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Hannah Arendt, Adolf Eichmann, Martin Heidegger und der Zivilisationsbruch von Auschwitz

Rüdiger Suchsland 11.01.2013
Denken ohne und Filmen mit Geländer: Margarethe von Trottas filmische Annäherung an Hannah Arendt
Aus: http://www.heise.de/tp/artikel/38/38334/

The Good, the Bad and the Ugly: Das verhängnisvolle Dreieck Arendt-Heidegger-
Eichmann steht jetzt im Zentrum eines Kinosfilms[1]: Die deutsch-jüdische Denkerin
Hannah Arendt, die sich 1961 selbst freiwillig mit dem Bösen der Gedankenlosigkeit
konfrontierte, einem Mann, der nicht dumm ist, der aber darauf verzichtet, sich der
5 eigenen Gabe, denken zu können, zu bedienen und diese einfach an eine Ideologie abgibt -
und dazwischen dann der schwarze Zauberer Heidegger, Arendts Lehrer und Liebhaber,
der zwar denkt, sich aber von der Ideologie verführen lässt.
Was für mich wirklich wesentlich ist: Ich muss verstehen! ... Dieses Verstehen-
10 müssen, das war sehr früh schon da.
Hannah Arendt in Günter Gaus' "Zur Person"[2]

Margarethe von Trotta (geb.1942 in Berlin) ist eine der politisch engagiertesten deutschen
Filmemacherinnen. Seit 1977 - Debüt mit "Das zweite Erwachen der Christa Klages" - hat
sie mit Filmen wie "Die bleierne Zeit", "Rosa Luxemburg", "Rosenstraße" historische
15 Frauenfiguren im Kampf gegen Widerstände und für Freiheit und Selbstbestimmung
portraitiert und immer wieder Frauen ins Zentrum gestellt, die stark angefeindet worden
sind. Die sich rechtfertigen mussten, die von der Mehrheit der Gesellschaft ausgegrenzt
worden sind.
Trotta benutzt diese Figuren, um von deutscher Geschichte zu erzählen. Jetzt handelt ihr
20 neuer Film von Hannah Arendt und deren Konfrontation mit dem NS-Mörder Adolf
Eichmann. Mit ihrem Film gelingt ihr das eindrucksvolle Portrait einer Aufklärerin im
20.Jahrhundert. Zugleich reizt Trotta die Konfrontation einer starken Frau mit einer
dunklen Macht.
25 Es handelt sich um eine der interessantesten Episoden der Geistesgeschichte des
20.Jahrhunderts: Im Jahr 1961 ging die aus Deutschland stammende US-amerikanische
Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) für einige Wochen nach Jerusalem, um dort als
Reporterin des "New Yorker" den Prozess gegen den NS-Täter Adolf Eichmann zu
verfolgen. Wie Siegfried sich dem Drachen stellt, will sich dem absolut Bösen stellen -
30 und ist auf gewisse Weise enttäuscht: Kein Drache, kein Monster sitzt da auf der
Anklagebank, kein selbstgewisser Mephisto, der weiß, was er getan hat, sondern ein
Männlein, ein Hanswurst, der dumme Ausreden und abgenutzte Rechtfertigungen sucht.
Als nach dem Todesurteil gegen Eichmann Arendts langer Essay "Eichmann in Jerusalem.
Ein Bericht von der Banalität des Bösen" zuerst in fünf Magazin-Teilen und bald darauf
35
als Buch erschien, löste er eine der heftigsten Kontroversen der Nachkriegszeit aus - einen
Streit, der nicht allein Arendts weiteres Leben wie ihr Werk als Philosophin deutlich
beeinflusste, sondern auch den politischen wie historischen Blick auf den
Nationalsozialismus überhaupt.
40 Bis heute ist diese "Eichmann-Kontroverse" nicht wirklich abgeklungen, wie selbst die
