miklos Haraszti, die Verurteilung des weißrussischen Journalisten
Aleksander Sdviškov heftig kritisierte. Dieser musste wegen des Abdrucks der dänischen
Mohammed-Karikaturen eine dreijährige Haftstrafe absitzen. Die Verhaftung des Journalis-
ten war offenbar Teil einer Kampagne gegen eine Gruppe von unabhängigen Journalisten,
von denen es ohnehin nur noch wenige in Weißrussland gibt. Die meisten hatten sich wie
die politische Opposition in das benachbarte baltische Ausland zurückziehen müssen, wie
ehedem unter der Herrschaft der Zaren, und taten auch dort alles, um die Welt über die
untragbaren Verhältnisse in ihrem Heimatland aufzuklären. Von dem 2008 angekündigten
Mediengesetz erhoffte man sich in diesen Kreisen kaum Verbesser-ungen. Eine Befürch-
tung, die durch die Informationssperre der weißrussischen Behörden nicht gerade entkräftet
wird. Die Regierung hatte die Absicht, Internetseiten zum Massenmedium zu erklären, was
eine staatliche Registrierung im Ministerium für Information, also noch mehr Kontrolle, zur
Folge hatte. Auch sollten die Behörden weiterhin befugt sein, Medien zu schließen. Zwei

282
Per Referendum liess Lukašenko im Oktober 2004 die Verfassung so ändern, dass keine Beschränkungen der
Amtszeit mehr gelten. So konnte er 2006 wieder zur Wahl antreten und mit 82,6 Prozent der Wählerstimmen
seinen Oppositionsgegner Aleksandr Milinkevi ausschalten. Im Westen wurde die Wahl stark kritisiert und
man unterstellte Lukašenko Wahlfälschung. Vor allem, weil er vor der Wahl stark gegen Regimegegner vor-
gegangen war, denen er, wie er im weißrussischen Fernsehen sagte, „wie Entchen den Hals umdrehen will“.
OSZE-Wahlbeobachtern wurde die Einreise vor der Wahl verwehrt, Demonstranten unterstellte er, mit Gewalt
ein Kräftemessen zu provozieren. International wurde die Wahl nicht anerkannt und als undemokratisch be-
zeichnet.
283
Die Zeitung wurde 1906 als Nachfolgerin der kurzlebigen „Naša Dola“ in der litauischen Hauptstadt Vilnius
gegründet. Im 19. Jahrhundert war Vilnius noch vor Minsk das Zentrum des weißrussischen nationalen Le-
bens. Die wichtigsten weißrussischen Dichter und Schriftsteller publizierten ihre Werke damals in Vilnius.

360
Jahre verschärfte Haft erhielt ein weißrussischer Oppositionspolitiker 2007 dafür, dass er
im Internet einen kritischen Artikel veröffentlicht hatte. Er hatte seiner Enttäuschung Luft
gemacht und erklärt, 2007 werde sein letztes Jahr in der Opposition: „Ich habe genug: ent-
weder Tod oder Sieg.“
Die unabhängigen Zeitungen geraten nicht nur dadurch gegenüber den staatlichen ins
Hintertreffen, dass sie ständigen Schikanen ausgesetzt sind. Da letztere von der Regierung
finanziert werden, können sie auch billig auf dem weißrussischen Zeitungsmarkt vertrieben
werden. Private Zeitungen hingegen haben mit starken Einschränkungen zu kämpfen. Die
Vertriebskatologe zum Vertrieb der Presseerzeugnisse sind in der Hand des Staates. Der
Ausschluss aus dem staatlichen Vertrieb dient als Drohmittel gegen unerwünscht kritische
Printmedien. Genau das geschah der „Naša Niva“, die 2006 aus dem staatlichen Vertriebs-
system ausgeschlossen, und 2008 wieder aufgenommen wurde. Die Regierung hält sich
zugute, dass eine Konzentration privater Presseerzeugnisse auf wenige Oligarchen in Weiß-
russland bisher ‚erfolgreich‘ verhindert worden sei. Die Schwierigkeiten, die die private
bzw. unabhängige Presse in Weißrussland hat, zeigt sehr deutlich das Beispiel der Tages-
zeitung „Narodnaja Volja“ („ º* }  º!}“, „Volkswille“, www.nv-online.info). Dass
die Zeitung heute unabhängig ist, hat eine lange und schmerzliche Vorgeschichte. Von Josif
Seredi gegründet und ursprünglich im litauischen Vilnius gedruckt, zog die Zeitung im
November 1997 nach Minsk um, in das private Verlagsunternehmen „Magic“. Ihre Auflage
lag damals bei ungefähr 55.000 Exemplaren. Doch mit dem Umzug in die weißrussische
Hauptstadt begannen die Probleme. Am 18. Juni 2002 fror ein weiß-russisches Distriktge-
richt die Bankkonten der „Narodnaja Volja“ ein, weil sich zwei Richter aus der Kleinstadt
Žodzina östlich von Minsk durch die Zeitung beleidigt fühlten und sage und schreibe 2,5
Millionen Rubel Schadensersatz forderten. Es sollte noch dicker kommen. Im November
2003 erließ das Minsker Stadtgericht ein Urteil, nach dem die Zeitung 50 Millionen weiß-
russische Rubel an Yahor Rybakou, den Vorsitzenden der weißrussischen staatlichen Fern-
seh- und Rundfunkgesellschaft „BDT“ zu zahlen hätte. Außerdem hätten die „Narodnja-
Volja“-Journalistin Maryna Koktyš und die TV-Moderatorin Eleanora Jazerskaja jeweils
drei Millionen weißrussische Rubel an Rybakou zu zahlen. Daraufhin wurde die „Narodna-
ja Volja“ von der Liste der beim staatlichen Vertriebsunternehmen „BelSojuzPeat“ regist-
rierten Verlagsunternehmen gestrichen. Es blieb der Zeitung also nichts anderes übrig als
fortan unabhängig zu erscheinen.
Die ehemalige Chefredakteurin Svjatlana Kalinkina meinte schlicht, wer Kritik an Lu-
kašenko übe, arbeite praktisch im Untergrund. Vor der Wahl im März 2007 hatte der Präsi-
dent fast alle kritischen Stimmen unterdrückt, indem er kritischen Zeitungen wie die „Na-
rodnaja Volja“ den Vertrieb über die staatlichen Unternehmen „Belsajuzdruk“ und „Bel-
pošta“ versagte. Lukašenko nahm den Zeitungen mit politischem Inhalt die Möglichkeit, ihr
Druckerzeugnis auch per Abonnement zu vertreiben. Die Zeitungskioske mussten die „Na-
rodnaja Volja“ aus ihren Regalen räumen. Bis Oktober 2007 hatten die Boten die Zeitung
noch ausgeliefert, in einer Auflage von 27.000 Exemplaren. Zu entlegener wohnenden
Lesern musste die Zeitung per Post versandt werden. Nun hinderte der Staat den Verlag
daran, die Zeitung zuzustellen. Im Januar 2007 konfiszierte die Staatsmacht eine gesamte
Auflage, die danach dreißig Tage lang „geprüft“ wurde. Auch die Boten, die die Zeitung
austrugen, klagten oft über unangenehme Begegnungen mit der Polizei. Aber auch Anzei-
genkunden bekamen bei Schaltung einer Anzeige oft Besuch von der Steuerpolizei. Pflicht-
abonnements wie zu Sowjetzeiten gibt es auch heute noch in Weißrussland. Jeder Bürger
solle mindestens eine staatliche Zeitung lesen. Aufgrund der hohen Druckkosten fiel die
„Narodnaja Volja“ in ein tiefes Schuldenloch. Nur durch Spenden aus dem In- und Ausland

361
konnte die Zeitung weiter agieren. Doch im Oktober 2007 kam das aus für die unabhängige
Zeitung. Die Zeitung war verklagt worden. Ihr wurde Beleidigung des Staatspräsidenten
vorgeworfen. Die zu zahlende Strafe belief sich auf 100 Millionen weißrussische Rubel,
umgerechnet 40.000 Euro. Diese Summe konnte die Zeitung nicht tragen und musste vor-
erst schließen. Die Polizei stürmte das Verlagsgebäude und beschlagnahmte Drucker und
Computer. Dies wäre definitiv der Tod der Pressefreiheit in Weißrussland, schrieb Chefre-
dakteur Josif Seredi in seiner Abschiedskolumne. Eine der wenigen kritischen Stimmen in
Weißrussland war verstummt – zum Glück nur vorübergehend. Aber die Probleme blieben
nicht aus.
Im Frühjahr 2010 demonstrierten weißrussische Kriegsveteranen vor dem Gebäude der
„Narodnaja“. Auf den Plakaten der mit Orden des Zweiten Weltkriegs dekorierten alten
Männer stand zu lesen: „Hört auf die Veteranen zu beleidigen“, „Schande über die, die die
Geschichte fälschen“ oder „Wir haben die Nazis besiegt, jetzt besiegen wir die Lügner!“.