Veröffentlichungsgeschichte von Arendts mittlerweile in 15 Auflagen erschienenen
Buches in Deutschland belegt: 11 Jahre nach Arendts Tod stellte der Piper-Verlag 1986
der Neuauflage plötzlich einen "einleitenden Essay" des Historikers Hans Mommsen
voran, der in seiner tendenziösen Einseitigkeit mehr der Diskreditierung der Autorin und
der Verteidigung von Mommsen Werk dient als dem Verständnis des Textes.
45
"Das hätte nicht geschehen dürfen! Das war wirklich, als ob der Abgrund sich
öffnet"
Die aus Deutschland stammende US-amerikanische Hannah Arendt war 1961 bereits eine
internationale Berühmtheit. 1906 in Hannover geboren und in Königsberg aufgewachsen
50 hatte Arendt, eine säkularisierte Jüdin, Philosophie in Marburg, Freiburg und Heidelberg
studiert, bei Martin Heidegger und Karl Jaspers, bei dem sie 1928 über Augustins
Liebesbegriff promovierte. 1933 war sie vor dem beginnenden Nazi-Terror zunächst ins
französische Exil geflohen. 1940 dort interniert gelang ihr 1941 die Flucht in die USA, wo
sie 18 Jahre zunächst als Staatenlose lebte.
55
Arendt lebte und lehrte seitdem mit ihrem Mann, dem Historiker Heinrich Blücher, weiter
in New York und schrieb eine Reihe bahnbrechender Werke, die sich fast alle mit
politischer Theorie und Geschichte auseinander setzten: "Über die Revolution", "Vita
Activa" und vor allem bereits 1951 "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft".
60 Die Erfahrung des Zivilisationsbruchs Mitte des 20.Jahrhunderts wurde zum zentralen
Erlebnis ihres Lebens - das sie im deutschen Fernsehen in ihrem legendären Auftritt im
August 1964 als erste Frau überhaupt in Günter Gaus' Gesprächssendung zur Person
resümierte:
Meine Überlegung seit '45 war die Folgende: Was immer '33 geschehen ist, ist
65 eigentlich angesichts dessen was dann geschah, unerheblich. Gewiss: die
Treulosigkeit der Freunde... Aber das waren ja alles keine Mörder, das waren ja nur
Leute, die in ihre eigenen Fallen geraten sind... Wissen Sie, das Entscheidende ist ja
nicht '33, jedenfalls für mich nicht; das Entscheidende ist der Tag gewesen, an dem
wir von Auschwitz erfuhren. ... Das ist der eigentliche Schock gewesen. Vorher hat
70
man sich gesagt: Man hat halt Feinde in der Welt. Nicht? Das ist doch ganz
natürlich. Warum soll ein Volk keine Feinde haben? Das ist doch eine Bande. Ja?
Aber dies ist anders gewesen. Das war wirklich, als ob der Abgrund sich öffnet.
Weil man irgendwie die Vorstellung gehabt hat: Alles andere hätte irgendwie noch
75 einmal wieder gut gemacht werden können, wie in der Politik ja alles irgendwie
wieder gut gemacht werden können muss. Dies nicht! Dies hätte nie geschehen
dürfen! Und damit meine ich nicht die Zahl der Opfer. Sondern ich meine die
Fabrikation der Leichen und so weiter... Ich brauch' mich darauf ja nicht weiter
einzulassen. Dieses hätte nicht geschehen dürfen. Da ist irgendetwas passiert, womit
wir alle nicht mehr fertig werden.
80
Die komplette Sendung ist bei You Tube einsehbar[3]. Aktueller Anlass des Gesprächs
mit Gaus war die Eichmann-Kontroverse in Folge von Arendts Besuch des Prozesses
gegen Adolf Eichmann.

85 Gedankenprozesse auf die Leinwand bringen


Diesen Jerusalem-Besuch, die Konfrontation mit Eichmann und den Beginn der
Kontroverse über ihren Text, stellt Margarethe von Trotta nun ins Zentrum ihres Films
Hannah Arendt[4], einem der leider zu seltenen Versuche, Intellektuelle und
Denkprozesse zum Thema eines Kinofilms zu machen.
90 "Hannah Arendt" setzt im Jahr 1960 ein, mit der einzigen "Action"-Szene des Films, die
die Entführung Adolf Eichmanns aus Argentinien durch den israelischen Geheimdienst
zeigt. Eichmann, frühes SS-Mitglied und überzeugter Nationalsozialist, gehörte seit 1940
als Leiter des "Referat IV" beim "Reichssicherheitshauptamt" zu den zentralen
Organisatoren der systematisch-industriellen Deportation und Ermordung der
95
europäischen Juden in deutschen Vernichtungslagern. Nachdem Eichmann in Israel
verhört und wegen zahlloser "Verbrechen gegen die Menschheit" [Sic!] angeklagt wurde,
bemühte sich Arendt, ihrerseits bereits berühmt als Totalitarismusforscherin und Dozentin
an der New Yorker "New School for Social Research", selbst aktiv um den Auftrag zur
100 Berichterstattung.
Im Folgenden ist Trottas Film eine Gratwanderung zwischen Doku-Fiction und freierer
Meditation, die mit den Mitteln des Spielfilms intellektuellen Vorgängen ästhetische
Gestalt zu geben sucht und zentrale philosophische Fragen wie Schuld und
105 Verantwortung, das Engagement eines Denkers in der Öffentlichkeit und das Wesen des
Bösen ins Zentrum rückt.
Die zentrale Herausforderung ist dabei, wie es einem Spielfilm überhaupt gelingen kann,
komplizierte Thesen, sowie Ideen und Gedankenprozesse, am Ende das Denken selbst, auf
die Leinwand zu bringen. Über weite Strecken funktioniert dies in diesem Fall gut und
ohne Arendts Standpunkte zu banalisieren. Trotta verzichtet ganz auf die gern verwandte
110 und sich in mancher Hinsicht anbietende Off-Tonspur, die die Hauptfigur direkt in ihrem
Denken zur Sprache bringen könnte und bedient sich dafür verschiedener anderer mehr
oder weniger naheliegender Kunstgriffe: Sie zeigt Arendt bei Vorträgen und vor ihren
Studenten im Seminar.

115 "Ohne den Totalitarismus hätten wir die radikale Natur des Bösen nie
kennengelernt"
...wir wissen heute, dass das Böseste, oder das "radikal Böse" mit solch menschlich
begreifbaren, sündigen Motiven wie Selbstsucht gar nichts mehr zu tun hat. Es hat
120 viel mehr mit dem Folgephänomen zu tun: Der Überflüssigmachung des Menschen
als Menschen. Das gesamte System der Konzentrationslager war darauf
ausgerichtet, die Gefangen davon zu überzeugen, dass sie überflüssig waren, bevor
sie umgebracht wurden.
In den Konzentrationslagern mussten die Menschen lernen, dass Strafe keinen
Sinnzusammenhang mit einem Vergehen haben muss, dass Ausbeutung niemandem
125 Profit bringen muss, und dass Arbeit kein Ergebnis zu zeitigen braucht. Das Lager
ist ein Ort, wo jede Handlung und jede Regung prinzipiell sinnlos wird. Wo mit
anderen Worten Sinnlosigkeit direkt erzeugt wird.
Wenn es wahr ist, dass in den letzten Stadien des Totalitarismus ein absolutes Böses
erscheint - absolut, weil es nicht mehr auf menschliche Motive zurückzuführen ist -,
130
dann ist es ebenso wahr, dass ohne ihn, ohne den Totalitarismus, wir die radikale
Natur des Bösen nie kennengelernt hätten.
Dialog-Auszug aus dem Film