Mit ihnen sachlich zu reden, war unmöglich. Anlaß der Empörung waren Auszüge aus
einem Buch von Ilya Kopyl, die auf der Internetseite der Zeitung erschienen waren. Darin
gab er seine Erinnerungen an die Zeit der deutschen Besatzung Weißrusslands wieder. Er
beschrieb die deutschen Wehrmachtssoldaten als normale Menschen und nicht als die kli-
scheehaften Monster, wie man sie jahrzehntelang aus der sowjetischen Propaganda ge-
wohnt war. Außerdem bemerkte er, dass die Dorfbevölkerung die Partisanen nicht durch-
weg als Befreier wahrnahm, sondern oft auch Angst vor ihnen hatte. Bezeichnender-weise
hatten die Minsker Behörden die aggressive Demonstration ausdrücklich erlaubt, obwohl in
unmittelbarer Nähe zur Präsidialverwaltung bisher noch nie eine Kundgebung hatte statt-
finden dürfen. Der Verdacht lag also sehr nahe, dass diese ‚Aktion‘ nur eine weitere war,
um Druck auf diese und auf andere unabhängige Zeitung auszuüben. Diesmal waren eben
die Veteranen das willkommene Instrument.
Als die wichtigsten Zeitungen der Opposition gegen den weißrussischen Präsidenten gilt
neben der „Narodnaja Volja“ die erwähnte, traditionsreiche „Naša Niva“. Beide wurden aus
dem staatlichen Vertriebssystem in Weißrussland ausgeschlossen. Die „Niva“ musste bis zu
ihrer Wiederaufnahme von privaten Freiwilligen verbreitet werden. Die „Narodnaja Volja“
ist zweisprachig russisch-weißrussisch, erscheint zweimal in der Woche, und hatte 2005
eine Auflage von 30.000 Exemplaren. Ihr Chefredakteur, Josif Seredi, war vor der Grün-
dung der „Narodnaja“ Chefredakteur der staatlichen Zeitung „Narodnaja Gazeta“ („Natio-
nale Zeitung“), aus der er aus politischen Gründen ausscheiden musste. Im Präsident-
schaftswahlkampf 2006 berichtete „Narodnaja Volja“ wohlwollend über die Kandidatur
von Aljaksandr Kasulin, des ehemaligen Rektors der Weißrussischen Staatsuniversität.
„Naša Niva“ ist die älteste weißrussischsprachige Zeitung. Sie erschien erstmals 1906-1915
und wurde 1991 von national gesinnten Intellektuellen wieder-gegründet. Die „Naša Niva“,
von der heute an die 6.000 Stück gedruckt werden, wird in der sogenannten „Taraškievica“
gedruckt, einer Rechtschreibung der weiß-russischen Sprache, die an die bis 1933 gültige
Orthographie anknüpft. Sie gilt unter ihren Befürwortern als die authentischere weißrussi-
sche Orthographie. Die Verwendung der alten weißrussischen Orthographie, der weißrussi-
schen Sprache an sich, war politische Verfehlung genug. Ende der 1990er versuchte die
Staatsmacht die Zeitung zu schließen. Außerdem sympathisiere sie mit der nationalen Op-
position. Sie unterstützte im Präsidentschaftswahlkampf 2006 den Gegenkandidaten Aljak-
sandr Milinkevi. Die ebenfalls private „BelGazeta“ (bis 2005 „Belorusskaja Gazeta“) mit
einer Auflage von 18.000 Exemplaren, und die „Belorusi i Rynok“ („Die Weißrussen und
der Markt“, bis 2005: „Belorusskij rynok“ („Weißrussischer Markt“), Auflage: 13.000), die
ihren Redaktionssitz in Weißrussland haben, analysieren ausführlich das politische und

362
wirtschaftliche Geschehen, und nehmen beide zur Regierung wie auch zur Opposition eine
kritisch-distanzierte, mitunter ironische Haltung ein. Private Zeitschriften haben im Gegen-
satz zu den privaten Zeitungen nicht unbedingt mit der Mißgunst des Staates zu kämpfen,
solange sie sich von politischen Themen fernhalten.
Die wichtigste staatliche Zeitung in Weißrussland ist die „Belarus Sevodnja“ („Weiß-
russland heute“) mit einer Auflage von 300.000. Sie dient als zentrales Printmedium der
staatlichen Informationspolitik. Die „Respublika“ hat mit 53.000 Exemplaren die zweit-
höchste Auflage in Weißrussland, gefolgt von der „Svjazda“ („Der Stern“) mit 42.000.