135 Trotta lässt ihre Hauptfigur kurze Passagen aus ihren Texten vorlesen oder mit ihrem
Mann Heinrich Blücher und einem festen Kreis von Freunden debattieren. Dies wirkt nie
zu trocken und akademisch, ist durchaus abwechslungsreich und im Rahmen des
Möglichen dynamisch erzählt. Besonders gelungen ist dabei die Schilderung des New
Yorker Milieus der deutsch-jüdischen Emigranten um 1961.
Auch 15 Jahre nach Kriegsende sind diese Menschen immer noch überaus stark in der
140 deutschen Kultur und eigenen Jugendzeit vor 1933 verhaftet. Es wird deutsch gegessen,
deutsch gesprochen, und auch die Debatten und der Stil des Streitens erscheinen den
wenigen nichtdeutschen Gästen wie Arendts enger Freundin, der Schriftstellerin Mary
McCarthy, als derart fremd, dass sie sich hier immer als Außenseiter fühlen.
145 Dies bietet der Regisseurin auch Gelegenheit einem Dutzend hervorragender Schauspieler
prägnante Auftritte zu geben: Hervorzuheben sind hier Julia Jentsch als Arendts Freundin
und Assistentin Lotte Köhler, Ulrich Noethen als Philosoph Hans Jonas, aber auch
hierzulande wenig bekannte englischsprachige Darstellerinnen: Janet McTeer als Mary
McCarthy, Sascha Ley als Lore Jonas und Megan Gay als Frances Wells.
150
Das Mäuschen und der Meisterdenker
Es ist unvermeidlich, dass der Film mitunter ins Anekdotische abdriftet, etwa in wenigen
Rückblickspassagen, in denen Arendt am Schreibtisch sinnend an ihre Begegnungen mit
Martin Heidegger zurückdenkt, ihren philosophischen Lehrer, mit dem sie zeitweilig eine
155
Liebesbeziehung verband, der nach 1933 aber sich wie seine Philosophie unrettbar
kompromittierte, indem er offen Partei für das NS-Regime ergriff und sich öffentlich an
der antisemitischen Hetze, etwa gegen seinen Lehrer Edmund Husserl, beteiligte.
Gerade diese Momente lassen die Hauptfigur schwächer erscheinen als nötig, bringen sie
160 sie doch in die längst überwundene Position einer Schülerin, die plötzlich wieder ein
kleines Mäuschen ist und immer noch innerlich dem bewunderten Meisterdenker lauscht -
obwohl die reale Hannah Arendt mit Heidegger auch philosophisch längst gebrochen hatte
und sich nur öffentlich auf respektvolle Distanz beschränkte.
Innere Emigration - das gibt's eben nicht. Es gibt nur äußeren Widerstand. ... Das
sind ja alles Lebenslügen, die verständlich sind und ziemlich ekelhaft.
165 Hannah Arendt in einem SWR-Gespräch[5] mit Joachim C. Fest, 1964

Zudem: Wenn man schon von dem berühmten Wiedersehen zwischen Arendt und
Heidegger nach dem Krieg berichtet, dann müsste man vielleicht doch jene von Arendt
wiederholt beschriebenen Moment zeigen, als Heidegger die einstige Geliebte zu sich
170
nach Haus gebeten hatte - und zu seiner Frau, die ihr Kuchen gebacken hatte. Diese Szene
erzählt mehr als fast alles sonst über Heidegger und sein Verhältnis zu Arendt.

"Ich kann doch nicht sagen: in Wahrheit geht in meinem Herzen dies und jenes vor -
175 das ist doch lächerlich."
Ansonsten hält sich Trotta eng an historische Vorgänge. Der Eichmann-Prozess wird
durch einige Passagen der realen Prozessaufnahmen illustriert. Eichmann wird nicht von
einem Schauspieler gespielt: "Ich wollte, indem ich den Eichmann selbst zeige, dass der
Zuschauer die Möglichkeit hat, durch das Zusehen zur selben Einstellung zu kommen, zu
180 der Hannah Arendt kam. Und das kann man nur anhand des echten Eichmann. Beim
Schauspieler sagt man immer: Hm, großartig, das kann er gut. Aber man sieht immer den
Schauspieler", erläutert Trotta dazu.
Die enorme Bedeutung bestimmter Szenen wie etwa einiger Zeugenaussagen oder der
bereits im Prozess umstrittenen Rolle der Judenräte, dürfte sich dem uninformierten
185 Betrachter dabei nur schwer erschließen. Dies gilt auch für anderes: Klar wird, warum
Eichmann Arendt als exemplarischer Täter erschien, als persönlicher "Nobody", dessen
Statements Arendt immer wieder zu schallendem Gelächter provozierten.
Die Leute nehmen mir eine Sache übel - und das kann ich gewissermaßen
verstehen, von Außen - nämlich, dass ich da noch lachen kann. Und ich war
190 wirklich der Meinung dass der Eichmann ein Hanswurst ist. ... Der Ton ist
weitgehend ironisch natürlich... Da kann man nix machen. Ich kann den Leuten
doch nicht sagen: Ja, aber in Wahrheit geht in meinem Herzen dies und jenes vor -
das ist doch lächerlich.
Hannah Arendt in Günter Gaus' "Zur Person"
195
Es ist heute "in", Hannah Arendt Irrtümer in bestimmten Einzelheiten nachzuweisen und
ihr nie unumstrittenes Buch dadurch zu diskreditieren, ohne ihr aufs Ganze zielendes
philosophisches Argument wirklich zu würdigen. Dieses Hauptargument wird bei Trotta
sehr wohl deutlich: Das Böse ist keine Charakterschwäche, sondern ein soziales
Verhalten.
200
Weit unklarer bleibt die berühmte Formel von der "Banalität des Bösen" - weil das
englische "banality" keineswegs "Nichtigkeit" meint, sondern "Allgemeingültigkeit".
Arendt dazu: "Ein Missverständnis ist das folgende: Man hat geglaubt, was Banales ist
auch alltäglich. Ich habe es so nicht gemeint. Ich habe keineswegs gemeint, der Eichmann
205 sitzt in uns, jeder von uns hat den Eichmann und weiß der Teufel was. Nichts
dergleichen!" Arendts Gedanke ist eine Radikalisierung, keineswegs die Abschwächung
von Eichmanns Schuld, als die sie zum Teil verstanden wurde.

"Diese geradezu verrückte Idealisierung des Gehorsams in Deutschland"


Ich würde sagen, diese Art zu morden ... ist natürlich ein unvergleichlich
210 furchtbarerer Typus Mensch als jeder Mörder. Weil er gar keinen Bezug mehr auf
sein Opfer hat. Er tötet ja wirklich, als ob's Fliegen sind. Die Teilverantwortung war
natürlich noch nie ein Grund für geteilte Schuld.
Hannah Arendt im SWR-Gespräch mit Joachim C. Fest, 1964

215 Im Fall ihrer Kritik an der Rolle der Judenräte wiegt die Vereinfachung gravierender: Hier
bleibt im Film vor allem der Gedanke schlichter Mitschuld haften, der sich bei Arendt
weit komplexer liest. Zudem lautet Arendts Argument vor allem, noch in der Vernichtung
hätten die Judenräte zu sehr für Recht und Ordnung gesorgt, seien "zu deutsch" gewesen -
220 Chaos und Unordnung hätte womöglich mehr Menschen gerettet.
Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen bei Kant. Dieser kuriose Pflichtbegriff in
Deutschland - Was mir spezifisch deutsch scheint, ist diese geradezu verrückte
Idealisierung des Gehorsams. Gehorchen in diesem Sinn tun wir, solange wir Kinder
sind.
225 Hannah Arendt in einem SWR-Gespräch mit Joachim C. Fest, 1964

Zu wenig Raum wird insgesamt den Gegenargumenten gegeben. Vielleicht ist es von
einem Spielfilm zu viel verlangt, alle Seiten fair darzustellen, doch schlägt sich "Hannah
Arendt" ganz auf die Seite seiner Heldin.
So fällt nicht nur unter den Tisch, wie orchestriert einerseits die Kampagne gegen Arendt
230
lief, sondern auch, dass sie andererseits sehr wohl substantiell begründet war. Stattdessen
erlebt man das private Drama einer Frau in der Männerwelt und einer Außenseiterin, die
einmal mehr von manchen Freunden im Stich gelassen wird.
Hans Jonas: "Ja aber Eichmann ist ein Monster - dann meine ich nicht der Teufel.
235 Man muss nicht besonders klug, auch nicht besonders mächtig sein, um sich als
Mörder zu verhalten."
Hannah Arendt: " Damit machst Du's Dir zu einfach. Das Neue an dem Phänomen
Eichmann ist doch, dass viele ihm so ähnlich sind; dass er ein erschreckend
normaler Mensch ist."
240 Jonas: "Hannah bitte, Du kannst das so nicht schreiben, nicht für den New Yorker,
so nicht. Das ist zu abstrakt, das ist missverständlich."
Dialog-Auszug aus dem Film