Herausgeber der 1991 gegründeten „Respublika“ ist der Ministerrat der Republik Weiß-
russland. Die Zeitung erscheint zweisprachig russisch-weißrussisch. Die „Svjazda“ wird
vom weißrussischen Parlament, dem früheren obersten Sowjet, und dem Ministerrat he-
rausgegeben, und ist die einzige staatliche Zeitung, die ausschließlich in weißrussischer
Sprache erscheint. Als Orthographie des Weißrussischen wird dabei die sogenannte „Nar-
kamauka“ verwendet. Diese seit 1933 mit kleinen Änderungen verwendete, offiziell gültige
Rechtschreibung wird jedoch von den Vertretern der weißrussischen Wiedergeburt als
russifiziert abgelehnt. Besonders Boulevardzeitschriften aus Russland sind in Weißrussland
beliebt. Die weißrussische Ausgabe der „Komsomol‘skaja Pravda“ liegt mit einer Auflage
von 40.000 und freitags 318.000 auf Rang eins. Danach folgt die ebenfalls russische „Ar-
gumenty i Fakty“. Beide Boulevardblätter erscheinen vollständig auf Russisch. Nach einer
Erhebung von 2002 lasen 30,8 Prozent der Befragten diese Zeitungen. Nicht weiter ver-
wunderlich ist, dass sich die „Komsomol‘skaja Pravda“ und „Argumenty i Fakty“ aus den
Konflikten zwischen Präsident Aleksandr Lukašenko und der nationalen Opposition bisher
weitgehend herausgehalten haben. Der Schwerpunkt ihrer Bericht-erstattung liegt auf russi-
schen sowie eher unpolitischen weißrussischen Themen. Der Weißrussische Journalisten-
verband wurde 1995 von Žanna Litvina gegründet. Er ist Mitglied in der Internationalen
Föderation der Journalisten (IFJ) sowie von „Reporter ohne Grenzen“. Dem Verband gehö-
ren mehr als tausend Journalisten an, sowohl aus den unabhängigen als auch aus den staat-
lichen Medien Weißrusslands. 2004 wurde dem Verband der „Sacharov-Preis“ des Europä-
ischen Parlaments überreicht. Der Hauptteil der Arbeit des Verbandes besteht im Schutz der
Medien. Fachanwälte übernehmen Rechtsvertretungen von Journalisten vor Gericht.
Rechtsverstöße im Medienbereich werden beobachtet, untersucht und jährlich auf der eige-
nen Website veröffentlicht. Seit dem Jahr 2000 gibt es die Fachzeitschrift „Abajour“ als
freies Forum für Medienprofis aus Weißrussland.

363
3.2 Radio und Fernsehen in Weißrussland

In der weißrussischen Öffentlichkeit wie auch in den Medien führt das Weißrussische ein
Schattendasein, im Gegensatz zum Russischen. Die weitgehend übereinstimmenden Struk-
turen und zahlreichen gemeinsamen Merkmale der beiden slawischen Sprachen sind neben
politischen Entscheidungen zuungunsten des Weißrussischen mitschuld an der mangelnden
Abgrenzung zwischen der weißrussischen und der russischen Sprache. Viele Weißrussen
sprechen weder die eine noch die andere Sprache perfekt, machen in beiden Sprachen Feh-
ler beim Wortakzent, verwechseln oder vermischen Wörter und Wortverbindungen oder
gebrauchen fehlerhafte Flexionsendungen. Vielfach hat sich eine weißrussisch-russische
Mischsprache herausgebildet, die von den Anhängern der Wiedergeburt verächtlich als
‚trasjanka‘ (wörtlich: „gemischtes Viehfutter“) bezeichnet wird. Zu beobachten ist diese
Sprachvermischung oft auch im weißrussischen Fernsehen und Rundfunk. Von der ersten
Stunde an unterstand dieser sprachlich stark russifizierte Rundfunk direkt der Regierung,
die diese (sprach)politische Ausrichtung bis heute unterstützt. Heute sind zwei Drittel der
Sendungen ausschließlich staatlicher Politik gewidmet. Die „Nationale Staatliche Rund-
funkanstalt“ der Republik Weißrussland untersteht direkt dem Präsidenten. Rundfunk und
Fernsehen werden hauptsächlich aus dem staatlichen Budget finanziert. Der übrige Teil
stammt aus Werbeeinnahmen. An Stationen gibt es den „Ersten Nationalen Kanal“ (1. Pro-
gramm), „Kultura“ (2. Programm), „Radio Belarus“, „Stalitsa“ (Hauptstadtfunk), Radio
„MIR“ und „Radius FM“. Am 15. November 1925 waren zum ersten Mal die Worte „Go-
vorit Minsk“ („Es spricht Minsk“) über den Äther zu hören. Ab sofort konnte man Nach-
richten aus der weißrussischen Hauptstadt in der Landessprache hören, wobei die erste
Radiostation nicht weiter als 250 Kilometer senden konnte. Der zeitliche Umfang des Pro-
gramms belief sich auf gerade einmal 30 Minuten täglich. Heute ist der weißrussische
Rundfunk zumindest technisch auf modernen Stand.
Die Rangliste im Hörfunk führt der „Erste Nationale Kanal“ (Erstes Programm) an, der
auch „die Visitenkarte“ des weißrussischen Rundfunks genannt wird. Die Menge an Infor-
mationen, die der Hörer erhält, steht im offenen Gegensatz zum Inhalt. Seit September
2005 wird rund um die Uhr gesendet. Neben der Musik und den stündlich live gesendeten
Nachrichten, strahlt der Sender auch Programme für Kinder und Jugendliche aus, um Ziel-
gruppen jeden Alters zu erreichen. Der „Erste Kanal“ wird aus Mangel an Alternativen von
über 80 Prozent der weißrussischen Bevölkerung gehört. Viele Weißrussen lassen diesen
Radiosender praktisch ununterbrochen laufen. Meist steht es in der Küche als Ersatz für
Zeitung und Wecker, zumal innerhalb des Programms die Gebietsredaktionen zu bestimm-
ten Zeiten auch lokale Nachrichten senden. Eine der Hauptprioritäten der Politik des weiß-
russischen Rundfunks ist die Übertragung der nationalen und internationalen Kultur. Diese
Aufgabe übernimmt der Radiosender „Kultura“. Das zweite Programm des Weißrussischen
Rundfunks sendet von sieben Uhr morgens bis Mitternacht. Seit Mai 1962 steht ein Sender
dem internationalen Publikum in Weißrussland zur Verfügung. Die Programme des Radio-
senders „Belarus“ werden fünf Stunden am Tag in vier Sprachen übertragen, in Weißrus-
sisch, Russisch, Englisch und Deutsch. Seit dem 3. Januar 2005 hat der Radiosender auch
eine Internetübertragung seiner Sendungen in englischer Sprache begonnen. Dass auch das
weißrussische Radio offen für neue Ideen sei, dafür sollte der neue Radiosender „Radius
FM“ als Beweis herhalten, der am 12. Juli 2003 gegründet wurde. „Radius FM“ sendet
täglich 23 Stunden programm – von 5 Uhr morgens bis 4 Uhr früh. Auch der Radiosender
„Stalitsa“ gehört mit 20 Stunden Sendezeit am Tag zu den meistgehörten Sendern des Lan-

364
des. Im Gegensatz zu den eben genannten national-staatlichen bzw. ‚öffentlich-rechtlichen‘
Radiosendern sendet Radio „MIR“ auch in mehrere GUS-Staaten. Dabei stehen Informati-
onen im Mittelpunkt, während die Musik eine eher untergeordnete Rolle spielt. Es gibt in
Weißrussland auch einige private Radiosender, deren Einfluss auf die Bevölkerung jedoch
mehr als gering ist.
An Fernsehsendern gibt es in Weißrussland den „Ersten Nationalen Fernsehkanal“ (1.
Programm), das öffentlich-nationale Fernsehen „ONT“ (2. Programm), den „LAD“-Kanal
und „Belarus TV“. Am 1. Januar 1956 wandte sich die Nachrichtensprecherin Tamara
Bastun zum ersten Mal an das Fernsehpublikum von Minsk und verkündete, nun werde
man mit dem ersten Übertragungstest beginnen. Diese Worte leiteten die Geburtsstunde des
weißrussischen Fernsehens ein. Aufgrund des eingeschränkten Sendebereiches erreichten
diese Sätze jedoch lediglich 4.000 Zuschauer. Der in Minsk gelegene TV-Sender übertrug
sechs Stunden täglich im Umkreis von 70 Kilometern. Heute gehört die weißrussische
Fernsehanstalt, schon wegen der unverhältnismäßigen Anzahl an Mitarbeitern, zu den größ-
ten Sendeanstalten in ganz Europa. Der Hauptfernsehsender, das erste Programm, trat im
Jahr 2006 unter dem neuen Motto: „Das ist das Erste!“ wieder verstärkt in Erscheinung.
Der Sender wechselte außerdem sein Logo und seine Dekoration, um den Eindruck größe-
rer Dynamik udn Modernität zu erwecken. Der Sender „Öffentlich-Nationales Fernsehen“
(ONT) bzw. das zweite Programm des weißrussischen Fernsehens, begann seine Arbeit im
Jahr 2002 und sieht sich als Ableger der russischen Sendeanstalt „ORT“. Zwischen den
„ORT“-Sendungen liefen aktuelle Nachrichten aus Weißrussland. Zuerst gab es nur ein
Informationsprogramm „Naši Novosti“ („Unsere Nachrichten“). Bald hatte „ONT“ mehrere
eigene Projekte, die zu verschiedenen Genres gehörten, wie zum Beispiel Informations- und
Analyseformate, Sportsendungen sowie Dokumentationen über Straffälle. Im Oktober 2003
ging die Sendeanstalt „National Staatliches Programm“ (LAD) der Republik auf Sendung.