"Sie glaubt ja noch ans Denken. Dass man durch Denken Katastrophen verhindern
245 kann"
Am Ende interessiert sich Trotta für Arendt aber weniger als repräsentatives Schicksal
einer intellektuellen Frau, als dass Arendt eine der wenigen Intellektuellen ist, die die
Summe eines Jahrhunderts der Verwerfungen zieht, dessen Beginn Trotta mit der
Utopistin Rosa Luxemburg erzählt hatte:
250
Und dann kommt Hannah Arendt und blickt zurück und sieht auf dieses
Jahrhundert gar nicht mehr mit einem utopischen Blick oder einem
hoffnungsvollen..., die sieht, was in der Zwischenzeit und mit dem Totalitarismus
und dem Nationalsozialismus geschehen ist. Wie er die Menschen verdorben hat.
Dieser ganze Kollaps der Moral im 20.Jahrhundert - das beschreibt sie ja. Das finde
255 ich grandios an ihr, dass sie sagt: Es waren eben nicht nur die Täter, es waren auch
die Opfer, die unter dieser Macht des Totalitarismus zusammengebrochen sind,
moralisch zusammengebrochen sind. Trotzdem glaubt sie ja noch ans Denken. Sie
hat auch irgendwo noch eine Utopie, und das ist die, dass man durch Denken
Katastrophen verhindern kann.
260 Margarethe von Trotta[6]

In der Hauptrolle erscheint Barbara Sukowa auch auf den zweiten Blick nicht als
Idealbesetzung der Hannah Arendt. Zu asketisch, spröde und ätherisch ist ihr
Darstellungsstil. Und wer je die Originalstimme und -diktion Hannah Arendt gehört hat,
265
wird mit der Sukowa nicht warm.
Um als Arendt zu überzeugen, entschied man sich daher für die Betonung bestimmter
Äußerlichkeiten: Immerzu sieht man sie rauchen, und Arendts deutscher Akzent im
Englischen wird sehr stark betont - mag beides auch den Tatsachen entsprechen, entfaltet
es in Sukowas Spiel die Wirkung eines Manierismus. Die emotionale Mitte des Films ist
270 Axel Milberg als Arendts Ehemann Heinrich Blücher.

Heimatlose Existenzphilosophin
Nicht immer klar ist zudem Trottas Erzählhaltung. Meist bleibt sie ihrer Hauptfigur eng
auf der Spur, erschließt die Vorgänge den Zuschauern mit deren Augen. Dies führt immer
275 wieder zu starken Momenten, etwa jener Szene gegen Ende, die Arendts Konfrontation
mit ihrem langjährigen Freund Hans Jonas zeigt, in der der Bruch zwischen beiden
vollzogen wurde. Doch in einigen Szenen fehlt sie, ohne dass die Gründe dieser
Entscheidung immer schlüssig wären.
So sehr "Hannah Arendt" im Einzelnen überzeugt und insgesamt als spannendes,
persönliches wie geistiges Drama sehenswert ist, bleibt doch die Einschränkung, dass
Trottas Film insgesamt eine Tendenz zum Illustrativen hat und sich der Form eines
Fernsehdramas annähert: Szene folgt auf Szene, aber der Film ist zu wenig filmisch,
"atmet" kaum und scheut offene Subjektivität. Sie schätze besonders Arendts Formel von
der Philosophie als "Denken ohne Geländer", hat Margarethe von Trotta in einem
Interview erklärt. Etwas mehr Filmen ohne Geländer hätte man sich von ihr gewünscht.
Doch als Portrait eines freien Menschen überzeugt der Film:
Ich weiß, man muss einen Preis für die Freiheit zahlen, aber ich kann nicht sagen,
dass ich ihn gern zahle.
Hannah Arendt in Günter Gaus' "Zur Person"
Man sieht, dass Hannah Arendt sich eigentlich durchsetzt, dass sie dafür auch bereit ist,
Freundschaften zu opfern, dass sie an das, wovon sie überzeugt ist, nicht nur glaubt,
sondern dafür auch persönlich einsteht. Auch das kann man einen existenzphilosophischen
Ansatz nennen. Und damit sympathisiert Margarethe von Trotta ganz eindeutig, so wie
mit der polyglotten, globalen Klugheit, die Hannah Arendt repräsentiert hat - eine Frau,
die immer wieder ihre Identitäten gewechselt hat und gewissermaßen im positiven Sinn
heimatlos war.

Anhang / Links
[1]http://www.hannaharendt-derfilm.de/
[2]http://www.youtube.com/watch?v=Ts4IQ2gQ4TQ
[3]http://www.youtube.com/watch?v=Dc6ZEa_8scM
[4]http://www.artechock.de/film/text/interview/v/vontrotta_2013.html
[5]http://www.youtube.com/watch?v=Ts4IQ2gQ4TQ
[6]http://www.hannaharendt-derfilm.de
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