Begabte Journalisten aus verschiedenen Regionen waren hier tätig. Als erster Familiensen-
der Weißrusslands verzichtete „LAD“ bewusst auf Filme und Sendungen mit Gewalt und
Aggression. Stattdessen dominieren Themen wie Kultur, Bildung, weißrussische Geschich-
te und Traditionen das Programm. „Belarus TV“ ist der erste weißrussische Auslandsfern-
sehkanal. Er nahm seine Arbeit am 1. Februar 2005 aufgenommen. Den Schwerpunkt bil-
den Informationssendungen, die den ausländischen Zuschauern „zuverlässige und aktuelle
Informationen über Weißrussland“ bieten sollen, so die offizielle Absichtserklärung des
Regimes. Im Endeffekt heißt das, dass dem ausländischen Zuschauer ein geschöntes Bild
der wahren Verhältnisse geboten wird. Darüber hinaus bietet der Kanal sozialpolitische
Projekte, Dokumentarfilme, Reportagen über Geschichte und Kultur des weißrussischen
Volkes, Sport-, Unterhaltungs-, Kinderprogramme sowie Spielfilme. Seit Mai 2007 werden
Programme von „Belarus TV“ über Satellit Express-AM22 ausgestrahlt und können in
vielen Ländern, darunter auch in Deutschland, empfangen werden.
Seit Juli 2005 begann man in Minsk und in dessen unmittelbarem Umkreis digitalen
Rundfunk zu senden. Bis 2015 will man das zumeist analoge Fernsehen und der Hörfunk
durch Digitaltechnik ersetzt haben. Allerdings gibt es bis jetzt in Weißrussland kaum Haus-
halte, die einen Internet-Anschluß haben, und nur ein verschwindend geringer Teil davon
ist DSL-Nutzer mit Übertragungsraten über 1 MB/s. Diese Tatsache macht ein Live-
Streaming von Videobildern, besonders in Kleinstädten, nahezu unmöglich. Seit seiner
Wahl im Jahre 1994 schirmt Präsident Aleksandr Lukašenko sein ohnehin außenpolitisch
isoliertes Land von politischen und kulturellen Einflüssen aus dem Westen ab. Mittlerweile
werden Rundfunkprogramme von außen nach Weißrussland gesendet. Auf diesem Wege
hoffen die Europäische Union und die Vereinigten Staaten, Weißrussland etwas demokrati-

365
schen Geist einzuhauchen. Das erfolgreichste Radioprogramm unter den inter-national
empfangbaren Programmen in Weißrussland ist das „European Radio for Belarus“, das
zwei Stunden Programm im Internet liefert. Es richtet sich mit einem Musikangebot von 30
bis 40 Prozent vor allem an Jugendliche. Außerdem produziert der russische Auslandssen-
der „l“ (RTVI) im Auftrag von „Media Consulta“ und mit Unterstützung des ZDF das halb-
stündige TV-Magazin „Window To Europe“, das über Satellit nach Weißrussland gesendet
wird und mit seinem Infotainment-Programm vor allem für das ältere russischsprachige
Publikum gedacht ist. Doch ob die Rundfunkprogramme ihre Wirkung entfalten können,
um Weißrussland demokratischer zu machen, ist nach wie vor fraglich.
Der erwähnte Versuch des russischen Fernsehsenders „RTVI“, die Weißrussen mit un-
abhängigen Informationen zu versorgen, begann 2006, und wurde von der Europäischen
Kommission mit zwei Millionen Euro für zwei Jahre unterstützt. „RTVI“ behauptet von
sich, der einzige Sender zu sein, „der auf Putin nicht hört“. Dieser Werbespruch machte ihn
den weißrussischen Behörden rasch verdächtig. Ende Februar 2006 hatte der Kanal seine
Arbeit in Weißrussland aufgenommen, drei Wochen später war er bereits wieder aus dem
Kabelnetz verbannt worden – sieben Tage vor der Wahl, die Präsident Lukašenko die
Macht sicherte. Als offizieller Grund wurde angegeben, der Netzbetreiber hätte ein techni-
sches Problem. Den Behörden war schlicht die halbstündige Sendung „Fenster nach Euro-
pa“ ein Dorn im Auge. Gerade vor den Präsidentschaftswahlen brauchte man keine breit
angelegte Informationskampagne, an der auch andere weißrussische Medien beteiligt wa-
ren. Wenn auch die Sendethemen breitgefächert und international waren, ging es doch vor
den Wahlen in Weißrussland um das Land selbst, seine Politik und Probleme. Experten
saßen im Studio und diskutierten frei, ohne Zensur. Dass europäische Themen, aber auch
Probleme offen diskutiert wurden, empfand man in den offiziellen weißrussischen Medien,
die nach typisch sowjetischem Muster geführt werden, als Affront. Daher wurde „RTVI“
auch nicht nur in Weißrussland, sondern auch in Russland aus dem Kabelnetz ausgeschlos-
sen und konnte nur noch über Satellit gesehen werden. Die Stärke des Senders und Garant
seiner Unabhängigkeit ist seine Internationalität. Er hat zwar ein Studio in Moskau, aber
auch in Berlin, New York und Tel Aviv. Hinter „RTVI“ steht der Milliardär Vladimir Gu-
sinskij, der 2000 von der russischen Staatsmacht zum Verkauf seines Medienkonzerns
gezwungen worden war, weil er sich für seinen Sender „NTV“ die Freiheit einer unabhän-
gigen Meinung erlaubt hatte. Im Exil baute Gusinskij „RTVI“ auf, und pendelt heute zwi-
schen Israel und den Vereinigten Staaten. „RTVI“ kann auch in Georgien, den baltischen
Staaten und der Ukraine gesehen werden, und bietet die Informationen, die eine unabhängi-
gere Entwicklung dieser Staaten fördert. In Weißrussland sind die Bedingungen, dass Sen-
der wie „RTVI“ und andere unabhängige Medien größeren Einfluss gewinnen, wohl am
schlechtesten. Aber im Unterschied zu früher kann heute im Zeitalter des Internets und des
Satellitenfernsehens der Zugang zu anderslautenden Informationen abseits der staatlichen
Propaganda nicht mehr vollkommen unterdrückt werden. Allein das ist Grund zur Hoff-
nung, dass die Medien über kurz oder lang auch diese letzte Bastion der Unfreiheit eindrü-
cken können.

366
Nachwort: Die Zukunft der Medien in Osteuropa

Es ist eine Binsenweisheit, dass die Freiheit der Medien unmittelbar vom Grad der Demo-
kratisierung einer Gesellschaft abhängt. Wenn in Russland Medienvertreter über Beschrän-
kungen und Behinderungen durch Behörden und Politiker klagen, wenn sie beklagen, dass
Kritik nicht als notwendiges Element einer demokratischen Gesellschaft verstanden wird,
sondern als unterminierend verdammt wird, dann zielt das immer auf ein grundsätzliches
Problem, das in allen osteuropäischen Staaten mehr oder weniger virulent ist: das Weltbild
wurde bis zur Wende, bis zum Fall des Eisernen Vorhangs von einer geschlossenen Ideolo-
gie bestimmt, die Zweifel nicht zuliess und die Diskussion und Kritik nur in sehr engen
Grenzen gestattete. Da sich aber anderslautende Meinungen und der Drang, diese zu artiku-
lieren, auf Dauer nicht unterdrücken lassen, implodierte das System des real existierenden
Sozialismus. Der Pluralismus, der sich nun Bahn brach, empörte die Hüter des abgelösten
Systems, die um Macht und Einfluss fürchteten, und wirkte verstörend auf jene, die mit
dem plötzlichen Wandel von der Einheit zur Vielfalt nicht fertig wurden. Die Mächtigen
versuchten sich einzumauern, Netzwerke zu bilden, ja in letzter Instanz, wenn nichts mehr
half, griff man auch zur nackten Gewalt – wie die zahlreichen Fälle von Journalistenmor-
den gerade in der schwierigen Zeit unmittelbar nach der Ablösung der sozialistischen Dik-
taturen beweisen. Hinzu kommt, dass diese Ablösung mit der Auflösung der bisher ge-
wohnten Staatsgebiete einherging. Jugoslawien ist das klassische Beispiel und genauso die
ehemalige Sowjetunion, deren Kernland Russland sich mit dem Verlust annektierter, er-
oberter und jahrzehntelang von Moskau unterdrückter Gebiete wie der Ukraine oder des
Baltikums arrangieren muss.
Da das bis heute schwer fällt und gerade in Russland durch eine harte Politik gegenüber
den angeblichen ‚abtrünnigen‘ Gebieten kompensiert wird, gilt jede Kritik an dieser Politik
als ‚staatsfeindlich‘. Sie trifft die ohnehin angegriffene nationale Identität dorthin, wo es am
meisten schmerzt. Dafür kritische Journalisten mundtot zu machen oder gar zu beseitigen,
beseitigt das Identitätsproblem und den Zwang nicht, sich mit der gewandelten Situation
irgendwann abfinden zu müssen. Der Frieden mit der Vergangenheit ist somit in Osteuropa
eine wesentliche Voraussetzung, um den Medien eine Entwicklung zu erlauben, wie sie in
zivilisierten Gesellschaften zur Normalität gehört. Die Beschäftigung mit der Vergangen-
heit, das was in Deutschland als Vergangenheitsbewältigung bekannt wurde, ist jedoch in
Osteuropa noch weitgehend ein Tabu. Jede nationale bzw. ethnische Gemeinschaft empfin-
det sich in erster Linie selbst als Opfer und erwartet von der Gegenseite Schritte zur Ver-
söhnung. Ob das die Albaner im Kosovo oder in Mazedonien sind, die ein Schuld-
bekenntnis von den Serben bzw. den Mazedoniern verlangen; ob das die Russen sind, die
sich vom Westen missachtet fühlen, ob das die polnischen Medien sind, die immer wieder
die Konfrontation mit dem westlichen Nachbarn suchen – in den osteuropäischen Medien
spielt sich bis heute die große Abrechnung mit den Sünden der Vergangenheit und vor
allem mit den Sünden ‚des anderen‘ ab.
Russland verlegt sich zum Beispiel in seinem Fernsehprogramm statt auf eine Aufarbei-
tung der Sowjetdiktatur auf eine vorsichtige bis offene Glorifizierung der Vergangenheit.
Dahinter steht jene instabile Identität, die sich aus der Vergangenheit ihre Versicherung
holt, weil die Pluralität und Wandelbarkeit der Gegenwart sie verunsichert – oder weil
schlicht die Machtinteressen stärker sind als das Interesse an einer Bereinigung des eigenen
Verhältnisses zur problematischen Vergangenheit, die immer riskant ist, weil die Gegen-

367
wart immer offen, die Vergangenheit dagegen vermeintlich ‚abgeschlossen‘ ist. Die mit-
telosteuropäischen Staaten haben zwar damit auch noch zu ringen, genauso wie die südost-
europäischen. Aber sie lernen aus den Fehlern der Vergangenheit. Sie sind dabei sie zu
überwinden. Auch sind sie mehr und mehr eingebunden in das europäische Gefüge. Sie
sehen ihre Zukunft in der Europäischen Union, die einen anderen Umgang mit der Vergan-
genheit vorlebt, die eine freie, offene Gesellschaft als Voraussetzung für eine gedeihliche
Zukunft sieht. In Russland sieht man die Freiheit eher als Bedrohung, was letztlich in die
Irre führen wird. Das alte Gesellschaftsmodell, das mehr als neuzig Jahre gegolten hat, ist
an seinen gravierenden inneren Widersprüchen zerbrochen.
Couragierte Journalisten haben in Mittelost- und Südosteuropa daran gearbeitet und
arbeiten daran, diese Widersprüche und Altlasten zu beseitigen, oft unter Einsatz ihrer
Wohlfahrt und ihres Lebens. In den osteuropäischen Staaten, namentlich in Russland und
Weißrussland, haben Journalisten nach wie vor mit Schikanen, Drohungen und Gefahr für
Leib und Leben zu rechnen, wenn sie die Anmaßungen der Mächtigen untersuchen und
kritisieren. In der Ukraine hat der Protest gegen die Arroganz der Macht eine Wende her-
beigeführt, von der man nur hoffen kann, dass sie auch unter den neuen Machtverhältnissen
Bestand haben wird. Der russische Präsident Medvedjev hat zwar für Russland eine Wende
angekündigt. Ob sie eintreten wird, bleibt abzuwarten. Die Zweifel überwiegen. Was bleibt
ist die Hoffnung, dass in diesen Ländern weiterhin Journalisten den Mut finden, sich nicht
mit dem status quo abzufinden. Gerade in Südosteuropa hat unter anderem das Engagement
westlicher Medienkonzerne dazu geführt, dass der Beruf des Journalisten etwas in Verruf
gekommen ist. Seine Tätigkeit schien sich auf die Befriedigung der Sensationsgier zu be-
schränken, auf das ‚Aufdecken‘ von Skandälchen des oder jenes Prominenten. Dass die
Geschichte des Journalismus in Osteuropa eine Geschichte des Mutes ist, des Kampfes
gegen das sehr reale Gespenst der Unterdrückung, sollte gerade das Beispiel der Journalis-
ten lehren, die für ihren Mut mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit bezahlen mussten und
müssen. Ihnen sei dieses Buch in aller Bescheidenheit gewidmet.

368
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